Österreich im Kalten Krieg: Neue Forschungen im internationalen Kontext [1 ed.] 9783737005890, 9783847105893


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Österreich im Kalten Krieg: Neue Forschungen im internationalen Kontext [1 ed.]
 9783737005890, 9783847105893

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Zeitgeschichte im Kontext

Band 11

Herausgegeben von Oliver Rathkolb

Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed.

Maximilian Graf / Agnes Meisinger (Hg.)

Österreich im Kalten Krieg Neue Forschungen im internationalen Kontext

Unter Mitarbeit von Sophie Bitter-Smirnov, Florentine Kastner und Isabella Lehner

V& R unipress Vienna University Press

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-5413 ISBN 978-3-7370-0589-0 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de Verçffentlichungen der Vienna University Press erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH. Gedruckt mit freundlicher Unterstþtzung des Rektorats der UniversitÐt Wien und der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA 7).  2016, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: Geographical distribution of Austrian Industries, in: The Rehabilitation of Austria 1945–1947, Prepared by the United States Allied Commission Austria, Volume II, Vienna 1947, Figure IV.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Maximilian Graf / Agnes Meisinger Österreich und der Kalte Krieg: Forschungsstand und Desiderata

. . . .

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Lukas Schemper Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Österreich und die Repatriierung sowjetischer Flüchtlinge . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Christian Forstner Kernspaltung, Kalter Krieg und Österreichs Neutralität . . . . . . . . . .

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Doris Neumann-Rieser Atomangst in österreichischer Literatur zwischen 1945 und 1966 . . . . .

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Magdalena Reitbauer Von Angesicht zu Angesicht im Kalten Krieg. Österreichs besuchsdiplomatische Interaktionen zwischen Ost und West 1960 bis 1983 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Maximilian Graf Österreichs »Ostpolitik« im Kalten Krieg. Eine doppeldeutsche Sicht

. . 145

Agnes Meisinger Die österreichische Haltung zum Boykott der Olympischen Sommerspiele in Moskau 1980 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

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Inhalt

Stefan Maurer »Der Boden des neutralen Österreichs scheint uns besonders für eine Auseinandersetzung zwischen Ost und West geeignet zu sein.« Wolfgang Kraus’ Netzwerke im kulturellen Kalten Krieg . . . . . . . . . . . . . . . 209 Alexander Golovlev Zur Kulturpolitik der UdSSR in Österreich 1945 bis 1955: Musik als Repräsentationsmittel und ihre Auswirkungen auf österreichische Russlandbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Andrea Brait »die große Trennungslinie, die an unserer Haustür vorbeiführt, überbauen«. Zur Vermittlerfunktion der österreichischen Kulturaußenpolitik zwischen Ost und West . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 BeiträgerInnen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

Vorwort

Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes aus der Reihe Zeitgeschichte im Kontext nehmen eine Perspektivenerweiterung der Positionen und des Aktionsradius in Österreich im Kalten Krieg in bisher wenig bis gar nicht erforschten Bereichen vor. Professor Günter Bischof von der University of New Orleans hat diesen Sammelband daher zu Recht als sehr gelungenes Beispiel zur Forschungsausrichtung der »vierten Generation« von HistorikerInnen, die sich mit den Auswirkungen des Kalten Kriegs in und um Österreich beschäftigen, bezeichnet. Da die dritte Generationskohorte von Kalter KriegsHistorikerInnen ihre Sammelbände jeweils ihren inhaltlichen Schwerpunkten widmete und keine vergleichbare Bestandsaufnahme von Forschungszugängen hinterlassen hat, steht zur Gegenüberstellung nur der Sammelband »Die bevormundete Nation« (1988) zur Verfügung, in dem sich die zweite Generation primär mit Diplomatie- Politik- und Wirtschaftsgeschichte auseinandersetzte. Im vorliegenden Band wird der cultural turn sehr deutlich sichtbar und durch umfassende Studien wie etwa über Kultur- und Sportpolitik auf der Basis von Primärquellen verdichtet. Aber auch die Beiträge über die Reflexion zum atomaren Zeitalter sowie neue Ansätze zur Diplomatiegeschichte bzw. zur Auseinandersetzung mit internationalen Organisationen gehen in eine sowohl methodisch als auch zeitlich neue Richtung, da inzwischen bereits die 1980erJahre analysiert werden. Gerade der Schwerpunkt auf so genannte »soft power«-Themen wie die Rolle von Sportpolitik im Bereich Olympischer Spiele oder literarische Netzwerke sowie sowjetische und österreichische Kulturpolitik unterstreichen diesen neuen Paradigmenwechsel in Richtung empirisch getragener Kulturstudien. NGOs sowie der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen werden ebenso aus der Vergessenheit hervorgeholt wie die Bedeutung von Literatur als Trägerin von Ängsten im Kalten Krieg, insbesondere der atomaren Bedrohung. Die Perspektive der beiden deutschen Staaten auf Österreichs Ostpolitik liefert ebenso innovative Zugänge wie die Auseinandersetzung mit Wissenschafts- und

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Vorwort

Forschungspolitik um die österreichische Kernphysik als Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte. So wie es in der aktuellen Geopolitik kein »Ende der Geschichte« gibt, so zeigt sich in der Literatur zum Kalten Krieg eine breite Palette an innovativen methodischen und thematischen Zugängen, die über die eigentliche Zeitgeschichte Österreichs hinaus gehen und den Weg für künftige Netzwerk- und Transferanalysen bereiten, um das Rätsel des Endes des Kalten Kriegs auf gesellschaftlicher Ebene zu lösen. Oliver Rathkolb, April 2016

Maximilian Graf / Agnes Meisinger

Österreich und der Kalte Krieg: Forschungsstand und Desiderata1

I.

Kritik und Entwicklungen

In der im Jahr 2010 erschienen Festschrift zu Ernst Hanischs 70. Geburtstag hat Günter Bischof vom »Elend der österreichischen Geschichtsschreibung zum Kalten Krieg« gesprochen und in diesem Rahmen seine seit Jahren punktuell formulierte Kritik in gesammelter Form vorgetragen. Auf diese wird im Folgenden immer wieder Bezug genommen werden. Bischofs Hauptkritikpunkt war die von ihm konstatierte Beschränkung auf das Thema »Österreich und der Kalte Krieg«, und er bemängelte die über den österreichischen »Tellerrand« kaum hinausreichende Forschung zum internationalen Kalten Krieg. Als Ausnahme nannte er die größeren Konferenzen und Publikationen des LudwigBoltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung in Graz (BIK).2 Dieses hatte ein großes internationales Forschungsprojekt zum »Prager Frühling« im Kontext des internationalen Krisenjahres 1968 abgeschlossen.3 Seither folgten weitere Großprojekte zum »Wiener Gipfel 1961« zwischen Nikita S. Chrusˇcˇev und John F.

1 Wir danken Günter Bischof, Michael Gehler und Wolfgang Mueller für ihre wertvollen Kommentare und Anregungen zum Manuskript sowie Oliver Rathkolb für die Aufnahme der Publikation in die Reihe »Zeitgeschichte im Kontext«. 2 Günter Bischof, Vom Elend der österreichischen Geschichtsschreibung zum Kalten Krieg, in: Reinhard Krammer/Christoph Kühberger/Franz Schausberger (Hg.), Der forschende Blick. Beiträge zur Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert. Festschrift für Ernst Hanisch zum 70. Geburtstag, Wien–Köln–Weimar 2010, 371–390. Für einen gewichtigen Beitrag Bischofs zur Erforschung der internationalen Geschichte des Kalten Kriegs vor seiner Mitarbeit an den Projekten des BIK siehe Günter Bischof/Saki Dockrill (Hg.), Cold War Respite, The Geneva Summit of 1955, Baton Rouge 2000. Für einen Beitrag zur Chronologisierung siehe Günter Bischof, Eine historiographische Einführung: Die Ära des Kalten Krieges und Österreich, in: Erwin A. Schmidl (Hg.), Österreich im frühen Kalten Krieg 1945–1958. Spione, Partisanen, Kriegsplane, Wien–Köln–Weimar 2000, 19–53. 3 Stefan Karner et al. (Hg.), Prager Frühling. Das internationale Krisenjahr 1968, 2 Bde., Köln–Weimar–Wien 2008.

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Maximilian Graf / Agnes Meisinger

Kennedy4 sowie zum »Kreml und Osteuropa 1989/91«.5 Die Ergebnisse der Beitragsbände wurden in Auswahl auch in der renommierten Harvard Cold War Studies Book Series publiziert und gelten als must read.6 Es mag dem Entstehungszeitraum von Bischofs Beitrag geschuldet sein, dass er die parallel verlaufenden Entwicklungen an der Historischen Kommission beziehungsweise ab 2013 am Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (INZ/ÖAW) nicht mehr berücksichtigen konnte. Mit der 2009 stattgefundenen internationalen Konferenz The Revolutions of 1989, um nur das markanteste Ausrufezeichen zu erwähnen, wurden ebenfalls erweiternde und vertiefende Forschungsergebnisse zu den internationalen Dimensionen des Endes des Kalten Kriegs geliefert, die inzwischen in Form eines Handbuchs vorliegen.7 Der Forschungsbereich »Internationale Geschichte« des INZ8 hat darüber hinaus beispielsweise mit einem Projekt zur Alpen-AdriaRegion 1945–19559 und international vernetzten Forschungen zu den Bezie4 Stefan Karner et al. (Hg.), Der Wiener Gipfel 1961. Kennedy–Chruschtschow, Innsbruck–Wien–Bozen 2011. 5 Stefan Karner et al. (Hg.), Der Kreml und die »Wende« 1989. Interne Analysen der sowjetischen Führung zum Fall der kommunistischen Regime. Dokumente, Innsbruck–Wien–Bozen 2014; Stefan Karner et al. (Hg.), Der Kreml und die deutsche Wiedervereinigung 1990. Interne sowjetische Analysen, Berlin 2015. 6 Günter Bischof/Stefan Karner/Peter Ruggenthaler (Hg.), The Prague Spring and the Warsaw Pact invasion of Czechoslovakia in 1968, Lanham 2010; Günther Bischof/Stefan Karner/ Barbara Stelzl-Marx (Hg.), The Vienna Summit and Its Importance in International History, Lanham 2014. 7 Wolfgang Mueller/Michael Gehler/Arnold Suppan (Hg.), The Revolutions of 1989. A Handbook, Wien 2015. 8 Hierbei handelt es sich um die einzige explizit dem Forschungsfeld »Internationale Geschichte« gewidmete wissenschaftliche Einrichtung in Österreich: Internationale Geschichte entwickelt theoretische Ansätze und praxisbezogene Antworten, um die im 21. Jahrhundert aufgeworfenen Fragestellungen im Zusammenhang mit großräumlichen Vernetzungen (Globalisierung) angemessen zu bearbeiten. Indem Ansätze u. a. der neueren Politik-, Gesellschafts-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte verknüpft werden, trägt sie dazu bei, die Dominanz nationalstaatlicher Blickwinkel aufzubrechen, ohne dabei die Bedeutung des Staates außer Acht zu lassen. Durch die Anwendung pluraler Zugänge werden Grenzen überschritten und die Geschichte der internationalen Beziehungen thematisch ausgeweitet und ergänzt. 9 Dieses Projekt zeigt auf, wie sehr verschiedene Konfliktpunkte in der »Alpen-Adria-Region« miteinander verstrickt waren und wie stark diese Verstrickungen das Schicksal der drei untersuchten Staaten beeinflusste. Die Zusammenhänge zwischen Entscheidungen, die in einem Teil des Gebiets gefällt wurden, und ihre Folgen für andere Teile des zu untersuchenden Raums stehen dabei im Mittelpunkt. Die umfassende Analyse wirtschaftlicher, politischer, sozialer und diplomatischer Aspekte, die bis heute nicht im Fokus der Forschung gestanden haben, bildet die Grundlage des Projekts. Das wichtigste Ziel der Studie ist es, internationale und Mehrebenen-Aspekte in die Forschungsfragen einfließen zu lassen. Das Projekt beschränkt sich nicht auf regionale Aspekte, sondern bezieht auch inter- und multinationale Perspektiven mit ein. Bereits erschienen Karlo Ruzicic-Kessler, Togliatti, Tito and the Shadow of Moscow 1944/45–1948: Post-War Territorial Disputes and the Communist World, in:

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hungen kommunistischer Parteien im Kalten Krieg10 weitere über den »Tellerrand« hinausschauende Akzente gesetzt. Zur sowjetischen Neutralitätskonzeption im Kalten Krieg haben insbesondere Wolfgang Mueller (INZ/ÖAW)11 und Peter Ruggenthaler (BIK)12 Beiträge zur internationalen Forschungsdiskussion geleistet. Trotz der von Bischof beklagten geringen Präsenz des »Kalten Kriegs« in den Lehrveranstaltungsverzeichnissen der österreichischen Universitäten haben sich NachwuchswissenschaftlerInnen – wenn auch weiterhin noch nur in einer beklagenswert geringen Zahl – in den vergangenen Jahren wieder verstärkt dem Kalten Krieg zugewendet. Das Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien hat durch die Initiierung eines dreijährigen Erasmus Intensive Programme mit dem Schwerpunkt »Cold War and Society«13 erheblich zur internationalen Vernetzung österreichischer NachwuchswissenschaftlerInnen beigetragen. Dass hierbei oftmals die Erforschung der Rolle Österreichs im Kalten Krieg den Ausgangspunkt darstellt, ist angesichts der geringen Förderungsmöglichkeiten für langfristige Forschungsaufenthalte im Ausland nur wenig verwunderlich. Ein Großteil dieser Forschungen findet heute aber eben unter Berücksichtigung rezenter Forschungsdiskussionen, des internationalen Kontexts und auf Basis von intensiven Archivforschungen im In- und (soweit finanzierbar) Ausland statt. Daher wird in der folgenden einleitenden Besprechung des Forschungsstands auf Desiderata und erste Schritte zu deren Überwindung besonders eingegangen. Einige der von Bischof angesprochenen »blinden Flecken« wurden mittlerweile in Angriff genommen, andere sollen hier erneut aufgezeigt werden, um künftige Forschungen anzuregen. Abgesehen von einigen Ausnahmen wird auf die seit dem Jahr 2000 publizierten Arbeiten Bezug genommen. Verweise auf die in den Beiträgen diskutierte einschlägige nationale und internationale Forschungsliteratur unterbleiben weitestgehend. Die Diskussion erfolgt entlang von Themenfeldern, Vollständigkeit war in diesem Rahmen nicht möglich. Der vorliegende Band geht großteils auf einen 2012 von Maximilian Graf,

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Journal of European Integration History, 20 (2014) 2, 181–201. Es folgen ein Sammelband und eine Kollektivmonografie. Siehe das Themenheft des Journal of European Integration History 20 (2014) 2 sowie Francesco Di Palma/Wolfgang Mueller (Hg.), Kommunismus – Europa – Nation. Europapolitik und -vorstellungen der europäischen Kommunistischen Parteien 1945–1989, Paderborn 2016. Wolfgang Mueller, A Good Example of Peaceful Coexistence? The Soviet Union, Austria, and Neutrality, 1955–1991, Wien 2011; ders., A Special Relationship with Neutrals? Khrushchev’s Coexistence, Austria and Switzerland, 1955–60, in: zeitgeschichte 41 (2014) 5, 279–295. Peter Ruggenthaler, The concept of Neutrality in Stalin’s Foreign Policy, 1945–1953, Lanham 2015; ders., Stalins großer Bluff. Die Geschichte der Stalin-Note in Dokumenten der sowjetischen Führung, München 2007. In diesem Rahmen wurden 2010–2012 jeweils zweiwöchige Winter Schools in Wien, Budapest und Berlin organisiert. Für die Resultate siehe die Themenhefte »Cold War Reloaded«, zeitgeschichte 37 (2010) 6; »From Cold War to D8tente«, zeitgeschichte 38 (2011) 6.

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Florentine Kastner und Isabella Lehner als Kooperation zwischen dem Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien und der seinerzeitigen Historischen Kommission der ÖAW durchgeführten Workshop zurück.14 Im vorliegenden Band werden die Forschungen von NachwuchswissenschaftlerInnen aus dem Inund Ausland vorgestellt, die sich mit Österreich im Kalten Krieg auseinandersetzen. Trotz Bischofs diesbezüglicher Kritik erscheint gerade eine eingehende Befassung mit Österreich im Kalten Krieg nach wie vor erstrebenswert, vorausgesetzt sie erfolgt im Rahmen internationaler Forschungstrends und auf breiter Quellenbasis. Bis vor wenigen Jahren waren über das Jahr 1955 hinausgehende Forschungen eine absolute Seltenheit, sodass man zu Beginn fast jeder Forschungsarbeit über Österreich im Kalten Krieg 1955–1989 vor einer historiografischen Tabula rasa stand. Bisher lag das Hauptgewicht in der Geschichtsschreibung zur Rolle Österreichs im Kalten Krieg vor allem auf der detaillierten und multiperspektivischen Erforschung der Besatzungszeit. Allmählich macht sich aber eine Schwerpunktverlagerung bemerkbar, was die immer zahlreicheren publizierten Ausnahmen belegen. Diese wirken dem von Bischof überspitzt und mittlerweile unzutreffend konstatierten »Elend« entgegen und entkräften die Vermutung, seine Anregungen könnten »den in Österreich üblichen Tod durch Nichtbeachtung finden«.

II.

Die Besatzungszeit: Neue Erkenntnisse trotz hohem Erforschungsgrad

Eine vergleichsweise geschlossene Periode der österreichischen Geschichte im Kalten Krieg stellt die Zeit von 1945 bis 1955 dar. Es ist dies die Phase zwischen der Befreiung des Landes durch die vier Alliierten und der zehn Jahre später erfolgten Unterzeichnung des Staatsvertrags, durch den Österreich, das sich in weiterer Folge für neutral erklärte, seine volle Souveränität wiedererlangte. Weitgehend durchgesetzt hat sich die Ansicht, dass die Alpenrepublik während der Besatzungszeit als Nebenschauplatz des frühen Kalten Kriegs15 eine nicht unwesentliche Rolle einnahm. Das Besatzungsjahrzehnt stellt den am besten erforschten Bereich der österreichischen Geschichte im Kalten Krieg, aber auch der österreichischen Zeitgeschichte nach 1945 insgesamt dar. Im Mittelpunkt 14 Für Programm und Tagungsbericht siehe http://www.univie.ac.at/zeitgeschichte/cms/up loads/Workshop-09-21-2012_Programm.pdf (Zuletzt abgerufen am 16. Oktober 2015) und http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=4539& view=pdf (Zuletzt abgerufen am 16. Oktober 2015). 15 Wolfgang Mueller, Stalin and Austria: New Evidence on Soviet Policy in a Secondary Theatre of the Cold War, 1938–1953/55, in: Cold War History 6 (2006) 1, 63–84.

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des Forschungsinteresses stand hier die längste Zeit die westliche Besatzungspolitik16 und die Geschichte des österreichischen Staatsvertrages.17 Durch den infolge der Archivrevolution in Osteuropa18 graduell erweiterten Zugang zu sowjetischem Aktenmaterial erfolgten seither vor allem intensive Forschungen zur sowjetischen Österreichpolitik.19 Diese wurde auch konsequent in den

16 Günter Bischof, Austria in the First Cold War, 1945–55. The Leverage of the Weak, Basingstoke, 1999; Alfred Ableitinger/Siegfried Beer/Eduard G. Staudinger (Hg.), Österreich unter alliierter Besatzung 1945–1955, Wien–Köln–Graz 1998; Thomas Angerer, Frankreich und die Österreichfrage. Historische Grundlagen und Leitlinien 1945–1955, Dissertation Wien 1996 (eine Publikation in aktualisierter und erweiterter Fassung wäre wünschenswert); Siegfried Beer (Hg.), Die »britische Steiermark«, Graz 1995; Klaus Eisterer, Französische Besatzungspolitik. Tirol und Vorarlberg 1945/46, Innsbruck 1992; Günter Bischof/ Josef Leidenfrost (Hg.), Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945–1949, Innsbruck 1988; Manfred Rauchensteiner, Der Sonderfall – Die Besatzungszeit in Österreich, 1945–1955, Graz–Wien 1979; ders., Stalinplatz 4. Österreich unter alliierter Besatzung, Wien 2005; Ernst Bruckmüller (Hg.), Wiederaufbau in Österreich 1945–1955. Rekonstruktion oder Neubeginn?, Wien 2006. Zur amerikanischen Kulturpolitik siehe insbesondere Reinhold Wagnleitner, Coca-colonization and the Cold War, Chapel Hill 2008; Oliver Rathkolb, Politische Propaganda der amerikanischen Besatzungsmacht in Österreich 1945 bis 1950. Ein Beitrag zur Geschichte des Kalten Krieges in der Presse-, Kultur- und Rundfunkpolitik, Dissertation Wien 1982. Zur Wissenschaftspolitik Christian H. Stifter, Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration. US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Neuorientierung österreichischer Wissenschaft, Wien–Köln–Weimar 2014. Zu den britisch-österreichischen Kulturbeziehungen Isabella Lehner, Anglo-Austrian Cultural Relations between 1944 and 1955. Influences, Cooperation and Conflicts, Diplomarbeit Universität Wien 2012. Zum Marshall-Plan siehe Günter Bischof/Dieter Stiefel (Hg.), 80 Dollar. 50 Jahre ERP-Fonds und Marshall-Plan in Österreich 1948–1998, Wien 1999; Günter Bischof/Anton Pelinka/Dieter Stiefel (Hg.), The Marshall Plan in Austria (Contemporary Austrian Studies 8), New Brunswick 2000; Günter Bischof/Dieter Stiefel (Hg.), Images of the Marshall Plan: Film, Photographs, Exhibits, Posters, Innsbruck–Wien–Bozen 2009; Wilfried Mähr, Der Marshallplan in Österreich, Graz–Wien–Köln 1989. 17 Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der OstWest-Besetzung Österreichs 1945–1955, 5. Aufl., Wien–Köln–Graz 2005; Arnold Suppan/ Gerald Stourzh/Wolfgang Mueller (Hg.), Der österreichische Staatsvertrag 1955. Internationale Strategie, rechtliche Relevanz, nationale Identität, Wien 2005; Stefan Karner/Gottfried Stangler (Hg.), »Österreich ist frei!« Der Österreichische Staatsvertrag 1955, Horn– Wien 2005. Stellvertretend für die seit den 1990er-Jahren auf erweiterter Quellenbasis geführte Diskussion über die Verbindungen der österreichischen und der deutschen Frage siehe zuletzt Michael Gehler, Modellfall für Deutschland? Die Österreichlösung mit Staatsvertrag und Neutralität 1945–1955, Innsbruck–Wien–Bozen 2015. 18 Mikhail Prozumenshchikov, The Revolutions of 1989 and the »Archival Revolution« in the USSR, in: Wolfgang Mueller/Michael Gehler/Arnold Suppan (Hg.), The Revolutions of 1989. A Handbook, Wien 2015, 509–524. 19 Wolfgang Mueller, Die sowjetische Besatzung in Österreich 1945–1955 und ihre politische Mission. Wien 2005; Wolfgang Mueller/Arnold Suppan/Norman Naimark/Gennadij Bordjugov (Hg.), Sowjetische Politik in Österreich 1945–1955: Dokumente aus russischen Archiven – B_SVcb[Qp `_\YcY[Q S 1SbcaYY 1945–1955TT.: 5_[d]V^cl YX A_bbYZb[Yf QafYS_S,

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Maximilian Graf / Agnes Meisinger

Kontext der sowjetischen Osteuropapolitik eingebettet, wodurch weitere österreichische Beiträge zur einschlägigen internationalen Forschung geleistet wurden.20 Seither wurden diese Forschungen durch monografische Studien zu Aspekten der sowjetischen Wirtschaftspolitik in Österreich,21 den Repressionen der Besatzungsmacht22 und zum Innenleben der sowjetischen Besatzung in Österreich erweitert.23 Eher vernachlässigt wurde bisher die sowjetische Kulturpolitik in Österreich.24 Alexander Golovlev nähert sich der Thematik in seinem Beitrag anhand des Beispiels der Musik als Repräsentationsmittel. Während rein propagandistische Aktivitäten der Besatzungsmacht und ihrer kulturellen Vertreter in Österreich nur wenig Widerhall fanden, so zeigt sich, dass bereits zuvor geschätzte Werke und Künstler, insbesondere im Feld der klassischen Musik, durchaus den Geschmack des Wiener Publikums trafen. Dies mag durchaus an einer gewissen Koinzidenz der antimodernistischen sowjetischen Kulturpolitik der Zeit und dem ähnlich veranlagten Wiener Publikumsgeschmack gelegen haben. Jedenfalls können hier, wenn auch nur am Rande, bereits die Grenzen der Durchdringung des alltäglichen kulturellen Lebens durch den Kalten Krieg sichtbar gemacht werden. In anderen Feldern wurden sie parallel dazu immer deutlicher. Lukas Schemper geht dem Schicksal der Tausenden sowjetischen Displaced Persons (DPs) im Nachkriegsösterreich nach.25 200.000 DPs wurden in den

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Wien 2005; Stefan Karner/Barbara Stelzl-Marx (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945–1955, 2 Bde., Graz–Wien–München 2005. Dazu insbesondere Wolfgang Mueller, Soviet Policy, Political Parties, and the Preparation for Communist Takeovers in Hungary, Germany, Austria, 1944–1946, in: East European Politics and Societies 24 (2010), 90–115; Csaba B8k8s/L#szlj Borhi/Peter Ruggenthaler/Ottmar Tras¸ca˘ (Hg.), Soviet Occupation of Romania, Hungary, and Austria 1944/45–1948/49, Budapest–New York 2015. Walter M. Iber, Die sowjetische Mineralölverwaltung in Österreich. Zur Vorgeschichte der OMV 1945–1955, Innsbruck–Wien 2011. Siehe zusammenfassend und auf dem Stand der damals neuesten verfügbaren Quellen Otto Klambauer, Die sowjetische Wirtschaftspolitik in Österreich 1945–1955, in: Andreas Hilger/Mike Schmeitzner/Clemens Vollnhals (Hg.), Sowjetisierung oder Neutralität? Optionen sowjetischer Besatzungspolitik in Deutschland und Österreich 1945–1955 (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, Bd. 32), Göttingen 2006, 435–450. Stefan Karner/Barbara Stelzl-Marx, Stalins letzte Opfer. Verschleppte und erschossene Österreicher in Moskau 1950–1953, Wien–Köln–Weimar 2009. Barbara Stelzl-Marx, Stalins Soldaten in Österreich. Innensicht der sowjetischen Besatzung. Wien 2012. Ausnahmen bestätigen die Regel: Wolfgang Mueller, Kul’turnaja politika sovetskich vlastej v Vene i sovetsko-avstrijskie kul’turnye otnosˇenija v 1945 g., in: Vestnik Moskovskogo Universiteta: Istorija 2 (2003), 85–104; Michael Kraus, »Kultura«: Der Einfluss der sowjetischen Besatzung auf die österreichische Kultur 1945–1955. Diplomarbeit Wien 2008. Dazu grundlegend Gabriela Stieber, Die Lösung des Flüchtlingsproblems 1945–1960, in: Thomas Albrich/Klaus Eisterer/Michael Gehler/Rolf Steininger (Hg.), Österreich in den Fünfzigern, Innsbruck 1995, 67–94; im zeitlichen Längsschnitt Gernot Heiß/Oliver

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ersten Nachkriegsjahren eingebürgert, doch nicht alle konnten diesen Weg einschlagen. Um die Zukunft der sowjetischen Verbliebenen und Nichtrückkehrwilligen sorgte sich das Office of the United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR). Nach einer fundierten Einführung zu den Dilemmata dieser Organisation thematisiert Schemper, wie auch Flüchtlinge aus Osteuropa zu einem Konfliktgut des Kalten Kriegs wurden. Während die Sowjetunion deren »Repatriierung« anstrebte, trachteten die Westmächte danach, dies nicht zuzulassen. Dabei stehen Fragen des Zugangs zu den Flüchtlingen und die Sorge vor geheimen österreichisch-sowjetischen Absprachen betreffend diesen Personenkreis im Mittelpunkt der Analyse. In diesem Zusammenhang wird auch deutlich, wie sehr man im Westen anfänglich den Regelungen durch Staatsvertrag und Neutralität misstraute. Einen Schwerpunkt der Außenpolitikforschung zum Besatzungsjahrzehnt stellte neben dem Staatsvertrag insbesondere die österreichische Südtirol-Politik dar,26 deren stärkere multilaterale Kontextualisierung inzwischen ebenfalls in Angriff genommen wurde. Neuere Forschungen zeigen nicht nur wie eng für Italien und Jugoslawien die Fragen von Triest und Südtirol verknüpft waren. Deutlich werden auch die Wechselwirkungen zwischen Österreich und Triest im internationalen Kontext, die weit über die bisher bekannte Verknüpfung von Staatsvertrag und Triest-Frage seitens der Sowjetunion hinausgehen.27 Bis dato wenig beachtet wurden globale Blickpunkte. Eine Gesamtdarstellung zur Position Österreichs vor dem internationalen politischen Horizont dieser Zeit steht trotz allem noch aus. International heftig diskutierte Themenfelder wurden in Österreich bisher kaum beachtet. Bischof hat in seiner 2010 veröffentlichten Kritik an der österreichischen Geschichtsschreibung zum Kalten Krieg insbeRathkolb (Hg.), Asylland wider Willen. Flüchtlinge in Österreich im europäischen Kontext seit 1914 (= Veröffentlichungen des Ludwig-Boltzmann-Institutes für Geschichte und Gesellschaft 25), Wien 1995. Mit Blick auf den Kontext des Beitrags von Schemper siehe Peter Ruggenthaler/Walter M. Iber (Hg.), Hitlers Sklaven – Stalins »Verräter«. Aspekte der Repression an Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen. Eine Zwischenbilanz, Innsbruck–Wien–Bozen 2010. 26 Als Überblick hierzu Rolf Steininger, Autonomie oder Selbstbestimmung? Die Südtirolfrage 1945/46 und das Gruber-De Gasperi-Abkommen, Innsbruck–Wien–Bozen 2006 (= Neuauflage von Rolf Steininger, Los von Rom? Die Südtirolfrage 1945/46 und das Gruber-De Gasperi-Abkommen, Innsbruck 1987). Als Quelleneditionen hierzu Michael Gehler, Gescheiterte Selbstbestimmung. Die Südtirolfrage, das Gruber-De Gasperi-Abkommen und seine Aufnahme in den italienischen Friedensvertrag 1945–1947 (Akten zur Südtirol-Politik 1945–1958, Bd. 1), Innsbruck–Wien–Bozen 2011; Michael Gehler, Verspielte Selbstbestimmung? Die Südtirolfrage 1945/46 in US-Geheimdienstberichten und österreichischen Akten, Innsbruck 1996. 27 Vgl. Anmerkung 9. Unter stärkerer Berücksichtigung italienischer Akten bereits zuvor Viktoria Stadlmayer, Kein Kleingeld im Länderschacher. Südtirol, Triest und Alcide Degasperi 1945/1946, Innsbruck 2002.

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sondere das Fehlen von Forschungen zur atomaren Dimension angeprangert. In dieser Hinsicht ist seither vieles geschehen.

III.

Die atomare Herausforderung, Friedensbewegung(en) und die Frage des Terrorismus

Seit 2011 forscht Elisabeth Röhrlich am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien zur Geschichte der ältesten und größten internationalen Organisation in Österreich: Der International Atomic Energy Agency (IAEA). Die Gründung der IAEA ging auf die berühmte »Atoms for Peace«-Rede des amerikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower vor den Vereinten Nationen im Dezember 1953 zurück. Nach vier Jahren multilateraler und internationaler Verhandlungen wurde die IAEA 1957 in Wien eröffnet, mitgetragen von der Sowjetunion, die Eisenhowers Vorschlag zunächst höchst skeptisch aufgenommen hatte. In ihren Forschungen, die sich besonders auf die Frühgeschichte der IAEA konzentrieren, konnte Röhrlich nachweisen, dass die beiden Großmächte bereits lange vor dem 1968 unterzeichneten Atomwaffensperrvertrag das Entstehen neuer Atomwaffenstaaten als Bedrohung der internationalen Stabilität wahrnahmen. Zudem konnte sie zeigen, wie sehr die Gründung der IAEA nicht nur von den Ost-West-Beziehungen, sondern in entscheidender Weise auch von Nord-SüdFragen bestimmt wurde. Die jungen unabhängigen Staaten in der sogenannten »Dritten Welt«, insbesondere Indien, wiedersetzten sich einem neuen, diesmal »atomaren« Kolonialismus durch die Großmächte. Röhrlichs IAEA History Research Project ist Partner des am Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington, D.C. angesiedelten Nuclear Proliferation International History Project (NPIHP) und damit ein Beispiel für die Internationalität von Forschungen die in Österreich ihren Ausgangspunkt haben.28 Wie sehr dieses Themenfeld boomt, wird auch in diesem Band ersichtlich. Christian Forstner wählt in seinem Beitrag »Kernspaltung, Kalter Krieg und 28 Für Ergebnisse des Projekts siehe zuletzt Elisabeth Röhrlich, The Cold War, the developing world, and the creation of the International Atomic Energy Agency (IAEA), 1953–1957, in: Cold War History 16 (2016) 1, 1–18; und das Themenheft »Nuclear Modernity and Western Societies: From the Creation of Euratom to the Three Mile Island Accident« (mit Beiträgen von Elisabeth Röhrlich, Eugen Pfister, Magdalena Reitbauer und J. Samuel Walker), zeitgeschichte 42 (2015) 5. Das Erscheinen eines Beitrags von Röhlich im Journal of Cold War Studies steht kurz bevor. Für weitere bereits erschienene Beiträge siehe Elisabeth Röhrlich, Eisenhower’s Atoms for Peace: The Speech that Inspired the Creation of the IAEA, in: IAEA Bulletin (December 2013), 3–4; dies., To Make the End Time Endless: The Early Years of Günther Anders’ Fight Against Nuclear Weapons, in: Günter Bischof/Jason Dawsey/Bernhard Fetz (Hg.), The Life and Work of Günther Anders: Emigr8, Iconoclast, Philosopher, Man of Letters, Innsbruck–Wien–Bozen 2014, 45–58.

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Österreichs Neutralität« einen wissenschafts- und technikgeschichtlichen Ansatz. Auch dieser Zugang macht deutlich, wie sehr diese Bereiche vom Kalten Krieg erfasst wurden. Überaus deutlich werden zudem personelle Kontinuitäten in der österreichischen Kernforschung über die Brüche 1938/45 hinweg. Im Zeitalter der beginnenden Blockkonfrontation stellte für Österreich nur die enge Kooperation mit den USA eine reale Option dar. Diese zunächst einseitig transatlantische Ausrichtung öffnete sich auf dem Weg zum österreichischen Kraftwerksprojekt Zwentendorf insbesondere auch der westeuropäischen Zusammenarbeit. Die atomare Dimension umfasste aber nicht nur Diplomatie, Politik, Wissenschaft und Technik, sondern auch die Geschichte der Emotionen. Die Angst vor der atomaren Auslöschung war ein globales Phänomen,29 das auch vor Österreich nicht Halt machte. Gegenwartsliteratur ist immer auch ein Spiegel gesellschaftlicher Diskurse.30 Doris Neumann-Rieser zeigt in ihrem Beitrag, dass in Österreich – vergleichbar mit Deutschland –, resultierend aus den Traumatisierungen des Zweiten Weltkriegs große Ängste vor einem Dritten Weltkrieg vorhanden waren. Die Thematisierung dieser durch österreichische SchriftstellerInnen wurde aber bald Teil der Konfrontationsmuster des Kalten Kriegs. Trotz durchaus vorhandener Äquidistanz gegenüber beiden Supermächten wurden diese rasch als fellow-traveller gebrandmarkt. Das international durchaus intensiv beforschte Phänomen der frühen »Friedensbewegungen« und deren Instrumentalisierung insbesondere von kommunistischer Seite ist in Österreich bisher ein Randthema geblieben. Stand in den 1950er-Jahren die Frage der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland im Zentrum dieser Debatten, so ging es schließlich Anfang der 1980er-Jahre um die Nachrüstungsdebatte im Kontext des NATO-Doppelbeschlusses von 1979, der eine Antwort auf die vorhergehenden Raketenstationierungen der Sowjetunion auf ihren europäischen Territorien war.31 Erneut stellte sich die Frage nach östlichen

29 Generell zur Angst im Kalten Krieg Bernd Greiner/Christian Th. Müller/Dierk Walter (Hg.), Angst im Kalten Krieg (= Studien zum Kalten Krieg 3), Hamburg 2009. Als Pionierarbeit zur Gesellschaft im Atomzeitalter Margot A. Henriksen, Dr. Strangelove’s America. Society and Culture in the Atomic Age, Berkeley, California 1997. 30 Dazu mit Bezug auf österreichische Literatur grundlegend Günther Stocker, Austrian Literature and the Cold War : A Gap in Literary History, in: Arnold Suppan/Wolfgang Mueller (Hg.), Peaceful coexistence or Iron Curtain?. Austria, Neutrality, and Eastern Europe in the Cold War and D8tente, 1955–1989, Wien 2009, 218–243, zur Angst vor der atomaren Auslöschung insbesondere 222–224. 31 Philipp Gassert/Tim Geiger/Hermann Wentker (Hg.), Zweiter Kalter Krieg und Friedensbewegung. Der NATO-Doppelbeschluss in deutsch-deutscher und internationaler Perspektive, München 2011; Leopoldo Nuti (Hg.), The Crisis of D8tente in Europe. From Helsinki to Gorbachev, 1975–1985, London–New York 2009; Olav Njølstad (Hg.), The Last Decade of the Cold War. From Conflict Escalation to Conflict Transformation, London–New York 2004.

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Einflüssen auf die »neue Friedensbewegung«.32 Während europaweit massenhaft Menschen auf die Straßen gingen, blieb es im neutralen Österreich, das von der Nachrüstung nicht direkt betroffen war, vergleichsweise ruhig. Dennoch gelang es, bei Großveranstaltungen – die aber auch den Eindruck der einseitigen Parteinahme gegen die NATO-Nachrüstung erweckten – Solidarität mit der westeuropäischen Bewegung zu bekunden. Innenpolitisch war die Teilhabe von Parteien und Vorfeldorganisationen spätestens 1983 heftig umstritten. Die KPÖ war in Relation zu ihrer innenpolitischen Stärke jedenfalls überrepräsentiert. Die Kirche ging schließlich ihren eigenen Weg und veröffentlichte einen »Friedensapell der österreichischen Bischöfe«. Im Falle Österreichs stehen neuere Forschungen hierzu aus. Eines der Ziele war es jedenfalls – ganz der österreichischen Selbstsicht der Zeit entsprechend – das Land zu einer »Brücke« zwischen westlichen und östlichen Bewegungen zu machen. Ein interessanter Aspekt des österreichischen Falls ist wohl, dass die Friedensbewegung ihre Wurzeln im Protest gegen österreichische Waffenexporte hatte.33 In Österreich war auch die sogenannte Umweltbewegung, die zu einem ökologischen Paradigmenwechsel führte, von nicht unerheblicher Bedeutung. Forschungen zur Geschichte der österreichischen Kraftwerksprojekte (Seibersdorf, Zwentendorf, Hainburg) unternahmen Oliver Rathkolb, Richard Hufschmied, Andreas Kuchler und Hannes Leidinger.34 Gerade die letzte Hochphase des Ost-West-Kon32 Zur internationalen Kontroverse mit Fokus auf Westdeutschland siehe Gerhard Wettig, Die Sowjetunion in der Auseinandersetzung über den NATO-Doppelbeschluss 1979–1983, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 57 (2009) 2, 217–259; Holger Nehring/Benjamin Ziemann, Führen alle Wege nach Moskau? Der NATO-Doppelbeschluss und die Friedensbewegung – eine Kritik, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 59 (2011) 1, 81–100; Gerhard Wettig, Der Kreml und die Friedensbewegung Anfang der achtziger Jahre, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 60 (2012) 1, 143–149. Für eine Zusammenfassung der Debatte siehe Andreas Lutsch, Review of HT 2014: Die Friedensbewegung in der geschichtswissenschaftlichen Kontroverse. H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. November, 2014. Online unter : https://www.h-net.org/reviews/showpdf.php?id=42782 (Zuletzt abgerufen am 29. Oktober 2015). 33 Zeitgenössisch Andreas Maislinger, Friedensbewegung in einem neutralen Land. Zur neuen Friedensbewegung in Österreich, in: Reiner Steinweg/Jörg Becker (Red.), Medienmacht im Nord-Süd-Konflikt: Die Neue Internationale Informationsordnung, Frankfurt am Main 1984, 392–415; Heinrich Schneider, Zur Entwicklung der Friedensbewegung in Österreich. Ein Bericht mit besonderer Berücksichtigung kirchlicher Komponenten, in: Andreas Khol/ Alfred Stirnemann (Hg.), Österreichisches Jahrbuch für Politik 1983, 571–611; Andreas Unterberger, Friedenspolitik in Österreich, in: ebd., 613–633; Andreas Maislinger, Friedensbewegung in einem neutralen Land. Zur neuen Friedensbewegung in Österreich, in: ebd., 635–651. Siehe zudem die zahlreichen Beiträge im theoretischen Organ der KPÖ Weg und Ziel (Jahrgänge 1981–1983). Zu den Waffenexporten jüngst: Thomas Riegler, »Macht’s es unter der Tuchent«. Die Waffengeschäfte der österreichischen Verstaatlichten Industrie und der Noricum-Skandal, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 64 (2016) 1, 99–137. 34 Oliver Rathkolb/Richard Hufschmied/Andreas Kuchler/Hannes Leidinger, Wasserkraft. Elektrizität. Gesellschaft. Kraftwerksprojekte ab 1880 im Spannungsfeld, Wien 2012.

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flikts im Kontext der atomaren Frage stellt ein Desiderat der österreichischen Forschung zum Kalten Krieg dar. Ein weiteres Themenfeld, das nicht zuletzt im Gefolge des 11. Septembers 2001 und zuletzt auch aufgrund der jüngsten Anschläge in Europa eine Renaissance erlebte, stellt der Terrorismus dar.35 Auch wenn in der Fachwelt keine Einigkeit darüber besteht, inwiefern der Nahost-Konflikt in die Geschichte des Kalten Kriegs zu integrieren ist, ist jedenfalls klar, dass der daraus resultierende Terrorismus durch den Ost-West-Konflikt beeinflusst wurde. In den 1970er- und 1980er-Jahren geriet Österreich in dessen »Fadenkreuz«, wie es Thomas Riegler formuliert hat. Erstmals wurde dies mit der Geiselnahme von Marchegg/ Schwechat offenkundig, die vermutlich darauf abzielte, die über Österreich abgewickelte jüdische Emigration aus Osteuropa zum Erliegen zu bringen. Den aufsehenerregendsten Fall stellte aber die Geiselnahme im Sitz der Organization of the Petroleum Exporting Countries (OPEC) 1975 dar. Der österreichische Umgang mit dem Terrorismus war – laut Riegler – von »Pragmatik« geprägt und ist nicht von der Person Bruno Kreisky und dessen nicht ausschließlich idealistischer, sondern auch wirtschaftlich motivierter Nahost-Politik zu trennen. In teils fragwürdiger Manier dominierte weit über die Ära Kreisky hinaus vermeintliche Prävention über entschiedenes Entgegenstellen, was aber auch an der, zumindest bis in die 1980er-Jahre, inadäquaten Sicherheitsstruktur lag und in internationaler Betrachtungsweise keinen Sonderfall darstellt.36 Die OPECGeiselnahme 1975 zeigt, dass die Ansiedelung internationaler Organisation in Wien nicht in jeder Hinsicht eine Erhöhung der Sicherheit Österreichs bedeutete. Im Kontext des Kalten Kriegs wurde diese aber konsequent betrieben und dahingehend argumentiert.

IV.

Internationale Organisationen, transnationale Parteienkooperation und Kommunismusforschung nach 1955

Nicht nur die bereits erwähnten IAEA (seit 1957) und OPEC (seit 1965) hatten ihren Sitz in Wien. 1979 wurde die Bundeshauptstadt zum dritten ständigen Sitz der United Nations Organisation (UNO). Seither beherbergt die Wiener UNO-

35 Jussi M. Hanhimäki/Berhard Blumenau (Hg.), An International History of Terrorism: Western and Non-Western Experiences, London 2013. Für einen österreichischen Beitrag siehe Michael Gehler/Ren8 Ortner (Hg.), Von Sarajewo zum 11. September. Einzelattentate und Massenterrorismus, Innsbruck–Wien–Bozen 2007. 36 Thomas Riegler, Im Fadenkreuz: Österreich und der Nahost-Terrorismus 1973–1985 (= Zeitgeschichte im Kontext 3), Göttingen 2011.

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City auch die IAEA. Zudem war Österreich von 1986 bis 1989 Gastgeber des letzten Folgetreffens der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Auch die im Endeffekt erfolglosen – fast 16 Jahre dauernden – Verhandlungen über die gegenseitige Verminderung von Streitkräften und Rüstungen und damit zusammenhängende Maßnahmen in Europa (MBFR) fanden in Wien statt. Der niemals ratifizierte zweite Vertrag zur nuklearen Rüstungsbegrenzung (SALT II) wurde 1979 durch US-Präsidenten Jimmy Carter und den sowjetischen Staats- und Parteichef Leonid I. Brezˇnev in der österreichischen Hauptstadt unterzeichnet, wodurch Wien zum zweiten Mal nach 1961 als Gastgeber eines Gipfeltreffens der Supermächte fungierte.37 Transnationale Fragestellungen sind, wie bereits aufgezeigt wurde, international hoch im Kurs. Seitens der österreichischen Historiografie zum Kalten Krieg wurden sie bisher kaum aufgeworfen. Hier soll am Beispiel transnationaler Parteienkooperationen das bisher geleistete resümiert werden. Zu den christdemokratischen Parteien liegen insbesondere mit Blick auf die europäische Integration bereits reichhaltige Dokumentationen vor.38 Zu den sozialdemokratischen Interaktionen wurde vergleichsweise wenig geforscht. Dies ist angesichts der stets betonten Zusammenarbeit prägender Repräsentanten der Sozialistischen Internationale wie Willy Brandt, Bruno Kreisky und Olof Palme umso erstaunlicher.39 Künftige quellengestützte Forschungen zu den transnationalen Einflüssen auf Themenbereiche wie die diversen Ostpolitiken oder die Nahostpolitiken europäischer sozialdemokratischer Regierungen wären hochgradig wünschenswert. Während das Thema Europa oftmals im Zentrum der Forschungen zu den christ- und sozialdemokratischen Netzwerken stand, wurde dieser Topos seitens der Kommunismusforschung erst in jüngerer Zeit aufgegriffen, wobei der Fokus

37 Siehe hierzu als Einführung Erwin A. Schmidl, Wien als internationales Zentrum, in: Michael Dippelreiter (Hg.), Wien. Die Metamorphose einer Stadt (= Geschichte der österreichischen Bundesländer 6), Wien–Köln–Weimar 2013, 703–730. 38 Michael Gehler/Markus Gonschor/Hinnerk Meyer/Johannes Schönner (Hg.), Transnationale Parteienkooperation der europäischen Christdemokraten und Konservativen: Dokumente 1965–1979, Berlin 2016; Michael Gehler/Wolfram Kaiser (Hg.), Transnationale Parteienkooperation der europäischen Christdemokraten: Dokumente 1945–1965, München 2004; Michael Gehler/Markus Gonschor/Hinnerk Meyer/Hannes Schönner (Hg.), Mitgestalter Europas. Transnationalismus und Parteiennetzwerke europäischer Christdemokraten und Konservativer in historischer Erfahrung, Sankt Augustin–Berlin 2013; Michael Gehler/ Wolfram Kaiser/Helmut Wohnout (Hg.), Christdemokratie in Europa im 20. Jahrhundert, Wien–Köln–Weimar 2001. 39 Oliver Rathkolb, Sozialdemokratische Netzwerke in der europäischen Nahostpolitik – Brandt, Kreisky und Palme als politische Unternehmer, in: Michael Gehler/Wolfram Kaiser/ Brigitte Leucht (Hg.), Netzwerke im europäischen Mehrebenensystem. Von 1945 bis zur Gegenwart, Wien 2008, 121–137.

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zunächst auf Osteuropa lag.40 Ein von Francesco di Palma und Wolfgang Mueller herausgegebener Band geht nun erstmals aktengestützt und kritisch den Vorstellungen, Theoriediskussionen und der Politik europäischer kommunistischer Parteien aus Ost und West nach 1945 mit Blick auf Europa und die europäische Integration nach. In den einzelnen Beiträgen werden Handlungsspielräume ausgelotet und Ost-West-Interaktionen über den »Eisernen Vorhang« hinweg untersucht. Das Beispiel der KPÖ macht deutlich, dass auch kleine westeuropäische Parteien hier mitunter große Aktivität entfalten konnten.41 Die unabhängige Erforschung der Geschichte und der internationalen Beziehungen der KPÖ blieb aufgrund ihrer ab 1955/59 faktisch inexistenten innenpolitischen Bedeutung in der Regel auf das Besatzungsjahrzehnt beschränkt.42 Lediglich der Konflikt zwischen den österreichischen Kommunisten und der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) in den 1960er-Jahren wurde bereits früh nach dem Ende des Kalten Kriegs thematisiert.43 Eine Perspektivenerweiterung um die Rolle der KPÖ in den frühen Reformdiskussionen unter den westeuropäischen Kommunisten und den Reformweg der KPÖ von 1963/65 bis 1968/69 in internationaler Vergleichsperspektive zeigt, dass die innenpolitisch bedeutungslosen österreichischen Kommunisten durchaus einen lohnenswerten Forschungsgegenstand darstellen.44 Darüber hinaus wäre eine stärker quellen40 Jos8 M. Faraldo/Paulina Gulin´ska-Jurgiel/Christian Domnitz (Hg.), Europa im Ostblock. Vorstellungen und Diskurse (1945–1991). Europe in the Eastern Bloc. Imaginations and Discourses (1945–1991), Köln–Weimar–Wien 2008. 41 Maximilian Graf, Die KPÖ und Europa. Internationale Stellung und Europapolitik einer Kleinpartei (1945–heute), in: Francesco Di Palma/Wolfgang Mueller (Hg.), Kommunismus und Europa. Europapolitik und -vorstellungen europäischer kommunistischer Parteien im Kalten Krieg, Paderborn 2016, 240–260. 42 Als umfassenden Überblick unter Berücksichtigung der zu einem großen Teil aus der »Parteigeschichtsschreibung« hervorgegangenen Werke siehe Manfred Mugrauer, Die Kommunistische Partei Österreichs. Zum Stand der Forschung über die Geschichte der KPÖ, in: Jahrbuch für historische Kommunismusforschung (2013), 211–234. Zu den internationalen Beziehungen Wolfgang Mueller, »Genosse Filippov und seine österreichischen »Freunde«: Fallstudien zur »Macht der Schwachen« im Verhältnis zwischen der KPdSU und einer Bruderpartei, in: Wolfgang Mueller/Michael Portmann (Hg.), Osteuropa vom Weltkrieg bis zur Wende, Wien 2007, 133–160; Peter Hallama, Verbindende Ideologie. Zu den ˇ nach 1945, in: zeitgeschichte 36 (2009) 2, 106–128. Beziehungen zwischen KPÖ und KSC 43 Josef Ehmer, KPÖ und SED. Ein ambivalentes Verhältnis, in: Wolfgang Neugebauer (Hg.), Von der Utopie zum Terror. Stalinismus-Analysen (= Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik 59), Wien 1994, 171–181. 44 Maximilian Graf/Michael Rohrwasser, Die schwierige Beziehung zweier »Bruderparteien«. SED, KPÖ, Ernst Fischer und Franz Kafka, in: Jochen Staadt (Hg.), Schwierige Dreierbeziehung. Österreich und die beiden deutschen Staaten (= Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin 18), Frankfurt am Main 2013, 137–178; Maximilian Graf, The Rise and Fall of »Austro-Eurocommunism«. On the »Crisis« within the KPÖ and the Significance of East German Influence in the 1960s, in: Journal of European Integration History 20 (2014) 2, 203–218. Stellvertretend für die Forschungen im größeren Kontext des

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gestützte Erforschung der Rolle der KPÖ im Ost-West-Handel wünschenswert. Am Beispiel der Wirtschaftsbeziehungen zwischen KPÖ und SED konnte eine aus der frühen Nachkriegszeit resultierende enge Verflechtung nachgewiesen werden, die später in Abhängigkeiten mündete und deren juristisches Nachspiel bis heute andauert.45

V.

Krisen und Entspannung oder die Grenzen der Sinnhaftigkeit einer Periodisierung

In Anlehnung an die Untergliederung der renommierten Cambridge History of the Cold War46 scheint es für die Zeit vom Spätherbst 1955 bis Ende der 1970er/ Anfang der 1980er-Jahre angebracht, besonders im Falle Österreichs, von Krisen und Entspannung zu sprechen. Dafür spricht das auf längere Sicht erfolgreiche Streben Österreichs nach einer Entspannung mit dem Ostblock. Jedoch belasteten die Auswirkungen der Krisen 1956 und auch 1968 das Verhältnis Österreichs zu den sozialistischen Staaten. Gleichermaßen sollte die von Chrusˇcˇev – dem vermeintlichen und heute in Verzerrung der Realitäten der Geschichte der Besatzungszeit medial gerne als »Vater von Staatsvertrag und Neutralität« memorierten – konjunkturell betriebene Drohpolitik nicht ausgeblendet werden. Eine Ausdifferenzierung innerhalb dieses langen Zeitraums erscheint zumindest für die ersten Jahre nach dem Staatsvertrag angebracht. Diese können als Konsolidierungsperiode der jungen österreichischen Neutralität bezeichnet werden. Einen rein symbolischen Abschluss dieser Phase der eindeutig westlichen Positionierung, bei gleichzeitigem Streben nach möglichst guten Beziehungen zum Osten, stellt der Wiener Gipfel 1961 dar. Danach kann trotz der Ost-West-Konflikts seit 1917 siehe Barry McLoughlin/Hannes Leidinger/Verena Moritz, Kommunismus in Österreich 1918–1938, Innsbruck–Wien–Bozen 2009. 45 Maximilian Graf, Parteifinanzierung oder Devisenerwirtschaftung? Zu den Wirtschaftsbeziehungen von KPÖ und SED, 1946–1989, in: Jahrbuch für historische Kommunismusforschung (2014), 229–247; Maren Seliger, KPÖ-Firmen und Osthandel 1945–1989. Rahmenbedingungen und einige Aspekte der Außenhandelspraxis, in: Gertrude Enderle-Burcel/ Dieter Stiefel/Alice Teichova (Hg.), »Zarte Bande«. Österreich und die europäischen planwirtschaftlichen Länder – »Delicate Relationships«. Austria and Europe’s Planned Economies (= Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Sonderband 9), Wien 2006, 107–129; Roman Stolzlechner, Österreichs Wirtschaftsbeziehungen mit der DDR und die Bedeutung der KPÖ-Firmen, in: ebd., 153–163; Gertrude Enderle-Burcel, Austrian business interests in socialist neighbouring countries: cloaked companies – CPA-related firms’ Eastern trade, in: Gertrude Enderle-Burcel/Piotr Franaszek/Dieter Stiefel/Alice Teichova (Hg.), Gaps in the Iron Curtain. Economic relations between neutral and socialist countries in Cold War Europe, Krakjw 2009, 125–141. 46 Melvyn P. Leffler/Odd Arne Westad (Hg.), The Cambridge History of the Cold War, Bd. II: Crises and D8tente, Cambridge 2010.

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Krisen des Kalten Kriegs und insbesondere der blockinternen Krisen an Österreichs Grenzen von einer lange Phase der Entspannung gesprochen werden.47 Sogar die weltpolitisch einleuchtende Zäsur der letzten Hochphase des Kalten Kriegs (etwa 1979–1985) zeigte in Teilen Europas und insbesondere in Österreich weit weniger starke Auswirkungen als in globaler Betrachtung. Neue Forschungen zur europäischen D8tente deuten in diese Richtung. Während die D8tente in Europe zu Ende gewesen sein dürfte, scheint die European D8tente überlebt zu haben. Als sowjetische Raketenstationierungen, die Nachrüstungsdebatte und der sowjetische Einmarsch in Afghanistan sowie in weiterer Folge die »polnische Krise« Anfang der 1980er-Jahre das Ende der D8tente in Europa einläuteten, bemühten sich beispielsweise die beiden deutschen Staaten, eine Verschlechterung ihrer Beziehungen zu vermeiden und somit einen wichtigen Eckpfeiler der europäischen Ost-West-Entspannung aufrecht zu erhalten.48 Österreichs Beziehungen zum Osten haben diesen Einschnitt in die internationale Entspannung relativ unbeschadet überstanden – im Westen verstärkte dies aber die Skepsis gegenüber der österreichischen »Ostpolitik«. Daher ist es sinnvoll, zunächst die nationale Wahrnehmung des letzten Jahrzehnts des Kalten Kriegs aufzuarbeiten, ohne dabei die internationalen Perzeptionen der in den 1980er-Jahren von tiefgreifenden Zäsuren erfassten Alpenrepublik zu vernachlässigen. Davon ausgehend soll schließlich in vergleichender Perspektive eine Analyse Österreichs als Akteur in den Ost-West-Beziehungen im Laufe dieser Dekade möglich werden. Österreichs Neutralitätspolitik und deren internationale Wahrnehmung unterlagen Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre jedenfalls einer Veränderung. Das langsame Ende des Kalten Kriegs in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre, als Österreich auch seine Integrationspolitik änderte, scheint dennoch als separates Kapitel zu betrachten zu sein. Eine eingehende Beschäftigung mit den Forschungsarbeiten der letzten Jahre schwächt die früher häufig geäußerte Kritik ab, dass kaum eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Rolle und Position Österreichs im Kalten Krieg für die Zeit nach 1955/56 stattgefunden hätte. Neben der Besatzungszeit galten bisher die »Krisen an Österreichs Grenzen«49 als am besten erforscht. Zahlreich erschienen sind Publikationen sowohl zu Österreich im Zusammenhang mit der Nieder47 Maximilian Graf/Torben Gülstorff/Valentine Lomellini/Veronika Gosheva Stoilova/Benedetto Zaccaria, The Shape of »D8tente« (1963–1979). European D8tente and the Global Cold War?, in: zeitgeschichte 38 (2011) 6, 409–435. 48 Poul Villaume/Odd Arne Westad, Introduction. The Secrets of European D8tente, in: dies. (Hg.), Perforating the Iron Curtain. European D8tente, Transatlantic Relations and the Cold War, 1965–1985, Kopenhagen 2010, 7–17. Ähnlich auch Jussi M. Hanhimäki, D8tente in Europe, 1962–1975, in: Melvyn P. Leffler/Odd Arne Westad (Hg.), The Cambridge History of the Cold War, Bd. II: Crises and D8tente, Cambridge 2010, 198–218. 49 Reiner Eger, Krisen an Österreichs Grenzen. Das Verhalten Österreichs während des Ungarnaufstandes 1956 und der tschechoslowakischen Krise 1968. Ein Vergleich, Wien 1981.

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schlagung des ungarischen Volksaufstandes 195650 als auch mit dem »Prager Frühling« und dessen jähem Ende im August 196851 – zwei blockinterne Krisen des Kalten Kriegs, die in unmittelbarer Nachbarschaft Österreichs vonstattengingen. Ebenso hat, auch abseits des Wiener Gipfels, die sogenannte »Vermittlungstätigkeit« österreichischer Politiker während der Zweiten Berlin-Krise (1958–1961/63) Aufmerksamkeit erregt.52 Wird aber beispielsweise vor dem Hintergrund des Jahres 1968 der Blick über die Ereignisse in der Tschechoslowakei hinaus gerichtet, so wird deutlich, wie wenig über die Auswirkungen auf Österreich durch diese Veränderungen bekannt ist, die unter der Chiffre »1968« zusammengefasst werden können.53 In globaler Perspektive54 war die österreichische Forschung bisher sehr zurückhaltend. So war es beispielsweise fast vergessen, dass Österreich eben 1968 einen eher dubiosen »Vermittlungsver50 Andreas G8mes, Austria and the 1956 Hungarian Revolution: Between Solidarity and Neutrality, Pisa 2008; Ibolya Murber/Zolt#n Fjnagy (Hg.), Die ungarische Revolution und Österreich 1956, Wien 2006; Erwin A. Schmidl (Hg.), Die Ungarnkrise 1956 und Österreich, Wien–Köln–Weimar 2003; Manfried Rauchensteiner, Spätherbst 1956. Die Neutralität auf dem Prüfstand, Wien 1981. 51 Hierzu zuletzt die Beiträge von Peter Ruggenthaler, Horst Pleiner und Hubert Speckner, Silke Stern, Manfred Mugrauer, Dieter Bacher und Harald Knoll in: Stefan Karner et al. (Hg.), Prager Frühling. Das internationale Krisenjahr 1968, Bd. 1: Beiträge, Innsbruck–Wien–Bozen 2008. Für Beiträge von österreichischen NachwuchswissenschaftlerInnen siehe Florentine Kastner et al. (Hg.), »Prager Frühling« und »Ära Kreisky« – Zwischen Reformwillen und Reformverwirklichung: Untersuchungen zu den europäischen Nachbarn Tschechoslowakei und Österreich, Prag 2009. Unter Verwendung der bis 2008 erschienenen Literatur und unter Einbeziehung der andernorts bisher unberücksichtigten Protokolle des österreichischen Ministerrats siehe auch Maximilian Graf, Inˇ SSR ternationale Reaktionen auf die Intervention der Warschauer-Pakt-Staaten in der C 1968, Diplomarbeit Wien 2008, 142–153. 52 Siehe hierzu Martin Kofler, Kennedy und Österreich. Neutralität im Kalten Krieg, Innsbruck 2003; ders., Kreisky – Brandt – Khrushchev : The United States and Austrian Mediation during the Berlin Crisis, 1958–1963, in: Günter Bischof/Anton Pelinka/Michael Gehler, Austrian Foreign Policy in Historical Context (= Contemporary Austrian Studies 14), New Brunswick 2006, 170–185. Zum Raab-Plan siehe Michael Gehler, Deutschland. Von der Teilung bis zur Einigung. 1945 bis heute, Wien 2010, 161–165 und ausführlich Matthias Pape, Die Deutschlandinitiative des österreichischen Bundeskanzlers Julius Raab im Frühjahr 1958, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 48 (2000) 2, 281–318. Für Neubesprechungen des Gesamtkomplexes im Lichte neuer sowjetischer Quellen siehe Mueller, Example, 104–106; Peter Ruggenthaler/Harald Knoll, Nikita Chrusˇcˇev und Österreich, Die österreichische Neutralität als Instrument der sowjetischen Außenpolitik, in: Stefan Karner et al. (Hg.), Der Wiener Gipfel 1961. Kennedy–Chruschtschow, Innsbruck–Wien–Bozen 2011, 759–807. 53 Oliver Rathkolb/Friedrich Stadler (Hg.), Das Jahr 1968 – Ereignis, Symbol, Chiffre (= Zeitgeschichte im Kontext 1), Göttingen 2010; Paulus Ebner/Karl Vocelka, Die zahme Revolution. ’68 und was davon blieb, Wien 1998; Fritz Keller, Wien, Mai 1968. Eine heiße Viertelstunde, Wien 2008. 54 Für die prägendste Darstellung hierzu Odd Arne Westad, The Global Cold War. Third World Interventions and the Making of Our Times, Cambridge 2005.

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such« im Vietnam-Krieg unternahm, der aber sowohl im Kreml als auch im Weißen Haus Gesprächsthema war.55 Die österreichische »Algerien-Solidarität« wurde von Fritz Keller vor allem entlang innenpolitischer Divergenzen und vor dem Hintergrund des Dekolonisierungsprozesses untersucht. Gleichwohl wird deutlich, dass beide durch die Fronten des Kalten Kriegs geprägt waren, wenn auch manchmal in kontradiktorischer Weise.56 Weitere Ausnahmen bestätigen das weitgehende Fehlen globaler Fragestellungen der österreichischen Kalten Kriegs-Forschung. Erwin A. Schmidl hat immerhin eine Studie zum österreichischen »Blauhelm-Kontingent« im Kongo 1960–63 vorgelegt.57 Militärische Fragestellungen dominieren den 2010 erschienenen von Manfried Rauchensteiner herausgegebenen Band Zwischen den Blöcken, der neben der österreichischen Landesverteidigung insbesondere den Umgang mit den Supermächten und den Militärbündnissen in den Blick nimmt.58 Auf die darin enthaltenen weiteren Themenbereiche wird weiter unten eingegangen. Eine stärkere Berücksichtigung der globalen Dimension des Kalten Kriegs und ihrer Rezeption in Österreich würde die aufgrund des bisherigen Forschungsstands zwangsläufig eurozentristischen Interpretationsmuster und Periodisierungsversuche möglicherweise in Frage stellen. Die letzte Hochphase des Kalten Kriegs Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre rückte militärische Fragestellungen und Kriegsängste zurück in den Fokus der Öffentlichkeit. Mit Bezug auf Österreich wurden diese jedoch maximal am Rande thematisiert. Studien zur Nachrüstungsdebatte und Friedensbewegung stehen wie zuvor erwähnt aus, die Haltung Österreichs zum sowjetischen Einmarsch in Afghanistan wurde bis dato nur am Rande thematisiert. Am häufigsten wurde zur »polnischen Krise« 1980–8259 und somit erneut zu einem blockinternen Konflikt des Kalten Kriegs und dessen Implikationen in Bezug auf Österreich gearbeitet. Hervorzuheben ist Oliver Rathkolbs Aufsatz zum ambivalenten Umgang des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) 55 Wolfgang Mueller/Maximilian Graf, An Austrian Mediation in Vietnam? The Superpowers, Neutrality, and Kurt Waldheim’s Good Offices, in: Sandra Bott/Jussi Hanhimaki/Janick Schaufelbuehl/Marco Wyss (Hg.), Neutrality and Neutralism in the Global Cold War. Between or within the blocs?, London 2016, 127–143. 56 Fritz Keller, Gelebter Internationalismus. Österreichs Linke und der algerische Widerstand (1958–1963), Wien 2010. 57 Erwin A. Schmidl, Blaue Helme, Rotes Kreuz. Das österreichische Sanitätskontingent im Kongo, 1960 bis 1963, 2. Auflage, Innsbruck–Wien–Bozen 2010. 58 Manfried Rauchensteiner (Hg.), Zwischen den Blöcken. NATO, Warschauer Pakt und Österreich, Wien–Köln–Weimar 2010. 59 Zur »polnischen Krise« siehe Andrzej Paczkowski/Malcom Byrne (2007), From Solidarity to Martial Law. The Polish Crisis of 1980–1981. A Documentary History, Budapest–New York. Zur sowjetischen Haltung siehe grundlegend Mark Kramer, Soviet Deliberations during the Polish Crisis, 1980–1981. Cold War International History Project, Special Working Paper No. 1. Washington 1999.

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und der politischen Parteien mit der Solidarnos´c´ in den frühen 1980er-Jahren.60 Es ist offensichtlich, dass es sich bei dieser Periode nahezu um eine Tabula rasa in der österreichischen Historiographie zum Kalten Krieg handelt. Neben den für Österreich stets glimpflich verlaufenen Krisen des Kalten Kriegs dominierte durchgehend das Streben nach Entspannung, für die in der internationalen Diskussion synonym der KSZE-Prozess steht. Mit der Rolle Österreichs im KSZE-Prozess haben sich in erster Linie ein Schweizer und ein deutscher Historiker befasst. Thomas Fischer hat vor dem Hintergrund der europäischen Neutralen die Rolle Österreichs im KSZE-Prozess erstmals wissenschaftlich beleuchtet.61 Fischer wurde dadurch zu einem Pionier der in den vergangenen Jahren boomenden Forschungen zur KSZE und ihren Folgen.62 Benjamin Gilde hat für die humanitäre Dimension der KSZE festgestellt, dass sich Österreich während der Vorbereitungsphase der KSZE – entgegen der weitverbreiteten Meinung – keineswegs als »Vorreiter« in der sich später in Korb III manifestierten Materie exponierte.63 Während die österreichische Po60 Oliver Rathkolb, Austria: An Ambivalent Attitude of Trade Unions and Political Parties, in: Idesbald Goddeeris (Hg.), Solidarity with Solidarity. Western European Trade Unions and the Polish Crisis, 1980–1982, Maryland 2010, 269–288. Ergänzend dazu Maximilian Graf, Kreisky und Polen. Schlaglichter auf einen vernachlässigten Aspekt der österreichischen »Ostpolitik«, in: Lucile Dreidemy et al. (Hg.), Bananen, Cola, Zeitgeschichte. Oliver Rathkolb und das lange 20. Jahrhundert, 2 Bde., Wien–Köln–Weimar 2015, 692–706. 61 Thomas Fischer, Neutral Power in the CSCE. The N+N States and the Making of the Helsinki Accords 1975, Baden-Baden 2009. Zu Österreich insbesondere Thomas Fischer, Österreich und die finnische KSZE-Initiative vom 5. Mai 1969, in: Wolfgang Mueller/Michael Portmann (Hg.), Osteuropa vom Weltkrieg bis zur Wende, Wien 2007, 313–339; Thomas Fischer, Austria and the Helsinki Process, in: Arnold Suppan/Wolfgang Mueller (Hg.), Peaceful Coexistence or Iron Curtain? Austria, Neutrality, and Eastern Europe in the Cold War and D8tente, 1955–1989, Wien 2009, 168–202. 62 Matthias Peter/Hermann Wentker (Hg.), Die KSZE im Ost-West-Konflikt. Internationale Politik und gesellschaftliche Transformation 1975–1990, München 2012; Helmut Altrichter/Hermann Wentker (Hg.), Der KSZE-Prozess. Vom Kalten Krieg zu einem neuen Europa 1975 bis 1990, München 2011; Oliver Bange/Gottfried Niedhart (Hg.), Helsinki 1975 and the Transformation of Europe, New York 2008; Sarah B. Snyder, Human Rights Activism and the End of the Cold War : A Transnational History of the Helsinki Network New York 2011; Daniel C. Thomas, The Helsinki Effect. International Norms, Human Rights, and the Demise of Communism, Princeton 2001. 63 Hierzu und zum Folgenden Benjamin Gilde, Österreich im KSZE-Prozess 1969–1983. Neutraler Vermittler in humanitärer Mission, München 2013. Im Rahmen des am Institut für Zeitgeschichte München – Berlin durchgeführten KSZE-Projekts entstanden weitere richtungsweisende Fallstudien: Matthias Peter, Die Bundesrepublik im KSZE-Prozess 1975–1983. Die Umkehrung der Diplomatie, Berlin–München–Boston 2015; Philip Rosin, Die Schweiz im KSZE-Prozeß 1972–1983. Einfluß durch Neutralität, München 2013; Yuliya von Saal, KSZE-Prozess und Perestroika in der Sowjetunion. Demokratisierung, Werteumbruch und Auflösung 1985–1991, München 2013; Anja Hanisch, Die DDR im KSZE-Prozess 1972–1985. Zwischen Ostabhängigkeit, Westabgrenzung und Ausreisebewegung, München 2012.

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litik hier zunächst skeptisch war, erkannte die Diplomatie aber rasch die Bedeutung des dritten Korbes und erhielt schließlich auch die nötige politische Rückendeckung für die entsprechenden Verhandlungsschritte in denen Österreich im Rahmen der Gruppe der neutralen und nichtpaktgebundenen Staaten (kurz N+N-Staaten) bedeutende Vermittlerdienste leistete. Die österreichische KSZE-Delegation unterstützte westliche Positionen und kämpfte als »scheinbarer« Vermittler für deren Durchsetzung. Gilde hält hierzu fest: Österreichs KSZE-Diplomatie »war stets Partei, ein westlicher Akteur in neutralem Gewand«.64 Sie erarbeitete Kompromisspapiere, Formulierungen und lotete insbesondere die östlichen Konzessionspotentiale aus; die finalen Entscheidungen hingen aber auch im KSZE-Prozess vom Willen der Supermächte ab. Entscheidend für den Abschluss war schließlich das sowjetische Streben nach einem raschen Zustandekommen der Schlussakte: Für die vermeintliche Festschreibung des Status quo in Europa musste sich Moskau allerdings mit Blick auf Korb III bewegen. Der vermeintliche geopolitische Erfolg wurde schließlich zu einer Zeitbombe unter dem sowjetischen Regime. Man war der Überzeugung »Herr im eigenen Haus zu bleiben«, und unterschätzte die Dynamik, welche die Schlussakte entfalten sollte.65 Die Bürger der sozialistischen Staaten hatten nämlich nun, wie auch die westlichen Staaten, ein von den östlichen Regimes unterzeichnetes Dokument auf das sie sich berufen konnten. Die österreichischen Vorstellungen über die Konferenzfolgen waren zunächst vage geblieben. Bald zeigte sich aber, dass es bei der Implementierung der Schlussakte vor allem darum ging die Einhaltung der vereinbarten Prinzipien zu beobachten und wo nötig im Verhältnis zu den sozialistischen Staaten als außenpolitisches Instrument zu verwenden. Gilde hat mit aller Deutlichkeit festgehalten, dass sich die österreichische und insbesondere Kreiskys Schwerpunktsetzung im Rahmen der KSZE nach 1975 vom humanitären zum wirtschaftlichen Bereich verlagert hatte. Dies ist ein Spiegelbild der Entwicklung der österreichischen Ostpolitik in jenen Jahren, die wiederum den weltwirtschaftlichen Gegebenheiten und den daraus resultierenden innenpolitischen Problemen geschuldet war. Im KSZERahmen wurden Kreiskys Ziele einer intensiveren wirtschaftlichen, energiepolitischen und verkehrstechnischen Kooperation zwischen Ost und West nicht erreicht. Die österreichische Diplomatie hatte maßgeblichen Anteil daran, den KSZE-Prozess auch über das weitgehend ergebnislose erste Folgetreffen in Belgrad (1977/78)66 und das sogar für sieben Monate unterbrochene zweite 64 Gilde, Österreich im KSZE-Prozess, 439. 65 Vladislav M. Zubok, A Failed Empire: The Soviet Union in the Cold War from Stalin to Gorbachev, Chapel Hill 2007, 237–238. 66 Hierzu insbesondere Vladimir Bilandzˇic´/Dittmar Dahlmann/Milan Kosanovic´ (Hg.), From Helsinki to Belgrade. The First CSCE Follow-up Meeting and the Crisis of D8tente, Bonn 2012.

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Folgetreffen in Madrid (1980–83) sowie darüber hinaus hinwegzuretten.67 Die Wiener Folgekonferenz (1986–90)68 stellt nicht nur ein österreichisches, sondern ein internationales Forschungsdesiderat dar, bei dem eine baldige österreichische Initiative höchst angezeigt wäre. Anhand des Beispiels DDR wurden die direkten Folgen dieses Treffens bereits in einen Zusammenhang mit den Revolutionen des Jahres 1989 gestellt.69

VI.

Außenpolitik und Wirtschaft zwischen Ost und West

Aus Gesagtem wird ersichtlich, dass es bisher aufgrund der fehlenden Vorarbeiten nicht möglich war, eine fundierte Gesamtdarstellung zu Österreich im Kalten Krieg zu verfassen. Bis auf ein schmales, auf Zeitzeugeninterviews basierendes Buch des Journalisten und promovierten Zeithistorikers Otto Klambauer70 gibt es keine weitere Überblicksdarstellung zu Österreich im Kalten Krieg. Diese Feststellung soll jedoch nicht die Leistungen der bisher vorgelegten thematisch ausgerichteten Längsschnittstudien schmälern. Auch wenn bei bis in die Gegenwart reichenden zeitgeschichtlichen Forschungen aufgrund unzureichender Vorarbeiten und der den üblichen Restriktionen unterliegenden Quellenverfügbarkeit71 nicht von abschließenden Gesamtdarstellungen gespro67 Thomas Fischer, Keeping the Process Alive: The N+N and the CSCE Follow-up from Helsinki to Vienna (1975–1986) (= Züricher Beiträge zur Sicherheitspolitik, Nr. 84), Zürich 2012. 68 Für eine zeitgenössische Analyse: Stefan Lehne, The Vienna Meeting of the Conference on Security and Cooperation in Europe, 1986–1989. A Turning Point in East-West Relations, Boulder 1991. 69 Hanisch, Die DDR im KSZE-Prozess, 373–374; Walter Süß, Die Wiener KSZE-Folgekonferenz und der Handlungsspielraum des DDR-Sicherheitsapparates 1989, in: Matthias Peter/ Hermann Wentker (Hg.), Die KSZE im Ost-West-Konflikt. Internationale Politik und gesellschaftliche Transformation 1975–1990, München 2012, 219–231; Erhard Crome/Jochen Franzke, Die SED-Führung und die Wiener KSZE-Konferenz 1986 bis 1989. Dokumente aus dem Parteiarchiv, in: Deutschland Archiv 26 (1993) 8, 905–914. 70 Otto Klambauer, Der Kalte Krieg in Österreich. Vom Dritten Mann zum Fall des Eisernen Vorhangs, Wien 2000. 71 Das weitgehende Fehlen von über das Jahr 1968 hinausreichenden Studien war auch dem lange Zeit inadäquaten Aktenzugang geschuldet. Viele Studien mussten für die Zeit ab den 1970er-Jahren zumeist auf ausländische Akten aufbauen. Jüngeres österreichisches Aktenmaterial wurde die längste Zeit trotz der gesetzlichen Sperrfrist von 30 Jahren nur äußerst zögerlich (und auch nicht vollständig) freigegeben. Auch vollkommen frei zugängliche und unverzichtbare Bestände, wie die des Bruno Kreisky Archivs in Wien, weisen nur für spezifische Forschungsbereiche eine ausreichende Quellendichte auf. Im Falle der Archive postkommunistischer Staaten ist in einigen Ländern die Benutzung relevanter Dokumente ohne zeitliche Einschränkung möglich. Mittlerweile sind die Akten bis einschließlich 1980 relativ gut zugänglich, und auch die Einsicht in Aktenbestände, die in der Regel einer 30jährigen Sperrfrist unterliegen, war in den vergangenen Jahren zumindest für den Bereich der Außenpolitik möglich.

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chen werden kann, so handelt es sich bei diesen um Pionierarbeiten, die noch auf längere Zeit unverzichtbare Überblicke darstellen werden. Bisher liegen Studien zu zentralen außenpolitischen Themen der Zweiten Republik vor, weshalb zunächst der Forschungsstand zu diesem Themenbereich besprochen werden soll. Österreichs »langer Weg nach Europa«, der über mehrere Annäherungsversuche und -schritte schlussendlich erst nach dem Ende des Kalten Kriegs 1995 im Beitritt zur Europäischen Union mündete, wurde von Michael Gehler seit 2002 in mehreren Monografien, stets unter Berücksichtigung der in der Zwischenzeit erfolgten Forschungen, ausführlich dargelegt.72 Weitere vertiefende Spezialstudien zu Teilbereichen wären wünschenswert und würden dazu beitragen, das Gesamtbild weiter zu vervollständigen. Es war ebenfalls Gehler, der 2005 den ersten Überblick zur Außenpolitik der Zweiten Republik vorlegte. Aufgrund der im Folgenden weiter auszuführenden Forschungsdesiderata steht fest, dass eine solche Darstellung von den eigenen und den vorhandenen Forschungsleistungen anderer auszugehen hat. Nahezu unerforschte Bereiche werden daher, wenig überraschend, erheblich kürzer behandelt.73 Die seither erschienenen Arbeiten werden künftige Gesamtdarstellungen bereichern. Die Geschichtsschreibung zur österreichischen Außenpolitik in Langzeitperspektive konnte unter anderem durch den biografischen Zugang zu Kreiskys Außenpolitik vertieft werden. Die Darstellung von Elisabeth Röhrlich thematisiert jedoch eingehender Kreiskys außenpolitische Interessen und deren Umsetzung als das Tagesgeschäft der österreichischen Außenpolitik. Aufgrund der geografischen Lage des Landes spielte sich diese im Kalten Krieg viel stärker in einer Ost-West-Dimension als entlang der Nord-Süd-Achse oder im Nahen Osten ab.74 Rathkolb ging in einer schmalen Publikation der Frage der Inter72 Michael Gehler, Der lange Weg nach Europa. Österreich vom Ende der Monarchie bis zur EU. 2 Bde., Innsbruck–Wien–Bozen 2002; ders., Vom Marshall-Plan zur EU. Österreich und die europäische Integration von 1945 bis zur Gegenwart, Innsbruck–Wien–Bozen 2006; ders., Österreichs Weg in die Europäische Union, Innsbruck–Wien–Bozen 2009. Zu den europäischen Neutralen in vergleichender Perspektive siehe ders./Rolf Steininger (Hg.), Die Neutralen und die Europäische Integration 1945–1995 – The Neutrals and the European Integration 1945–1995, Wien–Köln–Weimar 2000; Michael Gehler, Finis Neutralität? Historische und politische Aspekte im Europäischen Vergleich: Irland, Finnland, Schweden, Schweiz und Österreich (= Zentrum für Europäische Integrationsforschung. Discussion Paper C 92), Bonn 2001. 73 Michael Gehler, Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik. Von der alliierten Besatzung bis zum Europa des 21. Jahrhunderts, 2 Bde., Innsbruck–Wien–Bozen 2005. Siehe weiters Günter Bischof/Anton Pelinka/Michael Gehler (Hg.), Austrian Foreign Policy in Historical Context (= Contemporary Austrian Studies 14), New Brunswick 2006. Zuletzt zusammenfassend, ohne neue Erkenntnisse zu liefern: Franz Cede/Christian Prosl, Anspruch und Wirklichkeit. Österreichs Außenpolitik seit 1945, Innsbruck–Wien–Bozen 2015. 74 Elisabeth Röhrlich, Kreiskys Außenpolitik. Zwischen österreichischer Identität und internationalem Programm, Wien 2009. Seriöse wissenschaftlich erarbeitete Biografien zu führenden Staatsmännern der Zweiten Republik stellen ebenfalls ein Forschungsdesiderat dar.

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nationalisierung Österreichs nach 1945 nach, die ebenfalls in die Bestrebungen, Langzeitentwicklungen zu analysieren, einzuordnen ist.75 Enorme Leistungen wurden auf dem Gebiet der Südtirol-Forschung erbracht, insbesondere die umfangreichen Quellenpublikationen werden eine künftig noch stärker multiarchivarisch ausgerichtete und analytischere Forschung beleben.76 Nach wie vor steht die Erforschung zahlreicher außenpolitischer Aspekte aus, was insbesondere für die Zeit nach 1955 quellengestützte Forschungen wünschenswert macht. Ein vielversprechendes Forschungsfeld stellen weiterhin die bilateralen Beziehungen Österreichs zu Ländern unterschiedlicher Blockzugehörigkeit dar. Ihre Erforschung wurde bis vor einigen Jahren für die Zeit nach 1955 zumeist nur auf unzureichender Quellenbasis betrieben. Mit Fokus auf den Westen sind bereits einige Studien für den Zeitraum bis Mitte der 1960er-Jahre entstanden. Erwähnenswert sind die Publikationen zum Verhältnis zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland77 und Rathkolbs Arbeit zur amerikanischen Österreichpolitik bis 1963.78 Darüber hinaus liegen keine umfassend quellengestützten Arbeiten vor, umso dringlicher wäre es, diese in Angriff zu nehmen. Analysen für die Zeit ab Mitte der 1970er-Jahre bis zum Ende des Kalten Kriegs würden weit über eine bilaterale Themenstellung hinaus neue

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Als Ausnahmen siehe Maria Wirth, Christian Broda. Eine politische Biographie (= Zeitgeschichte im Kontext 5), Göttingen 2011. Zuletzt auch Petra Mayrhofer, Hans Sima. Ein politisches Leben. Kärntner Landeshauptmann (1965–1974), Wien–Köln–Weimar 2015. Für den bisher besten Versuch zu Kreisky, allerdings unter Verzicht auf einen wissenschaftlichen Apparat, siehe Wolfgang Petritsch, Bruno Kreisky. Die Biografie, St. Pölten–Salzburg 2010. Oliver Rathkolb, Internationalisierung Österreichs seit 1945, Innsbruck–Wien–Bozen 2006. Rolf Steininger, Südtirol zwischen Diplomatie und Terror 1947–1969, 3 Bde., Bozen 1999; ders., Akten zur Südtirol-Politik 1959–1969, 7 Bde., Innsbruck–Wien–Bozen 2005–2013. Das Kreisky-Archiv arbeitet an einer Digitalisierung der dort lagernden Südtirol-Akten. Siehe http://www.kreisky.org/top/forschung/findbuch-und-digitalisierung-der-suedtirol-bestaen de.html (Zuletzt abgerufen am 29. Oktober 2015). Im Kontext des deutsch-italienischösterreichischen Dreiecksverhälnisses Michael Gehler/Maddalena Guiotto (Hg.), Italien, Österreich und die Bundesrepublik Deutschland in Europa. Ein Dreiecksverhältnis in seinen wechselseitigen Beziehungen und Wahrnehmungen von 1945/49 bis zur Gegenwart, Wien–Köln–Weimar 2012. Siehe auch Michael Morass/Günther Pallaver (Hg.), Österreich – Italien. Was Nachbarn voneinander wissen sollten, Wien 1992. Zum Verhältnis Österreich–BRD siehe u. a. Matthias Pape, Ungleiche Brüder. Österreich und Deutschland 1945–1965, Köln–Weimar–Wien 2000; Rolf Pfeiffer, Eine schwierige und konfliktreiche Nachbarschaft – Österreich und das Deutschland Adenauers 1953–1963, Münster–Hamburg–London 2003; Ingrid Böhler/Michael Gehler (Hg.), Verschiedene europäische Wege im Vergleich. Österreich und die Bundesrepublik Deutschland 1945/49 bis zur Gegenwart, Innsbruck–Wien–Bozen 2007; Michael Gehler/Rudolf Agstner (Hg.), Einheit und Teilung. Österreich und die Deutschlandfrage 1945–1960. Festgabe für Rolf Steininger zum 70. Geburtstag, Innsbruck–Wien–Bozen 2013. Oliver Rathkolb, Washington ruft Wien. US-Großmachtpolitik und Österreich 1953–1963, Wien 1997. Viertiefend zu den österreichisch-amerikanischen Beziehungen unter Präsident Kennedy siehe Martin Kofler, Kennedy und Österreich. Neutralität im Kalten Krieg, Innsbruck–Wien–München–Bozen 2003.

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Erkenntnisse zur westlichen Perzeption der österreichischen Neutralität vor dem Hintergrund sich verändernder internationaler Rahmenbedingungen liefern.79 Vergleichbare Arbeiten zu den Beziehungen zum Osten konnten erst in den letzten zehn Jahren realisiert werden. Hier erfolgte mittlerweile aber ein Quantensprung. Einen Forschungsschwerpunkt stellten die Beziehungen Österreichs zu den sozialistischen Staaten Europas dar. Allen voran ist der von Arnold Suppan und Wolfgang Mueller herausgegebene Sammelband Peaceful Coexistence or Iron Curtain? zu nennen, der als derzeit aktuellstes und umfassendstes Nachschlagewerk gelten kann.80 Unter den einzelnen monographischen Detailstudien zur Tschechoslowakei,81 dem slowakischen Landesteil,82 der erst 1972 diplomatisch anerkannten DDR83 und Rumänien84 ist Wolfgang Muellers

79 Ausnahmen bestätigen die Regel: Oliver Rathkolb, Bruno Kreisky : Perspectives of Top Level U. S. Foreign Policy Decision Makers, 1959–1983, in: Günter Bischof/Anton Pelinka/ Oliver Rathkolb (Hg.), The Kreisky Era in Austria (= Contemporary Austrian Studies 2), New Brunswick 1994, 130–151; John M. Luchak, Amerikanisch-österreichische Beziehungen von 1955 bis 1985, Dissertation Wien 1987. Zu den Außenansichten auf Österreich siehe Oliver Rathkolb/Otto M. Maschke/Stefan August Lütgenau (Hg.), Mit anderen Augen gesehen. Internationale Perzeptionen Österreichs 1955–1990 (Österreichische Nationalgeschichte nach 1945 2), Wien–Köln–Weimar 2002; Oliver Rathkolb (Hg.), Außenansichten. Europäische (Be)Wertungen zur Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert, Innsbruck–Wien–München–Bozen 2003. Diese verdienstvollen, weitestgehend auf Beiträgen von aufmerksamen Beobachtern und ehemaligen österreichischen Diplomaten basierenden Bände sollten jedoch um auf breiter Quellenbasis fußende Studien ergänzt werden. 80 Arnold Suppan/Wolfgang Mueller (Hg.), Peaceful Coexistence or Iron Curtain? Austria, Neutrality and Eastern Europe in the Cold War and D8tente, 1955–1989, Wien 2009. Hierin finden sich auch Studien zu Ungarn, Jugoslawien, Polen und Bulgarien. Zudem erfolgt eine breite Kontextualisierung der österreichischen Ost-West-Beziehungen. Darin auch die weiterführenden Literaturverweise zu den älteren Darstellungen, die zumeist noch ohne Primärquellen auskommen mussten. 81 Paul Ullmann, Eine schwierige Nachbarschaft. Die Geschichte der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und der Tschechoslowakei 1945–1968, Wien 2006; Martin David, Österreichisch-tschechoslowakische Beziehungen 1945 bis 1974 unter besonderer Berücksichtigung aktueller Themen, Dissertation Wien 2002. 82 David Schriffl, Tote Grenze oder lebendige Nachbarschaft? Österreichisch-slowakische Beziehungen 1945–1968, Wien 2012. 83 Maximilian Graf, Österreich und die DDR 1949–1990. Politik und Wirtschaft im Schatten der deutschen Teilung, Wien 2016; ders., Ein verdrängtes bilaterales Verhältnis: Österreich und die DDR 1949–1989/90, in: zeitgeschichte 39 (2012) 2, 75–97. Zur Zeit der Nichtanerkennung ders., Austria and the German Democratic Republic 1949–1972. Diplomatic and Political Contacts in the period of Non-recognition, in: Arnold Suppan/Maximilian Graf (Hg.), From the Austrian Empire to Communist East Central Europe, Vienna, 2010, 151–177; Rolf Pfeiffer, Die DDR und Österreich 1949–1972. Beziehungen in den Jahren offizieller Beziehungslosigkeit, Aachen 2015; zum Umgang Österreichs mit der deutschen Frage: Maximilian Graf, Österreich und die Deutsche Frage 1945–1990. Realpolitik wider Willen?, in: Roman Kodet/

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Studie zu den österreichisch-sowjetischen Beziehungen von 1955 bis 1991 hervorzuheben. Diese deckte nicht nur als erste die bilateralen Beziehungen bis zum Ende des Kalten Kriegs ab, sondern leistete auch einen gewichtigen Beitrag zur Erforschung der »friedlichen Koexistenz« als einer der Maximen der sowjetischen Außenpolitik.85 Das Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien hat im Rahmen bilateraler Kooperationen Projekte zu Österreich, der Tschechoslowakei und Ungarn im Kalten Krieg realisiert.86 Nachdem die beiden großen Krisen, Berlin 1958–1961 und Kuba 1962, überstanden waren, konnte sich am europäischen Kontinent eine Ost-WestEntspannung ausbreiten. Erste Etappen waren die italienischen und französischen Entspannungsbemühungen sowie schließlich die westdeutsche »neue Ostpolitik«. Vereinzelt wurde versucht, Österreich eine Vorreiterrolle für letztere zuzuschreiben.87 Jedoch scheint es übertrieben, hier eine Vorbildfunktion erkennen zu wollen. Eine schlüssige quellenbasierte Argumentation hierzu steht noch aus. Ja sogar die Rezeption der großen europäischen Entspannungspolitiken der 1960er-Jahre ist bisher vollkommen unzureichend erforscht. Maximilian Graf unternimmt in seinem Beitrag, der auch eine ausführlichere Besprechung des Forschungsstands bietet, den Versuch, Österreichs Ostpolitik in doppeldeutscher Perspektive zu analysieren. Die Kombination einer östlichen und einer westlichen Perspektive zeigt, wie unterschiedlich die Beziehungen Österreichs zur Sowjetunion und die Ausgestaltung der Neutralität der Alpenrepublik wahrgenommen wurden. Zwei Längsschnittanalysen zeigen zudem, wie problematisch die Beziehungen zwischen Österreich und der DDR zuweilen für die Bundesrepublik sein konnten; gleiches gilt für die ostdeutsche Wahrnehmung der im Lauf der 1970er- und 1980er-Jahre immer enger werdenden Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn mit der eine kontinuierliche Entschärfung der Lage am »Eisernen Vorhang« einherging. Dessen Überwindung 1989 führt die beiden Erzählstränge wieder zusammen. Entlang klassischer Interpretationsmuster der österreichischen Außenpolitikforschung unternimmt der Beitrag von Magdalena Reitbauer den Versuch

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Lukasˇ Novotny´ (Hg.), The Chapters to the History of »Realpolitik«/Die Kapitel aus der Geschichte der Realpolitik, Pilsen 2013, 115–142. Paul Ullmann, Relat¸iile diplomatice austro-rom.ne %ntre 1945–1997 – Die österreichischrumänischen diplomatischen Beziehungen zwischen 1945 und 1997, Ias¸i 2010. Mueller, Example. Istv#n Majoros/Zolt#n Maruzsa/Oliver Rathkolb (Hg.), Österreich und Ungarn im Kalten Krieg, Wien–Budapest 2010; Gernot Heiss/Alena M&sˇkov#/Jirˇ& Pesˇek/Oliver Rathkolb (Hg.), An der Bruchlinie. Österreich und die Tschechoslowakei nach 1945 – Na rozhran& sveˇtu˚. ˇ eskoslovensko po 1945, Innsbruck–Wien 1998. Rakousko a C Andr8 Biever, L’Autriche et les origines de l’Ostpolitik de la R8publique f8d8rale d’Allemagne, in: Relations Internationales 114 (2003), 213–230; Gehler, Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik, 297–300.

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einer Quantifizierung der österreichischen Besuchskontakte mit Ost und West. Das nunmehr aufbereitete Zahlenmaterial wird durch neue Detailforschungen zu neuen Erklärungsmustern der jeweiligen Konjunkturen der besuchsdiplomatischen Interaktionen beitragen. Einen zumeist unterschätzten Faktor stellt jedenfalls die wirtschaftliche Dimension der österreichischen Außenpolitik dar. Zur Wirtschaftsgeschichte der Zweiten Republik sind bereits Überblicke vorgelegt worden.88 Zur Ost-West-Dimension von Wirtschaft und Handel im Kalten Krieg fehlen auf fundierten Quellenstudien basierende Forschungen, auch wenn sich mit Schwerpunkt auf den österreichischen Osthandel im »Spannungsfeld der Blöcke« in den letzten Jahren eine gewisse Vertiefung abgezeichnet hat.89 Jedoch wurden bisher die Wechselwirkungen zwischen Innen-, Außen- und Wirtschaftspolitik nur unzureichend herausgearbeitet. Zudem kommt die Einbettung in weltwirtschaftliche Entwicklungen zu kurz. Das sich in den 1960er-Jahren intensivierende Streben der Verstaatlichten Industrie nach neuen Märkten im Osten Europas führte schließlich zu einem Osthandelsboom Mitte der 1970er-Jahre. Man kann für jene Zeit von einem Geschäftsmodell »Großaufträge im Austausch für Kredite« sprechen. Österreich stellte im internationalen Vergleich überdimensionierte staatlich garantierte (Exportförderungs-)Kredite zur Verfügung und erhielt in der Regel dafür in gleicher Höhe Großaufträge für die Verstaatlichte Industrie. Zudem wurden viele dieser Geschäfte zumindest anteilsmäßig als Kompensationsgeschäfte abgewickelt, was für die sozialistischen Staaten eine Win-Win-Situation bedeutete. Für diese bedeutete dies einen Beitrag zum Erhalt ihrer Zahlungsfähigkeit, auf österrei88 Felix Butschek, Vom Staatsvertrag zur Europäischen Union. Österreichische Wirtschaftsgeschichte von 1955 bis zur Gegenwart, Wien 2004. Zur Wirtschaft im ersten Nachkriegsjahrzent vertiefend Hans Seidel, Österreichs Wirtschaft und Wirtschaftspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, Wien 2005. Insbesondere für die »Ära Kreisky« auf breiter Quellenbasis Maria Mesner/Theodor Venus/Remigio Gazzari, Endbericht zum Jubiläumsfondprojekt »Österreichische Wirtschaftspolitik 1970–2000«. Online unter : http://www.kreisky.org/ pdfs/endbericht-projnr11679.pdf (Zuletzt abgerufen am 18. November 2015). 89 Zum österreichischen Osthandel im Kalten Krieg siehe Andreas Resch, Der österreichische Osthandel im Spannungsfeld der Blöcke, in: Manfried Rauchensteiner (Hg.), Zwischen den Blöcken. NATO, Warschauer Pakt und Österreich, Wien 2010, 497–556; Gertrude EnderleBurcel et al. (Hg.), Gaps in the Iron Curtain. Economic relations between neutral and socialist countries in Cold War Europe, Krakjw 2009; dies./Dieter Stiefel/Alice Teichova (Hg.), »Zarte Bande«. Österreich und die europäischen planwirtschaftlichen Länder – »Delicate Relationships«. Austria and Europe’s Planned Economies (= Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Sonderband 9), Innsbruck–Wien–Bozen 2006. Eine für die Analyse der Wirtschaftsbeziehungen und auch für die gesamte Politik der Ära Kreisky unverzichtbare Quelle stellen die Tagebücher des Handelsministers Josef Staribacher (1970–1983) dar. Maria Steiner, 20.000 Seiten Österreich, in: Die Presse, 26. April 2014, Spectrum III. Zur Aktenlage im Österreichischen Staatsarchiv siehe Dieter Lautner, Quellen zum Osthandel Österreichs am Beispiel ausgewählter Aktenbestände des Archivs der Republik, in: Enderle-Burcel et al., »Zarte Bande«, 283–290.

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chischer Seite war diese Politik primär der Arbeitsplatzsicherung in der Verstaatlichen Industrie geschuldet.90 Nicht zuletzt aufgrund der Ausweitung dieser Geschäftsbeziehungen bis hin zu Öl-Transitgeschäften folgte Mitte der 1980erJahre der de facto Zusammenbruch der Verstaatlichen Industrie.91 Die österreichische Wirtschafts- und Finanzpolitik, insbesondere der 1970er- und 1980er-Jahre, vor dem Hintergrund der weltwirtschaftlichen Entwicklungen stellt eines der bedeutendsten Desiderata der österreichischen Zeitgeschichtsforschung dar. Ohne diese Hintergrundkenntnisse wird man auch die Innenund Außenpolitik Österreichs seit den 1970er-Jahren nicht adäquat analysieren können. Die Ostpolitik dieser Zeit war jedenfalls massiv von ökonomischen Interessen geprägt. Es ging aber natürlich nicht nur um Wirtschaft, sondern auch darum, den geteilten Kontinent lebenswerter zu machen. Dies lässt sich insbesondere am Beispiel der Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn zeigen. In bilateraler Kooperation (und als Resultat des zuvor erwähnten Erasmus Intensive Programme) wurde am Beispiel der österreichisch-ungarischen Beziehungen ein erster quellengestützter Beitrag zu deren Verortung im Rahmen der europäischen Entspannung geleistet. Wie auch im Beitrag von Graf angedeutet, gelang es diesem »Musterbeispiel der europäischen Entspannung« die Grenze sukzessive durchlässiger zu machen. Einen Markstein stellte die Aufhebung der gegenseitigen Visapflicht 1979 dar. Fortan konnten sich grenzüberschreitende Kontakte und Kooperationen noch intensiver als zuvor entwickeln. International wurde dies stets mit großem Interesse verfolgt, ja die Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn wurde sogar als wünschenswertes Modell für die Ost-West-Beziehungen gesehen. Auch die 1988 von den Ungarn gewährte Reisefreiheit war zumindest indirekt dem österreichischen Streben nach einer durchlässigeren Grenze geschuldet. Es folgte ein Reiseboom von Ost nach West und 1989 gehörte der »Eiserne Vorhang« endgültig der Geschichte an. Weniger mit Blick auf 1989 als in Langzeitperspektive liegt hierin ein echter

90 Bislang herausgearbeitet an den Beispielen der Beziehungen Österreichs zur DDR und auch zu Polen. Siehe dazu Graf, Österreich und die DDR, 497–528; Graf, Kreisky und Polen, 700–703. 91 In Ermangelung einer wissenschaftlichen Aufarbeitung dazu Franz Summer, Das VOESTDebakel, Wien 1987. Als beste Zugänge zur Geschichte der Verstaatlichten Industrie in der Zweiten Republik in aller Kürze: Robert Stöger, Die verstaatlichte Industrie in der Zweiten Republik, in: Hannes Androsch/Anton Pelinka/Manfred Zollinger (Hg.), Karl Waldbrunner. Pragmatischer Visionär für das neue Österreich, Wien 2006, 237–258. Ausführlicher Ines Kastil, Von der Verstaatlichung zur Privatisierung – Untersuchung eines wirtschaftstheoretischen und wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsels am Beispiel Österreich, Dissertation Wien 2006. Zur Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Ära Kreisky insbesondere auch Robert Kriechbaumer, Die Ära Kreisky. Österreich 1970–1983 in der historischen Analyse, im Urteil der politischen Kontrahenten und in Karikaturen von Ironimus, Wien–Köln–Weimar 2004, 225–260.

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österreichischer Beitrag zur Überwindung der Blockteilung.92 Gerade an diesem Beispiel wird deutlich, wie sehr eine von Österreich ausgehende Forschung zum Kalten Krieg ein Paradebeispiel der Internationalen Geschichte des Kalten Kriegs sein kann.

VII.

Grenzen und Geheimdienste

Am Beispiel der österreichisch-ungarischen Grenze wird aber auch deutlich, welch langer Weg von der Grenze als Todesfalle zu mehr Durchlässigkeit und deren Überwindung zurückzulegen war. Nicht nur die Krisen an Österreichs Grenzen 1956 und 1968 machen deutlich wie sehr der »Eiserne Vorhang«93 und die damit einhergehende unverschuldete Abgrenzung Österreichs von Osteuropa (und umgekehrt) im Kalten Krieg prägten. Den in den ersten Jahren nach 1945 blutigsten Grenzabschnitt stellte jener zu Jugoslawien dar. Mit dem Kriegsende besetzten Titos Partisanen Teile Kärntens und der Steiermark und der Flüchtlingsstrom aus dem nunmehr kommunistischen Jugoslawien hatte insbesondere Österreich zum Ziel.94 Jedoch gelang es nach dem Bruch Stalins mit Tito 1948 und der darauffolgenden Westwendung Jugoslawiens das bilaterale Verhältnis zu Jugoslawien rasch zu entspannen und bereits in den 1950erJahren wurde die Lage an der Grenze normalisiert und die Grenze selbst wurde zusehends durchlässiger.95 Bereits in den 1960er-Jahren gelang es, ein Abkom-

92 Thesenhaft hierzu bereits Maximilian Graf, Ein Musterbeispiel der europäischen Entspannung? Die österreichisch–ungarischen Beziehungen von 1964 bis 1989, in: Csaba Szabj (Hg.), Österreich und Ungarn im 20. Jahrhundert« (= Publikationen der ungarischen Geschichtsforschung in Wien IX), Wien 2014, 261–280; Tam#s Baranyi/Maximilian Graf/Melinda Krajczar/Isabella Lehner, A Masterpiece of European D8tente? Austrian–Hungarian Relations from 1964 until the Peaceful End of the Cold War, in: zeitgeschichte 41 (2014) 5, 311–338. Für die Zeit bis 1964 siehe Andreas G8mes, Austrian–Hungarian Relations, 1945–1989, in: Arnold Suppan/Wolfgang Mueller (Hg.), Peaceful Coexistence or Iron Curtain? Austria, Neutrality, and Eastern Europe in the Cold War and D8tente, 1955–1989 (= Europa Orientalis 7), Wien 2009, 310–336. 93 Anne Appelbaum, Iron Curtain: The Crushing of Eastern Europe 1944–1956, New York 2012. Für eine jüngere österreichische Publikation zum Thema Armin Lausegger/Philipp Lesiak (Red.), Schauplatz Eiserner Vorhang. Europa : Gewaltsam geteilt und wieder vereint (= Beitragsband und Katalog zur gleichnamigen Ausstellung), Weitra 2012. 94 Edda Engelke, »Jeder Flüchtling ist eine Schwächung der Volksdemokratie«. Die illegalen Überschreitungen am jugoslawisch-steirischen Grenzabschnitt in den Fünfzigerjahren, Wien 2011. 95 Arnold Suppan, Jugoslawien und der österreichische Staatsvertrag, in: ders./Gerald Stourzh/ Wolfgang Mueller (Hg.) Der österreichische Staatsvertrag 1955. Internationale Strategie, rechtliche Relevanz, nationale Identität. The Austrian State Treaty. International Strategy, Legal Relevance, National Identity, Wien 2005, 431–447; Petar Dragisˇic´, Österreichisch-

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men über den kleinen Grenzverkehr zu schließen.96 Der Tourismus in Richtung Jugoslawien sowie die Arbeitsmigration in Richtung Österreich begannen zu boomen.97 1978 wurde die über den bilateralen Kontext hinausweisende »Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria« geformt, deren Erforschung künftig auf der Tagesordnung stehen wird.98 Hier zeigt sich ein hoher Grad interregionaler Integration zwischen Österreich, Italien und Jugoslawien, obschon die involvierten Länder sich in unterschiedlichen politischen, und wirtschaftlichen Bündnissystemen befanden. Damit ist die »Alpen-Adria«-Region ein einzigartiges Studienfeld im Europa des Kalten Kriegs. Wie oben ausgeführt, entwickelte sich auch die österreichisch-ungarische Grenze ab den 1960er-Jahren von einem Ort der Konfrontation zu einer Begegnungsstätte zwischen Ost und West sowie zu einem Experimentierfeld für Kooperationen über die Blockgrenzen hinweg. Dies kann insbesondere am Beispiel der burgenländischen Außengrenze aufgezeigt werden. Darüber hinaus zeigt sich auch, dass der österreichisch-slowakische Grenzabschnitt mitunter jugoslawische Beziehungen 1945–1955, Dissertation Universität Wien 2007; ders., Odnosi Jugoslavije i Austrije 1945–1955, Belgrad 2013. 96 Otmar Höll (Hg.), Österreich – Jugoslawien: Determinanten und Perspektiven ihrer Beziehungen, Wien 1988. 97 (Arbeits)Migration stellt grundsätzlich ein boomendes Forschungsfeld dar. Vgl. beispielsweise Verena Lorber, »Arbeitskräfte wurden gebraucht …« – Steirische Arbeitsmigration von 1961 bis 1975 – ein mikrogeschichtlicher Blick auf ein transnationales Migrationssystem, in: Tagungsbericht des 26. Österreichischen Historikertages (Krems/Stein, 24. bis 28. September 2012), St. Pölten 2015, 699–708. Dirk Rupnow baut an der Universität Innsbruck derzeit einen Migrationsschwerpunkt auf. Zu laufenden Projekten und deren Zielsetzungen siehe http://www.uibk.ac.at/zeitgeschichte/aktuelles/deprovincializing_projekt.pdf (Zuletzt abgerufen am 16. Oktober 2015). Hierzu z. B. Veronika Settele/Verena Sauermann, »Guter Eindruck!« Arbeitsmigration seit 1960 in österreichischen Firmenarchiven, in: Archiv und Wirtschaft 47 (2014) 2, 78–86. Siehe auch das Themenheft »Arbeitsmigration in Österreich – Historische Perspektiven und methodische Herausforderungen«, in: zeitgeschichte 40 (2013) 1. Darin zum hier diskutierten Thema den Beitrag von Vladimir Ivanovic´ »Die Beschäftigung jugoslawischer Arbeitskräfte in Österreich in den 1960er und 1970er Jahren«. 98 Als im November 1978 die jugoslawischen Republiken Slowenien und Kroatien, sowie die italienischen Regionen Veneto und Friuli-Venezia Giulia und die österreichischen Bundesländer Kärnten, Steiermark und Oberösterreich, die »Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria« gründeten, war dies der Beleg eines überregionalen Wunsches nach kultureller, politischer und ökonomischer Kooperation. Damit wurde eine Verbindung hergestellt, in einer Region und zwischen Staaten, die nur wenige Jahrzehnte zuvor die nationalsozialistische und faschistische Okkupation und den jugoslawischen Drang nach Erwerb ethnisch gemischter Gebiete in Italien und Österreich, erlebt hatten. Die hierauf einsetzende Normalisierung der Verhältnisse löste viele der bestehenden Probleme (wie Minderheitenfragen) zunächst nicht und hatte unter anderem terroristische Aktionen (in Südtirol und Kärnten) und Säbelrasseln (an der italienisch-jugoslawischen Grenze) zur Folge. Dazu jüngst erschienen Karlo RuzicicKessler, Italy and Yugoslavia: From Distrust to Friendship in Cold War Europe, in: Journal of Modern Italian Studies 19 (2014) 5, 641–664; ders./Michael Portmann, Yugoslavia and its Western Neighbours 1945–1980, in: zeitgeschichte 41 (2014) 5, 296–310.

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deutlich weniger konfliktträchtig war als der österreichisch-tschechische, obwohl beide die Außengrenze der formal föderalen aber dennoch zentralistisch beherrschten Tschechoslowakei darstellten.99 Wie dramatisch und häufig die Zwischenfälle an der österreichisch-tschechoslowakischen Grenze insgesamt waren, hat Stefan Karner anhand von Fallbeispielen mit aller Deutlichkeit aufgezeigt. Entlang dieses Abschnitts des »Eisernen Vorhangs« starben immerhin mehr Menschen als an der Berliner Mauer.100 Ebenso wie Berlin gilt Wien als Drehscheibe für Geheimdienstaktivitäten von Ost und West. Die Rolle der Geheimdienste im Österreich des Kalten Kriegs ist zwar seit jeher in aller Munde und mythenbeladen, eine tiefgreifendere und umfangreichere Beschäftigung wurde aber erst in den letzten Jahren in Angriff genommen.101 Als Ausnahme muss hier aber jedenfalls Siegfried Beer mit seinen Darstellungen zu den anglo-amerikanischen Geheimdiensten für die Zeit vor 1955 gelten.102 Unter seiner Ägide entstand auch das Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies, dass seit 2007 das Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies (JIPSS) herausgibt. Dessen Inhalte weisen weit über den österreichischen »Tellerrand« hinaus, bieten aber dennoch ausreichend Raum für eine Analyse des österreichischen Szenarios. Zu den fleißigsten Autoren gehört unter anderen der oben bereits erwähnte Thomas Riegler, der regelmäßig Beiträge zu zentralen Fragen veröffentlicht.103 In den letzten Jahren hat sich auch das BIK stärker der Erforschung der Rolle der Nachrichtendienste verschrieben. Die Wurzeln dieses Fokus lagen in den eingangs erwähnten internationalen Großprojekten. Mit der Niederösterreichischen Landesausstellung 2009, der ersten grenzüberschreitenden Landesausstellung in Horn, Raabs und Telcˇ,104 und dem zeitgleichen (Wieder-)Auf99 Siehe hierzu die Beiträge von Bettina Hofmann, David Schriffl und Maximilian Graf in dem das gesamte zeitliche Bestehen der burgeländischen Außengrenze abdeckenden Längsschnittband Maximilian Graf/Alexander Lass/Karlo Ruzicic-Kessler (Hg.), Das Burgenland als internationale Grenzregion im 20. und 21. Jahrhundert, Wien 2012, 135–179. 100 Stefan Karner, Halt! Tragödien am Eisernen Vorhang. Die Verschlussakten, Salzburg 2013. 101 Einen gewichtigen Beitrag hierzu sowie auch zu militärischen Fragestellungen des »frühen Kalten Kriegs« leistete zunächst das Sammelwerk Erwin A. Schmidl, (Hg.), Österreich im frühen Kalten Krieg 1945–1958. Spione, Partisanen, Kriegspläne, Wien–Köln–Weimar 2000. 102 Stellvertretend hierfür Siegfried Beer, Studien zur anglo-amerikanischen Österreichpolitik 1938–1955. Mediale, diplomatische, militärische, geheimdienstliche und besatzungspolitische Aspekte der Rekonstruktion in Zentraleuropa während und nach dem Zweiten Weltkrieg, Habilitation Graz 1999. 103 Beispielsweise Thomas Riegler, Die »Wiener Residentur« der Stasi – Mythos und Wirklichkeit, in: JIPSS 7 (2013) 2, 89–113. Dazu auch »DDR-Spione in Österreich. Die Geschäfte des ostdeutschen Geheimdienstes mit Wiener Szenepromis im Kalten Krieg«, in: profil, 21. Mai 2012, 22–29; Thomas Riegler, »Wir setzen uns rein und mischen da richtig mit«. Die DDR-Staatssicherheit und der Südtirolkonflikt, in: zeitgeschichte 40 (2013) 3, 166–180. 104 Stefan Karner/Michal Stehl&k (Hg.), Österreich. Tschechien. geteilt – getrennt – vereint,

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kommen der »Affäre Zilk«105 begann die Aufarbeitung der Rolle der tschechoslowakischen Nachrichtendienste in Österreich im Rahmen konkreter Forschungsprojekte. Ein wichtiger Schritt war die Formalisierung der Zusammenarbeit mit den entsprechenden Instituten und Archiven in der Tschechischen Republik und der Slowakei. Seither wird auf Basis der ehemals tschechoslowakischen, österreichischen, aber auch britischen und US-amerikanischen Aktenbeständen Grundlagenforschung betrieben und die Ergebnisse im Rahmen von Workshops und Konferenzen diskutiert. Die Ergebnisse der ersten drei Tagungen werden 2016 auf Tschechisch und Deutsch in Form von zwei eigenständigen Sammelbänden publiziert. Im Rahmen dieses Projekts hat sich Dieter Bacher insbesondere dem Kenntnisstand US-amerikanischer und britischer Dienste zu diesen Aktivitäten gewidmet und einschlägige Publikationen vorgelegt. Einen weiteren Schwerpunkt stellte die Kooperation von Angehörigen der KPÖ mit den sowjetischen Diensten dar.106 So sehr es ein anhaltendes mediales Interesse an diesen Fragen gibt, so wenig ist die Rolle der österreichischen Medien im Kalten Krieg selbst Gegenstand der Forschung geworden.

Beitragsband und Katalog der Niederösterreichischen Landesausstellung 2009, Schallaburg 2009; Armin Laussegger/Reinhard Linke/Niklas Perzi (Hg.) Österreich. Tschechien. Unser 20. Jahrhundert: Begleitband zum wissenschaftlichen Rahmenprogramm der Niederösterreichischen Landesausstellung 2009 »Österreich. Tschechien. geteilt – getrennt – vereint«, Wien 2009. 105 Diese stellte Ende März 2009 zwei Wochen in Folge die Coverstory der Wochenzeitschrift profil dar. Vgl. »Helmut Zilk, Spion«, in: profil 40 (2009) 3, 23. März 2009; »Helmut Zilk, Teil 2«, in: profil 40 (2009) 40, 30. März 2009. Stellvertetend für die intensive mediale Diskussion, die auch im ORF breiten Raum erhielt, siehe Hans Rauscher, »Zilk: Der große Harmonisierer«, in: Der Standard, 24. März 2009, 2, siehe auch 3 und 31; Der Standard, 25. März 2009, 6; Der Standard, 26. März 2009, 8 und 40; Der Standard, 27. März 2009, 32; Der Standard, 28./29. März 2009, 2 und den Kommentar von Oliver Rathkolb auf 33; Der Standard, 30. März 2009, 8. 106 Exemplarisch hiefür Dieter Bacher, Austrian »spies« in the Early Cold War. The recruitment of Austrian citizens by foreign intelligence services in Austria from 1945 to 1953, in: Władysław Bułhak/Thomas Wegener Friis (Hg.), Need to Know. Eastern and Western Perspectives. Odense 2014, 229–244; Dieter Bacher/Philipp Lesiak, Frauenschicksale am Eisernen Vorhang. Die tschechisch-österreichische Grenze zwischen 1948 und 1963, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2015, 113–122; Dieter Bacher, Der Freund meines Feindes ist mein Feind. Die Kommunistische Partei Österreichs im Visier amerikanischer und britischer Nachrichtendienste 1945–1955, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2016 (in Vorbereitung).

