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German Pages [456] Year 2012
¨ DTEFORSCHUNG STA Vero¨ffentlichungen des Instituts fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte in Mu¨nster begru¨ndet von Heinz Stoob in Verbindung mit
U. Braasch-Schwersmann, W. Ehbrecht, H. Heineberg, P. Johanek, M. Kintzinger, A. Lampen, R.-E. Mohrmann, E. Mu¨hle, F. Opll und H. Schilling herausgegeben von
We r n e r F r e i t a g Reihe A: Darstellungen Band 84
STADTREPUBLIK UND SELBSTBEHAUPTUNG ¨ BECK VENEDIG, BREMEN, HAMBURG UND LU IM 16. UND 17. JAHRHUNDERT
von Ruth Schilling
2012 ¨ HLAU VERLAG KO ¨ LN WEIMAR WIEN BO
Gefo¨rdert durch den Frauenfo¨rderfonds der Philosophischen Fakulta¨t I der Humboldt-Universita¨t zu Berlin.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet u¨ber http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagabbildung: Giacomo Franco, Processione del Corpo Christi, aus: ders., Habiti d’Huomeni et Donne venetiane: Con la Processione della Serx.ma Signoria Et Altri Particolari Cioe`; Trionfi Feste et Cerimonie Publiche Della nobilissima citta` di Venetia, Venedig 1610 (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Abteilung Historische Drucke)
c 2012 by Bo¨hlau Verlag GmbH & Cie, Ko¨ln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Ko¨ln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschu¨tzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzula¨ssig. Redaktion: Institut fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte, Mu¨nster http://www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte Layout und Satz: Peter Kramer Buch & Satz, Mu¨nster Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mo¨rlenbach Gesetzt aus der Linotype Stempel Garamond 10pt. Gedruckt auf chlor- und sa¨urefreiem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-412-20759-5
INHALT
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.
2.
3.
Wandel und Kontinuita¨t politischer Ordnungsvorstellungen republiken in der ersten Ha¨lfte der Fru¨hen Neuzeit . . . . . . 1.1. Politische Ordnungsvorstellungen im Ritual . . . . . . . 1.2. Untersuchungsbeispiele und Untersuchungszeitraum . . 1.3. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Quellenauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
in . . . . . . . . . . . .
Stadt. . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600 . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1. Visuelle und normative Verdichtung . . . . . . . . . . . . 2.1.2. Kontinuita¨t und Wandel in der Gestaltung und Interpretation von Wahlen und Amtseinsetzungen . . . . . . . . . . 2.2. Familienehre oder Erho¨hung der Republik . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Zwischen Republik und Familie: Die Begra¨bnisfeierlichkeiten der Amtstra¨ger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Sonderstellungen: Die Familienangeho¨rigen . . . . . . . . 2.3. Die Fest-Stellung der Republik: Rituelle Selbstdarstellung der hansesta¨dtischen und venezianischen Magistrate . . . . . . . . . . Getrennte Ra¨ume? Politische und religio¨se Selbstdarstellung . . . . . . 3.1. Stadt und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Machtanspru¨che im Konflikt: Die Fronleichnamsprozession in Venedig und Begra¨bnisse in den Hansesta¨dten . . . . . . . . . . . 3.2.1. Sakralgemeinschaft unter Bann: Die Fronleichnamsprozession im Jahre 1606 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Rat und Ministerium im Streit: Die Bestattung von NichtLutheranern in Lu¨beck und Hamburg in der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Konfessionelle Vergemeinschaftung – sta¨dtische Autonomie . . . 3.3.1. Die Einfu¨hrung von Buß- und Bettagen und das Reformationsjubila¨um 1617 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VIII
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VI
Inhalt
3.3.2. Die Prozessionen zu den Kirchen Il Redentore und Santa Maria della Salute und das Feiern der Giubilei . . . . . . . 3.4. Zwischen Kirche und Stadt: Die Repra¨sentation der Geistlichkeit 3.4.1. Gruppenbezu¨ge im Widerstreit: Weihe, Amtseinfu¨hrung und Begra¨bnisfeierlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2. Rom und Venedig – Rom in Venedig: Die zeremonielle Stellung des Nuntius und der venezianischen Kardina¨le . . . . 3.5. Umstrittene Symbiose: Die Verbindung von Stadt und Religion . 4.
5.
Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt. Die Teilhabe der Korporationen an der gesamtsta¨dtischen rituellen Repra¨sentation . . . 4.1. Sta¨dtische Korporationen und Bu¨rgerschaft . . . . . . . . . . . . 4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1. Institutionalisierung und Absonderung: Die Rituale der hansesta¨dtischen Kaufleutekompanien . . . . . . . . . . . 4.2.2. Exklusive Repra¨sentation: Die rituelle Selbstdarstellung der Korporationen ratsfa¨higer venezianischer Familien . . . . 4.2.3. Ho¨fische Republiken – unsichtbare Handwerker? Die Zu¨nfte in der sta¨dtisch-republikanischen Selbstdarstellung . . . 4.3. Bru¨der und Soldaten: Bruderschaften und Bu¨rgerwehren in der gesamtsta¨dtischen Selbstdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1. Die Bedeutung der Bruderschaften fu¨r die venezianische Selbstdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2. Die Bedeutung der Schu¨tzengesellschaften und Bu¨rgerwehren in der Repra¨sentation der Hansesta¨dte . . . . . . . 4.4. Festlegungen: Das Verha¨ltnis der Korporationen zum Gemeinwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual 5.1. Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Grenzziehungsrituale: Ihre politische Bedeutung in Venedig und Lu¨beck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Innere Kontrolle und a¨ußerer Glanz: Empfa¨nge und Aufenthalte fu¨rstlicher Standespersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4. Ho¨fische Kultur und stadtrepublikanische Eigensta¨ndigkeit: Die ‚Huldigungen‘ in Bremen und Hamburg . . . . . . . . . . . . . . 5.5. Zeremonielle Kommunikation auf dem diplomatischen Parkett: Gleichrangigkeit und Unterordnung – Rangminderung und ko¨nigliche Wu¨rde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.1. Gleichrangigkeit oder Unterordnung? Die ‚Martensmannlieferungen‘ der Hansestadt Lu¨beck an die Herzo¨ge von Mecklenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.2. Festvergemeinschaftungen: Gabentausch und wechselseitige Einladungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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351
352 355
VII
Inhalt
5.5.3. Die verschiedenen Sprachen der Repra¨sentation: Nach außen gerichtete Selbstdarstellung beim Empfang von Gesandten und beim Auftritt als Gesandte . . . . . . . . . . . . . . . 5.6. Die Kontinuita¨t nach außen gerichteter Selbstdarstellung . . . . . 6.
Politische Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken: Wandel im Innern, Kontinuita¨t nach außen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Verfahrenslegitimita¨t und Sakralisierung: Die Institutionalisierung der Korporationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Die Sta¨rkung der Sakralgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3. Erfolgreiche Fassadenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4. Defizita¨re Staatlichkeit? Zu einer Klassifizierung der politischen Ordnungsvorstellungen im Ritual . . . . . . . . . . . . . . . . . .
357 363
366 368 370 372 374
Erla¨uterungen italienischer Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
376
Verzeichnis der Abku¨rzungen und Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abku¨rzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
377 377 377
Quellen und Literatur . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . . Nicht edierte Quellen . Edierte Quellen . . . . Literatur . . . . . . . . . . .
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379 379 379 390 402
Index der Orts- und Personennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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DANKSAGUNG
Ein Buch zur vergleichenden Sta¨dteforschung ist ohne die geduldige Unterstu¨tzung zahlreicher Bibliothekarinnen und Bibliothekare, Archivarinnen und Archivare nicht mo¨glich. Mein Dank gilt daher den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern folgender Institutionen: Archiv der Handelskammer Bremen, Staatsarchiv Bremen, Commerzbibliothek Hamburg, Staatsarchiv Hamburg, Staats- und Universita¨tsbibliothek Hamburg, Archiv der Hansestadt Lu¨beck, Stadtbibliothek Lu¨beck, Schleswig-Holsteinisches Landesarchiv, Archivio di Stato di Venezia, Biblioteca Nazionale Marciana und der Biblioteca del Museo Civico Correr. Das besondere Engagement und Interesse Prof. Dr. Antjekathrin Graßmanns, damaliger Direktorin des Archivs der Hansestadt Lu¨beck, und Dr. Thomas Elsmanns, Leiter des Referats Handschriften-Rara der Staats- und Universita¨tsbibliothek Bremen, haben die Recherchen zu den Hansesta¨dten entscheidend gefo¨rdert. In Venedig stellte Prof. Dr. Gino Benzoni bereitwillig die Besta¨nde des Archivio storico dell’Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti zur Verfu¨gung. Meinen beiden Gutachtern Herrn Prof. Heinz Schilling und Herrn Prof. Wilfried Nippel danke ich fu¨r wertvolle Hinweise, die in die Druckfassung der Arbeit eingeflossen sind. Prof. Dr. Schilling hat durch die europa¨ische Ausrichtung seiner Forschungen den intellektuellen Rahmen fu¨r das vorliegende Dissertationsvorhaben gepra¨gt, Prof. Dr. Nippel wiederum durch seinen methodischen Blick auf alteuropa¨ische Wahlverfahren und politische Strukturen. Herrn Prof. Werner Freitag mo¨chte ich fu¨r die Bereitschaft danken, das Buch in die Reihe des Instituts fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte aufzunehmen. Ria Ha¨nisch und Mechthild Siekmann haben die Redaktion des Buches mit gro¨ßtmo¨glicher Pra¨zision und großer Hilfsbereitschaft betreut – auch dafu¨r mo¨chte ich meinen Dank aussprechen. Die Frauenfo¨rderung der Humboldt-Universita¨t zu Berlin hat die Drucklegung finanziell gefo¨rdert. Auch dafu¨r bin ich zu Dank verpflichtet. Ein finanziell sorgenfreies Recherchieren und ein anregendes interdisziplina¨res Umfeld ermo¨glichten die großzu¨gige Unterstu¨tzung des Evangelischen Studienwerks Villigst e. V. und des Deutschen Studienzentrums Venedig e. V. Die Schriftfassung der Arbeit entstand wa¨hrend meiner Bescha¨ftigung am Sonderforschungsbereich 640 „Repra¨sentationen sozialer Ordnung im Wandel“ der Humboldt-Universita¨t zu Berlin. Ohne die anregenden Gespra¨che am Lehrstuhl fu¨r Geschichte der Fru¨hen Neuzeit wie auch in den interdisziplina¨ren Arbeitsgruppen des Sonderforschungsbereichs wu¨rde das Buch nicht in seiner jetzigen Form vorliegen. Unterschiedliche Stadien der Ideen- und Schriftfassung haben mit mir diskutiert: Matteo Casini, Christoph Dartmann, Dorit Raines, Achim Landwehr und Rainer
Danksagung
IX
Postel. Die Arbeit wurde auf mehreren Workshops und Colloquien der Universita¨ten Dresden, Gießen und Heidelberg diskutiert. Danken mo¨chte ich auch den anregenden Gespra¨chen mit Studentinnen und Studenten der Humboldt-Universita¨t, die in Lehrveranstaltungen immer wieder die Bereitschaft bewiesen, sich auf eine ungewo¨hnliche Fragestellung in europa¨ischer Perspektive einzulassen. Ich durfte zudem von der kunsthistorischen Expertise vieler profitieren. Julian Jachmann hat mich vor den gro¨bsten Irrtu¨mern der Raumanalyse bewahrt. Philipp Zitzlsperger danke ich fu¨r ¨ bersetzung und Deutung venezianischer Kostu¨m- und seinen kundigen Rat in der U Kleiderterminologie. Außerdem haben Svenja Frank, Gabriele Ko¨ster, Arne Karsten und Staale Sinding Larsen immer wieder Fragen einer Historikerin zum venezianischen Bildmaterial beantwortet. Ein Buch wie das vorliegende erforderte lange Zeiten der Reise und lange Zeiten der Schreibtischarbeit: Dafu¨r, dass sie beides humorvoll und mit viel Versta¨ndnis erduldet haben, mo¨chte ich von ganzem Herzen meinen Eltern und meinem Mann danken. Die Arbeit an der Druckfassung wurde durch die Freude an meinem Sohn David Jonathan begleitet, dem ich dieses Buch widmen mo¨chte. Berlin, im November 2011
Ruth Schilling
1.
WANDEL UND KONTINUITA¨T POLITISCHER
ORDNUNGSVORSTELLUNGEN IN STADTREPUBLIKEN ¨ LFTE DER FRU ¨ HEN NEUZEIT IN DER ERSTEN HA
Thema dieses Buches ist der Zusammenhang zwischen Vorstellungen von Republiken als Gemeinwesen und symbolischer Kommunikation in Ritualen in der ersten Ha¨lfte der Fru¨hen Neuzeit. Verbanden sich mit der Vorstellung von Republik spezifische Facetten des jeweiligen Gemeinwesens so eng, dass nur noch die eigene Republik als vorbildlich wahrgenommen wurde oder verknu¨pften sich mit ihr Ordnungsvorstellungen universaler Geltung? Welche Rolle spielte die Rezeption konfessioneller und politischer Ideen sowie von Symbolen, die nicht nur in Republiken, sondern auch in Monarchien zu finden waren? Welcher Zusammenhang bestand zwischen Selbstdarstellung und politischen Ordnungsvorstellungen? Thomas Maissen hat in seiner Untersuchung zu „Staatsversta¨ndnis und Repra¨sentation in der fru¨hneuzeitlichen Eidgenossenschaft“ herausgearbeitet, wie sich erst im Rahmen fru¨hneuzeitlicher, makrostrukturell bedingter Entwicklungen, na¨mlich der Konfessionalisierung und der Herausbildung des Vo¨lkerrechts, ein Versta¨ndnis von der Eidgenossenschaft als Republic herausbildete, in der sich traditionellere und staatlichere Formen von Republikversta¨ndnis miteinander verbanden.1 Im Rahmen seiner Untersuchungen von historischen und politischen Diskursen, aber auch von Ritualen und Bildwerken u¨ber den gesamten Zeitraum der Fru¨hen Neuzeit hinweg unterscheidet er zwischen einem a¨lteren politischen Bewusstsein, das durch das Festhalten an bestimmten Werten wie korporativer, vertraglich gebundener, durch Eidesleistung sanktionierter Herrschaft gepra¨gt war, und einer Auffassung von Republik als ein durch Gesetze und territoriale Ausdehnung definiertes Gemeinwesen. In diesem Sinne unterscheidet er zwischen einem „alten, sta¨ndisch-partizipativen“ und einem „neuen, egalita¨r-rechtsstaatlichen Republikanismus“.2 Maissen verbindet damit zwei Forschungsrichtungen zu der Frage nach Herausbildung und Wesen der Selbstdefinition fru¨hneuzeitlicher Republiken vom Spa¨tmittelalter bis zum Ende der Fru¨hen Neuzeit, na¨mlich zum einen die Forschungen zu einem vornehmlich korporativ definierten Republikanismus und zum anderen Untersuchungen zur emphatischen
1 Vgl. Thomas Maissen, Die Geburt der Republic. Staatsversta¨ndnis und Repra¨sentation in der fru¨h-
neuzeitlichen Eidgenossenschaft, Go¨ttingen 2006, S. 569–592.
2 Maissen, Geburt der Republic, S. 587.
2
1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
Aufladung des Republikbegriffs in der Aufkla¨rung. Die erste Forschungsrichtung ist insbesondere durch die Untersuchungen und Begriffspra¨gungen Peter Blickles und Heinz Schillings gepra¨gt. In den Augen Heinz Schillings und Peter Blickles beruhte der fru¨hneuzeitliche Republikanismus auf einer partizipativen, konsensgestu¨tzten und korporativ organisierten Herrschaftsausu¨bung, die daran gemessen werden konnte, wie sie der Realisierung des Gemeinen Besten zugutekam.3 Sie sei nur dann realisierbar gewesen, wenn sich alle Beteiligten an bestimmte Werte wie an das ¨ mter sowie an Prinzip der Kollegialita¨t bei der Besetzung der oft zeitlich begrenzten A allgemeingu¨ltige Normen wie Unbestechlichkeit hielten.4 Diese Form republikanischer Herrschaft beruhte nicht auf einer monadischen Auffassung vom Volk als Souvera¨n oder einer dualistischen Gegenu¨berstellung von Volk und Souvera¨n, sondern vielmehr auf der abgestuften Integration bestimmter Korporationen in die durch Tradition und Gott legitimierte politische Ordnung.5 Viele Abwertungen dieser sozialen und politischen Organisationsformen beruhen auf dem Missversta¨ndnis, ihnen dieselben Begriffe von Freiheit, Gleichheit und Bru¨derlichkeit zu unterstellen, die seit dem 18. Jahrhundert mit den Begriffen Republik und Bu¨rger verbunden wurden, also auf einer Gleichsetzung von zwei zeitlich und inhaltlich verschieden anzusetzenden Formen von „Republikanismus“.6 Der europa¨ische Republikanismusdiskurs des ausgehenden 18. Jahrhunderts war durch seine Forderungen nach einer Abschaffung von Standesgrenzen und nach umfassenden und schriftlich festgelegten Verfassungen gepra¨gt. Korporative und sta¨ndische Grenzen waren nicht mehr rein christlich legitimiert.7 Als Entwicklung geht ihm eine durch den Begriff der Souvera¨nita¨t gefo¨rderte 3 Vgl. Peter Blickle, Einleitung, in: Theorien kommunaler Ordnung in Europa, hg. v. dems., Mu¨nchen
1996, S. 1–17; Ders., Kommunalismus und Republikanismus in Oberdeutschland, in: Republiken und Republikanismus im Europa der Fru¨hen Neuzeit, hg. v. Helmut G. Koenigsberger, Mu¨nchen 1988, S. 57–76; Heinz Schilling, Gab es im spa¨ten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit in Deutschland einen sta¨dtischen ‚Republikanismus‘? Zur politischen Kultur des alteuropa¨ischen Stadtbu¨rgertums, in: Ders. (Verf.), Ausgewa¨hlte Abhandlungen zur europa¨ischen Reformations- und Konfessionsgeschichte, hg. v. Luise Schorn-Schu¨tte/Olaf Mo¨rke, Berlin 2002, S. 157–204; Heinz Schilling, Stadt und fru¨hmoderner Territorialstaat: Stadtrepublikanismus versus Fu¨rstensouvera¨nita¨t. Die politische Kultur des deutschen Stadtbu¨rgertums in der Konfrontation mit dem fru¨hmodernen Staatsprinzip, in: ders. (Verf.), Ausgewa¨hlte Abhandlungen, S. 205–223. 4 Fu¨r diesen Zusammenhang sind insbesondere die Forschungen von Ulrich Meier und Jo¨rg Rogge aufschlussreich: Ulrich Meier, Der falsche und der richtige Name der Freiheit. Zur Neuinterpretation eines Grundwertes der Florentiner Stadtgesellschaft, in: Stadtregiment und Bu¨rgerfreiheit. Handlungsspielra¨ume in deutschen und italienischen Sta¨dten des Spa¨ten Mittelalters und der Fru¨hen Neuzeit, hg. v. dems./Klaus Schreiner, Go¨ttingen 1994, S. 37–83; Ulrich Meier, Gemeinnutz und Vaterlandsliebe: Kontroversen u¨ber die normativen Grundlagen des Bu¨rgerbegriffs im spa¨ten Mittelalter, in: Neubu¨rger im spa¨ten Mittelalter: Migration und Austausch in der Sta¨dtelandschaft des alten Reiches, 1250–1550, hg. v. Rainer C. Schwinges, Berlin 2002, S. 53–81; Jo¨rg Rogge, Fu¨r den Gemeinen Nutzen: Politisches Handeln und Politikversta¨ndnis von Rat und Bu¨rgerschaft in Augsburg im Spa¨tmittelalter, Tu¨bingen 1996. 5 Politische Ordnung wird hier und im Folgenden als Begriff zur Beschreibung des mehr oder weniger institutionalisiertenVerha¨ltnisses von politischen, sozialen und o¨konomischen Strukturen verwendet. 6 Darauf weist auch Alois Riklin hin: Alois Riklin, Republikanismus in der italienischen Renaissance, in: Traditionen der Republik – Wege zur Demokratie, hg. v. Peter Blickle, Bern u. a. 1999, S. 73–101, hier: S. 96. 7 Vgl. die Ergebnisse und Beitra¨ge der Sammelba¨nde Republicanism. A Shared European Heritage, 2 Bde., hg. v. Martin van Gelderen/Quentin Skinner, Cambridge 2002.
1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
3
Zentralisierung und Hierarchisierung von politischen Ordnungsvorstellungen voran, wie sie Thomas Maissen teilweise auch in der fru¨hneuzeitlichen Eidgenossenschaft ausgemacht hat.8 Es gilt, sich Wesen und Formen eines Republikanismus zu na¨hern, der genau zwischen diesen beiden historischen Entwicklungsstufen anzusiedeln ist. In diesem Zusammenhang sollen Kontinuita¨t und Wandel politischer Konzepte ausgelotet werden. Welche Auffassungen politischer Herrschaft wandelten sich, welche nicht? Wie passten sie sich an die Erfordernisse an, die an Theorie und Repra¨sentation von Staatlichkeit in einem Umfeld gestellt wurden, in dem milita¨rische Macht und territoriale Bindung eine zunehmend gro¨ßere Bedeutung erlangten? Republiken galten im fru¨hneuzeitlichen Europa als Ausnahme.9 In dem Bewusstsein der Zeitgenossen unterschieden sie sich grundlegend von monarchisch regierten Gemeinwesen – und das nicht immer zum Vorteil der Monarchien, auch wenn diese einen traditionellen Rangvorteil in der politischen Theorie genossen.10 Claudio Monteverdi hob beispielsweise hervor, wie viel zuverla¨ssiger die venezianische Republik als Auftraggeber war: Sie sorgte im Gegensatz zu fu¨rstlichen Ma¨zenen fu¨r eine gleichbleibende Auftragslage und entlohnte ihn, so lobte der Ku¨nstler, rechtzeitig und kontinuierlich.11 Die fru¨hneuzeitlichen Republiken konnten ihre Reputationsnachteile in den Augen ihrer Bu¨rger und Bewohner dadurch kompensieren, dass sie ihnen stabilere Lebensbedingungen als in anderen Gemeinwesen boten. Durch ihre wirtschaftliche und damit auch sozial bessere Situation hoben sie sich aus denselben Gru¨nden positiv von den monarchisch regierten Gemeinwesen ab, aus denen sie bei dem Wettlauf um Ruhm und Ansehen im werdenden europa¨ischen Staatensystem ins Hintertreffen gerieten: Die Verteilung von Hoheitsrechten konzentrierte sich zwar mehr und mehr in der Hand der Magistrate, dies aber keineswegs ausschließlich und nicht ohne Ru¨ckschla¨ge. Milita¨rische Investitionen dienten der Sicherheit der Republik und nicht der Ehre eines Fu¨rstenhauses. Ihre Vertreter verfu¨gten u¨ber keine dynastisch geknu¨pften Verbindungen. Die territoriale Ausdehnung fru¨hneuzeitlicher Republiken war meist kleiner als jener Staaten, die Vorrang an Macht und Ansehen beanspruchten. Aus all diesen Gru¨nden wird den Republiken in der Forschungsdiskussion um den fu¨r die Fru¨he Neuzeit charakteristischen Staatsbildungsprozess eine ru¨ckwa¨rtsgewandte, untergeordnete Rolle zugewiesen. So schreibt zum Beispiel Wolfgang Reinhard in seiner „Geschichte der Staatsgewalt“, dass „erfolgreiche Staatsbildung [...] im vormodernen Europa ausschließlich in Monarchien stattgefunden“ habe.12 Selbst die Niederlande, von anderer Seite immerhin als Vorreitergesell-
8 So zum Beispiel fu¨r Zu¨rich: Maissen, Geburt der Republic, S. 420–430. 9 Vgl. Helmut G. Koenigsberger, Schlußbetrachtung. Republiken und Republikanismus in Europa
der fru¨hen Neuzeit aus historischer Sicht, in: Republiken und Republikanismus im Europa der Fru¨hen Neuzeit, hg. v. dems., Mu¨nchen 1998, S. 285–301. 10 Vgl. Tilman Struve, Die Begru¨ndung monarchischer Herrschaft in der politischen Theorie des Mittelalters, in: ZHF 23 (1996), S. 289–323. 11 Vgl. Helmut G. Koenigsberger, Republics and Courts in Italian and European Culture in the Sixteenth and Seventeenth Centuries, in: PP 82–85 (1979), S. 32–56, hier: S. 50–53. 12 Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfa¨ngen bis zur Gegenwart, Mu¨nchen 22000, S. 31.
4
1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
schaft der Moderne klassifiziert,13 sieht er nicht als Motor des Staatsbildungsprozesses, sondern ordnet sie in das Kapitel „Partnerschaft und Widerstand“ ein.14 Reinhards Analyse trifft fu¨r alteuropa¨ische Stadtrepubliken wie Venedig sicherlich besonders auf das Gebiet milita¨rischer Expansion zu. Auch Heinz Schilling und Johannes Burkhardt heben die Wandlungs- und Beschleunigungskraft hervor, die der unfertigen Natur der expandierenden Territorialstaaten eigen waren.15 Insbesondere fu¨r die Genese eines sa¨kularen innen- wie außenpolitischen Raums, so Heinz Schilling, sei die Erfahrung der Verbindung von Konfession und Staatsbildung in der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts entscheidend gewesen – ein Prozess, an dem die meisten der fru¨hneuzeitlichen Stadtrepubliken, wenn u¨berhaupt, nur bedingt teilnehmen konnten.16 Allerdings ist auch bei vielen der so genannten absolutistischen Staaten inzwischen deutlich geworden, dass ihr Staatsbildungsprozess bei weitem nicht so geradlinig verlief, wie sie es in ihrer eigenen Selbstdarstellung gerne suggerierten. Der Begriff Absolutismus, so Ernst Hinrichs, beschreibe immer nur „politisch-staatliche Teilwirklichkeiten“, allerdings mit dem Anspruch, mit ihm eine „umfassende Realita¨t“ abzubilden.17 Die Relativierung des Absolutismusbegriffs steht in einem engen Zusammenhang mit der Betonung eines Staatswerdungsprozesses, der nicht von einer „anachronistischen Projizierung des modernen Anstaltsstaates in die Zeit vor 1800“ ausgeht.18 Vielmehr ist das Widerspru¨chliche der Herausbildung von innerer und a¨ußerer Staatsbildung im Wechselspiel zwischen Fu¨rstengewalt, Sta¨nden, Kirchen und Sta¨dten zu beachten.19 Entwicklungsvorspru¨nge oder -nachteile europa¨ischer Republiken mu¨ssen vor diesem Hintergrund neu bewertet werden. Staatsbildung wird auch in nicht-republikanischen fru¨hneuzeitlichen Gemeinwesen immer mehr als ein Prozess begriffen, der zu seiner Durchsetzung besonderer ¨ ltere Untersuchungen zu sozial- und wirtschaftssymbolischer Mittel bedurfte.20 A geschichtlichen Aspekten politischen Wandels in der Fru¨hen Neuzeit werden zunehmend durch kulturgeschichtliche Fokussierungen erga¨nzt. Wolfgang Reinhards, Barbara Stollberg-Rilingers, Luise Schorn-Schu¨ttes und zuletzt auch Achim Landwehrs 13 Vgl. Heinz Schilling, Die Geschichte der no¨rdlichen Niederlande und die Modernisierungstheorie,
in: Ders., Ausgewa¨hlte Abhandlungen, S. 334–376.
14 Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 254–257. 15 Vgl. Johannes Burckhardt, Die Friedlosigkeit der Fru¨hen Neuzeit. Grundlegung einer Theorie der
Bellizita¨t Europas, in: ZHF 24 (1997), S. 509–574; Heinz Schilling, Krieg und Frieden in der werdenden Neuzeit – Europa zwischen Staatenbellizita¨t, Glaubenskrieg und Friedensbereitschaft, in: 1648 – Krieg und Frieden in Europa. Aufsatzbd. 1 zur Ausstellung zum 350. Jahrestag des Westfa¨lischen Friedens, hg. v. dems./Klaus bußmann, Mu¨nchen 1998, S. 13–22; Heinz Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559–1660, Paderborn 2007, S. 93–99. 16 Vgl. Heinz Schilling, Der Westfa¨lische Frieden und das neuzeitliche Profil Europas, in: Der Westfa¨lische Friede. Diplomatie, politische Za¨sur, kulturelles Umfeld, Rezeptionsgeschichte, hg. v. Heinz Duchhardt, Mu¨nchen 1998, S. 1–32. 17 Ernst Hinrichs, Fu¨rsten und Ma¨chte. Zum Problem des europa¨ischen Absolutismus, Go¨ttingen 2000, S. 235. 18 Heinz Schilling, Die Stadt in der Fru¨hen Neuzeit, Mu¨nchen 1993, S. 55. 19 Schilling, Stadt, S. 55. 20 Vgl. fu¨r den theoretischen Zusammenhang Rudolf Schlo ¨ gl, Symbole in der Kommunikation. Zur Einfu¨hrung, in: Die Wirklichkeit der Symbole. Grundlagen der Kommunikation in historischen und gegenwa¨rtigen Gesellschaften, hg. v. Dems./Bernhard Giesen/Ju¨rgen Osterhammel, Konstanz 2004, S. 9–38.
1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
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Forderungen nach der Erforschung politischer Kultur weisen darauf hin, wie wichtig es ist, Rituale, Mythen und Symbole zu beru¨cksichtigen.21 Unter dem Begriff ¨ ußerungen fassen, die ‚Politische Kultur‘ lassen sich diejenigen Vorstellungen und A die Beziehung des Einzelnen oder von Gruppen zum Gemeinwesen, sowie – eng damit verknu¨pft – die jeweiligen Ordnungsvorstellungen u¨berhaupt betreffen. Politische Kultur la¨sst sich besonders gut in Ritualen, Mythen und Symbolen erkennen, also in all jenen Bereichen, in denen Bilder der jeweiligen politischen Ordnung mit Gesamtanspruch entworfen, kommuniziert und rezipiert werden. Korrespondierend mit dem traditionellen Reputationsvorteil der Monarchien sind auch die Untersuchungen ihrer politischen Kultur immer noch zahlreicher als die zu den Republiken. Deutlich wird dies in zwei Standardwerken zu diesem Thema: In Wolfgang Reinhards „Geschichte der Staatsgewalt“ werden die Themen „Diskurs, Mythos und Zeremoniell“ zwar behandelt, aber allein fu¨r die Monarchien.22 Das Gleiche la¨sst sich fu¨r Wim Blockmans’ reich illustrierte „Geschichte der Macht“ sagen.23 Allein Heinz Schilling bezieht konsequent die Gruppe der fru¨hneuzeitlichen Magistrate in seine neueste Untersuchung zu „Konfessionalisierung und Staatsinteressen“ ein.24 Dieses Ungleichgewicht ha¨ngt damit zusammen, dass republikanische Selbstdarstellung durch das Fehlen eines Monarchen auf Sinn- und Bildlichkeitsstrategien angewiesen ist, die komplexer sind und somit nicht so leicht zur Kontingenzreduktion fu¨hren. Mit diesen diffizileren Sichtbarkeitsanforderungen haben auch heutige Demokratien noch zu ka¨mpfen.25 In den Monarchien hatte der Herrscher eine zentrale Bu¨ndelungsfunktion nicht nur politischer Rechte, sondern auch kultureller Bedeutungen inne.26 In der Republik der Vereinigten Niederlande und in Venedig existierten mit dem Statthalter und dem Dogen monarchische Symbolfiguren, die in erster Linie
21 Vgl. Achim Landwehr, Diskurs – Macht – Wissen. Perspektiven einer Kulturgeschichte des Politi-
schen, in: AKG 85 (2003), S. 71–117; Wolfgang Reinhard, Verfassungsgeschichte als Kulturgeschichte. Historische Grundlagen europa¨ischer politischer Kultur, in: Jahrbuch fu¨r Europa¨ische Geschichte 1 (2000), S. 115–131; Wolfgang Reinhard, Was ist europa¨ische politische Kultur? Versuch zur Begru¨ndung einer politischen Historischen Anthropologie, in: GuG 27 (2001), S. 593–616; Luise SchornSchu¨tte, Politische Kommunikation in der Fru¨hen Neuzeit: Obrigkeitskritik im Alten Reich, in: GuG 32, 3 (2006), S. 273–314; Luise Schorn-Schu¨tte/Sven Tode, Debatten u¨ber die Legitimation von Herrschaft: Politische Sprache in der Fru¨hen Neuzeit: Einleitende Bemerkungen, in: Debatten u¨ber die Legitimation von Herrschaft: Politische Sprachen in der Fru¨hen Neuzeit, hg. v. dens., Berlin 2006, S. 9–15; Barbara Stollberg-Rilinger, Was heißt Kulturgeschichte des Politischen: Einleitung, in: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, hg. v. ders., Berlin 2005, S. 9–24. 22 Vgl. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 80–99, 235–258. 23 Vgl. Wim Blockmans, Geschichte der Macht in Europa: Vo¨lker – Staaten – Ma¨chte, Frankfurt a. M./ New York 1998, S. 276–302. Von 26 Seiten zur Staatsrepra¨sentation sind fu¨nf dem „Ansehen der Stadt“ gewidmet. 24 Vgl. Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen, S. 23–27, 160–167. 25 Vgl. Karl H. Bohrer, A ¨ sthetik und Politik und einige damit zusammenha¨ngende Fragen, in: Merkur 40 (9./10. Sept. 1986), S. 719–724; Helmut Quaritsch, Probleme der Selbstdarstellung des Staates, Tu¨bingen 1977. 26 Forschungsstand und -diskussion hierzu fasst kritisch zusammen: Hubertus Bu ¨ schel, Untertanenliebe. Der Kult um deutsche Monarchen 1770–1830, Go¨ttingen 2006, S. 145–186.
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Repra¨sentationsfunktionen wahrnahmen.27 Die Republiken standen zudem vor der Schwierigkeit, u¨ber eine oder mehrere Gruppen an der Spitze der politischen Ordnung zu verfu¨gen. Der Wechsel der Amtsinhaber war meist in sehr viel ku¨rzeren Absta¨nden symbolisch zu kommunizieren als in den Monarchien. Untersuchungen zu republikanischer Selbstdarstellung in der Fru¨hen Neuzeit kommen zu dem zugegebenermaßen wenig glanzvollen Ergebnis, dass sich diese in den kulturellen Formen ihrer Selbstdarstellung – insbesondere den Ratha¨usern und dem diplomatischen Zeremoniell – an ho¨fischen Vorbildern orientiert und keine eigene Semantik herausgebildet ha¨tten.28 Eine Untersuchung des Zusammenhangs zwischen politischen Ordnungsvorstellungen und politischer Selbstdarstellung muss beru¨cksichtigen, dass diese nicht so eindeutig sichtbar sind wie in den Monarchien. Außerdem muss sie Stellung zu der These beziehen, diese seien nicht allein im Rahmen der Staatsbildung, sondern auch auf dem Gebiet kultureller und politischer Autorepra¨sentation ihrem monarchischen Gegenu¨ber unterlegen gewesen. Diese Schwierigkeiten sollten aber nicht dazu fu¨hren, sich allein der Selbstdarstellung derjenigen politischen Ordnung zuzuwenden, die sich fu¨r eine gewisse Zeit durchgesetzt hat. Verlo¨re Europa seine fru¨hneuzeitlichen republikanischen Traditionen aus den Augen, ha¨tte der fla¨chenma¨ßig organisierte Anstalts- und spa¨tere Nationalstaat endgu¨ltig auch in der Erinnerungskultur gesiegt – und das in einer Epoche, die zunehmend von supranationalen Organisationen und Vereinigungen gepra¨gt ist.29 Gerade in Europa ist die Frage nach staatlichen Repra¨sentationsformen jenseits des Nationalstaats u¨beraus wichtig. Welche Strategien politischer Symbolik und Selbstdarstellung verwendeten fru¨hneuzeitliche Republiken, außer dass sie sich wie im Falle Venedigs eines Ersatzmonarchen bedienten? Ist bei ihnen den Fu¨rstenstaaten vergleichbar ein starker Zentralisierungsimpetus von Visualisierungsformen zu beobachten, ein Prozess, der als parallele Entwicklung zur Ausbildung der Sta¨ndegesellschaft auch in sta¨dtischen Gemeinwesen zu gelten ha¨tte? Oder versta¨rkten sich genossenschaftlich-korporative Elemente in der republikanischen Selbstdarstellung?
27 Vgl. Olaf Mo ¨ rke, ‚Stadtholder‘ oder ‚Staetholder‘? Die Funktion des Hauses Oranien und seines
Hofes in der politischen Kultur der Republik der Vereinigten Niederlande im 17. Jahrhundert, Mu¨nster 1997; Edward W. Muir, The Ritual of Rulership in Sixteenth-Century Venice: A Study in the Construction and Promulgation of Myth and Ideology, unvero¨ffentl. Diss., Rutgers University 1975; Heinz Schilling, The Orange Court. The Configuration of the Court in an Old European Republic, in: Princes, Patronage, and the Nobility. The Court at the Beginning of the Modern Age c. 1450–1650, hg. v. Ronald G. Asch/Adolf M. Birke, London 1991, S. 441–454. 28 Vgl. Stephan Albrecht, Gute Herrschaft – fu¨rstengleich. Sta¨dtisches Selbstversta¨ndnis im Spiegel der fru¨hneuzeitlichen Rathausikonographie, in: Heiliges Ro¨misches Reich deutscher Nation 962 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten, 1495–1806. Essays, hg. v. Heinz Schilling/Werner Heun/Jutta Go¨tzmann, Dresden 2006, S. 201–214; Andre´ Krischer, Reichssta¨dte in der Fu¨rstengesellschaft. Politischer Zeichengebrauch in der Fru¨hen Neuzeit, Darmstadt 2006, S. 369–379. 29 Vgl. Ju¨rgen Osterhammel, Der europa¨ische Nationalstaat des 20. Jahrhunderts. Eine globalhistorische Anna¨herung, in: Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats: Studien zur Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich, hg. v. dems., Go¨ttingen 2001, S. 322–341.
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1.1. Politische Ordnungsvorstellungen im Ritual
Politische Ordnung bedarf, und sei es in einer auch noch so reduzierten Form, ihrer sinnlichen Anschauung.30 Die Art und Weise, diese zu kommunizieren, sind ha¨ufig Rituale, das heißt formalisierte Sprech- und Handlungsakte. Ihre Regulierung soll eine Steuerung der inhaltlichen Rezeption im Sinne der Akteure bewirken.31 Das Wechselspiel zwischen korporativen und hierarchisch gegliederten Werte- und Symbolsystemen ist grundlegend fu¨r eine Untersuchung europa¨ischer politischer Staatsbildungs- und Staatsimaginationskultur in der Fru¨hen Neuzeit. Die vorliegende Arbeit geht bei der Analyse dieses Wechselspiels davon aus, dass politische Strukturen und politische Ordnungsvorstellungen sich in einem dauernden Wechselspiel befinden. Diese Prozesshaftigkeit erfordert eine analytisch pra¨zise Benennung von Akteuren, Rezipienten, Inhalt und Kommunikationsmodus der jeweiligen politischen Ordnungen.32 Des Weiteren folgt diese Arbeit der Pra¨misse, dass bestimmte politische Ordnungsvorstellungen danach unterschieden werden ko¨nnen, welche Beharrungskraft ¨ nderungspotential sie in dem zu untersuchenden Gemeinwesen besaund welches A ßen. Politische Ordnungsvorstellungen ko¨nnen zum Beispiel dann besonders durchsetzungsfa¨hig sein, wenn sie sich mit religio¨sen Symbolen verbinden. Das heißt, dass es wichtig ist, ihre inhaltliche Begru¨ndung und symbolische Kommunikation zu betrachten. Zur erfolgreichen Institutionalisierung einer Ordnungsvorstellung ist außerdem der Gebrauch der Darstellungsform entscheidend, die diese so kommuniziert, dass sie einen Konsens u¨ber die Wertigkeit dieser Vorstellung zwischen Akteuren und Rezipienten zu fo¨rdern vermag.33 Im Folgenden werden fu¨r diese Darstellungsformen die Begriffe Selbstdarstellung und Repra¨sentation verwandt. Sie verweisen im Kontext der Untersuchung auf die behauptete Stellvertretung eines gro¨ßeren Ganzen beziehungsweise die Inanspruchnahme der Zugeho¨rigkeit zu einem gro¨ßeren Ganzen, hier also zur Republik.34 Damit wird ein anderer Schwerpunkt als in dem von Roger Chartier entwickelten erkenntnistheoretisch orientierten Repra¨sentationsbegriff gesetzt.35 Zudem wird davon ausgegangen, dass sich diese Formen von Zugeho¨rigkeitsbehauptungen nur als kommunikative Prozesse, nicht als statische Zusta¨nde fassen lassen. Besonders deutlich
30 Vgl. die auch teilweise auf die Fru¨he Neuzeit anwendbaren Beobachtungen in: Hans-Georg Soeffner/
Dirk Ta¨nzler, Einleitung, in: Figurative Politik. Zur Performanz der Macht in der modernen Gesellschaft, hg. v. dens., Opladen 2002, S. 7–14, hier: S. 7. 31 Vgl. Hans-Georg Soeffner, Die Ordnung der Rituale. Die Auslegung des Alltags, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1995, S. 7–19. 32 Vgl. Roger Chartier, Einleitung: Kulturgeschichte zwischen Repra¨sentationen und Praktiken, in: Ders., Die unvollendete Vergangenheit. Geschichte und die Macht der Weltauslegung, Berlin 1989, S. 7–21, hier: S. 15. 33 Vgl. Chartier, Einleitung, S. 15–16. 34 Fu¨r Repra¨sentation als Stellvertretung grundlegend Hasso Hoffmann, Repra¨sentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis zum 19. Jahrhundert, Berlin 31998, S. 116–190. 35 Vgl. insgesamt Chartier, Einleitung.
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werden sie in kollektiven Ritualen, da in ihnen sich alle Teilnehmer und Zuschauer bewusst sind, dass eine bestimmte Aussage u¨ber Gruppenzugeho¨rigkeiten in einer bestimmten Situation getroffen werden soll. Die Definitionen politischer Rituale sind so vielfa¨ltig wie die Untersuchungen zu diesem Gegenstand. Die Unterscheidungen von Ritual, Zeremonie und Fest sind moderne Abgrenzungen, die die Sprache fru¨hneuzeitlicher Quellen nicht exakt wiedergeben. In diesen ist meist von Solennita¨ten oder auch Zeremonien die Rede. Je nach Epoche und Kontext sind diese Begriffe mit christlichen oder ho¨fischen Konnotationen verbunden.36 Die Begriffspra¨gung Ritual wie auch Zeremonie oder Fest ist eng mit dem jeweiligen Forschungsinteresse verbunden.37 Alle drei Begriffe beziehen sich auf einen markierten, durch geregelte Handlungen strukturierten Zeitabschnitt. Diesen empfinden die Akteure als unterschiedlich von anderen Zeitabschnitten, nicht allein wegen seiner zeitlichen Unterteilung, sondern auch aufgrund der syna¨stheti¨ berho¨hung von Raum, Materialien und beteiligten Personen.38 Die Akteure schen U sind sich also der Tatsache bewusst, dass sie sich in einem regulierten Kommunikationsmodus befinden. Definitionen von Zeremonie heben die hierarchisch gelenkte Regulierung des Geschehens hervor: Ein Zeremonienmeister vermittelt den Akteuren die von einer machthabenden Gewalt gewu¨nschte Ausfu¨hrung des vorher von ihr geplanten Geschehens.39 Definitionen von Ritual und Fest zielen auf das konsensorientierte gemeinsame Vorgehen nach bestimmten Handlungsstrukturen. Ein Fest wird dabei meist als eine noch spontanere Veranstaltung angesehen als das eher mit traditionellen, mu¨ndlich gehaltenen Regulierungen assoziierte Ritual.40 Im Rahmen der Arbeit soll es gerade um das Wechselspiel von konsensgestu¨tzten und hierarchisierenden Ordnungsvorstellungen gehen. Da Zeremonie die hierarchische Lenkung und Fest das ungeordnet Gemeinschaftliche der jeweiligen performativen Handlungen betont, soll als u¨bergreifender Begriff in der vorliegenden Untersuchung Ritual verwandt werden, da dies der Terminus ist, der fu¨r diese Art von Kommunikation am umfassendsten ist und den daher auch zunehmend die anthropologische Forschung gegenu¨ber den anderen beiden Begriffen favorisiert.41 Die Frage nach dem Sinn, den die Akteure mittels eines Rituals kommunizieren wollen, ist fu¨r eine Analyse des Zusammenhangs zwischen sozialem Wandel und politischen Ordnungsvorstellungen besonders aufschlussreich. And through political
36 Vgl. Helen Watanabe-O’Kelly, The Early Modern Festival Book: Function and Form, in: Europa
Triumphans. Court and Civic Festivals in Early Modern Europe, Bd. 1, hg. v. ders./James R. Mulryne/Margaret Shewring, London 2004, S. 3–17. 37 Vgl. Edmund R. S. Leach, s. v. Ritual, in: IESS 13 (1968), S. 520–526, hier: S. 526. 38 Vgl. auch die Definition bei Edward W. Muir, Ritual in Early Modern Europe, Cambridge 1997, S. 1–12. 39 Dieses Thema ist bei dem internationalen Colloquium „Die Ritualmacher hinter den Kulissen“ (13.–14. 12. 2007) des Heidelberger Sonderforschungsbereichs „Ritualdynamik“ diskutiert worden. 40 Einen exzellenten Forschungsu¨berblick bietet hierzu: Gerrit J. Schenk, Zeremoniell und Politik. Herrschereinzu¨ge im spa¨tmittelalterlichen Reich, Ko¨ln/Weimar/Wien 2003, S. 66–75. 41 Vgl. Gerrit J. Schenk, Einleitung: Tradition und Wiederkehr des Rituellen, in: Ritualdynamik. Kulturu¨bergreifende Studien zur Theorie und Geschichte rituellen Handelns, hg. v. Dietrich Harth/Gerrit J. Schenk, Heidelberg 2004, S. 11–28.
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ritual, we are given a way to understand what is going on in the world, for we live in a world that must be drastically simplified if it is to be understood at all.42 Der amerikanische Sozialwissenschaftler David I. Kertzer, von dem dieses Zitat stammt, schreibt politischen Ritualen folgende Merkmale zu: Rituale sind deklarativ und kommunikativ. Die durch sie vorgegebenen Deutungsmuster wirken komplexita¨tsreduzierend und ermo¨glichen und sta¨rken auf diese Weise die Auseinandersetzungen mit Personen, die einem begegnen, aber auch mit der Fiktion personenu¨bergreifender Strukturen. E´mile Durkheim und im Anschluss an ihn Kulturanthropologen wie Bronisław Malinowski und Alfred R. Radcliffe-Brown verbanden diese Funktion eng mit der Genese politisch-sozialer Ordnungen.43 Sie betonten den funktionalen Zusammenhang zwischen Werten, Gemeinschaft und Ritualen. David I. Kertzer und der Kulturanthropologe Clifford Geertz hoben in Weiterfu¨hrung dieser Ansa¨tze hervor, dass auch der Inhalt dessen, was in Ritualen erza¨hlt wird, fu¨r eine Analyse des gesellschaftlichen Zusammenhangs, in denen sie stattfinden, wichtig ist. Aussagen u¨ber diese gesellschaftlichen Zusammenha¨nge werden in Geschichten gekleidet.44 Der Anthropologe Don Handelman verbindet diese beiden Aspekte von Ritualen. Er schreibt ihnen einerseits eine „Modell-“ und andererseits eine „Spiegelungsfunktion“ zu.45 Letzten Endes sind diese beiden Modelle forschungspraktisch schwer zu unterscheiden, da sie auf zwei Aspekte hinweisen, die in ein- und denselben Ritualen zu beobachten sind: Die Spiegelung eines Zustands entha¨lt auch meist implizite oder explizite Leitvorstellungen. Modelle ko¨nnen wiederum nicht ohne Darstellung auskommen. Dieses Wechselverha¨ltnis macht die vorliegende Arbeit heuristisch fruchtbar. Gefragt wird sowohl nach den Bildern als auch nach Wertigkeiten, die sich im Kontext der normativen oder beschreibenden Projektion von Ritualen ausdru¨cken. Politische Rituale sind, so aufgefasst, wie schriftliche Zeugnisse und Kunstwerke Kommunikationsakte. Sie konstituieren und legitimieren die in allen politisch-sozialen Ordnungen notwendigerweise vorhandene symbolische Sinnstiftung.46 Sinnstiftungen werden durch Handlungen und Sprechakte hergestellt. Erfolgen diese in einem besonders herausgehobenen, ritualisierten Kommunikationsmodus, la¨sst sich davon ausgehen, dass sie in der Intention des Sprechenden oder Handelnden besondere Aufmerksamkeit erfahren sollen.47 Dabei ist die Wahl des Mediums und des Ortes wichtig: Wo fand ein Ritual statt? Die Frage des Raumes ist in dem hier zu untersuchenden Kontext fru¨hneuzeitlicher Stadtrepubliken aufschlussreich. An welchen Pla¨tzen der Stadt wurden die Rituale durchgefu¨hrt? Wurden profane und kirchliche Geba¨ude einbezogen? Welche Gruppen hatten Zugang zum Geschehen? Mit welchen ¨ berho¨hung erreicht? In diesem Sinne wird in der Mitteln wurde die syna¨sthetische U ¨ ffentlichkeit gebraucht. Er wird spezifisch vorliegenden Arbeit auch der Begriff der O
42 Vgl. David I. Kertzer, Ritual, Politics and Power, New Haven/London 1988, S. 2. 43 Vgl. zusammenfassend Leach, s. v. Ritual, S. 522–523. 44 Vgl. Clifford Geertz, Negara: The Theatre State in Nineteenth-Century Bali, Princeton 1980, S. 136. 45 Vgl. mit weiterfu¨hrenen Angaben Muir, Ritual in Early Modern Europe, S. 4–5. 46 Vgl. Landwehr, Diskurs – Macht – Wissen, S. 106. 47 Vgl. Ute Frevert, Politische Kommunikation und ihre Medien, in: Sprachen des Politischen. Medien
und Medialita¨t in der Geschichte, hg. v. Ders./Wolfgang Braungart, Go¨ttingen 2004, S. 7–19.
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¨ ffentlich bedeutet, dass die Handim Sinne einer Stadto¨ffentlichkeit verstanden. O ¨ ffentlichkeit lungen im a¨ußeren Raum der Stadt stattfanden.48 Diese Qualita¨t der O soll als Analysekategorie fu¨r die Untersuchung von Wandel und Kontinuita¨t politischer Ordnungsvorstellungen fruchtbar gemacht werden: Welcher Stellenwert kam der Sichtbarkeit bestimmter Rituale fu¨r bestimmte Gruppen zu? An Ritualen la¨sst sich außerdem besonders gut ablesen, mithilfe welcher symbolischen Verweise die jeweiligen Akteure etwas – eine bestimmte Idee oder zum Beispiel eine politische Ordnungsvorstellung – konstituieren wollen, das u¨ber den Rahmen des materiellen Erlebens hinausgeht. Heuristisches Potential gewinnen Rituale aber nur dann, wenn sich benennen la¨sst, wer zu wem in welcher Situation mithilfe welcher Verweise durch ein Ritual spricht. Auf diese Weise werden zum Beispiel auch konfligierende kollektive Zugeho¨rigkeitsvorstellungen deutlich. Sie sind besser als Repra¨sentationen denn als kollektive Identita¨ten zu erfassen, um der mit diesem Begriff verbundene Gefahr einer ontologischen und nicht prozessual-kommunikativen Zuschreibung zu entgehen.49 Die vorliegende Arbeit will keinen Beitrag zu dem inzwischen hoch entwickelten geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Spezialgebiet der Ritual Sciences leisten.50 Es sollen also nicht bestimmte Grundannahmen u¨ber Definitionen und Funktionen von Ritualen mithilfe empirischer Beispiele u¨berpru¨ft werden. Vielmehr soll es darum gehen, anhand der Untersuchung der Spielra¨ume von Darstellung und Selbstdarstellung in Ritualen Wandlungen und Kontinuita¨ten in politischen Ordnungsvorstellungen zu erkennen. Rituale sind somit ein Mittel zu einer Standortbestimmung der jeweiligen politischen Kultur. Dazu ist es notwendig, einige methodische Grundentscheidungen zu treffen. Die erste besteht darin, heuristisch nicht zwischen Ritual, Zeremonie und Fest zu trennen. Der Unterschied zwischen Ritualen und Zeremonien spielte in den Augen der Zeitgenossen beim Entstehen einer eigensta¨ndigen Zeremonialwissenschaft in der Fru¨hen Neuzeit eine große Rolle, wenn auch noch nicht fu¨r die hier ausgewa¨hlten Beispiele und die hier zu untersuchende Epoche.51 Zeremonien folgten anders als andere Formen ritualisierten Handelns einem schriftlich festgelegten, formalen Muster und galten somit allein schon durch ihre differenzierte Bezeichnung als Ausweis einer bestimmten hochstehenden politischen Kultur.52 Auch wenn die Frage,
48 Der Begriff wird also allein als Beschreibung der Raumqualita¨t nutzbar gemacht und nicht als eigen-
sta¨ndiger Terminus, der politische und soziale Entwicklungen impliziert. Vgl. Peter von Moos, Das ¨ ffentliche und das Private im Mittelalter. Fu¨r einen kontrollierten Anachronismus, in: Das O ¨ ffentO liche und Private in der Vormoderne, hg. v. Dems./Gert Melville, Ko¨ln/Weimar/Wien 1998, S. 3–86, hier: S. 23. 49 Vgl. Ju¨rgen Straub, Personale und kollektive Identita¨t. Zur Analyse eines theoretischen Begriffs, in: Erinnerung, Geschichte, Identita¨t, Bd. 3: Identita¨ten, hg. v. Aleida Assmann/Heidrun Friese, Frankfurt a. M. 1998, S. 73–194, hier: S. 96–104. 50 Vgl. Ritualtheorien: ein einfu¨hrendes Handbuch, hg. v. Andre´a Belliger und David J. Krieger, Opladen 1998. 51 Milosˇ Vec, Zeremonialwissenschaft im Fu¨rstenstaat: Studien zur juristischen und politischen Theorie absolutistischer Herrschaftsrepra¨sentation, Frankfurt a. M. 1998, S. 1–14. 52 Ebd., S. 182–226.
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wie diese spezielle Form von Ritualen nicht nur im ho¨fisch gepra¨gten, sondern auch im sta¨dtischen und republikanischen Bereich rezipiert wurde, sicherlich aufschlussreich ist, soll sie im Rahmen dieser Arbeit nicht thematisiert werden.53 Dafu¨r wa¨re eine Ausdehnung des Untersuchungszeitraums weit u¨ber die Mitte des 17. Jahrhunderts erforderlich. Als zweite methodische Grundentscheidung ist eine bestimmte Operationalisierung von Ritualen als Analysekategorie wichtig. Im Rahmen dieser Arbeit ist nicht von vorrangigem Interesse, welche Funktionen die rituellen Handlungen fu¨r die Teilnehmenden erfu¨llen – ob sie sich durch sie entlastet, emotional beru¨hrt oder bedroht fu¨hlten54 – sondern die Frage, ob und welche Aspekte politischer Zusammengeho¨rigkeit sie bei ihren Beschreibungen der Rituale herausheben. Prima¨r ist von Interesse, welche Wertigkeit zum Beispiel in der Bildlichkeit zutage tritt, mit der eine rituelle Handlung beschrieben wird, und weniger, welche Funktionen eine rituelle Handlung in einem sozialen oder politischen Gefu¨ge einnimmt. Dementsprechend liegt der Schwerpunkt der Analyse nicht auf einer minutio¨sen Rekonstruktion der behandelten Rituale im Sinne einer Ethnographie der fru¨hneuzeitlichen Stadtrepublik, sondern auf den Wertigkeiten, die mit ihnen verbunden wurden. Dafu¨r sind die in Ausrichtung und Beschreibung verwendeten Bilder beziehungsweise die mit ihnen verknu¨pften Diskurse von Bedeutung.55 Politische Vorstellungen, die mit Ritualen verbunden sind, sind von den sie umgebenden Strukturen gepra¨gt, wirken aber gleichzeitig auch auf diese zuru¨ck. Sie haben also einen bestimmten Aussagewert u¨ber die Ordnung, die sich der jeweilige Sprecher nicht nur von der Gegenwart, sondern auch von der Zukunft des jeweiligen Gemeinwesens macht, wie es der Media¨vist Gerd Althoff treffend ausdru¨ckte: „Bei den Ritualen [...] bildete man nicht nur die bestehenden Verha¨ltnisse ab, seien sie nun herrschaftlicher oder freundschaftlicher Natur, man versprach durch solche Handlungen auch den Bestand des Verha¨ltnisses fu¨r die Zukunft.“56 Es findet sich in dem im Jahre 1998 erschienen einfu¨hrenden Handbuch zu „Ritualtheorien“57 kein Beitrag eines Historikers. Dennoch ist ein stetig steigendes Interesse an der Nutzung von Ritualen, Zeremonien und Festen zur Interpretation gesellschaftlicher Sinngebung in geschichtswissenschaftlichen Arbeiten zu verzeichnen. Die Spannbreite reicht von der Media¨vistik bis zur Neuesten Geschichte.58 53 Dieser Frage widmen sich Krischer, Reichssta¨dte in der Fu¨rstengesellschaft, und Thomas Weller,
Theatrum Praecedentiae. Zeremonieller Rang und gesellschaftliche Ordnung in der fru¨hneuzeitlichen Stadt: Leipzig 1500–1800, Darmstadt 2006, S. 383–398. 54 Vgl. Odo Marquard, Kleine Philosophie des Festes, in: Das Fest, hg. v. Walter Haug/Rainer Warning, Mu¨nchen 1980, S. 413–420. 55 Diskurs wird hier mit Achim Landwehr und Stefanie Stockhorst begriffen als „Formen der sprach¨ bereinku¨nfte (Konventionen) und Gewohnheiten, die lichen Repra¨sentation, das heißt sprachliche U kulturell und historisch begrenzt gu¨ltige Bedeutungen erzeugen und vermitteln“. Achim Landwehr/ Stefanie Stockhorst, Einfu¨hrung in die Europa¨ische Kulturgeschichte, Paderborn u. a. 2004, S. 84. 56 Gerd Althoff, Gestaltung zeremonieller und ritueller Verfahren im Mittelalter, in: Vormoderne politische Verfahren, hg. v. Barbara Stollberg-Rilinger, Berlin 2001, S. 53–71, hier: S. 56. 57 Vgl. Anm. 50. 58 Es seien als weiterfu¨hrende und zusammenfassende U ¨ berblicksdarstellungen genannt: Geschichtswissenschaft und „Performative Turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelal-
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Gefo¨rdert wurde dieser Trend durch die institutionelle Integration geschichtswissenschaftlicher Projekte in die entsprechend thematisch ausgerichteten Sonderforschungsbereiche in Heidelberg und in Mu¨nster, den Projekten „Ritualdynamik“59 und „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme“.60 In beiden Bereichen sind Arbeiten entstanden, die anhand des Untersuchungsfokus „symbolische Kommunikation“ Pha¨nomenen sozialer, kultureller und politischer Kultur nachgehen, in Mu¨nster in innereuropa¨ischer, in Heidelberg auch in vergleichender, interkultureller Perspektive. Die vorliegende Arbeit fu¨hlt sich den theoretischen Ansa¨tzen verbunden, die Gerd Althoff und Barbara Stollberg-Rilinger entwickelt haben. Die Untersuchung der Rituale konzentriert sich aber im Folgenden darauf, welche gesellschaftlichen und politischen Ordnungsvorstellungen durch sie als Anlass sichtbar werden. Rituale werden in diesem Sinne als „Brenngla¨ser konfrontativer Dynamiken“ verstanden.61 Sie fo¨rdern konfligierende oder einheitliche politische Ordnungsvorstellungen zutage, so dass sie analysiert werden ko¨nnen. ¨ berlegungen, die insbesondere fu¨r das VerDiese Herangehensweise fu¨hrt zu U ha¨ltnis von Text, Bild und Handlung zu beachten sind. Die Analyse von Bildund Architekturwerken geho¨rt mittlerweile zum Kanon geschichtswissenschaftlicher Forschung.62 Sie steht aber immer noch relativ unverbunden neben der Nutzung von Ritualen als Quellen. Bislang sind nur wenige Arbeiten zu nennen, die einen integrierenden Ansatz bei der Betrachtung kultureller Artefakte vertreten.63 Die jeweiligen Richtungen der Bild- und Ritualwissenschaft sowie der politischen Ideengeschichte folgen vergleichbaren methodischen Pra¨missen: Die Analyse von Texten, die der Politiktheorie zugerechnet werden, ist das klassische Gebiet der „politischen Ideengeschichte“. Insbesondere Quentin Skinner hat die minutio¨se Kontextualisierung von Texten gefordert, die der politischen Theorie zuzuordnen sind. Skinner hat auf
ter bis zur Neuzeit, hg. v. Ju¨rgen Martschukat/Steffen Patzold, Ko¨ln/Weimar/Wien 2003; Medieval and Early Modern Rituals. Formalized Behaviour in Europe, China and Japan, hg. v. Joe¨lle RolloKoster, Leiden/Boston/Tokyo 2002; Barbara Stollberg-Rilinger, Neue Forschungen zur symbolischen Kommunikation in Spa¨tmittelalter und Fru¨her Neuzeit, in: ZHF 27 (2000), S. 389–406; Barbara Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation in der Vormoderne: Begriffe, Thesen, Forschungsperspektiven, in: ZHF 31 (2004), S. 489–527. 59 Vgl. die beiden Sammelba¨nde: Die Welt der Rituale. Von der Antike bis heute, hg. v. Claus Ambos u. a., Darmstadt 2005; Ritualdynamik. Kulturu¨bergreifende Studien zur Theorie und Geschichte rituellen Handelns, hg. v. Dietrich Harth/Gerrit J. Schenk, Heidelberg 2004. 60 Vgl. Zeichen – Rituale – Werte. Internationales Kolloquium des Sonderforschungsbereichs 496 an der Westfa¨lischen Wilhelms-Universita¨t Mu¨nster, hg. v. Gerd Althoff, Mu¨nster 2004. 61 Susann Baller, u. a., Einleitung, in: Die Ankunft des Anderen. Ankunftszeremonien in interkultureller und intertemporaler Vergleichsperspektive, hg. v. ders. u. a., Frankfurt a. M./New York 2008. S. 11–34. 62 Als umfassendsten Versuch auf diesem Gebiet wa¨re die 2004 erschienene Monographie von Bernd Roeck zu nennen: Bernd Roeck, Das historische Auge. Kunstwerke als Zeugen ihrer Zeit von der Renaissance zur Revolution, Go¨ttingen 2004. 63 Positiv dagegen hervorzuheben ist die Betonung der Medienvielfalt „sozialer Repra¨sentation“ bei Marian Fu¨ssel/Thomas Weller, Einleitung, in: Ordnung und Distinktion. Praktiken und Repra¨sentation in der sta¨ndischen Gesellschaft, hg. v. dens., Mu¨nster 2005, S. 9–22.
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die Wichtigkeit der Kontext- und Situationsgebundenheit dieser Schriften hingewiesen und sie in diesem Sinne als zeit- und ortsgebundene „Sprechakte“ aufgefasst.64 Damit na¨hert er sich fu¨r das Gebiet der politischen Sprache einem Befund an, der auch auf politische Rituale zutrifft: So hat Clifford Geertz bereits vor einiger Zeit darauf hingewiesen, dass Rituale eher als kontext- und situationsgebundene Handlungen denn Strukturen langer Dauer zu begreifen seien.65 Reden und Handeln sind in diesem Sinne zwei unterschiedliche Kommunikationsformen beim Versuch der Sinnstiftung fu¨r politische Strukturen und Ereignisse, die wiederum ihren Platz in der Realita¨t erst durch diese beiden Komponenten menschlicher Deutung erhalten.66 Vergleichbare Ansa¨tze lassen sich in der Kunstgeschichte finden. Dort favorisiert eine Richtung einer sich immer weiter ausdifferenzierenden Bildwissenschaft die kontextgebundene und kommunikative Erfindung des Bildes im Auge des Betrachters.67 In dem hier gewa¨hlten Ansatz, die Darstellung von Ritualen als Untersuchungsinstrument zu nutzen, werden die drei Ebenen von Sprache, sinnlicher Anschauung und Handlung miteinander verbunden. Gerade in Gesellschaften wie den fru¨hneu¨ bergangsstadium zwischen Mu¨ndzeitlichen Stadtrepubliken, die sich in einem U lichkeit und Schriftlichkeit, zwischen fluider Verfasstheit und fester Institutionalisierung, zwischen korporativer Abgrenzung und sta¨ndisch-differenzierter Verfestigung bewegten, ist es notwendig, das Kontext- und Situationsgebundene politischer Ordnungs- und auch Wertvorstellungen zu beachten. Daher ist es sinnvoll, sich ihnen u¨ber eine Analyse von in hohem Maße zeit- und raumabha¨ngigen Situationen, wie sie Rituale darstellen, zu na¨hern. Die Untersuchung der Rituale soll zum einen auf der Ebene der Analyse der Beschreibung von Ritualen erfolgen und zum anderen auf der Ebene der Analyse der Diskurse, die sich an diese Beschreibungen knu¨pften. Eine Rekonstruktion eines zwangsla¨ufig idealisierten rituellen Ablaufs ist nicht das Ziel dieser Arbeit. Rituale werden vielmehr als sich immer wieder neu erfindende Handlungsakte mit einem Anspruch auf Sinnstiftung durch die Ausfu¨hrung bestimmter Ablaufmuster aufge¨ ußerungen fasst. Gerade politische Rituale galten und gelten als besonders wichtige A und Interpretationen politischer Ordnungsvorstellungen. Diese Herausgehobenheit pra¨destiniert sie fu¨r die Entstehung konfligierender Deutungen. Daher ist es notwendig, ihre Untersuchung jeweils im Rahmen einer dichten Analyse in kurzen Zeitra¨umen mit einem diachronen Vergleich zu verbinden. Bei einer Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Ordnungsvorstellungen und politischen Ritualen ist es sinnvoll, sich mo¨glichst viele Beschreibungen einund derselben rituellen Handlung anzusehen, wenn die Quellenlage es zula¨sst. So
64 Seine Methode hat Skinner zusammengefasst in: Quentin Skinner, Meaning and Understanding in the
History of Ideas, in: History and Theory 8 (1969), S. 3–53. 65 Vgl. Anm. 44. 66 Auf diesen Zusammenhang macht auch aufmerksam Monika Mommertz, „Ich, Lisa Thielen“: Text als
Handlung und als sprachliche Struktur – ein methodischer Vorschlag, in: Historische Anthropologie 4 (1996), S. 303–330. 67 David Freedberg, The Power of Images: Studies in the History and Theory of Response, Chicago 1989.
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1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
kann zum Beispiel eine Beschreibung eines festlichen Umzugs in einem Tagebuch eines Bu¨rgermeisters eine bestimmte Wertigkeit offenbaren, die mit dem Bild, das ein entsprechendes Ratsproklam zeichnet, keineswegs u¨bereinstimmt. Hinzuziehen sind Bildquellen, deren spezifische Beschreibungsmuster wiederum bestimmte Fokussierungen offenbaren. Im Auge zu behalten ist dabei auch, in welchen Kommunikationssituationen bestimmte Quellen entstanden sind: Ein Geba¨ude auf dem Marktplatz der Stadt hat beispielsweise einen anderen Aussageanspruch als eine Zeichnung in einem Tagebuch. Diese Unterschiede sind gerade in der Fru¨hen Neuzeit zu beru¨cksichtigen, wo das Sprechen in bestimmten Quellen zum Teil ga¨nzlich anderen, sehr ¨ ußerungen in Textquellen des viel formalisierteren Voraussetzungen gehorchte als A 20. und fru¨hen 21. Jahrhunderts. So hat die umfangreiche Forschung zu fru¨hneuzeitlichen Selbstzeugnissen herausgearbeitet, wie schwer die Individuen hinter den Texten zu fassen sind. Diese folgten sehr viel expliziteren Regeln als die Erzeugnisse ¨ berleguneiner (vorgeblich) regellosen modernen Textproduktion.68 Vergleichbare U 69 gen lassen sich zu Bildquellen und ihren Urhebern anstellen. Gerade die Bindung des jeweiligen Sprechers an bestimmte politische und soziale Rahmenbedingungen macht die Beschreibung von Ritualen aus seiner Sicht fu¨r die Fragestellung interessant: Relevant ist also nicht, wie sich ein hansesta¨dtischer Bu¨rgermeister fu¨hlte, als er an einem o¨ffentlichen Umzug der Magistrate teilnahm, sondern, mit welchen Ordnungsvorstellungen er diese wiederum als Person, die in zahlreiche Gruppenbezu¨ge unterschiedlicher Wertigkeit und Struktur eingebunden war, verband. Verurteilte er sie? Bezeichnete er sich selbst als Mitglied? Welche anderen Gruppen und anderen Elemente des Umzugs beschrieb er? Trieb er die normative Regulierung im Rahmen von Proklamen und Erlassen voran? Auf Vera¨nderungen nicht auf der individuellen, sondern der kollektiven Ebene weisen Verschiebungen rechtlicher Bedeutungen hin, die Ritualen zugeschrieben wurden. Diese Frage wird im Laufe der Arbeit zum Beispiel bei der Untersuchung der so genannten Huldigungen in Bremen und Hamburg wichtig werden. Bei diesen war allein schon die Bezeichnung des Rituals Gegenstand langwieriger, pra¨liminarischer Verhandlungen. Aufgrund der Fokussierung auf die Beschreibungen von Ritualen ist es mo¨glich, sich politischen Konzeptionalisierungen in Gemeinwesen zu na¨hern, in denen aufgrund ihrer sozialen, kulturellen und politischen Verha¨ltnisse die Deutungsmacht u¨ber die
68 Richard van Du ¨ lmen, Die Entdeckung des Individuums 1500–1800, Frankfurt a. M. 1997, S. 85–105;
Kaspar von Greyerz, Erfahrung und Konstruktion. Selbstrepra¨sentation in autobiographischen Texten des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Berichten, Erza¨hlen, Beherrschen. Wahrnehmung und Repra¨sentation in der fru¨hen Kolonialgeschichte Europas, hg. v. Susanna Burghartz/Maike Christadler/Dorothea Nolde, Frankfurt a. M. 2003, S. 220–239; Gabriele Jancke, Autobiographie als soziale Praxis: Beziehungskonzepte in Selbstzeugnissen des 15. und 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, Ko¨ln/Weimar/Wien 2002; Eva Kormann, Welt und Gott. Autobiographik im 17. Jahrhundert, Ko¨ln 2004; Barbara Schmid, Schreiben fu¨r Status und Herrschaft. Deutsche Autobiographik in Spa¨tmittelalter und fru¨her Neuzeit, Zu¨rich 2006; Winfried Schulze, Ego-Dokumente: Anna¨herung an den Menschen in der Geschichte?, in: Von Aufbruch und Utopie. Perspektiven einer neuen Gesellschaftsgeschichte des Mittelalters. Fu¨r und mit Ferdinand Seibt aus Anlaß seines 65. Geburtstages, hg. v. Bea Lundt/Helga Reimu¨ller, Ko¨ln/Weimar/Wien 1992, S. 417–450. 69 Vgl. mit weiterfu¨hrenden Angaben Roeck, Das historische Auge, S. 9–13.
1.1. Politische Ordnungsvorstellungen im Ritual
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Funktion politisch-sozialer Strukturen noch nicht so weit verfestigt war, dass sie nicht immer wieder neu erfunden und neu bestritten werden konnte und musste.70 Der Einbeziehung von Ritualen in die Stadtgeschichtsforschung stand in Deutschland lange Zeit deren sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Ausrichtung entgegen.71 Die ersten Arbeiten zu Civic Rituals entstanden in enger Anlehnung an die von Clifford Geertz entwickelten methodischen Ansa¨tze in den USA. Bis heute stellen die Arbeiten von Richard Trexler zu Florenz72 und Edward Muir zu Venedig73 auch fu¨r deutschsprachige Untersuchungen wichtige Referenzgro¨ßen dar.74 Trexler und Muir gehen davon aus, dass die durch Rituale hergestellte Stadtgemeinschaft in einen entscheidenden Zusammenhang mit der politisch-sozialen Instabilita¨t von Florenz einerseits und der politischen Stabilita¨t Venedigs andererseits gebracht werden kann.75 Auch eine andere Forschungsrichtung bescha¨ftigt sich mit dem Zusammenhang zwischen einer spezifisch sta¨dtischen rituellen Kultur und den jeweiligen politisch-sozialen Strukturen der deutschen fru¨hneuzeitlichen Reichssta¨dte. Rudolf Schlo¨gl hat in Anlehnung an die von Hans Peter Gumbrecht postulierte Rolle der Pra¨senz als ordnungsstiftendes Element die politische Kultur fru¨hneuzeitlicher Reichssta¨dte als eine Kultur der Anwesenheit bezeichnet.76 Schlo¨gl deutet die bis ins 19. Jahrhundert andauernde legitimatorische Bedeutung von Pra¨senz und Mu¨ndlichkeit als ein Indiz fu¨r die geringe Wandlungs- und Modernisierungsfa¨higkeit der alteuropa¨ischen Stadtgesellschaften.77 Diese Arbeit teilt die Ansicht, dass Pra¨senz und Mu¨ndlichkeit eine entscheidende Bedeutung in der sozialen und politischen Legitimations- und Ordnungsstiftung besaßen. Sie geht aber gleichzeitig auch von einer starken Kontext- und Situationsgebundenheit der Rituale aus, bei denen die Funktionen von Pra¨senz und Mu¨ndlichkeit zuna¨chst unabha¨ngig von langfristigen Entwicklungsmodellen zu bewerten sind. Pra¨senz und Mu¨ndlichkeit ko¨nnen zum Beispiel in politischen Ordnungen nicht unbedingt nur strukturerhaltend wirken. Gerade in Form einer fiktionalen Pra¨senz, also als Repra¨sentation, weisen sie vielmehr auf den Wandel politischer Vorstellungen hin. So haben Untersuchungen, die auf einer Analyse von Bild- und Architekturwerken beruhten, fu¨r den sta¨dtischen Bereich Vera¨nderungen der Rolle von Pra¨senz
70 Die politischen und sozialen Strukturen der Untersuchungsbeispiele werden im Folgenden skizziert
werden.
71 Vgl. Gerd Schwerhoff, Das rituelle Leben der mittelalterlichen Stadt: Richard C. Trexlers Florenz-
studien als Herausforderung fu¨r die deutsche Geschichtsschreibung, in: Geschichte in Ko¨ln 35 (1994), S. 33–60. 72 Richard Trexler, Public Life in Renaissance Florence, New York 1980. 73 Edward W. Muir, Civic Ritual in Renaissance Venice, Princeton 1981. 74 Vgl. Anm. 71. 75 Vgl. mit weiterfu¨hrenden Angaben Edward W. Muir/Ronald F. E. Weissmann, Social and Symbolic Places in Renaissance Venice and Florence, in: The Power of Place: Bringing Together Geographical and Sociological Imaginations, hg. v. John A. Agnew/James Duncan, Boston 1989, S. 81–103. 76 Hans U. Gumbrecht, Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Pra¨senz, Frankfurt a. M. 2004, S. 17–37. 77 Vgl. Rudolf Schlo ¨ gl, Vergesellschaftung unter Anwesenden. Zur kommunikativen Form des Politischen in der vormodernen Stadt, in: Interaktion und Herrschaft. Die Politik der fru¨hneuzeitlichen Stadt, hg. v. dems., Konstanz 2004, S. 9–62.
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1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
und Visualisierung nachgewiesen. Ihre Ergebnisse na¨hern sich den Resultaten, die fu¨r den ho¨fischen Bereich herausgearbeitet wurden. Im Rahmen des an der Technischen Universita¨t Dresden angesiedelten Sonderforschungsbereichs „Institutionalita¨t und Geschichtlichkeit“78 hat Giancarlo Andenna den Zusammenhang zwischen der Zentrierung politischer Befugnisse, der Stadtwerdung und der Gestaltung des sta¨dtischen Raums analysiert. Dabei sieht er eine grundlegende Parallelita¨t zwischen politischem Wandel und visuellem Befund. Die Repra¨sentation im Sinne von Darstellung wurde dabei zunehmend wichtiger gegenu¨ber der physischen Anwesenheit der sta¨dtischen Korporationen.79 Auch fu¨r den ho¨fischen Bereich wird von kunsthistorischer Seite versta¨rkt auf die Herausbildung einer auf zentralen und abgestuften Sichtbarkeiten beruhenden ho¨fischen Architektur hingewiesen, die mit der Zentralisierung politischer Herrschaft in fru¨hneuzeitlichen Fu¨rstenstaaten parallel verlaufen sei. Das allma¨hliche Verschwinden dieser Zeichensysteme habe im 18. Jahrhundert ein zunehmendes Infragestellen dieser Herrschaftssysteme ermo¨glicht.80 Ausge¨ berlegungen zu einer spezifisch hend von diesen Untersuchungen lassen sich die U sta¨dtischen fru¨hneuzeitlichen Anwesenheitskultur dahingehend differenzieren und erweitern, dass die Rolle ko¨rperlicher Pra¨senz sehr unterschiedliche Funktionen einnehmen konnte. So ist zum Beispiel zu beachten, in welcher Form die ko¨rperliche Pra¨senz zur Legitimation von Behauptungen und Handlungen eingesetzt wurde. Ist sie schriftlich festgehalten worden? Welche Bereiche der Anwesenheit welcher Personen wurden reguliert und welche nicht? Welche Ordnungsvorstellungen und Werte wurden mit der jeweiligen Pra¨senz verbunden? In welcher Verbindung stand sie zur visuellen Gestaltung der Ra¨ume? Von kunsthistorischer Seite ist dabei in einer Fallstudie zu Augsburg um 1600 ju¨ngst auf den Zusammenhang zwischen der Nutzung des Stadtraums und der Formulierung von Herrschaftsanspru¨chen hingewiesen worden. Dieser la¨sst sich nicht allein als Ausdruck einer Kultur der Anwesenheit, sondern durchaus auch mit Begriffen der Institutionalisierung sta¨dtischer Herrschaft erfassen. So weist allein die Wahl bestimmter ku¨nstlerischer (und baulicher) Medien darauf hin, dass der Augsburger Rat nicht allein Legitimationsstiftung durch Anwesenheit nutzte, sondern auch Herrschaftsanspru¨che in Bronze, das heißt mit einem expliziten Ewigkeitsanspruch, visualisieren ließ.81
78 Zu Forschungsprogramm und -feldern des Sonderforschungsbereichs „Institutionalita¨t und
Geschichtlichkeit“ vgl. die Beitra¨ge in den Sammelba¨nden Institutionelle Macht: Genese – Verstetigung – Verlust, hg. v. Andre´ Brodocz, Ko¨ln 2005; Das Sichtbare und Unsichtbare der Macht. Institutionelle Prozesse in Antike, Mittelalter und Neuzeit, hg. v. Gert Melville, Ko¨ln/Weimar/ Wien 2005. 79 Giancarlo Andenna, Die Ambiguita¨t eines Symbols. Die „piazza“ einer italienischen Stadt zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert: ein freier Raum fu¨r die Eigendarstellung von Macht oder abgeschlossenes „centro commerciale“, in: Das Sichtbare und Unsichtbare der Macht. Institutionelle Prozesse in Antike, Mittelalter und Neuzeit, hg. v. Gert Melville, Ko¨ln/Weimar/Wien 2005, S. 131–158. 80 Vgl. Peter-Michael Hahn und Ulrich Schu ¨ tte, Thesen zur Rekonstruktion ho¨fischer Zeichen, in: MittResKom 13, 2 (2003), S. 19–47. 81 Vgl. die Ergebnisse bei Julian Jachmann, Die Kunst des Augsburger Rates 1588–1631, Berlin/Mu¨nchen 2008, S. 199–216.
1.2. Untersuchungsbeispiele und Untersuchungszeitraum
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Die hier genannten Arbeiten konzentrieren sich auf den sta¨dtischen Bereich – eine Schwerpunktsetzung, der diese Arbeit folgt. Sie fokussiert auf autonome sta¨dtische Gemeinwesen. Daher wird der Terminus Stadtrepublik als Beschreibung der politischen Verfasstheit verwendet, ohne damit bereits Aussagen u¨ber den Charakter politischer Ordnungsvorstellungen innerhalb der jeweiligen Gemeinwesen zu treffen. Fu¨r eine Analyse von Kontinuita¨t und Wandel politischer Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken um 1600 ist also zuna¨chst von einer Auffa¨cherung der Kategorien auszugehen, deren unterschiedliche oder gleichbleibende Kombinationen Hinweise auf die mit diesen Ordnungsvorstellungen verbundenen Wertigkeiten liefern: Bei diesen Kategorien handelt es sich also um die Gestaltung und Bewertung von Kommunikationssituationen im Ritual wie der stattfindenden oder fehlenden Regulierung ko¨rperlicher Anwesenheit, der Rolle von Sprache und Text,82 der Einbeziehung und entsprechenden Umgestaltung bildlicher und ra¨umlicher Symbole, der Zentrierung beziehungsweise undifferenzierten Zulassung von Sichtbarkeiten.
1.2. Untersuchungsbeispiele und Untersuchungszeitraum
Im Rahmen eines offiziellen Venedig-Besuchs im Jahre 1573 u¨berreichte der da¨nische Humanist Michaelius Laetus dem Dogen und Senat als Gastgeschenk ein lateinisches Lehrgedicht mit dem Titel De re nautica libri IIII. In ihm stellte er Venedig in eine Reihe mit den Hansesta¨dten Hamburg, Bremen und Lu¨beck. Er hob die Bedeutung der Schifffahrt und des Handels fu¨r die wirtschaftliche Situation dieser Sta¨dte hervor, die Scho¨nheit ihres Stadtbildes, die christliche Wohlgeordnetheit ihrer Regierungen und Stadtbevo¨lkerungen, den Ruhm ihrer Gelehrten.83 Die Arbeit folgt den Spuren des da¨nischen Gelehrten und untersucht den Zusammenhang zwischen politischen Ordnungsvorstellungen und ritueller Selbstdarstellung in Venedig und den Hansesta¨dten Hamburg, Bremen und Lu¨beck um 1600. Der Sinn dieser Auswahl besteht nicht im Gegenu¨berstellen von stabilen, fest abgrenzbaren wirtschaftlichen, politischen und sozialen Vergleichseinheiten.84 Es sollen vielmehr die Charakteristika
82 Dem Zusammenhang zwischen Verfassungsentwicklung in Stadtkommunen und der rituellen Bedeu-
tung von Texten widmet sich ein am Sonderforschungsbereich „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme“ angesiedeltes Projekt. Vgl. Christoph Dartmann, „Urkunde und Buch in der symbolischen Kommunikation mittelalterlicher Rechtsgemeinschaften und Herrschaftsverba¨nde“. Mu¨nsteraner Sonderforschungsbereich 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Franzo¨sischen Revolution“, Teilprojekt A1. Projektleitung: Prof. Dr. Hagen Keller, in: Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland 2004 (2005), S. 41–51. 83 Vgl. Walther Ludwig, Multa importari, multa exportarier inde – ein humanistisches Loblied auf Hamburg aus dem Jahre 1573, in: Ders., Litterae Neolatinae. Schriften zur neulateinischen Literatur, hg. v. Ludwig Braun u. a., Mu¨nchen 1989, S. 131–141. 84 Mit dieser Ablehnung entspricht die Arbeit dem jetzigen Stand der Vergleichsforschung, die weniger auf ein Gegenu¨berstellen abgegrenzter Einheiten, denn auf Kommunikationsprozesse zielt. Vgl.
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1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
von Kontinuita¨t und Wandel politischer Selbstdarstellung anhand einzelner Beispiele herausgearbeitet werden. Diese lassen sich dann im Kontext mit den anderen Untersuchungsergebnissen bewerten. Das in dieser Arbeit gewa¨hlte Vorgehen ist im Sinne Adelheid von Salderns als eine „polyvalenzorientierte, syn- [und] diachrone Relations- und Vergleichsanalyse“ zu bezeichnen.85 Die Arbeit folgt somit der Pra¨misse, dass eine historische Analyse mehrerer Fallbeispiele nicht ohne eine genaue Kontextualisierung der jeweils zu untersuchenden Situationen mo¨glich ist. „Der historische Vergleich kultureller Deutungen oder Handlungsmuster fordert somit geradezu dazu auf, die Kontextabha¨ngigkeit der Kultur ernst zu nehmen und die Verbindungsmo¨glichkeiten von Kultur- und Sozialgeschichte auszuloten.“86 ¨ berbewertung oder FehlDie gewa¨hlte europa¨ische Perspektive verhindert eine U interpretation des jeweils Spezifischen als regionale und nicht strukturell bedingte Besonderheit.87 Es wurden Stadtrepubliken ausgewa¨hlt, die auf eine lange Dauer autonomer Existenz zuru¨ckblickten. Zudem sollten die Untersuchungsbeispiele nicht demselben oder zumindest zwei einander beeinflussenden kulturellen, politischen und sozialen Bezugssystemen entstammen, wie es zum Beispiel der Fall gewesen wa¨re, wenn Venedig Genua oder den Hansesta¨dten su¨ddeutsche Reichssta¨dte gegenu¨bergestellt worden wa¨re. Die Auswahl weitgehend unabha¨ngig voneinander existierender Vergleichseinheiten sollte verhindern, dass Unterschiede und Gemeinsamkeiten politischer Repra¨sentation mit kulturellen Beeinflussungen in Verbindung ¨ berlegungen. gebracht werden mu¨ssten und nicht mit strukturellen U Die lange Dauer von Venedigs Existenz als unabha¨ngiger Republik hatte sich als ein fester Bestandteil seines Mythos etabliert.88 Auch die Hansesta¨dte Bremen, Hamburg und Lu¨beck haben sowohl im Kontext des Reiches als auch der Hanse am dauerhaftesten ihre Autonomie bewahrt, beziehungsweise im Falle Hamburgs und Bremens u¨berhaupt erst im 17. und 18. Jahrhundert endgu¨ltig absichern ko¨nnen. Venedig und die Hansesta¨dte dienten in der Fru¨hen Neuzeit nie als Bu¨hnen kaiserlicher oder auch pa¨pstlicher Selbstdarstellung – im Gegensatz zu den oberdeutschen Reichssta¨dten, wo der kaiserliche Einfluss ihre politische Kultur maßgeblich beeinflusste.89
Michael Werner und Be´nde´dicte Zimmermann, Beyond Comparison: Histoire Croise´e and the Challenge of Reflexivity, in: History and Theory 45 (2006), S. 30–50. 85 Adelheid von Saldern, Einleitung, in: Dies., Inszenierter Stolz. Stadtrepra¨sentation in drei deutschen Gesellschaften (1935–1975), Stuttgart 2005, S. 11–27, hier: S. 19–22. 86 Heinz-Gerhard Haupt/Ju¨rgen Kocka, Historischer Vergleich: Methoden, Aufgaben, Probleme. Eine Einleitung, in: Geschichte und Vergleich. Ansa¨tze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung, hg. v. dens., Frankfurt a. M./New York 1996, S. 9–47, hier: S. 39. 87 Vgl. auch die U ¨ berlegungen in: Heinz Schilling, Der Gesellschaftsvergleich in der Fru¨hneuzeitforschung – ein Erfahrungsbericht und einige (methodisch-theoretische) Schlußfolgerungen, in: Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften, hg. v. Hartmut Kaelble/Ju¨rgen Schriewer, Frankfurt a. M./New York 2003, S. 283–304. 88 Muir, Civic Ritual, S. 21–23. 89 Als Beispiel la¨sst sich Nu¨rnberg anfu¨hren. Vgl. Andrea Lo ¨ ther, Die Inszenierung der stadtbu¨rgerlichen Ordnung. Herrschereinritte in Nu¨rnberg im 15. und 16. Jahrhundert als o¨ffentliches Ritual, in: Wege zur Geschichte des Bu¨rgertums, hg. v. Klaus Tenfelde/Hans-Ulrich Wehler, Go¨ttingen 1994, S. 105–124; Helmut Neuhaus, Nu¨rnberg: Eine Reichsstadt im Herzen Europas in Fru¨her Neuzeit, in:
1.2. Untersuchungsbeispiele und Untersuchungszeitraum
19
Die Teilhabe der Hansesta¨dte am Alten Reich fu¨hrte zu anderen Rahmenbedingungen sta¨dtisch-republikanischer Repra¨sentation als in Venedig oder auch Genua, ¨ berlegung die als unabha¨ngige Republiken auftreten konnten. Aufgrund dieser U sollte nicht nur eine einzige Reichsstadt Venedig gegenu¨bergestellt werden. Vielmehr war es notwendig, der Verwurzelung in stadtu¨bergreifenden, politischen Bezugssystemen Rechnung zu tragen, indem nicht ein, sondern mehrere Untersuchungsbeispiele aus dem Gebiet des Reiches ausgewa¨hlt wurden. Die Hansesta¨dte Bremen, Hamburg und Lu¨beck bieten sich trotz aller im Folgenden immer wieder angesprochenen und herausgearbeiteten Unterschiede besonders gut als weitere Untersuchungseinheit an. Die Verbindung in der Hanse wurde durch gemeinsam ausgerichtete Hansetage und die Korrespondenz der Sta¨dte auch um 1600 aufrechterhalten. Dies wirkte sich auf innere Belange aus, wie zum Beispiel die Entscheidungen der Ra¨te u¨ber die Adaption neuer Rituale.90 Eine Untersuchung politischer Ordnungsvorstellungen um 1600 muss auch immer die Verbindung von religio¨sen und politischen Faktoren beachten. Das fu¨hrt zu einer gesonderten Betrachtung der konfessionellen Unterschiede als Analysefaktor. Auch aus diesem Grunde ist es sinnvoll, einem Untersuchungsbeispiel aus dem katholisch-italienischen Bereich Beispiele gegenu¨berzustellen, die aus einem protestantischen Umfeld stammen. Dieses muss aber in seiner konfessionellen Differenzierung einbezogen werden. Daher war es sinnvoll, den beiden lutherischen Sta¨dten Hamburg und Lu¨beck das calvinistische Bremen an die Seite zu stellen. Der Zeitraum von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts eignet sich aus mehreren Gru¨nden besonders gut fu¨r eine Untersuchung des Zusammenhangs zwischen politischen Ordnungsvorstellungen und ritueller Selbstdarstellung. Zum einen war die außenpolitische Zweitrangigkeit der Stadtrepubliken noch nicht so weit festgeschrieben, wie es nach 1648 der Fall war. Zum anderen waren diese Gemeinwe¨ ußeren vor Herausforderungen gestellt, die ihr sen zunehmend im Inneren wie im A Selbstversta¨ndnis, ihre politische Kultur und auch ganz konkret ihre Autonomie in Frage stellten. Sie waren sowohl im konfessionellen wie im politischen Kontext Situationen ausgesetzt, die eine bewusste Reflexion u¨ber die eigenen politischen Strukturen fo¨rderten.91 Es ist daher denkbar, dass auch in den Ritualen ein gesteigertes Bewusstsein der eigenen republikanischen Besonderheit zutage trat. Der Zusammenhang zwischen den in einer gesellschaftlichen und politischen Umbruchssituation Nu¨rnbergs große Zeit: Reichssta¨dtische Renaissance, europa¨ischer Humanismus, hg. v. Oscar Schneider, Cadolzburg 2000, S. 192–213. 90 Vgl. zur innerhansischen Kommunikation Volker Henn, Innerhansische Kommunikations- und Raumstrukturen: Umrisse einer neuen Forschungsaufgabe?, in: Der hansische Sonderweg? Beitra¨ge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Hanse, hg. v. Stuart Jenks, Ko¨ln 1993, S. 255–268; Iwan Iwanov, Aspekte der innerhansischen Kommunikation in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts, in: Sommerakademie des Graduiertenkollegs „Wissensfelder der Neuzeit. Entstehung und Aufbau der europa¨ischen Informationskultur.“, 2.–6. September 2002, Augsburg, hg. v. Wolfgang E. J. Weber, Augsburg 2003, S. 29–44. 91 Das beweist alleine das Quellenmaterial in: William J. Bouwsma, Venice and the Defense of Republican Liberty. Renaissance Values in the Age of Counter Reformation, Berkeley/Los Angeles/London 1968 und Schilling, Gab es im spa¨ten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit in Deutschland einen sta¨dtischen ‚Republikanismus‘?.
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1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
hohen Kontingenz- und Alterita¨tserfahrungen und der Entwicklung und Festigung eigener Abgrenzungsmechanismen ist sowohl fu¨r die Moderne als auch die Fru¨he Neuzeit hinla¨nglich erforscht. Er wird auch fu¨r diese Arbeit heuristisch fruchtbar gemacht.92 In dem folgenden Abschnitt sollen Voraussetzungen fu¨r die Analyse des Zusammenhangs zwischen politischen Ordnungsvorstellungen und symbolischer Kommunikation in den fu¨r diese Arbeit als Fallbeispiele ausgewa¨hlten Stadtrepubliken erla¨utert werden. Es soll keine histoire totale der jeweiligen Stadtgeschichte erza¨hlt werden. Vielmehr gilt es, die Rahmenbedingungen, die fu¨r das Versta¨ndnis der Rituale wichtig sind, knapp zu umreißen. Die zweite Ha¨lfte des 16. und die erste Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts war in Venedig und in den Hansesta¨dten durch eine Zuspitzung innerer Konflikte bestimmt, die das mit diesen Sta¨dten verbundene Bild harmonischer Kontinuita¨t zu u¨berlagern drohten:93 Wa¨hrend in Lu¨beck aufgebrachte Vertreter der Bu¨rgerschaft den außenpolitischen Alleinvertretungsanspruch des Rates in dieser Zeit infrage stellten,94 spalteten die Gegensa¨tze zwischen Anha¨ngern der Kurie auf der einen und ihren Gegnern auf der anderen Seite das venezianische Patriziat so weit, dass von einer Teilung in Papalisti und Anti-Papalisti gesprochen werden kann. Letztere auch Giovani genannten Patrizier vertraten außenpolitisch eine gegen kuriale und habsburgische Interessen gerichtete Politik. Im Inneren hingegen hielten sie an traditionellen politischen Normen fest, die sie als Grundlage der venezianischen Republik betrachteten.95 In beiden Fa¨llen verknu¨pften sich in Voraussetzung und Form des jeweiligen Konflikts innere Strukturen mit Faktoren, die von außen an diese weitgehend autonomen Gemeinwesen herangetragen wurden. Im schwedischen Thronfolgestreit zwischen Sigismund III. und Karl, Herzog von So¨dermanland, nutzte der ku¨nftige schwedische Monarch das unklare Verha¨ltnis von Herrschaftsrechten im Bereich der außenpolitischen Entscheidungen zwischen
92 Vgl. fu¨r die Moderne die beiden Beitra¨ge Straub, Personale und kollektive Identita¨t sowie Peter
Wagner, Fest-Stellungen. Beobachtungen zur sozialwissenschaftlichen Diskussion u¨ber Identita¨t, in: Erinnerung, Geschichte, Identita¨t, Bd. 3: Identita¨ten, hg. v. Aleida Assmann/Heidrun Friese, Frankfurt a. M. 1998, S. 44–72. Fu¨r die Fru¨he Neuzeit vgl. die entsprechenden Beitra¨ge in den Sammelba¨nden Nationale und kulturelle Identita¨t. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit, hg. v. Bernhard Giesen, Frankfurt a. M. 1991; Identita¨t und Krise? Zur Deutung vormoderner Selbst-, Welt- und Fremderfahrungen, hg. v. Christoph Dartmann/Carla Meyer, Mu¨nster 2007. 93 Zur Stabilita¨t als Bestandteil des venezianischen politischen Selbst- und Fremdbildes vgl. Muir, Civic Ritual, S. 13–64; fu¨r Lu¨beck vgl. kritisch die Bewertung des Forschungsstandes bei Philip R. Hoffmann, Soziale Differenzierung und politische Integration. Zum Strukturwandel der politischen Ordnung in Lu¨beck (15.–17. Jahrhundert), in: Stadtgemeinde und Sta¨ndegesellschaft. Formen der Integration und Distinktion in der fru¨hneuzeitlichen Stadt, hg. v. Patrick Schmidt/Horst Carl, Berlin 2007, S. 166–197, hier: S. 167. 94 Vgl. Antjekathrin Grassmann, Lu¨beck im 17. Jahrhundert: Wahrung des Erreichten, in: Lu¨beckische Geschichte, hg. v. Ders., Lu¨beck 31997, S. 435–490, hier: S. 440–441. 95 Vgl. Federico Seneca, Il Doge Leonardo Dona`. La sua vita e la sua preparazione politica prima del Dogado, Padua 1959, S. 27–38; Aldo Stella, Chiesa e Stato nelle Relazioni dei Nunzi Pontifici a Venezia. Ricerche sul Giurisdizionalismo Veneziano dal XVI al XVIII secolo, Citta` del Vaticano 1964, S. 3–16.
1.2. Untersuchungsbeispiele und Untersuchungszeitraum
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Lu¨becker Rat und Bu¨rgerschaft zu seinen Gunsten. In einem Brief an die Bu¨rgerschaft forderte der spa¨tere Karl IX. sie zur Kritik an der bisherigen Bu¨ndnispolitik des Rates auf und trug so zum Ausbruch eines seit Jahren schwelenden Konflikts zwischen Rat und Bu¨rgerschaft in Lu¨beck bei.96 Dies zeigt, dass das Strukturmerkmal der Hansestadt, durch flexible Kompetenzzuschreibungen einen Interessensausgleich zwischen Rat und Bu¨rgerschaft zu erreichen,97 sich negativ in einem Umfeld auswirkte, in dem politische Herrschaft zunehmend in hierarchischen Abha¨ngigkeiten zentral geordnet wurde.98 Die durch Kontinuita¨t erprobte, eher korporativ organisierte, als mit Begriffen der Souvera¨nita¨t erfassbare Lu¨becksche Verfasstheit99 geriet in Konflikt mit der Ausbildung eines Ma¨chtesystems im Nordosten. Dieses war dadurch gepra¨gt, dass die da¨nische und die schwedische Krone eine Vorrangstellung sowohl in politischer als auch wirtschaftlicher Hinsicht anstrebten.100 Die Gruppenbildung zwischen Papstbefu¨rwortern und -gegnern in Venedig ru¨hrte aus der bereits fu¨r das 15. Jahrhundert charakteristischen Interessensauftei¨ mterhierarchie verbunden waren lung zwischen den Familien, die mit der kurialen A auf der einen und jenen auf der anderen Seite, deren Mitglieder allein in politi¨ mtern der Stadtrepublik ta¨tig waren.101 Sie gewann in der zweiten Ha¨lfte des schen A 16. Jahrhunderts eine ga¨nzlich neue Bedeutung. Nach dem Konzil von Trient trat der Republik Venedig ein Papsttum gegenu¨ber, das in hohem Maß religio¨s-politische Gefolgschaft einforderte. In beiden Fa¨llen verbanden sich in den Konflikten in Lu¨beck und Venedig kurzfristige Entwicklungen mit den Strukturen, die sich in einem langen Prozess der Stadtbildung auf politischem und kirchlichem Gebiet ausgebildet hatten. Das Wechselspiel von Strukturen langer Dauer und kurzfristig sich beschleunigenden Entwicklungen bot den politischen, sozialen und institutionellen Rahmen fu¨r die Repra¨sentation und Rezeption politischer, performativ gefasster Selbstdarstellung. Trotz des Anscheins der Stabilita¨t waren gerade die inneren Strukturen Venedigs und der Hansesta¨dte durch zyklisch auftretende Konflikte zwischen einer kleineren Gruppe, die die Stadtherrschaft auf sich vereinen wollte, und einer gro¨ßeren, die mehr oder weniger formal aus dieser weggedra¨ngt wurde, bestimmt. Diese Konflikte zeigen in beiden Bereichen entweder eine Gemengelage von verschiedenen politischen Facetten oder von politischen Faktoren, die sich mit religio¨sen Bedeutungszuschreibungen verbanden und dadurch wiederum eine fu¨r die soziale und politische Koha¨sion der Magistrate untereinander besonders bedrohliche Dimension erhielten. 96 Vgl. Grassmann, Lu¨beck im 17. Jahrhundert, S. 441. 97 Vgl. Christopher R. Friedrichs, Politik und Sozialstruktur in der deutschen Stadt des 17. Jahrhun-
derts, in: Sta¨nde und Gesellschaft im Alten Reich, hg. v. Georg Schmidt, Wiesbaden/Stuttgart 1989, S. 151–170, hier: S. 152–155. 98 Zum Problemkomplex Stadt und fru¨hmoderne Staatsbildung vgl. Schilling, Stadt und fru¨hmoderner Territorialstaat; Schilling, Stadt, S. 38–50. 99 Mit diesem Begriff ist keine schriftlich festgelegte Verfassung gemeint, sondern die Gesamtheit der Organisation von Belangen, die dem politischen Bereich zugeordnet wurden. 100 Zur Situation im Ostseeraum vgl. mit weiterfu¨hrenden Angaben Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen, S. 308–345. 101 Vgl. Dieter Girgensohn, Kirche, Politik und adelige Regierung in der Republik Venedig zu Beginn des 15. Jahrhunderts, Erster Teilbd., Go¨ttingen 1996, S. 78–128.
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1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
Mit diesen inneren Entwicklungen verwoben sind die Wandlungsprozesse der a¨ußeren Position der Stadt. Gegenu¨ber benachbarten Landesherren, aber auch im weiteren europa¨ischen Kontext mussten Venedig und Lu¨beck ihre Autonomie sichern, Hamburg und Bremen hingegen diese erst einmal vollsta¨ndig und dauerhaft erlangen. Dies wirkte sich wiederum auf das Wechselverha¨ltnis von politischen und religio¨sen Strukturen und Entwicklungen im Inneren aus. Im Folgenden sollen zuna¨chst die inneren, dann die a¨ußeren Strukturen Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 erla¨utert werden. In der demographischen und territorialen Ausdehnung unterschieden sich das fru¨hneuzeitliche Venedig und die Hansesta¨dte Hamburg, Bremen und Lu¨beck deutlich voneinander. Die Stadtbevo¨lkerung Venedigs wuchs im Laufe des 16. Jahrhunderts um etwa 75 000 Personen von 100 000 auf 175 000 Einwohner.102 Die Pestepidemie von 1575–1577 unterbrach diese Entwicklung und dezimierte die Bevo¨lkerung um mehr als 25 000 Personen.103 Dennoch brachte nicht diese Seuche sondern ein neuerlicher Pestausbruch in den Jahren 1630–1631 eine entscheidende Wende in der Bevo¨lkerungsentwicklung der Lagunenstadt. Die Einwohnerzahl stieg von etwa 67 000 unmittelbar nach Ende der Seuche wieder auf u¨ber 100 000 an. Sie sollte jedoch weder im 17. noch im 18. Jahrhundert dieselbe Ho¨he wie in der Mitte des 16. Jahrhunderts erreichen.104 Nur fu¨r Venedig lassen sich die Bevo¨lkerungszahlen anna¨hernd pra¨zise angeben. Dort wurden bereits im 14. Jahrhundert erste offizielle Za¨hlungen nach Stadtquartieren geordnet durchgefu¨hrt.105 Fu¨r die Hansesta¨dte liegen keine vergleichbar zuverla¨ssigen Zahlen vor.106 Es la¨sst sich aber dennoch ein eklatanter Gro¨ßenunterschied der venezianischen und hansesta¨dtischen Einwohnerzahlen von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts feststellen. Bei einem Vergleich der hansesta¨dtischen Bevo¨lkerungsentwicklung steht der Stagnation der Bevo¨lkerungszahlen bei 50–60 000 Einwohnern in Lu¨beck107 ein deutlicher Anstieg in Hamburg gegenu¨ber. Von rund 36 000 Einwohnern um 1600 verdoppelte sich die Zahl der Hamburger Stadtbewohner bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts.108 Selbst auf ihrem Ho¨hepunkt waren die Lu¨becker und Hamburger Einwohnerzahl um ein gutes Drittel bis zur Ha¨lfte geringer als die Venedigs. In Bremen hielt sie sich von 1350 bis zum Ende des 17. Jahrhunderts bei konstant etwa 20 000–25 000 Einwohnern.109 102 Vgl. Heinrich Kretschmayr, Geschichte von Venedig, Bd. 3: Der Niedergang, Stuttgart 1934, S. 188. 103 Ebd. 104 Vgl. Karl J. Beloch, Bevo¨lkerungsgeschichte Italiens. III. Die Bevo¨lkerung der Republik Venedig, des
Herzogtums Mailand, Piemont, Genuas, Corsicas und Sardiniens. Die Gesamtbevo¨lkerung Italiens, Berlin 1961, S. 17. 105 Zu den Bevo¨lkerungsza¨hlungen in Venedig vgl. Daniele Beltrami, Storia della Popolazione di Venezia dalla fine del secolo XVI alla caduta della Repubblica, Padua 1954, S. 9–27. 106 Laut Julius Hartwig fanden zum Beispiel in Lu¨beck Za¨hlungen nur in Zusammenhang mit Seuchen statt. Vgl. Julius Hartwig, Lu¨becks Einwohnerzahl in fru¨herer Zeit, in: MittVLu¨bG 13 (1917), S. 77–92, hier: S. 80. 107 Vgl. Hartwig, Lu¨becks Einwohnerzahl, S. 83–85. 108 Vgl. Hans-Dieter Loose, Das Zeitalter der Bu¨rgerunruhen und der großen europa¨ischen Kriege 1618–1712, in: Hamburg. Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner, Bd. 1: Von den Anfa¨ngen bis zur Reichsgru¨ndung, hg. v. dems., Hamburg 1982, S. 259–350, hier: S. 265. 109 Vgl. Herbert Schwarzwa¨lder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen, Bd. 1, Von den Anfa¨ngen bis zur Franzosenzeit (1810), Bremen 21995, S. 148, 289.
1.2. Untersuchungsbeispiele und Untersuchungszeitraum
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Diese unterschiedlichen demographischen Entwicklungskurven lassen sich mit dem jeweiligen Wirtschaftswandel in einen Zusammenhang bringen.110 Lu¨beck bu¨ßte seine traditionelle Rolle als Umschlagplatz zwischen Ost und West ein.111 Venedig geriet im o¨stlichen Mittelmeerraum zunehmend unter den wirtschaftlichen Konkurrenzdruck niederla¨ndischer und englischer Seefahrtskompanien.112 Hamburg und Bremen hingegen waren die Nutznießer der langfristigen Verlagerung der Handelsstro¨me.113 Hamburgs wirtschaftliche Situation verbesserte sich zudem auch durch die wirtschaftliche und technische Kompetenz der ab der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts in Hamburg ansa¨ssigen niederla¨ndischen Exulanten.114 Von ihnen stiegen einige rasch in den Kreis der wohlhabendsten Familien auf.115 Bremen profitierte in seiner wirtschaftlichen Entwicklung von den aus konfessionellen Gru¨nden naheliegenden Verbindungen in die Niederlande:116 In engem Kontakt zu Amsterdam fanden Bremer Kaufleute Anschluss an den Transatlantikhandel, ohne daru¨ber die aufgrund des Getreidehandels florierende Binnenschifffahrt zu vernachla¨ssigen.117 Ein vergleichbarer Aufschwung, wie er in Hamburg stattfand, wurde allerdings durch die im Vergleich zur Elbe eingeschra¨nkte Schiffbarkeit der Weser verhindert. Ihre zunehmende Versandung machte die Anlage eines in den Jahren 1618–1621 errichteten Vorhafens in Vegesack notwendig, der sich allerdings fu¨r die Bedu¨rfnisse des Fernhandels als wenig geeignet erwies.118 In Bremen wie in Hamburg stellte der Binnen- und Fernhandel im 16. und 17. Jahrhundert die Haupteinnahmequelle der Kaufleute dar. Dies ist ein signifikanter
110 Vgl. zum Thema auch insgesamt Philip R. Hoffmann-Rehnitz, Rhetoriken des Niedergangs. Zur
Wahrnehmung sta¨dtischer Schrumpfungsprozesse in der Fru¨hen Neuzeit am Beispiel Lu¨becks, Ko¨ln 2008. 111 Vgl. Wolf-Dieter Hauschild, Fru¨he Neuzeit und Reformation: Das Ende der Großmachtstellung und die Neuorientierung der Stadtgemeinschaft, in: Lu¨beckische Geschichte, hg. v. Antjekathrin Grassmann, Lu¨beck 31997, S. 341–434, hier: S. 342–343. 112 Vgl. Frederic C. Lane, Venice. A Maritime Republic, Baltimore 1973, S. 284–307. 113 Zu Bremen vgl. Hans J. von Witzendorff, Bremens Handel im 16. und 17. Jahrhundert, in: BremJb 44 (1955), S. 128–174. Fu¨r die Hamburger Wirtschaftsgeschichte dieser Zeit sind folgende drei Untersuchungen zu nennen: Ernst Baasch, Hamburgs Seeschiffahrt und Warenhandel vom Ende des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, in: ZVHambG 9 (1894), S. 295–420; Hermann Kellenbenz, Unternehmerkra¨fte im Hamburger Portugal- und Spanienhandel 1590–1625, Hamburg 1954; Martin Reissmann, Die hamburgische Kaufmannschaft des 17. Jahrhunderts in sozialgeschichtlicher Sicht, Hamburg 1975. 114 Vgl. Johann M. Lappenberg, Von der Ansiedelung der Niederla¨nder in Hamburg, in: ZVHambG 1 (1841/1843), S. 241–248, Robert van Roosbroek, Die Niederlassung der Flamen und Wallonen in ¨ berblick, in: ZVHambG 49–50 (1964), S. 53–76. Hamburg (1567–1605). Ein U 115 Vgl. Joachim Whaley, Minorities and Tolerance in Hamburg, 16th–18th Centuries, in: Minderheden in Westeuropese steden (16de–20ste eeuw)/Minorities in Western European Cities, hg. v. Hugo Soly und Alfons K. I. Thijs, Bru¨ssel/Rom 1995, S. 173–188, hier: S. 178–179. 116 Vgl. Ludwig Beutin, Einleitung. Bremens Beziehungen zu den Niederlanden, in: QFBremHG, Heft 2: Bremen und die Niederlande, hg. v. Dems./Hermann Entholt, Weimar 1939, S. 7–29. 117 Vgl. Witzendorff, Bremens Handel im 16. und 17. Jahrhundert, S. 136; Friedrich Pru ¨ ser, s. v. Bremen, in: Niedersa¨chsisches Sta¨dtebuch, hg. v. Erich Keyser, Stuttgart 1952, S. 56–62, hier: S. 56. 118 Pru ¨ ser, s. v. Bremen, S. 56. Fu¨r Hamburg vgl. Gerhard Theuerkauf, Der Hamburger Hafen vom 12. bis zum 16. Jahrhundert, in: Beitra¨ge zur hansischen Kultur-, Verfassungs- und Schiffahrtsgeschichte, hg. v. Horst Wernicke/Nils Jo¨rn, Weimar 1998, S. 129–143, hier: S. 139–141.
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1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
Unterschied zu Venedig und Lu¨beck. Dort stagnierte die Bedeutung des Fernhandels. Das Handelsvolumen blieb in Venedig und Lu¨beck weitgehend vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts konstant, erfuhr aber auch keine Steigerung.119 Anstelle oder neben den traditionellen Fernhandelsbeziehungen versprachen Investitionen auf anderen Gebieten mehr Gewinn. Eine teilweise hochspezialisierte Landwirtschaft und regionale proto-industrielle Gu¨terproduktion entwickelten sich. Dies fo¨rderte den Trend der Lu¨becker und venezianischen Oberschicht zur Verlandung, das heißt zum Verlassen der Stadt und zum Residieren auf Gu¨tern in der Umgebung Lu¨becks oder auf dem zu Venedig geho¨renden Festland, der Terraferma.120 Die Verlagerung von proto-industriellen Fertigungsmethoden auf die Landgu¨ter in der Umgebung der Stadt besaß den Vorteil, ohne Beru¨cksichtigung des sta¨dtischen Zunftzwangs produzieren zu ko¨nnen. Dies fu¨hrte in Lu¨beck zu Konflikten zwischen Ratsherren, die von dieser Entwicklung profitierten, und stadtansa¨ssigen Zunftmeistern.121 Zudem entwickelten sich die Interessen zwischen landbesitzenden Magistraten und Fernhandel treibenden Kaufleuten in Lu¨beck und in Venedig immer weiter auseinander. In Venedig und Lu¨beck la¨sst sich insgesamt eher als in Hamburg und Bremen von einer Auswirkung wirtschaftlich unterschiedlicher Interessen auf die politischen Diskussionen zwischen Rat und Bu¨rgerschaft beziehungsweise auf die Konflikte innerhalb des venezianischen Patriziats ausgehen. Die unterschiedlichen Quantita¨ten und Qualita¨ten der sozialen und wirtschaftlichen Strukturen wirkten sich auch auf die politische Kultur aus. In Venedig spielten sich politische Rituale vor einem sehr viel gro¨ßeren Publikum als in den Hansesta¨dten ab. In Venedig und in den Hansesta¨dten waren der Dogenpalast und der Markusplatz respektive Rathaus und Rathausplatz jeweils das wichtigste Zentrum sta¨dtischer Feierlichkeiten. Der Markusplatz war allerdings fu¨r deutlich gro¨ßere Prozessionen angelegt als zum Beispiel der Raum zwischen dem Lu¨becker Rathaus und der Marienkirche. Aufgrund der ho¨heren Bevo¨lkerungszahl aber auch der weiteren Ausdehnung des sta¨dtischen Territoriums, das in Venedig die Giudecca mit einbezog,122 musste die Zentrierung der politischen Repra¨sentation auf das politische und kirchliche Herz der Stadt mit aufwendigeren a¨sthetischen und performativen Mitteln erreicht werden als in Lu¨beck, Bremen oder Hamburg. Die Notwendigkeit zur Inszenierung politischer Selbstdarstellung wurde allerdings in Hamburg und Bremen auch durch einen anderen Faktor gefo¨rdert: Hier musste der Rat mit der, wenn auch nicht kontinuierlichen, rituellen Pra¨senz der Landesherren im Stadtraum konkurrieren. Bei 119 Der amerikanische Wirtschaftshistoriker Frederic C. Lane spricht daher fu¨r die zweite Ha¨lfte des
¨ nderungen“ („shifts“) des Handels als von einem generellen Ru¨ckgang: 16. Jahrhunderts eher von „A Lane, Venice, S. 296–307. Fu¨r Lu¨beck vgl. Grassmann, Lu¨beck im 17. Jahrhundert, S. 435–436. 120 Vgl. Alexander F. Cowan, The Urban Patriciate: Lu¨beck and Venice, 1580–1700, Ko¨ln u. a. 1996, S. 195–213. 121 Vgl. Philip R. Hoffmann, Winkelarbeiter, Nahrungsdiebe und rechte Amtsmeister. Die ‚Bo¨nhaserei‘ als Forschungsproblem der vorindustriellen Gewerbegeschichte und deren Bedeutung fu¨r das fru¨hneuzeitliche Handwerk am Beispiel Lu¨becks, in: Vorindustrielles Gewerbe. Handwerkliche Produktion und Arbeitsbeziehungen in Mittelalter und fru¨her Neuzeit, hg. v. Mark Ha¨berlein/Christof Jeggle, Konstanz 2004, S. 183–210, hier: S. 203–210. 122 Vgl. Elisabeth Crouzet-Pavan, „Sopra le acque salse“. Espaces, Pouvoir et socie´te´ a` Venise a` la fin du ˆ ge, 2 Bde., Rom 1992, hier: Bd. 1, S. 333–368 und Bd. 2, S. 680–738. Moyen A
1.2. Untersuchungsbeispiele und Untersuchungszeitraum
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einer Analyse der Frage, ob die quantitativen Gro¨ßenunterschiede zwischen Venedig und den Hansesta¨dten auch zu einer grundsa¨tzlich anderen Qualita¨t der jeweiligen ¨ ffentlichkeit fu¨hrten, vor denen und mit denen sich politische Rituale vollzogen, O mu¨ssen die in beiden Bereichen und jeweils zwischen den Hansesta¨dten verschiedenen sozialen und politischen Segmentierungen beru¨cksichtigt werden. Abgesehen von einigen Gruppen, die einen Sonderstatus genossen wie die Juden, die Kolonie der deutschen Kaufleute und die Ha¨ndler aus dem Osmanischen Reich, gliederte sich die venezianische Stadtbevo¨lkerung in die drei großen Gruppen der Nobili, der Cittadini und Popolani. Grenzten sich Nobili und Cittadini zunehmend ab, galt der Status der Popolani als ein Sammelbegriff fu¨r alle, die in Venedig ansa¨ssig waren, aber weder zu den Sondergruppen noch zu den Cittadini geho¨rten.123 Die Gruppe der Nobili entstand durch die allma¨hliche Abgrenzung einiger venezianischer Familien in der zweiten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts von der restlichen Bu¨rgerschaft. Der Kreis derjenigen, die den Dogen wa¨hlen durften, wurde familia¨r definiert. Dieser Prozess ist auch als serrata, als „Schließung“ des Maggior Consiglio, des Versammlungsorgans aller Wahlberechtigten, bekannt.124 Nobili und Cittadini sind Statusbezeichnungen, die bestimmte politische Rechte anzeigten. Ihre konsequente Anwendung wurde angestrebt, aber gleichzeitig dadurch erschwert, dass die Vermo¨gensentwicklungen sich teilweise quer zu diesen politisch-rechtlichen Abgrenzungen vollzogen.125 Der Status eines Cittadino war bis ins 16. Jahrhundert nur an Vermo¨genswerte ¨ mter der Republik gekoppelt. Die Cittadini besaßen das Recht, die administrativen A ohne eigenes Wahlrecht zu besetzen, wie zum Beispiel den Posten des Cancelliere Grande, des Großkanzlers, der die Kanzlei des Dogenpalastes leitete. Als Reaktion ¨ mter wurde im auf die steigende wirtschaftliche Attraktivita¨t dieser administrativen A Jahre 1569 der Status eines Cittadino an die Herkunft einer Familie geknu¨pft, deren Mitglieder aus Venedig stammten und keinem Handwerk nachgingen.126 Der Cittadino war zum Cittadino originario, zum alteingesessenen Bu¨rger, geworden. Ein Aufstieg aus dieser Gruppe in das Patriziat war nur in Ausnahmefa¨llen mo¨glich, so zum Beispiel, als die Finanzknappheit der Republik dies im Laufe des Krieges um Kreta (1646–1669) erforderte.127 Weitere Cittadini-Titel verlieh der Senat. Sie sollten unter anderem die Ansiedlung fremder Kaufleute in Venedig erleichtern. Diese Cittadini-Titel waren nicht erblich und ero¨ffneten nicht die Mo¨glichkeit, einen administrativen Posten zu erlangen.128
123 Vgl. Gerhard Ro ¨ sch, Venedig. Geschichte einer Seerepublik, Stuttgart/Berlin/Ko¨ln 2000, S. 137. 124 Vgl. Ro ¨ sch, Geschichte Venedigs, S. 119. 125 Vgl. Volker Hunecke, Der venezianische Adel am Ende der Republik 1646–1697. Demographie,
Familie, Haushalt, Tu¨bingen 1995, S. 31–32. 126 Vgl. Giuseppe Trebbi, La cancelleria veneta nei secoli XVI e XVII, in: Annali della Fondazione Luigi
Einaudi 14 (1980), S. 65–125, hier: S. 70. Zur Entwicklung insgesamt vgl. Matteo Casini, La cittadinanza originaria a Venezia tra i secoli XV e XVI. Una linea interpretativa, in: Studi Veneti offerti a Gaetano Cozzi. Venedig 1994, S. 133–150. 127 Vgl. Hunecke, Der venezianische Adel, S. 35–36. 128 Vgl. Ro ¨ sch, Geschichte Venedigs, S. 135.
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1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
Aufgrund der nicht-feudalen Definition der venezianischen Nobili und auch ihres weitgehend fehlenden Konnubiums mit italienischen und europa¨ischen feudaladeligen Familien129 wird in dieser Arbeit von einem venezianischen Patriziat und nicht von einem venezianischen Adel gesprochen. Die Nobili waren eine Gruppe, deren Mitglieder qua Geburt einen Sitz im Maggior Consiglio und damit auch Gelegenheit ¨ mter besaßen.130 Dieser Situation einer formalen zu Aufstieg in andere politische A Gleichheit standen zahlreiche Unterscheidungslinien innerhalb der Patrizierfamilien gegenu¨ber, die allerdings nie das Gewicht formaler Distinktionsmerkmale erlangten. So hatte sich bereits Ende des 13. Jahrhunderts eine Gruppe von zwo¨lf Familien herauskristallisiert, die fu¨r sich in Anspruch nahmen, an der legendenumwobenen Flucht in die Lagune im 5. Jahrhundert teilgenommen zu haben. Sie nannten ihre Familien im Unterschied zu denjenigen, die bei der so genannten Schließung des Maggior Consiglio hinzugekommen waren, case vecchie, also alte Geschlechter.131 Ein weiteres Unterscheidungskriterium bestand zwischen der Gruppe von Familien, die im Jahre 1297 den Maggior Consiglio gestellt hatten und denjenigen, die im Rahmen des Chioggia-Krieges (1379–1380), bei dem Venedig fast durch seine Konkurrentin Genua erobert worden wa¨re, gegen eine Bezahlung in die Gruppe der Nobili aufgenommen wurden.132 Diese um 1600 als Traditionen zu bezeichnenden Differenzierungen innerhalb des Patriziats fielen teilweise mit anderen, ju¨ngeren Unterscheidungskriterien zusammen oder u¨berlagerten sich mit ihnen. Neben den erwa¨hnten Unterschieden zwischen den Anha¨ngern einer eher konservativ ausgerichteten Bewahrungspolitik um 1600, den Papalisti, und den Befu¨rwortern einer eher aggressiv verteidigten Autonomie Venedigs gegenu¨ber dem Papst und den Habsburgern, den Giovani, traten wirtschaftliche Gegensa¨tze, die zusa¨tzlich zu politischen und konfessionellen Unterscheidungslinien die formale Gleichheit der Patriziatsangeho¨rigen gefa¨hrdeten. Einige Patrizier profitierten durch geschickte Investitionen in spezialisierte Werksta¨tten auf den Laguneninseln und in ihre Landgu¨ter auf der Terraferma von dem wirtschaftlichen Wandel Venedigs. Andere erlitten – besonders wa¨hrend der Pestepidemien und Tu¨rkenkriege – nicht nur personale, sondern auch wirtschaftliche Verluste. Verarmte Patrizier genossen somit zwar formal dieselben politischen Rechte, standen aber ha¨ufig in Abha¨ngigkeit von o¨konomisch besser gestellten Nobili.133 Die wirtschaftlichen Gegensa¨tze zwischen den Patriziern wirk-
129 Eine Ausnahme stellte die venezianische Patrizierin Bianca Capello dar, die gegen den Willen ihrer
Eltern nach Florenz entfu¨hrt worden war und dort in zweiter Ehe den Großherzog Francesco de’ Medici heiratete, vgl. Kretschmayr, Geschichte von Venedig, S. 206. 130 Beides interpretiert Gerhard Ro¨sch als Folge der Genese dieser Gruppe im Unterschied zum restlichen europa¨ischen Adel. Vgl. Gerhard Ro¨sch, Der venezianische Adel bis zur Schließung des Großen Rates. Zur Genese einer Fu¨hrungsschicht, Sigmaringen 1989, S. 208. 131 Die vorliegende Arbeit konzentriert sich weder im venezianischen noch hansesta¨dtischen Bereich auf Fragen der dynastischen Zusammenha¨nge und der Definitionen familia¨rer Zugeho¨rigkeit. Unter Familie wird im Folgenden die durch verwandtschaftliche Grade bestimmten Beziehungen von Personen untereinander verstanden. Darin folgt die Arbeit dem von Volker Hunecke vorgegebenen pragmatischen Ansatz, vgl. Hunecke, Der venezianische Adel, S. 25–26. 132 Vgl. Ro ¨ sch, Geschichte Venedigs, S. 118–120. 133 Vgl. Hunecke, Der venezianische Adel, S. 55.
1.2. Untersuchungsbeispiele und Untersuchungszeitraum
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ten sich auf die politische Kultur Venedigs aus: Sie begu¨nstigten eine Zunahme von Bestechungen bei Wahl- und Entscheidungsverfahren. Im Laufe zweier Krisen kommen diese sozial bedingten Unterschiede besonders deutlich zum Ausdruck, na¨mlich in der Auseinandersetzung um die Kompetenzverteilung zwischen dem Consiglio di Dieci, dem Rat der Zehn, auf der einen und dem Senat134 sowie dem Maggior Consiglio, dem Großen Rat auf der anderen Seite in den Jahren 1582–1583 und 1625–1629. Die o¨ffentliche Kasse Venedigs, die Zecca (Mu¨nze), hatte erst durch den Krieg um Zypern zu Beginn der siebziger Jahre des 16. Jahrhunderts und dann durch die Pestepidemien gelitten. Die Besetzung der mit ¨ mter lag in den Ha¨nden des Consiglio di Dieci – der Finanzverwaltung befassten A eine Aufgabe, die in dieser Periode besonders schwierig war. Der Consiglio di Dieci hatte seine Kompetenzen, die sich urspru¨nglich auf die Aufdeckung von Verschwo¨rungen beschra¨nkten, seit seiner Einrichtung im Jahre 1310 immer weiter ausgeweitet. Am Ende des 16. Jahrhunderts bestimmte er die Themen, die im Senat und im Maggior Consiglio zur Verhandlung gebracht wurden.135 In dieser Situation stellten Mitglieder des Senats und des Maggior Consiglio nicht allein die undurchsichtige Finanzpolitik des Consiglio di Dieci in Frage, sondern kritisierten auch die Partei¨ mterbesetzungen und der Rechtspflege. Eine Reform lichkeit seiner Mitglieder bei A ¨ mter der Zecca in die Ha¨nde des Senats. im Jahre 1583 legte die Besetzung der A Außerdem wurde beschlossen, dass alle außenpolitischen Anfragen nun nicht mehr allein an den Consiglio di Dieci gerichtet werden sollten, sondern in erster Linie an den Senat.136 Das Machtverha¨ltnis zwischen jenen, die im Consiglio di Dieci und auch im Senat politisch fu¨hrend waren und meist aus reichen Familien stammten, und den weniger Begu¨nstigten verschob sich durch diese Reform nicht zugunsten der a¨rmeren Patrizier. Die meisten von ihnen hatten sich im Rahmen der Diskussionen nicht durch eigene Initiativen profiliert. Sie hatten sich vielmehr als Anha¨nger hinter einzelne Patrizier gestellt. Diese entstammten meist alten Ha¨usern, genossen ein hohes Sozialprestige, und verurteilten die Maßnahmen des Consiglio di Dieci, die in ihren Augen nicht mit den Prinzipien der venezianischen Verfassung konform gingen. Der spa¨tere Doge Nicolo` Contarini (Amtszeit 1630–1631), einer der wichtigsten Wortfu¨hrer der Giovani, war einer der Hauptkritiker des Consiglio di Dieci. Er stammte aus einem verarmten Zweig der zu den case vecchie geho¨renden Contarini.137 Die sozialen Friktionen innerhalb des Patriziats blieben auch nach dieser Reform weiter bestehen. Sie spielten bei der Diskussion um das Verha¨ltnis zwischen
134 Der Senat bestand aus 60 Mitgliedern, die jeweils fu¨r ein Jahr vom Maggior Consiglio gewa¨hlt wurden.
¨ mter automatisch mit dem Sitz im Senat verknu¨pft, sodass die nicht festgelegte Zusa¨tzlich waren viele A Zahl seiner Mitglieder meist weitaus mehr als 60 Personen betrug. 135 Vgl. Paolo Preto, I Servizi Segreti di Venezia, Mailand 1994, S. 51–52. 136 Zu den Ereignissen der Jahre 1582–1583 vgl. Martin J. C. Lowry, The Reform of the Council of Ten, 1582–83: An Unsettled Problem?, in: SV 13 (1971), S. 275–310; Aldo Stella, La regolazione delle pubbliche entrate e la crisi politica veneziana del 1582, in: Miscellanea in onore di Roberto Cessi, Bd. 2, Rom 1958, S. 157–171. 137 Vgl. Gaetano Cozzi, Il Doge Nicolo` Contarini. Ricerche sul Patriziato Veneziani agli Inizi del Seicento, Venedig/Rom 1958, S. 53; Andrea Da Mosto, I Dogi di Venezia nella vita pubblica e privata, Mailand 1966, S. 449–450.
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1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
sozialer Macht und gesetzgeberischer Gewalt wa¨hrend des Dogats Giovanni Cornaros (1625–1629) eine große Rolle. Dieser hatte erreicht, dass der Consiglio di Dieci zahlreiche Versto¨ße eines seiner So¨hne gegen venezianische Handelsregelungen nicht ahndete. Außerdem hatte er die Zustimmung dazu erhalten, dass seine So¨hne entgegen dem bisherigen Usus auch nach seiner Wahl Senatsmitglieder bleiben und wiedergewa¨hlt werden durften. Zusa¨tzlich erzielte er mit dem Argument, dass es sich nur um eine Wu¨rde und nicht um ein auswa¨rtiges Amt handele, die Zustimmung des Senats, dass sein ju¨ngster Sohn Federico Cornaro im Jahre 1626 die Ernennung zum Kardinal annehmen durfte.138 Die Opposition zu der eigenma¨chtigen Privilegienanha¨ufung einer einzigen Familie ging von einem Mitglied des Consiglio di Dieci selbst aus, von Renier Zeno, der aus einer der zwo¨lf apostolischen Familien Venedigs stammte.139 Er verband sich zuna¨chst mit der Gruppe um Nicolo` Contarini, die das Verhalten der Mitglieder der Familie Cornaro ebenfalls kritisierte. Zeno verlor jedoch bald deren Unterstu¨tzung, weil auch er institutionelle Verfahrensregeln fortwa¨hrend missachtete.140 Renier Zeno auf der einen und Giovanni Cornaro sowie dessen So¨hne auf der anderen Seite konnten ihren civil warre,141 der auch auf perso¨nlichen Antipathien beruhte, deswegen so lange betreiben, weil sie sich der Unterstu¨tzung verschiedener Gruppen innerhalb des Patriziats sicher waren. Wurde Zeno durch die Anha¨nger Nicolo` Contarinis nicht mehr unterstu¨tzt, war er sich doch immer der Stimmen sozial bedu¨rftiger Patrizier sicher, deren Votum er durch Bestechung erlangte.142 Zenos Versuch einer Restitution einer (vorgeblich) alten Ordnung muss aufgrund seiner zu wenig konkreten Reformvorstellungen sowie seiner recht eigenwilligen Auslegung institutioneller Grundsa¨tze als gescheitert angesehen werden.143 Die Ereignisse der Jahre 1582–1583 und 1625–1629 machen die – wenn auch ¨ mter- und Verfassungsfragile – Belastbarkeit des venezianischen innerpatrizischen A systems deutlich. Weder die Gegner noch die Befu¨rworter der Patrizierfamilien um ¨ mter oder gar eine instiGiovanni Cornaro konnten die Besetzung der politischen A tutionelle Umstrukturierung in ihrem Sinne erreichen. Diese unentschiedene Lage fu¨hrte dazu, dass sich die institutionellen Mechanismen stabilisierten. Beide Krisen fu¨hrten dazu, dass vermehrt Kompetenzen verschriftlicht und pra¨ziser reguliert wurden – eine Entwicklung, die nicht mit der in beiden Fa¨llen durch viele Patrizier evozierten Untergangsstimmung u¨bereinstimmt. Diese wollten mit entsprechenden dramatisch anklagenden Urteilen eine Disqualifizierung ihrer Gegner als Feinde von Eintracht und Stabilita¨t erreichen.144 138 Vgl. William L. Barcham, Grand in Design. The Life and Career of Federico Cornaro Prince of the
Church, Patriarch of Venice and Patron of the Arts, Venedig 2001, S. 140–160; Gaetano Cozzi, Il movimento di Renier Zeno e la correzione del Consiglio dei dieci, in: Ders., Venezia barocca. Conflitti di uomini e idee nella crisi del seicento veneziano, Venedig 1995, S. 185–245, hier: S. 194–195. 139 Vgl. Charles J. Rose, Marc Antonio Venier, Renier Zeno and „The Myth of Venice“, in: The Historian 36, 3 (1974), S. 479–497. 140 Vgl. Cozzi, Il movimento, S. 198–199. 141 So die Einscha¨tzung des englischen Gesandten in einem Bericht vom 15. September 1628, zitiert nach ebd., S. 211. 142 Ebd., S. 199. 143 Ebd., S. 212. 144 So auch die Bewertung bei Robert Finlay, Politics in Renaissance Venice, London 1980, S. 281–288.
1.2. Untersuchungsbeispiele und Untersuchungszeitraum
29
Im Gegensatz zu Venedig hatte sich in den Hansesta¨dten ein korporatives Versta¨ndnis von Stadtherrschaft herausgebildet.145 Das bedeutet nicht, dass es in Venedig keine Korporationen gegeben ha¨tte: Die Bedeutung der Bruderschaften und Zu¨nfte fu¨r die rituelle Selbstdarstellung der Stadtrepublik wird im Folgenden wiederholt deutlich werden. Die sta¨dtischen Korporationen wurden aber nicht Teil der politischen Verfasstheit der Lagunenrepublik. In den Hansesta¨dten war die Unterteilung der Bu¨rgerschaft nach Korporationen, besonders in Bremen und Lu¨beck, fu¨r die politische Struktur des Wechselverha¨ltnisses von Rat und Bu¨rgerschaft grundlegend. In Bremen hatte die nach Kirchspielen gegliederte Bu¨rgerschaft146 zu Beginn der 1530er Jahre versucht, ihren Einfluss auf den Rat zu vergro¨ßern und als eigensta¨ndiges Organ neben dem Rat akzeptiert zu werden. Sechsundzwanzig Vertreter aus jedem der vier Kirchspiele standen nun dem Rat gegenu¨ber und beanspruchten als das „Kollegium der 104“ urkundlich besiegelte Mitspracherechte. In ihrer Argumentation wird die Verbindung von genossenschaftlichen Gedanken und reformatorischem Impetus deutlich.147 Der Widerstand der Bu¨rger148 richtete sich nicht nur gegen den Rat, sondern auch gegen das Kollegium der Elterleute,149 der Vertretung der Bremer Kaufmannschaft. So besetzten die 104 im Januar des Jahres 1532 zeitweise sogar deren Sitz, den Schu¨tting.150 Der Auszug eines großen Teils des Rates aus der Stadt ließ die Vorhaben der 104 scheitern. Diese waren insbesondere bei der Regelung der a¨ußeren Belange Bremens u¨berfordert und erhielten vom Rat nur wenige Informationen.151 Ein Rezess im Jahre 1532, die so genannte Neue Eintracht, markierte den Beginn eines „scharfen obrigkeitlichen Regiments“.152 Nach dem Ende des Aufstands der 104 oblag es dem Rat zu entscheiden, welche und wie viele Bu¨rgerschaftsvertreter er zu seinen Sitzungen hinzuziehen wu¨rde.153 Im Laufe des 16. Jahrhunderts verloren die Gemeindevertreter und damit auch die Handwerker ga¨nzlich an Einfluss, wa¨hrend die Gruppe der Elterleute als einzige Korporation neben dem Rat an Mitspracherechten gewann.154 In der Verfasstheit Bremens dominierten damit ratssa¨ssige und nicht-ratssa¨ssige Kaufleute. In Lu¨beck entwickelte sich das Verha¨ltnis zwischen Rat und Bu¨rgerschaft auf eine ¨ hnlich wie in Bremen galt andere Weise bei vergleichbaren Ausgangsbedingungen. A die Einberufung nach Kirchspielen als ein System, das mehr Mitspracherechte der Bu¨rgerschaft garantierte, als wu¨rde der Rat ihre Einberufung festsetzen. So wurde es
145 Vgl. Ernst Pitz, Bu¨rgereinung und Sta¨dteeinung. Studien zur Verfassungsgeschichte der Hansesta¨dte
und der deutschen Hanse, Ko¨ln u. a. 2001, S. 230–245. 146 Zum bremischen Bu¨rgerrecht vgl. Karl Reineke, Das bremische Bu¨rgerrecht, in: BremJb 32 (1925),
S. 195–232.
147 Vgl. Schwarzwa¨lder, Geschichte, S. 188–206. 148 Ebd., S. 191. 149 Diese Elterleute hatten dieselben Sprecher- und Leitungsfunktionen wie die A ¨ lterleute der A ¨ mter und
anderer kaufma¨nnischer Korporationen, unterscheiden sich aber bis heute durch ihre Schreibweise.
150 Vgl. Schwarzwa¨lder, Geschichte, S. 196. 151 Ebd., S. 196–198. 152 Ebd., S. 204. 153 Vgl. ebd., S. 184–206. 154 Ebd., S. 287.
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1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
dann auch in dem Bu¨rgerausschuss praktiziert, der sich wa¨hrend der Diskussionen um die Einfu¨hrung der Reformation in der Reichs- und Hansestadt im Jahre 1528 gebildet hatte.155 Der urspru¨nglich aus Hamburg stammende Kaufmann Ju¨rgen Wullenwever war in dieser Zeit einer der Hauptkritiker der Politik des Rates. Nachdem er und seine Anha¨nger die Erga¨nzung des Rates im Jahre 1532 durch zwo¨lf Mitglieder des Bu¨rgerausschusses durchgesetzt hatten, betrieben sie zunehmend eine Politik, die die Belange der Bu¨rgerschaft ignorierte.156 Der Widerstand Ju¨rgen Wullenwevers und seiner Anha¨nger gegen die Ratspolitik la¨sst sich durch unterschiedliche o¨konomische und damit auch außenpolitische Interessen von Ratsherren und nicht-ratssa¨ssigen Kaufleuten begru¨nden.157 In der in dieser Zeit erfolgten Neuordnung der Bu¨rgerschaft wurden die Handwerksa¨mter in vier gleich große Gruppen geteilt und dadurch ¨ mter158 der in ihren eigensta¨ndigen Vertretungsrechten gemindert. Die vier großen A Schmiede, Schneider, Ba¨cker und Schuster u¨bernahmen nun Repra¨sentationsfunktionen fu¨r die ihnen beigeordneten Zu¨nfte.159 Die Handwerksa¨mter spielten auch in den von 1598–1605 andauernden Auseinandersetzungen zwischen Rat und Bu¨rgerschaft, die nach dem die Bu¨rgerschaft beratenden Juristen Heinrich Reiser „Reisersche Unruhen“ genannt werden, keine nennenswerte Rolle.160 In dem 1599 gebildeten Bu¨rgerschaftsausschuss waren unter 50 Mitgliedern nur acht Handwerksmeister vertreten. Den Rest bildeten nicht ratssa¨ssige Kaufleute und Juristen.161 Dennoch waren die Handwerker als Interessensgruppe im Konflikt zwischen handeltreibenden und sich u¨berwiegend von Landbesitz und Proto-Industrie erna¨hrenden ratsfa¨higen Personen von so großer Bedeutung, dass sie im Gegensatz zu Bremen nicht vollkommen aus der institutionellen Beteiligung an den Entscheidungen des Rates verdra¨ngt wurden. Im Jahre 1629 bildeten sie eine eigene Gruppe bei der Neueinteilung der Bu¨rgerschaft in zwo¨lf Kollegien.162 Deutlich erkennbar ist die Tendenz, den Handwerkera¨mtern im Vergleich zu den kaufma¨nnischen und Patrizierkorporationen immer weniger politische Rechte zuzugestehen. Dennoch wurden sie an allen Aspekten des Stadtregiments beteiligt, die zwischen Rat und Bu¨rgerschaft beraten und beschlossen wurden. Hierin unterscheidet sich Lu¨beck von Hamburg und Bremen, wo die Zunftmitglieder mit der Zeit praktisch (nicht formal) vom Stadtregiment ausgeschlossen wurden.
155 Vgl. Hauschild, Fru¨he Neuzeit und Reformation, S. 385. 156 Ebd., S. 393, 399. 157 Ebd., S. 398–407. Außerdem Rainer Postel, Heinrich der Ju¨ngere und Ju¨rgen Wullenwever, in: Refor-
mation und Revolution: Beitra¨ge zum politischen Wandel und den sozialen Kra¨ften am Beginn der Neuzeit, hg. v. Dems./Franklin Kopitzsch, Wiesbaden 1989, S. 48–69, hier: S. 50, 59. 158 ‚Amt‘ ist die norddeutsche Bezeichnung fu¨r Zunft. Der Begriff ‚Zunft‘ gewann in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts eine besondere Bedeutung, als die Lu¨becker Brauer versuchten, sich mit ihm ¨ mter zu erheben. Vgl. Ju¨rgen Asch, Rat und Bu¨rgerschaft in Lu¨beck rangma¨ßig u¨ber die anderen A 1598–1669. Die verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen im 17. Jahrhundert und ihre sozialen Hintergru¨nde, Lu¨beck 1961, S. 22. 159 Vgl. Asch, Rat und Bu¨rgerschaft, S. 23. 160 Vgl. zu den ‚Reiserschen Unruhen‘ ebd., S. 56–93. 161 Vgl. ebd., S. 24. 162 Ebd., S. 23–24.
1.2. Untersuchungsbeispiele und Untersuchungszeitraum
31
Die große Rolle von Ausschu¨ssen neben dem Rat weist auf eine grundlegende Eigenschaft politischer Herrschaftsausu¨bung in allen vier Stadtrepubliken hin: Eine Erweiterung des Kreises der an Entscheidungsfindungen Beteiligten sollte die Akzeptanz von Beschlu¨ssen erho¨hen. Daher wurden in strittigen Fragen oder auch bei einem drohenden Legitimita¨tsverlust der gro¨ßeren oder politisch wichtigeren Gruppe Ausschu¨sse hinzugezogen, deren Zahl und Zusammensetzung nach jeweiligem Kra¨fteverha¨ltnis von der kritisierten oder kritisierenden Gruppe bestimmt wurden. In Venedig wurde dieses Ausschusssystem in die institutionellen Abla¨ufe selbst eingebunden. Dies fu¨hrte schließlich zu einer selbst fu¨r Beteiligte nur noch schwer durchschaubaren Vielfalt und Anzahl an Zonte, so genannten zusa¨tzlichen entscheidungsbefugten Gruppen.163 In den Hansesta¨dten sind die Ausschu¨sse deswegen aufschlussreich, weil in ihnen die Bu¨rgerschaft in Krisenzeiten versuchte, den Zugang zu Entscheidungsfindungsprozessen zu vergro¨ßern. In der Reformationszeit wurde in allen drei Sta¨dten dieses Bestreben durch die Sakralisierung des Bu¨rgerverbandes, durch die religio¨s begru¨ndete Betonung seiner egalita¨ren und nicht distinkten Merkmale, versta¨rkt.164 In Bremen und Lu¨beck scheiterte die Einbeziehung einer nicht hierarchisch oder korporativ gegliederten Bu¨rgerschaft an der Beharrungskraft einer Ratsherrschaft, die bereits aus den Auseinandersetzungen des 15. Jahrhunderts gesta¨rkt hervorgegangen war. Dennoch etablierte sich in beiden Sta¨dten keine unumschra¨nkte Alleinherrschaft der Magistrate. Nur wurde die Bu¨rgerschaft in Bremen und in Lu¨beck außer in den genannten innersta¨dtischen Krisen allein in ihrer, wenn auch in beiden Fa¨llen unterschiedlich strukturierten korporativen Form, zu den Ratssitzungen hinzugezogen. Einzig in Hamburg sollte sich mit der Reformation eine nicht korporativ definierte Beteiligung der Bu¨rgerschaft durchsetzen. Wie die Bremer und Lu¨becker so wurde auch die Hamburger Bu¨rgerschaft zu Beginn des 16. Jahrhunderts nach Kirchspielen geordnet vom Rat zu bestimmten Entscheidungen hinzugezogen.165 Mit der Durchsetzung der Reformation erhielt die Kirchspielgliederung eine neue politische Bedeutung: Bereits in den fru¨hen zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts forderten nicht ratssa¨ssige Kirchspielvertreter166 in Berufung auf das christliche Gemeindeideal mehr Mitsprache bei der Kirchenverwaltung und generell an der Stadtherrschaft.167 Damit reagierten sie auf das Bestreben einiger Ratsmitglieder, gewohnheitsrechtliche Mitspracherechte der Bu¨rgerschaft immer weiter einzuschra¨nken. Diese Tendenz war in den Diskussionen um das Hamburger Stadtrecht von 1495 offen von einigen Ratsmitgliedern gea¨ußert worden.168 Die Verbindung von Gemeindeanliegen und reformatorischen Ideen zeigte sich in der Errichtung von Gotteska¨sten in den einzelnen
163 Vgl. Finlay, Politics in Renaissance Venice, S. 43, 181–196. 164 Vgl. Bernd Moeller, Reichsstadt und Reformation, Berlin 21987, S. 18–49. 165 Vgl. Rainer Postel, Reformation und Gegenreformation 1517–1618, in: Hamburg. Geschichte der
Stadt und ihrer Bewohner, Bd. 1, hg. v. Werner Jochmann/Hans-Dieter Loose, Hamburg 1982, S. 191–258, hier: S. 191. 166 Vgl. Postel, Reformation und Gegenreformation, S. 197. 167 Ebd., S. 197–198. 168 Ebd., S. 194.
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1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
Kirchspielen. Diesen gemeinsamen Kassen, die zur Armen- und Sozialfu¨rsorge verwendet wurden, standen jeweils 12 von der erbgesessenen Bu¨rgerschaft169 gewa¨hlte Diakone plus 44 Verordnete vor. Auf diese Weise hatte sich das Kollegium der 144er gebildet, die erste eigensta¨ndige Vertretung der Hamburger Bu¨rgerschaft gegenu¨ber dem Rat.170 Anders als in Lu¨beck und Bremen kam es in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts nicht zu einer Abschaffung dieser bu¨rgerschaftlichen Gesamtvertretung. Das ha¨ngt damit zusammen, dass mit der Errichtung der Gotteska¨sten ein entscheidender Teil der obrigkeitlichen Pflichten des Rates – der Armenfu¨rsorge und des Sozialwesens – in die Ha¨nde der Kirchspielvertreter gelangt war.171 Im Jahre 1563 nahm die Bu¨rgerschaft Korruptionsvorwu¨rfe, die gegen den Rat laut geworden waren, zum Anlass, ihre finanziellen Rechte auszuweiten und ihre Beteiligung an der sta¨dtischen Ka¨mmerei durchzusetzen. Diese Machterweiterung war nur vor dem Hintergrund der Tatsache denk- und durchsetzbar, dass die Bu¨rger bereits u¨ber mehrere Jahre Erfahrungen mit eigensta¨ndiger Administration sammeln konnten. Neben der Beteiligung an der Ka¨mmerei erlangten sie auch ihre Beteiligung am sta¨dtischen Bauwesen – einer weiteren Schlu¨sselposition in der sta¨dtischen Administration.172 In Hamburg war also bereits sehr viel fru¨her als in Lu¨beck die nach Kirchspielen, nicht nach Korporationen organisierte Bu¨rgerschaft an Kernbereichen innersta¨dtischer Herrschaftsausu¨bung beteiligt. Insbesondere dank des Machtmittels der Steuerbewilligung und dem Bereitstellen von Finanzmitteln gelang es der Bu¨rgerschaft immer wieder, sich gegenu¨ber dem Rat durchzusetzen.173 Dem Hamburger Rat stand mit der Bu¨rgerschaft ein Gremium gegenu¨ber, das u¨ber mehr Rechte als die Lu¨becker Kollegien verfu¨gte. Das wirkte sich auch auf die Gestaltung der sta¨dtischen Rituale aus, wie wir im Laufe der Arbeit sehen werden. Hamburg hatte dank seiner besonderen Verfasstheit eine bemerkenswerte Stabilita¨t im 16. Jahrhundert im Vergleich zu Bremen und Lu¨beck erlangt, die sich auch positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirkte.174 In Lu¨beck nahmen die Auseinandersetzungen zwischen Rat und Bu¨rgerschaft aus mehreren Gru¨nden radikale Formen an: Der Rat war zu Beginn der Unruhen der Reformationszeit gleichsam geburtssta¨ndisch abgeschlossen. Anders als in Venedig war dies aber nicht in der Ratswahl verankert.175 Alteingesessenen Ratsherrenfamilien, die ha¨ufig nicht mehr vom Handel, sondern in erster Linie vom Landbesitz lebten, standen Kaufleute gegenu¨ber, die neu in die Hansestadt gekommen waren und nun aufgrund ihres Vermo¨gens eine den Ratsherren gleichgestellte Position beanspruchten.176 Wie in Venedig, so gelang es auch in Lu¨beck keiner der beiden Seiten, sich institutionell endgu¨ltig durchzusetzen. Die Abgeschlossenheit des Rates wurde
169 ‚Erbgesessene Bu¨rger‘ waren diejenigen Hamburger mit vollen Bu¨rgerrechten. 170 Vgl. Rainer Postel, Die Reformation in Hamburg: 1517–1528, Gu¨tersloh 1986, S. 197–198. 171 Vgl. Postel, Reformation und Gegenreformation, S. 198–199, 217–218. 172 Vgl. Gisela Rueckleben, Rat und Bu¨rgerschaft in Hamburg 1595–1686, Marburg 1969, S. 16. 173 Vgl. Postel, Reformation und Gegenreformation, S. 241. 174 Ebd., S. 217. 175 Vgl. Asch, Rat und Bu¨rgerschaft, S. 31. 176 Ebd., S. 31–34.
1.2. Untersuchungsbeispiele und Untersuchungszeitraum
33
trotz der Selbstbezeichnung seiner Mitglieder als patricii177 immer wieder durchbrochen. Die Mitspracherechte der Bu¨rgerschaft blieben, wenn auch strikt geregelt, bestehen. Ein Rezess von 1666 sah schließlich die Institutionalisierung dieses fragilen Mit- und Nebeneinanders durch weitgehende Miteinbeziehung der bu¨rgerschaftlichen Kollegien in die sta¨dtischen Polizei- und Finanzangelegenheiten vor. In Lu¨beck hatte sich auf lange Sicht kein Herrschaftsmonopol des Rates herausgebildet.178 Bei allen grundlegenden Unterschieden in Zugangs- und Zugeho¨rigkeitsdefinitionen zeigen die Diskussionen um die Teilhabe an der Finanzverwaltung und die Forderung nach mehr Transparenz politischer Entscheidungsfindungen Parallelen zwischen den hansesta¨dtischen Auseinandersetzungen und den Diskussionen um die Kompetenzverteilung zwischen Maggior Consiglio und Consiglio di Dieci. Die jeweils zahlenma¨ßig gro¨ßere Gruppe forderte eine gro¨ßere Kontrollierbarkeit politischer Entscheidungen sowie eine aktivere Beteiligung an der Ausu¨bung von Herrschaftsrechten. Ihre Forderung rechtfertigte sie damit, dass sich die politischen Entscheidungsfindungen von der zahlenma¨ßig kleineren Gruppe nicht mehr nach Regeln richteten, die fu¨r alle einsichtig waren und das Wohl der Stadt garantierten. Eine einzige, nicht institutionell definierte Interessengruppe ha¨tte zu viel institutionelle ¨ mtern und die Verteilung finanMacht durch ihren Einfluss auf die Besetzung von A zieller Mittel erlangt. Im Grunde forderten die Kritiker eine gro¨ßere Trennung informeller politischer Kriterien wie dem sozialen, familia¨ren oder o¨konomischen Status ¨ mter. von der Ausu¨bung der A Die Ereignisse um Giovanni Cornaro weisen darauf hin, dass die familia¨re Zuge¨ mterho¨rigkeit eines Amtstra¨gers politische Krisen heraufbeschworen konnte. Die A kumulation der Familie Cornaro stellte einen offenen Verfassungsbruch dar und bedrohte die venezianische Republik in den Augen anderer Patrizier wohl sta¨rker, als im Nachhinein vorstellbar ist. Auch einige Lu¨becker Ratsherren versuchten zur selben Zeit, sich nicht-lu¨becksche Privilegien zuzulegen. Wie die Cornaro um die Kardinalswu¨rde, so bemu¨hten sich im Vergleich zu anderen Reichssta¨dten auffa¨llig viele Lu¨becker Ratsfamilien um die Verleihung von reichsrechtlich anerkannten Adelsprivilegien.179 Die venezianische Krise des Jahres 1626 ist aber aus mehreren Gru¨nden als noch schwerwiegender anzusehen als die lu¨beckschen Konflikte dieser Zeit: Die ¨ mterha¨ufung der Familie Cornaro verbunden war, lag in ihren Gefahr, die mit der A außenpolitischen Implikationen. Die Lu¨becker Ratsfamilien waren durch die Einbettung Lu¨becks in den Reichsverband in ihrem Aktionsradius außenpolitisch eingeschra¨nkt. Die Durchdringung der venezianischen politischen Ordnung durch eine einzige Familie und ihre Anha¨nger fu¨r Venedig ha¨tte hingegen – besonders, weil diese Familie auch noch u¨ber enge Kontakte nach Rom verfu¨gte – weitreichende Konsequenzen haben ko¨nnen. An der Krise um Giovanni Cornaro und Renier Zeno la¨sst
177 Der Begriff taucht zum ersten Mal im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen Rat
und Bu¨rgerschaft 1599 auf. Vgl. Asch, Rat und Bu¨rgerschaft, S. 33. 178 Ebd., S. 117–122. 179 Vgl. Erwin Riedenauer, Kaiserliche Standeserhebungen fu¨r reichssta¨dtische Bu¨rger 1519–1740. Ein
statistischer Vorbericht zum Thema ‚Kaiser und Patriziat‘, in: Deutsches Patriziat 1430–1740. Bu¨dinger Vortra¨ge 1965, hg. v. Hellmuth Ro¨ssler, Limburg/Lahn 1968, S. 27–98, hier: S. 37, 39, 63–64.
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1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
sich aber auch beobachten, wie die Auseinandersetzungen nicht zu einer tiefgreifenden Umgestaltung der gesamten politischen Ordnung fu¨hrten. Vielmehr versta¨rkte sie vermutlich das Bestreben der meisten Patrizier, solche Krisen durch ein ausgeglichenes politisches Pendeln zwischen mehreren Fraktionen erst gar nicht mehr aufkommen zu lassen. Der Dreiteilung der hansesta¨dtischen Stadtbevo¨lkerung in Rat, Bu¨rger und Einwohner stand in Venedig die Dreiteilung von Patriziat, Cittadini und Popolani gegenu¨ber. Einwohner und Popolani bildeten die zahlenma¨ßig gro¨ßte Gruppe mit keinerlei aktiven politischen Rechten. Eine Gruppe der Cittadini fehlte in den Hansesta¨dten. Diese verfu¨gten aufgrund ihrer kleineren sta¨dtischen und territorialen Ausdeh¨ mter als die venezianische Republik, die nung u¨ber sehr viel weniger administrative A noch bis zum Ende des 17. Jahrhunderts u¨ber ausgedehnte Besitzungen verfu¨gte. Der Maggior Consiglio umfasste a¨hnlich wie die Bu¨rgerschaft in Bremen, Hamburg und Lu¨beck diejenigen, die die Mo¨glichkeit zu politischen Entscheidungsfindungen beanspruchten, wenn auch dieser Zugang den Bu¨rgern in den Hansesta¨dten wiederholt mal mehr, mal weniger erfolgreich verwehrt wurde. Konflikte entzu¨ndeten sich an der Verteilung der Entscheidungsbefugnisse zwischen Rat und Bu¨rgerschaft beziehungsweise zwischen Maggior Consiglio und Consiglio di Dieci. Diese Konflikte waren ein grundlegendes Kennzeichen der jeweiligen Verfasstheit. Sie traten nicht erst im 16. Jahrhundert auf. In der Reformationszeit verbanden sie sich mit religio¨sen Zugeho¨rigkeiten, die diese in der Struktur der jeweiligen Ordnung selbst angelegten Differenzen versta¨rkten oder durch zum Teil ganz neue Bedeutungsebenen u¨berlagerten. Die konfessionelle Trennlinie zwischen Anha¨ngern der Reformation und Befu¨rwortern des Alten Glaubens wurde in den Hansesta¨dten dadurch erkennbar, dass einem Rat, der zuna¨chst meist am Alten Glauben festhalten wollte, eine Bu¨rgerschaft entgegenstand, die ihre politische Kritik nun auch mit religio¨sen Forderungen verband. Die Reformation setzte sich in den Hansesta¨dten auch deswegen durch, weil die Herrschaft des Rates nicht so fest institutionalisiert war, als dass sie nicht ha¨tte infrage gestellt werden ko¨nnen. Kirchliche Zeremonien und Feste wurden in hohem Maße zu Foren der Standortbestimmung der politischen Repra¨sentation des komplexen hansesta¨dtischen Gefu¨ges von Rat, Bu¨rgerschaft und Gemeinde. Dieser Politisierung kirchlichen Lebens stand die in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts zu beobachtende Genese und Verfestigung konfessioneller Großgruppen entgegen. Eine Geistlichkeit, die kirchliche Reformen befu¨rwortete, bemu¨hte sich um eine trennscharfe Definition von kirchlichem und weltlichem Leben. Gerade deswegen konnten die innerkonfessionellen Entwicklungen zu einer Steigerung der in der Mitte des 16. Jahrhunderts festen Verbindung politischer und religio¨ser Ordnungsvorstellungen fu¨hren: Die Ausschließlichkeit der konfessionellen Zugeho¨rigkeitsforderungen zwang diejenigen, die wie die sta¨dtischen Magistrate fu¨r sich beanspruchten, eine christliche Obrigkeit zu sein, dazu, sich zu diesem Ausschließlichkeitsanspruch zu positionieren.180 180 Zum religio¨sen Ausschließlichkeitsanspruch und seinen politischen Folgewirkungen vgl. Heinz
Schilling, Gab es um 1600 in Europa einen Konfessionsfundamentalismus? Die Geburt des inter-
1.2. Untersuchungsbeispiele und Untersuchungszeitraum
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In den durch Reformation und Konfessionalisierung ausgelo¨sten Krisen versuchten die Magistrate, das christliche Fundament ihrer Herrschaft dazu zu nutzen, die dem Primat des Religio¨sen eigene Dynamik einzuhegen, indem sie die Initiative bei der symbolischen Adaption religio¨ser Ideen ergriffen. Diese Versuche fanden natu¨rlich besonders offensichtlich auf dem Gebiet der kirchlichen Zeremonien und Feste statt, lassen sich aber auch auf anderen Feldern beobachten. Die institutionellen Auspra¨gungen der Bestrebungen des Rates, die Oberherrschaft u¨ber die Geistlichkeit zu erlangen, hingen in Bremen, Hamburg und Lu¨beck von der Stellung des Rates und der jeweiligen konfessionellen Situation ab und fielen dementsprechend unterschiedlich aus. So strebte der Lu¨becker Rat an, die Geistlichen als Bu¨rger unter seine Oberherrschaft zu bringen. Dennoch akzeptierte er Nikolaus Hunnius, der den Rat in vielen Fa¨llen offen kritisierte, fu¨r immerhin fast zwanzig Jahre als Superintendent (1624–1643). In Hamburg konnte der Rat hingegen seine Kirchenpolitik nur mit der Unterstu¨tzung der Bu¨rgerschaft betreiben. Daher versuchte er, die Kritikmo¨glichkeit der streng lutherischen Geistlichkeit dadurch zu vermindern, dass er das Amt des Superintendenten in den Jahren 1576–1580 unbesetzt ließ.181 Das zeigt seine im Vergleich zu Lu¨beck sehr viel weniger gefestigte Position. In beiden Fa¨llen verfolgten die Magistrate aber das gleiche Ziel, na¨mlich die Geistlichkeit nur als Kraft unter und nicht neben sich zu dulden. In Bremen unterstu¨tzte der Rat die vom calvinistischen Reformator Christoph Pezel geforderten Umgestaltungen der Kirchenra¨ume und des Gottesdienstes, nicht aber die von ihm im na¨chsten Schritt geplante Einfu¨hrung der Kirchenzucht nach Genfer und Emdener Vorbild.182 Der Bremer Rat duldete keine eigensta¨ndige gemeindliche Gerichtsbarkeit neben sich, so dass der Einfluss des Calvinismus auf Bremen ganz anders als im Falle Genfs oder Emdens zu beurteilen ist.183 Im Gegensatz zu den Hansesta¨dten war Venedig in der ersten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts ein Sammelbecken unterschiedlicher religio¨ser Stro¨mungen – eine Situation, die eher mit der im Bremen, Hamburg oder Lu¨beck des 15. Jahrhunderts zu vergleichen ist.184 Aufgrund seiner gespaltenen Haltung zu den aus Rom betriebenen Reformvorhaben genoss Venedig auch um 1600 noch den Ruf, ein Ort zu sein, an dem religio¨se Themen sehr viel freier als in anderen italienischen Sta¨dten diskutiert werden konnten.185 Im Unterschied zu den Hansesta¨dten fokussierten sich innervenezianische Reformbewegungen nicht auf eine Person oder ein einziges konfessionelles Programm. Bereits aufgrund dieser theologisch bedingten Unterschiede konnten nationalen Systems in der Krise des konfessionellen Zeitalters, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs 2005 (2006), S. 69–93. 181 Vgl. Postel, Reformation und Gegenreformation, S. 253. 182 Vgl. Ju¨rgen Moltmann, Christoph Pezel (1539–1604) und der Calvinismus in Bremen, Bremen 1958, S. 155–159. 183 Vgl. Moltmann, Christoph Pezel, S. 166. 184 Vgl. Kerstin Rahn, Wirkungsfelder religio¨ser Bruderschaften in spa¨tmittelalterlichen Sta¨dten der sa¨chsischen und wendischen Hanse, in: Genossenschaftliche Strukturen in der Hanse, hg. v. Nils Jo¨rn/ Detlef Kattinger/Horst Wernicke, Ko¨ln u. a. 1999, S. 165–180. 185 So siedelte zum Beispiel Jean Bodin nicht umsonst seinen Dialog „Heptaplomeres“ in Venedig an. Vgl. Georg Roellenbleck, Venezia scena dell’‚ultimo‘ dialogo umanista: l’Heptaplomeres di Jean Bodin (ca. 1590), Venedig 1985.
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sie nicht dieselbe o¨ffentliche Wirkkraft entfalten wie die Reformation in den Hansesta¨dten. Entsprechend den strukturell-institutionellen Voraussetzungen verbanden sich verschiedene Haltungen zu kirchlichen Reformen also nicht mit einer fehlenden politischen Diskussion zwischen Patriziat und beispielsweise Cittadini. Religion spielte hingegen auf zwei anderen Gebieten eine politische Rolle: in den Gruppenbildungen innerhalb des Patriziats sowie innerhalb der Bruderschaften, die Patrizier, Cittadini und Popolani umfassten. Ein Beispiel zeigt, wie konkret sich diese Diskussionen auf die Lebensplanungen dieser Patrizier und damit auf die Selbsterhaltung der politischen Institutionen auswirken konnten: Fast alle jungen Ma¨nner, die sich in Venedig zwischen 1510 und 1512 in einem eigenen patrizischen Zirkel zusammengeschlossen hatten, um religio¨se Fragen zu diskutieren, wechselten von der weltlichen zur geistlichen Laufbahn, darunter auch der spa¨tere Kardinal Gasparo Contarini .186 Diese durch Reformideen gefo¨rderte Neigung zu geistlichen Laufbahnen war fu¨r den Erhalt der venezianischen politischen Institutionen bedrohlich. Die Republik war ¨ mterauf den Willen des Patriziats angewiesen, sich der zeit- und geldraubenden A ¨ laufbahn zu unterwerfen und nicht oder wenigstens nicht im Ubermaß die finanziell zum Teil sehr viel lukrativeren Aufstiegsmo¨glichkeiten anzunehmen, die sich an der ro¨mischen Kurie boten.187 Dieser Konflikt politisierte sich zunehmend im Laufe des 16. Jahrhunderts, als die Befu¨rwortung nachtridentinischer Reformen auch mit einer politischen Parteinahme fu¨r Habsburg und gegen Frankreich zusammenfiel. In diesen Fa¨llen lag die Gefahr also nicht nur darin, dass einzelne Patrizier die Vorrangigkeit politischen Engagements infrage stellten, sondern auch, dass sie und mit ihnen ihre Familien sich in ihrer politischen Loyalita¨t von der Republik abwandten. Gerade diesen Kritikpunkt fu¨hrten die Giovani um 1600 ha¨ufig an. Im Gegenzug warfen ihnen die Papalisti mangelnde Religiosita¨t oder sogar Ketzerei vor. Der Prozess gegen den venezianischen Patrizier Angelo Badoer zeigt diese Gegensa¨tze. Dieser hatte sich durch seine spanien- und kurienfreundliche Haltung ausgezeichnet und eine Karriere in Rom verfolgt. Der Consiglio di Dieci hatte ihn angeklagt, sich ohne Erlaubnis mit dem Nuntius getroffen und außerdem Zahlungen durch den spanischen Ko¨nig erhalten zu haben. Er konnte unter ungekla¨rten Umsta¨nden nach Frankreich fliehen und sich mit der Publikation seiner Erinnerungen indirekt rechtfertigen.188 In Venedig lassen sich signifikante Unterschiede zwischen den Reformzeiten zu Beginn und zu Ende des 16. Jahrhunderts erkennen: In der ersten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts trieben Patrizier Reformen voran und handelten dabei teilweise auch gegen ihre eigenen Standesinteressen, zum Beispiel bei der Durchsetzung der Klausur in den Frauenklo¨stern.189 Nach dem Konzil von Trient verbanden sich kirchliche Reformen
186 Vgl. Giuseppe Alberigo, Vita attiva e vita contemplativa in un’esperienza cristiana del XVI secolo, in:
SV 16 (1974), S. 177–225. 187 Vgl. auch Antonio Menniti Ippolito, Ecclesiastici veneti, tra Venetia e Roma, in: Venezia e la Roma
dei Papi, Mailand 1987, S. 209–234. 188 Vgl. Preto, I servizi segreti, S. 79–82. 189 Als gutes Beispiel la¨sst sich hierfu¨r die Reform des Benediktinerinnenklosters San Zaccaria anfu¨hren.
Vgl. Victoria Primhak, Benedictine Communities in Venetian Society: The Convent of S. Zaccaria, in: Women in Italian Renaissance. Culture and Society, hg. v. Letizia Panizza, Oxford 2000 S. 92–121.
1.2. Untersuchungsbeispiele und Untersuchungszeitraum
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mit einem ro¨mischen Suprematieanspruch, der fu¨r Venedig aus politischen Gru¨nden inakzeptabel war, ganz gleich, welche religio¨se Haltung die einzelnen Patrizier besaßen. Das Spannungsfeld zwischen katholischer Rechtgla¨ubigkeit, christlicher Fundierung der Stadtgemeinschaft und ro¨mischen Herrschaftsanspru¨chen im politischen und theologischen Sinne ist der Hintergrund, vor dem der Zusammenhang zwischen politischen und religio¨sen Ordnungsvorstellungen beleuchtet werden wird. Die konfessionellen Entwicklungen der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts bedeuteten fu¨r Venedig also nicht nur innere politische und religio¨se Neu- und Umorientierungen. Vielmehr wurde es fu¨r die Republik auch zunehmend schwieriger, mit der religio¨sen Fa¨rbung außenpolitischen Verhaltens in der Zeit nach Trient umzugehen. Hierbei geriet die Republik nicht nur in einen Zwiespalt mit den beiden Naturen des Papstes als theologischem Oberhaupt und politischem Konkurrenten, sondern auch in Bezug auf ihr Verhalten gegenu¨ber der Hohen Pforte unter hohen moralischen Rechtfertigungsdruck. Venedigs Haltung gegenu¨ber dem Osmanischen Reich war einerseits gepra¨gt von Handelsinteressen, andererseits von der Angst vor dessen milita¨rischem Ausgreifen. Venedig musste zur Wahrung eigener Interessen in Bezug auf seine Autonomie, aber auch zur Sicherung seines Dominiums in der Adria und zur Absicherung seines schwindenden Levante-Besitzes zwischen politischen Erwa¨gungen und religio¨sen Gesichtspunkten abwa¨gen. Diese Ambivalenz brachte das venezianische Patriziat immer wieder in den Verdacht der Unaufrichtigkeit, den die o¨sterreichischen und spanischen Habsburger geschickt gegen die Republik auszuspielen wussten.190 Konfessionelle Gegensa¨tze verbanden sich im Falle der Hansesta¨dte allein in Bre¨ bertritt des Rates zum Calvinismus mit politischen Interessen den men nach dem U Auseinandersetzungen mit den lutherischen Erzbischo¨fen. In Venedig und Bremen hatte die jeweilige religio¨se Haltung so starke außenpolitische Implikationen, dass sie zur Spaltung des Rates,191 beziehungsweise des Maggior Consiglio fu¨hrten. In beiden Fa¨llen la¨sst sich dies mit einer Koinzidenz von außen- und innenpolitischen Haltungen erkla¨ren. In Lu¨beck und Hamburg hingegen verloren die religio¨sen Forderungen dann an Nachdruck, als sie nach ihrer Umsetzung durch den Rat nicht mehr als Mittel dazu dienten, Kritik an den Magistraten zu fokussieren und zu kanalisieren. Die Rolle Lu¨becks und Hamburgs im Nord- und Ostseeraum war nicht durch konfessionelle Gegensa¨tze zu seinen politischen Gegnern bestimmt. Zwar kamen in den 1627er und 1628er Jahren Wallensteins Truppen den Lu¨becker Stadtmauern recht nah.192 Der Kaiser war aufgrund der stabilen Reichsbindung Lu¨becks193 aber nicht Teil eines dauerhaften Bedrohungsszenarios, anders, als zum Beispiel die in Buß- und Bettags-Gebeten heraufbeschworenen Tu¨rken. Als innere religio¨se Bedrohung sahen 190 Vgl. Jan P. Niederkorn, Die europa¨ischen Ma¨chte und der ‚Lange Tu¨rkenkrieg‘ Kaiser Rudolfs II.
(1593–1606), Wien 1993, S. 330–372.
191 Vgl. Hanns Engelhardt, Der Irrlehrestreit zwischen Albert Hardenberg und dem Bremer Rat
(1547–1561), in: Hospitium Ecclesiae. Forschungen zur Bremischen Kirchengeschichte 4 (1964), S. 29–52. 192 Zu Lu¨beck im Dreißigja¨hrigen Krieg vgl. Grassmann, Lu¨beck im 17. Jahrhundert, S. 447–450. 193 Vgl. Michael North, Integration im Ostseeraum und im Heiligen Ro¨mischen Reich, in: Die Integration des su¨dlichen Ostseeraums in das Alte Reich, hg. v. Nils Jo¨rn/Dems., Ko¨ln/Weimar/Wien 2000, S. 1–12.
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1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
die Hamburger und Lu¨becker Geistlichen vielmehr die Reformierten an, die ihnen sehr viel realer vor Augen standen als Katholiken und Muslime. Das Beispiel Bremens ¨ bertritt zeigte ihnen, dass es durchaus mo¨glich war, dass sich Ratsmitglieder zum U zum Calvinismus entschlossen. Venedigs Deputierter Alvise Contarini und der Lu¨becker Gesandte David Gloxin erreichten bei den Verhandlungen von Mu¨nster und Osnabru¨ck mit der ausdru¨cklichen namentlichen Nennung der durch sie vertretenen Sta¨dte im Vertragstext von 1648 einen symbolischen Sieg. Dieser konnte aber nicht daru¨ber hinwegta¨uschen, dass sowohl Lu¨becks Stellung als Oberhaupt der Hanse als auch Venedigs Position als bestimmende Macht im o¨stlichen Mittelmeerraum nach 1648 Vergangenheit waren. Diplomatisches Geschick und das zu diesem Zeitpunkt noch ungebrochene Ansehen als Handelspartner verbargen, dass sowohl Venedig als auch die Hanse ab der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts in dem zunehmend schneller werdenden Wettlauf um territoriale, milita¨rische und finanzielle Ressourcen bei der Herausbildung eines europa¨ischen Ma¨chtesystems um 1600 verlieren wu¨rden. Aufgrund ihrer grundsa¨tzlich sta¨dtisch gepra¨gten Struktur standen ihnen zwangsla¨ufig weniger finanzielle, milita¨rische und demographische Ressourcen zur Verfu¨gung als Großma¨chten wie den spanischen Habsburgern, den skandinavischen Monarchien oder auch dem Osmanischen Reich. Obwohl Venedig beispielsweise seine Kriegsflotte vom 15. zum 16. Jahrhundert verfu¨nffachte,194 reichten seine Schiffe nicht aus, um ohne fremde Hilfe gegen die Seestreitkra¨fte des Erzherzogs von Innero¨sterreich und des Vizeko¨nigs von Neapel im so genannten Krieg von Gradisca (1616–1618) vorzugehen.195 Venedig und die Hansesta¨dte blieben in ihrer Territorialpolitik dem Bezugsrahmen eines Stadtstaates verhaftet.196 Ein Gegensatz zwischen aufsteigenden Territorialstaaten monarchischer Pra¨gung und fru¨hneuzeitlichen Stadtrepubliken la¨sst sich daran erkennen, dass die einen eine territoriale Arrondierung anstrebten, die anderen hingegen eher auf eine Wahrung ihrer Handelsinteressen Wert legten. Dennoch ist der Gegensatz in Bezug auf die selbstbewusste Vertretung eigener staatlicher Interessen zwischen Fu¨rstenstaaten und Stadtrepubliken um 1600 noch nicht so ausgepra¨gt, wie er gegen Ende des 18. Jahrhunderts war. Zwar signalisierten milita¨rische Misserfolge
194 Vgl. Lane, Venice, S. 248. 195 Vgl. Giuseppe Coniglio, Il Duca d’Ossuna e Venezia dal 1616 al 1620, in: ArchVeneto 54–55 (1954),
S. 42–70, hier: S. 43–46. 196 Vgl. Adolf E. Hofmeister, Bremen und seine ‚La¨nder‘. Mittelalterliche Landesgemeinden im Bereich
der Freien Hansestadt Bremen, in: Beitra¨ge zur bremischen Geschichte, hg. v. dems., Bremen 1998, S. 51–79; Heinrich Reincke, Hamburgische Territorialpolitik, in: ZVHambG 38 (1939), S. 28–116; Elisabeth Raiser, Sta¨dtische Territorialpolitik im Mittelalter. Eine vergleichende Untersuchung ihrer verschiedenen Formen am Beispiel Lu¨becks und Zu¨richs. Lu¨beck, Hamburg 1969, S. 158–159; Ehrhard Schulze, Das Herzogtum Sachsen-Lauenburg und die lu¨bische Territorialpolitik, Neumu¨nster 1957, S. 205–218; Matteo Casini, Fra Citta`-Stato e Stato Regionale: Riflessioni Politiche sulla Repubblica di Venezia nella prima eta` moderna, in: SV n. s. 44 (2002), S. 15–36; Gaetano Cozzi, Ambiente Veneziano, Ambiente Veneto. Governanti e Governati nel Dominio di qua dal Mincio nei secoli XV– XVIII, in: Storia della Cultura Veneta. Il seicento. Bd. 4, 2, hg. v. Girolamo Arnaldi/Manlio Pastore Stocchi,Vicenza 1984, S. 495–538; Aldo Maccazane, Rechtswissenschaft und Ideologie in Venedig. Erwerbung der ‚Terraferma‘ und Wandlungen des Staates, in: Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, hg. v. Roman Schnur, Berlin 1986, S. 149–167.
1.2. Untersuchungsbeispiele und Untersuchungszeitraum
39
wie zum Beispiel der der Lu¨becker Flotte gegen die Niederla¨nder in der so genannten Kaperfehde im Jahre 1533197 und des venezianischen Landheeres gegen die Liga von Cambrai im Jahre 1509 sowie gegen die osmanische Flotte in der Schlacht von Prevesa im Jahre 1538198 das endgu¨ltige Ende eigensta¨ndiger Expansionsgelu¨ste, sie bedeuteten jedoch nicht, dass mit einem Mal die Hanse oder Venedig als nicht mehr ernst zu nehmende Akteure auf der außenpolitischen Bu¨hne galten. Der außenpolitische Bedeutungsverlust war den Zeitgenossen um 1600 zum Beispiel im Falle der Hanse wohl noch nicht so deutlich bewusst, wie er aus der ex-post-Perspektive erscheint.199 Die Auseinandersetzungen der Stadtrepubliken im Norden und Venedigs im o¨stlichen Mittelmeerraum spielten sich auf zwei Ebenen ab: zum einen auf der Ebene des Gegen- und Miteinanders expansiver Großma¨chte, zum anderen auf der zum Teil recht kleinfla¨chigen Ebene der Konflikte um territoriale Hoheitsrechte in dem Umland der Stadtrepubliken. In allen Fa¨llen war die Wahrung der Oberherrschaft u¨ber die fu¨r den Handel notwendigen Gewa¨sser – die Adria, die Elbe, die Weser und auch die Gestade der Ostsee – fu¨r diese Republiken wichtiger als die Bewahrung einzelner Territorien. Direkten milita¨rischen Konfrontationen versuchten sie dabei eher auszuweichen. Venedig und die Hansesta¨dte perfektionierten ihre Verteidigungsanlagen zu Wasser und zu Lande.200 Der Erfolg der nicht nur mit diplomatischen Mitteln betriebenen Defensionspolitik aller vier Sta¨dte zeigt sich daran, dass sie auch in den Auseinandersetzungen des Dreißigja¨hrigen Krieges keine Eroberung zu befu¨rchten hatten. Nicht nur die Verteidigungsanlagen und Vertragsverhandlungen, sondern auch die rituelle Selbstdarstellung diente der Verteidigung der außenpolitischen Stellung der jeweiligen Stadtrepublik. Welche konkreten Ma¨chtekonstellationen die a¨ußere Repra¨sentation der Stadtrepubliken beeinflussten, soll daher im Folgenden kurz umrissen werden. Im Gegensatz zu seiner traditionellen Rivalin Genua entschied sich Venedig nicht fu¨r eine Anlehnung an eine der beiden Gruppen, die in Italien um die Vorherrschaft rangen: die spanische oder die franzo¨sische Krone.201 Damit blieben ihm trotz der spanischen Dominanz auf der italienischen Halbinsel202 politische Optionen offen, die seine Autonomie sichern halfen. Eine Episode des Jahres 1618 zeigt, wie sehr die Venezianer eine spanisch-habsburgische Offensive zur Eroberung der Lagunenstadt
197 Vgl. Hauschild, Fru¨he Neuzeit und Reformation, S. 396–397. 198 Mit den Auswirkungen beider Niederlagen auf das Selbstbild des Patriziats bescha¨ftigt sich Lester J.
Libby jr. in zwei Publikationen: Lester J. Libby Jr., Venetian History and Political Thought after 1509, in: Studies in the Renaissance 20 (1973), S. 7–45; Ders., Venetian Views of the Ottoman Empire from the Peace of 1503 to the War of Cyprus, in: Sixteenth-Century Journal 9, 4 (1978), S. 103–126. 199 Vgl. Wilhelm Ebel, Die Hanse in der deutschen Staatsrechtsliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts, in: HansGbll 65/66 (1940/41), S. 145–169. 200 Vgl. Herbert Schwarzwa¨lder, Bremen im 17. Jahrhundert. Glanz und Elend einer Hansestadt, Bremen 1996, S. 63–66; Grassmann, Lu¨beck im 17. Jahrhundert, S. 461–463; Volker Plagemann, Stadtbefestigung und Stadtbild, in: Die Kunst des protestantischen Barock in Hamburg. Vortra¨ge der Stiftung Denkmalpflege Hamburg, Bd. 2, hg. v. Dems., Mu¨nchen 2001, S. 24–41. 201 Matthias Schnettger, „Principe sovrano“ oder „civitas imperialis“? Die Republik Genua und das Alte Reich in der Fru¨hen Neuzeit (1556–1797), Mainz 2006, S. 52–57. 202 Vgl. Romolo Quazza, Preponderanza spagnuola (1559–1700), Mailand 1950, S. 303–306.
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1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
fu¨rchteten. Angeblich hatten sich der spanische Statthalter von Mailand, der Vizeko¨nig von Neapel und der damalige in Venedig residierende Gesandte Philipps II. zu einer Verschwo¨rung zusammengeschlossen, bei der der Dogenpalast gesprengt und Venedig von habsburgischen Truppen besetzt werden sollte. Auch wenn der Wahrheitsgehalt dieser Befu¨rchtungen bis heute nicht gekla¨rt werden konnte, zeigt er doch gut, als wie realistisch die venezianischen Patrizier eine durch die spanischen Habs¨ ngste vor einem Ende burger veranlasste Invasion in dieser Zeit ansahen.203 Die A der politischen Eigensta¨ndigkeit fo¨rderten die Verfeinerung eines bereits im 15. Jahrhundert weit entwickelten Gesandtennetzwerks.204 Auf politischer Ebene bemu¨hte sich Venedig zunehmend um anti-habsburgische Bu¨ndnispartner.205 Dabei versuchte es im Sinne einer Gleichgewichts- und Neutralita¨tspolitik, Vertra¨ge mo¨glichst nur begrenzt wirksam sein zu lassen.206 Im Rahmen dieser Politik distanzierte sich Venedig von der zunehmenden Konfessionalisierung der Ma¨chteblo¨cke um 1600.207 Es unterhielt Beziehungen zum englischen Hof und zur niederla¨ndischen Republik.208 Die Republik warb auch englische und niederla¨ndische Kriegsschiffe an.209 Gegen den Widerstand Papst Sixtus’ IV. unterstu¨tzte es den 1589 noch exkommunizierten franzo¨sischen Ko¨nig Heinrich IV.210 Gerade weil Venedig sich der Sogwirkung konfessionell-politischer Fraktionsbildung entzog, konnte sich die Republik immer wieder als Vermittler profilieren, nicht nur 1648, sondern auch bereits 1598, als es diese Rolle zwischen Frankreich und Spanien einnahm. Der Vertrag von Vervins bot Venedig die Mo¨glichkeit, verlorengegangenes symbolisches Kapital als katholische Macht wiederzuerlangen. Dementsprechend aufwendig wurden die Feierlichkeiten aus Anlass dieses Friedensschlusses in Venedig begangen. Dieser Politik der Neutralita¨t und des Ma¨chtegleichgewichts standen in Venedig nicht alle Patrizier vorbehaltlos gegenu¨ber. Einige Patrizier, besonders die Gruppe um den Dogen Nicolo` Contarini,211 befu¨rworteten eine offensivere Außenpolitik.
203 Einen U ¨ berblick u¨ber die entsprechende Forschungskontroverse und Quellenlage gibt Paolo Preto,
La „Congiura di Bedmar“ a Venezia nel 1618: Colpo di Stato o provocazione?, in: Complots et Conjurations dans l’Europe Moderne. Actes du colloque international, Rome 1993, 30 sept- 2oct, Rom 1996, S. 289–315. 204 Vgl. Armand Baschet, La diplomatie ve´netienne: les princes de l’Europe au 16e sie`cle d’apre`s les rapports des Ambassadeurs Ve´nitiens, Paris 1862, S. 39–53. 205 Catherine C. Bracewell hat daher die These vertreten, dass die milita¨rischen und politischen Konfrontationslinien in der Adria die Konstellationen des Dreißigja¨hrigen Krieges vorwegnehmen wu¨rden. Vgl. Catherine W. Bracewell, The Uskoks of Senj: Piracy, Banditry, and Holy War in the Sixteenth Century Adriatic, Ithaca 1992, S. 290–291. 206 Vgl. den U ¨ berblick u¨ber die venezianische Außenpolitik in: Gaetano Cozzi, La Spagna, la Francia, l’Impero Asburgico e la Repubblica di Venezia (1573–1606), in: Storia di Venezia dalle origini alla caduta della Serenissima, Bd. 6: Dal Rinascimento al Barocco, hg. v. Dems./Paolo Prodi, Rom 1994, S. 55–70. 207 Zu diesem Prozess vgl. Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen, S. 385–420. 208 Vgl. Hans von Zwiedineck-Su ¨ denhorst, Die Politik der Republik Venedig wa¨hrend des Dreissigja¨hrigen Krieges, 2 Bde., Stuttgart 1882–1885, Bd. 1, S. 62–64, 92–100. 209 So zum Beispiel in den Auseinandersetzungen mit dem Vizeko¨nig von Neapel und dem Erzherzog von Innero¨sterreich, vgl. Anm. 205. 210 Vgl. Italo Raulich, La Contesa fra Sisto V e Venezia, in: NArchVeneto Ser. 2, 4 (1892), S. 243–318. 211 Vgl. Cozzi, Il Doge Nicolo` Contarini, S. 20–22.
1.2. Untersuchungsbeispiele und Untersuchungszeitraum
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Diese Tendenz nahm in der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts zu und ist neben der Bevorzugung von Neutralita¨t und Bilancia, also einer Gleichgewichtspolitik als eine weitere Reaktion auf die Anforderungen expansiver Staatsbildung zu bewerten. Mit Ausnahme von Lepanto sind sa¨mtliche Siege Venedigs in dieser Zeit aber entgegen den Zielen der Giovani als Ergebnisse geschickter Diplomatie und nicht milita¨rischer Sta¨rke anzusehen. Von einem aktiven Mitspieler war die Republik zu einem wohlinformierten, misstrauischen Zuschauer geworden. Ihr standen von den „Kra¨ften“, die in der fru¨hen Neuzeit „fu¨r Aufbau und Dynamik des internationalen Systems verantwortlich“ waren,212 von „Dynastie, Konfession, Staatsinteresse und Tradition“213 nur die beiden letzteren zur Verfu¨gung. „Staatsinteresse“ und „Tradition“ dru¨ckten sich in der Politik der Bilancia und der Rappresentazione aus, die Venedigs Außenpolitik wa¨hrend der gesamten Fru¨hen Neuzeit kennzeichnete. Die Rolle dieser Repra¨sentationsformen ist trotz der allgegenwa¨rtigen Pra¨senz venezianischer Gesandter auf europa¨ischen Zusammenku¨nften noch kaum erforscht, was an der auf den ersten Blick widerspru¨chlich anmutenden Beziehung von ko¨niglichem Glanz und republikanischer Verfassung liegen mag. Ihr gilt das abschließende Kapitel dieser Arbeit. Ein großer Unterschied zwischen Venedig und den Hansesta¨dten liegt in der vollsta¨ndigen Autonomie Venedigs. Diese wurde zwar insbesondere von Maximilian I. und seinen Nachfolgern im Rahmen habsburgischer Expansionspla¨ne in Oberitalien bestritten, doch setzten sich Zweifel an Venedigs Eigensta¨ndigkeit nicht durch.214 Als historischer, kultureller und politischer Bezugsrahmen spielte nicht der Kaiserhof, sondern die Kurie fu¨r Venedig eine große Rolle. Die zeremonielle Einordnung Venedigs am Papsthof als der lange Zeit wichtigsten Bu¨hne Italiens und des katholischen Europa war der Lagunenrepublik trotz aller politischen Differenzen dementsprechend wichtig. Die Hansestadt Lu¨beck geho¨rte als selbsta¨ndige Reichsstadt zum Reichsverband. Diese Zugeho¨rigkeit wirkte sich trotz der Kaiserferne215 des Nordens gerade auf ihre a¨ußere Position entscheidend aus: Auf dem Gebiet der a¨ußeren Beziehungen konnte Lu¨beck weitaus weniger eigensta¨ndig als eine italienische Stadtrepublik agieren. Sein außenpolitisches und insbesondere milita¨risches Verhalten – es war wie sein politischer und wirtschaftlicher Gegner Christian IV.216 Mitglied des Niedersa¨ch212 Vgl. Heinz Schilling, Formung und Gestalt des internationalen Systems in der werdenden Neuzeit –
Phasen und bewegende Kra¨fte, in: Kontinuita¨t und Wandel in der Staatenordnung der Neuzeit. Beitra¨ge zur Geschichte des internationalen Systems, hg. v. Peter Kru¨ger, Marburg 1991, S. 19–45, hier: S. 22. 213 Vgl. Schilling, Formung und Gestalt, S. 22. 214 Vgl. Antonio Bonardi, Venezia citta` libera dell’Impero nell’immaginazione di Massimiliano I d’Asburgo, in: Atti e Memorie della R. Accademia di scienze, lettere ed arti in Padova 374 (1914–1915), S. 127–147 Achim Landwehr, Reichsstadt Venedig? Der Angriff des „Squitinio della Liberta` Veneta“ auf den venezianischen Mythos, in: L’Impero e l’Italia nelle prima eta` moderna = Das Reich und Italien in der Fru¨hen Neuzeit, hg. v. Matthias Schnettger, Berlin 2006, S. 439–459. 215 Dieses Urteil wurde durch die neuere Forschung inzwischen differenziert. Vgl. speziell zu Lu¨ beck Nils Jo¨rn, Dietrich von Bro¨mbsen – die gescheiterte Karriere eines Lu¨beckers am Reichshofrat, in: Die Integration des su¨dlichen Ostseeraums in das Alte Reich, hg. v. dems./Michael North, Ko¨ln/Weimar/ Wien 2000, S. 185–233. 216 Vgl. Paul D. Lockhart, Denmark in the Thirty Years’ War, 1618–1648, Selingsgrove 1996, S. 98–103.
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1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
sischen Reichskreises217 – musste sich auch nach den Entscheidungen der anderen norddeutschen Ma¨chte richten. In zeremonieller Hinsicht wollte Lu¨beck, wie alle Reichssta¨dte, seine Zuru¨cksetzung gegenu¨ber anderen Reichssta¨nden vermeiden.218 Als Reichsstadt hatte es sich gegen andere Konkurrenten aus dem Su¨den durchzusetzen, wie die Konflikte Lu¨becks mit Augsburg auf dem Westfa¨lischen Friedenskongress 1648 zeigen.219 Unter den Hansesta¨dten hingegen genoss Lu¨beck als Haupt der Hanse eine politische und zeremonielle Vorrangstellung.220 Als Hanse-, nicht als Reichsstadt griff es aktiv in der ersten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts in innerda¨nische und -schwedische Verha¨ltnisse ein.221 Als Hansestadt rief es zur Unterstu¨tzung der Stadt Braunschweig gegen Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbu¨ttel auf.222 Im Namen der Hanse versuchte es, in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts eine aktive Außen- und Wirtschaftspolitik zu betreiben.223 Dabei mussten seine Gesandten immer o¨fter hinnehmen, dass die Hanse als Dialogpartner wegen ihrer vorstaatlichen Formen nicht mehr akzeptiert wurde. Die Frage der fehlenden staatlichen Souvera¨nita¨t erschwerte ihre Verhandlungen mit der englischen und da¨nischen Krone, aber auch mit dem russischen Zarenhof. Sowohl Boris Godunov als auch Christian IV. von Da¨nemark fu¨hrten an, dass sie mit einem Bund, bei dem nicht deutlich werde, wer die eigentliche Obrigkeit sei, nicht verhandeln wu¨rden und sie daher jede Hansestadt nur einzeln beru¨cksichtigen ko¨nnten.224 In den Augen der Hansemitglieder gewann die Hanse um 1600 aber gerade dadurch an Bedeutung, dass sie als Bu¨ndnis ermo¨glichte, sich gegen die Herrschaftsanspru¨che der immer ma¨chtiger werdenden Territorialstaaten zur Wehr zu setzen. Zusa¨tzlich verlieh sie im Reichsverband den reichsfernen Sta¨dten im Hohen Norden ein auch symbolisch hoch zu bewertendes Machtmittel, das sowohl gegen die su¨ddeutschen Reichssta¨dte als auch gegen Rekatholisierungsversuche durch den Kaiser eingesetzt werden konnte. In der Mitte des 16. Jahrhunderts hatten diese mit dem Interim durchaus real gewirkt.225 Die hohe Bedeutung der Hanse um 1600 fu¨r ihre sta¨dtischen Mitglieder fu¨hrte aber nicht dazu, dass diese die Eigeninteressen ihrer Stadt hinter die Interessen des Bu¨ndnisses gestellt ha¨tten.
217 Vgl. Hauschild, Fru¨he Neuzeit und Reformation, S. 344–345. 218 Vgl. Krischer, Reichssta¨dte in der Fu¨rstengesellschaft, S. 44–58. 219 Vgl. Gu¨nter Buchstab, Reichssta¨dte, Sta¨dtekurie und Westfa¨lischer Friedenskongreß. Zusammen-
ha¨nge von Sozialstruktur, Rechtsstatus und Wirtschaftskraft, Mu¨nster 1976.
220 Vgl. Heinz Stoob, Lu¨beck als „Caput Omnium“ in der Hanse, in: Bla¨tter fu¨r deutsche Landesge-
schichte 121 (1985), S. 157–168.
221 Vgl. Hauschild, Fru¨he Neuzeit und Reformation, S. 369–377. 222 Vgl. Jochen Rath, „alß gliedere eines politischen leibes trewlich meinen“ – Die Hansesta¨dte und die
Konflikte Braunschweigs mit den Welfen im 17. Jahrhundert, Mu¨nster 2001, S. 37.
223 Vgl. Hauschild, Fru¨he Neuzeit und Reformation, S. 415–416. 224 Vgl. Wilhelm Brehmer, Die hansische Gesandtschaft nach Moskau im Jahre 1603, in: HansGbll 6
(1889), S. 29–51; Vinzenz Schweitzer, Christian IV. von Da¨nemark und sein Verha¨ltnis zu den niederdeutschen Sta¨dten bis zum Jahre 1618, in: ZVLu¨bG 8 (1900), S. 314–409. 225 Vgl. Wolf-Dieter Hauschild, Zum Kampf gegen das Augsburger Interim in norddeutschen Hansesta¨dten, in: ZKG84 (1973), S. 60–81; Rainer Postel, Die Hansesta¨dte und das Interim, in: Das Interim 1548/50, hg. v. Luise Schorn-Schu¨tte, Heidelberg 2005, S. 192–205; Heinz Schilling, Stadtrepublikanismus und Interimskrise, in: ebd., S. 205–232.
1.2. Untersuchungsbeispiele und Untersuchungszeitraum
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Hamburg und Bremen verfolgten, bedingt auch durch ihre gefa¨hrdete, formal noch zu erringende Autonomie, gegenu¨ber der Hanse sehr viel eigensta¨ndigere Interessen als Lu¨beck.226 War Lu¨becks Autonomie reichsrechtlich gesichert, so mussten Hamburg und Bremen die Reichsstandschaft erst noch erlangen.227 In Hamburgs Fall sollte es sich in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts ra¨chen, dass sich die Stadt im ausgehenden 15. und auch noch in der ersten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts an die da¨nische Krone angelehnt hatte, um den mit der Reichsstandschaft verbundenen milita¨rischen und finanziellen Pflichten zu entgehen.228 Der da¨nische Monarch Christian IV. strebte noch konsequenter als sein Vorga¨nger Friedrich II. an, Hamburg zu einem Teil seines Herrschaftsgebietes werden zu lassen. Hierbei spielten sowohl wirtschaftliche Interessen eine Rolle als auch sein Bestreben, in Norddeutschland eine territoriale Arrondierung seiner Herrschaftsgebiete zu erreichen.229 Christian IV. war allerdings immer wieder gezwungen, Hamburg Zugesta¨ndnisse zu machen, da er auf die Stadt als Handelspartner angewiesen war. Entsprechende Verhandlungen musste der Hamburger Rat wiederum nicht allein mit ihm fu¨hren, sondern konnte auf die Unterstu¨tzung Lu¨becks und anderer Hansesta¨dte in gemeinsam ausgerichteten Delegationen rechnen. Vor einer direkten milita¨rischen Eroberung Hamburgs schreckte Christian IV. aus mehreren Gru¨nden zuru¨ck: Er war nicht in der Lage, florierende Handelspla¨tze im Norden aufzubauen, die Hamburg als Umschlagplatz fu¨r den Transatlantikhandel ha¨tten den Rang ablaufen ko¨nnen. Zudem ließ der Hamburger Rat in den Jahren 1620–1625 durch den niederla¨ndischen Festungsbaumeister Johan van Valckenburgh eine der umfangreichsten und kostspieligsten Stadtverteidigungsanlagen im norddeutschen Raum anlegen.230 Eine Belagerung wa¨re zeit- und kostenintensiv gewesen und ha¨tte sicherlich viel Aufmerksamkeit erregt. Darin lag wohl auch einer der wichtigsten Gru¨nde, dass Hamburg den da¨nischen Ko¨nig zwar symbolisch teilweise als Landesherrn akzeptieren, ihn aber nicht als sta¨ndige Pra¨senz in seinen Mauern fu¨rchten musste: Christian IV. war bestrebt, Reichspolitik zu betreiben. So bemu¨hte er sich, die Vereinbarkeit der von ihm durchgesetzten Huldigung der Stadt Hamburg im Jahre 1603 mit dem Reichsrecht nachzuweisen.231 Eine Eroberung ha¨tte aufgrund der ungekla¨rten Reichsstandschaft der Stadt einen offenen Bruch 226 Dies konnte sich durchaus auch in einem zeitweise recht intensiven Interesse an einer Sta¨rkung der
Position der Hanse a¨ußern, vgl. Wilhelm von Bippen, Heinrich Kreffting und das engere Bu¨ndnis der sechs korrespondierenden Hansesta¨dte, in: BremJb 18 (1896), S. 151–174; zu Hamburg vgl. Rainer Postel, Hamburgs Rolle in der Hanse im 16. und 17. Jahrhundert, in: Fernhandel und Stadtentwicklung im Nord- und Ostseeraum in der hansischen Spa¨tzeit (1550–1630). Symposium zum 14. Hansetag der Neuzeit in Stade am 8. und 9. April 1994, Stade 1995, S. 67–85. 227 Vgl. zu Bremen Dieter Ha¨germann, Bremens Weg zur Freien Reichsstadt, in: BremJb 76 (1997), S. 17–35; zu Hamburg Heinrich Reincke, Hamburgs Aufstieg zur Reichsfreiheit, in: ZVHambG 47 (1961), S. 17–34. 228 Vgl. Reincke, Hamburgs Aufstieg, S. 20–28. 229 Zum Verha¨ltnis von Hamburg und Christian IV.: Hans-Dieter Loose, Hamburg und Christian IV. von Da¨nemark wa¨hrend des Dreißigja¨hrigen Krieges. Ein Beitrag zur Geschichte der hamburgischen Reichsunmittelbarkeit, Hamburg 1963. 230 Vgl. Plagemann, Stadtbefestigung und Stadtbild, S. 32. 231 Vgl. Erkla¨rung vom 29. Oktober 1603, in: Dokumente zur Geschichte der Hamburgischen Reichsfreiheit, Teil 1: Berichte und Urkunden u¨ber die Annehmung der Landesherren, hg. v. Heinrich Reincke, Hamburg 1961, S. 144–146.
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1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
mit diesem bedeutet, was schwer mit den langfristigen politischen Zielen des da¨nischen Herrschers zu vereinen gewesen wa¨re. Wirtschaftliche und politische Gru¨nde fu¨hrten also im Falle der Auseinandersetzungen zwischen Da¨nemark und Hamburg tatsa¨chlich zur Za¨hmung der Bellizita¨t des sich arrondierenden Staates gegenu¨ber der keine selbsta¨ndige Expansions- und Arrondierungspolitik betreibenden Stadt. Die Konflikte um die Hamburger Reichsstandschaft verlagerten sich auf die Ebene der Reichsjustiz. Der vierte und letzte Immediadita¨tsprozess vor dem Reichskammergericht wurde 1617 wieder aufgenommen und erst 1768 abgeschlossen.232 Bremen gelang es im 16. und 17. Jahrhundert ebenfalls nicht, einen gesicherten Reichsstatus zu erlangen, obwohl es 1541 durch ein Privileg Kaiser Karls V. und 1646 durch das Linzer Diplom diesen beurkundet erhalten hatte.233 Auch wenn der Erzbischof bereits seit 1219 in Bremervo¨rde residierte und sich nur noch zu besonderen Anla¨ssen in Bremen aufhielt, beeinflusste das Ziel der Autonomiesicherung die Politik des Bremer Rates noch sehr viel sta¨rker als die der Hamburger Magistrate. Dies dru¨ckte sich insbesondere in dessen Konfessionspolitik aus. Politisch war das Erzbistum Bremen unter den Erzbischo¨fen Christoph, Georg und dann Heinrich III. erst an das Haus Braunschweig-Wolfenbu¨ttel und dann an Sachsen-Lauenburg gebunden.234 Heinrich III. von Sachsen-Lauenburg war der erste Bremer Erzbischof, der sich offen zum Luthertum bekannte. Nicht nur gegenu¨ber den Sta¨nden des Erzbistums sondern auch gegenu¨ber der Stadt Bremen verfolgte er eine Politik des konsequenten Ausbaus seiner landesherrlichen Stellung, verbunden mit der Durchfu¨hrung der lutherischen Kirchenreformation in den ihm unterstehenden Do¨rfern und Sta¨dten.235 Der Wechsel des Erzbistums an die beiden Bru¨der Johann-Adolf von Holstein-Gottorf und Johann Friedrich von Holstein-Gottorf war gleichzeitig mit der steigenden Bedeutung des Erzbistums fu¨r Da¨nemark verbunden. Johann-Adolf von HolsteinGottorf war mit einer Schwester des seit 1588 in Da¨nemark regierenden Christian IV. verheiratet. Fortan versuchte Christian IV., die Wu¨rde des Bremer Erzbischofs fu¨r einen seiner So¨hne zu erlangen, um seinen Einfluss in Norddeutschland zu vergro¨ßern. Dies gelang ihm 1634, als sein Sohn Friedrich (der spa¨tere Ko¨nig Friedrich III.) den Erzbischofsstuhl bestieg. Mit dieser da¨nischen Intervention war das Interesse der schwedischen Krone an dem Erzbistum geweckt.236 Gegen die Besetzung des Erzbistums mit schwedischen Truppen im Jahr 1645 war Christian IV. machtlos.
232 Vgl. Reincke, Hamburgs Aufstieg, S. 33–34. 233 Vgl. zu 1541 Hartmut Mu ¨ ller, Bremen und die Kaiserdiplome von 1541, in: BremJb 79 (2000),
S. 13–28; zu 1646 Hartmut Mu¨ller, Das Linzer Diplom von 1646, in: BremJb 74/75 (1996), S. 15–28.
234 Einen U ¨ berblick u¨ber die Geschichte des Erzbistums Bremen von der Mitte des 16. bis zur Mitte des
17. Jahrhunderts bietet Hans-Georg Aschoff, Bremen, Erzstift und Stadt, in: Die Territorien des Reiches im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 3: Der Nordwesten, hg. v. Anton Schindling/Walter Ziegler, Mu¨nster 1991, S. 44–57. 235 Vgl. Aschoff, Bremen, S. 53. Zu der landesherrlichen Stellung des Erzbischofs gegenu¨ber den Sta¨nden ist außerdem aufschlussreich Richard Cappelle, Die Sta¨nde des Erzstifts Bremen im 16. Jahrhundert, in: Jahrbuch der Ma¨nner vom Morgenstern 18 (1917/20), S. 41–61. 236 Vgl. Gottfried Lorenz, Das Erzstift Bremen und der Administrator Friedrich wa¨hrend des Westfa¨lischen Friedenskongresses. Ein Beitrag zur Geschichte des schwedisch-da¨nischen Machtkampfes im 17. Jahrhundert, Mu¨nster 1969, S. 1–2.
