Starke Mädchen, starke Jungen: Genderbewusste Pädagogik in der Kita 9783451328855


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Starke Mädchen, starke Jungen: Genderbewusste Pädagogik in der Kita
 9783451328855

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Petra Focks

Starke Mädchen, starke Jungen Genderbewusste Pädagogik in der Kita

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2016 Alle Rechte vorbehalten www.herder.de Umschlagkonzeption und -gestaltung: SchwarzwaldMädel, Simonswald Umschlagmotiv: Klara Killeit Fotos: Harald Neumann, Freiburg Gestaltung: post scriptum, Emmendingen / Hinterzarten Satz: Susanne Lomer, Freiburg Herstellung: Graspo CZ, Zlín Printed in the Czech Republic ISBN 978-3-451-32885-5

Inhalt Einleitung .......................................................................................................................................... 9

1

Geschlechtersymbolik – Stereotype und tatsächliche Vielfalt

1.1

Wie die Geschlechtersymbolik unsere Wahrnehmung beeinflusst ................................. 17

1.2

Wie Geschlechterstereotype die (kindliche) Entwicklung einschränken ......................... 20

1.3

Empfehlungen zur Verankerung einer genderbewussten Pädagogik .............................. 22

1.4

Anregungen zur Sensibilisierung (Selbst- und Teamreflexion) ........................................ 24

2

Geschlecht als gesellschaftliches Strukturprinzip

2.1

Wie Geschlecht als Ordnungsprinzip für die gesellschaftliche Arbeits(ver)teilung wirkt ....................................................................................................... 29

2.2

Wie soziale Ungleichheiten im Elementarbereich sichtbar werden ................................. 31

2.3

Empfehlungen zur Verankerung einer genderbewussten Pädagogik .............................. 33

2.4

Fragebogen zum Gender-Wissen (Gender-Quiz) ................................................................ 35

3

Individuelle Geschlechtsidentitätskonstruktionen

3.1

Wie wir Männlichkeiten und Weiblichkeiten herstellen: Risiken von »doing gender«-Prozessen für Kinder ................................................................................. 43

3.2

»Doing gender«-Prozesse auf der Ebene der pädagogischen Fachkräfte ......................... 46

3.3

Empfehlungen zur Verankerung einer genderbewussten Pädagogik .............................. 48

4

Rechtliche Grundlagen

4.1

UN-Menschenrechtskonvention, CEDAW, UN-Kinderrechtskonvention und UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen .............................. 52

4.2

Grundgesetz der BRD, Kinder- und Jugend-hilfegesetz, Allgemeines Gleichstellungsgesetz, Recht auf körperliche Unversehrtheit und Personenstandsrechts-Änderungsgesetz ..................................................................... 59

4.3

Zusammenfassung rechtlicher Grundlagen für eine genderbewusste Pädagogik ............................................................................................................................... 63

5

Geschlecht im Spiegel der Kulturen, Epochen und Diskurse

5.1

Vielfältige Geschlechter im Wandel der Zeit und der Kulturen ....................................... 67

5.2

Die Trennung von biologischem und sozialem Geschlecht .............................................. 69

5.3

Natur oder Kultur: Die Entnaturalisierung von Sex ........................................................... 74

5.4

Anregungen für die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen theoretischen Perspektiven ................................................................................................... 85

6

Geschlecht im Spiegel der individuellen Entwicklung von Kindern

6.1

Sozialisation und Habitus ..................................................................................................... 89

6.2

Chancen und Risiken einer geschlechtstypischen Entwicklung ...................................... 90

6.3

Anregungen zur Selbst- und Gruppenreflexion ................................................................. 94

7

Fachliche Orientierungen genderbewusster Pädagogik

7.1

Ebenen und Ziele genderbewusster Pädagogik .................................................................. 97

7.2

Gender- und Inklusionskompetenz als Querschnittsaufgabe ........................................... 99

7.3

Inhalte für Ausbildung, Studium, Fort- und Weiterbildung ........................................... 100

7.4

Gender Mainstreaming ....................................................................................................... 101

7.5

Leitfaden zur Umsetzung von genderbewusster Pädagogik ........................................... 103

8

Genderbewusste Pädagogik als Chance für Bildungsprozesse in der Kindheit

8.1

Bildung als lebenslanges Lernen und Aneignung ........................................................... 111

8.2

Bildung als Entwicklung von Lebenskompetenzen ......................................................... 111

8.3

Bildung als Voraussetzung für Teilhabe und Inklusion .................................................. 112

8.4

Genderbewusste Begleitung von (Selbst-)Bildungsprozessen von Kindern .................. 116

8.5

Empfehlungen zur Reflexion um Bildungsprozesse für alle Kinder zu fördern ............................................................................................................................. 119

9

Bildungsbereich Partizipation

9.1

Ziele von und Voraussetzungen für Partizipation ............................................................ 125

9.2

Leitfaden für die Umsetzung von Partizipation im Kindergartenalltag ........................ 129

9.3

Empfehlungen zur Umsetzung von genderbewusster Partizipation ............................. 131

10 Bildungsbereich Konfliktlernen 10.1 Mädchen* streiten anders und Jungen* auch: Geschlechterzuschreibungen und »doing gender«-Prozesse .......................................... 135 10.2 Leitfaden zum Umgang mit Konflikten unter Kindern als Chance für soziales Lernen .............................................................................................................. 138 10.3 Empfehlungen, Aktionen und Projekte zur Umsetzung von genderbewusstem Konfliktlernen ...................................................................................... 140

11 Bildungsbereich Sexualität und Sexualpädagogik 11.1 Entwicklungsphasen kindlicher Sexualitäten ................................................................... 147 11.2 Konstruktion von Sexualitäten ........................................................................................... 149 11.3 Leitfaden für eine genderbewusste Sexualpädagogik ...................................................... 150 11.4 Praktische Anregungen für eine genderbewusste Sexualpädagogik ............................ 153

12 Bildungsbereich Körper und Bewegung 12.1 Jungen* dürfen wild sein und Mädchen* auch: Tradierte Geschlechtersymbole und »doing gender«-Prozesse ....................................... 156 12.2 Leitfaden für eine genderbewusste Körperwahrnehmung und Bewegungserziehung .......................................................................................................... 160 12.3 Praktische Anregungen, Aktionen und Spiele für eine genderbewusste Körperwahrnehmung und Bewegungserziehung ........................................................... 162

13 Bildungsbereich Naturwissenschaften, Technik und Mathematik 13.1 »Mathematik ist männlich und Lesen weiblich«: Zuschreibungen und »doing gender«-Prozesse ............................................................................................. 169 13.2 Prinzipien und Empfehlungen für eine genderbewusste naturwissenschaftliche, mathematische und technische Bildungsarbeit ...................... 170 13.3 Anregungen und Aktionen um Bildungsprozesse im Bereich Mathematik und Technik genderbewusst zu fördern ...................................................... 173

Anhang Literatur ................................................................................................................................ 175 (Internet-)Quellen zum Genderfragenbogen .................................................................... 188 Kinderbücher ....................................................................................................................... 189 Weitere Informationen und Materialien ............................................................................ 190 Titelliste zum Medienkoffer ............................................................................................... 191

Einleitung Warum wird das durch die Räume tobende Kind für einen Jungen gehalten? Warum statten Eltern milieuübergreifend ihre Kinder häufig geschlechtstypisch mit Kleidung,Spielwaren und anderem aus? Warum zeigen Kinder gerade im Kindergartenalter ein sehr geschlechtstypisches Verhalten? Warum gibt es nach wie vor weniger Frauen* in Führungspositionen, warum so wenige Männer* als Erzieher in Kitas? Geschlecht ist verwoben in alle Lebensbereiche. Wir finden Geschlechtersymbole und Geschlechterstereotype überall vor. Sie sind in gesellschaftliche Strukturen und in Organisationen eingeschrieben und sie beeinflussen die Geschlechtsidentitätsentwicklung von Kindern maßgeblich. Wenngleich viele Eltern ihre Kinder heutzutage nicht geschlechtstypisch erziehen und pädagogische Fachkräfte Kinder gleich behandeln wollen, zeigen Studien, dass sie sich vielfach in ihrem Erziehungsverhalten an tradierten Geschlechterbildern orientieren. Wie ist dies zu erklären? Alle Menschen, die in dieser Kultur aufgewachsen sind und leben, sind beeinflusst und geprägt von den allgegenwärtigen Symbolen, Strukturen und Identitätskonstruktionen von Geschlecht. Wie die Gesellschaft aufgebaut und strukturiert ist, Verhaltensweisen, Gefühlsäußerungen, Spielmaterial und vieles mehr ist »vergeschlechtlicht«. Wir sind unausweichlich damit konfrontiert. Wenn wir uns nicht bewusst und reflektiert damit auseinandersetzen, reproduzieren wir meist die vorherrschenden Geschlechterverhältnisse, ob wir wollen oder nicht. Dies führt jedoch häufig zu einer Einschränkung der Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern auf das, was jeweils als »weiblich« oder als »männlich« gilt und behindert individuelle Bildungsprozesse in der frühen Kindheit. Außerdem führen die herrschenden Geschlechterverhältnisse immer wieder zur Ausgrenzung von Kindern, die den geschlechtstypischen Vorgaben nicht entsprechen. Und Kinder, die geschlechtlich nicht einfach nur als entweder »weiblich« oder »männlich« verortet sind, stehen vor außerordentlichen Herausforderungen, ihren Platz in einer zweigeschlechtlich strukturierten Gesellschaft zu finden. Die vorherrschende Geschlechterkonstruktion birgt außerdem soziale Ungleichheiten wie beispielsweise die ungleiche Bezahlung von Frauen* und Männern* und die Abwertung sozialer Berufe. Daher hat sich immer mehr die Erkenntnis durchgesetzt, dass wir bereits im Elementarbereich eine genderbewusste Pädagogik brauchen. Denn in dieser Zeit werden wesentliche Impulse gesetzt für den Erwerb der geschlechtlichen Identitäten. Hier werden die Weichen dafür gestellt, ob Kinder ihre Geschlechtsidentitäten auf eine Weise ausgestalten können, die ihren individuellen Fähigkeiten und Interessen entsprechen. Denn Kinder setzen sich aktiv mit der sie umgebenden Umwelt und damit auch mit den Geschlechterverhältnissen auseinander. Kinder experimentieren gerade im Kindergartenalter mit den Präsentationsweisen von »Weiblichkeit« und »Männlichkeit« in unserer Kultur und setzen diese zu sich selbst in Beziehung. Daher ist es notwendig, Kinder bei dieser Erprobung kritisch zu begleiten. Denn vor allem die älteren Kindergartenkinder inszenieren die Geschlechterverhältnisse besonders rigide und provozieren immer wieder Situationen, in denen sie sich von anderen ihr Geschlecht bestätigen lassen. Wenn Kinder nicht darin bestärkt werden, ihr So-Sein auszuleben, wie es ihnen entspricht, wenn ihnen keine Spielräume in der Identitätsentwicklung ermöglicht und keine Alternativen

10

Einleitung

zur herkömmlichen Geschlechtersymbolik geboten werden, orientieren sie sich häufig an den traditionellen Geschlechterkonstruktionen. Dies führt zu Einschränkungen der Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern und wirkt sich oft negativ auf die Entwicklung aus. Wenn Kinder in einigen Bereichen weniger und in anderen mehr gefördert werden, weil beispielsweise Lesen als weiblich und Mathematik als männlich gilt, können sie in den entsprechenden Bereichen weniger ihre Fähigkeiten entwickeln. Wenn Kinder sich am Habitus des tobenden, unangepassten und widerständigen Jungen* orientieren, verspricht dies zwar Anerkennung (vor allem von anderen Kindern), führt jedoch vielfach zu Anpassungsproblemen und Konflikten in Kita, Hort und Schule. Die Kinder begeben sich damit auf einen schmalen Grat zwischen »bewundert werden und nerven«. Dies kann sie leicht zu ausgegrenzten Störenfrieden machen (Faulstich-Wieland 2010, S. 9). Auch überschätzen manche Kinder ihre körperlichen Möglichkeiten und riskieren nicht nur Schrammen, sondern sogar Verletzungen, um dem vorherrschenden Männlichkeitskonstrukt vom »starken Jungen« zu genügen. Sie lernen dadurch, dass Angst und Schwäche »nicht zu Jungen gehören«. Dies kann dazu führen, dass sie diese Gefühle für sich ablehnen. Wenn Kinder ihre Bedürfnisse nach Aktivität oder raumgreifendem Verhalten nicht ausleben, weil »Mädchen eben nicht so sind«, werden ihre Entfaltungsmöglichkeiten eingeschränkt. Ihre Aggressionen und auch ihre Konfliktbewältigungsversuche richten sich bei einigen Kindern zunehmend »nach innen«, teilweise sogar gegen den eigenen Körper. Sie lernen eher sich anzupassen als sich selbst zu behaupten. Auch andere Aspekte des gegenwärtig herrschenden Weiblichkeitskonstruktes können sich negativ auf die Entwicklung von Kindern auswirken: Wenn Kinder sich beispielsweise bereits im Kindergartenalter mit Schlankheitsidealen und Diäten beschäftigen, besteht die Gefahr, dass sie ein gestörtes Essverhalten entwickeln. Diese und andere geschlechtstypische soziale Praktiken versprechen Anerkennung in der Gleichaltrigengruppe und werden – ungewollt – vielfach von Erwachsenen unterstützt. Viele Kinder neigen glücklicherweise dazu, vorgegebene Geschlechterkonstruktionen zu überschreiten, wenn sie merken, dass diese nicht ihren Interessen entsprechen. Kinder, die sich nicht geschlechtstypisch verhalten, werden jedoch häufig verunsichert und herabgewürdigt. Grundlage einer geschlechter- bzw. genderbewussten Pädagogik ist es daher, Kinder – unabhängig von Geschlechterstereotypen – in ihrer Individualität zu fördern und geschlechtstypische (ungesunde und einschränkende) soziale Praktiken bei den Kindern aufzudecken und diese Prozesse des »doing gender« kritisch zu begleiten. Dabei ist der Einfluss der Geschlechterkonstrukte oft nicht leicht zu durchschauen, weil sie auf unterschiedlichen Ebenen wirken, die miteinander verknüpft sind und einander wechselseitig durchdringen. Veränderungsansätze und pädagogische Konzepte wirken daher wenig nachhaltig, wenn sie nur auf einzelnen Ebenen ansätzen. Die Wirkmacht der herrschenden Geschlechterverhältnisse ist nur zu verstehen (Analyseebene) und zu beeinflussen (Veränderungsebene), wenn wir verschiedene Ebenen zugleich beachten. Es sind vor allem drei Ebenen, die hier eine wesentliche Rolle spielen (»Geschlechter-Dreieck«). Neben der »Geschlechtersymbolik« (für Kinder über Symbole zu Männlichkeit und Weiblichkeit und Geschlechterstereotype erlebbar) und dem »Geschlecht als Strukturprinzip« (für Kinder vor allem über die Arbeitsteilung der Geschlechter und ein Modelllernen erlebbar) sind hier

11

Einleitung

als dritte Ebene die individuellen Geschlechtsidentitätskonstruktionen und die Prozesse des »doing gender« zu nennen (also wie Menschen jeweils »Männlichkeiten« und »Weiblichkeiten« im Alltag aktiv herstellen) (vgl. auch Reimann 2002, S. 9; Focks 2002, S. 12–28).

Ebenen des Geschlechter-Dreiecks Geschlechtersymbolik (u. a. Geschlechterstereotype)

Geschlecht als Strukturprinzip (u. a. Arbeitsteilung der Geschlechter)

Individuelle Geschlechtsidentitätskonstruktionen (u. a. »doing gender« von Kindern und Erwachsenen)

Vor allem die Ebene der individuellen Geschlechtsidentitätskonstruktionen (»doing gender«) wird leicht vernachlässigt. So zeigen Kinder nicht nur ihre Spielinteressen, wenn sie mit Autos oder mit Puppen spielen, sondern zugleich konstruieren sie »Männlichkeit« und »Weiblichkeit«. Indem sie beispielsweise vor allem bauen, Fußball spielen oder toben zeigen sie, dass sie »Jungen sind« und indem sie sorgen, pflegen und mit Puppen spielen, dass sie »Mädchen sind«. Geschlecht ist jedoch nur ein Merkmal der individuellen Identitätskonstruktionen von Kindern. Die Lebenswelten von Kindern sind immer auch beeinflusst von ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Altersgruppe, Kultur, Ethnie oder einem sozialen Milieu. Sie werden als Angehörige dieser Gruppen betrachtet und definieren sich selbst in diesem Geflecht von Zugehörigkeiten. So konstruieren wir »Weiblichkeit« oder »Männlichkeit« in verschiedenen Altersgruppen, Kulturen oder sozialen Milieus unterschiedlich. Beispielsweise ist es in einigen Kulturen alltägliche Praxis, dass Männer* sich umarmen oder an der Hand halten, in anderen gilt es als »unmännlich«. Es ist daher notwendig, das Thema Geschlecht weder zu banalisieren noch zu dramatisieren. Geschlecht ist eines von verschiedenen Aspekten der Identitätskonstruktionen von Kindern und von ungleichheitsrelevanten Faktoren. Um allen Kindern die gleichen Bildungschancen zu ermöglichen und um Inklusion zu fördern, müssen die unterschiedlichen Faktoren immer in Verknüpfung miteinander (intersektional) betrachtet werden.1 Genderbewusste Pädagogik ist der Oberbegriff für einen reflektierten Umgang mit Geschlecht und Geschlechterkonstruktionen auf der Ebene der Kinder, der Erziehungsberechtigten, der

1 In Anlehnung an Sandra Harding (1991, S. 53ff.) haben Nina Degele und Gabriele Winker (2007, S. 3ff.) Intersektionalität als Mehrebenenanalyse entwickelt.

12

Einleitung

pädagogischen Fachkräfte und der Einrichtung. Grundlage ist die Wertschätzung der tatsächlichen (geschlechtlichen) Vielfalt und Individualität von Kindern unter Berücksichtigung vorhandener sozialer Ungleichheiten in den Geschlechterverhältnissen. Diese doppelte Blickrichtung, Kinder sowohl als Angehörige ihrer Geschlechtergruppe als auch in ihrer Einzigartigkeit mit ihren individuellen Stärken und Interessen zugleich zu betrachten, ist grundlegend für eine genderbewusste Pädagogik. Dabei geht es nicht nur um mehr oder gleiche Chancen, sondern immer auch um soziale Gerechtigkeit, Inklusion und die Umsetzung der Kinderrechte.

Genderbewusste Pädagogik Das Ziel geschlechter- bzw. genderbewusster Pädagogik ist es, Kinder – jenseits von Geschlechterklischees – in ihren individuellen Interessen und Fähigkeiten zu fördern. Es geht darum sie bei der Ausgestaltung ihrer individuellen Geschlechtsidentitäten zu unterstützen – unabhängig von den jeweils herrschenden Vorstellungen vom »richtigen Mädchen« und »richtigen Jungen«. Geschlechterbewusste Pädagogik beruht auf einer Haltung, die auf der Anerkennung vielfältiger Lebensweisen basiert und Chancengerechtigkeit und Inklusion betont.

Durch die Allgegenwärtigkeit und die stetige Präsenz, mit der Geschlecht in Symbolen und Strukturen verwoben ist, scheint es uns natürlich, selbstverständlich und normal. Und auch die Darstellung von »Männlichkeit« und »Weiblichkeit« erfolgt so routiniert, dass diese für die Beteiligten und für Beobachter*innen selbst als solche meist unerkannt bleiben. Daher geht es in den ersten drei Kapiteln des Buches darum, die Konstruktion der Geschlechterverhältnisse auf allen Ebenen als solche sichtbar zu machen (zu rekonstruieren) und anzuregen, wie eine geschlechterbewusste Pädagogik umgesetzt werden kann (zu dekonstruieren). Im ersten Kapitel erfahren Sie dazu, welchen Einfluss Geschlechterstereotype haben und wie sie die Entfaltungsmöglichkeiten und die Entwicklung von Kindern einschränken. Sie erhalten Anregungen zur Sensibilisierung und konkrete Empfehlungen, wie eine genderbewusste Pädagogik zur Vermeidung von Geschlechterzuschreibungen umgesetzt werden kann. Im zweiten Kapitel geht es darum, wie das soziale Leben auf der Grundlage der Geschlechterverhältnisse organisiert und strukturiert ist und welche Chancenungleichheiten sich daraus für den Kitabereich ergeben. Sie erhalten dazu eine Handreichung zur Sensibilisierung für die herrschenden Geschlechterverhältnisse in den unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbereichen (Gender-Quiz mit vielen statistischen Daten und Zahlen zum Einstieg in das Thema). Darauf aufbauend widmet sich das Buch im folgenden Kapitel der dritten Ebene des GeschlechterDreiecks, d. h. wie »Männlichkeiten« und »Weiblichkeiten in der alltäglichen Interaktion aktiv hergestellt werden. Dabei werden sowohl die Phasen der individuellen Geschlechtsidentitätsentwicklung dargestellt als auch die unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten. Sie erfahren, welche Risiken

Einleitung

13

es birgt, wenn Kindern keine Spielräume in der Geschlechtsidentitätsentwicklung eingeräumt werden und Sie erhalten Empfehlungen zur Verankerung einer genderbewussten Pädagogik. Eine genderbewusste Pädagogik wird im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe jedoch nicht nur gebraucht, sondern wir sind auch rechtlich dazu beauftragt. Im vierten Kapitel erfahren Sie, welche gesetzlichen Grundlagen zu einer genderbewussten Pädagogik verpflichten und was gesetzliche Grundlagen für Kindertageseinrichtungen und die pädagogische Arbeit mit Kindern bedeuten. Dazu erhalten Sie einen Überblicksplan zu den rechtlichen Grundlagen und weiterführende Literatur und methodische Anregungen zum Thema Menschen- und Kinderrechte. Jegliches pädagogisches Handeln wird von unseren theoretischen Vorannahmen mit bestimmt. Je nachdem, welches Bild wir von »Männlichkeit« und »Weiblichkeit« und dem Geschlechterverhältnis haben, werden wir unterschiedliche Akzente in unseren pädagogischen Herangehensweisen setzen. Aus diesem Grund widmet sich das fünfte Kapitel der Frage, wie sich Geschlecht in den Vorstellungen, den Strukturen und dem Erleben von Menschen im Wandel der Zeit verändert hat und welche Vorstellungen es in verschiedenen Kulturen gibt. Sie erfahren, welche theoretischen Annahmen und Diskurse zu Geschlecht es gibt und was diese jeweils für die pädagogische Praxis bedeuten. Denn nur so ist es möglich eine eigene reflektierte pädagogische Haltung zu entwickeln. Sie erhalten eine Zusammenfassung der verschiedenen Diskurse und Anregungen für die kritische Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Perspektiven im Team, in der Fort- und Weiterbildung und in Ausbildung und Studium. Im sechsten Kapitel erfahren Sie, wie sich Kinder geschlechtstypische soziale Praktiken aktiv aneignen und welche Gewinn- und Verlustseiten eine geschlechtstypische Sozialisation birgt. Zugleich erfahren Sie, dass eine geschlechtstypische Sozialisation Entfaltungsmöglichkeiten einschränkt, zu sozialen Problemen und zu Ausgrenzung von Kindern führen kann. Im folgenden siebten Kapitel geht es um die fachlichen Orientierungen einer genderbewussten Pädagogik; um die Ebenen der Umsetzung, die Ziele und Arbeitsformen. Sie erfahren, was Genderkompetenz ist, welche Rolle das Geschlecht der pädagogischen Fachkräfte spielt und wie eine geschlechterbewusste Pädagogik im Berufsalltag umgesetzt werden kann. Es geht außerdem um Gender Mainstreaming. Und Sie erfahren, welche Inhalte für Ausbildung, Studium, Fort- und Weiterbildung notwendig sind. Seit einigen Jahren gelten Kindertageseinrichtungen als Orte umfassender Bildung mit einem expliziten Bildungsauftrag. Damit Kindertageseinrichtungen Bildung für alle Kinder – unabhängig von ihrer Geschlechtszugehörigkeit – gewährleisten, müssen sie sich der Frage stellen, wie sie die Teilhabe aller Kinder ermöglichen können. Bei diesem inklusiven Bildungsverständnis geht es darum alle Kinder wahrzunehmen, zu fördern und zu beteiligen; mit ihren unterschiedlichen Stärken und Schwächen, ihren Interessen und Bedürfnissen, ihren sozialen (Mehrfach-)Zugehörigkeiten und Lebenswelten. Im achten Kapitel erfahren Sie, wie Bildungsprozesse durch soziale Ungleichheiten behindert werden. Darauf auf bauend geht es darum, wie in Kindertageseinrichtungen (Selbst-)Bildungsprozesse und die selbsttätige Aneignung von Welt gefördert werden können. Sie erfahren außerdem, wie in den Bildungsplänen der Länder

14

Einleitung

für Kita und Kindertagespflege genderbewusste Pädagogik thematisiert wird. Sie erhalten in diesem Kapitel außerdem Empfehlungen, um Bildungsprozesse für alle Kinder zu fördern und bekommen Anregungen und Methoden zur Selbst- und Teamreflexion. Genderbewusste Pädagogik ist eine Querschnittsaufgabe für alle Bildungsbereiche. Dabei geht es nicht darum, spezifische Angebote für jeden Bildungsbereich zu entwickeln; dies birgt eher die Gefahr der Dramatisierung von Geschlecht. Die Herausforderung ist vielmehr, alle Bildungsbereiche daraufhin zu betrachten, inwiefern sie einschränkende Geschlechterkonstruktionen eher stabilisieren oder aber eine kritische Auseinandersetzung und Veränderung fördern. In den folgenden Kapiteln werden ausgewählte Bildungsbereiche in dieser Weise genderbewusst reflektiert. Sie erhalten für jeden Bildungsbereich jeweils einen Leitfaden zur Umsetzung und zusätzlich konkrete Anregungen, Aktionen, Spiele und Projekte für die Praxis in Kita und Hort sowie für Ausbildung und Studium, Fort- und Weiterbildung. Dabei geht es darum, wie Partizipation genderbewusst umgesetzt werden kann (Kapitel 9), wie wir mit Konflikten in der Kita umgehen und wie Konfliktlernen umgesetzt werden kann (Kapitel 10). Außerdem geht es um den Bildungsbereich Sexualität und die Umsetzung einer genderbewussten Sexualpädagogik (Kapitel 11). Da sich kindliche Bewegungsaktivierung vielfach an einschränkenden tradierten Geschlechterbildern orientiert, geht es darum, wie Bewegungserziehung und Körperwahrnehmung genderbewusst gestaltet werden kann. Ebenso für den Bildungsbereich Körper und Bewegung erhalten Sie einen Leitfaden und praktische Anregungen, Aktionen und Spiele (Kapitel 12). Abschließend werden für den Bildungsbereich Mathematik, Naturwissenschaften und Technik Empfehlungen zur Umsetzung einer genderbewussten Pädagogik skizziert (Kapitel 13). Auch über Sprache werden Vorstellungen von Normalität transportiert und Menschen ausgegrenzt. Bei einer genderbewussten Pädagogik wird daher immer die Geschlechtervielfalt mitgedacht. Durch das Gender-Sternchen (*) wird betont, dass alle Geschlechter gemeint sind, aber auch, dass geschlechtliche Identität über das biologische Geschlecht hinausgeht und biologisches Geschlecht und geschlechtliche Identität nicht immer übereinstimmen müssen. Die einzelnen Kapitel des Buches sind aufeinander aufgebaut, aber auch unabhängig nutzbar für die Bearbeitung einzelner Themenschwerpunkte, für Seminare in Ausbildung und Studium sowie Fort- und Weiterbildung. Sie enthalten jeweils Zusammenfassungen, Anregungen zur Reflexion und zur praktischen Umsetzung, die als Kopiervorlagen genutzt werden können. In der Verbindung aus Theorie und Praxis, Information und Reflexion und zugleich konkreten Empfehlungen und praktischen Anregungen zur Umsetzung richtet sich das Buch an pädagogische Fachkräfte in Kindergarten, Kindertagesstätte und Hort, an Fachberater*innen, Mitarbeiter*innen bei Trägern, Lehrer*innen und Schüler*innen von Fachschulen, Lehrende und Studierende und Sozialpädagog*innen in Fort- und Weiterbildung. Es richtet sich an all jene, die sich auf den spannenden Prozess einlassen wollen, Kinder in ihrer Vielfalt und in ihren Stärken wahrzunehmen und wertzuschätzen und sich für Inklusion einzusetzen.

1. Geschlechtersymbolik – Stereotype und tatsächliche Vielfalt

In diesem Kapitel erfahren Sie – dass Geschlechterstereotype und Alltagstheorien bereits unsere Wahrnehmung beeinflussen – dass Geschlechterstereotype kultur- und zeitspezifisch sind – dass Geschlechterstereotype Entfaltungsmöglichkeiten und Bildungsprozesse einschränken und zu sozialen Ungleichheiten führen können – dass Kinder Geschlechterstereotype aktiv in ihre Wirklichkeitskonstruktion einbauen

In diesem Kapitel erhalten Sie – Empfehlungen, wie eine genderbewusste Pädagogik in Bezug auf Symbole und Stereotype umgesetzt werden kann – Anregungen zur Sensibilisierung (Selbst- und Teamreflexion)

»Jeder und jede hat ganz eigene Eigenschaften und vielfältige Interessen. Jeder und jede kann etwas anderes gut. Viele sagen dann: ›Typisch Mädchen‹ oder ›Typisch Junge‹. Das nennen wir ›Jemanden in eine Schublade stecken‹, aber überleg doch mal! Passt ein Kind in eine Schublade? Na also!« (aus dem Kinderbuch »Mädchen oder Junge« von Kadasch & Dritter 2009) Geschlechtersymbolik erklärt, wie Männlichkeit und Weiblichkeit bzw. Geschlechterverhältnisse in der jeweiligen Gesellschaft definiert werden. Man sollte meinen, dass heutzutage kaum noch Geschlechterstereotype unsere Gesellschaft prägen – die Realität sieht aber anders aus. Frauen*, die studieren und Karriere machen, oder Männer*, die Elternzeit nehmen, sind keine Seltenheit mehr, die Symbolik der »geschlechtstypischen« Aufgaben und Verhaltensweisen hat sich jedoch vielfach noch nicht geändert und beeinflusst unser Denken und Handeln. Besonders gravierend sind die Auswirkungen der allgegenwärtigen Symbolik von Weiblichkeit und Männlichkeit und von Geschlechterstereotypen auf kleinere Kinder. Kinder sind in ihren Lebenswelten von Anfang an überall mit Stereotypen konfrontiert, in der Familie, in der Kindertagesstätte, im Kontakt mit anderen, über Spielwaren, Kinderbücher und andere mediale Einflüsse. Vielfach unbemerkt filtern Kinder tagtäglich Informationen über »Männlichkeit«, »Weiblichkeit« und die Geschlechterverhältnisse aus der Umwelt heraus. Sie entnehmen ihrer Umwelt diese Botschaften – Botschaften, die Erwachsene häufig nicht (mehr) bewusst wahrnehmen –, all diese Symbole haben eine Bedeutung für sie. Kinder lernen aktiv, sie beobachten aufmerksam, was in ihren Lebenswelten geschieht. Sobald Kinder unterschei-

1.1 Wie die Geschlechtersymbolik unsere Wahrnehmung beeinflusst

17

den können, erfahren sie, dass Unterschiede bewertet werden. Bei den kleineren Kindern bezieht sich dies zunächst auf äußere Aspekte, z. B. das Aussehen. Kinder übernehmen Stereotype und Verhaltenstypisierungen aus dem, was sie in ihren Lebenswelten erfahren, sehen, hören, erleben. »Sie ziehen ihre eigensinnigen Schlüsse daraus und zeigen zuweilen, wie die gesellschaftlichen Ungleichheitsverhältnisse Eingang in ihre Konstruktionen von Weltwissen finden« (Wagner 2013, S. 28). Durch die Deutung und Verarbeitung ihrer Lebenswelt bildet sich dabei ein vorreflexives Geschlechterwissen (vgl. Wetterer 2008, S. 39ff.). Dieses Wissen strukturiert wiederum die Wahrnehmung und diese wiederum die Wirklichkeitskonstruktion von Kindern. Denn Kinder nehmen Stereotype anders wahr als Erwachsene, sie können die Verallgemeinerungen und Verzerrungen noch nicht erkennen und binden die Stereotype aktiv in ihre Wirklichkeitskonstruktionen ein. Sie konstruieren Geschlecht anhand der Geschlechterstereotype und Verhaltenstypisierungen. Kinder lernen dabei, dass es beim Geschlecht nur ein »entweder – oder« gibt und sie erfahren, was beim jeweiligen Geschlecht überwiegend als »normal« oder als »abweichend« bewertet wird. Diese frühen Botschaften über Geschlechtszugehörigkeiten und andere soziale Identitäten wie kulturelle oder ethnische Herkunft fördern oder behindern die Entfaltungsmöglichkeiten und frühe Bildungsprozesse von Kindern.

1.1

Wie die Geschlechtersymbolik unsere Wahrnehmung beeinflusst

Die Wahrnehmung, was »typisch weiblich« oder »typisch männlich« ist, ist – mehr oder weniger unbewusst – im Denken verankert. Das festigt sich im Umgang mit Kindern und beeinflusst diese für ihr Leben. Dass wir bestimmte Eigenschaften bei Kindern als typisch für Mädchen oder Jungen einstufen, hat Auswirkungen auf deren weitere Entwicklung. Bereits bei Säuglingen werden bestimmte Verhaltensmuster dieser Geschlechterdualität zugeordnet.

Die Baby-X-Experimente Bei den sogenannten »Baby-X-Experimenten« wurde Versuchspersonen ein und dasselbe Baby gezeigt. Beide Gruppen wurden gebeten, Verhaltensweisen und Eigenschaften des Kindes zu beschreiben. Dabei wurde der einen Gruppe die Information gegeben, bei dem Kind handle es sich um ein Mädchen, der anderen wurde gesagt, dass es ein Junge sei. In den anschließenden Beschreibungen der Gruppen ergaben sich große Unterschiede. Während die eine Gruppe das Kind (»Mädchen«) als fröhlich und ruhig darstellte, beschrieb die andere Gruppe dasselbe Kind (»Junge«) als zornig und eher unruhig (Seavy, Katz & Rosenberg 1975, S. 103ff.).2

2

Die sog. Baby-X-Experimente gehen zurück auf zwei Studien der Psychologin Phyllis A. Katz.

18

1. Geschlechtersymbolik – Stereotype und tatsächliche Vielfalt

Diese und viele weitere Studien veranschaulichen, wie anders Erwachsene ein Kind wahrnehmen, abhängig davon, ob sie es für ein Mädchen oder einen Jungen halten. Es wird deutlich, dass Geschlechterstereotype nicht nur unser Verhalten, sondern bereits unsere Wahrnehmung beeinflussen. Sie verstellen unseren Blick für das wirkliche Verhalten von Kindern in ihrer Einmaligkeit und tatsächlichen Vielfalt. Im Alltag werden die angenommenen Geschlechterunterschiede vielfach zum Anlass genommen, an das Verhalten von Kindern unterschiedliche Erwartungen zu stellen und sie unterschiedlich zu erziehen. Jeweils herrschende Klischeevorstellungen vom typischen Mädchen und vom typischen Jungen werden bestätigt und sogar verstärkt (vgl. Focks 2011a, S. 74).3 Die eindimensionale Betrachtung von »den Jungen« oder »den Mädchen« verdeckt den Blick auf die tatsächliche Vielfalt und Unterschiedlichkeit von Kindern. Je nach Perspektive sind Jungen entweder aktiv und durchsetzungsfähig oder laut, wild und rücksichtslos. Mädchen sind entsprechend einfühlsam und sozial kompetent oder eben »zickig«, hinterlistig und passiv. Indem wir vor allem die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen wahrnehmen, sehen wir nicht, wie groß die Unterschiede unter Mädchen sind oder wie unterschiedlich Jungen sind (ebd.). Denn wir sind nicht »neutral« oder »objektiv« als Wahrnehmende und Handelnde. Den Resonanzboden für unsere Wahrnehmung und unser Handeln bilden Stereotype, gesellschaftliche Normen, Verhaltenstypisierungen und Alltagstheorien, also soziale Konzepte (Peuckert 1992, S. 217). Diese sozialen Konzepte sind zeit- und kulturtypisch und sie leiten unsere Wahrnehmung und die Interpretation dessen, was in uns und um uns herum geschieht. Soziale Konzepte werden gesellschaftlich vermittelt und im Laufe der Sozialisation aktiv angeeignet. In der alltäglichen Interaktion werden Stereotype und Alltagstheorien häufig reproduziert und verstärkt. So werden sie verinnerlicht und wirken ganz individuell und naturgegeben – und werden nicht mehr als Stereotype, sondern als Fakten wahrgenommen. Die wichtigste Funktion sozialer Konzepte besteht darin, nicht jede Situation neu interpretieren und eine geeignete Reaktion dafür finden zu müssen. Sie erleichtern die Einordnung von Erlebnissen und helfen, komplexe Zusammenhänge und Situationen zu vereinfachen und zu vereinheitlichen. Anders ausgedrückt: Soziale Konzepte und Verhaltenstypisierungen erleichtern uns unseren Alltag – zugleich aber schränken sie die Wahrnehmung und das Spektrum möglicher Verhaltensweisen stark ein. Häufig geschieht das vorbewusst und unreflektiert. Ob es das neue Kind in der Kita ist, das aufgrund der langen Haare sofort für ein Mädchen, oder das durch die Räume der Kita rennende laute Kind ist, das sofort für einen Jungen gehalten wird. Alltagstheorien und Stereotype erleichtern nicht nur die Zuordnung, sie basieren häufig auf Vorurteilen, die nicht nur die Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern einschränken, sondern sie auch herabwürdigen und ausgrenzen können. Insbesondere wenn als Jungen identifizierte Kinder Verhaltensweisen zeigen, die als typisch weiblich gelten oder sich mit Weiblichkeit verbundene Symbole aneignen, zeigt sich wie wichtig in unserer »Kultur der Zweigeschlechtlichkeit« nicht nur eine eindeutige Zuordnung ist. Es zeigt sich vor allem auch, dass die Differenzen 3 Dabei sind diese Geschlechterstereotype kultur-, zeit- und auch milieutypisch. Wie unterschiedlich und wandelbar die Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit sind, zeigt sich vor allem im Vergleich der Kulturen und der unterschiedlichen Zeitepochen.

1.1 Wie die Geschlechtersymbolik unsere Wahrnehmung beeinflusst

19

bewertet, also direkt mit der Hierarchisierung der Geschlechtergruppen verbunden werden. »Weiblichkeit« wird nicht nur als etwas eindeutig anderes als »Männlichkeit« angesehen, sondern dieses Andere wird auch geringer bewertet. Diese Sichtweise entspricht der Logik der »instrumentellen Vernunft«. Die instrumentelle Vernunft ist eine bestimmte Art zu denken, zu fühlen und zu handeln, die sich in Europa mit der Aufklärung zunehmend durchgesetzt und andere frühere Formen des Denkens verdrängt hat. Diese Form der Vernunft basiert auf einem »entweder – oder«-Denken, das keine Gleichzeitigkeiten oder Wechselseitigkeiten kennt und kein »sowohl-als-auch« duldet. Dieses Denken basiert zudem immer auch auf Bewertungen von Differenzen. Birgit Rommelspacher beschreibt daher u. a. Europa und Nordamerika auch als sogenannte »Dominanzkulturen«.

Definition Dominanzkultur Dominanzkultur bedeutet, »dass unsere ganze Lebensweise, unsere Selbstinterpretationen sowie die Bilder, die wir von anderen entwerfen, in Kategorien der Überund Unterordnung gefasst sind« (Rommelspacher 1992, S. 22).

Solche Kategorien der »Über- und Unterordnung« finden wir in Dominanzkulturen jedoch nicht nur im Zusammenhang mit Zuordnungen zum Geschlecht, sondern ebenso in Bezug auf kulturelle oder ethnische Zuordnungen, auf körperliche Verfasstheit, auf Alter etc. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung werden beispielsweise Jungen* mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund besonders häufig als »auffällig« oder unangepasst betrachtet. Dagegen werden Mädchen* in der stereotypen Wahrnehmung hier eher als »unterdrückt« und/ oder »passiv« betrachtet (vgl. Focks 2013b, S. 72). Auch pädagogische Fachkräfte bringen immer wieder geschlechtstypisches Verhalten von Kindern mit deren kulturellen Hintergrund in Verbindung. So ist das Stereotyp vom »kleinen türkischen Macho« oder vom kleinen Mädchen, das seinem Bruder »hinterherräumt« sehr verbreitet (Rohrmann & Wanzeck-Sielert 2014, S. 55/56). Viele dieser Stereotype und Alltagstheorien basieren auf Vorurteilen und Verallgemeinerungen. So gilt es neben der kulturellen und ethnischen Betrachtung immer auch Faktoren wie Stadt und Land, soziales Milieu etc. einzubeziehen. Denn gerade in größeren Städten der Türkei sind Frauen* vielfach berufstätig, sehr bildungsorientiert und im öffentlichen Leben präsent. Vergleichende Untersuchungen belegen zudem, »dass das Selbstkonzept aber auch das Frauenbild von Einwanderinnen, die aus weniger industrialisierten Gesellschaften und sogenannten traditionellen Verhältnissen stammen, wesentlich geringer durch Abhängigkeiten vom Mann gekennzeichnet ist als das westlicher Frauen*. […] Ebenso lässt sich für männliche Migranten nachweisen, dass sie nicht schlicht autoritärer oder patriarchalischer gesinnt sind als westliche Männer« (Herwartz-Emden zit. nach Rohrmann & Wanzeck-Sielert 2014, S. 56).

20

1. Geschlechtersymbolik – Stereotype und tatsächliche Vielfalt

1.2

Wie Geschlechterstereotype die (kindliche) Entwicklung einschränken

Stereotype beeinflussen nicht nur die Fremd-, sondern auch die Selbstwahrnehmung von Menschen und sogar ihre Leistungsfähigkeit.

Experimente zum Einfluss von Geschlechterstereotypen Claude M. Steele von der Stanford University wies in mehreren Experimenten nach, dass schwarze Collegestudent*innen in Tests schlechter abschnitten, wenn sie vorab auf ihre Hautfarbe hingewiesen wurden (Steele 1995 zit. nach Schnerring & Verlan 2014, S. 20). Andere Experimente von Steele zeigten, dass auch Geschlechterstereotype Einfluss auf die Leistungsfähigkeit haben. So teilte Steele Testpersonen in zwei Gruppen auf, die in ihren mathematischen Leistungen vergleichbar waren. Der einen Gruppe wurde gesagt, dass Männer* und Frauen* in diesem Test immer sehr unterschiedlich abgeschnitten hätten. In dieser Gruppe fiel das Ergebnis des Mathetests bei den Frauen* deutlich schlechter aus als bei der Gruppe ohne den Hinweis zum Geschlecht (ebd.).

Die Untersuchungen zu den Auswirkungen von Stereotypen und Verhaltenstypisierungen zeigen zudem, wie wichtig es ist, die Differenzkategorien in ihrer Verwobenheit und ihren Wechselwirkungen, also »intersektional« zu betrachten.4

Experimente zum Einfluss von Geschlechterstereotypen Besonders eindrücklich ist hier die Untersuchung von Margaret Shih von der Harvard University zu zwei in den USA verbreiteten Vorurteilen, nämlich dass Menschen asiatischer Herkunft über besonders gute mathematische Kenntnisse verfügen und dass Frauen* schlechter in Mathematik seien als Männer*. In diesen Experimenten schnitten Studentinnen asiatischer Herkunft besser ab als die Kontrollgruppe, wenn sie vorab auf ihre ethnische Herkunft hingewiesen wurden. Wenn sie jedoch auf ihr Geschlecht hingewiesen wurden, waren die Ergebnisse deutlich schlechter (vgl. Shih 1999 nach Schnerring & Verlan 2014, S. 24).

4 Intersektionalität steht für das Zusammendenken verschiedener Formen sozialer Ungleichheiten, wie sie entlang der Kategorien Geschlecht, Ethnizität, soziales Milieu, sexuelle Orientierung, Alter, Körper etc. erzeugt werden. »To intersect« kommt aus dem englischsprachigen feministischen Diskurs und bedeutet wörtlich: sich überkreuzen, überschneiden, überlagern. Das heißt, dass die verschiedenen sozialen Identitäts- und Differenzkategorien nicht einfach nebeneinander stehen, sondern eng miteinander verwoben sind und sich je nach Kontext gegenseitig beeinflussen (vgl. Kapitel 5.3).

1.2 Wie Geschlechterstereotype die (kindliche) Entwicklung einschränken

21

Wer sich gegen Stereotype behaupten muss, hat es in diesen Lebensbereichen ungleich schwerer. Forschungsergebnisse zeigen zudem wie kulturtypisch Stereotype und Verhaltenstypisierungen sind. So assoziieren Menschen in Nordamerika und Europa mit dem »Alter« eher »Vergesslichkeit«. Dagegen gelten ältere Menschen in vielen Ländern Asiens als weise, wichtig und aktiv. Und auch hierbei hat die Erwartungshaltung Einfluss auf die Leistung der einzelnen: » Alte Amerikaner schneiden in Gedächtnistests weitaus schlechter ab als junge Amerikaner. Alte Chinesen hingegen nicht. Die Gedächtnisleistungen von jungen und alten Chinesen unterscheiden sich in diesen Studien tatsächlich kaum« (Förster 2007 zit. nach Schnerring & Verlan 2014, S. 24). Stereotype sind jedoch nicht nur kultur-, sondern auch zeittypisch. So finden sich gegenwärtig – bedingt durch gesellschaftliche Wandlungsprozesse – in Deutschland modifizierte Geschlechterstereotype und Verhaltenstypisierungen. Mädchen erscheinen selbstbewusst, ohne Probleme und als die Gewinnerinnen im Bildungsbereich. Das öffentlich vermittelte Bild von Jungen ist in den letzten Jahren geprägt von der Betrachtung von Defiziten, sie gelten als die Verlierer im Bildungssystem und schon im Kindergartenalter als unkonzentriert, laut, wild und schwer zu bändigen (vgl. Focks 2007a, S. 5ff.). Es wird immer wieder auf den durchschnittlich erhöhten Anteil von Jungen mit sonderpädagogischem Förderbedarf und mit einer Lernbehinderung hingewiesen. Die Fokussierung auf solche Unterschiede fördert eine geschlechterstereotype Betrachtung und hat eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf die Fremd- und Selbstwahrnehmung von Kindern (vgl. Focks 2014, S. 160). So weist Hannelore Faulstich-Wieland (2010) nach, dass unsere gesellschaftliche Vorstellung von Männlichkeit erheblich dazu beiträgt, dass Jungen* in der Schule schlechter abschneiden.

Forschung zu Geschlechterstereotypen »Aus unserer eigenen Forschung wissen wir, dass von Jungen eher erwartet wird, dass sie unangepasst und widerständig sind […] dass Jungen sich gern in den Mittelpunkt stellen, dabei aber von Lehrkräften unterstützt werden. Zugleich begeben sie sich damit auf einen schmalen Grat zwischen bewundert werden und nerven. Dies kann sie schnell zu ausgegrenzten Störenfrieden machen – und zu solchen, die im Unterricht mit Bluff durchkommen, aber dadurch auch letztlich weniger lernen.« (Faulstich-Wieland 2010, S. 9)

Wenngleich sich Eltern und pädagogische Fachkräfte im normativen Diskurs an Werten wie Gleichbehandlung und Individualität orientieren, zeigen wissenschaftliche Studien, dass sie sich im konkreten Alltagshandeln dennoch an traditionellen Geschlechterbildern orientieren (vgl. u. a. Hunger 2014, S. 15-20). So zeigt eine Studie zur Körper- und Bewegungssozialisation, dass Kinder rein äußerlich auf generalisierte Zuschreibungen hin klar geschlechtstypisierend ausgestattet werden; so werden Kleidung, Spielsachen, Abbildungen auf Brotdosen, Getränkeflaschen, Hausschuhe etc. geschlechtstypisch ausgewählt (ebd. S. 17).

22

1. Geschlechtersymbolik – Stereotype und tatsächliche Vielfalt

Orientierung an traditionellen Geschlechterbildern »Die allgegenwärtige Symbolik realisiert sich bei Jungen – neben klassischen Motiven wie Fußball, Feuerwehr etc. – in Form von (als Markenzeichen geschützten und unter Lizenz auf zahlreichen Produkten vertriebenen) Figuren, wie Lightning McQueen (erfolgreicher Rennwagen) und Spider-Man (Actionheld) sowie Motiven aus Star Wars (Heldenepos), die jeweils Actionbereitschaft und Stärke, Raumexploration und Wettbewerbsbereitschaft, Technik und Angriff symbolisieren. Bei Mädchen dominieren derzeit im späten Kindergartenalter abgebildete Motive wie Prinzessin Lillifee (kleine Blütenfee), Hello Kitty (backende Katze), Filly (königliche, elfenartige Minipferde bzw. Einhörner) etc., die in ihren prägenden Eigenschaften jeweils Harmonie, Ästhetik und Phantasie verkörpern.« (Hunger 2014, S. 17/18)

Dabei nehmen die untersuchten Eltern – milieuübergreifend – den Widerspruch zwischen den von ihnen formulierten geschlechtsunabhängigen Erziehungsvorstellungen und der alltäglichen Handlungspraxis, der alte Geschlechterbilder innewohnen, kaum wahr. Widerspricht ein kleiner Junge den geschlechtstypischen Vorstellungen, indem er z. B. als ängstlich-unsicher wahrgenommen wird oder bei ihm ästhetisch konnotierte Bewegungshandlungen dominieren, erhält das Kind besondere Aufmerksamkeit. »Darüber hinaus ist teilweise auch eine unterschwellige (und durchaus homophobe) Form der Sexualisierung des Jungenverhaltens zu konstatieren« (ebd. S. 18). Das heißt, dass aus einem geschlechtsuntypischen Bewegungsverhalten eines Jungen Rückschlüsse auf seine sexuelle Orientierung gezogen werden. In zahlreichen Studien wird deutlich, dass Kinder, die sich nicht den Geschlechterstereotypen entsprechend verhalten, zum Beispiel Jungen, die von anderen für zu feminin und unmännlich gehalten werden, und Mädchen, die als jungenhaft gelten, häufig schon auf dem Spielplatz Hänseleien aushalten müssen (vgl. UNESCO 2011). Auch Kinder aus sogenannten Regenbogenfamilien, also Familien, in denen mindestens ein Elternteil lesbisch, schwul, bisexuell oder trans* lebt, sind Diskriminierungen ausgesetzt (u. a. Streib-Brzic & Quadflieg 2011).

1.3

Empfehlungen zur Verankerung einer genderbewussten Pädagogik

Das Ziel genderbewusster Pädagogik ist es, Kinder – jenseits von Symbolen und Stereotypen vom »richtigen Mädchen« und »richtigen Jungen« – ihren individuellen Interessen, Stärken und Fähigkeiten entsprechend zu fördern. Es geht darum Geschlechterstereotype und Vorurteile zu meiden, weil sie Kinder einschränken, Bildungsprozesse behindern und zu sozialen Ungleichheiten führen. Erst durch eine genderbewusste Erziehung wird dem Kind die Möglichkeit gege-

1.2 Wie Geschlechterstereotype die (kindliche) Entwicklung einschränken

23

ben, sich zu dem Individuum zu entwickeln, das es sein könnte – ohne Einschränkungen oder Verstärkungen in Bereichen, die für das Kind als unpassend oder passend eingeschätzt werden.

Genderbewusstes Handeln bedeutet auf der Ebene der Symbole und Stereotype, dass … 1. … die Lernumgebung des Kindes möglichst frei von Geschlechterstereotypen und vorurteilsbewusst gestaltet wird. Ω Die pädagogischen Fachkräfte verzichten auf die Zuordnung von Spielen, Farben, Verhaltensweisen, Kleidung als »männlich« oder »weiblich« (beispielsweise können geschlechtstypische Räume, Spielbereiche und Bezeichnungen wie Bauund Puppenecke vermieden werden oder verstärkt Spielmaterialien und Spiele angeschafft werden, die geschlechtsneutral sind). Ω Die Räumlichkeiten und Materialien bieten den Kindern sowohl die Möglichkeit zu toben und zu klettern als auch zu entspannen und sich einzufühlen.

2) … geschlechterstereotypisches Material bewusst thematisiert und geschlechtsuntypische Symbole angeboten werden. Ω In der Kindertageseinrichtung gibt es vorwiegend Bilder und Kinderbücher, die die Vielfalt von geschlechtlichen Lebensweisen und Familienformen zeigen (beispielsweise gleichermaßen Väter* darstellen, die Babys wickeln, wie Frauen*, die Polizistinnen sind, oder Familien mit zwei Müttern oder Menschen, die auf Bildern nicht gleich einem Geschlecht zugeordnet werden können). Ω Bücher mit Stereotypen und diskriminierenden Abbildungen und Inhalten werden entfernt oder es werden stereotype Inhalte mit den Kindern thematisiert (z. B. könnte ein Märchen auch mal mit vertauschtem Geschlecht vorgelesen werden, sodass der Prinz gerettet wird oder die Prinzessin in die Welt hinausreitet). Ω Wenn Kinder Spielzeug mitbringen, mit dem Geschlechterstereotype transportiert werden, wird dies nicht abgelehnt, sondern als Chance genutzt, mit den Kindern über Geschlechterbilder ins Gespräch zu kommen. Ω Kinder erleben und erfahren Menschen mit geschlechtsuntypischen Berufen (z. B. Eltern mit geschlechtsuntypischen Berufen einladen, Bücher, Bilder, Plakate, Lieder, in denen Pilotinnen* oder Krankenpfleger* dargestellt werden). Ω Damit Kinder gar nicht erst in Kategorien wie »geschlechtstypisch« und »geschlechtsuntypisch« denken lernen, erleben sie in der Einrichtung auch geschlechtsuntypisches Verhalten von den pädagogischen Fachkräften (z. B. indem die Erzieherin* auch bohrt oder mit den Kindern Fußball spielt und der Erzieher* mit den Kindern bastelt).

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1. Geschlechtersymbolik – Stereotype und tatsächliche Vielfalt

3) … Informationen zum Thema Stereotype und Vorurteile angeboten werden. Ω In der Kindertageseinrichtung gibt es Bücher, die dazu anregen kritisch über Stereotype und Vorurteile nachzudenken und die Beispiele enthalten, die Mut machen (z. B. die Geschichte über das kleine Kind, das geärgert wird, weil es sich nicht wie ein »richtiger wilder Junge« verhält und andere Beispiele von Kindern, die den eigenen Weg gehen oder sich gegen Ungerechtigkeit wehren.) Eine Liste von Kinderbüchern finden Sie im Anhang unter »weitere Kinderbücher«. Ω Es werden Bücher und Spielmaterialien angeboten, die den Horizont erweitern und Vielfalt von Geschlechtern, Lebensgewohnheiten, Kulturen und sexuellen Orientierungen erfahrbar machen (z. B. Puppen aus unterschiedlichen Kulturen der Kinder, mit unterschiedlichem Geschlecht oder »Wimmelbilderbücher«, in denen Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen, Menschen aus verschiedenen Kulturen, alte und junge Menschen bei den verschiedensten Tätigkeiten in einem Haus dargestellt werden, Männer* beim Wäsche waschen, Frauen* beim Auto reparieren, es gibt Spiele, in denen Zusammenarbeit und die unterschiedlichen Fähigkeiten der Kinder gefördert werden). Ω Eltern und Kolleg*innen werden »ins Boot geholt« und sensibilisiert für Geschlechterstereotype und -symbole im Alltag und deren Wirkung auf Kinder.

Zu Beginn wäre eine Bestandsaufnahme sinnvoll: Was ist an Material vorhanden? Welche Klischees werden beispielsweise von den vorhandenen Bilderbüchern bedient? Sicherlich lassen sich einige Bücher leicht austauschen und durch neue ergänzen. Suggeriert die Raumaufteilung oder -nutzung geschlechtstypische Verhaltensmuster? Lässt sich die Dekoration oder Farbwahl ohne großen Aufwand ändern, um dem entgegenzuwirken? Außerdem sollten die Kolleg*innen befragt werden. Vielleicht haben sie sich schon Gedanken gemacht oder ihnen ist etwas aufgefallen, das geändert werden sollte.

1.4

Anregungen zur Sensibilisierung (Selbst- und Teamreflexion)

Selbst- und Teamreflexion sind eine Voraussetzung für die Umsetzung einer geschlechterbewussten Pädagogik. Sie bieten den Raum, persönliche und berufliche Erfahrungen und die eigene Eingebundenheit in Geschlechterverhältnisse zu reflektieren. Auf allen drei Ebenen des Geschlechter-Dreiecks (siehe Einleitung) ist Selbstreflexion sinnvoll.

1.4 Anregungen zur Sensibilisierung (Selbst- und Teamreflexion)

25

Die Sensibilisierung für die eigene Sozialisation und Situation kann durch leitende Fragen erfolgen, die die pädagogischen Fachkräfte in Zweiergesprächen austauschen.

Checkliste mit Anregungen zur Selbstreflexion Als ich ein Kind war:

Meine Situation heute:

Ω Wie sah ich damals aus? Wie habe ich mich gefühlt? Welche Spiele habe ich wo und mit wem gespielt?

Ω Was wollte ich immer schon mal ausprobieren und habe es im Laufe der Zeit vergessen?

Ω War ich ein eher »wildes« oder eher ein »braves« Kind?

Ω Wie sieht mein Tagesablauf aus? Welche Aufgaben und Pflichten habe ich?

Ω Passte ich in die geschlechtstypischen Vorgaben? Musste ich mich einem Geschlecht zuordnen? Hätte ich gerne einem anderen Geschlecht angehört?

(Hier ist es sinnvoll, beispielsweise in einem Kreis die jeweiligen Anteile der Tätigkeiten pro Tag oder Woche wie unterschiedlich große Kuchenstücke aufzumalen: Erwerbsarbeit, Hausarbeit, ggf. Erziehung von Kindern oder Betreuung von älteren Angehörigen, gemeinnützige ehrenamtlich geleistete Arbeit etc. Auch die Freizeit gilt es genauer zu betrachten, wie viel Zeit habe ich zum »Rumhängen« und »Gammeln«?)

Ω Was durfte ich? Was durfte ich nicht? Was hatte es mit meiner Geschlechtszugehörigkeit zu tun? Ω Welche Aufgaben und Pflichten hatte ich als Kind, gab es geschlechtstypische Erwartungen? Ω Welche Privilegien hatte ich aufgrund meiner Geschlechtszugehörigkeit? Ω Wie wäre ich gerne gewesen? Was hätte ich gerne anders gemacht? Ω Gab es geringschätzige Bemerkungen oder gab es Anforderungen an mich aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit, die mich verletzt oder wütend gemacht oder eingeschränkt haben? Ω Wann war ich auch traurig und habe mich klein und verletzbar gefühlt?

Ω Welche Privilegien habe ich aufgrund meines Geschlechts? Ω Wie wäre ich gern? Was täte ich dann? Ω Gibt es Gefühle, die ich weniger spüre bzw. ausdrücken kann? Welche? Ω In welchen Situationen verhalte ich mich typisch weiblich bzw. typisch männlich? Gibt es Situationen, in denen ich Weiblichkeit oder Männlichkeit besonders zeige?

Mögliche Fragestellungen für die Auswertung sind: Gab es Gemeinsamkeiten in den biografischen Erfahrungen? Welche Unterschiede wurden sichtbar? Welche Überraschungen gab es?

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1. Geschlechtersymbolik – Stereotype und tatsächliche Vielfalt

Für die Umsetzung genderbewusster Pädagogik ist es unerlässlich, sich die eigenen Ziele und Visionen zu vergegenwärtigen. Es handelt sich hierbei nicht um einen abgeschlossenen Prozess, vielmehr sollte diese Reflexion immer mal wieder wiederholt werden.

Checkliste Ziele und Visionen in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse Ω Was will ich für mein eigenes Leben verändern bzw. erreichen? Ω Was möchte ich in meinem Beruf erreichen, was für die Kinder in meiner Gruppe? Ω Was soll sich gesellschaftspolitisch ändern? Was kann ich dazu beitragen?