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VIII. Medien, Sport, Kultur und Geschlecht Zu den österreichischen Medien im Kalten Krieg liegt ein neuerer und umfangreicher Aufsatz von Berthold Molden vor, der sich jedoch zu einem großen Teil auf bereits vorhandene Forschungsergebnisse stützt.107 Um eine solide Basis für künftige größer angelegte historische Überblicke zu legen, bedarf es dringend einer Vielzahl vertiefender Detailstudien, wie jener von Martin Tschiggerl, der sich in einem Beitrag mit österreichischer Sportberichterstattung im Kalten Krieg auseinandersetzt. Die Studie erschien im Jahr 2015 in einem Schwerpunktheft der Zeitschrift zeitgeschichte zu »Sport im Kalten Krieg«, das die Ergebnisse eines gleichnamigen Workshops des INZ/ÖAW und des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien aufgreift und drei Fallstudien mit Österreich-Bezug präsentiert.108 Im Zeitalter des Kalten Kriegs wurde Sport spätestens ab den 1950er-Jahren zu einer Projektionsfläche des Ost-West-Gegensatzes und war von ideologischen Interessen geprägt und von politischen Interventionen begleitet. Im anglo-amerikanischen Raum widmen sich die Cold War Studies seit geraumer Zeit verstärkt der Untersuchung der transnationalen Dimensionen des Sports während des Kalten Kriegs.109 Die Forschungsarbeiten in der Bundesrepublik Deutschland legen den Fokus auf die Sportbeziehungen der beiden deutschen Staaten.110 Im Streben der Staatsführung nach weltweiter Anerkennung erlangte der Spitzensport in der DDR oberste Priorität, wobei die Erfolge mitunter durch systematisches Doping erreicht worden waren.111 Doch 107 Berthold Molden, Die Ost-West-Drehscheibe. Österreichs Medien im Kalten Krieg, in: Manfried Rauchensteiner (Hg.), Zwischen den Blöcken. NATO, Warschauer Pakt und Österreich, Wien 2010, 687–774. Siehe auch Hans Heinz Fabris/Fritz Hausjell (Hg.), Die vierte Macht. Zu Geschichte und Kultur des Journalismus in Österreich seit 1945, Wien 1991. 108 »Sport in Kalten Krieg«, zeitgeschichte 42 (2015) 4. Für den Veranstaltungsbericht zum Workshop siehe http://www.oeaw.ac.at/fileadmin/subsites/etc/Institute/INZ/PDF/068__ Sport_im_Kalten_Krieg__OEAW_07_03_2014.pdf zur medialen Resonanz siehe u. a. http://derstandard.at/1392687106137/Sport-im-Kalten-Krieg-Der-Medaillenspiegel-alsPropagandaindex (Beide zuletzt abgerufen am 25. November 2015). 109 Das »Cold War International History Project« am Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington, D.C. widmet sich in einer Forschungsschiene dem Thema »The Global History of Sport in the Cold War«. Online unter : https://www.wilsoncenter.org/ article/the-global-history-sport-the-cold-war (Zuletzt abgerufen am 20. November 2015). Für einen Überblick siehe Heather L. Dichter/Andrew L. Johns (Hg.), Diplomatic Games: Sport, Statecraft, and International Relations since 1945, Lexington/Kentucky 2014; Stephen Wagg/David Andrews (Hg.), East Plays West: Sport and the Cold War, New York 2007. 110 Zu den Standardwerken zählen Uta A. Balbier, Kalter Krieg auf der Aschenbahn. Der deutsch-deutsche Sport 1950–1972. Eine politische Geschichte, Paderborn–Wien 2007; Gunter Holzweißig, Diplomatie im Trainingsanzug: Sport als politisches Instrument der DDR in den innerdeutschen und internationalen Beziehungen, München 1981. 111 Zum systematischen Doping in der DDR sind zahlreiche Publikationen erschienen, die

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auch die neutralen Staaten Europas blieben von den Machtkämpfen der rivalisierenden Systeme nicht unberührt.112 Im vorliegenden Band untersucht Agnes Meisinger die österreichische Haltung zum Boykottaufruf der Olympischen Sommerspiele in Moskau 1980 durch US-Präsident Jimmy Carter als Reaktion auf den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan im Dezember 1979. Sie kann nachweisen, dass Bundeskanzler Kreisky großes Interesse an der Teilnahme österreichischer SportlerInnen in Moskau hatte und die innenpolitische Diskussion maßgeblich beeinflusste. Der sowjetische »Gegenboykott« der Olympischen Sommerspiele in Los Angeles 1984 führte dazu, dass nicht nur die politischen und diplomatischen, sondern auch die sportlichen Beziehungen zwischen den Supermächten an einem Tiefpunkt anlangten. Einige wenige US-amerikanische Studien widmen sich der Beforschung von Fragen nach den Kategorien Geschlecht, Sexualität und Ethnizität im Kalten Krieg.113 Im deutschsprachigen Raum allerdings ist die Literatur zu diesen Thematiken nur spärlich vorhanden. Die Untersuchung der Lebenswelten von Frauen fokussiert dabei im Speziellen auf die Situation in der DDR.114 Im internationalen Kontext hat vor allem die Diskussion um die Einführung von Geschlechtertests im Sport in den späten 1960er-Jahren, die auf die zunehmende die Instrumentalisierung des Sports für die politische Propaganda der Blöcke zurückzuführen war, Beachtung gefunden.115 Auch im Feld der Diplomatie wurden Geschlechterfragen bisher nicht aufgegriffen, obwohl Österreich wäh-

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Dopingpraxen der Sowjetunion während des Kalten Kriegs sind weitgehend unerforscht. Siehe u. a. Giselher Spitzer, Doping in der DDR. Ein historischer Überblick zu einer konspirativen Praxis. Genese – Verantwortung – Gefahren, 4. erweiterte Auflage, Köln 2012; Klaus Latzel/Lutz Niethammer (Hg.), Hormone und Hochleistung. Doping in Ost und West, Köln–Weimar–Wien 2008. Im Jahr 2013 erschienen Berichte zu einer großangelegten Studie über die westdeutsche Dopingvergangenheit: »Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation«. Online unter: http ://www.bisp.de/SharedDocs/Downloads/Aktuelles/Zusammenfassender_Bericht_ WWU_HU.pdf;jsessionid=A4D4F28524C95 A68E92BFE4BF11F668C.1_cid387?__blob=pu blicationFile& v=1 (Zuletzt abgerufen am 11. November 2015). Für die Schweiz siehe beispielsweise Christian Koller, Kaviar, Klassenverlust und Kommunistenfurcht. Zum Schweizer Eishockey im Kalten Krieg, in: SportZeiten 15 (2015) 2, 7–47. Robert D. Dean, Imperial Brotherhood: Gender and the making of Cold War foreign politics, Amherst 2001; Marko Dumancˇ ic´, Spectrums of Oppression: Gender and Sexuality during the Cold War, in: Journal of Cold War Studies 16 (2014) 3, 190–204; Susan E. Reid, Cold War in the Kitchen: Gender and the De-Stalinization of Consumer Taste in the Soviet Union under Khrushchev, in: Slavic Review 61 (2002) 2, 211–252. Karin Zachmann, Mobilisierung der Frauen. Technik, Geschlecht und Kalter Krieg in der DDR, Frankfurt am Main et al. 2004. Stefan Wiederkehr, ›We Shall Never Know the Exact Number of Men who Have Competed in the Olympics Posing as Women‹: Sport, Gender Verification and the Cold War, in: The International Journal of the History of Sport, 26 (2009) 4, 556–572.

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rend des Kalten Kriegs herausragende, international anerkannte Diplomatinnen vorzuweisen hatte. Zu kulturellen Themen stehen Studien, die über die Besatzungszeit hinausgehen, nahezu gänzlich aus. Hier haben nun VertreterInnen der Germanistik den Anfang gemacht und sich zunächst im Rahmen eines ersten von Michael Hansel und Michael Rohrwasser herausgegebenen Sammelbandes dem kulturellen Kalten Krieg in Österreich angenommen, der zwar erneut auf die Besatzungszeit fokussiert, aber bereits darüber hinausweisende Beiträge enthält.116 Ein von Günther Stocker initiiertes, am Institut für Germanistik der Universität Wien angesiedeltes und auf den Zeitraum 1945–1966 angelegtes Projekt117 hat neben zahlreichen Beiträgen zur österreichischen Diskussion118 insbesondere auf den internationalen Vergleich der deutschsprachigen Literatur im Kalten Krieg fokussiert.119 Als ein markantes Detail aus den Erkenntnissen des Projekts sei ein biografischer Aspekt herausgegriffen: Hans Weigl war bisher vor allem in einem Atemzug mit Friedrich Torberg als Exponent des kulturellen Kalten Kriegs in Österreich genannt worden, dessen symbolhaftester und zugleich manifestester Ausdruck der sogenannte »Brecht-Boykott« war.120 Weigel kann jedoch in der Zeit vor 1945 durchaus als Linkssympathisant gesehen werden und wurde erst zum Antikommunisten, als er nach seiner Rückkehr mit der sowje116 Michael Hansel/Michael Rohrwasser (Hg.), Kalter Krieg in Österreich. Literatur – Kunst – Kultur, Wien 2010. 117 Die Plattform des Projektes findet sich unter http://germanistik.univie.ac.at/kk-diskurse (Zuletzt abgerufen am 28. Juni 2011). Stefan Maurer/Doris Neumann-Rieser, The Research Project »Cold War Discourses. Political Configurations and their Contexts in Austrian Literature between 1945 and 1966«, in: ILCEA. Revue de l’Institut des langues et cultures d’Europe et d’Am8rique 16 (2012). Online unter : http://ilcea.revues.org./index1451.html (Zuletzt abgerufen am 17. Oktober 2015). 118 Günther Stocker, Der Kalte Krieg in der österreichischen Literatur. Annäherungen an eine Lücke, in: Weimarer Beiträge 55 (2009) 1, 6–27; Stocker, Austrian Literature and the Cold War, 218–243; Stefan Maurer/Doris Neumann-Rieser, Komik im Kalten Krieg? Satirische und groteske Elemente in der österreichischen Literatur der 1950er Jahre, in: Günter Häntzschel/Sven Hanuschek/Ulrike Leuschner (Hg.), Treibhaus. Jahrbuch für die Literatur der fünfziger Jahre, Bd. 8: Komik, Satire, Groteske (2012), 52–70; Doris Neumann-Rieser, »In der Uniform des Gegners«. Der Comic im Österreich des Kalten Krieges, in: Tri[dere. Zeitschrift für Theorie und Kunst 6 (2012) 1, 35–46; Günther Stocker/Doris NeumannRieser, Reisen ins Rote. Der imaginierte Raum hinter dem Eisernen Vorhang, in: Fabrizio Cambi/Wolfgang Hackl (Hg.), Topographie und Raum in der deutschen Sprache und Literatur, Wien 2013, 273–294; Günter Stocker/Stefan Maurer, »Fellow Traveller«, »trojanische Pferde«, »Neutralisten«. Figuren des Dritten in der österreichischen Kultur des Kalten Krieges, in: David Eugster/Sibylle Marti (Hg.), Das Imaginäre des Kalten Krieges. Beiträge zu einer Kulturgeschichte des Ost-West-Konfliktes in Europa (= Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung 21), Essen 2015, 117–136. 119 Günter Stocker/Michael Rohrwasser (Hg.), Spannungsfelder. Zur deutschsprachigen Literatur im Kalten Krieg 1945–1968, Wuppertal 2014. 120 Kurt Palm, Vom Boykott zur Anerkennung. Brecht und Österreich, Wien 1984.

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tischen Besatzungsmacht in Österreich konfrontiert wurde – eine durchaus nicht unübliche Entwicklung. Auch von den westlichen Institutionen des kulturellen Kalten Kriegs hielt er sich ferner als andere Vertreter der österreichischen Literaturszene.121 Die angekündigte Monografie zu den österreichischen Diskursen des Kalten Kriegs darf mit Spannung erwartet werden. Der Beitrag von Doris Neumann-Rieser zur Atomangst im Spiegel der österreichischen Literatur wurde bereits erwähnt. An dieser Stelle soll der Fokus nun auf transnationalen Kulturkontakten und Kulturaußenpolitik liegen. Stefan Maurer zeigt am Beispiel Wolfgang Kraus und der Österreichischen Gesellschaft für Literatur (ÖGL) – als »staatlich-privates Netzwerk« – einen kulturpolitischen Akteur des Kalten Kriegs auf. Die ÖGL war sowohl durch österreichisches Geld als auch durch Institutionen des Kalten Kriegs, wie den Congress for Cultural Freedom oder das International Literary Center, finanziert. Nicht zuletzt aufgrund des maßgeblich durch Kraus initiierten Dialogs, der in den 1960er-Jahren erste Früchte trug, wurde die ÖGL insbesondere in den 1970er-Jahren zu einer Anlaufstelle für sowjetische Dissidenten. In diesem Zusammenhang wären künftige vergleichende Untersuchungen zum Wiener Tagebuch, das in den 1960er-Jahren immer unabhängiger von der KPÖ wurde und gegen Ende des Jahrzehnts sogar offen »antisowjetisch« publizierte, spannend. Dem Tagebuch-Umfeld dürfte eine ähnliche, vielleicht zur ÖGL komplementäre Rolle zugekommen sein.122 Im abschließenden Beitrag des Bandes leistet Andrea Brait den mit Sicherheit bisher vollständigsten und vor allem den am umfassendsten quellengestützten Überblick zur österreichische Kulturaußenpolitik gegenüber Osteuropa seit 1945. Sie zeichnet die Etablierung und Intensivierung der Kulturkontakte zu den sozialistischen Staaten insbesondere ab den 1960er-Jahren nach. Im Vordergrund stehen die Kulturabkommen und schließlich die Errichtung von Kulturinstituten. Der Anspruch der Vermittler- bzw. Brückenfunktion wird problematisiert. Die Wirkungsgeschichte stellt auch weiterhin ein Desiderat dar. Braits Aufsatz weist auch über die Zäsur 1989 hinaus und zeigt auf, wie sehr sich die kulturpolitischen Möglichkeiten in den (süd)osteuropäischen Ländern seither veränderten.123

121 Vgl. dazu Doris Neumann-Rieser, Der grüne Stern im Kontext des Totalitarismusdiskurses, in: Wolfgang Straub (Hg.), Hans Weigel. Kabarettist – Kritiker – Romancier – Literaturmanager, Innsbruck–Wien–Bozen 2014, 33–52; Stefan Maurer, »Berufsmässige Antikommunisten sind segensreich und unentbehrlich«. Hans Weigel, Der Monat, und der Kongress für kulturelle Freiheit, in: ebd., 63–79. 122 Siehe dazu beispielsweise die Erinnerungen von Elisabeth Markstein, Moskau ist viel schöner als Paris. Leben zwischen zwei Welten, Wien 2010. 123 Dazu ausführlicher Andrea Brait, Kultur als Grenzöffner? Motive und Schwerpunkte der österreichischen Kulturaußenpolitik im Verhältnis zu seinen östlichen Nachbarn in den Jahren 1989–91, in: zeitgeschichte 41 (2014) 3, 166–183.

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Österreich und die Überwindung der Blockteilung

Mit Blick auf die Entwicklungen in Polen 1980/81 erkennt man, dass der Niedergang der kommunistischen Regime durchaus bereits in der Frühphase des späten Kalten Kriegs ihre Wurzeln hatte. Im Falle Österreichs zeitigte das Jahr 1989 stürmische Veränderungen in der unmittelbaren Nachbarschaft. Die Veränderungen in der Sowjetunion Ende der 1980er-Jahre machten den Weg für einen österreichischen Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften (EG) frei, den die östliche Supermacht zuvor als unvereinbar mit dem Anschlussverbot im Staatsvertrag und der Neutralität abgelehnt hatte. Auch die postkommunistischen Nachbarstaaten der Alpenrepublik beschritten bereits im Zuge ihrer Transformation den Pfad zur Teilnahme an der europäischen Integration. Die Rolle Österreichs in der letzten Phase des Kalten Kriegs ist noch weitgehend unerforscht. Dieser geringe Aufarbeitungsgrad ist großteils auf die bislang kaum zugänglichen Akten österreichischer Provenienz zurückzuführen. Die Untersuchung und Darstellung der österreichischen Haltung zu den osteuropäischen Revolutionen 1989, dem Ende der Blockteilung und dem Zerfall der Sowjetunion 1991 stand bis vor Kurzem weitgehend aus.124 Einzig Österreichs Rolle bei der Flucht von DDR-Bürgern aus Ungarn im Spätsommer 1989 fand bisher Beachtung im wissenschaftlichen Diskurs. Dementsprechend zahlreich ist die dazu erschienene Literatur.125 Ein Quantensprung bei der Erforschung des Endes des Kalten Kriegs mit Österreichbezug zeichnet sich derzeit ab. Im Rahmen eines durch den Zukunftsfonds der Republik Österreich geförderten Projekts haben Andrea Brait und Michael Gehler einen Sammelband mit dem Titel Grenzöffnung vorgelegt, der sich den Innen- und Außenperspektiven auf die Rolle Österreichs sowie den Folgen für die neutrale Alpenrepublik, die sich zeitlich 124 Michael Gehler, Austria, the Revolutions in Middle and Eastern Europe and German Unification 1989/90, in: Wolfgang Mueller/Michael Gehler/Arnold Suppan (Hg.), The Revolutions of 1989. A Handbook, Wien 2015, 437–466. 125 Einen umfangreichen Überblick bietet Andreas Oplatka, Der erste Riß in der Mauer. September 1989 – Ungarn öffnet die Grenze, Wien 2009. Ein intensiverer Österreichbezug findet sich natürlich auch in der Memoirenliteratur. Die mediale Präsenz dieses Ereignisses war in den Jubiläumsjahren 2009 und 2014 sehr deutlich. Für eine auf 1989 fokussierte Neubesprechung der Bedeutung der Grenzöffnung für die Erosion des SED-Regimes siehe Michael Gehler, Bonn – Budapest – Wien. Das deutsch-österreichisch-ungarische Zusammenspiel als Katalysator für die Erosion des SED-Regimes 1989/90, in: Andrea Brait/ Michael Gehler (Hg.), Grenzöffnung 1989: Innen- und Außenperspektiven und die Folgen für Österreich (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für Politisch-Historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek 49), Wien–Köln–Weimar 2014, 135–162. Für eine stärkere Einbettung in Langzeitentwicklungen siehe Maximilian Graf, Das Paneuropäische Picknick im Kontext. Wie Österreich zum Tor in die Freiheit werden konnte und welche Folgen dies hatte, in: Stefan Karner/Philipp Lesiak (Hg.), Der erste Stein aus der Berliner Mauer. Das paneuropäische Picknick 1989. Graz–Wien (erscheint 2016).

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parallel dazu aufmachte Mitglied der EG zu werden, widmet.126 Es folgen ein Zeitzeugenband127 und eine Dokumentenausgabe, die die österreichischen diplomatischen Dokumente zu den Umbruchsjahren 1985–1991 in Auswahl zugänglich machen wird.128 Parallel dazu nimmt eine in Arbeit befindliche Aktenedition die Haltung Österreichs zur deutschen Frage 1987–1990 in den Blick.129 Michael Gehler und Maximilian Graf ist es gelungen, auf der Basis von Primärquellen die Haltung Österreichs zur deutschen Einheit herauszuarbeiten.130 Martin Malek hat dies für die Auflösung des Warschauer Paktes geleistet.131 Deutlich wird durch die jüngere Forschung aufgezeigt, dass Österreich entgegen der medialen Konstruktion eines Erinnerungsortes 1989 kaum (oder nur am Rande) eine Rolle spielte. Der Beitrag der Alpenrepublik zur Überwindung der Blockteilung ist vielmehr in der Langzeitperspektive zu finden, wie das Beispiel der durchlässiger werdenden österreichisch-ungarischen Grenze zeigt. Auch die internationale Position Österreichs nach dem Ende des Kalten Kriegs 126 Andrea Brait/Michael Gehler (Hg.), Grenzöffnung 1989: Innen- und Außenperspektiven und die Folgen für Österreich (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für PolitischHistorische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek 49), Wien–Köln–Weimar 2014. 127 Michael Gehler/Andrea Brait (Hg.), Am Ort des Geschehens in Zeiten des Umbruchs. Lebensgeschichtliche Erinnerungen politischer Akteure und Diplomaten des Ballhausplatzes vor und nach 1989, Hildesheim 2016 (in Vorbereitung). 128 Michael Gehler/Andrea Brait (Hg.), Von den Umbrüchen in Mittel- und Osteuropa bis zum Zerfall der Sowjetunion. Eine Dokumentation aus der Perspektive der Ballhausplatzdiplomatie, 2 Bde., Hildesheim 2016 (in Vorbereitung). 129 Im Rahmen des vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) geförderten Projekts »Edition of Documents: Austria and the German Question 1987–90« (Projektnummer : P 26439-G15) wird unter der Leitung von Michael Gehler eine Aktenedition zur Haltung Österreichs zur deutschen Frage und Einheit im Zeitraum 1987 bis 1990 erarbeitet. 130 Michael Gehler, Österreich, die DDR und die Einheit Deutschlands 1989/1990, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 57 (2009) 5, 427–452; Michael Gehler, Eine Außenpolitik der Anpassung an veränderte Verhältnisse: Österreich und die Vereinigung Bundesrepublik Deutschland-DDR 1989/90, in: Michael Gehler/Ingrid Böhler (Hg.), Verschiedene europäische Wege im Vergleich. Österreich und die Bundesrepublik Deutschland 1945/49 bis zur Gegenwart. Festschrift für Rolf Steininger zum 65. Geburtstag, Innsbruck–Wien–Bozen 2007, 493–530; Maximilian Graf, Österreich und das »Verschwinden« der DDR. Ostdeutsche Perzeptionen im Kontext der Langzeitentwicklungen, in: Brait/Gehler (Hg.), Grenzöffnung 1989, 221–242; Andrea Brait, »Österreich hat weder gegen die deutsche Wiedervereinigung agitiert, noch haben wir sie besonders begrüßt«. Österreichische Reaktionen auf die Bemühungen um die deutsche Einheit, in: Deutschland Archiv 2014, Bonn, 82–102; Ute Weinmann, R8actions et r8orientations politiques en Autriche face / l’ouverture du Rideau de fer et / la chute du Mur de Berline, in: MichHle Weinachter (Hg.), L’est et l’ouest face / la chute du mur. Question de perspective, Cergy-Pontoise 2013, 111–112. 131 Martin Malek, Österreich und der Auflösungsprozess des Warschauer Pakts (1989–1991), in: Manfried Rauchensteiner (Hg.), Zwischen den Blöcken. NATO, Warschauer Pakt und Österreich, Wien 2010, 557–614.

Österreich und der Kalte Krieg: Forschungsstand und Desiderata

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war bereits Gegenstand der Forschung.132 Nichtsdestotrotz stehen umfassende Analysen der Haltung und Neupositionierung Österreichs am Ende des Kalten Kriegs weitestgehend aus. Am intensivsten wurden mit Sicherheit die Teilhabe an der europäischen Integration und die wirtschaftlichen Implikationen der sogenannten »Ostöffnung« in den Blick genommen.133 In den vergangenen Jahren wurde es üblich, dass auch deutschsprachige HistorikerInnen Publikationen vorlegen, in denen sie »die Zeit, in der wir leben« vor dem historischen Hintergrund erklären.134 Philipp Ther hat mit Fokus auf Osteuropa, aber dennoch unter angemessener Berücksichtigung Süd- und Westeuropas, einen vielbeachteten österreichischen Beitrag zu dieser internationalen Tendenz geleistet.135 Vor dem Hintergrund der unsere Zeit prägenden, in den 1970er-Jahren einsetzenden weltwirtschaftlichen Veränderungen ist es durchaus möglich, dass auch für Österreich die (vermeintliche) Zäsur 1989 und das Ende des Kalten Kriegs verblassen.136 Dies wird aber nur durch interdisziplinär ausgerichtete, die sozioökonomische Entwicklungen in den Blick nehmende Langzeitstudien zu überprüfen sein. Die nunmehr in Bälde in größerem Umfang zur Verfügung stehenden Quellen mögen die Grundlage für künftige Synthesen darstellen. Gesamt gesehen bleibt für die österreichische Kalte Kriegs-Forschung jedenfalls viel zu tun und es wäre wünschenswert, wenn sich angehende HistorikerInnen in ihren Qualifikationsarbeiten verstärkt diesen »blinden Flecken« zuwenden würden.

X.

Desiderata

Diese beginnen bei den einfachsten und banalsten Fragestellungen. Wie wurden der Kalte Krieg und die Entspannung in Österreich wahrgenommen? Hier gilt es von dem vorherrschenden (wenn auch noch lange nicht hinreichend erforschten) Fokus auf Politik und Diplomatie wegzukommen und Fragen der Medi132 Günter Bischof/Ferdinand Karlhofer (Hg.), Austria’s International Position after the End of the Cold War (= Contemporary Austrian Studies 22), New Orleans 2013; Gernot Heiss/Jirˇ& Pesˇek/Katerˇina Kr#lov#/Oliver Rathkolb (Hg.), Tschechien und Österreich nach dem Ende des Kalten Krieges. Auf getrennten Wegen ins neue Europa, 5st& nad Labem 2009. 133 Dieter Stiefel (Hg.), Der »Ostfaktor«. Österreichs Wirtschaft und die Ostöffnung 1989 bis 2009, Wien–Köln–Weimar 2010. 134 Zuletzt u.a. Andreas Rödder, 21.0. Eine kurze Geschichte der Gegenwart, München 2015; Heinrich August Winkler, Geschichte des Westens. Die Zeit der Gegenwart, München 2015; Andreas Wirsching, Der Preis der Freiheit. Geschichte Europas in unserer Zeit. München 2012. 135 Philipp Ther, Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Eine Geschichte des neoliberalen Europas, Berlin 2014. Zu Osteuropa zudem erhellend Marci Shore, The Taste of Ashes. The Afterlife of Totalitarianism in Eastern Europe, New York 2013. 136 Überzeugend hierzu zuletzt Teil IV bei Konrad H. Jarausch, Out of Ashes. A New History of Europe in the Twentieth Century, Princeton–Oxford 2015.

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enrezeption sowie gesellschaftlicher Perzeptionsmuster zu erforschen. Der Blick sollte dabei nicht nur auf das europäische Szenario und die Rolle der Supermächte beschränkt bleiben, sondern auch die globale Dimension umfassen. Wie wurde die auch in Lateinamerika (Guatemala, Chile, Kuba, Nicaragua, El Salvador etc.),137 Afrika (Kongo, Angola etc.), und Asien (China, Vietnam, Korea, Kambodscha etc.) stattfindende Blockkonfrontation wahrgenommen und wie veränderte sie die österreichische Sicht auf die Welt?138 Wie beeinflusste dies den österreichischen Umgang mit diesen Teilen der Welt, die von der Zeitgeschichtsforschung zumeist nicht einmal gestreift werden? Am ehesten wurde von der Forschung noch die seit jeher stiefkindlich behandelte sogenannte »Entwicklungshilfe« thematisiert. Im Vordergrund standen aber die innerösterreichischen Diskurse zum Thema.139 Von mindestens ebenso großer Bedeutung wie der österreichische Blick auf die Welt sind die internationalen Perzeptionen der österreichischen Rolle und Haltung im Kalten Krieg. Die Außenperspektive ist gerade deshalb so wichtig, weil sie das Selbstbild relativiert und dabei hilft, tradierte Mythen zu hinterfragen. Insbesondere hinsichtlich Österreichs vermeintlicher Rolle als »Vermittler« ist dies dringend angezeigt. Selbiges gilt für Österreich als aktiven Akteur in der Entspannungspolitik. Diese Rolle ist zwar nur schwerlich in Frage zu stellen, jedoch wurde Österreichs Politik in den verschiedenen Phasen des Kalten Kriegs höchst unterschiedlich wahrgenommen und seine Neutralität in einem unterschiedlichen Ausmaß geschätzt. Wie sehr dies Österreichs Verhältnis zum Westen beeinflusste ist für die Zeit ab den 1960er-Jahren bisher kaum systematisch erforscht worden. Dies betrifft nicht nur die USA, sondern auch Westeuropa. In diesem Zusammenhang sollte auch die Frage der österreichischen Teilhabe an der europäischen Integration (EWG, EG und EU) erneut aufgegriffen werden. Vertiefende Quellenforschungen zu den innenpolitischen Debatten der 1960er-Jahre im internationalen Kontext sowie Österreichs forcierte Integrationspolitik ab 1987 wären möglich und nützlich. Jedenfalls sollten die westlichen Interaktionen zu den Krisen, insbesondere aber zur Entspannungspolitik in bi-, multi-, inter- und vor allem auch transnationaler Perspektive in den Blick genommen werden. Letzteres gilt vordringlich für die Parteienkooperationen. Ein besonderes Desiderat multilate137 Zum Verhältnis Österreichs zu diesem Raum in einer weiteren historischen Perspektive siehe Günter Bischof/Klaus Eisterer (Hg.), Transatlantic Relations. Austria and Latin Amercia in the 19th and 20th Centuries (= Transatlantica 1), Innsbruck–Wien–Bozen 2006. 138 Ansätze dazu insbesondere bei Robert Kriechbaumer, Zeitenwende. Die SPÖ-FPÖ Koalition 1983–1987 in der historischen Analyse, aus der Sicht der politischen Akteure und in Karikaturen von Ironimus, Wien–Köln–Weimar 2008, 439–479. 139 Gerald Hödl, Österreich und die Dritte Welt. Außen- und Entwicklungspolitik der Zweiten Republik bis zum EU-Beitritt 1995, Wien 2004.

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raler Entspannungspolitik stellt der KSZE-Rahmen dar, wo eine Fortsetzung der Forschungen von den 1980er-Jahren bis über das Ende des Kalten Kriegs hinaus wünschenswert wäre. Hinsichtlich der Frage der Implementierung der Schlussakte von Helsinki bietet Österreichs Ostpolitik ein optimales bi- und multilaterales Forschungsfeld, das freilich international zu vergleichen wäre. Die Interpretation der österreichischen Neutralität und der Vergleich mit anderen neutralen Staaten sollte unbedingt fortgesetzt werden.140 Auch Forschungen zu den bilateralen Interaktionen und wechselseitigen Wahrnehmungen unter den Neutralen stehen erst am Anfang.141 Eine Intensivierung der Forschung wäre auch mit Blick auf Wirtschaft und Handel im Spannungsfeld zwischen Ost und West angezeigt. Die ökonomische Dimension stellt definitiv ein Hauptdesiderat der Erforschung der österreichischen Rolle im Kalten Krieg dar. Als Themenfelder zu nennen wären: 1) Der österreichische Umgang mit der Embargopolitik gegenüber dem Osten im Wandel der Zeit. Hier ist nicht nur der politische Umgang damit zu thematisieren, sondern auch die Verstaatlichte Industrie und die Parteifirmen der KPÖ als Akteure. 2) Die Verflechtung von Ostpolitik und Osthandel im Verhältnis zur österreichischen Arbeitsplatzpolitik (»Kredite im Austausch für Großaufträge«) verlangt nach einer eingehenderen Analyse. 3) Eine Annäherung an die effektiven Folgen dieser Geschäfte für die massive Krise der Verstaatlichten Industrie Mitte der 1980er-Jahre und darüber hinaus wäre wünschenswert. Welche Langzeitfolgen zeitigten etwa die überdimensionierten Kredite? 4) Der österreichische Osthandel sollte in Zukunft durchaus auch in Verbindung mit den Wirtschaftsbeziehungen zum Nahen Osten in den Blick genommen werden. Transfers und die Frage der Durchlässigkeit der Blöcke können insbesondere an den Beispielen von Personenfreizügigkeit, Kultur und Medien im Zeitalter der Blockkonfrontation analysiert werden. Hier geht es nicht nur um den kulturellen Kalten Krieg in Österreich, überaus spannend wären Studien zur Rezeption jenseits des »Eisernen Vorhangs«. Welche Wirkung konnte das kulturelle Engagement Österreichs in den sozialistischen Staaten entfalten und welchen 140 Hierzu zuletzt Johanna Rainio-Niemi, The Ideological Cold War. The Politics of Neutrality in Austria and Finland, New York 2014; Mueller, Example; Fischer, Neutral Power; Andrew Harrod, Felix Austria? Cold War Security Policy between NATO, Neutrality, and the Warsaw Pact, 1945–1989, Pd.D.-Diss. The Fletcher School of Law and Diplomacy, Medford, Mass. 2007. 141 Für die Zeit bis 1955 aus Schweizer Perspektive Bernd Haunfelder (Hg.), Österreich zwischen den Mächten. Die politische Berichterstattung der schweizerischen Vertretung in Wien 1938–1955 (= Quaderni di Dodis 4), Bern 2014. Auf eine Auflistung der regelmäßig erscheinenden außenpolitischen Akteneditionen anderer Länder wie den USA, Deutschland oder Frankreich wird hier verzichtet, generell lässt sich aber festhalten, dass Österreich in diesen ab dem Ende der Besatzungszeit in den ausgewählten Dokumenten in der Regel immer seltener Erwähnung findet.

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Einfluss hatten Rundfunk und Fernsehen aus Österreich auf die (Meinungs-)Bildung in den benachbarten Staaten? Welche Rolle spielten nichtstaatliche Akteure (NGOs, kirchliche Organisationen und Repräsentanten)? Auch die Durchlässigkeit der Grenzen, insbesondere zu Jugoslawien und Ungarn, würde eine tiefergehende Analyse verdienen und die gesellschaftlichen Dimensionen der Ost-West-Teilung und ihrer Überwindung fassbarer machen. Der Tourismus142 würde ein spannendes Experimentierfeld darstellen. Die Quellen der östlichen Staatssicherheitsdienste bieten umfangreiches Quellenmaterial zu diesen Fragestellungen sowie auch zu den diversen Grenzüberschreitern die als transnationale Akteure über den »Eisernen Vorhang« hinweg aktiv waren. Ganz generell sollte die in Angriff genommene Erforschung der Rolle der Geheimdienste fortgesetzt und vertieft werden. Dabei geht es nicht primär darum Sensationen zu Tage zu fördern, sondern darum aus den Unmengen an Aktenmaterial die das nachrichtendienstliche Tagesgeschäft produzierte, ein Narrativ zu den tatsächlichen Aktivitäten zu schaffen und diese angemessen zu kontextualisieren. Die zeitliche Dimension in den Blick nehmend sind Forschungen zur letzten Phase des Kalten Kriegs vom Ende der 1970er-Jahre bis 1989/91 derzeit von besonderem Interesse. Nachdem sich die Quellenverfügbarkeit nun langsam und auch nachhaltig zu verbessern scheint, wären diesbezügliche Analysen vordringlich. Dies ist nicht nur durch den bisher geringen Erforschungsgrad zu rechtfertigen, sondern auch damit, dass dieser Zeitabschnitt die derzeit international am besten anschlussfähigen Themenbereiche miteinschließt und somit die besten Möglichkeiten zur internationalen Sichtbarmachung der österreichischen Forschungen zum Kalten Krieg bietet. Es kann zudem auch fruchtbringend sein, Zäsuren einer vermeintlich abgeschlossenen »Epoche«, wie jener des Kalten Kriegs, in Frage zu stellen – zumindest aber in Teilaspekten zu hinterfragen. All diese Themengebiete bedürfen einer Erforschung auf breiter Quellenbasis und sollten internationalen Forschungstrends entsprechen. Dies kann durch eine zeitgemäße Einbettung des Forschungsgegenstandes Österreich in die Internationale Geschichte des Kalten Kriegs erfüllt werden. Entlang der angeführten und weiteren hier nicht erwähnten Themenfelder soll die wissenschaftliche Aufarbeitung der Rolle und Position Österreichs im Kalten Krieg vorangetrieben werden. Im Rahmen des internationalen Kontexts sollen Entwicklungen, Ereignisse, Perzeptionen und Strukturen in den Bereichen Diplomatie, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Medien analysiert werden. 142 Anregend hierzu Hannes Grandits/Karin Taylor (Hg.), Yugoslavia’s Sunny Side. A History of Tourism in Socialism (1950s–1980s), Budapest–New York 2010. Eher an ein breiteres Publikum gerichtet Jürgen Haase/J#nos Can Togay (Hg.), Deutsche Einheit am Balaton. Die private Geschichte der deutsch-deutschen Einheit, Berlin 2009.

Lukas Schemper

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Österreich und die Repatriierung sowjetischer Flüchtlinge

I.

Zur Einführung1

Zu Kriegsende 1945 befanden sich etwa 1.432.0002 Displaced Persons (DPs)3 in Österreich. Davon wurden 1946 rund 32.305 Personen von der Sowjetunion als sowjetische Staatsbürger4 angesehen.5 Diese Menschen waren meist Zwangsarbeiter oder Vertriebene, die während oder mit Ende des Kriegs ihre Heimat verloren hatten. Auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 wurde vereinbart, DPs in Deutschland, Österreich und Italien von den Kriegsgefangenen zu trennen, um sie möglichst schnell an ihre jeweiligen nationalen Anlaufstellen zu übergeben. Auf diese Weise wurden in den ersten fünf Monaten nach dem Krieg drei Viertel aller DPs in ganz Europa repatriiert.6 In Österreich verblieben 1947 dennoch etwa 420.591 Flüchtlinge, eine Zahl, die vier Jahre nach Kriegsende auf 310.000 absank7 und im Juni 1952 noch 249.000 betrug.8 Anfang 1955 waren es

1 Die Idee zu diesem Beitrag entstand im Rahmen eines Doktorandenseminars am Graduate Institute in Genf im Herbst 2011, dessen Gegenstand die Archive des Hohen Flüchtlingskommissariates waren. Ich bin den am Seminar beteiligten Personen zu Dank verpflichtet. 2 Zahra Tara, »Prisoners of the Postwar«: Expellees, Displaced Persons, and Jews in Austria after World War II, in: Austrian History Yearbook 41 (2010), 191–215, 191. 3 Personen, die sich aufgrund des Zweiten Weltkriegs außerhalb ihrer ursprünglichen Staatsgrenzen befanden, von denen allerdings (zunächst) nicht angenommen wurde, dass sie bei einer Rückkehr mit Verfolgung rechnen mussten, und die daher vorwiegend repatriiert werden sollten. Robert F. Gorman, Historical Dictionary of Refugee and Disaster Relief Organizations, Metuchen, N.J.–London 1994, 44. 4 Im vorliegenden Text meint die männliche Form der Mehrzahl (Staatsbürger, Facharbeiter etc.) jeweils auch die weibliche. 5 Eine genaue Aufstellung nach Besatzungszonen findet man bei Walter M. Iber/Peter Ruggenthaler, Sowjetische Repatriierungspolitik in Österreich, in: Walter M. Iber/Peter Ruggenthaler (Hg.), Hitlers Sklaven – Stalins »Verräter«: Aspekte der Repression an Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen. Eine Zwischenbilanz, Innsbruck–Wien–Bozen 2010, 261–262. 6 Gil Loescher, Beyond Charity. International Cooperation and the Global Refugee Crisis, New York–Oxford 1993, 48. 7 Tara, Prisoners of the Postwar, 191.

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nur mehr 36.000.9 Was den sowjetischen Anteil der Flüchtlinge betraf, so befanden sich im Jahr 1953 schließlich nur noch etwa 2.000 Personen in Österreich sowie etwa 1.000 Balten, die von der UdSSR als sowjetische Staatsbürger angesehen wurden.10 Diesen noch verbliebenen Flüchtlingen standen drei Optionen zur Verfügung: die Emigration in ein Drittland, die Integration in Österreich, oder eine freiwillige bzw. erzwungene Repatriierung in die Sowjetunion. Bei der Emigration half vor allem die 1947 ins Leben gerufene Internationale Flüchtlingsorganisation (International Refugee Organization, IRO), die zwölf Resettlement Centres in Österreich, Deutschland und Italien eröffnete. Eine große Anzahl von Menschen wurde auf diese Weise außer Landes gebracht, so beispielsweise 2.000 Sowjetbürger im Jahr 1951.11 Die Integration der DPs als österreichische Staatsbürger konnte eine für Österreich zuträgliche Weise sein, um das kostspielige Flüchtlingsproblem zu lösen. Es wurden Facharbeiter und auch Arbeitskräfte in der durch Landflucht geschwächten Landwirtschaft benötigt, die durch qualifizierte DPs kompensiert werden sollten. Seit 1946 bot Österreich daher sowjetischen DPs die Staatsbürgerschaft an. Bis Ende 1948 wurden so 107.310 DPs eingebürgert, bis 1955 waren es 200.000.12 Nun waren jene Menschen, jene besonderen Fälle, die sich zu Beginn der 1950er-Jahre noch in Österreich befanden, entweder nicht bereit sich zu integrieren, weil sie es nur als Transitland betrachteten, oder nicht qualifiziert genug, um in Österreich eine Arbeitsbewilligung zu bekommen bzw. in ein Drittland emigrieren zu können. Dies waren oft Alte und Kranke.13 Ihnen blieb noch die Möglichkeit der Repatriierung. Jedoch weigerten sich immer mehr aus Osteuropa stammende DPs aus politischen Gründen in die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten zurückzukehren. Manche waren überhaupt erst als politisch Verfolgte nach dem Krieg aus diesen Gebieten geflohen und waren keine direkten Opfer des Zweiten Weltkriegs mehr. Aber auch viele unter dem Nationalsozialismus verschleppte Sowjets wurden gleich nach dem Krieg in der Sowjetunion als Verräter oder Kollaborateure verurteilt und landeten dort in Ar8 Davon wurden 206.000 als Volksdeutsche bezeichnet. Jacques Vernant, The Refugee in the Post-War World, London 1951, 122. 9 Iber/Ruggenthaler, Sowjetische Repatriierungspolitik, 279. 10 Gil Loescher, The UNHCR and World Politics. A Perilous Path, Oxford 2001, 36; Jacques Vernant, The Refugee in the Post-War World, London 1951, 68, 85. 11 Gil Loescher/Alexander Betts/James Milner, The United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR). The politics and practice of refugee protection into the twenty-first century, Abingdon–New York 2008, 15; Iber/Ruggenthaler, Sowjetische Repatriierungspolitik, 277. 12 Ebd., 272–273. 13 Ebd., 276; Vernant, The Refugee in the Post-War World, 140.

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beitslagern. So mehrte sich der Widerstand gegen erzwungene Repatriierung. Erst nach mehreren dramatischen Selbstmorden und blutigen Auseinandersetzungen zwischen den westlichen und sowjetischen Alliierten während erzwungener Repatriierungsaktionen hatte das amerikanische Militärkommando ab 1946 begonnen, diesen Widerstand zu unterstützen.14 Flüchtlinge und DPs wurden so zu einer Problematik des Ost-West Konflikts. Noch während des Kriegs erkannten die Alliierten den Zusammenhang von Migration und Stabilität und es wurden verschiedene internationale und private Organisationen ins Leben gerufen, um die Flüchtlinge bei Emigration, Integration und Repatriierung zu unterstützen. Während die 1943 gegründete United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) kein Mandat hatte DPs und Flüchtlinge umzusiedeln, sondern lediglich zu versorgen und in ihre Herkunftsorte zurückzuschicken, so hatte die IRO die Umsiedlung in Drittländer als Hauptaufgabe.15 Die teure IRO, die mit der Zeit in den Augen der USA in Flüchtlingsfragen zu viel an Bedeutung gewann, wurde schließlich 1951 durch das, in seinem Mandat und Budget viel beschränktere, Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen bzw. United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) ersetzt. Dieses konnte sich juristisch auf die Genfer Flüchtlingskonvention stützen, die im selben Jahr auf einer UN-Sonderkonferenz verabschiedet worden war. Auch in Österreich wurde sogleich ein UNHCR Büro, mit dem Niederländer Dr. Victor Beermann als Vertreter des Hochkommissars, in der Krügerstrasse 3 in Wien eingerichtet.16 Das UNHCR hatte zwar das Mandat, Flüchtlinge zu beschützen und Lösungen für Flüchtlingsprobleme zu finden, aber mit nur 300.000 Dollar Jahresbudget im Vergleich zu den 150 Millionen Dollar Jahresbudget der IRO hatte es nur sehr begrenzte Mittel, um diese Aufgaben auszuführen.17 Im Gegensatz zur UNRRA oder IRO war weder aktive Repatriierung noch Emigration Teil des UNHCR-Mandates. Es wäre ohnehin kein Budget dafür vorhanden gewesen. Aufgabe war ausschließlich »assisting governments and, subject to the approval of the governments concerned, private organizations to facilitate the voluntary repatriation of such refugees, or their assimilation within new national communities«.18 Die Rolle des UNHCR war lediglich dem Flüchtling in Emigrations- und Repatriierungsfragen rechtliche Unterstützung zu gewähren, die Öffentlichkeit zu informieren und Staaten zum Handeln zu bewegen. Auch sollte das UNHCR andere praktisch orientierte Organisationen, 14 Loescher, The UNHCR and World Politics, 36. 15 Ebd. 16 Loescher/Betts/Milner, The United Nations High Commissioner for Refugees, 15; Österreichischer Amtskalender für das Jahr 1955. XXIII. Jahrgang, Wien 1955, 64. 17 Loescher, The UNHCR and World Politics, 50. 18 Vernant, The Refugee in the Post-War World, 41–44.

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wie das 1951 gegründete Intergovernmental Committee for European Migration (ICEM), um Unterstützung bitten und ihnen kleine finanzielle Zuschüsse leisten.19 Das bescheidene Budget erklärte sich vor allem dadurch, dass die USA und das Vereinigte Königreich nicht so hohe Beiträge zahlen wollten, wie dies bei der IRO der Fall war.20 Zudem misstrauten die USA dem ersten UN-Hochkommissar Gerrit Jan van Heuven Goedhart, der im Gegensatz zu den Generalsekretären der UNRRA und IRO nicht Amerikaner sondern Niederländer war.21 Die Sowjetunion beteiligte sich erst gar nicht an der Gründung des UNHCR, da sie der Flüchtlingskonzeption der Organisation nichts abgewinnen konnte. Die UdSSR weigerte sich, Menschen als Flüchtlinge zu behandeln, welche sie als »Vaterlandsverräter« betrachtete. Für die Sowjetunion konnte lediglich ein Opfer des Faschismus, nicht aber des Kommunismus als Flüchtling gelten.22 Seit der Gründung der Organisation musste das UNHCR sich daher in einem Ost-West-Konflikt zurechtfinden, in dem es von beiden Seiten marginalisiert wurde, jedoch von westlichen Ländern finanziell abhängig war. Gleichzeitig wurden Flüchtlinge zusehends als ein wichtiger Faktor im bipolaren Machtgefüge betrachtet. Immerhin stellte jeder nicht in den Osten zurückgekehrte Flüchtling in den Augen des Westens eine Bestätigung dafür dar, dass der Kommunismus auch von der Bevölkerung der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten abgelehnt wurde. Dennoch hatte das UNHCR es sich zur Aufgabe gemacht, Flüchtlinge in unbefangener Weise vor dem Druck beider Seiten zu schützen. Im Fall Österreichs geschah dies ab 1955 in einem gerade erst souverän und neutral gewordenen Staat, der ähnlich dem UNHCR in Flüchtlingsfragen eine seiner Neutralität angemessene Politik entwickeln musste. Vor allem zwei Problematiken werden daher in diesem Beitrag am Beispiel der Repatriierung sowjetischer Flüchtlinge in Österreich und anhand von Akten aus dem UNHCR-Archiv in Genf behandelt. Die eine bezieht sich auf das UNHCR, die andere auf Österreich. Erstens stellt sich die Frage, wie es dem UNHCR gelang, sich als junge internationale Organisation in dem sich in Österreich abspielenden Ost-West-Konflikt zu etablieren und welche Konflikte dabei entstanden. Zweitens soll beleuchtet werden, wie das UNHCR das Verhalten Österreichs in diesen Konflikten wahrnahm. Es soll am Beispiel Österreichs gezeigt werden, dass das Problem der Repatriierung im Kalten Krieg ein vielschichtiges war. Auf 19 Ebd. 20 Loescher, The UNHCR and World Politics, 41–43; Rieko Karatani, How History Separated Refugee and Migrant Regimes. In Search of Their Institutional Origins, in: International Journal of Refugee Law 17 (2005) 3, 517–541. 21 Loescher, The UNHCR and World Politics, 18, 54. 22 Ebd., 41–43; Karatani, How History Separated Refugee and Migrant Regimes, 517–541; Gerard Daniel Cohen, In War’s Wake. Europe’s Displaced Persons in the Postwar Order, Oxford–New York 2012, 31.

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der Bühne des Kalten Kriegs erhielt die Repatriierungsfrage eine strategischpropagandistische Komponente, die der vom UNHCR zumindest theoretisch geforderten menschenrechtlich-humanitären Dimension widersprach.

II.

Repatriierungen im Kalten Krieg

II.1

Der Flüchtling als umkämpftes Gut

Während der Besatzungszeit waren die zuständigen sowjetischen Organe in Österreich bemüht, eine lückenlose Repatriierung aller als sowjetische Staatsbürger angesehenen Personen durchzuführen. Die Repatriierung wurde nicht nur vom sowjetischen Innenministerium, sondern auch vom militärischen Nachrichtendienst SMERSˇ, des quasi direkt Stalin unterstellten Volkskommissariats für Verteidigung, durchgeführt. Nachdem sofort nach Kriegsende bereits tausende sowjetische Bürger in den sowjetischen Einflusszonen und mit Hilfe der West-Alliierten aus Österreich repatriiert worden waren, ging die Kooperationsbereitschaft der westlichen Alliierten in Repatriierungsfragen bald nach Ende des Kriegs zurück.23 Das Interesse der Sowjets an den in den restlichen Flüchtlingslagern verbliebenen DPs blieb jedoch unverändert groß, da man deren Verwendung als westliche Spione fürchtete. Diese Befürchtung wurde verstärkt, als die Amerikaner 1952 ein neues Flüchtlingshilfsprogramm für Menschen aus Osteuropa ins Leben riefen. Dieses President’s Escapee Programme richtete sich an alle Flüchtlinge, die seit 1948 aus Osteuropa gekommen waren. Ausgenommen blieben Jugoslawen und jene Gruppe, die man als »Volksdeutsche« bezeichnete. Für Österreich sah das Programm vor, dass auswanderungswillige Flüchtlinge in einem Lager in Wels (Oberösterreich) bis zu ihrer Emigration kostenlos untergebracht werden sollten. 1952 richtete sich dieses Programm an etwa 4.000 Ungarn und 1.400 Tschechen und Slowaken in Österreich.24 Die sowjetische Führung ärgerte sich über jede Anregung zur Emigration, insbesondere über ehemalige Vlasov-Soldaten25 und Westukrainer in den westlich-geführten Lagern, die – vor allem von Salzburg aus – starke 23 So beispielsweise die Repatriierung von 40.000 Mann der Vlasov-Armee zu Pfingsten 1945 oder 16.804 Personen über das Lager Graz-Liebenau zwischen 9. Juni und 8. Juli 1945. Iber/ Ruggenthaler, Sowjetische Repatriierungspolitik in Österreich, 252–254. 24 Vernant, The Refugee in the Post-War World, 137. 25 Als Vlasov-Soldaten bezeichnete man sowjetische Staatsangehörige, die als Teil einer heterogenen russischen Befreiungsbewegung mit der deutschen Wehrmacht gegen die Sowjetunion kämpften. Der ehemalige General der Roten Armee, Andrej A. Vlasov, stand der Bewegung vor. Catherine Andreyev, Vlasov and the Russian Liberation Movement. Soviet reality and 8migr8 theories, Cambridge 1987, 1–18.

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antisowjetische Propaganda betrieben. Um den Repatriierungserfolg zu steigern, wurden in den westlichen Besatzungszonen eigene Büros, sogenannte Repatriierungsmissionen, mit fünf bis zehn Mitarbeitern eingerichtet. Diese sollten nach potentiellen Repatrianten Ausschau halten, entsprechende Propaganda betreiben und gleichzeitig Anlaufstellen für repatriierungswillige Flüchtlinge sein. Gegen Ende der 1940er- und Anfang der 1950er-Jahre führte die sowjetische Repatriierungspraxis zusehends zu Konflikten zwischen Ost und West. Spionageversuche führten immer wieder zu diplomatischen Eklats. Die Amerikaner schlossen im Juni 1951 eine sowjetische Repatriierungsmission in Salzburg sogar mit Gewalt. Es kam immer häufiger zu Verhöhnung von und Angriffen auf Repatriierungsoffiziere durch befragte Flüchtlinge.26 Die Repatriierungskonflikte hatten sich auch in den westlichen Medien herumgesprochen. Der New York Herald Tribune sprach von einer »successful campaign to induce, through guile or fear, the return of those who have sought a sanctuary in the free world« und stützte sich dabei auf eine Studie, die von der NGO International Rescue Committee im März 1956 erstellt worden war. Der Bericht, der auch Österreich einschloss, sprach von einer dreizehnmonatigen sowjetischen Kampagne, die 1.158 Personen zur Repatriierung bewegte. Dabei seien Drohungen und die Verwendung sentimentaler Nachrichten – etwa von der Familie – und Radiosendungen häufige Druckmittel gewesen.27 Wie ein New York Times-Artikel vom 14. Mai 1956 berichtete, stieg die Anzahl der propagandistischen Radiosendungen wie Radio Homeland, Return to the Homeland oder Voice of the Fatherland seit 1954 um 60 Prozent. Kommunistische Länder hätten demnach seit 1948 ihre internationale Radiopropaganda verdreifacht. 1955 sei die Anzahl um zehn Prozent auf 1.673 Stunden pro Woche angestiegen.28 Ein weiteres Mittel um Flüchtlinge zur Rückkehr zu bewegen war eine durch das Präsidium des Obersten Sowjets ausgesprochene mögliche Amnestie sowjetischer Staatsbürger »qui, par pusillanimit8 ou par manque de conscience, s’8taient laiss8s entra%ner dans la collaboration avec les occupants pendant la grande guerre patriotique de 1941–1945«.29 Diese Amnestie hob

26 Iber/Ruggenthaler, Sowjetische Repatriierungspolitik in Österreich, 256, 266–267. 27 Presseausschnitte: Joseph Newman, »Celler Says Reds Tempt Refugees«, in: New York Herald Tribune, 20. September 1955; Mr. B. G. Alexander/Aline Cohn, Donovan Emergency Commission of the International Rescue Committee, 13. März 1956, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/GEN, docs. 4 und 12. 28 Nationality of Balts, 14. Mai 1956, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/GEN, doc. 15. 29 »die sich, durch Kleinmütigkeit oder Gewissenlosigkeit, zur Kollaboration mit den Besatzern während des großen patriotischen Kriegs 1941–1945 hinreißen ließen«. Presseausschnitt: La Suisse. Avis au citoyens sovi8tiques r8sidant / l’8tranger, UNHCR Archives, 17. November 1955, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/GEN, doc. 9.

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Gefängnisstrafen je nach Schwere des Vergehens entweder vollständig auf oder verkürzte sie.

II.2

Die Rolle des UNHCR bei Repatriierungen in Österreich

Als eine dem Schutz des Flüchtlings verpflichtete Organisation beobachtete das UNHCR diese Entwicklung äußerst genau und meldete Vorkommnisse nach Genf. Das UNHCR zeigte sich besorgt, wie sich dieser Repatriierungskrieg auf die Entscheidungsfreiheit der Flüchtlinge auswirkte. Wenngleich das UNHCR nicht viel gegen Printmedien und Radio ausrichten konnte, so wurde es nun von den West-Alliierten aufgefordert als neutraler Beobachter Repatriierungsmissionen zu begleiten, um dadurch eine aktivere Rolle zu übernehmen. Die ersten, die dies angefragt haben, dürften die Briten im Juni 1955 für sowjetische Lagerbesuche in der britischen Zone gewesen sein. Obwohl das UNHCR die sowjetischen Repatriierungsmissionen aufgrund des auf die Flüchtlinge oftmals ausgeübten Drucks nicht guthieß, folgte es der Aufforderung, um wenigstens zum Schutz der Flüchtlinge beizutragen.30 Theoretisch sah sich das UNHCR als neutraler Beobachter. Gemäß Paragraph 2 der Statuten, war die Arbeit des UNHCR »of an entirely non-political character, and of a humanitarian and social nature«.31 Explizit wurde die Rolle bei Repatriierungen wie folgt beschrieben: »The role of the representative of the Office of the UNHCR accompanying a Repatriation Mission is to act as a neutral observer whose function is to protect the interests of the refugees, and to ensure in particular that any answer given by a refugee to an offer of repatriation is of a voluntary character, free from undue influence exercised either by the Repatriation Mission, other refugees, or anyone else.«32

Die Anwesenheit des UNHCR-Beobachters erleichterte damit das Befragen bei den Interviews und verhinderte, dass Druck von Seiten der sowjetischen Repatriierungsoffiziere ausgeübt werden konnte. Darüber hinaus war es Flüchtlingen möglich, sich mit persönlichen Fragen an den UNHCR-Beobachter zu wenden, wenn entweder sensible oder die eigene, in den sowjetischen Gebieten verbliebene Familie betreffende Informationen vor den Repatriierungsoffizieren 30 Interoffice Memorandum, Soviet Repatriation Mission, Geneva, 10. Juni 1955, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 7. 31 Statute of the Office of the United Nation High Commissioner for Refugees, General Assembly resolution 428, 14. Dezember 1950. Online unter : http://www.unhcr.org/3b66c 39e1.html (Zuletzt abgerufen am 22. Oktober 2011). 32 Office of the UNHCR, Operational instruction to representatives of the UNHCR, Geneva, 19. September 1955, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 36.

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nicht preisgegeben werden wollten, da man etwaige Repressalien gegen die Angehörigen befürchtete.33 In strittigen Fragen war es aber manchmal schwierig für die Beamten ihre Neutralität zu wahren. So diskutierte man beispielsweise innerhalb des UNHCR, wie man sich bei der Repatriierung von sowjetischen psychisch kranken Menschen aus Österreich verhalten solle. Hier gab man zu, dass es durchaus im Interesse des betroffenen Menschen sein könnte, wenn sich dieser im Kreise seiner Familie in der sowjetischen Heimat befände.34 Es wurde auch die Frage aufgeworfen, ob man akzeptieren sollte, dass sowjetische Repatriierungsmissionen in Österreich baltische Staatsbürger wie Sowjetbürger behandelten. Hier entschied man sich, Balten als staatenlos zu betrachten. Wenn der Staat, aus dem ein Flüchtling kam, nicht mehr existierte, dann sollte es dem Flüchtling im Sinne der voluntary repatriation freigestellt werden zu entscheiden, in welches Land er – wenn überhaupt – zurückkehren wollte.35 Das UNHCR begleitete solche Missionen – wie es stets betonte – nicht aus Eigeninitiative, sondern wurde meist von einer Besatzungsmacht dazu eingeladen. Diese Missionen dauerten in der Regel mehrere Tage und führten durch verschiedene Flüchtlingslager, oft auch in unterschiedlichen Besatzungszonen. Das UNHCR in Wien schickte danach detaillierte Berichte über solche Missionen an das Hauptquartier in Genf. In Übereinkunft mit den Besatzungsmächten hatten solche Repatriierungsmissionen das Recht, Lageraufseher über die sich in den Lagern aufhaltenden Personen zu befragen. Danach konnten sie verlangen, sich mit ausgewählten Flüchtlingen zu unterhalten. Jedem Flüchtling stand allerdings das Recht zu, das Gespräch zu verweigern. Dies wurde von den WestAlliierten so vorgeschrieben und vom UNHCR eingemahnt, um jegliche Einflussnahme zu vermeiden. Bei der ersten von einem UNHCR-Beamten beobachteten Mission wollten die sowjetischen Beamten sich dies sogleich zum Vorteil machen und fragten an, ob das UNHCR denn nicht eine aktivere Rolle bei den Repatriierungen spielen könnte. Man wünschte sich, dass das UNHCR selbst den Flüchtlingen Repatriierungen als Option nahelege und sich auch finanziell an den Repatriierungen beteilige. Der stellvertretende Leiter des UNHCR in Wien, Nicolas Wyrouboff, zeigte sich diesem Vorschlag gegenüber jedoch ablehnend und ließ wissen, dass das UNHCR nur bei der Repatriierung behilflich sein kann (etwa durch Überweisung an das entsprechende Konsulat), wenn dies

33 Interoffice Memorandum, Request for Repatriation, Vienna, 2. November 1956, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 73. 34 Repatriation of Mental Cases, 17. November 1954, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 6. 35 Nationality of Balts, 14. Mai 1956 und Nationality of Balts in connexion with their repatriation, 24. Mai 1956, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/GEN, docs. 16 & 17.

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der Flüchtling ausdrücklich wünsche. Nicht aber wolle man Repatriierungen selbst forcieren oder durchführen.36

III.

Kritik am Umgang mit Flüchtlingen

III.1

Gerüchte über Zwangsrepatriierungen durch das UNHCR

Allein schon die Möglichkeit einer aktiven Rolle des UNHCR bei Repatriierungen, die durch die Anwesenheit eines UNHCR-Mitarbeiters bei sowjetischen Repatriierungsmissionen in österreichischen Flüchtlingslagern bestand, bereitete dem jungen UNHCR, das sich gegen anfängliches Misstrauen von amerikanischer Seite und anderen internationalen Organisationen durchsetzen musste, große Schwierigkeiten. Nun hatten einige von einer Mission befragte Flüchtlinge die Rolle des UNHCR nicht verstanden und lediglich bemerkt, dass ein UNHCR-Vertreter – der zuvor genannte Weißrusse Wyrouboff – mit den Sowjets sympathisiert hätte (»had been seen associating and smiling with the skunks«). Diese Information wurde anscheinend über die in Salzburg humanitär tätige amerikanische National Catholic Welfare Conference (NCWC) an das U.S. State Department weitergeleitet.37 Das Timing für diese negative Werbung aus Österreich kam für das UNHCR zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Denn das Gerücht, das UNHCR würde für die Sowjetunion Zwangsrepatriierungen durchführen, verbreitete sich schnell in den USA, wo die McCarthy-Ära gerade abflaute, und auch besonders unter den in Österreich aktiven amerikanischen humanitär-religiösen Organisationen. Die meisten dieser Organisationen, wie die Young Men’s Christian Association (YMCA), eine überkonfessionelle christliche Jugendorganisation, das American Jewish Joint Distribution Committee (JDC), eine Hilfsorganisation US-amerikanischer Juden für jüdische Glaubensgenossen, das International Social Service (ISS), eine bei Familienproblemen im internationalen Kontext aktive internationale Wohltätigkeits-NGO, der World Council of Churches (WCC), der Ökumenische Rat der Kirchen, die Lutheran World Federation (LWF), eine globale Vereinigung bestehend aus nationalen und regionalen lutherischen Kirchen, oder die bereits genannte National Catholic Welfare Conference, eine Vereinigung des amerikanischen Katholizismus, waren durch die finanzielle Unterstützung der IRO nach Österreich gekommen. Sie verblieben 36 Interoffice Memorandum, Soviet Repatriation Mission, Geneva, 10. Juni 1955, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 7. 37 Interoffice Memorandum, Soviet Repatriation – Austria, New York, 5. Juli 1955, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 20.

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auch nach der Schließung der IRO mit sehr reduzierter Struktur im Lande. Sie unterhielten jetzt enge Verbindungen mit dem UNHCR Büro in Wien, das einen bescheidenen Beitrag zu deren Budget leistete. Die Anzahl von Organisationen soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese meist nur sehr kleine und auf religiöse Gruppen beschränkte Unterstützungsleistungen erbrachten.38 Das UNHCR befürchtete nun, dass diese Organisationen das Senate Appropriation Committee des amerikanischen Kongresses, das über eine mögliche amerikanische Beteiligung an der Finanzierung des UNHCR entschied, davon überzeugen könnten, keine Unterstützung zu erteilen.39 Bis 1954 hatten die USA dem UNHCR ja aufgrund fehlender Einflussmöglichkeit jeglichen finanziellen Beitrag verwehrt, während sie zwischen 1952 und 1955 beispielsweise 45 Millionen Dollar für die konkurrierenden Programme ICEM und United States Escapee Program (USEP) bereitstellten. Letzteres sollte Überläufer aus dem Ostblock unterstützen.40 Das UNHCR Hauptquartier in Genf war daher sehr beunruhigt und erteilte sofort eine Weisung nach Wien für den Fall einer neuerlichen Teilnahme von UNHCR-Beamten an Repatriierungsmissionen, in der es einen Verhaltenskodex vorschrieb: »[The] attitude should be that he is attending the Mission to see fair play. This should be insisted upon and made quite clear to all concerned in Austria, including the refugees, the Voluntary Agencies, the Allies and the Austrian authorities. Nothing should be done to give the impression that this Office is supporting the repatriation efforts of the Soviet Mission; the purpose of our Office in authorising a representative to accompany the Mission is to see that no undue pressure is brought on the refugees.«41

Gleichzeitig schickte das UNHCR ähnliche Erklärungen an das U.S. State Department und sämtliche beunruhigte NGOs und hielt auch mehrere Treffen mit ihnen ab. Dabei wies man vor allem darauf hin, dass UNHCR-Beamte nur auf Aufforderung der Briten anwesend waren und dass dies ohnehin vermutlich die letzte solche Mission vor dem Inkrafttreten des Staatsvertrages gewesen wäre.42

38 Beispielsweise gab das YMCA niemals direkte Unterstützung sondern bot lediglich Ausbildung und Erholung an. WCC und LWF boten direkte Hilfe ausschließlich für Protestanten sowie Russisch-, Serbisch- und Ukrainisch-Orthodoxe, NCWC für Katholiken, AJDC und HIAS für jüdische Flüchtlinge. Vernant, The Refugee in the Post-War World, 138. Siehe zudem die Korrespondenz zwischen dem UNHCR und den Wohltätigkeitsorganisationen, 7. Juli 1955 und das Interoffice Memorandum, Soviet Repatriation – Austria, 5. Juli 1955, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, docs. 13–19. 39 Soviet Repatriation Mission, Washington D.C., 2. Juli 1955, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 11. 40 Loescher, The UNHCR and World Politics, 54, 66. 41 Incoming Cable from New York, Geneva, 1. Juli 1955, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 8. 42 Verschiedene Briefe zwischen UNHCR und Wohltätigkeitsorganisationen, 7. Juli 1955; In-

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Man war sich des Drucks bewusst, den diese Organisationen auf den amerikanischen Kongress ausüben konnten, um eine Finanzierung des UNHCR zu verhindern. Aus diesem Grund wollte man keinesfalls eine Verstimmung mit ihnen riskieren. Die Erklärungen des UNHCR fielen auch größtenteils auf fruchtbaren Boden. Nur eine Organisation schien sich nicht davon überzeugen zu lassen, dass die Teilnahme des UNHCR an Repatriierungsmissionen dem Wohle der Flüchtlinge diene, die Tolstoy Foundation. Anfang Juli 1955 begann diese, von Alexandra Tolstoj, der Tochter des Schriftstellers Lev Tolstoj, ins Leben gerufene Privatorganisation, nicht nur öffentlich Zweifel an der Objektivität des UNHCR zu hegen, sondern sie betrieb auch starkes Lobbying bei anderen NGOs und beim Kongress. Das Ziel war, im Senate Appropriation Committee zu erreichen, dass alle Mittel für das UNHCR gestrichen und stattdessen der konkurrierenden ICEM gegeben werden sollten, damit diese Organisation Flüchtlingen bei der Emigration helfen könne, bevor sie vom UNHCR in die Sowjetunion »zwangsrepatriiert« würden.43 Unterstützt wurde die Anti-UNHCR Kampagne von einem Artikel in der New York Post vom 20. Juli 1955, der sich auf die Tolstoy Foundation beziehend behauptete, dass dem UNHCR vorgeworfen wurde »to repatriate refugees to Iron Curtain Countries«. Auch prangerte der Artikel die oben schon erwähnte angebliche Amerika-Feindlichkeit des Hochkommissars an.44 Die besondere Aggressivität, mit welcher die Tolstoy Foundation gegen das UNHCR vorging diskreditierte jedoch gleichzeitig schlussendlich die Anschuldigungen. Bald wandten sich nicht nur die NGOs des Dachverbandes American Council of Voluntary Agencies, sondern auch der amerikanische Kongress von Alexandra Tolstoj ab. Nun schrieben wiederum manche der oben genannten NGOs an den Kongress um das UNHCR in Schutz zu nehmen. Der Senat schlug schließlich eine Erhöhung der für das UNHCR bereitzustellenden Mittel auf 1,4 Millionen Dollar vor, was zeigt, dass das UNHCR Auswirkungen des negativen Lobbyings schließlich vermeiden konnte.45

teroffice Memorandum, Soviet Repatriation, Austria, 5. Juli 1955, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, docs. 9 und 13–18. 43 Incoming Cable from New York, Geneva, 1. Juli 1955; Interoffice Memorandum Austria, 14. Juli 1955, New York; Incoming Cable from New York, Geneva, 27. Juli 1955, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, docs. 8, 24 und 29. 44 Transcription, Robert S. Allen, New Snarl over Refugee Policies, New York Post, 20. Juli 1955, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 33. 45 Incoming Cable from New York, Geneva, 1. Juli 1955; Interoffice Memorandum Austria, 14. Juli 1955, New York; Incoming Cable from New York, Geneva, 27. Juli 1955, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, docs. 8, 24 und 29.

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III.2

Kritik an der österreichischen Flüchtlingspolitik

Das Gerücht, das UNHCR würde die Zwangsrepatriierung von sowjetischen Flüchtlingen unterstützen, wurde zwar in den Wind geschlagen, es warf jedoch auch ein negatives Licht auf die österreichische Flüchtlingspolitik im Allgemeinen und darauf, dass Österreich diese Repatriierungsmissionen zuließ. Das American Council of Voluntary Agencies äußerte diesbezüglich seine Bedenken und machte es sich zur Aufgabe die »true intentions« der österreichischen Bundesregierung im Umgang mit ausländischen Flüchtlingen herauszufinden. Man wandte sich nun nicht mehr gegen das UNHCR, sondern bat, im Gegenteil, den Hochkommissar baldigst ein verbindliches Statement vom österreichischen Bundeskanzler Julius Raab in dieser Sache zu bekommen.46 Das schiefe Licht entstand dadurch, dass es in Österreich, wie in vielen anderen Ländern auch, nur uneinheitliche und ineffiziente Schutzbestimmungen für Flüchtlinge gab. Lediglich im Zusammenhang mit der IRO-Tätigkeit in Österreich hatte Bundeskanzler Leopold Figl am 29. April 1948 dem Leiter der IRO-Mission in Österreich geschrieben: »Austria will apply to refugees and displaced persons living on its territory the principles adopted on 12 February 1946 by the General Assembly of the United Nations concerning the treatment of refugees and displaced persons. Austria undertakes to accord to refugees and displaced persons the same rights as are generally accorded to all other persons of non-Austrian nationality admitted to reside lawfully in the country«.47

Das Problem war eben genau, dass man Flüchtlingen nicht mehr Schutz und Integrationsmöglichkeiten bot als anderen Ausländern auch. In einer von Jacques Vernant durchgeführten UNHCR-Studie bemängelte dieser, dass vor allem nicht-deutsch-stämmigen Flüchtlingen die Integration sehr erschwert würde: »They are not regarded either by the Austrian Government or by the general public as present or future members of the national community«. Zudem hielt er fest, dass ihre materiellen Umstände höchst unbefriedigend seien. Er gab jedoch auch zu, dass ein Großteil der Flüchtlinge gar nicht an Integration interessiert wäre, und daher auch nicht dazu beitrug: »[…] it must be admitted that the refugees themselves, or at least the majority of them, have hitherto done little to improve their situation. Their one desire is to get away from Austria, but it is clear that many will never succeed in doing so.«48 Immer wieder kritisierte das UNHCR das Vorgehen Österreichs gegenüber 46 Interoffice Memorandum Austria, 14. Juli 1955, New York; Soviet Repatriation MissionNCWC, 25. Juli 1955, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, docs. 24 und 27. 47 Vernant, The Refugee in the Post-War World, 118. 48 Ebd., 140.

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Flüchtlingen und intervenierte im Innenministerium. So verweigerten laut UNHCR die österreichischen Behörden einmal grundlos jenen Flüchtlingen aus der französischen Zone Reisedokumente auszustellen, die vor dem 1. Jänner 1951 nach Österreich gekommen waren. Im März 1955 hatte das UNHCR in Wien bereits im Innenministerium erfolgreich interveniert, um eine Verordnung der dortigen Abteilung 4 – zuständig für Passangelegenheiten und die Ausländerpolizei – rückgängig zu machen. Diese hatte der Gendarmerie vorgeschrieben, alle jugoslawischen Flüchtlinge darüber zu informieren, dass sie ihre Fremdenpässe abzugeben und dafür nationale Pässe an der jugoslawischen Botschaft zu beantragen hätten.49 Anstatt einer offiziellen Erklärung der ganzen Bundesregierung – die, wie man betonte, viel Zeit in Anspruch nehmen würde –, schlug man im österreichischen Innenministerium vor, dass Innenminister Oskar Helmer einen öffentlichen Brief an den Hochkommissar verfassen sollte. In diesem Dokument vom 4. Juli 1955 versicherte der Innenminister, dass sich Österreich immer an die von der Genfer Flüchtlingskonvention vorgegebenen Regeln halte, die in Österreich seit dem 30. Jänner 1955 in Kraft waren. Insofern sei die Konvention Teil des österreichischen Rechts und sollte von allen Gerichten und offiziellen Stellen als solches eingehalten werden – inklusive der Bestimmungen zur Nichtdiskriminierung (Artikel 3) und des Abschiebungsverbots (Artikel 32 und 33).50 Österreich machte in seinen, manchmal mit monatelanger Verspätung beim UNHCR einlangenden, Antworten klar, dass es weder zu Gesetzesänderungen noch zu einer offiziellen Erklärung der Regierung bereit sei. NGOs wie die NCWC blieben daher »concerned with the situation of the refugees in Austria in these weeks and months following on the Austrian State Treaty«.51

49 Interoffice Memorandum, Soviet Repatriation Mission, Geneva, 10. Juni 1955, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 7; Österreichischer Amtskalender für das Jahr 1955. XXIII. Jahrgang, Wien 1955, 23. Zu den Flüchtlingen aus Jugoslawien in den 1950er-Jahren siehe auch Edda Engelke, »Jeder Flüchtling ist eine Schwächung der Volksdemokratie«. Die illegale Überschreitung am jugoslawisch-steirischen Grenzabschnitt in den Fünfzigerjahren, Wien–Berlin 2011, 71–76. 50 Statement on Refugees in Austria, New York, 21. July 1955, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 26. 51 UNREF – US, 15. Juli 1955, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 25.

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IV.

Repatriierung und Staatsvertrag

IV.1

Angst vor einem Junktim

Den UNHCR-Dokumenten zu Folge stellte der Staatsvertrag für die Flüchtlinge einen großen Unsicherheitsfaktor dar. Es gab Befürchtungen, dass sich durch den Staatsvertrag die österreichische Repatriierungspolitik nachteilig für die Flüchtlinge auswirken könnte. Immerhin war bis zum Inkrafttreten des Staatsvertrages zumindest ein relativer Schutz für Flüchtlinge in den westlichen Besatzungszonen durch die West-Alliierten gewährleistet. Tatsächlich regelte Artikel V des Zweiten Alliierten Kontrollabkommens vom 26. Juni 1946 die Befugnisse in Bezug auf Flüchtlinge: »The following are the matters in regard to which the Allied Commission may act directly (directly means exclusion of any interference by the Austrian authorities) […] the care, evacuation of and exercise of judicial authority over prisoners of war and displaced persons«.52

Wenngleich die Besatzungsmächte in den Nachkriegsjahren teilweise Rechte in Flüchtlingsfragen schon an die österreichische Regierung übertragen hatten, war dieser Artikel bis zum Staatsvertrag in Kraft und die Hochkommissare der Alliierten hatten bis zu diesem Zeitpunkt das letzte Wort.53 Folglich gab es nun Bedenken unter in- und ausländischen Flüchtlingsvertretern, dass aus Ostblockstaaten stammende Flüchtlinge nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags keinen Asylantenstatus mehr in Österreich hätten, sondern vermehrt in ihre vermeintliche Heimat zurückgeschickt würden. Das UNHCR stellte im Juli 1955 fest, dass verschiedene osteuropäische Staaten und die Sowjetunion im Zusammenhang mit der bevorstehenden Staatsvertragsunterzeichnung versuchten, verstärkt durch Propaganda sowie Amnestie und Repatriierungsprogramme ihre in Österreich verbliebenen Staatsbürger zur Rückkehr zu bewegen. Zum Zweck der vermehrten Repatriierung ersuchte die UdSSR auch die österreichische Bundesregierung, weitere Konsulate in Österreich zu eröffnen.54 Gemäß Informationen des österreichischen Innenministeriums an das UNHCR wurden zwischen dem 1. April und dem 31. Oktober 1955 263 Personen in den Ostblock repatriiert, davon jedoch nur vier Personen tatsächlich in die Sowjetunion55 52 Ebd. 53 Vernant, The Refugee in the Post-War World, 111. 54 Interoffice Memorandum, Soviet Repatriation Mission, Geneva 10. Juni 1955, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 7. 55 21 Ungarn, 53 Jugoslawen, zwei Russen, zwei Bulgaren, 74 Rumänen, zwei Tschechoslowaken und ein Pole. Im Weiteren drei Angehörige deutscher Minderheiten aus Jugoslawien, zwei

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Dennoch begann man sich beim UNHCR ob der starken Repatriierungsbemühungen zu fragen, ob es nicht vielleicht eine geheime Abmachung zwischen der österreichischen und der sowjetischen Regierung dahingehend gab, dass Österreich die Repatriierungen nach den Staatsvertragsverhandlungen unterstützen oder zumindest nicht verhindern würde. Im Gegenzug, so vermutete man, sei der Paragraf 16 aus dem Staatsvertrag gestrichen, der genau einen solchen Deal explizit vorgesehen hätte.56 Tatsächlich wurde ein solcher Paragraf von den Sowjets bei den Staatsvertragsverhandlungen vorgeschlagen. Dies wurde allerdings von den West-Alliierten nicht unterstützt und bei der Wiener Botschafterkonferenz am 4. Mai 1955 gestrichen.57 Das UNHCR vermutete aber, dass es vielleicht dennoch einen solchen Deal im Geheimen gegeben haben könnte.58 Auch die Federation of Russian Charitable Organizations of the United States hatte einen solchen Verdacht und schrieb dem UNHCR am 23. September : »We would like to draw your attention to the situation of refugees of Russian origin in Germany, Austria and Yugoslavia in connection with the withdrawal of occupation troops from Austria, the visit of Chancellor Adenauer to Moscow and the obscure dealings of the Soviets with Marshall Tito in Belgrade.«59

Die Organisation berichtete von Ängsten unter den Flüchtlingen, welche eine erzwungene Repatriierung von sowjetischen Staatsbürgern im Austausch für noch in Haft befindliche österreichische und deutsche Kriegsgefangene befürchteten. Das UNHCR wurde daher gebeten, Druck auf die Regierungen der BRD, Österreichs und Jugoslawiens auszuüben.60 Die Bedenken der Federation of Russian Charitable Organizations zeigen, dass der Staatsvertrag nur einer von vielen Faktoren in Europa war, der als Verschlechterung für die sowjetischen Flüchtlinge wahrgenommen wurde. Der erwähnte Besuch Adenauers in Moskau

56 57 58 59 60

aus Russland und 100 aus Rumänien. UNHCR Office Vienna to US Embassy Vienna, Wien, 4. Jänner 1956, UNHCR Archives, fonds 11, Series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 38. Vergleicht man dies mit den Zahlen von Iber und Ruggenthaler für 1950–1954 für die Repatriierung von Sowjetbürgern (1950: 27, 1951: 25, 1952: 7, 1953: 11, 1954: 8), so ist die Anzahl von sowjetischen Staatsbürgern für den oben genannten Zeitraum 1955 jedoch nur mehr sehr gering. Iber/Ruggenthaler, Sowjetische Repatriierungspolitik, 270. Interoffice Memorandum, Soviet Repatriation Mission, Geneva, 10. Juni 1955, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 7. Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der OstWest-Besetzung Österreichs 1945–1955, 4. Auflage, Wien–Köln–Graz, 1998, 500–501. Interoffice Memorandum, Soviet Repatriation Mission, Geneva, 10. Juni 1955, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 7. Letter by Federation of Russian Charitable Organizations of the United States to the HCR van Goedhart, New York, September 23, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/GEN, doc. 5. Ebd.

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wurde ähnlich beurteilt. Resultat dieses Besuchs vom 8. zum 14. September 1955 war die von Moskau angestrebte Herstellung von diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion. Im Gegenzug wurde die Heimkehr der in der Sowjetunion verbliebenen zwischen 10.000 und 15.000 deutschen Kriegsgefangenen zugesagt. Nach zweideutigen Kommentaren des westdeutschen Außenministers Heinrich von Brentano und des sowjetischen Ministerpräsidenten Nikolaj Bulganin stiegen die Befürchtungen der sowjetischen Flüchtlinge in Westdeutschland. Sie hatten Angst bald im Austausch für deutsche Kriegsgefangene in die Sowjetunion zwangsrepatriiert zu werden.61 Die Parallele zu den Befürchtungen um den Österreichischen Staatsvertrag ist groß. Auch hier verlangte das UNHCR von der deutschen Regierung ein Statement, das die Ängste entkräften sollte, und auch hier berief sich das Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte auf die von der Bundesrepublik unterzeichnete Genfer Flüchtlingskonvention und versicherte, dass eventuelle Repatriierungsmissionen stets von einem UNHCR-Beamten begleitet werden würden.62 Dennoch war für das UNHCR klar, dass die Fragen der Kriegsgefangenen und DPs auf diplomatischer Ebene vermischt wurden.63 In der BRD war auch der Gefangenenaustausch ein wichtiges Thema. Die westdeutsche Regierung erteilte in besonderem Maße sowjetischen Gefangenen in deutschen Gefängnissen Amnestie, wenn diese dazu bereit waren, in die Sowjetunion zurückzukehren. Daher war das UNHCR bemüht, dafür zu sorgen, dass Gefangene nur dann in die Sowjetunion zurückkehrten, wenn sie wirklich heimkehren wollten und nicht nur, weil sie hofften, dadurch freizukommen.64 Die Problematik der Repatriierung von straffällig gewordenen sowjetischen Staatsbürgern nahm im Falle Österreichs, wie aus den UNHCR-Dokumenten hervorgeht, keinen großen Stellenwert ein. Sie wird nämlich nirgends erwähnt. Zwar zeigte man sich in der Abteilung 12 U des Innenministeriums – zuständig für DPs und Flüchtlingsfragen65 – im Jahr 1949 gegenüber einem Vorschlag

61 Martin Kitchen, A History of Modern Germany 1800–2000, Oxford 2006, 332. Siehe zudem Letter by Latvian Representative to the High Commissioner, 21. September 1955; Letter by Latvian Representative to James M. Read Deputy High Commissioner, 30. September 1955, UNHCR Archives, folios 1–68, fonds 11, series 1, box 329, 21/9/GER 1, docs. 15 und 20. 62 Interoffice Memorandum, Representative in Germany to UNHCR Geneva, Repatriation of refugees residing in Germany, 27. September 1955, UNHCR Archives, folios 1–68, fonds 11, series 1, box 329, 21/9/GER 1, doc. 17. 63 Internal Memorandum, from Representative in Germany to UNHCR Geneva, Repatriation of Soviet Citizens, 16. April 1956, folios 1–68, fonds 11, series 1, box 329, 21/9/GER 1, doc. 66. 64 Internal Memorandum, from Representative in Germany to UNHCR Geneva, Repatriation, 9. Jänner 1956, folios 1–68, fonds 11, series 1, box 329, 21/9/GER 1, doc. 52. 65 Diese war eine 1946 gegründete Unterabteilung des Wanderungsamts Abteilung 12. Sie setzte sich vor allem mit Angelegenheiten der »versetzten Personen und der Flüchtlinge« sowie dem Kontakt mit internationalen Hilfsorganisationen auseinander. Österreichischer

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Gefangene zu repatriieren nicht abgeneigt, um Kosten in österreichischen Strafanstalten zu verringern, jedoch wurde die Angelegenheit nicht weiterverfolgt, nachdem die westlichen Alliierten bestenfalls eine freiwillige Repatriierung erlaubten. Dennoch wurde von Seiten Moskaus, wie im Falle der BRD, von Zeit zu Zeit mit Verweis auf den Verbleib österreichischer Häftlinge in der Sowjetunion auf die österreichische Regierung Druck ausgeübt. Man ließ sich in Wien dadurch aber offensichtlich nicht besonders beeindrucken. Außenminister Karl Gruber verwies darauf, dass die Flüchtlingsfrage nicht in die Kompetenz der Regierung falle. Schlussendlich wurden die letzten österreichischen Kriegsgefangenen ohne Verbindung zur Repatriierung sowjetischer Gefangener noch Ende 1950 freigelassen – also Jahre vor der Staatsvertragsunterzeichnung. Auch der bereits genannte Artikel 16, der eine solche Verbindung vorgesehen hätte, wurde wie erwähnt gestrichen.66 Wenngleich es also kein Junktim zwischen Staatsvertrag und Repatriierung gab, wie dies von westlichen Flüchtlingsvertretern befürchtet wurde, so kann man doch davon ausgehen, dass sich die Sowjetunion mit Inkrafttreten des Staatsvertrags einen größeren Spielraum bei ihren Repatriierungsaktivitäten in vormals westalliierten Besatzungszonen erhoffte.67 Der sowjetische Direktor für DPAngelegenheiten in Österreich traf sich Ende August mit UNHCR Beamten in Wien um sich zu erkundigen, wie sich das UNHCR denn angesichts des Staatsvertrags zu verhalten gedenke. Das UNHCR ließ wissen, man gehe davon aus, dass sich sowjetische Repatriierungsoffiziere zwar von nun an in Österreich bewegen könnten ohne den ehemaligen Besatzungsmächten Bescheid zu geben, dass man aber stattdessen in Repatriierungsfragen das Innenministerium benachrichtigen müsse.68 Aber auch für die USA bedeutete der Staatsvertrag eine Änderung im Umgang mit Flüchtlingen. So hielten sie es vor allem für bedenklich, dass nun die Überwachung und geheimdienstliche Verwendung der Flüchtlinge in Österreich eingeschränkt oder heimischen Behörden überlassen werden musste. Gil Loescher zitiert einen Diplomaten der amerikanischen Botschaft in Wien mit den folgenden Worten:

Amtskalender für das Jahr 1949, XVII. Jahrgang, Wien 1955, 11; Iber/Ruggenthaler, Sowjetische Repatriierungspolitik, 264. 66 Ebd., 278–279. 67 Loescher, The UNHCR and World Politics, 73. 68 Interoffice Memorandum, Russian Repatriation Mission, Wien, 1. September 1955, und Russian Repatriation Mission, 7. September 1955, doc. 35, und Operational instructions to representatives of the office of the United Nations High Commissioner for Refugees accompanying repatriation missions, Genf, 19. September 1955, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, docs. 34 und 36.

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»During the past ten years, US direct control over refugees has provided US agencies having interests in intelligence… and psychological warfare objectives with unlimited access to a constant source of individuals and information. A refugee, upon reaching Vienna or the US Zone of Austria, was generally channeled by either Allied or Austrian representatives to the USFA refugee reception facilities operated by Military Intelligence Service, where a thorough screening of the refugee could take place without interference over as long a period as the individual was of interest. During this period the refugees were usually made available not only to US intelligence groups, but also to agencies interested in their exploitation for psychology warfare purposes, such as Voice of America and Radio Free Europe.«69

Dieser strategische Umgang mit Flüchtlingen war mit Inkrafttreten des Staatsvertrages nun schwieriger, besonders weil Österreich befürchtete, dass eine Weiterführung solcher Aktivitäten Konflikte mit den kommunistischen Nachbarstaaten hervorrufen könnte. Der österreichische Innenminister warnte sogar, dass antisowjetische Kampagnen, wie sie durch Radio Free Europe verbreitet wurden, aufhören müssten. Man könne nicht politisch frustrierte Menschen in Osteuropa zur Flucht nach Österreich ermutigen. Auch das USEP solle sich nur mehr auf Wohlstands- und Umsiedlungsprogramme beschränken und nicht zu strategischen Zwecken missbraucht werden. Ein Nebeneffekt dieser österreichischen Haltung war Loescher zufolge, dass dies die Etablierung des UNHCR in Flüchtlingsfragen gefördert hat. Die Amerikaner mussten nämlich jetzt auf indirekte Weise an die Flüchtlinge herantreten und hofften dies durch das UNHCR erreichen zu können. Zu diesem Zweck erhöhten die USA auch die Zahlungen an den Fond des UNHCR, den Refugee Emergency Fund UNREF. Mit diesem Geld sollten Flüchtlinge in Österreich vor allem durch Landwirtschafts-, Studien- und Wohnungsbeihilfen besser integriert werden. Das State Department meinte, dass die Unterstützung von UNHCR-Projekten das österreichische Vertrauen in amerikanische Flüchtlingsprogramme wie USEP wieder herstellen würde.70

IV.2

Repatriierungsmissionen nach dem Staatsvertrag

Auch ohne Junktim zwischen Staatsvertrag und Repatriierung bestand die Sowjetunion nach der Staatsvertragsunterzeichnung weiter darauf, die Mehrheit der 18 noch bestehenden Flüchtlingslager in Österreich besuchen zu können. Im 69 US National Archives, Diplomatic Branch, 863.411/8–1155. American Embassy, Vienna, ›Embassy Analysis of the Post-Occupation Status of Displaced Persons and Refugees in Austria‹. Appendix, ›Intelligence and Psychology Warfare Aspects‹, 11 August 1955. Zitiert nach Loescher, The UNHCR and World Politics, 73. 70 Loescher, The UNHCR and World Politics, 74.

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März 1956 erteilte das Innenministerium die Erlaubnis, dass die sowjetische Repatriierungsmission im April acht Camps in der ehemaligen amerikanischen Zone besuchen dürfe. Das UNHCR sowie die US-Botschaft in Wien wurden davon in Kenntnis gesetzt. Das Kommuniqu8 des Bundeskanzleramts/Auswärtige Angelegenheiten, ließ verlautbaren: »Eine Befragung sowjetischer Staatsangehoeriger, die hierzu ihre Zustimmung erteilt haben, durch Beamte der Botschaft, ist in Gegenwart je eines Vertreters des Bundesministeriums für Inneres und der Sicherheitsdirektion des Bundeslandes, in dem sich das Lager befindet, ferner eines geeigneten Dolmetsch und eines Vertreters des Fluechtlingshochkommissaers der Vereinten Nationen moeglich.«71

Die österreichische und westliche Presse protestierte dagegen wie leicht Österreich sich dem Druck der Sowjets beugte; so der Wiener Bildtelegraph vom 16. April, der darauf hinwies, dass die UdSSR auch Esten, Letten und Litauer ansprechen wolle und dies einer Anerkennung der Annektierung der drei baltischen Staaten durch Österreich gleichkomme.72 Der Manchester Guardian vom 25. April 1956 hielt auch fest, dass nur Wenige tatsächlich einer Repatriierung zustimmten: »Last year in the British zone seven refugees indicated that they wished to be repatriated but when the moment came to board an eastbound train all but two refused to go. Of all the camp inmates in the former American zone not more than three are now said to have ›chosen‹ repatriation«.73

Ganz im Unterschied dazu bezichtigte die sowjetische Presse Österreich einen solchen Druck auf sowjetische Häftlinge auszuüben, dass diese ihren Wunsch nach Heimkehr nicht mehr frei äußern könnten.74 Vor diesem Hintergrund wurde die sowjetische Repatriierungsstrategie immer aggressiver. Man informierte die österreichische Regierung, dass man nun plane, auch außerhalb der Lager lebende Sowjetbürger zu besuchen. Als auf Anfrage des österreichischen Innenministeriums selbst die amerikanische Botschaft nicht negativ darauf reagierte, intervenierte der Hochkommissar im State Department und kontaktierte am 22. Juni 1956 auch Außenminister Figl und warnte: »There is a danger that if visits to refugees living privately by Soviet 71 Repatriation Missions, Genf, 12. Jänner 1956; Interoffice Memorandum, Visit of Soviet Repatriation Mission, Wien, 22. März 1956, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/ AUS I, docs. 39 und 40. 72 Interoffice Memorandum, Newspaper Article in today’s »Bildtelegraph«, Wien, 16. April 1956, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 40 A. 73 Soviet Repatriation Mission, 1. Mai 1956, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/ AUS I, doc. 42. 74 Press Clipping, Österreich bekennt sich zum Asylrecht, Wiener Zeitung, 27. Juli 1956, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 63.

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Embassy officials to take place, further disturbing reports may once again appear in the foreign press.«75 Diesmal, so drohte der Hochkommissar, könne das UNHCR aber nicht mehr wie bei den ersten Vorwürfen 1955 die humanitarian policy der österreichischen Bundesregierung gegenüber Flüchtlingen verteidigen.76 Diese antwortete bei einem Treffen mit einem UNHCR Beamten lediglich: »[W]hat can the Austrian Government legally do against this?«77 Auch schriftlich teilte die Regierung mit: »Eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit der in Österreich akkreditierten diplomatischen Missionen erscheint aber aus zwingenden völkerrechtlichen Gründen unzulässig. Es kann nicht erwogen werden, einzelne diplomatische Missionen von Amts wegen als nicht vertrauenswürdig zu erklären und ihre Kontakte mit einem bestimmten Personenkreis unter Aufsicht zu stellen.«78

Intern akzeptierte das UNHCR diese Antwort nicht.79 Man verstand aber durchaus, dass sich internationales Recht nach wie vor ausschließlich zwischen Staaten abspiele und manche Flüchtlinge bestenfalls Objekte und nicht Subjekte internationalen Rechts wären. Daher konnte man auch der Politik der österreichischen Regierung nichts entgegenhalten, das in Österreich gültige Prinzip der freien Bewegung von Ausländern auch auf sowjetische Diplomaten anzuwenden. Dennoch dürften diese – so war das UNHCR richtigerweise überzeugt – nicht ohne Erlaubnis der Flüchtlinge deren Häuser oder Wohnungen betreten oder anders Druck ausüben. In diesem Fall sei die österreichische Regierung dazu berechtigt, Sanktionen gegen Konsulatsangestellte zu verhängen und diese gegebenenfalls des Landes zu verweisen. Man erinnerte an die sich etwa zur gleichen Zeit abspielende »Tuapse«-Affäre in den USA, bei welcher zwei sowjetische Diplomaten des Landes verwiesen wurden. Diese hatten zuvor fünf sowjetische Seeleute des Tankers Tuapse, welche in den USA politisches Asyl erhalten hatten, mit Gewalt zur Repatriierung gezwungen.80 Die Sowjetunion ließ nicht locker und forderte nicht nur, dass im Sinne der Fairness auch amerikanische Missionen durch das UNHCR begleitet werden 75 Letter of Foreign Minister of Austria to UNHCR, Wien, 22. Juni, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 47. 76 Letter of Foreign Minister of Austria to UNHCR, Wien, 22. Juni, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 47. 77 Visits of Soviet Officials in Austria – Reference cable HCR 72, 25. Juni 1956, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 50. 78 Interoffice Memorandum, Visit of Soviet Diplomats to private-living refugees, Wien, 12. Juli 1956, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 59. 79 Visits of Soviet Officials in Austria – Reference cable HCR 72, 25. Juni 1956, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 50. 80 Application of principles of International Law to Refugees, 24. August 1956, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 69; »Sowjet-Emigranten. Reise ohne Wiederkehr«, in: Der Spiegel, 9. Mai 1956, 36–37.

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müssten, sondern suchte im Juli 1956 darum an, erneut Lager in Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg zu besuchen. Während man beim UNHCR nach außen hin zwar positiv auf die erste Anfrage reagierte (intern jedoch vorhatte nur etwa zwei Missionen zu begleiten und dann die Sache »sterben zu lassen«), so »bedauerte« das UNHCR das Verhalten der österreichischen Regierung, die dem sowjetischen Gesuch neue Repatriierungsmissionen durchzuführen sofort stattgegeben hatte ohne sich überhaupt darüber zu informieren, ob ein UNHCRBeamter für die vorgesehenen Termine zur Verfügung stünde.81 Vor dem Winter 1956 versuchten die sowjetischen Vertreter noch mehrmals Lager zu besuchen und erhielten auch die Erlaubnis, Baracken zu betreten, wenn dies die Flüchtlinge erlaubten. Diese Versuche wurden im Frühjahr und Sommer 1957 fortgesetzt.82 Bei einer Mission im April, bei der Flüchtlingszentren in Steiermark und Kärnten besucht wurden, meldeten sich sieben Flüchtlinge und nur vier wünschten repatriiert zu werden.83 Im UNHCR-Bericht kann man lesen, dass die Flüchtlinge immer weniger das Repatriierungsangebot in Anspruch nahmen. Demnach waren Flüchtlinge niemals an das UNHCR in Wien herangetreten um repatriiert zu werden. Dies, so ein UNHCR-Beamter, sei auch gar nicht notwendig gewesen, da es ohnehin genug sowjetische Konsulate gab, die dann auch gleich die Reisekosten übernahmen.84 Wann der letzte Besuch einer Repatriierungsmission in Österreich stattfand geht aus dem UNHCR-Archiv nicht hervor. Die Aufzeichnungen enden jedoch mit April 1957. Das letzte Protokoll zeugt von der in den Lagern gegenüber den sowjetischen Repatriierungsoffizieren herrschenden feindlichen Stimmung und den mageren Resultaten die durch die Missionen erzielt wurden.85 Einige Episoden dieses Protokolls lesen sich wie folgt: »Das Lager ist von ungarischen und jugoslawischen Flüchtlingen besetzt, diese sind durch die Ankunft der russischen Kommission beunruhigt und gleich zu Beginn belästigen sie den Chauffeur im russischen Wagen. Rasch herbeigeholte Verstärkung der Sicherheitspolizei drängt die Flüchtlinge in ihre Baracken zurück. Sie kann aber nicht verhindern, dass die Zufahrtsstrasse mit Glassplittern gesperrt wird und die Ungarn 81 Interoffice Memorandum, UNHCR Participation in US Visits to Camps in Austria, 10. August 1956; Interoffice Memorandum, Visits of Soviet Consular Representatives in Refugee Camps in Austria, Wien, 13. August 1956, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/ AUS I, docs. 65 und 68. 82 Interoffice Memorandum, Repatriation, 2. Oktober 1956, und Soviet Repatriation Mission, 5. April 1957, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, docs. 71 und 76. 83 Interoffice Memorandum, Soviet Repatriation Mission, Wien, 16. April 1957, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc, 77. 84 Interoffice Memorandum, Requests for Repatriation, Wien, 2. November 1956, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc. 73. 85 Interoffice Memorandum, Soviet Repatriation Mission, Wien, 16. April 1957, UNHCR Archives, fonds 11, series 1, box 328, 21/9/AUS I, doc, 77.

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Vorbereitungen treffen die russische Kommission auf ihrer Wegfahrt zu überfallen. Nach Schluss der Sitzung verlassen wir das Lager unter starker Polizeibedeckung auf einem anderen Weg. Einige junge Flüchtlinge rennen über die Felder unserem Wagen nach, ohne etwas ausrichten zu können.«86 »Ein männlicher Flüchtling in sichtlich angetrunkenem Zustande. Er ist aggressiv und überschüttet die Russen mit Vorwürfen, nennt die Soviet Union ein Sklavenland und verlangt Freiheit für die unterdrückten Völker.«87 »Als einziger Flüchtling erscheint Timoteus Pletnikoff: Etwa 60 Jahre alt, Invalide, seit 15 Jahren ohne Verbindung mit seinen Verwandten in Russland. […] Der Konsul frägt ihn: ›Warum haben sie nicht früher an Ihre Verwandten geschrieben?‹ Antwort: ›Zur Zeit Stalins wurden die Leute, welche Briefe von Flüchtlingen erhielten nach Sibirien verschickt. Dieses Schicksal wollte ich meiner Familie ersparen.‹«88

Angesichts dieser Situation ist es nicht verwunderlich, wenn die sowjetischen Bemühungen mit der Zeit nachließen und auch weder von amerikanischer noch von Seiten des UNHCR große Bedenken bezüglich des Wohlergehens von Flüchtlingen mehr bestanden.

V.

Konklusion

Das UNHCR Archiv zu den sowjetischen Repatriierungsmissionen in Österreich ist in vielerlei Hinsicht aufschlussreich. Im Allgemeinen zeigen die Archive, wie in der Nachkriegszeit der Flüchtling als eigene humanitäre, soziale und rechtliche Kategorie hervortritt und damit auch Institutionen und Prozeduren ins Leben gerufen wurden, die diese Menschen bürokratisch managten.89 Im Falle der Repatriierung sowjetischer Flüchtlinge in Österreich widersprach die humanitär-menschenrechtliche Ansicht des Flüchtlings, die vom UNHCR vertreten wurde, der Vorstellung, die oftmals von den Großmächten hochgehalten wurde, nämlich dass Flüchtlinge eher eine strategische als eine humanitäre Problematik wären. Dieser Beitrag zeigt, dass für das UNHCR das aus der Genfer Flüchtlingskonvention hergeleitete Prinzip der voluntary repatriation im Vordergrund stand. Es war jedoch schwer für das UNHCR, dies in einem Land wie Österreich durchzusetzen, das zuerst von Besatzungsmächten mit recht unterschiedlichen Auffassungen zum Thema Flüchtlinge bestimmt war, und sich schließlich als neutrales Land zwischen Ost und West in Flüchtlingsfragen neu 86 87 88 89

Ebd. Ebd. Ebd. Siehe auch Liisa H. Malkki, Refugees and Exile. From »Refugee Studies« to the National Order of Things, in: Annual Review of Anthropology 24 (1995), 495–523.

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positionieren musste. Dabei versuchte die Bundesregierung den Vereinigten Staaten gelegentlich nahezulegen, ihre Spionagetätigkeiten zu reduzieren und sich auf humanitäre Hilfe zu konzentrieren. Auch musste die Regierung trotz aller Ängste von Flüchtlingsvertretern keine Zwangsrepatriierungen für die Sowjetunion im Gegenzug für den Staatsvertrag hinnehmen. Gleichzeitig berief sich die Bundesregierung auf internationales Recht, wenn sie dem UNHCR verweigerte sowjetische Diplomaten davon abzuhalten, Flüchtlinge in Lagern und Privathäusern zu besuchen. Zudem wollte sich die österreichische Regierung von der Sowjetunion keinen Neutralitätsbruch vorwerfen lassen. Aus diesem Grund fiel das Urteil des UNHCR, einer westlich-dominierten Organisation, über Österreich eher kritisch aus. Denn so sehr sich das UNHCR als nur dem Flüchtling verpflichtet präsentierte, so hing es nicht zuletzt finanziell von der Unterstützung der Westmächte ab, was eine neutrale Position innerhalb des Ost-West Konflikts erschwerte.

Christian Forstner

Kernspaltung, Kalter Krieg und Österreichs Neutralität1

I.

Einleitung und Fragestellung

Während des Kalten Kriegs erreichte in Europa sowohl die Verflechtung physikalischer Forschung mit Staat, Politik und Industrie als auch deren öffentliche Verhandlung und Bewertung eine qualitativ neuartige Dimension. Dieser Aspekt tritt am schärfsten in der Geschichte der Kernphysik und Kerntechnik hervor. Dabei kommt der Republik Österreich als politisch neutralem Staat im Kalten Krieg mit dem Hauptsitz der International Atomic Energy Agency (IAEA) besondere Bedeutung zu. Österreichs nationale Kernenergieprogramme entwickelten sich in einem inter- und/bzw. transnationalen Netzwerk aufgrund wechselseitiger Kooperation mit der IAEA seit 1957, Österreichs Mitgliedschaft in der European Nuclear Energy Agency (ENEA), der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) ab 1958 sowie aufgrund bilateraler Abkommen mit den USA. In diesem Beziehungsgeflecht wandelte sich die Kernforschung strukturell vom akademischen Labor heraus hin zur Großforschung, die durch eine enge Kooperation von Wissenschaft, Staat und Industrie, hochgradige Interdisziplinarität, projektbezogene Arbeitsweisen in Teams und den Einsatz von Großgeräten gekennzeichnet ist. Die Vorreiterrolle übernahm bereits während des Zweiten Weltkriegs das amerikanische Manhattan Project zum Bau der Atombombe, wogegen sich in den europäischen Staaten, insbesondere in Österreich, dieser Strukturwandel in der Kernphysik erst nach Kriegsende vollzog. Im Falle Österreichs wurde er mit dem Bau der Forschungsreaktoren im Rahmen des amerikanischen Atoms for Peace-Programms eingeleitet. Diese Forschungsreaktoren waren der erste Schritt hin zu einer friedlichen Nutzung der Kernenergie. Die schließt aber stets auch die Möglichkeiten zu einer militärischen Nutzung mit ein: Betreibt man einen Reaktor mit natürli1 Der Beitrag stellt eine erheblich erweiterte Fassung der bisher von mir zu diesem Thema erschienen Aufsätze dar, insbesondere zur Frage der Innovationsprozesse.

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chem Uran-238 und schwerem Wasser oder Graphit als Moderator, so fällt das waffenfähige Plutonium als Abfallprodukt in den Kernbrennstäben an. Die andere Möglichkeit, einen Reaktor mit angereichertem Uran-235 zu betreiben, impliziert als notwendige Voraussetzung die Verfügbarkeit einer Anreicherungstechnologie, die bei einem höheren Anreicherungsgrad für den Bau einer Bombe genutzt werden kann. Ganz aktuell zeigt sich dies an der Debatte um die Nutzung der Kernenergie im Iran. Diese Problematik macht aber auch deutlich, dass die beiden genannten Aspekte – Nationalstaatlichkeit und internationale und transnationale Organisationen zur Förderung und Kontrolle der Atomenergie – nicht losgelöst von Forschungsstrukturen, den zugehörigen Programmen, sowie physikalischen und technischen Fragen betrachtet werden können. Die Bedeutung der öffentlichen Verhandlung und Bewertung von Naturwissenschaft und Technik wird am Scheitern von Österreichs Kernenergieprogramm deutlich. Mit dem »Nein« zur Atomenergie in der Volksabstimmung von 1978 und dem endgültigen »Aus« des Kernkraftwerks Zwentendorf mit der ˇ ernobyl, nahm Österreich eine SonStilllegung nach dem Reaktorunfall in C derrolle ein. Andere Länder wie Italien und Dänemark folgten später. Als Österreich 1995 der EU beitrat, war damit auch der Beitritt zur European Atomic Energy Community (EAEC beziehungsweise EURATOM) verbunden. Damit stellte sich die paradoxe Situation ein, dass Österreich heute den Atomausstieg in der Verfassung festgeschrieben hat, zugleich aber der bedeutendsten europäischen Organisation zur Förderung der Kernenergie angehört, ebenso wie es mit der IAEA die bedeutendste internationale Organisation in diesem Kontext beherbergt. Damit ergeben sich zwei Leitfragenkomplexe für diesen Beitrag: 1. Wie erfolgte die Transformation der Kernforschung aus dem akademischen Labor in neue Forschungsformen und Kooperationen? Welche Konsequenzen ergaben sich daraus für die Forschungsprogramme? 2. Wie entfalteten sich diese Programme während des Kalten Kriegs in einem internationalen und transnationalen Netzwerk? Wie entwickelten sich die damit verbundenen Strukturen über den Kalten Krieg hinaus? Zunächst wende ich mich der ersten Frage und der Transformation der akademischen Forschung zu. Bereits hier zeigt sich, dass die nationale österreichische Geschichte eng mit dem Kalten Krieg verknüpft ist.

Kernspaltung, Kalter Krieg und Österreichs Neutralität

II.

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Vom akademischen Labor zur Großforschung (1938 bis ca. 1963)

Die Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn, Fritz Strassmann und Lise Meitner in Berlin im Dezember 1938 wurde in den Labors des II. Physikalischen Instituts der Universität Wien unter Leitung von Georg Stetter schnell nachvollzogen. Erste Ansätze zu einem Kernenergieprogramm existierten bereits nach dem »Anschluss« Österreichs an NS-Deutschland und durch die Mitarbeit im deutschen Uranverein. In diesem Kontext sind zwei Punkte festzuhalten: Zum einen wurde im Gegensatz zum amerikanischen Projekt des Atombombenbaus2 der Schritt hin zur Großforschung im gesamten deutschen Uranverein3 nicht vollzogen. Zum anderen wurde die Rolle der österreichischen Forschungsinstitute innerhalb des Uranvereins marginalisiert. Darauf weisen exemplarisch folgende Punkte hin: 1. Im Juli 1939 reichte der Vorstand des II. Physikalischen Instituts, Georg Stetter, ein Patent für einen heterogenen Kernreaktor bei der Reichspatentstelle ein. Die Verhandlung des Patents wurde verzögert, dem Patentantrag wurde während des NS-Regimes nicht stattgegeben.4 2. 1941 wurde ein Neutronengenerator für die Wiener Institute bestellt. Es kam zu zahlreichen Verzögerungen, der Neutronengenerator wurde nie geliefert. Ob es sich hier um die »normalen« Verzögerungen während des Krieges handelte, oder ob das Wiener Projekt gezielt gegenüber anderen Projekten des Uranvereins zurückgestellt wurde, ist noch nicht vollständig geklärt.5 3. In einem Angriff der Physikalisch-Technischen Reichanstalt (PTR) in Berlin wurde die Exaktheit der in Wien hergestellten sekundären Radiumstandards und damit die Glaubwürdigkeit des Instituts in Frage gestellt. Die Fähigkeit

2 Richard Rhodes, The Making of the Atomic Bomb, New York 1986. 3 Peter Galison/Bruce Hevly (Hg.), Big Science. The Growth of Large-Scale Research, Stanford 1992; Margit Szöllösi-Janze/Helmuth Trischler (Hg.), Großforschung in Deutschland, Bd. 1: Studien zur Geschichte der deutschen Großforschungseinrichtungen, Frankfurt am Main 1990. 4 Silke Fengler, Kerne, Kooperation und Konkurrenz. Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950), Wien–Köln–Weimar 2014, 294–295. Patentantrag beim Reichspatentamt vom 14. Juni 1939, Sondersammlung der Österreichischen Zentralbibliothek für Physik (ZBP), Nachlass Georg Stetter. Siehe auch Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (AÖAW), Wien, FE-Akten, Radiumforschung, XIII. Nachlass Berta Karlik, Karton 55, Fiche 812. 5 Fengler, Kerne, Kooperation und Konkurrenz, 270–275; Korrespondenz von Gustav Ortner mit der Helmholtz-Gesellschaft, Düsseldorf, der C.H.F. Müller AG, Hamburg, und dem Reichsamt für Wirtschaftsaufbau in Berlin (1940–1945), AÖAW, FE-Akten, Radiumforschung, XIII, Karton 32, Fiche 444–447.

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präzise Eichstandards herzustellen sollte an die PTR übertragen werden, die Position des Wiener Instituts wurde dadurch essentiell geschwächt.6 Der österreichische Beitrag zum deutschen Uranverein ist aus einer netzwerktheoretischen Perspektive insbesondere von Silke Fengler und Carola Sachse untersucht worden.7 Mit Fenglers Arbeit zur Geschichte der österreichischen Kernforschung ist in einer exzellenten Darstellung der Rahmen umrissen, dennoch bleibt im Gegensatz zum deutschen Anteil am Uranverein der Anteil der österreichischen Forschungsprogramme nur wenig untersucht.8 Die Maßnahmen, die nach Kriegsende getroffen wurden, lassen sich am besten als eine Rückkehr in die Zeit vor 1938 beschreiben, ungeachtet dessen, dass in Österreich bereits damals ein autoritäres Regime an der Macht war. Sie umfassten sowohl personelle als auch institutionelle Veränderungen. Einer der ersten Schritte bestand in der Liquidation des Vierjahresplaninstituts für Neutronenforschung und der Wiederherstellung der alten Strukturen der Universitäts- und Akademieinstitute. Im Zuge der Entnazifizierung verloren die ehemaligen NSDAP-Mitglieder ihre Positionen, unter ihnen Georg Stetter und Gustav Ortner. Letzterer hatte während der NS-Zeit als Direktor des Instituts für Radiumforschung gewirkt. Beide hatten ihre Positionen aufgrund der antijüdischen Maßnahmen der Nationalsozialisten erhalten. Gleichzeitig wurden einige der ehemaligen Stelleninhaber eingeladen, auf ihre alten Positionen zurückzukehren, unter ihnen Stefan Meyer, der Vorstand des Instituts für Radiumfoschung vor 1939, der erneut zum Institutsvorstand berufen wurde, während Berta Karlik zunächst kommissarisch die Leitung des Instituts übernahm.9 1947 trat Meyer in den Ruhestand und Karlik wurde nun auch formell zur Vorständin des Instituts für Radiumforschung ernannt. 6 Fengler, Kerne, Kooperation und Konkurrenz, 241–252; AÖAW, FE-Akten, Radiumforschung, XIII, Karton 31, Fiche 427–428. Siehe auch die Korrespondenz zwischen Stefan Meyer und Gustav Ortner, Karton 17, Fiche 271. 7 Silke Fengler/Carola Sachse (Hg.), Kernforschung in Österreich. Wandlungen eines interdisziplinären Forschungsfeldes 1900–1978, Wien 2012 und insbesondere Fengler, Kerne, Kooperation und Konkurrenz. 8 Mark Walker, German National Socialism and the Quest for Nuclear Power, 1939–1945, Cambridge 1989; ders., Die Uranmaschine. Mythos und Wirklichkeit der deutschen Atombombe, Berlin 1990; ders., Heisenberg, Goudsmit, and the German Atomic Bomb, in: Physics Today 43 (1990) 1, 52–60; ders., Nazi Science. Myth, Truth, and the German Atomic Bomb, New York 1995; ders., Eine Waffenschmiede? Kernwaffen- und Reaktorforschung am KaiserWilhelm-Institut für Physik, Berlin 2005; Rainer Karlsch, Hitlers Bombe. Die geheime Geschichte der deutschen Kernwaffenversuche, München 2005. 9 Wolfgang L. Reiter/Reinhard Schurawitzki, Über Brüche hinweg Kontinuität. Physik und Chemie an der Universität Wien nach 1945 – eine erste Annäherung, in: Margarete Grandner/ Gernot Heiss/Oliver Rathkolb (Hg.), Zukunft mit Altlasten. Die Universität Wien 1945–1955, Wien 2005, 236–259.

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Karlik hatte 1928 an der Universität Wien promoviert, ihre ersten Forschungsarbeiten 1929/30 am Institut für Radiumforschung aufgenommen und wurde 1933 zur wissenschaftlichen Hilfskraft ernannt. Von November 1930 bis Dezember 1931 forschte sie mit Unterstützung eines Stipendiums der International Federation of University Women unter William H. Bragg an der Royal Institution in London. Vier Jahre später erhielt sie eine Einladung nach Schweden, um in der Kommission für Meeresforschung Arbeiten zum Urangehalt von Meerwasser durchzuführen. 1937 habilitierte sich Karlik an der Universität Wien und erhielt die Venia Legendi. Nach mehreren Stipendien wurde sie 1942 zur Dozentin mit Diäten ernannt. Sie beteiligte sich nicht an den Arbeiten im Rahmen des Uranvereins, sondern versuchte ihr eigenes Forschungsfeld zu definieren. Nach dem »Anschluss« war es keineswegs klar, dass sie ihre Universitätskarriere fortsetzen konnte. Ihr Antrag auf Verlängerung ihres Stipendiums bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurde mit der Begründung abgelehnt, dass sie als Frau nur wenige Aussichten auf eine Universitätskarriere habe. Dank einer Intervention des Institutsvorstands Ortner wurde das Stipendium schließlich doch verlängert und Karlik konnte mit Bezügen am Institut verbleiben. In einem Bericht des NS-Dozentenführers wurde sie als politisch unauffällig und eher desinteressiert beschrieben. Es scheint, als hätte dieses weder positiv noch negativ auffallende Verhalten in Kombination mit ihrem selbstdefinierten Forschungsfeld den Weg für ihre Nachkriegskarriere geöffnet.10 Österreich war wie Deutschland nach Kriegsende in vier Besatzungszonen unterteilt und erhielt erst mit der Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrags 1955 seine volle politische Souveränität unter der Bedingung politischer Neutralität zurück. Die österreichische Physik in der Nachkriegsperiode wurde bisher nur von Wolfgang Reiter und Reinhard Schurawitzki in einem Aufsatz thematisiert,11 die sich selbst nur eine erste Annäherung an den Themenbereich attestierten. Die Entnazifizierung12 hatte zwar personelle Konsequenzen, allerdings wogen für die österreichische Forschung der Mangel an finanziellen und materiellen Ressourcen wesentlich schwerer und verhinderten den Fortgang der Forschung, obwohl im Gegensatz zu Deutschland keine Verbote für Kernforschung von Seiten der Alliierten bestanden. Vielmehr unterstützten die westlichen Alliierten die österreichischen Wissenschaftler und 10 AÖAW, FE-Akten, IR, IV. Mitarbeiter, Personalakte Berta Karlik, K 1, Fiche 14; Archiv der Universität Wien (AUW), Personalakte Berta Karlik, Nr. 2152; Daniela Angetter/Michael Martischnig, Biografien österreichischer Physiker(innen). Eine Auswahl, Wien 2005, 58–60. 11 Reiter/Schurawitzki, Über Brüche hinweg Kontinuität, 236–259. 12 Dieter Stiefel, Der Prozeß der Entnazifizierung in Österreich, in: Klaus-Dietmar Henke/Hans Woller (Hg.), Politische Säuberung in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1991, 108–147.

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Wissenschaftlerinnen beim Wiederaufbau der Forschungsanlagen, so zum Beispiel beim Rücktransport der Radiumstandards und der Instrumente, die gegen Kriegsende in die westlichen Teile Österreichs ausgelagert worden waren.13 Zeitzeugen, wie beispielsweise Karl Lintner, der während des Krieges als Assistent von Georg Stetter gearbeitet hatte, erinnerten sich in Interviews mit dem Autor an keinerlei Einschränkungen für die Kernforschung. Lintners 1949 fertiggestellte Habilitation zur Wechselwirkung schneller Neutronen mit den schwersten stabilen Kernen (Quecksilber, Thallium, Bismut und Blei) basierte auf zahlreichen Forschungsarbeiten, die im Uranverein durchgeführt wurden.14 Ebenso wenig konnte sich der Physiker Ferdinand Cap, der 1945 als Übersetzer für die sowjetische Besatzungsmacht tätig war, an Restriktionen erinnern.15 Diese Zeitzeugenberichte finden in den Dokumenten aus dem Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ihre Bestätigung. So forderte beispielsweise Karlik 1947 den deutschen Hersteller eines während des Krieges bestellten Neutronengenerators auf, seinen Verpflichtungen nun endlich nachzukommen. Diese Anfrage wurde aber aufgrund der gesetzlichen Einschränkungen durch die Alliierten in Deutschland abgelehnt. Außerdem seien bereits Teile des Neutronengenerators von den Alliierten beschlagnahmt worden, so der deutsche Partner.16 Bedenkt man all diese Aspekte, scheint es plausibel, dass nach dem Krieg keine gesetzlichen Beschränkungen für Kernforschung in Österreich existierten.17 Während die Wiederaufnahme des Forschungsbetriebs am Institut für Radiumforschung vorbereitet wurde, bemühte sich Meyer als Vorstand des Instituts, die alten Netzwerke der Vorkriegszeit wiederherzustellen. Das Institut für Radiumforschung war neben Paris der zweite Aufbewahrungsort eines primären Radiumstandards. Meyer wurde nach der Gründung der Internationalen Radiumstandardkommission im Jahr 1910 zunächst zum Sekretär und später zu

13 Adrienne Janisch, Wie das Radium nach Wien zurückkam. Ein 10-Tonnen-Lastkraftwagen war zum Transport von zwei Gramm nötig, Radio Wien, 18. Mai 1946, AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 55, Fiche 812. 14 Karl Lintner, Wechselwirkung schneller Neutronen mit den schwersten stabilen Kernen (Hg, Tl, Bi und Pb), Habilitation Universität Wien 1949; Interview des Autors mit Karl Lintner, Wien 9. Juni 2007. 15 Interview des Autors mit Ferdinand Cap, Innsbruck, 3. August 2007. 16 Hans Suess an Karlik vom 20. April 1947 und C.H.F. Müller Aktiengesellschaft an Karlik vom 8. Juni 1949, AÖAW, FE-Akten, IR, XI. Behördenschriftwechsel 1938–1944, K 32, Fiche 448. 17 Eine weitere Kuriosität soll noch am Rande erwähnt werden: Im Jahr 1966 bot Karlik 400 kg hochreines Uranylnitrat zum Verkauf an, welches dem Institut für Radiumforschung während des Krieges von Deutschland überlassen, nicht von den Alliierten beschlagnahmt und bis dahin im Keller des Radiuminstituts gelagert worden war. Karlik an die Austro-Merck G.m.b.H. vom 7. Oktober 1966, AÖAW, FE-Akten, Radiumforschung, NL Karlik, K 50, Fiche 722.