1.2. Untersuchungsbeispiele und Untersuchungszeitraum
45
Im Westfa¨lischen Friedensvertrag wurde das Erzbistum als sa¨kularisiertes Herzogtum anerkannt und der schwedischen Krone als Lehen verliehen.237 Die Ratsherren bemu¨hten sich, den neuen Landesherrn solange wie mo¨glich nicht anzuerkennen.238 Um den Einfluss der schwedischen Krone im Norden zu begrenzen, gewa¨hrte Kaiser Ferdinand III. einer ihm nach Linz nachgereisten Bremer Gesandtschaft das Linzer Diplom, in dem die Reichsstandschaft der Stadt beurkundet wurde.239 Damit wollte der Kaiser auf lange Sicht das Erzbistum als geistliches Fu¨rstentum erhalten. Auch 1646 hoffte er noch auf eine mo¨gliche Rekatholisierung des Nordens.240 Wie unsicher Bremens Stellung vor und nach dieser schriftlichen kaiserlichen Erkla¨rung war, zeigt, dass es im Vorfeld erst von den Friedensverhandlungen in Mu¨nster ausgeschlossen worden war, um dann wieder eingeladen zu werden. Zudem erreichte Schweden eine uneindeutige Formulierung des Standes der Stadt Bremen in dem endgu¨ltigen Artikel des Friedensschlusses.241 Mit der schwedischen Besatzung des Erzbistums war Bremen endgu¨ltig aus einem rein reichsrechtlichen Rahmen in den gro¨ßeren Bezugsrahmen des no¨rdlichen Europa integriert worden – eine Tatsache, die sich allerdings auf das Erzbistum weitaus sta¨rker auswirkte als auf die Stadt selbst.242 Diese hielt an ihrer Politik der weitgehenden Ignorierung landesherrlicher Pra¨senz auch in der zweiten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts fest. Auch wenn die Stadtrepubliken im Inneren durch andere Strukturen gepra¨gt waren als ihre fu¨rstlichen Nachbarn, so glichen sie diesen in der Interessenspolitik, die die Magistrate im Namen ihrer Sta¨dte in Wahrung und Ausbau landesherrlicher Rechte betrieben. In den konkreten Auseinandersetzungen um Gebietsrechte und Hoheitsrechte zur See erwiesen sich alle vier als hartna¨ckige Gegner, besonders dann, wenn wirtschaftliche Interessen beru¨hrt waren.243 Hierin zeigt sich die Janusko¨pfigkeit des Verhaltens der Stadtrepubliken nach außen, die fu¨r eine Analyse der verschiedenen Formen ihrer Selbstdarstellung zu beachten ist: Im Kontext der Herausbildung eines territorialstaatlich gepra¨gten Ma¨chtesystems mussten sie auf Strategien zur Wahrung ihrer eigenen Unabha¨ngigkeit zuru¨ckgreifen, die sich von denen der Fu¨rstenstaaten unterschieden. Im engeren Kontext der sie unmittelbar betreffenden Herrschaftsinteressen suchten sie diese auch gegenu¨ber Fu¨rsten durchzusetzen 237 Dies hatte fu¨r die Verwaltung des Erzbistums bzw. Herzogtums weitreichende Folgen. Vgl. Beate-
Christine Fiedler, Die Entwicklung der schwedischen Staatsform im 17. Jahrhundert und ihre Auswirkung auf die deutschen Provinzen Bremen und Verden, in: Landschaft und regionale Identita¨t. Beitra¨ge zur Geschichte der ehemaligen Herzogtu¨mer Bremen und Verden und des Landes Hadeln, hg. v. Heinz-Joachim Schulze, Stade 1989, S. 84–95. 238 Vgl. Adolf Ko ¨ cher, Bremens Kampf mit Schweden um seine Reichsfreiheit, in: HansGbll 1882 (1883), S. 87–104, hier: S. 89. 239 Vgl. Mu ¨ ller, Das Linzer Diplom. 240 Vgl. Lorenz, Das Erzstift Bremen, S. 8–10. 241 Vgl. Ha¨germann, Bremens Weg zur Freien Reichsstadt, S. 32–33. 242 Vgl. Anm. 237. 243 Vgl. die Einzelbeispiele in: Alfred Dreyer, Hamburgs Kampf mit Christian IV. von Da¨nemark um die freie Elbe, in: Nordelbingen 4 (1925), S. 9–29; Alfred Dreyer, Hamburgs und Lu¨becks Kampf um den Sachsenwald, in: HambGHeimbll 7, 1 (1932), S. 1–11; Gu¨nter Harringer, Der Streit des Hauses Braunschweig-Lu¨neburg mit den Hansesta¨dten Hamburg und Lu¨beck um den Gammerdeich (1481–1620), in: ZVHambG 51 (1965), S. 1–48; Martin Krieg, Der Schiffahrtsstreit zwischen Bremen und Minden, in: HansGbll 60 (1935), S. 66–88.
46
1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
und verfolgten dabei eine Politik, die sich nicht als Gleichgewichts- und Neutralita¨tswahrung bezeichnen la¨sst. Venedig und Lu¨beck verdankten ihren wirtschaftlichen Aufstieg ihrer Lage als Knotenpunkt zwischen westlichen und o¨stlichen, beziehungsweise su¨dlichen und no¨rdlichen Handelswegen.244 Daru¨ber hinaus war fu¨r sie, wie auch fu¨r Hamburg und Bremen, der uneingeschra¨nkte Zugang zu den fu¨r den Handel notwendigen Gewa¨ssern entscheidend. Venedig gru¨ndete seine Oberherrschaft u¨ber die Adria – feierlich jedes Jahr in der Verma¨hlung mit dem Meer erneuert – auf ein durch Papst Alexander III. 1177 aus Dankbarkeit u¨ber Venedigs Vermittlerrolle zwischen ihm und Friedrich Barbarossa verliehenes Vorrecht. Die Hansesta¨dte beriefen sich zur Herleitung ihres Dominium fluvis auf kaiserliche Privilegien.245 Die eng mit der Vergangenheit der Stadt verflochtenen Begru¨ndungen gerieten zunehmend in Widerspruch mit der Realita¨t der Konflikte, die sich in der Adria genauso wie auf Weser, Elbe und den vielen Gewa¨ssern in der Umgebung Lu¨becks um Schifffahrts-, Fischereiund Zollrechte abspielten. Diese machten deutlich, wie fragil die machtpolitische Grundlage der von den Stadtrepubliken beanspruchten Rechte war. In allen Fa¨llen ist dabei bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts aber nicht zu beobachten, dass sich die Landesherrschaften gegen die Stadtrepubliken endgu¨ltig durchsetzen konnten: Weder erlangte der Erzherzog von Innero¨sterreich die Oberhoheit u¨ber die Adria, noch konnte Christian IV. dauerhaft seinen gegen Hamburger Interessen gerichteten Elbzoll bei Glu¨ckstadt aufrechterhalten. Die Stadtrepubliken waren vielleicht nicht auf dem europa¨ischen Parkett, wohl aber in den regionalen Zusammenha¨ngen, in die sie eingebettet waren, durchaus gleichrangige Gegenspieler der fu¨rstlich beherrschten Territorialma¨chte im Prozess der Staatsbildung. Zu Wasser und zu Lande befanden sie sich in fortwa¨hrenden Auseinandersetzungen um Hoheitsrechte, die aufgrund des Machtgleichgewichts der beteiligten Akteure nicht zugunsten einer Seite gelo¨st werden konnten. Diese außenpolitische Parita¨t bedeutet nicht, dass es nicht bestimmte strukturelle Unterschiede zwischen den Landesherrschaften der Stadtrepubliken und denen der fu¨rstlichen Landesherrn gab: Suchten letztere, mo¨glichst viele verschiedene Rechte und Gebiete auch um einer Vermehrung ihrer territorial basierten, finanziellen und milita¨rischen Ressourcen willen zu erwerben und die Stellung ihres Hauses zu erho¨hen,246 waren die territorialen Interessen der Stadtrepubliken in erster Linie o¨konomisch bestimmt. Die Ehre der regierenden Magistrate und der gesamten Stadt wurde daher eher mit der Ausu¨bung gerechter und fruchtbringender Herrschaft in den untergebenen Gebieten als mit den Eroberungen an sich verknu¨pft.247 Dieser 244 Vgl. Lane, Venice, S. 60–61. 245 Fu¨r Bremen vgl. Hofmeister, Bremen und seine ‚La¨nder‘, S. 51; fu¨r Hamburg Dreyer, Hamburgs
Kampf, S. 3; fu¨r Lu¨beck Erich Hoffmann, Lu¨beck im Hoch- und Spa¨tmittelalter: Die große Zeit Lu¨becks, in: Lu¨beckische Geschichte, hg. v. Antjekathrin Grassmann, Lu¨beck 31997, S. 79–340, hier: S. 103–105. 246 Vgl. Ernst Hinrichs, Fu¨rsten und Ma¨chte. Zum Problem des europa¨ischen Absolutismus, Go¨ttingen 2000, S. 147–160, 207–210. 247 Vgl. Casini, Fra Citta`-Stato e Stato Regionale. Fu¨r die Hansesta¨dte fehlen hierzu bislang jegliche Forschungen.
1.2. Untersuchungsbeispiele und Untersuchungszeitraum
47
strukturelle Unterschied macht es auch plausibel, von Venedig trotz seiner ausgedehnten Besitzungen im o¨stlichen Mittelmeerraum und auf der Terraferma als einer Stadtrepublik zu sprechen. Zwischen den Kolonien der Republik in der Levante und den Eroberungen auf der Terraferma sowie dem Stadt- und wiederum dem Lagunengebiet bestanden signifikante rechtliche Unterschiede, die auch im 17. Jahrhundert nicht vereinheitlicht wurden. Gerade die Inseln im o¨stlichen Mittelmeerraum und die Gebiete auf dem griechischen Festland wurden meist mit wenig personalem Aufwand verwaltet. Sie sollten als Handelsstu¨tzpunkte gesichert, aber nicht zu Ablegern des venezianischen Stadtgebiets umgeformt werden.248 Dies a¨nderte sich auch nicht, als im europa¨ischen Wettbewerb um die Ko¨nigswu¨rde diese Gebiete und speziell Zypern, das sich real bereits in tu¨rkischer Hand befand, als Begru¨ndungen venezianischer Anspru¨che an Bedeutung gewann. Die Hansesta¨dte haben nie in demselben Ausmaße Festlands- und Inselbesitzungen unter ihre Oberhoheit bringen ko¨nnen wie Venedig, das ja auch u¨ber eine sehr viel la¨ngere Geschichte der Unabha¨ngigkeit verfu¨gte. Allein Lu¨beck erwarb mit der Insel Bornholm ein großes Handelsgebiet, von dem es allerdings aufgrund der dauernden Konflikte mit der da¨nischen Krone um die Ausu¨bung der Herrschaftsrechte kaum profitierte.249 Diese geringere Expansion der Hansesta¨dte ha¨ngt mit zwei Faktoren zusammen: 1. Durch die Einbettung in den Reichsverband erlangten bereits Ende des 15. Jahrhunderts Eroberungen innerhalb des Reichsgebietes eine rechtlich geregelte Form. So betrieb Lu¨beck in der zweiten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts eine aktive Gebietserweiterungspolitik. Hierzu setzte der Rat rechtliche und finanzielle Mittel ein. Die Stadt erwarb Pfandrechte oder schloss Kompensationsvertra¨ge. Die Auflo¨sung dieser Kooperationsverha¨ltnisse zog sich in den durch die fu¨rstlichen Landesherren angestrengten Prozessen vor dem Reichskammergericht u¨ber Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte hin. Der Rechtsstreit um die 1359 als Pfandherrschaft von dem verschuldeten Herzog Albrecht V. von Sachsen-Lauenburg erworbene Stadt Mo¨lln dauerte beispielsweise von 1579 bis 1747.250 2. Die Hanse u¨bernahm als Verband die u¨berregionale Ausweitung der Niederlassungen, deren Zahl und geographische Ausbreitung sich im 15. Jahrhundert durchaus mit denen Venedigs im o¨stlichen Mittelmeerraum vergleichen lassen.251 Lu¨beck, Hamburg und Bremen verfolgten mit der Ausweitung ihrer Gebiete zwei Ziele: die Schaffung eines stadteigenen Hinterlandes, das im 16. und 17. Jahrhundert in wirtschaftlicher Hinsicht zunehmend an Bedeutung gewann und die milita¨rische und wirtschaftliche Absicherung ihrer Handelswege gegen die benachbarten Landesherren, aber auch gegen das im 16. Jahrhundert im Norden wie im Su¨den akute Problem der Piraterie. Hamburg und Bremen bauten hier ebenfalls selbstbewusst
248 Vgl. Lane, Venice, S. 42–43. 249 Vgl. Hauschild, Fru¨he Neuzeit und Reformation, S. 376–377. 250 Vgl. Schulze, Das Herzogtum Sachsen-Lauenburg, S. 172–179. 251 Vgl. Rolf Hammel-Kiesow, Die Hanse, Mu¨nchen 2000, S. 51–60, 68–96.
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1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
eigene Rechte aus, die von dem Problem ihrer ungekla¨rten Zugeho¨rigkeiten unberu¨hrt blieben. Die Existenz seera¨uberischer Gruppen war sowohl fu¨r die Anspru¨che der Hansesta¨dte als auch Venedigs auf das Dominium der Gewa¨sser besonders scha¨dlich: Sie machten deutlich, dass sie nicht in der Lage waren, die Sicherheit der Schifffahrt zu gewa¨hrleisten. Die Piraterie wurde so zu einem Argument konkurrierender Landesherren in den Auseinandersetzungen um Gewa¨sserhoheit.252 Im Rahmen der Konflikte um Gewa¨sser- und Gebietsrechte gelang es Venedig und den Hansesta¨dten, ihre Anspru¨che zu behaupten. Sie konnten sich insbesondere aufgrund ihrer kontinuierlich sta¨dtischen Struktur auf regionaler Ebene durchaus als Ma¨chte mittleren Ranges im 17. Jahrhundert etablieren, ohne aber in die Gruppe derjenigen im Entstehen begriffenen europa¨ischen Staaten zu gelangen, die das politische Geschehen fortan bestimmten. Der Frage, inwieweit auch in den ihnen unterstehenden Gebieten Prozesse zu beobachten sind, die sich mit Kennzeichen fru¨hmoderner Staatsbildung in Einklang bringen lassen, ist bisher noch nicht nachgegangen worden. Ein Vergleich mit fru¨hneuzeitlichen Territorien fu¨rstlicher Pra¨gung wa¨re aufschlussreich, da er das Verdikt der sta¨dtischen Ru¨cksta¨ndigkeit auf diesem Gebiet modifizieren wu¨rde. Zudem wu¨rde er helfen, Differenzen herauszuarbeiten, die sich aus den angesprochenen unterschiedlichen Interessenslagen zwischen hauptsa¨chlich Handel treibenden und Krieg fu¨hrenden Gemeinwesen ergeben.253 Ein solcher Vergleich kann und soll aber nicht Thema dieser Arbeit sein. Fu¨r den Zusammenhang zwischen außenpolitischen Strukturen und politischer Repra¨sentation sind vielmehr folgende Punkte festzuhalten, die als Voraussetzung fu¨r die Analyse dienen sollen: 1. Der Ausbau der Landes-, Fluss- und Seeherrschaften folgte immer interessengeleitet auf die Stadt hin. Er wurde nicht zu einem Selbstzweck und fu¨hrte damit auch nicht zu einer Territorialisierung der theoretischen, bildlichen und rituellen Vorstellungen des Gemeinwesens.254 Dies begru¨ndet eine Beschra¨nkung der Analyse der sich in stadtrepublikanischen Ritualen findenden Ordnungsvorstellungen auf das Gebiet der Sta¨dte selbst. Es werden allein Venedig und nicht die Sta¨dte der griechischen Inseln oder der Terraferma untersucht sowie allein die Hansesta¨dte und nicht Mo¨lln, Ritzebu¨ttel, Bornholm oder das Bremer Umland. 2. Um 1600 war noch nicht entschieden, ob und wie Venedig und die Hansesta¨dte im Wettbewerb der werdenden Staaten um politische, wirtschaftliche und finanzielle Ressourcen unterliegen wu¨rden. Ihre Zweitrangigkeit wurde erst mit dem Friedensvertrag von 1648 deutlich sichtbar. Daher ist von einem markanten Bruch des eigenen Selbstversta¨ndnisses vor und nach 1648 auszugehen, der die Festlegung des Untersuchungszeitraums dieser Arbeit begru¨ndet.
252 Vgl. Alberto Tenenti, Piracy and the Decline of Venice 1580–1615, London 1967, S. 4–5; zu den Han-
sesta¨dten wa¨ren noch entsprechende Detailforschungen no¨tig.
253 Dieser Unterschied wird auch in der Analyse Herfried Mu¨nklers nicht hinreichend beachtet. Vgl. Her-
fried Mu¨nkler, Imperien: die Logik der Weltherrschaft – vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, Bonn 2005, S. 35–78. 254 Vgl. auch Monique O’Connell, Men of Empire. Power and Negotiation in Venice’s Maritime State, Baltimore 2009, S. 1–16.
1.3. Forschungsstand
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3. Den Stadtrepubliken gelang es, nach außen hin in dieser Zeit ihre Autonomie zu wahren. Sie verteidigten erfolgreich ihre u¨ber das Stadtgebiet hinausgehenden Rechte. Sie nahmen dabei die akute Bedrohung der zum Teil sehr aggressiven Expansionspolitik der no¨rdlichen Ma¨chte Da¨nemark und Schweden in dem einen und der Habsburger und der Osmanen in dem anderen Fall wahr. Dieses Bedrohungsgefu¨hl machte eine Sta¨rkung der Autonomie nicht nur in politischer, finanzieller und milita¨rischer Hinsicht notwendig, sondern fu¨hrte auch dazu, dass die Besonderheiten der eigenen Existenz vermehrt wahrgenommen wurden. Kein Aspekt der sta¨dtischen Rituale kann ohne diese Voraussetzung untersucht werden; das Element der nach außen gerichteten Selbstdarstellung muss bei allen Ritualen, auch denen des Kernbereichs der Wahlen und Amtswechsel, mit beru¨cksichtigt werden.
1.3. Forschungsstand
Der Zusammenhang zwischen politischen Ordnungsvorstellungen und sta¨dtischen Ritualen ist fu¨r Venedig und fu¨r die Hansesta¨dte erst in Ansa¨tzen erforscht worden. Auffa¨llig ist dies in allen vier Sta¨dten, in denen sich bestimmte rituelle Traditionen entweder bis in das 20. Jahrhundert kontinuierlich erhalten haben oder bewusst wiederbelebt wurden, wie in Venedig der Karneval oder in Bremen das Schaffermahl. Der politischen Kultur Venedigs in der Fru¨hen Neuzeit widmen sich jeweils getrennt voneinander entstandene Arbeiten in den Bereichen politischer Ideen- und Kunstgeschichte und auch der sta¨dtischen Rituale. William J. Bouwsma hat fu¨r den erstgenannten Bereich anhand einer Analyse der politischen Traktate um 1600 die These aufgestellt, dass in Venedig im Rahmen der Konfrontation mit dem Papsttum ein im Vergleich zu Florenz verspa¨teter „Renaissance-Republicanism“ beobachtet werden ko¨nne.255 Dieser These widersprachen insbesondere italienische Forscher mit dem Hinweis, dass bereits im 15. Jahrhundert eine Formulierung republikanischer Selbstbilder in Venedig beobachtet werden ko¨nne. Außerdem ließen sich, so hat insbesondere Renzo Pecchioli hervorgehoben, dass sich in Venedig um 1600 auch Tendenzen der Rezeption nicht allein republikanischer Denkmodelle finden lassen.256 Gaetano Cozzi hat zu Recht darauf hingewiesen, wie schwer es ist, fu¨r das venezianische Patriziat aufgrund seiner traditionellen, sozialen und auch religio¨sen Differenzierung eine einheitliche Aussage zu treffen.257 Andere Forscher betonen im Gegensatz zu Bouwsma die lange Dauer politischer Kultur in Venedig. So
255 Bouwsma, Venice, S. 1–51. 256 Vgl. Renzo Pecchioli, Dal „Mito“ di Venezia al „Ideologia Americana“. Itinerari e modelli della sto-
riografia sul repubblicanesimo dell’eta` moderna, Venedig 1983.
257 Vgl. Gaetano Cozzi, Politica, cultura e religione a Venezia tra manierismo e barocco, in: Ders.,
Ambiente veneziano, ambiente veneto. Saggi su politica, societa`, cultura nella Repubblica di Venezia in eta` moderna,Venedig 1997, S. 249–267.
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1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
geht Edward Muir in seiner Gesamtdarstellung der civic rituals in Venedig kaum auf Wandlungsprozesse ein.258 Auch die Historikerin Dorit Raines spricht in ihrer Untersuchung des Selbstbildes der venezianischen Patrizier von einem lang andauernden, sich kaum vera¨ndernden Zustand der auto-conviction der venezianischen Fu¨hrungsschicht, der allein durch die Neuaufnahme von Familien seit 1646 unterbrochen worden sei.259 Arbeiten neueren Datums machen sich die Fu¨lle von gedruckten Quellen in Venedig im 16. und 17. Jahrhundert zunutze, um das Spannungsfeld zwischen mu¨ndlicher und schriftlicher Kultur vor dem Hintergrund der Frage nach politischer Identita¨tsstiftung auszuloten.260 Besonders u¨berzeugend arbeitet hierbei Filippo de Vivo heraus, wie eng verflochten politische Kommunikation und o¨ffentlicher Stadtraum in Venedig am Ende des 16. Jahrhunderts auch u¨ber die institutionell festgelegten Grenzen politischer Partizipation war. Sein Fokus nimmt dabei allerdings nicht die rituellen Aspekte politischer Kultur in den Blick. In einer umfangreichen Untersuchung hat Achim Landwehr auf einen anderen Aspekt politischer Kultur in Venedig hingewiesen: Auch in Venedig, so zeigt Landwehr, fand eine Territorialisierung staatlich-politischer Konzeptionen vom 16. zum 17. Jahrhundert statt.261 Alle genannten Arbeiten beziehen Venedig als Fallstudie in den Gesamtzusammenhang der Frage nach den Spezifika fru¨hneuzeitlicher politischer Kultur ein – ein Ansatz, dem sich auch dieses Buch verpflichtet fu¨hlt. Auf die Bedeutung der Zeit um 1600 als einer Schlu¨sselepoche fu¨r das Zusammenwirken religio¨sen Wandels und politischer Vorstellungen hat der norwegische Kunsthistoriker Staale Sinding-Larsen wiederholt hingewiesen. Hierfu¨r stu¨tzt er sich auf eine Zusammenschau liturgischer Texte, architektonischer Befunde und politisch-historischer Traktate. Fu¨r die zweite Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts hat er anhand einer detaillierten Analyse des Bildbestandes der gro¨ßtenteils in dieser Zeit erfolgten Ausmalung des Dogenpalastes die symbolische Zentrierung auf die Auferstehungsgeschichte und die Leidensfigur Christi als Schlu¨sselkonzepte fu¨r die religio¨s-politische Symbolisierung Venedigs herausgearbeitet.262 Dank seines interdisziplina¨ren Ansatzes, der Bild- und Raumfunktionen gleichermaßen beru¨cksichtigt,263 sind seine Arbeiten und auch die a¨hnlich vorgehenden Forschungen von Andrew Hopkins zum Zusammenhang zwischen dogalem Zeremoniell und dem Bau der Kirche Santa Maria 258 Muir, Civic Ritual, S. 299–300. 259 Dorit Raines, L’invention du mythe aristocratique. L’image de soi du Patriciat Ve´nitien au temps de
la Se´re´nissima, 2 Bde., Venedig 2006, Bd. 1, S. 625–630. 260 Filippo De Vivo, Information and Communication in Venice. Rethinking Early Modern Politics, Lon-
don 2008; Elizabeth Horodowich, Language and Statecraft in Early Modern Venice, Cambridge 2008; Bronwen Wilson, The World in Venice. Print, the City and Early Modern Identity, Toronto/ Buffalo 2005. 261 Achim Landwehr, Die Erschaffung Venedigs. Raum, Bevo¨lkerung, Mythos 1570–1750, Paderborn 2007. 262 Vgl. Staale Sinding-Larsen, Christ in the Council Hall. Studies in the Religious Iconography of the Venetian Republic, Rom 1974, S. 156–162. 263 Vgl. Staale Sinding-Larsen, Categorization of Images in Ritual and Liturgical Contexts, in: Cahiers du Le´opard d’or 5 (1996), S. 109–130; Staale Sinding-Larsen, Medieval Images as a Medium of Ritualized Communication, in: Kommunikation und Alltag in Spa¨tmittelalter und Fru¨her Neuzeit. Internationaler Kongress Krems an der Donau, 9. bis 12. Oktober 1990, Wien 1992, S. 323–338.
1.3. Forschungsstand
51
della Salute264 wichtige Grundlagen, auf denen die vorliegende Arbeit fußt. Dies gilt auch fu¨r die musikhistorische Dissertation David D. Bryants u¨ber den Zusammenhang zwischen Liturgie, Musik und Raumnutzung in der Kirche von San Marco. Er hat die in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts zu beobachtende musikalische Entwicklung mit der Normierung des Zeremoniells im Kircheninneren verbunden. Bryant stellt seine Ergebnisse in einen Zusammenhang mit der wenigstens fu¨r den Bereich der politisch bestimmten Liturgie nicht erfolgten Umsetzung Trienter Konzilsbeschlu¨sse.265 Auch der Musikwissenschaftler Iain Fenlon hat immer wieder die politische Selbstdarstellung der Republik im Rahmen der musikalischen Ausgestaltung ihrer Zeremonien untersucht und damit eine wertvolle Grundlage fu¨r weiterfu¨hrende Studien gelegt.266 Sowohl zu einzelnen Ritualen wie auch zu Fragen der Stadtgeschichte lassen sich erstaunlicherweise auch fu¨r Venedig immer noch in weiten Teilen große Forschungslu¨cken feststellen. Dies gilt selbst fu¨r beru¨hmte Rituale wie den Karneval oder die Verma¨hlung mit dem Meer, den Sposalizio del Mare. Zu beiden Festen fehlen bis heute grundlegende Studien. Im englischsprachigen Bereich la¨sst sich gegenwa¨rtig ein ¨ bergewicht von Studien ausmachen, die sich mit dem Problem der GeschlechterU grenzen und dem Umgang mit Ko¨rperlichkeit und Sexualita¨t im fru¨hneuzeitlichen Venedig auseinandersetzen.267 Das hat zur Folge, dass sich die Untersuchungen eher auf individuelle als auf kollektive Perspektiven der jeweiligen Akteure konzentrieren.268 Da ein großer Teil an Grundlagenforschung zu einzelnen Aspekten der venezianischen Geschichte fehlt – so existiert beispielsweise bis heute keine verla¨ssliche Darstellung der in Venedig ansa¨ssigen geistlichen Orden –, musste in der vorliegenden Arbeit ha¨ufig ausschließlich oder doch u¨berwiegend auf die Auswertung von Quellen zuru¨ckgegriffen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass fu¨r Venedig nicht wie beispielsweise fu¨r Rom ein Korpus der gedruckten Festbeschreibungen vorliegt.269 La¨sst sich bereits fu¨r Venedig feststellen, dass die Popularita¨t des Karnevals nicht zu einer entsprechenden Fu¨lle an wissenschaftlich geleiteter Bescha¨ftigung mit diesem Pha¨nomen gefu¨hrt hat, so gilt das erst recht fu¨r die Hansesta¨dte. Der Forschungsstand fu¨r eine Untersuchung oder auch nur eine Gesamtschau hansesta¨dtischer Festkultur ist schnell zu referieren, da diese kaum existent ist. Einzig Bremens
264 Vgl. Andrew Hopkins, The Influence of Ducal Ceremony on Church Design in Venice, in: Archi-
tectural History 41 (1998), S. 30–48; Andrew Hopkins, Santa Maria della Salute. Architecture and Ceremony in Baroque Venice, Cambridge 2000. 265 David D. Bryant, Liturgy, Ceremonial and Sacred Music in Venice at the Time of Counter-Reformation, unvero¨ffentl. Diss., University of London 1981, S. 33–43. 266 Iain Fenlon hat 2007 eine Synthese seiner umfangreichen Venedig-Forschungen vorgelegt: Iain Fenlon, The Ceremonial City. History, Memory and Myth in Renaissance Venice, New Haven, London 2007. 267 Vgl. zum Beispiel Anne Jacobsen Schutte, Aspiring Saints: Pretense of Holiness, Inquisition and Gender in the Republic of Venice, 1618–1750, Baltimore 2001. 268 Ein gutes Beispiel hierfu¨r ist Joanne M. Ferraro, Marriage Wars in Late Renaissance Venice, Oxford 2001. 269 Corpus delle feste a Roma, Bd. 1: La festa barocca, hg. v. Marco Fagiolo dell’Arco, Rom 1997.
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1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
„Sitten und Bra¨uche“ waren Gegenstand eines im Jahre 2000 publizierten Sammelbandes. In ihm sind allerdings nur zwei recht kurze Artikel zu fru¨hneuzeitlichen Ritualen enthalten.270 Dieser desolaten Forschungslage steht eine reichhaltige Quellenlage gegenu¨ber. Herbert Schwarzwa¨lder zitiert in dem Teilband seiner fu¨nfba¨ndigen Gesamtdarstellung Bremer Stadtgeschichte, der die Zeit bis 1810 behandelt, eine Vielzahl von Beschreibungen sta¨dtischer Rituale wie Einzu¨ge, Huldigungen etc. Entsprechend dem Ziel seiner Publikation ordnet er diese ohne Belege aus den zeitgeno¨ssischen Quellen in eine Gesamtschau der Stadtgeschichte ein.271 ¨ hnlich wie in der venezianischen Forschung bieten kunst- und musikgeschichtA liche Arbeiten die detailliertesten und fundiertesten Untersuchungen zur hansesta¨dtischen Festkultur. Aufgrund ihres nicht gesamtgeschichtlichen Interesses konzentrieren sich diese Studien allerdings auf eine Konstruktion des materiellen Befundes (etwa von Kleidung, Instrumenten oder Kunstwerken) und bieten daher fu¨r die vorliegende Arbeit nur Spezialinformationen. Besonders in den Forschungen zur Geschichte der Hansestadt Lu¨beck la¨sst sich das – immer wieder von der ehemaligen Direktorin des Lu¨becker Stadtarchivs Antje¨ bergewicht der media¨vistischen kathrin Graßmann bedauerte und korrigierte272 – U Forschung zur Hansestadt feststellen. So gibt es durchaus eine Anzahl von Untersuchungen, die sich der politischen Kultur der Lu¨becker Fu¨hrungsschicht im Spa¨tmittelalter widmen. Das Verha¨ltnis von bu¨rgerlicher und adeliger Kultur im 13. und 14. Jahrhundert ist Gegenstand einer Untersuchung von Rainer Demski. Aufbauend auf Auswertungen von Quellen zu Familien- und Wohnverha¨ltnissen kommt er zu dem Ergebnis, dass es im 13. und 14. Jahrhundert keine tatsa¨chlichen materiellen Unterschiede zwischen stadtsa¨ssigem Adel und Bu¨rgertum gab. Ein grundlegender Unterschied habe sich aber in der Repra¨sentation adeliger und stadtbu¨rgerlicher Familien gezeigt.273 Einzig Stefanie Ru¨thers Studie zur „Repra¨sentation der Lu¨becker Ratsherrn in Mittelalter und Fru¨her Neuzeit“u¨berschreitet bewusst die Epochengrenze zwischen Mittelalter und Fru¨her Neuzeit.274 Sie hat sich mit der Selbstdarstellung der Mitglieder des Lu¨becker Rates in Kirchen und Klo¨stern befasst und dafu¨r deren Testamente in Hinblick auf Stiftungen und Schenkungen ausgewertet. Neben zahlreichen Kontinuita¨tslinien betont Ru¨ther das Ausgreifen der ratsherrlichen Verfu¨gungsgewalt in den kirchlichen Raum. Dieses Bestreben habe nach der Reforma270 Hans H. Meyer, 1618: Die Brautkrone, in: Feste und Bra¨uche in Bremen. Beitra¨ge zur Kultur- und
Sozialgeschichte der Hansestadt. Festschrift zum hundertsten Geburtstag des Focke-Museums, Bremen 2000, S. 68–70; Lydia Niehoff, Schlaraffenland in Bremen? Feste feiern zur Hansezeit, in: Feste und Bra¨uche in Bremen. Beitra¨ge zur Kultur- und Sozialgeschichte der Hansestadt. Festschrift zum hundertsten Geburtstag des Focke-Museums, Bremen 2000, S. 35–46. 271 Schwarzwa¨lder, Geschichte, z. B. S. 256–259, 367–371. 272 Auf eine Nennung aller Vero¨ffentlichungen Antjekathrin Graßmanns zum fru¨hneuzeitlichen Lu¨beck wird hier verzichtet, vgl. stattdessen ihr Schriftenverzeichnis in: Michael Hundt/Rolf HammelKiesow, Bibliographie der Schriften von Antjekathrin Graßmann, in: Das Geda¨chtnis der Hansestadt Lu¨beck: Festschrift fu¨r Antjekathrin Graßmann zum 65. Geburtstag, hg. v. dens., Lu¨beck 2005, S. 619–634. 273 Vgl. Rainer Demski, Adel und Lu¨beck: Studien zum Verha¨ltnis zwischen adliger und bu¨rgerlicher Kultur im 13. und 14. Jahrhundert, Frankfurt a. M./Berlin 1996, S. 185, 281–283. 274 Vgl. Stefanie Ru ¨ ther, Prestige und Herrschaft. Zur Repra¨sentation der Lu¨becker Ratsherren in Mittelalter und Fru¨her Neuzeit, Ko¨ln/Weimar/Wien 2003.
1.4. Quellenauswahl
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tion weiter zugenommen.275 Hiermit hat Ru¨ther wichtige Ansatz- und Erga¨nzungspunkte auch fu¨r diese Arbeit geliefert, insbesondere fu¨r den einschla¨gigen Abschnitt des Kapitels „Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t. Die rituelle Selbstdarstellung der politischen Amtstra¨ger“. Ihr Ansatz unterscheidet sich aber maßgeblich von dem in dieser Arbeit gewa¨hlten Weg, der weder auf einer konsequenten Anwendung des von Pierre Bourdieu gepra¨gten Modells des „kulturellen Habitus“ beruht, wie sie es vorgenommen hat, noch sich auf die Auswertung einer einzigen Quellengattung konzentriert.276 Im Bereich der fru¨hneuzeitlichen Rituale Hamburgs277 ist allein das Reformationsfest Gegenstand intensiver geschichtswissenschaftlicher Betrachtungen geworden.278 Auch die Reformation stellt eines der Ereignisse dar, die noch am ehesten zu kulturwissenschaftlich geleiteten Fragestellungen in der Hamburg-Forschung inspiriert haben.279 Diesen einzelnen Untersuchungen folgten allerdings keine Syntheseversuche.
1.4. Quellenauswahl
Die methodische Entscheidung, Rituale als Fokussierung von Vorstellungen politischer Ordnung zu verstehen, hat zur Folge, dass sich die Arbeit auf eine Analyse mo¨glichst unterschiedlicher Quellen stu¨tzen muss. Es wurde angestrebt, fu¨r einzelne Rituale und Ereignisse verschiedene Narrative mo¨glichst unterschiedlicher Reichweite zu analysieren. Dafu¨r war es notwendig, sich auf eine breite Recherche des Quellenstandes in unterschiedlichen Text- und Erza¨hlgenera, sowie Bild- und teilweise auch musikalische Quellen zu stu¨tzen. Eine intensive Quellenrecherche wurde sowohl in Venedig als auch in den Hansesta¨dten dadurch begu¨nstigt, dass etwa ab der Mitte des 16. Jahrhunderts ein Medienwandel zur Darstellung politischer Rituale und o¨ffentlicher Feste einsetzte. Fu¨r den ausgewa¨hlten Untersuchungsabschnitt sind dementsprechend zwar ausreichend, aber nicht unu¨berschaubar viele Quellenreihen vorhanden. Dies la¨sst sich am Beispiel der venezianischen Bildquellen verdeutlichen: Die meisten heute noch bekannten Darstellungen venezianischer Festlichkeiten stammen aus dem 18. Jahrhundert. Der venezianische Ku¨nstler Francesco Guardi hat im 18. Jahrhundert einen großen Teil seines Œuvres der Darstellung venezianischer 275 Vgl. Ru ¨ ther, Prestige und Herrschaft, S. 167–177 und S. 214–215. 276 Ebd., S. 1–15. 277 Diesem Defizit begegnete eine Tagung im Jahre 2009, deren Beitra¨ge vor der Drucklegung stehen:
Hamburg. Eine Metropolregion zwischen Fru¨her Neuzeit und Aufkla¨rung, hg. v. Sandra Pott/ Anselm Steiger, Hamburg vorauss. 2011. 278 Vgl. Susanne Rau, Reformationsjubila¨en und konfessionelle Identita¨t in Hamburg, in: Mitteilungen des Hamburger Arbeitskreises fu¨r Regionalgeschichte 33 (1998), S. 23–38. 279 Vgl. Jana Ju ¨ rgs, Der Reformationsdiskurs der Stadt Hamburg: ereignisabha¨ngiges Textsortenaufkommen und textsortenabha¨ngige Ereignisdarstelllung der Reformation in Hamburg 1521–1531, Marburg 2003.
54
1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
Festkultur gewidmet.280 Kupferstiche, die sich prima¨r der Darstellung von Ritualen widmen, sind zwar fu¨r die Zeit um 1600 vorhanden, aber noch nicht in einer solchen Fu¨lle wie gut hundertfu¨nfzig Jahre spa¨ter.281 Fu¨r die Mitte des 17. Jahrhunderts fallen ¨ lgema¨lde des in Venedig ta¨tigen Schweizer Malers Joseph Heintz des Ju¨ngeren die O sowohl durch Qualita¨t als auch durch ihre Anzahl auf, ko¨nnen sich aber in beiden Punkten mit den Bildern Guardis kaum messen.282 In der Quellenauswahl wurde darauf geachtet, zusa¨tzlich zu gedruckten Festbeschreibungen auch andere Textgattungen zu beru¨cksichtigen, die spezifisch in ihrem sta¨dtischen Entstehungszusammenhang zu verorten sind. Die sta¨dtische Chronistik dieser Zeit ist sowohl in Venedig als auch in den Hansesta¨dten zumeist noch handschriftlich u¨berliefert. Teilweise ist sie in einem nicht gekla¨rten und nicht mehr zu ¨ berlieferungszusammenhang entstanden, wie die semi-privaten, chronokla¨renden U logisch gegliederten Aufzeichnungen aus der Hand venezianischer und hansesta¨dtischer Magistrate.283 Teilweise wurde sie aber auch im Auftrag des Rates angefertigt, wie zum Beispiel die in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts entstandene Bremer Stadtchronik von Johannes Renner.284 Leider muss auch hier ein frappierender ¨ berlieferungssituation und Forschungslage konstatiert werGegensatz zwischen U den. Die wichtigsten spa¨tmittelalterlichen Chroniken sind meistenteils ediert.285 Fu¨r die zweite Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts fehlen Editionen nicht allein der Chroniken, sondern auch anderer erza¨hlender Textquellen, die nicht allein fu¨r den Forschungskontext dieser Arbeit aufschlussreich wa¨ren, wie beispielsweise Selbstzeugnisse von Magistraten.286 Gleichfalls bis jetzt nur als Handschriften zuga¨nglich sind die Quellen, die Kompilationen politischer Regelungen und Beschreibungen von Ritualen darstellen, wie die venezianischen Zeremonialbu¨cher. Diese werden im Kapitel „Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t. Die rituelle Selbstdarstellung der politischen Amtstra¨ger“ ausfu¨hrlich diskutiert werden. Diese Quellen stellen Mischformen deskriptiven und normativen Erza¨hlens dar, wie sie sich auch in Texten rein normativen Anspruchs wie Ratsbeschlu¨ssen, Proklamen oder auch Korporationsstatuten finden lassen. Daher bieten diese Zeugnisse gleichfalls aufschlussreiche Hinweise auf den Zusammenhang zwischen ideal gedachten Ordnungsmustern und sta¨dtisch280 Vgl. Cornelia Friedrichs, Francesco Guardi – venezianische Feste und Zeremonien: die Inszenierung
der Republik in Festen und Bildern, Berlin 2006. 281 Vgl. den Ausstellungskatalog Canaletto – Brustolon. Le Feste Ducali. Rami e stampe dalle collezioni
del Museo Correr, hg. v. Filippo Petrocco/Camillo Tonini, Venedig 2006. 282 Vgl. Daniele D’Anza, Appunti sulla produzione „festiva“ di Joseph Heintz il giovane: opere autografie
e di bottega, in: Arte in Friuli, arte a Trieste 24 (2005), S. 7–20. 283 Vgl. Susanne Rau, Geschichte und Konfession. Sta¨dtische Geschichtsschreibung und Erinnerungskul-
tur im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung in Bremen, Breslau, Hamburg und Ko¨ln, Hamburg/Mu¨nchen 2002, S. 396–398. 284 Renners Chronik ist die einzige fru¨hneuzeitliche Chronik aus Bremen, Hamburg und Lu¨beck, zu der ein Handschriftenvergleich vorliegt. Vgl. Ilse Schunke, Die Handschriften von Renners Bremer Chronik in der Staatsbibliothek Bremen, in: BremJb 33 (1931), S. 158–172. 285 Vgl. die Quellen in: Heinrich Schmidt, Die deutschen Sta¨dtechroniken als Spiegel des bu¨rgerlichen Selbstversta¨ndnisses im Spa¨tmittelalter, Go¨ttingen 1958. 286 Einen ersten Schritt zur Aufarbeitung allerdings nur des Bremer und Hamburger Materials hat Susanne Rau unternommen. Vgl. Rau, Geschichte und Konfession, S. 531–537, 549–556.
1.4. Quellenauswahl
55
republikanischen Ritualen. Zusa¨tzlich wurden Quellen eruiert, die eine bestimmte Gruppe im Rahmen eines Rituals feierten, wie zum Beispiel die venezianischen Schuster im Rahmen der Kro¨nungen der venezianischen Dogaresse oder die hansesta¨dtischen Ratsherren nach ihrer Wahl. Diese Quellen geben Aufschluss daru¨ber, in welchem Maße eine eigensta¨ndige Repra¨sentation bestimmter Gruppen sich mit Gesamtkonzeptionen gemeinschaftlich gedachter politischer Ordnung verband oder von diesen lo¨ste. Die innerrepublikanische Sichtweise auf die stadtrepublikanische Selbstdarstellung wurde durch die Auswertung von Berichten erga¨nzt, die sich aus der Feder von Gesandten und Reisenden erhalten haben. Diese Arbeit beruht auf einer mo¨glichst umfassenden Quellenrecherche in Bremer, Hamburger und Lu¨becker sowie venezianischen Archiven, Museen und Biblio¨ berlieferungssituation in den Architheken. In den Hansesta¨dten ist die besondere U ven und Bibliotheken zu beachten, die durch Bra¨nde und Kriegsverluste gekenn¨ ffzeichnet ist. Die vorliegende Arbeit wa¨re ohne die Ru¨ckfu¨hrung und teilweise O nung von Archivbesta¨nden nach 1990 nicht mo¨glich gewesen und nimmt erstmalig eine Auswertung von Materialien vor, die in der Zeit des Kalten Krieges nicht zuga¨nglich waren.287 Zur Erarbeitung eines umfassenden Quellenkorpus wurde zudem auf u¨bergreifende Kataloge und Verbundsysteme wie den „Verzeichnissen deutscher Drucke“288 des 16. und 17. Jahrhunderts und ihres italienischen Pendants289 sowie erga¨nzende Recherchen in Bibliotheks-, Archiv- und Museumsbesta¨nden in Berlin, Mu¨nchen, Rom, Paris und Wolfenbu¨ttel zuru¨ckgegriffen. Dennoch ist sowohl fu¨r Venedig als auch fu¨r den hansesta¨dtischen Bereich davon auszugehen, dass sich einige Quellenbefunde nicht durch strukturelle zeitgeno¨ssische ¨ berlieferungsumsta¨nde ergeben haben. Dies ist besonVerha¨ltnisse, sondern durch U ders fu¨r den Bereich der familia¨ren Kommemoration anzunehmen. War es bereits schwierig, Gelegenheitsliteratur und Epitaphien zum Gedenken an Mitglieder der venezianischen und hansesta¨dtischen politischen Oberschicht fu¨r die Zeit um 1600 ausfindig zu machen, erwies es sich als nahezu unmo¨glich, diese Quellenanalyse durch entsprechende Zeugnisse fu¨r Mitglieder sta¨dtischer Korporationen wie Bruderschaften und Zu¨nfte zu erga¨nzen. Die reichhaltige materielle Kultur dieser Gruppen ist im Bereich der Fru¨hen Neuzeit weder in Venedig noch in den Hansesta¨dten erforscht. Sie la¨sst aber darauf schließen, dass sich in einigen Familien beispielsweise ¨ ltesten der Zu¨nfte oder auch der venezianischen Bruderschaften entsprechende der A Repra¨sentationsformen wie in den Familien der Magistrate und Geistlichkeit herausgebildet haben. Diese haben aber ihren Weg nicht in die Archive der Magistrate und Kirchen gefunden. Der Autorin bleibt daher nur, auf die durch den Quellenbefund sichtbar gewordenen Forschungslu¨cken hinzuweisen.
287 Vgl. Meike Kruse, Zur Erschließung der 1942/43 ausgelagerten und zwischen 1987 und 1998 zuru¨ck-
gekehrten Besta¨nde des Archivs der Hansestadt Lu¨beck, in: Das Geda¨chtnis der Hansestadt Lu¨beck. Festschrift fu¨r Antjekathrin Graßmann zum 65. Geburtstag, hg. v. Rolf Hammel-Kiesow/Michael Hundt, Lu¨beck 2005, S. 571–582. 288 Beide Verzeichnisse sind vollsta¨ndig auf CD-ROM einsehbar. 289 EDIT 16. Censimento delle edizioni italiani del XVI secolo. Gleichfalls vollsta¨ndig nur auf CD-ROM einsehbar.
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1. Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken erste Ha¨lfte Fru¨he Neuzeit
1.5. Methodik
Eine Untersuchung des Zusammenhangs zwischen soziopolitischen Ordnungsvorstellungen und Ritualen kann nicht einer Gliederung nach Ritualtypen folgen, wie sie zum Beispiel Edward Muir in seiner Darstellung venezianischer Rituale vorschla¨gt.290 Dies wu¨rde bedeuten, sich auf die Rekonstruktion der Rituale zu konzentrieren und nicht auf eine Untersuchung der Akteure und ihrer Vorstellungen. Sinnvoller ist es daher, nach den verschiedenen Kontexten geordnet vorzugehen, in denen diese Rituale stattfanden. Diese waren in erster Linie durch die verschiedenen Facetten der Stadtrepubliken als Gemeinschaften gepra¨gt, und zwar gerade durch deren korporativen Charakter. In ihnen verstanden sich die politischen Magistrate als Obrigkeit, auch wenn sie diesen Anspruch teilweise immer wieder durchsetzen mussten. Die Repra¨sentation ihrer Stellung in der Stadtrepublik wird besonders im Verha¨ltnis untereinander sowie auch gegenu¨ber der Geistlichkeit deutlich. Daher widmet sich die Untersuchung in einem ersten Teil den republikanischen Ritualen der Wahl und Amtssetzung der Magistrate, um sich anschließend dem Verha¨ltnis von familia¨rer und politischer Repra¨sentation in diesem Bereich zu na¨hern. Denkbar wa¨re zum Beispiel, dass sich unter dem Einfluss ho¨fisch-adeliger Repra¨sentationsformen die Grenze zwischen familia¨ren und politischen Selbstdarstellungsformen immer weiter aufzulo¨sen begann oder im Gegenteil familia¨re Komponenten aus der Inszenierung politischer Legitimita¨t im Raum der Stadt verdra¨ngt wurden. Eines der auffa¨lligsten Konfliktfelder um die Gestaltung sta¨dtischer Rituale war die zwischen Geistlichkeit und Magistraten umstrittene Ausrichtung kirchlicher Feste. Anhand dreier Aspekte wird die Arbeit untersuchen, wie Magistrate und Geistliche die jeweiligen religio¨sen und politischen Komponenten in den Konzeptionen von Republik gewichteten. Diese drei unterschiedlichen Aspekte sind aus ¨ berlegung heraus gewa¨hlt, mo¨glichst unterschiedliche Situationen zu analysieder U ren, bei denen sich politische und religio¨se Vorstellungen beeinflussen oder ablehnen konnten. Dies sind zum Ersten Rituale, bei denen sich offene Konfrontationen zwischen geistlichen und politischen Fu¨hrungsgruppen beobachten lassen, zum Zweiten Feierlichkeiten, bei denen neue konfessionelle Symbole verwandt wurden und zum Dritten Rituale, die zur Repra¨sentation der Geistlichkeit selbst dienten. Eine Konzentration allein auf die Magistrate und Geistlichkeit wu¨rde dem auch fu¨r Venedig charakteristischen korporativen und partikular-vielfa¨ltigen Charakter der Stadtrepubliken kaum gerecht werden. Daher folgt der Untersuchung dieser beiden Gruppen eine Analyse der Repra¨sentationsformen ausgewa¨hlter sta¨dtischer Korporationen. Aufgrund des Quellenbefundes und auch um den Umfang der vorliegenden Arbeit nicht zu sprengen, wurde auf eine umfassende Einbeziehung aller Korporationen oder auch der Gruppen mit Sonderstatus291 verzichtet. Vielmehr sollte
290 Muir, Civic Ritual, S. 65–102, 212–250. 291 Es wa¨re zum Beispiel sehr aufschlussreich, der Rezeption des Republikbildes in den ju¨dischen Gemein-
den Venedigs und Hamburgs um 1600 nachzugehen. Hierzu liegen bis jetzt keine Untersuchungen vor.
1.5. Methodik
57
eine mo¨glichst dichte Analyse der Texte und Bilder Aufschluss u¨ber einen mo¨glichen Wandel des Stellenwertes korporativer Gliederung im sta¨dtischen Gesamtbild geben. Daher wurden neben Texten, die die gesamte Stadt als Festgemeinschaft thematisieren, auch diejenigen Text- und Bildquellen einbezogen, die aus dem Umkreis der Korporationsmitglieder selbst stammen. Diesen drei großen Feldern von Repra¨sentationsformen im Inneren der Stadtrepubliken – Magistraten, Geistlichen und sta¨dtischen Korporationen – wird anschließend die Untersuchung der Außenrepra¨sentation der Stadt gegenu¨bergestellt, wie sie sich in Grenzziehungen zu Wasser und zu Lande und dem Empfang von Fremden zeigte. Dieser Aspekt musste deswegen in die Untersuchung mit einbezogen werden, weil er Hinweise darauf geben kann, ob sich unterschiedliche Entwicklungen in der Darstellung politischer Ordnungsvorstellungen im Inneren und nach außen hin feststellen lassen.
2.
DIE INSZENIERUNG DER HERRSCHAFTSLEGITIMITA¨T
Im Zusammenhang mit der Frage nach Kontinuita¨t und Wandel politischer Selbstdarstellung von und in sta¨dtischen Republiken um 1600 soll im Folgenden untersucht werden, ob sich bei den Ritualen der Magistratswahlen und -amtssetzungen Vera¨nderungen der Ordnungsvorstellungen, die sich in der Beschreibung und Interpretation dieser Rituale a¨ußerten, beobachten lassen. Die Wahlrituale der Magistrate geho¨rten als Kernbestand politischer Kultur zu den wichtigsten ordnungsstiftenden symbolischen Handlungen in Republiken. Ein grundsa¨tzlicher Wandel in diesem Bereich la¨sst auf einen fundamentalen Umbruch der Werte schließen, die die politische Kultur Venedigs und der Hansesta¨dte pra¨gten. Die Untersuchung der Fragestellung erfolgt in zwei Schritten: 1. In einem ersten Teil soll die Frage im Mittelpunkt stehen, in welcher Weise sich Konzeptionen des Gemeinwesens in den Ritualen finden lassen, die der Konstituierung der politischen Magistrate in Venedig und den Hansesta¨dten dienten. 2. Anschließend soll der Frage nachgegangen werden, in welchem Verha¨ltnis familia¨re und magistrale Repra¨sentation in Ritualen bei Familienfeierlichkeiten wie Hochzeiten oder Begra¨bnissen standen. Beide Schritte erga¨nzen einander. Magistrate waren gleichzeitig Angeho¨rige politischer Institutionen und familia¨r definierter Gruppen. Zusa¨tzlich la¨sst sich als Hypothese vermuten, dass auch noch andere Gruppenzugeho¨rigkeiten – in Venedig etwa zu Bruderschaften, in den Hansesta¨dten zu professionellen oder sta¨ndischen Korporationen – in dem Wechselspiel von Repra¨sentationen der Amtstra¨ger eine Rolle spielten.
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
Die Rituale, die einen Herrschaftswechsel anzeigen, geho¨ren zum Kernbereich politischer Repra¨sentation. In Gemeinwesen, deren Ordnung nicht auf einer schriftlich fixierten Verfassung beruhte, sollten sie das Fehlen von Ordnungsmacht, das mit dem Ableben eines Herrschers eintrat, symbolisch u¨berdecken. Die perso¨nliche Pra¨senz des Herrschers war in vielfa¨ltiger Weise mit seiner Repra¨sentation als Amtsinhaber verknu¨pft: Eine Abstrahierung der politischen Ordnung von ihren konkre-
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
59
ten Tra¨gern war in der ersten Ha¨lfte der Fru¨hen Neuzeit erst in Ansa¨tzen denkbar. Herrschaftswechsel bargen deshalb generell die Gefahr einer politischen und sozialen Destabilisierung.1 Der Tod eines Herrschers bedeutete ha¨ufig bis zur Wahl und Inthronisation eines Nachfolgers auch das Ende jeglicher Ordnung: So wurden im mittelalterlichen Rom und Venedig nicht nur der Lateran und der Dogenpalast geplu¨ndert, sondern auch die Verstorbenen selbst aller Insignien und Besitztu¨mer beraubt.2 Zur Einhegung dieser rauschhaften Zusta¨nde ritualisierter Gewaltausu¨bung entwickelte sich im Hoch- und Spa¨tmittelalter ein elaboriertes Begra¨bniszeremoniell.3 Es sollte das Weiterbestehen von politischer Ordnung nach dem Tode des Herrschers symbolisieren. Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang am Beispiel des Begra¨bniszeremoniells der franzo¨sischen Ko¨nige.4 Konnte die franzo¨sische Monarchie auf den Ko¨rper des Ko¨nigs zur Versinnbildlichung politischer Ordnungsanspru¨che zuru¨ckgreifen, hatten vormoderne republikanische Gemeinwesen nicht die Mo¨glichkeit, sich auf die Dynastie oder den Ko¨rper eines einzelnen Herrschers als legitimita¨tsstiftendes Element in der Inszenierung des Herrschaftswechsels zu berufen.5 Amts- und Herrschaftstra¨ger in Wahlmonarchien und Republiken mussten andere Wege finden, den Wechsel politischer Magistrate beziehungsweise die Neuzusammensetzung von politischen Institutionen symbolisch zu kommunizieren. Dabei ergaben sich mehrere strukturell bedingte Schwierigkeiten, die durch ein elaboriertes Wahlritual vermindert werden sollten. Die Herrschaftswechsel fanden in Republiken meist sehr viel ha¨ufiger statt als in Erbmonarchien. In Venedig garantierte dies das hohe Durchschnittsalter der Dogen bei Amtsantritt.6 In den Hansesta¨dten beruhten ¨ mter. Polidie Ra¨te auf Kooptation, doch a¨nderten sie jedes Jahr die Verteilung der A tische Magistrate waren darauf angewiesen, ihre Legitimita¨t als Gruppe unabha¨ngig von den Einzelpersonen, die den jeweiligen Rat bildeten, zu behaupten. Die Rituale der Ratswahl und Amtssetzung nahmen hierbei eine Schlu¨sselstellung ein. Fu¨r vormoderne Wahlrituale war es sehr wichtig, die Rechtma¨ßigkeit ihrer Ergebnisse symbolisch zu kommunizieren. Die Entscheidung der wa¨hlenden Gruppe sollte nicht in erster Linie als ein Resultat interner Abstimmungsverfahren gelten, sondern als eine ¨ bereinstimmung mit Entscheidung, auf die sich alle an dem Ablauf Beteiligten in U
1 Vgl. Bernd Schneidmu ¨ ller, Investitur- und Kro¨nungsrituale. Mediaevistische Ein- und Ausblicke,
in: Investitur- und Kro¨nungsrituale. Herrschaftseinsetzungen im kulturellen Vergleich, hg. v. Marion Steinicke/Stefan Weinfurter, Ko¨ln/Weimar/Wien 2005, S. 475–488. 2 Fu¨r den Papsthof vgl. Agostino Paravicini Bagliani, Der Leib des Papstes: eine Theologie der Hinfa¨lligkeit, Mu¨nchen 1997, S. 269. 3 Fu¨r Rom vgl. Paravicini Bagliani, Leib des Papstes, S. 118–124; fu¨r Venedig Muir, Civic Ritual, S. 263–289. 4 Ralph E. Giesey, The Royal Funeral Ceremony in Renaissance France, Genf 1960, S. 177–192. 5 Dies betont Dietrich W. Poeck, Rituale der Ratswahl. Zeichen und Zeremoniell der Ratssetzung in Europa (12.–18. Jahrhundert), Ko¨ln/Weimar/Wien 2003, S. 3. 6 Robert Finlay gibt fu¨r die Periode von 1400–1600 das Durchschnittsalter der Dogen beim Zeitpunkt ihrer Wahl mit 72 Jahren an: Robert Finlay, The Venetian Republic as a Gerontocracy: Age and Politics in the Renaissance, in: Journal of Medieval and Renaissance Studies 8 (1978), S. 157–178, hier: S. 157.
60
2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
von Gott vorgegebenen Normen und mithilfe go¨ttlicher Inspiration mo¨glichst harmonisch, also einstimmig, einigten.7 Diese symbolische Botschaft der Einigkeit, des ¨ bereinstimmung mit von Gott gegebenen Werten richtete sich Friedens und der U auch an jene Teile der Stadtbevo¨lkerung, die nicht an den Entscheidungen beteiligt gewesen waren. Innerhalb der Gruppe der Amtsinhaber selbst erfu¨llten die Wahlen und Amtssetzungen ha¨ufig eine ganz andere Funktion: Sie waren ein Mittel dazu, die jeweiligen politischen Macht- und Herrschaftsverha¨ltnisse immer wieder neu mit den sozialen Vera¨nderungen der Gruppe der Amtsberechtigten und ihrer Familien in ¨ bereinstimmung zu bringen. Sie konnten aber auch dazu dienen, politische Vera¨nU derungen mithilfe personaler Wechsel entweder zu verlangsamen oder zu beschleunigen.8 Sie waren also Teil der politischen Kommunikation innerhalb der Gruppe der Amtsberechtigten. Der Zwiespalt zwischen der Botschaft, dass die Wahlvorga¨nge mit go¨ttlichen und politischen Normen u¨bereinstimmen, und ihrer Funktion als Bu¨hne fu¨r das Austragen und Aushandeln von Konflikten innerhalb der sta¨dtischen Oberschicht hat dazu gefu¨hrt, dass bereits die Zeitgenossen den Verlauf von Wahlen als Beweis fu¨r die unredliche Amtsfu¨hrung der Magistrate anfu¨hrten, ein Vorwurf, der sich bis heute in der Forschungsliteratur gehalten hat.9 Wie entwickelte sich diese enge Verbundenheit von Wahlverfahren und religio¨ser Legitimation in einer Zeit, in der, wie in Venedig und den Hansesta¨dten um 1600, gerade auch die aktiven politischen Amtstra¨ger u¨ber die soziale und politische Ordnung in Begriffen der Souvera¨nita¨tslehre Jean Bodins und des Ro¨mischen Rechts nachzudenken begannen?10 Politikwissenschaftler und Historiker haben darauf hingewiesen, dass vormoderne Wahlverfahren sich von modernen Wahlen dadurch unterscheiden, dass erstere sich zumeist u¨ber religio¨se Begru¨ndungen legitimierten. In der Fru¨hen Neuzeit ha¨tte sich hingegen im Zuge der zunehmenden Rationalisierung politischer Entscheidungen sta¨rker eine Rechtfertigung des Wahlergebnisses allein durch Transparenz und Regularita¨t des angewandten Verfahrens durchgesetzt.11 Fu¨r die Hansesta¨dte und Venedig ist zu untersuchen, inwieweit die Wahlen in der Sicht der Zeitgenossen sich als sakral oder verfahrenstechnisch legitimierte
7 Vgl. Werner Maleczek, Abstimmungsarten. Wie kommt man zu einem vernu¨nftigen Wahlergebnis?,
in: Wahlen und Wa¨hlen im Mittelalter, hg. v. Reinhard Schneider/Harald Zimmermann, Sigmaringen 1990, S. 79–134. 8 Vgl. Olivier Christin, A quoi sert de voter aux XVIe-XVIIIe sie`cles ?, in: Actes de la Recherche en Sciences Sociales 40 (2001), S. 21–30. 9 Vgl. Donald E. Queller, The Venetian Patriciate. Reality versus Myth, Urbana/Chicago 1986; vgl. dazu auch die Rezension Stanley Chojnacki, Rezension: Donald E. Queller, The Venetian Patriciate. Reality versus Myth, Chicago/Urbana 1986, in: JMH 60 (1988), S. 599–602. 10 Zur politischen Theorie in den Hansesta¨dten um 1600 fehlen bis jetzt umfassende Studien. Besonders auffa¨llig ist dies fu¨r Bremen. Dort wirkte mit Heinrich Krefting einer der profiliertesten Vertreter politischer Theorie im Norden des Reiches. Zu seiner Person und seinen Schriften vgl. Bippen, Heinrich Kreffting; vgl. die Hinweise zu Hamburg und Lu¨beck in: Schilling, Gab es im spa¨ten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit in Deutschland einen sta¨dtischen ‚Republikanismus‘?, S. 175–177; zu Venedig vgl. Bouwsma, Venice, S. 162–231. 11 Mit weiterfu¨hrenden Angaben und kritisch gegenu¨ber der Annahme einer teleologischen Entwicklung Barbara Stollberg-Rilinger, Einleitung, in: Vormoderne politische Verfahren, hg. v. ders., Berlin 2001, S. 9–24.
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
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Abla¨ufe darstellten. Damit verbunden ist die Frage, inwieweit sich die Repra¨sentation der Magistrate im Rahmen der Wahlrituale unter dem Druck von Verschriftlichung, Verrechtlichung und konfessioneller Wandel vera¨nderte.
2.1.1. Visuelle und normative Verdichtung Die von Dietrich W. Poeck gesammelten Beispiele von Prozessionen in franzo¨sischen und deutschen Sta¨dten vor und nach Ratswahlen zeigen sehr gut, wie wichtig es fu¨r ¨ nderungen innerhalb des die Akzeptanz der Wahlen und Amtssetzungen war, die A Rates im Stadtraum sichtbar zu machen.12 Architektur, Stadtraum und das o¨ffentliche Erscheinungsbild der Magistrate boten den situativen Rahmen dieser Rituale. Bevor sich Aussagen u¨ber Wandlungen und Kontinuita¨ten der Repra¨sentation von Ratsherren und venezianischen Magistraten in den Ritualen von Wahl und Amtseinsetzungen treffen lassen, ist es wichtig, ihre jeweiligen ra¨umlichen Rahmenbedingungen zu ¨ nderungen das persountersuchen. Zuna¨chst soll danach gefragt werden, welchen A nale Erscheinungsbild der Magistrate und des o¨ffentlichen Raumes, der die Bu¨hne fu¨r das Geschehen der Wahlen bot, unterlag. Anschließend sollen die Wahlen selbst in den Blick genommen werden. Kontinuita¨t und Wandel auf beiden Gebieten ist in Beziehung zueinander zu setzen. I senatori (come ne hanno insegnato i Romani) debbono vestire con gravita` & con grandezza. Fu adunque ordinato da nostri lo habito lungo [...] ma le maniche si portavano strette per lo piu, solo i Senatori le havevan larghe13 beschreibt Francesco Sansovino in Delle Cose notabili che sono in Venetia das Aussehen der Senatoren im Unterschied zu den einfachen Mitgliedern des Maggior Consiglio. Der Hinweis auf Rom macht deutlich, dass Sansovino die einheitliche, an das jeweilige politische Amt gebundene Tracht als Merkmal kontinuierlicher Umsetzung republikanischer Prinzipien ansah. Auch in Lu¨beck wurden das wu¨rdevolle Auftreten der Ratsherren und die Parallele zu altro¨mischem Verhalten betont. So verglich etwa ein Konrektor am Katharineum, der ersten Lu¨becker Lateinschule, die feierlich einherschreitenden Lu¨becker Ratsherren aufgrund ihres Erscheinungsbildes mit einem Zug ro¨mischer ¨ ußerungen, sowohl aus Lu¨beck als auch aus Venedig, weisen darSenatoren.14 Beide A auf hin, dass die Kleidung der Magistrate nach Meinung dieser Autoren allein dem Amt entsprechen sollte. Beide Verfasser sahen dies als eine Parallele zwischen der antiken ro¨mischen Republik und ihrer Heimatstadt an. Zudem wurden durch sie in ¨ mtern hervorVenedig auch hierarchische Unterschiede zwischen den jeweiligen A gehoben. Die homogene Kleidung zeigte die Definition des Status allein durch das
12 Poeck, Rituale der Ratswahl, S. 6–66. 13 „Die Senatoren (wie es auch die Ro¨mer gelehrt haben) mu¨ssen sich mit Ernsthaftigkeit und Wu¨rde
¨ rmel tragen die kleiden. Daher wurde von den Unsrigen das lange Gewand angeordnet [...] aber die A meisten eng, nur die Senatoren tragen sie lang.“ Francesco Sansovino, Delle Cose notabili che sono in Venetia. Libri Due, Venedig 1561, fol. 3. 14 Max Hoffmann, Eine Beschreibung Lu¨becks aus der Zeit um 1535 (vom Konrektor am Katharineum 1531–1536 Erasmus Sarcerius), in: MittVLu¨bG 11 (1903–1904), S. 111–122.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
jeweilige Amt und nicht durch andere Faktoren an. Die Durchsetzung der Gleichheit per Amt als Norm in der Gestaltung des Dogenpalastes zeigt sich daran, dass aus Venedig keine Dogenportra¨ts u¨berliefert sind, auf denen sich die venezianischen Patrizier nicht an diese Zuordnung von eigenem Erscheinungsbild und Amt gehalten ha¨tten. Eine Ausnahme bildete allein der milita¨rische Bereich: Wurden die Dogen als milita¨rische Befehlshaber portra¨tiert, so waren sie im Gegensatz zu den traditionellen Brust- oder Votivbildern in Form eines Ganzportra¨ts und in Ru¨stung dargestellt.15 Die venezianische Portra¨tgesetzgebung zeichnete sich durch einen hohen Regulierungsgrad aus: Die Mitglieder des Maggior Consiglio mussten u¨ber jedes Dogenportra¨t, das im Dogenpalast aufgeha¨ngt wurde, abstimmen.16 Auf diese Weise wurde den Dogen eine eigensta¨ndige Selbstdarstellung zugestanden, die die anderen Patrizier allerdings kontrollierten. Die Symbiose bildlicher individueller Repra¨sentation von Magistraten im Rahmen der politischen architektonischen Gesamtrepra¨sentation fa¨llt auch heute noch im Lu¨becker Rathaus ins Auge. Dort beeindruckt eine kontinuierliche Reihe von Bu¨rgermeisterportra¨ts, die vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart reicht. Diese Tradition der Aufha¨ngung der Bilder ist auf die zweite Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts zuru¨ckzufu¨hren, als die Bu¨rgermeister begannen, Selbstbildnisse nicht allein fu¨r Kirchenkapellen, sondern auch fu¨r die Bildergalerie auf dem Rathaus zu stiften.17 Fu¨r die Hamburger und Bremer Ratha¨user kann aufgrund der Quellenlage kaum entschieden werden, ob auch sie als Aufha¨ngungsort von Bu¨rgermeisterbildnissen in der Fru¨hen Neuzeit dienten.18 Unterlagen die Bildnisse in einem so zentralen politischen Ort wie dem Rathaus oder dem Dogenpalast der politischen Kontrolle durch den Rat beziehungsweise den Maggior Consiglio, so la¨sst sich fragen, ob es vielleicht andere Bereiche gab, in denen
15 Vgl. Annette Weber,Venezianische
Dogenportra¨ts des 16. Jahrhunderts, Sigmaringen 1992, S. 114–116. 16 Vgl. ASV, compilazione delle leggi, bu. 185, Doge di Venezia, Senatsbeschluss vom 2. Juni 1615: Essendosi osservato per il passato come e` stato detto di poner in questo Palazzo un quadro con la effigies delli Ser.mi Prencipi Nostri, e` conveniente far il medesimo di quella del presente Ser.mo Prencipe pero` L’andera` parte che per il coll.o nostro sia dato ordine che sia fatto un quadro di Pittura con la effigies del Ser.mo Prencipe presente da esser posto in questo Palazzo secondo l’Ordinario. „Da man in der Vergangenheit, wie gesagt worden ist, der Sitte gefolgt ist, ein Bildnis mit dem Antlitz unserer Ehrwu¨rdigen Fu¨rsten in diesem Palast aufzustellen, ist es angemessen, dasselbige auch fu¨r das Antlitz des gegenwa¨rtig regierenden Fu¨rsten zu gestatten. Daher soll das Urteil ergehen, dass auf Befehl unseres Collegio ein Bildnis mit dem Antlitz unseres gegenwa¨rtig regierenden Fu¨rsten, so wie es u¨blich ist, in diesem Palast aufzuha¨ngen.“ In den Quellen werden fu¨r „Dogen“ sowohl die Begriffe Dux, venezianisch Dose oder Prencipe verwandt. Um den jeweils unterschiedlichen Gebrauch deutlich zu machen, werden im Folgenden Dux und Dose als „Doge“, Prencipe hingegen wo¨rtlich als „Fu¨rst“ u¨bersetzt. Zum Gebrauch von effigies im venezianischen Begra¨bniszeremoniell vgl. Martin Gaier, Dove finı` la ‚stato a forma de doxe‘?, in: Tombe dogali, hg. v. Benjamin Paul (Ms.). 17 Vgl. Ru ¨ ther, Prestige und Herrschaft, S. 215. 18 Mit dieser Frage befassen sich fu¨r das Bremer Rathaus weder Stephan Albrecht, Das Bremer Rathaus im Zeichen sta¨dtischer Selbstdarstellung vor dem 30-ja¨hrigen Krieg, Marburg 1993 noch Rolf Gramatzki, Das Rathaus in Bremen. Versuch zu seiner Ikonologie, Bremen 1994. Auch fu¨r Hamburg beru¨hrt Cipriano F. Gaedechens diese Frage nicht: Cipriano F. Gaedechens, Geschichte des Hamburger Rathauses nach den hinterlassenen Vorarbeiten des Herrn Dr. J. M. Lappenberg bearbeitet, Hamburg 1867.
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
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sich die Portra¨tierung der Amtstra¨ger eher von politischen Vorgaben lo¨sen und daher vera¨ndern konnte. Mu¨nzen und Medaillen waren ein besonders prominentes Medium der Herrscherrepra¨sentation, da sie besonders weit und leicht verbreitet werden konnten. Im Bereich der Darstellung der Amtsinhaber auf Mu¨nzen und Medaillen la¨sst sich zwischen den einzelnen Beispielen ein großer Unterschied feststellen. Die venezianischen Dogen ließen aus Anlass ihrer Wahl Oselle,19 speziell fu¨r dieses Ereignis gepra¨gte Mu¨nzen, unter die auf dem Markusplatz versammelte Menge werfen. Diese zeigten jedoch den Dogen im 16. Jahrhundert nie in einem charakteristischen Portra¨t, das alleine das Mu¨nzbild eingenommen ha¨tte, sondern meist in Verbindung mit dem Symbol der Investitur durch San Marco oder anderen religio¨sen Symbolen.20 Ein Brustbild, das das gesamte Rotund eingenommen ha¨tte, ha¨tte wohl als Bruch republikanischer Prinzipien gegolten.21 Aus Bremen sind gleichfalls keine Portra¨tmu¨nzen oder -medaillen von Magistraten u¨berliefert. Hier bestimmen bis weit in die Mitte des 17. Jahrhunderts hinein traditionelle Symbole wie Roland und Reichsadler die Mu¨nzbilder.22 In Hamburg und in Lu¨beck hingegen ließen sich seit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert zunehmend Ratsherren auf Medaillen portra¨tieren. Die a¨ltesten Beispiele sind aus Hamburg u¨berliefert, wo sie in einem Fall zum Andenken an eine Eheschließung, also aus einem familia¨ren Anlass, gepra¨gt wurden.23 Der Kontext entsprechender Lu¨becker Medaillen ist nicht u¨berliefert.24 Die Hamburger Mu¨nzportra¨ts sind – anders als etwa die Portra¨ts im Lu¨becker Rathaus beziehungsweise im Dogenpalast – explizit aus nicht politischen Anla¨ssen gepra¨gt worden. Allerdings sind auch sie keine Darstellungen, die den Ratsherren jeweils als expliziten Privatmann zeigen wu¨rden. Sie lassen sich also nicht oder wenigstens nicht nur als Zeugnisse einer individuellen Prachtentfaltung der Amtsinhaber interpretieren. Vielmehr dru¨cken sie auch die hohe Bedeutung aus, die das Amt fu¨r die Stellung der jeweiligen Familien in ihrem eigenen Wertesystem und innerhalb des sozialen Raums der Stadt besaß. Sie sind aber auch ein Zeichen dafu¨r, um wie viel ho¨her die gegenseitige Kontrolle der individuellen Selbstdarstellung in Venedig im Vergleich zu den Hansesta¨dten wenigstens in diesem Bereich war und in wie viel ho¨herem Maß sich die bildliche Portra¨tierung auf den Raum des Dogenpalastes konzentrierte. Diente das individuelle Erscheinungsbild eines jeden Magistrats als Ausweis der ¨ mterhierarchie, ist nun zu fragen, ob und wie auch Stabilita¨t der institutionellen A das kollektive Erscheinungsbild der Magistrate als Ausweis politischer Werte in den
19 Vgl. Guido Werdnig, Le oselle. Monete e medaglie della Repubblica di Venezia, Triest 1983. 20 Vgl. Wolfgang Wolters, Der Bilderschmuck des Dogenpalastes. Untersuchungen zur Selbstdarstel-
lung der Republik Venedig im 16. Jahrhundert, Wiesbaden 1983, S. 78.
21 Vgl. Wolters, Bilderschmuck, S. 78; Werdnig, Le Oselle, S. 13. 22 Vgl. Hermann Jungk, Die bremischen Mu¨nzen, Bremen 1875, S. 360–361. 23 Siehe Numotheca. Abbildung und Beschreibung Hamburgischer Mu¨nzen und Medaillen. Nebst einem
Verzeichniß gedruckter Hamburgischer Urkunden, Dokumente und anderer Brieffschaften, hg. v. Johann Paul Langermann, Hamburg 1802, S. 464, 466. 24 Vgl. Heinz Ro ¨ hl, Lu¨beck. Medaillen. Marken. Zeichen, Lu¨beck 1987, S. 88–93.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
jeweiligen Stadtrepubliken interpretiert wurde. Ein Bild des Malers Hans von Hemßen aus dem Jahre 1625, mit dem sich der Maler beim Rat fu¨r weitere Auftra¨ge empfahl,25 zeigt den Sitzungssaal des Lu¨becker Rathauses. Im Hintergrund hatte Hemßen
Abb. 1: Sitzung des Obergerichts im Audienzsaal des Lu¨becker Rathauses ¨ lgema¨lde von Hans von Hemßen, 1625 O Quelle: Museum fu¨r Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lu¨beck
eine Sitzung des Rates dargestellt, im Mittelteil den Zug der Ratsherren in den Sitzungssaal. Im Bildvordergrund ist eine ins Gespra¨ch vertiefte Gruppe zu sehen. Ein bestimmter Anlass zur Versammlung der Ratsherren ist nicht erkennbar. Vielmehr vereinte Hemßen in seiner Darstellung die verschiedenen Abla¨ufe im Rathaus, einmal in einer geregelten Sitzung, dann in einem Zug und schließlich in informellen Gespra¨chen.26 Ein weiteres Lu¨becker Gema¨lde, das vermutlich aus der Mitte des
25 Vgl. Paul Hasse, Der Maler Hans von Hemßen und sein Bild (aus dem Jahre 1625) vom Audienzsaal
des Rathauses, in: ZVLu¨bG 7 (1894), S. 312–327. 26 Siehe Abbildung 1.
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
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17. Jahrhunderts stammt, zeigt einen Zug des Rates in Verbindung mit der Geistlichkeit durch die Stadt: Das langsame Schritttempo la¨sst sich an Beinhaltungen und Gestik erkennen. Im Hauseingang stehen einige Frauen im Gespra¨ch vertieft.27 Ein von den anderen Magistraten getrenntes Eilen zu den Sitzungen entsprach nicht dem
Abb. 2: Zug der Ratsherren durch die Stadt Lu¨beck ¨ lgema¨lde (anonym), Mitte 17. Jahrhundert O Quelle: Museum fu¨r Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lu¨beck
in beiden Gema¨lden dargestellten Verhalten. Durch eine geschlossene Bewegungsformation sollte der Lu¨becker Rat als Gruppe herausgehoben und den einzelnen Ratsherren keine individuellen Mo¨glichkeiten zur Selbstdarstellung gegeben werden. Dies wirkte sich auch auf die tatsa¨chliche Bewegung der Ratsherren zu den einzelnen Sitzungen aus, bei denen bestimmte Transportmittel, die womo¨glich zur Repra¨sentation des perso¨nlichen Reichtums ha¨tten dienen ko¨nnen, verpo¨nt waren. So vermerkten die Chronisten es zum Beispiel als große Ausnahme, dass der 1661 verstorbene Ratsherr Christoph Gehrdes wegen seines hohen Alters in einer Kutsche auf das Rathaus fahren durfte.28 Das Erscheinungsbild des Lu¨becker Rates wurde also nicht nur in herausgehobenen rituellen Situationen formalisiert. Vielmehr sollte er 27 Siehe Abbildung 2. 28 Vgl. Friedrich Bruns, Der Lu¨becker Rat. Zusammensetzung, Erga¨nzung und Gescha¨ftsfu¨hrung von
den Anfa¨ngen bis ins 19. Jahrhundert, in: ZVLu¨bG 32 (1951), S. 1–69, hier: S. 19.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
sich zu jedem Zeitpunkt, wenn er als Rat in Erscheinung trat, also bei jeder Sitzung, im Stadtbild durch ein entsprechendes Benehmen herausheben. Das regulierte Erscheinungsbild des Rates als Gruppe wurde nicht nur in Lu¨beck besonders ernst genommen. Auch die Anordnung der Wu¨rdentra¨ger, die sich um den Dogen gruppierte, der Corteo Ducale, war Gegenstand normativer Regulierungen und bildlicher Darstellungen. Im Corteo Ducale ordneten sich die wichtigsten ¨ mter und Gruppen um den Dogen als zeremoniellem Mittelpunkt an, von dem A konzentrisch die Hierarchie der Prozession abhing. Der venezianische Kupferstecher Giacomo Franco muss ihn als Bestandteil des venezianischen Stadtbildes empfunden haben. Jedenfalls widmete er ihm in seinem Werk „Habiti d’huomeni et donne venetiane“ eine eigene Abbildung.29 Francos Kupferstich la¨sst sich sehr gut in die Entwicklung der Darstellung des Corteo Ducale ab der Mitte des 16. Jahrhunderts einordnen. Hier ist zu beobachten, dass sich die Visualisierung des Corteo Ducale immer mehr von ihrem eigentlichen rituellen Anlass trennte. Dies la¨sst sich zum Beispiel an der Kontroverse um die richtige Deutung eines Kupferstiches von Matteo Pagan aus der Mitte des 16. Jahrhunderts zeigen, der eine der bekanntesten ku¨nstlerischen Umsetzungen des Corteo Ducale ist:30 Beurteilen ihn die einen als eine Abbildung einer Palmsonntagsprozession, deuten ihn andere als die einer Fronleichnamsprozession oder betiteln ihn schlicht als ein „andar in trionfi“, also als einen Zug des Dogen mit den Wu¨rdezeichen der venezianischen Republik.31 Diese unterschiedlichen Interpretationen ein- und desselben Stiches machen deutlich, wie sehr sich der Corteo Ducale in seiner Repra¨sentation vom eigentlichen Anlass entfernt hatte. Gleichzeitig wurde er auch zu einem stereotypen Merkmal Venedigs auf Stadtansichten und Stadtpla¨nen dieser Zeit.32 ¨ nderungen wurde im Zuge der zeremoniellen VerfestiKonkreten sozialen A gung des kollektiven Erscheinungsbildes sta¨dtischer Amts- und Wu¨rdentra¨ger immer nur fallweise eine Auswirkung auf die Grundstruktur der Anordnung des Zuges ¨ nderung der Rangordnung sollte verdes Rates zugestanden: Eine grundsa¨tzliche A hindert werden. So gestand zum Beispiel ein Dekret der Bremer Wittheit vom ¨ nderungen in der Anordnung des Zuges allein namentlich 13. Dezember 1644 A genannten Personen und nicht allen Angeho¨rigen einer spezifischen Gruppe oder eines bestimmten Standes zu.33 Eine durch solche einzelnen Ausnahmeregelungen bewahrte Kontinuita¨t wird auch an einer Lu¨becker Rangordnung aus dem 19. Jahrhundert deutlich, in der den vier Lu¨becker Bu¨rgermeistern der rangho¨chste Platz und den Syndici – wie im Bremen des 17. Jahrhunderts – der Platz vor Personen zugestanden wurde, die einen Doktorgrad erworben hatten.34 Auch in Venedig blieb die 29 Siehe Abbildung 3. 30 Vgl. Matteo Pagan, Corteo Ducale, Kupferstich, Mitte 16. Jahrhundert, in: Wolters, Bilderschmuck,
S. 46–47.
31 Vgl. Wolters, Bilderschmuck, S. 45. 32 Ebd. 33 STAB, 2-P.1.82, Decretum der Ehrbaren Wittheit, wie es bey¨ den Publicis Processionibus und Hoch-
zeiten und Gastmahlen der Ordnung halber mit den Herren des Raths und graduirten Theologis Dctis et Medicis gehalten werden soll, 13. Dezember 1644. 34 Wilhelm Brehmer, Rangordnung, in: MittVLu¨bG 1 (1883–1884), S. 172–173.
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
Abb. 3: Der Corteo Ducale, der Prozessionszug des Dogen, beim Einzug in die Kirche San Marco Kupferstich von Giacomo Franco, 1610. Aus.: Ders., Habiti d’Huomeni et Donne Venetiane con la Processione della Ser.ma Signoria et altri Particolari cioe` Trionfi Feste et Ceremonie Publiche della Nobilissima Citta` di Venetia, Venedig 1610, s. p. Quelle: Bayerische Staatsbibliothek Mu¨nchen
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
eigentliche Anordnung der um den Dogen gruppierten Amtstra¨ger nach ihrer Festlegung im 15. Jahrhundert weitgehend statisch.35 Die Loslo¨sung des Zuges der Amtsinhaber von einem spezifischen rituellen Anlass und auch von Vera¨nderungen innerhalb des sta¨dtischen Ranggefu¨ges zeigt seine steigende Wichtigkeit dabei, eine Ordnung zu visualisieren, fu¨r die eine Gebundenheit an eine konkrete Situation nicht mehr wichtig sein sollte. So wurde nicht nur seine Zusammensetzung selbst, sondern auch sein Erscheinungsbild im sta¨dtischen Raum streng reguliert. In Venedig war bereits in der Mitte des 16. Jahrhunderts ein Rhythmus von acht Tagen festgelegt, an denen der Corteo Ducale nach einer genau vorgeschriebenen Route durch den Dogenpalast zog und anschließend den Markusplatz umrundete.36 Der Doge sollte sich in keiner anderen Form als innerhalb dieser Gruppenanordnung außerhalb des Dogenpalastes zeigen. Die einzelnen Teilnehmer wurden durch entsprechende Vorschriften zur Teilnahme verpflichtet.37 Mit der Festlegung sowohl der Zusammensetzung des Zuges als auch der Route und des zeitlichen Ablaufs sollten die Gelegenheiten zu informellem, unreguliertem Benehmen reduziert werden. Die Ordnung der Rangfolge im Zug des Rates beziehungsweise des Corteo Ducale bewirkte eine noch sta¨rkere Trennung der Erscheinung der Gruppe, die die Institution verko¨rperte, von den individuellen Darstellungen einzelner Personen. Verknu¨pfte sich die Stellung im Prozessionszug mit den jeweiligen institutionellen Positionen, war die Trennung von Person und Amt manifest und auch nicht mehr durch Rangstreitigkeiten einzelner Personen und Familien gefa¨hrdet. Die Trennung des feierlichen Zuges der Magistrate vom eigentlichen rituellen Anlass hatte zur Folge, dass das Erscheinungsbild der Verfassung ‚in Bewegung‘ gleichsam erstarrte und somit situationen- und personenunabha¨ngig wurde. Vergleichbare Entwicklungen lassen sich auch in ra¨umlicher Hinsicht feststellen. In Venedig und in den Hansesta¨dten kam dem Rathaus beziehungsweise dem Dogenpalast als Hauptsitz der politischen Institutionen, als Verku¨ndigungssta¨tte von Gerichtsurteilen und Entscheidungen und als Ausgangspunkt von sta¨dtischen Umzu¨gen eine nicht zu unterscha¨tzende Bedeutung zu. Zudem waren diese Geba¨ude in Venedig und in den Hansesta¨dten der Hauptort fu¨r Audienzen und Empfa¨nge. Sie erfuhren in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts elaborierte architektonische
35 Vgl. Muir, Civic Ritual, S. 189–211. 36 Sansovino, Delle Cose notabili, fol. 13: Il Principe ogni otto giorni discende insieme co’ Consiglieri, e
co’ Capi di Quaranta alle Corti da basso dove i Giudici rendon ragione. Egli circondando i due corridori di Palazzo ove sono i tribunali de Iusdicenti, si ferma a ciascuno officio. „Der Fu¨rst steigt alle acht Tage zusammen mit den Consiglieri und den Ha¨uptern der Quaranta zu den Gerichten nieder, wo die Richter Recht sprechen. Sie umrunden die zwei Korridore des Palazzo, wo sich die Gerichtsho¨fe der Rechtsprechenden befinden, man bleibt bei jedem Amtszimmer stehen.“ Im 18. Jahrhundert wurde dieser Rundgang auf den Mittwoch gelegt. Vgl. seine Erwa¨hnung in einem calendario: BMC, Cod. Cic. 165, Feste di Palazzo. Et giorni ne quali sua Serenita` esce di quello, 18. Jh., fol. 4. 37 Vgl. ASV, compilazione delle leggi, bu. 166, Cancelleria Inferiore-Doge, Senatsbeschlu¨sse vom 13. September 1615 und 24. Juli 1629; BMC, Cod. Gradenigo 185, Auflistungen unter dem Stichwort Riti, Usanze, Cerimonie, e Costumi Antichi de’ Veneziani, ed altre Curiosita` dimenticate da varii accreditati Autori ramentate, „Riten, Gewohnheiten, Zeremonien, und alte Sitten der Venezianer, und andere vergessene Kuriosita¨ten, von verschiedenen, angesehenen Autoren zusammengestellt“.
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
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und ku¨nstlerische Um- und Neubaumaßnahmen.38 Die Zeitgleichheit mit der Aufwertung des Erscheinungsbildes des Rates als Gruppe, wie wir sie fu¨r Lu¨beck und Venedig explizit feststellen konnten, ist auffallend und so noch nicht in der Forschung thematisiert worden.39 Das Rathaus beziehungsweise der Dogenpalast, die hauptsa¨chlich von den Amtsinhabern genutzte Kirche und der beide Geba¨ude verbindende Platz bildeten in Venedig, Bremen und Lu¨beck einen nicht erst seit dem 16. Jahrhundert symbolisch wichtigen Raum. In diesem spielte sich das Geschehen der Wahlen und feierlichen Amtseinfu¨hrungen in enger Beziehung zwischen politischem, wirtschaftlichem und religio¨sem Zentrum ab. Allein in Hamburg fehlte das Nebeneinander von sakralem und profanem Raum. Die religio¨se und politische Zeichensetzung beschra¨nkte sich auf die Fassade des an der Trostbru¨cke erbauten Rathauses, an der seit der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert Maria und Petrus dargestellt waren.40 Neben das eigentliche Rathausgeba¨ude wurden im Verlauf des 16. Jahrhunderts wiederum keine Kirchen, sondern Gerichtsgeba¨ude und Bo¨rse gesetzt. Die sta¨dtebaulichen Vera¨nderungen im Platz um das Hamburger Rathaus wiesen also eher auf die Wandlungen politischer, rechtlicher und o¨konomischer Strukturen in der Handelsstadt hin als auf eine vermehrte Integration kirchlicher Bauten in die Selbstdarstellung des Rates.41 Allein in Venedig war die enge Symbiose von politischem und kirchlichem Zentrum auch institutionell gefasst, na¨mlich durch die Rechte des Dogen als Patron der Kirche von San Marco, die sich aus der Kapelle des Dogen entwickelt hatte.42 Diese rechtliche Einbindung des religio¨sen Zentrums ermo¨glichte es, Venedig noch sehr viel konsequenter als Einheit von Kult- und politischer Gemeinschaft darzustellen, als es fu¨r die Hansesta¨dte denkbar gewesen wa¨re. Der Humanist Iason de Nores43 verglich Venedig in einer 1578 gedruckten Schrift mit einer christlichen Polis, in der sich die 38 Am besten sind das Bremer Rathaus und der venezianische Dogenpalast erforscht: Albrecht, Das
Bremer Rathaus und Gramatzki, Das Rathaus in Bremen. Sinding-Larsen, Christ in the Council Hall; Umberto Franzoi, Storia e Leggenda del Palazzo Ducale di Venezia, Verona 1982; Wolters, Bilderschmuck. Zu den Hamburger und Lu¨becker Bauten ist die Forschungssitutation unbefriedigend. Fu¨r Hamburg vgl. Gaedechens, Geschichte des Hamburger Rathauses; fu¨r Lu¨beck bietet die Monographie von Lutz Wilde fu¨r die Zeit um 1600 keine Informationen: Lutz Wilde, Das Rathaus zu Lu¨beck, Mu¨nchen 1987. Vgl. außerdem Die Bau- und Kunstdenkma¨ler der Hansestadt Lu¨beck, Bd. 1, Teil 2: Rathaus und o¨ffentliche Geba¨ude der Stadt, hg. vom Amt fu¨r Denkmalpflege der Hanse¨ berblick u¨ber die Baugeschichte Lu¨becks, stadt Lu¨beck, Lu¨beck 1974, S. 1–33; Wilhelm Brehmer, U in: HansGbll 19 (1890–1891), S. 3–21 sowie Renate Paczkowski, Die Vorhalle von 1570 am Rathaus zu ¨ berlegungen zu ihrer kunstgeschichtlichen Stellung und ihren typologischen Verbindungen, Lu¨beck. U unvero¨ffentl. Diss., Universita¨t Kiel 1975. 39 Dies zeigt sich an dem Fehlen von Grundrissen sowohl des Geba¨udeinneren als auch seiner Umgebung in sa¨mtlichen genannten Werken, die sich mit den entsprechenden Rathausbauten und dem Dogenpalast befassen: vgl. Franzoi, Storia; Sinding-Larsen, Christ in the Council Hall; Wolters, Bilderschmuck. 40 Gaedechens, Geschichte des Hamburger Rathauses, S. 7. 41 Vgl. Handbuch der Historischen Sta¨tten Deutschlands, Bd. 1: Schleswig-Holstein und Hamburg, hg. v. Olaf Klose, Stuttgart 21964, S. 86. 42 Vgl. Gaetano Cozzi, Il Giuspatronato del Doge su San Marco: Diritto Originario o Concessione Pontificia?, in: San Marco. Aspetti storici e agiografici. Atti del Convegno Internazionale di SV, 26–29 Aprile 1994, hg. v. Antonio Niero, Venedig 1996, S. 727–742. 43 Zu de Nores vgl. Giuseppe Toffanin, La Fine dell’Umanesimo, Turin 1920, S. 143–155.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
Identita¨t von politischer und religio¨ser Gemeinschaft ra¨umlich in der unmittelbaren Na¨he von „Zentraltempel“ und Regierungssitz symbolisiere.44 Die enge Verbindung von Kirche und Dogenpalast dru¨ckte sich auch in der Normierung der Liturgie in San Marco durch die venezianische Republik aus. Im Jahre 1564 wurde dort der erste Zeremonienmeister eingesetzt.45 Die Prozessions- und Sitzanordnung sollte die Stellung des Dogen und seiner sechs Ratgeber herausheben und den hierarchischen Verfassungsaufbau betonen.46 Die Marienkirche in Lu¨beck und die Liebfrauenkirche in Bremen galten als diejenigen Kirchen, die der Rat bevorzugt nutzte.47 Der Bremer Rat hatte sogar seine Tresenkammer in einem Nebenraum des Kirchenschiffs untergebracht.48 Die Zugriffsmo¨glichkeiten der hansesta¨dtischen Ratsherren auf die Gestaltung des jeweiligen Kirchenraumes waren jedoch in rechtlicher Hinsicht beschra¨nkter als in Venedig. Dennoch lassen sich in Lu¨beck vergleichbare Tendenzen zu einer engen symbolischen Verbindung von politischem Zentrum und Kirche erkennen. Im Lu¨becker Stadtzentrum war allein der Rat als Gruppe in Rathaus und Marienkirche pra¨sent. In Bremen hingegen manifestierte sich zusa¨tzlich zur geistlichen und politischen Ratsrepra¨sentation, die mit der des Erzbischofs im Dom konkurrierte, die Rivalita¨t zwischen Kaufmannschaft und Rat in der Gestaltung des Gegenu¨bers von Schu¨tting, dem Sitz der Kaufmannschaft, und Rathaus. Dies ist anschaulich in der Stadtchronik von Wilhelm Dilich von 1604 dargestellt.49 Im Gegensatz zu Lu¨beck und Venedig trat hier neben die Pole der geistlichen und politischen Stadtgewalt noch eine dritte Kraft in der Visualisierung des zentralen politischen Raums hinzu, na¨mlich die der nicht ratssa¨ssigen Kaufmannschaft. Die architektonischen und ku¨nstlerischen Arbeiten an Ratha¨usern und Dogenpalast lassen sich gerade in Anbetracht des symbolischen Zusammenspiels mit der Konkurrenz zu anderen Ra¨umen als eindeutige Versuche der politischen Magistrate interpretieren, durch die Besetzung des Raumes eine in jeder Hinsicht zentrale Stelle in der Stadt zu behaupten. Die Gestaltung der Fassaden und Innenra¨ume dieser Geba¨ude gibt Aufschluss u¨ber das Versta¨ndnis der Republik, auf das sich die Magistrate in der Periode der Umgestaltung einigen konnten. Der Bremer Rat und die dortige Kaufmannschaft engagierten beide am Ende des 16. Jahrhunderts mit Lu¨der
44 Iason de Nores, Breve Institutione dell: Ottima Republica, raccolta in gran parte da tutta la Philoso-
phia humana di Aristotile, quasi come una certa introduttione dell’Ethica, Politica, & Economia, Padua 1578, fol. 48. 45 Vgl. mit weiterfu¨hrenden Quellenangaben Staale Sinding-Larsen, The Burden of the Ceremony Master. Image and Action in San Marco, Venice, and in an Islamic Mosque. The Rituum Cerimoniale of 1564, Rom 2000, S. 44. 46 Vgl. Hopkins, Santa Maria della Salute, S. 139–143. 47 Fu¨r Bremen vgl. Rudolf Stein, Romanische, gotische und Renaissance-Baukunst in Bremen, Bremen 1962, S. 79–104; fu¨r Lu¨beck vgl. Max Hasse, Der Lu¨becker Rat und die Marienkirche, in: ZVLu¨bG 64 (1984), S. 39–50. 48 Stein, Romanische, gotische und Renaissance-Baukunst, S. 100. 49 Wilhelm Dilich, Urbis Bremae et praefectarum quas habet typus et chronicon, Kassel 1604; zum Rathausbau Bremens als Antwort auf den Renaissanceneubau des Schu¨ttings vgl. Hans-Joachim Kunst, Rezension zu: Stephan Albrecht, Das Bremer Rathaus im Zeichen sta¨dtischer Selbstdarstellung vor dem 30-ja¨hrigen Krieg, Marburg 1993 und Rolf Gramatzki, Das Rathaus in Bremen – Versuch zu seiner Ikonologie, Bremen 1994, in: BremJb 76 (1997), S. 215–219, hier: S. 218.
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
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von Bentheim einen herausragenden Ku¨nstler zur Neugestaltung der Marktfassaden von Rathaus und Schu¨tting.50 In Hamburg manifestierte sich die Hinwendung der Hansestadt zum Reich zu Beginn des 17. Jahrhunderts darin, dass in einem neuen Erweiterungsbau allein das Stadtwappen und nicht mehr das der holsteinischen Herzo¨ge wie am Bau des 13. Jahrhunderts angebracht wurde. Neunundvierzig Jahre spa¨ter dru¨ckte sich die Zuwendung zum Reich auch in der Fassadengestaltung aus: In ihren Nischen wurden 21 Kaiserstatuen, von Rudolf I. bis Ferdinand III., postiert.51 In Venedig war eine umfassende Neugestaltungen der Innenra¨ume des Dogenpalastes nach zwei großen Bra¨nden in den Jahren 1574 und 1577 notwendig. Dafu¨r wurden weder Kosten noch Mu¨hen gescheut.52 Die Ausmalungen der Innenra¨ume des Dogenpalastes lassen sich als eine in sich geschlossene Ikonologie der venezianischen Republik dieser Zeit lesen.53 Die innere Ausgestaltung der Ra¨ume zeigte wie ein sta¨dtischer Regentenspiegel54 entweder Ermahnungen an die Ratsherren bezu¨glich ihrer Herrschaftsausu¨bung,55 wie etwa das Urteil Salomons und andere alttestamentarische Geschichten, oder sie stammte aus einem fu¨r die politische Ordnung besonders wichtigen Bereich der sta¨dtischen Vergangenheit, wie etwas das große Gema¨lde von Karl dem Großen und Bischof Willehad im Bremer Rathaus56 oder auch die Zyklen zum Frieden von 1177 im venezianischen Dogenpalast.57 Das Bildprogramm war auf die Aufgaben der Ra¨ume abgestimmt.58 Die bildnerischen und architektonischen Umgestaltungen gehen einher mit zwei Entwicklungen, die eng in Verbindung miteinander stehen. Zum einen waren sie durch gestiegene administrative Anforderungen notwendig, zum anderen weisen sie auf einen versta¨rkten Willen zur architektonischen Repra¨sentation hin. Trotz der intensiven kunsthistorischen Forschung insbesondere zum venezianischen Dogenpalast und dem Bremer Rathaus wurden diese Zusammenha¨nge zugunsten einer ikonologischen Analyse weitgehend außer Acht gelassen.59 Hier sollen sie als Voraussetzungen fu¨r das Versta¨ndnis der Normierungen der Wahlen angesprochen werden. Das Rathaus stellte den zentralen Ort auch fu¨r die restliche Stadtgemeinde dar, um Informationen u¨ber Entscheidungsfindungen des Rates zu erlangen. Nicht zuletzt war es der Ort, an dem jeder Einwohner der Stadt seinen Bu¨rgerstatus erlangte, entweder durch Eidesleistung wie in den Hansesta¨dten oder schriftlich wie in Vene50 Vgl. den Abriss der Baugeschichte bei Albrecht, Das Bremer Rathaus, S. 62–96. 51 Vgl. Gaedechens, Geschichte des Hamburger Rathauses, S. 18, 21. 52 Zur Baugeschichte des Dogenpalastes vgl. Wolters, Bilderschmuck, S. 13–30. 53 Vgl. Sinding-Larsen, Christ in the Council Hall, S. 220–262. 54 Vgl. Susan Tipton, Res publica bene ordinata. Regentenspiegel und Bilder vom guten Regiment. Rat-
hausdekorationen in der Fru¨hen Neuzeit, Hildesheim/Zu¨rich/New York 1996, S. 190–198.
55 Vgl. zum Beispiel die entsprechenden Ermahnungen an der Tu¨r des Audienzsaales im Lu¨becker Rat-
haus: Christoph Walther, Die Inschriften an der Tu¨r des Audienzsaales im Rathaus, in: MittVLu¨bG 5 (1891–1892), S. 33–35. 56 Zu den entsprechenden Bildern im Bremer Rathauses vgl. Gramatzki, Das Rathaus in Bremen, S. 63–72. 57 Vgl. Wolters, Bilderschmuck, S. 164–181. 58 Vgl. Staale Sinding-Larsen, L’Immagine della Repubblica di Venezia, in: Architettura e Utopia nella Venezia del Cinquecento, hg. v. Lionello Puppi, Mailand 1980, S. 40–49. 59 Vgl. Anm. 38.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
dig. Auch dies wurde in allen vier Sta¨dten zunehmend in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts in entsprechenden Verordnungen gefordert.60 Die sta¨dtische Verwaltung der Hansesta¨dte und Venedigs war durch eine stetig ansteigende Verschriftlichung und Konzentration administrativer Funktionen auf den Rat gekennzeichnet, die Umbaumaßnahmen schon aus rein praktischen Gru¨nden notwendig machten.61 Diese administrative Erweiterung und Zentrierung ging mit dem Bemu¨hen einher, den Platz um das Rathaus und das Geba¨ude selbst hervorzuheben. Welche symbolische und rechtliche Bedeutung dem Rathaus auch in seiner architektonischen Form zukam, zeigt sich zum Beispiel daran, dass im Hamburger Rathaus bei der Verku¨ndung von Todesurteilen eine Luke im Rathaus geo¨ffnet sein musste, um anzudeuten, dass der Prozess unter freiem Himmel stattgefunden hatte.62 In Hamburg sollten Reit- und Hausdiener die Pra¨senz des Rates im Inneren anzeigen und bewirken, dass der Platz um das Rathaus nicht zu einem Versammlungsort unerwu¨nschter Personen wurde.63 Vergleichbare Tendenzen zur Zugangskontrolle und zur Heraushebung des Rathauses und des umgebenden Platzes lassen sich auch in den anderen Sta¨dten feststellen. Das individuelle Verhalten in der Na¨he des Rathauses beziehungsweise des Dogenpalastes sollte formalisiert werden. Dadurch sollten diese Geba¨ude und der sie umgebende Platz aus dem sta¨dtischen Raum abgetrennt, herausgehoben und die Scheu vor einem allzu unbefangenen Benehmen in seinem Umkreis versta¨rkt wer60 Fu¨r Bremen vgl. Reineke, Das bremische Bu¨rgerrecht, S. 206–208; fu¨r Hamburg vgl. Gaedechens,
Geschichte des Hamburger Rathauses, S. 14; fu¨r Lu¨beck: Asch, Rat und Bu¨rgerschaft, z. B. S. 19; fu¨r Venedig vgl. Monumenti per servire alla Storia del Palazzo Ducale di Venezia ovvero Serie di Atti Pubblici dal 1253 al 1797 che variamente lo riguardano tratti dai Veneti Archivi e Coordinati, Parte I dal 1253 al 1600, hg. v. Giambattista Lorenzi, Venedig 1868, S. 453, 456, 457; außerdem Giorgio Zordan, L’ordinamento giuridico veneziano. Lezioni di storia del diritto veneziano con una nota bibliografica. Padua 1980, S. 115. 61 Fu¨r Bremen vgl. Schwarzwa¨lder, Geschichte, S. 283–286. Fu¨r Hamburg finden sich viele Belege hierfu¨r bei Gaedechens, Geschichte des Hamburger Rathauses, S. 13–19. Fu¨r Lu¨beck vgl. fu¨r die allgemeine administrative Entwicklung im 16. Jahrhundert: Bruns, Rat und fu¨r die Umbaumaßnahmen im Inneren des Lu¨becker Rathauses um 1600: Die Bau- und Kunstdenkma¨ler, S. 15–18; fu¨r Venedig detailliert, aber ohne Bezug zur Baugeschichte des Dogenpalastes Ceferino Caro Lo´pez, Di Alcune Magistrature Minori Veneziane, in: SV, n. s. 1 (1977), S. 37–67. 62 Vgl. Gaedechens, Geschichte des Hamburger Rathauses, S. 13. Die Information wird leider undatiert gegeben. 63 Comm, H 343/2, Mandatensammlung 1635–1644: E. E. Rath thut hiermit ernstl. gebieten, und befehlen, daß so offt E. E. Rath zu Rathhause versamlet und die thu¨ren zugemacht, allemahl neben des Raths-Schenken, zwey¨ Raths-Schenken, zwey¨ Reitende, und 4. Hauß-Diener, sich vor dem Rathhause an gewo¨hnlicher Stelle sezen, und allda verbleiben sollen, so lange E. E. Rath bey¨sammen ist, die ReitenDiener sollen von dem A¨ltesten, bis zu dem ju¨ngsten allemahl abwechseln, die hauß-diener aber weil die in Montags, Mittwochen u. Frey¨tags-Diener abgetheilet, so sollen die Montags-Diener, wenn den dienstag E. E. Rath auch bey¨sammen, gleichfalls des dienstags, die Mittwochens diener auch den donnerstag, und die frey¨tags-Diener auch den donnerstag, und die frey¨tags-diener gleichfalls den Sambtages und Sonntag, daferne E. E. Rath versamelt vor dem Rathhause aufwartten und von dar keiner weggehen, es wa¨re denn, daß der Schenke ihn in des Raths Namen, und aus deßen befehl, wohin zu gehen, und etwas zu verrichten, commandiret ha¨tte, und da etwann ein oder anderer durch krankheit oder erhebliche Ehrhafften daran behindert wu¨rde, soll er Jemandt seiner Mit Gesellen an seine Stette vorhero zeitig dahin zu ordnen schuldig sey¨n, bey¨ Verlust ihres dienstes, auch anderer willku¨hrlichen Straffen. Wornach sich ein jeder zu richten, und fu¨r Schaden zu hu¨ten., Mandat vom 26. August 1639. Vgl. außerdem Comm, H 343/2, Mandatensammlung 1603–1620, Mandat vom 16. Februar 1613: Mandat wieder diejenige, welche an der Bo¨rse und am Rathause Dolche u. Meßer entblo¨ßen.
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
73
den.64 Die Baumaßnahmen am Lu¨becker Rathaus ungefa¨hr zwanzig Jahre vor den Auseinandersetzungen des Rates mit der Bu¨rgerschaft machen deutlich, dass genau dies bezweckt war, na¨mlich eine Erho¨hung des Rates gegenu¨ber der restlichen Stadtbevo¨lkerung: Im Jahre 1570 ließ der Rat den Rathausbau um eine Vorhalle in italianisierender Renaissancearchitektur erweitern, auf deren Obergeschoss er „im wahrsten Sinne des Wortes u¨ber die Allgemeinheit hinausgehoben wurde.“65 Dieses Bemu¨hen des Rates traf in den Hansesta¨dten immer wieder auf Widerstand der Bu¨rgerschaft. So versuchte im Jahre 1599 der Lu¨becker Bu¨rgermeister Gotthard von Ho¨velen der Bu¨rgerschaft den Zutritt zum Rathaus zu verwehren. Gerade durch dieses Verhalten fu¨hrte er eine Eskalation der Konflikte zwischen Rat und Bu¨rgerschaft in Lu¨beck herbei, da die Bu¨rger den Zutritt zum Rathaus als ihr Recht betrachteten.66 ¨ nderungen im Bereich des Erscheinungsbildes der Magistrate und ihr Die A Bemu¨hen um eine symbolische Herausstellung des Rathauses und des unmittelbaren Platzes um ihn herum dru¨cken den Willen der hansesta¨dtischen und venezianischen Amtstra¨ger aus, sich vom Rest der Stadtbevo¨lkerung und des Stadtraums abzuheben. Dies sollte einerseits durch eine bildnerische und architektonische Absetzung, andererseits auch durch eine Benehmensregulierung aller Personen im Umkreis dieser Geba¨ude erreicht werden. Die politische Bedeutung dieser Modifikationen darf nicht ¨ nderung im Verha¨ltnis außer Acht gelassen werden: Sie stellten eine entscheidende A von Rat und Bu¨rgerschaft in den Hansesta¨dten dar, die sich auch nicht immer konsequent durchsetzen ließ, wie das erwa¨hnte Beispiel Gotthard von Ho¨velens zeigt. Auch in Venedig korrespondierte die Benehmensregulierung der Magistrate selbst mit Disziplinierungsbemu¨hungen, die sich undifferenziert an die gesamte Stadtbevo¨lkerung richteten. Im Folgenden soll diskutiert werden, wie und ob sich diese Tendenz auch in den Ritualen der Wahlen und Amtseinsetzungen finden.
2.1.2. Kontinuita¨t und Wandel in der Gestaltung und Interpretation von Wahlen und Amtseinsetzungen Ein Großteil der Quellen zu den Wahl- und Amtseinsetzungsritualen in Venedig und den Hansesta¨dten stammt aus einem relativ kurzen Zeitraum, na¨mlich der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts. Dies la¨sst auf eine erho¨hte Sensibilita¨t und Interesse gegenu¨ber der Bedeutung des Ablaufs dieser Rituale schließen. Auf eine erste Phase 64 STAB, 2-P.1.-81, Kundige Rolle, Abschrift von 1657, Punkt 31, Es soll kein Markt mehr unter dem
Rathaus gehalten werden; AHL, Handschriftensammlung, Ms. 1185, Auszu¨ge aus den Wetteprotokollen u¨ber Musik-und Theaterverha¨ltnisse in Lu¨beck 1587–1770, Eintrag zu dem Jahr 1589: Davidt Ebel, ein Spielmann, ist von beiden Wetteknechten angeklagt worden, weil er sie mit ungebu¨hrlichen Worten auf dem Rathaus beschimpft habe; AHL, Sammlung Buchholtz, IV, Proklam des Rates, Die Anku¨ndigung des Gastrechtes soll durch die Hausdiener auf dem Rathaus gemacht werden, 13. Oktober 1572, S. 203a/S. 118. 65 Paczkowski, Vorhalle, S. 173. 66 Gotthard von Ho¨vel[en], Chronik, in: Die Herren und Freiherrn von Ho¨vel: nebst Genealogie der Familien, aus denen sie ihre Frauen genommen, Bd. 3: Gotthard V von Ho¨vel: Chronik und Hintertreibung eines Schandgedichts: sammt der Abdankungsschrift seines Vaters Gotthard VIII von Ho¨vel, hg. v. Anton Fahne, Co¨ln 1856, S. 2–81, hier: S. 81.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
der Normierung der Rituale im 15. Jahrhundert folgte eine zweite Phase um 1600, wie man am Beispiel Bremens gut sehen kann: Hier war eine erste Niederschrift des Stadtrechts im Jahre 1433 im Zusammenhang mit den Konflikten dieser Zeit zwischen Rat und nicht ratssa¨ssigen Kaufleuten und Zu¨nften entstanden.67 Bremens Bu¨rgermeister Heinrich Krefting u¨berarbeitete gut hundertfu¨nfzig Jahre spa¨ter diese Niederschrift des Stadtrechts und gab sie unter dem Titel „Statuta Reformata“ neu heraus.68 Diese Fassung lehnte jedoch die Bremer Bu¨rgerschaft im Jahre 1605 ab. Sie befu¨rchtete, auf diese Weise in ihren Rechten geschma¨lert zu werden.69 Daher versahen die Ratsherren Heinrich Krefting, Johann Almers und Johann Wachmann das Stadtrecht von 1433 mit umfangreichen Anmerkungen. In diesen Glossen besta¨tigten sie die 1433 verschriftlichten Rituale zur Setzung und Wahl.70 Anders als in Lu¨beck und Hamburg wurden also keine neuen Aufzeichnungen und Kodifizierungen der Rituale um Wahlen und Amtssetzungen als gu¨ltige Handlungsrichtlinien akzeptiert. Die Extrakte und Abschriften des die Wahlvorga¨nge betreffenden Abschnitts des Stadtrechts des Jahres 1433 bezeugen die gesteigerte Aufmerksamkeit des Bremer Rates gegenu¨ber diesen Ritualen. Das Misstrauen der Bu¨rgerschaft zeigt außerdem, wie wichtig nicht nur die Ratsherren die rituellen Abla¨ufe fu¨r die Legitimierung des Rates nahmen.71 In Hamburg war die Gestaltung der Ratswahl gleichfalls eine der wichtigsten Verhandlunsgegensta¨nde zwischen Bu¨rgerschaft und Rat. In einem Mandat des Jahres 1582 publizierte der Hamburger Rat seine Version der „Ordnung uff Petry¨“,72 das heißt des Tages Petri-Stuhlfeier, an dem Rechnungslegung, Ratswahl und Umsetzung stattfanden. Diese Ordnung wurde in die Druckfassung des Hamburger Stadtrechts von 1606 eingearbeitet.73 Die jeweiligen Ausschu¨sse berieten in den Jahren 1603, 1632 und 1633 intensiv u¨ber die Abla¨ufe der Wahl und u¨ber die Gestaltung der Feierlichkeiten zu Ehren des Gewa¨hlten.74 In Lu¨beck besaß im Gefolge der Wullenweverschen Unruhen (1533–1535) allein der Rat Einfluss auf die Gestaltung der Ratswahl. Anders als in Hamburg oder Bremen war sie daher auch nicht Thema der Verhandlungsgegensta¨nde zwischen dem Bu¨rgerausschuss und dem Rat wa¨hrend der so genannten Reiserschen Unruhen im Jahre 1599. Wie in Bremen so setzte sich auch in Lu¨beck ein Ratsmitglied, der Bu¨r-
67 Vgl. Schwarzwa¨lder, Geschichte, S. 105–117. 68 STAB, 2-P.1.-81, Sammlung von Abschriften und Originalen zur bremischen Geschichte (1433–1689)
(angelegt im 18. Jh.), Statuta Reipublicae Bremensis. 69 Schwarzwa¨lder, Geschichte, S. 285. 70 Ebd. 71 Zum Beispiel STAB 2-P.6.a.10.b., Extractus Statuti 2, handschriftlicher Auszug vom Ende des 16. Jahr-
hunderts aus den von Krefting, Almer und Wachmann annotierten Statuten des Bremer Stadtrechts.
72 Comm, H 343/2, Mandatensammlung 1276–1602, Mappe 1581–1590, Anno 1582. 22. Februar E. E.
Raths Ordnung uff Petry¨.
73 STUBH, Cod. jur. 2676 [Hamburger Stadtrecht von 1606; Druck ohne Titelblatt, spa¨ter in eine juris-
tische Handschrift eingefu¨gt], Hamburg 1606, S. 1–4.
74 STAH, 121–1, Erbgesessene Bu¨rgerschaft, Acta Conventuum Senatus et Civium, Bd. 1, Eintrag zum
Jahr 1603, S. 519; STAH 121–1, Erbgesessene Bu¨rgerschaft, Acta Conventuum Senatus et Civium, Bd. 3, Eintrag zum Jahr 1632, S. 51 und Eintrag zum Jahr 1633, S. 68–70.
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
75
germeister Heinrich Brokes, im Rahmen einer Reform des Stadtrechts75 fu¨r eine Verschriftlichung der Rituale um Wahlen und Amtseinsetzung ein: Aus dem Jahre 1613 stammt ein von ihm verfasstes und immer wieder bis in das 18. Jahrhundert abgeschriebenes „Verzeichnis wie iegen Petri mit umbsetzung des Raths wird verfahren“.76 Dreiundzwanzig Jahre fru¨her als Brokes verschriftlichte der Lu¨becker Ratsherr Franz van Stiten die seiner Meinung nach richtigen Abla¨ufe um Wahlen und Amtssetzung.77 Spa¨tere Verfasser fu¨gten Stitens Originaltext Beispiele fu¨r Ratswahlen aus dem 17. Jahrhundert hinzu. Auch dieser Text galt also neben den anderen Aufzeichnungen als Referenz, wenn Informationen u¨ber den richtigen Ablauf gesucht wurden. Van Stitens und Brokes Aufzeichnungen kam die Bedeutung einer normativen Festlegung zu, deren Einhaltung durch die detaillierten Schilderungen der Einzelfa¨lle besta¨tigt werden sollte.78 Die Aufteilung von idealem Ablauf, der dann immer wieder durch die Einzelfa¨lle besta¨tigt wurde, findet sich gleichfalls in einem um 1600 entstandenen venezianischen Zeremonialbuch, das – wie auch die entsprechenden hansesta¨dtischen Aufzeichnungen – fu¨r den internen Gebrauch der Magistrate selbst angefertigt worden war. Auf großen Pergamentbo¨gen beschrieb Paulo Ciera, Sekreta¨r des Consiglio di Dieci,79 eine Vielzahl politischer Rituale. Den idealen Ablauf beschrieb er meist auf Latein, die oft auch pra¨zise datierten Beispiele auf Italienisch.80 Die Tatsache, dass Ciera dieses Zeremonialbuch als Sekreta¨r des Consiglio di Dieci verfasste, zeigt nicht etwa ein Alleinverfu¨gungsrecht dieses Rates im Bereich der politischen Rituale. In den Schriftstu¨cken, die Ciera als Grundlage fu¨r die Abfassung des Zeremonialbuchs dienten, sind die Abstimmungsverha¨ltnisse im Maggior Consiglio u¨ber die Durchfu¨hrung einzelner Rituale genau vermerkt.81 Neben diesem Zeremonialbuch ist eine weitere wichtige Quelle fu¨r die Verschriftlichung der venezianischen Wahl- und Amtseinsetzungsrituale zu nennen, na¨mlich das von Sallustio Gnecchi, dem Zeremonienmeister des Dogen Pasquale Cicogna (Dogat 1585–1595), verfasste Handbuch.82 Fast zeitgleich wie Paulo Ciera legte Gnecchi ein anscheinend nur fu¨r seinen eigenen Gebrauch bestimmtes Handbuch an. Auch dieses wurde wie die Lu¨becker Aufzeichnungen trotz seines informellen Charakters, der sich u. a. an dem unscheinbaren
75 Aus dem Tagebuch des Lu¨beckischen Bu¨rgermeisters Henrich Brokes, hg. v. Carl W. Pauli, in:
ZVLu¨bG 1 (1860), S. 79–92, 173–183, 281–347; ZVLu¨bG 2 (1867), S. 1–37, 254–296, 367–470, hier: S. 457, 465. 76 ASA-Interna, Ratsstand 7/1, Akte: Ratssatzung: Grundsa¨tzliches u. Historisches, Zeremoniell, Ende 16. Jh.–1862, Heinrich Brokes, Verzeichnis wie iegen [sic!] Petri mit umbsetzung des Raths wird verfahren, 1613. 77 ASA-Interna, Ratsstand 1/3 [Franz van Stiten], De ordinantie [...], 1590. 78 Ebd. 79 Zur Person vgl. Delle Inscrizioni Veneziane Raccolte ed Illustrate, Bde. 2–4, 6. hg. v. Emanuele A. Cicogna, Venedig 1827–1834, 1853 [ND Bologna 1970], hier: Bd. 4, S. 227. 80 ASV, Coll., cerim., rg. 1., lat. Text fol. 1–20, ital. Text fol. 26–124. 81 ASV, Coll., cerim., fz. 1. 82 Zu Sallustio Gnecchis Handbuch vgl. Hopkins, The Influence of Ducal Ceremony on Church Design, S. 30; die genauen Angaben der Quelle lauten: BM, Cod. It. VII, 1639 (7540), Sallustio Gnecchi, Ceremoniale delle uscite delli Principi di Venetia, Ms., 1590.
76
2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
¨ ußeren ablesen la¨sst, kontinuierlich bis zum Ende der Republik benutzt, wie entA sprechende Randnotizen und Korrekturen zeigen. Dank der engen Verwobenheit von politischem und kirchlichem Zeremoniell in Venedig widmen sich auch die beiden Handbu¨cher der Zeremonienmeister der Kirche von San Marco den Ritualen um Wahlen, Amtseinsetzungen und Begra¨bnissen von politischen und geistlichen Wu¨rdentra¨gern. Sie stellen in den Jahren 1564 und 1678 abgeschlossene Zeremonialbu¨cher dar, die jeweils auf a¨lteren Materialien und Notizen beruhen. Beide wurden kontinuierlich bis ins 18. Jahrhundert benutzt.83 Es la¨sst sich also in den detaillierten Aufzeichnungen zu Wahlen um 1600 in allen drei Sta¨dten der Versuch beobachten, diesen Ritualen eine ideale, statische Form zu geben, um in ihnen und durch sie die Legitimierung des Rates zu bekra¨ftigen. Diese Entwicklung zeigt weder einen Bedeutungsverlust des politischen Charakters der Abla¨ufe an84 noch eine fortdauernde Mu¨ndlichkeit sta¨dtischer politischer Kultur.85 Im Gegenteil, es la¨sst sich anhand des Quellenbestandes von einer Institutionalisierung ritueller Pra¨senz im Rahmen des Ausbaus und der Festlegung der Herrschaftsrepra¨sentation der sta¨dtischen Magistrate sprechen. Die Aufwertung des Erscheinungsbildes der Magistrate, die Aufwertung der Ratha¨user und die Verschriftlichung der Wahlrituale lassen sich als Teil einer einzigen Entwicklung sehen, na¨mlich dem Bemu¨hen um eine sta¨rkere Festlegung des Erscheinungsbildes der politischen Magistrate, die auch als politisch-kulturelle Institutionalisierung bezeichnet werden kann. Diese sollten sich als Tra¨ger der sta¨dtischen Obrigkeit herausheben, sowohl durch ihre Kleidung, als auch durch den Ort, an dem sie sich versammelten. Zudem bedeutete die Verschriftlichung von politischen Ritualen um diese Zeit aber auch, dass diese politisch-kulturelle Institutionalisierung nicht nur eine Absetzung der Magistrate gegenu¨ber anderen sta¨dtischen Gruppen bewirken sollte, sondern auch eine Verhaltensregulierung der Magistrate als Amtstra¨ger untereinander. Wie und ob sich diese Vermutung besta¨tigt, sollen nun Detailanalysen von Kontinuita¨t und Wandel der Wahl- und Amtseinsetzungsrituale zeigen. Die Legitimita¨t des Rates beziehungsweise der venezianischen Ra¨te sollte im Moment des Herrschaftswechsels vor den Augen der Stadtbevo¨lkerung gesichert ¨ mterbesetzung zu werden. Es galt aber auch zu verhindern, dass Konflikte um die A einer internen Destabilisierung fu¨hrten. Diese beiden Ebenen der Sicherung der Legitimita¨t des Rates bestimmten die rituellen Abla¨ufe, die sich anhand der Quellen aus der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts und spa¨terer Hinzufu¨gungen rekonstruieren lassen. Da sich die Rituale in den Hansesta¨dten und Venedig entsprechend der verschiedenartigen institutionellen Strukturen stark voneinander unterschieden, sollen sie zuna¨chst getrennt voneinander betrachtet werden. Anschließend sollen Gemein-
83 BM, Cod. lat. III, 172, Bartolomeo Bonifacio, Rituum cerimoniale, 1564. Eine Transkription des Kern-
textes von 1564 ohne die bis zum 18. Jahrhundert kontinuierlich hinzugefu¨gten Anmerkungen und Erweiterungen findet sich in: Sinding-Larsen, The Burden of the Ceremony Master, S. 265–325; BM, Cod. It. VII, 396 (7423), Giovanni B. Pace, Ceremoniale Magnum [...], 1678. 84 So die These in: Bruno Schlotterose, Die Ratswahl in den deutschen Sta¨dten des Mittelalters, unvero¨ffentl. Diss. Universita¨t Mu¨nster 1953, S. 159. 85 Vgl. Schlo ¨ gl, Vergesellschaftung unter Anwesenden.
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
77
samkeiten und Unterschiede der Wertekontinuita¨ten und -verschiebungen betrachtet werden, die in den Quellen zu diesen Ritualen zum Ausdruck kommen. Es soll also nicht eine mo¨glichst vollsta¨ndige Rekonstruktion eines idealtypischen Handlungsablaufs im Mittelpunkt des Interesses stehen. Anhand der Quellen, die diese Abla¨ufe beschreiben und werten, soll vielmehr ausgelotet werden, welche Konzeptionen und Wertungen des politischen Gemeinwesens mit den Wahlen und Amtssetzungen verbunden wurden, welche Elemente als besonders wichtig erachtet wurden. Ein grundlegendes Merkmal der politischen Ordnungen in Venedig und den Han¨ mter, die auf Lebenszeit vergesesta¨dten bestand in der rigiden Begrenzung der A ¨ mter der Procuratori di San Marco,86 ben wurden. In Venedig wurden nur die A des Dogen und des Großkanzlers, in den Hansesta¨dten die der Bu¨rgermeister auf ¨ mter war mit komplexen WahlrituaLebenszeit verliehen. Die Besetzung dieser A ¨ mter, die teilweise mehr aktive Entscheilen verbunden. Die Besetzung anderer A dungsbefugnisse verliehen, war einem streng regulierten Rotations- und Losverfahren unterworfen. Dabei handelte es sich ha¨ufig um Funktionen der Finanzverwaltung.87 Durch beide Prinzipien, Wahl auf der einen, Rotations- und Losverfahren auf der anderen Seite, ließen sich Konflikte innerhalb der Wahlfa¨higen reduzieren: Boten Wahlen die Mo¨glichkeit, dass sich eine Gruppe – in Absprache mit den anderen – innerhalb der Wahlfa¨higen durchsetzte, begrenzten die Amtssetzungen den Zugriff dieser Gruppe auf die fu¨r die Aufrechterhaltung der politischen Ordnung besonders ¨ mter. Obwohl gerade die Los- und Rotationsabla¨ufe also sehr gut dazu wichtigen A geeignet gewesen wa¨ren, als Beweise fu¨r die Unparteilichkeit der Entscheidungsfindung angefu¨hrt zu werden, erfuhren diese Abla¨ufe im Gegensatz zu den Wahlverfahren weder in Venedig noch in den Hansesta¨dten eine besonders hohe symbolische ¨ mtersetzung beziehungsweise -rotation war nicht Teil der eigenen Bedeutung. Die A politischen Selbstdarstellung. Durch ihren hohen Regulierungsgrad wiesen sie sta¨rker auf die Konflikttra¨chtigkeit ihrer Besetzung hin, als es einer nach außen gerichteten Repra¨sentation der Harmonie der sta¨dtischen Elite dienlich gewesen wa¨re.88 Die außerordentlich komplexen Wahlverfahren sollten durch ihren reibungslosen Ablauf die Harmonie der Gruppe der Magistrate vor, wa¨hrend und nach der Wahl anzeigen.
86 Es gab neun Procuratori di San Marco mit jeweils unterschiedlichen Aufgabenbereichen. Urspru¨nglich
hatte es sich um ein Amt gehandelt, das allein fu¨r die Verwaltung des Kirchenschatzes und die Bauaufsicht in der Kirche von San Marco zusta¨ndig gewesen war. Vom 13.–15. Jahrhundert waren dann immer mehr zivilrechtliche Pflichten hinzugetreten. Die Procuratori de citra waren fu¨r drei Stadtbezirke diesseits, die Procuratori de ultra fu¨r die jenseits des Canal Grande zusta¨ndig. Die Procuratori de supra sollten sich um die Kirchenverwaltung in San Marco ku¨mmern sowie auch um das besonders bevo¨lkerungsreiche Viertel Canareggio. Vgl. Ro¨sch, Geschichte Venedigs, S. 132–133. 87 Fu¨r Lu¨beck vgl. Bruns, Rat, S. 28–29; fu¨r Venedig vgl. Giuseppe Maranini, La Costituzione di Venezia, 2 Bde., Florenz 1974, hier: Bd. 2, S. 114–127. 88 Fu¨r das Fehlen der Rotations- und Losverfahren in Eigen- und Fremdbeschreibungen vgl. fu¨r die Hansesta¨dte: Das Tagebuch des bremischen Ratsherrn Salomon (1568–1594), hg. v. Hugo Hertzberg, in: BremJb 29 (1924), S. 27–81, hier: S. 53–60; SBL, Lub. 2o 305, Ms., Henricus Aquilonipolensis, De primordiis Lubicanae urbis Caesareae Libri 2, Kapitel 4 u¨ber die Wahlen, s. p.; ASA-Interna, Rat und Bu¨rgerschaft 32/2, Johannes Marquard, De Statu Regiminis Lubecensis oder Von der verfassung des Lu¨bischen regiments, 1658, fol. 1.; Gasparo Contarini, La Republica, e i Magistrati di Vinegia, Venedig 1551, S. 26–40.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
Neben dieser repra¨sentativen Funktion dienten diese Abla¨ufe aber auch noch anderen Zielen: Sie sollten die Konkurrenz der Kandidaten und der Gruppen, die sie vertraten, in regulierte und damit kontrollierbare Bahnen lenken. Das Ergebnis erzielte zudem dadurch seine Konsensfa¨higkeit, dass in die verschiedenen Stufen der Abla¨ufe verschiedene Akteure und damit ha¨ufig auch bestimmte Personenkreise einbezogen wurden oder ihnen zumindest das Gefu¨hl gegeben wurde, einbezogen worden zu sein. Dies wurde durch ihre starke Ritualisierung in dem Sinne gewa¨hrleistet, dass jede Handlung einem vorgegebenen Muster zu folgen hatte. Ihr reibungsfreier Ablauf verdeutlichte die Legitimation der Wa¨hlenden und Gewa¨hlten. Gottes Zustimmung zum Ergebnis kam in dem nach einem vorhersehbaren Muster ablaufenden Geschehen zum Ausdruck. In erster Linie war es das Streben der Familien nach sozialem Aufstieg und politischem Prestige, das verda¨chtigt wurde, die Harmonie der Magistrate untereinander zu gefa¨hrden. Die in der Beschra¨nkung des Einflusses des Faktors Verwandtschaft sehr ausdru¨cklichen Verordnungen und die Entwicklung komplexer Handlungsabla¨ufe weisen auf die konkreten Gefahren hin, die der politischen Ordnung in Venedig und in den Hansesta¨dten durch den Wettbewerb der Familien um Einfluss, Rang und ¨ mter drohte: Dieses Konkurrenzstreben Wu¨rde in der Arena der politisch aktiven A hielt das Interesse der sta¨dtischen Eliten an einem politischen Engagement wach, das es viel Zeit und Geld kostete. Es ha¨tte aber insgesamt ein Ende der republikanischen Ordnung bedeutet, wenn es einer einzelnen einflussreichen Familie gelungen wa¨re, u¨ber Wahlmanipulationen zu Einfluss zu gelangen und andere gleichrangige Gruppen auszuschalten. In beiden Bereichen waren es daher die Familien, die als einzige konkurrierende Vergemeinschaftung in entsprechenden Regelungen beru¨cksichtigt wurden. Verwandte bis in das dritte Glied waren von Entscheidungen, die sie betrafen, in Hamburg, Bremen und Lu¨beck ausgeschlossen. Diese Regelungen wurden immer wieder in der zweiten Ha¨lfte des 16. und ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts schriftlich niedergelegt.89 Trotz dieser fortlaufenden Erinnerung an sie – ihr Wortlaut hing zum Beispiel auch auf einer großen Tafel im Lu¨becker Rathaus aus90 – konnte es zu Fehlern bei Ratswahlen kommen. So stellte man beispielsweise wohl erst nach der Wahl fest, dass ein neu Gekorener mit dem Bremer Ratsherrn Salomon verwandt sei, wie er in seinem Tagebuch vermerkte: D. 4. Jul. (1570) ward Joh. Huneken, min Vedder gekaren [...] He und ik syn averst broder u. suster kinder, derwegen he entschuldigt genamen u. van dem E. rade na lude unses bokes absolveret und ditmal fry erkant is wurden.91 89 Vgl. STAB 2-P.6.a.10.b., Extractus Statuti 2, s. p.; STUBH, Cod. jur. 2676, [Hamburger Stadtrecht von
1606], S. 3–4; AHL, ASA-Interna, Ratsstand 3/1, Grundsa¨tzliches zur Ratswahl, Verordnung des Rates vom 10. Ma¨rz 1576: Anno Domini 1576 den 10 Marty¨ hett ein Ehrbarer Raht diese Verordnung gemachet und folgendes Anno 15? [Jahreszahl wg. Papierschadens nicht zu erkennen, R. S.] den 26 July¨ tho Rade wedderumb lesen laten und angenommen wo ne de parteien und personen umb welckerer sacken de Herrn des Rades sich der berahtschlagung entu¨tern und daran upstan mo¨gen den hern des Rades vor vanden [...] sien mo¨ten. 90 AHL, ASA-Interna, Ratsstand 12/2, Tafel wegen der Verwandtschaften und Schwa¨gerschaften, 1576. 91 Tagebuch des bremischen Ratsherrn Salomon, S. 57–58.
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
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Ein besonderes Problembewusstsein fa¨llt in Hamburg auf. Dort waren Ausschlussregelungen bei Ratswahlen in Verwandschaftsfa¨llen bereits in dem gedruckten Stadtrecht von 1606 festgelegt worden.92 Zwanzig Jahre spa¨ter war es dort u¨ber den Ratswahlen zu allerhand diffidenc, Argwohn und Mißverstand unter den Ratsherren gekommen, wie es in einer entsprechenden Vereinbarung der Ratsherren untereinander heißt, mit der sie eine offene Aussprache protokollierten.93 Der Vertrauensverlust unter ihnen muss so groß gewesen sein, beziehungsweise ihr Problembewusstsein so weit gestiegen, dass im Jahre 1633 in Hamburg zum ersten Mal eine heimliche Wahl per Zettel stattfand. Damit stellte der Hamburger Rat gegenu¨ber dem Bremer und Lu¨becker Rat eine Ausnahme dar.94 In Venedig wurde eine Zettelwahl nie diskutiert. Die Abstimmung fand mit Kugeln und ku¨nstlichen Ha¨nden statt, die sicherstellen sollten, dass es nicht zu Unregelma¨ßigkeiten wa¨hrend der Wahl kam.95 Auch in Venedig wurde das Verbot, dass Verwandte an der Dogenwahl teilnehmen durften, immer wieder bekra¨ftigt: Sie mussten, falls sie beim komplizierten Wahlverfahren mit einem der Genannten verwandt waren, wie in den Hansesta¨dten ausscheiden.96 Gleichfalls wie in den Hansesta¨dten la¨sst sich auch in Venedig das Pha¨nomen illegaler Vorabsprachen immer wieder finden. Zu diesem Thema wurden im 16. Jahrhundert sogar eigene Handbu¨cher verfasst, in denen junge Patrizier Ratschla¨ge erhielten, wie sie besonders geschickt mit diesen umgehen sollten.97 In Venedig vera¨nderte sich in Reaktion auf diese informellen Vorabsprachen nicht das ohnehin bereits komplexe Wahlverfahren. Vielmehr bemu¨hten sich die Patrizier um eine bessere Kontrolle der Ballottini, das heißt der Jungen, denen es oblag, fu¨r die Bereitstellung der Urnen und Wahlkugeln zu sorgen, und um eine bessere Aufsicht u¨ber die Urnen selbst.98 Da die Mitgliedschaft in den hansesta¨dtischen Stadtra¨ten auf Lebenszeit galt, wurde eine Aufnahme eines neuen Magistraten nur dann no¨tig, wenn ein Ratsherr gestorben war beziehungsweise mehr oder weniger freiwillig seinen Ratssitz aufgegeben hatte. Das vorzeitige Ausscheiden aus dem Rat erfolgte in Ausnahmefa¨llen, etwa, wenn ein Ratsherr wegen ko¨rperlicher Gebrechen nicht mehr in der Lage war, sein
92 STUBH, Cod. jur. 2676, [Hamburger Stadtrecht von 1606], S. 1. 93 Comm, H 343/2, Mandatensammlung 1621–1634, Mappe 1631–1632, Bu¨ndnis und Vetrag, so die H.
Senatores unter sich aufgerichtet 1. wegen guter Vertrauligkeit, und 2. wegen der Wahlen ad. 1632 et 33. 94 Vgl. STAH 121–1, Acta Conventuum, Bd. 3, S. 51. 95 Vgl. Mariolina Camali Frascella, Il metodo elettivo, in: Il Serenissimo Doge., hg. v. Umberto Franzoi, Treviso 1986, S. 71–82. 96 Vgl. die entsprechenden Entscheidungen: Urteile des Consiglio di Dieci vom 24. Mai 1621 und vom 21. Juni 1621 gedruckt als: Parte presa nell’Eccelso Conseglio di Dieci circa il ballotar con le preghiere nell’Eccellentissimo Senato, & scrutinio, Venedig 1621; Parte presa nell’Eccelso Conselgio di Dieci Circa li ordini nelle ballotationi delli Consegli ordinarii, & di Procurator di S. Marco nell’Eccellentiss. Maggior Conseglio, Venedig 1621. Vgl. außerdem ASV, compilazione delle leggi, bu. 185, Doge di Venezia, Urteile des Maggior Consiglio vom 7. Juni 1556, 19. August 1623 und 16. Dezember 1624. 97 Vgl. Dorit Raines, Office seeking, Broglio and the Pocket Political Guidebooks in Cinquecento and Seicento Venice, in: SV 22 (1992), S. 137–194. 98 Vgl. ASV, compilazione delle leggi, bu. 185, Doge di Venezia, Urteil der Consiglieri und des Consiglio di Dieci vom 13. Nov. 615; ASV, compilazione delle leggi, bu. 215, Giuochi/Giuramenti, Urteile des Consiglio di Dieci vom 27. Juli 1596 und 18. April 1597.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
Amt auszufu¨llen,99 oder weil er in fremde Dienste getreten war.100 Er konnte auch wegen eines schweren Vergehens aus dem Rat ausgeschlossen werden.101 Die Zahl der Ratsmitglieder in Lu¨beck und Hamburg schwankte bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts. Dadurch war es mo¨glich, mit der Verleihung (oder Verweigerung) der Ratswu¨rde besser auf Vera¨nderungen innerhalb der sta¨dtischen Elite einzugehen, als es eine rigide festgelegte Mitgliederzahl erlaubt ha¨tte.102 In einer Schrift eines Lu¨becker Ratsherrn wird deutlich, dass dieses pragmatische Anpassen des Personenkreises an die jeweilige Situation nicht als ein wu¨rdiges Merkmal der Stadtverfassung wahrgenommen wurde. Johannes Marquard erwa¨hnte in seiner im Jahre 1658 verfassten Schrift „De Statu Regiminis Lubecensis“ die schwankende Gro¨ße des Rates nicht. Er behauptete vielmehr, dass der Lu¨becker Rat auf 24 Personen festgelegt sei und nahm damit eine Zahl auf, die sich unter Bezug auf Heinrich den Lo¨wen als Tradition in den Diskussionen zwischen Rat und Bu¨rgerschaft seit der ersten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts immer mehr durchgesetzt hatte.103 Außerdem stellte er die Ratssetzung selbst als ein nicht mehr gebra¨uchliches Ritual dar,104 obwohl sie nachweislich bis 1743 praktiziert wurde.105 Mo¨glicherweise wusste er das komplexe Setzungsverfahren nicht in den Kategorien aristotelischer Politiktheorie zu erfassen.106
99 So zum Beispiel in Bremen Johann Havemann, der wegen seiner ‚Leibesschwachheit‘ nicht mehr dem
Wahlvorgang selbst beiwohnen konnte und daher auf seine Bitte hin aus dem Rat ausgeschlossen wurde: STAB, 2-P.6.b.1.a.29.e, Einzelne Ratsherren betreffende Papiere, Extrat aus dem Wittheits-Protokolle de 1638. Juli 28. Gesundheitliche Gru¨nde wurden aber nie gegen den Willen eines Ratsherren angefu¨hrt: vgl. Bruns, Rat, S. 60–61. 100 Dies konnte sehr wohl ohne Zustimmung des Betroffenen geschehen: So protestierte zum Beispiel der Bremer Johann Zobel vergeblich gegen seinen Ausschluss aus dem Bremer Rat, nachdem er in da¨nische Dienste getreten war: STAB, 2-P.6.-b.1.a.85.a, Akte zu Johann Zobel: Wahl in den Rath 1615, außerdem STAB, 2-P.6.-b.1.a.85.b, Brief Johann Zobels an den Rat vom 1. Ma¨rz 1628. Zu Johann Zobel vgl. Wilhelm von Bippen, Die bremischen Bu¨rgermeister Hinrich und Johann Zobel, in: HansGbll 5 (1886), S. 51– 76; zu Lu¨beck vgl. die entsprechende Rechtsbestimmung im Lu¨becker Stadtrecht von 1565: AHL, Handschriften, Ms. 751a, Copia: des rechtes [...] Original anno 1565, s. p.: Kein man Schall Radtman wesen, Edder in dem Rade wesen, In der stadt tho lubeck dehr Ein Ampd hette van Einem Herren. 101 Auch hier gibt es zahlreiche Beispiele, etwa aus Bremen: So musste Johann Brandt seines Bu¨rger- und Ratseides entsagen, weil er nicht dem „getreuen Nutzen“ gedient habe: STAB, 2-P.6.-a.16., Auszug eines Wittheitsprotokolls, dass Dr. Johann Brandt am 1. Februar 1580 seines Ratsherrneides entsagt habe; oder aus Hamburg die Notiz in der Chronik Peter Hessels, dass Joachim Mu¨ller aus dem Rat ausgeschlossen worden sei, weil er etliche Arcana Rep: enthellet haben solte: STAH, 731–1, Handschriftensammlung, Ms. 29, Peter Hessel, Hamburgische Chronik 1014–1677, um 1680, Eintrag zum Jahr 1550, s. p. 102 In Bremen ist die Zahl bei Krefting definitiv mit 28 angegeben: STAB, 2-P.1.-81., Sammlung von Abschriften und Originalen zur bremischen Geschichte (1433–1689), Heinrich Krefting, Statuta Reipublicae Bremensis. Primum a` Dn. Henrico Krefftingio I. V. D. et quondam consule hujus Republ. in novum ordinem redacta, Ms. um 1600, S. 39; fu¨r Hamburg vgl. Johann M. Lappenberg, Von der Rathswahl und Rathsverfassung zu Hamburg vor dem Wahlrecesse v. J. 1663, in: ZVHambG 3 (1851), S. 281–347, hier: S. 313–318; fu¨r Lu¨beck Poeck, Rituale der Ratswahl, S. 177. 103 ASA-Interna, Rat und Bu¨rgerschaft 32/2, Johannes Marquard, De Statu Regiminis, fol. 1; Poeck, Rituale, S. 177. 104 ASA-Interna, Rat und Bu¨rgerschaft 32/2, Johannes Marquard, De Statu Regiminis, fol. 1. 105 Bruns, Rat, S. 18. 106 ASA-Interna, Rat und Bu¨rgerschaft 32/2, Johannes Marquard, De Statu Regiminis, fol. 3–6.
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
81
Sowohl Ratssetzung als auch Ratswahl waren in Hamburg und Lu¨beck an einen fest gefu¨gten zeitlichen Ablauf gebunden. In Lu¨beck versta¨ndigte sich der Rat um den St. Thomas-Tag, das heißt am 21. Dezember, u¨ber die Zahl der neu zu wa¨hlenden Mitglieder. In Lu¨beck und Hamburg fanden Wahl und Amtssetzung meist am Tag PetriStuhlfeier (22. Februar) statt.107 Allein in Bremen schloss sich die Ratswahl unmittelbar an den Abgang eines Ratsmitgliedes an. Im Stadtrecht von 1433 waren dort nur wenige Gru¨nde fu¨r eine Verschiebung der Wahl vorgesehen.108 Die Befolgung dieser Regelung noch im 17. Jahrhundert zeigt ein Eintrag in den Bremer Wittheitsprotokollen vom 22. Dezember 1648, der von intensiven Beratungen u¨ber die Verschiebung eines Wahltermins zeugt.109 Der Bremer Rat verzichtete also auf eine ja¨hrliche Rotation und damit auf ein wichtiges Merkmal der Lu¨becker, Hamburger und venezianischen Verfassung, na¨mlich dem der engen zeitlichen Begrenztheit bestimmter Herrschaftsbefugnisse. Auf sein andersartiges Herrschaftsversta¨ndnis weist auch hin, dass es keinen Termin zur o¨ffentlichen Rechnungslegung und Bursprakenverlesung gab. Der Bremer Rat inszenierte seine Legitimita¨t nicht ja¨hrlich. Die sofortige Neuwahl nach Austritt oder Ableben eines Ratsmitglieds weist außerdem darauf hin, dass dem Landesherrn keine Gelegenheit gegeben werden sollte, intervenieren zu ko¨nnen – eine gerade in Zeiten der inneren Zerstrittenheit des Rates durchaus realistische ¨ bertritt zum Calvinismus wa¨re es dem Bremer Rat Mo¨glichkeit.110 Nach seinem U nicht mo¨glich gewesen, Feiertagen wie Petri-Stuhlfeier einen Platz im Ritualkalender der Stadt einzura¨umen. Die zeitliche Strukturierung des Ablaufs in Hamburg und in Lu¨beck ist keine Innovation des 16. Jahrhunderts.111 Allerdings nahm sie in der Verschriftlichung der Rituale, die zu dieser Zeit stattfand, einen besonderen Stellenwert ein. Der Lu¨becker Bu¨rgermeister Heinrich Brokes betonte zum Beispiel in seinen Aufzeichnungen, dass diese Treffen zur Vorbereitung der Wahl und Amtssetzung sorgfa¨ltig protokolliert wurden.112 So sollte die Legitimita¨t des Rates als eine nach interessenu¨bergreifenden Prinzipien konstituierte Gruppe gesta¨rkt werden. Daher kam diesem Schritt in den Ablaufsbeschreibungen um 1600 eine besondere Bedeutung zu. Die christliche Sanktionierung dieser nach rechtma¨ßigen Prinzipien verlaufenden Vorbereitungsphase signalisierten in Lu¨beck und in Hamburg Abku¨ndigungen und Fu¨rbitten.113 Der Hamburger und der Lu¨becker Rat teilten sich im Rahmen der Vorbereitung von Wahl und Setzung in drei verschiedene Gruppen, deren Vorsitz jeweils ein Bu¨rgermeister innehatte.114 Derjenige Lu¨becker Bu¨rgermeister, der ein Freijahr außerhalb des Rates verbracht hatte, verließ mit einem Drittel des Rates das Rathaus. Diese Gruppe blieb den weiteren Sitzungen bis zu den eigentlichen Ratssetzungen 107 STUBH, Cod. jur. 2676, [Hamburger Stadtrecht von 1606], S. 1. 108 Vgl. Kreffting, Statuta, S. 39. 109 Vgl. STAB, P.6.a.9.c.3.b.6., Wittheitsprotokolle, Bd. 6, Eintrag zum 22. Dezember 1648, S. 107. 110 Vgl. zum Beispiel die Intervention des Erzbischofs bei den Konflikten zwischen Altem und Neuem
Rat 1428: Poeck, Rituale der Ratswahl, S. 158.
111 Ebd., S. 169, 175, 178. 112 Vgl. Brokes, Verzeichnis, Punkt 1. 113 Fu¨r Hamburg vgl. Poeck, Rituale der Ratswahl, S. 175–176 und fu¨r Lu¨beck ebd., S. 178. 114 Vgl. Bruns, Rat, S. 26–33; Brokes, Verzeichnis, Punkt 2.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
fern,115 falls keine wichtigen Entscheidungen die Gesamtheit der Versammlung notwendig machten.116 Der Lu¨becker Ratsherr Heinrich Brokes erla¨uterte Benennung und Funktion der drei Gruppen folgendermaßen: Das erste drittentheil ist der Burgermeister so im vormittags werde bleibet oder dabey¨ kumpt [...] seine herren sein [...] der Eltiste Ca¨mmerherr, eltiste weinherr, Richteherr, Wetteherr, Stallherr zukunfftig. Das ander drittenteil hat der Burgermeister so ins nachmittags wort bleibet oder darzu kompt, seine herren sein die funff jungsten so vorgedachten officieren kunfftig bedienen sollen. Das dritte drittenteil ist der Burgermeister so ein frey¨ Jahr bekompt, seine herren sein alle dieselbigen Rathspersonen, so keine großen officie bedienen, mit welchen folgendes die kleine officia besetzet worden.117 Die Rangabstufung zwischen den einzelnen Magistraten richtete sich in Brokes Augen nach Alter und Amt. Beides sollte eine informelle Gruppenbildung erschweren. Durch das Ordnungskriterium des Alters ließ sich verhindern, dass die pres¨ mter in die Hand einer oder zweier Familien beziehungsweise tigetra¨chtigsten A Interessengruppen gerieten.118 Auch sta¨rkte die Verbindung von Alter und Funktion die Gleichheit der Ratsherren untereinander. Jedem Magistrat wurde so im Verlaufe seiner Ratsmitgliedschaft die Mo¨glichkeit zuteil, Kompetenzen in verschiede¨ mtern zu sammeln. Allerdings gelangten durch die strikte Anwendung des nen A ¨ mter, die nicht mehr in der Lage waren, Rotationsverfahrens auch Magistrate in A diese auszufu¨llen. Die Starrheit des Handlungsablaufs minderte in diesem Falle die ¨ nderung des Rituals politische Funktionalita¨t des Rates, ohne dass dies zu einer A gefu¨hrt ha¨tte. So war der Lu¨becker Ratsherr Cordt Gehrdes im Jahre 1610 als Bu¨rgermeister in das Nachmittagswort gesetzt worden, konnte es jedoch wegen seines hohen alters und Schwacheit119 nicht wahrnehmen. Der Versuch, einen Ersatzmann bei Erhaltung des Ehrenranges von Gehrdes zu wa¨hlen, scheiterte jedoch an dessen heftigem Einspruch. Schließlich musste der das Vormittagswort haltende Bu¨rgermeister fu¨r ihn sprechen, ohne dass Gehrdes darauf verzichtet ha¨tte, das Wort abzugeben.120 Gehrdes’ erfolgreicher Widerstand macht deutlich, dass auch offensichtlich ungeeignete Kandidaten dank des Setzungsprinzips in ein Amt geraten konnten und das Recht hatten, an ihm festzuhalten, auch wenn sie nicht mehr in der Lage waren, den mit ihm verbundenen Pflichten nachzukommen. Dies weist darauf hin, dass die Abla¨ufe zur Konstituierung des Rates als soweit sanktioniert galten, dass sie nicht einfach durch spa¨tere Entwicklungen modifiziert werden konnten, selbst wenn dies die tatsa¨chliche Arbeit des Rates erheblich vereinfacht ha¨tte.
115 Vgl. Bruns, Rat, S. 28–29; ASA-Interna, Ratsstand 1/3 [Franz van Stiten], De ordinantie, s. p.; Brokes,
Verzeichnis, Punkt 2. 116 Vgl. ASA-Interna, Ratsstand 1/3 [Franz van Stiten], De ordinantie, s. p. 117 Brokes, Verzeichnis, Punkt 2. 118 Zu den A ¨ mtern vgl. Bruns, Rat, S. 27. 119 AHL, ASA-Interna, Ratsstand 8/-, Verschiedene Quellen zu Ratswahl und Ratssetzung 1576–17. Jahr-
hundert; AHL, ASA-Interna, Ratsstand 8/-, Heinrich Brokes, Protokoll der Wahl von 1610, s. p.
120 Brokes, Protokoll, s. p.
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
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Der na¨chste Schritt der Lu¨becker Ratswahl bestand in der Rechnungspru¨fung, der sich diejenigen Ratsherren, die im Jahr zuvor die Gescha¨fte gefu¨hrt hatten, unterziehen mussten. Sanktionsdrohungen bei Nicht-Erscheinen und eine gemeinsame Versammlung in der Marienkirche sollten verhindern, dass sich ein Ratsherr diesem Schritt durch zu spa¨tes Erscheinen oder Fehlen entzog.121 Die Eidesleistung der Lu¨becker Bu¨rgermeister und der anderen anwesenden Ratsherren bezog sich auf den gesamten Bereich des in den Ha¨nden des Rates liegenden Finanzwesens.122 In den Hamburger Quellen fehlt dieser Schritt. Ha¨ufig wurden dort Ratssetzung, Bursprakenverlesung und Rechnungspru¨fung zwischen St. Thomas-Tag und Petri-Stuhlfeier aufgeteilt, der zeitliche Ablauf war also weniger strukturiert als in Lu¨beck.123 In beiden Sta¨dten folgte anschließend die Bursprake, das heißt die o¨ffentliche Verlesung der Verordnungen des Rates, zu deren Anho¨rung sich die Bu¨rgerschaft vor dem Rathaus versammelte. Durch die enge Integration der Bursprake, das heißt der o¨ffentlichen Verlesung der Verordnungen des Rates (in Lu¨beck) beziehungsweise des Rates und der Bu¨rgerschaft (in Hamburg) in das Ritual wurden Stadtherrschaft und Ratskonstitution symbolisch eng miteinander verknu¨pft. Mit der Vera¨nderung der personellen ¨ mter a¨nderte sich der gesamte Rat. Daher Zusammensetzung und Verteilung der A war es notwendig, seine Erlasse durch mu¨ndliche und weithin ho¨rbare Verku¨ndigung im Rahmen desselben Ereignisses immer wieder neu in Kraft treten zu lassen. Außerdem war so auch sichergestellt, dass die Ratsherren bei der Verlesung der Bursprake tatsa¨chlich anwesend waren, und ihr dadurch Autorita¨t verliehen.124 Am Ende der Lesung wurden diejenigen Personen verku¨ndet, die den neuen Rat setzen sollten. Diese Namensnennung signalisierte den Beginn des Rituals.125 Bei der Auswahl der fu¨r die Setzung Verantwortlichen waren gleichfalls Amt und Alter die entscheidenden Rangkriterien, wie Heinrich Brokes hervorhebt: worinnen werden offentlich abgerufen, so den Rath setzen sollen, welche allewege seit d Bu¨rgerm. so inß wort kumpt, der Jungste Ca¨mmerherr und Jungste weinherr, nunmehr Vormahls ist es der Eltiste gewesen.126 In Lu¨beck war der nun folgende Ablauf durch einen Wechsel von einem kirchlichen zu einem profanen Raum gekennzeichnet: Die Ratsherren versammelten sich zuna¨chst im Ratsgestu¨hl127 in der Marienkirche, um anschließend in einem feierlichen Zug in das Rathaus zu gehen, wie es Brokes fu¨r das Jahr 1613 beschrieb: Der Burgerm: aber nebenst den beiden Herren so den Raht sollen setzen, stellen sich iegen drey¨ uhr in der langen Circkel stuel, und wan die 3 121 Vgl. Bruns, Rat, S. 29. 122 Vgl. Brokes, Verzeichnis, Punkt 4. 123 Vgl. Lappenberg, Rathswahl, S. 312. 124 Vgl. Poeck, Rituale der Ratswahl, S. 178; AHL, ASA-Interna, Ratsstand 8/-, Verschiedene Quellen zu
Ratswahl und Ratssetzung 1576–17. Jahrhundert, Teilnahmelisten fu¨r die Burspraken von 1578–1579; Anno 1582. 22. Februar E. E. Raths Ordnung uff Petry¨, s. p. 125 Vgl. Brokes, Verzeichnis, Punkt 4. 126 Vgl. Brokes, Verzeichnis, Punkt 4. 127 Zu diesem Gestu¨hl vgl. Poeck, Rituale der Ratswahl, S. 194–201.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
Burgerm: mit den herrn nach Rathause gegangen sein, so gehen sie unter sich drey¨en in das Underste Rathaus, ihnen warten auff der Marschalck, Marschfeget, Backmeister und 1. Haußdiener.128 Wa¨hrend die eine Gruppe im Untergeschoss des Rathauses wartete, verku¨ndete der Bu¨rgermeister, der ein Freijahr erhielt, der ihm zugeteilten Gruppe, dass sie ein Stu¨bchen Wein im Ratskeller beanspruchen ko¨nne und nicht eher auf das Rathaus kommen du¨rfe, ehe sie die Ratsdiener dazu aufforderten.129 Durch die Anku¨ndigung der Gabe des Weins machte der Bu¨rgermeister deutlich, dass er es sein wu¨rde, der fu¨r ein Jahr nicht amtieren wu¨rde, und nahm damit eigentlich bereits das ein Teil des Ergebnisses der anschließenden Setzung vorweg. Als na¨chster Schritt folgte in Lu¨beck die Amtssetzung: Wan es 8 geschlagen, gehen d 3 herren so den Raht setzen, auß dem kurtz Circkelstuele zu Rahthause und setzen sich aber auff das lange hauß, auff die unterste bancke und lest der Burgermeister so den Raht setzet, die ubrigen herrn seines dritten theils auffordern, als der d jungste Richteherre werden soll erstlich durch den Schenken bey¨ Peen 10 lt Silbers und wan derselbige auff kompt, wird er von dem Ju¨ngsten herrn upgefordert, und stellet er sich hinter dem Burgerm: der saget Ihm, er solle sich auff der lincken handt auff die lange banck setzen, und helffen, diese gute Stadt regieren, und also vorstellen, alß er es viel verantworten, und es fur seine frawe und kinder nu¨tte und gutt ist. Darnach sind gefordert durch den Richtschreiber d Ju¨ngste wetteherr sein soll, Darnach durch den Marschalck der Ju¨ngste Stalherr; wan diese seine drittentheils hern erfordert, denselben auch voriges angezeiget, und sie sich gesetzet, wird d Burgerm: gefordert, so im worde bleibet durch den Schaffer folgendes d Ju¨ngste Burgerm: durch den Backmeister, ferner der Eltiste Kemmerherr durch den haußschlu¨ter, Eltiste weinherr durch den Marcktvogt, Eltiste Richtherr durch den Zolner vor dem holsten thore, Eltiste wetteherr durch den Eltisten haußdiener, Eltiste Stalherr durch den Schenken.130 In dieser Beschreibung verschra¨nken sich mehrere Ebenen: Das Einnehmen eines bestimmten Sitzplatzes signalisierte eine bestimmte Stellung der Person in der Rite ¨ mter selbst wurden im Rahmen eines abgede passage131 des Lu¨becker Rates. Die A stuften, auf mehrere Personen verteilten Dialogs angesagt. Die Reihenfolge der Wortwechsel hing wiederum allein vom Alter als rangordnender Kraft ab. Entweder der
128 Brokes, Verzeichnis, Punkt 5. 129 Ebd. 130 Ebd. 131 Die Wahlen, Amtseinsetzungen und Begra¨bnisse von politischen und geistlichen Wu¨rdentra¨gern sind
¨ bergangsrituale oder auch im Sinne des franzo¨sischen Ethnologen Arnold van Genneps als Rites als U de passage zu bezeichnen. In ihnen werden Statusvera¨nderungen vollzogen, die sich mit ra¨umlichen ¨ bergangsriten (Les rites de passage), und zeitlichen Wechseln verbinden. Vgl. Arnold van Gennep, U Frankfurt a. M. 1986 [EA 1909], S. 13–24.
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
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¨ lteste oder der Ju¨ngste eines Ratsdrittels wurde aufgefordert, ein bestimmtes Amt A einzunehmen. Dies konnte nur in dem Rat einer Hansestadt funktionieren, in dem sich alle so gut kannten, dass sie das Alter der Amtskollegen einscha¨tzen konnten. In ¨ mter die Besta¨tigung der beiden nun amtierenden Lu¨beck folgte der Besetzung der A Bu¨rgermeister: Wan sich also die heren mit einander gesetzet haben so saget der Eltiste Rathsherr von denen die den Raht setzen, dieweil es no¨tig, das 2. wortfu¨hrende Burgerm: sein mu¨ßten, deren einer des vormittags, und dan des nachmittages wort halten, welche macht haben geleide zu geben, und zu ku¨rtz, so wird begehret, das die 2. Anwesenden eltisten Burgermeister im Kore unbeschwert wollen auff die Ho¨rCammer gehen, und wan sie alda sein, fraget vorgedachter Rahtsherr den Raht, ob die abgewiesenen herren sollen ins wort gesetzet und bestediget werden.132 Erst nach dieser Besta¨tigung wurde die „gewo¨hnliche Sitzordnung“ eingenom¨ mter wurde – im Gegensatz zu den men.133 Auch bei der Bestallung der großen A ¨ mtern – die Abfolge der Ortswechsel zur zuvor gesetzten so genannten kleinen A ¨ mterhierarchie genau eingehalten: Der Anfang wurde beim Sichtbarmachung der A Siegelherrn gemacht, der gleichfalls zur Annahme seiner Person in die Ho¨rkammer weichen musste. Schließlich beendete die Gabe von Wein aus dem Weinkeller die Setzung.134 In Hamburg war in dem ausfu¨hrlichen Mandat des Jahres 1582, das Setzung und Wahl beschrieb, kein Ortswechsel zwischen Kirche und Rathaus vorgesehen.135 Dafu¨r war das Geschehen auf dem Rathaus selbst in Hamburg elaborierter gestaltet. ¨ mter sehr viel ausfu¨hrliSo war zum Beispiel die Schlu¨sselu¨bergabe der jeweiligen A cher geregelt als in den entsprechenden Lu¨becker Verordnungen.136 In Lu¨beck diente das Zeremoniell in einem ausgeklu¨gelten Wechsel zwischen Rathaus und Marienkirche und einem Wechsel der einzunehmenden Sitze innerhalb der Kirche der Sichtbarmachung des Geschehens. Vor dem eigentlichen Wahlvorgang versammelte sich der Lu¨becker Rat in einer komplexen Sitzordnung in der Marienkirche, die sich dann noch einmal auf dem Rathaus wiederholte. Die eigentliche Ordnung und ihr Wandel wurden durch das Einnehmen eines bestimmten Platzes symbolisch ausgedru¨ckt. Die komplexe Form dieses Rituals, wie es hier anhand ausfu¨hrlicher Zitate der entsprechenden deskriptiven und gleichzeitig normativen Quellen deutlich wurde, sollte die Legitimita¨t der Handlung wiederum – wie schon bei den immer wieder betonten Ausschlussverfahren von Verwandten – steigern. Dies zeigte sich zum Beispiel in der Trennung von Vorschlags- und Stimmrecht. Sie sollte verhindern, dass eine ¨ berzeugungsbemu¨hungen ihren einflussreiche Person oder Gruppe ohne weitere U
132 Brokes, Verzeichnis, Punkt 5. 133 Ebd. 134 Ebd. 135 Vgl. Anno 1582. 22. Februar E. E. Raths Ordnung uff Petry¨, s. p. 136 Ebd.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
Wunschkandidaten durchsetzen konnte. So besaß der worthabende Bu¨rgermeister das Vorschlagsrecht, ohne allerdings gleichzeitig auch u¨ber das Stimmrecht zu verfu¨gen.137 Der Vorschlagende sollte zudem seinen Vorschlag nicht perso¨nlich beeinflussen. Das Abtreten in die Ho¨rkammer ermo¨glichte, dass u¨ber diesen diskutiert werden konnte, ohne die Perso¨nlichkeit des Vorschlagenden zu beru¨cksichtigen. Die Gefahr eines Ehrverlustes war dadurch sehr viel geringer.138 Der ju¨ngste Ratsherr stellte das Ergebnis der Abstimmung fest.139 Falls der Vorschlag nicht angenommen wurde, ging das Vorschlagsrecht in demselben Verfahren an den na¨chsta¨ltesten Bu¨rgermeister und dann an die Ratsherren weiter.140 Dieser Ablauf galt ebenfalls fu¨r die in den Hamburger Regelungen skizzierte Handlungsabfolge. Auch in Hamburg besaß der worthaltende Bu¨rgermeister das Vorschlagsrecht. Der Annahme oder Ablehnung des Vorschlages des Bu¨rgermeisters kam dabei eine sehr entscheidende Rolle zu. Schweigen galt als Ablehnung des Vorschlages.141 Wurde ein Kandidat abgelehnt, erhielt, wie in Lu¨beck, der na¨chste Bu¨rgermeister das Vorschlagsrecht.142 Große Bedeutung besaßen im Wahlablauf in Hamburg die jeweils genau nach Rang und Alter abgestuften Dialoge zwischen den einzelnen Ratsherren, deren Reihenfolge schriftlich festgehalten wurde, und die Ehrung des einzunehmenden Stuhles durch den neu gewa¨hlten Ratsherrn.143 Das Fehlen des ra¨umlichen Wechsels in Hamburg zwischen Kirche und Rathaus, langen und kurzen Stu¨hlen, hing also nicht damit zusammen, dass der Hamburger Rat weniger Wert auf eine Inszenierung des Geschehens gelegt ha¨tte. Die steigende Legitimita¨t des Wahlergebnisses durch Verfahrensregulierungen in Hamburg fu¨hrte nicht zu einer Auffassung der Wahl als eines allein durch Verfahrensprozeduren gerechtfertigten Geschehens. Im Gegensatz zu den entsprechenden Lu¨becker Verordnungen betonte der Hamburger Rat im Mandat des Jahres 1582 die Anrufung des Heiligen Geistes als erfolgreiche Voraussetzung fu¨r das Gelingen des Geschehens: Wann der Rath auff Petri Abendt zu der ordentlichen Wahl der Raths Personen schreiten wird/ so sol auff furgehen de fleissige anruffung Go¨ttlichen Nahmens/ dass seine Allmacht mit seinem Geiste und Gnaden/ derselben Wahle beywohnen wolle/ der eltister Wordthaltender Burgermeister/ in gemeiner Rathversammlung/ einen anfanck machen/ und einen ehrlichen Man namhafftig proponieren.144 Bei einem Vergleich der Ratswahlen in Hamburg und Lu¨beck tritt hervor, auf welche Weise Lu¨becker und Hamburger Rat ihre Legitimita¨t durch diese Handlungsketten darstellen und sichern wollten: Der Lu¨becker Rat konzentrierte sich auf eine enge
137 Vgl. Bruns, Rat, S. 17. 138 Ebd, S. 18. 139 Ebd. 140 Ebd. 141 Vgl. STUBH, Cod. jur. 2676, [Hamburger Stadtrecht von 1606], S. 1. 142 Ebd. 143 Vgl. Anno 1582. 22. Februar E. E. Raths Ordnung uff Petry¨, s. p. 144 STUBH, Cod. jur. 2676, [Hamburger Stadtrecht von 1606], S. 1.
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
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Verknu¨pfung des Ablaufs mit seiner zeremoniellen Selbstdarstellung, also auf eine ¨ berho¨hung, gut sichtbar in der EinbezieVerknu¨pfung von Verfahren und sakraler U hung der Marienkirche in das Ritual. Der Hamburger Rat verließ sich ga¨nzlich auf eine Versta¨rkung der Sicherung und Steigerung seiner Herrschaftslegitimita¨t durch eine genaue und immer transparentere Regulierung des Verfahrens. Diese Unterschiede stehen mit den unterschiedlichen politischen Kra¨fteverha¨ltnissen in beiden Sta¨dten um 1600 in Zusammenhang: Der Lu¨becker Rat versuchte, sich zu diesem Zeitpunkt als eine alleinige Stadtobrigkeit zu etablieren. Die Mitglieder des Hamburger Rates hatten aufgrund ihres erfolglosen Ringens mit der Bu¨rgerschaft solche Vorstellungen in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts bereits aufgeben mu¨ssen. Die Bremer Ratswahlen wurden im Gegensatz zu Lu¨beck und Hamburg nicht an einem bestimmten Datum vorgenommen, sondern erst dann, wenn ein Ratsmitglied ausgeschieden war. Auch im Ablauf selbst war die innere Differenzierung des Rates selbst sehr viel weniger erkennbar als in den anderen beiden Sta¨dten: Vorschlagsberechtigt waren nicht allein die Bu¨rgermeister, sondern der gesamte Rat. Innerhalb der vier Ratsquartiere wurde je ein Ratsmann zum Wahlmann gelost. Diese vier gingen im Rathaus in Klausur und durften sich erst dann wieder o¨ffentlich zeigen, wenn sie sich einig geworden waren. Die Umsetzung dieser Norm noch gut 140 Jahre spa¨ter la¨sst sich aus der folgenden Notiz zum Wahlvorgang am 12. Januar 1571 in Salomons Tagebuch erkennen: Vanderde sik de Radt, u. wurden alsofort gelosset to Korheren Ratje Gro¨ning, Joh. u. Schweder Schulte u. Gerd Wessels. Se konden sich des Ko¨res nicht vordragen, bleven de Nacht ungegeten up dem Radthuse, hadden allene 1 sto¨veken wyns u. malck 1 Rhigsche butt.145 Wa¨hlten die Bremer „Korherren“ jemanden, der das Amt aus finanziellen oder gesundheitlichen Gru¨nden ablehnte oder mit jemandem aus dem Rat bis in das dritte Glied verwandt war, musste die Wahl mit neuen Wahlma¨nnern wiederholt werden. Das Scheitern der Wahl bedeutete einen empfindlichen Ansehensverlust fu¨r die Wa¨hlenden.146 Das Tagebuch des Bremer Ratsherrn Heinrich Salomon147 aus den Jahren 1568–1597 la¨sst eine Kontinuita¨t des Wahlrituals von den im Stadtrecht des Jahres 1433 aufgezeichneten Regelungen bis in die zweite Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts erkennen.148 Dies la¨sst vermuten, dass in Bremen auch keine zeremonielle und verfahrenstechnische Formalisierung stattgefunden hatte, die allein mu¨ndlich tradiert worden wa¨re. Dem weiteren Ablauf unmittelbar nach Bekanntgabe der Ergebnisse kam in allen drei Sta¨dten eine hohe Bedeutung zu. Nicht immer wurde es aufgrund der hohen finanziellen und zeitlichen Belastungen, die ein Ratssitz mit sich brachte, als eine willkommene Ehre betrachtet, in den Rat gewa¨hlt zu werden. Da der reibungslose Ablauf 145 Tagebuch des bremischen Ratsherrn Salomon, S. 53–54. 146 Ebd. 147 Zu seiner Person vgl. ebd., S. 28–33. 148 Vgl. STAB 2-P.6.a.10.b., Extractus Statuti 2 mit Kreffting, Statuta, S. 39–43; Tagebuch des bremischen
Ratsherrn Salomon, S. 57–58.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
der Wahl aber fu¨r die Legitimation des Rates wichtig war, wurden Ablehnungen von Ratsa¨mtern mit hohen Geldstrafen sanktioniert.149 Die nun folgende Eidesleistung band den Gewa¨hlten an das Amt. Nach der Annahme der Wahl mussten in allen drei Sta¨dten die neu Gewa¨hlten einen Ratsherreneid ablegen.150 Auch dies weist darauf hin, dass eine Verschriftlichung und Formalisierung der Ratswahlrituale keineswegs zu ihrer Loslo¨sung von metaphysischen Rechtsbegru¨ndungen fu¨hrte.151 Versuchte ein Ratsherr, gleichzeitig Mitglied des Rates zu sein und einem anderen Fu¨rsten zu dienen, wurde dies als Eidbruch aufgefasst.152 Da die Ratsherren schwo¨ren mussten, die Gelder der Stadt recht zu verwalten, nicht bestechlich zu sein und gerecht zu urteilen, konnten Vorwu¨rfe der Bu¨rgerschaft an den Rat in diesen Punkten einen empfindlichen Legitimita¨tsverlust bedeuten, da sie damit des Eidbruchs beschuldigt wurden.153 Im Abschnitt des Rituals, der sich an die Wahl anschloss, ist ein weiterer Unterschied zwischen den jeweiligen Sta¨dten zu beachten: In Hamburg war das eigentliche Ritual mit einem aufwendigen Festmahl des Rates in der Laube abgeschlossen, die sich im Obergeschoss des Rathauses befand.154 Zu den Feierlichkeiten in den Ha¨usern der Ratsherren finden sich keinerlei Quellen oder Vorschriften. Dieses Fehlen von entsprechenden Hamburger Texten ist vermutlich mit der gro¨ßeren Konzentration des Rituals auf das Rathaus und somit mit einer gro¨ßeren Trennung von sta¨dtisch-republikanischer und individueller Selbstdarstellung in Verbindung zu bringen. Es ist jedenfalls nicht davon auszugehen, dass die Hamburger Ratsherren auf entsprechende Feierlichkeiten verzichteten.155
149 STUBH, Cod. jur. 2676, [Hamburger Stadtrecht von 1606], S. 1: So kan niemandt/ der zu Rath oder
Bu¨rgermeister wird gekohren/ solcher beschehenen Wahle sich entbrechen oder verweigern/ bey verlust der Stadtwohnung. 150 Vgl. Bruns, Rat, S. 20; Kreffting, Statuta, S. 40–41; Anno 1582. 22. Februar E. E. Raths Ordnung uff Petry¨, s. p. Vgl. STUBH, Cod. jur. 2676, [Hamburger Stadtrecht von 1606], S. 1; Anno 1582. 22. Februar E. E. Raths Ordnung uff Petry¨, s. p.; STUBH, Cod. Hans. II, 73, Hamburgische Alte und Neue Ordnungen, Ey¨den derer Officianten und anderer Notablen Sachen Erster Theil, Ratsherreneid, 17. April 1633, S. 3–9. 151 Eine Diskussion um den sakralen Charakter des Eides fehlte in den Hansesta¨dten in derselben Zeit vollkommen; vgl. hingegen zum Beispiel fu¨r England Paolo Prodi, Das Sakrament der Herrschaft. Der politische Eid in der Verfassungsgeschichte des Okzidents, Berlin 1997, S. 354. 152 Comm, S 847, Kirchensachen, Ratswahlrezeß von 1633, fol. 72–74, hier: fol. 72. 153 Vgl. den Eid des Ratsherrn in Bremen: STAB, 2-P.6.-a.10.e., Eid eines Ratsmanns; fu¨r Lu¨beck vgl. AHL, ASA-Interna, Ratsstand 6/2, Akte mit Ratsherreneiden. In Hamburg stellte der Wortlaut des Ratseides einen Streitpunkt zwischen Rat und Bu¨rgerschaft dar. Der revidierte Hamburger Ratsherreneid von 1633 unterscheidet sich von denen in Lu¨beck und Bremen durch seine Detailliertheit. Er umfasst neun Artikel, von denen die ausfu¨hrlichsten sich mit der unbestechlichen Gerichtsbarkeit, der Finanzverwaltung und Rechenschaftsablegung befassen. Vgl. Ratsherreneid, 17. April 1633, S. 3–9. 154 Vgl. Poeck, Rituale der Ratswahl, S. 169. 155 Die Quellenrecherchen zu dieser Arbeit fo¨rderten allerdings nur ein (!) einziges Ratswahlgedicht zutage. Dieser Unterschied zu Lu¨beck und Bremen hat vermutlich seine Ursache in den Hamburger Stadtbra¨nden des 19. und 20. Jahrhunderts. Vgl. Heinrich Vaget, Magnifico, Ampl. Cl. et Prudentißimo Viro DN. ALBERTO AB EITZEN, J. U. L. Excelsi animi, maximaeque existimationis & Virtutis, SUMMUM IN NOBILISS. HAMBURG. REPUBL. DE COMMUNI PATRUM SENTENTIA MAGISTRATUM INEUNTI, Consularem dignitatem gratulatur, Lu¨beck 1623.
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
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Konzentrierte sich in Hamburg das Festgeschehen nach der Wahl auf das Rathaus, so wurde in Lu¨beck der Stadtraum sta¨rker einbezogen. Der Autor eines Gedichts zu Ehren neu erwa¨hlter Lu¨becker Ratsherren im Jahre 1640 skizzierte einen barocken Verlauf der Feierlichkeiten, die nach dieser Wahl stattfanden. Musik und Feuerwerk verwandelten die Stadt in eine Bu¨hne, auf der die Neugewa¨hlten geehrt wurden: Dein [gemeint ist Lu¨beck] werthe Bu¨rgerschaft laß jetzt die Sorgen fahren/ Und wegen dieser Wahl kein Lust/ kein Frewd ersparen/ Viel Gastmahl und Ballett sie auff das beste anricht/ Und so ein u¨brig stell/ auch mehr vergesse nicht./ Der Music Chor wie auch TromPeter laß nicht schweigen/ Ich wil mit stimmen ein auff Mo¨llnischer BalzGeygen/ Daß Lauten und Pandor Blockflo¨ten und Schallmey/ Posaunen und Cornet ins Corpus fro¨lich sey. / Laß deiner Nymphen Schaar ihr gu¨lden Haar außbreiten/ Laß ihre Zu¨nglein heut mit Philomela streiten/ Von ihren Wangen pluck die Rosen ohne Zahl/ Laß ihre Ha¨ndlein selbst Kra¨nz darvon flechten all./ Laß deiner Schiffe Top ganz seidne floggen fu¨hren/ Daß man auch deine Frewd mu¨g auff dem Wasser spu¨hren/ Laß dein Matrosen sich frisch oben nach der Gantz/ Und von der Nachen Beugk ab stechen umb den Krantz/ [...] Laß deine Soldaten heut viel Tausent Salven geben/ Auff deinen Wallen loß alle Stu¨cke dabeneben/ Laß Fewrwerck und Raget hoch steigen in die Lufft/ Daß beydes Klein und Groß heut offt ers Viva ruffe.156 Im Gegensatz zu diesem Bild einer die gesamte Stadt umfassenden Festgemeinschaft nahmen an den Feiern, die sich an die Ratswahl anschlossen, nur ausgewa¨hlte Personen teil. Allein in dem feierlichen Umzug nach der Wahl zeigte sich ein neu gewa¨hlter Lu¨becker Ratsherr der gesamten Stadtbevo¨lkerung, der so auch sichtbar in die Gruppe des Rates integriert wurde: Die Lu¨becker Regelungen legen sehr großen Wert darauf, vorzuschreiben, wie der Neugewa¨hlte in die Zugs- und Sitzordnung des Rates zu integrieren sei: Des namiddages umb der schlege quum jeder borghermeister und herr mit den nyen gekarenen herrn in Sunte Marien kerken nadwad midde umme gehenauern, wie in brudegam, des volge em sien gesten na bet yn de kerke, und wenn se den int Chor kame wysen de borghermeister de jungen herrn in der langen stohl im Chor na der norden siede na de borghermeister na herren stelen sick jegen da ander sicke in de karcken stole wer end wen yn erem stohl finde ein ander und wen alle junge herrn thosamen yede kerke syn, tritt de oldeste borgermeister et sienem stohl und gritt tho dem jungen gekarenen herrn, tho dem oldesten und vordert em et dem langen stohl und bringet em hinder de andern herrn zu dem korten stolen un de 156 [Anonym], Ehren-Preiß/ geopfert dem Edlen/ Ehrenvesten/ Hochgelahrten/ Groß Achtbarn und
Wolweisen Herrn/ Herrn Johanni Marquard/ J. U. D. und Riddern S. Marci. Herrn Leonhard Elver/ Herrn Godhard von Ho¨vele/ Herrn Johann vom Dieck/ Der Kayserlichen freyen und des heiligen Reichs Stadt Lu¨beck Rathsverwandten, Lu¨beck 1640, fol. A2–A3.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
borghermeister grit dem wedder yn sienem stede stahn, desgelike dit ein jeder borghermeister mit sienem herren.157 Erst nach dem Wechsel der Sitzpla¨tze, den die Ratsherren hier unter Anleitung der Bu¨rgermeister vornehmen, war die Ordnung des Rates nach der Wahl auch fu¨r den anschließenden feierlichen Zug zum Rathaus endgu¨ltig festgelegt.158 Die Feiern, die im Haus der jeweiligen Ratsherren stattfanden, waren hingegen durch einen genau abgestuften Verlauf bestimmt, der das neue Mitglied schrittweise in die Gruppe des Rates integrieren sollte: Des middages umb elf schlegen senden de borghermeister und herren den, den se tho hus gebracht hebben, jeder ein gericht und ver stoueken wyn und kamern suluest wedder to em to gaste. Des ladet de nye gekarene herr sien vrunde; des middages tho sick tor maltidt und tho angerichtet auer de gesandten gerichte eres gerichte.159 Die Ratsmitglieder, die den Gewa¨hlten vorher begleitet hatten, standen ihm nun besonders nahe und verbanden sich ihm noch enger durch ein gemeinsames Mittagsmahl. Die Tatsache, dass der Gewa¨hlte auch perso¨nliche Ga¨ste einladen durfte, zeigt gleichzeitig Offenheit und Geschlossenheit der Selbstdarstellung des Rates: Offenheit, da dieses Fest somit nicht nur den Ratsmitgliedern vorbehalten war, Geschlossenheit, da eine undifferenzierte Einbeziehung der Stadtbevo¨lkerung nicht erfolgte. Die Ausgaben fu¨r die Feiern, die oft zwei Wochen dauerten,160 musste der Gewa¨hlte selbst tragen, auch wenn die finanzielle Last durch ihm zugedachte Gaben gemindert wurde.161 Dem Ratsherrn wurden nun auch perso¨nliche Ehrungen zuteil. Seine Stellung beim Festmahl in seinem Hause durfte sich, anders als im Wahlritual selbst, von den anderen Amtskollegen deutlich abheben: dar ward lange tafel geholden und de junge gekaren hern sick beuen an, alleine, wie ein printz. an Musiken war kein Mangel alle auende.162 Aufschlussreich fu¨r die innersta¨dtische Lu¨becker Wertehierarchie um diese Zeit ist, dass die Geistlichen ganz zum Schluss eingeladen wurden, und dies sogar nach den Ga¨sten, die nicht Mitglieder des Rates waren.163 In Bremen waren entsprechende Regelungen fu¨r die Festessen nach der Wahl bereits im Stadtrecht 1433 festgelegt worden.164 Anders als in Lu¨beck mussten sich diese allerdings nicht direkt an die Wahl anschließen, sondern sie konnten sich u¨ber
157 Diese Regelungen finden sich in: AHL, ASA-Interna, Ratsstand 6/1, Verfahren bei Ratswahl, Quellen
spa¨tes 16.–19. Jahrhundert, Bericht, wo et van oldes her es geholden worden, wann Radesherrn gekahren worden; dieses Schriftstu¨ck wurde mit dem Zusatz versehen, dass es 1617 und 1619 so gehalten worden sei, s. p. 158 Bericht, wo et van oldes her es geholden worden, wann Radesherrn gekahren worden, s. p. 159 Ebd. 160 Ebd. 161 Ebd. 162 Ebd. 163 Bericht, wo et van oldes her es geholden worden, wann Radesherrn gekahren worden, s. p. 164 Vgl. STAB 2-P.6.a.10.b., Extractus Statuti 2, s. p.
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
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das gesamte Jahr verteilen.165 Der Verlauf der Feierlichkeiten, die sich an die Wahl anschlossen, diente nicht dazu, die Vera¨nderungen im Rat symbolisch darzustellen. In allen drei Hansesta¨dten waren Rat und Bu¨rgerschaft bestrebt, die ausgedehnten Feierlichkeiten nach den Wahlen um 1600 mit Hinweis auf die wirtschaftlich schwierige Situation immer weiter einzuschra¨nken – eine Entwicklung, die nicht allein auf den Rat als sta¨dtische Korporation zutraf, wie im Verlauf der Arbeit gezeigt werden wird.166 Diese Einschra¨nkungen betrafen meist jenen Abschnitt der Feste, der sich ausschließlich im Hause des Gewa¨hlten abspielte. Diese Gastma¨hler wurden entweder limitiert oder auf das Rathaus verlegt. Entgegen den Begru¨ndungen der Quellen lassen Art und Umfang der noch erlaubten Speisen darauf schließen, dass es sich weniger um eine Folge realer Not denn um Ausdruck eines Formalisierungsprozesses handelte. Vielmehr sollte der Repra¨sentation der Familien weniger Raum gegeben werden. So listete ein Lu¨becker Speisezettel aus dem Jahre 1633 fu¨r ein o¨ffentliches Festmahl auf dem Rathaus, das neu gewa¨hlte Ratsherren ausgerichtet hatten, immerhin vier verschiedene Fleischsorten auf.167 Den Bremer Ratsherren wurde im Jahre 1624 noch eine gesamte Tonne Bier (vermutlich 141 Liter) fu¨r ein einziges Gastmahl zugestanden.168 Ist der Wille zur Einschra¨nkung der Festma¨hler in allen drei Hansesta¨dten zu beobachten, so la¨sst sich zwischen Bremen und Lu¨beck ein großer Unterschied im Stellenwert des feierlichen Zuges der Ratsherren nach der Wahl feststellen. Im Gegensatz zu Lu¨beck waren es in Bremen diese Umzu¨ge, die, konfessionell begru¨ndet, kritisiert wurden. So heißt es in einem bremischen Wittheitsprotokoll zum 19. Januar 1624: Dieweil den morgen Hr. Hermann Esich seinen Rahtsherren Ey¨dt ablegete, ist die Wittheit nachmittags um Zwo Uhr zusammenkommen, Und ist vorerst concludiret, daß ins kunfftige ein neu¨ gekohrener Rahtsherr nit mehr mit einer großen procession in die Kirche gehen solle, ehe den er auff daß Rahthauß trit, weiln solche ceremonjen, Nirgends zu nutze und nur aus dem Pabsthum, da man erstl. zur meß gangen, herfleißen. Sondern soll der Neu¨gekohrene deß Morgens zu gewo¨hnlicher stunde, nur mit Sechs oder Sieben guten freu¨nden, straks auffs Rahthauß gehen und keine fernere Weitleu¨ffigkeit machen.169 165 Ebd. 166 Vgl. STAB, 2-P.6.a.9.c.3.b.3., Wittheitsprotokolle, Bd. 3, S. 13, Eintrag zum 19. Januar 1624. Laut
Henny Durlach gab es einen Wittheitsbeschluss von 1603, die fu¨r die Ratskosten veranschlagten 80 Taler andersweitig zu verwenden. Dies konnte im Rahmen der Recherchen fu¨r diese Arbeit nicht belegt werden. Vgl. Henny Durlach, Die o¨ffentlichen Feste im alten Bremen, in: Jahrbuch des Hauses der Hanse zu Bremen 1933 (1933/34), S. 15–45, hier: S. 28; STAH 121–1, Acta Conventuum, Bd. 2, S. 349–351; STAH 121–1, Acta Conventuum, Bd. 3, S. 79; Bruns, Rat, S. 37. 167 Vgl. AHL, ASA-Interna, Ratsstand 6/3, Ehrenausgaben neugewa¨hlter Senatsmitglieder 1633–1856, Liste aus dem Jahr 1633. 168 Vgl. STAB, 2-P.6.a.9.c.3.b.3., Wittheitsprotokolle, Bd. 3, S. 13, Eintrag zum 19. Januar 1624. Eine Tonne betrug laut Christine von Blanckenburg im Jahre 1487 umgerechnet 141 Liter. Vgl. Christine von Blanckenburg, Die Hanse und ihr Bier. Brauwesen und Bierhandel im hansischen Verkehrsgebiet, Ko¨ln/Weimar/Wien 2001, S. 373. 169 Vgl. STAB, 2-P.6.a.9.c.3.b.3., Wittheitsprotokolle, Bd. 3, S. 13.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
Eine spa¨tere Notiz zeigt allerdings, dass es mit der Durchsetzung dieser Regelung Schwierigkeiten gab, da eine Prozession nach 1624 wenigstens in einem Fall wieder vil gehalten worden sei.170 Sowohl in Bremen als auch in Lu¨beck widmete der Rat seiner in einem feierlichen Zug sichtbaren Selbstdarstellung eine besonders hohe Aufmerksamkeit. Bemu¨hte sich der Lu¨becker Rat, Marienkirche und Rathaus im Ritual zu vereinen und so zu einer Sakralisierung seiner Herrschaftslegitimita¨t zu nutzen, suchte der Bremer Rat nach spezifisch antikatholischen, reformierten Formen der Selbstdarstellung. Die konfessionell begru¨ndete Abschaffung der ‚Ratsprozession‘ stieß dabei auf den Widerstand der Ratsherren selbst. Sie sahen dies vermutlich als Schma¨lerung ihrer eigenen Wu¨rde und auch der Wu¨rde des Amtes an. Der Widerstand gegen eine Reduzierung der Repra¨sentation des Rates im Stadtraum in Bremen weist darauf hin, welche große politische Funktion den Feiern nach der Wahl zukam: Die Ratswahl bot dem Gewa¨hlten und der Stadtgemeinschaft die Mo¨glichkeit einer informellen Bewertung der Perso¨nlichkeit des Gewa¨hlten und der Gruppenzusammenha¨nge, die durch ihn repra¨sentiert wurden, seien sie familia¨rer ¨ ber den tatsa¨chlichen Umfang und die Form o¨ffentlich oder politischer Natur. U gesungener und manchmal auch an gut sichtbaren Pla¨tzen der Stadt ausgeha¨ngter Gedichte und Lieder anla¨sslich der Magistratswahlen la¨sst sich nur spekulieren. Ha¨ufig wurden sie bereits in zeitgeno¨ssischen Drucken und Verssammlungen verschriftlicht und dabei vermutlich auch modifiziert. In Lu¨beck ist ein Vers u¨ber die neugewa¨hlten Ratsherren des Jahres 1552 u¨berliefert, der einen Eindruck von informellen Reaktionen auf die gewa¨hlten Personen gibt: Antoni Ludinghusen kan god Latin,/ Christoffer Tode drinkt gern Wyn,/ Lambertus Becker kan wol schryven,/ Benedictus Schlicker kan wol kysen.171 Latein- und Schreibkenntnisse werden hier in einem Atemzug mit Fa¨higkeiten bei Wahlvorga¨ngen genannt. Nicht nur in den quellenkritisch sehr schwer einzuordnenden Spottgedichten finden sich Wertungen des Gewa¨hlten. In dem engeren Kreis der sta¨dtischen Fu¨hrungsgruppen, das heißt unter den Ratsherren selbst und auch den nicht ratssa¨ssigen Gelehrten, Geistlichen und Kaufleuten, bildete sich in der Zeit um 1600 eine Kultur der Gelegenheitsliteratur aus, die zahlreiche Drucke aus Anlass der Ratswahlen hervorbrachte.172 Der gelehrt humanistische Charakter der gedruckten Glu¨ckwu¨nsche anla¨sslich der Ratswahlen zeigt sich bereits an ihrer sprachlichen Gestaltung: Ha¨ufig sind sie auf Latein, Griechisch oder Hebra¨isch verfasst und zeichnen sich durch eine elaborierte Anwendung meist antiker und seltener biblischer Topoi aus. Wa¨hrend des Untersuchungszeitraums la¨sst sich keine Vera¨nderung in der Stilisierung der Gewa¨hlten und des Rates erkennen, sondern vielmehr eine große Kontinuita¨t. Die¨ berlieferung erst ser Eindruck wird allerdings auch dadurch hervorgerufen, dass die U relativ spa¨t mit wenigen Ausnahmen zu Ende des 16. Jahrhunderts einsetzte. Anhand des zum Teil in großem Umfang vorhandenen Quellenmaterials lassen sich fu¨r die 170 STAB 2-P.6-a.10.d., Einzelnotiz, Ausschnitt aus einem Protokoll der Wahl von 1624. 171 Wilhelm Brehmer, Aus Lu¨becks Vergangenheit (Spottreime auf die im Jahre 1552 gewa¨hlten Ratsher-
ren), in: MittVLu¨bG 8 (1897–1898), S. 32.
172 Dieser Prozess fand nicht nur in Bremen statt, vgl. Christa Pieske, Norddeutsche Gelegenheitsdrucke
vom 16. bis 19. Jahrhundert, in: NElb 31 (1962), S. 59–74, hier: S. 61–63.
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
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Zeit um 1600 stabile Verbindungen von perso¨nlichen Lobpreisungen und republikanischen Werten in diesen Texten nachzeichnen. Auffa¨llig ist zum Beispiel, dass bei keinem einzigen der Gepriesenen milita¨rische Tugenden geru¨hmt wurden, wie es zum Beispiel im ho¨fischen Bereich durchaus u¨blich war.173 Auch Magistrate u¨bten milita¨rische Pflichten aus, die es ermo¨glicht ha¨tten, sie als Mars oder Ares im Dienste der Republik zu stilisieren. Friedfertigkeit und Friedensliebe u¨berwogen aber stattdessen bei weitem in dem in den Preisgedichten skizzierten Tugendkanon. Fro¨mmigkeit sollte die Ratsherren dagegen zwar auch auszeichnen. Als Tugend wurde sie jedoch meist nicht an erster Stelle genannt.174 Eine Ausnahme stellt hier das Preisgedicht auf den Bremer Bu¨rgermeister Heinrich von Cappeln dar, der sich laut dem Verfasser wohl vor seinen Amtskollegen durch seine religio¨se Haltung auszeichnete:175 Der Autor argumentierte nicht mithilfe antiker Bezu¨ge und Gleichsetzungen, sondern mithilfe von Anspielungen auf das Alte Testament.176 In einem aufwendig gestalteten Glu¨ckwunschgedicht aus Bremen wird hingegen ein sehr ga¨ngiges Idealbild eines Ratsherren um 1600 entworfen: Die Obrigkeit muss haben 1. Das grosse Meer im Herzen/ 2. Salz fu¨r die Stirn/ und 3. Honig auff der Zungen.177 Der Text des Gedichts erla¨utert den Sinn dieses Mottos genauer: 3. In seinem Hertzen muß er han verschlossen/ Das grosse ungehewre wilde Meer/ Muß haben im Sinn/ und gantz ohnverdrossen/ Auf seiner Zungen Honig su¨ß und klar; 4. Fu¨r seiner Stirn/ das reine Saltz muß leuchten/ Wie ein Christall/ und Carfunkel rein/ Sein gantzes Haubt inwendig zu befeuchten/ Damit gewurzt/ gar wol erfu¨llt muß seyn. 5. Das grosse Meer alhie uns sol bedeuten/ Im hohen Regiment Großmu¨tigkeit/ Die wol anstehet allen solchen Leuten/ zu maintenieren ihr auctoritet [...] 8. Das su¨sse Honig in dem Mund verschlossen/ Damit die Zung soll angefeuchtet seyn/ Holdseligkeit bedet gantz ohnverdrossen/ Sol mitgetheilet
173 Vgl. Jo¨rg J. Berns und Myriam Francke, Fu¨rstenspiegel und Hofmannsliteratur, in: ERDENGO ¨ T-
TER. Fu¨rst und Hofstaat in der Fru¨hen Neuzeit im Spiegel von Marburger Bibliotheks- und Archivbesta¨nden, hg. v. Jo¨rg J. Berns u. a., Marburg 1997, S. 4–31, hier: S. 6 und Barbara Leupold, Das ho¨fische Turnier, in: Erdengo¨tter. Fu¨rst und Hofstaat in der Fru¨hen Neuzeit im Spiegel von Marburger Bibliotheks- und Archivbesta¨nden, hg. v. Jo¨rg J. Berns u. a., Marburg 1997, S. 372–387. 174 Vgl. zum Beispiel die Aufza¨hlung im Glu¨ckwunschdruck fu¨r die Lu¨becker Ratsherren Gottschalk von Wickede, Dietrich Bro¨mse, Hinrich Sasse und Johann Brandes 1644: D. Lippius, [Glu¨ckwunschgedicht 1644], s. d., s. l., s. p.: Vitae integritas, prudentia, Virtus, / Doctrinae splendor, pietas, & gratia morum, / Iudiciumque. („Ehrbarkeit des Lebenswandels, Klugheit, Tugend,/ gla¨nzend an Gelehrsamkeit, Fro¨mmigkeit, & Anmut der Sitten,/ und Urteil.“). 175 Heinrich Wetter, [Gratulationsdruck Bu¨rgermeister Heinrich von Cappeln 13. Januar 1645], Bremen 1645, s. p.: so ein fromm Gottsfu¨rchtigen Mann. 176 Wetter, [Gratulationsdruck Bu¨rgermeister Heinrich von Cappeln 13. Januar 1645], s.p: Des Salomonis Weißheit Herre/ Darzu auch Simsons Dapffrigkeit/ Ihm Davids Frommigkeit beschere/ Mit G’dult Hiobi ihn bekleid. 177 Heinrich Wetter, Christ- und Hertzwolgemeinte Glu¨ckwu¨nschung/ Dem Edlen/ Vesten/ Hochgelahrten/ auch Hochweisen Herren/ Herrn Henrico Meier/ Beyder Rechten Doctori, Wu¨rdigen/ und Wolbestalten KirchenVISITATOREN und Rathsverwandten dero lo¨blichen Ka¨yser-Freyen Reichsstatt BREMEN/ Da derselbe durch ordentliche Wahl zum Burgermeister-Ambt daselbst designiret und beruffen worden ist, Geschrieben/ und zur Anzeig schiildiger Devotion oferiret, Bremen 1654, s. p.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
werden groß und klein [...] 10. Das klare Salz Prudentz und Weißheit eben/ Bedeutet uns/ gantz herrlich scho¨n und fein/ Damit alle gescheft in diesem Leben/ Getrenket mu¨ssen und gewu¨rzet sein.178 Großmu¨tigkeit, Prudentz, Weißheit: In diesem Preisgedicht wurde ein Tugendspiegel eines Ratsherrn entworfen. Der Text gibt Aufschluss daru¨ber, welche Fa¨higkeiten als ¨ berbesonders wichtig fu¨r die Magistrate angesehen wurden: Die Fa¨higkeit, seine U legungen besonnen bei sich zu bewahren, und rednerische Fertigkeiten, mit denen er Amtskollegen und Stadtbevo¨lkerung von seinen klugen Entschlu¨ssen u¨berzeugen sollte. Hinweise auf die Gabe der Rede, Bedachtsamkeit und Ausgleichsfa¨higkeiten finden sich auch in Lu¨becker Preisliedern. In diesen wurden die Ratsherren mal mit Philosophenko¨nigen,179 mal mit Nestor180 oder mit Solon und Minos verglichen.181 In diesen Bremer und Lu¨becker Texten wird eindeutig zwischen Regierenden und Regierten unterschieden. In einer anderen Preisrede setzte ein Autor gar den Magistrat von Lu¨beck mit einer Sonne gleich, die u¨ber den Untertanen scheine.182 Das heißt aber nicht, dass die Verfasser der Preisgedichte eine unmittelbare Beziehung zwischen Gottes Gnade und der Erho¨hung des Ratsherrn konstruierten. Die erhobene Stellung des Ratsherrn verbanden sie vielmehr immer eng mit seinen politischen und rhetorischen Fa¨higkeiten, die ihn zu seinem Amt verholfen haben. Die Sakralisie¨ berho¨hung des Ratsherrn wurde also stets mit seiner rechtma¨ßigen Wahl rung, die U in Zusammenhang gebracht: Der Ratsherr war zur Ausu¨bung seines Amtes berechtigt, weil seine Wahl Ergebnis von Gottes Willen sei183 und weil sich deswegen die Stadt in Blu¨te184 und guter Ordnung befinde.185 Die Erinnerung an Gottes Wirken
178 Wetter, Christ- und Hertzwolgemeinte Glu¨ckwu¨nschung, s. p. 179 Zum Beispiel M. Peckelius, Gratulatio Qua Viro Clarissimo, Consultissimoque Christophoro Gehr-
des. Iurium Doctori excellentissimo, Reverendissimi & Illustrissimi Principis ac Domini, Dn. JOhannis Friderici Archiepiscopi Bremensis & Episcopi Lubecensis, Ducis Schlesvvivensis & Holsatiae, & nec non Illustrissimi accelsissimi Principis ac Domini, Dn. AugUSTI, Ducis Saxoniae, Angrivariae & Westphaliae, Consiliario dignissimo & Capituli Lubecensis Syndico gravissimo: Spectantissimis item & integerrimis Viris Dn. GERHARDO REUTERO, Dn. JOHANNI CAMPHERBACHIO, Dn. HINRICO REMMERO, Civibus Repub. Lubecensis primariis, In Senatorium ordinem magno omnium applausu, ipso die S. Thomae, Anno Salutatis humanae MDCXXV cooptatis fausta precatur, Lu¨beck 1625, fol. A2. 180 Vgl. Heinrich Bangert, [Glu¨ckwunschgedicht zur Gratulation der Wahl am 21. Februar 1646: Johann Po¨pping, Gotthard Bro¨mse, Hieronymus Bilderbege, Mattheus Rodde], Lu¨beck 1646; auch in Bremer Quellen findet sich dieser Vergleich: STAB, 2-P.6.b.1.a.28.c., Familienpapiere Havemann, Maier, Brief an Eler Havemann anla¨sslich dessen Wahl in den Rat, 1565. 181 Vgl. Jacob Kockert, [Glu¨ckwunschgedicht fu¨r David Gloxin], Lu¨beck 1642. 182 Vgl. Johannes Wolph, C. B. D. ad Magnificum & Amplißimum virum Dn. Hinricum Colerum, Liberae & imperialis Lubecae Consulem recens electum: de novo honore Gratulatio, Rostock 1635. 183 Vgl. zum Beispiel Lippius, [Glu¨ckwunschgedicht]: Illa dies, Cathedrae Petri quam nomine claram/ Designant Fasti [...] / Moderante Jehova [...]; außerdem Ehren-Preiß, fol. A2. 184 Vgl. [Anonym], Mo¨lnisch FrewdenGedicht/ zu Ehren dem Edlen/ Ehrenvesten/ Großachtbaren und Hochweisen Herrn Otto Brokes/ Bu¨rgermeister der Kayserlichen freyen und des heiligen Reichs Stadt Lu¨beck, Lu¨beck 1640. 185 Vgl. Christian Rausche, [Gratulationsdruck zu Ehren von Johannes Po¨pping] [Lu¨beck 1646], Einblattdruck.
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
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diente eher dazu, den Gewa¨hlten aufzufordern, sich an Normen zu halten, die – von Gott gesetzt – der Stadt ihren blu¨henden und wohlgeordneten Zustand erhalten sollten.186 Die einzigen Angaben, die sich nicht stereotyp auf den Tugendkanon eines idealen Ratsherrn und auf das Lob der Stadt beziehen, sind die, die auf den Beruf des Gewa¨hlten eingehen. Auch dieser wurde allerdings allein im Zusammenhang mit seinem Nutzen fu¨r die Stadt bewertet.187 Auch dann, wenn Autoren auf die Abstammung und Familie des Gewa¨hlten ¨ berho¨hung seiner Perso¨nlichkeit enge Grenzen gesetzt. eingingen, waren einer U Erwa¨hnte ein Autor die familia¨re Abstammung bei der Gratulation zu einer Ratswahl, hob er in demselben Atemzug aber auch die erforderlichen Tugenden als notwendige Erga¨nzung fu¨r das Regierungsamt hervor: Consul avis atavis atque; parente potens/ Non tantum titulis & sanguine clare parentum,/ Sed virtute etiam consilioque valens./ Nec tibi palma datur sine pulvere, plurima cura,/ Et labor assiduus tollit ad astra caput.188 – so heißt es zum Beispiel in einem Bremer Glu¨ckwunschdruck aus dem Jahre 1611. Sollte hier ein Bremer Ratsherr an sein Amtsethos erinnert werden, der sich seines Ansehens aufgrund seiner familia¨ren Zugeho¨rigkeit zu sicher zu sein schien? In venezianischen Quellen der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts stammen die ausfu¨hrlichsten Schilderungen der Wahlabla¨ufe meist von Personen, die in der ¨ mterlaufbahn nicht zu ho¨chsten Ehren gelangt waren, beziehungsweise gar nicht A an ihr teilnahmen.189 Eine detaillierte Beschreibung der venezianischen Dogenwahlen findet sich beispielsweise in den Schriften des Chronisten Giancarlo Sivos sowie in den Aufzeichnungen des Leiters der Kanzlei im Dogenpalast Gian Giacomo Caroldo, also eines Cittadino.190 Darin liegt ein großer Unterschied zu den hansesta¨dtischen Beschreibungen der Ratswahlrituale, die allesamt aus der Feder von an den Ritualen Beteiligten stammten. Dieser Unterschied weist auf die hohe symbolische Integrationskraft des Dogen hin, der als symbolischer Fokus auch fu¨r diejenigen interessant war, die nicht unmittelbar an den politischen Abla¨ufen selbst partizipierten. Die Wahl fu¨r das Dogenamt ist eines der bekanntesten politischen Rituale Venedigs, die zu einem Teil des auch fern von ihr rezipierten Bildes seiner politischen Ord-
186 Ebd. 187 Vgl. Christian Ko¨ckert und Jacob Ko¨ckert, [Gedicht zu Ehren von Hermann von Dorne] [Lu¨beck
1623]; außerdem Peckelius, Gratulatio. 188 Ratsherr auch durch Vorfahren und Urahnen; durch einen Verwandten ma¨chtig/ Aber nicht nur durch
Titel & Blut der Verfahren steche hervor/ Sondern auch durch Tugend und als Werter im Rat/ Nicht wird Dir das Siegeszeichen gegeben ohne Staub, ohne vielfa¨ltige Mu¨he/ Und die unabla¨ssige Arbeit hebt das Haupt zu den Sternen. STAB, 2-P.1. Nr. 154, Nachrufe A–B, Gratulationsschreiben an Johannes Brand zur Wahl in den Rat, 1611. 189 Vgl. zum Beispiel Contarini, La Republica, S. 26–40, 68–71, außerdem Sansovino, Delle Cose notabili, fol. 45–59. 190 Zur Person vgl. Antonio Carile, s. v. Caroldo, Gian Giacomo, in: DBI 20 (1977), S. 514–517. Die Quellenangaben lauten: BM, Cod. It. VII, 562 (7691), Gio. Giacomo Caroldo, Modo col quale si solenna far elettione delli Dosi di Venetia, Ms.