Zur Umsetzung einer genderbewussten Pädagogik in der eigenen Einrichtung ist es sinnvoll vorab die Räume, das Spielverhalten und die Verhaltensweisen der Kinder zu betrachten.

Checkliste zur Umsetzung genderbewusster Pädagogik Räume

Ω Welche Raumteile bieten vorrangig geschlechtstypische Spielmöglichkeiten (Bauecke bzw. Bauteppich, Puppenecke)? Ω Wie viel Raum beanspruchen die Kinder? Gibt es geschlechtstypische Unterschiede? Ω Gibt es Räume, die überwiegend von bestimmten Kindern genutzt werden? Werden dadurch andere Kinder aus diesen Räumen verdrängt? Ω Wo spielen die Kinder gemeinsam? Ausdrucksformen/Verhalten

Ω Wie drücken die Kinder ihre Gefühle wie Wut, Trauer oder Freude aus? Gibt es geschlechtstypische Unterschiede? Ω Wie gehen die Kinder mit Konflikten um? Ω Welche Stärken und Interessen haben sie? Ω Wie drücken sie ihre Bedürfnisse aus? Spiele

Ω Gibt es geschlechtstypisches Spielzeug? Ω Wozu regt das jeweils mädchen- bzw. jungentypische Spielzeug an (technisches Handeln; einfühlsames, soziales Handeln; räumliches Vorstellungsvermögen; groboder feinmotorisches Handeln oder raumgreifendes Verhalten)? Ω Bevorzugen die Kinder je nach Geschlecht unterschiedliche Spiele oder Tätigkeiten? Ω Werden die Spielinteressen der Kinder aufgegriffen? Ω Verstärkt das Spielzeug geschlechtstypisches Handeln? Ω Verweigern die Kinder mit Hinweis auf das Geschlecht bestimmte Spiele? Ω Wie werden die Geschlechter in den vorhandenen Kinderbüchern dargestellt?

2. Geschlecht als gesellschaftliches Strukturprinzip

In diesem Kapitel erfahren Sie – wie das soziale Leben auf der Grundlage der Geschlechterverhältnisse organisiert und institutionalisiert ist – wie die geschlechtstypische Arbeits(ver-)teilung aussieht – welche Benachteiligungs- und Privilegierungsdimensionen sich ergeben

In diesem Kapitel erhalten Sie – Empfehlungen zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit auf struktureller Ebene – eine Handreichung zur Sensibilisierung für die herrschenden Geschlechterverhältnisse in den unterschiedlichsten Arbeits- und Lebensbereichen (Gender-Quiz mit vielen statistischen Zahlen und Daten)

Neben Geschlechterstereotypen und Erziehungs- und Bildungsvorstellungen von Eltern und Pädagog*innen wird die Entwicklung von Kindern vor allem auch davon beeinflusst, welche konkreten Verhaltensweisen sie beobachten (Modellfunktion) (vgl. Focks 2011a, S. 75/76). Insbesondere die Aufgaben- und Arbeitsteilung der Geschlechter ist von besonderer Bedeutung: Kinder erleben, dass Frauen* und Männer* in unterschiedlichen beruflichen Bereichen tätig sind. Sie beobachten, dass Frauen* eher für den Bereich der Fürsorge, der Pflege und der Erziehung zuständig sind, während Männer* eher die entscheidenden Positionen in Politik, Kultur und Wirtschaft innehaben. Sie erleben auch, dass die Bereiche unterschiedlich bewertet werden. Geschlecht ist auch ein Strukturprinzip, d. h. ein wichtiges Ordnungsprinzip für die Lebensgestaltung von Menschen, das alle Bereiche des menschlichen Lebens strukturiert und das Denken, Fühlen und Handeln von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen beeinflusst. Auf diesen Zusammenhang zielt der Begriff der Geschlechterverhältnisse.

Definition Geschlechterverhältnisse Wenn von Geschlechterverhältnissen die Rede ist, geht es nicht lediglich um konkrete Beziehungen zwischen den einzelnen konkreten Menschen. Gemeint ist vielmehr das Verhältnis, das die Geschlechter als soziale Gruppen zueinander haben. Geschlecht wird hier als gesellschaftliches Strukturprinzip gedacht.

2.1 Wie Geschlecht als Ordnungsprinzip für die gesellschaftliche Arbeits(ver)teilung wirkt

29

Was ist damit gemeint? Damit eine Gesellschaft funktioniert, bedarf es bestimmter Strukturen. Das betrifft zum Beispiel die gesellschaftliche Arbeitsteilung, die feststehend geregelte Verteilung von Gütern, verbindlich zugewiesene Verantwortlichkeiten für Kinder, ältere sowie kranke Menschen, gemeinsame Werte und Normen und ihre systematische Weitergabe an neue Mitglieder der Gesellschaft, eine legitime politische Vertretung, den Raum für Kunst, Musik, Geschichten und andere symbolische Produktionen (vgl. Giddens 1995, S. 23). Die Frage ist nun, nach welchen Kriterien diese gesellschaftlich zu leistenden Aufgaben verteilt werden? Eine Möglichkeit sind Kriterien, wie Begabung, Interesse, Motivation, Fähigkeiten oder nachgewiesene Leistungen. Eine andere Möglichkeit die Aufgaben zu verteilen ist es, sie aufgrund von anderen Prinzipien zu organisieren und zu strukturieren, die Regelmäßigkeit, Vorhersehbarkeit und Wiederholbarkeit versprechen. Die geschlechtliche Zugehörigkeit ist ein solches zentrales Strukturprinzip (neben u. a. sozialem Milieu und ethnischer Zugehörigkeit). Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht ist stets mit der Zuweisung zu bestimmten sozialen Orten (u. a. Familie/Öffentlichkeit) und bestimmten Aufgaben und Zuständigkeiten in der Arbeits(ver)teilung in der Gesellschaft verbunden. In unserer Gesellschaft gibt es ein geschlechtlich bestimmtes Strukturprinzip, das Leitlinien z. B. darüber vorgibt, wer die Familien- und Berufsarbeit übernimmt; wer in technischen, wirtschaftlichen und sozialen, pflegerischen Berufen tätig ist; wer höhere oder niedere berufliche Positionen einnimmt. So wird »Geschlecht« nicht nur zugeschrieben und erworben, sondern das herrschende Geschlechterverhältnis ist mit der Geburt eines Kindes immer schon da, eine gesellschaftliche Realität, in die Kinder hineinwachsen und mit der sie umgehen müssen. Man kann sich diese gesellschaftliche Struktur in Analogie zur Struktur eines Hauses vorstellen. Wände, Fußboden und Dach sind für seine spezifische Form verantwortlich. Ebenso wie die Arbeitsverteilung nach dem Geschlecht als Ordnungsprinzip die spezifische Form unserer Gesellschaft ausmacht. Am Beispiel der Verteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit wird deutlich, wie »Geschlecht« als gesellschaftliches Strukturprinzip wirkt.

2.1 Wie Geschlecht als Ordnungsprinzip für die gesellschaftliche Arbeits(ver)teilung wirkt Die gesellschaftlich notwendige Arbeit wird in unserer Gesellschaft (künstlich) getrennt und aufgeteilt in bezahlte Erwerbsarbeit und unbezahlte Reproduktionsarbeit. Diese Trennung geht einher mit der Zuweisung der gesellschaftlich zu leistenden Arbeiten an die Geschlechter. So wünschen sich zwar heute Frauen* und Männer* gleichermaßen eine Balance zwischen Beruf und Familie – die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. So formulieren in vielen Studien zunehmend mehr Männer*, dass sie weniger Zeit für Lohnarbeit verwenden möchten und diese Zeit stattdessen beispielsweise mit sich selbst, mit Freunden oder mit ihren Kindern verbringen möchten (vgl. Cremers & Krabel 2012a, S. 90). Die herrschende Ökonomie mit ihrem Wachstumsdrang braucht jedoch den verfügbaren Mann, »der ohne Rücksicht auf soziale Bindungen einsetzbar, ›flexibel‹ ist« (Böhnisch 2011, S. 88).

30

2. Geschlecht als gesellschaftliches Strukturprinzip

Auch junge Frauen* stehen heute enorm unter Druck, den ganzen Anforderungen zu entsprechen und sie fühlen sich bei der Vereinbarung von Beruf und Familie von Politik und Männern zu wenig unterstützt (vgl. Wissenschaftszentrum Berlin, WZB, Update 2013). Putzen, waschen, kochen, Kindererziehung, Organisation und Verantwortung für das Familienleben werden mehrheitlich noch von Frauen* übernommen, auch wenn sie berufstätig sind (vgl. ebd.). So sind es vor allem Frauen, die ihre Berufstätigkeit unterbrechen und Teilzeit arbeiten. Auf dem Arbeitsmarkt haben die geschlechtstypischen Unterschiede in den letzten Jahren zwar zunehmend abgenommen, aber von einer Gleichstellung kann nicht gesprochen werden.

Bilanz aus dem FrauenDatenReport (Bothfeld u. a. 2005): »Frauen haben eine niedrigere Erwerbsbeteiligung, sie arbeiten oft ›nur‹ Teilzeit, sie sind häufiger von Erwerbslosigkeit betroffen, und sie arbeiten in bestimmten Segmenten des Arbeitsmarktes, die weniger Einkommens- und Aufstiegschancen bieten […] Das Durchschnittseinkommen ist um etwa ein Viertel niedriger als das der Männer, sie sind stärker, vor allem wenn sie alleinerziehend sind, von Armut bedroht und sie sind seltener in den Führungsetagen in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik vertreten« (Bothfeld u. a. 2005, S. 367).

So arbeiten 45,5 % der erwerbstätigen Frauen* in Teilzeit, jedoch nur 9,7 % der Männer* (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2011). Zwar ist das traditionelle Ernährermodell mit der klaren Rollenaufteilung zwischen den Geschlechtern rückläufig, aber es wird zunehmend von einem »modifizierten Ernährermodell« abgelöst, in dem Männer* vollzeit- und Frauen* teilzeitbeschäftigt sind. Dies hat mit der mangelnden Versorgung durch Kinderbetreuungseinrichtungen und mit den gesellschaftlichen Leitbildern bzw. den vorherrschenden Geschlechterverhältnissen zu tun. Zudem liegt der durchschnittliche Bruttostundenverdienst von Frauen* um 22 % niedriger als der Verdienst der Männer* (2013). Die Unterschiede fielen in Westdeutschland (und Berlin) mit 23 % deutlich höher aus als die in Ostdeutschland (8 %). Seit 2002 ist der Verdienstunterschied zwischen Frauen* und Männern* fast konstant (Statistisches Bundesamt 2014b). Kinder orientieren sich weniger an den Worten von Erwachsenen zur Gleichheit der Geschlechter als an deren realen und konkreten Verhalten im Alltag. Die erlebte Aufgaben- und Arbeitsteilung der Geschlechter beeinflusst – wie Befragungen von Kindern zeigen – auch die Lebensvorstellungen und -pläne von Kindern.

Fallbeispiel Fünftklässler »Meine Frau soll dann Rechtsanwältin werden. Meine Frau soll so lange nicht arbeiten, bis die Kinder groß genug sind, dass sie auf sich selbst aufpassen können.« (Junge, 5. Klasse, zitiert nach Marlies Hempel 1995, S. 108)

2.2 Wie soziale Ungleichheiten im Elemtarbereich sichtbar werden

31

Auch die Berufswelt ist nahezu durchgängig in »weibliche« und »männliche« Bereiche aufgeteilt. Während Frauen* u. a. in sozialen Berufen überproportional vertreten sind, dominieren Männer* u. a. in technischen Berufen. Nach wie vor ist bspw. die Arbeit in Kindertageseinrichtungen Frauenarbeit. Auch in der sozialen Arbeit spiegelt sich dieses Phänomen wider.

Definition Geschlechtstypische Arbeitsteilung Frauen* sind in der Regel in anderen Berufszweigen und Tätigkeitsfeldern (horizontale Segregation des Arbeitsmarktes) beschäftigt als Männer*. Sie sind umso deutlicher unterrepräsentiert, je höher die entsprechenden Positionen in der Hierarchie angesiedelt sind und je mehr Machtbefugnisse sie beinhalten (vertikale Segregation des Arbeitsmarktes). In der Geschlechterforschung wird die gesellschaftliche Arbeits(ver) teilung nach dem Strukturprinzip Geschlecht unter dem Begriff geschlechtstypische Arbeitsteilung zusammengefasst.

Kehren wir noch einmal zur Analogie des Gebäudes zurück: Das Gebäude ist real existent und seine Form durch Wände, Dach und Boden vorgegeben. So hängt auch die geschlechtstypische Arbeitsteilung in dieser Gesellschaft nicht allein vom guten Willen der einzelnen Menschen ab. Wie kreativ oder auch verzweifelt wir in persönlichen Lebens- oder Arbeitsbeziehungen um Veränderung ringen, stoßen wir doch immer wieder mit unseren Bemühungen an Grenzen. Denn die Form ist wie beim Gebäude vorgegeben. So ist die geschlechtstypische Arbeitsteilung institutionell verankert und verfestigt. In Westeuropa und Nordamerika ist das öffentlich-berufliche Leben auf Individuen ausgerichtet, die von der Haus- und Beziehungsarbeit freigestellt sind. Berufstätige Paare oder Alleinerziehende mit Kindern stoßen daher bei dem Versuch, Beruf und Elternschaft zu vereinbaren immer wieder an diese strukturellen Grenzen. So fehlen beispielsweise flexible Arbeitszeitregelungen genauso wie genügend Möglichkeiten der Kinderbetreuung. Was in der Regel wie ein privates bzw. individuelles Problem erscheint, ist gesellschaftlichstrukturell bedingt. Und dennoch müssen vor allem die Alleinerziehenden hier individuelle Lösungen für diese gesellschaftlichen Probleme finden.

2.2

Wie soziale Ungleichheiten im Elementarbereich sichtbar werden

Soziale Ungleichheiten in den Geschlechterverhältnissen erfahren auch pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen, indem sie mit hohen, immer neuen Anforderungen im Berufsalltag umgehen müssen und zugleich mit den meist fehlenden Aufstiegsmöglichkeiten, dem häufig geringen sozialen Ansehen und den niedrigen Gehältern. »Es ist völlig unangemessen, dass der Umgang mit Maschinen weiterhin besser bezahlt wird als die Betreuung und Pflege von Menschen« (Winker 2011, S. 342). Als pädagogische Fachkräfte

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2. Geschlecht als gesellschaftliches Strukturprinzip

haben wir die gesellschaftlichen Abwertungen häufig verinnerlicht und sehen beispielsweise nicht, dass es eine Kompetenz ist, Beziehungen herzustellen und gestalten zu können, oder dass die Förderung der sozialen Verantwortung ebenso wichtig ist wie die Förderung der Unabhängigkeit und Eigenständigkeit von Einzelnen. In der aktuellen pädagogischen Debatte ist immer wieder von Beteiligung von Kindern die Rede. Dabei wird leicht übersehen, dass pädagogische Fachkräfte selbst wenig die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit mitbestimmen können. Pädagogische Fachkräfte übernehmen eine notwendige und wichtige gesellschaftliche Arbeit, aber ihr Einfluss auf deren Strukturen ist sehr gering. Dies ist wiederum charakteristisch für frauentypische Berufe. Daher ist es eine notwendige politische Forderung, dass Pflege-, Betreuungs- und Erziehungsarbeit gesellschaftlich aufgewertet, honoriert und geschlechtsunspezifisch organisiert wird. In Bezug auf soziale Ungleichheiten im Bildungsbereich ist es notwendig weitere soziale Kategorien einzubeziehen. Dies belegen nationale und internationale Studien (wie beispielsweise die internationalen PISA-Studien) immer wieder sehr deutlich.

Ungleichheiten im Bildungsbereich Aussagen über Ungleichheiten, Benachteiligungen und Privilegierungen im Bildungsverlauf beziehen sich neben den Geschlechterverhältnissen vor allem auf soziale Milieus, ethnisch-kulturelle Unterschiede und auf unterschiedliche Begabungen und Beeinträchtigungen.

Diese Studien zeigen beispielsweise, dass die Chancen von Kindern aus materiell benachteiligten Familien ihre Potenziale und Fähigkeiten zu entwickeln wesentlich schlechter sind als jene von Kindern aus privilegierten Milieus. Untersuchungen in Kindertageseinrichtungen in Deutschland machen sichtbar, dass Kinderarmut nicht nur Auswirkungen im materiellen Bereich hat, sondern ebenso auf den kulturellen, sozialen und nicht zuletzt den gesundheitlichen Bereich (vgl. u. a. Robert-Koch-Institut 2007). Kinderarmut kann zu einer mangelnden Grundversorgung von Nahrung, Kleidung und Pflege, zu auffälligem Spiel- und Sprachverhalten, geringen Sozialkontakten führen und gesundheitliche Folgen haben (vgl. u. a. Holz 2006, S. 4ff.). Internationale Berichterstattungen, wie beispielsweise die UNO-Berichterstattung, zeigen, dass in Deutschland Kindern aus bildungsbenachteiligten Familien und mit Migrationshintergrund der Zugang zu Bildung erschwert wird und es deutliche Benachteiligungen gibt. Hier ist es jedoch notwendig verschiedene ungleichheitsrelevante Kategorien einzubeziehen, denn die Bildungsbenachteiligung betrifft eben nicht alle Kinder mit Migrationshintergrund. So sind die Kinder von akademisch gebildeten Migrant*innen nicht betroffen, denn diese können ihre Kinder bei den Anforderungen im Bildungssystem unterstützen. So heben viele vor allem private internationale Kindertageseinrichtungen die kulturelle Vielfalt und verschiedene Sprachen als Ressource in einer globalisierten Welt hervor und werben damit. Hier werden vor allem Eltern und Kinder aus (bildungs-)privilegierten sozialen Milieus angesprochen. Kulturelle Unterschiede

2.3 Empfehlungen zur Verankerung einer genderbewussten Pädagogik

33

führen jedoch vor allem dann zu Benachteiligung, wenn eine schwierige sozio-ökonomische Lage und kulturelle Aspekte miteinander verknüpft sind. Auch mit den unterschiedlichen Familienformen und geschlechtlichen Lebensweisen werden unterschiedliche Privilegien und Benachteiligungen verbunden. »Neben Geschlecht, Schicht, Ethnizität wird daher auch Sexualität zu den Strukturkategorien gezählt, nach denen gesellschaftliche Ordnung reproduziert wird« (Rabe-Kleberg & Damrow 2012, S. 35).5 Heterosexualität wird als »normal« und »natürlich« zugrundegelegt und mit Privilegien verbunden (siehe u. a. Adoptionsrecht). Homosexualität ist dagegen häufig mit Diskriminierung und Ausgrenzung verbunden. So werden beispielsweise sogenannte Regenbogenfamilien von ihrer Umwelt häufig nicht als gleichwertige Familienform akzeptiert. Eine vergleichende Studie (Streib-Brzic & Quadflieg 2011) belegt, dass Kinder aus Regenbogenfamilien nicht nur unter Beschimpfungen durch Gleichaltrige leiden, sondern vor allem auch darunter, dass ihre Lebenswelt in pädagogischen Einrichtungen nicht vorkommt. Und auch Einelternfamilien sind mit Benachteiligungen konfrontiert. Entscheidend für die Entwicklung ist nicht die jeweilige Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung oder die Familienform, in der Kinder aufwachsen, sondern – und dies zeigen zahlreiche Studien –, dass Kinder anerkannt und akzeptiert werden so wie sie sind (vgl. u. a.Rupp 2009; TransPULSE Studie 2009/2010; Focks 2014b). Für kleine Kinder ist ihre Familie Normalität, egal ob sie mit einem oder zwei (leiblichen) Elternteilen leben oder ob sie in Adoptivfamilien aufwachsen oder in Regenbogenfamilien hineingeboren werden. Jedes Kind hat ein Recht darauf mit seiner Realität in der Kindertageseinrichtung vorzukommen (vgl. auch Gerlach 2013, S. 219). »Hier zeigt sich also ein Handlungsbedarf für die Kindertagesstätten, nämlich Kindern ein positives Bild von Familienvielfalt zu vermitteln. Dies ist nicht nur dann sinnvoll, wenn Kinder aus Regenbogenfamilien in der Gruppe sind, sondern für alle Kinder eine Bereicherung, weil sie eine wertschätzende Würdigung aller Familienformen erfahren« (Kugler & Nordt 2014, S. 14).

2.3

Empfehlungen zur Verankerung einer genderbewussten Pädagogik

Die ungleichen Geschlechterverhältnisse sind bereits in gesellschaftliche und institutionelle Strukturen eingeschrieben. Geschlechterbewusster Pädagogik geht es daher auf dieser Ebene des Geschlechter-Dreiecks (siehe Einleitung) darum, Geschlechtergerechtigkeit und Inklusion zu fördern, indem auch die Strukturen und Repräsentanzen der Kita bzw. Träger in den Blick genommen werden. Hier ist immer auch die Leitungsebene gefragt.

5 In ihrem Ansatz der Intersektionalität als Mehrebenenanalyse (2007) definieren Nina Degele und Gabriele Winker neben Klasse, Geschlecht und »Rasse« auch Körper als eine Strukturkategorie bzw. Differenzlinie (ebd., S. 6).

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2. Geschlecht als gesellschaftliches Strukturprinzip

Genderbewusste Pädagogik bedeutet auf der strukturellen Ebene Träger der Einrichtung

Ω Der Träger ist dafür verantwortlich, dass seine Einrichtungen den Grundsätzen einer geschlechterbewussten und inklusiven Pädagogik folgen (formuliert z. B. Handlungsempfehlungen). Ω Der Träger beschäftigt sich mit Möglichkeiten zur Aufwertung des Erzieher*innenberufs und verfolgt Strategien für eine adäquate Bezahlung. Repräsentanz und Außendarstellung/Leitungsverantwortung

Ω Die pädagogischen Fachkräfte, die Kinder und deren Eltern repräsentieren einen Querschnitt der Bevölkerung (sind z. B. Migrant*innen im Team und Kinder aus sogenannten Regenbogenfamilien in der Einrichtung?). Ω In den Selbst- und Außendarstellungen der Kindertageseinrichtung werden Eltern und Kinder mit verschiedenen Geschlechtsidentitäten und auch unterschiedlichen Lebens- und Familienformen explizit benannt und angesprochen. Ω Die Kindertageseinrichtung verfolgt Strategien zur Erhöhung des Anteils von Männern* und weiteren wenig repräsentierten sozialen Gruppen, die über Qualifikationen in der genderbewussten Pädagogik verfügen. Ω In der Selbstdarstellung und in der Öffentlichkeitsarbeit der Kindertageseinrichtung wird explizit benannt, dass genderbewusst und inklusiv gearbeitet wird, und es werden genderbewusste pädagogische Ziele formuliert. Organisationsentwicklung/Leitungsverantwortung

Ω Die Leitungsebene der Einrichtung verankert genderbewusste Pädagogik in der Konzeption. Ω Die Leitung ist verantwortlich für die genderbewusste Ausgestaltung der Personalund Teamentwicklung sowie der Kooperation mit Eltern. Ω Die Leitung strebt Geschlechtergerechtigkeit (auf der Ebene des Teams, der Kinder und der Eltern) in Bezug auf die Verteilung von (Leitungs-)Positionen und von Ressourcen, wie Aufmerksamkeit, Geld und Zeit an. Dazu ist es notwendig, zuerst einmal das Spielverhalten, die Raumnutzung und die Arbeitsteilung im Team zu analysieren, um dann entsprechende Ziele für die eigene Einrichtung zu entwickeln. Ω Es gibt Möglichkeiten der Fort- und Weiterbildung im Bereich der genderbewussten Pädagogik und der Inklusion für die pädagogischen Fachkräfte bzw. das Team Ω Pädagogische Fachkräfte sind in Netzwerken organisiert, die die Verankerung und Weiterentwicklung genderbewusster Pädagogik und Inklusion vorantreiben. Ω Die Öffnungszeiten der Kindertageseinrichtung ermöglichen Eltern eine Vereinbarung von Elternschaft und Beruf Ω Die pädagogischen Fachkräfte reflektieren ihre Rolle als Vorbild bzw. Modell für Kinder bzw. Eltern kritisch. (Gibt es z. B. geschlechtstypische Arbeitsteilungen?)

2.4 Fragebogen zum Gender-Wissen (Gender-Quiz)

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2.4 Fragebogen zum Gender-Wissen (Gender-Quiz) Die Methode Als Einstieg bietet es sich an, zuerst einmal zu sensibilisieren für die realen Daten. Statistische Daten und Fakten zeigen, dass es nach wie vor soziale Ungleichheiten in den Geschlechterverhältnissen gibt. Der Fragebogen kann sowohl im Team in der Einrichtung als auch in Fort- und Weiterbildungen oder in Studium und Ausbildung genutzt werden.

Methodische Vorgehensweise Sie stellen den Teilnehmer*innen eine Frage aus einem Bereich und geben dann einige Antwortmöglichkeiten. Die Teilnehmer*innen sollen zeigen, welche Antwort sie für richtig halten. Weitergehend können Sie fragen, was die Teilnehmer*innen glauben, wie diese Zahlen bzw. die Situation zu erklären ist, oder fragen, ob sie glauben, dass das »früher« anders war oder sich noch ändern kann (oder in anderen Ländern anders ist). Hinweis: Der Gender-Fragebogen muss natürlich regelmäßig aktualisiert und den aktuellen Daten angepasst werden.

Geschlecht und Recht Der Männeranteil bei den Strafgefangenen betrug 2013 94 %

81 %

89 %

74 %

Der Männeranteil bei den Strafgefangenen betrug 2013 94,3 %. Nur 5,7 % der Strafgefangenen waren weiblich. Quelle: Statistisches Bundesamt (2014), www.destatis.de, S. 12

Ist die Wahrscheinlichkeit, Opfer von Körperverletzung und Raub im öffentlichen Raum zu werden für junge Männer höher als für junge Frauen? für junge Männer und junge Frauen etwa gleich hoch? für junge Frauen deutlich höher als für junge Männer? Das Risiko, Opfer von Körperverletzung und Raub im öffentlichen Raum zu werden, ist für junge Männer deutlich höher als für junge Frauen. Hier zeigt sich die Notwendigkeit nicht nur eine soziale Kategorie wie z. B. Geschlecht zu berücksichtigen, sondern diese verknüpfend zu betrachten (und hier zum Beispiel das Alter einzubeziehen). Denn das Risiko betrifft fast ausschließlich junge Männer. Quelle: Bundeskriminalamt 2011, S. 156

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2. Geschlecht als gesellschaftliches Strukturprinzip

Bildung Verlassen mehr männliche oder mehr weibliche Jugendliche die Schule mit Abitur? mehr männliche Jugendliche mehr weibliche Jugendliche ungefähr gleich viel Der Anteil von weiblichen Personen mit Allgemeiner Hochschulreife ist höher. Quelle: 14. Kinder- und Jugendbericht des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend (2013, S. 467). Laut Statistischem Bundesamt 2013 sind 54,7% der Schüler*innen mit Allgemeiner Hochschulreife weiblich (www.destatis.de, S. 9).

Gibt es Unterschiede in den kognitiven Fähigkeiten zwischen Mädchen und Jungen in der Schule? Mädchen können besser lesen und schreiben es gibt nur sehr geringe Unterschiede Jungen haben größere Fähigkeiten in Mathematik und im Problemlösen Betrachtet man beispielsweise die Ergebnisse der PISA-Studien (Programme for International Student Assessment) genauer, so wird deutlich, dass die Differenzen von Mädchen untereinander bzw. jene unter Jungen häufig größer sind als jene zwischen Mädchen und Jungen (vgl. Burba & Rost 2006, S. 76). Im Problemlösen, was als Indikator für das allgemeine kognitive Potenzial gilt, gibt es fast durchweg keine Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen. Einige Länder schaffen es besser als andere, die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen auf einem gleichzeitig hohen Gesamtniveau zu reduzieren oder sogar zu beseitigen.

Geschlecht und Arbeitsteilung Väterbeteiligung bei der Elternzeit im Jahr 2013 von 2,5 % der Männer genommen von 9,3 % der Männer genommen von 27,3 % der Männer genommen Mit 27,3 % lag die Väterbeteiligung 2013 auf einem neuen Höchststand. Allerdings nahmen 77 % der Väter nur für maximal 2 Monate Elternzeit und nur 7 % nahmen 12 Monate Elternzeit. Quelle: Statistisches Bundesamt 2015, www.destatis.de

2.4 Fragebogen zum Gender-Wissen (Gender-Quiz)

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Wie viel Prozent der erwerbstätigen Frauen* arbeiten in Teilzeit? 9,7 %

45,5 %

27,2 %

61,4 %

Wie viel Prozent der erwerbstätigen Männer* arbeiten in Teilzeit? 9,7 %

45,5 %

27,2 %

61,4 %

Es arbeiten 45,5 % der erwerbstätigen Frauen* in Teilzeit, jedoch nur 9,7 % der Männer* (2010). Zwar ist das traditionelle Ernährermodell mit der klaren Rollenaufteilung zwischen den Geschlechtern rückläufig, aber es wird zunehmend von einem »modifizierten Ernährermodell« abgelöst, in dem die Männer* vollzeit- und die Frauen* teilzeitbeschäftigt sind. Dies hat mit der mangelnden Versorgung von Kinderbetreuungseinrichtungen und mit den gesellschaftlichen Leitbildern bzw. den vorherrschenden Geschlechterverhältnissen zu tun. Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung, 2011, www.bpd.de

Verdienen Frauen* und Männer* gleich viel 11 % weniger als Männer* 22 % weniger als Männer* Der durchschnittliche Bruttoverdienst von Frauen* lag 2013 um 22 % niedriger als der Verdienst der Männer*. Die Unterschiede fielen in Westdeutschland (und Berlin) mit 23 % deutlich höher aus als in Ostdeutschland (8 %). Seit 2002 ist der Verdienstunterschied zwischen Frauen* und Männern* fast konstant. Quelle: Statistisches Bundesamt (2015): Gender Pay Gap. www.destatis.de

Wie hoch ist der Anteil an männlichen Erziehern in Kindertageseinrichtungen? 4%

8%

2%

9%

Der Männeranteil an pädagogischen Fachkräften in Kitas liegt bei 3,8 Prozent (2014). Quelle: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jungend 2014, www.bmfsfj.de

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2. Geschlecht als gesellschaftliches Strukturprinzip

Wie hoch ist der Anteil von Männern* in technischen Studienfächern an deutschen Hochschulen? 53,7 % bis 61,5 %

67,5 % bis 82,6 %

58,3 % bis 79,8 %

73,4 % bis 90,7 %

Der Anteil von Männern* in technischen Studienfächern betrug im Wintersemester 2012/2013 73,4 % bis 90,7 %. Quelle: Statistisches Bundesamt (2014): Die soziale Situation in Deutschland. Studierende an Hochschulen. www.bpb.de

Geschlecht und Führungspositionen Der Männeranteil an Professuren in deutschen Hochschulen betrug 2013 ca. 50 %

ca. 70 %

ca. 60 %

ca. 80 %

Der Männeranteil an hauptberuflichen Professuren betrug 2013 insgesamt 78,7 %, bei C4-Professuren 88,7 %. Quelle: Statistisches Bundesamt 2015, www.destatis.de

Wie hoch ist der Frauenanteil in Führungspositionen in deutschen Unternehmen? ca. 20 %

ca. 40 %

ca. 30 %

ca. 50 %

Nur knapp jede dritte Führungskraft (29 %) war 2012 weiblich. Dieser Anteil verändert sich nur langsam – 1992 hatte er bei 26 % und im Jahr 2002 bei 27 % gelegen, seit 2005 steigt er jedes Jahr um 0,4 Prozentpunkte an. Im Vergleich zum Vorjahr 2011 gibt es eine negative Veränderung um 1 %. Quelle: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2015, www.destatis.de

3. Individuelle Geschlechtsidentitätskonstruktionen

In diesem Kapitel erfahren Sie – dass die Entwicklung von Geschlechtsidentitäten ein aktiver Prozess ist und welche Phasen es gibt – welche unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten es gibt – welche Risiken es birgt, wenn Kindern keine Spielräume in der Geschlechtsidentitätsentwicklung eingeräumt werden – dass pädagogische Fachkräfte häufig ungewollt geschlechtstypische Verhaltensweisen von Kindern fördern

In diesem Kapitel erhalten Sie – Empfehlungen zur Verankerung einer genderbewussten Pädagogik

»Dem Sohn ein rosa Überraschungsei gekauft. War ein Fernglas drin. Jetzt ist er stinksauer. Er wollte eine Elfe.« (Twitterbeitrag, zit. nach Schnerring & Verlan 2014) Kinder unterscheiden sich nicht nur sehr individuell durch ihre Neigungen, Interessen und Fähigkeiten, sondern auch durch ihre sozialen Zugehörigkeiten, die Teil ihrer Identitäten sind. Sie identifizieren sich dabei mit unterschiedlichen sozialen Identitäten und Identitätsmerkmalen und übernehmen vielfach auch die damit verbundenen gesellschaftlichen Bewertungen. Neben der Altersgruppe, dem Familienhintergrund, der jeweiligen Kultur oder Ethnie, der Religion ist vor allem auch Geschlecht ein wichtiges Identitätsmerkmal für Kinder. Im Zuge ihrer individuellen Geschlechtsidentitätsentwicklung setzen sich Kinder aktiv – wenngleich nicht bewusst und insbesondere bei kleineren Kindern nicht reflektiert – mit den sie umgebenden Geschlechterverhältnissen auseinander. Sie lernen dabei nicht nur über Stereotype und Symbole (erste Ebene des Geschlechter-Dreiecks), sondern vor allem durch die Modellfunktion der Erwachsenen, indem sie beobachten, welche Aufgaben und Arbeiten Frauen* bzw. Männer* übernehmen, an welchen Orten sie sich aufhalten (zweite Ebene des Geschlechter-Dreiecks), wie sie sich bewegen, wie sie reden, wie sie miteinander kommunizieren, was sie von Mädchen bzw. von Jungen erwarten usw. Im Kindergartenalter inszenieren Kinder Geschlechterbeziehungen. Die Inszenierung ist mal ernster, mal mehr experimentell, aber sie bleibt in diesem Alter vielfach noch äußerlich. Allerdings beinhalten diese Inszenierungen von Mädchen- bzw. Junge-Sein bereits im Kindergartenalter Versprechungen: dazuzugehören, zu sein wie die anderen, manche versprechen Aufre-

3. Individuelle Geschlechtsidentitätskonstruktionen

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gung, andere Schutz und wieder andere Überlegenheit und Dominanz. Das Ausbalancieren der vielen ambivalenten Erwartungen und Versprechungen, aber auch Be- und Einschränkungen erfordert geradezu ein Probieren, Dramatisieren, und Posieren (vgl. Helferich 1998, S. 37).

Fallbeispiel Im Morgenkreis fragen die Erzieher*innen die Kinder nach ihren Interessen. Ben erklärt, dass Züge ihn interessieren. Gülcan sagt, dass sie Pferde liebt. Malou mag die Farbe Rosa. Als Denis an der Reihe ist, ruft er laut in die Gruppe hinein: »Ich hasse Pferde und Rosa ist grässlich!« (vgl. Focks 2011a, S. 73ff.).

Das Beispiel zeigt, dass Geschlecht nicht nur zugeschrieben, sondern dass Geschlechterverhältnisse auch in der alltäglichen Interaktion immer wieder aktiv hergestellt werden (dritte Ebene des Geschlechter-Dreiecks). So zeigen Gülcan und Malou mit ihrem Interesse an Pferden und der Farbe rosa eben auch, dass sie Mädchen sind. Es handelt sich hier um verfestigte Routinen und soziale Praktiken, durch die Geschlecht dargestellt wird. Geschlecht ist so gesehen ein Verhaltensrepertoire, das situativ in der alltäglichen Interaktion hergestellt, eben »gemacht« wird. Präsentationsweisen von »Männlichkeit« und »Weiblichkeit« werden produziert und reproduziert oder aber variiert. Differenzen werden als Unterscheidungen zwischen den Geschlechtern sozial hergestellt, bewertet und verfestigt. Diese Prozesse werden in der Geschlechterforschung als »doing gender« bezeichnet (vgl. West & Zimmerman 1987).

Fallbeispiel Betrachten wir das Verhalten der Kinder aus dem Beispiel im Altersverlauf genauer: Denis spielt gerne mit Autos, aber er hat sich auch noch vor einiger Zeit beim Einkaufen rosa Gummistiefel mit Pferden darauf ausgesucht. Warum also jetzt diese massive Abwendung von Rosa und Pferden?

Da Kinder im Kindergartenalter ihre geschlechtlichen Identitäten entwickeln, können sie Uneindeutigkeiten noch nicht zulassen (vgl. Faulstich-Wieland 2000, S. 12). Sie praktizieren die Geschlechterdifferenzen deutlicher, weil ihnen das die Zuordnungen erleichtert. Denn sie müssen sich die Normen zur Geschlechtszugehörigkeit erst aneignen. Sie nutzen dazu zunächst äußere Symbolisierungen, wie Kleidung, Frisuren, das Tragen von Schmuck, Farben, Spielmaterial und Spielvorlieben … (vgl. Gildemeister & Robert 2011, S. 96). Die Differenzierung mit Hilfe von sozialen Symbolen ist typisch für die frühe Kindheit. Dabei äußern und zeigen Kinder im Alter von vier bis fünf Jahren sehr klischeehafte Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, beispielsweise gelten Pferde, Puppen und Rosa als weiblich und Autos, Züge und Blau als männlich.

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3. Individuelle Geschlechtsidentitätskonstruktionen

Folgende Phasen der Entwicklung von Geschlechtsidentitäten lassen sich nachzeichnen Kindheit Kinder müssen sich die Regeln der Geschlechterunterscheidung erst aneignen. Dies geschieht zunächst über äußere Symbolisierungen, wie etwa Spielmaterialien, Kleidung und Farben, später auch durch verschiedene Verhaltensweisen, Arten der Gefühlsäußerung und Körperpraxen. Vor allem im Spiel erproben Kinder, was es heißt »männlich« oder »weiblich« zu sein. Sie stellen dabei bewusst im Alltag Geschlechterverhältnisse her, sie probieren und dramatisieren und schauen, was von den Vorgaben ihren eigenen Interessen entspricht und wie die Umwelt reagiert, wenn sie Geschlechterzuweisungen überschreiten. Im Alter von vier bis fünf Jahren inszenieren sie »Weiblichkeit« und »Männlichkeit« besonders rigide. So wird beispielsweise der Junge, der ein Kleid anzieht und tanzt von den anderen Kindern ausgelacht oder streng darauf hingewiesen, dass Jungen so etwas nicht tun. Kinder zeigen damit auch, dass sie gelernt haben, wie »Mädchen« bzw. »Jungen« sein sollen und dass sie sich zuordnen sollen.

Weitere Entwicklung Die Darstellung von Geschlecht verselbständigt sich mit der Entwicklung immer mehr und wird routinierter. Wenn Kinder sich das Verhaltensrepertoire und die Regeln aneignen, entwickelt sich zunehmend ein kategoriales Denken. Äußere Symbole entscheiden nicht mehr allein über die Geschlechtszugehörigkeit: Ein Junge bleibt ein Junge, auch wenn er ein rosa Kleid trägt. Kinder werden zunehmend flexibler und können sich auch differenzierter dazu äußern, was sie als männlich oder weiblich betrachten.

Jugendalter Auch die Pubertät ist eine Phase, in der »doing gender«-Prozesse eine bedeutende Rolle spielen. Jetzt inszenieren Jugendliche »Weiblichkeit« und »Männlichkeit«, sie dramatisieren und probieren (bspw. schminken sich einige sehr stark oder interessieren sich für Aussehen und Schlankheit, andere entwickeln einen betont »männlichen Körpergang«). Entsprechend der jeweiligen (Jugend-)Kultur nutzen sie hier auch die gesellschaftlich jeweils bereitgestellten Symbole, Verhaltensweisen und Körperpraxen.

Erwachsenenalter Auch im Erwachsenenalter sind vergeschlechtlichte Körperpraxen, Verhaltens- und Gefühlsweisen in der sozialen Interaktion bedeutsam. Vergeschlechtlichung ist nicht mit Erreichen eines bestimmten Lebensalters abgeschlossen. Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene sind ständig herausgefordert, sich zu den Geschlechternormen, die sie betreffen, zu verhalten und als vergeschlechtlichte Person zu agieren. Bei Erwachsenen sind die Darstellung und auch die Wahrnehmung so routiniert, dass diese für sie selbst und auch für andere meist unbewusst bleibt.

3.1 Wie wir Männlichkeiten und Weiblichkeiten herstellen

3.1

43

Wie wir Männlichkeiten und Weiblichkeiten herstellen: Risiken von »doing gender«Prozessen für Kinder

Die Inszenierungen von Männlichkeiten und Weiblichkeiten gehören zur Geschlechtsidentitätsentwicklung von Kindern dazu. Auch die Kategorisierungen sind entwicklungspsychologisch als Fähigkeit zu betrachten. Diese müssen bewusst begleitet und immer auch kritisch hinterfragt werden. Denn wenn Kinder während dieser Zeit nicht darin bestärkt werden, ihr Kind-Sein so auszuleben, wie es ihnen entspricht, wenn ihnen keine Spielräume in der Identitätsentwicklung ermöglicht und keine Alternativen zu herkömmlichen Geschlechterrollen geboten werden, orientieren sie sich an den vorherrschenden Bildern und Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Dies führt zu sozialen Ungleichheiten, zu Ausgrenzung, zu Einschränkungen der Entfaltungsmöglichkeiten und kann sich negativ auf die Entwicklung auswirken.

Risiken von Geschlechternormierungen Risiken für alle Kinder Kinder erleben, dass Vor- oder Nachteile mit ihren jeweiligen Identitäten verbunden sind. Kinder, die sich nicht geschlechtstypisch verhalten, werden vielfach verunsichert und herabgewürdigt. Und Kinder, die nicht einfach als »weiblich« oder »männlich« verortet sind, wie beispielsweise intersexuelle Kinder, werden ausgegrenzt.

Risiken für den »typischen Jungen« Studien zeigen, dass von Jungen* eher erwartet wird, dass sie unangepasst und widerständig sind und sich in den Mittelpunkt stellen und dabei von Pädagog*innen unterstützt werden. »Zugleich begeben sie sich damit auf einen schmalen Grat zwischen bewundert werden und nerven« (Faulstich-Wieland 2010, S. 9). Um dem vorherrschenden Männlichkeitskonstrukt vom »starken Jungen« zu genügen, überschätzen manche Kinder bspw. ihre körperlichen Möglichkeiten und riskieren häufig nicht nur Schrammen, sondern sogar Verletzungen. Diese und andere geschlechtstypische Praktiken versprechen vor allem in der Gleichaltrigenruppe Anerkennung. Kinder lernen jedoch dadurch, dass Angst, Hilflosigkeit und Schwäche »nicht zu Jungen und Männern gehören«. Dies kann dazu führen, dass sie diese Gefühle für sich ablehnen.

Risiken für das »typische Mädchen« Bei anderen Kindern zeigt sich teilweise bereits im Kindergarten ein selbsteinschränkendes Verhalten: Mädchen* leben ihre Bedürfnisse nach Aktivität oder raumgreifendem Verhalten nicht aus, weil »Mädchen eben nicht so sind«. Ihre Aggression und auch Konfliktbewältigungsversuche richten sich bei einigen Kindern zunehmend »nach innen«, teilweise sogar gegen den eigenen Körper. Sie lernen mehr sich anzupassen als sich selbst zu behaupten (vgl. Focks 1994, S. 113ff.; Focks 2014a, S. 161).

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3. Individuelle Geschlechtsidentitätskonstruktionen

Besonders für Kinder, die nicht einfach nur als »weiblich« oder »männlich« verortet sind, gibt es Risiken. Diese Kinder stehen vor außerordentlichen Herausforderungen, ihren Platz in einer zweigeschlechtlich strukturierten Gesellschaft zu finden (Güldenring 2009, S. 25ff.; Hillier et al. 2010). Mit der Überschreitung der Geschlechtergrenzen und der damit verbundenen Irritation sozialer Normen müssen nicht nur die Kinder selbst einen Umgang finden, sondern auch ihre Umwelt. Nicht selten reagiert das soziale Umfeld auf solche Verunsicherungen mit Ablehnung und Diskriminierungen. Die Erfahrung, dass die Zweigeschlechterordnung nicht zum eigenen Erleben passt, ist intergeschlechtlichen, transgeschlechtlichen und genderqueeren Kindern gemeinsam. Trans*- und Inter*-Kinder merken dabei in der Regel früh, dass sie nicht der Norm entsprechen. Da die geschlechtlichen Identitäten in unserer Gesellschaft eine große Rolle spielen, werden Inter*- und Trans*-Kinder früh verunsichert und häufig ausgegrenzt (vgl. Focks 2014b, S. 4).

Definition einiger Geschlechtsidentitäten Cis wird als Oberbegriff für alle Personen verstanden, die sich dem ihnen zugewiesenen Geschlecht zugehörig fühlen und deren Körper den medizinischen Normen von Mädchen und Junge bzw. Mann und Frau entspricht. Trans* wird als Oberbegriff für alle Personen verstanden, die sich einem anderen als dem ihnen zugewiesenen Geschlecht zugehörig fühlen (transgeschlechtlich, transgender, transsexuell, transident, inbetween usw.) oder die ihre Geschlechtsidentität jenseits der binären Geschlechterordnungen leben und damit die Geschlechterdichotomie Frau/Mann in Frage stellen (vgl. Transgender Netzwerk Berlin 2004). Inter* benennt Personen, deren Körper den medizinischen Normen von Mädchen und Junge bzw. von Mann und Frau nicht entsprechen. Klöppel weist darauf hin, dass es keine Bezeichnung gibt, die von allen Betroffenen uneingeschränkt akzeptiert wird, so stehen beispielsweise die Begriffe Intersexuelle, intergeschlechtliche Menschen, Hermaphrodit und Zwitter nebeneinander (Klöppel 2010, S. 22). »Intergeschlechtlichkeit kann zusätzlich eine Geschlechtsidentität sein« (TransInterQueer 2012), d. h. eine selbst gewählte Identitätsbezeichnung als »Zwitter«, »Inter*« o. ä. Der Begriff genderqueer bezieht diejenigen mit ein, die sich zwar zwischen oder jenseits der binären Geschlechter Mann und Frau positionieren, die Begriffe »transsexuell« und »intersexuell« jedoch, bspw. aufgrund ihrer pathologisierenden Konnotation, ablehnen und stattdessen andere Bezeichnungen wählen (vgl. Beemyn 2005).

Die subjektive Geschlechtsidentitätskonstruktion von Kindern ergibt sich immer auch im Zusammenhang mit anderen Aspekten. »Doing gender«-Prozesse sind daher nicht unabhängig von den sozialen und kulturellen Lebensverhältnissen zu betrachten. Im Kontext der jeweiligen Milieuzugehörigkeit oder der jeweiligen kulturellen Herkunft wird auch Geschlechtsidentität jeweils unterschiedlich subjektiv entwickelt bzw. konstruiert und auch bewertet. Forschungsergebnisse zur kindlichen Wahrnehmung von geschlechtlichen (u. a. West & Zimmerman 1987,

3.1 Wie wir Männlichkeiten und Weiblichkeiten herstellen

45

S. 125ff.) und/oder ethnischen Unterschieden (u. a. Ramsey & Williams 2003, S. 90) zeigen, dass Kinder die geschlechtliche und ethnische Differenz kognitiv erfassen: »children are not colourblind« (ebd.). Diese erscheint jedoch weniger zentral, solange sie keine große Rolle für das Kind spielt und nicht mit Zuordnungen und Kategorisierungen zusammentrifft. Signale aus der sozialen Umgebung von Kindern, die »Weiß-Sein« oder eine bestimmte Definition von Weiblichkeit oder Männlichkeit als gesellschaftliche Norm bestätigen, bewirken häufig die vergewissernde Zuwendung zur eigenen ethnischen Gruppe (vgl. ebd.) bzw. zum eigenen Geschlecht. »Kinder sind nicht ›neutral‹ als junge Lerner und Lernerinnen: Was sie sehen und hören, verarbeiten sie immer auf der Grundlage ihrer sozialen Identitäten, es gibt keinen anderen Resonanzboden. Sie ziehen ihre eigensinnigen Schlüsse daraus und zeigen zuweilen, wie die gesellschaftlichen Ungleichheitsverhältnisse Eingang in ihre Konstruktionen von Weltwissen finden« (Wagner 2013, S. 28).

Fallbeispiel Als die Kinder in der Gruppe gesehen haben, dass Max (4 Jahre) Angst hatte, haben sie ihn Mädchen und Baby genannt. Er war traurig und wütend. Als Johanna zu einigen spielenden Kindern kommt, schickt Mara sie wieder weg mit dem Hinweis: »Jetzt kannst du nicht mitspielen, du bist behindert, du kannst keine Kinder kriegen.« Johanna schrie vor Wut.

Kinder argumentieren als Angehörige sozialer Gruppen, wie ihrer Altersgruppe, ihrer Geschlechtergruppe und beziehen u. a. den kulturellen Hintergrund, die sexuelle Orientierung, die Familienkonstellation und das körperliche Aussehen mit ein.6 Sie entwickeln ihre sozialen Identitäten als Gesamtheit und verknüpfen diese Differenzlinien miteinander. Und sie beziehen immer auch bereits die gesellschaftlichen Bewertungen, die Auf- und Abwertungen in ihre Selbstinterpretationen mit ein. Werden diese gesellschaftlichen Bewertungen in der Kindertageseinrichtung bestätigt, trägt es dazu bei, dass Kinder weitere Vor- und Nachteile aus ihren sozialen Identitäten ziehen (vgl. Wagner 2013, S. 29). Dabei wird es von Kindern in der Regel als Zustimmung gewertet, wenn Erwachsene oder andere Kinder nicht reagieren oder intervenieren.

6 Im Rahmen der Diskussion um Intersektionalität werden verschiedene Kategorien diskutiert (vgl. auch Smykalla & Vinz 2013). Degele und Winker (2007) benennen bei Erwachsenen folgende Kategorien zur Identitätskonstruktion: Arbeit, Einkommen/Vermögen, Bildung, soziale Herkunft, Familie, soziale Netze, Generativität, Geschlechtszuordnung, sexuelle Orientierung, nationalstaatliche Zugehörigkeit, Ethnizität, Religion/Weltanschauung, Region, Alter, körperliche Verfasstheit/Gesundheit, Attraktivität (ebd., S. 5).

46

3. Individuelle Geschlechtsidentitätskonstruktionen

3.2

»Doing gender«-Prozesse auf der Ebene der pädagogischen Fachkräfte

Untersuchungsergebnisse zeigen, dass pädagogische Fachkräfte vielfach durch ihre Verhaltensweisen geschlechtstypische Verhaltensweisen von Kindern fördern (vgl. bspw. Ducret & Nanjoud 2012; MacNaughton 2000; Brandes et al. 2014). So wird die Geschlechtsidentitätsentwicklung von Kindern stark davon beeinflusst, wie Fachkräfte die Kinder ansprechen, welche Verhaltensweisen sie verstärken oder behindern, wie sie die Spiele begleiten und wie sie in Konflikten mit Kindern umgehen.

Fallbeispiel Mart kommt mit seinem defekten Auto zur Gruppenerzieher*in Anja und bittet sie dieses zu reparieren. Sie schickt ihn jedoch zu Murat und sagt: »Murat kann das sicher besser.«

Solche Formen von »doing gender« verfestigen bei Kindern die Vorstellung, dass bestimmte Bereiche, Verhaltensweisen männlich und andere weiblich sind und behindern damit frühe Bildungsprozesse. Wenn sich solche Verhaltensweisen wiederholen, lernen Kinder: »Autos und Technik sind Jungen- und Männersache.« Frühe Botschaften zu Geschlechtsidentitäten sind eben auch bildungsrelevant, da sie Bildungsprozesse von Kindern fördern oder behindern.

In einer Studie in elf Kindergärten und Krippen in Genf zeigten sich u. a. folgende Ergebnisse zum »doing gender« (Ducret & Nanjoud 2012, S. 65–69) Ω Mädchen erhalten Komplimente zu ihrer ästhetischen Erscheinung, Jungen zu ihrer physischen Kraft. Ω Jungen werden häufiger (auf-)gefordert. Mädchen werden häufiger unterbrochen. Ω Mädchen werden weniger gelobt und ihnen wird weniger Beachtung geschenkt. Ω Jungen werden eher dazu ermutigt, eine Aufgabe erfolgreich abzuschließen. Ω Kinder werden nicht dazu ermutigt, sich mit geschlechtsuntypischen Spielmaterialien zu beschäftigen. Ω Wenn Kinder geschlechtsuntypische Spiele spielen, werden sie selten von erwachsenen Personen dabei begleitet. Ω Wenn pädagogische Fachkräfte in Konflikten intervenieren, schlagen sie häufiger den Mädchen vor, sich zu versöhnen.

3.2 »Doing gender«-Prozesse auf der Ebene der pädagogischen Fachkräfte

47

Vor allem in Situationen mit deutlich geschlechtlicher Konnotation verhalten sich pädagogische Fachkräfte häufig intuitiv und folgen spontan eigenen Vorlieben und Neigungen (vgl. auch Brandes et al. 2014, S. 38). Dadurch wirken sie authentisch und emotional engagiert, gleichzeitig behindern diese Formen des »doing gender« aber auch Entfaltungsmöglichkeiten und vor allem Geschlechtergerechtigkeit. In der »Tamdem-Studie« wurde deutlich, dass die professionellen Fachkräfte »… gerade diese Seite ihres Tuns wenig bewusst steuern und ihnen die geschlechterstereotype Konnotation quasi ›unter der Hand‹ passiert, selbst wenn sie in der Reflexion klischeehaften Geschlechtermustern glaubhaft kritisch gegenüberstehen« (BFSFJ 2015, S. 32). Der Zugang zur Fantasie und Kreativität der Kinder bietet die Chance, die Entwicklung von Geschlechtsidentitäten als offenen Prozess zu fördern. Dazu gehört es auch zu sehen, wo Kinder bereits die Geschlechterzuschreibungen überschreiten und wahrzunehmen, wie unterschiedlich auch Mädchen untereinander und Jungen untereinander sind und wie kreativ Kinder Geschlechtsidentitäten im Kontext von kultureller Herkunft, sozialem Milieu und sozialem Raum entwickeln. Auch die kritische Reflexion des eigenen Verhaltens in der pädagogischen Praxis ist notwendig. Wenn wir unsere Verhaltensweisen nicht kritisch reflektieren, reproduzieren und verstärken wir geschlechtstypisches Verhalten von Kindern. Genderbewusste Pädagogik dagegen setzt auf »undoing gender«. Methodische Prämissen für die pädagogische Praxis finden Sie in Kapitel 7, »Fachliche Orientierungen geschlechterbewusster Pädagogik«. »Doing«und auch »Undoing gender«-Prozesse finden wir im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter und im Privatleben ebenso wie im Berufsleben.

Fallbeispiel Vergeschlechtlichung im Arbeitsalltag Eine Kolleg*in von einer Hochschule für Wirtschaft berichtete folgende kleine Episode aus ihrem Berufsalltag in einer Bank. Bei einer längeren Konferenz, an der die Mitglieder des mittleren Managements der Bank teilnahmen, sagte einer der ausnahmslos männlichen Kollegen: »Kaffee wäre jetzt eine gute Idee.« Alle Männer* schauten darauf hin erwartungsvoll die einzige Frau* im Raum an. Was ist hier geschehen? Trotz der gleichen beruflichen Position bestimmt das Geschlecht die Erwartungsmuster und die sozialen Prozesse des Alltags- und Berufslebens. Trotz der Gleichheit des beruflichen Status wird Differenz über das Geschlecht hergestellt und wiederhergestellt. Denn in dem Augenblick, als es um Versorgung und Dienstleistung ging, wird die Kolleg*in in erster Linie in ihrer Rolle als Frau betrachtet. Wie aber kann sich die Kolleg*in dieser Vergeschlechtlichung entziehen? Benennt sie das untergründige Thema »gender« oder verweigert sich gar explizit, wird sie wahrscheinlich als »Emanze« stereotypisiert. Nach einer kurzen Pause antwortete sie daher: »Ja, das finde ich auch. Ich nehme meinen Kaffee mit Milch und Zucker.« Sie variiert also das Verhältnis der Geschlechter, indem sie ihre relativ hohe berufliche Position dazu nutzt, die vergeschlechtlichten Praktiken des Alltagslebens, also in diesem Fall für Kaffee zu sorgen, bewusst übergeht.

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3. Individuelle Geschlechtsidentitätskonstruktionen

3.3

Empfehlungen zur Verankerung einer genderbewussten Pädagogik

Genderbewusster Pädagogik geht es darum, geschlechtstypische Verhaltensweisen zu erweitern, um die Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern zu fördern. Individuelle Geschlechtsidentitätskonstruktionen werden als offener Prozess begleitet und Einschränkungen auf das, was jeweils als »männlich« oder »weiblich« verstanden wird, vermieden.

Genderbewusste Pädagogik bedeutet auf der Ebene der Geschlechtsidentitätskonstruktionen … Selbst- und Teamreflexion Ω Pädagogische Fachkräfte reflektieren ihre Vorstellungen vom »typischen Mädchen und typischen Jungen«. Selbstreflexion und Teamreflexion sind Voraussetzung für eine geschlechterbewusste Pädagogik (z. B. Wie war ich als Kind? Wann wurde ich besonders als »Mädchen« angesprochen? Hatte ich als Kind das Gefühl aufgrund meiner Geschlechtszugehörigkeit Privilegien bzw. Nachteile zu haben? War es wichtig als Junge oder Mädchen erkannt zu werden? Musste ich mich zuordnen? Wie gehen wir in der Einrichtung mit Kindern um, die nicht den Vorgaben der Zweigeschlechtlichkeit entsprechen?). Ω Geschlechtstypisches Verhalten der Kinder im Alltag wird von den pädagogischen Fachkräften hinterfragt (Wird auch wahrgenommen, wenn Kinder die Geschlechterzuweisungen überschreiten? – Es gibt viele kleine tobende Mädchen*, die sehr energisch sind und wissen was sie wollen. Manche scheinbar weibliche oder männliche Eigenschaft ist eher eine Frage des Temperaments). Ω Pädagogische Fachkräfte setzen sich mit den Mehrfachzugehörigkeiten von Kindern auseinander (denn vor allem Kinder mit Mehrfachzugehörigkeiten sind im Alltag häufig von Diskriminierung betroffen).

Zusammenarbeit im Team Ω Pädagogische Fachkräfte vermeiden in der alltäglichen Interaktion Verhaltensweisen, die traditionelle Geschlechterverhältnisse reproduzieren (so werden beispielsweise handwerkliche, technische oder sportliche Tätigkeiten nicht automatisch dem männlichen Kollegen oder Vätern oder Jungen in der Gruppe zugewiesen). Ω Im Team achten pädagogische Fachkräfte bei der Beschreibung von Kindern und deren Familien auf Individualität und machen sie nicht zu Repräsentant*innen einer sozialen Gruppe(z. B. werden Aussagen über die wilden türkischen Jungen* oder über die türkischen Familien vermieden, stattdessen geht es um das konkrete Kind bzw. die konkrete Familie …).