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deren Präsidenten gewählt.18 Wissenschaftliche Netzwerke basieren auf dem gegenseitigen Vertrauen der Mitglieder in die fachliche Kompetenz, die Methoden und die Fähigkeiten der anderen Akteure im Netzwerk.19 Deshalb war es eine der vorrangigen Tätigkeiten Meyers nach Kriegsende, die Glaubwürdigkeit des Instituts wiederherzustellen. In diesem Zusammenhang beauftragte er zwei Doktorandinnen, die Exaktheit des Wiener Standards nachzuweisen, was schließlich auch gelang, sodass die Reputation des Instituts wieder hergestellt war.20 Meyers letztendlich erfolgloser Versuch, die Radiumstandardkommission als Joint Commission on Standards Units, and Constants of Radioactivity im Rahmen des International Council of Scientific Unions wiederzubeleben, kann ebenfalls als Teil seiner Anstrengungen gesehen werden, die Wiener Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wieder in die alten Netzwerke zu integrieren.21 Der Erfolg von Meyers und auch Karliks Wissenschaftsmanagement wird aber an anderer Stelle sichtbar : Das Institut für Radiumforschung wurde 1949 zur zentralen Isotopenstelle ernannt, die wiederum den Import und die Verteilung von radioaktiven Präparaten aus Großbritannien (seit 1949) und den USA (seit 1952) koordinierte.22 Nichtsdestotrotz verhinderten kalte Winter, der Mangel an Material, Ressourcen und nicht zuletzt finanziellen Mitteln bis zum Ende der 1940er-Jahre einen regulären Betrieb des Instituts. Aus materiellen Gründen schien auch die Etablierung eines Forschungsprogramms zur friedlichen Nutzung der Kernenergie in der näheren Zukunft unmöglich zu sein.23 Dies wurde deutlich in einer Rede Fritz Reglers, Experimentalphysiker an der Technischen Hochschule Wien (TH Wien), über die neuen Möglichkeiten der Kernphysik und ihre Anwendungen, insbesondere der nichtdestruktiven Materialprüfung. Die Planung eines Kernenergieprogramms erachtete er aufgrund der notwendigen Kosten im Jahr 1949 noch als einen Zukunftstraum.24 18 Wolfgang L. Reiter, Stefan Meyer. Pioneer of radioactivity, in: Physics in Perspective 3 (2001), 113–114. 19 AÖAW, FE-Akten, IR, K 31, Fiche 427–428. Siehe auch die Korrespondenz zwischen Stefan Meyer und Gustav Ortner, AÖAW, FE-Akten, IR, K 17, Fiche 271. 20 Stefan Meyer, Über die Radium-Standard-Präparate (29. Nov./13. Dez. 1945), in: Anzeiger der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Math.-naturwiss. Klasse, 82 (1945), 25–30; Berta Kremenak, Zur Frage der Genauigkeit der Radiumstandardpräparate (12. Dez. 1947), in: Acta Physica Austriaca 2 (1948), 299–311. 21 Vgl. Korrespondenz zwischen Stefan Meyer und Fr8d8ric Joliot-Curie 1945–1949, AÖAW, FE-Akten, IR, Nachlass Stefan Meyer, K 22, Fiche 352–354. 22 Berta Karlik, 1938–1950, in: Festschrift des Institutes für Radiumforschung anlässlich seines 40jährigen Bestandes (1910–1950), Wien 1950, 35–41, 40; AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 55, Fiche 816–818; Reiter/Schurawitzki, Über Brüche hinweg Kontinuität, 250. 23 Karlik, 1938–1950, 37–41. 24 Fritz Regler, Die Atomforschung und ihre Nutzanwendung in Österreich, in: Die Industrie 2 (1949), 49.

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Ein nationales Kernenergieprogramm wurde erst mit der Verzahnung der österreichischen Interessen mit internationalen Programmen möglich. Hier sind zwei Punkte zentral, die beide auf eine Initiative des US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower zurückgehen: Erstens die Gründung der IAEA mit ihrem Hauptsitz in Wien ab 1957 und zweitens das US-Programm Atoms for Peace. Die essentielle Voraussetzung dafür war ein Wandel der US-Nachkriegspolitik. Im Rahmen des Atoms for Peace-Programms stellten die USA ab Mitte der 1950erJahre befreundeten Nationen Kerntechnologie, das heißt Forschungsreaktoren, zur Verfügung. Dieses Programm zielte darauf ab, nationale Alleingänge im Bereich der Nukleartechnologie, wie beispielsweise die Anreicherung von Uran, zu unterbinden und eine Führungsposition der USA zu sichern. Ebenso sollte die IAEA die friedliche Nutzung der Kernenergie fördern, eine militärische aber weitestgehend unterbinden.25 Dieses Programm wurde bereits detailliert untersucht,26 aber ähnlich wie die meisten Pionierarbeiten zum Kalten Krieg, wie beispielsweise die der Physikhistoriker Paul Forman und Daniel Kevles,27 liegt der Fokus der Arbeit stark auf den USA. Trotz zahlreicher bedeutender Mikrostudien eröffnete erst der Wissenschaftshistoriker John Krige eine neue Perspektive, indem er die Wissenschaftspolitik der USA in Nachkriegseuropa in den Kontext des Kalten Kriegs setzte und diese als aktives Element zur Durchsetzung einer hegemonialen Position betrachtete.28 Das Atoms for Peace-Programm war Teil dieser Strategie, setzte jedoch einen Politikwechsel der USA in der Nachkriegszeit voraus. Der US-Atomic Energy Act (McMahon Bill) aus dem Jahr 1946 entzog die Kernforschung zwar einer rein militärischen Kontrolle, führte aber im Kontext der Atomforschung erstmals den Begriff der »restricted data« und des »born secret« in die amerikanische Gesetzgebung ein, also Wissen, das von Beginn an als sicherheitsrelevant klassifiziert wurde und dessen Weitergabe massiven Strafen unterlag.29 Diese frühe Strategie des Hortens und Abschottens zeigte sich u. a. im 25 David Fischer, History of the International Atomic Energy Agency. The First Forty Years, Wien 1997. 26 Richard G. Hewlett/Jack M. Holl, Atoms for Peace and War, 1953–1961. Eisenhower and the Atomic Energy Commission, Berkeley–Los Angeles 1989. 27 Paul Forman, Behind Quantum Electronics. National Security as Basis for Physical Research in the United States, 1940–1960, in: Historical Studies in the Physical and Biological Sciences 18 (1987), 149–229; Daniel Kevles, Cold War and Hot Physics. Science, Security, and the American State, 1945–56, in: Historical Studies in the Physical and Biological Sciences 20 (1987), 239–264; Daniel Kevles, The Physicists. The History of a Scientific Community in Modern America, 3. Aufl., Cambridge 1995. 28 John Krige, American Hegemony and the Postwar Reconstruction of Science in Europe, Cambridge, MA 2006. 29 Jessica Wang, American Science in an Age of Anxiety. Scientists, Anticommunism, and the Cold War, Chapel Hill–London 1999; dies., Scientists and the Problem of the Public in Cold War America, 1945–1960, in: Osiris 17 (2002), 323–347.

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amerikanischen Projekt Overcast, das ebenso wie sein sowjetisches Pendant Osoaviachim danach strebte, Wissen aus Europa in die USA zu transferieren, sei es in Form von wissenschaftlichen Berichten oder Personen.30 Diese Position wandelte sich bereits Ende der 1940er-Jahre. Am deutlichsten sichtbar wurde dies mit der Initiierung des European Recovery Programs (Marshall-Plan) im April 1948. Die Wiedererrichtung der im Krieg stark geschädigten europäischen Infrastruktur als ein Bollwerk gegen eine Ausdehnung des sowjetischen Einflussbereichs stand von nun an im Vordergrund der US-Politik und nicht mehr das Ziel, die Ressourcen der ehemaligen Kriegsgegner abzuschöpfen. Gleichzeitig sollte ein politisches und ökonomisches Modell nach dem Vorbild der USA unter deren Vorherrschaft in Europa installiert werden. Wissenschaftspolitik war in dieser politischen Strategie nicht nur ein Mittel, sondern ein aktiver Bestandteil der US-Außenpolitik.31 Mit einer Revision des Atomic Energy Acts im Jahr 1954 wurde nun auch US-amerikanischen Firmen der Export von Kerntechnologie möglich, ebenso wie die notwendige Ausbildung ausländischer Reaktorbetreiber in den USA erfolgen konnte.32 Eisenhowers Atoms for Peace-Rede fiel auf fruchtbaren Boden, insbesondere in den Diskussionen der österreichischen Techniker und Ingenieure. Bereits 1953 und 1954 hatte der Elektrotechnische Verein Österreichs (EVÖ) eine Vortragsreihe initiiert, die die verschiedenen Aspekte der Kernphysik einem breiteren Fachpublikum nahebringen sollte. Im Dezember 1954 gründete sich im EVÖ eine Studiengruppe, die die Möglichkeiten der friedlichen Nutzung der Kernenergie in Österreich evaluieren sollte. Zu ihren Mitgliedern zählten Heinrich Sequenz, der bis 1945 Rektor der TH Wien war, Universitätsangehörige wie der ehemalige Direktor des Vierjahresplaninstituts für Neutronenforschung Stetter sowie der Theoretiker Hans Thirring, die Experimentalphysiker Erich Schmid und Lintner, der Ministerialrat Alexander Koci und Karlik, die das konstituierende Treffen mitorganisierte. Die Organisation einer solchen Studiengruppe war bereits früher geplant gewesen, aber praktische Belange, wie der

30 Tom Bower, Verschwörung Paperclip. NS-Wissenschaftler im Dienst der Siegermächte, München 1988; Burghard Ciesla, Das ›Project Paperclip‹. Deutsche Naturwissenschaftler und Techniker in den USA (1946 bis 1952), in: Jürgen Kocka (Hg.), Historische DDRForschung. Aufsätze und Studien, Berlin 1993, 287–301; Linda Hunt, Secret Agenda: The United States government, Nazi scientists, and Project Paperclip, 1945 to 1990, New York, 1991; Ulrich Albrecht/Andreas Heinemann-Grüder, Die Spezialisten. Deutsche Naturwissenschaftler und Techniker in der Sowjetunion nach 1945, Berlin 1992; Burghard Ciesla, Der Spezialistentransfer in die UdSSR und seine Auswirkungen in der SBZ und DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 49–50 (1993), 24–31. 31 Krige, American Hegemony ; John Krige, Building the Arsenal of Knowledge, in: Centaurus 52 (2010), 280–296. 32 Hewlett/Holl, Atoms for Peace and War, 183–208.

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Umzug des EVÖ in ein neues Büro und die vage Perspektive einer solchen Gruppe, verzögerten die Konkretisierung der Pläne.33 Nur fünf Tage nach der Gründung der Studiengruppe fand das erste interministerielle Treffen statt, bei dem die internationale Zusammenarbeit zur friedlichen Nutzung der Atomenergie diskutiert wurde. Es nahmen, bis auf das im Bundeskanzleramt angesiedelte Amt für Landesverteidigung, alle Ministerien teil; allerdings war nur ein akademische Vertreterin geladen: Karlik, die als Vorständin des Instituts für Radiumforschung eine zentrale Rolle in den Planungen spielte. Während dieses Treffens wurde die Gründung einer Expertenkommission für die friedliche Nutzung der Atomenergie beschlossen, die die Möglichkeiten und Aufwendungen zum Bau eines Forschungsreaktors mit USamerikanischer Unterstützung evaluieren sollte. Auch die Elektrizitätsgewinnung aus der Kernspaltung wurde diskutiert, schien aber zum damaligen Zeitpunkt nur eine Zukunftsperspektive zu sein, die neben anderen Formen der Energiegewinnung stehen sollte.34 Nach einer Sitzung des Ministerrats im Januar 1955 und weiteren interministeriellen Treffen sandte das Erziehungsministerium ein Rundschreiben an alle österreichischen Universitäten aus, in dem Stellungnahmen über einen Forschungsreaktor erbeten wurden.35 Einen Monat später hatten die Universitäten die Delegierten für die Kommission benannt. Es wurden Unterkomitees für experimentelle und theoretische Kernphysik, Chemie, Medizin, Biologie und für die Kernreaktortechnik gegründet. Alle Delegierten kamen von der Universität Wien, mit einer Ausnahme im Bereich der Reaktortechnik. Karlik wurde beauftragt, alle notwendigen Memoranda zu verfassen, was ihre zentrale Rolle erneut unterstrich.36 In ihrem Gutachten über den Bau eines Kernreaktors legte Karlik eine Übersicht über die verschiedenen Reaktortypen und die damit verbundenen Kosten dar. Des Weiteren berichtete sie über den Stand der friedlichen Nutzung der Kernenergie in anderen europäischen Staaten, unter ihnen Frankreich, Norwegen, die Niederlande, Schweden, die Schweiz, Italien und die Bundesrepublik Deutschland. Großbritannien und auch die USA wurden aufgrund der Beteiligung des Militärs an den verschiedenen Projekten explizit von dieser Analyse ausgenommen. 33 Sitzungsbericht über die Gründung einer Studiengruppe Atomenergie im EVÖ am 16. Dezember 1954 vom 10. Januar 1955, AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 51, Fiche 750. 34 Schreiben des BKA/AA Zl. 157.959-INT/54 an das Institut für Radiumforschung vom 22. Dezember 1954 mit dem Betreff: Internationale Zusammenarbeit für die friedliche Nutzung der Atomenergie (Interministerielle Sitzung vom 21. Dezember 1954), AÖAW, FEAkten, IR, NL Karlik, K 50, Fiche 726. 35 Rundschreiben des Bundesministeriums für Unterricht (BMfU), an die Rektorate der österreichischen Universitäten und Hochschulen vom 11. Februar 1955, AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 56, Fiche 829. 36 Korrespondenz zwischen BMfU und der Universität Wien, Februar und März 1955, AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 56, Fiche 829.

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Karlik betonte, dass alle diese europäischen Staaten lediglich den Bau von Forschungsreaktoren anstrebten und die finanzielle Situation in Österreich nur die Errichtung eines solchen Reaktortyps zulassen würde. Um dies zu erreichen, empfahl sie ein gemeinsames Projekt der beteiligten Ministerien, der Hochschulen und der Industrie. Außerdem hob sie ein anderes Problem hervor, nämlich den Mangel an qualifiziertem Personal, das bei einer zukünftigen Reaktorbetreibung bestünde.37 Der Personalmangel war eines der Hauptprobleme des geplanten Projekts, sodass das Erziehungsministerium begann, im Ausland nach österreichischen Kernphysikern zu suchen, um diese eventuell zu einer Rückkehr zu bewegen. Unter den aufgespürten Physikern befand sich eine der zentralen Personen der österreichischen Kernforschung, die nun die erste Möglichkeit für eine Rückkehr erhielt:38 Ortner, der ehemalige Vorstand des Instituts für Radiumforschung, wurde von Karlik als Koordinator des Projekts vorgeschlagen.39 Nachdem Ortner 1945 aus dem österreichischen Staatsdienst entlassen worden war, hielt er sich zunächst notdürftig als freier Wissenschaftler und Autor über Wasser, bis er 1950 eine Professur in Kairo antreten konnte. Karlik und Ortner blieben während dieser Zeit in regelmäßigem Kontakt, der bis zum Austausch von Materialproben reichte, die Karlik nach Kairo sandte.40 Um die Chance auf eine Rückkehr nicht zu verspielen, sah Ortner in einem sehr zurückhaltenden Brief an das Ministerium von jeglichen Gehaltsforderungen ab. Karlik auf der anderen Seite wies den Wunsch des Ministeriums nach einem zweiten möglichen Kandidaten zurück und beharrte auf Ortner als einzigen Kandidaten.41 Am Ende lief alles wie gewünscht: Ortner erhielt eine Stelle als Projektkoordinator, formal als Konsulent im Bundesministerium für Unterricht, wurde zu Fortbildungskursen über Reaktortechnik in die USA geschickt und nachträglich als österreichischer Experte für die Atomenergiekonferenz in Genf im August 1955 nominiert.42 Der österreichische Ministerrat nahm alle Empfehlungen der Expertenkommission, die auf Karliks Vorarbeiten basierten, auf und fällte kurz bevor Österreich mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages im Mai 1955 die volle 37 Gutachten über die Zweckmäßigkeit der Errichtung eines Reaktors in Österreich, verfasst von Berta Karlik im April 1955, AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 49, Fiche 706. 38 Neben Ortner befanden sich auch andere Wissenschaftler aufgrund ihrer NS-Vergangenheit im Ausland: Unter ihnen Willibald Jentschke, der später zum Direktor des DESY in Hamburg wurde, oder Josef Schintelmeister, der Abteilungsleiter am Zentralinstitut für Kernforschung in Rossendorf bei Dresden wurde. 39 Karlik an BMfU vom 28. April 1955, AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 56, Fiche 829. 40 Briefwechsel zwischen Karlik und Ortner, AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 46, Fiche 665. 41 Karlik an BMfU vom 28. April 1955; Karlik an BMfU vom 4. Mai 1955; Ortner an Karlik vom 17. Mai 1955, AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 56, Fiche 829. 42 Karlik an BMfU vom 16. Juli 1955, AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 56, Fiche 830.

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Souveränität erhalten sollte den Entschluss, nach Möglichkeit mit amerikanischer Unterstützung einen Forschungsreaktor zu bauen. Deshalb verwundert es nicht, dass Österreich auch Angebote für den Bau eines Forschungsreaktors aus der Sowjetunion und aus Jugoslawien erhielt. Diese Angebote zirkulierten allerdings nur unter den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, ohne dass irgendwelche weiteren Maßnahmen getroffen wurden. Karlik empfahl die Annahme des umfassenden amerikanischen Angebots, da dieses Ausbildungskurse, die Versorgung mit Brennelementen und deren Entsorgung einschloss.43 Allerdings war schon in einer der ersten interministeriellen Besprechungen im Dezember 1954, noch bevor die Expertenkommission gegründet worden war, nur von der US-amerikanischen Option die Rede gewesen.44 Es kann deshalb angenommen werden, dass die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen den politischen Vorgaben folgten. Hatte es bei der Debatte um den österreichischen Beitritt zum europäischen Kernforschungszentrum CERN45 noch Kontroversen über die Zuständigkeit der TH beziehungsweise der Universität Wien gegeben, so stand drei Jahre später Karlik, umgeben von den Mitgliedern des Instituts für Radiumforschung und der Universität Wien, im Zentrum der Diskussion um den Forschungsreaktor und bestimmte diese entscheidend mit, während die TH nur als Randakteur in Erscheinung trat. Diese Entwicklung führte im Dezember 1955 zur Gründung einer eigenen Studiengruppe an der TH, um die Interessen an den möglichen neuen Forschungsressourcen besser artikulieren zu können.46 Ein halbes Jahr nach ihrer Gründung wandte sich diese Studiengruppe in einem Brief an das Unterrichtsministerium. Der Verfasser Heinrich Sequenz hob die Bedeutung von Ingenieuren für die neuen Entwicklungen in der Kernenergietechnik hervor und betonte, dass ein neues Institut nicht nur der Universität Wien, sondern auch der TH zugeordnet werden sollte und in diesem Rahmen beide Institutionen über die gleichen Rechte verfügen sollten.47 Noch bevor dieser interne Konflikt ausbrach, demonstrierten die österreichischen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im August 1955 Einigkeit auf der First International Conference on the Peaceful Uses of Atomic Energy in Genf. In Vorbereitung der Konferenz beauftragte das Bundeskanzleramt/Aus43 Karlik an H. Küpper vom 10. November 1955, AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 56, Fiche 830. 44 Schreiben Bundeskanzleramts/Auswärtige Angelegenheiten (BKA/AA) an das BMfU vom 6. Dezember 1954, ÖStA, AdR, Bestand BMfU Atom, Zl. 157.605-INT/54. 45 Akronym aus der französischen Namensgebung Conseil Europ8en pour la Recherche Nucl8aire. Österreich trat nach langen Diskussionen über die Höhe des Mitgliedsbeitrags 1959 dem CERN bei. 46 Sitzungsprotokoll vom 19. Dezember 1955, Archiv der Technischen Universität Wien (ATU), R.Z. 2787/55, 31. 47 Sequenz an BMfU vom 6. Juli 1956, ATU, R.Z. 2787/55, 32–33.

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wärtige Angelegenheiten die Erstellung eines Memorandums mit dem Ziel: »Der Welt soll gezeigt werden, dass Österreich seit Jahren Atomenergie für friedliche Zwecke verwendet und auf diesem Gebiet zu den führenden europäischen Nationen gehört.«48 Vergleicht man diesen Auftrag mit den Argumenten, die den Beitritt Österreichs zum CERN begleitet hatten, wird deutlich, dass die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit ihrer Argumentation erfolgreich gewesen und die Mehrzahl ihrer Argumente von den Politikern übernommen worden waren. Es war auch dieses Mal Karlik, die den Auftrag erhalten hatte, das Memorandum zu verfassen. Hauptsächlich diskutierte sie den Einsatz von radioaktiven Isotopen in unterschiedlichen Anwendungsgebieten: von der Medizin über die verschiedenen Naturwissenschaften bis hin zu industriellen Anwendungen. Im letzten Abschnitt konzentrierte sie sich auf die Planungen zum Bau eines Reaktors: »Austria is considering building a research reactor as a joint project of science and industry and is engaged in preparations. It is expected that within a period of one year, it will be possible to clear the major problems as there are juridical forms of cooperation for the partners in the project, the financial problem, the coordination of the research programs as well as the reactor type, a time schedule, etc. – The construction of a power reactor is not considered advisable at the moment.«49

Hier sprach Karlik die noch ungeklärten Hauptprobleme an, an denen später auch die Zusammenarbeit der verschiedenen Partner scheitern sollte: die Koordination der Forschungsprogramme und die juristische Form der Zusammenarbeit. Die Genfer Konferenz aber wirkte wie ein Katalysator für das österreichische Projekt, allerdings nicht in der Weise, wie es von den österreichischen Physikern und Physikerinnen angestrebt worden war. Parallel zu den akademischen Studiengruppen hatte sich eine Allianz aus Energiewirtschaft, Industrie und Politik gebildet, die am 15. Mai 1956 zur Gründung der Österreichischen Studiengesellschaft für Atomenergie GmbH (SGAE) führte. Die Kapitaleinlage von sechs Millionen österreichischen Schilling (öS) teilten sich zu 51 Prozent der österreichische Staat und zu 49 Prozent die insgesamt mehr als 80 beteiligten Industrieunternehmen. Im Aufsichtsrat der SGAE war nur ein Wissenschaftler, Ortner, vertreten. Nichtsdestotrotz waren die Wissenschaftler eingeladen, sich an den neugegründeten Arbeitskreisen zu beteiligen, beispielsweise zu Biologie, Medizin, Sicherheitsfragen, Forschungs- und Energiereaktoren, Metallurgie, Physik, Chemie sowie zu rechtlichen Fragen.50 Im Juni 1956 wurde ein Vertrag unterzeichnet, der die Zusammenarbeit bei der friedli48 BKA/AA an das Institut für Radiumforschung vom 27. Januar 1955, AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 50, Fiche 727. 49 Entwurf des Memorandums, AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 55/56, Fiche 825. 50 BMfU an Karlik vom 23. August 1956, AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 56, Fiche 832.

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chen Nutzung der Atomenergie zwischen den USA und der Republik Österreich regelte. Die Errichtung eines neuen Forschungszentrums sowie eines Forschungsreaktors vom Typ »swimming-pool« in Seibersdorf bei Wien wurde entschieden. Etwa 40 Prozent der notwendigen Investitionen in der Höhe von 102 Millionen öS stammten aus dem European Recovery Program Fund, neun Millionen öS wurden direkt von der American Atomic Energy Commission finanziert.51 Im weiteren Verlauf der Planungen wurden die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zwar angehört, allerdings hatten sie im Kampf um finanzielle und personelle Ressourcen die schwächste Position, ebenso wie bei der Frage, wer die Richtung der künftigen Forschung angeben sollte. Schlussendlich scheiterte die Kooperation zwischen Wissenschaft und Industrie im Mai 1957, als der Beschluss fiel, dass das neue Reaktorzentrum nicht als Hochschulinstitut organisiert werden sollte.52 Gleichzeitig forcierten die Universitäten ihre Forderungen nach einem eigenen Forschungsreaktor, denen schließlich im August 1957 nachgekommen wurde.53 Dies führte zur Gründung des Atominstituts der Österreichischen Universitäten im Jahr 1959, das für 258.625 US-Dollar einen TRIGA MARK II Reaktor, genannt Austria 30, von der US-Firma General Atomics erhielt.54 Der Standort des neuen Forschungsinstituts und damit auch des Reaktors wurde in der Öffentlichkeit heftig debattiert, da zunächst der kleine Flakturm im Wiener Augarten, einer zentralen Parkanlage zwischen dem II. und XX. Wiener Bezirk, vorgesehen war. Doch bei der Begutachtung des Flakturms zeigte sich, dass dieser aufgrund von Rissen ungeeignet war. Außerdem führten massive Proteste der Anrainer schließlich dazu, dass der so genannte Grüne Prater, ein Grüngürtel in den Außenbereichen Wiens, als Standort gewählt wurde.55 Das neue Institut wurde administrativ der TH zugeordnet, aber die Geschäftsordnung sah vor, dass es für die Mitglieder aller österreichischen Hochschulen zur

51 Vgl. Peter Müller, Atome, Zellen, Isotope. Die Seibersdorf-Story, München 1977, 83–87; Helmut Lackner, Von Seibersdorf bis Zwentendorf. Die »friedliche Nutzung der Atomenergie« als Leitbild der Energiepolitik in Österreich, in: Blätter für Technikgeschichte 62 (2000), 201–226, 209–212. 52 BMfU an die Rektorate aller wissenschaftlichen Hochschulen vom 24. Mai 1957, AÖAW, FEAkten, IR, NL Karlik, K 56, Fiche 832. 53 BMfU an die Rektorate aller wissenschaftlichen Hochschulen und das Dekanat der Katholisch-theologischen Fakultät in Salzburg vom 30. August 1957, AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 56, Fiche 832. 54 Vertrag zwischen BMfU und der General Dynamics Corporation, AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 56, Fiche 834/835. 55 Gedächtnisprotokoll über die Sitzung des Aktionskomitees für Atomenergie, Dienstag 1. April 1958, im kleinen Sitzungssaal des Bundesministeriums für Unterricht, verfasst von Fritz Regler, 2. April 1958, ATU, R.Z. 1250/58, 70.

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Forschung offenstehen sollte.56 Dennoch kamen die Direktoren Ortner, seit 1960 ordentlicher Professor an der TH, und Regler beide von der TH. Sie wurden im März 1961 nominiert, als die Bauarbeiten am Reaktor noch in vollem Gange waren.57 Die Diskussionen um die Geschäftsordnung, insbesondere die Frage des Zugangs zu den neuen Ressourcen für Forschung und Lehre, entzündeten sich nach der Eröffnung des Instituts. Sie erreichten schließlich sogar den Punkt, an dem die Universität Wien ein Rechtsgutachten von der Juridischen Fakultät einholte. Ohne zu einer klaren juristischen Lösung zu gelangen, wurde schließlich ein Modus der friedlichen Koexistenz gefunden.58 Langfristig verloren die Universitäten diesen Wettstreit, als zu Beginn des 21. Jahrhunderts das Atominstitut der TH Wien zugeordnet wurde. Zu guter Letzt gingen drei Forschungsreaktoren in Betrieb: Der ASTRA Reaktor der, von der Industrie dominierten, SGAE in Seibersdorf im Jahr 1960, der TRIGA MARK II der österreichischen Universitäten im Wiener Prater 1962 und, abseits des Hauptgeschehens, ein kleiner Siemens Argonaut Reaktor an der Technischen Universität Graz im Jahr 1963. Letzterer wurde vom Land Steiermark mit Unterstützung der lokalen Industrie, relativ unberührt von den Diskussionen in Wien, errichtet. Die Arbeitsaufteilung zwischen den einzelnen Instituten verlief nach den Kontroversen in der Aufbauphase eher reibungslos. Während sich das Atominstitut im Wiener Prater vor allem der Grundlagenforschung widmete, wurden in Seibersdorf vorrangig Arbeiten zur Nutzung der Atomenergie ausgeführt. Dazu zählten bald auch Forschungsarbeiten zur Energiegewinnung aus Kernspaltung.59 Die Grundthese für die Periode bis zur Inbetriebnahme der Reaktoren ist, dass sich neben den traditionellen akademischen Forschungsstrukturen neue Strukturen herausbildeten und die traditionellen in weiten Bereichen ablösten. Dieser Prozess wurde von den entsprechenden forschungspolitischen Weichenstellungen begleitet60 und ist im Kontext einer europäischen Entwicklung während des Kalten Kriegs zu sehen: Folgt man den geläufigen Erzählungen der 56 Entwurf eines Erlasses des BMfU betreffend der Zuordnung des Atominstituts, 2. Februar 1959, Erlass des Ministeriums vom 20. Februar 1959, AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 56, Fiche 834. 57 Protokoll der 5. Sitzung der Atomkommission der österreichischen Hochschulen am 11. März 1961 um 10:00 Uhr im großen Sitzungssaal der Technischen Hochschule Wien, AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 56, Fiche 836. 58 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 56, Fiche 836/837/838, darin insbesondere Fiche 838, Gutachten des Dekans der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien vom 27. März 1962. 59 Vgl. Interview des Autors mit Helmuth Böck und Helmut Rauch, Wien, 25. August 2009. 60 Rupert Pichler/Michael Stampfer/Reinhold Hofer, Forschung, Geld und Politik. Die staatliche Forschungsförderung in Österreich 1945–2005, Innsbruck 2007 Michael Stampfer/Rupert Pichler/Reinhold Hofer, The Making of Research Funding in Austria. Transition Politics and Institutional Development, 1945–2005, in: Science and Public Policy 37 (2010), 765–780.

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Akteure, so wurden am privatwirtschaftlichen Reaktorzentrum Seibersdorf »angewandte« Arbeiten und am Atominstitut der Hochschulen »Grundlagenforschung« durchgeführt. Diese Erzählungen fügen sich wunderbar in neuere Ansätze der Wissenschaftsforschung wie der New Production of Knowledge ein: Ein klassisches Hochschulinstitut im traditionellen Mode 1 und ein modern organisiertes Institut als Mischform von Staat, Industrie und Wissenschaft als Mode 2.61 Auf den ersten Blick scheint sich dies zu bestätigen: Herausragende Forschungsarbeiten am Atominstitut waren beispielsweise die 1974 von Helmut Rauch durchgeführten Experimente zur Neutroneninterferenz.62 Weitere Experimente zur Quantenphysik unterstreichen dies. Im Gegensatz dazu hebt das Inhaltsverzeichnis der Forschungsberichte des Reaktorzentrums Seibersdorf, gegliedert nach den Abteilungen, unter Punkt A das Forschungsprogramm der jeweiligen Abteilung und unter Punkt B »Bedeutung der Forschungsprojekte des Instituts […] im Hinblick auf die angewandte und industrielle Forschung«63 hervor. Macht man sich aber die Mühe den Bericht über das Inhaltsverzeichnis hinaus durchzusehen, so stellt man fest, dass zahlreiche Projekte mit dem Zusatz »(Grundlagenforschung)« versehen sind.64 Die in Seibersdorf durchgeführten Arbeiten sind höchst heterogen und lassen sich nicht in das klassische Korsett »angewandte Forschung« und »Grundlagenforschung« zwängen. Einerseits zeigen gemeinsame Projekte mit der IAEA – wie die Konservierung von Fruchtsäften mit radioaktiver Strahlung ab 1964 – klar den Charakter der Anwendungsorientierung, aber auch das Atominstitut der Hochschulen kooperierte mit der IAEA und bildete zahlreiche ihrer Experten und Expertinnen aus. Andererseits stehen Helmut Rauchs Experimenten zur Neutroneninterferenz am Atominstitut Experimente zum Neutronenzerfall in Seibersdorf gegenüber.65 Nichtsdestotrotz blieb die Entwicklung eines nationalen Kernenergieprogramms, die Ausbildung von Personal, Kooperation insbesondere mit der Maschinenbau-, Stahl- und Energieindustrie eine der Hauptaufgaben des Reaktorzentrums Seibersdorf. Beim Bau des nie in Betrieb genommenen Kern61 Michael Gibbons et al., The New Production of Knowledge. The Dynamics of Science and Research in Contemporary Societies, London 1994; Helga Nowotny/Peter Scott/Michael Gibbons, Mode 2 revisited: The New Production of Knowledge, in: Minerva 41 (2003), 179–194. 62 Helmut Rauch/W. Treimer/U. Bonse, Test of a Single Crystal Neutron Interferometer, in: Physics Letters A 47 (1974), 369–371. 63 Reaktorzentrum Seibersdorf der Österreichischen Studiengesellschaft für Atomenergie Ges. m.b.H., Bericht über die Inbetriebnahme des ASTRA-Reaktors sowie der ersten Laboratorien. Forschungs- und Entwicklungsprogramm 1961, Seibersdorf 1962, Inhaltsverzeichnis. 64 Reaktorzentrum Seibersdorf der Österreichischen Studiengesellschaft für Atomenergie Ges. m.b.H., »Inbetriebnahme«. 65 Rudolf Dobrozemsky et al., Electron-neutrino angular correlation coefficient a measured from free-neutron decay, in: Physical Review D 11 (1975), 510–512.

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kraftwerks im niederösterreichischen Zwentendorf übernahm das Institut für Reaktorentwicklung auch die Aufgabe des Hauptgutachters. Aber das Bundesministerium für Umwelt, das für das Genehmigungsverfahren verantwortlich war, betraute neben der Studiengesellschaft eben auch eine Arbeitsgemeinschaft um Gustav Ortner vom Atominstitut als Sicherheitsgutachter. Es sei noch erwähnt, dass als weiterer Gutachter, analog zum deutschen Vorbild, der Technische Überwachungsverein (TÜV) gemäß der Dampfkesselverordnung aus dem Jahr 1950 für den nuklear betriebenen Dampfkessel fungierte. Nicht zu Letzt intensivierte sich die Zusammenarbeit mit den Hochschulen, als sich das Seibersdorfer Institut bereit erklärte, Diplomanden und Doktoranden der Hochschulen aufzunehmen. Im Gegenzug übernahm das Unterrichtsministerium einen erheblichen Anteil der Betriebskosten des Reaktorzentrums.66 Diese knappe Gegenüberstellung der Forschungsarbeiten der beiden Institute macht bereits deutlich, dass der New Production of Knowledge-Ansatz zu kurz greift. Zwar liegen den beiden Instituten – Hochschulinstitut einerseits und private GmbH andererseits – unterschiedliche Forschungsprogramme zugrunde, allerdings existierte ein deutliche Überlappung zwischen den beiden Institutionen, sodass die Kritik an dem oben genannten Ansatz, er würde künstliche Trennungen herbeiführen anstatt transversale Verbindungen zu untersuchen,67 überaus berechtigt erscheint. Darüber hinaus war diese Trennung ein forschungspolitisch gewolltes Konstrukt der österreichischen Politik68 und so muss auch hier festgehalten werden, dass Mode 1 und Mode 2 zwar eine Lesehilfe bei der Analyse des historischen Materials bieten, diese jedoch ein verzerrtes Bild abgibt. Vielmehr weißt eine punktuelle Kopplung der drei gesellschaftlichen Teilsysteme Wissenschaft, Industrie und Politik auf eine Schnittstelle hin, aus der eine Innovation hervorgehen kann.69 Das Scheitern der Innovation »Kernenergie« in Österreich lässt sich dann durch eine fehlende Kopplung zwischen Gesellschaft/Markt und den anderen genannten Teilsystemen verstehen. Darüber hinaus ermöglichte die politische Neutralität und die Anerkennung der Führungsrolle der USA die Installation der IAEA ab 1957 in Wien, mit einem eigenen Laboratorium im Forschungszentrum Seibersdorf, das in enger Kooperation mit dem dortigen Reaktorzentrum der Österreichischen Studiengesellschaft für Atomenergie ÖSGAE Ges.m.b.H. zusammenarbeitete. Dabei ist 66 Interview des Autors mit Walter Binner und Johann Pisecker, 27. August 2009, in Wien. 67 Terry Shinn, The Triple Helix and New Production of Knowledge. Prepackaged Thinking on Science and Technology, in: Social Studies of Science 32 (2002), 599–614. 68 Stampfer/Pichler/Hofer, Research Funding; Pichler/Stampfer/Hofer, Forschungsförderung. 69 Henry Etzkowitz/Loet Leyesdorff (Hg.), Universities in the Global Economy : ATriple Helix of University-Industry-Government Relations, London, 1997; Loet Leydesdorff/Henry Etzkowitz, Emergence of a Triple Helix of University–Industry–Government Relations, in: Science and Public Policy 23 (1996), 279–286.

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insbesondere die Herausbildung eines auf die Stromgewinnung aus Kernenergie ausgerichteten nationalen Forschungsprogramms in komplexen Beziehungen und enger Kooperation mit überstaatlichen Organisationen, wie der IAEA, aber auch der OECD, im Kalten Krieg bemerkenswert.70

III.

Von der Großforschung zur Großtechnologie (ca. 1963 bis 1986)

Die privatwirtschaftlich organisierte SGAE nahm eine zentrale Position auf dem Weg vom Forschungs- zum Leistungsreaktor ein. Im Rahmen einer österreichischen Beteiligung arbeiteten Mitglieder der SGAE im Rahmen der OECD seit 1959 am High DRAGON-Projekt in England und am HALDEN-Projekt in Norwegen zur Entwicklung neuer Reaktortypen mit. Zentral für die folgende Darstellung ist das Institut für Reaktorentwicklung, das 1961 in Zusammenarbeit mit der Reaktorinteressengemeinschaft (RIG), die ihrerseits aus zehn an der Seibersdorfer GmbH beteiligten Unternehmen bestand, gegründet wurde.71 Ziel war es, in Kooperation mit der Elektrizitätswirtschaft Leistungsreaktoren zu untersuchen und eine Gruppe von Experten heranzubilden, die bei künftigen Kernenergievorhaben in Österreich für das Projektmanagement, den Bau, Betrieb und die Sicherheit zur Verfügung stehen sollten. Zunächst wurden zahlreiche Mitarbeiter des Instituts für das HALDEN- und DRAGON-Projekt abgestellt. Ab 1963 wurde gemeinsam mit der RIG, der Arbeitsgemeinschaft Kernkraftwerk der Elektrizitätswirtschaft und der Studiengruppe Kerntechnik im Bauwesen ein 15 Megawatt Versuchskraftwerk namens Austria geplant. Gemeinsam mit den Siemens-Schuckertwerken in Erlangen wurde dieses Projekt über eineinhalb Jahre ausgearbeitet. Der sechsbändige Projektbericht für einen Druckwasserreaktor enthielt genaue Kostenangaben und Wirtschaftlichkeitsberechnungen unter Berücksichtigung der Angebote der österreichischen Industrie. Realisiert wurde das Kernkraftwerk Austria nie – das Projekt kam über 70 Lackner, Von Seibersdorf bis Zwentendorf, 201–226; Gerhard W. Schwach/Österreichisches Forschungszentrum Seibersdorf, 25 Jahre Forschungszentrum Seibersdorf, Seibersdorf, 1982; Müller, Atome, Zellen, Isotope; Peter Müller, Seibersdorf: das Forschungszentrum als Drehscheibe zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, Wien–München–Zürich 1986. 71 Es sei an dieser Stelle auf die Vielfalt der Forschungsarbeiten in Seibersdorf hingewiesen. So wurde beispielsweise im Rahmen eines gemeinsamen Projekts mit der seit 1957 in Wien ansässigen Internationalen Atomenergie Organisation die Haltbarmachung von Fruchtsäften untersucht. Das gesamte Spektrum der Arbeitsbereiche umfasste Biologie und Landwirtschaft, Chemie, Elektronik, Isotopenanwendung in der Industrie, Metallurgie, Physik und nicht zuletzt auch die Reaktorentwicklung und den Strahlenschutz. Vgl. Österreichische Studiengesellschaft für Atomenergie (Hg.), 10 Jahre Österreichische Studiengesellschaft für Atomenergie Gesellschaft m. b. H. Rückschau und Ergebnisse, Seibersdorf/Wien 1966, 4–10.

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die Standortsuche in Seibersdorf nicht hinaus. Vielmehr wurde es von der aktuellen Entwicklung der Kernenergietechnik mit immer leistungsfähigeren Kraftwerken überholt. Schuld daran war auch die zögerliche Haltung der zentralen Verbundgesellschaft, die zunächst andere Projekte realisieren wollte. Nichtsdestotrotz macht das Beispiel das große Interesse der österreichischen Industrie am Bau eines Kernkraftwerkes deutlich, lange bevor der Startschuss für Zwentendorf fiel.72 Energieproduktion war in Österreich bis in die späten 1980er-Jahre ein Regierungsmonopol. Zum einen wurde sie über die von der Bundesregierung kontrollierte zentrale Verbundgesellschaft (Österreichische Elektrizitätswirtschafts-Aktiengesellschaft) organisiert und zum anderen über die Landesgesellschaften, die den jeweiligen Landesregierungen unterstanden. Energiegewinnung aus Kernspaltung erschien noch zu Beginn der 1960er-Jahre, als die Forschungsreaktoren gebaut wurden, als zu kostspielig im Vergleich zu Wasserkraft oder thermischen Kraftwerken, welche auf Öl oder Kohle basieren. Auch die 1956 vorhergesagte Verdopplung des Energiebedarfs innerhalb eines Jahrzehnts, von Mitte der 1950er- bis in die 1960er-Jahre, führte zu keinem Meinungsumschwung.73 Die Vorhersage trat ein und der benötigte Energiezuwachs konnte nicht mehr aus Wasserkraft allein gedeckt werden, sondern erforderte den Bau weiterer thermischer Kraftwerke. Dabei darf Österreichs Abhängigkeit von Energieimporten nicht außer Acht gelassen werden. Bereits seit 1955 musste Österreich Primärenergie importieren. Im Jahr 1970 machte dies bereits mehr als 50 Prozent aus. Diese Abhängigkeit von Importen unterlag jahreszeitlichen Schwankungen. Während im Winter der Stromverbrauch besonders hoch war, erreichten Laufwasserkraftwerke ihre Produktionsspitzen im Sommer, sodass der Mehrverbrauch im Winter durch zusätzlichen Import von Kohle und Öl gedeckt werden musste. Die Kernenergie schien ein möglicher Ausweg aus der wachsenden Abhängigkeit Österreichs von Primärenergieimporten aus dem Ostblock und den OPECStaaten zu sein. Hinzu kam das verstärkte Drängen der Industrie, der bereits genannten Arbeitsgemeinschaft und des neu gegründeten Österreichischen Atomforums, einem weiteren Zusammenschluss von Industrieunternehmen.74 Ende der 1960er-Jahre war schließlich die Zeit gekommen, um die Kernener72 Ebd., 105–106. 73 Kohlenholding Gesellschaft m.b.H. (Hg.), Rot-Weiss-Rote Kohle, Wien 1956, 49–50. 74 Lackner, Von Seibersdorf bis Zwentendorf, 216–217; Herbert Vetter, Zwickmühle Zwentendorf. Ein Arzt untersucht die Kernenergie, Wien 1983, 18–55. Vgl. Interview des Autors mit Thomas G. Dobner, Wien, 3. September 2009; Zu den Energiebilanzen Österreichs siehe das Datenmaterial der Statistik Austria. Online unter : http://www.statistik.at/web_de/stati stiken/energie_und_umwelt/energie/energiebilanzen/index.html (Zuletzt abgerufen am 3. Februar 2010).

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giegewinnung zu realisieren. Unter der ÖVP-Alleinregierung (1966–1970) ergriff das Bundesministerium für Verkehr und verstaatlichte Betriebe die Initiative und veranstaltete im Oktober 1967 eine Enquete zur Atomenergie in Österreich. Die Energiegesellschaften waren zu diesem Zeitpunkt noch uneinig, insbesondere was den Zeitpunkt der Realisierung eines Kernkraftwerks betraf, und standen im Gegensatz zur konservativen Regierung, die das Projekt stark forcierte.75 Ein Ergebnis der Anhörung war die Gründung der Kernkraftwerksplanungsgesellschaft mbH. (KKWP) im April 1968. Später, nachdem man den Standort des künftigen Kernkraftwerks gewählt hatte, wurde die Gemeinschaftskraftwerk Tullnerfeld GmbH (GKT) gegründet. Während die KKWP für die Planung der weiteren Kernkraftwerke in Österreich zuständig war, sollte die GKT die konkrete Planung für das Kraftwerk in Zwentendorf übernehmen. Die zentrale Verbundgesellschaft trug 50 Prozent der jeweiligen Gesellschaften, die anderen 50 Prozent teilten sich auf die Landesgesellschaften auf. Vermutlich zögerten unterschiedliche Auffassungen der Gesellschaften den Baubeginn hinaus. Der Baubeschluss fiel schließlich im März 1971 durch die neue sozialdemokratische Minderheitsregierung unter Bundeskanzler Bruno Kreisky. Nach der Ausschreibung entschieden sich Gesellschafter der GKT für einen Siedewasserreaktor, der von einem Konsortium aus der österreichischen Siemens GmbH, der österreichischen Elin Union AG und der deutschen Kraftwerk Union AG (KWU)76 angeboten wurde. Insbesondere der damalige Verbunddirektor hatte für einen Siedewasserreaktor plädiert, während die anderen Beteiligten sich eher für einen moderneren Druckwasserreaktor ausgesprochen hatten. Das technisch lukrativste Angebot kam vom schwedischen ASEA, dennoch wurde dem genannten Konsortium der Vorzug gegeben, um insbesondere der österreichischen Industrie Möglichkeiten zur Beteiligung zu bieten.77 Nachdem die notwendigen Gutachten eingeholt worden waren, konnten im Februar 1972 die ersten Baumaßnahmen in Zwentendorf beginnen. Das Bundesministerium für Umwelt, das für das Genehmigungsverfahren verantwortlich war, betraute als Sicherheitsgutachter eine Arbeitsgemeinschaft um Ortner vom Atominstitut sowie das Institut für Reaktorentwicklung der Studiengesellschaft 75 Christian Schaller, Die österreichische Kernenergiekontroverse: Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozesse mit besonderer Berücksichtigung der Auseinandersetzung um das Kernkraftwerk Zwentendorf bis 1981. 2 Bde., Dissertation, Universität Salzburg 1997, 116–118. 76 Die KWU war eine Tochterfirma der deutschen AEG. 77 Vgl. Interview des Autors mit Thomas G. Dobner, Wien, 3. September 2009; Interview des Autors mit Walter Binner und Johann Pisecker, Wien, 27. August 2009; Interview des Autors mit Helmuth Böck und Helmut Rauch, Wien, 25. August 2009; Interview des Autors mit Walter Binner, Wien, 7. September 2009; Lackner, Von Seibersdorf bis Zwentendorf, 219–220.

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unter der Leitung ihres Direktors Hans Grümm und des Institutsleiters Walter Binner. Ein weiterer Gutachter war gemäß der Dampfkesselverordnung aus dem Jahr 1950 der TÜV. Insgesamt wurden über den gesamten Bauzeitraum von acht Jahren 59 Teilerrichtungsbewilligungen und 1277 Auflagen erteilt. Insbesondere ein Störfall im deutschen Kraftwerk Würgassen im April 1972, bei dem das Containment beschädigt wurde, führte dazu, dass nochmals wesentliche Planänderungen vorgenommen werden mussten. Nach der Einschätzung von Zeitzeugen führte dies zu einer Bauverzögerung von etwa zwei Jahren.78 Das Begutachtungsverfahren orientierte sich stark an dem der Bundesrepublik Deutschland. Ebenso erfolgte die Ausbildung der künftigen Mitarbeiter weitestgehend in der Bundesrepublik Deutschland und teilweise in der Schweiz. Dies weist auf eine Bedeutungsverschiebung der Knotenpunkte im internationalen Netzwerk hin.79 Zu Beginn der Baumaßnahmen im Februar 1972 blieb die Kritik am Atomkraftwerk größtenteils unbeachtet. Allerdings weitete sich in den Folgejahren der Protest zu einer Massenbewegung quer durch alle gesellschaftlichen Schichten aus. Die Bundesregierung leitete daraufhin 1976 eine öffentliche Expertendiskussion zur Kernenergie ein, bei der auch Gegner der Atomenergie geladen waren. Insbesondere die Frage der Endlagerung und der Erdbebensicherheit war bis zum Schluss umstritten. Während die deutsche Anti-AKWBewegung bereits gut untersucht ist,80 liegt im Falle Österreichs – bis auf wenige Ausnahmen81 – ein unbearbeitetes Forschungsfeld über eine Bewegung vor, die nur in begrenztem Rahmen auf eine außerparlamentarische Tradition, wie die deutsche »Kampf dem Atomtod«-Bewegung Ende der 1950er-Jahre, zurückblicken kann.82 Politische Auseinandersetzungen verzögerten die Inbetriebnahme des Kraftwerks. Schließlich initiierte Kreisky im November 1978 ein Referen78 Vgl. Interview des Autors mit Walter Binner und Johann Pisecker, Wien, 27. August 2009; Interview des Autors mit Walter Binner, Wien, 7. September 2009. 79 Christian Forstner, From International Cooperation to the Failure of a National Program. The Austrian Case, in: Albert Presas i Puig, A Comperative Study of European Nuclear Energy Programs, Preprint 419 des Max Planck Instituts für Wissenschaftsgeschichte, Berlin, 2011, 27–50. 80 Joachim Radkau, Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte, München 2011; Frank Uekötter, Am Ende der Gewissheiten. Die ökologische Frage im 21. Jahrhundert, Frankfurt am Main–New York 2011. 81 Siehe beispielsweise Oliver Rathkolb/Richard Hufschmied/Andreas Kuchler/Hannes Leidinger, Wasserkraft. Elektrizität. Gesellschaft. Kraftwerksprojekte ab 1880 im Spannungsfeld, Wien 2012. 82 Insbesondere im westlichsten österreichischen Bundesland Vorarlberg existierte eine Tradition des »zivilen Ungehorsams«. Hier sind zum einen die »Fussacher Schiffstaufe« im Jahr 1964 (vgl. Arbeiter-Zeitung vom 26. November 1964, 2) – ein Aufbegehren der Bevölkerung gegen die Bundesregierung – und insbesondere die Proteste gegen das Schweizer AKW Rüthi zu nennen. Herzlichen Dank an Hildegard Breuner für diese Hinweise.

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dum über die Inbetriebnahme des Kraftwerks Zwentendorf. Was geschah, ist wohl bekannt: 50,47 Prozent stimmten gegen die Inbetriebnahme. Kreisky aber machte seine Rücktrittsankündigung nicht wahr und setzte das Atomsperrgesetz durch, welches die Nutzung von Kernspaltung zur Energiegewinnung in Österreich verbot. Alle Versuche, das Atomsperrgesetz rückgängig zu machen, scheiterten. Das Kernkraftwerk Zwentendorf, das bis zum Reaktorunfall in ˇ ernobyl im Jahr 1986 im Standby-Betrieb gehalten worden war, wurde endC gültig stillgelegt und das Atomsperrgesetz 1999 in den Rang eines Verfassungsgesetzes gehoben. Mit dem »Nein« zu Zwentendorf und der endgültigen Stilllegung setzte ein Transformationsprozess ein, der in dem heutigen, für die österreichische Identität grundlegenden Narrativ »Österreich ist frei von Kernenergie« mündete. Die umstrittene Ablösung der Stromgewinnung aus Kernenergie durch Kraft-Wärme-Kopplung (Kohle, Öl, Gas) und sogenannte »alternative Energien«, insbesondere Wasserkraft, erscheint als Ausdruck eines Transformationsprozesses weg von der Präferenz der Atomenergie. Allerdings wurde hier keineswegs ein altes Leitbild durch ein neues ersetzt – was sich im Streit um die Errichtung neuer Wasserkraftwerke in den 1980ern zeigte. Dies ist auch an den zugehörigen Institutionen festzumachen: Die ehemalige Studiengesellschaft Seibersdorf verlor ihr klares Forschungsprogramm und stürzte in mehrere existenzgefährdende Krisen, die zu ihrer mehrfachen Umbenennung sowie Umstrukturierung und beinahe zu ihrer Auflösung führten. Gegenwärtig firmiert die Studiengesellschaft unter dem unverfänglichen Namen Austrian Institute of Technology. Das nie in Betrieb genommene Kernkraftwerk Zwentendorf dient heute als Ausbildungsanlage für baugleiche Kernkraftwerke in einer Umgebung frei von Radioaktivität, als Filmkulisse oder als touristischer Magnet. Bedeutender ist aber die Präsenz des Kraftwerks in der österreichischen Erinnerungskultur. Das AKW Zwentendorf nimmt als Erinnerungsort in der österreichischen Ökologiebewegung bis heute eine zentrale Rolle ein. So ist die Bezugnahme auf Zwentendorf in der aktuellen Diskussion um ein genfreies Österreich in den Debatten stets gegenwärtig.83

83 Vergleiche hierzu beispielsweise die Webseiten der aus der Anti-AKW-Bewegung hervorgegangenen Arbeitsgemeinschaft Ja zur Umwelt, Nein zur Atomenergie, insbesondere: http:// www.arge-ja.at/gentechnik-landwirtschaft_faissner.html (Zuletzt abgerufen am 13. August 2013).

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IV.

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Ein kurzer abschließender Blick nach Europa

Abschließend ist die österreichische Entwicklung in einen weiteren Rahmen zu setzen. Parallelitäten zeigen sich insbesondere in den Anfangsjahren zu Dänemark, das zu den Gründungsmitgliedern der NATO zählt. Am Institut von Niels Bohr in Kopenhagen existierte wie in Wien eine lange Tradition der Kernphysik. Wie das österreichische Programm erfuhr auch das dänische mit dem Atoms for Peace-Programm einen signifikanten Aufschwung, was zum Bau eines amerikanischen und eines britischen Forschungsreaktors in Risø führte. Beim Aufbau und Betrieb des Reaktorzentrums Risø gaben akademische Wissenschaftler die Leitlinien vor, während die Industrie und Elektrizitätswirtschaft außen vorblieb. Diese fehlende Verbindung zwischen Wissenschaft, Industrie und Staat führte letztlich zum Scheitern des Projekts. Die Entwicklung in Dänemark mündete nach einer heftigen Debatte um die Energiepolitik, ausgelöst durch die Ölkrise 1973/74, in einem Parlamentsbeschluss im Jahr 1976 alle weiteren Entscheidungen bezüglich Kernenergie zu vertagen. In der Folge durchlief das Forschungszentrum Risø einen Transformationsprozess und entwickelte neue Forschungsschwerpunkte im Bereich der Umwelttechnologie und der alternativen Energien, insbesondere der Windenergie. Ähnlich wie in Österreich verabschiedete das Parlament 1985 ein Gesetz, das die Stromgewinnung aus Kernenergie verbot.84 Während Österreich als neutraler Staat die amerikanischen Vorgaben bereitwillig akzeptierte, musste der »Nuklearnationalismus« Westdeutschlands erst durch die Einbindung in internationale Netzwerke gezähmt werden.85 Im Falle Frankreichs kommt im Vergleich zu den bisher angesprochenen Ländern nicht nur der Besitz von Atomwaffen hinzu, sondern, wie die Historikerin Gabrielle Hecht86 betont, die zentrale Bedeutung von großtechnologischen Projekten für die Selbsteinschätzung und nationale Identität Frankreichs, das heute 80 Prozent seines Stromes aus Kernenergie bezieht und einen Ausstieg bis jetzt strikt ablehnt. Im Falle Frankreichs erfüllt Kernenergie damit dieselbe Funktion für die Bildung der nationalen Identität wie in Österreich, nur unter umgekehrten Vorzeichen. 84 Henry Nielsen, Riso and the attempts to introduce Nuclear Power into Denmark, in: Centaurus 41 (1999), 64–92; ders./Hendrik Knudsen, The Troublesome Life of Peaceful Atoms in Denmark, History in Technology 26 (2010), 91–118. 85 Michael Eckert, Kernenergie und Westintegration. Die Zähmung des westdeutschen Nuklearnationalismus, in: Ludolf Herbst/Werner Bührer/Hanno Sowade (Hg.), Vom Marshallplan zur EWG. Die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Welt, München 1990, 313–334. 86 Gabrielle Hecht, The Radiance of France: Nuclear Power and National Identity After World War II, Cambridge, MA 1998.

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Aus eigener Kraft wäre Österreich nach 1945 trotz seiner langen Tradition in der Radioaktivitäts- und Kernforschung nicht in der Lage gewesen, ein Kernenergieprogramm zu initiieren. Der äußere Anstoß in Form des US-amerikanischen Atoms for Peace-Programms wurde von den beteiligten Akteuren auf politischer und wissenschaftlicher Seite ohne zu zögern akzeptiert. Österreich ordnete sich damit auch in der Forschungspolitik der Führungsrolle der USA im Kalten Krieg unter. Mit dem Bau des Atomkraftwerks Zwentendorf gewannen jedoch andere innereuropäische Netzwerke, jenseits des transatlantischen Netzwerks, an Bedeutung. Zu nennen sind hier insbesondere Westdeutschland und auch die Schweiz im Bereich der Mitarbeiterausbildung, des Genehmigungsverfahrens, der Gesetzgebung u. a. Schlüsseltechnologien, wie Anreicherungsverfahren für das Uran der Brennelemente, blieben weiterhin in der Hand der USA. Im Kern blieb damit ihre Führungsrolle trotz einer zunehmenden Emanzipation Österreichs unangetastet. Man darf jedoch nicht vergessen, dass dies zu einem Zeitpunkt erfolgte, in dem Österreich unter der Kanzlerschaft Kreiskys eine höchst selbstbewusste Außenpolitik als politisch neutraler Staat betrieb. Vergleicht man aber seine Rolle mit dem ebenfalls neutralen Finnland oder mit Dänemark, so bleibt zu fragen, ob durch die schnelle Westintegration des neutralen Staates Österreich im Bereich der Kernspaltung mehr gewonnen oder politische Druckmittel vorschnell aufgegeben wurden.

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Atomangst in österreichischer Literatur zwischen 1945 und 19661

I.

Einleitung

In der Forschung zum Kalten Krieg müssen die jeweils spezifischen Situationen in unterschiedlichen Staaten und politischen Strömungen gesondert analysiert werden. Dieser Beitrag beleuchtet speziell die österreichische Situation und konzentriert sich dabei auf das Phänomen der Atomangst. Die Bedrohung großer Teile der Weltbevölkerung durch Atomwaffen ist für das Zeitalter des Kalten Kriegs spezifisch. Innerhalb der Forschung wird dem Thema der atomaren Bewaffnung der beiden Großmächte USA und UdSSR deshalb große Beachtung geschenkt. Besonders mit dem Aufkommen der Emotionsforschung in den Kulturwissenschaften am Beginn des 21. Jahrhunderts2 wird der Kalte Krieg auch auf seine emotionalen Ursachen und Auswirkungen untersucht und so die Frage nach den Funktionen und Erscheinungsweisen der mit der Bedrohung durch den Atomkrieg verbundenen Angst gestellt. Am Beispiel der Atomkriegsfiktion in der berühmten Ausgabe der Zeitschrift Colliers vom 27. Oktober 1951 hat Bernd Greiner gezeigt, wie die Ängste und Hoffnungen der Weltbevölkerung durch politische Akteure aufgerufen und instrumentalisiert wurden.3 Die auf Realitätsillusion abzielende Atomkriegsfiktion sollte einerseits die militärische Stärke der Westmächte, einen möglichen Krieg gegen die UdSSR schnell beenden zu können, demonstrieren und andererseits den politischen Gegenspieler von einem »heißen« Krieg abschrecken. 1 Der Beitrag wurde im Rahmen des vom österreichischen Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung/Austrian Science Fund (FWF) geförderten Forschungsprojektes »Diskurse des Kalten Krieges. Figuren des Politischen in der österreichischen Literatur zwischen 1945 und 1966 im Kontext« (P 22579-G20) erarbeitet. 2 Vgl. Thomas Anz, Emotional Turn? Beobachtungen zur Gefühlsforschung, in: Literaturkritik.de 8 (2006) 12. Online unter : http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id= 10267 (Zuletzt abgerufen am 14. November 2015). 3 Vgl. Bernd Greiner, Angst im Kalten Krieg. Bilanz und Ausblick, in: Bernd Greiner/Christian Th. Müller/Walter Dierk (Hg.), Angst im Kalten Krieg (= Studien zum Kalten Krieg 3), Hamburg 2009, 7–31.

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Die österreichische kommunistische Zeitschrift Tagebuch reagierte darauf etwa ein Monat später, indem sie die Ängste der österreichischen Bevölkerung vor dem Krieg schürte.4 Die Vereinigten Staaten wurden dabei als Aggressor dargestellt und mit dem nationalsozialistischen Deutschland verglichen. So wie Adolf Hitler seine Kriegspläne in Mein Kampf dargelegt hatte, hätten auch die Westmächte ihre Angriffspläne in der Colliers-Ausgabe publiziert. Die als friedensfördernd intendierte Warnung wurde so zur aggressiven Drohgebärde umgedeutet. Angesichts solcher Einsatzweisen von Atomkriegsfiktionen während des Kalten Kriegs scheint es plausibel, dass die kollektive Angst vor Massenvernichtungswaffen und der psychologische Faktor insgesamt einen der wichtigsten Mechanismen dieses Phänomens darstellten. Michael Geyer beschreibt diesen Angst-Mechanismus dahingehend, dass ganze Gesellschaften durch die nukleare Bedrohung dazu gezwungen wurden, sich einem bipolaren Weltmachtsschema zu unterwerfen. Erst die Annahme der Gefahr der Ausrottung ganzer Kontinente, der Hemisphären oder sogar der gesamten Erdbevölkerung sensibilisierte demnach die Bevölkerungen und Regierungen unterschiedlicher Staaten ausreichend, um sie politischen Argumenten einer der beiden Ideologien zugänglich zu machen.5 Eine weitere Einschätzung, dass die Angst vor nuklearen Angriffen die Akzeptanz der politischen Führung in der Sowjetunion stützte, lautet beispielsweise: »Die meisten Angehörigen dieser Generation (nach Stalins Tod) von Russen, Ukrainern, Belorussen und andern Völkern stellten die Militär- und Außenpolitik des Kreml nicht in Frage, solange sie Schutz (und sei er noch so illusorisch) vor dem Alptraum eines weiteren großen Krieges zu gewähren schien.«6

Es lässt sich ergänzen, dass die Logik des Kalten Kriegs nicht nur auf der Angst vor dem nuklearen Angriff basierte, sondern auf einem Gleichgewicht von Angst und Hoffnung: Mutlosigkeit musste aus Sicht der Akteure des Kalten Kriegs ebenso vermieden werden wie allzu große Sorglosigkeit, da beides die Abwehrbereitschaft gegenüber dem zugleich diskursiv produzierten Feind herabsetzte. Im Folgenden soll die Angstkultur des Kalten Kriegs in Österreich anhand einiger literarischer Texte dargestellt werden.7 Literatur als spezielle Textsorte 4 Trumans »Mein Kampf«, in: Tagebuch 6 (1951) 24 [24. November], 1. 5 So urteilt Michael Geyer, Der kriegerische Blick. Rückblick auf einen noch zu beendenden Krieg, in: Sozialwissenschaftliche Informationen 19 (1990) 2, 111–117. 6 Wladislaw Subok/Konstantin Pleschakow, Der Kreml im Kalten Krieg. Von 1945 bis zur Kubakrise, Hildesheim 1997, 389. 7 Günter Bischof geht davon aus, dass die Atomkriegsthematik in Österreich stärker verdrängt wurde als in anderen Ländern, was auf die Neutralität zurückzuführen sei. Das stimmt wohl für die retrospektive Geschichtsschreibung und auch für die Literaturgeschichtsschreibung;

Atomangst in österreichischer Literatur zwischen 1945 und 1966

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zeichnet sich durch ihren Fiktionalitätsanspruch, ihre Selbstreflexivität, einen breiten, interdiskursiven Zugriff auf epistemische Diskurslandschaften und in weiterer Folge durch zahlreiche Möglichkeiten der Thematisierung, aber auch Stimulierung und Organisierung von gesellschaftlich internalisierten emotionalen Reaktionsmustern aus. Die Analyse literarischer Texte kann demnach Aufschluss über die Organisation von diskursiven ebenso wie emotionalen Reaktionsmustern geben, auf welche literarische Texte nicht nur abbildend, sondern auch in konstruktiver Weise reagieren. Bei der Behandlung der Thematik der Kernspaltung liegt eine Untersuchung der Angst als einer Emotion nahe, die als Reaktion auf Bedrohungen von Objekten verstanden wird, denen von Subjekten hohe, oft existenzielle Bedeutung zugeschrieben wird.8 Szenarien, in denen Menschenleben, Gesundheit, Natur- und Kulturgüter sowie kulturelle Werte als bedroht dargestellt werden, können demnach als angstbesetzte Darstellungen gelten. Im Folgenden sollen drei Thesen erläutert werden, die sich aus der Analyse solcher Szenarien in der österreichischen Atomkriegsliteratur ergeben.

II.

Das große Karthago führte drei Kriege …

Nach dem Zweiten Weltkrieg, der kurz nach dem Abwurf der beiden ersten kriegerisch eingesetzten Atombomben der Geschichte auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki endete, war die Situation in Österreich von vielfältigen angstbesetzten Erfahrungen geprägt. Es herrschte – ebenso wie dies für Deutschland gezeigt werden konnte9 – eine hohe Sensibilität gegenüber einer für den Bereich der literarischen Beschäftigung mit dem Thema lassen sich aber einige zeitgenössische Beispiele finden. Günter Bischof, Vom Elend der österreichischen Geschichtsschreibung zum Kalten Krieg, in: Reinhard Krammer/Christoph Kühberger/Franz Schausberger (Hg.), Der forschende Blick. Beiträge zur Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert. Festschrift für Ernst Hanisch zum 70. Geburtstag. (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für Politisch-Historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg 37), Wien–Köln–Weimar 2010, 371–390, 381. 8 Vgl. Frank Biess, ›Everybody has a Chance‹. Nuclear Angst, Civil Defence and the History of Emotions in Postwar West Germany, in: German History 27 (2009) 2, 215–243, 217: »postwar angst served as a distinct postwar ›sensibility‹ (Daniel Wickberg), a form of ›affective-cognitive involvement in the world‹ (Jakob Tanner) that directed the ›economy of attention‹ of postwar Germans to issues that affected their own concepts of wellbeing in particularly direct and existential forms.« 9 Vgl. zur Situation in Deutschland: Hartmut Eggert, Metaphern der Angst. Zur Lyrik der fünfziger Jahre (Eich/Bachmann), in: Justus Fetscher (Hg.), Die Gruppe 47 in der Geschichte der Bundesrepublik, Würzburg 1991, 177–187. »Für die Aktivisten waren Beschwörungen apokalyptischer Szenarien über einen befürchteten Atomkrieg also zugleich Repräsentationen von Kriegs- und Gewalterfahrungen der 40er Jahre.« Holger Nehring, Angst, Gewalterfahrungen und das Ende des Pazifismus. Die britischen und westdeutschen Proteste gegen

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möglichen neuen Kriegsgefahr. Diese Angst ist aus den Thematisierungen der Kernspaltung innerhalb der österreichischen Nachkriegsliteratur nicht wegzudenken. Meine erste These lautet daher : Die Thematik der Atomwaffe wird in der österreichischen Literatur nach 1945 als Symbol des Kriegs schlechthin eingesetzt, das zugleich als Trauma des Zweiten und Befürchtung eines möglichen Dritten Weltkriegs präsent ist. Diese These ließe sich an zahlreichen Texten belegen, ich greife jedoch mit dem deutsch-schweizerisch-österreichischen Autor Ulrich Becher (1910–1990) ein besonders deutliches Beispiel heraus. Für diesen einst international erfolgreichen, aber gerade in Österreich marginalisierten Autor stand die neue Gefahr durch die Atomwaffe »in einem Zusammenhang mit dem nicht überwundenen und nicht zerstörten Bösen, das Hitler verkörpert hatte«.10 Becher befand sich zum Zeitpunkt der Bombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki in Manhattan, New York.11 Vor dem Hintergrund der traumatisierenden Ereignisse des Kriegs, die er im Exil mitverfolgte und in seinen Texten immer wieder thematisierte, erkannte er weitaus rascher als viele seiner Zeitgenossen und Zeitgenossinnen diese als Bedrohung bisher ungeahnten Ausmaßes. Seine kritische Sicht war keine Selbstverständlichkeit. In der österreichischen Presse wurde von diesen Bombenabwürfen zunächst eher mit Erleichterung oder sogar Stolz als mit Schrecken berichtet. So schrieb Felix Hubalek am 9. August 1945 in der Arbeiter-Zeitung: »Welch ein Gegensatz zwischen dem jahrelangen geifernden und tobenden Goebbelsgefasel, von dem immer letzten Berg, über den wir noch hinüber müßten, über die immer vorletzte, letzte und allerletzte Phase der Vollendung, vor der die Wunderwaffe stünde, und dem sich nun offenbarenden Bild langer, stiller, zäher und über alle Maßen kühner Arbeit der englischen und amerikanischen Wissenschaftler, die hier in kraftbewußter Ruhe das epochale Wunderwerk der Atombombe geschaffen haben.«12

Die Atomwaffe der Vereinigten Staaten, die vier Jahre später auch die Sowjetunion besitzen sollte, wird an dieser Stelle mit der Wunderwaffe verglichen, die im Zweiten Weltkrieg von NS-Deutschland angestrebt wurde. Daraus wird aber noch nicht die Konsequenz gezogen, die Waffe selbst als Bedrohung vor weiteren Atomwaffen, 1957–1964, in: Bernd Greiner/Christian Th. Müller/Walter Dierk (Hg.), Angst im Kalten Krieg (= Studien zum Kalten Krieg 3), Hamburg 2009, 436–464, 440. 10 Christoph Haacker, Ulrich Bechers Kurz nach vier und die ›leergeschossene Generation havarierter Europäer‹ im Nachkrieg, in: Ulrich Becher, Kurz nach 4, Wien 2012, 205–252, 235 und 237. 11 Ebd., 238. 12 Felix Hubalek, »Die Wunderwaffe«, in: Arbeiter-Zeitung. Zentralorgan der Sozialistischen Partei Österreichs, 9. August 1945, 1.

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Kriegen, wie jenem Hitlers, zu empfinden. Der Aspekt der Erleichterung über den überwundenen Krieg überwiegt die Angst vor einem möglichen neuen. Während die neue Waffe – in der unmittelbaren Nachkriegszeit – noch wegen ihres Einsatzes gegen den Faschismus gelobt wurde, wurde sie mit dem Verschwinden des Faschismus zunehmend als Gefahr wahrgenommen. Die moderne Kriegsführung, die mittels neuer Technologien zu ungeheuren Massenvernichtungen führt, drohte mit neuen Zielen fortgesetzt zu werden. Ulrich Becher verarbeitete die Diskrepanz zwischen Erleichterung und Angst angesichts der ersten Atombomben in der Novelle Die Frau und der Tod, die 1949 in der DDR und 1950 in Österreich in einem Sammelband mit dem Titel Nachtigall will zum Vater fliegen erschien und damit ein relativ frühes Beispiel für einen literarischen Beitrag zum Atomdiskurs darstellt.13 Darin wird die Situation in New York kurz nach dem Abwurf der Bombe über Hiroshima geschildert. Ausgelassenheit und Siegesstimmung prägen das Bild des nächtlichen New York. Ein heimgekehrter Soldat mit dem klingenden Namen Happy Slocum versucht auf dieser heiteren Stimmungswelle mitzuschwimmen, was ihm aber aus für ihn selbst unerfindlichen Gründen nicht gelingen will. Die Medien berichten von dem Bombenabwurf, ähnlich wie in dem oben zitierten Beispiel aus der Arbeiter-Zeitung, wie von einer Sensation: »Jetzt vernahm er die Krächzlitaneien der Zeitungsverkäufer. ›Extraausgabe… Die erste Atombombe der Weltgeschichte auf Hiroshima abgeworfen… Hundertausend Japse mit einem Schlag vernichtet… Japanisches Waffenstillstandsgesuch für morgen… Ende des zweiten Kriegs innerhalb einer Woche erwartet… Anbruch des Atomischen Zeitalters… Atombombe… Bombe, Bombe…‹«14

Der Bombenabwurf wird in den »Krächzlitaneien« zum Erfolgsereignis stilisiert, das jedoch durch die Perspektive der Erzählung problematisiert wird. Ebenso werden die Gespräche der Figuren in New York, die ein fehlendes Bewusstsein über die menschliche Tragik der Bombenabwürfe in Japan dokumentieren, als brutale und ignorante Sichtweise der Dinge dargestellt: »›Jetzt sind sie lackiert!‹, knarrte jemand, ›die Japse. Das war ein Schlag ins Kontor, Heilige Makrele! Das Ding muß nicht von Pappe gewesen sein.‹ Gekicher. ›Sollen uns ein Friedensangebot unterbreitet haben‹, wußte ein andrer zu melden. ›Schenk uns ’ne Runde Körnchen ein, Jimmy. Laßt uns auf den Frieden anstoßen.‹ Jemand rülpste fett. Gekicher.«15

13 Ulrich Becher, Die Frau und der Tod. Novelle. Berlin 1949; ders., Die Frau und der Tod, in: ders., Nachtigall will zum Vater fliegen. Ein Zyklus New Yorker Novellen in vier Nächten, Wien 1950. 14 Becher, Die Frau und der Tod, 92. 15 Ebd., 145.

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Der Text thematisiert das Fehlen von Angst; man rülpst »fett« und beruhigt und genießt die Sicherheit, den Gegner ausgeschaltet zu haben. Der Krieg und seine Konsequenz, die Unterminierung jedes Sicherheitsgefühls, werden hier auf der Figurenebene ausgeblendet. Die Figur Happy Slocum, aus deren Sicht das Geschehen fokalisiert ist, versucht in der geschilderten Nacht des 7. August die Aufmerksamkeit einer Frau zu gewinnen, die allerdings von scheinbar unmotivierter Todesangst geplagt wird. Da Slocum sie zu verstehen versucht, wird auch er immer sensibler für Zeichen des Todes, sogar die reißerischen Titel von Horror- und Kriminalfilmen erwecken plötzlich seinen Widerwillen. Ohne dass die Figur Slocum selbst zu einer klaren Reflexion ihrer Gefühle vordringt, erschließt sich den Lesenden das Bild eines Unbehagens, einer Angst und Trauer, die sich der Thematisierung und Reflexion im öffentlichen wie privaten Diskurs entzieht. Ebenso entzieht sich die Frau, welche die Todesangst angesichts des atomaren Zeitalters offenbar fühlt, der Öffentlichkeit, indem sie sich schließlich in eine geschlossene Anstalt einweisen lässt. Slocum verbleibt in der Sphäre der Öffentlichkeit, bildet darin aber einen »Fremdkörper«, da er sich auch mit dem Feind, dem »Japs«, identifizieren kann. In der Schlussszene wird er von einem kriegspielenden Kind gefragt: »›Yank oder Japs!‹ ›Japs‹, lallte Slocum. Das Spielzeugmaschinengewehr knackte blechern. Dann krähte der Knirps in brutalem Jubel auf: ›So! Jetzt bist du erschossen!‹ Entlief. ›Ja‹, lallte Slocum und stierte mit einem aufkeimenden, kleinen zynischen Grinsen in die umschwärt untergehende Sonne. ›Jetzt bin ich erschossen.‹«16

Der »brutale[…] Jubel« des Kindes über den fiktiven Tod des »Japs« Slocum korrespondiert mit dem Medienjubel über die Atombombe, die im »umschwärt[en]«17, also krankhaften, Sonnenuntergang symbolisiert und problematisiert wird. Die Atombombenexplosion wird in nahezu allen zeitgenössischen Beschreibungen mit der Sonne verglichen. Slocum identifiziert sich selbst in der Schlussszene mit dem »Feind«, da in ihm das Bewusstsein leise aufkeimt, dass diese Bombe Krankheit und Tod bedeutet. Allein dieses Bewusstsein schließt ihn aus der Gemeinschaft der Sieger aus und bedingt seine symbolische Hinrichtung durch das spielende Kind. Bechers Novelle thematisiert die Atombombe nicht als punktuelles historisches Ereignis, das aus Sicht der US-amerikanischen Figuren als Sieg verzeichnet werden kann, sondern als eine Massenvernichtungswaffe, deren Existenz eine prinzipielle Auswirkung zeitigt. Selbst der wenig feinfühlige Soldat Slocum er16 Ebd., 147–148. 17 Ebd., 148.

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kennt angesichts seiner Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg die enorme Bedrohung, die ein erneuter Krieg im hochtechnisierten 20. Jahrhundert darstellen würde: »›Liebesmordparade‹, murrte Slocum. ›Was laust diese Bäuche in Hollywood? Doppelschreckensschau. Die haben wir drüben tagaus, tagein mitgemacht, tja. Garantiert sinister! Eintritt frei. Jungejunge, hing uns schon zum Hals raus. So neckisch und niedlich, wie uns diese Hollywoodbäuche es weismachen wollen, ist das Killen und Gekilltwerden garnicht, Teufelnein.‹ Sein Ärger befremdete ihn. Früher hatte er solche Filmtitel mit gelassenem Vergnügen hingenommen. Jetzt ärgerten sie ihn. Jetzt, da er heimgekehrt aus dem größten der Kriege, war alles anders geworden für ihn auf ziemlich geheimnisvolle Weise. […] ›Vielzuviel Leichen zuviel‹, knurrte Slocum, baff über seine unvermutete Bitternis. ›Jungejunge!‹«18

Die starke Betroffenheit, die bei ihm durch die Anzahl der Toten im Zweiten Weltkrieg ausgelöst wurde, gepaart mit der Angst vor der zugleich auftretenden technischen Möglichkeit, mit wenig Aufwand diese Zahl beliebig zu erhöhen, tritt auch in anderen Arbeiten Bechers immer wieder zu Tage. So wird die Assoziation der atomaren Bedrohung mit Hitler auch in der Zauberposse Die Kleinen und die Großen (1955) literarisch umgesetzt. In diesem parodistischen Text versucht der Diktator »Valdemario Adolar«19 die Weltherrschaft mit einer neuen Atomwaffengattung an sich zu reißen. Die gedankliche Verbindung von Diktatur und atomarer »Wunderwaffe«20 ist kaum deutlicher auszudrücken. Die Gleichsetzung der Kriegskultur des Zweiten Weltkriegs mit der eines möglichen Dritten geht aber auch aus nicht-literarischen Textzeugnissen hervor. In einem Artikel mit autobiographischen Anmerkungen aus 1964 erwähnt Becher ein politisches Geplänkel zwischen Hans Habe und Vertretern der Gruppe 47,21 zu dem er sich aber mit Hinweis auf die geänderte Weltsituation im Kalten Krieg gerade nicht äußern möchte:22 »Seit – über Hiroshima – das Atomzeitalter an- bzw. ausgebrochen ist, dünken mich die frisch-unfröhlichen Literatenfehden Wiener Musters und mehr oder weniger seligen 18 Ebd., 104–105. 19 Ulrich Becher, Die Kleinen und die Großen. Neue Zauberposse in zwei Akten [1955], in: ders., Spiele der Zeit. Hamburg 1957, 293–405, 294. 20 Bei diesem Begriff handelt es sich nicht um ein wörtliches Zitat, jedoch entspricht die »Zinnoberbombe« (Becher, kurz nach 4, 317) im Text einer Wunderwaffe, wie sie in Hitlerdeutschland versprochen wurde. Sie soll Adolar die Weltherrschaft sichern. 21 Bei der »Gruppe 47« handelt es sich um eine lose Vereinigung deutschsprachiger Schreibender, die sich durch regelmäßige Zusammenkünfte bildete. Sie wurde zwischen 1947 und 1967 durch den deutschen Schriftsteller Hans Werner Richter organisiert. 22 Vgl. zu dieser Diskussion: Martin Walser, »Sozialisieren wir die Gruppe 47!«, in: Die Zeit, 3. Juli 1964. Online unter : http://www.zeit.de/1964/27/sozialisieren-wir-die-gruppe-47/ (Zuletzt abgerufen am 24. Oktober 2012). Dort wird referiert: Hans Habe, Die Weltwoche, 19. Juni 1964.

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Andenkens so hinfällig wie die Kaffeehäuser, in denen sie ausgetragen wurden – eigentlich schon anachronistisch seit 33 als Karl Krauss ›zu Hitler nichts einfiel‹[…].«23

Das Atomzeitalter macht demnach eine Form der literarischen Kultur unbedeutend, die bereits mit dem Aufstieg des NS-Regims ihre Funktion verloren hatte, da sie nichts dagegen unternehmen konnte. Becher verdeutlicht so den Standpunkt, dass die Maßstäbe der Bewertung von politischer Aktivität, die Anforderungen an die Literatur und auch die kollektiven Ängste sich mit den realen und möglichen Kriegen des 20. Jahrhunderts verändert haben. Immer wieder verknüpft er die ungeheuerlichen Ängste des Zweiten Weltkriegs mit jenen des drohenden nuklearen Weltkriegs, der im Lauf der 1950er-Jahre immer stärker ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit trat. Am deutlichsten wird dieser Vergleich in seinem Roman kurz nach 4 aus 1957 angesprochen: »Die jahrelange Bedrohung der Erdenvölker mit totalem Krieg ist auferstanden, kaum daß sie gebannt wurde, in einer depersonalisierten Resurrektion, die die Bedrohung ins Planetare steigert. La gueule d’Hitler spukt im ersten Atombombenpilz der Geschichte.«24 Die Atombombe ist hier die depersonalisierte Bedrohung schlechthin, die in Hitler noch eine personelle Verkörperung fand.

III.

Wenn zwei sich streiten, fürchtet sich der Dritte

An Bechers Ansicht von der Depersonalisierung des Schreckens im Atomzeitalter zeigt sich der Unwille, die Bedrohung durch nukleare Waffen einem der beiden großen Blöcke im Kalten Krieg25 mehr als dem anderen zuzuschreiben. Das führt zu einer zweiten These: Die literarischen Zeugnisse des Atomdiskurses in Österreich instrumentalisieren die Atomangst selten für eindeutige politische Interessen einer der beiden Kontrahenten des Kalten Kriegs; stattdessen werden zumeist pazifistische, humanistische oder religiöse Konzepte verteidigt. Es finden sich aber auch Beispiele, in denen keine Lösung angeboten, und die Leserschaft mit der Frage nach Handlungsmöglichkeiten alleingelassen wird. Zu jeder dieser Möglichkeiten möchte ich hier eines der zahlreichen Beispiele auswählen. Das Drama des wenig erfolgreichen und heute vergessenen Dramatikers Hans Friedrich Kühnelt (1918–1977) – Es ist später als du denkst –, das 23 Ulrich Becher, »Junge deutsche Dichter für Aufhörer. Autobiographische Notizen«, in: Die Weltwoche, 11. September 1964, 29. 24 Ulrich Becher, kurz nach 4. Roman, Hamburg 1957, 71; Gueule (frz.): Fresse/Kanonenmündung. 25 Wladislaw Subok und Konstantin Pleschakow weisen darauf hin, dass nur bis 1962 von zwei großen Blöcken gesprochen werden kann. Vgl. Subok/Pleschakow, Der Kreml im Kalten Krieg, 25.

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vermutlich 1960 entstand, zeigt die Auswirkungen eines weltweiten Atomkriegs als Bedrohung der menschlichen Kultur und des Lebens im Allgemeinen. Das Stück beginnt in einer Steppenlandschaft, in der Nomaden mit Ziegen nach Oasen suchen. Die Artenvielfalt ist stark dezimiert, das Wissen über einen früheren Artenreichtum und dessen Verlust nur durch spärliche Überlieferungen und Mythen präsent. So erklärt eine junge Nomadin: »Der Lehrer sagt, nur die Ziegen und die Sandvipern, die Habichte und die Eidechsen und vielleicht noch ein paar Hunde haben die große Nacht überstanden.«26 Mit der »große[n] Nacht« ist ein apokalyptischer Atomkrieg gemeint, der ähnlich einem Trauma in der Erinnerung der Überlebenden nur noch in schemenhaften Andeutungen existiert. Die Dramenhandlung besteht in der »Aufarbeitung« dieser traumatischen Erfahrung sowie in der Aufdeckung der Ursachen für die Katastrophe. Dies geschieht in Form einer Gerichtsverhandlung, die von der gesamten Sippe der Steppennomaden, allerdings ohne Frauen und Kinder, unter Vorsitz des »weißhaarigen Anführer[s] des Rudels«27 abgehalten wird. Als Vertreter einer »primitiven« Kultur verbürgen die Steppennomaden den unvoreingenommenen Blick auf die Zivilisation und deren Irrwege. In der Gerichtsverhandlung wird die Rolle eines ehemaligen Wissenschaftlers, der unvermutet bei den Steppennomaden auftaucht, in Bezug auf den Atomkrieg erörtert. Der Wissenschaftler Albert kann sich als Einziger an die Zeit vor der Katastrophe erinnern und versucht den Nomaden die Situation unmittelbar vor dem Atomwaffeneneinsatz deutlich zu machen. Das stellt sich als schwierig heraus, da die Wüstenbewohner kaum noch Begriffe für die Elemente jener modernen Wirklichkeit besitzen, von der Albert spricht. Die zuhörenden und zu Gericht sitzenden Figuren demonstrieren durch ihre rudimentäre Wissenskultur und Sprache einerseits, dass bei einem modernen Krieg nicht nur als ersetzbar geltende materielle, sondern auch geistige Werte und Errungenschaften auf dem Spiel stehen. Zugleich stellen sie eine verfremdete Perspektive bereit, weil die moderne Welt von diesen Figuren als eine unbekannte und fremde erlebt wird. Das Drama basiert nicht wie US-amerikanische Postapokalypseliteratur der 1950er-Jahre auf der Imagination einer abenteuerlichen, endzeitlichen Lebensweise,28 sondern fragt nach der Verantwortung für die Katastrophe des Atom26 Hans-Friedrich Kühnelt, Es ist später als du denkst. Schauspiel [Entstehung: ab 1949, Uraufführung: 15. Februar 1963 (Saarbrücken)]. (Manuskript: Thomas Sessler Verlag, Druck: Rowohlt-Theater-Verl., 1962), 8. Zur Datierung vgl. Hans Friedrich Kühnelt, »Der letzte Romantiker«, in: Die Wochen-Presse, 13. Juni 1959, 10. 27 Kühnelt, Es ist später als du denkst, 10. 28 Vgl. zur Trivialisierung von Atomkriegserzählungen in der US-amerikanischen Literatur z. B. Paul Brians, Nuclear Family/Nuclear War, in: Nancy Anisfield (Hg.), The nightmare considered. Critical essays on Nuclear War Literature, Ohio 1991, 151–158, 151; sowie Rolf

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kriegs. Schließlich werden die Hybris moderner Politiker und Wissenschaftler, sowie die gleichgültige und hedonistische bürgerlich-moderne Lebensweise als auslösende Elemente für die Katastrophe identifiziert. Die Bequemlichkeit der Bevölkerung, die von Gefahren nichts wissen will, kommt dem Interesse von Politik und Wirtschaft entgegen, Ängste vor und Zweifel an der neuen Technik zu vermeiden. So erzählt Albert, dass noch kurz vor den fatalen Atombombenzündungen ein geplanter Vortrag über Strahlungsschäden kurzerhand von Regierungsvertretern abgesagt worden war. Nachdem er sich darüber beklagt hatte, erklärte ihm ein Vertreter der Medien: »Die Bevölkerung muss nicht aufgeregt, sondern beruhigt werden!«29 Alberts Frau Elli vertritt den Prototyp einer naiv und blind auf die Regierung vertrauenden Person. Als im Radio gemeldet wird, dass die Staatsregierung ihre Nichtangriffspakte nicht mehr verlängert, ist Elli dennoch keineswegs beunruhigt. Da durchgegeben wird, dass kein Grund zur Beunruhigung bestehe und die Regierung mehr denn je alles unter Kontrolle habe, meint Elli ohne jeden Sarkasmus: »Immer ist die Regierung Herr der Lage, wer denn sonst!«30 Ihre Sorglosigkeit ist ein Resultat der modernen Lebensweise, die von den Einzelnen ständige fieberhafte Beschäftigung verlangt. Elli erklärt, dass Denken zu einem unerschwinglichen Luxus geworden sei: »Denken? Das kann ich mir nicht leisten! Du vielleicht, ich nicht! – Glaubst du, daß heute, in dieser Hetzjagd, zwischen Geldmachen und Parteiredenhalten, zwischen Steuerzahlen und Gesellschaftengeben auch nur einer weiterkommt und Erfolg hat, wenn er dazwischen noch denkt??«31

Während die Bevölkerung also unwissend und ruhig gehalten wird, stellen die Interessen von Wirtschaft und Politik die treibende Kraft im Atomkrieg dar. Hierbei vertritt das Drama die These, dass die Feindschaft zwischen Staatssystemen lediglich ein sekundäres Phänomen gegenüber der psychologischen Grundhaltung des Machtstrebens und der fehlenden Demut vor Gottes Allmacht ist. So begeistert sich die mephistophelische Figur des Politikers und Geschäftsmannes Herr Co, der den Wissenschaftler Albert zur Mitarbeit an der Atomwaffentechnologie verführt hat, für die Möglichkeit der Eroberung des gesamten Universums durch Technik und Wissenschaft:

Tzschaschel, Atomkriege in der Science-Fiction, in: Michael Salewski (Hg.), Das nukleare Jahrhundert. Eine Zwischenbilanz (Historische Mitteilungen im Auftrag der Ranke-Gesellschaft, Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben e.V. Beiheft 28), Stuttgart 1998, 226–251, 239. 29 Kühnelt, Es ist später als du denkst, 30. 30 Ebd., 31. 31 Ebd., 32.

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»Nie ging der Kampf nur gegen den Bruder oder Nachbarn! Niemals nur gegen Parteien, Rassen oder Nationen! Alles nur Decknamen für ein weit höheres Ziel! Von hier aus, mit Radar und Ultrawellen, mit der trostlosesten Vernunft, die uns möglich ist, fangen wir uns den Kosmos. Das Universum! Und was dahinter ist!!!«32

Albert erkennt schließlich, dass christliche Werte wie Demut, Kontemplation, Nächstenliebe und Gottvertrauen nicht für die Verlockung des technischen und nur nebenbei politischen Machtzuwachses aufgegeben werden dürfen. So werden diese christlichen Werte schließlich gegen gesellschaftliche und politische Entwicklungen des 20. Jahrhunderts in Anschlag gebracht. Die Vormachtstellung der Moral gegenüber der Technik behauptet auch die Kirche: »Die technische Kriegsführung muß aber Rücksicht auf die moralischen Gesetze nehmen. […] Die Technik sagt das, was ist oder möglich ist, nicht aber, wie es sein soll. Die technische Leistung ist gleichen Ranges wie das Physische. […] Der Wert als eine ontologische Realität gehört in dieselbe Ordnung wie das Absolute. Die Feststellung des Wertes ist die Sache der Moral.«33

Papst Pius XII. vertritt die Meinung, dass die »geistig-sittliche« Existenz der »Völker«34 um jeden Preis zu schützen sei, jedoch wird dabei in Kauf genommen, dass Atomwaffen zu diesem Zweck produziert und eingesetzt werden, wenn die Auswirkungen des Einsatzes kontrollierbar und sinnvoll erscheinen. Die Entscheidung, ob dies der Fall ist, überlässt der Papst den Experten. Kühnelts Drama reproduziert diese offizielle Haltung des Vatikans zur Atompolitik im Kalten Krieg keineswegs, da der Einsatz von Atomwaffen als schlichtweg unverantwortlich dargestellt wird. Der »Kampf« »gegen den Bruder oder Nachbarn« wird nicht näher behandelt, stattdessen wird die persönliche, sittliche und moralische Verantwortung von Wissenschaft, Bevölkerung und jedes/r Einzelnen ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Der bekehrte Albert wird schlussendlich wieder in das Kollektiv der Steppenmenschen aufgenommen; dies unter dem Vorzeichen der christlichen Lehre. Der »Alte«, der Anführer hat das letzte – versöhnliche – Wort: »Dann wollen wir den nicht verdammen, der uns in die Wüste geschickt hat. Vielleicht findet Gott auch uns wieder!«35 Das christliche Narrativ von Verführung, Schuld, Bekehrung und Vergebung in Bezug auf den Einzelmenschen wird hier auf die atomare Bedrohung angewandt, was aus heutiger Sicht wenig überzeugend scheint; immerhin ist zu

32 Ebd., 53. 33 Jos8 Antonio Almeida, Das Menschheitsproblem des Atomkriegs. Pius XII. und die Atomwaffen, Essen 1961, 35. 34 Vgl. P[ater]. Eberhard Welty, Vorwort, in: Almeida, Das Menschheitsproblem, 6–8, 7. 35 Kühnelt, Es ist später als du denkst, 61.

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bemerken, dass der Rückgriff auf christliche Werte in der Nachkriegszeit in Österreich gern getätigt wurde.36 Eine vollkommen andere Strategie verfolgt der Endzeitroman Die Höhlen Noahs von der ebenfalls lange marginalisierten steirischen Autorin Hannelore Valencak. Der vor kurzem wieder aufgelegte Roman37 erschien erstmals 1961 und basiert ebenfalls auf der Fiktion eines weltweiten Atomkriegs, der allerdings noch weitaus zerstörerische Ausmaße annimmt als jener in Kühnelts Drama. Während in der Atomwüste Kühnelts Nomaden umherziehen und spärliche Nahrung für sich und ihre Ziegen finden, ist im Roman Valencaks die gesamte Erde radikal vegetationslos geworden. Ein Tal mit fünf überlebenden Menschen stellt die einzige Ausnahme dar. Der Text beschäftigt sich von Anfang bis Ende mit der Frage, ob diese fünf Menschen versuchen sollten, ihre Art zu erhalten, oder ob die Menschheit als Experiment letztlich gescheitert ist. Diese Frage wird auch am Ende des Romans nicht gelöst, sodass die Angst vor dem Aussterben der Menschheit durch keine tröstliche Aussicht gemildert wird. Diese beiden literarischen Zeugnisse unterscheiden sich deutlich von politischen Darstellungsstrategien, welche die Angst vor Nuklearwaffen meist zur Anprangerung des politischen Gegners instrumentalisierten und zugleich Lösungsstrategien und Hilfe anboten, welche für das jeweilige politische Programm Sympathie innerhalb der Bevölkerung wecken sollten. So reagierte die kommunistische Presse in Österreich etwa intensiv auf den weltweit für Beunruhigung sorgenden Fall einer japanischen Bootsbesatzung, die durch einen USamerikanischen Atomwaffentest strahlenkrank wurde. Am 1. März 1954 detonierte eine Wasserstoffbombe im Pazifik, die Ausbreitung der radioaktiven Wolke war jedoch falsch berechnet worden, sodass ein japanisches Fischerboot auch außerhalb der Sperrzone mit radioaktivem Staub verseucht wurde. Die Meldungen darüber fanden breites Echo in der Weltöffentlichkeit, was das Tagebuch zu dem Kommentar bewegte: »Die Wasserstoffbombenexplosionen im Stillen Ozean haben selbst von Atomfurcht gelähmte Menschen aus der Lethargie aufgerüttelt.«38 Der Vorwurf der Gleichgültigkeit wird hier an jene gerichtet, die sich nicht organisiert gegen Kernwaffen engagieren, was in den meisten Fällen bedeutete, sich einer kommunistisch unterstützten Organisation 36 Ich beziehe mich bei dieser Behauptung auf einige der Autoren und Texte, die im Rahmen unseres Projekts untersucht wurden: Friedrich Heer, Der achte Tag. Roman einer Weltstunde, Innsbruck–Wien 1950; Helmut Schwarz, Die Beförderung, Schauspiel. Graz–Wien 1963; Kurt Becsi, Russische Ostern. Schauspiel in drei Akten, Wien–München [1958]; Nick N. Nobody [d. i. Rudolf Geist], Augenzeuge Menschheit. Ein Roman von zwei Welten. Die Kriegstragödie einer genialen Zeit, Unveröffentlichtes Manuskript 1949, Rudolf-Geist-Archiv, im Besitz von Till Geist, Spittal an der Drau, Ms. Ts.; u. a. 37 Hannelore Valencak, Die Höhlen Noahs, St. Pölten–Wien–Salzburg 2012. 38 Walter Hollitscher, »Die unerwartete Kettenreaktion. Gespräche über die Todesursache«, in: Tagebuch 9 (1954) 8 [10. April], 1–2, 1.

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anzuschließen. Ihnen wird ein Übermaß an Atomfurcht unterstellt, das in Nihilismus und Hoffnungslosigkeit umschlägt; dies hätte sie zu jenem Schluss bewegt, den auch Valencaks Roman ernsthaft in Erwägung zieht: Die Massenvernichtung des Menschen durch den Menschen sei nicht aufzuhalten. Eine solche resignative Haltung wurde aber nicht nur von der kommunistischen Seite im Kalten Krieg scharf verurteilt. Die westliche Politik versuchte ebenso, die Furcht der Bevölkerung vor Kernwaffen gering zu halten und nicht etwa in Fatalismus oder Panik ausarten zu lassen. Relativ gut erforscht sind die zahlreichen Zivilschutzmaßnahmen wie etwa Broschüren, Lehrfilme oder Übungen, durch welche behauptet wurde, dass Bunker, das Aufsuchen von Deckungen und richtiges Verhalten eine hohe Überlebenschance böten.39 So versuchte man durch Zivilschutzmaßnahmen und -darstellungen in den Medien das Vertrauen der Bevölkerung in die politische Führung zu stärken, die durch den Auf- und Ausbau einer Waffenübermacht eine Abschreckung des Gegners zu bewirken glaubte. Zudem wurde in westlichen Ländern versucht, die tatsächlichen Gefahren der radioaktiven Strahlung möglichst lang zu verbergen. Illona Stölken-Fitschen erklärt: »Von Anfang an hatten sich die US-Behörden bemüht, Meldungen über die Gefahren der Strahlung herunterzuspielen.«40 Zwischen 1940 und 1945 waren die US-amerikanischen Behörden sogar derart interessiert daran, keine Informationen über die Kernspaltungstechnik in Umlauf zu bringen, dass Science-Fiction-Publikationen, die Kernspaltungstechnologien thematisierten, verhindert oder eingezogen wurden. In einem besonders extremen Fall wurde der Autor Philip Wylie sogar mit dem Tod bedroht, sollte er nicht von einer Publikation absehen.41 39 Für Westdeutschland vgl. Biess, ›Everybody has a Chance‹. Zivilschutzmaßnahmen gab es auch in der Sowjetunion: »Die atomaren Gefahren wurden [in der Sowjetunion] nur in den Lehrfilmen der Zivilverteidigung aufgezeigt, die jedoch nie in großen Kinos gezeigt, sondern nur kleinen Gruppen (von Schulkindern oder Arbeitskollegen) vorgeführt wurden. […] Zwar waren die Lehrfilme geeignet, die Bevölkerung in Angst zu versetzen (jedoch nicht im Umgang mit Angst zu trainieren), aber sie behandelten den neuen Krieg wie einen alten, in dem es Überlebenschancen gab.« Oksana Bulgakowa, Wer hat Angst vor…?. Phobien in amerikanischen und sowjetischen Filmen der 1950er Jahre, in: Bernd Greiner/Christian Th. Müller/Walter Dierk (Hg.), Angst im Kalten Krieg (= Studien zum Kalten Krieg 3), Hamburg 2009, 347–374, 355. 40 Ilona Stölken-Fitschen, Der verspätete Schock – Hiroshima und der Beginn des atomaren Zeitalters, in: Michael Salewski/Ilona Stölken-Fitschen (Hg.), Moderne Zeiten. Technik und Zeitgeist im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1994, 139–155, 141. Zur positiven Sicht der Atomwaffen in den USA vgl. auch Ilona Stölken-Fitschen, Bombe und Kultur, in: Michael Salewski (Hg.), Das Zeitalter der Bombe. Die Geschichte der atomaren Bedrohung von Hiroshima bis heute, München 1995, 258–281. 41 Vgl. H. Bruce Franklin, Fatal Fiction: A Weapon to end all Wars, in: Nancy Anisfield (Hg.), The nightmare considered. Critical essays on Nuclear War Literature, Ohio 1991, 5–14,

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Hier zeigen sich Unterschiede zwischen den USA und Österreich, denn in Österreich erschien etwa 1946 mit Hans Thirrings Die Geschichte der Atombombe eine wissenschaftliche Publikation auf dem zeitgenössischen Stand der Technik.42 Beängstigende Meldungen über die Kernspaltung in Österreich wurden allerdings häufig – und oft auch zu Recht – als kommunistische Propaganda abgetan. Die Autorinnen und Autoren, die im literarischen Bereich die Atomwaffenproblematik aufgriffen, verfolgten aber auffällig selten eine der beiden politischen Strategien des Ost- oder Westblocks. Die radikale Infragestellung der Menschheit als überlebensfähiger Art etwa, wie sie in Valencaks Roman gezeigt wird, war politisch unverwertbar. Die Betonung der Wichtigkeit christlicher und humanistischer Werte, wie sie in Kühnelts Drama erfolgt, gehörte nicht unmittelbar zum Programm der USEuropapolitik. Es ist später als du denkst erscheint sogar kritisch gegenüber dem US-amerikanischen Kultureinfluss, da die Kritik an der Oberflächlichkeit der diversen Kunst- und Mediendarbietungen in Alberts Umfeld sowie die Kritik an der Geheimhaltung von höchst gefährlichen waffentechnischen Entwicklungen gemäß dem zeitgenössischen Diskurs deutlich auf die US-amerikanische Kultur und Politik anspielt.

10–11; Paul Brians, Nuclear Holocausts. Atomic War in Fiction 1895–1984, Kent–Ohio–et al. 1987, 9–10. 42 Thirring wurde allerdings zunächst als fellow-traveller von kommunistischer Seite vereinnahmt und von antikommunistischer verurteilt. So wurden im Tagebuch mehrmals Bücher von Thirring positiv rezensiert. Im Maiheft (Nr. 13) des Jahres 1948 leistet Thirring im Tagebuch einen Diskussionsbeitrag zur Frage: Haben wir das Recht optimistisch zu sein? (S. 16–18.). Im August-Heft (Nr. 16) setzt sich Bruno Frei unter dem Titel »Im Kampf um den Frieden« (S. 1–4) kritisch mit Thirrings Position zur Frage nach der Bewertung der Friedensbewegung im Kalten Krieg auseinander. Im Maiheft des Folgejahres berichtete Ernst Fischer von den Weltfriedenskongressen in Paris und Prag, wo unter anderen Thirring in der österreichischen Delegation vertreten war. Vgl. Ernst Fischer, Österreich und der Kampf um den Frieden, in: Tagebuch 4 (1949) 5 [Mai], 4–6. Im selben Heft schreibt Thirring unter dem Titel »Waffenstillstand im Kalten Krieg« ein Memorandum, das er an den Pariser Weltfriedenskongress sandte (S. 6–8). Er fuhr als einziges Delegationsmitglied nicht nach Prag, sondern wartete auf ein französisches Visum, das der österreichischen Delegation aber verwehrt wurde, weil sie unter Verdacht stand, kommunistische Interessen zu vertreten. Aus Thirrings Memorandum geht klar hervor, dass er die Ansichten seines »geschätzte[n] Kollege[n] Prof. Lukacs [György Luk#cs]« nicht teilt und zwischen Diktaturen und dem »Kapitalismus als solchem« (S. 6) unterscheidet. Als 1957/58 die großen Nicht-kommunistischen Atomproteste begannen, kritisierte das Tagebuch Thirrings Haltung scharf, als er Atomwaffenversuche öffentlich als relativ geringes Übel darstellte. Vgl. Viktor Matejka, »Antwort an Professor Hans Thirring und andere Beschwichtigungshofräte. Die Gefahr für alle Menschen ist nicht durch Aufklärung allein zu bannen«, in: Tagebuch 12 (1957) 9 [September], 1–2 und 9.

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IV.

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Warnen und Täuschen

In Deutschland ergriffen in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre viele Kunstschaffende das Wort, um gegen die atomare Aufrüstung zu protestieren. Sie fungierten damit als moralische Kontrollinstanz; viele literarische Texte, die in diesem Zusammenhang entstanden, sind als »Warnutopien«43 zu verstehen. Diese Intention von literarischen Texten findet sich freilich auch schon früher ; ein Beispiel ist Oskar Maria Grafs Atomkriegsdystopie Die Eroberung der Welt von 1948.44 Meine dritte These bezieht sich auf die Beobachtung, dass die Warnfunktion von Atomkriegsliteratur auch in der österreichischen Literatur häufig aufgegriffen wird. Mit der Strategie oder Intention der Warnung schreiben sich die Texte, im Sinne der von Amir Eshel als Zukünftigkeit45 beschriebenen Textstrategie, nicht so sehr eine Darstellungs- oder Verarbeitungsfunktion, sondern die Funktion des zukunftsbewussten Eingriffs in die Geschichte zu. Die Darstellung der Atomkriegskatastrophe erfolgt nicht nur, um Angst bei der Leserschaft zu erzeugen, sondern um die drohenden Konsequenzen der realpolitischen Bedrohung bewusst zu machen und das Publikum für Gegenwehr zu sensibilisieren.46 Als Beispiel für einen Text, der die Literatur als Möglichkeit versteht, durch ihre Warnfunktion das angstbesetzte Szenario des Atomkriegs aktiv zu bekämpfen, ist ein unpublizierter Roman des wenig bekannten österreichischen Autors Rudolf Geist zu nennen, der bereits 1949 dem Erwin-MüllerVerlag angeboten wurde und damit ein sehr frühes Zeugnis atomkriegsbezogener Literatur darstellt. Geist erlebte den Zweiten Weltkrieg als traumatisierende Erfahrung, da er zwischen 3. September 1939 und 12. Dezember 194047 wegen kommunistischer Mundpropaganda und Vorbereitung zum Hochverrat von den Nationalsozialisten in Wien inhaftiert gewesen war. Im Februar 1941 wurde er zur Wehrmacht eingezogen, aber schon drei Monate später wegen bewusst unangepassten 43 Ulrich Krökel, »Bombe und Kultur«. Künstlerische Reflexionen über die Atombombe von ˇ ernobyl, in: Michael Salewski (Hg.), Das nukleare Jahrhundert. Eine ZwiHiroshima bis C schenbilanz (Historische Mitteilungen im Auftrag der Ranke-Gesellschaft, Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben e.V. Beiheft 28), Stuttgart 1998, 188–216, 195. 44 Oskar Maria Graf, Die Eroberung der Welt. Roman einer Zukunft, München 1948. [Später unter dem Titel: Die Erben des Untergangs, Frankfurt am Main 1959]. 45 Amir Eshel, Zukünftigkeit. Die zeitgenössische Literatur und die Vergangenheit, Berlin 2012. 46 Diese Warnungsfunktion bestimmt vor allem den ungedruckten Roman Rudolf Geists Augenzeuge Menschheit (1949), zudem aber auch beispielsweise Bechers Roman kurz nach 4 (1957), Kühnelts Drama Es ist später als du denkst (ca. 1960), Karl Bruckners Jugendroman Sadako will leben (1961) und Basils Roman Wenn das der Führer wüßte (1966). 47 Vgl. Karl-Markus Gauß/Till Geist (Hg.), Der unruhige Geist. Rudolf Geist – eine Collage, Salzburg–Wien 2000, 192–193.

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Verhaltens dauerhaft aus dieser entlassen.48 Er lebte unter ständiger Geldnot mit seiner achtköpfigen Familie und starb am 22. April 195749 mit nur 56 Jahren. Er verfasste eine beachtliche Menge an literarischen Schriften, die unter anderem aufgrund der schlechten Verlagssituation zum Großteil ungedruckt blieben; so auch der erwähnte Roman Augenzeuge Menschheit. Ein Roman von zwei Welten. Die Kriegstragödie einer genialen Zeit. Der in weltanschaulicher Hinsicht ambitionierte Text erzählt von phantastischen wissenschaftlichen Errungenschaften und Fortschritten in abgelegenen, geheimgehaltenen Großlaborkomplexen sowohl in den USA wie auch in der Sowjetunion, wobei die Konkurrenz und die Kriegsgefahr zwischen Ost und West bereits gefährlich anschwellen. Vor diesem Hintergrund werden Erfindungen in den Disziplinen Physik, Biologie und Chemie zu einem Gefahrenpotential, da sie zum Schaden der Bevölkerung auf der jeweils verfeindeten Blockhälfte eingesetzt werden können. Eine optische Erfindung, die in Geists Roman den Namen »Transoptik« trägt, wird in einem abgelegenen Labor der UdSSR von einer Wissenschaftlerin namens Rosa Serjewtschikova entwickelt. Sie ermöglicht es, ungeheure Distanzen mit einer bestimmten technischen Apparatur optisch zu überbrücken, wobei Strahlen und Frequenzen eine wichtige Rolle spielen, sodass man sich an Radio-50 und Fernsehsendungen erinnert fühlt. Im Roman wird mittels dieser Technik ein weit entfernter Planet beobachtet, der sehr ähnliche Bedingungen aufweist wie die Erde. Auch dort besteht eine Feindschaft zwischen Ost und West, welche die Namen Sorrel und Eewur tragen. Selbst eine Erfindung aus dem Bereich der Optik, die eine rein epistemologische und mediale Bedeutung aufweist, wird vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts am Wendepunkt vom Kalten zum drohenden »heißen« Krieg zu einer keineswegs mehr unschuldigen Technik. Der mittels »Transoptik« beobachtete Konflikt der Modellmenschheit artet zu einem mit fiktiven, futuristischen Waffen geführten Krieg aus, der das gesamte Leben und schließlich selbst noch den toten Planeten zerstört. Diese Vernichtung kann von der Erde aus sowohl von Ost, als auch von West beobachtet werden. Angst spielt selbstredend eine bedeutende Rolle in dieser Kriegsszenerie, wie durch die hervorgehobenen Passagen deutlich wird:

48 Der KPÖ trat er 1945 bei und verließ sie 1947 wieder. Sein Sohn Till Geist beschreibt ihn als ungeeignet für die angepasste Mitarbeit in jeglicher auch nur einigermaßen straff geführten Organisation. [Interview mit Till Geist am 25. August 2011.] 49 Gauss/Geist (Hg.), Der unruhige Geist, 206. 50 Vgl. Justus Fetscher, Radioaktivität. Atomgefahr und Sendebewusstsein im Rundfunk der 50er Jahre, in: Nicola Glaubitz/Andreas Käuser (Hg.), Medieninnovationen und Medienkonzepte 1950/2000 (= Navigationen. Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften) 6 (2006) 1, 143–157.

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»Und die Lebensunsicherheit, die sich vor Wochen und Tagen hauptsächlich auf der Sorrelseite gezeigt hatte, an scheuem mit verlorenem Blick zum Himmel starrenden Menschen, hatte nun nur noch allgemeiner die Eewuriten erfaßt; auch sie starrten allüberall zum Himmel, ob sie vielleicht einen todwerfenden Düsenfahrer sehen, […] daß der unbekannte und unsichtbare Tod auf der Wolke dahergeritten käme. Die siegreichen Eewurheere an der Front aber wagten sich kaum in die Tiefe des Landes ihrer Feinde, ja, sie hatten Furcht, auch nur in die Nähe eines Sorreliten zu kommen, von seinem Atem getroffen, von seiner Hand berührt zu werden, oder selbst auch nur etwas vom Material der Sorreliten anzufassen. […] Da nun die große Furcht vor dem Seuchentode nicht ermutigend wirkte, die Eewuriten ihre als dessen Träger und Verbreiter verdächtigen Feinde meiden wollten, so entwickelte sich in dieser Nacht erstmalig ein Zustand, in dem die Offensive in Defensive umschlug, und stellenweise war es, als könnten die Sorreliten ihre Feinde schon ohne Waffen jagen, wohin sie nur wollten, allein durch ihre Erscheinung. Aus Helden, oder zumindest aus Siegern, waren Memmen geworden.«51

Die beobachtende Menschheit ist durch die furchterregenden Bilder allerdings nicht abgeschreckt genug, um einen auch der Erde drohenden Krieg mit hochtechnisierten Waffen durch weltweite Kooperation zu verhindern. Misstrauen, Vorurteile und der Wunsch, einen technischen Vorsprung zu erreichen und gegen den Feind anzuwenden, erweisen sich als stärker. Auch auf der Erde kommt es zu einem Dritten Weltkrieg, in dessen Verlauf die neuartigen und hochpotenten Waffentechnologien eingesetzt werden, die durch die Beobachtung des fremden Planeten mittels der »Transoptik« bekannt wurden. Die potentiell kriegsverhindernde Medientechnologie wird zum Katalysator der Vernichtung, indem sie Anlass zu Misstrauen und Angst vor einem Informationsvorsprung des Gegners gibt, Wissen vermittelt, das missbraucht werden kann und als bloße Evokation von Vernichtungsszenarien schon für Alarmbereitschaft und Aufrüstung sorgt. Der Roman problematisiert so die Rezeption angstbesetzter Bilder. Diese könne auch genau zu dem Umstand führen, vor dem gewarnt werden soll: dass moderne Waffen weiter erforscht und produziert werden, da der fingierte Weltkrieg zu Angst und in weiterer Folge zu verstärkter Aufrüstung führt. Auch das Wissen um die fortschrittlichen Informationstechnologien der Gegner erzeugt Furcht, da diese dadurch in einer kriegsstrategisch besseren Position zu sein scheinen. Im Roman verteidigt ein Vertreter des Ostens diesen gegen den Verdacht »transoptische[r] Spionage«,52 was vor dem Hintergrund der zeitge-

51 Nobody [d.i. Geist], Augenzeuge Menschheit, Bl. 254–255 (Hervorhebungen durch die Autorin). 52 Ebd., 144.

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nössischen Fortschritte in der Weltraumsatellitentechnologie und ihrem Stellenwert im Kalten Krieg53 durchaus nicht weit hergeholt erscheint. Die scheinbar harmlosen Techniken der Medien, die Bilder und Informationen aufzeichnen und wiedergeben, werden in ihrer enormen Bedeutung für die Kriegspraxis keineswegs unterschätzt. Sogar auf der höchsten Erzählebene – auf der sich ein extra- und heterodiegetisch erscheinender Erzähler nunmehr als fiktiver Verfasser an fiktive Lesende wendet – werden die Gefahren angstbesetzter Kriegsdarstellungen reflektiert, indem fingiert wird, dass der vierte Teil des Romans, der sich »die Hölle auf Erden« nennt, von der positiv gezeichneten internationalen Sicherheitsbehörde der schlussendlich Überlebenden konfisziert worden sei. Dies wird folgendermaßen erklärt: »Dieser Vierte Teil wurde am 1. Mai 1961 von der Weltbürgerlichen Sozietät für den Völkerfrieden mit dem Sitz in London und Wien ko n f i s z i e r t , und die Konfiskation erstreckt sich auf alle Länder und Völker der Vereinten Nationen. Recht so, und richtig! [Folgender Satz wurde handschriftlich eingefügt:] *Nebenbei: Ich bin in der Lage, dies völlig frei und unabhängig von staatlichen Behörden zu bekennen [›bekennen‹ nicht ganz leserlich] – es handelt sich hier nicht um einen ›östlichen Kniefall‹! Der Verfasser. Die satanische Erdenhölle der leibhaftig-teuflischen Menschheit jener Zeit soll weder ungläubig Unwissenden noch gar den von tiefer Ahnung ergriffenen Gläubigen vorgeführt werden. Ja, es soll im Gegenteil so sein, als hätte sich der dritte Weltkrieg niemals ereignet und als wäre alles dazu Unternommene und Verbrochene nur der wirklichkeitsfremde Schreckenstraum einer vom zweiten Weltkrieg aufgerissenen Menschheitsseele gewesen.«54

Die übrige Weltbevölkerung, die gerade noch der endgültigen und vollkommenen Auslöschung entrinnen konnte, was am Ende des Romans geschildert wird, figuriert als positive Gesellschaftsutopie. Vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs sollten Darstellungen des Kriegs und der Vernichtung nach Möglichkeit nicht mehr auftreten, da sie das Geschilderte in den Bereich des Denkbaren und Möglichen ziehen würden. Sie erzeugten Angst und Abwehrstrategien, welche 53 »Ob technische Möglichkeit, ob Utopie – eines ist gewiß: wenn sich das Projekt einer Außenstation verwirklichen läßt, dann wird man diese als politisches Instrument und als – Waffe benützen. Eine solche Außenstation, die die Erde beständig umkreist, sie wäre wohl geeignet, ihrem Besitzer die Herrschaft über die Erde zu sichern und ihn zu befähigen, ›den Daumen auf die Erde zu halten‹. So ein ›globaler Wachhund‹, so ein kosmischer Tag- und Nachtwächter […] sein Besitz wäre unbezahlbar : es sei denn, die Konkurrenz baut ebenfalls einen.‹ Aus dem Artikel ›Mond auf Bestellung‹ von Dr. Helmut N a b l in ›Der Volksbote‹, Innsbruck, vom 14. 8. 1955«. »Antikoexistentielle Nabl-Beschau«, in: Tagebuch 10 (1955) 17 [27. August], 2. 54 Nobody [d. i. Rudolf Geist]: Augenzeuge Menschheit, 301–302. Die Formulierung »östliche[r] Kniefall« im Zusammenhang mit der fiktiven Zensurierung des Textes weist vermutlich auf die Ablehnung »nihilistischer« Darstellungen in der sowjetischen und sowjetnahen Literaturpolitik hin.