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nung wurden.191 Das Verfahren selbst war allerdings innerhalb der venezianischen ¨ mter.192 Verfassung nicht einzigartig, sondern glich in seiner Form dem fu¨r andere A Die Wu¨rde des Dogen, der Procuratori di San Marco und des Großkanzlers wurden auf Lebenszeit vergeben. Daher folgte ihre Neubesetzung unmittelbar nach dem Begra¨bnis des vorigen Amtsinhabers. Das komplizierte Wechselspiel zwischen Losund Wahlverfahren fu¨r die Dogenwahl hatte sich in der Mitte des 13. Jahrhunderts herausgebildet.193 Zwischen der ersten Losziehung und dem Verku¨nden des Neugewa¨hlten lagen neun Abschnitte jeweils von Wahl- und Losverfahren.194 Der nach dem neunten Schritt geku¨rte Kandidat musste zum Schluss in einem einfachen Mehrheitsverfahren vom Maggior Consiglio besta¨tigt werden.195 1553 wurde beschlossen, die Kontrollgewalt des Maggior Consiglio weiter auszudehnen: Zu Beginn des Ablaufs sollte er der Auswahl der 41 zuerst genannten Wahlma¨nner ausdru¨cklich zustimmen.196 In zeitgeno¨ssischen Lebensbeschreibungen der Dogen ist zu lesen, dass in dieser Auswahl auch das Ansehen der Kandidaten Gegenstand der Diskussionen u¨ber ihre Eignung war, so dass die Stadt wenigstens als imaginierte Gemeinschaft an dem Verfahren zur Entscheidungsfindung teilnahm.197 Das komplexe Wahlverfahren trug zu der inneren Stabilita¨t der Republik bei. Dies lag sicherlich nicht allein an der Ausbalancierung von Mehrheitsverha¨ltnissen, wie Politikwissenschaftler vermuteten,198 sondern auch daran, dass es einer ganzen Bandbreite von Gruppen und Interessen innerhalb des Patriziats die Mo¨glichkeit bot, sich an dem komplexen Verfahren beteiligt zu sehen: Absprachen mussten mit mo¨glichst vielen Personen und Gruppen erfolgen. Auf diese Weise ließ sich eine von Stufe zu Stufe steigende Akzeptanz sowohl des Rituals selbst als auch des zum Schluss geku¨rten Kandidaten erreichen. ¨ mterrotation in den venezianiIm Gegensatz zu dem Wahlverfahren hat die A schen Bild- und Textquellen eine sehr viel geringere symbolische Bedeutung fu¨r das Selbstbild der Republik erhalten, obwohl sie doch das politische Leben in den Institutionen selbst, die meist durch acht- bis zehnmonatige Rotation besetzt wurden, pra¨gte. Dass sie gleichfalls einem ausgeklu¨gelten Ablauf folgte, la¨sst sich an Francesco Sansovinos Schilderung der Besetzung der Quarantia Nuova199 sehen, die sich
191 Vgl. Eco O. G. Haitsma Mulier, The Myth of Venice and Dutch Republican Thought in the Seven-
teenth Century, Assem 1980, S. 26–75; Tipton, Res publica, S. 197.
192 Vgl. Thomas Coryate, Coryats Crudities, London 1978 [EA London 1611], S. 282: Al the Magistrates
of what degree soever, are chosen by lots after an unusuall and strange manner.
193 Vgl. Ro ¨ sch, Geschichte Venedigs, S. 116. 194 Vgl. BM, Cod. It. VII, 1639 (7540), Gnecchi, Ceremoniale, fol. 50. 195 Vgl. die Beurteilung seiner Rolle in dem Verfahren durch den englischen Gesandten Sir Henry Wotton:
These new orders thus made and approved by the Grand Council (from whence all authority floweth) they proceeded on Friday morning to the election, in: [Henry Wotton], The Life and Letters of Sir Henry Wotton, hg. v. Logan P. Smith, 2 Bde., Oxford 1907, hier: Bd. 2, S. 134. 196 Vgl. Eugenio Musatti, Storia della promissione ducale, Padua 1888, S. 139. 197 Vgl. zum Beispiel BMC, Cod. Cic. 121, Giancarlo Sivos, Libro Quarto Delle Vite de Dosi di Venetia, fol. 11, 96. 198 Vgl. Jay S. Coggins und Federico Perali, 64 % Majority Rule in Ducal Venice. Voting for the Doge, in: Public Choice 97 (1998), S. 709–723. 199 Vgl. Catia Milan/Antonio Politi/Bruno Vianello, Guida alle Magistrature. Elementi per la conoscenza della Repubblica Veneta, Verona 2003, S. 37–39.
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in Rotation mit dem im Rang ho¨herstehenden Tribunal der Quarantia Vecchia konstituierte:200 Come la vecchia entra nel luogo della criminale, i Novi succedono il luogo de i Vecchi, e la Nova si crea Nell’ elettion de i quaranta si creano 12 capi tre per muta: e ogni muta dura due mesi: La seconda muta entra i secondi 2. mesi, la terza muta, i terzi due mesi: & la quarta muta i quarti due mesi. Di modo che la quarantia dura otto mesi per una. I Vicecapi sono otto, due per muta: i prima per la prima muta de i Capi, et successivamente fino alla quarta muta.201 Die Parallele zur nach Dritteln aufgeteilten Rotation in den Hansesta¨dten liegt auf der Hand, nur ist sie im venezianischen System noch ausgeklu¨gelter. Da das Verfahren zur Dogenwahl zu einem europaweit bekannten Kennzeichen der venezianischen Verfassung geworden war, waren Vorwu¨rfe, dass es nicht gegen Bestechlichkeit und Vorabsprachen der Beteiligten gefeit sei, fu¨r die Reputation Venedigs besonders gefa¨hrlich. Diese Vorabsprachen, auch broglio genannt, sind wohl so alt wie die Dogenwahl selbst.202 Wie in den Hansesta¨dten, so ist auch um 1600 in Venedig mit der Verschriftlichung der Wahlrituale ein Bemu¨hen um eine Steigerung der Legitimita¨t des Wahlresultats durch Formalisierung und somit Transparentmachung des Verfahrens zu erkennen. So sollten im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts immer wieder entsprechende Regelungen den broglio unterbinden.203 Wie in Lu¨beck so sollte dies im 16. Jahrhundert durch eine enge Verbindung von Raumnutzung und Zeremoniell erreicht werden. Das feste Einnehmen einer bestimmten Sitzordnung und die Abfolge bestimmter Schritte hintereinander waren eng mit dem eigentlichen Wahlverfahren verbunden.204 Dies fiel auch fremden Beobachtern der venezianischen Dogenwahlen auf. So beschrieb der englische Reisende Thomas Coryate Ende des 16. Jahrhunderts den Ablauf folgendermaßen: For there are three pots placed upon the Dukes Tribunall seate, whereof two that stand at both the ends of the seate containe a great multitude of silver balls and a few golden; the third which standeth in the middle, silver and golden also; but lesse then the other. Now all the officers are chosen 200 Beides waren Gerichtsho¨fe, die fu¨r die Rechtma¨ßigkeit der politischen Entscheidungen und Urteile der
anderen Tribunale sorgen sollten. Die Quarantia Vecchia war fu¨r Venedig und sein Dominium zusta¨ndig, wa¨hrend die Quarantia Nuova in Belangen der Terraferma angerufen werden konnte. Vgl. ebd. 201 „So, wie die [Quarantia] Vecchia anstelle des Strafgerichts tritt, kommen die Neuen an die Stelle der Alten, und die [Quarantia] Nova entsteht aus der Wahl: aus den vierzig wa¨hlt man 12 und davon im Wechsel drei Ha¨upter: und jeder Wechsel findet alle zwei Monate statt: Der zweite Wechsel gilt dann fu¨r die folgenden zwei Monate, der dritte Wechsel die dritten zwei Monate: & der vierte Wechsel die vierten zwei Monate. In einer Weise, dass die [Quarantia] jeweils acht Monate dauert. Die Vizeha¨upter sind acht, jeweils zwei im Wechsel: die ersten fu¨r den ersten Wechsel der Ha¨upter und so fort bis zum vierten Wechsel.“ Sansovino, Delle Cose notabili, fol. 56. 202 Vgl. Anm. 97. 203 Vgl. mit weiterfu¨hrenden Angaben Oliver T. Domzalski, Politische Karrieren und Machtverteilung im venezianischen Adel (1646–1797), Sigmaringen 1996, S. 93–96. 204 Contarini, La Republica, S. 36–38, 68–70.
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according as their lots doe fall upon them, by meanes of these balles, which is disposed after such an admirable fine manner, as the like kinde of election was never heard of before in any governement or commonweale of the whole world. The place of this election is the great Councell hall, into the which at the election time a stranger shal be very hardly admitted but by some extraordinary favour.205 Ein Urteil des Consiglio di Dieci aus dem Jahre 1600 verfu¨gte einen erschwerten Zugang zum Sitzungssaal des Maggior Consiglio fu¨r diejenigen, die zum Beispiel aus Gru¨nden zu enger Verwandtschaft nicht an den Sitzungen teilnehmen durften.206 Die Bedeutung der Raumanordnung und der Bewegungen der Ratsmitglieder zeigt sich auch in bildlichen Darstellungen. Die in Kupfer gestochene Darstellung einer Sitzung des Maggior Consiglio von Giacomo Franco stellte allein das Hin- und Hergehen des Ballottino und der anderen Diener zwischen den Reihen dar, wa¨hrend die Ratsmitglieder auf den Ba¨nken verweilen.207 Diese Abbildung la¨sst sich gut mit dem vermutlich realistischeren Bild kontrastieren, dass indirekt in einigen Regelungen zum Ausdruck kommt. Diese weisen auf einen konstant hohen Gera¨uschpegel hin, der durch die Unterhaltungen der Ratsmitglieder, ihr ha¨ufiges Hin- und Herlaufen zwischen den Ba¨nken und ihr Sichentfernen von Sitzungen, bevor diese beendet waren, verursacht wurde.208 Unterschiede zwischen den venezianischen und den hansesta¨dtischen Wahlritualen lassen sich durch grundsa¨tzliche, strukturell bedingte Differenzen erkla¨ren: In den Hansesta¨dten erfuhr der Rat als Ganzes einen Herrschaftswechsel. In Venedig ¨ mter, bei denen hingegen waren der Doge, die Procuratori und der Großkanzler A die Wechsel in Konzentration auf die Einzelpersonen stattfanden. Eine turnusma¨ßige Krise der Institutionen wurde nicht o¨ffentlich inszeniert. Dies wa¨re vermutlich auch aufgrund der hohen Zahl von politischen Gremien in Venedig schwierig bis unmo¨glich gewesen.209 In dem Wandel von Konzeptionen, die mit den Wahlritualen verknu¨pft wurden, la¨sst sich wie in den Hansesta¨dten eine steigende Verschriftlichung und Formalisierung der Handlungsabla¨ufe feststellen. Dies sollte die Legitimita¨t der Ergebnisse steigern. Daher nahm die genaue Befolgung des Rituals an Wichtigkeit zu. Wie in Lu¨beck so sollte dies in Venedig durch eine Festlegung der Bewegungen und der Raumnutzung erreicht werden. Im Gegensatz zu Lu¨beck und zu Hamburg ließ sich in Venedig aber keine gesteigerte Integration religio¨ser Elemente in das Wahlritual selbst ersehen. Dies mag wiederum mit dem grundsa¨tzlichen strukturellen Unterschied zusammenha¨ngen, dass die Zeit zwischen zwei Dogen, Procuratori oder Großkanzler als
205 Coryate, Coryats Crudities, S. 282. 206 Vgl. Monumenti per servire alla Storia del Palazzo Ducale, S. 577. 207 Siehe Abbildung 4. 208 Vgl. Monumenti per servire alla Storia del Palazzo Ducale, S. 577–578. 209 Dorit Raines listet fu¨r die Zeit um 1600 ca. 800 A ¨ mter auf, gibt aber auch keine exakte Zahl an: Vgl.
Raines, Office Seeking, S. 140–141.
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Interregnum gestaltet wurde. Religio¨se Symbole spielten in den Begra¨bnisfeierlich¨ berkeiten und der Kro¨nung des Dogen eine Rolle, jedoch nicht in einer sakralen U ho¨hung der Wahlhandlungen selbst.210
Abb. 4: Die Sitzung des Maggior Consiglio in Venedig zur Wahl des Magistrats Kupferstich von Giacomo Franco, 1610 (wie Abb. 3) Quelle: Museo Correr – Fondazione Musei Civici di Venezia
Die Kro¨nung des Dogen (oder pra¨ziser: seine feierliche Amtseinfu¨hrung) folgte – wie auch sein Begra¨bnis – einem ausgeklu¨gelten Ritual, das seine Sonderstellung als rangho¨chstes, aber politisch weitgehend machtloses Amtsorgan der Republik zum Ausdruck bringen sollte. Die Dogenwahlen und -kro¨nungen sind daher auch zu einem Thema der venezianischen Chronistik geworden, im Gegensatz zum Beispiel 210 Eine Ausnahme stellt hier Pasquale Cicogna (Dogat 1585–1595) dar, der die Nachricht von seiner Wahl
zum Dogen erhielt, als er im Ospedaletto dei Crociferi die Messe ho¨rte. Er ließ dieses Ereignis dann auch in Bildern Palma il Giovanes festhalten. Vgl. Ruth Schilling, Der Doge vor dem Altar – Gottesdienste als Thema politischer Visualisierung in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts in Venedig, in: Transkulturelle Komparatistik. Beitra¨ge zu einer Globalgeschichte der Vormoderne, hg. v. Wolfram Drews/Jenny R. Oesterle, Leipzig 2008, S. 119–132.
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zu den nur sporadisch erwa¨hnten Wahlen zum Procuratore oder der Ernennungen zum Großkanzler.211 Allein dem Dogen als Oberhaupt der Republik gratulierten Abgesandte der unter venezianischer Oberhoheit stehenden Sta¨dte auf der Terraferma.212 Die Gattung der Rede der Gesandten der Terraferma zum Amtsantritt des Dogen stellte ab der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts ein eigensta¨ndiges literarisch rhetorisches Genre in Venedig dar.213 Sie korrespondiert eng mit den Beschreibungen der Feste, die aus Anlass der Dogenwahl in diesen Sta¨dten abgehalten, und deren Schilderungen in Drucken verbreitet wurden.214 Die individuelle oder auch durch die Familie definierte Perso¨nlichkeit des Gewa¨hlten spielte in diesen Reden keine Rolle. Die Eigenschaften, die dem gewa¨hlten Dogen zugesprochen wurden, waren eher – wie bei den entsprechenden Preisgedichten in den Hansesta¨dten – Teil eines mit dem Amt und nicht mit der individuellen Perso¨nlichkeit verbundenen Tugendkanons. Wie in den Hansesta¨dten mit den neu gewa¨hlten Ratsherren so sind es auch in Venedig keine kriegerischen Werte, die mit dem Dogen assoziiert wurden, sondern eher Eigenschaften wie Gerechtigkeits- und Friedensliebe. Fast immer verbinden die jeweiligen Redner den Neuantritt des Dogen mit Schilderungen des allgemeinen Jubels und Friedens. Die Wu¨rde des Dogen sei deswegen erstrebenswert, weil man durch sie Venedig am besten dienen ko¨nne. Dies wird zum Beispiel sehr plastisch in einer Rede zum Amtsantritt Giovanni Bembos im Jahre 1616 ausgefu¨hrt: Voi sete Doge d’una Republica, la quale hormai ducento oltra mille anni ha` regato dominatrice, non mai dominata [...] D’una Republica, ch’ e` florida ne’ tempi della pace, intrepida ne tempi della guerra [...] Fu` riguardevole la Republica degli Spartani, fu` grandissima, e meragliosa la Republica de’ Romani: ma questa soli quattrocento, e quella cinquecento anni durarono: Onde la Veneta Republica per molti secoli avanzandosi da` a` divedere, che le sante leggi, con le quali si regge, e governa, le sono molto piu` saldo, e sicuro fondamento [...] percio` che la legge e` la ferma base, sopra di cui ogni Regno, & ogni Principato si viene a` stabilire, e fortificare; essendo piu` sicura difesa le giuste leggi alle Citta`, che non sono le forti muraglie, e l’elevate torri.215
211 Vgl. BMC, Cod. Cic. 2853, Agustini, [Cronaca] di Venezia, Teil 2, fol. 101–187, passim; BMC, Cod.
Cic. 2555, Alvise Michiel, Annuali delle Cose della Repubblica di Venezia dal 1578 al 1586, passim; BMC, Cod. Cic. 3752, Savina, Cronaca, Teil 2, S. 703–851, passim; BMC, Cod. Cic. 2118, Giancarlo Sivos, Cronaca Veneta, Bd. 1., S. 9–16; BMC, Cod. Cic. 2121, Sivos, Libro Quarto, fol. 11–114, passim. 212 Vgl. zum Beispiel [Wotton], Letters, Bd. 1, S. 341–342; außerdem Archivio di Stato di Mantova, Carteggio Estero, Carteggo ad Inviati, bu. 1419 (= Fondazione Cini, Mikrofilm, bobina 1), Instruzione all’Ambasciatore Cattani mandato a Vinegia sotto li XV luglio 1557. 213 Vgl. zum Beispiel die durch Francesco Sansovino vero¨ffentlichte Redensammlung: Francesco Sansovino, Diverse Orationi volgarmente scritte da molti huomini illustri de Tempi nostri. Nelle quali si contengono ragionamenti convenevoli a Principi, a Senatori, a Capitani, & ad ogni altra qualita` di persone, Venedig 1561. 214 Vgl. zum Beispiel [Anonym], Relatione delle feste notturne di Verona. Per la creatione del Serenissimo Prencipe M. Antonio Memmo, Verona 1612. 215 „Ihr seid Doge einer Republik, die bis jetzt zwo¨lfhundert, also mehr als tausend Jahre als Herrin regiert hat, und die niemals beherrscht wurde [...] Einer Republik, die in Zeiten des Friedens blu¨ht, unerschro-
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
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Wie in den Preisgedichten auf die gewa¨hlten Ratsherren der Hansesta¨dte so wird auch in dieser Rede die enge Verbindung zwischen redlicher Amtsfu¨hrung und Eignung des Dogen zu seinem Amt erkennbar. Auch die Bezu¨ge auf das antike Rom und Sparta sollen Giovanni Bembo an republikanische Tugenden erinnern – hierin vergleichbar den Bezu¨gen auf die mythischen Richter Minos und Solon in den Lu¨becker Gedichten.216 Die monarchische Symbolisierung des Dogen bedeutete nicht, dass seine Legitimierung durch die Stadtbevo¨lkerung unwichtig gewesen wa¨re. Die Reaktionen auf die Wahl waren – auch hier findet sich wiederum eine Parallele zu den Hansesta¨dten – der erste o¨ffentliche Testfall fu¨r die Popularita¨t und das ku¨nftige Ansehen des Gewa¨hlten. Wie in Lu¨beck so genoss auch in Venedig die Integration des ¨ mterordnung der Republik nach der Wahl hohe Gewa¨hlten in die Prozessions- und A Wichtigkeit. Dies wurde durch sein zeremonielles Geleit symbolisiert und außerdem dadurch, dass er so rasch wie mo¨glich seine Amtskleidung anlegte.217 Es folgten Messe und Eid des Dogen in San Marco, in dessen Verlauf der Neugewa¨hlte dem popolo pra¨sentiert wurde. Hier spiegelt sich noch das traditionelle Element der Dogenwahl durch den Concio beziehungsweise Arengo wider,218 der noch nicht nach Nobili und Cittadini unterteilten Versammlung. Diese hatte bis zum Jahre 1172 den Dogen gewa¨hlt und ihn bis in das 13. Jahrhundert durch Akklamation besta¨tigt.219 Die Einbeziehung des popolo schildert Francesco Sansovino folgendermaßen: Creato il Principe con la sudetta maniera, si costumo` ne tempi antichi, di publicarlo in quel punto, ch’egli fu eletto, & talhora il giorno seguente. Percioche adunato il popolo in San Marco, & condottovi il nuovo Principe da i Conseglieri, saliva sul pulpito di marmo, ch’e` dalla destra del Coro in entrando, & quivi mostratosi al popolo, era confermato dalle voci dell’universale. Uditasi poi la Messe solenne, & datoli il giuramento delle cose ch’egli debbe osservare con lo stendardo insieme, saliva su la galea.220 cken in Zeiten des Krieges [...] Die Republik der Spartaner war beachtenswert, die Republik der Ro¨mer war sehr groß und wunderbar: aber diese dauerte allein vierhundert, und jene fu¨nfhundert Jahre: Daher zeigt die venezianische Republik, die seit Jahrhunderten voranschreitet, dass die heiligen Gesetze, mit denen sie herrscht und regiert, das stabilste und sicherste Fundament sind [...], weil das Gesetz die feste Basis ist, auf der jedes Ko¨nigreich & Fu¨rstentum sich baut und festigt; die gerechten Gesetze sind fu¨r die Sta¨dte sicherere Verteidigungsmittel als starke Mauern und hohe Tu¨rme.“ Francesco Contarini, Oratione nella creatione del Serenissimo Giovanni Bembo. Doge di Venetia. Venedig 1616, S. 6. 216 Vgl. Anm. 181. 217 Vgl. ASV, Coll., cerim., rg. 1, fol. 2. 218 So als Begriff in: ASV, Coll., cerim., rg.1, fol. 2: et sonat maius Consilium ut omnes veniant ad Arengum – „und es to¨nt ‚Großer Rat‘, damit alle zur Versammlung kommen.“ 219 Ein im Ritual u¨briggebliebenes Relikt nennt es auch Percy E. Schramm, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beitra¨ge zu ihrer Geschichte vom dritten bis zum sechzehnten Jahrhundert, Stuttgart 1956, S. 862. Allerdings la¨sst sich die Pra¨sentation des Gekro¨nten und seine Akklamation beispielsweise auch bei den franzo¨sischen Ko¨nigen finden. Vgl. mit weiterfu¨hrenden Angaben Benno Stiefelhagen, Die Bedeutung der franzo¨sischen Ko¨nigskro¨nung von Heinrich IV. bis zum Sacre Ludwigs XIV., unvero¨ffentl. Diss., Universita¨t Bonn 1988, S. 160–177. Zum Concio vgl. Milan/Politi/Vianello, Guida alle Magistrature, S. 22, 27–29. 220 „Nachdem der Fu¨rst auf die besagte Weise gewa¨hlt worden ist, hat es sich seit alten Zeiten eingebu¨rgert, zu diesem Zeitpunkt bekannt zu geben, dass er gewa¨hlt worden ist, manchmal auch [erst] am folgenden
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
In Venedig spielte sich die Selbstdarstellung der Gewa¨hlten vor einem sehr viel gro¨ßeren sta¨dtischen Raum ab als in den Hansesta¨dten. Diese Dimensionsunterschiede zeigen sich in der Einbeziehung verschiedener Gruppen in die Feierlichkeiten nach Kro¨nung oder Wahl: In den Hansesta¨dten reichte es aus, mehrere Tage lang zu feiern und verschiedene Personen zum Essen einzuladen. In Venedig hingegen wurde es von den jeweiligen Familien erwartet, dass sie in der gesamten Stadt Lebensmittel verteilten.221 Im Unterschied zu den Feiern des Gewa¨hlten in den Hansesta¨dten boten die Feiern der neu gewa¨hlten Amtsinhaber in Venedig sehr viel mehr Gelegenheit zur Demonstration der eigenen Großzu¨gigkeit. Die Art der Feier hing davon ab, wie viel die jeweiligen Familien fu¨r sie ausgeben wollten. So bedeutete es fu¨r den im Jahre 1618 gewa¨hlten Dogen Nicolo` Donato einen politischen Ru¨ckschlag, als ein besonders geiziger Vertreter seiner Familie die Mu¨nzen, die wa¨hrend seiner Kro¨nung ausgeworfen wurden, wieder einsammeln ließ. Von diesem katastrophalen Beginn sollte sich sein Ansehen wa¨hrend seiner Amtszeit nicht wieder erholen.222 Diese o¨ffentliche Inszenierung familia¨ren Reichtums durch demonstrative Großzu¨gigkeit stellte nicht nur ein Element allein der Feier eines neu gewa¨hlten Dogen dar, sondern auch eines Procuratore di San Marco oder eines Großkanzlers. So sollten zum Beispiel im Jahre 1641 aus Anlass der Wahl Giovanni da Pesaros zum Procuratore die Traghetti (Gondeln), ¨ bersetzen u¨ber die Kana¨le ermo¨glichten, in der gesamten Stadt Brot und die das U Wein verteilen. Alle sollten mit dem neu Gewa¨hlten feiern: Percio` nella loro creatione, a` tanta degnita`, & grado si fanno da i parenti, & amici, e dalla citta` quelle dimostrationi di allegrezza, e festa con fuochi, stromenti musici, oltre alle trombe, e tamburi, e suonar di campane per tre giorni continui sino alle tre, o quattro hore di notte con lumi sopra le torri, i campanili, e tiri di codette con altre feste, & allegrezze.223
Tag. Deshalb [ist dies so], weil das Volk in San Marco versammelt ist, und nachdem der neue Fu¨rst von den Conseglieri hineingefu¨hrt worden ist, stieg er auf die marmorne Kanzel, die auf der linken Seite des Chors ist, wenn man eintritt, & dort zeigte er sich dem Volk, und wurde durch die Stimmen der Allgemeinheit besta¨tigt. Danach wurde die feierliche Messe geho¨rt, & er gab ihnen das Versprechen in den Punkten, die er beachten musste, mit der Flagge in der Hand, bestieg er die Galeere [damit ist nicht der Bucintoro gemeint, sondern vielmehr ein Tragegera¨t, mit der auf der Piazza herumgetragen wurde, R. S.].“ Francesco Sansovino, Venetia citta` nobilissima e singolare. Descritta in XIIII Libri. Nelle quali si contengono tutte le Guerre passate, con l’Attioni Illustri di molti Senatori. Le Vite de i Principi, & gli Scrittori Veneti del tempo loro. Le Chiese, Fabriche, Edifici, & Palazzi publichi, & privati. Le Leggi, gli Ordini, & gli Usi antichi, & moderni, con altre cose appresso Notabili, & degne di Memoria. Con aggiunta di tutte le Cose Notabili della stessa Citta`, fatte & occorse dall’Anno 1580 sino al presente 1663. Da D. Giustiniano Martinioni primo Prete Titolato in SS. Apostoli. Dove vi sono poste quelle del Stringa; servato pero` l’ordine del Med: Sansovino. Con Tavole Copiosissime. All’Illustriss., et Eccellentiss. Sig. Marin Tiepolo Senatore Veneto, Venedig 1663, S. 476. 221 Vgl. Domenico Vincenti, Gli apparati Veneti, overo le feste fatte nell’elezione in Procuratore dell’ Illustrissimo, et Eccellentisismo Signor Giovanni da Pesaro Cavalier, Venedig 1641, S. 33. 222 Vgl. BMC, Cod. Cic. 2121, Sivos, Libro Quarto, fol. 99–100. 223 „Deshalb veranstalten sie aus Anlass ihrer Wahl zu so viel Wu¨rde und Rang fu¨r ihre Verwandten, & Freunde, und die Stadt jene Bekundungen der Freude, die einen Feste mit Feuern, Musikinstrumenten, andere mit Trompeten und Trommeln, und sie lassen die Glocken fu¨r drei Tage lang bis drei oder vier Uhr nachts la¨uten mit Lichtern auf den Tu¨rmen und Glockentu¨rmen und Schu¨ssen mit anderen Festen
2.1. Wahlen und Amtssetzungen um 1600
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Diese demonstrative Großzu¨gigkeit beschra¨nkte sich keineswegs auf die Patrizier: Als Marco Ottobon im Jahre 1639 fast einstimmig zum Großkanzler gewa¨hlt worden war, organisierte seine Familie ein aufwendiges Spektakel mit Feuerwerken, musikalischen Darbietungen und dem Verteilen von Brot und Wein.224 Die Haltung zu diesen Festlichkeiten war nicht einheitlich. Sie la¨sst einen Unterschied der jeweiligen Position gegenu¨ber dem Amt und damit auch der Republik erkennen: Die beiden politischen Konkurrenten Leonardo Donato (1606–1612) und Marin Grimani (1595–1605) unterschieden sich in ihrer Haltung gegenu¨ber der angemessenen Verbindung von perso¨nlicher und magistraler Selbstdarstellung grundsa¨tzlich voneinander: Leonardo Donato hielt es mit seiner Amtsauffassung fu¨r unvereinbar, sich prunkvoll feiern zu lassen. Marin Grimani erreichte gerade aufgrund seiner Großzu¨gigkeit eine sehr viel gro¨ßere Popularita¨t als seine Amtsvorga¨nger und -nachfolger.225 In der Amtsauffassung des einen war die Repra¨sentation der Republik eng mit dem Ansehen der Familie verflochten; in der des anderen galt es, die Republik als Wert an sich von allen anderen Gruppenbeziehungen zu trennen und sie als ho¨chstes Gut aufzufassen. Die Legitimita¨t des Rates in den Hansesta¨dten und der politischen Institutionen in Venedig war eng an eine Akzeptanz der Wahl gebunden. Unbestechlichkeit und Eignung des Amtsinhabers sollten bei der Entscheidungsfindung vor Kriterien wie Wohlstand oder Familienzugeho¨rigkeit Vorrang haben. Dies stand in einem Spannungsverha¨ltnis zu dem Merkmal der Wahlen als institutionalisierte Form der Konkurrenzaustragung der jeweiligen Gruppen der sta¨dtischen Eliten untereinander. Die Selbstdarstellung, die sich mit den Wahlritualen verband, sollte diesen Aspekt wenn nicht verschleiern, so doch auf gar keinen Fall sichtbar werden lassen. Hier ist auch noch einmal an die fehlende Thematisierung der Los- und Rotationsverfahren zu erinnern. Sowohl in den Hansesta¨dten als auch in Venedig la¨sst sich um 1600 eine Tendenz zu einer Verstetigung der ratsherrlichen Repra¨sentation in den Wahl- und Amtssetzungsritualen selbst sowie im o¨ffentlichen Erscheinungsbild der Magistrate beobachten: Diese Rituale sollten Teil eines unvera¨nderlichen Bildes der Stadtrepublik werden. ¨ mtersetzungen in Venedig und Die Abla¨ufe und Wertungen der Wahlen und A den Hansesta¨dten zeigen gut, dass eine lineare Entwicklung vom Ritual zum Verfahren in diesem Fall kaum zu beobachten ist. Zwar wird in allen Fa¨llen erkennbar, dass die Legitimita¨t der jeweiligen Entscheidungsfindungsprozesse durch das Betonen und Regulieren von bestimmten Verfahrenselementen steigt. Gleichzeitig geht damit aber keine Sa¨kularisierung des Prozesses einher. Vielmehr wird das sakrale Element der Stilisierung der politischen Magistrate in Venedig und Lu¨beck durch die starke Verbindung des Prozessionszuges mit einer Institutionalisierung der politischen Ordnung hervorgehoben, beziehungsweise in Bremen erfolglos abgelehnt.
und Lustbarkeiten.“ Fulgenzio Manfredi, Degnita` Procuratoria di San Marco di Venetia, Venedig 1602, S. 11. 224 Mit Quellen angefu¨hrt bei: Antonio Menniti Ippolito, Fortuna e Sfortune di una Famiglia Veneziana nel Seicento. Gli Ottoboni al tempo dell’Aggregazione al patriziato, Venedig 1996, S. 18. 225 Vgl. die entsprechende Einscha¨tzung durch den englischen Gesandten Sir Henry Wotton: [Wotton], Letters, Bd. 1, S. 343.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
Unterschiede zwischen Venedig und den Hansesta¨dten lassen sich in der Einbeziehung der sta¨dtischen Einwohnerschaft in den Festablauf nach der Wahl beobachten. Der Festablauf sah in den Hansesta¨dten eine sehr viel differenzierte Einbindung verschiedener Gruppen vor. In Venedig hingegen wurde der gesamte Stadtraum in die Feierlichkeiten integriert. Dies ist in den Hansesta¨dten nur in den literarischen Quellen der Fall. Er spiegelt sich nicht in dem Festablauf, wie sie uns die normativ-deskriptiven Ratswahlbeschreibungen u¨berliefern. Dieser Unterschied ha¨ngt eng mit dem besonderen Charakter der venezianischen Verfassung zusammen, in der der Doge symbolisch eine gleichsam ko¨nigliche Stellung innehatte. Daher konnten in den ¨ bergangsritualen, die sich um seine Person gebildet hatten, spezifisch monarchiU sche Selbstdarstellungsmechanismen zutage treten, wie zum Beispiel in der Demonstration herrscherlicher Freigiebigkeit im Mu¨nzwurf beim Umhertragen eines neu gewa¨hlten Dogen auf dem Markusplatz.226 In der Demonstration von Großzu¨gigkeit gegenu¨ber einem undifferenzierten sta¨dtischen Publikum bot sich fu¨r die venezianischen Familien ein Feld fu¨r Konkurrenz, das es so in den Hansesta¨dten nicht gab. Gleichzeitig gewannen dadurch informelle Meinungsa¨ußerungen u¨ber die Person des Gewa¨hlten an Bedeutung fu¨r eine informelle Rangabstufung unter einzelnen venezianischen case. Diese war zwar in den Hansesta¨dten auch wichtig, spielte sich aber in einem kleineren und symbolpolitisch anders strukturierten Rahmen ab. Auch zur Einhegung dieser kaum kontrollierbaren o¨ffentlichen Einscha¨tzung des Amtsinhabers sollte die Separation des Rathauses beziehungsweise Dogenpalastes vom restlichen Stadtraum dienen. An der Haltung gegenu¨ber den Feiern nach der Wahl la¨sst sich gut die wachsende Trennung zwischen politischer und familia¨rer Spha¨re ausmachen. In Venedig sind zwei Entwicklungslinien erkennbar: Zum einen die immer aufwendigere Repra¨sentation der Familien nach den Wahlen etwa zu Ehren des Dogen Marin Grimani (1595–1605) oder des Großkanzlers Marco Ottobon,227 zum anderen die explizite Kritik daran. Die Kritiker dieser Art von Repra¨sentation sahen sie als unvereinbar mit einem sehr strengen Ethos von Amtsfu¨hrung und Republik an: In den Augen Leonardo Donatos (1606–1612) sollten diese informellen Elemente der magistralen Repra¨sentation nicht oder wenigstens nur sehr eingeschra¨nkt zu sehen sein. Der Republik kam die ho¨chste Ehre zu, nicht ihm oder seiner Familie. Diese Haltung verknu¨pfte sich mit der Kritik am Papsttum. Eine vergleichbare Verknu¨pfung von religio¨sem Standpunkt und Beurteilung o¨ffentlicher Repra¨sentationsformen la¨sst sich außer in Venedig nur in Bremen beim Versuch der Abschaffung des Zugs der Ratsherren erkennen. In Lu¨beck hingegen versta¨rkte sich das Element der o¨ffentlichen Repra¨sentation des neu zusammengesetzten Rates dadurch, dass dem feierlichen Zug des Rates eine besonders prominente Rolle im Festablauf eingera¨umt wurde. Allerdings sollte er auch in diesem Fall dazu dienen, die Repra¨sentation des Rates gegen-
226 Zur Rolle der Kro¨nungsmu¨nzen vgl. Heinz Duchhardt, Kro¨nungszu¨ge: Ein Versuch zur ‚negativen
Kommunikation‘, in: Im Spannungsfeld von Recht und Ritual: Soziale Kommunikation in Mittelalter und Fru¨her Neuzeit, hg. v. Dems./Gert Melville, Ko¨ln u. a. 1997, S. 291–301. 227 Vgl. Anm. 223.
2.2. Familienehre oder Erho¨hung der Republik
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u¨ber der Familie zu sta¨rken. Dies la¨sst sich auch an den Einschra¨nkungen der Feierlichkeiten nach der Wahl festmachen. Im folgenden Teil soll nun diskutiert werden, wie sich diese Tendenz zur Sakralisierung des Rates auf das Verha¨ltnis von republikanischer und familia¨rer Selbstdar¨ berho¨hung der Republik als Vehikel zur Repra¨senstellung auswirkte. Diente die U tation der wichtigsten Familien, die sich nun an ho¨fischen Verhaltensmustern orientierten? Wurde durch diese Verbindung die Orientierung auf republikanische Werte allma¨hlich unterlaufen?
2.2. Familienehre oder Erho¨hung der Republik
Der Konflikt zwischen Familienehre und Orientierung auf die Republik war ein Grundmuster der Verfassungsentwicklung insbesondere in den ober- und mittelitalienischen, aber auch den deutschen autonomen Sta¨dten. Dieser Konflikt war, wie Hartmut Boockmann fu¨r die Reichssta¨dte gezeigt hat, in der Struktur der korporativ organisierten Stadtverfassungen angelegt.228 Zur Stabilita¨t dieser politischen Ordnung trug bei, wenn es gelang, das Reputationsstreben der jeweiligen Personen und Familienverba¨nde zu einem Strukturmerkmal der jeweiligen Verfassungen werden zu lassen. Das komplexe venezianische Institutionengefu¨ge la¨sst sich auch damit in einen Zusammenhang bringen, dass sich bei der Genese der venezianischen Verfasstheit keine einzelne Perso¨nlichkeit und damit der hinter ihr stehende Personenverband aus Familien- und Klientelnetzwerken durchgesetzt und sich eine dynastische Herrschaft etabliert hatte. Aus diesem Machtvakuum heraus bildete sich eine Gruppenherrschaft, die stets durch das Reputationsstreben der jeweiligen Familien gefa¨hrdet war.229 Besonders das Amt des Dogen wurde daher in seinen Funktionen immer weiter eingeschra¨nkt.230 Wie wachsam die venezianischen Patrizier auch im 15. und 16. Jahrhundert die Gefahr einer Dynastiebildung durch einen Dogen im Auge behielten, zeigt, dass es ein ausgesprochener Vorteil bei Dogenwahlen fu¨r den Kandidaten war, nicht nur von hohem Alter zu sein, sondern auch u¨ber nur weibliche oder gar keine direkten Nachkommen zu verfu¨gen.231 Doch auch in den unabha¨ngigen Sta¨dten des Heiligen Ro¨mischen Reichs war es ¨ mterlaufbahn einzelner Ratsherren abtra¨glich, wenn sie ihre Position ohne fu¨r die A Beru¨cksichtigung des Ehrgefu¨hls der anderen Mitglieder der sta¨dtischen Oberschicht einseitig als Reputationszuwachs fu¨r sich selbst und ihre Verwandten betrachteten: Dies fu¨hrte ha¨ufig zu ihrem dramatischen Ausschluss aus der Stadtgemeinschaft und
228 Vgl. Hartmut Boockmann, Spa¨tmittelalterliche deutsche Stadt-Tyrannen, in: BllDtLG 119 (1983),
S. 73–91.
229 Vgl. Gaetano Cozzi, Venedig, eine Fu¨rstenrepublik?, in: Republiken und Republikanismus in der Fru¨-
hen Neuzeit, hg. v. Helmut Koenigsberger, Mu¨nchen 1988, S. 41–56, hier: S. 41–42.
230 Vgl. Maranini, Costituzione, S. 21–158. 231 Vgl. Finlay, The Venetian Republic, S. 170.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
damit zu einem vollkommenen und ha¨ufig unabwendbaren Ende ihrer stadtinternen politischen Laufbahn.232 Dennoch war das Streben nach der Vermehrung der Reputation der eigenen Person und Familie ha¨ufig gro¨ßer als die Gefahr, die in einem Dissens mit den anderen Magistraten erblickt wurde. So haben sich immer wieder besonders Lu¨becker Ratsherren aufgrund ihrer vermeintlich gesicherten politischen Stellung zu einer a¨ußerst prachtvollen Inszenierung ihrer nicht durch die Amtstra¨gerschaft, sondern durch ihre soziale und wirtschaftliche Stellung definierten Position verleiten lassen. Eine Kontinuita¨t dieses Verhaltens la¨sst sich besonders anschaulich fu¨r die Familie Bro¨mse nachweisen.233 In den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts war der Bu¨rgermeister Nikolaus Bro¨mse durch seine Verbindungen zum Kaiserhof und sein in ihren Augen besonders prachtliebendes Auftreten Zielscheibe der Kritik der nicht ratssa¨ssigen Bu¨rger geworden.234 Das Portra¨t der Margarete Bro¨mse aus dem Jahre 1641 la¨sst allerdings Zweifel daru¨ber zu, ob sich das Repra¨sentationsgebahren dieser Familie im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts tatsa¨chlich a¨nderte: Der prachtvolle Aufzug der Margarete Bro¨mse widerspricht den Kleiderordnungen dieser Zeit.235 Das Standportra¨t betont ihre in Farbe, Textur und Ausstattung außerordentlich reiche Kleidung. In den Augen der Zeitgenossen war das Verha¨ltnis von familia¨rer zur politischen Repra¨sentation ein Indiz dafu¨r, wie stabil die republikanische Grundstruktur ihres Gemeinwesens war: Die Auseinandersetzungen um die So¨hne des Dogen Giovanni Cornaro (1625–1629) fu¨hrten ja die Beteiligten gerade deswegen so heftig, weil es ihnen bewusst war, dass sie im Grunde um die Akzeptanz der republikanischen Norm der Gleichheit vor dem Gesetz und somit auch um das Weiterbestehen der Republik stritten. Die Selbstdarstellung der Familien der politischen Amtstra¨ger in Venedig und den Hansesta¨dten bewegte sich also immer auf einer Gratwanderung zwischen einer Prachtentfaltung, die als wu¨rdevoll fu¨r einen Repra¨sentanten der Republik erachtet wurde, und einem Aufwand, der als gefa¨hrlich fu¨r die Homogenita¨t der sta¨dtischen Amtstra¨gerschaft galt. Entscheidend waren dabei nicht Umfang und Art der tatsa¨chlichen Repra¨sentationsformen selbst, sondern das, was – intendiert oder unintendiert – damit ausgesagt werden sollte. Stellten sich Familienmitglieder in diesen rituellen Selbstdarstellungen außer- oder innerhalb des sta¨dtisch-republikanischen Werterahmens? Prachtvolle Repra¨sentation bei den Familienfesten der sta¨dtischen Oberschicht wurde an sich akzeptiert, wenn sie gleichzeitig der Repra¨sentation der ¨ bertreten der von den Gremien beschlosStadt und Republik diente. Ein explizites U
232 Vgl. Anm. 228. 233 Zu dieser Familie vgl. Hildegard Thierfelder, Bro¨mses in Lu¨beck und Lu¨neburg, in: ZVLu¨bG 51
(1971), S. 93–99.
234 Vgl. Wilhelm Mantels, s. v. Bro¨mse, Nikolaus B., in: ADB 2 (1875), Sp. 352–353. 235 Siehe Abbildung 5. Margarete Bro¨mse tra¨gt drei goldene Ketten, in einer Kleiderordnung von der Mitte
des 16. Jahrhunderts waren aber den weiblichen Angeho¨rigen der „Bu¨rgermeister, Sindici, Doctoren und Licentiaten“ nur ein bis zwei von geringem Gewicht gestattet: AHL, ASA-Interna, Mandate und Verordnungen 6/8, Neue Ordnung u¨ber Kleidung, Schmuck, Verlo¨bnisse und Hochzeiten, vermutlich Mitte 16. Jahrhundert, fol. 5.
2.2. Familienehre oder Erho¨hung der Republik
Abb. 5: Margarete Bro¨mse ¨ lgema¨lde von Michael C. Hirt, 1642 O Quelle: Museum fu¨r Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lu¨beck
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
senen Normen fu¨hrte jedoch zu einer Krise der gesamten Ordnung, wie die Auseinandersetzungen des Jahres 1627 in Venedig zeigen. Das Verha¨ltnis familia¨rer und republikanischer Selbstdarstellung soll zuna¨chst anhand von Zeugnissen u¨ber den Umgang mit dem Andenken an einen verstorbenen Amtsinhaber analysiert werden. Es ist sinnvoll, diesen Schritt an den Beginn dieses Untersuchungsteils zu setzen, da sich im Umgang mit dem toten Amtsinhaber das Verha¨ltnis zwischen Republik und Familie besonders deutlich definierte.236 Der exemplarische Fall der venezianischen Dogaressakro¨nung liefert den Hintergrund fu¨r die na¨chsten, wiederum vergleichend zwischen den Hansesta¨dten und Venedig vorgehenden Untersuchungen: In einem zweiten Schritt sollen Normierungsversuche und Einzelfa¨lle bei der Gestaltung von Hochzeits- und Begra¨bnisfeierlichkeiten von Verwandten der Amtstra¨ger analysiert werden. Dabei ist jeweils Kontinuita¨t und Wandel der Entwicklungen im Blick zu behalten. Im Fall Venedigs ist es aufgrund der besonderen Funktion des Dogen aufschlussreich, Regelungen der Einbeziehung der Familie in die Außenrepra¨sentation zu untersuchen und festzustellen, ob der Familie des Dogen oder einzelnen Mitgliedern ein Rangzuwachs zugestanden wurde. In der rituellen Behandlung der Familienmitglieder der Amtstra¨ger musste zwischen der Ehre der Republik und der Gefahr fu¨r sie durch zu ma¨chtige Einzelpersonen genau abgewogen werden. Erst wenn diese gleichfalls fest in das eingebunden wurden, la¨sst sich von einem Wandel des Verha¨ltnisses zwischen politischer und familia¨rer Repra¨sentation in dieser Zeit sprechen.
2.2.1. Zwischen Republik und Familie: Die Begra¨bnisfeierlichkeiten der Amtstra¨ger Begra¨bnisse von politischen Amtstra¨gern waren in fru¨hneuzeitlichen Republiken ein Testfall fu¨r das Verha¨ltnis von Amt und Person. In segno si e` morto il Doxe non e` morta la Signoria237 erkla¨rte der venezianische Tagebuchschreiber und Chronist Marin Sanudo die Tatsache, dass die Signoria sofort nach dem Tode des Dogen dessen Privatquartiere bezog. Den Angeho¨rigen blieben maximal drei Tage Zeit, die Gema¨cher zu ra¨umen.238 Es sollte deutlich zu erkennen gegeben werden, dass die Republik auch unabha¨ngig von der Person des Dogen fortbestand. Die Begra¨bnisrituale sollten nicht nur das Fortbestehen politischer Ordnung symbolisieren. Zusa¨tzlich musste in ihrer Gestaltung auch das Verha¨ltnis von Amtstra¨gerschaft und familia¨rer Zugeho¨rigkeit austariert werden. Es war durchaus mo¨glich, dass im Rahmen der Begra¨bnisfeierlichkeiten die Familie des Verstorbenen versuchte, ihre Reputation unabha¨ngig 236 Vgl. Maissen, Geburt der Republic, S. 322–333. 237 Zitiert nach: Muir, Civic Ritual, S. 275. 238 BM, Cod. It. VII, 562 (7691), [Caroldo], Modo col qual si solenna far elettione delli Dosi di Venetia,
s. p.: si velgo immediatamente la sua morte per la Citta`, ma pero` non fu` confessata per i rispetti particolari della Casa per salvar la robba se non a 18., se ben vi e` parto del Magg. Cons. 1474, che i parenti hanno termine giorni tre ad uscire di Palazzo. -Gewo¨hnlich gibt man sogleich seinen Tod in der Stadt bekannt, aber als damals bekannt wurde, dass es aus bestimmten Umsta¨nden des Hauses nicht mo¨glich war, die Dinge vor dem 18. zusammenzusammeln, wurde 1474 durch den Maggior Consiglio beschlossen, dass den Verwandten drei ganze Tage zum Auszug bleiben.“
2.2. Familienehre oder Erho¨hung der Republik
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von der Amtsta¨tigkeit und damit unabha¨ngig von der Republik darzustellen. Die detaillierten Regelungen dieser Rituale, insbesondere der Einbeziehung der Angeho¨rigen, zeigen deutlich das Bestreben, einer unkontrollierten und im Laufe eines solchen o¨ffentlich sta¨dtischen Ereignisses auch mo¨glicherweise unkontrollierbaren Repra¨sentation entgegenzuwirken. Im folgenden Kapitel soll untersucht werden, ob in den Berichten und Regulierungen dieser Feierlichkeiten eine Werteverschiebung zugunsten der familia¨ren Selbstdarstellung zu beobachten ist. ¨ nderungen der poliDa der Tod eines Magistrats zu Neuwahlen und somit zu A tischen Ordnung fu¨hrte, war es wichtig, sie als Ereignis o¨ffentlich im Stadtraum bekanntzugeben. Dies geschah zuna¨chst durch das La¨uten von Kirchenglocken. Die Dauer des Glockenla¨utens zeigte in den Hansesta¨dten und in Venedig den Rang des Verstorbenen im Stadtraum an. Ohne individuelle Unterschiede der verstorbenen ¨ mter. So la¨uPersonen richtete sich dieses in Venedig nach der Rangabstufung der A teten die Glocken der Kirche von San Marco neun Mal zu Ehren des Dogen und drei Mal zu Ehren eines verstorbenen Procuratore di San Marco oder Großkanzlers.239 In den Hansesta¨dten ehrte gleichfalls Glockenla¨uten die Verstorbenen, ohne dass es zu einer vergleichbar festen Zuordnung von Rang und Anzahl gekommen wa¨re.240 Ein weiteres mehr oder weniger regulierbares Mittel, den Rang des Verstorbenen zu demonstrieren, bestand in der Ausrichtung des Begra¨bniszuges, der sich in den Hansesta¨dten von dem Wohnhaus des Verstorbenen zur Grabeskirche, in Venedig vom Dogenpalast u¨ber die Kirche von San Marco zur Grabeskirche bewegte. In den Hansesta¨dten war zudem die Anzahl des Gefolges auch fu¨r die musikalische Gestaltung wichtig: In den Vorschriften zur Ausrichtung des Begra¨bniszuges wurde die Anzahl der fu¨r den Gesang verantwortlichen Schulkinder geregelt. Der Rang des Verstorbenen war auf diese Weise nicht nur seh- sondern auch ho¨rbar.241 Ein mo¨glichst zahlrei239 Pace, Ceremoniale Magnum, S. 225. 240 Zur rechtlichen Funktion des Glockenla¨utens als Publikationsinstrument vgl. Adalbert Erler, s. v.
Glocke, in: HRG 1 (1971), Sp. 1706–1708. Der Rat bestimmte (da er es auch bezahlte) in allen drei Fa¨llen die Anzahl des Glockenla¨utens, was er insbesondere als Machtmittel gegenu¨ber der Geistlichkeit einsetzte. Der Lu¨becker Rat entschied auch u¨ber das Glockenla¨uten, das verstorbenen Geistlichen zukam, vgl. AHL, Archiv der St. Marien Kirche, Pastor, III. Beerdigung, Auszu¨ge aus den Kirchenbu¨chern von St. Marien, Eintrag zum Jahr 1648. 241 Fu¨r Bremen vgl. Ordnung Eines Ehrbarn Rahtes der Stadt Bremen/ wie es hinfu¨hro mit den verlobnussen/ hochzeiten/ kleidungen/ kindbetten/ begra¨bnussen/ Fenstergeldern/ und wasdem anha¨nge/ in dieser Statt gehalten werden soll, Bremen 1634, S. 41–42; fu¨r Hamburg vgl. Comm, H 343/2, Mappe 1621–1634, Revidierte Schulordnung, 1634, handschriftliche Abschrift; fu¨r Lu¨beck vgl. AHL, ASAInterna, Mandate und Verordnungen 1/2, Ordnung von 1604 zur Vermeidung unno¨tiger Kosten bei Begra¨bnissen, 1604, s. p.: Wen raths Personen oder deßen gelidmaßen, wie den auch Patricie doctoren, Licenciaten, Predigern und schulcollegen versterben, sol dem selben zur begleitung, die gantze schul, aber dero selben Kinder sol nicht ver volle leiche begraben, allein 3 schulmeister gestadet werden; da aber vornehmer bu¨rger und Kauffleu¨te todes abgingen, sol man zu dero begrebnuße, wo ferner sie es begehren viere, und deroselben Kinder so nicht ver volle leiche begraben 2 Preceptaere folgen lassen, wie den auch den vier grosßen a¨mptern, drey¨ schulmeister nach gehen sein sol, die andere gemein amptleu¨te sollen mit 2 schulmeister zur erden bestendiget werden, denen auß den buden und kellern, sol man mer nicht den einen schulmeister auß der schullen er lauben, damit auch die knaben nicht zu viel, auß der schul bleiben, und da durch von Ihrem Studiren abgehalten werden, sol einen in dem schulmeister, der entweder allein oder neben seines collegis die verstorbene leiche deduciret, mehr nicht den 20 chorknaben mit sich zu nehmen vergo¨nnet sey¨n.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
ches Gefolge war nicht nur ein Indiz fu¨r die Ehrung des Amtes, das der Verstorbene bekleidet hatte, sondern auch fu¨r die perso¨nliche Position des Verstorbenen. Wa¨hrend des Zuges durch die Stadt konnten sich Personen freiwillig dem Zug anschließen, ihm demonstrativ fernbleiben oder ihn nach kurzer Zeit wieder verlassen. Auch andere Popularita¨ts- oder auch Missfallensbekundungen waren kaum zu verhindern. Dies ließ sich zum Beispiel beim Begra¨bnis des im Jahre 1570 verstorbenen Dogen Pietro Loredan beobachten. Loredans Popularita¨t hatte unter Getreideknappheit und den steigenden Brotpreisen wa¨hrend seiner Amtszeit stark gelitten. Das o¨ffentliche Geleit durch die Stadt wurde aus Angst vor Aufruhr vermieden und der Doge heimlich in seine Grabeskirche u¨berfu¨hrt, wie es in einer Stadtchronik geschildert wird: Domenica doppo disnar, che fu` alli 7, del detto Mese fu` sepulto el Dose, et fu` fatto el Baldachin a` San Zuanne Polo, et [...] a` far la procession delli Penelli, et scole grande, et chieresie segondo l’ordinario, ma perch era un poco de Piaza, et per el crider del Popolo per la carestia, che era in Venetia, che tutto el Popolo cridava el Dose dal Megiotto, che fa` vender a` Pistori Pan de Megio, et era ancora la strettezza, che non ci poteva haver da Pistori Pan, et pero` per occiar a` qualche novita`, che havesse potuto occorrer, el suo corpo non fu` portado altramente a` San Zuanne Polo, ma` fu` portado in Chiesa di San Marco, dove fu` fatto le solennita` consuete et reccitadali la oration per Antonio Zen; doppo la notte fu` portado in Chiesa di San Gioppo, et li sepellido, si diede poi principio alla elettion del nuovo dose.242 In den Zeugnissen zum Glockenla¨uten und zum Geleitzug la¨sst sich der Versuch beobachten, die Rituale soweit zu formalisieren, dass den verschiedenen Hierarchien der Amtstra¨ger beziehungsweise der sta¨dtischen Elite analog abgestufte rituelle Ehrungen zugewiesen wurden. Eine fu¨r beide Elemente recht weitgehende Normierung sollte kontingente Handlungen im rituellen Ablauf reduzieren. Das Verha¨ltnis von Amt und Familie wurde im Ritual stufenweise gegeneinander ausgetauscht: Der Beginn der Begra¨bnisfeierlichkeiten geho¨rte noch in die Spha¨re der Republik, deren Ende hingegen in die Spha¨re der Familie. Die Verwandtschaft bildete sowohl in den Hansesta¨dten als auch in Venedig einen Teil des Beerdigungszuges. Sie erhielt einen zwar prominenten, aber in den Rahmen der o¨ffentlichen Selbstdarstellung der
242 „Am Sonntag zur Mittagszeit, das war am 7. dieses Monats, wurde der Doge begraben, und es wurde
der Baldachin in Santi Giovanni e Paolo aufgestellt, auch, [...] um die Prozession der Zeichen der Bruderschaften, und der Scuole grandi, und der geistlichen Kongregationen wie u¨blich zu halten, aber da wenig Platz war, und weil das Volk aus Hungersnot, die in Venedig herrschte, schrie, [es war so], dass das ganze Volk schrie ‚der Doge vom Mehr‘, der die Ba¨cker Brot von Mehr [d. h., Brot, das gro¨ßer aussieht als es ist, also mehr scheint, als es ist] verkaufen la¨sst, und um Acht zu geben auf eine neue Situation, die [jederzeit] eintreffen konnte, wurde sein Leichnahm nicht wie sonst nach Santi Giovanni e Paolo transportiert, sondern in die Kirche von San Marco, wo die u¨blichen Feierlichkeiten abgehalten wurden und ihm die Rede durch Antonio Zen gehalten wurde; nach der Nacht wurde er in die Kirche San Gioppe u¨berfu¨hrt, und dort begraben, dann begab man sich an die Wahl eines neuen Dogen.“ BMC, Cod. Cic. 3752, Savina, Cronaca, S. 741–742.
2.2. Familienehre oder Erho¨hung der Republik
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Magistrate integrierten Platz.243 Vergleichbares la¨sst sich fu¨r das Nebeneinander von familia¨rem und republikanischem Wappen beobachten: Das Wappen eines venezianischen Magistrats wurde immer in Verbindung mit dem Banner von San Marco ausgestellt.244 Dies galt nicht allein fu¨r die venezianischen Patrizier: Beim Begra¨bnis des Großkanzlers Giovanni Francesco Ottobon im Jahre 1575 waren die Sa¨ulen der Kirche von San Marco245 mit den Wappen seiner Familie, u¨ber die das Zeichen San Marcos gesetzt war, geschmu¨ckt.246 Am Ende der Begra¨bnisfeierlichkeiten waren es die Familienangeho¨rigen allein, die fu¨r die Wahl der Grabeskirche und die Ausrichtung des Grabmals verantwortlich waren. In der Grabmalsgestaltung spielte die familia¨re Repra¨sentation – entsprechend der schrittweisen Trennung von Person und Amt – eine gro¨ßere Rolle als wa¨hrend der durch die anderen Amtsinhaber kontrollierten und stark reglementierten Begra¨bnisfeierlichkeiten. In Lu¨beck zeigt sich dies im Wettstreit der ratsfa¨higen Familien um die dauerhafte Anbringung ihrer Wappen zum Gedenken an verstorbene Familienmitglieder im Inneren der Marienkirche.247 Dieses Konkurrenzstreben beschra¨nkte sich aber allein auf die ra¨umliche und bildliche Gestaltung des Gedenkens an den Verstorbenen. In gedruckten Trauerreden, -gedichten und auch Inschriften an den Grabmalen brachten die Verfasser die Eigenschaften des Verstorbenen hingegen mit einem vorwiegend durch seine Amtsta¨tigkeit definierten Tugendkatalog in Zusammenhang.248 Ha¨ufig versuchten sie darin, Personen posthum zu rechtfertigen, die besonders umstritten waren, wie zum Beispiel den Lu¨becker Bu¨rgermeister Gotthard von 243 Fu¨r Bremen vgl. Ordnung, 1634, S. 42; fu¨r Hamburg STUBH, Cod. Hans. II, 73, Hamburgische Alte
und Neue Ordnungen, Ey¨den derer Officianten und anderer Notablen Sachen Erster Theil, LeichenOrdnung vom 12. September 1654, handschriftliche Abschrift, S. 508; fu¨r Lu¨beck: AHL, Miscellanea, Rerum Lubecensium, Bd. 2: Varia, handschriftliche Abschrift einer Begra¨bnisordnung von 1619, S. 1109–1123; fu¨r Venedig vgl. BM, Cod. It. VII, 562 (7691), [Caroldo], Modo col qual si solenna far elettione delli Dosi di Venetia, S. 23. 244 BM, Cod. It. VII, 562 (7691), [Caroldo], Modo col qual si solenna far elettione delli Dosi di Venetia, s. p.: Accanto il corpo stanno sedendo [...] li 60 nobili vestiti di scarlato, li marinari anco, et quegli altri, che accompagnati il corpo vi stanno d’intorno [...]. Quello, che deve fare l’oratione in laude di S. Ser., va sopra un pulpeto fornito di velluto nero con le insegne d’oro di S. Marco et del Prencipe. – „Bei dem Ko¨rper sitzen [...] 60 scharlachrot gekleidete Patrizier, auch die Seeleute, und einige andere, die sich im Inneren befinden, da sie den Leichnam begleiten [...] Derjenige, der die Rede zum Lob von E. Ehrw. halten muss, steigt auf eine Kanzel, die mit schwarzem Samt ausgeschlagen ist, worauf sich in Gold die Zeichen von S. Marco und des Fu¨rsten befinden.“ 245 Vgl. Pace, Ceremoniale Magnum, S. 331–332. 246 Pace, Ceremoniale Magnum, S. 332: Nel mezzo della Chiesa sotto Baldachino [...] essendo ornate le colonne della Chiesa di tella nera, con le arme del morto. – „In der Mitte der Kirche unter dem Baldachin [...] sind die Sa¨ulen der Kirche mit schwarzem Leinwand ausgeschlagen, auf der sich das Wappen des Toten befindet.“ 247 Vgl. Jacob M. von Melle, Gru¨ndliche Nachricht von der Kaiserl. freyen und des H. R. Reichs Stadt Lu¨beck welche den Einheimischen und Fremden aus unverwerflichen Dokumenten mit aufrichtiger Feder ertheilet wird, Lu¨beck 31787, S. 173–197. 248 Fu¨r Bremen vgl. STAB, 2-P.1.-142., Sammlung Post, Sammlung Bremischer Inschriften, Epitaphien, handschriftliche Abschriften aus dem 19. Jahrhundert, S. 9–13; die hier abgeschriebenen Epitaphien sind nicht enthalten in: Lateinische Inschriften Bremens, hg. v. Bo¨rtzler. Fu¨r Hamburg liegt leider keine moderne Edition vor, daher ist immer noch die umfassendste Referenz fu¨r die hamburgischen Epitaphien das von Theodor Anckelmann im Jahre 1663 herausgegebene Werk: Inscriptiones antiquissimae & celeberrimae Urbis Patriae Hamburgensis, hg. v. Theodor Anckelmann, Hamburg 21706 [EA
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
Ho¨veln, der von 1578–1609 Mitglied des Rates gewesen war. In dem ihm gewidmeten Epitaph, das an einer zentralen Stelle in der Marienkirche hing, wurde an erster Stelle seine „Standhaftigkeit“ beschworen – eine eher euphemistische Umschreibung seiner gegenu¨ber Amtskollegen und Bu¨rgern meist intransigenten Haltung.249 Die Struktur vieler Texte, mit denen verstorbene Magistrate geehrt wurden, zeigt deutlich, wie ¨ mterlaufbahn sowohl fu¨r das perso¨nliche Gedenken im familia¨ren Rahwichtig die A men aber auch fu¨r das Geda¨chtnis der gesamten Republik war. Sowohl aus Venedig250 als auch aus den Hansesta¨dten251 sind Listen der jeweiligen Amtstra¨ger u¨berliefert, die als Bestandteil der sta¨dtischen offiziellen Erinnerungssicherung zu bewerten sind. Vertein dage vor Winachten war alhier tho Hamburg ein Burgermeister begraven als mit Nahmen H. Hieronimus Vo¨egler sines Olders 76 Jahr den he hedde in Stoel des Rades geseten 46 jahr den he hadde 14 Jahr Rades Herr gewest und 32 was he ein Bu¨rgermeister gewesen.252 Das Gedenken an den Bu¨rgermeister Voegler, so wird es in diesem Zitat deutlich, verband sich mit der Memoria des Hamburger Rates. In dieser Art von sta¨dtischer Geschichtsschreibung findet sich daher, anders als in der gedruckten Gelegenheitsliteratur, kein humanistisch gepra¨gter Tugenddiskurs in der Art eines Ratsherrenspiegels, sondern eine Form des Gedenkens: Die Nennung der Namen la¨sst den verstorbenen Ratsherrn pra¨sent sein und ihn so Teil einer Lebende und Tote umfassenden Ratsgruppe werden.253 Dies la¨sst sich sehr gut an der Einbeziehung der verstorbenen Ratsherren in die Geschichtswerke erkennen: Die Notizen beschra¨nkten sich meist wie im Fall des Hamburger Bu¨rgermeisters Hieronimus Voeglers dar¨ mterlaufbahn anzugeben. Beides waren die auf, Todeszeitpunkt und die Daten der A Informationen, die die Erinnerung an den Rat als sich sta¨ndig erneuernde Gruppe von Amtsinhabern ermo¨glichten. In der sta¨dtischen Chronistik kam dem reibungslosen ¨ mterlaufbahn die Bedeutung eines zeitlichen und inhaltlichen StrukturAblauf der A merkmals der sta¨dtischen politischen Ordnung zu: Listen der gewa¨hlten Ratsherren bildeten sich im hansesta¨dtischen Bereich zu einem besonderen Gattungstyp sta¨dtischer Chronistik, den so genannten Ratswahl- oder Ratswappenbu¨chern, heraus.254 Heidelberg 1663], S. 14–21; fu¨r Lu¨beck vgl. Verkannte Scha¨tze. Lu¨becks lateinische Inschriften im Original und auf Deutsch, hg. v. Adolf Clasen, Lu¨beck 2002, S. 26–27, 38–41, 44–45. 249 Clasen, Verkannte Scha¨tze, S. 26. 250 Vgl. zum Beispiel BMC, Cod. Cic. 2119, Giancarlo Sivos, Cronaca Veneta, Bd. 4, fol. 85, 86, 111; außerdem Sansovino, Delle Cose notabili, fol. 67–79; auch die Zeremonialbu¨cher folgen in ihren Schilderungen der Einzelbeispiele diesem Muster: ASV, Coll., cerim., rg. 1, zum Beispiel fol. 83. 251 Fu¨r Bremen vgl. STAB, 2-P.1.-163, Bu¨rgermeister und Rahtsherren Buch. Der Kay¨serlichen frey¨en Reichs Statt BREMEN [...], o. J.; fu¨r Hamburg vgl. zum Beispiel STUBH, Cod. Hans. III, 67, 1, Hermann Ro¨ver, Ein Cathalogus [...]; außerdem STAH, 731–1, Handschriftensammlung, Ms. 16, Ratswappenbuch 1283–1644; fu¨r Lu¨beck vgl. AHL, ASA-Interna, Ratsstand 2/1, chronologische handschriftliche Liste der in den Rat Gewa¨hlten von 1500–1673; STAH, 731–2, Wappenbu¨cher, VIII, 2 Lu¨becker Ratswappenbuch von 1161–1606, mit Fortsetzung bis 1700. 252 STAH, 731–1 Handschriftensammlung, Ms. 43, [Carolus Schenck], Cronicka Carolus Schenck geho¨rigk, Anno Domini 1652. 253 Vgl. Dietrich W. Poeck, „bidde vor uns“. Zur Fu¨rbitte und Totengedenken im mittelalterlichen Bremen, in: BremJb 72 (1993), S. 16–33. 254 Vgl. Anm. 250, 251 und 252.
2.2. Familienehre oder Erho¨hung der Republik
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In Venedig finden sich diese Listen meist in andere Chroniken oder auch die Zere¨ bernahme antiker monialbu¨cher eingefu¨gt.255 In beiden Fa¨llen verband sich die U historiographischer Annalen-Traditionen mit denen mittelalterlicher Memoria, den Nekrologen, die ein Andenken an den Rat als Gruppe widerspiegelten. ¨ mterlaufbahn von einfacher Mitgliedschaft im Maggior Consiglio Wie sehr die A bis zur Dogenwu¨rde oder in den hansesta¨dtischen Stadtra¨ten von Gesandtschaften und Gerichtsta¨tigkeiten bis hin zur Bu¨rgermeisterwu¨rde, aber auch umgekehrt ¨ berlieferung pra¨gte, die individuelle Selbstrepra¨sentation im Rahmen familia¨rer U zeigt, dass sie penibel in den Papieren der einzelnen Familien festgehalten und somit Bestandteil ihrer Erinnerung wurde.256 So ist er [H. Lubertus Edzart] [...] in An: 1640 den 9. Jan. durch ordentliche wahl dieses Orts herkommen nach von vier ihm gantz unverwandten und nicht beschwiegerten Herren, darunter zwey¨ Burgermeister und zwey¨ Doctores Juris gewesen, in den Raht gekoren.257 Diese Bemerkung schließt die Aufzeichnungen u¨ber den Karriereweg Lubert Edzarts, der erst 1607 das bremische Bu¨rgerrecht erworben hatte und schließlich 33 Jahre spa¨ter Ratsmitglied geworden war: Die Wahl in den Rat bedeutete fu¨r ihn, fu¨r seine Familienangeho¨rigen und Nachfahren den Ho¨hepunkt seines Lebenswegs. Auch der um 1580 verstorbene Hamburger Ratsherr Joachim Holthusen ordnete sein Leben in einer handschriftlichen, ein Blatt umfassenden Aufzeichnung nach demselben Muster.258 Die innerhalb der Familien u¨berlieferten Schriften stimmen mit der Werteskala u¨berein, die in der hansesta¨dtischen Chronistik zu finden ist.259 Die Verfasser der als Drucke u¨berlieferten Begra¨bnisreden zu Ehren verstorbener venezianischer Magistrate betonten immer wieder in stereotypen Formulierungen die Verdienste des Verstorbenen fu¨r die Republik.260 Die jeweiligen Autoren bezogen spezifische Kennzei-
255 Vgl. Anm. 250. 256 Als Beispiele seien genannt: STAB, 2-P.6.b.2.a.37, Kurze Lebensbeschreibung des Ratsherrn Luber-
tus Edzard, vermutlich Mitte 17. Jahrhundert, eine undatierte und unpaginierte Manuskriptseite; STAB, 2-P.6.-b.1.a.77, Aus Bu¨rgermeister Christian Stedings Hauptbuch, eigentliche Quelle um 1600, Abschrift 18. Jahrhundert, gleichfalls undatierte und unpaginierte Manuskriptseite. 257 STAB, 2-P.6.b.2.a.37, Kurze Lebensbeschreibung des Ratsherrn Lubertus Edzard, s. p. 258 Vgl. STAH 622–1, Familienarchiv Holthusen, Holthusen, Jochim, Aufzeichnungen u¨ber sein Leben, bis 1580, undatierte und unpaginierte Manuskriptseite. 259 Vgl. fu¨r den Bereich der Hansesta¨dte Rainer Postel, Warumb ich disse Historiam beschrieben, in: Sta¨dtische Geschichtsschreibung im Spa¨tmittelalter und in der fru¨hen Neuzeit, hg. v. Peter Johanek, Ko¨ln/Weimar/Wien 2000, S. 319–332; fu¨r Venedig James S. Grubb, Memory and identity: Why Venetians didn’t keep ricordanze, in: Renaissance Studies 8 (1994), S. 375–387. 260 Vgl. Iacobo De Amore, In Funere Serenissimi Venetiarum Principis Francisci Molino Oratio habita. In Publico Gymnasio Sanctissimae Trinitatis Eloquentiae Profeßore, Anno Domini MDCLV, Venedig 1655; Cristoforo Finotto, In Funere Serenissimi Principis Venetiarum Francisci Contareni Oratio in Aedibus D. D. Ioannis, & Pauli Augustissimis Habita, Venedig 1625; Bernardo Georgio, Epitaphia, et Epigrammata aliquot, quae dum Praetorem Patavii ageret, obiter composuit, Venedig 1558, fol. A3–A4 und passim; Aenea Piccolomineo, Oratio in funere Andreae Suriani Magni Venetae Reip. Cancellarii Habita Venetiis in Aede D. Stephani XVII: Kal. Iun. M.D.XCV, Venedig 1597; Bartolomeo Spataphora,
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
chen des Dogen oder auch seiner Amtszeit immer auf Venedig als politisches Gemeinwesen. Dies gilt zum Beispiel auch fu¨r Dogen, die die Chronisten wegen ihrer perso¨nlichen religio¨sen Haltung priesen. In den Begra¨bnisreden auf die Dogen Pasquale Cicogna (Dogat 1585–1595) und Francesco Contarini (Dogat 1623–1624) – beide durch ihr Interesse an religio¨sen Themen bekannt – heißt es u¨bereinstimmend, dass ihre perso¨nliche Religiosita¨t der Republik gedient habe.261 Der hier sich a¨ußernde Grundton kann durchaus als republikanisch bezeichnet werden. Viele Autoren verglichen die Verstorbenen mit antiken Vorbildern, meist mit ro¨mischen Senatoren. Dabei hoben sie auch immer wieder deren Verdienste und nur allein diese als Grund fu¨r die Ehrung hervor. In einer Begra¨bnisrede auf den im Jahre 1605 verstorbenen Großkanzler Domenico Viceo fasst der Autor diese ho¨here Einscha¨tzung des perso¨nlichen Verdienstes als Kennzeichen fu¨r die Stellung in einer Republik treffend zusammen: Et merito, & iure: nam non is Romanus, aut Venetus civis dicendus, qui est Romae, aut Venetijs natus: verum qui se non sibi: sed Romae aut Venetiis [...] profitetur.262 So wie in den Begra¨bnisreden auf die Dogen erza¨hlen die Verfasser auch in den Begra¨bnisreden zu Ehren verstorbener Großkanzler oder Sekreta¨re chronologisch den Lebenslauf, der immer entsprechend der Verdienste fu¨r Venedig strukturiert wird. Coelistes ille spiritu, atque moribus,/ Fideque cana, pectore & recondito/ In Principem suum, in suam Rempublicam263 heißt es zum Beispiel in einem Trauergedicht auf den 1602 verstorbenen Sekreta¨r des Consiglio di Dieci Celio Magno. Weiter heißt es in diesem Text, dass er dem Dogen und der Republik in Friedens- und Kriegszeiten die Treue gehalten habe,264 wa¨hrend das Wappentier Venedigs, der Markuslo¨we, ihm amicus unus, also einziger beziehungsweise einzigartiger Freund, gewesen sei.265 Die Erwa¨hnung des Treueverha¨ltnisses weist dabei auf die dienende Funktion hin, die er als Sekreta¨r des Consiglio di Dieci innehatte. Ein anderes Trauergedicht auf einen verstorbenen Amtstra¨ger aus der Schicht der Cittadini verweist auf die enge ¨ mterlaufbahn: So vero¨ffentlichte Verbindung von perso¨nlicher Rechtfertigung und A ein anonymer Autor nach dem Tod des Sekreta¨rs des Consiglio di Dieci Antonio Milledonne im Jahre 1588 eine Lebensbeschreibung. Er hatte sie deswegen verfasst, weil er es fu¨r ungerecht hielt, dass Antonio Milledonne nicht zum Großkanzler gewa¨hlt worden war.266 Diese fu¨r Venedig charakteristische Symbiose perso¨nlicher, familia¨rer und republikanischer Selbstdarstellung la¨sst sich auch in den Trauergedichten Quattro Orationi. L’una in morte del Serenissimo Marc’Antonio Trivisano. L’altra nella creatione del Serenißimo Francesco Venier Principe di Venetia, et una in difesa della servitu`. L’altra in difesa della Discordia, Venedig 1554, S. 9–36; Delle Inscrizioni Veneziane, Bd. 2, S. 13, 17, 33, 40, 241, 246, 248; Delle Inscrizioni Veneziane, Bd. 3, S. 126, 226, 227, 440; Delle Inscrizioni Veneziane, Bd. 6, S. 594. 261 Finotto, In Funere Serenissimi Principis Venetiarum Francisci Contareni Oratio, s. p.; Piccolomineo, Oratio in funere Paschali Ciconiae, s. p. 262 [Anonym], Oratio in funere Vicei Magni Venetae Reip. Cancellarii, Habita Venetijs in Augustißimis D. Marci Aedibus, XII. Kal. Marty¨ M. DC. V., Venedig 1605, s. p. 263 [Anonym], Componimenti in Morte del Clariss Sig. Celio Magno Gia` Segretario dell’Ecelso Cons. de X. Dedicati all’Illustriss. Sig. Orsatto Giustiniano, Verona 1602, s. p. 264 Componimenti in Morte del Clariss. Sig. Celio Magno, s. p. 265 Ebd. 266 Vgl. [Anonym], Vita di Antonio Milledonne Secretario del Conseglio di X. Da altro Secretario scritta, Venedig 1618, S. 28, 32. Zu dem Hintergrund des Drucks ist kaum mehr als der Verfasser und der
2.2. Familienehre oder Erho¨hung der Republik
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auf hansesta¨dtische Ratsherren finden. Das Verha¨ltnis des hamburgischen Senators Rudolph Amsinck zum sta¨dtischen Rat sei kein dienendes, sondern ein freundschaftliches: den anderen Ratsherren ein Freund, den Bu¨rgern Nutzen bringend, so heißt es in einem Trauergedicht auf den im Jahre 1636 Verstorbenen.267 Wie auch in vielen venezianischen Trauergedichten wird Amsincks rhetorische Begabung hervorgehoben und damit indirekt auf seine Amtsta¨tigkeit verwiesen.268 Als weitere Parallele ¨ berzwischen den venezianischen und hansesta¨dtischen Memorialgedichten ist das U wiegen antiker und nicht-biblischer Symbole zu nennen. Der zu Lebzeiten wegen seiner Parteinahme innerhalb der konfessionellen Auseinandersetzungen im Bremen der 1560er Jahre umstrittene Bu¨rgermeister Daniel von Bu¨ren wird in einem der auf ihn verfassten Trauergedichte mit dem ro¨mischen Konsul Fabius Cunctator verglichen. Der Verfasser dieses Gedichts ist der Bremer Theologe Christoph Pezel. Umso mehr u¨berrascht es, dass er in dem Lob auf Daniel von Bu¨ren allein auf antike und nicht auf religio¨se Vergleiche zuru¨ckgriff.269 Im weiteren Verlauf des Gedichts charakterisierte Pezel Daniel von Bu¨ren als Lenker des Staatsschiffes und verwendete damit ein dezidiert humanistisches Bild.270 Die politischen Eigenschaften von Bu¨rens schienen selbst in den Augen des refomierten Theologen erwa¨hnenswerter zu sein als dessen konfessionelle Haltung. Anders als im Konkurrenzkampf um die bildliche Verewigung des Verstorbenen im Kirchenraum kommt in dem verschriftlichten Gedenken an die verstorbenen Amtsinhaber allein der Primat der Republik als oberste Wertorientierung zum Ausdruck. Graduelle Unterschiede zwischen den Textgattungen ha¨ngen mit ihren unterschiedlichen Funktionen zusammen: In der sta¨dtischen Chronistik sollte die listenartige Aufza¨hlung der Amtsinhaber symbolisieren, dass sich die Gruppe des Rates oder auch der verschiedenen Institutionen immer wieder reibungslos, im Gedenken ¨ bereinstimmung mit religio¨sen Normen konan die verstorbenen Mitglieder und in U stituierte. Die gedruckte Trauerliteratur sollte vorwiegend an den Verstorbenen als Einzelperson in den Augen seiner Familienmitglieder und der mit ihm eng verbundenen Personen in der Stadtgemeinschaft erinnern. In diesem Bereich la¨sst sich in beiden Textgattungen keine markante Entwicklung von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts erkennen. Selbst die religio¨se Haltung der einzelnen Amtsinhaber, die zu ihren Lebzeiten teilweise recht umstritten war, gewann als Kennzeichen nicht mehr Bedeutung als die politische Ta¨tigkeit der jeweiligen Personen. Diese Grundstruktur verleiht gerade der gedruckten Memorialliteratur einen stereotypten Charakter, sodass kaum Unterschiede zwischen einer Preisrede auf einen verstorbenen Dogen oder einen Bu¨rgermeister aus der Mitte des 16. oder der Mitte des 17. Jahrzeitliche Abstand zwischen Tod des Sekreta¨rs und seiner Rechtfertigungsschrift bekannt, vgl. Delle Inscrizioni Veneziane, Bd. 6, S. 493. 267 STAH, 622–1, Familienarchiv Amsinck, 1.3.c, Trauergedichte auf Mitglieder der Familie Amsinck, Walter, Salomon, Encomium Defuncti, Hamburg 1636 [spa¨ter angefertigte handschriftliche Abschrift eines Druckes]. 268 Componimenti in Morte del Clariss. Sig. Celio Magno, s. p.; Walter, Encomium, s. p. 269 [Anonym], Epicedium in Obitum Amplissimi Viri, D. Danielis Buren, Consuli Reip. Bremensis [... Lu¨cke im Papier], Bremen [Jahreszahl wg. Textschadens nicht erkennbar], fol. A3. 270 Epicedium in Obitum Amplissimi Viri, D. Danielis Buren, fol. A3.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
hunderts zu erkennen sind. Eine entsprechende Kontinuita¨t findet sich auch in den Texten, die sich an gesamtsta¨dtisches Publikum richteten. Der Bereich des rituellen Gedenkens erweist sich hingegen, wie der Bereich der Wahlen und Amtssetzungen um 1600, als eine Form der Selbstdarstellung, dem besondere Aufmerksamkeit galt. In den Begra¨bnisriten konnte das Verha¨ltnis von Republik und Familie immer wieder neu ausgehandelt werden – im Gegensatz zu den verschriftlichten Gedenkformen. 2.2.2. Sonderstellungen: Die Familienangeho¨rigen Aufgrund der zeremoniellen Sonderstellung des Dogen wa¨re nun zu fragen, ob dieser Befund auch seiner Ehrung im Rahmen von Begra¨bnisfeierlichkeiten und Memoria entspricht oder ob sich hier eine andere Beziehung zwischen Amt, Person und Republik feststellen la¨sst. Das Begra¨bnis des Dogen wurde in allgemeiner Form in den Zeremonialbu¨chern beschrieben. Außerdem beru¨cksichtigte es Gian Giacomo Caroldo in seiner Zusammenstellung von Rites de passage venezianischer Amtstra¨ger. Wie bei den Wahlen so sollte auch hier durch das minutio¨se Protokollieren der Einzelfa¨lle immer wieder besta¨tigt werden, dass das jeweilige Ritual regula¨r und ohne Sto¨rungen abgelaufen sei.271 Diese Texte geben daher kaum Aufschluss u¨ber reale Abla¨ufe (und auch Konflikte), die im Rahmen dieser Feierlichkeiten stattfanden. Der ¨ bergang von einem Dogen zum na¨chsten symbolisierte die Harmokonfliktfreie U nie von Realita¨t und Idealita¨t der venezianischen politischen Ordnung. So erkla¨rte zum Beispiel Francesco Sansovino die Bewachung des Dogenpalastes nach Bekanntgabe der Todesnachricht durch die Mitarbeiter des Arsenals damit, dass diese zwar im Jahre 1328 aus damaliger Angst vor Tumulten eingerichtet worden sei, nun aber nur lediglich als Erinnerung an die damalige Situation und nicht aus aktueller Notwendigkeit beibehalten werde andando le cose pacificamente in Citta` tanto religiosa & ben regolata.272 Bis zur ersten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts hatte sich bereits ein elaboriertes Ritual fu¨r die Begra¨bnisse des Dogen, aber auch anderer wichtiger Amtstra¨ger wie der Procuratori oder der Großkanzler herausgebildet.273 Da die Wu¨rde des Dogen, des Großkanzlers und des Procuratore auf Lebenszeit vergeben wurde, wurde der Form ihrer Begra¨bnisse besondere Bedeutung zugemessen. Bereits den Zeitgenossen war bewusst, dass die Begra¨bnisrituale fu¨r Doge und Procuratore die Trennung von Amt und Person symbolisierten. Sie sollten es den Familienangeho¨rigen erschweren, die Stellung ihres Verwandten noch nach dessen Ableben zur Erho¨hung ihrer sozialen Position auszunutzen.274 271 Als Beispiele seien genannt BM, Cod. It. VII, 562 (7691), [Caroldo], Modo col qual si solenna far elet-
tione delli Dosi di Venetia, S. 11–23 und S. 47–s. p.; ASV, Coll., cerim., rg. 1, fol. 1–2; außerdem BM, Cod. It. VII 1808 (8375), Copie die [sic!] ceremoniali tratte dalla Cancelleria Secreta 1482–1713, fol. 35. 272 „... da die Dinge in dieser so religio¨sen & wohl geordneten Stadt friedlich verlaufen.“ Sansovino, Venetia, 1663, S. 489. 273 Vgl. auch Matteo Casini, „Dux habet formam regis“. Morte e intronizzazione del principe a Venezia e Firenze nel Cinquecento, in: Annali della Fondazione Luigi Einaudi 27 (1993), S. 273–351, hier: S. 276–303. 274 Vgl. Muir, Civic Ritual, S. 271.
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Nach dem Tod eines Dogen liefen die eigentlichen Amtsgescha¨fte ungehindert weiter. Der Signoria oblag die Pflicht, fu¨r die Aufrechterhaltung der Amtsgescha¨fte zu sorgen, die rasche Organisation von Neuwahlen in die Wege zu leiten,275 den Tod des Dogen in den venezianischen Besitzungen bekannt zu geben276 und sich um die Amtsinsignien des Dogen zu ku¨mmern. Hoheitszeichen wie Siegelring und Mu¨nzen waren auf den jeweils amtierenden Dogen gepra¨gt und wurden sofort nach dessen Ableben eingezogen. Den Siegelring, der in fru¨heren Zeiten wohl beim Bollador Ducale, dem Siegelbewahrer des Dogen, verblieb,277 erhielten im 16. Jahrhundert die Verwandten des Dogen.278 Einerseits stellte dies eine symbolische Aufwertung der Familie des Dogen dar, andererseits la¨sst sich dieses Zugesta¨ndnis auch als Anzeichen dafu¨r interpretieren, dass sein Missbrauch nicht mehr vermutet wurde. Das Siegel selbst wurde allerdings weiterhin zerbrochen.279 Der Herrschaftswechsel u¨ber Orte, die unter venezianischer Oberhoheit standen, dru¨ckte sich durch den Austausch der Hoheitszeichen aus, wie es in Caroldos Aufzeichnungen heißt: Li Salinieri di Chioza mandano in questa Citta` doi delli loro sigilli d’argento, il maggiori de quali, che ha intorno il nome del Dose morto, si rompe, et il piccolo, che e` senza nome, ma` solo con il San Marco, vien conservato dal V. Dose, et poi consegnato al nuovo Dose, finche` ne sy¨ fatto un’altro da nuovo, che si mandano al detto salinaro.280 Dass die Amtsgescha¨fte tatsa¨chlich ungehindert vom Tod eines Dogen weiterliefen, zeigt, dass viele Entscheidungen vacante ducatu erlassen wurden.281 Die Correttori alle leggi nahmen sich außerdem der Modifikation des Wahlversprechens des Dogen, der promissione ducale an. Die Inquisitori di Stato pru¨ften das Verhalten des Verstorbenen wa¨hrend seiner Amtszeit und setzten gegebenenfalls anstehende Strafzahlungen der Familie fest, etwa, wenn der Verstorbene ihrer Meinung nach zu wenig Kosten fu¨r die Repra¨sentation Venedigs wa¨hrend seiner Amtszeit aufgewendet hatte.282 Beide Elemente waren fu¨r Venedig charakteristisch. Außenstehende hoben sie als ein besonderes Merkmal dieser Begra¨bnisrituale hervor, so zum Beispiel der englische Gesandte Henry Wotton in einem Brief vom 25. Mai 1618: 275 BM, Cod. It. VII, 562 (7691), [Caroldo], Modo col qual si solenna far elettione delli Dosi di Venetia,
S. 10. 276 Ebd., S. 14. 277 Ebd., S. 11. 278 Ebd. 279 Ebd., S. 13. 280 „Die Aufseher der Salinen von Chioggia schicken in diese Stadt zwei ihrer silbernen Siegel, der gro¨ßere
von beiden, der auf sich den Namen des toten Dogen tra¨gt, wird zerbrochen, und der kleinere, der ohne Namen ist, aber nur mit San Marco, wird vom Vizedogen aufbewahrt und anschließend an den neuen Dogen u¨bergeben, damit er sich nach diesem Vorbild ein neues machen la¨sst, das besagtem Aufseher geschickt wird.“ BM, Cod. It. VII, 562 (7691), [Caroldo], Modo col qual si solenna far elettione delli Dosi di Venetia, S. 15. 281 Vgl. zum Beispiel die entsprechenden Beschlu¨sse in ASV, compilazione delle leggi, bu. 185, Doge di Venezia, vom 5. und 13. November 1615 sowie vom 15. Dezember 1624. 282 Vgl. Mario Brunetti, Due Dogi sotto inchiesta: Agostino Barbarigo e Leonardo Loredan, in: Archivio Veneto-Tridentino 7 (1925), S. 287–329.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
The Correctors are to consider what laws be fit to be added or amended touching the future election, or in the form of the Duke’s oath, which they gently call his promise. The Inquisitors are upon complaint (and not otherwise) against the deceased Prince, especially in matter of extortion, to inquire of the truth, and accordingly to punish his heirs. Which office doth continue in authority the term of a year.283 In diesen Abla¨ufen la¨sst sich also insgesamt eher eine Beschra¨nkung, wenn nicht gar Benachteiligung der Familie des Verstorbenen, erkennen. Ra¨umlich spielte sich das Begra¨bnis in einem Wechsel vom Dogenpalast zur Kirche von San Marco und schließlich zur Grabeskirche ab. Es verband also das politische mit dem religio¨sen und zum Schluss mit dem familia¨ren Zentrum. Diese Verknu¨pfung dru¨ckte sich auch in der Gestaltung des Geleitzugs des Dogen aus: Hier waren die Magistrate und die auswa¨rtigen Gesandten neben den Familienmitgliedern und den Vertretern kirchlicher Institutionen und religio¨ser Bruderschaften platziert.284 Die Teilnahme der Geistlichkeit und Bruderschaften war zur Sicherung des Seelenheils des Verstorbenen besonders wichtig.285 Bei der Partizipation der Geistlichkeit sind verschiedene Personengruppen zu unterscheiden: Die Geistlichkeit von San Marco, der Geistlichen des Patriarchen, die religio¨sen Orden und die Laienbruderschaften. Der Patriarch und die ihm unterstehende Geistlichkeit konnten durch sein Fernbleiben bekra¨ftigen, dass er mit der Person des Verstorbenen nicht einverstanden gewesen war und ihm so im Nachhinein noch einen betra¨chtlichen Ansehensverlust zufu¨gen. So blieben Patriarch und Geistliche von San Pietro di Castello beispielsweise geschlossen dem Begra¨bnis des kurien- und kirchenkritischen Dogen Leonardo Donato im Jahre 1612 fern.286 Die Teilnahme der Geistlichkeit von San Marco war hingegen nicht flexibel. Sie verdeutlichte die Rechte des Dogen und damit auch der Republik u¨ber diese Kirche.287 Ein weiteres Element des Begra¨bnisrituals weist ebenfalls auf die enge Verbindung des Dogen mit der Kirche von San Marco hin: Die den Leichnam tragenden Arsenalotti hoben ihn an der Schwelle der Kirche von San Marco hoch. Francesco Sansovino zufolge sollte so das Ende der Beziehung des Amtsinhabers als Patron der Kirche von San Marco ausgedru¨ckt werden. Außerdem sollte auf diese Weise an den Beginn seiner Existenz als Doge, an seine
283 [Wotton], Letters, Bd. 2, S. 134. 284 Vgl. BM, Cod. It. VII, 562 (7691), [Caroldo], Modo col qual si solenna far elettione delli Dosi di Vene-
tia, S. 17–25; ASV, Coll., cerim. rg. 1, fol. 2; außerdem die detaillierte Beschreibung des Geleitzuges in der handschriftlichen, undatierten Aufzeichung: BMC, Fondo Wucovich Lazzari, bu. 53, 2, Cerimoniali, che si usano nella Sepoltura del Doge di Venezia [...], s. p. 285 Trotz der Versuche, dies mo¨glichst zu unterbinden, traten Patrizier immer wieder erst auf dem Totenbett in eine Bruderschaft ein, um die Begra¨bniskosten zu senken und fu¨r ihr Seelenheil zu sorgen: Brian S. Pullan, Rich and Poor in Renaissance Venice. The Social Institutions of a Catholic State, to 1620, Oxford 1971, S. 74–75. 286 Vgl. BM, Cod. It. VII, 562 (7691), [Caroldo], Modo col qual si solenna far elettione delli Dosi di Venetia, s. p. 287 Ebd., S. 20.
2.2. Familienehre oder Erho¨hung der Republik
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feierliche Investitur in der Kirche von San Marco, erinnert werden.288 Es kann aber auch, a¨hnlich wie das Glockenla¨uten, als eine o¨ffentliche Bekanntmachung sowohl des Todes als auch der Position der Toten verstanden werden. Auch die Familienangeho¨rigen des Dogen und der Großkanzler erfuhren dieselbe Behandlung, ohne dass sie spezielle Patronatsrechte u¨ber sie innehatten.289 Da dieser Brauch ebenfalls in ga¨nzlich anderen Kontexten u¨berliefert ist, ko¨nnte er ganz allgemein auch eine Trennung des Toten (und seiner Familie) von einem ihm speziell zugewiesenen Bereich ausdru¨cken.290 Die Tatsache, dass Francesco Sansovino diese Handlung erkla¨rt, weist darauf hin, dass er und vermutlich viele seiner Zeitgenossen die Bedeutung dieser Handlung auch nicht mehr selbstversta¨ndlich erfassten. Ein Ho¨hepunkt der Begra¨bnisfeierlichkeiten war die Prozession um den Markusplatz, den die Bruderschaften, die hierzu gesondert aufgefordert wurden,291 festlich gestalteten.292 Die Teilnahme der Bruderschaften an den Begra¨bniszu¨gen zu Ehren eines Großkanzlers oder auch eines Sekreta¨rs galt als ein besonderes Privileg, das durch den Dogen zum Beispiel im Fall des 1575 verstorbenen Großkanzlers Giovanni Francesco Ottobon293 oder des im Jahre 1597 verstorbenen Sekreta¨rs des Consiglio di Dieci Paulo Ciera294 gewa¨hrt wurde. Die große Rolle der Bruderschaften unterstreicht ihre Bedeutung als ein Mittel zur Vergemeinschaftung, die quer zu den sozialen und politischen Abgrenzungen verlief. So hielten die Mitglieder der Bruderschaft zum Beispiel auch die Totenwache zu Ehren des verstorbenen Dogen, falls er ihr Mitbruder gewesen war.295 Die Familie des Dogen war zum gro¨ßten Teil fu¨r die Organisation des Ablaufs verantwortlich. Auf diese Weise beteiligte sich die Republik kaum finanziell an den Feierlichkeiten. Vielmehr bu¨rdeten die Mitglieder des Maggior Consiglio oder des Senats die zum Teil recht hohen Begra¨bniskosten den Familienmitgliedern im Laufe des 16. Jahrhunderts immer umfassender auf. Dies begru¨ndeten sie
288 Sansovino, Venetia, 1663, S. 490: Giunto il cataletto all’incontro della porta principale di San Marco, si
ferma; Et coloro, che lo portano tutti in un tempo concordi insieme, l’alzano in aria, & abbassano fino in terra a` forza di braccia, nove volte, facendo in quella maniera fare al corpo reverenza a quella Chiesa, della qual fu padrone, & nella qual fu publicato & mostrato al popolo nella sua creatione. – „Sobald die Bahre bei der Hauptpforte von San Marco angelangt ist, ha¨lt man an; und diejenigen, die sie tragen, heben sie, alle vereint zur gleichen Zeit, hoch, & senken sie nieder auf die Erde mit der Kraft ihrer Arme, neun Mal, dadurch bewirken sie, dass mit dem Leichnam der Kirche Respekt erwiesen wird, dessen Patron er war, & und in der er im Verlauf seiner Amtseinfu¨hrung dem Volk o¨ffentlich gezeigt wurde.“ 289 Sansovino, Venetia, 1663, S. 490. 290 Bob Scribner hat darauf hingewiesen, dass es in Deutschland weit verbreitet war, den Leichnam beim Verlassen eines Hauses an der Schwelle hochzuheben, um somit die Trennung des Toten sowohl von Raum als auch Gemeinschaft auszudru¨cken: Bob Scribner, Symbolising Boundaries: Defining Social Space in the Daily Life of Early Modern Germany, in: Symbole des Alltags. Alltag der Symbole. FS Harry Ku¨hnel zum 65. Geburtstag, hg. v. Gertrud Blaschitz u. a., Graz 1992, S. 821–841, hier: S. 828. 291 Vgl. BM, Cod. It. VII, 562 (7691), [Caroldo], Modo col qual si solenna far elettione delli Dosi di Venetia, S. 11. 292 Vgl. ebd., S. 20 und ASV, Coll., cerim., rg.1, fol. 2. 293 Vgl. Pace, Ceremoniale Magnum, S. 332. 294 Vgl. ASV, Coll., cerim., fz. 1, Eintrag unter dem Datum 24. Januar 1597. 295 Vgl. BM, Cod. It. VII, 562 (7691), [Caroldo], Modo col qual si solenna far elettione delli Dosi di Venetia, S. 18; Sansovino, Venetia, 1663, S. 489.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
damit, dass eine so aufwendige Feierlichkeit eigentlich nicht notwendig sei, aber auch nicht verboten werde, solange die Familie selbst dafu¨r aufka¨me. So mussten die Angeho¨rigen zum Beispiel den Mantel desjenigen, der die Begra¨bnisrede hielt, bezahlen.296 Zugesta¨ndnisse wie die Kostenu¨bernahme fu¨r die Kerzen bewilligten die Senatoren oder die Mitglieder des Maggior Consiglio allein in einzelnen Fa¨llen und nach langwierigen Diskussionen. Dauerhafte Regelungen wurden vermieden. Vorrangiges Ziel war eine Beschra¨nkung der o¨ffentlichen Kosten.297 In der ra¨umlichen Gestaltung, der Aufbahrung im Dogenpalast, dem Zug in die Kirche von San Marco und anschließend in die Grabeskirche wie auch im Gefolge und im Ablauf, etwa dem Hochheben des Leichnams unter dem Portal der Kirche von San Marco, folgten die Begra¨bnisrituale niedrigstehender Amtstra¨ger detailgetreu dem des Dogen, sogar bis hin zu der Teilnahme auswa¨rtiger Gesandter, wie sie wenigstens in einem Fall bei einem Begra¨bnis eines Großkanzlers bezeugt ist.298 Auf diese Weise wurde die Struktur des Patriziats mit dem Dogen als symbolisch am ho¨chsten stehenden Amtstra¨ger auf die anderen Schichten und Gruppen u¨bertragen, wie es Sansovino beschreibt: Ma quel che voi vedeste hieri fu` il mortario del nostro Cancellier Grande, il quale si come di grado e` il primo tra cittadini, cosı` e` anco honorato per l’officio ch’egli ha. Et pero` quando si porta alla sepoltura gli si fanno le cerimonie che si usano anco al Principe morto. Conciosia che tutta la chieresia l’accompagna, dopo la quale venuto il morto, seguita il Doge con la Signoria vestita a bruno. Et risposto in Chiesa gli si fa l’oratione funerale. Di quei e` che si suol dire volgarmente, che tra Nobili il maggiore e` il Doge, tra i Cittadini il Cancellier Grande.299 296 BM, Cod. It. VII, 562 (7691), [Caroldo], Modo col qual si solenna far elettione delli Dosi di Venetia,
s. p.: Li Parenti del Ser. P. morto hanno carico di proveder de tutte le cose per il funeral di serenita et procedono di mantello a chi fa l’oratione. – „Die Verwandten des Ehrwu¨rdigen Fu¨rsten haben die Aufgabe, alle Dinge fu¨r das Begra¨bnis ihrer Ehrwu¨rden bereitzustellen und auch den Mantel desjenigen zu besorgen, der die Rede ha¨lt.“ 297 BM, Cod. It. VII, 562 (7691), [Caroldo], Modo col qual si solenna far elettione delli Dosi di Venetia, s. p.: Li Conseglieri, et Capi di 40 [...] vengono immediamente a Palazzo, et vi stanno fin alla creatione del nuovo Dose, restando decreto del Maggior Consiglio al governo del Dogado, et per essi, et per la maggior parte di loro si deliberano le coste, che occorono. – „Die Conseglieri, und Ha¨upter der 40 [...] kommen sogleich in den Palast, und bleiben dort bis zur Einsetzung eines neuen Dogen, da es so Beschluss des Maggior Consiglio zur Regierung des Dogats ist, und sie, oder der gro¨ßte Teil von ihnen machen sich Gedanken u¨ber die Kosten, die entstehen.“; vgl. auch fu¨r die Regelungen anderer Standespersonen: ASV, compilazione delle leggi, bu. 213, Funerali e funzione pubbliche, Senatsbeschlu¨sse vom 16. Mai 1587 und 20. Juli 1621 sowie Beschlu¨sse der Savii del Consiglio vom 6. August 1630, 27. April 1635 und Neuverhandlung wegen gestiegener Wachspreise, Eintrag zum 28. April 1640 (beschlussfassende Versammlung ist nicht erkennbar). 298 Vgl. Pace, Ceremoniale Magnum, S. 331–332. 299 „Aber das, was ihr gestern gesehen habt, war die Aufbahrung unseres Großkanzlers, der, so wie er an Rang der erste unter den Cittadini ist, so auch fu¨r das Amt geehrt wird, das er innehat. Und daher, wenn man ihn zum Begra¨bnis tra¨gt, veranstaltet man dieselben Zeremonien, die man auch fu¨r den toten Dogen abha¨lt. In so einer Weise, dass die gesamte Geistlichkeit ihn begleitet, nach der der Tote kommt, gefu¨hrt von dem Dogen mit der Signoria, die in braun gekleidet ist. Und nachdem er in der Kirche aufgebahrt worden ist, ha¨lt man ihm die Begra¨bnisrede. Aus diesen Punkten leitet man im Volksmund ab,
2.2. Familienehre oder Erho¨hung der Republik
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Nicht nur im u¨bertragenen Sinne ist der Doge Vorbild, sondern er ist es auch, der den Verwandten der Amtstra¨ger aus der Gruppe der Cittadini die Ausrichtung des Begra¨bnisses nach dem Vorbild eines dogalen Begra¨bnisses gestattete: Wa¨hrend der bereits erwa¨hnten Feierlichkeiten zu Ehren des Großkanzlers Giovanni Francesco Ottobon kamen seine Verwandten in den Dogenpalast und baten den Dogen, dass man secondo l’ordine die Begra¨bnisfeierlichkeiten abhalten mo¨chte.300 Ihr Rangunterschied wurde auch am Tag des Begra¨bnises selbst eingehalten: Anders als die Verwandten des Dogen warteten die Verwandten des Großkanzlers vor den Tu¨ren auf den sich im Inneren formierenden Zug, in den sie sich erst dann einfu¨gten, als er an ¨ ffentlichkeit trat.301 Sowohl die symbolische Orientierung auf den Dogen als die O auch das direkte Abha¨ngigkeitsverha¨ltnis der nicht zur Schicht des Patriziats geho¨renden Amtstra¨ger von ihm sind es, die den grundlegenden Unterschied zwischen den Begra¨bnisfeierlichkeiten der Amtstra¨ger in den Hansesta¨dten und in Venedig ausmachen. Das dogale Zeremoniell bot das symbolische Vorbild zur Sichtbarmachung des Verha¨ltnisses und der Trennung von Amtsperson und Familienmitglied. Dadurch ließen sie aber auch der rituellen Einbeziehung der Familie mehr Raum. Bei den Begra¨bnissen der Amtstra¨ger in den Hansesta¨dten steht die Stellung des Begrabenen in der sta¨dtischen Rangordnung im Vordergrund, ausgedru¨ckt zum Beispiel durch die Anzahl und die Zusammensetzung des Gefolges. Im Gegensatz zu den venezianischen Zeremonien dient die Sichtbarmachung der jeweiligen Zugeho¨rigkeit zur kirchlichen Struktur der Stadt nicht dazu, auch die Stellung der Familie im jeweiligen geistlichen Gefu¨ge deutlich zu machen. Dies ha¨ngt mo¨glicherweise mit zwei Gru¨nden zusammen: Zum einen dem Wandel der sakralen Topographie der Sta¨dte bei ¨ bergang zum Protestantismus und damit einem Bedeutungsverlust der bruihrem U derschaftlichen Bindungen; zum anderen waren die hansesta¨dtischen Ra¨te trotz aller gegenla¨ufigen Tendenzen ja auch offen fu¨r Personen, die sich neu in der Stadt angesiedelt hatten und daher keine traditionell familia¨ren Bindungen an die sta¨dtischen Pfarrkirchen besaßen. In der Struktur der Wertebezu¨ge a¨hneln sich hansesta¨dtische und venezianische Quellen in jenen Fa¨llen, in denen die Texte aus Anlass der Ehrung eines Magistrats ¨ bergewicht von polientstanden waren. Hierbei war auch generell ein deutliches U tischen gegenu¨ber religio¨sen und familia¨ren Bezu¨gen festzustellen. Es wa¨re nun zu fragen, wie sich das Verha¨ltnis von Familie und Republik in den Ritualen und den in ihrem Umfeld entstandenen Texten darstellt, die keine spezifisch republikanischen, sondern explizit familia¨re Feierlichkeiten waren, zum Beispiel Hochzeitsfeierlichkeiten. Hochzeitsfeierlichkeiten bieten sich deswegen besonders gut als Untersuchungsgegenstand an, da sie als Vereinigung zweier Familien verstanden wurden: Sie boten
dass unter den Nobili der rangho¨chste der Doge ist, unter den Cittadini der Großkanzler.“ Sansovino, Delle Cose notabili, fol. 10. 300 Vgl. Pace, Ceremoniale Magnum, S. 331. 301 Ebd., S. 332.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
der glanzvollen Selbstdarstellung von Familien der sta¨dtischen Eliten einen geeigneten Rahmen. Eheschließungen waren ein wichtiger Indikator fu¨r die Stellung der Familie im sozialen Prestigegefu¨ge der Stadt, der nicht direkt von den anderen Mitgliedern der sta¨dtischen Fu¨hrungsschicht kontrolliert werden konnte: Sie markierten sozialen Wandel und galten als Indiz fu¨r Erfolg oder Misserfolg sozialen Aufstiegs. Den Lu¨becker Ratsherrn Heinrich Brokes ließen viele der anderen Mitglieder der fu¨hrenden Lu¨becker Familien ihren Neid wegen seiner Eheschließung mit Magdalena Lu¨neburg, die einer der reichsten Familien Lu¨becks angeho¨rte,302 spu¨ren: welches [das Verlo¨bnis] geschah mit großer Verwunderung, Widerwillen und Misgunst vieler Leute, sowohl ihrer Verwandten insonderheit des Mutter-Bruders Herrn Diederich Bro¨mbsen, damals a¨ltesten Bu¨rgermeisters, als auch Anderer, so die Sachen gerne anders ha¨tten gesehen. Denn die Jungfrau hatte sonst viele Freyer, weil sie dazumal die vornehmste von Geschlecht und wohl die scho¨nste, reichste und wohlerzogenste war, darum sich Viele ließen ganz sauer werden, die es nun nicht wenig verdroß, daß ich als ein neuer Anko¨mling, der auch sein Patrimonium meist verzehret hatte und noch unansehnlich in frembden Habit und in Trauerkleidern ging und fast unbekannt war, ihnen sollte fu¨rgezogen werden.303 Die Statusmarkierung innerhalb des Hochzeitsfests zeigte sich an den Geschenken der Brautleute untereinander und an der Ausrichtung der Feier selbst: der Zahl der geladenen Ga¨ste, der Anzahl und Vielfalt der aufgetischten Speisen, der musikalischen Untermalung.304 Voller Stolz vermerkte der spa¨tere Hamburger Ratsherr Rudolph Amsinck305 in seinem 1601 angelegten Gedenkbuch die Zahl der zu sei¨ rtlichkeit der Feier und die Aufza¨hlung seiner ner Hochzeit geladenen Ga¨ste, O
302 Vgl. Max Hoffmann, Die Lu¨becker Patrizierfamilie Lu¨neburg, in: MittVLu¨bG 12 (1905–1906),
S. 131–144.
303 Aus dem Tagebuch des Lu¨beckischen Bu¨rgermeisters Henrich Brokes, Teil 1, S. 180. 304 Fu¨r Bremen vgl. die entsprechenden Einschra¨nkungen in: Ordnung Eines Erbaren Rahtes der Stadt
Bremen [...], Bremen 1587; Ordnungen Eines Erbarn Rahdes der Stadt Bremen [...], Bremen 1606; Ordnung Eines Erbarn Rahts der Statt Bremen [...], Bremen 1624; fu¨r Hamburg entsprechend Die hamburgischen Hochzeits- und Kleiderordnungen von 1583 und 1585, hg. v. Johann F. Voigt, Hamburg 1889, S. 3–7 und S. 32–38; außerdem STAH, Senatsbestand, Cl. VII Lit. La Nr. 3 Vol. 8c (2), Revidierte Hochzeitsordnung von 1634, fol. 92–97; fu¨r Lu¨beck vgl. Ulrich Simon, Stand, Vermo¨gen, Standvermo¨gen. Das gesellige Trinken vom Mittelalter bis zum Ende der Luxusordnungen, in: Lust und Last des Trinkens in Lu¨beck. Beitra¨ge zu dem Pha¨nomen vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert. Begleitpublikation zur Ausstellung vom 4. August bis zum 6. Oktober 1996 im St. Annen-Museum zu Lu¨beck, hg. v. Gerhard Gerkens/Antjekathrin Grassmann, Lu¨beck 1996, S. 49–65, hier: S. 50–54; Elisabeth Spies-Hankammer, Die Lu¨becker Luxusordnungen als musikgeschichtliche Quelle. Zum Einsatz von Spielleuten bei Hochzeitsfeierlichkeiten, in: 800 Jahre Musik in Lu¨beck. Zur Ausstellung im Museum am Dom aus Anlaß des Lu¨becker Musikfestes 1982 , hg. v. Antjekathrin Grassmann/Werner Neugebauer, Lu¨beck 1982, S. 32–46. 305 Vgl. zur Person Caesar Amsinck, Die niederla¨ndische und hamburgische Familie Amsinck. Ein Versuch einer Familiengeschichte. Als Manuskript gedruckt. Erster Theil. Von der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts bis zum Anfang des achtzehnten Jahrhunderts, unvero¨ffentl. Ms. Hamburg 1886, S. 49.
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Geschenke fu¨r die Braut.306 Besonders wichtig bei Hochzeits- und Begra¨bnisfeierlichkeiten war es, durch ein großes Gefolge die Stellung der Familie anzuzeigen.307 Ein Bremer Gema¨lde aus dem 17. Jahrhundert zeigt einen Hochzeitszug prominent im Zentrum der Stadt: Die Teilnehmer des Festzugs umrunden den Roland auf dem Bremer Marktplatz. Die Kleidung erweist die Zugteilnehmer als Angeho¨rige des ers-
Abb. 6: Hochzeitszug in Bremen ¨ lgema¨lde (anonym), 1618 O Quelle: Nogai, Focke-Museum
ten Standes, zu dem die Bremer Ratsherren und vornehmsten Kaufleute geho¨rten.308 Ein anderes Bremer Gema¨lde aus dem Jahre 1618 zeigt gleichfalls eine Hochzeit des ersten Standes. Die Personen sind nun zwar sehr viel gro¨ßer dargestellt als bei der zuerst beschriebenen Abbildung, sind aber auch eng mit der Stadt in Beziehung gesetzt. Den Hintergrund bildet eine Bremer Stadtansicht.309 Diese beiden Bremer Gema¨lde verdeutlichen, dass das Repra¨sentationsbedu¨rfnis und -verhalten sich gerade in der Einbeziehung des Stadtraums in die Feierlichkeiten zeigte. Das heißt, dass der o¨ffentliche Charakter der Feierlichkeiten, seine noch nicht vollsta¨ndige Verlegung in eine ja als solche auch noch nicht ideell konzeptionalisierte Privatspha¨re die Prachtentfaltung fo¨rderte, die dem republikanischen Gleichheitsideal zuwiderlief.
306 Das Gedenkbuch findet sich als Abschrift in: Amsinck, Familie Amsinck, S. 60–70. 307 Fu¨r Bremen vgl. die Angaben bei Oliver Rosteck, Bremische Musikgeschichte von der Reformation
bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, Lilienthal bei Bremen 1998, S. 34; fu¨r Lu¨beck Spies-Hankammer, Luxusordnungen, S. 34–36; fu¨r Venedig: Sansovino, Delle Cose notabili, fol. 9: Die Braut fa¨hrt hier naturgema¨ß in einer Gondel. 308 Vgl. Abbildung 7. 309 Vgl. Abbildung 6. Zu dem Gema¨lde vgl. Meyer, 1618: Die Brautkrone.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
Francesco Sansovino erkla¨rte in „Delle Cose notabili che sono in Venetia“ die zunehmende Pracht der Hochzeitsbankette mit der Ausweitung des venezianischen Imperiums im 13. und 14. Jahrhundert, die erstens mehr Luxusgu¨ter nach Venedig habe
Abb. 7: Hochzeitszug auf dem Bremer Marktplatz ¨ lgema¨lde (anonym), Mitte 17. Jahrhundert O Quelle: Nogai, Focke-Museum
gelangen und zweitens auch die venezianische Republik und ihre Vertreter immer bedeutender habe werden lassen. Doch er sah auch die Gefahr, die mit dieser Entwicklung verbunden war und wies im gleichen Atemzug auf die vielfa¨ltigen Erlasse zur Aufwandsbeschra¨nkung hin.310 Nicht nur Sansovino, sondern auch hansesta¨dtische Ratsherren und Bu¨rger sahen die Feiern familia¨rer Ereignisse wie Hochzeiten und Taufen als ein Spiegel des Zustandes des Gemeinwesens an: Mit dem Argument, ¨ ppigkeit gerade bei Hochzeitsfesten Gottes Zorn entfessele, verdass allzu große U langten einhellig alle politischen Institutionen in Venedig und den Hansesta¨dten eine Beschra¨nkung des Festaufwandes – und zwar fu¨r alle sozialen Gruppen.311 Dies weist
310 Sansovino, Delle Cose notabili, fol. 6. 311 Ordnung Eines Ehrbarn Rahtes der Stadt Bremen, 1634, S. 6; fu¨r Lu¨beck: AHL ASA-Interna Hoch-
zeiten 3/2, Dekret vom 19. September 1624; fu¨r Hamburg: Comm, H 343/2, Mandatensammlung
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zum einen darauf hin, in wie hohem Maße die Stadt als sakral definierte einheitliche Gemeinschaft gesehen wurde, andererseits la¨sst diese Argumentation aber auch erahnen, dass die Magistrate durchaus abscha¨tzen konnten, wie scha¨dlich eine sich steigernde festive Konkurrenz besonders der Familien der Oberschicht fu¨r den sozialen Zusammenhalt und damit den Zustand des gesamten Gemeinwesens sein konnte.312 Diese Regelungen formulieren einen ganzheitlichen Ordnungsanspruch der politischen Institutionen. Die jeweiligen Ordnungen nahmen daher auch die Rolle von idealen Gesellschaftsentwu¨rfen ein: Dies wird insbesondere auch an ihrer Detailfreude deutlich, die keinen Bereich der privaten Festkultur oder des individuellen Auftretens in der Kleidung ausließen und somit ein streng hierarchisches Gesellschaftsbild favorisierten. Am Beispiel des Lu¨becker Eides der Brautleute la¨sst sich die Ausweitung dieses Gestaltungsanspruchs zeigen: Nicht nur durfte dieser nun nicht mehr abgelegt werden, wenn man nicht vorher Mitglied des vereidigten Bu¨rgerverbandes geworden war,313 sondern es mussten ihn außer den beiden Brautleuten nun auch der Brautvater oder die Vormu¨nder der Braut leisten. In dem Eid schworen sie, sich an die Hochzeitsordnung zu halten.314 Ein besonderes Augenmerk bei der Klage u¨ber den Verfall der Sitten lag auf dem Verhalten der Oberschicht.315 Ihnen gestanden die Luxusordnungen die meisten Privilegien – die prachtvollste Kleidung, die la¨ngsten Feiern, das gro¨ßte Gefolge, die vielfa¨ltigste Auswahl an Speisen und Getra¨nken – zu, aber sie waren auch auf diese Weise explizit in die Ordnungen der Stadt einbezogen.316 Die Internalisierung der ihnen zugrunde liegenden Normen zeigt sich zum Beispiel an der Missbilligung, die der Lu¨becker Ratsherr und spa¨tere Bu¨rgermeister Heinrich Brokes (Lebendsdaten 1567–1623) u¨ber die Prachtentfaltung der Hochzeit seines Bruders zeigte. Dieser habe, so klagte Brokes in seinem Tagebuch, sich wa¨hrend seines Aufenthalts im monarchisch regierten Da¨nemark einen fu¨r einen Lu¨becker Bu¨rger unangemessen fu¨rstlichen Lebensstil angewo¨hnt.317 Brokes Bruder reagierte wohl in entsprechenden Auseinandersetzungen mit seinem Vater damit, darauf hinzuweisen, dass sein Verhalten zeitgema¨ßer als das alte Lu¨becker Festhalten an u¨berkommenen Repra¨sentationsformen sei.318 Das Scheitern des unangemessen fu¨rstlichen Lebenswandels 1645–1659, Revidierte Kleiderordnung, 6. Ma¨rz 1648, s. p.; fu¨r Venedig: ASV, Provveditori alle Pompe, Capitolare Secondo, 1644, fol. 1. 312 Vgl. zusa¨tzlich zu den bereits genannten Angaben fu¨r die Hansesta¨dte fu¨r Venedig den U ¨ berblick bei: Giulio Bistort, Il magistrato alle pompe nella Republica di Venezia. Studio storico, Venedig 1912, S. 5–10. 313 Vgl. Aus dem Tagebuch des Lu¨beckischen Bu¨rgermeisters Henrich Brokes, Teil 2, S. 1. 314 AHL, ASA-Interna, Hochzeiten 3/5 Eid der Brautleute. 315 AHL ASA-Interna, Hochzeiten 3/2 Dekret 19. September 1624; Die hamburgischen Hochzeits- und Kleiderordnungen von 1583 und 1585, S. 1. 316 Die Unterteilung der Privilegien bei den Feierlichkeiten nach den Sta¨nden stellt ein kontinuierliches Element der Ordnungen wa¨hrend des gesamten Untersuchunsgzeitraums dar. Vgl. zum Beispiel Ordnung Eines Erbarn Rahts der Statt Bremen, 1624, S. 5–7; Die hamburgischen Hochzeits- und Kleiderordnungen von 1583 und 1585, S. 2–3; AHL, ASA-Interna, Hochzeiten 3/1, Hochzeitsordnung 1582, s. p.; Sansovino, Delle Cose notabili, fol. 9; ASV, Provveditori alle Pompe, Capitolare Primo, fol. 3. 317 Aus dem Tagebuch des Lu¨beckischen Bu¨rgermeisters Henrich Brokes, Teil 1, S. 86–87. 318 Aus dem Tagebuch des Lu¨beckischen Bu¨rgermeisters Henrich Brokes, Teil 1, S. 87: „Hiebei ward er etwas u¨ppig und hoffa¨rtig, was dem sel. Vater sehr zuwider war, der ihn auch oft daru¨ber strafte: worauf
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seines Bruders demonstrierte Brokes schließlich mit der Aussage, dass dieser nicht einmal in der Lage gewesen sei, sein eigenes Begra¨bnis zu finanzieren.319 Die Vielzahl an Lu¨becker Luxus-, Hochzeits-, Tauf- und Trauerordnungen dieser Zeit zeigt zum einen, dass das von Brokes geschilderte sta¨ndisch und nicht republikanisch gepra¨gte Auftreten auch unter den Mitgliedern und Familienangeho¨rigen der sta¨dtischen Elite Einzug hielt. Brokes Bemerkung zeigt aber auch, dass dieses Verhalten nicht unwidersprochen zur Kenntnis genommen wurde. Die enge Verbindung von Stadtraum und Verma¨hlungen wird auch in den Texten erkennbar, die zur Ehrung von Hochzeitspaaren entstanden sind.320 In dieser Gelegenheitsliteratur zeigt sich, vergleichbar den Gedichten zum Glu¨ckwunsch nach einer Wahl oder auch den Begra¨bnisreden, eine sehr enge Verbindung von Individuum, Familie und der u¨bergeordneten Spha¨re der Stadt als wirtschaftlichem oder politischem Ta¨tigkeitsfeld, ganz gleich, ob die Braut nun aus der Familie eines Ratsherrn stammte, beziehungsweise ob der Bra¨utigam selbst dem Rat angeho¨rte oder andere administrative Funktionen ausu¨bte. Die meisten Gelegenheitsgedichte thematisieren die Karriere des Bra¨utigams im Handelsleben oder auch in den politischen Institutionen der Stadt. Die Abkunft beider Brautleute galt als umso erwa¨hnenswerter, je mehr Familienmitglieder entweder Ratsherren oder gar Bu¨rgermeister waren.321 Juliane Fuchs hat die fu¨r die zweite Ha¨lfte des 16. und auch die erste Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts auffa¨llige Kontinuita¨t dieser Symbiose in ihrer umfassenden Analyse Bremer Hochzeitsgedichte und -lieder des 16. und 17. Jahrhunderts herausgearbeitet: „Die Vorfahren gelten in den Epithalamia als Leitbilder; die ihrer gesellschaftlichen Position zugrunde liegenden Werte und Normen werden als vorbildlich gekennzeichnet. Als der oberste, sie alle verbindende Wert, postulieren die Carmina immer wieder das Wohl der Stadt Bremen insgesamt. [... ] Die Vorfahren dienen so der Identifikation fu¨r das junge Ehepaar, aber auch fu¨r die u¨brigen Zuho¨rer. Um diese Intention zu realisieren, nennen die Hochzeitsgedichte zuweilen auch Ratsfamilien, die nicht mit dem Brautpaar verwandt waren. Verselbsta¨ndigt sich diese Tendenz, wird das Epithalamion zu einer Chronik bremischer Geschichte.“322 er aber wenig achtete, vermeinend, der Vater verstu¨nde es nicht, und dass nunmehr eine andere Welt und Handlung wa¨re, als es zu seinen Zeiten gewesen.“ 319 Aus dem Tagebuch des Lu¨beckischen Bu¨rgermeisters Henrich Brokes, Teil 1, S. 89. 320 Einzelne Quellen werden im Folgenden genannt werden; fu¨r Bremen vgl. die Auswertung bei Juliane Fuchs, HimmelFelß und Glu¨ckes Schutz: Studien zu Bremer Hochzeitsgedichten des 17. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. u. a. 1994. 321 Fu¨r Bremen ließen sich zahlreiche Beispiele anfu¨hren, vgl. Fuchs, HimmelFelß, S. 40–72. Die Verbundenheit der Familie mit dem Bremer Rat wurde auch dann hervorgehoben, wenn allein die Braut aus der Gruppe der mit dem Rat verbundenen Familien stammte: Vgl. zum Beispiel [Anonym], EhrenLieder/ Auff den Hochzeitlichen Frewdentag [...], Bremen 1641; Matthias Martinius, [Hochzeitsgedicht fu¨r Wilhelm von Kalckheim und Magdalena von Stralendorff], Bremen 1629; vgl. fu¨r Hamburg [Anonym], Carmina Nuptialia [...], Hamburg 1589; [Anonym], Parodiae gamicae [...], Hamburg 1589, fol. A2; [Anonym], Pindarischer Gesang [...], Hamburg 1641; fu¨r Lu¨beck vgl. [Anonym], Epithalamia in nuptias, Lu¨beck 1628. 322 Vgl. Fuchs, HimmelFelß, S. 276.
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Dieselben Schlussfolgerungen lassen sich auch bei einer Analyse Hamburger und Lu¨becker Hochzeitsgedichte ziehen. Die starke Verbindung von familia¨rer Ehrung und sta¨dtisch-republikanischem Bezugsrahmen zeigt sich auch daran, dass in vielen dieser Texte die Gefeierten nicht nur als exemplarisch fu¨r andere Hansesta¨dter, sondern fu¨r die gesamte deutsche Nation beschrieben werden.323 Die jeweiligen Hochzeitsordnungen und Glu¨ckwunschtexte geben in ihrer Gleichfo¨rmigkeit aufgrund ihres speziellen Charakters als normstiftend und normerhaltend eigentlich kaum Aufschluss u¨ber Entwicklungen, Vera¨nderungen und aktuelle Konflikte im Repra¨sentationsverhalten der Individuen und Familien. Der Streit zwischen Heinrich Brokes und seinem Bruder zeigt aber, dass es diese sehr wohl im Rahmen der familia¨ren Repra¨sentation gegeben haben muss: Fu¨r Brokes Bruder galten ho¨fische, nicht sta¨dtische Lebensformen als vorbildlich. Damit reagierte er auf die kulturelle Vorrangstellung einer ho¨fischen und im Norden insbesondere da¨nisch gepra¨gten Kultur. Die Hansesta¨dte boten einem solchen Wertewandel im Bereich der Hochzeitsfeierlichkeiten keinen Rahmen. Auch im Bereich des o¨ffentlichen Zeremoniells des Rats wa¨re keine Sonderstellung von Familienangeho¨rigen mo¨glich gewesen, die auf eine Adaption familia¨rer Repra¨sentation aus den Selbstdarstellungsformen adeliger und monarchischer Dynastien ha¨tte schließen lassen ko¨nnen. Dies war allein in Venedig aufgrund der Position des Dogen mo¨glich. Daher ist es besonders aufschlussreich, sich die Einbeziehung seiner Familienmitglieder in das politische Ritualsystem genauer anzusehen. Fu¨r den Zeitraum von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts ist festzustellen, dass die grundlegende (also nicht die als Privileg gewa¨hrte fallweise) Einbeziehung der ma¨nnlichen Verwandten des Dogen in das Zeremonialwesen der Republik immer weiter zunahm. So wurde im Interregnum des Jahres 1618 den So¨hnen und Bru¨dern des Dogen ein fester Platz im Corteo ducale hinter den anderen Magistraten eingera¨umt. Im Gegensatz zu anderen Rangerho¨hungen galt dieses Vorrecht nicht einmalig, sondern fu¨r alle Gelegenheiten.324 Auch die Kleidung der ma¨nnlichen Nachkommen des Dogen bei o¨ffentlichen Auftritten unterlag wenigstens seit 323 Vgl. fu¨r Bremen [Anonym], Clarissimo et Excellentissimo Dn., Doct. VALENTINO AMAN-
DAEO [...], Bremen 1616, s. p.: Brema tibi Italia est, tibi Gallia, patria Brema est. („Bremen ist dir Italien, ist dir Gallien, Bremen ist dir die Heimat“); [Anonym], THALASSIO HONORIBUS NUPTIARUM [...], Anno 1591, s. d., s. l.; [Anonym], FELICIBUS NUPTIIS integerrimi [...], Anno 1620, 15. August. s. d., s. l.; fu¨r Hamburg: [Anonym], [Hochzeitsgedicht auf die Eheschließung von Eberhard Twestrenh und Gertrud Moller] Hamburg 1584 s. p.: O decus, o ingens Germanae gloriae gentis/ Twestrengi, patriae splendor honosque. – „O Zierde, o großer zum Ruhme des deutschen Volkes/ Glanz und Ehre des Twestreng und der Heimat“; Parodiae gamicae, fol. A2; [Anonym], PHALEUCUS nuptiis [...] HERMANNI MULLERI [...], 1648, s. l.; fu¨r Lu¨beck [Anonym], REVERENDO ET CLARISSIMO [...], Lu¨beck 1644, fol. A. 324 BMC, Cod. Gradenigo 182, Ceremonialia, fol. 172, Abschrift eines Beschlusses des Maggior Consiglio vom 23. Ma¨rz 1618 vacante Ducatu: sia pero` terminato, che il luoco delli Figlioli delli Ser.mi Principi in ogni Publica cerimonia che si fara` sia in Chiesa, come anco fuori, in Palazzo, et in ogni altro luogo che accadeva loro trovarsi sia immediate dopo i Magistrati soliti accompagnare sua Serenita`. („Es sei daher beschlossen, dass der Platz der So¨hne der Ehrwu¨rdigen Fu¨rsten bei jeder o¨ffentlichen Zeremonie, fa¨nde sie in der Kirche oder draußen statt, im Palast oder an einem anderen Ort, der ihnen zukommt, sich unmittelbar nach den Magistraten befa¨nde, die u¨blicherweise ihre Ehrwu¨rdigkeit begleiten.“) Fu¨r den sonst u¨blichen Fall einer nur an eine bestimmte Person gebundenen und damit befristeteten Privilegie-
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der Mitte des 17. Jahrhunderts einer speziellen Regelung: Diede anco la Republica preminanza al figluiolo del Principe: Percioche ordino`, che vestisse con habito Senatorio, & con le calze rosse a similitudine di Cavaliero.325 Das Zeremonialbuch von San Marco von 1667 sah vor, dass bei Begra¨bnissen der So¨hne des amtierenden Dogen dreimal die Glocken der Kirche von San Marco gela¨utet werden sollten.326 Ihnen kamen damit dieselben Ehren wie einem Procuratore zu.327 Diese zeremonielle Aufwertung korrespondierte mit der immer sta¨rkeren Beschra¨nkung der institutionellen Rechte der ma¨nnlichen Verwandten des Dogen. Im Gegensatz zu den So¨hnen des Dogen, denen in dieser Zeit immerhin noch mo¨glich war, Senator, milita¨rischer Befehlshaber oder Gesandter zu werden,328 versperrte ein Beschluss von 1556 den Bru¨dern des Dogen die wichtigsten zivilen ¨ mter sowohl im innen- als auch im außenpolitischen Bereich, so und milita¨rischen A dass es ihnen nur u¨brig blieb, auf eine politische Karriere ga¨nzlich zu verzichten: L’andera` parte, che li fratelli delli Serenissimi Prencipi nostri, vivendo sua Serenita` oltre, che non possano entrare per qual si voglia titolo nel Consiglio nostro di X. ponendo, overo non ponendo ballota non possino esser dal Collegio nostro, ne` anco Capitani generali da Mare; Proveditori dell’Armata; Capitani in Golfo; Provveditori Generali in Campo, ne` Ambasciatori a` Prencipi, cosı` di Testa coronata, come non coronata.329 Ein Beschluss des Jahres 1623 beschra¨nkte dann auch die Vorrechte der So¨hne des Dogen: So durfte nur noch ein einziger von ihnen Senatsmitglied werden und dies nur nach Vollendung des 30. Lebensjahres.330 Die zeremonielle Privilegierung der So¨hne und Bru¨der ist als eine Maßnahme zur Erho¨hung des venezianischen Prestiges auf dem europa¨ischen, durch Dynastien gepra¨gten Parkett zu sehen, die nicht mit einer Privilegierung im politischen Sinne korrespondierte. Mit dieser Rangerho¨hung sollte bei den Empfa¨ngen fremder fu¨rstlicher Standespersonen ein venezianisches Gegenstu¨ck gefunden werden.
rung vgl. zum Beispiel: ASV, compilazione delle leggi, bu. 371, Vesti dei Nobili, Beschluss des Senats vom 4. Juli 1601, Felippo Bragadin, Mitglied des Senats und gleichzeitig Provveditor General da Mar in Golfo et in Dalmatia, aufgrund seiner Verdienste um die Republik das Tragen der maniche ducali, also von mit Hermelin besetzten Gewanda¨rmeln, zu gestatten. 325 „Es gab die Republik auch dem Sohn des Fu¨rsten Vorrang: Daher ordnete sie an, dass er sich wie die Senatoren kleiden solle, & mit den roten Stru¨mpfen, a¨hnlich wie ein Ritter.“ Sansovino, Venetia, 1663, S. 488. 326 Pace, Ceremoniale Magnum, S. 225. 327 Sansovino, Venetia, 1663, S. 488. 328 Ebd. 329 „Es wird der Beschluss ergehen, dass die Bru¨der unserer Ehrwu¨rdigsten Fu¨rsten, zu Lebzeiten ihrer Ehrwu¨rdigkeit, außer, dass sie nicht, mit welchem Titel auch immer, Mitglied des Consiglio di Dieci werden ko¨nnen, und auch nicht Capitani generali da Mare; Aufseher der Armee, Capitani in der Adria, Aufseher im Feld, und nicht Gesandtschaften zu Fu¨rsten oder gekro¨nten und ungekro¨nten Ha¨uptern u¨bernehmen du¨rfen.“ ASV, compilazione delle leggi, bu. 185, Doge di Venezia, Beschluss des Maggior Consiglio vom 7. Juni 1556. 330 ASV, compilazione delle leggi, bu. 185, Doge di Venezia, Beschluss des Maggior Consiglio vom 19. August 1623.
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¨ quivalent zu den Dies lag insbesondere auch deswegen nahe, weil die Dogaressa als A Gemahlinnen durchreisender Standespersonen ha¨ufig deswegen schon nicht dienen konnte, da sie bereits lange vor der Wahl ihres Mannes verstorben war. Dieser Konflikt zwischen familia¨rer Selbstdarstellung und der Wahrung der Einigkeit innerhalb des Patriziats weist also nicht auf einen Widerspruch hin, der aus der venezianischen politischen Ordnung selbst erwachsen wa¨re. Vielmehr wurde er von außen an sie herangetragen. In zwei spektakula¨ren Fa¨llen der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts setzte sich die Familie des Dogen mit einer prunkvollen Einholung der Dogaressa in den Dogenpalast in Szene. Noch mehr als die Integration der So¨hne des Dogen in den Corteo ducale waren diese Feste dafu¨r geeignet, die beiden hier vertretenen Familien prunkvoll zu inszenieren und Doge und Dogaressa als Herrscherpaar zu pra¨sentieren.331 Bei der Untersuchung des Verha¨ltnisses von Republik und Familie, wie es in den Kro¨nungen332 der Dogaresse zum Ausdruck kommt, la¨sst sich eine diachrone Vergleichslinie von der Kro¨nung der Zilia Priuli im Jahre 1557 u¨ber die Kro¨nung der Morosina Grimani im Jahre 1597 ziehen bis zu dem Verbot der Feierlichkeiten im Jahre 1623.333 Es war nicht zwingend notwendig, dass eine Gemahlin eines Dogen nach der Amtseinsetzung ihres Gatten in dieser hoch formalisierten Weise in die Privatgema¨cher des Dogenpalastes zog. So vermerkte Savina im zweiten Teil seiner Stadtchronik, dass die Ehefrau des Dogen Pietro Loredan (Dogat 1567–1570), trotzdem sie nicht gekro¨nt worden sei, dennoch mit allen einer Dogaressa zustehenden Ehren bestattet worden sei.334 Allein die Durchfu¨hrung dieser Feierlichkeit weist also darauf hin, wie viel Wert der jeweilige Doge auf eine Inszenierung seiner Sonderstellung legte. 331 Diesen Zusammenhang hat Edward Muir in seiner Doktorarbeit zum ersten Mal exemplarisch her-
ausgearbeitet und ist darauf auch in seinen spa¨teren Arbeiten immer wieder eingegangen: Muir, The Ritual of Rulership in Sixteenth-Century Venice, S. ii–iv, vgl. auch Muir, Civic Ritual, S. 251–299 und Edward W. Muir, The Doge as Primus Inter Pares: Interregnum Rites in Early Sixteenth-Century Venice, in: Essays Presented to Myron P. Gilmore, Bd. 1, hg. v. Sergio Bertelli und Gloria Ramakus, Florenz 1978, S. 145–160. 332 Dieses Ritual wurde zwar incoronazione genannt, allerdings fehlen wichtige Bestandtteile der Dogenkro¨nung wie zum Beispiel die Investitur. 333 Die wichtigsten gedruckten Quellen sind: Gregorio Marcello, Ordine et Progresso del Trionfo fatto l’anno MDLVII. alli 19. di Settembrio, per l’Incoronatione della Sereniss. Dogaressa Priola, Venedig 1597; Giovanni Rota, Lettera [...], Venedig 1597; Sansovino, Venetia, 1663, S. 417–418; Dario Tutio, Ordine e Modo tenuto nell’incoronatione della Serenissima Moresina Grimani Dogaressa di Venetia. L’Anno MDXCVII. Adi 4. di Maggio. Con le Feste, e Giochi fatti, Venedig 1597; die Zeremonie wurde als Verbot bereits 1623 erlassen und 1645 noch einmal besta¨tigt: Vgl. ASV, Maggior Consiglio, Registro delle deliberazioni, carta 153, transkribiert in: Le cerimonie di incoronazione della dogaressa vietate dal Maggior Consiglio per limitare le spese superflue, hg. v. Carlo Boccato, Venedig 1973, s.p.; die Kro¨nungen der Dogaressa haben insbesondere geschlechtergeschichtliches Interesse hervorgeru˚ sa Boholm, The Coronation of Female Death: The Dogaressa of Venice, in: Man 27 (1992), fen: vgl. A S. 91–104; Holly S. Hurlburt, Public Exposure? Consorts and Ritual in Late Medieval Europe: The Example of the Entrance of the Dogaresse of Venice, in: Gendering the Master Narrative. Women and Power in the Middle Ages, hg. v. Mary C. Erler und Maryanne Kowaleski, Ithaca/ London 2003, S. 174–189; Bronwen Wilson, „il bel sesso, e l’austero senato“: The Coronation of Dogaressa Morosina Morosini Grimani, in: Renaissance Quarterly 52 (1999), S. 73–193. 334 Vgl. BMC, Cod. Cic. 3752, Savina, Cronaca, Teil 2, S. 782.
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Die Tatsache, dass dieses Ritual sehr selten (im 15. Jahrhundert einmal, im 16. Jahrhundert zweimal) stattfand, unterstrich in den Augen der Zeitgenossen seinen festlichen Charakter.335 Das außergewo¨hnliche Ereignis einer Dogaressakro¨nung wurde in Stadtchroniken sowie in den Zeremonialbu¨chern genau beschrieben.336 Welch hohe Bedeutung der Dogaressakro¨nung als politischem Ritual beigemessen wurde, zeigt außerdem, dass u¨ber sie wie u¨ber die Dogenwahlen ein eigenes kleines Handbuch angelegt wurde.337 Il vestire di sua Serenita` era uno sottovesto con le maniche strette di panno d’oro, et sopra quella un manto di soprariccio d’oro. Et haveva coperto il capo d’un uclo bianco, che gli scorreva fin sopra le spalle, et di sopra una beretta dello istesso soprariccio d’oro all’usanza ducale, ma col corno alquanto piu` piccolo, et in piedi tenca Zoccoli di panno d’oro.338 Diese Beschreibung der Kleidung der im Jahre 1557 feierlich in den Dogenpalast eingeholten Zilia Priuli offenbart zwei grundlegende Elemente dieser Zeremonie: Zum einen die Imitation des Dogen – wie er, so ist auch seine Gattin durch ein Corno ducale geschmu¨ckt, wie er, so darf sie sich in golddurchwirkte Gewa¨nder hu¨llen – und zum anderen die außerordentliche Prachtentfaltung, die ihr zu Ehren gestattet wurde. Ihr weibliches Gefolge, das aus Patrizierinnen und Cittadine bestand – darunter die Frauen der jeweils ho¨chstrangigen Wu¨rdentra¨ger – ,wetteiferte in der Zurschaustellung von Kleidung und Schmuck.339 Die Imitation des dogalen Zeremoniells war ein grundlegendes Merkmal des Rituals, das sowohl 1557 als auch vierzig Jahre spa¨ter befolgt wurde: Neben dem Tragen des Corno ducale verpflichtete sich die Dogaressa dazu, ihre Rechte und Pflichten gema¨ß einer Promissione einzuhalten. Sie erhielt (wie der Doge bei seiner Kro¨nung) das Versprechen, nach ihrem Tode einbalsamiert und drei Tage lang im Dogenpalast aufgebahrt zu werden.340 Neben dem grundlegenden Ablauf, der bei beiden Kro¨nungen in gleicher Weise befolgt wurde,341 unterscheiden sich die Beschreibungen der beiden Feierlichkeiten 335 Vgl. zum Beispiel BMC, Cod. Cic. 2853, Agustini, [Cronaca], Teil 2, fol. 104. 336 ASV, Coll., cerim. rg. 1, fol. 28–30; BM, Cod. It. VII, 1639 (7540), Gnecchi, Ceremoniale, fol. 81–83;
BMC, Cod. Cic. 2853, Agustini, [Cronaca], Teil 2, fol. 104–108; BM, Cod. It. VII, 519 (8438), Cronaca Veneta dalle origini al 1585, fol. 302; BMC, Cod. Cic. 3752, Savina, Cronaca, Teil 2, S. 710, 838–840; BMC, Cod. Cic. 2120, Giancarlo Sivos, Cronaca Veneta, Bd. 3, fol. 9–10; BMC, Cod. Cic. 2119, Sivos, Cronaca, Bd. 4, fol. 88–89. 337 Vgl. BM, Cod. It. VII, 1233 (9600), L’Ordine di condurre, le Dogaresse da Casa sua, a Pallazzo del Serenissimo Principe, fru¨hes 17. Jahrhundert. 338 „Die Kleidung ihrer Ehrwu¨rdigkeit war ein Untergewand mit eng anliegenden A ¨ rmeln von Goldstoff, und daru¨ber ein Mantel von gold- und seidendurchwirktem Stoff. Und sie hatte den Kopf mit einem weißen Schleier bedeckt, der ihr bis auf die Schultern fiel, und darauf ein Barett von demselben goldund seidendurchwirkten Stoff, wie er beim Dogen gebraucht wird, aber mit einem kleineren Horn, und an den Fu¨ßen Zoccoli [das sind auf ganzen Absa¨tze erho¨hte Damenschuhe, die auch als Stelzenschuhe bezeichnet werden] aus goldenem Stoff.“ aus: ASV, Coll., cerim., rg. 1, fol. 30. 339 Vgl. Marcello, Ordine, s. p.; BMC, Cod. Cic. 2853, Agustini, [Cronaca], Teil 2, fol. 105. 340 Vgl. Marcello, Ordine, s. p. 341 Vgl. die Beschreibungen in: ASV, Coll., cerim. rg. 1, fol. 28–30; Sansovino, Venetia, 1663, S. 417–418.
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von 1557 und 1597 in ihrer Fokussierung auf das Dogenpaar und die am Festablauf beteiligten Gruppen. In den Quellen zur Kro¨nung von 1557 beschrieben die Berichterstatter den Ablauf pra¨zise, ohne ihn in elaborierter Weise symbolisch zu u¨berho¨hen. Im Gegensatz zu der vierzig Jahre spa¨ter stattfindenden Feierlichkeit za¨hlten sie jede einzelne Person oder Gruppe auf, die am Festgeschehen teilnahm. Die Stadtgemeinschaft, die sie hier repra¨sentierten, war eine, die sich aus Korporationen zusammensetzte. Charakteristisch hierfu¨r ist, dass sie den Umzug zu Ehren der Dogaressa auf dem Markusplatz mit der processione del Corpo Christo verglichen, also mit der Fronleichnamsprozession, einem Fest, das Anlass zur korporativen Gesamtdarstellung der Stadt bot.342 Die Berichterstatter der Kro¨nung von 1597 betonten hingegen den engen Zusammenhang der Demonstration der Freigiebigkeit der Familie, die das Fest ausrichtete, und der Freude, die es daher fu¨r die gesamte Stadt bedeute.343 In dieser Stilisierung stand der Familie des Dogen eine undifferenzierte Festgemeinschaft gegenu¨ber. Dum ROTAM populis spectacula magna triumpho/ MAUROCENA tuo facta referre iuvat, / Clarius elucet tua plurima honoris imago,/ Et manet aeternum nomen ubique tuum:/ Quaeque Urbis fuerant tantummodo gaudia, posthac/ Laetitia, & plausus Urbis, & Orbis erunt. heißt es zum Beispiel in der Vorrede zu einer Festbeschreibung.344 Die Verbindung ¨ berho¨hung des Dogen von Stadt und Weltkreis, verbunden mit der symbolischen U und der Dogaressa, war Thema ephemerer Festkonstruktionen345 und -gedichte.346 Besonders gut zu erkennen war dies an der von Vincenzo Scamozzi entworfenen Loggia, die auf einem Schiff den Canal Grande entlang fuhr.347 Ihre Dekoration zog eine enge Verbindung zwischen Weltherrschaft und Dogen- und Dogaressakro¨nung:
342 Vgl. BMC, Cod. Cic. 2853, Agustini, [Cronaca], Teil 2, fol. 106; Marcello, Ordine, s. p. 343 Vgl. zum Beispiel BM, Cod. It. VII, 519 (8438), Cronaca Veneta dalle origini al 1585, fol. 302: Madona
Zilia procreata della nobilissima famiglia Dandola principessa di Venetia in questo tempo fece la intrata nel palazzo Ducale con grande alegreza de tutta la citta [...] la qual festa duro` tre giorni con grande alegreza de tutta la citta, simil trionfo non era stato fatto de memoria de alcuno per non esser stato eletto principe di venetia che havesse moglie. – „Ihre Dame Zilia, die aus der sehr ehrwu¨rdigen Familie der Dandolo abstammt, Fu¨rstin von Venedig, hielt in dieser Zeit ihren Einzug in den Dogenpalast. Daru¨ber herrschte in der Stadt eine große Freude [...] Dieses Fest dauerte drei Tage mit großer Begeisterung in der ganzen Stadt, da ein a¨hnlicher trionfo, jedenfalls solange sich alle erinnern konnte, nicht veranstaltet worden war, da kein Fu¨rst gewa¨hlt worden war, der eine Ehefrau hatte.“; vgl. die Beschreibung derselben Kro¨nung bei Sivos: BMC, Cod. Cic. 2119, Sivos, Cronaca, Bd. 4, fol. 87; außerdem den Druck Petrus Brichus, In Giliae Priolae Ducis, et aliarum Nobilium Venetarum Laudem Panegyricus, Venedig 1559, S. 3 und S. 6–7. 344 „Weil er gebietet, dass ROTA den Vo¨lkern die zu Deinem Triumphe, Morosina, veranstalteteten großen Schauspiele berichtet,/ leuchtet um ein vieles klarer das Bild Deiner Ehre,/ Und es bleibt u¨berall ewig Dein Name:/ Und so viele Freuden waren in einer solchen Weise versammelt, und nach diesen/ werden Freude, & Beifall in Sta¨dten & Weltkreisen sein.“ Rota, Lettera, s. p. 345 Detaillierte Beschreibungen finden sich in Rota, Lettera und Sansovino, Venetia, 1663, S. 417–418. 346 Brichus, Panegyricus, S. 3; Alessandro Alati, Rime. In Lode della Serenissima Principessa di Venetia Moresina Grimani, Venetia 1597, fol. B. 347 Siehe Abbildung 8.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
Abb. 8: Die von Vincenzo Scamozzi entworfene Loggia auf einem Schiff, auf dem die Dogaressa ihren Einzug in Venedig ha¨lt Kupferstich von Giacomo Franco, 1610 (wie Abb. 3) Quelle: Museo Correr – Fondazione Musei Civici di Venezia
Nel principio della cupola si vedevano altre sedici finestre della medesima forma quasi rotonda: nell’uno delli due frontispicij de’fianchi era dipinto il Serenißimo Prencipe, & nell’altro la Sereniß. Prencipessa, prostrati amendue a` piedi di S. Marco che li coronava co’l corno Ducale, & negli altri due per testa, un mapamondo per uno, co’l motto, che diceva Moventi obsequium, & sopra li frontispicij stavano dodici statue di stuco, tre` per parte, ad ogn’una de’quali posto era un segno del Zodiaco in mano, &, fuori della loggia, in cima alla poppa della nave, Nettuno d’estrema grandezza, che nella sinistra teneva il Tridente, & con la destra accennava quella stupenda machina.348 348 „Am Beginn der Kuppel sah man weitere sechzehn Fenster von derselben, gleichsam runden Form:
auf dem einen der drei seitlichen Frontispizien war gemalt der Ehrwu¨rdigste Fu¨rst, & auf dem anderen die Ehrwu¨rdigste Fu¨rstin, niedergestreckt beide zu Fu¨ßen von San Marco, der sie mit dem Dogenhut kro¨nte, auf den anderen zwei [Frontispizien] pro Kopf, war auf dem einen eine Weltkarte, mit dem Motto, das besagte ‚Moventi obsequium‘, & u¨ber den Frontispizien standen zwo¨lf Statuen aus Stuck,
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Die Symbolik der Kro¨nung verband Scamozzi mit dem symbolischen Anspruch auf Weltherrschaft und dem Herrschaftsanspruch u¨ber die Meere. Das Motto Moventi obsequium spielte auf die in dem Fest demonstrierte Großzu¨gigkeit Marin Grimanis an.349 Edward Muir interpretierte gerade aufgrund dieser Loggia das Spektakel des Jahres 1597 als ein Indiz fu¨r die Umkehrung republikanischer Werte im venezianischen Patriziat: Here again, the definition of ducal powers was a problem, for in this scene Saint Mark’s coronation of the couple ignored the reality that electors had chosen Grimani for his office. Saint Mark was not just an aide to the doge, as in the revised version of the Veronese votive portrait of Doge Sebastiano Venier, nor was the doge representing the community in humble supplication to the saint; it was as if Saint Mark had personally chosen Marin and Morosina Grimani for ‚global‘ domination.350 Muir gibt hier allerdings nur eine eindeutige Lesart wieder. So ist es zwar mo¨glich, ¨ berho¨hung des Dogenpaares, dargestellt in der ihnen diese Festdekoration als eine U verliehenen Herrschaft u¨ber Land und Meer, zu sehen. Eine andere Interpretation hingegen ko¨nnte auch den Schwerpunkt auf die Rezeption der Verbindung von Heiligem Markus und Herrschaftsanspruch legen, eine Lesart, die im Rahmen der venezianischen Verfasstheit bliebe. Diese Ambivalenz war in dieser Darstellung vermutlich absichtlich angelegt. Trotz aller Prachtentfaltung, die Marin Grimani zu Ehren seiner Gattin aufwandte, wird auch an der Kro¨nung der Dogaressa Morosina Grimani deutlich, wie eng der Freiraum fu¨r ein individuelles und familia¨res Repra¨sentationsbedu¨rfnis selbst im Rahmen dieser Feier war. So charakterisierte zum Beispiel der Autor einer Festbeschreibung die Großzu¨gigkeit nicht als Ausdruck der hohen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Stellung Marin Grimanis, sondern als ein Symbol fu¨r die Blu¨te der venezianischen Republik, deren Lenker damit bewiesen, wie gut sie trotz der allgemein schwierigen wirtschaftlichen Situation fu¨r Ihre Untertanen sorgen ko¨nnten.351 Venedig zeige, dass es an wirtschaftlicher Macht alle anderen Gemeinwesen u¨bertra¨fe.352 Ein weiteres Indiz fu¨r die Eingebundenheit dieses Festes in die Kontrolle und Beobachtung durch die anderen Patrizier zeigt sich daran, dass es auch eher eine politische Komponente der Kro¨nung des Jahres 1597 war, die zu Konflikten fu¨hrte, als die wa¨hrend der Zeremonie verwendeten allegorische Sprache der ephemeren Festkonstruktionen. Anla¨sslich der Kro¨nung seiner Gattin wollten Marin Grimani und mit
drei jeweils zusammen, und eine hatte das Tierkreiszeichen in der Hand, & außerhalb der Loggia, am Heck des Schiffes, war ein Neptun von sehr großen Ausmaßen, der in der Linken den Dreizack hielt, und mit der Rechten wies er auf diese staunenswerte Maschine.“ Rota, Lettera, s. p. 349 Es la¨sst sich u¨bersetzen mit: „demjenigen, der die Freigebigkeit veranlasst“. 350 Edward W. Muir, Images of Power: Art and Pageantry in Renaissance Venice, in: American Historical Review 84 (1979), S. 16–52, hier: S. 47–48. 351 Vgl. Tutio, Ordine, S. 3–4. 352 Vgl. Muir, Civic Ritual, S. 295.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
ihm die Gruppe der kurienfreundlichen Patrizier durchsetzen, dass an einem Tag der Feierlichkeiten der Nuntius der Dogaressa eine Goldene Rose353 u¨berreichte, die der ¨ berreichung der Goldenen Rose an die Papst ihr zu Ehren gestiftet hatte.354 Mit der U Dogaressa nahm der Nuntius aktiv an ihrer Kro¨nung teil, eine Neuerung gegenu¨ber der Dogaressakro¨nung des Jahres 1557.355 Die Gruppe um den antikurial eingestellten spa¨teren Dogen Leonardo Donato empfand dies als einen unberechtigten Eingriff des Papsttums in rein innervenezianische Angelegenheiten. Marin Grimani konnte letztendlich im Vorfeld der Feierlichkeiten sich wohl nur dadurch durchsetzen, dass er versprach, die Rose nach dem Tod der Dogaressa dem Kirchenschatz von San Marco zu u¨berlassen.356 Ein offener Konflikt um die Gestaltung der Kro¨nung des Jahres 1597 entzu¨ndete sich also nicht am Gegensatz zwischen familia¨rer und republikanischer Selbstdarstellung, sondern an politischen Gegensa¨tzen u¨ber die Beziehung Venedigs zur Kurie. Als kritikwu¨rdig empfanden die Gegner Grimanis nicht in erster Linie seine an ho¨fischen Normen ausgerichtete Repra¨sentation, sondern die Tatsache, dass er das Ritual fu¨r eine Verbesserung der Stellung seiner Familie im kurialen Kontext nutzen wollte und damit ihrer Meinung nach Venedigs religio¨se und politische Autonomie gefa¨hrdete. Dieser Konflikt scheint als so bedrohlich empfunden worden zu sein, dass das Ritual schließlich ungefa¨hr 50 Jahre spa¨ter ga¨nzlich abschafft ¨ berreichung der Goldenen Rose an wurde.357 Marin Grimani aber empfand die U seine Gemahlin als einen der Ho¨hepunkte seiner politischen Karriere: Ließen sonst ¨ mterlaufbahn auf Kirchenvenezianische Patrizier Siege in Schlachten oder ihre A 358 fassaden und Grabma¨lern abbilden, so ließ Marin Grimani diese Zeremonie auf zwei Reliefs seines prunkvollen Grabmals darstellen.359 Auffa¨llig ist, dass in den Berichten zur ungefa¨hr vierzig Jahre fru¨her stattfindenden Kro¨nung der Dogaressa Zilia Priuli universale und dynastische Symbolik fehlten.360 Dies weist auf eine Steigerung des familia¨ren Repra¨sentationsbedu¨rfnisses in 353 Dies war ein traditionelles Ehrengeschenk der Kurie: Vgl. Paravicini Bagliani, Leib des Papstes,
S. 89–90.
354 Vgl. zum Beispiel Tutio, Ordine, S. 18–19. 355 Ebd., S. 19: Et ritornatasi nella sua sedia, havendo in mano del suo Capellano data la ROSA, l’Illustriss.
Legato fece la benedittione, e compita la Messa, uscendo la Serenissima di Chiesa per la porta grande verso la piazza con l’istesso ordine, che era entrata con piffari, trombe, & tamburi innanti con la solita livrea vestiti; li dui Cancelieri Ducali presero in mezo di loro il Capellano con la ROSA. – „Und nachdem er Platz genommen hatte, in seiner Hand die ROSE haltend, die ihm sein Kaplan gegeben hatte, segnete der sehr beru¨hmte Nuntius alle, und als die Messe vollendet war, ging die Serenissima durch die große Pforte auf den Platz in derselben Reihenfolge, mit der er mit Pfeifen, Trompeten und Trommeln und im u¨blichen Aufzug hineingezogen war; die zwei Kanzler der Kanzlei des Dogen hatten in ihre Mitte den Kaplan mit der ROSE genommen.“ 356 Mario Brunetti, Schermaglie veneto-pontificie prima dell’Interdetto. Leonardo Dona` avanti il Dogado, in: Paolo Sarpi e i suoi tempi. Studi storici, hg. v. L’Ateneo Veneto nel III centenario della morte di Fra Paolo Sarpi, Citta` di Castello 1927, S. 119–142, hier: S. 142. 357 Vgl. Anm. 333. 358 Vgl. Jan Simane, Grabmonumente der Dogen: Venezianische Sepulkralkultur im Cinquecento, Sigmaringen 1993, S. 123–139. 359 Wladimir Timofiewitsch, Quellen und Forschungen zum Prunkgrab des Dogen Marino Grimani, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Instituts in Florenz 11 (1963), S. 33–54, hier: S. 48–53. 360 Vgl. BMC, Cod. Cic. 2853, Agustini, [Cronaca], Teil 2, fol. 104–108; Marcello, Ordine, s. p.; BMC, Cod. Cic. 3752, Savina, Cronaca, Teil 2, S. 710.
2.2. Familienehre oder Erho¨hung der Republik
135
der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts hin. Diese Schwerpunktverlagerung la¨sst sich aber nicht nur als ein Ausdruck des Bedu¨rfnisses einzelner venezianischer Familien nach ho¨fisch orientierter Prachtentfaltung begreifen, sondern auch als Teil eines gro¨ßeren Prozesses des Wandels an Bedeutungen, die der Stadtrepublik zugeschrieben wurden: Neben Marin Grimanis individueller Nutzung des Ereignisses zur Erho¨hung der eigenen Position sahen die Autoren dieses als Beweis fu¨r Venedigs Situation. Sowohl in der Festkultur selbst, als auch in den Beschreibungen trat eine Symbolik auf, die neben dem Dogenpaar auf die Spha¨re der gesamten Stadt verwies, die nun nicht mehr allein korporativ imaginiert wurde. Auch beim Begra¨bnis kam der Dogaressa eine zeremonielle Sonderstellung zu. Dreimaliges La¨uten der Kirchenglocken von San Marco zeigte ihr Ableben an.361 Im Gegensatz zu den Kro¨nungen der Dogaresse tritt eine solch markante Schwerpunktverlagerung bei den Beschreibungen ihrer Begra¨bnisse nicht zutage. Die Ablaufsbeschreibungen der Begra¨bnisse der Dogaresse Priuli, Loredan und Grimani zeichnen ein relativ einheitliches Bild. Wie bei den Dogenbegra¨bnissen lag die Entscheidungsgewalt u¨ber die Gestaltung der Zeremonie beim venezianischen Senat.362 Der Endpunkt des Rituals war dann – wie bei den Dogen – der einzige Abschnitt, den die Familienmitglieder eigensta¨ndig bestimmten.363 Ihrem Leichnam wurde der habito ducale, das heißt ein prachtvoll, mit Hermelin besetzter Mantel und eine kleinere Fassung des Corno ducale angezogen.364 Dann folgten ihre Aufbahrung im Dogenpalast, der Zug in die Kirche von San Marco, die Messe und die Prozession zur Begra¨bniskirche. Das Ritual dru¨ckte, wie ihre Kleidung, ihre Verbundenheit mit dem Dogen aus: Ihr im Dogenpalast aufgebahrter Leichnam wurde mit dem Gesicht hin zum Sitz des Dogen aufgestellt.365 Arsenalotti trugen ihren Leichnam vom Dogenpalast in die Kirche San Marco und hoben ihn am Portal der Kirche hoch.366 Zwar richteten sich Kro¨nung und Begra¨bnis der Dogaressa in der Form nach Begra¨bnis und Kro¨nung des Dogen, doch teilten sie deren politischen Symbolgehalt nicht. So ging sie zum Beispiel auch nach dem Tode ihres Gatten dieser rituellen Privilegien nicht verlustig. Auch wenn sie dann nicht mehr im Dogenpalast wohnte, wurde sie mit den Ehren, die einer Dogaressa zukamen, bestattet, und dies sogar mit einem Gefolge der wichtigsten Magistrate und auswa¨rtigen Gesandten.367 Fiel das Geleit kleiner aus, wurde 361 Vgl. ASV, Coll., cerim., rg. 1, fol. 10. 362 Implizit wird dies an der genauen Befolgung eines schon vorher festgelegten Ablaufes deutlich: Vgl.
ASV, Coll., cerim., rg. 1, fol. 35, fol. 41–42; BM, Cod. It. VII, 1639 (7540), Gnecchi, Ceremoniale, fol. 83–85; die Beteiligung des Senats wird explizit genannt in: BM, Cod. It. VII, 519 (8438), Cronaca Veneta dalle origini al 1585, fol. 305 und fol. 318. 363 Vgl. BM, Cod. It. VII, 519 (8438), Cronaca Veneta dalle origini al 1585, fol. 305.: fu poi sopellita alle verzzene si come lei haveva hordenato. „Sie wurde dann begraben in [Santa Maria delle] Vergini, so, wie sie es geboten hatte“. 364 BM, Cod. It. VII, 519 (8438), Cronaca Veneta dalle origini al 1585, fol. 305. 365 BM, Cod. It. VII, 1639 (7540), Gnecchi, Ceremoniale, fol. 83: et sopra questo palio fu` posto il corpo con la faccia verso la sedia di S. Ser.ta`. – „Und auf dieses Tuch wurde der Leichnam gelegt, mit dem Gesicht dem Thron von E. Ehrw. zugewandt.“ 366 BM, Cod. It. VII, 1639 (7540), Gnecchi, Ceremoniale, fol. 84; BMC, Cod. Cic. 3752, Savina, Cronaca, Teil 2, S. 782. 367 Vgl. zum Beispiel BM, Cod. It. VII, 519 (8438), Cronaca Veneta dalle origini al 1585, fol. 318: Madona loredana Marcello Principessa di Venetia laqual si come sı` osserva stetero tre giorni in salla di piovegi con
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
dies mit Hinweis auf die schlechte Witterung vermerkt, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass es sich um eine bewusste Ehrminderung gegenu¨ber der Verstorbenen handeln wu¨rde.368 Die Begra¨bnisrede hielt ein wichtiges Mitglied der venezianischen Administration, so beim Begra¨bnis der Dogaressa Loredan der Sekreta¨r des Senats.369 Wie beim Begra¨bniszug des Dogen geleiteten verschiedene geistliche Gruppen die Dogaressa.370 Das geistliche Gefolge dru¨ckte nicht allein den hohen Rang der Verstorbenen aus. Die Teilnahme der Geistlichkeit von San Marco, der Geistlichkeit der Grabeskirche, der Bruderschaft, in der ihr Mann Mitglied gewesen war371 und der der Frauenklo¨ster der Stadt symbolisierte Venedig als sakrale Gemeinschaft. Charakteristischerweise fehlten dabei der Patriarch und der ihm unterstehende Klerus.372 Das Ritual eines Dogaressabegra¨bnisses unterschied sich zudem von jenem eines Dogen und anderer Amtstra¨ger in der prominenten Rolle, die die Mitglieder der venezianischen Frauenklo¨ster in der Gestaltung der Feierlichkeiten einnahmen. Dies dru¨ckte die Patronatsfunktion aus, die die Dogaressa u¨ber sie ausu¨bte.373 So kam es zum Beispiel beim Begra¨bnis der Dogaressa Zilia Priuli im Jahre 1566 den Nonnen des Klosters Sant’ Alvise zu, den Leichnam zu kleiden.374 Die dreita¨gige Totenwache wiederum hielten Nonnen aus verschiedenen Frauenklo¨stern der Stadt.375 Die Familienangeho¨rigen der Dogaressa nahmen im Begra¨bniszug eine sehr viel weniger bedeutende Stellung ein als die Geistlichen. Zwar partizipierten Familienmitglieder am Begra¨bniszug, doch nur innerhalb der Prozession der Trauernden. Bei dem Geleitzug der Dogaressa Priuli im Jahre 1557 lief zum Beispiel der Sohn der
l’habito ducale et poi fu fatte le sue esseguie in s Zane Paulo, fu accompagnato il suo corpo da senatori da gli Ambasciatori de principi et da parenti tutti vestiti de nero et li fu fatta la oratione funeralle da otavian maggio secretario. – „Die Dame Loredana Marcello, Fu¨rstin von Venedig, wurde so, wie es u¨blich ist, drei Tage lang im Saal der Pioveghi aufgebahrt, in dogaler Kleidung, und danach wurden die Begra¨bnisfeierlichkeiten in Santi Giovanni e Paolo gehalten, ihr Leichnam wurde von Senatoren und den Gesandten der Fu¨rsten begleitet und von allen Verwandten, die in schwarz gekleidet waren, und ihr wurde die Begra¨bnisrede durch Otavian, Sekreta¨r ho¨heren Ranges gehalten.“; BMC, Cod. Cic. 3752, Savina, Cronaca, Teil 2, S. 782. 368 Vgl. BMC, Cod. Cic. 2120, Sivos, Cronaca, Bd. 3, fol. 217. 369 Vgl. BM, Cod. It. VII, 519 (8438), Cronaca Veneta dalle origini al 1585, fol. 318; BMC, Cod. Cic. 3752, Savina, Cronaca, Teil 2, S. 782. 370 BMC, Cod. Cic. 3752, Savina, Cronaca, Teil 2, S. 720: et di piu` li erano Monache Concesse di tutti li Monastery¨ et Pizzocare di tutta la Citta` ad accompagnar il Corpo, la Sig.ria fece le spese delle Core. Tutti li Altri, Scole, Chieresie, Monache, et altre andarono per obbligo senza altro pagamento. – „Und außerdem waren da die geweihten Nonnen aus allen Klo¨stern und die Laienschwestern aus der ganzen Stadt, um den Leichnam zu begleiten, die Signoria bezahlte die Cho¨re. Alle anderen, Bruderschaften, geistliche Kongregationen und Nonnen und andere gingen aus Verpflichtung, ohne eine Bezahlung.“ 371 Vgl. ASV, Coll., cerim., rg. 1, fol. 10. 372 Vgl. ASV, Coll., cerim., rg. 1, fol. 35, fol. 41–42; BM, Cod. It. VII, 1639 (7540), Gnecchi, Ceremoniale, fol. 83–85. 373 Die spezielle Beziehung der Dogaresse zu den einzelnen Klo¨stern zeigt sich daran, dass sie immer wieder als Stifterinnen von Klostergru¨ndungen genannt werden. Leider fehlen bisher systematische Forschungen zu den Patronagefunktionen der Dogaressa u¨ber Frauenklo¨ster und auch Handwerkerzu¨nfte. Vgl. Mirella Pasquinucci, und Olga Premoti Taiti, La dogaressa, in: Il Serenissimo Doge, hg. v. Umberto Franzoi, Treviso 1986, S. 251–285. 374 BM, Cod. It. VII, 1639 (7540), Gnecchi, Ceremoniale, fol. 83. 375 Ebd.; BMC, Cod. Cic. 3752, Savina, Cronaca, Teil 2, S. 720.
2.3. Die Fest-Stellung der Republik in der Selbstdarstellung der Magistrate
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Dogaressa zwischen Dogen und Nuntius.376 So kam ihm zwar eine besondere Ehrenstellung zu. Diese war jedoch von anderen Familienmitgliedern im Zug losgelo¨st und Ausdruck der zeremoniellen Sonderstellung des Dogen. Allein in der Charakterisierung der Perso¨nlichkeit der Begrabenen spielte ihre Familie eine entscheidende Rolle. Sie ist das einzige, das u¨ber sie als Perso¨nlichkeit mitgeteilt wird: fu` mugier de Lorenzo di Priuli Doze377 heißt es zum Beispiel knapp bei Savina u¨ber Zilia Priuli oder etwas ausfu¨hrlicher in der Stadtchronik von Agustini: Nel 1566 a 15 8tbre Venne a morte la Ser.ma Dogaresa la Sig.ria Zilia Dandolo, che fu` moglie del Ser.mo Prencipe M. Lorenzo di Priuli, e cognata del Ser.mo M. Gerol Priuli Dose di Venetia.378 Auch in einer 1566 als Druck vero¨ffentlichten Begra¨bnisrede auf dieselbe Dame erwa¨hnte der Autor in erster Linie ihre edle familia¨re Abstammung: Diese sei deswegen so bemerkenswert, da ihre Verwandten sich um die Republik verdient gemacht haben.379 Die Dogaressabegra¨bnisse waren allein schon wegen ihres Anlasses zur familia¨ren Selbstdarstellung weitaus weniger geeignet als die Kro¨nungen der Dogaressa. Lebte der Doge noch, gemahnte es an die Endlichkeit seiner Regentschaft. Aber auch in ihren Ablauf wurden die Familienmitglieder mit einbezogen. In beiden Ritualen wird also deutlich, dass die venezianische Festkultur durchaus dem Repra¨sentationsbedu¨rfnis einzelner Familien Raum ließ und sie auch in die offiziellen Regulierungen der Rituale, etwa mit der Stellung ihres Sohnes, beziehungsweise ihrer So¨hne beim Begra¨bnis integrierte. Beide Rituale zeigen aber auch die Grenzen dieses Freiraums: In beiden Fa¨llen wies der rituelle Ablauf symbolisch eindeutig auf die Dogaressa als ein Spiegelbild des Dogen und machte auch damit ihre – in hohem Maße kontrollierte – Sonderstellung deutlich. Die in den Feierlichkeiten verwendeten Symbole wiederum verwiesen nie nur allein auf die Familie des Geehrten, sondern immer auf sie im ho¨her geordneten Rahmen der Republik.
2.3. Die Fest-Stellung der Republik: Rituelle Selbstdarstellung der hansesta¨dtischen und venezianischen Magistrate
Bei der Untersuchung der Abla¨ufe und Beschreibungen der Wahlen und der Feierlichkeiten, die sich ihnen anschlossen, ließ sich eine Gleichzeitigkeit der Steigerung ¨ berho¨ihrer Legitimita¨t durch Verfahren und eine Steigerung der zeremoniellen U hung des Rates und des Rathauses als zentraler Ort der Feierlichkeiten fu¨r die zweite Ha¨lfte des 16. und die erste Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts erkennen. Beide Entwick376 BM, Cod. It. VII, 1639 (7540), Gnecchi, Ceremoniale, fol. 84: et s’accompagnano con S. Ser.ta` che va a
banda destra, et il Legato a` sinistra, Il figlio della Dogaressa in mezo. – „Und sie begleiten Eure Ehrw., der rechts geht, und der Nuntius geht zur Linken, der Sohn der Dogaressa in der Mitte.“ 377 „Sie war die Frau von Lorenzo di Priuli, Dogen.“ BMC, Cod. Cic. 3752, Savina, Cronaca, Teil 2, S. 720. 378 „Im Jahre 1566, am 15. Oktober starb die ehrwu¨rdige Dogaressa, die Dame Zilia Dandolo, die die Ehefrau vom Ehrwu¨rdigen Fu¨rsten M. Lorenzo di Priuli, und Verwandte des Ehrwu¨rdigen M. Gerolimo Priuli, Doge von Venedig, war.“ BMC, Cod. Cic. 2853, Agustini, [Cronaca], Teil 2, fol. 134. 379 Antonio Stella, In Funere Ziliae Priulae, Inclytae Venetiarum Ducis Oratio, Venedig 1566, fol. 3.
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2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
lungen sollten die Verbindung zwischen Legitimita¨t der Magistrate und sta¨dtischrepublikanischer Gesamtdarstellung stabilisieren, die Rituale von ihren kontingenten Momenten befreien. Die Wahlen sollten nicht Krisen, sondern allein Besta¨tigungen bereits bestehender Ordnung sein. Die Steigerung der Legitimita¨t der Magistrate durch eine Regulierung der Handlungen, mit denen sie in ihr Amt gewa¨hlt oder eingesetzt wurden, zeigt sich allein in dem engen Zeitraum, in denen in allen vier Beispielen Verschriftlichungen der Wahlrituale vorgenommen wurden, na¨mlich von 1590 bis 1613. In diesen Verschriftlichungen wurden zwei Ebenen eng miteinander verknu¨pft: die Ebene der Regulierung der Handlungen in dem Sinne, dass diese einem vorhersehbaren und damit auch durch alle Beteiligten besser kontrollierbaren Muster ¨ berho¨hung der Handlungen und der folgen sollten und die Ebene der symbolischen U Gruppe der an ihnen Beteiligten. Beide Ebenen kommen nicht nur in den Verschriftlichungen der Wahlrituale zum Ausdruck, sondern auch in den Versuchen, Rathaus, Dogenpalast und die Gruppe der Magistrate in ihrem o¨ffentlichen Erscheinungsbild festzulegen und somit kontingenzunabha¨ngig zu machen. Diese Ergebnisse treffen auf Lu¨beck, Hamburg und Venedig mit unterschiedlicher Gewichtung zu. Zwischen diesen drei Fallbeispielen zeigen sich Unterschiede in der Konstruktion der Sakralisierung der politischen Spha¨re. In Venedig und Lu¨beck wurde diese dadurch symbolisiert, dass die Wahlrituale den profanen Raum des Dogenpalastes und des Rathauses mit dem der Kirche von San Marco und der Marienkirche verknu¨pften. In Hamburg konzentrierte sich die Sakralisierung auf eine weniger durch einen Raumwechsel, als durch die Betonung verschiedener Handlungen wie der Anrufung des Heiligen ¨ berho¨hung der Wahl. Demensprechend ist das Geistes hervorgerufene symbolische U Bemu¨hen um eine Steigerung der Dignita¨t des Rathauses und des um ihn liegenden Platzes dort besonders deutlich erkennbar. Diese Unterschiede lassen sich gut mit der unterschiedlichen Position der Magistrate in Verbindung bringen: Waren die Hamburger Senatoren sta¨rker auf ihre Legitimierung durch Verfahren gegenu¨ber Vertretern der Bu¨rgerschaft angewiesen, versuchten die Lu¨becker und venezianischen Magistrate sich, soweit wie mo¨glich, im Stadtraum als von Gott eingesetzte Obrigkeit zu inszenieren. Bremen unterscheidet sich auf beiden Ebenen von den anderen Fallbeispielen. Nicht nur scheiterte dort eine verschriftlichte Neufassung der Wahlrituale. Hier ist auch der einzige Versuch zu beobachten, den feierlichen Zug der Ratsherren aufgrund seiner mehr oder weniger explizit religio¨sen Bedeutung abzuschaffen. Diese Unterschiede lassen sich zum einen mit den anderen Grundbedingungen – der politischen Na¨he des Stadtherrn und damit auch einem anderen Wechsel von Wahl- und Setzungsritualen – und dem Konfessionswechsel in Verbindung bringen. Diese fu¨hrten allerdings nicht zu ga¨nzlich anderen Repra¨sentationsformen. Auch in Bremen wurde das Rathaus architektonischer Mittelpunkt eines der gro¨ßten Pla¨tze der Stadt. Zudem misslang der Versuch, die Selbstdarstellung der Ratsmitglieder im Anschluss an die Wahlfeierlichkeiten einzuschra¨nken. Die enge Verbindung von o¨ffentlicher Repra¨sentation und Regulierung von Verfahren, also von ritueller Handlung und politischer Legitimita¨t zeigte sich auch in den ¨ mtersystem der Begra¨bnisritualen der Magistrate. Die Stellung des Verstorbenen im A Stadt bestimmte vornehmlich seine Ehrung. Kollektive Bezugsgro¨ßen wie religio¨se
2.3. Die Fest-Stellung der Republik in der Selbstdarstellung der Magistrate
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und familia¨re Zugeho¨rigkeiten wurden ihr nachgeordnet. Der Bezug auf die Republik ¨ bergangsriten als wirkals u¨bergeordnete Gro¨ße erweist sich bei der Gestaltung der U ma¨chtiger als andere Wertesysteme: Der Bruder Heinrich Brokes’ scheiterte sowohl bei den Angeho¨rigen der Generation seines Vaters als auch bei seinem Bruder mit dem Versuch, eine mehr mit der Familie als der Wu¨rde des Amtes verbundene Repra¨sentation durchzusetzen. Zwar dienten die familia¨ren Feierlichkeiten – insbesondere die Hochzeitsfeste, aber auch die Begra¨bnisfeierlichkeiten – der Statusmarkierung und stellten somit ein Feld der Konkurrenz fu¨r die sta¨dtischen Magistrate und ihre Familien dar. Dieses war jedoch in ein festgestecktes und sich immer mehr in seinem Kontrollanspruch erweiterndes Normgefu¨ge eingebunden. Seine erfolgreiche Implementierung in der politischen Kultur Venedigs und der Hansesta¨dte erweist sich nicht allein an Einzelfa¨llen, sondern auch in dem Gedenken an die Toten in Grabmalskultur oder Gelegenheitsdichtung. Die Hochzeits- und Begra¨bnisfeierlichkeiten sowohl der Amtstra¨ger als auch ihrer Familienangeho¨rigen wurden so vornehmlich zu einem Anlass fru¨hneuzeitlicher sta¨dtischer politischer Repra¨sentation und nicht zu einem Feld familia¨r bestimmter Selbstdarstellung. Der sich erweiternde Herrschaftsanspruch der sta¨dtischen Obrigkeit zeigt sich auch daran, dass die Magistrate Hochzeits- und Begra¨bnisfeierlichkeiten im sta¨dtischen Raum sta¨rker zu kontrollieren suchten, wie die detaillierten Vorschriften zur Regelung des Gefolges verdeutlichen. Gerade dieser sich ausweitende Herrschaftsanspruch aber war es, der es nicht zu einem Konflikt zwischen Republik und Familie kommen ließ, sondern zwischen sta¨dtischer Obrigkeit und kirchlichen Institutionen, die auf diesem Gebiet um die Kontrolle u¨ber die religio¨se und damit auch normative Ausrichtung der Stadtrepublik stritten. Die Behandlung von Familienangeho¨rigen der Magistrate in Venedig und den Hansesta¨dten weist darauf hin, dass die im Ritual zu ihren Ehren entfaltete Prachtentfaltung an sich kein Wert war, der von allen Vertretern der sta¨dtischen Eliten gleichermaßen abgelehnt wurde. Gefa¨hrlich fu¨r die Koha¨sion dieser Gruppe wurde das individuelle oder familia¨re Streben nach Selbstdarstellung dann, wenn sie der formalen Gleichheit zu offensichtlich widersprach. Dies war besonders bei den Ritualen der Fall, in denen weibliche Familienangeho¨rige im Mittelpunkt standen, den Hochzeitsfeierlichkeiten und den Kro¨nungen der Dogaresse. Hierbei ero¨ffnete sich deswegen ein besonderer Freiraum fu¨r die familia¨re Repra¨sentation, da diese unter weniger institutionellen Einschra¨nkungen standen als die ma¨nnlichen Familienangeho¨rigen der Magistrate. Daher ergaben sich in diesem Bereich auch die meisten Konflikte. Die Quellen zur Ehrung der Gefeierten zeigen aber auch gut, wie eng die Verknu¨pfung von familia¨rer symbolischer Erho¨hung und sta¨dtisch-republikanischem Rahmen war, der selbst in der aufwendigen Kro¨nung der Dogaressa Grimani gut zu erkennen ist. Sowohl in den Quellen zu den Hochzeitsfeierlichkeiten als auch zu den Dogaressakro¨nungen la¨sst sich kein entscheidender Wertewandel erkennen: Vielmehr blieb das Spannungsverha¨ltnis zwischen familia¨rer und sta¨dtisch-republikanischer Repra¨sentation von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts dasselbe. Was sich vielmehr a¨nderte, waren die rituellen Repra¨sentationsformen selbst, die aber nicht genuin in den Sta¨dten entstanden waren. Dies zeigt sich zum einen
140
2. Die Inszenierung der Herrschaftslegitimita¨t
im Wechsel von korporativer zu allegorisch-universaler Symbolik in den venezianischen Dogaressakro¨nungen, zum anderen in der zeremoniellen Integration der Dogenso¨hne, die vermutlich auf die steigende Rolle der Dynastien in der sich in dieser Zeit formalisierenden außenpolitischen zeremoniellen Kommunikation reagierte. Aber gerade das Beispiel der So¨hne des Dogen weist darauf hin, dass rituelle mit institutionellen Entwicklungen nicht gleichgesetzt werden du¨rfen: Schließlich wurden diese gleichzeitig institutionell in ihren Rechten noch mehr eingeschra¨nkt, als sie ohnehin schon waren. Zu erinnern sei in diesem Zusammenhang auch daran, dass die feierliche Einholung der Dogaressa abgeschafft wurde.
3.
¨ UME? GETRENNTE RA
Politische und religio¨se Selbstdarstellung
Politische Ordnungsvorstellungen in der Fru¨hen Neuzeit waren auch immer durch religio¨se Sinnstiftungen gepra¨gt. Dieses Wechselverha¨ltnis wird bei der Untersuchung politischer Rituale in dieser Zeit ha¨ufig nicht oder nur ungenu¨gend in die Betrachtung mit einbezogen.1 Die Herausbildung einer religionsfreien Spha¨re als Raum des Politischen fand erst allma¨hlich und unter spezifischen politischen Konstellationen statt.2 Die Beziehung dieses Prozesses zu politischen Ritualen ist noch kaum erforscht.3 Viele Untersuchungen politischer Rituale in der Fru¨hen Neuzeit umgehen das Problem der Definition des Politischen ihres Untersuchungsgegenstandes, indem sie sich auf die Gruppe der politisch aktiven Personen – also die Fu¨rsten oder die Magistrate – beschra¨nken und auf die Beteiligung der Geistlichen an diesen Ritualen kaum eingehen.4 Charakteristisch hierfu¨r ist, dass die neuesten Forschungen zu sta¨dtischer Festkultur im Reich kirchliche Zeremonien nur am Rande beru¨cksichtigen.5 Ist aber von einer symbiotischen Beziehung religio¨ser und politischer Ordnungsvorstellungen auszugehen, so ist dies bei der Analyse politischer Selbstdarstellung zu beachten. Es ist nicht allein notwendig, die religio¨s symbolische Sinnstiftung von Ritualen in die Analyse zu integrieren, die der Repra¨sentation der Amtsinhaber dienten, sondern auch die politische Komponente kirchlicher Feste und
1 Auf diese Verbindung hat insbesondere Heinz Schilling aufmerksam gemacht: Vgl. Schilling, Gab
es im spa¨ten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit in Deutschland einen sta¨dtischen „Republikanismus“? und Schilling, Stadt und fru¨hmoderner Territorialstaat; außerdem Heinz Schilling, Konfessionskonflikt und Staatsbildung. Eine Fallstudie u¨ber das Verha¨ltnis von religio¨sem und sozialem Wandel in der Fru¨hneuzeit am Beispiel der Grafschaft Lippe, Heidelberg 1981, S. 15–40. 2 Vgl. Ernst W. Bo ¨ ckenfo¨rde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Sa¨kularisation, in: Ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, Frankfurt a. M. 1991, S. 92–114, insbes. S. 100–104. 3 Auf die Forschungslu¨cke macht aufmerksam: Barbara Stollberg-Rilinger, Knien vor Gott – Knien vor dem Kaiser. Zum Ritualwandel im Konfessionskonflikt, in: Zeichen – Rituale – Werte. Internationales Kolloquium des Sonderforschungsbereichs 496 an der Westfa¨lischen Wilhelms-Universita¨t Mu¨nster unter Mitarbeit von Christiane Wittho¨ft, hg. v. Gerd Althoff, Mu¨nster 2004, S. 501–533. 4 Vgl. zum Beispiel die Beitra¨ge in den Sammelba¨nden Culture et Ide´ologie dans la Gene`se de l’E ´ tat Moderne. Actes de la table ronde organise´e par le centre national de la recherche scientifique de l’E´cole franc¸aise a` Rome, Rome, 15–17 octobre 1984, Rom 1985; European Monarchy. Its Evolution and Practice from Roman Antiquity to Modern Times, hg. v. Heinz Duchhardt/Richard A. Jackson/David Sturdy, Stuttgart 1992. 5 Hier wa¨ren zu nennen Krischer, Reichssta¨dte in der Fu¨rstengesellschaft; Weller, Theatrum Praecedentiae, S. 339–382.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
Zeremonien zu beachten. Diese Voru¨berlegungen gelten in besonders hohem Maße fu¨r sta¨dtisch-republikanische Gemeinwesen. Die Gru¨nde fu¨r diese enge und stabile Verbindung politischer und religio¨ser Ordnungsvorstellungen im sta¨dtischen Bereich lagen in der Verschra¨nkung der Ausbildung und Festigung der Herrschaft der politischen Magistrate und ihren Zugriffsrechten auf das sta¨dtische Kirchenwesen. Diese hatten sich im Verlauf der Stadtbildung auch in Venedig und den Hansesta¨dten herausgebildet.6 Die zunehmende Institutionalisierung politischer Zugriffsrechte auf die sta¨dtischen Kirchen bot die Voraussetzung fu¨r die symbolische Interpretation der Stadt als einer speziell von Gott erwa¨hlten Gemeinschaft, als zweitem Jerusalem.7 Dieses Selbstversta¨ndnis demonstrierte sich besonders in dem Ritual der Fronleichnamsprozession, die im 15. Jahrhundert zu einem der wichtigsten sta¨dtischen Feste wurde.8 In der Symbiose von politischem und religio¨sem Gemeinwesen, die zum Erfolg der Stadt als wirkma¨chtigem sozialem und politischem Ideal bis weit in das 19. Jahrhundert beitrug,9 war der Konflikt zwischen den Herrschaftsanspru¨chen der politischen Obrigkeit und den Privilegien der Geistlichkeit bereits angelegt. Versuche geistlicher Institutionen, kirchliche Rechte der Zugriffsgewalt der Magistrate wieder zu entziehen, fu¨hrten in Venedig und den Hansesta¨dten zu Konflikten zwischen politischen und kirchlichen Institutionen und Eliten. Dieser Gegensatz verscha¨rfte sich durch die konfessionelle, aber auch staatstheoretische Entwicklung des 16. Jahrhunderts, in deren Verlauf beide Seiten neue Argumente zur Festigung ihrer Position entwickelten. In Sta¨dten, die sich der reformatorischen Bewegung anschlossen, fu¨hrte diese Entscheidung oft zu Auseinandersetzungen zwischen dem meist der Reformation skeptisch gegenu¨berstehenden Rat und anderen Gruppen der Stadtbevo¨lkerung. Religio¨se Fragen verbanden sich hier mit einem Konflikt zwischen ratssa¨ssigen und nicht-rats-
6 Den europa¨ischen Kontext beru¨cksichtigt mit weiterfu¨hrenden Angaben Felicitas Schmieder, Die
mittelalterliche Stadt, Darmstadt 2005, S. 117–127; fu¨r das Reich Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Spa¨tmittelalter 1250–1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Stuttgart 1988, S. 210–230; fu¨r Bremen Ortwin Rudloff, s. v. Bremen, in: TRE 7 (1981), S. 155–156; fu¨r Hamburg vgl. Bernhard Lohse, s. v. Hamburg, in: TRE 14 (1985), S. 404–414; fu¨r Lu¨beck Wolf-Dieter Hauschild, Kirchengeschichte Lu¨becks. Christentum und Bu¨rgertum in neun Jahrhunderten, Lu¨beck 1981; fu¨r Venedig vgl. Paolo Prodi, The Structure and Organization of the Church in Renaissance Venice: Suggestions for Research, in: Renaissance Venice, hg. v. John R. Hale, London 1973, S. 409–430. 7 Fu¨r den Kontext des Reiches vgl. Wilfried Ehbrecht, U ¨ berall ist Jerusalem, in: Die Stadt als Kommunikationsraum. Beitra¨ge zur Stadtgeschichte vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. FS fu¨r Karl Czok zum 75. Geburtstag, hg. v. Helmut Bra¨uer/Elke Schlenkrich, Leipzig 2001, S. 129–185; Lionello Puppi, Venezia come Gerusalemme nella Cultura Figurativa del Rinascimento. Alla memoria di Franco Gaeta, in: Die italienische Stadt der Renaissance im Spannungsfeld von Utopie und Wirklichkeit, hg. v. August Buck und Bodo Guthmu¨ller, Venedig 1984, S. 117–163. 8 Vgl. Miri Rubin, Corpus Christi. The Eucharist in Late Medieval Culture, Cambridge 1991, S. 347–361. 9 So auch Ulrich Meier und Klaus Schreiner, Bu¨rger- und Gottesstadt im spa¨ten Mittelalter, in: Sozial- und Kulturgeschichte des Bu¨rgertums: eine Bilanz des Bielefelder Sonderforschungsbereichs (1986–1997), hg. v. Peter Lundgreen, Go¨ttingen 2000, S. 43–84.
3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
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sa¨ssigen sta¨dtischen (kaufma¨nnischen wie auch zu¨nftischen) Eliten.10 War die Krise der Reformation u¨berwunden, barg der Prozess der Herausbildung und institutionellen Verfestigung der drei großen Konfessionen ab der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts eine gleichfalls große Gefahr fu¨r die Symbiose politischer und religio¨ser Zugeho¨rigkeit.11 Die Konfessionen boten feste Referenzpunkte zur Gruppenbildung außerhalb der sta¨dtischen Gemeinschaft. Diese Entwicklung wurde nicht nur in protestantischen Sta¨dten als Gefahr wahrgenommen: Die politischen Obrigkeiten katholischer Sta¨dte sowohl im deutsch- als auch italienischsprachigen Bereich nahmen eine ausgesprochen ambivalente Haltung gegenu¨ber katholischen Reformorden, wie zum Beispiel den Jesuiten, ein.12 Gerade die Jesuiten strebten an, sta¨dtische Feste aus ihrem traditionell kommunalen Rahmen zu lo¨sen und ihnen ein katholisches Gepra¨ge zu verleihen. So fo¨rderten sie zum Beispiel die Verehrung von vorher nicht mit der sta¨dtischen Gemeinschaft verwurzelten, auch außerhalb der Stadtmauern bekannten Heiligen.13 Durch die Herausbildung der Konfessionen im 16. Jahrhundert erhielten Rituale einen dezidiert konfessionell gepra¨gten Charakter. Wie und in welchem Ausmaß sich das sta¨dtische Festwesen im 16. und 17. Jahrhundert qualitativ im Zusammenhang mit der Herausbildung der drei Konfessionen vera¨nderte, ist bis jetzt nur in Einzelfa¨llen erforscht worden.14 Fu¨r eine Untersuchung des Zusammenhangs zwischen konfessioneller Entwicklung und sta¨dtischen Ritualen wa¨ren folgende Voru¨berlegungen anzustellen: Nahm die politische Obrigkeit Venedigs und der Hansesta¨dte 10 Fu¨r die Reichssta¨dte allgemein vgl. Moeller, Reichsstadt und Reformation, S. 18–30; fu¨r die Hanse-
sta¨dte Heinz Schilling, Die politische Elite nordwestdeutscher Sta¨dte in den religio¨sen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts, in: Stadtbu¨rgertum und Adel in der Reformation, hg. v. Wolfgang J. Mommsen, Stuttgart 1979, S. 232–308; Heinz Schilling, Konfessionskonflikte und hansesta¨dtische Freiheit im 16. und fru¨hen 17. Jahrhundert, in: HansGbll 97 (1979), S. 36–59; Heinz Schilling, The Reformation in the Hanseatic Cities, in: The Sixteenth Century Journal 14 (1983), S. 443–456; Friedrich Seven, Der Aufstand der 104 Ma¨nner und die Bremer Kirchenordnung von 1534, in: BremJb 64 (1986), S. 15–31; Rainer Postel, Bu¨rgerausschu¨sse und Reformation in Hamburg, in: Sta¨dtische Fu¨hrungsgruppen und Gemeinde in der werdenden Neuzeit, hg. v. Wilfried Ehbrecht, Ko¨ln/Wien 1980, S. 369–384; Wilhelm Jannasch, Reformationsgeschichte Lu¨becks vom Petersablaß bis zum Augsburger Reichstag 1515–1530, Lu¨beck 1958. 11 Vgl. auch Olaf Mo ¨ rke, Integration und Desintegration. Kirche und Stadtentwicklung in Deutschland vom 14. bis ins 17. Jahrhundert, in: La ville, la Bourgeoisie et la Gene`se de l’E´tat Moderne (XIIe-XVIIIe sie`cles). Actes du colloque de Bielefeld (29 novembre – 1er dece´mbre 1985), hg. v. Neithard Bulst, Paris 1988, S. 297–321. 12 Zu den katholischen Reichssta¨dten vgl. Wilfried Enderle, Die katholischen Reichssta¨dte im Zeitalter der Reformation und der Konfessionsbildung, in: ZRGK 75, 106 (1989), S. 228–269, hier: S. 263–266. Die Jesuiten ließen sich im Jahre 1548 in Padua nieder. Mit Beginn des Interdikts verwies der Maggior Consiglio sie aus den von Venedig beherrschten Gebieten und ließ erst im Jahre 1657 ihre Ru¨ckkehr zu. Vgl. Maurizio Sangalli, Cultura, Politica e Religione nella Repubblica di Venezia tra cinque e seicento. Gesuiti e somaschi a Venezia, Venedig 1999, S. 363–474. 13 Enderle, Reichssta¨dte, S. 264–266. Ein Fallbeispiel fu¨r Ko¨ln ist aufgearbeitet in: Kathrin Enzel, „Eins Raths Kirmiß ...“. Die „Große Ko¨lner Gottestracht“ als Rahmen der politischen Selbstdarstellung sta¨dtischer Obrigkeiten, in: Interaktion und Herrschaft. Die Politik der fru¨hneuzeitlichen Stadt, hg. v. Rudolf Schlo¨gl, Konstanz 2004, S. 471–498. 14 Ein umfassendes Forschungsprogramm skizziert Heinz Schilling, Die konfessionelle Stadt – eine Problemskizze, in: Historische Ansto¨ße. FS fu¨r Wolfgang Reinhard zum 65. Geburtstag am 10. April 2002, hg. v. Peter Burschel u. a., Berlin 2002, S. 60–79.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
neue spezifisch konfessionell gepra¨gte Feste an und integrierte sie vorbehaltlos in den jeweiligen Festzyklus, so zeigte sie damit ihre Haltung gegenu¨ber der konfessionellen Gruppe und dem Lager an, die diese Feste fo¨rderte. Im Inneren der Stadt signalisierte sie damit den Willen, die Deutungshoheit u¨ber die religio¨se Definition der Stadtgemeinschaft fu¨r sich zu beanspruchen. Sie konnte die neuen konfessionell gepra¨gten Rituale dazu nutzen, ihre Herrschaft zu sakralisieren, indem sie die Gemeinschaftskonzeption eines nun nicht nur traditionell politisch-religio¨s, sondern auch konfessionell gepra¨gten Gemeinwesens bestimmte. Nach außen zeigte sie ihre Bereitschaft, sich einer der konfessionellen Großgruppen anzuschließen und damit auch einer bestimmten, zum Beispiel anti-ro¨misch oder anti-habsburgisch eingestellten Haltung zu folgen. Erwies sich die Durchsetzungskraft der politischen Obrigkeit als zu schwach, konnte wiederum die Geistlichkeit versuchen, ihre vorwiegend konfessionell definierten Ordnungsvorstellungen umzusetzen. Die konfessionell bedingten Vera¨nderungen des Festwesens fu¨hrten also keineswegs zu der Trennung von religio¨sen und politischen Ritualen, sondern boten fu¨r beide Seiten Mo¨glichkeiten, Anspru¨che auf die andere Spha¨re noch sehr viel antagonistischer als vorher zu artikulieren. In diesem Sinne bemu¨hten sich die meisten Landesherrn und sta¨dtischen Magistrate, ihre bereits vorhandene Kontrolle u¨ber das Festwesen auszuweiten und zu festigen – ein Machtausbau, der sich im Sinne der christlichen Legitimation ihrer Herrschaft als geradezu notwendig erwies. Viele Rituale, besonders aus dem Bereich der Familienfeierlichkeiten, wurden aufgrund der gleichzeitigen Zugeho¨rigkeit der Familienmitglieder zum politischen Verband und zur Gemeinschaft der Gla¨ubigen in der theologisch-politischen Diskussion dieser Zeit als res mixtae angesehen, also als ein Gegenstand, der sowohl von politischen als auch geistlichen Obrigkeiten zu regeln sei.15 In den Debatten zwischen geistlichen und politischen Eliten dieser Zeit spiegelt sich das Bemu¨hen um eine grundsa¨tzliche Kla¨rung der Pra¨gung des jeweiligen Gemeinwesens wider. Es waren Diskussionen, die ha¨ufig anla¨sslich von Festen und Ritualen entstanden: Dies waren die Formen, in denen sich o¨ffentlich sichtbar das Selbstversta¨ndnis der jeweiligen Gruppen in Bezug auf das gesamte Gemeinwesen zeigte. Rituale dienten also als ein Mittel, die Deutungshoheit u¨ber den sakralen Charakter des jeweiligen politischen Gemeinwesens o¨ffentlich zu demonstrieren. Eine Untersuchung kirchlicher Feste in sta¨dtisch gepra¨gten Republiken um 1600 gibt Aufschluss daru¨ber, welche Gestaltungsanspru¨che die politischen und geistlichen Obrigkeiten gegeneinander durchsetzen konnten und welche Rolle konfessionelle Symbole dabei spielten. Sollten sie der Stadt ein ga¨nzlich neues Antlitz verleihen oder kam ihnen nur dann eine besondere Bedeutung zu, wenn sie eine bestimmte Funktion im sta¨dtischen Sozial- und Interessengefu¨ge einnahmen? Bildete sich also um 1600 eine Religion in der Stadt ohne Stadt-Religion zu sein, heraus?16 Bei der Bearbeitung 15 Vgl. Heinz Schilling, Das konfessionelle Europa. Die Konfessionalisierung der europa¨ischen La¨nder
seit Mitte des 16. Jahrhunderts und ihre Folgen fu¨r Kirche, Staat, Gesellschaft und Kultur, in: Ders., Ausgewa¨hlte Abhandlungen, S. 646–700, hier: S. 663–668. 16 Vgl. Vera Isaiasz und Matthias Pohlig, Soziale Ordnung und ihre Repra¨sentationen: Perspektiven der Forschungsrichtung ‚Stadt und Religion‘, in: Stadt und Religion in der Fru¨hen Neuzeit: Soziale Ordnungen und ihre Repra¨sentation, hg. v. Vera Isaiasz, u. a., Frankfurt a. M./New York 2007, S. 9–32.
3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
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dieser Fragestellung muss die Vielko¨pfigkeit der politischen und geistlichen Institutionen sowohl in Venedig als auch den Hansesta¨dten beachtet werden. In Bremen und in Venedig waren sich der Bremer Rat beziehungsweise der Maggior Consiglio in ihrer Haltung gegenu¨ber den wichtigsten kirchlichen Fragen ha¨ufig in hohem Maße uneins. Dies fu¨hrte zu schweren inneren Krisen, die die eigentliche politische Struktur dieser Sta¨dte destabilisierten. In Hamburg und Lu¨beck gelang es dem Rat, mit dem Zulassen der Reformation die religio¨se Einheit der Stadtgemeinde zu bewahren. Dies festigte auch den politischen Ordnungsanspruch der Magistrate. Religio¨se Differenzen konnten sich nicht mehr mit politischer Kritik verbinden. Setzte sich eine bestimmte Form sta¨dtischer Repra¨sentation in einem Ritual durch, spiegelt dies nicht notwendigerweise die Meinung aller Vertreter der sta¨dtischen Fu¨hrungsschicht wider. Vielmehr weist sie darauf hin, welche Verbindungs- und Trennungsmo¨glichkeiten fu¨r konfessionelle und sta¨dtische Gruppendarstellungen sich zu diesem Zeitpunkt durchsetzten. Im Folgenden soll daher das Spannungsverha¨ltnis zwischen einer u¨ber den sta¨dtischen Rahmen hinausweisenden konfessionellen und einer spezifisch innersta¨dtischen Vergemeinschaftung untersucht werden. So la¨sst sich feststellen, ob und auf welche Weise konfessionelle Entwicklungen um 1600 sta¨dtischrepublikanische Selbstbilder beeinflussten. Dabei wird in folgenden Schritten vorgegangen: Im ersten Teil sollen Rituale im Mittelpunkt der Untersuchung stehen, die sowohl von der politischen als auch der geistlichen Seite als Gelegenheit dafu¨r genutzt wurden, ihre Deutungshoheit u¨ber die Stadt als Sakralgemeinschaft zu formulieren. Es sollen also Feste in den Blick genommen werden, die als Anlass fu¨r die Demonstration von Machtanspru¨chen dienten. In einem zweiten Teil sollen Rituale analysiert werden, bei denen die sta¨dtischen Obrigkeiten nicht gegen den Willen der Geistlichkeit, sondern in demonstrativer Einigkeit mit ihr auftraten. Dies la¨sst sich insbesondere bei Ritualen beobachten, die in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts neu zum Festkalender hinzutraten. In diesem Zusammenhang lassen sich mehrere Hypothesen aufstellen: In ihnen u¨berlagerte konfessionelle Symbolik womo¨glich die Repra¨sentation des Gemeinwesens als Stadtrepublik. Die ritualisierte Selbstdarstellung ko¨nnte sich somit aus ihrem lokalen Kontext lo¨sen oder eine, bestimmte kommunale Elemente versta¨rkende politischreligio¨se Symbiose eingehen. In einem dritten Untersuchungsschritt soll nach einer eigensta¨ndigen Selbstdarstellung von Vertretern der Geistlichkeit gefragt werden. Hier sind Repra¨sentationsformen in den Blick zu nehmen, bei denen die Geistlichen selbst im Mittelpunkt standen, also zum Beispiel bei feierlichen Amtseinfu¨hrungen und Begra¨bnissen. Die Analyse ihrer Rites de passage gibt Hinweise darauf, ob in ihnen Repra¨sentationsformen zum Ausdruck kommen, die jenseits des Rahmens der Stadt als Sakralgemeinschaft stehen.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
3.1. Stadt und Kirche Die enge, gleichsam symbiotische Beziehung zwischen sta¨dtischen und kirchlichen Strukturen, die sich in Venedig im Zuge der institutionellen Verfestigung der politischen, sozialen und kirchlichen Strukturen herausgebildet hatte, la¨sst sich an der Entwicklung des Prozessionswesens ablesen.17 Die venezianischen Kirchen waren durch ein um 1600 bereits fest herausgebildetes System von Prozessionen mit dem politisch-kirchlichen Zentrum verbunden.18 Im Jahre 1453 beschloss der venezianische Senat, dass der Ritus von San Marco, dessen Geistlichkeit unter der Jurisdiktion des Dogen stand,19 tempora¨r auch in denjenigen Kirchen Venedigs gelte, in denen der Doge mit einem Teil der Geistlichkeit von San Marco bei hohen Feiertagen anwesend war.20 Der in der Kirche von San Marco selbst zuru¨ckgebliebene Teil der Geistlichkeit feierte dort zu derselben Zeit eine Messe wie in der Kirche, die das Ziel der Prozession darstellte. Der Kirchenraum von San Marco hatte sich in diesem Moment gleichsam um einen Raum erweitert.21 Dieses System wurde in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts ausgebaut, so zum Beispiel anla¨sslich des Sieges u¨ber die osmanische Flotte im Jahre 1571 mit einer Prozession zu Ehren der Santa Giustina.22 Ein Vergleich zweier Stadtbeschreibungen Francesco Sansovinos zeigt deutlich die steigende Bedeutung dieses Prozessionswesens fu¨r die Wahrnehmung und Darstellung Venedigs als Gemeinwesen: In seiner zum ersten Mal im Jahre 1559 gedruckten Beschreibung Venedigs23 gruppierte er die Schilderung der Stadt hauptsa¨chlich um weltliche Kunst- und Bauwerke und die Merkmale der politischen Verfassung.24 Rund dreißig Jahre spa¨ter waren die Prozessionen des Dogen zu den einzelnen Kirchen das inhaltliche Gliederungsmerkmal einer weiteren Stadtbeschreibung aus seiner Feder.25 Die 17 Weder die Reformbewegungen der ersten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts noch die Transformationen des
venezianischen Kirchenwesens im Gefolge des Konzils von Trient sind bis jetzt Gegenstand systematischer, umfassender historischer Forschungen gewesen, so dass Paolo Prodis inzwischen u¨ber dreißig Jahre alter Hinweis auf diese Forschungslu¨cke immer noch gilt: Prodi, Structure, S. 409. Die einzigen umfassenden Gesamtdarstellungen der venezianischen Kirchengeschichte stammen aus dem 18. Jahrhundert. Diese sind als Quelleneditionen zum Teil immer noch wertvoll: Ecclesiae Venetae antiquis monumentis nunc primum editis illustratae ac in decades distributae, 18 Bde., hg. v. Flaminio Cornelio, Venedig 1749; Delle memorie venete antiche profane ed ecclesiastiche raccolte, 8 Bde., hg. v. Giambattista galliciolli, Venedig 1795. Die Darstellung Giuseppe Cappellettis fußt auf den beiden a¨lteren Werken: Giuseppe Cappelletti, Storia della Chiesa di Venezia, 6 Bde., Venedig 1849–1850. Neueren Datums sind zwei Sammelba¨nde, die aber keine umfassende Gesamdarstellung bieten: La chiesa di Venezia nel Seicento, hg. v. Bianca Betto/Bruno Bertoli, Venedig 1992; La chiesa di Venezia tra riforma protestante e riforma cattolica, hg. v. Gaetano Cozzi/Giuseppe Gullino, Venedig 1990. 18 Vgl. Lucas Burkart, Die Stadt der Bilder: familiale und kommunale Bildinvestition im spa¨tmittelalterlichen Verona, Mu¨nchen 2000, S. 270–271. 19 Vgl. ausfu¨hrlich mit Hinweisen zur Diskussion des 16. Jahrhunderts um diese Rechte: Cozzi, Il giuspatronato. 20 Vgl. die Prozessionsbeschreibungen in Sansovino, Venetia, 1663, S. 492–526. 21 Vgl. Burkart, Stadt der Bilder, S. 270. 22 Vgl Antonio Niero, Santa Giustina e Venezia: il culto primo e dopo la Battaglia di Lepanto, in: Santa Giustina e il primo Cristianesimo a Padova, hg. v. Andrea Nante, Padua 2004, S. 175–184. 23 Sansovino, Delle Cose notabili. 24 Vgl. Sansovino, Delle Cose notabili, Tavola delle cose che si contengono in questo libro, s. p. 25 Vgl. Sansovino, Venetia, 1663, inbes. S. 492–506.