3.3 Empfehlungen zur Verankerung einer genderbewussten Pädagogik

Interaktion mit Kindern Ω Pädagogische Fachkräfte sind sensibel für die Konstruktion von Geschlecht in der alltäglichen Kommunikation und meiden Weiblichkeits- und Männlichkeitskonstruktionen (z. B. statt: »Ich brauche drei starke Jungen, die mir helfen.« besser: »Wer kann mir helfen …?« oder statt: »Wer von den Mädchen hilft den Kleinen …?« besser: »Wer kann helfen …?« und Formulierungen meiden wie: »Für ein Mädchen spielst du sehr gut Fußball.«). Ω Pädagogische Fachkräfte vermeiden Einordnungen wie »normal« und »abweichend« und Verallgemeinerungen wie beispielsweise »die Mädchen« oder »die Jungen«, stattdessen verwenden sie sachlich korrekte Beschreibungen für die Verhaltensweisen, Merkmale und Fähigkeiten der Kinder. Ω Pädagogische Fachkräfte gehen mit eigenen Inszenierungen von Geschlecht und jenen von Kindern überlegt um (z. B. orientieren sich die Kinder, die Eltern und die pädagogischen Fachkräfte eher an traditionellen oder eher an alternativen untypischen Geschlechterbildern?). Ω Es gibt regelmäßig Möglichkeiten, bei denen Kinder mit geschlechtsuntypischen Spielen und Verhaltensweisen experimentieren können (es geht nicht um Rollentausch, sondern darum viele Bereiche auszuprobieren und dann zu erfahren, was dem jeweiligen Kind entspricht). Ω Pädagogische Fachkräfte unterstützen Kinder in ihrer individuellen Geschlechtsidentitätsentwicklung (z. B. durch Angebote und Projekte zur Selbst- und Körperwahrnehmung) und indem die Kinder in der Kindertageseinrichtung die Möglichkeit erhalten sich über Geschlechtsidentitäten auszutauschen. Ω Kinder werden dazu angeregt ihre Geschlechtsidentität jenseits vorherrschender stereotyper Vorstellungen vom »richtigen Mädchen« und »richtigen Jungen« zu entwickeln (z. B. kann im Spiel mit Jungen* Kooperation und Fürsorglichkeit erprobt werden statt Konkurrenz oder es können Kinder bestärkt werden, die ein anderes Kind trösten, Übersetzerfunktion übernehmen und Gefühle und Bedürfnisse, die andere Kinder zeigen, benennen. Zudem können Kinder darin bestärkt werden Traurigkeit, Schwäche und ein Ruhebedürfnis genauso wahrzunehmen und ernst zu nehmen wie Gefühle wie Aggression, Selbstbehauptung und das Bedürfnis nach Bewegung, ohne diese als besser oder schlechter zu bewerten). Ω Pädagogische Fachkräfte greifen ein, wenn Kinder sich gegenseitig auf die Vorgaben der Kultur der Zweigeschlechtlichkeit hinweisen (z. B. wenn ein Junge gehänselt wird, weil er ein Kleid trägt oder gerne bastelt). Ω Kinder werden ermutigt sich darüber auszutauschen, was gerecht und ungerecht ist und was andere ausgrenzt. Kritisch denkende Kinder werden ermutigt, sich gemeinsam mit anderen aktiv für Gerechtigkeit einzusetzen.

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3. Individuelle Geschlechtsidentitätskonstruktionen

Zusammenarbeit mit Eltern Ω Damit die Vielfalt der geschlechtlichen, sexuellen und kulturellen Lebensweisen sichtbar wird, werden alle Familienkulturen in der Einrichtung anerkannt (z. B. können die verschiedenen Lebensweisen und Familienkulturen mit Bildern, Fotos in der Einrichtung dargestellt oder im Gespräch mit den Kindern thematisiert werden). Ω Alle Personen in Elternfunktion werden angesprochen und auch Entwicklungsgespräche werden mit allen geführt (z. B. werden bei Einladungen zu Elternabenden, in Infobriefen etc. immer alle Eltern angesprochen und nicht nur die Mütter). Ω Eltern werden im Rahmen von thematischen Elternabenden über geschlechterbewusste Pädagogik informiert und einbezogen (dabei wird darüber informiert, warum es für die Entwicklung der Kinder sinnvoll ist und was es im Alltag bedeutet).

Beginnen Sie damit im Team darüber zu sprechen, was Sie am Thema interessiert und warum Sie sich damit beschäftigen möchten. Damit die unterschiedlichen Sichtweisen Raum haben und eine eigene Haltung entwickelt werden kann, ist es wichtig, nicht mit Regeln und Normen zu beginnen, sondern mit Selbst- und Teamreflexion (siehe Kapitel 1.4). Verständigen Sie sich auf gemeinsame Ziele – ohne die unterschiedlichen Haltungen zu ignorieren. Genderbewusste Pädagogik ist eine Querschnittsaufgabe, d. h. sie soll nicht auf einzelne Projekte oder Angebote beschränkt werden, sondern im Alltag verankert und situativ thematisiert werden. Denn Geschlecht ist in alle Lebensbereiche verwoben und wirkt auf den verschiedensten Ebenen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema beinhaltet immer auch die Entwicklung eines umfassenden Verständnisses von Geschlecht, damit deutlich wird, welche Dimension jeweils gemeint ist: die körperliche Dimension (Gene, Hormone, Geschlechtsmerkmale …), die soziale Dimension (Spielverhalten, Stereotype …), die strukturelle Dimension (Arbeitsteilung der Geschlechter …), die psychische Dimension (das gefühlte Geschlecht, individuelle Geschlechtsidentitätskonstruktionen …) oder die sexuelle Dimension (Begehren, Verliebtsein …).7 All diese Dimensionen sind immer auch beeinflusst von kulturhistorischen und gesellschaftlichen Konstruktionen und Normierungen, es sind jedoch verschiedene Dimensionen. Für die pädagogische Praxis ist es notwendig zu analysieren, um welche Dimension es jeweils geht. Wenn sich beispielsweise der fünfjährige Paul ein Kleid anzieht, betrifft dies die soziale Dimension von Geschlecht, also sein Verhalten und nicht seine (spätere) sexuelle Orientierung. Dass wir eine geschlechterbewusste Pädagogik nicht nur brauchen, sondern auch rechtlich dazu verpflichtet sind, zeigt das folgende Kapitel zu den rechtlichen Rahmenbedingungen genderbewusster Pädagogik.

7 In Erweiterung der Dimensionen von Geschlecht von Christel Baltes-Löhr, die die körperliche, die psychische, die soziale und die sexuelle Dimension von Geschlecht (ebd. 2014, S. 31f.) unterscheidet, wird hier auch die strukturelle Dimension berücksichtigt.

4. Rechtliche Grundlagen

In diesem Kapitel erfahren Sie – was Frauen-, Kinder- und Behindertenrechtskonventionen jeweils konkret für Kindertageseinrichtungen und die pädagogische Arbeit mit Kindern bedeuten – welche rechtlichen Grundlagen uns zu einer genderbewussten Pädagogik verpflichten

In diesem Kapitel erhalten Sie – einen Überblicksplan zu den rechtlichen Grundlagen – Literatur und methodische Anregungen zum Thema Menschen- und Kinderrechte

Kinder sind nicht gleich, aber ihre Rechte sind es. Damit Kinder in ihren individuellen Interessen und Fähigkeiten gefördert werden – unabhängig von ihrer Geschlechtszugehörigkeit, ihrem Elternhaus, ihrer Kultur oder ihrer Religionszugehörigkeit –, gibt es Gesetze, die allen Kindern die gleichen Rechte geben. Kinderrechte sind Rechte, die allen Kindern zustehen. Die Menschenrechtskonventionen nehmen dabei nicht nur den Staat in die Pflicht die Kinderrechte umzusetzen, sondern ebenso die Zivilgesellschaft und damit auch alle Bürger*innen. Vor allem aber pädagogische Einrichtungen sind wichtige Garanten für die Umsetzung von Kinderrechten. Dazu ist es notwendig, die rechtlichen Grundlagen zu kennen und zu wissen, was diese für die Praxis in der Kindertagespflege, Kita und Hort bedeuten. Dazu werden ausgewählte Gesetze wiedergegeben, die uns zu einer genderbewussten Pädagogik verpflichten. Dabei wird dargestellt, welche Herausforderungen sich daraus für die pädagogische Praxis stellen. Einbezogen werden sowohl die Ebene der Kinder, der Pädagog*innen und der Eltern (Mikroebene) als auch die Ebene der pädagogischen Einrichtungen (Mesoebene) und die strukturelle Ebene (Makroebene).

4.1 UN-Menschenrechtskonvention, CEDAW, UNKinderrechtskonvention und UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen Die »Charta der Vereinten Nationen« und die »Allgemeine Erklärung der Menschenrechte« sind Grundlage international anerkannter Rechte. Grundlegend für die Menschenrechtsformulierungen sind die in der Präambel formulierten Grundsätze wie u. a. die Würde des Menschen, der Wert der menschlichen Person und die Gleichberechtigung von Frau und Mann.

4.1 Rechte und Konventionen

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Artikel 2 »Jeder Mensch hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach ›Rasse‹,8 Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.«

Menschenrechtsorganisationen wie etwa Amnesty International oder Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zeigen für die einzelnen Länder, inwieweit es zu Verletzungen der Menschenrechtskonventionen kommt. Seit ihrer Verankerung haben die Vereinten Nationen den Menschenrechtskatalog immer mehr erweitert und Standards für Frauen, Kinder, Menschen mit Beeinträchtigungen, Flüchtlinge, Minderheiten und andere Gruppen eingeführt. Es wurden verschiedene Regelungen entwickelt und Organisationen eingerichtet, um diese Rechte zu fördern und Regierungen bei der Ausübung ihrer Pflichten zu unterstützen (vgl. Czollek u. a. 2009, S. 80).

Deklaration zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (CEDAW) Menschenrechte haben (k)ein Geschlecht. Mit dieser Formulierung wird hervorgehoben, dass Menschenrechte für alle gelten, also universell sind und damit auch für alle Geschlechter gleichermaßen gültig sein müssen. Lange wurden jedoch geschlechtsbezogene Diskriminierungen nicht als Verletzungen von Menschenrechten definiert: wie z. B. die Diskriminierung von Menschen, die nicht den dominanten Vorgaben der Kultur der Zweigeschlechtlichkeit entsprechen (z. B. queere Lebensweisen, inter- und transgeschlechtliche Menschen) und kulturell legitimierte sowie sexualisierte Gewalt gegen Frauen* (z. B. Beschneidung, Menschenhandel, häusliche Gewalt). Dies hat sich u. a. mit dem »Internationalen Übereinkommen gegen jede Form der Diskriminierung der Frau« (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women, CEDAW) von 1979, ferner als Ergebnis der Wiener Menschenrechtskonferenz geändert. So wurde inzwischen z. B. Gewalt im privaten Raum als Menschenrechtsthema verankert.

Artikel 1 »Jede mit dem Geschlecht begründete Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung, die zur Folge oder zum Ziel hat, dass die auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau gegründete Anerkennung, Inanspruchnahme oder Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch die Frau – ungeachtet ihres Familienstandes – im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, staatsbürgerlichen oder jedem sonstigen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird.«

8 Der Begriff »Rasse« wird in den Menschenrechtskonventionen verwendet. Ich nutze hier Anführungszeichen, da der Begriff negative Differenzen und Hierarchien herstellt (vgl. auch Czollek u. a. 2009, S. 80).

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4. Rechtliche Grundlagen

Die Vertragsstaaten verpflichten sich nicht nur jede Diskriminierung der Frau zu verurteilen, sondern auch eine Politik zur Beseitigung von Diskriminierung zu verfolgen (Artikel 2). Gegenüber der Gleichheitsverankerung in den UN-Menschenrechtskonventionen stellt die CEDAW eine Erweiterung dar, weil geschlechtsbezogene Diskriminierungen anerkannt werden und die Verantwortlichkeit der Vertragsstaaten für Regelverletzungen auf nicht-staatliche Akteur*innen erweitert wird. Dies ist notwendig, weil viele Diskriminierungen gegen Frauen* nicht von staatlicher Seite erfolgen, sondern im privaten Raum stattfinden (z. B. häusliche Gewalt).

Artikel 5 Für die pädagogische Arbeit ist vor allem auch der Artikel 5 der CEDAW grundlegend. Hier werden die Vertragsstaaten zu geeigneten Maßnahmen verpflichtet, um »einen Wandel in den sozialen und kulturellen Verhaltensmustern von Mann und Frau zu bewirken, um so zur Beseitigung von Vorurteilen sowie von herkömmlichen und allen sonstigen auf der Vorstellung von der Unterlegenheit oder Überlegenheit des einen oder des anderen Geschlechts oder der stereotypen Rollenverteilung von Mann und Frau beruhenden Praktiken zu gelangen« (BMFSFJ 2013, S. 21).

Pädagogische Arbeit kann einen wesentlichen Beitrag zur Beseitigung von Ungleichheiten in den Geschlechterverhältnissen leisten.

Checkliste Bedeutung der CEDAW für die pädagogische Praxis Ω In der Kindertageseinrichtung gibt es keine geschlechtsbezogenen Diskriminierungen der pädagogischen Fachkräfte, der Eltern oder auch der Kinder. Ω Die Lernumgebung ist vorurteilsfrei, d. h. auch, dass Geschlechterstereotype vermieden werden und die unterschiedlichen Lebens- und Familienformen (u. a. auch Einelternfamilien, queere Lebensweisen, Pflegefamilien) einbezogen werden. Ω Kindertageseinrichtungen fördern Entfaltungsmöglichkeiten geschlechtsunabhängig und entwickeln Maßnahmen zur Umsetzung von Geschlechtergerechtigkeit.

Mit der Ratifizierung einer Konvention verpflichten sich die Vertragsstaaten, die Rechte auch in ihre Rechtssprechung aufzunehmen und Maßnahmen zur Umsetzung zu entwickeln. Dabei müssen die jeweiligen Regierungen in regelmäßigen Abständen berichten, wie die Konvention umgesetzt wurde und wird. In Bezug auf die CEDAW wurde die Bundesrepublik von den Sachverständigen des UN-Frauenrechtsausschusses aufgefordert, 2011 einen Zwischenbericht zu zwei Punkten vorzulegen, die in ihren Augen in Deutschland besonders besorgniserregend sind: zum einen die Tatsache, dass es in Deutschland keine Zusammenarbeit der Bundesregierung mit den Verbänden der trans- und intersexuellen Menschen gab und zum anderen die vergleichsweise sehr hohe Lohnlücke zwischen Männern* und Frauen* (Rodi 2009, S. 164).

4.1 Rechte und Konventionen

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UN-Kinderrechtskonvention: Schutz, Förderung und Beteiligung Die UN-Kinderrechtskonvention wurde 1989 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet und wurde seither von 193 Staaten ratifiziert. Damit ist sie das weltweit von den meisten Staaten anerkannte Menschenrechtsabkommen. Die Konvention umfasst 54 Artikel. Die Rechte legen fest, dass Kinder zu schützen sind (Schutzrechte), in ihrer Entwicklung unterstützt und gefördert werden (Förderungsrechte) und in allen Dingen, die sie betreffen, zu beteiligen sind (Beteiligungsrechte). Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes hat außerdem einige Rechte als Allgemeine Prinzipien (General Principles) bezeichnet und damit hervorgehoben. Dazu gehört Artikel 2, der ein umfassendes Diskriminierungsverbot enthält. Zu den hier aufgeführten unzulässigen Diskriminierungsmerkmalen gehört auch das Geschlecht des Kindes. Auch wenn die Bestimmungen relativ allgemein gehalten sind, sind sie von Wichtigkeit. Sie machen deutlich, dass Kinder Rechtssubjekte sind und beteiligt werden müssen und dass ein nahezu universeller Menschenrechtsschutz besteht, unabhängig von Geschlechtsidentität, nationaler Herkunft, kultureller und religiöser Verwurzelung (vgl. Maywald 2013a, S. 39). Die »Europäische Charta für das Kind« ist seit 1992 in Kraft und regelt die Rechte von Kindern und soll die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Europa fördern. In Deutschland setzt sich die »National Coalition« bei der Bundesregierung, in den Ländern, Städten und Gemeinden sowie auf EU-Ebene dafür ein, dass die Kinderrechtskonvention in die Praxis umgesetzt wird. Viele Organisationen in Deutschland, die sich für Kinder und Jugendliche einsetzen, gehören der »National Coalition« an. Sie kritisiert beispielsweise seit vielen Jahren, dass Kinder in Deutschland viel zu wenig beteiligt werden, wenn es um ihre Belange geht, und entwickelt Maßnahmen zur Umsetzung der Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen. In den skandinavischen Ländern besitzen Kinder schon sehr viel mehr Rechte auf Beteiligung, so muss zum Beispiel der individuelle Lehrplan, den die Schule für sie erstellt, mit ihnen besprochen werden (vgl. Rieber 2014, S. 235).

Was bedeutet die Kinderrechtskonvention für Kindertageseinrichtungen und die pädagogische Praxis? Es gibt viele pädagogische Maßnahmen, wie Kinder geschützt (vgl. u. a. Maywald 2013b) und gefördert werden können und viele Ideen, wie Kinder an der Gestaltung ihres Alltags und an den für sie wichtigen Entscheidungen beteiligt werden können (vgl. u. a. Hansen, Knauer, Sturzenecker 2011). Eine Voraussetzung hierfür ist jedoch auch das Wissen um die eigenen Rechte. Die Kinderrechtskonvention fordert vor allem, Kindern Rechte nicht nur einzuräumen, sondern sie auch zu unterstützen diese wahrzunehmen. Vorab wäre eine Bestandsaufnahme sinnvoll.

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4. Rechtliche Grundlagen

Bestandsaufnahme Kinderrechte in der Einrichtung Bildung über Kinderrechte (Wissen über ihre Rechte) Ω Kennen die Kinder, Eltern und pädagogischen Fachkräfte die Kinderrechte? Ω Wie werden in der Einrichtung Entscheidungen gefällt? An wen können sich pädagogische Fachkräfte, Kinder und deren Eltern wenden, um ihre Interessen zu äußern?

Bildung durch Kinderrechte (Lernumgebung/Rahmenbedingungen) Ω Ist die Vielfalt der Kinder und der pädagogischen Fachkräfte repräsentiert? Ω Gibt es Ressourcen zur Umsetzung der Kinderrechte (Zeiten, pädagogische Unterstützung der Kinder, Räume, Materialien, Geld, Barrierefreiheit)?

Bildung für Kinderrechte (Handlungsebene) Ω Gibt es Möglichkeiten Rechte einzufordern bzw. einzuklagen (z. B. in Kinderkonferenzen, Kinderparlamenten, aber auch mit Unterstützung von Erwachsenen)? Ω Werden Kinder gefördert und unterstützt, Kompetenzen zu entwickeln, um ihre Rechte umzusetzen (z. B. sich äußern können, anderen zuhören können, sich auseinandersetzen können …)?

Materialien zur Kinderrechtsbildung Das Grundlagenwerk »Compasito« (7 bis 13 Jahre) bietet zahlreiche methodische Anregungen, wie zu menschenrechtlichen Themen gearbeitet werden kann: Deutsches Institut für Menschenrechte/Europarat/BPB (Hrsg.): Compasito – Handbuch zur Menschenrechtsbildung mit Kindern. Paderborn 2009 Zu bestellen über: www.bpb.de. Online abrufbar: www.compasito-zmrb.ch Kittel, Claudia (2008): Kinderrechte: ein Praxisbuch für Kindertageseinrichtungen. München. Maywald, Jörg (2012): Kinder haben Rechte! Kinderrechte kennen – umsetzen – wahren. Weinheim. Penka, Sabine; Fehrensbacher, Roland (2012): Kinderrechte umgesetzt: Grundlagen, Reflexionen und Praxis. Freiburg. Auch die Literatur und Materialien zur Partizipation (Kapitel 9.3) können genutzt werden.

UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen Die sogenannte UN-Behindertenrechtskonvention wurde am 13.12.2006 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Damit wird die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen in allen Teilbereichen des gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens verankert. Ziel ist es, dass die Gesellschaft den Menschen mit Beeinträchtigungen Inklusion ermöglicht und sie bei der uneingeschränkten Wahrnehmung ihrer Menschenrechte unterstützt.

4.1 Rechte und Konventionen

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Was bedeutet die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen für Kindertageseinrichtungen und die pädagogische Praxis? Mit der Ratifizierung der UN-Konvention wird Inklusion als zentrale gesellschaftliche Aufgabe des Bildungswesens betont. Gefordert werden Veränderungen in der Bildungslandschaft, um Auslese und Aussonderung zu beenden und Bildungsgerechtigkeit herzustellen (vgl. Sulzer 2013, S. 12). Gemäß der UNESCO-Kommission wird Inklusion als ein Prozess verstanden, bei dem auf die verschiedenen Bedürfnisse von allen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen eingegangen wird. Erreicht wird dies durch die verstärkte Partizipation an Lernprozessen, Kultur und Gemeinwesen, sowie durch Reduzierung und Abschaffung von Exklusion in der Bildung« (Deutsche UNESCO-Kommission 2010, S. 9). Mit der Betonung, die Bedürfnisse aller Kinder zu berücksichtigen, spricht die UNESCO sowohl die Herausforderung an, Kinder in ihrer Unterschiedlichkeit wahrzunehmen, als auch die Risiken, die einzelne oder Gruppen haben, nicht oder weniger an Bildung teilhaben zu können. Es handelt sich hier um einen Perspektivwechsel: Im Mittelpunkt stehen nicht mehr nur einzelne Kinder oder soziale Gruppen von Kindern, die nicht »passen« oder als »abweichend« gelten.

Inklusion in Bildungseinrichtungen Bei Inklusion geht es vielmehr darum, dass sich Bildungseinrichtungen, der Frage stellen, wo sie in ihren Strukturen, ihrem Handeln, ihren Curricula dazu beitragen bestimmte soziale Gruppen zu benachteiligen oder auszugrenzen (vgl. Sulzer 2013, S. 16). Inklusion bedeutet, dass es Aufgabe der Bildungseinrichtung ist die Teilhabe aller Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen zu ermöglichen. Es geht darum alle Kinder wahrzunehmen, zu fördern und zu beteiligen; mit ihren unterschiedlichen Stärken und Schwächen, ihren Interessen und Bedürfnissen, ihren sozialen (Mehrfach-)Zugehörigkeiten und Lebenswelten. Inklusion ist ein Prozess, der Zeit braucht und immer auch Organisationsentwicklung und Team- und Selbstreflexion beinhaltet.

Dabei ist es notwendig, eine Dramatisierung einer einzelnen sozialen Zugehörigkeit oder eines einzelnen Aspekts der Identität zu vermeiden. Denn Kinder ausschließlich als Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe zu betrachten, z. B. als »behindert« oder als »Migrant« führt zu Vorurteilen. Vor allem aber entspricht es nicht den Kindern in ihrer Individualität. Denn Kinder leben in sehr verschiedenen Lebenswelten und konstruieren ihre Identitäten aus mehreren Merkmalen und Zugehörigkeiten. Diese sind mit Benachteiligungen oder Privilegierungen verbunden, werden zugeschrieben oder selbst gewählt, sind mehr oder weniger veränderlich (vgl. Prengel 2010; Sulzer 2013, S. 12ff.), vor allem aber miteinander verbunden. Inklusion beinhaltet daher immer auch die Aneignung und Verknüpfung von Wissen und Kompetenzen der genderbewussten Pädagogik mit Wissen aus unterschiedlichen pädagogischen Arbeitsfeldern, wie u. a. der kultursensiblen oder der heilpädagogischen Arbeit. Dies ist eine Herausforderung an die genderbewusste pädagogische Praxis.

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4. Rechtliche Grundlagen

Checkliste der Menschen- und Kinderrechtsbildung genderbewusster Pädagogik 1) Bildung über Menschenrechte (Kenntnisse/ethische Reflexion) Pädagogische Fachkräfte Ω kennen die rechtlichen Rahmenbedingungen und die verschiedenen Konventionen (z. B. Kinderrechtskonvention) Ω reflektieren kritisch ihr Verständnis von Normalität und Abweichung und reflektieren ihre Haltung auf der Grundlage der Menschenrechte Ω haben Wissen über die verschiedenen »verletzlichen Gruppen« (wie z. B. Kinder mit einer körperlichen oder kognitiven Beeinträchtigung, Kinder in Armutslagen, Kinder aus Migrant*innenfamilien, Kinder mit Flüchtlingserfahrung, Inter*-Kinder …) Ω nehmen Kinder in ihren Mehrfachzugehörigkeiten und ihrer konkreten Lebenswelt wahr

2) Bildung durch Menschenrechte (Lernumgebung) Die Kindertageseinrichtung gewährleistet, dass Ω institutionelle Strukturen, Abläufe, Selbstverständlichkeiten und Routinen so organisiert sind, dass keine Kinder (oder deren Familien) ausgegrenzt werden Ω die Zugänglichkeit für alle Kinder gewährleistet ist und es Barrierefreiheit gibt Ω Kinder, Eltern und auch pädagogische Fachkräfte nicht aufgrund ihrer Geschlechtsidentität, ihrer Kultur, ihrer Ethnie, ihrer Milieuzugehörigkeit, ihrer körperlichen Verfasstheit oder ihrer sexuellen Orientierung etc. diskriminiert werden Ω die verschiedenen Kinder mit ihren unterschiedlichen Zugehörigkeiten in der Einrichtung repräsentiert sind und gleichberechtigt teilhaben können

3) Bildung für Menschenrechte (Handlungsebene) Pädagogische Fachkräfte Ω fördern Kinder – jenseits von Geschlechterstereotypen – in ihren individuellen Entfaltungsmöglichkeiten Ω schaffen eine vorurteilsbewusste Umgebung (siehe Kapitel 1) Ω schützen Kinder vor (sexualisierter) Gewalt, Verwahrlosung und Vernachlässigung Ω entwickeln alters- und geschlechtergerechte Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder (siehe Kapitel 9) Ω aktivieren Kinder und deren Eltern sich in der Einrichtung und im sozialen Raum (Gemeinde/Stadtteil) zu beteiligen Ω arbeiten ressourcenorientiert Ω entwickeln bzw. nutzen Konzepte und Methoden der Kinder- und Menschenrechtsbildung (Materialien siehe Kapitel 4.1) Ω fördern dadurch das Gerechtigkeitsempfinden von Kindern und die Fähigkeit, sich für die eigenen Rechte und für die Rechte anderer einzusetzen

4.2 Gesetze

4.2

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Grundgesetz der BRD, Kinder- und Jugendhilfegesetz, Allgemeines Gleichstellungsgesetz, Recht auf körperliche Unversehrtheit und Personenstandsrechts-Änderungsgesetz

Die rechtliche Forderung nach Gleichheit und gegen Diskriminierung sowie die Forderung der Umsetzung einer genderbewussten Pädagogik finden wir auf nationaler Ebene in verschiedenen Gesetzen wieder. Von besonderer Bedeutung ist dabei Artikel 3 des Grundgesetzes (GG: Gleichheitsgrundsatz), der ein allgemeines Gleichheitsgebot und ein Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts enthält.

Artikel 3 » (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner ›Rasse‹,9 seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.«

Eigene Kinderrechte gibt es im Grundgesetz bisher nicht. Im Sozialgesetzbuch hingegen gibt es gesondert Rechte für Kinder und Jugendliche.

Das Kinder- und Jugendhilfegesetz Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (Achtes Buch Sozialgesetzbuch, SGB VIII) ist Bestandteil des Sozialrechts und enthält unterschiedliche Sozialgesetzgebungen, die auf die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und die Förderung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen abzielen. Bestandteil des Gesetzes sind sowohl Leistungsansprüche der Eltern als auch Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte von Kindern. Als Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe gelten die im SGB VIII enthaltenen Regelungen auch für Kindertageseinrichtungen. In § 9 Absatz 3 SGB VIII wird die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen als zentrales Merkmal und übergreifendes Ziel der Kinder- und Jugendhilfe festgelegt.

9 Der Begriff » Rasse« wird auch im Grundgesetz der Bundesrepublik verwendet. Er wird hier gemäß dem Grundgesetz zitiert, aber in Anführungszeichen gesetzt, weil der Begriff Hierarchien und Unterschiede im negativen Sinne konstruiert.

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4. Rechtliche Grundlagen

§ 9 SGB VIII Absatz 3 »Bei der Ausgestaltung der Leistungen und der Erfüllung der Aufgaben sind […] 3. die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen, Benachteiligungen abzubauen und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen zu fördern.«

In § 22 SGB VIII Absatz 3 wird der Förderauftrag von Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflegestellen beschrieben.

§ 22 SGB VIII Absatz 3 Der Förderauftrag von Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflegestellen umfasst die »Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes und bezieht sich auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes. Er schließt die Vermittlung orientierender Werte und Regeln ein. Die Förderung soll sich am Alter und Entwicklungsstand, den sprachlichen und sonstigen Fähigkeiten, der Lebenssituation sowie den Interessen und Bedürfnissen des einzelnen Kindes orientieren und seine ethnische Herkunft berücksichtigen.«

Kinderschutz wird als elementare gesellschaftliche und politische Aufgabe verstanden, das Wohl der Kinder zu garantieren. In der Diskussion um Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt gegen Kinder wird die Forderung nach einer Qualifizierung von Pädagog*innen erhoben, die diese in die Lage versetzen soll, Anzeichen von Misshandlung und Gewalt gegen Kinder zu erkennen und zu ihrem Schutz beizutragen (vgl. Rabe-Kleberg; Danrow 2012, S. 34).

§ 8a Absatz 4 SGB VIII Es gehört zu den Pflichtaufgaben von Kindertageseinrichtungen, bei Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte für die Gefährdung eines von ihnen betreuten Kindes eine Gefährdungseinschätzung vorzunehmen. Dabei ist eine insoweit erfahrene Fachkraft hinzuzuziehen sowie die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten und das Kind in die Gefährdungseinschätzung einzubeziehen, wenn hierbei der wirksame Schutz des Kindes nicht infrage gestellt wird. Sollten wichtige Anhaltspunkte darauf hinweisen, dass die Eltern bzw. ein Elternteil selbst infrage kommen, ihr Kind sexuell zu missbrauchen, muss das Jugendamt informiert werden, auch ohne die Eltern einzubeziehen.

4.2 Gesetze

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Allgemeines Gleichstellungsgesetz (AGG) Das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG), ist in der Bundesrepublik im August 2006 in Kraft getreten. Das Gesetz ist sehr komplex und soll hier nur in Bezug auf die Frage skizziert werden, was es für Kindertageseinrichtungen bedeutet. Das Gesetz wendet sich gegen mittelbare und unmittelbare Diskriminierungen sowie Belästigungen von Menschen mit spezifischen »personenbezogenen Merkmalen«, wie ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion und Weltanschauung, »Behinderung«, Alter, »Sexuelle Identität«10 . Es regelt Ansprüche und Rechtsfolgen sowohl für das Arbeitsleben als auch für das Zivilrecht und ist die nationale Umsetzung von vier Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft zum Schutz vor Diskriminierung. Zwei dieser vier Europäischen Rahmenrichtlinien beziehen sich auf das Thema Gender.

Rahmenrichtlinien zum Schutz vor Diskriminierung (3) Gender-Richtlinie: Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (AB1. EG Nr. L269 S. 15) (4) Richtlinie zur Gleichstellung der Geschlechter außerhalb des Erwerbslebens: Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (AB1. Nr. L373 vom 21/12/2004 S. 37-43).

Findet eine Diskriminierung oder Belästigung innerhalb der Kita statt, können diskriminierte Personen klagen. Die Beweislast liegt dabei bei der beklagten Partei, daher ist das AGG repressiv und präventiv. Das AGG soll gegen bestehende Benachteiligungen wirken und zugleich zukünftige Ungleichheiten verhindern. »Allerdings beinhaltet das AGG Ausnahmeregelungen im Hinblick auf Benachteiligungen, die gerechtfertigt sein können, z. B. AGG § 9: von der Leitungsstelle der Caritas kann verlangt werden, der katholischen Kirche anzugehören und sich öffentlich dazu zu bekennen (Loyalität); Klagen wären hier aufgrund religiöser Anschauung nicht möglich« (Czollek & Perko & Weinbach 2009, S. 94). Das AGG beinhaltet nicht nur Rechte, sondern es sind auch Pflichten für Institutionen, wie Kindertageseinrichtungen damit verbunden: Ω Aushangspflicht (§ 12 Abs. 5 AGG: Allen Mitarbeitenden muss das AGG zugänglich gemacht werden). 10 Der Begriff wird hier in Anführungszeichen wiedergegeben, da es sich hier um eine »sexuelle Orientierung« handelt und nicht um eine Identität, wie beispielsweise die davon unabhängig und zu trennende Geschlechtsidentität (siehe S. 44)

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4. Rechtliche Grundlagen

Ω Schulungspflicht (§ 12 Abs. 2 AGG: Alle Vorgesetzte und Mitarbeitende müssen zum AGG geschult werden). Ω Sorgfaltspflicht (§ 12 Abs. 1 AGG: Es müssen vorbeugende Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierung ergriffen werden). Kindheitspädagogik und Kindertageseinrichtungen müssen das AGG in ihren verschiedenen Bereichen und auf den verschiedenen Ebenen (Kinder, Pädagog*innen, Eltern) präventiv berücksichtigen. Es geht auch darum, dass ein Wissen erarbeitet wird, wie es zu Benachteiligungen und Diskriminierungen kommt, und darum, diese zu überwinden.

Das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit und PersonenstandsrechtsÄnderungsgesetz In Deutschland werden jährlich schätzungsweise mehr als dreihundert Kinder geboren, deren Körper eine einfache Zuordnung zu männlich und weiblich entsprechend der medizinischen Normen nicht zulassen. Bei diesen intergeschlechtlichen bzw. Inter*-Kindern entsprechen die körperlichen Geschlechtsmerkmale (z. B. Genitalien, Chromosomen oder das Mengenverhältnis der Hormone) nicht alle einem Geschlecht. Von ärztlicher Seite wurde oftmals empfohlen, Inter*-Kinder operativ einem Geschlecht zuzuordnen. Der Menschenrechtsaktivist Dan Christian Ghattas beschreibt, dass den Eltern von Inter*-Kindern häufig Angst gemacht wird: »Also der Klassiker ist: ›Überlegen Sie doch, ob Sie Ihr Kind nicht operieren lassen, denn wenn es dann in den Kindergarten kommt, dann weiß es nicht, welche Toilette es benutzen soll oder dann sehen auch die anderen, dass da was anders ist.‹ Also statt darauf zu pochen, dass im Kindergarten aufgeklärt wird, wird das Kind dann entsprechend zugerichtet« (Ghattas in: Focks 2014b, S. 7). Die geschlechtszuweisenden Operationen erleben Kinder, die diesen Eingriffen in der Regel nicht zugestimmt haben, als starke und lebenslage Traumatisierung. Selbsthilfe- und Menschenrechtsorganisationen setzen sich daher seit einigen Jahren verstärkt für die Rechte von Inter*-Kindern und -Jugendlichen ein. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit von Kindern fordert inzwischen auch der Europarat in der Resolution vom Oktober 2013.

Resolution 1952 des Europarats (2013) Der Europarat fordert seine Mitgliedstaaten auf »sicherzustellen, dass niemand in der Kindheit unnötiger medizinischer oder chirurgischer Behandlung ausgesetzt wird, die kosmetisch statt gesundheitlich lebenswichtig ist; die körperliche Unversehrtheit, Autonomie und Selbstbestimmung der betroffenen Person zu garantieren und Familien mit intergeschlechtlichen Kindern mit angemessener Beratung und Unterstützung zu versorgen«.

4.3 Zusammenfassung rechtlicher Grundlagen für eine genderbewusste Pädagogik

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Durch die Veränderung des Personenstandsgesetzes konnte 2013 zudem erreicht werden, dass Eltern von Inter*-Kindern nicht mehr gezwungen werden, ihr Kind in rechtlicher Hinsicht auf ein bestimmtes Geschlecht festzulegen.

Gesetz zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften11 Mit dem Personenstandsänderungsgesetz besteht die Möglichkeit das Geschlecht des Kindes im Geburtenregister offen zu lassen. Ein nächster Schritt soll darin bestehen, geschlechterzuweisende Operationen an die höchstpersönliche Einwilligung des Kindes zu binden. Weitere Informationen für Inter*- und Trans*-Kinder und Jugendliche, Eltern und pädagogische Fachkräfte finden Sie auf der Internetseite www.meinGeschlecht.de. Hier finden Sie neben Fachliteratur auch Kinderbuchempfehlungen, Fortbildungsmöglichkeiten und Beratungs- und Unterstützungsangebote in Ihrer Nähe.

4.3

Zusammenfassung rechtlicher Grundlagen für eine genderbewusste Pädagogik

Rechtliche Grundlagen, Rahmenpläne und Politikstrategien Genderbewusst zu arbeiten ist nicht nur pädagogisch sinnvoll und notwendig, pädagogische Fachkräfte sind auch rechtlich dazu verpflichtet. Genderbewusste Pädagogik ist dabei immer auch menschen- und kinderrechtsorientiert.

UN-Menschenrechtskonvention Präambel Artikel 2

Gleichberechtigung von Frau und Mann.

Deklaration zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (CEDAW) Artikel 1 Artikel 2 Artikel 5

Diskriminierungsverbot der Frau Verfolgung einer Politik zur Beseitigung jeder Diskriminierung von Frauen Wandel in den sozialen und kulturellen Verhaltensmustern der Geschlechter, d. h. auch Beseitigung von Geschlechterstereotypen und von Über- und Unterordnung der Geschlechter

UN-Kinderrechtskonvention: Schutz, Förderung und Beteiligung Allg. Prinzipien Artikel 2 Umfassendes Diskriminierungsverbot (u. a. aufgrund des Geschlechts)

UN Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen Artikel 24

Umsetzung eines inklusiven Bildungssystems auf allen Ebenen

11 Personenstandsrechts-Änderungsgesetz – PstRÄndG vom 7. Mai 2013, am 1.11.2013 in Kraft getreten

64

4. Rechtliche Grundlagen

Grundgesetz der Bundesrepublik (GG): Gleichheitsgrundsatz Artikel 3

Allgemeines Gleichheitsgebot und Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts

Das Kinder- und Jugendhilfegesetz: Schutz, Förderung und Beteiligung § 8a Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung § 9 Absatz 3 Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen, Abbau von Benachteiligungen, Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen § 22 Absatz 3 Förderauftrag der Kita (Erziehung, Bildung und Betreuung) bezieht sich auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes

Allgemeines Gleichstellungsgesetz (AGG), Europäische Rahmenrichtlinien: Allgemein GenderRichtlinie

Diskriminierungsverbot aufgrund von »personenbezogenen Merkmalen«, wie u. a. Geschlecht und sexuelle Orientierung Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen

Richtlinie zur Gleichstellung der Geschlechter außerhalb des Erwerbslebens Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen

Das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit (Europarat 2013) Resolution 1952

Verbot unnötiger medizinischer oder chirurgischer Behandlung in der Kindheit. Angemessene Beratung und Unterstützung für Familien mit intergeschlechtlichen Kindern

Personenstandsrechts-Änderungsgesetz (2013) Möglichkeit das Geschlecht des Kindes im Geburtenregister offen zu lassen.

Bildungs- und Orientierungspläne der Bundesländer (siehe Kapitel 8.4) Geschlechterbewusste Pädagogik wird in den Bundesländern unterschiedlich stark berücksichtigt

Gender Mainstreaming (Gesetzliche Verankerung und Politikstrategie) (Kapitel 7.4) Verpflichtung zur Herstellung tatsächlicher Gleichstellung von Männern und Frauen und von Mädchen und Jungen als Querschnittsaufgabe Zur Umsetzung einer genderbewussten Pädagogik im Zusammenhang mit Inklusion ist es notwendig, sich neben den rechtlichen Grundlagen vor allem auch mit den theoretischen Annahmen und Erklärungsansätzen zu Geschlecht und Geschlechterverhältnissen auseinanderzusetzen. Denn nur so können wir eine bewusste und reflektierte Haltung entwickeln und auch scheinbare Gewissheiten und gewohnte Denkmuster in Frage stellen. Wie sich die Vorstellungen von Geschlecht im Wandel der Zeit, der Kulturen und der Diskurse verändert hat, erfahren Sie im folgenden Kapitel.

5. Geschlecht im Spiegel der Kulturen, Epochen und Diskurse

In diesem Kapitel erfahren Sie – wie sich Geschlecht in den Vorstellungen, den Strukturen und dem Erleben von Menschen im Wandel der Zeit verändert hat – welche theoretischen Annahmen und Diskurse zu Geschlecht es gibt – was die verschiedenen Diskurse jeweils für die pädagogische Praxis bedeuten

In diesem Kapitel erhalten Sie – einen Überblicksplan zu den verschiedenen Diskursen – Anregungen für die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen theoretischen Perspektiven im Team, in der Fort- und Weiterbildung und im Studium

Pädagogische Professionalität zeichnet sich durch einen reflektierten Umgang mit theoretischen Annahmen und Erklärungsmustern aus. Denn diese beeinflussen unser pädagogisches Handeln und unsere Haltung Kindern gegenüber entscheidend.

Fallbeispiel Max B. Max B., der Vater von Tim (16 Jahre) und Clara (5 Jahre), hat eine geringe Meinung von »Theorien«. Nichtsdestoweniger beruht seine Erziehung auf theoretischen Annahmen, auch wenn sie ihm nicht bewusst sind. Während Tim mit fünf Jahren alleine in die Kita gehen durfte und als Jugendlicher auch abends und nachts alleine unterwegs ist, darf Clara nicht alleine zur Kita kommen. Diese unterschiedliche Erziehung fußt auf seiner Annahme, dass Mädchen* und Frauen* im öffentlichen Raum gefährdeter sind. Dies ist nicht nur eine theoretische Annahme, die sich im Alltag eingebürgert hat, sondern auch in dieser Eindeutigkeit nicht belegbar. So zeigen polizeiliche Kriminalstatistiken, dass die Gefahr, im öffentlichen Raum Opfer von Raub oder Körperverletzung zu werden, für junge Männer* deutlich größer ist (vgl. Bundeskriminalamt 2011, www.bka.de). Außerdem weist Max B. die Erzieher*innen darauf hin, dass Mädchen* gerade im öffentlichen Raum besonders beaufsichtigt werden müssen, um sie vor sexuellem Missbrauch zu schützen. Auch dies ist eine theoretische Annahme und nur teilweise richtig. Mädchen* werden zwar häufiger als Jungen* Opfer von sexualisierter Gewalt. Allerdings ist diese Gefahr im privaten Bereich eindeutig größer als im öffentlichen Raum, wie Forscherinnen nachgewiesen haben (vgl. u. a. Kavemann 1999, S. 22). Denn die Täter*innen sind meist keine Fremden, sondern Verwandte, Freund*innen der Eltern etc., Personen also, die die Kinder kennen.

5.1 Vielfältige Geschlechter im Wandel der Zeit und der Kulturen

67

Das Beispiel zeigt, dass theoretische Annahmen nicht nur ganz alltäglich unser Handeln beeinflussen, sondern manchmal auch wissenschaftlichen Befunden und Tatsachen widersprechen. Es handelt sich dabei häufig um vereinfachte und wissenschaftlich nicht begründete Erklärungsmuster, die von immer mehr Menschen gebraucht und schließlich für Tatsachen gehalten werden. Sie werden dann zu etwas Selbstverständlichem, das nicht in Frage gestellt wird. Im Unterschied zum Alltagsdenken und -handeln zeichnet sich pädagogische Professionalität durch einen kritischen Umgang mit Theorie aus. Das schließt zum einen die Reflexion der eigenen theoretischen Annahmen ein, zum anderen die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Erklärungstheorien und Forschungsergebnissen. Dies ist ein kontinuierlicher Prozess. Wissenschaftliche Theorien können außerdem dazu dienen, Abstand zum pädagogischen Alltag zu gewinnen und diesen zum Gegenstand der Reflexion zu machen. Sie ermöglichen mit dem Blick auf gesellschaftliche Strukturen und in andere Epochen und Kulturen scheinbar Selbstverständliches zu dekonstruieren. Da es eine Vielzahl von Erklärungstheorien gibt, werden Entscheidungen nötig, was wiederum die eigene Verantwortung herausfordert und ermöglicht eine eigene Haltung zu entwickeln. Wie wir pädagogisch handeln und welche Methoden wir verwenden, hängt von unseren theoretischen Annahmen und unserer Haltung ab. Denn pädagogisches Handeln ist eben nicht nur die Anwendung von Methoden, sondern ein schöpferischer und kognitiver Prozess, der die ganze Person fordert.

5.1

Vielfältige Geschlechter im Wandel der Zeit und der Kulturen

Bei der Erklärung von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen kursieren viele Alltagstheorien und unreflektierte Erklärungsmuster. Geschlecht wird dabei häufig als natürlich, unveränderbar und konstant betrachtet. Alltagstheoretisch wird beispielsweise häufig davon ausgegangen, dass die heutige geschlechtstypische Arbeitsteilung immer schon vorherrschte. Vergleiche mit Polarvölkern, die über Jahrtausende einen unveränderten Lebensstil bewahrt haben, zeigen jedoch keine eindeutige Arbeitsteilung von Geschlechtern, wie beispielsweise beim Jagen und Kinderfüttern (vgl. Röder 2007, S. 69ff.). Je weiter man prähistorisch zurückblickt, so Durkheim, desto geringer werden die Unterschiede zwischen den Geschlechtern (Durkheim 1988, S. 103). Durkheim zeichnet dabei beispielsweise nach, dass Frauen* keineswegs das »schwache Geschlecht« waren, vielmehr hätten sich auch die geschlechtstypischen körperlichen Unterschiede erst im Laufe der zivilisatorischen Entwicklung, vor allem im Zuge der Arbeitsteilung, zunehmend durchgesetzt (ebd.).

Konstruktion der bürgerlichen Geschlechterordnung Der Mann* als Ernährer der Familie und die Frau als versorgende Ehefrau und Mutter ist historisch betrachtet eine relativ neue Entwicklung des späten 19. Jahrhunderts. Erst mit der Trennung von Arbeit und Leben im Zuge der industriellen Revolution in Nordamerika und Europa wurde diese Arbeitsteilung notwendig.

68

5. Geschlecht im Spiegel der Kulturen, Epochen und Diskurse

Auch unser heutiges Verständnis von Kindheit und Mutterschaft ist relativ neu, quasi eine »Erfindung« des Bürgertums und der wohlhabenden Schichten in Europa und Nordamerika. Aufgrund der hohen Kindersterblichkeit und der Notwendigkeit, dass alle in den Haushalten lebenden Menschen gleich viel und hart arbeiten mussten, war eine Arbeitsteilung in dieser Form nicht vorhanden. Aber auch im 19. Jahrhundert entsprach die bürgerliche Geschlechter- und Familienordnung nicht der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Vor allem in den unteren gesellschaftlichen Schichten und in den bäuerlichen Haushalten waren alle gezwungenermaßen erwerbstätig. Da die Geschlechterkonstruktion historisch neu war und nicht der gesellschaftlichen Wirklichkeit des Großteils der Bevölkerung entsprach, musste sie erst gerechtfertigt und ideologisch erklärt werden (vgl. Honegger 1991, S. 115ff.; Hausen 1988, S. 173ff.). Zur Begründung dieser Kultur der Zweigeschlechtlichkeit diente die in Westeuropa im 18.und 19. Jahrhundert entstehende weibliche Sonderanthropologie. Mit naturwissenschaftlichem Anspruch wurden hier weibliche Charaktermerkmale aus den Besonderheiten des weiblichen Körpers, vor allem der Gebärfähigkeit abgeleitet. Frauen* sprach man dabei rationales Denken und Handeln weitgehend ab (daher seien sie weder für das Wahlrecht noch für höhere Bildung oder berufliche Tätigkeit geeignet). Dagegen wurden Frauen* Charaktermerkmale und Eigenschaften zugeschrieben, die sie für den familialen Bereich und die Kindererziehung im privaten Bereich prädestinierten (vgl. Steinbrügge 1987, S. 40ff.; vgl. Honegger 1991, S. 115ff.).

Entstandene Geschlechterordnung Die Geschlechterordnung, die sich mit dem Bürgertum im späten 19. Jahrhundert in Europa und Nordamerika durchgesetzt hat, basiert auf einer Herstellung und Dramatisierung von Geschlechterdifferenzen. Sie entspricht dem Denken der sogenannten »instrumentellen Vernunft«, einer Art zu denken, zu fühlen und zu handeln, die sich in Europa mit der Aufklärung zunehmend durchgesetzt und andere frühere Formen des Denkens verdrängt hat. Diese Form der Vernunft basiert auf einem »entweder – oder«Denken, das keine Gleichzeitigkeiten oder Wechselseitigkeiten kennt. Vielmehr werden Differenzen als polare Gegensätze hergestellt (Natur – Kultur, Frau – Mann, …), als konstant betrachtet und (auf- oder ab-) gewertet. Charakteristisch für dieses materialistische Verständnis von Geschlecht ist, dass es für natürlich und unveränderbar erklärt wird. Mit der Natur wird beispielsweise begründet, dass die Frau »zu Hause« bleibt, während der Mann in die »Welt« geht.

Doch bereits damals gab es Widerstand und Gegenstimmen. So haben die Aktivist*innen der ersten Frauenbewegungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert für die rechtliche Gleichstellung und die Ausweitung der grundlegenden Bürgerrechte für Frauen* gekämpft, vor allem ging es um das Wahlrecht, um gleiche Bildungschancen und um gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Einige Frauen* aus dem gebildeten Bürgertum nutzten diese Geschlechterordnung als Möglichkeit für den Zugang zu höherer Bildung und Berufstätigkeit. Sie begründeten mit dem Ideal der »geistigen Mütterlichkeit«, dass soziale und pflegerische Berufe Frauenberufe seien. So

5.2 Die Trennung von bilologischem und sozialem Geschlecht

69

wurde auch das Berufsbild der »Kindergärtnerin« als dem weiblichen Wesen entsprechend konstruiert (vgl. Focks 1994, S. 68ff.; Focks 2002, S. 43). Damit trugen sie auch zur Naturalisierung dieser bürgerlichen Konstruktion von Weiblichkeit (emotional und fürsorglich) im Gegensatz zur Männlichkeit (rational) bei. Bis über die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts hinaus war die Geschlechterordnung in Nordamerika und Europa geprägt von einem solchen materialistischen Verständnis von Geschlecht als von »der Natur« vorgegeben. So wurde zwar in den Verfassungen der BRD und der DDR von 1949 die Gleichberechtigung von Männern* und Frauen* rechtlich verankert, gleichzeitig wurde die Aufgabenteilung der Geschlechter im Bürgerlichen Gesetzbuch der BRD bis 1976 manifestiert: Der Mann ist der »Ernährer« und die Frau das »Herz« der Familie. Trotz zunehmender Tendenzen zur Koedukation (gemeinsame Erziehung von Mädchen* und Jungen*), galten nach diesem Verständnis auch die Bildungsbestrebungen vor allem Jungen*, während Mädchen* besonders gefördert wurden eine gute Mutter und Hausfrau zu werden.

Geschlechtsidentität Die Entwicklung von Geschlechtsidentität ist auch eine »kulturelle« Entwicklungsaufgabe und nicht etwa allein biologisch determiniert. Denn Geschlechtsidentität ist zugleich der Ausdruck eines bestimmten Verständnisses von Geschlecht. Dabei sind die Normen, Stereotype und auch die Machtstrukturen der jeweiligen Kultur und Zeit immer der Hintergrund der Geschlechtsidentitätsentwicklung von Kindern.

5.2

Die Trennung von biologischem und sozialem Geschlecht

Im Zuge der Zweiten Frauenbewegungen der späten 60er-Jahre wurde die geschlechtsspezifische Rollenaufteilung kritisiert und Emanzipation, Gleichberechtigung und vor allem eine umfassende Bildung für Mädchen gefordert. Ebenso wie die erste Frauenbewegung war auch die Zweite Frauenbewegung sehr heterogen und es wurden sehr unterschiedliche Belange benannt und Forderungen gestellt (u. a. Lohngleichheit, Entlohnung von Hausarbeit, Prävention und Intervention gegen häusliche Gewalt). Mit der Trennung von sex (als biologisches Geschlecht) und gender (als sozial und kulturelles Geschlecht) wurde die Verknüpfung von weiblichem Körper und weiblicher gesellschaftlicher Rolle (u. a. als Ehefrau und Mutter) hinterfragt. Mit dieser Trennung konnte deutlich gemacht werden, dass beispielsweise das geringe Interesse junger Männer* an pädagogischen Berufen oder das geringe Interesse vieler Mädchen* in der Kita an Technik nicht genetisch bedingt ist, sondern dass Kinder und Jugendliche durch eine geschlechtstypische Sozialisation die Geschlechterrollen einüben.

70

5. Geschlecht im Spiegel der Kulturen, Epochen und Diskurse

Eine der Wegbereiter*innen für die Trennung von biologischem oder körperlichem Geschlecht einerseits und dem sozialen Geschlecht, der gesellschaftlichen Rolle bzw. den Normen andererseits war die französische Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir. In ihrem einflussreichen Buch »Das andere Geschlecht« von 1949 veranschaulicht sie eindrücklich, dass das soziale Geschlecht eben nicht aus der Biologie und dem Körper abgeleitet werden kann – dass die Biologie eben nicht das Schicksal einer Person bestimmt. »Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es. Keine biologische, psychische oder ökonomische Bestimmung legt die Gestalt fest, die der weibliche Mensch in der Gesellschaft annimmt« (Beauvoir 1992, S. 334). Heute werden diese Zusammenhänge eher mit den englischen Begriffen sex (biologisches Geschlecht) und gender (soziales Geschlecht) dargestellt (vgl. auch Kerner 2007, S. 5f.).

sex und gender Bei diesen kulturellen Konstruktionen der Geschlechterordnung wird davon ausgegangen, dass es biologisch (nur) Frauen und Männer (sex) gibt, dass das Geschlecht konstant bleibt und dass es entsprechend dazu ein soziales und kulturelles Geschlecht (gender) gibt.

Die Debatte um Gleichheit oder Differenz Die Trennung zwischen dem biologischen und dem sozialen Geschlecht hat sich spätestens Mitte der 70er-Jahre in Nordamerika und Westeuropa in der Geschlechterforschung durchgesetzt. Weiblichkeit und Männlichkeit wird als soziale Kategorie begriffen und die unterschiedliche gesellschaftliche Bewertung wird kritisiert. Darüber hinaus gibt es jedoch unterschiedliche Perspektiven, die sich vor allem in der Debatte um die Gleichheit oder die Differenz der Geschlechter ausdrücken. So besteht beispielsweise Uneinigkeit darüber, ob gängige Weiblichkeits- oder Männlichkeitsattribute abzulehnen oder nicht vielmehr hervorzuheben seien (vgl. ebd.).

5.2 Die Trennung von bilologischem und sozialem Geschlecht

71

Gleichheitsperspektiven Den Vertreter*innen der sogenannten Gleichheitsperspektiven geht es darum, für Frauen* und Männer* gleiche Rechte, gleiche Chancen, gleiche Bildung und gleiche Fähigkeiten anzuerkennen. Zielsetzung bei dieser Perspektive, die die Frauenbewegungen des 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts beeinflusst hat, ist die Aufhebung der Benachteiligung von Mädchen* und Frauen* durch eine Politik der Beteiligung (Partizipation), der Gleichstellung, der Quotierung usw. Die Gleichstellung von Frauen* und Männern* wird dabei für den öffentlichen und den privaten Raum gefordert. Das heißt, dass Männer* sich mehr an der Familien- und Erziehungsarbeit im privaten Raum beteiligen und Frauen* mehr am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben im öffentlichen Raum.

In ihrem Vorwort zu Maxie Wanders Roman »Guten Morgen du Schöne« kommentiert Christa Wolf den Wert der Gleichheit, der seit der Französischen Revolution einer der Leitwerte demokratischer Gesellschaften ist. »Ja: Ökonomisch und juristisch sind wir den Männern gleichgestellt, durch gleiche Ausbildungschancen und die Freiheit, über Schwangerschaft und Geburt selbst zu entscheiden, weitgehend unabhängig, nicht mehr durch Standes- und Klassengrenzen von dem Mann unserer Wahl getrennt; und nun erfahren wir (wenn es wirklich Liebe ist, was wir meinen, nicht Besitz und Dienstleistung auf Gegenseitigkeit), bis zu welchem Grad die Geschichte der Klassengesellschaft, das Patriarchat, ihre Objekte deformiert hat und welche Zeiträume das Subjektwerden des Menschen – Mann und Frau – erfordern wird […] Erst wenn Mann und Frau sich nicht mehr um den Wochenlohn streiten, … darum, ob die Frau ›arbeiten gehen‹ darf und wer dann die Kinder versorgt; erst wenn die Frau für ihre Arbeit genauso bezahlt wird wie der Mann … erst dann beginnt sie, belangvolle Erfahrungen zu machen, die sie nicht allgemein, als menschliches Wesen weiblichen Geschlechts, sondern persönlich, als Individuum betreffen« (vgl. Wolf 1978, S. 13f.).

Christa Wolf thematisiert den Widerspruch zwischen formaler, rechtlich garantierter Gleichheit und faktischer Ungleichheit und Ungleichbehandlung von Frauen* und Männern*. Sie kritisierte damit auch die staatlich organisierte »Emanzipation der Frau« in der DDR. Der damals entstehenden Frauenforschung ging es vor allem darum, den Arbeitsbegriff, der nur beruflich geleistete Arbeit umfasste, auszuweiten und z. B. auch Erziehungs- und Hausarbeit als Arbeit anzuerkennen. Die bis dahin unsichtbare Arbeit von Frauen* sollte sichtbar gemacht werden. In diesem Zusammenhang wurde die Forderung nach der Bezahlung von Haus- und Erziehungsarbeit diskutiert. Es ging aber auch um die Frage, wie sogenannte frauentypische Berufe, wie Lehrerin, Erzieherin, Pädagogin, Krankenschwester etc., gesellschaftlich aufgewertet werden könnten. Ebenfalls von der Gleichheitsperspektive geprägt war die Forderung nach Erschließung neuer, anderer Berufsbereiche für Mädchen* und Frauen*, wie z. B. im Bereich Technik und Wirtschaft.

72

5. Geschlecht im Spiegel der Kulturen, Epochen und Diskurse

Nach der Gleichheitsperspektive wird Geschlecht nicht als »Naturtatsache«, sondern als eine soziale »Strukturkategorie« begriffen, die historisch und im Rahmen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Notwendigkeiten entstanden und veränderbar ist. Analysiert werden gesellschaftliche Verhältnisse, durch die Frauen* und Männern* in der Gesellschaft unterschiedliche Positionen zugeordnet werden. Nach der Gleichheitsperspektive wird die Geschlechterdifferenz und -hierarchie im Laufe der Sozialisation von Kindern erlernt.

Beispiel für die Gleichheitsperspektive in der Praxis Erfahrungen in der pädagogischen Praxis zeigen, dass viele Mädchen* nach wie vor ein geringeres Interesse an Technik zeigen. Wie aber ist diese Realität zu erklären? Nach der gleichheitstheoretischen Perspektive mangelt es Kindern nicht aufgrund ihrer biologischen Anlagen an technischen Fähigkeiten und Interessen. Vielmehr werden diese Fähigkeiten und Interessen bei Mädchen* wenig gefördert, sodass sie häufig ihr Interesse an der Technik verlieren bzw. gar nicht erst entwickeln und dadurch benachteiligt sind. Viele Jungen* dagegen entwickeln beispielsweise weniger Fähigkeiten im Bereich Fürsorge und Beziehungsorientierung und mehr im Bereich des Durchsetzungsvermögens und der Selbstbehauptung, was ihnen gesellschaftlich nutzt.

Pädagogischen Konzepten, die auf den theoretischen Annahmen der Gleichheitsperspektive gründen, geht es darum, Kindern – unabhängig von ihrer Geschlechtszugehörigkeit – Kompetenzen zu vermitteln, gleichberechtigt in der Gesellschaft teilzuhaben. Da die gesellschaftlichen Bedingungen jedoch für Mädchen* und Jungen* sehr unterschiedlich sind, sollen sie in der pädagogischen Arbeit auch unterschiedlich gefördert und ihnen der Zugang zu häufig bereits verschütteten Fähigkeiten und Kompetenzen eröffnet werden. Das heißt, dass bei Mädchen* Möglichkeiten der Selbstbehauptung und Durchsetzung eigener Belange, die Teilhabe im öffentlichen und politischen Raum gefördert sowie der Erwerb technischer Kompetenzen unterstützt werden soll. Dabei ist vor allem auch die Modellfunktion der erwachsenen Frauen* von entscheidender Bedeutung. In der pädagogischen Arbeit mit Jungen* hingegen soll Beziehungsorientierung, Einfühlsamkeit und soziale Verantwortung gefördert werden. In ihrem Alltag kann ihnen vor allem durch das Verhalten der männlichen Pädagogen und Kinder vermittelt werden, dass sie auch schwach, klein und traurig sein dürfen. Aus der gleichheitstheoretischen Perspektive geht es um gleiche Rechte, Chancen und Teilhabemöglichkeiten von Mädchen*/Frauen* und Jungen*/Männern*. Die Gleichheitsperspektiven wurden jedoch auch kritisch betrachtet. Denn durch Maßnahmen, wie Quotierung und berufliche Förderung von Frauen* besteht das Risiko, dass Frauen* zwar in beruflichen Bereichen zunehmend gleichgestellt werden, die hierarchischen und beschädigenden Strukturen beispielsweise vieler Bereiche des Berufslebens jedoch nicht verändert werden; nun müssen sich neben »den Männern« eben auch »die Frauen« an diese anpassen. Auch die Kultur der Zweigeschlechtlichkeit wird hier nicht in Frage gestellt.