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die Kriegsrealität mit heraufbeschwören könnten. Zugleich wird auch die Warnfunktion von Dystopien reflektiert. Zwei Figuren unterhalten sich über »›negative Utopien‹, jene wesentlichen Werke, die sich mit Visionen zur Abmahnung vor den Schrecknissen eines Atomkriegs befaßten – Werken, die durchaus nicht pessimistisch wären, sondern den Widerstand ›ohne Regierungsauftrag‹ bestärkten. Denn ›gegängelter Widerstand‹ sei sinnlos. Del Hebro meinte: ›Wenn einer von uns die Trojansker Equivattragödie in ihren gräßlichen Bedeutungen schildern würde, das könnte vielleicht die blinde Menschheit warnen. Ich kann es nicht; ein szenarischer Kollektivroman ist nicht mein Genre.‹«55

Die selbstreflexive Strategie des Textes geht sogar so weit, eine Metalepse anzudeuten, indem das Pseudonym des Autors für eine intradiegetische Erzählerfigur verwendet wird; die Wissenschaftlerfigur Doronin erklärt gegen Ende des Romans: »Ob man irgendwo andere Explosionskörper und Strahlen verwendet und andere Artengeschäfte macht, als auf Erden, das interessiert mich für mein kurzes Leben nur mehr wenig; und soweit es mich interessiert, lese ich hierüber lieber Bücher von Nick N. Nobody. Kennen Sie übrigens seine große Weltgroteske, den Roman ›Gulliver auf den Sternen‹?«56

In den Romanen Nobodys finde sich »Vergnüglicheres und weitaus Bittereres, als wir je transoptisch erfassen könnten.«57 Damit wird der Roman von der eher mimetischen Bildgebungstechnologie der fiktiven »Transoptik« unterschieden; dennoch bleibt die Analogie bestehen, die das Darstellungsmedium im Spannungsfeld von Warnung vor dem Krieg und Akteur der Kriegspraxis ansiedelt. Der Text begreift sich selbst als ein zweischneidiges Schwert, das deshalb von allen Seiten beleuchtet werden muss, weil es heimliche Tücken aufweist. Es handelt sich hierbei um eine hochgradig reflektierte und vorsichtige Thematisierung des Umgangs mit Angst in sprachlichen und bildlichen Medien, wobei direkt die Massenzerstörungsängste durch hochtechnisierte Waffen aus den Bereichen Physik, Chemie und Biologie in der Verwendung durch den Ost- und Westblock angesprochen werden.

V.

Schluss

Die Thematisierung und Evokation von Atomangst in der österreichischen Nachkriegsliteratur stellt sich als spezifisches regionales Diskurssegment dar, das aber selbstverständlich auch an internationale Entwicklungen anschließbar 55 Ebd., 288. 56 Ebd., 398. 57 Ebd.

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ist. Die Funktionalisierung literarischer Darstellungen für die Warnung vor Entwicklungen, die zu einem Krieg mit Kernwaffen führen können, ist besonders in Österreich eine naheliegende Option, da die Traumatisierung vieler Personen durch den Zweiten Weltkrieg eine hohe Sensibilität für eine neuerliche Kriegsgefahr erzeugte; vor allem, da man davon ausgehen musste, dass ein Dritter Weltkrieg von neuartigen und hochspezialisierten Waffentechnologien geprägt sein würde. Die traumatische Erfahrung des Zweiten Weltkriegs teilt Österreich mit Deutschland (insbesondere die Erfahrung der alliierten Bombardements), wo ebenfalls diese Vorstellungen eines Dritten Weltkrieges präsent sind. Wie in Deutschland verhärten sich aber auch in Österreich die Fronten des Kalten Kriegs nach 1945 zunehmend. Unter diesen Umständen ist es für Autorinnen und Autoren schwierig, Stellungnahmen für den Frieden, die Abrüstung und gegen die Atomwaffenerzeugung zu beziehen, ohne als fellow-traveller denunziert zu werden. Die positive Bewertung der wissenschaftlichen Errungenschaft der Kernspaltung durch die USA und die Befürwortung der Abschreckungspolitik durch westliche Regierungen und die Kirche bedingen, dass die Position einer absoluten Ablehnung von Aufrüstung mit Atomwaffen von kommunistischen Organisationen vereinnahmt wird. Österreichische Autoren und Autorinnen schreiben in der Zeit zwischen 1945 und 1966 – wenn sie sich zur Atomangst äußern – im Spannungsfeld der Polarisierungen des Kalten Kriegs. So behinderten etwa die Versuche Ulrich Bechers, sich zwischen den Fronten des Kalten Kriegs zu positionieren, seine Rezeption in Österreich.58 Dabei war auch seine Haltung zur Nuklearwaffenpolitik ein maßgeblicher Faktor. Eine Rezension in einer westdeutschen Zeitung zeigt sich über die oben besprochene Novelle Die Frau und Tod »verstimmt«,59 da Becher das »falsche« Ziel anprangere: »Auch ist nicht eigentlich die Atombombe die entscheidende Weltbedrohung unserer Tage, sondern die unmenschliche und unsittliche Doktrin und Praxis der Willkürherrscher im Kreml.«60 Becher war, wie Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger, Mitunterzeichner eines Aufrufs »Gegen die ato-

58 1961 beklagte sich Becher bei dem österreichischen Journalisten und Kunstkritiker Johann Muschik, dass Friedrich Torberg seit 1954 eine Aufführung seiner Stücke in Wien verhindere. Vgl. Ulrich Becher, Postkarte an Hans Muschik am 5. April 1961, Autographensammlung der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, H.1 Becher, Ulrich. Vgl. auch Ulrich Becher, Brief an Hans Muschik am 6. Jänner 1962, ebd. An anderer Stelle beklagt Becher sich, dass Torberg seine Publikationen in Israel verhindert habe. Vgl. Ulrich Haacker, Ulrich Bechers Kurz nach vier, 218. 59 Rolf Becker, »Nachtigall will zum Vater fliegen«, in: Neue Ruhr-Zeitung [Essen], 16. September 1951. 60 Ebd.

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mare Bewaffnung«.61 Es war eine Aktion des »Komitee[s] gegen Atomrüstung«, das am 18. April 1958 in München eine Massendemonstration organisierte, initiiert von Hans Werner Richter und anderen Intellektuellen. Gegen diese Bewegung polemisierte der wohl engagierteste österreichische Westvertreter im Kalten Krieg, Friedrich Torberg, ausgiebig.62 Bachmann sah sich für ihre Stellungnahme gegen die westdeutsche Aufrüstung mit Kernwaffen mit besonders perfider Kritik konfrontiert. Die Autorin trat dem »Komitee gegen Atomrüstung« 1958 bei;63 die Unterzeichner und Unterzeichnerinnen wurden in der Zeitschrift Die Kultur, die zwischen Oktober 1952 und April 1962 in München im Kurt Desch-Verlag erschien, publik gemacht.64 Für diesen Schritt wurde sie vom ebenfalls engagierten österreichischen Kommunismuskritiker, Hans Weigel, öffentlich – und im Tonfall auch privat65 – angegriffen; und das, obwohl die Initiative in Die Kultur sich explizit vom Kommunismus distanzierte, indem der Unterschriftenliste vorangestellt wurde: »Eine zusätzliche deutsche Atomaufrüstung schreckt den Kommunismus nicht ab, sondern dient seiner Argumentation und Propaganda.«66 Es wären viele weitere Beispiele von keineswegs mit dem Kommunismus sympathisierenden österreichischen Intellektuellen anzuführen, die durch ihre

61 Vgl. Haacker, Ulrich Bechers Kurz nach vier, 238; Ralf Schnell, Geschichte der deutschsprachigen Literatur seit 1945, 2. überarb. u. erw. Aufl., Stuttgart–Weimar 2003, 122. 62 Vgl. Friedrich Torberg, ›Fast das ganze geistige Deutschland…‹. Zu den Protestaktionen der bundesdeutschen Intellektuellen (1958), in: ders., PPP. Pamphlete. Parodien. Post Scripta, München–Wien 1964, 118–124. Torberg legt nahe, dass diese Aktion im Rahmen der Bewegung »Kampf dem Atomtod!« zu sehen ist, die tatsächlich zeitgleich, in den ersten Monaten des Jahres 1958 anläuft. »Die Teilnehmer der Gründungskonferenz setzten sich zusammen aus den Reihen der SPD, FPD, des DGB und verschiedener Einzelgewerkschaften, aus Gruppierungen der evangelischen Bruderschaften und der Linkskatholiken sowie zahlreichen Naturwissenschaftlern und Schriftstellern.« Raimund Kurscheid, Kampf dem Atomtod! Schriftsteller im Kampf gegen eine deutsche Atombewaffnung, Köln 1981, 21. 63 Vgl. Hans Höller, Ingeborg Bachmann, (= Rowohlts Monographien 50545), Reinbek bei Hamburg 1999, 173, hier Anmerkung 297. 64 Das geistige Deutschland protestiert, in: Die Kultur. Eine unabhängige Zeitung mit internationalen Beiträgen, 15. April 1958, 3. Den Aufruf unterzeichneten neben Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann und Ulrich Becher noch zwei weitere Österreicher : Hans Habe und Robert Neumann. 65 Hans Weigel, »Offener Brief in Sachen Unterschrift«, in: Forum 5 (Juni 1958) 54, 218. Weigel schlägt Bachmann in diesem Brief polemisch vor, sie könne – wenn sie schon Atomprotestpetitionen unterschreibe – auch gleich kommunistisch wählen: »Du kannst bei uns kommunistisch wählen! Du kannst in den Klagenfurter Gemeinderat, in den Kärntner Landtag und in den österreichischen Nationalrat Politiker entsenden, die ganz im Sinn des ›Kultur‹-Aufrufs die Deutsche Bundesrepublik nicht als Lagerplatz, sondern nur als Ziel für Kernwaffen sehen möchten.« Ebd. 66 »Das geistige Deutschland protestiert«, in: Die Kultur. Eine unabhängige Zeitung mit internationalen Beiträgen, 15. April 1958, 3.

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Atomwaffengegnerschaft in Verruf gebracht wurden, fellow-traveller zu sein; so etwa Robert Jungk67 oder Friedrich Heer.68 Die kritische Beschäftigung mit dem Thema Atombewaffnung lag in Österreich gewiss näher als beispielsweise in den USA, wo die Nuklearwaffentechnologie mit Nationalstolz verbunden wurde und die Regierung sich bemühte, die Technik weiter zu entwickeln und die Bevölkerung von den »Vorteilen« zu überzeugen. In Österreich war man selbstverständlich in keinerlei Weise in der Lage, Kernwaffentechnik zu entwickeln oder zu erzeugen, sodass die Politik auf Atomgegnerschaft relativ indifferent reagierte. Dennoch hätte man sich wohl auch hier gerne etwas auf die neue und mächtige Waffentechnologie zu Gute gehalten, wie sich zeigt, wenn die Arbeiter-Zeitung am 9. August 1945 nicht zu erwähnen vergaß, dass auch die »Österreicherin«69 Lise Meitner an der Entwicklung der Kernspaltung beteiligt war. Die Indifferenz der Politik in der Atomwaffenfrage ermöglichte es den Österreichern und Österreicherinnen prinzipiell, sich über die Schädlichkeit der Radioaktivität zu informieren. Es kursierten wissenschaftliche Abhandlungen zu dem Thema, die Bevölkerung blieb dennoch der Atomwaffenkritik gegenüber skeptisch, da diese oft – und zuerst70 – von kommunistischer Seite her geäußert wurde. So polemisiert Richard Nimmerrichter in der Arbeiter-Zeitung am 8. Juni 1950 gegen die Unterschriftensammler und Unterschriftensammlerinnen für den Frieden und gegen die atomare Aufrüstung – da es sich dabei, so meinte er, oft um versteckte kommunistische Propaganda handle: 67 Vgl. beispielsweise (wie im Fall Bachmann) Jungks Stellungnahme in Forum des Lesers in: Forum, 5 (Juni 1958) 54, 218; sowie Torberg, PPP, 124–127. Vgl. außerdem »TB-Nachrichten. Hat die Zukunft schon begonnen?«, in: Tagebuch 13 (1958) 4, 12. 68 Heer schreibt in einem noch unpublizierten Brief: »Nicht wenige wünschen mich abgeurteilt – sozusagen wegen Wehrkraftzersetzung – unsere Stellungnahme gegen die Atombombe hat, neben Abbestellungen [der Zeitschrift Die österreichische Furche], ein wütendes Echo im kathol. Lager ausgelöst.« Friedrich Heer an Reinhold Schneider, Wien, 26. Jänner 1951, Badische Landesbibliothek Karlsruhe, Signatur K 2875. Dieser Brief ist auch erwähnt bei Dennis Lewandowski, Hermann Gohde. Der achte Tag (1950). Friedrich Heers Roman einer Weltstunde im Kontext zeitgenössischer Literatur (= Europäische Hochschulschriften Reihe I, Deutsche Sprache und Literatur 2024), Frankfurt am Main u. a. 2012, 196; zu Heers Engagement gegen Atomwaffen vgl. ebd., 67. 69 Vgl. »Ein Meer von Rauch und Staub… Die Atombombenflieger vor Pressevertretern«, in: Arbeiter-Zeitung, 9. August 1945, 1. 70 Vgl. Kurscheid, Kampf dem Atomtod!, 15. Im Tagebuch halten die Redakteure der UdSSR zu Gute, Bestrebungen zur atomaren Abrüstung seien von dieser Seite früher geäußert worden: »Wenn w[alter] h[acker] […] den ›freien oder zumindest freieren Westen‹ zum › g r o ß e n Umdenken‹ auffordert, so konnte er dies in dem Bewußtsein tun, daß ›der Osten‹ einer solchen Aufforderung nicht erst bedarf. Die verantwortlichen Staatsmänner des Ostens, Sprecher ihrer friedliebenden Völker, sind darin – seit dem Abwurf der amerikanischen Atombomben auf Japan – unbeirrbar den Staatsmännern ›des Westens‹ vorangegangen.« Siehe »Die größte Gefahr für alle Menschen«, in: Tagebuch 12 (1957) 10 [Oktober], 1.

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»An meiner Tür läutet es. Ich öffne. […] ›Wenn Sie für den Weltfrieden und gegen die Atombombe sind, dann unterschreiben Sie, bitte, hier.‹ […] Ich bin für meine Besucher ein schwieriger Fall, denn ich begnüge mich nicht damit, abzulehnen und die Tür aufzumachen, sondern stelle auch noch Fragen. Zum Beispiel will ich wissen, ob sich die Friedensresolution auch gegen die Kriegsrüstung in den Ostblockstaaten richtet. Gegen die Atombomben in Rußland und gegen die vielen Millionen von Soldaten, die zwischen Preßburg und Wladiwostok unter Waffen stehen. Da greift einer der beiden Männer ein. Er ist der Theoretiker. Der Theoretiker erzählt mir von der Wall Street, dem Tito-Faschismus, der unvermeidlichen Wirtschaftskrise in Amerika und dem westlichen Monopolkapitalismus. […] Da habe ich sie doch hinausgeworfen, alle drei.«71

In den hier vorgestellten literarischen Texten zeigen sich vielfach kritische Ansichten gegenüber der Herstellung und des Einsatzes von Nuklearwaffen, jedoch unterstützt keiner der Texte parteipolitische Propagandastrategien. Die kultur- und lebensbedrohlichen Atomwüsten in den Texten von Kühnelt und Valencak, der apokalyptische Atomkrieg in Geists Roman, die Separierung und Lenkung der Wissenschaft durch die Regierung in den Texten von Kühnelt und Geist und der tödliche Waffeneinsatz im Hintergrund von Bechers Novelle prangern die zeitgenössische Atompolitik an, jedoch wird der Kommunismus in keinem der Texte als positive Option dargestellt und in den meisten Fällen nicht einmal erwähnt. Der Rückgriff auf christliche, bürgerlich-humanistische und konservative Wertvorstellungen wie in Augenzeuge Menschheit oder Es ist später als du denkst widersprechen der Propagandastrategie der KPÖ ebenso wie die radikale Reduktion von traditionellen Werten auf die bloße Frage der Existenzberechtigung in Die Höhlen Noahs. Schließlich lässt sich von einer in Österreich verbreiteten doppelten Abwehr gegen die Atompolitikstrategien sowohl der USA, als auch der UdSSR sprechen.

71 Richard Nilius [d. i. Richard Nimmerrichter], »Wahre Geschichten aus 5 Jahren«, in: Arbeiter-Zeitung, 8. Juni 1950, 6.

Magdalena Reitbauer

Von Angesicht zu Angesicht im Kalten Krieg. Österreichs besuchsdiplomatische Interaktionen zwischen Ost und West 1960 bis 1983

I.

Einleitung

Besuche von Staats- und Regierungschefs, AußenministerInnen oder sonstigen außenpolitisch agierenden PolitikerInnen1 sind fest im politischen Tagesgeschäft der internationalen Beziehungen verankert. Hinter der diplomatischen Fassade treten allerdings oftmals die mehr oder weniger gut funktionierenden bilateralen Beziehungen zu Tage. Während des Kalten Kriegs kam dieser von »Angesicht zu Angesicht«-Form der Diplomatie besondere Bedeutung zu. So sollten besuchsdiplomatische Interaktionen in einer permanenten Spannungssituation Konflikte entschärfen, vertrauensbildende Spielräume schaffen, aber auch die bestehenden problemlosen Beziehungen weiter pflegen. Auch Österreich kann auf eine aktive Besuchsdiplomatie verweisen. An der europäischen »Ost-West-Schnittstelle« gelegen, wurde Österreich in dieser Zeit nicht nur in Anbetracht seiner politischen Sonderstellung als neutrales Land internationale Aufmerksamkeit zuteil, sondern auch aufgrund seiner selbst initiierten diplomatischen Brückenfunktion. Ziel dieses Beitrags ist es zu zeigen, wie sich die österreichischen besuchsdiplomatischen Interaktionen zwischen den Blöcken im Zeitraum von 1960 bis 1983 quantitativ betrachtet entwickelten. Um diese Gegenüberstellung zwischen Ost und West sowie die besuchsdiplomatischen Interaktionen mit dem neutralen Österreich deutlich zu machen, wird im zweiten Teil des Beitrags ein Fokus auf die Handlungsebenen politischer Akteure von »West« (USA) und »Ost« (UdSSR) sowie auf Besuche aus der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, als jeweilige deutsche Vertreter der bipolaren Weltordnung des Kalten Kriegs, gelegt. Um den Lesefluss durch die Vielzahl an Daten und Fakten der einzelnen besuchsdiplomatischen Interaktionen nicht zu stören, werden ex1 Die im weiteren Verlauf bewusst verwendeten männlichen Formen der Funktionsbezeichnungen inkludieren gedanklich ihre weiblichen Pendants, allerdings stellen diese die absolute Ausnahme dar.

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emplarisch relevante Besuche als Anmerkungen angeführt. Der Untersuchungszeitraum von 1960 bis 1983 ermöglicht es, die verschiedenen Phasen der außenpolitischen Ausrichtung sichtbar zu machen. Ausgehend von der Formierung der Neutralitätspolitik in den Jahren nach der Staatsvertragsunterzeichnung und der kontinuierlichen Erweiterung des Radius der Außenpolitik auf den gesamten west- und osteuropäischen Raum in den 1960er-Jahren, reichen sie über die »aktive Neutralitätspolitik« in der Ära Kreisky in den 1970erJahren, bis hin zur beginnenden Neuorientierung in Richtung europäische Integration mit dem Ende der Amtszeit Kreiskys in der Prä-EG-Beitrittsverhandlungsphase in den 1980er-Jahren. Der Literatur- und Quellenbestand zur österreichischen Außen- und Neutralitätspolitik sowie zum Themenkomplex der diplomatischen Beziehungen Österreichs im Kalten Krieg wächst kontinuierlich an. So sind neben Studien zu verschiedenen außenpolitischen beziehungsweise bilateralen Aspekten2 mittlerweile auch Versuche einer Gesamtdarstellung österreichischer Außenpolitik in der Zweiten Republik3 verfügbar. Zum spezifischen Forschungsgegenstand »Besuchsdiplomatie« gibt es allerdings bislang keine kohärente Studie. Zwar existieren Untersuchungen zu Gipfeltreffen internationaler Akteure in Österreich sowie zu einzelnen besuchsdiplomatischen Interaktionen Österreichs,4 doch fehlt es noch an einer grundlegenden Analyse, die über eine konkrete Begegnung hinausgeht. Aus diesem Grund wird für diesen Beitrag hauptsächlich

2 Exemplarisch für einzelne (bilaterale) Teilbereiche der österreichischen Außenpolitik seien hier folgende Werke erwähnt Oliver Rathkolb, Washington ruft Wien. U.S.-Großmachtspolitik und Österreich 1952–1962, Wien–Köln–Weimar 1995; Wolfgang Mueller, A Good Example of Peaceful Coexistence? The Soviet Union, Austria, and Neutrality, 1955–1991, Wien 2011; Matthias Pape, Ungleiche Brüder. Österreich und Deutschland 1945–1965, Köln– Wien–Weimar 2000; Maximilian Graf, Österreich und die DDR 1949–1989/90. Beziehungen – Kontakte – Wahrnehmungen, Dissertation Wien 2012; Arnold Suppan/Wolfgang Mueller (Hg.), Peaceful Coexistence or Iron Curtain? Austria, Neutrality, and Eastern Europe in the Cold War and D8tente, 1955–1989, Wien 2009. Zu außenpolitischen Aspekte in verschiedenen Zeiträumen Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945–1955, 5. Aufl., Wien–Köln–Graz 2005; Manfried Rauchensteiner (Hg.), Zwischen den Blöcken. NATO, Warschauer Pakt und Österreich, Wien–Köln–Weimar 2010; Rolf Steininger, Südtirol zwischen Diplomatie und Terror 1947–1969, 3 Bde., Bozen 1999; Michael Gehler, Österreichs Weg in die Europäische Union, Innsbruck–Wien–Bozen 2009. 3 Michael Gehler, Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik. Von der alliierten Besatzung bis zum Europa des 21. Jahrhunderts, 2 Bde., Innsbruck–Wien–Bozen 2005. 4 Hierzu siehe beispielsweise Stefan Karner et al. (Hg.), Der Wiener Gipfel 1961. Kennedy – Chruschtschow, Innsbruck–Wien–Bozen 2011; Günter Bischof, Besuchsdiplomatie und Koalitionsreibereien im Kalten Krieg. Der Gorbach-Besuch bei Kennedy im Mai 1962, in: Österreichisches Staatsarchiv/Sabine Gfrorner (Red.), Beruf(ung) Archivar. Festschrift für Lorenz Mikoletzky, Innsbruck–Wien–Bozen 2011, 1253–1276; Friedrich Bauer/Enrico Seewald, Bruno Kreisky in Ost-Berlin 1978, Innsbruck–Wien–Bozen 2011.

Von Angesicht zu Angesicht im Kalten Krieg

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auf Primärquellen österreichischer Archive5 sowie auf eine selbst erstellte Datenbank6 zurückgegriffen. Ausgehend von Aufzeichnungen und Dokumentationen der Österreichischen Zeitschrift für Außenpolitik,7 den jährlich publizierten Außenpolitischen Berichten des damaligen österreichischen Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten sowie von gezielten Hinweisen aus Archivmaterialien geben die erhobenen Daten Auskunft über die Quantität österreichischer besuchsdiplomatischer Aktivitäten. Die Datenbank besteht aus mehreren Kategorien (Akteure,8 Begegnungsort, Zeitraum, Besuchsformat, Anlass, Ergebnisse und Folgen), deren Rohdaten anschließend in Korrelationen gesetzt werden. Der Begriff »Diplomatie« ist ebenso vielschichtig wie seine historische Entwicklung und unterliegt einem ständigen semantischen Veränderungsprozess, worauf im Rahmen dieses Beitrags allerdings nicht näher eingegangen werden kann. Besuchsdiplomatie ist eine spezielle Form von face-to-face-Diplomatie, das heißt, dass sich politische oder diplomatische Vertreter persönlich im eigenen Land oder Gastland zu Gesprächen, Verhandlungen oder sonstigen Treffen begegnen. (Besuchs-)Diplomatie bietet daher eine Möglichkeit des Dialogs und eine Form der Kommunikation zwischen Staaten und Systemen unterschiedlicher politischer, wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Ausrichtung. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts veränderte sich das Format diplomatischer Interaktionen. Die Favorisierung absoluter Geheimdiplomatie wurde kontinuierlich durch »offenere« Formen von (Gipfel-)Treffen und multilateralen Verhandlungssituationen abgelöst. Da sich die Funktionen und Aufgaben von Diplomatie allerdings in den letzten drei Jahrzehnten wiederum durch die Etablierung von neuen Informationstechnologien rasant verändert haben, ist auch die Ära der großen Gipfeltreffen im Kalten Krieg in Laufe der 1980er-Jahre und spätestens ab den 1990er-Jahren langsam zu Ende gegangen. PolitikerInnen beziehungsweise ihren MitarbeiterInnen war es nun leichter möglich, innerhalb kurzer Zeit miteinander in Kontakt zu treten, ohne sich direkt zu begegnen.9 5 Die Archivmaterialien stammen aus den außenpolitischen Beständen der Stiftung Bruno Kreisky Archiv (SBKA) sowie zugänglichen ergänzenden Akten aus dem Archiv der Republik/ Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten im Österreichischen Staatsarchiv (ÖStA). 6 Für eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse der Datenbank siehe Magdalena Reitbauer, Von Angesicht zu Angesicht im Kalten Krieg. Österreichs besuchsdiplomatische Interaktionen zwischen Ost und West (1960–1983), Diplomarbeit Wien 2012. 7 Herausgegeben von der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und Internationale Beziehungen. 8 Den unterschiedlichen politischen Bezeichnungen verschiedener Ländern Rechnung tragend, wird hier der verallgemeinernde Terminus »Akteur« verwendet. 9 Vgl. David Reynolds, Gipfeltreffen im 20. Jahrhundert. Ein Überblick, in: Stefan Karner et al. (Hg.), Der Wiener Gipfel 1961. Kennedy – Chruschtschow, Innsbruck–Wien–Bozen 2011, 75–90, 79–81.

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Magdalena Reitbauer

Gleichzeitig nahmen und nehmen besuchsdiplomatische Kontakte in Form einer allgemeinen Reisediplomatie aber nicht unbedingt ab – sie verlagerten sich nur auf andere politische Ebenen. Es ist allerdings ein Trend erkennbar, dass Konsultation von Staats- und Regierungschefs zunehmend als mit allen Mitteln des diplomatischen Zeremoniells veranstaltete Medienevents und weniger als Ereignisse realer Diplomatie wahrgenommen werden.10 Besuchsdiplomatische Verhandlungen oder Besprechungen, als eine Form der direkten Kommunikation zwischen außenpolitischen Akteuren, müssen – obwohl von Angesicht zu Angesicht – nicht notwendigerweise auf gleicher Augenhöhe geführt werden. Unterschiedliche hierarchische Vorstellungen, politische Kulturen und persönliche Avancen können über die Interpretation von Erfolg oder Misserfolg eines Besuches entscheiden. Besuche stehen oftmals am Scheideweg zwischen Schein und Realität, zwischen protokollarischer Fassade und dem tatsächlichen Stand der Dinge.11 Die Frage ist daher immer, welche Besprechungspunkte nicht an die Öffentlichkeit dringen, welche Materialen sofort in Archiven verschwinden und was nicht einmal dort dokumentiert ist. Für Österreich waren die besuchsdiplomatischen Interaktionen nicht nur als Form außenpolitischer Kommunikation wichtig, sondern auch für die eigene Verortung im internationalen Mächteverhältnis. Besuchsdiplomatische Interaktionen zwischen Staats- und Regierungschefs sowie (Außen-)Ministern galten als Zeichen gegenseitiger Wertschätzung, Möglichkeit zur Konfliktlösung und konnten der Sympathie-Werbung für Österreich in den Medien dienen.12 Generell sind unterschiedliche Formen besuchsdiplomatischer Treffen möglich. So gibt es beispielsweise Besuche, die der reinen Demonstration freundschaftlicher Beziehungen dienen und Besuche, bei denen intensiv diskutiert, gearbeitet und verhandelt wird. Besuchsdiplomatische Interaktionen können von den Akteuren entweder dazu verwendet werden, etwaige Spannungen abzubauen oder aber den Status-Quo aufrechtzuerhalten. Essentiell für Treffen internationaler außenpolitischer Akteure ist allerdings der Glaube, dass es von Angesicht zu Angesicht möglich sei, Vertrauen aufzubauen und etwaige Streitigkeiten zu lösen.13

10 Vgl. Wichard Woyke, Handwörterbuch Internationale Politik, 8. Aufl., Opladen 2000, 61. 11 Siehe dazu auch aktuelle Werke der Emotionsforschung, u. a. Susanne Schattenberg, Gespräch zweier Taubstummer. Die Kultur der chrusˇcˇevschen Außenpolitik und Adenauers Moskaureise, in: Osteuropa 57 (2007) 7, 27–46. 12 Vgl. Willibald Pahr, Österreich in der Welt, in: Oliver Rathkolb/Otto M. Maschke/Stefan AugustLütgenau (Hg.), Mit anderen Augen gesehen. Internationale Perzeptionen Österreichs 1955–1990(= Österreichische Nationalgeschichte nach 1945 2), Wien 2002, 1–16, 14. 13 Vgl. Reynolds, Gipfeltreffen im 20. Jahrhundert, 75–90, 79.

Von Angesicht zu Angesicht im Kalten Krieg

II.

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Quantitatives zwischen Ost und West – Österreichs Besuchsdiplomatie in Zahlen

Im analysierten Untersuchungszeitraum von 1960 bis 1983 gab es insgesamt weit über 600 relevante Besuche ausländischer Akteure in Österreich. Die Gründe beziehungsweise die Anlässe dafür waren unterschiedlich und reichen von offiziellen und inoffiziellen Besuchen bis hin zu Arbeitstreffen und Besprechungen. Offizielle Besuche waren mit Abstand der häufigste Grund für ausländische außenpolitische Akteure14 nach Österreich zu reisen. Wie schon die Bezeichnung erkennen lässt, wird diese Art von Besuchen auf offizieller und staatlicher Ebene mit allen protokollarischen Feinheiten – von der Einladung und Begrüßung, über den Verlauf der Gespräche und dem begleitenden Besuchs- und Besichtigungsprogramm bis hin zum obligatorischen Schlusskommuniqu8 – durchgeführt. Die Delegationen bestehen zumeist mindestens aus dem Staatsoberhaupt oder dem Regierungschef und dem Außenminister, und werden oft von den jeweiligen PartnerInnen begleitet. Neben dieser stark inszenierten Form eines Besuches waren weniger häufig stattfindende inoffizielle Besuche, allgemeine Arbeitsgespräche, Informationsreisen oder Besuche anlässlich von Jubiläen oder Festakten weniger formell gestaltet (ausgenommen Letztere). Vor allem in der Regierungszeit Bruno Kreiskys gab es eine zusätzliche, kurze Form eines Besuches, dem Zwischenstopp eines Akteurs auf dem Weg in ein anderes Land. Zumeist waren diese Zwischenaufenthalte inhaltlich mit dem eigentlichen Reiseziel verschränkt. Von 1960 bis 1983 können Besuche aus insgesamt 93 verschiedenen Ländern dokumentiert werden. Die Reichweite umspannt dabei alle Kontinente, Staaten unterschiedlicher Größe sowie politischer Orientierung und umfasst eine Bandbreite von einmaligen bis hin zu zahlreichen (40 und mehr) Besuchen. In Abbildung 1 wird ersichtlich, aus welchen 15 Ländern die häufigsten Besuche kamen.

14 In diesem Beitrag werden hauptsächlich Politiker als Akteure besuchsdiplomatischer Interaktionen wahrgenommen, allerdings im Wissen, dass sowohl DiplomatInnen als auch MinisterialbeamtInnen auf vielen Ebenen Problembereiche und Themengebiete vorsondieren, vorbereiten sowie etwaige Abkommen im Vorhinein »unterschriftsreif« ausverhandeln.

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Magdalena Reitbauer

Länderhäufigkeit 1960-1983 43

41 32

31

31 26

BRD USSR USA (1.) (2.) (3.)

UNG (4.)

POL (4.)

23

SWE RUM (6.) (7.)

21

FRA (8.)

20

BUL (9.)

20

(9.)

19

18

15

14

13

AGY DDR ISR GBR FIN (11.) (12.) (13.) (14.) (15.)

Abbildung 1: Besuchsdiplomatische Länderhäufigkeiten in Österreich von 1960 bis 1983 (Zugehörigkeiten: Grau: »Westen«, Schwarz: »Osten«, Hell: Neutrale/Blockfreie)

Besuche aus der Bundesrepublik Deutschland führen die Liste an, gefolgt von jenen aus der UdSSR und den USA. Dass die meisten Österreich besuchenden politischen Akteure aus der Bundesrepublik kamen, verwundert angesichts der ökonomischen und politischen Stärke des »großen Nachbarn« und der engen Kontakte auf Politikerebene kaum. Die Dichte an ministeriellen Besuchen, Treffen und Konferenzen ist hierfür ebenso bezeichnend. Offizielle besuchsdiplomatische Treffen mit der DDR (12.) waren in Österreich grundsätzlich erst nach dem Grundlagenvertrag 1972 durchführbar. Die trotz der verspäteten Möglichkeit zu offiziellen Besuchen relativ hohe Anzahl an Begegnungen reflektiert die Intensität der Beziehungen mit der DDR ab Mitte der 1970er-Jahre. Von allen Signatarmächten des österreichischen Staatsvertrags waren die Besuche aus der Sowjetunion am häufigsten (UdSSR 2., USA 3., Frankreich 8. und Großbritannien 14.). An der absteigenden Reihenfolge wird auch die mehr oder weniger große Nähe zu den vier für die österreichische Nachkriegsordnung wichtigen Ländern deutlich. Die Beziehungen zwischen der UdSSR und Österreich, denen nicht nur seitens der Moskauer Führung großes Interesse beigemessen wurde, basierten bis zum Ende des Kalten Kriegs politisch hauptsächlich auf dem Staatsvertrag und dem Neutralitätsgesetz (die Sowjetunion wurde auch nicht müde, dies bei Besuchen und Abschlusskommuniqu8s zu konstatieren) und wirtschaftlich auf Handelskooperationen, die für beide Staaten nutzbringend waren. Letztlich blieben die in regelmäßigen Abständen stattfindenden Begegnungen zwischen österreichischen und sowjetischen Politikern allerdings meist im Rahmen von protokollarisch durchorganisierten offiziellen Staatsbesuchen. Hingegen verschränkte sich das Verhältnis zwischen Österreich und den

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westlichen Signatarstaaten auf unterschiedlichen Ebenen, auch wenn sich die Intensität angesichts der Fülle anderer Kontakte im Laufe der Zweiten Republik verringern sollte.15 Die politisch dem »Osten«16 zurechenbaren Länder Ungarn und Polen (mit jeweils 31 Besuchen gemeinsam an 4. Stelle), Rumänien (7.) sowie Bulgarien und die Tschechoslowakei (mit jeweils 20 Besuchen gemeinsam an 9. Stelle) rangieren in der Darstellung weit oben. Die Beziehungen zu mittelund osteuropäischen Staaten waren für Österreich im Kontext der »Nachbarschaftspolitik« nicht nur aufgrund der betonten historischen Verbundenheit, sondern auch aus sicherheitspolitischen Überlegungen bedeutend. Der Besuchskontakt mit neutralen europäischen Ländern wie Schweden (6.) und Finnland (15.) stellte für Österreich eine zentrale Vernetzungsfunktion mit »Gleichgesinnten« – vor allem im Zusammenhang mit europäischen Assoziations- und Integrationsbestrebungen – dar. Das Engagement Österreichs im Nahen Osten, das vor allem während der Ära Kreisky erwähnenswert ist, spiegelt sich teilweise in den Besuchen ägyptischer (11.) und israelischer (13.) Politiker wider. Fasst man die besuchsdiplomatischen Aktivitäten in Österreich in Ländergruppen zusammen, so ergibt sich folgendes Bild (Abbildung 2):

Abbildung 2: Nach Regionen zusammengefasste Häufigkeit der Besuche in Österreich17

15 Vgl. Peter Jankowitsch, Das Problem der Äquidistanz, in: Manfried Rauchensteiner (Hg.), Zwischen den Blöcken. NATO, Warschauer Pakt und Österreich, Wien 2010, 451–496, 462. 16 »Osten« wird hier als Raumkategorie verwendet, die der sowjetischen Einflusssphäre in Ostund Südosteuropa während des Kalten Kriegs Rechnung trägt. 17 Die Länder wurden in folgende Kategorien eingeteilt: Nordamerika (der geographisch nördliche Teil des amerikanischen Kontinents, Mexiko sowie die dem Commonwealth angehörenden Staaten im karibischen Raum), Südamerika (der geographisch südliche Teil des amerikanischen Kontinents, die Karibik sowie die Länder Zentralamerikas), Europa (europäische Staaten, die ideologisch gesehen im Kalten Krieg dem »Westen« und dem »Osten«

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Magdalena Reitbauer

Die Schwerpunkte liegen eindeutig auf dem (west-)europäischen Raum, Osteuropa mit der Sowjetunion sowie dem Großraum Naher Osten. Innerhalb der einzelnen Ländergruppen ergeben sich ebenso Schwerpunkte, die sich weitestgehend mit den häufigsten Herkunftsländern (vgl. Abbildung 1) decken. Aus Südamerika, Afrika und Asien (Regionen aus denen es viele einmalige, aber wenige zahlreiche Besuche gab) gibt es jeweils mit Nicaragua, Peru und Argentinien beziehungsweise Venezuela, dem Sudan, Senegal und Niger sowie mit Indien, Indonesien und Thailand eine Vielzahl an weiteren Staaten. Vergleicht man die Ländergruppen im Zeitraum 1960 bis 198318, wird nachstehende Graphik (Abbildung 3) ersichtlich:

80

70

60

50

Europa 40

Naher Osten

»Osten«

30

Nordamerika 20

Organisa!onen 10

0

Asien Südamerika Afrika Australien & Ozeanien

Abbildung 3: Darstellung der besuchsdiplomatischen Entwicklung von 1960 bis 1983

Während der 1960er-Jahre gab es eine deutlich geringere Anzahl an Besuchen als in den darauffolgenden Jahren. Stiegen die Besuche aus außereuropäischen Staaten bis Ende der 1960er-Jahre nur gering, unterlagen west- und osteuropäische Länder spätestens ab 1965 einer starken Aufwärtsdynamik. Die Spitze an Besuchen wurde ab Mitte der 1970er-Jahre erreicht, als Kreiskys aktive Neutralitäts- und Vermittlungspolitik prosperierte und sich der Radius der österreichischen Außenpolitik global erweiterte. Jeweils die Anfänge der 1970er- und 1980er-Jahre waren von einer durchschnittlichen Besuchsintensität und -frequenz geprägt, wobei der Trend 1970 bis 1974 aufsteigend und 1980 bis 1983 absteigend war. Im Allgemeinen kann für alle Ländergruppen ein Anstieg der Besuchsintensität von 1960 bis Ende der 1970er-Jahre konstatiert werden. Ab zugeordnet wurden, ost- und südosteuropäische Staaten sowie das heutige Russland und die europäischen Neutralen), Naher Osten, Afrika, Asien und Australien & Ozeanien. 18 Eingeteilt in folgende zusammengefasste Zeitabschnitte: 1960–1964, 1965–1969, 1970–1974, 1975–1980 sowie 1980–1983 (letzter Abschnitt definiert das Ende der Regierung Kreisky IV).

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1980 (hier bis 1983) verringert sich die Besuchshäufigkeit in Österreich allmählich. Besuche aus Europa und aus Osteuropa bzw. der Sowjetunion waren über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg am häufigsten. Waren im Zeitraum 1960 bis 1975 die meisten Besuche von Akteuren (west)europäischer Staaten, änderte sich dies von 1975 bis 1979, als die Besuchsdiplomatie aus Osteuropa und der Sowjetunion besonders stark war. Dies liegt unter anderem an der aktiven österreichischen »Nachbarschaftspolitik« und der allgemein sehr hohen Besuchsfrequenz in diesem Zeitraum. Die starke Interaktion mit diesen beiden unmittelbar Österreich und seine politische Situation betreffenden und zugleich auch sehr unterschiedlichen Regionen, ist ein Zeichen für das Interesse Österreichs, Brückenschläge innerhalb Europas zu bilden und so die Kommunikationskanäle zwischen Ost und West offen zu halten. Österreich – und insbesondere Wien – präsentierte sich in der Zeit des Kalten Kriegs mit neu gewonnenem Selbstbewusstsein als neutraler Begegnungsort zwischen Ost und West. Dazu zählen etwa der Wiener Gipfel 1961, als sich US-Präsident John F. Kennedy und UdSSR-Regierungschef Nikita S. Chrusˇcˇev zu Gesprächen trafen,19 oder auch 1979 der Abschluss der Strategic Arms Limitation Talks (SALT), als US-Präsident Jimmy Carter und UdSSR-Regierungschef Leonid I. Brezˇnev den SALT-II–Vertrag in Wien unterzeichneten. Wichtige internationale Begegnungen, wie die bereits genannten, unterstützten schließlich auch den Auf- und Ausbau Wiens als Konferenzstadt und Sitz internationaler Organisationen.20 Bereits in den ersten Jahren nach dem Ende der Besatzungszeit in Österreich und nach Abschluss des Staatsvertrags 1955 begann das Land, seinen neu gewonnenen außenpolitischen Handlungsspielraum im Sinne eines neutralen Staates und im Spannungsfeld der aufsteigenden Bipolarität zu konkretisieren. Ziel war es, möglichst rasch diplomatische Beziehungen zu vielen anderen Staaten und internationalen Akteuren aufzubauen. Die Große Koalition (ÖVP-SPÖ) die bis 1966 die Geschicke Österreichs lenkte, ermöglichte, ganz im Sinne der Konsensorientierung, ein relativ breites außenpolitisches Spektrum, auch wenn es zwischen den Regierungsparteien in europäischen Integrationsfragen Unstimmigkeiten gab.21 Der Prozess der Ausgestaltung der Neutralitätspolitik erforderte parteiübergreifendes Feingefühl. Bruno Kreisky, der als Außenminister im Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten (ab 1959 eigenständig) bis 1966 tätig war, trug beispielsweise jene Politik der ÖVP-Bundeskanzler Julius Raab und Josef Klaus mit, die auf Normalisierung beziehungsweise Verbesserung 19 Siehe dazu Karner et al. (Hg.), Der Wiener Gipfel 1961. 20 Vgl. Oliver Rathkolb, Internationalisierung Österreichs seit 1945, Innsbruck–Wien–Bozen 2006, 68–71; Erwin A. Schmidl, Wien als internationales Zentrum, in: Michael Dippelreiter (Hg.), Wien. Die Metamorphose einer Stadt (= Geschichte der österreichischen Bundesländer 6), Wien–Köln–Weimar 2013, 703–730. 21 Vgl. Gehler, Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik, Bd. 1, 292.

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des Verhältnisses zu den osteuropäischen Staaten abzielte. Somit konnte nicht nur die »Nachbarschaftspolitik«, sondern auch die Besuchsdiplomatie neu gestaltet werden – selbst wenn dies im Westen nicht auf Anhieb willkommen war.22 Die Schwerpunkte der Außenpolitik während der ÖVP-Alleinregierung unter der Führung von Klaus lagen auf multilateralem Engagement, dem Versuch der Partizipation am europäischen Integrationsprozess,23 der Südtirolfrage sowie auf der Verbesserung der Beziehungen zu den östlichen Nachbarstaaten. Von 1966 bis 1970 versuchten die beiden österreichischen Außenminister Lujo Toncˇic´-Sorinj (1966–1968) und Kurt Waldheim (1968–1970) die bisherige »Nachbarschaftspolitik« als neue »Ostpolitik« weiter zu führen.24 Der daraus entstandene Schwerpunkt auf den europäischen Raum in den 1960er-Jahren, der sich auch in besuchsdiplomatischen Interaktionen bemerkbar machte, kann unter anderem durch diese außenpolitische Orientierung auf die »Nachbarschaftspolitik« einerseits und die EWG/EG-Annäherungsbemühungen andererseits erklärt werden. Die Gleichsetzung von Außen- und Neutralitätspolitik, die vorab schon von Außenminister Waldheim eingeleitet wurde, bereitete während der Ära Kreisky (1970–1983) den fruchtbaren Nährboden für den quantitativen Höhepunkt der besuchsdiplomatischen Interaktionen, der Mitte der 1970er-Jahre erreicht wurde.25 Die Außenminister Rudolf Kirchschläger (1970–1974), Erich BielkaKarltreu (1974–1976) sowie Willibald Pahr (1976–1983) traten neben dem außenpolitisch dominanten Bundeskanzler Kreisky für die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts in Europa ein beziehungsweise strebten, wie beispielsweise Pahr, eine Maximierung des außenpolitischen Status an.26 Die Außenpolitik der 1970erJahre zielte weiterhin darauf ab, diplomatische Beziehungen in sämtliche Richtungen und in verschiedener Intensität aufzubauen oder zu pflegen. Neutralität sollte aktiv, offen und global verstanden werden.27 Darunter fällt sowohl das NordSüd-Engagement als auch jenes im Nahen Osten. 22 Vgl. Jankowitsch, Das Problem der Äquidistanz, 451–496, 466. 23 Stichwort: »EWG-Alleingang«, Vgl. dazu u.a. Michael Gehler, Der lange Weg nach Europa. Österreich vom Ende der Monarchie bis zur EU. 2 Bde., Innsbruck–Wien–Bozen 2002, 208–259; ders., Vom Marshall-Plan zur EU. Österreich und die europäische Integration von 1945 bis zur Gegenwart, Innsbruck–Wien–Bozen 2006, 95–134; ders., Österreichs Weg in die Europäische Union, Innsbruck–Wien–Bozen 2009, 58–80; Reinhard Meier-Walser, Die Außenpolitik der monocoloren Regierung Klaus in Österreich 1966–1970, München 1988; Michael Gehler, Die österreichische Außenpolitik unter der Alleinregierung Josef Klaus 1966–1970, in: Robert Kriechbaumer/Franz Schausberger/Hubert Weinberger (Hg.), Die Transformation der österreichischen Gesellschaft und die Alleinregierung Klaus, Salzburg 1995, 251–271. 24 Vgl. Gehler, Österreichische Außenpolitik der Zweiten Republik, Bd. 2, 1000–1001. 25 Vgl. Helmut Kramer, Strukturentwicklung der Außenpolitik (1945–2005), in: Herbert Dachs (Hg.), Politik in Österreich. Das Handbuch, Wien 2006, 807–837, 816. 26 Vgl. Gehler, Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik, Bd. 1, 386. 27 Vgl. ebd, Bd. 2, 1003.

Von Angesicht zu Angesicht im Kalten Krieg

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Die Besuchsdiplomatie von Ländern des weitgefassten Begriffs »Naher Osten« entwickelte sich in ähnlicher Weise wie die anderen Ländergruppen (vgl. Abbildungen 2 und 3). Nahm die Besuchsintensität während der ÖVP-Alleinregierung ab, stieg anschließend die Anzahl der Besuche kontinuierlich und erreichte ihre absolute Spitze in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre. Dies kann auf Kreiskys Engagement, in der Nahost-Frage zu vermitteln, und auf seine intensive ostpolitische Besuchsdiplomatie zurückgeführt werden. Die Besuche aus Nordamerika sanken zunächst ebenfalls in der zweiten Hälfte der 1960erJahre, um dann linear bis Mitte der 1970er-Jahre anzusteigen. Besuche afrikanischer Staats- und Regierungschefs sowie Minister reihen sich in die allgemeinen Trends mit einem Höhepunkt Ende der 1970er-Jahre ein; ebenso die seltenen Besuche aus Australien und Ozeanien. Allein die politischen Besuche aus Asien und Südamerika erreichten ihren Höhepunkt erst in den 1980erJahren. Besuche von Vertretern internationaler Organisationen entwickelten sich über den gesamten Betrachtungszeitraum hinweg relativ konstant. Mit der Erosion der D8tente und der erneuten Verschärfung des Ost-WestKonflikts Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre änderten sich die außenpolitischen Rahmenbedingungen Österreichs. Die sich allgemein verschlechternde internationale Lage hatte eine regressivere österreichische Haltung zur Folge.28 Nebenbei gingen sowohl die Besuchsintensität als auch die Tragweite des außenpolitischen Handlungsspielraumes zurück. Parallel dazu endete die außenpolitische Konsensorientierung zwischen den beiden Großparteien SPÖ und ÖVP.29 Österreich versuchte dennoch seine Besuchsdiplomatie in Anlehnung an die zumeist erfolgreichen Treffen der 1970er-Jahre fortzuführen, kam allerdings rein quantitativ nicht an die Intensität des vorausgegangenen Jahrzehnts heran.

III.

Österreichs besuchsdiplomatischer Balanceakt zwischen den Supermächten und dem Dreiecksverhältnis Bonn – Ost-Berlin – Wien

Sowohl die beiden Staatsvertragsmächte USA und UdSSR als auch die BRD und die DDR stellten für Österreich seit Beginn der Zweiten Republik wichtige besuchsdiplomatische Bezugspunkte dar – trotz der Ungleichzeitigkeit der bilateralen Beziehungen. Während die USA und die UdSSR als Besatzungsmächte ab Kriegsende eine entscheidende Rolle für Österreich spielten, waren die offiziellen Beziehungen zu den beiden deutschen Staaten komplizierter. In der BRD 28 Vgl. Kramer, Strukturentwicklung der Außenpolitik, 807–837, 820. 29 Vgl. hierzu u. a.: ebd., 819–824.

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wurden zunächst österreichische Verbindungsstellen eröffnet, bevor 1955 diplomatische Beziehungen auf Botschafterebene aufgenommen wurden. Offizielle bilaterale Beziehungen zwischen Österreich und der DDR konnten erst nach der Unterzeichnung des deutsch-deutschen Grundlagenvertrages 1972 etabliert werden. In Washington und Moskau wurden hingegen bereits 1946 diplomatische Vertretungen eröffnet.30 Vergleicht man nun konkret die Besuchsentwicklung zwischen Österreich, den beiden Supermächten USA und UdSSR sowie den beiden deutschen Staaten BRD und DDR ergibt sich folgende Graphik (Abbildung 4):

20

Besuchsentwicklung USA, UdSSR, BRD und DDR in Österreich BRD

15

10

UdSSR 5

USA

DDR

0

1960-1964

1965-1969

1970-1974

1975-1979

1980-1983

Abbildung 4: Besuchsdiplomatische Entwicklung der USA, UdSSR, BRD und DDR in Österreich von 1960 bis 1983

Die Besuche aus den USA, der UdSSR, BRD und DDR in Österreich erreichten ihren jeweiligen Höhepunkt Mitte bis Ende der 1970er-Jahre. Bis zu diesem Zeitpunkt verlief die Entwicklung bei den amerikanischen sowie bundesdeutschen Besuchen stetig relativ parallel zu einander. Allerdings nahmen USamerikanische Politiker-Besuche in Österreich in den 1960er-Jahren ab. Obwohl sich die Beziehungen zwischen den USA und Österreich nach Verhärtungen im Zuge der österreichischen Emanzipation von den Staatsvertragsmächten und der Neutralitätspolitik Ende der 1950er-Jahre wieder zu bessern schienen, fand diese Entwicklung keinen Widerhall in einem regen Besuchsaustausch. Vielmehr nahm das Interesse der USA an Österreich – abseits der Wertschätzung 30 Ebd., 810–811.

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Wiens als diplomatischer Begegnungsstätte – langsam ab.31 Im Falle der BRD waren die gegenseitigen Besuchskontakte auf Politikerebene seit den 1970erJahren sehr dicht und kaum noch überschaubar. Zu offiziellen Besuchen kamen noch eine ganze Reihe an privaten Besuchen im jeweiligen Nachbarland sowie Teilnahmen an Parteiveranstaltungen der jeweiligen Schwesterparteien hinzu.32 Die Besuchshäufigkeit politischer Vertreter der DDR ist anders zu betrachten, da erst ab 1972 offizielle Besuche möglich waren. Die Beziehungen zur DDR befanden sich allerdings von 1975 bis 1979 auf dem gleichen Niveau wie jenes der USA. Auch sowjetische Besuche erreichten Mitte der 1970er-Jahre ihren Höhepunkt, zuvor stellten diese Ende der 1960er-Jahre die meisten Besuche dar. Durch die Zusammenstellung der österreichischen Besuche in den USA, der UdSSR, BRD und DDR wird Folgendes ersichtlich (Abbildung 5):

Besuchsentwicklung österreichische Besuche in den USA, der UdSSR, BRD und DDR 25

BRD

20 15

USA

10 5

UdSSR

DDR

0

1960-1964

1965-1969

1970-1974

1975-1979

1980-1983

Abbildung 5: Entwicklung der österreichischen Besuche in den USA, der UdSSR, BRD und DDR von 1960 bis 1983

Wie in den zuvor dargestellten Korrelationen wurde die jeweilige Spitze an Besuchen eindeutig im Zeitraum zwischen 1975 und 1979 erreicht. Waren Be31 Ebd., 813; Oliver Rathkolb, Österreich als Teil der US-Geopolitik 1950–1970, in: Oliver Rathkolb/Otto M. Maschke/Stefan August Lütgenau (Hg.), Mit anderen Augen gesehen. Internationale Perzeptionen Österreichs 1955–1990 (= Österreichische Nationalgeschichte nach 1945 2), Wien 2002, 17–34, 33. 32 Vgl. Stefan August Lütgenau, Widersprüchliche Gemeinsamkeiten. Das deutsche Österreichbild, in: Oliver Rathkolb/Otto M. Maschke/Stefan August Lütgenau (Hg.), Mit anderen Augen gesehen. Internationale Perzeptionen Österreichs 1955–1990 (= Österreichische Nationalgeschichte nach 1945 2), Wien 2002, 161–200, 200.

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suche in der BRD zu Beginn der 1960er-Jahre am häufigsten, sanken diese von 1965 bis 1969, stiegen dann aber stark in den 1970er-Jahren an, um schließlich 1980 wieder abzufallen. In der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre waren hingegen österreichische Besuche in den USA am häufigsten. Diese bewegten sich über den gesamten Zeitraum hinweg in einer Art Wellenbewegung. Im Gegensatz dazu stehen österreichische Besuche in der Sowjetunion, die kontinuierlich anstiegen und in den 1970er-Jahren in ihrer Anzahl jene in den USA übertrafen. Die SPÖ-Regierung verhielt sich gegenüber der UdSSR aus hauptsächlich neutralitäts- und (außen)handelspolitischen Gründen pragmatisch. Grundsätzlich sahen die Supermächte Österreich als Angehöriger der jeweiligen Allianz bzw. versuchten es ihrer eigenen Einflusssphäre anzunähern. Für Österreich war es daher wichtig (enge) besuchsdiplomatische Verbindungen zu den beiden Großmächten zu unterhalten, um so aktiv die Beziehungen mitzugestalten. Die DDR wird erst mit Beginn der 1970er-Jahre für Österreich besuchsdiplomatisch interessant. Der damalige österreichische Außenminister Kirchschläger setzte neben dem Schwerpunkt »Nachbarschafts«- und Europapolitik, auf den Aufbau von bilateralen Beziehungen von zunächst noch nicht anerkannten Staaten, wie unter anderem mit der DDR. Die Häufigkeit der politischen Besuche von österreichischen Akteuren in der DDR stieg ab der Aufnahme diplomatischer Beziehungen in den 1970er-Jahren steil an. Der Vergleich zwischen Abbildung 4 und 5 ergibt für den besuchsdiplomatischen Austausch zwischen Österreich und der UdSSR sowie der DDR ein relativ ausgeglichenes Bild. Der Anstieg und Fall der Besuchsintensität entwickelte sich in den jeweiligen Zeiträumen ähnlich. Wurden Besuche aus den USA in Österreich in ihrer Anzahl stetig mehr, unterlagen österreichische Besuche in den USA einer stärkeren Auf- und Abwärtsbewegung. Besuche in und aus der Bundesrepublik erreichten ihre jeweilige (mit Abstand zu den anderen Ländern) größte Häufigkeit von 1975 bis 1979, während die Besuchsdiplomatie zwischen den beiden Ländern in den 1960er-Jahren im Vergleich zu den anderen Ländern deutlich geringer war. In den ersten zehn Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren bereits besuchsdiplomatische Interaktionen mit den beiden Supermächten wichtige Bezugspunkte der frühen österreichischen Außenpolitik. Zwischen Österreich und den USA und der UdSSR starteten besuchsdiplomatische Interaktionen noch während der Besatzungszeit und intensivierten sich nach dem Abschluss des österreichischen Staatsvertrags. Obwohl in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre – vor allem in Relation zu den 1970er-Jahren – die Besuche ausländischer Staatsgäste in Österreich insgesamt in ihrer Anzahl relativ gering waren, intensivierte sich die Besuchsdiplomatie zwischen Österreich und den USA sowie der Sowjetunion danach kontinuierlich. Ist das Verhältnis von Besuchen und Gegenbesuchen zwischen Österreich und der UdSSR zu Beginn der 1960er-Jahre nahezu ausgeglichen, fällt auf, dass es mehr öster-

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reichische Besuche in den USA gab als umgekehrt. Abgesehen von der beginnenden Profilierung Österreichs bzw. Wiens als internationalen Begegnungsort,33 verloren die USA im Gegensatz zur UdSSR nach und nach das Interesse an Besuchen in Österreich. Bereits in den unmittelbaren Jahren nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags wurden in den Besprechungen Themenkomplexe diskutiert, die teilweise bis zum Ende des Betrachtungszeitraumes ein Schwergewicht der inhaltlichen Verhandlungen darstellten. So bildeten zunächst die sowjetischen Ablöseforderungen für das »Deutsche Eigentum« und die österreichische EWG/ EG-Annäherung ein latentes Konfliktpotenzial zwischen Österreich und der UdSSR, welches in den gemeinsamen Abschlusskommuniqu8s nahezu nie erwähnt wurde, allerdings in den Diskussionen zur Sprache kam.34 Die UdSSR wurde auch nicht müde, auf die Verpflichtungen des Staatsvertrages hinzuweisen und im weiteren Sinne auf ihren Neutralitätsvorstellungen zu bestehen – als extremes Beispiel hierfür sei der Besuch des sowjetischen Ministerpräsidenten Nikita S. Chrusˇcˇev im Juni/Juli 1960 erwähnt.35 Für die UdSSR war die EWGAnnäherung Österreichs nicht nur aus sicherheitspolitischen Überlegungen relevant, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass wirtschafts- und handelspolitische Interessen das Verhältnis zwischen den beiden Ländern dominierten.36 Österreichische Besuche in der Sowjetunion in der ersten Hälfte der

33 Rathkolb, Internationalisierung Österreichs seit 1945, 68. 34 Dies wird aus diversen Aktenmaterialien besuchsdiplomatischer Interaktionen zwischen Österreich und der UdSSR ersichtlich. Siehe dazu die entsprechenden Bestände im Stiftung Bruno Kreisky Archiv (SBKA), Wien, Außenpolitik – Länderboxen (VII.1), UdSSR, Boxen 1–6. Sowie Mueller, A Good Example of Peaceful Coexistence?, 135–174. 35 Während des Chrusˇcˇev-Besuches, dem große internationale Beachtung zuteilwurde (war es doch die erste »westliche« Auslandsreise nach der gescheiterten Pariser Gipfelkonferenz), äußerte sich Chrusˇcˇev nicht nur negativ über die Beziehungen Österreichs zur USA und der BRD, sondern gab auch eine Erklärung ab, dass die Sowjetunion entschlossen sei, die österreichische Neutralität zu schützen und im Falle einer Verletzung geeignete Maßnahmen zu ergreifen, was in weiterer Folge zu innen- und außenpolitischen Nachwirkungen führen sollte. Vgl. Martin Kofler, Eine Art »Nabel der Welt«: Österreich und der ChruschtschowBesuch 1960, in: zeitgeschichte 26 (1999) 6, 170–185; Mueller, A Good Example of Peaceful Coexistence?, 116–122; Runderlass an alle effektiven Vertretungsbehörden, Wien, 12. Juli 1960, Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Wien, Archiv der Republik (AdR), Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten (BMAA), Sektion II-Pol (II-Pol), 1960, Russland 2, GZ. 79.929–6-Pol/60. Sowie Konvolut Chruschtschow Besuch, SBKA, VII.1, UdSSR, Box 1. 36 Beispielsweise führte Außenminister Kreisky mit dem sowjetischen Außenminister Andrej Gromyko anlässlich des zehnjährigen Staatsvertragsjubiläums 1965 heftige Diskussionen über die EWG-Annäherung Österreichs. Vgl. Gesprächsprotokoll Kreisky – Gromyko, 17. Mai 1965, SBKA, VII.1, UdSSR, Box 2. Auch während des Besuches des sowjetischen Außenhandelsministers Nikolai Patolitschew im Jahr 1965, der einer der am häufigsten Österreich besuchenden führenden Akteure der UdSSR war, kam das Spannungsverhältnis zwischen österreichischer EWG-Annäherung, bilateralen handelspolitischen Interessen und

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1960er-Jahre werden dennoch in den Akten gerne als Indikator für den guten Stand der österreichisch-sowjetischen Beziehungen herangezogen37 – in diversen Gesprächsprotokollen wird allerdings deutlich, dass im Verhältnis der beiden Staaten durchaus Konfliktstoff vorhanden war.38 Das Bild der besuchsdiplomatischen Interaktionen zwischen Österreich und den USA gestaltete sich ähnlich wie jenes mit der anderen Supermacht UdSSR. Die Frage des Neutralitätsstatus’ Österreichs wurde von der UdSSR stärker als von den USA in den diversen Kommuniqu8-Verhandlungen betont. Auf amerikanischer Seite setzte man hingegen auf sicherheits- und verteidigungspolitische Themen, wohingegen die UdSSR auf handels- und energiepolitische Aspekte Wert legte. Die USA wandten sich gegen eine mögliche sowjetische Bevormundung Österreichs in Neutralitätsfragen. In den Beziehungen zwischen Österreich und den USA war es für beide Staaten ebenso wichtig, während der besuchsdiplomatischen Treffen die gegenseitigen Handelspositionen offenzulegen und über mögliche Kooperationen zu verhandeln.39 War die SüdtirolProblematik kein Thema zwischen Österreich und der UdSSR, kam diese bei besuchsdiplomatischen Interaktionen zwischen Österreich und den USA häufig zur Sprache – selbst wenn die amerikanische Seite darüber nicht unbedingt glücklich war.40 Wie in den Jahren der Großen Koalition, so war es auch für die ÖVP-Alleinregierung eines der Primärziele, gute Beziehungen zu den Westmächten zu unterhalten. Diskussionsbedarf betreffend der österreichischen Einstellung zur europäischen Integration sowie zu Neutralitätskonzeptionen und Handelskooperationen gab es zwischen Österreich und den USA bis zum Ende der 1960er-Jahre.41 Die USA behandelten Österreich mit geringem, aber

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sowjetischen Neutralitätskonzeptionen zum Vorschein. Vgl. Unterredung Kreisky – Patolitschew, 14. Juli 1965, SBKA, VII.1, UdSSR, Box 2. Vgl. Informationen über die Sowjetunion 1968, SBKA, VII.1, UdSSR, Box 2. Dies wird beispielsweise beim Besuch Bundeskanzlers Alfons Gorbach und Außenministers Bruno Kreisky im Juni/Juli 1962 deutlich. Vgl. Konvolut Besuch einer österreichischen Regierungsdelegation in Moskau 1962, SBKA, VII.1, UdSSR, Box 1. Der US-Unterstaatssekretär Douglas Dillon betonte etwa während eines Österreich-Besuches im Juli 1960 als Antwort auf kontrovers diskutierten Äußerungen Chrusˇcˇevs, dass Österreich sehr wohl in der Lage sei, seine Neutralität selbst und ohne die Hilfe anderer zu bewahren. Ein weiteres Beispiel ist der Besprechungsverlauf während des Besuches des USHandelsministers Frederik Mueller bei seinem Amtskollegen Fritz Bock im September 1960. Vgl. Chronik zur Österreichischen Außenpolitik, in: Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik (ÖZA) 1 (1960) 1, 77. So geschehen etwa im September 1960, als eine österreichische Delegation unter der Führung Kreiskys mit Unterstaatssekretär Dillon und Staatssekretär Christian Herter in New York am Rande der UNO-Generalversammlung zusammentraf sowie während des Besuches Kreiskys bei Präsident John F. Kennedy und Außenminister Dean Rusk im Jahre 1963. Vgl. Chronik, in: ÖZA 1 (1960) 1, 80 sowie Kreiskys Reise in die USA 1963, SBKA, VII.1, USA, Box 14. Exemplarisch dafür steht der Besuch von Bundeskanzler Klaus und Außenminister Wald-

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zumindest freundlichem Interesse, hohe offizielle Besuche in Österreich sind in der Zeit der ÖVP-Alleinregierung allerdings keine dokumentiert. Im Gegensatz dazu gab es mehrere hohe Besuche sowjetischer Politiker42 sowie eine Reihe wirtschaftspolitischer Gegenbesuche, die nicht zuletzt auch für die bilaterale Energie- und Infrastrukturpolitik von Bedeutung waren.43 Obwohl ab Mitte der 1960er-Jahre gewisse Rückschläge in den wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen Wien und Moskau zu bemerken waren und die politischen Kontakte von der durch die UdSSR nicht goutierten österreichischen EWGAnnäherung und der Beendigung des »Prager Frühlings« 1968 durch die sowjetisch geführte Intervention des Warschauer Pakts überschattet wurden, intensivierten sich dennoch die bilateralen Kontakte. Diplomatisches Einfühlungsvermögen war gleichfalls in Bezug auf das Dreiecksverhältnis Bonn – Ost-Berlin – Wien gefragt. Schließlich waren der Status West-Berlins und die Frage der DDR-Anerkennung hochsensible politische Fragen. Zwischen der Bundesrepublik und Österreich gab es ein grundsätzliches Vertrauensverhältnis, trotz gewisser nachbarschaftlicher Reibungen. Die Spitzenbeamten verkehrten und telefonierten regelmäßig miteinander44 und die Besuchskontakte zwischen Österreich und der BRD waren durchgehend zahlreich. Zu Beginn der 1960er-Jahre suchten sowohl die BRD als auch Österreich intensiven persönlichen Besuchskontakt.45 Für beide Staaten waren bereits in den 1960er-Jahren bilaterale Wirtschaftsfragen wichtig, ebenso wie der Konsens zur Entpolitisierung der Beziehungen.46 Im Laufe der 1960er-Jahre entwickelte sich das österreichische Verhältnis zur BRD stärker in Richtung

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heim bei US-Präsidenten Lyndon B. Johnson und Außenminister Rusk im April des Jahres 1968. Vgl. Chronik, in: ÖZA 8 (1968) 2, 105–107. Allen voran ist der Besuch Nikolai Podgornys zu nennen, der als sowjetisches Staatsoberhaupt Österreich im November 1966 einen rund einwöchigen offiziellen Besuch abstattete. Vgl. Chronik, in: ÖZA 6 (1966) 6, 473. In die Zeit der ÖVP-Alleinregierung fallen etwa der Besuch Handelsministers Bock bei Außenhandelsminister Patolitschew im Dezember 1966, der Besuch Bundeskanzlers Klaus samt Ministerdelegation bei Ministerpräsident Alexej Kossygin im März 1967 sowie der Besuch Bundespräsidenten Jonas und Außenministers Waldheim bei UdSSR-Staatspräsident Podgorny sowie seinem Außenminister Gromyko im Mai 1968. Vgl. Chronik, in: ÖZA 6 (1966) 6, 467; Chronik, in: ÖZA 7 (1967) 2, 165; Chronik, in: ÖZA 8 (1968), 150–153. Vgl. Friedrich, Bauer, Österreichische Erfahrungen mit der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, in: Michael Gehler/Ingrid Böhler (Hg.), Verschiedene europäische Wege im Vergleich. Österreich und die Bundesrepublik Deutschland 1945/49 bis zur Gegenwart, Innsbruck–Wien–Bozen 2007, 585–587, 585. Zu den größeren offiziellen Besuchen zu Beginn der 1960er-Jahre zählten der Besuch des deutschen Bundeskanzlers Heinrich Lübke bei seinem Amtskollegen Adolf Schärf im März 1962 sowie dem obligatorischen Gegenbesuch im Juni 1964. Vgl. Chronik, in: ÖZA 2 (1962) 5, 304–305; Konvolut Besuch des österreichischen Bundespräsidenten in der BRD, SBKA, VII.1, Deutschland, Bundesrepublik, Box 4. Vgl. Chronik, in: ÖZA 2 (1962) 5, 304–305.

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einer allgemeinen EWG-Verbindung, ein Trend, der sich schließlich auch nach und nach in den verschiedenen Gesprächen und Verhandlungen abzuzeichnen begann. Den Beziehungen der beiden Länder zueinander tat dies keinen Abbruch – das besuchsdiplomatische Motto lautete weiterhin »problemfrei«.47 Bei nahezu allen besuchsdiplomatischen Interaktionen sprachen die jeweiligen Akteure über das aktuelle Ost-West-Verhältnis. Je nach Jahrzehnt beeinflussten bestimmte Konfliktherde die Gesprächsagenden. Die deutsche Teilung zählte aber zu einer der großen Konstanten. Dies spiegelte sich auch in den österreichischen Beziehungen zur BRD wider. Obwohl die beiden Staaten miteinander in einem guten Verhältnis standen und die Besuchszahl weitgehend hoch war (trotz einer kurzen Stagnationsphase Ende der 1960er-Jahre), führten erste Kontakte zur DDR zu bilateralen Verstimmungen.48 Obwohl zwischen Österreich und der DDR in den 1960er-Jahren noch keine Möglichkeit zu offiziellen Besuchen bestand, kam es bereits Anfang der 1960erJahre zu ersten informellen politischen Kontakten mit der DDR, dem »zweiten« deutschen Staat. Über diese Besuche, die als wirtschaftliche Treffen organisiert waren, war es aber dennoch möglich, auch politische Kontakte zu knüpfen.49 Nach der Aufnahme offizieller Beziehungen machten sowohl Österreich als auch die DDR intensiven Gebrauch vom außenpolitischen Instrument gegenseitiger Besuche. Trotz dieser verspäteten Möglichkeit lässt die hohe Anzahl besuchsdiplomatischer Interaktionen auf die Intensität der bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und der DDR schließen. Im Gegensatz zu den Beziehungen zu den USA, zur UdSSR und der BRD, die es zu pflegen und zu erhalten galt, waren die besuchsdiplomatischen Interaktionen mit der DDR vornehmlich von Verhandlungen rund um den Aufbau bilateraler Beziehungen und konsularischer Angelegenheiten geprägt.50 Dessen ungeachtet waren wirtschaftliche Motive für den beginnenden gegenseitigen Besuchsaustausch von großer Bedeutung, wie auch die hohe Anzahl an einschlägigen Abkommen belegt.51 Vor 47 Ebd. 48 Vgl. Maximilian Graf, Ein verdrängtes bilaterales Verhältnis. Österreich und die DDR 1949–1989/90 in: zeitgeschichte 39 (2012) 2, 75–97, 82–83. 49 Beispielsweise empfing 1960 Vizekanzler Bruno Pittermann, der damals auch für die verstaatlichte Industrie zuständig war, den in Österreich weilenden Minister für Außenhandel und Innerdeutschen Handel Heinrich Rau. Außenminister Kreisky, der nicht über das Gespräch informiert worden war, zeigte sich ob der bloßen Anwesenheit von DDR-Ministern in Österreich empört – passte doch der DDR-Besuch so gar nicht in die Nichtanerkennungspolitik Österreichs. Auch 1964 besuchte mit dem Staatsekretär und späteren Außenminister Otto Winzer abermals ein DDR-Politiker Österreich. Vgl. ebd. 80–82. 50 1973 kam es zu mehreren verhandlungsintensiven Besuchen bzw. Gegenbesuchen auf (sub-)ministerieller Ebene, bei denen das Hauptaugenmerk auf der Festlegung der konsularischen Beziehungen und einem daraus resultierenden Abschluss eines Konsularabkommens im Jahr 1975 lag. Vgl. ebd., 84–86. 51 Die Bandbreite an Abkommen, die im Rahmen von gegenseitigen Besuchen unterzeichnet

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allem auf ministerieller Ebene statteten sich österreichische und DDR-Politiker eine Reihe gegenseitiger Besuche ab.52 Mehrmals stellten die besuchsdiplomatischen Interaktionen zwischen Österreich und der DDR die jeweils ersten ihrer Art dar. Beispielsweise reiste Erich Bielka als zweiter westlicher Außenminister (nach seinem finnischen Kollegen Ahti Karjalainen) im August 1976 nach Berlin.53 Bundeskanzler Kreisky besuchte als erster westlicher Regierungschef im Frühjahr 1978 offiziell die DDR54 und Bundespräsident Kirchschläger empfing als erstes westliches Staatsoberhaupt Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker im November 1980 in Wien.55 Kirchschläger besuchte die DDR 1983 als zweites westliches Staatsoberhaupt (wiederum nach dem finnischen Staatsoberhaupt Urho Kekkonen).56 Im Gegenzug für die politische »Eisbrecher-Funktion« bekam Österreich mehrere millionenschwere Wirtschaftsaufträge von der DDR.57 Auch die außenpolitischen Kontakte zwischen Österreich und der BRD florierten und wurden schließlich spätestens ab Mitte der 1970er-Jahre nahezu unüberschaubar.58 Obwohl bei gegenseitigen Besuchen Österreichs und der BRD wirtschaftspolitische, infrastrukturelle und zunehmend auch energiepo-

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wurden, reicht von Handels- und Zahlungsabkommen über Straßenverkehrsabkommen bis hin zu groß angelegten Zehnjahres-Abkommen über wirtschaftliche, industrielle und technische Zusammenarbeit. Neben den häufigen besuchsdiplomatischen Aktivitäten der Wirtschafts- und Infrastrukturminister trafen sich beispielsweise auch die Wissenschaftsminister (z. B. Hans-Joachim Böhms Besuch bei Herta Firnberg 1975), Unterrichtsminister (z. B. Fred Sinowatz’ Besuch bei Margot Honecker im November 1977) Gesundheitsminister (z. B. Ingrid Leodolters Besuch in der DDR 1974), sowie natürlich die Außenminister (z. B. Pahrs inoffizieller Besuch bei Oskar Fischer im Oktober 1979). Vgl. Bauer/Seewald, Kreisky in Ost-Berlin 1978, 20; Chronik, in: ÖZA 14 (1974) 5, 288; Chronik, in: ÖZA 19 (1979), 4, 272–273. Vgl. Chronik, in: ÖZA 16 (1976) 4, 243. Vgl. Bauer/Seewald, Kreisky in Ost-Berlin 1978; Konvolut DDR-Besuch Kreisky, SBKA, VII.1, DDR, Box 1. Vgl. Graf, Ein verdrängtes bilaterales Verhältnis, 75–97, 85. Ebd. Die DDR-Delegation reiste anlässlich des Honecker-Besuches 1980 beispielsweise mit dem größten jemals von der DDR an eine ausländische Firma vergebenen Wirtschaftsauftrag von zirka 2 Milliarden DM für ein Stahlwerk Eisenhüttenstadt an. Vgl. »Rotkäppchen Trocken«, in: Profil, Nr. 21, 21. Mai 2012. In periodisch wiederkehrenden Abständen besuchten sich die einzelnen Staats- und Regierungschefs sowie Minister beider Länder – nicht zuletzt auch aufgrund des Perpetuum Mobiles von Einladungen und Gegeneinladungen. Als exemplarische High-Level-Besuche in Österreich seien der Besuch Bundeskanzlers Helmut Schmidt im Juli 1976 sowie der Besuch des Bundespräsidenten Walter Scheel im Februar 1979 erwähnt. Auch hochkarätige österreichische Delegationen besuchten die BRD – wie etwa Kreiskys Besuch in Bonn im Mai 1980 oder Kirchschlägers Besuch im September 1982. Vgl. Konvolut offizieller Besuch Schmidts in Österreich – Gesprächsthemen, SBKA, VII.1, BRD, Box 2; Konvolut Besuch deutscher Bundespräsident – Ergänzungen für die Gespräche mit Scheel, SBKA, VII.1., BRD, Box 3; Chronik, in: ÖZA 20 (1980) 2, 130; Chronik, in: ÖZA 22 (1982) 3, 210–211.

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litische Fragen59 Priorität hatten, kam das »Problem DDR« oftmals indirekt im Kontext des gesamteuropäischen Entspannungsprozesses zur Sprache.60 Gelegentlich wurden Besuche genützt, um Informationen, Meinungen und Anliegen auf persönlichem diplomatischen Weg zu überbringen, Standpunkte auszuloten und Vermittlungen zu initiieren. Österreichs internationale Position als neutrales Land im Spannungsfeld zwischen Ost und West sowie die Selbstbezeichnung als »Brückenbauer« schienen sich hierfür perfekt anzubieten. Wie in den Abbildungen ersichtlich, stiegen die österreichischen besuchsdiplomatischen Interaktionen zu Beginn der 1970er-Jahre stark an. Von USamerikanischer Seite reisten wieder vermehrt US-Politiker nach Österreich.61 Hingegen waren österreichische Besuche in den USA in Relation zu jenen in der UdSSR, der BRD oder DDR weitaus weniger stark ausgeprägt.62 In den 1970erJahren liefen die meisten großen Besuche über Bundeskanzler Kreisky bzw. über sein Netzwerk. Dies war auch auf die besuchsdiplomatischen Interaktionen zwischen Österreich und den USA anwendbar, die größtenteils, neben Besuchen der Außenminister, auf der Ebene der Staatsoberhäupter verlief.63 Österreich war außerdem Mitte der 1970er-Jahre unumstritten ein wichtiger Treffpunkt internationaler Diplomatie zwischen Ost und West geworden. So trafen beispielsweise im Juli 1975 in Wien die beiden Außenminister der UdSSR und der USA, Andrej Gromyko und Henry Kissinger, zu Besprechungen zusammen. Im Rahmen der SALT I + II (1969–1979), die unter anderem in Wien stattgefunden hatten, war es ebenso möglich, mit Vertretern der beiden Supermächte Ge59 Zum Beispiel beschlossen der deutsche Forschungsministers Hans Matthöfer und seine Amtskollegin Firnberg im April 1976 bei einem Treffen ein gemeinsames Forschungsvorhaben auf dem Gebiet der Kernenergieforschung. Vgl. Chronik, in: ÖZA 16 (1976) 2, 113. 60 Etwa im Jahre 1975, als Kreisky mehrmals in die BRD reiste. 61 Beispielsweise traf US-Präsident Richard Nixon 1972 auf einer Reise in die UdSSR bei einem von Protesten begleiteten Zwischenstopp in Salzburg mit Kirchschläger und Kreisky zusammen. Zwei Jahre später legte Nixon abermals einen Stopp in Salzburg ein, um sich mit Kreisky über seine bevorstehende Nahost-Reise zu beraten. Vgl. Chronik, in: ÖZA 12 (1972) 3, 162; Konvolut Nixon in Salzburg 1974, SBKA, VII.1, USA, Box 10. 62 Den Höhepunkt stellte sicherlich Kreiskys USA-Reise 1974 dar. Zuvor traf Außenminister Kirchschläger im Oktober 1970 seinen Amtskollegen William P. Rogers um über die Situation im Nahen Osten und über eine mögliche europäische Sicherheitskonzeption zu sprechen Vgl. USA-Reise Kreiskys November 1974 – Informationen für den Bundeskanzler und Pressestimmen, SBKA, VII.1, USA, Box 6; Chronik, in: ÖZA 10 (1970) 5, 330–331. 63 Im März 1977 reiste Kreisky zum neuen US-Präsidenten Jimmy Carter, mit dem er während dessen Amtszeit noch gute Beziehungen pflegen sollte. 1979 besuchte Kreisky abermals die USA, um am Rande der UNO-Generalversammlung mit den Spitzen der US-Administration zusammenzutreffen. Gegen Ende seiner Amtszeit besuchte Kreisky US-Präsident Ronald Reagan im Februar 1983 in Washington. Dieser Besuch Kreiskys ist vor dem Hintergrund der Eingrenzung des österreichischen neutralen Handlungsspielraumes durch das Ende der D8tente zu sehen. Vgl. Chronik, in: ÖZA 17 (1977) 2, 88–89; Konvolut USA-Reise Kreiskys im Oktober 1979, SBKA, VII.1, USA, Box 8; Konvolut USA-Reise Kreiskys im Februar 1983, SBKA, VII.1, USA, Box 7.

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spräche zu führen.64 Hatte die EG-Annäherung Österreichs den Beziehungen zur UdSSR zunächst kurzfristig geschadet, so verbesserten sich diese ab Mitte der 1970er-Jahre deutlich. Den Mittelpunkt der sowjetisch-österreichischen besuchsdiplomatischen Beziehungen stellten auch in den 1970er-Jahren nach wie vor, neben Neutralitätsabsicherungen, die Wirtschaftskooperationen dar.65 Für die gesamte hier betrachtete Zeitspanne war die Anzahl von sowjetischen Besuchen in Österreich fast durchgehend höher als jene aus den USA. Die Form des besuchsdiplomatischen Austauschs zwischen Österreich und der UdSSR beziehungsweise den eng an die Sowjetunion gebundenen Staaten war determiniert von der österreichischen »Eisbrecher-Funktion« nach internationalen Krisen. Im Laufe der D8tente änderte sich dies allmählich.66 Ab Ende der 1970erJahre nahmen sowohl die sowjetischen Besuche in Österreich als auch die österreichischen Besuche in der Sowjetunion wieder langsam ab, wobei die besuchsdiplomatischen Kontakte stetig auf ministerieller Ebene weitergeführt wurden und sich neben wirtschaftlichen Themen auch Fragen der internationalen Beziehungen widmeten. Zumeist blieb es aber beim Austausch von Standpunkten.67

64 Vgl. Chronik, in: ÖZA 19 (1979) 2, 123. 65 Zahlreiche Interaktionen, wie etwa die Besuche von Patolitschew 1970 und 1973 in Wien oder auch Ministerpräsident Alexej Kossygins Besuch 1973, zielten auf die Förderung der Handelsbeziehungen ab. In die entgegengesetzte Richtung ist z. B. Kreiskys Besuche in Moskau 1974 zu erwähnen, der allerdings von der aufkeimenden »Polarka-Affäre« überschattet wurde. Vgl. Chronik, in: ÖZA 10 (1970) 1, 30–31; Informationsmappen zum KossyginBesuch 1973, SBKA, VII.1, UdSSR, Box 2; Protokoll des Arbeitsgesprächs zwischen Kreisky und Kossygin am 29. Mai 1974, SBKA, VII.1., UdSSR, Box 2. 66 Vgl. Wolfgang Mueller, The Soviet Union and Austria, 1955–1991, in: Arnold Suppan/ Wolfgang Mueller (Hg.), Peaceful Coexistence or Iron Curtain? Austria, Neutrality and Eastern Europe in the Cold War and D8tente, 1955–1989, Wien 2009, 256–289, 288. 67 Den größten und vermutlich auch wichtigsten Besuch in der Sowjetunion in Kreiskys zweiter Amtszeit stellt das offizielle Zusammentreffen mit Staats- und Parteichef Leonid Brezˇnev im Februar 1978 dar. Pahr reiste mehrmals nach Moskau, wie z. B. 1978 als der österreichische Außenminister mit seinem Amtskollegen Gromyko über den Fortschritt im KSZE- und SALT-Prozess beriet. Ministerpräsident Nikolai Tichonow besuchte – nachdem Handelsminister Staribacher mehrfach nach Moskau reiste – 1981 Österreich. Kirchschläger selbst traf 1982 mit Brezˇnev in Moskau zusammen. Vgl. Konvolut Moskau-Reise Kreiskys 1978, SBKA, VII.1; UdSSR, Box 4; Chronik; in: ÖZA 18 (1978) 4, 299; Chronik; in: ÖZA 21 (1981) 1, 32–33; Chronik, in: ÖZA 21 (1981) 3; 253; Konvolut offizieller Besuch Tichonows in Österreich 1981, SBKA, VII.1, UdSSR, Box 5; Konvolut Staatsbesuch Kirchschlägers in der Sowjetunion 1982, SBKA, VII.1, UdSSR, Box 6.

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IV.

Magdalena Reitbauer

Abschließende Betrachtungen

Das neutrale Österreich war im Kalten Krieg – zumindest die Besuchsdiplomatie betreffend – weit mehr als nur ein politischer Zaungast. Sowohl die besuchsdiplomatischen Kontakte mit den Vertretern des »Westens« als auch mit jenen des »Ostens« wurden von österreichischer Seite gezielt genutzt, um sich im internationalen Mächteverhältnis zu verorten. Die österreichische Besuchsdiplomatie war insgesamt darum bemüht, ein Optimum an Beziehungen zu anderen Staaten der Welt aufzubauen beziehungsweise zu unterhalten. Trotz der Unterschiedlichkeit in der Ausgestaltung, den Themengebieten und möglichen Konfliktlinien in den jeweiligen besuchsdiplomatischen Interaktionen mit den USA, der UdSSR, BRD und DDR, lassen sich dennoch gewisse Kontinuitäten herausfiltern. In den meisten Fällen gelangten handelspolitische Fragen sowie die jeweils aktuelle Situation der OstWest-Beziehungen zu enormer Wichtigkeit. Die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen stellten gerade für das Verhältnis zu den beiden deutschen Staaten einen bedeutenden Bestandteil der persönlichen Besprechungen unter den außenpolitischen Akteuren dar. Während für die UdSSR die österreichische Neutralitätskonzeption oftmals Priorität hatte, waren die Besprechungsagenden mit den USA scheinbar flexibler und orientierten sich an dem jeweiligen internationalen Kontext. In Diskussionen über die international angespannte Lage und zu möglichen Lösungsvorschlägen divergierten die Vorstellungen entlang der Konfliktlinie »Ost« und »West«, wobei sich die beiden europäischen Vertreter DDR und BRD als unmittelbar Involvierte im Systemkonflikt ihren Schutzmächten weitgehend unterordneten. Obwohl in den 1960er-Jahren – vor allem in Relation zu den 1970er-Jahren – die Besuche ausländischer Staatsgäste in Österreich insgesamt seltener waren, intensivierte sich die Besuchsdiplomatie zwischen Österreich und den beiden Supermächten danach kontinuierlich. Am Höhepunkt der D8tente erreichte auch die österreichische Besuchsdiplomatie ihre quantitative Spitze. Insgesamt bemühte sich die österreichische Außenpolitik in den 1970er-Jahren im Sinne einer aktiven »Kreisky’schen Neutralitäts- und Vermittlungspolitik« in sämtliche Richtungen und in unterschiedlicher Intensität besuchsdiplomatische Beziehungen zu unterhalten. Die außenpolitische Ausrichtung der einzelnen Regierungskonstellationen wies Kontinuitäten in Hinblick auf die besuchsdiplomatischen Beziehungen zu den beiden Supermächten auf, trotz freiwilliger wie auch unfreiwilliger Schwerpunktsetzungen, ausgelöst durch das sich permanent verändernde internationale Machtgefüge. Im Betrachtungszeitraum existieren ebenso Überschneidungen in den besuchsdiplomatischen Interaktionen zwischen Österreich und den beiden deutschen Staaten. Zu Beginn der 1980er-Jahre kam Österreich allerdings zusehends zwischen die sich mit dem Ende der D8-

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tente wieder verhärtenden Fronten, was sich ebenso im Niedergang der quantitativen Intensität der Besuchsdiplomatie in Österreich niederschlug. Die unzähligen besuchsdiplomatischen Interaktionen Österreichs sind prozessorientiert zu betrachten, da das Ergebnis eines Besuches oft nicht das Ende einer Angelegenheit darstellte. Trotz der unterschiedlichen innenpolitischen Konstellationen und den damit verbundenen Änderungen der außenpolitischen Orientierung, stellte das Instrument besuchsdiplomatischer Interaktionen durch Vielschichtigkeit, Parallelität aber auch durch Kreuzungen von handelnden Akteuren, Aktionsfeldern, Inhalten und Institutionen eine wichtige Konstante österreichischer Außenpolitik im Spannungsverhältnis zwischen Ost und West dar.

Maximilian Graf

Österreichs »Ostpolitik« im Kalten Krieg. Eine doppeldeutsche Sicht

I.

Einleitung und Forschungsstand

Die österreichische »Ostpolitik« stellte einen der Schwerpunkte der Außenpolitik der Zweiten Republik im Zeitalter des Kalten Kriegs dar. Nichtsdestotrotz hat sie erst in den vergangenen Jahren eine verstärkte wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren. In der offiziellen Diktion sprach man von einer österreichischen »Nachbarschaftspolitik«, die von HistorikerInnen als österreichische Form der »Ostpolitik« bezeichnet wurde. Da diese aber neben den »östlichen« Nachbarstaaten Österreichs die sozialistischen Staaten Europas in ihrer Gesamtheit umfasste, wurde ein malerischer Zusatz gefunden und schließlich von »Nachbarschaftspolitik im erweiterten Donauraum« gesprochen. Dass dadurch beispielsweise auch Polen zu einem Teil des Donauraumes wurde, störte niemanden. Es mag an den – einer gewissen Nostalgie nicht entbehrenden – außenpolitischen Vorstellungen von Bundeskanzler Josef Klaus1 oder an Bruno Kreiskys Ablehnung2 gegen den Begriff »Ostpolitik« gelegen haben, dass sich der Terminus »Nachbarschaftspolitik« durchsetzte. Tatsache ist aber, dass intern 1 Josef Klaus, Macht und Ohnmacht in Österreich. Konfrontationen und Versuche, Wien–München–Zürich 1971, 219–281. Zur Außenpolitik der ÖVP-Alleinregierung 1966–1970 siehe Reinhard Meier-Walser, Die Außenpolitik der monocoloren Regierung Klaus in Österreich 1966–1970, München 1988; Michael Gehler, Die österreichische Außenpolitik unter der Alleinregierung Josef Klaus 1966–1970, in: Robert Kriechbaumer/Franz Schausberger/Hubert Weinberger (Hg.), Die Transformation der österreichischen Gesellschaft und die Alleinregierung Klaus, Salzburg 1995, 251–271. 2 Kreiksy sprach von »dem mir gar nicht sympathischen Stichwort Ostpolitik«. Bruno Kreisky, Im Strom der Politik. Erfahrungen eines Europäers, Berlin 1988, 42. Zur Außenpolitik Kreiskys siehe Elisabeth Röhrlich, Kreiskys Außenpolitik. Zwischen österreichischer Identität und internationalem Programm, Wien 2009. Ihre an der Biographie Kreiskys orientierte Darstellung räumt seiner Politik gegenüber den sozialistischen Staaten aber nur wenig Raum ein. Für eine Zusammenfassung basierend ausschließlich auf Sekundärliteratur siehe Dagmar Kerschbaumer, Bruno Kreisky. Sein internationales Engagement als österreichischer Außenpolitiker (1953–1966; 1970–1983), Diplomarbeit Wien 2003, darin zur Ostpolitik 53–71, 155–167.

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sehr wohl auch von »Ostpolitik« die Rede war und diese im Ausland auch als solche wahrgenommen wurde. Der Begriff »Nachbarschaftspolitik« steht meines Erachtens nach auch im Zusammenhang mit dem zwar zutreffenden, aber oftmals unkritisch tradierten und überhöhten Bild von Österreich als neutralem Mittler und Begegnungsstätte im Kalten Krieg mit einem großen humanitären Engagement. Die wirtschaftliche Dimension der österreichischen »Ostpolitik«, die eine ihrer Determinanten darstellte, wurde hingegen von der wissenschaftlichen Forschung – wenn überhaupt – zumeist nur am Rande beachtet. Eine quellengesättigte Erforschung der Wirtschaftsbeziehungen Österreichs zu den sozialistischen Staaten steht jedenfalls bisher aus.3 Gleiches gilt für den Bereich der Kultur.4 Die wiedererrichtete Republik Österreich bemühte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs um eine rasche Wiederbelebung ihrer Beziehungen zu den unmittelbaren Nachbarstaaten. Dies gestaltete sich aufgrund der Umstände der Zeit – insbesondere im Falle der »östlichen« Nachbarn – schwierig. Zunächst erschwerten die jüngste Kriegsvergangenheit, als ÖsterreicherInnen tatkräftig an den Verbrechen des »Dritten Reichs« beteiligt waren, und die Vertreibungen der deutschsprachigen Bevölkerung den Neustart der Beziehungen. Mit der einsetzenden Sowjetisierung und der baldigen Errichtung des »Eisernen Vorhangs« wurde dies nicht einfacher.5 Auch wenn es bereits während des »Tauwetters« nach Stalins Tod 1953 erste Entspannungstendenzen gab, sollte ein Durchbruch in den Beziehungen zu den östlichen Nachbarn erst nach dem Abschluss des österreichischen Staatsvertrags im Mai 1955 und dem Neutralitätsgesetz vom Oktober 1955 möglich werden. Nach Stalins Tod hatte der neue sowjetische Parteichef Nikita S. Chrusˇcˇev begonnen, das Konzept der »friedli-

3 Zum österreichischen »Osthandel« siehe als Überblick mit zahlreichen weiterführenden Literaturverweisen Andreas Resch, Der österreichische Osthandel im Spannungsfeld der Blöcke, in: Manfried Rauchensteiner (Hg.) Zwischen den Blöcken. NATO, Warschauer Pakt und Österreich, Wien–Köln–Weimar 2010, 497–556; siehe zudem Gertrude Enderle-Burcel/Dieter Stiefel/Alice Teichova (Hg.), »Zarte Bande«. Österreich und die europäischen planwirtschaftlichen Länder – »Delicate Relationships«. Austria and Europe’s Planned Economies (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Sonderband 9), Wien 2006; Gertrude Enderle-Burcel/Piotr Franaszek/Dieter Stiefel/Alice Teichova (Hg.), Gaps in the Iron Curtain. Economic relations between neutral and socialist countries in Cold War Europe, Krakjw 2009. 4 Siehe dazu den Beitrag von Andrea Brait in diesem Band. 5 Klaus Fiesinger, Ballhausplatzdiplomatie 1945–1949, Die Reetablierung der Nachbarschaftsbeziehungen und die Reorganisation des Auswärtigen Dienstes als Formen außenpolitischer Reemanzipation Österreichs, München 1993. Zur Außenpolitik Österreichs nach 1945 siehe die zweibändige Monographie Michael Gehler, Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik. Von der alliierten Besatzung bis zum Europa des 21. Jahrhunderts, Innsbruck–Wien–Bozen 2005.

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chen Koexistenz« wieder zu beleben. Österreich sollte nun zum Vorzeigemodell der Anwendung dieser Politik werden.6 Daraus erklärt sich, warum Österreich in den Jahren nach dem Abschluss des Staatsvertrags sukzessive erfolgreich eine Entspannung mit den sozialistischen Staaten Europas herbeiführen konnte. Die Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes 1956 markierte zunächst einen erheblichen Rückschlag in den Entspannungsbemühungen. Insbesondere ab den 1960er-Jahren konnte sich aber die österreichische »Ostpolitik« entfalten. Grundlage hierfür waren stets gut funktionierende Beziehungen zur Sowjetunion, die lediglich konjunkturell durch Meinungsverschiedenheiten in gewissen Themenfeldern belastet waren. Die Entwicklung der Beziehungen zu den sozialistischen Staaten manifestierte sich in zahlreichen Besuchen auf höchster Ebene und einer Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen. Eine signifikante Verbesserung des Verhältnisses gelang, neben dem Sonderfall Jugoslawien, zunächst zu Polen, Bulgarien und Rumänien. Drei Länder, bei denen das belastende Element einer gemeinsamen Grenze am »Eisernen Vorhang« wegfiel. Ab Mitte der 1960er-Jahre wurden auch mit dem direkten Nachbarn Ungarn Fortschritte erreicht. Das Verhältnis zur Tschechoslowakei blieb hingegen die längste Zeit schwierig, da Verhandlungen über einen Vermögensvertrag nicht vorankamen. Ein solcher wurde von österreichischer Seite aber als Grundvoraussetzung für eine fundamentale Verbesserung der bilateralen Beziehungen zu den sozialistischen Staaten gesehen.7 Die 1949 gegründete DDR sollte zunächst aus dieser Entwicklung ausgeklammert bleiben. Österreich folgte trotz Neutralität als klar westlich ausge6 Wolfgang Mueller, A Good Example of Peaceful Coexistence? The Soviet Union, Austria, and Neutrality 1955–1991, Wien 2011, 16–20. Zum Österreichischen Staatsvertrag siehe Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-WestBesetzung Österreichs 1945–1955, 5. Aufl., Wien–Köln–Graz 2005; Arnold Suppan/Gerald Stourzh/Wolfgang Mueller (Hg.), Der österreichische Staatsvertrag 1955. Internationale Strategie, rechtliche Relevanz, nationale Identität, Wien 2005; Rolf Steininger, Der Staatvertrag. Österreich im Schatten von deutscher Frage und Kaltem Krieg 1938–1955, Innsbruck–Wien–Bozen 2005. 7 Siehe hierzu als den aktuell besten Überblick in Form eines Sammelbands Arnold Suppan/ Wolfgang Mueller (Hg.), Peaceful Coexistence or Iron Curtain? Austria, Neutrality, and Eastern Europe in the Cold War and D8tente (Europa Orientalis 7), 1955–1989, Wien 2009. Darüber hinaus liegen mittlerweile zahlreiche monographische Einzelstudien zu den bilateralen Beziehungen Österreichs vor, die mit Ausnahmen aber nicht den gesamten Zeitraum des Kalten Kriegs abdecken: Mueller, A Good Example; Paul Ullmann, Eine schwierige Nachbarschaft. Die Geschichte der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und der Tschechoslowakei 1945–1968, Wien 2006; ders., Relat¸iile diplomatice austro-rom.ne %ntre 1945–1997 – Die österreichisch-rumänischen diplomatischen Beziehungen zwischen 1945 und 1997, Ias¸i 2010; Martin David, Österreichisch-tschechoslowakische Beziehungen 1945 bis 1974 unter besonderer Berücksichtigung aktueller Themen, Dissertation Wien 2002; David Schriffl, Tote Grenze oder lebendige Nachbarschaft? Österreichisch-slowakische Beziehungen 1945–1968, Wien 2012.

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richtetes Land den Grundsätzen der westdeutschen Hallstein-Doktrin. Dies lag an der großen, vor allem wirtschaftspolitischen Bedeutung der Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland. Erst am Tag der Unterzeichnung des deutschdeutschen Grundlagenvertrags, dem 21. Dezember 1972, wurden diplomatische Beziehungen zwischen Österreich und der DDR aufgenommen.8 Danach wurde aber auch der zweite deutsche Staat – trotz aller Besonderheiten der deutschen Zweistaatlichkeit – wie die übrigen sozialistischen Staaten behandelt und somit Bestandteil der österreichischen »Ostpolitik«.9 Im Rahmen dieses Beitrags ist es nicht möglich, die vielschichtigen Beziehungen Österreichs zu sämtlichen sozialistischen Staaten aus der Sicht beider deutscher Staaten bis zum Jahr 1989 darzustellen. Daher werden im Folgenden, auf Basis aller maßgeblichen Quellen aus ost- und westdeutscher Provenienz, vier Fallstudien präsentiert. Eingangs werden die Einschätzungen Bonns und Ost-Berlins zum Komplex des Österreichischen Staatsvertrags 1955 und der Entwicklung der österreichisch-sowjetischen Beziehungen bis in die 1960erJahre umrissen. Augenscheinlich muss hier den Perzeptionen der österreichischen Neutralität eine besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden. Anschließend wird das Verhältnis von österreichischer und westdeutscher »Ostpolitik« diskutiert. Abschließend werden zwei Perzeptionsstudien in Langzeitperspektive präsentiert, die mit Blick auf das Ende der kommunistischen Herrschaft einen gemeinsamen Schlusspunkt im Jahr 1989 haben. Hierbei handelt es sich einerseits um die westdeutschen Einschätzungen zur Entwicklung der bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und der DDR sowie andererseits um die ostdeutsche Wahrnehmung des Nachbarschaftsverhältnisses zwischen Österreich und Ungarn.

II.

Gegensätzliche Ansichten zu Staatsvertrag, Neutralität und dem Verhältnis zur Sowjetunion

Der österreichische Staatsvertrag 1955 stellte die Grundvoraussetzung für die österreichische »Ostpolitik« dar. Während früher die Ansicht vertreten wurde, dass gerade die österreichische Bereitschaft direkt mit Moskau zu verhandeln, 8 Maximilian Graf, Austria and the German Democratic Republic 1949–1972. Diplomatic and Political Contacts in the period of Non-recognition, in: Arnold Suppan/Maximilian Graf (Hg.), From the Austrian Empire to Communist East Central Europe, Wien 2010, 151–177; Rolf Pfeiffer, Die DDR und Österreich 1949–1972. Beziehungen in den Jahren offizieller Beziehungslosigkeit, Aachen 2015. 9 Maximilian Graf, Österreich und die DDR 1949–1989/90. Beziehungen – Kontakte – Wahrnehmungen, Dissertation Wien 2012; zusammenfassend ders., Ein verdrängtes bilaterales Verhältnis: Österreich und die DDR 1949–1989/90, in: zeitgeschichte 39 (2012) 2, 75–97.

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den eigentlichen Startpunkt für Österreichs »Ostpolitik« darstellte, so scheint heute deutlich, dass wohl eher das sowjetische Bestreben, mit Österreich einen Modellfall der »friedlichen Koexistenz« zu schaffen, eine Entspannung des Verhältnisses Österreichs zu den sozialistischen Staaten ermöglichte. Im Folgenden werden nun die west- und ostdeutschen Einschätzungen zu diesem Komplex thematisiert. Während der Staatsvertrag den westdeutschen Kanzler Konrad Adenauer unter anderem aufgrund dessen Furcht vor dem »Neutralitätsdrachen« und der Regelung der Frage des »Deutschen Eigentums« in Österreich erzürnte,10 wurde er von der DDR als »erfolgversprechende Variante zur Lösung der Deutschlandfrage« gepriesen. Dies geschah nicht nur aus Gehorsam gegenüber der gegen den NATO-Kurs der Bundesrepublik gerichteten sowjetischen Position, sondern auch, um die westdeutsche Opposition und Öffentlichkeit gegen Adenauers Westpolitik zu mobilisieren. Zudem hoffte man vom neutralen Österreich einen der Bundesrepublik gleichberechtigten Status eingeräumt zu bekommen.11 Sowohl der Osten als auch der Westen verfolgten die Entwicklung der jungen Neutralität Österreichs aufmerksam. Wie die meisten westlichen Diplomaten12 blickten auch jene der Bundesrepublik skeptisch auf die künftige österreichische Auslegung der Neutralität. Sehr früh wurde auch der Annahme, Österreich strebe eine besondere »koexistenzielle« Rolle im Donauraum an, einiges an Aufmerksamkeit zuteil.13 Diese Bestrebungen wurden aber eher den Exponenten der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) um Bundeskanzler Julius Raab zugeschrieben, während die Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ) und insbeson10 Matthias Pape, Ungleiche Brüder. Österreich und Deutschland 1945–1965, Köln–Weimar–Wien 2000, insbesondere 325–349 spricht vom »Krisenjahr 1955«; Michael Ebert, Bonn – Wien. Die deutsch-österreichischen Beziehungen von 1945 bis 1961 aus westdeutscher Perspektive unter besonderer Berücksichtigung der Österreichpolitik des Auswärtigen Amtes, Berlin 2003, 125–143 fragt zu den österreichisch-westdeutschen Beziehungen im Kontext des Staatsvertrags »Schwarzer Tag der deutsch-österreichischen Geschichte? – Der 15. Mai 1955«; Rolf Pfeiffer, Eine schwierige und konfliktreiche Nachbarschaft – Österreich und das Deutschland Adenauers 1953–1963, Münster–Hamburg–London 2003, 57–97 übertitelt den betreffenden Abschnitt mit »Der ›heiße‹ Sommer 1955: Wien im Bannstrahl des Bonner Zorns«. 11 Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit, 478–480; Michael Gehler, Deutschland. Von der Teilung zur Einigung 1945 bis heute, Wien–Köln–Weimar 2010, 153; Ausschuss für deutsche Einheit (als Manuskript gedruckt), Juni 1955, Der österreichische Staatsvertrag – eine schwere Niederlage für den deutschen Imperialismus, in: Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR im Bundesarchiv (SAPMO-BArch), Berlin – Lichterfelde, NY 4090/473 (Nachlass Otto Grotewohl), Bl. 273–280. 12 Oliver Rathkolb, Austria’s ›Ostpolitik‹ in the 1950s and 1960s: Honest Broker or Double Agent?, in: Austrian History Yearbook (AHY), Vol. XXVI (1995), 129–149, 134–135. 13 Botschafter Mueller-Graaf an Auswärtiges Amt (AA), Wien, 12. Januar 1956, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts (PA, AA), Berlin, B 23, Bd. 61.

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dere Staatssekretär Bruno Kreisky diesen »nüchtern gegenüber« stünden. Für den westdeutschen Botschafter Carl-Hermann Mueller-Graaf waren diesbezügliche Auseinandersetzungen primär innenpolitisch motiviert: »Die von Kreisky vertretene Auffassung ist demgegenüber ein wünschenswertes Korrektiv. Man tut Raab aber unrecht, wenn man ihm eine Art Abkehr von der westlichen Welt unterstellt. Er ist Christ und bewusster Europäer. […] M[eines] E[rachtens] muss von uns klar erkannt werden, dass Raab sicherlich kein Mann des Ostens ist und nicht daran denkt, das von der sowjetischen Besetzung befreite Land durch unvorsichtige Handlungen zu gefährden.«14

Zudem verstärkte er die westlichen Befürchtung, wonach Österreich bis Ende 1957 ein »militärisches Vacuum« sein würde, nüchtern und weitblickend: »Wenn Österreich schon Ende 1957 kein solches Vacuum mehr sein sollte, wäre das sicherlich eine grosse Leistung.«15 Sehr bald zeigte sich, dass die österreichische Politik die Neutralitätsverpflichtung lediglich als eine militärische betrachtete, die keinesfalls auch die ideologische Ebene miteinschloss. Dies musste von östlicher Seite missmutig zur Kenntnis genommen werden.16 Das anschaulichste Beispiel für die eindeutige Haltung Österreichs lieferte die Reaktion auf die Niederschlagung des ungarischen Aufstands durch sowjetische Truppen im Spätherbst 1956. Die Wiener Regierung kritisierte das sowjetische Vorgehen und leistete den ungarischen Flüchtlingen großzügig Hilfe. Während dies im Westen als starker Beleg für Österreichs Verankerung in ebendiesem gewertet wurde, schäumte das sozialistische Lager vor Wut. Österreich wurde der Verletzung der Neutralität bezichtigt und als Basis für westliche Agenten bezeichnet.17 Auch die Einschätzungen in den ostdeutschen Akten zeugen von diesem Bild.18 Während der Niederschlagung des Aufstandes berichtete die westdeutsche Botschaft kontinuierlich über die Stimmung in Österreich. Am 6. November 14 Botschafter Mueller-Graaf an AA, Wien, 19. Januar 1956, PA/AA, B 23, Bd. 61. 15 Ebd. 16 Für die DDR-Einschätzung siehe beispielsweise Abteilungsleiter Bringmann an Staatssekretär Handke, [o. O., Berlin (Ost)], 22. Februar 1956, PA/AA, Bestand Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA), A 2047, Bl. 1–9. 17 Siehe hierzu Manfried Rauchensteiner, Spätherbst 1956. Die Neutralität auf dem Prüfstand, Wien 1981; Ibolya Murber/Zolt#n Fjnagy (Hg.), Die ungarische Revolution und Österreich 1956, Wien 2006; Erwin A. Schmidl (Hg.), Die Ungarnkrise 1956 und Österreich, Wien–Köln–Weimar 2003; Andreas G8mes, Austria and the 1956 Hungarian Revolution: Between Solidarity and Neutrality, Pisa 2008. 18 Zum gegenwärtigen Stand der Beziehungen mit Österreich, einigen außenpolitischen Problemen Österreichs und zu den Hauptaufgaben 1957, gezeichnet Haupt, 9. Januar 1957, PA/ AA, MfAA, A 12809, Bl. 45–47(für das wörtliche Zitat siehe 46–47). Für eine konzise Zusammenfassung der ostdeutschen Einschätzungen zu Österreich siehe Jahresanalyse 1956, gezeichnet Länderreferentin Waltraud Krause, Berlin, 31. Januar 1957, PA/AA, MfAA, A 12813, Bl. 1–7.

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telegrafierte Botschafter Mueller-Graaf nach Bonn: Der »Ballhausplatz zeigt äußerlich Ruhe und Zuversicht«.19 Am 8. November kommentierte er die Stimmungslage wie folgt: Die »Stimmung in Wien schwankt zwischen wachsender Angst vor neuer sowjetischer Besetzung und empörter Anteilnahme am Kampf der Ungarn«. Die Regierung zeigte »weiterhin ostentativ Ruhe«, die amerikanischen Erklärungen zum Schutz der österreichischen Neutralität dürften beruhigend gewirkt haben.20 Dennoch registrierte man weiterhin eine große Ungewissheit darüber, wie die weitere Entwicklung verlaufen würde.21 In Wien kursierten zahlreiche Spekulationen über eine mögliche Blockkonfrontation, eventuell sogar ausgelöst durch Missverständnisse.22 Wenige Tage später gelangte man zur Überzeugung, dass kein sowjetischer Angriff erfolgen würde.23 Anfang Dezember 1956 berichtete Mueller-Graaf befriedigt nach Bonn, dass sich die österreichische Regierung »scharf gegen die sowjetischen Angriffe verwahrt« hätte. Die große Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen wurde anerkennend vermerkt. Zudem hatte er den Eindruck gewonnen, dass sich die Stimmung in Wien gegenüber den USA verschlechtert und man sich ein entschiedeneres Auftreten gewünscht hätte.24 Die erste große Bewährungsprobe hatte die österreichische Neutralität in den Augen des Westens bestanden. Den Schwerpunkt in der diplomatischen Beobachtungstätigkeit betreffend Österreichs Beziehungen zu den sozialistischen Staaten stellte im ersten Jahrzehnt nach dem Staatsvertrag eindeutig die Entwicklung der österreichischsowjetischen Beziehungen dar. Trotz der über Österreich 1956 hereinbrechenden Propagandawelle zeigte sich rasch, dass die Sowjetunion an guten Beziehungen zu Österreich interessiert war und die Neutralität nach ihren Vorstellungen gestalten und nutzbar machen wollte. Bereits im April 1957 reiste mit Anastas Mikojan ein hochrangiger Vertreter der sowjetischen Führung zu einem Besuch nach Wien. Für die Sowjetunion bot der Besuch die Gelegenheit, ihre durch die Niederschlagung des Ungarn-Aufstands selbst verschuldete Isolierung

19 Telegramm Nr. 127 Botschafter Mueller-Graaf an AA, Wien, 6. November 1956, Geheim, PA/ AA, B 130, Bd. 6377 A. 20 Telegramm Nr. 127 Botschafter Mueller-Graaf an AA, Wien, 8. November 1956, Streng geheim, PA/AA, B 130, Bd. 6377 A. 21 Telegramm Nr. 129 Botschafter Mueller-Graaf an AA, Wien, 8. November 1956, Streng geheim, PA/AA, B 130, Bd. 6377 A. 22 Telegramm Nr. 130 Botschafter Mueller-Graaf an AA, Wien, 8. November 1956, Streng geheim, PA/AA, B 130, Bd. 6377 A. 23 Carstens (AA) an Botschaft Wien, Bonn, 13. November 1956, Geheim, PA/AA, B 130, Bd. 6377 A; Knoke (AA) an Botschaft Wien, Bonn, 17. November 1956, Geheim, PA/AA, B 130, Bd. 6377 A. 24 Botschafter Mueller-Graaf an AA, Wien, 8. Dezember 1956, PA/AA, B 23, Bd. 61.

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auf dem internationalen Parkett zu überwinden. Österreich winkten wirtschaftliche Konzessionen.25 Hierüber war man in der DDR durch ein Gespräch im sowjetischen Außenministerium informiert.26 Ebenso war klar, dass die Sowjetunion mit dem Verlauf des Besuches zufrieden war.27 Freimütig konnte man in einer Analyse des Besuches im DDR-Außenministerium feststellen: »Nach den Monaten der sehr angespannten Lage ist der Besuch Mikojans in Österreich überhaupt der erste sowjetische Staatsbesuch in einem westlichen Lande. Das zeigt deutlich, welche Rolle die Sowjetunion Österreich in ihren Bemühungen für Koexistenz und Entspannung beimißt.«28 Um etwaigen westdeutschen Besorgnissen vorzubeugen, informierte der österreichische Botschafter in Bonn, Adrian Rotter, das Auswärtige Amt persönlich. Der darüber angefertigte Vermerk wurde auch Bundeskanzler Adenauer vorgelegt. Ein Ziel des Besuches stach hervor : Moskau ging es laut Rotter im Wesentlichen darum, »die Koexistenzpolitik der Sowjetunion wieder aufzunehmen«.29 Die bundesdeutsche Botschaft in Wien unterrichtete in weiterer Folge regelmäßig und ausführlich über das Verhältnis Österreichs zur Sowjetunion und den sozialistischen Staaten Europas. Im November 1957 charakterisierte Mueller-Graaf die österreichische Haltung im Verhältnis zur Sowjetunion als »zur Zeit korrekt, vorsichtig und sorgfältig«, während die Sowjetunion durch ihren Wiener Botschafter »nicht ohne Takt und Geschicklichkeit« danach trachtete, »eine leidlich gute Atmosphäre zu erhalten«.30 Bereits 1958 stattete Bundeskanzler Raab Moskau einen erneuten Besuch ab. Es handelte sich um die erste Visite eines westlichen Regierungschefs in Moskau seit 1956. Dort gelang es ihm, eine Reduzierung der (aus dem Staatsvertrag resultierenden) österreichischen Erdöllieferverpflichtungen an die Sowjetunion zu erreichen. Zudem übte er öffentlich Kritik an den amerikanischen Überflügen über österreichisches Territorium während der Libanon-Krise.31 Die Bundesrepublik verfolgte die Entwicklung der österreichisch-sowjetischen Bezie25 Mueller, A Good Example, 95–101. 26 Auszug aus einem Aktenvermerk des Kollegen Roßmeisl vom 10. Mai 1957, übersandt von Kundermann (Abteilung Sowjetunion) an Länderreferat Österreich, Berlin, 22. Mai 1957, PA/AA, MfAA, A 12809, Bl. 60. 27 Aufenthalt des Genossen Mikojan in Österreich, übersandt von Kundermann (Abteilung Sowjetunion) an Haupt (Länderreferat Österreich), Berlin, 22. Mai 1957, PA/AA, MfAA, A 12809, Bl. 61–62. 28 Mikojans Staatsbesuch in Österreich vom 23. April bis 27. April 1957, gezeichnet Haupt, Berlin, 2. Mai 1957, PA/AA, MfAA, A 12809, Bl. 65–70 (für das wörtlich Zitat Bl. 69). 29 Vermerk, gezeichnet Welck, Bonn, 15. Mai 1957, PA/AA, B 23, Bd. 61. 30 Botschafter Mueller-Graaf an AA, Wien, 26. November 1957, PA/AA, B 23, Bd. 61. 31 Walter Blasi, Die Libanonkrise 1958 und die US-Überflüge, in: Erwin Schmidl (Hg.), Österreich im frühen Kalten Krieg 1945–1958. Spione, Partisanen, Kriegspläne, Wien 2000, 239–259.