3.1. Stadt und Kirche
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symbolische Anbindung der Kirchen durch Prozessionen und Rituale an die Kirche von San Marco festigte sich also in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts.26 Die Sakralisierung Venedigs la¨sst sich nicht nur im Bereich der Prozessionen, sondern auch auf dem Gebiet der politischen Theorie erkennen. Ein gutes Beispiel hierfu¨r sind die Schriften des venezianischen Patriziers Paolo Paruta.27 In seinem 1579 vero¨ffentlichten Dialog Della perfezione della vita politica la¨sst er venezianische Patrizier u¨ber den Wert der vita politica, des Engagements in den venezianischen politischen Institutionen, streiten. Die Gespra¨chspartner waren entweder in die kuriale ¨ mterhierarchie eingebunden oder u¨bten politische Funktionen in Venedig aus.28 A Die Parteinahme des Autors fu¨r diejenigen Patrizier, die sich fu¨r die vita politica aussprechen, ist unverkennbar: Paruta gestand ihnen jeweils die Wortfu¨hrerschaft in diesem Dialog zu.29 In seinem ungefa¨hr zwanzig Jahre spa¨ter niedergeschriebenen Monolog Soliloquio30 beschrieb sein Verfasser hingegen die Entscheidung fu¨r das Folgen der vita politica als ein Opfer, das sehr viel schwerer sei, als sich der vita contemplativa hinzugeben. Paruta begru¨ndete in dieser Schrift seine perso¨nliche Wahl, dennoch im politischen Dienst Venedigs zu verweilen, damit, dass dieser gleichbedeutend einem allein Gott geweihten Leben sei. Hatte Paruta also zwanzig Jahre zuvor noch den Dienst an der Republik diskursiv begru¨ndet, enthob er ihn nun jeglicher Begru¨ndung und Kritik: Der Dienst an der Republik kam fu¨r ihn einer religio¨sen Handlung gleich. Dammi adunque, Signore, ch’io possa pensare in modo a’ miei figliuoli mortali, che non mi scordi di te, mio Padre eterno; governo le mie facolta`, conoscendo che tu me le desti, tu me le conservi, e che mio debito sia di bene usare i doni della tua grazia; che ami la mia patria terrena, non pero` si, che minor conto tenga della mia patria celeste; serva ed obbedisca alla mia repubblica con integrita` di coscienza, con fine di giovare a lei, non a me, e per la tua, non per la mia gloria. Questa e` maravigliosa opera della tua mano, e che da te solo s’ha a riconoscere; poiche` per si lungo corso d’anni, con unico esempio, si conserva nella liberta`, nel dominio, nella vera religione.31 26 Vgl. Burkart, Stadt der Bilder, S. 267–271. 27 Zur Biographie Paolo Parutas vgl. Arturo Pompeati, Per la biografia di Paolo Paruta, in: Giornale sto-
rico della letteratura italiana 45 (1923), S. 48–66. 28 Im Folgenden wird zitiert nach Paolo Paruta, U ¨ ber die Vollkommenheit des politischen Lebens in
drei Bu¨chern. Eingeleitet, u¨bersetzt und kommentiert von Jutta Schmidt. Erstu¨bersetzung von Paolo Parutas Della perfettione della vita politica. Libri tre (Venedig 1579), Frankfurt a. M. 1998. 29 Vgl. Jutta Schmidt, Einfu¨hrung in Paolo Parutas Leben und Werk, in: Paolo Paruta, U ¨ ber die Vollkommenheit des politischen Lebens in drei Bu¨chern. Eingeleitet, u¨bersetzt und kommentiert von Jutta Schmidt. Erstu¨bersetzung von Paolo Parutas Della perfettione della vita politica. Libri tre (Venedig 1579), Frankfurt a. M. 1998, S. 9–35, hier: S. 17–22. Zu den Personen des Dialogs vgl. außerdem Gaetano Cozzi, La Societa` Veneziana del Rinascimento in un’Opera di Paolo Paruta: ‚Della Perfettione della Vita Politica‘, in: Atti della Deputazione Veneta di Storia Patria 1961, S. 13–47. 30 Paolo Paruta, Soliloquio, in: Opere Politiche di Paolo Paruta. Bd. 1, hg. v. Cirilio Monzani, Florenz 1852, S. 3–14. 31 Paruta, Soliloquio, S. 13: „Verleih mir, Herr, dass ich in einer Weise an meine sterblichen So¨hne denken kann, die mich nicht Deiner vergessen la¨sst, mein ewiger Vater; ich bin Herr u¨ber meine Fa¨higkeiten,
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
¨ berho¨hung Venedigs war fu¨r Paruta notwendig, um den Dienst fu¨r Die sakrale U die Republik auch dann moralisch zu rechtfertigen, wenn konfessionelle Gesichtspunkte politische Zusammenha¨nge diskursiv und symbolisch zu u¨berlagern drohten. Diese Betonung der Einheit Venedigs als politischer und auch christlicher Gemeinschaft spiegelte aber nicht eine tatsa¨chlich vorhandene christliche Eintracht oder einheitliche religio¨se Entwicklung innerhalb des venezianischen Patriziats wider. Vielmehr nahmen in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts die Auseinandersetzungen zwischen papsttreuen und -feindlichen Patriziern an Scha¨rfe zu. Diese Zweiteilung ¨ mterrichtete sich ha¨ufig danach, welche familia¨ren Verbindungen zur kurialen A hierarchie bestanden.32 Waren venezianische Patrizier und ihre Familien nicht von ihr abha¨ngig, fiel es ihnen leichter, sich fu¨r die politische und kirchliche Autonomie Venedigs einzusetzen.33 Die theologische Position der papstkritischen venezianischen Patrizier ist bis heute umstritten und auch noch nicht hinreichend erforscht: Waren sie Vorboten einer Einfu¨hrung der Reformation in Venedig34 oder fu¨hrten sie die bereits im 15. Jahrhundert unter einigen Patriziern verbreiteten Bestrebungen fort, in Venedig ein autonomes Kirchenwesen einzufu¨hren?35 Eine Gleichsetzung von religio¨ser Haltung und politischem Standpunkt wurde und wird den venezianischen Papstgegnern dieser Zeit unterstellt.36 Dabei wird nicht beachtet, dass fu¨hrende Ko¨pfe ihrer Gruppe, so zum Beispiel die Dogen Leonardo Donato und Nicolo` Contarini in ihrer perso¨nlichen religio¨sen Haltung Fro¨mmigkeitsideale vertraten, die denen nachtridentinischer Reformorden in vielen Punkten nahestanden. Beide distanzierten sich nicht vom katholischen Glaubensbekenntnis.37 Die Berichte u¨ber die Teilnahme von venezianischen Patriziern an den Gottesdiensten im Hause des englischen Gesandten zeigen, dass andere unter ihnen dagegen an nicht-katholischen Fro¨mmigkeitsformen interessiert waren.38 Unter allen Gruppen der venezianischen Stadtbevo¨lkerung herrschte eine große ¨ berzeugungen, besonders unter den sozial und kulturell unterDiversita¨t religio¨ser U
in dem Wissen, dass Du sie mir verliehen hast, Du sie mir erha¨ltst, und dass es meine Pflicht ist, die Gaben Deiner Gu¨te gut zu verwenden; in dem Wissen, dass ich meine irdische Heimat liebe, aber nicht so, dass ich meine himmlische Heimat fu¨r geringer hielte; dass ich diene und gehorche meiner Republik mit einem intakten Gewissen, um ihr zu nu¨tzen, nicht fu¨r mich, sondern fu¨r Deinen, nicht fu¨r meinen Ruhm. Diese Republik ist ein wunderbares Werk aus Deiner Hand, und nur Dir muss man es zuerkennen; weil sie seit einem so langen Lauf von Jahren, als einzigartiges Beispiel, sich in Freiheit erha¨lt, in Herrschaft und in der wahren Religion.“ 32 Vgl. Antonio Menniti Ippolito, Ecclesiastici veneti, tra Venetia e Roma, in: Venezia e la Roma dei Papi, Mailand 1987, S. 209–234. 33 Vgl. Gaetano Cozzi, Stato e chiesa: Un confronto secolare, in: Ders., Venezia barocca. Conflitti di uomini e idee nella crisi del Seicento veneziano, Venedig 1995, S. 249–287, hier: S. 249–250 und S. 281–282. 34 Vgl. insbesondere Karl Benrath, Geschichte der Reformation in Venedig, Halle 1886. 35 Prodi, Structure, S. 410. 36 Besonders deutlich kommt dies zum Ausdruck bei Massimo Gemin, La Chiesa di S. Maria della Salute e la Cabbala di Paolo Sarpi, Abano Terme 1982, S. 39–42. 37 Cozzi, Il Doge Nicolo` Contarini, S. 35–50, vgl. auch die Transkription seines Testaments auf S. 304; Seneca, Il Doge Leonardo Dona`, S. 27–38 und S. 249–260. 38 Vgl. Federica Ambrosini, Tendenze Filoprotestanti nel Patriziato Veneziano, in: La Chiesa di Venezia tra Riforma Protestante e Riforma Cattolica, hg. v. Giuseppe Gullino, Venedig 1990. S. 155–181.
3.1. Stadt und Kirche
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schiedlich ausgerichteten Gruppen der venezianischen Zu¨nfte39 aber auch innerhalb der venezianischen Geistlichkeit.40 Auch aufgrund dieser Differenziertheit war es fu¨r die kurienfreundliche beziehungsweise -gegnerische Gruppe des Patriziats kaum mo¨glich, ihre Haltung kompromisslos durchzusetzen. Dieses Konfliktpotential war stark durch die Zusammensetzung der venezianischen Stadtgemeinschaft bestimmt. Hinzu trat die außenpolitische Dimension der Beziehung Venedigs zum Papsttum und zum Kirchenstaat: Die Position, die Venedig gegenu¨ber Rom einnahm, war in hohem Maße von politischen Erwa¨gungen bestimmt. Es war fu¨r Venedig auch aus milita¨rischen Erwa¨gungen kaum mo¨glich, als einzige politische Macht in Oberund Mittelitalien einen direkten Bruch mit dem Papsttum zu wagen.41 Aber selbst wenn die Republik vor diesem Schritt aus politischen Erwa¨gungen zuru¨ckschrecken musste, so war es fu¨r sie aus denselben Motiven geboten, eine nicht zu enge Verbundenheit mit dem Papsttum anzustreben. Nicht nur auf dem Gebiet der kirchlichen Rechte gerieten venezianische Autonomiebestrebungen mit den Rechtsanspru¨chen der Kurie in Konflikt. Der Papst war als weltlicher Herrscher des Kirchenstaates ein bedeutender Konkurrent Venedigs im italienischen Ma¨chtesystem. Im Zuge der territorialen Verdichtung von Herrschaftsrechten kam es immer wieder im Laufe des 16. Jahrhunderts zwischen ihm und der venezianischen Republik zu Grenzstreitigkeiten.42 Als Oberhaupt der katholischen Kirche nahm der Papst mit Ausnahme des Sonderfalls der Kirche von San Marco fu¨r sich in Anspruch, die kulturelle und institutionelle Ausrichtung des venezianischen Kirchenwesens zu bestimmen. Das verursachte nicht nur theologische, sondern auch materielle Interessenskonflikte zwischen Papst und venezianischer Republik.43 Bei der Implementierung kirchlicher Reformen besonders im Gefolge der Beschlu¨sse des Konzils von Trient befand sich die venezianische Republik hierbei ha¨ufig in einer strukturell bedingten Aporie, die nur
39 Vgl. Silvia Seidel Menchi, Protestantismo a Venezia, in: La Chiesa di Venezia tra Riforma Protes-
tante e Riforma Cattolica, hg. v. Giuseppe Gullino, Venedig 1990, S. 131–154; außerdem John J. Martin, Venice’s Hidden Italian Heretics in a Renaissance City, Berkeley/Los Angeles/London 1993, S. 150–157. 40 Vgl. hierzu das u¨beraus divergente Material, das Oliver Logan im Rahmen seiner Auswertung der Schriften venezianischer Geistlicher zusammengetragen hat: Oliver Logan, The Venetian Upper Clergy in the Sixteenth and Early Seventeenth Centuries; A Study in Religious Culture, 2 Bde., Salzburg 1995, hier: Bd. 1, S. 64–84. 41 Wie ernst die venezianischen Nobili die milita¨rische Gefahr eines Bruchs mit der Kurie nahmen, zeigt, dass sie sofort nach Beginn des Interdikts des Jahres 1606 die milita¨rische Sicherung der Grenzgebiete versta¨rken ließen: Silvano Giordano, L’interdetto di Venezia, in: Le Istruzioni Generali di Paolo V ai Diplomatici Pontifici 1605–1621, hg. v. Dems., Tu¨bingen 2003, S. 39–49, hier: S. 43. 42 Diesen Aspekt hebt besonders Antonio Battistella hervor: Antonio Battistella, La politica ecclesiastica della Repubblica di Venezia, in: NArchVeneto Ser. 2, 16 (1898), S. 386–420. Die Grenzkonflikte zwischen dem Kirchenstaat und dem Großherzogtum Florenz als Indiz fu¨r die sich verdichtende Territorialisierung staatlicher Rechte hat aufgearbeitet Christian Wieland, Fu¨rsten, Freunde, Diplomaten. Die ro¨misch-florentinischen Beziehungen unter Paul V. (1605–1621), Ko¨ln/Weimar/Wien 2004, S. 271–312. 43 Zusa¨tzlich zu den bereits genannten Angaben vgl. mit weiteren Beispielen Aldo Stella, La proprieta` ecclesiastica nella Repubblica di Venezia dal secolo XV e XVII. Lineamenti di una ricerca economicopolitica, in: Nuova Rivista Storica 42 (1958), S. 50–73.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
¨ berzeugungen der Patrizier zusammenteilweise mit den perso¨nlichen religio¨sen U hing. So beru¨cksichtigte Rom zum Beispiel nicht das Problem des Zusammenlebens der Angeho¨rigen verschiedener Glaubensrichtungen in den venezianischen Levante-Besitzungen44 oder in der Universita¨tsstadt Padua.45 In Venedig selbst wiederum gestaltete sich die Beziehung zu den katholischen Reformbewegungen vielschichtig. Neben dem Ziel, eine Steigerung der pa¨pstlichen Zugriffsmo¨glichkeiten zu verhindern, musste die venezianische Republik sowohl auf die griechisch-orthodoxe Bevo¨lkerung in ihren Kolonien Ru¨cksicht nehmen als auch auf ihre Handelsinteressen auf dem Gebiet des Osmanischen Reiches.46 Es gab also viele Gru¨nde, die Umsetzung der Tridentinischen Reformen auf ihrem Gebiet eher pragmatisch anzugehen. Dies bedeutet nicht, dass dies nicht teilweise recht konsequent und ohne Ru¨cksicht auf die Interessen patrizischer Familienangeho¨riger geschah. So wurden religio¨se Reformen sowohl in der ersten als auch in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts in venezianischen Frauenklo¨stern durchgefu¨hrt, auch wenn ihre Angeho¨rigen wie zum Beispiel im Falle des Benediktinerinnenklosters San Zaccaria aus den wohlhabendsten beziehungsweise a¨ltesten Familien des venezianischen Patriziats stammten und gegen diese Reformen vor dem Maggior Consiglio protestierten.47 Die Ablehnung des Papsttums ist in Venedig keinesfalls mit einer Hinwendung zur reformierten oder lutherischen Konfession zu erkla¨ren, sondern bot seiner politischen Elite zum Teil sogar die Mo¨glichkeit, ihre Republik als einzig wahre katholische Macht in Italien selbst darzustellen. Der Kampf gegen die osmanische Expansion lieferte fu¨r eine solche Selbstdarstellung besonders bildma¨chtige Argumente.48 In der Haltung gegenu¨ber Rom sind demnach die perso¨nlichen Standpunkte der Patrizier gegenu¨ber religio¨sen Fragen von ihrem Bemu¨hen, politische und auch kirchliche Rechte gegenu¨ber Einwirkungen von außen zu schu¨tzen, zu trennen. Sowohl Rom als auch Venedig bauten die einheitliche Zentrierung dieser Rechte in einer Hand im Laufe des 16. Jahrhunderts immer weiter aus. Im Folgenden sollen die Auswirkungen dieses Prozesses auf den Zusammenhang zwischen religio¨ser und sta¨dtischer Repra¨sentation in Venedig untersucht werden. Bei der Analyse venezianischer kirchlicher Feste soll zum einen beachtet werden, ob sich – etwa in der Adaption von Zeremonien aus Rom – eine Trennung der urspru¨nglichen Symbiose politisch-kirchlicher Repra¨sentation in solchen Ritualen erkennen la¨sst. Außerdem soll danach gefragt werden, ob in diesen 44 Vgl. Vittorio Peri, L’„incredibile Risguardo“ e l’„incredibile Destrezza“. La Resistenza di Venezia alle
iniziative postridentine della Santa Sede per i Greci dei suoi domini, in: Venezia. Centro di Mediazione tra Oriente e Occidente (sec. XV–XVI). Aspetti e Problemi, hg. v. Hans-Georg Beck/Manoussos Manoussacas/Agostino Pertusi, Bd. 2, Florenz 1977 S. 599–625. 45 Vgl. zur Sonderstellung der Studenten aus Padua vor der seit 1551 in Venedig eingerichteten Inquisition Nicholas S. Davidson, Il Sant’Uffizio e la Tutela del Culto a Venezia, in: SV n. s. 6 (1982), S. 87–145; Sandro De Bernardin, La politica culturale della repubblica di Venezia e l’Universita` di Padova nel XVII secolo, in: SV 16 (1974), S. 443–502. 46 Vgl. Peri, L’„incredibile Risguardo“; fu¨r das ambivalente Verha¨ltnis Venedigs zum Osmanischen Reich vgl. Niederkorn, Die europa¨ischen Ma¨chte, S. 265–385. 47 Vgl. Primhak, Benedictine communities in Venetian Society, S. 96. 48 Vgl. das von Benjamin Paul zusammengestellte Material: Benjamin Paul, Identita` e alterita` nella pittura veneziana al tempo della battaglia di Lepanto, in: Venezia Cinquecento. Studi di storia dell’arte e della cultura, 15, 29 (2005), S. 155–187.
3.1. Stadt und Kirche
151
Vera¨nderungen eine Sakralisierung des Gemeinwesens zu erkennen ist – vergleichbar der Entwicklung, die die venezianische Republik als Bezugsgro¨ße in den Schriften Paolo Parutas einnahm. Die Beziehungen zwischen Stadt und Kirche in den Hansesta¨dten Hamburg, Bremen und Lu¨beck um 1600 unterscheiden sich nicht nur deshalb grundlegend von den venezianischen Strukturen, weil alle drei Sta¨dte nach anfa¨nglichem Widerstand des Rates die Reformation einfu¨hrten, sondern auch, weil ein kirchlicher Bereich, der unangefochten einzig der Jurisdiktion des Rates unterstellt gewesen wa¨re, fehlte.49 Aber auch in den Hansesta¨dten versuchte der Rat, seine Herrschaft auf die kirchliche Spha¨re auszudehnen. Dennoch musste er diese Herrschaftsanspru¨che teilweise mit der Bu¨rgerschaft teilen – dies trifft besonders auf Hamburg zu –50 oder er musste sie gegenu¨ber einer teilweise recht selbstbewussten Geistlichkeit durchsetzen. In Hamburg basierte die Organisation der Bu¨rgerschaft auf der Gliederung nach Kirchspielen. Aber nicht allein dort verlangten die Gemeindemitglieder Mitspracherechte, die sie gegenu¨ber Rat und Ministerium durchsetzen wollten. Die verschiedenen sozialen und politischen sta¨dtischen Korporationen waren in der Gestaltung der Kirchenstruktur sehr viel enger miteinander verflochten als in dem Kirchenwesen Venedigs, das – auch wenn dies zunehmend vom Papsttum in Frage gestellt wurde – ausschließlich vom Patriziat bestimmt wurde. Dieser Unterschied zeigte sich deutlich in der Frage, welche Gruppen fu¨r sich in Anspruch nehmen konnten, ihre Haltung gegenu¨ber der Kirche zu a¨ußern: In Venedig fu¨hrte die unterschiedliche Haltung zum Papsttum zu einer Spaltung des Patriziats. In den Hansesta¨dten beschra¨nkte sich die Gemengelage von konfessioneller Haltung und politisch-sozialen Interessen nicht allein auf die Gruppe des Rates, sondern verband sich vielmehr mit dem Konflikt zwischen ratssa¨ssigen und nicht ratssa¨ssigen sta¨dtischen Eliten, die entweder aus den Reihen der Kaufleute oder der Zu¨nfte stammten. Dabei sind zwischen den einzelnen Hansesta¨dten große Unterschiede zu beachten: Spalteten in Bremen die Diskussionen um kirchliche Reformen den Rat wa¨hrend der ersten und zweiten Reformation,51 so verband sich in Lu¨beck und Hamburg die Forde¨ bertritt zur Reformation mit Kritik an der Politik des Rates, der rung nach dem U der Entwicklung folgen musste, um nicht seine Herrschaftslegitimation zu gefa¨hrden. Die Kirchenpolitik des Bremer Rates ist als Versuch zu werten, mittels konfessioneller Eigensta¨ndigkeit eine gro¨ßere Unabha¨ngigkeit vom eigentlichen Landes- und Stadtherrn zu erlangen.52 Konfessionelle Fragen erhielten daher fu¨r die Bremer Ratsmitglieder eine sehr viel ho¨here politische Relevanz als fu¨r ihre Hamburger oder 49 Vgl. die Diskussion um die Bezeichnung ‚Ratskirche‘ fu¨r die Lu¨becker Marienkirche: Max Hasse, Der
Lu¨becker Rat und die Marienkirche, in: ZVLu¨bG 64 (1984), S. 39–50, hier: S. 39.
50 Vgl. Rainer Postel, Reformation und bu¨rgerliche Mitsprache in Hamburg, in: ZVHambG 65 (1979),
S. 1–20.
51 Eine systematische Analyse des Zusammenhangs zwischen konfessionellen Entwicklungen und den
Konflikten innerhalb des Bremer Rates fehlt bislang vollkommen. Fu¨r den Verlauf vgl. Schwarzwa¨lder, Geschichte, S. 171–205 und S. 231–267. 52 Zu der konfessionellen Entwicklung in Bremen in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts vgl. Irene Dingel, Concordia controversa. Die o¨ffentliche Diskussion um das lutherische Konkordienwerk am Ende des 16. Jahrhunderts, Heidelberg 1996, S. 352–411; Moltmann, Christoph Pezel; fu¨r das Erzstift vgl. Aschoff, Bremen. Beide Untersuchungen zeichnen die theologische Entwicklung nach. Grund-
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
Lu¨becker Amtskollegen. Im Falle Bremens kam es durch die Na¨he zum erzbischo¨flichen Stadtherrn zu einem besonders intensiven Wechselverha¨ltnis politischer und ¨ berho¨religio¨ser Ordnungsvorstellungen. Die Verbindung von Verteidigung und U hung stadtrepublikanischer Autonomie zeigt sich zum Beispiel in einigen Passagen des politischen Traktats Discursus de Republica Bremensi des Bremer Bu¨rgermeisters Heinrich Krefting. Er bescheinigte Bischof und Domgeistlichkeit, Bremen aus Neid schaden zu wollen: Non cessabat autem Episcopus & Clerus Bremensibus insidias struere, eosque apud omnes Imperii Ordines criminari, ex invidiam vocare.53 Der Bereich der Religionsausu¨bung geho¨re, so Krefting, in den Bereich der Oberhoheit des sta¨dtischen Rates und der Bremer Kaufleute, die ja auch maßgeblich zur Ausbreitung des wahren Glaubens in Bremen beigetragen haben.54 In Bremen wa¨re also eine Symbiose sta¨dtisch-republikanischer und konfessionell-calvinistischer Elemente in der Gestaltung des kirchlichen Festwesens denkbar. Wie und ob sie aber tatsa¨chlich auch zustande kam, soll sich im Verlauf der folgenden Untersuchung herausstellen.55 Die Gemeinsamkeiten in der Verbindung von politischen und religio¨sen Ordnungsvorstellungen in Venedig und den Hansesta¨dten lassen sich mit dem Herrschaftsanspruch der politischen Institutionen und einer engen Verbundenheit politischer und kirchlicher Strukturen erkla¨ren. Diese Gemeinsamkeiten stellen wiederum in Frage, ob und in welcher Weise die Rolle der Reformation in diesem Zusammenhang zu bewerten ist. Untersuchungen zur Repra¨sentation der Ratsherren im Kirchenraum in Lu¨beck haben gezeigt, dass die Reformation nicht zu einem grundlegend anderen Macht- und Repra¨sentationsverhalten der Gruppe der Ratsherren fu¨hrte: So wurden zwar die sta¨dtischen Klo¨ster aufgelo¨st, aber in ihren neuen Funktionen als sozialfu¨rsorgliche Einrichtungen ha¨ufig in genau derselben Weise in den Stiftungen der Lu¨becker Ratsherren bedacht wie ihre vorreformatorischen, kirchlich
legende Untersuchungen zu einer politischen Motivation insbesondere der Haltung der Bremer Ratsherren stehen noch aus. Vgl. dazu Schilling, Stadtrepublikanismus und Interimskrise, Anm. 50. 53 STAB, 2-P.1-8., Heinrich Krefting, Discursus de Republica Bremensi, S. 206: Und es ho¨rte der Bischof und die Geistlichkeit nicht auf, den Bremern Hinterhalte zu bereiten, Klage u¨ber sie bei allen Reichssta¨nden zu fu¨hren, sie aus Neid nach vorne zu rufen. 54 STAB, 2-P.1-8., Krefting, Discursus, S. 192–205. 55 Im Gegensatz zu Bremen sind diese Themen im Bereich der Emdener und Genfer Stadtgeschichte gut erforscht. Fu¨r Genf vgl. Christian Grosse, Places of Sanctification: the Liturgical Sacrality of Genevan Reformed Churches, 1535–1566, in: Sacred Space in Early Modern Europe, hg. v. Will Coster/ Andrew Spicer, Cambridge 2005, S. 60–80; Robert Kingdon, Worship in Geneva before and after the Reformation, in: Worship in Medieval and Early Modern Europe: Change and Continuity in Religious Practice, hg. v. Karin Maag, Notre Dame, Indiana 2004, S. 41–60; fu¨r Emden in vergleichend-europa¨ischer Perspektive Heinz Schilling, Fru¨hneuzeitliche Formierung und Disziplinierung von Ehe, Familie und Erziehung im Spiegel calvinistischer Kirchenratsprotokolle, in: Glaube und Eid: Treueformeln, Glaubensbekenntnisse und Sozialdisziplinierung zwischen Mittelalter und Neuzeit, hg. v. Paolo Prodi, Mu¨nchen 1993, S. 199–235; Heinz Schilling, Reformierte Kirchenzucht als Sozialdisziplinierung? Die Ta¨tigkeit des Emder Presbyteriums in den Jahren 1557–1562, in: Niederlande und Nordwestdeutschland: Studien zur Regional- und Stadtgeschichte Nordwestkontinentaleuropas im Mittelalter und in der Neuzeit, Franz Petri zum 80 Geburtstag, hg. v. Wilfried Ehbrecht, Ko¨ln/ Wien 1983, S. 261–327; Heinz Schilling, Su¨ndenzucht und fru¨hneuzeitliche Sozialdisziplinierung: Die calvinistisch-presbyteriale Kirchenzucht in Emden vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, in: Sta¨nde und Gesellschaft im Alten Reich, hg. v. Georg Schmidt, Stuttgart 1989, S. 265–302.
3.1. Stadt und Kirche
153
gebundenen Vorga¨ngerinstitutionen.56 Diese Beharrungskraft der Verwobenheit der kirchlichen Struktur mit der Stadtgemeinschaft war nicht allein auf Lu¨beck als lutherischer Stadt beschra¨nkt. Sie zeigt sich auch im Falle des reformierten Bremens in einer konservativen Grundhaltung gegenu¨ber einer Neuformierung des sta¨dtischen Kirchenraums: So ist dort zwar eine Reform des Kirchenraumes mit der Abschaffung der Altarbilder im Jahre 1586 u¨berliefert. Daru¨ber findet sich in den Stadtchroniken eher Bedauern. Von einer regen Beteiligung der Bevo¨lkerung ist nicht die Rede.57 Versuche Christoph Pezels, auch in der rituellen Praxis in den Bremer Kirchen ein grundsa¨tzliches Umdenken zu erreichen, zeigten keine Wirkung.58 Die Bremer Kirchenorganisation wurde weder nach der Abfassung des „Consensus Bremensis“ im Jahre 1595 noch nach der Teilnahme Bremens an der Synode von Dordrecht (1618–1619) umstrukturiert.59 Aus Hamburg sind ebenfalls nur sehr zo¨gerliche Vera¨nderungen bekannt: So blieben in den Hamburger Kirchen Messgewa¨nder und lateinische Gesa¨nge bis weit in das 18. Jahrhundert im Gebrauch.60 Im Gegensatz zum architektonischen und institutionellen Befund stellte die Einfu¨hrung der Reformation oder pra¨ziser ausgedru¨ckt, die Annahme und Umsetzung der neuen Kirchenordnungen, auf dem Gebiet des sta¨dtischen Festkalenders allerdings eine entscheidende Vera¨nderung dar. Der Wegfall des Heiligenkalenders wirkte sich auf das sta¨dtische Ritualsystem aus. Buß- und Bettage und die Feier des Sonntags stellten nun die hauptsa¨chlichen Unterbrechungen im allta¨glichen Rhythmus dar. Die Bemu¨hungen der sta¨dtischen Obrigkeiten, diese Ruhezeiten auch wirklich als solche durchzusetzen, lassen sich allerdings sowohl im calvinistischen, als auch im lutherischen und im katholischen Bereich finden: Wie der venezianische Senat, so ersuchte auch der Hamburger Rat in enger Abstimmung mit der Geistlichkeit die Bevo¨lkerung, sich in Verbindung mit einem bestimmten religio¨sen Verhalten einem geregelten Tages- und Wochenablauf zu unterwerfen, nur mit dem Unterschied, dass die venezianischen Bemu¨hungen sich auf die durch den Heiligenkalender vorgegebenen Arbeits- und Ruherhythmen richteten, wa¨hrend die protestantischen Regelungen sich vornehmlich auf die Einhaltung der Sonntagsruhe konzentrierten.61 Zwar
56 Ru ¨ ther, Prestige und Herrschaft, S. 222–223. 57 STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, Bd. 3: Vom Jahr 1585 bis auf den Westfa¨lischen Frie-
den, hg. v. Hermann von Post, S. 23: In diesem jahr wu¨rden die pa¨bstliche Alta¨re, dessen noch unterschiedene hin und wieder in den pfarrkirchen u¨brig gelaßen waren, ga¨ntzlich hinweg geschaffet. Es waren dieser alta¨re eine große menge in allen kirchen aus heiliger andacht der Vorfahren gestifftet, maßen die mehreresten Von Bremischen Bu¨rgern fondiret, und mit ansehnlichen einku¨nfften dotiret worden. 58 Vgl. Friedrich Pru ¨ ser, Achthundert Jahre St. Stephanikirche. Ein Stu¨ck bremischer Geschichte, Bremen 1940. 59 Vgl. Moltmann, Christoph Pezel, S. 163–166 und Rudloff, s. v. Bremen, Sp. 159. 60 Vgl. Wolfgang Seegru ¨ n, Schleswig-Holstein, in: Die Territorien des Reiches im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 2: Der Nordosten, hg. v. Anton Schindling und Walter Ziegler, Mu¨nster 21990, S. 140–166, hier: S. 151 sowie Ernst W. Zeeden, ¨ berlieferungen in den lutherischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Mu¨nster Katholische U 1959, S. 30–33. 61 Fu¨r Bremen vgl. STAB, T 2–, Venerandum Ministerium, Cultus reformierter Confession. w. Feier der Sonntage und der großen Kirchenfeste, auch wegen der Fasten und Fastnachtspiele 1616–1874, Pro-
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
wies der protestantische Kirchenkalender weniger Festtage auf, doch sollten diese nun mit besonderer Feierlichkeit begangen werden, so zum Beispiel der sonnta¨gliche Gottesdienst, fu¨r den der Hamburger Rat auch seine Ratsmusikanten zur Verfu¨gung stellte.62 In Hamburg, Lu¨beck und Bremen ist die steigende Tendenz des Rates zur Errichtung eines obrigkeitlichen Kirchenregiments charakteristisch. Diese gerieten in Konflikt mit den durch die konfessionelle Vereinheitlichung an Bedeutung gewinnenden geistlichen Institutionen.63 Dies la¨sst sich mit dem venezianischen Verha¨ltnis zwischen dem Dogen und dem Patriarchen vergleichen. Dabei ist allerdings der Unterschied zu beachten, dass den hansesta¨dtischen Stadtra¨ten keine Kirche zur Verfu¨gung stand, in der sie in einer derart autonomen und elaborierten Weise politische und kirchliche Rituale zusammenfu¨hren konnten, wie dies in der Kirche von San Marco der Fall war. Dennoch ist in Venedig und den Hansesta¨dten die Tendenz vergleichbar, dass die Magistrate Gestaltungsrechte u¨ber kirchliche Handlungen und Ra¨ume erhoben.
3.2. Machtanspru¨che im Konflikt: Die Fronleichnamsprozession in Venedig und Begra¨bnisse in den Hansesta¨dten
In Venedig und in den Hansesta¨dten Hamburg und Lu¨beck kulminierten die Auseinandersetzungen um die Deutung des religio¨sen Zusammenhalts der Stadtgemeinschaft aus zwei unterschiedlichen rituellen Anla¨ssen: in Venedig aufgrund der Kontinuita¨t religio¨ser Rituale, die trotz des am 17. April 1606 durch Paul V. verha¨ngten Interdiktes abgehalten wurden,64 in den Hansesta¨dten Hamburg und Lu¨beck wegen der Begra¨bnisse von Nicht-Lutheranern, die der Rat gegen den Willen des Ministeriums abhalten ließ. Diese unterschiedlichen Anla¨sse sind wiederum mit den strukturellen Differenzen zwischen katholisch-politischer und lutherisch-politischer Verklame von 1616 und 1631 mit ausfu¨hrlichen Erla¨uterungen; fu¨r Hamburg vgl. Hamburgische Burspraken 1364 bis 1594 mit Nachtra¨gen bis 1699, Teil 2: Bursprakentexte, hg. v. Ju¨rgen Bolland, Hamburg 1960, S. 343, 470, 513; fu¨r Lu¨beck vgl. den entsprechenden Abschnitt der Kirchenordnung von 1531 in: Lu¨becker Kirchenordnung von Johannes Bugenhagen, hg. v. Wolf-Dieter Hauschild, Lu¨beck 1981, S. 145–154; fu¨r Venedig vgl. ASV, compilazione delle leggi, bu. 206, Feste di Religione, Regelungen fu¨r die Jahre 1567–1648. 62 STAH, 361–1, Scholarchat. Scholarchatsarchiv V 1c, Akten betreffend den Kantor und die Kirchenmusiken, Verzeichnu¨s der Adjuvanten, welche zur Music der Cantor zu Hamburg allgemine Sontage ho¨chst von no¨then hat, 8. Januar 1642. 63 Fu¨r Bremen vgl. Otto Veeck, Geschichte der Reformierten Kirche Bremens. Bremen 1909, S. 142–157; fu¨r Hamburg vgl. Johann H. Ho¨ck, Bilder aus der Geschichte der hamburgischen Kirche seit der Reformation, Hamburg 1900, S. 29; fu¨r Lu¨beck hat diese Entwicklung nachgezeichnet Wolf-Dieter Hauschild, Zum Verha¨ltnis Staat-Kirche im Lu¨beck des 17. Jahrhunderts, in: ZVLu¨bG 50 (1970), S. 69–91. 64 Zur Ereignisgeschichte des Interdikts vgl. Bouwsma, Venice, S. 339–416 und Giordano, L’interdetto di Venezia.
3.2. Die Fronleichnamsprozession in Venedig und Begra¨bnisse in den Hansesta¨dten
155
gemeinschaftung in Zusammenhang zu bringen. In Venedig wiesen die Rituale auch politisch u¨ber den sta¨dtisch-republikanischen Rahmen hinaus: In der Durchfu¨hrung kirchlicher Prozessionen trotz des pa¨pstlichen Verbotes demonstrierte die Republik ihren Widerstand gegen den Papst vor einem europa¨ischen Publikum. Daher besitzen diese Rituale eine sehr viel gro¨ßere außenrepra¨sentative Funktion als die hansesta¨dtischen Begra¨bnisse. Zudem spaltete die Republik die Geistlichkeit in papstund republiktreue Kleriker. Sie konnte also mit der Durchfu¨hrung der Rituale auch ihren Machtanspruch u¨ber die Kirche noch sehr viel konkreter und eindrucksvoller darstellen als in den Hansesta¨dten. Zwar fu¨hlten sich dort die Geistlichen auch einer u¨ber den sta¨dtisch-republikanischen Rahmen hinausweisenden, konfessionell definierten Gruppe verbunden, verfu¨gten jedoch u¨ber keinen politisch so einflussreichen Protektor wie die venezianischen Kleriker. In Hamburg und Lu¨beck sind zwei Auswirkungen der Konflikte zwischen Rat und Ministerium denkbar: Zum einen erscheint es mo¨glich, dass wie in Venedig der Rat durch die konkrete Durchfu¨hrung der Rituale – die ja auch der Mithilfe loyaler Geistlicher bedurfte – seine Oberhoheit u¨ber das sta¨dtische Kirchenwesen demonstrierte. Zum anderen la¨sst sich vermuten, dass eine Ausweitung der politischen Ordnung zuungunsten des religio¨sen Raums zu beobachten ist.
3.2.1. Sakralgemeinschaft unter Bann: Die Fronleichnamsprozession im Jahre 1606 Die Auseinandersetzungen um politische und kirchliche Rechte zwischen Venedig und der Kurie verscha¨rften sich seit den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts immer mehr. Schließlich kulminierten sie in der Verha¨ngung des Interdikts u¨ber Venedig im April des Jahres 1606.65 Die Messen und Prozessionen, die dennoch in Venedig und in den Sta¨dten der Terraferma innerhalb der na¨chsten Monate stattfanden, fu¨hrten inner- und außerhalb Venedigs allen die Wirkungslosigkeit des vom Papst verha¨ngten Bannfluchs vor Augen. Ein Scheitern der Aufrechterhaltung normalen kirchlichen Lebens ha¨tte Vene¨ ußeren in bedrohlichem Maße destabilisiert. Im digs Herrschaft im Inneren und A Inneren ha¨tte es eine Erosion der christlichen Grundlage der Herrschaftslegitimation der politischen Magistrate bedeutet. In außenpolitischer Hinsicht ha¨tte es Venedigs Unterlegenheit gegenu¨ber dem Papst und damit auch gegenu¨ber den Habsburgern ¨ ber die Beurteilung dieser Maßnahmen innerhalb des Patriziats und signalisiert. U anderer Gruppen der venezianischen Bevo¨lkerung la¨sst sich aufgrund der jetzigen 65 Zum venezianischen Interdikt vgl. die kommentierten Quelleneditionen Paolo V. e La Repubblica
Veneta. Giornale Dal 22. Ottobre 1605–9. Giugno 1607, hg. v. Enrico Cornet, Wien 1859; Antonio Gadaleta, Di un diario dell’interdetto di Venezia del secolo XVII, in: Archivio Storico Italiano ser. 5, 18 (1896), S. 98–108; Carlo Emanuele I e la contesa fra la Repubblica Veneta e Paolo V (1605–1607). Documenti, hg. v. Carlo De Magistris, Venedig 1906; L’Interdetto di Venezia del 1606 e i Gesuiti. Silloge di Documenti con Introduzione, hg. v. Pietro Pirri, Rom 1959; vgl. außerdem Anthony Wright, Republican Tradition and the Maintenance of ‚National‘ Religious Traditions in Venice, in: Renaissance Studies 10, 3 (1996), S. 405–416; Anthony Wright, Why the Venetian Interdict?, in: EHR 89 (1974), S. 534–550.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
Quellen- und Forschungslage nur spekulieren. Da sie teilweise gewaltsam durchgesetzt werden mussten, la¨sst dies darauf schließen, dass sie zumindest unter bestimmten Gruppen in Venedig und auf der Terraferma nicht unumstritten waren. Alle Priester, die nicht bereit waren, den Anweisungen der Signoria zu folgen, wurden des Landes verwiesen, andere durch Drohungen eingeschu¨chtert oder zeitweise ihres Amtes suspendiert.66 Jesuiten, Theatiner und Kapuziner durften erst in der zweiten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts wieder in das Territorium der Republik zuru¨ckkehren.67 Besonders schwierig war die Situation auf den von Venedig beherrschten Inseln und in einigen kleineren Sta¨dten der Terraferma zu kontrollieren.68 Die Dio¨zesen von Brescia und Bergamo waren in den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts zentrale Orte der Reformanstrengungen Kardinal Carlo Borromeos gewesen. Ihre Kleriker verfu¨gten u¨ber enge Verbindungen nach Rom und leisteten gegenu¨ber den venezianischen Zwangsmaßnahmen besonders heftigen Widerstand.69 Diese Situation verscha¨rfte die traditionell vorhandenen Gegensa¨tze zwischen Venedig und den Gebieten der Terraferma. Viele Kuriengegner flu¨chteten wa¨hrend des Interdikts nach Venedig.70 Auch ¨ ffentlichkeit war es fu¨r die venezianischen Patrivor den Augen einer europa¨ischen O zier am wichtigsten, dass der Widerstand gegen Papst Paul V. in der Stadt Venedig sichtbar wurde, so dass sich die Durchfu¨hrung von Prozessionen und Rituale auf dieses Gebiet konzentrierte. Zu einer besonders erfolgreichen Darstellung des venezianischen Autonomieanspruchs gegenu¨ber Rom geriet die Fronleichnamsprozession des Jahres 1606. Der englische Gesandte Henry Wotton interpretierte die Prozession dementsprechend als einen offensichtlichen Sieg der republikanischen Staatsgewalt: Yesterday was the Feast of Corpus Christi, celebrated by express commandment of the State (which goes farther than devotion), with the most sumptuous procession that ever had been seen here.71 Um die Bedeutung dieser Prozession unter Bann einzuscha¨tzen, ist es notwendig, sich die mit der Fronleichnamsprozession verbundene Symbolik vor Augen zu fu¨hrten. Diese stellte in vielen europa¨ischen Sta¨dten einen Ho¨hepunkt des sta¨dtischen Festkalenders dar und war im Gegensatz zu Prozessionen einzelner Bruderschaften, Zu¨nfte oder auch der politischen Magistrate eine der wichtigsten Gelegenheiten, bei denen die gesamte Stadtgemeinschaft in Erscheinung trat. Dementspre66 Bouwsma, Venice, S. 374–375; Paolo V. e La Repubblica Veneta, Giornale Dal 22. Ottobre 1605–9,
S. 76. 67 Der venezianische Senat beschloss die Ausweisung der Jesuiten am 14. Juni 1606, vgl. I Gesuiti e
La Repubblica di Venezia. Documenti Diplomatici, hg. v. Giuseppe Cappelletti, Venedig 1873, S. 31–34; vgl. insgesamt zu den Jesuiten in Venedig Gaetano Cozzi, La Compagnia di Gesu` a Venezia (1550–1657), in: Ders. Venezia barocca. Conflitti di uomini e idee nella crisi del seicento Veneziano, Venedig 1995, S. 291–323. Zu Theatinern und Kapuzinern vgl. L’Interdetto di Venezia del 1606, S. 89–204. 68 Bouwsma, Venice, S. 385–386 nennt zum Beispiel Frauenklo¨ster auf Murano, von denen einige zeitweise geschlossen wurden. 69 Vgl. Giovanni Soranzo, Rapporti di San Carlo Borromeo con la Repubblica Veneta, in: ArchVeneto Ser. 5, 27 (1940), S. 1–40. 70 Vgl. Alessandro Sambo, Citta`, Campagna e Politica Religiosa: L’Interdetto del 1606–7 nella Repubblica di Venezia, in: Atti dell’Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti 134 (1975–76), S. 95–114. 71 [Wotton], Letters, Bd. 1, S. 350.
3.2. Die Fronleichnamsprozession in Venedig und Begra¨bnisse in den Hansesta¨dten
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chend verglichen diejenigen Autoren, die besonders große und prachtvolle Prozessionen im Venedig des 16. Jahrhunderts beschrieben, diese Feiern mit einer Fronleichnamsprozession.72 In Venedig entwickelte sich die Fronleichnamsprozession im Laufe des 15. Jahrhunderts zu einem prachtvollen Fest, dessen Gestaltung unter der Oberaufsicht der politischen Magistrate stand. Die Geschichte der venezianischen Fronleichnamsprozession war eng mit der Genese der venezianischen Liturgie in der Kirche von San Marco verbunden, verknu¨pfte sich aber auch mit der steigenden Bedeutung der Bruderschaften fu¨r die sta¨dtische Selbstdarstellung.73 Diese scheuten keinen Aufwand, um die von ihnen anla¨sslich dieses Festes mitgefu¨hrten Reliquien zu pra¨sentieren. Ha¨ufig entwarfen ihre Festwagen und Schaugeru¨ste namhafte Ku¨nstler wie Sebastiano Serlio oder Giacobo Tintoretto.74 Die große Anzahl der an dem Umzug teilnehmenden Bruderschaften wird auch auf einem Stich von Giacomo Franco aus dem Jahre 1609 deutlich: Auf seiner Darstellung sieht man einen Zug auf dem Markusplatz, in dem einzelne Gruppen und Personen in einer Menschenmenge verschwinden. Als einziges herausgehobenes Element sind die Festwagen der venezianischen Bruderschaften zu erkennen. Selbst der Corteo ducale, auf anderen Prozessionsdarstellungen prominent aufgrund der Trionfi, der mitgefu¨hrten Hoheitszeichen, zu erkennen, verschwindet fast im Zug der Prozession.75 Platz, Festzug und die Kirche von San Marco gehen eine Symbiose ein. Francos Darstellung zeigt somit gut, in wie hohem Ausmaß die Fronleichnamsprozession ein Ritual war, bei dem die Einheit der Stadt betont wurde. Diesen Eindruck besta¨tigen zusa¨tzlich zu Francos Darstellung auch schriftliche Berichte: So betonte der franzo¨sische Reisende Franc¸ois Vinchant die enge Verknu¨pfung von einer Prozession, an der alle sta¨dtischen Einwohner beteiligt waren, und dem Markusplatz in seiner Schilderung einer Fronleichnamsprozession aus dem Jahre 1610.76 In demselben Tonfall berichteten aber auch venezianische Autoren von diesem Ritual, so zum Beispiel Francesco Sansovino77 und Sallustio Gnecchi.78 Die Magistrate wollten also, indem sie die Fronleichnamsprozession in einer ungewo¨hnlich herausgehobenen Weise feiern ließen, auch die Einmu¨tigkeit der Haltung aller Bevo¨lkerungsgruppen gegenu¨ber dem Papst demonstrieren. Die Fronleichnamsprozession eignete sich aber nicht nur deswegen gut zur Zurschaustellung der Haltung des Dogen und seiner Ratgeber im 72 Vgl. zum Beispiel die Beschreibungen der Zu¨nfte bei der Prozession der Dogaressa-Kro¨nungen, die
dieses Bild benutzen: BMC, Cod. Cic. 2853, Agustini, [Cronaca], Teil 2, fol. 106 und Marcello, Ordine, s. p. 73 Gastone Vio, La Devozione all’Eucaristia nella Venezia dei Dogi e la processione del „Corpus Domini“ monopolio del governo della repubblica, in: San Marco. Aspetti storici e agiografici. Atti del convegno internazionale di studi veneziani, 26–29 aprile 1994, hg. v. Antonio Niero, Venedig 1996, S. 161–178, hier: S. 170–171. 74 Ein scho¨nes Beispiel bietet Gabriele Ko ¨ ster, Una portantina da processione di Sebastiano Serlio per la Scuola Grande di San Rocco, in: Arte Veneta 61 (2004), S. 212–216. 75 Siehe das Bild auf dem Umschlag. 76 Voyage de Franc¸ois Vinchant en France & en Italie du 10 septembre 1609 au 18 fe´vrier 1610, in: Bulletin de la Socie´te´ Royale Belge de Ge´ographie 20 (1896), S. 285–330, 389–432 und 21 (1897), S. 23–61, 133–167, 233–261, 359–394, hier: S. 160–161. 77 Vgl. Sansovino, Venetia, 1663, S. 511. 78 Vgl. BM, Cod. It. VII, 1639 (7540), Gnecchi, Ceremoniale, fol. 46–47.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
Jahre 1606, weil sie eine Prozession war, bei der sich die gesamte Stadt in Verehrung des Wunders der Eucharistie vereint zeigte, sondern auch, weil das Fest selbst im 16. Jahrhundert eine spezifisch katholisch-konfessionelle Bedeutung erhalten hatte. Das Versta¨ndnis des Abendmahls und der in ihm vollzogenen Wandlung stellte (und stellt) eines der umstrittensten theologischen Abgrenzungsmerkmale zwischen den christlichen Konfessionen dar.79 Die Verehrung der in der Hostie verko¨rperten Realpra¨senz Christi wurde Teil einer nachtridentinisch gepra¨gten Fro¨mmigkeit und Bildsprache. Somit besaß die Fronleichnamsprozession um 1600 zusa¨tzlich zu ihrer traditionell sta¨dtisch gepra¨gten Symbolik die Funktion, spezifisch katholische Fro¨mmigkeit o¨ffentlich zu demonstrieren.80 Ausgerechnet die Fronleichnamsfeier als einen Ho¨hepunkt der Inszenierung einer gegenu¨ber der Kurie unbeugsamen Haltung zu gestalten, war ein Akt gezielter Provokation durch die venezianische Republik: War der Papst nicht in der Lage, eine solche Prozession zu verhindern, so war endgu¨ltig bewiesen, dass der von ihm verha¨ngte Kirchenbann keine Wirkung hatte. Die venezianischen Magistrate machten sich also nicht nur die traditionell sta¨dtische Komponente dieses Rituals zu eigen, sondern auch seine spezifische religio¨se Bedeutung. Neben dieser konfessionellen Komponente kommunizierte die Prozession des Jahres 1606 auch eine außenpolitische Botschaft: Hatten franzo¨sische und habsburgische Gesandte noch in den Wochen zuvor jegliche Teilnahme an kirchlichen Festen und Prozessionen verweigert, entschlossen sie sich nun zur Teilnahme an der Prozession.81 Auf europa¨ischer Ebene signalisierte dies den Willen der Habsburger und des franzo¨sischen Ko¨nigs, trotz des pa¨pstlichen Bannes Venedig nicht als mo¨glichen Bu¨ndnispartner zu verlieren. Aber auch auf innervenezianischer Ebene verhalf die Teilnahme der Gesandten der Politik des Dogen Leonardo Donato und seiner Anha¨nger zu gro¨ßerer Legitimita¨t: Der Patrizier und Historiograph Andrea Morosini vermerkte, dass „ganz Venedig“ daru¨ber gesprochen habe, dass die beiden Gesandten bei der Prozession aufgetaucht seien.82 Spettacolo miserabile urteilte der Jesuit Giacomo Lambertengo, der inkognito fu¨r die Kurie aus Venedig berichtete.83 Welche Konzeptionen politischer und religio¨ser Ordnung kamen in der Prozession zum Ausdruck? Motti wie Omnis potestas est a Deo/ Date Caesari quae Caesaris et Deo quae Dei/ Omnis anima subdita sit potestatibus sublimioribus/ Regnum meum non est de hoc mundo84 machten deutlich, dass die venezianische Republik
79 Die Auswirkungen dieser Debatte auf liturgische und damit auch religio¨se Vorstellungen diskutiert
Muir, Ritual in Early Modern Europe, S. 155–184; zur nachtridentinischen Christologie und katholischen Aufwertung des Fronleichnamsfestes vgl. auch Peter Burschel, ‚Imitatio sanctorum‘. Oder: Wie modern war der nachtridentinische Heiligenhimmel?, in: Das Konzil von Trient und die Moderne, hg. v. Paolo Prodi und Wolfgang Reinhard, Berlin 2001, S. 241–258. 80 Im Kontext von Prozessionen betont das auch Wolfgang Bru¨ckner, Die Neuorganisation von Fro¨mmigkeit des Kirchenvolkes im nachtridentinischen Konfessionsstaat, in: Das Konzil von Trient und die Moderne, hg. v. Paolo Prodi und Wolfgang Reinhardt, Berlin 2001, S. 147–174. 81 Muir, Civic Ritual, S. 130. 82 BMC, Cod. Cic. 2560, Andrea Morosini, Memorie politiche veneziane dal 1552 al 1617, Bd. 1, fol. 158. 83 Vgl. L’Interdetto di Venezia del 1606, S. 223–224. 84 [Wotton], Letters, Bd. 1, S. 350; „Alle Gewalt ist von Gott/ Gebt Caesar, was Caesar und Gott, was Gott [ist]/ jede Seel sei den ho¨heren Gewalten untertan/ mein Reich ist nicht von dieser Welt.“
3.2. Die Fronleichnamsprozession in Venedig und Begra¨bnisse in den Hansesta¨dten
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alle Obrigkeitsanspru¨che auf Erden fu¨r sich beanspruchte und der Kurie allein die religio¨sen Belange zuwies. Auf einem anderen Festwagen ging die Interpretation des Verha¨ltnisses von Kirche und Republik sogar noch weiter. Lambertengo beschrieb ein Wagenschaubild, das Venedigs Handeln mit dem Argument rechtfertigte, dass das Papsttum seine eigentlichen Aufgaben nicht mehr erfu¨lle und daher Venedig diese Aufgabe u¨bernehmen mu¨sste: Nella processione del Corpus Domini dicono, che i Scarpanti85 portassero processionalmente una chiesa in atto di cadere, con S. Francesco e S. Domenico che la sostentavano, et due frati ai lati con due spadoni, e sopra i spadoni di due mani alcuni brevi, dicono, scritti: Viva il Dose.86 Spielten die Devisen der einzelnen Festwagen darauf an, dass das Papsttum seine von Gott festgesetzten Grenzen u¨berschreite, indem es in weltliche Belange eingreife, so gehen die von Lambertengo beschriebenen Schaubilder in ihrer Aussage noch weiter: Das Papsttum funktioniere als geistliche Macht nicht mehr. Venedig mu¨sste als christliche Macht den Niedergang der Kirche aufhalten. Die Ausdehnung der Rechte der venezianischen politischen Institutionen auf die kirchliche Spha¨re wurde somit auch theologisch gerechtfertigt: Die venezianischen Magistrate ignorierten das Interdikt, da sie als christliche Obrigkeit hierzu verpflichtet waren. Die Fronleichnamsprozession des Jahres 1606 in Venedig zeigt deutlich, dass auch und gerade Prozessionen und Feste, die um 1600 spezifisch zur Praktizierung nachtridentinischer katholischer Fro¨mmigkeitsformen dienten, zur Bu¨hne politischer Anspru¨che werden konnte. Dies aber war allein in einem Umfeld mo¨glich, in dem die politische Obrigkeit u¨ber genu¨gend Unabha¨ngigkeit und damit u¨ber genu¨gend Machtmittel verfu¨gte, diese Sichtweise durchzusetzen. In einem weniger kurienfeindlichen Kontext als im Venedig des Jahres 1606 waren der Konfessionalisierung des Festes der Fronleichnamsprozession in Venedig aufgrund der dortigen Symbiose kirchlicher und politischer Symbolik enge Grenzen gesetzt.87 Immer u¨berwog in der traditionell gleichrangigen Teilung der Fronleichnamsprozession um Dogen und Patriarchen im Jahre 1606 die Seite des Dogen.88 Dies zeigt sich auch in der Prozessionsbeschreibung Francesco Sansovinos.89 Damit macht das Beispiel der Fronleichnamsprozession in Venedig die Abha¨ngigkeit der konfessionell konnotierten 85 Hier sind zwei Deutungen mo¨glich: zum einen die U ¨ bersetzung als „beschuhte Augustinerchorher-
ren“, zum anderen ihre Interpretation als ro¨misch-katholische Mo¨nche, die bis 1538 auf der Insel Karpathos ansa¨ssig waren und nach der Eroberung der Insel durch die Osmanen nach Venedig geflohen waren. 86 L’Interdetto di Venezia del 1606, S. 223. „Bei der Fronleichnamsprozession, so sagen sie, haben die Scarpanti in der Prozession eine Kirche getragen, die in sich zusammenfiel, mit den Heiligen Franziskus und Domenicus, die sie stu¨tzten, und zwei Bru¨der an der Seite mit zwei großen Schwertern, und auf den zweischneidigen Schwertern, so erza¨hlen sie, sei geschrieben gewesen: ‚Viva il Dose.‘“ 87 Vgl. zum Beispiel fu¨r die Zusammensetzung der Sakramentsprozession in Ko¨ln: Enzel, „Eins Raths Kirmiß ...“. 88 Vgl. zu der Choreographie der Prozession, bei der am Ende Patriarch und Doge zusammentreffen, die Schilderung Gnecchis: BM, Cod. It. VII, 1639 (7540), Gnecchi, Ceremoniale, fol. 46–47. 89 Vgl. Francesco Sansovino, Venetia citta` nobilissima et singolare. Descritta in XIIII. Libri nella quale si contengono tutte le Guerre passate, con l’Attioni Illustri di molti Senatori. Le Vite de i Principi, & gli
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
Selbstdarstellung Venedig von den jeweils herrschenden politischen Machtverha¨ltnissen im Institutionengefu¨ge zwischen Signoria, Maggior Consiglio und Senat deutlich. Diesen stand keine anna¨hernd gleich gewichtete kirchliche Gruppe gegenu¨ber, die Geltungsanspru¨che bei der zeremoniellen Repra¨sentation der Stadt als konfessionell definiertem Gemeinwesen ha¨tte erheben oder gar durchsetzen ko¨nnen.
3.2.2. Rat und Ministerium im Streit: Die Bestattung von Nicht-Lutheranern in Lu¨beck und Hamburg in der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts Ein Begra¨bnis thematisiert die Zugeho¨rigkeit des Toten und der Trauernden zu der Gemeinschaft, in der dieses Ritual stattfindet. Daher kann es auch einen Rahmen fu¨r eine grundsa¨tzliche Diskussion u¨ber die Beziehung dieser Gemeinschaft zu religio¨sen Normen bilden.90 In den Hansesta¨dten Hamburg und Lu¨beck waren es in der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts gerade Begra¨bnisse, die zu Streitigkeiten zwischen Rat und Geistlichkeit fu¨hrten. Rat und Ministerium stritten um das richtige Maß des Verha¨ltnisses von außerweltlicher – und dies hieß im Falle Hamburgs und Lu¨beck um 1600 christlich-konfessioneller Normierung – und politischer Entscheidungsgewalt. Die Art und Weise der Konfliktaustragung besaß in beiden Sta¨dten eine hohe dramatische Qualita¨t: Sie spielte sich vor den Augen der Bevo¨lkerung im Zentrum der Stadt ab. Begra¨bnisfeierlichkeiten waren aufgrund ihres im Stadtraum gut sichtbaren Ablaufs besonders dazu geeignet, Machtanspru¨che o¨ffentlich zu demonstrieren.91 Die Form der Begra¨bnisse macht deutlich, warum sie als eine Bu¨hne fu¨r das o¨ffentlich sichtbare Streiten zwischen Rat und Geistlichkeit so gut geeignet waren. Wie in Venedig so zeigten auch in Hamburg und Lu¨beck Glocken in bestimmter Zahl und Lautsta¨rke das Ereignis an. La¨uteten bei einer Totenfeier die Glocken nicht, so bedeutete dies, dass der Tote keine ehrenvolle Stellung im sta¨dtischen Rangsystem einnahm. Art der Glocken, Uhrzeit und Gefolge markierten die Stellung des Verstorbenen.92 Darunter waren die „Schu¨ler“ besonders wichtig. Sie waren nicht nur fu¨r den Gesang zusta¨ndig, sondern bildeten zusammen mit den Lehrern auch einen Teil des Geleitzuges.93 Das Begra¨bnisgeleit bot Rat und Geistlichkeit die Mo¨glichkeit herauszufinden, Scrittori Veneti del tempo loro. Le Chiese, Fabriche, Edifici, & palazzo publichi, & privati. Le Leggi, gli Ordini, & gli Usi antichi & moderni, con altre cose appresso Notabili, & degne di Memoria, Venedig 1581, fol. 204–205. 90 Vgl. auch die U ¨ berlegungen bei Thomas Weller, Das Begra¨bnis des Bu¨rgermeisters. Sta¨dtische Begra¨bniskultur. Trauerzeremoniell und soziale Repra¨sentation im fru¨hneuzeitlichen Leipzig, in: Ordnung und Distinktion. Praktiken sozialer Repra¨sentation in der sta¨ndischen Gesellschaft, hg. v. Marian Fu¨ssel/Dems., Mu¨nster 2005, S. 75–102, hier: S. 78. 91 Das Wort Bevo¨lkerung ist hier bewusst gewa¨hlt, da die Begra¨bniszu¨ge Ereignisse darstellten, bei denen zusa¨tzlich zu dem festgelegten Geleit Personen und Gruppen hinzutreten oder abtreten konnten, ohne dass dies eine Prozessionsordnung regelte. 92 Vgl. die Lu¨becker Begra¨bnisordnungen des Jahres 1604: SBL, Lub. 2 51, MS, Ordnung der Man sich bey¨ anrichtung der Gra¨ber und begra¨bnu¨ße dieser Stadt bu¨rger auch bey¨ zuschreibung der Stu¨le und Sta¨te in den Kirchen zugebrauchet, s. p. und AHL, ASA-Interna, Mandate und Verordnungen 1/2, Ordnung von 1604 zur Vermeidung unno¨tiger Kosten bei Begra¨bnissen. 93 Wen raths Personen oder deßen gelidmaßen, wie den auch Patricie doctoren, Licenciaten, Predigern und schulcollegen versterben, sol dem selben zur begleitung, die gantze schul, aber dero selben Kinder sol
3.2. Die Fronleichnamsprozession in Venedig und Begra¨bnisse in den Hansesta¨dten
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wer sich ihrer Position anschloss: Der Begra¨bniszug setzte sich nicht nur aus Geistlichkeit, Rat und Schu¨lern zusammen, sondern auch aus nicht festgelegten, ha¨ufig spontan dazutretenden Personengruppen. Darauf weisen die Regelungen gegen das ungebu¨hrliche Benehmen von Frauen bei Begra¨bniszu¨gen hin, die nicht na¨her sozial differenziert werden.94 Wie kein anderes Ritual waren die Begra¨bnisse daher dazu geeignet, einen Anlass fu¨r die Behauptung der Geltungshoheit u¨ber die Stadt als von der Geistlichkeit oder vom Rat bestimmtem Gemeinwesen zu geben. In Lu¨beck war die lutherische Konfession Voraussetzung fu¨r die Erlangung des Bu¨rgerrechts. Seit 1613 erlaubte der Rat aufgrund seines Bu¨ndnisses mit den Generalstaaten die Ansiedlung von Reformierten, denen kein o¨ffentlicher Gottesdienst gestattet wurde.95 Katholiken war die Ansiedlung zwar nicht vertraglich erlaubt, aber der Rat ging auch nicht entschieden gegen sie vor.96 Bei den nicht-lutherischen Toten, die der Rat mit einem o¨ffentlichen Begra¨bnis ehren wollte, handelte es sich in einem Fall um einen verstorbenen kaiserlichen Gesandten katholischen Glaubens und bei den anderen Fa¨llen um Mitglieder der reformierten Gemeinde, die sich um Lu¨beck – etwa beim Festungsbau – besonders verdient gemacht hatten. Die Ehrung verstorbener kaiserlicher Gesandter katholischer Konfession stellte den Lu¨becker Rat vor das Problem, dass ein unehrenvolles Begra¨bnis ohne einen dem Rang des Verstorbenen entsprechenden zeremoniellen Aufwand zu Konflikten mit dem Kaiserhof gefu¨hrt ¨ berfu¨hrung, wie sie bei dem Ableben von in der Fremde verha¨tte. Eine feierliche U storbenen Gesandten u¨blich war, war vermutlich wegen der Zeitumsta¨nde in der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts schwer zu realisieren. Zwar war das Lu¨becker Stadtgebiet nicht direkt von den Einquartierungen kaiserlicher Truppen betroffen, doch war ein sicheres Geleit durch das Umland in dieser Zeit kaum zu garantieren.97 In der Replik auf entsprechende Beschwerden der Geistlichkeit aus Anlass des Begra¨bnisses des katholischen kaiserlichen Gesandten im Jahre 1628 hob der Rat den politischen Schaden hervor, den Lu¨beck ha¨tte erleiden ko¨nnen, wenn ihn trotz des Widerspruchs der Geistlichkeit nicht die „fu¨rnehmsten des Rahts“98 zum Grab nicht ver volle leiche begraben, allein 3 schulmeister gestadet werden; da aber vornehmer bu¨rger und Kauffleu¨te todes abgingen, sol man zu dero begrebnuße, wo ferner sie es begehren viere, und deroselben Kinder so nicht ver volle leiche begraben 2 Preceptaere folgen lassen, wie den auch den vier grosßen a¨mptern, drey¨ schulmeister nach gehen sein sol, die andere gemein amptleu¨te sollen mit 2 schulmeister zur erden bestendiget werden, denen auß den buden und kellern, sol man mer nicht den einen schulmeister auß der schullen er lauben, damit auch die knaben nicht zu viel, auß der schul bleiben, und da durch von Ihrem Studiren abgehalten werden, sol einen in dem schulmeister, der entweder allein oder neben seines collegis die verstorbene leiche deduciret, mehr nicht den 20 chorknaben mit sich zu nehmen vergo¨nnet sey¨n, in: Ordnung von 1604 zur Vermeidung unno¨tiger Kosten, s. p. 94 Vgl. die Hamburger Leichen-Ordnung vom 12. September 1654, in: STUBH, Cod. Hans. II, 73, Ms. Hamburgische Alte und Neue Ordnungen, Ey¨den derer Officianten und anderer Notablen Sachen Erster Theil, S. 505–513. 95 Vgl. Wilhelm Deiss, Geschichte der evanglisch-reformierten Gemeinde in Lu¨beck. Zur Feier des 200ja¨hrigen Jubila¨ums der Gemeinde am 26. August 1866, Lu¨beck 1866, S. 37–39. 96 Grassmann, Lu¨beck im 17. Jahrhundert, S. 467. Bei den Katholiken handelte es sich um katholisch gebliebene Domherren oder Ga¨ste. 97 Grassmann, Lu¨beck im 17. Jahrhundert, S. 447–448. 98 SBL, Lub. 2o 504, Ms., [Adam Hunnius], Superintendens Senior, Pastores und samptlicher Prediger zu Lu¨beck in Puncto praetensi ab Amplissimo Senatu Juris Episcopalis occasione sepulturae cujusdam
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
geleitet ha¨tten. Zwar bezog er sich mit dieser Bemerkung auf die konkrete Situation, formulierte damit aber auch einen Vorwurf an die Geistlichkeit, na¨mlich den, mangels politischer Einsicht Lu¨beck Schaden zuzufu¨gen. Auch in der Begru¨ndung fu¨r ein feierliches Begra¨bnis eines Ingenieurs reformierter Konfession Ende des Jahres 1633 fu¨hrte der Lu¨becker Rat politische Erwa¨gungen gegenu¨ber der Geistlichkeit an.99 In der Entgegnung auf die Vorhaltungen des Ministeriums warf der Rat den Geistlichen politische Unwissenheit und Verantwortungslosigkeit vor: Alle mu¨ssten in einer Situation, in der Lu¨beck von der kaiserlichen Armee „gleichsam umbzingelt“100 gewesen sei, „behutsam verfahren, damit nicht durch geschwinde consilia dieser Stadt eine ungelegenheit durch solche fa¨lle zugefu¨get mo¨chte werden.“101 Der Rat setzte in beiden hier angefu¨hrten Fa¨llen mit dem Hinweis auf Ausnahmesituationen, die eine Anwendung allgemeiner Regeln zur Behandlung der anderen Konfessionen nicht zuließen, seinen Willen durch. Besonders in der Frage des Geleits zeigte er sich wenig kompromissbereit. Gestand der Rat der Geistlichkeit noch zu, dass ein Angeho¨riger einer anderen Konfession ohne Gela¨ut und Musik bestattet wu¨rde,102 erzwangen die Ratsherren immer das dem Rang des Verstorbenen angemessene Geleit. Dieses war fu¨r sie besonders wichtig, da beim o¨ffentlichen Zug durch die Stadt sichtbar wurde, dass sie sich gegen die Geistlichen durchgesetzt hatten. Dementsprechend deutlich fiel auch die Kritik des Ministeriums aus. Der Lu¨becker Superintendent Nikolaus Hunnius103 warf dem Rat in Reaktion auf das Begra¨bnis im Jahre 1634 vor, die Bu¨rgerschaft bewusst manipuliert zu haben. Diese habe urspru¨nglich dem Zug gar nicht folgen wollen, habe dies dann aber getan, als sie merkte, dass die Ratsherren darauf Wert legten. Auf diese Weise ha¨tte der Rat die Bu¨rgerschaft zwischen seinen Anha¨ngern und denen der Geistlichkeit geteilt – ein Vorwurf, der in einer grundsa¨tzlich immer durch Einmu¨tigkeit gekennzeichneten politischen Ordnung besonders schwer wog: Und erweiset sich das Ergebnis ja in dem, dass da die bu¨rger bey¨ des Ingenieurs begra¨bnis vermercket, wie der leich kein prediger nachfolge, ihre etliche abgetreten und davon gegangen, andere, in dem sie die Herren des
Calviniani an die Ehrenveste, Hochgelahrte, Hoch und Wolweise, Herren Bu¨rgermeister und Raht der Key¨serl. frey¨en und des Heil. Reichs Stadt Lu¨beck, unsern Großgu¨nstigen herrn und Befo¨rderern, 9. April 1634, fol. 60. 99 Zur Ereignisgeschichte des Vorfalls vgl. Deiss, Geschichte, S. 39. 100 SBL, Lub. 2o 504, Ms., [Hunnius], Superintendens Senior [...] in Puncto praetensi ab Amplissimo Senatu Juris Episcopalis occasione sepulturae [...], fol. 103. 101 SBL, Lub. 2o 504, Ms., [Hunnius], Superintendens Senior [...] in Puncto praetensi ab Amplissimo Senatu Juris Episcopalis occasione sepulturae [...], fol. 103. 102 Vgl. die Bestandsinformation zum noch unverzeichneten Bestand AHL, ASA-Ecclesiastica, 11–4, Volumen, die Leichen-Begra¨bniße betreffend: unter 9): Catholici praetendiren, mit der Schule begraben zu werden, Senatus erlaubt bei Tage mit Gela¨ute, aber ohne Schule, Bedenken des Ministeriums hieru¨ber. Vgl. außerdem Wilhelm Brehmer, Beitra¨ge zur Lu¨beckischen Geschichte aus den Rathsprotokollen, in: MittVLu¨bG 7 (1895–1896), S. 13–16, hier: S. 14. 103 Zu Nikolaus Hunnius als Superintendent in Lu¨beck vgl. Ludwig Heller, Nikolaus Hunnius. Sein Leben und Wirken. Ein Beitrag zur Kirchengeschichte des siebzehnten Jahrhunderts, Lu¨beck 1843, S. 50–286.
3.2. Die Fronleichnamsprozession in Venedig und Begra¨bnisse in den Hansesta¨dten
163
Rahts folgen sehen, zugetreten und die leich begleitet haben: welche parteiliche distraction, so an sich selbst a¨rgerlich ist, Zeugniß genug giebet, das Einen Ehrenvesten, Hochweisen Rahts, und des Ministery¨ dissens verspu¨hret, und dadurch zum wenigsten der eine theil wo nicht bey¨de, hefftig gea¨rgert werde.104 Die theoretische Reflexion blieb in den hier zitierten Fa¨llen bei einer Verurteilung der praktischen Handlungen der anderen Seite. Eine grundsa¨tzlichere Dimension dieser Auseinandersetzung kommt in der Schrift „De Statu Regiminis Lubecensis“ von Johannes Marquard zum Ausdruck, der den Konflikt als einen Deutungskonflikt der Zuweisung bestimmter Rechte an die kirchliche oder weltliche Gewalt interpretierte. Marquard enthob das Glockengela¨ut bei Begra¨bnissen der kirchlichen Spha¨re: Das Ministerium du¨rfe sich nicht gegen die Entscheidung des Rates, Glocken bei Begra¨bnissen la¨uten zu lassen, wehren, wie es in der Vergangenheit der Fall war, denn sie unterla¨gen der Hoheit des Rates: deßgleichen wie die glocken zu raths und bu¨rgerversamlung, zur Wacht, zu Sturm, zu feuers anzeigung, und andern dingen mehr; Ja fu¨r dießen in dießer Stadt zu Schandglocken, denen eine noch im Niedergerichte vorhanden, und wan ander die missetha¨ter hinaußgefu¨hret.105 Die Beschra¨nkungen, die einer Erweiterung von Herrschaftsrechten des Lu¨becker Rates auferlegt waren, zeigt seine Bemerkung, dass E. E. Rath bey¨ dießen punct billich die moderation gebrauche. Der Rat a¨ndere, so Marquard, nichts an den „ceremony¨s“, ohne die Geistlichkeit oder die gesamte Bu¨rgerschaft an einer solchen Entscheidung zu beteiligen.106 Ein fallweises, aber dafu¨r sinnlich wahrnehmbares Durchsetzen seiner Position war fu¨r den Lu¨becker Rat einfacher durchzufu¨hren als eine von Johannes Marquard geforderte grundsa¨tzliche Kla¨rung des Konfliktes zwischen Geistlichkeit und Rat um das summum et universale jus regiminis Ecclesiastici.107 Die Grenzen der Schaffung eines „Staatskirchenrechts“, wie es Wolfgang Hauschild in Lu¨beck in der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts als feste Struktur annimmt,108 zeigt sich darin, dass der Lu¨becker Rat zwar immer wieder die Gestaltung des Kirchenrechts im Rahmen der Auseinandersetzungen u¨ber die Begra¨bnisse bestimmen wollte, diesen Anspruch aber nicht dauerhaft durchsetzen konnte. Dies kommt in der Struktur der Auseinandersetzungen um die Begra¨bnisse zum Ausdruck, die Einzelfa¨lle blieben. Der Rat versuchte weder, die o¨ffentlichen Beerdigungen grundsa¨tzlich von konfessionellen Fragen zu trennen, noch plante er, die vom Ministerium theologisch vorgegebene orthodoxe konfessionelle Haltung durch die Ansiedlung anderer Glaubensgruppen
104 SBL, Lub. 2o 504, Ms., [Hunnius], Superintendens Senior [...] in Puncto praetensi ab Amplissimo
Senatu Juris Episcopalis occasione sepulturae [...], fol. 9.
105 Vgl. ASA-Interna, Rat und Bu¨rgerschaft 32/2, Johannes Marquard, De Statu Regiminis, fol. 9–10. 106 Ebd., fol. 10. 107 SBL, Lub. 2o 504, Ms., [Hunnius], Superintendens Senior [...] in Puncto praetensi ab Amplissimo
Senatu Juris Episcopalis occasione sepulturae [...], fol. 22. 108 Hauschild, Kirchengeschichte Lu¨becks, S. 281.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
aufzulo¨sen. Er leugnete nie die theologische Kompetenz der Geistlichkeit. Dies zeigt sich daran, dass er vermied, sich auf eine Grundsatzdiskussion u¨ber die Gefa¨hrdung des Seelenheils der Stadt durch das Begra¨bnis von Nicht-Lutheranern einzulassen. Er ignorierte die Eingaben des Ministeriums, verschob immer wieder erfolgreich eine endgu¨ltige Regelung der Frage der zula¨ssigen Begra¨bnisse und betonte den politischen Charakter der o¨ffentlichen Form der Begra¨bnisse.109 Auch die gleichbleibende Bedeutung des Begra¨bnisgeleits als Mittel zur Austarierung des gegenseitigen Machtverha¨ltnisses zeigt, dass es weder Rat noch Ministerium endgu¨ltig gelang, den Konflikt zu ihren Gunsten zu lo¨sen: Es behielt in der gesamten ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts diese Bedeutung. Im Gegensatz zu Lu¨beck hatte sich in Hamburg bereits sehr viel fru¨her die Position des Rates, aus wirtschaftlichen Erwa¨gungen die Aufnahme nicht-lutherischer Gruppen zu dulden, gegenu¨ber Bedenken von Bu¨rgerschaft und Geistlichkeit durchgesetzt: Im Jahre 1567 kam es zur vertraglich geregelten Ansiedlung der anglikanischen „Merchant Adventurers“ und im Jahr 1605 zur Aufnahme niederla¨ndischer Glaubensflu¨chtlinge. Insbesondere in der Frage der Begra¨bnisse der englischen Kaufleute versuchte der Rat, Zugesta¨ndnisse von der sta¨dtischen Geistlichkeit zu erlangen.110 Die Argumente, die der Rat und das Ministerium von Hamburg gegeneinander vorbrachten, ko¨nnen mit denen, die beide Seiten in Lu¨beck anwandten, verglichen werden. Bei a¨hnlichem politischen Durchsetzungswillen musste der Hamburger Rat aber im Gegensatz zu den Lu¨becker Magistraten in einigen Fa¨llen einlenken. So verzichtete er zum Beispiel im Jahre 1617 auf das Begra¨bnis eines Calvinisten.111 Dieses Ereignis ist auch deswegen besonders aufschlussreich, da es dem Hamburger Ministerium im Vorfeld gelang, einzelne Ratsherren mithilfe religio¨ser Argumente umzustimmen.112 Dennoch a¨nderte der gesamte Hamburger Rat nicht grundsa¨tzlich seine Haltung. Vielmehr ordnete er auch nach 1617 immer wieder a¨ußerst pra¨chtige Begra¨bnisse von Calvinisten und von Mennoniten an, so zum Beispiel im Jahre 1633, als der Hamburger Rat dem Pfarrer der St. Johannis-Kirche gebot, ein Trauergedicht zu verfassen.113 Wie in Lu¨beck so nahm der Tonfall der Auseinandersetzung zwischen dem Hamburger Rat und dem Ministerium in der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts an Scha¨rfe zu: Die erste Begra¨bnisfeierlichkeit zu Ehren eines Nicht-Lutheraners ist aus dem Jahre 1599 u¨berliefert. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts ha¨uften sich die Fa¨lle, in denen der Rat sich o¨ffentlich gegen die Verbote und Predigten der Geistlichen durch die Ausrichtung eines großen Begra¨bniszugs durchsetzte.114 Dies weist auch auf die Anerkennung der wirtschaftlichen Stellung einiger Migrantenfamilien durch den Hamburger Rat hin. Wie in Lu¨beck so untermauerte auch der 109 Hauschild, Zum Verha¨ltnis von Staat – Kirche, S. 73. 110 Vgl. Joachim Whaley, Religio¨se Toleranz und sozialer Wandel in Hamburg 1529–1819, Hamburg
1992, S. 129, 135.
111 STAH, 511–1, Ministerium, Protokolle der Seniores 1609–1635, S. 19–25. 112 Ebd., S. 21–22. 113 Ebd., S. 99. 114 Der immer intensiver werdende Streit la¨sst sich gut in den Protokollen des Ministeriums belegen:
STAH, 511–1, Ministerium, Protokolle 1609–1635: Dort sind einzelne Fa¨lle aus den Jahren 1614, 1617, 1620, 1633 und mehrere Fa¨lle aus dem Jahre 1635 belegt: S. 15, S. 19, S. 33, S. 99, S. 125–150.
3.2. Die Fronleichnamsprozession in Venedig und Begra¨bnisse in den Hansesta¨dten
165
Hamburger Rat seine Haltung mit zunehmender Dauer der Auseinandersetzungen mit immer grundsa¨tzlicheren Argumenten. So machte er im Jahre 1635 den Pfarrern der St. Petri-Gemeinde das Recht streitig, sich in dieser Frage zu a¨ußern. Er wies darauf hin, dass das Begra¨bnis in welcher Form auch immer „nicht allein Theologicum wa¨re, sondern mixtum und auch politicum“.115 Die Antwort des Seniors von St. Petri, dass Vertreter des Rates und der Bu¨rgerschaft ihn um die Abfassung einer kla¨renden Schrift aufgrund ihrer religio¨sen Skrupel gebeten ha¨tten,116 zeigt das Bemu¨hen der Hamburger Geistlichkeit, das Verhalten des Rates moralisch zu diskreditieren. Dank ihrer theologischen und damit auch moralischen Autorita¨t wollten sie sein Ansehen insbesondere auch bei der Bu¨rgerschaft schma¨lern.117 Die Auseinandersetzungen zwischen Rat und Geistlichkeit um die Ausgestaltung der Begra¨bnisse von verstorbenen Nicht-Lutheranern nahmen an Intensita¨t in Lu¨beck und in Hamburg in der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts zu.118 Dennoch fu¨hrte dies nicht zu einer grundlegenden, endgu¨ltigen Regelung. Die Begra¨bnisse boten immer wieder punktuell Anlass zu Streitigkeiten. Der Hamburger oder Lu¨becker Rat verfolgte keine konsequente Fo¨rderung religio¨ser Koexistenz nach dem Vorbild fru¨hmerkantilistischer Wirtschaftsfo¨rderung, wie sie der da¨nische Ko¨nig Christian IV. in den von ihm im norddeutschen Raum gegru¨ndeten Sta¨dten betrieb,119 auch wenn sie Ansiedlungen von Nicht-Lutheranern zuließen. Die Konflikte um die Begra¨bnisfeierlichkeiten zu Ehren von Nicht-Lutheranern verliefen in Lu¨beck und Hamburg unterschiedlich. Dies la¨sst sich mit dem jeweils unterschiedlich gewichteten Machtverha¨ltnis zwischen Rat, Bu¨rgerschaft und Ministerium erkla¨ren. Die Auseinandersetzungen um die Begra¨bnisse zeigen aber auch, als wie vera¨nderbar sowohl Magistrate als auch Geistliche das Machtverha¨ltnis zu dieser Zeit noch einscha¨tzten. In beiden Hansesta¨dten waren die Grenzen zwischen weltlich-politischen und kirchlich-religio¨sen Rechten und damit auch Definitionen der dem Gemeinwesen zugrunde liegenden Normen in dieser Zeit noch offen.120 Die Gewa¨hrung eines 115 Vgl. STAH, 511–1, Ministerium, Protokolle 1609–1635, S. 129. 116 Ebd. 117 Vgl. zu der Argumentationsweise des Ministeriums: Johann Mu¨ller, In Nomine Iesu. Einfa¨ltiges
Bedenken von dem im Grund verderbten und erba¨rmlichen Zustande der Kirche Christi in Hamburg, und wie demselben durch heilsame von Gott verordnete Mittel wiederum ko¨nne geholfen werden, in: Sammlung von Urkunden, theologischen und juristischen Bedenken, Verordnungen, Memorialen, Suppliken, Decreten, Briefen, Lebensbeschreibungen, kleinen Tractaten u. d. g. m. als eine Grundlage zur Hamburgischen Kirchenhistorie neuerer Zeiten, aus welcher der ordentliche Verlauf und die eigentliche Beschaffenheit der zur hamburgischen Kirchen-Gelehrten und Schul-Historie geho¨riger Sachen, Begebenheiten, Streitigkeiten u. d. g. erkannt werden kann, mit beygefu¨gten historischen Erza¨hlungen und Anmerkungen, I. Theil., hg. v. Christian Ziegra, Hamburg 1764, S. 7–18. 118 Vgl. Hauschild, Kirchengeschichte Lu¨becks, S. 308–309. 119 Zu den Sta¨dtegru¨ndungen und der Sta¨dtepolitik des da¨nischen Ko¨nigs Christians IV. im norddeutschen Raum vgl. Frithjof Jo¨ding, Die Gru¨ndung von Friedrichsstadt und Glu¨cksstadt, in: Die Gru¨ndung und Bedeutung kleinerer Sta¨dte im no¨rdlichen Europa der fru¨hen Neuzeit, hg. v. Antoni Maczak und Christopher Smout, Wiesbaden 1991, S. 175–180; Klaus Wa¨chter, Hafensta¨dte des 17. Jahrhunderts: Glu¨ckstadt, Friedrichstadt, Karlshafen, in: Deutsche Stadtgru¨ndungen der Neuzeit: Kolloquium im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Akademie fu¨r Sta¨dtebau und Landesplanung in Goslar und Wolfenbu¨ttel vom 3. bis 4. Oktober 1983, hg. v. Wilhelm Wortmann, Wolfenbu¨ttel 1989, S. 91–108. 120 Zu den res mixtae als Streitpunkten zwischen politischer und geistlicher Gewalt in einem europa¨ischvergleichenden Kontext vgl. Schilling, Das konfessionelle Europa, S. 663–668.
166
3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
ehrenvollen Begra¨bnisses bedeutete eine Aufnahme in die sta¨dtische Geda¨chtnisgemeinschaft.121 Genau mit diesem Argument begru¨ndete die Geistlichkeit ihre Ablehnung der Begra¨bnisse Anderskonfessioneller in den Mauern der Stadt. So schrieb zum Beispiel der Hamburger Superintendent Johannes Aepin im Jahre 1547: Sie haben sich ihr lebenslang von uns abgesondert und geschieden/ und seindt also ohn erkentnuß/ rew/ bekentnuß/ und leid hingestorben. Darumb sollen und mu¨gen sie auch geschieden bleiben.122 Beanspruchte das Ministerium das Recht, daru¨ber zu bestimmen, wer in der Stadt begraben werden durfte, beanspruchte es auch, die Stadtbu¨rgergemeinde zu definieren. Mit seinem Willen, die Begra¨bnisse von Angeho¨rigen einer anderen Konfession durchzusetzen, zeigte der Rat, dass ihm seine obrigkeitliche Entscheidung u¨ber die Form der Vergemeinschaftung der Lebenden und der Toten in der Stadt wichtiger war als die Wahrung der konfessionellen Homogenita¨t. Ha¨tte er diese als prima¨res Ziel angenommen, ha¨tte er sich der Geistlichkeit untergeordnet und damit einen Teil seiner Autonomie verloren. Diese Grundkonstellation erkla¨rt die Scha¨rfe der zwischen beiden Gruppen gefu¨hrten Auseinandersetzungen. An dem Verhalten des Hamburger oder Lu¨becker Rates ist aber auch zu erkennen, dass sie nicht politische und kirchliche Zugeho¨rigkeiten trennen wollten, da sie die politische Komponente der konfessionellen Deutungsmacht allein fu¨r sich beanspruchten. Daher bestand der Rat auch immer wieder – trotz religio¨ser Bedenken in den eigenen Rei¨ ffentlichkeit zum Teil hen und trotz der Ablehnung, die dieses Verhalten in der O 123 erfuhr – auf der Durchsetzung der Begra¨bnisse von Nicht-Lutheranern in einer Weise, die der gesamten Stadt seinen Sieg u¨ber die Kritik der Geistlichkeit vor Augen fu¨hren sollte. Allein in Bremen, aus dem keine vergleichbaren Konflikte u¨berliefert sind, scheint die Kongruenz zwischen geistlicher und politischer Oberhoheit u¨ber die Definition der Stadtgemeinde so groß gewesen zu sein, dass die Begra¨bnisse Anderskonfessioneller nicht zur Bu¨hne des Machtkampfes zwischen Obrigkeit und Geistlichkeit wurden. Da der Bremer Rat den Wechsel zur reformierten Konfession gesteuert hatte,124 ha¨tte es eine Einbuße seiner Autorita¨t bedeutet, wenn er die Existenz von Lutheranern in den Jahren danach anerkannt ha¨tte. Hier wa¨re ein solch offen ausgetragener
121 Fu¨r die Hansesta¨dte vgl. Gregor Rohmann, Die Gra¨ber der Hamburger. Ein Sonderfall in der
Geschichte?, in: Tod und Verkla¨rung. Grabmalskultur in der Fru¨hen Neuzeit, hg. v. Arne Karsten/ Philipp Zitzlsperger, Ko¨ln/Weimar/Wien 2004, S. 157–181, hier: S. 157–167. 122 Johannes Aepin, Bedencken von Gottloser Leute Begrebnuß/ daß man dieselben mit Christlichen Psalmen und Gesengen/ die sie im leben verachtet/ nicht so begraben, Hamburg 21597, fol. F. 123 Vgl. die o¨ffentlichen Reaktionen in: Nachricht von der Streitigkeit E. E. Ministerii wegen der feierlichen Begra¨bnisse der Calvinisten mit 9 Beylagen, in: Sammlung von Urkunden, theologischen und juristischen Bedenken, Verordnungen, Memorialen, Suppliken, Decreten, Briefen, Lebensbeschreibungen, kleinen Tractaten u. d. g. m. als eine Grundlage zur Hamburgischen Kirchenhistorie neuerer Zeiten, aus welcher der ordentliche Verlauf und die eigentliche Beschaffenheit der zur hamburgischen Kirchen-Gelehrten und Schul-Historie geho¨riger Sachen, Begebenheiten, Streitigkeiten u. d. g. erkannt werden kann, mit beygefu¨gten historischen Erza¨hlungen und Anmerkungen, IV. Theil, hg. v. Christian Ziegra, Hamburg 1770, S. 469–524, hier: S. 469: Wie gemeldete Leichen begraben wurden, versamlete sich ein Haufen Canaille und Jungen auf der Gassen und schrien ohne Unterlaß: na’r Ho¨ll, na’r Ho¨ll! 124 Die lutherisch gesonnenen Ratsherren gingen bereits im Jahre 1562 zusammen mit dem Superintendenten Simon Musaeus ins Exil, vgl. mit weiterfu¨hrenden Angaben Rudloff, s. v. Bremen, S. 158.
3.3. Konfessionelle Vergemeinschaftung – sta¨dtische Autonomie
167
Konflikt aber auch entsprechend gefa¨hrlich gewesen, ha¨tte sich doch der Rat damit fu¨r die dem Bischof unterstehenden Lutheraner eingesetzt. Die Abgrenzung gegen die Herrschaftsanspru¨che des Bischofs fu¨hrte daher dort dazu, dass die politische Fu¨hrung auf die geistliche Definition der Stadtgemeinschaft als reformierter Heilsgemeinschaft angewiesen war. Auch der Bremer Rat beanspruchte die Gestaltungsmacht in kirchlichen Fragen, nur bot ihm eine konsequent konfessionelle Ausrichtung der Stadtrepra¨sentation gro¨ßeren politischen Nutzen. In beiden Fa¨llen, die hier diskutiert wurden, formulierten die Magistrate ihre Interpretation des Verha¨ltnisses von politischen und kirchlichen Spha¨re offensiv und ohne Scheu vor der Auseinandersetzung mit den kirchlichen Institutionen und ihren Vertretern. Dabei gingen die venezianischen Magistrate allerdings sogar einen Schritt weiter als die hansesta¨dtischen, indem sie sich in der Fronleichnamsprozession des Jahres 1606 eine ho¨here religio¨se Autorita¨t zusprachen als der Papstkirche. In den Lu¨becker und Hamburger Debatten a¨ußerten die Magistrate einen solchen Anspruch nicht, obwohl ihnen dies dank der autonomeren Struktur der Geistlichkeit sogar eher mo¨glich gewesen wa¨re als in Venedig.125 In beiden Fa¨llen zeigen sich allerdings auch enge Grenzen der Darstellung politischer Machtanspru¨che im Rahmen religio¨ser Rituale um 1600: Die venezianischen und hansesta¨dtischen Magistrate nutzten diese nur fallweise zur Demonstration ihrer Machtanspru¨che. Sie strebten keine grundsa¨tzliche Institutionalisierung dieser Repra¨sentationsformen an. Dies mag auch durch die rituelle Tradition bedingt sein, die nur ein situatives Maß an Vera¨nderung zuließ. Eventuell war eine solche feste Verankerung des Festablaufs unter der Oberaufsicht des Rates bei der Einfu¨hrung neuer Rituale, wie sie die konfessionellen Vera¨nderungen von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts mit sich brachten, eher mo¨glich. Daher soll nun das Verha¨ltnis von politischer und kirchlicher Gewalt in der Einfu¨hrung neuer religio¨ser Rituale um 1600 untersucht werden.
3.3. Konfessionelle Vergemeinschaftung – sta¨dtische Autonomie
Die venezianischen und hansesta¨dtischen politischen Institutionen nutzten spezifisch kirchliche Anla¨sse wie die Fronleichnamsprozession und die Begra¨bnisse Anderskonfessioneller zu einer demonstrativ auf Konflikt angelegten Machtdemonstration. Rituale dagegen, die das Verha¨ltnis der gesamten Stadtgemeinschaft gegenu¨ber der go¨ttlichen Gnade und Gewalt thematisierten, gaben Gelegenheit, die Eintracht zwischen politischen Anspru¨chen und christlichen Geboten zu demonstrieren. Welchen Raum und welche Form nahmen die neuen konfessionellen Elemente in der gesamtsta¨dtischen Repra¨sentation ein?
125 So Hauschild, Zum Verha¨ltnis von Staat – Kirche, S. 70–73.
168
3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
3.3.1. Die Einfu¨hrung von Buß- und Bettagen und das Reformationsjubila¨um 1617 Nicht allein die außergewo¨hnlichen Buß- und Bettage waren eine Vera¨nderung des traditionellen sta¨dtischen Kirchenkalenders in den Hansesta¨dten,126 sondern auch die Feiern, die im Rahmen der Reformationsjubila¨en des Jahres 1617 begangen wurden.127 Die Reformationsfeierlichkeiten bieten eine geeignete Vergleichsmo¨glichkeit, um die unterschiedlichen Mechanismen der Selbstdarstellung des Rates und der Geistlichkeit zu analysieren. Ihre Gestaltung kann als ein Indiz dafu¨r angesehen werden, in welchem Maße die Stadt in den Augen des Rates – im Falle Hamburgs des Rates und der Bu¨rgerschaft – als speziell innersta¨dtische beziehungsweise u¨bersta¨dtisch konfessionell definierte Glaubensgemeinschaft gelten sollte. Das Gleiche gilt fu¨r die neu eingesetzten katholischen Feierlichkeiten in Venedig. Hier sollen die beiden Prozessionen nach den u¨berstandenen Pestepidemien der Jahre 1576–1577 und der Jahre 1629–1630 sowie die Feiern der vom Papst ausgerufenen Jubeljahre, den Giubilei, untersucht werden. Bußtage waren bereits vor der Reformation ein fester Bestandteil kirchlicher Rituale. Dagegen wurden Buß- und Bettage, die zu Notzeiten von der Obrigkeit angeordnet wurden, zu einem Kennzeichen speziell der Stadtreformation. So wurde
126 Eine neuere geschichtswissenschaftliche Arbeit zu der Rolle der Buß- und Bettage in den protestan-
¨ berblick bei Ludwig Schmidt, s. v. Buße. VIII. tischen Gebieten steht noch aus. Vgl. den knappen U Kirchliche Buß- und Bettage, in: TRE 7 (1981), S. 492–496; fu¨r Bremen vgl. Form eines christlichen Extraordinari Fast- und Buß- und Bettages/ Welcher auf Verordnung und befehl Eines Erbaren und Wolweisen Rahts der Stadt Bremen/ Durchs Ehrwu¨rdige Ministerium doselben begriffen und abgefasset/ und nach vorgehenden zwomaliger promulgation, mit der gantzen Christlichen Gemeinde/ Allein Gott zu ehren und zu Ihrer erbawung/ offentlich celebriret und gehalten 3. Martii A. C. 1630 Johan. XI. vers. 31. Wir wissen aber/ daß Gott die Su¨nder nicht ho¨ret/ Sondern so jemand gottesfo¨rchtig ist/ und thut seinen willen/ den ho¨ret er, Bremen 1630; Gebet auf die ordentlichen Buß- und Bettage in allen Pfarrkirchen dero Stadt Bremen zu sprechen auf begehren abgefasset und der christlichen gemeinde zum dienste in druck verfertigt, Bremen 1638; Offentliche abku¨ndigung wegen Deß von einem Ehrnvesten Hoch- und wolweisen Rahts der Stadt Bremen/ Auff den 8. Monats Augusti/ dieses 1638. Jahrs angeordneten Danckfests/ und ta¨glicher Bettstunden, Bremen 1638; Model des beliebten Bußfertigen Danck-Fests/ Dero Christlichen Kirchen der Statt Bremen/ Da fu¨r nuhnmehr ein hundert Jahren/ Nemlich 1547 nach unsers Herren und Heilands Geburth dieselbe von schwerer Belagerung befreyet/ und auch dießmal das Wetter bey Na¨chtlicher weile zwischen zwo¨lff und einen am Mittwochen vor dem 8. Aprilis alhier im Anßgari Kirch-Thurm eingeschlagen/ und ohne gro¨sseren Schaden durch die Gnade Gottes gelo¨scht worden; Gehalten den folgenden 14. ejusden, welcher ist Mittwochen vor dem Gru¨nen Donnerstag, Anno 1647, Bremen s. d.; fu¨r Hamburg vgl. STAH, 511–1, Ministerium, Protokolle 1609–1635, S. 34; STAH, 511–1, Ministerium, Protokolle der Seniores 1648–1671, S. 26, 37; fu¨r Lu¨beck mit starker Konzentration auf dem 18. Jahrhundert Julius Hartwig, Zur Geschichte des Bußtags in Lu¨beck, in: Nordelbingen 13 (1937), S. 161–167 und außerdem die Quellen in: AHL, ASAEcclesiastica, ungeordneter Bestand, Bußtage, zwei undatierte Buß-und Bettagsordnungen, der Schrift nach aus der Mitte des 16. Jahrhunderts sowie ein handschriftliches Blatt von 1545 zu einer Anordnung eines Bettages in diesem Jahr. 127 Vgl. Hans-Ju¨rgen Scho ¨ nsta¨dt, Antichrist, Weltheilsgeschehen und Gottes Werkzeug: Ro¨mische Kirche, Reformation und Luther im Spiegel des Reformationsjubila¨ums 1617, Wiesbaden 1978, S. 11–12, 33–34, 305; Ruth Kastner behandelt keine der von mir ausgewa¨hlten Sta¨dte in ihrer Untersuchung der Flugbla¨tter als Medium im Reformationsjubila¨um: Ruth Kastner, Geistlicher Rauffhandel. Form und Funktion der illustrierten Flugbla¨tter zum Reformationsjubila¨um 1617 in ihrem historischen und publizistischen Kontext, Frankfurt a. M./Bern 1982.
3.3. Konfessionelle Vergemeinschaftung – sta¨dtische Autonomie
169
der erste evangelische Bußtag im Jahre 1532 in Straßburg abgehalten, um go¨ttlichen Beistand vor der Tu¨rkengefahr zu erflehen.128 Diese an einen Anlass gebundenen Buß- und Bettage wurden zu einem Merkmal des protestantischen Kirchenkalenders. Der Lu¨becker Rat setzte Buß- und Bettage vorzugsweise aus Anlass der Tu¨rkenkriege an, so im Jahre 1545 und im Jahre 1593.129 Auch die entsprechenden Hamburger Anordnungen verweisen auf den Kontext des Dreißigja¨hrigen Krieges als Begru¨ndung zur Ausrufung eines Buß- und Bettages.130 Somit la¨sst sich dieses Ritual als Teil der rituellen Definition der Stadt als Schutzgemeinschaft begreifen. In allen drei Sta¨dten galten die Buß- und Bettage nicht nur als Mittel zur moralischen Besserung der Stadtgemeinde, sondern auch als ein festlicher Ausdruck der Dankbarkeit gegenu¨ber Gott. Sie nahmen damit eine traditionell fu¨r sta¨dtische Rituale wichtige, konfessionsunabha¨ngige Funktion ein: Sta¨dtisches Gedenken war in Momenten u¨berstandener, die gesamte Stadt betreffender Gefahr durch eine christliche Symbolik gepra¨gt, die Sicherheit verhieß und Einheit stiftete.131 Durch das Abhalten eines Buß- und Bettages sollte Gott fu¨r die Errettung aus der Gefahr gedankt und auch fu¨r die Zukunft gna¨dig gestimmt werden. Im Jahre 1638 ließ der Bremer Rat ein o¨ffentliches Dankfest in Verbindung mit Gebeten aufgrund der abgewendeten Einquartierung der kaiserlichen Truppen abhalten.132 Im Jahre 1647 findet sich ein Mandat des Bremer Rates zur Abhaltung eines Buß- und Bettags, mit dem des Sieges u¨ber die kaiserlichen Truppen in der Schlacht von Drakenburg hundert Jahre zuvor gedacht und Gott fu¨r den glu¨cklichen Ausgang einer Naturkatastrophe kurz vorher gedankt werden sollte.133 Die Vorschriften zur Gestaltung der Feierlichkeiten der Buß- und Bettage, zum ¨ ffnens von Schenken und Tavernen, zeigen, dass die HamBeispiel das Verbot des O burger, Lu¨becker und Bremer Ra¨te im Kontext der von ihnen angeordneten Bußund Bettagsfeierlichkeiten auf die Stadtgemeinde moralisch disziplinierend einzuwirken suchten. Sie wa¨ren, so der Tenor dieser Verordnungen, zu diesem Verhalten verpflichtet, da ansonsten das Wohl der gesamten Stadt gefa¨hrdet sei.134 Durch die im Rahmen dieser Rituale erforderliche Betonung ihrer christlichen Legitimation festigten sie ihre Herrschaft sowohl u¨ber Individuen als auch u¨ber Gruppen. Dies fo¨rderte
128 Vgl. Schmidt, s. v. Buße, S. 493. 129 Vgl. AHL, ASA-Ecclesiastica, Bettag wegen des Tu¨rkenkrieges vom Senat angeordnet, 1545. 130 Vgl. STAH, 511–1, Ministerium, Protokolle 1609–1635, S. 84, Anordnung mit Hinweis auf die Kriegs-
verha¨ltnisse und STAH, 511–1, Ministerium, Protokolle 1648–1671, S. 26, Anordnung als Dank fu¨r den Frieden von 1648. 131 Vgl. zu diesem Zusammenhang auch die Fallstudie zu einem Buß- und Bettag in Basel: Martin Sall¨ ffentlichkeit‘ von Religion. Der Fast- und Bettag von 1620 in Basel als mann, ‚Innerlichkeit‘ und ‚O offizielle religio¨se Bewa¨ltigung der Kriegsbedrohung, in: Um Himmels willen. Religion in Katastrophenzeiten, hg. v. Manfred Jakubowski-Tiessen/Hartmut Lehmann, Go¨ttingen 2003, S. 157–178. 132 Offentliche abku¨ndigung; vgl. zum ereignishistorischen Hintergrund Schwarzwa¨lder, Geschichte, S. 335–336. 133 Model des beliebten Bußfertigen Danck-Fests. Zur Rolle des Schlachtengedenkens im sta¨dtischen Festkalender als bereits vorreformatorischer Tradition vgl. mit weiterfu¨hrenden Angaben Klaus Graf, Erinnerungsfeste in der spa¨tmittelalterlichen Stadt, in: Memoria, Communitas, Civitas. Me´moire et ˆ ge, hg. v. Hanno Brand/Pierre Monnet/Martial Conscience Urbaines en occident a` la fin du Moyen A Staub, Sigmaringen 2003, S. 263–273. 134 Vgl. Anm. 132.
170
3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
die Entstehung einer vorrangig christlich und nicht sta¨ndisch unterteilten, dem Rat unterstellten Bu¨rgerschaft. In der vom Lu¨becker Rat in der Mitte des 16. Jahrhunderts vorgesehenen Gestaltung der Buß- und Bettage sollte der Buß- und Bettag nicht als freie Zeit begriffen werden: Handwerker und Gesinde wurden angewiesen, sofort nach der Beendigung des Gottesdienstes wieder ihre Arbeit aufzunehmen.135 Der Bremer Rat belobigte im Jahre 1654 nach dem Abhalten eines Buß- und Bettages o¨ffentlich das Wohlverhalten aller Bu¨rger und Einwohner wa¨hrend der Feier.136 Bei einem Vergleich der Lu¨becker und Hamburger mit den Bremer Buß- und Bettagsverordnungen findet sich ein wichtiger Unterschied zwischen Hamburg und Lu¨beck auf der einen und Bremen auf der anderen Seite. Die Lu¨becker und Hamburger Verordnungen geben keine elaborierten Anweisungen zum eigentlichen Ablauf dieser Tage. Sie heben seinen spezifischen Bußcharakter also nicht besonders hervor.137 Dies trifft auf Bremen nicht zu: Hier kommt stattdessen das intensive Bemu¨hen zum Ausdruck, durch die Buß- und Bettage die Eintracht zwischen Rat und Ministerium zu demonstrieren.138 So weist zum Beispiel anders als in den Lu¨becker Drucken139 bereits der Wortlaut des Titelblattes einer Verordnung des Jahres 1630 auf die Zusammenarbeit zwischen Rat und Geistlichkeit hin:140 Form eines christlichen Extraordinari Fast- Buß- und Bettages/ welcher auf Verordnung und befehl Eines Erbaren hoch- und wolweisen Rahts der Stadt Bremen, Durchs Ehrwu¨rdige Ministerium doselbsten begriffen und abgefasset.141 Die Initiative zur Einsetzung des Buß- und Bettages lag nach dieser Aussage eindeutig beim Rat, wa¨hrend die Geistlichen die Ausfu¨hrenden waren. Im Gegensatz zu den Lu¨becker Texten werden sie aber immerhin an gut sichtbarer Stelle erwa¨hnt. Die Darstellung des Verha¨ltnisses zwischen der Stadt und der Allmacht Gottes ist in der Bremer Verordnung anders als in den Lu¨becker Texten streng hierarchisiert, zum Beispiel in der Abfolge der Segensbitten.142 Der Bremer Rat stellte sich in eine Reihe mit nicht-bremischen ha¨upter[n] und obrigkeiten, ohne darauf einzugehen, dass er im Grunde nicht mit ihnen gleichrangig war, da er vom gleichfalls genannten Erzbischof abha¨ngig war.143 Diesen Obrigkeiten stellt der Text eine undifferenzierte 135 Vgl. AHL, ASA-Ecclesiastica, ungeordneter Bestand: Bußtage, zweite undatierte Ordnung. 136 Vgl. STAB, 2-P.5.-c.2.a.1., Bd. 1, Proclamata Manuscripta A, Proclam nach Buß- und Bettag 1654,
fol. 425.
137 Vgl. Anm. 132. 138 Ebd. 139 Ebd. 140 In Bremen nannte sich die Geistlichkeit noch ‚Ministerium‘, weil trotz der Annahme der reformier-
ten Konfession ihre Kirchenstruktur nicht nach dem Modell anderer reformierter Sta¨dte umgestaltet worden war. Wie auch in Hamburg richtete sich das Bemu¨hen des Bremer Rats dahin, nicht die Struktur der Kirchenorganisation ga¨nzlich umzustellen, sondern mit einer Nichtbesetzung beziehungsweise Abschaffung der Superintendentur die Macht der Geistlichkeit zu beschneiden: Vgl. Veeck, Geschichte der Reformierten Kirche Bremens, S. 74–77. 141 Form eines christlichen Extraordinari Fast- und Buß- und Bettages, Titelblatt. 142 Ebd., S. 19–21. 143 Ebd., S. 21.
3.3. Konfessionelle Vergemeinschaftung – sta¨dtische Autonomie
171
Gruppe gegenu¨ber, na¨mlich die gantzen gemein/ehrbaren bu¨rgern und einwohnern dieser guten Stadt.144 Die weitere soziale Differenzierung im Text folgt einer funktionalen Sta¨ndegliederung. Die Verordnung nennt zuna¨chst als Empfa¨nger des go¨ttlichen Segens die nach den jeweiligen Fahrgemeinschaften differenzierten Kaufleute145 und im Anschluss daran die Handwerker.146 Am Ende dieses Gebetes stehen all die Gruppen, die der Verfasser nicht in die Bremer Bu¨rgerschaft einordnen konnte, na¨mlich Schwangere, Arme und Kranke.147 Es wurde eine im Einvernehmen zwischen Rat und Ministerium erlassene ideelle Gesamtdarstellung einer unter Gottes Segen stehenden sta¨dtischen Ordnung entworfen. Diese detaillierte Skizzierung der gesellschaftlichen Rangeinteilung hebt diese Bremer Verordnung und auch ihre Nachfolger von den entsprechenden Hamburger und Lu¨becker Texten ab.148 Dies weist auf einen im Falle Bremens gesteigerten Zusammenhang zwischen Su¨ndenvergebung und gesellschaftlicher Ordnungsstabilisierung im Kontext der Buß- und Bettage hin. Die Magistrate aller drei Sta¨dte ließen Buß- und Bettage nicht zu einem regelma¨ßig wiederholten Teil des Festkalenders werden. Vielmehr nutzten sie ihre kasuelle Anordnung dazu, in bestimmten Situationen die Verbindung von go¨ttlichem Beistand und ihrer Schutzfunktion als christliche Obrigkeit zu versta¨rken. Damit schufen sie aber auch einen symbolischen Abstand zwischen sich und einer charakteristischerweise recht undifferenziert dargestellten Bu¨rger- und Einwohnerschaft. Die Geistlichkeit war nicht als selbsta¨ndig agierende Gruppe in die Feierlichkeiten integriert. Am deutlichsten la¨sst sich dies in Bremen beobachten, wo der eigentliche Bußcharakter des Rituals besonders stark hervorgehoben wird. Das im Jahre 1617 begangene Reformationsjubila¨um war hingegen ein Fest, anhand dessen Ausrichtung das Verha¨ltnis des Rates zu einer sta¨dteu¨bergreifenden konfessionellen Vergemeinschaftung untersucht werden kann. Noch sta¨rker als die Buß- und Bettage demonstrierte seine Durchfu¨hrung den Willen des Rates, ein konfessionelles Fest ohne Traditionen, die im sta¨dtischen Festkalender verwurzelt waren, in den sta¨dtischen Festkalender aufzunehmen. Im Gegensatz zu den Bußund Bettagen knu¨pfte das Reformationsjubila¨um nicht an a¨ltere Traditionen sta¨dtischen Gedenkens wie zum Beispiel des Schlachtengedenkens an. Der Plan zu einer Einfu¨hrung von Reformationsfesten ging zuna¨chst vom reformierten Pfalzgrafen Friedrich V. aus, um dem außergewo¨hnlichen Giubileo des Papstes Pauls V. vom 12. Juni 1617149 ein gemeinsames, lutherisches und reformiertes Gedenken in den Territorien der protestantischen Reichsfu¨rsten entgegenzusetzen.150 Dieser Gedanke der Einigkeit zwischen Lutheranern und Calvinisten ging bald verloren. Insbesondere
144 Ebd. 145 Form eines christlichen Extraordinari Fast- und Buß- und Bettages, S. 21. 146 Ebd. 147 Ebd. 148 Vgl. Anm. 132. 149 Vgl. fu¨r den dezidiert antiprotestantischen Wortlaut des pa¨pstlichen Breve Hans-Ju¨rgen Scho ¨ nsta¨dt,
Das Reformationsjubila¨um 1617. Geschichtliche Herkunft und geistige Pra¨gung, in: Reformationsjubila¨en, hg. v. Georg H. Schwaiger, Stuttgart 1982, S. 5–57, hier: S. 8. 150 Vgl. zusammenfassend Kastner, Geistlicher Rauffhandel, S. 17.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
die sa¨chsischen Kurfu¨rsten nutzten das Reformationsjubila¨um zu ihrer Selbstdarstellung.151 Herzog Christian von Braunschweig-Lu¨neburg u¨bernahm im Norden des Reiches die Initiative zur Ausbreitung des Festes. Er trat mit den Hamburger, Bremer und Lu¨becker Ra¨ten in Kontakt, um sie zur Feier des Reformationsjubila¨ums zu u¨berreden.152 In ihren Antworten zeigten sie unterschiedliche Reaktionen, an denen sich ablesen la¨sst, welche Haltung die einzelnen Ra¨te dieser fu¨rstlichen Initiative zu einer gesamtprotestantischen Festgemeinschaft entgegenbrachten. Der Bremer Rat reagierte auf das herzogliche Ansinnen a¨ußerst reserviert und wies darauf hin, dass bereits das monatliche Abhalten der Buß- und Bettage Bremen als eine protestantische Stadt erweise.153 Susanne Rau sieht als Grund fu¨r die Entscheidung des Bremer Rates, sich gegen die Ausrichtung des Reformationsfestes zu entscheiden, die lutherische Pra¨gung des Festes an.154 Da das Jubila¨um aber urspru¨nglich auf die Initiative eines reformierten Herrschers zuru¨ckging, ist es wahrscheinlich, dass der Bremer Rat sich auch gegen Festaktivita¨ten des lutherischen Landesherrn absetzen wollte. Dies richtete sich aber nicht direkt gegen den Bremer Erzbischof, auf dessen Territorium keine Jubila¨umsfeier stattfand.155 Da auch die Ra¨te von Lu¨beck und Hamburg zo¨gernd auf die fu¨rstliche Anfrage reagierten, liegt es nahe, neben konfessionellen politische Motive fu¨r das Verhalten des Bremer Rates anzunehmen. Die Hamburger, Bremer und Lu¨becker Ra¨te betrachteten wohl die Aufforderung Christians als Eingriff in den sta¨dtischen Festkalender und damit in ihre Autonomie. Diese politisch motivierten Bedenken zeigen sich auch daran, dass die Initiative bei der hansesta¨dtischen Geistlichkeit auf gro¨ßere Zustimmung traf.156 Im Gegensatz zum eher zo¨gerlichen Hamburger Rat griff das Ministerium die Anregung zu gesamtkonfessioneller Erinnerung vorbehaltlos auf.157 Es setzte beim Rat durch, dass dieser den Festtermin vom urspru¨nglich geplanten 2. November auf den 31. Oktober verlegte. Der 2. November war auch in der Union urspru¨nglich als Festdatum diskutiert worden, da dies ein Sonntag war, wurde er aber letzten Endes zugunsten des 151 Vgl. Wolfgang Flu ¨ gel, Konfession und Jubila¨um: Zur Institutionalisierung der lutherischen Gedenk-
kultur in Sachsen 1617–1830, Leipzig 2005, S. 51–64; außerdem Siegfried Hoyer, Reformationsjubila¨en im 17. und 18. Jahrhundert, in: Feste und Feiern: Zum Wandel sta¨dtischer Festkultur in Leipzig, hg. v. Katrin Keller, Leipzig 1994, S. 36–68; zur Einordnung des Reformationsjubila¨ums in die Tradition o¨ffentlicher Gedenktage vgl. Michael Mitterauer, Anniversarium und Jubila¨um. Zur Ent¨ ffentliche stehung und Entwicklung o¨ffentlicher Gedenktage, in: Der Kampf um das Geda¨chtnis: O Gedenktage in Mitteleuropa, hg. v. Emil Brix/Hannes Stekl, Wien/Ko¨ln/Weimar 1997, S. 23–89, hier: S. 53–67. 152 Vgl. mit den entsprechenden Quellenangaben Scho ¨ nsta¨dt, Antichrist, S. 33–34. 153 STAB, T2, Bd. 3, Venerandum Ministerium der Reformierten Herren Prediger in der Stadt und auf dem Lande und der Reformierten Cultur betreffend Acta, Brief des Herzogs von Braunschweig und Konzept des Antwortschreibens des Rates, 1617. 154 Rau, Geschichte und Konfession, S. 497. 155 Der Erzbischof hat den entsprechenden Unionsbeschluss nicht mit unterschrieben: Vgl. Scho ¨ nsta¨dt, Anitchrist, S. 15. Das Erzbistum konnte aufgrund seiner ambivalenten Stellung als sa¨kularisiertes Bistum, dessen Reichsstandschaft ruhte, nicht Mitglied der Union sein. Vgl. Lorenz, Das Erzstift Bremen, S. 7–9. 156 Fu¨r Bremen haben sich zu dieser Frage leider keine Quellen gefunden. 157 Zu dem Reformationsjubila¨um in Hamburg im Kontext hamburgischer Erinnerungskultur und konfessioneller Abgrenzung vgl. Rau, Reformationsjubila¨en.
3.3. Konfessionelle Vergemeinschaftung – sta¨dtische Autonomie
173
symboltra¨chtigeren Datums verworfen.158 Am 31. Oktober 1617 feierte Hamburg an demselben Tage wie andere protestantische Territorien.159 Dort konnte also aufgrund der weniger ausgepra¨gten Alleinherrschaft des Rats ein u¨bersta¨dtischer und konfessionell gepra¨gter Gedenktag wie das Reformationsjubila¨um ein gro¨ßeres Gewicht als in anderen lutherischen Hansesta¨dten einnehmen. Das Hamburger Ministerium und die Hamburger Bu¨rgerschaft sahen in der Entwicklung einer spezifisch konfessionell und nicht traditionell sta¨dtisch-religio¨s gepra¨gten Festkultur ein Mittel, die Deutungshoheit des Rates u¨ber die Stadt als Glaubensgemeinschaft zu begrenzen.160 Die Hamburger Chronisten betonten die Vergemeinschaftung Hamburgs am Tag des Reformationsjubila¨ums mit anderen protestantischen Gemeinwesen.161 Zwar regelte der Hamburger Rat den Handlungsablauf des Festes,162 gab aber nicht die Texte der Gebete und Predigten vor.163 Sein Geltungsanspruch fand also in der theologischen Interpretation der Feier seine Grenzen. Die Geistlichen thematisierten in ihren Predigten vorwiegend konfessionelle und nicht sta¨dtische Themen.164 Nicolaus Hardkopf, Pastor an der St. Nikolai-Kirche, sprach zum Beispiel nicht vorrangig u¨ber Hamburg in seiner Festtagspredigt, sondern u¨ber die Reformation. Die Gemeinschaft mit den zuku¨nftigen Bewohnern Hamburgs, so predigte Hardkopf, besta¨nde in der Teilhabe an der richtigen Verehrung von Gottes Wort.165
158 Scho ¨ nsta¨dt, Antichrist, S. 15, 35. 159 Ebd., S. 33. 160 Das Ma¨chteverha¨ltnis zwischen Bu¨rgerschaft, Rat und Geistlichkeit ist also genau zu beachten. Vgl.
auch Rau, Reformationsjubila¨en, S. 37. 161 STAH, 731–1, Handschriftensammlung, Ms. 69a, Hamburgische Chronik 1503–1730, S. 52: den
25. July¨ war alhier und andern Evangelischen Sta¨dten ein Jubelfest gehalden, weil es eben 100. Jahr, daß Ihro Kay¨serl. May¨tt. Carl V. die Augspurgische Confession u¨bergeben, zu deßen Andenkcen der Churfu¨rst zu Sachsen Rttler [Reichstaler, R. S.] gantze, halbe und 1/4 schlagen und mu¨ntzen lassen.; STAH, 731–1, Handschriftensammlung, Ms. 29, Hessel, Hamburgische Chronik 1014–1677, s. v. 1617 s. p.: In disen Jahr ist zu Hamburg u.in anderen See-Sta¨dten das Jubel-Fest mit großer Solennita¨t gehalten worden, dabey¨ zu merken. Was fu¨r eine Ordnung Joh. Georg Hertzog zu Sachsen etc. Von dem Evangelischen Jubel-Fest aufgesetzet, so also lautet, vid. Gothfr. C. Suevi Acad. Witteb. lit. Oo. 3 ad Ann. 1617. Zum Angedechtniß desßelben ersten Jubel-Festes der Evangelischen ist ein sonderlicher Schau-Pfennig geschlagen, welches ist geschehen.; STAH, 731-1, Handschriftensammlung, Ms. 1541, Fortsetzung der Chronik von Tratziger [...], S. 253: In diesem Jahr ist zu Hamb: und in ander See und Landsteten, daß Jubel fest oder Jubel Jahr, danemlich vor 100 Jahren die Reine Lutterische Lehr ihren anfang/ durch Gottes gnaden/ genommen, seculum Lutteranorium genandt 3 tage mit großer solemnitet gefey¨ert und gehalten, und wie die gro¨ßten festen des Jahres heilieg gehalten und celebriret worden. 162 Vgl. das Mandat, das zur Reformationsfeier 1617 aufforderte, zitiert in: [Anonym], Erstes EvangelischLutherisches Jubel-Fest/ Welches in der Welt-beru¨hmten Stadt Hamburg/ zum Preiß go¨ttlicher Ehren In dem 1617ten Jahre den 31. Octobr. o¨ffentlich ist gefeyert worden: Anitzo/ Da wir das andere JahrHundert nach der herrlichen Reformation D. Lutheri in diesem 1717ten Jahre Durch Gottes Kraft abermahl erlebet/ Zur Ausbreitung Go¨ttlichen Nahmens/ Und Pflicht-schuldiger Erka¨nntniß Dieser Hohen Wohlthaten/ Nebst Dem Lu¨beckischen Danck-Gebet Wiederum erneuert von Einem Evangelisch-Lutherischen Hamburger, Hamburg 1717, fol. A3. 163 STAH, 511–1, Ministerium, III A 1d, Bd. 1 Akten 1553–1686, Eintra¨ge zum Jahr 1617, S. 305. 164 Vgl. Erstes Evangelisch-Lutherisches Jubel-Fest, fol. A 4; Ho ¨ ck, Bilder aus der Geschichte der hamburgischen Kirche, S. 46; Rau, Reformationsjubila¨en, S. 27–28. 165 Vgl. Ho ¨ ck, Bilder aus der Geschichte der hamburgischen Kirche, S. 46.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
Das Hamburger Ministerium weitete seine Initiative u¨ber Hamburg hinaus aus und korrespondierte mit seinen Lu¨becker Amtskollegen u¨ber die dortige Durchfu¨hrung des Reformationsjubila¨ums. Damit beschwor es einen Konflikt mit dem Lu¨becker Ministerium herauf, das in dieser Frage der Zuru¨ckhaltung des Lu¨becker Rates folgte.166 Dieser kritisierte, dass das Fest drei Tage andauern sollte und wies darauf hin, dass das Gedenken an die Reformation bereits fester Bestandteil des Lu¨becker Kirchenkalenders sei.167 Ein weiterer Erinnerungstag sei im Grunde genommen nicht vonno¨ten.168 Das Lu¨becker Ministerium schloss sich hingegen der Haltung des Rates an. In einem Briefwechsel mit seinen Hamburger Amtskollegen Johann Schelhammer und Sebastian Aepin beklagte der Lu¨becker Pastor Sebastian Schwan den mangelnden Mut seiner Kollegen.169 Die im Falle des Reformationsjubila¨ums erstaunlich widerspruchslose Haltung des Lu¨becker Ministeriums gegenu¨ber dem Rat la¨sst sich in diesem Fall wohl auch damit in Zusammenhang bringen, dass die Lu¨becker Geistlichen sich durch Versuche der Hamburger Geistlichkeit, ihnen ein bestimmtes Verhalten nahezulegen, zuru¨ckgesetzt fu¨hlten. Zwar beging letztendlich auch Lu¨beck ein Reformationsfest, jedoch wie vom Rat angeordnet am 2. November. Erwa¨hnungen des Reformationsjubia¨ums finden sich in den Lu¨becker Quellen a¨ußerst selten und wenn, sind sie sehr knapp und gehen nicht auf den Festverlauf ein – auch dies ein auffa¨lliger Unterschied zu dem Hamburger Fest. Das Reformationsjubila¨um galt in Lu¨beck nicht als ein besonderes sta¨dtisches Ereignis.170 Sowohl im reformierten Bremen als auch im lutherischen Hamburg und Lu¨beck wurden innere und a¨ußere Konzeptionen der sta¨dtischen Gemeinschaft mit den Buß- und Bettagsfeierlichkeiten verknu¨pft: Sie dienten dem Rat als Rechtfertigung zur Durchsetzung von Verhaltensregeln, die die gesamte Stadtbevo¨lkerung betrafen. Außerdem waren sie Bestandteil einer vom Rat gelenkten, durch eine a¨ußere Bedrohung symbolisch gestifteten Vergemeinschaftung. Die Buß- und Bettage galten in diesen Zusammenha¨ngen nicht allein als protestantische Feierlichkeiten. Sie
166 Scho ¨ nsta¨dt, Antichrist, S. 33. 167 Ebd. 168 Ebd. 169 Mit direkten, leider nicht genau angegebenen Quellenzitaten Caspar H. Starcke, Lubeca Lutherano-
Evangelica, das ist, der Kayserlichen / Freyen / und des Heil. Ro¨mischen Reichs Hanse- und HandelStadt Lu¨beck Kirchen-Historie, darin die vornehmsten Geschichte, welche sich sint der Reformation Herrn Lutheri seel. biß auf gegenwa¨rtige Zeiten in der Kirchen daselbst begeben / und zugetragen haben/ von Jahren zu Jahren ordentlich beschrieben / Ins besondere Die wichtigsten Religions-Handlungen E. Ehrw. MINISTERII sowohl fu¨r sich alleine, als auch in Gemeinschafft der Ministeriorum zu Hamburg, und Lu¨neburg, ihre controversien, conventus, colloquia, und scripta publica umsta¨ndlich erzehlet, desgleichen die Leben / und Schriften der Herrn SUPERINTENDENTEN, PASTORUM, und u¨briger Prediger richtig vorgestellet, Auch u¨ber das zu allen zula¨ngliche Beylagen an raren/ meist ungedruckten Theologischen Brieffschaften, consiliis, responsis, und anderen documenten aus unverwerfflichen Uhrkunden mitgetheilet werden, Hamburg 1724, S. 597–598. 170 Vgl. zum Beispiel AHL, Handschriftensammlung, Ms. 868, Johannes Marquard, Chronicon Lubecense, Abschrift aus dem 19. oder 20. Jahrhundert, fol. 70: Den 2 November 1617 ward zu Lu¨beck ein Jubelfest gehalten, daß der Allma¨chtige Gott auß lauter Gnade sein seligmachendes Wort durch den wehrten Mann Doct. Martinum Lutherum auß dem finstern Pabsthum wiederumb fu¨r hundert Jahren an den Tagk herfu¨rgebracht.
3.3. Konfessionelle Vergemeinschaftung – sta¨dtische Autonomie
175
gingen vielmehr eine Symbiose mit den sozialen und kulturellen Strukturen der Stadtgemeinschaften ein, indem sie an vorreformatorische Traditionen des Schlachtengedenkens anknu¨pften. Die Wahrung der Einheit von Stadt und Kirche nahm in den Handlungen des Rates oberste Priorita¨t ein, wie sein Verhalten in allen drei Sta¨dten gegenu¨ber der Einfu¨hrung des Reformationsjubila¨ums zeigt. Dieses nutzte er in allen drei Fa¨llen nicht dazu, sich als Vorreiter der protestantischen Unionsbestrebungen im Reich darzustellen. Vielmehr reagierte er auf das von außen an ihn herangetragene Ansinnen einer u¨bersta¨dtischen konfessionellen Vergemeinschaftung im Gedenken an die Reformation des Jahres 1517 zo¨gerlich. In Bremen verweigerte der Rat mit Verweis auf die bereits stattgefundene Umstrukturierung des Festkalenders eine Einfu¨hrung des Festes. Der Lu¨becker Rat ließ zwar Feierlichkeiten abhalten, bestand jedoch auf einem abweichenden Datum. Allein in Hamburg erhielten die Feierlichkeiten einen Rahmen, der das Hamburger Reformationsjubila¨um mit denen, die zu derselben Zeit in Dresden abgehalten wurden, in eine Reihe stellt. Auffa¨llig ist, dass die spezifisch protestantischen Feierlichkeiten des Buß- und Bettages und des Reformationsjubila¨ums in Hamburg und Bremen in ho¨herem Maße Eingang in den sta¨dtischen Festkalender fanden. Beide mussten im Gegensatz zu Lu¨beck um ihre Autonomie ringen. Hierin liegt wahrscheinlich auch der Grund, warum fu¨r sie die mit diesen Festen verbundenen Gemeinschaftsbildungen wichtiger waren als fu¨r Lu¨beck. Mit der Feier des Reformationsjubila¨ums unterstrich Hamburg seine Verbindung zum Reich. Außerdem stellte es sich in eine Reihe mit den Gemeinwesen, die aktiv an einer Ausbreitung und Fo¨rderung protestantischer Erinnerungskultur beteiligt waren. Der Bremer Rat hingegen betrieb eine Politik der konfessionellen Abgrenzung vom lutherischen Landesherrn. Sein Rat fo¨rderte daher besonders nachdru¨cklich das Abhalten von Buß- und Bettagen. Die Durchdringung und Umformung der sta¨dtischen Festkultur war also im Bereich der Hansesta¨dte davon abha¨ngig, wie fest nach außen hin abgeschlossen und traditionell verwoben die Definition der Stadt als Sakralgemeinschaft mit der Bestimmung der Stadt als politischer Gemeinschaft war.
3.3.2. Die Prozessionen zu den Kirchen Il Redentore und Santa Maria della Salute und das Feiern der Giubilei Im katholischen Venedig waren es nicht Buß- und Bettage, sondern die Rituale zum Ende der Pestepidemien in den Jahren 1575–1577 und 1630–1631, die Anlass dafu¨r boten, Gottes Gnade fu¨r die Stadt zu erbitten. Autoren gedruckter Prozessionsbeschreibungen, aber auch die Magistrate zogen einen engen Zusammenhang zwischen Gottes Zorn und der die Stadt heimsuchenden Krankheit.171 Wie in den Verordnungen zu den Buß- und Bettagen in den Hansesta¨dten ist die Verbindung von religio¨ser 171 Vgl. generell zu Formen der Pestfro¨mmigkeit im fru¨hneuzeitlichen Italien im U ¨ berblick Heinrich
Dormeier, Pestepidemien und Fro¨mmigkeitsformen in Italien und Deutschland (14.–16. Jahrhundert), in: Um Himmels willen. Religion in Katastrophenzeiten, hg. v. Manfred Jakubowski-Tiessen/ Hartmut Lehmann, Go¨ttingen 2003, S. 14–50.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
Ermahnung und sozialdisziplinierenden Zielen unverkennbar. Die hansesta¨dtischen und venezianischen Texte a¨hneln einander bis hin zum Wortlaut darin, die Lage der Stadt unmittelbar als Ausdruck von Gottes Gnade oder Unwillen zu deuten.172 Im Rahmen der Pestprozessionen wollten die venezianischen Magistrate sich als christliche Obrigkeit darstellen. Im Gegensatz zu den Hansesta¨dten mussten sie sich gegenu¨ber konkurrierenden Fro¨mmigkeitsformen absetzen. In den Pestepidemien hatten sich in Venedig Formen von Religiosita¨t herausgebildet, die weder die politische Fu¨hrung noch die Geistlichkeit vollsta¨ndig kontrollieren konnten.173 Der Kult um San Rocco, dessen Reliquien in Venedig angebetet wurden,174 hatte soviele Anha¨nger, dass ihn Jesuiten und Vertreter der Kurie zu kritisieren begannen.175 Kirchliche Feste im Zusammenhang mit Pestepidemien bieten daher immer auch ein geeignetes Untersuchungsfeld fu¨r die Frage, welche Art von Religiosita¨t politische und kirchliche Eliten fu¨r die Definition der Stadt als religio¨ser Gemeinschaft angemessen erachteten: Griffen sie auf eher traditionelle Formen zuru¨ck oder wollten sie mithilfe der Feiern ihre Offenheit gegenu¨ber katholischen Reformideen beweisen und diese in der Bevo¨lkerung verankern? Zusa¨tzlich zu den Feierlichkeiten im Kontext der Pestepidemien sollen die Feierlichkeiten im Rahmen der Giubilei, der Jubeljahre, in den Blick genommen werden.176 Die Art und Weise, wie diese Feiern beschrieben wurden, zeigt, inwieweit sich anhand spezifisch konfessionell aufgeladener Feste, die im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts neu eingesetzt wurden, eine Vera¨nderung der
172 Vgl. zum Beispiel das Gelu¨bde des Senats zur Errichtung der Kirche il Redentore vom 4. September
1576: Da quello che si legge, cosı` nella Sacra Scrittura, come nell’historie delle cose passate, si conosse chiaramente che quando la Maesta` d’Iddio flagella pubblicamente un popolo, non si placa prima, che non sia publicamente con ogni segno d’humilta` supplicata: onde affligendo al presente questa citta` col flagello della peste e` molto ben conveniente, che oltre, quanto e` stato per il passato, si continui a ricorrer all’infinita sua clementia per impetrar misericordia pubblicamente, et con ogni devotione. „Von jenem, was man liest, so in der Heiligen Schrift, wie auch in den Geschichten von den vergangenen Dingen, weiß man sehr deutlich, dass, wenn die go¨ttliche Majesta¨t o¨ffentlich ein Volk zu¨chtigt, sie sich nicht eher besa¨nftigt, bis sie o¨ffentlich mit allem Zeichen der Demut angefleht wird: daher, weil im Moment diese Stadt mit der Geißel der Pest gequa¨lt wird, ist es sehr passend, wie in anderen Fa¨llen, wenn es so in der Vergangenheit war, man ohne Ende an ihre Gu¨te appelliert, um o¨ffentlich Mitleid zu erflehen, und mit aller Fro¨mmigkeit.“, in: Wladimir Timofiewitsch, La Chiesa del Redentore, Vicenza 1969, S. 65 mit der in Anm. 132 angegebenen Quelle. Vgl. außerdem Neithard Bulst, Heiligenverehrung in Pestzeiten. Soziale und religio¨se Reaktionen auf die spa¨tmittelalterlichen Pestepidemien, in: Mundus in imagine. Bildersprache und Lebenswelten im Mittelalter. FS fu¨r Klaus Schreiner, hg. v. Andrea Lo¨ther, Mu¨nchen 1996, S. 63–97, hier: S. 63–72. 173 Dormeier, Pestepidemien und Fro¨mmigkeitsformen, S. 43–44. 174 Zur Geschichte der Reliquien des Heiligen Rochus vgl. Marie-Therese Schmitz-Eichhoff, St. Rochus. Ikonographische und medizinhistorische Studien, Ko¨ln 1977, S. 32. 175 Vgl. fu¨r Venedig Antonio Niero, I santi patroni, in: Culto dei Santi a Venezia, hg. v. Silvio Tramontin u. a., Venedig 1965, S. 77–98, hier: S. 89–91 und generell zu den Pestkulten nach Trient die Bemerkungen bei Bulst, Heiligenverehrung in Pestzeiten, S. 85–88. 176 Ein Heiliges Jahr in Verbindung mit einem Generalablass, als Tradition bereits durch Bonifaz VIII. eingesetzt, wurde seit 1475 alle 25 Jahre gefeiert, konnte aber auch zu besonderen Anla¨ssen ausgerufen werden. Vgl. allgemein Mitterauer, Anniversarium und Jubila¨um, S. 48–53 und zu nachtridentinischen Heiligen Jahren Erich B. Kusch, Das Heilige Jahr 1600. Aufbau einer neuen Bu¨hne, in: Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, hg. v. Uwe Schultz, Mu¨nchen 1988, S. 164–174, hier: S. 165–166.
3.3. Konfessionelle Vergemeinschaftung – sta¨dtische Autonomie
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gesamtsta¨dtischen Repra¨sentation unter dem Einfuss der konfessionellen Entwicklungen ablesen la¨sst. Die Kirchen Il Redentore und Santa Maria della Salute, die aus Anlass des Endes der Pestepidemien der Jahre 1575–76 und 1629–1630 gebaut wurden, gelten bis heute als architektonische Meisterwerke.177 Der Senat beauftragte mit ihren Entwu¨rfen beru¨hmte Ku¨nstler wie Andrea Palladio178 und Baldassare Longhena.179 Die Errichtung dieser Kirchen sowie der Beschluss, ja¨hrlich im Gedenken an die Pestepidemien eine dogale Prozession dorthin durchzufu¨hren, stellten eine Erweiterung der rituellen Topographie Venedigs dar. War diese bis dahin auch in ihrer rituellen Nutzung hauptsa¨chlich auf den Markusplatz und die Kirche von San Marco ausgerichtet, erhielt sie jetzt durch die beiden Kirchen eine topographische und zeremonielle Erweiterung hin zur Insel Giudecca. Die Kirchen setzten sich sowohl durch ihre exponierte Lage als auch durch ihre architektonische Gestaltung markant von ihrer Umgebung ab.180 Die Auswirkungen der neu eingerichteten Prozessionen zu den Kirchen auf die venezianische rituelle Topographie ist fu¨r die Beurteilung der Verbindung konfessioneller und politischer Selbstdarstellung ab der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts grundlegend. Dennoch ist sie bis heute kaum von historischer Seite erforscht worden. Edward Muir, der beide Rituale nur am Rande seiner Darstellung der veneziani¨ bernahme neuer, spezifisch nachtridentischen Rituale streift, sieht in ihnen eine U nisch gepra¨gter Repra¨sentationsformen. Er verfolgt den Zusammenhang zwischen der von ihm festgestellten konfessionellen Symbolik beider Feste und der sta¨dtischrepublikanischen Selbstdarstellung, die er untersuchen mo¨chte, nicht. Beide schließen seiner Meinung nach einander aus.181 Fraglich ist, wie dann zu erkla¨ren ist, weshalb der venezianische Senat und nicht der Patriarch beide Prozessionen einsetzte. Dem Spannungsgeflecht zwischen Kult, Architektur und Machtverha¨ltnis zwischen politischer und geistlicher Obrigkeit, wie es sich bereits in der Ortswahl der Kirchenbauten von Il Redentore und Santa Maria della Salute ausdru¨ckt, widmen sich bis heute ausschließlich Kunst- und Musikhistoriker.182 Dabei gelangen sie zum Teil zu recht unterschiedlichen Urteilen u¨ber die mit beiden Kirchenbauten verbundenen 177 Entsprechend groß war die Aufmerksamkeit, die beiden Kirchen von Seiten der Kunstgeschichte zuteil
wurden: Andrew Hopkins fasst den gro¨ßten Teil des Forschungsstandes zusammen in: Hopkins, Santa Maria della Salute, S. 257–263; zu der Kirche Il Redentore vgl. Christian A. Isermeyer, Le Chiese del Palladio in rapporto al culto, in: Bolletino del centro internazionale di studi Architettura Andrea Palladio 10 (1968), S. 42–58; Staale Sinding-Larsen, Palladio’s Redentore, A Compromise in Composition, in: The Art Bulletin 47 (1965), S. 419–437; Timofiewitisch, La chiesa del Redentore. 178 Zu der Beauftragung Palladios und dem Konflikt um die zuerst von ihm geplante Rundkirche vgl. Sinding-Larsen, Palladio’s Redentore, S. 419–420 und 430–431. 179 Zu der Beauftragung Longhenas vgl. Hopkins, Santa Maria della Salute, S. 28–36. 180 Vgl. Timofiewitsch, La chiesa del Redentore, S. 13–15 und Hopkins, Santa Maria della Salute, S. 37–39. 181 Vgl. Muir, Civic Ritual, S. 216. 182 Der kunsthistorische Forschungsstand wurde bereits genannt; von musikhistorischer Seite ist insbesondere der Aufsatz von James Moore grundlegend: James Moore, „Venezia favorita da Maria“: Music for the Madonna Nicopeia and Santa Maria della Salute, in: Journal of the American Musicological Society 37 (1984), S. 299–355.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
symbolischen Botschaften. So sieht zum Beispiel der norwegische Kunsthistoriker Staale Sinding-Larsen in der Tatsache, dass die Kirche Il Redentore Christus und nicht Maria geweiht wurde, ein Abweichen von der traditionell in Pestzeiten verwendeten Symbolik. Damit wa¨ren Kirche und Prozession in einen Zusammenhang mit der Auferstehungs- und Jerusalemsymbolik zu bringen, wie sie sich auch im Bildprogramm des nach dem Brand des Jahres 1577 neu dekorierten Dogenpalastes feststellen la¨sst.183 Ungefa¨hr fu¨nfzig Jahre spa¨ter la¨sst sich mit dem Bau der Kirche Santa Maria della Salute, so Staale Sinding-Larsen, eine Ru¨ckkehr zur (traditionelleren) Mariensymbolik beobachten.184 Gegenu¨ber einem nachtridentinischen Willen zur religio¨sen Erneuerung, wie er sich in der Kirche Il Redentore manifestiert, ha¨tte sich traditionelle Fro¨mmigkeit im Bau der Kirche Santa Maria della Salute durchgesetzt.185 Dieser Gegenu¨berstellung sind Interpretationen der Kirche Santa Maria della Salute an die Seite zu stellen, die sowohl die rituellen als auch architektonischen Innovationen von Kirchenbau und Prozession hervorheben. Die Prozessionen zur Anrufung der Madonna, insbesondere zur Anbetung der in der Markuskirche aufbewahrten und zu diesen Festen bei der Prozession zur Kirche Santa Maria della Salute mitgefu¨hrten „Madonna Nikopeia“186 boten Anlass fu¨r eine Fu¨lle an kirchlicher Musik, insbesondere Marienmotetten.187 Auch in architektonischer Hinsicht bot Santa Maria della Salute mit ihrem Rundbau gleichfalls eine sehr viel innovativere Lo¨sung fu¨r die Gestaltung der Prozessionen an als die Kirche Il Redentore, wie es Andrew Hopkins in seiner Untersuchung u¨ber den Zusammenhang zwischen Kirchenarchitektur und Zeremoniell im barocken Venedig betont.188 Keine der genannten Forschungen beachtet, dass die neu zu diesen Kirchen eingesetzten Prozessionen nicht die einzigen o¨ffentlich sichtbaren Formen von Fro¨mmigkeit zu Pestzeiten in Venedig waren. So befanden sich die Prozessionen zur Kirche Il Redentore und Santa Maria della Salute in Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Gla¨ubigen mit anderen Festen um die Kirche von San Rocco oder auch in der Kathedrale San Pietro di Castello des Patriarchen. Dort wurde Lorenzo Giustiniani, der erste Patriarch Venedigs, als Schutzseliger gegen die Pest verehrt.189 Eine Analyse der sta¨dtischen Selbstdarstellung im Rahmen der Rituale in und um die Kirchen Il Redentore und Santa Maria della Salute muss also nicht nur den Zusammenhang zwischen
183 Das ist die These der Bildanalyse bei Sinding-Larsen, Christ in the Council Hall, vgl. insbes.
S. 156–259. 184 Zu Maria als Pesthelferin vgl. Klaus Schreiner, Maria. Jungfrau, Mutter, Herrscherin, Ko¨ln 22006,
S. 260–262. 185 Vgl. Sinding-Larsen, Palladio’s Redentore, S. 431–437. 186 Zur rituellen Funktion der Madonna Nicopeia: Moore, „Venezia favorita“, S. 306–316. 187 Ebd., S. 300–301; vgl. außerdem Linda M. Koldau, Die venezianische Kirchenmusik von Claudio
Monteverdi, Kassel u. a. 2001, S. 425–462. 188 Hopkins, Santa Maria della Salute, S. 153–159. 189 Vgl. Antonio Niero, Pieta` Popolare e Interessi Politici nel Culto di S. Lorenzo Giustiniani, in: Arch
Veneto ser. 5, 117 (1981), S. 197–224; Antonio Niero, I Patriarchi di Venezia. Da Lorenzo Giustiniani ai Nostri Giorni (Collana Storica 3), Venedig 1961, S. 117–120; Angiolo Tursi, La Chiesa e la Scuola di San Rocco nelle Descrizioni dei Viaggiatori Stranieri, in: Scuola Grande di San Rocco, Venezia nel VI centenario della Morte del Patrono, Venedig 1927, S. 69–81.
3.3. Konfessionelle Vergemeinschaftung – sta¨dtische Autonomie
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dogalem Zeremoniell und Kirchenarchitektur beachten, sondern auch den Hintergrund der Vielzahl von parallelen Heiligen und Festen, die Schutz vor der Krankheit bieten sollten. Ein Beispiel aus dem venezianischen Lagunengebiet kann das illustrieren: Das Kloster San Secondo, auf einer kleinen Laguneninsel dem venezianischen Stadtgebiet vorgelagert, blieb im Jahre 1576 von der Pest verschont: Dies schrieben die Mo¨nche der Kraft der Gebeine des Heiligen zu. Der Abt hatte mit der Erlaubnis des Senats nicht nur dafu¨r gesorgt, dass dessen Reliquien hervorgeholt wurden, sondern auch, dass sie wa¨hrend der Epidemie fortwa¨hrend angebetet wurden. Der Kult um den Heiligen, vorher weitgehend erloschen, blu¨hte in der Klostergemeinschaft neu auf.190 Die von August 1575 bis Juli 1577 dauernde Pestepidemie191 fu¨hrte in ganz Venedig zu einer gesteigerten Bedeutung des Reliquienkultes, dem auch der venezianische Senat Rechnung trug, so mit dem im Jahre 1576 gefassten Entschluss einer o¨ffentlichen Prozession zu den Gebeinen von San Rocco.192 Deutlich ist das Bestreben der Magistrate zu erkennen, traditionelle Fro¨mmigkeit und venezianischen Staatskult eng miteinander zu verknu¨pfen: So fand die erste o¨ffentliche Prozession zu Ehren von San Rocco genau am Tage der Grundsteinlegung der Kirche Il Redentore statt.193 Allerdings bedeutete das nicht, dass auch in der visualisierten Kommemoration an das Pestgelu¨bde der venezianischen Republik San Rocco oder ein anderer Pestheiliger neben Christus gestellt worden wa¨re. Vielmehr verdra¨ngte in diesem Fall Christus sogar den traditionell mit Venedig verbundenen Markus:194 Statt vor dem sonst u¨blicherweise auf offiziellen Medaillen dargestellten San Marco kniet der Doge Alvise Mocenigo auf den an das Jahr 1576 erinnernden Oselle vor einem thronenden oder als Auferstandener u¨ber Venedig schwebenden Christus.195 Der Christusbezug kommt auch in dem Festablauf zum Ausdruck: Die feierliche Verlesung des Gelu¨bdes durch den Dogen am achten September in San Marco wurde durch dreita¨gige Feiern vorbereitet. Am ersten Tag wurde das Heilige Sakrament gezeigt und herumgetragen, am zweiten ein großer Kruzifix, am dritten die angeblich vom Heiligen Lukas gemalte Madonna Nikopeia aus dem Reliquienschatz von San Marco.196 Reliquien von Heiligen, die gegen die Pest schu¨tzen sollten spielten hingegen in diesem Festablauf keine Rolle. Eine durchweg nicht vom Heiligenkult, sondern eher von christologischen Bezu¨gen gepra¨gte Auffassung der religio¨sen Aussage des Gelu¨bdes zur Errichtung der Kirche Il Redentore findet sich ebenfalls in der Beschreibung, die in dem in Auftrag des Consiglio di Dieci kompilierten Zeremonialbuch zu finden ist. Hier zog der Verfasser des Textes Parallelen zwischen dem Auferstehungsgeschehen und Venedigs
190 Vgl. Ecclesiae Venetae Antiquis Monumentis nunc etiam primum editis illustratae ac in decades distri-
butae, Decas Nona et Decima, S. 20–21.
191 Zur Ereignisgeschichte vgl. Kretschmayr, Geschichte von Venedig, S. 41. 192 Tursi, La Chiesa e la Scuola di San Rocco, S. 70. 193 Ebd. 194 Zu Entstehung und Geschichte des Markuskultes in Venedig vgl. Corinna Fritsch, Der Markuskult
in Venedig: symbolische Formen politischen Handelns in Mittelalter und fru¨her Neuzeit, Berlin 2001.
195 Vgl. die Oselle des Dogen Francesco Erizzo von 1631, in: Venezia e la Peste 1348–1797, hg. v. Comune
di Venezia, Venedig 1979, S. 323–324. 196 Zu diesem Ablauf vgl. zusammenfassend Silvio Tramontin, Il Redentore: il Voto, il Tempio, la Festa,
in: Ateneo Veneto 180 (1993), S. 65–76, hier: S. 65.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
Lage nach der Pest. Erst wenn sie sich ihrer Su¨nden bewusst sei, ko¨nnte Christus sie von der Pest erlo¨sen. Dies habe die Epidemie, so der Text des Zeremonialbuchs, als Gottes Strafe bewirken sollen: Che affligende il Signor Dio li populi per li peccati commesse contra sua Divina Maesta` si come si deve credere, che faccia hora questa citta`, et leggersi nelle sacre scritture di haver fatto per li peccati commessi dal Re David nel populo Israelitico, facendone morir una gran parte di esso et non volendo prima placarsi, che fusse pregato da esso Re David a convertire il suo giusto flagello in se medesimo, che haveva peccato; et insieme honorato, et adorato publicamente sopra l’altar erretto da lui per conseglio di Grande Profeta; essortava sua Serenita` pero ogn’uno col tal esempio a far penitenza dei suoi peccati, et con puro core convertirsi a dimandar perdono al Signor Dio, lo qual humilmente supplicava a perdonar a questo populo, [...]; et con l’istesso esempio del Re David sudetto, (le parole del quale si stimava sua Serenita` indegna di dover dire) che convertisse in se medesimo questo flagello, per espiation dalla sua giusta ira, prometteva di erigger per publico decreto una chiesa, intitolandola dal nome del REDENTORE.197 Nicht allein in Namen und Bildsymbolik offenbart sich die Christuszentrierung der Kirche und des Festes Il Redentore, sondern auch in der zeitlichen Gestaltung. Die Zeremonie der Grundsteinlegung der Kirche fiel mit dem Tag zusammen, an dem der Auffindung des Kreuzes in Jerusalem durch Helena, der Mutter Konstantins des Großen, gedacht wurde, dem dritten Mai.198 Das Datum setzte somit symbolisch die Kirche Il Redentore mit der von der Kaiserinnenmutter Helena in Jerusalem geweihten Auferstehungs- und Martyriumskirche gleich.199 Bei der ersten Prozession am 21. Juli des Jahres 1576 stand ein großes Bild des Auferstandenen im Mittelpunkt des ephemeren Baus.200
197 ASV, Coll., cerim., rg. 1, fol. 48: „Dass Gott, der Herr, die Vo¨lker fu¨r die Su¨nden, die es gegen seine
go¨ttliche Majesta¨t begangen hat, qua¨lt, muss man glauben, so wie er es jetzt mit dieser Stadt macht, und man kann es in den heiligen Schriften lesen, dass er es so gehalten hat fu¨r die Su¨nden, die der Ko¨nig David im Israelitischen Volk begangen hat, und damals ließ er ein Großteil des Volkes zugrunde gehen und wollte sich nicht eher zufrieden geben, bis Ko¨nig David ihn bat, die Geißel gegen ihn selbst zu wenden, fu¨r das, was er gesu¨ndigt hatte; und er wurde zugleich geehrt und o¨ffentlich angebetet auf dem Altar, den er [Ko¨nig David] errichtet hatte auf Rat des Großen Propheten; es forderte der Doge damals mit seinem Beispiel jeden einzelnen auf, Buße fu¨r seine Su¨nden zu tun, und mit reinem Herzen sich dahinzuwenden, Vergebung von Gott, dem Herrn, zu erflehen, den er voller Demut bat, diesem Volk zu vergeben [...] und mit diesem Beispiel vom besagten Ko¨nig David (die Worte jenes hielt Euer Ehrwu¨rden sich fu¨r unwu¨rdig, sie aussprechen zu mu¨ssen), dass er auf sich diese Geißel wende, zur Befreiung von seinem gerechten Zorn, versprach er [der Doge], durch o¨ffentliches Gebot eine Kirche ¨ SER.“ zu errichten, und er nannte sie die Kirche vom ERLO 198 Zu Datierung und Bedeutung des Festtages vgl. Karl-Heinrich Bieritz, Das Kirchenjahr. Feste, Gedenk- und Feiertage in Geschichte und Gegenwart, Mu¨nchen 62001, S. 68. 199 Vgl. Timofiewitsch, La Chiesa del Redentore, S. 68. 200 Ebd., S. 69.
3.3. Konfessionelle Vergemeinschaftung – sta¨dtische Autonomie
181
¨ nderung des rituellen Dieser christologische Bezug fu¨hrte allerdings zu keiner A Ablaufs. Er folgte vielmehr dem Muster anderer venezianischer kirchlicher Feste. Auf einem Gema¨lde, das der Maler Joseph Heintz der Ju¨ngere von der Redentorepro¨ berquerung einer Pontonzession angefertigt hat, sind die Bruderschaften bei der U bru¨cke u¨ber den Canale della Giudecca zu sehen.201 Die Bru¨cke stellte unter anderem
Abb. 9: Prozession von der Kirche San Marco zur Kirche Il Redentore ¨ lgema¨lde von Joseph Heintz d. J., 1630er Jahre O Quelle: Museo Correr – Fondazione Musei Civici di Venezia
sicher, dass alle Bruderschaften an der Prozession teilnehmen konnten. Dies wa¨re bei ¨ berquerung mit Booten nur schwer mo¨glich gewesen.202 Die Prozession war einer U zweigeteilt, ein Modell, das auch fu¨r die Prozession zur Kirche Madonna della Salute galt und dem u¨blichen Vorgehen bei dogalen Festprozessionen folgte.203 Zuna¨chst versammelten sich alle Festteilnehmer auf dem Markusplatz. Anschließend feierten sie eine Messe in San Marco.204 Dann trennten sie sich in zwei Gruppen. Als erste zogen Doge, Signoria und auswa¨rtige Wu¨rdentra¨ger in die Kirche Il Redentore, um dort einer Messfeier beizuwohnen. Danach kehrten sie nach San Marco zuru¨ck und 201 Vgl. Abbildung 9. 202 Timofiewitsch, La Chiesa del Redentore, S. 68: Essendo stato fatto un ponte sopra galee, barchi, et
piate, quale passava dalle colonne di San Marco fino a San Zuanne della Zudecha, et essendo prima sta datto ordine, che le scole grandi, congregationi di frati, et preti venissero tutti alla processione. „Und es wurde eine Bru¨cke u¨ber Galeeren, Barken und Booten gebaut, die von den Sa¨ulen von San Marco bis San Giovanni auf der Giudecca reichte, und zuerst wurde befohlen, dass die Scuole grandi und die Kongregationen der Ordensgeistlichen und Priester alle zur Prozession ka¨men.“ 203 Vgl. Hopkins, Santa Maria della Salute, S. 146–147. 204 Vgl. Sansovino, Venetia, 1663, S. 513.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
feierten dort das Hochamt. Getrennt von diesen brachen die Bruderschaften, die dem Patriarchen unterstehenden Geistlichen und die Geistlichen von San Marco auf, wandelten u¨ber die Bru¨cke und durch das Innere der Kirche Il Redentore, um dann zur Kirche von San Marco zuru¨ckzukehren und dort am Dogen, der Signoria und den auswa¨rtigen Wu¨rdentra¨gern vorbeizuziehen.205 Die seit 1576 ja¨hrlich stattfindende Pestprozession hatte also nicht zu einem grundlegenden Wandel der Zentrierung der religio¨sen Topographie Venedigs auf San Marco gefu¨hrt. Die religio¨se Topographie war zwar um eine architektonisch besonders spektakula¨re Facette bereichert, aber nicht um ein zusa¨tzliches Zentrum erweitert worden. Die mit der Kirche Il Redentore verbundene christologische Symbolik u¨berlagerte nicht die Repra¨sentation der sta¨dtischen Hierarchie in den visuellen und textuellen Beschreibungen der Prozession selbst. Wie wichtig die Teilnahme der einzelnen Gruppen an der Prozession war, zeigt, dass im Entwurf fu¨r die Kirche Santa Maria della Salute ungefa¨hr fu¨nfzig Jahre spa¨ter diese direkt beru¨cksichtigt wurde. Ein Rundbau mit drei Portalen sollte nun einer gro¨ßeren Menge von Prozessionsteilnehmern als im Kirchenbau von Il Redentore Platz bieten. Bei der Planung des Kircheninneren von Il Redentore stand die angemessene Platzierung der Regierungsmit¨ berlegungen. Longhenas Entwurf beru¨cksichtigte hinglieder im Vordergrund der U gegen die zeremoniellen Repra¨sentationsbedu¨rfnisse der Bruderschaften sta¨rker.206 Die zeremonielle Ordnung der ja¨hrlichen Prozession zur Kirche Santa Maria della Salute, folgte dem bereits fu¨r die Redentore-Prozession beschriebenen Muster. Das Hochamt wurde vor der eigentlichen Prozession in San Marco abgehalten, wa¨hrend in der Kirche Santa Maria della Salute nur eine Messe gefeiert wurde. Die Unterteilung zwischen dogaler Prozession sowie den Prozessionen der Bruderschaften und geistlichen Korporationen wurde ebenfalls beibehalten.207 In der Gestaltung ¨ ffnung der Raumgestaltung der Prozession fa¨llt aber die bereits angesprochene O auf, die nun eine sehr viel gro¨ßere Menge an Messbesuchern beru¨cksichtigte. Dies sticht auch bei einem Vergleich zweier bildlicher Darstellungen der Prozessionen hervor. Ein Kupferstich zeigt die erste Prozession zu einem fertigen Kirchenbau, obwohl dieser damals nur als Provisorium existierte.208 Die einzigen Personen, die gut zu identifizieren sind, sind der Doge und die Signoria. Im Gegensatz zu dem Bild, das Joseph Heintz der Ju¨ngere von der Redentore-Prozession entwarf, sind die Bruderschaften durch keine besonderen Merkmale gekennzeichnet. Vielmehr sind die Prozessionsteilnehmer undifferenziert dargestellt. Eine große Menschenmenge ergießt sich auf drei Wegen in das Kircheninnere, das von einer sehr großen Marienstatue beherrscht wird.209 Einen vergleichbaren Eindruck evoziert eine im Jahre 1631 als Druck erschienene Prozessionsbeschreibung.210 Bemerkenswerterweise konzentrierte sich der Autor dieses Drucks auf das Geschehen, das sich um San Marco 205 Vgl. Hopkins, Santa Maria della Salute, S. 147. 206 Vgl Hopkins, The Influence of Ducal Ceremony on Church Design, S. 46. 207 Vgl. Sansovino, Venetia, 1663, S. 525. 208 Siehe Abbildung 10; vgl. außerdem Andrew Hopkins, Plans and Planning for S. Maria della Salute, in:
Art Bulletin September 1997, S. 440–465.
209 Siehe Abbildung 10. 210 Marco Ginammi, La Liberatione di Venetia, Venedig 1631.
3.3. Konfessionelle Vergemeinschaftung – sta¨dtische Autonomie
183
Abb. 10: Erster Besuch des Dogen und Besichtigung der Kirche Santa Maria della Salute Kupferstich von Marco Boschini, zweite Ha¨lfte 17. Jahrhundert Quelle: Museo Correr – Fondazione Musei Civici di Venezia
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
abspielte. Bei der Beschreibung des um die Kirche Santa Maria della Salute sich ereignenden Geschehens erwa¨hnte er lediglich die Bru¨cke, die zu diesem Zweck errichtet wurde, sowie die von Claudio Monteverdi zu diesem Anlass komponierten Motetten.211 Die Beschreibung der Prozession zur Santa Maria della Salute nahm der Autor weder zum Anlass, Gott oder Maria anzurufen, noch auf den christlichen Charakter der venezianischen politischen Obrigkeit hinzuweisen. Vielmehr pries er die in Venedig zur Schau gestellten ku¨nstlerischen Meisterwerke. Venedigs Markusplatz sei anla¨sslich dieses Feiertages gleichsam zu einem Welttheater geworden, einem Teatro per rappresentarvisi sopra le meraviglie del Mondo.212 Diese eher weltliche denn religio¨se Interpretation der Festgemeinschaft entsprach nicht den Fro¨mmigkeitsformen, die laut den Beschreibungen der Zeremonialkodifikation im Rahmen der Feste um Gelu¨bde und Bau der Kirche Santa Maria della Salute ausgedru¨ckt werden sollten. Anhand der Form der Prozession zur Kirche Santa Maria della Salute la¨sst sich insgesamt eine sta¨rkere Verbindung von Stadtgemeinschaft und Pestfro¨mmigkeit als in der fu¨nfzig Jahre zuvor eingesetzten Prozession zur Kirche Il Redentore beobachten. Das Gelu¨bde des Senats zur Errichtung der Kirche Santa Maria della Salute war nur der Ho¨hepunkt einer ganzen Reihe von kirchlichen Zeremonien, die wa¨hrend der Pest 1630–1631 stattfanden. Hier la¨sst sich eine auffa¨llige Steigerung gegenu¨ber den Feiern wa¨hrend der Epidemie des Jahres 1576 beobachten, die auf die nun sta¨rkere Durchdringung Venedigs mit spezifisch katholischen Fro¨mmigkeitsformen hinweist. Die große Bedeutung, die die Bevo¨lkerung den Heiligen und ihren Reliquien als Schutz- und Heilmittel im Zusammenhang mit der Epidemie zumaß, kommt gut in dem Tagebuch des venezianischen Glasbla¨sers Francesco Luna zum Ausdruck.213 Er erwa¨hnte das Gelu¨bde zur Errichtung der Kirche Santa Maria della Salute nicht, schilderte aber die Verehrung des Seligen Lorenzo Giustiniani, des ersten Patriarchen von Venedig und von San Rocco, zu dessen Ehren auch die Bruderschaft San Zuane Battista aus Murano eine Prozession veranstaltete. In seiner Beschreibung dieser Prozession, fu¨r die die Bru¨der mit dem Boot von Murano nach Venedig u¨bersetzten, kommt, neben der Verehrung des Heiligen, auch der Stolz auf die zahlreiche Teilnahme der Muraneser Bru¨der an der Prozession sowie auch seiner eigenen Familie zum Ausdruck.214 211 Vgl. Ginammi, La Liberatione di Venetia, S. 181–182. 212 Ebd., S. 180: „Bu¨hne, um darauf die Wunder der Welt zu zeigen.“ 213 Vgl. zur Quelle und zur Person Francesco Lunas: Luigi Zecchin, Vetro e Vetrai di Murano. Studi sulla
storia del vetro, Bd. 1, Venedig 1987, S. 181–185.
214 BM, Cod. It. VII, 3760 = 8995, Francesco Luna, Diario di Murano, 1625–1631, fol. 211: Ando` la scuola
de S. Zuanne Battista da Muran, a` visitar il corpo di S. Rocco, vi fu` 250 fratelli con le cape, che fu un bellissimo veder, era Guardian Grande M. Zuane dalla fede, Guardianello m Zuane della madona, il Capellan disse Messe all’altar di S. Roco in questa procession vene tutti i preti di Murani, et li frati di S. Pietro martire, era aperto il loco ove, e` il Glorioso S. Roco, anditi a` veder questa procesion con mio fiol Zanantonio, et audissimo messa a` S. Roco, venissimo poi a disnar a` Murano. – „Es ging die Scuola von San Giovanni Baptista aus Murano den Leichnam des Heiligen Rochus zu besuchen, dabei waren 250 Bru¨der mit den Umha¨ngen, was sehr scho¨n anzusehen war, es war dabei der Guardian Grande von der [Scuola] Giovanni dalla fede und der kleinere Guardian von der [Scuola] Giovanni della Madonna, der Kaplan hielt die Messe beim Altar von San Rocco. In dieser Prozession zogen alle Priester von Murano mit, und die Geistlichen von San Pietro Martire, es war der Ort geo¨ffnet, wo der Ruhmreiche
3.3. Konfessionelle Vergemeinschaftung – sta¨dtische Autonomie
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Sowohl die Verehrung von San Rocco als auch des Seeligen Lorenzo Giustiniani waren religio¨se und kirchliche Entwicklungen, die nicht auf die Initiative des venezianischen Senats zuru¨ckgingen: Vielmehr hatte der Patriarch von Venedig sie durch die Zurschaustellung der Gebeine Lorenzo Giustinianis in der Kathedrale San Pietro di Castello gefo¨rdert.215 Der venezianische Senat beschloss seinerseits nun eine ja¨hrliche Prozession zu Ehren des seligen Patriarchen und integrierte auf diese Weise seine Verehrung in das venezianische Ritualwesen.216 Der Patrizier Alvise Borghese vermerkte in seiner Chronik, dass die o¨ffentliche dogale Prozession in die Kathedrale des Bischofs umso bemerkenswerter war, da die anderen Festzu¨ge aus Furcht vor der Ansteckungsgefahr abgesagt wurden.217 Im Gegensatz zu den kirchlichen Zeremonien und Prozessionen, mit denen der Senat auf diese konkurrierenden Formen der in Venedig verbreiteten oder sich verbreitenden Pestfro¨mmigkeit reagierte, stand das Gelu¨bde zur Errichtung der Kirche Santa Maria della Salute ganz unter der Oberhoheit der politischen Obrigkeiten, die sich auch in der Wahl des Grundstu¨ckes gegen Proteste des Patriarchen durchsetzte. Der theologische und juristische Ratgeber Venedigs in dieser Zeit Fulgenzio Micanzio betonte in seinem Gutachten die Notwendigkeit, dass Kirche und Prozession unter staatlicher Jurisdiktion stu¨nden und eine ra¨umliche und liturgische Erweiterung von San Marco darstellten.218 Diesen Hinweis beachtete der Senat in der Gestaltung der Feierlichkeiten: In noch viel sta¨rkerer Weise als zum Beispiel bei den dogalen Prozessionen zu San Rocco und zu Ehren des Seligen Lorenzo Giustiniani verband die liturgische Form des Zeremoniells der Prozession zur Kirche Santa Maria della Salute die beiden Kirchenra¨ume der geplanten, provisorischen Kirche mit dem der Kirche von San Marco: Als im Herbst des Jahres 1630 die Epidemie ihren Ho¨hepunkt erreichte, ordnete der Senat am 22. Oktober an, dass fu¨r die folgenden fu¨nfzehn Samstage das Bildnis der Madonna Nikopeia um den Markusplatz getragen werden sollte.219 Das Gelu¨bde zur Errichtung der Kirche Santa Maria della Salute wurde nach einer Prozession mit dem Bildnis um den Markusplatz verku¨ndet.220 Zur gleichen Zeit wurde die Kathedrale des Patriarchen geo¨ffnet und das Heilige Sakrament auf dem dortigen Altar ausgestellt.221 Das Tragen des Bildnisses der Maria Nikopeia von der Kirche von San Marco zum provisorischen Kirchenbau von Santa Maria della Salute verband zusa¨tzlich zur San Rocco ist, ich ging, diese Prozession zu sehen, mit meinem Sohn Giovanni Antonio, und wir ho¨rten die Messe in der Kirche von San Rocco, danach gingen wir nach Murano, um zu Mittag zu speisen.“ Die beiden Guardian leiteten jeweils verschiedene Gruppen (Banche) in der Scuola, die jeweils wieder nach eigenen Namen (meist Heiligen) unterteilt waren. 215 Vgl. Anm. 189. 216 Vgl. BMC, Cod. Gradenigo 185, s. v. Voti Publici, e Privati, Eintrag zum Jahr 1630, s. p. Il Senato fece voto di visitare ogn’anno il corpo del B. Lorenzo Giustiniano per la liberazione dalla Peste. „Der Senat gelobte, jedes Jahr aus Anlass der Befreiung von der Pest den Leichnam des Seligen Lorenzo Giustiniano zu besuchen.“ 217 Vgl. BMC, Cod. Cic. 2043, Alvise Borghese, [unbetitelte Stadtchronik], S. 132. 218 Vgl. Gemin, La Chiesa di S. Maria della Salute, S. 39. 219 Moore, „Venezia favorita“, S. 318. 220 Ebd., S. 319. 221 Vgl. Giovanni Musolino, Culto mariano, in: Culto dei Santi a Venezia, hg. v. Dems./Antonio Niero/ Silvio Tramontin, Venedig 1965, S. 239– 274, hier: S. 261.
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liturgischen Verbindung beide Ra¨ume symbolisch miteinander. Der Ablauf zu dieser Bildtranslation war genau geregelt. Am Tag der Prozession wurde das Bildnis der Madonna Nikopeia auf den Hochaltar gestellt und mit Marienlitaneien angebetet.222 Anschließend wurde es in die Kirche Santa Maria della Salute und wieder zuru¨ck getragen.223 Die Texte der in der Kirche Santa Maria della Salute gesungenen Motetten setzten Maria mit Venedig gleich.224 Die Oselle des 1631 gewa¨hlten Dogen Francisco Erizzo nehmen Bezug auf das Ereignis, indem sie ihn nun statt vor Christus oder San Marco vor der Heiligen Jungfrau zeigen.225 Wenn die Entscheidung fu¨r den Marienkult des Jahres 1630 tatsa¨chlich als eine Abkehr vom Vorherrschenden Christusbezug und die Auferstehung der Jahre um 1600 gesehen werden kann, so la¨sst sie sich jedenfalls als eine Ru¨ckkehr zu traditionelleren christlichen Symbolen beschreiben, die mit den damals modernsten medialen Mitteln in Szene gesetzt wurde. Die Mariensymbolik bot zudem auch eine sehr viel sta¨rkere Projektionsmo¨glichkeit der Gleichsetzung von Maria und Venedig als die in der Redentore-Kirche symbolisierte von Auferstehungsgeschehen und Venedigs Errettung. Darauf weist die Blu¨te an musikalischliturgischen Texten zum Beispiel auch mit Texten aus dem Hohelied Salomo hin: Die Stadt wird hier mit einer spezifisch weiblichen Symbolik dargestellt, Jungfrau und Stadt werden eins.226 Die nach außen, im zeremoniellen Ablauf sowohl bei der Redentore- als auch der Salute-Zeremonie repra¨sentierte Einigkeit zwischen Dogen und Patriarchen, zwischen politischer und geistlicher Gewalt, zeigte sich bei dem Protokoll um die Kirche Santa Maria della Salute allerdings bru¨chiger als fu¨nfzig Jahre fru¨her. Im Zeremonialbuch von San Marco aus dem Jahre 1678 notierte Zeremonienmeister Giovanni Battista Pace einen Konflikt zwischen den durch den Patriarchen vertretenen Geistlichen und denen von San Marco um die Frage, wer sich von ihnen an der Grundsteinlegung der Kirche beteiligen sollte.227 Die politische Seite setzte sich durch: Der Stellvertreter des erkrankten Dogen Nicolo` Contarini durfte als erster mit der Maurerkelle zu Werke gehen, danach der Patriarch.228 Der Senat beschloss zudem, dass genau die Ha¨lfte der Geistlichkeit von San Pietro di Castello und von San Marco teilnehmen sollte.229 Den Geistlichen der Bischofskirche San Pietro di Castello und der von San Marco wurde also Gleichrangigkeit bei der Teilnahme an der Zeremonie garantiert. Die dem Patriarchen unterstehende Geistlichkeit nahm dennoch nicht an der Feier teil und machte so ihre Kritik deutlich, u¨berließ damit aber auch der Geistlichkeit von San Marco die aktive Rolle.230 In der Quelle ist u¨ber die Motivation der dem Patriarchen unterstehenden Geistlichkeit nichts vermerkt. Denkbar ist, dass sie 222 Vgl. BMC, Cod. Cic. 2711, Verschiedene Materialien zum Zeremoniell in San Marco, Beschreibung
der Feierlichkeiten 1631, Mitte 17. Jahrhundert, fol. 131–132.
223 Vgl. Beschreibung der Feierlichkeiten 1631, fol. 133. 224 Vgl. insgesamt Moore, „Venezia favorita“. 225 Vgl. Anm. 195 226 Vgl. Moore, „Venezia favorita“, S. 302–303. 227 Vgl. BM, Cod. It. VII, 396 (7423), Pace, Ceremoniale Magnum, S. 163. 228 Ebd. 229 Ebd. 230 Vgl. BM, Cod. It. VII, 396 (7423), Pace, Ceremoniale Magnum, S. 163.
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den religio¨sen Charakter des Rituals nutzen wollte, um Vorrang vor den weltlichen Magistraten zu beanspruchen. Damit scheiterte sie aber an der Vereinnahmung der geistlichen Spha¨re durch die venezianischen Patrizier, die ihre Teilnahme zwar fu¨r die religio¨se Legitimierung als fo¨rderlich ansahen – das zeigt das Zugesta¨ndnis der Parita¨t des patriarchalen Klerus mit dem von San Marco – , aber auch nicht als so weit notwendig, dass sie auf alle Rangforderungen des Patriarchen eingegangen wa¨ren. Die Prozessionen zu den Kirchen Il Redentore und Santa Maria della Salute stellen Rituale dar, in denen die venezianischen politischen Magistrate die Form katholischer Votivprozessionen nutzten, um den christlichen Charakter ihrer Herrschaft hervorzuheben. Dabei nutzten sie in den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts die Gleichsetzung von Auferstehung und Venedigs Stadtgeschichte, in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts wiederum die Parallelisierung von Mariensymbolik und dem Topos der Stadt als Jungfrau. Dieser Wechsel ist mit einem Wandel katholischer Fro¨mmigkeitskultur in Verbindung zu bringen, der nicht allein in Venedig stattfand. ¨ nderung in der grundsa¨tzlichen Struktur der Verbindung von Er weist nicht auf eine A Stadt und Religion hin, die in beiden Prozessionen zum Ausdruck kommt. Vielmehr bieten beide verschiedene Mo¨glichkeiten: Die Prozession zur Kirche Il Redentore betont eher die Verbindung der Symbolik der Kirche mit der politischen Komponente der venezianischen Herrschaft. Sie gibt den politischen Institutionen einen besonders herausgehobenen Platz im Kircheninneren und durch die Prozessionsanordnung. Zudem verknu¨pft sie durch die Betonung des Christusbezugs ikonologisch Dogenpalast und Kirchenbau. Die Prozession zur Kirche Santa Maria della Salute lenkt den Fokus nicht mehr so sehr auf die politischen Magistrate, sondern auf die kirchliche Komponente der Herrschaft des venezianischen Patriziats. Die Mariensymbolik verbindet die Imagination der Stadt als Jungfrau mit den Ra¨umen von San Marco und der Kirche Santa Maria della Salute. Die Form der Prozession und des Kirchenbaus privilegiert nicht so sehr das venezianische Patriziat wie noch in der Prozession zur Kirche Il Redentore. Die Teilnahme am Ritual soll vielmehr einer großen Menschenmenge ermo¨glicht werden. Auch dieser Wandel ist nicht so sehr mit einem grundsa¨tzlichen Mentalita¨tswandel des Patriziats in Zusammenhang zu bringen, sondern vielmehr mit dem Ansteigen alternativer Fro¨mmigkeitsangebote, mit denen der venezianische Senat in der Einsetzung einer Votivprozession konkurrieren musste. Wie im Falle der Buß- und Bettagsfeierlichkeiten fu¨gten sich beide Prozessionen in die sozialen und politischen Strukturen Venedigs ein, ohne einen allein katholisch gepra¨gten Festraum zu bilden. Ob dies im Falle der Feiern der pa¨pstlichen Giubilei anders war, soll nun Gegenstand des folgenden Abschnitts sein. Wie die Reformationsfeierlichkeiten stellen diese keine regelma¨ßig wiederkehrenden, sondern außergewo¨hnliche Ereignisse dar. Die Formulierung der Bulle zur Einsetzung des Jubeljahres 1617 durch Paul V. war durch eine dezidiert antiprotestantische Haltung gepra¨gt.231 Das Feiern gerade dieses Giubileo, an dem sich auch Venedig beteiligte, kann somit auch als eine dezidiert gesamtkonfessionelle Repra¨sentation aufgefasst werden. Die Feierlichkeiten aus
231 Vgl. Anm. 149.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
Anlass der pa¨pstlichen Giubilei fu¨hrten nicht zu der Einsetzung einer Prozession des Dogen zu einer bestimmten Zielkirche. Sie wurden somit auch nicht zu einem charakteristischen Bestandteil der Wahrnehmung und Darstellung Venedigs als Stadt.232 Der rituelle Ablauf der Giubilei hob im Gegensatz zu den Votivprozessionen die Stellung des Patriarchen hervor: Dem feierlichen Einzug des Corteo ducale in die Kirche von San Marco folgten die vom Patriarchen gesungene Messe und die feierliche Prozession um den Markusplatz in einer Reihenfolge, die symbolisch die Gleichrangigkeit der Gruppen des Klerus der Kirche von San Marco und der Kathedrale von San Pietro di Castello zelebrierte.233 Der Segen des Patriarchen beendete die Prozession.234 Im Unterschied zu den o¨ffentlichen Prozessionen des Dogen zu den Kirchen in den Pfarrbezirken Venedigs an hohen religio¨sen Festtagen verblieb der Corteo ducale anla¨sslich der Verku¨ndigung eines Giubileo in San Marco, wa¨hrend in den anderen venezianischen Kirchen vom Papst angeordnete Feiern stattfanden.235 Wie stark der Papst im Rahmen der Giubilei in den venezianischen Festkalender eingreifen konnte, zeigt sich daran, dass er einzelne Kirchen als Orte fu¨r die Feierlich¨ bereinstimmend keiten bestimmte,236 darunter auch die Kirche von San Marco.237 U berichteten die venezianischen Chroniken von einer Welle der Fro¨mmigkeit, die die Verku¨ndung eines Giubileo in der Stadt ausgelo¨st ha¨tte.238 Damit liegt nahe, dass die 232 Die Giubilei werden weder in Sansovino, Delle Cose notabili erwa¨hnt noch in Sansovino, Venetia, 1581
und 1663.
233 ASV, Coll., cerim., rg. 1., fol. 46: Nella publicatione del Giubileo dell’anno santo il Ser.mo Principe ando`
nella Chiesa di San Marco con la Sig.ria quelli del Pregadi obligati ad accompagnarlo vestita di seda, et il resto del Pregadi, che fu medesimamente invitato, venne con le vesti sue ordinarie. Fu cantata la messa da Mons. R.mo Patriarcha, et fu fatta la processione per la Piazza di S. Marco da tutta la chieresia, et dalle scuole grandi, le quali passate, seguito il capitano di S. Marco, et Castello, et poi il R.mo Patriarca con il Primicerio. – „Aus Anlass der Vero¨ffentlichung des Giubileo des heiligen Jahres ging der Doge in die Kirche von San Marco. Diejenigen vom Senat, die verpflichtet waren, ihn zu begleiten, waren in Seide gekleidet, und der Rest des Senats, der gleichfalls eingeladen war, ging in seinen u¨blichen Gewa¨ndern. Es wurde die Messe vom Ehrwu¨rdigen Patriarchen gesungen, und es wurde die Prozession auf dem Markusplatz von der gesamten Geistlichkeit gehalten und von den Scuole grandi. Nachdem diese vorbeigezogen waren, folgte der Kaplan von San Marco und [dann der] von Castello, und danach der Ehrwu¨rdige Patriarch mit dem Primicerio.“ 234 ASV, Coll., cerim., rg. 1, fol. 46. 235 BMC, Cod. Cic. 2853, Agustini, [Cronaca], Teil 2, fol. 121: A p.mo del mese di Xbrio 1559 fu` publicato un Giubileo Plenario mandato da Papa Pio 4o, per il Concilio, che si doveva celebrare nella Citta` di Trento, con Processioni per tutte le Parrochie tre giorni della Settimana, cio` e` Mercordı`, Venerdı`, e Sabbato. – „Am ersten des Monats Dezember 1559 wurde ein vollsta¨ndiges Giubileo verku¨ndet von Papst Pius IV., aus Anlass des Konzils, das man in der Stadt von Trient abhalten wu¨rde, mit Prozessionen durch alle Gemeinden drei Tage die Woche, das heißt Mittwoch, Freitag und Samstag.“; BMC, Cod. Cic. 3752, Savina, Cronaca, Teil 2, S. 703. 236 Vgl. BMC, Cod. Cic. 3752, Savina, Cronaca, Teil 2, S. 703. 237 Ebd.: L’anno seguente 1550 fu l’anno Santo a` Roma, et fu celebrado in Venetia il Giubileo con grandissima devotione, et fu` statuito dal Papa, che si visitasse quattro chiese per quindeci giorni continui, che fu` la Chiesa di San Marco, la Chiesa di San Girolamo, quella de Ogni Santi, et la Chiesa della Croce della Zudeca. – „Im folgenden Jahr 1550 war heiliges Jahr in Rom, und es wurde in Venedig das Jubila¨um mit sehr großer Fro¨mmigkeit gefeiert, und es wurde vom Papst beschlossen, dass man vier Kirchen fu¨nfzehn Tage lang hintereinander besuchen solle, das war die Kirche von San Marco, die Kirche von San Girolamo, jene von Allerheiligen und die Kirche vom Kreuz auf der Giudecca.“ 238 Vgl. BMC, Cod. Cic. 2853, Agustini, [Cronaca], Teil 2, fol. 121; BMC, Cod. Cic. 3752, Savina, Cronaca, Teil 2, S. 703; BMC, Cod. Cic. 2119, Sivos, Cronaca, Bd. 4, fol. 66.
3.3. Konfessionelle Vergemeinschaftung – sta¨dtische Autonomie
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nachtridentinischen Bemu¨hungen um eine Erneuerung der Fro¨mmigkeit jedenfalls bei einigen Teilen der venezianischen Bevo¨lkerung auf große Zustimmung stießen. In einem als Druck anla¨sslich des 1599 verku¨ndeten Giubileo239 erschienen Brief ermahnte der Patriarch Lorenzo Priuli das popolo Veneto, die Mo¨glichkeit der Erringung go¨ttlicher Gnade und Vergebung der Su¨nden zu erringen, ernst zu nehmen. Das „venezianische Volk“ habe sich dieser Gnade bis jetzt als unwu¨rdig erwiesen, womit es sein eigenes Seelenheil gefa¨hrde.240 Mo¨glicherweise richtete sich der Patriarch hier gar nicht an das „venezianische Volk“, das ja die neuen Kulte wenigstens teilweise mit viel Zustimmung aufnahm, als an bestimmte Gruppen der venezianischen politischen Elite, die diese Kulte als Gefa¨hrdung ihrer Autonomie auch in Bezug auf die Kirchen ansahen und mit der Einsetzung der Redentoreprozessionen reagierten. Die Giubilei hinterließen jedenfalls in Venedig keine Spuren in der bildlichen Repra¨sentation oder historiographischen Erinnerung der Stadt. Waren die politischen Obrigkeiten anla¨sslich offener Konflikte wie etwa um die kirchlichen Feste wa¨hrend des venezianischen Interdikts im Jahre 1606 oder um die Begra¨bnisse Anderskonfessioneller in den Hansesta¨dten darum bemu¨ht, ihre Autorita¨t gegen kirchliche Machtanspru¨che auch in der Stadto¨ffentlichkeit demonstrativ durchzusetzen, strebten sie in Zeiten der Gefahr an, sich wenigstens oberfla¨chlich in harmonischer Eintracht mit den geistlichen Gewalten zu zeigen. Trotzdem fu¨hrten auch diese inneren Krisensituationen nicht dazu, dass die Repra¨sentation der sta¨dtischen Sakralgemeinschaft sich einer konfessionellen Pra¨gung unterwarf, die prima¨r von der Geistlichkeit bestimmt worden wa¨re. Vielmehr nutzen die politischen Magistrate der jeweiligen Sta¨dte die Gelegenheit, die sich durch die Neuerungen im kirchlichen Festkalender und durch die religio¨se Symbolik barocker Pestfro¨mmigkeit bot, ihre Herrschaft zu festigen. Partikulare Gruppenzugeho¨rigkeiten wurden in den disziplinierenden Mahnungen der Stadtra¨te und des venezianischen Senats aufgehoben, die Stadtbevo¨lkerung vereinheitlicht. Nachdem in diesem Abschnitt die Nutzung und Einbeziehung konfessioneller Elemente in die sta¨dtische Gesamtrepra¨sentation durch die politischen Magistrate analysiert worden ist, soll nun die Frage im Mittelpunkt stehen, welche Beziehungen sich in der Repra¨sentation von Stadt und Religion beziehungsweise Stadt und Kirche in den Quellen finden lassen, die anla¨sslich der rituellen Repra¨sentation der Geistlichkeit in Venedig und den Hansesta¨dten um 1600 entstanden sind: Bei welchen 239 Vgl. zu dieser Verku¨ndigung Francesco Gligora und Biagia Catanzaro, Anni Santi. I Giubilei dal
1300 al 2000, Citta` del Vaticano 1996, S. 119–123.
240 Lorenzo Priuli, Lettera Pastorale della Conversione a` Dio. & perseveranza in quella. Al dilett.mo
Popolo Veneto, Venedig 1591 [sic!, eigentlich 1599], s. p.: Onde se la misericordia, che il Signore v’ha dimostrato nel perdornarvi li peccati, & darvi tante gratie, & favori, quanti il suo Vicario universale in terra ne ha conceduto per il presente Giubileo, sara` da voi abusata: dubbio grandemente della vostra salute: & rendendeovi ingrate & indegne della pieta` sua, senza sperar altro aiuto, potrete aspettar sicuramente la debita punitione de’vostri peccati. „Falls das Mitleid, das Euch der Herr durch seine Vergebung Eurer Su¨nden und durch das Gewa¨hren so vieler Gnaden und Gunstbezeugungen, wie der ho¨chste Hirte auf Erden sie gewa¨hrt hat, aus Anlass des gegenwa¨rtigen Jubila¨ums gewa¨hrt hat, von Euch missbraucht werden wird: [dann] zweifele ich sehr an Eurem Heil: & indem Ihr Euch als undankbar & unwu¨rdige seiner Fro¨mmigkeit erweist, ko¨nnt ihr sicher die angemessene Bestrafung Eurer Su¨nden erwarten, ohne Hoffnung auf andere Hilfe.“
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
Anla¨ssen wurde die Geistlichkeit als eine von der Stadt getrennte Gruppe betrachtet beziehungsweise bei welchen Anla¨ssen stellte sie sich selbst so dar ? Lassen sich hier ¨ nderungen und auch Schwerpunktsverfu¨r den Untersuchungszeitraum zeitliche A lagerungen in dem Zusammenhang zwischen sta¨dtischer und geistlicher Repra¨sentation feststellen?
3.4. Zwischen Kirche und Stadt: Die Repra¨sentation der Geistlichkeit
Die in den reformatorischen Kirchenordnungen und in den Trienter Konzilsbeschlu¨ssen vorgesehenen Vereinheitlichungen der Liturgie im Kirchenraum betrafen auch das Erscheinungsbild der Geistlichkeit.241 War dies auch noch im 16. Jahrhundert durch unterschiedliche lokale und klerikale Traditionen gepra¨gt, wurde seine Vereinheitlichung zu einem gut sichtbaren Zeichen fu¨r die Umsetzung kirchlicher Reformen. In Venedig war die uneinheitlichen Regeln folgende Tracht von Geistlichen Gegenstand von Kritik.242 Beim Tode des Patriarchen Lorenzo Priuli im Jahre 1599 wurde positiv hervorgehoben, dass er diese entsprechend dem ro¨mischen Ritus reformiert ha¨tte.243 Das individuelle wie auch kollektive Erscheinungsbild der Geistlichen zeigte also an, wieweit sie bereit waren, die tridentinischen Reformen umzusetzen. Gleichzeitig zu der Aufwertung des Habitus stiegen Rangstreitigkeiten zwischen geistlichen und politischen Wu¨rdentra¨gern an. In Venedig wurden diese allerdings dadurch begrenzt, dass die Gelegenheiten eines zeremoniellen Aufeinandertreffens im Rahmen der sta¨dtischen Rituale eher selten waren. Der Patriarch und die ihm unterstehende Geistlichkeit agierten an hohen Feiertagen getrennt vom Dogen.244 An ihrer Stelle u¨bernahm der Klerus der Kirche von San Marco wichtige liturgische Funktionen sowohl in der Kirche von San Marco als auch in der Kirche, in die die Prozession fu¨hrte. So hielten zum Beispiel am Ostermontag die Geistlichen gleichzeitig in der Kirche von San Marco und in der weiter o¨stlich gelegenen Kirche des Klosters San Zaccaria die Vesper.245 Auch der Tag von San Stefano, der zweite Weihnachtsfeiertag, wurde durch einen gleichzeitig abgehaltenen Messgottesdienst in den Kirchen von San Marco und von San Giorgio e Stefano begangen.246 Der Patriarch 241 Trotz der vielfa¨ltigen Forschungen zum Kircheninneren als Handlungsraum sind weder das Ornat
noch die Portra¨tierung von Geistlichen bis jetzt genu¨gend von der Forschung beachtet worden, vgl. Philipp Zitzlsperger, Gianlorenzo Bernini. Die Papst- und Herrscherportra¨ts. Zum Verha¨ltnis von Bildnis und Macht, Mu¨nchen 2002, S. 19–25. 242 BMC, Cod. Gradenigo 185, Eintrag zum Jahr 1588: Li Preti portavano la Beretta tonda con la Veste a Maniche larghe che parevon piu Gentilhuomini di Governo, che Sacerdotti di Chiesa. „Die Priester ¨ rmeln, so dass sie mehr wie Nobili von der trugen ihre Kopfbedeckung mit dem Gewand mit langen A Regierung erschienen, als Priester der Kirche.“ 243 Vgl. BMC, Cod. Cic. 2120, Sivos, Cronaca, Bd. 3, fol. 15. 244 Vgl. Muir, Civic Ritual, S. 190–191. 245 Vgl. BM, Cod. lat. III, 172, Bonifacio, Rituum Cerimoniale, fol. 12. 246 Vgl. BM, Cod. It. VII, 1639 (7540), Gnecchi, Ceremoniale, fol. 29–31.
3.4. Zwischen Kirche und Stadt: Die Repra¨sentation der Geistlichkeit
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feierte wa¨hrend dieser hohen christlichen Feiertage separat einen Messgottesdienst in der Kathedrale .247 Das kontrollierte Zusammentreffen zwischen dem Dogen und dem Patriarchen im Rahmen der venezianischen Rituale wurde durch die Lage des Patriarchensitzes und der Kathedrale am Stadtrand erleichtert. So bildeten sich zum Beispiel beim Ritual des Sposalizio del mare zwei Prozessionszu¨ge auf dem Wasser: einer ausgehend vom Markusplatz und einer ausgehend von dem Platz vor der Kathedrale. Selbst wa¨hrend eines so wichtigen Rituals wie dem Sposalizio kam es nicht einmal auf dem Wasser zu einer Symbiose der dogalen und patriarchalen Prozession. Der pa¨pstliche Nuntius und die Geistlichkeit von San Marco vollzogen die liturgischen Handlungen ohne die Beteiligung des Patriarchen.248 Die beiden Gruppen trafen erst auf dem Lido aufeinander. Dort speisten sie auch zusammen – ein Ereignis, das nie im Rahmen anderer Feierlichkeiten in Venedigs Stadtzentrum stattfand.249 Vorwa¨nde entschuldigten ha¨ufig das Nichterscheinen einer der beiden Seiten bei Feierlichkeiten innerhalb der Stadt und ermo¨glichten es Patriarch und Dogen, einen offenen Konflikt zu vermeiden. So nahmen zum Beispiel im Jahre 1605 der Doge und die Giudici del Piovego250 nicht an den Begra¨bnisfeierlichkeiten zu Ehren des Patriarchen Matteo Zane teil. Dafu¨r erwiesen ihm aber die Senatoren die letzte Ehre.251 Trotzdem sie also ein direktes Aufeinandertreffen oftmals vermeiden konnten, verscha¨rften sich Rangkonflikte zwischen Doge und Patriarch in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts. Beide Akteure verwendeten sie als ein Mittel dafu¨r, das Machtverha¨ltnis zwischen politischen und geistlichen Institutionen in der Stadt zu thematisieren. Charakteristisch hierfu¨r ist ein Zwischenfall aus dem Jahre 1599. Beim Zusammentreffen des Zuges des Dogen und des Zuges des Patriarchen weigerte sich einer der Geistlichen von San Pietro di Castello, dem Dogen den zeremoniellen Vorrang zuzugestehen. Trotz der Proteste der anwesenden politischen Wu¨rdentra¨ger begru¨ßte er den Bischof von Torcello, bevor er den Dogen zur Kenntnis nahm.252 Es muss ihm bewusst gewesen sein, dass er hierfu¨r schwere Strafen in Kauf nahm: 247 Ebd. 248 Vgl. BM, Cod. It. VII, 396 (7423), Pace, Ceremoniale Magnum, S. 62. 249 Vgl. die U ¨ bersicht bei Giuseppe Nicoletti, Dei banchetti pubblici al tempo della Repubblica di Vene-
zia, in: ArchVeneto n. s. 32 (1887), S. 165–169.
250 Sie (ein Gremium aus drei Patriziern) u¨berwachten die o¨ffentlichen Bauta¨tigkeiten, aber auch die
Lagune. Außerdem waren sie dafu¨r zusta¨ndig zu kontrollieren, ob Vertra¨ge zwischen Privatpersonen rechtma¨ßig waren. 251 BMC, Cod. Cic. 2120, Sivos, Cronaca, Bd. 3, fol. 99: Alli 24 Luglio 1605 passo` a` miglior vita il Rmo. Don Matteo Zane Patriarca di Venetia con universale dispiacere di tutta la Citta` per la sua singolarissima bonta`. Fu nella Chiesa Cathedrale di Castello fatto uno Baldachino et attorno il Campo di quello fatta la solita solenne processione con tutti li Reverendi Preti, et Fratri, et scole grandi di questa Citta`, et del Senato accompagnato alla sepoltura, non havendo potuto intervenire il Dose, non vi andarono li Pioviglieri. – „Am 24. Juli 1605 entschlief der Ehrwu¨rdige Herr Matteo Zane, Patriarch von Venedig, was die gesamte Stadt aufgrund seiner wirklich einmaligen Gu¨te zutiefst bedauerte. In der Kathedrale von Castello wurde ein Baldachin errichtet, und um den Platz vor der Kathedrale wurde die u¨bliche Prozession abgehalten mit allen Ehrwu¨rdigen Priestern und Ordensgeistlichen und Scuole grandi dieser Stadt, und vom Senat wurde er zum Begra¨bnis geleitet, da der Doge nicht dabei sein konnte, und es gingen dort auch nicht die Giudici del Piovego hin.“ 252 BMC, Cod. Cic. 2120, Sivos, Cronaca, Bd. 3, fol. 14.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
Anschließend wurde er lebensla¨nglich vom venezianischen Territorium verbannt. Dennoch muss er von dem Vortrittsrecht der Geistlichkeit so weit u¨berzeugt gewe¨ berzeugung auch sen sein, dass er gravierende Nachteile dafu¨r in Kauf nahm, diese U im Ritual zu demonstrieren. Denkbar ist auch, dass sein Handeln in Absprache mit denjenigen erfolgt war, die in der geistlichen Hierarchie u¨ber ihm standen. Wenn auch die venezianischen Magistrate auf dem Vorrang der politischen vor den kirchlichen Wu¨rdentra¨gern bestanden, so schu¨tzten sie doch die Stellung des Patriarchen gegenu¨ber Pra¨zedenzanspru¨chen pa¨pstlicher Gesandter. Bei Rangkonflikten zwischen Patriarch und Nuntius nahm die Republik den Patriarchen als ihren Vertreter in Schutz. Sie pochte auf seinem zeremoniell geregelten Vortritt, da er Venedigs politische Anspru¨che gegenu¨ber dem Papsttum repra¨sentierte.253 Die Kurie bestimmte die Beziehungen zwischen dem Patriarchen und den seiner Gerichtsbarkeit unterstehenden Institutionen und dem venezianischen Senat. Somit gefa¨hrdete sie tendenziell die Oberhoheit der politischen Institutionen u¨ber die venezianische Kirchenstruktur, indem sie etwa die zuvor nur pro forma gegebene Besta¨tigung des vom Senat eingesetzten Patriarchen von einem Gespra¨ch in Rom abha¨ngig machte oder Visitationen in venezianischen Kirchen durchfu¨hren ließ. In diesem Zusammenhang kritisierte sie mehr oder weniger direkt die Kirchenpolitik der venezianischen Patrizier.254 Pra¨zedenzstreitigkeiten zwischen Nuntius und Patriarch spiegelten damit auch Grundsatzstreitigkeiten nicht nur u¨ber politische Ranganspru¨che zwischen beiden italienischen Ma¨chten, sondern auch Auseinandersetzungen um die Venedig zustehende Autonomie in kirchlichen Fragen. Charakteristisch dafu¨r ist, dass sich der Nuntius wa¨hrend der Krise um die zwischen Venedig und dem Kirchenstaat umstrittene Zugeho¨rigkeit des Bistums Ceneda255 entschied, am 15. November 1567 dem Begra¨bnis des Dogen Girolamo Priuli fernzubleiben per non lasciare la precedenza al patriarca.256 Auch in den Hansesta¨dten verscha¨rften sich im Verlauf des 17. Jahrhunderts die Rangstreitigkeiten zwischen politischen und geistlichen Wu¨rdentra¨gern. In Hamburg argumentierte das Ministerium zum Beispiel bei einem Pra¨zedenzkonflikt mit dem Domkapitel damit, dass sie als Geistliche eine andere Position als die Personen des Domkapitels einnehmen du¨rften. Ihre Anspru¨che begru¨ndeten sie, indem sie auf ihre Ta¨tigkeiten als Geistliche verwiesen, die der gesamten Stadt zugute ka¨men: Drum wo wolte sonst unser gewissen bleiben ? Wardurch solten wir Christi und seines heiligen Ministeriy¨ Ehre vergeben Unde dieselbe den Canonicis u¨berlassen, die keinen stand haben, auch weder lesen, singen, beten, predigen noch Krancke besuchen.257
253 BM, Cod. It. VII, 396 (7423), Pace, Ceremoniale Magnum, S. 154. 254 Vgl. Silvio Tramontin, La visita apostolica del 1581 a Venezia, in: SV 9 (1967), S. 453–533. 255 Zu Ceneda vgl. Gaetano Cozzi, Paolo Paruta, Paolo Sarpi e la questione della sovranita` su Ceneda, in:
Bolletino dell’Istituto di Storia della Societa` e dello Stato Veneziano 4 (1962), S. 176–237. 256 „um nicht dem Patriarchen den Vorrang zu gewa¨hren.“; Nunziature di Venezia, Bd. 8 (marzo 1566-
marzo 1569), hg. v. Aldo Stella, Rom 1963, S. 18, 301.
257 STAH, 511–1, Ministerium, III A 1d, Akten, 1553–1686, S. 32–33.
3.4. Zwischen Kirche und Stadt: Die Repra¨sentation der Geistlichkeit
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Zusa¨tzlich zu dem Vortritt, den sie als Geistliche beanspruchten, machten die Vertreter des Hamburger Ministeriums auch auf ihre wichtige Rolle bei der Durchfu¨hrung sta¨dtischer Rituale und Zeremonien aufmerksam: Nur durch ihre Teilnahme an den o¨ffentlichen Umzu¨gen wa¨re die go¨ttliche Ordnung im Lot und somit auch das Wohl der Stadt gesichert. Sie dru¨ckten dies in ihrer Forderung nach Regelung der Rangfolge zu ihren Gunsten sehr bildhaft aus, indem sie meinten, dass sie fu¨r die Stadt so wichtig seien wie ein Metallpflock, der in einen Pfeiler getrieben wird.258 Der Durchsetzungswillen der Hamburger Geistlichkeit kommt auch darin zum Ausdruck, dass sie im Gegensatz zu ihren Lu¨becker und Bremer Amtskollegen Ranganspru¨che bei den o¨ffentlichen Umzu¨gen so weit geltend machen konnten, dass sie aktenkundig wurden. Anla¨sslich einer Hamburger Hochzeitsfeierlichkeit des Jahres 1632 gelang es den „Pastores“ dank der Fu¨rsprache eines Bu¨rgermeisters, an die Tafel der Ratsherren geladen zu werden. Dies scheiterte jedoch daran, dass die Geistlichen sich untereinander nicht einigen konnten, wer von ihnen wo an der Festtafel sitzen du¨rfe.259 Im Gegensatz zu Hamburg war die zeremonielle Position der Geistlichen in Lu¨beck eindeutig untergeordnet. Dort wurden zum Beispiel Geistliche erst dann als Ga¨ste zu den Ratswahlfeierlichkeiten hinzugebeten, wenn keine anderen Freunde oder Verwandten mehr zu erwarten waren.260 In Bremen wurden sie u¨berhaupt nicht zu den Ratswahlfeierlichkeiten eingeladen.261 Die Pra¨zedenzfolge zwischen Lu¨becker und Bremer Ratsherren und Geistlichen war nicht Gegenstand schriftlicher Regelungen, sondern allein zwischen Magistraten und Domherren.262 Wie ambivalent der Rat die Pra¨zedenzrechte der Geistlichkeit insgesamt beurteilte, kommt in einem Disput zwischen Lu¨becker Rat und Domkapitel in der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts sehr gut zum Ausdruck. So verwies er darauf, dass Domherren keine richtigen Geistlichen seien, womit er indirekt der Geistlichkeit also doch bestimmte Pra¨zedenzrechte zugestand. Gegenu¨ber den sta¨dtischen Pfarrern bestand er wiederum darauf, dass die Ratsherren als politische Obrigkeit Vorrang vor den Geist-
258 Ebd., S. 31: als wenn ein pfeiler auß gantzem Stein wu¨rde mitten entzwei gebrochen, und darzwischen
ein Metall, nicht ohne gefahr eines gebewdes, eingebrochen wu¨rde.