5.2 Die Trennung von bilologischem und sozialem Geschlecht

73

Die Differenzperspektiven Differenztheoretische Geschlechtertheorien standen besonders in den 80er-Jahren im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Diskussion. Ausgehend von Carol Gilligans Forschungsergebnissen zur Moralentwicklung der Frau, die unter dem Titel »In a different voice« veröffentlicht wurden, stand »die andere Moral« (Gilligan 1984), »das andere Denken«, »das andere Arbeitsvermögen«, »das andere Töten« usw. von Frauen* und Mädchen* im Mittelpunkt.

Differenzperspektiven Vertreter*innen der Differenzperspektiven gehen davon aus, dass »die Frauen« und »die Männer« bzw. »die Mädchen« und »die Jungen« sich in ihren Lebensäußerungen unterscheiden, da sie historisch und aktuell in unterschiedlichen Erfahrungs- und Alltagswelten leben, die sie unabhängig von ihrem Wollen in soziale Gestaltungsprinzipien einbinden. Im Differenzansatz wird also nicht mehr die Gleichheit, sondern die Differenz der Geschlechter gesehen.

Das Ziel der Vertreter*innen der Differenzperspektiven war, die Verallgemeinerung und Höherbewertung von »Männlichkeit« sichtbar zu machen. Das heißt, dass Verhaltens-, Denk- und Gefühlsweisen, die eher als männlich gelten, wie Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptungsstreben, als menschlich verallgemeinert und gesellschaftlich hoch anerkannt werden, während jene, die als weiblich gelten, wie Einfühlungsvermögen, Fürsorglichkeit etc. gesellschaftlich wenig wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Besonders deutlich herausgearbeitet wurde die mangelnde Wertschätzung am Beispiel der geringen gesellschaftlichen Anerkennung von Haus- und Erziehungsarbeit, von pflegerischen und von pädagogischen Berufen. Es ging den Vertreter*innen der Differenzperspektive um die kritische Diskussion des »Männlichen« und eine Anerkennung und Aufwertung des »Weiblichen«. Dazu gehört vor allem auch die kritische Einschätzung, dass es in dieser Gesellschaft immer noch mehr anerkannt ist, sich durchzusetzen und für sich selbst und das eigene Fortkommen zu sorgen, als soziale Verantwortung für andere Menschen und für das Gemeinwesen zu übernehmen (Vorrang der Autonomie des Subjekts gegenüber seiner sozialen Verantwortung).

Beispiel für die Differenzperspektive in der Praxis Wenn Zerda und Jenny wenig Interesse an Technik zeigen und eher still sind, wird dies nicht als Defizit gesehen, sondern als geschlechtsspezifisches Verhalten. Und der Blick wird eher auf ihre Ressourcen gerichtet, wie z. B. die Fähigkeit Beziehungen zu gestalten, sich einzufühlen oder für andere zu sorgen. Wenn Moritz und andere Jungen aus der Gruppe toben, rennen und kämpfen ist das dementsprechend ein normales jungenspezifisches Verhalten.

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5. Geschlecht im Spiegel der Kulturen, Epochen und Diskurse

Pädagogische Konzepte, die die Arbeit mit den theoretischen Annahmen dieser Perspektive begründen, orientieren sich an den differenten Lebenswelten von Mädchen und Jungen. Die Fähigkeiten und Interessen von Mädchen und Jungen werden hervorgehoben und gefördert. Ausgangspunkt der pädagogischen Arbeit sind die Stärken und die Ressourcen von Mädchen* bzw. von Jungen*. So wird beispielsweise Einfühlungsvermögen, Beziehungsorientierung und Fürsorge im Alltag sichtbar gemacht, bewusst wertgeschätzt und bei den Mädchen gefördert. Soziale und pflegerische Kompetenzen werden bestärkt bzw. in der pädagogischen Praxis vermittelt. Jungen* dagegen werden unterstützt in jenen Bereichen, die als jungentypisch gelten. Es wird beispielsweise davon ausgegangen, dass sie einen stärker ausgeprägten Bewegungsdrang haben, sodass ihnen mehr Raum für Bewegung, Toben, Kämpfen etc. gegeben werden sollte. Ausgangspunkt sind immer die differenten jungen- bzw. mädchenspezifischen Verhaltens- und Gefühlsweisen und Körper. Die differenztheoretische Perspektive wurde und wird jedoch kritisch betrachtet. Denn die Strategie, eine Gleichberechtigung und -bewertung der Geschlechter erreichen zu wollen, indem die Unterschiede betont werden, hat leicht eine Verstärkung der Differenzen zur Folge. So werden mit der Akzentuierung der Differenz oft zugleich Geschlechterstereotype festgeschrieben und verstärkt. Denn die Zuschreibungen machen nicht nur all jenen das Leben schwer, auf die diese Attribute nicht zutreffen (beispielsweise Mädchen*, die eben gerne toben und Fußball spielen, oder Jungen*, die gerne tanzen oder basteln), sondern schränken alle Kinder in ihren Entfaltungsmöglichkeiten ein auf scheinbar jungen- und mädchenspezifisches Verhalten. Kritisch betrachtet wurde auch, wie sich diese Geschlechterordnung in gesellschaftlichen Strukturen manifestiert hat, was wiederum z. B. zur Benachteiligung von Einelternfamilien führt, zu unterschiedlicher Bezahlung von Frauen* und Männern*, zu Benachteiligung von homosexuellen Menschen und zur Tabuisierung und Diskriminierung von Trans*- und Inter*-Menschen. Denn bei dieser Konstruktion der Geschlechter wird vorausgesetzt, dass es (nur) Frauen und Männer gibt und dass das sexuelle Begehren auf das jeweils andere Geschlecht gerichtet ist.

5.3

Natur oder Kultur: Die Entnaturalisierung von Sex

Wenngleich es bisher keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Fragen des Einflusses von Natur und Kultur gibt, weisen doch einige Forschungsergebnisse beispielsweise in der Biologie und der Hirnforschung darauf hin, dass es viele und weitreichende Wechselwirkungen zwischen Natur und Kultur gibt. So hat beispielsweise unsere Lebensweise Einfluss auf die Gene der folgenden Generationen (siehe beispielsweise auch die Untersuchungen zu Veränderungen der Körpergröße in Zeiten des Wohlstands oder des Körperbaus nach Kriegen). Auch zeigt sich in der Gehirnforschung, dass es vor allem die Plastizität ist, die die Gehirne von Menschen charakterisieren, d. h. deren Anpassungs- und Lernfähigkeit (vgl. u. a. Obrecht 1999, S. 30ff.; Eliot 2010). So zeigt die Neurobiologin Eliot, dass sich keine wirklich relevanten Unter-

5.3 Natur oder Kultur: Die Entnaturalisierung von Sex

75

schiede zwischen männlichen und weiblichen Gehirnen festellen lassen, dass sich das Gehirn nicht nur im Kindesalter, sondern auch noch im Erwachsenenalter mit den Erfahrungen, die es macht, verändert (vgl. Eliot 2010). Die klare Trennung von sex und gender wurde in den 90er-Jahren in der Gender- und Queerforschung zunehmend in Frage gestellt. Dabei ging es nicht darum anatomische Unterschiede oder die Materialität des Körpers zu verleugnen (vgl. Kerner 2007, S. 11ff.). Es ging vielmehr um die Frage, ob die herrschende Geschlechterordnung nicht nur unser Verhalten und unsere Wahrnehmung beeinflusst und unsere Gesellschaft strukturiert, sondern auch unsere Körper und unser Körperempfinden beeinflusst. So vertritt Judith Butler beispielsweise die These, dass neben dem sozialen und kulturellen Geschlecht (gender) auch Aspekte der Körperlichkeit und des Begehrens (sex), die in der Regel der Biologie zugeschrieben werden und daher als natürlich gelten, soziale Ursachen haben (vgl. Butler 1990, S. 23). Sie betrachtet daher nicht nur die Trennung von sex und gender kritisch, sondern auch, dass es biologisch nur zwei Geschlechter gibt und diese in ihrem Begehren aufeinander bezogen sind, also die Norm der Heterosexualität. Mit der Kritik der sex/gender-Trennung wird zudem die Vorstellung zurückgewiesen, dass sex und gender, also körperliches/biologisches Geschlecht und gefühltes Geschlecht/Geschlechtsidentität, immer übereinstimmen. So kämpfen weltweit homosexuelle, Trans*- und Inter*-Menschen gegen Diskriminierung und für die Anerkennung ihrer Menschenrechte. Neben unterschiedlichen sexuellen Orientierungen (u. a. Hetero-, Homo- und Bisexualität) gibt es auch vielfältige Geschlechtsidentitäten und geschlechtliche Lebensweisen (Queerforschung). So finden sich einige Kulturen mit drei Geschlechtergruppen; in Indien z. B. existiert als drittes Geschlecht die Kategorie der Hijras, im südamerikanischen Juchatan kennt man als drittes Geschlecht die Muxes (vgl. u. a. Baltes-Löhr 2014, S. 30; Kerner 2007, S. 13). Weiterhin sind Geschlechterordnungen bekannt, die einen Spielraum zwischen Mann- und Frau-Sein ermöglichen, wie die Guevedoce, eine Personengruppe, die in der Dominikanischen Republik lebt. Bei der Geburt sind sie als nicht eindeutig männlich oder weiblich zu erkennen. Häufig setzt mit der Pubertät eine Maskulinisierung ein, die jedoch an ihrem Status als Guevedoce nichts ändert (Baltes-Löhr 2014, S. 30). Ein weiteres Beispiel sind die Kwolu-Aatmwol auf Papua-Neuguinea, die geschlechterübergreifend erzogen werden und Identitäten jenseits bekannter Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen entwickeln (vgl. ebd.). Auch sind verschiedene Geschlechterordnungen bekannt, die einen Geschlechtswechsel im Laufe des Lebens erlauben, z. B. die Berdache im indigenen Nordamerika und »weibliche Ehemänner« (vgl. Schröter 2002) in Afrika.

76

5. Geschlecht im Spiegel der Kulturen, Epochen und Diskurse

Beispiel für die Verletzung von Menschenrechten von Inter*-Kindern Der in Europa und Nordamerika herrschende Zwang zu einem biologisch eindeutig weiblichen bzw. männlichen Körper zeigt sich besonders drastisch im Umgang mit intersexuellen Kindern. Hier wurde vielfach mit medizinisch chirurgischen Mitteln versucht Eindeutigkeit herzustellen. Wie die Ergebnisse der vom Deutschen Ethikrat befragten Menschen zeigen, gelingt dies in der Regel jedoch nicht: Spätestens mit Einsetzen der Pubertät haben körpereigene Reifungsprozesse diesen Konstruktionswunsch zumindest behindert. Zugleich führten diese menschenrechtsverletzenden medizinischen Eingriffe und Behandlungen zu psychischen und physischen Erkrankungen (vgl. Deutscher Bundestag 2012b, S. 165; Bora 2012, S. 17).

In vielen Ländern und auch in Deutschland wenden sich Inter*-Menschen gegen den Zwang gesellschaftlich und auch rechtlich entweder als Frau oder als Mann kategorisiert zu werden und kämpfen für ihre Menschenrechte (vgl. u. a.Bora 2012, S. 17). Auch Trans*-Menschen stellen die polare Geschlechterordnung Frau/Mann in Frage, weil sie sich einem anderen als dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht zugehörig fühlen oder ihre Geschlechtsidentität jenseits der binären Geschlechterordnungen leben (vgl. TransInterQueer 2012). Hier wird deutlich, dass sowohl die körperliche als auch die psychische Dimension von Geschlecht von den jeweils herrschenden Geschlechterordnungen und den entsprechenden Normierungsprozessen beeinflusst werden und eine klare Trennung zwischen »sex« und »gender« nicht möglich ist.

Dekonstruktivistische Perspektive In den sogenannten dekonstruktivistischen Perspektiven in der Geschlechterforschung wird davon ausgegangen, dass das biologische Geschlecht niemals in einem »natürlichen Urzustand« vorzufinden ist, sondern durch unterschiedliche Diskurse hergestellt wird.12 Ziel ist es diese Diskurse zur Herstellung der Geschlechterverhältnisse zu de-konstruieren, also aufzudecken und sichtbar zu machen, und die »Zwangsordnung von Sex, Gender und Begehren« (Butler 1990, S. 6) aufzudecken und zu denaturalisieren. Judith Butler, die Hauptvertreterin dieser Perspektive, beschreibt Geschlecht als »zwingende, ständige Wiederholung kultureller Konventionen am Körper und durch den Körper« (Butler 1993, S. 10).

Judith Butler geht dabei, anders als in Sozialisationstheorien üblich, davon aus, dass die geschlechtlichen Normierungen, denen jeder Mensch ausgesetzt ist, niemals enden, Vergeschlechtlichung also ein unabschließbarer Prozess ist. Ein Prozess, der keineswegs mit Erreichen eines bestimmten Lebensalters abgeschlossen ist. Vielmehr sind Menschen ständig gezwungen, sich zu den Geschlechternormen, die sie betreffen, zu verhalten und als verge-

5.3 Natur oder Kultur: Die Entnaturalisierung von Sex

77

schlechtlichte Person zu agieren (vgl. Butler 1993, S. 10). Indem Butler die Konstruktion der Kategorie Geschlecht in den Blick nimmt, zeigt sich hier eine Nähe zu den sozialkonstruktivistischen Ansätzen (vgl. auch Rose 2011, S. 83).

»Doing gender« Auch nach dem Verständnis der sozialkonstruktivistischen Ansätze ist das herrschende Verhältnis der Geschlechter weder genetisch festgelegt noch sind wir von Geschlechterrollen vollständig geprägt. Vielmehr werden die herrschenden Geschlechterverhältnisse als Ergebnis einer sozialen Praxis und Konstruktion, und damit als veränderbar betrachtet. Im Gegensatz zu differenztheoretischen Ansätzen in der Geschlechterforschung, welche vielfach von einer essenzialistischen, eindeutigen Differenz der Geschlechter ausgehen, wird Geschlecht hier als ein Repertoire aus Verhaltens-, Gefühlsweisen und Körperpraxen betrachtet. Ein Repertoire, das in der sozialen Interaktion immer bedeutsam ist und überall in gleicher Weise und als eindeutig hergestellt werden muss. »Bei voll sozialisierten Mitgliedern einer Gesellschaft erfolgen dabei sowohl die Darstellung als auch die Interpretation der Darstellungsleistung so routiniert und unexplizit, dass diese für die Beteiligten selbst zumeist ungesehen bleiben und auch für wissenschaftliche Beobachter nur schwer zu entschlüsseln sind« (Gildemeister & Robert 2011, S. 98).

Sozialkonstruktivistische Perspektiven Im Mittelpunkt der sozialkonstruktivistischen Perspektiven stehen die Eigenaktivität und die Selbstbildungsprozesse von Kindern. Geschlecht ist aus dieser theoretischen Perspektive nicht etwas, das wir haben oder sind, sondern etwas, das wir »tun«. Wie Kinder und Erwachsene dies tun, wie sie Geschlechterdifferenzen, wie sie Junge- und Mädchen-Sein darstellen, das ist mit dem Begriff »doing gender« gemeint. Geschlecht ist aus dieser Perspektive kein eindeutiges, stabiles immer gleich bleibendes Merkmal, vielmehr stellen Kinder und Erwachsene »Weiblichkeit« und »Männlichkeit« situativ her. Sie (re-)produzieren also aktiv Geschlechterverhältnisse und betonen oder überschreiten (»undoing gender«) auch Geschlechterzuweisungen und -symboliken.

Kinder müssen sich dieses Handlungs- und Gefühlsrepertoire, diese Körperpraxen und die Regeln der Geschlechterunterscheidung erst aneignen. Dies geschieht zunächst in der frühen Kindheit über äußere Geschlechtersymbole, wie etwa Spielmaterialien, Kleidung und Farben. 12 Diskurs meint hier Systeme des Denkens und Sprechens, die das Wahrgenommene von der Welt erschaffen, indem sie die Art und Weise der Wahrnehmung beeinflussen. Judith Butler (1997), eine wesentliche Vertreterin dieser Perspektive, bezieht sich dabei auf jene Sprechakttheorie, die besagt, dass bestimmte sprachliche Äußerungen das erzeugen, was sie benennen. Diese Richtung der Geschlechterforschung wird auch als »poststrukturalistischer« Ansatz bezeichnet.

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5. Geschlecht im Spiegel der Kulturen, Epochen und Diskurse

Später geschieht dies zunehmend durch verschiedene Verhaltensweisen, Arten der Gefühlsäußerung und Körperpraxen. Die Darstellung von Geschlecht verselbständigt sich im Zuge der Entwicklung dabei immer mehr und wird zunehmend routinierter. Wenn Kinder sich das Verhaltensrepertoire und die Regeln aneignen – quasi einverleiben –, entwickelt sich zunehmend ein kategoriales Denken. Äußere Symbole entscheiden dann nicht mehr allein über die Geschlechtszugehörigkeit. Nach diesem Verständnis von Geschlecht kommt der pädagogischen Arbeit mit Kindern in Bildung und Erziehung daher eine besondere Bedeutung zu (vgl. Focks 2014a, S. 161f.).

Beispiel für »doing gender« in der Praxis Wenn Tim in der Kita Interesse an Technik zeigt, tobt, kämpft, mit Eren konkurriert oder wenn Julia eine Vorliebe für die Farbe Rosa, für Glitzer, Feen, Pferde zeigt und sich für technische Dinge nicht interessiert, diese sogar deutlich ablehnt, wird dies aus sozialkonstruktivistischer Sicht nicht als biologisch bedingt betrachtet. Diese Verhaltensweisen, Interessen und Körperpraxen werden auch nicht als rein individuelles Interesse interpretiert, sondern vor allem auch als eine Form des »doing gender«. Tim und Julia heben hier Geschlechterdifferenzen hervor und inszenieren »Junge-Sein« und »Mädchen-Sein« und zeigen damit, dass sie gelernt haben, was in unserer Gesellschaft als männlich und weiblich gilt.

Für die pädagogische Praxis heißt dies, die eigenen »doing gender«-Prozesse kritisch zu reflektieren bzw. zu vermeiden (Wo nehme ich Kinder vor allem als Mädchen* oder als Junge* wahr bzw. wo spreche ich sie als solche an? Dürfen Kinder so sein, wie sie wollen oder erwarte ich geschlechtstypische Verhaltensweisen?). In der pädagogischen Arbeit mit den Kindern geht es darum zu beobachten, ob sie Geschlechterdifferenzen hervorheben oder herunterspielen, sich an tradierten Stereotypen orientieren oder nicht und Kinder in ihrer individuellen Geschlechtsidentitätsentwicklung zu unterstützen (Sehe und fördere ich Kinder auch, wenn sie Geschlechterzuweisungen überschreiten? Fördere ich z. B. Kinder auch in jenen Bereichen, die in einer geschlechtstypischen Bildung vernachlässigt werden, lasse ich ihnen Spielräume in der Identitätsentwicklung?).

5.3 Natur oder Kultur: Die Entnaturalisierung von Sex

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Männlicher Habitus und hegemoniale Männlichkeit Für den Elementarbereich sind außerdem zwei weitere Ansätze der Geschlechter- bzw. Männlichkeitsforschung hilfreich, nämlich die Forschungen zum männlichen Habitus von Pierre Bourdieu (1997, 2005)13 und jene zur Hegemonialen Männlichkeit von Raewyn Connell (1999, 2013).14 Das Konzept des männlichen Habitus von Bourdieu und der Ansatz zur Hegemonialen Männlichkeit von Connell werden dabei vor allem in der Kritischen Männerforschung (Brandes 2002, Meuser 1998) und auch in der Jungenforschung (Budde 2011, Debus & Stuve 2012) aufgegriffen.

Männlicher Habitus Nach Bourdieu (1997, 2005) zwingt die symbolische Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit alle Menschen sich mit ihren Handlungs- und Gefühlsweisen sowie Körperpraxen in eine der sich gegenseitig ausschließenden Kategorien »männlich« oder »weiblich« einzuordnen. Der männliche Habitus ist eine Form der Zuordnung. Der Habitus ist dabei zu verstehen als ein überindividuelles Set von Denk-, Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata.

Bourdieu selber betrachtet den männlichen Habitus im Sinne einer verkörperten männlichen Praxis, als Aufforderung die »ernsten Spiele des Wettbewerbs« (Meuser 2008, S. 33f.) zu spielen.

Beispiel für den männlichen Habitus in der Praxis Theo trifft Achmed auf dem Klettergerüst. Die beiden Vierjährigen stehen sich auf der Plattform gegenüber. Sie schauen sich kurz an und Theo ruft: »Ich habe ganz große Füße, meine Füße sind viel größer als deine!«

Was uns erst mal amüsiert, ist eine ernste Sache für die Kinder. Es ist eine von vielen Praktiken, um zu zeigen, dass sie ein »richtiger Junge« sind. Beide Kinder gehen sofort miteinander in den Wettbewerb. Es gibt dabei vielfältige Männlichkeitspraktiken, wie Wettbewerb, Provokation, Selbstinszenierung, Solidarität, Humor etc. um symbolisches Kapital anzusammeln und

13 Nach Bourdieu bezeichnet »Habitus« das gesamte Auftreten einer Person, im Einzelnen also z. B. den Lebensstil, die Sprache, die Kleidung und den Geschmack. Am Habitus einer Person lässt sich ihr Rang oder Status in der Gesellschaft ablesen. 14 Die Ansätze von Bourdieu und Connell sind kompatibel, denn bei beiden wird Geschlecht als soziales Konstrukt gefasst, bei beiden wird die Konstruktion von Geschlecht als in der sozialen Praxis verankert betrachtet und beide Autor*innen gehen von kultur- und milieuübergreifenden unterschiedlichen Ausprägungsformen von Männlichkeit aus (vgl. Brandes 2004, S. 1).

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5. Geschlecht im Spiegel der Kulturen, Epochen und Diskurse

auf diese Weise als legitimer, »richtiger« Jungen zu gelten (vgl. Budde 2011, S. 13). Der Habitusbegriff hängt mit dem Vermögen zusammen, welches jeweils mobilisiert werden kann. Vermögen im Sinne von »können«, also eine bestimmte Handlung vollziehen zu können, aber auch von Besitz. Für die Darstellung und Herstellung von Männlichkeit bzw. von Junge-Sein, ist vor allem das symbolische Kapital von Wichtigkeit. Wer über genügend symbolisches Kapital verfügt, gilt als zugehörig zur hegemonialen Männlichkeit oder zur komplizenhaften Männlichkeit. Es gibt dabei durchaus verschiedene Formen von Männlichkeiten, allerdings auch immer ein in der jeweiligen Zeit und Kultur vorherrschendes Ideal, die hegemoniale Männlichkeit (vgl. Connell 2005). Während die ursprüngliche Form eng verknüpft war mit »heroischer Gewalt, kriegerischem Mut, sexueller Potenz« (Bourdieu 1997, S. 153ff.), ist die moderne Form hegemonialer Männlichkeit in Westeuropa und Nordamerika, die des »transnational business masculinity« (Connell 2005, S. 849). Diesem vorherrschenden Idealbild von Männlichkeit ließen sich beispielsweise Aspekte wie Flexibilität, Liberalität und zugleich soziale Verantwortungslosigkeit zuordnen (vgl. Budde 2011, S. 11). Hegemoniale Männlichkeit ist so gesehen eine Art Inszenierung, die Herstellung eines Bildes, welches jedoch als Grundlage dient, anhand derer Männlichkeit bewertet wird. Dabei gilt es meines Erachtens zu berücksichtigen, dass sich die Formen von Männlichkeiten von Männern und Jungen deutlich unterscheiden. Während beispielsweise körperliche Gewalt bei Männern gegenwärtig eher zu untergeordneter Männlichkeit zählt, sieht das bei Kindern anders aus. Denn vor allem bei den »ernsten Spielen des Wettbewerbs« im Kindesalter spielt die körperliche Kraft – und vor allem die Durchsetzungskraft eine große Rolle. Hegemoniales Junge-Sein umfasst Attribute wie Körpergröße, körperliche Durchsetzungskraft, körperliche Wettbewerbe – Schnelligkeit, Bewegung und Kraft –, aber auch Provokation, Abgrenzung von allem sogenannten Weiblichen, Risikobereitschaft und Regelverstöße. Mit der Orientierung an solchen Männlichkeitspraktiken zeigen Kinder ihre Zugehörigkeit zur Gruppe der Jungen und dass sie ein »richtiger Junge« sind. Gleichzeitig gibt es mit dieser »Jungenkultur« jedoch starke Passungsprobleme mit der Kultur der meisten Kindertageseinrichtungen und Schulen (vgl. Budde 2011, S. 13ff.).

Fallbeispiel Valentin Nach dem ersten Halbjahr kommt mit Valentin ein neuer Schüler in die fünfte Klasse, der negativ auffällt, wie die Mathemathiklehrerin Frau Heise in einem Interview schildert: »Der Valentin … ist für mich ein Sorgenkind, der ist erst dazugekommen […] und ich wirklich den großen Eindruck habe, dass er einige Jungen in seinen Bann zieht, aber nicht im positiven Sinne, sondern so … der dürft’ schon pubertär sein, also vorpubertär auf alle Fälle und so Kinder wie der Johan oder der Daniel werden einfach … eher zum, zum unkonzentriert sein, zum Nichtstun sozusagen motiviert und zum Blödsinn treiben […] Und der Valentin hat eine ganz schlechte Arbeitshaltung … dürfte auf alle Fälle bisschen schon auf Kontra aus sein« (zit. nach Budde 2011, S. 14).

5.3 Natur oder Kultur: Die Entnaturalisierung von Sex

81

Betrachten wir das Beispiel aus der Perspektive des männlichen Habitus und der hegemonialen Männlichkeit, so liegt die Schwierigkeit nicht »in Valentin«, er ist nicht »falsch« oder »verhaltensauffällig«. Vielmehr zeigt sich hier ein milieubezogener männlicher Habitus, der besonders unter Gleichaltrigen inszeniert wird, um ein »richtiger« Junge zu sein. Besonders schwierig wird es für Kinder, wenn dieser Habitus beispielsweise in der Familienkultur gefördert und in der Kita sanktioniert wird. Wenn beispielsweise Eltern darauf hinweisen, dass »ein Junge sich nichts gefallen lassen sollte, ruhig mal schlagen sollte« oder Eltern ermutigend lachen, wenn das Kind gegen Regeln verstößt. Der Habitus ist, wie oben beschrieben, keine individuelle Eigenschaft von Valentin, Johan oder Daniel aus dem Interview, sondern auch Abbild gesellschaftlicher Struktur und Kultur, die es kritisch zu reflektieren gilt. Gleichwohl ist es wichtig, diesen männlichen Habitus in der pädagogischen Arbeit nicht ungewollt zu fördern, beispielsweise durch ein Mehr an Konkurrenz oder Mehr an Kampfmöglichkeiten. Es ist sinnvoll Grenzen zu setzen, das Verhalten sollte jedoch nicht individualisiert werden. Es wäre sicher sinnvoller kritisch zu reflektieren, dass Valentin vor allem auch als neuer Schüler seinen Platz in der Klasse sucht und über einen betont männlichen Habitus Anerkennung von den Gleichaltrigen erhält. Dabei wäre es hilfreich nicht nur auf das »störende« Verhalten zu blicken, sondern seine Fähigkeiten zu sehen und hervorzuheben. Indem seine Interessen und Stärken im Fokus stehen, könnte er über seine Ressourcen einen Platz in der Klasse finden. Es geht darum unterschiedliche Formen von Anerkennung und Aufmerksamkeit zu finden, die der Unterschiedlichkeit und Heterogenität der Kinder entsprechen.

Es gibt nicht »die Mädchen« und »die Jungen« Der Blick in die Studien zu den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen zeigt eindeutig, dass wir es mit einer Vielzahl von Lebenswelten zu tun haben (vgl. u. a. Deutsche ShellStudie 2010, S. 53). In der pädagogischen Praxis in Kita und Hort ist diese Vielfalt der Kinder alltägliche Herausforderung und Ressource zugleich. Annedore Prengel fordert für die pädagogische Praxis eine demokratische Wertschätzung von Differenzen, wobei sie in ihrer Argumentation den von Axel Honneth geprägten Begriff der »egalitären Differenz« (vgl. Prengel 1996, S. 60) benutzt. Gleichheit und Differenz sind kein Gegensatzpaar, sondern gehören zusammen: »Differenz ohne Gleichheit bedeutet gesellschaftliche Hierarchie, kulturelle Entwertung, ökonomische Ausbeutung, Gleichheit ohne Differenz bedeutet Assimilation, Anpassung, Gleichschaltung, Ausgrenzung von Anderen« (Prengel 1996, S. 184). Diese demokratische Differenzvorstellung basiert auf der Sozialisations- und Konstruktionstheorie und richtet sich gegen essenzialistische Entwürfe, zum Beispiel vom Wesen der Frau, vom Wesen der Angehörigen einer Ethnie oder vom Wesen von Menschen mit Beeinträchtigungen. Differenz ist, so Prengel, nur begreif bar als historisch und biografisch gewordene (und kann nicht als Legitimation von Hierarchie benutzt werden). Verstärkt durch die gesellschaftlichen Transformationsprozesse und die gleichzeitige Verschärfung sozialer Ungleichheiten ist es schon lange nicht mehr möglich von »den Mädchen« oder »den Jungen« zu sprechen. Wie und ob es Kindern und Jugendlichen gelingt mit Anforderungen umzugehen, hängt immer zugleich von der sozialen und kulturellen Herkunft, vom Bildungshintergrund, von Ethnie, Gesundheitsstatus, sozialem Raum und vielem mehr ab.

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5. Geschlecht im Spiegel der Kulturen, Epochen und Diskurse

Bewältigungsressourcen wie das Elternhaus und Kindertageseinrichtung haben hier einen bedeutenden Einfluss auf die Fähigkeit mit den Herausforderungen umzugehen.

Intersektionale Perspektiven Die theoretische Perspektive der sogenannten Intersektionalität15 steht für das Zusammendenken verschiedener Formen sozialer Ungleichheiten, wie sie entlang der Kategorien Geschlecht, Ethnizität, soziales Milieu, sexuelle Orientierung, Alter, Körper etc. erzeugt werden. »To intersect« kommt aus dem englischsprachigen feministischen Diskurs und bedeutet wörtlich: sich überkreuzen, überschneiden, überlagern. Das heißt, dass die verschiedenen sozialen Identitäts- und Differenzkategorien nicht einfach nebeneinander stehen, sondern eng miteinander verwoben sind und sich je nach Kontext gegenseitig beeinflussen. Eine intersektionale Haltung zielt auf den Abbau von sozialen Ungleichheiten und die Förderung der Vielfalt der Kinder.

In der pädagogischen Arbeit werden Kinder in ihrer Unterschiedlichkeit betrachtet und auch die Differenzen unter Jungen* und unter Mädchen* werden reflektiert. Dabei geht es darum als Pädagog*in eigene Stereotype in Bezug auf das Geschlecht oder die Milieu- oder Kulturzugehörigkeit zu hinterfragen und zugleich auch das einzelne Kind in den Blick zu nehmen und zu fragen, wie die verschiedenen jeweils relevanten Kategorien (z. B. Geschlecht, Ethnizität, soziales Milieu) mit ihren Stereotypen, Symboliken usw. innerhalb des Kindes und unter Kindern wirken. Die vielfältigen Lebensweisen der Kinder werden dabei ebenso einbezogen, wie die Dimensionen sozialer Ungleichheiten, die die Lebenswelten der jeweiligen Kinder beeinflussen. Hier geht es auch um das Recht auf Differenz und auf Gleichheit im Sinne der Nicht-Benachteiligung. Denn vor allem Kinder mit Mehrfachzugehörigkeiten erleben, wie Studien zeigen, ein hohes Maß an Alltagsdiskriminierung (vgl. LesMigraS 2012, S. 6). Kindertageseinrichtungen können hier auch ungleiche Startbedingungen und Bildungschancen von Kindern und damit soziale Ungleichheiten ausgleichen. Die verknüpfte Betrachtung von Geschlecht mit weiteren Differenzkategorien hilft Verallgemeinerungen zu verhindern, verhindert eine Dramatisierung von Geschlecht und zeigt die Lebenswelten von Kindern differenzierter.

15 Die Ursprünge der intersektionalen Perspektive liegen vor allem in der Auseinandersetzung schwarzer Frauen mit dem etablierten Feminismus (vorwiegend weißer Frauen) in den USA. Die Frauen betonten, dass für ihre Erfahrungen als schwarze Frauen sexistische Unterdrückung ebenso wichtig ist, wie rassistische Diskriminierungserfahrungen und Ungleichheiten aufgrund des sozialen Milieus. Der Begriff Intersectionality wurde von der US-amerikanischen Juristin Kimberle Crenshaw geprägt (1989). In Anlehnung an die Analyseebenen (Gesellschaftsstruktur, Identitätskonstruktion, symbolische Repräsentanz) von Sandra Harding (1991, S. 53ff.) betrachten Nina Degele und Gabriele Winker (2007) Intersektionalität als Mehrebenenanlyse.

5.3 Natur oder Kultur: Die Entnaturalisierung von Sex

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Beispiel für eine intersektionale Perspektive für die Praxis Tim und Eren sind nicht bildungsbenachteiligt und »Verlierer« im Bildungssystem, weil sie Jungen sind, und Julia nicht privilegiert, weil sie ein Mädchen ist. Denn wenn wir genauer hinschauen, spielen weitere Bedingungen in den Lebenswelten der Kinder eine Rolle. So ist Erens Mutter Lehrerin und kann ihn in Kita und Schule unterstützen. Tims und Julias Eltern haben keine Ausbildung und Erwerbsarbeit und verfügen auch über weniger Geld, um ihre Kinder durch außerschulische Bildung, wie Kinderförderkurse, Musikunterricht, Sportvereine, Museumsbesuche etc. zu fördern.

Aus intersektionaler Perspektive gibt es nicht »die« Mädchen oder »die« Jungen. Vielmehr müssen gemäß dieser Perspektive weitere Bedingungen der jeweiligen sozialen und kulturellen Lebensverhältnisse verknüpfend einbezogen werden.

Beispiel aus der Bildungsforschung (siehe auch Kapitel 8.3) Seit einigen Jahren wird in den verschiedensten Studien immer wieder betont, dass »die Mädchen« »die Jungen« bei der Schulbildung überholt hätten (vgl. u. a. Deutsche ShellStudie 2010). In der ganzen Debatte um die Mädchen* als Bildungsgewinner*innen wird jedoch vielfach vereinfacht argumentiert und pauschalisiert, denn Bildungschancen sind aufgrund von sozialer Herkunft, Schulbildung der Eltern, Wohnen in bestimmten Stadtteilen, Migration und Geschlecht ungleich verteilt. Bildungsungleichheiten bestehen also nicht aufgrund einer einzelnen isolierten Kategorie, sondern nehmen mit einer Häufung, einer Verknüpfung und Überkreuzung zentraler Strukturkategorien zu (vgl. Eggers 2011, S. 59).

Es geht darum, Geschlecht als Analysekategorie einzubeziehen, es aber nicht in den Mittelpunkt der pädagogischen Praxis zu stellen (vgl. Debus 2012, S. 8). »Mittels dieser Strategie lässt sich die Gratwanderung beschreiten, Verschiedenheit in Bedarfen zu erkennen, ohne Ungleichheiten zu manifestieren« (Smykalla 2015, S. 177).

Zusammenfassung Bei der Betrachtung der unterschiedlichen Kulturen, unterschiedlichen Epochen und Diskurse wurde deutlich, dass Geschlecht und die Geschlechterordnung sowohl kulturell und historisch als auch subjektiv und lebensweltlich sehr unterschiedlich betrachtet, konstruiert und erlebt wird. Dies wird besonders deutlich an der unterschiedlichen Sichtweise von biologischem (sex) und sozialem und kulturellem Geschlecht (gender).

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5. Geschlecht im Spiegel der Kulturen, Epochen und Diskurse

Konstruktion und Dekonstruktion: Biologisches und soziales Geschlecht im Wandel Alles Natur (sex)

Geschlechtskörper, Geschlechtscharakter, Geschlechterverhältnis als natürlich konstruiert Ω Bürgerlicher Geschlechterdiskurs der Moderne (18./19. Jahrhundert) in Europa und Nordamerika: materialistisches Verständnis von Geschlecht; mit der Natur wird begründet, dass die Frau zu Hause bleibt und der Mann in die Welt geht Kritik: Das biologische Geschlecht wird zum Schicksal des Menschen. Benachteiligung und Einschränkung der Entfaltungsmöglichkeiten sind die Folge. Biologisches (sex) und

soziales (gender) Geschlecht

Feministischer Diskurs (70er/80er) Gleichheits- oder Differenzperspektive Ω von Geburt an festgelegt Ω kann nicht verändert werden Ω entweder weiblich oder männlich

Ω durch Sozialisation erlernt Ω kann verändert werden Ω maskulin – feminin

Beispiel: nur Frauen haben einen Busen und können gebären, nur Männer können zeugen und haben Hoden

Beispiel: Frauen und Männer können Kinder erziehen und den Haushalt machen, Frauen und Männer können als Techniker*in arbeiten und Leitungspositionen übernehmen Ω Männlich – Weiblich

Ω Entweder Mann oder Frau

Kritik: Das biologische Geschlecht wird als unbezweifelbare Grundlage vorausgesetzt. Trans*-, Inter*- und andere Geschlechtsidentitäten werden nicht wahrgenommen. Alles Gender

Neues feministisches Verständnis (90er-Jahre) (Dekonstruktivistische Perspektiven) Ω Sowohl sex als auch gender werden durch gesellschaftliche Diskurse hergestellt, die dekonstruiert werden sollten. Beispiel: Es gibt viele geschlechtliche (u. a. trans*, inter*) und sexuelle Lebensweisen (u. a. heterosexuelle, homosexuelle, bisexuelle). Kritik: Es ist nicht alles beliebig dekonstruierbar – viele Menschen begreifen sich auch als Frauen oder Männer. »Die Mädchen und die Jungen« gibt es nicht

(Intersektionale Perspektiven) Ω Eine isolierende Bezugnahme auf »Geschlecht« wird in Frage gestellt Ω Vielfältige Differenz-, Identitäts- und Strukturmerkmale müssen verknüpft betrachtet werden.

5.4 Anregungen für die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen theoretischen Perspektiven

5.4

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Anregungen für die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen theoretischen Perspektiven

Unsere Gewissheiten geraten meist erst dann ins Wanken, wenn wir Geschlecht im Wandel der Zeit und der Kulturen betrachten und verschiedene Perspektiven und Diskurse kennenlernen. Dabei zeigt sich, dass es nicht die eine, richtige Theorie gibt. Vielmehr ist es notwendig, eigene theoretische Annahmen im Zusammenhang mit den wissenschaftlichen Theorien und Diskursen zu reflektieren und eine begründete Haltung zu entwickeln. Denn unser pädagogisches Handeln wird davon geprägt, welche theoretischen Annahmen wir haben. Außerdem dienen theoretische Erklärungsansätze dazu, die eigene Haltung und das eigene pädagogische Handeln zu begründen.

Fragenbeispiele für eine reflektierte Haltung und für einen verbesserten Reflexionsprozess im Team Ω Welche der Perspektiven und Erklärungsansätze halte ich für überzeugend und warum? Ω Was halte ich von der Trennung zwischen biologischem, sozialem und kulturellem Geschlecht?

Anregung zur Reflexion der Differenzperspektive Die Gruppen erhalten eine fiktive Fallgeschichte, die sie moralisch bewerten sollen. Dazu erhalten sie Fragen, damit sie Entscheidungen treffen und diese begründen (siehe z. B. Kohlberg 1984, S. 640). Kohlberg und andere Kognitionspsycholog*innen haben das sogenannte »Heinz’sche Dilemma« und andere moralische Konfliktsituationen entwickelt und ausgewertet und daran anschließend ihr Modell der Stufen der Moralentwicklung von Kindern entwickelt (vgl. auch Kohlberg 1974; 1978). Dass Mädchen* und Frauen* hier meist die höchsten Stufen der Moralentwicklung nicht erreicht haben, hat Carol Gilligan dazu veranlasst, die Untersuchungsergebnisse zu reinterpretieren und eigene Forschungen durchzuführen (vgl. Gilligan 1984, S. 9ff.). Dabei kam sie zu dem Ergebnis, dass Mädchen* und Frauen* nicht moralisch defizitär sind, sondern dass Mädchen* und Frauen* anders moralisch urteilen. Während die verallgemeinerte männliche Moral an Prinzipien wie Gerechtigkeit und Verallgemeinerbarkeit ausgerichtet sei, sei die weibliche Moral an Fürsorgeprinzipien und an Beziehung sowie an den Bedürfnissen anderer orientiert (Moral des »caring«) (vgl. Glilligan 1984, S. 89). Gruppenreflektion: Wie plausibel ist mir/uns die Perspektive der »anderen« Moral von Frauen?

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5. Geschlecht im Spiegel der Kulturen, Epochen und Diskurse

Anregung zur Reflexion der dekonstruktivistischen Perspektive Die Auseinandersetzung mit der dekonstruktivistischen Perspektive können Sie beispielsweise mit folgender Anregung einleiten: »Bitte schreiben Sie kurz und ohne nachzudenken auf, was eine Frau ausmacht (»Frauen sind …«). Jede/r schreibt einige Stichwörter dazu, bspw. »Frauen sind einfühlsam, gebären Kinder, haben eine Brust …« Nach einigen Minuten werden alle gebeten ihre Stichwörter an die Stellwand zu heften. Im zweiten Schritt geht es darum, im Umkehrschluss alle Stichwörter zu überprüfen. »Ist eine Person auch dann eine Frau, wenn sie nicht einfühlsam ist? Ist eine Person auch dann eine Frau, wenn Sie keine Kinder bekommen kann oder will? Etc.« Durch die kurze Reflexion wird meist sehr deutlich, dass all diese Aspekte eine Frau* nicht ausmachen. Wenn es darum geht, was eine Person zur Frau* macht, bleibt meist wenig übrig (z. B. Hormonstatus) bzw. nur das Kriterium, sich als Frau* zu fühlen.

Anregung zur Reflexion der Perspektive des männlichen Habitus und der hegemonialen Männlichkeit Nach den Sommerferien kommt Samuel (4 Jahre) in die Sternengruppe, der negativ auffällt, wie Carola, die Gruppenerzieherin, schildert: »Samuel ist neu in der Kita und macht viel Unsinn. Er ist laut und rennt andauernd herum. Und ich habe den Eindruck, dass die anderen Kinder das Verhalten zwar manchmal nervt, aber dass sie ihn auch bewundern für den Quatsch, den er macht. Gestern zum Beispiel hat er so viel Toilettenpapier in die Toilette geworfen, dass das Wasser übergelaufen ist. Und als ich geschimpft habe, haben einige Jungen* noch gelacht und geklatscht. Aber Samuel ist auch sehr lustig, manchmal erzählt der so Sachen, dass ich wirklich lachen muss, also der hat schon Charme und Witz, aber manchmal und vor allem zusammen mit anderen Kindern, ist er einfach nicht in den Griff zu kriegen.« Gruppenreflexion: Wie deuten Sie dieses Verhalten? Welche Rolle spielen hier »vorherrschende Männlichkeit« und »jungenhafter Habitus«? Welche Erklärungen und Deutungsmuster liefern diese Perspektiven der Jungen- und Männerforschung? Ist Ihnen diese Deutung plausibel? Welchen Nutzen birgt sie für die alltägliche Praxis?

Nachdem es in diesem Kapitel darum ging, wie Geschlecht im Spiegel der Epochen, der Kulturen und der Diskurse konstruiert und dekonstruiert wurde, wird Geschlecht im folgenden Kapitel im Spiegel der individuellen Entwicklung betrachtet. Es geht darum, wie sich Kinder geschlechtstypische soziale Praktiken aktiv aneignen, welche Risiken dies für die kindliche Entwicklung birgt und zu welchen sozialen Problemen dies führen kann.

6. Geschlecht im Spiegel der individuellen Entwicklung von Kindern

In diesem Kapitel erfahren Sie – wie sich Kinder geschlechtstypische soziale Praktiken aktiv aneignen – welche Gewinn- und Verlustseiten eine geschlechtstypische Sozialisation birgt – dass eine geschlechtstypische Sozialisation Entfaltungsmöglichkeiten einschränkt, zu sozialen Problemen und zu Ausgrenzung von Kindern führen kann

In diesem Kapitel erhalten Sie – Anregungen zur Reflexion in der Gruppe und zur Selbstreflexion

Gesellschaftliche Strukturen, Stereotype, soziale und kulturelle Praktiken geben Kindern in ihren Aneignungsprozessen im Laufe der Sozialisation eine Orientierung, um soziale Wirklichkeit zu ordnen, zu interpretieren und um Handeln zu ermöglichen. Da Geschlecht in alle Lebensbereiche verwoben ist, die sich gleichzeitig und wechselseitig bedingen, werden Kinder auf all diesen Ebenen damit konfrontiert und sind gefordert sich aktiv damit auseinanderzusetzen: Ω auf der Ebene der Geschlechtersymbole und -stereotype (für Kinder über Spielwaren, Kleidung, Frisuren sichtbar), Ω der Ebene der gesellschaftlichen Strukturen (für Kinder erlebbar beispielsweise über die Arbeitsteilung der Geschlechter) und Ω der Ebene der individuellen Geschlechtsidentitätskonstruktionen (Geschlechtszuordnung und doing gender) (siehe Geschlechter-Dreieck, S. 11, erläutert in Kapitel 1–3).

6.1

Sozialisation und Habitus

Die neuere Sozialisationsforschung hebt die aktive Leistung und damit auch die (Selbst-)Bildungsprozesse und die Eigenaktivität der Subjekte hervor (vgl. u. a. Faulstich-Wieland 2000, S. 12). So setzen sich Kinder im Zuge der Sozialisation auch aktiv mit den heteronormativen Vorgaben und vor allem mit den Regeln der Geschlechterunterscheidung auseinander. Dabei müssen sich Kinder die gesellschaftlichen Normen der Geschlechtszugehörigkeit erst aneignen. Die Differenzierung anhand von Geschlechtersymbolen ist dabei typisch für die frühe Kindheit. Sie nutzen dazu zunächst äußere Symbolisierungen wie Kleidung, Frisuren, das Tragen von Schmuck, Farben, Spielmaterial und Spielvorlieben (siehe Kapitel 3). Dabei lernen Kinder zugleich, dass soziale Symbole für »natürliche« Unterschiede stehen und als »männlich« klassifizierte Bereiche einen dominanten Status haben (vgl. Gildemeister& Robert 2012, S. 96). Neben den allgegenwärtigen Geschlechtersymbolen (siehe Kapitel 1) erleben Kinder die gesellschaftlichen Strukturen beispielsweise über die Arbeitsteilung der Geschlechter.

6.1 Sozialisation und Habitus

89

Hier lernen Kinder viel über das Modell der Erwachsenen, welche Aufgaben die Geschlechter in der Gesellschaft haben (siehe Kapitel 2). Im weiteren Verlauf der kindlichen Entwicklung spielen vor allem auch vergeschlechtlichte soziale Praktiken eine große Rolle bei der Entwicklung von Geschlechtsidentitäten (siehe Kapitel 3). Im Verlauf einer geschlechtstypischen Sozialisation durchlaufen Kinder dabei eine Reihe von vergeschlechtlichten sozialen Praktiken, die ihnen eine Orientierung geben, was als »männlich« und »weiblich« gilt. Sie erproben diese und eignen sie sich an, bis sie so routinisiert erfolgen, dass sie nicht mehr als solche sichtbar sind. Dieses verkörperte Muster bzw. Wissen wird in der Wahrnehmung dann leicht als »natürlich« weibliches und männliches Auftreten, Verhalten, Sprechen usw. interpretiert.

Fallbeispiel Leo und Adam Leo trifft Adam auf dem Klettergerüst. Die beiden Vierjährigen stehen sich gegenüber und keiner von beiden will den anderen vorbeilassen. Sie schauen sich kurz an und Leo sagt: »Du kommst hier nicht durch, ich bin stärker als du.« Adam antwortet: »Gar nicht, ich bin stärker!«

Mit diesen und anderen sozialen Praktiken, wie Konkurrenz, Kampf oder dem Messen von körperlicher Kraft zeigen die Kinder, dass sie »richtige Jungen« sind. Bei diesen »ernsten Spielen des Wettbewerbs«16 (Bourdieu 1997, S. 153ff.; Meuser 2008, S. 154ff.) im Kindesalter spielt die körperliche Kraft – und vor allem die Durchsetzungskraft – eine große Rolle. Der Habitus wird dabei bereits in der frühen Kindheit im Elternhaus innerfamiliär angelegt und weitergegeben. Durch die »ernsten Spiele des Wettbewerbs« versichern sich die Kinder dann später immer wieder untereinander ihrer »Männlichkeit« (vgl. Kapitel 5.3). Zum männlichen Habitus für Jungen gehört gegenwärtig beispielsweise Selbstbehauptung, körperliche Durchsetzungskraft und Wettbewerb. Im Altersverlauf kommen zunehmend noch Humor, Solidarität unter Jungen, Provokation und Selbstinszenierung hinzu (vgl. auch Budde 2011, S. 13). Mit der Orientierung an solchen Männlichkeitspraktiken zeigen Kinder ihre Zugehörigkeit zur Gleichaltrigengruppe und dass sie ein »richtiger Junge« sind. Gleichzeitig gibt es mit dieser »Jungenkultur« starke Passungsprobleme mit der Kultur der meisten Kindertageseinrichtungen und Schulen (siehe Kapitel 5.3).

16 Im Folgenden beziehe ich mich auf den Habitusbegriff von Bourdieu (1997, 2005), da es hier um soziale Klassen und um Geschlecht geht. Wenngleich sich Bourdieu auf Erwachsene bezieht, eignet sich der Ansatz für die Betrachtung im Bereich der Elementarpädagogik, weil er sich damit auseinandersetzt, wie der soziale Habitus bereits in der frühen Kindheit angelegt und im Zuge der individuellen Entwicklung eingeübt wird. Als Folge des männlichen Habitus benennt er die »ernsten Spiele des Wettbewerbs« mit denen sich Männer/Jungen immer wieder in der Gruppe ihrer »Männlichkeit« versichern und sich gegenseitig bestätigen.

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6. Geschlecht im Spiegel der individuellen Entwicklung von Kindern

Dagegen sind die herrschenden Weiblichkeitspraktiken für Mädchen* gegenwärtig gut mit den meisten Bildungsinstitutionen vereinbar: Anpassungsfähigkeit, Einfühlsamkeit, Kompromissbereitschaft, Streben nach (schulischem) Erfolg und Anerkennung von anderen, Körperund Bewegungskontrolle und eine Orientierung an Schönheitsidealen (figurbetonte Kleidung, Schlankheit).17 Wenn Mädchen* versuchen diesem Habitus zu entsprechen, besteht jedoch die Gefahr einer vorweggenommenen Korrektur der eigenen Persönlichkeit und des eigenen Körpers am Maßstab der Erwartungen von anderen. Modernisierte Weiblichkeitsbilder beinhalten gegenwärtig alte und neue Anforderungen: Mädchen* sollen hübsch und schlank und zugleich klug und in der Schule erfolgreich sein. Dabei sind es neben Eltern und anderen Kindern vor allem auch Medien, wie beispielsweise Castingshows, die diese neuen Herausforderungen an immer jüngere Mädchen* vermitteln. »Die große Beliebtheit von (Model-)Castingshows zeigt deutlich, dass Themen wie Aussehen, Körper, aber auch die Suche nach Erfolg und Anerkennung – nunmehr gekoppelt mit Arbeit und Berufsfindung – für Mädchen und junge Frauen zentral sind, und wie gezeigt allerhand Risiken, Bewältigungsprobleme und Konfliktstoffe bergen« (Nachtigall 2014, S. 326).

Habitus Der jeweilige Habitus ist kultur- und zeittypisch. Er wird zunächst innerfamiliär konstruiert und weitergegeben, von den Kindern erprobt oder verworfen, durch Erfahrungen mit anderen Kindern manifestiert oder dekonstruiert und durch die Erwartungen der Peergroups verfestigt oder modifiziert (vgl. auch Mannopoly 2012, S. 20). Diese vergeschlechtlichten sozialen Praktiken geben Kindern Orientierung und beinhalten Entwicklungschancen in bestimmten Bereichen sowie Einschränkungen in anderen Bereichen und führen zur Ausgrenzung von Kindern, die diesen nicht entsprechen können oder wollen.

6.2 Chancen und Risiken einer geschlechtstypischen Entwicklung Im Rahmen einer eher geschlechtstypischen Entwicklung werden Kinder vor allem in jenen Bereichen gefördert und bestärkt, die für ihr Geschlecht als typisch und »normal« gelten. Sie eignen sich in bestimmten Bereichen Fähigkeiten an, entwickeln hier Stärken und sind dann tatsächlich irgendwann anderen Kindern überlegen (vgl. Prengel 1996, S. 65f.). 17 In Anlehnung an den männlichen Habitus verstehe ich die oben beschriebenen Aspekte als weiblichen Habitus. Dabei ist zu beachten, dass hier weitere Zugehörigkeiten eine Rolle spielen und die Subjektpositionierung abhängig ist von den subjektiven Verortungen und Zugehörigkeiten von Mädchen*.

6.2 Chancen und Risiken einer geschlechtstypischen Entwicklung

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In anderen Bereichen, die als untypisch für ihr Geschlecht gelten, werden ihre Potenziale jedoch nicht gefördert und häufig nicht einmal wahrgenommen. Kinder eignen sich bestimmte Fähigkeiten nicht an, weil sie nicht den Symbolen für Junge- und Mädchensein und dem jeweiligen Habitus entsprechen. So gesehen fördert eine geschlechtstypische Entwicklung bestimmte geschlechtstypische Fähigkeiten, beinhaltet aber vor allem auch eine Einschränkung der Entfaltungsmöglichkeiten und sogar Risiken in der Entwicklung von Kindern. Außerdem stehen Kinder, die den heteronormativen Vorgaben nicht entsprechen, vor großen Herausforderungen und machen früh die Erfahrung ausgegrenzt zu werden. Eine Einschränkung bei der Orientierung am männlichen Habitus ist es, dass soziale Kompetenzen (sich um andere zu kümmern, sich zu sorgen, fürsorglich zu sein, herauszufinden, was andere wollen, sensibel zu sein etc.) weniger erprobt und weit weniger gefördert werden. Im Rahmen einer jungentypischen Sozialisation lernen Kinder auch weniger soziale Verantwortung zu übernehmen. Weiblichkeitstypische soziale Praktiken sind versorgende und fürsorgliche Verhaltensweisen, diese werden daher von vielen Mädchen* erprobt, vielfach vom Umfeld bestätigt (gespiegelt) und gefördert. Daher ist es vielfach eine große Stärke von Mädchen*, dass sie Beziehungen herstellen, gestalten und »halten« können, sich in andere Menschen einfühlen und fürsorglich sein können. Ein sozial verantwortliches Verhalten wird innerfamiliär erprobt und meist in Bildungseinrichtungen manifestiert und vielfach auch durch pädagogisches Fachpersonal gefördert. Sehr einschränkend ist es bei einer eher geschlechtstypischen Entwicklung, dass bei Mädchen* Eigenvorschläge und Eigenaktivitäten speziell mit aggressiven und selbstbehauptenden Komponenten weniger und Anpassung mehr gefördert werden. So ist es für Mädchen* oft schwer, ihre Aggression in gesellschaftlich als weiblich anerkannten Begriffen, Bildern, Symbolen und Handlungen auszudrücken. Bei Spielzeugen, Bildern und Geschichten für Kinder gibt es selten Figuren aggressiver Weiblichkeit, die als Modell dienen könnten (vgl. Prengel 1996, S. 66). Wut und Aggressionen gehören jedoch zum menschlichen Gefühlsspektrum und sind auch eine Voraussetzung für die Durchsetzung eigener Belange, beispielsweise in Konflikten. Die Wut, die nicht situationsbezogen als solche wahrgenommen und ausgedrückt wird, kann sich anstauen und sich in Form von Selbstentwertung, Selbsteinschränkung und autoaggressivem Verhalten gegen die eigene Person richten (vgl. Focks 1993, S. 195ff.). Wenn Mädchen* bereits in der frühen Kindheit, in Familie und Kindergarten darin unterstützt werden, ihre Wut wahrund ernst zu nehmen und ihnen beispielsweise die Möglichkeit gegeben wird sich im Kräftemessen zu erproben, lernen sie, dass Verantwortung für andere und Selbstbehauptung ebenso zusammengehören wie Harmonie und Konflikte. So kommen viele Mädchen* zwar im Elementarbereich, in Kindergarten und Familie gut zurecht, weil sie vielfach früh lernen sich anzupassen, d. h. aber auch, dass bestimmte Anteile und eigeninitiale Impulse weniger erprobt und angeeignet werden. Vorteile einer jungentypischen Entwicklung ergeben sich daraus, dass Jungen* häufig viel Raum gelassen wird für autonome und aktive Handlungen. Dies hängt mit dem herrschenden männlichen Habitus und vor allem auch mit der Grenzziehung der Erwachsenen zusammen. In der Regel setzen die Bezugspersonen bei Mädchen* engere Grenzen, wenn es um expansive Aktionen oder auch um räumliche Entfernung geht. Bei Jungen* dagegen werden die Grenzen häufig weniger eng gezogen. Jungen lernen daher leichter, sich im öffentlichen Raum zu bewegen, sich durchzusetzen und sich für eigene Belange einzusetzen.