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hungen mit Blick auf die Entwicklung der Neutralität, der sowjetischen Haltung zur Deutschlandfrage und nicht zuletzt aufgrund innenpolitischer Diskussionen über das Beispiel Österreich aufmerksam.32 Insbesondere nach der Normalisierung des bilateralen Verhältnisses zwischen Österreich und der Bundesrepublik durch den Abschluss eines Vermögensvertrages33 wurde die Politik Österreichs freundlicher kommentiert. Da die eindeutige Zugehörigkeit Österreichs zum Westen nicht in Frage stand, wurden auch Ereignisse wie die Abhaltung der kommunistischen Weltjugendfestspiele in Wien 1959 eher gelassen gesehen: Es sei »eine Angelegenheit, welche wohl grundsätzlich Österreich allein überlassen werden sollte«.34 Ende 1959 wurde von Mueller-Graaf eine sehr anerkennende Gesamteinschätzung der Beziehungen Österreichs zum »Ostblock« verfasst. In dieser vertrat er die Ansicht, dass die Sowjetunion trotz der ihr widerstrebenden eindeutigen Zugehörigkeit Österreich zum Westen konsequent auf freundschaftliche Beziehungen setzen müsste, um »ihre Koexistenztheorie am österreichischen Beispiel nicht selbst [zu] widerlegen«. Nach wie vor wurde die sowjetische Österreich-Politik als Teil der Deutschland-Politik gesehen.35 Binnen Jahresfrist sollte sich das Bild wieder eintrüben. 1960, nur kurze Zeit nachdem Chrusˇcˇev inmitten der zweiten Berlin-Krise den Pariser Gipfel gesprengt hatte, tourte er eine Woche im Rahmen eines Staatsbesuchs durch Österreich. Seinen gesamten Aufenthalt nutzte er zu heftigen Attacken auf führende Politiker der Bundesrepublik und der Vereinigten Staaten, denen der Gastgeber während des Besuchs so gut wie nichts entgegnete. Während Raab eine weitere Reduktion der ausstehenden Öllieferungen an die Sowjetunion um eine Million Tonnen erringen konnte, tauchte im offiziellen Kommuniqu8 über den Besuch erstmals der Begriff »friedliche Koexistenz« in nicht abgeschwächter Form zur Beschreibung der österreichisch-sowjetischen Beziehungen auf. Die im Westen, vor allem in den USA und der Bundesrepublik, hochgehenden Wogen bedurften nach dem Besuch einiger Glättung.36 In Bonn war man aufgrund der Haltung Österreichs außer sich. Distanzierende Stellungnahmen nach der Abreise Chrusˇcˇevs wurden schließlich zwar akzeptiert, es blieb aber ein gehöriges Maß an Verstimmung bestehen.37 Die DDR schätzte die Ergebnisse grundsätzlich positiv ein, wenngleich sie 32 Pape, Brüder, 476–503. 33 Ewald Röder, Der deutsch-österreichische Vermögensvertrag von 1957, Stuttgart 2006; Rudolf Jerˇ#bek, Vermögensfragen im deutsch-österreichischen Verhältnis 1955–1957, in: Arnold Suppan/Gerald Stourzh/Wolfgang Mueller (Hg.), Der österreichische Staatsvertrag 1955. Internationale Strategie, rechtliche Relevanz, nationale Identität, Wien 2005, 553–600. 34 Botschafter Mueller-Graaf an AA, Wien, 20. Oktober 1958, PA/AA, B 23, Bd. 138. 35 Botschafter Mueller-Graaf an AA, Wien, 9. September 1959, PA/AA, B 23, Bd. 106. 36 Martin Kofler, Eine »Art Nabel der Welt«. Österreich und der Chruschtschow-Besuch 1960, in: zeitgeschichte 26 (1999) 6, 397–416; Mueller, Example, 116–122. 37 Scherpenberg an Botschaft Wien, 15. Juli 1960, PA/AA, B 130, 3299 A.

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sich keinerlei Verbesserung ihrer Lage im Kontext der Berlin-Krise sowie auch in ihren Beziehungen zu Österreich erwartete.38 Auf die gescheiterte sogenannte »Vermittlertätigkeit« in der zweiten Berlin-Krise und der Deutschlandfrage durch Julius Raab und Bruno Kreisky kann im Rahmen dieses Beitrags nicht näher eingegangen werden.39 Durch den schlussendlich ergebnislosen Wiener Gipfel zwischen Chrusˇcˇev und Kennedy 1961 wurde Österreich aber weithin sichtbar zu einer Begegnungsstätte im Kalten Krieg; die beiden deutschen Staaten blickten zwar nach Wien, ihre Gedanken kreisten aber um Berlin.40 Die DDR interessierte sich betreffend die Entwicklung des österreichischsowjetischen Verhältnisses auch für spezielle Fragen. Einerseits galt das Interesse ebenfalls der österreichischen Haltung in der deutschen Frage, andererseits war die DDR um den Fortbestand der Erdöllieferungen besorgt. Das österreichische Öl wurde nämlich von der Sowjetunion aufgrund der kürzeren Transportwege stets in die »Bruderstaaten« distribuiert.41 Welch große Bedeutung die aus Österreich stammenden Erdöllieferungen der Sowjetunion für die DDR hatten, zeigte sich bereits kurz nach der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages. Offenbar wollte man schnellstens Klarheit darüber erlangen, ob diese in den ersten Nachkriegsjahren aufgenommenen Lieferungen weitergehen würden oder ob Österreich bereit wäre, Erdöl im gleichen Umfang in die DDR zu exportieren.42 1958, als es dem 38 Verlauf und Einschätzung des Besuches des Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR, Gen. Chruschtschow, in Österreich in der Zeit vom 30. Juni bis 8. Juli 1960, [o. O., o. D.], PA/AA, MfAA, A 12828, Bl. 161–172. 39 Zur Rolle Österreichs im Kontext des österreichisch-amerikanischen Verhältnisses siehe Martin Kofler, Kennedy und Österreich. Neutralität im Kalten Krieg, Innsbruck–Wien–München–Bozen 2003; ders., Kreisky – Brandt – Khrushchev : The United States and Austrian Mediation during the Berlin Crisis, 1958–1963, in: Günter Bischof/ Anton Pelinka/Michael Gehler (Hg.), Austrian Foreign Policy in Historical Context (Contemporary Austrian Studies 14), New Brunswick 2006, 170–185. Für kritische Zusammenfassungen zu den österreichischen Mediationsversuchen siehe zuletzt Mueller, Example, 104–106; und Röhrlich, Kreiskys Außenpolitik, 184–194, sowie auch: Gehler, Außenpolitik, Bd. 1, 188–191, 199–205. Auf Basis sowjetischer Akten jüngst Peter Ruggenthaler/Harald Knoll, Nikita Chrusˇcˇev und Österreich, Die österreichische Neutralität als Instrument der sowjetischen Außenpolitik, in: Stefan Karner et al. (Hg.), Der Wiener Gipfel 1961. Kennedy-Chruschtschow, Innsbruck/Wien/Bozen 2011, 759–807, 775–798. Für die aktuell beste Zusammenfassung zu Raabs Deutschland-Initiative siehe Gehler, Deutschland, 161–165; und ausführlich Matthias Pape, Die Deutschlandinitiative des österreichischen Bundeskanzlers Julius Raab im Frühjahr 1958, in : Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 48 (2000) 2, 281–318; zur Haltung der DDR siehe Graf, Österreich, 155–175. 40 Stefan Karner et al. (Hg.), Der Wiener Gipfel 1961. Kennedy–Chruschtschow, Innsbruck–Wien–Bozen 2011. 41 Walter M. Iber, Die Sowjetische Mineralölverwaltung in Österreich. Zur Vorgeschichte der OMV 1945–1955, Innsbruck–Wien–Bozen 2011, 130–133; Ruggenthaler/Knoll, Nikita Chrusˇcˇev und Österreich, 772–774. 42 Aktenvermerk über eine Unterredung mit Bischoff, gezeichnet Geschäftsträger Seitz,

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österreichischen Bundskanzler Raab gelungen war, eine Reduzierung der österreichischen Erdöllieferverpflichtungen an die Sowjetunion zu erreichen, erkundigte man sich seitens der DDR bei der Sowjetunion, was es aufgrund der Vereinbarungen hinsichtlich der Erdöllieferungen zu beachten gäbe. Moskau versicherte: »Die sowjetische Seite ist dabei besonders von der Wahrung der Interessen der befreundeten Staaten, in die das österreichische Erdöl geliefert wird, darunter besonders die DDR, ausgegangen.«43 Der Ölbedarf der DDR war auch dem österreichischen Generalkonsul in West-Berlin, Hans J. Thalberg, nicht verborgen geblieben. Dieser hatte den Eindruck gewonnen, dass man in der DDR »gewisse Sorgen hinsichtlich der zukünftigen Rohölversorgung« habe. Die Lieferungen seien nach dem Abschluss des Staatsvertrages stark reduziert worden und hätten sich seither weiterhin verringert. Das sowjetische Erdöl entsprach qualitativ oftmals nicht den Anforderungen der DDR.44 Im Zuge der Reise von Bundespräsident Adolf Schärf (SPÖ) in die Sowjetunion, die von 5. bis 15. Oktober 1959 dauerte, kritisierte Chrusˇcˇev erneut die politische »Färbung« der österreichischen Neutralität, da Österreich die DDR nicht anerkenne. Grundsätzlich trachtete die Sowjetunion aber nicht danach, das Verhältnis zu Österreich durch einen Anerkennungsdruck zu belasten. Kreisky, der gemeinsam mit dem Präsidenten in die Sowjetunion gefahren war, verwies auf die Bedeutung der Beziehungen zur Bundesrepublik und das Verhalten anderer neutraler Staaten.45 Die DDR war erstaunlicherweise über diesen Gesprächsinhalt nicht informiert worden.46 Ostdeutsche Nachfragen nach Gesprächen über die »Deutschlandfrage« verneinte der Leiter des Österreich-Re-

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19. Juli 1955, PA/AA, MfAA, A 205, Bl. 21–22. Siehe hierzu auch diverse ergänzende Schreiben in: PA/AA, MfAA, A 645, Bl. 1–50, 53–55. Diese betonen u. a. immer wieder die Frage nach Erdöllieferungen. So z. B.: Böhning an den Stellvertreter des Ministers für Außenhandel und Innerdeutschen Handel Gerhard Weiss, 21. Juli 1955, PA/AA, MfAA, A 645, Bl. 45. Aktenvermerk über die Verhandlungen der Regierungsdelegation der UdSSR und Österreich, vom 28. Juli 1956, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2 J/504. Generalkonsul Thalberg an Bundesminister (BM) Figl, Berlin, 16. August 1958, Zl. 18-Pol/ 58, Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Archiv der Republik (AdR), Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten (BMfAA), Sektion II-Pol (II-Pol) 1958, Deutschland-Ost 3, GZ. 553.229-Pol/58, Karton 484. Der Vermerk über Informationen von Außenminister Kreisky über das Gespräch SchärfChrusˇcˇev ist abgedruckt als »Document 3« in: Mueller, Example, 298–300. Bericht über den Aufenthalt des österreichischen Bundespräsidenten Schaerf in der Sowjetunion (5. Oktober bis 15. Oktober 1959), gezeichnet Klötzer, [o. O., o. D.], PA/AA, MfAA, A 743, Bl. 38–44, 40. Diesbezüglich wurde lapidar vermerkt: »Über die deutsche Frage sei nicht gesprochen worden, wohl vor allem deshalb weil die Österreicher die westdeutsche Reaktion auf solche eigenmächtigen Handlungen fürchten.« Zum Schärf-Besuch siehe auch: Kurzeinschätzung des Besuches des Bundespräsidenten Österreichs Dr. Schärf vom 5.–15. Oktober 1959 in der UdSSR, [o. O., Moskau], 27. Oktober 1959, PA/AA, MfAA, A 12828, Bl. 173–176.

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ferates der 3. Europäischen Abteilung des sowjetischen Außenministeriums mit der Begründung, »die Österreicher hatten viel zu sehr Angst, dieses Problem aufzugreifen, da sie doch sehr von Westdeutschland abhängig sind.«47 In weiterer Folge zeigte sich deutlich, dass die diplomatische Berichterstattung über die Beziehungen zwischen Österreich und der Sowjetunion nicht von der Berichterstattung über die (zunächst im Verbund mit den anderen neutralen Staaten Europas verfolgten) österreichischen Bestrebungen zu einer Assoziierung mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der ablehnenden sowjetischen Haltung hierzu zu trennen ist. Evident wird dies anlässlich des Besuches von Bundeskanzler Alfons Gorbach (ÖVP) in der Sowjetunion 1962, im Zuge dessen die Haltung Moskaus zu den österreichischen Assoziierungsbestrebungen sondiert wurde.48 Während sich die DDR die ablehnende sowjetische Position, wonach eine österreichische Verbindung mit der EWG einem neuerlichen »Anschluss« gleichkommen würde, vollständig zu Eigen machte,49 stand die Bundesrepublik der EWG-Politik Österreichs – zwar mit Bedenken – positiv gegenüber, wenngleich man die Chancen auf Erfolg aufgrund der ablehnenden Haltung anderer Mitgliedsstaaten äußerst gering einschätzte.50 Das Thema sollte bestimmend bleiben. Die Assoziierungsbestrebungen scheiterten endgültig, als der französischen Präsidenten Charles de Gaulle sein Veto gegen eine EWG-Mitgliedschaft Großbritanniens einlegte. Das Bonner Auswärtige Amt konstatierte daraufhin mit Blick auf die österreichisch-sowjetischen Beziehungen: »Eine Entspannung der sowjetisch-österreichischen Beziehungen trat ein, als die Bemühungen um den Beitritt Grossbritanniens zum Gemeinsamen Markt im Januar 1963 scheiterten. Heute dient Österreich den Sowjets wieder als gern zitiertes Beispiel ihrer Koexistenz-Politik.«51 Doch der wieder gewonnene Frieden währte nicht lange, denn Österreich 47 Aktenvermerk über ein Gespräch mit dem Leiter des Österreich-Referates in der 3. Europäischen Abteilung, Genossen Nichejew am 16. Oktober [1959], gezeichnet Botschaftsrat Thun, Moskau, 20. Oktober 1959, PA/AA, MfAA, A 12828, Bl. 184. 48 Die enge Verknüpfung von EWG-Annäherung und der Stimmungslage in den österreichischsowjetischen Beziehungen wird besonders deutlich bei Mueller, Example, 133–174, zum Gorbach-Besuch insbesondere 148–150. 49 Siehe exemplarisch: Aktenvermerk über ein Gespräch des Genossen Prof. Abraham mit dem Leiter der 3. Europäischen Abteilung des MID, Genossen Lawrow auf dem Algerien-Abend in der Botschaft am 19. Juni 1962, Moskau, 23. Juni 1962, PA/AA, MfAA, A743, Bl. 118–119; Information über einige Aspekte der Reise des österreichischen Bundeskanzlers Gorbach nach Moskau Anfang Juli 1962, Berlin 19. Juli 1962, PA/AA, MfAA, A 17189, Bl. 144–150. 50 Siehe hierzu, wenngleich noch nicht als abschließende Analyse der westdeutschen Haltung zu werten, ausführlicher Thomas Ratka, Selbst- und Fremdperzeptionen der österreichischen »Sonderweg-Strategie« in der europäischen Integration 1957–1972, Dissertation Wien 2004, 175–189. 51 Vorbereitungsmappe Besuch Bundespräsident Adolf Schärf in der Sowjetunion 1964, Abschnitt: Die sowjetisch-österreichischen Beziehungen, PA/AA, B 26, Bd. 264.

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versuchte einen »Alleingang« und strebte eine bilaterale Vereinbarung mit der EWG an. Die Sondierungen liefen von 1962 bis 1964, von 1965 bis 1967 wurde verhandelt. Das innenpolitisch heftig umstrittene Vorgehen scheiterte weder an der zu dieser Zeit stagnierenden Integration der EWG oder der eindeutig ablehnenden Haltung der Sowjetunion, sondern an einer italienischen »Totalblockade«, die sich von 1967 bis 1969 aufgrund der nach Terroranschlägen zugespitzten Lage im Südtirol-Konflikt in einem Veto gegen EWG-Verhandlungen mit Österreich manifestierte.52 Die kontinuierliche Verbesserung der Beziehungen Österreichs zum »Ostblock« (allen voran zu Jugoslawien, Polen und Ungarn) wurde seitens der Bundesrepublik aufmerksam und durchaus anerkennend verfolgt. Als eines der bedeutendsten Ziele wurde die sukzessive Beseitigung des »Eisernen Vorhangs« ausgemacht. Den österreichischen Beziehungen zur Sowjetunion maß man trotz der ständigen Querelen um die EWG-Ambitionen eine »Sonderstellung« bei. 1965 attestierte man Wien, »um ein gutes Verhältnis« bemüht zu sein, obwohl dies »nicht immer leicht fällt«.53 1967 wurde festgestellt, dass es unter der seit 1966 amtierenden ÖVP-Alleinregierung zu einer Intensivierung der »Ostpolitik« gekommen sei. Laut der westdeutschen Botschaft in Wien war diese immer schon ein »Steckenpferd«54 von Bundeskanzler Klaus gewesen und hatte zu Konflikten mit dem zurückhaltenderen Außenminister Kreisky geführt. Ende 1967 kommentierte man dies folgendermaßen: »Der Kanzler indessen sah sich in der Alleinregierung von den Hemmungen seines sozialistischen Außenministers befreit und versuchte durch eine rege Besuchsdiplomatie seine emotionell bestimmte und auf Prestige gerichtete Ostpolitik des Brückenschlags im Sinne einer europäischen Aufgabe Österreichs zu aktivieren.« Eine signifikante Verbesserung der Beziehungen resultierte aus dieser »aktiven Ostpolitik« Österreichs aber nicht.55 Das Jahr 1968 sollte mit der Niederschlagung des »Prager Frühlings« sogar einen Dämpfer für die Ambitionen von Klaus bedeuten. Die Beziehungen Österreichs zu den sozialistischen Staaten normalisierten sich aber binnen kürzester Frist wieder. Neuere Forschungen konstatieren eine verstärkte Neutralisierung der österreichischen Politik, die insbesondere in der im Vergleich zu 1956 verhaltenen offiziellen Reaktion auf die Intervention der Warschauer-Pakt-Staaten in der Tschechoslowakei 1968 zum Ausdruck kam.56 Wolfgang Mueller spricht in die52 Vgl. Michael Gehler, Österreichs Weg in die Europäische Union, Innsbruck–Wien–Bozen 2009, 58–80. 53 Politischer Jahresbericht 1965, Botschaft Wien, PA/AA, B 26, Bd. 313. 54 Politischer Jahresbericht 1967, Botschaft Wien, PA/AA, B 31, Bd. 385. 55 Ebd. 56 Siehe hierzu Reiner Eger, Krisen an Österreichs Grenzen. Das Verhalten Österreichs während des Ungarnaufstandes 1956 und der tschechoslowakischen Krise 1968. Ein Vergleich,

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sem Zusammenhang von »mental neutralization«.57 Obwohl seitens der Botschaft der Bundesrepublik sehr nüchtern über die Haltung Österreichs berichtet wurde58 und diese am Jahresende 1968 sogar von »Bewährung und Bestätigung« der österreichischen Außen- und Neutralitätspolitik sprach,59 so stärkt die Einschätzung der DDR diese These. Während sich sogar die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) offen gegen den Einmarsch stellte und somit endgültig zum Feindbild für die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) mutierte,60 wertete man die Haltung der ÖVP-Alleinregierung unter der Führung von Josef Klaus als positiv und der Neutralität entsprechend. Man ging auch davon aus, dass die sowjetische Botschaft in Wien Einfluss auf die Haltung der Regierung genommen hätte.61 Die westdeutsche Reaktion mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass sich die Bundesrepublik angesichts ihrer eigenen (auch erste Erfolge zeitigende) Versuche, die Beziehungen zum »Ostblock« zu normalisieren, selbst größte Zurückhaltung auferlegte.62

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Wien 1981; sowie auf Basis neuerer Quellenforschungen Maximilian Graf, Internationale ˇ SSR 1968, 142–153. Reaktionen auf die Intervention der Warschauer-Pakt-Staaten in der C Mueller, Example, 179. Diverse Berichte in PA/AA, B 31, Bd. 385 und Botschaft Wien an AA, Wien, 19. September 1968, PA/AA, B 31, Bd. 387. Politischer Jahresbericht 1968, Botschaft Wien, PA/AA, B 31, Bd. 385. Dazu ausführlich Maximilian Graf, The Rise and Fall of »Austro-Eurocommunism«. On the »Crisis« within the KPÖ and the Significance of East German Influence in the 1960s, in: Journal of European Integration History 20 (2014) 2, 203–218; ders./Michael Rohrwasser, Die schwierige Beziehung zweier »Bruderparteien«. SED, KPÖ, Ernst Fischer und Franz Kafka, in: Jochen Staadt (Hg.), Schwierige Dreierbeziehung. Österreich und die beiden deutschen Staaten (Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin 18), Frankfurt am Main 2013, 137–178. ˇ SSR nach dem 21. August, Wien, Die österreichische Haltung zu den Ereignissen in der C 30. September 1968, Vertrauliche Dienstsache, PA/AA, MfAA, C 1491/74, Bl. 29–35. Für die Haltung der SED zum »Prager Frühling« und der Frage der schließlich nicht erfolgten Beteiligung der DDR an der Intervention siehe Lutz Prieß/V#clav Kural/Manfred Wilke, Die SED und der »Prager Frühling« 1968. Politik gegen einen »Sozialismus mit menschlichem Antlitz«, Berlin 1996; Jan Pauer, Prag 1968. Der Einmarsch des Warschauer Paktes. Hintergründe – Planung – Durchführung. Bremen 1995; Stefan Wolle, Der Traum von der Revolte. Die DDR 1968. Berlin 2008. Für eine kurze Zusammenfassung mit Blick auf die gesamten 1960er-Jahre siehe Maximilian Graf, Die Entwicklungen in der Tschechoslowakei in den 1960er Jahren aus Sicht der DDR, in: Florentine Kastner/Barbora Vesel#/Jakub Jarosˇ/ Christian Knoche (Hg.), »Prager Frühling« und »Ära Kreisky«. Zwischen Reformwillen und Reformverwirklichung. Untersuchungen zu den europäischen Nachbarn Tschechoslowakei und Österreich (Iuvenilia Territorialia II.), Praha 2009, 19–40. ˇ SSR 1968, in: ViertelHans-Peter Schwarz, Die Regierung Kiesinger und die Krise in der C jahrshefte für Zeitgeschichte 47 (1999) 2, 159–186.

Österreichs »Ostpolitik« im Kalten Krieg. Eine doppeldeutsche Sicht

III.

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Österreich und die »neue Ostpolitik« der Bundesrepublik

Während die Bundesrepublik bis Ende der 1960er-Jahre lediglich mit der Sowjetunion diplomatische Beziehungen unterhielt, war es Österreich gelungen, das Verhältnis zu einer Reihe sozialistischer Staaten systematisch zu entspannen. Die Erforschung wechselseitiger Perzeptionen und etwaiger Beeinflussungen der frühen »Ostpolitiken« Italiens, Frankreichs und Österreichs sowie vergleichende Untersuchungen zu den neutralen Staaten Europas stehen bis heute aus. Dagegen wurde immer wieder eine Vorbildwirkung des österreichischen Umgangs mit den sozialistischen Staaten für die »neue Ostpolitik« der Bundesrepublik Deutschland angedacht und teilweise sogar als gegeben angenommen. Auch diese Frage stellt allerdings nach wie vor ein Desiderat der Forschung dar. Die bisherigen Arbeiten hierzu fußen auf österreichischen Quellen beziehungsweise auf Selbstzeugnissen österreichischer Politiker.63 Auch finden sich weitere Dokumente in österreichischen Archiven, die von einem Interesse westdeutscher Politiker und Diplomaten an den österreichischen Erfahrungen mit den sozialistischen Staaten zeugen. Beispielsweise informierte der österreichische Bundeskanzler Josef Klaus 1965 seinen westdeutschen Amtskollegen Ludwig Erhard im Zuge eines privaten Treffens über die aktuelle Lage in Jugoslawien.64 Die Bundesrepublik brach 1957 ihre diplomatischen Beziehungen zu Jugoslawien ab, nachdem dieses die DDR anerkannt hatte. Das Verhältnis zwischen Bonn und Belgrad war, obwohl man insbesondere die wirtschaftlichen Kontakte nie vollständig abreißen ließ, im Verlauf der 1960erJahre in der Regel schwer belastet.65 Hier und auch in weiteren Fällen wurden die österreichischen Informationen mit Sicherheit als nützlich empfunden. Inwiefern derartige Gespräche allerdings Einfluss auf die Politik der Bundesrepublik hatten erscheint fraglich. Weder in den Akten des Auswärtigen Amtes noch in den DDR-Analysen finden sich Hinweise auf österreichische Einflüsse auf die »neue Ostpolitik« der Bundesrepublik. Am ehesten würde man mit Sicherheit Einflüsse Kreiskys auf die Politik Willy Brandts beziehungsweise einen Erfahrungsaustausch der beiden erwarten.66 Brandt äußerte sich aber 63 Andr8 Biever, L’Autriche et les origines de l’Ostpolitik de la R8publique f8d8rale d’Allemagne, in: Relations Internationales 114 (2003), 213–230; Gehler, Außenpolitik, Bd. 1, 297–300. 64 Botschafter Schöner an BM Kreisky, Bonn, 1 Juni 1965, ÖStA, AdR, BMfAA, II-Pol 1965, BRD 2, Gr.Zl. 136.227–4/65, GZ. 137.994–4/65, Karton 974. 65 Marc-Christian Theurer, Bonn – Belgrad – Ost-Berlin. Die Beziehungen der beiden deutschen Staaten zu Jugoslawien im Vergleich 1957–1968, Berlin 2008; Friederike Baer, Zwischen Anlehnung und Abgrenzung. Die Jugoslawienpolitik der DDR 1946–1968, Köln–Weimar–Wien 2009. 66 Mit Blick auf die Nahostpolitik siehe Oliver Rathkolb, Brandt, Kreisky und Palme als politische Unternehmer. Sozialdemokratische Netzwerke in der europäischen Nahostpolitik, in:

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dahingehend niemals dezidiert.67 Möglicherweise können weitere Forschungen hierzu noch neue Erkenntnisse liefern. Kreiskys Selbsteinschätzung in diese Richtung scheint jedenfalls sowohl zeitgenössisch als auch retrospektiv eindeutig. In einem Gespräch mit einem ostdeutschen Diplomaten, welches er 1967, als die SPÖ in Opposition war, führte, betonte er, dass er »seinem Freund Brandt« bereits früh die Notwendigkeit der Entwicklung der Beziehungen zu den sozialistischen Staaten dargelegt habe. Kreisky bekräftigte sein Eintreten für die Entspannung und ging sogar so weit, sich selbst als »Initiator der Entspannungspolitik nach dem Osten« zu bezeichnen.68 In einem Gespräch mit dem Hauptverantwortlichen für die DDR-Wirtschaft, Günter Mittag, in Wien 1978 fokussierte er auf die deutsche Frage. Handelsminister Josef Staribacher notierte zu den Ausführungen Kreiskys in sein Tagebuch, dass dieser »mit Willy Brandt die neue Deutschlandpolitik konzipierte und teilweise sogar durchführte«.69 Kreisky maß sich also einen bedeutenden Anteil an der Entwicklung der »neuen Ostpolitik« bei, auch wenn er retrospektiv von dem ihm »gar nicht sympathischen Stichwort Ostpolitik« sprach.70

IV.

Österreich und die DDR aus westdeutscher Sicht

Ein Ergebnis der »neuen Ostpolitik« Brandts war die Regelung des deutschdeutschen Verhältnisses durch den sogenannten Grundlagenvertrag im Jahre 1972, wodurch die internationale Anerkennung der DDR möglich wurde.71 Österreich vollzog diesen Schritt bereits am Tag der Unterzeichnung des Grundlagenvertrags. Nachdem Österreich die DDR anerkannt hatte, behandelte

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Michael Gehler/Wolfram Kaiser/Brigitte Leucht (Hg.) Netzwerke im europäischen Mehrebenensystem. Von 1945 bis zur Gegenwart, Wien–Köln–Weimar 2009, 121–138. In den entsprechenden Abschnitten seiner Memoiren erwähnt er nur Kreiskys gescheiterte Vermittlertätigkeit während der Berlin-Krise. Siehe Willy Brandt. Erinnerungen, Frankfurt am Main 1989, 51–53, 174; Willy Brandt, Begegnungen und Einsichten. Die Jahre 1960–1975, Hamburg 1976, 108–110, 208, 334. Zusammenfassender Bericht über die Kontakte des Leiters der Abteilung Westeuropa, Genossen Dr. Oeser, während der Dienstreise nach Österreich in der Zeit vom 12.–17. Juni 1967, gezeichnet Oeser, Berlin, 19. Juni 1967, PA/AA, MfAA, C 143/70, Bl. 14–25. Staribacher-Tagebücher, 20. September 1978, Stiftung Bruno Kreisky Archiv (StBKA), Wien. Kreisky, Im Strom der Politik, 42. Zur »neuen Ostpolitik« siehe als Überblick Peter Bender, Die »Neue Ostpolitik« und ihre Folgen. Vom Mauerbau bis zur Vereinigung, 3. überarbeitete und erweiterte Aufl., München 1995. Zur östlichen Haltung siehe Mary Elise Sarotte, Dealing with the Devil. East Germany, D8tente, and Ostpolitik 1969–1973, Chapel Hill 2001. Unter stärkerer Berücksichtigung des internationalen Kontexts siehe beispielsweise Carole Fink/Bernd Schaefer (Hg.), Ostpolitik, 1969–1974. European and global responses, Cambridge–New York 2009.

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es diese trotz der Besonderheiten der deutschen Zweistaatlichkeit wie die übrigen sozialistischen Staaten, sodass sich rasch ein gut ausgebautes bilaterales Verhältnis entwickeln konnte. Wie stellte sich aber für die Bundesrepublik dieser gar nicht so besondere »Sonderfall« der österreichischen »Ostpolitik« dar? Die ersten Schritte in den offiziellen Beziehungen erregten auf Seiten der Bundesrepublik keine besondere Aufmerksamkeit. Bereits 1973 stattete der DDR-Außenminister Otto Winzer Österreich einen inoffiziellen Besuch ab, der zum Zwecke eines Vortrags stattfand. Jedoch traf Winzer mit führenden österreichischen Politikern wie Außenminister Rudolf Kirchschläger, Bundeskanzler Kreisky und Bundespräsident Franz Jonas zu Gesprächen zusammen. Während sich die Neue Zürcher Zeitung darüber amüsierte, dass Österreich »ohne es eigentlich zu wollen«, das erste westeuropäische Land geworden sei, das einen Außenminister der DDR empfangen habe,72 erfolgte aus Bonn keine Reaktion. Die bundesdeutsche Botschaft übersandte lediglich ein Exemplar des Vortrags von Winzer ans Auswärtige Amt, ließ den Besuch selbst aber unkommentiert.73 Den ersten Paukenschlag stellte der 1975 geschlossene Konsularvertrag dar. Sehr zum Missfallen der Bundesrepublik wurde darin die Staatsbürgerschaft der DDR ausdrücklich anerkannt. Da man in Bonn den Standpunkt vertrat, dass es nur eine deutsche Staatsbürgerschaft gebe, versuchte das Auswärtige Amt unter der Führung seines neuen Chefs Hans-Dietrich Genscher letztlich erfolglos, die Vertragsunterzeichnung abzuwenden. Bereits nach der ersten Verhandlungsrunde hatte die Bundesrepublik dem österreichischen Außenministerium 1974 ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht, dass die DDR Österreich dazu drängen könnte, deren Rechtsstandpunkt in der Frage der deutschen Staatsangehörigkeit einzunehmen.74 Es folgte eine, auch via Medien ausgetragene, Auseinandersetzung, die sich vor der Unterzeichnung des Vertrages 1975 zuspitzte. Da diese den für Ende Februar geplanten Besuch von Bruno Kreisky bei Helmut Schmidt zu belasten drohte, war dringend eine Entspannung im bilateralen Verhältnis zwischen Österreich und der Bundesrepublik notwendig. Aus diesem Grund reiste Anfang Februar Außenminister Genscher nach Wien und traf mit seinem österreichischen Gegenüber Erich Bielka zusammen. Der erste Gesprächspunkt war natürlich der Konsularvertrag und die daraus entstandenen Verstimmungen. Genscher versicherte, dass sich die BRD nicht in die Angelegenheiten Österreichs einzumischen gedenke und erklärte, dass man die Erklärungen Kreiskys, wonach sich faktisch nichts daran ändern würde, dass sich jeder Deutsche in Wien an die Botschaft seiner Wahl wenden könne, mit Befriedigung 72 Zitiert nach: Engelbert Washietl, Österreich und die Deutschen, Wien 1987, 134. 73 Botschafter Schirmer an AA, Wien, 12. April 1973, PA/AA, B 24, Zwischenarchiv 109.211. 74 Legationsrat Lücking an Botschaft Wien, 14. Februar 1974 (Dokument 48), in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland (AAPD) 1974, Band 1: 1. Januar bis 30. Juni 1974, 194–195.

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zur Kenntnis genommen hätte. Den erneut vorgebrachten Wunsch Genschers nach einer schriftlichen Bestätigung lehnte Bielka mit Bestimmtheit ab.75 Nachdem sich die Wogen endgültig wieder geglättet hatten, urteilte die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin, dass »sich das Verhältnis DDRÖsterreich in den Grenzen des zu erwartenden entwickelt« hat und die weitere Entwicklung eng mit dem Ost-West-Entspannungsprozess verknüpft sein würde.76 Bevor Kreisky schließlich am 23. Juni 1975 mit Schmidt zusammentraf, hielt das westdeutsche Kanzleramt jedoch immer noch fest: »Es ist […] nicht so, dass der österreichischen Seite ausdrücklich gedankt werden müsste.«77 Österreich hatte damit jedenfalls eine »Eisbrecherrolle« für die DDR übernommen. Weitere Höhepunkte in den bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und der DDR stellten zwei (der insgesamt zahlreichen) Staatsbesuche auf höchster Ebene dar. 1978 besuchte Bruno Kreisky als erster westlicher Regierungschef die DDR und 1980 reiste der ostdeutsche Staats- und Parteichef Erich Honecker zu seinem ersten offiziellen Besuch im Westen nach Österreich. Diese Vorreiterrolle bei der Entwicklung der Beziehungen der DDR zum Westen wurde von Ost-Berlin mit Großaufträgen für Österreichs verstaatlichte Industrie sowie durch Konzessionen im humanitären Bereich honoriert.78 Der Besuch Kreiskys wurde seitens der Bundesrepublik skeptisch beäugt, in der abschließenden Einschätzung wertete man sein Auftreten aber mit großer Anerkennung: »Der politische Wert der Visite Kreiskys liegt für die DDR in seinem Beispiel für weitere Besuche ähnlicher Art. Die Persönlichkeit des österreichischen Bundeskanzlers hat hierzu wesentlich beigetragen. Er hat gezeigt, daß man in Ost-Berlin eine klare Sprache reden kann und sie auch später in den Medien wiedererkennt, daß man hier zu gemeinsamen Erklärungen kommt, die auch in westlichen Hauptstädten vorzeigbar sind. Dies kann künftige Besuchsabsichten ermutigen, wobei ein potentieller Gast sich aber selbst wird befragen müssen, ob er in der Folge des österreichischen Beispiels auch dem persönlichen Gewicht Kreiskys zu entsprechen vermag.«79

75 Zum Konsularvertrag ausführlich siehe Enrico Seewald, Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der DDR und Österreich, in: Jochen Staadt (Hg.), Schwierige Dreierbeziehung. Österreich und die beiden deutschen Staaten (= Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin 18), Frankfurt am Main 2013, 81–136, 101–118, zum erwähnten insbesondere 111–112. 76 Fernschreiben Gaus (Ständige Vertretung), eingegangen im Bundeskanzleramt, 19. Juni 1975, Bundesarchiv (BArch) Koblenz, B 136/20333. 77 Besuch des österreichischen Bundeskanzlers Kreisky in der B[undes]rep[ublik] vom 22.–24. Juni 1975 (= Informationsmappe für Schmidt), BArch, Koblenz, B 136/17020, Bd. 1. 78 Ausführlich zu den Beziehungen zwischen Österreich und der DDR: Graf, Österreich und die DDR; sowie zusammenfassend Graf, Verhältnis, 75–97. 79 Zitiert nach: Friedrich Bauer/Enrico Seewald, Bruno Kreisky in Ost-Berlin. Ein Besuch der besonderen Art, Innsbruck–Wien–Bozen 2011, 44–46.

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Eine dem deutschen Bundeskanzleramt zugetragene Studie der Friedrich-EbertStiftung brachte die unterschiedliche wechselseitige Bedeutung des Besuches auf den Punkt: »Was für die DDR eine gut vorbereitete Premiere war, ist für den österreichischen Bundeskanzler nichts anderes als eine Komplettierung seiner Ostpolitik gewesen.«80 Grundsätzlich wurde die österreichische Politik gegenüber der DDR als nützlich für die Ziele der Bundesrepublik gewertet. Als sich 1979/80 die internationale Lage nach dem NATO-Doppelbeschluss und dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan zugespitzt hatte, trübte sich auch das deutsch-deutsche Verhältnis ein. Im Sommer 1980, als sich auch die Krise in Polen verschärft hatte, sagte der westdeutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt (zur Erleichterung Honeckers) seinen Besuch in der DDR ab.81 Wenig später wurde der bevorstehende Besuch Honeckers in Österreich verlautbart und die DDR beschloss eine Erhöhung des Mindestumtausches für westliche DDRReisende, was das Verhältnis zur Bundesrepublik weiter belastete. Als Honecker dann auch noch während des Besuches die Entscheidung, einen (von westdeutschen Unternehmen bereits sicher geglaubten) zwölf Milliarden Schilling schweren Großauftrag für den Bau eines Konverterstahlwerks an die VÖEST zu vergeben, bekannt gab, war man in Bonn verstimmt. Es wurden dahinter politische Motive vermutet. Zudem übernahm Kreisky Honeckers Erklärungen zu den Gründen für die Erhöhung des Mindestumtausches offenbar reichlich unkritisch, sodass im Auswärtige Amt »Zweifel« ob seiner deutschlandpolitischen Standfestigkeit entstanden. Dort bewertete man den Verlauf des Besuchs als »für die DDR im wesentlichen erfolgreich«. Der Erfolg wurde in der »politischen Aufwertung der DDR, für die sie keinen nennenswerten politischen Preis zu zahlen hatte«, gesehen. Man spekulierte, dass es Honecker nun daran gelegen war, zu beweisen, dass die DDR notfalls auch eine Westeuropapolitik »an der Bundesrepublik Deutschland vorbei« betreiben könne. Über die Wirkung des insgesamt locker aufgetretenen Honecker auf die österreichischen Gesprächspartner urteilte man, dass dieser »keinen schlechten Eindruck hinterlassen hat«.82 Treffend führte die Einschätzung weiter aus: »Auch seine gelassene Darstellung der Abgrenzungsmaßnahmen der DDR als unvermeidbare Reaktion auf angebliche Provokationen aus der BR Deutschland dürfte nicht ohne Wirkung geblieben sein. […] Ob dieser Darlegung von Kirchschläger und Kreisky 80 Studie der Friedrich Ebert Stiftung zur Entwicklung der Beziehungen Österreich–DDR 1975–1978; übersandt an Staatssekretär und Chef des Bundeskanzleramts Manfred Schüler, persönlich/vertraulich, 18. Mai 1978, BArch Koblenz, B 136/20333. 81 Hermann Wentker, Außenpolitik in engen Grenzen. Die DDR im internationalen System 1949–198, München 2007, 421–423. 82 PA/AA, B 38–210, Zwischenarchiv 132.449. (Hervorhebungen im Original durch Unterstreichung).

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widersprochen wurde, ist bisher nicht bekannt. Kreiskys Äußerungen gegenüber dem Spiegel, der die Reaktion der Medien in der BR Deutschland auf die Erhöhung des Mindestumtauschs als eine Überreaktion bezeichnet hat, lassen hier gewissen Zweifel begründet erscheinen.«83

Das Auswärtige Amt hegte demnach ein gewisses Maß an Misstrauen. Abschließend blieb die Erkenntnis, »dass die DDR in der Lage ist, ihre Bemühungen um eine internationale Aufwertung ungeachtet der von ihr unternommenen entspannungskonträren Maßnahmen erfolgreich fortzusetzen«. Daher rechnete man damit, dass die DDR »ohne die Situation im innerdeutschen Verhältnis zu bereinigen, an der BR Deutschland vorbei Entspannungspolitik in ihrem Sinne« betreiben würde.84 Zumindest eine gewisse Irritation war nun aufgekommen. Dennoch änderte sich auch in weiterer Folge kaum etwas an der Einschätzung, wonach Österreichs Politik grundsätzlich positiv zu bewerten sei. 1982 hielt man treffend fest: »Im Vordergrund des österreichischen Interesses an einer Pflege der Beziehungen zur DDR steht die Absicht, Österreichs Rolle als neutraler Staat und die sich selbst zugemessene Aufgabe als Brücke zwischen Ost und West auch in diesem Bereich zu dokumentieren und dabei zugleich einen für die Verhältnisse des Ostblocks potenten Wirtschaftspartner zu gewinnen. Die DDR ihrerseits betrachtet Österreich als einen Staat, der zwar ein westliches Gesellschafts- und Wirtschaftssystem aufweist, außenpolitisch aber eine Zwischenzone zwischen den beiden Blöcken darstellt und zu dem es lohnt, über die klassische Koexistenzvorstellung hinaus intensivere Beziehungen zu pflegen. Gleichzeitig erblickt die DDR in den gemeinsamen deutschen Elementen offenbar eine Möglichkeit, der Welt beispielhaft vorzuführen, wie zwei deutschsprachige Staaten mit Gemeinsamkeit in Geschichte und Kultur auch bei unterschiedlichen Gesellschaftssystemen gutnachbarlich mit einander verkehren können.«85

Selbst der Honecker-Besuch hatte den »ohnehin geringen Stellenwert der DDR in der österreichischen Öffentlichkeit nicht nachhaltig verbessern können«. Über das österreichische Vorgehen wurde nüchtern aber eindeutig festgehalten: »Beim Ausbau des Verhältnisses zur DDR ist auf österreichischer Seite das Bestreben zu beobachten, trotz der viel dichteren Beziehungen zu uns, die Beziehungen zur DDR jedenfalls formal parallel zu den Beziehungen zu uns auszugestalten. Österreich hat dadurch unter den westlichen neutralen Staaten in gewisser Weise eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung des Verhältnisses zur DDR eingenommen.«86

Obwohl Österreich in der Regel die deutschland- und berlinpolitischen Interessen der Bundesrepublik berücksichtigte, wurde hinsichtlich der österreichi83 84 85 86

Ebd. (Hervorhebungen im Original durch Unterstreichung). Ebd. (Hervorhebungen im Original durch Unterstreichung). Sachstand. Beziehungen Österreich-DDR, 18. August 1982, BArch Koblenz, B 136/20334. Ebd.

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schen »Tendenz, mit Blick auf das Verhältnis zur Sowjetunion in den Beziehungen zur DDR auch politische Leistungen zu erbringen, die unsere Deutschlandpolitik gegenüber dritten Staaten erschweren können, sorgfältige Beobachtung« eingemahnt.87 1984 war das Urteil trotz manchem verbliebenen Ärger aus der Vergangenheit wieder uneingeschränkt positiv : »Wenn auch politisch-psychologische Abgrenzungsprobleme gegenüber der Bundesrepublik Deutschland in der Vergangenheit zuweilen zu einem Entgegenkommen Wiens gegenüber östlichen Vorstellungen geführt hat, auch in dem für uns sensitiven Bereich (Anerkennung einer DDR-Staatsangehörigkeit), so bleibt dennoch festzustellen, daß Österreich keine Politik gegen uns macht. Im Gegenteil: Österreichs Politik gegenüber der DDR trug und trägt dazu bei, die DDR zu entkrampfen. Dies kommt den Zielsetzungen unserer Deutschlandpolitik zugute.«88

Dies sollte sich auch 1989 zeigen, als Österreich die Ausreise zigtausender DDRBürger via Ungarn unterstützend ermöglichte. Worte des Dankes finden sich in den Memoiren der damals federführenden bundesdeutschen Akteure.89 Österreich leistete damit einen bis heute unterschätzten Beitrag zum »Mauerfall«, denn ohne die Bilder von einer vermeintlich offenen österreichisch-ungarischen Grenze, die bereits im Frühjahr 1989 um die Welt gingen, hätte die Fluchtbewegung via Ungarn vermutlich nicht dieses Ausmaß erreicht.90 Möglich waren solche Bilder allerdings nur aufgrund der guten Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn, die ein besonders prägnantes Beispiel der europäischen Entspannung im Kalten Krieg darstellen.91

87 Ebd. 88 Betr.: Beziehungen DDR/Österreich, hier Treffen mit BK Sinowatz am 21. November 1984 in Wien, gezeichnet von Richthofen, zur Unterrichtung des Bundeskanzlers, Bonn, 19. November 1984, BArch Koblenz, B 136/20335. 89 Stellvertretend hierfür : Helmut Kohl, Vom Mauerfall zur Wiedervereinigung. Meine Erinnerungen, München 2009, 41. 90 Maximilian Graf, Die Welt blickt auf das Burgenland. 1989 – die Grenze wird zum Abbild der Veränderung, in: Maximilian Graf/Alexander Lass/Karlo Ruzicic-Kessler (Hg.), Das Burgenland als internationale Grenzregion im 20. und 21. Jahrhundert, Wien 2012, 135–179. 91 Thesenhaft hierzu Maximilian Graf, Ein Musterbeispiel der europäischen Entspannung? Die österreichisch–ungarischen Beziehungen von 1964 bis 1989, in: Csaba Szabj (Hg.), Österreich und Ungarn im 20. Jahrhundert« (= Publikationen der ungarischen Geschichtsforschung in Wien IX), Wien 2014, 261–280; Tam#s Baranyi/Maximilian Graf/Melinda Krajczar/Isabella Lehner, A Masterpiece of European D8tente? Austrian–Hungarian Relations from 1964 until the Peaceful End of the Cold War, in: zeitgeschichte 41 (2014) 5, 311–338.

166

V.

Maximilian Graf

Österreich und Ungarn aus ostdeutscher Sicht

Am Anfang vom Ende der DDR standen also auch die Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn.92 Dies erscheint Anlass genug, um abschließend auf die ostdeutsche Rezeption dieses Nachbarschaftsverhältnisses am »Eisernen Vorhang« einzugehen. Nachdem 1956 ein historischer Tiefpunkt in den Beziehungen erreicht war, vollzog sich nur langsam eine Normalisierung zwischen den beiden Staaten. Ungarn maß Österreich bei der Überwindung seiner Isolation im Westen (entsprechend der üblichen Vorgehensweise der sozialistischen Staaten) große Bedeutung bei. Österreich verlangte für eine Normalisierung der Beziehungen die Klärung offener Fragen, wie den Abschluss eines Vermögensvertrages, der 1964 erfolgte. Die gespannte Lage am »Eisernen Vorhang« sollte die Beziehungen aber noch einige Zeit darüber hinaus belasten. In der Wahrnehmung der DDR stellte sich die Phase bis zur Lösung der vermögensrechtlichen Probleme 1964 als eine unendliche Folge von ungarischen Bemühungen gegenüber dem Land, das 1956 unter »Verletzung« seiner Neutralität die »Konterrevolution« unterstützt hatte93 und nun ausschließlich finanzielle Interessen verfolgen würde, dar.94 Gleichermaßen kritisierte die DDR aber auch die ungarische Seite für die überraschend starke Betonung historischer Reminiszenzen an eine so gar nicht sozialistische Vergangenheit.95 Die Regelung der Vermögensfrage wurde aufgrund ihrer Präzedenzwirkung positiv angesehen. Dass Kreisky anlässlich der Unterzeichnung 1964 nach Budapest reiste, wurde als Ausdruck des beiderseitigen Interesses an guten Beziehungen gewertet.96 Der weitere Aufbau der Beziehungen wurde aufmerksam verfolgt. Fast hat man den Eindruck, dass Ost-Berlin in den ersten Jahren nach der Anerkennung durch 92 Für weitere Überblicke auf schmälerer Quellenbasis siehe Andreas G8mes, AustrianHungarian Relations, 1945–1989, in: Arnold Suppan/Wolfgang Mueller (Hg.), Peaceful Coexistence or Iron Curtain? Austria, Neutrality, and Eastern Europe in the Cold War and D8tente, 1955–1989 (= Europa Orientalis 7), Wien 2009, 310–336; Oliver Rathkolb, Die österreichische »Ostpolitik« gegenüber Ungarn, in: Istv#n Majoros/Zolt#n Maruzsa/Oliver Rathkolb (Hg.), Österreich und Ungarn im Kalten Krieg, Wien–Budapest 2010, 211–226. Siehe zudem die zeitgenössische politikwissenschaftliche Studie Zdenek Mlynar/HansGeorg Heinrich/Toni Kofler/Jan Stankovsky (Hg.), Die Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn: Sonderfall oder Modell?, Wien 1985. 93 Aktenvermerk über eine Besprechung im ungarischen Außenministerium zwischen Genossen Taraba, Mitarbeiter der Österreich-Abteilung, Genossen Agoston und Genossin Lützkendorf am 21. Mai 1958, gezeichnet V. Lützkendorf, Budapest, 4. Juni 1958, PA/AA, MfAA, A 12822, Bl. 28–29. 94 Vermerk über eine Besprechung im ungarischen Außenministerium zwischen Herrn Kluge und Herrn Majdik am 10. Juli 1958, PA/AA, MfAA, A 12822, Bl. 26–27. 95 Die Beziehungen der Ungarischen Volksrepublik zu Österreich, Budapest, 13. Oktober 1961, PA/AA, MfAA, A 12828, Bl. 114–136. 96 Information über den Besuch einer österreichischen Delegation in der UVR, gezeichnet Botschaftsrat Hienzsch, Budapest, 6. November 1964, PA/AA, MfAA, A 12857, Bl. 103–108.

Österreichs »Ostpolitik« im Kalten Krieg. Eine doppeldeutsche Sicht

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Österreich sogar mit ein wenig Neid auf die Qualität der Beziehungen zwischen Wien und Budapest blickte. Die in den Kommuniqu8s anlässlich der zahlreichen gegenseitigen Staatbesuche seit dem Besuch von Bundeskanzler Klaus 1967 regelmäßig betonte, über den bilateralen Kontext hinausweisende, »Beispielwirkung« der Beziehungen wurde als »übertrieben« eingeschätzt.97 Dennoch war es tatsächlich gelungen, die bilateralen Beziehungen immer weiter zu entspannen. Ein Haupthindernis hatte die gespannte Lage an der Grenze dargestellt, die sich in zahlreichen Zwischenfällen und Minenunglücken manifestierte. Nach langjährigem Drängen seitens Österreichs war die Grenze Anfang der 1970er-Jahre zwar endgültig entmint worden, an der grundsätzlichen Undurchlässigkeit des »Eisernen Vorhangs« hatte sich aber wenig geändert. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit war ebenfalls kontinuierlich intensiviert worden. In Ost-Berlin sorgte dies primär aus deutschlandpolitischen Gründen für Beunruhigung. Wie erwähnt wurde im Jahr 1972 das Verhältnis der beiden deutschen Staaten auf vertraglicher Basis geregelt. Der Vertragsunterzeichnung im Dezember gingen langwierige und komplizierte Verhandlungen voraus. Die DDR wollte dadurch ihre internationale Anerkennung sicherstellen, gleichzeitig aber ihre Abgrenzung gegenüber der Bundesrepublik bekräftigen. Anfang des Jahres 1972 waren im DDR-Außenministerium nach Besprechungen mit dem ungarischen Pendant erstmals Sorgen wegen der entspannten Lage an der inzwischen entminten österreichisch-ungarischen Grenze aufgetaucht. Die DDR fürchtete, dass die regen grenzüberschreitenden Kontakte als Beispiel für die Gestaltung der deutsch-deutschen Grenze herangezogen werden könnten.98 Daher war die DDR-Diplomatie auch beruhigt, dass Ungarn das von Seiten Österreichs angestrebte Abkommen über die Aufhebung des Visumszwanges für Reisen zwischen den beiden Ländern zunächst verzögerte.99 Das Thema blieb aber aufgrund des österreichischen Beharrens auf der Tagesordnung der bilateralen Gespräche. Durchaus mit Befriedigung wurde in Ost-Berlin festgehalten,

97 Vermerk über eine Information des Leiters der VI. Territ[orialen] HA des MfAA der UVR, Gen. Prog#cs am 28. Mai 1976 zum Besuch des Vorsitzenden des Ministerrates UVR, Gen. L#z#r in Österreich vom 17.–19. Mai 1976, PA/AA, MfAA, A 18916, Bl. 81–86, hier 82. 98 Bericht über die Konsultation zwischen der Abteilung Westeuropa des MfAA der DDR und der Partnerabteilung des ungarischen Außenministeriums, gezeichnet Strohmeyer, Berlin, 27. Januar 1972, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA/AA), Berlin, Bestand Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR (MfAA), C 3/78, Bl. 1–6. Der entscheidende Passus auf Bl. 3–4 ist vollinhaltlich abgedruckt in: Graf, Die Welt blickt auf das Burgenland, 135–179, 143. 99 Beispielsweise Auszug aus einem Vermerk über ein Gespräch des Genossen Balon mit dem amtierenden Leiter der VI. Territorialen Hauptabteilung des Außenministeriums der UVR, Genossen Sur#nyi am 29. Oktober 1973, Budapest, 31. Oktober 1973, PA/AA, MfAA, C 1513/ 75, Bl. 45–49; Vermerk, gezeichnet Polk, Budapest, 22. Dezember 1976, PA/AA, MfAA, A 18916, Bl. 59–61.

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Maximilian Graf

dass Ungarn den Abschluss eines solchen Abkommens in weiterer Folge an zahlreiche Bedingungen knüpfte: Die Pässe sollten nur für Österreich gültig sein, die Passinhaber sollten keine Berechtigung zur Arbeitsaufnahme haben und »nicht als politische Flüchtlinge betrachtet werden« können. Zudem war klar, dass Ungarn bestrebt war, die Aufhebung des Visumszwanges mit einer Beteiligung Österreichs am Ausbau der Infrastruktur für Touristik in Ungarn zu verbinden.100 Damit sollte die ungarische Seite Erfolg haben. Nachdem das Abkommen 1978 unterzeichnet wurde und mit Anfang 1979 in Kraft trat, verfolgte die DDR die weitere Entwicklung mit Sorge.101 Insbesondere in den ersten Jahren wurden regelmäßig Informationen über die Auswirkungen der Neuerungen im Reiseverkehr erstellt. Nach wenigen Monaten urteilte man zusammenfassend: »Die Einführung des visafreien Reiseverkehrs zwischen der UVR [= Ungarischen Volksrepublik] und Österreich ab 1. 1. 1979 wird von beiden Seiten im Sinne der Entspannungspolitik propagandistisch stark herausgestellt. Seit dem Inkrafttreten des visafreien Reiseverkehrs trat eine spürbare Erhöhung der Reisetätigkeit zwischen beiden Ländern ein. […] Um den zunehmenden Reiseverkehr bei gleichzeitiger Erhöhung der Sicherheit abwickeln zu können, wurden die Grenzübergangstellen zu Österreich […] ausgebaut und modernisiert. Der Personalbestand der Grenz- und Zollorgane an diesen Abschnitten wurde erweitert.«102

Über die formale Abwicklung des Grenzübertritts war man genau informiert und vorerst beruhigt: »Dieses mit der Grenzpassage in beiden Richtungen verbundene Prüfungsregime ermöglicht eine wirksame Kontrolle.« Darüber hinaus war klar, dass Ungarn noch nicht gedachte (und dies sollte auch noch einige Jahre so bleiben), seine Bürger wirklich frei reisen zu lassen: »Die bisherigen innerstaatlichen Genehmigungsverfahren für Ausreisen ungarischer Bürger bleiben unverändert.« Selbstredend nahm man an, dass der intensivierte Reiseverkehr einen Anstieg des Schmuggels mit sich bringen würde.103 Dennoch blieb der verhältnismäßig durchlässige Abschnitt des »Eisernen Vorhangs« für die DDR ein Grund zur Sorge. Dazu trug auch die ungarische Seite bei, indem sie gegenüber den Ostdeutschen bekannte: »Vielfach machen uns Staatsbürger einiger sozialistischer Länder mehr Schwierigkeiten als die

100 Beziehungen UVR/Österreich, Stand März 1978, BArch, DC 20/5196, Bl. 130–133. 101 Vermerk zum visafreien Reiseverkehr zwischen der Volksrepublik Ungarn und der Bundesrepublik [sic!] Österreich, Berlin, 16. August 1978, Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU), Berlin, MfS, HA II 35695, Bl. 147. 102 MfAA-Information Nr. 7/III, Visafreier Reiseverkehr Ungarische Volksrepublik–Österreich, Berlin, 13. März 1979, SAPMO-BArch, DY 30/17770. 103 Ebd.

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Österreicher.«104 Aussagen wie diese haben mit Sicherheit nicht zur Beruhigung in Ost-Berlin beigetragen. Große Bedeutung wurde auch der Frage beigemessen, ob das neue Visaregime nicht auch DDR-Bürgern und vor allem (von Seiten der DDR als solche betrachteten) österreichisch-ostdeutschen Doppelstaatsbürgern die Flucht via Ungarn ermöglichen könnte.105 Daher wurde auch die weitere Entwicklung akribisch verfolgt. Die Zahl der Reisenden wurde von der DDRBotschaft in Budapest stets nach Ost-Berlin einberichtet. Etwas mehr als ein Jahr nach Inkrafttreten des Abkommens wurden die Folgen des stark (und über Erwarten) ausgeweiteten Reiseverkehrs folgendermaßen charakterisiert: »Der Strom der einreisenden Österreicher konzentriert sich vor allem auf den Balaton, die Hauptstadt und die grenznahen Gebiete. In den Grenzbezirken der UVR führte das zu einer spürbaren Erhöhung des Umsatzes von Lebensmitteln (vor allem Fleisch) und einigen Industriewaren. Die Versorgung in diesen Gebieten wird durch die Bereitstellung zusätzlicher Waren gesichert.«106

Mit Hilfe österreichischer Kredite erfolgten Investitionen in die Infrastruktur. Noch lag in Ungarn kein Hauch von Wandel in der Luft, in vielen Fragen blieb man konsequent ablehnend. Zwar war auch Ungarn bestrebt, die Abfertigung an der Grenze zu beschleunigen, eine stärkere Einbindung Österreichs und weitere »Konzessionen« wurden aber abgelehnt. In Budapest teilte man der DDR die Einschätzung mit, »daß sich das Abkommen über den visafreien Reiseverkehr im ersten Jahr seiner Anwendung insgesamt bewährt hat. Die Zusammenarbeit mit den österreichischen Partnern verläuft korrekt. Versuche einzelner Personen, die Visafreiheit für den illegalen Grenzübertritt zu missbrauchen, werden von den ungarischen Behörden unterbunden.«107 In den 1980er-Jahren wurde der kontinuierliche Ausbau der »gut nachbarschaftlichen« Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn als Beitrag zum Erhalt der Entspannung verfolgt. Im Fokus standen hier die politische und wirtschaftliche Ebene.108 Sehr bald sollten sich allerdings die schlimmsten Befürchtungen der DDR bewahrheiten. 1988 hatte sich das Reformtempo in Ungarn erheblich erhöht. Bereits seit 1. 104 Fortschreibungsinformation (der Botschaft der DDR in der UVR – Konsularabteilung) über Erfahrungen bei der weiteren Realisierung des Abkommens über den visafreien Reiseverkehr UVR/Österreich, Budapest, 12. Juli 1979, BStU, MfS, HA II 35695, Bl. 150–153. 105 Ebd. 106 MfAA-Information Nr. 97/III, Erfahrungen und Ereignisse des visafreien Reiseverkehrs zwischen der Ungarischen Volksrepublik und Österreich, Berlin, 21. März 1980, SAPMOBArch, DY 30/17770. 107 Ebd. 108 MfAA, Information Nr. 101/X, 17. Oktober 1984, Beziehungen Ungarn – Österreich, Vertraulich, BStU, MfS, HA II, Nr. 35695, Bl. 171–172; MfAA, Information Nr. 39/X, 8. Oktober 1987, Besuche des österreichischen Bundeskanzlers in Polen und in Ungarn, Streng vertraulich, BStU, MfS, HA II, Nr. 34476, Bl. 130–131.

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Maximilian Graf

Jänner 1988 hatten alle ungarischen Staatsbürger Anspruch auf den sogenannten »Weltpass«, mit dem sie frei in den Westen reisen konnten. Dies löste einen riesigen Einkaufstourismus-Boom in Richtung Österreich aus. Bereits Anfang 1989 wurde rasch klar, dass mit den Reformen auch das Ende der Grenzsperren zu Österreich gekommen war. Anfang Mai wurde öffentlichkeitswirksam mit den Abbrucharbeiten am »Eisernen Vorhang« begonnen. Dies konnte nicht ohne Rückwirkungen auf die DDR bleiben.109 Auch die Mitarbeiter der DDR-Auslandvertretungen in Wien mussten sich fortan verstärkt mit den Entwicklungen in Ungarn und jenen an der österreichisch-ungarischen Grenze befassen. Die innere Entwicklung Ungarns wurde »[k]ritisch und mit großer Sorge« betrachtet. In einem Bericht nach Ost-Berlin vom Juni 1989 stellte man die Frage, »ob die neuen ungarischen Grenzregelungen zu Österreich in Abstimmung mit den [Staaten des] Warschauer Vertrag[s] erfolgen oder eigenmächtige Entscheidungen darstellen«.110 Die weiteren Schritte zur Grenzöffnung gehören zu den am besten aufgearbeiteten Kapiteln der jüngsten österreichischen Zeitgeschichte und der internationalen Historiographie zum Ende des Kalten Kriegs. Diese umfassen die inszenierte Durchschneidung des »Eisernen Vorhangs« durch die beiden Außenminister Gyula Horn und Alois Mock Ende Juni, das sogenannte »Paneuropäische Picknick« im August, im Zuge dessen es zu einer Massenflucht von DDR-Bürgern kam, sowie die sich im Sommer zuspitzende Flüchtlingssituation von zigtausenden als Touristen nach Ungarn gereisten DDR-Bürgern und schlussendlich die Grenzöffnung durch Ungarn per 11. September 1989, die diesen die Ausreise via Österreich ermöglichte. Das bevorstehende Szenario sollte auch der SED-Führung im Sommer 1989 nicht verborgen bleiben. Gyula Horn hatte Günter Mittag in einem Gespräch am 31. August 1989 in Ost-Berlin darüber informiert, »daß durch den Aufenthalt mehrerer Tausend DDR-Bürger in der UVR, die nicht bereit sind, in die DDR zurückzukehren, für die UVR eine unhaltbare Situation entstanden sei«. Horn bekräftigte zwar, dass die UVR bestrebt sei eine Lösung zu finden, die die Beziehungen zur DDR nicht stören würde, stellte aber klar, dass für Ungarn aufgrund internationaler Verträge und der öffentlichen Meinung »inhumane Lösungen ausgeschlossen seien«. Er drängte die DDR darüber nachzudenken, »ob sie nicht wie früher erklären kann, daß Ausreiseanträge der betroffenen Bürger einer positiven Entscheidung zugeführt werden«. Andernfalls kündigte er an, dass sich die UVR veranlasst sehen würde, »das Protokoll zur Vereinbarung über 109 Als Überblick hierzu und zur Grenzöffnung: Andreas Oplatka, Der erste Riß in der Mauer. September 1989 – Ungarn öffnet die Grenze, Wien 2009. 110 Bericht über die Parteiarbeit im Monat Juni 1989, gezeichnet vom stellvertretenden Parteisekretär W. Meister, Wien, 28. Juni 1989, SAPMO-BArch, DY 30/15022.

Österreichs »Ostpolitik« im Kalten Krieg. Eine doppeldeutsche Sicht

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den Reiseverkehr vom Juni 1969 auszusetzen und das Visum von Drittländern auf den Reisedokumenten der DDR-Bürger zu akzeptieren«. Das bedeutete nichts anderes als dass Ungarn »alle DDR-Bürger nach Österreich ausreisen lassen würde, die durch ein Einreisevisum auf ihrem Reisedokument nachweisen können, daß sie in Österreich aufgenommen werden«.111 Früher am selben Tag hatte Horn in einem Gespräch mit Außenminister Oskar Fischer darauf hingewiesen, dass Ungarn »auch nicht zum früheren Grenzregime gegenüber Österreich zurückkehren könne«, da es berücksichtigen müsse, »welch große Bedeutung die Beziehungen zu Österreich« haben. Eine seiner drei unterbreiteten »Lösungsvarianten« sah die Öffnung der Grenze zwischen Österreich und Ungarn für alle DDR-Bürger, »die Österreich bereit ist aufzunehmen«, vor.112 Da die SED die Ausreise über Österreich befürchtete, wurde in der von Agonie und Realitätsverlust zeugenden Politbürositzung vom 5. September durch Außenminister Fischer und Volkskammerpräsident Horst Sindermann ein direktes Herantreten an Österreich angedacht. Fischer sagte: »Besonders wichtig ist ein schnelles Gespräch mit Österreich, da Mock unser bisheriges Stillschweigen als Einverständnis betrachten könnte. Man muß deutlich sagen, daß Österreich alles unterlassen sollte, was die Spannungen verschärft.« Sindermann schloss sich wenig später dieser Meinung an: »Ich bin für die Vorschläge Fischers. Man muß mit Vranitzky sprechen: Fallen Sie schon wieder auf den deutschen Chauvinismus herein?«113 Eine entsprechende Intervention fand aber nicht mehr statt.114 Wenige Wochen später war die SED-Führung Geschichte und binnen Jahresfrist war auch die deutsche Einheit unter Dach und Fach. Während Österreich trotz gut ausgebauter und geschätzter bilateraler Beziehungen unwillentlich zum Ende der SED-Herrschaft beigetragen hatte, so war seine Haltung zur deutschen »Wiedervereinigung« zunächst alles andere als einheitlich.115 111 Vermerk über das Gespräch des Mitglieds des Politbüros und Sekretärs des ZK der SED, Genossen Günter Mittag, mit dem Minister für Auswärtige Angelegenheiten der Ungarischen Volksrepublik, Genossen Gyula Horn, am 31. August 1989, gezeichnet Schindler, in: Arbeitsprotokoll der Sitzung des Politbüros des Zentralkomitees vom 5. September 1989 (= Protokoll Nr. 35/89), SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2 A/3238, Bl. 30–34. 112 Vermerk über das Gespräch des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten, Genossen Oskar Fischer, mit dem Minister für Auswärtige Angelegenheiten der Ungarischen Volksrepublik, Genossen Gyula Horn, am 31. August 1989, gezeichnet Schindler, in: Arbeitsprotokoll der Sitzung des Politbüros des Zentralkomitees vom 5. September 1989 (= Protokoll Nr. 35/89), SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2 A/3238, Bl. 34–39. 113 Siehe hierzu die Aufzeichnungen von Egon Krenz über die betreffende Sitzung: SAPMOBArch, DY 30/IV 2/2.039/77, Bl. 5. 114 Zumindest konnte bisher kein derartiges Dokument in den Archiven ausfindig gemacht werden. Auch Botschafter Friedrich Bauer bestätigte im Gespräch mit dem Autor, dass er über ein Herantreten der DDR an Österreich in diesem Zusammenhang auf seinem Posten in Bonn informiert worden wäre. 115 Siehe hierzu Michael Gehler, Österreich, die DDR und die Einheit Deutschlands 1989/1990,

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VI.

Maximilian Graf

Zum Schluss – ein Plädoyer für die Perzeptionsforschung

Eine quellengesättigte Erforschung der internationalen Perzeptionen der österreichischen Außenpolitik im Allgemeinen und der »Ostpolitik« im Besonderen steht für den Zeitraum 1955 bis 1989 weitestgehend aus.116 Gerade Quellen auswärtiger (und über den bilateralen Rahmen hinausreichender) Provenienz vermögen es jedoch, unseren Kenntnisstand erheblich zu erweitern und die Rolle und Position Österreichs im Kalten Krieg besser einzuschätzen. Die »Ostpolitik« sowie in Verbindung damit die westlichen und östlichen Haltungen zur und Wahrnehmungen der österreichischen Neutralität bieten hierfür ein besonders reizvolles Forschungsfeld. Während die sowjetische Politik und Sicht als relativ gut erforscht gelten können,117 wissen wir beginnend mit den frühen 1960er-Jahren nur sehr wenig über die westlichen Einschätzungen.118 Auch zur Rolle Österreichs im Zeitalter der Entspannung der 1960er- und 1970er-Jahre wurde abseits seiner Teilnahme am KSZE-Prozess wenig geforscht. Insbesondere der letzte Höhepunkt des Kalten Kriegs von Ende der 1970er- bis in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 57 (2009) 5, 427–452; Michael Gehler, Eine Außenpolitik der Anpassung an veränderte Verhältnisse: Österreich und die Vereinigung Bundesrepublik Deutschland–DDR 1989/90, in: ders./Ingrid Böhler (Hg.), Verschiedene europäische Wege im Vergleich. Österreich und die Bundesrepublik Deutschland 1945/49 bis zur Gegenwart. Festschrift für Rolf Steininger zum 65. Geburtstag, Innsbruck–Wien–Bozen 2007, 493–530; Maximilian Graf, Österreich und das »Verschwinden« der DDR. Ostdeutsche Perzeptionen im Kontext der Langzeitentwicklungen, in: Andrea Brait/Michael Gehler (Hg.) Grenzöffnung 1989: Innen- und Außenperspektiven und die Folgen für Österreich (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für Politisch-Historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek), Wien–Köln–Weimar 2014, 221–242; Andrea Brait, »Österreich hat weder gegen die deutsche Wiedervereinigung agitiert, noch haben wir sie besonders begrüßt«. Österreichische Reaktionen auf die Bemühungen um die deutsche Einheit, in: Deutschland Archiv 2014, Bonn, 82–102; Ute Weinmann, R8actions et r8orientations politiques en Autriche face / l’ouverture du Rideau de fer et / la chute du Mur de Berline, in: MichHle Weinachter (Hg.), L’est et l’ouest face / la chute du mur. Question de perspective, Cergy-Pontoise 2013, 111–112. 116 Zu den Außenansichten auf Österreich siehe Oliver Rathkolb/Otto M. Maschke/Stefan August Lütgenau (Hg.), Mit anderen Augen gesehen. Internationale Perzeptionen Österreichs 1955–1990 (Österreichische Nationalgeschichte nach 1945 2), Wien–Köln–Weimar 2002; Oliver Rathkolb (Hg.), Außenansichten. Europäische (Be)Wertungen zur Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert, Innsbruck–Wien–München–Bozen 2003. Diese verdienstvollen, weitestgehend auf Beiträgen von aufmerksamen Beobachtern und ehemaligen österreichischen Diplomaten basierenden Bände sollten jedoch – wie bereits in der Einleitung des Bandes angemerkt – um auf breiter Quellenbasis fußende Studien ergänzt werden. 117 Mueller, Example. 118 Ausnahme: Rathkolb, Washington; ders., Bruno Kreisky : Perspectives of Top Level U. S. Foreign Policy Decision Makers, 1959–1983, in: Günter Bischof/Anton Pelinka/Oliver Rathkolb (Hg.), The Kreisky Era in Austria (= Contemporary Austrian Studies 2), New Brunswick 1994, 130–151.

Österreichs »Ostpolitik« im Kalten Krieg. Eine doppeldeutsche Sicht

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Mitte der 1980er-Jahre, währenddessen Österreich seine Entspannungspolitik (durchaus auch angetrieben von wirtschaftlichen Eigeninteressen) konsequent fortsetzte, scheint die österreichische »Ostpolitik« und damit auch die Rolle der Neutralität wieder verstärkt in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt zu haben. Der vorliegende Aufsatz liefert, neben Längsschnitt-Einblicken in die ost- und westdeutsche Rezeption der österreichischen Neutralität im Kontext der »Ostpolitik«, Ansätze für diese Annahme. Österreichs Umgang mit der DDR sorgte während eines Ansteigens der internationalen und deutsch-deutschen Spannungen für Irritationen in der Bundesrepublik. Während dies dem Osten prinzipiell nur recht sein konnte und man sich wieder verstärkt des österreichischen Beispiels bediente, konnten enge Beziehungen wie zwischen Österreich und Ungarn aber bereits wieder für Unbehagen sorgen. Die DDR-Wahrnehmungen zur entspannteren Lage am »Eisernen Vorhang« sprechen Bände. Diese Beispiele stehen einer monolithischen Sicht auf Ost wie West entgegen und sind als Plädoyer für eine verstärkte Erforschung der Rolle des neutralen Österreich und seiner »Ostpolitik« im Kalten Krieg unter Berücksichtigung des internationalen Kontexts und multiperspektivischer Außenwahrnehmungen zu verstehen.

Agnes Meisinger

Die österreichische Haltung zum Boykott der Olympischen Sommerspiele in Moskau 1980

I.

Vorbemerkungen

Durch die zunehmende Internationalisierung und Globalisierung des Sports in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lassen sich zunehmend Interaktionen und Verflechtungen zwischen Sport und Politik ablesen. Insbesondere in der Zeit des Kalten Kriegs wurden politische Zugriffe auf zwischenstaatliche Sportbeziehungen häufiger und nahmen Einfluss auf die Ausgestaltung internationaler Sportveranstaltungen. Der Boykott von Großereignissen wie Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen stellt ein Beispiel für einen solchen Zugriff dar. Der vorliegende Beitrag1 beschäftigt sich mit dem Boykott der Olympischen Sommerspiele in Moskau im Jahr 1980, einem sporthistorischen Ereignis, das im Vorfeld globale Kontroversen und nationale Diskussionen auslöste, wie keine andere internationale Sportveranstaltung zuvor. Nach einer Phase der relativen Entspannung zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion verschärften sich aufgrund sowjetischer Aufrüstungstendenzen ab Mitte der 1970er-Jahre erneut die Gegensätze der beiden Blöcke. Von westlicher Seite wurde dies durch den NATO-Doppelbeschluss beantwortet. Der wieder aufkeimende Konflikt wurde durch die politisch-militärische Intervention der UdSSR in Afghanistan im Dezember 1979 nochmals verstärkt und veranlasste US-Präsident Jimmy Carter, der die Menschenrechtspolitik ins Zentrum seines außenpolitischen Handelns stellte, dem Kreml nicht nur mit wirtschaftlichen Sanktionen, sondern auch mit dem Boykott der bevorstehenden Olympischen Sommerspiele in 1 Der Beitrag basiert auf den Forschungsergebnissen der unveröffentlichten Diplomarbeit Agnes Meisinger, Die österreichische Haltung zum Boykott der Olympischen Sommerspiele in Moskau 1980 unter besonderer Berücksichtigung der Rolle Bruno Kreiskys, Diplomarbeit Universität Wien 2012. Siehe dazu auch dies., Das innenpolitische Vorspiel zu Olympia. Warum Österreich 1980 in Moskau dabei war, in: STADION. Internationale Zeitschrift für Geschichte des Sports, Special Issue »Olympism and International Sport Relations«, 38/39 (2014), 227–249.

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Agnes Meisinger

Moskau zu drohen.2 In der Zeit nach der D8tente war neben der atomaren Aufrüstung die Sportpolitik ein Instrument zur Abgrenzung der Interessensphären. Im Jänner des Jahres 1980 erhielt der damalige österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky einen Brief von Jimmy Carter, in dem er gebeten wurde, das Österreichische Olympische Comit83 (ÖOC) davon zu überzeugen, an einem Boykott mitzuwirken und von der Entsendung eines österreichischen Olympiateams nach Moskau abzusehen.

II.

Forschungsstand

Die Geschichte der modernen Olympischen Spiele und die politische Instrumentalisierung des Sports sind seit längerem Gegenstand interdisziplinärer Forschung. Dieser Artikel soll zur Perspektivenerweiterung beitragen, indem ein brisanter Prozess der jüngeren österreichischen Sportgeschichte beleuchtet wird. Hinsichtlich der Darstellung des Verhältnisses von Sport und Politik – im Speziellen mit Fokus auf die Olympischen Spiele – sind bereits zahlreiche Studien publiziert worden. Historische Analysen zum Boykott der Olympischen Spiele in Moskau aus US-amerikanischer Sicht bieten unter anderen die Autoren Derick L. Hulme Jr.4 und Nicholas Evan Sarantakes.5 Die Diskussion um den Olympiaboykott von 1980 wurde auch in einigen (west-)europäischen Ländern bereits einer wissenschaftlichen Aufarbeitung unterzogen.6 In der Bundesrepublik Deutschland beschäftigte sich im Olympiajahr der Publizist Willi Ph. Knecht7 mit der bundesdeutschen Debatte um die Olympiateilnahme. Rolf 2 Jimmy Carter, Letter to the President of the U.S. Olympic Committee on the Games to be held in Moscow, January 20, 1980, http://www.presidency.ucsb.edu/ws/index.php?pid=33238& st=olym pics&st1=#axzz1ecMO2xV0 (Zuletzt abgerufen am 23. Oktober 2015). 3 Das nach dem Zweiten Weltkrieg am 11. Dezember 1946 wiederbegründete Österreichische Olympische Comit8, ist der nationale Träger der Olympischen Bewegung in Österreich. Die Hauptaufgabe der laut Statuten selbstständigen und unabhängigen Vereinigung ist die Vorbereitung und Organisation der Teilnahme österreichischer AthletInnen an den Olympischen Spielen. Vgl. Mission des Österreichisches Olympisches Comit8. Online unter : http:// www.oeoc.at (Zuletzt abgerufen am 23. Oktober 2015). 4 Derick L. Hulme Jr., The political Olympics. Moscow, Afghanistan, and the 1980 U.S. Boycott, New York–Westport/Connecticut–London 1990. 5 Nicholas Evan Sarantakes, Dropping the Torch. Jimmy Carter, the Olympic Boycott, and the Cold War, New York 2011. 6 Für eine verleichende Studie siehe Agnes Meisinger, Der Olympiaboykott 1980. Eine vergleichende Analyse der Boykottdebatten in (West-)Europa, in: zeitgeschichte 42 (2015) 4, 233–249. 7 Willi Ph. Knecht, Der Boykott. Moskaus mißbrauchte Olympiade, Köln 1980.

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Pfeiffer8 arbeitete diese einige Jahre später in seiner geschichtswissenschaftlichen Dissertation durch die inhaltliche Bewertung der innenpolitischen Diskussion sowie eine medienanalytische Untersuchung der bundesdeutschen Tagespresse im Detail auf. Auch für Großbritannien9 und die neutrale Schweiz liegen Studien zur dieser Thematik vor.10 Für Österreich hingegen fehlte bisher eine umfassende quellengestützte Untersuchung. Zwar setzten sich in den 1990er-Jahren die Autoren zweier unveröffentlichter Abschlussarbeiten an der Universität Wien mit dem Olympiaboykott von 1980 auseinander, doch eine genauere Betrachtung der sportlichen, politischen und wirtschaftlichen meinungsbildenden Faktoren, die den Diskussionsverlauf in Österreich maßgeblich prägten, erfolgte nicht. Peter Filzmaier beschäftigte sich im Rahmen seiner Dissertation zum Thema »Politische Aspekte der Olympischen Spiele«11 aus dem Jahr 1993 mit den modernen Olympischen Spielen von Athen 1896 bis Atlanta 1996 im Spannungsfeld internationaler Konflikte. Der Politikwissenschaftler stellte in Bezug auf den US-amerikanischen Olympiaboykottaufruf nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan die Positionen der Bundesrepublik Deutschland, Großbritanniens und Frankreichs dar, ging jedoch nicht auf die österreichische Debatte ein. Die einzige Studie mit direktem Bezug auf die österreichischen Überlegungen zu einem Boykott stellt die sportwissenschaftliche Diplomarbeit von Renate Kopitschek aus dem Jahr 1996 dar. In ihrer Arbeit mit dem Titel »Teilnehmen oder nicht teilnehmen?«12 untersuchte Kopitschek österreichische Printmedien zu diesem Thema. Ziel des Beitrags ist es, die österreichische Haltung zum Boykottaufruf der Vereinigten Staaten auf der Basis einer Analyse der innenpolitischen Debatten darzulegen und im internationalen Kontext kritisch zu reflektieren. Im Speziellen werden die Motive für die Teilnahme einer österreichischen Mannschaft an den Spielen in der Sowjetmetropole herausgearbeitet. Hierfür wird der Ent8 Rolf Pfeiffer, Sport und Politik. Die Boykottdiskussionen um die Olympischen Spiele von Mexico City 1968 bis Los Angeles 1984 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 324), Frankfurt am Main 1987. 9 Kevin Jefferys, Britain and the Boycott of the 1980 Moscow Olympics, in: Sport in History 32:2 (2012), 279–301 sowie Paul Corthorn, The Cold War and British debates over the boycott of the 1980 Moscow Olympics, in: Cold War History 13:1 (2013), 43–66. 10 Simon Geissbühler, Teilnahme oder Boykott? Der Schweizer Sport, der Kalte Krieg und die Olympischen Spiele 1980 in Moskau, in: Simon Geissbühler (Hg.), Sport und Gesellschaft. Festschrift zum 80. Geburtstag von Ernst Strupler, Bern u. a. 1998, 65–82. 11 Peter Filzmaier, Politische Aspekte der Olympischen Spiele. Analyse des Stellenwertes der Olympischen Spiele als Faktor der nationalen und internationalen Politik unter besonderer Berücksichtigung der zentralen Konfliktformationen nach dem Zweiten Weltkrieg, Dissertation Universität Wien 1993. 12 Renate Kopitschek, Teilnehmen oder nicht teilnehmen? Die Olympischen Sommerspiele 1980 in Moskau im Spiegel der österreichischen Printmedien, Diplomarbeit Universität Wien 1996.

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scheidungsprozess rekonstruiert und der Frage nachgegangen, inwiefern sportliche, politische und wirtschaftliche Interessen Österreichs die Meinungsbildung beeinflussten. Relevante Informationsquellen stellen hierfür das Tagebuch des ehemaligen Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie Josef Staribacher,13 die Nationalratsprotokolle und die Protokolle des Rates für Auswärtige Angelegenheiten aus dem Jahr 1980 sowie die Aussendungen der Pressedienste14 der im Olympiajahr im Parlament vertretenen Parteien – Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ), Österreichische Volkspartei (ÖVP) und Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) – dar. Ein besonderes Augenmerk wird auf die gestaltenden und treibenden Akteure in der auf politischer Ebene geführten Debatte um die Olympiateilnahme gelegt. In den Fokus geraten somit eine Reihe von Personen und Institutionen: zu ihnen gehören politische Parteien und ihre RepräsentantInnen, Sportverbände und ihre Funktionäre sowie Diplomaten im In- und Ausland.15 Gleichfalls zählen hierzu Personen, die großen Einfluss auf die Diskussion auch fernab ihres eigenen Kompetenzbereiches hatten. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Frage, wie die Position der österreichischen Regierung zu bewerten ist, besonders im Hinblick auf die außenpolitische Linie der SPÖ,16 die eine Fortsetzung der Entspannungspolitik sowie die Intensivierung des Handels mit der Sowjetunion forcierte.

13 Josef Staribacher machte während seiner über 13 Jahre langen Amtszeit (1970–1983) fast täglich Aufzeichnungen über die bedeutendsten Geschehnisse in der österreichischen Politik. Diese diktierte Staribacher auf ein Tonband, seine MitarbeiterInnen transkribierten die Sprachnotizen am Folgetag. Das Tagebuch wurde mit Tagesprogrammen, Sitzungsprotokollen, Zeitungsausschnitten und handschriftlichen Vermerken laufend ergänzt und diente in erster Linie dazu, sein Kabinett über aktuelle politische Themen und Tätigkeiten zu informieren. Da das Tagebuch nicht redigiert wurde, beinhaltet es Tipp- und Rechtschreibfehler, die hier in wörtlichen Zitaten übernommen und gekennzeichnet werden. Staribachers Tagebuch umfasst etwa 70 Aktenordner, die bereits digital erschlossen wurden, und ist in den Räumlichkeiten der Stiftung Bruno Kreisky Archiv (StBKA) in Wien zugänglich. Vgl. auch Maria Mesner/Theodor Venus/Remigio Gazzari, Österreichische Wirtschaftspolitik 1970–2000 (= Endbericht zum Jubiläumsfondprojekt »Österreichische Wirtschaftspolitik 1970–2000«). Online unter : http://www.kreisky.org/pdfs/endberichtprojnr11679.pdf (Zuletzt abgerufen am 23. Oktober 2015), 210–211. 14 Aus dem Bestand der Mikrofiche-Sammlung »Austrodok« am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. 15 In diesem Text wird auf gendergerechte Formulierung geachtet. Ist von »Athleten«, »Politikern« etc. die Rede, ist ausschließlich ein männlicher Personenkreis gemeint. In paraphrasierten Textstellen werden die in den Originalquellen genannten Genera übernommen. 16 Die innenpolitischen Rahmenbedingungen im Jahr 1980 in Österreich sahen wie folgt aus: Bei der Nationalratswahl am 6. Mai 1979 erreichte die SPÖ abermals nach 1971 und 1975 mit 51 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit – der Weg zur dritten SPÖ-Alleinregierung unter Bundeskanzler Bruno Kreisky war geebnet. Vgl. u. a. Robert Kriechbaumer, Die Ära Kreisky. Österreich 1970–1983, Wien–Köln–Weimar 2004, 50.

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III.

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Die US-Boykottkampagne

In der letzten heißen Phase des Ost-West-Konflikts stellten die Olympischen Sommerspiele 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles ein medial bestens ausgeleuchtetes Schaufenster der politischen Gegensätze dar. Siege in den sportlichen Auseinandersetzungen wurden mit Regelmäßigkeit als Indizien der Überlegenheit des sozialistischen bzw. kapitalistischen Systems interpretiert. Bereits bei den Olympischen Winter- und Sommerspielen des Jahres 195617 hatte die UdSSR die USA in der inoffiziellen Nationenwertung überholt, auch 1960 in Rom schnitten sowjetische SportlerInnen besser ab als jene der Vereinigten Staaten. Die Erfolge der sowjetischen AthletInnen wurden in der Propaganda der UdSSR euphorisch verwertet.18 Wie in der Sowjetunion kam (und kommt) auch in den Vereinigten Staaten dem Sport ein hohes Maß an identitätsstiftender Wirkung zu. Abgesehen von den Gesamtbilanzen wurden auch einzelne Sportereignisse zu Stellvertreterkämpfen für die Systeme hochstilisiert. Beispielsweise wurde das Aufeinandertreffen der Eishockeymannschaften der UdSSR und der USA in der Finalrunde des Eishockeyturniers bei den Winterspielen im Februar 1980 in Lake Placid ein Höhepunkt der Konfrontationen. Wenige Wochen nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan und dem US-Aufruf zum Boykott der Spiele im darauffolgenden Sommer in Moskau gewann das Team der Vereinigten Staaten überraschend gegen die favorisierte sowjetische Mannschaft und errang die Goldmedaille. Der Sieg über die Sowjetunion wurde als nationaler Triumph gefeiert und ist bis heute im kollektiven Gedächtnis der sportbegeisterten Nation als »Miracle on Ice« stark verankert.19 Nachdem sich Moskau bereits im Jahr 1969 beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) um die Ausrichtung der Sommerspiele 1976 beworben hatte, jedoch am Mitkandidaten Montreal scheiterte,20 wagte das Moskauer Organisationskomitee in der folgenden Vergabeperiode einen erneuten Anlauf. 17 Im Zeitraum von 1920–1952 erhielt die Sowjetunion keine Einladung zu Olympischen Spielen, da der Staat über kein (anerkanntes) Nationales Olympisches Komitee (NOK) verfügte. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) entscheidet über die Aufnahme eines NOKs in die Olympische Bewegung. Die Aufnahme bedeutet, nach dem Reglement der Olympischen Charta, die gleichzeitige Anerkennung der jeweiligen Regierung. Ein weiteres Beispiel hierfür ist die Aufnahme des NOK der DDR im Jahr 1968. Vgl. Pfeiffer, Sport, 4 und 57–61. 18 Filzmaier, Aspekte, 228–231. 19 Hulme, Olympics, 10; Alfred Erich Senn, Power, Politics and the Olympic Games, Champaign 1999, 180. Für die österreichische Perspektive auf ausgewählte Sportereignisse siehe Martin Tschiggerl, Parteiische Neutralität. Österreichische. Sportberichterstattung im Kalten Krieg, in: zeitgeschichte 42 (2015) 4, 250–266. 20 Siehe ausführlich Nicholas Evan Sarantakes, Moscow versus Los Angeles. The Nixon White House wages Cold War in the Olympic selection process, in: Cold War History 9 (2009) 1, 135–157.

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Am 23. Oktober 1974 gewann die sowjetische Hauptstadt bei der 75. IOC-Session in Wien die Abstimmung gegen den Mitbewerber Los Angeles mit einem Votum von 39 zu 20 Stimmen und wurde zum Gastgeber der XXII. Olympischen Sommerspiele gewählt. Da zuvor die Winterspiele des Jahres 1980 an Lake Placid/USA vergeben worden waren, ist davon auszugehen, dass die Mehrheit der IOC-Mitglieder aus diesem Grund Moskau als Veranstaltungsort für die im selben Jahr stattfindenden Sommerspiele präferierte.21 Nur wenige Tage nach der Entscheidung, die Olympischen Spiele in einem sozialistisch regierten Land auszutragen, entbrannte in den USA diesbezüglich eine durch die Presse lancierte heftige Diskussion. Vor allem Journalisten der New York Times und des konservativen Blattes National Review diskutierten den Boykottgedanken öffentlich. Die Kritik bezog sich vorwiegend auf die in der Sowjetunion verübten, international bekannten Menschenrechtsverletzungen. Des Weiteren wurde der Befürchtung Ausdruck verliehen, dass im Vorfeld der Olympischen Spiele der Druck auf RegimekritikerInnen in der Sowjetunion verschärft werden würde.22 Nachdem bereits die Spielen in Melbourne 1956, München 1972 und Montreal 1976 von Boykotten beziehungsweise Terrorismus überschattet worden waren, wurde die Olympische Bewegung abermals in einen regionalpolitischen Konflikt hineingezogen. Der im Jahr 1980 amtierende IOC-Präsident Lord Killanin23 merkte zu diesem Thema in seiner Biographie an: »Ninety-five percent of my problems as president of the IOC involved national and international politics.«24

III.1

Der Boykottaufruf und die internationalen Reaktionen

Einer der internationalen Krisenherde im Vorfeld der Olympischen Spiele in Moskau war Afghanistan. Das Land stand vor einem Bürgerkrieg – der islamische Widerstand gegen die geplante gesellschaftliche Umgestaltung der mar21 Ebd., 151. 22 Pfeiffer, Sport, 317–318. Die Thematik ist von aktueller Brisanz, entfachte doch vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 ebenfalls eine internationale Boykottdiskussion, die, wie im Jahr 1980, unter anderem auf der Kritik an der Menschenrechtspolitik des Gastgeberlandes fußte. Im Jahr 2014 stand das »Gesetz gegen homosexuelle Propaganda«, das die öffentliche Kommunikation über »nicht-traditionelle« sexuelle Beziehungen in Russland unter Strafe stellt, im Zentrum der Debatten. PolitikerInnen zahlreicher Nationen und Menschenrechtsorganisationen warnten im Zusammenhang mit dem vor den Spielen in Kraft getretenen Gesetz vor den diskriminierenden Folgen »staatlich verordneter Homophobie«. Zudem wurde der russischen Regierung ein undemokratischer Umgang mit der Presse- und Meinungsfreiheit vorgeworfen. 23 Michael Morris, 3. Baron Killanin (1914–1999) wurde nach den Olympischen Spielen in München 1972 zum sechsten Präsidenten des IOC gewählt. 24 Baron Michael Morris Killanin, My Olympic Years, Morrow 1983, 10; Senn, Power, x.

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xistisch dominierten Regierung sowie die Rivalitäten der politischen Akteure steuerten auf eine Eskalation zu. Die Sowjetunion hatte größtes Interesse, die politische Situation im Nachbarland im Sinne der von ihr favorisierten Kräfte zu stabilisieren. Als der Kreml am 25. Dezember 1979 Truppen nach Afghanistan entsandte, um das noch junge kommunistische Regime in Kabul vor dem Sturz zu bewahren, geriet die UdSSR in ein Sperrfeuer internationaler Kritik. Das labile Gleichgewicht zwischen den Supermächten während der Zeit der D8tente war nun ernsthaft bedroht.25 Als Reaktion auf den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan rief US-Präsident Jimmy Carter zu Wirtschaftssanktionen und einem Boykott der bevorstehenden Olympischen Sommerspiele in Moskau auf. Carters Boykottkampagne, die unter dem Deckmantel einer Menschenrechtsund Friedenskampagne geführt wurde, nahm ihren Lauf. Der rasche Einsatz massiver Druckmittel durch die USA hatte eine Vorgeschichte. Bereits seit 1977 war es zu einer deutlichen Abkühlung des sowjetisch-amerikanischen Verhältnisses gekommen. Nachdem die ersten Verhandlungen über eine Begrenzung strategischer Waffen positiv verlaufen waren, konnte im Jahr 1974 ein Zusatzprotokoll zur Stützpunktreduzierung der sogenannten SALT I-Verträge26 unterzeichnet werden. Daraufhin begann jedoch die Sowjetunion 1977 ihr nationales Rüstungsprogramm zu forcieren und installierte ohne Vorwarnung neue Mittelstreckenraketen auf ihren europäischen Territorien. Die folgenden SALT II-Gespräche gestalteten sich aufgrund der neuen politisch-militärischen Ausgangslage schwieriger. Mitte 1979 konnten die Verträge zwar noch in Wien von US-Präsident Jimmy Carter und dem sowjetischen Staats- und Regierungschef Leonid I. Brezˇnev unterzeichnet werden, aufgrund der weiter verschärften internationalen Lage jedoch nicht mehr ratifiziert.27 Präsident Carter kündigte in seiner Fernsehrede zur »Lage der Nation« (»State of the Union Address«) am 4. Jänner 1980 unter anderem die Beschränkung amerikanischer Getreidelieferungen an die Sowjetunion, ein Exportverbot für hochwertige Technologie sowie eine eventuelle Nicht-Teilnahme amerikanischer SportlerInnen und ZuschauerInnen bei den Olympischen Spielen in Moskau an. Zudem veranlasste er die Zurückziehung der noch nicht ratifizierten SALT II-Verträge aus dem US-Kongress und beantragte eine Erhöhung des Verteidigungsetats.28 25 Bernd Stöver, Der Kalte Krieg 1947–1991. Geschichte eines radikalen Zeitalters, München 2007, 414. 26 Die SALT (Strategic Arms Limitation Talks)-Verträge wurden in den Jahren von 1969–1979 zwischen den USA und der UdSSR zur zahlenmäßigen Begrenzung ihrer nuklear-strategischen Waffensysteme ausgehandelt. 27 Stöver, Krieg, 408. 28 Pfeiffer, Sport, 324; Stöver, Krieg, 410.

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In einem Schreiben vom 20. Jänner 1980 forderte Carter den Präsidenten des United States Olympic Committee (USOC) Robert Kane auf, von der Entsendung einer Olympiamannschaft nach Moskau abzusehen, sollten die sowjetischen Truppen Afghanistan nicht innerhalb eines Monats verlassen. Er bezeichnete die sowjetische Invasion als Gefahr für den Weltfrieden sowie die Sicherheit der Vereinigten Staaten.29 Da Carter bei einer Verweigerung der Kooperation mit der Einstellung finanzieller Förderungen im Sportbereich drohte, sah sich das USOC regelrecht gezwungen, dem Boykottaufruf Folge zu leisten. Wohl auch aufgrund des Respekts vor der Außenpolitik des US-Präsidenten, entschied das USOC mehrheitlich, den Spielen in Moskau fernzubleiben.30 Die Reaktionen des IOC auf Carters Boykottaufruf blieben anfangs sehr verhalten. In einem ersten offiziellen Statement machte Präsident Lord Killanin deutlich, dass er gegen einen Boykott der Spiele sei und die Teilnahme- bzw. Boykottentscheidung ausschließlich bei den jeweiligen NOKs läge.31 Großbritanniens Premierministerin Margaret Thatcher unterstützte die Boykottidee Carters von Anfang an, doch das britische NOK beschloss autonom die Teilnahme an den Spielen in Moskau.32 Auch in anderen westeuropäischen Ländern, wie beispielsweise Belgien, Italien oder Spanien, hatten die jeweiligen NOKs freien Handlungs- und Entscheidungsspielraum.33 In der Bundesrepublik Deutschland kam es zu einer breiten öffentlichen und politischen Debatte zum Olympiaboykott. Letztendlich stand die Regierung der BRD in der Boykottfrage hinter ihrem Bündnispartner USA und gab eine Boykottempfehlung an das bundesdeutsche NOK ab.34

29 Jimmy Carter, Letter to the President of the U.S. Olympic Committee, January 20, 1980. Online unter : http://www.presidency.ucsb.edu/ws/?pid=33059 (Zuletzt abgerufen am 23. Oktober 2015). 30 Christopher R. Hill, Olympic politics, Manchester–New York 1992, 120; Senn, Power, 180–181. 31 Lord Killanin in: Olympic Review, No. 147, January-February 1980. Online unter : http:// www.la84foundation.org/OlympicInformationCenter/OlympicReview/1980/ore147/ORE147u. pdf (Zuletzt abgerufen am 23. Oktober 2015). 32 Penelope Kissoudi, Sport, Politics and International Relations in the Twentieth Century, in: The International Journal of the History of Sport, 25 (2008) 13, 1689–1706, 1692. 33 Hulme, Olympics, 59–62. 34 Michael Franck, Der olympische Boykott 1980. Eine Untersuchung über die Beziehung von Sport und Politik unter besonderer Berücksichtigung der Situation der Bundesrepublik Deutschland. Eine medienanalytische Arbeit, Dissertation Universität zu Bonn 1983, 218–219; Pfeiffer, Sport, 377.

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III.2

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Die US-Boykottkampagne erreicht Österreich

Bestätigt durch die Ergebnisse einer Sondersitzung der UNO-Vollversammlung am 15. Jänner 1980, die den Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan forderte, hoffte Carter, die Boykottbewegung auch in (West-)Europa durch die Kontaktaufnahme mit den jeweiligen Regierungschefs ins Rollen bringen zu können.35 Am 20. Jänner 1980 erhielt das österreichische Bundeskanzleramt via USamerikanischer Botschaft in Wien einen Brief aus Washington. Dem vierseitigen Schreiben lag der bereits zitierte Brief Carters an das USOC bei. Der US-Präsident machte in diesem Schreiben seine Position zum Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan deutlich und stellte fest, dass er aus diesem Grund die Teilnahme der Vereinigten Staaten an den Olympischen Sommerspielen in Moskau nicht unterstützen könne. Er forderte Kreisky auf, dem ÖOC nahezulegen, ähnliche Maßnahmen wie das USOC in diesem Zusammenhang zu treffen: »I hope that you will urge your own Olympic Committee to take similar action. I believe that such action is necessary to support the position of the United Nations General Assembly, to convince the Soviet Government and people of the world’s outrage at Soviet aggression in Afghanistan and to deter future aggression.«36 Insgesamt kontaktierte Carter über 100 Regierungschefs weltweit und schickte an 150 Regierungen eine Kopie seines Briefes an das USOC.37 Dieses Schreiben sollte der Anstoß zu einer nationalen Debatte um die Teilnahme einer österreichischen Mannschaft an den Olympischen Sommerspielen in Moskau werden.

IV.

Die Entscheidungsfindung: Akteure und Interessen

Die sowjetische Intervention in Afghanistan stieß nicht nur in den USA auf heftige Kritik. Auch Bundeskanzler Kreisky drückte mehrfach in Reden und Interviews seine Ablehnung des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan aus. Über diese Aussagen sowie die Position der Regierungspartei zum Olympia-

35 Die US-Regierung versuchte auch in den afrikanischen Ländern »Werbung« für den Olympiaboykott zu machen – Boxweltmeister Muhammed Ali wurde als »Sonderbotschafter« zu den afrikanischen NOKs entsandt, um die nationalen Entscheidungsträger von der Protestaktion zu überzeugen. Vgl. Franck, Boykott, 79–81; Hulme, Olympics, 46. 36 Brief von Jimmy Carter an Bruno Kreisky, 20. Jänner 1980, Stiftung Bruno Kreisky Archiv (StBKA), Wien, X.3 Prominentenkorrespondenz, Box 13, Jimmy Carter. 37 Hulme, Olympics, 44.

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boykottaufruf der Vereinigten Staaten wurden in Österreich kontroverse Debatten geführt, die im Folgenden eingehend betrachtet werden.38 Die Tagebucheintragungen von Josef Staribacher lassen die meisten Rückschlüsse auf die Entstehung und den Verlauf der Diskussion um einen österreichischen Olympiaboykott zu. Der Handelsminister machte fast täglich Notizen über aktuelle politische Themen und Debatten – diese umfassen nicht nur seinen eigenen Kompetenzbereich, sondern beinhalten auch kritische Beurteilungen von Beratungs- und Sitzungsergebnissen sowie Überlegungen zur Weltpolitik. Augenscheinlich interessierte Staribacher auch das Thema Olympiaboykott. Während des Jahres 1980 sind zahlreiche Einträge zu finden, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Diskussion um die Olympiateilnahme österreichischer AthletInnen stehen.39

IV.1

Sportpolitik auf »Österreichisch«

Die wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Bedeutung des Sports wurde von allen österreichischen Parteien schon früh erkannt, jedoch machte sich diese Erkenntnis institutionell (vorerst) nicht bemerkbar – das Sportressort fand durch den oftmaligen Ministerienwechsel sowie dessen Umstrukturierungen und Umbenennungen in der Zweiten Republik keine »Heimat«. Nachdem die »Abteilung Sport« während der Großen Koalitionen der Nachkriegszeit (1945–1966) und der Alleinregierung der ÖVP (1966–1970) im Bundesministerium für Unterricht untergebracht war, so war ab 1970, mit dem Beginn der »Ära Kreisky«, das Bundesministerium für Unterricht und Kunst, das von Fred Sinowatz geleitet wurde, für die Sportagenden zuständig.40 In verschiedenster Weise bemühte sich Sinowatz um die Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Breiten- und Spitzensport. 1971 gründete er gemeinsam mit Bundeswirtschaftskammerpräsident Rudolf Sallinger den gemeinnützigen Verein Österreichische Sporthilfe, der bis heute das Ziel verfolgt, österreichische SportlerInnen aus vorwiegend olympischen Disziplinen finanziell zu unterstützen.41 Bereits 1969 wurde auf der Grundlage des Bundessportförderungsgesetzes, das die Förderung des Sports aus Bundesmitteln regeln sollte, die Österreichische 38 Vgl. u. a. Vortrag von Bruno Kreisky »Zur wirtschaftlichen und weltpolitischen Lage« (Düsseldorf, 7. Mai 1980), in: Kreisky Reden, Band II, Wien 1981, 869–876, 875. 39 Tagebuch von Josef Staribacher (TbSt), StBKA, (Fünf Ordner für das Jahr 1980). 40 Wolfgang Witzelsperger, Die Interdependenz von Sport und Politik in Österreich am Beispiel der Zweiten Republik, Dissertation Universität Wien 1999, 79 und 82. Zur weiteren Entwicklung des Sportressorts siehe ebd., 84–86. 41 Norbert Adam, Bundes-Sportorganisation. Sechs erfolgreiche Jahrzehnte für Österreichs Sport, hg. von der Österreichischen Bundes-Sportorganisation, Wien 2011, 81.

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Bundes-Sportorganisation (BSO) zur Koordination der österreichischen Sportaktivitäten gegründet.42 Im Winter des Jahres 1979 verkündete das BSO zusammen mit dem Bundesministerium für Unterricht und Kunst und mit der Unterstützung der Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft die Organisation eines Jugendlagers anlässlich der bevorstehenden Sommerspiele in Moskau. Neben der Teilnahme an Sportveranstaltungen sollten die jungen AthletInnen die Möglichkeit erhalten, Moskau zu besichtigen, Olympiasieger der UdSSR kennen zu lernen und das Sportabzeichen der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) zu erwerben.43 Die Vorbereitungen für die Teilnahme an diesem Jugendlager wurden jedoch zu Beginn des Jahres 1980 aus »organisatorischen Gründen«44, wie die BSO-Mitteilungen berichteten, gestoppt. Tatsächlich waren die Diskussionen um Boykott oder Teilnahme offenbar so weit fortgeschritten, dass eine Entsendung österreichischer SportlerInnen zum Jugendcamp in Moskau ein zu frühes Indiz für die österreichische Position pro Olympiateilnahme gewesen wäre. Neben den bereits erwähnten Institutionen und Organisationen war es auch den Sportdachverbänden Arbeitsgemeinschaft für Sport und Körperkultur in Österreich (ASKÖ), Allgemeiner Sportverband Österreichs (ASVÖ) und Österreichische Turn- und Sport-Union (UNION) möglich, auf den Diskussionsverlauf Einfluss zu nehmen. Die Dachverbände pflegten von jeher ein Naheverhältnis zu den politischen Parteien.45 Alle drei Verbände sowie die BSO waren (und sind) Mitglieder des ÖOC und bei Vollversammlungen stimmberechtigt.

IV.2

Das Österreichische Olympische Comité als Entscheidungsinstanz?

Kreisky betonte schon bald nach Carters TV-Ansprache zur »Lage der Nation« am 4. Jänner 1980, dass es keinen von der österreichischen Regierung vorgeschrieben Olympiaboykott geben werde. Die Entscheidung müsse von den Sportorganisationen, respektive vom ÖOC, getroffen werden. Ein Blick auf die Mitglieder- und Organisationsstruktur zeigt, dass das Ko42 43 44 45

Adam, Bundes-Sportorganisation, 28; Witzelsperger, Interdependenz, 68. BSO-Mitteilungen 5/6 (1979), Wien 1979, 1. BSO-Mitteilungen 1/2 (1980), Wien 1980, 1. Demnach knüpft der ASKÖ an die sozialdemokratische Tradition der ehemaligen »Arbeiterturnerschaft Österreichs« vor dem Jahr 1934 an, die 1945 wiederbegründete UNION ist laut Statuten ein »überparteilicher Verein«, der sich jedoch traditionell ideell der ÖVP verbunden fühlt, für den im Jahr 1949 gegründeten ASVÖ kann keine deutliche politische Nähe konstatiert werden. Vgl. Witzelsperger, Interdependenz, 53–65.

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mitee mit Politikern durchsetzt war. Zu den Mitgliedern im Olympiajahr zählten beispielsweise Fred Sinowatz und Bundeswirtschaftskammerpräsident und Nationalratsabgeordneter Rudolf Sallinger von der ÖVP. Der Österreichische Rodelverband wurde von ÖVP-Sportsprecher Josef Höchtl und der Österreichische Handball- und Faustballverband von Bundesminister für Inneres Erwin Lanc in ihren Funktionen als Verbandspräsidenten im ÖOC vertreten.46 Präsident des ÖOC war SPÖ-Bundesrat Kurt Heller, der durch die Ausübung dieses Amtes ebenfalls – wie die zuvor genannten Politiker – zu einer zentralen Figur in der österreichischen Boykottdebatte wurde.47 Präsident Heller kommunizierte seine Haltung zur internationalen Boykottdiskussion vorwiegend über die Medien – eine offizielle Stellungnahme des ÖOC wurde vorerst nicht veröffentlicht. Höchtl mahnte in einer ersten Reaktion am 26. Jänner 1980, keine voreilige Entscheidung über den Olympiaboykott zu treffen und appellierte an alle politischen Parteien, eine gemeinsame Haltung zu dieser Frage zu entwickeln, wenngleich die Frage eines Boykotts »von den freien Sportorganisationen und dem Österreichischen Olympischen Komitee entschieden werden« sollte.48 Am 19. Mai 1980 traten die stimmberechtigten Mitglieder des ÖOC zu einer (außerordentlichen) Vollversammlung, dem höchsten Entscheidungsgremium des ÖOC, zusammen, um offiziell über eine Olympiateilnahme einer österreichischen Mannschaft zu entscheiden. In einer geheimen Abstimmung, die von Höchtl gefordert wurde,49 fiel der Beschluss, AthletInnen nach Moskau zu entsenden.50 Insgesamt waren 46 von 58 stimmberechtigten Mitgliedern bei der Vollversammlung anwesend, die sich mit 37 zu 9 Stimmen für die österreichische Teilnahme an den Olympischen Spielen in Moskau aussprachen.51 46 Im Olympiajahr 1980 setzte sich das ÖOC aus folgenden Mitgliedern zusammen: 27 Olympische Sportfachverbänden, den drei Dachsportverbänden ASKÖ, ASVÖ und UNION, der Österreichischen Bundes-Sportorganisation (BSO), 13 »Virilisten« (persönliche Mitglieder) sowie elf Ehrenmitgliedern. Vgl. Olympische Blätter, 8 (1980) 4, Wien 1980. 47 Kurt Heller stand 17 Jahre (1973–1990) an der Spitze des ÖOC. Seine Person verdeutlicht sehr anschaulich die Verbindung von Sport und Politik auch in höchsten Positionen nichtstaatlicher Organisationen. Heller war zeitgleich Mitglied des Bundesrates (1979–1987), Präsident der ASKÖ sowie Vorsitzender der Dachverbände in der BSO. Von 1987–1989 war er, zeitgleich zu seiner Funktion im ÖOC, Präsident der Association of the European National Olympic Committees (ANOCE). 48 ÖVP-Pressedienst, 26. Jänner 1980. 49 Kopitschek, Teilnehmen, 60. 50 Ebd., 35 sowie BSO-Mitteilungen 5/6 (1980), 1. 51 Das offizielle Sitzungsprotokoll liegt leider nicht vor, weshalb diesbezüglich Rückgriffe auf bereits vorhandenes Sekundärmaterial erfolgen müssen. Vgl. Kopitschek, Teilnehmen, 35–36. In einem Bericht des Ö1-Abendjournals, der am Tag der ÖOC-Abstimmung gesendet wurde, wird das von Kopitschek zitierte Votum bestätigt. Vgl. Ö1-Abendjournal, 19. Mai 1980, Österreichisches olympisches Komitee entscheidet sich für Teilnahme an Olympiade in Moskau. Online unter : http://www.journale.at/treffer/atom/09186F28-318-0011E-000

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Eine autonome Entscheidung im Rahmen der Vollversammlung des nach seinen Statuten unabhängigen Vereins, die lediglich die sportlichen Interessen Österreichs und die der AthletInnen berücksichtigte und von politischen Einflüssen unberührt blieb, scheint allerdings kaum vorstellbar. Der Wille zur politischen Einflussnahme wird auch daraus genährt, dass die NOKs – und somit die Olympia- bzw. Nationalmannschaften – im Normalfall aus nationalen Budgets finanziert oder teilfinanziert werden.52 Bundesminister Sinowatz hielt sich mit Äußerungen zum Boykottaufruf der Vereinigten Staaten zurück. Es ist davon auszugehen, dass seine Haltung mit jener des Bundeskanzlers abgestimmt war. ÖOC-Präsident Heller drückte gegenüber Sinowatz frühzeitig aus, dass das Komitee die Meinung der Regierung in der Boykottfrage berücksichtigen werde, wie Staribacher am 21. Jänner 1980 in seinem Tagebuch vermerkte.53 Ferner sind Einträge zu finden, die darauf hindeuten, dass Staribacher selbst in dieser Angelegenheit das Gespräch mit Sinowatz suchte – ein Indiz dafür, dass nicht ausschließlich sportliche Argumente zählten, sondern in der Boykottdebatte auch wirtschaftspolitische Interessen eine Rolle spielten.

IV.3

Die außenpolitischen Rahmenbedingungen

Ende der 1970er-Jahre erlebte die Welt den Auftakt zur letzten heißen Phase des Kalten Kriegs. Die militärische Aufrüstung der Sowjetunion und die Nicht-Ratifizierung des SALT II-Abkommens durch den US-amerikanischen Kongress, der Nahostkonflikt und internationaler Terrorismus waren nur einige von zahlreichen Themen, die auch in Österreich heftig diskutiert wurden. Damit rückte die Außenpolitik in den Fokus des öffentlichen Interesses.54 Im Wesentlichen war die Außenpolitik der »Ära Kreisky« von zwei Faktoren beeinflusst – der geographischen Lage des Landes an der Grenze zwischen zwei verfeindeten Blöcken einerseits und dem Status Österreichs als neutrales Land 0063C-0917AC63/band/60706/ (Zuletzt abgerufen am 23. Oktober 2015). Das ÖOC stellte es jedem nominierten Mitglied des Olympiateams frei, die Nominierung für Moskau abzulehnen. Unmittelbar nach dem ÖOC-Beschluss wurde in den Medien spekuliert, die beiden Reiter Willy Simon und Sissy Theurer würden auf die Teilnahme verzichten. Dem war letztlich nicht so – Sissy Theurer gewann in Moskau die Goldmedaille im Dressurreiten. 52 Senn, Power, xiii. 53 TbSt, StBKA, Ordner : 7. Jänner 1980–14. März 1980, hier 21. Jänner 1980. 54 Zur Außenpolitik Österreichs zwischen 1970–1983 siehe ausführlich Michael Gehler, Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik. Von der alliierten Besatzung bis zum Europa des 21. Jahrhunderts, Bd. 1, Innsbruck–Wien–Bozen 2005, 447–498; Elisabeth Röhrlich, Kreiskys Außenpolitik. Zwischen österreichischer Identität und internationalem Programm (= Zeitgeschichte im Kontext 2), Göttingen 2009, 270–342.

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andererseits. Die Profilierung der immerwährenden Neutralität Österreichs war für Kreisky die Voraussetzung für Sicherheit und politische Unabhängigkeit im globalen Kontext.55 Dies sollte durch Pflege der Beziehungen zu allen Staaten, durch Forcierung der Entspannungspolitik und der europäischen Integration sowie durch wirkungsvolle Außenwirtschafts- und Außenkulturpolitik erreicht werden.56 Seit dem 1. Oktober 1976 bekleidete der parteilose Jurist Willibald Pahr das Amt des Außenministers der Republik Österreich, doch Kreiskys starke außenpolitische Präsenz hatte zur Folge, dass Pahr bald als »Schatten-Minister« wahrgenommen wurde.57 Der Außenminister äußerte sich öffentlich nur selten zum Boykottthema. Im Gegensatz zum Iran-Boykott58 – der von Seiten der Regierung mit dem Hinweis auf Österreichs immerwährende Neutralität abgelehnt wurde –, erachtete Pahr die Diskussion über eine Olympiateilnahme als keine politische, sondern eine nach sportlichen Gesichtspunkten zu entscheidende Frage.59 Obwohl Kreisky der Administration Carter anfangs große Sympathien entgegenbrachte, war die Haltung Österreichs in bedeutenden Fragen durchaus unterschiedlich zur Position der USA60 – hierzu zählten die Nahostpolitik und ab dem Jahr 1980 der Iran- und Olympiaboykott. Im Februar 1980 bezeichnete Kreisky die Olympia-Absagedrohung der Vereinigten Staaten als »übereilt und nicht durchdacht«, wie Staribacher in seinem Tagebuch festhielt.61 Grundsätzlich herrschte zwischen der Regierungspartei SPÖ und den Oppositionsparteien ÖVP und FPÖ Konsens bei den außenpolitischen Themen Neutralität, Entspannung und dem Ausbau Österreichs als Standort internationaler Organisationen und Begegnungen,62 dennoch kam Kritik von Seiten der Opposition, die österreichische Außenpolitik würde die Nachbarschaftspolitik vernachlässigen und sich zu sehr mit weltpolitischen Ereignissen beschäftigen.63 55 Gehler, Außenpolitik, Bd. 1, 367; Röhrlich, Außenpolitik, 275. 56 Vgl. Außenpolitischer Teil der Regierungserklärung vom 19. Juni 1979, in: Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik 19 (1979) 2, hg. v. Österreichische Gesellschaft für Außenpolitik und Internationale Beziehungen, Wien 1979, 132–134. 57 Gehler, Außenpolitik, Bd. 1, 378–379. 58 Der »Iran-Boykott« der USA war eine Reaktion auf die Geiselnahme von 52 US-DiplomatInnen in der amerikanischen Botschaft in Teheran, die u. a. eine Einstellung der Handelsbeziehungen mit dem Iran zur Folge hatte. 59 Vgl. Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik 20 (1980) 2, 128. 60 Siehe dazu ausführlich Oliver Rathkolb, Bruno Kreisky : Perspectives of Top-Level U.S. Foreign Policy Decision Makers, 1959–1983, in: Günter Bischof/Anton Pelinka/Oliver Rathkolb (Hg.), The Kreisky Era in Austria (= Contemporary Austrian Studies II), New Jersey 1994, 165–186. 61 TbSt, StBKA, Ordner : 7. Jänner 1980–14. März 1980, hier 18. Februar 1980. 62 Gehler, Außenpolitik, Bd. 1, 492. 63 Ebd., 385.