259 STAH, 511–1, Ministerium, Protokolle 1609–1635, Eintrag zum 14. Mai 1632: die pastores solten mit
ander Herren Taffel sich setzen, und die Capelen auff der Cammer, damit die Rathsherren beyeinander bleiben ko¨nten: aber ist u¨bel aufgenommen worden. M. Staphorst hat sich noch mit an der Herren Taffel gesetzet, weil sie aber damit voll worden, haben sich die andern auff die Kammern setzen mu¨ßen, wie gebra¨uchlich. 260 Bruns, Rat, S. 23. Vgl. zu der Einordnung des Pfarrerstandes in die sta¨dtisch-bu¨rgerlichen Eliten auch mit Bezug auf Lu¨beck Heinz Schilling, Wandlung- und Differenzierungsprozesse innerhalb der bu¨rgerlichen Oberschichten West- und Nordwestdeutschlands im 16. und 17. Jahrhundert, in: Schichtung und Entwicklung der Gesellschaft in Polen und Deutschland im 16. und 17. Jahrhundert. Parallelen, Verknu¨pfungen, Vergleiche, hg. v. Marian Biskup und Klaus Zernack, Wiesbaden 1983, S. 121–173, hier: S. 168–170. 261 Vgl. zum Beispiel Tagebuch des bremischen Ratsherrn Salomon, S. 53–54. 262 Fu¨r Lu¨beck vgl. Schleswig-Holsteinisches Landesarchiv, Bestand Lu¨becker Domkapitel, Abt. 268. Nr. 301, Der ehemalige Rangstreit zwischen denen Capitular- und Magistrats-Personen zu Lu¨beck betreffend 1613–1693; fu¨r Bremen vgl. AHB, Archiv des Schu¨ttings, A 7, Bd 1, Rangstreitigkeiten mit den Canonicis, 1644.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
lichen beanspruchen ko¨nnten.263 In Bremen untermauerte der Rat seine Vorrangsanspru¨che mit weitaus grundsa¨tzlicheren Argumenten als in Lu¨beck. Anla¨sslich einer Anfrage der Elterleute der Bremer Kaufmannschaft versuchte er im Jahre 1644, die Rangabstufung zwischen Rat, Kaufmannschaft und Domherren grundsa¨tzlich zu kla¨ren. Die Tatsache, dass das Domkapitel eigentlich ein Stand des Erzbistums Bremen und somit von der sta¨dtischen Gerichtsbarkeit exemt war, spielte dabei keine Rolle.264 In der Antwort des Bremer Rates hieß es, dass allein eine Trennung von geistlichen und politischen Festen weitere Pra¨zedenzstreitigkeiten zwischen beiden Gruppen vermeiden helfe: Wen nun also ein Burgermeister, Rathsherr oder Olderman ad actum Ecclesiasticum eingeladen, wurde er den Canonicis in suo foro weichem mussen, es were der sachen, das sie ihnen also invitatis gutwillich eine praerogatiff go¨nnten, wie den hospitibus honoris ergo zu geschehen gepfleget [...] Et vice versa musten in actibus politicis, als bey¨ hochzeiten, gasterey¨en, begrebnussen, ein Ecclesiasticus obgedachten politicis weichen.265 Formulierten in Venedig, Hamburg und Lu¨beck geistliche und politische Obrigkeiten grundsa¨tzliche Begru¨ndungen ihrer Pra¨zedenzanspru¨che in den o¨ffentlichen Umzu¨gen, u¨berwog in diesem Bremer Kompromiss parallel zu dem Versuch einer Trennung der politischen von den kirchlichen Festen der pragmatische Ansatz, die Pra¨zedenzrechte ex consuetudine zu entscheiden:266 Die Domherren ko¨nnten ihre traditionellen Anspru¨che des Vortritts zwar wegen des Verlustes ihrer geistlichen Stellung in der Reformation nicht mehr in Anspruch nehmen. Es wurde aber den ¨ lterleuten frei gestellt, universita¨r ausgebildeten Theologen und Pfarrherren „den A Vorzug zu go¨nnen“. Damit wurde also das auch bei weltlichen Gruppen anzutreffende Hierarchisierungsmerkmal des Universita¨tsstudiums angewandt.267 Anders als in Lu¨beck, Hamburg und auch Venedig waren den politischen Anspru¨chen des Rates u¨ber die Kirche enge Grenzen gesetzt. Eine o¨ffentlich sichtbare Eskalation von Rangkonflikten ha¨tte womo¨glich auch die Autonomie Bremens gegenu¨ber dem ehemals ma¨chtigen Stadtherrn gefa¨hrdet. Eine pragmatische Einigung war daher fu¨r den Bremer Rat und die Geistlichkeit notwendiger als fu¨r die Lu¨becker und Hamburger Ratsherren, die ihre Anspru¨che wenigstens wa¨hrend der o¨ffentlichen Umzu¨ge immer weiter ausbauen konnten. In der Repra¨sentation der Geistlichkeit in Kleidung und in kollektiver Prozessionsanordnung zeigen sich – vergleichbar dem Erscheinungsbild der politischen 263 Schleswig-Holsteinisches Landesarchiv, Bestand Lu¨becker Domkapitel, Abt. 268. Nr. 301, Der ehema-
lige Rangstreit zwischen denen Capitular- und Magistrats-Personen zu Lu¨beck betreffend 1613–1693: die Curiales werden gar von den Herren des Raths ab- und bey¨ die Herren Secretarien verwiesen, welche Ihnen den muhe mehr auch die rechte Hand disputirlich machen. Und zwar auß dem Vorwandt samb frey¨en sie junge Leuthe von 24 oder 25 Jahren.; ebd.: und zwar dahero, weile der Ju¨ngste Herr des Raths so woll ein Herr alß der Eltiste, und gelich dem Eltisten den gantzen Rath representierte. 264 AHB, Archiv des Schu¨ttings, A 7, Bd 1, Rangstreitigkeiten mit den Canonicis, 1644, s. p. 265 Ebd. 266 Ebd. 267 Ebd.
3.4. Zwischen Kirche und Stadt: Die Repra¨sentation der Geistlichkeit
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Magistrate – Tendenzen, diese versta¨rkt festzulegen und damit aufzuwerten. Im Gegensatz zu den politischen Magistraten verband sich mit dem Habit und der Prozession der Geistlichen eine konfessionelle Symbolik, die zu einer sta¨rkeren Heraushebung und Herauslo¨sung der Geistlichkeit als Gruppe aus dem Stadtraum fu¨hrte. Dies bedingte eine Verscha¨rfung der Rangstreitigkeiten zwischen geistlichen und politischen Magistraten, die in Ablauf und Argumentation den Auseinandersetzungen gleichen, die sich um die Begra¨bnisse Anderskonfessioneller in den Hansesta¨dten abspielten. Auch diese Pra¨zedenzkonflikte waren ein Mittel zur Demonstration von Herrschaftsanspru¨chen innerhalb der Stadt. Die zunehmend eigensta¨ndige Repra¨sentation der Geistlichen fu¨hrte aber nur in Hamburg zu einer Aufwertung ihres Ranges innerhalb der Hierarchie. In Venedig, Lu¨beck und Bremen la¨sst sich aufgrund der vermehrten Verschriftlichung eher davon ausgehen, dass die Festschreibung des Rangnachteils der Geistlichkeit diesen zum Nachteil im Ringen um die o¨ffentliche Sichtbarkeit gereichte. Auch fu¨r die Rites de passage von Geistlichen ist im Folgenden zu fragen, wie sich das Verha¨ltnis von sta¨dtischer und religio¨ser Repra¨sentation verhielt und welche Gruppen sich hierbei durchsetzen konnten. Spielten die politischen Magistrate hierbei eine Rolle? Welche Bedeutung besaß die familia¨re Zugeho¨rigkeit des Geistlichen? Wurde seine religio¨se Ausrichtung oder seine Stellung innerhalb der Stadtrepublik thematisiert? Die Untersuchung von Ritualen bei Amtseinsetzungen sowie Begra¨bnissen von Geistlichen stellt immer noch eine große Forschungslu¨cke dar.268 Dies erstaunt umso mehr, als in ju¨ngerer Zeit zunehmend Forschungsarbeiten entstanden sind und entstehen, die Kirchenraum nicht allein als architektonisch-kunsthistorischen oder theologischen Untersuchungsgegenstand begreifen, sondern betonen, dass seine Wahrnehmung und Darstellung durch die soziale Kommunikation der jeweiligen Akteure bestimmt werde.269 Wahlen und Amtseinsetzungen von Geistlichen kommt eine besonders große Bedeutung zu, wenn der Kirchenraum in seinem Zusammenhang mit der spezifischen sozialen und politischen Struktur untersucht werden soll. Rechte und Konflikte um die Wahlen und Einsetzungen von Geistlichen weisen nicht nur auf das Kra¨fteverha¨ltnis zwischen Stadtherr, Geistlichkeit und
268 So hat Dietrich Kurze bereits im Jahre 1966 darauf hingewiesen, dass eine Analyse der Pfarrerwahlen
Aufschluss u¨ber Genese und Vera¨nderung von Stadtgemeinden in Mitteleuropa geben kann: Dietrich Kurze, Pfarrerwahlen im Mittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte der Gemeinde und des Niederkirchenwesens, Ko¨ln/Graz 1966, S. 1–18. 269 Diese Arbeiten berufen sich auf ein soziologisch definiertes Raumversta¨ndnis, das heißt, dass der Raum sich vornehmlich in der Wahrnehmung und Interaktion der Akteure herstellt. Dieses Raumkonzept vertritt insbesondere die Soziologin Martina Lo¨w: Martina Lo¨w, Raumsoziologie, Frankfurt a. M. 2001. Zur Anwendung dieses Konzepts auf die Fru¨he Neuzeit insgesamt vgl. die Beitra¨ge in: Kirchen, Ma¨rkte und Tavernen. Erfahrungs- und Handlungsra¨ume in der Fru¨hen Neuzeit, hg. v. Renate Du¨rr/Gerd Schwerhoff, Frankfurt a. M. 2005; zu Kirchenra¨umen in der Fru¨hen Neuzeit als sozial und politisch besetzten Erfahrungs- und Handlungsra¨umen vgl. mit weiterfu¨hrenden Angaben Renate Du¨rr, Kirchenra¨ume. Eine Einfu¨hrung, in: ebd., S. 451–458; außerdem Renate Du¨rr, Zur politischen Kultur im lutherischen Kirchenraum. Dimensionen eines ambivalenten Sakralita¨tskonzeptes, in: ebd., S. 497–526. Außerdem Renate Du¨rr, Politische Kultur in der Fru¨hen Neuzeit: Kirchenra¨ume in Hildesheimer Stadt- und Landgemeinden 1550–1750, Gu¨tersloh 2006.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
Bu¨rgerschaft hin, sondern auch auf die Vorstellungen, die die Beteiligten von diesem Kra¨fteverha¨ltnis besaßen.270 Amtseinfu¨hrungen von Geistlichen waren fu¨r die Deutungshoheit u¨ber die christliche Ausrichtung der Stadt besonders wichtig und daher auch entsprechend umstritten. Eine Analyse der Repra¨sentation von Geistlichen in diesen mehr oder weniger ritualisierten Abla¨ufen kann daher daru¨ber Aufschluss geben, welche Gruppen sich in den hier verwendeten Repra¨sentationsformen besonders hervorhoben. Gerade die Besetzung derjenigen Positionen innerhalb der Geistlichkeit, die eher am unteren Ende der kirchlichen Hierarchie angesiedelt waren, betraf unmittelbar den kirchlichen Alltag der Gemeindemitglieder. Im Folgenden werden zuna¨chst die Rituale untersucht, die die Amtseinfu¨hrung venezianischer Geistlicher darstellten. Hierbei werden die Amtseinfu¨hrungen der Patriarchen ¨ nderungen hin befragt. und dann die der Primicerii von San Marco auf mo¨gliche A Anschließend werden die Rituale diskutiert, die die Amtseinfu¨hrungen der Geistlichen in den Hansesta¨dten darstellten. Abschließend ist nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in beiden Bereichen zu suchen.
3.4.1. Gruppenbezu¨ge im Widerstreit: Weihe, Amtseinfu¨hrung und Begra¨bnisfeierlichkeiten ¨ lgema¨lde Joseph Heintz des Ju¨ngeren ist der feierliche Amtsantritt – der Auf einem O Possesso271 – des Patriarchen Federico Cornaro im Jahre 1632 dargestellt.272 Zahlreiche pra¨chtig geschmu¨ckte Boote weisen auf eine rege Beteiligung verschiedener venezianischer Gruppen am Festgeschehen hin. Die Prozession auf dem Wasser vereinigt sich mit der vom Lande. Weithin sichtbar leuchten die Farben der Gewa¨nder der Geistlichen und Senatoren. Nahezu realistisch durch ra¨umliche Distanz oder besondere Gro¨ßenverha¨ltnisse herausgehoben ist eine kleine Gruppe der rangho¨chsten Wu¨rdentra¨ger, des Dogen und des franzo¨sischen Gesandten, die der Patriarch begru¨ßt.273 Das Bild gibt einen Eindruck von der Prachtentfaltung des Possesso des Patriarchen Federico Cornaro274 im Jahre 1632, der sich darin von den Amtsantrittsfeierlichkeiten seiner Vorga¨nger unterschied. Er ist auch der einzige venezianische ¨ lgema¨lde dargestellt worden Possesso im 16. und 17. Jahrhundert, der in einem O ist.275 Eine Festbeschreibung von Giulio Strozzi, einem professionellen Verfasser von Gelegenheitsdrucken gibt Aufschluss daru¨ber, in welchem Kontext die außer-
270 Vgl. Du ¨ rr, Zur politischen Kultur im lutherischen Kirchenraum. 271 Der Amtsantritt italienischer Bischo¨fe und des Papstes wird als Possesso, also als Inbesitznahme
bezeichnet.
272 Vgl. Anm. 201. 273 Ebd. 274 Zu seiner Biographie vgl. Barcham, Grand in Design; Arne Karsten, s. v. Cornaro (Corner, Correr),
Federico, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 24 (2005), Sp. 487–490.
275 Weitere Abbildungen, allerdings aus dem 18. Jahrhundert, finden sich bei Bianca Tamassia Maz-
zarotto, Le feste veneziane. I giochi popolari, le cerimonie religiose e di governo, Florenz 1961, S. 279–282.
3.4. Zwischen Kirche und Stadt: Die Repra¨sentation der Geistlichkeit
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gewo¨hnliche Prachtentfaltung dieser Zeremonie zu sehen ist.276 Der Autor geht in der Einleitung seines Textes darauf ein, in wie hohem Maße das Fest das Ansehen des Patriarchen als neues geistliches Oberhaupt bezeuge. Strozzi interpretierte die in diesem Fest zur Schau gestellte Prachtentfaltung als ein Zeichen fu¨r die fromme Haltung Venedigs.277 In der Charakterisierung des Patriarchen wies Strozzi in sehr allgemeinen Worten auf die Festgemeinschaft hin: Natur und Mensch neigen sich ihrem neu einziehenden Hirten zu.278 Strozzi entwarf also ein harmonisches Bild der Einigkeit zwischen dem Patriarchen und der frommen venezianischen Republik – eine Einigkeit, die in der Realita¨t nicht existierte: Viele Patrizier kritisierten die Familie Cornaro. 1626 hatte diese Familie inner- und außerhalb Venedigs einen unerho¨rten Machtzuwachs erfahren: Giovanni Cornaro war zum Dogen gewa¨hlt und sein Sohn Federico zum Kardinal ernannt worden. Der Patriarch rechtfertigte die Pracht seines Possesso mit dem Hinweis auf das Ende der Pestepidemie.279 Die spektakula¨re Feier sollte die Konflikte zwischen Rom und Venedig, die zur Kritik an seiner Person und seiner Karriere als Kardinal beigetragen hatten, im wahrsten Sinne des Wortes u¨berto¨nen.280 In diesem Kontext ist es versta¨ndlich, dass Strozzi die Verbindung des Patriarchen zur pieta` Veneziana281 hervorhob und das Ausmaß familia¨rer Selbstdarstellung relativierte, die sich im Possesso zeigte.282 Auch in der Beschreibung des Festablaufes selbst harmonisierte Strozzi die zwei Gesichter des Kardinals und des Venezianers Federico Cornaros, indem er die Bindung Cornaros an seine patria Venedig fortlaufend betonte.283 Wie wenig durchdrungen Strozzis Text von einer exklusiven Selbstdarstellung der Familie Cornaro ist, zeigt auch seine Schilderung der Begru¨ßung zwischen Patriarchen und Dogen, bei der er ausfu¨hrlich auf einen Streitpunkt zwischen Venedig und Rom einging. Die Tatsache, dass der Autor diesen Vorfall u¨berhaupt erwa¨hnt, zeigt, dass sich Strozzis Beschreibung nicht allein an die (pro-ro¨misch) eingestellten Mitglieder der Familie Cornaro richtete, sondern auch an ein breiteres Publikum in- und außerhalb Venedigs. Strozzi dokumentierte, dass sich die venezianische Regierung weigerte, auch bei einem Amtsantritt eines mit der Kurie eng verbundenen Patriarchen gegenu¨ber ro¨mischen Pra¨zedenzanspru¨chen zuru¨ckzuweichen. Diese hatten kurz vor der Ernennung Cornaros zum Patriarchen
276 Giulio Strozzi, Lettera Famigliarmente scritta ad un suo amico, ove gli da` conto del solenne possesso
preso dall’Emintesssimo Signor Cardinal Cornaro Patriarca di Venetia li 27. di Giugno 1632, Venedig 1632. 277 Strozzi, Lettera, S. 7–8. 278 Ebd. 279 Vgl. Barcham, Grand in Design, S. 220–221. 280 Ebd., S. 221. 281 Strozzi, Lettera, S. 8 und S. 32. 282 Ebd., S. 32: Ma la pieta` Veneziana non guarda ne` a` spese, ne` a` Soldi, ne` a` fatiche, quando veramente sı` tratta dell’honoranze di quel Dio, che per tanti secoli conserva libera & intatta questa Serenissima Republica. – „Aber die venezianische Fro¨mmigkeit achtet weder auf Ausgaben, noch auf das Geld, und nicht auf die Mu¨hen, wenn es sich wirklich um solche handelt, bei denen Gott geehrt wird, der seit so vielen Jahrhunderten diese Hochehrwu¨rdige Republik frei und unberu¨hrt erha¨lt.“ 283 Strozzi, Lettera, S. 7–9.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
durch das so genannte Titeldekret Urbans VIII. eine besonders antagonistische Formulierung erhalten.284 Allein gekro¨nte Ha¨upter – und Venedig musste diesen Titel erst noch und dann immer wieder durchsetzen – sollten Pra¨zedenz vor Kardina¨len erhalten.285 Beim ersten Aufeinandertreffen von Patriarchen und Dogen im Rahmen der Feierlichkeit, so Strozzi, habe sich der Doge Francesco Erizzo (Dogat 1631–1646) an den Kardinal mit der Anrede Sua Signoria Illustrissima gewandt und damit wiederum den von Urban VIII. seit 1630 fu¨r alle Kardina¨le beschlossenen Titel Eminenza abgelehnt:286 Condotto il Serenissimo Principe dal Signor Cardinale nel proprio appartamento, e quivi posto a` sedere alla destra di lui, comincio` con parole di particolar benevolenza ad esporgli, Com’era quivi, secondo l’uso de’ loro devotissimi maggiori, venuto con quegli Eccellentissimi Padri per condur Sua Signoria Illustrissima (tale e` il titolo antico solito darsi dalla Serenissima Republica, e che, com adorna di Regal dignita`, seguita tuttavia a` dare a` Signori Cardinali) al solenne temporal possesso della sua carica Pastorale, promettendosi ogn’uno dalla singolare & esperimentata prudenza di lui un’ottima corrispondenza di sante operationi.287 ¨ ber die Frage des Titels war es im Jahre 1631 zu einer akuten diplomatischen Krise U zwischen Rom und Venedig gekommen, bei der Federico Cornaro erfolgreich vermittelt hatte.288 Umso deutlicher war wahrscheinlich den Lesern der Festbeschreibung Strozzis die Anspielung und das diplomatische Gewicht der Entscheidung des Dogen, den Kardinal mit dem alten Titel anzusprechen, die eine direkte Rangzuru¨cksetzung Federico Cornaros als Kardinal darstellte. Dieser Abschnitt seiner Festbeschreibung und der Vorfall selbst sollten dem neu gewa¨hlten Patriarchen (und auch Vertretern der Kurie) den Vorrang der politischen Magistrate in Venedig demonstrieren.
284 Vgl. Julia Zunckel, Rangordnungen der Orthodoxie? Pa¨pstlicher Suprematieanspruch und Werte-
wandel im Spiegel der Pra¨zedenzkonflikte am heiligen ro¨mischen Hof in post-tridentinischer Zeit, in: Werte und Symbole im fru¨hneuzeitlichen Rom, hg. v. Gu¨nther Wassilowsky/Hubert Wolf, Mu¨nster 2005, S. 101–128, hier: S. 123–126. 285 Vgl. Robert Oresko, The House of Savoyen in Search for a Royal Crown in the Seventeenth Century, in: Royal and Republican Sovereignty in Early Modern Europe, hg. v. Robert Oresko/Graham C. Gibbs/Hamish M. Scott, Cambridge 1997, S. 272–350. 286 Vgl. Barcham, Grand in Design, S. 212–213. 287 Strozzi, Lettera, S. 10: „Nachdem der Doge durch den Kardinal in die eigenen Gema¨cher gefu¨hrt und ihm dort zur Rechten plaziert worden war, begann jener ihm mit Worten von ausgesuchtem Wohlwollen darzulegen, wie es hier gekommen sei, dass, gema¨ß dem Gebrauch ihrer u¨beraus frommen Vorfahren, mit jenen sehr hervorragenden Va¨tern, dass Ihre sehr beru¨hmte Signoria (so lautet der alte Titel, der u¨blicherweise der hochehrwu¨rdigen Republik verliehen wird, und der, als Schmuck von ko¨niglicher Wu¨rde, erst in der Folgezeit zu den Herren Kardina¨len gelangt ist) zu weltlichem Besitz ihrer pastoralen Aufgaben gelangt sei, und er versprach dabei, dass jeder einzelne von ihnen aufgrund seiner einzigartigen und erfahrenen Klugheit eine sehr gute Zusammenarbeit bei den heiligen Ta¨tigkeiten [ausu¨be].“ 288 Vgl. Barcham, Grand in Design, S. 198–201.
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Der eigentliche Handlungsablauf, so wie ihn Strozzi schildert, entspricht dem Schema des fu¨r einen Patriarchen u¨blichen Possesso, wie es auch in den Zeremonialbu¨chern zu finden ist.289 Der Abholung des Patriarchen durch die Signoria aus seinem Familienpalazzo folgte der feierliche Zug u¨ber das Wasser, u¨ber den Canal Grande vorbei an den prachtvoll geschmu¨ckten Fassaden der Palazzi zur Kathedrale San Pietro di Castello.290 Die Versammlung auf dem Wasser bestand aus den Booten der Geistlichen und der Magistrate.291 Auch wenn die Prachtentfaltung bei diesem Pos¨ nderungen sesso besonders groß gewesen sein mag,292 weisen keine grundlegenden A darauf hin, dass das rituelle Protokoll aus den Ha¨nden der politischen Institutionen in die der Familie Cornaro beziehungsweise der ro¨mischen oder auch patriarchalen Geistlichkeit gelangt wa¨ren. In der Beschreibung der Teilnehmer bezeichnete Strozzi den Patriarchen, die ihn begleitenden Senatoren sowie die separat vom Patriarchen auftretende Geistlichkeit als Vertreter der venezianischen Republik. Wie bereits zu Beginn seiner Beschreibung setzte er auch in diesem Teil politische und geistliche Herrschaft parallel, die beide auf der individuellen Fa¨higkeit des jeweils zum Amt Gewa¨hlten und auf seinem Willen zum Dienst an der Republik beruhen wu¨rden: La qual sovrana felicita` de’ tempi doviamo prometterci per il prudentissimo governo di ottimi Senatori, e per la somma bonta` di un zelantissimo Pastore: di tal candidezza di costumi, e di tal eccellenza di operationi conoscono tutti questo Eminentissimo Prelato, in cui la nobilta` della sua Casa [...] e` il minor lume, che risplenda.293 Neben der Person des Kardinals und Patriarchen spielten klerikale und laienklerikale Kongregationen im Possesso des Jahres 1632 wie auch bei anderen Festen dieser Art eine große Rolle. Nicht nur auf dem Gema¨lde Joseph Heintz des Ju¨ngeren sind die Boote der Geistlichen und Bruderschaften Venedigs farbenfroh in Szene gesetzt (Abb. 11). Auch Strozzi beschreibt sie detailliert.294 Da die Geistlichen die Boote selbst ausstatteten, bot der Zug auf dem Wasser ein Forum fu¨r die konkurrierende Repra¨sentation ihrer Korporationen. Auf diese Weise zeigten sie ihre Freigebigkeit gegenu¨ber ihrem geistlichen Oberhaupt.295 Die Prachtentfaltung der Boote stellte, so Strozzi, die guten Einku¨nfte der einzelnen Pfarreien und damit auch den gesamtsta¨dtischen Reichtum zur Schau:
289 Vgl. ASV, Coll., cerim., rg 1, fol. 18; BM, Cod. It. VII, 1639 (7540), Gnecchi, Ceremoniale, fol. 106–108;
BM, Cod. It. VII, 396 (7423), Pace, Ceremoniale Magnum, S. 155–156.
290 Vgl. Barcham, Grand in Design, S. 222–224. 291 Vgl. Strozzi, Lettera, S. 14–23. 292 Vgl. Barcham, Grand in Design, S. 221. 293 Strozzi, Lettera, S. 13: „Jene uneingeschra¨nkte Glu¨ckseligkeit der Zeiten mu¨ssen wir uns versprechen
aufgrund der sehr weisen Regierung der besten Senatoren, und aufgrund der u¨beraus großen Gu¨te unseres sehr eifrigen Hirten: alle kennen diesen u¨beraus ehrwu¨rdigen Pra¨laten von einer solchen Reinheit der Sitten, und von einer solchen Vollkommenheit bei seinen Handlungen, in dem der Adel seiner Familie [...] das geringste Licht ist, das leuchtet.“ 294 Vgl. Abbildung 3. Strozzi, Lettera, S. 14–23. 295 Ebd., S. 14.
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Abb. 11: Der feierliche Amtsantritt des Patriarchen Federico Cornaro in der Kathedrale San Pietro di Castello ¨ lgema¨lde von Joseph Heintz d. J. O Quelle: Museo Correr – Fondazione Musei Civici di Venezia
La verita` e`, ch’ascendendo le Chiese Parocchiali di questa amplissima Citta` di Venetia al numero di settanta due, non vi si rimase alcuno de’loro Rettori, ch’inalcuna parte segni non dimostrasse di particolar ossequente allegrezza. Convenendoso quasi a` tutti loro piu` il titolo di Vescovo, che di Piovano e per la quantita` de’Preti titolati, e de’Chierici, ch’hanno sotto, e per la qualita´ de’beneficati nella lor Chiesa Collegiata, e per la magnificenza de gli ornatissimi Tempij, ove riseggono, e finalmente per il numero dell’anime, che custodiscono, ascendendo alcuni al numero di quattordici mila, dalle quali nasce la maggior, o` minor frequenza delle lor rendite temporali.296
296 Ebd., S. 24. „Die Wahrheit ist, dass, da die Anzahl der Pfarrkirchen in dieser sehr weitla¨ufigen Stadt
Venedig an die zweiundsiebzig geht, dort keine von ihren Fu¨hrern blieb, der nicht in irgendeiner Weise Zeichen von besonderer, ehrerbietiger Freude zeigte. Da fast allen von ihnen eher der Titel eines Bischofs als der eines Gemeindepriesters zukam, und aufgrund der großen Anzahl von titeltragenden Priestern, und von Klerikern, die sie unter sich haben, und aufgrund der Qualita¨t ihrer Einku¨nfte, die an ihre Kirche gebunden sind, und aufgrund der Großartigkeit der prachtvoll geschmu¨ckten Kirchengeba¨ude, wo sie residieren, und letzten Endes auch aufgrund der Anzahl der Seelen, um die sie sich ku¨mmern, von denen einige bis zu viertausend Seelen sind, woher die gro¨ßere oder geringere Ho¨he ihrer weltlichen Einku¨nfte stammt.“
3.4. Zwischen Kirche und Stadt: Die Repra¨sentation der Geistlichkeit
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Strozzi evoziert anschließend das Bild, dass die Repra¨sentation auf dem Wasser eine Gesamtschau der venezianischen kirchlichen Amtstra¨gerstruktur darstelle quasi un corpo di Republica spirituale.297 Strozzis Beschreibung des Possesso des Jahres 1632 ist eine der wenigen gedruckten Quellen, die sich mit diesem kirchlichen Ritual u¨berhaupt befassen. Versuchte Federico Cornaro mithilfe der Dokumentation seines Possesso, in seiner Repra¨sentation die tiefergehenden Konflikte um die Verbindung ro¨mischer und venezianischer Hierarchien in seiner Person wenigstens symbolisch zu vereinen ? Oder la¨sst sich an der Tatsache, dass dieser der erste ist, an den u¨berhaupt so prachtvoll in Bild und Text erinnert wurde, eine gesteigerte Prachtentfaltung des Rituals selbst ablesen, die auf eine zunehmende Prachtentfaltung der katholischen Geistlichkeit wenigstens der oberen Hierarchie im venezianischen Stadtraum hinwies? Aufgrund der eher spa¨rlichen Quellen lassen sich nur Vermutungen anstellen. So erwa¨hnten zum Beispiel auch die Quellen aus den Jahren 1560 und 1608 die große Zahl der auf den Booten versammelten Geistlichkeit und die geschmu¨ckten Fassaden der Palazzi am Canal Grande, die der Zug des Patriarchen passierte. Eine Entwicklung des Kosten- und Prachtaufwands la¨sst sich also nicht erkennen.298 Die Wahl und die feierliche Amtseinfu¨hrung des Primicerio, des rangho¨chsten Geistlichen von San Marco, war im Vergleich zum Possesso des Patriarchen ein Ereignis, dessen Ablauf nicht von Konflikten und Rangstreitigkeiten zwischen der Kurie, dem Patriarchen und dem Dogen gepra¨gt war. Im Ablauf der Amtseinsetzungsfeierlichkeiten des Primicerio spiegelten sich die verschiedenen Rechte auf dieses Amt. Da der Primicerio als rangho¨chster Vertreter der Geistlichkeit von San Marco stets an den wichtigsten venezianischen kirchlichen Feierlichkeiten teilnahm299 und somit eine tragende Rolle im gesamtsta¨dtischen Festwesen ausfu¨llte, war die Besetzung seines Amts unter den venezianischen Patriziern umstritten. Auf informeller Ebene konkurrierten die venezianischen Patrizierfamilien um seine Besetzung, auf institutioneller Ebene der Doge, die Procuratori di San Marco, der Senat sowie der Consiglio di Dieci.300 Der Faktor der familia¨ren Konkurrenz la¨sst sich im Ritual nur schwer erfassen. Er wird aber in einer handschriftlich u¨berlieferten Biographie des erst zum Primicerio ernannten und dann zum Patriarchen gewa¨hlten Giovanni Tiepolo (Amtszeit 1619–1631) deutlich. In ihr rechtfertigte der Verfasser mit dem Hinweis auf die go¨ttliche Eingebung, dass Giovanni Tiepolo trotz seiner nahen Verwandtschaft zum Dogen zum Primicerio ernannt wurde, und reagierte damit wohl auf entsprechende
297 Strozzi, Lettera, S. 14: „gleichwie ein Ko¨rper einer geistigen Republik“. 298 Zu 1560 vgl. BMC, Cod. Cic. 3752, Savina, Cronaca, Teil 2, S. 717; zu 1590: BM, Cod. It. VII, 1639
¨ sterreichisches Staatsarchiv, Wien, Staats(7540), Gnecchi, Ceremoniale, fol. 106–108 und zu 1608 O kanzlei Venedig, fasz. 13, Berichte 1575–1610 (Fondazione Cini, Mikrofilm, bobina 68), Bericht des kaiserlichen Gesandten vom 3. Oktober 1608. 299 Vgl. BM, Cod. lat. III, 172, Bonifacio, Rituum cerimoniale, fol. 2–21; BM, Cod. It. VII, 396 (7423), Pace, Ceremoniale Magnum, S. 20–108. 300 Vgl. ASV, Consultori in iure, fz. 40, Gasparo Lonigo, Rituali di San Marco, Ms., Mitte 17. Jh., fol. 27–81. Lonigo geht besonders auf einen Streit zwischen den Procuratori, dem Dogen und dem Consiglio di Dieci im Jahre 1577 ein.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
Einwa¨nde, die damals gegen die Wahl Tiepolos vorgebracht wurden.301 Anders als bei Federico Cornaro war es ausgeschlossen, dass die meist noch recht jungen Primiceri spezifische, nur mit ihrer Person verbundene Ranganspru¨che a¨ußern konnten, wie sie sie sonst womo¨glich aufgrund ihres ho¨heren Alters und der bereits inne gehabten Wu¨rden ha¨tten vorbringen ko¨nnen. Dies zeigt sich in der Gestaltung der Zeremonie ihrer Amtseinfu¨hrung, wie sie zum Beispiel in dem 1678 vollendeten Zeremonialbuch von San Marco beschrieben wird: Fatto il Primicerio dal Doge, qual deve esser Nobile non menno d’anni 25, va` con li suoi Parenti in collegio una mattina quando li piace, poi viene in chiesa di S. Marco a` prendere il possesso della Cathedra in Choro, datto per il Cassier, questo lo da` Mons.r Vicario; s’apparechia l’Altar, et il Choro, come nelle solenita` con Palla apperta, con li cerei, e croce, s’attende alla Porta della Chiesa, qual va` sotto il Portico del Palazzo; cosı` s’accompagna in choro all’Altar Grande dove li Canonici lo ricevono con l’oration salvum face, datta prima la Pace, aqua santa, et incenso; poi per il Proc.r vien posto a` seder nella sua sedia in Choro se li fa` un Panegirico in lode; Poi li cantori cantano Te Deum; Finito siconcerta l’Organo, e tutti vanno a` bacciarli la mano, e s’accompagna alla porta.302 Indem der Primicerio zu seiner Ernennung als erstes im Dogenpalast in feierlicher Weise dem Dogen vorgestellt wurde, der ihn anschließend ernannte, wurde im rituellen Ablauf die Einbindung und Abha¨ngigkeit dieses Amtes von dem politischen Institutionengefu¨ge symbolisiert. Dies kommt auch in den folgenden Handlungen zum Ausdruck: Seine Verwandtschaft begleitete ihn bis in das Innere des Dogenpalastes. Anschließend zog er als Teil des Corteo ducale nach San Marco. Er wurde im Ritual von seiner Familie getrennt und in die offizielle politische Repra¨sentation der Republik integriert.303 Auf institutioneller Ebene kam es um die Rechte zur Wahl
301 BMC, Cod. Cic. 3060, Materie ecclesiastiche, Lebensbeschreibung des Patriarchen Tiepolo, Ende
16. Jahrhundert, fol. 24.
302 BM, Cod. It. VII, 396 (7423), Pace, Ceremoniale Magnum, S. 153: „Nachdem der Primicerio vom
Dogen ernannt worden ist, welcher ein Nobile nicht ju¨nger als 25 Jahre sein darf, geht er mit seinen Verwandten in den Saal des Senats, an einem Vormittag, wann es ihm passt, danach kommt er in die Kirche von San Marco, um Besitz von dem Stuhl im Chorraum zu nehmen, der ihm durch den Cassier [Verwalter des Kirchenschatzes von San Marco] gegeben worden ist, dieser gibt ihn dem Vikar; und der Altar wird bereitet und der Chorraum, wie bei den Feierlichkeiten, wenn die Pala d’oro geo¨ffnet wird, mit den Kerzen, und dem Kreuz, man wartet an der Pforte der Kirche, an jener, die zu dem Durchgang zum Palazzo [Ducale] fu¨hrt; so begleitet man ihn in den Chorraum zum Hochaltar, wo ihn die Geistlichen mit der Oratio ‚salvum face‘ empfangen, nachdem erst das Friedenszeichen gemacht worden ist, und Weihwasser gegeben und Weihrauch geschwenkt worden ist; danach nimmt der Procuratore [di San Marco] auf seinen Sitz im Chorraum Platz, wenn er ihm eine panegyrische Lobrede ha¨lt; danach singen die Sa¨nger ‚Te Deum‘; nachdem alles beendet worden ist, erto¨nt die Orgel, und alle gehen, ihm die Hand zu ku¨ssen, und man begleitet ihn zur Pforte.“ Weitere Quellen zur Amtseinfu¨hrung des Primicerio finden sich in ASV, Procuratori di San Marco de supra, bu. 86, Cariche ed impiegati del Clero, Eintra¨ge zum 19. Sept, 1633 und 6. August 1565. 303 Vgl. ASV, Procuratori di San Marco de supra, bu. 86, Cariche ed impiegati del Clero, Eintrag zum 19. Sept. 1633.
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des Patriarchen zwischen ro¨mischer und venezianischer Hierarchie zu Auseinandersetzungen, wa¨hrend die Wahl des Primicerio zu rein innerpatrizischen Konflikten fu¨hrte. Beide geistlichen Wu¨rden besaßen eine zu große Bedeutung, als dass ihr Amtsantritt nicht die Form eines stark regulierten Rituals ha¨tte annehmen mu¨ssen. Im Gegensatz dazu lassen sich fu¨r die Geistlichen der hierarchisch unter diesen beiden Wu¨rden angesiedelten Positionen kaum Regelungen zu dem rituellen Ablauf ihrer Amtseinfu¨hrung finden. Der Anteil an Regelungen der Frage, wer wann wie das Recht hat, sie einzusetzen, sind die einzigen Informationen, die in den Quellen verzeichnet sind. So war es zum Beispiel infolge eines im Jahre 1577 unpra¨zise formulierten, vom Maggior Consiglio wa¨hrend der Vakanz des Dogats gefassten Beschlusses zur Einsetzung der Geistlichen von San Marco zwischen dem Dogen, dem Maggior Consiglio und den Procuratori di San Marco zum Konflikt daru¨ber gekommen, wel¨ mter von wem ernannt werden du¨rften; u¨ber das anschließende Vorgehen che dieser A wurde hingegen nicht debattiert.304 In den Regelungen der Wahlen der Geistlichen in den venezianischen Stadtkirchen la¨sst sich die Tendenz erkennen, das Verfahren zu institutionalisieren. Wa¨hler und Kandidaten mussten vor der Kanzlei des Patriarchen die Anzahl ihrer Dienstjahre und lautere Beweggru¨nde, das Amt anzunehmen, bezeugen.305 Ab 1647 fanden die Wahlen auf dieser Ebene unter Beteiligung der Kirchengemeinde sogar schriftlich statt.306 Weitere Rituale, auch Begra¨bnisse, die die Stellung dieser Geistlichen ha¨tten symbolisch ausdru¨cken ko¨nnen, sind nicht dokumentiert. Die Tatsache, dass die Abla¨ufe der Wahlen und Amtseinfu¨hrung dieser Geistlichen aber im Verlauf der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts einer Normierung unterlagen, zeigt, dass ihr Ablauf genauso als Ausweis der guten Regierung und Verfasstheit des Gemeinwesens ernst genommen wurde wie die Possessi der Patriarchen und die Einsetzungen der Primiceri. Am sta¨rksten verbunden war das Amt des Primicerio mit den politischen Institutionen. Dies dru¨ckt sich auch deutlich in seiner rituellen Repra¨sentation bei seiner Amtseinfu¨hrung aus. Dennoch konnte selbst bei dem Possesso eines so stark mit Rom verbundenen Patriarchen wie Federico Cornaro beobachtet werden, dass sich keine Repra¨sentation der Geistlichkeit herausbildete, die sich aus dem venezianischen Rahmen lo¨ste, auch wenn hier die Geistlichkeit des Patriarchen ausnahmsweise in der Darstellung der Stadt als ritueller Gemeinschaft besonders hervorgehoben war. Auf Konflikte im Rahmen dieser Rituale weisen indirekt ihre Regulierungen hin. Diese ergaben sich wiederum aus der jeweiligen situativen und personell bedingten Gemengelage familia¨rer, politisch und geistlich institutioneller Interessen. Anders als bei den Pra¨zedenzstreitigkeiten ließ sich hier in den Quellen aber keine zunehmende Dissoziation der geistlichen von der sta¨dtischen Repra¨sentation im Rahmen dieser Rituale erkennen.
304 ASV, Procuratori di San Marco de supra, bu. 88, fasc. 2, proc. 194, Sumario delle raggioni di M. J. m.
Contarini K. Pro contro, M. Zus. Corner, costut. Barbaro, suoi Collega, fol. 11.
305 Derselbe Wortlaut einmal in Latein, einmal in Italienisch: BMC, Cod. Cic. 2583, Miscellanea intorno
Chiese e Clero Veneto, fol. 103, Eintrag zum 20. Juli 1571, Consitutio circa ballotantes Plebanos und fol. 37, Eintrag zum 5. Mai 1629, Costitutione circa l’elezion die Piovani. 306 Vgl. Delle memorie venete antiche profane ed ecclesiastiche, Bd. 4, S. 273.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
In den Hansesta¨dten wurden Wahlen und Amtseinsetzungen von Geistlichen zu einem vorrangigen Ziel reformatorischer Bemu¨hungen. So finden sich in den Bugenhagenschen Kirchenordnungen nicht nur Kataloge von Fa¨higkeiten, die ein geeigneter Kandidat erfu¨llen sollte, sondern auch detaillierte Bestimmungen daru¨ber, auf welche Weise Wahlen und Amtseinfu¨hrungen abgehalten werden sollten.307 Die ordentliche Wahl eines geeigneten Geistlichen wurde als entscheidender Bestandteil einer guten religio¨s begru¨ndeten sta¨dtischen Ordnung angesehen.308 In noch ho¨herem Ausmaß als bei den Wahlen zu den politischen Magistraten ist daher davon auszugehen, dass die Wahlen und Amtseinfu¨hrungen der Geistlichen als Rituale angesehen wurden, denen eine besondere Sakralita¨t zugesprochen wurde. La¨sst sich eine solche Auffassung um 1600 aber u¨berhaupt feststellen und wenn ja, versta¨rkte sie sich womo¨glich? Verhielten sich die Beteiligten anders als bei politischen Wahlen und Amtseinsetzungen? Die Kirchenordnungen, auf die sich alle Beteiligten bis weit in das 17. Jahrhundert als Handlungsanweisung beriefen, legen ein solches Bild jedenfalls nahe.309 Die Berichte u¨ber einzelne Wahlen erwecken hingegen den Eindruck, dass die Wahl eines Pastors oder auch Superintendenten fast noch mehr als die Ratswahlen ein Ereignis war, das die verschiedenen sta¨dtischen Gruppen, die ein Anrecht auf Beteiligung hatten, veranlasste, ihre jeweilige Position innerhalb des sta¨dtischen politischen Gefu¨ges zu verbessern. Dabei bedienten sie sich nicht nur der innerhalb der Rituale selbst angelegten Verfahrensregelungen, sondern auch unregulierter Wege zu Meinungsa¨ußerung und -durchsetzung. In den Aufzeichnungen des Lu¨becker Ratsherrn Heinrich Brokes finden sich ausfu¨hrliche Berichte u¨ber Pastorenwahlen, an denen er als Ratsherr beteiligt war. An ihnen zeigt sich, wie ein Machtkonflikt die Normierung des Wahl- und Einsetzungsrituals befo¨rderte. Heinrich Brokes moderierte im Jahre 1611 die Neuwahl des Predigers zu St. Petri .310 Unstimmigkeiten zwischen Geistlichkeit und Gemeinde
307 Vgl. fu¨r diesen Zusammenhang in den Bugenhagenschen Kirchenordnung mit u¨ber Lu¨beck und Ham-
burg hinausgehenden Beispielen Luise Schorn-Schu¨tte, „Papocaesarismus“ der Theologen? Vom Amt des evangelischen Pfarrers in der fru¨hneuzeitlichen Stadtgesellschaft bei Bugenhagen, in: ARG 79 (1988), S. 230–261, hier: S. 238–242. 308 Vgl. zum Beispiel das Bild, das Valentin Wudrian in seiner Antrittspredigt entwirft: Valentin Wudrian, Salve Hamburgiacum. Eine christliche Antritt- und Einfu¨hrungspredigt/ Auß dem ersten Capittel deß Propheten Jonae/ darim nebenst Summarischer erklerung/ deß Wunderbarlichen beruffes Jonae gen Ninive, nachfolgende Frage richtig und gru¨ndlich ero¨rtert wird: Ob ein Prediger mit gutem unverletztem Gewissen seine anbefohlene Kirche und Gemeine verlassen/ und auff ordentlichen beruff bey einer anderen sich bestellen lassen ko¨nne. Gehalten in der Pfarrkirchen S. Peter zu Hamburg/ in ansehnlicher und Volckreicher Versammlung/ den 20. Decemb. Anno 1621, Hamburg s. d., S. 4. 309 Aus dem Tagebuch des Lu¨beckischen Bu¨rgermeisters Henrich Brokes, Teil 2, S. 3; Nachricht von der Streitigkeit E. E. Ministerii mit M. Johann Ho¨gelcken, Pastoren zu St. Petri, mit 2 Beylagen, in: Sammlung von Urkunden, theologischen und juristischen Bedenken, Verordnungen, Memorialen, Suppliken, Decreten, Briefen, Lebensbeschreibungen, kleinen Tractaten u. d. g. m. als eine Grundlage zur Hamburgischen Kirchenhistorie neuerer Zeiten, aus welcher der ordentliche Verlauf und die eigentliche Beschaffenheit der zur hamburgischen Kirchen-Gelehrten und Schul-Historie geho¨riger Sachen, Begebenheiten, Streitigkeiten u. d. g. erkannt werden kann. III. Theil., hg. v. Christian Ziegra, Hamburg 1767, S. 295; außerdem Carl Mo¨nckeberg, Die St. Nikolai-Kirche in Hamburg. Ein geschichtliches Denkmal, Hamburg 1846, S. 88–90. 310 Aus dem Tagebuch des Lu¨beckischen Bu¨rgermeisters Henrich Brokes, Teil 2, S. 2–7.
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u¨ber die Eignung der an dieser Kirche anwesenden Kaplane fu¨hrten dazu, dass Heinrich Brokes darauf hinwies, dass zwar nach altem Herkommen ein Pastor aus diesem Kreise gewa¨hlt werden solle; falls sich aber kein Kandidat als geeignet erweise, sei es auch mo¨glich, davon abzuweichen: Hieru¨ber sei keine Vorschrift in der Kirchenordnung zu finden.311 In der weiteren Verhandlung um die Kandidatenfindung waren Familie und Herkunft Gegenstand der Diskussion,312 aber nicht die Befa¨higung zum geistlichen Amt. Dies weist wiederum auf die Wahl als eine Art offene Bu¨hne zum Ausgleich der verschiedenen Gruppeninteressen hin. Die Wahl im Jahre 1611 bu¨ßte durch den Streit zwischen Rat und Ministerium seine urspru¨nglich intendierte Bedeutung, Konsens zu stiften, ein. Dafu¨r wurde sie zu einem Feld o¨ffentlicher Diskussion u¨ber die Bedeutung kirchlicher Institutionen fu¨r die politische Ordnung der Stadt. So versuchte Brokes in jedem Fall zu vermeiden, dass das Ministerium hinzugezogen wurde. Um dies durchzusetzen, berief er sich auf die Kirchenordnung und auf das Gesamtwohl der Stadt. Die Wahl des Pfarrers von St. Petri, so Brokes, betreffe in zu hohem Ausmaß kirchliche und zugleich politische Belange, als dass die Entscheidung allein dem Ministerium u¨berlassen werden ko¨nne.313 Brokes negierte grundsa¨tzlich die Trennung von geistlicher und politischer Spha¨re in Wahlen und Amtseinsetzungen von Geistlichen. Mit Ausnahme des Seniors Joachim Dobbin einigten sich dann alle Beteiligten schließlich auf einen externen Kandidaten, auf Georg Stampelius, Professor fu¨r Hebra¨ische Sprache an der Universita¨t Frankfurt an der Oder.314 Anstatt das Ergebnis des Verfahrens anzuerkennen, versuchte Dobbin, die Interessen der Geistlichkeit von St. Petri im Rahmen des Wahlverfahrens informell durchzusetzen: Lauthals a¨ußerte er nach der Verku¨ndigung des Kandidaten durch Brokes unter Berufung auf das Ministerium und die Vergangenheit Lu¨becks, in der noch nie so ein Ereignis vorgekommen wa¨re, seinen Unmut.315 Er stiftete seine Amtskollegen dazu an, gegen die Wahl auf ihren Kanzeln zu polemisieren. Ein wahrer Predigtsturm brach in Lu¨beck los, der aber die Ankunft des vom Rat favorisierten Georg Stampelius nicht verhindern konnte.316 Das Ministerium nutzte nun die Mo¨glichkeit, den Kandidaten zu delegitimieren, indem es ihm Unkenntnis des richtigen liturgischen Vorgehens vorhielt. Zwar verku¨ndete Dobbin im Rahmen der feierlichen Introduktion seine Freude u¨ber die Wahl von Stampelius.317 Doch versuchte er dann, die Wirkung seiner Amtseinfu¨hrung infrage zu stellen. Er behauptete, dass diese ungu¨ltig gewesen sei, da der Kandidat den Gottesdienst in seiner Reisekleidung gefeiert ha¨tte.318 Dies war zwar richtig – Stampelius war so spa¨t angekommen, dass ihm zum Kleidungswechsel keine Zeit mehr blieb – doch entsprach dies nicht dem Text der Bugenhagenschen Kirchenordnung. Johannes Bugenhagen hatte explizit Kleidung und Zeremoniell als unwichtig fu¨r die Amtseinfu¨hrung von Pfarrern 311 Ebd., S. 3. 312 Ebd., S. 4–5. 313 Ebd., S. 5. 314 Ebd., S. 4. 315 Ebd., S. 5. 316 Ebd., S. 6. 317 Aus dem Tagebuch des Lu¨beckischen Bu¨rgermeisters Henrich Brokes, Teil 2, S. 7. 318 Ebd.
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bezeichnet.319 Die Schilderung Brokes vermittelt den Eindruck, dass es sich nicht so sehr um den Inhalt der Wahl – die Person des Kandidaten – handelte, der bei diesem Konflikt die Hauptrolle spielte, sondern um eine Ausbalancierung des Machtgefu¨ges zwischen Ministerium und Rat, vertreten durch den Ratsherrn Brokes und den Senior Dobbin. Wie sehr dies auch die Lu¨becker Bevo¨lkerung selbst wahrnahm, zeigt der große Andrang in St. Petri bei der feierlichen Amtseinfu¨hrung von Stampelius.320 Auch ein Jahr spa¨ter, im Jahr 1612, sollte es anla¨sslich einer Pastorenwahl an St. Aegidien zu Konflikten zwischen Brokes und Dobbin kommen, bei denen der Machtkampf zwischen diesen als Vertreter von Rat und Ministerium noch deutlicher zum Ausdruck kam. Ratsherr und Pastor, begannen nun in viel sta¨rkerem Ausmaß als ein Jahr zuvor, in allgemeinen theologisch-politischen Begriffen u¨ber die Rechte weltlicher und kirchlicher Obrigkeit zu diskutieren.321 Das Bemu¨hen Dobbins, einen dem Ministerium genehmen Kandidaten durchzusetzen, scheiterte wiederum: Bei der Auseinandersetzung, die Dobbins Kandidat mit Brokes vor den anderen versammelten Geistlichen fu¨hrte, diskreditierte sich dieser Kandidat durch seine offen zur Schau getragene Konfliktbereitschaft vor den anderen Geistlichen.322 Alle Beteiligten waren erleichtert, dass dann doch ein sehr viel kompromissbereiterer Geistlicher eingesetzt wurde: Viele Geistliche befu¨rchteten, durch einen aggressiven Prediger in Konflikte sowohl mit dem Rat als auch mit der Gemeinde zu geraten.323 Brokes gelang es, die anwesenden Geistlichen auch fu¨r die Zukunft gegen den vom Ministerium favorisierten Kandidaten einzunehmen.324 Der Konflikt zwischen Rat und Ministerium verlieh der Amtseinfu¨hrung in Lu¨beck eine dramatische Qualita¨t. Die Gemeinde konnte durch ihr zahlreiches Erscheinen und informelle Zustimmungsbekundungen Stellung in diesem Streit beziehen. Der Bu¨hnencharakter stand dem urspru¨nglich durch Bugenhagen festgelegten Ziel entgegen, die eigentliche Einfu¨hrung des neuen Pastors so schlicht wie mo¨glich zu gestalten.325 Entgegen dem Wortlaut der Bugenhagenschen Ordnung beharrten die Vertreter der Geistlichkeit auf dem formalen Prinzip der richtigen Amtskleidung. Der Pastor stellte sich bei seiner feierlichen Introduktion der Gemeinde vor und vertrat dabei gleichzeitig das Ministerium. Daher legten sie Wert auf eine Repra¨sentation, die spiegelbildlich den Prinzipien der politischen Repra¨sentation – Kleidung und Pra¨zedenz – im Ratszug entsprach. So bestand man nicht nur darauf, dass eine angemessene Kleidung gewa¨hlt wurde, sondern es kam auch zu einer Spaltung der inneren und a¨ußeren Repra¨sentation innerhalb des Ministeriums, 319 Lu¨becker Kirchenordnung von Johannes Bugenhagen, S. 100: „Besondere Kleidung oder Pracht brau-
chen wir nicht zu dieser Sache, sondern diese vorher beschriebene Einfu¨hrung steht, wie man sehen kann, nur auf diesen zwei notwendigen Stu¨cken: Erstens, dass wir Gott die Sache mit unserem Gebet anbefehlen; zweitens, dass die Gemeinde den sehe und kennenlerne, der zum Predigtamt und zum Seelsorger erwa¨hlt ist, damit sie ihn dafu¨r halte.“ 320 Aus dem Tagebuch des Lu¨beckischen Bu¨rgermeisters Henrich Brokes, Teil 2, S. 7. 321 Ebd., 254–255. 322 Ebd., S. 256. 323 Ebd. 324 Ebd.: „Ich habe [...] auch den Pastoren angemeldet, dass es nicht rathsam wa¨re, dass man den Sinknecht sollte weiter auf die Kanzel allhier kommen lassen, sie mo¨chten die Vorsehung thun, dass solches mo¨ge verhu¨tet werden, welches sie dann zu bestellen angelobet.“ 325 Vgl. Anm. 319.
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wie anla¨sslich des Amtsantritts des 1623 feierlich eingefu¨hrten Lu¨becker Superintendenten Nikolaus Hunnius: Dieser musste seinen Amtskollegen versprechen, zwar in publicis conventibus, das heißt bei in der Stadt o¨ffentlich sichtbaren Feiern wie Hochzeiten und Begra¨bnissen den Vortritt vor dem gesamten Ministerium einzunehmen. Bei Zusammenku¨nften des Ministeriums jedoch sollte er nicht auf seinem Vorrang bestehen. Dieser stu¨nde ihm aufgrund seines Alters – er war der ju¨ngste Geistliche – nicht zu.326 Die Mechanismen der Repra¨sentation inner- und außerhalb der Gruppe der Geistlichen unterschieden sich in diesem Fall nicht von denen weltlicher Korporationen. Auch in Hamburg lassen sich Konflikte zwischen Rat und Ministerium anla¨sslich von Pastorenwahlen beobachten. Auch hier diente die Pra¨sentation des Kandidaten vor der Gemeinde als Testfall: War ein Pastor unbeliebt, sta¨rkte das meist die Position des Hamburger Rates. Der Widerstand der Gemeinde richtete sich gegen moralisch besonders strenge Geistliche, die auf Wunsch des Ministeriums eingesetzt wurden. Zudem wurde die Abha¨ngigkeit des Ministeriums von seiner ratsherrlichen Gewalt demonstriert, wenn der Rat die Kandidaten vor dem Unmut der Gemeinde schu¨tzen musste.327 Im Jahre 1620 ging der Hamburger Rat in der Demonstration seiner Hoheitsrechte so weit, das gesamte Ministerium aus Anlass der Neuwahl eines Pastors vorzuladen, um ihm neue Steuerpla¨ne vorzuschlagen, die nicht mit den Wahlen in Verbindung standen.328 Wie in Lu¨beck la¨sst sich beobachten, dass sich die Position der Geistlichkeit gegenu¨ber dem Rat verschlechterte. Die Kirchenordnungen legten zwar die Rechte des Ministeriums bei der Auswahl eines geeigneten Kandidaten genau fest. Diese wurden jedoch im Laufe des 16. Jahrhunderts immer weiter beschnitten. So geriet zum Beispiel noch im Jahre 1549 ein Pastor, der der favorisierte Kandidat von Rat und Kirchspielherren gewesen war, in heftige Kritik durch seine Amtskollegen. Das Ministerium erkannte ihn nicht an und erreichte die Neubesetzung der Stelle,329 ohne dass der Rat protestiert ha¨tte.330 Gut achtzig Jahre spa¨ter beriefen sich Rat und Kirchspielherren auf „alte Gewohnheit“, nach der die Geistlichen kein bindendes Pra¨sentationsrecht besa¨ßen, das heißt nur nach Gutdu¨nken in das Wahlverfahren einbezogen wurden, und lehnten eine Neubesetzung in einem a¨hnlichen Fall rundheraus ab.331 Auch die fortschreitende Institutionalisierung des Verfahrens fand zu Ungunsten der Geistlichkeit statt: So einigten sich am 9. September 1644 Rat und Kirchspielherren u¨ber einen Wahlmodus, ohne dass sie Zustimmung oder Beteiligung des Ministeriums in Erwa¨gung zogen.332 326 Zitiert nach Heller, Nikolaus Hunnius, S. 51–52. 327 Vgl. STAH, 511–1, Ministerium, Protokolle 1609–1635, S. 4: Den 8. Decemb. [1609] ward M. Lange-
marcke von Senioren zu S. Jacob zu einen Capellan eingefu¨hrt, das verdroß den Leuten daselbst sehr, war die Kirche voll Volcks und her omnes gesindlein und hatte ihm dem Seniore gedawert, wa¨re auch wohl etwas erfolget, wen nicht ein Ehrbar rath heimlich bestellt gehabt, die achtung darauff geben muste. 328 STAH, 511–1, Ministerium, Protokolle 1609–1635, S. 31. 329 Vgl. Anm. 309. 330 Ebd. 331 STAH, 511–1, Ministerium, Protokolle 1609–1635, S. 54–55; weitere Beispiele fu¨r dieselbe Entwicklung fu¨hrt Mo¨nckeberg, St. Nikolai-Kirche, S. 88–89, auf. 332 Vgl. Mo ¨ nckeberg, St. Nikolai-Kirche, S. 90.
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In Bremen teilten sich die Bu¨rgerschaft, die durch die Baumeister der Gemeinden repra¨sentiert wurde, sowie Rat und Ministerium das Recht zur Wahl der Geistlichen.333 Allein aus Bremen ist es u¨berliefert, dass sich Gemeinden nicht nur bei der feierlichen Amtseinfu¨hrung oder wa¨hrend der Gottesdienstfeierlichkeiten zu einem ihnen pra¨sentierten Geistlichen a¨ußerten, sondern auch aktiv versuchten, ihren Willen gegenu¨ber Rat und Ministerium durchzusetzen. Im Jahre 1616 versuchte die St. Ansgari-Gemeinde, Philipp Ca¨sar als Pfarrer wiederzugewinnen, der aufgrund von Streitigkeiten mit seinen Amtskollegen aus Bremen weggezogen war.334 Dies scheiterte am Widerstand des Ministeriums. Zehn Jahre spa¨ter versuchte die St. Stephani-Gemeinde, die Wiederberufung desselben Pfarrers durchzusetzen. Die St. Martini-Gemeinde schloss sich diesem Vorhaben an.335 Die Bremer Geistlichkeit zeigte trotz dieser sich ausweitenden Proteste wenig Kompromissbereitschaft. Statt einer Antwort an beide Gemeinden ließ sie o¨ffentliche Gebete fu¨r die Einigkeit der Stadt abhalten. Daraufhin bat der Rat das gesamte Ministerium zu sich auf das Rathaus und zwar in ho¨chst formalisierter Weise, na¨mlich durch o¨ffentliche Abku¨ndigung durch einen Rathausdiener.336 Auch gegenu¨ber soviel zeremoniellem Aufwand zeigte sich die Bremer Geistlichkeit unempfindlich und weigerte sich einzulenken. Nach einer zweiten ergebnislosen Zusammenkunft von Rat und Geistlichkeit auf dem Rathaus setzte der Rat, unterstu¨tzt von den Mitgliedern der St. MartiniGemeinde, die Wiederereinsetzung des Pfarrers Philipp Ca¨sar mit Gewalt durch: Unter Schutz des Rates predigte Philipp Ca¨sar in ihrer Pfarrkirche. Die Gemeinde drohte außerdem, seine Teilnahme an den Sitzungen des Ministeriums mit Gewalt zu erzwingen.337 Wie in Lu¨beck und Hamburg standen sich also auch hier Rat und Geistlichkeit im Konflikt um die Einsetzung oder Absetzung eines bestimmten Geistlichen gegenu¨ber.338 Allein in Bremen ist aber festzustellen, dass die Stadtgemeinde den ihr von Rat und Geistlichkeit zugestandenen Zuschauerraum verließ und aktiv eingriff. Bei den Ritualen zu Ehren eines neu eingesetzten Patriarchen oder Primicerio verdeutlichte die rituelle Form selbst die Verbindung von sta¨dtischer und kirchlicher Repra¨sentation. Dies war in den Hansesta¨dten nicht der Fall. Dennoch bema¨chtigte sich die Stadt der Amtseinfu¨hrung der Pfarrer. Der rituelle Ablauf von Wahl und Amtseinsetzung nahm in den protestantischen Stadtrepubliken mit einem Male eine sehr viel wichtigere Bedeutung bei der Repra¨sentation von Machtanspru¨chen als in Venedig ein. Bemerkenswert hierbei ist die besonders aktive Rolle der Gemeinden in Bremen, die verschiedene Vermutungen zulassen: Sie weisen auf die hohe Bedeutung und damit Einbettung der Pfarrer in die Gemeindestruktur hin. Allerdings ist
333 Vgl. Veeck, Geschichte der Reformierten Kirche Bremens, S. 2. 334 Vgl. Johann M. Kohlmann, Philipp Ca¨sar. Ein Lebensbild aus der Bremischen Kirchengeschichte,
in: BremJb 2 (1866), S. 14–47. Ca¨sar setzte sich fu¨r eine Auslegung der Pra¨destinationslehre im streng reformierten Sinne ein. 335 Vgl. Kohlmann, Philipp Ca¨sar, S. 22. 336 Vgl. ebd. 337 Ebd., S. 22–33. 338 Vgl. Veeck, Geschichte der Reformierten Kirche Bremens, S. 55–70.
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hierbei zu bedenken, dass auch aus Lu¨beck und Hamburg das große Interesse der Gemeinden an der Besetzung der Pfarrer durch die hohe Zahl von Besuchern bei Amtseinfu¨hrungen und durch Unmutsbekundungen bezeugt ist. Eventuell fu¨hlten sich also die Hamburger Gemeinden zum Beispiel so gut durch die Kirchspielherren repra¨sentiert, dass sie eine direkte aktive Einflussnahme fu¨r unno¨tig hielten. Die aktive Haltung der Bremer Gemeinden la¨sst sich aber auch damit in einen Zusammenhang bringen, dass der Amtseinfu¨hrung im reformierten Kontext noch weniger als in Hamburg und Lu¨beck eine liturgisch hergestellte Bedeutung zukam, sie dementsprechend auch noch leichter ru¨ckga¨ngig gemacht werden konnte. Kirchliche und sta¨dtische Bezu¨ge verschra¨nken sich in der Repra¨sentation der Geistlichkeit in den Ritualen zur Amtseinfu¨hrung in jeweils eigener Weise, die auch mit den unterschiedlichen liturgischen Voraussetzungen in Zusammenhang gebracht werden mu¨ssen. Der rituellen Selbstdarstellung kommt in Venedig eine andere Funktion als in Hamburg und Lu¨beck sowie wiederum in Bremen zu. In beiden Bereichen bildet sich aber auch keine eigensta¨ndige Repra¨sentation der Geistlichen heraus, selbst wenn sie diese anstreben, wie sich etwa auch in ihrem Willen zur Durchsetzung von Pra¨zedenzrechten erkennen la¨sst. Die politischen Magistrate und auch die Bu¨rgerschaft in den Hansesta¨dten nahmen vielmehr jeweils explizit Deutungshoheit u¨ber die Geistlichkeit – ihre Person und ihre Repra¨sentation – fu¨r sich in Anspruch. Dies legitimieren sie jeweils mit demselben Hinweis, mit dem die Geistlichen ihre eigene Vorrangstellung begru¨nden, na¨mlich dem Hinweis auf die christlichen Fundamente der sta¨dtischen Ordnung. Zu fragen wa¨re nun, wie sich das Verha¨ltnis von sta¨dtischer, geistlicher und familia¨rer Repra¨sentation in einem Bereich gestaltete, der weniger stark von den politischen Konstellationen innerhalb der Sta¨dte bestimmt war, na¨mlich den Ritualen, mit denen an verstorbene Geistliche erinnert werden sollte. Wie fu¨r politische Amtstra¨ger so la¨uteten auch fu¨r ranghohe Geistliche die Glocken der Kirche von San Marco: fu¨r den Patriarchen sechs Mal, fu¨r den Primicerio drei Mal.339 In der durch die Glocken angezeigten Hierarchie wurde der Patriarch also genau zwischen einem Dogen und einem Procuratore di San Marco platziert. Ein Primicerio wiederum war im La¨uten der Glocken einem Procuratore di San Marco gleichgestellt. Begra¨bnisfeierlichkeiten zu Ehren verstorbener Patriarchen und Primiceri waren Ereignisse, die allein schon durch das La¨uten der Glocken von San Marco stadtweit Aufmerksamkeit erhielten. Die aufwendigen Begra¨bnisriten zu Ehren eines verstorbenen Patriarchen waren, wenn auch nicht in so hohem Maße wie sein Possesso, genauso wie die Begra¨bnisse der politischen Amtstra¨ger Gegenstand detaillierter Regelungen und Beschreibungen in den politischen und kirchlichen Zeremonialbu¨chern.340 Aber nicht nur bei den Begra¨bnisfeierlichkeiten des Patriarchen ist die starke Einbindung der Begra¨bnisrituale fu¨r Geistliche jeden Ranges, egal ob sie dem Dogen oder dem Patriarchen 339 Vgl. ASV, Coll., cerim., rg. 1, fol. 10.; BM, Cod. It. VII, 396 (7423), Pace, Ceremoniale Magnum,
S. 424–426.
340 Die Begra¨bnisse werden in BM, Cod. It. VII, 1639 (7540), Gnecchi, Ceremoniale und ASV, Coll.,
cerim., rg. 1 sowie in BM, Cod. lat. III, 172, Bonifacio, Rituum cerimoniale, nicht erwa¨hnt, dafu¨r aber in BM, Cod. It. VII, 396 (7423), Pace, Ceremoniale Magnum, S. 183–184 und S. 336–338.
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unterstanden, in das venezianische Zeremonialwesen auffa¨llig. Beim Begra¨bnis eines Primicerio erhielt die Familie des Verstorbenen genaue Handlungsanweisungen,341 bei der Bestattung eines Patriarchen die diesem unterstehende Geistlichkeit. So teilte zum Beispiel anla¨sslich des Begra¨bnisses des im Jahre 1599 verstorbenen Patriarchen Lorenzo Priuli der venezianische Senat der Geistlichkeit von San Pietro di Castello genaue Zahlen fu¨r den Kostenaufwand mit: Dieser sollte zwar eine wu¨rdige Feier ermo¨glichen, aber auch nicht die Einku¨nfte des Bistums zu stark belasten.342 Aus Anlass des Begra¨bnisses des Patriarchen wurde der eigentliche rituelle Schwerpunkt umgekehrt und von San Marco zur Kathedrale verlagert: Geistliche und politische Wu¨rdentra¨ger versammelten sich zu einem gemeinsamen Zug vor der Kirche.343 Dem toten Patriarchen kam dabei genau derselbe Prachtaufwand zu wie dem Dogen.344 Der venezianische Senat gab nicht allein die Kosten vor, sondern regelte auch genau den Ablauf der Feier: So legten zum Beispiel Senat und Signoria das La¨uten der Kirchenglocken und den Beginn der Gebete zu Ehren des Patriarchen Priuli genau fest, ohne dass die Geistlichkeit von San Pietro di Castello an der Entscheidungsfindung beteiligt gewesen wa¨re.345 Politische Wertungen bestimmten auch die Wu¨rdigung verstorbener Geistlicher in Lebensbeschreibungen und Reden, die zu ihrem Gedenken verfasst worden waren. So vermerkte zum Beispiel der venezianische Humanist Antonio Stella in einer Rede zu Ehren des im Jahre 1554 verstorbenen Patriarchen Geronimo Querini, dass der Doge ihm den Auftrag gegeben ha¨tte, diese Rede zu halten.346 Auch la¨sst sich ein ¨ bergewicht an sta¨dtisch-politischen gegenu¨ber rein theologischen Themen in dieser U und anderen Leichenreden zu Ehren verstorbener Patriarchen feststellen. Zuna¨chst lobte Stella ausfu¨hrlich den amtierenden Dogen.347 Anschließend erla¨uterte er, in welcher Weise der Patriarch in die sta¨dtische Gemeinschaft eingebunden war, indem er auf die Rolle der Vorfahren des Verstorbenen in der politischen Geschichte Venedigs einging.348 Selbst die Wu¨rdigung des Amtes des Patriarchen verband Stella mit der venezianischen Vergangenheit, ohne auf theologische Aspekte einzugehen.349 Auch eine nur ein Jahr spa¨ter gedruckte Begra¨bnisrede zu Ehren des 1555 verstorbenen Patriarchen Pietro Francesco Contarini hebt in antikisierender Manier eher die Bu¨rgertugend denn die geistlichen Fa¨higkeiten des Verstorbenen hervor: 341 ASV, Procuratori di San Marco de supra, bu. 86, Cariche ed Impiegati del Clero, Eintrag zum
23. Februar 1563.
342 ASV, Coll., cerim. fz. 1, 1577–1602, Eintrag zum 31. Januar 1599. 343 Ebd. 344 BMC, Cod. Cic. 3752, Savina, Cronaca, Teil 2, S. 717: Adı` 8 Dec.re venne a` Morte el Diedo Pat.ca de
Venetia, el quale fu` sepulto in Chiesa di Castello, con medesima Pompa, che si osserva nelle essequie del Dose. – „Am 8. Dezember starb Diedo, Patriarch von Venedig, der in der Kirche von Castello begraben wurde, mit demselben Aufwand, den man bei Begra¨bnisfeierlichkeiten des Dogen beachtet.“ 345 Vgl. Anm. 339. 346 Vgl. Antonio Stella, Oratio, in funere praeclarissimi viri Hieronymi Quirini Patriarchae Venetiarum, Ad Illustrißimum Principem Franciscum Venerium, & ad eius amplißimum Senatum, Habita tertio nonas Septemb., Venedig 1554, S. 3. 347 Vgl. Stella, Oratio, S. 3. 348 Ebd., S. 5–7. 349 Ebd., S. 13–14.
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Perche` Athene e` dotta? perche Roma triompha? perche Vinegia e` vergine? forse per la dispositione del cielo? per la forma della citta`? per la bellezza de i pallaggi? opure perche quelle hebbero i Soloni, i Demosteni, i Platoni, i Lelii, i Fabij, e Scipioni? e questa tanti huomini singulari, che ’l ricordarli a voi sarebbe superfluo? E pero` sicuramente posso dire, che quella occasione di esercitare le sue virtu` celesti, laquale diede al nostro Santißimo Patriarca la nobilta` della patria, ha egli talmente compiuta, & illustrata che da lui si vede piu di splendore venire in lei, che da quella nascerli molta gloria.350 Die Einbindung des Patriarchen in die venezianische Republik als ideeller Gemeinschaft beruhte nicht so sehr auf seinen individuellen geistlichen oder politischen Tugenden, sondern auf der langen Dauer, mit der seine Familie sich loyal zur Repu¨ mter, blik, sei es bei der Bekleidung politischer, sei es bei der Ausu¨bung kirchlicher A verdient gemacht hatte.351 Eine vergleichbare Einscha¨tzung findet sich bei der Charakterisierung Contarinis in Savinas Stadtchronik. Der Chronist hob hervor, dass dieser, bevor er das geistliche Amt antrat, bereits viele Stufen des politischen venezianischen Cursus honorum durchlaufen habe. Zwischen den Zeilen ist allerdings die Kritik Savinas an diesem in seinen Augen recht abrupten Wechsel von der politischen zur geistlichen Laufbahn zu erkennen.352 Angesichts der politischen Kontrolle der Repra¨sentation des Patriarchen durch die politischen Institutionen u¨berrascht es nicht, dass die Begra¨bnisse der Primiceri gleichfalls durch die politischen Institutionen genau geregelt wurden.353 Eine von den Procuratori di San Marco im Jahre 1560 erlassene Regelung aus Anlass des Ablebens des Primicerio legte nicht nur die Ausgabenverteilung zwischen Familie und Geistlichkeit von San Marco fest,354 sondern gab auch genaue Vorschriften u¨ber Form und Dauer der Anwesenheitspflicht bei der Begra¨bnisfeierlichkeit.355
350 Pietro Basadonna, Oratione Recitata in Morte del Reverendiss. Patriarca Contarini, Venedig 1557, s. p.:
„Warum ist Athen gelehrt ? Warum triumphiert Rom? Warum ist Venedig eine Jungfrau? Vielleicht wegen der Beschaffenheit des Himmels [u¨ber ihnen]? Aufgrund der Form der Stadt? Aufgrund der Scho¨nheit der Palazzi ? Oder, weil jene ihre Solons, Demosthenesse, Platons, Lelii, Fabii und Scipioni hatten? Und diese soviele einzigartige Ma¨nner, dass an jene Euch zu erinnern, u¨berflu¨ssig ist? Und daher kann ich sehr sicher behaupten, dass jene Gelegenheit, seine himmlischen Tugenden auszuu¨ben, die unserem sehr heiligen Patriarchen die Adeligkeit seiner Heimat gab, er so erfu¨llt hat, & bewiesen hat, dass von ihm mehr Glanz zu ihr kommt, als von jener ihm viel Ehre geboren werde.“ 351 Basadonna, Oratione, s. p. 352 BMC, Cod. Cic. 3752, Savina, Cronaca, S. 707: Morı` in questo anno el Querini Patriarca di Venetia, el quale haveva vivesto in Patriarcado anni trenta, et per el Concegio de Pregadi fu` eletto Piero Francesco Contarini homo secolare, che haveva habbude molte dignita` nel Senato. Era oltre le altre state Avogador de Comun. Questo fattose Sacerdote, visse in Patriarcado [...] et venne a` morte del 1555. – „Es starb in diesem Jahr Querini, Patriarch von Venedig, der dreißig Jahre lang dieses Patriarchenamt bekleidet hatte, und auf den Beschluss des Senats hin wurde Piero Francesco Contarini gewa¨hlt, ein weltlicher ¨ mter im Senat bekleidet hatte, zu all den anderen auch Avogador de Comun [die Mann, der viele A Avogadori de Comun waren fu¨r die Einhaltung der Gesetze, zum Beispiel auch bei neuen Beschlu¨ssen, zusta¨ndig]. Dieser wurde zum Priester geweiht, lebte als Patriarch [...] und starb im Jahre 1555.“ 353 Vgl. BM, Cod. It. VII, 396 (7423), Pace, Ceremoniale Magnum, S. 153. 354 Vgl. ASV, Procuratori, bu. 86, Cariche ed Impiegati del Clero. Eintrag zum 19. Dezember 1560. 355 Ebd.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
Obwohl die Begra¨bnisse von Patriarchen und Primiceri eigentlich Rituale darstellten, die zur Repra¨sentation politischer Konkurrenzverha¨ltnisse weniger Raum gaben, u¨berwog in ihnen fast noch mehr als in den Amtseinfu¨hrungsritualen das Bemu¨hen, die Repra¨sentation zu kontrollieren, was die Anordnungen des Senats zeigen, und den Verstorbenen keinen eigensta¨ndig geistlichen Raum in ihrer Einbeziehung in das Geda¨chtnis der Stadt zu gewa¨hren. In Hamburg und Lu¨beck ließ der Rat die Superintendenten ihrer Stadt in Bildnissen, Epitaphien und Reden ehren und wiesen ihnen damit einen herausgehobenen Platz im sta¨dtischen Repra¨sentationssystem zu. So bezahlte der Lu¨becker Rat im Jahre 1548 zum Beispiel sowohl Grab als auch Geda¨chtnisbild des ersten Lu¨becker Superintendenten Hermann Bonnus in der Marienkirche.356 Die an Scha¨rfe zunehmenden Auseinandersetzungen im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts sollten an der gesamtsta¨dtischen posthumen Ehrung des wichtigsten Geistlichen der Stadt nichts a¨ndern: Der Lu¨becker Superintendent Nicolaus Hunnius wurde im Jahr 1643 prachtvoll bestattet, obwohl er sich als ein streitbarer Widerpart des Rates erwiesen hatte.357 In Venedig wurden die Patriarchen durch die Anzahl des La¨utens eine Stufe unter den Dogen gestellt. In Lu¨beck hingegen wurden den Pastoren im Unterschied zu ihrer zeremoniellen Behandlung zu Lebzeiten bei ihrer Beerdigung dieselbe Glockenanzahl, Gesang und Gefolge zugestanden wie den Bu¨rgermeistern und ihren Familienangeho¨rigen.358 Eine entsprechende Notiz aus den Kirchenbu¨chern der Lu¨becker Marienkirche zeigt, dass die Beerdigung des Pfarrers Michael Sirich im Jahre 1648 tatsa¨chlich so prachtvoll abgehalten wurde.359 Auch in Hamburg fanden die Beerdigungszu¨ge, insbesondere jene zu Ehren der Superintendenten in einer Weise statt, die sie mit Begra¨bnisfeierlichkeiten fu¨r Bu¨rgermeister vergleichbar machten.360 Genau wie die Amtseinfu¨hrungen der Prediger waren ihre feierlichen Beerdigungen auch Demonstrationen ihrer sta¨dtischen Popularita¨t. Dem Rat boten sie aber die Gelegenheit, eine legitimationsstiftende Einigkeit mit der Geistlichkeit vorzufu¨hren, die zu Lebzeiten der Geehrten wohl teilweise schwierig zu demonstrieren gewesen wa¨re. Die rituelle Repra¨sentation der Geistlichen wurde zugunsten einer gesamtsta¨dtischen vereinnahmt. Ein etwas anders gewichtetes Bild tritt bei einer Analyse der Gelegenheitsliteratur zutage, die aus Anlass der Beerdigungen von Geistlichen entstand. So hob zum
356 Vgl. Gottschalck Kirchring und Gottschalck Mu¨ller, Compendium Chronicae Lubecensis, Oder Aus-
zug und Historischer Kern Lu¨bischer Chronicken Aus verschiedenen Authoribus als: Alberto Crantzio, Hermanno Bonno, Chythreo, Reimaro Kock, Reckmann, Helmoldo, Rehbeen, Angelo, Petersen/ und andern dergleichen Scribenten, auffs fleißigste extrahiret/ und biß auff jetzige Zeiten continuiret, Hamburg 1678, S. 221. 357 Vgl. Starcke, Lubeca Lutherano-Evangelica [...] Kirchen-Historie, S. 885. 358 Vgl. AHL, Miscellanea, Rerum Lubecensium, Bd. 2: Varia, handschriftliche Abschrift einer Begra¨bnisordnung, 1619, S. 1109–1123, hier: S. 1109. 359 AHL, Archiv St. Marien Kirche, Pastor, III. Beerdigung, Auszug aus den Kirchenbu¨chern zu St. Marien, ungeordneter Bestand: A.o 1648 in der 11 Woch nach Mich.: Dienstag wart bestellt fu¨r Sehl. H. M. Michael Sirichs Pastoren, so dieser Kirchen ins 33 Jahr treulich gedienet, das doppelte Stundenla¨uten, das erste, mit der großen, das ander mit der bejden ordinari glocken. 360 Vgl. Ho ¨ ck, Bilder aus der Geschichte der hamburgischen Kirche, S. 34.
3.4. Zwischen Kirche und Stadt: Die Repra¨sentation der Geistlichkeit
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Beispiel der Verfasser eines Epitaphs auf den im Jahre 1574 verstorbenen Pastor von St. Jacobi in Lu¨beck, Peter Christian von Friemersheim, allein dessen Verdienste um die Reinheit des von ihm verfochtenen Glaubens hervor.361 Das Volk wurde in diesem Epitaph nur in Form des vom Hirten gefu¨hrten Christenvolks thematisiert.362 Die sta¨dtischen Bezu¨ge sind hingegen in Hamburger Zeugnissen zu Ehren verstorbener Geistlicher sehr viel sta¨rker ausgepra¨gt. Die im Jahre 1608 auf seinen verstorbenen Amtskollegen Philipp Nicolai von Georg Dedeken verfasste Trauerpredigt zitierte zwar auch das Bild des „miles Christianus“.363 Der Tod Dedekens erschien Nicolai aber nicht nur als ein Verlust fu¨r die gesamte Christenheit, sondern auch spezifisch fu¨r Hamburg: „Ach Hamburg, Hamburg [...] was hast du verloren! Ein hoher, großer Schatz ist dir entgangen, ein Auge ist dir weggerissen und hast einen großen Mann Gottes verloren.“364 Auch in den u¨berlieferten Epitaphien im Gedenken an Hamburgs ersten Superintendenten Johannes Aepin ist es seine Gelehrsamkeit, die hervorgehoben wurde: Diese ha¨tte ihn als Ratgeber fu¨r Hamburg besonders wertvoll gemacht.365 Im Unterschied zum Bild des miles Christianus ermo¨glichte das Bild des Gelehrten und Lehrers eine engere Verbindung des Verstorbenen mit Tugenden, die als fu¨r das Gemeinwesen fo¨rderlich empfunden wurden. Eine Memorialliteratur, die mit der zu Ehren der Hamburger, Lu¨becker oder venezianischen Geistlichen verfassten verglichen werden ko¨nnte, fehlt fu¨r Bremen ga¨nzlich. Dies entspricht dem Fehlen jeglicher Quellen zu aufwendigen Begra¨bnisfeierlichkeiten. La¨sst sich dieser auffa¨llige Unterschied mit der allma¨hlichen Ausbildung zweier unterschiedlicher Repra¨sentationskulturen erkla¨ren? Zum einen mit der Repra¨sentationskultur einer Geistlichkeit, die – vergleichbar etwa den politischen Magistraten – auf Mechanismen und Merkmale einer Repra¨sentationskultur zuru¨ckgriff, die durch eine stark stadtbu¨rgerlich und auch intellektuell humanistisch gepra¨gte Werte- und Symbolwelt gepra¨gt war, wie im Falle der lutherischen Geistlichen in Hamburg und Lu¨beck. Zum anderen mit einer Repra¨sentationskultur, die zumindest im Falle der nur den Geistlichen vorbehaltenen ehrenvollen (Selbst-)Darstellung auf diese Merkmale bewusst verzichtete? Hierzu wa¨re es notwendig, zusa¨tzlich zu Bremen Begra¨bnisfeierlichkeiten und Memorialliteratur auch in anderen reformierten Stadtgemeinden zu recherchieren. Daher kann hier nur mit
361 Vgl. Starcke, Lubeca Lutherano-Evangelica [...] Kirchen-Historie, S. 275: vgl. zum Beispiel den
Schluss des recht langen Epitaphs Pugnans pro Christi plebe subinde tulit/ Dum placide moritus curis exhaustus & annis/ Dans animam coelo, membra caduca solo./ Suffice tu similes ovium, Pater alme, magistros,/ Suffice, nempe frurit trux ad ovile Satan,/ Ut sincera tui carpentes pabula verbi/ Ut sincera tui carpentes pabula verbi,/ Laudibus aeternem te celebremus. – „Ka¨mpfend fu¨r Christus ist er von hier vom Volk geeilt/ Wa¨hrend er friedlich gestorben, von Sorgen und Jahren erscho¨pft/ Gibt er seinen Geist dem Himmel, die abgefallenen Glieder der Erde./ Erwa¨hle Du, Vater, a¨hnliche Lehrer der Herde,/ erwa¨hle, denn noch ergo¨tzt sich nah am Schafstall der wilde Satan,/ erwa¨hle, damit die Deinen an den unversehrten Weiden des Wortes grasen,/ mit Lobpreisungen werden wir Dich ewig preisen.“ 362 Starcke, Lubeca Lutherano-Evangelica [...] Kirchen-Historie, S. 275. 363 Vgl. Ho ¨ ck, Bilder aus der Geschichte der hamburgischen Kirche, S. 40. 364 Ebd. 365 Memoriae Hamburgenses sive Hamburgi, Et Virorum de Ecclesia, Reque publica & Scholastica Hamburgensi bene meritorum. Elogia & Vitae, hg. v. Johann A. Fabricius, Hamburg 1710, S. 86–95.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
dieser vorla¨ufigen Vermutung auf die offensichtlichen und erkla¨rungsbedu¨rftigen Unterschiede hingewiesen werden. Mit Ausnahme Bremens la¨sst sich fu¨r Venedig, Hamburg und Lu¨beck eine starke Kontrolle der feierlichen Kommemoration an die Geistlichen in Ritual, Text und Bild feststellen, die noch durch eine Analyse der Grabma¨ler, die hier allerdings nicht vorgenommen werden kann, erga¨nzt werden ko¨nnte. Der Geistlichkeit bleibt kein Raum zur eigensta¨ndigen Gestaltung des Erinnerns an ihren Ordensbruder oder Amtskollegen, anders als etwa den Familienangeho¨rigen der politischen Magistrate. Dies zeigt ¨ bersich auch daran, dass sich bei den Begra¨bnisfeierlichkeiten kein schrittweiser U gang von der Ehrung des Toten als Amtstra¨ger hin zu dem Gedenken an ihn als Familienmitglied beobachten la¨sst. Damit wurde noch sta¨rker als bei den Magistraten die u¨ber den Tod hinausgehende Dauer der Verbindung von geistlicher Wu¨rde und Person hervorgehoben. Die Einbindung der verstorbenen Geistlichen in den sta¨dtischen Werterahmen entspricht daher der Stellung, die ihnen die politischen Magistrate auch zu ihren Lebzeiten zuweisen wollten: Als gelehrte Ratgeber der Stadt, die dem Senat dienten.
3.4.2. Rom und Venedig – Rom in Venedig: Die zeremonielle Stellung des Nuntius und der venezianischen Kardina¨le Bischof und Domkapitel nahmen in den Hansesta¨dten jeweils eine Sonderstellung ein: So unterlagen die Kapitelangeho¨rigen speziellen Pra¨zedenzregelungen. Die Anwesenheit des Bischofs bei sta¨dtischen Festen wurde in Lu¨beck um 1600 mo¨glichst vermieden. In Bremen mussten besonders im Rahmen der so genannten Huldigungen sta¨rkere Kompromisse gemacht werden, wenn auch nicht in so hohem Ausmaß, als dass man von einer dauerhaften zeremoniellen Pra¨senz des Erzbischofs in Bremen ¨ bertritt sprechen kann.366 Der allma¨hliche Wechsel der Kapitelbesetzungen und der U der Bischo¨fe zum evangelischen Glauben enthoben die Hansesta¨dte dem Problem, wie mit Vertretern der Kurie als Geistliche innerhalb ihrer Mauern umzugehen sei. ¨ bertritt der Stadtgemeinden zur Reformation, dem sich mit zeitlicher Mit dem U Verzo¨gerung die Lu¨becker, Hamburger und Bremer Domkapitel sowie der Bremer Erzbischof und der Lu¨becker Bischof anschlossen,367 verlor die rituelle Behandlung 366 Fu¨r Lu¨beck und Hamburg vgl. Antjekathrin Grassmann, Lu¨beck, Freie Reichsstadt und Hochstift.
Wendische Hafensta¨dte Hamburg, Wismar, Rostock, Stralsund, in: Die Territorien des Reiches im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Bd. 6: Nachtra¨ge, hg. v. Anton Schindling/Walter Ziegler, Mu¨nster 1991, S. 114–129; Wolfgang Prange, Das Lu¨becker Domkapitel, in: 800 Jahre Dom zu Lu¨beck, hg. vom Kirchenvorstand der Evangelisch-lutherischen Dom-Gemeinde zu Lu¨beck, Lu¨beck 1973, S. 109–129. 367 Anfang August des Jahres 1530 wurde die Messe im Lu¨becker Dom abgeschafft, aber erst gut dreißig Jahre spa¨ter, im Jahre 1561, kam es zur Wahl des evangelischen Bischofs Eberhard von Holle. Die¨ bergang des Domkapitels zum evangelischen Glauben: Im Jahre sem Schritt folgte der sehr langsame U 1594 mussten Domherren nicht mehr geweiht sein, aber erst 1617 sollten auch die Vikare sich schriftlich davon lossagen, dass die Domgeistlichen katholisch sein und ihre Weihe nachweisen mu¨ssten: Vgl. Prange, Domkapitel, S. 125–127; zu Bremen vgl. Aschoff, Bremen, S. 52–54; zu Hamburg vgl. Wilhelm Jensen, Das Hamburger Domkapitel und die Reformation, Hamburg 1961.
3.4. Zwischen Kirche und Stadt: Die Repra¨sentation der Geistlichkeit
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von Vertretern der Kurie ihre theologische Bedeutung. Die Angeho¨rigen des Domkapitels und der Lu¨becker Bischof sowie der Bremer Erzbischof standen als Vertreter einer nicht zur Stadt geho¨rigen geistlichen Einrichtung nicht unter der Aufsicht der politischen Organe. Die Regelung ihres Ranges in innersta¨dtischen Festlichkeiten spiegelte sich in ihrer ambivalenten Behandlung als ungenu¨gende Geistliche oder zu junge Adelige. In theologischer und damit auch moralischer Hinsicht war die Verpflichtung der stadtsa¨ssigen Geistlichen, fu¨r die Ehrung des Bischofs zu sorgen, nicht vorhanden. Ganz anders war dies in Venedig. Die Obedienz gegenu¨ber dem Papst und der ¨ mterhierarchie war grundlegender Bestandteil theologischer Diskussionen kurialen A des Trienter Konzils.368 Ehrung oder Zuru¨cksetzung des Papstes und anderer Vertreter der Kurie stellten – anders als die Behandlung des Bischofs und des Domkapitels in den Hansesta¨dten – zusa¨tzlich zu den jeweiligen politischen und sozialen Bedeutungen eine Aussage u¨ber die Haltung Venedigs gegenu¨ber diesem Obedienzgebot dar. Die rituelle Integration von Angeho¨rigen der ro¨mischen Kurie war entsprechend ambivalent. Beim Tod eines Papstes la¨uteten die Glocken der Kirche von San Marco und aller anderen Kirchen der Stadt drei Tage lang. Es wurden Messen fu¨r das Seelenheil des Verstorbenen gelesen und Gebete fu¨r eine Neuwahl abgehalten.369 Die Glocken von San Marco erklangen aber nicht neun, sondern nur sechs Mal. Dies war die gleiche Anzahl wie zu Ehren eines verstorbenen Patriarchen, also drei Mal weniger als zu Ehren eines toten Dogen.370 Die genauen Anweisungen, die der Zeremonienmeister von San Marco Giovanni Battista Pace im Zeremonialbuch von 1678 u¨ber das Feiern der Osterwoche bei einer Sedisvakanz des Heiligen Stuhles vermerkte,371 zeigen, dass der Papst zwar in das venezianische Ritualwesen integriert war, aber keine Vorrangstellung vor dem Dogen genoss. So waren der Nuntius als der Vertreter des Papstes und der Doge zum Beispiel auch beim Ritual des Sposalizio del mare gleichgestellt, mit dem an die Verleihung der Oberherrschaft u¨ber das Meer durch Papst Alexander III. im Jahr 1177 erinnert wurde.372 Der Papst war ein abwesender Protagonist in den venezianischen Feierlichkeiten, da er in der Fru¨hen Neuzeit selbst nie als Gast in Venedig weilte.373 Umstritten waren 368 Vgl. Dorothea Wendebourg, Die Ekklesiologie des Konzils von Trient, in: Die katholische Konfes-
sionalisierung, hg. v. Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling, Gu¨tersloh 1995, S. 70–87. 369 Vgl. die Beschreibung der Zeremonien zur Kommemoration des Papstes Sixtus V: ASV, Coll., cerim,
rg.1, fol. 118; BM, Cod. It. VII, 396 (7423), Pace, Ceremoniale Magnum, S. 183.
370 Vgl. ASV, Coll., cerim, rg. 1, fol. 10. 371 BM, Cod. It. VII, 396 (7423), Pace, Ceremoniale Magnum, S. 183: Caso ch’il venerdi santo e sab-
bato fosse sedia vacante, come sucesse 1555, non si dice l’oration pro Pappa, e si lascia fuori il Papa nell’Exultet, e questo ordine di quel Legato, si trovo` presente alle funtioni quell’anno in Venetia.- „Es begab sich, dass am Karsamstag und Ostersonnabend eine Sedisvakanz war, wie es 1555 geschah, und man hielt keine Oratio fu¨r den Papst, und nannte ihn nicht beim Exultet, und diese Ordnung jenes Legaten hielt man ein in allen liturgischen Handlungen in jenem Jahr in Venedig.“ 372 Vgl. BM, Cod. It. VII, 396 (7423), Pace, Ceremoniale Magnum, S. 61–64. 373 In der venezianischen Erinnerungspraxis der Fru¨hen Neuzeit spielten Papstbesuche des Mittelalters eine große Rolle, besonders in der Verbindung von politischer Legitimation und Papstbesuch im Frieden von 1177, aber auch in der Geschichte des Klosters von San Zaccaria, eines der a¨ltesten und wichtigsten Frauenklo¨ster Venedigs. Es konnte sich auf einen Besuch Papst Benedikts III. (855–858) in seinen Mauern berufen. Vgl. Sansovino, Venetia, 1581, S. 195.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
nicht die ihn betreffenden Rituale. Sie stellten einen selbstversta¨ndlichen Bestandteil des venezianischen Zeremonialwesens dar. Zu Konflikten kam es hingegen immer dann, wenn der Nuntius als Vertreter des Papstes eine prominente Teilnahme an den Messfeiern in San Marco durchsetzen wollte, die vom u¨blichen liturgischen Rahmen abwich. Die Haltung Venedigs zum Papsttum als theologischer und zum Kirchenstaat als politischer Macht la¨sst sich daher am ehesten an der zeremoniellen Behandlung der Person des Nuntius ablesen. Im Zeremonialbuch von San Marco aus dem Jahre 1678 ist ein Streit zwischen Patriarch und Nuntius circa il dar le benedittione374 aus dem Jahre 1589 u¨berliefert, der dies deutlich macht. Bei ihm setzte sich der Patriarch (als Vertreter der Republik) durch, allerdings in der Form eines Kompromisses, der formal die Anspru¨che des Nuntius wahrte. Die entsprechende Regelung lautete, dass ein dem Patriarchen unterstehender Geistlicher diesen vertreten solle. Hierzu ko¨nne der Nuntius seine ausdru¨ckliche Einwilligung geben. Direkter Widerspruch war nicht vorgesehen.375 Zwo¨lf Jahre spa¨ter sorgte die prominente Beteiligung des Nuntius an der Messe im Rahmen der Kro¨nung der Dogaressa Morosina Grimani fu¨r Konflikte im venezianischen Patriziat. In der Behandlung eines Nuntius war die Republik nicht bereit, Kompromisse einzugehen. Im Gegensatz zum Patriarchen oder auch Kardinal wurde ein Nuntius im Allgemeinen in erster Linie als auswa¨rtiger Gesandter betrachtet. So wurde zu Ehren eines verstorbenen Nuntius zwei Mal gela¨utet,376 ein Mal weniger als zu Ehren eines Procuratore di San Marco oder eines Primicerio. Damit wurde er im zeremoniellen Rang auf eine Stufe mit den auswa¨rtigen Gesandten gestellt, zu deren Ehren die Glocken von San Marco auch zwei Mal erto¨nten.377
374 „U ¨ ber die Erteilung des Segens“. 375 BM, Cod. It. VII, 396 (7423), Pace, Ceremoniale Magnum, S. 154–155: Nella congregatione de Riti N. S.
ha commandato, che il negotio s’essamini ha risoluto, e tanto commando` sua Santita`, che s’osservi, che quand’occorrera` a` Mons.r Patriarca, overo suo suffraganeo essercitar li Pontificiali. e celebrar Vespri, e Messe solenni, overo intervenir in esse, in processioni, e s’haveranno a` dar le beneditioni solenni in qual si voglia Chiesa di Venetia, anco in San Marco, se detto Mons.r si trovera` presente, et il Patriarca celebrante, o` interveniente, overo il suffraganeo in loco del Patriarca mandera` in quell’istante un canonico d’altra persona a` dimandar licenza a` detto Nuntio di dare la Beneditione: non gle` la debba detto Nuntio negare, ne ritardar un punto, contentandosi di quest’atto di riconiscimento di superiorita` verso la sede Apostolica, e con essa, o non dy¨ il Patriarca la Beneditione, il che si debba fare intervenendo il Patriarca anche con la Cappa. – „In der Kongregation der Riten hat unser Herr geboten, dass die Verhandlungen ergeben haben, und so befahl es auch seine Heiligkeit, dass man beachte, wenn es geschehe, dass der Patriarch, oder sein Stellvertreter, die Pontificiali feiern, und Vespern und Hocha¨mter halten, oder an ihnen und in Prozessionen teilnehmen solle, auch wenn es an ihnen liege, in welcher Kirche Venedigs auch immer, den Segen zu erteilen, auch in San Marco, wenn der besagte Monsignore sich anwesend befindet, und der Patriarch feiert oder nimmt teil, oder sein Vertreter, er in jenem Fall einen anderen Geistlichen schicken soll, um besagten Nuntius um die Erlaubnis anzuhalten, den Segen zu erteilen: Besagter Nuntius darf sie ihm aber auch nicht verweigern, oder um einen Moment verzo¨gern, da er sich zufriedenzustellen hat mit diesem Akt der Anerkennung gegenu¨ber der Ho¨herrangigkeit des Apostolischen Stuhls, und nur mit dieser, und sonst nicht erteilt der Patriarch den Segen. Dies muss man auch einhalten, wenn der Patriarch nur an der Messe teilnimmt, auch, wenn er dies mit dem Umhang tut.“ 376 BMC, Cod. Cic. 3060, Materie ecclesiastiche, Funerale del Mons. Ill.mo et R.mo Offreddo Offreddi Nontio Apostolico Adı` 23 Giugno 1605, fol. 89-fol. 91. 377 Vgl. ASV, Coll., cerim., rg.1, fol. 10.
3.4. Zwischen Kirche und Stadt: Die Repra¨sentation der Geistlichkeit
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Ein lebender Nuntius konnte sich gegen die venezianischen Eigenma¨chtigkeiten wehren, ein verstorbener ro¨mischer Amtstra¨ger nicht. Die Begra¨bnisfeier zu Ehren des 1605 verstorbenen Nuntius Offreddo Offreddi war zwar Gegenstand detaillierter zeremonieller Regelungen,378 doch wiesen bereits zu ihrem Beginn zwei Details auf ihre ambivalente Stellung in der venezianischen Repra¨sentationskultur hin.379 Zum einen wurde sie um zwei Tage aufgrund des zeitgleichen Festtages der Apparitio Santi Marci380 verschoben. Zum anderen fehlte der Doge Marin Grimani, der sich durch den Vizedogen, seinen a¨ltesten Ratgeber, vertreten ließ.381 Der rituelle Ablauf fu¨hrt deutlich die Integration des Toten in die venezianische Stadtgemeinschaft vor Augen. Der Scuola grande di San Marco kam bei dem Begra¨bnis dieses Nuntius eine besondere Ehrenstellung zu: Der Leichnam wurde auf eine feierlich geschmu¨ckte Bahre der Bruderschaft gelegt,382 die die Bru¨der trugen.383 Die Scuola grande di San Marco u¨bernahm die Begra¨bnisse von Dogen, die nicht einer anderen Korporation angeho¨rt hatten. Da auch der Nuntius als Nicht-Venezianer keiner Bruderschaft angeho¨rte, fiel jener die Organisation des Geleits zu.384 Durch ihre Teilnahme wurde der venezianische Charakter des Ereignises herausgestellt. Der verstorbene Nuntius wurde in mehreren Schritten wa¨hrend seines Begra¨bnisses in die venezianische Memorialgemeinschaft integriert. Zuna¨chst wurde der Leichnam in der Residenz des Nuntius aufgebahrt. Von dort schifften ihn die Arsenalotti, Arbeiter des Arsenals, begleitet von der Geistlichkeit der Kirche Santa Giustina, in deren Pfarrbezirk sich die Residenz des Nuntius befunden hatte, zur Piazzetta, wo der Zug auf die dort bereits wartenden Geistlichen von San Marco traf. Der Geleitzug versammelte sich in einem speziell fu¨r Trauerzwecke hergerichteten Zimmer des Dogenpalastes und zog von dort in einer ausgeklu¨gelten Prozessionsordnung in die Kirche San Marco,385 wo die Totenmesse gelesen wurde.386 Diese fand ohne Beteiligung des Patriarchen und der Geistlichkeit von San Pietro di Castello statt, die vielmehr den Totenzug in der Kirche Santi Giovanni e Paolo, der Grabeskirche des Nuntius, erwarteten.387 In dem Zug, der wa¨hrend der Totenmesse durch San Marco defilierte, wurde in der Rangfolge der Gruppen, die an dem Leichnam vorbeizogen, wiederum deutlich gemacht, in welcher Weise der Nuntius in Venedig eingegliedert war: na¨mlich zum einen als Mitglied 378 Vgl. Anm. 376. 379 Die Begra¨bnisfeierlichkeit zu Ehren des verstorbenen Nuntius ist die einzige Bestattung eines Nun-
tius, die im Rahmen des Untersuchungszeitraums in den Zeremonialbu¨chern u¨berliefert ist. Ihre aufwendige Gestaltung kann als Versuch interpretiert werden, die immer weiter aufbrechenden Gra¨ben zwischen venezianischen kirchlichen Autonomieanspru¨chen und ro¨mischen Zentralisierungstendenzen symbolisch zu u¨berbru¨cken. 380 Dieser Feiertag erinnerte an die wundersame Sichtbarwerdung der Gebeine des Heiligen in der Kirche von San Marco. Zu diesem Festtag und den anderen San Marco gewidmeten Feiertagen vgl. Lina Urban, Processioni e feste dogali. „Venetia est mundus“, Vicenza 1998, S. 51–66. 381 Vgl. Funerale del Mons. Ill.mo et R.mo Offreddo Offreddi, fol. 89. 382 Ebd. 383 Ebd., fol. 90. 384 Vgl. Muir, Civic Ritual, S. 276, Anm. 75. 385 Vgl. Funerale del Mons. Ill.mo et R.mo Offreddo Offreddi, fol. 89. 386 Ebd., fol. 89. 387 Ebd., fol. 90.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
eines bestimmten Pfarrbezirks und zum anderen als jemand, dessen Totengedenken in den Ha¨nden der versammelten geistlichen und laienreligio¨sen Vereinigungen Venedigs lag: Mentre si canto` il Matutino passorno cosı` tutte chieresie, come scole, et altri lo questo ordine per choro, et prima l’insegna del sant.o sac. della scola di S. Giustina come Parochia del Defonto, di poi le scole picole di devotione seguivano poi li Frati de quali prima caminavano quelli di S. Gio. e Paolo, come quelli che havevano a ricever il corpo nella loro Chiesa, si fece caminar il capitolo di S.ta Giustina, doppo le congregationi de Preti cinque scole grandi.388 Auf diese Spitze des Zuges folgten weitere Geistliche und die Arsenalotti, den Schluss bildeten die Bru¨der der Scuola grande di San Marco.389 In dieser Anordnung zogen sie wiederum zur Kirche Santi Giovanni e Paolo. Dort erwarteten sie nicht nur die Geistlichkeit von San Pietro di Castello, sondern auch Vertreter der Kirchen aus einzelnen Gebieten des venezianischen Kolonialbesitzes und der Laguneninseln.390 Die Ehrung des Nuntius gab also Gelegenheit zur Darstellung der sta¨dtischen geistlichen Hierarchie und des gesamten, unter venezianischer Herrschaft stehenden Kirchenwesens. Die Teilnahme des franzo¨sischen Gesandten wie auch vieler hochrangiger Geistlicher aus den venezianischen Kolonien weist aber auch auf die außenpolitische Komponente dieses Ereignisses hin: Venedig inszenierte sich bei dieser Gelegenheit mehr noch als bei den Beerdigungen eigener politischer Wu¨rdentra¨ger als ein geschlossenes kirchlich autonomes Gebiet. Das o¨ffentliche La¨uten und Messelesen aus Anlass eines Papsttodes sowie die feierliche Bestattung verstorbener apostolischer Gesandter waren nicht die einzigen Ehrungen, die nicht-venezianischen Angeho¨rigen der ro¨misch-katholischen Hierarchie im venezianischen Festgeschehen zuteil wurden. Wie bereits die Patriarchenerhebung des Federico Cornaro zeigte, war es fu¨r das fragile republikanische Gleichheitsgebot der Repra¨sentation der politischen und geistlichen Amtstra¨ger in Venedig gefa¨hrlich, wenn venezianische Patrizier in den Kardinalsrang erhoben wurden. Da Rom eine auswa¨rtige Macht darstellte, war die Erhebung eines venezianischen Patriziers zum Kardinal von innen- und außenpolitischer Bedeutung. Wie ernst diese Ambiguita¨t genommen wurde, zeigt die innenpolitische Krise, die dieses Ereignis im Jahre 1626 hervorrief. Das Zeremoniell, das im Zeremonialbuch des Rats der Zehn aus Anlass der Kardinalskreation des Patriarchen Lorenzo Priuli im Jahre 1596 u¨berliefert ist, zeigt, dass durch den Ablauf innerhalb des venezianischen Patriziats und 388 Vgl. Funerale del Mons. Ill.mo et R.mo Offreddo Offreddi, fol. 90: „Wa¨hrend man die Matutin sang,
zogen so alle geistlichen Kongregationen, wie auch die Scuole, vorbei, und die anderen in dieser Reihenfolge durch den Chorraum: zuerst das Zeichen des Heiligen Sakraments der Scuola di Santa Giustina wegen der Gemeinde des Verstorbenen, danach die frommen scuole picole [d. h., nicht die Bruderschaften der Zu¨nfte], danach folgten die Ordensgeistlichen, zuerst kamen jene von Santi Giovanni e Paolo, weil es jenen oblag, den Leichnam in ihrer Kirche zu empfangen, danach ließ man das Kapitel von Santa Giustina vorbeiziehen, dann die Vereinigungen der fu¨nf Scuole grandi.“ 389 Vgl. Funerale del Mons. Ill.mo et R.mo Offreddo Offreddi, fol. 90. 390 Ebd.
3.5. Umstrittene Symbiose: Die Verbindung von Stadt und Religion
219
gegenu¨ber Rom signalisiert werden sollte, wie wenig die venezianische Autonomie durch diese Ernennung beeintra¨chtigt wurde: Der Nuntius fu¨hrte den neu Ernannten in den Dogenpalast und hielt zu dessen Ehren eine Begru¨ßungsrede, in der er zuerst auf die Rechte Venedigs bei der Ernennung des Patriarchen einging. Der Papst habe die gute Entscheidung Venedigs, Lorenzo Priuli zum venezianischen Patriarchen zu kreieren, durch dessen Ernennung zum Kardinal besta¨tigt. Anschließend zog sich Priuli zusammen mit dem Dogen zu einem Gespra¨ch unter vier Augen zuru¨ck.391 Die Feier des Gewa¨hlten spielte sich dann in dem Wechsel von Besuch und Gegenbesuch ab: Zuna¨chst empfing der Patriarch und neu kreierte Kardinal den Dogen in San Pietro di Castello. Anschließend empfing ihn der Doge zusammen mit einigen Verwandten und dem pa¨pstlichen Gesandten im Dogenpalast.392 Von Feiern der Familie des neuen Kardinals ist nichts u¨berliefert. Die mehrere Tage andauernden Feste aus Anlass der Kreation des Federico Cornaro im Jahre 1626 stellten eine Ausnahme dar, die dann auch nicht in den offiziellen Zeremonialbu¨chern dargestellt wurde. Diese aufwendige Selbstdarstellung im Rahmen der Feier war auch nur deswegen in diesem Ausmaß mo¨glich, da hier keine Kontrolle mehr durch die venezianischen Regierungsorgane gewa¨hrleistet war, geho¨rte doch der Doge derselben Familie an. Diese Besonderheit der Feiern des Jahres 1626 wird gerade im Vergleich zu anderen Feiern von Kardinalskreationen oder auch -begra¨bnissen deutlich. Diese Rituale spielten sich vor den Vertretern der venezianischen Republik ab. Die Tatsache, dass zur Feier von Kardinalskreationen oder -todestagen ja¨hrliche Gedenktage festgelegt wurden,393 zeigt, dass grundsa¨tzlich keine Bedenken gegen die Ehrung von venezianischen Geistlichen, die ro¨mische Wu¨rdentra¨ger geworden waren, erhoben wurden. Zu Konflikten kam es immer erst dann, wenn die ro¨mische Repra¨sentation von einer Familie dazu instrumentalisiert wurde, eine außergewo¨hnliche, da singula¨r auf die Familie konzentrierte Stellung auf der sta¨dtischen Bu¨hne zu erlangen.
3.5. Umstrittene Symbiose: Die Verbindung von Stadt und Religion
In keinem Bereich kirchlich-religio¨ser Rituale bildete sich in Venedig und den Hansesta¨dten um 1600 ein getrennter Raum einer spezifisch oder u¨berwiegend konfessionellen oder religio¨sen Repra¨sentation ohne Bezug auf den jeweiligen sta¨dtischrepublikanischen Rahmen, in denen sie stattfanden. Dabei spielen die jeweils unterschiedlichen Beziehungen der Magistrate zur Kirche keine Rolle. Es sind durchaus Versuche der Geistlichkeit zu beobachten, eine gro¨ßere bis vollsta¨ndige Unabha¨ngigkeit von den politischen Institutionen in der Organisation des Festwesens zu erreichen. Wenn die Konfrontation nicht direkt gesucht wurde, wollten die politischen 391 Vgl. ASV, Coll., cerim., fz.1, Eintrag zum 30. Juni 1596. 392 Ebd. 393 Vgl. ASV, Coll., cerim., rg.1, fol. 19–20; David Spinellio, Oratio in die anniversaria illustrissimi Cardi-
nalis Zeni Habita Venetijs in D. Marci Templo. Die 30. Mensis Maij Anno Domini 1597, Venedig 1597.
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3. Getrennte Ra¨ume? – Politische und religio¨se Selbstdarstellung
Amtsinhaber dennoch auch bei einer Aufnahme von konfessionellen Festen in den sta¨dtischen Festkalender bestimmen, in welchem Grad diese Aufnahme stattfand. Im Unterschied zu Lu¨beck oder Venedig zeigten die Hamburger und Bremer Ra¨te aufgrund ihrer noch nicht gefestigten Autonomie daher eine gro¨ßere Bereitschaft, neue, spezifisch konfessionelle Festformen zuzulassen, ohne allerdings ihren Kontrollanspruch aufzugeben. Die familia¨re oder auch private Selbstdarstellung der Geistlichkeit in den Hansesta¨dten und in Venedig ist bislang noch nicht erforscht worden. Die vorliegende Arbeit kann hier auch nur erste Hinweise auf weitere Untersuchungsfelder geben. In den Ritualen, die sich um die Geistlichkeit gruppierten, zeigte sich, dass die politischen Institutionen in keiner Weise dazu bereit waren, den Bereich der eigentlich der Geistlichkeit vorbehaltenen Zeremonien auch unkontrolliert durch diese gestalten zu lassen. Auch die Ausgestaltung der Begra¨bnisfeierlichkeiten unterlag der Kontrolle der politischen Institutionen, sogar derjenigen, die als nicht stadtsa¨ssige Geistliche verstarben, wie im Falle des verstorbenen Nuntius Offreddi. Allein im Bereich der familia¨ren, beziehungsweise privaten Kommemoration, die sich in Gelegenheitsliteratur zu Ehren verstorbener Geistlicher findet, la¨sst sich eine Darstellung der Verstorbenen als Geistliche ohne Beru¨cksichtigung ihrer Funktion und Position in der jeweiligen Stadt finden. Die Konflikte zwischen geistlichen und politischen Wu¨rdentra¨ger um den sta¨dtischen Raum als Bu¨hne zur zeremoniellen Selbstdarstellung verscha¨rften sich um 1600. Dennoch fu¨hrten diese Konflikte nicht dazu, dass sich getrennte Ra¨ume politischer und religio¨ser Selbstdarstellung bildeten. Die eine ohne die andere Repra¨sentation war weder in Venedig noch in den Hansesta¨dten zu dieser Zeit denkbar. Vielmehr versta¨rkte sogar das Dissoziationsstreben der Geistlichkeit das Bemu¨hen der politischen Institutionen um eine Symbiose sta¨dtischer und religio¨ser Bezu¨ge in den sta¨dtischen, sich anla¨sslich ritueller Situationen a¨ußernden Repra¨sentationsformen. Die sta¨dtische, republikanische und kirchliche beziehungsweise religio¨se Repra¨sentation der hansesta¨dtischen und venezianischen Geistlichkeit hing stark von dem Kontext des jeweiligen Rite de passage ab. Dabei sind grundlegende Unterschiede zwischen Amtseinfu¨hrung und Begra¨bnis festzustellen. Dem Amtsantritt kam eine besonders herausgehobene Bedeutung als dem Moment zu, in dem Machtverha¨ltnisse kommuniziert wurden. Sowohl im Wahlverfahren als auch im feierlichen Amtsantritt zeigen sich die Konfliktlinien, die das Gemeinwesen durchzogen: In Venedig zwischen Familie und Republik, in Hamburg und Lu¨beck zwischen Rat und Ministerium oder zwischen Rat, Bu¨rgerschaft und Geistlichkeit, wie im Falle Bremens. Pra¨zedenz, Feier und selbst Amtsantrittspredigt erfuhren dieselbe aufmerksame Beobachtung durch nicht-geistliche sta¨dtische Gruppen wie die Repra¨sentation der politischen Amtstra¨ger. Selbst im calvinistischen Bremen hat sich daher auch keine spezifisch konfessionelle Ablehnung der o¨ffentlich sichtbaren Repra¨sentation bei den Amtsantritten durchsetzen ko¨nnen, obwohl dies in den Kirchenordnungen angelegt war. Dort wirkte sie sich nur auf die im Vergleich zu den lutherischen Fa¨llen fehlende Repra¨sentation bei der Kommemoration aus. In den Begra¨bnissen der Geistlichen zeigt sich in Ansa¨tzen eine Dissoziation sta¨dtischer und geistlicher Repra¨sentation nur dann, wenn es im Rahmen des vor-
3.5. Umstrittene Symbiose: Die Verbindung von Stadt und Religion
221
gegebenen Kontextes mo¨glich war. Diese Rituale blieben im Rahmen der vom Rat beziehungsweise der Signoria kontrollierten sta¨dtischen Festkultur. Das trifft sogar dann zu, wenn es sich nicht um Geistliche der eigenen sta¨dtischen Gruppen handelt, wie die Bestattung des Nuntius Offreddo Offreddi zeigt. Die Rituale und die Zeugnisse der Sepulkralkultur richten sich an ein innersta¨dtisches Publikum im Gegensatz zu den Druckwerken, in denen ha¨ufig Geistliche zu Ehren ihrer verstorbenen Bru¨der Bilder entwerfen, die dann, selbst wenn in engen Grenzen, eine Dissoziation von geistlicher und sta¨dtischer Repra¨sentation aufweisen ko¨nnen. Die Entwicklung des Verha¨ltnisses von politischen zu religio¨sen Ritualen war durch das Kra¨ftemessen zwischen Magistraten und Geistlichen bestimmt, die jeweils versuchten, die Oberhoheit u¨ber die religio¨se Komponente der Stadtrepublik als Sakralgemeinschaft zu erlangen. Andere sta¨dtische Korporationen nahmen hier mit Ausnahme der aktiven Rolle bei der Pfarrerwahl in den Hansesta¨dten nur die Rolle eines Zuschauers ein. Daher ist es nun notwendig, sich den internen Vera¨nderungen und Kontinuita¨tslinien zuzuwenden, die sich in der rituellen Selbstdarstellung von sta¨dtisch-republikanischen Korporationen außerhalb des Konfliktfeldes von Rat und Geistlichkeit zeigten.
4.
DIE GRUPPEN IN DER STADT – DIE GRUPPEN UND DIE STADT
Die Teilhabe der Korporationen an der gesamtsta¨dtischen rituellen Repra¨sentation
Die fru¨hneuzeitliche Stadt war ein durch die Vielfalt der sta¨dtischen Korporationen gepra¨gtes Gemeinwesen. Dies la¨sst sich gut an der Koppelung des Bu¨rgerrechtes an die Mitgliedschaft in professionellen Korporationen zeigen, die von einer fru¨hneuzeitlichen Stadt des Reiches zur na¨chsten sehr verschieden sein konnte.1 In dem Charakter der Civitas nahmen die politischen Magistrate eine, wenn auch besonders bevorzugte Stellung unter vielen anderen Vereinigungen ein.2 Die Ausrichtung der Stadt als Gemeinwesen zwischen obrigkeitlicher Ratsherrschaft und korporativer Struktur war Gegenstand von inneren Konflikten in Bremen, Lu¨beck und Hamburg.3 Nicht immer sollte die Entscheidung zugunsten der Magistrate fallen, die die alleinige politische Obrigkeit beanspruchten. Eher ist ein Ausgleichen und Angleichen der beiden Positionen festzustellen. Gerade dies trug dazu bei, dass die sta¨dtischrepublikanische Struktur im Reich sich gegenu¨ber grundlegenden Vera¨nderungen verschloss.4
1 Vgl. Eberhard Isenmann, Bu¨rgerrecht und Bu¨rgeraufnahme in der spa¨tmittelalterlichen und fru¨hneu-
zeitlichen Stadt, in: Neubu¨rger im spa¨ten Mittelalter. Migration und Austausch in der Sta¨dtelandschaft des alten Reiches (1250–1550), hg. v. Rainer C. Schwinges, Berlin 2002, S. 203–249. 2 Vgl. zu diesem grundlegenden Charakteristikum politischer Kultur mit weiterfu¨hrenden Angaben Anthony Black, Guilds and Civil Society in European Political Thought from the Twelfth Century to the Present, London 1984. 3 Vgl. die Studien von Wilfried Ehbrecht fu¨r das 15. und 16. Jahrhundert: Wilfried Ehbrecht, Rat, Gilden und Gemeinde zwischen Hochmittelalter und Neuzeit, in: Geschichte der Stadt Mu¨nster, hg. v. Franz-Josef Jakobi, Mu¨nster 1993, S. 91–144; Wilfried Ehbrecht, Stadtkonflikte im o¨stlichen Altsachsen, in: Politische, soziale und kulturelle Konflikte in der Geschichte von Sachsen-Anhalt, hg. v. Werner Freitag (Beitra¨ge des landesgeschichtlichen Kolloquiums am 4./5. September 1998 in Vockerode), Halle 1999, S. 23–56; Wilfried Ehbrecht, Eintracht und Zwietracht: Ursache, Anlaß, Verlauf und Wirkung von Stadtkonflikten, in: Hanse, Sta¨dte, Bu¨nde: Die sa¨chsischen Sta¨dte zwischen Elbe und Weser um 1500. Ausstellungskatalog, hg. v. Matthias Puhle, Magdeburg 1996, S. 298–321; fu¨r das 17. Jahrhundert vgl. außerdem Friedrichs, Politik und Sozialstruktur. 4 Rudolf Schlo¨gl verknu¨pft diese Beharrungskraft mit der Pra¨senzkultur des besonderen Kommunikationsraums der fru¨hneuzeitlichen Stadt: Schlo¨gl, Vergesellschaftung unter Anwesenden; vgl. zur Debatte um die Traditionalita¨t oder Modernita¨t des Stadtbu¨rgertums auch mit weiterfu¨hrenden Angaben Schilling, Stadt, S. 87–93.
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Die sozial- und politiktheoretischen Auspra¨gungen dieses Grundkonflikts sind in deutschen und oberitalienischen Sta¨dten detailliert untersucht worden.5 Dabei wurden die einzelnen Korporationen meist allein unter dem Blickwinkel der Verschiebung zwischen korporativer und durch Souvera¨nita¨t legitimierter Herrschaft interpretiert. Weniger Aufmerksamkeit fanden die Vorstellungen und Repra¨sentationsformen, die ihre Mitglieder mit dem Gemeinwesen als korporationenu¨bergreifender politischer und sozialer Ordnung verbanden.6 Studien zu politischen Ritualen in Florenz und Venedig weisen darauf hin, dass die erfolgreiche Durchsetzung einer politischen Ordnungsvorstellung, die alle Bewohner umfasste, nicht allein von sozialen und politischen Rahmenbedingungen abhing, sondern auch von der symbolischen Integration derjenigen Gruppen, die Teilhabe an diesem Verband beanspruchen konnten.7 So interpretierte Elizabeth Crouzet-Pavan das Fest der zwo¨lf Marien als Indiz fu¨r die erfolgreiche Anbindung des partikularen, nachbarschaftlichen Charakters Venedigs an die Figur des Dogen und somit an das politische Machtzentrum.8 Die Entwicklung des Festes der zwo¨lf Marien, so Elizabeth Crouzet-Pavan, sei symptomatisch fu¨r die venezianische Festkultur. Spa¨testens ab Beginn des 16. Jahrhunderts haben in Venedig, anders als zum Beispiel im politisch instabileren Florenz, keine wichtigen Rituale mehr existiert, an denen der Doge nicht in der einen oder anderen Form beteiligt war.9 Bei diesem Ritual stritten sich zwei Gruppen aus zwei verschiedenen venezianischen Pfarrbezirken um den Besitz von zwo¨lf ho¨lzernen Marienstatuen, die auf Booten auf einem Kanal fuhren. Dieser rituelle Wettkampf sollte an die legenda¨re Entfu¨hrung von zwo¨lf venezianischen Jungfrauen durch Seera¨uber aus Triest erinnern, die durch Handwerker aus dem Gemeindebezirk von Santa Maria Formosa verhindert worden sei. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts wurde der Ablauf dieses Rituals entscheidend gea¨ndert. War es vorher allein ein Ereignis gewesen, das die Einwohner des Viertels um die Kirche Santa Maria Formosa feierten, nahm im Jahre 1379 der venezianische Senat kriegerische Auseinandersetzungen um die Insel Chioggia zum Anlass, das Fest vorla¨ufig zu suspendieren. Nach seiner Wiedereinsetzung spielte der Doge die zeremonielle Hauptrolle, nicht mehr der Patriarch und auch nicht mehr die von den Einwohnern der Pfarrbezirke ernannten Ka¨mpfer. Das
5 Vgl. die Beitra¨ge in: Stadtregiment und Bu¨rgerfreiheit. Handlungsspielra¨ume in deutschen und italieni-
schen Sta¨dten des Spa¨ten Mittelalters und der Fru¨hen Neuzeit, hg. v. Ulrich Meier/Klaus Schreiner, Go¨ttingen 1994. 6 Als Ausnahmen sind die Untersuchungen von Philip R. Hoffmann und Patrick Schmidt zu nennen. Vgl. Philip R. Hoffmann, Rechtma¨ßiges Klagen oder Rebellion? Konflikte um die Ordnung politischer Kommunikation im fru¨hneuzeitlichen Leipzig, in: Interaktion und Herrschaft. Die Politik der fru¨hneuzeitlichen Stadt, hg. v. Rudolf Schlo¨gl, Konstanz 2004, S. 309–356; Hoffmann, Soziale Differenzierung und politische Integration; Patrick Schmidt, Wandelbare Traditionen – tradierter Wandel. Zu¨nftische Erinnerungskulturen in der fru¨hen Neuzeit, Ko¨ln 2009. 7 Mit weiterfu¨hrenden Angaben vgl. Muir/Weissmann, Social and Symbolic Places in Renaissance Venice and Florence. 8 Vgl. Crouzet-Pavan, „Sopra le Acque Salse“, Bd. 1, S. 527–566. Zum Fest der zwo¨lf Marien vgl. außerdem Silvio Tramontin, Una pagina di folklore religioso veneziano antico: La festa de ‚Le Marie‘, in: La religiosita` popolare nella valle padana. Atti del II convegno di Studi sul folklore padano, Modena, 19–20–21 marzo 1965, Modena 1966, S. 401–417. 9 Vgl. auch Crouzet-Pavan, „Sopra le Acque salse“, Bd. 2, S. 995–996.
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zeremonielle Zentrum dieses Rituals hatte sich zur Kirche von San Marco verlagert. Von dort brach der Doge in einer feierlichen Prozession zur Kirche Santa Maria Formosa auf. Mit einem Priester der Kirche fanden ein ritualisierter Wortwechsel und ein Gabentausch statt. Der Wortwechsel erinnerte an die Handwerker des Viertels, die den Dogen nach ihrer triumphalen Ru¨ckkehr mit den Jungfrauen um eine ja¨hrliche Prozession gebeten haben sollen. Aktiv nahmen diese nicht mehr am Ritual teil. Sie spielten nur noch eine Rolle als Teil der historischen Erinnerung, die hier zelebriert wurde und als Teil des Publikums der Prozession. Ritueller Wortwechsel und Gabentausch symbolisierten die Anbindung von Kirche und Gemeinde an den Dogen. Von einem Ereignis, bei dem sich die Kra¨fte zwischen den die einzelnen Gemeinden vertretenden jungen Ma¨nner messen konnten, war das Fest der zwo¨lf Marien zu einem Ritual geworden, in dem das Verha¨ltnis des Pfarrbezirks zum Dogen dargestellt wurde.10 Allerdings bedeutete diese Anbindung nicht, dass der Prachtentfaltung der anderen Festteilnehmer damit ein Ende gesetzt war. Vielmehr entfaltete hier die venezianische Bevo¨lkerung in Kleidung und Ausstattung der Gondeln, mit der sie auf dem Canal Grande zur Piazzetta fuhren, einen so großen Aufwand, dass dieser zu einem immer wiederkehrenden Thema in der venezianischen Kleider- und Luxusregulierung wurde.11 Bei allen Unterschieden in der inneren und a¨ußeren Verfasstheit spielte die Tendenz zur rituellen Zentrierung auf die politische Gruppe der Magistrate (und ihrer Ablehnung) auch in den Hansesta¨dten eine Rolle. Zunftka¨mpfe und die Auseinandersetzungen zwischen Rat und Bu¨rgerschaft lassen sich als Teil des Prozesses der Stadtwerdung im Sinne eines politischen, sozialen und kulturellen Gemeinwesens verstehen. Die Anbindung an das politische Zentrum musste immer wieder neu hergestellt und bekra¨ftigt werden. Wie das Beispiel des Festes der Zwo¨lf Marien gezeigt hat, fand die Ausrichtung der Stadtbezirke auf ein Zentrum nicht erst im 16. und 17. Jahrhundert statt. Auch die Konflikte zwischen Zu¨nften und Ra¨ten spielten sich in Bremen, Lu¨beck und Hamburg bereits im 14. und 15. Jahrhundert ab.12 Die konfessionellen und politischen Entwicklungen des 16. Jahrhunderts fu¨hrten aber zu einer semantischen Um- und Neuinterpretation dieser Konflikte, wie sich an der Selbstdarstellung der einzelnen Korporationen zeigen la¨sst. Die kulturellen Manifes¨ berlagerung und des Aufeinandertreffens politischer Konzeptionen tationen dieser U in der fru¨hneuzeitlichen Stadtgesellschaft der ersten Ha¨lfte der Fru¨hen Neuzeit ist bis heute nur an einigen wenigen Fallbeispielen erforscht worden.13 Die Ratsherren waren zunehmend juristisch geschult und scheuten sich auch nicht, das ihnen hier 10 Vgl. Crouzet-Pavan, „Sopra le Acque Salse“, Bd. 1, S. 669–675. 11 Bistort, Il magistrato alle pompe, S. 77–90. 12 Vgl. Gudrun Gleba, Die Gemeinde als alternatives Ordnungsmodell. Zur sozialen und politischen
Differenzierung des Gemeindebegriffs in den innersta¨dtischen Auseinandersetzungen des 14. und 15. Jahrhunderts. Mainz, Magdeburg, Mu¨nchen, Lu¨beck, Ko¨ln/Wien 1989, S. 194–202; Ju¨rgen Sarnowsky, Die politische Entwicklung und die sozialen Strukturen Hamburgs im Spa¨tmittelalter, in: Die Kunst des Mittelalters in Hamburg: Aufsa¨tze zur Kulturgeschichte, hg. v. Volker Plagemann, Hamburg 1999, S. 97–108; Schwarzwa¨lder, Geschichte, S. 105–117, S. 154–156. 13 Am Beispiel der westfa¨lischen Hansesta¨dte hat dies Heinz Schilling unternommen: Schilling, Konfessionskonflikt und Staatsbildung, S. 54–151.
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zur Verfu¨gung stehende Begriffsarsenal zu ihren Gunsten zu gebrauchen. Vergleichbares ist von denjenigen zu vermuten, die – wenn nicht im Rat – so in einer anderen Korporation Fu¨hrungspositionen innehatten. Im Falle Venedigs verlief die Grenze zwischen politisch aktiven und politisch passiven Mitgliedern der Stadtgemeinde sehr viel scha¨rfer als in den Hansesta¨dten. Nicht in der politisch aktiven Beteiligung an der Bu¨rgerschaft selbt, sondern in der sozialen und kulturellen Integration durch das quer zu den politischen Grenzen verlaufende Element der Laienbruderschaften, den so genannten Scuole grandi und Scuole piccole, bestand ein Element, das verhinderte, dass Venedig bei aller nach außen gerichteten ho¨fischen Repra¨sentation seinen im Inneren teilweise sehr korporativen und eher egalita¨ren Charakter verlor. Aber auch hier ist danach zu fragen, welchem kulturellen und politischen Druck diese traditionell soziale Grenzen u¨berschreitenden Kommunikationsformen im Laufe des 16. Jahrhunderts ausgesetzt wurden, wie sie beharren konnten oder sich vera¨ndern mussten. Eine Untersuchung der rituellen Selbstdarstellung der sta¨dtischen Korporationen Venedigs und der Hansesta¨dte Hamburg, Bremen und Lu¨beck um 1600 nimmt eine Schlu¨sselstellung in der Beantwortung der Frage nach Wandel und Kontinuita¨t politischer Kultur in der fru¨hneuzeitlichen autonomen Stadtrepublik ein. La¨sst sich hier eine grundlegende, in dem Grad der Verfestigung der Machtanspru¨che von den vorangegangenen Relationen zwischen politischer Obrigkeit und Korporationen unter¨ nderung ausmachen? Ist kommunale Repra¨sentation hier nur noch eine scheidende A allein auf den Rat ausgerichtete gesamtsta¨dtische rituelle Selbstdarstellung? Der Hof war in Architektur und Zeremoniell symbolischer Ausdruck einer auf den Herrscher zentrierten Regierungslehre. Das dru¨ckte sich auch in einem entsprechenden Erscheinungsbild aus.14 Ist diese ra¨umliche Fokussierung auch fu¨r die Sichtbarkeit und Zuga¨nglichkeit der politischen Magistrate in ihrem in den o¨ffentlichen Ritualen repra¨sentierten Verha¨ltnis zu den Gruppen der Bu¨rgerschaft zu finden? Wie a¨ußerten sich die von partikularen Gruppen ha¨ufig im Namen der gesamten Bu¨rgerschaft kommunizierten Teilhabe- und Autonomieforderungen symbolisch? In diesem Bereich ero¨ffnen sich Forschungsfelder, die zum gro¨ßten Teil noch nicht bearbeitet worden sind. Die nun folgenden Kapitel fußen daher meist auf der Auswertung von Quellenmaterial. Forschung zu den einzelnen Fallbeispielen existiert nur zu vereinzelten Aspekten, die mit der Fragestellung dieses Abschnitts in keinem Zusammenhang stehen. Das Verha¨ltnis von Korporation, Stand und Stadtrepublik ist in Venedig und den Hansesta¨dten strukturell verschieden.15 Dies ist als Voraussetzung fu¨r die Unter14 Vgl. Peter-Michael Hahn, Fu¨rstliche Wahrnehmung ho¨fischer Zeichensysteme und zeremonieller
Handlungen im Ancien Re´gime, in: Zeichen und Raum: Ausstattungen und ho¨fisches Zeremoniell in den deutschen Schlo¨ssern der Fru¨hen Neuzeit, hg. v. Dems./Ulrich Schu¨tte, Mu¨nchen 2006, S. 9–38; Ulrich Schu¨tte, Die Ra¨ume und das Zeremoniell, die Pracht und die Mode, in: Zeichen und Raum: Ausstattungen und ho¨fisches Zeremoniell in den deutschen Schlo¨ssern der Fru¨hen Neuzeit, hg. v. Peter-Michael Hahn/dems., Mu¨nchen 2006, S. 167–204; Horst Wenzel, Ho¨fische Repra¨sentation. Symbolische Kommunikation und Literatur im Mittelalter, Darmstadt 2005, S. 14–16. 15 Zum Wechselverha¨ltnis von sta¨dtischer Repra¨sentation und sta¨ndischer Distinktion vgl. Patrick Schmidt/Horst Carl, Einleitung, in: Stadtgemeinde und Sta¨ndegesellschaft. Formen der Integration und Distinktion in der fru¨hneuzeitlichen Stadt, hg. v. Dens., Berlin 2007, S. 7–30.
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schiede ritueller Selbstdarstellung zu beachten und soll im Folgenden anhand der Luxus- und Kleidergesetzgebung gezeigt werden. Bei der Untersuchung der Rituale der einzelnen Korporationen wurde wie bei den Ritualen der Magistrate in zwei Schritten vorgegangen, wenn auch mit anderer Schwerpunktsetzung als im ersten Kapitel dieser Arbeit. Wurden dort zuna¨chst die Rituale untersucht, die sich mit dem Kernbereich der Wahl befassten und anschließend der Zusammenhang zwischen Amt und Familie analysiert, wird im Folgenden in einem ersten Schritt die interne ¨ mterverteilung beleuchtet werden. ritualisierte Selbstdarstellung im Rahmen der A Das Verha¨ltnis zwischen Amtszugeho¨rigkeit und familia¨rer Repra¨sentation war im Unterschied zu den Magistraten aufgrund ihrer unterschiedlichen politischen Bedeutung in den anderen Korporationen unumstritten. Vielmehr war es das Verha¨ltnis der Korporationen zu der Gesamtheit der Stadtbu¨rgerschaft auf der einen und zu den Magistraten auf der anderen Seite, das als Konfliktthema ihre Selbstdarstellung bestimmte. Daher wird in einem zweiten Abschnitt nach der Untersuchung der internen Rituale die Bedeutung der Korporationen fu¨r die gesamtsta¨dtische, sich besonders an auswa¨rtige Ga¨ste richtende Selbstdarstellung na¨her betrachtet werden. Die Analyse geht in folgenden Schritten vor: 1. Als erste Gruppe werden die so genannten Kaufleutekompanien vorgestellt, eine Form des Zusammenschlusses, die so nur in den Hansesta¨dten vorhanden waren. Dies war durch unterschiedliche politische und soziale Strukturen bedingt. Es sei an die Deckungsgleichheit von wirtschaftlicher und politischer Elite erinnert sowie an die Funktion der Bruderschaften, die noch erla¨utert wird. Diese Kaufleutegenossenschaften sind in ihrer Sonderstellung mit den Korporationen zusammen zu betrachten, die nicht als professionell, sondern sta¨ndisch gebundene Zusammenschlu¨sse galten, wie die Zirkelbruderschaft in Lu¨beck oder die so genannten compagnie delle calze in Venedig. In all diesen Gruppen spielte das Verha¨ltnis zu den politischen Amtsinhabern eine große Rolle und beeinflusste dementsprechend die jeweiligen Formen der Selbstdarstellung. 2. In einem na¨chsten Schritt sollen die Rituale derjenigen professionellen Korporationen untersucht werden, deren Verha¨ltnis zu den Magistraten sehr viel sta¨rker ¨ mter und veneabgegrenzt war als im ersten Fall. Dies sind die hansesta¨dtischen A zianischen Zu¨nfte. 3. Aufgrund der Quellensituation und auch der unterschiedlichen, durch die Reformation bedingten Situation ist es nur fu¨r die venezianischen Zu¨nfte mo¨glich, ¨ berlegungen zu ihrer Bedeutung fu¨r die gesamtsta¨dtische Selbstdarstellung U anzustellen. Aufgrund des Wegfalls der Bruderschaften in den Hansesta¨dten fielen traditionelle Wege zu ihrer Integration in das sta¨dtische Prozessions- und Ritualwesen weg. Sie wurden nun vielmehr als nach Quartieren geordnete Bu¨rgerwehren in die jeweiligen Auf- und Umzu¨ge integriert und hierin aber auch mit ihnen im Rang u¨bergeordneten Korporationen vergemeinschaftet. Diesem Themenfeld widmet sich ein drittes Kapitel, das den Bruderschaften und Bu¨rgerwehren als Teilen der gesamtsta¨dtischen Selbstdarstellung nachgeht.
4.1. Sta¨dtische Korporationen und Bu¨rgerschaft
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4.1. Sta¨dtische Korporationen und Bu¨rgerschaft
Anders als in den Hansesta¨dten war das Bu¨rgerrecht in Venedig durch sehr viel scha¨rfere Abgrenzungen zwischen den verschienen Gruppen der Nobili, Cittadini und Popolani charakterisiert. Der Zugang zur aktiven Bu¨rgergemeinde, das heißt denjenigen, die im Maggior Consiglio saßen, war erblich bestimmt. Neuere Forschungen haben darauf hingewiesen, dass dieser Zugang teilweise flexibler gehandhabt wurde, als bis dahin aufgrund der erfolgreichen politischen Selbststilisierung Venedigs vermutet wurde.16 So haben Volker Hunnecke und Oliver Thomas Domzalzski anhand ihrer Untersuchungen zur Demographie des venezianischen Patriziats festgestellt, dass die Einschreibung ma¨nnlicher Nachkommen in den Maggior Consiglio teilweise recht pragmatisch gehandhabt wurde, und dabei beispielsweise eine oder mehrere Generationen u¨bersprungen werden konnten. Untersuchungen zu der Definitionspraxis anderer Gruppen fehlen bisher ga¨nzlich. Zwar ist auch hier von einem sehr viel gro¨ßeren Pragmatismus in der Anwendung der jeweiligen Regeln auszugehen, als es die politischen Traktate dieser Zeit suggerieren. Die Schranke jedoch zwischen den Familien, die das Anrecht auf Sitz und Stimme im Maggior Consiglio besaßen und den anderen Gruppen der venezianischen Stadtbevo¨lkerung war als Norm so erfolgreich institutionalisiert, dass sie nicht zur Diskussion gestellt wurde, im Gegensatz zum Beispiel zu der Machtverteilung und personalen Zusammensetzung von Maggior Consiglio und Consiglio di Dieci. In den Hansesta¨dten hingegen war die Grenze zwischen Rat und der an der Herrschaft beteiligten, immer wieder neu zu bestimmenden Bu¨rgerschaft umstritten. Die sta¨dtischen Eliten rangen immer wieder um die Frage, ob es nun galt, Rat und Bu¨rgerschaft als Obrigkeit oder den Rat der Bu¨rgerschaft anzuerkennen und um die Frage, welche Gruppen in die an der Herrschaft beteiligte Bu¨rgerschaft einzubeziehen waren. Die venezianischen Patrizier dagegen mussten nicht befu¨rchten, dass sich Kritik durch Handwerker oder andere Gruppen in irgendeiner Weise direkt auf die Verfassungsverha¨ltnisse auswirken konnte – auch wenn diese selbstversta¨ndlich gea¨ußert wurde. Die Situation in den Hansesta¨dten war hingegen von einer sehr viel gro¨ßeren institutionellen Na¨he zwischen Rat, Bu¨rgerschaft und Korporationen gekennzeichnet. Bei Konflikten musste der Rat damit rechnen, dass sowohl Kompetenz- und Machtverteilung zu seinen Ungunsten neu geregelt wurde als auch, dass sich die Zusammensetzung der Korporationen, die bei Beratungen und Entscheidungen hinzugezogen werden wollten, a¨nderte. Als eine Voraussetzung fu¨r eine Analyse der rituellen Formen der Integration und Exklusion der korporativen Strukturen in die gesamtsta¨dtische Selbstdarstellung um 1600 ist dieses unterschiedliche Verha¨ltnis zwischen politischen Magistraten und Korporationen zu beachten. Ob und wie die zum Teil als sehr gefa¨hrlich empfundene politische Na¨he17 zwischen hansesta¨dtischen nicht-ratssa¨ssigen Korporationen 16 Zum Maggior Consiglio als Teil des Venedig-Mythos vgl. Haitsma Mulier, Myth of Venice, S. 1–25. 17 Zu der Wahrnehmung dieser institutionellen Strukturen durch Vertreter der politischen Elite in den
Hansesta¨dten um 1600 fehlt jegliche Forschung. Auch an dieser Stelle kann hierzu leider keine umfas-
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und dem Rat oder eine festgelegte politische Ferne in Venedig sich auf die Mechanismen stadtrepublikanischer Selbstdarstellung um 1600 auswirkte, soll im Folgenden am Beispiel der entsprechenden sozialen Ordnungsentwu¨rfe der so genannten Luxus- und Kleidergesetzgebung na¨her erla¨utert werden.18 Zwei Missversta¨ndnisse bei der Analyse territorialstaatlicher und sta¨dtischer fru¨hneuzeitlicher Policeyordnungen sind weit verbreitet. Zum einen halten viele die dort skizzierten Aussagen fu¨r ein wahrheitgetreues Abbild der in der jeweiligen Gesellschaft vorhandenen gesellschaftlichen Distinktionen. Zum anderen interpretieren sie die mehrmalige Verku¨ndigung desselben oder eines nur leicht abgea¨nderten Wortlauts u¨ber Jahre hinweg als Eingesta¨ndnis ihres Scheiterns.19 Diese Deutungen folgen dem Bild, das die Quellen selbst entwerfen.20 Achim Landwehr hat dagegen zu Recht darauf hingewiesen, dass fru¨hneuzeitliche normative Quellen deswegen auch so stark betonen, dass ihre Regeln nicht eingehalten wu¨rden, um ihren regulativen Charakter zu versta¨rken. Dieser musste aufgrund einer noch im Aufbau befindlichen administrativen Infrastruktur sta¨rker als heute auch u¨ber den Wortlaut pra¨sent gesetzt werden. Derselbe Wortlaut einer Verordnung verweist daher nicht nur auf ihre Wirkung, die im Einzelfall zu untersuchen ist, sondern auch auf den hohen Stellenwert von Mu¨ndlichkeit in der fru¨hneuzeitlichen sta¨dtischen Administration.21 Kleider- und Luxusordnungen waren Texte, in denen die politischen Obrigkeiten verku¨nden ließen, welcher vestimenta¨re und zeremonielle Aufwand welchen Bevo¨lkerungsgruppen zustand.22 Sie waren Teil einer rituellen Kommunikation zwischen politischer Obrigkeit und sende Quellenauswertung unternommen werden. Belege fu¨r die Versuche, gefa¨hrliche Na¨he in geregelte Distanz umzuwandeln, lassen sich außer in den in diesem Kapitel untersuchten Quellen zu Ritualen auch in Texten finden, die als Gelegenheitsliteratur zu familia¨ren oder politischen Anla¨ssen entstanden. Vergleiche fu¨r Bremen das Spottgedicht auf zu pra¨chtig gekleidete Schuster bei Erika Elstermann, Die Lederarbeiter in Bremen, Bremen 1941, S. 26 und fu¨r Hamburg das Epitaph auf den Senator Rudolph Amsinck von 1636, in dem hervorgehoben wird, dass er zu jedermann, egal welchen Ranges und Standes freundlich gesonnen gewesen sei und alle gleich behandelt habe: Walter, Encomium. Der Wortlaut des Epitaphs favorisiert ein sta¨ndisches und nicht korporativ gegliedertes Gesellschaftsmodell. Fu¨r Lu¨beck vgl. auch AHL, ASA-Interna, Rat und Bu¨rgerschaft, 3/1, Lateinischer Dialog zwischen einem Mercator und einem Mechanicus. 18 In diesem Sinne interpretierte Rebekka von Mallinckrodt die prachtvollen Geba¨ude der venezianischen Bruderschaften als Kompensation ihrer fehlenden politischen Einflussmo¨glichkeiten: Rebekka von Mallinckrodt, Unsichtbare Macht, repra¨sentative Machtlosigkeit ?: Ein Vergleich politischer Einflussmo¨glichkeiten und architektonischer Repra¨sentation fru¨hneuzeitlicher Bruderschaften in Venedig und Ko¨ln, in: Machtra¨ume in der fru¨hneuzeitlichen Stadt, hg. v. Christian Hochmuth, Konstanz 2006, S. 333–353. 19 Vgl. Ju¨rgen Ellermeyer, Sozialgruppen, Selbstversta¨ndnis, Vermo¨gen und sta¨dtische Verordnungen, in: BllDtLG, N. F. 113 (1977), S. 203–275; Achim Landwehr, Normen als Praxis und Kultur: Policeyordnungen in der Fru¨hen Neuzeit, in: Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 4,1 (2004), S. 109–113. 20 Landwehr, Normen, S. 112. 21 Ebd. 22 In diesem Zusammenhang sind die Untersuchungen von Neithard Bulst aufschlussreich: Neithard Bulst, Kleidung als sozialer Konfliktstoff: Probleme kleidergesetzlicher Normierung im sozialen Gefu¨ge, in: Saeculum 44 (1993), S. 32–46; sowie in europa¨isch-vergleichender Perspektive: Ders., Feste und Feiern unter Auflagen. Mittelalterliche Tauf-, Hochzeits- und Begra¨bnisordnungen in Deutschland und Frankreich, in: Feste und Feiern im Mittelalter. Paderborner Symposium des Media¨vistenverbandes, hg. v. Detlef Altenburg/Ka¨rg Jarnut/Hans-Hugo Steinhoff, Sigmaringen 1991, S. 39–51.
4.1. Sta¨dtische Korporationen und Bu¨rgerschaft
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Stadtbevo¨lkerung.23 Nicht nur wurden sie an zentralen Punkten der Stadt ausgeha¨ngt und als Drucke verbreitet, sondern auch in einem festen Rhythmus o¨ffentlich verlesen.24 Ihre Einhaltung wurde in Venedig durch die Provveditori alle Pompe, einer extra fu¨r diesen Zweck eingerichteten Beho¨rde, u¨berwacht.25 In den Hansesta¨dten mussten sich die Bu¨rger nach einer Hochzeit auf das Rathaus begeben und beschwo¨ren, dass sie die Hochzeitsordnung bei ihren Feierlichkeiten eingehalten haben.26 Eine genaue Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Etablierung obrigkeitlicher Disziplinierungsmaßnahmen und Durchsetzung der Kleider- und Luxusregeln steht allerdings fu¨r Venedig und die Hansesta¨dte noch aus.27 Im Folgenden soll weniger der Stellenwert dieser normativen Quellen als direktes juristisches Herrschaftsund Kontrollinstrument analysiert werden. Es soll vielmehr danach gefragt werden, welche sozialen Zuordnungsprinzipien die Autoren der jeweiligen Ordnungen entwarfen und welche Kontinuita¨ten und Vera¨nderungen sich hier finden lassen.28 Dabei werden Ordnungen aus dem Untersuchungszeitraum dieser Arbeit, also von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts miteinander verglichen.29
23 Auf diesen Aspekt macht aufmerksam: Neithard Bulst, Normative Texte als Quelle zur Kommuni-
kationsstruktur zwischen sta¨dtischen und territorialen Obrigkeiten im spa¨ten Mittelalter und in der fru¨hen Neuzeit, in: Kommunikation und Alltag in spa¨tmittelalterlicher und fru¨her Neuzeit. Internationaler Kongreß Krems an der Donau, 9. bis 12. Oktober 1990, Wien 1992, S. 127–144. 24 Vgl. Liselotte C. Eisenbart, Kleiderordnungen der deutschen Sta¨dte zwischen 1350 und 1700. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des deutschen Bu¨rgertums, Go¨ttingen u. a. 1962, S. 45–46; Jeannette Rauschert, Gelo¨chert und befleckt. Inszenierung und Gebrauch sta¨dtischer Rechtstexte und spa¨tmit¨ ffentlichkeit, in: Text als Realie: Internationaler Kongress Krems an der Donau 3. bis telalterliche O 6. Oktober 2000, hg. v. Karl Brunner/Gerhard Jaritz, Wien 2003, S. 163–181; in Venedig wurden die Verordnungen an den Stufen der Rialto-Bru¨cke und an der Piazza San Marco ausgeha¨ngt: Bistort, Il Magistrato alle pompe, S. 402. 25 Vgl. Bistort, Il Magistrato alle pompe, S. 276–288. 26 Vgl. fu¨r Bremen Ordnung Eines Erbarn Rahts der Statt Bremen, 1624, S. 8–9; fu¨r Hamburg STAH, Senatsbestand, Cl. VII, Lit. La Nr. 3, Vol. 8c (2), Revidirte Hochzeit-Ordnung, 17. Ma¨rz 1634, fol. 92; fu¨r Lu¨beck Dero Kayserlichen und des Heiligen Reichs Freyer Stadt Lu¨beck Statuta und StadtRecht, Dero Kayserlichen und des Heiligen Reichs Freyer Stadt Lu¨beck Statuta und StadtRecht/ sampt angehengter Schiffs:und Hochzeiten Ordnung: Auffs newe ubersehen/ distinguiret, und in bessere Richtigkeit gebracht, Lu¨beck 1608, fol. 4–5. 27 Die Untersuchungen von Bistort und Eisenbart bieten hierfu¨r eine gute Quellen- und Materialbasis. Bistort, Il magistrato alle pompe; Eisenbart, Kleiderordnungen. 28 Hier soll zum Beispiel nicht der Stellenwert der Kleider- und Luxusordnungen als Herrschaftsinstrument Venedigs und der Hansesta¨dte in den ihnen unterstehenden Gebieten beachtet werden – ein Aspekt, der sich in den Quellenbesta¨nden findet, aber dem bislang noch keine na¨here Untersuchung zuteil wurde. Vgl. die Quellen in ASV, Provveditori alle Pompe, Decreti Relativi alla Terraferma, 1334–1781 sowie Bistort, Il magistrato alle pompe, S. 59; außerdem die hansesta¨dtischen Quellen: Ordnung Eines Erbaren Rahtes der Stadt Bremen, 1587; Eine Luxusordnung fu¨r Bill- und Ochsenwa¨rder, hg. v. Otto Ru¨diger, in: ZVHambG N. F. 3,1 (1869), S. 521–525; AHL, ASA-Externa, Vogtei Mo¨lln, 2308, Briefwechsel des Rates der Stadt Lu¨beck mit dem Hauptmann und Rat zu Mo¨lln im Juli 1615 wegen der Anwendung der Hochzeitsordnung in Mo¨lln. 29 Außer den bereits genannten Quellen sind zusa¨tzlich zu Bistort folgende Quellenangaben zu nennen: ASV, Provveditori alle Pompe, Capitolare Primo; ASV, Provveditori alle Pompe, Capitolare Secondo, bu. 3: Decreti 1334–1689 und ASV, Provveditori alle Pompe, Decreti 1474–1796; fu¨r Bremen: Ordnungen Eines Erbarn Rahdes der Stadt Bremen, 1606; fu¨r Hamburg Die hamburgischen Hochzeits- und Kleiderordnungen von 1583 und 1585; STUBH, Cod. jur. 2676, [Hamburger Stadtrecht von 1606], fol. 327–238, 337–342, 361; außerdem STAH, Senatsbestand, Cl. VII Lit. La Nr. 3, Vol. 8c (2), Revi-
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
Bei einem Vergleich des Stellenwertes der korporativen Gliederung der Stadtgesellschaft fa¨llt ins Auge, dass die entsprechenden Vorschriften in Venedig sehr viel allgemeiner als in den Hansesta¨dten gehalten sind. In Venedig wurde immer wieder betont, dass sie fu¨r alle zu gelten haben, mit Ausnahme der nicht zu Venedig geho¨renden Forastieri, der Fremden, die ja in diesem Fall nicht unter venezianischer Jurisdiktion stu¨nden.30 Die Regelungen selbst hoben auch immer wieder hervor, dass die Angeho¨rigen der Patrizier und der Cittadini sich unter allen Umsta¨nden an die Ordnung zu halten haben, ohne besondere Unterschiede zwischen beiden Gruppen vorzuschreiben.31 Die meisten der vielfa¨ltigen venezianischen Luxus- und Kleidervorschriften entfallen auf die Frauen der Patrizier, die der Cittadini oder auf Prostituierte. Frauen der Popolani wurden nie genannt. Dabei wurde angestrebt, eine gro¨ßere vestimenta¨re Distinktion zwischen Patrizierinnen und Cittadine auf der einen und Prostituierten auf der anderen Seite zu erreichen. Zwischen Patrizierinnen und Cittadine wurden keine klaren Unterscheidungen getroffen.32 Beide Gruppen waren Teil der venezianischen Repra¨sentation bei Feierlichkeiten zu Ehren fremder Ga¨ste von Stand in Venedig. Zu diesen Anla¨ssen wurden die Luxusgesetze fu¨r diese beiden Gruppen aufgehoben oder gelockert. Den Familien bot sich nun ein freies Feld der Konkurrenz bei der Zurschaustellung ihrer wirtschaftlichen Position.33 Viele nutzten diese Freira¨ume dann auch trotz anderslautender Gesetzgebung fu¨r ihre familia¨ren Feste mit dem Argument, dass sie doch allein die wirtschaftliche Macht Venedigs zur
dierte Kley¨der-Ordnung, vermutlich 1637; sowie Comm, H 343/2, Mandatensammlung 1645–1659, Revidierte Kleiderordnung, 6. Ma¨rz 1648; zu Lu¨beck sind zwei Untersuchungen zu nennen, die die Kleider- und Hochzeitsordnungen als Quelle zurate ziehen: Simon, Stand, Vermo¨gen, Standvermo¨gen und Spies-Hankammer, Luxusordnungen; vgl. außerdem die Quellen in dem Bestand AHL, ASAInterna, Mandate und Verordnungen 6/7, handschriftlicher Entwurf einer Kostordnung, vermutlich aus der Mitte des 16. Jahrhunderts; AHL, ASA-Interna, Mandate und Verordnungen, Kleiderordnung vermutlich aus der Mitte des 16. Jahrhunderts; AHL, ASA-Interna, Hochzeiten 3/1, Hochzeitsordnung von 1582; AHL, Miscellanea, Rerum Lubecensium Band 2: Varia, Abschrift der Revidierten Ordnung zu Verlo¨bnissen, Hochzeiten, Kleidungen, Kindbetten, Gevatterschaften, Begra¨bnissen von 1619, S. 1147–1198; Ernewerung und Moderation Eines Erbaren Rahts der Keys: freyen und des H. Reichs Stadt Lu¨beck im Jahr 1612 publicirter Ordnung. Darnach sich hinfu¨hro dieser Stadt Bu¨rgere und Einwohner bey Verlo¨bnu¨ssen/ Hochzeiten/ in Kleydungen/ Kindbetten/ Gefatterschafften/ Begra¨bnu¨ssen/ und was denselben alles anhengig/ sampt ihren Frawen/ Kindern und Gesinde verhalten sollen, Lu¨beck 1623, in: Dero Kayserlichen Freyen und des heiligen Reichs Stadt Lu¨beck Statuta und Stadt Recht/ sampt angehengter Schiffs-Ober-Nieder-und Kleiderordnung/auffs newe wiederumb gedruckt, Lu¨beck 1643, s. p. 30 Vgl. zum Beispiel Bistort, Il magistrato alle pompe, S. 373, 389, 422. 31 Dies wird zum Beispiel auch besonders gut in den Vorschriften zur Gestaltung des Kreises oder der Zahl der Ga¨ste deutlich, vgl. zum Beispiel das Dekret vom 12. August 1621 in ASV, Provveditori alle Pompe, Capitolare Secondo, bu. 3, Decreti 1334–1689, s. p.: L’andera` parte, che nell’avenire nelli battesimi de figli, o figlie, non possi chi si voglia, sotto alcun colore, o pretesto, invitare [...] maggior numero de dodeci compani di quelli pero`, et sono permessi delle leggi, alli quali non si possi mandare altro, che quattro pani di zuccaro per cadauno. – „Wird beschlossen, dass im Falle der Taufe der So¨hne oder der To¨chter, wer immer es auch sein ko¨nne, niemand unter irgendeiner Begru¨ndung, oder Vorwand, mehr als zwo¨lf Ga¨ste einladen soll von jenen, die auch die Gesetze erlauben, denen man nichts anderes, als vier Zuckerbrote fu¨r jeden schicken darf.“ 32 Vgl. die umfassende Quellenauswertung bei Bistort, Il magistrato alle pompe, S. 90–105, 113–238, 264–266. 33 Zu den entsprechenden Anla¨ssen vgl. ebd., S. 35–37.
4.1. Sta¨dtische Korporationen und Bu¨rgerschaft
231
Schau stellen wu¨rden.34 Da sie bei der außenpolitischen Repra¨sentation der Republik kompensierten, dass Venedig u¨ber keine standesgema¨ßen Adelsdynastien oder einen Hof verfu¨gte, konnten die Frauen der sta¨dtischen Oberschichten dies auch ausnutzen. Venedig war gewissermaßen auf sie angewiesen, versuchte aber, diesen Freiraum gleichzeitig durch die Luxus- und Kleidergesetzgebung zu regulieren und damit zu begrenzen. Zusa¨tzlich zu der Kleidung der Patrizierinnen und Cittadine galt den Hochzeits- und Tauffeierlichkeiten beider Gruppen die gro¨ßte Aufmerksamkeit der Luxus- und Kleidergesetzgebung. Auch auf diesem Gebiet war es wichtig, die familia¨re Konkurrenz nicht so groß werden zu lassen, dass sie die institutionell verankerte Gleichrangigkeit jeweils von Patriziern und Cittadini gefa¨hrden konnte. Tatsa¨chlich setzten sich die Provveditori alle pompe wohl kaum bei ihren Kontrollbesuchen durch. Ihre Autorita¨t wurde dadurch geschwa¨cht, dass sie meist noch recht jung waren und ha¨ufig in familia¨ren oder klientela¨ren Beziehungen zu ihren Gastgebern standen.35 Aber dies schien sich keineswegs negativ darauf ausgewirkt zu haben, wie wichtig alle Beteiligten diese Vorschriften nahmen, die in ihren Augen ihre Loyalita¨t zu althergebrachten venezianischen Traditionen ausdru¨ckten.36 Das Bild, das die venezianische Kleider- und Luxusgesetzgebung entwarf, differenzierte innerhalb derjenigen Gruppen, die die sta¨dtische Elite bildeten, wa¨hrend es andere Gruppen mit Ausnahme der Prostituierten nicht mit einbezog. Der ostentativen Konkurrenz unter den Familien des venezianischen Patriziats wurde die gro¨ßte Aufmerksamkeit geschenkt. Wa¨re hier der Konsens zwischen den einzelnen Familien und Ratsmitgliedern etwa zugunsten der Repra¨sentation einer bestimmten Person, Familie oder Gruppe geschwa¨cht oder gar aufgelo¨st worden, ha¨tte sich das negativ auf die politische Stabilita¨t des Gemeinwesens ausgewirkt. Diese Beziehung zwischen politischer Relevanz und besonderer Aufmerksamkeit fu¨r bestimmte Gruppen in der Kleiderund Luxusgesetzgebung la¨sst sich auch gut an den entsprechenden Beispielen in den hansesta¨dtischen Ordnungen beobachten, dort allerdings mit anderen Gewichtungen. In den hansesta¨dtischen Kleider- und Aufwandsordnungen spiegelte sich wider, welche Gruppen um politischen Einfluss rangen. Dies bedeutet nicht, dass in ihnen ein kongruentes Bild der politischen Verfasstheit zum Ausdruck kommt. Vielmehr ¨ bermachen sie – vermutlich ohne dies absichtlich zu verfolgen – deutlich, dass die U tragung sta¨ndischer Distinktionsmerkmale einen politischen Stellenwert genoss. Dies zeigt sich an der besonderen Aufmerksamkeit, die sie der Einordnung einer bestimmten Korporation in einen Stand oder Rang beimaßen. Hierbei offenbaren sich zwischen den Hansesta¨dten große Unterschiede, die mit den jeweils unterschiedlichen politischen Machtverha¨ltnissen in Verbindung gebracht werden ko¨nnen. So waren in Lu¨beck die sta¨dtischen Korporationen der Kaufleutegenossenschaften und der Handwerksa¨mter als Bu¨rgerschaft direkt an bestimmten Entscheidungsfindungen beteiligt. Diese Korporationen waren in den Lu¨beckschen Kleider-, Luxus- und 34 Vgl. ebd., S. 37–40. 35 Vgl. Bistort, Il magistrato alle pompe, S. 33–34. 36 Vgl. die Argumentationsmuster in ASV, Provveditori alle Pompe, Capitolare Secondo, bu. 3: Decreti
1334–1689, fol. 1 und Sansovino, Venetia, 1663, S. 401–402.
232
4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
Hochzeitsordnungen sehr viel sichtbarer als in den Hamburger oder Bremer Regelungen. In einer Ordnung aus dem Jahre 1612 wurden sie zum ersten Mal in ein nach Rang beziehungsweise Stand gegliedertes System eingeordnet. In der Einleitung einer Lu¨becker Kleider- und Luxusordnung des Jahres 1619 kommt das Changieren zwischen korporativer Vielfalt und dem Versuch, diese in ein geordnetes sta¨ndisches Rangsystem einzupassen, sehr deutlich zum Ausdruck: Also hat diese gute Stadt ihre unterschiedlichen Sta¨nde, und sein unter der Bu¨rgerschafft mancherley¨ Compagnien Zu¨nffte bu¨rgerschaffte, große und kleine A¨mbter auch geringer gesellschafft und Collegia so alle nach dieser Stadt wohlhergebrachter Zahl: gebrauch und vorigen ordinantion unterschiedlich abgetheilet worden, nach welchen unterschied auch diese Ordnung ist gerichtet und soll hinfu¨hro mit verlo¨bnu¨ßen, hochzeiten, Kleidungen und andern dergleichen besta¨ndig danach gehalten werden.37 Besonders schwierig war es fu¨r die Lu¨becker Magistrate, sta¨ndische Grenzen zwischen Kaufleuten und Handwerkern zu ziehen, die nicht der Gliederung der Bu¨rgerschaft entsprachen. Dennoch legte bereits eine Ordnung aus der Mitte des 16. Jahrhunderts Rangunterschiede zwischen vornehmen burgern, Kauffleuten und Handwerkern fest.38 Ihre Verfasser versuchten zuna¨chst, die Trennung zwischen Kaufleuten und Handwerkern mit Verweis auf die unterschiedliche Art und Weise, mit der beide Gruppen ihre Nahrung erwerben wu¨rden, zu begru¨nden.39 Diese sta¨ndische Begru¨ndung kollidierte aber sowohl mit den politischen als auch den wirtschaftlichen Strukturen Lu¨becks in der Mitte des 16. Jahrhunderts: Bereits im na¨chsten Absatz der genannten Ordnung wurden diese grundsa¨tzlichen Unterscheidungen dahingehend modifiziert, dass Handwerker, die ein eigenes Haus besaßen oder Funktion ¨ ltermanns, also eine Leitungsposition in der Zunft, ausu¨bten, sich dem na¨chst eines A ho¨heren Stand zurechnen du¨rften.40 In einer Lu¨becker Ordnung des Jahres 1623 wurden die Familien der Schneider, Schiffer und Handwerker gesondert genannt und dazu aufgefordert, sich an die Kleiderordnung zu halten. So wurden die Ehefrauen der Schiffer und Handwerker ermahnt, keine Perlen zu tragen.41 In diesem Falle wurde dann auch kein Aufstieg in eine na¨chst rangho¨here Gruppierung erlaubt, wie noch etwa sechzig Jahre zuvor. Einerseits la¨sst sich hier also eine sta¨rkere Durchdringung der korporativen Welt der Lu¨becker Stadtgemeinde mit sta¨ndischen Prinzipien erkennen. Andererseits weist diese namentliche Nennung bestimmter Handwerker – wie zum Beispiel der Schneider – auf das jeweilige Rang- und Ehrstreben der einzelnen Korporationen hin. Der einheitliche Stand hatte als Vergemeinschaftungsprinzip 37 AHL, Miscellanea, Rerum Lubecensium, Bd. 2, Varia: Abschrift der Revidirten Ordnung zu Verlo¨b-
nissen, Hochzeiten, Kleidungen, Kindbetten, Gevatterschaften, Begra¨bnissen, 1619, S. 1147. 38 AHL, ASA-Interna, Mandate und Verordnungen 6/8, Neue Ordnung u¨ber Kleidung, Schmuck, Ver-
lo¨bnisse, Hochzeiten, vermutlich Mitte 16. Jahrhundert, fol. 3.
39 Neue Ordnung, fol. 3. 40 Ebd. 41 SBL, Lub. 4o 4962 Ex. 3, Hochzeitsordnung von 1623, in: Dero Kayserlichen Freyen und des heiligen
Reichs Stadt Lu¨beck Statuta und Stadt Recht/ sampt angehengter Schiffs-Ober-Nieder- und Kleiderordnung/ auffs newe wiederumb gedrucket, Lu¨beck 1643, s. p.
4.1. Sta¨dtische Korporationen und Bu¨rgerschaft
233
noch keineswegs Priorita¨t u¨ber anderen Vergemeinschaftungen erhalten. Ein mo¨glicher Grund hierfu¨r lag sicherlich in der korporativen Struktur der dem Rat zur Seite stehenden Bu¨rgerschaft. Das Beispiel einer Eingabe an den Lu¨becker Rat aus dem Jahe 1647 zeigt gut, als wie diffus diese – da letztendlich vermo¨gensabha¨ngigen Abgrenzungen – wahrgenommen werden konnten. So beharrte eine Dame in ihrer Eingabe vor dem Lu¨becker Rat darauf, nicht eines Haußdieners, schneiderß, Amptmanß oder Schiffers, sondern eines Kauffmans und Bruders des Schu¨ttenß Tochter zu sein und verwies auf ihre Kleidung als Ausweis dieser Abkunft.42 Diese Eingabe wa¨re so in Venedig nicht mo¨glich gewesen, da die einzelnen Gruppen sich in erster Linie u¨ber ihre Abkunft definierten und daher die Kleidung als Abgrenzungsmerkmal beispielsweise zwischen Cittadini und Popolani eine geringe Bedeutung besaß. Der Unterteilung der Sta¨nde kam in den Lu¨becker und Bremer Verordnungen eine wachsende Aufmerksamkeit zu. Gleichzeitig legten die Magistrate immer gro¨ßeren Wert auf eine Beschra¨nkung der Prachtentfaltung von Rites de passage wie Hochzeiten, Taufen, Kindbettfeiern oder Begra¨bnissen. Beides – sta¨ndische Ordnung und zu¨chtiger Festablauf – wurde mit Gottes Willen und – hier gleichen die Texte den venezianischen Wahrnehmungen von Kleider- und Luxusnormen – der Ru¨ckbesinnung auf sta¨dtisch-republikanische Normen begru¨ndet. Nachdem in der Pra¨ambel außerordentliche Buß- und Bettage im Zusammenhang mit ihrer Einfu¨hrung angeku¨ndigt worden waren, hieß es zum Beispiel am Ende einer Lu¨becker Kleider- und Luxusordnung aus dem Jahre 1623: Wollen wir demnach und zum Beschluß Menniglichen hiemit erinnert/ vorwarnet/ ermahnet auch gebotten haben/ das sie alle Uppigkeit und Ko¨stlichkeit der Gastereyen/ mit vielfa¨ltigen Speisen und Gerichten/ langen Mahlzeiten/ Confecten/ gebacken Zucker und der gleichen/ weil solches nicht Bu¨rgerlich und Sta¨ttisch/ sondern in viel Wege scha¨d- und verderblich ist/ abstellen/ und sich vielmehr der alten eingezogen- und sparsambkeit/ ihnen und den ihrigen selbsten/ zum besten/ befleissigen sollen.43 La¨sst sich diese Tendenz in den Lu¨becker Texten erst in der Ordnung des Jahres 1609 wahrnehmen,44 so ist sie in den Bremer Verordnungen bereits dreißig Jahre fru¨her zu beobachten. Die Bremer Regeln verknu¨pften religio¨se Begru¨ndung und Unterteilung der sta¨ndischen Ordnung sehr viel enger als die Lu¨becker Quellen. So heißt es bereits in der Pra¨ambel der Bremer Ordnung des Jahres 1587: Dat wy demenah vorerst Gade dem Allmechtigen tho lave und Ehren/ ud tho nu¨tte und framen du¨sser unser Gemeine/ und Bo¨rgerschup/ de itzt angeregte des fals upgerichtede kost und Kindelbehr Ordnung revideret/ und opt nye avergesehen.45 Der gro¨ßere Stellenwert
42 AHL, ASA Interna, Polizei 16/1, Akten 1647–1742, Brief der Christina, des Joachim Schultes sehl.
dochter, vom 18. Mai 1647.
43 Lu¨beck, Ordnung 1623, s. p. 44 Simon, Stand, Vermo¨gen, Standvermo¨gen, S. 53. 45 Ordnung Eines Erbaren Rahtes der Stadt Bremen, 1587, fol. a2.
234
4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
religio¨ser Begru¨ndungen fu¨hrte aber auch in Bremen nicht dazu, dass sta¨ndische Ordnung und sta¨dtische Rangeinteilung in grundlegend anderer Weise konzipiert wurden als in Lu¨beck. Schimmerte in den Lu¨becker Texten immer wieder die korporativ organisierte Struktur des Stadtregiments durch, so wurden in Bremen besonders differenzierte Unterscheidungen nicht auf der mittleren Ebene, sondern auf der obersten und der untersten Ebene der sozialen Ordnung getroffen. Diese Einteilung a¨ndert sich nicht. Exemplarisch sei dafu¨r eine Bremer Verordnung aus dem Jahre 1606 zitiert: Und alle by vo¨rigen upgerichteden Kostordnungen/ umme underschedung willen der Personen/ und Kleidung/ ock der tydt halven/ wenner de Ko¨ste scho¨len geholden werden/ dusser Stadt gantze gemein un Bo¨rgerschup in Veererley gradt ofte Standt ys afgedeilet/ unnd also in den ersten gradt de heren Borgermeistere/ RathsPersonen/ dersu¨lvigen Fruwen/ Kindere/ und andere in neddersliegender Lynien Schlechtes genohten/ in den andern/ de Olderlu¨de/ unnd vornehmsten Koplu¨de/ wolvermo¨gende olde Borgere/ In dem dru¨dden de gemeine Ambte/ Schippere und der geliken frame Borgere/ und dann in dem veerden gradt de Botslu¨de/ Ekenschuver/ Kanenfo¨hrer/ Denstbaden/ unnd sonsten andere densu¨lvigen gelike Personen/ alle mit o¨hren Frouwens/ kinderen unnd genohten/ gesettet worden.46 In sehr viel ausgepra¨gterer Form als die entsprechenden Lu¨becker Regeln zog diese Verordnung eine Trennlinie zwischen ratssa¨ssigen und nicht ratssa¨ssigen Kaufleuten sowie zwischen Kaufleuten und Handwerkern. Anders als in Lu¨beck fehlten auch entsprechende Klauseln daru¨ber, dass ein Aufstieg in einen ho¨heren Stand bei entsprechendem Vermo¨gen mo¨glich war.47 Die Bremer Ratsherren wollten sich so ausdru¨cklich durch ihre Ratsstandschaft und ihre familia¨re Herkunft von den nicht ratssa¨ssigen Kaufleuten absetzen, da sie sich mit ihnen in politischer und wirtschaftlicher Konkurrenz befanden. Im Gegensatz zu Lu¨beck erfuhren die Gruppen der Handwerker keine besondere Aufmerksamkeit. Sie waren ja auch von politischer Mitsprache ga¨nzlich ausgeschlossen. Auffa¨llig aber wiederum ist in den Bremer Verordnungen die differenzierte und gleichbleibende Einteilung des veerden gradts48 in Botslu¨de/ Ekenschuver/ Kanenfo¨hrer/ Denstbaden,49 die darauf hinweist, wie wichtig die Bootsleute fu¨r die Bremer Kaufleute waren, die daher auch unter besonderer Beobachtung des Bremer Rates standen.50
46 Ordnungen Eines Erbarn Rahdes der Stadt Bremen, 1606, fol. A3. 47 Dies a¨ndert sich auch nicht: vgl. zum Beispiel die beiden Bremer Ordnungen von 1587 und 1634 Ord-
nung Eines Erbaren Rahtes der Stadt Bremen, 1587, fol. a3 und Ordnung Eines Ehrbarn Rahtes der Stadt Bremen, 1634, S. 7. 48 Ordnungen Eines Erbarn Rahdes der Stadt Bremen, 1606, fol. a3. 49 Ebd. 50 Vgl. hierzu mit weiterfu¨hrenden Angaben Thomas Bru¨ck, Zur Entwicklung und Bedeutung von Korporationen der Schiffer und Bootsleute vom ausgehenden 15. bis zum beginnenden 17. Jahrhundert, in: Beitra¨ge zur hansischen Kultur-, Verfassungs- und Schiffahrtsgeschichte, hg. v. Horst Wernicke/Nils Jo¨rn, Weimar 1998, S. 181–199, hier: S. 197–198.
4.1. Sta¨dtische Korporationen und Bu¨rgerschaft
235
Das in den Hamburger Texten entworfene Bild sozialer Ordnung unterschied sich maßgeblich von den Lu¨becker und Bremer Texten. Womo¨glich la¨sst sich hier der gro¨ßere Einfluss der Bu¨rgerschaft erkennen, die, anders als in den beiden anderen Hansesta¨dten, ha¨ufig die Initiative zu Erlass und Durchsetzung der Ordnungen ergriff.51 Zwar la¨sst sich auch in den Hamburger Fa¨llen eine Verschiebung von einer nach Vermo¨gensklassen offenen sta¨dtischen Gesellschaft zu einer sta¨ndisch geschlossenen Ordnung beobachten.52 Die Hamburger Texte legen jedoch nahe, dass es sich hierbei um einen Institutionalisierungsprozess handelte, der nicht nur von den Ratsmitgliedern selbst, sondern auch von nicht ratssa¨ssigen Mitgliedern der sta¨dtischen Elite unterstu¨tzt wurde. Wie in Bremen oder Lu¨beck so waren auch die normativen Begru¨ndungen der Hamburger Texte von religio¨sen Motiven durchdrungen. Anders jedoch als in den beiden anderen Hansesta¨dten wurde mit dem Hinweis auf gottgewollte Ordnung nicht eine Unterteilung und Abgrenzung der Sta¨nde begru¨ndet, sondern in detaillierter Weise Festabla¨ufe und Kleidung mit Gu¨ltigkeit fu¨r die gesamte Bevo¨lkerung eingeschra¨nkt. Wie in Venedig richtete sich das Augenmerk am meisten auf die Frauen, die in fast allen Punkten der Hamburger Verordnungen direkt angesprochen wurden, und nicht auf die sich nach den Familien oder Berufsgruppen der Ma¨nner richtenden sta¨dtischen Korporationen. Es soll nach dießen Tagen keine frau oder Jungfrau sich unterstehen, nach publicirung dießes einige bu¨chern so mit Goldt oder Silber beschlagen es sey wenig oder viel, oder mit Perlen, Goldt oder Silber besticket, wie auch die Gu¨ldene oder Silberne Ketten darin in den Kirchen und Gemeine, zu vieler frommer Christen a¨rgerniß zugebrauchen hieß es etwa in einer Hamburger Luxus- und Kleiderordnung aus dem Jahre 1637.53 In derselben Ordnung findet sich auch die erste, wenn auch recht zo¨gerliche Anerkennung von Standesgrenzen, die aber – im Gegensatz zu den Lu¨becker und Bremer Texten – nicht pra¨zise definiert wurden: sonsten bleibet es frauen und Jungfrauen denen es Standes halber gebu¨hren will, zwey¨ oder drey¨ kleine Seiden Schnu¨rhen u¨ber Ihre Pantoffeln oder Schuhe schlecht und Recht setzen zu laßen unverbathen.54 Die Kleider- und Luxusordnungen in Venedig und in den Hansesta¨dten machen darauf aufmerksam, in welcher Weise die sta¨ndische Gliederung sich in das Verha¨ltnis der sta¨dtischen Korporationen zueinander einfu¨gte. Sie u¨berformte die korporativen Grenzlinien nicht ga¨nzlich. Es ist in keinem der Fa¨lle zu beobachten, dass sie als Wertesystem so erfolgreich war, dass sie alte Gruppengrenzen zugunsten neuer sta¨ndisch gepra¨gter Vergemeinschaftung an Wirkung abnehmen ließ. Vielmehr nahm
51 Vgl. STAH, 121–1, Erbgesessene Bu¨rgerschaft, Acta Conventuum Senatus et Civium, Bd. 1.,
S. 202–203 und S. 419; STAH, 121–1, Acta Conventuum, Bd. 2, S. 303–304, 313–319, 561–562, 591–592, 633–634, 746–748; STAH 121–1, Acta Conventuum, Bd. 3, S. 20–44, 510–517. 52 Vgl. zum Beispiel die Hamburger Kleiderordnung von 1583 mit der Hamburger Kleiderordnung von 1637. Vgl. die entsprechenden Angaben in Anm. 29. 53 Vgl. Hamburg, Ordnung, 1637, fol. 99. 54 Vgl. Hamburg, Ordnung, 1637, fol. 99.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
sie eine bestimmte Funktion in den bereits etablierten Kommunikations- und Machtverha¨ltnissen der Korporationen untereinander ein. In Venedig spielte die sta¨ndische Gliederung auch deswegen keine Rolle, weil das Verha¨ltnis der einzelnen politisch definierten Gruppen zueinander bereits fest institutionalisiert war, also nicht mehr durch Zurschaustellung familia¨ren oder individuellen Wohlstandes gefa¨hrdet oder neu festgelegt werden konnte. Daher konzentrierten sich die Regelungen auf die Einschra¨nkung von Schau-Konsum bei den Patrizier- und Cittadini-Familien. In den Hansesta¨dten wurde die sta¨ndische Gliederung in Bremen und Lu¨beck zu einem Mittel, das Verha¨ltnis der Korporationen zugunsten des Rates zu vera¨ndern, auch wenn dies – wie die genannten Klauseln zur Definition der Gruppen je nach Vermo¨gen zeigen – nicht grundlegend gelang. In Hamburg wiederum ha¨ngt die unspezifische Standesdefinition mit der Position der ratsa¨ssigen Kaufleute gegenu¨ber den in der Bu¨rgerschaft vertretenen Ha¨ndlern zusammen.55 Die Kleider- und Luxusordnungen in Venedig und in den Hansesta¨dten offenbaren also die Grenzen der Adaption sta¨ndischer Werte in einem sta¨dtisch-republikanischen Rahmen. Viel mehr noch als familia¨re oder individuelle Distinktion waren alle Regelungen darauf bedacht, die Integration in eine bestimmte Gruppen nicht dadurch gefa¨hrden zu lassen, dass einzelne Vertreter dieser oder einer anderen Gruppe aus dem kollektiven Erscheinungsbild herausstachen. Die sta¨ndische Ordnung bot hier gute Mo¨glichkeiten, das Verha¨ltnis der Korporationen untereinander auch durch den Verweis auf go¨ttliche Normen zu institutionalisieren; nicht, es zugunsten einer nun vorrangigen Sta¨ndeordnung aufzulo¨sen. Die Kleider- und Luxusordnungen haben gezeigt, dass sich fu¨r das 16. und 17. Jahrhundert in den Ordnungsentwu¨rfen, die eine Gesamtrepra¨sentation der Stadtgemeinschaft darstellten, kaum eine ausgepra¨gte symbolische Trennung von Korporationen und Obrigkeit finden la¨sst. Zwar zeigten die Kleider- und Luxusordnungen das Bemu¨hen der sta¨dtischen Obrigkeiten um zeremonielle Distanzierung, aber diesem Distanzierungsgebahren folgte nicht die symbolische Schaffung einer einheitlichen Stadtuntertanenschaft. Im Folgenden soll analysiert werden, welche Entwicklungen innerhalb der sta¨dtischen Korporationen diesem Befund entgegengestellt werden kann.
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
Welche Unterschiede sind zwischen der in der Repra¨sentation hergestellten Relation von Stadtrepublik einerseits und den jeweiligen Korporationstypen in den venezianischen und hansesta¨dtischen Ritualen andererseits zu finden? Die politisch aktive Teilhabe der Handwerksa¨mter ging in den Hansesta¨dten in der ersten Ha¨lfte der Fru¨hneuzeit immer weiter zuru¨ck. Diese waren allein in Lu¨beck noch aktiv an der
55 Theoretisch war es mo¨glich, dass ein vornehmer Handwerker in die Erbgesessene Bu¨rgerschaft
gewa¨hlt werden konnte. Das ist aber fu¨r das gesamte 16. und 17. Jahrhundert nicht mehr belegt.
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
237
Bu¨rgerschaft beteiligt. Aber auch dort ging ihr Einfluss im Laufe des 16. Jahrhunderts immer weiter zuru¨ck. Konnten sie im 15. Jahrhundert noch eine direkte Beteiligung am Rat fordern, gingen sie vieler Rechte bei der immer festeren Institutionalisierung der Lu¨becker Bu¨rgerschaft verlustig.56 Die Hauptkritik am Lu¨becker Rat im Rahmen der so genannten Reiserschen Unruhen um 1600, brachten nicht wohlhabende Handwerksmeister, sondern nicht ratssa¨ssige Kaufleute vor. Die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Gruppen der Kaufleute a¨ußerten sich in Lu¨beck und Hamburg als eine Konfrontation von Rat und Bu¨rgerschaft und in Bremen als eine zwischen dem Rat und der sich stetig immer fester organisierenden Kaufmannschaft. Kamen diese Gruppen nicht zu einer Einigung, war die institutionelle Struktur dieser Sta¨dte weitaus gefa¨hrdeter als in Venedig. Dort spielte sich die Konkurrenz der sta¨dtischen Eliten ausschließlich in den Kana¨len der politischen Institutionen ab und bedrohte daher die eigentliche politische Verfasstheit der Republik nicht. Damit ha¨ngt aber auch zusammen, dass die venezianischen Kaufleute sich selbst wiederum nicht in eigensta¨ndigen Korporationen organisierten. Dies wa¨re weder aus wirtschaftlichen noch aus politischen Gru¨nden praktikabel gewesen, verbrachten sie doch sowieso einen Großteil ihres Lebens mit der Arbeit in den unza¨hligen Einrichtungen und adhoc-gebildeten Gremien der venezianischen Republik. Diese strukturellen Merkmale bilden den Rahmen fu¨r eine Analyse des Zusammenhangs zwischen korporativer und sta¨dtischer Repra¨sentation. Lassen sich hier Beziehungen zwischen politischer Stellung und ritueller Repra¨sentation feststellen? Welche Einflu¨sse hatten sta¨dtische Gesamtentwicklungen auf die internen Repra¨sentationsmechanismen der Korporationen?
4.2.1. Institutionalisierung und Absonderung: Die Rituale der hansesta¨dtischen Kaufleutekompanien Die Kaufleutekompanien aller drei Hansesta¨dte waren kollegial organisiert. Sie grenzten sich als eigensta¨ndige Gruppe im Stadtraum durch spezifische Rituale ab. Sie verfu¨gten je nach Bedeutung u¨ber eigene Versammlungsha¨user und Kirchstu¨hle. Ihre architektonische und rituelle Repra¨sentation muss immer in einem Zusammenhang mit ihrer jeweiligen Position in der sta¨dtischen Gesellschaft gesehen werden. So dru¨ckte sich zum Beispiel die Konkurrenz zwischen dem Bremer Rat und der Bremer Kaufmannschaft sinnfa¨llig in der architektonischen Gegenu¨berstellung von Rathaus und Schu¨tting aus. Ein weiteres beeindruckendes Beispiel waren die Lu¨becker Bergenfahrer, deren Initiationsrituale im Kontor zu Bergen beru¨chtigt waren. Diese sollten bewirken, dass die Gesellschaft tatsa¨chlich den Bergenfahrern vorbehalten blieb ¨ bernahme der Korporation durch So¨hne von Familien und nicht eine allma¨hliche U stattfand, die dem Rat nahestanden.57
56 Vgl. Asch, Rat und Bu¨rgerschaft, S. 25–26. 57 Vgl. Asch, Rat und Bu¨rgerschaft, S. 31–32.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
Die rituelle Repra¨sentation der kaufma¨nnischen Korporationen war um 1600 Vera¨nderungen unterworfen, die sowohl mit internen wie externen institutionellen Prozessen in Zusammenhang gebracht werden ko¨nnen. Regelte die große Bremer Ordinancie des Jahres 1549 noch detailliert Speiseabfolge und zeitlichen Ablauf der winterlichen Festivita¨ten der Bremer Kaufmannschaft,58 so legten die Kaufleute in den Korrekturen und Erga¨nzungen dieser Ordnung aus dem Jahre 1636 eine Abschaffung „unno¨tiger Unkosten und Gastereien“ fest.59 Damit wurde ein Endpunkt unter eine schleichende Entwicklung gesetzt. Ab dem Jahre 1608 liegen aus Bremen keine Nachrichten mehr u¨ber ein Abhalten der großen Kaufmannskost, mit der Rechnungslegung, Wahlen und Aufnahmen von Mitgliedern Anfang Januar gefeiert wurden, vor. Ab dem Jahre 1623 schweigen die Quellen u¨ber das Feiern der Gelage zu Weihnachten und zum Fastelavend.60 Im gleichen Zeitraum festigte sich die Position der Elterleute, deren Zusammenschluss Collegium Seniorum genannt wurde. Sie vertraten nun allein die Interessen der Kaufmannschaft gegenu¨ber dem Bremer Rat. Auch im Inneren der Gesellschaft weiteten sich ihre Befugnisse aus. Zu Wahlen und Neuaufnahmen versammelten sich, so jedenfalls die Zusa¨tze zur alten Ordnung aus dem Jahre 1636, nur noch sie, und nicht mehr die gesamte Kaufmannschaft.61 Bereits im 16. Jahrhundert finden sich daher kaum Quellen, die uns u¨ber die Rituale einzelner kaufma¨nnischer Korporationen in Bremen unterrichten.62 Auch in Lu¨beck la¨sst sich ein Prozess der Vereinheitlichung und Konzentration von Befugnissen in den Ha¨nden einiger großer Korporationen beobachten. Es gelang zwar keiner der gro¨ßeren Fernha¨ndlergesellschaften, fu¨r sich das alleinige Vertretungsrecht der Kaufmannschaft gegenu¨ber dem Lu¨becker Rat zu gewinnen. Die traditionsreichen Schonenfahrer u¨bernahmen aber mehr und mehr die Vertretung von weniger mitgliederstarken Kaufleutekompanien gegenu¨ber dem Rat. Ihre Sonderstellung zeigt sich auch daran, dass sie mit Ausnahme der Nowgorodfahrer und der Kaufleute- und Zirkelkompanie als einzige Korporation u¨ber ein eigenes Versammlungshaus verfu¨gten.63 Die immer wieder kritisierte Konzentration an Macht und Einfluss in den Ha¨nden der von der ratsfa¨higen Kaufmannschaft bestimmten
58 In der Bremer Kaufmannschaft waren alle handeltreibenden Bu¨rger versammelt, die meist daneben
noch Mitglied in einer der anderen Fahrergenossenschaften waren: Vgl. Lydia Niehoff, 550 Jahre Tradition der Unabha¨ngigkeit. Chronik der Handelskammer Bremen, Bremen 2001, S. 58–160. 59 AHB, Ordinanzien 1451 – Eide 1626, Ordinanzie des Jahres 1549, S. 13–40, Zusa¨tze von 1636: S. 41–46, Beschluß zur Abschaffung der unno¨tigen Gastereien, S. 43: Demnach auch so Schwirige betru¨bte Vndt Nahrlose Zeiten engefallen, das die Intraden dieses Hauses merklich geschmelert Vndt abgenommen, Alß ist von dem Loblichen Collegio fu¨r gudt angesehen wurden, die Vnno¨tige Vnkosten Vndt Gastereien abzuschaffen, wie sie das auch hiemit Vndt in Krafft dieses abgeschaffet sein werden gefallen laßen. 60 Vgl. Ernst Du ¨ nzelmann, Aus Bremens Zopfzeit Stilleben in einer Reichs- und Hansestadt, Bremen 1899, S. 7. 61 Vgl. Niehoff, 550 Jahre Tradition, S. 52. 62 Vgl. Ruth Prange, Die bremische Kaufmannschaft in sozialgeschichtlicher Betrachtung, Bremen 1953, S. 21–38. 63 Vgl. Asch, Rat und Bu¨rgerschaft, S. 27.
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
239
Ha¨ndlerkompanien fu¨hrte nicht zu einer institutionellen Vera¨nderung der Ratsverfassung.64 In Bremen u¨bernahm die Collegium Seniorum genannte Verbindung der Elterleute die Verhandlungen mit dem Rat und damit die Vertretung der Groß- und Fernha¨ndler in der Bu¨rgerschaft. In Lu¨beck war die Symbiose zwischen Rat und Kaufleute- und Junkerkompanie so groß, dass diese beiden Korporationen trotz immer wieder unternommener Gegenanstrengungen zeitweise den Rat dominierten.65 Im Gegensatz zu der Zirkel- oder Junkerkompanie zeichnete sich die Lu¨becker Kaufleutekompanie zwar dadurch aus, dass sie auch Kaufleute zu ihren Mitgliedern za¨hlte, die sozial aufgestiegen waren. Dennoch geriet auch sie zunehmend in den Verdacht, nur noch die Interessen der grundbesitzenden ratssa¨ssigen Familien zu vertreten und nicht mehr die Interessen der Lu¨becker Fernha¨ndler.66 In Hamburg bedeutete – anders als in Bremen – die Schaffung einer gemeinsamen Vertretung der Kaufleute gegenu¨ber dem Rat nicht eine gleichzeitige Abnahme der Bedeutung der Fahrergesellschaften. Die gemeinsame Vertretung hatte sich bereits ¨ lterleute sehr viel fru¨her als in Bremen herausgebildet. 1517 besetzten je zwei A der Flandern-, England und Schonenfahrergesellschaft den Vorstand des Gemeinen Kaufmanns.67 Es kam also nicht zu einer Vereinheitlichung der Kaufmannschaft, die sich vielmehr ihre traditionelle, korporativ und berufssta¨ndisch gepra¨gte Struktur bis weit in das 19. Jahrhundert bewahrte.68 Im Folgenden soll anhand eines Vergleichs zwischen Ordnungen der Bremer Kaufmannschaft und der Lu¨becker Kaufleutekompanie aus der zweiten Ha¨lfte des 16. und der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts herausgearbeitet werden, in welchem Zusammenhang die in den Vorschriften enthaltenen Beschreibungen der Gastma¨hler mit der Vera¨nderung der Stellung der Korporationen im sta¨dtischen Verfassungsgefu¨ge stehen. Fu¨r Hamburg ist dies aufgrund der Quellenlage nicht mo¨glich. Die ersten großen Ordnungen des 16. Jahrhunderts geben Hinweise auf eine Neudefinition und auch Erneuerung dieser beiden Korporationen. Diese reagierten damit auf die Kritik, die Teile der gegenu¨ber dem alten Rat oppositionellen Gruppen der Bu¨rgerschaft und auch die Geistlichkeit an ihnen u¨bten. Die religio¨s motivierte Kritik richtete sich hauptsa¨chlich gegen die u¨ppigen Festma¨hler der sta¨dtischen Korporationen. Auch Johannes Bugenhagen hielt sich hier nicht zuru¨ck. In der Lu¨becker Kirchenordnung des Jahres 1529 charakterisierte er ihre festlichen Gastma¨hler als sta¨ndische, und damit unchristliche Absonderung, die die von Gott eingesetzte Obrigkeit infrage stellten wu¨rde. Da es insbesondere die Kaufleutekompanien waren, die ihre großen Gelage zu Fastelavend hielten, ist es gut denkbar, dass sich sein Urteil insbesondere gegen ihr geselliges Zusammensein richtete:
64 Ebd., S. 21–39; Geschichte und Urkunden der Rigafahrer in Lu¨beck im 16. und 17. Jahrhundert, hg. v.
Franz Siewert, Berlin 1899, S. 1–3. 65 So kurz vor den Auseinandersetzungen im Jahre 1666: Asch, Rat und Bu¨rgerschaft, S. 33. 66 Ebd. 67 Vgl. Postel, Reformation und Gegenreformation, S. 205. 68 Vgl. Reissmann, Die hamburgische Kaufmannschaft, S. 154.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
Ansta¨ndige Festma¨hler, daß die Bu¨rger zusammenkommen und essen und trinken und fro¨hlich sind, um alte Bekanntschaft, Verwandtschaft, Nachbarschaft, Geselligkeit zu erhalten und solche scho¨nen Dinge fortan auf die Kinder und Nachkommen zu u¨bertragen, woraus auch Einigkeit und zeitlicher Friede in der Stadt erwa¨chst, das soll man dem Volke zulassen [...] Doch hart verurteilen sollen die Prediger die na¨chtlichen Feste, das Fressen und Vollsaufen und die u¨blen Nachreden gegen die Obrigkeit, sei sie bo¨se oder gut, sowie gegen andere Personen, seien sie arm oder reich, und was mehr Unchristliches und Gottloses in solchen Gelagen von den Leuten, die Gott nicht fu¨rchten, angerichtet zu werden pflegt.69 Auch in Bremen waren die Korporationen sozial und religio¨s motivierter Kritik ausgesetzt. Ihre große ordinancie der Kaufleute des Jahres 1549 kann daher als Versuch der Selbstrechtfertigung in einem Umfeld gelten, das durch die Auseinandersetzungen um die konfessionelle Orientierung der Stadt gepra¨gt war. Von religio¨ser und von politischer Seite gerieten die traditionell eher der sta¨dtischen Oberschicht vorbehaltenen Kaufleutekompanien in Lu¨beck und Bremen zu Beginn der dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts unter Rechtfertigungsdruck. In beiden Fa¨llen kritisierte die Bu¨rgerschaft die Tendenz der weniger Familien, die Ratssitze unter sich zu verteilen und forderten mehr Transparenz und Gleichberechtigung aller Gruppen der Bu¨rgerschaft an der politischen Mitsprache. Das Haus der Lu¨becker Kaufleutekompanie war wie das der Zirkelkompanie wa¨hrend der so genannten Wullenweverschen Unruhen im Jahre 1534 schwer verwu¨stet worden.70 Erst im Jahre 1581 konnte es feierlich wiederero¨ffnet werden. Diesen teilweise ihre Existenz bedrohenden Entwicklungen begegneten beide Gruppen mit einer Neuordnung, die Lu¨becker Kaufleutekompanie im Jahre 154171 und die Bremer acht Jahre spa¨ter.72 Die Mitglieder der Lu¨becker Kaufleutekompanie verwiesen in den Pra¨ambeln ihrer Ordnungen stolz auf die Tradition der Korporation. Dabei fallen aber sehr unterschiedliche Schwerpunktsetzungen ins Auge. So hebt die Ordnung des Jahres 1541 damit an, alle Mitglieder an die Traditionen und so auch an die rechte Amtsausu¨bung zu erinnern: Dyt boeck angeseen sick vele na disser tyth nicht will scicken is vorandert up dat nie na Christi geboerth unses heren voffteynhundert ein jaer unde veertich na befeel der companien broder [...] Up dat alle dinck na geloueliker wysze unde geschickliker in der erliken geselschop der coepluden companie mogen gebruket und gedaen werden, unde dat ein jewelick broder unde suster [darunter sind die Ehefrauen zu verstehen, R. S.] in dusser
69 Lu¨becker Kirchenordnung von Johannes Bugenhagen, S. 118–119. 70 Asch, Rat und Bu¨rgerschaft, S. 32. 71 AHL, ASA-Interna, Kaufmannschaft 2/3, Kaufleute-Compagnie, Statuten der Kaufleute-Compagnie,
1541 (Abschrift aus dem 19. Jahrhundert).
72 Vgl. Anm. 59.
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
241
selschop synde syn ampt dare tho he gesetteth redestobeth sunder groete moye vorwachten moge hebben de gemenen broder desser companie disse na geschreuene gesette unde puncte eindrechtichlick bewilliget unde gesetteth tho holdende so hy na volget.73 Die Statuten des Jahres 1595 nehmen hingegen in der Pra¨ambel Bezug auf das christliche Heilsgeschehen. Die Vergangenheit der Korporation schildern die Statuten des Jahres 1595 sehr viel detaillierter als noch die des Jahres 1541. Ihre Traditionsbildung bezieht sich nun nicht mehr (allein) darauf, eine geselschop zu sein, die sich in erster Linie durch ihr ‚ordentliches‘ Zusammensein auszeichnet, sondern dadurch, einen festen Platz in der christlichen Heilsgeschichte einzunehmen: Es schreiben die hocherleuchten Heiden, daß alle weltliche Dinge, dem Menschen der daher eine kleine Welt genandt wird, billich vorgleichen werden mugen. Den gleicher gestalt, wie der mensche seinen anfangk, mittel und Ende hatt, und offt im mitteln Alter hochsten wesen und besten bluht seiner Edlen bluhenden Jugendt in unvermuttlichen Kranckheitt, und ander ungelegenheitt der nahrung guter und standes geradt, ja auch woll gantz durch den unzeitlichen Thodt dieser welt entzogen wirdt, Also und nicht viel Anders ist auch unser dieser geselschaft und Cumpanien ergangen, sie hatt Ihren Anfangk genohmen, im jahr der heilsamen geburtt Unseres heilandes und Selichmachers Jesu Christy¨ alß man za¨ltt 1482 Jahr, daselbst haben sich Erbare gutte und Redliche Leutte aus dem Rahte und Burgerschaft auff einen gewißen an Zahl gutter wolmeinung zusammen gethan, und anfencklich Gott den Almechtigen zu Lob und Ehren, und der Armutt und enchsten zur Trostlichen erquickung aus Ihren Eigenen seckeln drey¨ und dreisigk pro¨uren und Almussen gestiftet und dieselbigen in ein klein heußlein bey¨ S. Catthrinen schule, so unßeren saligen vorfahren zu dem Ende erbawet, Alle wochen von Martini biß Ostern, wan sie Ihre Zusammenkunffte gehalten durch die verordnete Vorstender reichlich außtheilen laßen.74 In den Bremer Quellen ist eine vergleichbare Verbindung von Heilsgeschehen und Korporationsgeschichte nicht zu finden. Vielmehr gingen die Kaufleute hier detaillierter auf den Akt der Beschlussfassung ein.75 Der schwa¨chere Verweis auf eine Verankerung der Bremer Kaufmannschaft in einer christlich legitimierten Ordnung verweist indirekt auf die religio¨s-soziale Kritik, der die Lu¨becker Kaufleutekompanie ausgesetzt war.
73 AHL, ASA-Interna, Kaufmannschaft 2/3, Kaufleute-Compagnie, Statuten der Kaufleute-Compagnie,
1541, s. p.
74 AHL, ASA-Interna, Kaufmannschaft 2/3, Statuta und Ordnung der ehrlichen Gesellschaft der Kauff-
leute Compagnia zu Lubek, [...] 1595 [...].
75 AHB, Ordinanzien 1451 – Eide 1626, Ordinanzie des Jahres 1549, zum Beispiel S. 14–16 und Zusa¨tze
von 1636, S. 41–42.
242
4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
In den Vorschriften zum Ablauf der Feste selbst gleichen sich die Lu¨becker Ordnung von 1541 und die Bremer des Jahres 1549 auffa¨llig. In beiden finden sich detaillerte Regeln zur Abhaltung der „Großen Kaufmannskost“ am Fastelavend. Diese hatte fu¨r den internen Charakter der Korporation die gleiche Bedeutung wie die ¨ mtersetzung fu¨r den sta¨dtischen Rat. In ihrem ja¨hrlich stattfindende Ratswahl und A Mittelpunkt standen die Neuaufnahme von Mitgliedern und die Wahl der Schaffer, die fu¨r die Organisation der Festma¨hler verantwortlich waren. In beiden Ordnungen wird auf eine genaue Einhaltung des Ablaufs und der Verpflichtung fu¨r alle Mitglieder zu erscheinen, großen Wert gelegt.76 Aufgaben wurden – ein Zeichen fu¨r die parita¨tische Struktur dieser Korporationen – nach Alter verteilt.77 Besonders wichtig war die Festlegung von Anzahl und Art der Ga¨ste. Sie war ein informelles Statuskriterium und konnte die Gleichheit der Gruppe gefa¨hrden. Außerdem sollte eine kontrollierte Einladungspolitik die Stellung der Kompanie in der sta¨dtischen Sozialordnung festigen oder sogar erho¨hen. Aufgrund der sozialen Elektion der Geladenen stellte es eine Auszeichnung dar, beru¨cksichtigt worden zu sein. So legte zum Beispiel die Bremer Ordnung von 1549 den Kreis der Ga¨ste fest auf die „Wittheit, [...] die Doktoren (d. i. Lehrer der Kirchen) und die Secretarien [...], den reitenden Stadtdiener und die Hauptleute der Stadt, dazu den Comptur [...] und des gna¨digen Herrn Vogt dieser Stadt“.78 Alle weiteren Einladungen mussten die Elterleute einzeln genehmigen. Damit wurde der Verlauf des Festes kontrolliert und den jeweils individuellen Verwandtschafts- und Klientelverha¨ltnissen der Kaufleute in der Einladungspolitik feste Grenzen gesetzt. Im Gegensatz zu dieser restriktiven Festlegung gestattete die Lu¨becker Ordnung des Jahres 1541 teilweise sogar, Familienmitglieder einzuladen. Sie sah zum Beispiel ausdru¨cklich die Einladung der Frauen der Kaufleute vor.79 Die ¨ ffnung der Ga¨steliste fu¨r Verwandte der Kaufleute weist auf die struktupartielle O rellen Unterschiede zwischen Lu¨becker Kaufleutekompanie und Bremer Kaufmannschaft hin. Die eine stellte sich in ihren Gelagen auch u¨ber ihren familia¨ren Status sowie u¨ber ihre Verbindung mit der Gruppe der Ratsherren dar und markierte so ¨ berlegenheit gegenu¨ber anderen Kompanien. Der Bremer Kaufleutekompanie ihre U musste es hingegen gelingen, den einzelnen Gesellschaften das Gefu¨hl zu geben, sie alle gleich und gut vor dem Rat vertreten zu ko¨nnen. Eine interne Hierarchisierung ha¨tte ihre Stellung im sta¨dtischen politischen Gefu¨ge eher geschwa¨cht. Dieser Unterschied findet sich auch bei einem Vergleich der Aufnahme von Neumitgliedern. Wird in der Lu¨becker Ordnung allein der Wahl der Schenken und Schaffer ein eigener Abschnitt gewidmet,80 werden in der Bremer Ordnung elaborierte Vorschriften zur Neuaufnahme der Mitglieder genannt. Der Versammlung auf dem Kirchhof der
76 AHB, Ordinanzien 1451 – Eide 1626, Ordinanzie des Jahres 1549, S. 14–15 und Statuten der Kaufleute-
Compagnie, 1541, s. p.
77 Ebd. 78 AHB, Ordinanzien 1451 – Eide 1626, Ordinanzie des Jahres 1549, S. 16. 79 Statuten der Kaufleute-Compagnie, 1541, s. p. 80 Statuten der Kaufleute-Compagnie, 1541, s. p. Van den nien schaffern wo men de keset unde ere ampte.