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6. Geschlecht im Spiegel der individuellen Entwicklung von Kindern

Wenn Jungen* jedoch zu wenig Grenzen gesetzt werden und sogar von ihnen erwartet wird, dass sie unangepasst und widerständig sind, ist dies manchmal ein »schmaler Grat zwischen bewundert werden und nerven« (vgl. Faulstich-Wieland 2010, S. 9). Und die schlechtere Anpassung an Institutionen, wie Kindergarten und später Grundschule, führen häufig zu einem schlechteren Abschneiden in Bildungseinrichtungen. Sehr einschränkend bei einer eher geschlechtstypischen Sozialisation von Jungen* ist es, dass ihnen weniger Raum für Angst, Trauer und Schmerzerfahrungen gegeben wird. Tradierte Überzeugungen wie »Ein Junge weint nicht« oder »Ein Junge reißt sich zusammen« sind gerade unter Kindern in der Gleichaltrigengruppe noch sehr verbreitet. Viele Jungen* lernen nicht, Schmerz als wichtiges Signal ihres Körpers wahrzunehmen. Vor allem das Gefühl von Kleinheit oder Machtlosigkeit passt nicht zum männlichen Habitus und wird häufig durch entsprechende Strategien bewältigt. Aggressives und störend-provokantes Verhalten entspricht dem Habitus und ist dabei symbolisch für die Anstrengung, die Jungen auf bringen müssen, um ihre Selbstwirksamkeit zu demonstrieren (vgl. auch Debus & Stuve 2012, S. 55f.) Zum männlichen Habitus gehört auch ein »natürlicher Bewegungsdrang«, d. h. ein Kind muss immer in Bewegung sein, wenn es ein »richtiger Junge« sein will. Dabei gehören Bewegung und Entspannung zusammen. Wenn tobende Jungen* bereits in der Kindertageseinrichtung lernen, dass Ruhe und Entspannung ihnen gut tun, können sie Achtsamkeit erproben und für die Selbst- und Fremdwahrnehmung nutzen. Eine Einschränkung der geschlechtstypischen Sozialisation von Mädchen* ist dagegen, dass es bei Mädchen* wenig Anerkennung in Bezug auf ihr sexuelles Körperbild gibt (vgl. Prengel 1996, S. 67). Ein verbales Benennen findet in keiner vergleichbaren Weise statt. Namen für das weibliche Genital, wie Vulva und Klitoris sind vielfach nicht bekannt. Jedes Kind entdeckt selbstverständlich die eigenen körperlichen Geschlechtsmerkmale, diese Körpererfahrung wird aber nicht bei allen Kindern gleichermaßen bestätigt. Vor allem Inter*-Kinder werden nicht wahrgenommen und wertgeschätzt. Kinder erhalten durch geschlechtstypische soziale Praktiken zwar Anerkennung von Erwachsenen und Gleichaltrigen, gleichzeitig schränken sie jedoch ihre Entfaltungsmöglichkeiten und ihr Persönlichkeitswachstum ein. Die Zumutungen einer geschlechtstypischen Sozialisation zeigen sich jedoch vor allem bei Kindern, die nicht den heteronormativen Vorgaben entsprechen, indem sie beispielsweise keine geschlechtstypischen sozialen Praktiken zeigen oder körperlich nicht den medizinischen Vorgaben einer eindeutigen Geschlechtszugehörigkeit entsprechen. Wenn Kinder nicht in ihrer individuellen Entwicklung gefördert werden, wenn ihnen keine Spielräume in der Geschlechtsidentitätsentwicklung ermöglicht werden, eignen sie sich häufig einen männlichen oder weiblichen Habitus an. Dies führt nicht nur zu einer Einschränkung von individuellen Entfaltungsmöglichkeiten, sondern kann sogar soziale Probleme verstärken bzw. verursachen (z. B. wenn sich Jungen* in riskante Situationen begeben, um ihre »Männlichkeit zu beweisen« oder wenn die Aggressionen bei Mädchen* nicht ihren Weg von »innen« nach »außen« finden, sondern gegen sich selbst gerichtet werden). Mit der Aneignung bestimmter Männlichkeits- und Weiblichkeitspraxen geht in der Regel auch eine Abgrenzung und Entsolidarisierung zu Mädchen* und zu Jungen* einher, die die-

6.2 Chancen und Risiken einer geschlechtstypischen Entwicklung

93

sen Maßstäben nicht entsprechen. Durch ein abwertendes Verhalten oder die Mitwirkung bei abwertendem Verhalten geht es bei größeren Jungen* vor allem darum die eigene »Coolness« nicht zu gefährden. Homophobie ist – mehr oder weniger ausgeprägt – auch Teil dieses männlichen Habitus. Vor allem in geschlechtshomogenen Gruppen werden Männlichkeitspraktiken reproduziert und manifestiert. Hier vergewissern sich Kinder ihrer körperlichen und sozialen Ausgestaltung von Männlichkeit. Mit den »ernsten Spielen« des Wettbewerbs bestätigen sie sich ihre individuelle Geschlechtsidentitätskonstruktion als Junge. Dazuzugehören und auch ein Dominanzgefühl sind die Gewinnseiten für die einzelnen Kinder bei solchen Dramatisierungen von Männlichkeit. Dabei sind die Formen dieser Selbstinszenierungen immer auch unterschiedlich je nach Milieuzugehörigkeit, Alter, kulturellem Hintergrund etc. – die einen inszenieren ihre Dominanz oder gestalten den Wettbewerb z. B. über die Größe der Füße oder die eigene Körperkraft, die anderen über das teure, große Auto des Onkels, wiederum andere über abwertende Kommentare über Schwule. Vorherrschende Männlichkeits- und Weiblichkeitspraxen sind nicht an das Geschlecht gebunden (so gibt es auch Mädchen*, die sich einen männlichen Habitus aneignen). Vergeschlechtlichte soziale Praxen sind weder unabänderliche Typisierung noch feststehende Charaktereigenschaften (vgl. Debus & Stuve 2012, S. 52).

Geschlechtstypische Sozialisation Kinder müssen im Laufe ihrer Sozialisation einen Platz im kulturellen System der Zweigeschlechtlichkeit finden. Einen Platz zu finden heißt aber nicht, sich gegenüber diesen Anforderungen und auch Zumutungen nicht selbst bestimmen und selbstständig verhalten zu können. Kinder entwickeln hier sehr kreative und den unterschiedlichen Situationen und lebensweltlichen Zusammenhängen angepasste Bewältigungsstrategien und individuelle Geschlechtsidentitätskonstruktionen. Hier kommt einer Pädagogik der frühen Kindheit eine besondere Bedeutung zu, diese individuellen Ausdrucksweisen und -konstruktionen wahr- und ernst zu nehmen, zu bestätigen und zu fördern. Genderbewusste Pädagogik kann hier Orientierung und Unterstützung bieten. Die vielfältigen Identitätskonstruktionen von Kindern sind für eine Pädagogik der frühen Kindheit Ressource und Herausforderung zugleich (vgl. auch Giebeler 2012, S. 28ff.).

Wie und ob es gelingt die Chancen zu nutzen und die Risiken zu meiden, hängt auch von der sozialen und kulturellen Herkunft, vom Bildungshintergrund, Gesundheitsstatus, dem sozialen Raum und vielem mehr ab. Bewältigungsressourcen wie das Elternhaus, die Peer-Gruppe und Kindertageseinrichtungen haben hier einen bedeutenden Einfluss darauf, dass Kinder eine eigene (Geschlechts-)Identität entwickeln – jenseits der jeweils herrschenden heteronormativen Vorgaben vom »richtigen« Mädchen und »richtigen« Jungen.

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6.3

6. Geschlecht im Spiegel der individuellen Entwicklung von Kindern

Anregungen zur Selbst- und Gruppenreflexion

Für Studium, Fort- und Weiterbildung bietet sich zur Vertiefung folgende Übung an. Nach einer kurzen Erläuterung zum Thema Sozialisation und Habitus folgt dann die Gruppenarbeit (mit den Ergebnissen der Gruppenarbeit, werden die oben beschriebenen Inhalte von Kapitel 6 wiedergegeben). Es werden vier Kleingruppen gebildet, die sich mit folgenden Fragen beschäftigen sollen: Gruppe 1: Welche »Gewinnseiten« birgt der männliche Habitus? Gruppe 2: Welche »Verlustseiten« birgt der männliche Habitus? Gruppe 3: Welche »Gewinnseiten« birgt der weibliche Habitus? Gruppe 4: Welche »Verlustseiten« birgt der weibliche Habitus? Auch eine Sensibilisierung für die eigene Sozialisation ist hilfreich zur Annäherung an Fragen der geschlechtstypischen Sozialisation. Nach einer Phase der Entspannung und Rückbesinnung kann jede/r in sich Bilder und Gefühle aus der eigenen Kindheit auftauchen lassen (siehe auch Kapitel 1.4). Ω Wie habe ich mich gefühlt? Was habe ich gerne gemacht? Ω Wann und wie habe ich meine Geschlechtszugehörigkeit empfunden? Ω Passte ich in die damals herrschenden geschlechtstypischen Vorgaben? Ω Was durfte ich? Was durfte ich nicht? Was hatte es mit meiner Geschlechtszugehörigkeit zu tun? Ω Wie wäre ich gerne gewesen? Was hätte ich gerne anders gemacht? Ω Musste ich mich einem Geschlecht zuordnen? Ω Hat meine Geschlechtszugehörigkeit meine Entwicklung beeinflusst? Ω Hat meine Geschlechtszugehörigkeit etwas mit meiner Berufswahl zu tun? Ω Welche Zugehörigkeiten, Themen und Aspekte meiner Identität waren wichtig (Milieuzugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Migrationshintergrund, Geschlechtszugehörigkeit, Beeinträchtigungen …)? Ω Wo und wodurch habe ich Privilegien gehabt, wo wurde ich ggf. diskriminiert?

7. Fachliche Orientierungen genderbewusster Pädagogik

In diesem Kapitel erfahren Sie – auf welchen Ebenen genderbewusste Pädagogik umgesetzt wird – was die Ziele genderbewusster Pädagogik sind – welche Arbeitsformen genderbewusster Pädagogik es gibt – welche Rolle das Geschlecht der pädagogischen Fachkräfte spielt – was Genderkompetenz ist

In diesem Kapitel erhalten Sie – eine Zusammenstellung von Inhalten für Ausbildung, Studium, Fort- und Weiterbildung – Anregungen zur Umsetzung von Gender Mainstreaming – einen Leitfaden zur Umsetzung von genderbewusster Pädagogik im Berufsalltag

Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze, Perspektiven und auch Begrifflichkeiten wie beispielsweise geschlechtersensible, geschlechterreflektierte oder geschlechterbewusste Pädagogik. Der Begriff der genderbewussten Pädagogik verweist dabei besonders auf die soziale Konstruktion von Geschlecht. Auch die Praxis genderbewusster Pädagogik ist inzwischen sehr vielfältig. Veränderungsansätze und pädagogische Konzepte wirken jedoch nur dann nachhaltig, wenn sie alle Ebenen einbeziehen, in die Geschlecht verwoben ist.

7.1

Ebenen und Ziele genderbewusster Pädagogik

Genderbewusste Pädagogik ist der Oberbegriff für einen reflektierten Umgang mit Geschlecht auf der Ebene der Kinder, der Erziehungsberechtigten, der pädagogischen Fachkräfte und der Einrichtung. Da Geschlecht in alle Lebensbereiche verwoben ist, die sich gleichzeitig und wechselseitig bedingen, gilt es die Ebenen des Geschlechter-Dreiecks einzubeziehen (siehe Seite 11): Ω die Ebene der Geschlechtersymbole und -stereotype, Ω die Ebene der individuellen Geschlechtsidentitätskonstruktionen und Ω die Ebene der gesellschaftlichen Strukturen. Veränderungsansätze und pädagogische Konzepte genderbewusster Pädagogik wirken nur dann nachhaltig, wenn alle drei Ebenen des Geschlechter-Dreiecks verknüpfend einbezogen werden.

7.1 Ebenen und Ziele genderbewusster Pädagogik

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Definition Genderbewusste Pädagogik Das Ziel gender- bzw. geschlechterbewusster Pädagogik ist es, Kinder – jenseits von Geschlechterklischees – in ihren individuellen Interessen und Fähigkeiten zu fördern. Es geht darum, sie bei der Ausgestaltung ihrer individuellen Geschlechtsidentitäten zu unterstützen – unabhängig von den jeweils herrschenden Vorstellungen vom »richtigen Mädchen« und »richtigen Jungen«. Genderbewusste Pädagogik beruht auf einer Haltung, die auf der Anerkennung vielfältiger Lebensweisen basiert und Chancengerechtigkeit und Inklusion betont.

Grundlage ist also die Wertschätzung der tatsächlichen (geschlechtlichen) Vielfalt und Individualität von Kindern unter Berücksichtigung vorhandener sozialer Ungleichheiten in den Geschlechterverhältnissen (vgl. Focks 2011a, S. 79ff.) Diese doppelte Blickrichtung, Kinder sowohl als Angehörige ihrer Geschlechtergruppe als auch in ihrer Einzigartigkeit mit ihren individuellen Interessen und Fähigkeiten zugleich zu betrachten, ist grundlegend für eine genderbewusste Pädagogik. Dabei geht es nicht nur um mehr oder gleiche Chancen, sondern immer auch um soziale Gerechtigkeit, Inklusion und die Umsetzung der Kinderrechte.

Die Arbeitsformen Die Arbeitsform genderbewusster Pädagogik ist in der Regel koedukativ, wobei die pädagogische Arbeit mit den Kindern bewusst gestaltet wird. Bei dieser gestalteten Koedukation sind alle Kinder gemeinsam in der Gruppe. Im Rahmen von koedukativen Arbeitsformen genderbewusster Pädagogik (reflexive bzw. gestaltete Koedukation) kann die alltägliche Interaktion von Kindern reflektiert begleitet, aufgearbeitet und beeinflusst werden – und zwar dort, wo die Geschlechter aufeinandertreffen und gegen- und aneinander ihre jeweiligen Geschlechtsidentitäten entwickeln (vgl. Helferich 1998, S. 40). Die Gruppe kann genutzt werden, um »Vergeschlechtlichungen« und »doing gender« bewusst zu machen und um eingefahrene Muster in der Kommunikation zwischen den Geschlechtern zu verändern. Vor allem können hier auch die Inszenierungen des Geschlechterverhältnisses in der alltäglichen Interaktion kritisch begleitet und situativ kommentiert werden. Eine genderbewusste Reflexion kann jedoch auch zu zeitweise geschlechtergetrennten themenspezifischen Angeboten führen. Geschlechtsspezifische Arbeitsformen sehen eine spezifische pädagogische Arbeit in geschlechtergetrennten Gruppen vor.18 Die getrennte Gruppe bietet Raum zum Experimentieren und eröffnet die Chance, neue Erfahrungen machen zu können. Das Selbstverständliche wird verändert, sodass eingeübte und scheinbar spontane Verhaltensweisen relativiert und hinterfragt werden können. Die eigene Geschlechtsidentität kann nicht mehr durch die Abgrenzung

18 Dabei gilt es jedoch immer kritisch zu reflektieren, dass dabei auch Kinder ausgeschlossen werden können.

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7. Fachliche Orientierungen geschlechterbewusster Pädagogik

von anderen Geschlechtern erprobt, vielmehr müssen neue Formen gefunden werden. Kinder erleben deutlicher, wie unterschiedlich Kinder untereinander sind und können ihr Handlungsund Verhaltensrepertoire erweitern.

Geschlechtstypischer Aufgabenteilung entgegenwirken Wenn nicht schon vorab klar wäre, dass Jungen* bestimmte Tätigkeiten und Mädchen* andere besser können, könnte auch wieder ein Zugang zu diesen bisher wenig geförderten bzw. sogar »verschütteten« Interessen und Fähigkeiten hergestellt werden. Wenn beispielsweise kein Junge* im Hort ist, um das Fahrrad zu reparieren, sind Mädchen* gezwungen, es selbst zu reparieren bzw. es zu lernen. Oder um ein anderes Beispiel zu nennen: Wenn keine Mädchen* in der Kitagruppe anwesend sind, um das traurige Kind zu trösten, kann ein Junge* dies tun.

Welche Rolle spielt das Geschlecht der pädagogischen Fachkräfte? In den letzten Jahren wurde viel darüber diskutiert, welchen Einfluss das Geschlecht der pädagogischen Fachkräfte auf die pädagogische Arbeit hat (vgl. u. a. die Beiträge in Hurrelmann 2012). Es ist wichtig, dass die unterschiedlichen Geschlechter ebenso wie die unterschiedlichen Kulturen und andere soziale Gruppen in der Kindertageseinrichtung repräsentiert sind. Für die Qualität des Erziehungsverhaltens spielt jedoch das Geschlecht der pädagogischen Fachkräfte keine Rolle, zentral ist hier eine professionelle Ausbildung und pädagogische Kompetenz (vgl. auch Faulstich-Wieland 2012, S. 149ff.). Wie neue Studien zeigen, unterscheidet sich das Erziehungsverhalten von pädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtungen nicht aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit (vgl.u. a. BMFSFJ 2015). Als erster zentraler Befund der sogenannten Tandem-Studie ergibt sich »dass das Geschlecht der Fachkräfte an sich keinen nachweisbaren Einfluss darauf hat, wie diese sich generell gegenüber Kindern zwischen drei und sechs Jahren verhalten« (ebd., S. 31). Auch Genderkompetenz hängt nicht vom Geschlecht der pädagogischen Fachkraft ab, sondern von Ausbildung, Studium und professionellem Handeln. Genderkompetenz ist dabei eine Schlüsselqualifikation, denn geschlechtstypische Unterschiede zeigen sich vielfach »hinsichtlich der Neigung der Fachkräfte, was sie mit den Kindern tun und welche Interessen und Neigungen von Jungen und Mädchen sie bevorzugt aufgreifen […] und ob sie mit Mädchen und Jungen anders umgehen« (ebd.). Der Ruf nach mehr Männern* in Kitas kann leicht zu einer Dramatisierung von Geschlecht führen. Wenn beispielsweise erwartet wird, dass Männer* vor allem mit den Kindern Fußball spielen, toben, in der Kita handwerkliche Tätigkeiten übernehmen und sich geschlechtstypisch verhalten. Damit nicht geschlechtstypische Muster verstärkt werden, bedarf es Genderkompetenz.

7.2 Gender- und Inklusionskompetenz als Querschnittsaufgabe

99

7.2 Gender- und Inklusionskompetenz als Querschnittsaufgabe Geschlecht ist nur ein Merkmal der individuellen Identitätskonstruktionen von Kindern und nur eine der gesellschaftlichen Differenz- und Strukturkategorien. Die Lebenswelten von Kindern sind immer auch beeinflusst von ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Altersgruppe, Kultur, Ethnizität oder Schicht. Sie werden als Angehörige dieser Gruppen betrachtet und definieren sich selbst in diesem Geflecht von Zugehörigkeiten. So konstruieren wir »Weiblichkeit« und »Männlichkeit« und Geschlecht in verschiedenen Altersgruppen, Kulturen oder Schichten durchaus unterschiedlich. Beispielsweise ist es in einigen Kulturen alltägliche Praxis, dass Männer sich umarmen oder an der Hand halten in anderen gilt es wiederum als »unmännlich«.

Genderbewusste Pädagogik Im Rahmen einer genderbewussten Pädagogik wird Geschlecht weder dramatisiert noch banalisiert. Es geht darum, die Unterschiedlichkeit der Kinder und damit auch die Unterschiede unter Mädchen* und unter Jungen* zu berücksichtigen und sie als aktive Gestalter*innen ihrer Entwicklung ernst zu nehmen, zu fördern und zu beteiligen. Das bedeutet auch, die unterschiedlichen sozialen und kulturellen Lebenswelten von Kindern wertschätzend einzubeziehen und soziale Benachteiligungen auszugleichen. Geschlecht im Zusammenhang mit anderen lebensweltlichen Aspekten und Differenzmerkmalen von Kindern verknüpfend zu betrachten, zu analysieren und zu dekonstruieren ist eine Schlüsselkompetenz genderbewusster Pädagogik, die in der Geschlechter- und Queerforschung unter dem Stichwort Intersektionalität (siehe Kapitel 5.3) diskutiert wird.

Geschlecht intersektional zu betrachten ist vor allem eine Ressource, weil hier eine Vielfalt von geschlechtlichen Lebensweisen sichtbar wird. Denn Kinder drücken Geschlecht u. a. kulturell und sozialräumlich sehr unterschiedlich und kreativ aus. Eine genderbewusste Pädagogik fördert daher immer auch Inklusion, indem die unterschiedlichen geschlechtlichen Ausdrucksformen und die Vielfalt der Kinder wahrgenommen, wertgeschätzt und gefördert wird und soziale Ungleichheiten, Ausgrenzung und Vorurteile erkannt und abgebaut werden.

Genderkompetenz meint die Fähigkeit – durch eine vorurteilsbewusste und geschlechterreflektierte Wahrnehmung der Kinder und einer an sozialer Gerechtigkeit und Inklusion orientierten Haltung – Handlungskonzepte und Methoden zu entwickeln, Ω die eine Erweiterung von Entfaltungsmöglichkeiten in der individuellen Entwicklung und Selbstbildungsprozesse von Kindern fördern (z. B. indem eine möglichst vorurteilsfreie und geschlechtergerechte Lernumgebung geschaffen und auch geschlechtsuntypische Interessen und Fähigkeiten gefördert werden).

100

7. Fachliche Orientierungen geschlechterbewusster Pädagogik

Ω die der Verständigung zwischen den Kindern in ihrer Unterschiedlichkeit dienen (die vorfindbaren Differenzen werden dabei nicht gewertet, sondern als Chance für die Entwicklung der Kinder betrachtet und ggf. irritiert und dekonstruiert). Ω die eine reflektierte Begleitung von Prozessen des »doing gender«, »doing ethnicity« und »doing handicap« bei den Kindern und Erwachsenen ermöglichen (dabei betrachten sie die individuellen Geschlechtsidentitätskonstruktionen der Kinder immer in der Verknüpfung mit anderen sozialen und kulturellen Zugehörigkeiten). Ω die die Partizipation und Teilhabe von Kindern ermöglichen und die sozialen, kulturellen und geschlechtlichen Lebensweisen wertschätzend einbeziehen (die verschiedenen sozialen Zugehörigkeiten werden einbezogen, gleichzeitig werden Verallgemeinerungen vermieden und Kinder werden immer in ihrer Individualität betrachtet). Ω die dafür Sorge trägt, dass ungerechte Verhältnisse ebenso thematisiert werden wie unfaires Verhalten im Alltag. Um sozialen Ungleichheiten und Exklusion von Kindern und deren Familien vorzubeugen werden für Kinder bedeutsame Unterschiede (wie beispielsweise die Geschlechtszugehörigkeit oder wenn zu Hause mehrere Sprachen gesprochen werden, Kinder ein oder zwei Mütter haben, in wohlhabenden oder armen Familien aufwachsen, Kinder Beeinträchtigungen haben, etc.) nicht ignoriert, sondern aufgegriffen. Es geht also darum, soziales Lernen und Gerechtigkeitssinn bei den Kindern zu fördern und sich als Einrichtung zugleich mit den Eltern und im sozialen Raum für soziale Gerechtigkeit einzusetzen.

Genderkompetenz Geschlechter- bzw. genderbewusste Pädagogik basiert auf der Genderkompetenz der pädagogischen Fachkräfte (vgl. Focks 2011a., S. 80). Genderkompetenz heißt, dass Kinder auch im Verhalten der Erwachsenen in der Einrichtung (geschlechter-)demokratisches Verhalten erleben. Der Dialog der pädagogischen Fachkräfte innerhalb des Teams, die Entscheidungsfindungsprozesse und der Umgang mit unterschiedlichen Meinungen sowie die Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern und mit und ohne Migrationshintergrund spielen dabei eine große Rolle (Selbst-, Team- und Organisationsanalyse) (vgl. Focks 2010, S. 142).

7.3

Inhalte für Ausbildung, Studium, Fort- und Weiterbildung

Geschlechtergerechtigkeit und Inklusion können nur erreicht werden, indem Geschlechterkonstruktionen und soziale Ungleichheiten in den Geschlechterverhältnissen sowie Mechanismen von Exklusion wahrgenommen, sichtbar gemacht und verändert bzw. abgebaut werden. Um diese wahrnehmen und verändern zu können, bedarf es jedoch Theorie-, Handlungs- und Selbstkompetenz:

7.4 Gender Mainstreaming

101

Ω Genderwissen, Ω Genderkompetenz und Ω Selbstreflexion, die im Rahmen von Ausbildung, Studium sowie in der Fort- und Weiterbildung angeeignet werden müssen. Für die Integration in Ausbildung, Studium, Fort- und Weiterbildung bietet sich folgender Dreischritt an: Konstruktion – Rekonstruktion – Dekonstruktion Lehr- und Lerninhalte Ω Konstruktion von Geschlecht (in welchen Lebensbereichen und auf welchen Ebenen finden wir diese vor?) - Geschlechtersymbole, - Geschlecht als Strukturprinzip und soziale Ungleichheiten - individuelle Geschlechtsidentitätskonstruktionen Ω Rekonstruktion (wie haben sich diese kulturell, historisch und im Zuge der individuellen Entwicklung und Sozialisation entwickelt?) - Geschlechterdiskurse/Theorien und Forschung im Bereich Gender- und Queer - u. a. Theorien zur geschlechtstypischen Sozialisation, zur Entwicklung von Geschlechtsidentitäten Ω Dekonstruktion (welche dieser Konstruktionen können und sollen verändert werden und wie kann dies aussehen?) - Ziele/Entwicklung einer eigenen reflektierten Haltung - pädagogische Veränderungsansätze (rechtliche Grundlagen, Handlungskonzepte, Methoden, Arbeitsformen) - Politikstrategien Diese Inhalte werden über einzelne Module und Lehr-/Lerninhalte sowie auch als Querschnittsperspektive für alle Bereiche als verpflichtender Teil von Ausbildung und Studium integriert. Auch Module, die eine Verknüpfung und das Zusammendenken verschiedener ungleichheitsrelevanter Kategorien vorsehen, müssen in Ausbildung und Studium ebenso selbstverständlich einbezogen werden wie Formen der Förderung von Selbst- und Teamreflexion, der Beobachtung und der Entwicklung einer geschlechterbewussten Haltung der pädagogischen Fachkräfte. Auf der Ebene der Veränderungsansätze findet dabei nicht nur eine Auseinandersetzung mit Konzepten und Methoden der pädagogischen Arbeit statt, sondern auch mit gesetzlichen Vorgaben und mit Politikstrategien.

7.4

Gender Mainstreaming

Eine Politikstrategie zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit ist Gender Mainstreaming. Gender Mainstreaming ist eine politische Gleichstellungsstrategie, die 1995 im Anschluss an die Weltfrauenkonferenz in Peking von der Europäischen Union übernommen wurde. 1999 wurde der Amsterdamer Vertrag ratifiziert und damit gesetzliche Verpflichtung für die Mitgliedsstaaten. Es handelt sich hier nicht um eine allgemein gehaltene Idealvorstellung, sondern um eine konkrete Strategie bzw. Methode zur Umsetzung von Gleichstellung.

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7. Fachliche Orientierungen geschlechterbewusster Pädagogik

Gender Mainstreaming Die Politikstrategie des Gender Mainstreaming zielt darauf ab, Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern aufzuheben und eine tatsächliche Gleichstellung zwischen Frauen* und Männern* sowie zwischen Mädchen* und Jungen* herzustellen. Die Berücksichtigung und Einrichtung von Gender Mainstreaming wird dabei als eine Querschnittsaufgabe verstanden, d. h. dass bei allen Entscheidungsprozessen in Organisationen, Institutionen und Verwaltungen die Perspektive der Geschlechterverhältnisse einbezogen werden soll, um Gleichberechtigung herzustellen.

Gender Mainstreaming ist eine »Top-Down«-Strategie, d. h. dass die Mittelvergabe auf allen Ebenen der Kinder- und Jugendhilfe zunehmend an die Umsetzung von Gender Mainstreaming gebunden ist. Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ) hat in einem trägerübergreifenden Diskussionspapier dargestellt, was Gender Mainstreaming für Kindertageseinrichtungen konkret bedeutet. Es wurden Anforderungen an Fachkräfte, pädagogische Konzepte sowie an Organisations- und Praxisentwicklung formuliert (vgl. AGJ 2012): Ω Auseinandersetzung der Mitarbeiter*innen mit der eigenen Entwicklung und Haltung als Frau bzw. Mann (Selbst- und Teamreflexion) Ω Unterstützung der Kinder bei der Entwicklung von Geschlechtsidentitäten (ohne sie in geschlechtstypische Rollen zu drängen) Ω Einbeziehung der Eltern in den gemeinsamen Lernprozess Ω Initiierung und Unterstützung einer geschlechtersensiblen Pädagogik durch die Leitung Ω Qualitätsentwicklung und -sicherung in Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit Ω Vermittlung einer geschlechtersensiblen Pädagogik und Gender Mainstreaming in den Aus- und Fortbildungen

Checkliste zur Umsetzung von Gender Mainstreaming Ω Teamreflexion und Entwicklung von allgemeinen Zielen Ω Analyse und Beobachtung zu Raumnutzung, Spielverhalten, Arbeitsteilung im Team (siehe auch Beobachtungsbogen Kapitel 1.4) Ω Entwicklung konkreter Gleichstellungsziele auf der Grundlage der Analyse und Beobachtung (z. B. die Kinder beschäftigen sich mit dem anderen Geschlecht zugeordneten Spielen, z. B. Mädchen* und Jungen* nehmen sich gleich viel Raum) Ω Konkrete Umsetzungsmaßnahmen (z. B. Zeiten einrichten, in denen Kinder mit geschlechtsuntypischen Spielmaterialien experimentieren können – auch mal geschlechtsgetrennt –, Verzicht auf geschlechtstypische Spielmaterialien) Ω Evaluation

7.5 Leitfaden zur Umsetzung von genderbewusster Pädagogik

103

Eine ausführliche Darstellung der Umsetzungsmöglichkeiten von Gender Mainstreaming in Kindertageseinrichtungen finden Sie im Praxisbuch für eine geschlechterbewusste und -gerechte Kindertageseinrichtung »Gender Loops« (Krabel & Cremers 2013, S. 34ff.). Gender Mainstreaming geht aber über die konkrete pädagogische Arbeit im Alltag im Kindergarten und Hort hinaus. Es geht vor allem darum, institutionelle und gesellschaftliche Strukturen in den Blick zu nehmen und ggf. zu verändern (u. a. die Erhöhung der gesellschaftlichen Wertschätzung pädagogischer Arbeit, die Bezahlung der Fachkräfte nach den Standards in anderen Bereichen öffentlicher Bildung). Die Politikstrategie des Gender Mainstreaming ist jedoch auch kritisch zu betrachten, da die Kultur der Zweigeschlechtlichkeit reproduziert und Geschlecht dramatisiert wird (vgl. u. a. Frey et al. 2006). So werden andere soziale Identitäten und ungleichheitsrelevante Differenzlinien wie Ethnizität, soziales Milieu, Behinderung, sexuelle Orientierung nicht einbezogen und Mehrfachzugehörigkeiten nicht berücksichtigt.

7.5

Leitfaden zur Umsetzung von genderbewusster Pädagogik

Es gibt nicht die genderbewusste Pädagogik. So gibt es inzwischen eine Vielfalt von unterschiedlichen Ansätzen und Perspektiven. Genderbewusste Pädagogik ist zugleich eine Querschnittsaufgabe und Schlüsselkompetenz. Es geht um einen bewussten Umgang mit Geschlecht auf der Ebene der Kinder, der beteiligten Erwachsenen und der gesellschaftlichen Strukturen, d. h. dass genderbewusste Pädagogik im Rahmen von Projekten, vor allem aber im Alltag situativ umgesetzt wird. Bei der Umsetzung werden dabei die Ebenen der Geschlechtersymbolik, des Geschlechts als Strukturprinzips und der individuellen Geschlechtsidentiätskonstruktionen einbezogen. Genderbewusste Pädagogik orientiert sich an Geschlechtergerechtigkeit und Inklusion. Überlegungen zur Umsetzung beginnen daher immer mit Selbst- und Teamreflexion. Im Rahmen einer genderbewussten Pädagogik werden dabei auch andere lebensweltliche Aspekte der Kinder in ihrer Verknüpfung einbezogen, wenn sie z. B. in wohlhabenden oder armen Familien aufwachsen, wenn sie beeinträchtigt sind, wenn zu Hause mehrere Sprachen gesprochen werden, wenn sie ein oder mehrere Elternteile haben, wenn die Eltern hetero- oder homosexuell orientiert sind usw. (intersektionale Betrachtungsweise). Dies ist notwendig, um eine Dramatisierung von Geschlecht zu vermeiden und die vielfältigen individuellen Geschlechtsidentitätskonstruktionen von Kindern reflektiert wahrzunehmen und bei der pädagogischen Arbeit zu berücksichtigen. Gleichzeitig gilt es auch eine Banalisierung von Geschlecht zu meiden, wie beispielsweise Annahmen zu geschlechtsspezifisch angeblich »normalem« Verhalten.

104

7. Fachliche Orientierungen geschlechterbewusster Pädagogik

Gefahren von »doing gender«-Prozessen Wenn Eren (4 Jahre) häufig durch die Einrichtung rennt, tobt und gerne kämpft und sich und anderen dabei manchmal wehtut, sind sich die Eltern einig. Sie erklären sein Verhalten damit, dass er ein Junge ist und Jungen – und vor allem türkische Jungen – nun mal so sind. Das Verhalten von Eren zu kulturalisieren oder als geschlechtsspezifisch festzuschreiben, birgt jedoch Risiken. Die Kinder werden für ein solches Verhalten zwar von einigen Gleichaltrigen bewundert, zugleich können sie jedoch schnell zu ausgegrenzten Störenfrieden werden. Grundlage einer genderbewussten Pädagogik ist es, geschlechtstypische (einschränkende oder ungesunde) soziale Praktiken bei Kindern aufzudecken und diese Prozesse des »doing gender« kritisch zu begleiten. Denn diese Prozesse sind problematisch, weil sie Individuen und Gruppen festlegen auf scheinbar unveränderliche Dispositionen und zugeschriebene geschlechtsspezifische bzw. kulturelle Eigenarten. Dies beschränkt die Entfaltungs- und Handlungsmöglichkeiten von Kindern und führt zu Ausgrenzungen von Kindern, die diesen hegemonialen Männlichkeiten und Weiblichkeiten nicht entsprechen. Genderbewusste Pädagogik meint hier auch, Kinder zu unterstützen sich selbst zu spüren, in »wilden« und »ruhigen« Spielen, auf ihre Körpersignale zu achten, sich in andere einzufühlen, indem sie bewusst die in einer geschlechtstypischen Erziehung vernachlässigten Seiten fördert (Anregungen dazu siehe Kapitel 12).

Im Folgenden werden die Schritte,die für die Umsetzung einer genderbewussten Pädagogik wichtig sind, vorgestellt.

Selbst- und Teamreflexion fördern Damit nicht unreflektierte Vorstellungen über das »richtige« Mädchen und den »richtigen« Jungen sowie überkommene Annahmen zu den Geschlechterverhältnissen unser berufliches Handeln beeinflussen, ist es unerlässlich, sich mit der eigenen Geschlechtsidentität und der eigenen Berufsrolle auseinanderzusetzen. Zudem ist es wichtig, sich die eigenen Ziele und Visionen in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse zu vergegenwärtigen (siehe Kapitel 1.4). All diese Themen können auch im Team diskutiert werden. Allerdings gilt es hier genau zu überlegen, was man den anderen mitteilen will und kann, da es sich hierbei nicht um einen geschützten Rahmen handelt, wie beispielsweise in einer Selbsterfahrungsgruppe oder einer Supervision (Focks 2014a, S. 162).

Beobachtung und Forschung ermöglichen Ein erster wichtiger Schritt zur Umsetzung von genderbewusster Pädagogik in der eigenen Einrichtung ist die Beobachtung und Analyse. Ω Wie sieht es mit der Repräsentanz der Kinder in ihren kulturellen und sozialen Lebenswelten aus? Werden bei den Themen und Spielangeboten und bei der Raumgestaltung etc. alle Kinder angesprochen oder in bestimmten Bereichen eher Mädchen* oder eher Jungen* oder

7.5 Leitfaden zur Umsetzung von genderbewusster Pädagogik

105

nur Kinder mit Migrationshintergrund? Wo fühlen sich einige Kinder angesprochen und warum? Ω Werden alle Erziehungsberechtigten, unabhängig von Geschlechtszugehörigkeit und Familien- und Lebensform angesprochen? Werden ihre jeweiligen kulturellen und sozialen Lebenswelten im jeweiligen sozialen Raum einbezogen? Ω Wie werden Kinder beteiligt? Gibt es Beteiligungsformen, die den einzelnen Kindern in ihrem Entwicklungsstand, mit ihren jeweiligen Begabungen und Beeinträchtigungen, ihren jeweiligen kulturellen und sozialen Lebenswelten, ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen und -möglichkeiten gerecht werden? Auch eine genauere Beobachtung einzelner Themen und einzelner Kinder oder Gruppen von Kindern ist aufschlussreich. Im Rahmen solcher Beobachtungsreihen können auch Prozesse des »undoing gender« sichtbar werden und vor allem auch die vielfältigen, subjektiven und vor allem kreativen Selbstbildungs- und Konstruktionsprozesse von Kindern. Denn Kinder sind aktive Subjekte ihrer Realitätsverarbeitung und Lerntätigkeit. Sie entwickeln vielfältige Selbstbildungs- und Bewältigungsprozesse in ihren jeweiligen sozialen und kulturellen Lebenswelten. Gerade in Bezug auf Kindersurveys (direkte Befragungen von Kindern) als einer Form der Berichterstattung, die die subjektive Sichtweise von Kindern hervorheben, besteht hier noch einiger Forschungsbedarf. Denn diese subjektiven Sicht- und Verhaltensweisen von Kindern zeigen eben auch, dass Geschlecht als ein Handlungsrepertoire zu begreifen ist, das sozialräumlich, ethnisch und je nach sozialem Milieu sehr unterschiedlich ist.19

Modellfunktion der Erwachsenen bewusst erweitern Pädagogische Fachkräfte werden von den Kindern in der Regel auch als Frau* bzw. als Mann* wahrgenommen und beziehen sich häufig als Frau* bzw. als Mann* auf die Kinder (vgl. Brückner & Böhnisch 2001, S. 120). Daher ist es wichtig, dass Kinder auch im Verhalten der Erwachsenen in der Einrichtung (geschlechter-)demokratisches Verhalten erleben.

Beispiel für geschlechterdemokratisches Verhalten Die pädagogischen Fachkräfte teilen Aufgaben nicht geschlechtstypisch auf, sondern besprechen die Aufgabenteilung. Pädagogische Fachkräfte übernehmen je nach Interessen und Fähigkeiten auch solche Tätigkeiten, die als geschlechtsuntypisch gelten, wie z. B. Fußball spielen, notwendige Reparaturen und technische Arbeiten und auch trösten, vorlesen und basteln usw.

Da Geschlechterkonstruktionen in der Regel als Gegensätze angelegt sind (»männlich« darf nicht gleich »weiblich« sein), bemühen sich genderbewusst arbeitende pädagogische Fachkräfte 19 Deutlich sichtbar wird dies auch in den Beiträgen von Riegel (2007) oder Seus (2007), die Geschlechterkonstruktionen im Kontext von Jugendkultur, sozialem Milieu (Seus 2007) und Ethnizität (Riegel 2007) betrachten.

106

7. Fachliche Orientierungen geschlechterbewusster Pädagogik

darum, die Vielfalt von (geschlechtlichen und sozialen) Persönlichkeiten und Verhaltensweisen im Team und in ihrer Person zu repräsentieren. Auch die Eltern werden dabei einbezogen: Gibt es eine geschlechtstypische Arbeitsteilung in der Familie? Wer ist wie an der Kindererziehung beteiligt?

Beispiel für genderbewusste Erziehung Damit Kinder unterschiedliche und auch geschlechtsuntypische Berufe kennenlernen, können Eltern eingeladen werden, um in der Einrichtung von ihrem Beruf zu erzählen oder die Kinder können Eltern an ihrem Arbeitsplatz besuchen (u. a. Mütter, die Polizistinnen sind). Aber auch Bilderbücher können hier hilfreich sein (vor allem in Bilderbüchern zu Bau, Flughafen, Feuerwehr etc. finden sich in der Regel sehr geschlechtstypische Berufszuordnungen, die es zu vermeiden bzw. zu erweitern gilt).

»Doing gender«-Prozesse kritisch begleiten Da Kinder im Kindergartenalter ihre geschlechtlichen Identitäten entwickeln, können sie Uneindeutigkeiten noch nicht zulassen (Faulstich-Wieland 2000, S. 12). Sie praktizieren die Geschlechterdifferenzen deutlicher, weil ihnen das die Zuordnungen erleichtert. Wenn Kinder beobachten, dass bestimmte Spielbereiche von einem Geschlecht dominiert werden, schlussfolgern sie daraus »Das können nur Mädchen« oder »Das ist nur etwas für Jungen«. Sie orientieren sich dabei an älteren Kindern und vor allem in Situationen, in denen sie unsicher sind, greifen sie auf geschlechtstypische Spiele, Orte und Verhaltensweisen zurück. Kindertagesstätten sind koedukative Einrichtungen, in denen Kinder häufig über mehrere Jahre täglich viele Stunden miteinander verbringen. Die pädagogischen Fachkräfte haben Vertrauen zu den Kindern aufgebaut und Ω können die Beziehungen in der geschlechtsgemischten Gruppe nutzen, um situationsbezogen geschlechtstypisches Verhalten im Alltag zu hinterfragen, zu irritieren und starre Beziehungsmuster zwischen den Geschlechtern zu erweitern. Ω können hier Kindern auch Themen, Spiele und Tätigkeiten zumuten, die nicht geschlechtstypisch sind und die sie aktiv nicht aufsuchen oder gar vermeiden würden, weil sie sie als »unpassend« für ihr Geschlecht erleben. Ω lassen sich jedoch zugleich auf die »Diskurse« der Kinder zum »Junge- und Mädchen-Sein« und auf geschlechtstypische Themen und Spiele der Kinder ein und nutzen sie als Chance, diese zu kommentieren, zu erweitern, zu irritieren und gleichzeitig alternative geschlechtsuntypische Perspektiven und Inhalte einzubringen. Denn der Zugang zur Fantasie und zur Kreativität der Kinder bietet hier die Chance, die Entwicklung von Geschlechtsidentität als offenen Prozess zu fördern und auch zu sehen, wo Kinder bereits die Geschlechterzuschreibungen überschreiten (vgl. Focks 2014a, S. 162/163). Dazu gehört auch zu reflektieren, wo wir als pädagogische Fachkräfte selbst »doing gender«Verhaltensweisen zeigen (wo nehme ich Kinder vor allem als Mädchen oder als Junge wahr, wo

7.5 Leitfaden zur Umsetzung von genderbewusster Pädagogik

107

erwarte ich entsprechende Verhaltensweisen?). Zugleich gilt es auch »doing handicap«-Prozesse im eigenen Verhalten und im Verhalten der Kinder untereinander kritisch zu betrachten (gibt es eine barrierearme Kommunikation und können Kinder mit (sozialen, kognitiven oder körperlichen) Beeinträchtigungen gleichberechtigt teilhaben?).20 Auch Kulturalisierungsprozesse werden kritisch reflektiert: Sehe ich die Kinder vor allem als Angehörige einer bestimmten Kultur und Ethnie und erkläre auch ihr Verhalten mit der kulturellen Differenz? Werden die Kinder vor allem in Bezug auf ihren kulturellen Hintergrund angesprochen?

Beispiel für Kulturalisierung Spreche ich Tülay direkt an und frage sie nach einem türkischen Lied oder spreche ich alle Kinder an und frage, wer ein Lied aus der Türkei kennt?

Gibt es pädagogische Fachkräfte mit Migrationshintergrund in der Einrichtung und haben diese Zugang zu allen Positionen und Funktionen? Gewährleistet die Einrichtung die Repräsentanz der Kinder (und ihrer Familien) mit ihren sozialen und kulturellen Mustern, sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Lebensweisen (vgl. Focks 2013b)?

Entfaltungs- und Handlungsmöglichkeiten fördern Gerade im Kindesalter werden die Zuschreibungen und kulturellen Muster von Mädchen- und Junge-Sein von den Kindern häufig noch als »äußerlich« wahrgenommen. Der Zugang zu jenen Gefühlen und Verhaltensweisen, die dem anderem Geschlecht zugeordnet werden, ist noch nicht verschüttet. Im Kindergarten und Hort können Kinder vor allem auch in jenen Bereichen gefördert werden, die in der üblichen Erziehung häufig vernachlässigt werden. Neue Erfahrungen – auch in geschlechtergetrennten Gruppen – können spielerisch erprobt werden. Um zu erfahren, was ihren Neigungen entspricht, ist es notwendig Kinder immer wieder zu ermutigen geschlechtsuntypische Spiele, Verhaltensweisen und Körperpraxen zu erproben und nicht gleich aufzugeben, wenn beispielsweise Tülay den Technikkasten nicht anrührt. Wenn Sie mit ihr spielen oder einige Kinder anregen damit zu spielen oder es mit dem Alltag von Tülay verbinden, entdeckt sie vielleicht ihr Interesse daran oder sie merkt, dass sie andere Interessen hat. Aber erst, wenn sie es ausprobiert hat, merkt sie, ob es ihr Freude bereitet. Viele Mädchen* werden z. B. wenig dazu ermutigt ihre Grenzen zu erproben, zu kämpfen und zu toben. »Jungen wiederum gehen bei Rangeleien manchmal sehr rücksichtslos mit sich und 20 Seit den 1970er-Jahren wird »Behinderung« nicht mehr vorrangig als Personaleigenschaft betrachtet, vielmehr wird die ungenügende gesellschaftliche Integration wahrgenommen und kritisiert. Seither werden die Anerkennung und Wertschätzung heterogener Lernvoraussetzungen als pädagogisches Prinzip der gemeinsamen Erziehung und Bildung in einer »Kita bzw. Schule für alle« gefordert und behindert (vgl. Schumann 2011, S. 55).

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7. Fachliche Orientierungen geschlechterbewusster Pädagogik

anderen um. Besonders Jungen, die viel in Auseinandersetzungen verwickelt sind, haben oft eine schlechte Körperwahrnehmung und können die Folgen von Verletzungen weder bei sich noch bei anderen einschätzen« (vgl. Rohrmann 2010, S. 25). Genderbewusste Pädagogik heißt hier, Kinder zu ermutigen, in wilden Spielen ihre Kräfte zu erproben und gleichzeitig durch Entspannung den eigenen Körper wahrzunehmen. Denn »ruhige, sanfte« und »wilde« Körpererfahrungen gehören zusammen (siehe Kapitel 12). Es geht darum, geschlechtstypische soziale Praktiken, die die Entwicklung von Kindern einengen, als solche zu rekonstruieren, zu vermeiden und neue Erfahrungen jenseits von Geschlechterklischees zu ermöglichen. Es gilt die Kategorie »Geschlecht« im Hinterkopf zu behalten, ohne die pädagogische Praxis danach auszurichten. Denn dies kann leicht zu einer Dramatisierung von Geschlecht führen. Genderbewusster Pädagogik geht es also weder um Rollentausch noch um die Festlegung eines neuen Bildes vom »richtigen Mädchen« und vom »richtigen Jungen«. Vielmehr geht es um Prozesse des sozialen Lernens, die Kindern Spielräume in ihrer Entwicklung ermöglichen. Das Ziel genderbewusster Pädagogik ist es, Selbstbildungsprozesse zur individuellen Entwicklung von Kindern anzuregen, Kinder in ihrem Eigen-Sinn zu fördern, statt sie auf das zu reduzieren, was gerade als typisch männlich oder typisch weiblich gilt (vgl. Focks 2010a, S. 142). Um Kinder in ihrer Vielfalt zu fördern ist es daher hilfreich, Verallgemeinerungen wie »die Mädchen« bzw. »die Jungen« oder auch »typisch weiblich« bzw. »typisch männlich«, die meist unreflektiert verwendet werden, zu hinterfragen bzw. zu vermeiden. Gerade in der pädagogischen Arbeit mit Kindern ist es wichtig, »vergeschlechtlichte« soziale Praktiken falls möglich zu vermeiden bzw. bewusst mit diesen umzugehen (siehe Kapitel 3.2).

Vernetzung und Zusammenarbeit entwickeln In den unterschiedlichen Bereichen – interkulturelle bzw. kultursensible Pädagogik, genderbewusste Pädagogik, inklusive Pädagogik usw. – gibt es vielfältige interessante Entwicklungen in Theorie, Forschung und Praxis. Eine Vernetzung der pädagogischen Fachkräfte kann hier eine Weiterentwicklung der Felder und Kategorien fördern. Auch ein Blick in verschiedene Länder kann hilfreiche Anregungen liefern (vgl. Focks 2013 b). Genderbewusste Pädagogik ist vor allem im Elementarbereich eine Chance um Bildungsprozesse in der Kindheit zu fördern. Dazu erfahren Sie in den folgenden Kapiteln, wie Bildungsprozesse durch tradierte Geschlechterkonstruktionen und Exklusion behindert und wie frühe Bildungsprozesse gefördert werden können. Dazu werden ausgewählte Bildungsbereiche betrachtet und konkrete Umsetzungsmöglichkeiten, Anregungen, Spiele und Projekte vorgestellt.

8. Genderbewusste Pädagogik als Chance für Bildungsprozesse in der Kindheit

In diesem Kapitel erfahren Sie – warum Kindertageseinrichtungen Bildungseinrichtungen sind – wie Bildungsprozesse durch soziale Konstruktionen von Geschlecht und durch soziale Ungleichheiten behindert werden – wie (Selbst-)Bildungsprozesse und die selbsttätige Aneignung von Welt gefördert werden kann – wie in den Bildungsplänen der Länder genderbewusste Pädagogik thematisiert wird

In diesem Kapitel erhalten Sie – Empfehlungen um Bildungsprozesse für alle Kinder zu fördern (Selbst- und Teamreflexion, Interaktion mit Kindern und Eltern, institutionelle Ebene)

Bildung hat in den letzten Jahrzehnten erstaunlich an Bedeutung gewonnen. Ausschlaggebend dafür sind Veränderungen in den postindustriellen Gesellschaften in Westeuropa und Nordamerika, die zu einer stillen Explosion am Ende des 20. Jahrhunderts geführt haben (vgl. Allheit & Dausien 2005). Dadurch entspricht das, was gestern noch als »normal« galt, schon heute nicht mehr den gesellschaftlichen Vorstellungen und Anforderungen. Insbesondere die Veränderungen durch die elektronische Datenverarbeitung haben zu dramatischen Veränderungen geführt. Grundkenntnisse von Software-Programmen gelten als selbstverständlich, ebenso die Nutzung des Internets sowohl im Privat- als auch im Arbeitsleben. Die Bedeutung der »Arbeit« hat sich verändert und es gibt eine neue und völlig gewandelte Funktion des »Wissens«. Zu den gravierenden gesellschaftlichen Veränderungen gehört auch, dass es immer mehr unterschiedliche Lebensformen gibt, sich Lebensläufe individuell sehr unterscheiden und weltweite Entwicklungen Einfluss auf das konkrete Leben von Menschen haben. Auch die Vorstellungen von »Weiblichkeit« und »Männlichkeit« und die Arbeitsteilung der Geschlechter haben sich in den letzten dreißig Jahren verändert. Was also wird die heutigen Kinder in zwanzig Jahren erwarten? So wenig wie vor dreißig Jahren vorhersehbar war, vor welchen Bewältigungsproblemen die damaligen Kinder heute stehen, so wenig lässt sich vorhersehen, was heutige Kinder als Erwachsene bewältigen müssen. Wenn wir davon ausgehen, dass das einzig Vorhersehbare und Beständige der Wandel ist, muss Bildung dementsprechend ausgerichtet sein. Kindertageseinrichtungen kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu, Kinder zu stärken, damit sie die Herausforderungen nutzen und eine gerechte Gesellschaft mitgestalten können. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass Kindheitspädagog*innen sich eigenständige Bildungsaufträge geben und nicht jene von Schule und anderen formalen Bildungseinrichtungen übernehmen. Dabei ist es notwendig, sich dem gesellschaftlichen Trend zu widersetzen, Bildung bereits im Elementarbereich im Sinne der späteren Verwertbarkeit für den Arbeitsmarkt auszurichten.

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8.2 Bildung als Entwicklung von Lebenskompetenzen

8.1

Bildung als lebenslanges Lernen und Aneignung

Seit einigen Jahren gelten Kindertageseinrichtungen als Orte umfassender Bildung mit einem expliziten Bildungsauftrag. Vor allem mit dem Konzept des »Lebenslangen Lernens« (Lifelong Learning) der EU-Kommission werden ausdrücklich auch jene Lernaktivitäten als Bildung anerkannt, die nicht in klassischen Bildungsinstitutionen stattfinden.

So hält das »Memorandum on Lifelong Learning« (EU-Kommission 2000) ausdrücklich fest, dass sich Lebenslanges Lernen auf alle sinnvollen Lernaktivitäten bezieht: Ω auf formale Lernprozesse (die in den klassischen Bildungsinstitutionen stattfinden und mit anerkannten Zertifikaten abgeschlossen werden, z. B. Schule) Ω auf nicht-formale Lernprozesse (die jenseits der etablierten Bildungseinrichtungen mit formalen Bildungsabschlüssen ablaufen, z. B. Kindertageseinrichtungen, Jugendarbeit) Ω auf informelle Lernprozesse (die nicht notwendig intendiert sind und im alltäglichen Leben gleichsam en passant »mitlaufen«, z. B. Familie)

Um Bildungsgerechtigkeit und Inklusion zu ermöglichen ist es notwendig, dass die unterschiedlichen Bildungsorte wie Kindertageseinrichtungen, Schule, Kinder- und Jugendhilfe sowie Familie gleichberechtigt zusammenarbeiten. Es geht dabei um Kooperation und nicht um Delegation. So besteht mit dem Bedeutungszuwachs von nicht-formaler und informeller Bildung die Chance, die spezifischen eigenständigen Bildungsprozesse in Kindertageseinrichtungen hervorzuheben, anstatt sich jenen im Bereich der formalen Bildung anzupassen. Denn Bildungsprozesse in der Kita sind immer ganzheitlich angelegt, d. h. sie finden auf emotionaler, kognitiver und körperlicher Ebene statt. Sie fördern so neben Sachkompetenz immer auch jene Bereiche, die auch in der schulischen Bildung zunehmend an Bedeutung gewonnen haben, wie soziale Kompetenz, Ich-Kompetenz und lernmethodische Kompetenzen. Bildung ist weit mehr als die Vermittlung von Wissen, sie ist immer auch eine Aktivität, die vom Kind ausgeht, eine Aneignung von Welt im Sinne von Selbstbildung.

8.2 Bildung als Entwicklung von Lebenskompetenzen »Hilf mir, es selbst zu tun.« (Maria Montessori) Bereits im Bildungsverständnis von Wilhelm von Humboldt oder auch später von Maria Montessori wird Bildung als Eigentätigkeit des Menschen verstanden. Bildung ist in diesem Sinne

112

8. Genderbewusste Pädagogik als Chance für Bildungsprozesse in der Kindheit

Welt- und Selbstaneignung. Bildung ist aktives Handeln des Kindes. Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte ist es, geeignete Rahmenbedingungen für diese Aneignung zu schaffen, Herausforderungen zu stellen und die Selbsttätigkeit zuzumuten und zu unterstützen. Es geht nicht darum »Kompetenzen [zu] vermitteln, sondern Problemlösen [zu] fördern« (Schäfer 2003, S. 37). Dies gilt bereits für die Kindertagespflege und für Säuglinge. Es geht darum den Kindern nicht alles abzunehmen, sondern ihnen etwas zuzutrauen und zuzumuten. Kinder zu stärken bedeutet daher, ihr kindliches Bedürfnis zu lernen, zu befriedigen. Es geht nicht darum sie zu fördern oder ihnen Wissen »einzutrichtern«, sondern darum, geeignete Rahmenbedingungen im Alltag zu schaffen, sodass sie auch weiterhin gerne (miteinander) lernen. Es geht darum, dass wir ihnen auch zutrauen Probleme selbst zu lösen, damit sie sich auch in ihrer weiteren Entwicklung mit Freude neuen Herausforderungen stellen. Auch eine Heterogenität der Gruppe in der Kindertageseinrichtung ist eine Chance, denn so können Kinder einen sicheren Umgang mit sozialer Vielfalt erlernen.

Bildung als (Selbst-)Bildung für alle Kinder Aneignungs- und Selbstbildungsprozesse zu fördern heißt auch, Kinder zu unterstützen, sodass sie das, was sie gelernt haben, als Herausforderung sehen für die Bewältigung neuer Herausforderungen und Probleme. Dazu gehört auch querdenken und Normalitätsvorstellungen in Frage stellen zu können, solidarisch und neugierig zu sein. »Bildung als die Fähigkeit, sich die Welt selbsttätig immer wieder neu anzueignen, wird eine unerlässliche Voraussetzung für die Entwicklung von Handlungskompetenz und damit für Teilhabechancen des Einzelnen. Wichtiger als die Vermittlung fester Wissenskanons sind daher die Eröffnung von (Selbst-)Bildungsmöglichkeiten und die Unterstützung der Fähigkeit, selbsttätig Lösungen für Probleme im realen Alltag zu finden« (vgl. Hansen et al. 2011, S. 103). Bildung ist dabei immer auch dem Gemeinwohl verpflichtet und beinhaltet eine soziale und solidarische Einbindung.

8.3 Bildung als Voraussetzung für Teilhabe und Inklusion Mit der Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wird Inklusion seit 2009 als zentrale gesellschaftliche Aufgabe vor allem auch im Bereich von Bildung betrachtet. Es wurden Maßnahmen zur Veränderung des Bildungswesens gefordert und entwickelt, um Ausgrenzung (Exklusion) zu vermeiden und Bildungsgerechtigkeit für alle Menschen herzustellen. Ein solches inklusives Bildungsverständnis findet sich beispielsweise auch im Berliner Bildungsprogramm für Kitas und Kindertagespflege (2014).

8.3 Bildung als Voraussetzung für Teilhabe und Inklusion

113

»Alle Kinder sind gleich – jedes Kind ist anders. Auch die Kinder, die derselben geschlechtlichen, sozialen und ethnisch-kulturellen Gruppe angehören, unterscheiden sich voneinander. Die Zugehörigkeit zu einer Bezugsgruppe zu beachten ist wichtig, um damit zusammenhängende spezifische Voraussetzungen zu erkennen und zu beachten« (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft 2014, S. 15).

Behinderung von Bildungsprozessen durch soziale Ungleichheiten Bildungsprozesse werden durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen (wie z. B. Armut) eingeschränkt. Denn vor allem die Verschärfung sozialer Ungleichheiten hat konkrete Auswirkungen auf die Bildungsprozesse der einzelnen Kinder. Wenn Kinder aufgrund von Benachteiligungen und Ausgrenzung weniger Bildungsanregungen und weniger Unterstützung erhalten oder ihnen durch (Geschlechter-)Stereotype der Zugang zu bestimmten Themen und Kompetenzbereichen erschwert wird, werden sie in ihren (Selbst-)Bildungsprozessen behindert.

Geschlechtliche, soziale, ethnisch-kulturelle Unterschiede sind die Hauptursachen von Leistungsunterschieden in Schulen. »Unser Bildungssystem erlaubt in seiner gegenwärtigen Qualität nicht, dass alle Mädchen und Jungen ihre Leistungsmöglichkeiten entwickeln können« (vgl. ebd.). Daher müssen sich auch Kindertageseinrichtungen der Herausforderung stellen, die Teilhabe aller Kinder zu ermöglichen. Ein erster Schritt ist dabei zu fragen, wo die jeweilige Einrichtung gegebenenfalls in den Strukturen, im Handeln, in den Konzeptionen dazu beiträgt, bestimmte soziale Gruppen zu benachteiligen oder auszugrenzen (vgl. auch Sulzer 2013, S. 12ff.). Bei diesem inklusiven Bildungsverständnis geht es darum alle Kinder wahrzunehmen, zu fördern und zu beteiligen; mit ihren unterschiedlichen Stärken und Schwächen, ihren Interessen und Bedürfnissen, ihren sozialen (Mehrfach-)Zugehörigkeiten und Lebenswelten. Denn der Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen wie Bildung, Arbeit, Kultur ist nicht allen gleichermaßen zugänglich. Die Möglichkeiten der Teilhabe liegen jedoch nicht im Ermessen des Einzelnen, sondern sind beeinflusst von den jeweiligen sozialen Zugehörigkeiten und deren Verknüpfung. Kinder gehören weltweit, nach dem Jargon der UN zu den sogenannten besonders verletzlichen Gruppen, den »most vulnerable groups«. Auch in Europa und Nordamerika haben nicht alle Kinder die gleichen Teilhabemöglichkeiten an Bildung. Sonderberichterstatter*innen der UN und EU, Einrichtungen wie das Deutsche Institut für Menschenrechte, Antidiskriminierungsstellen und die »National Coalition« für die Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland leisten hier eine unabhängige Berichterstattung dazu, welchen sozialen Gruppen der Zugang zu Bildung und Bildungsgerechtigkeit verwehrt wird bzw. welche Gruppen privilegiert und welche benachteiligt und sogar ausgegrenzt werden (vgl. Kapitel 4.1).

114

8. Genderbewusste Pädagogik als Chance für Bildungsprozesse in der Kindheit

Bildung im Zusammenhang von Geschlecht, Milieu und Ethnie Seit einigen Jahren wird in den verschiedensten Studien immer wieder betont, dass Mädchen ihre Altersgenossen bei der Schulbildung überholt hätten und bessere Bildungsabschlüsse anstrebten (vgl. u. a. Deutsche Shell-Studie 2010). »Wenn vom Zusammenhang von Bildungsungleichheit und Geschlecht die Rede ist, neigt die Debatte häufig zu Pauschalisierungen, die sich aktuell auf die Formel bringen lassen: Jungen seien benachteiligt und Mädchen auf der Überholspur«(Budde 2011, S. 8). Diese Betrachtungsweise ist für die Fremd- und Selbstwahrnehmung von Kindern nicht unproblematisch. Der Jungenforscher Budde stellt zudem die Frage, was der Maßstab für Bildungsgewinn oder -verlust ist. Geht es um Kompetenzen oder um einen Vergleich früherer und jetziger Leistungen von Mädchen* oder um die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt? Dies wird in der Regel nicht klar definiert. Angesichts der Vielfalt der Lebenswelten von Kindern und der Verschärfung der sozialen Ungleichheiten ist eine Einteilung in »die Mädchen« und »die Jungen« kaum möglich. Schaut man die Zahlen genauer an, so zeigt sich, dass 54,7 % der Schüler*innen mit Allgemeiner Hochschulreife weiblich sind (Statistisches Bundesamt 2014c, S. 9).