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Im Unterschied zur global ausgerichteten Außenpolitik der SPÖ, stand für die ÖVP der europäische Raum im Mittelpunkt des Interesses.64 Vor allem die Nahostpolitik Kreiskys löste immer wieder harte Konfrontationen zwischen den politischen Parteien aus.65 Die sich im Verlauf der Debatte herauskristallisierenden unterschiedlichen Auffassungen über die Olympiateilnahme österreichischer AthletInnen wurden mit gleicher Vehemenz an die Öffentlichkeit getragen. Die ÖVP konstatierte im Pro-Olympia der SPÖ eine anti-amerikanische Haltung der Sozialisten, was zu Zeiten der Lagerpolitik keine leichtgewichtige Keule war. Die Oppositionsparteien verlangten unmittelbar nach dem Boykottaufruf des US-Präsidenten eine Behandlung dieses Ereignisses im Rahmen des Rates für Auswärtige Angelegenheiten.66 Norbert Steger, designierter Bundesparteiobmann der FPÖ, forderte am 1. Februar 1980 via dem Freiheitlichen Pressedienst Kreisky auf, den Rat einzuberufen, um vor einer Entscheidung über die Teilnahme Österreichs an den Olympischen Spielen die Boykottthematik auch auf politischer Ebene zu diskutieren.67 ÖVP-Bundesparteiobmann Alois Mock kritisierte nach der Sitzung des Außenpolitischen Rates am 28. März 1980 in einer Aussendung des ÖVP-Pressedienstes das Diskussionsverhalten der SPÖ in der Frage des Olympiaboykotts. Er verlangte ebenso, dass sich der Außenpolitische Rat zu dieser Thematik äußern solle.68 Österreichs zögerliche Positionierung in der Olympiaboykottfrage forderte mit Fortdauer der Diskussion die Diplomatie, als sich ein »Drohszenario« für Österreichs Wirtschaft abzeichnete. Im Mai empfing der österreichische Botschafter in Washington, Karl Herbert Schober, ein ungewöhnliches Schreiben. Richard A. Viguerie,69 ein US-Marketingexperte, drückte in seinem Brief die Enttäuschung der »Amerikaner« über die sich abzeichnende Ablehnung des Boykotts aus und äußerte gleichzeitig eine Drohung: 64 Ebd., 491. 65 Gerald Stifter, Die ÖVP in der Ära Kreisky 1970–1983, Innsbruck–Wien–Bozen 2006, 260. 66 Vgl. Bundesgesetzblatt der Republik Österreich, Erlassung der Geschäftsordnung des Rates für Auswärtige Angelegenheiten, 14. Oktober 1976. Online unter : http://www.ris.bka.gv.at/ Dokumente/BgblPdf/1976_575_0/1976_575_0.pdf (Zuletzt abgerufen am 23. Oktober 2015). Der Rat für Auswärtige Angelegenheiten wurde 1976 zum Zwecke der Transparenz der österreichischen Außenpolitik geschaffen. Der aus allen Parlamentsparteien zusammengesetzte Rat war beratendes Organ, das aber de facto nur wenig Einfluss hatte. 67 Freiheitlicher Pressedienst, 1. Februar 1980. 68 ÖVP-Pressedienst, 28. März 1980. 69 Richard A. Viguerie machte sich in den 1960er- und 1970er-Jahren in den Vereinigten Staaten einen Namen als Marketingspezialist, der mittels »direct mail advertising« politische Themen verbreitete und somit die moderne konservative Bewegung in den USA unterstützte. Vgl. http://www.politico.com/arena/bio/richard_a_viguerie.html (Zuletzt abgerufen am 23. Oktober 2015).

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»Americans are upset that Austria won’t stand with us by boycotting the Moscow Games. They’re upset to the point that many Americans have signed a petition pledging to boycott the products of your country until Austria announces that it won’t attend the Moscow Olympics. […] I recommend you take Americans seriously, Mr. Ambassador, on this matter. We are taking a close look at Austria and other countries who refuse to boycott the Moscow Olympics.«70

Einem zweiten Schreiben vom 4. Juni 1980 legte Viguerie eine Petition bei, die von über 6.000 AmerikanerInnen unterzeichnet wurde, die, im Falle eines Antretens österreichischer AthletInnen bei den Spielen in Moskau, in Österreich hergestellte Produkte boykottieren würden. Weiters gab Viguerie bekannt, er habe zahlreiche Personen und Medien (unter anderem Tages- und Wochenzeitungen, Minister und Priester) durch »direct mailing« aufgefordert, den »economic boycott« zu unterstützen.71 Schober leitete die Briefe an Kreisky weiter, der auf den Papieren vermerken ließ, in dieser Sache mit dem US-amerikanischen Botschafter in Wien sprechen zu wollen. Ob dies geschah und welches Ergebnis diese Unterredung brachte, konnte im Rahmen dieser Studie nicht eruiert werden. Die Drohung Vigueries dürften allerdings keinen Einfluss auf die österreichisch-amerikanischen diplomatischen Beziehungen bzw. auf die Boykottdiskussion in Österreich gehabt haben. Im Olympiajahr war Gerald Hinteregger österreichischer Botschafter in Moskau (1978–1981). Auch er spielte eine zentrale Rolle im Meinungsbildungsprozess, wie seiner Korrespondenz mit dem Ballhausplatz zu entnehmen ist. Einerseits informierte er das Außenministerium über die Vorgänge in Moskau im Vorfeld der Spiele, andererseits bat er um Weisung aus Wien, wie sich das diplomatische Corps bei offiziellen gesellschaftlichen Terminen im Rahmen der olympischen Feierlichkeiten verhalten solle.72

IV.4

Ökonomische Interessen

In seinen im Jahr 2008 veröffentlichten Erinnerungen hält Gerald Hinteregger fest, dass die Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen von Österreich mit der Sowjetunion zu diesem Zeitpunkt dringend notwendig war. Bei seinem Amtsantritt klassifizierte er diese als »wenig erfreulich«. Der Warenaustausch be70 Schreiben von Richard A. Viguerie an Botschafter Carl [sic!] Herbert Schober, 16. Mai 1980, StBKA, VII.1. UdSSR, Box 5, Sommerolympiade. 71 Ebd. 72 Botschaft Moskau an Außenamt Wien, 30. Mai 1980, StBKA, VII.1. UdSSR, Box 5, Sommerolympiade.

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schränkte sich auf Produkte aus dem Bereich der traditionellen Güter, die »wirklich interessanten großen Aufträge« hätten jedoch gefehlt.73 Hinsichtlich der Frage, ob die Entscheidung zur Olympiateilnahme durch wirtschaftliche Interessen motiviert war, ist ein Blick auf die österreichische Wirtschaftslage in den späten 1970er-Jahren74 unerlässlich: Vor dem Hintergrund des ersten (1973/74) und des zweiten Ölpreisschocks (1979) und der damit einhergehenden internationalen Rezession der Wirtschaft sowie durch nationale ökonomische Schwierigkeiten, wie etwa im Bereich der Verstaatlichten Industrie, sind die späten 1970er-Jahre in der Tat als Krisenzeit der österreichischen Wirtschaft zu sehen.75 Staribacher strich in seinem Tagebuch im Zusammenhang mit der Diskussion um den Boykott der Olympischen Spiele in Moskau oftmals die Bedeutung der Handelsbeziehungen mit der Sowjetunion für die österreichische Wirtschaft heraus. In seiner Amtszeit als Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie zwischen 1970 und 1983 besuchte er die Sowjetunion nicht weniger als 17 Mal, unternahm jedoch keine einzige dienstliche Reise in die Vereinigten Staaten.76 Er vermerkte in Bezug auf die von Kreisky kommunizierte Regierungslinie zur Boykottfrage, die eine Teilnahme präferierte, in seinem Tagebuch: »Dass ich aus aussenhandelspolitischen Gründen und meiner guten Kontakte wegen zu den Oststaaten für diese Politik war, bruachte [sic!] ich gar nicht erst besonders zu unterstreichen.«77 Bei der Lektüre des Tagebuches wird zweifellos klar, dass der Handelsminister eine Entscheidung pro Boykott als Gefährdung der sowjetisch-österreichischen Beziehungen einschätzte. Für Österreich war der »Osthandel«78, der Warenaustausch mit jenen sozia73 Gerald Hinteregger, Im Auftrag Österreichs. Gelebte Außenpolitik von Kreisky bis Mock, Wien 2008, 233–234. 74 Zur österreichischen Wirtschaftspolitik – mit Einschätzungen und Analysen basierend auf der Auswertung von Akten aus dem Bruno Kreisky Archiv sowie des Tagebuches von Handelsminister Josef Staribacher – siehe ausführlich Mesner/Venus/Gazzari, Wirtschaftspolitik. 75 Ewald Nowotny, Die Wirtschaftspolitik in Österreich seit 1970, in: Erich Fröschl/Helge Zoitl (Hg.), Der österreichische Weg 1970–1985. Fünfzehn Jahre, die Österreich verändert haben, Wien 1986, 38–41; Kriechbaumer, Ära Kreisky, 225. 76 Wolfgang Mueller, A Good Example of Peaceful Coexistence? The Soviet Union, Austria and Neutrality 1955–1991 (= Zentraleuropa-Studien 15), Wien 2011, 211. 77 TbSt, StBKA, Ordner : 7. Jänner 1980–14. März 1980, 18. Februar 1980. 78 Zur Geschichte des österreichischen Osthandels siehe beispielsweise Getrude EnderleBurcel/Dieter Stiefel/Alice Teichova (Hg.), »Zarte Bande«. Österreich und die europäischen planwirtschaftlichen Länder (= Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Sonderband 9), Wien 2006, Getrude Enderle-Burcel/Piotr Franaszek/Dieter Stiefel/Alice Teichova (Hg.), Gaps in the Iron Curtain. Economic relations between neutral and socialist countries in Cold War Europe, Krakau 2009 sowie Andreas Resch, Der österreichische Osthandel im Spannungsfeld der Blöcke, in: Manfried Rauchensteiner (Hg.), Zwischen den Blöcken. NATO, Warschauer Pakt und Österreich, Wien 2010, 497–556.

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listischen bzw. planwirtschaftlich geführten Staaten, die sich im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) zusammengeschlossen hatten, insbesondere die Handelsbeziehungen mit der Sowjetunion, in Hinblick auf die Energie- und Rohstoffversorgung des Landes von zentraler Bedeutung.79 Die Intensivierung der Handelskontakte mit den Ostblockstaaten basierte unter anderem auf einer Ausweitung der Unternehmenskooperationen ab Beginn der 1970er-Jahre – hier insbesondere mit den Unternehmen der Verstaatlichten Industrie ÖMV, VÖEST, Chemie Linz –, die Österreich zu einem Knotenpunkt für die Versorgung Zentraleuropas mit sowjetischem Gas und Öl machten.80 1975 konnte, begünstigt durch die D8tente im Kalten Krieg und handelspolitische Liberalisierungsschritte, mit 17 Prozent ein Rekordanteil am österreichischen Gesamtexport verzeichnet werden. Der Osthandel bilanzierte bis Ende der 1970er-Jahre aktiv.81 Nicht so der bilaterale Handel mit der Sowjetunion, der aufgrund der ständig steigenden Energieimporte bereits seit 1971 stets passiv war. Das bilaterale Handelsvolumen stieg kontinuierlich, das österreichische Defizit nach den Preissteigerungen für Energie insbesondere Ende der 1970er-Jahre rasant. Von 1979 auf 1980 verdoppelte es sich auf über sieben Milliarden Schilling. Dem trachtete die österreichische Politik entgegenzuwirken.82 Bereits im November 1979 machte Botschafter Hinteregger in einer Nachricht an das Bundeskanzleramt darauf aufmerksam, dass das Jahr 1980 für die österreichisch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen in den folgenden fünf Jahren von »ausschlaggebender Bedeutung« sein werde, da in jenem Jahr die Erstellung des kommenden Fünfjahresplanes (1981–1985) erfolgen würde.83 Im März 1980 fanden in Moskau Expertengespräche zum Thema »Stromaustausch zwischen Österreich und der UdSSR« statt, über die Walter Fremuth, Generaldirektor der Verbundgesellschaft,84 dem Bundeskanzler berichtete. Hauptthema war ein Kooperationsprojekt, das neue Aufträge für die österreichischen Industriekonzerne zur Folge haben sollte.85 Zeitgleich waren Verhandlungen über ein Kreditabkommen mit der Sowjetunion im Gange. Hinter79 Andreas Resch, Die Aussenhandelsbeziehungen zwischen dem RGW-Raum und Österreich in der Nachkriegszeit – dargestellt im Spiegel der österreichischen Aussenhandelsstatistik, in: Enderle-Burcel/Stiefel/Teichova (Hg.), »Zarte Bande«, 39–72, 52. 80 Andrea Komlosy, Österreichs Brückenfunktion und die Durchlässigkeit des »Eisernen Vorhangs«, in: Burcel/Stiefel/Teichova (Hg.), »Zarte Bande«, 73–105, 87–88. 81 Komlosy, Brückenfunktion, 73–105, 91 und 96; Andreas Resch, Der österreichische Osthandel im Spannungsfeld der Blöcke, in: Manfried Rauchensteiner (Hg.), Zwischen den Blöcken. NATO, Warschauer Pakt und Österreich, Wien 2010, 497–556, 554–555. 82 Mueller, A Good Example, 235–244. 83 Informationsschreiben der österreichischen Botschaft in Moskau an das österreichische Bundeskanzleramt über Vorschläge zur Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen mit der Sowjetunion, 23. November 1979, StBKA, VII.1. UdSSR, Box 5, Außenhandel. 84 Elektrizitätskonzern in Bundesbesitz. 85 Walter Fremuth an Bruno Kreisky, 31. März 1980, StBKA, VII.1. UdSSR, Box 5, Außenhandel.

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egger informierte Kreisky über die Bereitschaft der Sowjetunion, Österreich »bei der Vergabe von Großaufträgen auf dem Gebiet der Industrieanlagen bevorzugt zu berücksichtigen, vorausgesetzt, daß das Kreditabkommen zustande kommt«.86 Hintergrund der Gespräche war unter anderem, dass Kanada und Großbritannien als Reaktion auf die Afghanistan-Invasion ausgelaufene Kreditabkommen mit der Sowjetunion nicht mehr erneuern wollten.87 Auch Staatssekretär Adolf Nußbaumer nahm im Vorfeld der Olympischen Spiele an Wirtschaftsgesprächen in Moskau teil. Er bezeichnete diese in einer Information an Bundeskanzler Kreisky als aussichtsreich, »wobei der VÖEST bei den meisten Projekten eine Schlüsselrolle zukommen wird«.88 Nußbaumer fügte dem Schreiben eine Anmerkung hinzu: »Politische Themen wurden in den Gesprächen nicht berührt, aber alle sowjetischen Partner haben sich sehr abfällig und sarkastisch über die Politik der USA […] geäußert.«89 Eine zentrale Bedeutung für die Handelsbeziehungen mit der UdSSR hatte die Gemischte sowjetisch-österreichische Kommission,90 die zweimal jährlich tagte. Im Jahr 1980 fanden die von Handelsminister Staribacher vorbereiteten Verhandlungen am 20. Mai in Moskau statt. Ziel der Gespräche aus österreichischer Sicht sollte die Erstellung eines neuen langfristigen Programms zur Entwicklung und Vertiefung der wirtschaftlichen, wissenschaftlich-technischen und industriellen Zusammenarbeit zwischen Österreich und der UdSSR bis zum Jahr 1990 sein.91 Die ersten Anzeichen der Krise der Verstaatlichten Industrie92 erkennend, sollte auch die österreichische Beteiligung an sowjetischen Großpro-

86 Gerald Hinteregger an Bruno Kreisky, 3. März 1980, StBKA, VII.1. UdSSR, Box 5, Außenhandel. 87 Ebd. 88 Information für den Herrn Bundeskanzler, 30. April 1980, StBKA, VI.1. Wirtschaft, Finanzen, Betriebe, Bauten, Verkehr, Landwirtschaft, Box 48, Korrespondenz: Sts Nußbaumer 1979–82. 89 Ebd. 90 Die Gemischten Kommissionen dienten/dienen zur Aufrechterhaltung der bestehenden Außenhandelsbeziehungen und arbeiten eng mit der Bundeswirtschaftskammer und den diplomatischen Vertretungen zusammen. 91 Brief von Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie an Kabinett des Bundeskanzlers, 20. März 1980, StBKA, VII.1. UdSSR, Box 5, Außenhandel. 92 Die Folgen des ersten Ölpreisschocks offenbarten gravierende Strukturprobleme in den Unternehmen der Verstaatlichten Industrie (VI), diese wurden allerdings mit Hinblick auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen keinen Umstrukturierungsmaßnahmen unterzogen. Ab dem Jahr 1980 schlug die »hausgemachte« Krise der VI voll ein. Vgl. Robert Stöger, Die verstaatlichte Industrie in der Zweiten Republik, in: Hannes Androsch/Anton Pelinka/ Manfred Zollinger (Hg.), Karl Waldbrunner. Pragmatischer Visionär für das neue Österreich, Wien 2006, 237–258, 245–249.

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jekten im Bereich der Automobilindustrie und des Anlagenbaus diskutiert werden.93 Die Erkenntnisse über den Inhalt der Handelsgespräche, die knapp vor den Olympischen Spielen geführt wurden, deuten darauf hin, dass diese für die österreichische Wirtschaft, vor allem im Bereich der Verstaatlichten Industrie, eine hohe Relevanz hatten. Die Befürchtungen, die Handelsminister Staribacher und Wirtschaftskammerpräsident Sallinger bezüglich der bilateralen Beziehungen mit der Sowjetunion im Falle einer österreichischen Entscheidung zur Boykottierung der Spiele äußerten, lassen vermuten, dass in den Wirtschaftskreisen die Hoffnung bestand, die Sowjetunion würde eine Teilnahme wohlwollend zur Kenntnis nehmen und fortan gemeinsamen Projekten positiver begegnen. Ein Indiz für diese Wechselwirkung ist ein Brief des sowjetischen Außenministers Andrej Gromyko an Bundeskanzler Kreisky, in dem dieser die österreichische Entscheidung zur Teilnahmen an den Spielen in Moskau lobte.94

V.

Die Boykottdiskussion auf politischer Ebene

Bereits wenige Tage nach der sowjetischen Militärintervention berieten die Gremien internationaler und supranationaler Organisationen über uni- und multilaterale Sanktionsmaßnahmen gegen die UdSSR. In einer Sondersitzung des NATO-Rats am 1. Jänner 1980 in London diskutierten die Delegierten die möglichen Auswirkungen der Afghanistan-Invasion für die Ost-West-Beziehungen sowie den weiteren Verlauf des Entspannungsprozesses eingehend. Sie befassten sich dabei auch mit den Olympischen Spielen in Moskau, ein Boykott als mögliche Protestaktion wurde erwogen.95 Auch im Europäischen Parlament, in dem Österreich nicht vertreten war, wurde ein Boykott der Spiele in Moskau zu Jahresbeginn verhandelt.96 Im Februar 1980 brachten die Europäische Volkspartei, die Europäischen Demokraten und die Liberale Fraktion im Europäischen Parlament einen Entschließungsantrag ein, wonach die nationalen Regierungen der EG-Staaten die NOKs zur Boykottierung der Spiele als Ausdruck der Ablehnung der sowjeti93 Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie an Kabinett des Bundeskanzlers, 20. März 1980, StBKA, VII.1. UdSSR, Box 5, Außenhandel. 94 Vgl. Mueller, A Good Example, 250. 95 Vgl. Bericht Botschafter Rolf Friedemann Pauls an das Auswärtige Amt, 1. Januar 1980, in: Akten zur auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland (AAPD), 1. Januar bis 30. Juni 1980, Bd.1, hg. im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin (Horst Möller/Klaus Hildebrand/Gregor Schöllgen), München 2011, 4–15; Pfeiffer, Sport, 323. 96 Vgl. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Nr. C 34 (11. Februar 1980), Protokoll der Sitzung vom 16. Januar 1980, 29.

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schen Aggression aufrufen sollten. Dieser fand jedoch keine Unterstützung, nachdem große Teile der sozialistischen und kommunistischen Fraktionen die Zustimmung verweigert hatten.97 Am 20. März 1980 berieten die für die Sportfragen zuständigen Minister der Mitgliedsstaaten des Europarates, dem Österreich seit 1956 angehörte, in Straßburg über die Möglichkeit, seitens der nationalen Regierungen eine Boykottempfehlung an die NOKs auszusprechen. Doch auch in diesem Gremium konnte kein gemeinsamer Standpunkt erarbeitet werden. Die Minister, unter ihnen Fred Sinowatz,98 sprachen sich mit 18 zu 3 Stimmen dagegen aus, zu diesem Zeitpunkt einen Boykott der Olympischen Spiele in Moskau zu empfehlen.99 Auch die Nationalen Olympischen Komitees versuchten, eine gemeinsame Haltung zu formulieren: Bei einer Tagung am 3. Mai 1980 in Rom sprachen sich 18 westeuropäische NOKs, die bis dahin keine Entscheidung getroffen hatten, für eine »Entpolitisierung« der Spiele und gegen einen von staatlicher Seite oktroyierten Boykott aus. Stattdessen wurde beschlossen, bei einem etwaigen Antreten Protestaktionen, wie etwa den Verzicht auf das Führen von Nationalflaggen, vor Ort durchzuführen.100 Bundeskanzler Kreisky gehörte ohne Zweifel zu den Meinungsmachern in der Frage eines Olympiaboykotts und beeinflusste durch seine Aussagen in den Medien auch die öffentliche Debatte. Nach außen vertrat er die Meinung, es handle sich um eine sportliche Entscheidung, die vom ÖOC zu treffen sei. Intern nahm er allerdings den Standpunkt ein, dass ein österreichischer Boykott ungünstig wäre,101 wie folgendes Zitat belegt: »Wenn ich jetzt einen Boykott beschließe, wird mir zweimal auf die Schulter geklopft. Aber dann habe ich fünf Jahre Scherereien und muß das bei Reisen in Moskau erklären.«102 Kreisky vertrat die »österreichische Sichtweise« auch auf der internationalen politischen Bühne. Bei einem Treffen mit dem Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Helmut Schmidt, am 6. Mai 1980 in Bonn sprach sich Kreisky gegen einen Olympiaboykott aus und bezeichnete diesen als »echte

97 98 99 100

AAPD, 1. Januar bis 30. Juni 1980, Bd.1, 329 (FN 13); Pfeiffer, Sport, 327. TbSt, StBKA, Ordner : 7. Jänner 1980–14. März 1980, hier 29. Jänner 1980. AAPD, 1. Januar bis 30. Juni 1980, Bd.1, 195 (FN 14), Franck, Boykott, 84. AAPD, 1. Januar bis 30. Juni 1980, Bd. 1, 710 (FN 22), in Berufung auf: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. Mai 1980, 4. 101 TbSt, StBKA, Ordner : 7. Jänner 1980–14. März 1980, hier 18. Februar 1980. 102 Vgl. Kleine Zeitung, 9. Mai 1980. Zitiert nach: Andreas Unterberger, Die drei großen Mythen. Österreichische Außenpolitik 1970 bis 1980, in: Alois Mock (Hg.), Durchbruch in die Moderne. Von der industriellen zur nachindustriellen Gesellschaft, Graz–Wien–Köln 1981, 160.

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Kränkung der Sowjetunion, die Österreich nicht wolle«.103 Zu diesem Zeitpunkt hatte Schmidt bereits im Namen der Bundesregierung dem NOK der BRD auf Grundlage einer Parlamentsabstimmung empfohlen, keine Mannschaft nach Moskau zu entsenden.104 Die Entscheidung des ÖOC stand noch aus. Interessanterweise berichtete die bundesdeutsche Botschaft in Wien am 14. Mai nach der Rückkehr Kreiskys an das Auswärtige Amt (hier im Zusammenhang mit seinen Ausführungen vor der Handelskammer in Düsseldorf): »Sowenig er wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Iran nennenswerte Wirkung zubillige, wolle Österreich beim Boykott der Olympischen Spiele auf amerikanische Aufforderung mitmachen. Auf die möglicherweise nachdrückliche Wirkung eines solchen Boykotts auf die SU wurde Kreisky erst bei der Handelskammer in Düsseldorf unter Beifall hingewiesen, nachdem manche seiner weltpolitischen, teils summarischen Bemerkungen oft zwar mit Geraune, aber ohne Gegenargumentation notiert worden waren.«105

V.1

Parteiinterne Diskussionen

Im März 1980 wandte sich Kreisky mit einer »Anfrage zur Prüfung der Möglichkeiten einer rechtlichen Einflussnahme seitens des Bundes auf die österreichische Teilnahme an den Olympischen Spielen in Moskau« an den Verfassungsdienst der Republik Österreich. Am 26. März erhielt das Kabinett des Bundeskanzlers diesbezüglich eine dreiseitige Stellungnahme. Der Verfassungsdienst unterstrich in seinen Ausführungen, dass das ÖOC aufgrund seines Vereinsstatus eine verfassungsgesetzlich gewährleistete Vereinsfreiheit genieße. Den Vereinsbehörden sei es also nicht möglich, den Inhalt der Vereinsbeschlüsse zu beeinflussen. Weiters sei der Bund durch das Bundes-Sportförderungsgesetz gesetzlich zur Förderung Olympischer Spiele verpflichtet. Außerdem wäre die 103 Vgl. Gespräch zwischen Helmut Schmidt und Bruno Kreisky, in: AAPD, 1. Januar bis 30. Juni 1980, Bd.1, 706–771, 710. 104 In der BRD spielte die Boykottthematik aufgrund der »Westbindung« eine zentrale Rolle für die außenpolitischen und diplomatischen Handlungen. Die von allen Parlamentsparteien (CDU/CSU, FDP und SPD) geführte innenpolitische Diskussion war von einiger Brisanz. Es kam zwar nicht zu einem gemeinsamen Entschließungsantrag, jedoch zu einer Abstimmung unter den Parlamentsabgeordneten, die mit großer Mehrheit (446 zu 8 Stimmen bei 9 Enthaltungen) eine Boykottempfehlung des Bundestages an das bundesdeutsche NOK unterstützte. Am 15. Mai 1980 beschlossen die Mitglieder des NOK der BRD mittels einer Abstimmung mit einem Ergebnis von 59 zu 40 Stimmen, keine Mannschaft nach Moskau zu entsenden. Der Abstimmung war eine lange Diskussion vorangegangen, die vom Fernsehen übertragen wurde. Vgl. Pfeiffer, Sport, 344–387. 105 Botschafter Podewils an Auswärtiges Amt, Wien, 14. Mai 1980, Bundesarchiv Koblenz, B 136/17313. Hinweis von Maximilian Graf.

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Verhängung eines Ausreiseverbots österreichischer Staatsbürger rechtlich völlig ausgeschlossen.106 Die rechtlichen Grenzen markierten das Fundament der »offiziellen« Haltung der österreichischen Bundesregierung. In der Folge wurden Regierungsmitglieder nicht müde zu betonen, dass aus rechtlichen Gründen keine politische Einflussnahme auf die Entscheidung pro oder kontra Olympiateilnahme möglich sei. Innerhalb der SPÖ wurde über einen Boykott jedoch eifrig diskutiert, und zwar meist im Rahmen interner Beratungen beziehungsweise in den Vorbesprechungen zu den Ministerratssitzungen, wie Staribacher in seinem Tagebuch festhielt. Am 28. Februar 1980 fand eine Sitzung des SPÖ-Bundesparteivorstandes in Wien statt, bei der die Frage der Teilnahme österreichischer AthletInnen in Moskau als zentrales außenpolitisches Thema behandelt wurde. Der Parteivorstand »billigte den Standpunkt der Regierung, darüber keinen Beschluss zu fassen«.107 In einem Pressegespräch nach der Sitzung unterstrichen die Zentralsekretäre der SPÖ, Fritz Marsch und Karl Blecha, die neutrale Haltung der österreichischen Bundesregierung in dieser Frage. Völlig neutral blieb Blecha allerdings nicht – er sprach sich vor den Medienvertretern für die Teilnahme Österreichs aus, da das ÖOC bei der Wahl im Jahr 1974 für Moskau als Austragungsort gestimmt hatte.108 Hierzu muss jedoch angemerkt werden, dass nicht das ÖOC für Moskau stimmte, sondern Rudolf Nemetschke als österreichisches IOC-Mitglied. Die ÖVP hingegen suchte das Gespräch mit den SportlerInnen und Sportfunktionären. Alois Mock lud für den 18. April 1980 zu einem Hearing ein, zu dem auch Vertreter von Sportverbänden und SportlerInnen gebeten waren. Ziel der Sitzung war die Erarbeitung eines gemeinsamen ÖVP-Standpunktes, der alle Aspekte und möglichen Konsequenzen berücksichtigen sowie vor der Entscheidung des ÖOC veröffentlicht werden sollte.109 An der Spitze formulierten Mock und Sportsprecher Höchtl gravierende Bedenken gegenüber der österreichischen Teilnahme an den Spielen in Moskau. Auch Andreas Khol, Direktor der Politischen Akademie der ÖVP und Exekutivdirektor der Europäischen Demokratischen Union (EDU), plädierte für einen Boykott. Er ging sogar einen Schritt weiter als seine Parteikollegen, indem er den SportlerInnen empfahl, 106 Information für den Herrn Bundeskanzler, 26. März 1980, StBKA, VII.1. UdSSR, Box 5, Sommerolympiade. Anmerkung zur finanziellen Förderung seitens des Bundes: Für das Jahr 1980 war seitens des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst eine finanzielle Förderung in Höhe von 1,5 Millionen Schilling für Zwecke der Olympischen Spiele vorgesehen. Vgl. ebd. 107 Sozialistische Korrespondenz, 29. Februar 1980. 108 Ebd. 109 ÖVP-Pressedienst, 18. April 1980.

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aufgrund der politischen Situation auf eine Teilnahme zu verzichten – und zwar mit einer weit drastischeren Begründung: »Olympische Spiele in der Sowjetunion heisst, zu den dort herrschenden Zuständen, zur Intervention in Afghanistan sowie zu den fortwährenden Menschenrechtsverletzungen zu schweigen.«110 Als einziger im ÖVP-Lager bezog Bundeswirtschaftskammerpräsident und Nationalratsabgeordneter Rudolf Sallinger eine Pro-Olympia-Position. Wie Staribacher an einigen Stellen in seinem Tagebuch vermerkte, stand Sallinger wegen der nicht abschätzbaren Konsequenzen für die österreichisch-sowjetischen Handelsbeziehungen einer österreichischen Protestaktion kritisch gegenüber. Öffentlich kommunizierte der ÖVP-Politiker diese Meinung jedoch nicht.111 Knapp vier Wochen vor der ÖOC-Vollversammlung machte Staribacher, der mit Sallinger beruflich stets in engem Kontakt stand, folgenden Tagebucheintrag: »Sallinger wollte wissen, wie ich persönlich und das Handelsministerium zu einer Olympa-Sport-Blockade [sic!] stehe. Da er genau weiß, daß die Wirtschaft alles andere als eine solche Blockade wünscht und erwartet und ich ihm dies klar und deutlich sagte, hat er diese Frage meiner Meinung nach nur deshalb gestellt, damit er als Mitglied des Österreichischen Olympischen Kommitees [sic!] als Wirtschaftsvertreter sich für eine Teilnahme aussprechen kann.«112

V.2

Die Diskussion im Nationalrat

Den Stenographischen Protokollen des Nationalrates aus dem Jahr 1980 ist zu entnehmen, dass der US-Boykottaufruf im Plenum nur zwei Mal zum Thema wurde – in der Sitzung vom 6. März 1980 (mehr als zwei Monate vor der Entscheidung des ÖOC) und am 1. Juli 1980 (einige Wochen vor der Eröffnung der Olympischen Spiele in Moskau). Die erste Wortmeldung zum Olympiaboykottaufruf in einer Sitzung des Nationalrates erfolgte durch die SPÖ-Nationalratsabgeordnete Jolanda Offenbeck. Sie vertrat die offizielle SPÖ-Haltung, wonach die Regierung nicht die Kompetenz hätte, Sportlern vorzuschreiben, an den Olympischen Spielen teilzunehmen oder nicht. Diese Aussage provozierte heftige Zwischenrufe von Oppositionspolitikern, die richtungsweisende Äußerungen der Regierung einforderten.113

110 111 112 113

Ebd. Vgl. u. a. TbSt, StBKA, Ordner : 17. März 1980–31. Mai 1980, hier 20.–26. Mai 1980. TbSt, StBKA, Ordner : 17. März 1980–31. Mai 1980, hier 18. April 1980. Stenographisches Protokoll, 27. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich, 6. März

Die österreichische Haltung zum Boykott der Olympischen Sommerspiele

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Erst in der Nationalratssitzung vom 1. Juli 1980, als die Teilnahmeentscheidung bereits getroffen und die Reisevorbereitungen der AthletInnen und Sportfunktionäre voll im Gange waren, sprach FPÖ-Bundesparteiobmann Steger das Boykottthema erstmals an. Er kritisierte die Bundesregierung, keine offizielle Meinung zur Boykottfrage geäußert zu haben, da dieses Thema auch einen außenpolitischen Aspekt beinhalte. Im Folgenden wandte er sich an seinen Nachredner Außenminister Pahr mit den Worten: »Sie [werden] mir Recht geben, Herr Bundesminister, daß gerade diese Systeme Sport und Politik noch nie getrennt, sondern noch immer ihre Erfolge im Sport auch als Zeichen der Überlegenheit ihres Gesellschaftssystems als ganzes gewertet haben.«114 Doch der Außenminister sah keine Notwendigkeit, auf die Kritik einzugehen – war doch bereits im Mai durch das ÖOC der Teilnahmebeschluss gefällt worden. In den Sitzungen des Nationalrates entwickelte sich keine Diskussion zur Frage des Olympiaboykotts, da die Thematik von den NachrednerInnen nie aufgegriffen wurde.

V.3

Die Diskussion im Rat für Auswärtige Angelegenheiten

Für die Opposition bot das Gremium den optimalen Rahmen für eine parteiübergreifende Beratung zur Frage des Olympiaboykotts, die auch nachdrücklich von Vertretern der ÖVP und FPÖ gefordert wurde. Mock verlangte am 11. Februar 1980 in einem Schreiben an Kreisky, für die kommende Sitzung einen Tagesordnungspunkt zur Beratung der Teilnahme Österreichs an den Olympischen Spielen aufzunehmen, um eine gemeinsame Haltung der drei im Parlament vertretenen Parteien zu erarbeiten.115 Am 28. März 1980 trat der Außenpolitische Rat im Bundeskanzleramt zur 14. Sitzung zusammen, in der als Tagesordnungspunkt 3 die Boykottthematik diskutiert wurde. Wie dem Kurzprotokoll zu entnehmen ist, entwickelte sich ein kontroverses Gespräch, bei dem sich Mitglieder aller Parteien zu Wort meldeten. Kreisky schickte voraus, dass Österreich es sich »nicht leisten [könne] an derartigen Solidaritätsaktionen teilzunehmen […]. Schließlich sei darauf zu ver-

1980, 2641. Online unter : http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XV/NRSITZ/NRSITZ_ 00027/imfname_146783.pdf (Zuletzt abgerufen am 23. Oktober 2015). 114 Stenographisches Protokoll, 41. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich, 1. Juli 1980, 3959 und 3960. Online unter : http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XV/NRSITZ/ NRSITZ_00041/imfname_109903.pdf (Zuletzt abgerufen am 23. Oktober 2015) sowie in: Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik 20 (1980), 223. 115 Unterlagen zu 14. Sitzung 1980–19. Sitzung 1981, StBKA, VII.10. Rat für auswärtige Angelegenheiten, Box 2, 14. Sitzung 1980–19. Sitzung 1981.

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weisen, daß die Kompetenz hinsichtlich dieser Entscheidung dem nationalen olympischen Komitee obliege und nicht der Bundesregierung.«116 Mock hingegen forderte eine gemeinsame Stellungnahme der drei Parlamentsparteien, die vor der Entscheidung des ÖOC erfolgen sollte, »um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, daß man es sich zu leicht gemacht habe«.117 Kreisky hingegen sprach sich dagegen aus. Steger plädierte dafür, alles zu tun um den Spannungsabbau zu fördern und die Teilnahme zu beschließen. Kreisky konterte auch hier. Er war der Ansicht, dass eine offizielle Teilnahmezusage zu diesem Zeitpunkt ein »Affront« gegenüber den Vereinigten Staaten wäre.118 In der 15. Sitzung des Rates für Auswärtige Angelegenheiten am 24. April 1980 waren die beiden von den USA initiierten Protestaktionen mit weltpolitischer Bedeutung, der Olympiaboykott sowie die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran, zentrale Themen. Außenminister Pahr erinnerte in diesem Zusammenhang, dass in der Frage der Iran-Sanktionen die Bundesregierung in der Sitzung des Ministerrates am 21. April 1980 beschlossen hatte, unter Berufung auf die immerwährende Neutralität, die Boykottmaßnahmen zurückzuweisen.119 Kreisky berichtete über die westdeutsche Boykottentscheidung, die, seiner Meinung nach, zu einer Verschlechterung der Beziehungen mit der DDR und der UdSSR führen könnte.120 Trotz der Beratungen im Rahmen des Rates für Auswärtige Angelegenheiten konnte kein gemeinsamer Standpunkt hinsichtlich der Teilnahme einer österreichischen Olympiadelegation formuliert werden.

V.4

Die Pressedienste als Sprachrohr der Parteien

Eine weitere informative Quelle zur Rekonstruktion des politischen Meinungsbildungsprozesses in der Frage des Olympiaboykotts stellen die Aussendungen der Partei-Pressedienste – Sozialistische Korrespondenz, ÖVP-Pressedienst und Freiheitlicher Pressedienst – aus dem Bestand der MikroficheSammlung »Austrodok« dar.121

116 Kurzprotokoll der 14. Sitzung des Rates für Auswärtige Angelegenheiten am 28. März 1980, StBKA, Depositum: Alois Reitbauer. 117 Ebd. 118 Ebd. 119 Kurzprotokoll der 15. Sitzung des Rates für Auswärtige Angelegenheiten am 24. April 1980, StBKA, VII.10. Rat für Auswärtige Angelegenheiten, Box 2, 14. Sitzung 1980–19. Sitzung 1981. 120 Ebd. 121 Die Sozialistische Korrespondenz (seit 1946), der ÖVP-Pressedienst (seit 1945) und der Freiheitliche Pressedienst (seit 1956) erstellen täglich Mitteilungsblätter für die Presse. Diese enthalten Informationen über Parteibeschlüsse, Sitzungen, Veranstaltungen und

Die österreichische Haltung zum Boykott der Olympischen Sommerspiele

201

Da die österreichischen Print- und Rundfunkmedien nicht alle Meldungen (beziehungsweise nicht detailliert oder häufig mit subjektiven Kommentaren versehen) veröffentlichten, wurden im Rahmen der Untersuchung zur Haltung der Parteien die Originaltexte analysiert. Die Pressedienste dienten in diesem Fall den Oppositionsparteien ÖVP und FPÖ als Sprachrohr und Mittel, um die Diskussion in Schwung zu halten. Die ÖVP-Politiker Mock und Höchtl nutzten dieses Medium besonders häufig, um die eigene Pro-Boykott-Haltung zu kommunizieren und die Zurückhaltung der SPÖ in dieser Frage zu kritisieren. Am 5. Februar 1980 berichtete der ÖVP-Pressedienst von einem Treffen zwischen Mock und Margaret Thatcher in London. Mock gab in einer Stellungnahme bekannt, dass er von der festen Position der britischen Premierministerin in der Frage der internationalen Entwicklung nach der Besetzung Afghanistans beeindruckt sei und auch mit Konsequenzen in der Frage der britischen Teilnahme an den Olympischen Spielen in Moskau rechne.122 Der Bundeskanzler war sich der innenpolitischen Meinungsvielfalt zur Boykottthematik bereits früh bewusst, wie Staribachers Tagebuch zu entnehmen ist. Kreisky äußerte sich in Hinblick auf die Haltung der ÖVP in einer Ministerratsvorbesprechung wie folgt: »Wenn die Opposition – Mock – jetzt eine Demonstration setzen will, weil alle konservativen Regierungen dies tun, Österreich wird hier nicht mitspielen.«123 In einer Aussendung der Sozialistischen Korrespondenz vom 29. Februar 1980 zeigte sich Kreisky wissend, dass man ihn nicht nur wegen seiner außenpolitischen Bemühungen um gute Kontakte zu den Ostblockstaaten und den arabischen Ländern kritisiere, sondern auch dafür, dass er gegen einen verordneten Olympiaboykott sei. Österreich werde auch in dieser Frage, so Kreisky weiter, die Politik im Interesse der Entspannung und Zusammenarbeit fortsetzen.124 Auch die FPÖ diskutierte mit, jedoch bei weitem nicht so aktiv wie die ÖVP. Nationalratsabgeordneter Wilfried A. K. Gredler vertrat die Ansicht, dass in der Frage einer allfälligen Boykottierung das ÖOC entscheiden müsse.125 Sein Parteikollege Steger hingegen drückte in seinen Stellungnahmen immer wieder die Notwendigkeit aus, das Thema im Rahmen des Rates für Auswärtige Angelegenheiten zu behandeln. Am 26. April 1980 warnte Andreas Khol in einer Presseaussendung der ÖVP, dass eine österreichische Teilnahme an den Spielen zu einem politischen Un-

122 123 124 125

Stellungnahmen von PolitikerInnen zu aktuellen Themen. Die Aussendungen des ÖVPPressedienstes sind in gebundener Form im Karl von Vogelsang-Institut/Wien verfügbar. ÖVP-Pressedienst, 5. Februar 1980. TbSt, StBKA, Ordner : 7. Jänner 1980–14. März 1980, hier 18. Februar 1980. Sozialistische Korrespondenz, 29. Februar 1980. Freiheitlicher Pressedienst, 19. März 1980.

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gleichgewicht in Europa führen könne. Die Teilnahme würde seiner Meinung nach »eine Spaltung im Bündnis des freien Westens deutlich machen«. Er kritisierte die österreichische Regierung, sich nicht in aller Deutlichkeit zu ideologischen Präferenzen zu bekennen und ein Zeichen zu setzen, vor allem »in jenem Jahr, wo sich der Abschluß des Staatsvertrages zum 25sten Male jährt«.126 Einen Tag später berichtete Höchtl von der »2. Europäischen Sportkonferenz der christlich-demokratischen Parteien« in Mailand, bei der die Forderung nach fixen Austragungsorten für Olympische Spiele laut wurde. Die Spiele sollten nur an Staaten vergeben werden, »die weder an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt sind, noch sich Menschenrechtsverletzungen zu Schulden kommen lassen«. Unter anderem wurde ein Vorschlag unterbreitet, der in Anbetracht der heutigen (aber auch der damaligen) finanziellen Dimensionen von Olympia durchaus amüsant scheint: Die Sommerspiele sollten stets in Griechenland ausgetragen werden, die Winterspiele stets in Österreich (Innsbruck). Höchtl sah dies als einen »ernstzunehmenden Ausweg aus einer schwierigen Lage«.127 Die Idee, Griechenland als fixen Austragungsort Olympischer Sommerspiele zu nominieren, wurde in internationalen Sportkreisen bereits seit 1978 diskutiert.

VI.

Die Entscheidung

Die Positionen der Parlamentsparteien waren vor der entscheidenden Sitzung des ÖOC eindeutig. Die Inhalte der Parlamentsprotokolle, der diplomatischen Korrespondenz und der Aussendungen der Partei-Pressedienste lassen darauf schließen, dass die SPÖ einen Boykott ablehnte, während die ÖVP dem Boykottaufruf der USA folgen wollte. Die FPÖ sah die beste Lösung in einer Teilnahme österreichischer AthletInnen an den Olympischen Spielen in Moskau auf Basis eines Allparteienbeschlusses. Wie bereits erwähnt, traten am 19. Mai 1980 der Vorstand und die Mitglieder des ÖOC zu einer Vollversammlung zusammen und votierten in einer geheimen Wahl pro Olympiateilnahme. ÖOC-Präsident Heller nahm wenige Tage nach der Sitzung in einem Interview mit dem Österreichischen Rundfunk (ORF) zum Teilnahmeentschluss Stellung. In der »Wochenschau« vom 25. Mai 1980 erklärte er, dass die Meinung der österreichischen Bundesregierung zwar eingeholt wurde, es sich jedoch um eine autonome Entscheidung des ÖOC und damit der Funktionäre des österreichischen Sportbetriebs gehandelt habe. Folgender 126 ÖVP-Pressedienst, 26. April 1980. 127 ÖVP-Pressedienst, 27. April 1980. Josef Höchtl war neben seiner Funktion als Sprecher der ÖVP für Sportpolitik (1979–1993) von 1979–1989 Sprecher des Parlamentsklubs der ÖVP für Menschenrechtsfragen.

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Zusatz Hellers ist jedoch als klarer Hinweis zu deuten, dass die Position der SPÖ zur Boykottdebatte eine maßgebliche Rolle im Entscheidungsprozess um die österreichische Teilnahme in Moskau spielte: »Bundeskanzler Kreisky war der Auffassung, dass ein Boykott der Moskauer Spiele nicht zielführend ist und hat uns empfohlen, geraten oder der Meinung Ausdruck verliehen, nicht zu boykottieren.«128 Diese Aussage stellt letztlich auch die Autonomie des politisch unabhängigen Komitees in Frage. Nachdem der Teilnahmebeschluss im Rahmen einer ÖOC-Vollversammlung getroffen worden war, schrieb Staribacher in sein Tagebuch, dass Wirtschaftskammerpräsident Sallinger, der als Vorsitzender des Finanzausschusses im Vorstand des ÖOC vertreten war, über dieses Ergebnis sehr erfreut gewesen sei. Diese Entscheidung, so Sallinger, könne zu einer Verbesserung der österreichisch-sowjetischen Beziehungen führen.129 Auch diese Äußerung ist als eindeutiger Hinweis zu sehen, dass die Boykottdebatte nicht nur auf sportlicher, sondern sehr wohl auf politischer Ebene, und zwar in den höchsten Kreisen, geführt wurde. Letztlich beschickten nur 81 der 147 teilnahmeberechtigten Länder die XXII. Olympischen Sommerspiele in Moskau, die von 19. Juli bis 3. August 1980 stattfanden. Dem Boykottaufruf der Vereinigten Staaten folgten 42 Nationen – darunter wirtschaftliche und politische Großmächte und in sportlicher Hinsicht leistungsstarke Nationen wie Japan, Kanada und die BRD. Weitere 24 NOKs antworteten nicht auf die Einladung des Moskauer Organisationskomitees bzw. argumentierten ihr Fernbleiben mit finanziellen oder organisatorischen Schwierigkeiten. Die Mehrzahl der boykottierenden Olympiamannschaften kam aus afrikanischen und südamerikanischen Ländern.130 In Europa wurde dem USAufruf nur in geringem Maße Folge geleistet. Neben der BRD entsandten lediglich Albanien, das sich mit der Sowjetunion überworfen hatte, das Fürstentum Liechtenstein, das Fürstentum Monaco, Norwegen, – und die zu »Sporteuropa« zählenden Nationen – Israel und die Türkei aus politischen Gründen keine Mannschaft nach Moskau.131

128 ORF-Archiv, Wochenschau vom 25. Mai 1980. 129 TbSt, StBKA, Ordner : 17. März 1980–31. Mai 1980, hier 20.–26. Mai 1980. 130 Vgl. The Official Report of Games of the XXII Olympiad, Volume 3 sowie Volker Kluge, Olympische Sommerspiele. Die Chronik III. Mexiko-Stadt 1968 – Los Angeles 1984, Berlin 2000, 677 und 679. Das NOK Libyens entsandte zwar eine Delegation nach Moskau, die AthletInnen nahmen jedoch nicht an den Bewerben teil – aus diesem Grund wird in der Literatur auch manchmal von nur 80 teilnehmenden Mannschaften gesprochen. Nicht alle Nationen, die fernblieben, boykottierten: Thailand oder Bolivien etwa fehlten die finanziellen Mitteln, eine Mannschaft nach Moskau zu entsenden. Zum Vergleich: In München 1972 nahmen 122 Nationen teil, in Montreal 1976 aufgrund des »Afrika-Boykotts« nur 88. 131 Kluge, Olympische Sommerspiele, 677.

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VII.

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Das »Nachspiel«

Nach der Entscheidung zur Teilnahme an den Spielen in Moskau entbrannte in Österreich in politischen und sportlichen Kreisen eine Diskussion darüber, ob das ÖOC und/oder SportlerInnen aus Österreich in Moskau eine Geste des Missfallens betreffend der Militäraktion des Gastgeberlandes in Afghanistan setzen sollten. Der österreichische Botschafter in Moskau deponierte in einem Schreiben an das Bundeskanzleramt, dass er Protestaktionen befürworte, diese aber ehestmöglich und im Einvernehmen mit »gleichgesinnten« Ländern beschlossen werden sollten, um »glaubhaft und konsequent« die Missbilligung der Afghanistan-Invasion auszudrücken.132 Die Olympiadelegationen Belgiens, Frankreichs, Italiens, Luxemburgs, der Niederlande, San Marinos und der Schweiz hatten beschlossen, ihre angereisten SportlerInnen nicht an der Eröffnungszeremonie teilnehmen zu lassen, wohl aber an den Wettbewerben. Großbritannien, Irland, Malta und Portugal ließen sich bei der Eröffnungsveranstaltung von nur einem Athleten/einer Athletin bzw. einem Offiziellen der Delegation vertreten. Andorra, Dänemark und Spanien verzichteten auf nationale Hoheitszeichen und ließen ihre Mannschaften beim Einzug in das Olympiastadion in Moskau der IOC-Fahne folgen.133 Wenige Tage vor der Eröffnungsfeier in Moskau am 15. Juli 1980 gab die Sozialistische Korrespondenz bekannt, Kreisky habe ÖOC-Präsident Heller gebeten, keine Weisung im Bezug auf das Verhalten der Sportler bei der Eröffnungsfeier auszugeben.134 Diesem Wunsch Kreiskys wurde entsprochen. Nur Österreich, Finnland, Griechenland und Schweden verzichteten auf demonstrative Protestgesten. Am 3. August 1980, dem Schlusstag der Veranstaltung in Moskau, zog Höchtl über die Olympischen Spiele via ÖVP-Pressedienst ein Resümee. Er stellte fest, dass die Trennung von Sport und Politik reine Illusion sei und dass jene, die den Spielen in Moskau skeptisch gegenüberstehen, den richtigen Standpunkt vertreten hätten, denn, so Höchtl weiter : »Sportlich waren die Spiele durch das Fehlen traditioneller Erfolgsnationen wie USA, Kanada, BRD und Japan entwertet und politisch wurden diese olympischen Spiele von der Sowjetunion für Propagandaspektakel genutzt.«135 Gerald Hinteregger streicht in seiner Autobiographie vor allem den Aspekt 132 Austroamb Moskau an Aussenamt Wien, 6. Juni 1980, StBKA, VII.1. UdSSR, Box 5, Sommerolympiade. 133 Kluge, Olympische Sommerspiele, 677–678; Leo Wieland, »Olympiaboykott von 1980«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. März 2008. Online unter : http://www.faz.net/aktuell/ politik/china-spezial/olympia-und-politik/olympiaboykott-von-1980-als-es-reichlichfleisch-in-moskau-gab-1513148.html (Zuletzt abgerufen am 23. Oktober 2015). 134 Sozialistische Korrespondenz, 15. Juli 1980. 135 ÖVP-Pressedienst, 3. August 1980.

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der österreichischen Neutralität heraus, die sich zu einem bestimmenden Faktor in der Diskussion entwickelte. Hinteregger erkannte, dass sich Österreich aufgrund der Neutralitätspolitik in der vorherrschenden Eiszeit zwischen den Supermächten in einer »heiklen Situation«136 befand. Die Frage war also im Zusammenhang mit den bevorstehenden Olympischen Spielen: »Inwieweit war seine Solidarität mit dem Westen gefordert, und inwieweit konnte und sollte es [Österreich] als neutraler Staat eine eigenständige Linie verfolgen?«137 Der ehemalige Botschafter bezeichnet das Vorgehen Österreichs, respektive des ÖOC, rückblickend als »weiche Linie«138 gegenüber der Sowjetunion.

VIII. Conclusio Als in den 1960er- und 1970er-Jahren das Wettrüsten zwischen der Sowjetunion und den USA allmählich an Dynamik verlor, wurde im Sportbereich im Ringen um Medaillen der ideologische Konflikt der antagonistischen Systeme mit unvermindertem Engagement weitergeführt. Die Olympischen Spiele waren Austragungsort politischer Konflikte und wurden ihrerseits zu einem Akteur innerhalb der Weltpolitik. Ausschlüsse, Absagedrohungen und Boykotte stellten die Grundphilosophie der »friedlichen und völkerverbindenden Olympischen Bewegung« in Frage. Durch Jimmy Carters weltweite Olympiaboykottkampagne im Jahr 1980 war die internationale Diplomatie gefordert und die überwiegende Mehrzahl der teilnahmeberechtigten Staaten dazu genötigt, eine Position mit erheblicher außenpolitischer Signalkraft zu beziehen. In diesem Beitrag wurde aufgezeigt, dass in Österreich das Thema des Olympiaboykotts auf politischer Ebene viel stärker präsent war, als dies in der medialen Berichterstattung sichtbar wurde. PolitikerInnen aller Couleur und Sportfunktionäre berieten nicht nur über Österreichs Olympiateilnahme, sie diskutierten intensiv die politischen und wirtschaftlichen Vor- und Nachteile, die ein Antreten beziehungsweise Fernbleiben einer österreichischen Delegation in Moskau nach sich ziehen hätte können. Wie den Tagebuchnotizen Josef Staribachers zu entnehmen ist, hatten vor allem RegierungspolitikerInnen großes Interesse am Antreten österreichischer AthletInnen in Moskau. Die Bundesregierung – allen voran Bundeskanzler Kreisky – vertrat die Ansicht, dass ein Boykott zu einer Verschlechterung der diplomatischen Beziehungen mit der UdSSR führen würde, wie folgende Aussage des Bundeskanzlers, die Staribacher in sein Tagebuch notierte, verdeut136 Hinteregger, Auftrag, 246. 137 Ebd. 138 Ebd., 249.

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licht: »Nachher müssten wir aber zu den Sowjets entsprechenden Kanossagang [sic!] unternehmen, um dann nach etlichen Jahren endlich wieder dieselbe Situation zu haben, wie wir sie jetzt vorfinden.«139 Wohl wurde in den Sitzungen des Rates für Auswärtige Angelegenheiten auf Drängen der Oppositionsparteien das Boykottthema kontrovers diskutiert, allerdings nicht mit klaren Positionen verhandelt. Eine gemeinsam akkordierte Haltung der Parlamentsparteien zu dieser Frage kam nicht zustande. Eine Diskussion im Nationalrat unterblieb. Diese wurde ersatzweise über die Presseaussendungen der Parteien ausgetragen. Während in der Sozialistischen Korrespondenz (massiv gestützt durch eine vom Bundeskanzleramt in Auftrag gegebene Expertise des Verfassungsdienstes) eine neutrale Haltung kommuniziert und die Unabhängigkeit des ÖOC betont wurde, zeigte sich in den Nachrichten des ÖVP-Pressedienstes eine Pro-Boykott-Kampagne der Volkspartei. Die Empfehlung eines Regierungsmitgliedes für die Teilnahme blieb öffentlich jedoch unausgesprochen. Die Umsetzung des politischen Willens erfolgte durch das ÖOC, das die gewünschte Entscheidung zur Entsendung einer Delegation zu den Sommerspielen traf. Gerald Hinteregger kommentiert in seinen Erinnerungen den ÖOC-Entschluss wie folgt: »Nach einigem Hin und Her entschied das Österreichische Olympische Komitee – wohl nicht ohne Segen der Bundesregierung – dass ein Fernbleiben von den Olympischen Spielen keine geeignete Form des politischen Protests darstellte«.140 Neben dem diplomatischen Kalkül waren es vor allem wirtschaftspolitische Erwägungen, die letztlich dazu führten, dass Österreich dem US-Boykottaufruf nicht Folge leistete. Für die österreichische Wirtschaft waren die Außenhandelsbeziehungen zur Sowjetunion von substantieller Bedeutung – nicht nur im Bereich der Energiepolitik, sondern insbesondere im Hinblick auf die prekäre Situation der Verstaatlichten Industrie, die durch Aufträge im und aus dem Ausland gestärkt werden sollte. Rückblickend kann die Teilnahme einer österreichischen Equipe in Moskau als Konsensentscheidung oder – im weltpolitischen Kontext betrachtet – als Deeskalationsbeitrag in einer Zeit der internationalen Spannungen bezeichnet werden. IOC-Präsident Killanin gab noch vor der Eröffnung der Spiele in Moskau bekannt, nicht für eine weitere Periode als Vorsitzender des Komitees zu kandidieren.141 Als Hauptgrund nannte er den politisch motivierten Boykott der Spiele in Moskau und bezeichnete die Veranstaltung als »the most damaging event since the games were revived in 1896.«142 Mit den auf Moskau folgenden 139 140 141 142

TbSt, StBKA, Ordner : 7. Jänner 1980–14. März 1980, hier 18. Februar 1980. Hinteregger, Auftrag, 246. Senn, Power, 182. Killanin, Olympic Years, 221. Killanin folgte Juan Antonio Samaranch nach, der das Prä-

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XXIII. Olympischen Sommerspielen in Los Angeles 1984 wurde die Serie der Boykottspiele fortgesetzt. Die politischen und diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und der UdSSR waren an einem Tiefpunkt angelangt. Die sowjetische Führung rief zum Boykott der Spiele in den Vereinigten Staaten auf: Dem sogenannten »Gegenboykott« – in der Literatur auch als »sowjetische Revanche« bezeichnet – schlossen sich 18 vorwiegend sozialistische Staaten an.143

sidentenamt von 1980 bis 2001 bekleidete und die Aufgabe hatte, die Olympische Bewegung aus der durch internationale politische Spannungen entstandenen Krise zu führen. 143 Es boykottierten: Afghanistan, Albanien, Angola, Äthiopien, Bulgarien, DDR, Iran, Volksrepublik Jemen, Kuba, Laos, Lybien, Mongolei, Nordkorea, Obervolta (heute Burkina Faso), Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn und Vietnam.

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»Der Boden des neutralen Österreichs scheint uns besonders für eine Auseinandersetzung zwischen Ost und West geeignet zu sein.« Wolfgang Kraus’ Netzwerke im kulturellen Kalten Krieg

I. Als »Stellvertreterkriege« unter einem inhaltlichen Aspekt bezeichnet Jessica Gienow-Hecht die während der Systemkonfrontation herrschende Auseinandersetzung der Supermächte auf der Ebene von Diplomatie und Aufrüstung, aber auch Kultur und Technologie.1 Sowohl die USA als auch die UdSSR bedienten sich Methoden der psychologischen Kriegsführung, der Spionage sowie kultureller Infiltration, um den eigenen Vorsprung – wenn er schon nicht vorhanden war – so zu inszenieren und dadurch eine Schwächung des Gegners nach Innen und Außen hervorzurufen. In Österreich gab es Institutionen sowie AkteurInnen, wie die Österreichische Gesellschaft für Literatur (ÖGL) unter der Leitung von Wolfgang Kraus, die als Teil des state-private networks2 am kulturellen Kalten Krieg teilnahmen und von den Fronten profitieren konnten. David Caute hat darauf hingewiesen, dass das Wettbewerbsprinzip im kulturellen Verkehr zwischen Ost und West zumeist nur schwach als »kultureller Austausch« oder »Diplomatie« getarnt war und betont, dass mit dem kulturellen Kalten Krieg eine Verbindung der Staatsmacht und der Kunst einherging, die sich v. a. durch Zensur und Unterdrückung, aber auch durch Protektion und Förderung äußerte.3 Wenn das US-State Department beispielsweise abstrakte Kunst förderte, die keine politische message enthielt, wurde der Bote – in diesem Fall das Museum of Modern Art – die Botschaft. Auf der anderen Seite des 1 Jessica C.E. Gienow-Hecht, Wer gewinnt den Wettlauf ? Stellvertreterkriege in Kultur und Wissenschaft, in: Der Kalte Krieg, ( = DAMALS – Das Magazin für Geschichte), Darmstadt 2010, 83–90, 83. 2 Gilles Scott-Smith, The Politics of Apolitical Culture: The Congress for Cultural Freedom, the CIA and post-war American Hegemony, London 2002, 22. Zitiert nach W. Scott Lucas, Beyond Freedom, Beyond Control: Approaches to Culture and the State-Private Network in the Cold War. in: Giles Scott-Smith/Hans Krabbendam (Hg.), The cultural Cold War in Western Europe 1945–1960, Routledge 2003, 53–72, 56. 3 Vgl. David Caute, The Dancer Defects: The Struggle for Cultural Supremacy During the Cold War, New York 2003, 6.

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»Eisernen Vorhangs« trugen die Pravda, Radio Moskau und die Agit-PropKader, welche die Massen mit dem Ziel beeinflussten, in ihnen ein revolutionäres Bewusstsein zu entwickeln, die kulturellen Resolutionen des Zentralkomitees (ZK) der KPdSU in die Fabriken und auf die Kolchosen. In der Folge des mit der Entstalinisierung einhergehenden »Tauwetters«, das sich – nach Stalins Tod 1953 und nach Nikita S. Chrusˇcˇevs Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Jahr 1956 – in immer wieder unterbrochenen Wellen ausbreitete, kamen jene Intellektuellen und SchriftstellerInnen zum Zug, die bisher zum Schweigen verdammt gewesen waren. Diejenigen der sowjetischen Intelligenzija, die unter Stalin in der Moskauer Haftanstalt Butyrka, im Gulag oder der Verbannung im Hinterland hatten vegetieren müssen, erfuhren nun Rehabilitierung und konnten ihre Arbeit wieder aufnehmen. Ein weiterer Effekt dieses »Tauwetters« war der kulturelle Austausch zwischen Ost und West. Erste Signale waren zum Beispiel eine Picasso-Ausstellung (1956) und die Weltjugendfestspiele (1957) in Moskau, die »erste Begegnungen mit dem Westen nach langen Jahren der Isolation«4 ermöglichten und sich intensivierende Informations- und Diskussionsmöglichkeiten unter KünstlerInnen und SchriftstellerInnen. Das am 27. Januar 1958 abgeschlossene, sogenannte »LacyZarubin Agreement« zwischen den USA und der Sowjetunion machte den Austausch in den Bereichen Wissenschaft und Technologie, Landwirtschaft, Medizin und Gesundheitswesen, Tourismus, Sport aber auch im Bereich der Kultur wie Radio und Fernsehen, Filme, Ausstellungen und Publikationen möglich.5 Nicht nur die Großmächte partizipierten an diesem Austausch, auch Österreich, das sich nach dem Staatsvertrag 1955 zu einem neutralem Raum entwickeln sollte, kam eine wichtige Rolle durch seine geographisch exponierte Lage am »Eisernen Vorhang« zu. Als »alpine Modelldemokratie«6 im Zuge einer unter den beiden ersten Außenministern Karl Gruber und Leopold Figl einsetzenden und verstärkt ab 1960 verfolgten »Nachbarschaftspolitik«, war Österreich seiner Signalwirkung nach außenpolitisch neutral, wodurch ein Austausch unter vereinfachten Bedingungen stattfinden konnte. Der neue Handlungsspielraum für den neutralen Kleinstaat wurde von Bruno Kreisky früh erkannt, der zwar entschiedener Antikommunist war, aber dennoch auf eine »friedliche Erosion des kommunistischen Blocksystems«7 setzte. Unter Bundeskanzler Josef Klaus, 4 Klaus Städtke/Christine Engel (Hg.), Russische Literaturgeschichte. 2. akt. u. erw. Aufl., Stuttgart–Weimar 2011, 350. 5 Vgl. Yale Richmond, Cultural Exchange and the Cold War. Raising the Iron Curtain, Pennsylvania 2003, 15. 6 Arnold Suppan, Österreichs Ostpolitik 1955–1989, in: Ibolya Murber/Zolt#n Fjnagy (Hg.), Die ungarische Revolution und Österreich 1956, Wien 2006, 75–92, 75. 7 Oliver Rathkolb, Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2010, Innsbruck 2011, 213.

Wolfgang Kraus’ Netzwerke im kulturellen Kalten Krieg

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der dieses Amt von 1964 bis 1970 innehatte, kam es zu einer Intensivierung der Ostkontakte. Der mit Klaus befreundete Wolfgang Kraus sah die außenpolitische Funktion Österreichs auf kulturellem Gebiet ebenfalls als eine Brücke zwischen Ost und West.8 Zwanzig Jahre später, 1994, lobte ihn der Bundesminister für Äußere Angelegenheiten Alois Mock, dem Kraus auch als Konsulent diente, nicht nur ob seiner Fürsorge der österreichischen Literatur gegenüber, sondern auch für seine »visionäre ›Ostarbeit‹«, die Kraus »mit viel beispielhaftem Engagement« umgesetzt hätte.9

II. Neben der 1958 erfolgten Gründung des Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts unterstützte der »wortgewaltige, hochgebildete Unterrichtsminister Heinrich Drimmel […] [,] ein konservativer Paradeintellektueller par excellence«10 1961 auch die Gründung der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, deren Leitung Wolfgang Kraus übernahm. Kraus, geboren 1924, gehörte von seiner Biographie her zu jener Generation, die den Übergang der Ersten Republik zum »Ständestaat« und den »Anschluss« 1938 miterlebte. Wegen eines »jugendlichen Herzdefekts«11 wurde er 1943, nach nur einem Jahr Dienst, aus der Deutschen Wehrmacht entlassen und studierte in der Folge Germanistik und Theaterwissenschaften an der Universität Wien. Nach Abschluss seines Studiums in den ersten Nachkriegsjahren arbeitete er im Wiener Ullstein-Verlag bei Edwin Rollett (1889–1964), dem Präsidenten des Verbandes demokratischer Schriftsteller und Journalisten Österreichs und ab 1949 im Paul-Zsolnay-Verlag, wo er zunächst als Cheflektor und später als Pressechef und Vertriebsleiter tätig war. Daneben war er bereits früh publizistisch tätig, unter andrem für die Weltpresse, herausgegeben vom Britischen Informationsdienst, und verfasste Features für die Radio Verkehrs AG. Ab 1956 lebte er als freier Journalist, schrieb für österreichische, deutsche und Schweizer Zeitungen und unternahm ab 1959 regelmäßig Reisen in die nichtdeutschsprachigen Länder des realen Sozialismus, über die er in zahlreichen Periodika berichtete. Als Spezialist für osteuropäische Literatur und Kultur war 8 Vgl. u. a. Wolfgang Kraus, »Kultur im Aufbruch. Österreich aktiviert seine Kulturpolitik«, in: Südwest-Presse, 12. Februar 1958. 9 Alois Mock (Bundesministerium für Äußere Angelegenheiten) an Wolfgang Kraus (GZ 500.19.01/4-V.6/94), 30. März 1994, Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Nachlass Wolfgang Kraus, ÖLA 63/97 (im Folgenden zitiert als Lit., NL WK). 10 Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert. Wien 1994, 426. 11 Lebenslauf, undatiert, Lit., NL WK.

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er eine gute Wahl als Leiter der ÖGL, denn seine Erfahrungen und Netzwerke in Osteuropa kamen ihm bei der Aufgabe, die Verständigung zwischen den Ostund Weststaaten in einem institutionellen Rahmen voranzutreiben, zugute. Neben der monatlichen Diskussionssendung Jour fixe im österreichischen Fernsehen arbeitete Kraus in den 1970er-Jahren als Konsulent im Europa-Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und wurde 1975 von Erich Bielka ins Außenministerium berufen, wo er eine Kulturkontaktstelle aufbauen sollte, die er bis 1981, als das Vertragsverhältnis mit dem Ministerium auf eigenen Wunsch gelöst wurde, leitete. Kraus’ Netzwerke spannten sich von offiziellen Figuren des Literaturbetriebs über die Politik, bis hin in die Industrie: So geht etwa der Anton-Wildgans-Preis der Österreichischen Industrie auf Kraus’ Verbindung zur Industriellenvereinigung zurück. Kraus’ letzter Coup war das Konzept für die sogenannten Österreich-Bibliotheken in Osteuropa nur zwei Jahre vor dem Fall des »Eisernen Vorhangs«.12 Zunächst war die Gründung der ÖGL vor allem eine Bemühung des Unterrichtsministeriums um dem vorherrschenden Provinzialismus im österreichischen Literaturbetrieb zu entgehen. Anfang der 1960er-Jahre konnte von einem organisierten Literaturbetrieb in der Bundeshauptstadt nicht die Rede sein, nur selten gab es AutorenInnenlesungen oder Buchpräsentationen, die zum Beispiel vom österreichischen P.E.N.-Club veranstaltet wurden.13 Für den Germanisten Wendelin Schmidt-Dengler, der literarisch auch in der ÖGL sozialisiert wurde, die in einem Forum der Jugend germanistische Lehrveranstaltungen anbot, in denen moderne Methoden der Textinterpretationen erlernt werden konnten, stand fest, dass Kraus in Bezug auf das literarische Leben »damals das Fenster öffnete«.14 In einem Brief vom Juni 1960, also nur fünf Monate bevor die ÖGL offiziell als Verein gegründet wurde, schrieb der Ministerialbeamte Alfred Weikert an Rudolf Henz, der aufgrund seiner Funktion im Österreichischen Kunstsenat sowie als Gründer der Katholischen Aktion als einer der mächtigsten Männer des Literaturbetriebs nach 1945 galt:15 Weikert bedauere, dass es nicht gelungen wäre, die Grillparzer-Gesellschaft zu aktivieren bzw. einen Verein zu gründen, 12 Vgl. Helmut Buchhart, Die Österreich-Bibliotheken des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, Wien, in: Biblos, 41 (1992) 1, 191–192. 13 Vgl. Roman Rocˇek, Glanz und Elend des P.E.N. Biographie eines literarischen Clubs. Wien–Köln–Weimar 2000, 324. 14 Wendelin Schmidt-Dengler, Erinnerungen an Wolfgang Kraus, in: Peter Bassola/Endre Kiss (Hg.), Literatur als Brücke zwischen Ost und West. Zum Gedenken an Wolfgang Kraus, Szeged 2000, 17–24, 21. 15 Vgl. zu Rudolf Henz und seiner Position im literarischen Feld Österreichs: Karl Müller, Zäsuren ohne Folgen. Das lange Leben der literarischen Antimoderne Österreichs seit den 30er Jahren, Salzburg 1990, 227.

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der sich mit der Pflege und Förderung der österreichischen Literatur und mit österreichischen AutorInnen befasst. »Es wäre dies der schon so lange herbeigewünschte, verlängerte Arm des Bundesministeriums für Unterricht.«16 Dieser Wunsch des Unterrichtsministeriums sollte sich kurz darauf erfüllen. In seiner Eröffnungsrede am 18. November 1961 gab Kraus eine detaillierte Beschreibung der Vorhaben des neuen Vereins in zehn Punkten. So sollten unter anderem Romanvorhaben österreichischer SchriftstellerInnen gefördert, ausländische Universitäten mit österreichischer Literatur versorgt werden und ein Austausch mit SchriftstellerInnen aus dem Bereich der ehemaligen Donaumonarchie, die nun Satellitenstaaten der Sowjetunion waren, stattfinden. Die Aktivitäten der ÖGL umfassten auch die Einladung und Reintegration von ExilAutorInnen, wie Erich Fried (1921–1988), Fritz Hochwälder (1911–1986), Robert Neumann (1897–1975), Hilde Spiel (1911–1990) und Elias Canetti (1905–1994), was von den offiziellen österreichischen Stellen versäumt worden war und zu einem Zeitpunkt erfolgte, als von einer österreichischen Exilforschung im engeren Sinn noch keine Rede sein konnte.17 Die ÖGL war nicht nur für die Belebung des Wiener Literaturbetriebs verantwortlich, den sie mit der Organisation von Lesungen, Diskussionen, Buchvorstellungen, Ausstellungseröffnungen und Symposien stärkte, sondern führte auch »Stellvertreterkriege« im kulturellen Kalten Krieg: Sie wurde finanziell und organisatorisch durch Organisationen wie dem Congress for Cultural Freedom (CCF) aber auch von George C. Minden, dem Präsidenten des International Literary Center18 unterstützt, einer Organisation, die mehr als zwanzig Jahre lang über ein weit verzweigtes europäisches Netzwerk von Buch- und Zeitschriftenverlagen sowie ideologisch unverdächtigen kulturellen Organisationen verfügte.19 Bundeskanzler Josef Klaus antwortete in einem Interview auf die Frage, ob der intensive kulturpolitische Aufbau von Ostkontakten durch Kraus und die ÖGL auf einer von der offiziellen Außenpolitik getrennten Linie verlaufen wäre, dass Kraus’ Initiative von den offiziellen Stellen dankbar zur Kenntnis genommen worden wäre, es jedoch keine offiziellen Aufträge gegeben hätte und die Akti16 Brief von Alfred Weikert an Rudolf Henz, Wien, 30. Juni 1960, Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, Literaturhaus Wien, Nachlass Rudolf Henz, Karton 19/V. 17 Vgl. Manfred Müller, Wolfgang Kraus und die Exilliteratur zu Beginn der sechziger Jahre, in: Evelyn Adunka/Peter Roessler (Hg.), Die Rezeption des Exils. Geschichte und Perspektiven der österreichischen Exilforschung, Wien 2003, 87–100. 18 Vgl. Douglas Martin, »George C. Minden, 85, Dies. Led a Cold War of Words«, in: The New York Times, 23. April 2006. 19 Vgl. Alfred Reisch, Ideological Warfare during the Cold War : The West’s secret book distribution program behind the Iron Curtain, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, 3 (2008) 3, 44–56; ders., Hot Books in the Cold War. The CIA-Funded Secret Western Book Distribution Program Behind the Iron Curtain. Budapest–New York 2013.

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vitäten der ÖGL »auf einer Ebene außerhalb der Regierung«20 geschehen seien. Gänzlich unbeeinflusst dürften sie aber dennoch nicht gewesen sein.

III. 1967 weist ein Artikel in Die Zeit darauf hin, dass Ost-West-Gespräche im Rahmen von internationalen Konferenzen zwar »seit langem keine Sensationen mehr« seien, da sie in der, »das Zeitalter des Kalten Krieges ablösenden Ära der Koexistenz« nicht mehr wegzudenken wären. Es wird jedoch betont, dass vor allem eine Institution sich »lange vor der Aufweichung der ideologischen Fronten […] mit spektakulärem Erfolg«21 darum bemüht hätte. Kraus und die ÖGL hätte eben schon damals das richtige Gespür bewiesen: »Der noch immer von kakanischen Reminiszenzen durchtränkte Boden der neutralen zweiten [sic!] Republik Österreich ist ein für solche Unternehmen ganz besonders geeigneter Ort.«22 Zu den wichtigsten Großveranstaltungen der ÖGL im Lauf der 1960er-Jahre können die drei großen internationalen Kongresse gezählt werden, die weltweit für Aufsehen sorgten und »bis heute eine Legende« seien, wie Kraus in seinem Tagebuch vermerkte: »Man wird sie kaum je wieder fortsetzen können. Vorbei. Dabei hängt das nur von ein bißchen Geld ab.«23 Die drei als Round-Table-Gespräche angekündigten Kongresse »Theater der Gegenwart – Gegenwart des Theaters« (22. bis 24. März 1965), »Unser Jahrhundert und sein Roman« (25. bis 27. Oktober 1965) und »Literatur als Tradition und Revolution« (24. bis 26. April 1967) entstanden nicht nur aus der Idee, dass der »Boden des neutralen Österreichs […] besonders […] eine[r] kulturelle[n] Auseinandersetzung zwischen Ost und West […] und der Tradition des einstigen Vielvölkerstaates«24 entsprach, vielmehr fungierten diese Round-TableGespräche als verlängerter Arm einer der mächtigsten kulturpolitischen Organisationen der Nachkriegszeit, dem CCF. Kraus bediente sich in seinen kulturellen Konzeptionen den seit den 1950erJahren vorherrschenden konservativen Österreich-Diskursen. Diese beinhalte-

20 Josef Klaus, Ich ging den anderen Weg, in: Helmut Wohnout, Demokratie und Geschichte (= Jahrbuch des Karl von Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich 3), Wien–Köln–Weimar 1999, 13–62, 55. 21 Christian Gneuss, Gespräche, Gespräche. In Wien diskutieren Ost und West über Literatur, in: Die Zeit, 5. Mai 1967. 22 Ebd. 23 Wolfgang Kraus, Tagebuch, 8. Januar 1977, Lit., NL WK. 24 Brief von Wolfgang Kraus an ManHs Sperber, 23. Dezember 1964, Lit., NL WK.

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ten Habsburgnostalgie sowie Wien- und Österreich-Glorifizierung,25 um die räumliche Distanz, die durch den »Eisernen Vorgang« zwischen Österreich und seinen ehemaligen Kronländern und Provinzen26 entstanden war, zu überwinden. Der Ursprung dieses Dialogs war die gemeinsame Erfahrung des großen Habsburgerreichs, der natürlich mit klaren antikommunistischen Vorzeichen versehenen ist: »Und die Intellektuellen der Ostländer, vor allem natürlich jene der Nachfolgestaaten der Donaumonarchie, blicken wiederum nach Wien, beinahe wie einst, als Wien noch die grosse Hauptstadt war : Wien und das heutige kleine Österreich ist ja der einzige glückliche Teil der Monarchie, dem es gelang, nicht kommunistisch zu werden.«27

Kraus’ Argumentation mag vor dem tatsächlichen politischen Hintergrund des Kalten Kriegs fadenscheinig wirken. Diese Tarnung wird mit einer quasi unpolitischen Habsburgnostalgie und dem Bekenntnis zum Dialog mit den ehemaligen Kronländern evident, untersucht man Kraus’ Netzwerke und legt seine Verbindungen mit Institutionen des Kalten Kriegs offen. Obwohl er in einem Artikel postuliert, dass das »Erbe der völkerverbindenden Donaumonarchie sehr geschickt und auch erfolgreich« durch die österreichische Außenpolitik ins Spiel gebracht worden sei und dies »ein scharfes Licht auf heute längst anachronistisch gewordene Relikte des Kalten Krieges [werfe], der früher auch von manchen österreichischen Kreisen tüchtig gefochten«28 wurde, sind die Tätigkeiten der ÖGL doch auch eine subtilere Weiterführung des Kalten Kriegs mit anderen Mitteln. Die Durchführung und das Gelingen der von der ÖGL veranstalteten internationalen Kongresse wurden nämlich zu einem hohen Anteil erst durch die Unterstützung von Mitgliedern des CCF29 möglich, zu denen Kraus in einem Naheverhältnis stand. Der 1950 gegründete CCF trat als Gegengewicht zu den prosowjetischen »Friedenskongressen« auf, wandte sich gegen totalitäre Systeme jeder Art und war ein wirkungsreiches kulturpolitisches Instrument der Central Intelligence Agency (CIA) während des Kalten Kriegs. Diese interna25 Hanisch, Der lange Schatten des Staates, 428. 26 Wolfgang Kraus, Koexistenz der Zeiten und Völker. Vergangenheit und Gegenwart der österreichischen Literatur, in: Modern Austrian Literature 1 (1968) 2, 39–42, 41. 27 Ebd., 42. 28 Wolfgang Kraus, Das kulturelle Wien: Ort der Begegnung. Österreich aktiviert das geistige Erbe des Vielvölkerstaates, maschinschriftliches Typoskript, Winter 1964/1965, Lit., NLWK. 29 Zur Geschichte des »Kongress für kulturelle Freiheit« vgl. Michael Hochgeschwender, Freiheit in der Offensive. Der Kongreß für kulturelle Freiheit und die Deutschen (= Ordnungssysteme 1), München 1998; Volker Bergahn, Transatlantische Kulturkriege. Shepard Stone und die Ford-Stiftung und der europäische Antiamerikanismus (= Transatlantische Historische Studien 21), München 2004; Frances Stonor Saunders, Wer die Zeche zahlt… Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg. Berlin 2001; Giles Scott-Smith/Hans Krabbendam (Hg.), The cultural Cold War in Western Europe 1945–1960. London 2003.

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tionale Organisation bestand 17 Jahre lang und hatte auf ihrem Höhepunkt Büros bzw. Vertretungen in 35 Ländern und beschäftigte 280 Mitarbeiter.30 Die Mitglieder des CCF rekrutierten sich hauptsächlich aus sogenannten Renegaten, die sich seit dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939 vom Kommunismus abgewandt hatten, kommunistischen und bürgerlichen Antifaschisten sowie Emigranten und Dissidenten aus den kommunistischen Ländern Osteuropas. Von 1951 bis zu seinem Rücktritt 1967 war der CIA-Agent Michael Josselson (1908–1978), »Herz und Seele« des Kongresses. Die monetären Zuschüsse des CCF verteilte er über verschiedene amerikanische Stiftungen – wie z. B. die Ford Foundation – die als Tarnorganisationen fungierten, um den Fluss der Gelder für Dritte nicht nachvollziehbar zu machen. Gemeinsam mit dem Generalsekretär des CCF Nicolas Nabokov (1903–1978) versuchte er den Einfluss der »harten Antikommunisten«, wie z. B. Arthur Koestler (1905–1983), einzudämmen und die Organisation zu »intellektualisieren« und »kulturalisieren«. Josselson versuchte dem Ostblock in einem Bereich entgegenzutreten, in dem er besonders verwundbar schien: in den Künsten und Wissenschaften. Sein Programm wandte sich an die geistigen Eliten Westeuropas, um auf diesem Weg mit Hilfe eines »intelligenten Antikommunismus und Proamerikanismus größere Multiplikatoreneffekte«31 zu erzielen. Neben den von Josselson initiierten internationalen Kongressen, Austauschen, Vorträgen und Arbeitsgruppen kam noch ein weiterer Aspekt dieses »Kulturkriegs«, der seit den 1950er-Jahren in Europa geführt wurde, hinzu: die Subventionierung von Zeitschriften in Frankreich, Italien, Großbritannien, Westdeutschland und Österreich, die sich an die jeweiligen Intellektuellen des Landes richteten. Bekannt ist etwa, dass zu den Organen des CCF das 1953 von Friedrich Torberg (1908–1979) gegründete FORVM gehörte, das nicht nur als Gegengewicht zum – vom Politiker und Schriftsteller Ernst Fischer (1899–1972) herausgegeben – Tagebuch gedacht war, sondern auch einen Brückenschlag zu den deutschsprachigen Dissidenten in Ungarn herstellen sollte.32 Weitere vom Kongress finanzierte Zeitschriften waren u. a. der Monat (Deutschland) und Encounter (England). FranÅois Bondy (1915–2003), der Redakteur der französischen Kongress-Gazette Preuves, war zugleich für die Koordination aller CCF-Periodika verantwortlich. Er brachte eine »maßvoll liberale antikommunistische Perspektive in die französischen Debatten«33. Der polnische Schriftsteller Konstanty A. Jelen´ski (1922–1987), ein »Vordenker des CCF«34 und Herausgeber der polnischen Exilzeitschrift Kultura 30 Vgl. Peter Coleman, The liberal Conspiracy. The Congress for Cultural Freedom and the struggle for the mind of postwar Europe, New York–London 1989, 9. 31 Berghahn, Transatlantische Kulturkriege, 170. 32 Vgl. Herbert Tichy, Friedrich Torberg. Ein Leben in Widersprüchen. Salzburg 1995, 183–226. 33 Peter Coleman, The Liberal Conspiracy, 53ff., 83ff. 34 Berghahn, Transatlantische Kulturkriege, 338.

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in Paris, spielte ebenfalls eine wichtige Rolle innerhalb des Kalten Kulturkriegs der von Paris aus geführt wurde.35 Wolfgang Kraus’ Kontakt zu Bondy und Jelen´ski kam über den Schriftsteller ManHs Sperber (1905–1984) zustande, mit dem ihn – seit ihrem ersten Zusammentreffen in Sperbers Büro im Pariser Verlagshaus Calmann-L8vy 1961 – eine tiefe Freundschaft verband. Der im galizischen Zabłotjw geborene Sperber war 1927 der Kommunistischen Partei beigetreten, arbeitete in den 1930er-Jahren im Sinne der »Volksfrontpolitik« zusammen mit Willi Münzenberg in Paris gegen den Faschismus, trat jedoch 1937 auf dem Höhepunkt der Moskauer Säuberungen aus der Partei aus. Sperbers Biographie wird zum »Fallbeispiel einer Generation von Ex-Kommunisten«36 ; er selbst war mit seinem radikalen Antikommunismus immer auf der Wiener Linie.37 Zusammen mit Koestler verfasste Sperber das Manifest für freie Menschen, das bei der ersten Tagung des CCF in Berlin im Juni 1950 verlesen worden war. Er gehörte dem Exekutivkomitee des CCF an und war einer der zentralen Akteure des Kongresses. Dass der Verwaltungssitz des CCF 1951 nach Paris verlegt worden war, war für den dort lebenden Exilanten Sperber von großer Bedeutung, da er sich nun »energisch in die Planungs- und Organisationsarbeit« einbringen konnte und als »Organisator, Kommunikator und ›Ideenlieferant‹ gefordert«38 war. Im Gegensatz zu Sperber gehörte Kraus jedoch nicht zum inneren Kreis des CCF.

IV. Wie sich die Organisation der internationalen Kongresse der ÖGL gestaltete, lässt sich aus der Korrespondenz zwischen Kraus und Sperber ablesen. Für das Round-Table-Gespräch »Unser Jahrhundert und sein Roman« im Oktober 1965 besprach Kraus in Paris mit FranÅois Bondy »alles bis ins kleinste Detail, […] sowohl die Liste der Teilnehmer, als auch die Usancen bei der Tagung, wobei festgelegt wurde, dass jeder der Herren ein Referat von 10–20 Minuten nach schriftlicher Vorlage« halten sollte.39 Der Kongress konnte schließlich mit einer 35 Vgl. zu Konstanty A. Jelen´ski: Bernard Wiaderny, Der Kongress für kulturelle Freiheit und die polnische Exilzeitschrift Kultura, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung, 60 (2011) 1, 50–78. 36 Mirjana Stancˇic´, ManHs Sperber (1905–1984), in: dies./Marcus G. Patka (Hg.), Die Analyse der Tyrannis. ManHs Sperber 1905–1984, Wien 2005, 187–191, 187. 37 Gerald Stieg, ManHs Sperber im Kalten Krieg der französischen Intellektuellen, in: Wolfgang Hackl/Kurt Krolop (Hg.), Wortverbunden – zeitbedingt. Perspektiven der Zeitschriftenforschung, Innsbruck–Wien–München–Basel 2001, 207–218, 209. 38 Mirjana Stancˇic´, ManHs Sperber. Leben und Werk, Frankfurt am Main–Basel 2003, 463. 39 Brief von Wolfgang Kraus an ManHs Sperber, Wien, 14. Januar 1965, Lit., NL WK.

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Vielfalt an bedeutenden Persönlichkeiten aufwarten. Anwesend waren unter anderen der systemkritische slowakische Schriftsteller Ladislav Mnˇacˇko (1919–1994), der tschechische Autor, Übersetzer und Psychiater Josef Nesvadba (1926–2005), der Schriftsteller Hermann Kesten (1900–1996) und der Literaturwissenschafter Hans Mayer (1907–2001). Aus England kamen die mit Kraus befreundeten Elias Canetti (1905–1994) und Erich Fried (1921–1988). Die literarischen Stimmen Frankreichs waren mit dem Vater des nouveau roman Alain Robbe-Grillet (1922–2008) und ManHs Sperber vertreten. Auch der polnische Germanist Roman Karst (1911–1988), der an der Franz-Kafka-Konferenz auf Schloss Liblice bei Prag im Mai 1963 teilgenommen hatte, stand auf der Teilnehmerliste. Ungarn war mit den Schriftstellern Tibor D8ry (1894–1977) und G8za Ottlik (1912–1990) vertreten. D8ry war wegen seiner Beteiligung am ungarischen »Volksaufstand« 1956 mehrere Jahre inhaftiert und seine Werke bis 1962 in Ungarn verboten. Mit Kraus stand er bereits seit 1963 in Kontakt.40 Das kommunistische Periodikum Tagebuch vermerkte kritisch, Kraus hätte aus dem Osten vor allem Vertreter des Westens eingeladen.41 Auch für den nächsten Kongress »Literatur als Tradition und Revolution« erhielt Kraus tatkräftige Unterstützung vom Pariser Büro des CCF. Das Konzept für den Kongress stammte von Sperber, Kraus steuerte eine Wunschliste mit Namen bei, bei denen der CCF seinen Einfluss geltend machen sollte, um sie zur Teilnahme zu bewegen. Gefördert wurde der Kongress mit einer Summe von 184.300 Schilling.42 Jedoch ergaben sich im Vorfeld der Planung des Kongresses für das Jahr 1966 Spannungen. Denn der ursprünglich geplante Termin fiel fast genau mit dem zehnten Jahrestag des ungarischen Volksaufstands und des »Polnischen Oktobers« zusammen. Da sich der Kongress auf die Thematik »Literatur als Tradition und Revolution« konzentrieren sollte, kam der Osten, wie Marcel Reich-Ranicki in Die Zeit anmerkte, »auf die Idee, die Wiener könnten diesmal Ungemütliches im Schilde führen, vielleicht eine politische Demonstration oder gar eine handfeste Provokation« und verteidigte die ÖGL, ihr wäre an nichts »weniger gelegen als an einem Mißbrauch des neutralen österreichischen Bodens zu provozierenden Aktionen«.43 Kraus selbst monierte

40 Vgl. Ferenc Botka, Wolfgang Kraus und Tibor D8ry, in: Peter Bassola/Endre Kiss (Hg.), Literatur als Brücke zwischen Ost und West, 88–89, 88. 41 Vgl. S.M., »Gegenwart und Zukunft des Theaters. Ein Ost-West-Gespräch über zeitgenössische Dramatik«, in: Tagebuch 20 (1965) 4, 12. 42 Kostenvoranschlag für Kongress »Literatur als Tradition und Revolution«, 24.–26. April 1967, Wien, Januar 1967, Ablage: Symposium: Literatur als Tradition und Revolution, Mappe 24.–26. Oktober 1966, Korrespondenzen: Sperber, Jelen´ski, Bondy, Archiv der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, Wien (im Folgenden zitiert als ÖGL-Archiv). 43 Marcel Reich-Ranicki, »Wiener Kongreß 1966 abgesagt«, in: Die Zeit, 14. Oktober 1966, 16.

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die Sinnlosigkeit, ein »Gespräch ohne Partner zu führen, das dem ursprünglichen Konzept unseres Unternehmens nicht gerecht werden kann«.44 Ein weiteres Problem ergab sich mit dem Vorschlag des CIA-Offiziers und Schriftstellers John Hunt, in den Einladungen an die westlichen Teilnehmer zu vermerken, dass ihnen die Teilnahme durch die finanzielle Hilfe des Comit8 d’8crivains et d’8diteurs pour une entraide intellectuelle europ8enne ermöglicht würde. Hierzu schrieb Kraus an Sperber : »Die Sorge ist eine doppelte: man befürchtet einerseits, durch die sichtbare Verbindung des ›Comit8s‹ [sic!] mit dem ›Kongress für kulturelle Freiheit‹ im Hinblick auf den Osten Einbussen zu erleiden. Die Tatsache, dass das ›Comit8‹ nicht selbst als Miteinladender auftreten möchte, würde bestätigen, dass in dieser Hinsicht immer noch Hemmnisse bestehen. Die Verbindung beider Institutionen […] ist durch die Personalunion der Sekretariate, also den – mir überaus sympathischen – Herrn Jelenski [sic!], offen gegeben. Wie Herr Jelenski mir seinerzeit schrieb, ist auch seine Mitarbeit an der ›Kultura‹ bekannt.«45

Dass der Kongress, der dann erst im April 1967 stattfand, jedoch von Erfolg gekrönt war, zeigte die umfangreiche Presseresonanz, die »sich von Oslo und Helsinki bis Madrid« erstreckte und »überwiegend positiv« war, wie Kraus Jelen´ski berichten konnte.46 Ein Vorteil für Kraus durch seine Verbindung mit dem 1957 gegründeten und von Bondy und Jelen´ski geleiteten Comit8 d’8crivains et d’8diteurs waren die Kontakte in den Osten. Das Comit8 bündelte jene Aktivitäten des Kongresses, die aus der Unterstützung der seit 1956 verfolgten ungarischen Intellektuellen herrührten. Das Programm umfasste Symposien, weiteres wurden nur im Westen erhältliche Bücher an SchriftstellerInnen in den kommunistischen Staaten versandt und darüber hinaus gab es Hilfe bei der Publikation ihrer Werke. Bondy und Jelen´ski wandten sich nicht an offizielle Institutionen in Osteuropa, sondern vor allem an Einzelpersonen, um die »Authentizität des Austausches zu garantieren«.47 Wie diese Hilfestellungen für osteuropäische Schriftsteller funktionierte, lässt sich exemplarisch an dem Fall des ungarischen Dramatikers und Wortführers des ungarischen Volksaufstands 1956 Julius H#y (1900–1975) zeigen, der drei Jahre lang inhaftiert gewesen war. Im November 1963 wandte sich Kraus an Sperber mit der Bitte, H#y zu unter44 Kopie eines Briefes von Wolfgang Kraus an Heimito von Doderer, 30. September 1966, Lit., NL WK. 45 Brief von Wolfgang Kraus an ManHs Sperber, 28. Februar 1966, Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Nachlass Wolfgang Kraus, ÖLA 63/97. 46 Brief von Wolfgang Kraus an K. A. Jelen´ski, 26. Mai 1967, Ablage: Symposium: Literatur als Tradition und Revolution, Mappe 24.–26. Oktober 1966, Korrespondenzen: Sperber, Jelen´ski, Bondy, ÖGL-Archiv. 47 Vgl. Ulrike Ackermann, Sündenfall der Intellektuellen. Ein deutsch-französischer Streit von 1945 bis heute, Stuttgart 2000, 107.

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stützen. H#y hatte vor »nach unendlichen Mühen zum ersten Mal ins westliche Ausland [zu] reisen«. Kraus schrieb an Sperber : Da er »zu einer uns sehr nahestehenden Haltung gelangt« ist, wäre es »in jeder Hinsicht wichtig, ihm im Westen Kontakte zu schaffen«.48 Sperber griff sofort ein, »damit Ihr Proteg8 Julius Hay [sic!] vom Kongress der kulturellen Freiheit in Muenchen aufs allerbeste empfangen, geehrt und Muenchener Intellektuellen vorgestellt werde«.49

V. Eine weitere der selbst gesetzten Aufgaben der ÖGL war es, mit ideologisch aufgeschlossenen AutorInnen aus dem Bereich der ehemaligen Donaumonarchie in Verbindung zu treten. Die Einladungen an SchriftstellerInnen und WissenschaftlerInnen sollten dazu beitragen »die eigene Position in der europäischen Entwicklung besser und kritischer zu erkennen und ihre Möglichkeiten deutlicher werden zu lassen«.50 Dazu muss man sich »vergegenwärtigen, dass es während des Kalten Krieges und noch lange später kaum direkte Kontakte zwischen den verschiedenen Lagern gegeben hatte«.51 Wer, wie Kraus, während des »Tauwetters« zu den ersten westlichen BesucherInnen in der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten zählte, war auch besser über die dortigen politischen und kulturellen Vorgänge informiert. Die zweite »Entstalinisierungswelle«, die 1961 auf dem XXII. Parteitag der KPdSU eingeleitet wurde, war durchaus ambivalent: Während zum Beispiel Vasilij Grossmans (1905–1964) Stalingradroman Leben und Schicksal 52 beschlagnahmt wurde, durfte Aleksandr Solzˇenicyns (1918–2008) Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch, das durch die Thematisierung des Gulags die Hoffnungen der Antistalinisten erfüllte, erscheinen. Die anhaltende rigide Kulturpolitik unter Leonid I. Brezˇnev, der 1964 Chrusˇcˇev abgelöst hatte, führte zu einer dritten Welle der Emigration bzw. Ausweisung und Ausbürgerung, die einen »weiteren Aderlass der intellektuellen Elite« bedeutete.53 48 Brief von Wolfgang Kraus an ManHs Sperber, Wien 5. November 1963, Lit., NL WK. 49 Brief von ManHs Sperber an Wolfgang Kraus, Paris, 30. November 1963, Lit., NL WK. 50 Vgl. Aus der Eröffnungsansprache Dr. Wolfgang Kraus »Österreichische Gesellschaft für Literatur«, am 18. Dezember 1961, Lit., NL WK. 51 Endre Kiss, Über den Charme des Homo Aestheticus in einer Welt des eisernen Vorganges, in: Peter Bassola/Endre Kiss (Hg.), Literatur als Brücke zwischen Ost und West, 26–39, 33–34. 52 Vgl. Wladimir Woinowitsch, Leben und Schicksal des Wassili Grossman, in: Wassili Grossman, Leben und Schicksal. 6. Aufl., Berlin 2007, 1059–1068, hier 1061. 53 Städtke/Engel, Russische Literaturgeschichte, 353. Vgl. auch Vladislav Zubok, Zhivago’s Children. The Last Russian Intelligentsia, Cambridge, Massachusetts–London 2009, 259–261.

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In einer Rede zum 30-jährigen Bestehen der ÖGL fasst Kraus zusammen, dass er »durch Hartnäckigkeit und fallweise auch durch die Gunst vorübergehender liberaler Phasen wichtige Persönlichkeiten nach Wien bringen«54 konnte. Kraus nannte unter anderen Tibor D8ry (1894–1977), Julius H#y (1900–1975), Miroslav Krlezˇa (1893–1981), Frantisˇek Langer (1888–1965), Stanisław Jerzy Lec (1909–1966), Vasilij Aksenov (1932–2009), Zbigniew Herbert (1924–1998), Sławomir Mroz˙ek (1930–2013), Stanisław Lem (1921–2006), Eduard Goldstücker (1913–2000), Efim Etkind (1918–1999) und V#clav Havel (1936–2011). Havels Theaterstück Das Gartenfest (1963), eine Satire über die nur noch maschinelle Bedeutung des Menschen in einer totalen Bürokratie, wurde 1965 im Wiener Volkstheater aufgeführt. Im September desselben Jahres widmete ihm die ÖGL einen eigenen Abend. Neben einem Gespräch zwischen Havel und Jan Grossmann, dem Direktor des Theaters, am Geländer in Prag, wo Havel als »Hausautor« galt, wurden auch Auszüge aus dem absurden Drama Die Benachrichtigung (1965) vorgelesen. Vier Jahre später erhielt Havel den Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur. Der berühmteste Dissident, Aleksandr Solzˇenicyns, war zwar nicht zu Gast in der ÖGL, jedoch wurde ihm und seinem Werk am 22. Februar 1972 ein Abend gewidmet, durch den die Übersetzerin und Autorin Elisabeth Markstein (1929–2013) und der Schriftsteller Pjotr Rawicz (1919–1982) führten. Darüber hinaus ließ die ÖGL über den sowjetischen Schriftstellerverband dem »grossen Repräsentanten der heutigen Sowjetliteratur Schaffenskraft und Gesundheit für viele Jahre«55 zu seinem 50. Geburtstag im Jahr 1968 ausrichten. Mit einem anderen berühmten Dissidenten, dem Germanisten und Übersetzer Lev Kopelev, der sich jedoch nicht als solcher verstanden wissen wollte, sondern als »Literat, der Gewissen hat« und nicht »gegen das Regime, sondern für Menschen«56 eintrat, stand die ÖGL seit Beginn der 1960er-Jahre in Kontakt. 1912 in Kiew geboren, studierte der damals noch Stalin zugetane Kopelev Germanistik und meldete sich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs freiwillig zur Roten Armee. Nach dem Sieg im »Vaterländischen Krieg« wurde er 1945 verhaftet, weil er sich gegen die Plünderungen, Vergewaltigungen und Morde an unbewaffneten deutschen ZivilistInnen wandte. Wegen »Mitleids mit dem Feind«57 wurde er zu zehn Jahren Straflager verurteilt. Nach seiner Rehabili54 Wolfgang Kraus, Rückblick und Stellungnahme zum dreißigjährigen Bestehen der ÖGL, 4. Dezember 1992, Rede, Oratorium der Österreichischen Nationalbibliothek, Lit., NL WK. 55 Entwurf eines Briefes der Österreichischen Gesellschaft für Literatur an Aleksandr Solzˇenicyn, Dezember 1968, Ordner : Russland 1963 – Oktober, November 1979, ÖGL-Archiv. 56 Widmar Puhl, Dichter für die Freiheit. Von der subversiven Kraft der Literatur in Osteuropa, Frankfurt am Main 1993, 19. 57 Vgl. ebd.

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tierung lehrte er in Moskau deutsche Literatur und Theaterwissenschaft und schrieb zahlreiche wissenschaftliche Werke über Johann Wolfgang von Goethe, Bertolt Brecht, Lev Tolstoj sowie Heinrich Heine. Der eng mit Heinrich Böll befreundete Kopelev verstand sich während des Kalten Kriegs als »Brückenbauer« zwischen den Völkern in Ost und West und entwickelte »als Mahnender, als Streiter für die Menschenrechte […] eine unvergleichliche Wirksamkeit«.58 1981 wurde ihm während eines Besuchs in der Bundesrepublik Deutschland die sowjetische Staatsbürgerschaft aberkannt, da er sich für den verbannten sowjetischen Physiker und Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharov (1921–1989) eingesetzt hatte. Die von der ÖGL ausgesprochenen Einladungen an Intellektuelle im Osten bedurften sorgfältiger Planung sowie einiger Vorsicht, wie Kraus in einem Brief an den Journalisten, Historiker und Diplomaten Shepard Stone,59 der die Nachfolge-Organisation des CCF, die International Association for Cultural Freedom (IACF) leitete, anmerkte: »Wir hüten uns vorsorglich, ›offizielle Persönlichkeiten‹ unter den Schriftstellern, Kritikern, Verlagsleuten zu uns einzuladen oder solche, die als linientreue Sprecher der offiziellen Ideologie gelten. Wir vermeiden dies deshalb, da man dem Eingeladenen sonst eine Festigung seiner Position zuteil werden lässt. […] Wir haben uns daher mit Hilfe meiner zahlreichen Reisen nach dem Osten und durch Vermittlung liberalerer Schriftsteller […] einen Personenkreis geschaffen, von dem wir wissen, dass er mit der Partei nur so viel zu tun hat, als es unbedingt sein muss. […] Ich habe bisher mit grosser Hartnäckigkeit Einladungen an alle jene Leute vermieden, die uns von östlicher Seite als Exponenten eines Kulturaustausches empfohlen wurden.«60

Die ÖGL konnte in ihrer Einladungspolitik nur kurz vom zwischen 1953 und 1962 herrschenden »Tauwetter« profitieren, während es in der sogenannten »Stagnationszeit« unter Brezˇnev und seinen kurzlebigen Nachfolgern zwischen 1964 und 1985 immer schwieriger wurde, regimekritische Intellektuelle aus dem Osten, insbesondere aus der UdSSR, einzuladen. Erst mit Michail Gorbacˇevs perestrojka (1986–1991) wurde dies wieder möglich.61 Dennoch unterstützte die ÖGL die dissidenten Kreise beziehungsweise diejenigen sowjetischen Intellek-

58 Werner Keller, Lew Kopelew – der Schriftsteller und Wissenschaftler, der Freund der Menschen und Verfechter ihrer Grundrechte, in: Dirk Kemper/Iris Bäcker (Hg.), Deutsch-russische Germanistik. Ergebnisse, Perspektiven und Desiderate der Zusammenarbeit (= Thomas Mann-Lehrstuhl an der RGGU Moskau, Institut für deutsch-russische Literatur- und Kulturbeziehungen 1), Moskau 2008, 81–101, 101. 59 Vgl. Berghahn, Transatlantische Kulturkriege, 256. 60 Abschrift eines Briefes von Wolfgang Kraus an Shepard Stone, 13. Dezember 1965, AmerikaOrdner, ÖGL-Archiv. 61 Städtke/Engel (Hg.), Russische Literaturgeschichte, 355.

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tuellen, denen ihre materielle Grundlage durch Arbeitsverbot entzogen oder die in den 1970er-Jahren ausgebürgert oder ausgewiesen werden sollten. Eine Anlaufstelle war die ÖGL auch nach der Niederschlagung des »Prager Frühlings« 1968, als zahlreiche tschechische Intellektuelle nach Österreich flüchteten. Die ÖGL protestierte nicht nur offiziell in einer Aussendung,62 sondern nahm damals auch 200 Intellektuelle auf, darunter auch Milan Kundera (geb. 1929) und Jan Sk#cel (1922–1984). Kraus erinnerte sich, dass der Germanist Eduard Goldstücker (1913–2000) an der Tür der ÖGL nur »mit einem Köfferchen in der Hand und nichts sonst«63 läutete. Er berichtete George Minden64 in einem Brief, dass trotz der Gespräche, die er mit Shepard Stone bezüglich finanzieller Unterstützung für Flüchtlinge geführt hätte, »nicht ein Groschen für diese Leute flüssig gemacht« worden wäre und die Hilfsmaßnahmen sich »nur aus österreichischen Quellen« gespeist hätten.65 So genoss die ÖGL als Anlaufstelle für Dissidenten in den 1970er-Jahren – als sich die sowjetische Praxis der Ausweisungen und Ausbürgerungen häufte66 bereits einen gewissen Ruf. Kraus hielt fest: 62 Vgl. Brief von Milo Dor an Wolfgang Kraus, 30. August 1968, ÖGL-Archiv. 63 Wolfgang Kraus, Zwischen Trümmern und Wohlstand. Das literarische Leben in Österreich von 1945 bis zur Gegenwart, in: Herbert Zeman (Hg.), Geschichte der Literatur in Österreich. Das 20. Jahrhundert. Graz 1999, 539–636, 601. 64 Als George Caˇput¸ineanu Minden (1920–2006) in Bukarest (Rumänien) geboren, studierte er Zivilrecht an der Universität Bukarest und verließ nach der kommunistischen Machtübernahme das Land. Er ging nach England, studierte in Cambridge und unterrichtete von 1948 bis 1954 Englisch in Cartagena und Madrid. 1955 übersiedelte er in die USA, wurde Analyst beim Free Europe Committee (FEC) und stieg 1958 zum Leiter des Free Europe Press Book Center auf. Im Mai 1961 erfolgte seine Ernennung zum Direktor des Communist Bloc Operations Departement, im März 1963 zum Direktor der Publications and Special Projects Division der FEC und er übernahm das gesamte Management und die Operationen des Bücherversendungsprogramms. Minden hatte einen Abschluss in vergleichender Literaturwissenschaft und sprach fließend Englisch, Spanisch und Französisch. Seine Abteilung, die die Agenden des Bücherversendungsprogrammes in den Osten über hatte, wurde 1967 vom FEC abgelöst und vom US-Kongress finanziert. 1971 wurde das Buchprogramm dem International Advisory Council unterstellt. Vgl. Alfred A. Reisch, Hot Books in the Cold War. The CIA-Funded Secret Western Book Distribution Program Behind the Iron Curtain, Budapest–New York 2013, 39–54. 65 Brief von Wolfgang Kraus an George Minden, 15. Januar 1969, Amerika-Ordner, ÖGL-Archiv. 66 So wurden 1973 Andrej Sinjavskij und Naum Korzˇavin ausgewiesen, im Februar 1974, fast gleichzeitig mit Aleksandr Solzˇenicyn, Vladimir Maksimov, der den kritischen Roman Die sieben Tage der Schöpfung (dt. 1972) verfasst hatte; im Sommer desselben Jahres folgten der Literaturwissenschaftler Efim Etkind, der Dichter Liedersänger Aleksandr Galicˇ und im September wurde Viktor Nekrasov ausgewiesen. Im Sommer 1975 folgte Andrej Almarik, der einige absurde Dramen im Stile Samuel Becketts verfasste hatte, und im August 1978 emigrierte der Schriftsteller Sergej Dovlatov. Vgl. Reinhard Lauer (Hg.), Geschichte der russischen Literatur. Von 1700 bis zur Gegenwart. 2 durchges. u. erg. Aufl., München 2009, 833.

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»Mir wird unvergesslich sein, als bei mir zu Hause in Wien 1972 das Telefon läutete und sich eine ruhige Stimme mit dem Namen Jossif Brodsky meldete. Ich machte Pause und fragte dann: ›Sie sprechen aus Leningrad?‹ Die Antwort: ›Nein, aus Schwechat, vom Flugplatz. Ich bin hier mit einem Koffer und bleibe im Westen.‹«67

Joseph Brodsky, 1987 mit 47 Jahren mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet und damit der damals jüngste Preisträger, anglisierte seinen Namen Mitte der 1980er-Jahre. 1940 als Iosif Brodskij in Leningrad geboren, war er in seiner Jugend – aufgrund seiner jüdischen Abstammung – mit dem Antisemitismus der Stalinzeit konfrontiert. Mit einem einzigen Gedicht, der Großen Elegie für John Donne wurde er, der bis dahin noch keine einzige Veröffentlichung vorzuweisen hatte, schlagartig berühmt. Das Gedicht wurde in viele Sprachen übersetzt. Brodsky war kein typischer politischer Dissident, sondern vielmehr unabhängig, individualistisch und religiös, was für die sowjetischen Machthaber problematischer war als Dissidenten mit politischen Forderungen. Brodsky wurde bereits 1964 aufgrund seiner metaphysischen Lyrik der Prozess wegen »Arbeitsscheue« und »Parasitentums« gemacht und infolgedessen zu fünf Jahren Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt. Zwar kam er eineinhalb Jahre später frei, musste jedoch als Übersetzer sein Dasein fristen. 1972 wurde er auf einer Pressekonferenz in den Räumen der ÖGL erstmals im Westen persönlich vorgestellt.68 Wien als »Brücke zwischen Ost und West«, ist hier jedoch nur eine Zwischenstation, bevor Brodsky über München in die Vereinigten Staaten emigrierte.69 Kraus notierte in seinen Tagebüchern über den Verlauf der Veranstaltung folgendes: »Brodskij 17:30 Lit[eratur].Ges[ellschaft]. Hauptsächlich Presseleute. ›Wo ich bin, dort ist deutsche Literatur.‹ (Thomas Mann). Liest wie Priester (Diakon) bei rumänisch orthodoxem Gottesdienst, gregorianisch singend, aus der Brust. Pindar. Unreflektiert, ungebrochen. Demut und Kraft. Das Gefühl der totalen Niederlage auf allen Schauplätzen. Ungeachtet des äußeren Bildes.«70

Fast genau ein Jahr darauf sendete ihm Brodsky eine Postkarte »[f]rom Germany with mixed feelings«: »I realized that today we could celebrate the first anniversary of our meeting.«71 Zur Verleihung des Nobelpreises an Brodsky führte Kraus aus: dieser »Nobelpreis für Brodsky nützt uns, weil wir nun veranlaßt werden, uns mit seinem Werk zu beschäftigen, und sie [die Verleihung an 67 Wolfgang Kraus, Im Westen mit russischen Augen, maschinschriftliches Typoskript, Lit., NL WK. 68 Vgl. Wolfgang Hingst, Brodskij als Gast in der Literaturgesellschaft, in: Arbeiter-Zeitung, 15. Juni 1972, 10. 69 Vgl. Lev Loseff, Joseph Brodsky : a Literary Life, New Haven 2010, 168–172. 70 Wolfgang Kraus, Tagebücher, 14. Juni 1972, Lit., NL WK. 71 Brief von Joseph Brodsky an Wolfgang Kraus, München, 15. Juni 1973, Lit., NL WK.

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Brodsky] nützt dem Nobelpreis, weil er jemandem verliehen wird, der die Bedeutung dieses Preises erhöht.«72 Auch auf einer anderen Ebene unterstützte die ÖGL die Intellektuellen, die sich nicht der Gunst des Sowjetregimes erfreuten. Zur »subversiven« Tätigkeit der ÖGL gehörte die Versorgung der östlichen Intellektuellen mit Buchpaketen, die Werke enthielten, die in der Sowjetunion nicht zu bekommen waren, darunter auch verstärkt österreichische Literatur (vor allem die öffiziösen Zeitschriften Wort in der Zeit und ab 1966 Literatur und Kritik). Die ÖGL beteiligte sich so am »Marshall Plan for the Mind«,73 denn Bücher spielten eine wichtige Rolle in der »Verwestlichung« der Sowjetunion. Obwohl höhere Auflagen von Büchern gedruckt wurden als in jedem anderen Land, war der Lesehunger in der Sowjetunion besonders groß. Das Publizieren war sowjetisches Staatsmonopol. Es wurden viele Bücher verlegt, die die Bevölkerung nicht lesen wollte, dagegen wurden beliebte Titel oftmals nur in geringer Auflage gedruckt.74 Lev Kopelev sprach davon, dass Kraus und seine MitarbeiterInnen »so oft und so freundschaftlich mir und meinen Freunden mit den herzlichsten Büchergaben Freude und Nutzen gebracht« hatten.75 Diese Art der »psychologischen Kriegsführung«, an der Kraus und die ÖGL partizipierten, richtete sich gegen die kommunistische Ideologie und sollte den Intellektuellen in Osteuropa den »geistigen Anschluss« an den Westen ermöglichen. Im Zeitraum zwischen 1956 und 1991 gelangten so ca. 10 Millionen westliche Bücher und Druckschriften in die kommunistischen Staaten.76 Kraus berichtete Minden in einem Brief vom Dezember 1965, dass »alles[,] was wir an Büchern nach dem Osten schicken, von ausserordentlicher Wirkung ist. Dadurch[,] dass wir die Sendungen an uns genau bekannte Personen, bezw. Institutionen richten[,] ist ein maximaler Effekt garantiert. Ich kann auf meinen ständigen Reisen nach dem Osten immer wieder feststellen, dass diese Buchsendungen in der geistigen Entwicklung von Schriftstellern, Germanisten und Theaterleuten eine geradezu entscheidende Rolle spielen. Man kann überhaupt nicht ermessen, welchen Beitrag wir damit zu einer liberaleren Entwicklung leisten.«77

72 Wolfgang Kraus in: Der Tagesspiegel, 23. Oktober 1987, zitiert nach Wolfgang Kasack, Die russische Schriftsteller-Emigration im 20. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte, den Autoren und ihren Werken, München 1996, 131. 73 Vgl. John P. C. Matthews, The West’s Secret Marshall Plan for the Mind, in: International Journal of Intelligence and Counter-Intelligence, 16 (2003) 3, 409–427. 74 Richmond, Cultural Exchange and the Cold War, 136. 75 Brief von Lev Kopelev an Wolfgang Kraus, Leningrad, 21. September 1967, Ordner : Russland 1963 – Oktober, November 1979, ÖGL-Archiv. 76 Vgl. Reisch, Ideological Warfare during the Cold War, 55. 77 Brief von Wolfgang Kraus an George Minden, Wien, 14. Dezember 1965, Amerika-Ordner, ÖGL-Archiv.

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Jedoch monierte Kraus, dass Österreich in den 1970er-Jahren für die Ost-West Begegnung »nicht mehr wichtig [sei], andere Länder (Frankreich, die Bundesrepublik) haben uns überholt, wenn auch, meiner Ansicht nach, oft mit blindem Eifer«.78 Die ÖGL sprach immer wieder – wenn auch zumeist erfolglos – Einladungen über offizielle Kanäle, das heißt über die österreichische Botschaft in Moskau beziehungsweise den Schriftstellerverband der UdSSR aus: »Der Name der [ÖGL] wird Ihnen, wie wir hoffen, nicht mehr unbekannt sein. Wir hatten bereits im vergangenen Jahr das Vergnügen, Herrn Georgij Bondarew als unseren Gast bei einem internationalen Roman-Kongress in Wien zu begrüßen und möchten Ihnen bei dieser Gelegenheit noch sagen, dass wir uns über den Besuch von Bondarew sehr gefreut haben. […] [Daher] haben wir uns entschlossen, zwei russische Essayisten, die sich mit österreichischer Literatur befassen, zu einem einmonatigen Studienaufenthalt nach Wien einzuladen. Es handelt sich um die Herren [Lev Kopelev und Efim Etkind]. […] Wir würden beiden Herren die Möglichkeit geben, österreichische Autoren kennenzulernen, Theater zu besuchen und in unseren Bibliotheken zu arbeiten, sowie sich mit allen anderen Belangen ihres Fachgebiets zu beschäftigen. […] Wir wären Ihnen, sehr geehrte Herren, sehr verbunden, wenn Sie den Aufenthalt der Herren Kopelew und Etkind in Wien ermöglichen könnten. […]«79

Die seit 1966 erfolgten Versuche der ÖGL Kopelev einzuladen scheiterten. Erst nach dessen Ausbürgerung im Jahr 1981 konnte eine Veranstaltung mit ihm stattfinden. 1983 nahm er an dem Symposium Was bleibt von Kafka? Ergebnisse und Möglichkeiten der Kafka-Interpretation teil. Wie Karl Schlögel bemerkt, gehörte zur Öffentlichkeit der geteilten Welt »die Unterbindung des freien Meinungsaustausches, des schlichten Wechselns von Briefen«.80 Briefwechsel waren auf ein Netzwerk von Beziehungen, zu dem JournalistInnen, KorrespondentInnen, DiplomatInnen, Botschaftsangehörige oder internationale Forschungsorganisationen zählten, angewiesen, die die dauerhafte Kommunikation ermöglichen mussten und bedurfte einer besonderen Strategie. Ersichtlich wird dies zum Beispiel aus der Tatsache, dass Kopelev etwa zwei Durchschläge desselben Briefes an die ÖGL versendete. In ersterem, über den offiziellen Postweg versandt, beklagte er sich, er würde seit langem »Nachrichten von Ihnen, sowie die sonst so großzügigen Bücherspenden«81 vermissen. In zweiterem, dem inoffiziellen Brief, der Kraus vermutlich 78 Brief von Wolfgang Kraus an Sperber, Wien, 28. Dezember 1970, Lit., NL WK. 79 Beilage zu einem Brief von Wolfgang Kraus an Lev Kopelev vom 10. Januar 1966, Kraus an den Schriftstellverband der UdSSR, 10. Januar 1966, Ordner : Russland 1963 – Oktober, November 1979, ÖGL-Archiv. 80 Karl Schlögel, Ost-Westliche Kassiber. Vom langen Ende einer langen Nachkriegszeit, in: Elsbeth Zylla (Hg.), Heinrich Böll – Lew Kopelew Briefwechsel. Göttingen 2011, 9–34, 22–23. 81 Brief von Lev Kopelev an Wolfgang Kraus, 12. September 1972, Lit., NL WK.