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
243
St. Martini-Kirche folgte das Ausrufen der Neu-Aufgenommenen durch die Elterleute, mit der Aufforderung, gegen die Wahl Einwa¨nde vorzubringen.81 Die Kompanie repra¨sentierte sich anschließend in ihrer neu vera¨nderten Zusammensetzung in einem feierlichen Zug von der St. Martini-Kirche u¨ber den Marktplatz. Dort schloss sich ihnen der Bu¨rgerausschuss an. Im Schu¨tting wurde schließlich die Kaufmannskost eingenommen.82 Dieser Ablauf ist nach dem Modell der Ratswahlen gestaltet. Wie diese sollte der ritualisierte Ablauf die Bremer Kaufmannschaft vor aller Augen, und das heißt besonders vor dem Rat und der Bu¨rgerschaft, legitimieren. Dies ist bei der Lu¨becker Kaufleutekompanie nicht der Fall, da sie zwar durch die Personen selbst sta¨rker, aber durch die fehlende institutionelle Anbindung schwa¨cher mit dem politischen Gefu¨ge verbunden war. In den im Jahre 1595 und 1636 erlassenen Bremer und Lu¨becker Regelungen finden sich gleichfalls detaillierte Vorschriften zum Festablauf. Diese sind aber nun Teil eines elaborierteren Regelwerkes zur Gestaltung von Wahlen und Mitgliederaufnahmen. Zwar wurden immer noch die einzelnen Speise- und Getra¨nkefolgen festgelegt. Diese standen aber nicht, wie in den fru¨heren Ordnungen, im Mittelpunkt der regulativen Aufmerksamkeit. Als Vorschrift wurden sie erst nach den detaillierten Festlegungen von Ermahnungen, rechtzeitig und zahlreich zu erscheinen, und nach dem Wahlverfahren genannt. Dies fa¨llt insbesondere bei einem Vergleich der Lu¨becker Ordnung des Jahres 1549 mit der des Jahres 1595 ins Auge. Die Vorschriften in dem a¨lteren Text belaufen sich auf wenige Punkte. Sie sind in der ju¨nger entstandenen Regelung auf mehrere selbsta¨ndige Kapitel ausgeweitet. Die Verfasser selbst begru¨nden diese Ausweitung damit, dass die bißanhero eingerißen Mißbrauch gentzlich uffgehabt und abgestelt werden muchten.83 Dies ist eine Entwicklung, die auch bei den Regelungen der Ratswahlen zu beobachten ist. Allerdings wurden die Vorwu¨rfe des Missbrauchs besonders hinsichtlich der Verquickung familia¨rer mit professionellen und politischen Interessen den Mitgliedern der Kaufleutekompanie bereits durch die Anha¨nger Ju¨rgen Wullenwevers in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts erhoben. Denkbar ist daher, dass die Ordnung des Jahres 1549 eine Verschriftlichung a¨lterer Traditionen darstellt, wa¨hrend die fu¨nfzig Jahre spa¨ter entstandene Regelung auf Vorwu¨rfe direkt reagierte. Die instabile Position der Lu¨becker Kaufleutekompanie in der gesamten zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts schlug sich in einer Neuregelung ihres rituellen Zusammenhalts nieder. Zwischen 1541 und 1595 hatte eine Umkehrung der Priorita¨ten in der Selbstrepra¨sentation der Korporation stattgefunden. Stellte sich diese im Jahre 1549 als eine Gruppe dar, die sich hauptsa¨chlich durch gemeinsam veranstaltete Feste definierte, war sie im Jahre 1595 von einem Selbstversta¨ndnis gepra¨gt, das stolz hervorhob, wie transparent und genau die jeweiligen Verfahren bei Wahlen und Neuaufnahmen eingehalten wurden – auch dies eine Entwicklung, die sie mit dem Rat teilte.
81 AHB, Ordinanzien 1451 – Eide 1626, Ordinanzie des Jahres 1549, S. 16–17. 82 Ebd., S. 17–20. 83 AHL, ASA-Interna, Kaufmannschaft 2/3, Statuta und Ordnung der ehrlichen Gesellschaft der Kauff-
leute Compagnia zu Lubek, [...] 1595 [...], s. p.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
Und soll demnach der Erstetheill in halten, wie und welcher gestalt der persohnen geschickt und qualificirrt sein, das sie in die Cumpany¨en mugen gekohren werden, und wo man mitt dem Waell ordentlich vorfahren soll, Und der Andertheil vormelden, wie und mit was Ordnung ausgemalten qualificirten Persohnen der Alterman undt zween besitzer sollen erwehlet, und die andern Emptern solle bestellt werden, auch was eines Ichlichen Eigenschafft sey¨.84 Vergleichbar den Regelungen der Ratswahlen, die in demselben Zeitraum entstanden, sah die Ordnung von 1595 einen genau geregelten Ablauf der Wahl vor. Dieser sollte vor allem eins garantieren und repra¨sentieren. Die Unabha¨ngigkeit der Entscheidungsfindung von klientela¨ren Faktoren. Der Gewa¨hlte oder Neuaufgenommene sollte, so das hier skizzierte Idealbild, allein aufgrund seiner Eignung zu seiner Position gelangen. Im Ritual sollten hierfu¨r mehrere Methoden dienen. die jeweilige Verteilung von Aufgaben innerhalb des Verfahrens nach Alter, die genaue Festlegung der Nutzung der Ra¨ume und die Einfu¨hrung von Wahlzetteln. Die Regulativ- und Kontrollmechanismen entsprachen den Entwicklungen der Ratswahl nicht nur in Lu¨beck zu dieser Zeit. Zum Sechsten wan man zum wahl gereiset soll anfencklich der Alte Alterman in seiner gewohnliche stede sitzen gehen, und einen Jeden bey¨ seiner Cumpanien einmahl gegebener trewe fleissich ermahnen, das einen Alterman der ihm am aller nutzlichsten und bequemlichsten beduncket ohne alle gunst haß und Affection kiese: und sollen daruff die bruder von dem Eltesten biß zum Jungsten nacheinander auffstehen in die bey¨ Kamer gehen und deßen nahmen welche sie wehlen in eine bille heimlich vorzeichen, dieselben zusamen thuen vor des Oldermans tisch treten und einen dazu verordneten becher werffen.85 Der Normierung des Wahlverfahrens entsprachen Regelungen zur internen Konfliktlo¨sung, die nicht mehr jedem einzelnen und seinem perso¨nlichen Auftreten u¨berlassen wurden, sondern einer internen Policey mit reguliertem Streitbeilegungsverfahren zu folgen hatte.86 Mit dieser Entwicklung ging eine Reduzierung der Festma¨hler einher. Die Zugeho¨rigkeit der Gruppe sollte nachpru¨fbaren Kriterien entsprechen und nicht traditionellen Gepflogenheiten. Der strikteren Festlegung der internen Parita¨t entsprach eine sta¨rkere Distanzierung nach außen hin, die gleichzeitig damit einherging, dass die Stadtbevo¨lkerung ohne Trennung nach Gruppen einbezogen wurde. Diener und das umblauffende volck, das heißt die sich vor dem
84 AHL, ASA-Interna, Kaufmannschaft 2/3, Statuta und Ordnung der ehrlichen Gesellschaft der Kauff-
leute Compagnia zu Lubek, [...] 1595 [...], s. p. 85 Ebd. 86 AHL, ASA-Interna, Kaufmannschaft 2/3, Statuta und Ordnung der ehrlichen Gesellschaft der Kauff-
leute Compagnia zu Lubek, [...] 1595 [...], s. p.: Daß dritte theill der Cumpany¨en Bruder Ordung von gueter polizey¨ und ordnung dadurch guet regement und haußhaltung erhalten wirdt, und was demselbigen mehr zugeho¨rig.
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
245
Kompagniehaus versammelnde Stadtbevo¨lkerung, sollten auch mit Gaben bedacht werden.87 Die Beliebtheit der traditionellen Festkultur der Kompanie spiegelt sich in den Ausnahmen wieder, die bei der Reduzierung der Festma¨hler gemacht wurden. Im letzten Teil der Statuta der Lu¨becker Ordnung des Jahres 1595 wurden die Feiern genau geregelt, die nicht abgeschafft wurden. Die fru¨her von St. Martin, also vom elften November bis zum Fastelabend andauernde Periode der Festivita¨ten wurde in betrachtung dieser gefa¨hrlichen geschwinden Zeit reduziert, das Große Fastelavendsmahl hingegen beibehalten.88 An den Vorschriften fu¨r dieses Ritual nahmen die ¨ lterleute keine Vera¨nderungen vor: auch dies ein Zeichen fu¨r die BeharrLu¨becker A lichkeit der im Zusammenhang mit dem Gelage wirkenden Traditionen. Die Reduzierung der Feste in der Lu¨becker Kompanie la¨sst sich aber nicht nur als Ausdruck eines religio¨sen und politischen Normenwandels interprieren. Vielmehr ist auch anzunehmen, dass mit ihr auch auf eine ganz andere interne Entwicklung reagiert wurde. Die Ausrichtung der Gelage stellte eine große finanzielle und organisatorische Belastung insbesondere der Familien der Schaffer dar. Mit dieser Begru¨ndung erho¨hte die Ordnung von 1595 deren Anzahl und reduzierte die Vielfalt der aufgetischten Gerichte. Die Steigerung des Aufwands kann wohl damit erkla¨rt werden, dass die Ehre der einzelnen Schaffer mit dem Glanz des Mahls verbunden war. Ein steigender finanzieller und kulinarischer Aufwand la¨sst sich an mehreren Einzelrechnungen zu Festessen der zwischen Kaufleute- und Handwerkerkorporation angesiedelten Kra¨mer aus den Jahren 1596–1609 ersehen, die damit wohl ihren Anspruch auf eine ranghohe Position unterstreichen wollten.89 Aber selbst die Lu¨becker Kra¨mer stellten in einigen Jahren mit Verweis auf die hohen Kosten die Gastma¨hler zeitweise ein.90 Die sta¨rkere Orientierung an religio¨sen und politischen Normen verlief parallel zu einer Pracht- und Aufwandsentfaltung, die gegen diese Normen verstieß. Die Reduzierung der Feierlichkeiten zeigt, dass sich die Hoffnungen der Mitglieder der Lu¨becker Kaufleutekompanie, mit der Wiederero¨ffnung des Kompaniehauses ihr geselliges Beisammensein wiederzubeleben, nicht erfu¨llten.91 In den Jahren 1643 und 1646 finden sich Beschlu¨sse zur Einstellung des Fastelavendmahls.92 Diese
87 AHL, ASA-Interna, Kaufmannschaft 2/3, Statuta und Ordnung der ehrlichen Gesellschaft der Kauff-
leute Compagnia zu Lubek, [...] 1595 [...], s. p. 88 Ebd.: Zum Ersten, ob wol anhero auß uraltem erblichen gebrauch die Cumpany¨a von Martiny¨ biß auff
fastnacht alle donnerstage eroffnet, auch darzu sonder schaffer erkohren, so haben doch gemiene itzie Bruder in betrachtung dieser gefa¨hrlichen geschwinden Zeit solches biß uff beßern gelegener Zeit eingestalt, und in das große fastnachts mahles allein verwilliget. 89 Vgl. Wilhelm Brehmer, Aus alter Zeit, in: MittVLu¨bG 5 (1891–1892), S. 87–89; SBL, Lub. 2o 441, Ms., ¨ lterleuten der Kra¨merkomAbrechnungen u¨ber die Kosten fu¨r die in den Jahren 1595–1609 von den A panie veranstalteten Festessen. Die Akte besteht aus mehreren einzelnen Bla¨ttern und ist vollsta¨ndig unpaginiert. Zu der steigenden Bedeutung der Kra¨mer vgl. Asch, Rat und Bu¨rgerschaft, S. 24–25. 90 Vgl. Abrechnungen u¨ber die Kosten fu¨r die in den Jahren 1595–1609 von den A ¨ lterleuten der Kra¨merkompanie veranstalteten Festessen, Notiz zum Jahr 1603. 91 Vgl. Kirchring und Mueller, Compendium, S. 244. 92 Vgl. AHL, ASA-Interna, Rat und Bu¨rgerschaft 32/8, Fragmenta Protocolli der Kaufl. Compagnie d. 1643.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
Entwicklung traf auf eine andere Lu¨becker Fernha¨ndlerkompanie nicht zu. Die Schonenfahrer feierten bis weit in das 18. Jahrhundert den Fastelavend. Mo¨glicherweise ha¨ngt dieser Unterschied damit zusammen, dass ihre Mitglieder weniger als die Kauf¨ ffentlichkeit ausleutekompanie der Aufmerksamkeit und Kritik der sta¨ditschen O gesetzt waren.93 In ihren Protokollen findet sich aber auch eine stetig zunehmende Festlegung der Verfahren der Wahlen und Mitgliedsaufnahme. Dies zeigt, dass die internen Institutionalisierungsprozesse nicht immer zwangsla¨ufig mit einer Reduzierung der Rituale einhergehen mussten.94 Dieser Wandel hing vielmehr mit dem Verha¨ltnis der Korporation zum Rat, also mit ihrer Na¨he oder Ferne zum sta¨dtischen Machtzentrum, zusammen. Auch die Bremer Kaufmannschaft entschloss sich 1636 in einem Zusatz zu der Ordinancie des Jahres 1541 zur ga¨nzlichen Abschaffung der unno¨tigen Unkosten und Gastereien.95 Nun wurden nicht mehr alle Bru¨der zu einem Festmahl geladen. Vielmehr speisten die Elterleute allein unter sich.96 Mit der Abschaffung des großen Mahls fiel auch die feierliche Zurschaustellung der Kompanie nach Wahlen und Mitgliederaufnahme auf dem Marktplatz weg. Im Anschluss an die Eidesleistung fand eine kleine Feier im Inneren des Schu¨tting allein unter Beteiligung der Elterleute und des Gewa¨hlten statt. Dies korrespondierte wiederum mit der steigenden politischen Bedeutung des Bremer Collegium Seniorum als Interessenvertretung der gesamten Kaufmannschaft gegenu¨ber Rat und Bu¨rgerschaft. In der rituellen Repra¨sentation der Bremer Kaufmannschaft und der Lu¨becker Kaufleutekompanie fanden verschiedene Institutionalisierungsprozesse statt, die jeweils mit der Position der Korporation in der sta¨dtischen Verfasstheit zusammenhingen. Zuna¨chst zelebrierte sich die Bremer Kaufmannschaft als Gruppe wie der Rat, also in einem feierlichen Umzug und einem Festmahl. Ein halbes Jahrhundert spa¨ter verzichtete sie darauf zugunsten einer Reduzierung und Straffung ihres Fu¨hrungsgremiums. Dieses legitimierte sich nun vornehmlich in seiner administrativpolitischen Funktion und nicht mehr als durch traditionelle Rituale definierte Korporation. In Lu¨beck war die Kaufleutekompanie aufgrund ihrer personellen Na¨he zum Rat sehr viel sta¨rkerer Kritik ausgesetzt. Ihr gelang es nicht, eine Wiederaufnahme althergebrachter Formen der Selbstdarstellung politisch durchzusetzen. Vielmehr musste auch sie darauf vertrauen, dass ihr Bemu¨hen um eine interessenunabha¨ngige Regulierung der sie konstituierenden Rituale Anerkennung finden wu¨rde. In keinem Fall ist eine steigende Bedeutung des Rates gegenu¨ber diesen Gruppen zu erkennen und auch kein Versuch seinerseits, diese Gruppen symbolisch an sich zu binden. Die Selbstdarstellungsformen der einzelnen Korporationen unterlagen in Spiegelung oder Anlehnung der magistralen Repra¨sentation einem sich steigernden politisch-kulturellen Institutionalisierungsprozess.
93 Vgl. Wilhelm Brehmer, Der Schu¨ttingschmaus, in: MittVLu¨bG 1,3 (1883), S. 33–41. 94 Vgl. AHL, ASA-Interna, Schonenfahrer 11/3, Protokolle 1582–1597. 95 Vgl. AHB, Ordinanzien 1451 – Eide 1626, Ordinanzie des Jahres 1549, S. 43–44. 96 Vgl. Niehoff, 550 Jahre Tradition, S. 52.
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
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4.2.2. Exklusive Repra¨sentation: Die rituelle Selbstdarstellung der Korporationen ratsfa¨higer venezianischer Familien Die Analyse der Repra¨sentationsformen von Korporationen, die sich ausschließlich aus der magistratsfa¨higen Oberschicht bildeten, bietet einen weiteren Gradmesser um festzustellen, wie sich offizelle Zugeho¨rigkeit zu einem politischen Amt, familia¨re Bindung und außerrepublikanische Repra¨sentationsformen um 1600 zueinander verhielten.97 Anders als bei den hansesta¨dtischen Kaufleutekompanien und Zu¨nften handelte es sich bei diesen Zusammenschlu¨ssen nicht um Korporationen, die einen grundlegenden Teil der Stadtverfassung bildeten. Vielmehr stellten sie Ergebnisse, aber auch Katalysatoren der sozialen und symbolischen Distanzierung von Teilen ¨ bertragung konder sta¨dtischen Oberschicht dar. Mehr noch als der Versuch der U fessioneller und sta¨ndischer Kriterien auf die Gesamtheit der sta¨dtischen Korporationen gefa¨hrdeten sie, da sie allein auf geburtssta¨ndischen Distinktionen beruhten und als Repra¨sentationsprinzipien von den Mitgliedern der sta¨dtischen Oberschichten selbst entwickelt worden waren, das republikanische Gleichheitsgebot. Wandel und Kontintuita¨t ihrer Repra¨sentation kann daher Aufschluss daru¨ber geben, in welchem Maße eine solch exklusive Repra¨sentation im stadtrepublikanischen Rahmen Venedigs und Lu¨becks geduldet wurde. In Hamburg und Bremen beobachten wir diese Pha¨nomene nicht. Einem Zirkel begegnet heute noch jeder, der aufmerksam durch Lu¨becks Altstadt wandert. An einigen Wappen der im Rathaus befindlichen Bu¨rgermeisterportra¨ts oder an dem in der Lu¨becker St. Aegidien-Kirche befindlichen Grabstein des im Jahre 1465 vertorbenen Bu¨rgermeisters Wilhelm von Calven.98 Durch kaiserliches Privileg im Jahre 1485 besta¨tigt, war ein an einer Kette befestigter goldener Zirkel, Symbol der Heiligen Dreifaltigkeit, Zeichen einer Korporation, in deren Reihen sich viele Lu¨becker Ratsherren befanden.99 Wie auch in anderen sta¨dtischen Gesellschaften des hohen und spa¨ten Mittelalters zeichnete sich im Lu¨beck des 14. und 15. Jahrhunderts als Gegenbewegung zur steigenden Macht der Zu¨nfte eine Tendenz der ratsfa¨higen Familien ab, sich selbst in eigenen Korporationen zusammenzuschließen.100 Anders als in anderen Reichssta¨dten gelang es dieser Korporation in Lu¨beck allerdings nicht, ihre Mehrheit im Rat formal in der Ratswahl festzulegen, auch wenn sie teilweise den 97 Fu¨r Lu¨beck sind als Spezialuntersuchungen die Arbeiten Sonja Du¨nnebeils insbesondere zur Zirkelge-
sellschaft zu nennen: Sonja Du¨nnebeil, Die drei großen Kompanien als genossenschaftliche Verbindungen der Lu¨becker Oberschicht, in: Genossenschaftliche Strukturen in der Hanse, hg. v. Nils Jo¨rn/ Detlef Kattinger/Horst Wernicke, Ko¨ln u. a. 1999, S. 205–222; Sonja Du¨nnebeil, Die Lu¨becker Zirkel-Gesellschaft. Formen der Selbstdarstellung einer sta¨dtischen Oberschicht, Lu¨beck 1996; außerdem Antjekathrin Grassmann, Die Greveradenkompanie. Zu den fu¨hrenden Kaufleutegesellschaften in Lu¨beck um die Wende zum 16. Jahrhundert, in: Der hansische Sonderweg? Beitra¨ge zur Sozialund Wirtschaftsgeschichte der Hanse, hg. v. Stuart Jenks/Michael North, Ko¨ln/Weimar/Wien 1993, S. 109–134; fu¨r Venedig vgl. Lina Padoan Urban, Le Companie della Calza: edonismo e cultura al servizio della politica, in: Quaderni veneti 6 (1988), S. 11–127; Lionello Venturi, Le Compagnie della Calza (sec. XV–XVI), in: NArchVeneto n. ser. 33 (1909), S. 140–233. 98 Vgl. Du ¨ nnebeil, Zirkel-Gesellschaft, S. 7, 167. 99 Ebd., S. 19–29. 100 Vgl. Isenmann, Stadt im Spa¨tmittelalter, S. 301–304.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
Rat dominierten.101 In der Mitte des 15. Jahrhunderts bildeten sich in Konkurrenz zur Zirkelkompanie noch zwei andere, durch eine gro¨ßtenteils kaufma¨nnische, also nicht geburtssta¨ndisch abgeschlossene Mitgliedschaft gepra¨gte Korporationen heraus, die Greveraden- und die Kaufleutekompanien.102 Alle diese Zusammenschlu¨sse dienten neben dem geselligen Zusammensein der Seelsorge der Mitglieder, der gemeinsamen Sorge um die Memoria. In der zweiten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts verlor dieser Aspekt gegenu¨ber ihrer immer prominenteren Rolle im sta¨dtischen Festwesen an Bedeutung. Die religio¨sen Aufgaben u¨bernahmen immer mehr die im 15. Jahrhundert in Lu¨beck florierenden Bruderschaften.103 Die Zirkelkompanie beanspruchte in der rituellen Selbstdarstellung im sta¨dtischen Raum im 15. und 16. Jahrhundert die Vorrangstellung vor diesen anderen beiden Kompanien. In ihren Reihen befanden sich nicht nur teilweise stadtsa¨ssige Adelige, sondern auch viele Patrizier, die sich und ihre Familien in wachsendem Ausmaß eher durch die gewerbliche Nutzung ¨ hnliche Tendenzen, wenn auch ihres Landbesitzes als durch Handel unterhielten.104 A nicht so ausgepra¨gt, finden sich in der Kaufleutekompanie. Die Greveradenkompanie hingegen la¨sst sich als gesellschaftlicher Zusammenschluss von Kaufleuten charakterisieren, die nicht aus alteingesessenen Lu¨becker Familien stammten.105 Der gesellschaftliche Vorrang der Zirkelkompanie vor Kaufleute- und Greveradenkompanie war nicht formal festgelegt. Vielmehr besaß sie eine kulturelle Vorbildfunktion, wie sich zum Beispiel daran erkennen la¨sst, dass die anderen beiden Korporationen die Festkultur – inbesondere die Fastelavendsspiele – der Zirkelbru¨der nachahmten.106 Dass die Greveradenkompanie den sozialen Vorrang der beiden anderen Kompanien nicht als festgelegte Tatsache akzeptieren wollte, zeigt, dass ihre Mitglieder forderten, die Kompanien sollten sich bei Ratsma¨hlern nach der Reihenfolge ihres Eintreffens bedienen lassen.107 Auch in den Luxusordnungen wurden die Zirkelkompaniemitglieder zwar gesondert erwa¨hnt, jedoch nicht als ein eigener Stand u¨ber die anderen Gruppen des ersten Ranges gestellt.108 Die Mitglieder der Zirkelkompanie versuchten, ihre soziale und kulturelle Vorrangstellung dadurch zu verfestigen, dass sie sich gegenu¨ber den anderen Personen der sta¨dtischen Elite abgrenzten, zum einen durch ihr gut sichtbares Auftreten als Kompaniemitglieder und zum anderen durch eine mo¨glichst restriktive Begrenzung von Neuaufnahmen.109 Allerdings gelang es ihnen aber nie, diese Bemu¨hungen auch zu einem Teil der sta¨dtischen Ordnung werden zu lassen. Auch in Venedig existierten Korporationen, deren Mitgliedschaft ausschließlich Patriziern vorbehalten war: die so genannten Compagnie della Calza, so benannt 101 Vgl. Du ¨ nnebeil, Zirkel-Gesellschaft, S. 114–146. 102 Vgl. Anm. 97. 103 Vgl. Du ¨ nnebeil, Zirkel-Gesellschaft, S. 51–57. 104 Ebd., S. 233–283. 105 Vgl. Grassmann, Greveradenkompanie, S. 124–125. 106 Vgl. Du ¨ nnebeil, Kompanien, S. 213. 107 Vgl. Grassmann, Greveradenkompanie, S. 129. 108 Vgl. AHL, ASA-Interna, Mandate und Verordnungen 1/1 (= AHL, ASA-Interna Musik 2/1), Ord-
nung der Spellu¨de [...], Lu¨beck 1578, fol. 37.
109 Vgl. Du ¨ nnebeil, Zirkel-Gesellschaft, S. 181–185.
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
249
nach der auffa¨lligen Beintracht der Mitglieder.110 Wie in Lu¨beck die Zirkelbru¨der, so organisierten ihre Mitglieder Karnevalsspiele und anderer Festivita¨ten.111 Auch sie unterlagen in der zweiten Ha¨lfte des 16. und der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts einer Entwicklung, die im Folgenden mit der der Zirkelkompanie in Lu¨beck verglichen werden soll. Auch wenn die Zirkelgesellschaft zu Beginn des 16. Jahrhunderts aufgrund ihrer Tendenzen zu immer gro¨ßerer Exklusivita¨t an sozialer und politischer Bedeutung im Vergleich zur Mitte des 15. Jahrhunderts eingebu¨ßt hatte,112 nahmen die Zeitgenossen sie in der Reformationszeit in Lu¨beck als einen der Haupttra¨ger des Widerstandes gegen kirchliche und politische Reformen wahr. Im Jahre 1531 richtete sich der Unmut der Gegner des Rates insbesondere gegen die Zirkelgesellschaft, deren Haus wie das der Kaufleutekompanie verwu¨stet und daraufhin fu¨r fast fu¨nfzig Jahre geschlossen wurde.113 Ihre Vorwu¨rfe richteten sich insbesondere dagegen, dass deren Mitglieder inoffizielle Absprachen treffen und damit gegen Vereinbarungen zwischen Rat und Bu¨rgerschaft verstoßen wu¨rden. Nicht wichtig oder auch nicht deutlich erkennbar war ihren Gegnern, dass sie eine Korporation kritisierten, deren Zusammenhalt bereits im Sinken begriffen war. Die Zahl der Neuaufnahmen stagnierte, bedingt auch durch das hohe soziale Rangbewusstsein der bereits beteiligten Familien. Immer weniger Mitglieder waren bereit, Geld fu¨r die aufwendigen Feste und Gelage der Kompanie auszugeben.114 So ist es nicht als eine direkte Folge der Krise der 1530er Jahre anzusehen, sondern vielmehr als eine Konsequenz der inneren Entwicklung, dass nach der Verwu¨stung des Kompaniehauses das Leben der Gesellschaft vollsta¨ndig zum Erliegen kam. Im Jahre 1580 fanden sich im Nachlass des verstorbenen Lu¨becker Bu¨rgermeisters Hieronymus Lu¨neburg Dokumente zur Zirkelgesellschaft. Dieser Fund bewirkte – zu derselben Zeit wie bei der Kaufleutekompanie – eine Renaissance der Patriziergesellschaft. Elf Mitglieder der vorher bereits zur Gesellschaft geho¨renden Lu¨becker Familien Bro¨mse, Kerkring, Lu¨neburg und van Stiten entschlossen sich zu ihrer Neugru¨ndung und zur Wiederherstellung des Versammlungshauses.115 Allerdings nahmen sie noch weitaus restriktivere Mitgliedsbestimmungen in die Ordnung der Kompanie auf als ihre Vorga¨nger fast hundert Jahre zuvor. Neumitglied sollten nur noch diejenigen werden du¨rfen, deren Vorfahren bereits Mitglied gewesen waren.116 Dass dieser gesteigerte Exklusivita¨tsanspruch wahrgenommen wurde, zeigt die Durchsetzung der Bezeichnung „Patricii“ fu¨r ihre Mitglieder in dieser Zeit. Diese hatten ihre Gesellschaft seit der
110 Diese kann man zum Beispiel auf mehreren Gema¨lden Gentile Bellinis und Vittore Carpaccios erken-
nen, vgl. Muir, Civic Ritual, S. 167–168.
111 Zu den Fastnachtspielen in Lu¨beck vgl. Carl F. Wehrmann, Die Fastnachtsspiele der Patrizier in
Lu¨beck, in: Jahrbuch des Vereins fu¨r niederdeutsche Sprachforschung 6 (1880, 1881), S. 1–5; Linda L. Carroll, Venetian Attitudes toward the Young Charles: Carnival, Commerce and Compagnie della Calza, in: Young Charles V 1500–1531, hg. v. Alain Saint-Sae¨ns, New Orleans 2000, S. 13–52. 112 Vgl. Du ¨ nnebeil, Zirkel-Gesellschaft, S. 8. 113 Zur Geschichte des Kompaniehauses vgl. Johannes Warncke, Das Haus der Zirkelkompagnie zu Lu¨beck, in: ZVLu¨bG 27 (1934), S. 239–261. 114 Vgl. Du ¨ nnebeil, Zirkel-Gesellschaft, S. 8. 115 Ebd. 116 Ebd., S. 8–9.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
Mitte des 15. Jahrhunderts auch als „Junkerkompanie“ bezeichnet, um die vornehme Abkunft ihrer Mitglieder anzuzeigen. In den Verhandlungsprotokollen wa¨hrend der Reiserschen Unruhen taucht nun die Bezeichnung „Patricii“ ausschließlich fu¨r die Mitglieder der Zirkelgesellschaft auf. Damit wird deutlich, wie gut es den Mitgliedern gelungen war, ihre adelsgleiche Repra¨sentation im Bewusstsein ihrer Gegner zu verankern.117 Gelang ihr dies wenigstens auf dem Gebiet der Rezeption ihres Selbstbildes, fu¨hrte ihre erfolgreiche Selbststilisierung aufgrund ihrer Bedeutung fu¨r die innere und a¨ußere Selbstdarstellung Lu¨becks in der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts zu Konflikten.118 Nach ihrer Neugru¨ndung im Jahre 1580 erhielt die Zirkelgesellschaft in der Lu¨becker Luxus- und Kleiderordnung des Jahres 1582 ein allein ihr vorbehaltenes Privileg, na¨mlich bei Hochzeitsumzu¨gen durch eine Person mit einem silbernen Stab, den Spielgreve-Stab, angefu¨hrt zu werden.119 Dieser Stab befand sich nicht im Besitz der Kompanie, sondern war Teil des Lu¨becker Ratssilbers.120 Dieses Privileg wurde in einer Ordnung des Jahres 1612 auf alle weiteren Mitglieder des ersten Standes ausgeweitet, vermutlich als Reaktion auf Kritik an der Privilegierung der Kompanie. Einige Jahre spa¨ter sollte es im Zusammenhang mit der Benutzung des Spielgrevestabs zu einer Auseinandersetzung kommen, die die Mitglieder der Zirkelkompanie bewusst in Kauf nahmen und der die wachsende Bedeutung ihrer geburtssta¨ndischen Abgeschlossenheit fu¨r ihr Eigenbewusstsein zeigt. Im Jahre 1635 wurde der Stab bei einer Hochzeit des Sohnes des Ratsherren Ju¨rgen Paulsen mit einer Witwe eines Eisenkra¨mers benutzt. Da die Braut dem Rang nach zum dritten und nicht zum ersten Stand geho¨rte, protestierten die Zirkelgesellschaftler gegen die unstandesgema¨ße Benutzung des Stabes und ließen einen neuen anfertigen. Diesen bewahrte die Zirkelgesellschaft im eigenen Besitz auf. Seine Form machte den Anspruch auf eine eigensta¨ndige, von sta¨dtischen Symbolen losgelo¨ste Repra¨sentation der Kompanie deutlich. An seinem Knauf war nun nicht mehr Maria Magdalena, wie beim alten Stab, befestigt, sondern ein Kaiser, der die Kette der Zirkler in der Hand hielt.121 Der Ratsherr Ju¨rgen Paulsen wiederum fu¨hlte sich dadurch perso¨nlich herabgesetzt und legte dem Rat eine umfangreiche Beschwerdeschrift vor, in der er seine perso¨nliche Kra¨nkung mit Argumenten weit grundsa¨tzlicherer Natur verband.122 Seine Argumente sind deswegen aufschlussreich, weil hier ein Ratsherr, der zwar zur sta¨dtischen Oberschicht geho¨rte, aber nicht Mitglied der Zirkelkompanie war, eine Kritik a¨ußerte, die darauf Ru¨ckschlu¨sse zula¨sst, wie andere Nichtmitglieder die Kompanie und ihre immer weitergehende Segregation aus der gesamtsta¨dtischen Repra¨sentation beurteilten. Allein die Tatsache, dass Paulsen diese Eingabe an seine Amtskollegen richtet, la¨sst darauf schließen, dass er auf deren Zustimmung
117 Vgl. Asch, Rat und Bu¨rgerschaft, S. 33. 118 Ebd., S. 29–33. 119 Die folgende Darstellung fußt auf der Auswertung des Quellenbestandes bei Du ¨ nnebeil, Zirkel-
Gesellschaft, S. 44–48.
120 Vgl. Du ¨ nnebeil, Zirkel-Gesellschaft, S. 44. 121 Ebd., S. 45. 122 Ebd.
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
251
hoffen konnte.123 In seinem Appell an den Rat versuchte Paulsen, seine Amtskollegen dadurch zum Handeln zu bewegen, dass er darauf hinwies, dass die Gesellschaft unter der Oberhoheit des Rates stu¨nde, die die Zirkelbru¨der durch die eigenma¨chtige Herstellung eines neuen Stabes geschma¨lert und damit der res publica insgesamt Schaden hinzugefu¨gt ha¨tten.124 Zu Beginn seiner Eingabeschrift setzte sich Paulsen ausfu¨hrlich mit dem Anspruch der Zirkelkompanie auseinander, eine adelige Korporation zu sein. Er erinnerte daran, dass der eigentliche Titel der Kompanie nicht Junker-, sondern Zirkelkompanie gelautet ha¨tte und sich daher auf die Heilige Dreifaltigkeit und nicht die besondere Stellung ihrer Mitglieder (wie „Junker“ suggerieren wu¨rde) gru¨nde.125 Auch das Aufnahmeverfahren zeige nicht an, dass das Ausschlusskriterium im Adel liegen wu¨rde. Zudem wu¨rden auch andere Merkmale fu¨r den Adelsstand der Mitglieder fehlen: Thut selbiges auch Evidentia facta, dan ku¨ndtlich und offenbahr, dass sie von anderen uffrichtigen vom Adell wurden in dieser Stadt, nach keinen außerhalb Landes vor Juncker jemahlß erkandt, vielweniger es sie im Richter, und adelicher Thurnerspielen zu gelassen oder uffgenommen weren worden, welches dan ja vor allen dingen, wan sie solche Leute wehren, wofu¨r sie sich außgeben geschehen mu¨ßte.126 Paulsen entzog also den Bemu¨hungen der Mitglieder um einen Vorrang vor allen anderen Lu¨becker Ratsherren recht wirkungsvoll die Grundlage, indem er darauf hinwies, dass sie trotz ihrer Anspru¨che weder in ihren Aufnahmebestimmungen noch in ihrer sonstigen Lebensweise adeligen Gepflogenheiten folgen wu¨rden. In seiner Beschreibung des informellen Aufnahmeprozedere wird allerdings auch deutlich, wie sehr Paulsens Verteidigung der „bu¨rgerlichen aequalitet“127 nicht auf die republikanische Gesinnung des Ankla¨gers, sondern auch zum gro¨ßten Teil auf dem Gefu¨hl der perso¨nlichen Zuru¨cksetzung fußte. Nachdem der Rat nicht seinem Wunsche gema¨ß reagiert hatte, wandte sich Paulsen mit einer Beschwerde an den Reichshofrat, wo er gleichzeitig die Ausstellung eines Adelsprivilegs fu¨r sich und seine Nachkommen erbat, das er auch erhielt.128 Zwar waren Paulsens Beweggru¨nde fu¨r seine Eingaben perso¨nlicher beziehungsweise familia¨rer Natur, jedoch zeigte er in der Art und Weise, wie er mit der Kra¨nkung seiner Ehre umging, ein hoch entwickeltes Bewusstsein von der Existenz einer die Anspru¨che dieser Gesellschaft eigentlich u¨berwo¨lbenden politischen Repra¨sentation. Diese betonte Paulsen, indem er ausfu¨hrte, dass der Anspruch der Zirkelgesellschaft auf adelige Abkunft die Reichsstandschaft Lu¨becks
123 Vgl. SBL, Lub. 2o 119, Ms., Ju¨rgen Paulsen, Castigatio Ethico-Politico-Juridica das wahrhaftge rechts-
gegru¨ndete Widerlgung [sic!] und ausfu¨hrlicher Beweis, daß die Enhsten Circkel-bru¨der zu Lu¨beck ohne yrige Befugnis wider recht auch Bu¨rgerl: Gleichheit und Einigkeit sich des Junckern Titel anmaßen gerichtlich produciret und u¨bergeben 27. Junii 1638, fol. 1. 124 Vgl. Paulsen, Castigatio, fol. 12. 125 Ebd., fol. 1. 126 Ebd., fol. 22. 127 Ebd., fol. 12. 128 Du ¨ nnebeil, Zirkel-Gesellschaft, S. 46.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
gefa¨hrde, da sie damit bei gemeinsamen Gesandtschaften womo¨glich Vorrang vor anderen Lu¨becker Ratsherren beanspruchen ko¨nnten. Sie ko¨nnten also ihre eigenen Interessen vor die der gesamten Stadt stellen und damit deren Autonomie gefa¨hrden.129 Die Tatsache, dass der Lu¨becker Rat nicht in Paulsens Sinne reagierte, zeigt aber auch, dass die Zirkelgesellschaft sich in ihrem gesellschaftlichen Anspruch innerhalb dieser Gruppe weitgehend durchsetzen konnte. Insofern war es nur konsequent, dass Paulsen, nachdem er den Rat nicht zu einem geschlossenen Handeln gegen die Kompanie bewegen konnte, fu¨r sich und seine Familie im Alleingang den Adelstitel zu erlangen suchte.130 Auch wenn Mitglieder der Zirkelgesellschaft es ihm gleichtaten und wenige Jahre spa¨ter fu¨r sich und ihre Familienangeho¨rigen aus Wien das Adelsprivileg erhielten131 und Paulsens Diplom entkra¨ften ließen,132 erwiesen sie sich in ihrem Verhalten im und vor dem Rat als gute Bu¨rger. In ihrer Eingabe an den Rat hoben sie hervor, wie sehr ihr Handeln im Einklang mit der politischen und sozialen Ordnung Lu¨becks stu¨nde: Es ist die lobliche Bu¨rgerschaft der Kay¨serlichen Frey¨en, und deß heiligen Reichß Stadt Lu¨begk, wie menniglichen bekannt von alterß her in gewisse corpora unndt collegia eingetheilt, die man inß gemein Compagnien nennt, deren etzliche haben ihre eigene ha¨ußer in der Stadt, da sie zusammen kommen, haben ihrer laden und kisten, Ordnungen, Schriften und Bu¨cher, Alterleu¨te, Silbergeschirr, ihre Wappen undt Silberschilde an die ecken undt andere mobilien. Sie haben auch unter sich etliche bestraffungen, undt wirt zur Zeiten zum ein: oder abtrett, oder auß mildicheit etwaß vorehret, davon haben sie theils ihre feine Stifftungen vor Studenten, oder vor die Armen, undt haben gemeiniglich ihre gewiße ortt, undt Capellen in oder an den Kirchen, da sie ihre Pro¨ven außtheilen. Die aber alles nicht haben, die haben dennoch auffs wenigste ihre gewiße ortt, die Sie Herberge, Schencke, Gelage oder Kru¨ge nennen, da sie underzeiten ihrer notturft nach bey¨sammen sein, wie dann solche ehrliche Collegia und Sodalitia in den Sta¨dten zu erhaltung guter Ordnung und sonsten in vielen wegen nutz undt no¨tigk, derowegen in jure zugelaßen, von der Obrigkeit zu besßerer unterhaltung offt besonders befrey¨et und derowegen von Niemandt zu schimpfieren, od auch durch zusammenhetzungk zu sto¨ren sein.133 Die Mitglieder der Zirkelgesellschaft reagierten auf Paulsens Vorwu¨rfe, indem sie ihre Gesellschaft auf eine Stufe mit anderen sta¨dtischen Korporationen stellten und auf die grundlegend friedensstiftende Funktion dieser Korporationen hinwiesen. Wie 129 Paulsen, Castigatio, fol. 12–15. 130 Du ¨ nnebeil, Zirkel-Gesellschaft, S. 46. 131 Es handelt sich um die Familien Warendorff, Wickede, Bro¨mse, Lu¨neburg, Kerkring und van Stiten,
vgl. Asch, Rat und Bu¨rgerschaft, S. 32.
132 Du ¨ nnebeil, Zirkel-Gesellschaft, S. 46. 133 SBL, Lub. 2o 405, Ms., Gru¨ndtlicher Bericht und Information von den Vorfahren undt ietzigen Gebru¨-
dern der Circull oder JungkernCompagnie in Lu¨begk [...], den 14. February¨, fol. 2.
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
253
es ja auch in den Ordnungen der Stadt nicht vorgesehen war, so schrieben sich die Mitglieder der Zirkelgesellschaft keinen normativ festgelegten Vorrang zu. Erst in einem zweiten Schritt versuchten sie nachzuweisen, dass die Mitglieder und die Kompanie selbst eine besonders hohe Wu¨rde fu¨r sich in Anspruch nehmen du¨rften, da die Mitglieder schon lange in der Stadt ansa¨ssig und durch kaiserliches Privileg ausgezeichnet seien.134 Der Vorranganspruch der Zirkelkompanie beruhe also nicht in erster Linie auf der familia¨ren Abkunft, sondern auf ihrem guten Ruf, also ihren Verdiensten um die Stadt, wie es ja auch das kaiserliche Privileg beweise.135 Dennoch wu¨rden sich ihre Mitglieder in erster Linie als Bu¨rger Lu¨becks fu¨hlen und sich keineswegs u¨ber die anderen Bu¨rger erheben wollen.136 Mit dieser Aussage, die nicht mit ihrer Aufnahmepraxis u¨bereinstimmte, versuchten die Mitglieder der Zirkelkompanie, die von Paulsen vorgebrachten Vorwu¨rfe zu entkra¨ften. Sie waren sich also ihrer Vorrangstellung innerhalb der verschiedenen Gruppierungen der sta¨dtischen Elite nicht so sicher, als dass sie ohne weitere Begru¨ndungen mit dem gesellschaftlich herausgehobenen Rang ihrer Mitglieder ha¨tten argumentieren ko¨nnten. Auch das Bemu¨hen, die Anfertigung eines neuen Stabes als eine Handlung darzustellen, die mit den jeweiligen Bestimmungen der Hochzeitsordnung u¨bereinstimme, zeigt, dass die Mitglieder der Zirkelgesellschaft Paulsen als einen eigennu¨tzigen Sto¨rer des harmonischen Gleichgewichts zwischen altehrwu¨rdigen Korproationen und politischer Verfasstheit darstellen wollten. Die Erwiderungsschrift der Zirkelbru¨der liest sich als eine mit Cicero-Zitaten durchsetzte Verteidigung der sta¨dtisch-republikanischen Verfasstheit Lu¨becks mit dem Ziel, die sich adeligen Repra¨sentationsprinzipien angleichende Selbstdarstellung einer Korporation und ihrer Mitglieder vor Kritik zu bewahren. Zwar gewannen die Mitglieder der Zirkelgesellschaft den Streit mit Paulsen, doch ihr politischer Einfluss wurde im Bu¨rgerrezess des Jahres 1669 stark beschnitten. Ihnen wurden nur noch ho¨chstens drei Ratssitze zugesprochen.137 Dem europa¨ischen Trend zur Standeserho¨hung gehorchend hatten sich die Zirkelbru¨der selbst aus der Mitte der Lu¨becker Stadtrepublik ausgeschlossen. Der Adelstitel selbst war in Venedig kaum Gegenstand innerpatrizischer Diskussionen. Autoren wie Paolo Paruta hoben eher die Verbindung von Nobili-Status und Eignung zu dem jeweiligen Amt hervor.138 Das Distinktionsmerkmal des Sitzes im Maggior Consiglio war zudem so eindeutig, dass es in Venedig selbst kaum diskutiert wurde und zur Abgrenzung diente. Bezeichnungen wie Cavaliere di San Marco waren Ehrentitel zur Auszeichnung bei Verdiensten, die sowohl Venezianern als auch Nicht-Venezianern verliehen wurden. Sie waren mit besonderen Pflichten verbunden und nicht erblich.139 Die venezianischen Korporationen, die allein Mitgliedern 134 Vgl. Gru¨ndtlicher Bericht, fol. 2. 135 Ebd., fol. 23–24. 136 Vgl. ebd., zum Beispiel fol. 6. 137 Vgl. Du ¨ nnebeil, Zirkel-Gesellschaft, S. 146. 138 Vgl. Claudio Donati, L’Idea di Nobilta` in Italia. Secoli XIV–XVIII, Bari 1995, S. 198–205. 139 Vgl. die entsprechende Einordnung der Cavalieri di San Marco bei Francesco Sansovino, Della origine
de cavalieri libri 4 ne’ quali si contiene, l’inventione, l’ordine & la dichiaratione di tutte le sorti de cavalieri con gli statuti & leggi della Gartiera, del Tosone di San Michele, & della Nuntiata, Venedig 1570, fol. 11–12.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
des Patriziats offenstanden, folgten nicht politischen oder sozialen Rangabstufungen, sondern definierten sich u¨ber das Alter ihrer Mitglieder. Die Angeho¨rigen der Com¨ mterlaufbahn standen pagnie della calza waren junge Patrizier, die am Beginn ihrer A und sich durch ihre Teilnahme am sta¨dtischen Festwesen auch auf ku¨nftige organisatorische Aufgaben vorbereiteten.140 In ihrer prominenten Rolle in den Karnevalsfeierlichkeiten sind sie durchaus den Lu¨becker Zirkelbru¨dern vergleichbar. Beide Korporationstypen nehmen im 15. und in der ersten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts eine zentrale Rolle im sta¨dtischen Festgeschehen ein. Ho¨rte die Lu¨becker Zirkelgesellschaft nach 1534 fu¨r knapp fu¨nfzig Jahre auf zu bestehen, um dann im Gewande einer sich dezidiert von der Stadtgemeinschaft abhebenden Gesellschaft wiederzuerstehen, so verloren die Compagnie della calza ab der Mitte des 16. Jahrhunderts ihre prominente Rolle in der venezianischen Festkultur. Dies ha¨ngt auch mit der abnehmenden Finanzierung ihrer Ta¨tigkeiten durch die Signoria zusammen.141 Zwar wurden immer wieder zu bestimmten Anla¨ssen junge Patrizier zur Organisation von Feierlichkeiten aufgefordert etwa beim Empfang des Fu¨rsten von Ferrara im Jahre 1561142 oder der Fu¨rstin von Urbino im Jahre 1574.143 Nur taten sie das nicht mehr eigensta¨ndig, sondern auf Initiative der politischen Magistrate. Ihren fest geregelten und nur ihnen vorbehaltenen Platz innerhalb der o¨ffentlichen Repra¨sentation hatten sie verloren. Allerdings hatten sie ihre Segregation aus der sta¨dtischen Mitte anders als die Lu¨becker Zirkelgesellschaft nicht ihrem eigenen Versuch der Standeserho¨hung zuzuschreiben. Sie war vielmehr Resultat der Bestrebungen der venezianischen Elite, den zeremoniellen Raum immer mehr auf die politische (und kirchliche) Mitte und auf die Amtsinhaber zu konzentrieren und die Kluft zwischen dem venezianischen Patriziat und der restlichen Stadtbevo¨lkerung auch durch ein entsprechend wu¨rdevolles Gebaren zu zementieren – ein Vorhaben, bei dem feiernde und daher nur schwer kontrollierbare junge Patrizier in farbenfrohen Beinkleidern hinderlich waren.144 In beiden Fa¨llen aber blieb einer Repra¨sentation kein Erfolg beschieden, die sich rein geburtssta¨ndisch definierte, auch wenn sie auf von außen herangetragene Distinktionsmerkmale wie reichsrechtlich wirksame Adelsprivilegien zuru¨ckgreifen konnte. Im Gegenteil: Es war wohl gerade diese konsequent immer weiter versta¨rkte standesma¨ßige Abschließung, die zwar nach außen das Ansehen der sta¨dtischen Oberschicht Lu¨becks sta¨rkte, es ihr aber im Inneren unmo¨glich machte, adelige Eigenrepra¨sentation und gesamtsta¨dtische Selbstdarstellung wirkungsvoll und dauerhaft miteinander zu vereinen. 140 Vgl. Muir, Civic Ritual, S. 167–168. 141 Vgl. Padoan Urban, Le Compagnie della Calza, S. 112 und S. 124. 142 Vgl. Emmanuele A. Cicogna, Lettera intorno ad alcune Regate veneziane pubbliche e private, Venedig 21856,
S. 24.
143 Vgl. O ¨ sterreichisches Staatsarchiv, Wien, Staatskanzlei, Venedig, fasz. 12, Berichte 1572–1574, (=Fon-
dazione Cini, Mikrofilm, bobina 64), Bericht vom 29. Mai 1574.
144 Dieser Befund la¨sst sich u¨brigens auch in anderen sta¨dtischen Beispielen der Fru¨hen Neuzeit finden.
Vgl. die eher allgemein gehaltenen Bemerkungen bei Matthias Ka¨lble, Die ‚Zivilisierung‘ des Verhaltens. Zum Funktionswandel patrizischer Gesellschaften in Spa¨tmittelalter und Fru¨her Neuzeit, in: Geschlechtergesellschaften, Zunft-Trinkstuben und Bruderschaften in spa¨tmittelalterlichen und fru¨hneuzeitlichen Sta¨dten. 40. Arbeitstagung in Pforzheim 16.–18. November 2001, hg. v. Gerhard Fouquet/Matthias Steinbrink/Gabriel Zeilinger, Ostfildern 2003, S. 31–56.
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
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4.2.3. Ho¨fische Republiken – unsichtbare Handwerker? Die Zu¨nfte in der sta¨dtisch-republikanischen Selbstdarstellung Es wa¨re mo¨glich anzunehmen, dass eine symbolische Abgrenzung von Ratsherren und Kaufleutekompanien auch deswegen nicht durchfu¨hrbar gewesen wa¨re, da dies auch eine Degradierung von Ratsherren, die ja Mitglieder dieser Kompanien waren, bedeutet ha¨tte. Da die Zu¨nfte in der Sta¨ndeordnung einen niedrigeren Platz einnahmen, wa¨re es denkbar, dass sich eine symbolische Zentrierung der Stadtrepra¨sentation auf die Gruppe der politischen Magistrate gut an ihrem Beispiel feststellen la¨sst. Den Zu¨nften kam und kommt in der Stadtgeschichtsforschung eine besondere Aufmerksamkeit zu. Ihre Entstehung und ihre Stellung waren eng mit der Genese autonomer korporativer Verba¨nde innerhalb der europa¨ischen Sta¨dte und damit mit der Genese der Stadtgemeinden selbst verbunden. Daher wurden sie in der stadt- und korporationsgeschichtlichen Forschung des 19. Jahrhunderts idealisiert oder degradiert. Die Bewertung der Zu¨nfte korrespondierte mit der Bewertung des Aufstiegs und Niedergangs der europa¨ischen Stadtverfassung.145 Heutige Forschungen differenzieren dieses Bild. So ist zum Beispiel das Verha¨ltnis zwischen Zunfthandwerk und Protoindustrialisierung zeitlich und o¨konomisch sehr viel differenzierter in den verschiedenen Sta¨dten anzusehen als bisher angenommen.146 Diese gewandelte Beurteilung fu¨hrt auch zu einem neu erwachten Interesse an der kulturellen und politischen Bedeutung der Zu¨nfte in der fru¨hneuzeitlichen Stadt. So gehen mehrere aktuelle Forschungsprojekte der Rolle der Zu¨nfte in der sta¨dtischen Festkultur,147 ihrer Bedeutung in politisch-sozialen Differenzierungsprozessen innerhalb der fru¨heneuzeitlichen Stadtgesellschaft oder auch der Erforschung einer spezifisch zu¨nftischen Erinnerungskultur nach.148 Das Bild der politischen und wirtschaftlichen Ru¨cksta¨ndigkeit der Zu¨nfte wird dabei ha¨ufig relativiert.149 Insgesamt sind bei der Bewertung des Stellenwertes der Zu¨nfte innerhalb der politischen Kultur der fru¨hneuzeitlichen Stadt aber noch so viele Forschungslu¨cken zu schließen, dass auch das nachfolgende Kapitel nur ein erster Schritt bei der Bewertung der zu¨nftigen Korporationen fu¨r die venezianische Republik und die Hansesta¨dte um 1600 sein kann.
145 Vgl. Otto G. Oexle, Die mittelalterliche Zunft als Forschungsproblem. Ein Beitrag zur Wissenschafts-
geschichte der Moderne, in: BllDtLG 118 (1982), S. 1–44; außerdem Klaus Schreiner, ‚Kommunebewegungen‘ und ‚Zunftrevolution‘. Zur Gegenwart der mittelalterlichen Stadt im historisch-politischen Denken des 19. Jahrhunderts, in: Stadtverfassung – Verfassungsstaat – Pressepolitik. FS fu¨r E. Naujoks, hg. v. Franz Quarthal/Wilfried Setzler, Sigmaringen 1980, S. 139–168. 146 Vgl. Christof Jeggle, Gewerbliche Produktion und Arbeitsorganisation: Perspektiven der Forschung, in: Vorindustrielles Gewerbe. Handwerkliche Produktion und Arbeitsbeziehungen in Mittelalter und fru¨her Neuzeit, hg. v. Mark Ha¨berlein/Dems., Konstanz 2004, S. 19–36. 147 Vgl. zum Beispiel die Fallstudie zu Ko¨ln: Katrin Kro ¨ ll, Die feierliche Ertra¨nkung des Lichts: Umzu¨ge und Theaterspiele der su¨ddeutschen Schreinergesellen im 16. und 17. Jahrhundert, in: Interaktion und Herrschaft. Die Politik der fru¨hneuzeitlichen Stadt, hg. v. Rudolf Schlo¨gl, Konstanz 2004, S. 471–499. 148 Vgl. Anm. 6. 149 So auch Wolfgang Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein: Geschichte der freien Vereinigung in Deutschland. Bd. 1: Vom Spa¨tmittelalter bis zur Franzo¨sischen Revolution, Mu¨nchen 1997, S. 25–69.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
Das Verha¨ltnis der Zu¨nfte zu den anderen Korporationen der Stadt, insbesondere den politischen Amtsinhabern, ist aufschlussreich dafu¨r, ob sich Tendenzen zur Verobrigkeitlichung des Rates durchsetzten. Orientierten sich zum Beispiel die politischen Magistrate zunehmend in ihrer Selbstdarstellung an der Kultur der Fu¨rstenho¨fe, mit denen sie in Kontakt standen, so wa¨re zu vermuten, dass sie (und ihre Familien) versuchten, in Nachahmung der sta¨ndischen Rangordnung die Rolle der Zu¨nfte in der traditionellen korporativen Gliederung weitgehend zu verdra¨ngen. Die von vielen konstatierte Entrepublikanisierung der sta¨dtischen Selbstdarstellung um 1600 ko¨nnte also einer zunehmenden Marginalisierung der Sichtbarkeit der Handwerker bei dieser Form der Repra¨sentation entsprechen. Eine derartige These hat beispielsweise Wolfgang Wolters fu¨r das Bildprogramm des Dogenpalastes in Venedig aufgestellt. Sind die verschiedenen Handwerkszweige noch ein prominentes Thema der gotischen Kapitellgestaltung, ha¨tten die Planer des Wiederaufbaus des Interieurs nach dem Brand von 1577 auf eine solch prominente Integration der vielfa¨ltigen Handwerkszweige der Stadt verzichtet.150 Ein Blick auf die visuelle Pra¨senz der Zu¨nfte in einer anderen Reichsstadt, Augsburg, la¨sst eine solche auf den ersten Blick schlu¨ssige Interpretation als zu einseitig erscheinen. So orientierte sich der Augsburger Rat zwar um 1600 in seiner Außendarstellung auch an der Konkurrenz zum Mu¨nchener Hof. Das bedeutete aber nicht eine vollsta¨ndige Verdra¨ngung der Zu¨nfte aus dem o¨ffentlich dargestellten Geda¨chtnis der Stadt. Vielmehr la¨sst sich bei gleichzeitigem politischen Bedeutungsverlust ihre versta¨rkte Integration in das Geda¨chtnis der Stadt erkennen.151 Im Falle Augsburgs ist also nicht von einer Verdra¨ngung der Zu¨nfte, sondern vielmehr von einer Hierarchisierung der o¨ffentlichen Selbstdarstellung auszugehen. So wurden die Zunftha¨user architektonisch und ikonologisch auf das neu errichtete Rathaus ausgerichtet.152 Die politisch-soziale Ordnung der Stadt wurde auf den Rat hin ausgerichtet und auf Dauer gestellt. Die Zu¨nfte sollten ihr Verha¨ltnis zum Rat nicht mehr neu aushandeln. Die Ausmalungen in einem der wichtigsten Zunftha¨user der Stadt, dem Haus der Weber, betonte aber ihre Bedeutung innerhalb der sta¨dtischen Vergangenheit. Ihr politischer Bedeutungsverlust wurde sozusagen u¨bermalt und symbolisch u¨berto¨nt. Dieser Seitenblick nach Augsburg um 1600 hilft zu identifizieren, auf welche Weise die Position der Zu¨nfte in der sta¨dtischen politischen Kultur der Hansesta¨dte und Venedigs um 1600 in ihrem Verha¨ltnis zum Rat beziehungsweise den Tra¨gern der sta¨dtischen Obrigkeit untersucht werden kann. Bei welcher Gelegenheit wurden die Zu¨nfte in die gesamtsta¨dtische Repra¨sentation einbezogen, beziehungsweise aus ihr verdra¨ngt? Ein Verdra¨ngen der Sichtbarkeit und Teilhabe der Handwerkerkorporationen – etwa von Rathausfassaden – kann auf der anderen Seite eventuell auch bedeuten, dass sie einfach in einem anderen Medium dargestellt wurden. Im Folgenden wird wie bereits bei der Untersuchung der anderen sta¨dtischen Korporationen sozusagen von innen nach außen vorgegangen. Da die Zu¨nfte aber 150 Wolters, Bilderschmuck, S. 156. 151 Vgl. Julian Jachmann/Ruth Schilling, Repra¨sentation als Teilhabe – ein interdisziplina¨rer Vergleich
der fru¨hneuzeitlichen Sta¨dte Augsburg und Lu¨beck, in: Fru¨hneuzeit-Info 20, 1–1 (2009), S. 147–163.
152 Vgl. Jachmann und Schilling, Repra¨sentation als Teilhabe.
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
257
auf vielfa¨ltigere Weise mit der sta¨dtisch-republikanischen Gesamtselbstdarstellung verbunden waren als beispielsweise die Kaufleutekompanien, ist hier ein Dreischritt statt eines Zweischrittes im Untersuchungsgang erforderlich. Bereits ihre interne Position ist so eng mit ihrem politisch-sozialen Umfeld verbunden, dass das Spannungsfeld zwischen innen und außen noch sehr viel sta¨rker als bei den Magistraten und Kaufleuten beachtet werden muss. Daher werden die internen Rituale vor dem Hintergrund ihrer Position innerhalb der Stadtgesellschaft beleuchtet werden. Anschließend ist einem Faktor nachzugehen, der eine besonders große Bedeutung fu¨r den Wandel des Gruppenversta¨ndnisses der Zu¨nfte hatte, na¨mlich dem Faktor religio¨ser Argumente. Diese Steigerung der religio¨sen Bedeutung des inneren Zusammenhalts la¨sst sich besonders markant in den Quellen zu den Hansesta¨dten nachvollziehen, wa¨hrend allein in Venedig eine Verbindung von wirtschaftlicher und zu¨nftischer Repra¨sentation zu beobachten ist. Beides wird daher hintereinander dargestellt werden. Zu u¨berlegen wa¨re, ob dieser Unterschied nicht eng mit der Rolle der Bruderschaften zusammenha¨ngt, die in Venedig das Feld religio¨s-sozial-politischer Gruppendarstellung gleichsam besetzt hielten. Es gilt zuna¨chst, die Strukturen zu beachten, die das Verha¨ltnis zwischen den Zu¨nften und den politischen Institutionen und auch den anderen sta¨dtischen Korporationen pra¨gten. Diese Strukturen bilden den Rahmen fu¨r die in einem zweiten Schritt erfolgende Quellenanalyse, die sich der Teilhabe der Zu¨nfte an der gesamtsta¨dtischen Repra¨sentation zuwendet. Zuerst soll untersucht werden, welche Sichtbarkeit der Zu¨nfte bei Ereignissen erkennbar ist, die in einem gesamtsta¨dtischen Rahmen stattfanden. Diesem Schritt folgt die Analyse von Kontinuita¨t und Wandel gruppeninterner Rituale der Zu¨nfte. Beide Formen der Repra¨sentation sollen in einem dritten Schritt miteinander verglichen werden, da sich hieraus verschiedene Fragen ergeben: Gab es wesentliche Unterschiede zwischen der o¨ffentlichen Sichtbarkeit und dem internen rituell geregelten Zusammenleben der Korporationen? Lassen sich hier verschiedene Rhythmen des Wandels erkennen? Zwar sollten die hansesta¨dtischen Luxus- und Kleiderordnungen die sta¨dtischen Korporationen nach Standesprinzipien systematisieren. Diese Bestrebungen boten jedoch sowohl Raum fu¨r Rangstreitigkeiten unter den auf eine Stufe gestellten Korporationen als auch fu¨r Versuche, eine rangho¨here Einstufung zu erlangen. Die Konkurrenz der Korporationen untereinander zeigt ihr Bemu¨hen, sich als Gruppe durch ihre spezifische Repra¨sentation in die sta¨dtische Sozialordnung zu integrieren. In den in Kunstwerken und Texten entworfenen Gesamtdarstellungen spielte die Vielfalt des in der Stadt vertretenen Handwerks als Ausweis der wirtschaftlichen und technischen Potenz des Gemeinwesens eine große Rolle.153 In dieser Diversita¨t wird aber meist ohne erkennbare Hierarchisierung zwischen den verschiedenen Handwerkszweigen unterschieden. Stadtbeschreibungen hoben bestimmte markante Handwerkszweige wie beispielsweise das Brauereiwesen hervor.154 Die bunte Welt der handwerklichen 153 Hierzu fehlen noch u¨bergreifende Gesamtuntersuchungen. Vgl. mit einigen weiterfu¨hrenden Hinwei-
sen Ernst W. Zeeden, Das Erscheinungsbild der fru¨hneuzeitlichen Stadt, vornehmlich nach Reiseberichten und Autobiographien des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Stadt und Kultur, 21. Arbeitstagung in Ulm, 29.–31. Oktober 1982, hg. v. Hans E. Specker, Sigmaringen 1983, S. 70–83. 154 Vgl. Gerd Dettmann, Alte Gast- und Zunftha¨user in Niedersachsen, Bremen 1924, S. 5.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
Erzeugnisse, die repra¨sentative Konkurrenz der Zu¨nfte untereinander trug zum kulturellen Gesamteindruck der Sta¨dte bei. Diese Vielfalt wurde in Venedig ganz explizit in das sta¨dtische Festwesen einbezogen, jedoch nur in Einzelfa¨llen durch eine Partizipation der Zu¨nfte wie bei der Dogaressakro¨nung, sondern meist eher durch eine Beteiligung der Bruderschaften. In den Hansesta¨dten trug die Konkurrenz der Korporationen untereinander nicht zu einem rituellen Gesamteindruck der Stadt als Festgemeinschaft bei. Vielmehr dru¨ckte sie sich hier durch einen architektonischen und ku¨nstlerischen Wettbewerb in der jeweils eigensta¨ndigen Repra¨sentation von ¨ mtern aus. Der Integration der Konkurrenz der HandwerkerkorKompanien und A porationen in das gesamtsta¨dtische Festwesen waren aber auch durch die o¨konomische Komponente Grenzen gesetzte. Viele der zunftinternen Quellen sowohl aus Venedig als auch aus den Hansesta¨dten zeugen von dem wirtschaftlichen Hintergrund des ausgepra¨gten Konkurrenzdenkens der Zu¨nfte. So mussten die Procuratori di San Marco wa¨hrend des Marktes, der anla¨sslich des Rituales des Sposalizio del Mare auf dem Markusplatz abgehalten wurde, regelma¨ßig zwischen den verschiedenen Zu¨nften wegen der Aufstellung der Verkaufs- und Schaubuden der Handwerker vermitteln. Außerdem mussten sie dafu¨r sorgen, dass sich gegenseitig beschimpfende Ladenbesitzer durch ihr Verhalten nicht die Prozession des Dogen auf dem Platz und die Wu¨rde der Feierlichkeiten sto¨rten.155 Der Markt im Rahmen des Sposalizio war fu¨r die Handwerker besonders wichtig, da dieses Fest sowohl Einheimische als auch Fremde in großen Scharen anlockte.156 Diese wirtschaftliche Konkurrenz der Zu¨nfte verband sich in Venedig aber nicht mit einer Konkurrenz im Bereich der partikularen Repra¨sentation im o¨ffentlichen Raum der Stadt. Dort stellten sich die venezianischen Zu¨nfte immer nur als Bruderschaften dar. Im hansesta¨dtischen Bereich hingegen fielen wirtschaftliche und zeremonielle Konkurrenz zusammen. Sowohl wa¨hrend der Mitte des 16. als auch noch in der Mitte des 17. Jahrhunderts legten Hamburger, Bremer und Lu¨becker Handwerksa¨mter sehr viel Wert auf die Errichtung eines amtseigenen Kirchengestu¨hls oder den Bau eigener Amtsha¨user, die an Pracht und Ausstattung denen der Kaufleutekompanien gleichkamen.157 Außerdem ist im Unterschied zu Venedig festzuhalten, dass die Repra¨sentation der Zunftmitglieder semantisch anders aufgeladen war. Wenn der niederdeutsche Dichter Johann Lauremberg um 1650 bemerkte, dass eine Bremer Schustertochter
155 Vgl. die Dokumente in: ASV, Procuratori di San Marco de supra, bu. 50, Terminazioni e decreti sulla
fiera dell’Ascensione, Eintra¨ge aus den Jahren 1585–1623. 156 Ein gutes Beispiel zitiert Richard Mackenney, Tradesmen and Traders: the World of the Guilds in
Venice and Europe; c. 1250–c. 1650, London 1987, S. 142.
157 Auch hier fehlen zusammenfassende Forschungen, vgl. daher als Einzelbelege zum Beispiel fu¨r STAH,
731-1 Handschriften, Ms. 493a, Amsinck, Arnold Hamburgische Chronica Erstes Stu¨ck von Gru¨ndung der Stadt bis Anno 1679, Eintra¨ge zum Jahr 1564 und die Notizen leider ohne Quellenangaben bei Kurt Grobecker, Hamburg amu¨siert sich, Hamburg 1996, S. 82; fu¨r Lu¨beck vgl. Brehmer, Beitra¨ge zur Lu¨beckischen Geschichte, S. 15 sowie mit viel Bildmaterial zu den Zeremonialgera¨ten der verschiedenen Vereinigungen der Lu¨becker Fischer Johannes Warncke, Der Lu¨becker Fisch in Geschichte und Sitte, in: Schleswig-Holstein-Hansische Monatshefte 2 (1927), S. 139–146; vgl. auch das Material ¨ mter, Buntmacher 3/5, 1642: Eingabe des Amtes an den Rat, in der der A ¨ lteste in: AHL, ASA-Interna, A der Parteilichkeit fu¨r das Amt der Hutstaffierer beschuldigt wird.
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
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aufgrund ihrer Kleiderpracht nur schwer von einer Ratsherrentochter zu unterscheiden sei,158 so beinhaltete eine solche Bemerkung – wie realita¨tsnah sie auch immer gewesen sein mag – auch immer eine politische Komponente. Sie war ein Reflex auf die Tatsache, dass die politische Ordnung in Bremen, wie sta¨ndisch sie sich auch immer gab, aufgrund ihrer grundlegenden Bindung an die jeweiligen Vermo¨gensverha¨ltnisse durchla¨ssig war. Mit ihrem repra¨sentativen Auftreten konnten die Zu¨nfte und ihre Mitglieder in den Hansesta¨dten also nicht nur Vorrang vor den anderen handwerklichen Korporationen beanspruchen, sondern auch versuchen, sich von ¨ mtern zu distanzieren und zur Gruppe der vermo¨genden Kaufleute den anderen A und Ratsherren aufzusteigen. Die Lu¨becker Brauer und Kra¨mer setzten erfolgreich ¨ mter in ihre Rangerho¨hung durch.159 Die Errichtung der Amtsha¨user der großen A Lu¨beck macht einerseits die gewachsenen administrativen Aufgaben deutlich, die ihnen nach der Reform des Jahres 1535 zufielen. Andererseits waren sie aber auch weithin sichtbare Zeichen fu¨r ihren Machtzuwachs, den sie im Laufe des 16. Jahrhun¨ mter ausbauen sollten.160 Die unterschiedliderts in Lu¨beck auf Kosten der kleinen A che semantische Gewichtung der innerzu¨nftischen Konkurrenz im Repra¨sentationsbereich zwischen Venedig und den Hansesta¨dten la¨sst sich auch daran deutlich erkennen, dass die Pra¨zedenzstreitigkeiten wie auch die Besetzung und Ausschmu¨ckung ¨ berlieferung in Form von Notizen in den von Kirchengestu¨hlen Teil der offiziellen U hansesta¨dtischen Chroniken dieser Zeit wurde. Besonders in den Hamburger Chroniken finden sich immer wieder Hinweise auf solche Repra¨sentationsformen.161 Dies ist ein großer Unterschied zu Venedig. Die venezianischen Chroniken schweigen zu den ku¨nstlerisch und architektonisch beachtenswerten Geba¨uden und Stiftungen in Kirchen, die die venezianischen Bruderschaften, darunter auch die zu¨nftischen, vornahmen.162 Dies weist wiederum auf die engere, da na¨here Verbindung von Zu¨nften und politischem Zentrum in den Hansesta¨dten hin, die sich auch auf die Quellenlage zu den internen Ritualen der Zu¨nfte niederschlug. In ihrer internen Verfasstheit weisen die venezianischen und hansesta¨dtischen ¨ hnlichkeiten auf. Beide definierten sich u¨ber Handwerkerkorporationen große A ein festgelegtes Regelsystem, in Venedig ‚Mariegole‘163 genannt, in den Hansesta¨dten ‚Morgensprachen‘. Diese regelten administrative und rituelle Belange der Zunft ¨ mterbeziehungsweise des Amtes, Zugangsbeschra¨nkungen, die Art und Weise der A besetzungen, die Versorgung der Hinterbliebenen, die handwerklichen Regeln zur 158 Zitiert nach Elstermann, Lederarbeiter, S. 26. 159 Vgl. Asch, Rat und Bu¨rgerschaft, S. 22–25. 160 Die Forschungs- und Quellenlage zu diesem Thema ist a¨ußerst du¨rftig. Das im Jahre 1535 installierte
Amtshaus der Schiffer ist heute noch in seiner restaurierten Form zu besichtigen. Von den Amts¨ berreste vorhanden. Vgl. Georg ha¨usern der Kra¨mer und Maurer, beide um 1600 entstanden, sind U Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkma¨ler: Hamburg; Schleswig-Holstein, Mu¨nchen, Berlin 21994, S. 521–523, 526; Asch, Rat und Bu ¨ rgerschaft, S. 23, nennt die Jahreszahlen 1533, 1534 und 1551 ¨ mter der Schmiede, Schneider und Ba¨cker. als Daten fu¨r den Kauf eigener Amtsha¨user durch die A 161 Vgl. Anm. 157. 162 Sie werden nicht erwa¨hnt in: Sansovino, Venetia, 1581 und Sansovino, Venetia, 1663, auch nicht in den Stadtchroniken Agustinis, Savinas und Sivos’. 163 Von Matricola beziehunsgweise Madriegola, urspru¨nglich Rolle, in der die Neumitglieder verzeichnet wurden.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
Anfertigung der Produkte und vieles mehr. Unterschiedlich war dagegen das jeweilige Verha¨ltnis der Korporationen zu den politischen Magistraten. Als Zunft unterstanden die venezianischen Handwerker der Giustizia Vecchia, die die Marktgerichtsbarkeit ausu¨bte. Auch wenn die Mariegole, also die die Zunft begru¨ndenden Ordnungen, den Giustizieri vorgelegt werden mussten, so finden sich kaum Zeugnisse fu¨r Konflikte oder Ablehnungen. Die Bruderschaften der Handwerker, die Scuole delle Arti, wurden zum Beispiel im Vergleich zu den florentinischen Zu¨nften sehr viel weniger stark durch Consiglio di Dieci kontrolliert.164 Meist war auch die Gestaltung von Wahlen und Neuaufnahmen den Mitgliedern u¨berlassen. Daher gibt es auch verglichen mit den Hansesta¨dten wenig schriftliche Zeugnisse u¨ber das interne Leben dieser Gruppen.165 Informationen u¨ber genaue Zahlen und Ta¨tigkeiten der Zu¨nfte in Venedig um 1600 lassen sich außerordentlich schwer erheben.166 Ein weiterer Grund dafu¨r, dass wir u¨ber relativ wenige Quellen u¨ber die veneziani¨ mtern verfu¨gen, liegt darin, dass sie schen Arti im Vergleich zu den hansesta¨dtischen A keine Eingaben an die Magistrate machen mussten, um Maßnahmen gegen das außerzu¨nftische Handwerk zu erreichen.167 Fremde Handwerker mussten entweder in die jeweilige Korporation eintreten, die diese Gruppe vertrat, oder konnten sich im venezianischen Stadtgebiet nicht niederlassen.168 In Lu¨beck fo¨rderten hingegen Kaufleute und Ratsherren die Ansiedlung nicht-zu¨nftiger Handwerker.169 In den Hansesta¨dten war der Anstieg der Autonomie der Sta¨dte im Mittelalter auch mit der Entstehung ¨ mter genannt – eng verbunden. und Blu¨te der Handwerkerkorporationen – dort A Der Rat hatte mit den stadtherrlichen Rechten ha¨ufig die Marktgerechtigkeit und somit auch die Aufsicht u¨ber die Zu¨nfte vom Stadtherrn u¨bernommen.170 Damit war die Aufsicht u¨ber die Handwerker sta¨rker als in Venedig ein Ausweis der Hoheit u¨ber die Stadt. Die wirtschaftliche Bedeutung der venezianischen Zu¨nfte nahm im Verlauf des 16. Jahrhunderts nicht ab, sondern mit der Verlagerung der Handelsstro¨me im Gegenteil eher zu. Venedig wandelte sich von einem Fernhandelszentrum zu einem Platz spezialisierter und hoch entwickelter Fertigungstechniken, wie zum Beispiel der Ausbau des Arsenale, der venezianischen Werft, zeigt.171 Patrizier investierten
164 Vgl. Richard Mackenney, The Scuole Piccole of Venice: Formations and Transformations, in: The
Politics of Ritual Kinship. Confraternities and Social Order in Early Modern Italy, hg. v. Nicholas Terpstra, Cambridge 2000, S. 172–189, hier: S. 176. 165 Vgl. die Zeugnisse vom 15.–18. Jahrhundert bei Marco Ferro, Dizionario del Diritto Comune Veneto, Bd. 1, Venedig 21845, S. 136–140. 166 Im venezianischen Staatsarchiv befinden sich allein fu¨r die Zeit um 1600 41 eigensta¨ndige Zunftarchive. Weitere bisher nicht systematisierte Besta¨nde lagern in der Biblioteca del Museo Civico Correr. Zusa¨tzlich zu diesen Quellen lassen sich weitere spezialisierte Gruppen bei einer Auswertung der im Staatsarchiv und Patriarchatsarchiv lagernden Inquisitionsakten identifizieren. Eine genaue quantitative und qualitative Analyse der venezianischen Arti gibt es fu¨r die Zeit um 1600 nicht. 167 Vgl. zu diesem Thema als eine der Hauptdiskussionspunkte zwischen Handwerkera¨mtern und Rat in Lu¨beck: Hoffmann, Winkelarbeiter. 168 Vgl. Mackenney, Tradesmen, S. 122. 169 Vgl. Asch, Rat und Bu¨rgerschaft, S. 32; Hoffmann, Winkelarbeiter, S. 203–204. 170 Vgl. Isenmann, Stadt im Spa¨tmittelalter, S. 152–154. 171 Vgl. Mackenney, Tradesmen, S. 197–205.
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
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immer mehr Geld in spezialisierte Fertigungstechniken, wie zum Beispiel die Spiegel- und Glaswerksta¨tten auf der Insel Murano, statt in riskante und immer weniger gewinntra¨chtige Fernhandelsunternehmungen. In den Hansesta¨dten ist die gleiche Entwicklung zu beobachten, allerdings mit ¨ rger der A ¨ mter auch nicht zu¨nftische dem Unterschied, dass die Ratsherren zum A Handwerker fo¨rderten. Anders als in Venedig nutzten die Lu¨becker Ratsherren dies ¨ mtern. Dies fu¨hrte aber nicht zu auch als politisches Druckmittel gegenu¨ber den A ¨ mter. Im Gegenteil einem o¨konomischen Bedeutungsverlust der hansesta¨dtischen A ist auch hier eher eine Bedeutungssteigerung auszumachen, die wie in Venedig, so auch in der Hansestadt Lu¨beck, mit der abnehmenden Relevanz des Fernhandels zusammenhing. Dies traf auf Hamburg nicht zu, wo aber auch mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt gleichzeitig die Bedeutung des Brauereigewerbes stieg.172 Diese Entwicklung korrespondierte nicht mit der des politischen und sozialen Stellenwerts der Handwerkerkorporationen. Die soziale Abgrenzung der Handwerker qua Geburt war in Venedig sehr viel deutlicher ausgepra¨gt als in den Hansesta¨dten. Zumeist geho¨rten sie der Gruppe der Popolani an. Auch bei Vermo¨genssteigerung konnten sie nicht in die Gruppen der Cittadini und schon gar nicht in die der Nobili aufsteigen.173 Diese geburtssta¨ndische Abschließung wurde bei aller Adaption sta¨ndischer Distinktionsprinzipien in keiner der untersuchten Hansesta¨dte realisiert. Auch wenn verschiedene Ratsmitglieder des 16. Jahrhunderts dies immer wieder behaupteten, finden sich in den fru¨hen Quellen zur Ratsverfassung in Bremen, Hamburg und Lu¨beck keine eindeutigen Hinweise auf einen konsequenten Ausschluss der Handwerker aus dem Rat.174 Die Auseinandersetzungen um die Ratswahl fu¨hrten in allen drei Sta¨dten zu heftigen Konflikten zwischen dem Rat und vermo¨genden Handwerkerkorporationen. In diesem Zeitraum begegnen wir also Handwerkern, die genu¨gend sozialen und wirtschaftlichen Einfluss besaßen, um fu¨r sich eine aktive Beteiligung am Stadtregiment fordern zu ko¨nnen. So versuchten die Lu¨becker Knochenhauer zu Ende des 14. Jahrhunderts, ihre Anspru¨che auf eine schriftliche Besta¨tigung ihrer Rechte und Privilegien gegenu¨ber dem Rat mit Waffengewalt durchzusetzen.175 Auch wenn sie mit diesem Vorhaben scheiterten, bedeutete dies kein Ende der Versuche Lu¨becker Handwerker, sich am Stadtregiment zu beteiligen. Ungefa¨hr zwanzig Jahre spa¨ter waren Handwerksmeister aktiv am Ausschuss der Sechzig ¨ nderung der Ratswahlordnung anstrebte.176 Im 15. Jahrhundert beteiligt, der eine A finden sich immer wieder Nachrichten u¨ber Lu¨becker Handwerksmeister, die zu außenpolitischen Verhandlungen hinzugezogen werden.177 Dies a¨nderte sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts. So wurden in Lu¨beck im Rahmen der Wullenweverschen ¨ mter in vier gleichgroße Unruhen in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts die A
172 Vgl. Blanckenburg, Hanse, S. 305–311. 173 Vgl. Lane, Venice, S. 152, 273. 174 Vgl. Georg L. von Maurer, Geschichte der Sta¨dteverfassung in Deutschland, Bd. 2, Bd. 4, Erlangen
1870, 1871, hier: Bd. 4, S. 169–172, 174–178.
175 Vgl. Gleba, Gemeinde, S. 190–242. 176 Vgl. Hoffmann, Lu¨beck im Hoch- und Spa¨tmittelalter, S. 260. 177 Vgl. Asch, Rat und Bu¨rgerschaft, S. 23.
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¨ mter der Schmiede, SchneiGruppen eingeteilt. Die vier so genannten großen A der, Ba¨cker und Schuhmacher u¨bernahmen die Vertretungsfunktion fu¨r die kleinen ¨ mter. Das heißt, sie durften nur nach Absprache mit ihnen entscheiden, besaßen A aber insgesamt auch nur vier Voten, umgekehrt zu ihrem zahlenma¨ßigen Anteil an der Bu¨rgerschaft. Wa¨hrend Auseinandersetzungen zwischen Rat und Bu¨rgerschaft ¨ mter die in beiden Gruppen verbreigegen Ende des 16. Jahrhunderts teilten die A tete Abneigung einer Zunftverfassung im Sinne der su¨ddeutschen Reichssta¨dte vor der Karolinischen Reform.178 Dieses Schreckbild einer Po¨belherrschaft, das heißt einer direkten Beteiligung der Zu¨nfte am Ratsregiment, wollten sie unbedingt vermeiden. In den folgenden Jahren wehrten sie sich nicht gegen eine Reduktion ihrer Mitwirkungsmo¨glichkeiten, die allerdings wohl auch eine Verminderung der zeitund kostenaufwendigen sta¨dtischen administrativen Pflichten darstellte.179 Eine weitere Reduzierung erfolgte bei der Einteilung der Bu¨rgerschaft in zwo¨lf Kollegien im Jahre 1626. Die Handwerksa¨mter bildeten nur ein Kollegium, besaßen also nur noch eine Stimme, obwohl sie die mitgliedersta¨rkste Gruppe der Bu¨rgerschaft waren.180 Der Widerstand der Handwerker richtete sich nicht gegen diese sich institutionalisierende Minderung ihrer Position, sondern immer gegen konkrete wirtschaftspolitische Maßnahmen des Rates oder auch der Kaufleute. Hier la¨sst sich auch ha¨ufig eine ¨ mtern beobachten, bei Konkurrenz zwischen den so genannten großen und kleinen A ¨ denen sich die wohlhabenderen Amter durchzusetzen pflegten.181 Auf keinen Wider¨ mter die Anwesenheit stand traf hingegen, dass im Jahre 1586 mit Geltung fu¨r alle A von Ratsherren bei der Morgensprache, das heißt bei der Gemeindeversammlung der Zunft,182 festgelegt wurde.183 In Hamburg gewann die Bu¨rgerschaft gegenu¨ber dem Rat im Verlauf des 16. Jahrhunderts immer weiter an Rechten. Handwerkermeister hatten theoretisch sogar das ¨ mtern der Bu¨rgerschaft, doch spielten sie de facto Recht auf den Zugang zu den A ¨ dort keine Rolle. Die Alterma¨nner der Bu¨rgerschaft waren stets Kaufleute. Ungefa¨hr jeder vierte von ihnen ließ sich in den Rat wa¨hlen.184 Daran la¨sst sich auch ein stillschweigender Konsens daru¨ber erkennen, dass Handwerker, auch wenn sie wohl¨ mter sehr viel weniger gut geeignet waren als habend waren, fu¨r aktive politische A 185 die Ha¨ndler. Wie in Lu¨beck mo¨gen auch die finanziellen und tempora¨ren Belas¨ mter mit sich brachten, abschreckend gewirkt haben. Zu einem tungen, die solche A ¨ mter aus der Bu¨rgerschaft kam es in Hamburg aber nicht. expliziten Ausschluss der A Im Gegensatz zu Lu¨beck kam ihnen aber auch keine festgesetzte Stimmzahl zu, die wenigstens einen geringen Einfluss garantiert ha¨tte. 178 Vgl. Asch, Rat und Bu¨rgerschaft, S. 87–88. 179 Ebd., S. 23–24. 180 Ebd. 181 Ebd., S. 88–89. 182 Morgensprache hießen alle unregelma¨ßigen und regelma¨ßigen Versammlungen der A ¨ mter und Zu¨nfte,
die meist fru¨hmorgens begannen und abends mit Feierlichkeiten endeten. Vgl. Karl-Sigismund Kramer, s. v. Morgensprache, in: HRG 3 (1984), Sp. 683–684. 183 Vgl. Die a¨lteren Lu¨beckischen Zunftrollen, hg. v. Carl F. Wehrmann, Lu¨beck 1864, S. 83. 184 Vgl. Postel, Reformation und Gegenreformation, S. 196, 219. 185 Ebd., S. 195–196.
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
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In Bremen bildeten der Rat, die nicht im Rat sitzenden Ratsherren, die Wittheit, und die Gemeinde ein politisches Kra¨ftedreieck, das sich bereits im Verlauf des 15. Jahrhunderts sehr viel eindeutiger als in Lu¨beck und Hamburg zugunsten des Rates und zuungunsten der Handwerksa¨mter ausgerichtet hatte. Diese Konstellation bot aber immer wieder Potential fu¨r innere Konflikte, bei denen sich das Kollegium der Kaufleute ha¨ufig mit wohlhabenderen Amtmeistern gegen den Rat verband.186 Im Jahre 1534 gelang es dem Bremer Rat, seine Position gegenu¨ber beiden Gruppen zu sta¨rken. In dem in diesem Jahr niedergelegten Rezess, der „Neuen Eintracht“, wurde die Ru¨ckkehr zu den hundert Jahre zuvor beschlossenen, durch strenge Vermo¨gensklauseln geregelten Zugangsprinzipien bei der Ratswahl festgeschrieben. Außerdem wies der Bremer Rat Anspru¨che der sta¨dtischen Korporationen auf Autonomie und Machtbeteiligung energisch zuru¨ck: Under so scho¨len de Kopmanne unde Ampte in eren Samtkunften nicht anders vornemen unde vorhandelen, dann allen datjenne, dat ere Kopmannschup, oste Ambtes Geschefte ankamende unde belangende sy.187 Gegenu¨ber der Gemeinde sta¨rkte der Rat gleichfalls seine Position, indem er festlegen ließ, dass er zusa¨tzlich zu den ihm im Jahre 1433 zugestandenen Rechten die eigensta¨ndige Gesetzgebungsgewalt und das Recht, ohne Konsultation der Gemeinde, neue Steuern zu erlassen, erhalte.188 Allerdings bot auch diese Bestim¨ nderungen, Kompromisse und Konflikte. Sie mung letzten Endes wieder Raum fu¨r A enthielt na¨mlich auch als Klausel, dass bei wichtigen Angelegenheiten Gremien hinzugezogen werden sollten, deren Vertreter aus der Gemeinde stammten und unter denen sich auch Handwerksmeister befinden konnten.189 Die Trennung zwischen der Gruppe der ratssa¨ssigen Kaufleute und der der Handwerksmeister war somit wenigstens zu Krisenzeiten anfa¨llig. Die beschriebenen Vera¨nderungen in den Hansesta¨dten waren auch immer ein Ergebnis eines Adaptionsprozesses von Normen, die sich nicht origina¨r aus der korporativen Struktur dieser Gesellschaften ergaben, wie zum Beispiel die feste Verteilung von Voten auf bestimmte Kollegien oder, wie es bereits dargestellt wurde, ¨ bertragung sta¨ndischer Rangprinzipien. Die Rangeinteilung der Luxus- und die U Kleiderordnungen spiegelte auch die Werteordnung wieder, die sich in den Diskussionen zwischen Rat und Bu¨rgerschaft finden lassen. Der ho¨here Rang der Kaufleute wurde nicht infrage gestellt. In den Diskussionen zwischen Lu¨becker Rat und Bu¨rgerschaft um 1600, wa¨hrend der Reiserschen Unruhen, waren sich alle Gruppen der Bu¨rgerschaft daru¨ber einig, dass sie eine „Po¨belherrschaft“, eine aktive politische Beteiligung von Handwerksa¨mtern ablehnten. Auch die Handwerker sprachen sich hier – anders als noch im Lu¨beck des 14. und 15. Jahrhunderts – fu¨r einen Ausschluss ¨ mter von der Ratswahl aus. Ein weiteres Indiz fu¨r die Akzeptanz des ho¨heder A ren Rangs der Kaufleutekorporationen in Lu¨beck bestand in dem Versuch einiger 186 Vgl. Schwarzwa¨lder, Geschichte, S. 69. 187 Vollsta¨ndige Sammlung alter und neuer Gesetz-Bu¨cher der kaiserlichen und des Heil. Ro¨mischen
Reichs Freien Stadt Bremen aus Original-Handschriften, hg. v. Gerhard Oelrichs, Bremen 1771, S. 777. 188 Zusammenfassung bei von Maurer, Sta¨dteverfassung, Bd. 2, S. 624. 189 Ebd., S. 625.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
Lu¨becker Handwerksa¨mter, als Handel treibende Korporation klassifiziert zu werden. So behaupteten die Lu¨becker Brauer, aufgrund einer womo¨glich bewusst missverstandenen Rezeption der su¨ddeutsch gepra¨gten Juristensprache des Reiches, dass ¨ mtern stu¨nden.190 Wie die Brauer, so geho¨rsie eine Zunft seien und somit u¨ber den A ten auch die Lu¨becker Kra¨mer zu einer Gruppe, deren wirtschaftliche Bedeutung im 16. und 17. Jahrhundert stetig wuchs. Ihr Aufstieg zu einer Kaufleutekompanie ha¨tte ihnen nicht nur symbolische Vorteile eingebracht, sondern sie auch von der Aufsicht des Rates befreit.191 Beide Gruppen waren mit ihrem Ansinnen auf Standeserho¨hung erfolgreich. Dies zeigt, wie durchla¨ssig die Abgrenzungen zwischen den jeweiligen Sta¨nden in den Hansesta¨dten auch nach Adaption sta¨ndischer Distinktionsbeschrei¨ mter, die Schmiede, Schneider, Schuster bungen noch waren. So zogen die großen A und Ba¨cker einige Jahre spa¨ter nach und erreichten in der Mitte des 17. Jahrhunderts ihre Gleichstellung mit den „Zunftkompagnien“.192 Ein grundlegender Wandel in der korporativen Struktur war also nicht eingetreten. Als kontinuierliches Grundmerkmal der Hansesta¨dte bleibt auch festzuhalten, dass die Bu¨rgerschaft an den Entscheidungen des Rates immer beteiligt blieb, wenn auch mit unterschiedlichen Auspra¨gungen, und dass zu¨nftische Handwerker stets, und sei es nur potentiell, das Recht auf Beteiligung an ihr besaßen. Auf diese Weise war das Verha¨ltnis der Handwerker zu den Amtsinhabern des Rates sehr viel enger als das zwischen Arti und venezianischem Patriziat. Die hansesta¨dtischen Ratsherren mussten befu¨rchten, dass die Handwerker als Teil der Bu¨rgerschaft Kritik u¨ben, Entscheidungen blockieren und im schlimmsten Fall den Rat in seiner Gesamtheit opponieren ko¨nnten, wie es im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts immer wieder der Fall war. Diese Rahmenbedingungen sind bei der Untersuchung der Einbeziehung der Zu¨nfte in die sta¨dtische Festkultur aber auch ihrer eigenen Rituale zu beachten. Die strukturell gro¨ßere Na¨he der hansesta¨dtischen Handwerker zur politischen Elite wirkte sich auch auf die spezifische Repra¨sentation der Handwerker in den Hansesta¨dten aus. Die verschiedenen Bezeichnungen der Handwerkerkorporationen zeigen durch ihr Changieren zwischen den Bezeichnungen fu¨r Zunft beziehungsweise Amt in den Hansesta¨dten193 oder Arte in Venedig und Bruderschaft (Scuola) die religio¨se Bindung der Korporationen und damit die Kongruenz ihrer sozialen mit ihrer professionellen Integration in die Stadt an. Ha¨ufig sind die Termini Arte und Scuola in den venezianischen Quellen auswechselbar.194 Die venezianischen und vorreformatorischen hansesta¨dtischen Handwerkergruppen wurden ha¨ufig nicht als Zunft, sondern
190 Vgl. Asch, Rat und Bu¨rgerschaft, S. 22. 191 Ebd., S. 25. 192 Vgl. AHL, ASA-Interna, A ¨ mter, Allgemein 4/3, Von den vier großen Aembtern zu Rathe u¨bergeben
den 16. November 1648.
193 Im norddeutschen Raum werden die Handwerkerkorporationen als A ¨ mter bezeichnet. Zunft bu¨rgerte
sich erst in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts ein. Asch, Rat und Bu¨rgerschaft, S. 22 und allgemein Karl Kroeschell,. s. v. Amt, in: HRG 1 (1971), Sp. 150–154, hier: Sp. 152. 194 Brian S. Pullan, Religious Brotherhoods in Venice, in: Poverty and Charity: Europe, Italy, Venice, 1400–1700, hg. v. Dems., Aldershot, Brookfield 1994, Teil IX, S. 1–40, hier: S. 2–3.
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
265
als Bruderschaft wahrgenommen. Die Bruderschaften sorgten fu¨r ein angemessenes Begra¨bnis. Auch im hansesta¨dtischen Bereich waren vor der Reformation die zu¨nftischen Handwerker auch zugleich Mitglieder der zu ihrer oder zu mehreren Zu¨nften geho¨renden Bruderschaft. Wie sich der Wegfall der Verehrung eines Heiligen durch die Korporationen auf Festkultur und Selbstversta¨ndnis der hansesta¨dtischen Handwerkerkorporationen auswirkte, ist bis heute nicht untersucht worden. Die Erforschung dieser Frage wa¨re aufschlussreich, um herauszufinden, in welchem Verha¨ltnis sich die korporative Kultur unter dem Eindruck des Wechsels zweier religio¨ser Kulturen wandelte. Auffa¨llig sind die verschiedenen Geschwindigkeiten des Wandels in den Hansesta¨dten. In Lu¨beck sind bereits ab den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts keine Gebetsbruderschaften mehr u¨berliefert.195 In Hamburg hingegen bezeichneten sich viele Amtsangeho¨rige auch noch in der Mitte des 17. Jahrhunderts als Angeho¨rige einer Bruderschaft.196 Fu¨r Bremen fehlen jegliche Untersuchungen. Hier ist ¨ bertritt zum Calvinismus keine Bruaber zu vermuten, dass spa¨testens mit dem U derschaften zur Vereinigung der Handwerker mehr existierten. Fu¨r eine Analyse der Repra¨sentation der Handwerkerkorporationen in Venedig und den Hansesta¨dten ist also auch zu beachten, in welcher Weise die urspru¨nglich existente und sich wenigstens in Hamburg auch lange haltende symbiotische Verbindung von laiengeistlicher und professioneller Korporation auf ihre Teilhabe an der Repra¨sentation der Stadt als Republik, als wirtschaftlicher Einheit oder als Sakralgemeinschaft auswirkte. ¨ mter unterstanden die venezianischen Zu¨nfte Anders als die hansesta¨dtischen A nur einer sehr lockeren Aufsicht durch die Giustizia vecchia. Zusa¨tzlich waren fu¨nf Savi sopre le Mariegole fu¨r die Genehmigungen von neuen oder gea¨nderten Mariegole zusta¨ndig. Anders als in den Hansesta¨dten blieb das innerzu¨nftische Leben jedoch weitgehend der Eigenverwaltung der Handwerker u¨berlassen. So lag das Hauptaugenmerk auf der Marktgerechtigkeit, weniger auf der personellen Zusammensetzung der Zunft.197 Daher erfahren wir von den internen Ritualen der venezianischen Zu¨nfte vergleichsweise wenig. Na¨her beleuchtet wurde in der Forschung die Gruppe der Nicolotti, der um die Kirche San Nicolo` dei Mendicoli ansa¨ssigen Fischer, deren Rituale aufgrund ihrer speziellen Beziehung zum Dogen, die auch in anderen Festen zum Ausdruck kommt, besser u¨berliefert sind als die anderer venezianischer Korporationen. Sie verfu¨gten u¨ber zeremonielle Privilegien, glichen aber in ihrer Grundstruktur anderen Zu¨nften. Daher sollen sie an dieser Stelle exemplarisch zur Untersuchung der internen rituellen Repra¨sentationsmechanismen der venezianischen Zu¨nfte dienen. 195 Die Schiffergesellschaft bildete sich aus der St. Nikolaus- und St. Anna-Bruderschaft. Asch, Rat und
Bu¨rgerschaft, S. 25. 196 Vgl. Gertrud Brandes, Die geistlichen Bru¨derschaften in Hamburg wa¨hrend des Mittelalters, Teil 3,
in: ZVHambG 26 (1937), S. 65–110, hier: S. 86–87.
197 Dieses Gremium ist so gut wie noch nicht erforscht. Es scheint auch immer nur fallweise zusammen-
getreten zu sein. Fu¨r diesen Abschnitt wurden folgende Quellen herangezogen: ASV, compilazione delle leggi, bu. 371, Mariegole dell’Arti e Matricole, vgl. darunter mit Bezugnahme und Zitierung vieler Beschlu¨sse des 16. Jahrhunderts, Parte sopra l’Elezione delli V. Savi sopra le Mariegole , beschlossen durch Consiglio dei Dieci und Zonta am 14. Juni 1577, fol. 351.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
¨ ltesten, des Gastaldo, sowie auch zu allen anderen Das Recht zur Wahl des A Entscheidungen, lag bei der gesamten Korporation, ganz gleich, wie groß die Einkommensunterschiede und familia¨r bestimmten Stellungen der jeweiligen Mitglieder waren.198 Der Gastaldo wurde zusammen mit zwo¨lf Beisitzern, den Presidenti, direkt von der Mitgliederversammlung gewa¨hlt. Er hatte im Unterschied zu diesen sein Amt auf Lebenszeit inne. Der Gastaldo der Nicolotti war dem Modell des venezianischen Dogen nachgebildet. Er wurde feierlich in sein Amt eingesetzt. Der Sekreta¨r der Kanzlei des Dogenpalastes, der Segretario Ducale, u¨berreichte ihm in Anlehnung an die Amtseinsetzung des Dogen die Flaggen von San Marco und San Nicolo`.199 Auch sein Begra¨bnis wurde feierlich begangen. Die Wahl seines Nachfolgers stand unter der speziellen Aufsicht des Segretario Ducale,200 den eine Delegation um die Erlaubnis bat, einen neuen Wahlgang abhalten zu du¨rfen. Diese Beaufsichtigung durch den Segretario Ducale bedeutete im Unterschied zu den hansesta¨dtischen Wahlverfahren ¨ mter aber nur eine zeremonielle Aufsicht. An der Wahl selbst nahm innerhalb der A er nicht teil und durfte auch ihrem Ergebnis nur zustimmen.201 Die Wahlverfahren fu¨r den Gastaldo der Nicolotti wie auch fu¨r die Gastaldi anderer Zu¨nfte folgte dabei ¨ mtersetzung in den venezianischen InstituPrinzipien, die auch bei der Wahl und A tionen befolgt wurden. Wichtig war, dass die Wahl ohne Beeinflussung verlief. Dafu¨r wurden – wie im Maggior Consiglio – Losverfahren angewandt.202 ¨ mtern beobachEine parallele Entwicklung la¨sst sich in den hansesta¨dtischen A ten. Auch dort ließen die Mitglieder ein immer gro¨ßeres Bemu¨hen erkennen, Wahlverfahren solchen Prinzipien zu unterwerfen, die garantieren sollten, dass wa¨hrend der Wahl keine irregula¨ren, das heißt nur unter einigen wenigen Personen getroffenen Absprachen erfolgreich sein konnten. Das gewachsene Bewusstsein innerhalb ¨ mter fu¨r die Wichtigkeit der Wahlvorga¨nge und der Lu¨becker und Hamburger A Zeremonien zeigt sich in ihren Verschriftlichungen, aber auch der Form der rituellen Handlungen selbst.203 Die Versuche, der Wahl und der Aufnahme neuer Mitglieder eine gro¨ßere Transparenz zu verleihen, gingen einher mit einem Wandel der internen rituellen Kultur der Handwerkerkorporationen. Nicht alle hansesta¨dtischen Handwerkerkorporationen verfu¨gten u¨ber eigene Amtsha¨user, aber die Eingaben der Mitglieder der Korporationen an den Rat machen deutlich, warum die meisten die ¨ ltesten der A ¨ mter zur Errichtung eines solchen anstrebten. Versammelten sich die A 198 Vgl. Roberto Zago, I Nicolotti: storia di una comunita` di pescatori e Venezia nell’eta` moderna, Abano
Terme 1982, S. 8.
199 Vgl. Zago, I Nicolotti, S. 58. 200 Vgl. ebd. 201 Die zeremoniell herausgehobene Rolle des Segretario ducale und seiner Diener bei gleichzeitiger
Absenz vom eigentlichen Wahlverfahren kommt sehr gut in der folgenden Beschreibung zum Ausdruck: Cerimonia per l’elezione del Gastaldo di San Nicolo` 1558. 6 febbrajo more veneto, hg. v. Edoardo Frassine, Venedig 1881. 202 Agostino Sagredo, Sulle consorterie delle arti edificative in Venezia, Venedig 1857, S. 56–57. 203 Vgl. fu¨r Lu¨beck zur Quellensituation allgemein: Die a¨lteren Lu¨beckischen Zunftrollen, S. 17–19; und ¨ mter, Allgemein 15/3, Die Morgensprachs Ceremonien der A ¨ mbter in Lu¨beck; AHL, ASA-Interna, A als gutes Einzelbeispiel fu¨r Hamburg vgl. Theodor Schrader, Eine Morgensprache und Ho¨ge des Reepschla¨ger-Amtes in Hamburg im Jahre 1621, in: Aus Hamburgs Vergangenheit. Kulturhistorische Bilder aus verschiedenen Jahrhunderten, hg. v. Karl Koppmann, Hamburg/Leipzig 1886, S. 149–194.
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
267
Vorbereitung der Wahlverfahren oder auch der Aufnahme neuer Mitglieder in Gastha¨usern, so wurde ihnen ha¨ufig zum Vorwurf gemacht, ihre Versammlungen nicht o¨ffentlich, also fu¨r alle Mitglieder zuga¨nglich, zu gestalten. Bei einem Fehlen eines Versammlungshauses gaben die Gesellen den Kirchho¨fen um 1600 gegenu¨ber den Gastha¨usern den Vorzug, wohl nicht nur wegen der gro¨ßeren moralischen Legitimation, sondern auch deshalb, weil Absprachen hier noch besser ho¨r- und sichtbar waren. Dabei ist ein wesentlicher Unterschied zwischen Lu¨beck und Hamburg zu beobachten, der mit der la¨ngeren Kontinuita¨t bruderschaftlicher Bindung in Hamburg in Verbindung zu bringen ist. In Lu¨beck waren es die Gastma¨hler selbst, die Kritik durch die Amtsangeho¨rigen erfuhren. Ihre hohen Kosten sollten, so die Forderung der gemeinen Amtsbru¨der oder ju¨ngeren Amtsmeister, reduziert oder ganz durch eine Abgabe ersetzt werden.204 In Hamburg hingegen ist ein sehr viel ho¨herer Stellenwert der konfessionellen Bindung der einzelnen Amtsangeho¨rigen und damit auch der Formierung des individuellen Verhaltens in den Handwerksrollen zu beobachten.205 So nahmen zum Beispiel die Hamburger Wand- und Tuchmacher in ihre Ordnung des Jahres 1595 die Vorgabe auf, dass die neuen Gesellen der Augsburgischen Konfession angeho¨ren mu¨ssen.206 Dieser in Hamburg im Vergleich zu Lu¨beck ho¨here Stellenwert der Konfession ha¨ngt vermutlich mit der gro¨ßeren Konkurrenz durch reformierte Handwerker zusammen.207 ¨ mter eher Teil an einem Wandel politischer OrdIm Falle Lu¨becks hatten die A nungsvorstellungen. Den entsprechenden Beschlu¨ssen zur Kostenbegrenzung in Lu¨beck ging eine kontinuierliche Steigerung der zur festiven Repra¨sentation aufgewendeten Ausgaben voraus. So ist es versta¨ndlich, dass die Handwerkerkorporationen zur Wahrung ihres inneren Zusammenhaltes Maßnahmen ergreifen mussten, um die sozialen Folgen der durch den internen Schaukonsum in Gang gesetzten Ausgabenspirale zu beschra¨nken.208 Wurden die traditionellen Feierlichkeiten bewahrt, suchte man ihnen durch Verschriftlichung und Reglementierung – zum Beispiel durch Strafen bei Fernbleiben von Sitzungen und zeitliche Regelungen209 – eine
204 AHL, ASA-Interna, A ¨ mter, Schneider 6/3, undatierte Eingabe an den Rat, in dem sich die gemeinen
Amtsmitglieder u¨ber die zu hohen Kosten der Amtskosten beschweren; AHL, Handwerksa¨mter, Rot-, Stu¨ck-, Glockengiesser, Akten Perso¨nliches (1558–1821), Aufzeichnungen betreffs die Aufnahme in ¨ mter, Hauszimmerleute das Amt aus der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts; AHL, ASA-Interna, A ¨ ltesten 1643–1644. 5/2, Streitigkeiten um die Amtsfu¨hrung von A 205 Vgl. Die a¨ltesten Hamburgischen Zunftrollen und Bru¨derschaftsstatuten, hg. v. Otto Ru ¨ diger, Hamburg 1874, Nr. 4h, Neue Ordnung des Barbieramtes aus dem Jahre 1577, S. 17–22; Nr. 14, Ordnung der Finkenfa¨nger, S. 85–87; Nr. 43a, Exzerpte aus den Morgensprachsprotokollen, S. 204–205. 206 Vgl. Zunftrollen, hg. v. Ru ¨ diger, Nr. 58b, Wand- und Tuchmacherordnung, S. 308–310. 207 Vgl. Whaley, Religio¨se Toleranz, S. 131, 133–139. 208 Die kontinuierlich steigenden Kosten ko¨nnen zum Beispiel sehr gut in einer Sammlung von Rechnungen u¨ber einige von der Lu¨becker Kra¨merkompanie veranstaltete Festessen um 1600 beobachtet werden, vgl. Anm. 89. 209 Fu¨r Bremen vgl. AHB, Wandschneider-Societa¨t, Bestimmungen aus dem Jahre 1646; fu¨r Hamburg vgl. Zunftrollen, hg. v. Ru¨diger, Nr. 4 h, Punkt 1 der Ordnung des Barbieramtes, S. 17; Nr. 14, Ordnung der Finkenfa¨nger, Punkt 10, S. 86; Nr. 24 d, Allgemeine Bestimmungen u¨ber Handwerksarbeiten vom 20. Mai 1563, S. 128–129; fu¨r Lu¨beck vgl. zum Beispiel AHL, Handwerksa¨mter, Schneider, das
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
berechenbare Struktur zu geben. Klagen u¨ber irregula¨re Absprachen tauchten in Eingaben der Mitglieder der Lu¨becker Handwerksa¨mter an den Rat immer wieder in der zweiten Ha¨lfte des 16. und ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts auf. Es finden sich außerdem Hinweise darauf, dass dieser Verfahrens- und Normenwandel mit einem Generationenkonflikt in der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts einherging. Immer ¨ ltesten keine geheimen Absprachen vor den wieder verlangten die Gesellen, dass die A Wahlen treffen sollten. Daher forderten sie, dass sowohl der Ort der Treffen genau festgelegt werden sollte als auch die Art und Weise der Wahlvorbereitung. Mit diesen Anliegen setzten sie ha¨ufig Institutionalisierungsprozesse innerhalb der Zu¨nfte in Gang, die sich in einer vermehrten Verschriftlichung der entsprechenden Vorschriften ausdru¨ckten. Die lange Zeit, u¨ber die sich aber diese Formalisierungs- und Ver¨ mter in Lu¨beck rechtlichungsprozesse hinzogen, zeigt, dass die Versammlungen der A erstmals ab dem Jahre 1674, also erst fast hundert Jahre spa¨ter, nachdem die ersten ¨ ltesten durch die u¨brigen Mitglieder Forderungen nach mehr Kontrollierbarkeit der A ¨ ltesten aufgekommen waren, durch den Ratsschreiber protokolliert wurden.210 Den A der Lu¨becker Handwerksa¨mter gelang es im Verlauf der Auseinandersetzung nicht, ihren Vorrang innerhalb der Korporation unangreifbar festzusetzen. Der Rat konnte durch das Sprachrohr der bei den Morgensprachen anwesenden Wetteherren immer ¨ ltesten der A ¨ mter untergraben, indem er Entscheidungen wieder die Autorita¨t der A ¨ ltesten nicht wie das ru¨ckga¨ngig machte oder nicht autorisierte. Somit konnten die A Bremer Collegium Seniorum fu¨r sich einen unabha¨ngigen Vertretungsanspruch der Korporationen in Anspruch nehmen. Aufschlussreich ist auch, mit welchen Argu¨ lteste, die sich beim menten die Mitglieder der Lu¨becker Korporationen, seien es A Rat u¨ber ihre Zuru¨cksetzung beschweren, seien es ju¨ngere Handwerksmeister und Gesellen, die eine transparentere Amtsfu¨hrung anmahnen, den Rat zum Eingreifen in die inneren Belange bewegen wollten. Hierbei zeigten sie ein gutes Bewusstsein fu¨r die Verknu¨pfung der Verfahrenslegitimita¨t innerhalb ihrer Korporation mit der Regierung der gesamten Stadt. Die gute Polizei innerhalb Lu¨becks und die Obrigkeit des Rates wu¨rden davon abha¨ngen, so argumentieren sie, dass die internen Verfah¨ mter bestimmten Prinzipien folgten.211 Die Amtsmitglieder verknu¨pften so ren der A ihre Eingaben mit teilweise sehr direkten Handlungsanweisungen. Wenn zum Bei¨ ltester des Amtes der Lu¨becker Hauszimmerleute in einer spiel im Jahre 1603 ein A Petition darauf hinwies, dass er vom Rat eingesetzt sei und die anscheinend gegen ihn vorgefallenen Ehrverletzungen eine Minderung der Obrigkeit des Rates darstellen wu¨rden,212 so drohte er, dass er den Rat nicht ohne weiteres als Autorita¨t mehr anerkennen wu¨rde, falls dieser sich weigern sollte, zu seinen Gunsten einzugreifen. ‚B-Buch‘ (Rolle und Aufzeichungen der Jahre 1634–1840), Regelung unter dem Datum des 12. Ma¨rz 1593. 210 Die a¨lteren Lu¨beckischen Zunftrollen, S. 93. 211 Vgl. die verwendeten Argumentationsmuster in den Eingaben AHL, ASA-Interna, A ¨ mter, Buntma¨ mter, Hauszimmerleute, 5/2, Eingabe cher 3/2, Eingabe aus dem Jahr 1597; AHL, ASA-Interna, A ¨ mter, Schmiede 3/2, Eingaben des Jahres 1638; AHL, Handwerksa¨m1603; AHL, ASA-Interna, A ter, Archiv der Altschuhmacher, Eingaben um 1600 in der Akte „Bu¨rgerliche Rechte und Pflichten“ 1600–1602. 212 AHL, ASA-Interna, A ¨ mter, Hauszimmerleute 5/2, Eingabe 1603.
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
269
Diese Bezu¨ge auf die Gesamtordnung der Stadt machen deutlich, wie genau die Mit¨ mter – die ja in Lu¨beck auch in die politischen Entscheidungsprozesse glieder der A einbezogen waren – das politische Geschehen beobachteten. Teilweise waren sie ja selbst als Mitglieder der Bu¨rgerschaft an den Diskussionen u¨ber die Wahl- und Amtssetzungsverfahren des Rates beteiligt oder wussten wenigstens darum. Im Unterschied zu den Ritualen der hansesta¨dtischen Kaufleutekompanien war ¨ mter aber Grenzen gesetzt. der Transformation des Festwesens der Zu¨nfte und A Diese Grenzen waren durch zwei strukturelle Bedingungen bestimmt: 1. Zum einen sahen die Handwerkergesellen bestimmte Rituale, wie zum Beispiel das Wa¨hlen des Maigrafen, als ihr althergebrachtes Recht an, das sie, wenn auch ¨ ltesnicht immer erfolgreich, gegenu¨ber den Disziplinierungsbemu¨hungen der A ten und der Wetteherren, also der amtsinternen und der sta¨dtischen Obrigkeit, verteidigten.213 Die Quellen zu den Fastelavendsfeierlichkeiten der hansesta¨dtischen Handwerksgesellen weisen gleichfalls darauf hin, dass dieser Bereich einer spezifischen Festkultur trotz Verboten bis weit in das 17. und 18. Jahrhundert lebendig blieb. 2. Zum anderen ist zu vermuten, dass Handwerkerrituale als so feststehende Symbole der Stadt galten, dass diese Feierlichkeiten kaum ha¨tten ga¨nzlich abgeschafft werden ko¨nnen. Dies ist zum Beispiel bei den Hamburger Brauereiknechten so, deren Ho¨gen ab der zweiten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts sogar das Interesse von Hamburger Rechtsgelehrten erweckten,214 mag aber auch auf andere Fa¨lle zutref¨ mter und ihre Verhaltensweisen wurden zu einem Teil der gesamtsta¨dfen. Die A tischen Repra¨sentation nach außen und fanden dementsprechend auch Eingang in zeitgeno¨ssische Reiseberichte.215 Die Vertreter der sta¨dtischen Elite zogen sich insbesondere in Venedig aus einer aktiven Gestaltung der Rituale zuru¨ck, an denen Handwerker beteiligt waren. Diesem fast folkloristisch anmutenden Bild der Zu¨nfte als Teil der sta¨dtischen Gesamtrepra¨sentation stand eine andere Entwicklung der Rituale und ihrer Begru¨ndungen gegenu¨ber. Im Gegensatz zu den traditionellen Gelagen nahm die Sorge um das christliche Seelenheil der Handwerksgenossen stetig zu. Andere Bestimmungen sahen in allen drei Sta¨dten vor, das Betragen der Korporationsmitglieder im christlichen Sinne zu bessern. Sie sollten ihr individuelles Verhalten vera¨ndern: nicht mehr fluchen, Frieden
213 Allgemein zu dem in Norddeutschland und Nordeuropa verbreiteten Brauch des Maigrafen vgl. Gul-
lan Gerward, Majgrevefesten. En kulturhistorisk analys. Mit einer deutschen Zusammenfassung, ¨ mter, Bo¨ttcher 4/2, Ausschreitungen Stockholm 1996. Zu den Konflikten vgl. AHL, ASA-Interna, A von Gesellen 1589–1763, Akte zu Maigrafen. 214 Vgl. Otto Beneke, Hamburgische Geschichten und Sagen, hg. v. Ariane Knuth, Bremen o. J. [EA 1886], S. 150–151. 215 John Taylor, Dreier Wochen, dreier Tage und dreier Stunden Beobachtungen auf einer Reise von London nach Hamburg in Deutschland; unter Juden und Heiden, nebst Beschreibungen von Sta¨dten und Thu¨rmen, Schlo¨ssern und Burgen, ku¨nstlichen Galgen und natu¨rlichen Scharfrichtern u. s. w., in: John Taylor’s Beobachtungen auf einer Reise von London nach Hamburg im Jahre 1616, u¨bersetztvon C. F. Lu¨ders, ZVHambG 7 (1883), S. 455–480, hier: S. 457.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
halten, den Gottesdienst besuchen, keine Schenken mehr aufsuchen, die Sonntagsruhe beachten und keinem Glu¨cksspiel nachgehen. Aber auch als Gruppe sollten sie sich christlich zeigen. So hoben die Hamburger Zunftrollen fu¨r die zweite Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts Begra¨bnisse und religio¨se Umzu¨ge als die zwei wichtigsten Feiern ¨ mter hervor.216 In der Ordnung des Festzuges sollten die Handder Hamburger A werksgesellen und die ju¨ngeren Meister, denen die Organisation der Begra¨bnisse zugesprochen wurde, eingebunden werden: Dieweil auch alle Menschen sterblich und dem zeitlichen Tode unterworffen sein, so ist sowol in diesem alsz in andern Aemptern no¨tig, eine richtige Ordnung wegen des Leichfolgens und Tragens anzustellen und zu halten, damit die Todten christlich und ehrlich mo¨gen begraben werden. ¨ mter gerichteten Verordnung des Hamburger hieß es beispielsweise in einer an die A Rates im Jahre 1585.217 Dass gerade in Hamburg diese Verordnungen aber auch Mittel zur Disziplinierung von Handwerkern waren, zeigen viele normative Quellen, die sich besonders den Knechten des Amtes der Brauer widmeten.218 Ob der Versuch, die ¨ ltesten kontrolBegra¨bnisse in einen institutionalisierten und somit von Rat und A lierten Bereich zu¨nftischer Rituale zu verwandeln, immer gelang, ist angesichts der anscheinend vergeblichen Verbote, die der Lu¨becker Rat gegen das Totentragen der Fa¨rber im Pestjahr 1629 erließ, zweifelhaft.219 Ga¨nzlich gegen den Willen der Korporationsmitglieder konnten die Vera¨nderungen der internen Strukturen nicht erfolgen, da der Rat, auch wenn er gegenu¨ber den Handwerksa¨mtern eine so gefestigte Position ¨ mtern innehatte wie zum Beispiel in Bremen, nicht viele Machtmittel gegenu¨ber den A bei den Morgensprachen besaß. Die Gegenwart von immer nur zwei Wetteherren als Vertreter des Rates la¨sst eher vermuten, dass der Rat meist versuchte, mit Worten und nicht mit Gewalt zu u¨berzeugen. Dass sie dabei bald auf rhetorisch gleichgewichtige Gegner trafen, davon zeugt die Anwendung bestimmter Argumentationsmuster, zum Beispiel des Bildes der guten Policey durch Gesellen und ju¨ngere Meister.220 Zwar wurden sicherlich nicht alle hansesta¨dtischen Handwerker mit einem Male gehorsame Christen, aber auf einen bestimmten kulturellen Wandel deuten die hier skizzierten Entwicklungen hin, deren Rezeption in den jeweiligen Gruppen noch sehr viel genauer erforscht werden mu¨sste, als es an dieser Stelle aufgrund der jetzigen Forschungs- und Quellenlage mo¨glich ist. Es soll nun danach gefragt werden, welchen Stellenwert die Handwerker in der gesamtsta¨dtischen Repra¨sentation besaßen. Aufgrund der Quellenlage kann dies nur
216 Vgl. Anm. 209. 217 Vgl. Zunftrollen, hg. v. Ru ¨ diger, Aus den Morgensprachsprotokollen, Nr. 43a, S. 204–205. 218 Allgemein Postel, Reformation und Gegenreformation, S. 193; außerdem Hamburgische Burspraken
1364 bis 1594 mit Nachtra¨gen bis 1699, Regelungen zu den Jahren 1537, 1556/1557, 1558: S. 294, 389.
219 Vgl. Eines Ehrbarn Raths der Stadt Lu¨beck Revidirte Pestortdnung/ sampt angehengten Bericht/ Wie
man sich in wehrender Pestilentz verwahren und verhalten sol/ Beneben der Taxa der Arztneyen/ ¨ mter, Fa¨rber 4/2, Eingabe der so auff der Apotheken verordnet, Lu¨beck 1639; AHL, ASA-Interna, A Blaufa¨rber an den Rat vom 22. Juli 1629. 220 Vgl. Anm. 212.
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
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fu¨r Venedig geschehen. Hierfu¨r soll das gut dokumentierte Ritual der so genannten Dogaressakro¨nung dienen. Die Kro¨nung der Dogaressa war nicht die einzige Gelegenheit, bei der die venezianischen Zu¨nfte in das sta¨dtische Festwesen einbezogen wurden. Sie spielten auch in Außenpra¨sentation der venezianischen Republik bei Empfa¨ngen fremder Standespersonen eine große Rolle. Die venezianischen Zu¨nfte partizipierten außerdem an Ritualen, die Teil des regula¨ren Festkalenders waren, mit speziell fu¨r diesen Anlass von ihnen hergerichteten Booten oder, indem der Gastaldo, ¨ lteste der Zunft, symbolisch in eine besondere Beziehung mit dem Dogen also der A trat. So genossen zum Beispiel einige Zu¨nfte das Privileg, dem Dogen zu besonderen Festtagen wie an Weihnachten, Gaben u¨berreichen zu du¨rfen. Reihenfolge und Auswahl der Zu¨nfte erfolgte dabei nach traditionellen, heute nicht mehr nachvollziehbaren Rechten und Pflichten.221 Dennoch war die Kro¨nung der Dogaressa das einzige Fest, bei dem sich allein die Zu¨nfte an der Ausrichtung beteiligten und daher auch im Mittelpunkt der Bewertung von Erfolg und Misserfolg der Zeremonie standen. Diese Sonderrolle konnte es in den Hansesta¨dten nicht geben. Sie war bei der Kro¨nung der Dogaressa maßgeblich durch das spezielle Fo¨rderverha¨ltnis der Dogaressa (und also auch ihrer Familie) gegenu¨ber den venezianischen Handwerkern bestimmt, ein Sonderverha¨ltnis, das es in den Hansesta¨dten nicht gab. Da sich bereits ein vorhergehender Abschnitt dieser Arbeit der Dogaressakro¨nung gewidmet hat, soll im Folgenden nicht mehr der Ablauf selbst im Mittelpunkt der Untersuchung stehen, sondern nur die Rolle, die die venezianischen Arti hierbei spielten. Die venezianischen Zu¨nfte spielten bei den Feierlichkeiten zu Dogenbegra¨bnis und -wahl keine besonders herausgehobene Rolle. Allein bei der feierlichen Einholung der Dogaressa in den Dogenpalast kam ihnen bei Festlichkeiten im Rahmen dieser Zeremonie eine besonders prominente Rolle zu. Hierin spiegelte sich gleichfalls die spezielle Beziehung der Dogaressa zu den Zu¨nften wider, als deren Fo¨rderin sie galt.222 Die Zu¨nfte konnten also auch durch den Aufwand, den sie bei der Gestaltung der Feierlichkeiten trieben, die Dankbarkeit signalisieren, die sie gegenu¨ber der Dogaressa und ihrer Familie empfanden, aber sich auch in ihren und den Augen anderer Patrizier in ein besonders gu¨nstiges Licht setzen, ihre wirtschaftliche Macht und handwerklichen Fertigkeiten zur Schau stellen und damit Vorrang vor anderen Handwerkszweigen in Anspruch nehmen.223 Die Dogaressakro¨nung wurde
221 Vgl. ASV, Procuratori di San Marco de supra, bu. 67, handschriftliche Liste mit Weihnachtsgeschenken
an den Dogen, um 1600. Es werden folgende Zu¨nfte genannt: Telaroli, Verieri di Muran, formagieri, becarie, Pistori, Galineri, orefici, – „Holzrahmenhersteller, Glashersteller aus Muranie, Ka¨sehersteller, Metzger, Ba¨cker, Geflu¨gelha¨ndler, Goldschmiede“. Das heißt, es waren sehr viele verschiedene Handwerkszweige, aber ohne erkennbaren inhaltlichen oder hierarchischen Zusammenhang vertreten. Leider sind in diesem und in anderen Besta¨nden keine weiteren Geschenklisten u¨berliefert. 222 Dabei fo¨rderten die Dogaressa auch noch nicht etablierte Handwerkszweige. So ließ zum Beispiel die Gattin des Dogen Marin Grimani auf eigene Kosten eine Spitzenklo¨ppelwerkstatt auf der Insel Burano errichten, vgl. Franco Brunello, Arti e Mestieri a Venezia nel Medioevo e nel Rinascimento, Venedig 1980, S. 134; vgl. außerdem zur Dogaressa als Fo¨rderin des Handwerks Pasquinucci und Premoti Taiti, La dogaressa, S. 261–262. 223 Auf diese Verbindung macht auch aufmerksam Mackenney, Tradesmen, S. 141–149.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
in den Jahren 1557 und 1597 gefeiert. Als Ritual bietet sie daher gute Vergleichsmo¨glichkeiten hinsichtlich der Frage, inwiefern sich die Repra¨sentation der Zu¨nfte in diesem Fest um 1600 a¨nderte. Die Zu¨nfte selbst haben bei beiden Feiern großen Wert auf die bildliche Ver¨ ltesewigung des Ereignisses gelegt. Die Zunft der Schuhmacher ließ jeweils ihre A ten, ihre Gastaldi, beim Ha¨ndedruck mit dem Dogen bildlich festhalten224 und die Gema¨lde in dem Geba¨ude ihrer Bruderschaft aufha¨ngen.225 In der Bildunterschrift des Bildes aus dem Jahre 1557 feierte sich die Zunft selbst: LE QUI BENIGNI LETTORI ET CIRCHOSTANTI DEPINTO EL SERENISSIMO DOGE LAURENTIO PRIULI ABBRAZZARE, BASARE, TOCCARE LA MANO E STRINGERE M. BATTISTA D. CIPRIANO, DIGNISSIMO GASTALDO DE L’ARTE NOSTRA [. . . ] HONORATISSIMA BANCA PER HAVER FATTO UN SOLENISSIMO TRIONFO CON TUTTA L’ARTE NELLA CHORONATION DELLA SERENISSIMA DOGARESSA SUA CONSORTE L’ANNO MDLXVII ADI XII DE SETTEMBRIO.226 Auch auf dem Gema¨lde, das anla¨sslich der Kro¨nung des Jahres 1597 in Auftrag gegeben wurde, kam den Zunftmitgliedern eine große Rolle zu. Hier wurden die Gastaldi jeweils einzeln mit Namen und Funktion bezeichnet.227 Die Portra¨tierung der Zunftmitglieder tritt bei bildlichen Darstellungen des Ereignisses, die nicht von ihnen selbst in Auftrag gegeben wurden, hingegen stark in den Hintergrund. Gema¨lde, die im Umkreis der Dogaressakro¨nung des Jahres 1597 entstanden sind, konzentrierten sich meist auf eine Portra¨tierung der Dogaressa und ihres Gefolges entweder beim Verlassen des Familienpalazzo und dem Besteigen des Bucintoro oder bei ihrer Ankunft an der Piazzetta.228 Die Dogaressa schritt bei ihrem Empfang im Stadtzentrum und nach Verlassen des Bootes durch einen Triumphbogen hindurch, den die Zunft der Fleischer hatte errichten lassen.229 Dieser Triumphbogen ist prominent sowohl in einem großen 224 Vgl. [Anonym], Der Doge empfa¨ngt Vertreter der Scuola dei Calzolai, O ¨ lgema¨lde, um 1557, in: Wol-
ters, Bilderschmuck, S. 155 und Abbildung 12.
225 Zum Gema¨lde, das das Ereignis im Jahre 1557 darstellt vgl. Il Museo Correr di Venezia. Dipinti dal XIV
al XVI secolo, hg. v. Giovanni Mariacher, Venedig 1957, S. 190. Zum Gema¨lde, das an das Ereignis des Jahres 1597 erinnert, gibt es keine Forschungen. 226 Zitiert nach Wolters, Bilderschmuck, S. 155. „Hier, geneigte Leser und Umstehende, seht ihr gemalt, wie der Hochehrwu¨rdige Doge Lorenzo Priuli umarmt, ku¨sst, die Hand beru¨hrt und anfasst von M. Baptista D. Cipriano, hochwu¨rdevollem Gastaldo unserer Zunft [...][und] unsere Bank [jede Zunft war in verschiedene Ba¨nke unterteilt] [war] so sehr geehrt, weil sie mit der ganzen Zunft einen sehr feierlichen Triumph bereitet hatte bei der Kro¨nung ihrer Sehr Ehrwu¨rdigen Dogaressa, seiner Gemahlin, im Jahre 1557 am 12. September.“ 227 Siehe Abbildung 12. 228 Eine Sammlung aller Abbildungen findet sich bei Wilson, „il bel sesso e l’austero senato“, S. 208–234. 229 Die Fleischer errichteten den Triumphbogen in Zusammenarbeit mit dem Ku¨nstler Bernardo Fogari und planten die Inschriften in Zusammenarbeit mit dem Humanisten Attilio Facio. Vgl. Muir, Civic Ritual, S. 295, Anm. 126.
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
Abb. 12: Der Doge empfa¨ngt Vertreter der Scuola dei Calzolai (Bruderschaft der Zunft der Schuhmacher) ¨ lgema¨lde von Domenico Tintoretto, um 1597 O Quelle: Museo Correr – Fondazione Musei Civici di Venezia
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
Gema¨lde Andrea Vicentinos zu sehen230 als auch am linken Rand des gleichfalls von demselben Maler stammenden Bild, das die Prozession der Dogaressa, ihres Gefolges und der Zu¨nfte auf dem Markusplatz darstellt.231 Welch großes Aufsehen
Abb. 13: Die Dogaressa Morosina Morosini Grimani verla¨sst den Bucintoro und durchschreitet den von der Zunft der Metzger errichteten Triumphbogen ¨ lgema¨lde von Andrea Vicentino, 1597/1606 O Quelle: Museo Correr – Fondazione Musei Civici di Venezia
er verursachte, ist auch gut daran zu erkennen, dass er in sa¨mtlichen Drucken, die das Ereignis schilderten, detailliert beschrieben wurde.232 Seine Inschriften und die auf ihm dargestellten Insignien priesen die beiden durch das Ereignis repra¨sentierten Familien Morosini und Grimani, indem sie die von deren Vorfahren ausgeu¨bten ¨ mter im geistlichen und weltlichen Bereich aufza¨hlten. Die Berichte gingen zwar A
230 Siehe Abbildung 13. 231 Vgl. Andrea Vicentino, La dogaressa Morosina Morosini sfila in corteo a Venezia, O ¨ lgema¨lde zwischen
1597 und 1606, in: Il Serenissimo Doge, hg. v. Umberto Franzoi, Treviso 1986, S. 277.
232 Rota, Lettera, s. p.: la prima colonna grande, che ha` il S. Marco sopra & congiungevasi co’l piano d’un
altissimo, & bellissimo arco trionfale, fatto fare da’ macellari, o` beccari. – „Die erste große Sa¨ule, auf der San Marco abgebildet ist und sich mit einem sehr hohen und sehr scho¨nen Triumphbogen verbindet, welcher von den Fleischern oder Metzgern gemacht worden ist.“; Tutio, Ordine, S. 11: In ripa della Piazza verso marina, tra l’angolo del Palazzo, & le due Colonne; fu, dalli Beccari fabbricato un grandissimo Arco in forma quadra, con un ponte, sopra il quale si dovea isbarcare la Serenissima Dogaressa. – „Am Ufer des Platzes, der zum Meer hin zeigt, zwischen der Ecke des Dogenpalastes und den zwei Sa¨ulen war von den Fleischern ein sehr großer Bogen in quadratischer Form errichtet worden, mit einer Bru¨cke, u¨ber der der Hochehrwu¨rdige Doge an Land gehen sollte.“; Sansovino, Venetia, 1663, S. 418: vi era stato da i Macellari, over Beccari fatto fabricare un bellissimo ridotto con un arco altissimo cosı` dalla parte dell’acqua, come da quella di terra in forma quadra, tutto dipinto all’intorno sopra tele con inventioni assai belle di pitture, di motti, di figure, che lo adornavano & abbelivano maravigliosamente. – „Dort war von den Fleischern oder Metzgern ein sehr scho¨ner Platz errichtet worden mit einem sehr hohen Bogen, in quadratischer Form sowohl vom Wasser als auch vom Land [anzusehen], ganz bemalt im Inneren auf Leinwa¨nden mit wunderscho¨nen Invenzioni an Bildern, Motti, Gestalten, die ihn auf wunderbare Weise schmu¨ckten & pra¨chtig machten.“
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
275
nicht detailliert auf den Triumphbogen der Fleischer ein, erwa¨hnten ihn aber alle. Die von allen betonte ku¨nstlerische Qualita¨t der ephemeren Festkonstruktion trug maßgeblich zur Reputation dieser Zunft bei.233 Dies gilt u¨brigens auch fu¨r den gleichfalls von den Fleischern errichteten Triumphbogen fu¨r die Kro¨nung der Dogaressa Zilia Dandolo vierzig Jahre zuvor.234 Die u¨berlieferten Gema¨lde und Kupferstiche, die die Kro¨nung des Jahres 1597 darstellen, setzen die Zunftmitglieder nicht so prominent in Szene, wie es auf den von ihnen selbst in Auftrag gegebenen bildlichen Darstellungen der Fall ist. Andererseits la¨sst sich auf ihnen auch keine Steigerung der familia¨ren gegenu¨ber der zu¨nftischen Repra¨sentation erkennen. Die Bilder heben vielmehr die auffa¨lligen Elemente des Festablaufs hervor, die mit den Zu¨nften unmittelbar verbunden waren. So zeigt zum Beispiel ein Gema¨lde Andrea Vicentinos die Prozession auf dem Markusplatz, bei der die Zu¨nfte neben der auffa¨llig in Szene gesetzten Gruppe der Dogaressa, ihres Gefolges und der venezianischen Senatoren gut zu erkennen sind, sowohl an den Fahnen als auch ihren am Rand des Bildes dargestellten Booten und dem Triumphbogen der Fleischer. Dieser Prozession widmen auch die handschriftlichen chronikalischen Quellen zu der vierzig Jahre fru¨her stattfindenden Kro¨nung besondere Aufmerksamkeit.235 Die Abbildungen hingegen, die zum Beispiel der venezianische Kupferstecher Giacomo Franco entwarf, konzentrierten sich auf die aufwendigen technischen Bootskonstruktionen, die die Zu¨nfte anla¨sslich der Kro¨nung des Jahres 1597 in Auftrag gegeben hatten.236 Triumphbogen und Bootskonstruktionen weisen auf den kostspieligen Prachtaufwand hin, den die Zu¨nfte im Rahmen besonders der Zeremonie von 1597 entfalteten. Dieser stellte eine große wirtschaftliche Belastung fu¨r die Zunftmitglieder dar, so dass bereits vierzig Jahre zuvor viele Zu¨nfte mit dem Hinweis auf die zu hohe finanzielle Belastung auf eine Teilnahme verzichteten.237 Diese Entwicklung fu¨hrte aber nicht zu einer Verminderung sondern zu einer Steigerung des Aufwands, der bei der Kro¨nung des Jahres 1597 betrieben wurde. Gegenu¨ber den Schilderungen des Jahres 1557 finden wir nicht nur auf den erwa¨hnten Abbildungen, sondern auch in den Texten, die die Kro¨nung des Jahres 1597 beschreiben, eine Steigerung des technischen Raffinements, den sich die Zu¨nfte zu Ehren der Dogaressa einfallen ließen. Die Beschreibungen der Boote unter expliziterter Nennung der Zu¨nfte238 nehmen einen Großteil der Festschilderung ein. Dies wird etwa an folgendem Abschnitt aus einem Festdruck deutlich: Et perche, com’ ho detto, ogni Arte oltre gli addobamenti di questi luoghi del Palazzo [Ducale], fece anco armare un Bergantino, c’haveva a` servire alla Serenissima Dogaressa nel fare questa solenne entrata, essendo 233 Vgl. Anm. 232. 234 Vgl. BMC, Cod. Cic. 2119, Sivos, Cronaca, Bd. 4, fol. 88. 235 Vgl. BMC, Cod. Cic. 2853, Agustini, [Cronaca], fol. 106; Marcello, Ordine, s. p. andando in modo di
processione attorno di tutta la piazza, quale era coperta di panni, come si costuma di fare il giorno del Santissimo Corpo di Christo. – „wa¨hrend sie in der Art und Weise einer Prozession um den gesamten Platz zogen, der mit Tu¨chern bedeckt war, wie man es auch an Fronleichnam zu tun pflegt.“ 236 Franco, Habiti, s. p. 237 Vgl. BMC, Cod. Cic. 2853, Agustini, [Cronaca], fol. 104. 238 Rota, Lettera, fol. C2–s. p.; Sansovino, Venetia, 1663, S. 417–426; Tutio, Ordine, S. 3–17.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
tra di loro molte, che pretendevano la maggioranza di portare il Fano`; per levare ogni disparere, che potesse la festa disturbare, furono tutte imbussolate & per sorte cavate, si che quattro sole hebbero questa preminenza, cio e` l’Arte della Seta, gli orefici, i sanseri & li Bombasari fecero il suo a` guisa di Caretta all’antica, con duo gran Cavalli marini innanzi cosi artificiosamente accomodati, che parevano tirando, che con le gambe si movessero; Haveva questo legno quattro gran Ruote, come di Carozza, le quali con gratiosa inventione sopra l’acqua velocemente giravano, non si vedendo remi da veruna parte: stava su la Prora Adriatico Dio marino, che con la destra reggeva il freno de Cavali, & con la sinistra teneva un Tridente in alto.239 Zwar begleiteten die Festboote der Zu¨nfte auch die Dogaressa Priuli im Jahre 1557, doch finden sich hier in den entsprechenden Quellen keine bewundernden Berichte u¨ber Boote, die sich als ku¨nstliche Fische wie von selbst durch das Wasser fortbewegten.240 Auch wenn ein Medienwandel bei der Steigerung der Beschreibungen in Rechnung gestellt werden muss, so ist doch von einem tatsa¨chlichen Wandel der Festkultur auszugehen. Das Verbot der Dogaressakro¨nung im Jahre 1645 weist nicht nur auf die Kritik hin, die diese Zeremonie durch Patrizier selbst erfuhr, sondern auch darauf, dass es zu internen Konflikten und Schwierigkeiten innerhalb der Zu¨nfte aufgrund der Kostenexplosionen im Rahmen dieser Feierlichkeiten kam. Der Maggior Consiglio nannte bei seiner Urteilsbegru¨ndung dies als einen Hauptgrund: Convien nel proprio sostinimento della publica grandezza pertigger ancho quegli ordini, che niente osservando il lustro e il decoro nelle cerimonie della Dogaressa sian per togliere l’obbligation d’eccessivi dispendii aggravanti in particolare l’arti e i popoli ad altri pesi obbligato.241
239 Tutio, Ordine, S. 10: „Und weil, wie ich bereits erwa¨hnt habe, jede Zunft zusa¨tzlich zu den Aus-
schmu¨ckungen dieser Zimmer des Dogenpalastes auch ein Boot ausstattete, das der Sehr Ehrwu¨rdigen Dogaressa bei diesem feierlichen Einzug dienen sollte, wa¨hrend unter ihnen viele waren, die fu¨r sich den Vorrang beanspruchten, die Flagge [von San Marco] zu tragen; um jede Unstimmigkeit zu verhindern, die das Fest sto¨ren ko¨nnte, wurden alle [Zu¨nfte] zusammengesperrt und nach Los aufgeteilt, sodass vier allein dieses Vorrecht genießen sollten, das ist die Zunft der Seidenspinner, der Goldschmiede, der Geldwechsler und Heiratsvermittler [das war ein- und derselbe Beruf] & der Baumwollha¨ndler. Sie trugen ihren Anteil bei in Form einer Kutsche all’antica, mit zwei großen Pferden im Wasser, die so kunstvoll hergestellt waren, dass sie [das Boot] zu ziehen schienen, wenn sie sich bewegten; dieses Holz hatte vier Ra¨der, wie eine Kutsche, welche dank einer wunderbaren Erfindung sich sehr schnell durch das Wasser bewegten, wobei man nirgends Ruder wahrnahm: auf dem Bug stand der Meeresgott, mit der Rechten hielt er die Zu¨gel der Pferde, & mit der Linken hielt er einen Dreizack in die Ho¨he.“ 240 BMC, Cod. Cic. 2853, Agustini, [Cronaca], fol. 104–105; Marcello, Ordine, passim; BMC, Cod. Cic. 2119, Sivos, Cronaca, Bd. 4, fol. 88. 241 Zitiert nach der Transkription bei Le Cerimonie di incoronazione della dogaressa, s. p.: „Es geho¨rt sich, zur tatsa¨chlichen Unterstu¨tzung des o¨ffentlichen Ansehens auch jene Regeln zu verfolgen, dass der Glanz und das Dekorum in den Zeremonien der Dogaressa in nichts mehr beachtet werden sollen, um besonders die Zu¨nfte und die Bevo¨lkerung [i popoli] von der Verpflichtung zu u¨berma¨ßigen und beschwerlichen Ausgaben zu befreien, die eigentlich anderen Verpflichtungen nachkommen mu¨ssen.“
4.2. Kontinuita¨t und Wandel von Ritualen der sta¨dtischen Korporationen
277
Die Zurschaustellungen technischen Ko¨nnens auf dem Wasser und o¨konomischer Potenz in ihrer Ausschmu¨ckung des Dogenpalastes zum Empfang der Dogaressa werteten alle Autoren der gedruckten Festbeschreibungen auch als Beweis fu¨r die Wirtschaftskraft Venedigs in wirtschaftlich sehr schlechten Zeiten. Die Blu¨te des Handwerks sahen sie als Beweis fu¨r die Weisheit der venezianischen Regierung und Verfassung an.242 Che Vinetia, per l’ottime, & continue provigioni fatti era per godere, rispetto all’altre citta` d’Italia, una grande abondanza delle cose necessarie al viver’ humano stellte etwa Giovanni Rota fest.243 In dieser Schwerpunktsetzung liegt ein entscheidender Unterschied zu den Quellen, die die Dogaressakro¨nung des Jahres 1557 wiedergaben. Legten hier die Autoren noch darauf Wert, den rituellen Ablauf der Handlung, insbesondere die Prozession und die Feier des Gottesdienstes, wiederzugeben, trat dieses Element vierzig Jahre spa¨ter in den Hintergrund. Die Zu¨nfte werden nicht mehr hauptsa¨chlich als Teil einer Sakralgemeinschaft, sondern als Fundament einer wirtschaftlich ma¨chtigen Republik portra¨tiert. Bei einem Vergleich der Repra¨sentation der Zu¨nfte in den Hansesta¨dten und Venedig sind unterschiedliche Entwicklungen erkennbar. Diese ha¨ngen eng mit den jeweiligen strukturellen Rahmenbedingungen zusammen und lassen sich als eine Entsakralisierung und Kommerzialisierung im Falle Venedigs und als Institutionalisierung und Konfessionalisierung im Falle der Hansesta¨dte beschreiben. Da die Zu¨nfte in Venedig bei vielen Feierlichkeiten nicht als Zu¨nfte, sondern als venezianische Bruderschaften auftraten, war dieser Teil ihrer Selbstdarstellung durch feste, traditionelle Formen gebunden. Nahmen sie an Ritualen spezifisch als Zu¨nfte und nicht als Bruderschaften teil, trat neben die traditionelle Form korporativer Selbstdarstellung, die die Chronisten durch den Vergleich ihres Auftretens auf dem Markusplatz mit den Bruderschaften bei einer Fronleichnamsprozession erfassten,244 eine neue Form rein wirtschaftlicher Repra¨sentation hinzu. Venedig als Wirtschaftszentrum wurde in den Lobpreisungen der Weisheit der Signoria in den Festbeschreibungen der Dogaressakro¨nung des Jahres 1597 nicht mehr als traditionelle, korporativ gegliederte Sakralgemeinschaft beschrieben. Hier ero¨ffnete sich ein neuer Raum o¨konomischer Repra¨sentation, der in dieser spezifischen Form in den Hansesta¨dten fehlte. Dort waren die Zu¨nfte sehr viel enger in die politisch-soziale Ordnung eingebunden. Verhalten und Fehlverhalten ihrer Mitglieder war mit der Legitimierung der gesamten sta¨dtischen Normenwelt eng verknu¨pft. Diese Verbindung wurde im Rahmen der schriftlichen Festlegung von Regeln und Eingaben sogar noch enger. In der Vera¨nderung der han¨ mter finden sich wiederum Elemente, die auch auf die sesta¨dtischen Festkultur der A ¨ venezianischen Amter zutreffen – Institutionalisierung, Verschriftlichung, Herstellen von Verfahrensautonomie. Diese koppeln sich aber, und dies ist der entscheidende Unterschied zu den venezianischen Zu¨nften, im Falle Hamburgs mit einer konfessionellen Begru¨ndung der Verhaltensa¨nderung. 242 Vgl. Tutio, Ordine, S. 3; Rota, Lettera, s. p. 243 Vgl. Rota, Lettera, s. p. „Dass Venedig, das aufgrund der sehr guten und ununterbrochenen Vorsorge,
die getroffen worden war, in der Lage war, im Vergleich zu anderen Sta¨dten Italiens, einen großen ¨ berfluss an Dingen zu genießen, die notwendig sind, um menschlich zu leben.“ U 244 Vgl. Anm. 235.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
¨ nderungen weder in VeneWarum nun wirkten sich die hier herausgearbeiteten A dig noch in den Hansesta¨dten auf das Bild der Zu¨nfte aus, das nach außen getragen wurde? In der Außenrepra¨sentation wurden sie fremden Standespersonen und auch Reisenden auf Pilgerfahrt oder Bildungsreise als wichtiger Bestandteil der Stadt pra¨sentiert. Ihr buntes Auftreten sorgte dafu¨r, dass sie (und ihre Produkte) den Ga¨sten im Geda¨chtnis blieben. Eine traditional-korporative Fassade stu¨lpte sich u¨ber die ¨ mter. Diese hatten ja genau wie die anderen Repra¨sentation einzelner Zu¨nfte und A Korporationen in selbsta¨ndiger Weise an den internen Verfestigungsprozessen der Verschriftlichung und Bu¨rokratisierung teil. Hierbei spielten die Widersta¨ndigkeiten der in sich keineswegs geschlossenen Korporationen eine Rolle, die bestimmte Handwerkszweige einer umfassenden Disziplinierung entgegensetzten.
4.3. Bru¨der und Soldaten: Bruderschaften und Bu¨rgerwehren in der gesamtsta¨dtischen Selbstdarstellung
Die Bruderschaften waren neben den professionellen Korporationen eine der wichtigsten Vergemeinschaftungsformen der europa¨ischen Stadtgemeinschaften. Waren die berufsgebundenen Zusammenschlu¨sse im Zuge der Stadtgenese als autonome politische und wirtschaftliche Einheit entstanden, so zeigten die Bruderschaften die steigende Bedeutung christlicher Laienfro¨mmigkeit in der Stadt an. Ihre Existenz festigte die wechselseitige politische, soziale und religio¨se Zugeho¨rigkeit auch nichtgeistlicher Stadtbu¨rger.245 Nicht nur waren sie fu¨r die Memoria ihrer Mitbru¨der wichtig, sondern auch fu¨r die religio¨se Rechtfertigung der gesamten Stadt als Stadtgemeinde. Ihre Teilnahme an Prozessionen war ein weithin sichtbarer Ausweis der frommen Haltung ihrer Bewohner. Auch wenn die Reformation in den Hansesta¨dten nicht in allen Fa¨llen zu einem radikalen Bruch mit den Bruderschaften als Gemeinschaftsform fu¨hrte,246 so war doch diese Form der prozessionalen Selbstdarstellung nicht oder nur in ganz anders religio¨s konnotierter Form mo¨glich. Anstelle der Bruderschaften hatten nun die Kompanien der Bu¨rgerwehren gesamtsta¨dtische Repra¨sentationsfunkionen inne.
245 Der jetzige Forschungsstand zu der Rolle der Bruderschaften in Spa¨tmittelalter und Konfessiona-
lisierung soll an dieser Stelle nicht umfassend referiert werden. Stattdessen sei auf folgende neuere Arbeiten zum Reich und Italien mit jeweils weiterfu¨hrenden Hinweisen verwiesen: Rebekka von Mallinckrodt, Struktur und kollektiver Eigensinn: Ko¨lner Laienbruderschaften im Zeitalter der Konfessionalisierung, Go¨ttingen 2005; Rahn, Wirkungsfelder religio¨ser Bruderschaften; Einungen und Bruderschaften in der spa¨tmittelalterlichen Stadt, hg. v. Peter Johanek, Ko¨ln/Weimar/Wien 1993; The Politics of Ritual Kinship. Confraternities and Social Order in Early Modern Italy, hg. v. Nicholas Terpstra, Cambridge 2000. 246 Vgl. Anm. 196.
4.3. Bruderschaften und Bu¨rgerwehren in der gesamtsta¨dtischen Selbstdarstellung
279
4.3.1. Die Bedeutung der Bruderschaften fu¨r die venezianische Selbstdarstellung Um die Bedeutung der Bruderschaften fu¨r die venezianische Repra¨sentation zu verstehen, ist es wichtig, sich zuna¨chst die Vielfalt der mit diesem Begriff erfassten Korporationen und ihren Zusammenhang mit den religio¨sen Entwickungen in Venedig vor Augen zu fu¨hren.247 Die venezianischen Bruderschaften teilten sich in die Bruderschaften der Zu¨nfte und in die beiden Gruppen der Scuole grandi und Scuole piccole, der Großen und Kleinen Bruderschaften ein. Scuole piccole waren die Korporationen, die zu religio¨sen Zwecken, etwa in Verbindung mit einer Altarstiftung, gegru¨ndet worden waren. Teilweise dienten sie aber auch zur Bezeichnung der Bruderschaften der Zu¨nfte oder der in Venedig lebenden Fremden. Die Scuole piccole waren im Rang den Scuole grandi nachgeordnet, wie an zahlreichen Prozessionsordnungen dieser Zeit deutlich wird.248 Der Consiglio di Dieci u¨berwachte die Scuole grandi und griff auch immer wie¨ nderungswu¨nschen in ihre personelle Struktur ein.249 Die Scuole der mit konkreten A piccole waren zwar weitaus weniger stark durch den Consiglio di Dieci reglementiert, standen aber gleichfalls unter seiner direkten Aufsicht. Dies wirkte sich insbesondere auf ihre inneren Strukturen aus. Der Consiglio di Dieci kontrollierte Zahl und Zusammensetzung der Mitglieder der Scuole grandi sehr viel sta¨rker als in den anderen Kongregationen mit dem Ziel, die Gesamtanzahl der Mitglieder konstant (wohl bei etwa 500–600 Mitgliedern) zu halten, die Mitgliederschaft der Geistlichen zu ¨ mter besetzbeschra¨nken und darauf zu achten, dass die Cittadini die fu¨hrenden A 250 ten. Um 1600 umfassten die Scuole grandi folgende Vereinigungen: die Scuole grandi di San Teodoro, di San Rocco, della Santa Maria della Carita`, di San Marco, di San Giovanni Evangelista und die Scuola della Santa Maria della Misericordia. Die vier letztgenannten hatten sich im Rahmen der sich in ganz Oberitalien im 13. Jahrhundert verbreitenden Flagellantenbewegung gebildet.251 Im Verlauf des 14. Jahrhunderts bis zum 16. Jahrhundert traten ihre karitativen und zeremoniellen Funktionen immer mehr in den Vordergrund. In sta¨dtischen und auch bruderschaftsspezifischen Prozessionen fielen sie nicht mehr durch ostentative Bußbezeugungen, son-
247 Zu den venezianischen Bruderschaften immer noch grundlegend Pullan, Rich and Poor; vgl. außer-
dem die Beitra¨ge in: Le scuole di Venezia, hg. v. Terisio Pignatti, Mailand 1981 und speziell zum Prozessionswesen die musikhistorische Bewertung bei Jonathan E. Glixon, Honoring God and the City. Music at the Venetian Confraternities, 1260–1807, Oxford 2003; zu den Bruderschaften der Zu¨nfte und den Scuole piccole vgl. speziell Silvia Gramigna/Annalisa Parissa, Scuole di Arti Mestieri e Devozione a Venezia, Venedig 1981; Richard Mackenney, Continuity and Change in the Scuole Piccole, in: Renaissance Studies 8 (1994), S. 388–403. Die bis dato nicht existente deutschsprachige Forschung zu den venezianischen Bruderschaften ist nun durch die grundlegende Untersuchung von Gabriele Ko¨ster hoffentlich begonnen worden. Vgl. Gabriele Ko¨ster, Ku¨nstler und ihre Bru¨der. Maler, Bildhauer und Architekten in den venezianischen Scuole Grandi (bis ca. 1600), Berlin 2008. 248 Vgl. die Zusammenstellung bei Jonathan E. Glixon, Far una bella procession: Music and Public Ceremony at the Venetian scuole grandi, in: Essays on Italian Music in the Cinquecento, hg. v. Richard Charteris, Sidney 1990, S. 190–220, hier: S. 195–207. 249 Vgl. Pullan, Rich and Poor, S. 66–75. 250 Ebd., S. 33–34, 44. 251 Ebd., S. 34–36.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
dern durch die Zurschaustellung der bruderschaftseigenen Reliquien auf. Diese wurden auf reich geschmu¨ckten Festwagen und unter prachtvollen Baldachinen getragen. Zudem nahm der Anteil an lebenden Bildern immer mehr zu, die verschlu¨sselte Sinnbilder im Kontext des jeweiligen Festes darstellten. Die Scuole grandi nahmen an einem Großteil der religio¨sen oder auch politischen Feste in Venedig teil. Dabei steigerte sich ihr organisatorischer und finanzieller Aufwand hierfu¨r besonders ab der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts erheblich – eine Entwicklung, die sie mit den professionellen hansesta¨dtischen Korporationen und venezianischen Zu¨nften teilten. Anders als die geistlichen Kongregationen der Stadt symbolisierten die Bruderschaften in religio¨sen Prozessionen den Autonomieanspruch der venezianischen politischen Institutionen gegenu¨ber der Kirche. Da sie nicht der kirchlichen Gerichtsbarkeit des Patriarchen in Venedig unterstanden, mussten sie auch keine Sanktionen von dieser Seite befu¨rchten. So wurden sie zu einem entscheidenden Bestandteil der Demonstration der offensiven antipa¨pstlichen Haltung Venedigs im Rahmen der Prozessionen wa¨hrend des Interdikts des Jahres 1606. Die Mitglieder der Scuole grandi teilten sich in zwei Gruppen: in diejenigen, die die Fu¨hrungsposten innehatten und diejenigen, die bedu¨rftig waren, eine Unterteilung, die sich bereits zu Mitte des 16. Jahrhunderts fest etabliert hatte. In der Gruppe der ersteren u¨berwogen die Cittadini. Handwerker waren zwar auch Mitglieder der Scuole grandi, durften aber keine leitenden Funktionen ausu¨ben. Die Aufteilung zwischen bedu¨rftigen und nicht bedu¨rftigen Mitgliedern verlief zwar quer zu den Distinktionen zwischen Nobili, Cittadini und Popolani, nur konnten letztere nie in die Gruppe der Leitenden aufsteigen, ganz gleich, wie wohlhabend sie waren.252 Im Rahmen der religio¨sen Repra¨sentation entfielen die meisten Pflichten nur auf die Bedu¨rftigen, so dass die der Bruderschaft inha¨rent egalita¨re Repra¨sentation bei vielen Festen zugunsten der Unterteilung in disciplinati und diejenigen, die davon ausgenommen waren, aufgehoben wurde. Zunehmend wurden aber auch fu¨r die o¨ffentlichen Bußbezeugungen Nicht-Mitglieder bezahlt.253 Die Zusammensetzung der Mitglieder der Scuole piccole war weitaus weniger kontrolliert. Sie konnten kleine Gruppen umfassen, aber wohl auch fast die gesamte Nachbarschaft. Ihre genaue Anzahl und Zusammensetzung unterlag großen Schwankungen und la¨sst noch viele Forschungsfragen offen.254 Da sie sich ha¨ufig zur liturgischen Verehrung eines bestimmten Heiligen gebildet hatten, umfassten sie meist sehr viele Mitglieder aus einem Pfarrbezirk, darunter auch Frauen, die innerhalb einer Bruderschaft eigene Untergruppen bildeten.255 Auch die Scuole piccole nahmen an o¨ffentlichen Prozessionen, zum Beispiel aus Anlass von Dogenbegra¨bnissen, teil. Mehr noch als die Scuole grandi boten sie Raum zu Repra¨sentationsformen, die soziale Distinktionen u¨berschritten. Aufgrund des Forschungs- und Quellenstandes
252 Vgl. Pullan, Rich and Poor, S. 63. 253 Ebd., S. 51–63. 254 Vgl. Gastone Vio, Le scuole piccole nella Venezia dei Dogi. Note d’archivio per la storia delle confra-
ternite veneziane, Costabisarra 2004, S. 17–40.
255 Vgl. Glixon, Honoring God and the City, S. 195–196.
4.3. Bruderschaften und Bu¨rgerwehren in der gesamtsta¨dtischen Selbstdarstellung
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kann kaum befriedigend gekla¨rt werden kann, welche Mitglieder tatsa¨chlich bei sta¨dtischen Prozessionen auftraten. Die Prachtentfaltung, die die venezianischen Bruderschaften sowohl in ihrer Kunst- und Architekturfo¨rderung als auch in ihrer Beteiligung am Festwesen, in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts aufwandten, ist kein Indiz fu¨r eine Abnahme der Bedeutung der Religion fu¨r das Selbstversta¨ndnis dieser Korporationen. Einer Inter¨ berho¨hung Venedigs als Sakralgenalisierung der Fro¨mmigkeitskultur stand die U meinschaft entgegen. Dies la¨sst sich sehr gut an einem Beispiel darlegen. San Teodoro war neben San Marco und San Nicolo` einer der wichtigsten venezianischen Heiligen. Die venezianischen Magistrate wollten ihn in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts aufwerten und erho¨hten daher die Bruderschaft, die ihn verehrte, im Jahre 1552 zu einer Scuola grande.256 Im Falle der Scuole grandi war daher die explizite Fo¨rderung von besonderen Heiligenkulten durch die venezianischen Eliten mo¨glich. Im Falle der Scuole piccole war der Spielraum zur Adaption und Einrichtung neuer Kulte weitaus gro¨ßer. Um 1600 nahm die Anzahl von auf Initiative der Geistlichen und ohne Wissen und Erlaubnis des Consiglio di Dieci errichteten Altarbruderschaften erheblich zu.257 Das Spannungsfeld zwischen der Rezeption von nachtridentinischen Fro¨mmigkeitsformen und offizieller venezianisch-politisch-religio¨ser Selbstdarstellung fu¨hrte, wie exemplarisch an einem Fall aus Murano im Folgenden zu zeigen sein wird, in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts zu Konflikten zwischen Geistlichkeit, Bevo¨lkerung und dem Consiglio di Dieci.258 Besaßen die Scuole eine grundlegende Bedeutung fu¨r die Darstellung Venedigs im Ganzen, so boten sie im sozialen Gefu¨ge Venedigs die Mo¨glichkeit des rituell geregelten Kontaktes zwischen Personen aus sonst politisch und sozial eindeutig abgegrenzten Schichten. Gasparo Contarini fu¨hrte in seiner Schrift u¨ber die venezianische Republik aus der Mitte des 16. Jahrhunderts daher die Bruderschaften als einen wichtigen Grund fu¨r die politische Stabilita¨t Venedigs an. Sie wu¨rden Personen ein Forum der Mitbestimmung und Repra¨sentation bieten, die ansonsten davon ausgeschlossen seien.259 Contarini nennt hier besonders die Gruppe der Cittadini. ¨ mter in den Bruderschaften Ihnen u¨bertrug der Consiglio di Dieci die wichtigsten A und sorgte dafu¨r, dass sie nicht gegenu¨ber den Nobili in die Minderheit gerieten.260 ¨ bereinstimmung mit Prinzipiell galt aber auch, dass die Frage der Mitgliedschaft in U dem Consiglio di Dieci ga¨nzlich verschieden von den einzelnen Bruderschaften geregelt werden konnte.261 Die Mitgliedschaft in den Bruderschaften galt als ein sicherer 256 Vgl. Rodolfo Gallo, La Scuola Grande di San Teodoro di Venezia, in: Atti dell’Istituto Veneto di Sci-
enze, Lettere ed Arti 120 (1961–1962), S. 461–491; außerdem Anne Jacobsen Schutte, Uno Spazio, Tre Poteri: La Cappella di San Teodoro. Sede dell’Inquisizione Veneziana, in: San Marco. Aspetti storici e agiografici. Atti del Convegno Internazionale di Studi Veneziani, 26–29 Aprile 1994, hg. v. Antonio Niero, Venedig 1996, S. 97–109, hier: S. 98. 257 Vgl. Pullan, Rich and Poor, S. 45. 258 Ein gutes Beispiel gibt Ders., ebd., von einer religio¨sen Bruderschaft, die im Jahre 1595 in einer Dominikanerkirche ohne Erlaubnis des Consiglio di Dieci gegru¨ndet worden war. 259 Vgl. Contarini, La Republica, S. 131. 260 Vgl. Pullan, Rich and Poor, S. 74–75. 261 Vgl. Francesca Ortalli, „Per salute delle anime e delle corpi“. Scuole piccole a Venezia nel tardo Medioevo, Venedig 2001, S. 115.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
Weg zur Fo¨rderung des individuellen Seelenheils. Viele Patrizier sahen die Mitgliedschaft in einer Bruderschaft als ein auch finanziell gu¨nstiges Mittel an, ihr Nachleben und damit ihr Seelenheil zu sichern. Einige von ihnen wurden daher erst auf dem Totenbett oder post mortem Mitglied, was allerdings auf heftige Kritik aus den Reihen der Bruderschaften selbst und auch des Consiglio di Dieci stieß.262 Dies zeigt aber auch, wie ernst die Patrizier die Sicherung ihrer Memoria durch Mitgliedschaft in einer sta¨dtisch-religio¨sen Korporation nahmen. Somit war die Bruderschaft auch eine Vergemeinschaftsungsform, die die familia¨re und politische Sonderstellung eines Einzelnen in den Begra¨bnisfeierlichkeiten wenn nicht u¨berbieten, so doch erga¨nzen konnte. Dies la¨sst sich zum Beispiel auch daran sehen, dass die Bruderschaft, in der ein verstorbener Doge Mitglied war, fu¨r einen Hauptteil der Organisation seiner Beerdigungsfeier und daru¨ber hinaus auch ha¨ufig fu¨r Wahl und Finanzierung seiner Grabsta¨tte verantwortlich war. Die Vera¨nderung der Fro¨mmigkeitskultur und die steigenden Anforderungen der gesamtsta¨dtischen Repra¨sentation fu¨hrten um 1600 zu einem Gegensatz zwischen den religio¨sen Orientierungen der Bru¨der und ihrer korporativen Repra¨sentation nach außen, der sich immer weiter verscha¨rfte. Wie in den Hansesta¨dten ist die Kritik an einer Steigerung der fu¨r die Rituale aufgewandten Kosten in erster Linie nicht als eine Reaktion auf eine tatsa¨chliche Entwicklung zu sehen, sondern als Indiz fu¨r einen mentalen Einstellungswandel. Zwar war die Teilnahme der Bruderschaften an den Prozessionen vorgeschrieben. Die Entscheidung u¨ber den jeweiligen Aufwand fu¨r Festwagen und ephemere Festkonstruktionen blieb ihnen jedoch meist selbst u¨berlassen. Bereits in der Mitte des 16. Jahrhunderts kritisierte ein Schmied in einer Eingabe an den Consiglio di Dieci den Aufwand, den die Mitglieder der Scuola grande di San Rocco bei ihren eigenen Feierlichkeiten und bei sta¨dtischen Prozessionen trieben. Dafu¨r wu¨rde soviel Geld ausgegeben, dass fu¨r die Versorgung bedu¨rftiger Bru¨der nichts mehr u¨brig bliebe.263 Ungefa¨hr zu derselben Zeit hatte der an sich auch recht wohlhabende Juwelier Alessandro Caravia einen Text drucken lassen, in dem er die Scuole grandi mit den gleichen Argumenten angriff. Ihre jeweiligen Leitungspersonen seien nur damit befasst, den Rang ihrer Bruderschaft vor den anderen Vereinigungen zu verteidigen und ha¨tten anstelle ihrer eigentlichen frommen Aufgaben nur Feste und Bankette im Kopf.264 Caravias Werk macht dabei aber auch darauf aufmerksam, dass mit der Prachtentfaltung der Korporationen selbst sich auch ihre Wahrnehmung a¨nderte. Caravia stand einem, reformierten Ideen zugeneigten Kreis nahe.265 Seine Kritik ist dem Wortlaut der Bugenhagenschen Kritik an den Lu¨becker Korporationen recht a¨hnlich.266 Wie auch bei den hansesta¨dtischen Korporationen entbehrte sie im Falle der venezianischen Bruderschaften einer faktischen Grundlage. Laut Brian Pullans Untersuchungen fu¨hrte die Ausgabensteigerung fu¨r
262 Vgl. Pullan, Rich and Poor, S. 74. 263 Venice: A Documentary History 1450–1630, hg. v. David S. Chambers, Oxford 1992, S. 216–217. 264 Vgl. Venice: a Documentary History, S. 213–216. 265 Vgl. Enrica Benini Clementi, Riforma Religiosa e Poesia Popolare a Venezia nel Cinquecento, Flo-
renz 2000, S. 57–64. 266 Vgl. Anm. 69.
4.3. Bruderschaften und Bu¨rgerwehren in der gesamtsta¨dtischen Selbstdarstellung
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die Prozessionen nicht zu einer Verminderung der karitativen Ausgaben. Sie haben, so Pullan, vielmehr in einem ausgewogenen Verha¨ltnis zueinander gestanden.267 Auf dem Gebiet der Kunstpatronage und Architekturfo¨rderung trugen die venezianischen Bruderschaften, vergleichbar den Zu¨nften, in Konkurrenz untereinander zum sta¨dtischen Gesamtbild bei.268 In ihren Versammlungsha¨usern kommt dabei gut zum Ausdruck, dass die hier aufgewendete Repra¨sentation auch keineswegs auf einen Verlust an religio¨ser Orientierung deutet. So weist zum Beispiel das von Giacobo Tintoretto im Versammlungshaus der Scuola grande di San Rocco entworfene Bildprogramm eine ausgesprochen nachtridentinisch gefa¨rbte Ikonographie auf.269 Die venezianischen Bruderschaften standen in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts in einem Spannungsfeld stetig wachsender Anspru¨che. Zum einen waren sie wichtig, um auf der europa¨ischen Bu¨hne Venedig sowohl als christlich gesonnene Republik, als auch eine Stadt auszuweisen, die sich durch ihre kulturelle Repra¨sentation in Kunst, Architektur und Musik auszeichnete. Zum anderen waren sie ein Spiegelbild der wachsenden moralischen Anforderungen an individuelle und korporative Fro¨mmigkeit um 1600. Wie sich dieses Spannungsfeld auf den Stellenwert der Bruderschaften in der gesamtsta¨dtischen Repra¨sentation auswirkte soll nun anhand zweier Fallbeispiele untersucht werden. Die Konflikte um zwei Bruderschaften auf der Insel Murano im Jahre 1626 zeigen Entwicklungen im Inneren der Bruderschaften, die sich auch auf ihre Funktion fu¨r die Selbstdarstellung ihrer Mitglieder auswirkte.270 Die Prozession zur Feier des Friedens von Vervins im Jahre 1598 macht hingegen deutlich, auf welche Weise der vielstimmige Akkord der Bruderschaften zur Außenrepra¨sentation Venedigs beitrug. Francesco Luna besaß mehrere Glasbla¨serwerksta¨tten auf Murano. Ein Ausdruck seines Stolzes ist auch sein handschriftliches Tagebuch, das Notizen aus den Jahren ¨ berlieferung im Familienkreis 1625 und 1631 umfasst und das vermutlich fu¨r die U 271 gedacht war. Die wichtige Rolle der Scuole piccole in der Welt der Handwerker auf Murano wird durch einen Vergleich seiner Aufzeichnungen mit den ungefa¨hr 50 Jahre fru¨her entstandenen Notizen des venezianischen Patriziers Francesco da Molin deutlich. In diesen spielten weder religio¨se Bruderschaften noch kirchliche Ereignisse eine Rolle.272 Luna war Mitglied einer auf Murano ansa¨ssigen Scuola del Santissimo Sacramento.273 In seinen Berichten u¨ber Ereignisse aus seiner unmittelbaren Umgebung auf Murano kommt zum Ausdruck, welche Bedeutung er dem
267 Vgl. Pullan, Rich and Poor, S. 188–193. 268 Vgl. Patricia Fortini Brown, Honor and Necessity: The Dynamics of Patronage in the Confraterni-
ties of Renaissance Venice, in: SV n. s. 14 (1987), S. 179–212. 269 Vgl. Astrid Zenkert, Tintoretto in der Scuola di San Rocco, Tu¨bingen 2003, S. 245–250. 270 Die wichtigste Quelle hierzu ist das Tagebuch Francesco Lunas: BM, Cod. It. VII, 3760 = 8995, Luna,
Diario di Murano, 1625–1631.
271 Vgl. Zecchin, Vetro e Vetrai di Murano, Bd. 1, S. 181–185. 272 BM, Cod. It. VII, 533 (8812), [Francesco Da Molino], Compendio di me Francesco da Molino descri-
vavo delle cose [...]; vgl. Delle Inscrizioni Veneziane, Bd. 2, S. 432.
273 Die Scuole del Santissimo Sacramento waren in Venedig um 1600 weit verbreitet. Sie waren meist fu¨r
die kultische Pflege eines dem Heiligen Sakrament gewidmeten Altars zusta¨ndig. Vgl. Glixon, Honoring God and the City, S. 196.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
religio¨sen Leben auf der Insel beimaß. So vermerkte er zum Beispiel genau, wenn ein geistlicher Verwandter eine Messe gesungen hatte.274 Luna erwa¨hnte allein in den die Jahre 1625–1626 betreffenden Aufzeichnungen drei Bruderschaften. Einen ausfu¨hrlichen Platz nehmen in Lunas Tagebuch die Streitigkeiten zwischen zwei Bruderschaften ein. Diese Konflikte zeigen die korporativen, kirchlichen und politischen Herrschaftsanspru¨che im Venedig der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts, die sich auf mehreren Ebenen u¨berschneiden konnten. Der erste Konflikt, von dem Luna berichtet, brach im Jahre 1626 im Rahmen einer Begra¨bnisfeierlichkeit aus. Dabei stritten sich die Scuola di San Zuane und die Scuola del Santissimo Sacramento um das Recht, die Beerdigung eines Verstorbenen auszurichten, der beiden Vereinigungen gleichzeitig angeho¨rt hatte.275 Luna schildert anschaulich die Verwirrung, die der Streit zwischen den Bruderschaften in den engen Gassen der Laguneninsel auslo¨ste.276 Um ein Scheitern des Begra¨bnisses zu vermeiden, einigten sich beide Gruppen schließlich auf einen Kompromiss. Die Bru¨der der Scuola di San Zuane durften die Hauptstraße entlangziehen, wa¨hrend die Scuola del Santissimo Sacramento mit dem Leichnam den Uferweg nahmen. Damit war der Streit um den Toten allerdings nicht beendet. Er eskalierte schließlich so weit, dass die anwesenden Geistlichen sich weigerten, die Begra¨bnisriten vorzunehmen, wenn die Scuola di San Zuane darauf besta¨nde, den Toten zu beerdigen, et questo fu uno accidente grande di far del mal so Lunas Kommentar.277 Offensichtlich gaben die Geistlichen der ju¨ngeren Scuola del Santissimo Sacramento gegenu¨ber der traditionsreicheren Scuola di San Zuane den Vorzug. Um das Begra¨bnis selbst nicht zu gefa¨hrden, gaben schließlich die Bru¨der der Scuola di San Zuane nach.278 Nach den Begra¨bnisfeierlichkeiten wandten sich diese an den Consiglio di Dieci, um sich ihren Vorrang vor der Scuola del Santissimo Sacramento 274 BM, Cod. It. VII, 3760 = 8995, Luna, Diario, fol. 195–196. 275 Ebd., fol. 197. 276 Ebd.: Morse qui a Murano a Ca’ Donato M Graesan et fu per la sua sepoltura fatto spesa perche era
fratello della scuola de san Zuane, et cosi si levo` la scuola per andar a compagnar il corpo alla sepoltura, et per questo motto era statto Gastaldo al santiss. Sacramento, a San Donato, si levo` la scuola anco del Santi.mo per accompagnarlo alla sepoltura, ma quando queste doi scuole si mise all’ordine per far la procession et venir supra la fondamenta longa, voleva quelli della scola del santis.mo, ma voleva che non andasse, o` avanti o dietro della scola di San Zuane, et fu` gran contesa tra loro scole, per non perder le precedenze, e non pregiudicar le sue ragioni, quelli della scola di San Zuane ando` per la calle longa, et la scola del santi.mo co’ li preti vene su per la fondamenta longa con il morto. – „Es starb hier in Murano im Hause Donato M. Graesan und es wurde fu¨r sein Begra¨bnis Aufwand getrieben, weil er Bruder der Scuola San Giovanni war, und so setzten sich die Bru¨der in Bewegung, um seinen Leichnam zum Begra¨bnis zu geleiten, und aus demselben Motiv, weil er Gastaldo der [Scuola] vom Santissimo Sacramento gewesen war, in San Donato, setzte sich auch die [Scuola] vom Santissimo Sacramento in Gang, um ihn zum Begra¨bnis zu geleiten, aber als diese beiden Scuole sich zur Prozessionsanordnung anschickten und auf das Fondamenta longa [heute noch u¨bliche Bezeichnung fu¨r die am kleinen Canal Grande langfu¨hrende Straße ] kamen, wollten jene der Scuola vom Santissimo Sacramento, dass man nicht entweder hinter oder vor der Scuola San Giovanni gehe, und es war ein großer Wettstreit zwischen ihren Scuole, um nicht den Vortritt zu verlieren, und nicht seine Rechte zu verringern, jene der Scuola von San Giovanni gingen durch die lange Calle [ven. fu¨r Gasse], und die Scuola des Santissimo Sacramento mit den Priestern ging mit dem Toten auf dem Fondamenta longa.“ 277 BM, Cod. It. VII, 3760 = 8995, Luna, Diario, fol. 197: „Und dies war ein schwerer Zwischenfall, von ¨ bles ausgehen sollte.“ dem noch U 278 Ebd.
4.3. Bruderschaften und Bu¨rgerwehren in der gesamtsta¨dtischen Selbstdarstellung
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besta¨tigen zu lassen. Dieser gab ihnen Recht. Zusa¨tzlich zur Regelung der Pra¨zedenz erreichten sie, dass mehrere Geistliche, die sich bei den Beerdigungen auf die Seite ihrer Gegner gestellt hatten, aus ihrer Bruderschaft ausgeschlossen wurden sowie, dass sich sa¨mtliche an dem Vorfall beteiligten Priester bei ihnen zu entschuldigen haben. Die meisten Geistlichen akzeptierten dies mit einer Ausnahme: Bei einem Begra¨bnis eines Mitglieds der Scuola di San Zuane weigerte sich ein Priester, an der Zeremonie teilzunehmen.279 Diese Streitigkeiten zeigen zum einen die Konkurrenz zweier Bruderschaften, zum anderen aber auch den Streit um den Vorrang der Laien oder der Priester beim Begra¨bnis der Bruderschaften. Korporative und geistliche Selbstdarstellung u¨berlagerten sich und gerieten in Widerspruch zueinander. Diese Entwicklung wurde auch dadurch gefo¨rdert, dass zumindest einige der Geistlichen offenen Widerstand gegen die Maßnahmen des Consiglio di Dieci in Kauf nahmen. Die zunehmende Bedeutung geistlicher Eigensta¨ndigkeit wirkte sich nicht nur auf die zeremonielle Repra¨sentation der Scuole piccole bei Prozessionen aus, sondern auch grundlegend auf ihre internen Strukturen. So berichtete Luna des Weiteren, dass sich die Mitglieder der Scuola del Sacramento an den Podesta` von Murano, den von Venedig eingesetzten Verwalter der Insel, wandten, um zu kla¨ren, wer der neue Gastaldo der Bruderschaft werden du¨rfe. Um dieses Amt konkurrierten zwei Laien und ein Geistlicher. Hierbei setzte der geistliche Kandidat ein Druckmittel ein, das ihm auch zum Erfolg verhalf. Der Priester der Kirche von San Stefano auf Murano, der Gastaldo werden wollte, verhinderte so lange die Teilnahme der Bruderschaft an liturgischen Handlungen, bis die Wahl zugunsten seiner Kandidatur ausging.280 Luna stand in dieser Frage eindeutig auf der Seite des Geistlichen. Er vermerkte, dass er zu Ehren dieses Ereignisses Geld fu¨r die Ausrichtung der Musik bei der folgenden Fronleichnamsprozession gespendet habe.281 In Lunas Augen bestand die hauptsa¨chliche Funktion der Bruderschaft in ihren liturgischen Funktionen, also in ihrer Teilnahme an kirchlichen Riten und Prozessionen, deren ungesto¨rte oder besonders prachtvolle Durchfu¨hrung er detailliert notierte.282 An seiner Wahrnehmung des Streites zwischen den Bruderschaften und innerhalb der Geistlichen und Laien einer Bruderschaft lassen sich die Grenzen ablesen, denen ein Wandel der Rolle der Bruderschaften fu¨r ihre Mitglieder unterworfen war. In der Sicht des Glasbla¨sers Francesco Luna stellten die ausgetragenen Konkurrenz- und Machtkonflikte zwischen den einzelnen Mitgliedern – ganz gleich, aus welchen Gru¨nden sie ausgebrochen waren – gefa¨hrliche Sto¨rungen ihres korporativen Lebens dar, das vornehmlich dem Seelenheil der Bru¨der dienen sollte. Sein Hauptinteresse galt dem Nachweis, dass er und seine Familienmitglieder sich immer gottesfu¨rchtig verhalten haben. Ob die Bru¨der nun Geistliche oder Weltliche waren und welche Bruderschaft den Vorrang auf den engen Gassen Muranos erka¨mpfte, schien ihm relativ gleichgu¨ltig zu sein, solange sichergestellt war, dass die Konflikte nicht
279 Ebd., fol. 198. 280 BM, Cod. It. VII, 3760 = 8995, Luna, Diario, fol. 198. 281 Ebd. 282 Ebd., fol. 196–200.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
den Vollzug der jeweiligen Riten beeintra¨chtigten. Die Unterstu¨tzung der Geistlichen durch Luna ist daher nicht als eine Stellungnahme gegenu¨ber dem Consiglio di Dieci zu verstehen. Sie dru¨ckt vielmehr aus, dass er sie als essentiell fu¨r das Gelingen der Korporation ansah. Die Bruderschaft war fu¨r ihn in erster Linie ein Mittel, Seelenheil und Gottesdienst miteinander zu verbinden. Daher waren es auch nicht er und andere Handwerker, die diese Konflikte aktiv vorantrieben, sondern Geistli¨ mter der Korporationen che und diejenigen weltlichen Bru¨der, die die fu¨hrenden A innehatten. So la¨sst sich in den durch Luna geschilderten Vorfa¨llen das Bemu¨hen der Geistlichen erkennen, den Bruderschaften das Recht einer selbsta¨ndigen Ausfu¨hrung der Begra¨bnisse abzusprechen und auch deren innere Organisation durch ¨ mtern zu pra¨gen. Dies war in den Scuole grandi nicht mo¨glich, weil Besetzung von A ¨ mter besetzen durften.283 Grenzen waren diesen dort Geistliche keine fu¨hrenden A Bestrebungen der Geistlichkeit dadurch gesetzt, dass die Laienmitglieder sich an die weltlichen Institutionen Venedigs wenden konnten, so dass sich politische und kirchliche Repra¨sentation im Falle der Scuole piccole nicht konsequent trennen ließ. Mal setzte sich die eine Seite durch und erreichte, dass der Consiglio di Dieci die Teilnahme der Priester am Begra¨bnis befahl. Mal setzte sich ein Geistlicher mit einem so genannten kleinen Interdikt durch und wurde so zum Gastaldo einer alteingesessenen Muraneser Bruderschaft. In mikroskopischer Perspektive macht Lunas Tagebuch einen gro¨ßeren Prozess deutlich, der mit der Vera¨nderung im Inneren der Hamburger Handwerksa¨mter korrespondierte, na¨mlich der steigenden Bedeutung der Religion als Integrationsprinzip fu¨r die Korporationsmitglieder. Es wa¨re nun zu fragen, ob sich dieser Wandel auch auf die Selbstdarstellung der Bruderschaften bei gesamtsta¨dtischen Ritualen auswirkte. Besonders fu¨r Venedig war der Friedensschluss zwischen Heinrich IV. von Frankreich und Philipp II. von Spanien im Jahre 1598 ein positives Ereignis. Seine Gesandten hatten im Sinne einer auf Ausgleich bedachten Politik zwischen beiden Ma¨chten stets zu vermitteln versucht.284 Der Vertrag von Vervins war fu¨r die katholischen Ma¨chte Europas ein Anlass, ihre Einigkeit darzustellen.285 Mit der Prozession erkannte Venedig die Bedeutung dieses Ereignisses an und demonstrierte seinen Willen, sich als katholische Macht zu repra¨sentieren. Daher eignet sich dieses Beispiel besonders gut dafu¨r herauszufinden, in welcher Weise die Scuole grandi in diese politisch und religio¨s gefa¨rbte venezianische Selbstdarstellung einbezogen wurden. In Venedig bot die Prozession zur Feier des Vertrages den venezianischen Bruderschaften Gelegenheit, sich in der Ausrichtung von ephemeren Festkonstruktionen auf Wagen gegenseitig zu u¨berbieten. Der Stolz der beteiligten Korporationen zeigt sich daran, dass mehrere Festbeschreibungen gedruckt wurden.286 Der Autor eines
283 Pullan, Rich and Poor, S. 43–45. 284 Zu der Haltung Venedigs im Vorfeld der Friedensverhandlung zum Vertrag von Vervins fehlen noch
detaillierte Studien. 285 Vgl. zur Bedeutung des Vertrags von Vervins auch die Beitra¨ge in: Le Traite´ de Vervins, hg. v. Jean-
Franc¸ois Labourdette/Jean-Pierre Poussou/Marie-Catherine Vignal, Paris 2000. 286 Es handelt sich neben den Siegesfeierlichkeiten von Lepanto um das außenpolitische Ereignis, das am
meisten Aufmerksamkeit erfuhr. Fu¨r die folgenden Abschnitte wurden hinzugezogen Giovanni L.
4.3. Bruderschaften und Bu¨rgerwehren in der gesamtsta¨dtischen Selbstdarstellung
287
Festdruckes, Luigi Collini, widmete seine Beschreibung der Prozession den Bru¨dern der Scuola grande di San Teodoro. Er versicherte, dass ihnen die ho¨chste Ehre in der Prozession gebu¨hre, da sie sich die meiste Mu¨he bei der Ausrichtung der Festwagen gegeben haben.287 In seiner Schilderung der Festwagen tritt die Verschra¨nkung spezifisch korporativer, christlicher, antiker und venezianischer Symbole in den ephemeren Festkonstruktionen hervor: Questi furni i Carri Trionfali, fatti con arte meravigliosa, oltre i nobilissimi solari, piramidi d’argento, & altri infiniti ornamenti di grandissimo valore, per la Pace tra Franza, e Spagna: precedendo prima S. Teodoro come Protettor della Scola, e Cavallier di Christo; ma perche un tanto Trionfo per la Pace si e` fatto; seguiva la Pace, che sotteava, e calcava vittoriosamente la guerra; il cui meraviglioso trofeo, con al Fama si fa chiaro al mondo; dal che nasce la gioconda Allegrezza, con laquale Venetia gioisce, essendo di tante felicita` la Liberalita` Signora, e Reina; il che vedendo la Religione, manda divote preci a` Dio, che tutto il mondo s’unisca, si che chiamar si possa una unita Machina del Mondo; e cio` facilmente nascera` dalla Conservatione, che produce la Vigilanza, e la Digilenza; onde il Secolo in tranquillo stato, se ne vivera` felice, e beato.288 Collini nahm den Frieden von Vervins zum Anlass, Venedig als Hort des Friedens, der Religion und der Wohlfahrt zu preisen. Aber auch in einer ganz anderen Hinsicht ist Collinis Beschreibung aufschlussreich. So kommt in seiner Erza¨hlung der große Stolz auf die kostbare und technisch aufwendige Ausstattung der Wagen zum Ausdruck, ein Stolz, den er wohl im Sinne der Bru¨der der Scuola di San Teodoro dargestellt hat. So fielen Collinis Erkla¨rungen der Konstruktionen der Figuren detaillierter und pra¨ziser aus als seine zum Teil recht unbeholfen wirkenden symbolischen Deutungsversuche.289 Eine besondere Betonung des von der Bruderschaft verehrten
Collini, Esplicatione de i Carri trionfali fatti nella processione per la pace tra Franza, e Spagna, Dalla Scola di S. Teodoro, il dı` 26. Luglio 1598, Venedig 1598; G. B. V. Venetiano, Relationi della solenne processione fatta in Venetia l’Anno 1598 [...], Vicenza 1598. 287 Collini, Esplicatione, fol. 7. 288 Collini, Esplicatione, fol. 7: „Dieses waren die Triumphwagen, hergestellt mit bewundernswerter Kunstfertigkeit, außerdem die sehr ehrfurchtsgebietenden Schaukonstruktionen, Pyramiden aus Silber & andere unza¨hlige Schmuckstu¨cke von sehr großem Wert, aufgrund des Friedens zwischen Frankreich und Spanien: An der Spitze zog San Teodoro als Schutzherr der Scuola, und Ritter von Christus; aber da ein solcher Triumph fu¨r den Frieden gehalten wurde, folgte der Friede, der den Krieg siegessicher knechtete und unterdru¨ckte; dessen wunderbaren Triumph macht man mit dem Ruhm bekannt in der Welt; daher wird die freudevolle Fro¨hlichkeit geboren, der sich Venedig erfreut, weil hier, wa¨hrend so viel Glu¨ckseligkeit herrscht, die Großmu¨tigkeit [Liberalita`] Herrin und Ko¨nigin [ist]; das sieht die Religion und schickt fromme Gebete zu Gott, dass die ganze Welt sich vereine, so, dass man sie eine vereinte Weltmaschine nennen ko¨nne; und dass sie leicht geboren werden ko¨nne aus dem Erhalt, die die Wachsamkeit und Sorgfalt produziert; von da an wa¨re das Jahrhundert in einem ruhigen Zustand und man wird glu¨cklich und seelig in ihm leben.“ 289 Vgl. zum Beispiel die Beschreibungen in Collini, Esplicatione, fol. 4.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
Heiligen ist in dem gesamten Text nicht zu erkennen. In einer anonymen Beschreibung derselben Prozession, die unmittelbar nach der Prozession zur Feier des Friedensschlusses des Jahres 1598 in Vicenza gedruckt wurde, la¨sst sich trotz der Konkurrenz der Bruderschaften untereinander nicht erkennen, dass es einer Bruderschaft gelang, unter den anderen hervorzustechen. Die Gleichrangigkeit der Scuole, die in beiden Texten zum Ausdruck kommt, entsprach den Gepflogenheiten des venezianischen Festwesens. Auch im Rahmen der steigenden Bedeutung einiger Heiliger ab der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts konnte sich also keine Bruderschaft dauerhaft u¨ber die anderen erheben. Die Reihenfolge der Bruderschaften war bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts mehr oder weniger erfolgreich geregelt worden. Nach einem gewaltsam eskalierten Streit hatte der Consiglio di Dieci im Jahre 1513 versucht, ein Losverfahren zur besseren Ordnung der Reihenfolge einzurichten. Dies scheiterte allerdings daran, dass die Mitglieder derjenigen Bruderschaft, die den ersten Platz erhalten hatte, nun gar nicht oder erst viel zu spa¨t erschienen, um die anderen Bruderschaften zuru¨ckzusetzen.290 Daher galt seitdem das Prinzip der zeitlichen Reihenfolge. Diejenige Bruderschaft nahm den ersten Platz in der Prozession ein, die sich als erste eingefunden hatte. Dies verbesserte den Prozessionsablauf, da alle Bruderschaften sich fortan um ein pu¨nktliches Erscheinen bemu¨hten.291 Die Rangstreitigkeiten verlagerten sich fortan auf das Gebiet der Repra¨sentation, sichtbar in den ephemeren Festkonstruktionen und ho¨rbar durch die von den Bruderschaften bestellte Musik. In der Zusammensetzung der Prozessionsteilnehmer u¨berwog das Element der Integration. Die prima¨r vertikal soziale Zusammensetzung der Korporationen stellte in der gesamtsta¨dtischen rituellen Selbstdarstellung der venezianischen Republik ein Gegenbild zu dem stark hierarchisch gegliederten, gleichfalls an der Prozession teilnehmenden Corteo Ducale292 dar. Die soziale Grenzen u¨berschreitende Repra¨sentation spiegelte sich in seiner Erza¨hlung in der Beschreibung des Publikums und des Stadtraums insgesamt wieder. Nicht nur seien, so berichtet eine der beiden Festbeschreibungen, sa¨mtliche Bruderschaften und geistliche Kongregationen vom Dogen zur Feier auf dem Markusplatz geladen worden, sondern es haben auch viele herausgeputzte Damen aus der Gruppe der Patrizier und der Cittadini teilgenommen. Unter den Zuschauern befanden sich Personen jeglichen Standes, Alters und Geschlechts.293 290 Vgl. William B. Wurthman, The Council of Ten and the Scuole Grandi in Early Renaissance Venice,
in: SV n. s. 18 (1989), S. 15–66, hier: S. 43.
291 Vgl. Wurthman, The Council of Ten, S. 43. 292 Vgl. Pagan, Il corteo ducale, in: Wolters, Bilderschmuck, S. 46–47. 293 Venetiano, Relationi, s. p.: cosı` ordino`, che Dominica passata che fu` li 26. Luglio 1598. si facesse nella
piazza di S. Marco la piu` sollenne processione, che giamai per l’adietro fosse stata fatta di tutte le Schole, o` Fraterne grandi della Citta`, & di tutti li Reverendi Fratri, & Reverendo Clero, che in essa si trovano, ilqual ordine dato, subito si messe a` torno la piazza le antenelle, & panni, come si costuma di far nella processione del Corpus Domini: & poco dopo` comparvero molti maestri a` comporre insieme diversi banchi & solari, che capissero tanto popolo, che vi dovea concorrere, oltre quello, che hebbe luoco alle fenestre delle case & palaggi di particolari Nobili, & Cittadini sopra detta piazza habitanti [...], far solari sopra le sue salle, & partir in due parti una sola fenestra, di maniera tale, che il giorno destinato a tal processione, che fu` giornata bellissima senza venti, ne` pioggie, era cosi bello, & riguardevole tal spettacolo in esso Theatro di cosi grandissima, & nobil piazza ha` li riguardanti in terra, & ha` le fenestre tutte adorne di bellissimi, & finitissimi tapeti, & tapezzarie, & solari, oltre molti, che salirno sopra li coperti
4.3. Bruderschaften und Bu¨rgerwehren in der gesamtsta¨dtischen Selbstdarstellung
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Die Prozessionswagen der Bruderschaften schilderte der anonyme Autor pra¨zise, detailliert und ohne besondere Heraushebung einer der Gruppen. Wie in der ersten zitierten Schilderung spielte bei ihm der politische Anlass, der Frieden zwischen Frankreich und Spanien, nur sehr oberfla¨chlich eine Rolle und dies, obwohl er am Rande die Teilnahme der auswa¨rtigen Gesandten erwa¨hnte.294 Auf die Teilnahme der Bruderschaften ging der Autor mit dem Hinweis ein, dass die Prozession der Fronleichnamsprozession a¨hneln wu¨rde. Die Feier des Friedensschlusses von Vervins diente in seinen Augen zur Bekra¨ftigung der venezianischen, auf San Marco ausgerichteten Sakralgemeinschaft: Cosi furno prime le schole Grandi, dopo` li Regolari, & poi li Regolari, & poi il Reverendo Clero di tutta la Citta`: poi l’immagine della santissima Regina del Cielo, dipinta da S. Luca Evangelista [...] al fine segue il Reverendissimo Monsig. Diedo meritissimo Primiero di S. Marco con li Molto Reverendi suoi Canonici, & dredo poi il Serenissimo Prencipe con gli Illustri Ambasciatori.295 Die Prozessionsfolge zeigt die Verschra¨nkung politischer und religio¨ser Komponenten, die von der Abfolge der einzelnen Gruppen bis zur Ebene der Verschra¨nkung der Symbole auf den Festwagen zu finden sind. Sie alle vereinten sich zum Lobpreis Venedigs, ohne den eigentlichen Prozessionsanlass konkret zu thematisieren. Damit wurde auch eine Verbindung von außenpolitischer mit konfessioneller Symbolik nicht mo¨glich. Eine Ausnahme bildete das Programm der Scuola grande di San Rocco. Ihre Mitglieder visualisierten auf einem ihrer Wagen die Segnung des spanischen und de i palaggi, & della Chiesa di S. Marco & Campanile, che rendea bellissima vista & facea in sommea stupir ogn’uno, non solamente per il numeroso popolo d’huomeni, e donne, & d’ogni eta`, & sesso, che vi concorse, – „so befahl sie [die Signoria], dass man am vergangenen Sonntag, das war der 26. Juli 1598, die ehrwu¨rdigste Prozession am Markusplatz halte, die je veranstaltet worden wa¨re, von allen Scuole, oder großen Bruderschaften der Stadt, & allen den Ehrwu¨rdigen Bru¨dern, & dem Ehrwu¨rdigen Klerus, der sich in ihr befindet; nachdem dieses Gebot erlassen worden war, stellte man um den Platz die Gesta¨nge und Tu¨cher auf, wie man es bei der Fronleichnamsprozession zu tun pflegt: & wenige Zeit spa¨ter erschienen viele Meister, um zusammen unterschiedliche Bu¨hnen und Festwagen zu arrangieren, die so viel Volk ahnen ließen, das dazukommen sollte; außerdem [sollte] derjenige, der Platz habe an den Fenstern der Ha¨user und Palazzi von bestimmten Nobili & Cittadini, die u¨ber besagtem Platz wohnten, [...] Schaugestelle in seinen Sa¨len errichten, & ein einziges Fenster in zwei Teile teilen, in einer solchen Weise, dass an dem fu¨r die Prozession festgesetzten Tag (der ein sehr scho¨ner Tag war ohne Wind und Regen) es die einen gab, die diejenigen am Boden betrachten konnten, und die anderen, die alle Fenster mit sehr scho¨nen und feinen Teppichen, Tapisserien und Festwagen geschmu¨ckt hatten, und es war ein so scho¨nes und bemerkenswertes Spektakel in diesem sehr großen und edlen Platz; außerdem gab es zahlreiche, die auf die Da¨cher der Palazzi und der Kirche von San Marco und den Glockenturm gestiegen waren, was ihnen eine sehr scho¨ne Aussicht bescherte und jeden erstaunen ließ, nicht allein aufgrund des zahlreichen Volkes an Ma¨nnern und Frauen jeden Alters und jeden Geschlechts, die dort zusammenkamen.“ 294 Venetiano, Relationi, s. p. 295 Venetiano, Relationi, s. p.: „So kamen als erste die Scuole grandi, danach die Ordensgeistlichen, & danach [noch mehr] Ordensgeistliche, & dann der Ehrwu¨rdige Klerus der gesamten Stadt: danach das Bildnis der sehr heiligen Himmelsko¨nigin, von dem Evangelisten Lukas gemalt [....] zum Schluss folgte der Hochehrwu¨rdige Monsig. Diedo, der a¨ußerst verdienstvolle Primicerio von San Marco mit vielen Geistlichen aus seiner Kirche, & dahinter der Ehrwu¨rdige Doge mit den illustren Gesandten.“
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
franzo¨sischen Ko¨nigs durch den Papst, gefolgt von maritim gepra¨gten Allegorien des Fleißes, der Gerechtigkeit und der o¨ffentlichen Freude (Hilaritas publica).296 Warum die Scuola grande di San Rocco die einzige war, die den eigentlichen Anlass der Prozession versinnbildlichte, kann an dieser Stelle nicht gekla¨rt werden. Zusa¨tzlich zu den bereits von Collini herausgehobenen materiellen Zurschaustellungen der Bruderschaften widmete sich der Verfasser einer eingehenden Schilderung der musikalischen Untermalung. Auf diesem Gebiet traten die Bruderschaften in einem gera¨uschvollen Wettbewerb gegeneinander an. Die Scuola grande di San Teodoro ließ fu¨nf Sa¨nger auffahren, die akustisch mit einem von der Scuola grande di San Giovanni Evangelista verpflichteten Trompeter konkurrierten.297 In der Beschreibung der Musik kommt die Verknu¨pfung von sta¨dtischer, politischer und bruderschaftlicher Repra¨sentation in einem alle Sinne ansprechenden Schauspiel zum Ausdruck: seguendo un’altro solaro d’argenti venne quello dove sedeva Iddio Padre Eterno & stava sopra la palla del Mondo, & a piedi di quella, erano cinque valenti Musici che cantavano [...] poi venia un solaro tutto dorato con una figura alta d’argento di S. Teodoro, a cui seguivano il Mag. Guardian Maggiore, & capi della schola con il resto de’suoi fratelli con le candele accese in mano come l’altre.298 Die Teilnahme an der Prozession zur Feier des Friedens von Vervins stellte fu¨r die Bruderschaften eine finanzielle und organisatorische Herausforderung dar. Deren gutes Gelingen einerseits fu¨r die Außenrepra¨sentation Venedigs wichtig war, ihnen andrerseits aber auch Gelegenheit zur Selbstdarstellung bot. Die Schlussbemerkung zeigt, dass diese Verschra¨nkung von Konkurrenz und gesamtsta¨dtischer Repra¨sentation bei anderen Gelegenheiten aufgrund der Streitereien der Bruderschaften untereinander zu großen Problemen bei dem Festablauf fu¨hren konnte: Le quali tutte cose riuscirno eccellentissimamente senza confusione o` streppito, & fu` cosa notoria, che tutti quei fanciulli, & dongelle di solari spettacoli, esseguirno appunto gli ordini impostili, facendo tutti quegli atti, & gesti, che rappresentavano le figure, & historie, che doveano significar con bellissimo, & facil modo.299
296 Venetiano, Relationi, s. p. 297 Ebd. 298 Ebd.: „Es folgte ein weiterer Schauwagen aus Silber, und es kam jener, auf dem sich Gott, der Ewige
Vater befand & er stand auf einer Weltkugel, & am Fuß jener Kugel befanden sich fu¨nf tu¨chtige Musiker, die sangen [...] danach folgte ein ganz vergoldeter Schauwagen mit einer großen Figur von San Teodoro aus Silber, dem folgten der Mag. Guardian Maggiore, & die Ha¨upter der Scuola mit dem Rest seiner Bru¨der mit angezu¨ndeten Kerzen in den Ha¨nden, wie die anderen [Scuole sie hielten].“ 299 Ebd.: „Diese ganzen Dinge gelangen auf sehr gute Weise ohne Durcheinander und La¨rm, & es war eine bemerkenswerte Angelegenheit, dass alle jene Knaben, & Ma¨dchen auf den Schauwagen, sich bei den Pla¨tzen eingefunden hatten, die man ihnen angewiesen hatte, und dass sie alle jene Handlungen & Gesten ausfu¨hrten, die die Gestalten & Geschichten darstellten, die man mit einer sehr scho¨nen und anmutigen Weise ausfu¨hren muss.“
4.3. Bruderschaften und Bu¨rgerwehren in der gesamtsta¨dtischen Selbstdarstellung
291
Nicht nur die aufgewandte Musik und die Ausstattung der Festwagen gereichte den Bruderschaften zur Ehre, sondern auch der sto¨rungsfreie Ablauf. So stellten sie auch ihr Organisationsvermo¨gen zur Schau. Die hier diskutierten Quellen zur Prozession aus Anlass des Friedens von Vervins sollten einen exemplarischen Einblick in die Mechanismen bruderschaftlicher Repra¨sentation im venezianischen Festwesen um 1600 geben. Gerade das Beispiel der Prozession des Jahres 1598 zeigt, dass die Einreihung Venedigs in die katholische Welt um 1600, wie sie mit diesem Fest symbolisiert wurde, im Prozessionswesen der Scuole grandi weder eine Vera¨nderung der korporativen Hierarchie selbst noch eine nennenswerte Modifizierung ihres Bildprogramms zur Folge hatte. Christliche Symbole waren in den Bildprogrammen der Bruderschaften Teil ihrer Einordnung in den Werterahmen der Republik. Ein additives und zum Teil nicht sehr schlu¨ssiges symbolisch-allegorisches Programm war das Ergebnis dieser Integration. Die Vereinigung politischer und religio¨ser Herrschaftsanspru¨che in der Hand der politischen Magistrate Venedigs pra¨gte die Integration der scuole grandi und scuole piccole in die rituelle Repra¨sentation Venedigs um 1600. Die vorrangige Bedeutung der Scuole grandi bei den gesamtsta¨dtischen Zeremonien ging Hand in Hand mit der Fo¨rderung ihrer institutionellen Struktur durch den Consiglio di Dieci: der Bevor¨ mter und dem Verbot geistlicher zugung der Cittadini in der Besetzung fu¨hrender A Mitglieder. Die Repra¨sentation der Scuole grandi in den offiziellen Festen war eine Mo¨glichkeit, die Symbiose politischer und religio¨ser Herrschaftsanspru¨che darzustellen. Dagegen waren die scuole piccole allein schon aufgrund der Mo¨glichkeit, Geistliche unter ihren Mitgliedern zu haben, sta¨rkeren religio¨sen Wandlungsprozessen ausgesetzt. Hierbei kam es vermutlich nicht nur auf Murano in der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts zu Konflikten zwischen geistlichen und weltlichen Machtanspru¨chen. Diese konnten sogar die Durchfu¨hrung der eigentlichen rituellen Grundaufgaben einer Bruderschaft, wie zum Beispiel Begra¨bnisse, gefa¨hrden. Der institutionellen Bevorzugung der Machtanspru¨che der Laienmitglieder konnten Bru¨der wie Francesco Luna eine Fo¨rderung geistlicher Repra¨sentation entgegensetzen. Somit boten diese Konflikte aber auch Mo¨glichkeiten fu¨r die Mitbru¨der, sich immer wieder neu und weitgehend selbsta¨ndig auf eine der beiden Seiten zu stellen und damit ihre Gruppe in der gesamtsta¨dtischen Repra¨sentation zwischen venezianischer Republik und katholischer Orientierung einzuordnen.