Bildung und Geschlecht Bei der Analyse des Bereichs Kompetenzen fällt bei der Betrachtung der Ergebnisse der PISA-Studie auf, dass die Streuung der Werte bei den Jungen größer ist als bei den Mädchen: »Jungen sind in der Gruppe der kompetenzschwächsten Schüler mit fast 12 % um 2 Prozentpunkte häufiger vertreten als Mädchen, aber auch knapp 12 % der Jungen erreichen die obersten Kompetenzstufen, dies sind immerhin 1,5 % mehr als bei den Mädchen« (Budde 2011, S. 9).

Betrachten wir den Bereich der Berufseinmündung, so zeigen zahlreiche Studien, dass die Möglichkeiten der Einmündung in das Berufsleben trotz guter schulischer Leistungen für junge Frauen* nach wie vor erschwert sind. Dies gilt insbesondere für Mädchen* und junge Frauen* mit Migrationshintergrund (vgl. Hartwig & Muhlak 2006, S. 100; Riegel 2007, S. 147ff.). So ist es für Mädchen* und junge Frauen* mit Migrationshintergrund besonders schwierig einen Ausbildungsplatz zu bekommen, obwohl sie oft mehr Interesse an einer qualifizierten beruflichen Ausbildung haben (vgl. u. a. Lex & Zimmermann 2012) Geschlecht ist so gesehen immer auch ein gesellschaftliches Strukturprinzip, welches Benachteiligungen impliziert und in Wechselwirkung mit anderen sozialen Ungleichheiten zu betrachten ist (vgl. Focks 2011b, S. 3). Soziale Ungleichheiten zeigen sich vor allem auch in Bezug auf die Milieuzugehörigkeit und die kulturelle Herkunft. Nationale und internationale Studien, wie beispielsweise die internationalen PISA-Studien, belegen immer wieder sehr deutlich, dass die Chancen von Kindern aus materiell benachteiligten Familien, ihre Potenziale und Fähigkeiten zu entwickeln, wesentlich schlechter sind als jene von Kindern aus privilegierten Schichten.

8.3 Bildung als Voraussetzung für Teilhabe und Inklusion

115

Auch im aktuellen Kinder- und Jugendbericht wird dies deutlich: »Für die Chancen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist es zentral mit welchem finanziellen, sozialen und kulturellen Kapital ihre Familien ausgestattet sind« (BMFSFJ 2013, S. 40). Und auch in der Sinus-Studie wurde deutlich, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht (Calmbach et al. 2012, S. 15). In Deutschland hängt der Schulabschluss so stark wie in kaum einem anderen Land von der jeweiligen sozialen Herkunft ab. Junge Menschen ohne Schulabschluss finden seltener eine qualifizierte Arbeit oder Ausbildung. In der öffentlichen Diskussion um »die Mädchen« als Bildungsgewinnerinnen wird häufig vereinfacht argumentiert. Bildungschancen sind aufgrund von Bildungshintergrund der Eltern, sozialer Herkunft, Migration, Wohnen in bestimmten Stadtteilen und Geschlecht ungleich verteilt. Bildungsungleichheiten nehmen mit einer Verknüpfung verschiedener zentraler Strukturkategorien zu und bestehen eben nicht aufgrund einer einzelnen sozialen Kategorie. Internationale Berichterstattungen zeigen auch, dass in Deutschland Kindern und Jugendlichen aus bildungsbenachteiligten Familien und mit Migrationshintergrund der Zugang zu Bildung erschwert wird und es deutliche Benachteiligungen gibt. Hier ist jedoch eine intersektionale Betrachtungsweise notwendig, denn die Bildungsbenachteiligung betrifft eben nicht alle Kinder mit Migrationshintergrund. So sind die Kinder von akademisch gebildeten Migrant*innen nicht betroffen, denn diese können ihre Kinder bei den Anforderungen im Bildungssystem unterstützen. Kulturelle Diversität führt jedoch vor allem dann zu Benachteiligung, wenn eine schwierige sozio-ökonomische Lage und kulturelle Faktoren sich wechselseitig bedingen (vgl. Treber 2011, S. 15; Lex & Zimmermann 2012, S. 169). Dass in Deutschland der Bildungshintergrund und die Herkunft der Kinder und Jugendlichen einen so großen Einfluss auf den Schulabschluss haben, hängt auch damit zusammen, dass Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern wenig für Bildung ausgibt. Die aktuelle OECDStudie »Education at a Glance 2010« zeigt, dass das Ausgabeniveau in absoluter und relativer Rechnung zwischen den OECD-Ländern erhebliche Unterschiede aufweist.

Ausgaben für Bildung in den OECD-Ländern Die OECD-Länder geben 6,2 % ihres Gesamt-Bruttoinlandproduktes für Bildungseinrichtungen aus, konkret reichen die Ausgaben von über 7 % in Dänemark, Island, Israel, den Vereinigten Staaten und der Russischen Föderation bis zu 4,7 % und weniger in Deutschland, der Slowakischen Republik und Italien (OECD 2010).

Auf der rechtlichen Ebene der Bildungspolitik entsteht für Deutschland im Vergleich mit anderen europäischen Ländern ein enormer Druck. Die weltweite Entwicklung in der Bildungspolitik führte zu Kritik am deutschen Bildungssystem. Es wurde kritisiert, dass »die Bildungsausgaben in einem volkswirtschaftlich so reichen Land zu niedrig sind und dass in keinem Industrieland der Bildungserfolg so sehr vom sozialen Status abhänge wie in Deutschland. Dies

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8. Genderbewusste Pädagogik als Chance für Bildungsprozesse in der Kindheit

bedeutet, dass die Gerechtigkeitslücke im Blick auf Bildung in Deutschland besonders groß ist« (Reich 2012, S. 23). Dabei entspricht das »Recht auf Bildung« – als kinderrechtliche Antwort auf ein universelles menschliches Bedürfnis – nicht nur einem ethischen Gebot, um Exklusion zu verhindern, sondern ist eine Frage der gesellschaftlichen Entwicklung. Denn eine Gesellschaft kann es sich heute nicht mehr leisten ganze Bevölkerungsschichten auszuschließen und deren Potenziale und Ressourcen nicht zu nutzen. Ebenso ist es nicht nur gesellschaftspolitisch, sondern auch bildungstheoretisch völlig unangemessen Kinder den Bildungsinstitutionen anzupassen, vielmehr gilt es strukturelle und institutionelle Rahmenbedingungen zu schaffen, die es allen Menschen ermöglichen ihr menschliches Bedürfnis nach Bildung zu erfüllen.

8.4

Genderbewusste Begleitung von (Selbst-) Bildungsprozessen von Kindern Bildung ist das, »was übrigbleibt, wenn man alles vergessen hat«. (Blumberg 1998, S. 24)

Bereits Säuglinge sind sehr gut dazu in der Lage, sich die Welt Schritt für Schritt anzueignen. Es ist ein kindliches Bedürfnis, sich die Umwelt zu eigen zu machen. Bildung ist dabei ein sehr individueller Prozess. In der Auseinandersetzung mit der eigenen Umwelt entwickelt jedes Kind eine ganz eigene Bildungsbiografie. Es konstruiert dabei aktiv die eigene (Geschlechts-) Identität im Zusammenhang und in Verknüpfung mit anderen Zugehörigkeiten, wie unter anderem Kultur und soziales Milieu. Denn sowohl Geschlechtsidentitätsentwicklung als auch Bildungsprozesse sind individuell sehr unterschiedlich und entsprechen den einzelnen Kindern und deren individueller Entwicklung und deren Tempo. »Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht«, lautet ein afrikanisches Sprichwort. Es geht darum geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, also den Boden zu schaffen, damit Kinder sich entwickeln/wachsen können. Bildung braucht dabei Ruhe und die Möglichkeit der kleinen Schritte (vgl. Hansen et al. 2011, S. 101). Insofern beschränkt sich jedes Kind auf die Bildungsherausforderungen, die ihm zur Zeit bewältigbar erscheinen. »Jedes Kind besteht (unabhängig von den Bemühungen der Pädagogen) auf seinen eigenen Bildungswegen – notfalls, indem es die Bildungszumutungen der Pädagogen verweigert« (ebd.). Beispielsweise sind für das Erlernen einer zweiten Sprache andere Kinder oder eine pädagogische Fachkraft, die im alltäglichen Umgang englisch sprechen, wesentlich förderlicher und vor allem nachhaltiger. Lernen in der Kita unterscheidet sich bewusst von Lernprozessen der formalen Bildung in der Schule. Es geht um Selbstbildung durch die Eigenaktivität der Kinder und um situatives Kompetenzlernen. Kinder anzutreiben oder auch übermäßig zu behüten kann schnell ins Gegenteil umschlagen und Bildungsprozesse behindern. Denn Bildung ist nicht nur Wissen und Kompetenzen für einen bestimmten Bereich; Bildung ist auch ein Bewusstseinsprozess, eine Haltung zu sich und zu anderen, eine Art Liebe und Neugierde auf die Welt, das Leben, sich selbst und andere.

8.4 Genderbewusste Begleitung von (Selbst-)Bildungsprozessen von Kindern

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Genderbewusste Begleitung (Selbst-)Bildung meint nicht, Kinder sich selbst zu überlassen, vielmehr gilt es Ω die Umwelt/Lernumgebung (die räumliche Umwelt, eine heterogene Gruppe von Kindern) vorurteilsbewusst und geschlechtergerecht zu gestalten, Ω in der Interaktion der Kinder Prozesse des »doing gender«, des »doing ethnicity« und »doing handicap« kritisch zu begleiten, Ω in der Interaktion zwischen Erwachsenen und Kindern Themen und Fragen der Kinder in Bezug auf Geschlecht situativ zu beantworten, Ω die Interessen und Fähigkeiten der Kinder zu fördern und ihnen immer zugleich geschlechtsuntypische Themen, Spiele, Handlungen etc. zuzumuten und zuzutrauen.

Ist die Lernumgebung – die Angebote, Spiele, Bilder, die Raumgestaltung – sehr geschlechtstypisch organisiert, schränkt dies die Möglichkeiten von Kindern ein, sich vielseitig zu entwickeln und zu erproben. »Auch eine ständige Begrenzung des körperlichen Ausdrucks und der Bewegungslust von Kindern oder die Verhinderung von Intimität durch einen Mangel an unbeobachteten Rückzugsräumen wirken sich nachteilig auf die kindliche Entwicklung aus« (Rohrmann & Wanzeck-Sielert 2014, S. 131). Die Vielfalt und Unterschiedlichkeit von Kindern, ist – wenn sie bewusst begleitet und genutzt wird –, für die Entwicklung vieler unterschiedlicher Kompetenzbereiche notwendig und hilfreich (um zu lernen, dass Menschen unterschiedlich sind und unterschiedliche Interessen und Meinungen haben, sich in andere hineinzuversetzen und sich mit anderen auseinanderzusetzen).

»Doing gender«-Prozesse in Gruppen aufbrechen Wenn Kinder unter sich sind, reproduzieren sie häufig herrschende Stereotype und »Diskurse« beispielsweise zu »Mädchen« oder zu »Behinderten« oder zu »Schwulen« oder zu »Ausländern«. Diese haben zugleich Einfluss auf ihre Selbstdefinitionen und die Wahrnehmung anderer Kinder. Pädagogische Fachkräfte müssen sich in die Dialoge der Kinder einmischen und Vorurteile und Stereotype als solche sichtbar machen und deutlich machen, dass diese andere Kinder ausgrenzen und verletzen können. Es gilt die Kinder und ihre geschlechtsbezogenen Themen ernst zu nehmen und zugleich zu erweitern und alternative gender- und vorurteilsbewusste Inhalte in ihre Dialoge und Diskurse einzubringen.

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8. Genderbewusste Pädagogik als Chance für Bildungsprozesse in der Kindheit

Genderbewusste Erziehung Bildungsprozesse sind immer dann nachhaltig wenn sie in der Beziehung und an der Beziehung orientiert sind und bei den Dialogen und Spielen der Kinder ansetzen. Genderbewusst arbeitende pädagogische Fachkräfte erweitern geschlechtstypische Verhaltensweisen, Spiele und muten Kindern auch geschlechtsuntypische Themen und Angebote zu. Im Rahmen einer vertrauensvollen Beziehung in der Gruppe der Kinder und zu den pädagogischen Fachkräften können herrschende Vorstellungen zum »Junge- und Mädchen-Sein« hinterfragt, irritiert, dekonstruiert und erweitert werden. Anhand der realen Kinder, Eltern und pädagogischen Fachkräfte in ihrer Unterschiedlichkeit können Stereotype erschüttert werden.

Geschlecht in den Bildungs- und Orientierungsplänen der Bundesländer Seit 2004 wurden im Rahmen der Bildungsoffensive in Kindertageseinrichtungen in allen Bundesländern Bildungs- und Orientierungspläne entwickelt. Es wurden und werden Qualifizierungsmaßnahmen und Fortbildungen angeboten, die die Umsetzung des Bildungsauftrags in Kindertageseinrichtungen sichern sollen. In den Bildungsplänen der Bundesländer wird das Thema der genderbewussten Pädagogik unterschiedlich berücksichtigt und einbezogen, sodass eine differenzierte Darstellung hier kaum möglich ist.21 In einigen Bildungsplänen wird genderbewusste Pädagogik nur für einzelne Bildungsbereiche erwähnt (vor allem im Bildungsbereich Körperwahrnehmung und Bewegung), in anderen wird eine Geschlechterperspektive als Querschnittsthema einbezogen (vgl. Rohrmann 2009, S. 75ff.). Ausdrücklich wird auch in der überarbeiteten Fassung des Sächsischen Bildungsplanes eine geschlechtersensible pädagogische Arbeit gefordert und als Voraussetzung dafür Praxis- und Selbstreflexion der Fachkräfte benannt. Im hessischen Bildungs- und Erziehungsplan werden kindliche Aneignungsprozesse von Geschlecht und die Entwicklung von Geschlechtsidentitäten differenziert beschrieben und dem Umgang mit individuellen Unterschieden und soziokultureller Vielfalt ein Kapitel gewidmet. Ausführlich werden Ziele und Inhalte genderbewusster Pädagogik im Bayerischen Bildungsplan behandelt. Als Voraussetzung für die pädagogische Umsetzung werden hier Fachwissen, Selbstreflexion, kollegiale Fachgespräche und Elternarbeit benannt (vgl. ebd.).

21 Eine vergleichende Betrachtung der Bildungspläne der Bundesländer gibt Rohrmann, Tim (2009): Gender in Kindertageseinrichtungen. Ein Überblick über den Forschungsstand. München , S. 75ff. https://www.khberlin.eu/fileadmin/user_upload/Bibliothek/Ebooks/1%20frei/Tim_Rohrmann_Gender_ in_Kindertageseinrichtungen.pdf

8.5 Empfehlungen zur Reflexion um Bildungsprozesse für alle Kinder zu fördern

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Im aktualisierten Berliner Bildungsprogramm für Kitas und Kindertagespflege (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft 2014) werden viele Anregungen für eine inklusive und genderbewusste frühe Bildung formuliert. Vor allem im Rahmen der Qualitätskriterien für die Gestaltung von Bildungsprozessen finden sich viele Hinweise: Ω Pädagoginnen und Pädagogen erweitern den Erfahrungshorizont von Jungen und Mädchen, indem sie einseitige Vorstellungen über Geschlechterrollen, Lebensformen, ethnische Herkunft und individuelle Merkmale hinterfragen (ebd., S. 37). Ω Sie regen Mädchen und Jungen gleichermaßen an, sich gegenseitig zu helfen, etwas zu zeigen, etwas vorzumachen / nachzuahmen, Hilfe zu suchen und anzunehmen (ebd., S. 38). Ω Pädagoginnen und Pädagogen stellen vielfältige Materialien für Rollenspiel zur Verfügung. Sie bieten Jungen oder Mädchen, die fast ausschließlich geschlechtstypische Spiele spielen, attraktive geschlechteruntypische Spiele an. Ω Pädagoginnen und Pädagogen erkennen Ausgrenzung von Kindern und greifen ein. Ω Sie beobachten, ob Kinder andere Kinder unter ausdrücklichem Hinweis auf einen Aspekt ihrer Identität hänseln oder nicht mitspielen lassen, z. B. wegen ihrer Hautfarbe, Sprache, sozial-kulturellen Herkunft, Familienkulturen, Behinderung oder wegen ihres Geschlechtsrollenverhaltens oder Alters (ebd., S. 40). Ω Pädagoginnen und Pädagogen gestalten mit Kindern Räume, die das eigene und kreative Tätigsein aller Jungen und Mädchen ermöglichen (ebd., S. 42). Ω Die Gestaltung der Räume und das Material ermöglichen vielseitige Erfahrungen. Ω Sie regen durch Raumgestaltung und Materialauswahl an, dass Jungen und Mädchen einseitiges Verhalten überwinden und ein breites Interessenspektrum entwickeln. Ω Sie gestalten und benennen Räume so, dass Geschlechterstereotype vermieden werden und sich verschiedene Mädchen und Jungen damit identifizieren und sie ausprobieren können. Ω Sie regen durch die Anordnung der Spielbereiche und deren Ausstattung mit vielfältigem Material die gleichberechtigte Kooperation zwischen Jungen und Mädchen an. Ω Sie ermöglichen Mädchen und Jungen gleichermaßen Grunderfahrungen mit vielfältigen Materialien, den Umgang mit Werkzeugen, technischen Geräten und Musikinstrumenten sowie die Nutzung verschiedener Medien (ebd., S. 43).

8.5 Empfehlungen zur Reflexion um Bildungsprozesse für alle Kinder zu fördern Bildungsprozesse von Kindern (und auch von Erwachsenen) sind immer dann besonders nachhaltig, wenn sie an den Themen und Interessen der Kinder ansetzen und im Rahmen einer vertrauensvollen Beziehung angelegt sind. Neben der pädagogischen Fachkraft spielt hier auch die Gruppe eine wesentliche Rolle. Bei Bildungsprozessen gilt es also immer das »einzelne Kind«, die »Gruppe« und das »Thema« in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen und die unterschiedlichen Lebenswelten der einzelnen Kinder einzubeziehen. Wir können Bildungsprozesse von Kindern in der Kita nur fördern, wenn wir an den Interessen,

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8. Genderbewusste Pädagogik als Chance für Bildungsprozesse in der Kindheit

Themen und Lebenswelten der Kinder ansetzen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen einbeziehen. Im Rahmen des Bildungskonzeptes der »Themenzentrierten Interaktion« von Ruth Cohn wird dies in Form eines Dreiecks dargestellt:

Gl o b

e

Ich

Gruppe

Thema

Schaubild Dreieck »Themenzentrierte Interaktion« (vgl. auch das Handbuch zur Themenzentrierten Interaktion von Spielmann, Zitterbarth & Schneider-Landolf 2009) Auch im Bereich der Erwachsenenbildung ist das Bildungskonzept der Themenzentrierten Interaktion hilfreich. Bildungsprozesse sind auch im Rahmen von Ausbildung, Studium, Fortund Weiterbildung und im Team besonders nachhaltig, wenn dem TZI-Dreieck entsprechend »Ich«, »Gruppe« und Thema einbezogen werden. Bei der Verbindung von »Ich, Thema und Gruppe« sollten dabei immer auch gesellschaftliche und weltliche Zusammenhänge (»Globe«) berücksichtigt werden.

Verbindung »Ich« und »Thema« Um eine eigene Haltung zum Thema Bildungsprozesse von Kindern zu entwickeln, bietet sich als Einstieg an, sich mit verschiedenen Bildungsdefinitionen und Aussagen zu Bildung zu beschäftigen. Dazu können folgende Äußerungen von Wissenschaft ler*innen und Philosoph*innen auf Karteikarten gedruckt und im Raum verteilt werden. Jede/r sucht sich ein Zitat aus, das besonders aufregend oder anregend wirkt. Wenn mehrere dieselbe Karte gewählt haben, können sie sich dazu austauschen. Anschließend wird das Zitat vorgelesen und die Auswahl begründet.

8.5 Empfehlungen zur Reflexion um Bildungsprozesse für alle Kinder zu fördern

121

Bildungsdefinitionen Ω »Bildung ist sich bilden.« (von Hentig 1996, S. 39) Ω Bildung als selbsttätige Weltneugierde und »Vorfreude auf sich selbst« (Sloterdijk) Ω Bildung meint: »die Welt in sich einzubilden und sich in die Welt auszubilden« (Klafki 1975, zit. nach Ricken 2007, S. 22) Ω Das Kind mit seiner Subjektivität und Eigenaktivität steht im Zentrum seines Bildungsprozesses Ω Bildung muss immer als »Selbst-Bildung« konzipiert werden (Wimmer 1996, S. 136) Ω Kindliche Bildung ist ein aktiver Konstruktionsprozess Ω Bildung ist immer eine Förderung von gesellschaftlicher Teilhabe und Inklusion Ω Bildung ist nichts anderes als die Entwicklung von (Lebens-)Kompetenzen Ω Bildung ist ein Zustand des Bewusstseins (Pleines 1971, S. 6), sodass Bildung sich gerade nicht in »bloßem Wissen« und »nackten Kompetenzen« erschöpft, sondern eine innere Haltung Ω Bildung ist, »was übrigbleibt, wenn man alles vergessen hat« (Blumberg 1998, S. 24) Ω »Bildung« wird immer als etwas thematisiert, das auf Weltwissen bezogen und mit individueller Entwicklung verbunden ist – und sich daher gerade nicht bloß auf schulische Lehr-Lern-Prozesse reduzieren lässt (Ricken 2007, S. 21) Ω Bildung ist ein Prozess der Selbsttransformation in Freiheit durch Weltauseinandersetzung, d. h. wer als gebildet gelten will, muss dieses auch in seiner moralisch-praktischen Haltung bewahrheiten (Ricken 2007, S. 20) Ω Bildung meint nicht nur die erfolgreiche Reproduktion einer Gesellschaft und ihrer Werte, sondern immer auch die Partizipation der Jüngeren und deren Eigen- und Zukunftsperspektiven Ω Bildung meint individuelle Entwicklungsprozesse im Horizont des Generationenproblems (Schleiermacher 2000, S. 9)

Verbindung »Gruppe« und »Thema« Um sich dem Perspektivwechsel von einer integrativen zu einer inklusiven Pädagogik der frühen Kindheit anzunähern, bietet sich folgende Übung zur Reflexion in der Gruppe an:

Annäherung an eine inklusive Haltung Reflexionsfrage für die Gruppe/n: Vor einigen Jahren hat eine große Organisation für die Belange für Menschen mit Beeinträchtigungen ihren Namen verändert von »Aktion Sorgenkind« zu »Aktion Mensch«. Welche Perspektivwechsel werden hier deutlich?

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8. Genderbewusste Pädagogik als Chance für Bildungsprozesse in der Kindheit

Mögliche Antworten: Ω von der Hilfe für »Sorgenkinder« hin zur Partizipation Ω vom Blick auf Menschen mit Beeinträchtigungen hin zu einer Perspektive auf alle Menschen Ω von der Betrachtung als »Sorgenkinder« hin zu einer Betrachtung als Teil der Gesellschaft, der zu Vielfalt und Weiterentwicklung beiträgt Ω von der barmherzigen Fürsorge hin zur Unterstützung bei der Wahrnehmung von Menschenrechten

Verbindung »Ich«, »Thema« und »Gruppe« Auch die folgende Empfehlung zur Reflexion von Bildungsprozessen folgt der Themenzentrierten Interaktion (TZI). Zugleich werden die für die pädagogische Arbeit wichtigen Ebenen von »Selbst- und Teamreflexion«, die institutionelle Ebene und die Ebene der Interaktion mit den Kindern und Eltern behandelt. Denn um Teilhabebarrieren zu erkennen und abzubauen und Geschlechtergerechtigkeit herzustellen, ist es notwendig diese Ebenen zu reflektieren.

Erste Ebene: Selbst- und Teamreflexion Um zu erkennen, was Bildungsprozesse fördert oder behindert, ist es notwendig sich mit Bildungstheorien und -konzepten auseinanderzusetzen. Zusätzlich kann ein Blick auf die eigenen Erfahrungen mit Bildung sehr hilfreich sein.

Bildungsbiografische Überlegungen 1. Einzelarbeit: Bitte kehren Sie zurück an die verschiedenen Orte von Bildung (z. B. Familie, Kita, Sozialraum Dorf/Stadtteil, Jugendzentrum, Ausbildung, Studium).

Was und Wo? Wo habe ich was gelernt? Was war das Wichtigste, das ich gelernt habe? Gab es Bereiche, in denen ich aufgrund meiner Geschlechtszugehörigkeit besonders gefördert wurde? Welche Kompetenzen wurden besonders gefördert? Förderung und Behinderung? Was war fördernd? Was war behindernd? Gab es Barrieren in bestimmten Bereichen aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit oder eines eines bestimmten Merkmals bzw. bestimmter sozialer Zugehörigkeiten? Bitte skizzieren Sie die Entwicklung und die Orte anhand eines Strahls oder von »Berg und Tal« o. ä. und schreiben Sie Stichworte zur eigenen Bildungsbiografie.

8.5 Empfehlungen zur Reflexion um Bildungsprozesse für alle Kinder zu fördern

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2. Kleingruppenarbeit oder Paarinterview: Bitte tauschen Sie sich zu den Ergebnissen der Einzelarbeit aus. Welche Unterscheide und welche Gemeinsamkeiten werden sichtbar?

3. Gesamte Gruppe bzw. Plenum: Welche Fragen und Erkenntnisse ergeben sich daraus für die Förderung von Bildungsprozessen von Kindern? Welche Herausforderungen ergeben sich für die pädagogische Arbeit mit den Kindern (Mikroebene), was gilt es auf der institutionellen Ebene zu berücksichtigen (Mesoebene) und was auf gesellschaftlicher Ebene (Makroebene)?

Zweite Ebene: Institutionelle Ebene Ω Gibt es institutionelle Strukturen, Abläufe, Selbstverständlichkeiten und Routinen, die Bildungsprozesse behindern und einzelne Kinder und deren Familien ausgrenzen? Ω Ist die Zugänglichkeit für alle Kinder gewährleistet? Besteht Barrierefreiheit? Ω Besteht Diskriminierungsfreiheit in Bezug auf Kinder und auf pädagogische Fachkräfte? Ω Sind die verschiedenen Kinder mit ihren unterschiedlichen Zugehörigkeiten in der Einrichtung repräsentiert?

Dritte Ebene: Interaktion mit den Kindern und Eltern Ω Was fördert und was behindert Bildungsprozesse der frühen Kindheit? Ω Werden Kinder ihren eigenen Interessen und Fähigkeiten entsprechend gefördert und finden sie sich mit ihrer sozialen, kulturellen und geschlechtlichen Identität in der Einrichtung wieder? Ω Sind Bildungs- und Kompetenzbereiche geschlechtstypisch organisiert? Ω Werden Kinder auch in geschlechtsuntypischen Bereichen gefördert? Ω Werden Eltern einbezogen in eine geschlechterbewusste Bildungsarbeit (Was heißt frühkindliche Bildung, wie sieht eine geschlechterbewusste Bildungsarbeit aus? Siehe unterschiedliche Bildungsbereiche Kapitel 9–12)? Ω Gibt es für alle Kinder und Eltern die gleichen Teilhabemöglichkeiten? Genderbewusste Pädagogik ist eine Schlüsselperspektive und eine Querschnittsaufgabe. In den folgenden Kapiteln des Buches erfahren Sie, welche Chancen genderbewusste Pädagogik für Bildungsprozesse in der Kita birgt und wie Sie diese in ausgewählten Bildungsbereichen umsetzen können. Dabei ist es nicht notwendig in allen Bildungsbereichen spezifische Angebote zu entwickeln, dies birgt eher die Gefahr der Dramatisierung von Geschlecht. Die einfache, aber keineswegs banale Herausforderung lautet vielmehr alle Bildungsbereiche anhand der in den ersten drei Kapiteln dargestellten Ebenen des Geschlechter-Dreiecks zu durchleuchten (Geschlechtersymbole und -stereotype, individuelle Geschlechtsidentitätskonstruktionen und »doing gender« sowie Geschlecht als Strukturprinzip). Exemplarisch werden im folgenden ausgewählte Bildungsbereiche in dieser Weise genderbewusst reflektiert und konkrete Umsetzungsmöglichkeiten vorgestellt.

9. Bildungsbereich Partizipation

In diesem Kapitel erfahren Sie – warum Partizipation für (Selbst-)Bildungsprozesse notwendig ist – welche Voraussetzungen notwendig sind, um Partizipation umzusetzen – wie Partizipation geschlechterbewusst gestaltet werden kann

In diesem Kapitel erhalten Sie – einen Leitfaden zur Umsetzung von Partizipation im Kindergartenalltag – Empfehlungen zu Formen der Umsetzung von Partizipation in der Einrichtung – Material- und Buchempfehlungen

Im Rahmen einer genderbewussten Pädagogik werden pädagogische Angebote nicht nur für Kinder, sondern auch mit ihnen zusammen entwickelt. Partizipation meint dabei mehr als Meinungsabfragen und Mehrheitsentscheidungen. Es geht darum, mit den Kindern in ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfalt in einen Dialog zu treten, sich in die Kinder hineinzuversetzen, sie verstehen zu wollen, ihnen zuzuhören und ihre lebensweltlich geprägten Ausdrucksformen und -möglichkeiten zu berücksichtigen (vgl. auch Kasüschke 2001, S. 36).

9.1 Ziele von und Voraussetzungen für Partizipation Kinder lernen durch Partizipation Ω dass sie unterschiedlich sind und unterschiedliche Wünsche, Bedürfnisse und Meinungen haben, Ω sich in andere hinein- und sich mit anderen auseinanderzusetzen, Ω eigenes Erleben auszudrücken und Wünsche und Bedürfnisse zu äußern, Ω dass Streiten wichtig ist und Kompromisse gefunden werden müssen, Ω dass sie unterschiedlich sind, aber gleiche Rechte haben, Ω dass ihre Wünsche und ihre Meinung wichtig sind und ihre Fähigkeiten gebraucht werden, Ω was es heißt, wenn viele Kinder etwas gemeinsam erreichen und wie wichtig es ist soziale Verantwortung zu übernehmen.

Partizipation erfordert eine Haltung des Respekts Partizipation ist wichtig für die Entwicklung des Gefühls von Selbstwirksamkeit, d. h. der Erfahrung durch eigenes Handeln etwas bewirken und verändern zu können. Das Erleben, dass sich andere für die eigenen Bedürfnisse, Wünsche und die eigene Meinung interessieren, hängt

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9. Bildungsbereich Partizipation

zunächst von der Art und Weise ab, wie andere Menschen mit ihnen kommunizieren. Denn Partizipation ist nur in Beziehungen möglich, die von gegenseitigem Respekt geprägt sind. Für die Gestaltung von respektvollen Beziehungen sind in der Kindertageseinrichtung vor allem die pädagogischen Fachkräfte verantwortlich. Achtung in einer respektvollen Beziehung setzt voraus, dass die Erwachsenen Kinder sowohl als Subjekte sehen als auch deren (Mehrfach-)Zugehörigkeiten zu verschiedenen sozialen Gruppen berücksichtigen. Es geht darum sie nicht zu bevormunden, zu beurteilen oder zu belehren, sondern sie als gleichwertige Partner*innen zu verstehen und in einen Dialog zu treten. »Ob Erwachsene zu solch einem Dialog mit Kindern bereit sind, zeigt sich jeden Tag aufs Neue – in Worten, Gesten, im Tonfall, in der Zurückhaltung des eigenen Wissens, im Zuhören und Nachfragen« (vgl. Hansen et al. 2011, S. 55).

Partizipation muss den Kindern in ihrer Unterschiedlichkeit angepasst werden Kinder lernen durch Beteiligung auch solidarisch zu sein und Verantwortung zu übernehmen und sie gewinnen Selbstsicherheit über den Weg der Selbstbestimmung (z. B. ihres Tagesablaufs, ihrer Spielwünsche, der Raumaufteilung). Um (gleiche) Beteiligungschancen zu ermöglichen, ist es jedoch notwendig, Formen der Partizipation zu entwickeln, die den einzelnen Kindern in der Gruppe, ihrem Entwicklungsstand, ihren Lebenswelten und ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen und -möglichkeiten entsprechen. Denn diese unterscheiden sich nicht nur individuell oder nach Entwicklungsstand des Kindes, sondern auch aufgrund unterschiedlicher Lebensbedingungen. Die Ausdrucksformen und -möglichkeiten sind daher nicht nur alters-, sondern auch milieu-, geschlechts- und kulturtypisch beeinflusst. Erfahrungen mit unterschiedlichen Beteiligungsverfahren haben gezeigt, dass die Gefahr der Dominanz einiger weniger Kinder besteht, die sich am besten durchsetzen und ausdrücken können. Vor allem Kinder, die sich der traditionell sozial definierten Maskulinität anpassen (hegemoniale Männlichkeit), verhalten sich teilweise grenzüberschreitend und dominieren andere Kinder. Diese »Wortführer« der klassischen Männlichkeit (Fthenakis 2012, S. 8) werden dabei vielfach von anderen Kindern unterstützt (komplizenhafte Männlichkeit). Hier ist es notwendig, dass mehr Kinder ermutigt werden die hegemoniale Männlichkeit zu hinterfragen und zu überschreiten (siehe Kapitel 5.3). Denn vor allem in selbst organisierten Spielgruppen verlaufen Entscheidungsprozesse häufig über körperliche Stärke und das Ansehen in der Gruppe. Kleinere Kinder vertreten zudem oft unkritisch die Ansichten und Verhaltensweisen der Größeren. Daher sind Aushandlungen in solchen Situationen weniger angemessen. Kinderkonferenzen sind zwar eine gute Möglichkeit, Kindern in der Einrichtung einen Raum zu bieten, ihre Wünsche und Bedürfnisse ausdrücken zu können. Je jünger die Kinder jedoch sind, desto mehr müssen Beteiligungsformen gefunden werden, die auf gemeinsamem Handeln im Spiel oder in Alltagssituationen beruhen (vgl. auch Kasüschke 2001, S. 36). »Bleiben wir heute morgen im Kindergarten oder gehen wir lieber auf den Spielplatz?« Es fördert das Selbstbewusstsein, wenn Kinder merken, dass ihre Meinung gefragt ist und sie etwas zu sagen haben.

9.1 Ziele von und Voraussetzungen für Partizipation

127

Partizipation als Voraussetzung Kinderrechte umzusetzen Kinder machen sich schon früh Gedanken über Gerechtigkeit, über gut und böse, über Gleichheit und Unterschiedlichkeit. Dieses kindliche Interesse kann aufgegriffen werden, indem situativ verdeutlicht wird, dass Kinder unabhängig von Geschlecht oder Größe oder Stärke oder Kultur gleiche Rechte haben, dass es ein Recht auf Gleichheit und ein Recht auf Unterschiedlichkeit gibt (Materialien dazu siehe Kapitel 4.1). Im alltäglichen Miteinander der Kinder wird sowohl für die Kinder als auch für die pädagogischen Fachkräfte deutlich, dass es nicht »den Jungen« oder »das Mädchen« gibt. Wenn wir im Alltag wahrnehmen, wie unterschiedlich Kinder sind, können wir sie auch darin unterstützen, sich nach ihren individuellen Interessen und Fähigkeiten zu entwickeln, jenseits aller Klischees vom typischen Mädchen oder vom typischen Jungen. Partizipation dient damit im pädagogischen Alltag der Förderung von Entfaltungsmöglichkeiten und auch der Umsetzung von Kinderrechten. Damit Kinder ihre Rechte wahrnehmen können, reicht es jedoch nicht aus, sie einfach festzuschreiben, vielmehr brauchen Kinder Ω Wissen über ihre Rechte (welche Rechte habe ich, wie werden in unserer Einrichtung Entscheidungen gefällt?), Ω Kompetenzen, um diese Rechte zu nutzen (sich äußern zu können, sich auseinandersetzen zu können), Ω Ressourcen zur Umsetzung der Rechte (Räume, Zeiten, pädagogische Unterstützung), Ω Möglichkeiten, Rechte einzufordern bzw. einzuklagen (Gesprächsrunden, Kinderkonferenzen, Kinderparlamente) (vgl. Hansen et al. 2011, S. 57).

Partizipation muss genderbewusst gestaltet werden: Neue Erfahrungen sammeln Partizipation geschlechterbewusst zu gestalten, heißt immer auch »doing gender«-Prozesse kritisch zu begleiten und Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Als Voraussetzung brauchen Kinder Ausdrucksmöglichkeiten und einen Bezug zum Thema. Wie kann das im Alltag konkret aussehen?

Beispiel Partizipation In einem Hort soll der Hof- bzw. der Gartenbereich um- und neu gestaltet werden. Die Erzieher*innen, die in diesem Hort arbeiten, sind aufgrund ihrer pädagogischen Erfahrungen aufgefordert, Einfluss zu nehmen. Sie befragen die Kinder nach ihren Wünschen zur Umgestaltung des Hofbereichs. Pädagogische Zielsetzung ist es einerseits, die Kinder zu beteiligen und andererseits den Interessen von Mädchen* und Jungen* Geltung zu verschaffen. Da die Mädchen* mehrheitlich Wünsche nach Sitzgelegenheiten und »Kuschelecken« u. a. äußern und viele Jungen* Spielfelder und Klettergerüste wünschen, sollen unterschiedliche Bereiche für Mädchen* und Jungen* eingerichtet werden, die den Wünschen entsprechend gestaltet werden.

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9. Bildungsbereich Partizipation

Die Erzieher*innen bemühen sich, die Interessen der Kinder einzubeziehen. Obwohl die Kinder scheinbar gleichberechtigt an der Befragung beteiligt waren, macht das Ergebnis nachdenklich. Die Kinder benennen, was im Hof und im Garten des Hortes übliche Praxis ist und zeigen damit auf, wie sich ihr Alltag gestaltet (vgl. auch Bitzan 2000, S. 146ff.). Dass sie vielleicht auch ganz andere Erfahrungen machen wollen und können, kommt weder den Kindern selbst noch den Erzieher*innen in den Blick: »Jungen sind eben so« und »Mädchen sind eben anders«. Die Kinder wiederholen und verlängern hier die üblichen geschlechtstypischen Verhaltensweisen und die herrschenden Geschlechterverhältnisse. In einfachen eindimensionalen Befragungen der Kinder werden »doing gender«-Prozesse nicht berücksichtigt, vielmehr werden die alltäglichen Praxen durch die Befragung gespiegelt. Damit Kinder »wirklich« entscheiden können, was ihren Interessen und Neigungen entspricht, müssen sie zuerst vielfältige Erfahrungen machen und die Gelegenheit haben, neue und auch geschlechtsuntypische Praxen zu erproben. Möglicherweise wird dann deutlich, dass einige Mädchen* Lust an Bewegung und Spiel haben und andere nicht. Vielleicht fällt auch einigen Jungen* auf, dass sie neben Bewegung auch Entspannung brauchen. Vielleicht wünschen sich einige Jungen* Rückzugsmöglichkeiten, weil sie im Gegensatz zu anderen keine Lust haben, ständig zu toben. Im Mittelpunkt stehen hier vor allem Prozesse um Kinder zu unterstützen, ihre individuellen Interessen und Fähigkeiten zuerst einmal zu entdecken. Hierbei werden einfache Geschlechterzuordnungen überschritten, indem Differenzen unter den Kindern – jenseits einfacher Klassifizierungen nach dem Geschlecht – im pädagogischen Prozess aufgedeckt und hervorgehoben werden. Genderbewusster Pädagogik geht es darum, die Unterschiedlichkeit unter Mädchen* und unter Jungen* zu berücksichtigen und sie als aktive Gestalter*innen ihrer Entwicklung ernst zu nehmen und zu fördern.

Schritte der Umsetzung Es genügt nicht geschlechtsuntypische Spiele und soziale Praxen einfach anzubieten in der Erwartung, die Kinder würden sie dann schon nutzen. Damit sie entscheiden können, was ihren Neigungen, Interessen und Fähigkeiten entspricht, müssen pädagogische Fachkräfte: Ω in einem ersten Schritt beobachten, wo Kinder »doing gender«-Prozesse zeigen (z. B. bei Spielmaterialien, in der Raumnutzung, im Konfliktverhalten, im Bewegungsverhalten), Ω in einem zweiten Schritt gilt es andere, neue geschlechtsuntypische Erfahrungen u. a. im Spiel, in der Bewegung, in der Raumnutzung in den alltäglichen Tagesablauf einzubauen, d. h. ausreichend Gelegenheit zu bieten diese zu erproben und selbstverständlich werden zu lassen. Ω Erst wenn die Kinder verschiedene Möglichkeiten (Spiele, Verhaltens- und Ausdrucksformen sowie Körperpraxen) kennengelernt haben, können sie entscheiden, welche ihren individuellen Interessen, Wünschen und Fähigkeiten entsprechen.

9.2 Leitfaden für die Umsetzung von Partizipation im Kindergartenalltag

9.2

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Leitfaden für die Umsetzung von Partizipation im Kindergartenalltag

Unterschiedliche Lebenswelten der Kinder sichtbar machen Ω Voraussetzung und Grundlage von Partizipation ist es, dass die unterschiedlichen Lebenswelten der Kinder auch in der Einrichtung sichtbar sind. Dies gilt für die Vielfalt der sozialen Milieus und der kulturellen und ethnischen Hintergründe ebenso wie für die verschiedenen Familienformen und Lebensweisen der Kinder (Ein- und Zweielternfamilien, Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien, Pflegefamilien etc.). Studien zeigen sehr eindrücklich, dass Kinder am stärksten darunter leiden, wenn sie und ihre Lebenswelten in der Einrichtung nicht vorkommen (vgl. u. a. Streib-Brzic & Quadflieg 2011). Pädagogische Fachkräfte sorgen dafür, dass die Vielfalt der Lebenswelten von Kindern in der Einrichtung sichtbar wird, z. B. gibt es in der Einrichtung von den Kindern selbst gemalte Bilder zu ihrer Familie, Fotos von verschiedenen Familienformen und Lebensweisen. In Bilderbüchern und Spielen tauchen verschiedene Familienformen und Lebensweisen und Menschen mit verschiedenen Geschlechtsidentitäten ebenso auf, wie Familien mit viel und wenig Geld und Kinder aus verschiedenen Kulturen.

Partizipation als Beziehung Ω Partizipation basiert auf einer respektvollen Haltung der pädagogischen Fachkräfte gegenüber den Kindern. Ein Kind zu respektieren bedeutet, es als Subjekt mit einem eigenen Willen ernst zu nehmen, das in der Lage ist, seine Bedürfnisse zu erkennen und zu kommunizieren (auch wenn ein Kind verbal noch nicht dazu in der Lage ist) und das ein Recht hat, ernst genommen zu werden. »So eine Grundhaltung führt dazu, dass die Erwachsenen sich bemühen, die vielfältigen Sprachen und Ausdrucksformen der Kinder zu verstehen und einen Dialog mit ihnen zu suchen. Im Dialog werden eine symmetrische Kommunikation und gleichwertige Beziehungen zwischen ungleichen Partnern möglich« (Hansen et al. 2011, S. 207f.).

Kinder unterstützen, ihre Rechte wahrzunehmen Ω Pädagogische Fachkräfte räumen Kindern Rechte nicht nur ein, sondern sie unterstützen Kinder, diese auch wahrzunehmen (vgl. ebd. S. 56). In einem ersten Schritt gilt es zu klären, welche Rechte den Kindern zugestanden werden. Im zweiten Schritt müssen den Kindern die Rechte immer wieder vorgestellt und sie müssen in Alltagssituationen daran erinnert werden. Und im dritten Schritt gilt es, den Kindern in der Einrichtung ausreichend Gelegenheit zu geben, Beteiligung zu erproben.

Die Partizipation von Erziehungsberechtigten Ω Partizipation bedeutet immer auch alle Eltern in ihren unterschiedlichen Lebenswelten und mit ihren unterschiedlichen Lebensentwürfen zu achten und zu respektieren und damit auch explizit anzusprechen (beispielsweise Eltern aus verschiedenen Kulturen/Ethnien, mit verschiedenen sexuellen Orientierungen, verschiedenen Religionszugehörigkeit, mit und ohne Beeinträchtigungen). Dabei müssen die Sorgen der Eltern ernst genommen werden.

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9. Bildungsbereich Partizipation

Partizipation meint hier, dass Eltern über konzeptionelle Veränderungen informiert werden und auch partiell über konzeptionelle Veränderungen mitentscheiden können. Die fachliche Grundausrichtung ist jedoch alleine Sache des Teams und des Trägers.

Partizipation bedeutet auch geschlechtsuntypische soziale Praxen zu ermöglichen Ω In Alltagssituationen greifen Kinder häufig auf geschlechtstypische Spiele, Körperpraxen, Verhaltensweisen und Ausdrucksformen zurück. Dies ist eine Form des »doing gender« und wird häufig auch von den anderen Kindern und von Erwachsenen unterstützt. Um jedoch wählen zu können, braucht es ausreichend Gelegenheit andere Spiele, Verhaltensweisen und Körperpraxen zu erproben, um entscheiden zu können, was den eigenen Interessen und Fähigkeiten entspricht.

Partizipation bedeutet Kindern etwas zutrauen Ω Partizipation bedeutet auch bereits Kleinkindern und Säuglingen etwas zuzutrauen. Pädagogische Fachkräfte erkennen Probleme als Möglichkeiten des Lernens und lassen Kinder und Säuglinge ihre Probleme selber lösen. »Erlösen Sie sie nicht, machen Sie ihnen nicht permanent das Leben leichter und versuchen Sie nicht, sie vor allen Problemen zu schützen« (vgl. Gonzales-Mena & Widmeyer Eyer 2008, S. 33f.).

Partizipation strukturell verankern Ω Die strukturelle Verankerung von Partizipationsrechten in der Einrichtung ist die Grundlage einer genderbewussten und inklusiven Pädagogik und fördert ein demokratisches Denken und Handeln der Kinder (Gesprächsrunden, Kinderkonferenzen, Kinderparlamente).

Partizipation als Einmischung in öffentliche Angelegenheiten Ω Stadtteilorientierung und die Öffnung von Kindertageseinrichtungen nach außen gehören inzwischen zum fachlichen Standard, beschränken sich jedoch häufig auf einzelne Aktivitäten (z. B. Besuch im Seniorenwohnheim). Damit Kinder sich in öffentliche Belange einmischen können, bieten sich vor allem projektorientierte und themenspezifische Beteiligungsformen an (Teilhabe bei der Planung des Sommerfestes, Befragung und Teilhabe von Kindern bei der Planung und Gestaltung in der Umgebung der Einrichtung). Die Problemlagen, Interessen und Wünsche von Kindern und Jugendlichen werden vor allem in Entscheidungen von Politiker*innen und Verwaltungen noch nicht ausreichend berücksichtigt (vgl. National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland, 2004). Auch im letzten Bericht des UN-Kinderrechtsausschusses wurde kritisiert, dass noch zu wenige Gesetze die Anhörung und Beteiligung von Kindern und Jugendlichen vorschreiben, wenn es um ihre Angelegenheiten geht (siehe Kapitel 4.1). Für Studium, Fort- und Weiterbildung bietet sich zur Veranschaulichung folgende Darstellung der Ebenen von Partizipation an.

9.3 Empfehlungen zur Umsetzung von genderbewusster Partizipation in der Einrichtung

131

Ebenen der Partizipation Mikroebene: Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen (respektvolle Haltung)

Mesoebene: Verankerung von Rechten in der Einrichtung und im Sozialraum

9.3

Makroebene: Einmischung in öffentliche Themen der Politik und Verwaltung

Empfehlungen zur Umsetzung von genderbewusster Partizipation in der Einrichtung

Es gibt verschiedene Formen und Ebenen der Umsetzung von Partizipation in der Einrichtung (weiterführend dazu Hansen u. a. 2011, S. 61 ff.).

Institutionalisierte Formen der Beteiligung Eine Möglichkeit sind institutionalisierte Formen der Beteiligung. Dabei bieten sich zwei Formen der strukturellen Verankerung in der Einrichtung an. Repräsentative Formen der Beteiligung; hier berät und entscheidet eine Gruppe von Kindern stellvertretend für alle (Kinderräte u. a.).

Daneben gibt es offene Formen der Beteiligung wie beispielsweise: Ω Kindergruppenversammlungen: Besprechung aller Kinder in der Gruppe Ω Kindervollversammlung: Versammlung aller Kinder in der Einrichtung Ω Kinderkonferenzen: Kinderkonferenzen sind eine gute Möglichkeit Kindern in der Einrichtung einen Raum zu bieten, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu einem bestimmten Thema auszudrücken. Dazu ist es notwendig, dass alle Kinder gleichermaßen von allen gehört werden.

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9. Bildungsbereich Partizipation

Fallbeispiel Partizipation Anna, ein jüngeres und stilles Kind, hat einen Vorschlag gemacht, der von den anderen Kindern wenig berücksichtigt wurde. Die pädagogische Fachkraft verschafft dem Vorschlag des Kindes Gehör, durch klärende Nachfragen wie »Du meinst also …?« oder indem wesentliche Beiträge noch einmal für die Gruppe wiederholt werden, wie z. B. »Habt ihr gehört? Anna hat den Vorschlag gemacht, dass … Was haltet ihr davon?« So können auch stillere Kinder als Mitgestalter*innen sichtbar werden.

Projektorientierte Beteiligungsformen Außerdem bieten sich projektorientierte Formen der Beteiligung an. Hier werden spezifische Themen in einem Partizipationsprozess gemeinsam bearbeitet. Diese projektorientierten Formen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie zeitlich und thematisch begrenzt sind und in der Regel mit einem bestimmten Ergebnis oder Produkt abgeschlossen werden (vgl. Hansen et al. 2011, S. 61). Wichtig ist, dass die pädagogischen Fachkräfte die Themen und die Vorgehensweise nicht vorgeben, sondern die Themen und Fragen der Kinder aufgegriffen werden. Im Sinne einer genderbewussten Pädagogik ist es notwendig, dass pädagogische Fachkräfte auch die Interessen und Wünsche jener Kinder aufgreifen, die die geschlechterstereotypen sozial konstruierten Grenzen überwinden. Denn nicht wenige Kinder verhalten sich nicht entsprechend den tradierten Männlichkeits- und Weiblichkeitskonstruktionen.

Partizipation durch gemeinsames Handeln in Alltagssituationen und im Spiel Vor allem für jüngere Kinder müssen Beteiligungsformen gefunden werden, die auf gemeinsamem Handeln im Spiel oder in Alltagssituationen beruhen Gemeinsam Aufgaben verteilen: Eine Möglichkeit, auch bereits kleinere Kinder zu beteiligen, ist es mit den Kindern gemeinsam Aufgaben zu verteilen. Es ist notwendig hierbei das Prinzip Freiwilligkeit, die unterschiedlichen Fähigkeiten sowie die Veranschaulichung des Sinns der Aufgaben zu beachten. Durch Aufgaben, wie u. a. Tisch abwischen oder für das Werkzeug zuständig zu sein können Kinder eine gleichwertige und auch geschlechtsuntypische Verteilung von Tätigkeiten erleben. So können bereits kleinere Kinder lernen, Verantwortung zu übernehmen. Raumaufteilung hinterfragen: Auch bei der Raumgestaltung können die Bedürfnisse und Interessen der Kinder einbezogen werden. So können zum Beispiel geschlechtstypische Funktionsecken vermieden werden. Außerdem ist es sinnvoll zu überlegen, welche Räume besonders von Jungen* und welche von Mädchen* genutzt werden und ob Mädchen* oder Jungen* aus bestimmten Bereichen gedrängt werden? Wichtig ist, dass Kinder auch im Verhalten der Erwachsenen demokratisches Verhalten erleben, d. h. dass auch in der Einrichtung Aufgaben und Tätigkeiten nicht geschlechtstypisch verteilt werden (also beispielsweise nicht alle handwerklichen Tätigkeiten an den männlichen Erzieher*

9.3 Empfehlungen zur Umsetzung von genderbewusster Partizipation in der Einrichtung

133

delegiert werden). Außerdem werden auch die Eltern einbezogen und informiert über die Partizipation der Kinder. Der Dialog der pädagogischen Fachkräfte und die Entscheidungsfindungsprozesse im Team sowie der Umgang mit unterschiedlichen Meinungen sind entscheidend für das nachhaltige Lernen der Kinder. Kinder werden durch Partizipation selbstbewusster, verantwortlicher und mutiger, sich sowohl für die eigenen Belange als auch für die anderer einzusetzen. Sie lernen Grundregeln der Gesprächsführung, wie z. B. aktiv zuzuhören. Sie lernen Konflikte auf konstruktive Art auszutragen, Regeln zu reflektieren und zu verändern, gruppenspezifische Angelegenheiten zu diskutieren und zu gestalten. Vor allem aber erkennen sie, dass jedes Gruppenmitglied Verantwortung für die Gesamtgruppe trägt. Dadurch wird sich nicht zuletzt die Atmosphäre in der Gruppe verändern. Die Kinder müssen weniger motiviert werden und können sich besser selbst behaupten. Sie können direkter ausdrücken, was sie fühlen, was sie wünschen und wozu sie »nein« sagen. Alles Voraussetzungen für »starke Mädchen* und starke Jungen*«, die mit dem, was im Leben auch immer auf sie zukommen mag, umgehen und soziale Verantwortung übernehmen können.

Weiterführende Literatur: Hansen, R. et al.: Partizipation in Kindertageseinrichtungen. So gelingt Demokratiebildung mit Kindern! Bonn 2011 (über die Bundeszentrale für politische Bildung, Krausenstraße 4, Berlin-Mitte zu bekommen) Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.): Unser Haus der Kinderrechte. Menschenrechtsbildung für demokratische Kultur. Mit Projektbeispielen. Berlin 2006. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Qualitätsstandards für Beteiligung von Kindern und Jugendlichen http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/Publikationen/publikationsliste,did=161728.html

Materialien: Die Kinderrechtskonvention für Kinder einfach erklärt. Download unter: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Die-Rechte-derKinder-Logo,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf Verlag das netz in Kooperation mit dem Projekt KINDERWELTEN: Das FAMILIENSPIEL Zu bestellen bei: www.verlagdasnetz.de Auch die Materialien zur Kinderrechtsbildung in Kapitel 4.1 können hier genutzt werden.

10. Bildungsbereich Konfliktlernen

In diesem Kapitel erfahren Sie – dass häufig von Kindern ein geschlechtstypisches Konfliktverhalten erwartet wird – dass ein geschlechtstypisches Konfliktverhalten eine Form des »doing gender« ist – dass der Ausdruck von Aggression wichtig ist – dass Konflikte eine Chance zum sozialen Lernen von Kindern sind – wie Konfliktlernen genderbewusst umgesetzt wird

In diesem Kapitel erhalten Sie – einen Leitfaden zum Umgang mit Konflikten unter Kindern – Empfehlungen und Methoden zur Umsetzung von genderbewusstem Konfliktlernen

Konflikte sind Teil der Kommunikation und gehören zum Kindergartenalltag; Konflikte unter Kindern, zwischen Kindern und Erwachsenen und unter Erwachsenen. Übereinstimmung und Konflikt sind zwei Seiten einer Medaille. In diesem Sinne sind Konflikte die Regel und nicht die Ausnahme. Sie sind eine Chance zum sozialen Lernen und können die Entwicklung fördern (u. a. Sozial- und Ich-Kompetenzen). Denn Kinder müssen gerade in einer pluralen Gesellschaft lernen, Unterschiede von Menschen und Lebensformen anzuerkennen und Konflikte konstruktiv miteinander zu lösen, ohne Hierarchisierungen, also auch ohne auf- und abzuwerten.

10.1 Mädchen* streiten anders und Jungen* auch: Geschlechterzuschreibungen und »doing gender«-Prozesse Um Konflikte als Chance für Bildungsprozesse von Kindern nutzen zu können, ist es notwendig, dass pädagogische Fachkräfte Konfliktlernen genderbewusst umsetzen. Dazu gehört als erster Schritt die Auseinandersetzung mit gängigen Vorstellungen zum geschlechtstypischen Konfliktverhalten. Denn viele Erwachsene und auch Kinder sind sich einig: geringe verbale Konfliktbewältigungskompetenzen und Raufereien gelten als jungentypisch. Als mädchentypisch gelten verbale Konfliktbewältigung und gutes Sozialverhalten, aber auch indirekte Verhaltensweisen.

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10. Bildungsbereich Konfliktlernen

Geschlecht wird zugeschrieben: Typisch Mädchen? Typisch Junge?

Beispiel Geschlechtsstereotype Zwei Kinder sitzen im Sandkasten und buddeln, bis eines dem anderen die Schaufel wegnimmt und beide zu raufen beginnen. Viele Erwachsene und auch Kinder sind sich dabei einig, dass es sich hier um Jungen handeln muss.

Wir sind nicht neutral in unserer Beobachtung des Konfliktverhaltens von Kindern. Wir erwarten von Kindern je nach Geschlechtszugehörigkeit bestimmte Konfliktlösungsmuster. Je nach Perspektive sind Jungen dann offen und direkt oder sozial wenig kompetent und »schlagen«. Mädchen dagegen haben je nach Perspektive Kompetenzen im verbalen Ausdruck und können ihre Gefühle ausdrücken oder sind »zickig« und petzen (vgl. Focks 2012c, S. 50f.).

Studie zu Geschlechtsstereotypen bei Kleinkindern In einer Studie sollten erwachsene Beobachter*innen die Reaktionen von zehn Kleinkindern in Situationen beschreiben, in denen sich eine fremde Person näherte. Die Beobachter*innen wurden über das Geschlecht des Kindes falsch informiert. Sie berichteten bei den als Jungen bezeichneten Kindern – unabhängig vom wahren Geschlecht – sehr viel häufiger, dass diese Wutreaktionen gezeigt hätten. Untersuchungen anderer Autor*innen – mit ähnlichen Settings – bestätigen diesen Effekt, dass bei den als Jungen bezeichneten Kindern sehr viel häufiger Wutreaktionen, bei den als Mädchen bezeichneten Kindern Ängstlichkeit beobachtet wurde (vgl. Bauer 2006, S. 265).

Wutreaktionen, Aggressionen und körperliche Auseinandersetzungen werden häufig als Gewalt und als negativ betrachtet. Was als Aggression gilt, ist jedoch auch eine soziale Konstruktion, ist also durch die Reaktion der Umwelt maßgeblich mitbestimmt. Soziale Zuweisungen sind immer nach den Normen der jeweiligen Kultur und Zeit ausgerichtet. So wird körperliches Ausagieren heute immer weniger toleriert und schon von kleinen Kindern wird ein verbales Ausdrücken gefordert. Vielfach sind kleinere Kinder aber noch gar nicht dazu in der Lage. Je nach Entwicklungsstand gehören körperliche Auseinandersetzungen mehr oder weniger dazu.

Geschlecht als soziale Praxis: Ich bin ein Junge! Ich bin ein Mädchen! Im Kindergartenalter müssen Kinder ihre geschlechtlichen Identitäten noch entwickeln und können daher Uneindeutigkeiten nicht zulassen. Kinder achten deshalb gerade im Kindergartenalter sehr auf ein »geschlechterangemessenes Verhalten«, denn es erleichtert ihnen die Zuordnung (siehe Kapitel 3). Sie zeigen damit auch, dass sie gelernt haben, dass und wie sie sich in unserer Gesellschaft als weiblich bzw. männlich darstellen müssen. Dabei müssen sich Kinder, um als »richtige Jungen« zu gelten, von allem, was Weiblichkeit symbolisiert, stark abgrenzen.