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über die österreichische Botschaft oder gemeinsame Bekannte erreichte, vermerkte Kopelev in einem handschriftlichen Zusatz: »Seit Monaten leide ich unter einer Post-Sperre, die ich nun doch bekämpfen will. Bitte lassen Sie mich wissen ob Sie d. 1. Durchschlag v. diesem Brief erhalten haben. Falls nicht, dann können sie es mir über Frau [Heddy] Pross-Werth[,] die zu mir eine direkte Verbindung hat, schreiben und dann werde ich offiziell protestieren können. Oder seien Sie bitte so lieb, und rufen Sie mich an […].«82

Über drei Jahrzehnte war Kraus auch mit dem Germanisten, Komparatisten, Romanisten und Übersetzer Efim Etkind, der am Alexander-Herzen-Institut in Leningrad lehrte, in Verbindung. Etkind, der 1967 am Round-Table-Gespräch Literatur als Tradition und Revolution teilnahm, war »schlicht eine Institution«83 und seine Wohnung in Leningrad ein beliebter Treffpunkt von DichterInnen und DissidentInnen. Letztere war er stets bestrebt zu unterstützen. Etkind sagte zum Beispiel im Prozess gegen Brodsky zu dessen Gunsten aus, was er, ein Jahr nach dessen Ausbürgerung, mit dem Ausschluss aus dem sowjetischen Schriftstellerverband, der Entlassung aus allen Ämtern und Stellungen sowie der Aberkennung seiner akademischen Grade bezahlte. Darüber hinaus versteckte er Solzˇenicyns Manuskript des »Archipel Gulag«, um es vor dem Schicksal der Beschlagnahmung durch den KGB zu bewahren. Ebenso wie Brodsky nahm Kraus auch Etkind nach dessen Emigration 1974 am Schwechater Flughafen in Empfang und beherbergte ihn für einige Monate in Wien. Kraus lernte Etkind 1963 auf einer Reise durch die Sowjetunion kennen. Diese führte Kraus auch nach Leningrad, wo Etkind als Übersetzer von Bertolt Brechts Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui in der Inszenierung von Erwin Axner (1917–2012) fungierte.84 Etkind stand bis zu seiner erzwungenen Emigration in engem brieflichen Kontakt mit der ÖGL. Kraus bemühte sich zwischen 1967 und 1974 jährlich darum, seine Einladung an Etkind, die über den sowjetischen Schriftstellerverband erfolgte, zu erneuern. Seine Anstrengungen blieben jedoch erfolglos: »Ihren offiziellen Brief habe ich auch erhalten, danke. Was kann ich mit ihm anfangen? Meine Sammlung solcher Dokumente bereichern? Vielleicht ist es aber nicht für ewig, lieber Wolfgang, und die Welt wird einmal gescheiter und ruhiger werden.«85 Dennoch bedankte er sich für Kraus’ Engagement und hob hervor, dass dieser »eine feste Brücke gebaut [hätte], die viele Intellektuelle verbunden hat«.86 82 Ebd. 83 Ilma Rakusa, »Dissident wider Willen. Zum Tode des russischen Germanisten und Übersetzers Efim Etkind«, in: Die Zeit, 2. Dezember 1999. 84 Wolfgang Kraus, »Wer ist Efim Etkind? Sowjetischer Gelehrter hat Schwierigkeiten in der UdSSR«, in: Der Tagesspiegel, 9. Juni 1974, S. 4. 85 Brief von Efim Etkind an Wolfgang Kraus, Leningrad, 2. April 1972, Lit., NL WK. 86 Ebd.

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In seiner Funktion als Kulturjournalist und »Sowjetologe« behielt Kraus die offizielle Kulturpolitik der Sowjetunion scharf im Auge und schrieb immer wieder über die verschärften Repressionen gegen Kulturschaffende, die nach dem »Prager Frühling« 1968 im Zuge der »Normalisierung« zu einer »schleichende[n] Restalinisierung«87 führten. 1963 reiste Kraus für dreieinhalb Wochen in die UdSSR, wo er sich in Moskau, Leningrad und Kiew aufhielt. Dort verbrachte er »mit manchen Intellektuellen halbe Tage spazierend in den Gärten, wo die Schachspieler saßen, intensiv zuhörend und fragend«,88 was die einzige Möglichkeit war, um nicht vom KGB abgehört zu werden. Im selben Jahr erschien eine Reihe von Artikeln, die sich mit dem kulturellen Leben des Landes befassten und von seinem Scheitern hinsichtlich eines Gesprächs mit führenden sowjetischen Schriftstellern wie Ilja Ehrenburg oder Konstantin Fedin berichteten. »Mich schien eine Epidemie und Reisewelle der Autoren zu verfolgen«, beklagte Kraus, der vom sowjetischen Schriftstellerverband »[s]tereotyp […] die Auskunft ›bedauerlicherweise krank‹ oder ›jetzt eben verreist‹« erhielt. Er unterstrich, dass das »hervorstechendste Merkmal im heutigen kulturellen Leben der UdSSR«89 die Angst wäre: »Diese Angst ist für uns unvorstellbar und in solcher Heftigkeit auch für den in Satellitenstaaten geübten Besucher überraschend. Schon die Begegnung mit einem westlichen Gast ist – sogar unter offizieller Zeugenschaft – ein Akt von erheblicher Zivilcourage, und die Gespräche weichen nicht um Millimeterbreite vom jeweiligen Fachgebiet des Befragten ab.«90

Diese Argumentationsweise brachte Kraus Kritik in den kommunistischen Medien ein. Das Tagebuch, das ihn bisher aufgrund seiner Verdienste »um die Belebung des literarischen Lebens in Wien und sein Bemühen um Verständnis für die kulturellen Molekularprozesse im Sozialismus« hoch schätzte, mutmaßte, ob er sich ob dieses Befundes der »bankrotten Gilde der Klischeefabrikanten« angeschlossen hätte.91 Kraus berichtete auch über den Schauprozess gegen Julij Daniel’ (1925–1988) und Andrej Sinjavskij (1925–1997), die unter Pseudonymen kritische antisowjetische Texte im Westen veröffentlicht hatten.92 Ebenso schilderte Kraus die durch den Schriftsteller Valerij Tarsis (1906–1983) bekanntgewordene sowjeti87 Vgl. Lauer, Geschichte der russischen Literatur, 764–765. 88 Brief von Wolfgang Kraus an Alois Mock, Wien, 28. März 1993, Lit., NL WK. 89 Wolfgang Kraus, »Kultur vom Kreml aus gesehen. Augenschein im russischen Kulturleben«, in: National-Zeitung Basel, Sonntagsbeilage, 26. Mai 1963; Die Furche, 17. August 1963. 90 Ebd. 91 T[age]b[uch] notiert… in: Tagebuch, 18 (1963) 9, 2. 92 Wolfgang Kraus, »Moskaus Sorge mit den Literaten wachsen. Die Hintergründe der Prozesse gegen Daniel und Sinjawski – Warum durfte Tarsis in den Westen?«, in: Kölnische Rundschau, 28. Mai 1966.

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sche Praxis der »Psychiatrisierung« von oppositionellen SchriftstellerInnen.93 Darüber hinaus erwähnte er die Rolle der Intellektuellen im Kontext des »Prager Frühlings« 1968 und die ihm nahestehenden Dissidenten wie Etkind und Kopelev. Etkinds Autobiographie Unblutige Hinrichtung. Warum ich die Sowjetunion verlassen mußte, die 1978 in deutscher Übersetzung erschien, hatte Kraus zufolge die »Bedeutung von Arthur Koestlers ›Sonnenfinsternis‹ für die gegenwärtige Phase in der UdSSR«.94 Kraus hob auch die Verantwortung des Westens in Bezug auf die Unterstützung regimekritischer Intellektueller im Osten hervor, denn die »kommunistischen Regierungen sollten wissen, daß es doch nicht ganz ungefährlich ist, die Kultur ihres Landes abzuwürgen. Der Westen ist sich noch immer nicht bewußt, wie groß seine Möglichkeiten sind, die Entwicklungen in Osteuropa zu beeinflussen.«95

IV. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Österreich als Akteur im Kalten Krieg eine gewisse Wirksamkeit entfaltete, wie sich am Beispiel der ÖGL, die als Organisation dem »staatlich-privaten Netzwerk« des Kalten Kriegs angehörte, zeigen lässt. Ihre Beteiligung am Kalten Krieg steht jedoch mehr im Zeichen des Dialogs und der Verständigung. Die Aktionen der ÖGL fanden auf mehreren Ebenen statt. Neben den offiziellen Aktivitäten, wie Lesungen und Diskussionsabende sowie humanitäre Hilfestellungen für Dissidenten, umfassten die Aufgaben auch verdeckte Operationen und Agenden. Ebenso bezog die ÖGL ihre finanziellen Mittel sowohl vom österreichischen Unterrichtsministerium als auch von Institutionen des Kalten Kriegs, wie dem CCF oder dem International Literary Center. Damit folgte der durch Kraus initiierte Dialog zwar nicht nur interesselosem Wohlgefallen an der osteuropäischen Literatur, sondern sorgte auch für eine Öffnung nach dem Osten und ließ Wien nicht zuletzt aufgrund von Kraus’ Engagement zu einer »Brücke« zwischen Ost und West werden.

93 Vgl. Wolfgang Kraus, Normalität der Intellektuellen, in: Friedrich Hitzer (Hg.), Bundesrepublik Deutschland – Sowjetunion. Offenheit gegen Offenheit. Meinungen – Kontroversen – Dialoge, Köln 1978, 257–258. 94 Wolfgang Kraus, »War Stalin nur ein Stümper? Die verlorene Persönlichkeit – Politische Psychiatrie in der UdSSR«, in: Suttgarter Zeitung – Literaturblatt, Nr. 126, Mai 1978. 95 Wolfgang Kraus, Wann vergessen wir östliche Autoren? Gefahr einer Fehlentwicklung, maschinschriftliches Typoskript, Oktober 1971, Lit., NL WK.

Alexander Golovlev

Zur Kulturpolitik der UdSSR in Österreich 1945 bis 1955: Musik als Repräsentationsmittel und ihre Auswirkungen auf österreichische Russlandbilder

Nach der Einnahme Wiens durch die Rote Armee am 13. April 1945 wurde auf dem Wiener Rathaus die sowjetische Flagge gehisst. Dies bedeutete nicht nur die Befreiung Österreichs von der nationalsozialistischen Herrschaft und die Wiederherstellung seiner staatlichen Existenz, sondern auch den Beginn einer zehn Jahre andauernden alliierten Besatzung. Trotz der Wiedererrichtung der Republik Österreich war die Zusammenarbeit zwischen der frei gewählten Regierung und der sowjetischen Besatzungsmacht durch die Praxis der Besatzungspolitik erheblich belastet.1 Vor dem internationalen Hintergrund der Spaltung Europas durch den »Eisernen Vorhang«, der Teilung der Welt und den beginnenden globalen Auseinandersetzungen des Kalten Kriegs stand die sowjetische Kulturpolitik vor großen Schwierigkeiten und Herausforderungen. In den sowjetischen Nachkriegsplanungen schien Österreich übrigens nie als Teil der künftigen sowjetischen Einflusssphäre auf.2 Daher verwundert es kaum, dass es auch keine detaillierten Vorstellungen über spezifische in Österreich zu ergreifende Kulturmaßnahmen gab.3 Politische Strategien und Zielsetzungen, militärische Präsenz sowie die wirtschaftliche Ausbeutung der sowjetischen Besatzungszone standen lange im Vordergrund der Forschung.4 Dadurch blieben viele Aspekte der sowjetischen 1 Die Archivforschungen in Österreich wurden im Rahmen der Vorbereitung der diesem Beitrag zugrunde liegenden Diplomthese an der Universität Moskau mit Unterstützung eines Stipendiums der Stipendienstiftung der Republik Österreich für Undergraduates, Graduates und Postgraduates (1. Oktober 2012–31. Jänner 2013) durchgeführt. 2 Barbara Stelzl-Marx, Stalins Soldaten in Österreich. Innensicht der sowjetischen Besatzung, Wien 2012, 235, 600–602. 3 Wolfgang Mueller, Österreichische Zeitung und Russische Stunde. Die Informationspolitik der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich 1945–1955, Diplomarbeit Wien 1998, 5. Aus den derzeit zugänglichen Archivalien sind solche jedenfalls nicht zu entnehmen. Vor dem Einmarsch in Österreich standen diesbezügliche Überlegungen offenbar nicht auf der Tagesordnung. 4 Wilfried Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik 1943–1945, Dissertation Wien 1977, 108,

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Kulturpolitik lange Zeit ausgeblendet. Erst jüngere Studien haben sich diesen eingehender gewidmet.5 Abgesehen von der Berücksichtigung außerkultureller Faktoren, wie dem machtpolitischen Kräftemessen zwischen den beiden Blöcken in Mitteleuropa und den innerösterreichischen partei- und kulturpolitischen Entwicklungen, bedarf die Erforschung der Kulturpolitik in der Geschichts- und Politikwissenschaft methodisch innovativer Ansätze. Im Bereich der Kulturpropaganda gilt es, das Spannungsfeld zwischen ideologischen Zielsetzungen und Marktorientierung auszuloten. Kultur ist in ihrer Begrifflichkeit, ähnlich wie im begriffsgeschichtlichen Kontext, definitorisch kaum erfassbar. Unter den Instrumenten der Außenpolitik wird »Kultur als Exportgut«6 des Öfteren als ein »immaterielles« Medium7 mit größerem Zeitaufwand und ungewissen Resultaten betrachtet. Dies trifft

401; ders., Die Sowjetunion und Österreich 1945–1949, in: Günther Bischof/Josef Leidenfrost (Hg.), Die bevormundete Nation, Innsbruck 1988, 275–292, 278; Manfred Rauchensteiner, Der Sonderfall. Die Besatzungszeit 1945 bis 1955. Wien 1985; Oliver Rathkolb, Historische Fragmente und die »unendliche Geschichte« von den sowjetischen Absichten in Österreich 1945, in: Alfred Ableitinger/Siegfried Beer/Eduard G. Staudinger (Hg.), Österreich unter alliierter Besatzung 1945–1955, Wien–Köln–Graz 1998, 137–158, 157; Wolfgang Mueller, Sowjetbesatzung, Nationale Front und der »Friedliche Übergang zum Sozialismus«: Fragmente sowjetischer Österreich-Planung 1945–1955, in: 200 Jahre Russisches Außenministerium. (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 50), Wien 2003, 133–156, 139; ders., Sowjetische Österreich-Planungen 1938–1945, in: Ernst Bruckmüller (Hg.), Wiederaufbau in Österreich 1945–1955. Rekonstruktion oder Neubeginn?, Wien 2006, 31–54, 39–41, 54. Generell lässt sich Ähnliches auch in anderen Überblicken zu dieser Periode beobachten, wie etwa Klaus Eisterer, Österreich unter alliierter Besatzung 1945–1955, in: Rolf Steininger/ Michael Gehler (Hg.), Österreich im 20. Jahrhundert, Bd. 2: Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart, Wien 1997, 147–216. 5 Oliver Rathkolb, Politische Propaganda der amerikanischen Besatzungsmacht in Österreich 1945 bis 1950. Ein Beitrag zur Geschichte des Kalten Krieges in der Presse-, Kultur- und Rundfunkpolitik, Dissertation Wien 1982, 291–303, 533–546; Doris Graf, Die Kulturpolitik der Besatzungsmächte 1945–1955 und die Auswirkungen auf das Wiener Konzertleben, Diplomarbeit Wien 1995; Siegfried Löffler, Zum Beispiel Burg und Oper – zwei kultur-imperialistische Grußmythen, in: Wolfgang Kos/Georg Rigele (Hg.), Inventur 45/55. Österreich im ersten Jahrzehnt der Zweiten Republik, Wien 1996, 382–403, 384–388; Wolfgang Mueller, Österreichische Zeitung; ders., »Leuchtturm des Sozialismus« oder »Zentrum der Freundschaft«?, in: Wiener Geschichtsblätter 4 (2000), 261–285; ders., Die sowjetische Besatzung in Österreich 1945–1955 und ihre politische Mission, Wien 2005; ders., Sowjetische Filmpropaganda in Österreich 1945–1955, in: Karin Moser (Hg.), Besetzte Bilder. Film, Kultur und Propaganda in Österreich 1945–1955, Wien 2005, 86–118; Michael Kraus, »Kultura«. Der Einfluss der sowjetischen Besatzung auf die österreichische Kultur 1945–1955, Diplomarbeit Wien 2008. 6 Udo M. Metzinger, Hegemonie und Kultur. Die Rolle kultureller soft-power in der US-Außenpolitik, Köln 2004, 18. 7 Joseph S. Nye (Jr.), Macht im 21. Jahrhundert. Politische Strategien für ein neues Zeitalter, München 2011, 50.

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insofern zu, da die Instrumentalisierung nationaler Kunst durch ein politisches Regime eher problematisch ist.8 In der Politikwissenschaft wurde dies im Rahmen der seit den 1990er-Jahren in Angriff genommenen Erforschung der »sanften Macht« (soft power) am USamerikanischen Beispiel festgestellt.9 Trotz der unbestrittenen wirtschaftlichen und militärischen Vormachtstellung der Vereinigten Staaten sowie dem grundlegenden Respekt für ihr demokratisches System, konnte amerikanische (kulturelle) Präsenz im jeweiligen Land durchaus widersprüchliche Reaktionen hervorrufen.10 Fehlendes Ansehen verbunden mit althergebrachtem »Antiamerikanismus« können die Wirkungen der militärischen und ökonomischen Macht also beeinträchtigen.11 Bei weiterer Erforschung des Verhältnisses zwischen der »harten« und der »sanften« Macht ist die jüngere Forschung, inzwischen unter dem Einfluss von Joseph S. Nye (Jr.), zur Erkenntnis gelangt, dass die Möglichkeiten jeglicher Art der Machtentfaltung begrenzt und aufeinander bezogen sind, wobei »sanftere« Machtprojektionen ein diffiziles Forschungsobjekt darstellen, dessen positive Effekte sich nur schwer quantifizieren lassen. Durch eine gemäßigte Haltung zur »kooptiven«12 sanften Macht wurde die anfängliche Überschätzung dieses Begriffes überwunden, wobei eine deutlich differenziertere Auslegung, zum Teil auch mit primären geschichtsträchtigen Beobachtungen, zutage kam. Des Weiteren spielt eine Unterteilung der »sanften Machtvehikel« in »fast media« und »slow media«13 keine geringe Rolle. So wird verstärkt zwischen primär auf problembezogene Meinungsbildung ausgerichtete Informationen (wie etwa außenpolitische Berichterstattung) und eher der »reinen Kunst« zuzurechnenden Kulturbereichen, wie Musik, Theater, klassische Malerei und Ähnlichem (»slow media«), differenziert. Demnach sollte Kulturpolitik auf langfristige Auswirkungen14 abzielend konzipiert werden und die unmittelbar

8 Daher ist die allgemeine konzeptuelle Konvergenz der Schlussfolgerungen in der US-amerikanischen Geschichtsschreibung der Kulturdiplomatie durchaus erklärbar, siehe Manuela Aguilar, Cultural Diplomacy and Foreign Policy : German-American Relations 1955–1968, New York 1996; Richard Arndt, The First Resort of Kings: American cultural Diplomacy in the Twentieth Century, Arlington 2005; Justin Hart, Empire of Ideas: The Origins of Public Diplomacy and the Transformation of US Foreign Policy, New York 2013. 9 Joseph S. Nye (Jr.), Soft Power, in: Foreign Policy 80 (1990), 153–171. 10 Ders., Macht im 21. Jahrhundert, 136, 156. 11 Volker Perthes, Soft Power in der Auswärtigen Politik, in: Georg Schütte (Hg.), Wettlauf ums Wissen. Außenwissenschaftspolitik im Zeitalter der Wissensrevolution, Berlin 2008, 46. 12 Nye, Macht im 21. Jahrhundert, 36. 13 Terry L. Deibel/Walter R. Roberts, Culture and Information: Two Foreign Policy Functions (= The Washington Papers, Volume IV, 40), Washington 1976, 15. 14 Jan Melissen, The New Public Diplomacy : Between Theory and Practice, in: Jan Melissen (Hg.), The New Public Diplomacy : Soft Power in International Relations, New York 2005, 21.

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wahrgenommenen politischen Entwicklungen überdauern.15 Dass »Music at War«16 als Propagandamittel instrumentalisiert wurde, zeugt noch nicht unbedingt von ihrer Instrumentalisierbarkeit auf längere Sicht. Das Verhältnis zwischen Kultur und Macht bleibt somit eine der aktuellsten Forschungsfragen.17 Der vorliegende Aufsatz soll einige Beobachtungen dazu beitragen. In Anbetracht dieser Überlegungen erscheint eine im Rahmen dieses Beitrags anwendbare Definition von Kultur notwendig: Unter dem Begriff »Kultur« werden jegliche Aktivitäten und ihre Resultate verstanden, die imstande sind, einen ästhetischen Stellenwert beim Zielpublikum, dessen Präferenzen und Vorstellungen immerhin für die Ausführung der auswärtigen Kulturpolitik von ausschlaggebender Bedeutung bleiben,18 zu erringen, das heißt ihrer Herkunft nach auf ästhetische Wahrnehmung ausgerichtet sind. Kultur beinhaltet »jene künstlerischen Strömungen, die von Individuen, Institutionen etc. entsprechend deren Selbstverständnis für repräsentativ erachtet werden«.19 Kulturpolitik ihrerseits wird als die Beeinflussung des kulturellen Geschehens auf dem Gebiet des Theaters, der Musik und anderer Kunstformen durch die, in diesem Fall sowjetische, Besatzungsmacht begriffen.20 Die in der folgenden Fallstudie aufgearbeitete nationale Musiktradition wird als Repräsentationsmittel, als ein Beispiel der »arts diplomacy«,21 konkreter ausgedrückt der »music diplomacy«,22 betrachtet. Spitzenleistungen der »alten Meister« zusammen mit jüngeren Entwicklungen der Moderne werden als Instrumente der Außenpolitik im Sinne der Schaffung und Bekräftigung positiver Einstellungen zum Herkunftsland der 15 Laut Jessica C. E. Gienow-Hecht, »nonverbal cultural and artistic contacts […] proved much more intense and enduring than political ties, surviving broken treaties, mutual alienation, and even several wars«. Jessica C. E. Gienow-Hecht, Sound Diplomacy : Music and Emotions in Transatlantic Relations, 1850–1920, Chicago 2012, 5. 16 Reinhold Wagnleitner, Coca-Colonization and the Cold War : The Cultural Mission of the United States in Austria after the Second World War, Chapel Hill–London 1994, 195. 17 Nye, Macht im 21. Jahrhundert, 137. Damit beschäftigten sich die »new musical history« im angelsächsischen Raum ebenso wie einige rezente Studien aus Frankreich (zwei Ausgaben der Relations Internationales wurden speziell dem Spannungsverhältnis zwischen Musik und Macht gewidmet). Zur »new musical history« bzw. »new cultural history«siehe den Überblick in Jane F. Fulcher (Hg.), Oxford Handbook of the New Cultural History of Music, New York 2011. 18 Nye, Macht im 21. Jahrhundert, 300–301. 19 Elisabeth Starlinger, Aspekte französischer Kulturpolitik in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg (1945–1948), Diplomarbeit Wien 1993, 4. 20 Mueller, Österreichische Zeitung, 11. 21 Jerom Brown, Arts Diplomacy : The Neglected Aspect of Cultural Diplomacy, in: Nancy Snow/Philip M. Taylor (Hg.), Routledge Handbook of Public Diplomacy, New York 2009, 59–90, 59. 22 Mary Einbinder, Cultural Diplomacy : Harmonizing International Relations Through Music, MA-thesis New York, 2013.

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vorgeführten Werke verstanden und nicht zuletzt auch als eine Möglichkeit, das Klima im Gastland zu mildern und nachhaltig zu verbessern. Eine erfolgreiche Kulturdiplomatie kann demnach nicht mit der Sowjetisierung oder dem Druck nach Errichtung eines volksdemokratischen Regimes gleichgestellt werden.23 Die kulturdiplomatischen Beziehungen führten zwar nicht zu einer politischen Annäherung zwischen Wien und Moskau, konnte aber Ansatzpunkte für ein besseres Verständnis24 unter den Menschen in Österreich und der Sowjetunion bieten. Ferner konnten Kulturkontakte zur Überwindung der durch die beiden Weltkriege, den Nationalsozialismus sowie der in den ersten Monaten nach der Befreiung entstandenen negativen »Russenbilder« beitragen. Der Sowjetregierung ging es insbesondere darum, anti-sowjetischen, mitunter auch anti-russischen, Stereotypen entgegenzuwirken. Es sollte die kulturelle Präsenz des auf den Ruinen des alten Russland aufgebauten »ersten sozialistischen Staates« verdeutlicht und seine wieder gewonnene Großmachtstellung untermauert werden. Dem von der NS-Propaganda konstruierten »Russland-Image«, den auf beiden Seiten gleichermaßen bitteren (und verbitternden) Erfahrungen des Kriegsverlaufes an der Ostfront25 und der ersten Befreiungstage, sollte entgegengewirkt werden. Für die österreichische Innenpolitik sollten übrigens alle Besatzungsmächte gewissermaßen zum »Sündenbock« werden,26 allen voran zweifellos die »Russen«. Die ambivalente Haltung des »befreit-besiegten«27 Österreichs gegenüber den Sowjets und den anderen Alliierten28 machte die Aufgabe der Propagandaoffiziere keineswegs leichter. 23 Cynthia P. Schneider, Culture Communicates: US Diplomacy That Works, in: Jan Melissen (Hg.), The New Public Diplomacy, 147–166, 157. 24 Am sowjetisch-amerikanischen Beispiel wurde diese Funktion der Kulturpolitik besonders (und zu Recht) von J.D. Parks hervorgehoben. Jerom D. Parks, Culture and Coexistence, Jefferson–London 1983, 176. 25 Allein in Österreich waren mehr als 18.000 Rotarmisten ums Leben gekommen. Die von Manfried Rauchensteiner gelieferten Standardwerke zur letzten Kriegsphase und den ersten Besatzungsmonaten haben für die heutige Geschichtsschreibung ein festes Fundament gelegt. Siehe Manfried Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich 1945, Wien 1984; ders., Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955, Wien–Graz 1985. Die Frage der gegenseitigen Auswirkungen der sowjetischen Militärpräsenz in Österreich thematisierte Barbara Stelzl-Marx in ihrem Buch »Stalins Soldaten«. Der harte Widerstand der den »Rassenkrieg« verlierenden deutschen Truppen, in denen viele Österreicher vertreten waren, soll die Beziehungen zwischen den Rotarmisten und den besiegten Einheimischen auf Dauer vergiftet haben. Eine genauere Aufarbeitung dieses Prozesses stellt ein schwieriges und problembeladenes Forschungsdesiderat dar. Auf die beiderseits traumatisierenden Erfahrungen und ihre Aufarbeitung kann im Rahmen dieses Beitrags leider nicht eingegangen werden. 26 Günter Bischof/Josef Leidenfrost, Österreich nach dem April 1945. Die bevormundete Nation. Über dieses Buch, in: dies. (Hg.), Die bevormundete Nation: Österreich und die Alliierten 1945–1949, Innsbruck 1988, 11–43, 16. 27 Robert G. Knight, Besiegt oder befreit? Eine völkerrechtliche Frage historisch betrachtet, in:

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Nicht nur der wirtschaftliche Zusammenbruch erforderte konkrete Gegenmaßnahmen.29 Auch im Bereich der Kultur wurde nach Antworten gesucht. Im Kontext des Kalten Kriegs wurde zunehmend auf die latent präsente Vorstellung von relativer »Kulturlosigkeit« der Vereinigten Staaten angespielt.30 Demgegenüber wurde die Sowjetunion als Bewahrer der großen europäischen Kultur präsentiert. Auch wenn die kulturelle Kontinuität (angesichts der Auswüchse der sowjetischen Kulturpolitik) nicht auf der Wunschliste der politisch Zuständigen stehen sollte, wurde in Wahrheit stets auf die Hochkultur des Ancien R8gime zurückgegriffen. Damit wurde die prominente Stellung des ehemaligen Russischen Reichs31 der nationalsozialistischen »Barbarei« (nicht aber der »guten« deutschen und österreichischen Kultur) und der aus der »Neuen Welt« stammenden amerikanisch geprägten konsumorientierten »Massen(un)kultur« entgegengestellt.32 Im Unterschied zu den westlichen Alliierten durfte aber keine Rede von »Machtersatzpolitik«33 sein. Eine Trennung zwischen Kultur und Propaganda kam bereits auf administrativer Ebene nicht zustande.34 Die sowjetische Besatzungsmacht zielte auf die Erhaltung der gewonnenen Vor-

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Günter Bischof/Josef Leidenfrost (Hg.), Die bevormundete Nation: Österreich und die Alliierten 1945–1949, Innsbruck 1988, 75–92. Bischof/Leidenfrost, Österreich nach dem April 1945, 11–43, 16. Manfried Rauchensteiner, Kriegsende und Besatzungszeit in Wien 1945–1955, Wiener Geschichtsblätter, Sonderheft 2 (1975), 197–220, 203. Jessica C.E. Gienow-Hecht, »How Good Are We?« Culture and the Cold War, in: The Cultural Cold War in Western Europe: 1945–1960, London 2003, 269–282, 271–275. Nicht umsonst wurde in Deutschland auch die deutsche Kultur und ihre breite Akzeptanz bei Russen propagandistisch ausgenützt. Walter Obermaier (Hg.), Kulturelle Visitenkarten. Die (Re-)Präsentation der Besatzungsmächte in Wien 1945–1955. Katalog der 237. Wechselausstellung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek. Gestaltung und Text von Markus Feigl,Wien 1999, 15. Jessica C. E. Gienow-Hecht, Culture and the Cold War in Europe, in: Melvyn P. Leffler/Odd Arne Westad (Hg.), The Cambridge History of the Cold War, Vol. I: Origins, Cambridge 2010, 398–419, 401. Johannes Feichtinger, Die Kulturpolitik der Besatzungsmacht Großbritannien in Österreich, in: Alfred Ableitinger/Siegfried Beer/Eduard G. Staudinger (Hg.), Österreich unter alliierter Besatzung 1945–1955, Wien–Köln–Graz 1998, 495–529, 499. Im Gegensatz zu der US-amerikanischen Administration, wo »cultural officers« durchwegs von ihren für »Information« zuständigen Kollegen getrennt wurden, hatte die sowjetische Propagandaabteilung auch kulturrelevante Aufgaben inne. Dazu Rathkolb, Politische Propaganda; Mueller, Österreichische Zeitung und andere. Es ist in diesem Zusammenhang jedoch die Einsicht Barbara Porpaczys zu erwähnen, dass es gerade die Briten und die Franzosen waren, die in ihrer Praxis am klarsten zwischen Kultur und Propaganda unterschieden. Siehe Barbara Porpaczy, Frankreich – Österreich 1945–1960. Kulturpolitik und Identität, Innsbruck–Wien–Bozen 2002, 200. Die von der Autorin vorgenommene Gleichstellung der USA und der UdSSR in dem Sinne wäre zu relativieren. Im Falle der Sowjetadministration war die Kultur der politischen Propaganda am konsequentesten untergeordnet.

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machtstellung und weitere »kulturell-ideologische Expansion der UdSSR in Mitteleuropa«35 ab. Dass die Sowjetische Militäradministration diese Aufgabe auf politischem Feld nicht meistern konnte, ist eine (leicht belegbare) Grundthese der Geschichtsschreibung. Aus dieser Sicht agierte das sowjetische Element in kunstnahen Bereichen kaum erfolgreich. Die großen Kultureinrichtungen Österreichs zählten keineswegs zu den sowjetischen Stützen im Land, sodass sich der stalinistische Staat keine Einflusssphäre zu schaffen vermochte. Nur wenige einflussreiche österreichische Künstler der Zweiten Republik waren an regen Kulturkontakten zur Sowjetunion interessiert. Ausnahmen waren der zu den »Russen« korrekt-freundliche Burgtheaterdirektor Raoul Aslan, der Dirigent Josef Krips sowie Österreichs Politischer Vertreter in Moskau, der Sowjetunion»Enthusiast«36 Norbert Bischoff. Die meisten Akteure der Kulturwelt zeigten aber Zurückhaltung. Die Filmpropaganda, etwa die Verbreitung sowjetischer Spielfilme, endete in einem Debakel.37 Auch im Rundfunk war die Einflussnahme der Sowjetunion moderat: Die bereits 1924 gegründete Rundfunkgesellschaft Radio Verkehrs AG (RAVAG) gehörte eben nicht der sowjetischen Besatzungsmacht, sondern Österreich. Einzig die Gestaltung der »Russischen Stunde« blieb den Sowjets vorbehalten. Der amerikanische Sender Rot-WeißRot dominierte den Markt,38 wobei Musik bewusst als ein Propagandamittel zur

35 Alexander S. Stykalin, K voprosu ob effektivnosti propagandy sovetskoj kultury za pervyje poslevojennye gody (iz opyta propagandistskoj raboty v Avstrii, in: Rossijsko-avstrijskij almanach: istoricˇeskije i kulturnyje paralleli. Vypusk 2, Moskau–Graz–Wien–Stavropol 2006, 213–230, 213. 36 Wolfgang Mueller, A Good Example of Peaceful Coexistence? The Soviet Union, Austria, and Neutrality 1955–1991, Wien 2011, 192. 37 Ders., Sowjetische Filmpropaganda, 110–118. 38 Als besonders problematisch erscheint die Frage, welchen Anteil die Kultur, bzw. Musik, am Gesamtprogramm eines Radiosenders hatte. Wolfgang Mueller hat in Anlehnung an Oliver Rathkolb gezeigt, dass die Kulturspalte im sowjetisch geleiteten Programm »Russische Stunde« trotz allgemeiner Erhöhung der Sendezeitraten proportional gekürzt wurde. Mueller, Österreichische Zeitung, 246. Die im Wiener Kurier abgedruckten Programme des Senders Rot-Weiß-Rot lassen nicht entschlüsseln, wie viel russische/sowjetische (oder beispielsweise französische) Musik dort wirklich gesendet wurde, ähnliches gilt auch für andere Kunstarten. Das Interesse an klassischer Musik war nichtsdestotrotz vorhanden: Die seitens der USA durchgeführten Meinungsumfragen bezüglich der Hörerwünsche erbrachten 18,5 % für Symphonien, 12 % für Opernmusik und 3,5 % für Lieder und Arien (US-Zone Wien, 1947), eine spätere, speziell auf Musik ausgerichtete Umfrage (Wien, Salzburg, Linz 1948) zeugte von deutlichen Bevorzugungen für Nationalmusik (z. B. Operette, volkstümliche Musik) und Opernmusik, weit dahinter folgten Symphonien. Hierzu Michael Schönberg, Die amerikanische Medien- und Informationspolitik in Österreich von 1945 bis 1950, Dissertation Wien 1975, 132, 135).

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»Schaffung positiver Einstellungen« gegenüber den Vereinigten Staaten eingesetzt wurde.39 Im Theaterbereich sah die Lage ähnlich aus. Das österreichische kulturschaffende Establishment richtete sich offenkundig an den Vereinigten Staaten und deren Theatre & Music Section aus. Dagegen durften sich das »aufständische«, mit den Kommunisten eng verflochtene »Theaterhaus«, das »Neue Theater in der Scala«, zusammen mit dem ebenfalls linksgerichteten Theater »Die Insel« sowjetischer Unterstützung sowie eines gewissen Zulaufs erfreuen. Die »Übermacht« der amerikanischen »schwarzen Liste« im österreichischen Theaterbetrieb, gerade hinsichtlich der »Linkssympathisanten« und den mit den Sowjets »verstrickten« Künstlern,40 die zur »kulturellen Eiszeit«41 führte, sowie das darauffolgende finanzielle »Erwürgen«42 der Scala gehören kaum zu den glorreichen Seiten der österreichischen Theatergeschichte. Darüber hinaus konnte die Sowjetunion kaum Erfolge im Theaterbereich feiern. Die traditionsreiche Wiener Spielstätte, das Burgtheater, zeigte kein Interesse an der sowjetischen Moderne.43 Der Anteil der russischen Autoren in österreichischen Spielplänen blieb gering.44 Außer wenigen bekannten Namen (wie Nikolaj ˇ echov oder dem politisch unangenehmeGogol’, Alexandr Ostrovskij, Anton C ren Maxim Gor’ki) war von der Dramaturgie aus dem Osten nicht viel zu hören.45 39 Reinhold Wagnleitner, Radio und Kalter Krieg: Die US-Radiopolitik und die Entwicklung des österreichischen Rundfunks zur Zeit der Alliierten Besatzung 1945–1955, in: Theo Mäusli (Hg.), Schallwellen. Zur Sozialgeschichte des Radios, Zürich 1996, 181–198, 196. 40 Andrea Ellmeier, Von der kulturellen Entnazifizierung Österreichs zum konsumkulturellen Versprechen. Kulturpolitik der USA in Österreich, 1945–1955, in: Karin Moser (Hg.) Besetzte Bilder. Film, Kultur und Propaganda in Österreich 1945–1955, Wien 2005, 61–85, 81. 41 Oliver Rathkolb, Die Entwicklung der US-Besatzungskulturpolitik zum Instrument des Kalten Krieges, in: Friedrich Stadler (Hg.), Kontinuität und Bruch 1938–1945–1955. Beiträge zur österreichischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte, Wien 1988, 35–50, 41. Der vehemente, unnachgiebige Antikommunismus des US-Elementes führte zweifelsohne zu gravierenden Fehlern. Ein Paradebeispiel dafür stellt die Internierung von Josef Krips auf Ellis Island 1949 dar. Diese erfolgte trotz seiner Erklärung, dass er allein der Partei »Mozarts, Beethovens oder Schuberts« angehöre. Gienow-Hecht, Sound Diplomacy, 213. 42 Evelyn Deutsch-Schreiner, »Theaterland Österreich«: Theater im verdeckt geführten Kulturkampf um eine österreichische Identität von 1945 bis 1955, in: Ernst Bruckmüller (Hg.), Wiederaufbau in Österreich 1945–1955. Rekonstruktion oder Neubeginn?, Wien 2006, 145–161, 159. Nach dem Abzug der Sowjettruppen wurde das Schicksal des von Karl Paryla geleiteten Kollektives besiegelt. Das von den Sowjets unter günstigen Bedingungen vermietete Haus im IV. Bezirk war fortan nicht mehr leistbar und die in der Kulturwelt üblichen staatlichen Subventionen blieben aus. 43 Graf, Kulturpolitik, 21. 44 Für Statistiken hierzu siehe Rathkolb, Politische Propaganda, 299. Im Salzburger Landestheater wurde beispielsweise im Besatzungsjahrzehnt kein einziges russisches Stück vorgeführt. Wagnleitner, Coca-Colonization, 172. 45 Das ist anhand der Presseberichterstattung belegbar, wie ich im Rahmen der Forschungen zu meiner Diplomarbeit am Beispiel des Wiener Kuriers zeigen konnte. Ich schließe mich der

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Eine weitere Schwierigkeit bildeten die ideologischen Grundlagen der sowjetischen Kulturpolitik in Österreich, die – ähnlich wie in anderen Ländern – weitgehend durch den stalinistischen »sozialistischen Realismus« geprägt worden war. Dieser Umstand wirkte sich ebenfalls negativ auf die Rahmenbedingungen der sowjetischen Kulturtätigkeit aus. Die Beschränkung des Exportsortiments und der Initiativen, die von sowjetischen Institutionen – ausgenommen die relativ autonome Anfangsperiode 1945 – ausgingen, dürften die Folge gewesen sein.46 Die einschlägigen Beschlüsse des Zentralkomitees (ZK) der KPdSU, die zwischen 1946 und 1948 auch Hetzkampagnen gegen einige in der Literatur tonangebende Schriftsteller zur Folge hatten, stellten die Grundlage für die Auswahl der zu Repräsentationszwecken vorgesehenen Namen und Werke dar. Darunter insbesondere der Beschluss des Organisationsbüros des ZK »Über das Repertoire der dramatischen Theater und Maßnahmen zu seiner Verbesserung« vom 26. August 194647 und der Beschluss des Politbüros »Über die Oper ›Große Freundschaft‹ von V. Muradeli« vom 10. Februar 1948.48 Neben der Maßregelung einer Reihe führender sowjetischer Komponisten, führten diese ein rigides Zensurregime ein, bekräftigten die restriktive Haltung des Politbüros und zeigten auf offensichtliche Weise die Grenzen des Erlaubten auf. Akademische Klassik der vorrevolutionären Zeit, die einer konservativen Wendung der Parteiführung entsprach, ein staatlich zugelassener Zirkel zeitgenössischer Künstler sowie die offiziell unterstützte »Volkskunst« bildeten die Trias genehmigter Kultur. Dieser Konservatismus führte auch dazu, dass die »sowjetische« und »russische« Kultur fast übereinstimmten. In der Musik war die akademische russische Schule für die Sowjetunion faktisch repräsentativ, wobei »russländische Kontinuitäten« gewissermaßen zur Geltung kamen. In Österreich sah sich der für Propaganda (mit »Dezernat« Kultur) zuständige Teil des sowjetischen Elements unter Zugzwang, da dieser im Spannungsfeld von inneren Hürden, katastrophalen Wirtschaftsbedingungen, der zwiespältigen Stimmungslage in der Bevölkerung und der immer stärkeren Präsenz der westlichen Alliierten agieren musste. Daher wurde bereits in den ersten Monaten nach Kriegsende eine rege Kulturtätigkeit entfaltet. Die sowjetische Aufmerksamkeit galt zunächst vor allem Wien, denn der österreichischen bisherigen Historiographie an, mehr noch, die russische Stanislawski-Schule fand in der Wiener Theaterpraxis eigentlich keine Verwendung. 46 Stykalins Betonung der Initiativlosigkeit der sowjetischen Funktionäre im Ausland wäre hier besonders nennenswert. Vgl. Stykalin, K voprosu, 223, 225. 47 Postanovlenije Orgbüro ZK VKP(b) »O repertuare dramaticˇeskich teatrov i merach po jego ulucˇsˇeniju«. 26. August 1946, in: Alexander N. Jakovlev (Hg.), Vlast’ i chudozˇestvennaja ˇ K – OGPU – NKVD o kulturnoj poliintelligentsija. Dokumenty ZK RKP(b) – VKP(b), VC tike. 1917–1953. Moskau 1999, 591–596. 48 Postanovlenije Politbüro ZK VKP(b) »Ob opere »Velikaja druzˇba V. Mudareli«. 10. Februar 1948, in: Jakovlev (Hg.), Vlast’, 630–634.

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Hauptstadt kam aufgrund des tendenziell konfrontativen Wettbewerbs zwischen der Sowjetunion und den Westmächten eine besondere, ja symbolträchtige Bedeutung zu.49 Deswegen wurden zwei großzügige – und zweifelsohne öffentlichkeitswirksam geleistete50 – Spenden für den Wiederaufbau der Staatsoper geleistet.51 Dazu kam eine verhältnismäßig noch durchaus liberale Haltung der für Kultur zuständigen Politoffiziere52 gegenüber österreichischen Kunstschaffenden, die in krassem Kontrast zu gleichzeitigen Handlungen des US-Elements53 stand und noch für geraume Zeit Bereitschaft zum Dialog zeigte. Der häufige Wechsel der in der Alpenrepublik verweilenden sowjetischen Künstler erhellte die trübe Atmosphäre der Trümmerstadt Wien, sodass die amerikanische Administration, deren Kulturpolitik in erster Zeit an strategischen Mängeln litt,54 ziemlich schnell einen Nachholbedarf feststellen musste. Das Ausbleiben einer aufgezwungenen Sowjetisierung und eine gewisse »Laissez-faire-Politik« waren von Erfolg gekrönt.55 Teilweise konnten sich die Kontakte sowjetischer »Kultur«-Offiziere zu ihren westlichen Kollegen auch freundschaftlich gestalten, wie ein britisches Dokument aus dem bereits betrübten Jahr 1948 bezeugt.56 Die anfänglichen Erfolge durfte sich die sowjetische Besatzungsadministration zusammen mit der relativ offenen Belegschaft der »Kunstsektion« der Propagandaabteilung – »Kaderˇ SK waren hier weniger spürbar und störend – auf mangel und -mängel«57 der SC ihre Fahnen schreiben. Der inhaltliche Antagonismus zwischen der Ausgangslage der Sowjetadministration als der – keinesfalls beliebten – Besatzungsmacht, die Österreich militärisch erobert hatte, und der freizügigen Handlungsweise darf jedoch nicht übersehen werden.58 49 Manfried Rauchensteiner, Das Jahrzehnt der Besatzung als besondere Epoche in der österreichischen Geschichte, in: Alfred Ableitinger/Siegfried Beer/Eduard G. Staudinger (Hg.), Österreich unter alliierter Besatzung 1945–1955, Wien–Köln–Graz 1998, 15–39, 26; Mueller, Die sowjetische Besatzung, 97–100. 50 Löffler, Zum Beispiel Burg und Oper, 382–383. 51 Siehe dazu Mitteilungen des Staatskanzlers, Protokoll Nr. 34 (12. Oktober 1945), in: Gertrude Enderle-Burcel/Rudolf Jerˇ#bek/Leopold Kammerhofer (Bearbeiter), Protokolle des Kabinettsrates der Provisorischen Regierung Karl Renner 1945, Bd. 3, Wien 2003, 115. Die Anmerkungen beinhalten eine beeindruckende Anzahl von Publikationen in damals führenden Zeitungen Österreichs, die davon berichteten. 52 Wolfgang Mueller, Kulturnaja politika sovetskich vlastej v Vene i avstrijskije kulturnyje otnosˇenija, in: Vestnik MGU, Serija 8 (Istorija), 2 (2003), 85–104, 93–94. 53 Wagnleitner, Coca-Colonization, 170. 54 Ellmeier, Von der kulturellen Entnazifizierung, 62–63. 55 Löffler, Zum Beispiel Burg und Oper, 388. 56 Feichtinger, Die Kulturpolitik der Besatzungsmacht Großbritannien, 519. 57 Stelzl-Marx, Stalins Soldaten, 232. 58 Dasselbe ließ sich erwartungsgemäß in Deutschland beobachten. Gerd Dietrich hielt mit Blick auf die sowjetischen Kulturfunktionäre fest: »Sie glaubten nun, nachdem der Feind

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Später erfuhr die sowjetische Kulturpolitik eine aus der sowjetischen Innenpolitik heraus bedingte Erstarrung sowie eine deutliche Abkühlung im Verhältnis zu den einheimischen, meist westlich orientierten Kulturschaffenden, die erst wieder nach Stalins Tod erste, kaum spürbare Anzeichen einer Auflockerung zeigte.59 Der Wiener Konservativismus und die Zurückhaltung gegenüber manch avantgardistischer Richtung, wie der Zwölftontechnik,60 stimmten an vereinzelten Nahtstellen ungewollt mit der sowjetischen Regierungspolitik überein,61 was den Kulturfunktionären der Sowjetbehörden und ihren österreichischen »Freunden« die »politische Arbeit« ein wenig leichter machte. Die kulturellen und kulturpropagandistischen Tätigkeiten wurden, wie auch die Kulturbetreuung der Truppen,62 zunächst unter Heranziehung der Mittel der Besatzungsadministration, d. h. der stationierten Streitkräfte, entfaltet. Die Politischen Verwaltungen der 2. und der 3. Ukrainischen Front – ab Ende Mai 1945 ˇ SK63 – hatten auch den Kulturbetrieb sicherdie Propagandaabteilung der SC zustellen und sich diesen im Rahmen der Parteilinie zu Zwecken der »antifaschistischen Erziehung« und Sowjetpropaganda zunutze zu machen. Eine deutliche Trennlinie zwischen »rein« kulturellen und propagandistischen Tätigkeitsgebieten wurde, wie bereits erwähnt, nie gezogen,64 sodass die Belegschaft der »Kulturoffiziere«65 tatsächlich zu allererst auch für Politisches zu-

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bezwungen war, eine umsichtige, großzügige und tolerante Kulturpolitik entwickeln zu können. Daß sie dies auf fremdem Territorium und als Besatzer taten, ist ein Widerspruch in sich.« Gerd Dietrich, »… wie eine kleine Oktoberrevolution…«. Kulturpolitik der SMAD 1945–1949, in: Gabriele Clemens (Hg.), Kulturpolitik im besetzten Deutschland 1945–1949, Stuttgart 1994, 219–235, 223–224. Parks, Conflict and Coexistence, 135. In Österreich gleichen diese Entwicklungen nach Stalins Tod in der sowjetisch geführten Österreichischen Zeitung »einem ruhigeren Abschnitt«. Siehe Wolfgang Mueller, Die »Österreichische Zeitung«, in: Gabriele Melischek/ Josef Seethaler (Hg.), Die Wiener Tageszeitungen. Eine Dokumentation. Bd. 5: 1945–1955, Frankfurt am Main u. a. 1999, 11–56, 16. Siehe dazu Kraus, »Kultura, 254–258. Löffler, Zum Beispiel Burg und Oper, 388. Stelzl-Marx, Stalins Soldaten, 600–602. Mueller, Die sowjetische Besatzung, 47–48. Mueller, Österreichische Zeitung, 4. Einige darunter besaßen tiefgehende Kenntnisse der deutschen und österreichischen Kultur und wiesen einen gewissen Kunstsinn auf. Durch den Einsatz fachkundiger Offiziere (zum Teil auch österreichischer Herkunft, wie beispielsweise Hugo Huppert) näherte sich die sowjetische Politik dem Vorgehen der französischen sowie der amerikanischen Besatzungsmacht an. Klaus Eisterer, Französische Besatzungspolitik. Tirol und Vorarlberg 1945/ 46, Innsbruck 1992, 20, 270. Darüber hinaus konnte sich die amerikanische Armee der Ortskenntnisse des gebürtigen Kärntners Otto Pasetti bedienen. Rathkolb, Politische Propaganda, 272. Personalfragen im sowjetischen Besatzungsapparat wurden von Wolfgang Mueller eingehend dargestellt.

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ständig war. Eine grundlegende Umgestaltung des Besatzungsapparates, die 1952 unternommen wurde,66 sollte daran wenig ändern. Die Errichtung eines Netzwerks der Sowjetischen Informationszentren in der Ostzone, die eine erneute Verstärkung des politischen Kampfes zwischen den beiden Systemen herbeiführte, vollzog sich relativ spät. Dies ist angesichts der bereits erwähnten Tatsache, dass sich die Alliierten in Wien dem direkten Wettbewerb ausgesetzt sahen67 und daher eine baldige Riposte zu erwarten gewesen wäre, überraschend. Erst im Jahr 1950 versuchte das sowjetische Element, als Gegengewicht zu den Amerika-Häusern, seine Präsenz mit großangelegten Einrichtungen, wie den sechs Sowjetischen Informationszentren,68 zu behaupten, allen voran mit dem »Porrhaus«69 am Karlsplatz. Die vorwiegend grob propagandistisch ausgerichtete »politische Arbeit« dieses Hauses und ähnlicher Standorte fanden jedoch keinen Widerhall bei der einheimischen Bevölkerung, sodass die Informationszentren für die Amerika-Häuser keine Konkurrenz darstellten. Wenig glücklich verlief auch das Schicksal der Theatertruppe beim »Porrhaus«, die den Anforderungen der politischen Leitung gerecht werden musste. Musikalische Darbietungen, die vereinzelt im »Porrhaus« und an in den Bundesländern angesiedelten Einrichtungen stattfanden, konnten zur Verbesserung ihrer hoffnungslosen Lage nur wenig beitragen. Speziell für kulturellen Export war jedoch nicht allein die Besatzungsadministration zuständig, sondern auch die zentrale Allunions-Gesellschaft für kulturelle Verbindung mit dem Ausland (Vsessojuznoje obsˇcˇestvo kulturnoj svjazi s zagranicej, VOKS). Diese hatte ihren Sitz in Moskau und war mit dem kulturellen und wissenschaftlichen Austausch mit dem Ausland betraut. Ihre erste Vorgängerinstitution, das Komitee für Auslandshilfe, wurde anlässlich der Hungerkatastrophe im Wolgagebiet 1921 ins Leben gerufen.70 Nach Überwindung der Notlage wurde dieses Komitee durch das Vereinte Informationsbüro (Objedin[nnoje Büro Informacii, OBI) abgelöst.71 Das Letztere wirkte jedoch aufgrund seiner mangelnden Distanz zur Parteiführung wenig vertrauenswürdig. In weiterer Folge beschloss die Regierung, angeregt durch eine Initiative des Volkskommissariats für Äußeres, einen Verein zu gründen, der seinen Statuten nach als eine gesellschaftliche und nicht staatliche Institution fungieren sollte. 66 67 68 69

Stelzl-Marx, Stalins Soldaten, 252–254; Mueller, Die sowjetische Besatzung, 60–62. Rauchensteiner, Das Jahrzehnt der Besatzung, 26. Stelzl-Marx, Stalins Soldaten, 236. Wolfgang Mueller, »Leuchtturm des Sozialismus« oder »Zentrum der Freundschaft«?, in: Wiener Geschichtsblätter 4 (2000), 261–285, 262–283. 70 Michael David-Fox, Showcasing the Great Experiment. Cultural Diplomacy and Western Visitors to the Soviet Union, 1921/1941, New York 2012, 415. 71 Jean-FranÅois Fayet, La Soci8t8 pour les 8changes culturels entre l’URSS et l’8tranger (VOKS), in: Relations Internationales 115 (2003), 415.

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So entstand im Jahre 1925 die VOKS mit dem Auftrag, zur »Herstellung und Entwicklung der wissenschaftlichen und kulturellen Verbindung zwischen Institutionen, öffentlichen Einrichtungen und einzelnen wissenschaftlichen und kulturellen Funktionären der Union der SSR und des Auslandes«72 beizutragen. Als Mittel zur Durchführung einer Art »public diplomacy« intendiert, wurde die VOKS als Repräsentationsfunktion der »sowjetischen Zivilisation« im Webb’schen Sinne73 wahrgenommen, sodass eine Zwiespältigkeit, resultierend aus der Ambivalenz zwischen eigentlich kulturellen sowie kulturpolitischen Zuständigkeitsbereichen und den de facto gestellten Aufgaben entstand. Schließlich diente Kulturpropaganda der Ausbreitung des sowjetischen Einflusses74 und der Schaffung eines positiven und kontrollierbaren Sowjetimages.75 Unter den Bedingungen des sich rasch totalisierenden Regimes konnte jeder Anschein der Unabhängigkeit der VOKS vis-/-vis hohen Parteifunktionären nicht standhalten. Obschon die Zusammenarbeit mit anderen Organen, wie beispielsweise dem Außenressort, formell auf der Grundlage der Mitwirkung einer nichtparteistaatlichen Organisation organisiert wurde, konnte die Forschung zeigen, dass eine starke Abhängigkeit von Partei und Staat bestand.76 Die VOKS war entsprechend ihrer Konzeption in erster Linie an Anknüpfung und Aufrechterhaltung freundschaftlicher Beziehungen zu ausländischen Staaten und nichtstaatlichen, in erster Linie »kleinbürgerlichen« nicht-kommunistischen Akteuren der Kulturwelt interessiert.77 Der Kaderapparat der VOKS, im Vergleich zum nur 17 Mann starken OBI, wurde deutlich ausgebaut. An der Spitze der Institution stand ein gewählter Vorsitzender, der mit einem Sekretariat ausgestattet war. Ferner bestanden »Territorialabteilungen«, die für unterschiedliche Weltregionen zuständig waren, wie zum Beispiel die Mitteleuropäische Abteilung, der auch die kulturelle »Betreuung« Österreichs oblag. Neben der geographischen existierte auch eine Unterteilung in »Sektionen«. Es bestanden unter anderem eine Musiksektion, eine Theatersektion, die Sektion der bildenden Künste, die Literarische Sektion, 72 Jurij A. Gridnev. Ssozdanije VOKS. Sadacˇi i zeli, in: Istoriki rasmysˇljajut 2 (2000), 285–299, 286. 73 Fayet, La Soci8t8, 414. Der Begriff wurde von dem britischen Linksintellektuellen Sidney Webb in den 1930er-Jahren geprägt. Vgl. dazu Sidney Webb, Soviet Communism: A New Civilisation?, London 1936. Der Begriff bezog sich auf im weiteren Sinne der Kultur (in erster Linie im angelsächsischen Diskurs) zuzuschreibende Bereiche, wie die Emanzipation der Frauen oder Fortschritte der Volksbildung. An dieser Stelle kann keine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Kontext der britischen Auffassungen des Sowjetkommunismus erfolgen. 74 Barghoorn, The Soviet Cultural Offensive, 52. 75 Fayet, La Soci8t8, 416. 76 Ders., VOKS: The Third Dimension of Soviet Foreign Policy, in: Jessica C.E. Gienow-Hecht/ Mark C. Donfried (Hg.), Searching for a Cultural Diplomacy, New York 2013, 33–49. 77 Hierzu und zum Folgenden: Parks, Conflict und Coexistence, 22.

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ferner eine Pädagogische sowie weitere wissenschaftliche Sektionen. Diese waren ein wichtiger Bestandteil der gesamten Struktur. Der Moskauer Zentralbehörde VOKS, ebenso wie den OKS der Sowjetrepubliken, stand ein Netzwerk der in verschiedenen Ländern, darunter auch Österreich, untergebrachten ständigen Vertreter zur Verfügung. Erst seit 1947 gehörte der gesamte kulturbezogene Schriftverkehr zwischen Wien und Moskau zum Zuständigkeitsbereich eines solchen Vertreters. Eingriffe der Besatzungsoffiziere kamen eher nur noch vereinzelt vor, wobei sie nie ganz ausblieben. Sie erfolgten beispielsweise bei der Erledigung mancher Formalitäten. Bei der Ein- und Ausreise, interzonalem Verkehr (etwa die Ausstellung der notwendigen Papiere), oder der Unterkunft bedurften die ankommenden Artisten organisatorischer Unterstützung der Funktionäre. Politische Überwachung, wie von Berichten indirekt bezeugt, blieb logischerweise nicht aus.78 Dadurch nahm der Vertreter eine dominierende Stellung in Kulturkontakten zwischen der Sowjetunion und Österreich ein. Er war mit dem gesamten Kulturaustausch, der Übersendung von Materialien, der Organisation von Gastspielen, der Kontaktaufnahme zu österreichischen Behörden79 und Künstlern, der Informierung der Zentralstelle in Moskau über das österreichische Kulturgeschehen ebenso wie mit der Organisation und Durchführung der noch relativ spärlich entwickelten wissenschaftlichen Zusammenarbeit betraut. Im Kontakt zu mitunter linksgerichteten Gruppen unter den österreichischen Künstlern war Anatolij Parkajev, der diese Stelle 1948 bis 1954 innehatte, besonders erfolgreich. Für die Entfaltung und Aufrechterhaltung kulturrelevanter Aktivitäten war österreichischerseits eine ortsansässige Gesellschaft vonnöten, die, gestützt auf Insiderwissen über die österreichischen Verhältnisse, eine tatkräftige Unterstützung der sowjetischen Initiativen gewährleisten sollte. Bereits in der Zwischenkriegszeit (seit 1924) war eine österreichisch-sowjetische Gesellschaft in Wien installiert worden,80 deren Reichweite als eher begrenzt zu bewerten ist. Nach der nationalsozialistischen Zäsur kann von der Anknüpfung an etablierte Traditionen keinesfalls die Rede sein. Auf sowjetische Anregung81 kam es am 78 1955 wurde die Abwehr »feindlicher Provokationen« durch Mitglieder des Zentralen Truppengruppe-Orchesters gemeldet. Donessenije nacˇal’nika Polutupravlenija ZGV M. M. Vavilova nacˇal’niku Glavnogo politicˇeskogo upravlenija Sovetskoj Armii A. S. Zˇeltovu o koncetrnoj pojezdke Ansamblja pesni i pljaski ZGV po zapadnoj Avstrii, in: Die Rote Armee in Österreich, 590–597, 596. 79 Im Juli 1945 hat Bundeskanzler Renner selbst eine Kontaktaufnahme zur VOKS unternommen, indem er eine Einladung an russische Künstler richtete. Siehe Mitteilungen des Staatskanzlers. Protokoll Nr. 17 (17. Juli 1945), in: Gertrude Enderle-Burcel/Rudolf Jerˇ#bek/ Leopold Kammerhofer (Bearbeiter), Protokolle des Kabinettsrates der Provisorischen Regierung Karl Renner 1945, Bd. 2, Wien 1999, 2–3. 80 Mueller, Österreichische Zeitung, 35. 81 Mueller, Die sowjetische Besatzung, 101–102.

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2. Juni 1945 zur Gründung einer neuen (»nationalen«82) Gesellschaft zur Förderung der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion, kurz Österreichisch-Sowjetische Gesellschaft (ÖSG). Zweck des neugegründeten Vereins war, entsprechend seinem Statut, »in Österreich gründliche und verlässliche Kenntnisse über die Kultur, die Geschichte, die Sprachen und die Wirtschaft der Sowjetunion zu vermitteln – sowie umgekehrt«. »Zur Erreichung dieses Zweckes werden geeignete Bücher, Zeitschriften, Bilder und Filme angeschafft und zugänglich gemacht, Vorträge, Konzerte, Theateraufführungen und Filmvorführungen veranstaltet, der Druck und Verlag einschlägiger Werke gefördert«; ebenso »der Meinungsaustausch zwischen österreichischen und sowjetrussischen Gelehrten […] angebahnt; Studienreisen nach und von der Sowjetunion unterstützt, usw. usw.«83 Deshalb sah sich die Gesellschaft dazu veranlasst, als »Brückenbauerin«84 den Kulturaustausch zum »Land der Sowjets« in die eigenen Hände zu nehmen. An der Spitze der ÖSG stand der »Linkssympathisant« Professor für Medizin Dr. Hugo Glaser, der offenbar um Hilfe und Unterstützung beim sowjetischen Element angesucht hatte. Bereits am 6. Juli erging vom Leiter der Mitteleuropäischen Abteilung der VOKS Evgenij I. Melesˇko eine Bitte an den Politischen Vertreter der UdSSR Evgenij D. Kiselev, einen Kontakt zur ÖSG aufzunehmen.85 Die ÖSG übernahm weitgehend die sektorale Aufteilung der VOKS, das heißt sie verfügte über weitgehend mit ihrem sowjetischen Gegenstück identische Fachsektionen, wie die Theater- und Musiksektion. Dabei erwies sich gerade die Musiksektion als bemerkenswert aktiv, ganz im Gegensatz zu manch anderen Abteilungen, die eher ein Schattendasein führten, wie etwa die Theatersektion. Neben einer Zentralstelle in Wien war die ÖSG in der Provinz durch Zweigstellen vertreten, deren Zahl sich ab 1948/49 auf knapp über 100 in ganz Österreich belief. Obwohl die ÖSG im Gegensatz zu den Amerikanern in Deutschland86 keinen systematischen »Zonal Library Exchange« durchführte, standen den Interessenten Zweigstellen mit Bibliotheken, die Sowjetischen Informationszentren und (beispielsweise während der Vorträge durch ÖSGFunktionäre, Offiziere oder eingereiste Wissenschaftler und Schriftsteller) zuständige Fachleute zur Verfügung. Die Mehrzahl der Filialen befand sich, wenig überraschend, in der sowjetischen Besatzungszone. In den westlichen Bundes82 Obermaier, Kulturelle Visitkarten, 14. 83 Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF), Fond 5283, Opis 16, Delo 8, Bl. 277. (Im Weiteren wird die in der Literatur übliche Trennung durch Schrägstriche verwendet.) 84 Kraus, »Kultura«, 70. 85 GARF 5283/16/9/176. 86 Thomas Steiert, Zur Musik- und Theaterpolitik in Stuttgart während der amerikanischen Besatzungszeit, in: Gabriele Clemens (Hg.), Kulturpolitik im besetzten Deutschland 1945–1949, Stuttgart 1994, 55–68, 56.

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ländern war ihre Präsenz nur sporadisch. In der entfernten französischen Zone stellte in den 1950er-Jahren die Innsbrucker Zweigstelle die einzige Ausnahme dar.87 Berichte der österreichischen Staatspolizei zeugen von einer auf kommunistische Kreise ausgerichteten, betont propagandistischen Tätigkeit kleiner Zweigstellen. Diese mussten sich normalerweise mit Filmvorführungen und – meist durch lokale KPÖ-Funktionäre gehaltene – Vorlesungen begnügen.88 Ein Zusammenwachsen des Kaderapparates der KPÖ und der ÖSG, ähnlich wie bei allen sowjetgebundenen Einrichtungen,89 war dabei offensichtlich. Daher brachte die lokale Bevölkerung der Gesellschaft nur sehr wenig Vertrauen entgegen, zumal ein mit der kommunistischen Partei und der UdSSR affiliierter Verein in der überwiegend konservativ gesinnten Provinz keinesfalls zu einem erfolgversprechenden Medium avancieren konnte. Die entstehenden finanziellen Mehrkosten für die stark defizitäre ÖSG mussten aus dem Staatshaushalt der Sowjetunion gedeckt werden.90 Deren geringe Breitenwirkung91 musste daher als propagandistisches Desaster anmuten. Trotzdem konnten die Kulturoffiziere und VOKS-Vertreter auf keine wesentliche Veränderung in der von oben dekretierten politischen Hauptlinie hoffen. Einer tatsächlich überparteilichen und neutralen ÖSG wäre es kaum möglich gewesen, dem politischen Auftrag zur 87 Seit 1951 haben die Berichterstatter der politischen Lageberichte für die Generaldirektion für öffentliche Sicherheit aus Innsbruck (Karton 29) gewisse Aktivitäten zu vermerken, wobei vor allem den sowjetischen Gastspielen besondere Bedeutung zukam. Siehe Lagebericht für den Oktober 1951, Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Archiv der Republik (AdR), Bundesministerium für Inneres (Inneres), Abt. I-Res.Pos.II/64/2–51, GZ 50998–2/51, S. 5. Monatsbericht für Mai 1955. Zl. Abt.I-Res.Pos.II/86/1–55, GZ. 50000–2/55, S. 6. 88 Insbesondere waren es Berichterstatter aus Kärnten (Kartons 10–13), die auf eine Schilderung der als feindlich empfundenen ÖSG-Aktivitäten bedacht waren; übrigens bleiben Formulierungen eher lapidar und sprechen für ausbleibende Breitenwirkung der Zweigstellen. Es ist denkbar, dass die britische Besatzungsmacht und die Staatspolizei eventuell einen aufkeimenden kommunistischen Einfluss in den Industriegebieten Südösterreichs befürchteten, was freilich nicht den wirklichen Zuständen entsprach. Lageberichte aus der Ostzone sind verständlicherweise sowjetfreundlicher gehalten. Zum Beispiel erwähnte ein Bericht der Sicherheitsdirektion für das Mühlviertel (Karton 18) sogar einen »guten Zuspruch« des Publikums. Lagebericht für das Mühlviertel für den Monat März 1947. ÖStA, AdR, Inneres, Sid/M 228–595/47/Dr.H./Zi., 31.3.47 26125–2/47, GZ. 45849–2/47, S. 8. 89 Mueller, Österreichische Zeitung, 14–16, 290–292. 90 Siehe die Organisationsberichte der ÖSG in: GARF 5283/16/13/28 (1947), GARF 5283/16/19/ 12 (1948), GARF 5283/16/22/10 (1949), oder auch sowjetische Deckungsplanungen, mitunter auch über die Besatzungszeit hinaus: GARF 5283/22/1/30 (für 1946), GARF 5283/22/492/196 (für 1955–1956), GARF 5283/22/514/100, 102–104 (1955 und folgende Jahre). Aus den verˇ SK in Österreich öffentlichen Quellen sei der Arbeitsplan der Propagandaabteilung der SC für Juli-September 1948 erwähnt, siehe Gennadij A. Bordjugov/Wolfgang Mueller/Norman M. Naimark (Hg.), Sovetskaja politika v Avstrii, 1945–1955: Sbornik dokumentov, Sankt-Petersburg 2006, 301. Es wäre übrigens fragwürdig zu behaupten, dass es je ein langfristig profitables kulturpropagandistisches Unternehmen gegeben hätte. 91 Graf, Kulturpolitik, 16.

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Verbreitung pro-sowjetischer und Bekämpfung »antisowjetischer« und »feindlicher« Propaganda92 gerecht zu werden. Im medialen Raum machte die ÖSG nichtsdestotrotz auf sich aufmerksam, indem sie ihre eigene Zeitschrift Die Brücke herausgab. Die Publikation bestand größtenteils aus Berichten aus der Sowjetunion, in denen die »Errungenschaften« des Riesenreichs im Osten Europas in allen Bereichen des florierenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens veranschaulicht wurden. Neben einer Reihe umfangreicher Leitartikel zur ökonomischen Erschließung und der Entwicklung sowjetischer Landesteile kamen Ethnologen, Kunstkritiker, Berufsmusiker und andere zu Wort. Die Beiträge waren in der Regel propagandistisch. Doch die neuesten kulturellen Entwicklungen in Moskau und Leningrad, ebenso wie in der Provinz, standen nicht selten im Mittelpunkt des Interesses der Herausgeber. Dabei blieb die sowjetische Oberaufsicht ausschlaggebend, da eine große Anzahl der gedruckten Artikel aus der Sowjetunion kam und der österreichischen Redaktion der Zeitschrift übergeben wurde. Der Markterfolg ihrer Auflagen fiel auf Dauer nicht besonders glücklich aus, ähnlich wie bei anderen thematisch auf die Sowjetunion bezogenen Presseorganen, die sich unter Österreichern außerhalb der KPÖ keiner besonderen Gegenliebe erfreuen durften. Aus dem »Wettbewerb« um die Leserschaft gingen zweifelsohne die Amerikaner siegreich hervor, auch wenn deren Presseleitung ebenfalls nur eine idealisierte, unkritische Schilderung des amerikanischen Lebens duldete.93 Die Jahre 1946 bis 1955 sind von einer Stabilisierung der Kontakte zwischen 92 Seit 1949 wurden solche Anforderungen in VOKS-internen Stellungnahmen und Aussagen bei Betriebsversammlungen deutlich. Siehe Protokoll der Beratung der Abteilungsleiter der VOKS. 5. März 1949, GARF 5283/21/95/10. 93 Vgl. Schönberg, Die amerikanische Medien- und Informationspolitik in Österreich, 11, 157. Oliver Rathkolb sprach von einem »idealisierten« Bild. Vgl. Rathkolb, Die Entwicklung der US-Besatzungskulturpolitik zum Instrument des Kalten Krieges, 38. Die Historiographie zur amerikanischen auswärtigen Kulturpolitik ist in dieser Sicht noch kritischer gesinnt: Reinhold Wagnleitner ging von den Konzepten von Propaganda und Kulturimperialismus aus. Evelyn Deutsch-Schreiner schätzte die US-Selbstdarstellung als wenig ausbalanciert ein. Vgl. Deutsch-Schreiner, »Theaterland Österreich«, 151. Jessica Gienow-Hecht unterstrich die Interdependenz zwischen Kultur und Propaganda, die in der darauf folgenden »Campaign of Truth« gipfelte. Vgl. Jessica C. E. Gienow-Hecht, »How Good Are We?«. Culture and the Cold War, in: Intelligence and National Security 18 (2003) 2, 269–282, 271. Andrew Falk legte eine Studie vor, in der er die Diskrepanzen zwischen dem erwünschten strahlenden Amerikabild und manchen problematischen Tatsachen des amerikanischen Lebens in den Vordergrund rückte – wobei seine Grundthese von einschließender Einbeziehung der innenpolitischen Opposition in die auswärtigen Propagandaaktivitäten von höchster Relevanz bleibt. Siehe Andrew Falk, Upstaging the Cold War. American Dissent and Cultural Diplomacy 1940–1960, Amherst 2011. Im Wiener Kurier war es jedenfalls nicht möglich, eindeutig US-kritische Aufsätze zu finden, nicht einmal in der Musiksparte. Die Schattenseiten des modernen Amerika wurden schlichtweg nicht angesprochen.

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der VOKS und der ÖSG gekennzeichnet, sodass die Zufuhr kultureller Materialien aus der UdSSR, obwohl durch Bürokratisierung erschwert, relativ kontinuierlich erfolgte. Jedoch sollte das Wort »Austausch« nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um Einbahnverkehr handelte. Erstens konnte Österreich aufgrund der schwierigen ökonomischen Lage kaum im Ausland mit Gastspielen brillieren94 und erschien daher für manchen Beobachter als untätig.95 Zweitens war die sowjetische auswärtige Kulturpolitik überwiegend auf Export der »Errungenschaften des Sozialismus«,96 mitunter auch repräsentativer Kunstwerke, ausgerichtet. Es wurden also Bücher und Broschüren, Filme, Bilderreihen, Partituren, Schallplatten sowie Magnetaufnahmen in großen Mengen (Hunderte seit 1947/8) nach Österreich geliefert.97 Eine von der Direktion der VOKS ausgehende Balancierung unterschiedlicher Epochen und Stile nach dem Muster »vorrevolutionäre Klassik – moderne akademische Musik – Volkskunst und -lieder«98 wurde durchwegs beachtet (eine erklärliche Ausnahme bildete etwa eine Staliniana im Jahre 194999). Dabei erleichterte eine bereits 1945 festgestellte relativ geringe Breitenwirkung der »primitiven« (zentralasiatischen, weniger der georgischen, ukrainischen sowie der eigentlich russischen) Volksmusik100 einen in der Folgezeit gelegten Akzent auf Klassiker, neben denen jedoch ständig Tendenzstücke und »moderne« Lieder zu finden waren. Eine weitere Anregung stellten von Österreichern an die VOKS gerichtete Anfragen, meistens in Bezug auf Übersendungswünsche einzelner Werke an Berufsmusiker, dar, die zu dieser Zeit die nötigen Noten in Österreich nicht finden konnten. Aus den 72 im Schriftverkehr101 gefundenen und bearbeiteten Erwähnungen wurde deutlich, dass nur die erstklassigen Namen sowie musi94 Eine der Ausnahmen war eine Reise von Josef Krips nach Moskau und Leningrad 1947. Vgl. Mueller, Österreichische Zeitung, 38–39. 95 Der Politische Vertreter der Österreichischen Bundesregierung in der UdSSR Norbert Bischoff an das Bundeskanzleramt Auswärtige Angelegenheiten Wien. Gespräch mit dem Präsidenten des WOKS. 6. Mai 1946, Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Archiv der Republik (AdR), Bundeskanzleramt/Auswärtige Angelegenheiten (BKA/AA), Sektion 5-Pol (5 Pol./) 1946, Russland, GZl. 111.424 -pol/46, Zl. 89/46, Bl. 1. 96 So Francis Bowen Evans in Jahr 1955, zitiert nach Francis S. Barghoorn, The Soviet Cultural Offensive, Princeton 1964, 278. 97 Ihre Katalogisierung nimmt einen bedeutenden Teil des Schriftverkehrs zwischen dem WOKS-Vertreter in Wien und der Zentralstelle. GARF 5283/16/8–62. 98 Siehe dazu eine programmatische Rede Tichon Chrennikovs, gehalten vor der Musiksektion der VOKS am 31. März 1950. GARF 5283/21/140/3–6. 99 Symptomatisch war, dass das gesamte Dezemberheft der »Brücke« 1949 allein Stalin gewidmet wurde. Notenzusendungen lassen die gleiche Tendenz erkennen. 100 Schreiben von E. D. Kiselev und B. N. Zˇuravlev an den Leiter der Mitteleuropäischen Abteilung der WOKS A. M. Volkov, Kopie an den Leiter der 3. Europäischen Abteilung des Volkskommissariats für Äußeres der UdSSR A. A. Smirnov. 14. September 1945. GARF 5283/16/10/118. 101 GARF 5283/16/8–58.

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kalische Aktualität großes Interesse hervorriefen. Die vorrevolutionäre Schule – ˇ ajkovskij (8 Erwähnungen), Nikolaj A. Rimskij-Korsavertreten durch Petr I. C kov (6), Aleksandr K. Glazunov (4), Aleksandr N. Skrjabin (5), Sergej V. Rachmaninov (6) und Nikolaj Ja. Mjaskovskij (5) – behielt mit 34 Anfragen noch ein relatives Gleichgewicht mit der Moderne – Sergej S. Prokof ’ev (16), Dimitrij D. Sˇostakovicˇ (15), Aram Chacˇ’aturjan (7) insgesamt 38 –, wobei die führenden Personen des sowjetischen musikalischen Lebens, Prokof ’ev und Sˇostakovicˇ, die sowohl künstlerisch als auch politisch auf sich aufmerksam machten, sich am stärksten profilieren konnten. Dazu lassen sich zwei Hypothesen aufstellen: Zum einen könnten sich prokommunistische Interessentenkreise durchgesetzt haben, was mit den vorhandenen Quellen aber nicht belegbar ist und angesichts der innenpolitischen Lage eher unwahrscheinlich scheint. Zum anderen kann man darin ein allgemeines, nicht zuletzt durch Nachrichten aus dem Osten angeregtes Interesse erkennen. Die in der archivalischen Überlieferung erhaltenen Anfragen, die für die österreichischen Gesinnungen vermutlich nur beschränkte Aussagekraft haben, stellen jedenfalls dennoch eine interessante Ausnahme von dem zum Konservativismus tendierenden Musikleben der Alpenrepublik dar, wenngleich man hier von keiner überaus tollkühnen Moderne sprechen kann. Die Vielfalt der Interessensbereiche lässt sich bereits anhand der Materiallisten erkennen. Materialien über alte Meister, neueste Entwicklungen sowjetischer Kunst, wichtige Kultureinrichtungen Moskaus und Leningrads sowie den kulturellen Fortschritt der gesamten Sowjetunion wurden regelmäßig Richtung Wien abgeschickt. Die Volksmusik der Sowjetvölker schien in Österreich generell nur moderaten Widerhall zu finden. Dagegen trugen Lieferungen der akademischen Musik von hoher Qualität zweifelsohne dazu bei, die im Krieg stark beschädigten österreichischen Sammlungen mit neuen Noten oder Schallplatten zu bereichern und damit Laien und Fachmusikern direkten Zugang zum russischen/sowjetischen Kulturgut zu ermöglichen. Soweit es sich den Quellen entnehmen lässt, hat die VOKS, ebenso wie die Kulturoffiziere, vermieden, in ihrem Kontakt zu Österreich die Verfolgung des »Formalismus« in der Sowjetunion allzu sehr zu betonen. Fest steht aber, dass diese in den zugeschickten Neuerscheinungen und Materialien rein propagandistischer Art reichlich vertreten war. Das vielleicht erfolgreichste Kunstpropagandamittel des sowjetischen Elements stellten Gastspiele sowjetischer Künstler dar. Leider würde eine quellengerechte Beleuchtung eines solchen Bereiches den Rahmen dieses Beitrags sprengen, ferner kann man hier auch auf bereits geleistete Forschungen zurückgreifen.102 Von Spätfrühling 1945 bis August 1955 brachte die Sowjetunion 102 Rathkolb, Politische Propaganda, 301; Mueller, Österreichische Zeitung, 18–19, 34–35, 137;

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23 Künstler-»Brigaden« nach Österreich, unter denen solch erstklassige Artisten und Kollektive zu verzeichnen waren wie David Ojstrach, Lev N. Oborin, Ivan S. Koslovskij, Mstislav L. Rostropovicˇ, Solisten des Bol’sˇoj-Theaters, die (ukrainisch-russischen) Svesˇnikov- und Pjatnicki-Chöre, das Moiseev-Ensemble, das Georgische Volkstanz- und Liederensemble, das (russische) »Berjoska«-Volksensemble oder das Zentralensemble der Roten Armee, ganz zu schweigen vom Ensemble der Zentralen Heeresgruppe, das in Mitteleuropa stationiert war und Österreich bereisen konnte. Hier konnte die Volkskunst ebenso deutlichen Widerhall finden, wie die »handelsübliche« Klassik. Mithilfe ausgedehnter Tourneen durch ganz Österreich wurde die größtmögliche Breitenwirkung erzielt. Dies bestätigen Quellen unterschiedlichster Provenienz in weitgehender Übereinstimmung. Dazu zählen Lageberichte der Staatspolizei, Berichte und Stellungnahmen der ÖSG, des VOKS-Vertreters sowie der Besatzungsoffiziere, vereinzelte Erwähnungen in amerikanischen Dokumenten und zahlreiche Pressestimmen. Die relativ geringe Berichterstattung über sowjetische Gastspiele im Wiener Kurier ab Ende 1949, steht in krassem Kontrast zu Propagandaund Werbekampagnen in der Österreichischen Zeitung, Die Brücke und Der Abend, vereinzelt sogar in der Arbeiter-Zeitung. Erfolge sowjetischer Gastspiele, wenn auch durch ungünstige propagandistische Einmischung der Politoffiziere getrübt,103 gehörten zu den besseren Aspekten der Besatzungspolitik und waren als Motor zur Verbreitung eines positiven »Russenbildes« sicher besser geeignet, als der offizielle Propagandabetrieb. Bemerkenswert war auch der Anteil an russischer Musik im Wiener Konzertleben,104 umso mehr, da deren Wirkung weit über die Grenzen des sowjetischen Propagandasystems hinaus reichte. Eine genaue Einschätzung der vom russischen Musikkulturerbe ausgeübten Einflussnahme ist zahlenmäßig nicht durchführbar. Ebenso ist es schwierig, die enorme Komplexität des tatsächlichen Konzertbetriebes dabei gebührend zu berücksichtigen. Die Aufarbeitung der perzeptionsorientierten Quellen vermag jedoch wesentlich dazu beizutragen, das musikalische »Russlandbild« anhand der in Wien aufgeführten Werke einer Reihe von führenden russischen Komponisten mit größerer Präzision zu erfassen. Um eine der sowjetischen Propagandaroutine fernstehende Quelle zu ders., Sowjetische Besatzung, 98; ders., Kulturnaja politika, 101–102; Kraus, »Kultura«, 262. 103 Kurze von Artisten und ÖSG-Funktionären (Hovorka u. a.) gehaltene »Ansprachen« sollten zu Früchten dieser internen Arbeit gehören. Sie wurden manchmal in der Presse erwähnt, z. B.: »Die Sowjetischen Künstler in Betrieben«, in: Österreichische Zeitung (ÖZ), 11. September 1949, 6; »Das Georgische Volkstanzensemble in Eisenstadt«, in: ÖZ, 15. September 1949, 5: »Georgisches Ensemble in Leoben«, in: ÖZ, 1. Oktober 1949, 5. 104 Leider konzentriert sich das Quellenmaterial fast ausschließlich auf die Bundeshauptstadt; für Analysen des Konzertbetriebs in Salzburg, Graz sowie anderen Städten würde es einer intensiveren Auseinandersetzung mit der lokalen Presse bedürfen.

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verwenden, werden im Folgenden musikkritische Artikel aus dem Wiener Kurier herangezogen. Die Auswahl erfolgte weil es sich bei diesem Medium erstens aufgrund seiner »objektiv und sympathisch wirkenden Schreibweise«105 um die damals mit Abstand meistgelesene106 Zeitung Österreichs handelte und zweitens ihre historiographisch noch wenig ausgewertete Kulturspalte besonders ausführlich und qualitativ hochwertig ist.107 Der Wiener Kurier weist trotz hoher Relevanz zwei bedeutende Lücken auf: die Saisonen 1950/51 und 1954/55. Die Berichterstattung über das Kulturleben wurde durch das Ausbleiben mehrerer Ausgaben Ende 1950 und den Übergang zum Wochenjournal Ende 1954 stark begrenzt. Umso auffallender erscheint zum Beispiel der relative Zuwachs der Erwähnung von Prokof ’evs Werken gerade 1950/51 (siehe Tabelle 2). Infolgedessen wurden aus 23 erwähnten Komponisten, deren Werke zur Aufführung vor dem Wiener Publikum gelangten, fünf Namen der erstrangigen Meister ˇ ajkovskij, Musorgskij, Prokof ’ev, Sˇostakovicˇ und auch Stravinsky) gewählt, (C die in den Quellen am häufigsten aufscheinen. Darüber hinaus wurde eine Untergliederung in die Genres der Werke vorgenommen sowie ihre kritische Beurteilung hinsichtlich der positiven bzw. negativen Wahrnehmung analysiert. Die getrennt behandelten Gastspiele sowjetischer Künstler wurden nicht berücksichtigt, da sie ein eigenständiges Thema darstellen. ˇ ajkovskij C Musorgskij Prokof ’ev Sˇostakovicˇ Stravinsky

109 46 67 31 76

Tab. 1: Zusammensetzung aller Erwähnungen der in Österreich aufgeführten russischen Werke (1946 bis 1955)

Diese fünf Namen blieben für den russisch-bezogenen Musikbetrieb prägend, was die für Österreich eher typische Reduktion der Programme auf wenige Klassiker illustriert. Im Grunde wird diese Verteilung dem künstlerischen Format der Komponisten sowie dem Wiener Konservatismus gerecht. Die Einbe105 Michael Schönberg, Die amerikanische Medien- und Informationspolitik in Österreich, 157, 205–206. 106 Vergleicht man die bekannten Leserquoten des »WK« (32 bis 45 % je nach Jahr) mit denen der »Österreichischen Zeitung« – etwas unter 1 % – wird die mediale Niederlage der Sowjetadministration noch deutlicher. Siehe Schönberg, US Medienpolitik, 152–153; Rudolf Tschörgl, Tagespresse, Parteien und alliierte Besatzung: Grundzüge der Presseentwicklung in der unmittelbaren Nachkriegszeit 1945–1947, Dissertation Wien 1979, 154–155; Mueller, Österreichische Zeitung, 92–105. 107 Beim Wiener Kurier bleibt allerdings ein methodisches Problem bestehen, da der mikrofilmierte Text manuell bearbeitet werden musste. Eine automatisierte Vorgehensweise ist beim Stand der Dinge leider noch nicht möglich.

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ziehung des in Folge der Revolution emigrierten Russen Stravinsky sollte im wahrnehmungsorientierten Kontext trotz seines »Außenseitertums« in Bezug auf das sowjetische Kulturleben nicht verwundern. Durch die Wiedereröffnung der Wiener Bühnen für die Öffentlichkeit und das aktive Mitwirken der amerikanischen Besatzungsadministration, zum Teil als Pendant zum Osten, wurde diese Musik des »anderen Russlands« in die österreichische Hauptstadt geleitet. Die prominente Positionierung Prokof ’evs ist ebenfalls nicht überraschend. Im Gegensatz dazu dürfte die vergleichsweise geringe Präsenz Sˇostakovicˇs auf ein unglückliches Zusammenwirken von politischen Faktoren und konservativer Zurückhaltung ihm gegenüber hindeuten. Jedoch darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass allein eine Tabelle, in der die Gesamtanzahl der binnen zehn Jahren durchgeführten Aufführungen wiedergegeben wird, keinen endgültigen Schluss über diachronisch zu beobachtende Entwicklungen zulässt. 25

20

15

Čajkovskij Musorgskij Prokof'ev Šostakovič Stravinsky

10

5

0

1945/46

1946/47

1947/48

1948/49

1949/50

1950/51

1951/52

1952/53

1953/54

1954-55

Tab. 2: Häufigkeit der Aufführungen

ˇ ajkovskij hatte in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Österreich die führende C Stellung unter den russischen Komponisten inne, die er übrigens nie eingebüßt hat. Die Gründe dafür mögen variieren, die überwiegende Tendenz besteht jedoch in der ihm entgegengebrachten Huldigung der Wiener Kritiker, die wohl aus einer Tradition aus der Zeit vor 1938 herrührte. Weiters lag die am west- bzw. ˇ ajkovskijs, mitteleuropäischen Muster der Romantik orientierte Melodik C ähnlich wie die in seinen Orchesterwerken bis zu den feinsten Schattierungen hinaufsteigende souveräne Technik der Instrumentalisierung, näher am Geschmack der Wiener Musikkritiker. Betonter Konservatismus des Wiener Pu-

253

Zur Kulturpolitik der UdSSR in Österreich 1945 bis 1955

blikums,108 vor allem der Kritiker des Wiener Kurier, fand in der begrenzten ˇ ajkovskijs seinen AusAuswahl der berühmtesten und beliebtesten Werke C druck. Die IV. und die VI. Symphonie gehörten zum festen Repertoire eines Orchesters von Weltrang wie den Wiener Philharmonikern. Insgesamt ging es ˇ ajkovskijs. Seine orchestralen Werke primär um das symphonische Schaffen C von hervorragendem künstlerischem Format wurden gegenüber der Kammermusik deutlich bevorzugt. 700

600

500

400

Čajkovskij 300

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Tab. 3: Verhältnis der aufgeführten symphonischen Musik zur Kammer- und Opernmusik

ˇ ajkovskijs in der russischen Oper109 anWeiterhin war auch die Präeminenz C erkannt, wodurch Michail Glinka, der symbolisch führende Opernkomponist russisch-nationaler Ausrichtung, die Gunst der Wiener Kulturakteure und wahrscheinlich auch des Publikums nicht zu erringen vermochte. Andererseits wurde Musorgskij, ein weiterer »Nationaler«, in Wien hochgeschätzt und oft aufgeführt, wobei der markante Reduktionismus der Wiener Musikwelt seine 108 Ein amerikanischer Offizier beklagte sich: »[T]he Viennese are perhaps the most conservative people in the world«. Siehe Wagnleitner, Coca-Colonization, 198. 109 Von der insgesamt nur noch wenig zu hören war. Graf, Die Kulturpolitik der Besatzungsmächte, 21. Tatsächlich fanden in Wien einige Konzertaufführungen und sogar einige ˇ ajkovskijs »Pique Dame«, »Eugen Onegin«, »Fürst Igor« von Borodin Vorstellungen, wie C oder »Der Jahrmarkt von Sorotschinzi« von Musorgskij statt. Kraus, »Kultura«, 261–264. Aus der modernen Opernschaffung gelang Prokof ’evs »Die Liebe zu drei Orangen« zur Aufführung in der Volksoper, die im Wiener Kurier verhältnismäßig warm kommentiert wurde. Peter Lafite, »Lieber zu den drei Orangen«, in: Wiener Kurier, 22. März 1951, 8. Nur die »Pique Dame« scheint jedenfalls ins ständige Wiener Repertoire (wieder) eingegangen zu sein.

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Alexander Golovlev

Wahrnehmung in der Donaumetropole und ferner in der Alpenrepublik weitgehend bestimmte. Musorgskij wurde, nicht ganz zu Unrecht, als Autor einer nur kleinen Zahl erfolgreicher und sich ins Gedächtnis einprägender Werke angesehen. Er ist übrigens der einzige bedeutende russische Tonkünstler, der ausschließlich positive Rezensionen bekam. Komponist ˇ ajkovskij C Musorgskij Rimskij-Korsakov Rachmaninov Mjaskovskij Prokof ’ev Sˇostakovicˇ

Aufführungen 109 46 16 16 6 67 31

Negativ 4 0 1 2 1 6 5

% vom Gesamten 3,7 0,0 6,3 12,5 16,7 9,0 16,1

Tab. 4: Statistisch zusammengefasste Einschätzungen der aufgeführten Werke

Moderne Klassik aus der Sowjetunion hatte es verhältnismäßig schwer im antikommunistisch gesinnten Österreich Fuß zu fassen.110 Doch diese schlichte Feststellung bedarf einiger Nuancierungen. Prokof ’ev wurde bereits in der Zwischenkriegszeit als einer der berühmtesten Komponisten der Epoche angesehen, wozu seine Aufenthalte in Europa und den USA wesentlich beitrugen. Von den verheerenden Repressalien des stalinistischen Terrors, der auch die Kulturlandschaft der UdSSR beeinträchtigte, blieb der Künstler fast gänzlich verschont. Es gelang ihm, im Unterschied zu Sˇostakovicˇ, eine relativ zurückhaltende Position dem offiziellen Kulturleben gegenüber zu bewahren. Prokof ’evs Farbensprache grenzte bis an die in der Sowjetunion verfemte Atonalität, auch wenn sie nicht durch kühnste Experimente in der Zwölftontechnik gekennzeichnet war. Dennoch quittierten ihm die Wiener, obwohl ihm seelenlose »Mechanik«111 vorgeworfen wurde, seine akzeptabel modernen Werke mit etwas regerem Beifall, so beispielsweise die populäre Orchestersuite »Peter und der Wolf«. Sˇostakovicˇ hingegen, der nach den »Hexenjagden« in den Jahren 1936 und 1948 in machtrepräsentative kulturpolitische Offensiven des sowjetischen 110 Michael Kraus, der in erster Linie mit der Österreichischen Zeitung, der Volksstimme sowie der Arbeiter-Zeitung arbeitete und den Forschungsschwerpunkt auf ideologisch-propagandistische Auseinandersetzungen legte, betonte die problematische Wahrnehmung der zum »Politikum« gewordenen Sowjetkomponisten, der zum Teil auch die »unschuldigen« Tondichter des 19. Jahrhunderts zum Opfer gefallen sind: Ein Ausschluss der Sowjetmoderne aus den Programmen der Gesellschaft der Musikfreunde sei dafür ein überzeugender Beweis, ähnlich wie die von der Sowjetmacht finanzierten (und in ÖSG-Berichten stetig erwähnten), aber eigentlich nicht zahlreichen »Russischen Symphonie-Konzerte«. Kraus, »Kultura«, 259–261. 111 Rudolf Klein, »Im Rampenlicht«, in: Wiener Kurier, 28. März 1949, 4; ders., »George Szell ist ein wahrer Meister seines Faches«, in: Wiener Kurier, 19. Juni 1954, 4.

Zur Kulturpolitik der UdSSR in Österreich 1945 bis 1955

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Regimes im In- und Ausland verstrickt war (wieweit freiwillig, möge dahingestellt bleiben), erregte bei der US-geleiteten Zeitung nachvollziehbaren Unmut. Dass er parteipolitischem Druck ausgesetzt wurde, war klar, trotzdem wurden eher empathische Ausdrücke rasch durch rigide »Antitotalitarismus-Rhetorik« ersetzt. Der Wiener Kurier lancierte zwei Propagandakampagnen gegen die von der »Zˇdanovsˇcˇina« befallene sowjetische Kultur. Somit richtete sich diese gegen die aufgezwungene bedingungslose Vorherrschaft des »sozialistischen Realismus« stalinscher Auslegung.112 Es war daher also kein Zufall, dass sich die Einschätzung des Musikschaffens Sˇostakovicˇs deutlich veränderte. Nach dem einstimmigen Loblied, das die Wiener Erstaufführung der »Leningrader«Symphonie, Sinnbild des sowjetischen Widerstandes, begleitet hatte,113 versteifte sich die Kritik mit zunehmender Vehemenz auf die angeblich unlebendige »Mechanik« und die Prädominanz der Formensprache über die künstlerischästhetische Substanz, von der die Aussagekraft seiner neueren Stücke beeinträchtigt sei.114 Zwei Wienbesuche Sˇostakovicˇs sollten daran wenig ändern. Er wurde sukzessive zum Inbegriff des dem Druck nachgebenden »Mitläufers« gemacht.115 Die ersten unsicheren Ansätze des »Tauwetters«, die sich nach dem Tode Stalins langsam abzeichneten, veranlassten die Journalisten des Wiener Kurier zu ausgiebigen Kommentaren bezüglich der jüngsten, vergleichsweise liberalen Entwicklungen im Osten.116 Eine äußerst problematische, ideologisch belastete 112 »Schostakowitsch tut Buße«, in: Wiener Kurier, 27. April 1948, 4; »Auch die Selbstkritik nützte den russischen Komponisten nichts: Schostakowitsch, Prokofiew und Chatschaturian bei Wahlen völlig ignoriert«, in: Wiener Kurier, 28. April 1948, 4; »Sowjetkomponisten neuerlich kritisiert. Sie unternehmen keine ›schöpferischen‹ Reisen zu Kollektivfarmen«, in: Wiener Kurier, 3. November 1948, 4; »Prokofieff neuerlich kritisiert«, in: Wiener Kurier, 30. Dezember 1948, 4; »Prokofieff gibt wieder nach«, in: Wiener Kurier, 3. Jänner 1949, 4; »Musik gegen Regeln des Politbüros: In Russland verbotene Prokofieff-Symphonie in den USA aufgeführt«, ebd.; »Schostakowitsch besucht die USA«, in: Wiener Kurier, 22. Februar 1949, 4. 113 »Der Meister der ›Belagerungs-Symphonie‹. Zum Geburtstag des Komponisten Dimitri Schostakowitsch«, in: Wiener Kurier, 25. September 1945, 4; »Russisches Konzert«, in: Wiener Kurier, 26. Oktober 1945, 2; »Die Internationale der Kunst. Musik von fünf Nationen«, in: Wiener Kurier, 29. Oktober 1945, 2. 114 Robert Klein, »Das Orchester der Volksoper gab das erste seiner Kammerkonzert«, in: Wiener Kurier, 11. November 1947, 4; Peter Lafite, »Neuer Dirigent und Chorkonzert«, in: Wiener Kurier, 29. April 1949, 4; Robert Klein, »Alte und neue Musik in bunter Fülle«, in: Wiener Kurier, 25. April 1953, 4. Auffällig ist, dass der Anfang dieser kritischeren Stellungnahme zeitlich nicht mit der antiformalistischen Welle in der Sowjetunion übereinstimmt, sondern ihr vorausgeht und vielmehr an eine allgemeine Verschlechterung der Beziehungen zwischen der UdSSR und den USA 1946–47 denken lässt. 115 »Vierte Symphonie+«, in: Wiener Kurier, 16. Juni 1953, 4. (Bemerkenswert ist das symbolträchtige Erscheinungsdatum.) 116 »Schostakowitsch für neue Wege in der sowjetischen Musik«, in: Wiener Kurier, 29. Jänner 1954, 4; »Auch Aram Chatschaturjan für größere künstlerische Freiheit«, in: Wiener Kurier,

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Haltung der großteils nichtkommunistischen beziehungsweise nicht-linksaffinen Wiener Musikwelt zu Sˇostakovicˇ blieb, sofern sich eine solche durch programmatische Leitartikel im federführenden Wiener Kurier erkennen lässt, auch weiterhin bestehen. Darauf weisen auch seine relativ niedrigen Aufführungsraten hin. Die Kluft zwischen Sˇostakovicˇ und seinem älteren Kollegen Prokof ’ev vertiefte sich rasch. Hatte ersterer in der ersten Nachkriegssaison eine Vormachtstellung unter modernen Kunstschaffenden errungen, so sank sein Anteil nun rasant und blieb ab 1948/49 weit hinter anderen Großmeistern zurück. Ein einzigartiges Beispiel in der neuesten Musikgeschichte stellt Stravinsky dar, der bereits vor dem Ersten Weltkrieg zu einem der bedeutendsten Anführer der radikalen Avantgarde avanciert war und später in die USA auswanderte. Das auffallend facettenreiche Schaffen Stravinskys suchte in seiner Vielfalt und Kühnheit seinesgleichen, weshalb sich nur im künstlerischen Werk des ebenfalls nach Amerika geflohenen Österreichers Arnold Schönberg oder auch des emigrierten Deutschen Paul Hindemith Analogien finden lassen.117 Das österreichische Publikum jedenfalls betrachtete diese vom amerikanischen Element angebotene »Dreifaltigkeit« mit großer Zurückhaltung, sodass der Wiener Kurier diese drei Namen (durchwegs mit höchster Ehrerbietung) hin und wieder in den Vordergrund rücken musste. Die ambivalente Stellung Stravinskys wurde keinesfalls erleichtert, da sein Schaffen eigentlich nicht der amerikanischen Musiktradition angehörte (von der die Österreicher übrigens nicht besonders viel hielten118), sondern in russischer Volksmusik und später in westlich-europäischen, zum Teil mystischen Motiven Anknüpfungspunkte suchte. Europa wurde immerhin als den USA im Kulturbereich mit Abstand überlegen angesehen,119 gleichzeitig war sein Opus nicht mehr ganz »russisch«. Exemplarisch für den Wiener Skeptizismus, je nach Abneigung gegenüber Stravinsky, wurde 10. März 1954, 4; Rudolf Klein, »Musikalische Seltenheiten und Novitäten«, in: Wiener Kurier, 27. November 1954, 7. 117 Enge deutsch-amerikanische Verbindungen gerade auf dem musikalischen Gebiet lassen sich zumindest ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen (in Bezug auf Österreich wären hier die Namen von Gustav Mahler oder Antonin Dvorˇ#k zu nennen). Laut einem treffenden Ausdruck von Jessica C.E. Gienow-Hecht, »to be German meant to be musical«, was freilich auch einige für die USA ungünstigen Vorstellungen mit sich brachte, nämlich die vermeintliche Zweitrangigkeit und den Originalitätsmangel der amerikanischen »klassischen« Musik, die ja aus Europa importiert worden war. Gienow-Hecht, »How Good Are We?«, 276. Siehe dazu auch mehrere Beiträge in Celia Applegate/Pamela Potter (Hg.), Music and German National Identity, Chicago–London 2002. 118 Wagnleitner, Coca-Colonization, 196. 119 Wie am deutschen Beispiel gezeigt wurde, war sogar die Einführung demokratischer Werte »auf Kosten« der europäischen Hochkultur gefürchtet und abgelehnt. Diese Tatsache wurde zudem noch vom amerikanischen Elitismus gerade gegenüber der Hochkultur und spürbarer anfänglicher Initiativlosigkeit erschwert. Gienow-Hecht, Culture and the Cold War in Europe, 406–407, 417–418; dies., Sound Diplomacy, 3.

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257

die Erstaufführung seiner neuen Oper »The Rake’s Progress« gewertet. Das Publikum zeigte sich von Stravinskys neuestem Werk größtenteils nicht begeistert. Mehrmals sahen sich die Kritiker dazu gezwungen, die künstlerischen Errungenschaften dieser Oper hervorzuheben, wobei Rudolf Klein, der trotz seines jungen Alters bereits federführende Kritiker des Wiener Kurier war, sogar eingestehen musste, dass das Wiener Publikum noch eine gewisse Zeit brauche, seinen echten Wert zu schätzen.120 Dennoch blieb Stravinsky für das »konservative« Wien ein hochgeachteter Fremder, indem er das Bühnenschicksal der musikalischen Moderne teilte.121 Von den sowjetischen Behörden wurde er im Kontext der kulturpropagandistischen Bemühungen ihres amerikanischen Erzkonkurrenten zumindest öffentlich so gut wie gar nicht beachtet. Abschließend ist zu betonen, dass trotz einer deutlichen Tendenz zur Totalisierung122 des Kalten Kriegs in kunstnahen Bereichen das Bedürfnis der österreichischen Bevölkerung nach einem Kunstgenuss »ohne ideologische Indoktrination« durchaus spürbar blieb.123 Im russischen Angebot von »Schwanensee und Ideologie«124 konnte freilich nur Ersteres auf Erfolge hoffen. Je sanfter die Macht, desto wirkungsvoller. Politische Propaganda stellte vielmehr ein schwer zu überwindendes Hindernis für die Verbreitung eines freundlichen »Russlandbildes« dar. Zahlreiche Quellen lassen übrigens auf eine begrenzte, sicherlich limitiert programmierbare Möglichkeit der Beeinflussung der österreichischen Wahrnehmungen durch die Besatzungsmächte schließen. Einerseits schätzte das anspruchsvolle Publikum die hohe Qualität der aufgeführten Werke, zeigte aber andererseits zuweilen nur geringes Interesse an Neuheiten, sodass sich bereits etablierte Namen einer dauerhaften Verbreitung sicher sein konnten. Die zeitgenössischen Künstler hingegen litten an der teilweise politisch bedingten Ablehnung sowie der spürbaren Zurückhaltung des Publikums gegenüber der Moderne. Das qualitätsvolle künstlerische Schaffen gewann im120 Rudolf Klein, »Sensationelle Strawinsky-Premiere: ›The Rake’s Progress‹ kam zur ersten Aufführung«, in: Wiener Kurier, 26. April 1952, 4. 121 Es geht hier um ein europaweites Phänomen: Dem radikalen Modernismus als Inbegriff des »freien Schaffens« (mitunter vom Kongress für kulturelle Freiheit und indirekt von der CIA unterstützt) standen auch Deutsche und andere Europäer en masse sehr kritisch gegenüber. Siehe dazu David Caute, The Dancer Defects, 11, 389. Frances C. Saunders, The Cultural Cold War : The CIA and the World of Arts and Letters, New York 2013, 252–256. 122 Vgl. dazu eine treffende Äußerung Oliver Rathkolbs, die weitgehend auch mit der Sowjetpolitik übereinstimmt: »Der eigentliche Grund für die Beibehaltung der Theatre& Music Section während der ersten Hälfte der fünfziger Jahre lag ganz eindeutig in der Totalität der ideologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion begründet.« Rathkolb, Politische Propaganda, 428. 123 Feichtinger, Die Kulturpolitik der Besatzungsmacht Großbritannien, 497. 124 Hannes Leidinger, Geteilte Wirklichkeit. Die österreichische Besatzungszeit im Überblick, in: Karin Moser (Hg.), Besetzte Bilder. Film, Kultur und Propaganda in Österreich 1945–1955, Wien 2005, 17–34, 32.

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merhin vergleichsweise große Akzeptanz und konnte damit zur Verbesserung des Images der Sowjetunion beitragen. Eine positive Veränderung zu erzwingen wäre sowohl dem Kreml als auch dem Weißen Haus nicht möglich gewesen. Die Ambivalenz der Wirkungsgeschichte war nicht ausschließlich an den politischen Kalten Krieg gebunden, sondern spiegelte die komplexen Wahrnehmungsmuster und -tendenzen des österreichischen Kulturpublikums wider. Die Individualität im Oeuvre jedes einzelnen Künstlers spielte dabei keine geringe ˇ ajkovskij oder Prokof ’ev wurden in erster Linie als solche Rolle: Stars wie C geschätzt, womit ihr »Russentum« durch ihre individuellen stilistischen Wesensmerkmale geprägt zu sein schien. Und das sollte weitgehende Konsequenzen für das Gesamtbild der russischen/sowjetischen Musik haben. Auch wenn die Kultur für die sowjetische Besatzungsmacht gemäß ihren propagandistischen Intentionen nur sehr begrenzt instrumentalisierbar war, so stellten die russischen/sowjetischen Künstler eine der wenigen positiven Facetten im »Russlandbild« dar, was schließlich auch dauerhafte Spuren hinterließ.

Andrea Brait

»die große Trennungslinie, die an unserer Haustür vorbeiführt, überbauen«1. Zur Vermittlerfunktion der österreichischen Kulturaußenpolitik zwischen Ost und West

I.

Grundlegendes

Die nachfolgende Analyse widmet sich einem Bereich der Diplomatie, dem international große Aufmerksamkeit beigemessen und gleichsam Bedeutung über den unmittelbaren Wirkungskreis hinaus zugeschrieben wird. Natalia Grincheva meint etwa: »Cultural diplomacy shapes the relationships between many countries and is believed to be an effective way of communicating internationally as well as building understanding and respect among different cultures. Some historic examples from the Cold War demonstrate the power and significance of arts exchange programs in the framework of public diplomacy.«2

Die österreichische Kulturaußenpolitik war dennoch bislang kaum Gegenstand der Forschung.3 Die Entwicklungen der Kulturbeziehungen Österreichs zu Bulgarien wurden etwa schon von Peter Bachmaier genauer unter die Lupe 1 Sektionschef Dr. Alfred Weikert, in: Friedrich Langer (Red.), Österreichs Kulturinstitute im Ausland, Wien 1965, 4. 2 Natalia Grincheva, U.S. Arts and Cultural Diplomacy : Post-Cold War Decline and the TwentyFirst Century Debate, in: The journal of arts management, law and society 40 (2010) 3, 169–184, 171. 3 Speziell in Überblickswerken zur österreichischen Außenpolitik fällt auf, wie wenig der kulturelle Bereich Beachtung findet. So bespricht Ludwig Steiner die Kulturpolitik etwa erst ab den 1970er-Jahren. Vgl. Ludwig Steiner, Zur Außenpolitik der Zweiten Republik, in: Erich Zöllner (Hg.), Diplomatie und Außenpolitik Österreichs. Elf Beiträge zu ihrer Geschichte (= Schriften des Instituts für Österreichkunde 30), Wien 1977, 169–188. Michael Gehler widmet sich in seiner über 1000 Seiten starken Abhandlung zu Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik gerade einmal auf zehn Seiten explizit der Auslandskulturpolitik. Vgl. Michael Gehler, Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik. Von der alliierten Besatzung zum Europa des 21. Jahrhunderts, 2 Bde., Innsbruck–Wien–Bozen 2005, 564–574. Franz Cede und Christian Prosl widmen der Auslandskulturpolitik in ihrem 2015 erschienenen Überblickswerk ein eigenes Kapitel und sprechen von Österreich als einer »›Großmacht‹ trotz bescheidener Mittel«. Vgl. Franz Cede/Christian Prosl, Anspruch und Wirklichkeit. Österreichs Außenpolitik seit 1945, Innsbruck–Wien–Bozen 2015, 147–149.

260

Andrea Brait

genommen.4 Seine Forschungen sind eine der wenigen, die über das Wendejahr 1989 hinausreichen.5 Die Forschungslage ist sicher eine Folge der Aktensperren. Alle Studien, die auch die Veränderungen der Auslandskulturbeziehungen durch das Jahr 1989 einschließen, konnten sich bislang nur auf Interviews mit politischen und diplomatischen Akteuren beziehungsweise Beobachtern, auf die offiziellen Schriften des Ministeriums sowie auf die Medienberichterstattung stützen.6 Die vorliegende Untersuchung erweitert den Blick, indem auch Akten der Kulturpolitischen Sektion des Außenministeriums (beziehungsweise bis 1959 der Außenpolitischen Sektion im Bundeskanzleramt)7 analysiert wurden. Im Rahmen des Forschungsprojekts »Offene Grenzen, neue Barrieren und gewandelte Identitäten. Österreich, seine Nachbarn und die Transformationsprozesse in Politik, Wirtschaft und Kultur seit 1989«8 gelang erstmals eine Einsicht in Akten über das Jahr 1965 hinaus.9 Ziel der folgenden Ausführungen ist eine Analyse der wesentlichsten Entwicklungen der bilateralen Kulturbeziehungen Österreichs zu seinen »(süd)östlichen Nachbarn« Jugoslawien, Tschechoslowakei und Ungarn sowie zur DDR im Verlauf der Zweiten Republik. Besonderes Augenmerk wird auf den Neuaufbau 4 Vgl. Peter Bachmaier, Die Rolle der Kulturpolitik in den Beziehungen zwischen Österreich und Bulgarien 1962–2008, in: Peter Bachmaier/Andreas Schwarcz/Antoaneta Tcholakova (Hg.), Österreich und Bulgarien 1978–2008. Geschichte und Gegenwart (= Miscellanea Bulgarica 19), Wien 2008, 251–270; Peter Bachmaier, Austrian-Bulgarian Cultural Relations, in: Arnold Suppan/Wolfgang Mueller : »Peaceful Coexistence« or »Iron Curtain«. Austria, Neutrality, and Eastern Europe in the Cold War and D8tente, 1955–1989 (= Europa Orientalis 7), Wien–Berlin 2009, 487–508. 5 Die meisten Studien reichen nur bis zum Ende der 1980er-Jahre, wie u. a. Peter Kampits, Die Auslandskulturpolitik Österreichs: Konzepte, Strukturen, Perspektiven (= Informationen zur Weltpolitik 12), Wien 1990; Werner Weilguni, Österreichisch-jugoslawische Kulturbeziehungen 1945–1989 (= Schriftenreihe des österreichischen Ost- und Südosteuropainstituts XVII), Wien–München 1990. 6 Vgl. insbesondere Karen Henning/Sandra Lakitsch, Die bilateralen außen- und kulturpolitischen Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn seit 1989, Diplomarbeit Wien 1996; Claudia Liebscher, Das kulturelle Netz Mitteleuropa(s) – Österreich und seine Nachbarländer, Frankfurt am Main–et al. 2008; Alexander Burka, Was blieb vom Fenster in den Westen? Zur Auslandskulturpolitik Österreichs in Ostmitteleuropa seit 1945 am Beispiel Polens und der Tschechoslowakei/Tschechiens (= Politik und Demokratie 23), Frankfurt am Main–et al. 2012. 7 Vgl. Bundesgesetz vom 22. Juli 1959 über die Errichtung eines Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, BGBl. 172/1959. 8 Das vom Zukunftsfonds der Republik Österreich geförderte und bei der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek in Salzburg angesiedelte Projekt wurde bearbeitet von Michael Gehler (Projektleiter), Andrea Brait, Marcus Gonschor, Oliver Kühschelm, Andreas Pudlat und Andreas Schimmelpfennig. Online unter : www.univie.ac.at/offenegrenzen (Zuletzt abgerufen am 31. August 2015). 9 An dieser Stelle sei insbesondere Dr. Gottfried Loibl, Mag. Eva Wotawa-Hahlheimer, Dr. Gudrun Graf sowie Rosemarie Profohs für ihre wertvolle Unterstützung gedankt.

Zur Vermittlerfunktion der österreichischen Kulturaußenpolitik

261

der Kulturkontakte nach dem Zweiten Weltkrieg, auf die Intensivierung und Institutionalisierung dieser in den 1970er-Jahren sowie auf die Veränderungen durch die politischen Umbrüche in den Jahren 1989/90 gelegt.10

II.

Grundprinzipien der und Bedeutungszuschreibungen an die Kulturaußenpolitik Österreichs in der Zweiten Republik

Bereits in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg erkannte Österreich im kulturellen Bereich eine Möglichkeit, ein positives Bild des Staates zu konstruieren und damit einen »Anschluß an die Welt zu finden«.11 Das Bild der Kulturnation Österreich diente nicht nur dem Aufbau des Tourismus, sondern auch der Eingliederung des neugegründeten Staates in die internationale Diplomatie12 sowie später der Lenkung von Aufmerksamkeit auf den Kleinstaat,13 wobei der kulturelle Austausch immer auch als »wirtschaftliches Vehikel« verstanden wurde.14 Dieses Verständnis der Auslandskulturpolitik blieb bis heute erhalten. »Es ist die Kultur, die uns groß macht«15 meinte der langjährige Leiter der

10 Vgl. hierzu ausführlicher Andrea Brait, Kultur als Grenzöffner? Motive und Schwerpunkte der österreichischen Kulturaußenpolitik im Verhältnis zu seinen östlichen Nachbarn in den Jahren 1989–91, in: Zeitgeschichte 41 (2014) 3, 166–183. Die Veränderungen der Kulturkontakte im Verlauf der Zweiten Republik können aufgrund des begrenzten Umfangs der Darstellung nur mit vereinzelten Beispielen untermauert werden. Zu den multilateralen Kulturkontakten nach 1989 vgl. u. a. Teresa Achleitner, Mitteleuropäische Auslandskulturarbeit. Die Initiative »Plattform Kultur Mitteleuropa« als kulturelle Zusammenarbeit Österreichs mit Polen, der Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn, Saarbrücken 2010; Helmut Wohnout, Vom Durchschneiden des Eisernen Vorhangs bis zur Anerkennung Sloweniens und Kroatiens. Österreichs Außenminister Alois Mock und die europäischen Umbrüche 1989–1992, in: Andrea Brait/Michael Gehler (Hg.), Grenzöffnung 1989. Innenund Außenperspektiven und die Folgen für Österreich (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für Politisch-Historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek 49), Wien–Köln–Weimar 2014, 185–219. 11 Walter Wodak, Diplomatie zwischen Ost und West, Graz–Wien–Köln 1976, 100. 12 Vgl. dazu ausführlicher Marion Knapp, Österreichische Kulturpolitik und das Bild der Kulturnation. Kontinuität und Diskontinuität in der Kulturpolitik des Bundes seit 1945 (= Politik und Demokratie 4), Frankfurt am Main et al. 2005, insbesondere 50–51; vgl. auch Gernot Heiss, Der Konsens und sein Preis. Zur Identitätskonstruktion in Österreich nach 1945, in: Gernot Heiss/Alena Miskov#/Jir& Pesek/Oliver Rathkolb (Hg.). An der Bruchlinie. Österreich und die Tschechoslowakei nach 1945, Innsbruck–Wien 1998, 233–255. 13 Vgl. Interview der Verfasserin mit Klaus Wölfer, Wien 5. Dezember 2013. 14 Berthold Molden, Das Bundeskanzleramt, Auswärtige Angelegenheiten und seine Rolle in der österreichischen Kulturaußenpolitik 1945–1959, Diplomarbeit Wien 1998, 9. 15 Peter Marboe, in: Auslandskulturtagung 1994, Wien 5.–7. September (= Österreichs außenpolitische Dokumentation: Sonderdruck), Wien o. J., 70.

262

Andrea Brait

Sektion V im Außenamt Peter Marboe.16 Franz Karasek betonte darüber hinaus, dass die Selbstdarstellung ein »legitimes Interesse« sei, »zumal im Ausland von Österreich zwar kein unsympathisches Bild vorherrscht, aber ein vielfach einseitiges, das nicht im Einklang mit den Realitäten ist. Die ÖsterreichAssoziationen knüpfen an Begriffe an, wie Land der Musik, Land der Berge, Land des Schisports, Doppelmonarchie, Kaiser Franz Joseph, Freud und Psychoanalyse. Es ist legitim, dass die Republik Österreich dieses Bild vertiefen und korrigieren will, dartun, daß Geschichte und Entwicklung unseres Volkes nicht 1918 zu bestehen aufgehört haben.«17

Immer wieder zeigte sich außerdem, dass dieser Politikbereich dienlich sein kann, wenn es darum geht, das Ansehen Österreichs in der Staatenwelt zu verbessern, wie unter anderem 1986 – jenem Jahr, in dem Kurt Waldheim trotz der Anschuldigungen, an NS-Verbrechen beteiligt gewesen zu sein (»WaldheimAffäre«)18, zum Bundespräsidenten gewählt wurde, Bundeskanzler Fred Sinowatz als Folge dessen von seinem Amt zurücktrat und Jörg Haider Obmann der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) wurde. Das Außenministerium bilanzierte in seinem Außenpolitischen Bericht 1986: »Gerade die Erfahrungen des Jahres 1986 unterstreichen die Bedeutung außenkulturpolitischer Tätigkeit, denn das Bild Österreichs wird nach wie vor in hohem Maße von seinen kulturellen Leistungen geprägt. So muß unter den gegenwärtigen, schwierigen Umständen auch die Auslandskulturpolitik ihren Beitrag zur Schaffung einer gerechteren und ausgewogeneren Beurteilung unseres Landes leisten.«19

Auch Franz Vranitzky zeigte sich in der Regierungserklärung von 1987 davon überzeugt, dass sie dazu in der Lage war, indem er betonte, dass »die internationale Reputation unseres Landes positiv von seinen bedeutenden Künstlern geprägt ist […]. Die internationalen Erfolge unseres Kulturschaffens sind ein 16 Weitaus idealistischer hatte der damalige Unterrichtsminister Theodor Pfiffl-Percevic im Rahmen einer Kulturenquete 1968 die Aufgaben der Auslandskulturpolitik beschrieben. Sie sei dazu bestimmt, »Wissen zu verbreiten, die Kulturen zu bereichern, ein besseres Verständnis für den jeweiligen way of life zustande zu bringen, alle Völker am Reichtum des kulturellen Lebens und am Fortschritt der Wissenschaft teilnehmen zu lassen und schließlich den geistigen und materiellen Fortschritt in allen Teilen der Welt zu heben.« Theodor Pfiffl-Percevic, Ziele und Formen der Auslandskulturpolitik Österreichs, in: Bundesministerium für Unterricht (Hg.), Kulturenquete über die Ziele und die Formen der Auslandskulturpolitik Österreichs, Wien 1968, 14 (Hervorhebung im Original). 17 Franz Karasek, Österreichs kulturelle Beziehungen mit dem Ausland, in: Otto Staininger (Hg.), Kulturlandschaft Österreichs. Analysen und kritische Beiträge, Wien 1977, 443–458, 453. 18 Vgl. hierzu u. a. die zusammenfassende Darstellungen bei Ernst Wegerer, Der Fall Waldheim und die politische Kultur in Österreich, Dissertation Wien 1993. 19 Außenpolitischer Bericht 1986, 231.