4.3.2. Die Bedeutung der Schu¨tzengesellschaften und Bu¨rgerwehren in der Repra¨sentation der Hansesta¨dte Dru¨ckten die venezianischen Bruderschaften, zum Beispiel durch ihre Teilnahme an den Prozessionen wa¨hrend des Interdikts des Jahres 1606, die Unabha¨ngigkeit der politischen Institutionen von der geistlichen Gerichtsbarkeit des Patriarchen aus, so stellten die Bu¨rgerwehren in den Hansesta¨dten die Inanspruchnahme der Wehrhoheit durch die Stadt dar. Das Recht zur Ausrichtung der Verteidigung geho¨rte zu
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
den grundlegenden Merkmalen autonomer Sta¨dte.300 Das Bu¨rgerrecht war damit verknu¨pft, sich eine milita¨rische Ausru¨stung leisten zu ko¨nnen.301 Die Bu¨rger in Waffen demonstrierten die sta¨dtische Verteidigungsbereitschaft. Im Folgenden soll zum einen untersucht werden, welcher Zusammenhang zwischen der Institutionalisierung der Bu¨rgerwehren und ihrer mo¨glichen Wirkung auf die Struktur der Korporationen besteht. Anschließend ist danach zu fragen, welche Rolle die Bu¨rgerwehr in der Repra¨sentation der Hansesta¨dte in Prozessionen zum Empfang fremder Standespersonen und auch in gesamtsta¨dtischen Friedensfeierlichkeiten spielte. Es soll darauf eingegangen werden, in welcher Weise die innere Struktur der milita¨rischen Gruppen geregelt war, wie sich diese Struktur zur Bu¨rger- und Einwohnerschaft verhielt und ob bzw. wie sie sich um 1600 a¨nderte. Vergleichbar den venezianischen Bruderschaften boten die hansesta¨dtischen Schu¨tzengesellschaften und Bu¨rgerwehren eine Mo¨glichkeit der Begegnung zwischen sonst durch soziale und politische Grenzen voneinander unterschiedenen Gruppen. Ihre Rolle im o¨ffentlichen Festwesen und auch ihre innere Struktur ist ein Indiz dafu¨r, in welchem Maße sich ein Gruppenversta¨ndnis als wehrbereite Bu¨rgerschaft gegenu¨ber den bereits vorhandenen Abgrenzungsangeboten durchsetzte und damit dem Rat auch Mo¨glichkeiten dazu bot, diese Gruppenabgrenzung im rituell definierten Gefu¨ge der Stadt auf sich zu beziehen. Im Jahre 1612 sperrten da¨nische Kriegsschiffe die Trave. Der da¨nische Ko¨nig Christian IV. ru¨ckte den Lu¨beckern in ihrem unmittelbaren Umkreis gefa¨hrlich nahe.302 Dieser kriegerische Akt machte Rat und Bu¨rgerschaft die Notwendigkeit zur Stadtverteidigung deutlich. Insbesondere die Kaufleute wollten nicht nur die Verteidigung Travemu¨ndes, sondern auch die Ausru¨stung von Kriegsschiffen durchsetzen, um den Livlandhandel wieder zu ermo¨glichen, ein Ansinnnen, das der Rat ablehnte, da er eine milita¨rische Auseinandersetzung mit der da¨nischen Flotte fu¨rchtete.303 Die Notwendigkeit, die Travefahrt zu sichern und Travemu¨nde zu verteidigen, leuchtete dem Rat dagegen ein. Er forderte daher die sta¨dtischen Kompanien, insbesondere die Brauer und Schiffer auf, Knechte und Gesellen dorthin zu schicken.304 Zwar griff der Lu¨becker Rat auch in diesem Fall zusa¨tzlich auf (bezahlte) Soldaten zuru¨ck, doch verließ er sich, wie dieses Beispiel gut zeigt, in erster Linie auf die Wehrbereitschaft seiner Bu¨rger. In Lu¨beck war es einige Jahre zuvor zu einer Aufwertung der Bu¨rgerwehren gegenu¨ber So¨ldnerngekommen. Im Jahre 1605 wurde der Stand der „geschworenen
300 Vgl. allgemein Ralf Pro ¨ ve, Stadtgemeindlicher Republikanismus und die ‚Macht des Volkes‘. Civile
Ordnungsformationen und kommunale Leitbilder politischer Partizipation in den deutschen Staaten vom Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Go¨ttingen 2000, S. 438–442; fu¨r Bremen vgl. Karl H. Schwebel, Kompanien, Kirchspiele und Konvent in Bremen 1605–1814, Bremen 1969, S. 9–10; fu¨r Hamburg vgl. Joachim Ehlers, Die Wehrverfassung der Stadt Hamburg im 17. und 18. Jahrhundert, Boppard am Rhein 1966, S. 1–5; fu¨r Lu¨beck vgl. Thomas Schwark, Lu¨becks Stadtmilita¨r im 17. und 18. Jahrhundert. Untersuchungen zur Sozialgeschichte einer reichssta¨dtischen Berufsgruppe, Lu¨beck 1990, S. 55. 301 Mit weiterfu¨hrenden Angaben Isenmann, Stadt im Spa¨tmittelalter, S. 148–152. 302 Fu¨r den außenpolitischen Kontext vgl. Grassmann, Lu¨beck im 17. Jahrhundert, S. 446. 303 Vgl. Aus dem Tagebuch des Lu¨beckischen Bu¨rgermeisters Henrich Brokes, Teil 2, S. 22–25; Grassmann, Lu¨beck im 17. Jahrhundert, S. 445– 447. 304 Vgl. Aus dem Tagebuch des Lu¨beckischen Bu¨rgermeisters Henrich Brokes, Teil 2, S. 21.
4.3. Bruderschaften und Bu¨rgerwehren in der gesamtsta¨dtischen Selbstdarstellung
293
Einwohner“ geschaffen, die zum Milita¨rdienst verpflichtet waren und sich u¨ber diesen Weg als Stadtbu¨rger qualifizieren konnten, auch wenn ihnen dafu¨r die finanziellen Voraussetzungen fehlten.305 In der gesamten ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts hielt der Rat an dem Vorrang der bu¨rgerlichen Defension fest.306 Die wichtige Bedeutung der Bu¨rgerwehren fu¨r die politische Verfasstheit Lu¨becks fu¨hrte aber nicht dazu, dass sich die Gliederung der Bu¨rgerschaft grundlegend a¨nderte. Die Repra¨sentation der Bu¨rgerwehr nach außen gehorchte der Aufstellung nach Quartieren, wa¨hrend die eigentliche Einu¨bung in Form eines korporativen Zusammenschlusses bestand. Die Ausbildung und Einu¨bung der milita¨rischen Fa¨higkeiten erfolgte in Lu¨beck, Hamburg und Bremen wa¨hrend der Treffen der Schu¨tzengesellschaften. Diese entsprachen in ihrem Aufbau denen anderer sta¨dtischer Korporationen, mit dem Unterschied, dass ihre Mitgliedschaft sta¨nde- und korporationenu¨bergreifend war.307 Der Rat besaß in allen drei Sta¨dten das alleinige Zugriffsrecht auf diese Schu¨tzenkompanien, was dazu fu¨hrte, dass der Schu¨tzendienst als rangmindernd angesehen wurde. Einige ¨ mter versuchten, sich ihm zu entziehen. Nicht nur, so Lu¨becker Kompanien und A klagten ihre Vertreter, wa¨re er sehr zeitraubend, sondern er wu¨rde sie auch auf den ¨ bungspla¨tzen mit Mitgliedern anderer Korporationen zusammentreffen lassen.308 U Den Bemu¨hungen um partikulare Freistellungen setzte der Rat immer wieder seine alleinige Oberhoheit u¨ber die Regeln der Schu¨tzengesellschaften entgegen. In einer Lu¨becker Schu¨tzenordnung aus der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts wurde lediglich zwischen Bu¨rgern und Einwohnern unterschieden. Es wurden fu¨r alle Schu¨tzen ¨ bungs- und Versammlungstermine angesetzt.309 Dass sich dies schwer einheitliche U durchsetzen ließ, zeigt, dass in einer vermutlich spa¨ter zu datierenden Ordnung zwischen jungkern und vornehmeren Burgern und Gemeinen Burgern und vornemen Handtwerckßleuten unterschieden wurde. Alle diese Gruppen erhielten getrennte Versammlungstermine. Der Lu¨becker Rat behielt sich gleichzeitig vor, diese Einteilung, die sich nach sta¨ndischen Prinzipien richtete, nach Belieben wieder aufzuheben und jede Gruppe nach seinem Beschluss zu laden, was er aber nicht durchfu¨hrte.310
305 Zur Gliederung des Lu¨becker Milita¨rs in verschiedene Gruppen vgl. Schwark, Lu¨becks Stadtmilita¨r,
S. 59–104. 306 Vgl. Schwark, Lu¨becks Stadtmilita¨r, S. 59–62. 307 Zu den Schu¨tzengesellschaften in den drei Hansesta¨dten fehlen fu¨r das 16. und 17. Jahrhundert neuere
Untersuchungen. Die drei in Anm. 300 genannten Darstellungen konzentrieren sich insgesamt eher auf eine Untersuchung der sta¨dtischen Garnisonen. Die wichtigsten Quellen finden sich in dem Bestand der Schu¨tzenho¨fe im Lu¨becker Stadtarchiv. Außerdem ist fu¨r Lu¨beck wichtig: Ordnung der Lu¨bischen Bu¨chsenschu¨tzen, hg. v. Karl Koppmann, in: HansGbll 19 (1890/1891), S. 97–112. Fu¨r Hamburg sind zu nennen Comm, H 343/2 Mandatensammlung 1603–1620, Von dat Vogelo scheten; außerdem Comm, H 343/2, Mandatensammlung 1621–1634, Schu¨tzenordnung. 308 AHL, ASA-Interna, Schu¨tzenho¨fe 6/1, Aktenstu¨cke zur Auseinandersetzung um die Schonenfahrer, die sich ihrer Schu¨tzenpflicht entziehen, 1608; außerdem AHL, ASA-Interna, Schu¨tzenho¨fe 8/2, Ein¨ ltesten des Schu¨tzenhofes vom 18. Juni s. a. an den Rat, daß die A ¨ mter und Gilden nicht ihrer gabe der A Schu¨tzenpflicht nachkommen. 309 Vgl. Ordnung der Lu¨bischen Bu¨chsenschu¨tzen, S. 99–103. 310 AHL, ASA-Interna, Schu¨tzenho¨fe 10/4, Verzeichnus uff Gegossene Stucke durch Junckern und Bo¨rger [...].
294
4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
Innerhalb der Schu¨tzengesellschaft selbst galten dieselben institutionellen Struk¨ lterturen wie in anderen sta¨dtischen Korporationen: An ihrer Spitze standen A leute.311 Bei dem Begra¨bnis eines Mitglieds waren die anderen Mitglieder zum Geleit verpflichtet.312 Ein großer Teil der Schu¨tzenordnungen bestand aus genauen Vorschriften zu Art und Ablauf der festlichen Zusammenku¨nfte.313 Im Falle der Schu¨tzengesellschaften lag es im Interesse des Rates, den Zusammenhalt der Mitglieder zu fo¨rdern, der dadurch, dass sie eine korporationen- und rangu¨bergreifende Gruppe waren, gefa¨hrdet war. Der Rat forderte und fo¨rderte in allen drei Sta¨dten die Zusammenku¨nfte der Schu¨tzengesellschaften, indem er Papageienba¨ume aufstellen und Preise ausschreiben ließ.314 Diese neuen Anreize zur Vermehrung der perso¨nlichen Ehre waren aber bei weitem nicht so wirkungsvoll wie die bereits vorhandenen Mechanismen zur inneren Hierarchiebildung. Zwar wurden die Bu¨rgerwehren nach außen zu einem entscheidenden Faktor der gesamtsta¨dtischen Repra¨sentation. In der internen Struktur des Geflechts aus Korporationen und ihnen zugewiesenen Rang- und Standesgrenzen gelang es weder dem Hamburger noch dem Lu¨becker oder Bremer Rat, die Mitgliedschaft in den Schu¨tzengesellschaften als ein vorrangiges Gliederungsprinzip durchzusetzen. Dies zeigt sich auch auf dem Gebiet der in Hamburger und Lu¨becker Chroniken u¨berlieferten Rangstreitigkeiten zwischen Soldaten, bei denen es sich jedes Mal nicht um Mitglieder der Schu¨tzengesellschaften handelte, sondern um Mitglieder der professionellen soldatischen Kompanien, die eine Gruppe darstellte, deren Platz im sta¨dtischen Ranggefu¨ge noch ungesichert war.315 So berichtete ein anonymer Chronist aus Hamburg von einem Rangstreit im Rahmen einer Hochzeitsfeierlichkeit zwischen einem Kapita¨n der Stadtmiliz und einem Ratsstallmeister im Jahre 1634.316 In Lu¨beck endete im Jahre 1645 das Duell mit einem holsteinischen Adeligen fu¨r den Stadtkommandanten Hartwig Asche to¨dlich.317 In beiden Fa¨llen ging die Initiative zu den Konflikten von den Ma¨nnern mit den Leitungspositionen in der im Ausbau begriffenen Lu¨becker und Hamburger Berufsarmee aus. 311 Vgl. Von dat Vogelo scheten, s. p.; Schu¨tzenordnung 1628, s. p.; Ordnung der Lu¨bischen Bu¨chsen-
schu¨tzen, S. 99.
312 Vgl. ebd., S. 103. 313 Vgl. Anm. 307. 314 Zum Brauch des Papageienschießens s. v. Papagei, in: Handwo¨rterbuch des deutschen Aberglaubens
6 (2000), Sp. 1387–1388; zur Aufstellung eines Papageienbaumes in Hamburg und Lu¨beck vgl. außer den genannten Schu¨tzenordnungen STAH, 731-1, Handschriftensammlung, Ms. 54a, Hamburgische Chronica von den Zeiten Kayser Carls des Großen bis auff des Jahr MDCLXXX, zusammengetragen von einem liebhaber der hamburgischen historie, fol. 259; auch STAH, 731-1, Handschriftensammlung, Ms. 29, Hessel, Hamburgische Chronik 1014–1677, Eintrag zum Jahre 1583; STAH, 731-1, Handschriftensammlung, Ms. 69a, Hamburgische Chronik 1503–1730, S. 25. 315 Die ersten dauerhaften in Hamburg ansa¨ssigen professionellen Soldaten sind im Jahre 1610 belegt, vgl. Cipriano F. Gaedechens, Das hamburgische Milita¨r bis zum Jahre 1811, in: ZVHambG 8 (1889), S. 421–600, hier: S. 428. 316 STAH, 731–1, Handschriftensammlung, Ms. 69a, Hamburgische Chronik 1503–1730, S. 59. Der Ratsstallmeister geho¨rte zur Gruppe der vom Rat eingestellten, berittenen Diener, die seit dem 13. Jahrhundert belegt sind: Vgl. Ehlers, Wehrverfassung, S. 8–9. Die Stadtmiliz ist das seit 1617 systematisch im Aufbau befindliche, in der Hamburger Garnison stationierte Berufsheer. 317 Vgl. Johann R. Becker, Umsta¨ndliche Geschichte der Kaiserl. und des Heil. Ro¨mischen Reichs freyen Stadt Lu¨beck, Bd. 2, Lu¨beck 1784, S. 424–425.
4.3. Bruderschaften und Bu¨rgerwehren in der gesamtsta¨dtischen Selbstdarstellung
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Sie waren sich ihres Platzes im sta¨dtischen Ranggefu¨ge noch unsicher. Die Schu¨tzen der Bu¨rgerwehren hingegen verstanden sich in erster Linie weder als Soldaten noch als Bu¨rger, sondern als Mitglieder anderer sta¨dtischer Korporationen. Schlug sich dieses Spannungsverha¨ltnis auch in ihrer Rolle bei Empfa¨ngen fremder Standespersonen nieder? Anno 1601 den 12ten July welcker was de voffte Sondach nha Trinitatis oder hilligen Drefoldigkeit, is der Hochgebahrene Furst Herr Mauritius Landt Grave tho Hessen, Grave tho Catzenelbogen, Dietz, Ziegenheim und Nida mit seinem Gemahl und veer Graven, alß mit dem Graven von Hanouw [...] mit dem Graven von Solmitz [...] und mit twen Graven von Holen [...] und wenig Ruhtern tho Bremen ingekhamen und iß I. F. Gnaden vom Ehrbaren Rhade wo folget mit einem herrlichen Trummenschlag entfangen, den de Borgers sien mit wehre und Klehdung gantz wohl staveert gewesen und ock del schutten. Idt iß ein jeder/ verndel offt Caspell mit siner Flegenden Fahne waß gewesen. Mit Unser leven Frauwen Caspell iß Herr Frantz Havemann Hopman gewesen. Hermen Hermeling Fenerick; in St. Martens Caspell Herr Johann Brandt Hopman, Arndt Gro¨ningk Fenerick; in St. Anscharies Hopmann Herr Johan Vogelsanck, Herman Herde Fenerick; in St. Steffens Herr Hinrick Regelstorp Hopman, Hinrick Wertkenstede Fenerick. De borgers mit o¨hren Fahnen sind gestahn vom Ostern Dohre ahn, dar S. F. G. inquam, beht up der Overnstrate jennesitt Johann Havemanns Huse, dar S. F. Gnaden intoch, in Herrn Hinrick Kopecken Huse twe Graven und in sinem Stalle gekockett, in Detmer Kenkels huse de twe andern Graven, in der Olden Esekeschen Huse de Rhede, bi Dr. Bornehorst ein Doctor mit nhamen Lu¨cke Weye, den de stunden bin up der rige. De schutten stunden in o¨hrer Schlachtordnung up dem Markede binnen der Kuttelbanck woll gerustet. Alße nun S. F. G. vor der Stadt quam, wordt vele grave geschuttes auffgeschoten, so up den Wellen der Stadt und der Brudt herlach.318 Diese Beschreibung des Einzugs des Landgrafen Moritz von Hessen im Jahre 1601 in Bremen gibt eindrucksvoll das Szenario wieder, das sich dem Adeligen bot: die Gera¨uschkulisse – begonnen durch Trommelschla¨ge und beendet durch Salutschu¨sse – sowie die an den Straßen aufgereihte Bu¨rgerschaft in Waffen. Vergleichbar den Beschreibungen der Festwagen der venezianischen Bruderschaften kommt in der Beschreibung des Bu¨rgeraufgebots ein gewisser Stolz auf das Erscheinungsbild der milita¨risch herausgeputzten Stadtgemeinschaft zum Ausdruck, so zum Beispiel, wenn der Chronist berichtete, dass alle Bu¨rger mit Wehr und Kleidung wohl ausstaffiert gewesen seien. Neben der Gera¨uschkulisse sorgten auch die Fahnen fu¨r eine farbenfrohe Szenerie. Am detailliertesten schilderte der anonyme Verfasser dieser Stadtchronik allerdings nicht das a¨ußerliche Erscheinungsbild der Bu¨rger und Schu¨tzen, 318 Cronica der Kayserlichen Frey¨en Reich Stadt Bremen, in: Reisen und Reisende in Nordwestdeutsch-
land. Beschreibungen, Tagebu¨cher und Briefe. Itinerare und Kostenrechnungen, Bd. 1: bis 1620, hg. v. Herbert Schwarzwa¨lder/Inge Schwarzwa¨lder, Hildesheim 1987, S. 427–429.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
sondern die beteiligten Personen und Kirchspiele sowie die geographische Angabe ihrer Aufstellung: die Route vom Ort des Empfangs, dem Osterntor, bis hin zu den jeweiligen Unterku¨nften des Landgrafen und seiner Begleiter.319 Nach Kirchspielen geordnet nannte er die Hauptma¨nner und Fa¨hnriche.320 Die Fu¨hrungspositionen der Bremer Bu¨rgerwehr lagen in der Hand der ratsfa¨higen Familien. Dies kommt durch die namentliche Nennung der Hauptleute und Fa¨hnriche zum Ausdruck. Aufgrund der Beschreibung kann man sich ein gutes Bild davon machen, wie wichtig die Teilnahme an diesem Festakt fu¨r die einzelnen Gruppen der Bu¨rgerwehr war. Im Auszug des Landgrafen hebt der Autor ein Kirchspiel besonders hervor, na¨mlich das St. Ansgari-Kirchspiel. Dies dru¨ckt allerdings keine Rangfolge aus, sondern ist der Tatsache geschuldet, dass der Landgraf aus dem St. Ansgari-Tor wieder aus der Stadt auszog.321 Auch hierin liegt eine Parallele zur bruderschaftlichen Repra¨sentation in Venedig. Die besondere Rolle eines Kirchspiels beim Auszug des Landgrafen folgte nicht einer bestimmten Rangordnung der Gemeinden, sondern Faktoren, die vom eigentlichen Anlass selbst abhingen: im Falle Venedigs dem zeitlichen Eintreffen der Bruderschaften, im Falle der Hansesta¨dte der Ein- und Auszugsroute des zu ehrenden Gastes. Im Gegensatz zu den venezianischen Bruderschaften war die Gruppe der Bremer Ratsherren und ihrer Familien durch ihre Funktionen an der Spitze der milita¨rischen Einheiten maßgeblich in die Repra¨sentation der einzelnen Kirchspiele eingebunden. Dabei ergab sich aber eine gut erkennbare Absetzung zwischen den Ratsherren und den Bu¨rgern, da nur letztere Waffen trugen und auf die Befehle der ersteren zu ho¨ren hatten.322 Nicht nur in Bremen, sondern auch in Hamburg spielte die Bu¨rgerwehr in der gesamtsta¨dtischen Repra¨sentation eine große Rolle. So nannten zum Beispiel Hamburger Drucke anla¨sslich der Feierlichkeiten im Jahre 1603 zu Ehren des da¨nischen Ko¨nigs Christian IV. in vergleichbarer Weise wie der eingangs zitierte Ausschnitt einer Bremer Chronik die Namen der anfu¨hrenden Ratsherren und Anzahl und Aufstellungsort der jeweiligen Bu¨rgerwehreinheiten.323 In einem wenig spa¨ter entstandenen Druck wendete der anonyme Verfasser den Blickwinkel weg vom Ko¨nig hin zur bewaffneten Bu¨rgerschaft und gab ihr damit die eigentliche Hauptrolle im Augenblick des Einzugs: Kein ro¨misch Triumph ich eracht/ Sey je gehalten mit solcher Pracht./ Wie werdn sie all empfangen sein/ zu Hamburg auff dem Wieselein./ Die Bu¨rgerschafft die sicht man stahn/ Mit ihrer Ru¨stung angethan/ Und ihr Gewehr an ihrer seit/ Den beyden Herren324 bereit./ Die Junge Manschaft als die Held/ Sich ausstaffiret han ins Feld./ Die Fenrich mitten 319 Cronica der Kayserlichen Frey¨en Reich Stadt Bremen, S. 428. 320 Ebd. 321 Cronica der Kayserlichen Frey¨en Reich Stadt Bremen, S. 429. 322 Ehlers, Wehrverfassung, S. 87–99; Schwebel, Kompanien, Kirchspiele und Konvent, S. 9; Schwark,
Lu¨becks Stadtmilita¨r, S. 56–58.
323 STAH, 731–1, Handschriftensammlung, Ms. 54a, Hamburgische Chronica von den Zeiten kayser
Carls des Großen bis auff des Jahr MDCLXXX, fol. 277.
324 Es handelt sich um Christian IV. von Da¨nemark und Herzog Johann Adolf von Holstein-Gottorf. Vgl.
zur Huldigung des Jahres 1603 den entsprechenden Abschnitt im vorliegenden Buch.
4.3. Bruderschaften und Bu¨rgerwehren in der gesamtsta¨dtischen Selbstdarstellung
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unter ihn/ Ihr Fehnlein schwingen her und hin./ Die Trombter all zu gleich anstoßn/ Scho¨n ho¨rt man die Clareten blassn/ Die Muscatirer geben Fewr/ Das eim’ vergeht das geho¨r/ Die gantze Stadt ist reg und wach/ Gott wend ab alles ungemach. Die Hauptleut reiten ab und ahn/ Ein jeder muß in Ordnung stan/ Und halten fleissig seine wacht/ Mawr und Wall nehmen wol in acht.325 Auch hier ist die Syna¨sthesie zwischen Gera¨uschkulisse und farbenpra¨chtigem Aufzug der Bu¨rgerschaft auffa¨llig. Sie war ein wichtiger Bestandteil des evozierten Bildes der Stadtgemeinschaft, eine sicht- und ho¨rbare Darstellung des in der Stadt herrschenden guten Regiments. So, wie der anonyme Autor in der Ordnung der Festwagen der venezianischen Bruderschaften einen Beweis fu¨r die gute Ordnung sieht, die in Venedig herrscht, so sieht auch Thobias Loncius, der hier zitierte Hamburger Berichterstatter, die Ordnung des Aufzugs als Ausdruck der guten Ordnung der Stadt. In Venedig und in den Hansesta¨dten war ein reibungsloser Festablauf eine sich besonders an die auswa¨rtigen Teilnehmer richtende Botschaft der harmonischen, geordneten Verfasstheit der Stadt. In den Beschreibungen, die sich aus Lu¨beck u¨ber den Einzug fremder Standespersonen erhalten haben, lassen sich keine Beispiele fu¨r detaillierte Aufza¨hlungen der an den Wa¨llen und in den Straßen aufgestellten Bu¨rgerwehreinheiten finden, obwohl die milita¨rische Verfasstheit Lu¨becks viele Gemeinsamkeiten mit der in Bremen und Hamburg besaß.326 Die Lu¨becker Berichterstatter nannten nicht die nach Quartieren aufgestellten Bu¨rger als Hauptakteure, sondern die Ratsherren, die die fremden Standespersonen empfingen. Sie betonten meist allein die Tatsache, dass die Ratsherren die Ga¨ste nach ihrem Einzug zu einer o¨ffentlichen Audienz auf das Rathaus gefu¨hrt haben.327 Der Rat nutzte also die Anwesenheit der Ga¨ste zur Demonstration seiner obrigkeitlichen Funktion. Dies war fu¨r ihn in einer Zeit, in der die Bu¨rgerschaft ihm teilweise auch seine außenpolitischen Kompetenzen absprach, besonders wichtig. Dieser Unterschied la¨sst sich fu¨r Lu¨beck nur speziell fu¨r diesen Bereich feststellen. Genau wie in Hamburg und Bremen spielten Geschu¨tzdonner und milita¨risches Geleit bei anderen o¨ffentlichen Festen wie zum Beispiel Begra¨bnissen oder auch bei Friedensfeierlichkeiten eine große Rolle.328 Allerdings ist hierbei zu vermuten, dass unter den in den Quellen genannten Soldaten eher die in allen drei Sta¨dten vorhandenen Berufssoldaten der stehenden Garnisonen zu verstehen sind als die Mitglieder 325 Thobias Loncius, Historischer begrieff [...], Magdeburg 1603, S. 7. 326 Die Hansesta¨dte arbeiteten im Bereich der Verteidigung eng zusammen. Vgl. Schwark, Lu¨becks Stadt-
milita¨r, S. 45–46.
327 Aus dem Tagebuch des Lu¨beckischen Bu¨rgermeisters Henrich Brokes, Teil 1, S. 281, Teil 2, S. 427–434;
Kirchring und Mu¨ller, Compendium, S. 242–255. 328 Vgl. zu Hamburg Dorothea Schro ¨ der, Friedensfeste in Hamburg 1629–1650, in: Der Krieg vor den
Toren. Hamburg im Dreißigja¨hrigen Krieg 1618–1648, hg. v. Martin Knauer/Sven Tode, Hamburg 2000, S. 335–360; Gu¨nter Dammann, Das Hamburger Friedensfest von 1650. Die Rollen von Predigt, Feuerwerk und einem Gelegenheitsgedicht Johann Rists in einem Beispielfall sta¨dtischer Repra¨sentation, in: Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum der Fru¨hen Neuzeit, Bd. 2, hg. v. Klaus Garber, Tu¨bingen 1998, S. 697–728; zu Lu¨beck vgl. Becker, Umsta¨ndliche Geschichte, S. 380, 437; Starcke, Lubeca Lutherano-Evangelica [...] Kirchen-Historie, S. 770.
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4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
der Bu¨rgerwehren. Im Gegensatz zu den zitierten Hamburger und Bremer Beispielen zeigen aber gerade die in diesem Aspekt sehr vagen Formulierungen der Lu¨becker Texte die in der Reichsstadt weniger stark als in den beiden Autonomiesta¨dten ausgepra¨gte Repra¨sentation der Bu¨rgerwehren und damit auch der Kirchspiele. Dieser Unterschied bei der Beachtung der Bu¨rgerwehren in offiziellen Texten zur Kommemoration sta¨dtischer Feste la¨sst sich mit mehreren Zusammenha¨ngen in Verbindung bringen. Zum einen waren Hamburg und Bremen in ihrer Autonomie sehr viel bedrohter als Lu¨beck. Der Empfang des da¨nischen Ko¨nigs und des holsteinischen Herzogs stellte eine fu¨r den Hamburger Rat und die Bu¨rgerschaft ausgesprochen gefa¨hrliche Situation dar, so dass die wehrhafte Repra¨sentation der Stadt auch ihre milita¨rische Verteidigungsbereitschaft ausdru¨cken sollte. Im Falle des Einzugs des hessischen Landgrafen im Jahre 1601 konnten sich der Bremer Rat und das Bremer Domkapitel kaum daru¨ber einigen, wer Vorrang bei der Gestaltung der Einzugsfeierlichkeiten besa¨ße.329 Die an den Straßen und Wa¨llen aufgestellten Soldaten machten dem Einziehenden plastisch den Willen des Rates und der Bu¨rgerschaft deutlich, nicht von den sta¨dtischen Autonomieanspru¨chen abzuru¨cken. Lu¨becks Position war weitaus gefestigter. Der Rat der Stadt musste zum Beispiel einen seiner wichtigsten politischen Rivalen und Nachbarn – den Herzog von Mecklenburg – nicht in den eigenen Stadtmauern empfangen. Zusa¨tzlich zu diesem durch die a¨ußere Situation bedingten, anders gewichteten Repra¨sentationsbedu¨rfnis ist auch ein weiterer, durch innere Faktoren bestimmter Unterschied festzustellen. Wie anhand der Selbstdarstellung des Rates im Rahmen von Wahlen und Entscheidungsfindungen deutlich gemacht werden konnte, versuchte der Lu¨becker Rat sehr viel ausgepra¨gter als die Hamburger oder Bremer Stadtra¨te, den sta¨dtischen Raum auf sich zu beziehen. Dies wirkte sich auch auf sein Verha¨ltnis zu den korporativen Repra¨sentationsmo¨glichkeiten aus. Auch wenn oder gerade weil seine Kompetenzen in einer sehr viel grundsa¨tzlicheren und aggressiveren Weise gerade auf dem Gebiet der außenpolitischen Repra¨sentation der Stadt im Rahmen der Reiserschen Unruhen infrage gestellt wurden als es in Konflikten in Bremen und Hamburg um 1600 der Fall war, versuchte der Rat auf diesem Gebiet die Selbstdarstellung der Stadt sehr deutlich auf sich zu beziehen. Der Festlegung des Erscheinungsbilds des Rates entspricht sein Bemu¨hen, andere Gruppen entweder ganz aus der Repra¨sentation der Republik zu verdra¨ngen oder sie wenigstens festzulegen. Mit der Verdra¨ngung des korporativen Charakters aus der gesamtsta¨dtischen Repra¨sentation stellt er gegenu¨ber Hamburg, Bremen und auch Venedig eine Ausnahme dar. Die Bu¨rgerwehren gewannen in allen drei Sta¨dten im 17. Jahrhundert in hohem Maße an Bedeutung, obwohl es – wie in allen sta¨dtischen Korporationen – immer schwieriger wurde, die Mitglieder fu¨r den zeitraubenden Dienst fu¨r die Stadt zu gewinnen und sich auch hier die Tendenz abzeichnete, die individuelle Teilnahme
329 Vgl. Reisen und Reisende in Nordwestdeutschland. Beschreibungen, Tagebu¨cher und Briefe. Itinerare
und Kostenrechnungen, Bd. 1: bis 1620, hg. v. Herbert Schwarzwa¨lder/Inge Schwarzwa¨lder, Hildesheim 1987, S. 426–427.
4.4. Festlegungen: Das Verha¨ltnis der Korporationen zum Gemeinwesen
299
durch Gebu¨hren zu ersetzen. Der eindrucksvollen Gesamtrepra¨sentation einer Bu¨rgerschaft in Waffen stand ihre eher unbedeutende Wandlungskraft fu¨r die inneren Mechanismen der Selbdarstellung der Korporationen entgegen.
4.4. Festlegungen: Das Verha¨ltnis der Korporationen zum Gemeinwesen
In dem vorhergehenden Abschnitt wurden exemplarisch hansesta¨dtische Kaufleutekompanien, Patriziergesellschaften, Zu¨nfte, Bruderschaften sowie Bu¨rgerwehren untersucht. Hierbei ließ sich anhand der Frage nach Kontinuita¨t und Wandel ihrer in rituellen Formen repra¨sentierten Selbstdarstellung erkennen, dass sich eine direkte Stratifizierung, das heißt Ausrichtung auf die politischen Institutionen, nur im Falle der venezianischen Compagnie della Calza finden la¨sst. Durch ihre nur noch fallweise Konstituierung erho¨hte der Consiglio di Dieci seine Kontrolle u¨ber sie. Die jungen Adeligen organisierten die Feierlichkeiten dann sozusagen vorrangig im Namen einer fast magistralen Aufgabe und nicht mehr als Mitglied einer eigensta¨ndigen Korporation. Im Falle der anderen Korporationen ist hingegen festzuhalten, dass sie Wandlungsprozessen unterlagen, die zeigen, in welch hohem Maße sie Anteil am politischen und normativen Wertewandel der hier untersuchten Stadtrepubliken besaßen. Diese Entwicklungen lassen sich in der Verschriftlichung der Rituale, einer ansteigenden Legitimation durch Verfahren, dem Ru¨ckgang von Kommensurabilita¨t als gemeinschaftsstiftendes Element und nicht zuletzt einer teilweise religio¨s begru¨ndeten Normierung und Disziplinierung der Korporationsmitglieder fassen. Je nach verfassungsma¨ßiger Stellung der Korporation spielten diese Faktoren im inneren Zusammenhalt der Gruppe, aber auch in ihrer Repra¨sentation gegenu¨ber den Magistraten, eine vorrangige Rolle. Diese Festigung im Inneren der professionellen Korporationen bewirkte gleichzeitig, dass sie nicht mehr allein als Gruppen zur Repra¨sentation der Stadt beitrugen, sondern auch als Ausweis der wirtschaftlichen und technologischen Vielfalt der Stadt galten.330 Im Falle der Lu¨becker Zirkelgesellschaft la¨sst sich gleichfalls ein Wandel der rituellen Repra¨sentation beobachten – weg von einer Korporation, die sich hauptsa¨chlich durch ihre kulturelle Rolle in der Ausrichtung von Festen definierte, hin zu einer nach geburtssta¨ndischen Prinzipien und durch kaiserliche Privilegien definierten Gruppe. In der Haltung zu dem mit ihr verknu¨pften Adelsprivileg la¨sst sich auch gut zeigen, wie (zwangsla¨ufig) ambivalent die Position der Lu¨becker Ratsmitgleider zu dieser Form sta¨ndischer Repra¨sentation sein musste. Bejahten sie sie fu¨r sich und ihre Familien und verfolgten aktiv ihre eigene Standeserho¨hung, wandten sie dennoch in
330 Dies erga¨nzt die U ¨ berlegungen, die Bernd Roeck anhand einer Untersuchung fru¨hneuzeitlicher Stadt-
veduten angestellt hat: Bernd Roeck, Die Sa¨kularisierung der Stadtvedute in der Neuzeit, in: Bild und Wahrnehmung der Stadt, hg. v. Ferdinand Opll, Linz 2004, S. 189–198.
300
4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
den innersta¨dtischen Debatten republikanische Argumente an und versuchten, dieses eigentlich den Gleichheitsrahmen sprengende Verhalten mit Verweis auf die althergebrachte Konkurrenz und Vielfalt der sta¨dtischen Korporationen zu rechtfertigen. Die venezianischen Bruderschaften stellten einen wichtigen Bestandteil der sta¨dtischen Repra¨sentation im o¨ffentlichen Festwesen dar. Die zunehmenden Anforderungen an ihre zeremonielle Repra¨sentation stehen im Gegensatz zu den an sie gestellten wachsenden religio¨sen Anforderungen. Nach außen wird die Integration der Korporationen in die sta¨dtische Sakralgemeinschaft dargestellt, wa¨hrend in den internen Strukturen die Bruderschaften ein Feld fu¨r die Konkurrenz der Machtanspru¨che der Geistlichkeit, der politischen Institutionen und den Mitgliedern der sta¨dtischen Elite bieten, die in ihnen Fu¨hrungspositionen innehaben. Damit sind einer Neuorientierung und Uniformierung der Bruderschaften als ga¨nzlich religio¨s orientierte Gemeinschaften enge Grenzen gesetzt. Der Wegfall der religio¨s gebundenen Gemeinschaften in den Hansesta¨dten fu¨hrt dazu, dass die Bu¨rgerwehren in der Repra¨sentation nach außen die Stadt als Summe von Gemeinschaften darstellen. Im Inneren setzte sich diese Gleichheit nicht durch. So wie in Venedig sich nur schwer eine religio¨se Vereinheitlichung herausbildete, so ist die Kontinuita¨t des Primats korporativer Abgrenzungen auch in den Hansesta¨dten zu beobachten. Das Bemu¨hen des Rates um eine einheitliche Verteidigung wurde zwar positiv aufgefasst,331 aber nicht als Grund dafu¨r akzeptiert, sich selbst sozial quer zu korporativen Distinktionslinien zu vergemeinschaften. Nach außen hin boten die Bu¨rgerwehren der sta¨dtischen Obrigkeit die Mo¨glichkeit, sich als politisch wohlgeordnete und zur Verteidigung bereite autonome Gemeinschaft darzustellen. Trotz dieser großen Bedeutung fu¨r die Repra¨sentation der Stadt nach außen hin wurden die Bu¨rgerwehren nicht zu einem Gliederungsprinzip, das erfolgreich und dauerhaft die korporative Struktur als Ordnungsmuster zur individuellen und korporativen Positionierung innerhalb des sta¨dtischen Sozialgefu¨ges abgelo¨st ha¨tte. Dabei scheint in Lu¨beck – vermutlich als Reaktion auf die zeremonielle Heraushebung des Rates – der Widerstand der Korporationen besonders hartna¨ckig gewesen zu sein, wa¨hrend sie sich in Hamburg bereits ein wenig erfolgreicher mit der politisch bedeutsamen Einteilung nach Kirchspielen verbinden konnte. Dass sie aber weder in Lu¨beck noch in Hamburg (und vermutlich auch nicht in Bremen, auch wenn dort entsprechende Quellen fu¨r die untersuchte Zeit fehlen) zu einem vorrangigen Identifikationsmerkmal werden konnte, zeigt sich daran, dass ¨ lterkeine Ehr- und Rangstreitigkeiten u¨berliefert sind, bei denen beispielsweise ein A mann einer Schu¨tzenkompanie auf seinem Vortritt bestand. Dies war vielmehr den professionellen Soldaten vorbehalten, die nicht durch andere familia¨re oder korporative Merkmale in die Stadt als Repra¨sentationsgemeinschaft einbezogen waren. In keiner der untersuchten Sta¨dte ist ein Bedeutungsverlust der Korporationen fu¨r die sta¨dtische Repra¨sentation um 1600 festzustellen. Auch wenn sta¨ndische Prinzipien im Falle der Hansesta¨dte immer wieder mit unterschiedlichem Erfolg auf
331 Vgl. Schwark, Lu¨becks Stadtmilita¨r, S. 47.
4.4. Festlegungen: Das Verha¨ltnis der Korporationen zum Gemeinwesen
301
traditionelle Gliederungsprinzipien u¨bertragen wurden, gelang es nicht, ein dauerhaft hierarchisches Verha¨ltnis zwischen Magistraten und Korporationen symbolisch zu etablieren. Vielmehr erhielten sta¨ndische Distinktionsmerkmale eine bestimmte kommunikative Funktion, die sich nicht immer zugunsten des Rates auswirkte. So war es eher ein o¨ffentlich sichtbarer Beweis fu¨r seine mangelnde Durchsetzungsfa¨higkeit, wenn einzelne Korporationen mit Hinweis auf ihren hohen Rang nicht zu den fu¨r alle Bu¨rger angesetzten Schießu¨bungen erschienen. Im ga¨nzlich anders gelagerten Falle der Zirkelkompanie ließ sich feststellen, wie ihre sta¨ndische Abschließung sie immer wieder aus dem sozialen und politischen Gefu¨ge enthob und somit ihre erfolgreiche Verwurzelung und eine Institutionalisierung ihrer Machtanspru¨che verhinderte. Eine auch nur in Ansa¨tzen erfolgreiche symbolische Umdeutung der Gesamtheit der Korporationen in eine Gesamtheit von Untertanen fand weder in Venedig noch in den Hansesta¨dten statt. Einzige Ausnahme stellten die patrizischen Compagnie della Calza dar, die der Consiglio di Dieci eindeutig ihrer Selbsta¨ndigkeit beraubte und institutionell unterordnete. Bezeichnenderweise ließ er damit jungen Patriziern weniger Gestaltungsfreiheit als beispielsweise den Fischern und Fischha¨ndlern, den Nicolotti. Anhand des Stellenwertes der Korporationen innerhalb einer ritualisierten Stadtgemeinschaft ist eine Aufspaltung von Repra¨sentationen dieser Gemeinschaft erkennbar, die sich mit den Entwicklungen in der Selbstdarstellung der politischen Magistrate in Verbindung bringen la¨sst. Dies trifft sowohl auf Venedig als auch auf die Hansesta¨dte zu – trotz der sozialen und politischen Na¨he beziehungsweise Ferne zwischen Ratsherren respektive Patriziern und Korporationen. Das Verha¨ltnis zwischen Ratsmitgliedern und Korporationen wirkte sich auf einzelne Aspekte der konkreten zeremoniellen Einbeziehung und politischen Exklusion aus. Es beeinflusste die im Folgenden zu benennenden Wandlungsprozesse insgesamt aber nicht so weit, als dass es zu zwei vollkommen gegenla¨ufigen Entwicklungen in Venedig und den Hansesta¨dten gekommen wa¨re. Grundlegenden Einfluss auf die internen Rituale der Korporationen aber auch auf die Art und Weise ihrer Teilnahme an der gesamtsta¨dtischen Repra¨sentation u¨bten religio¨se Entwicklungen aus. Auch hier ist nicht unbedingt die Reformation als grundlegendes Ereignis zu nennen, das zu starken Unterschieden in der strukturellen Beziehung zwischen Korporationen und der ganzen Stadt gefu¨hrt ha¨tte. Der Kontinuita¨t des Primats religio¨ser Verfasstheit korporativer Bindungen in Venedig stand auf der Seite der Hansesta¨dte keine Sa¨kularisierung des Selbstversta¨ndnisses der Korporationen und damit einhergehend ihr Bedeutungsverlust gegenu¨ber, auch wenn die Bruderschaften zur Verehrung einzelner Heiliger dort nicht mehr existierten. In Venedig verschra¨nkten sich politische und religio¨se Entwicklungen im Falle der Bruderschaften. Die Scuole grandi dienten zum Ausdruck der sich um 1600 immer sta¨rker verfestigenden Symbiose politischer und religio¨ser Repra¨sentation Venedigs als unabha¨ngiger Macht. Die Scuole piccole hingegen gerieten zwischen die auseinanderund gegeneinanderlaufenden Anspru¨che der venezianischen politischen Institutionen und der Geistlichkeit. Die politisch auch durch die Erfordernisse der gesamtsta¨dtischen a¨ußeren Repra¨sentation gefo¨rderte und durch kulturelle Entwicklungen begu¨nstigte Aufwandssteigerung in materieller und festiver Kultur geriet in Venedig
302
4. Die Gruppen in der Stadt – die Gruppen und die Stadt
und in den Hansesta¨dten um 1600 mit den Ergebnissen eines Normenwandels vieler Mitglieder dieser Korporationen in Konflikt, die in Anlehnung an religio¨se Verinnerlichungen Prachtaufwand und traditionelle Gastma¨hler kritisierten. Dass dieser Normenwandel auch mit einem Generationenwechsel verbunden war, ließ sich gut an den Konflikten zwischen Handwerksgesellen und -meistern in Lu¨beck zeigen. Dieser war aber nicht auf die Lu¨becker Zu¨nfte beschra¨nkt. Vielmehr la¨sst er sich auch in den Lu¨beckschen und Bremer Kaufleutekompanien, den Hamburger Zu¨nften und venezianischen Bruderschaften feststellen. Dieser Wandel verband sich mit einer inneren politischen Entwicklung, na¨mlich der steigenden Bedeutung der Verfahrenslegitimita¨t. Die inneren Transformationen sowohl der Scuole piccole als auch der hansesta¨dtischen Korporationen wurden von einer Adaptierung bestimmter Normen geleitet, na¨mlich der religio¨ser Verinnerlichung und einer steigenden Verknu¨pfung von politischen Ritualen und ihren Ergebnissen mit einem vorher festgelegten und einem allen Beteiligten einsehbaren Ablauf. Wie auch im Falle der Magistrate, so wurde auch im Falle der Korporationen diese Entwicklung zusa¨tzlich durch religio¨se Normen gefestigt. Auf diese Weise verloren traditionelle Formen der Vergemeinschaftung in Form von Gastma¨hlern und Trinkgelagen zuerst ihre Wichtigkeit und dann auch in zunehmendem Maße ihre Rechtfertigung. Stattdessen gewannen Begra¨bniszu¨ge und kirchliche Riten an Bedeutung. In Lu¨beck kam dieser Wandel durch eine direkte Teilhabe ¨ mter am politischen Verfahrens- und Normenwandel zustande, in Hamburg der A durch eine sta¨rkere Adaption konfessioneller Abgrenzungen. Diese inneren Entwicklungen a¨ußerten sich im Falle der hansesta¨dtischen Korporationen allein in den Reformen des sozialen Zusammenlebens, etwa den Einschra¨nkungen und Abschaffungen von Festma¨hlern, und nicht in einer Abnahme ihrer medial vermittelten Selbstdarstellung im sta¨dtischen Raum. Hier la¨sst sich eher eine Zunahme an Prachtentfaltung beobachten, die immer wieder mit inneren Werteverschiebungen in Konflikt geriet. Die Stadt als Ganzes verlangte einen hohen zeremoniellen Tribut, den zu einem großen Teil die Korporationen zu leisten hatten. Es la¨sst sich – wenn auch nur in Teilbereichen – ein Ru¨ckzug der Stadt als Sakralgemeinschaft aus der Gesamtrepra¨sentation beobachten. In Venedig im Spezialfall der zu¨nftischen Repra¨sentation, die zu einer o¨konomisch-technischen Leistungsschau wird, bei den Hansesta¨dte in der Rolle der Bu¨rgerwehren. Wie umkehrbar die hier benannten Entwicklungen waren, zeigt sich daran, dass sie nicht in allen Fa¨llen und zum Teil auch nicht besonders radikal vorzufinden sind. Da diese Entwicklungen von sehr unterschiedlichen Korporationen teilweise konsequent vollzogen, von anderen wiederum nur zo¨gerlich mitgestaltet wurden, la¨sst sich keine wechselseitige Beziehung zwischen politischer und sozialer Stellung der jeweiligen Gruppe in der Stadt und ihrer inneren und a¨ußeren Repra¨sentation ausmachen. Vielmehr ist auch hier davon auszugehen, dass die konkrete Zusammensetzung der Mitglieder vor Ort und perso¨nliche und familia¨re Verbindungen eine Rolle spielten, die es noch weiter zu erforschen gilt. Allein Lu¨beck muss aus dieser Entwicklung ausgenommen werden. Hier zog der Rat es vor, seine umstrittene Position in seinem Gesamterscheinungsbild nach außen bei den Empfa¨ngen fremder Standespersonen aber auch individuell, durch das Streben einzelner Ratsherren und ihrer Familien nach Erlangung von mit dem republikanischen Konsens schwer vereinbaren Adelsprinzipien zu sta¨rken. Dies verhinderte in
4.4. Festlegungen: Das Verha¨ltnis der Korporationen zum Gemeinwesen
303
Lu¨beck besonders erfolgreich die Durchsetzung einer rituell gezogenen Grenze zwischen Rat und Bu¨rgerschaft. Der engen Verbindung von sta¨dtischer Repra¨sentation und den Anforderungen, die durch die Einbindung der Stadt in a¨ußere Beziehungen gegeben waren, soll im folgenden Abschnitt nachgegangen werden.
5.
DIE AUSSENDARSTELLUNG VENEDIGS UND DER HANSESTA¨ DTE UM 1600 IM RITUAL
In der vorliegenden Arbeit wird insgesamt davon ausgegangen, dass es notwendig ist, Innen- und Außenperspektive in der Selbstdarstellung der Sta¨dte sta¨rker als in bisherigen Untersuchungen analytisch voneinander zu trennen, um die jeweiligen Relationen zwischen politischem Wertesystem und -rahmen und repra¨sentativer Politik herauszuarbeiten. Eine a¨ußere, sich an ho¨fischen Repra¨sentationsformen orientierte Fassade musste nicht zwangsla¨ufig eine Umformung innerer Strukturen und Werte bedeuten. Es ist anzunehmen, dass zwischen a¨ußerer sta¨dtischer Selbstdarstellung und inneren Strukturen ein komplexes, wohl zum Teil auch bewusst eingesetztes Spiel mit symbolischen Kommunikationsformen existierte, dem im Folgenden nachgegangen werden soll. Welcher Formen bedienten sich die Hansesta¨dte und Venedig um 1600 in ihrer rituellen Außenrepra¨sentation und welche Entwicklungen sind hier erkennbar? In dem Verha¨ltnis zu anderen, fu¨rstlichen Standespersonen rieten venezianische Patrizier und juristische Ratgeber wie Paolo Paruta und Gaspare Lonigo zu Bilancia (Gleichgewicht) und Rappresentazione (Repra¨sentation):1 Bilancia, um nicht in einen Konflikt hineingezogen zu werden, der nicht nur kostspielig werden konnte, sondern auch Venedigs Unabha¨ngigkeit gefa¨hrdet ha¨tte,2 Rappresentazione, um fremde Standespersonen zu beeindrucken und fehlende milita¨rische, politische und wirtschaftliche Ressourcen zu u¨berdecken.3 Vergleichbare Prinzipien lassen sich, wenn auch theoretisch weniger prononciert formuliert, bei den hansesta¨dtischen Magistraten finden, wobei sich die Positionen von Rat und Bu¨rgerschaft ha¨ufig maßgeblich unterschieden. Tendierten die Ratsherren immer zu einem Ausgleich zwischen verschiedenen Positionen, also, mit Paruta gesprochen, zur Bilancia – im Falle Hamburgs zum Beispiel zwischen da¨nischer Krone und Reich – erhob die Bu¨rgerschaft meist Forderungen nach eindeutiger Parteinahme wie in den Wullenweverschen und Reiserschen Unruhen in Lu¨beck. Bei allen Differenzen einigten sich beide Gruppen aber immer auf das Ziel, na¨mlich der Wahrung und Fo¨rderung der wirtschaftlichen,
1 Grundlegend dazu Kretschmayr, Geschichte von Venedig, S. 273–276. 2 Vgl. Paolo Paruta, Discorso sulla Neutralita`, in: Opere Politiche, Bd. 2, hg. v. Cirillio Monzani, Flo-
renz 1852, S. 381–399, hier: S. 384.
3 Vgl. ASV, Consultori in iure, fz. 65, Gasparo Lonigo, Trattato delle precedenze, fol. 364–384.
5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
305
politischen und – dies nahm an Bedeutung in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts merklich zu – der konfessionellen Autonomie.4 Der oft sehr diskret, aber beharrlich verfolgten Bewahrung der außenpolitischen Neutralita¨t stand eine immer pra¨chtiger werdende sta¨dtisch-republikanische Selbstdarstellung gegenu¨ber. Wenn auch in einem sehr viel bescheideneren und – wie in den vorausgegangenen Kapiteln deutlich geworden ist – durch konfessionelle und strukturelle Voraussetzungen ga¨nzlich unterschiedlich gepra¨gten Handlungsrahmen, versuchten auch die Hansesta¨dte einziehende Standespersonen durch repra¨sentativen Glanz zu beeindrucken. Bremen etwa stellte eine der prachtvollsten sta¨dtischen Kulissen dieser Zeit im Norden des Reiches dar und konnte es an Repra¨sentationswillen und -macht durchaus mit benachbarten Ho¨fen aufnehmen. Gleiches gilt fu¨r Lu¨beck und auch fu¨r Hamburg. Einen Eindruck der – wenn auch im Vergleich zu Venedig sicherlich bescheideneren – Prachtentfaltung als Mittel hansesta¨dtischprotestantischer Repra¨sentationspolitik vermitteln die Reiseberichte dieser Zeit. Die durch Norddeutschland reisenden Standespersonen schenkten den Hansesta¨dten, wenn sie sie besuchten, bei weitem mehr Aufmerksamkeit als den Fu¨rstenho¨fen. War der Aufenthalt beim Bremer Erzbischof dem Begleiter Karl Philipps, Herzogs von So¨dermanland, im Jahre 1618 nur wenige Zeilen wert, beschrieb er hingegen Bremens Topographie und politische Struktur detailgenau und voller Bewunderung.5 Diese Prachtentfaltung ist es, die als Indiz fu¨r eine Entwertung des republikanischen Gedankengutes und Wertesystems in Venedig, aber auch in den Reichssta¨dten angefu¨hrt wird. Sie hing mit der spezifischen Verfasstheit der Sta¨dte selbst zusammen. Ein grundlegendes Problem bei Empfa¨ngen und Unterhaltungsprogrammen fu¨r fremde Standespersonen bestand in dem Fehlen einer Herrscherdynastie. Das Hofzeremoniell selbst fußte gerade in der Außenrepra¨sentation in hohem Maße auf der Existenz eines Fu¨rstenhauses. Die Mo¨glichkeit, Bu¨ndnisse durch Heiratspolitik zu sichern, war sowohl den Hansesta¨dtern als auch den Venezianern verwehrt; eine Sa¨ule fru¨hneuzeitlicher Außenpolitik, die Dynastie, konnten sie also nicht nutzen. Die zeremonielle Stellung eines Fu¨rsten und seines Gesandten nicht nur bei Empfa¨ngen, sondern auch bei Zusammenku¨nften verschiedener Vertreter wie beispielsweise auf einem Friedenskongress wurde maßgeblich durch seine Zugeho¨rigkeit zu einem Herrscherhaus bestimmt.6 Im Falle der Vertreter der Republiken fu¨hrte dies immer
4 Die Verkoppelung konfessioneller, politischer und wirtschaftlicher Motive als Merkmal Bremer, Ham-
burger und Lu¨becker Außenpolitik hebt hervor: Rainer Postel, Zur „erhaltung dern commercien und daru¨ber habende privilegia“. Hansische Politik auf dem Westfa¨lischen Friedenskongreß, in: Der Westfa¨lische Friede: Diplomatie – politische Za¨sur – kulturelles Umfeld -Rezeptionsgeschichte, hg. v. Heinz Duchhardt, Mu¨nchen 1998, S. 523–540. 5 Der siebzehnja¨hrige Herzog war zu Bildungszwecken auf eine Reise durch nord- und mitteldeutsche Territorien geschickt worden: Vgl. Reisen und Reisende in Norddeutschland, S. 554–559. 6 Der Rolle der Dynastie im werdenden Ma¨chtesystem des konfessionellen Zeitalters widmet sich die Dissertation von Magnus Ru¨de: Magnus Ru¨de, England und Kurpfalz im werdenden Ma¨chteeuropa (1608–1632). Konfession – Dynastie – kulturelle Ausdrucksformen, Stuttgart 2007, S. 76–96; vgl. außerdem grundlegend Hermann Weber, Die Bedeutung der Dynastien fu¨r die europa¨ische Geschichte in der fru¨hen Neuzeit, in: ZBayLG 44 (1981), S. 5–32.
306
5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
wieder zu Unsicherheiten, wenn sie mit Vertretern von Fu¨rstenha¨usern zusammentrafen.7 Die zeremonielle Stellung des Dogen als Alleinherrscher kompensierte dies nicht. Anders als in der Fru¨hgeschichte des Dogats8 war es ihm nicht gestattet, Heiratsverbindungen mit europa¨ischen Herrscherha¨usern einzugehen. Er durfte sich kaum unbeaufsichtigt mit nicht-venezianischen Standespersonen in einem Raum aufhalten. Wie strikt diese Regeln gehandhabt wurden, wird im Folgenden noch zu zeigen sein. Der ho¨fische Prunk, den die venezianische Repra¨sentationspolitik im 16. Jahrhundert bei den Empfa¨ngen fremder Fu¨rsten entfaltete, korrespondierte also keineswegs mit einer wachsenden Laxheit gegenu¨ber informellen Kontakten zwischen venezianischen Patriziern und fremden Standespersonen. Es ist davon auszugehen, dass die sta¨dtische Rappresentazione das Fehlen von Hof und Herrscher gleichsam u¨berto¨nte und damit ausblendete. Statt einzelner Fu¨rsten wurde nun die gesamte Stadt repra¨sentativ u¨berho¨ht. In welcher Weise und mithilfe welcher Ingredi¨ berho¨hung erreicht wurde und ob sie in gleicher Weise enzien diese syna¨sthetische U im katholischen wie auch im lutherischen und calvinistischen Bereich zu beobachten ist. Auch dies soll Gegenstand des folgenden Abschnitts sein. Neben den gemeinsam verfolgten Prinzipien, Neutralita¨t zu bewahren und Repra¨sentation als Mittel der Politik einzusetzen, mu¨ssen grundlegende strukturelle und zeremonielle Unterschiede zwischen Venedig und den Hansesta¨dten herausgestellt werden. Venedig verfu¨gte dank seines Kolonialbesitzes u¨ber die Mo¨glichkeit, sich als souvera¨ne und gar gekro¨nte Republik auf dem immer ho¨fischer werdenden Parkett des sich herausbildenden europa¨ischen Ma¨chtesystems zu behaupten. Es war eine autonome Republik, auch wenn von habsburgischer Seite immer wieder versucht wurde, dies zu bestreiten.9 Als im Jahre 1630 Papst Urban VIII. beschloss, den Kardina¨len Vortritt vor allen anderen weltlichen Wu¨rdentra¨gern mit Ausnahme der teste coronate, der „gekro¨nten Ha¨upter“, zu gewa¨hren, konnte Venedig aufgrund seines Anspruchs auf die zypriotische Krone auf seinem Vorrang beharren, auch wenn ebenfalls das Haus Savoyen diese Wu¨rde fu¨r sich reklamierte.10 Die Hansesta¨dte waren allein schon durch ihre Einbindung in das Reichssystem zeremoniell unterhalb der Anspru¨che angesiedelt, die die italienische Stadtrepublik vorbringen konnte.11 Bremen und Hamburg verfu¨gten nicht einmal u¨ber eine unbestrittene Autonomie. Alle drei Hansesta¨dte verstanden sich als Landesherren u¨ber bestimmte Gebiete, die zwar sehr viel kleiner als die venezianischen Besitzungen, aber in ihrer Ausdehnung durchaus mit der territorialen Basis benachbarter Fu¨rsten wie den Herzo¨gen von Mecklenburg oder denen von Braunschweig-Lu¨neburg vergleichbar waren. Auf den fu¨r ihren Handel so wichtigen Fluss- und Meeresgewa¨ssern machten ihnen die Anspru¨che benachbarter Landesherren Zugangsrechte streitig. Hamburg und Bremen versuchten, ihr Dominium u¨ber Weser und Elbe durchzusetzen, Lu¨beck stritt mit dem Herzog von Mecklenburg um Fischereirechte an 7 Vgl. das Beispiel der Schweizer Gesandtschaft nach Paris im Jahre 1663: Maissen, Geburt der Republic,
S. 230–242. 8 Vgl. Ro ¨ sch, Geschichte Venedigs, S. 42–49. 9 Vgl. Landwehr, Reichsstadt Venedig? 10 Oresko, The House of Savoyen, S. 289–291. 11 Vgl. Buchstab, Reichssta¨dte, S. 177–181.
5.1. Rahmenbedingungen
307
der Ostseeku¨ste. Venedig verfu¨gte im Gegensatz zu den Hansesta¨dten u¨ber weitaus umfangreichere Rechte an Territorien im o¨stlichen Mittelmeerraum und auf der Terraferma. Aber gerade in der Adria wurde das so stolz in der Zeremonie des Sposalizio del Mare zelebrierte unbeschra¨nkte Herrschaftsrecht Venedigs u¨ber das Meer von mehreren Seiten bestritten: von den o¨sterreichischen und spanischen Habsburgern und von den Osmanen. Auf der europa¨ischen Bu¨hne genoss zwar Venedig aufgrund seines Anrechtes auf die zypriotische Ko¨nigskrone einen sehr viel ho¨heren Rang als die Hansesta¨dte, doch litt auch diese italienische Republik unter dem zunehmenden macht- und symbolpolitischen Druck seiner monarchischen und fu¨rstlichen Counterparts. Im Gegensatz zu den Hansesta¨dten war Venedig den aggressiven politischen und milita¨rischen Attacken seiner Gegner sehr viel ru¨ckhaltloser ausgesetzt als die Seesta¨dte des Nordens. Fu¨hlten die Venezianer sich – ob nun berechtigt oder auch nicht – durch eine mo¨gliche spanische Invasion bedroht, so waren Lu¨beck, Hamburg und Bremen gegenu¨ber den Anspru¨chen der Territorialma¨chte durch ihre Einbindung in das Reichssystems und ihre Angeho¨rigkeit zur Hanse geschu¨tzt, die im Bewusstsein der Zeitgenossen politisch um 1600 noch sehr viel ma¨chtiger war als im Ru¨ckblick beurteilt.12 Selbst der da¨nische Ko¨nig Christian IV. wagte nicht einen milita¨rischen, sondern allein – neben vielen indirekten Versuchen, die Handelsstadt wirtschaftlich zu scha¨digen – einen symbolischen Angriff auf die Autonomie Hamburg, als er im Jahre 1603 dort eine große Huldigungsfeierlichkeit veranstaltete.13 Herauszuarbeiten wird daher im Folgenden außerdem sein, inwieweit diese Zugeho¨rigkeit zu zwei gro¨ßeren Verba¨nden – dem Reich und der Hanse – die rituelle Repra¨sentation Hamburgs, Bremens und Lu¨becks um 1600 beeinflusste. Ein Zugriff auf ho¨fische Repra¨sentationsformen im Falle Venedigs fu¨hrte vermutlich zu anderen Formen sta¨dtisch-republikanischer Selbstdarstellung als die kontinuierliche Einbindung in korporative Netzwerke im Falle der Hansesta¨dte – oder spielte dieser Unterschied gar keine Rolle?
5.1. Rahmenbedingungen „Fischko¨pfe“14 auf der einen, „Pfeffersa¨cke“15 auf der anderen Seite. Weder die venezianischen Patrizier noch die hansesta¨dtischen Ratsherren hatten es leicht, sich auf dem durch sta¨ndische und ho¨fische Rangprinzipien gepra¨gten europa¨ischen Parkett 12 Den faktischen Bedeutungsverlust heben hervor: Heinz Duchhardt, Die Hanse und das europa¨ische
¨ bergang? Zur Spa¨tzeit der Hanse im Ma¨chtesystem des fru¨hen 17. Jahrhunderts, in: Niedergang oder U 16. und 17. Jahrhundert, hg. v. Antjekathrin Grassmann, Ko¨ln/Weimar/Wien 1998, S. 11–24; Georg Schmidt, Sta¨dtehanse und Reich im 16. und 17. Jahrhundert, in: ebd., S. 25–46; Ebel, Hanse in der deutschen Staatsrechtsliteratur. 13 Diesen Aspekt betont Loose, Hamburg und Christian IV., S. 3. 14 Diesen Vorwurf musste sich der spa¨tere Doge Leonardo Dona` gefallen lassen: Seneca, Il Doge Leonardo Dona`, S. 290. 15 Vgl. Buchstab, Reichssta¨dte, S. 15–16.
308
5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
der im Werden begriffenen modernen Staatenwelt16 als gleichrangig durchzusetzen.17 So ungesichert die aufsteigenden Territorialstaaten im Inneren waren, so aggressiv vertraten sie nach außen ihre Position mit Mitteln der Kriegsfu¨hrung, aber auch der symbolischen Politik. Auf beiden Gebieten besaßen die Hansesta¨dte im Norden des Reiches, aber auch die unabha¨ngigen Republiken Italiens gegenu¨ber Monarchen und Fu¨rsten entscheidende Nachteile. Weder verfu¨gten sie u¨ber ein ausbaufa¨higes Milita¨rwesen noch u¨ber einen Hof oder einen Feudaladel. Die fundamentale Bedeutung von Rang und Status fu¨r die Beziehungen der im Werden begriffenen Staaten18 stellte sa¨mtliche fru¨hneuzeitlichen Republiken zudem vor ein Problem. Der Trend zur Hierarchisierung der a¨ußeren Beziehungen entsprach keineswegs der formalen Ranggleichheit ihrer politischen Fu¨hrungsgruppe. Dieses Spannungsfeld zwischen korporativer politischer Kultur und einer durch Ho¨fe und Dynastien bestimmten a¨ußeren Welt gilt es im Folgenden auszuloten. Wie verhielten sich die Angeho¨rigen der Republik Venedig und der Hansesta¨dte in dieser Welt? In welchen Kontexten thematisierten ihre diplomatischen Vertreter die republikanische Verfasstheit ihrer Gemeinwesen und in welchen verschwiegen sie diese? Griffen sie im Umgang mit Gesandten von Fu¨rsten- oder Ko¨nigsho¨fen auf Repra¨sentationsweisen zuru¨ck, die einen eigenen Weg jenseits ho¨fischer zeremonieller Statusregulierungen darstellten und ihre Defizite auf dem diplomatischen Parkett kompensieren oder verdecken sollten? Wirkten sich die außenpolitischen Anforderungen in immer gro¨ßerem Ausmaß auf ihre Ordnungsvorstellungen aus und vera¨nderten sie diese maßgeblich? Diese Untersuchung soll die in den vorigen Abschnitten beleuchtete Innenperspektive stadtrepublikanischer Selbstdarstellung erga¨nzen. Die nach außen gerichtete rituelle Kommunikation unterlag anderen Anforderungen als die Rituale, die sich spezifisch an bestimmte Gruppen oder die gesamte Stadt richteten. Auch wenn eigentlich fast jedes der bereits in den vorherigen Kapiteln vorgestellten Rituale nicht nur durch die Stadtbevo¨lkerung selbst, sondern auch durch Fremde wahrgenommen wurde, waren sie doch nicht allein fu¨r fremde Blicke entstanden. Sie dienten in erster Linie nicht zur symbolischen Festigung der Position des Gemeinwesens in einer sich institutionalisierenden interstaatlichen Kommunikation. Deutlich wird dies zum Beispiel an den venezianischen Fronleichnamsfeierlichkeiten. An ihnen nahmen wichtige Gesandte wie der Nuntius oder der kaiserliche Vertreter teil. Sie kommunizierten aber nicht symbolisch die Stellung Venedigs im Verha¨ltnis zu diesen Ma¨chten. Empfa¨nge fremder Standespersonen 16 Vgl. Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen, S. 17–190. 17 Vgl. Helmut G. Koenigsberger, Republicanism, monarchism and liberty, in: Royal and Republican
Sovereignty in Early Modern Europe, hg. v. Robert Oresko/Graham C. Gibbs/Hamisch M. Scott, Cambridge 1997, S. 43–74. Diese Konstellation weist Thomas Maissen in seiner Studie zur Schweizer Staatsrepra¨sentation am Beispiel einer Gesandtschaft nach Paris im Jahre 1663 nach: Maissen, Geburt der Republic, S. 230–243. 18 Es ist von einer strukturellen Wechselbeziehung zwischen der Genese des diplomatischen Zeremoniells und der Staatsbildung im Inneren auszugehen. Vgl. William Roosen, Early Modern Diplomatic Ceremonial: A Systems Approach, in: JMH 52,3 (1980), S. 452–476; Barbara Stollberg-Rilinger vertritt gleichfalls diese These, wenn sie auf die schwindende Bedeutung des Ranges als Ordnungsfaktor bei gleichzeitiger Durchsetzung des Souvera¨nita¨tsprinzips hinweist: Barbara Stollberg-Rilinger, Die Wissenschaft der feinen Unterschiede. Das Pra¨zedenzrecht und die europa¨ischen Monarchien vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Majestas 10 (2002), S. 125–150.
5.1. Rahmenbedingungen
309
oder Gesandtschaften sollten dagegen in erster Linie den Rang der Stadtrepublik im intereuropa¨ischen oder auch u¨ber Europa hinausgehenden Ma¨chtekonzert festsetzen. Sie fu¨hrten den Ga¨sten mit allen zur Verfu¨gung stehenden Mitteln die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Potenz der Stadtrepublik vor Augen. Die Art und Weise des Empfangs konnte signalisieren, wie die Gastgeber die jeweiligen Machtverha¨ltnisse verstanden sehen wollten. Eine Untersuchung der Empfangsrituale wu¨rde noch nicht dazu ausreichen, schlu¨ssige Aussagen u¨ber das Wechselverha¨ltnis zwischen Außenperspektive und innerer Repra¨sentation fu¨r die hier ausgewa¨hlten fru¨hneuzeitlichen Stadtrepubliken zu treffen. Die Gastgeber waren im Moment des Empfanges meist allein durch die Vertrautheit und die Kontrolle u¨ber die lokalen Gegebenheiten ihren Ga¨sten u¨berlegen (mit Ausnahme der Huldigungen, die am Beispiel Bremens und Hamburgs diskutiert werden). Sie konnten also bestimmte Facetten des politischen Eigenbildes in den Vordergrund stellen. Um eine schlu¨ssige Gesamtperspektive zu gewinnen, ist es notwendig, sich vor Augen zu fu¨hren, wie sich die jeweiligen Vertreter Venedigs und der Hansesta¨dte auf dem diplomatischen Parkett, dessen Formen auch erst im Entstehen begriffen waren,19 in einer teilweise sehr unvertrauten Umgebung verhielten – zum Beispiel zur Gesandtschaften, die zu Kro¨nungsfeierlichkeiten entsendet wurden. In diesen Fa¨llen waren sie Repra¨sentationspflichten und -zwa¨ngen unterworfen, die teilweise nur schwer mit ihren lokalen institutionellen Gegebenheiten u¨bereinstimmten. Die Vera¨nderung des Umfelds, in dem sie sich bewegten, stand dabei ha¨ufig quer zu den Entwicklungen der Institutionalisierung des Verha¨ltnisses zwischen den Magistraten und Korporationen, die wir in den vorausgegangenen Abschnitten beobachtet haben. Zu Beginn des folgenden Abschnitts sollen diejenigen Rituale untersucht werden, die die Stadt und ihr Territorium nach außen hin abgrenzten. Fu¨r die Herrschaft der Hansesta¨dte und Venedigs war eine zeremonielle Einbeziehung der sie umgebenden Gewa¨sser maßgeblich. Ihre wirtschaftliche und symbolische Stadtstruktur war eng mit den sie umschließenden oder sich in der Nachbarschaft befindlichen Gewa¨ssern verbunden. Bei Empfa¨ngen fremder Standespersonen hingegen wurde zwar auch eine Definition der Stadt durch eine symbolische Markierung ihrer Grenzen angestrebt, indem zum Beispiel bestimmte Geleitrechte in Anspruch genommen wurden. Zusa¨tzlich zu der Markierung von Hoheitsrechten zu Lande und zu Wasser setzten die Gastgeber aber auch die innere Struktur der repra¨sentierten Stadt als Machtmittel ein. Sie nutzten das architektonische, soziale und kulturelle Bild, die Stadtrepublik in ein fu¨r ihre politische Situation mo¨glichst gu¨nstiges Verha¨ltnis zu den einziehenden fremden Standespersonen zu setzen. Lu¨becks und Venedigs Magistrate behielten in diesen Fa¨llen dank ihrer autonomen Stellung meist die Oberhoheit u¨ber das Stadtbild, dessen Repra¨sentation im komplexen rituellen Wechselspiel zwischen Gast, Gastgebern und aktiv und passiv beteiligter Stadtbevo¨lkerung bei diesen Gelegenheiten entstand. Bremen und Hamburg hingegen mussten trotz des oft jahrelangen Widerstands seiner Ra¨te massive Eingriffe in das Stadtbild im Moment des Empfanges des
19 Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen, S. 161–166.
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
Erzbischofs respektive des holsteinischen Herzogs und da¨nischen Ko¨nigs hinnehmen. Der da¨nische Ko¨nig in Hamburg und der Erzbischof in Bremen verknu¨pften konkrete politische Anspru¨che mit der Forderung danach, in den Mauern der Stadt empfangen zu werden. Und nicht nur dies: Im Rahmen der Verhandlungen wollten sie auch daru¨ber mitbestimmen, wie Empfang und Aufenthalt auszusehen haben. Das Verha¨ltnis von ho¨fischen und sta¨dtischen Repra¨sentationsweisen im Ablauf dieser Ereignisse la¨sst sich daher am Beispiel Hamburgs und Bremens im Rahmen dieser Rituale besonders gut beobachten. Aber nicht nur Hamburg und Bremen kamen mit ho¨fischen Repra¨sentationsweisen in Beru¨hrung; auch Venedig und Lu¨beck standen in Kontakt mit adeligen Ha¨usern in ihrer nahen und fernen Umgebung. Die Beziehungen zu diesen Herrscherha¨usern pflegten besonders die hansesta¨dtischen Ra¨te durch ¨ bernahme von Patenschaften oder die Ausrichtung von GesandtGeschenke, die U schaften zu besonderen Ereignissen an den Ho¨fen wie Hochzeiten oder auch Begra¨bnis- oder Kro¨nungsfeierlichkeiten. Diese durch Rituale und Zeremonien geregelte Kommunikation zwischen Republik und Hof soll im Mittelpunkt dieses Untersuchungsabschnitts stehen. In den Empfangsfeierlichkeiten und Grenzziehungen war die Repra¨sentation des Gemeinwesens in hohem Maße der Gestaltungsmacht der jeweils am Entscheidungsprozess u¨ber den Ablauf der Rituale Beteiligten anheimge¨ bernahme von Patenschaften oder das U ¨ berstellt. Beziehungen zu Fu¨rsten wie die U senden nachbarschaftlicher Geschenke hingegen waren Gelegenheiten, bei denen das Gemeinwesen sein Bild allein schon deswegen nicht so stark kontrollieren konnte. An ihnen waren oft nur einzelne, ausgewa¨hlte Vertreter beteiligt. Sie waren der misstrauischen Aufsicht ihrer Amtskollegen und in den Hansesta¨dten auch der Bu¨rgerschaft unterworfen. Daher mussten sie versuchen, ho¨fische Repra¨sentationsanforderungen und republikanische Gleichheit miteinander zu vereinen – ein Zwiespalt, den die Gastgeber oft genug auszunutzen verstanden. Auf fremdem Terrain konnten sie dann auch leichter als im Moment des Empfanges versuchen, ihren republikanischen Ga¨sten Rang und Autonomie streitig zu machen, etwa bei dem gewollten Missverstehen von Gabensendungen.
5.2. Grenzziehungsrituale: Ihre politische Bedeutung in Venedig und Lu¨beck
Grenzziehungsrituale zu Wasser geben daru¨ber Aufschluss, wie die Beteiligten nicht nur die Herrschaftsrechte selbst u¨ber das Meer, sondern auch die Definition ihres eigenen Gemeinwesens verstanden.20 Genauso wie zu Lande, so fand auch zur See im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts ein Verrechtlichungsprozess im Rahmen der 20 Auf diesen Zusammenhang weist Patrick Oelze in seiner Analyse der territorialen Grenzziehung fu¨r
das Selbstversta¨ndnis der Reichsstadt Schwa¨bisch-Hall hin: Patrick Oelze, Am Rande der Stadt – Grenzkonflikte und herrschaftliche Integration im Umland von Schwa¨bisch Hall, in: Stadtgemeinde und Sta¨ndegesellschaft. Formen der Integration und Distinktion in der fru¨hneuzeitlichen Stadt, hg. v. Patrick Schmidt/Horst Carl, Berlin 2007, S. 140–165.
5.2. Grenzziehungsrituale: Ihre politische Bedeutung in Venedig und Lu¨beck
311
europa¨ischen Staatsbildung statt. Juristen und politische Theoretiker diskutierten in dieser Zeit, ob auch die Gewa¨sser in ein souvera¨nes Herrschaftsgebiet fallen ko¨nnten oder ob sie im Gegensatz zu den Territorien nicht beherrscht werden ko¨nnten, also grundsa¨tzlich frei seien.21 Grenzziehungsrituale hingen also maßgeblich von der Position desjenigen ab, der sie initiierte, plante und ausrichtete. Sie wurden erst dann vollzogen, wenn unabha¨ngige Herrschaftsrechte deutlich gemacht werden sollten. Zu Wasser war es weitaus schwieriger als zu Lande, Rechte und Grenzen auch sichtbar zu machen. Daher bildeten sich hier in Venedig und Lu¨beck Spektakel zur Kommunizierung dieser Rechte heraus. In welcher Weise sie sich mit spezifischen Herrschaftskonzeptionen Lu¨becks und Venedigs verknu¨pften, soll im Folgenden vorgestellt werden. Dabei soll es zum einen darum gehen, den jeweiligen rituellen Handlungsverlauf in den Blick zu nehmen und darauf zu achten, wann er wo wie beschrieben wird. Zum anderen wird herausgearbeitet werden, in welcher Weise sich diese Rituale mit Auffassungen von Herrschaft und Gemeinwesen verbanden. In beiden Fa¨llen soll darauf untersucht werden, ob sich entscheidende Vera¨nderungen erkennen lassen. Abschließend stellt sich außerdem die Frage nach dem spezifisch Republikanischen dieser Grenzziehungsrituale zu Wasser. Die Grenzziehungsrituale zu Wasser verknu¨pften sich mit Fragen des Verha¨ltnisses der Republiken zur staatlichen Souvera¨nita¨t, so dass sie fu¨r die Frage der Verbindung von republikanischer Repra¨sentation und der Rolle der theoretischen Begru¨ndung moderner Staatsbildung besonders aufschlussreich sind.22 Mit welchen Bedeutungen verknu¨pften Lu¨becker Magistrate ihre ausgedehnte, unter Begleitung von Ratsmusikanten vorgenommene23 Bootsfahrt?24 Dabei durchzogen sie nicht nur eigene Territorien, sondern auch Gebiete, die der Jurisdiktion des 21 Vgl. fu¨r die staatstheoretische Debatte Mo´nica Brito Vieira, Mare Liberum vs. Mare Clausum. Gro-
tius, Freitas and Selden’s Debate on Dominium over the seas, in: JHI 64, 3 (2003), S. 361–378; fu¨r Venedig fasst den Forschungs- und Quellenstand zusammen: Filippo De Vivo, Historical Justifications of Venetian Power in the Adriatic, in: JHI 64, 2 (2003), S. 159–176. Mit der Rolle der Beherrschung von Wasser fu¨r die reichssta¨dtische Repra¨sentation befasst sich allerdings nur unter Beru¨cksichtigung der symbolischen Komponente Helmut-Eberhard Paulus, Wasser im Dienste reichssta¨dtischer Repra¨sentation, in: VHO 136 (1996), S. 33–48. 22 Diesen bislang zu wenig beachteten Aspekt betont auch Matthias Schnettger fu¨r Genua: Matthias Schnettger, Die Republik als Ko¨nig. Republikanisches Selbstversta¨ndnis und Souvera¨nita¨tsstreben in der genuesischen Publizistik des 17. Jahrhunderts, in: Majestas 8/9 (2000/2001), S. 171–209, hier: S. 193–194. 23 Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts waren diese durch spezielle Livreen als Ratsdiener gekennzeichnet. Sie ku¨ndigten das Erscheinen der Ratsherren mit langen, silbernen Trompeten an: Carl Stiehl, Die Lu¨beckischen Stadt- und Feldtrompeter, in: MittVLu¨bG 6 (1895), S. 129–134. 24 Vgl. zur Einbettung in die Grenzkonflikte in diesem Gebiet, die nicht allein zwischen Lu¨beck und Mecklenburg, sondern zum Beispiel auch zwischen Mecklenburg und Lauenburg stattfanden, die Beitra¨ge in: Die Grenz- und Territorialentwicklung im Raume Lauenburg-Mecklenburg-Lu¨beck, hg. v. Kurt Ju¨rgensen, Neumu¨nster 1992; speziell zu den Lu¨becker Grenzfestlegungen und auch den Strombefahrungen vgl. Georg Fink, Lu¨becks Stadtgebiet, in: Sta¨dtewesen und Bu¨rgertum als geschichtliche Kra¨fte. Geda¨chtnisschrift fu¨r Fritz Ro¨rig, hg. v. Ahasver von Brandt/Wilhelm Koppe, Lu¨beck 1953, S. 243–296, hier: S. 257–264; anla¨sslich eines vor dem Staatsgerichtshof fu¨r das Deutsche Reich in den Jahren 1925–1928 zwischen dem Land Lu¨beck und dem Land Mecklenburg ausgefochtenen Streites um die Gewa¨sserhoheit hat Fritz Ro¨rig als Gutachter fu¨r Lu¨beck begonnen, die Lu¨becker Rechte nachzuverfolgen. Vgl. Fritz Ro¨rig, Hoheits- und Fischereirechte in der Lu¨becker Bucht, insbesondere auf der Travemu¨nder Reede und in der Niendorfer Wiek, in: ZVLu¨bG 22, 1 (1923), S. 2–64;
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
Bistums Ratzeburg, des Herzogs von Mecklenburg oder des Herzogs von SachsenLauenburg unterstanden. Wie wollten die venezianischen Magistrate die allja¨hrliche „Verma¨hlung“25 des Dogen mit dem Meer gedeutet wissen?26 Fu¨r Venedig und die Hansesta¨dte Hamburg, Bremen und Lu¨beck war der Zugang zum Meer eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Ohne ihn konnten sie kaum bestehen, wurden sie doch, bei allen Vera¨nderungen, die das 16. Jahrhundert mit sich brachte, immer noch o¨konomisch durch den Fernhandel gepra¨gt. Daher versuchten sie sowohl mithilfe juristischer und politischer Argumente, aber auch mithilfe politischer Rituale, ihre Herrschaft u¨ber die Meere und im Falle der Hansesta¨dte auch u¨ber die Flu¨sse und Seen zu festigen. Dabei bildete sich allein in Lu¨beck eine Repra¨sentationsform, die die Herrschaft u¨ber der „Stadt Stro¨me“27 mithilfe eines Rituals, das sich im Laufe des 17. Jahrhunderts immer weiter institutionalisierte, symbolisch kommunizierte. Hamburg und Bremen beanspruchten zwar auch Hoheitsrechte u¨ber Weser und Elbe, bildeten aber keine eigenen Rituale zur Kennzeichnung dieser Rechte aus, was vermutlich mit ihrem umstrittenen Status als Reichsstadt zusammenhing. In sa¨mtlichen, fu¨r diese Arbeit ausgewerteten, venezianischen Zeremonialbu¨chern lassen sich detaillierte Vorschriften zum Ablauf der Sensa finden. In Lu¨beck dokumentierten die beteiligten Ratsherren die „solemnen Strom-Befahrungen“ und das, was sie an Fluß und Ufer vorfanden, in ausfu¨hrlichen Berichten.28 An den Quellen selbst lassen sich aber bereits deutliche Unterschiede zwischen beiden Ritualen ausarbeiten. Der Sposalizio del mare war Teil des Kernbestands politischer venezianischer Rituale. Bereits im Jahre 1267 schilderte ihn der venezianische Chronist Martin da Canal in seiner Stadtbeschreibung. Dies weist auf eine gefestigte Form des Rituals zu diesem Zeitpunkt hin.29 Die Venezianer fu¨hrten sie auf den Frieden von 1177 zuru¨ck. Zusammen mit den anderen venezianischen Hoheitszeichen, den Trionfi, habe ihnen der Papst einen Ring zum Zeichen der Oberhoheit u¨ber das Meer
Ders., Zur Rechtsgeschichte der Territorialgewa¨sser: Reede, Strom und Ku¨stengewa¨sser, Berlin 1949; Quellenzitate und Details u¨ber territoriale Ausdehnung und Organisation der Lu¨becker Strombefahrungen finden sich außerdem in: Wilhelm Brehmer, Die Befahrung der Maurine und der Sto¨penitz, in: MittVLu¨bG 5 (1891–1892), S. 47; Ders., Die Befahrung der Wakenitz, in: MittVLu¨bG 8 (1897–1898), S. 18–22; Die Wakenitz, in: Die Lu¨becker Heimathefte 1–2 (1926), S. 27–28. 25 Auf Ital.: lo Sposalizio del mare, u¨blicherweise zu Christi Himmelfahrt unternommen und daher auch Sensa (Kurzform zu Ascensione) genannt. 26 Zum Sposalizio del mare ist außer dem eher auf das 18. Jh. konzentrierten Beitrag von Hermann Schreiber keine deutschsprachige Forschung zu nennen: Hermann Schreiber, Venedigs goldener Herbst. Barocke Verma¨hlung mit dem Meer, in: Das Fest: eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, hg. v. Uwe Schultz, Mu¨nchen 1988, S. 199–209; in der italienischsprachigen Forschung hat sich Lina Padoan Urban mit der rituellen und ikonographischen Tradition des Sposalizio befasst: Lina Padoan Urban, Il Bucintoro. La Festa e la Fiera della „Sensa“ dalle origini alla caduta della Repubblica. Venedig 1988; Lina Padoan Urban, La Festa della Sensa nelle arti e nell’iconografia, in: SV 10 (1968), S. 291–311. 27 Zitiert nach Fink, Lu¨becks Stadtgebiet, S. 257. 28 Vgl. zum Beispiel den Bericht u¨ber die zeremoniell besonders aufwendige Fahrt im Jahr 1652: [Anonym], Bericht u¨ber eine feierliche Befahrung der Stepenitz und Maurine im Jahre 1652, in: Mitteilungen des Altertumsvereins fu¨r das Fu¨rstentum Ratzeburg 3, 3 (1921), S. 36–41. 29 Muir, Civic Ritual, S. 120.
5.2. Grenzziehungsrituale: Ihre politische Bedeutung in Venedig und Lu¨beck
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verliehen.30 Mit dieser Erkla¨rung verband sich der Sposalizio del mare also grundlegend mit der venezianischen Eigendeutung der Vergangenheit der Republik. Dieses Narrativ kollidierte im Verlauf des 16. Jahrhunderts sowohl mit dem Aufkommen geschichstkritischer Methoden als auch mit Konzepten von nicht herleitbarer Herrschaft, also staatlicher Souvera¨nita¨t. Wie sich diese Kollision auf das Ritual des Sposalizio auswirkte, wird noch gezeigt werden. Urspru¨nglich war der Sposalizio del mare im Rahmen der Eroberung von Teilen der dalmatinischen Ku¨ste unter Fu¨hrung des Dogen Pietro Orseolo II. (991–1008) entstanden, der mit seiner Flotte genau am Himmelfahrtstag von Venedig aufgebrochen war.31 Er stellte somit symbolisch ein eindeutig monarchisch ausgerichtetes Herrschaftsritual und ritualisiertes Siegesgedenken dar. Spuren davon finden sich noch in den Laudes, die beim Ho¨hepunkt der Zeremonie auf den Dogen und Venedig gesungen wurden und deutlich auf den imperialen und nicht republikanischen Ursprung des Rituals hinweisen.32 Der Sposalizio del mare war also im 16. Jahrhundert ein bereits seit Jahrhunderten fest etabliertes Ritual, dessen Ablauf und inhaltliche Pra¨gung allerdings immer neuen Deutungska¨mpfen unterliegen konnten. Die „solennen Befahrung(en)“33 des Lu¨becker Rates stellen dagegen ein vergleichsweise neues Ritual dar. Es etablierte sich vermutlich erst in der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts.34 Die magistralen Flussreisen standen am Ende langwieriger, immer handgreiflicher werdender Auseinandersetzungen der Stadt mit seinen Nachbarn, den Herzo¨gen von Mecklenburg und Holstein sowie den Administratoren des Bistums Ratzeburg, die seit 1554 unter mecklenburgischer Oberhoheit standen.35 Sie stellten gleichsam den Abschluss des Ausbaus der Hoheitsrechte u¨ber die Gewa¨sser dar. Die lange Dauer dieses Rituals, das bis zum Jahre 1848, also bis zum Verfassungsumbruch in Lu¨beck praktiziert wurde, weist auf die gefestigte Herrschaft Lu¨becks u¨ber die ihm benachbarten Gewa¨sser hin.36 Verschriftlichung und damit Verrechtlichung verliehen der Lu¨becker Herrschaftsbildung zusa¨tzliche Dynamik. Die fu¨rstlichen Nachbarn Lu¨becks, insbesondere das Herzogtum Sachsen-Lauenburg, versuchten im 16. Jahrhundert, ihre Defizite an Staatsbildung gegenu¨ber der im 15. Jahrhundert auf diesem Gebiete noch weit u¨berlegenen Reichsstadt aufzuholen. So ha¨uften sich die zwischen den genannten Ma¨chten vor dem Reichskammergericht angestrengten Prozesse um Hoheitsrechte und Grenzverla¨ufe sowohl zu Wasser als auch zu Lande.37 In zugegebenermaßen sehr viel kleineren Dimensionen findet 30 Im Sposalizio machte das der Ring deutlich, den der Doge in das Wasser warf: Muir, Civic Ritual,
S. 124–125.
31 Padoan Urban, La festa della Sensa, S. 312. 32 Ernst H. Kantorowicz, Laudes Regiae: A Study in Liturgical Acclamations and Medieval Ruler Wor-
ship, Berkeley 1946, S. 147.
33 So der Quellenbegriff: Bericht u¨ber eine feierliche Befahrung der Stepenitz und Maurine, S. 36. 34 Als fru¨hesten Quellenbeleg findet sich 1642: Brehmer, Befahrung der Maurine und der Sto¨penitz
sowie Ders., Die Befahrung der Wakenitz, S. 18.
35 Vgl. Anm. 24. 36 Vgl. Brehmer, Die Befahrung der Wakenitz, S. 18. 37 Vgl. die Einzelbeispiele bei Antjekathrin Grassmann, Die lu¨beckisch-mecklenburgische Grenze,
Kontroversen und Kontakte, in: Die Grenz- und Territorialentwicklung im Raume Lauenburg, hg. v. Kurt Ju¨rgensen, Neumu¨nster 1992, S. 65–86, hier: S. 75.
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
man hier gleichsam wie durch ein Miniaturglas abgebildet dieselben Konflikte der wechselseitig abgerungenen Rechte und Herrschaftszeichen wieder, die sich zwischen Venedig, den Habsburgern, Osmanen den Uskoken sowie Ragusa zu derselben Zeit um die Oberhoheit in der Adria und an der dalmatinischen Ku¨ste abspielten. Die weitaus gro¨ßere Friedfertigkeit der Auseinandersetzungen im Norden ist durch die Existenz des Reichskammergerichts als Schiedsinstanz zu erkla¨ren. Das Ritual des Sposalizio del mare musste in diesem Prozess neu verortet werden, wa¨hrend Lu¨becks Strombefahrungen als Teil und Ergebnis eines gefestigten Staatsbildungsprozesses auf den Gewa¨ssern rund um die Hansestadt anzusehen sind. Der Lu¨becker Rat versuchte, die ihm seiner Meinung nach durch Friedrich I. Barbarossa zugesprochenen Gewa¨sser seiner Oberhoheit unterzuordnen und rief damit den Widerspruch der anderen Seite hervor. Das durch Lu¨beck seit dem Mittelalter ausgeu¨bte Fischereiregal wurde zu einem typisch fru¨hneuzeitlichen Instrument des Herrschaftsausbaus.38 So sprachen sich die Lu¨becker Magistrate in einer Fischereiordnung des Jahres 1585 nicht allein das Recht zu, fremde Fischereianlagen zu zersto¨ren, sondern auch, Blutgerichtsbarkeit u¨ber am Ufer wohnende Personen auszuu¨ben, was sie faktisch nie in die Tat umsetzten.39 Entsprechende, o¨ffentlich sichtbare Gegenwehr des Mecklenburger Herzogs ließ meist nicht lange auf sich warten. Diese Auseinandersetzungen trugen sowohl auf schriftlichem als auch auf praktischem Wege dazu bei, die Herrschaftsanspru¨che beider Seiten zu sta¨rken, indem sie Gelegenheit boten, sie evident zu machen. Meist war dabei Lu¨beck allerdings durch seine aktivere Politik der administrativen Durchdringung der Gewa¨sser in einer besseren Position.40 Lu¨beck agierte, seine Nachbarn reagierten. Ausbau und Konzentration von Herrschaftsrechten wird hier aktiver und konsequenter durch eine Stadt als Tra¨gerin von Rechten betrieben, auch wenn die fu¨rstlichen Landesherren sich dagegen heftiger wehrten als noch im 15. Jahrundert. Die Auseinandersetzungen nahmen juristische und nicht milita¨rische Formen an, wobei sich Lu¨beck im Vorteil befand. In seiner Argumentation verband der Lu¨becker Rat die traditionelle Begru¨ndung – den Hinweis auf die bereits verliehenen Privilegien – mit neuem Inhalt insofern, als er umfassende Rechte ohne Ausnahme fu¨r sich in Anspruch nahm. Exemplarisch dafu¨r sei hier seine Antwort aus dem Jahre 1616 auf eine Beschwerde des Mecklenburger Herzogs genannt. Dieser hatte die spektakula¨re Zersto¨rung einer von ihm errichteten Fischreuse auf der Trave nicht hinnehmen wollen. Der Lu¨becker Rat entgegnete daraufhin, dass ihm allein die Travehoheit zustu¨nde – egal, wer u¨ber die La¨ndereien herrscht, durch die der Fluss fließen wu¨rde: 38 Auch im Sprachgebrauch unterschied sich Lu¨beck hier nicht von anderen fu¨rstlichen Landesherr-
schaften, die ihre Rechte u¨ber die Gewa¨sser zu definieren suchten: Ro¨rig, Zur Rechtsgeschichte der Territorialgewa¨sser, S. 7–17. 39 Vgl. Ro ¨ rig, Hoheits- und Fischereirechte, S. 39. 40 Dies war in vielen Fa¨llen nicht nur ein strategischer Vorteil gegenu¨ber den Lauenburger und Mecklenburger Herzo¨gen, sondern auch gegenu¨ber ritterschaftlichen Versuchen des Ausbaus landes- und grundherrlicher Rechte: Ernst Mu¨nch, Zur Position ritterschaftlicher Familien im mecklenburgischlauenburgischen Grenzgebiet in Mittelalter und fru¨her Neuzeit, in: Die Grenz- und Territorialentwicklung im Raume Lauenburg-Mecklenburg-Lu¨beck, hg. v. Kurt Ju¨rgensen, Neumu¨nster 1992, S. 27–40, hier: S. 31.
5.2. Grenzziehungsrituale: Ihre politische Bedeutung in Venedig und Lu¨beck
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Deweil [...] der Travestrom mit dem port und der reide,41 von Oldeschlo an biß in die offenbahre see, unangesehen viele underschedliche territoria darans stoßn, dieser guten statt wie mit keyserlichen und koniglichen privilegien, auch unterschedlichen actibus possessoris, sowoll criminall als civil-sachen, da es nott sein solte wol zu behaupten, zugeho¨rich; – so wollen wir nicht hoffen, daß E. F. G. uns daran einiger eintragt zu thun gemeint sein werden.42 Lu¨beck stu¨tzte seine Rechtsanspru¨che also zum einen auf das kaiserliche Stromprivileg, zum anderen auf seine eigene Herrschaftsausu¨bung, den actibus possessoris – sicht- und fu¨hlbar in den Zersto¨rungen der Fischreusen. Dass das Element der guten Rechtspflege wichtig war, zeigt sich in der mangelnden Gewaltta¨tigkeit dieser Auseinandersetzungen. Nur a¨ußerst selten kam es wirklich zu Handgreiflichkeiten, bei denen Personen verletzt wurden. Eher richteten sich die gegenseitigen Drohgeba¨rden auf eine Demolierung der Grenzmarkierungen.43 Beide Seiten scheuten die Mo¨glichkeit eines milita¨rischen Konflikts. Dies zeigen die Auseinandersetzungen um die Grenzmarkierungen bei Rotenhusen. Der Herzog von Mecklenburg ließ eine von ihm errichtete Bru¨cke mit einer Handvoll Soldaten verteidigen, die sich aber beim Anblick dreier, mit Kanonen bewehrter Lu¨becker Schiffe sofort zuru¨ckzogen. Der Lu¨becker Rat feierte diesen Sieg, indem er in unmittelbarer Na¨he der Mecklenburger Bru¨cke ein befestigtes Haus errichten, mit einem Lu¨becker Wappen schmu¨cken und davor die Kanonen, die nie benutzt werden sollten, aufbauen ließ. Als einziges Opfer war am Ende das abgehauene Ohr eines Lu¨becker Fischers zu beklagen.44 Venedig musste sich im Gegensatz zu Lu¨beck zu Recht den Vorwurf gefallen lassen, das Dominium Gulfi nicht im Sinne einer ordnungsstiftenden Macht ausu¨ben zu ko¨nnen. Uskoken, an der kroatischen Ku¨ste ansa¨ssige Flu¨chtlinge aus den von den Osmanen eroberten Balkangebieten, u¨berfielen viele, insbesondere unter osmanischer Protektion stehende Schiffe. Damit fo¨rderten sie wiederum die Konflikte zwischen Venedig und der Hohen Pforte, die der Republik vorwarf, nicht mehr fu¨r die Sicherheit des Handels auf der Adria sorgen zu ko¨nnen. Die Infragestellung der venezianischen Oberhoheit u¨ber die Adria fu¨hrte auch dazu, dass der Sposalizio del mare nicht mehr ganz ernst genommen wurde. So urteilte der englische Gesandte despektierlich u¨ber das Abhalten der Feier im Jahre 1617, als der Vizeko¨nig von Neapel, Pedro Telez Giron, Herzog von Ossuna (Regierungszeit 1616–1620), sich anschickte, mit einer großen Flotte gegen Venedig die Adria hinaufzusegeln: Certain it is that they be here most sensible of the affront, especially falling out at this time of the year, when the Republic, by a long foolish custom is to marry the sea; for it soundeth as if the Viceroy had sent to forbid the banns.45 41 Gleichbedeutend mit ‚Reede‘. 42 Zitiert nach Ro ¨ rig, Zur Rechtsgeschichte der Territorialgewa¨sser, S. 12. 43 Vgl. Die Wakenitz, S. 27. 44 Vgl. Die Wakenitz, S. 28. 45 [Wotton], Letters, Bd. 2, S. 113.
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
Wie wichtig aber auch Venedigs Gegner weiterhin das Abhalten des Rituals nahmen, zeigt der am Wiener Kaiserhof propagierte Plan, das Ritual auf ihrem Ho¨hepunkt durch den habsburgischen Gesandten unterbrechen und dies auch noch von einem mitgereisten Notar festhalten zu lassen – in diesem Falle wurde ihr also noch eindeutig eine rechtsstiftende Qualita¨t beigemessen.46 In dem Bemu¨hen, den Sposalizio del mare als wirkunsgvollen Ausdruck der Oberhoheit u¨ber die Adria zu bewahren, lassen sich mehrere Deutungen erkennen. Die am weitesten verbreitete Version bestand darin, den Sposalizio del mare als ein vom Papst Alexander III. im Jahre 1177 verliehenes Privileg zu verteidigen. Nicht nur spielte der Frieden von 1177 eine große Rolle in der Neudekoration des Dogenpalastes,47 sondern auch in zahlreichen Schriften. Diese richteten sich insbesondere gegen Angriffe von pa¨pstlicher und habsburgischer Seite.48 Entgegen Paolo Sarpis Interpretation, die Oberhoheit Venedigs u¨ber die Adria als Ausdruck seiner nicht herleitbaren Souvera¨nita¨t darzustellen,49 blieb die Verbindung von pa¨pstlichem Privileg und Oberhoheit u¨ber das Meer auch die offiziell gefo¨rderte Version. Sie fand zum Beispiel Eingang in das Zeremonialhandbuch des Sallustio Gnecchi.50 Bei den venezianischen Patriziern u¨berwog die Auffassung, dass Herrschaftsrechte sich eher auf verliehene Privilegien gru¨nden sollten denn auf abstrakte Herleitungen aus einem Souvera¨nita¨tsanspruch. Dass es ihnen intellektuell mo¨glich gewesen wa¨re, auch eine solche Bedeutungszuschreibung zu verfolgen, zeigt die Antwort, die Leonardo Donato bei einer Gesandtschaftsreise in Rom dem Kardinal Scipione Borghese auf die Frage gab, wo sich denn der schriftliche Beweis fu¨r das venezianische Dominium u¨ber die Adria befinde: Auf der Ru¨ckseite des Dokuments, auf dem die Konstantinische Schenkung niedergeschrieben ist.51 Den Senatoren war also, wenigstens teilweise, deutlich, in welchem Verha¨ltnis ihre Privilegierung zur Realita¨t stand. Dennoch versuchten sie, a¨hnlich wie die Lu¨becker Ratsherren, ihre Herrschaft zur See nicht als Souvera¨nita¨t per se, sondern mit traditioneller Begru¨ndung zu legitimieren. Maßgebliche Vera¨nderungen in der Bedeutungszuschreibung lassen sich demnach nicht in der staatsrechtlichen Deutung, sondern in den symbolischen Konnotationen des Rituals finden. Hier verschoben sich die Schwerpunkte der Verbindung von 1177 und Sposalizio. So hob beispielsweise Girolamo Bardi, ein ehemaliger Geistlicher, der Venedigs Rechte auf die Adria in zahlreichen Traktaten verteidigte, einzig die herrschaftsrechtliche Bedeutung des Rituals hervor und lehnte alternative Erkla¨rungen strikt ab, die
46 Vgl. De Vivo, Historical Justifications, S. 174. 47 Der in Venedig lebende ehemalige Geistliche Girolamo Bardi war einer derjenigen, die das Bildpro-
gramm fu¨r den Dogenpalast nach dem Brand von 1577 entwarfen und zudem die Legitimierung von Rechtsanspru¨chen mithilfe der Erza¨hlung der Privilegienverleihung an Venedig im Jahre 1177 unermu¨dlich in Traktatform verteidigten. Vgl. De Vivo, Historical Justifications, S. 1168–169. 48 Außer dem bereits genannten Beitrag von Filippo De Vivo ist an dieser Stelle auf die detaillierte Quellenauswertung bei Adele Camera hinzuweisen: Adele Camera, La Polemica del Dominio sull’Adriatico nel secolo XVII, in: ArchVeneto ser. 5, 20 (1937), S. 251–282. 49 Vgl. De Vivo, Historical Justifications, S. 171–176 und sehr viel ausfu¨hrlicher Antonio Panella, Fra Paolo Sarpi e il dominio dell’Adriatico, in: Rivista d’Italia 20, 5 (1917), S. 581–604. 50 BM, Cod. It. VII, 1639 (7540), Gnecchi, Cerimoniale, fol. 42. 51 De Vivo, Historical Justifications, S. 176.
5.2. Grenzziehungsrituale: Ihre politische Bedeutung in Venedig und Lu¨beck
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das Zeremoniell in Verbindung mit einem Segensritus fu¨r Seeleute und Fischer, die ¨ lung ertrunken waren, verstanden sehen wollten.52 ohne letzte O Diese Bedeutungsverschiebungen finden sich in den Gelegenheitsdichtungen, die den rituellen Ablauf symbolisch u¨berho¨hten, nicht. Texte, die dem Ritual eine poetische Deutung gaben, beschra¨nken sich darauf, mithilfe antiker Symbolik Venedig zu u¨berho¨hen.53 Der Ablauf selbst wird dabei kaum erkla¨rt, stattdessen werden Senatoren in elaborierten Worten mit antiken Helden gleichgesetzt. Auffa¨llig oft kommt in diesen Dichtungen das Wort „ko¨niglich“ vor, das Venedig als Ko¨nigin des Himmels und der Meere beigemessen wird. So heißt es u¨ber Neptuns Verhalten wa¨hrend des Sposalizio in einem idillio: E nel sentir il misto/ Di comando, e d’affetto;/ D’Imperi, e d’Himenei,/ Stette alquanto sospeso;/ Senza discerner mai,/ Se fusse piu` dolente, / O come Re` de l’acque, o` come Amante. / M’al cader de l’anel risorse, e disse: Che la real Corona, e questo Scettro/ Di tre` punte guernito/ Altri procuri haver; dove a` mia voglia / Scateno i Venti, e dispregiono il Mare;/ [...] / La mia stirpe e` divina; Ne` mi deve mancare / Privo del Regno ancor ne l’aula eccelsa/ Un angolo capace: Che non si nega a` Dei/ In sı` vasta magione angusta cella.54 ¨ hnliche U ¨ berho¨hungen mithilfe antiker Symbolik finden sich bei Ferdinando A Donno in einer den Procuratori di San Marco gewidmeten Beschreibung mit dem Titel L’ allegro giorno veneto ovvero lo sposalizio del mare55 und in den Stadtbeschreibungen Francesco Sansovinos56 und der Darstellung der venezianischen Republik bei Gasparo Contarini.57 Neben der Mo¨glichkeit, das Geschehen auf eine gelehrt-humanistische Ebene zu heben und somit keine explizite Deutung des rituellen Geschehens zu geben, la¨sst sich auch eine Betonung des religio¨sen Aspekts der Zeremonie beobachten. In diesem Zusammenhang dominierte die Verbindung des Rituals mit dem pa¨pstlichen Privileg von 1177, die durch die Hervorhebung eines bestimmten
52 Muir, Civic Ritual, S. 130. 53 Das Ritual selbst wurde sehr viel seltener in dieser Zeit in Bild und Text dargestellt als der Frieden von
1177: Zum Bildbefund vgl. Padoan Urban, La Festa della Sensa, S. 317. Die erste Abbildung der Ausfahrt mit dem Bucintoro stammt von Jost von Ammann aus dem Jahr 1565. Als Gelegenheitsliteratur wurden hinzugezogen: Mutio Sforza, Panegirico detto a Venetia sotto Nome di Reina, Venedig 1585; Ferdinando Donno, L’allegro giorno veneto ovvero lo sposalizio del Mare, Venedig 1627; Collini, Nettuno assicurato nello sposalitio del Mare, celebrato nel giorno dell’ascensione dal Serenissimo Nicolo` Contarini, Il prim’anno del suo Prencipato, Venedig 1630. 54 Und beim Ho¨ren des Zusammenspiels von Befehl und Zuneigung;/ von Herrschaftsgeboten und Hymnen,/ stand er eine Zeitlang still da;/ ohne je sich entscheiden zu ko¨nnen,/ ob es schmerzhafter sei,/ Ko¨nig der Wasser oder ihr Geliebter zu sein. / Aber beim Fallen des Rings erhob er sich, und sagte: Dass die wahre Krone, und dieses Szepter/ Mit drei Zacken versehen/ andere Vorrechte bedeute; wo mein Wille herrscht/ brechen die Winde los, und verachten das Meer;/ [...] Mein Geschlecht ist go¨ttlich; nicht darf mir fehlen, beraubt der Herrschaft, ein himmlischer Hof/ ein wu¨rdiger Winkel: Dass man den Go¨ttern nicht verweigere/ In einer so weiten Behausung eine enge Zelle. Collini, Nettuno assicurato, fol. A 4. 55 Vgl. Anm. 53. 56 Sansovino, Delle Cose notabili, fol. 13–14; Sansovino, Venetia, 1663, S. 492–526. 57 Contarini, La Republica, S. 53–57.
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
Abschnitts – na¨mlich der Aufstellung des Kirchenschatzes von San Marco58 – mit sakralen Konnotationen versehen wurde. So verband der Autor Lorenzo Arrighi59 in einem vermutlich als Auftragswerk entstandenen panegyrischen Gedicht auf Venedig aus Anlass des Sposalizio im Jahre 1594 antike und christliche Symbolik miteinander.60 Dabei beha¨lt er die traditionelle Herleitung venezianischer Herrschaft und der vom Papst verliehenen Reliquien in San Marco bei.61 Der Ablauf der Lu¨becker „Strombefahrungen“ ist nur durch die Beschreibungen u¨berliefert, die sich in den Ratsakten selbst erhalten haben.62 Im Gegensatz zum Sposalizio del mare wurden sie nicht Gegenstand von Gelegenheitsliteratur, bildlicher Darstellungen oder gar Anlass fu¨r musikalische Kunstwerke. Dieses Ritual geho¨rte nicht zum Kernbestand politischer Rituale der Hansestadt. Weder verfu¨gte es u¨ber eine lange Tradition, noch war es Bestandteil der Kodifikationen der Lu¨becker Ratswahlen. Anders als noch bei der Festlegung von Ratswahl und -setzung nahm der Rat nun nicht mehr eine sakrale Komponente zur Legitimation seiner rituellen Herrschaftsverku¨ndigung in Anspruch. Dies wa¨re ja ohne weiteres zum Beispiel durch einen gemeinsamen Gottesdienst vor der Abfahrt mo¨glich gewesen. In einer vergleichend inner-lu¨beckschen Perspektive weist dies auf einen Bedeutungsverlust des Sakralen zumindest fu¨r die Außenrepra¨sentation Lu¨becks von der Zeit um 1600 bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts hin. Der Sposalizio del mare erlangte durch viele Komponenten religio¨se Bedeutung: durch das Datum – Christi Himmelfahrt –, die Messe vor der Abfahrt des Bucintoro auf das Meer, die Begleitung des Schiffes durch das Singen von Motetten und die Teilnahme des Patriarchen, seine Segnung von Ring und Ampulle.63 Die religio¨se Konnotation des Rituals wird in Venedig um 1600 besonders stark hervorgehoben. So ließ Marin Grimani zum ersten Tag seines Dogats, der mit dem Himmelfahrtstag zusammenfiel, allein zwo¨lf verschiedene Motettentexte dichten.64 Die lange Dauer des sich nicht a¨ndernden rituellen Ablaufs weist auf die Kontinuita¨t dieser religio¨s begru¨ndeten und u¨berho¨hten Herrschaftsfundierung hin.65 Der Vergleich beider Rituale zeigt, dass in der zeremoniellen Verteidigung von
58 Vgl. Rodolfo Gallo, Il Tesoro di San Marco e la sua Storia, Venedig/Rom 1967, S. 54. 59 Lorenzo Arrighi war ein Autor lateinischer und italienischer Gelegenheitsgedichte, die er vorzugs-
weise im Auftrag Venedigs und Papst Urbans VIII. anfertigte. Vgl. s. v. Arrighi, Laurentius, in: Johann C. Adelung, Fortsetzungen und Erga¨nzungen zu Christian Gottlieb Jo¨chers allgemeinem GelehrtenLexicon, worin die Schriftsteller aller Sta¨nde nach ihren vornehmsten Lebensumsta¨nden und Schriften beschrieben werden, Bd. 1, Hildesheim 1960 [ND 1784], Sp. 1139. 60 Lorenzo Arrighi, Le Gloriose Imprese della Felicissima Republica Venetiana, Venedig 1594, fol. A2. 61 Bei diesem Aspekt richtete sich die Verteidigung der Legende von 1177 auch gegen die Symbiose religio¨ser und politischer Ordnungsanspru¨che des Papsttums in der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts, vgl. Gaetano Cozzi, La venuta di Alessandro III a Venezia nel Dibattito Religioso e Politico tra il ’500 e il ’600, in: Ateneo Veneto n. s. 15 (1977), S. 119–132. 62 Vgl. Anm. 24. 63 Diesen Aspekt des Rituals betont De Vivo, Historical Justifications, S. 161. 64 Vgl. Bryant, Liturgy, Ceremonial and Sacred Music, S. 99. 65 Im 18. Jahrhundert wurde das Ritual weder von Venezianern noch von Nicht-Venezianern besonders ernst genommen. Dies dru¨ckt sich zum Beispiel in dem Sprichwort aus, dass die Sensa senza sensa, also sinnlos, sei. Vgl. Muir, Civic Ritual, S. 128–129.
5.2. Grenzziehungsrituale: Ihre politische Bedeutung in Venedig und Lu¨beck
319
Rechten nach außen die Republiken nur dann auf vorwiegend sa¨kulare Repra¨sentationsformen zuru¨ckgriffen, wenn diese nicht auf Rituale mit einer langen Tradition fußten, wie es in Lu¨beck der Fall war. In dem venezianischen Sposalizio trug die religio¨s-politische Symbolik des Rituals eher dazu bei, dass es zunehmend als unpassend fu¨r eine Formulierung außenpolitischer Rechte empfunden wurde. Die Lu¨becker Ratsherren traten in einem weltlichen Gewand als Herren u¨ber die Stro¨me und Wasser auf. Besonders wichtig war die Teilnahme der Herren von der Wette und vom Bauhof – die Herren von der Wette als diejenigen, die besonders als sta¨dtische Policey eingesetzt wurden und die Vertreter des Bauhofs als diejenigen, die fu¨r Konstruktionsmaßnahmen, in diesem Fall fu¨r die Grenzwehre und Ha¨user zur Territorialmarkierung zusta¨ndig waren. Unerla¨sslich war auch, dass die Ratsmusikanten mitkamen.66 An jeder Station und auch wa¨hrend der Fahrt sollte die Umgebung nicht nur durch die prachtvolle Ausstattung des „Lustboths“,67 sondern auch akustisch beeindruckt werden – so, wie in Venedig die Ausstattung des Bucintoro und der ihn begleitenden Boote und die Chorbegleitung fu¨r eine feierliche Untermalung des Geschehens sorgte. Die Verbindung von Repra¨sentation und Herrschaftsausu¨bung kommt gut in einem zeitgeno¨ssischen Bericht u¨ber eine besonders prachtvolle Strombefahrung zum Ausdruck. Diese unternahm der Lu¨becker Rat im Jahre 1652, um die Gewa¨sserrechte gegenu¨ber dem nach 1648 sa¨kularisierten Bistum Ratzeburg zu sichern.68 Dort heißt es u¨ber den Einsatz der Trompeten wa¨hrend der Fahrt plastisch: Den 13. Augusti Morgends umb 2 Uhr sind sie wiederumb uffgebrochen und mit ermeltem Lustboth in begleitung zweyer Schlutupper Waydeschiffe, deren jedes mit 8 u. 9 Fischern besetzet; nach dem Daßower See abgefahren, welchen Sie dan, weil Ihnen der Wind ma¨ßig dazu diente, umb 4 Uhr erreicheten, und daselbst Im Eingange an allen o¨rten, wo Do¨rfer und adeliche Gu¨ter zur seiten liegen. In die Trommete stoßen ließen, umb Ihre ankunfft und solche solenne Befahrung den benachbarten damit wißend zu machen. Umb 5 Uhr kamen Sie an das Erste In selbem See liegendes Wehrder, genant das Boeckwehrder, welches E. E. Raths Marschalk zu genießen hat; woselbst sie an land stiegen und 6 ochsen darauf weiden fanden; Und mußte hieselbst der Trommeter abermahl durch seiner Trommet schall den benachbarten Ihre gegenwahrt und diese solenne Befahrung kund machen.69
66 Vgl. Anm. 24. 67 Bericht u¨ber eine feierliche Befahrung der Stepenitz und Maurine, S. 37. 68 Um Fischerei- und Hoheitsrechte auf dem Ratzeburger See stritten der Lu¨becker Rat, der Admi-
nistrator des Bistums beziehungsweise des Fu¨rstentums Ratzeburg und der Herzog von SachsenLauenburg, vgl. Fink, Lu¨becks Stadtgebiet, S. 263. Zu der Situation nach 1648 vgl. Hans-Georg Kaack, Die Grenze auf der Ratzeburger Insel. Die Beziehungen Lauenburgs und der Stadt Ratzeburg zum Bistum und zu Mecklenburg vom 12. Jahrhundert bis 1937, in: Die Grenz- und Territorialentwicklung im Raume Lauenburg-Mecklenburg-Lu¨beck, hg. v. Kurt Ju¨rgensen, Neumu¨nster 1992, S. 51–64, hier: S. 55. 69 Bericht u¨ber eine feierliche Befahrung der Stepenitz und Maurine, S. 37.
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
Die Ratsmusikanten markierten den Rechtsakt der Befahrung weithin ho¨rbar. Zudem beeindruckten sie auch alle, an denen der Lu¨becker Zug auf dem Wasser vorbeifuhr. Damit trugen sie auch kulturell zur Reputation des Lu¨becker Rates bei: Weil die Herren an den kleinen Berkentiner Hoff kamen, ließen sie abermahl anfa¨nglich die Trommet blasen und folgendes darauf mit Zinken musiciren; Da dan der auff selbem Hofe wohnende Edelman Marquard Barkentin mit Juncker Otto Ro¨den aus Lu¨beck im Garten nehist am ufer der Sto¨penitz stehende zusahen und zuho¨reten; benebenst auch das Frawenzimmer und Gesinde aus den Fenstern und thu¨rren des Hauses ha¨uffig hervor kucketen.70 In ganz anderer musikalischer Gestaltung, aber strukturell dennoch vergleichbar, beeindruckten die venezianischen Motetten fremde und einheimische Zuho¨rer bei der Ausfahrt des Bucintoro nach dem Punkt Due Castelli, an dem sich die Lagune in das Meer o¨ffnet und wo die Verma¨hlung stattfand, bei der der Doge einen Ring mit den Worten In signum veri perpetuisque Dominij in das Wasser warf. Die beiden großen Zeremonialbu¨cher aus der zweiten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts, das von San Marco und das auf Geheiß des Consiglio di Dieci erstellte, geben ausdru¨cklich dieses kurze Eidformular an.71 Erst das von San Marco aus der zweiten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts erga¨nzt es um desponsamus te Mare in signum veri, et perpetuo nostro Dominij.72 Ob darin ein Reflex auf eine innervenezianische Diskussion um die tatsa¨chliche Bedeutung dieser Handlung zu sehen ist, la¨sst sich aufgrund der Quellenlage nicht entscheiden. Es wa¨re durchaus denkbar. In beiden Fa¨llen sollte die Umgebung mithilfe der prachtvollen Ausstattung von Boot und Fahrtteilnehmer und durch die musikalische Untermalung syna¨sthetisch u¨berwa¨ltigt werden und die Seeherrschaft Lu¨becks und Venedigs gleichsam als sinnliches Erlebnis in Erinnerung behalten. Dass dies nicht nur in panegyrischen Gedichten suggeriert wurde, sondern auch tatsa¨chlich einen tiefen Eindruck hinterlassen konnte, zeigt ein Bericht des franzo¨sischen Pilgerreisenden Anthoine Regnaut: Le mercredy, veille de l’Ascension de nostre Seigneur Mil cinq cens quarante neuf fusmes a vespres en l’Eglise S. Marc, ou` assiste`rent messieurs de la Seigneurerie en habitz sumptueux, qui estoyend en nombre de XCII. Gentilz-hommes vestus de damas rouge. En entrant en ladicte Eglise y avoyent trompettes pendant les vespres, qui furent dictes solemnellement en musique & orgues. L’on mist sur le maistre Autel le tresor de ladicte Seigneurie.73
70 Ebd., S. 38. 71 Laut Formular von 1567 blieb es bei der Kurzformel, die logisch weitergefu¨hrt werden muss mit
desponsamus te, mare, aber es heißt ausdru¨cklich et nihil aliud dicit: Bonficacio, Rituum cerimoniale, S. 308. So auch ASV, Coll., cerim., rg.1, fol. 7. 72 BM, Cod. It. VII, 396 (7423), Pace, Ceremoniale Magnum, S. 63. 73 „Am Mittwoch, am Tage vor Himmelfahrt 1549, waren wir zur Vesper in der Kirche von San Marco, an der die Herren der Signoria in reichen Gewa¨ndern teilnahmen, sie waren 92 in rotem Damast geklei-
5.2. Grenzziehungsrituale: Ihre politische Bedeutung in Venedig und Lu¨beck
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Insgesamt war die Außenwirkung des Sposalizio del mare selbstversta¨ndlich viel gro¨ßer als die Lu¨becker Flussfahrten, die meist nur eine Handvoll einheimischer Adeliger, Fischer und Ku¨he wahrnahmen.74 Nicht nur nahmen die wichtigsten auswa¨rtigen Gesandten an ihm teil. Auch der im Umkreis der Zeremonie stattfindende allja¨hrliche große Markt zog zahlreiche Schaulustige und Fremde an.75 Sie konnten aber nur das Geschehen in der Kirche von San Marco, die dortige Vesper und Messe sowie den Markt auf dem Platz erleben. Allein die Gesandten und die Besatzungen der Boote, die den Bucintoro begleiten durften, sollten die eigentliche Verma¨hlung mit eigenen Augen sehen und bezeugen.76 Wenn auch mit kulturell sehr viel elaborierteren Mitteln, so glichen sich beide Rituale in ihrer Aussage, na¨mlich in der sicht- und fu¨hlbar gemachten Oberhoheit u¨ber das Wasser. Auch in ihren Funktionen im Inneren gibt es Parallelen zwischen den Lu¨becker Strombefahrungen und dem venezianischen Sposalizio, die strukturell bedingt sind. In beiden Fa¨llen spielte es eine ebenso große Rolle, andere Gruppen, die der jeweiligen Oberhoheit untertan waren, aktiv miteinzubeziehen. So betonte die Beschreibung der „solennen Fahrt“ des Jahres 1652 das Gewimmel auf dem Wasser, das durch die Begleitung des „Lustbootes“ durch die Wasserfahrzeuge der unter Lu¨becker Herrschaft stehenden Fischer entstand und das Gefolge77 des Zuges auf dem Wasser bildeten: Woselbst die Lu¨bschen Fischer, welche die nacht von Schlutup vorauß gefahren waren, mit 4 Waydeschiffen, deren jedes mit 7. 8. 9. a` 10 personen besetzet, der Herren wartete und sie mit lo¨sung ihrer langen bu¨chsen entfingen; worauff der Trommeter und folgends auch die Musicanten mit Ihrem respective Spiel und Music alternatim antworteten.78 Die Begleitung der Fischer visualisierte auch die personengebundene Oberhoheit der Stadt. In Venedig war es gleichfalls das Gewimmel von Beibooten neben und hinter dem Bucintoro auf dem Wasser – gut erkennbar auf zwei dem Sposalizio gewidmeten Kupferstichen Giacomo Francos79 – das, wie auch bei anderen venezianischen Ritualen, einen festen Bestandteil des Ablaufs darstellte. In Venedig waren es verschiedene Gruppen, die privilegiert am Ablauf beteiligt waren. Die Nicolotti verfu¨gten sowohl
dete Nobili. Bei dem Einzug in die Kirche hatten sie bei der Vesper Trompetenmusik, die auf feierliche Weise Musik und Orgelklang begleiteten. Auf den Hochaltar hatten sie den Schatz besagter Signoria gestellt.“ Anthoine Regnaut, Discours du Voyage [...], Lyons 1573, S. 11. 74 Dies zeigt sich bereits an den fu¨r Lu¨beck ga¨nzlich fehlenden Einzeldrucken. 75 Da ein Stellplatz sehr begehrt war, mussten die Procuratori di San Marco sowohl fu¨r Platz zwischen den Buden sorgen als auch immer wieder Streitigkeiten unter Zunftmitgliedern schlichten. Entsprechender Raum war auf dem Platz nicht nur fu¨r die vielen fremden Schaulustigen no¨tig, sondern auch fu¨r die Prozession des Dogen: ASV, Procuratori di San Marco de supra, bu. 50, Terminazioni e decreti sulla fiera dell’Ascensione, Beschlu¨sse und Protokolle aus den Jahren 1585–1620. 76 Zur Teilnahme der Gesandten vgl. BM, Cod. It. VII, 1639 (7540), Gnecchi, Cerimoniale, fol. 42. 77 So auch wo¨rtlich. Vgl. Bericht u¨ber eine feierliche Befahrung der Stepenitz und Maurine, S. 39: Kehrten Sie mit beyhabendem Comitat bei dem pastor H. Johanne Seedorff Rostochiense [...] ein. 78 Bericht u¨ber eine feierliche Befahrung der Stepenitz und Maurine, S. 37. 79 Siehe Abbildungen 14–15.
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
Abb. 14: Der Doge und seine Begleitung vollziehen vom Bucintoro aus das ja¨hrliche Ritual des Sposalizio del Mare Kupferstich von Giacomo Franco, 1610 (wie Abb. 3) Quelle: Bayerische Staatsbibliothek Mu¨nchen
5.2. Grenzziehungsrituale: Ihre politische Bedeutung in Venedig und Lu¨beck
Abb. 15: Ru¨ckkehr des Bucintoro nach der Zeremonie des Sposalizio del Mare Kupferstich von Giacomo Franco, 1610 (wie Abb. 3) Quelle: Bayerische Staatsbibliothek Mu¨nchen
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
u¨ber das Recht, den Bucintoro mit einem eigenen Boot zu begleiten, als auch dem Dogen jeweils bei Abfahrt und Landung an der Piazzetta die unbedeckte Hand zu schu¨tteln.80 Zusa¨tzlich war ihnen gestattet, mit erhobenem Banner dem Bucintoro zu folgen, ein Privileg, das anderen Gruppen nicht zustand und sie im Gefolge auf dem Wasser hervorhob.81 Neben dieser im venezianischen Stadtraum ansa¨ssigen Gruppe wurden Abgesandte der Lagunengemeinden Murano, Torcello sowie Poveglias und Malamoccos in den Ablauf miteinbezogen. Von diesen waren die Bewohner der Insel Poveglia besonders privilegiert. Auch sie durften, wie die Nicolotti, die unbedeckte Hand des Dogen beru¨hren.82 Die Funktion des Sposalizio, die unter venezianischer Oberhoheit stehenden Gruppen an sich zu binden – und dies in einer eigentu¨mlichen Mischung aus Gruppen, die aus kleineren Gemeinden der Lagune stammten und Gruppen, die aus dem Stadtraum Venedigs kamen – ist als ein traditionelles Element anzusehen, das nichtsdestotrotz gleichfalls immer weiter verschriftlicht und in diesem Rahmen auch immer weiter normativ festgelegt wurde. Seine Sichtbarmachung von venezianischen Herrschaftsanspru¨chen gehorchte einem vorsouvera¨nen Versta¨ndnis politischer Ordnung und wurde daher von auswa¨rtigen Beobachtern teilweise als la¨cherlich empfunden. Die politisch fu¨r Venedig ungu¨nstige Situation ¨ nderung des Sposalizio selbst noch zu andeauf der Adria fu¨hrte weder zu einer A ren Interpretationen des Rituals. Vielmehr wurde – entgegen den Ratschla¨gen der juristischen Ratgeber – auf dem traditionellen Bedeutungsgehalt bestanden und die prachtvoll gekleidete Form bis zum Ende der Republik beibehalten. Diesem eher konservativen Festhalten an dem Gesamtablauf standen Versuche gegenu¨ber, ein¨ berzelne Elemente besonders hervorzuheben und fu¨r Venedigs Verteidigung und U ho¨hung hinzuzuziehen; um 1600 sind dies besonders die religio¨sen Elemente – die Messe und die Zurschaustellung der Reliquien von San Marco am Vorabend des Sposalizio – die auch gegenu¨ber dem Papsttum Venedigs Sakralita¨t betonen sollen. Bei den Lu¨becker Strombefahrungen handelt es sich hingegen um eine zeremonielle Inszenierung der nun mit dem begrifflichen und theoretischen Arsenal staatlicher Rechtswahrung vorgebrachten territorialen Hoheitsanspru¨che der Reichs- und Hansestadt auf die sie umgebenden Gewa¨sser. Sie stellen gleichsam Ho¨he- und Abschlusspunkt der Entwicklung einer Lu¨becker Machthoheit auf diesem Gebiet dar. Beide Rituale beriefen sich auf Privilegienverleihungen, die im Mittelalter stattgefunden hatten. Allein in Venedig wurde diese Tradition aber auch in den Diskursen und Bildern, die sich um das Ritual gebildet hatten, szenisch und visuell hervorgehoben. Damit nahmen die Patrizier allerdings in Kauf, dass der traditionelle Sinngehalt des Sposalizio inner- und außerhalb Venedigs leicht in Frage gestellt werden konnte. Lu¨beck umging in seinen „solemnen Strombefahrungen“ die Ambivalenz von traditionellen Privilegien und politischen Realita¨ten auf seinen Gewa¨ssern. Seine Ratsherren betonten allein den juristischen Aspekt der Fahrten. Ihre Gewa¨sserbefahrungen 80 Damit wurden die Gruppen geehrt, die fu¨r die Gestaltung des Festes in besonders hohem Maße ver-
antwortlich waren, siehe dafu¨r auch die Memorialbilder der Zu¨nfte anla¨sslich ihres Ha¨ndedrucks mit dem Dogen im Rahmen der Dogaressakro¨nungen. 81 Vgl. BMC, Cod. Gradenigo 185: s. v. Riti, usanze, Cerimonie [...], Eintrag fu¨r das Jahr 1581. 82 Vgl. Anm. 81.
5.3. Empfa¨nge und Aufenthalte fu¨rstlicher Standespersonen
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waren ein durch und durch sa¨kulares und paternalistisches Ritual. Es war musikalisch und visuell keineswegs so elaboriert ausgestaltet wie der Sposalizio, aber auch vor Kritik und Spott besser gefeit. Noch in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts konnte ihre Durchfu¨hrung als Argument zur Verteidigung Lu¨becker Hoheitsanspru¨che vor dem Reichsgerichtshof dienen.83 Im Grunde erwies sich die Hansestadt in diesem einen Falle als ihrer weitaus prachtvolleren Schwester an der Adria hinsichtlich der spektakula¨ren Inszenierung von Machtanspru¨chen gegenu¨ber den vor der Stadt liegenden Gebieten zwar nicht kulturell, aber politisch um einen Schritt voraus.
5.3. Innere Kontrolle und a¨ußerer Glanz: Empfa¨nge und Aufenthalte fu¨rstlicher Standespersonen
Am Weihnachtstag des Jahres 1562 na¨herte sich Alfonso II. d’Este, Herzog von Ferrara der venezianischen Lagune. Anzahl, Ausstattung und musikalische Untermalung seines spektakula¨ren Auftritts vermerkte der anonyme Verfasser einer gedruckten Beschreibung, die wenig spa¨ter nach dem Ereignis in Venedig erschien, genau und voller Bewunderung: Partisi adunque questo Eccellentissimo Signore da Ferrara a diece d’Aprile, s’imbarco` a Francolino [...] era acompagnato da cento de’ principali suoi gentiluomini, e da altri personaggi, & huomini da servigio: i quali tutti il numero di due mila quattrocento e trentacinque facevano.84 Die Wu¨rdigung des Autors fu¨r die Ausstattung des Herzogs reichte sogar so weit, dass er minutio¨s die Boote beschrieb, die den Herzog und sein Gefolge transportierten – eine Aufmerksamkeit, die die meisten Festberichterstatter allein venezianischen Wasserfahrzeugen zukommen ließen.85 Das besonders prachtvolle Gefa¨hrt des Herzogs selbst wusste der Autor nur mit dem Ausdruck Bucentoro zu beschreiben. Nicht-venezianische Repra¨sentation wird hier gleichsam begrifflich eingemeindet: Quivi salı` nel suo Bucentoro; che e` un bellissimo legno e con bell’ordine fabricato; & era di dentro e di fuori tutto adorno di panni d’oro [...]. Gli altri tutti di mano in mano entrarono in altri navigli, che erano settanta, e tutti coperti di razzi, & addobati in guisa, che rappresentavana di loro
83 Vgl. Anm. 24. 84 „Am zehnten April fuhr also dieser wirklich Exzellente Herr von Ferrara los, er schiffte sich in Franco-
lino ein [...]. Er wurde von hundert seiner wichtigsten Adeligen begleitet, und von anderen Personen, & Dienstleuten: die alle zusammen die Anzahl von 2435 ergaben.“ [Anonym], La Entrata [...], Venedig 1562, fol. 2. 85 Vgl. hierzu mit Bezug auf Text- und Bildquellen: Lina Padoan Urban, Le feste sull’acqua a Venezia nel secolo XVI e il potere politico, in: Il teatro italiano del Rinascimento, hg. v. Maristella De Panizza Lorch, Mailand 1980, S. 483–505.
326
5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
a gli occhi de’ risguardanti una maravigliosa vista; oltra la profonda harmonia de i trombetti, de i piffari, tamburi, e musici di ogni sorte, la quale rimbombava lungo il Po con il stupore di tutto.86 Vierundachtzig Jahre spa¨ter erweckte ein a¨hnlich glanzvoller Durchzug einer ranghohen Perso¨nlichkeit die Aufmerksamkeit hansesta¨dtischer Chronisten und Tagebuchschreiber. Anla¨sslich ihrer Eheschließung mit dem polnischen Ko¨nig Ladislaus IV. zog Luisa-Maria von Gonzaga-Nevers von Paris durch halb Europa in ihr zuku¨nftiges Ko¨nigreich.87 Dabei reiste sie auch durch Bremen, Lu¨beck und Hamburg und erregte die Aufmerksamkeit der hansesta¨dtischen Beobachter, nicht, weil sie von einer ambassatrice geleitet wurde,88 sondern aufgrund der Prachtentfaltung ihres Gefolges. Die Stimmen aus Lu¨beck, Hamburg und Bremen gleichen sich in ihrer Reaktion auf dieses Ereignis. Die erste Station des Durchzugs war Bremen, aus dem die detaillierteste Beschreibung stammt: Am 3. Januar abends umb Neu¨n uhr ist alhier angekommen die braut des Ko¨nigs Vladislai IV in Pohlen. Maria Louisa Gonzaga, Printzeßin von Nevers und Mantua, Hertzogs Caroli von Mantua Tochter [...]. Sie hatte ein großes gefolge von Franzosen und Pohlen, so u¨ber 320 personen und 400 pferde starck war bey¨ sich. Unter deren Vornehmsten personen war Vorgedachter Extraordinari Gesandte und der bischoff von Warmeland, als Abgeordneter zur abholung. Die verwittibte Gra¨fin und Marechallin von Guebrian als Ambassadricin des Ko¨nigs von Franckreich, benebst des bischoffs von Orangie einen Prelaten von vielen geschicklichkeit und gelehrsahmkeit. Die Printzeßin wurde auf der grentzen zum Varrelgraben ehrerbietigst empfangen und zur Stadt eingeholet. Bey¨ der ankunfft zu der Neu¨stadt wurden ii canonen von derselben Vestung, so dan von der braut, Aschenburg und der Holtz-pforten alles geschu¨tz loosgebracht und ein feu¨erwerck nebst vielen Raqueten angezundet. Die angeworbene Mannschafft der Soldaten standt bey¨sammen in einem Corpo, die Bu¨rgerschafft aber, so in der Neu¨en als alten Stadt stunden mit fliegenden fahnen an bey¨den seiten der gaßen bis ans H. Meimari Scho¨nen behausung, woselbst sie logiret worden. Der Legat bekam sein Quartier im großen Kosthause, die Ambassadricin bey¨ H Betkenis Betken, der Franzo¨sische Bischoff bey¨ Diederich Steneken, der Pohlnische aber bey¨ Simon Swechusen, die u¨brigen vornehmen Herren und Dames aber, in den bequemsten
86 „Dort stieg er in seinen Bucintoro; der ist aus sehr scho¨nem Holz und sehr gut gearbeitet; & außen und
innen war er mit golddurchwirkten Tu¨chtern geschmu¨ckt [...]. Alle anderen bestiegen Hand in Hand die anderen Boote, davon gab es siebzig Stu¨ck, die alle mit Tu¨chern bedeckt & verkleidet waren, so dass sie fu¨r die Augen einen wunderbarer Anblick boten; außerdem gab es eine durchdringende Harmonie von Trompeten, Pfeifen und Tamburinen, und Musiken von jeder Art, so dass der Po der La¨nge nach unter dem La¨rm von allem erbebte.“ [Anonym], La Entrata [...], Venedig 1562, fol. 2. 87 Zum politischen Kontext der Reise vgl. Lucien Be´ly, La socie´te´ des princes. XVI–XVIII sie`cles, Paris 1999, S. 246–259. 88 Be´ly, La socie´te´ des princes, S. 251–255.
5.3. Empfa¨nge und Aufenthalte fu¨rstlicher Standespersonen
327
hau¨sern auf der Ober- und Langen straßen. Und weilen diese ankunfft bey¨ spa¨ter abendzeit geschach, so mußte jeder bu¨rger vor der thu¨re eine brennende laterne außha¨ngen, und wu¨rden ohnedehm gar viele fackeln vorgetragen. Des folgenden tages wu¨rde der Ko¨nigin ein feister Ochse, 1 last habern, 5 Ohm Reinisch-fransch- und Spanischer wein in die Ku¨che verehret, dergleichen geschenckt bekam auch die ambassadricin, und der Pohlnische Legatus [...]. Auf Heil. drey¨ Ko¨nige tag war der 6te Januar reisete die Ko¨nigliche braut mit ihrem gefolge morgendts umb 9 Uhr unter abfeu¨rung des Canons Vom Osternthors walle wieder ab.89 Der Bremer Rat erwies sich – diesen Eindruck erweckt die Schilderung – als ein Gastgeber, der mit dem hohen Rang seiner durchfahrenden Ga¨ste angemessen umzugehen wusste. Er habe keine Mu¨he gescheut, der Pracht des Zuges ein nicht minder pra¨chtiges Stadtbild bei dessen na¨chtlicher Ankunft entgegenzusetzen. Zudem habe er es verstanden, so der Bremer Chronist, den Rang der jeweiligen Begleiter der ku¨nftigen Monarchin genau einzuscha¨tzen, indem er ihnen die ihrem Stand entsprechenden Unterku¨nfte zuteilte. Die Schilderung des Durchzugs der Luise-Maria von GonzagaNevers aus Hamburg, ihrer na¨chsten Station, ist weit weniger elaboriert. Aber auch sie gibt zu erkennen, was fu¨r ein Aufsehen der Zug erregte. Die im Vergleich zu der Bremer ku¨rzere Hamburger Beschreibung bringt ebenfalls nicht nur die Prachtentfaltung des Zuges zur Geltung, sondern auch das Hamburger Verhalten: Unterbringung und Verpflegung des Gastes und seines Gefolges, Salutschu¨sse und Geschenke.90 und ist gemelten dato u¨ber biß von Haarburg anhero gelanget und nahm ihren Durchzug auf gar ko¨stlichen Schlitten, kamen ins Millernthor, u¨bern Buhrstah, durch die Bahnstraße, und ward in H. Hermann Langenbeken Hause am Orte dem Brandtstwiete einlogiret; E. E. Rath hat Ihr zu Ehren etliche compagnien Soldaten laßen draußen Salven schießen. Sie ward durch E. E. Raths Hl. Deputirte [...] regaliret, mit einer gaar scho¨nen Lampete a` 700 Loth, wie auch mit andern Herrlichen praesenten. Des Sontags Morgends unter der Predigt, zog Sie weg außm Steinthor, da wurden Ihr zu Ehren 60. Stu¨ck gelo¨set, und zog nach Lu¨beck. In der Lu¨becker Chronik von Kirchring und Mu¨ller, die, wie die hier zitierten Hamburger und Bremer Beispiele eine Kompilation aus Vorga¨ngertexten darstellt, schildert das Handeln der Empfangenden zwar knapp, aber auch recht selbstbewusst: Anno 1645.91 ist die Ko¨nigl. Polnische Braut Princessin Loysa Maria von Nivers, zusampt der grossen ko¨nigl. Polnischen Gesandtschafft aus Franckreich durch Niederlandt/Hollandt und Hamburg zu Lu¨beck angelanget und stattlich eingeholet worden.92 89 Vgl. STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 675–678. 90 STAH, 731–1, Handschriftensammlung, Ms. 54 a, Hamburgische Chronica von den Zeiten Kayser
Carls des Großen bis auff des Jahr MDCLXXX, fol. 390.
91 Die falsche Datumsangabe steht im Text. 92 Kirchring und Mu¨ller, Compendium, S. 308.
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
Die Lu¨becker Schilderung ist diejenige, die dem Zug am wenigsten Aufmerksamkeit schenkt. Dies ha¨ngt mit den unterschiedlichen Wertigkeiten des Empfangs fu¨r den außenpolitischen Status beider Sta¨dte zusammen. Fu¨r die politische Stellung des Bremer Rates war es noch weitaus wichtiger, seine Kompetenz in der angemessenen Behandlung der Ga¨ste nachzuweisen und damit seine Fa¨higkeit, ein autonomes Gemeinwesen auch nach außen hin zu vertreten.93 Alle drei Zitate bringen zum Ausdruck, welchen Eindruck die Prachtentfaltung der fremden Ga¨ste hervorrief. Darin gleichen sie sich der venezianischen Schilderung des herzo¨glichen Einzugs in Venedig, die zu Beginn zitiert worden ist. Solche Festbeschreibungen scheinen einem normativ und symbolisch verankerten republikanischen Bewusstsein im Sinne einer explizit antimonarchischen Werthaltung zu widersprechen. Das Selbstbild Hamburgs, Bremens, Lu¨becks und auch Venedigs konstituierte sich im Moment der Ankunft einer auswa¨rtigen Standesperson vornehmlich als ein Gemeinwesen, dessen Rang gegenu¨ber anderen politischen Gebilden sich in der Interaktion herstellte. Dabei wurde zumindest die Rangerhaltung, wenn nicht sogar die Rangerho¨hung angestrebt. Je ho¨her der Rang der Ga¨ste war, desto eher fiel etwas von ihrem Glanz auch auf die Gastgeber ab. Nicht nur die Tatsache des Besuches selbst, sondern auch sein reibungsloser Ablauf bewies, dass die Republik sich meisterhaft auf dem Parkett der zeremoniellen Kommunikation zwischen den europa¨ischen Ma¨chten zu bewegen verstand. dopo la quale ricevette Sua Eccellenza una lautissima cena, venendo con essa spesate piu` di cento e sessanta persona, e tutte con la magnificenza, e splendore, ch’e` proprio della Serenissima Republica in simili rincontri, e massime in questo, che le s’e` rappresentato per un soggetto cosi qualificato, e degno, come l’Ecellentissimo Signor Duca de Crequy.94 heißt es hierzu deutlich in einer Relatione della Entrata pomposa des franzo¨sischen Gesandten Charles De Crequi95 in Venedig im Jahre 1634.96 Der offizielle Besuch eines gekro¨nten Hauptes war im Falle der Hamburgs und Bremens fu¨r die Definition des politisch-rechtlichen Status wichtiger als in Venedig und in Lu¨beck, da er die Anerkennung der jeweiligen Autonomie bedeuten konnte. Aus diesem Grunde
93 Kurz zuvor hatten schwedische Truppen das Erzstift und auch den Stadtraum besetzt. In Bremen
bereitete man das so genannte Linzer Diplom vor, mit dem Bremens Reichsstandschaft festgestellt werden sollte. 94 „Nach der [Fahrt u¨ber den Canal Grande] erhielt seine Exzellenz eine sehr reichhaltige Mahlzeit, bei der u¨ber hundertsechzig Personen verpflegt wurden, und alle mit einer Großzu¨gigkeit und einem Glanz, wie er dieser sehr Ehrwu¨rdigen Republik bei solchen Zusammenku¨nften zueigen ist, und besonders dann, wenn ein so verdienstvoller und wu¨rdiger Mann dabei ist, wie der wirklich Exzellente Herr Herzog von Crequy.“ 95 Der vollsta¨ndige Titel lautet Charles I de Cre´qui de Blanchefort et de Canaples, Duc de Lesdigue`res. 96 [Anonym], Relatione della Entrata pomposa fatta in Venetia. Dall’Illustriss. & Eccelentiss. Signor DECREQUY Prencipe di Poix, Duca dell’Ediguiere, Pari, e Marescial di Francia, Consigliere di S. M. Christianissimo ne’ suoi Consigli di Stato, Cavaliere de gli Ordini di S. M. Primo Gentil’huomo della sua Camera, Luogotenente Generale per detta Maesta` nel Delfinato. Et suo Ambasciator d’ubbidienza di ritorno dalla Santita` di N. S. alla Serenissima Repubblica, Venedig 1634, S. 12.
5.3. Empfa¨nge und Aufenthalte fu¨rstlicher Standespersonen
329
vermerkten Chronisten und Tagebuchschreiber in Hamburg und Bremen sehr viel umfangreicher und akribischer als in Lu¨beck Datum und Rang der jeweils durchziehenden Person und ihres Gefolges, ohne dem Ablauf des Besuches selbst viel Aufmerksamkeit zu schenken.97 Im Gegensatz zu Venedig konnten sie allerdings keinen so prominenten Einzug eines ko¨niglichen Gastes wie die Lagunenrepublik mit Einzug und Aufenthalt Heinrichs III. von Frankreich im Jahre 1574 verzeichnen, der die Republik bei seiner Reise von Polen nach Frankreich besuchte. Dieser Besuch fand ein immenses Medienecho nicht nur in gedruckten, sondern auch in fast sa¨mtlichen handschriftlichen Texten dieser und auch der darauffolgenden Jahre.98 Neben einer persischen99 und einer (ansonsten nicht dokumentierten) Nu¨rnberger Delegation100 ist der franzo¨sische Thronfolger auch der einzige offiziell empfangene Gast, dem die Ehre zukam, an prominenter Stelle im Dogenpalast in einer Inschrift und mehreren Gema¨lden verewigt zu werden.101 Venedig befand sich gegenu¨ber Besuchern von
97 Dies zeigt sich nicht nur in der Chronistik, sondern auch in den Tagebu¨chern der Magistrate: Vgl.
zum Beispiel STAB, 2-P.1.-4., Heinrich Mey¨er, Diarium. Waß sich auf bu¨rgerliche Conventen item wegen der Oldenburgischen Zolle, auf General Friedens-Schluß zu Osnabru¨ck und wegen Schwedischer Tractaten mit der Stadt Bremen zugetragen. annis 1642 biß 1643 [sic! eigentlich 1683], S. 11–14, 26, 29–31, 50–51, 61–62 und Aus dem Tagebuch des Lu¨beckischen Bu¨rgermeisters Henrich Brokes, Teil 2, S. 427. 98 Zu den Quellen vgl. die bibliographische Zusammenstellung in: Pier De Nolhac/Angelo Solerti, Il Viaggio in Italia di Enrico III. re di Francia, e le feste a Venezia, Ferrara, Mantova e Torino, Turin 1890, S. 3–27; Margaret McGowan, Festivals and the Arts in Henri III’s Journey from Poland to France, in: Europa Triumphans. Court and Civic Festivals in Early Modern Europe, Bd. 1, hg. v. James R. Mulryne/Helen Watanabe-O’Kelly/Margaret Shewring, Aldershot 2004, S. 122–218. Dieses Ereignis hat die Aufmerksamkeit historischer und kunsthistorischer Forschung auf sich gezogen, vgl. die beiden historischen Dissertationsprojekte von Nina Breitsprecher und Evelyn Korsch: Nina Breitsprecher, Heinrich III. von Frankreich und Adolf Hitler in Venedig: Die Ankunft des Anderen als Projektionsfla¨che der Selbstdarstellung bestehender Herrschaftssysteme, in: Die Ankunft des Anderen. Ankunftszeremonien in interkultureller und intertemporaler Vergleichsperspektive, hg. v. Susann Baller u. a., Frankfurt a. M./New York 2008, S. 82–105; Evelyn Korsch, Das Bild Venedigs im 16. Jahrhundert – Die Entre´e Heinrichs III. als Kommunikationssystem, in: MittResKom 9, 1 (1999), S. 19–22; fu¨r den kunsthistorischen Befund vgl. die Zusammenstellung und Diskussion der Bildquellen bei Nicolas Ivanoff, Henri III a` Venise, in: Gazette des Beaux-Arts 80 (1972). S. 313–330. Eine Analyse des handschriftlichen Materials ist bisher noch nicht systematisch vorgenommen worden. Vgl. die Erwa¨hnung des Einzugs in den Zeremonialbu¨chern: ASV, Coll., cerim. rg. 1, fol. 43–44; BM, Cod. It. VII, 1639 (7540), Gnecchi, Cerimoniale, fol. 66–72; BM, Cod. It. VII, 396 (7423), Pace, Ceremoniale Magnum, S. 286–287 sowie im Tagebuch Francesco Da Molinos: BM, Cod. It. VII, 533 (8812), Da Molino, Compendio, S. 54–63, und in der zeitgeno¨ssischen Chronistik: BMC, Cod. Cic. 3752 Savina, Cronaca, Teil 4, fol. 97–99. 99 Vgl. die Abbildung in: Wolters, Bilderschmuck, S. 224. Eine persische Gesandtschaft wurde im Jahr 1603 in Venedig empfangen. 100 Vermutlich gab ein Briefwechsel zwischen dem Nu¨rnberger Rat und Venedig im Jahre 1506, in dem die Reichssta¨dter um Rat in Verfassungsfragen baten, dazu Anlass, dieses Ereignis zu einem tatsa¨chlichen Besuch auszudeuten. Vgl. Wolters, Bilderschmuck, S. 228–229. 101 Zur Inschrift vgl. die Abschrift des Senatsurteils vom 12. Ma¨rz 1575: BMC, Cod. Cic. 2043, Quellensammlung zu venezianischen Ritualen und Festen, fol. 92–93; der Einzug Heinrichs III. wurde – wie auch die Darstellungen des Empfangs der Nu¨rnberger und persischen Delegation in der Sala delle Quattro Porte (auch Antepregadi genannt), also in dem Vorzimmer zum Senatssaal aufgeha¨ngt, in dem auch die Gesandten u¨blicherweise auf ihre feierliche Audienz warteten. Vgl. Wolters, Bilderschmuck, S. 223.
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
hohem Rang nicht nur aufgrund seines Status in einer gu¨nstigeren Position, sondern auch deswegen, weil sein Territorium – anders als die Hansesta¨dte – nicht durchquert werden konnte, ohne dass den Gastgebern gebu¨hrende Aufmerksamkeit geschenkt worden wa¨re, wie es in den Hansesta¨dten teilweise der Fall war.102 Wegen der geographischen Lage konnte ein fremder Besucher nur mit Mu¨he eigensta¨ndig durch oder an Venedig vorbeireisen und schon gar nicht ein großes Gefolge mitfu¨hren.103 Ausgehend von diesen Voru¨berlegungen zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Bedeutung von Empfa¨ngen und Aufenthalten fremder Standespersonen in Venedig und den Hansesta¨dten soll der Zusammenhang zwischen politischen Ordnungsvorstellungen und außenpolitischer rituell gefasster Repra¨sentation na¨her beleuchtet werden. Es wa¨re ein Trugschluss anzunehmen, dass die Empfa¨nge und Aufenthalte fremder Standespersonen den politischen Magistraten Venedigs und der Hansesta¨dte als Gelegenheiten galten, Gegensa¨tze zwischen republikanischen und monarchischen Gemeinwesen zu thematisieren. Die eigene politische Verfasstheit sollte nicht vorrangig repra¨sentiert werden. Vielmehr galt es, die Gefahren, die fu¨r diese Gemeinwesen in dem Empfang fremder Standespersonen lagen, zu identifizieren und sie durch ein stark formalisiertes Verhalten ihnen gegenu¨ber zu minimieren. Somit sind gerade die Empfangsrituale nicht rituelle Situationen, in denen das Eigene durch die Auseinandersetzung mit dem Fremden bestimmt werden sollte. Dies sollte vielmehr so weit wie mo¨glich vermieden werden.104 In den Augen der Magistrate galten die Rituale als Situationen, bei denen ihr Rang im werdenden europa¨ischen Ma¨chtesystem immer wieder aufs Neue festgesetzt wurde. Die eigene Autonomie sollte mo¨glichst geschickt gewahrt werden.105 Im 16. Jahrhundert festigten sich die Formen der Rituale zu Empfang und Unterhaltung der Ga¨ste, bei denen letztere auch teilnehmen mussten, wenn sie in die Stadt einzogen.106 Die jeweiligen Formen sollten sich von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts nicht a¨ndern.107
102 Vgl. zum Beispiel die Anku¨ndigung eines Besuchs durch den da¨nischen Ko¨nig Friedrich II. bei der
Hansestadt Lu¨beck, die er im letzten Moment doch nicht beehrte, so dass es dem Rat nur noch u¨brig blieb, ihm die zugedachten Geschenke nachzusenden: Anno 1579 den 5. Septembris ist Ko¨nig Friderici 2d in Dennemark Gemahl/ oder Ko¨nigin sampt den jungen Printzen und Fra¨ulein durch Lu¨beck nachdem Kloster Rienefeldt gezogen/ der Ko¨nig aber hat nicht durch Lu¨beck ziehen wollen/ sondern ist u¨ber die Lu¨nische Fehr u¨ber die Trave gangen/ weil sie aus Mecklenburg gekommen/ der Raht zu Lu¨beck hat einige Praesenten Ihrer Ko¨nigl. Maytt. Nachgeschicket. Vgl.: Kirchring und Mu¨ller, Compendium, S. 242–243. 103 Diesen Aspekt betont zu Recht Breitsprecher, Heinrich III. von Frankreich. 104 Dies ist ein Ansatz der ethnologisch orientierten Reiseforschung. Vgl. die Ankunftsinterpretationen in: Eric J. Leed, Die Erfahrung der Ferne. Reisen von Gilgamesch bis zum Tourismus unserer Tage, Frankfurt a. M. 1993, S. 99–125. 105 Vgl. Baller u. a., Einleitung. 106 Fu¨r Venedig vgl. Patricia Fortini Brown, Measured Friendship, Calculated Pomp: The Ceremonial Welcomes of the Venetian Republic, in: „All the World’s a Stage ...“. Art and Pageantry in the Renaissance and the Baroque. Part 1: Triumphal Celebrations and the Rituals of Statecraft, hg. v. Barbara Wisch/Susan Scott Munshower, Pennsylvania 1990, S. 137–155. Fu¨r die Hansesta¨dte fehlt in diesem Bereich jegliche Forschung; eine zunehmende Verschriftlichung des Vorgehens la¨sst sich aber gut an dem Anstieg der Materialien im Bestand AHL, ASA-Interna, Ceremonialia erkennen. 107 Diese Form hielt sich auch bis zum Ende der Republik. Vgl. die Empfangsschilderungen in der handschriftlichen Zusammenstellung in BM, Cod. It. VII, 707 (7898), Memorie del passaggio per lo Stato
5.3. Empfa¨nge und Aufenthalte fu¨rstlicher Standespersonen
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Der elaborierte Ablauf von Empfang und Gestaltung des Aufenthaltes sollte in seiner Reibungslosigkeit auch die Vollkommenheit der politischen Ordnung, ihr harmonisches a¨ußeres und inneres Erscheinungsbild, den Ga¨sten vor Augen fu¨hren.108 Das ritualisierte Ablaufmuster diente mehreren Funktionen. Zum einen ließ es dem Ankommenden wenig bis gar keinen eigenen Gestaltungs- und Handlungsspielraum. Auch wenn sich die Ga¨ste teilweise daru¨ber beschwerten, a¨nderten hansesta¨dtische Ratsherren und venezianische Senatoren den Ablauf nicht.109 Konnten sich Ga¨ste dem hansesta¨dtischen Besuchsprogramm noch dadurch entziehen, dass sie vorzeitig abreisten oder unter Vorwa¨nden gar nicht feierlich in die Stadt einzogen,110 waren sie in Venedig auf das Wohlwollen und auch die Sachkenntnis ihrer Gastgeber angewiesen, ohne deren Hilfe sie kaum auf den komplizierten Wasserwegen der Lagune Venedig wieder verlassen konnten. Aus diesem Grund fanden mehr Inkognito-Besuche in den Hansesta¨dten statt. Die venezianischen Patrizier ignorierten Wu¨nsche nach solchen Besuchen konsequent. Ha¨tten sie einen von Stand hohen Gast als Inkognitobesucher geduldet, so ha¨tte dies nicht nur bedeutet, dass er Facetten der Stadt kennengelernt ha¨tte, die dem idealisierten Bild des Besuchsprogramms womo¨glich widersprochen ha¨tten. Er ha¨tte auch die Gelegenheit dazu gehabt, informelle Kontakte zu Patriziern zu knu¨pfen. Bei einem la¨ngeren Aufenthalt ha¨tte ein solch unerkannt in Venedig weilender Besucher gerade in der außen- und konfessionspolitisch aufgeheizten Lage um 1600 sehr gut zu einer Gefahr der Stabilita¨t der Lagunenrepublik werden ko¨nnen. Auch den hansesta¨dtischen Ratsherren gefielen inkognito in ihren Mauern weilende Ga¨ste wenig. Sie ließen es sich ha¨ufig nicht nehmen, ihnen durch Geschenke und offizielle Einladungen zu signalisieren, dass es in ihrer Macht liege, ihr Unerkanntsein jederzeit zu beenden.111 Veneto di Prencipi e Soggetti Esteri, 1347–1773. Fu¨r die Hansesta¨dte vgl. auch die vielfa¨ltigen Belege in: Reisen und Reisende in Norddeutschland, passim. Fu¨r Hamburg la¨sst sich dies zum Beispiel gut an einem Vergleich der Schilderungen zeigen, in: STAH, 731–1, Handschriftensammlung, Ms. 69a, Hamburgische Chronik 1503–1730, S. 23–24, 27, 29, 39–31, 44, 59, 77–78. 108 Dies wurde in den Quellen zum Teil explizit auch so gesagt: STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 485; fu¨r Venedig vgl. zum Beispiel die Bemerkungen in: Manzini Bolognese, Il Gloriosissimo Apparato fatto dalla Serenissima Republica Venetiana, per la Venuta, per la Dimora, & per la Partenza del Christianissimo Enrico III. Re di Francia et di Polonia, Venedig 1574, fol. 17 oder [Anonym], Relatione del passaggio, et alloggio fatto nel Veronese, alla Maesta` di Eleonore Gonzaga d’Austria Imperatrice. Dalla Sereniss. Republica di Venetia. Verona 1622, fol. A2. 109 Vgl. zum Beispiel STAB, 2-P.1.-4., Mey¨er, Diarium, S. 14–15; STAH, 731–1, Handschriftensammlung, Ms. 54a, Hamburgische Chronica von den Zeiten Kayser Carls des Großen bis auff des Jahr MDCLXXX, fol. 229–230; fu¨r Venedig vgl. zum Beispiel die Bitte Kardinal Pietro Aldobrandinis, ihm mo¨glichst viel freie Zeit wa¨hrend seines Aufenthaltes zur Verfu¨gung zu lassen und dann das tatsa¨chlich durchgefu¨hrte Besuchsprogramm: ASV, Coll., cerim., fz. 1, 1577–1602, Eintra¨ge zum 4. April 1598. 110 In diesem Zusammenhang wa¨ren die Verhandlungen u¨ber den Durchzug des hessischen Landgrafen Philipp in Hamburg im Jahre 1564 zu nennen: STAH, 731-1, Handschriftensammlung, Ms. 165a, Cronic der weit beruehmten Stadt Hamburg, fol. 147 und STAH, 731–1, Handschriftensammlung, Ms. 54a, Hamburgische Chronica von den Zeiten Kayser Carls des Großen bis auff das Jahr MDCLXXX, fol. 229. Im Jahr 1579 ließ der da¨nische Ko¨nig Friedrich II. nur sein Gefolge durch Lu¨beck ziehen: Kirchring und Mu¨ller, Compendium, S. 242–243. Ein a¨hnliches Verhalten zeigte der schwedische General Eimar Torstensohn 1643: AHL, ASA-Interna, Rat und Bu¨rgerschaft 32/7, zeitgeno¨ssische chronistische Aufzeichnungen u¨ber das Jahr 1643, s. p. 111 Vgl. zum Beispiel STAH, 731-1, Handschriftensammlung, Ms. 54a, Hamburgische Chronica von den
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
Die erste Gelegenheit, eigene politische Anspru¨che zu formulieren, ergab sich bei der Frage, wo der Gast empfangen werden sollte. Das Geleit diente der symbolischen Markierung des Gebiets, u¨ber das Hoheitsanspru¨che erhoben wurden. Auch dies geschah meist nicht unter Hinweis auf souvera¨ne Staatsvorstellungen, sondern indirekt durch die tatsa¨chliche Durchfu¨hrung eines Geleits, dessen praktizierte Inszenierung auf die Rechtma¨ßigkeit eines traditionellen Herrschaftsanspruchs hinwies.112 In den venezianischen und hansesta¨dtischen Beschreibungen dieser Besuche wurden genau die Orte des Empfangs und des Abschied vermerkt. Jede erfolgreiche Durchfu¨hrung eines territorial mo¨glichst weit ausgreifenden Geleits bewies eine erfolgreiche Behauptung der Herrschaft u¨ber die Grenzen des sta¨dtischen Territoriums. Im Falle Venedigs bedeutete es nicht nur die Durchdringung der Inseln und Gewa¨sser der Lagune, sondern auch die erfolgreiche Verankerung der venezianischen Herrschaft in untergebenen eigensta¨ndigen Sta¨dten der Terraferma wie Verona oder Padua. Ganz explizit spricht diesen Zusammenhang der Berichtertstatter des passaggio, et alloggio fatto nel Veronese, alla Maesta` di Eleonora Gonzaga d’Austria Imperatrice113 aus. Eleonore Gonzaga durchquerte Verona auf ihrer Reise nach Innsbruck, wo die Hochzeitsfeierlichkeiten mit Kaiser Ferdinand II. stattfinden sollten: Tutto questo e` successo nel passaggio, & nell’alloggio per questo stato [...] nel quale la Serenissima Rep. ha` voluto essercitare quella magnificenza, che uso` sempre con incomperabile maniera nell’alloggiare le teste Coronate, Rep. veramente gloriosa, perche non cessando dalli suoi antichi instituti in difendere lo stato, & la liberta`, ne meno in honorare i Prencipi grandi con lo splendore, che conviene ad hospiti si fatto conserva la prima riputazione con accrescimento di gloria, & di grandezza, non restando di dire, che e` stata gran ventura della medesma Rep. il ritrovarsi al governo di Verona Rettori prudenti providi, generosi, & rissoluti.114
Zeiten Kayser Carls des Großen bis auff das Jahr MDCLXXX, fol. 331 und STAB, 2-P.1.-4., Mey¨er, Diarium, S. 14–15, 29, 60. 112 So bezeichnete zum Beispiel der Bremer Rat einen Durchzug, bei dem er seine Geleitanspru¨che nicht seinen Vorstellungen entsprechend durchsetzen konnte, als Inkognitobesuch: Reisen und Reisende in Norddeutschland, S. 456. Vgl. zu Konzeptionen des Geleits als Rechtsanspruch auch die Auseinandersetzung zwischen sta¨dtischen und bischo¨flichen Fuhrleuten: Reisen und Reisende in Norddeutschland, S. 201–203; außerdem die Argumentationen in: AHL, ASA-Externa, Herzogtum Sachsen-Lauenburg, 1. Diplomatische Angelegenheiten, 1918, Schriftstu¨cke zum Streit um das Geleit fu¨r die Gemahlin Herzog Johanns III. von Schleswig-Holstein-Sonderburg zwischen Lu¨beck und Ratzeburg 1608–1609; fu¨r Venedig vgl. zum Beispiel die kaiserlich-venezianischen Auseinandersetzungen um das Geleit der polnischen Ko¨niginnenwitwe: Luigi Cini, Passaggio della regina Bona Sforza per Padova nell’anno 1556, in: Relazioni tra Padova e la Polonia. Studi in onore dell’Universita` di Cracovia nel VI centenario della sua fondazione, hg. v. Comitato per la Storia dell’Universita` di Padova, Padua 1964, S. 27–66, hier: S. 33–34. 113 „Geleit und Unterbringung, wie es im Veronesischen ihrer Majesta¨t Eleonora Gonzaga von O ¨ sterreich, Kaiserin bereitet wurde“. 114 „Dies alles ist bei dem Durchzug und dem Aufenthalt in diesem Gebiet passiert. Dabei wollte die Hochehrwu¨rdige Republik jene Pracht ausu¨ben, die sie in unvergleichbarer Weise bei der Unterbringung der gekro¨nten Ha¨upter anwendet, eine Republik, die wirklich ruhmvoll ist, weil sie seit ihren antiken Anfa¨ngen nicht aufho¨rt, ihren Zustand & und ihre Freiheit zu verteidigen, [sie ist aber auch]
5.3. Empfa¨nge und Aufenthalte fu¨rstlicher Standespersonen
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Dabei ist selbstversta¨ndlich im Auge zu behalten, dass ein Loblied der angemessenen Organisation, die die Rettori115 von Verona beim Empfang Eleonore Gonzagas und ihres Gefolges walten ließen, auch ein Loblied auf die politische Kunst des venezianischen Patriziats darstellte, das die fu¨hrenden Magistrate auf der Terraferma stellte.116 Das obige Zitat fu¨hrt noch einmal zur eingangs festgehaltenen Beobachtung, dass sich besonders in den Schilderungen des Aufenthalts fu¨rstlicher Standespersonen ¨ ußerunkeine explizit republikanischen beziehungsweise antifu¨rstlich wertenden A gen finden lassen. Hatten die Magistrate in der Form des Geleits Gelegenheit zur Formulierung ihrer Herrschaftsanspru¨che, die u¨ber das Stadtgebiet hinausgingen, so diente die Gestaltung des Aufenthalts zur Darstellung ihrer Qualita¨ten als Gastgeber, die mit Standespersonen umzugehen verstanden. In der Beschreibung von Durchzug und Aufenthalt der Eleonore Gonzaga in Verona wird dem dortigen Capitano117 positiv ein fu¨rstlicher Lebensstil (und somit eine besonders gute Eignung fu¨r die Unterhaltung hochadeliger Standespersonen) bescheinigt: [...] tra` quali il Sig. Capitano, che vive alla grande nella vita privata, & regiamente nei carichi publici sa molto ben concertare gli alloggi, che si convengono a i Re`, & all’Imperatori.118 Neben der Betonung, wie gut man ho¨fische Verhaltenweisen zu beherrschen verstehe, la¨sst sich auch noch eine ganz andere Taktik der kulturellen Rangwahrung und -steigerung im Umgang mit adeligen oder ko¨niglichen Besuchern beobachten. Dem ¨ berlegenheitsgefu¨hl ihrer Ga¨ste begegneten die venezianista¨ndisch begru¨ndeten U schen, aber auch die hansesta¨dtischen Magistrate mit einer großen Prachtentfaltung, auch, um das kulturelle Fehlen eines Hofes als Festzentrum zu kompensieren. Mithilfe von Feuerwerk, Licht, Musik, Salutschu¨ssen und Aufbietung der Bu¨rgerschaft als Bu¨rgerwehr oder als Bootsgefolge auf dem Wasser sollte dem Gast vor Staunen buchsta¨blich Ho¨ren und Sehen vergehen.119 Venedig bot dafu¨r mit seiner Einfahrt in den Canal Grande eine besonders spektakula¨re und wirkungsvolle Kulisse. Das Zusammenspiel von Gera¨uschen, dem zu Wasser und zu Lande sich dra¨ngenden Publikum und der Lichter machte die Fahrt erst durch die Lagune und dann
nicht weniger [ruhmvoll] bei den Ehren, die sie den großen Fu¨rsten mit dem Glanz zukommen la¨sst, der den Ga¨sten zukommt. So bewahrt sie sich ihre urspru¨ngliche Reputation mit einem Zuwachs an Ruhm und Gro¨ße [grandezza], und es soll nicht vergessen werden zu erwa¨hnen, dass es ein großes Glu¨ck fu¨r eben diese Republik war, dass sich an der Regierung von Verona kluge, vorausschauende, großzu¨gige & entschlusskra¨ftige Rettori befanden.“ Relatione del passaggio, et alloggio fatto nel Veronese, alla Maesta` di Eleonore Gonzaga d’Austria Imperatrice, s. p. 115 Die Rettori waren fu¨r die Zivilverwaltung der Sta¨dte zusta¨ndige venezianische Nobili. Verona verfu¨gte u¨ber acht Rettori. 116 Vgl. Domzalski, Politische Karrieren, S. 183. 117 Der capitano war fu¨r die milita¨rische Oberaufsicht in der ihm jeweils zugeteilten Stadt zusta¨ndig. 118 Relatione del passaggio, et alloggio fatto nel Veronese, alla Maesta` di Eleonore Gonzaga d’Austria Imperatrice, s. p.: „Unter jenen [gibt es] den Herrn Capitano, der privat einen großartigen Lebensstil [alla grande] pflegt, & in den o¨ffentlichen Aufgaben es versteht, auf ko¨nigliche Weise die Unterku¨nfte zu organisieren, die Ko¨nigen, & Kaisern angemessen sind.“ 119 In den Hansesta¨dten wurden gleichzeitig Musik gespielt und Salutschu¨sse abgefeuert. Vgl. zum Beispiel STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 662–663. Außerdem kamen auch Feuerwerk und Lichtspiele zum Einsatz: STAB, 2-P.1.-4., Mey¨er, Diarium, S. 51; fu¨r Venedig vgl. Fortini Brown, Measured Friendship, S. 146–148.
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
durch den Canal Grande zu einem einzigartigen Erlebnis. Es beeindruckte den 22 Jahre alten Heinrich III. von Frankreich so sehr, dass er sich laut einer venezianischen Festbeschreibung wu¨nschte, dass seine Mutter Katharina de’ Medici dabei sein ko¨nnte.120 Die Hansesta¨dte verfu¨gten im Vergleich dazu u¨ber eine weniger beeindruckende Kulisse. Doch auch hier taten Ratsherren und Bu¨rger alles, um den Einzug in ihre Mauern zu einem lautstarken und farbenfrohen Spektakel werden zu lassen.121 Der sta¨dtische Raum wurde in diesem Moment zur Bu¨hne. Die Stadt als Theater erhielt gerade durch die Beteiligung verschiedener Gruppen – in Venedig waren die Zu¨nfte wiederum speziell an der Ausstattung der den Bucintoro begleitenden Festboote beteiligt –122 ihre spezielle Wirkung. Diese sollte durch das sich anschließende Besichtigungsprogramm verfestigt und vertieft werden. Der Gast sollte die Stadt mit dem Eindruck verlassen, einen autonomen, abgeschlossenen Kosmos kennengelernt zu haben. Einerseits wurde dieser Effekt durch die a¨sthetisch-ku¨nstlerische Gestaltung der sta¨dtischen Kulisse erzielt, andererseits durch die Route der Fahrt von den Grenzen des venezianischen Territoriums u¨ber mehrere Stationen bis zum Canal Grande.123 So erweckten die Lichter, die wa¨hrend des gesamten Aufenthaltes Heinrichs III. in den Palazzi am Canal Grande aufgestellt wurden, durch geschickte Spiegelungen den Eindruck, als ha¨tten sich alle Sterne u¨ber den Palazzi am Canal Grande versammelt: Nel qual tempo concorrendo l’un Palazzo con l’altro di quantita` di lumi, variamente composti, & ordinati, in forma di corone, di gigli, & d’altro, havreste detto in quello spatio di poco meno che di due miglia, che tutte le stelle del cielo fossero disceso sopra le finestre a illuminar quel Canale.124 Aufgrund kultureller und auch konfessioneller Unterschiede wurde diese barocke Welttheatermetapher allein in Venedig und nicht im hansesta¨dtischen Bereich bemu¨ht. Dort fielen auch viele barocke Festelemente, die durch die Lage der Stadt inmitten der Lagune mo¨glich waren, weg, wie etwa kleine schwimmende Barken mit allegorischen Figuren, Seeschlachten und Regatten.125 Den Hansesta¨dten und Venedig gemein war die Festlegung eines Besichtigungsprogramms, das dem Gast bestimmte Facetten des Gemeinwesens vor Augen fu¨hren 120 Vgl. Rocco Benedetti, Le Feste et Trionfi fatti dalla Sereniss. Signoria di Venetia nella felice venuta di
Henrico III. Christianiss. Re di Francia, et di Polonia, Venedig 1573, S. 3.
121 Zusa¨tzlich zu den bereits genannten Beispielen ließe sich hier auch der Empfang des Landgrafen
Moritz I. von Hessen im Jahre 1601 nennen: Reisen und Reisende in Norddeutschland, S. 427–428.
122 Vgl. den Kupferstich von Domenico Zenoni, bei denen genau vermerkt ist, welche Zunft welche Gon-
deln und Boote ausgestattet haben, in: Architettura e Utopia nella Venezia del Cinquecento, hg. v. Lionello Puppi, Mailand 1980, S. 161. 123 Vgl. Fortini Brown, Measured Friendship, S. 140–145. 124 „In jener Zeit, als ein Palazzo mit dem anderen in der Fu¨lle an Lichtern konkurrierte, die auf verschiedene Weise zusammengestellt und angeordnet worden waren, mal in Form von Kronen, mal von Lilien und noch auf vielerlei Weise mehr, ko¨nntet ihr gesagt haben, dass an jenem Ort wohl nicht wenig mehr als zweitausend Lichter waren, so dass es den Anschein hatte, dass alle Himmelssterne u¨ber den Fenstern erschienen waren, um jenen Kanal zu erleuchten.“ Manzini Bolognese, Il gloriosissimo Apparato, fol. 17. 125 Vgl. Anm. 85.
5.3. Empfa¨nge und Aufenthalte fu¨rstlicher Standespersonen
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sollte, die in ihrer Gesamtheit die harmonische Ordnung der Stadtrepublik widerspiegeln wu¨rden. Diese Besuchsprogramme a¨hnelten sich, egal, wie hoch der Stand des Gastes war, und auch gleich, welchen Geschlechts. Adelige Besucherinnen nahmen allerdings nicht an so genannten Schausitzungen und Wahlen des Maggior Consiglio oder des Rates teil.126 In beiden Bereichen waren es politische, milita¨rische und technische Aspekte, die in diesem institutionalisierten Stadtbild hervorgehoben wurden. So besichtigten Besucher den Dogenpalast, nahmen dort an einer Sitzung teil oder wurden sogar ehrenhalber in das Patriziat akkreditiert, bewunderten die dortige Waffensammlung und besichtigten anschließend den Arsenale oder fuhren zu den Glaswerksta¨tten in Murano.127 Wollten die Senatoren einen Gast besonders ehren, so ließen sie Musiker und Schauspieler auftreten.128 Beispielsweise spielten unter dem Fenster des Palazzo Foscari, in dem der junge franzo¨sische Thronfolger untergebracht war, jede Nacht zwei Stunden vom venezianischen Senat bezahlte Musiker.129 Die religio¨se Selbstdarstellung Venedigs wiederum dru¨ckte sich in der Vorfu¨hrung des Kirchenschatzes von San Marco aus130 und dem Abhalten von Messfeiern zu Ehren des Gastes.131 Eine a¨hnliche Abfolge lassen Bremer Schilderungen erkennen. Dem Besuch des Rathauses und des Schu¨ttings folgte eine Besichtigung der sta¨dtischen Verteidigungsanlagen, des sta¨dtischen Zuchthauses und – wenn der Gast gleichfalls reformierter Konfession war – der Teilnahme an einem Gottesdienst.132 So wie in Venedig pra¨sentierte der Rat also die politischen, milita¨rischen, kirchlichen und teilweise auch wirtschaftlichen Facetten des Stadtbildes. Zwischen beiden Stadtbildern la¨sst sich allerdings ein bedeutender Unterschied erkennen. Die Bremer Ratsherren legten Wert darauf, ihre disziplinarische Gewalt vorzufu¨hren, indem sie den Besuchern auch das sta¨dtische Zuchthaus133 vorfu¨hrten. Sie repra¨sentieren Bremen zudem als eine Stadt, die besonders gute Bildungseinrichtungen besaß, na¨mlich
126 In den Quellen wurde den Besuchen weiblicher Standespersonen in Venedig mindestens genauso viel
Aufmerksamkeit geschenkt wie ma¨nnlichen Adeligen. Vgl. zum Beispiel zum viel dokumentierten Besuchsprogramm der polnischen Ko¨niginnenwitwe Bona Sforza im Jahre 1556: BM, Cod. It. VII, 707 (7898), Memorie del passaggio, S. 66–67; sowie BMC, Cod. Gradenigo 2004, Commemoriali, Dell’arrivo nello stato della Repubblica, venuta in Venezia, soggiorno, e partenza [...] 1556; außerdem die Drucke [Anonym], Dechiaratione dell’Arco fatto in Padova [...], Padua 1556; [Anonym], La venuta [...], Venedig 1556. 127 Vgl. BM, Cod. It. VII, 1639 (7540), Gnecchi, Cerimoniale, fol. 66–76; ASV, Coll., cerim. rg. 1, fol. 43–45; ASV, Coll., cerim., rg. 10, fol. 1–56. 128 Vgl. zum Beispiel den musikalischen Aufwand, der zu Ehren des Empfangs vier japanischer Reisender im Jahre 1585 betrieben wurde: Bryant, Liturgy, Ceremonial and Sacred Music, S. 13–14. 129 Vgl. Benedetti, Le Feste et Trionfi, S. 4. 130 Vgl. Fortini Brown, Measured Friendship, S. 148. 131 Dass dies – zusammen mit Mitteln der Ehrabstufung wie dem Ziehen des Hutes oder der Abmessung der zuru¨ckzulegenden Stufen zwischen Gast und Dogen – ein Weg war, anwesenden Ga¨sten subtil die politische Haltung der Republik nahezubringen, zeigt die Auseinandersetzung um die Sitzordnung wa¨hrend der Messe in San Marco beim Aufenthalt Heinrichs III.: Breitsprecher, Heinrich III. von Frankreich, S. 93–94. 132 Vgl. Reisen und Reisende in Nordeutschland, S. 428–429, 463–465, 469–471, 542, 556; STAB, 2-P.1.-4., Mey¨er, Diarium, S. 29–31, 47, 50–51; STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 177, 719, 727. 133 Dies wurde zum Beispiel dem siebzehnja¨hrigen Otto von Hessen-Kassel bei seinem Besuch im Jahre 1611 vorgefu¨hrt: Reisen und Reisende in Norddeutschland, S. 470.
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
Gymnasium und Bibliothek. Beide Einrichtungen erregten auch entsprechende Aufmerksamkeit unter den Besuchern.134 Die Facetten der Zurschaustellung von Sozialdisziplinierung und Bildung fehlten im venezianischen Empfangsszenario vollkommen und dies sogar bei den Empfa¨ngen, die in der Universita¨tsstadt Padua stattfanden.135 Der Bremer Rat stellte die Stadt als ein Gemeinwesen dar, dessen Obrigkeit die geistige Bildung (Schule und Bibliothek) und ko¨rperlich-moralische Zucht (Zuchthaus) seiner Bewohner besonders am Herzen lag. Dies wird nicht nur bei einem Vergleich der venezianisch-bremischen Besuchsprogramme, sondern auch des Bremer Programms mit jenen von Lu¨beck und Hamburg deutlich.136 Innerhalb eines solchen regulierten Besuchsprogramms war kein Raum fu¨r eine individuelle Interaktion zwischen Gast und Gastgeber vorgesehen. Es funktionierte unabha¨ngig von Anlass und perso¨nlicher Stellung der beteiligten Akteure. Dennoch nutzten beide Seiten dieses bis in das kleinste Detail festgelegte Verhalten zur subtilen Kommunikation von Einscha¨tzungen der jeweils anderen Seite. So kommt in den ¨ berlegenheitsgefu¨hl der veneziavenezianischen Quellen ein kulturell begru¨ndetes U nischen Patrizier gegenu¨ber ihren teilweise sich betont standesgema¨ß gebenden Ga¨sten zum Ausdruck. Heinrich III. weigerte sich beispielsweise, nach einem Bankett mit einer venezianischen Gentildonna zu tanzen und u¨berließ dies aus Gru¨nden der Standesgleichheit einem franzo¨sischen Adeligen seines Gefolges.137 Die Venezianer hingegen ergo¨tzten sich an dem in ihren Augen unbeholfenen und naiven Verhalten ihres franzo¨sischen Gastes, der im Vergleich zu dem damals sechsundsechzigja¨hrigen Dogen Alvise Mocenigo recht jung war.138 Allein die Tatsache, dass eine der Festbeschreibungen den Ausruf des Ko¨nigs u¨berliefert, dass er gerne seine Mutter bei sich ha¨tte, zeigt dies sehr gut.139 Deutlich schlechter als ihm erging es dem polnischen Prinzen Ladislaus, dem spa¨teren Ko¨nig Ladislaus IV., den die venezianischen Patrizier wohl so unverscha¨mt behandelten, dass er erbost von dem ihm zu Ehren gegebenen Ball verschwand und erst durch eine ihm zu Ehren veranstaltete pracht-
134 Vgl. STAB, 2-P.1.-4., Mey¨er, Diarium, S. 29, 48. 135 Die am besten u¨berlieferten Beispiele hierfu¨r sind der Durchzug Bona Sforzas und Heinrichs III. Vgl.
zu 1556 Dechiaratione dell’Arco, fol. B2–s. p. (entgegen dem Titel nimmt den Hauptteil des Textes die Empfangsbeschreibung ein). Zu 1574 siehe Benedetti, Le Feste et Trionfi. 136 U ¨ ber diese informieren die Quellen weitaus weniger detailliert als die Bremer Beschreibungen. Da aber auch in Hamburg und Lu¨beck der Moment der Ankunft selbst nach einem ritualisierten Muster ablief, ist anzunehmen, dass es auch dort ein festgelegtes Besuchsprogramm gab. Vgl. fu¨r Hamburg: STAH, 731-1, Handschriftensammlung, Ms. 165a, Cronic der weit beruehmten Stadt Hamburg, fol. 134–135 und 147 und STAH, 731–1, Handschriftensammlung, Ms. 54a, Hamburgische Chronica von den Zeiten Kayser Carls des Großen bis auff des Jahr MDCLXXX, fol. 225, 229, 262; fu¨r Lu¨beck Becker, Umsta¨ndliche Geschichte, S. 202, 236; Kirchring und Mu¨ller, Compendium, S. 242–243, 247. 137 Vgl. Nicolo` Lucangeli da Bevagna, Successi del Viaggio d’ Henrico III. Christianissimo Re di Francia, e di Polonia, dalla sua partita di Craccovia fino all’Arrivo in Turino, Venedig 1574, S. 36. 138 Vgl. Relazione fatta al Senato nel giorno 29 Luglio 1574 dal doge Alvise Mocenigo, de’ Colloquii da lui tenuti col Re Enrico III di Francia e di Polonia, nel tempo del suo soggiorno in Venezia, in: Due Documenti inediti di Storia Veneta del secolo decimosesto, hg. v. Sebastiano Rizzi, Venedig 1842, S. 33–47, hier: S. 36, 38, 44. 139 Vgl. Anm. 120.
5.3. Empfa¨nge und Aufenthalte fu¨rstlicher Standespersonen
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volle Regatta besa¨nftigt werden musste.140 Vergleichbare kulturelle Wertungen lassen sich in den hansesta¨dtischen Quellen finden. Die jeweiligen Berichterstatter stellten dem als maßvoll stilisierten Verhalten der Ratsherren und Bu¨rger das in Wort und Tat zum Teil ungebu¨hrliche Verhalten der Ga¨ste gegenu¨ber. Es werden meist nicht nur die „zierlichen Orationes“141 der Hansesta¨dter erwa¨hnt, sondern es wird auch das Verhalten der Ga¨ste genau notiert – sei es, dass diese es mit der Bezahlung nicht allzu genau nahmen,142 zuviel tranken,143 zu lange verweilten144 oder zu wenige Geschenke u¨berreichten.145 So empo¨rte sich zum Beispiel der Bremer Bu¨rgermeister Heinrich Meier in seinem Tagebuch seitenweise u¨ber das Verhalten eines polnischen Gesandten mitsamt seinem Gefolge, der den Durchzug von Luisa-Maria von Gonzaga-Nevers vorbereiten sollte.146 Auch andere adelige Besucher fanden vor den Augen des Bu¨rgermeisters wenig Gnade. Zum Beispiel bema¨ngelte er, dass der hessische Landgraf Wilhelm bei seinem Besuch in Bremen im Jahre 1648 mit einem Geschenk des franzo¨sischen Ko¨nigs renommierte, ohne selbst besonders gabenfreudig zu sein.147 Durch die Abwertung des Verhaltens der Ga¨ste sollte auch signalisiert werden, dass die Magistrate die Situation vollsta¨ndig kontrollieren konnten. Dieses Bemu¨hen um die unbedingte Oberhoheit u¨ber das Geschehen war aber nicht allein durch die fragile Kommunikationssituation der Sta¨dte mit anderen Fu¨rstenha¨usern bedingt, sondern auch dadurch, dass informelle Kontakte einzelner Magistrate mit fremden Standespersonen als Bedrohung fu¨r die republikanische Verfasstheit angesehen wurden. In Venedig wurde es daher fremden Standespersonen nicht nur wa¨hrend ihres feierlichen Empfanges, sondern auch wa¨hrend ihres Aufenthaltes erschwert, wenn nicht gar unmo¨glich gemacht, in einer anderen als einer extrem ritualisierten, hochformalisierten Kommunikationssituation mit Angeho¨rigen der Patrizierfamilien in Kontakt zu treten.148 Die Unterstellung, zum Schaden der Republik mit fremden Souvera¨nen heimlich Bu¨ndnisse einzugehen, traf besonders die Dogen. Der Doge Alvise Mocenigo musste sich nach der Abreise Heinrichs III. einem langen Verho¨r durch 140 Vgl. BM, Cod. It. VII, 3760 = 8995, Luna, Diario, fol. 192 und Bronisław ´ Bilinski, Viaggiatori Polacchi
a Venezia nei secoli XVII–XIX (saggio preliminare: esempi ed osservazioni generali), in: Venezia e la Polonia nei secoli dal XVII al XIX, hg. v. Luigi Cini, Venedig 1968, S. 341–417, hier: S. 360–361. 141 Vgl. STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 186. 142 Vgl. die Kommentare u¨ber Luisa-Maria von Gonzaga-Nevers in: Comm, S 641, chronikalische Aufzeichnungen 1645–1685, Eintrag zu 1646; AHL, ASA-Interna, Ceremonialia 13/3, Anwesenheit der Ko¨nigin von Polen 1646. 143 So soll der Hamburger Bu¨rgermeister Vincent Moller durch zuviel Alkoholgenuss im Rahmen des Festbanketts, das anla¨sslich des Durchzugs von Friedrich von der Pfalz veranstaltet wurde, ums Leben gekommen sein: Beneke, Hamburgische Geschichten, S. 161–162. 144 Schwierigkeiten dieser Art sind angedeutet bei STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 185–186, 499, 583. 145 Ebd. 146 Vgl. STAB, 2-P.1.-4., Mey¨er, Diarium, S. 11–13. 147 Ebd., S. 31. 148 Dies la¨sst sich gut an einem der bekanntesten Spionagefa¨lle Venedigs in dieser Zeit zeigen, an Angelo Badoer: Dieser stand sowieso unter besonderer Beobachtung, weil man um seine Ambitionen, an der ro¨mischen Kurie Karriere zu machen, wusste. Als ihm heimliche Treffen mit dem Nuntius und der Erhalt von Zahlungen durch den spanischen Gesandten nachgewiesen werden konnten, floh er aus Venedig: Preto, I Servizi Segreti, S. 79–82.
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
den Senat unterziehen, da er mehrere Male aufgrund des spontanen Verhaltens des franzo¨sischen Thronfolgers allein mit ihm gewesen war.149 Die Patrizier, die fu¨r die Betreuung und Organisation des Empfanges zusta¨ndig waren, wurden jeweils vorher durch den Senat gewa¨hlt und genau namentlich genannt. Keiner konnte also damit argumentieren, dass sich im Laufe des Besuches aufgrund von Organisationsschwierigkeiten ein besonderes Verha¨ltnis zu dem fu¨rstlichen Gast ergeben ha¨tte. Dieselbe Tendenz findet sich auch in den Hansesta¨dten. Dort wurden Anschuldigungen erhoben, sich an Geschenken und Bezahlungen des Gastes unrechtma¨ßig bereichert zu haben. Damit dru¨ckten Beschwerdefu¨hrer, die nicht zum Rat geho¨rten, ihre Angst vor einer Loslo¨sung der Ratsmitglieder aus dem kontrollierten inneren Raum der Stadt aus, in dem ihnen nicht selbsta¨ndig Verfu¨gungsgewalt u¨ber Gelder zustand.150 Die Furcht vor dem Kontrollverlust zeigt aber auch gut, wie stark die Vertreter der hansesta¨dtischen und venezianischen Eliten Außen- und Innenstrukturen voneinander trennten. Traf ein auswa¨rtiger Fu¨rst ein, so legte man sich gleichsam eine zeitweilige, den barocken Repra¨sentationsbedu¨rfnissen entsprechende Fassade zu, um hinterher – weitgehend ungesto¨rt von diesem Intermezzo – wieder Fragen der inneren Politik nachgehen zu ko¨nnen. Trotz dieses Bestrebens, beide Seiten so weit wie mo¨glich auseinanderzuhalten, beeinflussten sie sich natu¨rlich gegenseitig. In jedem Fall trug die Angst vor einem Kontrollverlust durch die Kontakte zu ho¨fischen Besuchern zu einer versta¨rkten Normierung ihrer Interaktion mit diesen bei und somit auch zu einem extrem verfestigten Stadtbild, das diesen pra¨sentiert wurde. Nur in einem Sonderfall des Einzugs einer fremden Standesperson in eine Hansestadt sollte diese Trennung von innen und außen in der Repra¨sentation und damit auch die Wahrung der Kontrolle nicht ganz gelingen – dem Ritual der Huldigung151 in Bremen und Hamburg.
5.4. Ho¨fische Kultur und stadtrepublikanische Eigensta¨ndigkeit: Die ‚Huldigungen‘ in Bremen und Hamburg
Und die Ko¨nige von Da¨nemark samt den Hertzogen von Holstein fordern von der Stadt perso¨hnlich die Erbhuldigung. Sie werden ho¨fflich aufgenommen; aber Ihren Begehren geschahe wegen vieler Ursachen keine Genu¨ge. Der Stadt Wall war mit Bu¨rgern besetzet, und der Stadt frey¨heiten in gegenwart 16 fu¨rstl. Personen besta¨tiget. Die Stadt bekam damahls de Helffte des Schaumb. Zolls geschencket.152 149 Vgl. Anm. 138. 150 AHL, ASA-Interna, Ceremonialia 4/4, Eingaben und Beschwerden wegen der gerechten Aufteilung
des Lohns und der Geschenke von Ga¨sten, Eingaben vom 10. Januar 1594 und 9. Februar 1627.
151 Die Begrifflichkeit ist zwischen den jeweiligen Akteuren umstritten. Dies wird im Folgenden durch
Anfu¨hrungszeichen kenntlich gemacht.
152 STAH, 731–1, Handschriftensammlung, Ms. 237, 731-1, Johann J. Ressing, Chronicon breve Hambur-
gense [...], s. p., Eintrag zum Jahr 1603.
5.4. Die ‚Huldigungen‘ in Bremen und Hamburg
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Dieses Zitat aus einer Hamburger Stadtchronik beschreibt in knapper Ku¨rze und großer Anschaulichkeit die Ambivalenz der Huldigungen, die in Hamburg und Bremen in der ersten Ha¨lfte der Fru¨hneuzeit stattfanden. Die Hansesta¨dter bewunderten die Prachtenfaltung fu¨rstlicher Pra¨senz in ihren Mauern. Sie sahen diese bemerkenswerten Unterbrechungen ihres Alltags als eine Erho¨hung des Glanzes ihres eigenen Gemeinwesens an, was die Beispiele aus dem vorhergehenden Abschnitt gezeigt haben. Prachtentfaltung und Bewunderung fu¨r eine solche waren also keinesfalls allein fru¨hneuzeitlichen Hofgesellschaften vorbehalten. In der Beschreibung dieser von außen an sie herangetragenen Repra¨sentation mussten sie allerdings mehreren Anforderungen gerecht werden. Zum einen war es wichtig, dass der Glanz der Stadt als geschlossene Bu¨hne von dem Glanz des Gastes profitierte. Zum anderen war es notwendig, u¨ber etwaige politische Deutungen des Geschehens die Kontrolle zu bewahren. Die politische Bedeutung der Empfa¨nge von Standespersonen, die in keinerlei direkten Herrschaftsbeziehungen zu den besuchten Sta¨dten standen, lag nicht in dem Aushandeln konkreter Abha¨ngigkeitsverha¨ltnisse. Vielmehr ging es darum, beide Akteure in ihrem Verha¨ltnis zueinander auf der Bu¨hne des sich institutionalisierenden europa¨ischen Staatensystems wenigstens fu¨r die Dauer des Besuches zu platzieren. Die besuchte Stadtrepublik bewies ihre kulturelle und politische Kompetenz im Umgang mit den Ga¨sten. Sie bemu¨hte sich meist erfolgreich darum, ihren Rang in den fu¨r sie potenziell gefa¨hrlichen Situationen zu wahren. Dafu¨r nutzten ihre Magistrate zeremonielle Kommunikation (Pra¨zedenz, Abmessung der gegenseitigen Ehrerbietung, Entwicklung eines strukturierten Empfangszeremoniells) und die Pra¨sentation eines geschlossenen Stadtbildes, dessen wehrhafte Autonomie durch milita¨rische Elemente (Soldateneskorte, Geschu¨tzdonner, Vorfu¨hren der Waffenkammer und Befestigungsanlagen) und politische Elemente (Rathausbesuch, Teilnahme an Magistratswahlen) herausgehoben wurde. Die Besucher konnten zwar – so wie Heinrich III. in Venedig – versuchen zu erreichen, dass o¨ffentlich eine bestimmte politische Haltung gegenu¨ber dem Gast demonstriert wurde. Sie konnten aber keine unmittelbaren Rechtsanspru¨che auf die besuchte Stadtrepublik erheben. Beim Einritt und Aufenthalt der Bremer Erzbischo¨fe in die Stadt Bremen153 und den feierlichen Einzu¨gen der da¨nischen Monarchen und holsteinischen Herzo¨ge in
153 Im Rahmen dieser Untersuchung wurden Quellen und Literatur zu den Huldigungen der Jahre 1580
und 1637 gesichtet. Zu beiden Ereignissen gibt es keine umfassenden Forschungen. Die wichtigsten Quellen zum Ereignis von 1580 sind zusammengefasst in: Heinrich Smidt (Hg.), Des Syndicus Widekindt Bericht u¨ber die im Jahre 1580 dem Erzbischof Heinrich III. geleistete Huldigung zu Bremen, in: BremJb 6 (1872), S. 155–222. Wichtig fu¨r 1580 ist außerdem die ungeordnete Aktensammlung in STUBH, Cod. hist. 103, Sammelhandschrift mit verschiedenen Quellen zur bremischen Geschichte, verschiedene Abschriften, 16.–17. Jahrhundert. Zu 1637 wurden folgende Quellenbesta¨nde ausgewertet: AHB, Altes Aktenarchiv des Collegium Seniorum, Die Bu¨rgerschaft, Auswa¨rtige Beziehungen, Erzbischof von Bremen-Verden, Verschiedenes, 1617, 1629, 1637–1640, IV B III 6,1, dort ist ein gebundenes Manuskript mit Eintra¨gen zu Ablauf und Kosten der Huldigung von 1637 enthalten, das als Teil der Rechnungslegung des Collegium Seniorum enstanden ist. Außerdem fu¨r dieses Ereignis wichtig sind die in Druckschriften und handschriftlichen Auszu¨ge in STAB 2-H.2.e.2. Bd. 2 (1), Druckschriften zum Streit mit dem Erzbischof um Reichsfreiheit und den Gottesdienst im Dom.
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
Hamburg154 war dies anders. Die Deutung dieser Rituale als Huldigungen oder ledigliche Besta¨tigung von Rechten und Pflichten zwischen zwei an sich gleichberechtigten Partnern verzo¨gerten bereits im Vorfeld die Verhandlungen meist u¨ber Jahre. Sie stellten besonders hohe Anforderungen an die Bremer und Hamburger Magistrate. Wa¨hrend diesen, den Magistraten unerwu¨nschten Ereignissen mussten sie die Fassade eines unabha¨ngigen, geschlossenen Stadtbildes wahren und die rechtliche Relevanz des Rituals in ihrem Sinne darstellen. Erfolg oder Scheitern ihrer Bemu¨hungen zeigten sich bereits im Vorfeld. Die Dauer der pra¨liminarischen Verhandlungen ist ein Indiz fu¨r die jeweilige Position Hamburgs und Bremens im Verha¨ltnis zu ihren Verhandlungspartnern. Der da¨nische Ko¨nig Friedrich II. starb 1588 auf der Reise nach Hamburg, kurz bevor er seinen feierlichen Einzug erleben sollte, um den er seit seinem Regierungsantritt im Jahre 1559 gerungen hatte.155 Sein Sohn Christian IV. sah sich den gleichen Verzo¨gerungstaktiken wie sein Vater ausgesetzt. Er ließ sich aber von ihnen weit weniger beeindrucken und ku¨ndigte den Termin seines Kommens ohne Umschweife einfach per Schreiben an: zu dem Ende auch den Tag [...] Simonis et Judae, wird sein den 28. Octobris, vermittelst go¨ttlich-gna¨diger Verleihung bei Euch einzureiten gesonnen.156 Verhandelten die Bremer Magistrate mit Erzbischof Christoph nach dessen Wahl im Jahre 1567 dreizehn Jahre lang u¨ber die ‚Huldigung‘,157 setzte die schwedische Krone diese Forderung immerhin bereits sieben Jahre, nachdem ihr das Erzstift als sa¨kularisiertes Herzogtum zugesprochen worden war, durch.158 In beiden Fa¨llen la¨sst sich das Erstarken der beteiligten Territorialma¨chte – in Hamburg des Herzogtums Holstein und des da¨nischen Ko¨nigreichs, in Bremen des Erzbistums und nach 1647 der schwedischen Monarchie – an der ku¨rzeren Verhandlungsdauer ablesen. Dies schlug sich aber nur in der Durchfu¨hrung des Rituals selbst und nicht in einer dauerhaften Institutionalisierung eines Unterwerfungsverha¨ltnisses nieder. Verzo¨gerungen der ‚Huldigungen‘ erreichten die hansesta¨dtischen Magistrate durch ihren unermu¨dlichen Protest gegen jegliches Detail 154 Fu¨r den Untersuchungszeitraum dieser Arbeit war die Huldigung von 1603 besonders aufschlussreich.
Mara R. Wade interpretiert dieses Fest im Rahmen ihrer Forschung zur da¨nischen Hofkultur unter Christian IV.: Mara R. Wade, Triumphus Nuptialis Danicus. German Court Culture and Denmark. The ‚Great Wedding‘ of 1634, Wiesbaden 1996, S. 15–58. Trotz des gro¨ßeren Interesses der Forschung an diesem Fest ist noch keine Quellenedition entstanden, die etwa der von Heinrich Smidt zu der Bremer Huldigung von 1580 vergleichbar wa¨re. Gert Hatz erschließt das numismatische Material, die „Auswurfmu¨nzen“ Christians IV.: Gert Hatz, Zur Huldigungs-Annehmung des Jahres 1603, in: Bewahren und Berichten. Festschrift fu¨r Hans-Dieter Loose zum 60. Geburtstag, hg. v. Hans W. Eckhardt/Klaus Richter, Hamburg 1997, S. 225–242; aus musikwissenschaftlicher Sicht vgl. wiederum Arne Spohr, „How chances it they travel?“ Englische Musiker in Da¨nemark und Norddeutschland 1579–1630, Wiesbaden 2009, S. 250–265. Das Ereignis selbst wird in der Chronistik recht ha¨ufig erwa¨hnt: Diese Belege werden gesondert aufgefu¨hrt werden. Vgl. außerdem die umfangreichen Quellensammlungen in Comm, S 338, Band 1: Steitigkeiten mit Da¨nemark 1461–1610; STAH 731–1, Handschriftensammlung, Ms. 99, Sammlung von Abschriften und Auszu¨gen zu den Konflikten zwischen Hamburg und Da¨nemark, 1641. 155 Loose, Hamburg und Christian IV., S. 2. 156 Schreiben Christians IV. an den Rat der Stadt Hamburg vom 15. Juni 1603, in: Dokumente zur Geschichte der Hamburgischen Reichsfreiheit, Teil 1: Berichte und Urkunden u¨ber die Annehmung der Landesherren, hg. v. Heinrich Reincke, Hamburg 1961, S. 131. 157 Vgl. hierzu die Quelle: Des Syndicus Widekindt Bericht, S. 164–200. 158 Vgl. Schwarzwa¨lder, Geschichte, S. 348–367.
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des vorverhandelten Ablaufs – sei es die Form des Einzugs, die Dauer des Aufenthalts, die Zahl der Ga¨ste, der Eidestext sowie die Personen, die an der Eidesleistung teilnehmen sollten.159 Zusa¨tzlich zogen sie Verhandlungen in die La¨nge, indem sie darauf verwiesen, dass sie nicht allein entscheidungsbefugt seien, sondern erst wieder nach ihrer Ru¨ckkehr mit Rat und Bu¨rgerschaft letztgu¨ltige Entscheidungen treffen ko¨nnten.160 Die hansesta¨dtischen Verhandlungspartner beharrten meist unnachgiebig auf ihrer Interpretation des ku¨nftigen Geschehens, das sie weder in Bremen noch in Hamburg ohne modifzierenden Zusatz als ‚Huldigung‘ bezeichnet sehen wollten. Hatte sich in Hamburg die Bezeichnung Huldigungs-Annehmung161 durchgesetzt, so ließen die Bremer zwar die Bezeichnung Huldigung gelten, aber immer mit dem Zusatz, dass es sich um eine gu¨tliche Unterhandlung,162 confirmatio der privilegien163 und keinesfalls um eine solche Huldigung/ als von wahren Unterthanen/ die Ihrem Hern zu Gebott und Verbott stehen/ und volllkommenen Gehorsamb zuleisten schuldig164 handele. Die gedruckten Beschreibungen der Ereignisse, die aus der hansesta¨dtischen Perspektive stammten, erwa¨hnten diese Konflikte nicht. In ihnen wurde der Einreitende meist bewundernd beschrieben und die Prachtentfaltung seines Einzugs nicht als Gegensatz zur sta¨dtischen Autonomie oder gar als eine Gefahr fu¨r diese angesprochen. So beschrieb eine gedruckte und in Versen gesetzte Kurzfassung der Stadtchronik des Syndikus Johannes Renner den Einzug Erzbischof Heinrichs im Jahr 1580 folgendermaßen: Bischop Hinricus Ehrenrick/ Reth in tho Bremen suuerlick/ Mit Rossen stolt/ und hogem muth/ De Borgerschop mit mude guth/ Was wol gerust/ entsinck en wol / Als men ein solcken Heren sol.165 Die Beschreibung des Ereignisses endet mit einem Preis des von Gott gestifteten Verha¨ltnisses zwischen Landesherrn und Untertanen: Ey wolde Got im hochsten thron/ Dorch Christum sinen leven Sohn/ Dat Here unde Underdan/ Mogen lange in Freden stahn.166 Auffa¨llig ist, dass sich die Bewunderung des prachtvollen Einzugs hauptsa¨chlich in gedruckten Festbeschreibungen findet. Bei ihnen ist es wahrscheinlich, dass sie sich nicht allein an die lesekundigen Bewohner der jeweiligen Sta¨dte selbst, sondern auch an eine brei-
159 Vgl. fu¨r die Vorverhandlungen zu der Bremer Huldigung von 1580 Anm. 168 und außerdem die Doku-
mente zu den Verhandlungen zwischen Rat und Bu¨rgerschaft der Stadt Hamburg mit dem da¨nischen Ko¨nig Friedrich II. in: Dokumente zur Geschichte der Hamburgischen Reichsfreiheit, S. 61–124. 160 Vgl. Hamburgisches Protokoll u¨ber die Rendsburger Verhandlungen vom 29. bis 31. Mai 1587 „die von der Stadt Hamburg gefordertte Huldigung oder Annehmung und Abschaffung der richtlichen Processe belangende“, in: Dokumente zur Geschichte der Hamburgischen Reichsfreiheit, S. 74; außerdem Des Syndicus Widekindt Bericht, S. 167. 161 Vgl. Loose, Hamburg und Christian IV., S. 1–2; Dokumente zur Geschichte der Hamburgischen Reichsfreiheit, S. 125–131. 162 Des Syndicus Widekindt Bericht, S. 185. 163 Des Syndicus Widekindt Bericht, S. 181–183. 164 Heinrich Meier, Assertio Libertatis Reip. Bremensis. [...], Bremen [1651], S. 107. 165 Johannes Renner, Chronicon/ Der Lo¨flichen olden Stadt Bremen/ in Sassen/ sovele de vornemsten Geschichte/ de sich im Erzstiffte und der Stadt Bremen togedragen hebben/ belanget dem jare talle nach in dudesche Verse vervatet, Bremen 1583, S. 86. 166 Renner, Chronicon/ Der Lo¨flichen olden Stadt Bremen, S. 86.