10.1 Mädchen* streiten anders und Jungen* auch

137

Ein Kind zeigt eben auch, dass es ein »Junge« ist, indem es in Konflikten kämpft, anstatt zu reden. Indem ein Kind sich mit Worten auseinandersetzt oder weint, zeigt es eben auch, dass es ein »Mädchen« ist (»doing gender«). Aufgrund der geschlechtstypischen Sozialisation und der Aneignung eines männlichen Habitus neigen einige Jungen* zudem eher zur Externalisierung von Konflikten. Das heißt, wenn sie unsicher oder wütend sind, wenden sie diese Gefühle nach außen, indem sie beispielsweise kämpfen, »schubsen« oder rennen. Für einige Mädchen* dagegen ist es sehr schwer, ihre Aggression in gesellschaftlich als weiblich anerkannten Begriffen, Bildern, Symbolen und Handlungen zu artikulieren. Bei Spielzeugen, Bildern und Geschichten kommen selten Figuren aggressiver Weiblichkeit vor. Ausnahmen sind etwa »Pipi Langstrumpf«, die »rote Zora« oder die »Hexe« im Märchen, die jedoch als mögliches Modell nur bedingt tauglich sind, da sie häufig abschrecken sollen. Wenn Kinder ihre Aggressionen nicht direkt und »angemessen« auszudrücken lernen, verschwinden diese jedoch nicht, sondern zeigen sich in Formen, die weder für das Kind selbst noch für andere als Aggression erkennbar sind. Bei Kindern, deren Aggressionen wenig bestätigt und toleriert wird, denen z. B. »ins Gewissen« geredet wurde, wenn sie ihre Wut deutlich zeigten, finden die eigenen Gefühle vielfach keinen Weg mehr von »innen nach außen«. Aggressionen zeigen sich dann häufig in als weiblich anerkannten Formen wie z. B.: Ω Tränen der Hilflosigkeit, Ω Lästern oder »Schlecht-Machen« von anderen oder Ω sie werden in Form von Selbstentwertung und selbstschädigenden Verhaltensweisen gegen sich selbst gerichtet. Daher ist es die Aufgabe von pädagogischen Fachkräften, die Versuche von Mädchen* zu unterstützen, ihre Wut wahrzunehmen, sie ernst zu nehmen und zu zeigen. Zudem müssen sie ermutigt werden verschiedene Formen des Umgangs mit Konflikten zu erproben. Für Kinder spielt das unterschiedliche Konfliktverhalten eine wesentliche Rolle für ihre Definition von »weiblich« und »männlich«. Kinder zeigen damit, dass sie sich die in der Welt der Erwachsenen gültigen Bilder und Normen von Weiblichkeit und Männlichkeit aktiv angeeignet haben: das sind beispielsweise Einfühlsamkeit und Gruppenfähigkeit bei den Mädchen* und Konkurrenzfähigkeit und Abgrenzung bei den Jungen*. Vielfach inszenieren die Kinder dabei »Männlichkeit« und »Weiblichkeit« durch ihr Konfliktverhalten oder bewältigen in diesen Rollen die unterschiedlichen Anforderungen und Belastungsfaktoren.

Konflikte gehören zum Alltag Kinder lösen ständig Konflikte und sie tun dies in der Regel auch sehr konstruktiv. Meist wird diese konstruktive Konfliktlösung von Erwachsenen jedoch gar nicht wahrgenommen. Wenn Kinder sich streiten, fühlen sich die meisten Pädagog*innen für diesen Konflikt zuständig und greifen helfend ein. Gerade wenn es um körperliche Auseinandersetzungen geht, versuchen viele dabei herauszufinden, wer schuld ist bzw. wer Recht hat. Dabei geht es immer auch um die Aufsichtspflicht bzw. auch um Eltern, die »die Schuldigen« suchen. In der Regel gibt es jedoch in den Konflikten zwischen kleinen Kindern keine »Opfer und Täter«.

138

10. Bildungsbereich Konfliktlernen

Fallbeispiel Konflikte im Kindergarten Ich stehe noch am Anfang meines Berufslebens und habe eigentlich keine Probleme im Kindergarten. Nur an einer Stelle stoße ich immer wieder an meine Grenzen, immer dann wenn Kinder sich streiten. Ich versuche dann den Konflikt zwischen den Kindern gerecht zu lösen. Dabei habe ich festgestellt, dass meistens ein Kind traurig ist und meine Lösung nicht akzeptiert. Gesagt haben die Kinder das zwar nicht immer, aber ich habe es gemerkt, dass mindestens ein Kind nicht einverstanden ist. Das belastet mich (Erzieherin zit. nach Kolthoff 2006, S. 60).

Statt nach Schuldigen zu suchen ist es wichtiger nach den zugrundeliegenden Wünschen, Bedürfnissen und Gefühlen der am Konflikt beteiligten Kinder zu suchen und ihnen zuzutrauen eigene Lösungen zu finden bzw. sie dabei zu unterstützen. Denn wenn Pädagog*innen den Konflikt für die Kinder lösen, fühlt sich oft ein Kind nicht gesehen oder ungerecht behandelt und die Chance für soziales Lernen kann weniger genutzt werden (vgl. ebd.). Denn im Konflikt können Kinder die Sichtweisen der anderen Kinder kennenlernen. Sie lernen ihre eigenen Gefühle und Interessen zu erkennen und auch die der anderen. Sie erleben, dass Konflikte und Gefühle wie Wut zum Leben dazugehören (vgl. Focks 2003, S. 147ff.).

10.2 Leitfaden zum Umgang mit Konflikten unter Kindern als Chance für soziales Lernen Ebene der Interaktion mit und unter Kindern Ω Gelassen mit Konflikten umgehen Es ist wichtig mit Konflikten und auch mit Wut bei Kindern gelassen umzugehen. Das heißt auch nicht gleich einzugreifen. Erfahrungen und Wertungen aus dem Jugend- oder Erwachsenenbereich sollten nicht übertragen werden, so sind Beschreibungen wie »Täterkind« oder »würgen« oder »zicken« und Ähnliches nicht konstruktiv und sehr abwertend. Ω Kindern etwas zutrauen Es geht darum, die Perspektive der Kinder einzunehmen und an ihren Interessen und Stärken anzusetzen. Statt zu überlegen, wer Recht hat oder wer schuld ist, ist es sinnvoller mit den Kindern Lösungen auszuhandeln, die allen Parteien Handlungsspielräume lassen. Ω Prozesse des »doing gender« von Kindern wahrnehmen und kritisch begleiten Einige Kinder zeigen im Kindergartenalltag ein geschlechtstypisches Konfliktverhalten und zeigen damit, dass sie Mädchen bzw. Jungen sind. So wird beispielsweise von Jungen* eher erwartet, dass sie sich in den Mittelpunkt stellen, unangepasst und widerständig sind. Der Grat zwischen zwischen bewundert werden und stören ist hier jedoch sehr schmal. So kann

10.2 Leitfaden zum Umgang mit Konflikten unter Kindern als Chance für soziales Lernen

139

ein solcher jungenhafter Habitus leicht dazu führen, dass sie als »Störenfriede« ausgegrenzt werden (vgl. Kapitel 5.3).

Ebene der Teamreflexion und der Zusammenarbeit mit den Eltern Ω Zuschreibungen vermeiden Zuschreibungen haben starke Auswirkungen auf unsere eigene Wahrnehmung und auf das Selbstbild und Verhalten eines Kindes. Wenn Eltern oder Pädagog*innen ein Kind beispielsweise als störend und wild oder aggressiv wahrnehmen, haben sie häufig eine solche Vorerwartung an das Kind und nehmen auch verstärkt beispielsweise Aggressionen wahr. Das Kind selbst reagiert dann auch eher aggressiv und hält sich für »falsch«. In der pädagogischen Praxis ist es notwendig einen solchen »Teufelskreis« zu durchbrechen. Hier hilft ein wertschätzender Blick, sodass zwar Grenzen gesetzt werden, aber vor allem die Stärken des Kindes hervorgehoben werden. Wir können ein Kind als »wild und störend« beschreiben oder als motorisch aktiv. Auch eine Umwertung kann hilfreich sein, wenn z. B. ein Kind sich im Konflikt Unterstützung von Erwachsenen holt, können wir dies als »petzen« abwerten oder als Ressource betrachten (sich Hilfe holen) und das Kind darin unterstützen beim nächsten Mal den Konflikt selbst zu lösen. Es ist wichtig Eltern im Gespräch oder bei Elternabenden zu sensibilisieren für die negativen Wirkungen von Zuschreibungen und sie zu unterstützen, die Stärken des eigenen Kindes bzw. der Kinder in der Gruppe wahrzunehmen und wertzuschätzen (statt im Blick auf die vorgeblichen Schwächen zu verharren). Zugleich ist es wichtig zu verdeutlichen, dass Zuschreibungen und stigmatisierende Verallgemeinerungen in der Kita keinen Platz haben.

Ebene der Selbstreflexion Ω Eigenes Konfliktverhalten reflektieren Wie wir als Pädagog*innen mit Konflikten umgehen und Kinder im pädagogischen Alltag wahrnehmen, hat viel mit unserer eigenen Geschichte und unseren eigenen Erfahrungen zu tun. Häufig wird ein Verhalten erst in der Wahrnehmung der unterschiedlichen Erwachsenen oder Kinder zu einem aggressiven Konfliktverhalten. Was wir als aggressiv oder als unangemessenes Konfliktverhalten betrachten, ist subjektiv sehr unterschiedlich und wird durch die Reaktion der Umwelt mitbestimmt. Daher ist es unerlässlich, das eigene Konfliktverhalten und die eigenen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit zu reflektieren. Ω »Übersetzerfunktion« übernehmen In Konflikten geht es immer auch darum, Gefühle wahrnehmen, ausdrücken und benennen zu können. Dabei können pädagogische Fachkräfte das Sprachverständnis von (kleineren) Kindern gut erweitern, indem sie die Kinder dabei unterstützen, ihre Gefühle in Worte zu fassen, z. B. »Ich habe das Gefühl, dass du jetzt wütend bist« oder »Ich habe das Gefühl, dass du traurig bist« oder festzustellen: »So, wie du dich gerade verhalten hast, das war respektlos« (vgl. Kolthoff 2006). Wichtig ist dabei die Trennung zwischen Person und Verhalten; ein Verhalten kann respektlos sein, aber das Kind bleibt immer liebenswert. Bildergeschichten zum Thema »große« und »kleine« Wut können bei der Gefühlswahrnehmung unterstützend wirken. Pädagogische Fachkräfte können hier z. B. auch ansetzen: »Wer ist jetzt Chef*in, du oder die Wut? Kannst du wieder Chef*in sein?«

140

10. Bildungsbereich Konfliktlernen

Ω Seiten fördern, die in der geschlechtstypischen Erziehung und Bildung vernachlässigt werden Dazu gehört es auch jene Verhaltensweisen der Kinder wahrzunehmen, die nicht den Geschlechterstereotypen entsprechen. Es gibt sicher kämpfende Jungen und auch Mädchen, die Konflikte verbal lösen. Aber eben auch viele tobende Mädchen und zurückhaltende Jungen. Die Unterschiede unter Mädchen und unter Jungen sind oft viel größer als jene zwischen den Geschlechtern. So ist ein scheinbar weibliches oder männliches Konfliktverhalten häufig eher eine Frage des Temperaments. Es fördert die Entfaltungsmöglichkeiten und die soziale Entwicklung von Kindern, wenn Erwachsene alle Stärken und Interessen der Kinder wahrnehmen und Formen der Konfliktbewältigung erproben, die nicht in den Stereotypen vom »typisch Mädchen« und »typisch Junge« aufgehen. Dazu gehört es auch mit den Kindern zu toben und zu kämpfen und gleichermaßen zu üben eigene Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse wahrzunehmen und (verbal) auszudrücken. Ω Ausgrenzung und Diskriminierung nicht dulden und Einfühlungsvermögen fördern Fachkräfte greifen Diskriminierungen und Ausgrenzung situationsbezogen sofort auf und thematisieren, was sie als Kränkung empfinden und was sie in der Einrichtung nicht dulden (Äußerungen wie »du Schwuli« oder »du Schlappschwanz« oder »du dicke Kuh« werden immer sofort aufgegriffen). Gleichzeitig fördern die Fachkräfte das Einfühlungsvermögen der Kinder z. B. im Rollenspiel oder in Gesprächsrunden. Ω Differenzen als Chance nutzen Konflikte können a) durch Macht, b) durch Regeln und c) durch Aushandeln gelöst werden. Damit Kinder jedoch Differenzen auch als Chance erleben können, sollten Konflikte vor allem durch Aushandlungsprozesse gelöst werden.

10.3

Empfehlungen, Aktionen und Projekte zur Umsetzung von genderbewusstem Konfliktlernen

Wie wir als Pädagog*innen mit Konflikten umgehen und Kinder im pädagogischen Alltag wahrnehmen, hat viel mit unserer eigenen Geschichte und unseren eigenen Erfahrungen zu tun. Daher ist der erste Schritt in diesem Bildungsbereich die Auseinandersetzung mit dem eigenen Konfliktverhalten.

Erste Ebene: Selbstreflexion Ω Ω Ω Ω

Was ist für mich ein Konflikt? Wie erlebe ich Konflikte? Wie wurde in meiner Kindheit mit Konflikten umgegangen? Wie gehe ich heute mit Konflikten um?

Darauf auf bauend bietet es sich an, sich im Team mit dem Konfliktverhalten der Kinder auseinanderzusetzen und vor allem mit der eigenen Bewertung des Verhaltens.

10.3 Empfehlungen, Aktionen und Projekte zur Umsetzung von genderbewusstem Konfliktlernen

141

Zweite Ebene: Sensibilisierungsübung im Team 1. Austausch zu zweit Ω Wie verhalten sich die Kinder in der Einrichtung in Konflikten? Was ist für sie ein Konflikt? Wie verlaufen die Konflikte? Gibt es ein geschlechtstypisches Konfliktverhalten? 2. In der großen Gruppe werden dann die Arbeitsergebnisse vorgestellt und diskutiert. 3. Daran anschließend folgt wiederum ein Austausch in der Zweiergruppe: Ω Nutzen Sie ihre Aufzeichnungen zum Konfliktverhalten von Kindern und deuten Sie alle genannten negativen Begriffe zum Konfliktverhalten in Stärken und Ressourcen um, z. B. petzen – sich Unterstützung holen, auf einen Konflikt hinweisen, etc. (vgl. Dieken u. a. 2004).

Dritte Ebene: Interaktion mit den Kindern bzw. unter den Kindern Sensibilisierungsübungen mit den Kindern Im folgenden werden einige Anregungen vorgestellt, die je nach Gruppe, Alter der Kinder, eigenen Vorlieben und räumlichen Gegebenheiten angemessen variiert und genutzt werden können.

Skulpturbildung Die pädagogische Fachkraft ruft die Kinder zusammen und bildet Gruppen. Dabei bittet sie jede Gruppe, ohne zu sprechen, ein Gefühl darzustellen: Ω Gruppe 1: Wie sieht es aus, wenn ihr wütend seid? Ω Gruppe 2: Wie sieht es aus, wenn ihr traurig seid? Ω Gruppe 3: Wie sieht es aus, wenn ihr fröhlich seid? Usw. Nach einer kurzen Vorbereitungszeit bildet jeweils eine Gruppe der Kinder eine Skulptur und die anderen müssen raten, um welches Gefühl es sich handelt. (Weitere Sensibilisierungs- und Körpererfahrungsübungen finden sich im Kapitel 12.3.)

Wie fühlst du dich heute? In die Mitte der Kinder wird ein großes Plakat oder verschiedene Bilder gelegt (gemalte Bilder oder Fotos) von Kindern mit unterschiedlichen Gefühlsausdrücken (wütend, traurig, fröhlich, unsicher …). Die Kinder in der Gruppe werden gebeten zu überlegen, was das jeweilige Kind auf dem Bildern wohl fühlt und/oder zu zeigen, wie sie sich im Moment fühlen (»Wie geht es dir heute morgen? Passt eines der Bilder dazu?). Variante: In Konfliktsituationen können die beteiligten Kinder Karten mit Bildern von Kindern mit verschiedenen Gefühlsausdrücken anschauen und sich eines aussuchen, das gerade zu ihnen passt.

142

10. Bildungsbereich Konfliktlernen

Diese Sensibilisierungsübungen dienen dazu, dass Kinder lernen, sich einzufühlen, die eigenen Gefühle wahrzunehmen, sie auszudrücken, sie sinnlich zu erleben und neue Ausdrucksformen zu erproben. Pädagogische Fachkräfte können dabei die Gefühle, die sie gerade bei kleineren Kindern wahrnehmen, übersetzen (z. B. »Ich merke, dass du jetzt ganz schön wütend bist.«). Nicht nur das verbale Ausdrücken von Gefühlen wird hier gefördert. Auch kann sich das Kind verstanden und ernst genommen fühlen. Wichtig dabei ist, auch jene Ausdrucksformen von Gefühlen wahrzunehmen, die nicht in den Geschlechterstereotypen aufgehen und die Kinder auch darin zu bestärken. Gesprächsrunden Eine weitere Möglichkeit – vor allem auch für ältere Kinder – sind Gesprächsrunden, die den Austausch und das Einfühlungsvermögen fördern.

Fallbeispiel Erkan und Dan Der in der Gruppe angesehene und große Dan erzählt, dass er gern den kleinen Erkan ärgert: »Ist doch witzig.« Die Fachkraft fragt Erkan, wie es ihm dabei geht. Erkan antwortet mit leiser Stimme: »Das ist doof.« Die Fachkraft fragt Erkan: »Was denkst du, was Dan machen würde?« Erkan antwortet: »Mich hauen.« Dan sagt: »Ich verprügele keinen!« Dann reden auch die anderen Kinder über Ärgern und Geärgertwerden.

Mediation mit Kindern Martina Kolthoff (2006) stellt Mediation als eine Form der Konfliktlösung unter Kindern vor. Dabei nennt sie fünf Schritte für eine konstruktive Konfliktlösung mit Kindern.

5 Schritte für eine konstruktive Konfliktlösung Schritt 1: Einleitung – worum geht es? Schritt 2: Konfliktdarstellung – Sichtweisen der einzelnen Kinder Schritt 3: Konflikterhellung – Hintergründe und Gefühle Schritt 4: Problemlösung – Sammlung von Lösungsmöglichkeiten Schritt 5: Vereinbarung

Die pädagogische Fachkraft – als Mediatorin – wertet dabei nicht, sucht nicht nach den Schuldigen oder nach Lösungen, sondern ist unparteiisch und unterstützt die Kinder darin ihre eigenen Lösungen zu finden (vgl. Kolthoff 2006, S. 60–73).

Starke Kinder – Projekt Gewaltfreie Kommunikation im Kindergarten Eine weitere Möglichkeit der Förderung von Konfliktlernen verdeutlichen Rosi Ganner und Renate Reiterer aus dem Kindergarten Tirol in Anlehnung an das Konzept der »Gewaltfreien

10.3 Empfehlungen, Aktionen und Projekte zur Umsetzung von genderbewusstem Konfliktlernen

143

Kommunikation« (GFK). Hier geht es um das Erlernen einer Streitkultur, in denen die Kinder Wege kennenlernen, wie sie ihre Bedürfnisse wahrnehmen, dafür eintreten und Lösungen finden, die möglichst allen gerecht werden. Marshall Rosenberg hat dieses Modell Anfang der 70er-Jahre entwickelt. Mittlerweile ist die GFK eines der weltweit meist genutzten Konzepte zur konstruktiven Konfliktbewältigung. Dieses Modell basiert auf einer Haltung des Respekts und der Wertschätzung der eigenen und der Bedürfnisse anderer. Hier wird, ähnlich wie bei Mediation, die Aufmerksamkeit auf die Gefühle und Bedürfnisse gerichtet, die dem Konflikt zugrundeliegen.

Die GFK stützt sich auf vier Schritte, die eine wertschätzende Kommunikation erleichtern: Ω Beobachtung: Tatsache beschreiben: »Ich sehe, höre …« Ω Gefühle ansprechen: »Ich bin …« Ω Bedürfnisse: Werte mitteilen: »… weil mir … wichtig ist.« Ω Konkrete Bitte formulieren: »… deshalb bitte ich dich …«

In der GFK geht es nicht darum, dass Aggressionen verschwinden sollen, sondern dass diese Gefühle wichtig sind, damit unerfüllte Bedürfnisse und Ungerechtigkeiten wahr- und ernst genommen werden. Durch Bilder, Fotos, Bilderbücher und Geschichten, aber auch im täglichen Miteinander geht es darum zu erkennen: Ω Was fühlt diese Person/dieses Kind? Was braucht es? Ω Wenn ich ein Kind verletzt habe und es traurig ist, braucht es Trost und Zuwendung. Ein erster Schritt des Konfliktlernens im Rahmen der GFK ist daher immer die Sensibilisierung für Gefühle und für Gefühlsausdruck. Spielerisch kann hier über Bilder, Geschichten, Bewegungs- und Ausdrucksspiele, Lieder etc. für die unterschiedlichen Gefühle sensibilisiert werden. Als nächster Schritt geht es darum, erfahrbar zu machen, dass alle Kinder die gleichen Bedürfnisse haben und dass man darum bitten kann, dass Bedürfnisse erfüllt werden: Wie kann ich fragen oder bitten, wenn Ω … ich Durst habe? Ω … mir kalt ist? Ω … ich müde bin? Ω … ich lieber drinnen statt draußen spielen möchte? Zum besseren Verständnis für die Kinder verwendeten beispielsweise die pädagogischen Fachkräfte des Kindergartens »Tirol« Handpuppen von Giraffe und Wolf als Symboltiere. Die Giraffe symbolisiert dabei die Konfliktlösung nach der GFK. »Wenn ich z. B. mit einem Spielzeug spielen möchte, das gerade jemand anderes hat, und er will es mir nicht geben (Beobachtung), dann kann ich wie die Giraffe reden: »Ich bin neugierig (Gefühl) und würde gerne mit diesem Spielzeug spielen (Bedürfnis), weil ich so was noch nie

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10. Bildungsbereich Konfliktlernen

vorher gesehen habe. Möchtest du, dass wir zusammen damit spielen (Bitte)?« Oder ich kann Wolfssprache sprechen: »Los gib her!« (Ganner & Reiterer 2012, S. 34).

Weiterführende Literatur und Materialien Kolthoff, Martina (2006): Gesprächskultur mit Kindern. Weinheim und Basel, Konfliktlernen S. 60–73. Ganner, Rosi; Reiterer, Renate (2012): »Giraffenglück« – gewaltfreie Kommunikation. In: WIR 1 Kindergarten in Südtirol. Heft: Starke Jungen und starke Mädchen. S. 33–34. Zur Veranschaulichung finden Sie unter folgendem Link ein Video zur gewaltfreien Kommunikation (GFK) nach Rosenberg: https://www.youtube.com/watch?v=LiID5ZA067o Kompetenzzentrum geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe Sachsen-Anhalt (2007): Geschlechtergerechte Konfliktlösungsstrategien im Kindergarten. Magdeburg.

11. Bildungsbereich Sexualität und Sexualpädagogik

In diesem Kapitel erfahren Sie – dass Kinder von Anfang an sexuelle Subjekte sind – wie sich kindliche Sexualitäten von den Sexualitäten Erwachsener unterscheiden – Entwicklungsphasen kindlicher Sexualitäten – warum sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Kontext von Inklusion im Alltag integriert werden muss – was sexualisierte Gewalt heißt

In diesem Kapitel erhalten Sie – einen Leitfaden für eine genderbewusste Sexualpädagogik – praktische Anregungen für eine genderbewusste Sexualpädagogik

»Kindliche Sexualität ist im pädagogischen Diskurs so sehr marginalisiert, dass Fragen nach dem Charakter kindlicher Sexualität […] kaum gestellt werden. […] Kinder sind als sexuelle Akteure mit je eigenen sexuellen Verhaltens- und Erlebensweisen im pädagogisch-praktischen Diskurs kaum präsent.« (vgl. Rabe-Kleberg & Damrow 2012, S. 36) Sexualität ist ein menschliches Bedürfnis und gehört von Anfang an zur Entwicklung jedes Kindes dazu. »In der Praxis stehen Erzieherinnen, Erzieher und Eltern meist hilflos vor den Ausprägungen kindlicher Sexualität und reagieren möglicherweise mit Wegschauen, Verschweigen, Nichtstun, Ignorieren – auch aus Angst. Wünschenswert ist aber ein Hinschauen« (ebd., S. 37). Denn Kinder sind von Geburt an sexuelle Subjekte, die körperliche Freude und Lust empfinden in der Beschäftigung mit sich selbst und mit anderen. Kindliche Formen körperlicher Lust unterscheiden sich jedoch von Erwachsenensexualität.

147

11.1 Entwicklungsphasen kindlicher Sexualitäten

Unterschiede zwischen kindlicher Sexualität und Erwachsenensexualität Kindliche Sexualität

Erwachsenensexualität

Ω spielerisch, spontan Ω nicht auf zukünftige Handlungen orientiert Ω Erleben des Körpers mit allen Sinnen Ω egozentrisch Ω Wunsch nach Nähe und Geborgenheit Ω Unbefangenheit Ω Sexuelle Handlungen werden nicht bewusst als Sexualität wahrgenommen (zitiert nach Maywald 2013a, S. 18)

Ω absichtsvoll, zielgerichtet Ω auf Entspannung und Befriedigung hin ausgerichtet Ω eher auf genitale Sexualität ausgerichtet Ω beziehungsorientiert Ω Verlangen nach Erregung und Befriedigung Ω Befangenheit Ω Bewusster Bezug zur Sexualität

Doch auch die sexuelle Entwicklung und die Sexualität unter Kindern unterscheidet sich, sodass es kaum möglich ist von der Sexualität zu sprechen, sondern von kindlichen Sexualitäten. Kinder durchlaufen ähnliche Entwicklungsphasen und dennoch ist jedes Kind anders und entwickelt sich auch innerhalb der Phasen unterschiedlich.

11.1

Entwicklungsphasen kindlicher Sexualitäten »Viele Verhaltensweisen des Kindes, die seine Eltern verunsichern oder beunruhigen, entsprechen den Anforderungen einer bestimmten Entwicklungsphase.« (Lebersorger & Smolen 2005, S. 88)

Die Entwicklung von Sexualität von Kindern professionell zu begleiten, heißt auch jedes Kind in seiner Einzigartigkeit wahrzunehmen und ein Kind weder an anderen Kindern noch an vorherrschenden Normalitätsvorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit zu messen. Denn es gibt unterschiedliche Entwicklungswege und unterschiedliche Sexualitäten. Daher setzen sich pädagogische Fachkräfte immer auch mit den kulturellen Unterschieden im Umgang mit Körper und Sexualität und mit den unterschiedlichen Sexualitäten und Entwicklungsphasen auseinander. Die folgenden Ausführungen bieten eine Übersicht, welche psychosexuellen Bedürfnisse und Anforderungen typisch für diese Entwicklungsphasen sind.

Säuglinge (erstes Lebensjahr) Ω erforschen – den Körper und machen dabei lustvolle Erfahrungen (vgl. auch Quindeau & Brumlik 2012, S. 33f.). Ω entdecken mit dem Mund die Welt und mit dem Mund werden lustvolle Erfahrungen gemacht. Das Saugen bereitet Vergnügen und beruhigt und entspannt zugleich.

148

11. Bildungsbereich Sexualität und Sexualpädagogik

Ω entdecken die Welt über Haut und Berührung. Streicheln und Gestreicheltwerden bereiten ein Wohlgefühl und das Gefühl von Sicherheit und Vertrauen. Über die Haut nimmt ein Säugling Liebe, Angenommensein, Zärtlichkeit, Geborgenheit und Liebkosungen auf, aber auch Ablehnung, Ekel und Angst (vgl. Wanzeck-Sielert 2014, S. 409). Ω berühren sich selbst häufig und entdecken ihren Körper, manchmal auch ihre Genitalien. Dies geschieht jedoch eher zufällig. Es kann im Säuglingsalter zu spontanen Erektionen des Penis und zum Austritt von Scheidenflüssigkeit kommen (vgl. Maywald 2013a, S. 32).

Kleinkinder (ca. zweites und drittes Lebensjahr) Ω werden sich ihres Körpers bewusst und erleben, dass sie sich von anderen unterscheiden. Ω entwickeln dabei ein Interesse am eigenen Körper und am Körper anderer Menschen (Eltern, Geschwister, andere Kinder). Sie untersuchen häufig intensiv ihre Genitalien und zeigen diese anderen Kindern und Erwachsenen (Schau- und Zeigelust). Ω berühren manchmal absichtlich ihre Genitalien und stimulieren sich selbst, um sich wohlzufühlen und sich zu beruhigen (vgl. Maywald 2013a, S. 32). Ω interessieren sich für ihre Ausscheidungen. Sie kontrollieren ihren Schließmuskel selbst und entwickeln ein Bewusstsein über ihre Körperausscheidungen. Sie entwickeln Lust über das Loslassen und Festhalten der Ausscheidungen (vgl. Quindeau 2008, S. 63). Ω entwickeln ein Gefühl für ihren persönlichen Bereich und die Privatsphäre anderer Menschen (Schamgefühl). Sie möchten zum Beispiel nicht mehr von jedem zur Toilette begleitet werden (vgl. auch Maywald 2013a, S. 32) Ω lernen Regeln und soziale Normen zum Umgang mit Körper und Sexualität (z. B. dass bis auf den Mund, nichts in Körperöffnungen gesteckt werden darf).

Kleinkinder (ca. viertes und fünftes Lebensjahr) Ω zeigen großes Interesse für die vielen Facetten des Sexuellen (vgl. auch Wanzeck-Sielert 2014, S. 409). Ω erforschen spielerisch den eigenen Körper und den der anderen (z. B. Doktorspiele) Ω erleben ganz bewusst, dass Berührungen an den Genitalien lustvoll sein können. Masturbation spielt in dieser Altersspanne bei allen Kindern – unabhängig von ihrer Geschlechtszugehörigkeit – eine zentrale Rolle. Ω entwickeln ein deutliches Schamgefühl. Ω sind vielfach interessiert an der Fortpflanzung und stellen entsprechende Fragen zu Schwangerschaft und Geburt. Ω schließen enge Freundschaften mit anderen Kindern, genießen die körperliche Nähe und tauschen Zärtlichkeit aus.

Kinder in der mittleren Kindheit (ca. zwischen sechs und zehn Jahren) Ω zeigen ihre Interessen an Sexualität vor Erwachsenen nicht. Ω haben ein starkes Bedürfnis nach Intimität und Eigensinn. Ω zwischen den gleichaltrigen Peers spielen die Interessen an Sexualität eine wichtige Rolle (wobei gleichgeschlechtliche Freundschaften bevorzugt werden). Ω fühlen sich zunehmend unwohl, von anderen Menschen nackt gesehen zu werden (und möchten sich auch nicht mehr vor Erwachsenen an- oder ausziehen).

11.2 Konstruktion von Sexualitäten

11.2

149

Konstruktion von Sexualitäten

Menschen leben ihre Sexualität facettenreich und individuell unterschiedlich und überschreiten damit vielfach die einschlägigen Unterscheidungsmuster zwischen sexuellen Orientierungen. Sexuelle Orientierungen (Hetero-, Homo- und Bisexualität) können sich zudem im Verlauf des gesamten Lebens verändern. Neben den Geschlechterverhältnissen ist auch Sexualität kulturhistorischen Konstruktions- und Wandlungsprozessen unterworfen. So wird in unserer Gesellschaft Sexualität auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen, kategorisiert und bewertet, die in den Geschlechterdiskursen auch als heteronormativ benannt wird (vgl. Kapitel 5.3).

Heteronormativität Unter Heteronormativität wird die Vorstellung verstanden, dass es nur zwei Geschlechter gibt, die eindeutig sind (damit werden vor allem Trans*- und Inter*-Menschen ausgegrenzt) und deren sexuelles Begehren aufeinander gerichtet ist. Damit wird Heterosexualität als Norm gesetzt und schwules, lesbisches oder bisexuelles Begehren als abweichend betrachtet.

Anhand der Ergebnisse von Studien wird dabei sehr eindrücklich sichtbar, dass Heteronormativität die Wahrnehmung und das Verhalten von Eltern und auch von pädagogischen Fachkräften – häufig ungewollt und unreflektiert – beeinflusst (vgl. u. a. Hunger 2014, S. 15–20). So werden aus einem geschlechtstypischen bzw. -untypischen Verhalten von Kindern Rückschlüsse auf deren sexuelle Orientierung gezogen. Widerspricht beispielsweise ein kleiner Junge den geschlechtstypischen Vorstellungen, erhält das Kind besondere Aufmerksamkeit. »Darüber hinaus ist teilweise auch eine unterschwellige (und durchaus homophobe) Form der Sexualisierung des Jungenverhaltens zu konstatieren« (ebd. S. 18). Im Zusammenhang von Geschlecht und sexuellen Orientierungen kursieren viele solcher vereinfachenden Alltagstheorien und Zuschreibungen, die schon im Kindesalter zu Vorurteilen und Ausgrenzung führen können. So wird in zahlreichen Berichten und Studien deutlich, dass Kinder, die sich nicht den Geschlechterstereotypen entsprechend verhalten, zum Beispiel Jungen*, die von anderen für zu feminin und unmännlich gehalten werden, und Mädchen*, die als jungenhaft gelten, häufig schon auf dem Spielplatz Hänseleien aushalten müssen (vgl. UNESCO concept note (July 2011)). Auch Kinder aus sogenannten Regenbogenfamilien, also Familien, in denen mindestens ein Elternteil lesbisch, schwul, bisexuell oder trans* lebt, sind Diskriminierungen ausgesetzt (u. a. Streib-Brzic & Quadflieg 2011). Genderbewusste Pädagogik bedeutet hier sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Kontext von Inklusion im Alltag zu integrieren.

150

11.3

11. Bildungsbereich Sexualität und Sexualpädagogik

Leitfaden für eine genderbewusste Sexualpädagogik

Ebene der pädagogischen Fachkräfte und Team Ω Selbstreflexion im beruflichen und persönlichen Kontext Damit eigene Haltungen und Erfahrungen in Bezug auf Sexualität nicht in die pädagogische Arbeit einfließen, ist es notwendig sich mit der eigenen persönlichen und beruflichen Biografie in Bezug auf Sexualität auseinanderzusetzen (Werte und Normen). Denn gerade beim Thema Sexualität besteht die Gefahr, dass eigene Vorstellungen von Sexualität und Sexualmoral unreflektiert auf Kinder übertragen werden (vgl. Wanzeck-Sielert 2014, S. 412).

Ebene der Interaktion mit den Kindern Ω Reflektierter Umgang mit den sexuellen Äußerungsformen der Kinder Pädagogische Fachkräfte haben eine großen Einfluss darauf, inwieweit Kinder sexual- und körperfreundliche Erfahrungen machen können.

Regeln für den Umgang mit Sexualität Kinder spüren Unsicherheiten und ambivalente Haltungen schnell, deshalb verstecken sie sich teilweise zum Ausleben ihrer Sexualität. »Diesen Rückzug sollten Sie nicht verbieten oder tabuisieren, denn es ist normal, dass Kinder ihren Körper entdecken wollen!« (Witt 2012, S. 41). Es ist jedoch wichtig, dabei folgendes zu beachten: … dass es nicht zu Verletzungen kommt. Um die Geschlechtsorgane als Teil des Körpers zu integrieren, ist es hilfreich diese bei Regeln nicht besonders hervorzuheben, vielmehr sollten Sie alle Körperöffnungen mit einbeziehen, z. B.; »Bei uns wird nichts in Körperöffnungen gesteckt, außer Essen und Trinken in den Mund.« … dass Geschlecht, Alter oder körperliche oder kognitive Fähigkeiten nicht dazu führen, dass Kinder ausgenutzt werden oder unterlegen sind. … dass es klare Regeln gibt und die Kinder ein »Nein« respektieren. … dass die Fachkraft ihrer Aufsichtspflicht nachkommt (vgl. Witt 2012, S. 41). … dass Masturbation etwas Intimes ist und nicht für alle sichtbar sein sollte.

Ω Kinderfragen aufgreifen Es gibt vielfältige Anlässe mit Kindern über Sexualität zu sprechen, z. B. bei Fragen der Kinder (»Kann eine Oma Kinder kriegen?«) oder wenn ein Kind ein Geschwisterchen bekommt. Sexualität, Zärtlichkeit, Zuneigung, Liebe, Zeugung, Schwangerschaft und Geburt können aber auch von den pädagogischen Fachkräften ohne direkten Anlass thematisiert werden. Achten Sie darauf nicht nur Sachinformationen zu erläutern, sondern fragen Sie die Kinder nach bereits vorhandenem Wissen und Vorstellungen, beziehen Sie die jeweiligen Lebenswelten der Kinder ein (Kultur, soziales Milieu, geschlechtliche Lebensweise etc.). Auch Projekte bzw. gezielte Angebote sind eine Möglichkeit der Förderung (siehe Kapitel 11.4).

11.3 Leitfaden für eine genderbewusste Sexualpädagogik

151

Ω Förderung der Kommunikation über Sexualität Damit Kinder eine sexualitätsbejahende Haltung entwickeln können, ist es notwendig, Sexualität als einen integralen Bestandteil ihrer Lebensäußerung zu verstehen und eine klare, angemessene, diskriminierungsfreie und nicht sexistische Sprache zu finden (vgl. Maywald 2013a, S. 80f.). Auch im Sinne der Prävention vor sexuellen Übergriffen sollten jederzeit und überall verständliche Begriffe verwendet werden. Es ist Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte solche sachlich zutreffenden Begriffe zu nutzen und zu vermitteln. Hierzu gehört eine fachlich korrekte Bezeichnung der primären Geschlechtsmerkmale (wie Scheide/Vagina, Klitoris/Kitzler, Penis/Glied, Hoden/Testes), Begriffe wie Geschlechtsverkehr, Zeugung, Gebärmutter/Uterus und Po-Loch/After, außerdem Begriffe wie Homosexualität, Heterosexualität. Bei älteren Kindern können weitere Begriffe notwendig sein, wie z. B. Vulva, Schamlippen, Eierstöcke, Eileiter, Harnröhre, Samenleiter sowie z. B. schwul, lesbisch, bisexuell, heterosexuell, inter*, trans*. Ω Diskriminierung vermeiden Häufig greifen Kinder auf Ausdrücke aus der Jugendsprache oder aus den Medien zurück und bringen diese in die Kita ein. Es ist notwendig, dass pädagogische Fachkräfte deutlich machen, dass durch Sprache auch Gefühle verletzt werden können. Es geht darum sprachliche Grenzverletzungen nicht zu erlauben und entsprechende Regeln durchzusetzen (vgl. ebd.). Jüngere Kinder benutzen abwertende Ausdrücke, wie »Fotze«, »ficken« und »schwule Sau« manchmal als Testwörter, um Grenzen auszuloten. Es ist Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte bei einer solchen Grenzüberschreitung sofort und eindeutig zu reagieren. »Das Verbot muss klar benannt und das Verhalten (nicht die Person) deutlich missbilligt werden. Je nach Situation (z. B. nach wiederholter Grenzüberschreitung) und Alter sollte das Kind, das eine Grenze überschritten hat, mit Konsequenzen seines Verhaltens rechnen müssen« (ebd. S. 81). Diskriminierung kann auch indirekt über Sprache und/oder Witze geschehen (thematisieren Sie generell Diskriminierungen, wie z. B. herabsetzende Äußerungen in Bezug auf sexuelle Orientierungen in der ganzen Gruppe).

Ebene der Interaktion mit den Eltern Ω Zuschreibungen vermeiden Das Verhalten und Aussehen einer Person lässt keine eindeutigen Aussagen über ihre Geschlechtsidentität und ihre sexuelle Orientierung zu (vgl. Kugler & Nordt 2012, S. 113). In Gesprächen mit Eltern ist es notwendig, sich bewusst zu machen, dass das Gegenüber nicht zwangsläufig cis22 ist und heterosexuell lebt (vermeiden Sie Verallgemeinerungen). Die meisten Menschen werden solange für heterosexuell gehalten, bis sie das Gegenteil äußern. Ω Eltern einbeziehen und beteiligen Um die Eltern auf Erzählungen und Fragen vorzubereiten, die die Kinder ggf. aus der Kita mit bringen, werden sie über geplante Angebote und Projekte informiert. Die Kita bietet auch unabhängig von möglichen Anlässen Elternabende zur Sexualpädagogik an. 22 Cis wird als Oberbegriff für alle Personen verstanden, die sich dem ihnen zugewiesenen Geschlecht zugehörig fühlen und deren Körper den medizinischen Normen von Mädchen und Junge bzw. Mann und Frau entsprechen.

152

11. Bildungsbereich Sexualität und Sexualpädagogik

Schutz vor sexualisierter Gewalt Geschlechterbewusste Sexualpädagogik umfasst sowohl Sexualaufklärung und -erziehung als auch Schutz von Kindern vor sexuellen Übergriffen durch andere Kinder sowie den Schutz vor sexuellen Grenzverletzungen, Übergriffen und sexuellem Missbrauch durch Jugendliche und Erwachsene in Familie und Kindertageseinrichtung. Dabei werden Ungleichheiten in den Generations- und den Geschlechterverhältnissen berücksichtigt.

Definition Sexualisierte Gewalt Sexualisierte Gewalt ist der Oberbegriff für eine Bandbreite unterschiedlicher Formen von Gewalt. Anzügliche Witze, sexuelle Anmache und Belästigungen sind dabei ebenso gemeint wie sexuelle Nötigung bis hin zur Vergewaltigung, sexuellem Missbrauch sowie unterschiedlichen Formen organisierter sexualisierter Gewalt (Kinderprostitution, Kinderpornografie). Die Gemeinsamkeit zwischen all diesen verschiedenen Erscheinungsformen sexualisierter Gewalt ist, dass es sich um Gewalt handelt und dass weniger das sexuelle Verlangen als vielmehr die Ausübung von Macht und Gewalt über die Opfer eine zentrale Rolle spielen. Soziale Ungleichheiten und Macht in den Generations- und in den Geschlechterverhältnissen begünstigen sexualisierte Gewalt. Im Sinne einer guten Kinderschutzpraxis hat es sich als zweckmäßig erwiesen, zwischen Grenzverletzungen, sexuellen Übergriffen und sexuellem Missbrauch zu unterscheiden (vgl. Enders 2012, S. 30ff.).

Es ist notwendig, dass Kinder, Eltern und pädagogische Fachkräfte der Kita wissen, an wen sie sich wegen eines (vermuteten) sexuellen Übergriffs oder sexuellen Missbrauchs wenden können. Bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch sollte gemäß § 8a Abs.4 SGB VIII eine insoweit erfahrene Fachkraft (d. h. eine in Bezug auf sexuellen Missbrauch erfahrene Fachkraft) hinzugezogen werden. Ziel des Gesprächs zwischen der Kindertageseinrichtung (Leitung und zuständige pädagogische Fachkraft bzw. Team) und der insoweit erfahrenen Fachkraft ist es, eine Einschätzung des Gefährdungsrisikos für das Kind vorzunehmen und das weitere Vorgehen zu planen.

Weiterführende Literatur Enders, Ursula (2012): Grenzen achten. Schutz vor sexuellem Missbrauch in Institutionen. Ein Handbuch für die Praxis. Köln. Maywald, Jörg (2013): Sexualpädagogik in der Kita. Freiburg im Breisgau.

11.4 Praktische Anregungen für eine genderbewusste Sexualpädagogik in der Kita

11.4

153

Praktische Anregungen für eine genderbewusste Sexualpädagogik in der Kita

Wie wir als pädagogische Fachkräfte mit Sexualität umgehen und kindliche Sexualität im pädagogischen Alltag wahrnehmen, hat viel mit unserer eigenen Geschichte und unseren eigenen Erfahrungen und Vorstellungen zu tun. Daher ist der erste Schritt in diesem Bildungsbereich die Auseinandersetzung mit dem eigenen Verständnis von Sexualität.

Erste Ebene: Selbstreflexion Ω Was ist für mich Sexualität? Ω Wie wurde in meiner Kindheit mit Sexualität umgegangen? Ω Wie gehe ich heute mit Sexualität um? Darauf auf bauend bietet es sich an, sich in der Gruppe/im Team mit den Unterschieden zwischen kindlicher Sexualität und Erwachsenensexualität auseinanderzusetzen. Beginnen Sie mit einer Gruppenarbeit zum Thema und erläutern Sie daran anschließend anhand der Ergebnisse die Charakteristika kindlicher Sexualitäten (siehe in diesem Kapitel).

Zweite Ebene: Sensibilisierungsübung im Team und in der Gruppe 1. Gruppenarbeit (vgl. auch Rohrmann & Wanzek-Sielert 2014, S. 69) Gruppe 1: Wie und wo nehme ich kindliche Sexualität wahr? Was macht kindliche Sexualität aus? Gruppe 2: Was kennzeichnet die Sexualität von Erwachsenen? Sammeln Sie alles auf großen Papierbögen. 2. In der großen Gruppe/im Team werden dann die Arbeitsergebnisse vorgestellt und diskutiert und wichtige Ergebnisse zur kindlichen Sexualität festgehalten. Hier bietet sich auch eine weiterführende Diskussion zum Thema »Es gibt nicht die Sexualität« an.

Dritte Ebene: Interaktion mit den Kindern bzw. unter den Kindern Ω Sexualaufklärung und -erziehung kann in vielfältiger Weise in den Kitaalltag integriert werden, wie beispielsweise durch Kinderbücher und Aktionen zur Körperwahrnehmung oder Gesprächskreise zum Thema anhand von Bildern und Fotos.

Mein Körper (ab vier Jahren) Jeweils zwei Kinder aus der Gruppe bilden ein Paar. Zuerst legt sich das eine Kind auf einen großen Papierbogen und das andere zeichnet die Konturen des Körpers nach, dann das andere Kind. Die Kinder erkennen die Körpergröße und die einzelnen Körperteile. Achten Sie darauf, worauf die einzelnen Kinder Wert legen: Werden alle Finger der Hand gezeichnet? Berücksichtigen die Kinder Details, wie Zehen, Bauchnabel oder Geschlechtsteile? Im Anschluss benennen die Kinder die Körperteile.

154

11. Bildungsbereich Sexualität und Sexualpädagogik

Meine Geschlechtsorgane (ab vier Jahren) Um Kindern eine angemessene und diskriminierungsfreie Sprache und sachlich zutreffende Begriffe an die Hand zu geben, bieten sich Bilder/Zeichnungen an, in denen die Geschlechtsorgane miteingezeichnet sind (nutzen Sie Bilder und Fotos, die die Vielfalt von Kulturen, Ethnien, geschlechtlichen Lebensweisen und Körpern zeigen). Knüpfen Sie im Gesprächskreis an beobachtete Situationen an, z. B. »Ich habe bemerkt, dass ihr in letzter Zeit gern zu zweit auf die Toilette geht und euch beim Pipimachen zuschauen wollt« (Witt 2012, S. 41). Zeigen Sie die Bilder, begutachten Sie diese gemeinsam und stellen Sie ggf. offene Fragen: Welche Öffnungen haben wir am Körper? Kommt aus diesen etwas heraus? Darf man etwas in sie hineinstecken? Wenn ja, was ist das? Wo darf man auf keinen Fall etwas hineinstecken? Wie heißen die Körperteile? Wie unterscheiden sich die Personen auf den Fotos? Welche Gemeinsamkeiten gibt es?

Bilderbücher/Materialien/Spiele von der Gathen; Kuhl, Anke (2014): Klär mich auf. 101 echte Kinderfragen rund um ein aufregendes Thema (für Grundschulkinder) de Haan, Linda; Stern, Nijand (2001): König und König (das Bilderbuch zum Thema sexuelle Vielfalt ist leider vergriffen und nur antiquarisch oder über den Online-Handel erhältlich) Rosen, Ursula (2015): Jill ist anders, Salmo Verlag, Lingen (Das Kinderbuch über ein Inter*-Kind ist ab 4 Jahren) Witt, Michael (2012): Wer bin ich? Aktionen für eine gendersensible Sexualpädagogik. In: Entdeckungskiste. Zeitschrift für die Praxis. Jungen und Mädchen. Freiburg im Breisgau. Mai/ Juni 2012 (für die Kita)

Weiterführende Literatur Maywald, Jörg (2013): Sexualpädagogik in der Kita. Freiburg im Breisgau. Quindeau, Ilka & Brumlik, Micha (2012): Kindliche Sexualität. Weinheim. Rohrmann, Tim & Wanzeck-Sielert, Christa (2014): Mädchen und Jungen in der Kita. Körper, Gender, Sexualität. Stuttgart. Sozialpädagogisches Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg und Bildungsinitiative QUEERFORMAT (2012): Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Handreichung für Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe.

12. Bildungsbereich Körper und Bewegung

In diesem Kapitel erfahren Sie – dass Köperwahrnehmung und Bewegung wichtige Bereiche zur Entwicklungsförderung von Kindern sind – dass sich kindliche Bewegungsaktivierung vielfach an tradierten Geschlechterbildern orientiert und Kinder einschränkt

In diesem Kapitel erhalten Sie – einen Leitfaden für eine genderbewusste Körperwahrnehmung und Bewegungserziehung – praktische Anregungen und Aktionen für eine genderbewusste Körperwahrnehmung und Bewegungserziehung

Der körperlichen Entwicklung und der Bewegungserziehung kommt in der Diskussion um die Bildungsprozesse in der frühen Kindheit eine besondere Bedeutung zu. Bewegung ist ein Bedürfnis von Kindern und birgt vielfältige Chancen für die soziale, körperliche, kognitive und emotionale Entwicklung. Diese Chancen werden jedoch vielfach nicht genutzt, da Kinder in ihrer sozialen Umwelt sowohl durch die herrschende Geschlechtersymbolik als auch durch Prozesse des »doing gender« eingeschränkt werden. Wenn pädagogische Fachkräfte sich nicht kritisch mit dem Thema auseinandersetzen und ihre eigene Haltung reflektieren, schränken sie – ungewollt – die Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern ein.

12.1

Jungen* dürfen wild sein und Mädchen* auch: Tradierte Geschlechtersymbole und »doing gender«-Prozesse

Kinder werden vielfach im Hinblick auf Körper und Bewegung bereits rein äußerlich geschlechtstypisch ausgestattet. Kleidung, Spielsachen, Brotdosen und vieles mehr sind nahezu durchgängig mit geschlechtstypisierenden Applikationen zu Körper und Bewegung versehen. Als Markenzeichen geschützte Figuren von »Spider-Man« über »Star Wars« bis hin zu sprechenden Rennwagen symbolisieren beim Junge-Sein jeweils körperliche Kraft, Aktion, Wettbewerb und Angriff. Die allgegenwärtige Symbolik zeigt sich zum Mädchen-Sein gegenwärtig beispielsweise anhand von Figuren wie Prinzessin »Lillifee«, »Hello Kitty« oder »Filly«, die Ästhetik, Harmonie und Fantasie verkörpern (vgl. Hunger 2014, S. 17f.).

12.1 Jungen* dürfen wild sein und Mädchen* auch

157

Die Allgegenwart der Geschlechtersymbolik führt zu polarisierenden körperlichen Verhaltens- und Bewegungserwartungen und bietet zugleich körperbezogene Identifikationsangebote (z. B. sind Wettkämpfe und Grenzen austesten jungenhafte soziale Praktiken und ästhetischexpressive tänzerische und auch raumsparende, gehemmte Bewegungsformen mädchenhafte). »Kinder bewegen sich in einem Umfeld, dass in Bezug auf Körper und Bewegung explizite und subtile Vorstellungen über das ›Männlich-‹ und ›Weiblichsein‹ entwickelt hat. Sie agieren in einer sozialen Welt, die für Jungen und Mädchen unterschiedliche Identifikationsund Inszenierungsmöglichkeiten im Bereich Körper, Bewegung und Sport vorhält. Sie bewegen sich unter Menschen, die (auch) am Geschlecht der Kinder orientierte Erwartungen hegen und Jungen und Mädchen entsprechend der verinnerlichten geschlechtsbezogenen Zuschreibungen (körperlich) herausfordern, begrenzen, ermutigen oder entmutigen. In diesem Sinne werden Kinder im Rahmen ihres Bewegungshandelns mit am Geschlecht orientierten Offerten, Vorbildern, Rückmeldungen etc. konfrontiert und entwickeln (auch) auf dieser Basis einschlägige (Selbst-)Zuschreibungen, Bewegungsinteressen, körperbezogene Interaktionsstile etc.« ( ebd., S. 15f.).

So bleibt die Geschlechtersymbolik nicht nur äußerlich, vielmehr bauen Kinder sie in ihre Wirklichkeitskonstruktionen ein. Vor allem in Bezug auf Körper und Bewegung ist diese Symbolik von entscheidender Bedeutung für Kinder im Hinblick auf ihre Geschlechtsidentitätsentwicklung.

Geschlechtertypische Bewegungssozialisation Im Rahmen der qualitativen Studie »Geschlechtsspezifische Körper- und Bewegungssozialisation in der frühen Kindheit« (Interview- und Beobachtungsstudien) wurde deutlich, dass die Geschlechtersymbolik, mit der Kinder konfrontiert werden, einen starken Einfluss auf das Bewegungsverhalten von Kindern hat. »So nehmen die Jungen in ihrem Bewegungsverhalten immer wieder explizit darauf Bezug durch symbolische Schwertkämpfe, das Einnehmen dominierender Posen, action- und risikoreichem Bewegungshandeln etc.« (Hunger 2014, S. 18). In der Untersuchung wurde zudem deutlich, dass auf der Ebene der alltäglichen Bewegungsaktivierung mit den Kindern Erfahrungsräume geschlechtstypisch eröffnet werden. Die Auswertung der Daten zeigt, dass insbesondere die Jungen über die Väter bzw. männliche Bezugspersonen in Bewegungssituationen (z. B. Bewegungsspiele im Freien, körperbezogene Interaktion zu Hause, Schwimmbadbesuche) immer wieder mehr oder weniger subtile Ermunterungen erhalten, Action zu suchen, (wett-) zu kämpfen, Risiken einzugehen und Grenzen auszutesten. Bei Mädchen dagegen dominiert das Eingehen der Eltern auf die Bewegungsideen, ein Einlassen auf ihr Bewegungstempo anstelle von Anreiz zur Überbietung oder zur Bewegungsintensivierung. Bewegungsideen werden kommunikativ ausgehandelt oder in Absprache modifiziert. Körpernahe, kämpferische Bewegungsmuster oder explizite Ermunterungen zu risikoreichen Aktionen im Vergleich zu den untersuchten Jungen konnten nur selten ausgemacht werden (Hunger 2014, S. 14-20).

158

12. Bildungsbereich Körper und Bewegung

Auf der Grundlage dieser geschlechtstypischen Bewegungsaktivierung sozialisieren sich Kinder im späten Kindergartenalter zunehmend gegenseitig. Die äußeren Zuschreibungen werden im Zuge der individuellen Entwicklung mehr oder weniger verinnerlicht und vielfach als männlicher bzw. weiblicher Habitus (verkörpertes praktisches Wissen) sichtbar (vgl. Kapitel 6). Diese Verkörperung geschieht im Zuge der weiteren Entwicklung so routiniert, dass sie in der Wahrnehmung als solche nicht mehr erkennbar ist und vielfach für »natürlich« gehalten wird. Auch in der oben genannten Studie wurde deutlich, dass Jungen in Bezug auf ihre körperlichen Bewegungsbedürfnisse von Eltern und teilweise auch von pädagogischen Fachkräften als biologisch determiniert wahrgenommen werden (es wird von einem angeborenen Bewegungsdrang ausgegangen). Mit diesem Bewegungsverhalten verbunden wird z. B. ein Dominanzverhalten und Wettbewerbsorientierung. Dieses wird dabei als ein quasi natürliches männliches Verhalten betrachtet. »Das ist eben ein Junge« oder »Jungen brauchen das eben, so kämpfen und so« (zit. nach Hunger 2014, S. 18). Ein bemerkenswertes Ergebnis der Studie ist dabei auch, dass sich Eltern und pädagogische Fachkräfte zwar an Werten wie Gleichbehandlung der Geschlechter und Individualität orientieren. Im Alltag bei der Bewegungsaktivierung sind es jedoch vor allem die tradierten Geschlechterstereotype, nach denen Eltern und teilweise auch pädagogische Fachkräfte ihr Verhalten richten (vgl. Hunger 2014, S. 14ff.; Hunger & Zimmer 2012, S. 8ff.). Sie schränken damit die Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern im Bereich Körper und Bewegung massiv ein. »Na ja, Jungen sind allgemein doch wilder, würde ich jetzt mal so behaupten. Also mehr so bewegungsunruhiger, so voller Power, die müssen sich einfach ab und zu austoben. Es gibt zwar auch Mädchen, die zappelig sind, aber eigentlich sind die immer noch ganz gut so abzulenken mit was anderem, so Perlenaufziehen. Die Jungen muss man ab und zu ganz einfach rausschicken, dass sie ihre Power rauslassen, sonst kann man in der Gruppe nichts machen« (Erzieherin im Rahmen des Forschungsprojekts »Geschlechtsbezogene Körper- und Bewegungssozialisation«, zitiert nach Hunger & Zimmer 2012, S. 11).

Diese und ähnliche Einschätzungen finden sich vielfach unreflektiert (trotz der Orientierung an Werten wie der Gleichbehandlung der Geschlechter) vor allem in Bezug auf den angeblich »natürlichen Bewegungsdrang« von Jungen*. Durch eine solche Haltung wird ein jungenhafter Habitus und hegemoniale Männlichkeit gefördert, statt Kinder darin zu unterstützen, Entspannung und Ruhe als Gegenpol von Spannung und Bewegung zu nutzen. Beide Pole gehören zusammen und sind notwendig, um den eigenen Körper bewusst wahrzunehmen und zu spüren. Der jungenhafte Habitus führt zudem leicht zu Passungsproblemen in der Schule und anderen Bildungsinstitutionen. Aber auch jene Kinder, die dem jungenhaften Habitus nicht entsprechen, werden in ihren Entfaltungsmöglichkeiten eingeschränkt und müssen darüber hinaus auch mit Ausgrenzung und Diskriminierung rechnen. Zeigt ein fünf- oder sechsjähriger Junge keinen jungenhaften Habitus, indem er beispielsweise als unsicher in Bewegungssituationen wahrgenommen wird und bei ihm ästhetisch betrachtete Bewegungshandlungen dominieren, so erfährt dieses »andere« Bewegungshandeln besondere Aufmerksamkeit bzw. führt zu Diskriminierungen.

12.1 Jungen* dürfen wild sein und Mädchen* auch

159

Geschlechtsidentitätskonstruktionen: »Ich tobe, also bin ich ein Junge …« Der Körper ist das zentrale Medium zur Darstellung von Weiblichkeit und Männlichkeit. Sich weiblich darzustellen bedeutet tendenziell, die eigenen Bewegungen im Zaum zu halten, den eigenen Körper zu schützen, statt »Schrammen und Knochenbrüche« zu riskieren, raumsparend und eher vorsichtig im Bewegungsverhalten zu sein. Dieser »gehemmte« Umgang mit dem eigenen Körper gilt nicht nur für Bewegung, sondern vor allem auch für Ernährung. Denn »weiblich sein« bedeutet gegenwärtig immer auch schlank zu sein, sich beim Essen einzuschränken und den eigenen Körper zu gestalten und zu optimieren. Schon der kindliche Körper muss dabei bestmöglich präsentiert und den entsprechenden Normen von Schönheit angepasst werden. So ist die Kleidung für Mädchen vielfach bereits im Kleinkindalter an den herrschenden Vorstellungen von erwachsener weiblicher Schönheit angepasst (schmal und tailliert). Sich jungenhaft darzustellen bedeutet tendenziell, sich körperlich auszuprobieren. Schrammen und kleinere Verletzungen werden hier weit eher riskiert, um die eigenen körperlichen Kräfte zu testen und sich mit anderen zu messen. Bereits in der Kindheit ziehen sich Jungen* weit eher Verletzungen und selbst Knochenbrüche zu. Sie sind häufiger krank und sie werden häufiger als verhaltensauffällig beschrieben (vgl. Kolip 2000, S. 291ff.). Mit der Pubertät dreht sich das Geschlechterverhältnis im Bereich von Körper, Gesundheit und Krankheit um und beinhaltet das typische Muster, das sich auch bei Erwachsenen aufzeigen lässt. Ab etwa dem 12. Lebensjahr sind Mädchen* unzufriedener mit ihrem Körper. Sie nehmen häufiger medizinische Hilfe in Anspruch und leiden häufiger unter psychosomatischen Beschwerden (vgl. ebd.). Im Umgang mit dem eigenen Körper spiegelt sich auch die Verarbeitung der je nach Geschlecht unterschiedlichen Anforderungen und Belastungsfaktoren wider. Junge-Sein bedeutet dabei deutlich auffälligere und nach außen gerichtete Bewältigungsversuche zu zeigen. MädchenSein dagegen eher unauffälligere und eher nach innen gerichtete Bewältigungsversuche zu wählen. Das Bild vom »starken« Mann, der nicht weint, keinen Schmerz kennt, jedes Risiko eingeht und immer überlegen ist, ist gerade bei Kindern noch weit verbreitet. Vor allem körperlich muss diese Stärke gegenüber anderen immer wieder bewiesen werden. Es ist daher wichtig, dass Kinder im Alltag die Erfahrung machen, nicht immer der Stärkste, Beste, Erfolgreichste sein zu müssen, um anerkannt und geliebt zu werden. Körperkontakt und Nähe werden im Rahmen des männlichen Habitus über Kräftemessen und »Rangeleien« gesucht. Daher ist es notwendig, Kindern auch noch andere Möglichkeiten des Körperkontakts zu erschließen. Kindliches Bewegungsverhalten ist auch eine Form von »doing gender«, es gibt geschlechtstypische soziale Praktiken und einen geschlechtstypischen Habitus. Kinder, die toben oder tanzen, stellen damit auch Weiblichkeit und Männlichkeit dar. Kinder agieren in und aus ihrem Körper heraus, zugleich ist der menschliche Körper jedoch immer auch ein Produkt gesellschaftlicher Prozesse und Strukturen. Der Körper ist viel mehr als nur biologisch vorfindbar, er ist immer auch der Ort der Vergeschlechtlichung (vgl. Neubauer & Göger 2011, S. 239).