Zur Vermittlerfunktion der österreichischen Kulturaußenpolitik

263

imponierender Beitrag zur Außenpolitik.«20 Allerdings ist zu bezweifeln, dass es der österreichischen Kulturaußenpolitik tatsächlich gelingt, die Haltung der Staatenwelt gegenüber Österreich wesentlich zu beeinflussen, wie sich insbesondere hinsichtlich der EU-Sanktionen im Jahr 2000 zeigte. Sven Pusswald stellt in seinem Vergleich mit der Auslandskulturpolitik Frankreichs fest, dass »es in der österreichischen Außenpolitik keinerlei Anzeichen dafür [gebe], kulturelle Außenbeziehungen dahingehend einzusetzen, um eigene nationale außenpolitische Interessen zu forcieren. […] Trotz der bestätigten weltweiten Wahrnehmung Österreichs als Kulturnation, gelingt es in der Auslandskultur nicht, Themen zu unterstützen[,] die [für] Österreich von politischer Bedeutung sind.«21

Der Anspruch von Pusswald an diesen Politikbereich scheint allerdings zu hoch zu sein. Ein unmittelbarer »Wert« der Kulturaußenpolitik kann schlecht gemessen werden, wie auch Klaus Wölfer meint, der jahrelang in diesem Bereich tätig war, jedoch können Kontakte aufgebaut und Tore geöffnet werden, die über Umwege zu Erfolgen in anderen Politikbereichen führen.22 Auch Brix bestätigt, »that cultural and public diplomacy has gone a long way from simply trying to create and transmit a ›positive image‹ of the country […] towards making good use of images and streotypes for the formation of trust and the fostering of dialogue.«23 Die Einschätzung von Renate Kicker, dass der »Stellenwert der Außenkulturbeziehungen […] insbes[ondere] für Österreich eher gering«24 sei, ist in der Literatur zur österreichischen Außenpolitik eine Einzelmeinung. Was ist nun der Inhalt der Kulturaußenpolitik? Das Außenministerium betonte immer wieder, dass die »Vermittlung eines eigenständigen, wirklichkeitsnahen, modernen Österreichbildes […] eine der Hauptaufgaben österreichischer Diplomatie« sei und die Auslandskulturpolitik »das heutige Österreich in all seiner kulturellen Dimension zu präsentieren«25 versuche. Allerdings ist festzustellen, dass die Auslandskulturbeziehungen traditionell so gut wie ausschließlich die sogenannte Hochkultur berücksichtigen, die Alltags- und Po20 Franz Vranitzky, Regierungserklärung, in: Maximilian Gottschlich/Oswald Panagl/Manfried Welan (Hg.), Was die Kanzler sagten. Regierungserklärungen der Zweiten Republik 1945–1987 (= Studien zu Politik und Verwaltung 15), Wien–Köln 1989, 292–316, 310. 21 Sven Pusswald, Aspekte der österreichischen Auslandskulturpolitik unter besonderer Berücksichtigung von Osteuropa, Diplomarbeit Wien 2006, 138–139. 22 Vgl. Interview der Verfasserin mit Klaus Wölfer, Wien 5. Dezember 2013. 23 Emil Brix, Austrian Cultural and Public Diplomacy After the End of the Cold War, in: Günter Bischof/Ferdinand Karlhofer (Hg.), Austria’s International Position after the End of the Cold War (= Contemporary Austrian Studies 22), Innsbruck 2013, 95–107, 105. 24 Renate Kicker, Einleitende Bemerkungen und Begriffsbestimmungen, in: Renate Kicker/ Andreas Khol/Hanspeter Neuhold (Hg.), Außenpolitik und Demokratie in Österreich. Strukturen – Strategien – Stellungsnahmen. Ein Handbuch, Salzburg 1983, 19–30, 20. 25 Außenpolitischer Bericht 1983, 184.

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pularkultur deutlich weniger.26 Werner Weilguni meint, dass die Darstellung Österreichs im Ausland einer »Fremdenverkehrswerbung« entspreche.27 Darüber hinaus erstrecken sich die Bemühungen im Rahmen der Kulturaußenpolitik auch auf den Bildungs- und Wissenschaftsbereich. Diese Aufgabengebiete, die heute von der Kulturpolitischen Sektion (Sektion V) in enger Zusammenarbeit mit den für Wissenschaft und Bildung zuständigen Bundesministerien betreut werden, entsprechen dem vom Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten 1981 definierten, sehr breit angelegten Kulturbegriff, der »sowohl den künstlerischen als auch den wissenschaftlichen und den Erziehungsbereich«28 umfasst. Seit den 1970er-Jahren wurde das Schwergewicht der Kulturaußenpolitik vermehrt auf die Vermittlung des österreichischen Kulturschaffens der Gegenwart gelegt,29 wobei aber festzustellen ist, dass die Angebote immer an die Bedürfnisse der einzelnen Staaten angepasst werden.

III.

Kulturkontakte in den ersten Jahren der Zweiten Republik

Obwohl bereits Leopold Figl in seiner Regierungserklärung vom 21. Dezember 1945 auf die Bedeutung der österreichischen Kulturnation hinwies,30 wurde der Auslandskulturpolitik zu Beginn der Zweiten Republik – anders als heute – institutionell keine große Bedeutung beigemessen. Die kulturellen Außenbeziehungen wurden anfangs gemeinsam mit den wirtschaftlichen geführt, in einem Schreiben über den »Aufbau und Ausbau des Auswärtigen Dienstes« aus dem Jahr 1947 wurden sie überhaupt nicht aufgeführt. Auch bei der Gründung eines eigenständigen Außenministeriums 1959 wurde die Kulturarbeit nicht als spezieller Aufgabenbereich genannt.31 Hinzu kam eine Aufgabenteilung mit dem Unterrichtsministerium. In diesem findet sich ab dem Jahr 1953 eine (mehrfach umbenannte) Abteilung, die für die Angelegenheiten der UNESCO sowie die sonstigen kulturellen Auslandsbeziehungen zuständig war.32 1966 entstand in 26 Vgl. Alexander Jehn, Nachbarschaftspolitik im Donauraum. Die besonderen Beziehungen Österreichs zur Tschechoslowakei, zu Ungarn und Jugoslawien in der Ära Kreisky 1970–1983, Dissertation Würzburg 1996, 471. Auch im Außen- und Europapolitischen Bericht von 2013 heißt es klar : »Die Kultur, und vor allem die traditionelle, repräsentative Kultur, prägt das Bild Osterreichs in der Welt.« Außen- und Europapolitischer Bericht 2013, http://www.bmeia.gv.at/fileadmin/user_upload/Zentrale/Publikationen/AEPB/Aussen_und_ Europapolitischer_Bericht_2013.pdf (Zuletzt abgerufen am 19. November 2015), 271. 27 Weilguni, Österreichisch-jugoslawische Kulturbeziehungen, 18. 28 BMaA (Hg.), Österreichs kulturelle Auslandsbeziehungen, Wien 1981, 10. 29 Vgl. Außenpolitischer Bericht 1985, 286. 30 Vgl. Molden, Bundeskanzleramt, 8. 31 Vgl. Kampits, Auslandskulturpolitik, 23–24. 32 Vgl. Brigitte Blaha, Entwicklung, Veränderung und heutige Struktur der Österreichischen Kulturinstitute, Diplomarbeit Wien 1978, 15.

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der Folge des Kompetenzgesetzes33 im Unterrichtsministerium eine eigene Sektion für die gesamte Auslandskulturarbeit, die von Franz Karasek geleitet wurde.34 Dass sich die Kulturpolitik jedoch in der Praxis nicht so leicht von den übrigen Bereichen der Außenpolitik trennen lässt, wie es in der Theorie angedacht war, sollte sich bald zeigen und in diversen Auseinandersetzungen zwischen den Ressorts seinen Ausdruck finden.35 Trotz dieser anfänglich schwierigen Kompetenzverteilung begann Österreich schon in den ersten Jahren der Zweiten Republik mit dem Aufbau von kulturellen Beziehungen zu anderen Staaten. Das erste Kulturabkommen stammt aus dem Jahr 1947 und wurde mit Frankreich36 geschlossen; auf dieses folgten 1953 eines mit Belgien37 und eines mit Großbritannien38 und 1954 eines mit Italien.39 Für das Außenministerium erwiesen sich diese als »nützliches Gerüst für den kulturellen Austausch«. Es zeigte sich, so das Außenministerium, dass »ein Abkommen für die Ingangsetzung oder den Ausbau kultureller Beziehungen umso notwendiger wird, je weiter in einem Partnerland die staatliche Administration im kulturellen Sektor reicht«.40 Dies erklärt, warum Österreich später auch mit den Warschauer Pakt Staaten die Intensivierung der Kulturbeziehungen auf diese Weise vorantrieb – mit allen Mitgliedsstaaten41 wurden zwischen 1969 und 1979 derartige Verträge realisiert,42 was dem dringenden Begehren dieser Staaten nach solchen Abkommen entsprach. Doch zunächst übte sich Österreich hinsichtlich der Aufnahme kultureller Beziehungen zu den kommunistischen Nachbarstaaten in Zurückhaltung, um den Eindruck zu vermeiden, »Österreich vollziehe als erster westlicher Staat eine Art offizieller Anerkennung der kommunistischen Gesellschaftsordnung«,43 wie 33 Vgl. Errichtung eines Bundesministeriums für Bauten und Technik und Neuordnung des Wirkungsbereiches einiger Bundesministerien, BGBl. 70/1966. 34 Vgl. Peter Moser, Bewegte Zeiten. 40 Jahre im auswärtigen Dienst, Innsbruck 2011, 25. 35 Zu den Kompetenzdebatten vgl. u. a. Entwurf zu Schreiben des BKA/AA an das BMU, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1957, Kt. 158 (1958), GZ 309.882-Kult/57, Zl. 309.882-Kult/57. 36 Kulturübereinkommen zwischen der Republik Österreich und der Französischen Republik, BGBl. 220/1947. 37 Kulturabkommen zwischen der Republik Österreich und dem Königreich Belgien, BGBl. 35/ 1953. 38 Kulturübereinkommen zwischen der österreichischen Bundesregierung und der Regierung des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Nord-Irland, BGBl. 60/1953. 39 Übereinkommen zwischen der Republik Österreich und der Italienischen Republik zur Förderung der kulturellen Beziehungen zwischen den beiden Ländern, BGBl. 270/1954. 40 Außenpolitischer Bericht 1978, 219. 41 Abgesehen von Albanien, das aber bereits 1968 aus dem Warschauer Pakt ausgetreten war. 42 Die sozialistischen Staaten hatten freilich schon länger auf den Abschluss solcher Abkommen gedrängt, vgl. Wolfgang Mueller, A Good Example of Peaceful Coexistence? The Soviet Union, Austria, and Neutrality 1955–1991 (= Zentraleuropa-Studien 15), Wien 2011, 192–195, insbesondere Fußnote 37. 43 Erich Bielka, Österreich und seine volksdemokratischen Nachbarn, in: Erich Bielka/Peter

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Erich Bielka, der 1974 bis 1976 Außenminister war, meinte. Das Bundeskanzleramt/Auswärtige Angelegenheiten meinte 1954 in einem Schreiben an das Unterrichtsministerium die Bemühungen um vermehrte Kulturkontakte durch diverse »Satellitenstaaten« betreffend, dass diesen »ein einheitlicher Plan zugrunde« liege. »Vom außenpolitischen Standpunkt bestehen, da es sich um kulturelle Belange handelt, gegen eine Intensivierung dieser Beziehungen zwar keine Bedenken, wohl aber erscheint eine gewisse Vorsicht am Platz.«44 Demnach verweigerte sich Österreich den kommunistischen Nachbarn im kulturellen Bereich nicht völlig. Sogar zur 1949 gegründeten DDR entwickelten sich erste Kulturkontakte. 1954 ist etwa eine Ausstellung von ostdeutschen Buchverlagen belegt.45 Derartige ostdeutsche Aktivitäten waren Teil des aufkommenden Anerkennungsstrebens Ost-Berlins als zweiter deutscher Staat. Mit Ungarn war in der Zwischenkriegszeit ein Kulturabkommen abgeschlossen worden, das jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht verlängert wurde. Trotz der Gründung zahlreicher Freundschaftsgesellschaften und -vereinigungen entwickelte sich der bilaterale Kulturaustausch zunächst nur in einem geringen Ausmaß;46 die allgemeinen außenpolitischen Spannungen infolge der Westorientierung Österreichs und die faktische Auflösung des Collegium Hungaricum im Jahr 194947 führten dazu, dass sich die Beziehungen kaum weiterentwickelten. Erst Mitte der 1950er-Jahre schien sich etwas zu bewegen: Ende 1954 äußerte der damalige stellvertretende Ministerpräsident Andr#s Hegedüs den Wunsch nach Herstellung »gutnachbarlicher Beziehungen«, eine Formulierung, die in der Folge bei mehreren Anlässen wiederholt wurde.48 1955 wurden von ungarischer Seite halbjährliche Treffen in Aussicht gestellt, um die bilateralen Kulturkontakte zu forcieren,49 und der Kulturaustausch lief langsam an.50

44 45 46 47 48 49

50

Jankowitsch/Hans Thalberg (Hg.), Die Ära Kreisky. Schwerpunkte der österreichischen Außenpolitik, Wien–München–Zürich 1983, 195–231, 201. Schreiben des BKA/AA an das BMU vom 2. Juni 1954, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1954, Kt. 88 (1954), GZ 150.888-Int/54, Zl. 153.473-Int/54. Ostdeutsche Buchausstellungen in Österreich, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1954, Kt. 73 (1954), GZ 154.217-Kult/54, Zl. 147.883-Pol/54. Vgl. Molden, Bundeskanzleramt, 67. Vgl. Peter Haslinger, Hundert Jahre Nachbarschaft. Die Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn 1895–1994, Frankfurt am Main–et al. 1996, 239. Abschrift eines Schreibens der Österreichischen Gesandtschaft Budapest an Herrn BM f. d. AA Figl vom 21. Jänner 1956, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1956, Kt. 129 (1956), GZ 566.800-Int/56, Zl. 566.800-Int/56. Verbalnote an die Gesandtschaft der Republik Österreich Budapest vom 19. Juli 1955, Beilage zu Schreiben der Österreichischen Gesandtschaft Budapest an das BKA/AA vom 26. Juli 1955, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1955, Kt. 116 (1955), GZ 334.484-Int/55, Zl. 334.484Int/55. Beilage zu Abschrift eines Schreibens der Österreichischen Gesandtschaft Budapest an

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Die politischen Ereignisse des Jahres 1956 führten allerdings zu einer Trübung der Kulturbeziehungen: Am 5. Februar 1957 berichtete der damalige Innenminister Oskar Helmer dem Ministerrat, dass »Bestrebungen des ungarischen Regimes im Gange [seien], mit Österreich einen kulturellen Austausch zu pflegen. […] Alle diese Veranstaltungen geben die Möglichkeit, daß es auf sicherheitspolizeilichem Gebiet zu unliebsamen Folgen kommen könnte.« Unterrichtsminister Heinrich Drimmel bestätigte eine von Helmer angesprochene Absage eines geplanten Konzertes der Wiener Sängerknaben in Budapest und meinte, dass Österreich zwar »bisher mit den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang in sportlicher Hinsicht Verbindung[en]« gepflegt habe, dass man jedoch nun »Ungarn […] keinerlei Gelegenheit« zu solchen Kontekten geben sollte.51 Der Ministerratsbeschluss verärgerte den Nachbarstaat sichtlich: In den ungarischen Medien hieß es, dass dieser nicht mit »den gutnachbarlichen Beziehungen zwischen Ungarn und Österreich vereinbart werden kann«.52 Ende der 1950er-Jahre sollten sich die Beziehungen aber wieder verbessern. Nach Wien wurde ein ungarischer Kulturattach8 entsandt53 und der Ministerratsbeschluss von 1957 wurde 1959 aufgehoben.54 Die Beziehungen zur Tschechoslowakei waren lange Jahre speziell durch Vermögensfragen belastet. Molden betont, dass die »Atmosphäre in den 40er und 50er Jahren […] wohl vor allem durch gegenseitiges Mißtrauen gekennzeichnet«55 war. Dennoch bemühte sich die Tschechoslowakei sichtlich um eine Intensivierung der Kulturbeziehungen. Ein Bericht des Bundeskanzleramts/ Auswärtige Angelegenheiten vom Juni 1954 zeigt, welche Bedeutung sie diesem Politikbereich beimaß. Darin hieß es, ˇ SR es begrüßen würde, wenn die cˇsl.-österreichischen kulturellen Bezie»dass die C hungen intensiviert würden. Bisher seien solche kulturellen Veranstaltungen meistens private Einzelaktionen gewesen, die von cˇsl. Seite mit österreichischen interessierten Stellen direkt vereinbart worden seien, während in Zukunft derartige Veranstaltungen auf offizieller Basis von der cˇsl. Gesandtschaft und dem Bundeskanzleramt, Auswärtige

51 52 53 54 55

Herrn BM f. d. AA Figl vom 21. Jänner 1956, 7, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1956, Kt. 129 (1956), GZ 566.800-Int/56, Zl. 566.800-Int/56. Beschlussprotokoll Nr. 25, über die Sitzung des Ministerrates vom 5. Februar 1957, 6, ÖStA, AdR, BKA, Ministerratsprotokolle, 2. Republik Raab II, Protokoll Nr. 21 bis 26 (8. 1. 1957–12. 2. 1957), Kt. 150. Einreisevisa; Verweigerung der Erteilung an Sportler und Künstler. Meldung der ung. Presse, ÖStA, AdR, BMaA, V-Kult, Kt. 146 (1957), GZ 285.489-Kult/57, Zl. 289.031-Kult/57. Schreiben der Österreichischen Gesandtschaft Budapest an das BKA/AA vom 13. Februar 1959, ÖStA, AdR, BMaA, V-Kult, Kt. 212 (1959), GZ 293.294-Kult/59, Zl. 1582-A/59. Aktennotiz betreffend »Kulturelle und Sportbeziehungen zw. Österreich u. Ungarn vom 27. März 1959«, ÖStA, AdR, BMaA, V-Kult, Kt. 212 (1959), GZ 299.798-Kult/59, Zl. 299.798Kult/59. Molden, Bundeskanzleramt, 73.

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ˇ SR hoffe auf diese Weise auch die Angelegenheiten, beschlossen werden sollen. Die C österreichisch-cˇsl. Beziehungen zu verbessern.«56

Die bedeutendste Institutionalisierung der kulturellen Auslandsbeziehungen mit einem sozialistischen Staat gelang in dieser Phase mit Jugoslawien, als 1955 in Zagreb/Agram eine Österreichische Lesehalle eröffnet wurde.57 Mit Verweis auf bereits bestehende englische, französische und amerikanische Lesehallen, durch die eine »sehr erfolgreiche Kultur- und Sprachpropaganda betrieben« werde, wurde das Vorhaben vom Konsulat Agram unterstützt.58 Der Sprachwissenschaftler Hans Georg Marek appellierte Ende 1953 an das Bundeskanzleramt, Auswärtige Angelegenheiten: »Um […] nicht von Deutschland in dem friedlichen Kampf um die kulturelle Vorherrschaft in Jugoslawien derart geschlagen zu werden, dass unser Ansehen dort vernichtet würde und um andererseits einen neuen sehr großen wirtschaftlichen Markt zu erschliessen [sic!] […] unterbreite ich […] [den] Vorschlag [zur] Errichtung eines ständigen österreichischen Informationszentrums in Beograd und in Zagreb«.59

Die neue Institution war vor allem deshalb von großer Bedeutung, weil sich die staatliche Kulturvermittlung bis dahin auf Einzelaktionen, ohne Kontinuität beschränkt hatte.60 Aus den Statuten der Lesehalle geht klar hervor, dass sie nicht nur bibliothekarischen Zwecken dienen sollte, sondern »der Förderung der kulturellen, künstlerischen und wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und Jugoslawien«.61 Obwohl das vorrangige Ziel der Lesehalle war, in Zagreb lebende Personen mit Deutschkenntnissen, insbesondere Altösterreicher, mit deutschsprachiger Literatur zu versorgen,62 wurden unter den Aufgaben der Institution neben dem Verleih von Büchern und dem Auflegen von Zeitungen unter anderen auch musikalische Veranstaltungen und die Ausstellung von österreichischer Kunst genannt,63 was bereits wenige Wochen nach der

56 Schreiben des BKA/AA an das BMU vom 2. Juni 1954, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1954, Kt. 88 (1954), GZ 150.888-Int/54, Zl. 153.473-Int/54. 57 Jahresbericht der Lesehalle Agram, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1956, Kt. 121 (1956), GZ 561.202-Kult/56, Zl. 609.285-Kult/56. 58 Schreiben des Österreichischen Konsulats Agram an den BM f. AA vom 25. August 1953, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1953, Kt. 56 (1953), GZ 326.895-INT/53, Zl. 8-pol/53. 59 Schreiben von Hans Georg Marek an das BKA/AA vom 24. November 1953, ÖStA, AdR, Abt. V-Kult 1953, Kt. 56 (1953), GZ 326.076-Int/53, Zl. 328.288-Kult/53. 60 Vgl. Weilguni, Österreichisch-jugoslawische Kulturbeziehungen, 21–22. 61 § 1 Statuten der österreichischen Lesehalle in Zagreb, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1955, Kt. 99 (1955), GZ 329.232-Int/55, Zl. 338.287-Int/55. 62 Vgl. Jehn, Nachbarschaftspolitik, 645. 63 § 3 Statuten der österreichischen Lesehalle in Zagreb, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1955, Kt. 99 (1955), GZ 329.232-Int/55, Zl. 338.287-Int/55.

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Eröffnung realisiert wurde.64 Allerdings wurde sehr darauf geachtet, »den Volksdemokratien keinen Präzedenzfall eines exterritorialen Propagandazentrums«65 zu liefern, weshalb eine Privatperson als Leiter eingesetzt wurde. Ein solcher war in Marek gefunden,66 der in der Folge jedoch vom Unterrichtsministerium aus inhaltlichen Gründen wenig geschätzt wurde.67 Das Außenministerium war hingegen mit der Arbeit Mareks zufrieden, was wohl auf den Erfolg der Leihbücherei68 und des Kulturprogramms zurückzuführen ist. Die sogenannten »Österreichischen Dienstag-Abende« zogen ein breites Publikum an und die Inhalte wurden auch außerhalb der Lesehalle besprochen.69 Damit war ein erster Schritt in Richtung einer Ausrichtung der österreichischen Kulturaußenpolitik nach Südosteuropa getan. 1955 erfolgte ein weiterer, als das Außenkulturbudget nicht nur erhöht wurde, sondern diese Mittel speziell zur Förderung der Kulturkontakte mit Südosteuropa bestimmt wurden.70 Dies sollte sich jedoch nur geringfügig auswirken, wie etwa ein Blick auf die Ausstellungen der Jahre 1959 bis 1962 zeigt: Von den 35, die im Tätigkeitsbericht des Außenamtes erwähnt wurden, fand nur eine in Osteuropa statt.71 Molden meint, dass hierfür insbesondere das Unterrichtsministerium verantwortlich sei, wohingegen das Außenamt die kulturellen Beziehungen als Stabilisationsfaktor nutzen wollte.72 In der Tat meinte Heinrich Drimmel, 1954 bis 1964 Unterrichtsminister, dass er »den Kulturaustausch mit den Ländern jenseits des Eisernen Vorhangs abgelehnt [habe], denn über Grenzen an denen Menschenfallen bestehen und über die hinweg Menschenjagden stattfinden, gibt es keine kulturellen Beziehungen«.73 Während das Unterrichtsministerium also die ideologischen Motive der Kulturpolitik der Warschauer-Pakt-Staaten fürchtete, erkannte das Außenministerium die Auslandskulturpolitik zunehmend als 64 Jahresbericht der Lesehalle Agram, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1956, Kt. 121 (1956), GZ 561.202-Kult/56, Zl. 609.285-Kult/56. 65 Molden, Bundeskanzleramt, 60. 66 Marek hatte sich bereits 1953 dem BKA/AA als Leiter angeboten, vgl. Schreiben von Hans Georg Marek an das BKA/AA vom 24. November 1953, ÖStA, AdR, Abt. V-Kult 1953, Kt. 56 (1953), GZ 326.076-Int/53, Zl. 328.288-Kult/53. 67 Schreiben des BMU an das BKA/AA vom 17. Dezember 1956, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1956, Kt. 121 (1956), GZ 561.202-Kult/56, Zl. 635.086-Kult/56. 68 Jahresbericht der Lesehalle Agram, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1956, Kt. 121 (1956), GZ 561.202-Kult/56, Zl. 609.285-Kult/56: Mitte 1956 berichtete Marek, dass von den rund 3000 Werken mehr als ein Drittel entlehnt sei. 69 Halbjahresbericht der Lesehalle Agram, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1958, Kt. 155 (1958), GZ 581.011-Kult/58, Zl. 581.011-Kult/58. 70 Schreiben der ÖB Belgrad an das BKA/AA vom 16. August 1954, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. VKult 1954, Kt. 77 (1954), GZ 150.120-Int/54, Zl. 155.587-Int/54. 71 Vgl. Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten 1959–1962, Wien 1962, 86–87. 72 Vgl. Molden, Bundeskanzleramt, 16. 73 Der Österreich-Bericht. Presseübersicht, 2, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1957, Kt. 133 (1957), GZ 279.805-Kult/57, Zl. 279.805-Kult/57.

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Chance, Grenzen für andere Politikbereiche abzubauen und befürwortete bereits in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre den Abschluss von Kulturabkommen. »[D]urch die Pflege kultureller Beziehungen wird eine Atmosphäre geschaffen«, so das Außenministerium im Jahr 1958, »die zur Erleichterung der äußerst schwierigen politischen Spannungen beitragen kann. In diesem Kulturaustausch kann Österreich nur gewinnen und tatsächlich hat die österreichische kulturelle Präsenz in diesen Ländern sehr zum Ansehen Österreichs beigetragen.«74 Drimmel erklärte sich Ende der 1950er-Jahre zwar zu einer Aktivierung der Beziehungen zu gewissen Staaten bereit, seine ablehnende Haltung gegenüber Kulturabkommen blieb aber bestehen.75

IV.

Forcierte Kulturkontakte mit den sozialistischen Staaten ab den 1960er-Jahren

Wenn überhaupt von »Berührungsängsten«76 mit den östlichen Nachbarstaaten gesprochen werden kann, so lösten sich diese in den 1960er-Jahren allmählich (auch im Unterrichtsministerium) auf, was als Folge der unter Nikita S. Chrusˇcˇev eingeleiteten Politik der Entstalinisierung und der sich entwickelnden Tauwetterperiode zu sehen ist.77 Als sichtbares Zeichen der ersten Entspannung in den bilateralen Beziehungen besuchte 1964 der damalige Außenminister Bruno Kreisky als erster westlicher Außenminister Ungarn und es wurde die Respektierung der beiden Gesellschaftssysteme betont.78 Bei einem Besuch des ungarischen Außenministers in Wien 1965 meinte Kreisky : »Ich glaube, es ist wichtig die historischen Gegebenheiten jedes einzelnen Ost-Staates zu beurteilen und jeden Staat für sich allein als Partner sui generis zu betrachten. Man soll meiner Meinung nach nicht die Auffassung vertreten, dass es sich bei diesen Staaten nur um Exponenten eines einzigen Blocksystems handelt.«79 74 Entwurf zu Schreiben des BKA/AA an das BMU, 2-Einlege-Blatt 1, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. VKult 1957, Kt. 158 (1958), GZ 309.882-Kult/57, Zl. 309.882-Kult/57. 75 Kulturelle Beziehungen Österreichs zu den Ostblockstaaten. Stellungnahme des Bundesministers für Unterricht, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1957, Kt. 133 (1957), GZ 279.805Kult/57, Zl. 330.072-Kult/57. Ungarn wurde von Drimmel mit Verweis auf den Ministerratsbeschluss vom Februar 1957 explizit ausgenommen und die Beziehungen zu Rumänien und Bulgarien seien nicht so vordringlich. 76 Burka, Fenster in den Westen, 79. 77 Vgl. ebd. 78 Vgl. Gehler, Außenpolitik, 296. 79 Offizieller Besuch des ungarischen Außenministers J#nos P8ter in Wien vom 7. April bis 10. April 1965; Protokolle über die Arbeitssitzungen am 8. April und 9. April 1965, Protokoll vom 8. April, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1965, Kt. 65 (1965), GZ 307.773-Kult/65, Zl. 31.751-Kult/65 [Zl schlecht lesbar], 4.

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Dazu kamen Überlegungen in Richtung eines Konzepts »Mitteleuropa«, das erst in den 1980er-Jahren vertiefend diskutiert werden sollte.80 Jedoch wurden die Kulturbeziehungen durch die »Rezeption des Gebietes der ehemaligen Habsburgermonarchie als ›Donauraum‹ oder ›Mitteleuropa‹«81 in einen neuen Rahmen gestellt. Das Unterrichtsministerium betonte schließlich 1965: »Wir glauben, daß es unsere kulturelle Pflicht ist […], daß wir die große Trennungslinie, die an unserer Haustür vorbeiführt, überbauen und einen ungehinderten Kulturaustausch ›hinüber und herüber‹ ermöglichen.«82 Die kommunistischen Nachbarstaaten bemühten sich bereits in den 1950erJahren um den Abschluss von Kulturabkommen,83 was Österreich jedoch zunächst aufschob, um nicht auf eine bestimmte (von ideologischen Motiven bestimmte) Kulturpolitik festgelegt zu sein.84 Diese Haltung wurde in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre aufgegeben. 1967 erfolgte zunächst die Ausverhandlung eines Kulturabkommens mit der Sowjetunion, das 1969 in Kraft trat.85 1969 folgte der Abschluss von zwei Abkommen über wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit mit Ungarn und Bulgarien, die beide 1972 in Kraft traten.86 Mit Rumänien wurde 1971 eine Vereinbarung über kulturelle Zusammenarbeit unterzeichnet, die 1972 in Kraft trat.87 1972 wurden innerhalb weniger Wochen mit Jugoslawien und Polen Abkommen über die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur und Wissenschaft unterzeichnet, die beide 1973 in Kraft traten.88 Ein entsprechendes Abkommen mit Ungarn wurde 1976 unterzeichnet

80 Die Bemühungen, diese Idee voranzutreiben, wurden einerseits durch die ungelöste deutsche Frage (vgl. dazu ebd., 7) und dann durch die Niederschlagung des »Prager Frühlings« massiv behindert. 81 Vgl. Haslinger, Hundert Jahre Nachbarschaft, 313. 82 Sektionschef Dr. Alfred Weikert, 4. 83 Vgl. Burka, Fenster in den Westen, 79. 84 Das Konzept der Kulturabkommen wurde tatsächlich später als Korsett empfunden. Vgl. Burka, Fenster in den Westen, 79 mit Bezug auf ein Gespräch mit Dr. Christa Sauer vom 1. März 2002. 85 Abkommen über kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Republik Österreich und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, BGBl. 319/1969. 86 Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Volksrepublik Bulgarien über die wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit, BGBl. 86/1072; Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Volksrepublik Ungarn über wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit, BGBl. 111/1972. 87 Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit zwischen der Republik Österreich und der Sozialistischen Republik Rumänien, BGBl. 140/1973. 88 Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur, Wissenschaft und Erziehung (BGBl. 436/1973); Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Volksrepublik Polen über die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur und Wissenschaft samt Anhang, BGBl. 434/1973.

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ˇ SSR, das 1978 in Kraft und trat 1977 in Kraft,89 schließlich folgte jenes mit der C 90 trat. 1978 wurde auch mit der DDR, dem letzten dem Warschauer-Pakt angehörigen Staat, ein Vertrag über die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur und Wissenschaft unterzeichnet, der Mitte 1979 in Kraft trat.91 Im Kulturbericht 1978 stellte das Außenamt fest, dass »sich die Kulturabkommen als nützliches Gerüst für den kulturellen Austausch erwiesen haben«. Da jedes Kulturabkommen »große administrative und budgetäre Belastungen mit sich bringt« wurde aber beschlossen, dass künftig »nur dann dem Abschluß eines neuen Abkommens nähergetreten werden soll, wenn dies aus einem bestimmten Grund unbedingt erforderlich erscheint«.92 Analoges galt auch für Abkommen über eine wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit. Mit Jugoslawien wurde daher ein solches Abkommen nie geschlossen, obwohl Österreich immer wieder dazu aufgefordert wurde.93 Dafür war Jugoslawien der erste kommunistische Nachbarstaat, mit dem Österreich ein Kulturabkommen schloss. Dies war kein Zufall, zumal dieser Staat ein großes Interesse daran hatte, alle seine bilateralen Kulturkontakte auf eine rechtliche Basis zu stellen94 und demnach mit insgesamt 85 Staaten Kulturabkommen abschloss, wobei jedoch rund ein Drittel lediglich Absichtserklärungen waren, auf die keine Aktivitäten folgten.95 Nachdem Walter Wodak, 1953 bis 1959 Botschafter in Belgrad, 1957 noch von einem »traurige[n] Niveau des österreichisch-jugoslawischen kulturellen Austausches«96 gesprochen hatte, sollten sich die Beziehungen bald verbessern. Bereits 1965 betonte Klaus bei seinem Besuch in Belgrad die guten nachbarschaftlichen Beziehungen und die

89 Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Volksrepublik Ungarn über die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur und Wissenschaft, BGBl. 519/1977. 90 Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik über die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur, Bildung und Wissenschaft samt Anhang, BGBl. 586/1978. 91 Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Deutschen Demokratischen Republik über die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur und Wissenschaft, BGBl. 237/1979. 92 Außenpolitischer Bericht 1978, 219. 93 Stand der Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen inkl. Kulturübereinkommen, BMeiA, Kt. 101.09.02–101.14.06 / 1989 / 58, GZ 101.11.01-V/89, Zl. 101.11.01/10-V.1/89. 94 Vertreter Jugoslawien verwiesen in diversen Gesprächen mit österreichischen Diplomaten Anfang der 1970er-Jahre darauf hin, dass Österreich der letzte Nachbarstaat Jugoslawiens sei, mit dem noch kein Kulturabkommen abgeschlossen worden sei, vgl. u. a.: Schreiben der ÖB Belgrad an das BMAA vom 29. Juli 1971, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1972, Kt. 17 (1972), GZ 222.156-Kult/71, Zl. 222.598-Kult/71. 95 Vgl. Bernhard Rieder, Die österreichisch-jugoslawischen Beziehungen von 1918–1991 unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklungen im ehemaligen Jugoslawien, Diplomarbeit Wien 1995, 137. 96 Schreiben der ÖB Belgrad an das BKA/AA vom 24. Jänner 1957, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. VKult 1957, Kt. 135 (1957), ohne GZ, Zl. 281.848-Kult/57.

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»übereinstimmend[e], kulturell[e], europäisch[e] Tradition«.97 Die Kulturkontakte beschränkten sich in dieser Zeit insbesondere auf direkte Kontakte von interessierten Institutionen,98 womit das Kulturabkommen die Beziehungen nicht nur institutionalisierte, sondern auch deutlich ausweitete. Da das Kulturabkommen von 1972 nur ein Rahmenabkommen ohne die Angabe von konkreten Projekten darstellte, wurde nach dem Abschluss rasch mit der Ausarbeitung des Arbeitsprogramms begonnen, das noch 1973 finalisiert wurde.99 Im Rahmen eines Besuchs des damaligen Unterrichtsministers Fred Sinowatz im März 1973 betonten beide Seiten, dass man sich bemühen wolle, die bislang weitgehend auf Kroatien und Slowenien beziehungsweise Kärnten, Steiermark und das Burgenland beschränkten Kulturkontakte auszudehnen.100 Obwohl mit Jugoslawien früher als mit den anderen kommunistischen Nachbarstaaten ein Kulturabkommen abgeschlossen worden war, verliefen die Kulturkontakte in der Folge aber nicht reibungsfrei und wurden insbesondere durch Minderheitenfragen belastet. Während Wodak die »freundschaftlichen Beziehungen zur Föderativen Volksrepublik Jugoslawien« 1971 noch als »nachahmenswertes Beispiel«101 bezeichnete, wurden diese durch die Ortstafelfrage bald massiv belastet. Nachdem das III. Kulturübereinkommen 1983 ausgelaufen war, konnte aufgrund von Streitigkeiten über die Bezeichnung von Kärntner Ortsnamen in slowenischer Sprache längere Zeit kein neues Übereinkommen ausverhandelt werden. 1988 entschied man sich schließlich dazu, die Frage auszublenden und die strittigen Ortsnamen im Übereinkommen nicht zu erwähnen. Die österreichischen Bemühungen um eine intensivere Zusammenarbeit wurden außerdem nach Ansicht des Außenministeriums durch verschiedene jugoslawische Normen behindert: So war es für Ausländer und auch ausländische Kulturinstitute verboten, eigene Sprachkurse anzubieten. Damit war die »österreichischerseits als prioritär betrachtete Vermittlung der deutschen Sprache und österreichischen Kultur« sehr beschränkt.102 Nach den anfänglichen Schwierigkeiten entwickelten sich die Beziehungen zu Ungarn in den 1960er-Jahren gut und wie es in »Die Presse« anlässlich des Besuches von Klaus 1967 in Budapest hieß: »Am leichtesten spricht man sich 97 Österreich und die Ost-West-Beziehungen. Rede von Bundeskanzler Josef Klaus im Institut für Internationale Politik und Wirtschaft in Belgrad am 25. März 1965, in: Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik 5 (1965), 88–93, 92. 98 Vgl. Jehn, Nachbarschaftspolitik, 646. 99 Vgl. Weilguni, Österreichisch-jugoslawische Kulturbeziehungen, 29–31. 100 Telefax von Austroamb Belgrad an Außenamt Wien vom 20. März 1973, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1973, Kt. Japan 96040–101771 + J/Kult 1973, GZ 90.338–17-V/73, Zl. 92.638Kult/73. 101 Wodak, Diplomatie, 49. 102 Stand der Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen inkl. Kulturübereinkommen, BMeiA, Kt. 101.09.02–101.14.06 / 1989 / 58, GZ 101.11.01-V/89, Zl. 101.11.01/10-V.1/89.

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naturgemäß auf kulturellem Gebiet.«103 Der Abschluss eines Kulturabkommens wurde aber etwas verzögert. 1973 einigte man sich im Rahmen der 3. Tagung der Allgemeinen Österreichisch-Ungarischen Gemischten Kommission auf die Aufnahme von konkreten Verhandlungen.104 Das Abkommen enthält Richtlinien für die Darstellung der Kultur des Partnerstaates an den Schulen, für die Vergabe von Stipendien, den Austausch von Universitätsprofessoren, von Ausstellungen und Kooperationen der Rundfunkanstalten. Auch die Einrichtung von Kulturinstituten wurde geregelt. Gleich im Jahr des Inkrafttretens wurde ein Arbeitsprogramm für drei Jahre erstellt.105 Auch abseits der staatlichen Kontakte entwickelten sich die Kulturkontakte mit Ungarn positiv, vor allem im Grenzbereich gab es viele regionale Initiativen.106 Im Gegensatz zu Ungarn blieben die Beziehungen zur Tschechoslowakei länger sehr angespannt. Kreisky meinte 1965 zu seinem ungarischen Amtskollegen, dass sich »leider keine echte Entwicklung ergeben« habe. Die österreichische Regierung habe »keinen Hinweis bekommen, dass es zu baldigen Verhandlungen über die wesentlichen offenen Fragen kommen« werde. Kreisky ˇ SSR und Österreich seit drückte sein Bedauern darüber aus, »weil gerade die C jeher sehr viele gemeinsame Berührungspunkte haben«.107 Dennoch gab Kreisky im März 1965 die Weisung »in vorsichtiger Weise« intensivere kulturelle Konˇ SSR war Österreich nach Großbritannien, Italien takte aufzunehmen.108 Für die C ˇ SSR und der Bundesrepublik Deutschland jenes Land mit dem aus Sicht der C seit Beginn der 1960er-Jahre die lebendigsten kulturellen Beziehungen aufgebaut worden waren.109 103 Claus Gatterer, Intensive Gespräche in Ungarn, in: Die Presse, 5. Mai 1967, 1 und 3, hier 1. 104 Protokoll über die 3. Tagung der Allgemeinen Österreichisch-Ungarischen Gemischten Kommission, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1977, Kt. 222.01.01–222.21.01/34, GZ 222.11.03-V/75 (einliegend in GZ 222.11.02-V/1/76), ohne Zl., 16. 105 Besuch des Herrn Bundeskanzlers in Ungarn vom 22.-24. 9. 1978, Information, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1978, Kt. 222–222.21/1978/Kt. 47, GZ 222.14.10-V/78, Zl. 222.14.10/1.V/ 78, 1. 106 Vgl. Jehn, Nachbarschaftspolitik, 569–570. Die positive Entwicklung der bilateralen Beziehungen ist auch vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklungen zu sehen. Anfang 1978 erfolgte die Rückgabe der ungarischen Krone, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Fort Knox gelagert worden war, an den ungarischen Staat, was als Symbol der amerikanischen Anerkennung der kommunistischen Herrschaft in Ungarn gewertet wurde. Vgl. Attila Pjk, Klios Schuld, Klios Sühne. Politische Wendepunkte und Historie im Karpatenbecken 1867–2000, Budapest 2014, 151. 107 Offizieller Besuch des ungarischen Außenministers J#nos P8ter in Wien vom 7. April bis 10. April 1965; Protokolle über die Arbeitssitzungen am 8. April und 9. April 1965, Protokoll vom 8. April, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1965, Kt. 65 (1965), GZ 307.773-Kult/65, Zl. 31.751-Kult/65 [Zl schlecht lesbar], 4. ˇ SSR, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 108 Kulturelle Beziehungen zwischen Österreich und der C 1965, Kt. 34/1965, GZ 308.669-Kult/65, Zl 308.669-Kult-bi/65. 109 Schreiben der Österreichischen Gesandtschaft in Prag an das Bundesministerium für

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Allerdings konnte diese erste leichte Entspannungsphase nicht dauerhaft aufrechterhalten werden. Die österreichische Gesandtschaft schrieb bereits im Dezember 1965 an das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten: »Die [im] […] November […] ausgesprochene Vermutung, die vom bisherigen ˇ estm&r] C&sarˇ vertretene Politik der kulturpolitischen Öffnung Schulminister [C nach dem Westen habe mit seiner Absetzung ein Ende gefunden, scheint sich bestätigt zu haben.«110 Zwar kam es nicht sofort zu einer Schließung der offenen Türen, doch die kulturellen Kontakte erlebten schließlich infolge der Niederschlagung des »Prager Frühlings« 1968111 einen klaren Einbruch. ˇ SSR neuerlich sehr an einer AusweiMitte der 1970er-Jahre zeigte sich die C tung der kulturellen Kontakte interessiert. Im November 1974 reise der damalige ˇ SSR. Nach den Worten des Ministers Unterrichtsminister Fred Sinowatz in die C brachte die Reise, dass sich die »Atmosphäre sicherlich gebessert« habe; er blieb jedoch vorsichtig und meinte die »allmähliche kulturelle Annäherung« sei fortzuführen.112 Die Zusammenarbeit auf kulturellem Gebiet verbesserte sich schließlich schlagartig nachdem Ende 1974 ein Vermögensvertrag geschlossen worden war, der zumindest die Vermögensfragen jener Personen regelte, die am 27. April 1945 österreichische Staatsbürger waren und dies auch zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung waren.113 1976 erfolgte in dieser Phase der Entspannung der bilateralen Beziehungen die Entsendung eines Kulturattach8s an

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Auswärtige Angelegenheiten vom 5. März 1965, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1965, Kt. 34/1965, GZ 308.669-Kult/65, Zl. 54-Res/65. Schreiben der österreichischen Gesandtschaft an das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten vom 1. Dezember 1965 betreffend Ende des kulturpolitischen Dialoges, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1965, Kt. 34/1965, GZ 342.182-Kult/65, Zl 342.182-Kult/65. Vgl. u.a. die im letzten »Jubiläumsjahr« erschienen Werke Stefan Karner/Natalja Tomilina/ Alexander Tschubarjan (Hg.), Prager Frühling. Das internationale Krisenjahr 1968. 1. Beiträge, Graz 2008; Heeresgeschichtliches Museum Wien/Militärhistorisches Institut (Hg.), Spätsommer ’68. Der Einsatz des österreichischen Bundesheeres (= Begleitband zur Sonderausstellung des Heeresgeschichtlichen Museums 25. November 2008–7. Juni 2009), Wien 2008. Schrittweiser Abbau unnatürlicher Abgrenzungen, in: Salzburger Nachrichten, 4. November 1974. Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik zur Regelung bestimmter finanzieller und vermögensrechtlicher Fragen samt Anlagen mit Briefwechsel, BGBl. 451/1975; Bundesgesetz vom 3. Juli 1975 über die Gewährung von Entschädigungen auf Grund des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik zur Regelung bestimmter finanzieller und vermögensrechtlicher Fragen (Entschädigungsgesetz CSSR), BGBl. 452/1975. Zu den angespannten bilateralen Beziehungen vgl. u. a. Oliver Rathkolb, Sensible Beziehungen. Österreich und die Tschechoslowakei (1945–1989), in: Andrea Komlosy/V#clav Bu˚zˇek/ Frantisˇek Sv#tek (Hg.), Kulturen an der Grenze. Waldviertel – Weinviertel – Südböhmen – Südmähren, Wien 1995, 79–84; Paul Ullmann, Eine schwierige Nachbarschaft. Die Geschichte der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und der Tschechoslowakei von 1945–1968 (= Wiener Osteuropa Studien 20), Wien 2006.

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die Österreichische Botschaft Prag.114 Schon 1975 begannen konkrete Verhandlungen über ein Kulturabkommen mit der Übermittlung eines ersten tschechoslowakischen Entwurfes.115 Bis Herbst 1977 konnte das Abkommen ausverhandelt werden, sodass es am 22. November 1977 anlässlich des Besuches ˇ SSR Lubom&r Sˇtrougal in Wien (es handelte sich des Ministerpräsidenten der C um den ersten Besuch eines Regierungschefs der Tschechoslowakei in der Zweiten Republik) unterzeichnet wurde. Dieses trat 1978 in Kraft116 und umfasste die Vereinbarung einer »Zusammenarbeit in den Bereichen der Kultur und Wissenschaft, der Kunst, der Bildung, des Filmwesens, der Massenmedien und des Sports«117. ˇ SSR verflog auf Seiten des AuDie Skepsis hinsichtlich des good will der C ßenministeriums aber nie völlig. Das Außenministerium befürchtete bereits im ˇ SSR das Kulturabkommen zu ihren Gunsten auszuSeptember 1978, dass die C nutzen versuchen werde: »Sie wird mit Berufung auf das Abkommen versuchen, dass soviel als möglich [tschechoslowakische] […] künstlerische Ensembles in Österreich auftreten, um gute Devisen zu erlangen, wird aber das Auftreten österreichischer ähnlicher Ensembles unter Hinweis auf ihre strengen Devisenbestimmungen hintanhalten. Sie wird aber zweifellos nichts dagegen haben, wenn Österreich das Auftreten von Künstlern und Ensemblen, die Abhaltung von Vorträgen von sich aus finanziert. Es wäre deshalb auf eine strenge Reziprozität hinzuweisen und darauf zu achten.«118

Beim Besuch von Außenminister Pahr bei seinem tschechoslowakischen Amtskollegen im November 1979 betonten beide Außenminister, dass das Kulturabkommen generell gut funktioniere.119 Dennoch verliefen die kulturellen Kontakte nicht reibungsfrei, wozu sicher die indirekte Unterstützung der Bür114 Beantwortung einer mündlichen Anfrage des Abgeordneten Friedrich Peter betreffend Auslandskulturpolitik durch den Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten Dr. Erich Bielka, in: Stenographische Protokolle der XIV. GP, 28. Sitzung vom 23. Juni 1976, 2514. 115 Verhandlungen über ein Abkommen zwischen der Republik Österreich u. d. Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik über die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur, Bildung und Wissenschaft. – Verhandlungsermächtigung, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1977, Kt. 35.11.02–35.21.02/1977/9, GZ 35.11.02, Zl 35.11.02/21-V.1/77. 116 Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik über die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur, Bildung und Wissenschaft samt Anhang, BGBl. 586/1978. ˇ SSR 1978. 117 Art. 1 Kulturabkommen C 118 Schreiben der Österreichischen Botschaft Prag an das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten vom 28. September 1978, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1979, Kt. 35.03.01–35.11.02/1979/18, GZ 35.11.02/22-V.1/78, Zl 35.11.02/22-V/78. 119 Offizieller Besuch des Herrn Bundesministers in der CSSR, 15. bis 17. November 1979; Resümeeprotokoll, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1979, Kt. 35.03.01–35.11.02/1979/18, GZ 35.14.11-V/1/79, Zl 35.14.11/3-V.1/79.

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gerrechtsbewegung »Charta 77«, etwa durch die Möglichkeit zu Theateraufführungen und Buchveröffentlichungen, beitrug.120 Die bilateralen Beziehungen blieben, wie das Außenministerium 1985 anlässlich des Besuches des damaligen Bundesministers für Wissenschaft und Forschung in Prag bilanzierte, im Gegensatz zu anderen osteuropäischen Staaten deutlich schwieriger zu gestalten: »So ist es z. B. nur in sehr geringem Ausmaß möglich, sogenannte ›einseitige‹ Veranstaltungen (d. h. kulturelle Manifestationen, die nicht im Kulturabkommen festgelegt sind und ohne Gegenveranstaltung von tschechoslowakischer Seite ablaufen) durchzuführen. Es gelingt zwar der ÖB Prag hin und wieder, kleinere Veranstaltungen (wie etwa Lesungen etc.) zu organisieren, jedoch ist es kaum möglich, durch entsprechende Publizität ein größeres Publikum anzusprechen. Da es auch nur in Ausnahmefällen möglich ist, mit Kulturschaffenden, Wissenschaftlern und Künstlern direkten Kontakt aufzunehmen, ist eine Intensivierung in diesen Bereichen nur in geringfügigem Ausmaß möglich.«121

Die Unterzeichnung des Kulturvertrages mit der DDR erfolgte während des Staatsbesuches von Bruno Kreisky 1978, der als erster Regierungschef eines westeuropäischen Staates den »Arbeiter-und-Bauern-Staat« bereiste.122 Die beiden Staaten verpflichteten sich darin, »die Zusammenarbeit in den Bereichen der Kultur und Kunst, der Wissenschaft und Forschung, der Bildung und Erziehung sowie des Sports«123 zu fördern. Vereinbart wurden unter anderem »Jahres- und Kurzstipendien für Studierende und graduierte Akademiker der Universitäten und Hochschulen im Mindestausmaß von 20 Monaten jährlich«.124 Es wurde vereinbart, dass alle drei Jahre Gemischte Kommissionen zur Vereinbarung von Arbeitsprogrammen zusammentreten.125 Auf diesem Wege wurde noch 1979 ein Arbeitsprogramm ausverhandelt und unterzeichnet.126 Bedenkt man, dass die DDR erst 1972 nach dem Abschluss des Grundlagenvertrages mit der Bundesrepublik durch Österreich offiziell anerkannt worden war,127 hatten sich die kulturellen Beziehungen zwischen den beiden Staaten 120 Jehn, Nachbarschaftspolitik, 475. 121 Gespräche BM Fischer mit tschech. Min. f. Wissenschaft und Technologie am 20.12. in Prag; Information, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1985, Kt. 35.03.04–35.11.06/1985/16, GZ 35.09.04, Zl 35.09.04/2-V.1/85. 122 Zum Staatsbesuch Kreiskys vgl. Friedrich Bauer/Enrico Seewald, Bruno Kreisky in OstBerlin 1978. Ein Besuch der besonderen Art (= Bruno Kreisky International Studies 7), Innsbruck–Wien–Bozen 2011. 123 Art. 1 Kulturvertrag DDR 1979. 124 Art. 4 Kulturvertrag DDR 1979. 125 Vgl. Art. 16 Kulturvertrag DDR 1979. 126 Übereinkommen über ein Arbeitsprogramm zwischen der österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik für die kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit in den Jahren 1979–1981, BGBl. 423/1979. 127 Vgl. Maximilian Graf, Österreich und die DDR 1949–1989/90. Beziehungen – Kontakte – Wahrnehmungen, Dissertation Wien 2012, 485.

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danach also rasch weiterentwickelt, wenngleich der deutlich wichtigere Partner in allen Belangen die Bundesrepublik blieb.128 Eine weitere Intensivierung des kulturellen Austauschs erfolgte 1982 als der Österreichischen Botschaft in Berlin-Ost erstmals ein Kultur- und Presserat zugeteilt wurde.129 Im Vergleich mit den direkten Nachbarn blieben die Bemühungen um eine Intensivierung des kulturellen Austausches mit der DDR jedoch deutlich vermindert. Neben den Kulturabkommen wurden die Kulturinstitute (heute: Kulturforen) ein wichtiger Bereich der staatlich organisierten Kulturvermittlung im Ausland. Von den Staaten des Warschauer Pakts machte Polen den Anfang: Die 1964 in Warschau gegründete Lesehalle wurde bereits im darauffolgenden Jahr zu einem Kulturinstitut erweitert.130 Ein ähnlicher Weg wurde in Jugoslawien beschritten, womit ein erstes Kulturinstitut in einem kommunistischen Nachbarstaat entstand. Die seit Mitte der 1950er-Jahre bestehende österreichische Lesehalle in Zagreb erweiterte ihre Funktionen nach und nach und veranstaltete Lesungen, Vorträge und Konzerte. 1962 wurde sie endlich rechtlich verankert und als Ziel wurde die »Informierung der jugoslawischen Öffentlichkeit über die Ereignisse und Verhältnisse in Österreich« definiert.131 1972/73 erfolgte ein Um- und Ausbau der Lesehalle.132 Zur selben Zeit bemühte sich die Institution in mehreren Anläufen um eine Änderung ihrer Statuten beziehungsweise um eine Umwandlung in ein Kulturinstitut.133 Diese konnte jedoch erst 1976 nach der Gründung eines jugoslawischen Kulturinstituts in Wien (womit die für die bilateralen Kulturbeziehungen mit den kommunistischen Staaten von beiden Seiten gewünschte Reziprozität hergestellt war) erreicht werden.134 128 Botschafter Friedrich Bauer meinte in einem Interview klar : »Ohne Einigung zwischen den beiden deutschen Staaten hätten wir die DDR niemals anerkannt. Das ist ein Prinzip der österreichischen Politik gewesen, nicht nur aus moralischen und ethischen Gründen, sondern auch aus Selbstbehauptungsgründen. Der große und wichtige Partner war die Bundesrepublik, da braucht man sich nur die Handelsdaten und die Anzahl der bilateralen Verträge anschauen, die zwischen den beiden Staaten abgeschlossen wurden.« Vgl. Michael Gehler/Hinnerk Meyer, (Hg.), Deutschland, der Westen und der europäische Parlamentarismus (= Hildesheimer Europagespräche 1), Hildesheim 2012, 52–87, 60. 129 Vgl. Außenpolitischer Bericht 1982, 140. 130 Vgl. Burka, Fenster in den Westen, 82. 131 Art. 1 Übereinkunft zwischen der Bundesregierung der Republik Österreich und der Regierung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über die Gründung und Tätigkeit österreichischer Informationsinstitutionen in Jugoslawien, BGBl. 194/1962. 132 Schreiben der ÖB Belgrad an das BMaA vom 31. Oktober 1973, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. VKult 1973, Kt. Japan 96040–101771 + J/Kult 1973, GZ 98.403, Zl. 5633-A/73. 133 Vgl. u. a. Schreiben der Österreichischen Lesehalle Zagreb an das BMU vom 19. Jänner 1972, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1972, Kt. 17 (1972), GZ 251.046–17-V/72, Zl. 251.046Kult/72. 134 Vgl. Notenwechsel zur Änderung des Artikels 1 der Übereinkunft zwischen der Bundesregierung der Republik Österreich und der Regierung der Föderativen Volksrepublik Ju-

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Nach der Inkraftsetzung des Kulturabkommens 1973 wurde damit eine weitere Form der Zusammenarbeit zu einem Zeitpunkt intensiviert, als die bilateralen Beziehungen in der Folge des sogenannten »Ortstafelsturms« schwer angeschlagen waren. Das Außenministerium bilanzierte in seinem Jahresbericht, dass es in der ersten Jahreshälfte 1975 zu einer Verschärfung der Spannungen gekommen war, als die jugoslawische Regierung anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des österreichischen Staatsvertrages die mangelhafte Erfüllung der Minderheitenbestimmungen beklagte. Die Rückgabe von jugoslawischen Kulturgütern, die während des Zweiten Weltkrieges verschleppt worden waren, und die Wiederaufnahme von Verhandlungen zur Durchführung des österreichischjugoslawischen Archivabkommens von 1923 hätten die Beziehungen jedoch verbessert.135 Dass die Kultur als »unverfängliches Thema«136 galt, wie Wodak meinte, war sicher entscheidend für die Intensivierung der Beziehungen auf diesem Gebiet in der sonst von Spannungen gekennzeichneten Zeit. Als die jugoslawischen Teilrepubliken 1976 die Kulturhoheit erhielten, wurde eine weitere Ausweitung der Kontakte möglich.137 1977 folgte die Gründung des Österreichischen Kulturinstituts in Budapest. Im Kulturabkommen mit Ungarn wurde zur »Vertiefung der kulturellen Beziehungen zwischen den Vertragsstaaten und der Durchführung der in diesem Abkommen vereinbarten Aktionen« die Errichtung eines österreichischen Kulturinstituts in Budapest vereinbart.138 Die Idee zur Errichtung eines Kulturinstituts in der ungarischen Hauptstadt war jedoch nicht neu, gab es doch schon in den 1960er-Jahren Vorstöße eine solche Einrichtung zu verwirklichen, nachdem 1963 in Wien ein neues Collegium Hungaricum seine Arbeit aufgenommen hatte, das sich darum bemühte, das kulturelle Leben Ungarns in Österreich bekannt zu machen.139 Von der Gesandtschaft wurde 1964 sogar ein Österreichhaus vorgeschlagen, in dem nicht nur ein Kulturinstitut, sondern

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goslawien über die Gründung und Tätigkeit österreichischer Informationsinstitutionen in Jugoslawien, BGBl. 282/2976. Vgl. Außenpolitischer Bericht 1975, 5–6. Schreiben der ÖB Belgrad an das BKA/AA vom 8. Mai 1957, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1957, Kt. 135 (1957), GZ 303.863-Kult/57, Zl. 303.863-Kult/57. Vgl. Jehn, Nachbarschaftspolitik, 647. Art. 2 Kulturabkommen Ungarn 1977. Besuch des ungarischen Außenministers J#nos P8ter in Wien, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. VKult 1965, Kt. 65 (1965), GZ 307.773-Kult/65, Zl. 307.773-Kult-bi/65; Toni Kofler, Kulturbeziehungen und Kontakte zwischen Österreich und Ungarn, in: Zdenek Mlynar/HansGeorg Heinrich/Toni Kofler/Jan Stankovsky (Hg.), Die Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn: Sonderfall oder Modell? (= Forschungsberichte/Österreichisches Institut für Internationale Politik 8), Wien 1985, 107–144, 112. Allerdings beklagte das Institut über viele Jahre ein großes Desinteresse an ungarischer Kunst und Kultur in Österreich und wurde auch von den ungarischen Stellen wenig unterstützt, wie Haslinger aufgrund einer Studie von ungarischen Akten meint, vgl. Haslinger, Hundert Jahre Nachbarschaft, 318.

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auch die Dienststelle des Handelsdelegierten, die eines künftigen Konsulats sowie Fremdenverkehrswerbung untergebracht werden sollten.140 Im Rahmen eines Besuches des ungarischen Außenministers in Wien wurde die ungarische Bereitschaft zur Bereitstellung eines passenden Gebäudes in Budapest bestätigt.141 Das Kulturinstitut konnte jedoch aufgrund des Unvermögens die Standortfrage endgültig zu klären und den Bau zu beginnen lange nicht verwirklicht werden;142 es entstand 1966 an der Botschaft aber immerhin eine eigene Kulturabteilung.143 Das von Österreich angestrebte Kulturinstitut galt den ungarischen Behörden allerdings die längste Zeit als potentiell »subversiv«.144 Mit dem Jahr 1974 wurde an der Botschaft eine kulturelle Veranstaltungstätigkeit begonnen:145 Die im Schnitt einmal im Monat stattfindenden Veranstaltungen, zu denen wissenschaftliche Vorträge, Konzerte und Lesungen zählten, stießen auf großes Interesse.146 Bei einem Treffen mit dem damaligen Außenminister Erich Bielka-Karltreu im März 1976 betonte sein ungarischer Amtskollege Frigyes Puja, dass man sich um den Bau bemühen werde, »da Ungarn an einer baldigen Aufnahme der Tätigkeit des österreichischen Kulturinstitutes interessiert sei«.147 In den Verhandlungen um ein Kulturabkommen bemühte sich Österreich darum, die Kompetenzen des Instituts möglichst detailreich zu regeln und wollte 140 Schreiben der Gesandtschaft Budapest an das BMaA vom 14. Dezember 1964, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1965, Kt. 65 (1965), GZ 302.233-V/65, Zl. 8106-A/64. 141 Aktennotiz betreffend »Besprechungen zwischen einer ungar. Delegation über die österr.ungarischen Kulturbeziehungen, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1965, Kt. 65 (1965), GZ 307.773-V/65, Zl. 319.315-Kult/bi/65. 142 Vgl. Haslinger, Hundert Jahre Nachbarschaft, 321–322. Nachdem 1970 endlich ein Bauplatz gefunden worden war, wurde 1972 ein Vertrag über den Bau eines Kulturinstituts unterzeichnet. Nach dem erfolgreichen Abschluss eines Architektenwettbewerbs 1974 wurde der Bau jedoch neuerlich verzögert, da ungarische Stellen die Architektur ablehnten. Das Bauprojekt wurde schließlich aufgegeben. Vgl. dazu auch Bundesministerium für Unterricht (Hg.), Arbeitsbericht des Bundesministeriums für Unterricht für das Jahr 1967, o.O. o. J., 191. 143 Kofler, Kulturbeziehungen, 118. 144 Tam#s Baranyi/Maximilian Graf/Melinda Krajcz#r/Isabella Lehner, A Masterpiece of European D8tente? Austrian–Hungarian Relations from 1964 until the Peaceful End of the Cold War, in: Zeitgeschichte 41 (2014) 5, 311–338. 145 Schreiben der ÖB Budapest an das BMaAvom 10. Oktober 1973, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. VKult 1976, Kt. 41 (1976), 222.13.03, GZ 97.234–17-V/73, Zl. 3079-A/73; Aktennotiz betreffend »Aufnahme der kulturellen Veranstaltungstätigkeit der Botschaft Budapest bis zur Eröffnung des Kulturinstitutes«, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1977, Kt. 41 (1976), 222.13.03, GZ 97.234–17-V/73, Zl. 99.641–17-V/73. 146 Vgl. Schreiben der ÖB Budapest an das BMaA vom 4. Mai 1976, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. VKult 1976, Kt. 41 (1977), GZ 222.14.04-V/76, Zl. 193-Res/76. 147 Treffen zwischen dem Herrn Bundesminister und dem ungarischen Außenminister Puja in Graz und Steinamanger am 2./3. März 1976; Protokoll, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1976, Kt. 41 (1976), GZ 222.14.03-V/76, Zl. 222.14.03/3-V/76, 17.

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unter anderem fixieren, dass dieses Veranstaltungen außerhalb des eigenen Gebäudes durchführen könne. Dies wurde jedoch von der ungarischen Seite abgelehnt, da man mit solchen Detailregelungen kein Präjudiz für Drittstaaten schaffen wollte.148 Man einigte sich schließlich darauf, im Vertragstext festzuschreiben, dass die Kulturinstitute ihre Tätigkeiten »in den Räumlichkeiten des Instituts und unter Berücksichtigung der gültigen Rechtsvorschriften auf dem gesamten Gebiet des Empfangsstaates« entfalten. Darüber hinaus wurde den Instituten »im Rahmen der bestehenden Rechtsvorschriften die größtmöglichen Erleichterungen seitens der Vertragsstaaten zugesichert«.149 1977 konnte das Kulturinstitut schließlich eröffnet werden, musste sich jedoch auf einen provisorischen Betrieb in den Räumen der Botschaft beschränken.150 Beim Besuch von Puja im Juli 1978 meinte der nunmehrige österreichische Außenminister – entgegen den früheren Bemühungen um ein eigenes Gebäude für das Kulturinstitut –, dass die Absicht bestehe, »das Kulturinstitut zumindest für die nächste Zukunft im Gebäude der Österreichischen Botschaft zu belassen«.151 Dabei sollte es bis heute bleiben.152 Die neuen Handlungsmöglichkeiten im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik beziehungsweise die nunmehrige Zielgerichtetheit dieser ergab sich insbesondere aus dem Aufstieg der Kulturaußenpolitik zur »dritten Säule«153 der Außenpolitik (neben den traditionellen Bereichen der politischen, auch militärischen Beziehungen und Auseinandersetzungen und dem handels- beziehungsweise wirtschaftspolitischen Bereich), die durch Kompetenzverschiebungen möglich geworden war. 1970 erfolgte durch das sogenannte »Kleine Kompetenzgesetz« eine Übertragung der Kompetenzen für die kulturellen Auslandsbeziehungen an das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten.154 Die ressortmäßige Zuständigkeit wurde durch das 1973 erlassene

148 Bilaterale Beziehungen Österreich-Ungarn, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1976, Kt. 41 (1976), GZ 222.14.04-V/76, Zl. 193-Res/76, 5–6. 149 § 2 Kulturabkommen Ungarn 1977. 150 Besuch des Herrn Bundesministers in Ungarn ; 24.–25. 10. 1977, Gesprächsprotokoll, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1977, Kt. 222.01.01–222.21.01/34, GZ 222.14.03-V/77, Zl. 222.14–03/2-V/77, 13. 151 Offizieller Besuch des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten der Ungarischen Volksrepublik Frigyes PUJA in Österreich (3.–5. 7. 1978), Arbeitsgespräch v. 5. 7. 1978 bilaterale Fragen, Protokoll, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1978, Kt. 222–222.21 / 1978 / 47, GZ 222.14.11-V/78, Zl. 222.14–11/4-V.1/78, 9 152 Vgl. http://www.bmeia.gv.at/kf-budapest/ (Zuletzt abgerufen am 19. November 2015). 153 Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage betreffend Entwicklung der kulturellen Auslandsbeziehungen durch den Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten Dr. Erich Bielka, in: Stenografische Protokolle der XIII. GP, XX. Sitzung vom 1. August 1975, Nr. 2211/AB, 3. 154 Vgl. § 7 Abs. 1 Bundesgesetz: Errichtung eines Bundesministeriums für Wissenschaft und

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Bundesministeriengesetz bestätigt.155 Bei der Integration der Auslandskulturarbeit in das Außenministerium kam insbesondere Wolfgang Kraus eine Schlüsselrolle zu. Er förderte Veranstaltungen, die nicht in den Räumlichkeiten eines Kulturinstitutes, sondern in Zusammenarbeit mit Partnerinstitutionen des jeweiligen Gastlandes stattfanden, was eine Konsequenz der Absicht des Außenministeriums war, dass nicht nur die Kulturinstitute und Kulturattach8s für Kulturarbeit zuständig sein sollten, sondern alle Vertretungen.156 Um die knappen finanziellen Mittel effizient einsetzen zu können, entschloss sich das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten 1978 dazu, thematische und regionale Schwerpunkte zu setzen. Thematisch konzentrierte man sich in den frühen 1980er-Jahren auf die Präsentation zeitgenössischer Kunst und die Durchführung von Veranstaltungen wissenschaftlichen Charakters und regional auf Ost- und Südosteuropa, Skandinavien sowie die Iberische Halbinsel, wobei sich die regionalen Schwerpunkte alle vier Jahre änderten.157 In Staaten, in denen österreichische Kulturinstitute bestanden beziehungsweise Kulturattach8s tätig waren, also in Staaten zu denen »besonders traditionsreiche kulturelle Beziehungen« bestanden, sollte die Arbeit in gleichem Maß weitergeführt werden.158 Ab den 1960er-Jahren entstanden auch erste zaghafte Versuche zur Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte: Aus Anlass des hundertjährigen Jubiläums des Ausgleiches wurde so etwa 1967 in P8cs eine Tagung veranstaltet. Darüber hinaus wurden die Protokolle des gemeinsamen Ministerrates der k.u.k. Monarchie herausgegeben.159 Durch die Österreichische Akademie der Wissenschaften und die Ungarische Akademie der Wissenschaften wurde darüber hinaus in den 1970er-Jahren eine Gemischte Historikerkommission zum Zwecke einer engeren Kooperation im Bereich der Geschichtswissenschaft eingerichtet.160 Eine im gleichen Zeitraum eingerichtete österreichisch-jugoslawische Kommission organisierte 1976 das erste österreichisch-jugoslawische

155 156 157 158 159 160

Forschung und Neuordnung des Wirkungsbereiches einiger Bundesministerien, BGBl. 205/ 1970. Vgl. Anlage B Bundesgesetz vom 11. Juli 1973 über die Zahl, den Wirkungsbereich und die Einrichtung der Bundesministerien (Bundesministeriengesetz 1973), BGBl. 389/1973. Vgl. Peter Marginter, Der Chef und seine Schäfchen, in: P8ter Bassola/Endre Kiss (Hg.), Literatur als Brücke zwischen Ost und West. Zum Gedenken an Wolfgang Kraus, Szeged 2000, 44–50, 49. Vgl. den Beitrag von Stefan Maurer in diesem Band. Vgl. BMaA (Hg.), Österreichs kulturelle Auslandsbeziehungen, Wien 1981, 11–12. Nach Ablauf der ersten Periode wurde der Schwerpunkt auf die USA verlagert, vgl. Kampits, Auslandskulturpolitik, 66. Vgl. BMaA (Hg.), Österreichs kulturelle Auslandsbeziehungen, Wien 1981, 19. Vgl. Haslinger, Hundert Jahre Nachbarschaft, 313–314. Protokoll über die 6. Tagung der Allgemeinen Österreichisch-Ungarischen Gemischten Kommission, Pkt. III.4, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1977, Kt. 222.01.01–222.21.01/34, GZ 222.11.03-V/76, Zl. 222.11.03/7-V/76.

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Historikertreffen zum Thema »Die Donaumonarchie und die südslawische Frage 1848–1918«.161 Im Rahmen der Auslandskulturtagung 1988 wurde eine Podiumsdiskussion unter dem Titel »1918–1988: Österreich und seine Nachbarn – Von der Desintegration zur Kooperation«162 veranstaltet, woran Vertreter ˇ SSR, Ungarn, Jugoslawien, Polen und Italien teilnahmen. aus der C

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Intensivierung der Kulturbeziehungen zu den sogenannten Reformstaaten infolge der politischen Öffnung ab 1989

Bis 1989 zeichnete das Außenministerium in offiziellen Schriften ein überwiegend positives Bild der Entwicklung der kulturellen Beziehungen zu den sozialistischen Staaten. Im Gegensatz dazu hieß es im Außenpolitischen Bericht 1989, dass auf eine Intensivierung »des bisher ideologisch und bürokratisch vielfach behinderten kulturellen Dialoges«163 gehofft werde, womit nun auch nach außen die Probleme des Kulturaustausches mit diesen Staaten zumindest angedeutet wurden. Bereits in der zweiten Jahreshälfte 1989 zeichnete sich im Außenministerium ab, dass die bilateralen Kulturkontakte auf der Basis von neuen Voraussetzungen intensiviert werden können – und die Akteure schienen entschlossen, die Gunst der Stunde zu nützen. »Insbesondere im Verhältnis zu unseren östlichen Nachbarländern muß die österreichische Außenpolitik«, so der Leiter der Sektion V, Bernhard Stillfried, in einem Schreiben an das Generalinspektorat vom November 1989, »gegenwärtig insgesamt darauf ausgerichtet sein, die Chancen zu nützen, welche sich aus den schon stattgefundenen oder mit hoher Wahrscheinlichkeit absehbaren Veränderungen in diesen Ländern ergeben«.164 Um »im nun einsetzende[n] Wettbewerb in den Beziehungen zu diesen Staaten«165 bestehen zu können, war Österreich bereit, mehr finanzielle Mittel einzusetzen und so wurde das operative Kulturbudget des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten166 von 23 Millionen österreichischen Schilling im Jahr 1989 für 1990 auf 33 Millionen erhöht.167 Die zusätzlichen Mittel wurden 161 162 163 164

Vgl. Jehn, Nachbarschaftspolitik, 647. Kulturpolitischer Teil des Außenpolitischen Berichtes 1988, 2. Kulturpolitischer Teil des Außenpolitischen Berichtes 1989, 1. Dienstzettel an das Generalinspektorat vom 16. November 1989, BMeiA, Kt. 35.04.09–35.12.06/1989/20, GZ 35.09.01-V/89, Zl. 35.09.01/2-V.SL/89. 165 Kulturpolitischer Teil des Außenpolitischen Berichtes 1989, 2. 166 Die Bezeichnung des Ministeriums wurde 1987 auf »auswärtige« Angelegenheiten (kleingeschrieben geändert), um sich dem Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten anzugleichen. 167 Vgl. Kulturpolitischer Teil des Außenpolitischen Berichtes 1989, 1. In den folgenden Jahren sollte es weiter anwachsen, für den kulturellen Bereich steht jedoch bis heute nur ein

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zu einem beträchtlichen Teil, wie das Ministerium angab, in den »östlichen Nachbarländern« eingesetzt.168 Auch die Mittel aus dem Budgetüberschreitungsgesetz dienten einer verstärkten österreichischen Präsenz in diesem Raum. So wurde ein Generalkonsulat in Krakau, das auch mit den Agenden eines Kulturinstitutes betraut wurde, eröffnet, und nach Bratislava, Budapest, Ljubljana und Moskau wurden zusätzliche Kultur- und Wissenschaftsbeauftragte entsandt.169 Für Außenminister Mock waren vor allem drei Motive für das kulturelle Engagement in den ost- und südosteuropäischen Staaten ausschlaggebend, wie er im Jänner 1990 im Nationalrat betonte: »Wir fördern die kulturelle und damit auch die politische Öffnung dieser Staaten sowie den Reformprozeß, der dort eingesetzt hat. Wir machen mit dieser Arbeit das gemeinsame kulturelle Erbe bewußt, das heißt, es wird europäische Gemeinsamkeit geschaffen. […] Ich glaube, daß wir damit einer spezifischen österreichischen Verantwortung nachkommen.«170

Mit dem Bezug auf eine »gemeinsame« Vergangenheit, wodurch Österreich »in sein natürliches Umfeld reintegriert wurde«,171 wie das Außenministerium meinte, gliederte sich das Engagement des Außenministeriums im Bereich der bilateralen Kulturbeziehungen in die Mitteleuropaideen172 ein, die Brix als »intellektuelle Spurensuche« beschrieb, »die die kulturelle Vielfalt der liberalen späten Habsburgermonarchie […] wieder für die eigene nationale Identität zugänglich machen sollte«.173

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geringer Anteil des Budgets des Außenministeriums zur Verfügung (2012: 1,6 %, was 6,438 Mio. EUR entspricht), vgl. Außen- und Europapolitischer Bericht 2012, http://www.bmeia. gv.at/aussenministerium/aussenpolitik/aussen-und-europapolitischer-bericht.html (Zuletzt abgerufen am 2. Jänner 2014), 291. Vgl. Kulturpolitischer Teil des Außenpolitischen Berichtes 1990, 1. Vgl. Kulturpolitischer Teil des Außenpolitischen Berichtes 1990, 2. Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Dr. Mock, in: Stenografische Protokolle der XVII. GP, 130. Sitzung vom 25. Jänner 1990, 15390. Außenpolitischer Bericht 1991, 369. Vgl. u. a. Erhard Busek, Besinnung auf Mitteleuropa, in: Europäische Rundschau 13 (1985) 2, 3–13; Wendelin Ettmayer, Mitteleuropa. Eine Aufgabe an die österreichische Außenpolitik, in: Österreichisches Jahrbuch für die österreichische Außenpolitik 1985, Wien–München 1986, 339–365; Andreas Pribersky (Hg.), Europa und Mitteleuropa? Eine Umschreibung Österreichs, Wien 1991; Charles S. Maier, Whose Mitteleuropa? Central Europe between Memory and Obsolescence, in: Günter Bischof/Anton Pelinka (Hg.), Austria in the New Europe (= Contemporary Austrian Studies 1), New Brunswick 1993, 8–18. Emil Brix, Die Mitteleuropapolitik von Österreich und Italien im Revolutionsjahr 1989, in: Michael Gehler/Maddalena Guiotto (Hg.), Italien, Österreich und die Bundesrepublik Deutschland in Europa. Ein Dreiecksverhältnis in seinen wechselseitigen Beziehungen und

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Dabei spielte auch die Abgrenzung zur Bundesrepublik eine große Rolle, die im Konzept »Mitteleuropa« von österreichischer Seite nicht mitgedacht wurde. Eines der nachhaltigsten Projekte in diesem Zusammenhang waren die Österreich-Bibliotheken, die innerhalb weniger Monate quasi aus dem Boden gestampft wurden.174 Christine Dollinger spricht von einer »wertvolle[n] Bereicherung für die österreichische Auslandskulturpolitik«.175 Die wohl wichtigste treibende Kraft hinter dem Projekt war der damalige Vorsitzende der Gesellschaft für österreichische Literatur, Wolfgang Kraus. Anlässlich der Eröffnung der Bibliothek in Brno berichtete er, dass er im Herbst 1988 beim Schriftsteller Jan Trefulka, der zu diesem Zeitpunkt in Hausarrest war, zu Besuch war. Dieser habe ihm berichtet, dass das Fernsehen sein »Fenster in die Welt« sei, was die »Geburtsstunde der Idee [gewesen sei], den Brünnern eine österreichische Bibliothek zu schenken«.176 Die Österreich-Bibliotheken waren damit eines der letzten Produkte des Kalten Kriegs und der Versuche, den »Eisernen Vorhang« im Weg der Kulturkontakte zu durchdringen. Die Vereinbarung über die Gründung einer Österreich-Bibliothek in Brno wurde bereits am 4. Mai 1989 getroffen.177 Es sollte nur wenige Monate bis zur Eröffnung dauern. 1990 wurden Bibliotheken in Bratislava und Maribor eröffnet, 1991 folgten Przemys´l, Sofia, Szeged und Tallinn.178 Die Leseräume an den lokalen Partnerinstitutionen wurden mit Austriaca ausgestattet, die vom Außenministerium zur Verfügung gestellt wurden; den Bibliotheksmitarbeitern wurden Stipendien gewährt. Neben Studierenden und Professoren wurden diese auch für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.179 Abgesehen von der Austriaca-Grundausstattung hatten

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Wahrnehmungen von 1945/49 bis zur Gegenwart (= Arbeitskreis Europäische Integration, Historische Forschungen, Veröffentlichungen 8), Wien–Köln–Weimar 2012, 455–467, 457. Bereits seit 1977 gab es die sogenannte Buchaktion des Außenministeriums, womit Universitäten sowie andere wissenschaftliche Institutionen mit Werken österreichischer Autoren oder über österreichische Themen versorgt wurden, vgl. Kulturpolitischer Teil des außenpolitischen Berichts 1986, 126. Christine Dollinger, Die Österreich-Bibliotheken im Ausland – Möglichkeiten und Chancen im kulturpolitischen Kontext Europas, in: Dietmar Goltschnigg/Anton Schwob (Hg.), Zukunftschancen der deutschen Sprache in Mittel-, Südost- und Osteuropa. Grazer Humboldt-Kolleg 20.–24. November 2002, Wien 2004, 479–481, 479. Schreiben der ÖB Prag an das BMaA vom 16. Jänner 1991, BMeiA, Kt. 35.02.01–35.03.05/ 1991/15, GZ 35.02.10-V/91, Zl. 35.02.10/2-V.6/91. Schreiben der ÖB Prag an das BMaA vom 8. Juni 1989 mit Beilage, BMeiA, 34.02.01–35.04.07/1989/19, GZ 35.02.02-V/89, Zl. 35.02.02/9-V.6/89. Heute werden 62 Österreich-Bibliotheken betreut, die letzte Eröffnung erfolgte im Juli 2013 im kroatischen Zadar, vgl. http://www.oesterreich-bibliotheken.at (Zuletzt abgerufen am 4. Jänner 2014). Vgl. beispielhaft die Einrichtung des österreichischen Leseraums in der Universitätsbibliothek Osijek: Besuch des kroat. Präsidenten Tudjman beim Herrn Bundesminister ; Follow-up Information der Sektion V; Information betreffend Österreich-Bibliothek in

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die Bibliotheken an den verschiedenen Standorten durchaus unterschiedliche Bedürfnisse, denen Rechnung getragen wurde, und so gibt es an einigen Standorten ein Schwergewicht im literarischen Bereich und an anderen mehr im historischen.180 Die Bestände sollten nicht in den allgemeinen Bestand der jeweiligen Bibliothek aufgehen, sondern separat geführt werden.181 Die Bibliotheken wurden rasch zu einem großen Erfolg und Institutionen in verschiedenen Reformstaaten bemühten sich um die Einrichtung eines solchen Leseraumes.182 Die Leseräume sind ein zentrales Element eines allgemeinen Wandels der Kulturaußenpolitik, der mit 1989 eingeleitet wurde: Neben den kulturpolitischen Kontakten gewannen in dieser Phase insbesondere die wissenschaftlichen zunehmend an Bedeutung. So wurde etwa der in den Kulturabkommen vorgesehene Austausch von Professoren und Studierenden wesentlich erhöht; außerdem wurden Sonderstipendienaktionen für Polen, Ungarn, die Tschechische Republik, die Slowakei, die Ukraine, Rumänien, Bulgarien, Kroatien und Slowenien ins Leben gerufen. Ziel war es, jungen Wissenschaftlern aus diesen Staaten einen Aufenthalt in Österreich zu finanzieren, sodass sich Partnerschaften mit den jeweiligen Heimatinstitutionen entwickeln können.183 Die Öffnung der Grenzen ermöglichte auch einen regen Austausch von Gastvortragenden an den Universitäten sowie die Veranstaltung von wissenschaftlichen Symposien. Die Universitäten schlossen zahlreiche Partnerschaftsvereinbarungen, wie beispielsweise die Universitäten Wien und Bratislava.184 Bemerkenswert ist darüber hinaus die massive Erhöhung der Zahl der Lektoren von 130 im Jahr 1989 auf 170 im Jahr 1990, wobei der Zuwachs vor allem auf die ehemaligen sozialistischen Staaten entfiel.185 Bereits im Studienjahr 1989/90 waren 50 Personen in diesem Raum tätig und die Zahl sollte sich auf über 80 im Fol-

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Osijek (Esseg) – Kroatien, BMeiA, Kt. 101.13.02–101.21.04/1991/42, GZ 101.14.06-V/91, Zl 101.14.06/16-V.1/91. Vgl. Bernhard Stillfried, Österreichs Rolle in Ostmittel- und Osteuropa, in: Khol, Andreas (Hg.), Neue Außenpolitik in einer neuen Welt. Ergebnisse des Symposions der Politischen Akademie in Zusammenarbeit mit der Vereinigung Österreichischer Industrieller vom 19. Oktober 1992 (= Standpunkte 28), Wien 1993, 135–144, 138. Vgl. etwa: Schreiben des ÖKI an das BMaA vom 24.4.1990, BMeiA, Kt. 222.01.03–222.04.01/ 1989/97, GZ 222.02.02, Zl. 222.02.02/2-V.6/89. Vgl. u. a. Schreiben von Olga Gomba an das ÖKI Budapest vom 22. 5. 1991, BMeiA, Kt. 222.01.03–222.03.01/1991/70, GZ 222.02.12-V/91, Zl. 10.46.04. Vgl. Stillfried, Österreichs Rolle, 141–142. ˇ SFR, Informationsbeitrag der Sektion Vanläßlich des offiziellen Besuches des HBK in der C 27. Mai 1991, BMeiA, Kt. 35.13.01–35.17.01/1989/21, GZ 35.14.06-V/89, Zl. 35.14.06/13-V.1/ 91. Bereits 1987 hatten die Universitäten Wien und Prag eine Partnerschaftsvereinbarung unterzeichnet, BMeiA, Kt. 35.13.01–35.17.01/1989/21, GZ 35.14.06-V/89, Zl 35.16.06/9-V.1/ 89. Vgl. Anne Gellert-Novak, Europäische Sprachenpolitik und Euroregionen. Ergebnisse einer Befragung zur Stellung der englischen und deutschen Sprache in Grenzgebieten (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), Tübingen 1993, 20–22.

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genden erhöhen, wobei aus Mangel an Bewerbern nicht einmal alle Stellen besetzt werden konnten.186 In die Tschechoslowakei wurden 1990 überhaupt zum ersten Mal österreichische Lektoren entsandt, obwohl schon das Kulturabkommen von 1978 diese Möglichkeit vorgesehen hatte.187 Auch der Ausbau beziehungsweise der Beginn von Spezialdeutschkursen an den Kulturinstituten Budapest und Warschau sowie nun auch am Generalkonsulat Krakau und an der Österreichischen Botschaft Prag konnte zusammen mit lokalen Partnerinstitutionen organisiert werden.188 Die grenzüberschreitende Aufarbeitung der Vergangenheit wurde ebenfalls nach dem Fall des »Eisernen Vorhangs« intensiviert. 1990 wurde von den Außenministern Mock und Jirˇ& Dienstbier eine neue österreichisch-tschechoslowakische Historikerkommission eingesetzt.189 In einer ersten sehr produktiven Phase wurden auch einige erfolgreiche und besonders für ein breiteres Publikum gedachte Veranstaltungen organisiert, wie 1991 die Tagung »Wie sehen einander die Österreicher und Tschechen heute«. Die Intensität der Arbeiten der Kommission sollte jedoch im Verlauf der 1990er-Jahre etwas nachlassen. In den letzten Jahren haben sich die Aktivitäten wieder deutlich intensiviert.190 Hinsichtlich der institutionellen Verankerung der Kulturarbeit in den östlichen Nachbarstaaten war neben den Österreich-Bibliotheken die Realisierung eines österreichischen Kulturinstituts in Prag von großer Bedeutung. Die Errichtung eines solchen war bereits Mitte der 1960er-Jahre überlegt worden.191 Während das Bundesministerium für Unterricht die Pläne durchaus vorantrieb192 und dabei insbesondere an die Kontaktpflege von Historikern sowie den 186 Vgl. Stillfried, Österreichs Rolle, 141. ˇ SFR. Offene Fragen, 1, BMeiA, Kt. 35.11.01–35.13.02/ 187 Kulturbeziehungen Österreich – C 1990/20, GZ 35.11.01-V/90, Zl. 502.16.35/7-II.3/90. 188 Vgl. Kulturpolitischer Teil des Außenpolitischen Berichtes 1990, 2. ˇ SFR, 189 Informationsbeitrag der Sektion V anläßlich des Besuches des Außenministers der C Jirˇ& Dienstbier, in Österreich (22./23. November 1991), BMeiA, Kt. 35.13.01–35.17.01/1989/ 21, GZ 35.14.06-V/89, Zl. 35.14.06/25-V.1/89. 190 Vgl. Miroslav Kunsˇt#t/V#clav Bu˚zˇek, Die österreichisch-tschechische Historikerkommission im letzten Jahrzehnt. Versuch einer kurzen Zwischenbilanz von der tschechischen Seite, sga.euweb.cz/002/debata/download/kunstat_buzek-002.pdf (Zuletzt abgerufen am 18. September 2012). Aktuell ist ein »Gemeinsames Österreichisch-Tschechisches Geschichtsbuch« in Arbeit, vgl. http://www.oeaw.ac.at/inz/forschungen-projekte/internatio nale-geschichte/internationale-beziehungen-im-20-jahrhundert-europa-im-kalten-krieg/ gemeinsames-oesterreichisch-tschechisches-geschichtsbuch/ (Zuletzt abgerufen am 19. November 2015). 191 Projekt der Errichtung eines KI in Prag, Schreiben des Bundesministeriums für Unterricht vom 8. Juni 1965, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1965, Kt. 34/1965, GZ 315.217, Zl 320.658Kubi/65. 192 Schreiben des Bundesministeriums für Unterricht an den die Österreichische Gesandtschaft in Prag, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1965, Kt. 34/1965, GZ 315.217-Kult/65, Zl 317.165-Kult/bi/65.

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Austausch von historischem Quellenmaterial dachte,193 stellte sich das Außenministerium dagegen, um eine klare Linie hinsichtlich der ungeklärten Vermögensfragen einzunehmen.194 Doch auch nach dem Abschluss des Vermögensvertrages und der darauffolgenden Entspannung in den bilateralen Beziehungen wurde die Einrichtung eines Kulturinstitutes von österreichischer Seite hinausgezögert, wenngleich der Gedanke nie ganz verworfen wurde. Außenminister Leopold Gratz meinte 1985, dass ein solcher Schritt einer der »Schlußsteine für den Beweis wirklich verbesserter Beziehungen«195 sein werde. 1987 wurde schließlich anlässlich des offiziellen Besuchs von Mock in der ˇ SSR die Einrichtung einer österreichisch-tschechoslowakischen ExpertenC gruppe beschlossen, die sich mit der Frage einer wechselseitigen Einrichtung von Kulturinstitutionen auseinandersetzen sollte.196 Ergebnis der Beratungen war das Ende 1988 ausverhandelte und unterzeichnete »Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik über die Errichtung und Tätigkeit eines Österreichischen Kulturinstituts in Prag und eines Kultur- und Informationszentrums der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik in Wien«.197 Zur tatsächlichen Gründung eines Österreichischen Kulturinstituts in Prag kam es jedoch erst 1993, die Eröffnung in einem eigenen Gebäude folgte 1996, nachdem dem österreichischen Kulturrat Valentin Inzko aufgrund persönlicher Beziehungen die Nutzung von Räumlichkeiten des Franziskanerklosters am Jungmannovo n#meˇst& gelungen war.198 Im Zuge der Diskussionen um eine nötige Ausweitung der Außenkulturpolitik, speziell zu den östlichen Nachbarstaaten infolge der Veränderungen, die 1989 eingeleitet wurden, wurde zum ersten Mal seit der Zuordnung der Kulturinstitute zum Außenministerium unter Kreisky ernsthaft über die ressortmäßige Zuordnung der Außenkulturpolitik diskutiert. Man hatte sich im Un193 Geplante Errichtung eines Österreichischen Kulturinstituts in Prag durch das Bundesministerium für Unterricht, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1965, Kt. 34/1965, GZ 315.217Kult/65, Zl 315.217-Kult/65. 194 Dienstreise von Sektionschef Dr. Weikert nach Prag, Schreiben der Österreichischen Gesandtschaft in Prag an das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten vom 24. Mai 1965, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1965, Kt. 34/1965, GZ 315.217-Kult/65, Zl 318.095-Kult-bi/65. ˇ SSR bei HSL V, ÖStA, AdR, BMaA, Abt. V-Kult 1985, 195 AV über Besuch des Botschafters der C Kt. 33.15.01–35.03.02 / 1985 / 15, GZ 35.03.02, Zl 35.03.02/29-V.4a/85. 196 Vgl. Außenpolitischer Bericht 1987, 223. 197 Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik über die Errichtung und Tätigkeit eines Österreichischen Kulturinstituts in Prag und eines Kultur- und Informationszentrums der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik in Wien, BGBl. 310/1990. 198 Vgl. Interview der Verfasserin mit Christine Dollinger, Wien 30. August 2013; Christine Dollinger, Rückblick auf 10 Jahre Kulturarbeit in der (heutigen) Tschechischen Republik (unveröffentlichtes Manuskript), Kopie im Besitz der Verfasserin.

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terrichtsministerium mit der Kompetenzverschiebung nie wirklich abgefunden und begann nun unter Unterrichtsministerin Hilde Hawlicek (1987–1990) über eine Rückgabe der Aufgaben zu diskutieren.199 Die Meinung wurde von einigen Politikern abseits des Außenministeriums geteilt. Unter anderem Herbert Fux von den Grünen forderte, dass die Kulturaußenpolitik beim Kulturministerium besser aufgehoben wäre, speziell da »die Mittel, die das Kultusministerium in dieser Zeit, weil es aus verschiedenen Töpfen verschiedene Kulturaktivitäten sponsern konnte, aufgebracht hat, höher waren«.200 Wie Christoph Hirschmann in der Arbeiter-Zeitung verkündete, forderten auch Franz Vranitzky und Josef Cap die Rückführung der Zuständigkeit für die Kulturinstitute in die Kompetenz des Unterrichtsministeriums.201 Diese Ideen wurden zwar nicht umgesetzt, jedoch zeigte sich deutlich, dass das Unterrichtsministerium im Bereich der Kulturaußenpolitik nicht nur aktiv war, sondern teilweise eine eigene Linie verfolgte. Hawlicek lud im April 1990 zu einer Kultusministerkonferenz nach Wien ein. Unter dem Motto »Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit« diskutierten acht Kulturminister und Künstler aus Bulgarien, der DDR, Polen, Rumänien, der Tschechoslowakei, der UdSSR, Ungarn und Österreich über die Möglichkeiten einer verstärkten Zusammenarbeit. Hawlicek meinte, dass es darum gehe, über den kulturellen Austausch »ein Fundament für Frieden und Freundschaft herzustellen«.202 Hawliceks Engagement für die Kulturaußenpolitik fällt auch hinsichtlich der bilateralen Kulturkontakte zur DDR auf. Diese waren auch in den letzten Jahren des Bestehens dieses Staates im Vergleich zu den direkten Nachbarstaaten weniger intensiv. Dennoch betonte das Außenministerium Ende November 1989: »Die kulturellen Beziehungen zwischen Österreich und der DDR haben in den letzten Jahren einen immer höheren Grad an Intensität erfahren und sind allgemein als problemlos zu bezeichnen.«203 Insbesondere 1988 hätten sie sich, so das Außenministerium, »durch eine beachtliche Steigerung der österreichischen kulturellen Präsenz in der DDR, aber auch der DDR in Österreich in erfreulicher 199 Vgl. Sandra Lakitsch, Die bilaterale Kulturpolitik zwischen Österreich und Ungarn seit 1989 unter besonderer Berücksichtigung der kultur- und wissenschaftspolitischen Aktivitäten im ungarischen Demokratisierungsprozeß, Diplomarbeit Wien 1996, 59 mit Bezug auf ein Interview mit Gerlinde Peter, Stellvertreterin von Gertrude Kothanek am ÖKI Budapest. 200 Abgeordneter Fux (Grüne), in: Stenografische Protokolle der XVII. GP, 130. Sitzung vom 25. Jänner 1990, 15387. 201 Vgl. Christoph Hirschmann, Das Elend unserer Auslandskultur, in: Arbeiter-Zeitung, 18. August 1990, 43. 202 Wiener Kulturministerkonferenz 1990, APA-OTS-Pressemeldung 4. April 1990. 203 Aktennotiz betreffend »Informationsbeitrag der Sektion V anläßlich der Arbeitsgespräche des HGS mit dem stv. AM der DDR; Kurt Nier«, BMeiA, Kt. 43.13.01–43.19.01/1989/26, GZ 43.14.06-V/89, Zl. 43.14.06/8.V.1/89.

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Weise weiter vertieft«; auch anlässlich des offiziellen Besuches von Bundeskanzler Vranitzky in der DDR im Juni 1988 sei der »hohe Stand der Kulturbeziehungen unterstrichen« worden.204 Die bilateralen Kulturbeziehungen wurden schließlich bis zum Sommer 1990 fortgeführt. Auf Einladung von Hawlicek kam im Juli 1990 der neue DDR-Kulturminister Herbert Schirmer (CDU) nach Wien. Die Gespräche führten zur Vereinbarung einiger Kulturaustauschprojekte, die noch bis Jahresende 1990 verwirklicht werden sollten.205 Auch das Außenministerium arbeitete auf Basis der bisherigen bilateralen Abkommen weiter und so wurden im Juni 1990 im Rahmen der 7. Tagung der Gemischten Kommission für wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit die Verhandlungen über ein neues Arbeitsprogramm abgeschlossen, das von 1. Juli 1990 bis 30. Juni 1992 gelten sollte.206 Wie das Außenministerium später erklärte, bestand »[s]owohl auf österreichischer als auch auf Seite der DDR […] Interesse daran, daß eine wissenschaftlich-technische Kooperation nach der deutschen Einigung unter anderen Vorzeichen fortgeführt und in die west- und gesamteuropäische Zusammenarbeit eingebunden wird«.207 Das Außenministerium richtete erst am 5. September 1990 eine Verbalnote an die Botschaft der Bundesrepublik in Wien und gab in dieser das »österreichische und das Interesse österreichischer wissenschaftlicher Institutionen an einer Fortsetzung der […] vereinbarten Kooperationen« mit der DDR bekannt und schlug diesbezügliche Gespräche nach der deutschen Einigung vor.208 Es kam zwar in der Folge zu Fortführungen der kulturellen Kontakte, woran auch das Auswärtige Amt interessiert war,209 allerdings gelang es dem Außenministerium nicht, ein Fortbestehen der Abkommen zu erreichen.210 204 Dienstzettel betreffend »Informationsbeitrag der Sektion Vanläßlich des Arbeitsgesprächs des Herrn Generalsekretärs mit dem stellvertretenden Außenminister Nier am 1./2. Juni 1989 in Wien, BMeiA, Kt. 43.13.01–43.19.01/1989/26, GZ 43.14.06-V/89, Zl. 43.14.06/4-V.1/ 89. 205 Schreiben des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Sport an das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten vom 24. Juli 1990, BMeiA, 43.11.03–43.22.02/1990/ Kt. 26, Grundzahl 43.11.05-V/90, Zl. 43.11.05/6-V.1/90. 206 Protokoll der 7. Tagung der Gemischten Kommission zur Durchführung des Abkommens zwischen der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit (Wien, 5. bis 7. Juni 1990), BMeiA, Kt. 43.01.05–43.11.02/1990/25, GZ 43.11.02-V/90, Zl. 43.11.02/26V.5/90. 207 Kulturpolitischer Teil des Außenpolitischen Berichtes 1990, 7. 208 Verbalnote des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten an die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Wien vom 5. September 1990, BMeiA, Kt. 43.01.05–43.11.02/ 1990/25, GZ 43.11.02-V/90, Zl. 43.11.02/23-V.5/90. 209 BMeiA, Kt. 43.01.05–43.11.02/1990/25, GZ 43.11.01-V/90, Zl. 43.11.02/28-V.5/90, Schreiben des BMaA an die ÖB Bonn vom 19. 12. 1990. 210 Vgl. Kundmachung des Bundeskanzlers betreffend das Erlöschen von Verträgen zwischen Österreich und der Deutschen Demokratischen Republik, BGBl. 220/1994.

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Vor besondere Herausforderungen wurde die österreichische Kulturaußenpolitik auch vor dem Hintergrund des Zerfalls Jugoslawiens gestellt. Es war offenkundig, dass Österreich Mühe hatte, die Beziehungen zu allen Teilrepubliken, wie auch zum Gesamtstaat Jugoslawien gleichermaßen zu pflegen. Busek betonte bei einem Besuch in Laibach im Juni 1990 »sein Interesse und jenes der österreichischen Regierung an einer positiven Entwicklung Jugoslawiens im allgemeinen und der Rep[ublik] Slowenien im besonderen«, wie das Generalkonsulat Laibach bilanzierte. »›Ihr Schicksal ist unser Schicksal‹« wurde als Schlagwort festgehalten, »[d]aher komme jetzt einer tatkräftigen Intensivierung der bilateralen Beziehungen u. a. mit der Rep[ublik] Slowenien ganz entscheidende Bedeutung zu. Wissenschaft und Kultur nehme[n] hiebei eine besondere Funktion ein.«211 1991 fanden diverse weitere Staatsbesuche sowie Kontakte auf Beamtenebene statt, im Rahmen derer über die Fortführung beziehungsweise eine Intensivierung der Kontakte zu den diversen Teilrepubliken beziehungsweise Nachfolgestaaten Jugoslawiens gesprochen wurde.212 Wenngleich sich Österreich in Bezug auf alle Gebiete gesprächsbereit zeigte, wurde deutlich, dass die intensivsten Kontakte weiterhin mit Slowenien und Kroatien gepflegt werden,213 was sich beispielsweise in der Realisierung von Sonderstipendienaktionen zeigte.214 Insgesamt zog das Außenministerium die Entwicklung der Kulturbeziehungen zu den ehemaligen kommunistischen Nachbarstaaten betreffend ein überaus positives Resümee: Hinsichtlich der Tschechoslowakei wurde von einem »quantitativen Sprung und […] einer starken Verdichtung der bilateralen Be-

211 Schreiben des ÖGK Laibach an das BMaA vom 15. Juni 1990, BMEIA, Kt. 101.06.02–101.14.06/1990/Kt. 56, Grundzahl 101.14.06-V/90, Zl. 101.14.06/6-V.1/90. 212 Vgl. u. a. Aktenvermerk des BMaA: Gespräch des HBM mit dem Präsidenten vom Mazedonien, Kiro Gligorov, am 18.11. in Wien, BMeiA, Kt. 101.13.02–101.21.04/1991/42, GZ 101.14.06-V/91, Zl. 101.18.41/2-II.3/91; Aktenvermerk des BMaA: Österreich – Bosnien und Herzegowina; Gespräch des HBM mit Präsident Izetbegovic und AM Silajdzic in Wien, 23. 11. 1991, BMeiA, Kt. 101.13.02–101.21.04/1991/42, Grundzahl 101.14.06-V/91, GZ 101.18.49/1-II.3/91; Telefax des ÖKI Agram an das BMaA vom 28. 2. 1991 betreffend Programm des Bürgermeister Dr. Helmut Zilk in Agram am 3. 3. 1991, BMeiA, Kt. 101.13.02–101.21.04/1991/42, GZ 101.14.06-V/91, Zl 3.00.00/18–91. 213 Aktenvermerk des BMAA: Gespräch des HBM mit dem Präsidenten vom Mazedonien, Kiro Gligorov, am 18.11. in Wien, BMeiA, Kt. 101.13.02–101.21.04/1991/42, GZ 101.14.06-V/91, Zl 101.18.41/2-II.3/91. 214 Vgl. Angewandte Nachbarschaftspolitik, Aufstellung vom 25. Oktober 1991, BMeiA, Kt. 101.13.02–101.21.04/1991/42, GZ 101. 17.03-V/91, Zl. 101.17.03/49-V.5/91; Schreiben des ÖKI Agram an das BMaA vom 8. Mai 1991, BMEIA, Kt. 101.13.02–101.21.04/1991/42, GZ 101.17.03/4-V.5/91; Besuch des kroat. Präsidenten Tudjman beim Herrn Bundesminister ; Follow-up Information der Sektion V; Dienstzettel an die Sektion II.3, BMeiA, Kt. 101.13.02–101.21.04/1991/42, GZ 101.14.06-V/91, Zl 101.14.06/16-V.1/91.

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ziehungen […] im kulturellen Bereich« gesprochen.215 Der Presse- und Kulturrat in der Österreichischen Botschaft Prag, Rainer Lustig-Leignitz, meinte nicht ohne Stolz in einem Schreiben an Stillfried: »Die kulturelle Präsenz Österreichs in der Tschechoslowakei hat heute eine Dichte und Intensität erreicht, um die uns andere Staaten mit weit größeren Finanzressourcen beneiden.«216 Auch die Beziehungen zu Ungarn entwickelten sich sehr gut. Im Hinblick auf die geplante, dann aber nicht realisierte Weltausstellung Wien-Budapest wurde neuerlich über ein »Österreich-Haus« diskutiert, das Wirtschaft, Politik und Medien verbinden sollte.217 Diese Pläne sollten jedoch ebenso scheitern wie die Weltausstellung. Realisiert wurde aber eine »Aktion Österreich-Ungarn« (ebenso wie eine »Aktion Österreich-Tschechoslowakei«), welche bis heute besteht und Aktivitäten in den Bereichen Forschung, Lehre und Unterricht fördert.218

VI.

Fazit und Ausblick

Der Kulturbereich galt im Kalten Krieg als wichtige Verständigungsebene. Österreich hat diesen genutzt, um die bilateralen Beziehungen zu seinen Nachbarstaaten unabhängig von deren Blockzugehörigkeit zu pflegen. Österreich hatte, wie das Außenministerium 1978 betonte, »sowohl aufgrund seiner geopolitischen Lage als auch durch seine Neutralität […] an einer kontinuierlichen Weiterentwicklung des Entspannungsprogramms ein eher noch stärkeres Interesse als andere Staaten. Österreich hat sich daher […] nicht darauf beschränkt eine passive Politik des nur ›richtig Liegens‹ zu führen, sondern hat sowohl bei der Gestaltung der bilateralen Beziehungen als auch im multilateralen Rahmen alles in seinen Möglichkeiten Stehende getan, zur Weiterentwicklung des Entspannungsprozesses […] beizutragen.«219

Gleichzeitig ist festzustellen, dass Österreich aufgrund verschiedener Umstände, wie die gemeinsame Vergangenheit, die Kenntnisse der Sprache und die Vertrautheit mit den Medien, während des Kalten Kriegs in vielen Ostblockstaaten ˇ SFR, 27. Mai 1991, BMeiA, 215 Offizieller Besuch des Herrn Bundeskanzlers in der C 35.13.01–35.17.01/1989/21, GZ 35.14.06-V/89, Zl. 35.14.06/12-V.1/91. 216 Telefax-Depesche von Rainer Lustig-Leignitz an das Außenministerium, z.Hd. Sektionsleiter Stillfried betreffend AZ-Artikel 18. 8. 1990 »Das Elend unserer Auslandskultur«, BMeiA, Kt. 35.11.01–35.13.02/1990/20, GZ 35.11.05-V/90, Zl. 35.11.05/11. 217 Schreiben der ÖB Budapest an das BMaA vom 10. 4. 1991, BMeiA, Kt. 222.07.02–222.17.01/ 1991/71, GZ 222.09.06-V/91, Zl. 222.09.06/3-V.6/91. 218 Vgl.: http://www.omaa.hu/indexde.htm (Zuletzt abgerufen am 19. November 2015); die »Aktion Österreich-Tschechoslowakei« wurde umgewandelt in eine »Aktion ÖsterreichTschechische Republik« und eine »Aktion Österreich-Slowakei«. 219 Außenpolitischer Bericht 1978, 5.

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sehr attraktiv war. Wie Peter Kampits meint, stellte Österreich für viele dieser Länder »das einzige ›Fenster zum Westen‹«220 dar. Der Status als neutraler Staat kam Österreich hinsichtlich der Entwicklung von Kooperationen zugute. 1989 nutzte Österreich die Gunst der Stunde und intensivierte sein kulturelles Engagement in seinen östlichen Nachbarstaaten. Dass die Auslandskulturarbeit Mock »ein sehr persönliches Anliegen«221 war, wie Martin Eichtinger und Helmut Wohnout meinen, hat diese Politik sicherlich befördert. Hinzu kam mit Stillfried ein engagierter Sektionschef,222 der schon vor 1989 die Weichen für ein stärkeres Engagement Österreichs in den Staaten des Ostblocks gestellt hatte. Die Schwerpunktsetzungen der österreichischen Auslandskulturpolitik änderten sich jedoch bald mit Blick auf die angestrebte EG-Mitgliedschaft, was ab den 1990er-Jahren zu einem verstärkten Engagement im westlichen Europa und in Nordamerika führte.223 Stärker als je zuvor fügt sich die Auslandskulturpolitik heute in die Bemühungen um eine europäische Einigung ein: Das neue Auslandskulturkonzept von 2011 sieht vor, »vom Grundsatz ›Einheit in der Vielfalt‹ aktiv an der Weiterentwicklung der europäischen Integration mit[zu]wirken«.224 Damit wurden auch die bilateralen Kulturbeziehungen zu den östlichen Nachbarstaaten in einen neuen Rahmen gestellt. Mit der Wende ergaben sich, wie Brix resümiert, »new chances for making even more use of traditional Austrian ›soft power‹ assets in the field of culture and heritage. […] For the first time since the end of the Habsburg Monarchy there was a clear rationale to concentrate cultural and public diplomacy efforts on the newly established democracies in transition in Central Europe, and later in the Balkans, and to build on long-term multinational traditions […] which had had little chance to come into play during during the time of ideological confrontations in Europe. […][A]t the same time cultural diplomacy became a major tool to redefine Austria’s position as a Central European country.«225

Damit bestätigt sich das Bild, dass die Auslandskulturbeziehungen immer stark von den Prämissen anderer Politikbereiche (und internationalen Entwicklungen, die das jeweilige Land betrafen, wie etwa die staatsrechtliche Anerkennung der DDR) geprägt waren. Selbst als es unter Kreisky zu einer Institutionalisie220 Peter Kampits, Die Wandlung in Ost- und Mitteleuropa als Herausforderung für die Österreichische Kulturaußenpolitik, in: Andreas Khol/Günther Ofner/Alfred Stirnemann (Hg.), Österreichisches Jahrbuch für Politik 1990, Wien 1991, 783–791, 784. 221 Martin Eichtinger/Helmut Wohnout, Alois Mock. Ein Politiker schreibt Geschichte, Wien–Graz–Klagenfurt 2008, 239. 222 Vgl. Interview der Verfasserin mit Christine Dollinger, Wien 30. August 2013. 223 Österreich–Slowenien; Besuch des Generalsekretärs für auswärtige Angelegenheiten, BMeiA, Kt. 101.13.02–101.21.04/1991/42, GZ 101.14.06-V/91, Zl 101.14.04/27-V/1/91; Brix, Austrian Cultural and Public Diplomacy, 96. 224 Auslandskulturkonzept 2011, 5 225 Brix, Austrian Cultural and Public Diplomacy, 95–96.

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rungswelle der Außenkulturkontakte in Form von Abkommen kam, stand die Kulturaußenpolitik »fest unter dem Primat der allgemeinen Außenpolitik«,226 wie auch Alexander Jehn resümiert. Die bilateralen Kulturaußenbeziehungen ˇ SSR, zu Jugoslawien und zu Ungarn waren damit durchaus zur DDR, zur C unterschiedlich gestaltet – Burkas Urteil, dass keine einheitliche Linie in der österreichischen Auslandskulturpolitik gegenüber den sozialistischen Staaten zu erkennen sei,227 ist zuzustimmen. Durchgängig ist jedoch, dass Österreich von Beginn der Zweiten Republik an um einen möglichst intensiven Kulturaustausch zu diesen Staaten bemüht war und bis heute ist. Die in den 1970er-Jahren erfolgte Institutionalisierung der Beziehungen durch Kulturinstitute und -abkommen prägen diese bis heute. Die Abkommen wurden mittlerweile vielfach ersetzt: 1999 wurde ein neues Abkommen mit der Russischen Förderation geschlossen.228 Mit der Slowakei wurde 2000 ein neues Abkommen geschlossen,229 mit der Tschechischen Republik im Jahr 2009.230 1997 wurde unter Bezug auf das 1973 abgeschlossene Abkommen mit der SFR Jugoslawien einvernehmlich festgelegt, dass es im Verhältnis zur Bundesrepublik Jugoslawien weiterhin gelten solle, und schließlich wurde auch ein dreijähriges Arbeitsprogramm ausverhandelt.231 Aktuell in Kraft sind darüber hinaus Kulturabkommen mit Kroatien,232 Mazedonien233 und Slowenien;234 im Rahmen des Abkommens von 1973 wurde außerdem eine Gemischte Österreichisch-Montenegrinische Kommission eingesetzt.235 2012 wurde schließlich auch ein Abkommen über die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation abgeschlossen.236 Die 1990 geführte 226 Jehn, Nachbarschaftspolitik, 649. 227 Vgl. Burka, Fenster in den Westen, 349–350. 228 Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Russischen Föderation über kulturelle Zusammenarbeit, BGBl. III 179/1999. 229 Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Slowakischen Republik über die Zusammenarbeit in den Bereichen der Kultur, der Bildung und der Wissenschaft samt Anhang, BGBl. III 170/2000. 230 Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Tschechischen Republik über die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur, Bildung, Wissenschaft, Jugend und des Sports, BGBl. III 38/2009. 231 Vgl. Außenpolitischer Bericht 1998, 233. 232 Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Republik Kroatien im Bereich der Kultur und der Bildung, BGBl. III 177/2005. 233 Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Republik Mazedonien über kulturelle Zusammenarbeit, III BGBl. 111/2011. 234 Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Republik Slowenien über die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur, der Bildung und der Wissenschaft, BGBl. III 90/2002. 235 Vgl. http://www.bmeia.gv.at/europa-aussenpolitik/auslandskultur/abkommen/liste-der-kulturabkommen/ (Zuletzt abgerufen am 25. November 2015). 236 Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der

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Diskussion um die Zweckmäßigkeit derartiger Abkommen237 wurde damit vom Außenamt klar entschieden. Mit der Bundesrepublik Deutschland wurde bis heute kein Abkommen geschlossen. In Berlin wurde aber 1991 an der Botschaft eine Kultureinrichtung gegründet, die 2001 in ein Kulturforum umgewandelt wurde.238

Russischen Föderation über die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, BGBl. III 70/2012. 237 Vgl. u. a. Dienstzettel an die Abteilung V.1 vom 16. Juni 1990, BMeiA, Kt. 101.06.02–101.14.06/ 1990/56, GZ 101.11.01-V/90, Zl. 101.11.01/3-V.1/90. 238 Vgl. Außenpolitischer Bericht 2001, 218.

BeiträgerInnen

Andrea Brait, MMag. Dr., Zeithistorikerin und Geschichtsdidaktikerin, Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Germanistik an der Universität Wien, Univ.-Assistentin (post-doc) am Institut für Zeitgeschichte bzw. am Institut für Fachdidaktik der Universität Innsbruck. Christian Forstner, Wissenschaftshistoriker, Studium der Physik und Promotion in Allgemeiner Wissenschaftsgeschichte an der Universität Regensburg, Fellow am MPI für Wissenschaftsgeschichte Berlin 2005, Postdoc am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien 2006, seit 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Projektleitung von DFG und EU-Projekten zur Geschichte der Kernphysik, Leiter des Fachverbandes Geschichte der Physik der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, Nachwuchspreis der Georg-Agricola-Gesellschaft 2007. Alexander Golovlev, Historiker, Studium der Geschichte an der Universität Moskau, 2012/13 wissenschaftlicher Aufenthalt am Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, PhD Researcher am Europäischen Hochschulinstitut Florenz. Maximilian Graf, Dr., Historiker, Studium der Geschichte an der Universität Wien, wissenschaftlicher Projektmitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, November/Dezember 2013 Chercheur associ8e am Centre Marc Bloch Berlin, 2014 Karl von Vogelsang-Staatspreis für Geschichte der Gesellschaftswissenschaften (Förderpreis), 2015 Dr. Alois Mock-Wissenschaftspreis 2015. Stefan Maurer, Mag., Literaturwissenschaftler. Projektmitarbeiter u. a. am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek (2008–2010) und Institut für Germanistik der Universität Wien (2010–2014), Austrian Ministry of Science Fellow am Center Austria in New Orleans (2014/15), Univ.-Ass. am Franz-Nabl-

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BeiträgerInnen

Institut für Literaturforschung der Universität Graz. Forschungsschwerpunkte u. a.: österreichische Literatur nach 1945. Agnes Meisinger, Mag., Zeithistorikerin, Studium der Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Wien, Projektmitarbeiterin am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, Redaktionsassistenz der Fachzeitschrift zeitgeschichte. Doris Neumann-Rieser, Mag., Germanistin mit Schwerpunkt Neuere deutsche Literatur und Kulturwissenschaft, Studium der Deutschen Philologie an der Universität Wien, bis 2014 wissenschaftliche Projektmitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Wien, 2015 externe Lehrende an der Universität Wien. Magdalena Reitbauer, MMag., Journalistin, Studium der Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien, 2013–2014 wissenschaftliche Projektmitarbeiterin am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Lukas Schemper, MA, Doktorand und Lehrassistent (2013–2015) am Graduate Institute of International and Development Studies in Genf mit Spezialisierung in Internationaler Geschichte, zuvor Masterstudium der Geschichte der Internationalen Beziehungen an Sciences Po Paris. Dort auch ma%tre de conf8rences (2014) und chercheur invit8 (2016), weiters visiting scholar an Columbia University (2015) und St. Anne’s College, Oxford University (2016).