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¨ ffentlichkeit richteten. Sie dienten tere, u¨ber Hamburg und Bremen hinausgehende O nicht nur zur politischen, sondern auch zur kulturellen Information und Unterhaltung.167 Aber auch in diesen Drucken ist mit der ehrfurchtsvollen Betitelung des Bremer Erzbischofs oder des da¨nischen Monarchen als Fu¨rst und Landesherr168 nicht gewa¨hrleistet, dass die politische Bedeutung des Rituals im Sinne derjenigen dargestellt wurde, die die Landesherrschaft beanspruchten. Die ehrfurchtsvolle Anrede des Herrschers und auch die bewundernde Schilderung seines Einzugs bedeuteten nicht, dass die Autoren auch die Interpretation der ‚Huldigung‘ als Akt der Unterwerfung teilten. So betonte etwa Martin Bindeman169 den Charakter des Hamburger Rituals im Jahr 1603 als eine Bekra¨ftigung eines auf gegenseitigen Rechten und Verpflichtungen beruhenden Bu¨ndnisses170 in einem gereimten Text, in dem er seine Bewunderung fu¨r den Maskenaufzug des Ko¨nigs und die Pracht des fu¨rstlichen Gefolges nur schwer verhehlen konnte.171 Wie geringen Erfolg aber Christian IV. mit seiner Deutung der ‚Huldigung‘ als triumphalem Einzug eines Souvera¨ns hatte, zeigt, dass selbst diejenigen Berichte, die die Sicht der geladenen Vertreter norddeutscher Fu¨rstenha¨user wiedergaben, die Hamburger Eidesleistung mit den zwischen beiden Seiten ausgehandelten als „Huldigung oder Annehmung“ und nicht allein als „Huldigung“ sowie als Besta¨tigung hamburgischer Rechte und Privilegien bezeichneten.172 In den Beschreibungen aus Hamburger oder Bremer Sicht fa¨llt die enge Verknu¨pfung von
167 So sind beispielsweise die beiden ausfu¨hrlichsten Beschreibungen der Feiern von 1603 nicht in Ham-
burg, sondern in Magdeburg gedruckt worden: Loncius, Historischer begrieff; außerdem [Anonym], Deß Durchleuchtigsten und Mechtigsten Herrn Herrn SOLIS [...], Magdeburg 1603. 168 Vgl. fu¨r Bremen die U ¨ berlegungen und Belege Heinrich Smidts, in: Des Syndicus Widekindt Bericht, S. 213–214; fu¨r Hamburg vgl. zum Beispiel Des Bu¨rgermeisters Matthias Reder Hamburger Chronik von 1534–1553, in: Hamburgische Chroniken niedersa¨chsischer Sprache, hg. v. Johann M. Lappenberg, Hamburg 1861, S. 321–339, hier: S. 324–325: Unde is in der wedderreyse am meydage avent ingehalt to Hamborch, als en ersbarer landesfu¨rste gehuldiget worden; vgl. fu¨r die Huldigung im Jahr 1603 außerdem den Rezess u¨ber die Fo¨rmlichkeiten der Stadt Hamburg, Hamburg 1603, August 30, in: Dokumente zur Geschichte der Hamburgischen Reichsfreiheit, S. 136. 169 Von demselben Autor sind noch einige Kirchenlieder u¨berliefert, ansonsten ist nichts von ihm bekannt. S. v. Bindeman, Martin, in: Johann C. Adelung, Fortsetzungen und Erga¨nzungen zu Christian Gottlieb Jo¨chers allgemeinem Gelehrten-Lexico, worin die Schriftsteller aller Sta¨nde nach ihren vornehmsten Lebensumsta¨nden und Schriften beschrieben werden, Bd. 1, Hildesheim 1960 [ND der EA 1784], Sp. 1872. 170 Martin Bindeman, Gratulation und Glu¨ckwu¨nschung [...], Hamburg 1603, fol. A3: Ritt darnach Ko¨nig Christian/ Ein zierlich pferd zum Rathhauß an./ In der gestalt ganz lo¨belich/ Nahet auch der Fu¨rst von Holstein sich/ IOhan Adolph gar hochgeborn/ Gleich auch von Gott hiezu erkorn/ Und ward daselbst der Bund gemacht/ Nach ihren Wu¨nschen sein kurtz vollbracht. 171 Bindeman, Gratulation und Glu¨ckwu¨nschung [...], Hamburg 1603, fol. A 2–A 3. 172 Franz Algermann, Ausfu¨hrliche und Umbsta¨ndliche Beschreibung welcher Gestalt Ko¨nig Christianus IV. zu Dennemarck, Norwegen pp. von der Stadt Hamburg im Jahr 1603. gehuldiget worden, s. l., s. d., s. p.: Nach geendigter Predigt ist Ihro Ko¨nigl. May¨t: beneben derselben Vettern, Herrn Johan Adolphen aufs Rath-hauß geritten, da der Rath und 60. Mann aus der bu¨rgerschafft zum Ausschuß versamlet waren und daselbst die Huldigung oder Annehmung renoviret, und der Stadt Privilegia, und alle Frey¨heiten erneuert, confirmiret und dem Rath u¨bergeben worden. Franz Algermann stand in braunschweigischen Diensten. Er hatte dem Ritual als Augenzeuge beigewohnt, s. v. Algermann, Franz, in: Christian G. Jo¨cher, Allgemeines Gelehrten-Lexicon [...], Hildesheim 1960 [ND der EA 1750], Sp. 270.
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fu¨rstlichem Auftritt und sta¨dtischem Glanz unmittelbar ins Auge.173 Dabei werden zum Teil eklatante Bru¨che und Unstimmigkeiten in der ehrenvollen Beschreibung des Erzbischofs und Ko¨nigs und der Deutung des Spektakels in den Texten deutlich. In der ausfu¨hrlichsten Beschreibung der Feierlichkeiten in Hamburg im Jahre 1603 versuchte der Autor Thobias Loncius174 sogar, den Widerspruch zwischen Ritual und Hamburgs Anspru¨che auf die Reichsstandschaft miteinander zu verso¨hnen: Nach diesem samln sich Beyde theil/ Gott geb darzu gelu¨ck und heil./ All zu Gemeinem best gericht./ Demosthenes und Cicero/ Mut lusten solten ho¨ren zu./ Bey alten brauch und freyheit all/ Es allzeit sein und bleiben soll/ Und sol dem Ro¨mischen Reich sien Pflicht/ Hiemitte sein benommen nicht.175 Besonders ambivalent ist diese Passage vor dem Hintergrund, dass Kaiser Rudolf II. Christian IV. in zwei Inhibitorien auf die Rechtswidrigkeit der ‚Huldigung‘ hinwies, da die Entscheidung u¨ber den Status Hamburgs am Reichskammergerichtsprozess noch nicht entschieden worden sei.176 In dem Textaufbau schließt sich die Evokation der Reichsfreiheit also an das Geschehen auf dem Rathaus an. Die auf beiden Seiten gehaltenen Reden werden dabei erwa¨hnt, die Eidesleistung selbst nicht. Dennoch steht diese Passage in einer Beschreibung, die viele Seiten lang ko¨nigliche Pracht und Glanz des Einzugs schildert und die siegreiche Rolle des Ko¨nigs in den Turnierund Ritterspielen hervorhebt.177 In der Deutung und Kommemoration des Ereignisses konnten sich also eher die hansesta¨dtischen Deutungen durchsetzen. Allerdings war die Durchfu¨hrung der ‚Huldigungen‘ ein weithin sichtbares Zeichen dafu¨r, dass das Bestreben der hansesta¨dtischen Magistrate, sie im Vorfeld so weit wie mo¨glich hinauszuzo¨gern (wenn mo¨glich, gar nicht stattfinden zu lassen), gescheitert war. Die entschiedene Gegnerschaft der Magistrate beruhte nicht allein auf der Furcht vor rechtlichen Konsequenzen – diente das Ritual doch als ein entscheidendes Argument wider ihre Anspru¨che auf Reichsstandschaft –, sondern auch auf der Angst vor einem Kontrollverlust u¨ber den Stadtraum. Neben Ko¨nig beziehungsweise Erzbischof befanden sich meist sehr viel mehr Reiter und Ga¨ste als vorher vereinbart worden war in der Stadt.178 Die Pra¨senz von ihm verwandtschaftlich verbundenen
173 Vgl. fu¨r den Einzug in Bremen im Jahre 1580 zum Beispiel die Schilderung bei Johannes Renner, Chro-
nica der Stadt Bremen, hg. und transkribiert von Lieselotte Klink, Bremen 1995, S. 384–386; fu¨r 1637 vgl. die Passage in: STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 511–533; fu¨r das Hamburger Ereignis von 1603 vgl. z. B. STAH, 731-1, Handschriftensammlung, Ms. 54a Hamburgische Chronica von den Zeiten Kayser Carls des Großen bis auff des Jahr MDCLXXX, fol. 277–281 und außerdem die in Versen gefasste Festbeschreibung von Bindeman, Gratulation und Glu¨ckwu¨nschung [...], Hamburg 1603. 174 Von dem Autor ist nichts als die Autorenschaft dieses Druckes bekannt. 175 Loncius, Historischer begrieff, S. 9. 176 Vgl. Dokumente zur Geschichte der Hamburgischen Reichsfreiheit, S. 129–130. 177 Vgl. Loncius, Historischer begrieff, S. 17. 178 Vor seinem Einritt hatte Erzbischof Heinrich seinen Sta¨nden 311 Pferde angeku¨ndigt, tatsa¨chlich waren es wohl 500–600. Vgl. die Anku¨ndigung in einem Schreiben in: STUBH, Cod. hist. 103, Sammelhandschrift mit Bremensien vom Ende des 16. Jahrhunderts, S. 97–98, 109–111. 600 Pferde nennt
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norddeutschen Adeligen war Christian IV. im Jahre 1603 so wichtig, dass er nach Hamburg mehr Ga¨ste einlud, als bei seiner eigenen Kro¨nung fu¨nfzehn Jahre zuvor anwesend waren.179 Diese gaben dem Ereignis einen spezifisch ho¨fischen und – dies war fu¨r die Hamburger und Bremer Magistrate besonders a¨rgerlich – nicht mehr durch sie vollsta¨ndig kontrollierbaren Rahmen. Der Hamburger Rat hatte sich daher im Vorfeld darum benu¨ht, nicht nur die Anzahl des bewaffneten Gefolges, sondern ¨ ber diese Absprachen setzte auch die der Ga¨ste so gering wie mo¨glich zu halten. U sich Christian IV. hinweg und bewies so, dass er im Zeitraum der ‚Huldigung‘ die Oberhoheit u¨ber den Stadtraum beanspruchte. Nicht nur durch die Herstellung einer ¨ ffentlichkeit versuchten der da¨nische Ko¨nig und der eigenen spezifisch ho¨fischen O Bremer Erzbischof zu demonstrieren, dass sie sich gegenu¨ber hansesta¨dtischen Autonomiebestrebungen durchgesetzt hatten, sondern auch in ihrem spektakula¨ren Auftreten, zu dem sich reichlich Gelegenheit bot. Die Huldigung gliederte sich in die feierliche Einholung des Gastes,180 seinen Einritt in die Stadt unter Glockengela¨ut181 beziehungsweise Salutschu¨ssen182 und unter den Augen der in Waffen stehenden Bu¨rgerschaft am Wegesrand.183 Einem Gottesder bischo¨fliche Bericht in: Des Syndicus Widekindt Bericht, S. 205. Renner hingegen za¨hlte wohl nur 500 Rosse: Renner, Chronica, S. 385. Einzug und Ablauf der Huldigung von 1603 sollte sich nach dem zwischen Hamburg und Da¨nemark kurz vor dem Ableben Friedrichs II. ausgehandelten Itzehoer Rezess richten, in den der Protest der Hamburger Ra¨te gegen eine Anzahl von 500 Pferden allein fu¨r die ko¨nigliche Begleitung und eine Bitte um Beschra¨nkung der Ga¨stezahl zwar aufgenommen worden war, ohne allerdings spezifische Begrenzungen zu benennen: Rezeß u¨ber die Fo¨rmlichkeiten der Huldigungen der Stadt Hamburg, Itzehoe, 1588, Januar 30, in: Dokumente zur Geschichte der Hamburgischen Reichsfreiheit, S. 115. in dem neuerlichen Rezeß zum Ablauf der Huldigung des Jahres 1603 ist die Frage dann ausgeklammert: Vgl. Ko¨nig Christian IV. von Da¨nemark und Herzog Johann Adolf von Holstein-Gottorp ratifizierten mit kleinen Modifikationen den Hamburger Rezeß vom 30. August 1603 u¨ber die bevorstehende Huldigung der Stadt Hamburg, Wandsbek 27. 10. 1603, in: Dokumente zur Geschichte der Hamburgischen Reichsfreiheit, S. 141–142; insgesamt zogen im Jahre 1603 wohl 1500 Pferde und weit u¨ber 2000 Gefolgsleute in die Stadt, wobei hierbei immer in Anbetracht gezogen werden muss, dass gerade die Quellen aus der Feder der Amtstra¨ger einzelner anwesender Fu¨rsten eventuell die Zahlen des eigenen Gefolges gro¨ßer als wahrheitsgema¨ß darstellten; dennoch ist davon auszugehen, dass allein die Konkurrenz der Repra¨sentation unter den norddeutschen Fu¨rstenha¨usern fu¨r einen Aufwand an Gefolge sorgte, der den Hamburger Magistraten nicht recht war. Vgl. die Zusammenstellungen aus den verschiedenen Quellen bei Dokumente zur Geschichte der Hamburgischen Reichsfreiheit, S. 148–149. 179 Wade, Triumphus Nuptialis Danicus, S. 51–52. 180 Syndicus Widekindt beschreibt diese Einholung besonders ausfu¨hrlich, da sich die Bremer Magistrate in diesem Punkt gegenu¨ber dem Erzbischof durchsetzen konnten, der urspru¨nglich am Stadttor eingeholt werden wollte. Vgl. Des Syndicus Widekindt Bericht, S. 197–199. Fu¨r 1637 legte der Bremer Rat sogar noch einen gro¨ßeren Aufwand und Livrierung und Anzahl des einholenden Gefolges an den Tag als 1580: STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 520–521. Auch in Hamburg war diese Einholung vor den Mauern der Stadt Verhandlungsgegenstand, ohne dass die da¨nische Seite sich durchsetzen konnte: Hamburgischer Bericht, in: Dokumente zur Geschichte der Hamburgischen Reichsfreiheit, S. 148. 181 Vgl. Renner, Chronica, S. 385. 182 In Hamburg war der gesamte rituelle Ablauf viel weniger kirchlich konnotiert, da es sich auch um einen eindeutig weltlichen Landesherrn handelte. Vgl. Dokumente zur Geschichte der Hamburgischen Reichsfreiheit, S. 148. 183 Vgl. Renner, Chronica, S. 383–385; STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 522; Dokumente zur Geschichte der Hamburgischen Reichsfreiheit, S. 148.
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dienst,184 dem die calvinistischen Ratsherren in Bremen allerdings nicht beiwohnten, folgten die Eidesleistung auf dem Rathaus185 und Feierlichkeiten in Form von Festessen186 oder – dies allein in Hamburg – auch von Ritter- und Turnierspielen.187 Diese Abla¨ufe unterscheiden sich in Hamburg und Bremen nur in Details und a¨nderten sich auch im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts nicht. Zum Beispiel spielten in Bremen die Sta¨nde des Erzbistums und die Domgeistlichkeit eine sehr viel gro¨ßere Rolle als in Hamburg, wo sie praktisch nicht sichtbar waren.188 Sie folgten dem traditionellen Schema des Herrscheradventus, wie es Gerrit Jasper Schenk anhand der Kaiser- und Ko¨nigseinzu¨ge im spa¨tmittelalterlichen Reich skizziert hat: Occursio, Ingressus, Processio, Offertorium und Einherbergung.189 Die Eidesleistung selbst wurde dabei zwischen Gottesdienst, der anstelle des Offertoriums trat, und Einherbergung gesetzt und konnte auf diese Weise auch in seiner politischen Bedeutung fu¨r die Stadt symbolisch entkra¨ftet werden. Da sich die Festlichkeiten anschlossen, war es mo¨glich, sie zu einem Teil der ho¨fischen, durch die Zeit des Spektakels begrenzten Repra¨sentation werden zu lassen, die nicht zu einem integralen Bestandteil sta¨dtischen Selbstversta¨ndnisses geho¨rte.190 In diesem Punkt unterschieden sich die Bremer und Hamburger Rituale auch von anderen Huldigungen, bei denen sie Teil der Ausu¨bung der Rechtsgewalt des Herrschers in der Stadt waren.191 Die unentschiedenen 184 Vgl. Renner, Chronica, S. 386; STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 523; Dokumente zur
Geschichte der Hamburgischen Reichsfreiheit, S. 150. 185 Vgl. Renner, Chronica, S. 386; STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 524; Dokumente zur
Geschichte der Hamburgischen Reichsfreiheit, S. 150. 186 Vgl. Renner, Chronica, S. 386; Hamburgischer Bericht, S. 153; STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische
Geschichten, S. 529. 187 Ritter- und Turnierspiele waren ein traditionelles Element der Hamburger ‚Huldigungen‘, sie wurden
1537 und 1603 abgehalten: zu 1537 vgl. Bernd Gyseke’s Hamburger Chronik vom Jahre 810 bis 1542, in: Hamburgische Chroniken niedersa¨chsischer Sprache, hg. v. Johann M. Lappenberg, Hamburg 1861, S. 1–192, hier: S. 154; zu 1603 vgl. zum Beispiel Bindeman, Gratulation und Glu¨ckwu¨nschung [...], Hamburg 1603, fol. A3. 188 Der Rat der Stadt Hamburg wurde vielmehr immer zuerst zum Huldigungstage der schleswig-holsteinischen Sta¨nde gebeten, bevor die da¨nischen Ko¨nige in einem ersten Schritt wiederum nachgaben und u¨ber die Vornehmung der Handlung in Hamburg verhandelten; so waren zum Beispiel die Hamburger Magistrate 1564 zum Huldigungslandtag nach Flensburg geladen, eine Einladung, die sie nicht beantwortet hatten: Bericht des Statthalters Heinrich Rantzau an Ko¨nig Friedrich II. von Da¨nemark, in: Dokumente zur Geschichte der Hamburgischen Reichsfreiheit, S. 63–64. Die Huldigung der Sta¨nde des Erzstifts Bremen fand hingegen im Bremer Dom statt. Auf den ersten Blick ließe sich vermuten, dass dies dem Erzbischof eine gute Gelegenheit zur Demonstration seiner Macht bot. Im Jahre 1580 jedoch weigerte sich die Ritterschaft zuna¨chst, den Huldigungseid abzulegen. Vgl. Renner, Chronica, S. 386. 189 Schenk, Zeremoniell und Politik, S. 287–402. 190 Zu Turnieren als Bestandteil explizit ho¨fischer Festkultur vgl. Horst Nieder, Repra¨sentationsstrategien als Mittel institutioneller Verfestigung. Festinszenierungen an den deutschen Ho¨fen der Fru¨hen Neuzeit, in: Dauer durch Wandel. Institutionelle Ordnungen zwischen Verstetigung und Transformation, hg. v. Stephan Mu¨ller/Gary S. Schaal/Claudia Tiersch, Ko¨ln/Weimar/Wien 2002, S. 47–58; dass Christian IV. die Organisation der Ritterspiele und auch der Maskenaufzu¨ge als ein dezidiertes Machtmittel ansah, wird in einem im Befehlston gehaltenen Schreiben an den Hamburger Rat vom 15. Juni 1603 deutlich, in dem er diesen lediglich u¨ber den Ablauf informiert und gebietet, die no¨tigen Mittel zur Organisation bereitzuhalten: Dokumente zur Geschichte der Hamburgischen Reichsfreiheit, S. 130–132. 191 Vgl. Schenk, Zeremoniell und Politik, S. 397–402.
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Machtverha¨ltnisse lassen sich gut daran ablesen, dass die beteiligten Akteure sich in unterschiedlicher Weise durchsetzten, die hansesta¨dtischen Magistrate bei der Festlegung der Handlungsabfolge, der Monarch und der Erzbischof durch die Nutzung von Formen der Selbstdarstellung, mit denen sie sich als Herrn u¨ber die Stadt wenn nicht rechtlich, so doch wenigstens symbolisch in Szene setzen konnten. Die selbstbewusste Position der hansesta¨dtischen Magistrate wird bereits in der Form des Empfangs deutlich. Wollten Erzbischof und Ko¨nig eigentlich erst an den Mauern der Stadt angetroffen werden, so versuchten die Magistrate durchzusetzen, den Treffpunkt mo¨glichst weit vor diese zu verlagern, um eigene territoriale Herrschaftsanspru¨che zu markieren.192 Im Unterschied zu anderen Empfa¨ngen verliehen die Magistrate dieser Einholung ein ungewo¨hnlich milita¨risches Gepra¨nge, was eine direkte Warnung an Ko¨nig und Erzbischof darstellte.193 Auch in einem weiteren entscheidenden Punkt setzten sich weder die Bremer Erzbischo¨fe noch die da¨nischen Ko¨nige durch. Sie erhielten nicht die Stadtschlu¨ssel u¨berreicht.194 Anders als bei anderen Huldigungseinzu¨gen la¨sst sich hier also keine Verschiebung zu Ungunsten der empfangenden Stadtgemeinde beobachten.195 Außerdem fehlte ein u¨ber den Fu¨rsten gehaltener Baldachin vollkommen, der ein u¨bliches Element von Herrschereinzu¨gen darstellte.196 Bei Einholung und Eidesleistung wurden die Grenzen der Durchsetzungsfa¨higkeit der Fu¨rsten gegenu¨ber den sta¨dtischen Magistraten deutlich. Gerade in den Abschnitten der Gesamthandlung, die die Unterwerfung der Huldigenden symbolisierten, setzten diese sich durch. Hierin unterscheiden sich die Hamburger und Bremer Rituale maßgeblich von Huldigungen, bei denen das Machtverha¨ltnis zwischen Gehuldigtem und Huldigenden sehr viel eindeutiger geregelt war. So gab zum Beispiel in Leipzig der sa¨chsische Kurfu¨rst Johann Georg II. die bei der Huldigung im Jahre 1657 in Empfang genommenen Stadtschlu¨ssel einfach nicht mehr zuru¨ck, da er sich der schuldigen treu ihrer statt Leipzigk gnugsam versichert wu¨ste.197 Die Handlung, die den Rechtscharakter der Huldigung konstituierte, bestand in der Eidesleistung, die entweder die gesamte Bu¨rgerschaft oder ausgewa¨hlte Vertreter leisteten. Hamburg befand sich in einer ungu¨nstigeren Situation als Bremen. Leisteten in Bremen allein die beiden Ka¨mmerer den Eid,198 war weder Zahl noch Amt der Eidesleistenden in Hamburg festgelegt. Besonders die Anzahl der Eidesleistenden wurde deshalb zum Verhandlungsgegenstand zwischen Stadt und Ko¨nig.
192 Vgl. Anm. 180. 193 Den milita¨rischen Aufzug der Hamburger Ratsherren betont besonders die Hamburgische Chronik
1503–1703, vgl. STAH, 731–1, Handschriftensammlung, Ms. 69a, Hamburgische Chronik 1503–1703, S. 30. 194 Die Forderung nach den Stadtschlu¨sseln erhoben allein die da¨nischen Herrscher, nicht die Bremer Erzbischo¨fe. Vgl. Dokumente zur Hamburgischen Reichsfreiheit, S. 97–99, 104, 108–109, 121–122. 195 Vgl. Andre´ Holenstein, Die Huldigung der Untertanen. Rechtskultur und Herrschaftsordnung (800–1800), Stuttgart/New York 1991, S. 509–511. 196 Vgl. Schenk, Zeremoniell und Politik, S. 348. 197 Zitiert nach Katrin Keller, Machttheater? Landesherrliche Huldigungen im 16. bis 19. Jahrhundert, in: Feste und Feiern: Zum Wandel sta¨dtischer Festkultur in Leipzig, hg. v. Ders., Leipzig 1994, S. 17–35, hier: S. 20. 198 Zu Bremen vgl. Renner, Chronica, S. 386; STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 524.
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Die da¨nischen Monarchen wollten in allen Fa¨llen eine mo¨glichst zahlreiche Beteiligung von Bu¨rgerschaft und Rat durchsetzen. Die Hamburger Ratsherren versuchten, die Repra¨sentativita¨t des Eides dadurch zu entkra¨ften, dass sie auf die traditionelle Form von ho¨chstens 60 schwo¨renden Vertretern der Bu¨rgerschaft verwiesen.199 Im Nachhinein verwendeten sie diese begrenzte Anzahl dazu, zu bezweifeln, dass u¨berhaupt ein Eid geleistet worden wa¨re, der tatsa¨chlich die gesamte Gemeinde betra¨fe. Sie stellten in diesem Falle also ihre im Inneren so strikt behaupteten Repra¨sentativfunktionen und -rechte in Frage.200 Der Wortlaut des Eides selbst war der zwischen beiden Seiten umstrittenste Verhandlungsgegenstand.201 Dem da¨nischen Herrscher Christian III. war es gelungen, den Wortlaut des Hamburger Huldigungsformulars im Jahre 1537 dahingehend zu vera¨ndern, dass es sich nicht allein um eine „Annehmung“ sondern auch um eine „Huldigung“ handeln wu¨rde.202 Setzte sich Christian IV. mit der Forderung durch, dass tatsa¨chlich genau dieser Eidestext nach der Verlesung nachgesprochen wurde,203 so war bereits das Sprechen eines Eidestextes in Bremen umstritten. Darin zeigt sich die niedere Rangposition der Erzbischo¨fe gegenu¨ber dem Monarchen. In Bremen war der Wortlaut des Eidestextes Gegenstand der langwierigen Verhandlungen im Vorfeld der ‚Huldigung‘ von 1580.204 Eine Strategie der Bremer Ratsherren, die Gu¨ltigkeit des Eids zu entkra¨ften, bestand sowohl 1580 als auch 1637 darin, den vorgelesenen Text nicht durch die Ka¨mmerer, die eigentlich den Eid leisten sollten, verlautbaren zu lassen. Einer der Hauptbeteiligten des Geschehens im Jahre 1580, der Magistrat Salomon, der als einer der Ka¨mmerherrn den Eid leistete, behauptete jedenfalls, dass die Eidesgeste wortlos vorgenommen worden sei: Darna sat he under een hemelte van swarten syden und de Cantzler Gedeon dede dat wort, darna antwortede unse Syndicus, und ik und Dirik v. Reden als olde und nye kemerers huldeten unsen G. F. wegen der gantzen Wittheit und gemeende mit handupholdinge, averst wy redeten nicht ein wort, sunder geven unse ha¨nde mit reverentz, alse sick dat beho¨ret.205 In einem Bericht u¨ber die Huldigung des Jahres 1637 heißt es ebenso: Als der Cantzler solches beantwortet, hat der Presidirende H. Burgerm. Regenstorf weiter gesprochen. Woferner I. f. Gn. die Stadt ihre Rechte,
199 Dieses Thema wurde in allen Verhandlungen zwischen Hamburg und Da¨nemark angesprochen.
Vgl. Dokumente zur Geschichte der Hamburgischen Reichsfreiheit, S. 86, 92–99, 111, 118–119, 122, 136–137, 152. 200 Charakteristisch ist dafu¨r zum Beispiel das Argumentationsmuster in: [Anonym], Abgeno¨tigte in Jure & facto Wolgegru¨ndete Apologia Hamburgensis [...], Hamburg 1641, fol. B-C. 201 Vgl. fu¨r Bremen Des Syndicus Widekindt Bericht, S. 192–195; STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 524; fu¨r Hamburg vgl. Dokumente zur Geschichte der Hamburgischen Reichsfreiheit, S. 70, 74, 75, 77–78, 86, 105, 112–113, 119, 142–143, 151–152. 202 Vgl. Loose, Hamburg und Christian IV., S. 2. 203 Vgl. Dokumente zur Geschichte der Hamburgischen Reichsfreiheit, S. 151–152. 204 Vgl. Des Syndicus Widekindt Bericht, S. 192–195. 205 Vgl. ebd., S. 212–213.
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
frey¨heit, Sitten und gewohnheiten besta¨tigen wolte, so solten und wolten, die bey¨den Camerarii huldigen. Wie sie nun durch den H. Cantzler sich dazu erkla¨rten traten bey¨de Camerarii D. Jac. Huneken und D. Otto Co¨per in gegenwart des gantzen stehenden Raths hervor, welchen der H. Cantzler das gewo¨hnliche formular vorlaß, nach deßen ablesung ein jeder die rechte hand ohne wort sprechen aufstub.206 Die Bremer Strategie der Entkra¨ftung der Gu¨ltigkeit des Eides war so erfolgreich, dass denjenigen, die in Traktaten die Rechte des Erzbischofs verteidigten, nichts anderes u¨brig blieb, als zu behaupten, die beteiligten Bremer Ratsherren haben einen Eidestext, der eindeutig ein Unterwerfungsverha¨ltnis ausdru¨ckte, wenn nicht laut ausgesprochen, so doch wenigstens gedacht und damit vor Gott bezeugt.207 Im Falle der Bremer ‚Huldigungen‘ hatte sich also in den Abschnitten des Rituals, die die eigentliche rechtliche Bedeutung symbolisch kommunizierten, das Kra¨fteverha¨ltnis in Bremen eindeutig und in Hamburg wenigstens im Falle der Einholung und auch in der Modifizierung der Benennung des Rituals (nicht Huldigung, sondern Huldigungs-Annehmung) zugunsten der Magistrate etabliert. Langfristig konnten die die Landesherrschaft beanspruchenden Fu¨rsten keinen Nutzen aus den Geschehnissen ziehen. Es gelang ihnen nicht, sich als Macht außerhalb des speziellen Zeitraums der Huldigung in den Sta¨dten selbst festzusetzen. Auf lange Sicht konnten sie auch die Erlangung der Reichsstandschaft nicht verhindern. Sie konnten also keine generelle Akzeptanz fu¨r eine ihnen gu¨nstige rechtliche Sinnstiftung erreichen. In einem anderen Bereich als dem der rechtlichen Verankerung ihrer Herrschaftsanspru¨che waren sowohl die Bremer Erzbischo¨fe als auch die da¨nischen Monarchen sehr viel erfolgreicher, wenn auch nur fu¨r den kurzen Zeitraum der Huldigung. In beiden Fa¨llen setzten sie eine rituelle Nutzung des Stadtraums nach ihren Vorgaben durch, in Hamburg unter Christian IV. noch sehr viel konsequenter als in Bremen. Durch diese beeindruckten sie nicht nur die Stadtbevo¨lkerung, sondern auch viele der speziell zu diesem Ereignis angereisten adeligen und nicht-adeligen Fremden.208 Mit auffa¨lligen Handlungen setzten sie sich als – wenn schon nicht rechtlich eindeutig legitimierter, so doch zumindestens symbolisch unu¨bersehbarer – Stadtherr in Szene. Bereits der farbenpra¨chtige Einzug und das zahlreiche, meist weit u¨ber die abgemachten Zahlen hinausgehende Gefolge zeigten dies wie auch ihr Verhalten wa¨hrend des Aufenthalts. In Hamburg wandelte Christian IV. im Jahre 1603 die Stadt zur Bu¨hne eines der prachtvollsten und aufwendigsten Spektakel seiner Regierungszeit um. Dabei kamen Festelemente wie Turniere und Maskenumzu¨ge zum Einsatz,
206 Vgl. STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 524. 207 Vgl. Meier, Assertio Libertatis, S. 583. 208 Bei der Bremer Huldigung von 1637 wurde ein Proklam verku¨ndet, in dem die Bu¨rger und Ein-
wohner der Stadt Bremen aufgefordert wurden, sich angesichts der zu erwartenden Besucherstro¨me sittlich zu verhalten, nu¨chtern zu bleiben, und zu vermelden, wenn man Fremde beherbergen wu¨rde: STAB, 2-P.5.c.2.a.1.b., Bd. 1, Proclam wegen des bevorstehenden Einzugs des Erzbischofs Friedrich. Die Rolle der bewundernden Fremden als Publikum fu¨r den Einzug Christians IV. betont zum Beispiel Loncius, Historischer begrieff, S. 8.
5.4. Die ‚Huldigungen‘ in Bremen und Hamburg
349
die eindeutig ho¨fisch konnotiert waren. Christian IV. war der eindeutige Mittelpunkt nicht nur der Turniere, sondern auch der Schauwagen. Auch der Hamburger Autor einer Festbeschreibung versagte ihm nicht seine Bewunderung fu¨r seine sportlichen Leistungen und seine prachtvolle Erscheinung wa¨hrend des Umzugs.209 Auf einem dieser fu¨nf Wagen saß der da¨nische Herrscher selbst, in fleischfarbenen Atlas gewandet, vermahlt, als ob er nackend war210 und mit Sonnenkranz um den Kopf als Herr Solis, der Planeten und Jahreszeiten beherrschte.211 Der da¨nischen Monarchie standen sowohl finanziell als auch ku¨nstlerisch andere Mittel zur Verfu¨gung als den Bremer Erzbischo¨fen, deren Aufenthalt in Bremen, ganz so wie bei anderen hohen Ga¨sten, nach der ‚Huldigung‘ selbst meist eine Aneinanderreihung von drei Festessen – jeweils auf Kosten des Erzbischofs, des Rates und der Kaufmannschaft – darstellte.212 Dennoch versuchten auch die Erzbischo¨fe, sich durch ihr Auftreten von den Bremer Ratsherren und Kaufleuten deutlich zu unterscheiden und diese ihre rangniedere Position spu¨ren zu lassen. So legte zum Beispiel Erzbischof Friedrich bei seinem Aufenthalt im Jahre 1637 den kurzen Weg zwischen Dom und Rathaus soweit wie mo¨glich hoch zu Ross zuru¨ck. Dieses Verhalten vera¨rgerte die Bremer Magistrate dermaßen, dass sie beschlossen, ihm nicht bis an die Pforte des Rathauses entgegenzugehen, sondern ihn zu sich die Treppe hochsteigen zu lassen – eine nach fru¨hneuzeitlichen Begriffen deutliche Absage an die Rang- und Herrschaftsanspru¨che des Erzbischofs.213 Auch in ihrer Einladungspolitik bewiesen die Ga¨ste die von ihnen fu¨r die Dauer ihres Aufenthalts ausgeu¨bte Oberhoheit u¨ber den Stadtraum. Durch spontane oder spontan wirkende Einladungen an anwesende Verwandte bewiesen sie den Magistraten nicht allein, dass sie als Ga¨ste fu¨r eine standesgema¨ße Feier kaum ausreichten. Zugleich sorgten sie so dafu¨r, dass die sorgfa¨ltig im Voraus kalkulierten Bewirtungskosten unberechenbar anstiegen.214 In Anbetracht der Diskussionen, die solche Aufwendungen zwischen Rat und Bu¨rgerschaft auslo¨sen konnten, trugen sie zur inneren Destabilisierung der politischen Ordnung Hamburgs und Bremens bei.215
209 Vgl. Bindeman, Gratulation und Glu¨ckwu¨nschung [...], Hamburg 1603, fol. A3. 210 Vgl. Algermann, Ausfu¨hrliche und Umbsta¨ndliche Beschreibung, s.p. 211 Diesen Aufzug hielt ein anonymer Ku¨nstler wohl im Auftrag des da¨nischen Ko¨nigs auf einem Kupfer-
stich fest: vgl. Wade, Triumphus Nuptialis Danicus, S. 50–51. Die pra¨ziseste Beschreibung der Wagen gibt der anonyme Druck Deß Durchleuchtigsten und Mechtigsten Herrn Herrn SOLIS, Herrlicher Auffzug. Zur Deutung des Bildprogramms vgl. Wade, Triumpus Nuptialis Danicus, S. 52–54. 212 Vgl. Renner, Chronika, S. 385–386; STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 523–531. 213 Vgl. STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 523. 214 Vgl. zum Beispiel die Rechnungslegung nach den Festessen von 1637 in: AHB, Altes Aktenarchiv des Collegium Seniorum, Die Bu¨rgerschaft, Auswa¨rtige Beziehungen, Erzbischof von Bremen-Verden, Verschiedenes, 1617, 1629, 1637–1640, IV B III 6,1: Rechnungslegung fu¨r den 21. Ma¨rz 1637; dass die Kostensteigerungen als Machtdemonstration gegenu¨ber der Stadt Hamburg verstanden wurden, ist im Bericht des in braunschweigisch-herzo¨glichen Diensten stehenden Franz Algermanns deutlich zu erkennen: In den Ziegelha¨usern fu¨rm Millern-Thor stunden 1100 Pferde, daselbst war auch das Gutshen: und Magen gesinde gespeiset, und tractiret, alle auf der gemeinen Stadt Unkosten., aus: Algermann, Ausfu¨hrliche und Umbsta¨ndliche Beschreibung, s. p. 215 Vgl. Anm. 153.
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
Wie viel Mu¨he sich die Ga¨ste auch gaben, Macht und Rang zu demonstrieren, von den beteiligten Magistraten selbst schienen sie nur oberfla¨chlich wahrgenommen zu werden. In ihren fu¨r den eigenen Gebrauch bestimmten Aufzeichnungen notierten diese meist nur genau die Dauer, die verschiedenen Funktionen der namentlich genannten Magistrate, sowie das genaue Prozedere wa¨hrend der Eidesleistung. Glanz und Pracht des fu¨rstlichen Einzugs ließen sie unerwa¨hnt.216 So halfen weder o¨ffentliche Machtdemonstrationen in Form pra¨chtiger Kostu¨me und Aufzu¨ge noch das Werben um gute Beziehungen zu den Magistraten, die sich in Bremen durch Geschenke und Einladungen zu Festessen manifestierte,217 wenig.218 Sie beru¨hrten das Denken der beteiligten Magistrate kaum und halfen daher auch nicht, eine dauerhafte, ungleiche Beziehung zwischen ihnen und den Ga¨sten zu etablieren. Eine symbolische Aufwertung des einziehenden Herrschers erfolgte in Hamburg im Jahre 1603 nicht im politischen, sondern allein im religio¨sen Sinne. Die Hamburger erblickten in Christian IV. den Garant fu¨r den Erhalt der lutherischen Lehre im Norden: Vor allem aber Gottes Wort/ Wie Doctor Luther solchs gelert/ Sol bleiben unvorandert stan/ Welches Beyde Herrn219 bestetigt han.220 Allein in diesem, in einem stadtu¨bergreifenden konfessionellen Sinne waren die Hamburger dazu bereit, Christian IV. eine besondere Rolle zuzugestehen, ohne mit dieser Aufwertung realpolitische Zugesta¨ndnisse zu verknu¨pfen. In Bremen war den Erzbischo¨fen diese Form der konfessionell begru¨ndeten Anna¨herung nicht mo¨glich. Die konfessionellen Unterschiede fu¨hrten im Gegenteil dazu, dass sich der Erzbischof zeremoniell im Stadtraum von den Magistraten absetzen konnte. An den Huldigungspredigten nahmen keine sta¨dtischen Magistrate teil.221 Die Gottesdienste im Dom im Rahmen der ‚Huldigungen‘ von 1580 und 1637 zogen allein deshalb eine große Aufmerksamkeit auf sich, da sie zwischen den Jahren 1561 und 1638 die einzigen Feierlichkeiten dort waren. Die o¨ffentliche Wirkung des Geschehens im Dom – die Stadtchroniken sprechen von einer großen Menge an Schaulustigen222 – stellten eine unmittelbare und weitaus wirkungsvollere Bedrohung des Bremer Rats dar als das waffenstarrende Gepra¨nge des Erzbischofs und seines Gefolges im Moment der Ankunft in der Stadt. Die ‚Huldigungen‘ in Bremen und Hamburg besaßen einen umstrittenen Rechtscharakter, weil das Machverha¨ltnis zwischen den Einreitenden und den Sta¨dten nicht eindeutig geregelt war. Konnten die Magistrate sie nicht verhindern, so versuchten sie alle Gesten und Handlungen, die einen Unterwerfungsgestus symbolisch ausgedru¨ckt ha¨tten, zu
216 Am charakteristischsten hierfu¨r ist die Schilderung des Bremer Ratsherrn Salomon: vgl. Anm. 205. Fu¨r
ein anschauliches Hamburger Beispiel aus der Feder eines Stadtbediensteten und eines Oberalten vgl. aber auch Bernd Gyseke’s Hamburger Chronik, S. 151–156. 217 Renner, Chronika, S. 385–386; STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 522, 527–533; Loncius, Historischer begrieff, S. 12. 218 Aus den Quellen zu den Festivita¨ten im Jahre 1603 wird nicht deutlich, ob Christian IV. die Hamburger Magistrate u¨berhaupt an den von ihm anscheinend auf Kosten der Stadt ausgerichteten Banketten teilnehmen ließ. Vgl. Anm. 154. 219 Also Christian IV. und Herzog Johann Adolph. 220 Loncius, Historischer begrieff, S. 10. 221 Vgl. Renner, Chronika, S. 385–386; STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 523. 222 Vgl. STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 523–524.
5.5. Zeremonielle Kommunikation auf dem diplomatischen Parkett
351
vermeiden oder in Akte gegenseitiger Anerkennung umzudeuten, wie zum Beispiel den Empfang des Einreitenden oder sogar den Eid selbst. Dies gelang ihnen besser als die Integration von Formen fu¨rstlicher Repra¨sentation, die in Hamburg als kulturelle ¨ berlegenheit und in Bremen als sta¨ndische und konfessionelle Andersartigkeit zeleU briert wurde. Die ‚Huldigungen‘ in Bremen und Hamburg enthielten mit der Eidesleistung ein zeremonielles Element, das – auch wenn die Magistrate diese Deutung so weit wie mo¨glich abzuschwa¨chen versuchten – die Unterordnung der Hansesta¨dte unter einen ‚Landesherrn‘ symbolisch ausdru¨ckte. Alle weiteren Festelemente waren in ihrer Bedeutung offen und erhielten durch die zwischen beiden beteiligten Akteursgruppen umstrittene Interpretation einen ha¨ufig sehr ambivalenten Charakter. Einerseits ließen sich die Bewirtungen des da¨nischen Ko¨nigs und seines Gefolges als Gastfreundschaft unter gleichrangigen Gemeinwesen interpretieren, andererseits aber auch als schuldige Dienste von Untergebenen.
5.5. Zeremonielle Kommunikation auf dem diplomatischen Parkett: Gleichrangigkeit und Unterordnung – Rangminderung und ko¨nigliche Wu¨rde
Die Ambivalenz zwischen der Selbstdarstellung als Gastgeber und dem Versuch, sich der Unterordnung unter die fu¨rstliche Hierarchie zu entziehen, la¨sst sich nicht nur bei ‚Huldigungen‘ in den Hansesta¨dten beobachten, sondern auch in einem anderen wichtigen Bereich zeremonieller Kommunikation: dem Gabentausch als einem ritualisierten Verhalten, das einerseits Gleichrangigkeit, andererseits aber auch Tributpflichtigkeit ausdru¨cken konnte.223 In dieser ambivalenten Bedeutung des Gabentausches liegt auch ein wichtiger Unterschied zu der Bedeutung dieser rituellen Handlung in Venedig. Zwar war es Teil des fu¨r Venedig und fu¨r die Hansesta¨dte charakteristischen diplomatischen Zeremoniells, auswa¨rtige Standespersonen und Gesandte mit Geschenken zu ehren und auch selbst welche zu erhalten.224 Doch in Venedig wurde der Gabentausch nicht dazu benutzt, Beziehungen zu benachbarten Ma¨chten aufzubauen oder zu festigen, wie dies bei den Hansesta¨dten der Fall war.225
223 Vgl. zum fru¨hneuzeitlichen Gabentausch als Mittel zur Stabilisierung und Etablierung politischer
Beziehungen in der Fru¨hen Neuzeit Gadi Algazi, Introduction: Doing Things with Gifts, in: Negotiating the Gift. Pre-Modern Figurations of Exchange, hg. v. Dems./Valentin Groebner/Bernhard Jussen, Go¨ttingen 2003 S. 9–28, hier: S. 10–12. 224 Fu¨r die Hansesta¨dte insgesamt vgl. Rainer Postel, Das „Heiligtum im Ratskeller“. Die Hansesta¨dte und der Wein, in: Stadt und Wein, hg. v. Ferdinand Opll, Linz (Donau) 1996, S. 147–163, hier: S. 152–154 und Reisen und Reisende in Norddeutschland, S. 406–413, 441–444, 514–518, 553–554; fu¨r Lu¨beck vgl. insbesondere AHL, ASA-Interna, Ceremonialia 4/1, Vorehrung eines Erbarn Radts der Stadt Lu¨begk an Silbern vorgu¨ldetem Drinckgeschir in- und außerhalb der Statt, 1570–1784; fu¨r Venedig vgl. Fortini Brown, Measured Friendship, S. 150. 225 Fu¨r Hamburg ließen sich hierfu¨r keine Quellen eruieren.
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
Die Einbindung in den Reichsverband verlangte bei aller Reichsferne der im Norden gelegenen Hansesta¨dte andere zeremonielle Kommunikationsmittel, als sie die autonomen ober- und mittelitalienischen Fu¨rstentu¨mer und Sta¨dte benutzten. Der Gabentausch konnte in Oberitalien nur der jeweiligen eigensta¨ndigen Repra¨sentation dienen. Im Reich war er Teil einer rituellen, u¨bersta¨dtischen Sprache.226 Da diese Beziehungen sich innerhalb eines einzigen politischen Kommunikationssystems abspielten, konnte dem Gabentausch eine Indikatorrolle fu¨r sich verschiebende Machtpositionen innerhalb dieses Systems zukommen, ohne gleich zum Anlass fu¨r außenpolitische Verwicklungen zu werden. Dies wa¨re bei einem vergleichbar ambivalenten Einsatz von Geschenken innerhalb der Kommunikation zwischen verschiedenen Herrschaften in Oberitalien der Fall gewesen.
5.5.1. Gleichrangigkeit oder Unterordnung? Die ‚Martensmannlieferungen‘ der Hansestadt Lu¨beck an die Herzo¨ge von Mecklenburg Auf den ersten Blick la¨sst sich vermuten, dass es gerade Hamburg und Bremen waren, die neben den Konflikten um die ‚Huldigungen‘ in Diskussionen um Geschenklieferungen an fu¨rstliche Landesherren verwickelt gewesen wa¨ren. In allen drei Hansesta¨dten glichen sich Art und Umfang der Gaben sowie der Kreis der Gabenempfa¨nger (beziehungsweise Bittsteller).227 Doch es war ausgerechnet die Reichsstadt Lu¨beck, deren Magistrate in einen offensiv ausgetragenen Konflikt um die Bedeutung von Gabenlieferungen verwickelt wurde. Zwar lassen sich die hier verwandten Argumentationsmuster auch an einzelnen Stellen in entsprechenden Bremer Quellen finden, doch sind sie dort keineswegs u¨ber einen so langen Zeitraum und mit kontinuierlich gleichen, wechselseitigen Begru¨ndungen u¨berliefert wie in Lu¨beck.228 Dort geho¨rten
226 Vgl. auch Krischer, Reichssta¨dte in der Fu¨rstengesellschaft, S. 106–273. 227 Fu¨r Bremen ist leider kein ausfu¨hrliches Verzeichnis erhalten geblieben, vgl. daher die einzelnen
Belege in: STAB, 2-Dd 4.a., Notifikationen von Hochzeiten, Bitten an den Senat um Teilnahme und Geschenk, 1560–1772; STAB, 2-Dd 4.f., Dank- und Bittschreiben an den Senat in verschiedenen Angelegenheiten; STAB, 2-Dd.4.c., Schenkungen von Lachs und Hering seitens des Senats 1602–1803; STAB, 2-Dd.6.c., Extract aus dem WittheitsProtocoll de 1639. Martii 15, pag. 223. Nicht nur der Bremer Rat, sondern auch das Collegium Seniorum stand zum Teil mit denselben Personen wie der Rat in Gabentauschbeziehungen: AHB, Altes Aktenarchiv des Collegium Seniorum, Die Bu¨rgerschaft, Auswa¨rtige Beziehungen, Landgraf von Hessen, 1619, 1620, 1654 IV B III 4, 1 und AHB, Altes Aktenarchiv des Collegium Seniorum, Die Bu¨rgerschaft, Auswa¨rtige Beziehungen, Oldenburg, Briefwechsel 1597–1654. Fu¨r Lu¨beck sind außer dem Verzeichnis „Vorehrung eines Erbarn Raths der Stadt Lu¨beck“ noch folgende Quellen zu nennen: AHL, ASA-Externa, Herzogtum Sachsen-Lauenburg, 1. Diplomat. Angelegenheiten, Briefe von 1545 und 1572 und 1923: Briefwechsel 1593–1631; AHL, ASAExterna, Schleswig-Holstein I. Herzogtu¨mer 5. Wirtschaft und Finanzen 3356 (1593; 1614); AHL, ASA-Interna, Ceremonialia 24/1, Ehrungsgeschenke 1610–1777 (Briefe von 1610 und 1640); AHL, ASA-Interna, Ceremonialia 5/4, Braunschweig 1615–1760; AHL, ASA-Interna, Ceremonialia 5/13, Sachsen 1634–1745, Aufstellung einer Geschenkelieferung an die Kurfu¨rstinnen und Kurfu¨rsten von Sachsen. 228 Dies kommt etwa zwischen den Zeilen im Briefwechsel zwischen Senat und Erzbischof wegen der Lachslieferungen zum Ausdruck. Vgl. STAB, 2-Dd.4.c., Schenkungen von Lachs und Hering seitens des Senats 1602–1803, Briefwechsel 1602, 1620–1630, 1635, 1638.
5.5. Zeremonielle Kommunikation auf dem diplomatischen Parkett
353
die Martensmannlieferungen zum Kernbestand einer spezifisch a¨ußeren Selbstdarstellung. Einmal im Jahr lieferte Lu¨beck wohl seit dem 14., spa¨testens seit der Mitte des 15. Jahrhunderts229 Most von Rheinwein an die Herzo¨ge zu Mecklenburg.230 Das Ritual, das sich um diese Lieferungen ausgebildet hatte, blieb von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts gleich. Die Ha¨ufigkeit der Belege in den Quellen des Lu¨becker Stadtarchivs la¨sst außerdem vermuten, dass es sich regelma¨ßig, vermutlich ja¨hrlich, abspielte.231 Rat und Bu¨rgerschaft der Hansestadt Lu¨beck beauftragten einen der Ratsdiener damit, nach Schwerin loszufahren. Vorher wurde ihm ein Formular eingescha¨rft, das er bei Lieferung verku¨nden sollte. Der Lu¨becker Rat wu¨rde die Pra¨sente nach altem gebrauch und auß nachbarlichem guten willen, alß eine vorringe, und nicht auß pflicht, schicken.232 Bereits in der Wahl des Weines bewies Lu¨beck Eigensta¨ndigkeit gegenu¨ber den Wu¨nschen des Mecklenburger Herzogs. Verlangte dieser meist Most, also jungen Wein, so gaben die Lu¨becker ihrem Vertreter richtigen Wein mit, der oft zu lange und falsch gelagert worden war und daher ungenießbar war.233 Dieses gab dem Herzog Anlass, auf die Pflicht der Lu¨becker hinzuweisen, ihm Most darzubringen. Er betonte damit die unterrangige Position Lu¨becks als von ihm abha¨ngig und verpflichtet, wa¨hrend der Lu¨becker Rat das Freiwillige und Gleichrangige seiner Handlung hervorhob.234 War die Annahme der Lieferung nach heftigen Wortwechseln u¨berstanden, musste sich der Lu¨becker Lieferant in Schwerin eine a¨ußerst ungastfreundliche Aufnahme gefallen lassen. Meist erhielten weder er noch seine Kutschpferde Unterkunft und Verpflegung. Im Jahre 1609 sah sich der Lu¨becker Vertreter Hans Jacobsen gezwungen, zwo¨lf Tage im Schweriner Schlosshof zu u¨bernachten. Die Schweriner Dienerschaft hatte ihn nicht nur unfreundlich behandelt, sondern auch seine Kutsche bescha¨digt und sich anschließend geweigert, diese zu reparieren.235
229 Vgl. zu der Datierungsproblematik Antjekathrin Grassmann, Aus nachbarschaftlicher Freundschaft
und guter Affektion – Die Martensmanntradition zwischen Lu¨beck und Mecklenburg in der letzten Phase ihres Bestehens, in: MecklJbb 109 (1993), S. 107–121, hier: S. 108. 230 Hier ist noch auf folgende Spezialliteratur zu verweisen, die heimatkundlich orientiert ist, aber auch Quellenhinweise bietet: Hans Lanzius, Zur Geschichte des Lu¨becker Martensmannes, der jahrhundertelang am Martinitage ein Faß Rheinwein nach Schwerin brachte. Dokumentarische Quellensammlung, Ratzeburg 1988; Johannes Warncke, Der Lu¨becker Martensmann, in: Vatersta¨dtische Bla¨tter 7 (1916), S. 25–27 und 8 (1916), S. 29–30; Johannes Warncke, Der Lu¨becker Martensmann, in: Mecklenburg. Zeitschrift des Heimatbundes Mecklenburg 12 (1917), S. 5–14. 231 Grassmann, Aus nachbarschaftlicher Freundschaft, S. 110–111. 232 AHL, ASA-Externa, Mecklenburg, I. Herzogtum, 5. Wirtschaft und Finanzen, Akten zum Streit um die Martinspra¨sente des Rats von Lu¨beck an den Herzog von Mecklenburg, Nr. 841, Instruktion an den Lu¨beckischen Vertreter in Schwerin, 1593. 233 Grassmann, Aus nachbarschaftlicher Freundschaft, S. 110. 234 Dieses Argumentationsmuster zieht sich durch die gesamte Korrespondenz zwischen Lu¨beck und Mecklenburg in dieser Angelegenheit: Vgl. passim die aus den Jahren 1593–1637 stammenden Schriftstu¨cke in AHL, ASA-Externa, Mecklenburg I. Herzogtum, 5. Wirtschaft und Finanzen. 235 AHL, ASA-Externa, Mecklenburg, I. Herzogtum, 5. Wirtschaft und Finanzen, Akten zum Streit um die Martinspra¨sente des Rats von Lu¨beck an den Herzog von Mecklenburg, Nr. 842, Beschwerdebrief des Rats der Stadt Lu¨beck an den Herzog von Mecklenburg, 7. Dezember 1609.
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
Außerdem setzte sich der Lu¨becker Sendbote meist gewaltsamen Auseinandersetzungen mit dem Ku¨chenpersonal des Schweriner Hofes aus.236 Erstaunlich ist, dass beide Seiten u¨ber Jahrzehnte an diesem jedenfalls fu¨r die Mecklenburger und Lu¨becker Dienerschaft unerquicklichen, stark ritualisierten Verhalten festhielten. Beide Akteure mu¨ssen diesen von vorhersehbaren Missto¨nen begleiteten Geschenketausch als eine gu¨nstige Mo¨glichkeit angesehen haben, politische Botschaften auszudru¨cken. Die Lieferung ungenießbaren Weins stellte fu¨r den Lu¨becker Rat ein Mittel dar, die Unabha¨ngigkeit und gefestigte außenpolitische Position der Stadt zu demonstrieren. Sie wiesen den Herzog von Mecklenburg so darauf hin, dass er ihre Geschenke, selbst, wenn sie ihm nicht recht sein sollten, akzeptieren musste. Diese Strategie wandte der Lu¨becker Rat u¨brigens nicht nur gegenu¨ber dem Herzog zu Mecklenburg, sondern auch gegenu¨ber dem da¨nischen Monarchen an.237 Der Herzog zu Mecklenburg wiederum nutzte die Martensmannlieferungen zur wie¨ berlegenheit und Machtvollkommenderholten Behauptung seiner rangma¨ßigen U heit gegenu¨ber den Lu¨becker Magistraten, ohne dass er hierfu¨r viel milita¨rischen oder politischen Aufwand treiben musste. Die Martensmannlieferungen waren Teil eines offenen Verha¨ltnisses zwischen zwei Akteuren, bei denen keiner von beiden sich endgu¨ltig gegenu¨ber dem anderen durchsetzen konnte. In dieser Deutlichkeit la¨sst sich ein vergleichbarer Konflikt bei den anderen Geschenkelieferungen der Hansesta¨dte ho¨chstens zwischen den Zeilen finden, in der Art, wie zum Beispiel benachbarte Fu¨rsten sich Pferde fu¨r Turniere anla¨sslich eigener Familienfeierlichkeiten erbaten oder pra¨zise Angaben fu¨r Fisch- und Wildlieferungen nannten.238 Dennoch bewahrten diese oft als Forderungen formulierten Bitten eine Form, die sie in einen anderen Bereich zeremoniell ausgedru¨ckter Beziehungen einordnete, und zwar in einen Bereich, in dem das wechselseitige Verha¨ltnis der beteiligten Akteure jenseits von juristisch-politischen Auffassungen aufgebaut und gesichert werden sollte. Gegenseitige Gaben wie auch Einladungen zu Familien- und Kro¨nungsfeierlichkeiten schufen ein nicht staatsrechtlich definiertes, sondern fast verwandtschaftlich zu nennendes Verha¨ltnis, das sich aber in der ersten Ha¨lfte der Fru¨hneuzeit nicht zu Ungunsten der Hansesta¨dter hierarchisierte.
236 Dass diese recht handgreiflich gewesen sein mu¨ssen, zeigt sich daran, dass Adolph Friedrich Herzog zu
Mecklenburg diese in einem von ihm in Auftrag gegebenen Protokoll gar nicht zu leugnen versuchte: AHL, ASA-Externa, Mecklenburg, I. Herzogtum, 5. Wirtschaft und Finanzen, Akten zum Streit um die Martinspra¨sente des Rats von Lu¨beck an den Herzog von Mecklenburg, Nr. 842: 1609, Beschwerdebrief mit beigelegtem Protokoll des Herzogs zu Mecklenburg vom 18. November 1609. 237 Vgl. Schweitzer, Christian IV. von Da¨nemark, S. 333–334. 238 Dies kommt besonders in den Briefen der Herzo¨ge von Sachsen-Lauenburg an den Rat der Stadt Lu¨beck und Bremen zum Ausdruck, in denen sie die Sendung von Reit- und Turnierpferden verlangten: Dank und Bittschreiben an den Senat in verschiedenen Angelegenheiten: Brief aus dem Jahre 1578; AHL, ASA-Externa, Sachsen-Lauenburg, 1. Diplomatische Angelegenheiten 1921 (1545), 1922 (1572), 1923 (1593–1631).
5.5. Zeremonielle Kommunikation auf dem diplomatischen Parkett
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5.5.2. Festvergemeinschaftungen: Gabentausch und wechselseitige Einladungen Der Kreis von Standespersonen, mit denen Lu¨beck und Bremen durch Gabentausch und Einladungen zu Familien- und Kro¨nungsfeierlichkeiten in Kontakt stand, vera¨nderte sich von der Mitte des 16. zur Mitte des 17. Jahrhunderts nicht und unterschied sich auch nicht markant voneinander.239 Fu¨r Hamburg lassen sich hier aufgrund der Quellenlage kaum Aussagen treffen. Bremen und Lu¨beck pflegten recht intensive Beziehungen zu benachbarten norddeutschen Fu¨rstentu¨mern – u¨brigens trotz der hansesta¨dtischen Unterstu¨tzung fu¨r die Stadt Braunschweig auch zu Mitgliedern des Hauses Braunschweig-Lu¨neburg240 – ganz gleich, ob diese Lutheraner oder Reformierte waren. So vertraten Lu¨becker Magistrate beispielsweise den hessischen Landgrafen Moritz bei einer Taufe.241 In Bremen finden sich Korrespondenzen sowohl mit den hessischen Landgrafen als auch mit lutherischen Adeligen wie Herzog Wilhelm von Braunschweig-Lu¨neburg oder Graf Anthon Gu¨nther zu Oldenburg .242 Neben diesen pflegten die hansesta¨dtischen Ratsherren auch intensive Kontakte zu Personen, die nicht der Hocharistokratie zuzurechnen waren, sondern zum Ritterstand geho¨rten, und solchen Personen, die in nicht-hansesta¨dtischen milita¨rischen und administrativen Diensten standen.243 Auch auf dieser Ebene beru¨cksichtigte Bremen nicht allein reformierte Standespersonen, sondern auch Lutheraner. Fu¨r Lu¨beck ist hingegen auffa¨llig, dass in diesem Personenkreis mit Ausnahme des Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel allein Lutheraner angesprochen wurden.244 Die Bremer Magistrate bemu¨hten sich um gute Beziehungen zu Vertretern des Reichshofrates und des Reichskammergerichtes. Von 15 Schreiben, die meist Hochzeitseinladungen und Dankesbriefe darstellen, stammen immerhin fu¨nf Briefe aus einem Zeitraum 239 Vgl. Anm. 227. 240 Fu¨r Bremen vgl. entsprechende Briefe in STAB, 2-Dd 4.b., Notifikationen von Geburten und Tau-
¨ bernahme der Patenschaft 1567–1792, undatierter Brief Herzog Wilfen; Bitten an den Senat um U helms; STAB, 2-Dd 4.b., Notifikationen von Hochzeiten; Bitten an den Senat um Teilnahme und Geschenk 1560–1772, Brief Herzog Wilhelms, 1609; zu Lu¨beck vgl.: AHL, ASA-Externa, Braunschweig-Lu¨neburg, 1. Diplomatische Angelegenheiten, Nr. 4966, Glu¨ckwunschbrief des Rates zur Taufe einer Tochter von Herzog Julius, 8. Ma¨rz 1578; Ebd., Nr. 4967, Glu¨ckwunschbrief an Christian Bischof zu Minden, Herzog zu Braunschweig und Lu¨neburg zum Regierungsantritt, 7. Mai 1611; AHL, ASA-Interna, Cerimonialia 32/5, Patenschaften beim herzoglichen Haus Braunschweig-Lu¨neburg, 1632–1678, Patenschaft bei einer Tochter Augusts des Ju¨ngeren, Herzogs zu Braunschweig und Lu¨neburg, 1632. 241 AHL, ASA-Interna, Ceremonialia 32/4, Patenschaften beim landgra¨flichen Haus Hessen und einem Grafen Hohenlohe, 1617–1759, Dankesbrief Moritz’ von Hessen an den Rat der Stadt Lu¨beck, 30. Juni 1617. 242 Vgl. Anm. 240. 243 Vgl. fu¨r Bremen STAB, 2-Dd.4.c., Schenkungen von Lachs und Hering seitens des Senats 1602–1803; fu¨r Lu¨beck AHL, ASA-Interna, Ceremonialia 24/1, Ehrungsgeschenke 1610–1777, zwei Dankesbriefe von 1610 und 1640; ebd., ASA-Interna, Hochzeiten 9/2; ebd., Ceremonialia 32/7 Patenschaften bei Kindern von Diplomaten, Beamten und Offizieren, 1634–1757. 244 Fu¨r Beziehungen in Form von Geschenken und Einladungen zwischen dem Rat der Stadt Lu¨beck und dem Landgrafen Moritz la¨sst sich ein Beleg nennen, der auf einen umfangreicheren Briefwechsel hindeutet: AHL, ASA-Interna, Ceremonialia 32/4, Patenschaften beim Haus Hessen und einem Grafen Hohenlohe, 1617–1759, Dankesbrief des Landgrafen Moritz fu¨r die Sendung eines Gesandten zu Tauffeierlichkeiten, 30. Juni 1617.
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
zwischen 1560 und 1623 aus der Feder von Standespersonen, die ha¨ufig sogar katholisch waren, so zum Beispiel von Wilhelm Graf von Fu¨rstenberg-Heiligenberg, Mitglied des Reichshofrats.245 Diese informellen Beziehungen lassen sich durch das stete Bemu¨hen Bremens um eine Sicherung seiner behaupteten Reichsstandschaft erkla¨ren. Die Einladungen an die hansesta¨dtischen Magistrate zu Kro¨nungen,246 Begra¨bnissen,247 Hochzeiten248 und Taufen (diese Einladungen waren meist mit dem Angebot der Patenschaft verbunden)249 bezogen sie in die dynastischen Repra¨sentationen der Fu¨rsten soweit ein, wie es die Strukturunterschiede zwischen den verschiedenen Formen der beteiligten Gemeinwesen zuließen. Weder war es den Magistraten mo¨glich, dynastische Verbindungen zu den Fu¨rsten selbst einzugehen – ha¨ufig bestanden familia¨re Verbindungen eher zu den juristischen Ratgebern an den Ho¨fen –250 noch konnten sie diese Einladungen direkt in dem Sinne erwidern, dass sie sie zu eigenen familia¨ren Feierlichkeiten eingeladen ha¨tten. Zudem erkannten die Einladungen die Mo¨glichkeit an, den Rat als Ganzes einzubeziehen, aber nicht seine allein schon aufgrund ihrer familia¨ren Herkunft unterlegenen Mitglieder als Einzelpersonen. So weit wie es ging, wurde ein im christlichen Sinne u¨berho¨htes verwandtschaftliches Verha¨ltnis zwischen Stadt und Fu¨rstenhaus geschaffen – eine Komponente, die in Venedig zum Beispiel ga¨nzlich fehlte. Festzuhalten ist allerdings, dass sich diese Art der Beziehungsetablierung im Falle des Hochadels allein auf die protestantischen Fu¨rsten 245 STAB, 2-Dd 4.b., Notifikationen von Hochzeiten, Briefe vom 29. 2. 1608, 5. 7. 1608, 12. 8. 1609,
26. 7. 1610, 2. 5. 1623; zu Wilhelm Graf von Fu¨rstenberg-Heiligenberg vgl. Stefan Ehrenpreis, Kaiserliche Gerichtsbarkeit und Konfessionskonflikt. Der Reichshofrat unter Rudolf II. 1576–1612, Go¨ttingen 2006, S. 296. 246 Auch wenn diese Glu¨ckwunschgesandtschaften an die da¨nischen und schwedischen Ko¨nige ha¨ufig im Namen der gesamten Hanse ausgerichtet wurden, engagierten sich hier Lu¨beck und Hamburg in besonders auffa¨lliger Weise. Vgl. STAH, 731-1 Handschriften, Ms. 493a, Amsinck, Hamburgische Chronica, s. p., Eintrag zu 1596; Becker, Umsta¨ndliche Geschichte, S. 142, 238; außerdem Wilhelm Brehmer, Gesandtschaft der Stadt Lu¨beck zur Kro¨nung des da¨nischen Ko¨nigs Friedrich III, in: MittVLu¨bG 6 (1893–1894), S. 8–9. Anton Hagedorn, Die Gesandtschaft der Hansesta¨dte zur Beglu¨ckwu¨nschung Ko¨nig Friedrichs III. von Da¨nemark bei seiner Thronbesteigung, in: MittVLu¨bG 1 (1883–1884), S. 42–48. 247 Aufgrund der geringeren Kosten in Kleidung, Gefolge und fehlenden Geschenken sind diese Ereignisse weitaus seltener belegt, da die entsprechenden Schreiben aufgrund des fehlenden finanziellen Aufwands vermutlich nicht Eingang in das Ratsarchiv fanden. Vgl. aber dennoch AHL, ASA-Externa, Mecklenburg I. Herzogtum, 722, Briefe, in denen zu Beerdigungen nach Schwerin geladen wird, 1592 und 1603. 248 Fu¨r Bremen vgl. STAB, 2-Dd 4.b., Notifikationen von Hochzeiten; Bitten an den Senat um Teilnahme und Geschenk 1560–1772; fu¨r Lu¨beck AHL, ASA-Interna, Hochzeiten 9/1, Einladungen an den Rat zu Hochzeiten,1554–1640. 249 Fu¨r Bremen vgl. STAB, 2-Dd 4.b., Notifikationen von Geburten und Taufen; Bitten an den Senat ¨ bernahme der Patenschaft 1567–1792; Lu¨beck u¨bernahm Patenschaften bei fast allen bedeutenum U den Fu¨rstenha¨usern in Norddeutschland: AHL, ASA-Interna, Ceremonialia 32/2, Patenschaften beim herzoglichen Haus Sachsen-Lauenburg; AHL, ASA-Interna, Ceremonialia 32/3, Patenschaften beim herzoglichen Haus Schleswig-Holstein, 1611–1678; AHL, ASA-Interna, Ceremonialia 32/5, Patenschaften beim herzoglichen Haus Braunschweig-Lu¨neburg, 1632–1678. 250 Dies konnte sich gerade fu¨r Personen, die mit Gesandtschaftsta¨tigkeiten beauftragt werden sollten, als großer Nachteil herausstellen. Vgl. zum Beispiel die Diskussionen zwischen Rat und Bu¨rgerschaft der Stadt Lu¨beck um die ausgewa¨hlten Personen einer Gesandtschaft nach Schweden im Jahre 1600 in: AHL, ASA-Interna, Rat und Bu¨rgerschaft 6/-, Protokoll zum 11. Juli 1600.
5.5. Zeremonielle Kommunikation auf dem diplomatischen Parkett
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beschra¨nkte.251 Sie waren im Norden des Reiches Bestandteil zeremonieller Kommunikation zwischen Akteuren, die sich zu anderen Gelegenheiten manchmal sogar zeitgleich als Gegner gegenu¨bertraten, wie es die Beziehungen zwischen Lu¨beck und dem Hause Braunschweig-Lu¨neburg beweisen, die auch in Zeiten offener Konflikte nicht abbrachen.252 In dieses Beziehungsnetz wurden die Hansesta¨dte als eigensta¨ndige und wichtige politische Akteure im Norden des Reiches auch bei nicht gefestigter Reichsstandschaft ohne weitere Begru¨ndung miteinbezogen. Im Folgenden soll dieser Befund mit einem anderen Bereich ritualisierter Kommunikation verglichen werden. Es soll darum gehen zu untersuchen, nach welchen Regeln sich die Repra¨sentation der Hansesta¨dte auf einem sich stetig formalisierenden diplomatischen Parkett richtete.
5.5.3. Die verschiedenen Sprachen der Repra¨sentation: Nach außen gerichtete Selbstdarstellung beim Empfang von Gesandten und beim Auftritt als Gesandte Der Empfang und die Bewirtung von Gesandten folgte in Venedig und den Hansesta¨dten einem vergleichbar festgelegten Muster wie der Empfang fremder Standespersonen. Einer feierlichen Einholung253 folgte die o¨ffentliche Anho¨rung des Gesandten, dem der Doge in Venedig je nach Rang unterschiedlich weit bis vor die Sala del Collegio, dem Versammlungsraum des Senats, entgegenkam.254 Diese o¨ffentliche Anho¨rung fand in Venedig vor dem Senat teilweise unter Hinzuziehung des Consiglio di Dieci statt,255 in Bremen und Lu¨beck vor dem Rat,256 in Hamburg vor dem Rat und
251 Die abgestufte Wichtigkeit der Konfession als beziehungsscheidendes Merkmal la¨sst sich zusa¨tzlich
zu den bereits genannten Quellen auch an einem Geschenkeverzeichnis des Rats der Stadt Lu¨beck fu¨r die Jahre 1570–1612 ablesen. In diesem wird deutlich, dass auf der Ebene der Reichsdiplomatie und -bu¨rokratie im Gegensatz zum Hochadel die Konfession keine Rolle bei der Zuteilung und Ho¨he von Ehrengaben spielte. Vgl. AHL, ASA-Interna, Ceremonialia 4/1,Vorehrung eines Erbarn Radts der Stadt Lu¨begk [...], 1570–1784. 252 Vgl. Anm. 249. 253 Fu¨r Bremen vgl. STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 185–186, 231, 484, 579, 616, 662–665, 727; fu¨r Lu¨beck vgl. Becker, Umsta¨ndliche Geschichte, S. 236; Kirchring und Mu¨ller, Compendium, S. 212, 255; fu¨r Hamburg sind Beispiele genannt in: Hans-Dieter Loose, Vorspiele zum Westfa¨lischen Frieden in Hamburg, in: Der Krieg vor den Toren. Hamburg im Dreißigja¨hrigen Krieg 1618–1648, hg. v. Martin Knauer/Sven Tode, Hamburg 2000, S. 269–285, S. 275–278; fu¨r Venedig vgl. Contarini, La Republica, S. 85; ASV, Coll., cerim., rg. 1, fol. 45; BM, Cod. It. VII, 396 (7423), Pace, Ceremoniale Magnum, S. 227–233. 254 Vgl. Fortini-Brown, Measured Friendship, S. 148. 255 Vgl. Contarini, La Republica, S. 85. Der Consiglio di Dieci wurde hinzugezogen, wenn ein Gesandter eine geheime Audienz verlangte, wie zum Beispiel der spanische Botschafter im Jahre 1575. Dieser erreichte mit seinem Anliegen, dass sa¨mtliche venezianische Regierungsinstitutionen alarmiert wurden. Er musste sein schriftlich vorgelegtes Anliegen laut auf Spanisch und anschließend in italienischer ¨ bersetzung vorlesen: ASV, Coll., Esposizioni Principi 180, Esposizioni diverse, 1501–1639, Eintrag U zum 18. September 1575. 256 Aufgrund der fehlenden Zeremonialbu¨cher kann hier nur auf Einzelbelege verwiesen werden. AHL, ASA-Interna, Ratsstand 21/-, Protocoll und tagebuch [...], vermutlich zweite Ha¨lfte 16. Jahrhundert,
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
der Bu¨rgerschaft.257 Anschließend wurde der Gesandte – je nach La¨nge seines Aufenthaltes – entweder gastlich bewirtet und mit einer Stadtbesichtigung unterhalten oder zu seiner Unterkunft geleitet, falls er la¨nger bleiben sollte.258 In Venedig waren auch bei la¨ngerem Aufenthalt offizielle Einladungen zu Audienzen oder Festen durch den Dogen und die Signoria die einzig legitime Mo¨glichkeit, mit Angeho¨rigen des Maggior Consiglio in Kontakt zu treten, so dass viele Gesandte wie zum Beispiel der englische Botschafter Sir Henry Wotton die Unta¨tigkeit beklagten, zu der sie in Venedig verdammt seien.259 Weniger formalisiert, aber im Grunde genommen auch dort gleichfalls von den anderen Mitgliedern des Rates und der Bu¨rgerschaft kritisch wahrgenommen, waren in Hamburg, Bremen und Lu¨beck die Kontakte zwischen Legaten und Magistraten. Jede einzelne Begegnung wurde in den Dokumenten des Rates festgehalten.260 Außerdem bemu¨hten sich die hansesta¨dtischen Magistrate darum, die Delegierten in ein sta¨dtisches Besuchs- und Festprogramm einzubinden, das jegliche ernsthaftere Bemu¨hungen der Fremden um politische Einflussnahme konterkarierte. So entfaltete der Bremer Rat jedes Mal, wenn in den Jahren 1647–1648 eine schwedische Gesandtschaft in den Stadtmauern weilte, einen ununterbrochenen Ablauf von Banketten und Feuerwerken, der den Verhandlungen selbst abtra¨glich war.261 In Hamburg beschwerte sich der kursa¨chsische Unterha¨ndler Friedrich Lebzelter daru¨ber, dass er wegen zu vieler Festivita¨ten weder Entscheidungen noch Informationen von den Magistraten erhielte.262 Bemu¨hten sich also die venezianischen und hansesta¨dtischen Magistrate darum, die Kontaktaufnahme zwischen ihnen und den offiziellen Vertretern anderer Ma¨chte im Bereich der Stadt selbst so weit wie mo¨glich zu kontrollieren, betrachteten sie das Auftreten ihrer eigenen Gesandten in demselben Sinne als Mittel der unbedingten Rangwahrung. So ließen es sich die Bremer Ra¨te beispielsweise nicht nehmen, zwei bei einer Legationsreise nach Prag verstorbene Magistrate in einer feierlichen und a¨ußerst kostspieligen Weise zuru¨ckzufu¨hren und ehrenvoll auf Kosten der Stadt bestatten zu lassen.263 Die hansesta¨dtischen Vertreter wurden bei den meisten ihrer
fol. 6, Eintrag zum Empfang einer kaiserlichen Gesandtschaft in Lu¨beck, die auf der Comerly¨n von den Herrn Bu¨rgermeistern und etliche Rathspersonen verhort wurden. 257 AHL, ASA-Interna, Einquartierung 3/5, Kaiserliches Commissorium Lu¨becks an Bremen und Hamburg, Sendung des Syndicus Dr. Schabbels nach Hamburg, Juli-August 1627, vgl. den ausfu¨hrlichen Bericht Schabbels u¨ber seinen Empfang auf dem Hamburger Rathaus; außerdem Aus dem Tagebuch des Lu¨beckischen Bu¨rgermeisters Henrich Brokes, Teil 2, S. 446–447. 258 Vgl. Anm. 257. 259 Vgl. [Wotton], Letters, Bd. 1, S. 55. 260 Vgl. fu¨r Bremen zum Beispiel STAB, 2-Dd.6.c., Extract aus dem WittheitsProtocoll de 1639. Martii 15, pag. 223; fu¨r Lu¨beck AHL, ASA-Externa, Hispanica 161, Abrechnung und Bericht des Gottfried Capsius u¨ber Kost und Logis des spanischen Gesandten Hans Jacob zum Pu¨tz, 1621; AHL, ASA-Externa, Kaiser und Reich, 4535, Rechnungen u¨ber Unterbringung und Verpflegung kaiserlicher Gesandter in Lu¨beck 1600–1628; AHL, ASA-Interna, Legationes 7/1, Materialien zum Aufenthalt einer kaiserlichen Gesandtschaft in Lu¨beck im Ma¨rz 1622. 261 Vgl. STAB, 2-P.1.-4., Mey¨er, Diarium, S. 26, 47, 50–51, 60–63. 262 Vgl. Alexander Heskel, Friedrich Lebzelter als kursa¨chsischer Agent in Hamburg (1632–1634), in: ZVHambG 24 (1921), S. 210–225, hier: S. 216. 263 Vgl. STAB 2-P.1.-246., Stadt-Bremische Geschichten, S. 392.
5.5. Zeremonielle Kommunikation auf dem diplomatischen Parkett
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Reisen mit recht kostspieligen Geschenken und Gefolge ausgestattet.264 Sowohl die Vertreter Bremens, Hamburgs und Lu¨becks als auch diejenigen Venedigs zeichneten sich auf den Kongressen von Mu¨nster und Osnabru¨ck dadurch aus, dass sie ohne Unterlass und wenig kompromissbereit um den Rang ihrer Stadtrepublik stritten.265 In diesem Willen der Rangwahrung auf dem europa¨ischen Parkett kam eine Selbstreferentialita¨t bei der Begru¨ndung der eigenen Position zum Ausdruck, die sich nicht allein aus der Adaption ho¨fischer zeremonieller Kommunikation speiste, wie es Andre´ Krischer als eine grundlegende Verhaltensweise fu¨r die Reichssta¨dte nach 1648 feststellt.266 Von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts war dies im Gegenteil nur partiell der Fall. Adunque li prego et exorto che prima voglino considerare et tener a memoria sempre di esser nasciuti Gentil’homini di Venetia, et non signori ne` Duchi, et per conseguente han da tener quelli modi et costumi che tengono quelli che son laudati et aprobati dalli boni et prudenti della sua patria.267 In dieser Anweisung fasste der Patrizier Marino de Cavalli, der an vielen bedeutenden Gesandtschaften in der Mitte des 16. Jahrhunderts teilgenommen hatte,268 die Essenz seiner Anweisungen an zuku¨nftige ambasciatori Venedigs zusammen. An erster Stelle mu¨sse Venedig als Referenzpunkt fu¨r die Repra¨sentation der Gesandten stehen, ganz gleich, wieviel Prachtentfaltung andere Vertreter fu¨rstlicher Herrschaften entfalten wu¨rde. In seinem in der Mitte des 16. Jahrhunderts abgefassten Handbuch u¨ber das Amt des ambasciatore wies er darauf hin, wie wichtig es sei, das rechte Maß zu wahren. In Kleidung und Unterkunft solle ein Gesandter soviel Aufwand treiben, wie es no¨tig sei, um Venedig angemessen zu vertreten, aber keinesfalls soviel, dass die vorher kalkulierte Summe fu¨r die Reise u¨berschritten werde.269 Der Venezianer sah diese Maßhaltung keineswegs als Defizit an. In einer fast satirisch zu nennenden Beschreibung eines Missgeschicks des brandenburgischen Kurfu¨rsten Joachim bei einem Feldzug im Jahre 1542, das Marino de Cavalli mit eigenen Augen ansehen durfte, schwingt der Stolz des venezianischen Patriziers mit, der das Scheitern
264 Vgl. Anm. 246. 265 Fu¨r die Hansesta¨dte vgl. Buchstab, Reichssta¨dte, Sta¨dtekurie und Westfa¨lischer Friedenskongreß,
S. 65–67, 98–108; fu¨r Venedig vgl. Bernd Roeck, Venedigs Rolle im Krieg und bei den Friedensverhandlungen, in: 1648. Krieg und Frieden in Europa. Textband 1: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft, hg. v. Klaus Bussmann/Heinz Schilling, Mu¨nchen 1998, S. 161–168, hier: S. 164. 266 Andre´ Krischer fasst die auf seiner Dissertation fußenden Thesen zusammen in: Andre´ Krischer, Das diplomatische Zeremoniell der Reichssta¨dte, oder: Was heißt Stadtfreiheit in der Fu¨rstengesellschaft?, in: HZ 284 (2007), S. 1–30. 267 „Daher bitte ich Euch insta¨ndig, immer daran zu denken, dass Ihr als venezianische Patrizier (gentil’homini) und nicht als Herren oder Fu¨rsten geboren seid, und nicht als Herren und nicht als Herzo¨ge, und dass Ihr Euch daher an jene Sitten und Gebra¨uche halten sollt, die von den Guten und Klugen Eurer Heimat gelobt und fu¨r gut befunden werden.“ Marino de Cavalli, Testamento, in: Ders., Informatione dell’offitio dell’Ambasciatore, hg. v. Tommaso Bertele`, Florenz 1935, S. 95–105, hier: S. 95. 268 Vgl.: Tommaso Bertele`, Introduzione, in: Marino de Cavalli, Informatione dell’offitio dell’Ambasciatore, hg. v. Tommaso Bertele`, Florenz 1935, S. 1–38, hier: S. 8, 11, 21, 26, 29–30. 269 Vgl. ebd., S. 39–93, hier: S. 42–46.
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fu¨rstlicher Repra¨sentation mit Genugtuung vermerkte. Das Dach des großen paviglion des Kurfu¨rsten sei vom Wind weggerissen worden, so dass er und sein Gefolge sich in der Na¨he von Marino de Cavalli einquartieren mussten – in einem Stadthaus, das aufgrund des spa¨ten Entschlusses, dorthin zu ziehen, nun nur noch sehr viel teurer zu mieten war als die Unterkunft des Venezianers.270 In Marino de Cavallis Schrift klingt ein grundlegendes Element venezianischer diplomatischer, explizit nach außen gerichteter Repra¨sentation an: die Selbstreferentialita¨t venezianischen Hierarchiebewusstseins, die sich nicht nur in der Schrift Marino de Cavallis findet. Hierfu¨r ist zum Beispiel charakteristisch, dass trotz des im Konflikt mit dem Herzogtum Savoyen immer wieder vorgebrachten Anspruches auf die zypriotische Ko¨nigskrone271 dieser in der internen venezianischen Herleitung von Pra¨zedenzanspru¨chen nicht thematisiert wurde. Gasparo Lonigo, juristischer Ratgeber Venedigs in der Mitte des 17. Jahrhunderts, begru¨ndete Venedigs Vorrangstellung in seinem handschriftlichen Trattato delle Precedenze mit der Feststellung, dass Venedig deswegen Vorrang vor anderen italienischen Ma¨chten beanspruchen ko¨nne, da es frei geboren sei. Zudem ko¨nne es im Gegensatz zu den Viehhirten, die Rom gegru¨ndet haben, auf Vorfahren zuru¨ckblicken, die von Anbeginn im Rang u¨ber der Bevo¨lkerung anderer italienischer Sta¨dte gestanden haben: La Citta` donque e Republica di Venetia non deve veder alcun Prencipe ne famiglia d’Italia nella antichita` e nobilta` del sangue poiche come scrivono molti historici non fuit fundata a predonibus nec pastoribus come fu Roma e tant’ altre Citta` ma hebbe la sua origine dal fior della nobilta` de piu` ricchi e potenti Signori della Provintia del Friuli.272 Dieses Argument ist aus dem Konkurrenzkampf zwischen Venedig und Rom heraus zu verstehen und war keineswegs neu, sondern wurde seit dem 15. Jahrhundert immer wieder vorgebracht.273 Mit dieser althergebrachten Invektive gegen Rom lehnte Gasparo Lonigo auch die Ordnungsmacht des Papsttums u¨ber die Festsetzung der Hierarchien ab. Wenige Jahre vor der Niederschrift seines Trattato delle precedenze hatte Urban VIII. diese im Jahre 1630 mit dem so genannten Titeldekret beansprucht, also mit der Verleihung des Titels Eminenz an alle Kardina¨le, die mit gekro¨nten Ha¨uptern gleichrangig seien. Lonigo fu¨hrte in seinem Traktat spezifisch venezianische Begru¨ndungen an, um die Pra¨zedenzanspru¨che seiner Republik zu untermauern. So ließ er Venedig nicht allein wegen der zypriotischen Krone Gleichrangigkeit mit anderen gekro¨nten Ha¨uptern beanspruchen. Lonigo hob vielmehr hervor, dass Venedig aufgrund seiner von Anfang existierenden Freiheit als 270 Vgl. de Cavalli, Informatione dell’offitio dell’Ambasciatore, S. 42. 271 Oresko, The House of Savoyen. 272 „Die Stadt und Republik Venedig nun muss nicht irgendeinem Fu¨rsten oder Familie Italiens in Alter
und Wu¨rde des Blutes nachstehen, weil sie, wie viele Geschichtsschreiber darlegen, nicht von Ra¨ubern oder Hirten wie Rom und soviele andere Sta¨dte gegru¨ndet worden ist, sondern seinen Ursprung auf die Blu¨te des Adels der reichsten und ma¨chtigsten Herren der Provinz Friaul zuru¨ckfu¨hren kann.“ ASV, Consultori in iure, fz. 65, Gasparo Lonigo, Trattato delle Precedenze, fol. 369. 273 Vgl. zum Beispiel Marin Sanudo, De Origine, Situ et Magistratibus Urbis Venetae ovvero La Citta` di Venetia (1493–1530), hg. v. Angela Carracciolo Arico`, Mailand 1980, S. 20.
5.5. Zeremonielle Kommunikation auf dem diplomatischen Parkett
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einzige italienische Macht unter souvera¨ne Ko¨nigreiche im Sinne Bodins eingeordnet werden ko¨nne. Dies ko¨nne es sogar sehr viel berechtigter als Frankreich, Spanien und England, die auf keine so kontinuierliche Tradition der Unabha¨ngigkeit zuru¨ckblicken ko¨nnen: Li Regni parimente di Francia, Spagna, Inghilterra, et altri Principati hanno sostenuto piu` volte il giogo de Romani, Gotti et altre Nationi estere e barbare come n’attestano tutte l’historie in modo che se ben hora sono liberi dall’Imperio et ogn’ altra soggettiano terrena, questa pero` loro liberta` non e` cosi risplendente come quella di Venetia, perche` non e conate, ma accidentale.274 Diese Selbstreferentialita¨t venezianischen Hierarchiedenkens wurde in den Fa¨llen durchbrochen, in denen Venezianer in der direkten Begegnung mit Vertretern anderer Fu¨rstenho¨fe gezwungen waren, nicht allein ihre jahrhundertealte Freiheit als Statusbegru¨ndung anzufu¨hren, sondern sich an das an dem jeweiligen Begegnungsort herrschende Hierarchiesystem anzupassen. So ist auch versta¨ndlich, warum die venezianischen Gesandten in der Begegnung mit anderen Gesandten mit einer Vehemenz auf der zypriotischen Ko¨nigskrone beharrten, die sich in der innervenezianischen Diskussion nicht wiederfindet. Die Selbstreferentialita¨t innervenezianischer Hierarchiediskussionen dru¨ckt einen Stolz auf die venezianische Verfassung aus, der sich auch in einem zweiten grundlegenden Element venezianischer diplomatischer Kommunikation findet: na¨mlich der Grundu¨berzeugung, dass die venezianischen Gesandten allein schon durch ihre Kompetenz in der Beurteilung politischer Machtverha¨ltnisse und auch durch ihr Verhandlungs- und Vermittlungsgeschick allen anderen – ¨ berzeugung insbesondere den Vertretern der Fu¨rstenho¨fe – u¨berlegen seien. Diese U 275 teilten sie mit den meisten hansesta¨dtischen Delegierten. So ist auch das Bemu¨274 „In gleicher Weise haben die Ko¨nigreiche Frankreich, Spanien, England und andere Fu¨rstentu¨mer fu¨r
viele Male das Joch der Ro¨mer, Goten und anderer fremder und barbarischer Nationen ertragen, wie alle Geschichtswerke in einer Weise bezeugen, dass, auch wenn sie jetzt frei von Fremdherrschaft sind und alle anderen auf Erden unterdru¨cken, diese ihre Freiheit doch nicht so glanzvoll ist wie jene Venedigs, weil sie nicht absichtlich gesucht, sondern zufa¨llig entstanden ist.“ ASV, Consultori in iure, fz. 65, Gasparo Lonigo, Trattato delle precedenze, fol. 365. 275 Bei den Hansesta¨dtern la¨sst sich dies auch gut daran erkennen, wie ausfu¨hrlich sie auf ihre jeweiligen Reden eingehen: Vgl. zum Beispiel den Bericht des Lu¨becker Syndicus Johannes Brambach von der Audienz einer hansesta¨dtischen Gesandtschaft am Zarenhofe im Jahr 1603: AHL, ASA-Externa, Ruthenica, 28, [Johannes Brambach], Diarium oder Reisebuch nach d Moscaw hin undt wieder; eigenes Verhandlungsgeschick heben die beiden Ratsherren Heinrich Brokes und Johannes Marquard in ihren Schilderungen hervor: Aus dem Tagebuch des Lu¨beckischen Bu¨rgermeisters Henrich Brokes, Teil 1, S. 284–285 und Gesandtschaftsbericht u¨ber die Theilnahme der Hansesta¨dte an den Friedensverhandlungen zu Bro¨msebro im Jahre 1645, hg. v. Carl F. Wehrmann, in: ZVLu¨bG 3 (1876), S. 407–475, hier: S. 421–426, 431, 442. Die venezianischen Selbstbeurteilungen ihrer diplomatischen Kompetenz fallen noch sehr viel selbstbewusster aus, so fehlen zum Beispiel jegliche Hinweise auf rhetorische Fa¨higkeiten; die eigene, tadellose Haltung wird dem oft deplaziert wirkenden Benehmen der fu¨rstlichen Gastgeber gegenu¨bergestellt: Vgl. Nicolo` da Ponte, Ricordi per il buon governo della patria in pace ed in guerra, in: Raccolta Veneta. Collezione di Documenti Relativi alla Storia, all’Archeologia, alla Numismatica, ser. 1, 1 (1866), S. 7–17, hier: S. 9–10; Il viaggio a Vienna di Leonardo Dona`, ambasciatore della repubblica veneta, nell’anno 1577. Diario, hg. v. Umberto Chiaromanni, Padua 2004, S. 43–116, hier: S. 88–93.
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5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
hen Venedigs um die Vermittlerrolle bei den Friedensverhandlungen in Mu¨nster und Osnabru¨ck nicht nur allein als einziger Weg einer endgu¨ltig in die zweite Reihe verwiesenen politischen Macht zu verstehen, verlorengegangene Bedeutung wiederzuerlangen.276 Vielmehr stellte sie auch ein Mittel der diplomatischen Repra¨sentation dar. Mochte Venedig zwar die Kosten fu¨r die ga¨ngigen Mittel der Selbstdarstellung wie Gefolge, Kutschen und Kleidung auch aufgrund der Wahrung der internen Parita¨t der Patrizier sehr viel sta¨rker begrenzen als es bei anderen Gesandten der Fall war, so betrachteten sich die venezianischen Patrizier – vermutlich auch vor dem Hintergrund ihrer Schulung im venezianischen Cursus honorum – als verhandlungstechnisch weitaus kompetentere Gesandte als ihre Counterparts.277 Beide Elemente, die Selbstreferentialita¨t des sta¨dtisch-republikanischen Pra¨zedenzdenkens und die Bedeutung politischen Verhandlungsgeschicks, lassen sich auch in den Hansesta¨dten finden. Zwar wurden weder Hamburg noch Lu¨beck, obwohl beide mehrfach dafu¨r im Gespra¨ch waren, zu Kongressorten fu¨r die Vorverhandlungen der Vertra¨ge von 1648,278 doch waren auch sie Schauplatz wichtiger Vertragsverhandlungen im Dreißigja¨hrigen Krieg. Bei Konflikten innerhalb der Region wurden einzelne Vertreter des jeweiligen Rates oder der gesamte Rat als Vermittler angerufen. Dies traf auch auf Bremen zu, das trotz seiner reformierten Konfession beispielsweise in den Jahren 1603–1604 Verhandlungsort fu¨r Vertreter der Hanse, Da¨nemarks, des Kaisers und auch Englands war.279 Diese politische Kompetenz kam den hansesta¨dtischen Magistraten bei den fu¨r sie heiklen Verhandlungen mit ihren direkten politischen Gegnern wie im Falle Hamburgs dem da¨nischen Ko¨nig Christian IV. zugute.280 ¨ berho¨hung stadtrepublikanischer Eigenschaften Auch in der Verknu¨pfung von U und Herleitung von Rangordnungen lassen sich die Hansesta¨dte mit Venedig vergleichen. Weder in Lu¨beck noch in Hamburg entstanden zu dieser Zeit vergleichbar elaborierte Zeremonialschriften wie der Trattato Gasparo Lonigos. Das hier verbreitete Hierarchiedenken la¨sst sich an einigen charakteristischen Einzelfa¨llen erkennen. So sahen es viele Lu¨becker Ratsherren zum Beispiel als eine laesio auctoritatis nostrae reipublicae an, dass der Hansesyndikus und gebu¨rtige Osnabru¨cker Johann Domann (Amtszeit 1591–1618) auf seiner Pra¨zedenz vor den Lu¨becker Bu¨rgermeistern bestand, die sie keinesfalls hinnehmen wollten.281 Ihren Widerstand begru¨ndeten sie damit, dass Domann durch weniger Personen politisch legitimiert sei. Sie hingegen wu¨rden den Rat und somit auch die gesamte Bu¨rgerschaft vertreten und haben daher einen ho¨heren Rang inne.282 Noch grundsa¨tzlicher argumentierte der Vertreter 276 Dieses Element betont Roeck, Venedigs Rolle im Krieg. 277 Dies kommt gut in den Berichten des venezianischen Unterha¨ndlers Alvise Contarini aus Mu¨nster zum
Ausdruck: Alvise Contarini, Relazione del Congresso di Mu¨nster, Venedig 1864, S. 64–65. 278 Loose, Vorspiele zum Westfa¨lischen Frieden, S. 281; Hans-Bernd Spies, Lu¨beck, Die Hanse und der
Westfa¨lische Frieden, in: HansGbll 100 (1982), S. 110–124, hier: S. 110.
279 Vgl. Richard Grassby, Die letzten Verhandlungen zwischen England und der Hanse 1603–1604, in:
HansGbll 76 (1958), S. 73–120. 280 Vgl. Anm. 237. 281 Vgl. Aus dem Tagebuch des Lu¨beckischen Bu¨rgermeisters Henrich Brokes, Teil 1, S. 299–300. 282 Vgl. ebd., S. 299.
5.6. Die Kontinuita¨t nach außen gerichteter Selbstdarstellung
363
Lu¨becks auf dem Westfa¨lischen Friedenskongress, der in einem erbitterten Rangstreit zwischen Lu¨beck und Augsburg dem Augsburger Vertreter sa¨mtliche Kompetenzen und damit auch Pra¨zedenzen absprach. Dieser ka¨me aus einer Stadt, wo es im Gegensatz zu Lu¨beck nicht gewa¨hrleistet sei, dass er nicht allein den Rat, sondern auch den Willen der gesamten Bu¨rgerschaft verko¨rpere. Der Vertreter Bremens schloss sich daraufhin der Argumentation Lu¨becks an.283 Politische Hierarchie wurde hier – wie in Venedig – mit der politischen Struktur des Gemeinwesens verknu¨pft. In beiden Fa¨llen la¨sst sie sich als Ausdruck eines eigenen kontinuierlich republikanischen Eigenbewusstseins interpretieren. Die Adaption ho¨fischer Verhaltensweisen auf dem diplomatischen Parkett und die Integration in ho¨fische Kommunikationsmodi und Beziehungsnetzwerke erwiesen sich also nie als so erfolgreich, dass sie vollsta¨ndig die Art und Weise vera¨ndert ha¨tten, mit der sich venezianische und hansesta¨dtische Magistrate nach außen hin repra¨sentierten. Sie wurden vielmehr als ein Mittel unter vielen betrachtet, mit denen sich politische Ziele und vor allem die Wahrung der eigenen Unabha¨ngigkeit auf dem fu¨r sie insgesamt doch recht steinigen Terrain der sich herausbildenden interstaatlichen Beziehungen durchsetzen ließen.
5.6. Die Kontinuita¨t nach außen gerichteter Selbstdarstellung
Im Bereich der Selbstdarstellung der Hansesta¨dte und Venedigs fa¨llt es besonders leicht, die Fassade der nach außen gerichteten Repra¨sentation als ein Indiz fu¨r Ordnungsvorstellungen zu begreifen, die sich auch in Bezug auf das innere politischkulturelle Gefu¨ge a¨nderten. Bei einem oberfla¨chlichen Blick in die Beschreibungen der Einzu¨ge fremder Standespersonen scheint es tatsa¨chlich so, als seien die Stadtbewohner von einer bedingungslosen Bewunderung fu¨r ho¨fische Prachtentfaltung ¨ nderung erfu¨llt. Diese Bewunderung fu¨hrte aber nicht zu einer entscheidenden A ihrer Bewertung des eigenen Gemeinwesens. Die hier behandelten Beispiele haben deutlich gemacht, wie wichtig es gerade in diesem Bereich ist, verschiedene Kommunikationsbedingungen und -situationen mit den jeweiligen Formen der Repra¨sentation in einen pra¨zisen Zusammenhang zu bringen. Gerade die zeitliche Kontinuita¨t der Rituale, die explizit fu¨r die a¨ußere Selbstdarstellung benutzt wurden, weist darauf hin, dass von einer bewusst eingesetzten Trennung innerer Strukturen und a¨ußerer Fassade auszugehen ist. Rituale wie die Martensmannlieferungen in Lu¨beck oder auch die Grenzziehungsrituale des Sposalizio del mare, die Empfa¨nge von fremden Standespersonen und Gesandten, a¨nderten sich von der Mitte des 16. zur Mitte des 17. Jahrhunderts kaum. Hierin liegt ein großer Unterschied zu den Entwicklungen der Verschriftlichung und Sakralisierung von
283 Vgl. Buchstab, Reichssta¨dte, Sta¨dtekurie und Westfa¨lischer Friedenskongreß, S. 82, 85, 93.
364
5. Die Außendarstellung Venedigs und der Hansesta¨dte um 1600 im Ritual
politischen Ritualen, die zu den Kernbereichen innerer sta¨dtisch-republikanischer Selbstvergewisserung geho¨rten. Ein Normenwandel, ausgelo¨st durch die Adaption staatsrechtlicher Vorstellungen und ho¨fisch gepra¨gten Zeremoniells la¨sst sich vermutlich erst nach 1648 und damit nach dem Untersuchungszeitraum dieser Arbeit feststellen. Sie waren sowohl im Fall der Reichssta¨dte als auch der fru¨hneuzeitlichen Republik der Schweiz durch a¨ußere Entwicklungen ausgelo¨st worden.284 Fu¨r die Hansesta¨dte und Venedig la¨sst sich außerdem feststellen, dass ein solcher Wertewandel nicht durch die Entwicklung diplomatischer Repra¨sentationsformen vorbereitet worden ist. Im Gegenteil, die zum Teil hoch formalisierte Fassade, die diese Stadtrepubliken fu¨r sich im Rahmen der Entwicklung eines sich zwischen den einzelnen politischen Akteuren ausbauenden und verfestigenden Zeremoniells zulegten, war eher dazu geeignet, von außen an sie herangetragene Werte abzuwehren. Hierbei benutzten die Magistrate sowohl der Hansesta¨dte als auch der Republik Venedig alle Mittel und Wege der Repra¨sentation, ohne im Sinne eines modernen Republikanismus daru¨ber zu reflektieren, ob sie mit dieser Repra¨sentation ein besonders ho¨fisches oder republikanisches Selbstversta¨ndnis symbolisch kommunizierten. An erster Stelle stand das Bestreben, die Unabha¨ngigkeit des Gemeinwesens, seine Rechte und seine innere Struktur zu wahren. Fu¨r die a¨ußere, territoriale Definition benutzten sowohl Venedig als auch Lu¨beck Rituale, die sich nicht als prima¨r republikanisch klassifizieren lassen, sondern ihre Herrschaft besonders auf dem umstrittenen Gebiet der Gewa¨sserhoheit markieren sollten. Diese Rituale wie auch die angesprochenen, formalisierten Abla¨ufen folgenden Geleitstreitigkeiten machten die Hoheitsrechte der Stadt als Landesherrin deutlich. Dabei fiel der Unterschied zwischen einem bereits sa¨kularen Ritual in Lu¨beck gegenu¨ber einer Symbiose politisch-religio¨ser Ordnungsvorstellungen in Venedig ins Auge, mit der der Sposalizio auch um 1600 verknu¨pft wurde. In den Formen der Empfangsfeierlichkeiten gerierten sich die Hansesta¨dte und Venedig als Herrschaften, die dem fu¨rstlichen Prunk ihrer Ga¨ste ein syna¨sthetisch u¨berho¨htes und stark kontrolliertes Stadtbild entgegensetzten. Die kulturelle und politische Bedrohung durch die in einem besonders herausgehobenen Moment auf sie gerichteten adelig-fu¨rstlichen Blicke sollte durch die Kontrolle des Gastes und die Entfaltung gro¨ßtmo¨glichen Glanzes vermindert werden. Wichtig war den jeweiligen Magistraten dabei nicht nur, mo¨gliche Vorurteile gegen sie aufgrund ihres fehlenden perso¨nlichen Rangs zu entkra¨ften, sondern auch, politische Beziehungen zu den sie besuchenden Herrschern in ihrem Sinne zu beeinflussen. Ihre Autonomie u¨ber das Stadtbild im Moment des Empfangs blieb in Venedig und Lu¨beck unbestritten. In Bremen und Hamburg waren die ‚Huldigungen‘ Situationen, bei denen es den Magistraten nicht gelang, die Oberhoheit u¨ber den Stadtraum zu bewahren. Dies weist aber nicht auf eine tatsa¨chliche dauerhafte Akzeptanz fremder Herrschafts- oder auch kultureller Deutungsanspru¨che hin. Den einzigen Weg, eine solche zu erreichen, nutzte der da¨nische Herrscher Christian IV. nicht. Statt sich als ein Beschu¨tzer des lutherischen
284 Dies sind die Thesen von Krischer, Das diplomatische Zeremoniell der Reichssta¨dte und von Thomas
Maissen: Maissen, Geburt der Republic, S. 569–593.
5.6. Die Kontinuita¨t nach außen gerichteter Selbstdarstellung
365
Glaubens im Norden zu repra¨sentieren, entfaltete er ein durch und durch weltliches Spektakel ho¨fischer Repra¨sentation, das zwar ein großes Medienecho hervorrief, aber keine grundlegenden politischen Folgen zeitigte. Die regen informellen Beziehungen, die sich in wechselseitigen Geschenken und Einladungen ausdru¨ckten, weisen aber auch darauf hin, dass nicht von einem grundsa¨tzlichen Gegensatz der Hansesta¨dter zu den norddeutschen Fu¨rstenho¨fen auszugehen ist. Hierin zeigt sich die selbstversta¨ndliche Integration auch der in ihrer Reichsstandschaft umstrittenen Hansesta¨dte in das politische Kommunikationssystem des Reichsnordens. Welche Priorita¨t die Wahrung der politischen und kulturellen Autonomie bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts fu¨r die venezianischen und hansesta¨dtischen Magistrate besaß, zeigt die Selbstreferentialita¨t, mit der in beiden Bereichen Ranganspru¨che begru¨ndet und die eigene diplomatische Bedeutung beurteilt wurden. Fehlende dynastische Legitimation wurde durch die Aufwertung der politischen Struktur der eigenen Gemeinwesen ersetzt, in Venedig durch den Hinweis auf die jahrhundertealte Freiheit der Stadt, in den Hansesta¨dten durch die positive Hervorhebung der Legitimation der Gesandten durch die Bindung an Rat und Bu¨rgerschaft der Stadt. In diesem Bereich erfuhr dieses Argument, das ja in internen Diskussionen durchaus umstritten war, also eine Aufwertung, die einen eher von einer Republikanisierung der a¨ußeren Repra¨sentation denn von einer Entrepublikanisierung der diplomatischen Selbstdarstellung der Hansesta¨dte sprechen la¨sst. Insgesamt scheint die Beziehung zwischen Innen- und Außenperspektive darin zu liegen, dass ein zur Schau gestelltes a¨ußeres Stadtbild eine in dauerndem Ausgleich begriffene, kompliziert auszutarierende Struktur im Inneren schu¨tzen sollte. Das formalisierte, mit allen Mitteln in seiner Abgrenzung verteidigte Bild der Stadt legte sich als ein a¨ußerer, nicht zu vera¨ndernder Mantel um Gemeinwesen, die komplexen politischen Ausgleichsprozessen im Inneren unterworfen waren. Es ermo¨glichte ihnen, diese innere Struktur beizubehalten, ohne dabei Gefahr zu laufen, ihre eigensta¨ndige Herrschaftsgewalt zu verlieren.
6.
POLITISCHE ORDNUNGSVORSTELLUNGEN IN STADTREPUBLIKEN:
WANDEL IM INNERN, KONTINUITA¨T NACH AUSSEN
Bildliche und schriftliche Quellen, die Rituale beschreiben, sind die Grundlage dieser Arbeit. Die Gegenu¨berstellung medial unterschiedlich gefasster Beschreibungen erwies sich als geeignete Methode, den Zusammenhang zwischen Ritualen und Ordnungsvorstellungen in Venedig und in den Hansesta¨dten Bremen, Hamburg und Lu¨beck zu ergru¨nden. Erst die Konfrontation von normativen und deskriptiven Texten ermo¨glichte es, Aussagen u¨ber kollektive Prozesse zu treffen. Die jeweiligen historischen Zeugnisse wiederum machten im Einzelnen darauf aufmerksam, welche Rezeptionsmo¨glichkeiten solchen kollektiven Prozessen gegeben waren. Die Untersuchung von Ritualen in unterschiedlichen Deskriptionen gibt nicht nur Aufschluss daru¨ber, welche Rituale u¨berhaupt thematisiert wurden, sondern auch, in welchen Kommunikationszusammenha¨ngen diese Erza¨hlungen wichtig wurden. Dank der Methodik, Beschreibungen von Ritualen nicht als Abbild idealer Handlungsabla¨ufe, sondern als Indizien fu¨r politische Ordnungsvorstellungen zu begreifen, ist es gelungen, allzu einlinige Erkla¨rungsmodelle politischen und kulturellen Wandels oder politischer und kultureller Kontinuita¨t zu vermeiden. Die Situationsgebundenheit politischer Ordnungsvorstellungen in Ritualen macht es notwendig, die Analyse des Zusammenhanges zwischen politischen Ordnungsvorstellungen und Ritualen jeweils nach verschiedenen Kommunikationssituationen hin zu differenzieren. Dies wurde im Verlauf der Arbeit immer wieder deutlich und rechtfertigte die Entscheidung, nicht nach einzelnen Ritualtypen zu gliedern, sondern nach Kommunikations- und Konfliktsituationen. Erst eine solche Unterscheidung ermo¨glicht es, Aussagen u¨ber Grundtendenzen von Wandel und Beharrung zu treffen. Die Untersuchung hatte nicht den europa¨ischen Vergleich mehrerer Stadtrepubliken zum Ziel. Dies ist schon allein deswegen nicht mo¨glich, da von der Pra¨misse ausgegangen wurde, dass politische Ordnung nichts Abgeschlossenes ist, sondern ein in dauernder Aushandlung befindlicher kommunikativer Prozess. In diesem Sinne zielte die Arbeit nicht auf einen sozialen oder politischen Vergleich stabiler Verfasstheiten und ihrer Rituale. Es sollte vielmehr in unterschiedlichen europa¨ischen Kontexten politischer Kommunikationssituationen nach Entwicklungs- und Kontinuita¨tslinien gefragt werden. Eine u¨bergeordnete Problemstellung wurde an eine nach gleichen Kriterien erschlossene Quellenbasis herangetragen. Die Auswahl der Untersuchungsbeispiele ging von der Frage aus, ob sich a¨hnliche Versuchsbedingun-
6. Politische Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken
367
gen fu¨r Wandel und Dauer politischer Ordnungsvorstellungen in sehr unterschiedlichen historischen, kulturellen und konfessionellen Kontexten finden ließen. Die Zeugnisse aus Venedig und den Hansesta¨dten sprechen u¨berwiegend eine gemeinsame Sprache. Daru¨ber hinaus konnten unterschiedliche Schwerpunktsetzungen und Ausformungen politischer Selbstdarstellung und politischer Ordnungsvorstellungen mit unterschiedlichen politischen und konfessionellen Rahmenbedingungen zusammenha¨ngen. So erkla¨rte die Sonderstellung des venezianischen Dogen bestimmte Entwicklungen in Venedig. Sie bot Mo¨glichkeiten dynastischer Außendarstellung, die den Hansesta¨dten nicht gegeben waren. Die Einbeziehung der Familienangeho¨rigen in das sta¨dtisch-republikanische Ritual war dort sehr viel sta¨rker ausgepra¨gt als in den Hansesta¨dten, korrespondierte aber mit einer vergleichbaren Einschra¨nkung und Kontrolle von Verwandtschaft als politischem Entscheidungsfaktor. In den Hansesta¨dten wiederum ist dabei die gro¨ßere Beschra¨nkung des magistralen Herrschaftsanspruchs zu beachten: So war auffa¨llig, wie die Doppelstruktur von Rat und Bu¨rgerschaft in Hamburg die Selbstdarstellung des Rates auf dem Gebiet der kirchlichen Rituale weiter einschra¨nkte als in Lu¨beck, Bremen oder gar in Venedig. In Bremen konnte der Rat sein Ziel der verschriftlichten Neufassung seiner Wahlrituale nicht gegen die Kaufmannschaft durchsetzen. Bei der Außendarstellung musste immer wieder der Faktor der Reichszugeho¨rigkeit der Hansesta¨dte in Betracht gezogen werden. Letztere verlieh den Ritualen einen anderen politischen Rahmen. In konfessioneller Hinsicht fallen bestimmte Entwicklungen in Bremen ins Auge, die ¨ bertritt der Stadt zum reformierten Glauben in Zusammenhang gebracht mit dem U werden ko¨nnen. Allerdings sind diese ha¨ufig nur als Nuancen wahrzunehmen und schra¨nken nicht die vergleichbare Grundstruktur des Verha¨ltnisses der Magistrate zur Stadt als Sakralgemeinschaft ein. Insgesamt waren aber trotz dieser mannigfaltigen Unterschiede gemeinsame Entwicklungen auffa¨llig, die es auch mo¨glich machten, zu einem Ergebnis zu gelangen, das fu¨r alle vier Stadtrepubliken zutrifft. Eine Typologisierung etwa nach konfessionellen Faktoren la¨sst sich auf der Basis der hier geleisteten Untersuchung nicht rechtfertigen. Die auf intensiver Quellenarbeit beruhenden Ergebnisse sprechen dafu¨r, die europa¨isch-vergleichende Perspektive auch auf weitere sta¨dtisch-republikanische autonome Gemeinwesen auszudehnen. Es ist auffa¨llig, wie wenig sich die venezianischen und hansesta¨dtischen Magistrate, Geistlichen und Korporationsangeho¨rigen als Republikaner in einem bewussten Gegensatz zu den Vertretern der Fu¨rstenho¨fe verstanden und selbst darstellten. Dies bedeutete aber auch nicht, dass sie ihre Gemeinwesen als defizita¨r gegenu¨ber fu¨rstlichen Herrschaften sahen. Vielmehr kultivierten sie ein durch und durch selbstreferentielles Eigenbewusstsein, das einerseits auf eine politisch theoretische Durchdringung des Republik-Gedankens verzichtete, andrerseits der jeweiligen Stadtrepu¨ berleblik als Bezugsgro¨ße eine solche Wirkkraft verlieh, dass sie zum politischen U ben sowohl Venedigs als auch der Hansesta¨dte beitrug. Unter Selbstreferentialita¨t ist zu verstehen, dass die Akteure ihre politischen Ordnungsvorstellungen konsequent mit den Spezifika des Gemeinwesens, das sie umgab, in Beziehung setzten. Daher sind der Abstraktion politischer Ordnungsvorstellungen enge Grenzen gesetzt. Dieser Selbstbezug kommt in den Ritualen, die sich vorrangig an die eigenen Korporationsmitglieder und an die eigene Stadtbevo¨lkerung richteten, darin zum Ausdruck,
368
6. Politische Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken
dass in diesem Bereich bis auf wenige Ausnahmen vor dem Hintergrund eigener Traditionen und Argumentationsmuster agiert wurde. Selbst im Streit um die Lu¨becker Zirkelgesellschaft diente das Reichskammergericht nur als Mittel, um in der innerlu¨beckischen Hierarchie auf- oder abzusteigen. Gleiches la¨sst sich bei der Gestaltung kirchlicher Rituale beobachten, in denen außersta¨dtische, konfessionelle Symbole nicht an Bedeutung gewannen. Noch auffa¨lliger ist diese Tendenz in dem Bereich der Selbstdarstellung, die sich besonders an auswa¨rtige Besucher richtete. Bei diesem Ergebnis ist die zeitliche Komponente zu beachten: Es mag durchaus der Fall sein, dass sich in der zweiten Ha¨lfte der Fru¨hen Neuzeit eine Interaktion zwischen Stadtrepublik und ho¨fisch-fu¨rstlichem Umfeld auf die nach außen gerichtete Selbstdarstellung auswirkte. Fu¨r die erste Ha¨lfte der Fru¨hen Neuzeit ist dies fu¨r die hier untersuchten Beispiele nicht der Fall. Das ha¨ngt damit zusammen, dass die Herausbildung eines gemeinsamen, verbindlichen europa¨ischen Zeremonialsystems erst in den Anfa¨ngen stand.1 Es weist aber auch darauf hin, dass die Akteure, die in diesen Gemeinwesen politisch handelten, ein solches Zeremonialsystem nicht aktiv mitentwickelten. Ihnen diente vielmehr die Begru¨ndung des eigenen Ranges als Schutz zur Abwehr ihrer eigenen Abwertung, mit der sie sich bei einer Einbindung in u¨bersta¨dtische Formen politischer Selbstdarstellung konfrontiert sahen. Die Selbstreferentialita¨t politischer Ordnungsvorstellungen ist als Form der Reaktion auf eine Krise der inneren und a¨ußeren Strukturen anzusehen, die die Stadtrepubliken erlebten. Diese Krise hing mit der immer gro¨ßeren Wirkkraft von u¨bersta¨dtischen Vergemeinschaftungsangeboten zusammen. Auf dem Gebiet der politisch-sozialen Gruppenbildung war dies das Vergemeinschaftunsgangebot einer sta¨ndischen und nicht mehr korporativ begru¨ndeten Gruppenbildung. Außerdem entfalteten konfessionelle Zugeho¨rigkeitsangebote eine große Wirkung. Auf diese Entwicklung reagierte das selbstbezogene Bild der Stadtrepublik auf dreierlei Weise, na¨mlich durch die enge Verknu¨pfung von Verfahrenslegitimita¨t und Sakralisierung in der inneren Begru¨ndung der korporativen Struktur, durch die Sta¨rkung von politischer und religio¨ser Grundlegung der Stadtrepublik sowie durch die Etablierung einer immer gleichbleibenden Fassade der Stadtrepublik als außenpolitisches Mittel. Auf diese drei Schritte soll nun na¨her eingegangen werden, um anschließend die Form der politischen Selbstdarstellung zusammenfassend zu bewerten.
6.1. Verfahrenslegitimita¨t und Sakralisierung: Die Institutionalisierung der Korporationen
Die Magistrate strebten an, sich von den anderen sta¨dtischen Korporationen abzusetzen und eine starke symbolisch kommunizierte Kluft zwischen sich und der Stadtbevo¨lkerung herzustellen. Dieses Bemu¨hen zeigte sich in der Normierung des Erscheinungsbildes der Magistrate als feierlichem Zug, wie es besonders in Lu¨beck zum 1 Vgl. mit weiterfu¨hrenden Angaben Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen, S. 161–166.
6.1. Verfahrenslegitimita¨t und Sakralisierung: Die Institutionalisierung der Korporationen
369
Ausdruck kam, aber auch in der architektonischen und ku¨nstlerischen Ausgestaltung der jeweiligen Rathausbauten. Es kam ferner in einzelnen Ritualen zum Ausdruck, die der Außenrepra¨sentation der Stadtrepubliken dienten, wie zum Beispiel dem Bemu¨hen um eine einheitlich organisierte Bu¨rgerwehr, die beim Empfang fremder Standespersonen wichtig war. Gerade an diesem Beispiel wurden die Grenzen deutlich, die diesem Bemu¨hen gesetzt waren. So gelang es den hansesta¨dtischen Ratsherren nicht, eine einheitliche Bu¨rgerschaft auf- und die Korporationen u¨ber das Mittel der Bu¨rgerwehr abzuwerten. In Venedig wiederum behielten die Korporationen innerhalb aller Rituale eine wichtige Position. Eine Zentrierung ihrer Rituale auf das sta¨dtisch-politisch-religio¨se Zentrum hatte dort bereits im 15. Jahrhundert stattgefunden. Diese Zentrierung wurde von der zweiten Ha¨lfte des 16. bis zur ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts durch zwei Entwicklungen versta¨rkt und gesichert. So strebten die venezianischen Magistrate an, ihr eigenes rituelles Erscheinungsbild sowohl innerhalb des Dogenpalastes als auch innerhalb der Kirche von San Marco sowie auf dem Markusplatz selbst sehr weit zu normieren. Die Rituale sollten so weit wie mo¨glich festgelegt werden – ein Bestreben, das zu einer Verdichtung ihrer schriftlichen Dokumentation fu¨hrte. Den Teilnehmern sollte kein Raum zu eigensta¨ndiger und damit kontingenter Interaktion sowohl untereinander als auch mit dem Publikum bleiben. Gleichzeitig wurde die Einheit religio¨ser und politischer Suprematie in der Hand der Magistrate durch die Schaffung neuer religio¨ser Rituale weiter versta¨rkt. Diese Entwicklungen finden sich auch in den Hansesta¨dten und lassen sich mithilfe zweier Kategorien benennen, die einen grundlegenden Wandel der Stellung der Korporationen innerhalb der sta¨dtisch-republikanischen Verfasstheit indizieren – einen Wandel, der nicht nur auf die Magistrate beschra¨nkt blieb, sondern sich auch innerhalb der anderen Korporationen abspielte: 1. Es la¨sst sich innerhalb der Selbstdarstellung der Magistrate eine Zunahme an der Verknu¨pfung von (stark ritualisierten) politischen Verfahren und der Darstellung der Herrschaftslegitimita¨t erkennen. Diese war mit einer Reduktion informeller Festkultur in Form von Gelagen und familia¨r-privater Repra¨sentation verbunden. 2. Damit einher geht eine Zunahme der Verknu¨pfung der eigenen politischen Selbstdarstellung und auch politischen Legitimita¨t mit religio¨sen Symbolen und Ritualen. Diese sollten wie die politische Institutionalisierung die einzelnen Formen der Selbstdarstellung so weit wie mo¨glich legitimieren und historischem Zufall und Wandel entheben. Diese Entwicklungen ließen sich fu¨r die Magistrate in jenen Ritualen feststellen, die zu dem Kernbereich ihrer Konstituierung geho¨rten, d. h. Ritualen, die zur Darstellung sowohl der Wahlen als auch anderer Entscheidungsrituale geho¨rten. Mehr und mehr wurde der gesamte Bereich politischer Entscheidungsfindung in diesen Prozess mit einbezogen. Das politische Handeln der Amtsinhaber sollte sich generell nur in noch stark formalisierten Handlungsabla¨ufen abspielen. Diese Zunahme an Legitimita¨t, die sich durch Befolgen bestimmter Verhaltensregeln ergab, ging nicht mit einer Abnahme religio¨ser Symbole zur Bekra¨ftigung von Herrschaftslegitimation einher, sondern wurde vielmehr durch diese besta¨rkt. Wir haben es also mit einer engen Ver-
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6. Politische Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken
bindung von Herrschaftslegitimita¨t und Herrschaftssakralisierung zu tun, bei denen die eine die andere bedingt und umgekehrt. Wa¨ren diese Entwicklungen allein auf die Magistrate beschra¨nkt geblieben, so ließe sich mutmaßen, dass sie zu ihrer weiteren Abgrenzung von den anderen sta¨dtischen Korporationen fu¨hrten. Gerade die Tatsache, dass sie aber von anderen Korporationen geteilt wurden, zeigt die Grenzen, die einer Umformung der sta¨dtischen Gemeinschaft wenigstens in den Formen der ritualisierten Selbstdarstellung der Gruppe gesetzt waren. Diese parallelen Prozesse liefen nicht gegen den Willen der Magistrate ab, wurden aber auch nicht direkt von ihnen gesteuert. So zeigten die Untersuchungen der Kernrituale der professionellen Korporationen in Venedig und den Hansesta¨dten eine vergleichbare Zunahme der Verknu¨pfung von Herrschaftslegitmita¨t durch Verfahren, Verhaltensregulierung und Sakralisierung wie bei den Magistraten auf. Die Teilhabe an beiden Entwicklungen weist darauf hin, dass wir hier parallel laufende kulturell-politische Institutionalisierungsprozesse vorfinden, die einerseits auf die Kontinuita¨t und bewusste Bewahrung korporativer Strukturen deuten, andrerseits aber auch deutlich machen, dass diese Bewahrung nicht mit einem politischen Traditionalismus, wenigstens nicht im Bereich der Botschaften, die die Rituale kommunizierten, einherging. Vielmehr la¨sst sich hier eine Staatsbildung im Inneren auf der Ebene der Korporationen konstatieren. Ob dies eine Besonderheit der hier untersuchten Stadtrepubliken mit einem starken Autonomiestreben und -bewusstsein darstellt, wa¨re durch weitere europa¨ische Vergleiche zu erha¨rten.
6.2. Die Sta¨rkung der Sakralgemeinschaft
Das Bestreben, ihre obrigkeitlichen Befugnisse auszuweiten, zeigte sich von Seiten der Magistrate besonders auffa¨llig auf dem Gebiet der religio¨sen Darstellung sta¨dtischer Gemeinschaftsbildung im Ritual. Dies war auch fu¨r die Legitimita¨t ihrer Herrschaft besonders wichtig. Geistliche und Magistrate stritten auf der sta¨dtischen Bu¨hne um die Priorita¨t der religio¨s-politischen gegenu¨ber einer vornehmlich religio¨skonfessionellen Deutung der Stadtrepublik. Die Verbindung von kirchlichen und sta¨dtisch-politischen Strukturen war sowohl in Venedig als auch in den Hansesta¨dten bereits in der Mitte des 16. Jahrhunderts voll ausgebildet. Die konfessionellen Entwicklungen des 16. Jahrhunderts bedrohten diese gewachsene Einheit. In allen vier Stadtrepubliken bemu¨hten sich die Magistrate um eine mo¨glichst weitgehende Kontrolle sowohl der Geistlichkeit selbst als auch der religio¨sen Darstellung der sta¨dtischen Sakralgemeinschaft in Form ihrer Rituale. Diese Kontrolle war allein in Hamburg aufgrund der dort vergleichsweise schwachen Stellung des Rates eingeschra¨nkt und wirkte sich durch eine sehr viel elaboriertere Adaption neuer kirchlicher Rituale als in Bremen oder Lu¨beck aus. Aber auch in Hamburg strebte der Rat immer wieder eindeutig die Oberhoheit u¨ber die Kirche an sowohl in ihrer personellen Besetzung als auch in ihrer rituellen Eigenschaft als einer sich immer wieder im Ritual generierenden Einheit aller Gla¨ubigen.
6.2. Die Sta¨rkung der Sakralgemeinschaft
371
Dies la¨sst sich besonders gut an den Auseinandersetzungen um die Bestattung von Nicht-Lutheranern in Hamburg und Lu¨beck zeigen. Dieses Primat des politischen Hoheitsanspruchs bewirkte kein Auseinanderbrechen von politischer und religio¨ser Gemeinschaft. Es sollte vielmehr verhindern, dass dieses Auseinanderbrechen durch die Zunahme neuer, sta¨rkerer konfessioneller Orientierungen zuungunsten des Herrschaftsanspruchs der Magistrate gefo¨rdert wurde. Wie eng dieser Herrschaftsanspruch mit einer symbolischen Deutungsmacht u¨ber das Verha¨ltnis von Stadt und Kirche verbunden war, hat die Untersuchung von Quellen gezeigt, die sich um die Rites de Passage geistlicher Amtstra¨ger gruppierten. Der Geistliche wurde vorrangig als Stadtbu¨rger dargestellt, weniger als Mitglied einer bestimmten Konfession oder kirchlichen Institution. Kirchliche Rituale, seien es Fronleichnams- und Pestprozessionen, Begra¨bniszu¨ge, oder Buß- und Bettage, dienten der o¨ffentlichen Feier einer Einheit von politischen und kirchlichen Amtstra¨gern, von politischer und religio¨ser Gemeinschaft, die faktisch durch die hinter den Kulissen ausgefochtenen Ka¨mpfe um die Ausrichtung dieser Rituale gefa¨hrdet war. Diese gemeinsame Grundstruktur la¨sst sich sowohl fu¨r Venedig als auch fu¨r die Hansesta¨dte feststellen, auch wenn der enge Zugriff auf die kirchlichen Strukturen in beiden Fa¨llen historisch anders gewachsen war. Das macht es auch unmo¨glich, aufgrund konfessioneller Unterschiede eine jeweils spezifische Verbindung von Ordnungsvorstellungen und kirchlichen Ritualen zu destillieren. Der ‚Katholisierung‘ Venedigs, der ‚Lutheranisierung‘ der Hamburger und Lu¨becker Rituale und der ‚Calvinisierung‘ der o¨ffentlichen Bremer Umzu¨ge waren durch die Zugriffsgewalt der Magistrate auf die kirchlichen Belange zu enge Grenzen gesetzt, als dass das konfessionelle Element in der politischen Selbstdarstellung Priorita¨t u¨ber die Einheit politisch-religio¨ser Gemeinschaftsbildung erlangt ha¨tte. Die konfessionellen Unterschiede zwischen den einzelnen Stadtrepubliken machten sich in dem Verha¨ltnis von sta¨dtischer und religio¨ser Selbstdarstellung in einzelnen Facetten bemerkbar. Venedig etwa besaß ein durch politische Faktoren gepra¨gtes ambivalentes Verha¨ltnis zu katholischen konfessionellen Symbolen und Ritualen. Der Papst galt zwar als traditionsstiftende Legitimationsmacht – ein Großteil der venezianischen Hoheitsrechte und -zeichen beruhte auf der Verleihung durch Papst Alexander III. im Jahre 1177 –, war aber auch ein politischer Konkurrent im italienischen Ma¨chtesystem. Venedigs religio¨se Rituale mussten zwischen katholischer Rechtgla¨ubigkeit und politischer Autonomiewahrung ausbalanciert werden. Dieser Schwebezustand war aufgrund der zunehmenden Zentrierung der katholischen Konfession auf die pa¨pstliche Zentralmacht sehr viel sta¨rker außenpolitisch aufgeladen als die Bemu¨hungen der lutherischen oder reformierten Geistlichkeit, ihre Stellung gegenu¨ber dem Rat zu behaupten. Dies wirkte sich unmittelbar auf die außenpolitische Brisanz der religio¨sen Entscheidungen der politischen Magistrate aus: Waren bei den venezianischen Fronleichnamsprozessionen auswa¨rtige Botschafter anwesend, um Nachricht vom Standpunkt der venezianischen Republik an ihre jeweiligen Herrschaften zu geben, so waren die Auseinandersetzungen um kirchliche Rituale in den Hansesta¨dten Rituale, die sich hauptsa¨chlich in einem inneren Akteurs- und Zuschauerzirkel abspielten. Trotz dieser Unterschiede im Einzelnen ist ein gleicher Grundtypus der Einheit von Religion und Politik in allen vier Fa¨llen festzustel-
372
6. Politische Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken
len. Die Einheit von Stadt und Religion sollte nicht aufgebrochen, sondern vielmehr gesta¨rkt werden.
6.3. Erfolgreiche Fassadenbildung
Die politische Eigenbeschreibung wurde in der vorliegenden Arbeit in zwei unterschiedlichen Teilbereichen untersucht, die jeweils verschiedenen strukturellen, politischen und daher auch kommunikativen Rahmenbedingungen unterliegen, na¨mlich zum einen das Bild der Stadtrepublik, wie es sich in Ritualen zeigte, die nicht speziell als außenpolitische Kommunikationsakte galten, und zum anderen die Selbstdarstellung im Rahmen spezifisch außenpolitischer Rituale. Selbstversta¨ndlich gibt es hier ¨ berschneidungsmerkmale: So haben die erstgenannten auch ha¨ufig eine außenpoU litische Intention, wa¨hrend letztere sich auch an die eigene Stadtbevo¨lkerung richteten. Dennoch korrespondieren die verschiedenen Kommunikationszusammenha¨nge mit zwei recht unterschiedlichen Befunden, die sich aus der Analyse der jeweiligen Bereiche zeigen: Haben wir fu¨r den ersten Bereich mehrere auffa¨llige Wandlungsprozesse erkennen ko¨nnen, so ist fu¨r die sich nach außen richtenden Rituale die Etablierung einer u¨beraus starren Fassade markant – eine Entwicklung, die in der Mitte des 16. Jahrhunderts jedenfalls fu¨r die Symbolik des Besuchsprogramms abgeschlossen war. Kontinuita¨t statt Wandel – die Stadtrepublik als traditionsgeleitetes und jeglichen historischen Entwicklungen enthobenes Gemeinwesen, so sollten fremde Standespersonen Venedig oder die Hansesta¨dte Hamburg, Bremen und Lu¨beck erleben. Bei der Diskrepanz zwischen inneren Wandlungen und a¨ußerer, starrer Fassade sind mehrere Aspekte zu beachten. In dem Bereich außenpolitischer Selbstdarstellung agierten die Magistrate in allen vier Sta¨dten unangefochten. Sie konnten in diesem Bereich weitaus ungebrochener als in den so genannten inneren Ritualen ihre eigene Republikvorstellung kommunizieren. Diese verfolgten mit ihr nach außen hin die Sicherung und Sta¨rkung der Autonomie und Machtstellung ihrer Stadtrepublik, nach innen die glanzvolle Manifestation ihrer außenpolitischen Kompetenz. Besonders in Bremen verknu¨pften sich beide Elemente aufgrund der labilen Stellung des Rates als unabha¨ngiger politischer Autorita¨t auffa¨llig, wa¨hrend in Venedig diese Verknu¨pfung keine Rolle spielte. Dennoch verhu¨llte hier wie in den Hansesta¨dten eine Kulisse die inneren Strukturen der Stadtrepublik. Fremden sollte der Einblick in mo¨gliche Schwachpunkte verwehrt werden. Einerseits diente das Bild selbst, das in den Ritualen kommuniziert wurde, als Mittel zur Steigerung der Position des Gemeinwesens und damit der Autorita¨tssteigerung der Magistrate, andererseits war gleichzeitig die Art und Weise der stark kontrollierten Kommunikation dieses Bildes Teil seiner Wirkung. Dezidiert republikanisch, das heißt in einem offenen Gegensatz zu monarchischen Gemeinwesen formuliert, war an diesem Bild nichts. Repra¨sentiert wurden die Herrschaftsgewalt der Magistrate und der sta¨dtische Charakter der Stadtrepublik als ku¨nstlerischem und wirtschaftlichem Zentrum. Einzig und allein bei
6.3. Erfolgreiche Fassadenbildung
373
den Sonderfa¨llen der Huldigungsfeierlichkeiten in Hamburg und Bremen lassen sich Momente einer antagonistischen Formulierung eigener Selbstdarstellungsprinzipien erkennen, die aber durch die von außen an beide Sta¨dte herangetragene Konfrontation provoziert worden waren. Lu¨beck und Venedig betonten auf der anderen Seite in Grenzziehungsritualen ihre eigenen maritimen und territorialen Hoheitsrechte in einer Weise, die nichts u¨ber ihre korporative Struktur verriet. ¨ berraschenderweise trifft dieser Befund nur auf die Empfa¨nge fremder StanU despersonen und die so genannten Grenzmarkierungsrituale zu, jedoch nicht auf die politischen Ordnungsvorstellungen, die sich in den Quellen finden ließen, die u¨ber das ritualisierte Auftreten eigener Vertreter auf diplomatischem Parkett reflektierten. In ihnen ist eine sehr viel bewusstere Reflexion der unterschiedlichen politischen Verfasstheiten zu finden. Auch das ist mit der individuellen Kommunikationssituation in Zusammenhang zu bringen: Konnte die Stadtrepublik sich im Moment des Empfanges ganz darauf konzentrieren, ihre ‚einzigartigen‘ Vorzu¨ge darzustellen, also eher auf die inhaltlichen Aspekte ihrer politischen, sozialen und kulturellen Verfasstheit eingehen, so brachte die Begegnung mit Vertretern anderer Gemeinwesen die Notwendigkeit mit sich, u¨ber ihre eigene Verfasstheit zu reflektieren. In den Reaktionen auf diese Begegnung sind diejenigen zu unterscheiden, die sich allein an Vertreter des eigenen Gemeinwesens richteten, von denjenigen, die als außenpolitische Mittel zur eigenen Rangwahrung und -steigerung zu sehen sind. So wird versta¨ndlich, warum venezianische Gesandte zwar mit der zypriotischen Krone argumentierten, um Venedigs Stellung zu behaupten, diese Kronwu¨rde aber in innervenezianischen Traktaten u¨ber diplomatischen Rang keine nennenswerte Rolle spielte. Die Spannbreite zwischen eigener Verfasstheit und diplomatischem Verhalten ist im Falle der Hansesta¨dte weniger weit. Aber auch hier ist das Argumentieren mit der eigenen Freiheit zum Beispiel im Falle Bremens sehr viel ausgepra¨gter, als es im Empfangszeremoniell dieser Stadt zum Ausdruck kommt. Die politischen Ordnungsvorstellungen, die hier zutage treten, zeigen noch deutlicher als die sich nach innen richtenden Handlungen die Situationsgebundenheit der Kommunikation dieser Ordnungsvorstellungen. ¨ berAlthergebrachte Freiheit oder Kronwu¨rde waren Teil der kommunikativen U lebensstrategie. Die hier vorgebrachten Argumente sind daher nicht als unmittelbarer Ausdruck einer politischen Ordnungsvorstellung anzusehen, sondern immer als Teil eines ha¨ufig stark ritualisierten Spiels zwischen Stadtrepublik und Fu¨rstengewalt. Weder formte der Anspruch auf eine Krone den selbstbezogenen Stolz auf die eigene republikanische Verfasstheit in Venedig um, noch pra¨gte dieser Stolz das Herrschaftsbewusstsein so sehr, dass er dazu gefu¨hrt ha¨tte, dass wirksame Mittel ¨ berho¨hung der eigenen unabha¨ngigen Herrschaftsgewalt auch aus dem Bereich zur U monarchischer Symbolsprache nicht genutzt worden wa¨ren.
374
6. Politische Ordnungsvorstellungen in Stadtrepubliken
6.4. Defizita¨re Staatlichkeit? Zu einer Klassifizierung der politischen Ordnungsvorstellungen im Ritual
Der mikroskopische Blick der jeweiligen Einzelfallanalysen hat gezeigt, dass es kaum hinreichend ist, pauschal von einer defizita¨ren Staatlichkeit in Theorie oder Praxis dieser Stadtrepubliken auszugehen. Auch die Annahme einer politischen Kontinuita¨t dieser Ordnungsvorstellungen hat sich, selbst wenn die Zeitgenossen diese gerade auf dem Gebiet ihrer nach außen gerichteten Selbstdarstellung politisch kommunizieren wollten, nicht bewahrheitet. Das Spannungsverha¨ltnis zwischen einer korporativ organisierten Sakralgemeinschaft und einer konfessionell formierten Dichotomie von Souvera¨n und Untertan formte die Rahmenbedingungen der politischen Kommunikation in Venedig und den Hansesta¨dten in der ersten Ha¨lfte der Fru¨hen Neuzeit. In den politischen Ordnungsvorstellungen, die in den Ritualen kommuniziert wurden, wirkte sich der politische Wandel dahingehend aus, dass Normierungsprozesse mit der Etablierung der Korporationen verbunden wurden. Die Verschriftlichung und Regulierung von Ritualen fu¨hrte nicht dazu, dass eine symbolische Abgrenzung zwischen Souvera¨n und Untertan stattfand, sondern dass spiegelbildlich die einzelnen Korporationen an diesem politisch-kulturellen Institutionalisierungsprozess teilhatten. Dieser Prozess wurde durch die Einbeziehung religio¨ser Argumente und Symbole begleitet und versta¨rkt. Nach außen hin wurden diese inneren Wandlungen hinter einer mo¨glichst undurchdringlichen Fassade verborgen. Es ist daher durchaus mo¨glich, diese Entwicklung als Staatsbildung zu bezeichnen, wenn auch eine, die anders als in den klassischen Gebilden der Monarchien und Fu¨rstenherrschaften verlief. Aufgrund der Tatsache, dass sie auf mehreren korporativen und sozialen Ebenen gleichzeitig stattfand, war ¨ nderungspotential gegeben. Dennoch ist sie nicht als defiziihr kein tiefgreifendes A ta¨r in dem Sinne zu bezeichnen, dass keinerlei Rezeption politischer Neuerungen in den Stadtrepubliken stattgefunden ha¨tte. Gerade der tiefgreifende Wandel, der in den Quellen zu den Ritualen zu finden ist, weist darauf hin, dass vielmehr diese Neuerungen als Mittel zum Austarieren des Verha¨ltnisses von Herrschaftsberechtigten und Stadtbu¨rgern genutzt wurden. Damit la¨sst sich auch die frei nach Erich Ka¨stner gestellte Frage „Und wo bleibt das Republikanische?“ beantworten. Republikanisch sind die hier analysierten Ordnungsvorstellungen nicht in einem antagonistischen, von einem modernen Freiheitspathos gepra¨gten Sinn. Sie sind auch nicht deswegen republikanisch, weil sich in ihnen ein besonders ausgepra¨gtes Gleichheitsstreben der Magistrate oder anderer Korporationsmitglieder offenbart ha¨tte. Familienehre und Gewinnstreben, das sollte deutlich geworden sein, formten die sta¨dtisch-republikanische Selbstdarstellung. Sie waren in sie integriert und trugen somit zu ihrem Gesamterfolg bei. Das Gemeinwesen als eine Ordnungsvorstellung, die sich erfolgreich gegenu¨ber partikularen Loyalita¨ten behaupten konnte, war nicht in der Theorie vorhanden, sondern erst durch gemeinsame Rituale gleichsam in actu hervorgerufen und konstituiert. Sta¨dtisch-republikanisch sind die hier zum Ausdruck kommenden Ordnungsvorstellungen deswegen, weil sie die ganze Vielstimmigkeit des dauernden Austarierens komplexer politischer Ordnungen, wie sie Venedig und die Hansesta¨dte
6.4. Defizita¨re Staatlichkeit?
375
darstellten, zeigen, ein Austarieren, das eben nicht in einer Staatsbildung und Konfessionalisierung im Sinne einer polarisierenden Dichotomie von Herrschaftsausu¨bung und Beherrschten mu¨ndete, sondern mithilfe von Regulierung und Verschriftlichung nach innen und nach außen hin bewahrt wurde.
¨ UTERUNGEN ITALIENISCHER BEGRIFFE ERLA
Bilancia Ballotini Bollador Ducale Case vecchie Cittadini
Consiglio di Dieci Giovani Dominium fluvis Maggior Consiglio Nobili Procuratori
Popolani Quarantia
Rappresentazione Sposalizio del Mare Terraferma Zecca Zonte
Gleichgewicht ‚Balljungen‘, sie waren fu¨r die Kugeln beim Wahlverfahren zusta¨ndig Siegelbewacher des Dogen alte Ha¨user, d. h. Familien, die sich darauf beriefen, bei der Gru¨ndung Venedigs beteiligt gewesen zu sein ‚Bu¨rger‘, Stand unter den ‚Nobili‘ ohne aktives Stimmrecht im Maggior Consiglio, besaßen aber das Recht der Besetzung der ¨ mter ohne politische Entscheidungsgewalt A Rat der zehn ‚Junge‘, Gruppierung, die sich fu¨r gegen die Kurie gerichtete Hegemonialpolitik Venedigs einsetzte Herrschaft u¨ber den Fluss Großer Rat ‚Adelige‘, Venezianer mit aktivem Stimmrecht im Maggior Consiglio auf Lebenszeit vergebenes Amt, das rangma¨ßig direkt unter der Dogenwu¨rde rangierte; urspru¨nglich nur mit der Verwaltung des Kirchenvermo¨gens der Chiesa di San Marco befasst, wuchs ihre Zahl auf neun, die sich mit Fragen der inneren Verwaltung insbesondere Stiftungsangelegenheiten auseinandersetzten Stand unter den Cittadini ohne besondere Privilegien, zahlenma¨ßig gro¨ßte Gruppe unter den venezianischen Einwohnern oberster ziviler Gerichtshof Venedigs, der auch fu¨r die Oberaufsicht u¨ber die Zecca, die Staatsfinanzen ausu¨bte; je nach territorialer Zusta¨ndigkeit teilte sich die Quarantia in Quarantia Vecchia (Venedig und Kolonien) und Quarantia Nuova (Terraferma). Selbstdarstellung Verma¨hlung mit dem Meer Bezeichnung fu¨r die von Venedig beherrschten Territorien auf dem ital. Festland Mu¨nze entscheidungsbefugte Gruppen, die ad hoc gebildet und zu bestimmten Entscheidungen hinzugezogen wurden
¨ RZUNGEN UND SIGLEN VERZEICHNIS DER ABKU
a) Abku¨rzungen Admin. AHB AHL
ASV
Bf. Bgm. BM BMC
Comm Dyn. Ebf. engl. Fam. frz. Fst. Gem. Gf.
Administrator Archiv der Handelskammer Bremen Archiv der Hansestadt Lu¨beck; dort: ASA= Altes Senatsarchiv Archivio di Stato Venezia; dort: Coll. = Bestand des Collegio; cerim. = Cerimonialia; rg. = registro; fz. = filza Bischof Bu¨rgermeister Biblioteca Nazionale Marciana Biblioteca del Museo Civico Correr; dort: Cic. = Bestand Cicogna Commerzbibliothek Hamburg Dynastie Erzbischof englisch Familie franzo¨sisch Fu¨rst Gemahl, Gemahlin Graf
Hz. Hzn. jur. Kf. Kg. Ks. Lgf. n. s. Patr. Pfgf. Rep. Rhr. S. SBL s. d. s. p. STAB STAH STUBH s. v. T. venez. Verf.
Herzog Herzogin juristisch Kurfu¨rst Ko¨nig Kaiser Landgraf Neue Serie Patriarch Pfalzgraf Republik Ratsherr Sohn Stadtbibliothek Lu¨beck sine dato sine pagina Staatsarchiv Bremen Staatsarchiv Hamburg Staats- und Universita¨tsbibliothek Hamburg sub verbo/sub voce, unter dem Begriff ... Tochter venezianisch Verfasser
b) Siglen ADB AKG ArchVeneto ARG BllDtLG BremJb DBI EHR GuG HansGbll HRG HZ
Allgemeine Deutsche Biographie Archiv fu¨r Kulturgeschichte Archivio Veneto Archiv fu¨r Reformationsgeschichte Bla¨tter fu¨r deutsche Landesgeschichte Bremisches Jahrbuch Dizionario Biografico degli Italiani The Englisch Historical Review, London Geschichte und Gesellschaft, Zeitschrift fu¨r historische Sozialwissenschaft Hansische Geschichtsbla¨tter Handwo¨rterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Historische Zeitschrift
378 IESS JHI JMH MecklJbb MGG MittResKom MittVLu¨bG NArchVeneto NElb PP QFBremHG SV TRE VHO ZBayLG ZHF ZKG ZRGK ZVHambG ZVLu¨bG
Verzeichnis der Abku¨rzungen und Siglen International Encyclopedia of Social Sciences Journal of the history of ideas, Lancaster Journal of Modern History Mecklenburgische Jahrbu¨cher Musik in Geschichte und Gegenwart Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Go¨ttingen Mitteilungen des Vereins fu¨r Lu¨beckische Geschichte und Altertumskunde Nuovo Archivio Veneto Nordelbingen Past & Present Quellen und Forschungen zur bremischen Handelsgeschichte Studi Veneziani Theologische Realenzyklopa¨die Verhandlungen des Historischen Vereins fu¨r Oberpfalz und Regensburg Zeitschrift fu¨r bayerische Landesgeschichte Zeitschrift fu¨r Historische Forschung Zeitschrift fu¨r Kirchengeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung fu¨r Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung Zeitschrift des Vereins fu¨r Hamburgische Geschichte Zeitschrift des Vereins fu¨r Lu¨beckische Geschichte und Altertumskunde
QUELLEN UND LITERATUR
Quellen
Nicht edierte Quellen Bei den folgenden Nachweisen sind die Quellentitel kursiv und Erga¨nzungen der Autorin recte gesetzt! • Bremen Archiv der Handelskammer Bremen (AHB) Altes Aktenarchiv des Collegium Seniorum, Die Bu¨rgerschaft, Auswa¨rtige Beziehungen, Erzbischof von Bremen-Verden, Verschiedenes, 1617, 1629, 1637–1640, IV B III 6,1. Altes Aktenarchiv des Collegium Seniorum, Die Bu¨rgerschaft, Auswa¨rtige Beziehungen, Landgraf von Hessen, 1619, 1620, 1654, IV B III 4, 1. Altes Aktenarchiv des Collegium Seniorum, Die Bu¨rgerschaft, Auswa¨rtige Beziehungen, Oldenburg, Briefwechsel, 1597–1654. Archiv des Schu¨ttings, A 7, Bd. 1, Rangstreitigkeiten mit den Canonicis, 1644. Ordinanzien 1451 – Eide 1626, Ordinanzie, 1549. Wandschneider-Societa¨t, Bestimmungen aus dem Jahre 1646. Staatsarchiv Bremen (STAB) 2-Dd-4.a, Notifikationen von Hochzeiten, Bitten an den Senat um Teilnahme und Geschenk, 1560–1772. 2-Dd-4.b, Notifikationen von Geburten und Taufen, Bitten an den Senat um ¨ bernahme der Patenschaft, 1567–1792. U 2-Dd.-4.c, Schenkungen von Lachs und Hering seitens des Senats, 1602–1803. 2-Dd-4.f, Dank- und Bittschreiben an den Senat in verschiedenen Angelegenheiten. 2-Dd.-6.c, Extract aus dem WittheitsProtocoll de 1639. Martii 15, S. 223. 2-H.-2.e.2, Bd. 2 (1), Druckschriften zum Streit mit dem Erzbischof um Reichsfreiheit und den Gottesdienst im Dom. 2-P.1.-4, Mey¨er, Heinrich, Diarium. Waß sich auf bu¨rgerliche Conventen item wegen der Oldenburgischen Zolle, auf General Friedens-Schluß zu Osnabru¨ck und wegen Schwedischer Tractaten mit der Stadt Bremen zugetragen. annis 1642 biß 1643 [sic! eigentlich 1683].
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Quellen und Literatur
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Quellen
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Quellen und Literatur
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Quellen
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Quellen und Literatur
¨ mter, Hauszimmerleute 5/2, Eingabe, 1603. ASA-Interna, A ¨ mter, Hauszimmerleute 5/2, Streitigkeiten um die Amtsfu¨hASA-Interna, A rung von A¨ltesten, 1643–1644. ¨ mter, Schmiede 3/2, Eingaben, 1638. ASA-Interna, A ¨ mter, Schneider 6/3, undatierte Eingabe an den Rat. ASA-Interna, A ASA-Interna, Ceremonialia 4/1, Vorehrung eines Erbarn Radts der Stadt Lu¨begk an Silbern vorgu¨ldetem Drinckgeschir in- und außerhalb der Statt, 1570–1784. ASA-Interna, Ceremonialia 4/4, Eingaben und Beschwerden wegen der gerechten Aufteilung des Lohns und der Geschenke von Ga¨sten. ASA-Interna, Ceremonialia 5/4, Braunschweig 1615–1760. ASA-Interna, Ceremonialia 5/13, Sachsen 1634–1745, Aufstellung einer Geschenkelieferung an die Kurfu¨rstinnen und Kurfu¨rsten von Sachsen. ASA-Interna, Ceremonialia 13/3, Anwesenheit der Ko¨nigin von Polen, 1646. ASA-Interna, Ceremonialia 24/1, Ehrungsgeschenke, 1610–1777. ASA-Interna, Ceremonialia 32/2, Patenschaften beim herzoglichen Haus Sachsen-Lauenburg. ASA-Interna, Ceremonialia 32/3, Patenschaften beim herzoglichen Haus Schleswig-Holstein 1611–1678. ASA-Interna, Ceremonialia 32/4, Patenschaften beim landgra¨flichen Haus Hessen und einem Grafen Hohenlohe, 1617–1759. ASA-Interna, Ceremonialia 32/5, Patenschaften beim herzoglichen Haus Braunschweig-Lu¨neburg, 1632–1678. Ceremonialia 32/7 Patenschaften bei Kindern von Diplomaten, Beamten und Offizieren, 1634–1757. ASA-Interna, Einquartierung 3/5, Kaiserliches Commissorium Lu¨becks an Bremen und Hamburg, Sendung des Syndikus Dr. Schabbels nach Hamburg, Juli-August 1627. ASA-Interna, Hochzeiten 3/1, Hochzeitsordnung, 1582. ASA-Interna, Hochzeiten 3/2, Dekret, 19. September 1624. ASA-Interna, Hochzeiten 3/5, Eid der Brautleute. ASA-Interna, Hochzeiten 9/1, Einladungen an den Rat zu Hochzeiten, 1554–1640. ASA-Interna, Kaufmannschaft 2/3, Kaufleute-Compagnie, Statuten der Kaufleute-Compagnie, 1541. ASA-Interna, Kaufmannschaft 2/3, Statuta und Ordnung der ehrlichen Gesellschaft der Kauffleute Compagnia zu Lubek, am dritten Tage Novembris anno 1595 von den gemeinen Compagnie Bru¨dern, im nahmem Gottes einhellig verfaßt und zusammen gezogen. ASA-Interna, Legationes 7/1, Materialien zum Aufenthalt einer kaiserlichen Gesandtschaft in Lu¨beck, Ma¨rz 1622. ASA-Interna, Mandate und Verordnungen 1/1 (= AHL, ASA-Interna Musik 2/1), Ordnung der Spellu¨de dessgelicken der Schaffer, Do¨hrwechter, und dreger, wie sie sick sollden stellen, ock weß ein Jeder daruvon tho bohrenen
Quellen
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hebben, und sick darahn bewegen lathen schole, van ey¨nem Erbaren hochweisen Rhatt der Statt Lu¨beck Anno 1578 upgerichtet. ASA-Interna, Mandate und Verordnungen 1/2, Ordnung zur Vermeidung unno¨tiger Kosten bei Begra¨bnissen, 1604. ASA-Interna, Mandate und Verordnungen 6/7, handschriftlicher Entwurf einer Kostordnung, vermutlich aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. ASA-Interna, Mandate und Verordnungen 6/8, Neue Ordnung u¨ber Kleidung, Schmuck, Verlo¨bnisse und Hochzeiten, vermutlich Mitte 16. Jahrhundert. ASA-Interna, Polizei 16/1, Akten 1647–1742, Brief der Christina, des Joachim Schultes sehl. dochter, 18. Mai 1647. ASA-Interna, Ratsstand 1/3 [Stiten, Franz van], De ordinantie so de olden plegen binnen raedstols tho holdende. Who idt thogeitt mitt der whale eines nien borgermeisters Who idt thogeitt mitt dem hore der radespersonen Ordnung wie sich Ein Ehrb. Radt holdtt und schickett mitt utwisinge unnd anordnunge der dordendeel jegen Petri Verordnung der dritten Theile gegen Petri, 1590. ASA-Interna, Ratsstand 2/1, chronologische handschriftliche Liste der in den Rat Gewa¨hlten, 1500–1673. ASA-Interna, Ratsstand 3/1, Grundsa¨tzliches zur Ratswahl, Verordnung des Rates, 10. Ma¨rz 1576. ASA-Interna, Ratsstand 6/1, Verfahren bei Ratswahl, Quellen spa¨tes 16.–19. Jahrhundert. ASA-Interna, Ratsstand 6/2, Akte mit Ratsherreneiden. ASA-Interna, Ratsstand 6/3, Ehrenausgaben neugewa¨hlter Senatsmitglieder 1633–1856, Liste aus dem Jahr 1633. ASA-Interna, Ratsstand 7/1, Akte: Ratssatzung: Grundsa¨tzliches u. Historisches, Zeremoniell, Ende 16. Jahrhundert–1862, Brokes, Heinrich, Verzeichnis wie iegen Petri mit umbsetzung des Raths wird verfahren, 1613. ASA-Interna, Ratsstand 8/-, Verschiedene Quellen zu Ratswahl und Ratssetzung 1576–17. Jahrhundert, Brokes, Heinrich, Protokoll der Wahl, 1610. ASA-Interna, Ratsstand 8/-, Verschiedene Quellen zu Ratswahl und Ratssetzung 1576–17. Jahrhundert, Teilnahmelisten fu¨r die Burspraken von 1578–1579. ASA-Interna, Ratsstand 12/2, Tafel wegen der Verwandtschaften und Schwa¨gerschaften, 1576. ASA-Interna, Ratsstand 21/-, Protocoll und tagebuch dor In allerley¨ Eines Erb. Rats der Stadt lubeg hendele und geschehenen von Anfang meines diensts mit andern oder allein vortlickem und gebrauchet werden, worhaftig und notiret sey¨n, vermutlich zweite Ha¨lfte 16. Jahrhundert. ASA-Interna, Rat und Bu¨rgerschaft, 3/1, Lateinischer Dialog zwischen einem „Mercator“ und einem „Mechanicus“. ASA-Interna, Rat und Bu¨rgerschaft 6/-, Protokoll zum 11. Juli 1600. ASA-Interna, Rat und Bu¨rgerschaft 32/2, Marquard, Johannes, De Statu Regiminis Lubecensis oder Von der verfassung des Lu¨bischen regiments, 1658.
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Quellen und Literatur
ASA-Interna, Rat und Bu¨rgerschaft 32/7, zeitgeno¨ssische chronistische Aufzeichnungen u¨ber das Jahr 1643. ASA-Interna, Rat und Bu¨rgerschaft 32/8, Fragmenta Protocolli der Kaufl. Compagnie d. 1643.44.46, Beschluß der Einstellung des Fastnachtmahls fu¨r die Jahre 1643 und 1646. ASA-Interna, Schonenfahrer 11/3, Protokolle 1582–1597. ASA-Interna, Schu¨tzenho¨fe 6/1, Aktenstu¨cke zur Auseinandersetzung um die Schonenfahrer, die sich ihrer Schu¨tzenpflicht entziehen, 1608. ASA-Interna, Schu¨tzenho¨fe 8/2, Eingabe der A¨ltesten des Schu¨tzenhofes vom 18. Juni [s. a.] an den Rat, daß die A¨mter und Gilden nicht ihrer Schu¨tzenpflicht nachkommen. ASA-Interna, Schu¨tzenho¨fe 10/4, Verzeichnus uff Gegossene Stucke durch Junckern und Bo¨rger zu schiessen/Ungeferlicher Anschlag, wie eß mit dem schiessen auß grobem Geschutze, zu Lubeck soll gehalten werden. Handschriftensammlung, Ms. 751a, Copia: des rechtes: So K. M. der stadt: Lu¨beck:gegen:u¨en:van:wort:tho wort:nha sinem:rechten: Original anno 1565. Handschriftensammlung, Ms. 868, Marquard, Johannes, Chronicon Lubecense, Abschrift aus dem 19. oder 20. Jahrhundert. Handschriftensammlung, Ms. 1185, Auszu¨ge aus den Wetteprotokollen u¨ber Musik-und Theaterverha¨ltnisse in Lu¨beck, 1587–1770, hg. v. Carl Stiehl. Handwerksa¨mter, Archiv der Altschuhmacher, Eingaben um 1600 in der Akte „Bu¨rgerliche Rechte und Pflichten“, 1600–1602. Handwerksa¨mter, Rot-, Stu¨ck-, Glockengiesser, Akten Perso¨nliches, 1558–1821. Handwerksa¨mter, Schneider, das ‚B-Buch‘, Rolle und Aufzeichungen der Jahre 1634–1840, Regelung unter dem Datum des 12. Ma¨rz 1593. Miscellanea, Rerum Lubecensium, Bd. 2: Varia, Abschrift der Revidierten Ordnung zu Verlo¨bnissen, Hochzeiten, Kleidungen, Kindbetten, Gevatterschaften, Begra¨bnissen, 1619, S. 1147–1198. Miscellanea, Rerum Lubecensium, Bd. 2: Varia, handschriftliche Abschrift einer Begra¨bnisordnung, 1619, S. 1109–1123. Sammlung Buchholtz, IV, Proklam des Rates, Die Anku¨ndigung des Gastrechtes soll durch die Hausdiener auf dem Rathaus gemacht werden, 13. Oktober 1572, S. 203a/S. 118. Stadtbibliothek Lu¨beck (SBL) Lub. 2 51, Ms. Ordnung der Man sich bey¨ anrichtung der Gra¨ber und begra¨bnu¨ße dieser Stadt bu¨rger auch bey¨ zuschreibung der Stu¨le und Sta¨te in den Kirchen zugebrauchet. Lub. 2o 119, Ms. Paulsen, Ju¨rgen, Castigatio Ethico-Politico-Juridica das wahrhaftge rechtsgegru¨ndete Widerlgung und ausfu¨hrlicher Beweis, daß die Enhsten Circkel-bru¨der zu Lu¨beck ohne yrige Befugnis wider recht auch Bu¨rgerl: Gleichheit und Einigkeit sich des Junckern Titel anmaßen gerichtlich produciret und u¨bergeben, 27. Junii 1638.
Quellen
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Lub. 2o 305, Ms. Aquilonipolensis, Henricus, De primordiis Lubicanae urbis Caesareae Libri 2. Lub. 2o 405, Ms. Gru¨ndtlicher Bericht und Information von den Vorfahren undt ietzigen Gebru¨dern der Circull oder JungkernCompagnie in Lu¨begk, wie auch deren Wandell undt verhalten. Sambt Confutation undt Verantwortung deßen, waß Ju¨rgen Paulßen wieder dieselbige ertichtet, undt bei Hochw. Rahte alhie eingeschoben. So viel deßen zu der Compagnie handekammer. Mit angehengter Petition und Protestation. Einem Hochweiß Rahte, wegen der Compagnie u¨bergeben, den 14. February¨. Lub. 2o 441, Ms. Abrechnungen u¨ber die Kosten fu¨r die in den Jahren 1595–1609 von den A¨lterleuten der Kra¨merkompanie veranstalteten Festessen. Lub. 2o 504, Ms. [Hunnius, Adam], Superintendens Senior, Pastores und samptlicher Prediger zu Lu¨beck in Puncto praetensi ab Amplissimo Senatu Juris Episcopalis occasione sepulturae cujusdam Calviniani an die Ehrenveste, Hochgelahrte, Hoch und Wolweise, Herren Bu¨rgermeister und Raht der Key¨serl. frey¨en und des Heil. Reichs Stadt Lu¨beck, unsern Großgu¨nstigen herrn und Befo¨rderern, 9. April 1634. Schleswig-Holsteinisches Landesarchiv Bestand Lu¨becker Domkapitel, Abt. 268. Nr. 301, Der ehemalige Rangstreit zwischen denen Capitular- und Magistrats-Personen zu Lu¨beck, 1613–1693. • Venedig Archivio di Stato di Mantova Carteggio Estero, Carteggio ad Inviati, bu. 1419, Instruzione all’Ambasciatore Cattani mandato a Vinegia sotto li XV luglio 1557 (= Fondazione Cini, Mikrofilm, bobina 1). Archivio di Stato di Venezia (ASV) Coll., cerim., fz. 1. Coll., cerim., rg. 1. Coll., cerim., rg. 10 Coll., Esposizioni Principi 180, Esposizioni diverse, 1501–1639. Compilazione delle leggi, bu. 166, Cancelleria Inferiore-Doge. Compilazione delle leggi, bu. 185, Doge di Venezia. Compilazione delle leggi, bu. 206, Feste di Religione. Compilazione delle leggi, bu. 213, Funerali e funzione pubbliche. Compilazione delle leggi, bu. 215, Giuochi/Giuramenti. Compilazione delle leggi, bu. 371, Mariegole dell’Arti e Matricole. Compilazione delle leggi, bu. 371, Vesti dei Nobili. Consultori in iure, fz. 40, Lonigo, Gasparo, Rituali di San Marco, Mitte 17. Jahrhundert.
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Quellen und Literatur
Consultori in iure, fz. 65, Lonigo, Gasparo, Trattato delle precedenze, Mitte 17. Jahrhundert. Maggior Consiglio, Registro delle deliberazioni, carta 153. Procuratori di San Marco de supra, bu. 50, Terminazioni e decreti sulla fiera dell’Ascensione, Eintra¨ge aus den Jahren 1585–1623. Procuratori di San Marco de supra, bu. 67, Liste mit Weihnachtsgeschenken an den Dogen, um 1600. Procuratori di San Marco de supra, bu. 86, Cariche ed Impiegati del Clero. Procuratori di San Marco de supra, bu. 88, fasc. 2, proc. 194, Sumario delle raggioni di M. J. m. Contarini K. Pro contro, M. Zus. Corner, costut. Barbaro, suoi Collega. Provveditori alle Pompe, Capitolare Primo. Provveditori alle Pompe, Capitolare Secondo, bu. 3, Decreti, 1334–1689. Provveditori alle Pompe, Capitolare Secondo, 1644. Provveditori alle Pompe, Decreti Relativi alla Terraferma, 1334–1781. Provveditori alle Pompe, Decreti, 1474–1796. Biblioteca del Museo Civico Correr (BMC) Cod. Cic. 165, Feste di Palazzo. Et giorni ne quali sua Serenita` esci di quello, 18. Jahrhundert. Cod. Cic. 2043, Borghese, Alvise [unbetitelte Stadtchronik]. Cod. Cic. 2118, Sivos, Giancarlo, Cronaca Veneta, Bd. 1. Cod. Cic. 2119, Sivos, Giancarlo, Cronaca Veneta, Bd. 4. Cod. Cic. 2120, Sivos, Giancarlo, Cronaca Veneta, Bd. 3. Cod. Cic. 2121, Sivos, Giancarlo, Libro Quarto Delle Vite de Dosi di Venetia. Cod. Cic. 2555, Michiel, Alvise, Annuali delle Cose della Repubblica di Venezia dal 1578 al 1586. Cod. Cic. 2560, Morosini, Andrea, Memorie politiche veneziane dal 1552 al 1617. Cod. Cic. 2583, Miscellanea intorno Chiese e Clero Veneto. Cod. Cic. 2711, Verschiedene Materialien zum Zeremoniell in San Marco, Beschreibung der Feierlichkeiten im Jahre 1631. Cod. Cic. 2853, Agustini, [Cronaca] di Venezia, Teil 2. Cod. Cic. 3060, Materie ecclesiastiche. Cod. Cic. 3752, Savina, Cronaca, Teile 2 und 4. Cod. Gradenigo 182, Ceremonialia, fol. 172, Abschrift eines Beschlusses des Maggior Consiglio vom 23. Ma¨rz 1618 vacante Ducatu. Cod. Gradenigo 185, s. v. Riti, usanze, Cerimonie, e Costumi Antichi de’ veneziani, ed altre Curiosita` dimenticate da varii accreditati Autori ramentate, Quellensammlung, zusammengestellt im 18. Jahrhundert, entha¨lt aber auch abgeschriebene und originale Quellen aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Cod. Gradenigo 185, s. v. Voti Publici, e Privati. Cod. Gradenigo 2004, Commemoriali, Dell’arrivo nello stato della Repubblica, venuta in Venezia, soggiorno, e partenza della Serenissima Regina di Polonia l’anno 1556, la quale dopo la morte del Marito Sigismondo ritirandosi al suo
Quellen
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Ducato di Bari, passo` per queste parti, dove fu` gratamente accoltare veduta: si per la memoria de suoi, e si perche per molti anni avanti non si era stata Testa alcuna Coronata in questa Dominante. Fondo Wucovich Lazzari, bu. 53, 2, Cerimoniali, che si usano nella Sepoltura del Doge di Venezia, e come si diviene a nuova creazione di doge, colla forma, modo e cerimonie, che si stilano in eleggerlo. Biblioteca Nazionale Marciana (BM) Cod. It. VII, 396 (7423), Pace, Giovanni B., Ceremoniale Magnum sive Raccolta Universale di Tutte le ceremonie spettanti alla Ducal Regia Capella di S. Marco alla Persona del Sereniss. de Ecc. mi Procuratori, et circa il Suonar del Campanile. Tratte da Ceremoniali antichi, et da altri luochi con diligenza. Ridotte secondo l’uso di S. Marco in piu` ampla, ricca, decente, et Maestaosa forma. Con Cronologia di Diversi accidenti occorsi alla Republica degni da sapersi. Numero de Pontefici, Dogi, Patriarchi, e Primicerii. Aggiontavi la nota de Paramenti neceßarii a` tutte le Fontioni, li Privilegii della detta Regia Capella, de Primicerii Canonici, e Sagrestani. Con tutte l’Indulgenze alla md:ma conceße, 1678. Cod. It. VII, 519 (8438), Cronaca Veneta dalle origini al 1585. Cod. It. VII, 533 (8812), [Da Molino, Francesco], Compendio di me Francesco da Molino descrivavo delle cose, che reputero` degne di particolar memoria, et che sucederanno in mio tempo si della Republica Venetiana, e di Venetia, mia Patria, come avio della special mia persona per la quale suppl. e prego il sommo Iddio, che la disporgia in ogni sua attione come alle sua volonta, et impiegi a sui santi servity¨. Cod. It. VII, 562 (7691), [Caroldo], Gio. Giacomo, Modo col quale si solenna far elettione delli Dosi di Venetia. Cod. It. VII, 707 (7898), Memorie del passaggio per lo Stato Veneto di Prencipi e Soggetti Esteri, 1347–1773. Cod. It. VII, 1639 (7540), Gnecchi, Sallustio, Ceremoniale delle uscite delli Principi di Venetia, 1590. Cod. It. VII, 1233 (9600), L’Ordine di condurre, le Dogaresse da Casa sua, a Pallazzo del Serenissimo Principe, fru¨hes 17. Jahrhundert. Cod. It. VII, 1808 (8375), Copie die [sic!] ceremoniali tratte dalla Cancelleria Secreta, 1482–1713. Cod. It. VII, 3760 (8995) Francesco Luna, Diario di Murano, 1625–1631. Cod. lat. III, 172, Bonifacio, Bartolomeo, Rituum cerimoniale, 1564. • Wien ¨ sterreichisches Staatsarchiv, Wien O Staatskanzlei, Venedig, fasz. 12, Berichte 1572–1574 (=Fondazione Cini, Mikrofilm, bobina 64). Staatskanzlei, Venedig, fasz. 13, Berichte, 1575–1610 (=Fondazione Cini, Mikrofilm, bobina 68).
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Quellen und Literatur
Edierte Quellen Die a¨lteren Lu¨beckischen Zunftrollen, hg. v. Carl F. Wehrmann, Lu¨beck 1864. Die a¨ltesten Hamburgischen Zunftrollen und Bru¨derschaftsstatuten. hg. v. Otto Ru¨diger, Hamburg 1874. Aepin, Johannes, Bedencken von Gottloser Leute Begrebnuß/daß man dieselben mit Christlichen Psalmen und Gesengen/die sie im leben verachtet/nicht so begraben, Hamburg 21597. Alati, Alessandro, Rime. In Lode della Serenissima Principessa di Venetia Moresina Grimani, Venetia 1597. Algermann, Franz, Ausfu¨hrliche und Umbsta¨ndliche Beschreibung welcher Gestalt Ko¨nig Christianus IV. zu Dennemarck, Norwegen pp. von der Stadt Hamburg im Jahr 1603 gehuldiget worden, s. l. s. d. De Amore, Iacobo, In Funere Serenissimi Venetiarum Principis Francisci Molino Oratio habita. In Publico Gymnasio Sanctissimae Trinitatis Eloquentiae Profeßore, Anno Domini MDCLV, Venedig 1655. [Anonym], Abgeno¨tigte in Jure & facto Wolgegru¨ndete Apologia Hamburgensis. Entgegen-gesetzt Des Durchleuchtigsten Gro¨ßma¨chtigen Fu¨rsten und Herrn/ Herrn Christiani IV. zu Dennemarcken/Norwegen/der Wenden und Gothen Ko¨nig/Hertzogen zu Schleswig/Holstein/Stormarn und der Dithmarschen/Grafen zu Oldenburg und Delmenhorst/ec. I. An Ihr Ro., Kays. Maj. Ferdinandum III. unter keinem Dato. 2. An das hochlo¨bl. Churfu¨rstl. Collegium sub dato 28. Julii. Anni Christi 1641 In offenen Druck Ausgelassene Schreiben, Hamburg 1641. [Anonym], Bericht u¨ber eine feierliche Befahrung der Stepenitz und Maurine im Jahre 1652, in: Mitteilungen des Altertumsvereins fu¨r das Fu¨rstentum Ratzeburg 3, 3 (1921), S. 36–41. [Anonym], Carmina Nuptialia ORNATISSIMO IUVENI D. NATHANAELI VILTERO HAMBURGENSI, SPONSO ET PUDICISSIMAE VIRGINI CATHARINAE, spectatae prudentiae & dignitatis Viri D. HENRICI a` SPREKELSEN, Senatoris HAMBURGENSIS Filiae, Sponsae, Scriptis ab amicis, Hamburg 1589. [Anonym], Clarissimo et Excellentissimo Dn., Doct. VALENTINO AMANDAEO Sponso, Alterti Urbis Nostrae Machaoni et Hippocrati, Hoc Graeco carmmine Faustas cum Lectis: Virgine Tibekka Havemanna, Bremen 1616. [Anonym], Componimenti in Morte del Clariss Sig. Celio Magno Gia` Segretario dell’Ecelso Cons. de X. Dedicati all’Illustriss. Sig. Orsatto Giustiniano, Verona 1602. [Anonym], Dechiaratione dell’Arco fatto in Padova nella Venuta della Serenissima Reina Bona di Polonia, Padua 1556. [Anonym], Deß Durchleuchtigsten und Mechtigsten Herrn Herrn SOLIS, Herrlicher Auffzug/zum Ringrennen/am 31. Octobr. dieses M.DCIII. Jahrs zu Hamburg gehalten. Ku¨rtzlich beschrieben, Magdeburg 1603. [Anonym], Ehren-Lieder/Auff den Hochzeitlichen Frewdentag Des Ehrnvesten und Hoch Wohlgelahrten Herrn Tido Henrich von der Lith/Beeder Rechte gewu¨r-
Quellen
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digten/als Bra¨utigambs: wie auch der viel Ehr- und Tugendreichen Jungfrawen Hillen/Des weiland Ehrnvesten/Wohlweisen und Hochghelahrten Herrn Johan von Line/Gewesenen vornehmen Rahtsverwandten dero Stadt Bremen/hinterlassene eheleibliche Tochter/als Braut: Welcher gehalten in Bremen/den 10. tag Augustmonats/im Jahr 1641, Bremen, s. d. [Anonym], Ehren-Preiß/geopfert dem Edlen/Ehrenvesten/Hochgelahrten/Groß Achtbarn und Wolweisen Herrn/Herrn Johanni Marquard/J. U. D. und Riddern S. Marci. Herrn Leonhard Elver/Herrn Godhard von Ho¨vele/Herrn Johann vom Dieck/Der Kayserlichen freyen und des heiligen Reichs Stadt Lu¨beck Rathsverwandten, Lu¨beck 1640. [Anonym], Encomi diversi nella partenza dell’illustrissimo Sig. Marcantonio Memmo dignissimo Podesta` di Padova l’anno MDLXXXVII, Padua 1587. [Anonym], La Entrata che fece in Vinegia L’Illustrissimo et Eccellentissimo S. Duca Alfonso II. Estense, Duca V. di Ferrara. De eiusdem Principis in urbem Venetam ingressu Natalis de Comtitibus carmen, Venedig 1562. [Anonym], Epicedium in Obitum Amplissimi Viri, D. Danielis Buren, Consuli Reip. Bremensis [... Lu¨cke im Papier], Bremen [Jahreszahl wg. Textschadens nicht erkennbar]. [Anonym], Epithalamia in nuptias Generis antiqui splendore, virtutibus, doctrinis ornatissimis Juvenis Dn. Alexandri Lu¨neburgk/SPONSI, ET Nobilissimae ac Lectissimae Virginis Catharinae Bro¨mse/SPONSAE. ab Amicis & Cognatis, Lu¨beck 1628. [Anonym], Erstes Evangelisch-Lutherisches Jubel-Fest/Welches in der Weltberu¨hmten Stadt Hamburg/zum Preiß go¨ttlicher Ehren In dem 1617ten Jahre den 31. Octobr. o¨ffentlich ist gefeyert worden: Anitzo/Da wir das andere JahrHundert nach der herrlichen Reformation D. Lutheri in diesem 1717ten Jahre Durch Gottes Kraft abermahl erlebet/Zur Ausbreitung Go¨ttlichen Nahmens/ Und Pflicht-schuldiger Erka¨nntniß Dieser Hohen Wohlthaten/Nebst Dem Lu¨beckischen Danck-Gebet Wiederum erneuert von Einem EvangelischLutherischen Hamburger, Hamburg 1717. [Anonym], FELICIBUS NUPTIIS integerrimi, doctis: praestantissimique juvenis, DN. JOHANNIS HANNII, DN. DAVIDIS HANNII, SENATORIS ET BREM: AB IMPERIALI MAJESTATE PRIVILEGIATI INFERIORIS JUDICII IBIDEM JUDICIS DIGNIS: LAUDATIS: FILII SPONSI. Et modestissimae pudicissimae Virginis GESCHAE KRAUTNERAE, DN. HENRICI KRAUTNERI CIVIS STADENSIS P. M. EX PRIMARIIS FILIAE, SPONSI. Nuptias celebrantium Stadae, Anno 1620, 15. August. s. d., s. l. [Anonym], Le Feste et Trionfi fatti nella Nobilissima Citta` di Padoa nella Feliciss. Venuta, et Passaggio di Henrico III. Christianissimo Re` di Francia, & Pollonia, Padua 1574. [Anonym], [Hochzeitsgedicht auf die Eheschließung von Eberhard Twestrenh und Gertrud Moller], Hamburg 1584.
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Quellen und Literatur
[Anonym], Mo¨lnisch FrewdenGedicht/zu Ehren dem Edlen/Ehrenvesten/Großachtbaren und Hochweisen Herrn Otto Brokes/Bu¨rgermeister der Kayserlichen freyen und des heiligen Reichs Stadt Lu¨beck, Lu¨beck 1640. [Anonym], Oratio in funere Vicei Magni Venetae Reip. Cancellarii, Habita Venetijs in Augustißimis D. Marci Aedibus, XII. Kal. Marty¨ M. DC. V., Venedig 1605. [Anonym], Parodiae gamicae: FELICIBUS NUPTIIS SPECTATAE PIETATIS VIRTUTIS VIRI IOHANNIS, Sponsi, Amplissimi Clarissimique viri, Domini IOHANNIS SCHULTETI, I V Licentiati consultissimi, ac inclytae Reipub. Hamburg. Senatoris filij, cum lectissima pudicissimaeque, virgine MARIA, IOHANNIS a` NESE primarij civis Hamburg. filia, Sponsa, amoris ac benevolentiae ergo dedicatae ac consecratae, Hamburg 1589. [Anonym], PHALEUCUS nuptiis splendidissimis Nobil: Clarissimi amplissimi & consultissimi viri Dn. HERMANNI MULLERI J. U. Licentiaeti ex vetustissima Mullerorum familia patricii Hamburgensis & virginis omnium virtutum ornamentis decoratissimae ANNAE viri Spectatissimi & Laudatissimi Dn. JACOBI Hambruche civis Hamb. honoratiss. negotiatoris florentissimi unicae filiae 1648. 19. Junii solenniter celebratis, s. d., s. l. [Anonym], Pindarischer Gesang/Auff des Ehren-Vesten und Wol-geachten Herrn Hansen Haintzes/Fu¨rnehmen Handels-Manns als Herrn Bra¨utigam mit der Viel-Ehren-tugendreichen Jungfrawen Catharina Botscha¨rtin/Weiland des Herrn Melchior Botscharts/Fu¨rnehmen Handels-Mannes in Hamburg Seel. hinterbliebenen Tochter/als Jungfraw Braut: Hochzeitliches Ehren-Fest: Welche den 29. Junij Alt-Calenders dieses jetzlauffenden 1641. Jahres zu Hamburg Christlichem Brauch nach sol gehalten werden/Braut und Bra¨utigam zu Ehren. Zu Breslaw gestellet und nach Hamburg abgefertiget. Durch einen guten Freund, Hamburg 1641. [Anonym], Relatione della Entrata pomposa fatta in Venetia. Dall’Illustriss. & Eccelentiss. Signor DECREQUY Prencipe di Poix, Duca dell’Ediguiere, Pari, e Marescial di Francia, Consigliere di S. M. Christianissimo ne’ suoi Consigli di Stato, Cavaliere de gli Ordini di S. M. Primo Gentil’huomo della sua Camera, Luogotenente Generale per detta Maesta` nel Delfinato. Et suo Ambasciator d’ubbidienza di ritorno dalla Santita` di N. S. alla Serenissima Repubblica, Venedig 1634. [Anonym], Relatione delle feste notturne di Verona. Per la creatione del Serenissimo Prencipe M. Antonio Memmo, Verona 1612. [Anonym], Relatione del passaggio, et alloggio fatto nel Veronese, alla Maesta` di Eleonore Gonzaga d’Austria Imperatrice. Dalla Sereniss. Republica di Venetia, Verona 1622. [Anonym], REVERENDO ET CLARISSIMO VIRO Dn. M. HENRICO ENGENHAGEN ECCLESIAE LUBEC. JACOBAEAE Ecclesiaste Vigilantissimo, de nuptiis cum lectissima & pudiciß. Virgine ELISABETHA Ampliß. & Consultiß. VIRI Dn. IOHANNIS FELDHUSEN, Senatoris quondam Reipub: Lubec: Primarij FILIA, Lu¨beck 1644. [Anonym], THALASSIO HONORIBUS NUPTIARUM Dni. ARNOLDI A BOBART, J. C. CLARISSIMI, SPONSI, ET VIRGINIS LECTIS-
Quellen
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Quellen und Literatur
fen, Lebensbeschreibungen, kleinen Tractaten u. d. g. m. als eine Grundlage zur Hamburgischen Kirchenhistorie neuerer Zeiten, aus welcher der ordentliche Verlauf und die eigentliche Beschaffenheit der zur hamburgischen Kirchen-Gelehrten und Schul-Historie geho¨riger Sachen, Begebenheiten, Streitigkeiten u. d. g. erkannt werden kann, mit beygefu¨gten historischen Erza¨hlungen und Anmerkungen, IV. Theil, hg. v. Christian Ziegra, Hamburg 1770, S. 469–524. De Nores, Iason, Breve Institutione dell:Ottima Republica, raccolta in gran parte da tutta la Philosophia humana di Aristotile, quasi come una certa introduttione dell’Ethica, Politica, & Economia, Padua 1578. Numotheca. Abbildung und Beschreibung Hamburgischer Mu¨nzen und Medaillen. Nebst einem Verzeichniß gedruckter Hamburgischer Urkunden, Dokumente und anderer Brieffschaften, hg. v. Johann P. Langermann, Hamburg 1802. Nunziature di Venezia (Nunziature d’Italia, sec. XVI–XVIII), Bd. 8 (marzo 1566marzo 1569), hg. v. Aldo Stella, Rom 1963. Offentliche abku¨ndigung wegen Deß von einem Ehrnvesten Hoch- und wolweisen Rahts der Stadt Bremen/Auff den 8. Monats Augusti/dieses 1638. Jahrs angeordneten Danckfests/und ta¨glicher Bettstunden, Bremen 1638. Ordnung der Lu¨bischen Bu¨chsenschu¨tzen, hg. v. Karl Koppmann, in: HansGbll 19 (1890/1891), S. 97–112. Ordnung Eines Ehrbarn Rahtes der Stadt Bremen/wie es hinfu¨hro mit den verlobnussen/hochzeiten/kleidungen/kindbetten/begra¨bnussen/Fenste rgeldern/und was dem anha¨nge/in dieser Statt gehalten werden soll, Bremen 1634. Ordnung Eines Erbaren Rahtes der Stadt Bremen/wo idt henforder mit den Ko¨sten/ Bruttwagen und anderen Fruwliken Clenodien/Kindelbeeren und Begreffnissen in o¨hrer Stadt/Als ock mit den Ko¨sten und Kindelbeeren in den veer Gohen und des Rahdes gebede/geholden werden scho¨le, Bremen 1587. Ordnung Eines Erbarn Rahts der Statt Bremen/wie es hinfu¨hro mit den verlobnu¨ssen/hochzeiten/kleidungen und kindbetten/und was dem anha¨ngig in dieser Statt gehalten werden soll, Bremen 1624. Ordnungen Eines Erbarn Rahdes der Stadt Bremen/Wo ydt henfurder mit den Kosten/Kindelbehren und anderen wat dartho geho¨rig. Desgeliken ock in vorfallenden Rumoren und Lermen/unnd wann Fu¨er/oder Brandt opginge/tho Dage und Nacht geholden werden scholl, Bremen 1606. Paolo V. e La Repubblica Veneta. Giornale Dal 22. Ottobre 1605–9 Giugno 1607, hg. v. Enrico Cornet, Wien 1859. Parte presa nell’Eccelso Conseglio di Dieci circa il ballotar con le preghiere nell’Eccellentissimo Senato, & scrutinio, Venedig 1621. Parte presa nell’Eccelso Conselgio di Dieci Circa li ordini nelle ballotationi delli Consegli ordinarii, & di Procurator di S. Marco nell’Eccellentiss. Maggior Conseglio, Venedig 1621. Paruta, Paolo, Della perfettione/della vita politica, Venedig 1579. ¨ ber die Vollkommenheit des politischen Lebens in drei Bu¨chern. Paruta, Paolo, U Eingeleitet, u¨bersetzt und kommentiert von Jutta Schmidt. Erstu¨bersetzung von Paolo Parutas Della perfettione della vita politica, Libri tre (Venedig 1579), Frankfurt a. M. 1998.
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INDEX DER ORTS- UND PERSONENNAMEN
Aepin, Johannes, Superintendent in Hamburg 166, 213 Aepin, Sebastian, Geistlicher in Hamburg 174 Albrecht V., Hz. v. Sachsen-Lauenburg 47 Aldobrandini, Pietro, Kardinal 331 Alexander III., Papst 46, 215, 316, 371 Alfonso II. d’Este, Hz. v. Ferrara 325 Algermann, Franz, in unterschiedlichen Funktionen in Diensten d. Hze. v. Braunschweig-Wolfenbu¨ttel, Verf. v. Gelegenheitsschriften 342 Almers, Johann, Rhr. in Bremen 74 Ammann, Jost v., Kupferstecher u. Zeichner 317 Amsinck, Rudolph, Senator in Hamburg 122 Amsterdam 23 Anton Gu¨nther, Gf. v. Oldenburg u. Delmenhorst 355 Arrighi, Lorenzo, aus Bologna, Verf. v. Gelegenheitsschriften 318 Asche, Hartwig, Stadtkommandant in Lu¨beck 294 Augsburg 16, 42, 256, 363 Haus der Weber 256 Rathaus 256 Zunftha¨user 256 Badoer, Angelo, venez. Diplomat 36, 337 Bardi, Girolamo, Kamalduenser aus Florenz, Verf. v. historisch-politischen Schriften in Venedig 316 Bellini, Gentile, Bildhauer, Goldschmied u. Maler 249 Bembo, Giovanni, Doge v. Venedig 100 Bentheim, Lu¨der v., Baumeister in Bremen 71 Bergamo 156 Bergen (Norwegen) 237 Berlin 55 Bindeman, Martin, Verf. v. Gelegenheitsschriften 342 Bodin, Jean, frz. Staatstheoretiker 60, 361 Bonnus, Hermann, Superintendent in Lu¨beck 212 Borghese, Scipione, Kardinal 316
Boris Godunov, Zar v. Russland 42 Borromeo, Carlo, Kardinal 156 Boschini, Marco, Kupferstecher 183 Brambach, Johannes, Syndikus in Lu¨beck 361 Brandt, Johann, Rhr. in Bremen 80 Braunschweig 42, 355 Braunschweig-Lu¨neburg, Dyn. 355, 357 Braunschweig-Wolfenbu¨ttel, Dyn. 44 Bremen passim Aschenburg 326 Großes Kosthaus 326 Kirchen Dom 70, 349 Liebfrauenkirche 70 St. Ansgari 208, 296 St. Martini 208, 243 St. Stephani 208 Marktplatz 123 Neustadt 326 Osterntor 296, 327 Rathaus 62, 68, 70, 71, 138, 229, 237, 335, 349 Schu¨tting 29, 71, 237, 243, 246, 335 St. Ansgari-Tor 296 Tresenkammer 70 Zuchthaus 335 Bremervo¨rde 44 Brescia 156 Bro¨mse, Fam. in Lu¨beck 106, 249, 252 Bro¨mse, Margarete, T. v. Nikolaus Bro¨mse 106, 107 Bro¨mse, Nikolaus, Bgm. v. Lu¨beck 106 Brokes, Heinrich, Bgm. v. Lu¨beck 75, 81–83, 122, 125–127, 139, 204, 206, 361 Brokes, Magdalena siehe Lu¨neburg, Magdalena Bu¨ren, Daniel v., Bgm. v. Bremen 115 Bugenhagen, Johannes, Reformator 205, 239, 282 Burano 271 Ca¨sar, Philipp, ref. Geistlicher u. Prof. am Gymnasium Illustre in Bremen 208 Calven, Wilhelm v., Bgm. v. Lu¨beck 247
Index der Orts- und Personennamen Cambrai, Liga v. 39 Canal, Martin da, venez. Chronist 312 Cappello, Lucrezia siehe Loredan, Lucrezia Cappeln, Heinrich v., Bgm. v. Bremen 93 Caravia, Alessandro, Goldschmied u. Polygraph in Venedig 282 Caroldo, Gian Giacomo, cittadino, Leiter d. Kanzlei d. Dogenpalastes 95, 116, 117 Carpaccio, Vittore, Maler 249 Cavalli, Marino de, venez. Diplomat 359, 360 Ceneda 192 Chioggia 26, 117, 223 Christian, Hz. v. Braunschweig-Lu¨neburg 172 Christian III., Kg. v. Da¨nemark 347 Christian IV., Kg. v. Da¨nemark 41–44, 46, 165, 292, 296, 307, 340, 342–345, 347, 349, 350, 362, 364 Christoph, Ebf. v. Bremen 44, 340 Cicogna, Pasquale, Doge v. Venedig 75, 99, 114 Ciera, Paulo, Sekreta¨r d. Consiglio di Dieci 75, 119 Collini, Giovanni Luigi, Verf. einer in Venedig publizierten Festbeschreibung 287, 290 Contarini, venez. Patrizierfam. 27 Contarini, Alvise, venez. Diplomat 38, 362 Contarini, Francesco, Doge v. Venedig 114 Contarini, Gasparo, Kardinal 36, 281, 317 Contarini, Nicolo`, Doge v. Venedig 27, 28, 40, 148, 186 Contarini, Pietro Francesco, Patr. v. Venedig 210, 211 Cornaro, venez. Patrizierfam. 28, 33, 197, 199 Cornaro, Federico, Kardinal, Patr. v. Venedig 28, 196–198, 200–203, 218 Cornaro, Giovanni, Doge v. Venedig 28, 33, 106, 197 Coryate, Thomas, engl. Reiseschriftsteller 97 Crequi, Charles de, frz. Gesandter in Venedig 328 Dandolo, Zilia siehe Priuli, Zilia Dedeken, Georg, Prediger a. d. St. Katharinen-Kirche in Hamburg 213 Dilich, Wilhelm, Kupferstecher u. Baumeister 70 Dobbin, Joachim, Prediger am Dom in Lu¨beck 205 Domann, Johann, Syndikus d. Hanse 362 Donato (Dona`), Leonardo, Doge v. Venedig 103, 104, 118, 134, 148, 158, 307, 316 Donato (Dona`), Nicolo`, Doge v. Venedig 102 Donno, Ferdinando, Dichter in Venedig 317 Drakenburg, Schlacht v. 169 Dresden 16 Edzart, Lubert, Rhr. in Bremen 113
441
Erizzo, Francesco, Doge v. Venedig 186, 198 Fabius Cunctator, Q., ro¨m. Konsul 115 Ferdinand II., Ks. 332 Ferdinand III., Ks. 45, 71 Ferrara 254 Flensburg 345 Florenz 15, 49, 223 Franco, Giacomo, Kupferstecher 66, 67, 98, 99, 132, 157, 275, 321–323 Frankfurt (Oder) 205 Friedrich I. Barbarossa, Ks. 46, 314 Friedrich II., Ebf. v. Bremen 349 Friedrich II., Kg. v. Da¨nemark 43, 340, 344 Friedrich III., Kg. v. Da¨nemark 44 Friedrich V., Pfgf. u. (als Friedrich I.) Kg. v. Bo¨hmen 171, 337 Friemersheim, Peter Christian v., Prediger a. d. St. Jacobi-Kirche in Lu¨beck 213 Gehrdes, Christoph, Rhr. in Lu¨beck 65 Gehrdes, Cordt, Bgm. v. Lu¨beck 82 Genua 18, 19, 26, 39 Georg, Ebf. v. Bremen 44 Giustiniani, Lorenzo, Patr. v. Venedig 178, 184, 185 Gloxin, David, Bgm. v. Lu¨beck 38 Glu¨ckstadt 46 Gnecchi, Sallustio, Zeremonienmeister d. Dogen Pasquale Cicogna 75, 157, 316 Gonzaga, Eleonore, 2. Gem. v. Ks. Ferdinand II. 332, 333 Gonzaga-Nevers, Luisa-Maria, Gem. d. Kge. Ladislaus IV. u. Johann II. Kasimir v. Polen 326, 327, 337 Gradisca, Krieg v. 38 Grimani, Fam. in Venedig 274 Grimani, Marin, Doge v. Venedig 103, 104, 133, 134, 217, 271, 318 Grimani, Morosina, geb. Morosini, Gem. v. Marin Grimani 129, 133, 135, 139, 216, 274 Guardi, Francesco, Maler 53 Habsburger, Dyn. 36–38, 40, 155, 158, 307, 314 Hamburg passim Bahnstraße 327 Bo¨rse 69 Brandstwiete 327 Burstah 327 Gericht 69 Harburg 327 ju¨dische Gemeinde 56 Kirchen Dom 350
442
Index der Orts- und Personennamen
St. Johannis 164 St. Nikolai 173 St. Petri 165 Millerntor 327 Rathaus 62, 68–70, 72, 85, 86, 88, 90, 138, 229, 345 Laube 88 Steintor 327 Trostbru¨cke 69 Hardkopf, Nicolaus, Prediger an der Hamburger Nicolaikirche 173 Havemann, Johann, Bgm. v. Bremen 80 Heinrich III., Kg. v. Frankreich 329, 334–337, 339 Heinrich IV., Kg. v. Frankreich 40, 286 Heinrich d. Lo¨we, Hz. v. Sachsen u. Bayern 80 Heinrich III. v. Sachsen-Lauenburg, Ebf. v. Bremen 44, 341, 343 Heintz, Joseph d. J., Maler 54, 181, 182, 199, 200 Helena, M. v. Konstantin d. Gr. 180 Hemßen (Hemessen, Hembsen), Hans v., Maler in Lu¨beck u. Reval 64 Hessel, Peter, Hamburger Chronist 80 Hirt, Michael C., Maler 107 Ho¨velen, Gotthard v., Bgm. v. Lu¨beck 73, 112 Holthusen, Joachim, Rhr. in Hamburg 113 Hunnius, Nikolaus, Superintendent in Lu¨beck 35, 162, 207, 212 Innsbruck 332 Itzehoe, Rezess v. 344 Jerusalem 142, 178, 180 Auferstehungs- und Martyriumskirche 180 Joachim II., Kf. v. Brandenburg 359 Johann Adolf v. Holstein-Gottorf, Admin. v. Bremen 44, 296, 350 Johann Friedrich v. Holstein-Gottorf, Admin. v. Bremen 44 Johann Georg II., Kf. v. Sachsen 346 Karl I. d. Gr., Ks. 71 Karl V., Ks. 44 Karl IX., Kg. v. Schweden (vorher Hz. v. So¨dermanland) 20, 305 Kerkring, Fam. in Lu¨beck 249, 252 Kirchring, Gottschalck, Bgm. v. Lu¨beck, Chronist 327 Krefting, Heinrich, Bgm. v. Bremen 60, 74, 80, 152 Ladislaus IV., Kg. v. Polen 326, 336
Laetus, Michaelius Erasmus, da¨nischer Humanist u. Theologe 17 Lambertengo, Giacomo, Jesuit 158, 159 Lauenburg 311 Lauremberg, Johann, Rostocker Dichter 258 Lebzelter, Friedrich, kursa¨chsischer Gesandter in Hamburg 358 Leipzig 346 Lepanto, Schlacht v. 41 Linz, Diplom v. 44, 45, 328 Loncius, Thobias, Jurist 297, 343 Longhena, Baldassare, Baumeister 177, 182 Lonigo, Gasparo, jur. Ratgeber d. Rep. Venedig 201, 304, 360, 362 Loredan, Lucrezia, geb. Cappello, Gem. v. Pietro Loredan 135, 136 Loredan, Pietro, Doge v. Venedig 110, 129 Lu¨beck passim Amtsha¨user 259 Ba¨cker 259 Kra¨mer 259 Maurer 259 Schiffer 259 Schmiede 259 Schneider 259 Katharineum 61 Kirchen St. Aegidien 206, 247 St. Jacobi 213 St. Marien 24, 70, 83, 85, 87, 92, 112, 138, 151, 212 Ratsgestu¨hl 83 St. Petri 204, 205 Kompanieha¨user Kaufleutekompanie 243, 249 Zirkelgesellschaft 249 Rathaus 24, 62, 64, 65, 68, 70, 73, 78, 85, 91, 92, 138, 229 Ho¨rkammer 85, 86 Weinkeller 85 Lu¨neburg, Fam. in Lu¨beck 249, 252 Lu¨neburg, Hieronymus, Bgm. v. Lu¨beck 249 Lu¨neburg, Magdalena, Gem. v. Heinrich Brokes 122 Luna, Francesco, Glasbla¨ser auf Murano 184, 283–285, 291 Luther, Martin, Reformator 350 Magdeburg 342 Magno, Celio, Sekreta¨r d. Consiglio di Dieci 114 Mailand 40 Malamocco 324 Marquard, Johannes, Bgm. v. Lu¨beck 80, 163, 361 Maximilian I., Ks. 41
Index der Orts- und Personennamen Medici, Katharina de’, Regentin v. Frankreich, Gem. v. Kg. Heinrich II. 334 Meier, Heinrich, Bgm. v. Bremen 337 Micanzio, Fulgenzio, Theologe u. jur. Ratgeber d. Rep. Venedig 185 Milledonne, Antonio, Sekreta¨r d. Consiglio di Dieci 114 Mocenigo, Alvise, Doge v. Venedig 179, 336, 337 Mo¨lln 47, 48 Molin, Francesco da, venez. Patrizier u. Tagebuchschreiber 283 Moller, Vincent, Bgm. v. Hamburg 337 Monteverdi, Claudio, Komponist 3, 184 Moritz I., Lgf. v. Hessen-Kassel 295, 334, 355 Morosini, Fam. in Venedig 274 Morosini, Andrea, venez. Patrizier u. Historiograph 158 Morosini, Morosina siehe Grimani, Morosina Mu¨ller, Gottschalck, Lu¨becker Chronist 327 Mu¨nchen 55, 256 Mu¨nster 359, 362 Murano 156, 184, 261, 281, 283, 285, 291, 324, 335 Kirchen San Donato 284 San Pietro Martire 184 San Stefano 285 Musaeus, Simon, Superintendent in Bremen 166 Neapel 40, 315 Negretti, Iacopo siehe Palma il Giovane Nicolai, Philipp, Hauptpastor a. d. St. Katharinen-Kirche in Hamburg 213 Nores, Iason de, Philosophieprofessor in Padua 69 Nowgorod 238 Nu¨rnberg 329 Offreddi, Offreddo, Nuntius in Venedig 217, 220, 221 Orseolo, Pietro II., Doge v. Venedig 313 Osnabru¨ck 359, 362 Ottobon, Giovanni Francesco, Großkanzler v. Venedig 111, 119, 121 Ottobon, Marco, Großkanzler v. Venedig 103, 104 Pace, Giovanni Battista, Zeremonienmeister an San Marco 186, 215 Padua 150, 332, 336 Pagan, Matteo, Kupferstecher 66 Palladio, Andrea, Baumeister 177 Palma il Giovane (eigtl. Iacopo Negretti), Maler 99
443
Paris 55, 306, 308 Paruta, Paolo, venez. Patrizier u. Verf. historisch-politischer Schriften 147, 148, 151, 253, 304 Paul V., Papst 154, 156, 171, 187 Paulsen, Ju¨rgen, Rhr. in Lu¨beck 250, 251, 253 Pesaro, Giovanni da, Procuratore di San Marco 102 Pezel, Christoph, Reformator in Bremen 35, 115, 153 Philipp I. d. Großmu¨tige, Lgf. v. Hessen 331 Philipp II., Kg. v. Spanien 40, 286 Pius IV., Papst 188 Poveglia 324 Prag 358 Prevesa, Schlacht v. 39 Priuli, Girolamo, Doge v. Venedig 192 Priuli, Lorenzo, Patr. v. Venedig 189, 190, 210, 218, 272 Priuli, Zilia, geb. Dandolo, Gem. v. Girolamo Priuli 129, 130, 134–136, 275, 276 Querini, Geronimo, Patr. v. Venedig 210 Ragusa 314 Rantzau, Heinrich, Humanist u. Jurist im Dienste d. da¨nischen Krone 345 Regnaut, Anthoine, Pariser Bu¨rger u. Jerusalempilger 320 Reiser, Heinrich, Advokat d. Lu¨becker Bu¨rgerschaft 30, 74, 237, 304 Renner, Johannes, Bremer Stadtsyndikus u. Chronist 54, 341 Ritzebu¨ttel 48 Rom 35, 36, 55, 61, 149, 150, 192, 218, 360 antikes Rom 61, 101 Lateran 59 Rota, Giovanni, Verf. v. Festbeschreibungen in Venedig 277 Rotenhusen 315 Rudolf I. v. Habsburg, Kg. 71 Rudolf II., Ks. 343 Sachsen-Lauenburg, Dyn. 44 Salomon, Heinrich, Rhr. in Bremen 78, 87, 347, 350 Sansovino, Francesco, Polygraph u. Verleger in Venedig 61, 96, 100, 101, 116, 118, 124, 146, 157, 159, 317 Sanudo, Marin, venez. Patrizier, Tagebuchschreiber u. Chronist 108 Sarpi, Paolo, Theologe u. jur. Ratgeber d. Rep. Venedig 316 Savina, venez. Chronist 129, 211 Savoyen, Dyn. 306 Scamozzi, Vincenzo, Baumeister 131–133
444
Index der Orts- und Personennamen
Schelhammer, Johann, Prediger a. d. St. PetriKirche in Hamburg 174 Schlutup 319, 321 Schwan, Sebastian, Prediger a. d. St. Marien-Kirche in Lu¨beck 174 Schwerin 353 Serlio, Sebastiano, Baumeister 157 Sforza, Bona, Hzn. v. Bari, Gem. v. Kg. Sigismund I. v. Polen 336 Sigismund III. Wasa, Kg. v. Polen u. Schweden 20 Sirich, Michael, Prediger a. d. St. Marien-Kirche in Lu¨beck 212 Sivos, Giancarlo, Arzt u. Chronist in Venedig 95 Sixtus IV., Papst 40 Sparta 101 Stampelius, Georg, Superintendent in Lu¨beck 205 Stella, Antonio, venez. Geistlicher u. Verf. v. Fest- u. Schlachtbeschreibungen 210 van Stiten, Fam. in Lu¨beck 249, 252 Stiten, Franz van, Bgm. v. Lu¨beck 75 Strozzi, Giulio, florentinischer Dichter 196–199, 201 Telez Giron, Pedro, Hz. v. Ossuna u. Vizekg. v. Neapel 315 Tiepolo, Giovanni, Patr. v. Venedig 201 Tintoretto, Domenico, Maler 273 Tintoretto, Giacobo, Maler 157, 283 Torcello 191, 324 Travemu¨nde 292 Trient, Konzil v. 21, 36, 37, 51, 146, 149, 188, 190, 215 Urban VIII., Papst 198, 306, 318, 360 Urbino 254 Valckenburgh, Johan van, ndl. Festungsbaumeister 43 Vegesack 23 Venedig passim Arsenal 116, 217, 260, 335 Canal Grande 77, 131, 199, 201, 224, 333, 334 Canale della Giudecca 181 Canareggio 77 Dogenpalast 24, 50, 59, 62, 63, 68, 70–72, 109, 116, 118, 120, 129, 130, 135, 138, 178, 187, 202, 217, 256, 277, 316, 329, 369 Kanzlei 25, 266 Sala del Collegio 357 Due Castelli 320 Giudecca 24, 177
ju¨dische Gemeinde 56 Kirchen Il Redentore 177–179, 181, 182, 184, 186, 187 Ogni Santi 188 San Giorgio e Stefano 190 San Giovanni (Giudecca) 181 San Girolamo 188 San Marco 63, 67, 69, 76, 77, 101, 102, 109, 111, 118, 120, 128, 133–135, 138, 146, 147, 149, 154, 157, 177, 179, 181, 182, 185–188, 190, 196, 201, 202, 209, 211, 215–217, 224, 266, 289, 318, 320, 321, 335, 369 San Nicolo` dei Mendicoli 265, 266 San Pietro di Castello (Kathedrale) 118, 178, 185, 186, 188, 191, 199, 200, 210, 217, 219 San Rocco 178 Santa Croce (Giudecca) 188 Santa Giustina 146, 217 Santa Maria della Salute 51, 177, 178, 181–187 Santa Maria Formosa 223, 224 Santi Giovanni e Paolo 217 Klo¨ster San Secondo 179 San Zaccaria 150, 190, 215 Sant’ Alvise 136 Lido 191 Markusplatz 24, 63, 68, 104, 131, 157, 181, 184, 185, 191, 258, 274, 275, 277, 321, 369 Ospedaletto dei Crociferi 99 Palazzo Foscari 335 Piazzetta 217, 224, 272, 324 Terraferma 24, 26, 47, 48, 100, 155, 156, 307, 332, 333 Venier, Sebastiano, Doge v. Venedig 133 Verona 133, 332, 333 Vervins, Vertrag v. 40, 283, 286, 287, 289 Vicentino, Andrea, Maler 274, 275 Vicenza 288 Viceo, Domenico, Großkanzler v. Venedig 114 Vinchant, Franc¸ois, frz. Geschichtsschreiber u. Reiseschriftsteller 157 Vo¨gler, Hieronymus, Bgm. v. Hamburg 112 Wachmann, Johann, Rhr. in Bremen 74 Wallenstein (eigtl. Waldstein), Albrecht Wenzel Eusebius v., Generalissimus 37 Warendorff, Fam. in Lu¨beck 252 Wickede, Fam. in Lu¨beck 252 Wien 316
Index der Orts- und Personennamen Wilhelm, Hz. v. Braunschweig-Lu¨neburg 355 Wilhelm, Gf. v. Fu¨rstenberg-Heiligenberg 356 Wilhelm VI., Lgf. v. Hessen-Kassel 337 Willehad, Bf. v. Bremen 71 Wolfenbu¨ttel 55 Wotton, Henry, engl. Gesandter in Venedig 117, 156, 358
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Wullenwever, Ju¨rgen, Bgm. v. Lu¨beck 30, 74, 240, 243, 261, 304 Zane, Matteo, Patr. v. Venedig 191 Zeno, Renier, venez. Patrizier 28, 33 Zenoni, Domenico, Kupferstecher 334 Zobel, Johann. Bgm. v. Bremen 80
Städteforschung
Band 79: Michael Hecht
Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster
Patriziatsbildung als kommunikativer Prozess
Herausgegeben von W. Freitag in Verbindung mit U. Braasch-Schwersmann, W. Ehbrecht, H. Heineberg, P. Johanek, M. Kintzinger, A. Lampen, R.-E. Mohrmann, E. Mühle, F. Opll und H. Schilling Reihe A: Darstellungen
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