160

12.2

12. Bildungsbereich Körper und Bewegung

Leitfaden für eine genderbewusste Körperwahrnehmung und Bewegungserziehung

Auch wenn wir uns an Werten wie Gleichbehandlung und Individualität orientieren, richten wir das Handeln im Alltag vielfach an polarisierenden und einschränkenden Geschlechterstereotypen aus, wenn wir uns nicht aktiv und reflektiert damit auseinandersetzen und »gegensteuern«. Damit wir uns nicht ungewollt und unbewusst an tradierten und die Kinder einschränkenden Geschlechterbildern orientieren, ist es notwendig Ω sich bewusst und reflektiert mit jeweils herrschenden Konstruktionen von Mädchen- und Junge-Sein auseinanderzusetzen (d. h. auch immer wieder bewusst innezuhalten und zu reflektieren, ansonsten orientieren wir uns ganz spontan an Geschlechterstereotypen), Ω eine geschlechtstypische Bewegungserziehung zu vermeiden Ω und auch geschlechtsuntypische Bereiche zu fördern.

Ebene der Selbst- und Körperwahrnehmung Voraussetzung für eine genderbewusste Bewegungserziehung und Körperwahrnehmung ist es, immer bei sich selbst zu beginnen. Körperreisen und kurze Pausen sind Möglichkeiten, um sich selbst und den eigenen Körper bewusst wahrzunehmen, zu spüren und achtsam mit sich und den Kindern umzugehen. Um Kinder mit ihren Stärken wahrzunehmen und zu fördern, ist Selbstwahrnehmung und Selbstzentrierung und die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper und Bewegungsverhalten wichtig. Folgende Fragen können dabei helfen: Habe ich als Kind gerne getobt, war ich eher ruhig? Wurde eher die »wilde« oder die »sanfte« Seite gefördert? Entsprach mein Körper den Vorgaben von Weiblichkeit und Männlichkeit? Wie fühle ich mich heute? Mag ich meinen Körper? Bewege ich mich gerne? Achte ich auf meine körperlichen Bedürfnisse und Grenzen? Wann spüre ich mich/meinen Körper weniger, wann mehr?

Ebene der Geschlechtersymbolik Ebene Raumgestaltung und Materialien Ω Geschlechtergerechte Gestaltung der Ausstattung und der Innen- und Außenräume: Räume zum Bewegen und Ruhen schaffen Beobachtungsergebnisse zur Raumnutzung von Kindern in Kindertageseinrichtungen zeigen, dass Spiele und Aktivitäten von Kindern stark von der Gestaltung und Ausstattung der Innen- und Außenräume beeinflusst werden (vgl. u. a. Klees-Möller 1998, S. 93). Es wurde dabei deutlich, dass Mädchen* eher »raumsparend« spielen und die Innen- und Außenräume weniger nutzen als Jungen* mit eher raumgreifenden Aktivitäten. Pädagogische Fachkräfte gestalten die Räumlichkeiten so, dass sie den Bewegungs- und Rückzugsbedürfnissen der Kinder gerecht werden und Kinder nicht auf bestimmte Bewegungen und Spiele festgelegen.

12.2 Leitfaden für eine genderbewusste Körperwahrnehmung und Bewegungserziehung

161

Ebene der Interaktion mit den Kindern Ω Geschlechtliche Zuschreibungen meiden Die pädagogischen Fachkräfte verzichten auf die Zuordnung von Bewegungsspielen und Aktionen als »männlich« oder »weiblich«. Pädagogische Fachkräfte sind – unabhängig von der Geschlechtszugehörigkeit – achtsam für die »wilden« und »sanften« Seiten der Kinder. Ω Körperwahrnehmung und -ausdruck durch Bewegung und Entspannung für alle Kinder fördern Pädagogische Fachkräfte ermöglichen allen Kindern – unabhängig von ihrem Geschlecht – die Erfahrung von Bewegung und Aktion einerseits und Entspannung und Körperwahrnehmung in der Ruhe andererseits (beispielsweise durch ritualisierte in den Tagesablauf eingeplante sich wiederholende Bewegungs- bzw. Entspannungsübungen). Sie fördern die Achtsamkeit der Kinder für ihren Körper.

Ebene Elternarbeit Ω Sensibilisierung der Eltern für die Folgen einer einseitigen, geschlechtstypischen Bewegungsaktivierung Pädagogische Fachkräfte weisen auch Eltern darauf hin, dass eine geschlechtstypisierende Ausstattung (von Kleidung, Spielsachen, Brotdosen, Trinkflaschen sowie die Einrichtung des Kinderzimmers) die Kinder in ihrem Bewegungsverhalten und ihrer Entwicklung einschränkt. Vor allem für Bewegung ungeeignete Kleidung, in der Kinder nicht rennen, klettern oder toben können, sollte vermieden werden (z. B. könnten Sie bei einem Elternabend zum Thema »Körper, Bewegung, Gesundheitsförderung« Eltern sensibilisieren, wie sie ihre Kinder unterstützen können und wodurch sie ihre Kinder – ungewollt – einschränken, der Hinweis auf die Studien ist hier sehr hilfreich).

Ebene der individuellen Geschlechtsidentitätskonstruktionen Ebene der Selbst- und Teamreflexion Pädagogische Fachkräfte reflektieren ihre eigenen Vorstellungen zu »Körper, Bewegung und Geschlecht«. Sie meiden »doing gender«-Prozesse (statt »Die Jungen gehen jetzt mal in den Hof, die müssen sich austoben« besser »Wir gehen jetzt gemeinsam in den Hof« oder statt »Die Mädchen haben sich aber heute wieder hübsch gemacht« besser »Die Kinder haben sich heute schön gemacht«).

Ebene der Interaktion mit und unter den Kindern Ω Geschlechtstypische Verallgemeinerungen vermeiden Um Kinder in ihrer Vielfalt zu fördern ist es hilfreich, Verallgemeinerungen, wie »die Mädchen« bzw. »die Jungen« oder auch »typisch weiblich« bzw. »typisch männlich«, die meist unreflektiert verwendet werden, zu hinterfragen bzw. nicht zu verwenden (statt »Die Jungen hören jetzt mal auf zu rennen« besser »Tim, Jannik, Machmut, setzt euch bitte zu uns!« oder »Kinder, setzt euch bitte!«). Geschlechterstereotype Zuschreibungen von Kindern wie »Mädchen sind schlau und Jungen sind stark« können mit den Kindern gemeinsam hinterfragt werden (vgl. dazu Cremers & Krabel 2012b, S. 26f.).

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12. Bildungsbereich Körper und Bewegung

Ω Vergeschlechtlichte soziale Praktiken in Bezug auf Körper, Ernährung und Bewegung kritisch hinterfragen Gerade in der pädagogischen Arbeit mit Kindern ist es wichtig, »vergeschlechtlichte« soziale Praktiken falls möglich zu vermeiden bzw. bei den Kindern bewusst mit diesen umzugehen. Wenn einzelne Mädchen* wenig oder nur bestimmte Lebensmittel essen, um nicht dick zu werden oder von Schlanksein und Diäten sprechen, ist es wichtig, diese geschlechtstypischen Verhaltensweisen kritisch zu thematisieren und im eigenen Verhalten zu meiden (z. B. statt »Samira, bitte iss nicht so viel, sonst wirst du zu dick« ist es besser, alle Kindern im Alltag zu sensibilisieren für Hunger- und Sättigungsgefühle, Hinweise auf Körpergewicht und Schlankheit sollten vermieden werden). Ω Bei der Bewegungsaktivierung Seiten fördern, die in der geschlechtstypischen Bewegungserziehung vernachlässigt werden Erst wenn Kindern vielfältige Erfahrungen ermöglicht werden, können sie erleben, was ihren eigenen Neigungen entspricht. Pädagogische Fachkräfte ermutigen auch stillere und weniger offensive Kinder ihre Grenzen zu erproben, zu kämpfen und zu toben. Genderbewusste Pädagogik heißt hier, Kinder zu ermutigen, in wilden Spielen ihre Kräfte zu erproben und gleichzeitig durch Entspannung den eigenen Körper wahrzunehmen. Klare Regeln und ein sorgsamer Umgang miteinander gehören jedoch auch bei den »wilden« Körpererfahrungen dazu. Es geht darum geschlechtstypische soziale Praktiken, die die Entwicklung von Kindern einengen, als solche zu rekonstruieren, zu vermeiden und neue Erfahrungen jenseits von Geschlechterklischees zu ermöglichen.

12.3

Praktische Anregungen, Aktionen und Spiele für eine genderbewusste Körperwahrnehmung und Bewegungserziehung

Bewegung und Entspannung sind menschliche Bedürfnisse und zwei Seiten einer Medaille. Vor allem in den ersten Lebensjahren ist ausreichende Bewegung wichtig für die Entwicklung; sie stärkt Muskeln, Herz und Kreislauf, steigert die Ausdauer und Atemleistung, fördert Gleichgewichtssinn, Reaktionsfähigkeit, Wahrnehmung und Koordination. Zugleich ist ausreichende Bewegung unerlässlich für die emotionale und kognitive Entwicklung. Zur ausreichenden Bewegung gehören aber immer auch Ruhe- und Entspannung. Diese fördern ebenso das körperliche und seelische Wohlbefinden sowie die Körper- und Selbstwahrnehmung. Ruhe und Entspannung ermöglichen es zu sich zu kommen, sich zu spüren, ermöglichen Intimsphäre und Erholung von Lärm, Hektik und Reizüberflutung und dienen dem Muskelauf bau nach sportlichen Betätigungen.

12.3 Praktische Anregungen, Aktionen und Spiele

163

Um eine genderbewusste Körperwahrnehmung und Bewegungserziehung umzusetzen, ist es sinnvoll zu Beginn einige Aspekte für eine ausgewogene Raumgestaltung zu berücksichtigen.

Räume zum Bewegen und zur Entspannung schaffen Ω Bewegung und Entspannung werden – unabhängig von der Geschlechtszugehörigkeit der Kinder – gefördert und die Räume werden entsprechend gestaltet. Ω Pädagogische Fachkräfte ermöglichen Bewegungs- und Entspannungsmöglichkeiten nicht nur zu bestimmten Zeiten, sondern integrieren diese in den Tagesablauf der Kinder im Innen- und Außenbereich. Ω Ist der Platz begrenzt, schaffen pädagogische Fachkräfte sowohl »Bewegungs- als auch Entspannungsinseln« in den Gruppenräumen (sie stellen wechselnde Materialien zur Verfügung, um den Kindern neue Anreize zu geben, z. B. Kartons zum Hineinklettern, Matratzen, Kissen, Tücher um Höhlen und Verstecke zu bauen etc.). Ω Pädagogische Fachkräfte geben den Kindern die Möglichkeit, die Räume selbst (um-) zu gestalten. Ω Pädagogische Fachkräfte gestalten Bewegungsräume durch Materialien und gestalten sie durch strukturierende Angebote. Sie entwickeln mit den Kindern Regeln und achten auf deren Einhaltung, damit nicht Gruppen von Kindern den Raum für sich beanspruchen und tobende Kinder stillere Kinder dominieren und verdrängen. Ω Pädagogische Fachkräfte sind sensibel für geschlechtstypische Verhaltensweisen und erweitern diese bewusst durch kompetenzerweiternde Angebote (stillere und weniger offensive Kinder werden geschützt, ermutigt und unterstützt, Grenzen zu erfahren und zu überwinden und ihre Kraft zu erfahren. Kinder, die offensiv sind, werden unterstützt ungewohnte Körpererfahrungen zu sammeln, z. B. durch Körper- und Fantasiereisen etc.). Es ist wichtig hier nicht aufzugeben, wenn die Kinder nicht gleich mitmachen. Es braucht Zeit, Rituale und Geduld um eingefahrene Körper- und Verhaltenspraxen und Gewohnheiten zu verändern, vor allem wenn sie auch verbunden sind mit der Darstellung/Verkörperung von Männlichkeiten und Weiblichkeiten.

Anregungen zur Entspannung und zur Körperwahrnehmung und -sensibilisierung können pädagogische Fachkräfte auch als tägliche Rituale in den Kitaalltag einbauen (z. B. täglich vor dem Mittagsschlaf oder täglich nach dem Toben im Bewegungsraum). Solche Anregungen zur Körperwahrnehmung sind eine Möglichkeit »zu sich zu kommen«. Sie sind für alle Kinder besonders wichtig, da Kinder täglich vielfältigen Außenreizen, Anregungen und Aufregungen ausgesetzt sind, besonders aber für jene Kinder, die schwer zur Ruhe kommen und viel in Bewegung sind und toben.

164

12. Bildungsbereich Körper und Bewegung

Körperreise, Fantasiereise, Tiere raten Körperreise Die Kinder legen sich auf einem weichen Untergrund (Matten, Teppich) auf den Boden und schließen die Augen. Die pädagogische Fachkraft führt die Kinder mit der Stimme langsam durch den Körper. Es beginnt mit den Füßen. Es werden Fragen gestellt, die dazu dienen, die Aufmerksamkeit der Kinder für ihren Körper zu fördern, z. B.: »Geh mit deiner Aufmerksamkeit in deine Füße. Sind sie warm oder kalt? – Berühren sie sich? Wandere dann in die Beine. Trägt der Boden deine Beine oder hältst du sie fest? Spürst du den Boden unter dir, die Hose an den Beinen? Fühlt sich der Boden unter den Beinen kalt an oder warm …« Diese Übung dient der Entspannung und Körpererfahrung. Sie ist auch für pädagogische Fachkräfte eine gute Möglichkeit der Selbst- und Körperzentrierung.

Fantasiereise Zur Entspannung dienen auch sogenannte Fantasiereisen. Die Ausgangssituation ist dabei die gleiche. Diesmal führt die pädagogische Fachkraft die Kinder in eine angenehme und entspannende Situation hinein z. B.: »Stell dir einen Ort vor, an dem du gerne bist. Die Sonne scheint, es ist warm …«

Tiere raten Die Körperwahrnehmung kann auch durch Spiele wie beispielsweise beim Tiere raten gefördert werden. Dazu liegt jeweils ein Kind liegt auf dem Bauch und ein anderes lässt die Hände in der Gangart verschiedener Tiere über den Rücken wandern. Das Kind muss raten, um welches Tier es sich handelt.

Durch Körper- und Fantasiereisen können Ich-Kompetenzen gefördert werden, indem die Kinder ihren Körper kennenlernen und sich spüren. Zur Förderung der Ich-Kompetenz und der Sozial-Kompetenz dienen auch die folgenden Übungen und Spiele. Diese ermöglichen es ebenso, sich zu fühlen, die eigenen Emotionen wahrzunehmen und zu benennen, zu erkennen, dass andere etwas anderes fühlen und sich in andere hineinzuversetzen. Diese Techniken lassen sich gut auch ritualisieren und in den wöchentlichen Alltag einbauen, so kann z. B. das »Stimmungsbarometer« immer montags im Gesprächskreis genutzt werden oder bei Konflikten.

12.3 Praktische Anregungen, Aktionen und Spiele

165

Gefühle wahrnehmen, ausdrücken und benennen lernen Regen Sie Kinder dazu an zu spüren, was sie jeweils fühlen: Stimmungsbarometer z. B. »Bei mir ist es heute stürmisch oder sonnig oder es regnet« oder Bilder von Gesichtern oder Personen mit unterschiedlichen Gefühlsausdrücken vom wütenden Gesicht bis lustigen Gesicht, wobei sich die Kinder eines aussuchen, das ihrer Stimmung entspricht. Suchen sie dazu auch Mädchen*bilder aus, die u. a. Wut ausdrücken und auch Jungen*bilder, die u. a. Traurigkeit ausdrücken. Denken Sie daran, dass die Vielfalt der Kinder und ihrer Lebenswelten auch bei den Bildern sichtbar wird (Hautfarbe, soziales Milieu, Ethnizität, Kinder mit und ohne Beeinträchtigungen etc.). Skulpturbildung: Die Kinder bilden Gruppen. Dabei wird jede Gruppe gebeten, ohne zu sprechen, ein Bedürfnis oder Gefühl darzustellen z. B.: Ω Gruppe 1: Wie sieht es aus, wenn ihr müde seid? Ω Gruppe 2: Wie sieht es aus, wenn ihr voller Energie seid und toben wollt? Ω Gruppe 3: Wie sieht es aus, wenn ihr wütend seid? Eine Gruppe bildet eine Skulptur und die anderen raten, um welches Gefühl es sich handelt.

Zur Sensibilisierung für den eigenen Körper kann die folgende Übung hilfreich sein. Es geht darum unterschiedliche Ausdrucksformen auszuprobieren, die eigenen zu erweitern und auch zu fühlen, wann welche angemessen ist. Durch das Vormachen von Bewegungen kann auch die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Selbstbewusstsein gefördert werden.

Unterschiedliche Ausdrucks- und Bewegungsformen ausprobieren Die pädagogische Fachkraft leitet die Kinder bei dieser Übung an und geht mit durch den Raum. Dabei werden die Kinder zuerst ganz leise und auf Zehenspitzen kreuz und quer durch den Raum geführt. Dann sollen sie ganz fest auftreten, laut gehen. Variationen: laut und leise, sich groß und klein machen, sich ängstlich bewegen, lustig hüpfen, wütend stampfen etc. Anfangs macht die pädagogische Fachkraft die Bewegungen vor, »zeigt« spielerisch ein Gefühl, gibt auf Zuruf Anweisungen. Dann soll jeweils ein Kind aus der Gruppe etwas vormachen, das die anderen nachmachen.

Auch Spiele zum Kräftemessen sind sinnvoll. Dabei können Kinder zudem Selbstwirksamkeit erfahren und sich ihrer Stärke bewusst werden (vgl. auch Pfister & Sommerfeld 2012, S. 44f.). Im geregelten Rahmen können alle Kinder Dampf ablassen und ihre Kräfte messen. Dabei sollten die Kinder zu Beginn gemeinsam Regeln festlegen, die sie während der Spiele beachten: Ω fair bleiben Ω keine/r darf anderen wehtun

166

Ω Ω Ω Ω

12. Bildungsbereich Körper und Bewegung

bei »stopp« wird sofort aufgehört nicht mit Gegenständen kämpfen nicht mit mehreren Kindern gegen ein einzelnes Kind kämpfen hält sich jemand nicht an die Regeln, ist das Spiel für dieses Kind beendet

Es ist wichtig, dass körperlich ungefähr gleich starke und große Partner*innen gegeneinander kämpfen. Zusätzlich sollte die pädagogische Fachkraft als Schiedsrichter*in dabei sein.

Selbstwirksamkeit erfahren durch Kräftemessen Fest verwurzelt wie ein Baum Die Kinder gehen durch den Raum, bleiben auf Zuruf stehen und probieren aus, wie sie am besten ganz fest und sicher stehen. »Stellt euch vor, ihr seid ein Baum und fest verwurzelt in der Erde.« Danach gehen die Kinder wieder kreuz und quer durch den Raum. Dies wird eine Weile wiederholt. Dann gehen sie paarweise. Ein Kind stellt sich ganz fest verankert hin, während das andere versucht, durch »Schieben« das stehende Kind zu bewegen. Das Spiel dient dazu, die eigene Kraft zu erleben.

Rücken drücken Jeweils zwei Kinder stellen sich Rücken an Rücken auf eine Weichbodenmatte (um Stürze abzufedern). Dabei haken sie sich an beiden Armen unter. Ziel ist es, das andere Kind durch Ziehen und/oder Drücken von der Matte zu schieben.

Tauziehen Zwei Gruppen ziehen an einem Seil. Die Seilmitte ist mit farbigen Klebeband markiert und an dessen Position am Boden eine Kennzeichnung angebracht. Die Gruppe, die es schafft die andere Gruppe über die Mittellinie zu ziehen, hat gewonnen.

Sumoringen Die Kinder bilden Paare. Nach dem Startsignal verbeugen sie sich voreinander und versuchen dann, sich gegenseitig niederzuringen. Das Kind, dessen Schulter zuerst den Boden berührt, verliert.

In Kindertageseinrichtungen bietet sich die Chance, geschlechtstypische Körperpraxen kritisch zu begleiten und vernachlässigte Bewegungen zu erproben. So beugt genderbewusste Pädagogik ungesundem eingefahrenen Bewegungsverhalten von Kindern vor und ist immer auch Gesundheitsförderung. Vor allem aber bietet sich die Chance, einen Umgang mit dem eigenen Körper zu ermöglichen, der auf Lust an Bewegung sowie auf Freude am eigenen Körper basiert.

Weiterführende Materialien und Aktionen Entdeckungskiste. Zeitschrift für die Praxis in Kitas. Jungen und Mädchen. Mai/Juni 2012. Freiburg Verlag Herder.

13. Bildungsbereich Naturwissenschaften, Technik und Mathematik

In diesem Kapitel erfahren Sie – dass alle Kinder – unabhängig von ihrer Geschlechtszugehörigkeit – Interesse an Naturwissenschaften, Technik und Mathematik haben – dass die herrschenden Geschlechterkonstruktionen frühe Bildungsprozesse in Mathematik und Lesen behindern – welche Prinzipien bei der Förderung von Selbstbildungsprozessen im Bereich Naturwissenschaften, Technik und Mathematik zu beachten sind

In diesem Kapitel erhalten Sie – Empfehlungen für eine genderbewusste naturwissenschaftliche, technische und mathematische Bildungsarbeit in der Kita – Anregungen um Bildungsprozesse im Bereich Mathematik, Naturwissenschaft und Technik geschlechterbewusst zu fördern

Kinder zeigen bereits früh Interesse an Naturphänomenen, die sie in ihrer Umgebung wahrnehmen (vgl. auch Lück 2014, S. 314f.). Das Wachsen von Pflanzen im Frühjahr, die Bewegung einer Fliege, der Wechsel von Tag und Nacht. Diese und andere Naturvorgänge werden von jedem Kind zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt beobachtet und hinterfragt. Kinder interessieren sich ebenso für biologische, physikalische, chemische, astronomische Naturereignisse wie auch für technische Zusammenhänge. Sie eignen sich Wissen an, indem sie selbst ausprobieren und sozusagen selbst Versuche machen: Was muss ich tun, damit der Kreisel sich dreht? Wächst die Pflanze schneller, wenn sie in der Sonne steht? Naturwissenschaftliche, mathematische und technische Fragen gehören ganz selbstverständlich zum Alltag von Kindern. Mit ungefähr fünf Jahren stellen Kinder explizite Fragen zu Naturphänomenen und wollen Zusammenhänge erfahren. Die genaue Beobachtung reicht ihnen dann nicht mehr aus. Es ist wichtig, dass pädagogische Fachkräfte das Interesse der Kinder wahrnehmen und geeignete Rahmenbedingungen für Selbstbildungsprozesse fördern. Ausgehend von den Beobachtungen, Naturerfahrungen und den Fragen der Kinder können weiterführende ausgewählte Experimente mit den Kindern erarbeitet und durchgeführt werden. Kindertageseinrichtungen sind besonders geeignete Orte, um Bildungsprozesse im Bereich Naturwissenschaften, Mathematik und Technik zu fördern. Denn hier besteht die Möglichkeit situationsbezogen in alltäglichen Interaktionen und Situationen zu lernen. Indem Kinder Dinge des alltäglichen Lebens benutzen, erschließt sich ihnen der Sinn. Und dieses »nutzen und benutzen von Dingen« hinterlässt Spuren in ihrem Körpergedächtnis (vgl. Elschenbroich 2001,

13.1 »Mathematik ist männlich und Lesen weiblich«

169

S. 163). In Kita und Hort gibt es zudem ideale Bedingungen, um auch unterschiedliche Ausgangsbedingungen auszugleichen und damit sozialen Ungleichheiten vorzubeugen. Denn hier sind Kinder unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft, Kinder unterschiedlicher Religionen und Kinder mit und ohne Beeinträchtigungen zusammen »unter einem Dach«. Das Interesse und die Begeisterung für den Bildungsbereich Naturwissenschaften, Mathematik und Technik ist bei allen Kindern vorhanden. Diese ursprüngliche Motivation kann jedoch durch die herrschende Geschlechterkonstruktion auch eingeschränkt werden: Ω wenn Mädchen* beispielsweise erkennen, dass es vor allem Männer* sind, die sich mit naturwissenschaftlichen und mathematischen Fragen beschäftigen und technische Berufe vor allem von Männern* ausgeübt werden (Modelllernen); Ω wenn Kinder geschlechtstypisch mit Spielwaren, Kleidung, Brotdosen, ausgestattet werden. Denn dabei wird alles, was mit Technik, Bauen und Mathematik zu tun hat, mit Männlichkeit verbunden (Astronauten, Baukräne, Bauarbeiten, Rennwagen); Ω wenn Eltern oder pädagogische Fachkräfte durch Formen des »doing gender« tradierte Geschlechterkonstruktionen fördern, und damit Kinder ausgrenzen bzw. Aufgaben geschlechtstypisch zuschreiben (z. B. »Wer von den Jungs hat Lust beim Reparieren der Roller zu helfen? Wer von den Jungs will dem Hausmeister beim Bauen der Bank helfen? Oder wenn der männliche Erzieher immer herangezogen wird, wenn es um Fragen der Technik geht).

13.1

»Mathematik ist männlich und Lesen weiblich«: Zuschreibungen und »doing gender«Prozesse

In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich der Einfluss der Geschlechtszugehörigkeit auf Bildung zwar verringert, allerdings sind die Geschlechterkonstruktionen im Bereich Sprache und Mathematik sehr hartnäckig. Die geschlechtstypische Arbeitsteilung, geschlechterstereotype Botschaften und »doing gender«-Prozesse (also alle Ebenen des Geschlechter-Dreiecks) behindern hier massiv und nachhaltig die Bildungsprozesse von Kindern. So wurde beispielsweise der negative Einfluss von Geschlechterstereotypen – vor allem für den Bereich Mathematik – seit den ersten Experimenten von Steele (1995) immer wieder anhand von Studien belegt (siehe Kapitel 1). Wie sehr Geschlechterstereotype die Wahrnehmung und die Umsetzung der eigenen Fähigkeiten beeinflussen, zeigt sich dabei bis heute in verschiedenen Studien. So geht aus dem Bildungsbericht der OECD (zit. nach Kühne 2015) hervor, dass Geschlechterstereotype, Mädchen* daran hindern ihre Potenziale auszuschöpfen. Deutschland gehört international zu den Ländern, in denen sich Schülerinnen* in Mathematik deutlich weniger zutrauen (sogar wenn sie bei PISA genauso gut abschneiden, wie ihre männlichen Mitschüler*).

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13. Bildungsbereich Naturwissenschaften, Technik und Mathematik

Der negative Einfluss der herrschenden Geschlechterkonstruktion wird auch für den Bildungsbereich Sprache durch Studien deutlich. Verschiedene Untersuchungen zum Leseverhalten von älteren Kindern zeigen, dass die Lesemotivation und -fähigkeiten geschlechtstypisch unterschiedlich sind. Neben der Geschlechtersymbolik spielen hier auch »doing gender«-Prozesse und die Arbeitsteilung der Geschlechter eine Rolle. So berichten in der Studie der Deutschen Bundesbahn nur acht Prozent der Kinder, dass ihre Väter ihnen vorlesen. Der Mangel an männlichen Vorlese-Modellen* und Lese-Ansprechpartnern* führt aller Voraussicht nach zu Beeinträchtigungen in der Lesesozialisation – insbesondere bei Jungen* (vgl. Deutsche Bahn 2008). Dass diese Differenzen nichts mit unterschiedlichen kognitiven Voraussetzungen je nach Geschlecht, sozialem Milieu, kulturellem oder ethnischem Hintergrund zu tun haben, lässt sich aus zahlreichen Untersuchungen schlussfolgern. So belegen internationale Studien, wie beispielsweise die PISA-Studien, dass es einigen Ländern besser als anderen gelingt alle Kinder auf hohem Niveau zu fördern und anderen Ländern weniger. Die Erleichterung des Zugangs von Mädchen* und jungen Frauen* zu technischen Berufsbereichen und die Erhöhung des Anteils von Frauen* in Naturwissenschaft und Technik wird im Sinne einer auf Chancengerechtigkeit ausgerichteten Bildungspolitik immer wieder gefordert. Eine geringere Förderung von Mädchen* in technischen und naturwissenschaftlichen Fragen oder von Jungen* im Bereich Sprache und Lesen durch Elternhaus, Medien, Spielwaren, Kinderbücher usw. kann durch die pädagogische Arbeit in Kindertageseinrichtungen ausgeglichen werden. Damit Mathematik und Technik nicht »Jungen- und Männersache« sind und Sprache und Lesen »Mädchen- und Frauensache«, können pädagogische Fachkräfte in Kita und Hort den Kindern ganz selbstverständlich und ohne dass das Geschlecht eine Rolle spielt, Angebote in den verschiedenen Bildungsbereichen machen und Kinder anregen auch in geschlechtsuntypischen Bereichen Erfahrungen zu machen.

13.2

Prinzipien und Empfehlungen für eine genderbewusste naturwissenschaftliche, mathematische und technische Bildungsarbeit

Das ursprüngliche kindliche Interesse an naturwissenschaftlichen, mathematischen und technischen Fragen bleibt nur bestehen, wenn Kinder experimentieren, messen, sich mit Zahlen beschäftigen und Fragen stellen und vielfach selbst beantworten können. Im nachstehenden Kasten sind die Prinzipien aufgelistet, die bei der Förderung von Selbstbildungsprozessen im Bildungsbereich Naturwissenschaften, Mathematik und Technik beachtet werden sollten (vgl. zur Frauenorientierten Technikdidaktik auch Simon 2004, S. 13 f.).

13.2 Prinzipien und Empfehlungen für eine genderbewusste Bildungsarbeit

171

Wichtige Prinzipien für den Bildungsbereich Naturwissenschaften, Mathematik und Technik Geschlechtergerechtes Prinzip Die Angebote werden immer für alle Geschlechter gemacht. So achten pädagogische Fachkräfte auf eine geschlechtergerechte Sprache und Beispiele, die alle Kinder ansprechen. Auch Kinderbücher, Spielwaren und Materialien, wie beispielsweise »Weltwunder – Kinder als Naturforscher« (Elschenbroich 2005), das »Haus der kleinen Forscher« (Stiftung Haus der kleinen Forscher 2013) oder Programme wie »Forscher, Entdecker, Erfinder« (van Dieken 2004, S. 64) müssen daraufhin untersucht werden, ob sich hier Geschlechterstereotype finden und ob alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen werden. Vor allem viele Sachbücher für Kinder sind voller Geschlechterstereotype. Es sind kaum Frauen* oder Mädchen* zu finden, die sich mit Technik, Mathematik oder Naturwissenschaften beschäftigen oder in diesen Berufen tätig sind. Ähnliches gilt im übrigen für soziale Berufe. Hier finden sich kaum Männer, die Erzieher*, Sozialarbeiter* oder Krankenpfleger* sind. Allerdings ist auch eine Dramatisierung von Geschlecht kontraproduktiv. So werden Geschlechterstereotype noch verstärkt, wenn in mädchenspezischen Mathematikübungsbüchern eher rosa Einhörner und in jungenspezifischen Baukräne und Spinnenbeine gezählt werden sollen (vgl. u. a. Speicher 2009a und 2009b). Es geht vielmehr darum, Verschiedenheiten in den Bedarfen aufgrund der geschlechtstypischen Sozialisation zu erkennen, ohne Ungleichheiten und Stereotype zu verfestigen.

Entdeckendes Prinzip Das Prinzip des entdeckenden Lernens ermöglicht es Kindern, einen eigenen Zugang zu naturwissenschaftlichen, technischen und mathematischen Fragen zu entwickeln und eigene Fragen an technische und naturwissenschaftliche Zusammenhänge zu stellen. Antworten werden von pädagogischen Fachkräften weniger vorgegeben und mehr durch Ausprobieren und Experimentieren selbst gefunden.

Handelnd praktisches Prinzip Technische und naturwissenschaftliche Kompetenzen werden gefördert durch konkretes altersangepasstes Handeln; riechen, schmecken und tasten bei den kleineren und messen, sich mit Zahlen beschäftigen und bauen für die älteren Kinder. Dadurch werden auch handwerkliche Fähigkeiten gefördert und auch das Selbstbewusstsein und das Gefühl von Selbstwirksamkeit. Wichtig bei der Umsetzung dieses Prinzips ist die schrittweise Heranführung der Kinder auch an komplexere Fragen.

Natur- und Umweltprinzip Das Interesse von Kindern an technischen, mathematischen und naturwissenschaftlichen Fragen ist besonders groß, wenn Technikanwendung und mathematische Fragen einen Sinn haben und nützlich sind. Der Bezug zu Natur und Umwelt und der Umweltschutz bieten sich hier besonders an.

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13. Bildungsbereich Naturwissenschaften, Technik und Mathematik

Lebenswelt- und Alltagsprinzip Entscheidend für den Lernprozess ist der Bezug zur Lebenswelt der Kinder, der Alltagsbezug und die Alltagstauglichkeit. So können Kinder beispielsweise beim Tischdecken erfahren, ob die Zahl der Teller für alle Kinder ausreicht oder ob die Blume mit viel Wasser besser wächst oder die Kerze ohne Sauerstoff ausgeht oder was passiert, wenn die Farbe blau und rot vermischt werden etc.

Für die Bearbeitung dieses Bildungsbereichs im Team, in Ausbildung, Studium, Fort- und Weiterbildung ist zudem das biografische Prinzip unerlässlich.

Biografisches Prinzip Der biografische Zugang zum Thema Naturwissenschaft, Mathematik und Technik beinhaltet die Auseinandersetzung mit der eigenen Bildungsbiografie in diesem Bereich und eine Reflexion darüber in der Gruppe. Dadurch kann das eigene (auch das ablehnende) Verhältnis als etwas biografisch gewachsenes und damit auch veränderbares wahrgenommen werden (vgl. Simon 2004, S. 13f.).

Naturwissenschaftliche, mathematische und technische Grunderfahrungen gelten mittlerweile als wichtige Bildungsbereiche in der Elementarpädagogik. Jedoch haben auch pädagogische Fachkräfte teilweise ihr ursprüngliches Interesse verloren, indem sie in diesen Bereichen wenig motiviert wurden. Daher ist ein erster Schritt für die Umsetzung einer genderbewussten Pädagogik in diesem Bereich die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie und die Annäherung an mathematische, naturwissenschaftliche und technische Inhalte für die Arbeit in der Kita. Dabei sollte auch im Team reflektiert werden, was das Interesse und die Motivation in der eigenen Biografie gefördert und was diese behindert hat und was dies für die pädagogische Arbeit mit den Kindern in der Einrichtung bedeutet (was sollte vermieden werden, was ist hilfreich?).

Weitere Empfehlungen für die Umsetzung: Ω Eigenes Interesse fördern Aufgrund eigener Sozialisationserfahrungen messen Fachkräfte diesem Bildungsbereich manchmal weniger Bedeutung bei. Die eigene Annäherung an naturwissenschaftliche, mathematische und technische Bildungsarbeit kann ein wichtiger Bestandteil genderbewusster Pädagogik sein. Informationen und Praxisanregungen für die Förderung naturwissenschaftlicher, technischer und mathematischer Bildung finden Sie im »Serviceteil des Gender Loops Curriculums«: http://www.genderloops.eu/docs/serviceteil-curriculum.pdf

13.3 Anregungen und Aktionen um Bildungsprozesse genderbewusst zu fördern

173

Ω (Geschlechter-)Stereotype aufgreifen und aufbrechen Stereotypbedrohungen verschwinden, wenn Betroffene überzeugt sind, dass Vorurteile nicht zutreffen. Sobald Geschlechterstereotype sichtbar werden, können pädagogische Fachkräfte diese in der Situation aufgreifen, sich kritisch damit auseinandersetzen und sie damit aufbrechen. Ω Alle Kinder ansprechen und visuelle, motorische und haptische Komponenten einbeziehen Damit das Interesse bei allen Kindern erhalten bleibt, setzen pädagogische Fachkräfte an den Fragen der Kinder an, lassen diese ggf. selber beantworten und entwickeln gemeinsam Experimente und Angebote. Besonders erfolgreich sind Angebote immer dann, wenn visuelle, motorische und haptische Komponenten einbezogen und Umwelt und Technik miteinander verbunden werden. Offenbar ist der starke Anwendungs- und Umwelt(-schutz)bezug für Kinder ein Motor, sich mit Naturwissenschaft und Technik auseinanderzusetzen. Ω Dramatisierung von Geschlecht verhindern Geschlechtsspezifische Angebote, die Geschlecht oder Ethnizität oder Kultur als einzigen Aspekt der Identitätsentwicklung von Kindern hervorheben, bergen die Gefahr Stereotype zu verstärken. Wenn beispielsweise spezifische Mathematikbücher für Jungen und andere für Mädchen entwickelt werden, um das Interesse von Mädchen an Mathematik zu fördern, kann dies zu einer unerwünschten Dramatisierung von Geschlecht führen (vgl. die mädchen- und jungenspezifischen Mathematikbücher von Speicher 2009a und b). Um die Lesemotivation und Lesefähigkeiten von Jungen* zu fördern werden beispielsweise spezifische Bücher für Jungen* geschrieben. Auch hier findet teilweise eine Dramatisierung von Geschlecht statt. Viel sinnvoller ist es, wenn Kinder selbstverständlich auch Männer* erleben, die lesen und die den Kindern vorlesen. Auch ältere Jungen* können hier als Lesepaten für die Kita gewonnen werden.

13.3

Anregungen und Aktionen um Bildungsprozesse im Bereich Mathematik und Technik genderbewusst zu fördern

Neben der vorab dargestellten alltagsintegrierten Umsetzung einer genderbewussten naturwissenschaftlichen, mathematischen und technischen Bildungsarbeit sollen im Folgenden exemplarisch einige Aktionen und Spiele aus der Praxis vorgestellt werden.

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13. Bildungsbereich Naturwissenschaften, Technik und Mathematik

Überprüfen von Geschlechterstereotypen durch Experimente Ausgehend von den Erfahrungen von Kitas (vgl. u. a. Berliner Kita Waldspielhaus, Cremers & Krabel 2012b, S. 26–27) bieten sich folgende Projektideen an:

1. Schritt Achten Sie im Alltag auf geschlechterstereotype Äußerungen von Kindern oder nutzen Sie vorgefundene Stereotype und thematisieren Sie Äußerungen, wie beispielsweise »Mädchen sind schlau und Jungen sind stark«.

2. Schritt Sammeln Sie die Äußerungen der Kinder auf Kärtchen. Dabei können Sie entweder alle Zuschreibungen auf einer großen Liste notieren und mit den Kindern überprüfen oder

3. Schritt Sie entscheiden mit den Kindern, welche der Zuschreibungen sie selbst überprüfen wollen und wie sie überprüfen können, ob die Aussage wirklich stimmt. Im Projekt der Berliner Kita Waldspielhaus haben die Kinder mit Hilfe von Maßbändern und Waagen versucht herauszufinden, ob Jungen* oder Mädchen* stärker und größer sind. Andere Messinstrumente können Stoppuhren sein (sind die Jungen* wirklich schneller?) oder Lärmpegelmesser (sind die Mädchen* wirklich leiser?)

Eine Homepage für die Einrichtung entwickeln Mit älteren Kindern kann eine Homepage entwickelt werden, auf der sich die Einrichtung vorstellt und die aktuelle Themen und Angebote enthält, z. B. sozialraumorientierte Angebote, um auch Anwohner*innen zur Mitwirkung in der Einrichtung zu motivieren, Buch- und Spieltipps usw.

Bau einer solarbetriebenen Gummibärchenschleuder Wie Untersuchungen und praktische Erfahrungen zeigen, ist ein starker Anwendungs- und Umweltschutzbezug besonders für Kinder ein Anreiz, sich mit Technik und technischen Berufen auseinanderzusetzen. Ökotechnische Fragen und Angebote fördern damit nicht nur das Umweltbewusstsein, sondern zugleich die Technikmotivation. Life e. V., ein großer Mädchenund Frauenbildungsträger, hat in diesem Bereich seit vielen Jahren Erfahrungen gesammelt und Konzepte und Materialien für die Praxis entwickelt. Ein Beispiel ist ein aus Draht gebautes und auf einem kleinen Stein stehendes Karussell, in dem Gummibärchen sitzen und das mit kleinen Solarplatten ausgestattet ist und daher durch Sonnen- oder auch Neonlicht angetrieben wird und sich dreht. Die Herstellung dieser »Gummibärchenschleuder« macht den Kindern Spaß, führt ein in technische und ökologische Fragen und ist etwas, das später stolz gezeigt werden kann. Durch solche und andere Erfolgserlebnisse wächst die Lust an Technik.23

23 Die Schritte zum Bau von Solarobjekten für Kinder siehe Simon & Flindt 2004, S. 16–19.

Anhang

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Schneider, Eric & Baltes-Löhr, Christel (Hrsg.) (2014): Normierte Kinder. Transcript Verlag, Berlin. Schnerring, Almut & Verlan, Sascha (2014): Die rosa-hellblau-Falle. Für eine Kindheit ohne Rollenklischees. München. Schröter, Susanne (2002): FeMale. Über Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern. Frankfurt am Main. Schumann, Monika (2011): Heterogenität und Dimensionen von Behinderung – Auf dem Weg zur integrativen und inklusiven Bildung und Erziehung. In: Jungk, Sabine; Treber, Monika & Willenbring, Monika (Hrsg.): Bildung in Vielfalt. Inklusive Pädagogik der Kindheit. Freiburg FEL, S. 55–72. Seavy, Carol, A.; Katz, Phyllis A. & Rosenberg, Sue(1975)): Baby X. Sex Roles 1 (2), 103–109. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Hrsg.) (2014): Das Berliner Bildungsprogramm für Kitas und Kindertagespflege. Berlin. Seus, Lydia (2007): »Unter Mackers ist das so«: Subjektive Deutungsmuster von Gewalt und die Konstruktion von Männlichkeiten. In: Kawamura-Reindl, Gabriele et al.(Hrsg.): Gender Mainstreaming – ein Konzept für die Straffälligenhilfe? Freiburg im Breisgau, S. 69–93. SFBB und QUEERFORMAT (2011): Handreichung für Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe. Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen (nähere Informationen unter: http://www.queerformat.de/kinder-und-jugend-hilfe/pub likationen-und-materialien/). Shih, Margaret; Pittinsky, Todd L. & Ambady, Nalini (1999): Stereotype Susceptibility. Identity Salience and Shifts in Quantitative Performance. IN: Psychological Science. 1999, Vol 10 (1), S. 80–83. cdn.law.ucla.edu/SiteCollectionDocuments/critical1%2orace%20studies/shih% 2oarticle.pdf. Simon, Andrea (2004): Vom Lernen zum Lehren. In: Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin (Hrsg.): Vom Lernen zum Lehren. Berlin, S. 13–16. Simon, Andrea & Flindt, Rotraud (2004): Mit Mädchen Solarobjekte bauen. In: Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin (Hrsg.): Vom Lernen zum Lehren. Berlin, S. 16–19. Smykalla, Sandra; Vinz, Dagmar (Hrsg.) (2013): Intersektionalität zwischen Gender und Diversity – Theorien, Methoden und Politiken der Chancengleichheit, 30. Bd. Der Reihe »Forum Frauen und Geschlechterforschung« der Sektion Frauen- und Geschlechterforschung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Münster. Smykalla, Sandra (2015): Umgang mit Vielfalt. Hochschuldidaktische Anforderungen. In: Soziale Arbeit. Zeitschrift für soziale und sozialverwandte Gebiete. Mai/Juni 2015, 64.Jahrgang, Berlin, S. 172–178. Sozialgesetzbuch (SGB) – Achtes Buch (VIII): Kinder und Jugendhilfegesetz (KJHG) §9 Absatz 3 (1990). Speicher, Katja (2009a): Textaufgaben für Jungs. 100 Aufgaben, die Jungs wirklich begeistern. Stuttgart. Pons. Speicher, Katja (2009b): Textaufgaben für Mädchen. 100 Aufgaben, die Mädchen wirklich begeistern. Stuttgart. Pons. Spielmann, Jochen; Zitterbarth, Walter & Schneider-Landolf, Mina (2009): Handbuch Themenzentrierte Interaktion (TZI). Göttingen. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. Statistisches Bundesamt (2014a): Rechtslehre. Strafvollzug. Demographische und kriminologische Merkmale der Strafgefangenen zum Stichtag 31.03.2013: www.destatis.de, https://www.

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Vereinte Nationen (2006): Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2006 von der UNO-Generalversammlung in New York verabschiedet und 2008 in Kraft getreten). Wagner, Petra (Hrsg.) (2008): Handbuch Kinderwelten. Vielfalt als Chance – Grundlagen einer vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung. Freiburg im Breisgau. Verlag Herder. Wagner, Petra (2013): Der Ansatz Vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung als inklusives Konzept. In: Wagner, Petra: Handbuch Inklusion, Grundlagen vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung.Freiburg im Breisgau, S. 22–42. Wahlström, Kajsa (2013): Jungen, Mädchen und Erzieher/innen. Geschlechterbewusste Pädagogik für die Kita. Weinheim und Basel. Wanzeck-Sielert, Christa (2014): Sexualpädagogik. In: Pousset, Raimund (Hrsg.): Handwörterbuch Frühpädagogik. 4. erweiterte Auflage. Berlin, S.407–413. Wallner, Claudia (2014): Raus aus den Puppen- und Bauecken und hinein ins Vergnügen vielfältiger Erfahrungsräume. In Koordinationsstelle «Männer in Kitas”: Geschlechtersensibel pädagogisch arbeiten in Kindertagesstätten. Berlin. West, Candance & Zimmerman, Don H. (1987): Doing Gender. Gender and society 1987,1, S. 125– 151. Wetterer, Angelika (2008): Geschlechterwissen und soziale Praxis: Grundzüge einer wissenssoziologischen Typologie des Geschlechterwissens. In: Wetterer, Angelika (Hrsg.): Geschlechterwissen und soziale Praxis. Theoretische Zugänge – empirische Erträge. Königsstein/Taunus. Ulrike Helmer, S. 39–63. Wimmer, Michael (1996): Die Gabe der Bildung. Überlegungen zum Verhältnis von Singularität und Gerechtigkeit im Bildungsgedanken. In: Masschelein, J. & Wimmer, M. (Hrsg.): Alteralität, Pluralität, Gerechtigkeit, Rundgänge der Pädagogik. S. 127–162. Winker, Gabriele & Degele, Nina (2009): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld. Winker, Gabriele (2011): Soziale Reproduktion in der Krise – Care-Revolution als Perspektive. In: Das Argument 292. S. 333–343. Wissenschaftszentrum Berlin (WZB): Frauen auf dem Sprung, Update 2013, Pressemitteilung. Witt, Michael: Wer bin ich? Aktionen für eine geschlechtersensible Sexualpädagogik. In: Entdeckungskiste. Zeitschrift für Kitas. Jungen und Mädchen. Heft Mai/Juni 2012. Freiburg im Breisgau. Verlag Herder. Wolf, Christa (1978): Vorwort zu Maxie Wander: Guten Morgen, du Schöne. Frauen in der DDR. Protokolle. Darmstadt/Neuwied.

Quellen zum Genderfragebogen Bundeskriminalamt (2011): Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutschland Berichtjahr 2010, Berlin. www.bka.de. Bundeskriminalamt (2013): Polizeiliche Kriminalstatistik 2013. www.bka.de; www.bka.de/Shared Docs/Downloads/DE/Publikationen/PolizeilicheKriminalstatistik/2013/pks2013Jahrbuch, templateId=raw,property=publicationFile.pdf//pks2013Jahrbuch.pdf (S. 26) (aufgerufen am 26.09.2014).

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Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2013): 14. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschu erenstelle/Pdf-Anlagen/14-Kinder-und-Jugendbericht,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache= de,rwb=true.pdf (S. 467). Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jungend (BMFSFJ) (2014): Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas. http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/themen-lotse,did= 166702.html (aufgerufen am 22.09.2015). Bundeszentrale für politische Bildung (2011): Teilzeitbeschäftigung. http://www.bpb.de/nach schlagen/zahlen-und-fakten/europa/70599/teilzeitbeschaeftigung (aufgerufen am 22.09.2015). Burba, Desiree & Rost, Jürgen (2006): Mädchen und Jungen – unterschiedliche Fertigkeiten trotz gleicher Fähigkeiten? Ergebnisse aus Pisa 2003. In: Neue Kriminalpolitik 2/2006, S. 75-77. Statistisches Bundesamt (2013): Väterbeteilung auf dem neuesten Höchststand. https://www.de statis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2013/05/PD13_176_22922.html (aufgerufen 22.09.2015). Statistisches Bundesamt (2014): Rechtslehre. Strafvollzug. Demographische und kriminologische Merkmale der Strafgefangenen zum Stichtag 31.03.2013 https://www.destatis.de/DE/Pu blikationen/Thematisch/Rechtspflege/StrafverfolgungVollzug/Strafvollzug2100410137004. pdf?__blob=publicationFile (S. 12) (aufgerufen am 26.09.2014). Statistisches Bundesamt (2014): Auf dem Weg zur Gleichstellung? Bildung, Arbeit und Soziales – Unterschiede zwischen Frauen und Männern. https://www.destatis.de/DE/PresseService/ Presse/Pressekonferenzen/2014/Gleichstellung/begleitheft_Gleichstellung_2014.pdf?__ blob=publicationFile (S. 9) (aufgerufen am 22.09.2015). Statistisches Bundesamt (2014): Gender Pay Gap. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indi katoren/QualitaetArbeit/Dimension1/1_5_GenderPayGap.html (aufgerufen am 26.09.2014). Statistisches Bundesamt (2014): Die soziale Situation in Deutschland. Studierende an Hochschulen. http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61669 /studierende (aufgerufen 22.09.2015). Statistisches Bundesamt (2015): Frauenanteile Akademische Laufbahn. https://www.destatis.de/ DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/BildungForschungKultur/Hochschulen/Tabellen/Frau enanteileAkademischeLaufbahn.html (aufgerufen am 22.09.2015). Statistisches Bundesamt (2015): Frauen in Führungspositionen sind unterrepräsentiert. https:// www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetig keit/AktuellFrauenFueh.html (aufgerufen am 22.09.2015).

Kinderbücher Bauer, Jutta & Boie, Kirsten: Kein Tag für Juli. Weinheim. Gathen von der, Katharina & Kuhl, Anke (2014): Klär mich auf. 101 echte Kinderfragen rund um ein aufregendes Thema. Leipzig. Klett Kinderbuchverlag. Grundmann, Harriet (2013): Potzbadibautz, MANN!: Bruchlandung in Ollis Kita. Fuchs Verlag

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Haan, Linda de & Stern, Nijand (2001): König und König. Hildesheim. Gerstenberg Verlag (das Bilderbuch zur sexuellen Vielfalt ist in Deutschland leider vergriffen und nur noch antiquarisch oder über den Online-Handel erhältlich). Hoffmann, Brigitte & Dürr, Gisela (2011): Unsere Cousine ist Elektronikerin. Hamburg. Carlsen Verlag. Huainigg, Franz-Joseph & Ballhaus, Verena (2007): Du gehörst zu uns: Geschichte einer Adoption. Wien. Verlag Betz. Kadasch, Kathrin & Dritter, Svenia (2009): Mädchen oder Jungen. Berlin. Lobe, Mira (1992): Das kleine Ich bin Ich. Wien/München Jungbrunnen Verlag. (ab 4 Jahren). Muszynski, Eva & Teich, Karsten (2009): Cowboy Klaus und der fiese Fränk. Berlin. Tulipan Verlag. Opel-Götz, Susann (2007): Ab heute sind wir cool. Hamburg. Oetinger Verlag. Ramos, Mario (2006): Ich bin der Stärkste im ganzen Land. Weinheim, Basel. Beltz & Gelberg Verlag. Rosen, Ursula (2015): Jill ist anders. Lingen. Salmo Verlag (ab 4 Jahren). Sendak, Maurice (1967): Wo die Wilden Kerle wohnen. Zürich. Diogenes Verlag. Tuckermann, Anja & Schulz, Tine (2014): Alle da! Unser kunterbuntes Leben. Leipzig. Klett Kinderbuchverlag (ab 5 Jahren).

Weitere Information und Materialien Bildungsinitiative QUEERFORMAT: www.queerformat.de Bücherliste des interkulturellen Bilderbuchprojekts »Eene Meene Kiste«, die mehrere Aspekte der Vielfalt berücksichtigt (http://www.eene-meene-kiste.de/eene-meene-kiste.pdf) Das Familienspiel (2010): Spiel für Kinder zum Thema vielfältige Familien und Familienformen. Verlag das netz in Kooperation mit KINDERWELTEN/ISTA. Kiliansroda/Weimar (Spielanleitung in fünf Sprachen). Deutsches Institut für Menschenrechte/Europarat/BPB (Hrsg.): Compasito – Handbuch zur Menschenrechtsbildung mit Kindern. Paderborn 2009. Zu bestellen über: www.bpb.de. Online abrufbar: www.compasito-zmrb.ch Deutsche Liga für das Kind – Informationen, Broschüren und Filme zu Themen im Bereich »Frühe Kindheit« www.liga-kind.de Entdeckungskiste: Zeitschrift für die Praxis in Kitas, Mädchen und Jungen, Ausgabe Mai/Juni 2012, Herder Verlag Entdeckungskiste« Freiburg. www.entdeckungskiste.de Fachstelle KINDERWELTEN / Institut für den Situationsansatz in der INA gGmbH Internationale Akademie an der Freien Universität Berlin. [email protected]. http://www.kin derwelten.net (hier gibt es auch eine Bücherliste) Genderloops: Männer in Kitas www.genderloops.eu/de. Serviceteil des Genderloops Curriculums: http://www.genderloops.eu/docs/serviceteil-curriculum.pdf Grundlagen für eine diskriminierungsfreie Pädagogik im Kindergarten herausgegeben von Reachout Berlin. [email protected] Koordinationsstelle »Männer in Kitas«. Hier finden Sie u. a. Handreichungen für die Praxis. www. koordination-maennerinkitas.de

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»Mein Geschlecht« das bundesweite Portal für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und genderqueere Jugendliche enthält Informationen, Kontakte, bundesweite Anlauf- und Beratungsstellen, Elterninititativen und vieles mehr für Eltern, Pädagog*innen, Angehörige und Jugendliche. www.meingeschlecht.de Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft [Berlin] (2013) Medienkoffer »Familien und vielfältige Lebensweisen« für Kindertageseinrichtungen: http://www.queerformat.de/kinder-und-jugend-hilfe/publikationen-und-materialien/ http://www.queerformat.de/fileadmin/user_upload/news/Begleitmaterial_Kita-Koffer.pdf Sozialpädagogisches Fortbildungsinstitut Berlin Brandenburg und Bildungsinitiative QUEERFORMAT (2012): Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Handreichung für Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe. Bildungsserver Berlin-Brandenburg: http://bildungsserver.berlin-brandenburg.de/themen/sexu elle-vielfalt/

Weitere Kinderbücher Titelliste zum Medienkoffer »Familien und vielfältige Lebensweisen« für Kindertageseinrichtungen (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, Berlin) Bansch, Helga (2007): Ein schräger Vogel. Weinheim. Beltz & Gelberg Verlag (ab 4 Jahren). Böttger, Ren & Macedo, Rita (2010): Unser Haus und andere Geschichten. Berlin. NoNo Verlag (ab 5 Jahren). Brownjohn, Emma (2003): GROSS, KLEIN, DICK, DÜNN – Ich mag mich, wie ich bin. Stuttgart/ Wien. Gabriel Verlag (ab 4 Jahren). Carle, Eric (2009): Herr Seepferdchen. Hildesheim. Gerstenberg Verlag (ab 3 Jahren). Cave, Kathryn (1994): Irgendwie Anders. Hamburg. Oetinger Verlag (ab 4 Jahren). Cole, Babette (2005): Prinzessin Pfiffigunde. Hamburg. Carlsen Verlag (ab 4 Jahren). Doebele, Matze (2011): Pauls Glück. Berlin. Jacoby & Stuart Verlag (ab 5 Jahren). Funke, Cornelia (1997): Prinzessin Isabella. Hamburg. Oetinger Verlag (ab 3 Jahren). Funke, Cornelia (2001): Der geheimnisvolle Ritter Namenlos. Frankfurt am Main. Fischer Verlag (ab 3 Jahren). Hächler, Bruno & Wolfermann, Iris (2010): Ich bin wie ich bin. Zürich. NordSüd Verlag (ab 3 Jahren). Heine, Helme (2004): Der Hase mit der roten Nase. Weinheim, Basel. Beltz & Gelberg (ab 2 Jahren). Hense, Nathalie; Green, Ilya & Stewart, Jacoby (2009): Ich hasse Rosa! Berlin. Jacoby & Stuart Verlag (ab 5 Jahren). Hoffman, Mary & Asquith, Ros (2010): Du gehörst dazu. Das große Buch der Familien. Mannheim. Sauerländer Verlag (ab 4 Jahren). Hüsler, Silvia (2010): Besuch vom kleinen Wolf. Eine Geschichte in acht Sprachen. Zürich. Lehrmittelverlag d. Kantons (ab 3 Jahren). Janisch, Heinz & Korthues, Barbara (2012): Die Froschkönigin. Wien/München. Annette Betz Verlag.

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Kressley, Carson (2008): Du bist anders und das ist gut so! Hamburg. Hoffmann und Campe (ab 4 Jahren). Kunert, Almud & Hildebrandt, Anette (2008): Mit Dir sind wir eine Familie. Ravensburg. Ravensburger Verlag (ab 3 Jahren). Lindenbaum, Pija (2007): Luzie Libero und der süße Onkel. Weinheim/Basel. Beltz & Gelberg (ab 4 Jahren). Lindenbaum, Pija (2009): Paul und die Puppen. Weinheim/Basel. Beltz & Gelberg. Maxeiner, Alexandra (2011): Alles Familie! Vom Kind der neuen Freundin vom Bruder von Papas früherer Frau und anderen Verwandten. Leipzig. Klett Kinderbuchverlag (ab 4 Jahren). Padmanabhan, Manjula (2007): Ich bin einmalig! Kannst du mich finden? Hamburg. Fischer Taschenbuch Verlag (ab 2 Jahren). Pah, Sylvia: Schat, Joke (2004): Zusammengehören. Ruhnmark. Donna Vita (ab 4 Jahren). Sansone, Adele (2007): Florian lässt sich Zeit. Innsbruck. Tyrolia-Verlag, 2. Auflage (ab 4 Jahren). Schubert, Ingrid (1990): Irma hat so große Füße. Mannheim. Sauerländer (ab 4 Jahren). Zehender, Dirk (2008): So lebe ich … und wie lebst Du? Hanstedt. MARDI Verlag (ab 5 Jahren). Zehender, Dirk (2011): Inga und der verschwundene Wurm. Hanstedt. MARDI Verlag (ab 4 Jahren). Zöller, Elisabeth (2009): Ich bin Ich und du bist du! Vorlesegeschichten vom Anders-Sein und Sich-Verstehen. Hamburg. Ellermann Verlag (ab 3 Jahren).

Weitere empfehlenswerte Kinderbücher finden Sie bei der Fachstelle KINDERWELTEN für vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung (www.kinderwelten.net).