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German Pages 500 [508] Year 2008
Maria B. Lange Sprachnormen im Spannungsfeld schriftsprachlicher Theorie und Praxis
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Studia Linguistica Germanica
Herausgegeben von Christa Dürscheid Andreas Gardt Oskar Reichmann Stefan Sonderegger
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Walter de Gruyter · Berlin · New York
Maria B. Lange
Sprachnormen im Spannungsfeld schriftsprachlicher Theorie und Praxis Die Protokolle der Commerzdeputation Hamburg im 17. Jahrhundert
Walter de Gruyter · Berlin · New York
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-11-020027-0 ISSN 1861-5651 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2008 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: Tobias J. Osborne, Englefield Green Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin
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Wat heft de LØve dÔch ver een Bestand Wor nich een Hart Øß een Mund eene Hand? Anke van Tharaw, nicht Simon Dach (-)
Danksagung In der Reihe der Personen, denen ich für Inspiration dankbar bin, stehen zuerst meine Schullehrer, Renate Kolb und Dr. Lothar Reich. Außerdem Albrecht Leonhardt. Meine Freundinnen Prof. Eva Remberger und Dr. Anke Seydel gaben mir den Anstoß zur Promotion und Angelika Glomsda, Dr. Andreas Fuhrhop, Profes. Christoph Gutknecht, Katharina Niemeyer und Günter Radden einen hilfreichen Schubs auf den Weg. Dres. Winifred Davies, Nils Langer und Melanie Wagner vom badlanguage project verdanke ich einen guten Einstieg ins Doktorandinnenleben. Mein Doktorvater Nils Langer öffnete mir Türen, noch bevor ich sie wahrgenommen hatte. Die Mitglieder des Department of German in Bristol unterstützten meine Arbeit durch ihr Interesse und ihre Hilfsbereitschaft. PRATL sei Dank für Austausch und Ermunterung. Ohne finanzielle Hilfe des Arts and Humanities Research Board (jetzt AHRC), der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel und der Universität Bristol wäre die vorliegende Arbeit nicht zustande gekommen. Darüber hinaus ist den MitarbeiterInnen dieser Institutionen zu verdanken, dass meine Forschung in positiver Atmosphäre stattfinden konnte. Auch dem Team der Commerzbibliothek Hamburg bin ich für eine allzeit herzliche Aufnahme und kompetente Unterstützung sehr verbunden. Mit Emails, Briefen und hilfreichen Gesprächen unterstützten mich viele Kollegen, nennen möchte ich zumindest Prof. Vilmos Ágel (einem Meister der liebenswürdigen Kritik), Berthold zu Dohna, Prof. Markus Hundt, Prof. Martin Durrell, Dr. Sheila Watts, Prof. Peter von Polenz, und Prof. Rainer Postel. Allen voran spendeten die Reichleute Motivation und Orientierungshilfe. Danken möchte ich ebenfalls den Mitgliedern des Internationalen Arbeitskreises für Historische Stadtsprachenforschung für ihr kritisches und konstruktives Interesse und ihren Enthusiasmus. Prof. Jürgen Macha, Prof. Arend Mihm, Dr. Robert Peters, Dr. Elvira Topalović, Dr. Wim Vandenbusche, und Dr. Anja Voeste sind die wenigsten, die hier zu erwähnen sind. Und Prof. Hildegard Boková †, die mir als leuchtendes Vorbild in Erinnerung bleiben wird. Außerdem gebührt denen Dank, die mich über eine so lange Zeit und Distanz ermutigten und bei der Stange hielten: Meiner Familie und meinen Freunden.
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Danksagung
Felix cui utrumque unum est. Besonders verbunden bin ich Dipl.-Kfm. Birgit Lange für ihre unermüdliche Unterstützung, Studienrektor i.R. Jochen Rüffler für die Korrektur meines Manuskripts und Dr. Tobias J. Osborne für die Satzherstellung. Außerdem meinem Vater, Pastor em. Hans-Karl Lange. Meine Mutter, Dr. Erna Lange-Freytag †, hätte sich mit uns gefreut. Maria B. Lange Englefield Green, 2008
Inhalt Verzeichnis der Abbildungen ............................................................XV Hinweise zur Gestaltung der historischen Texte und Zitate ............. XVI
Abkürzungen .................................................................................... XVII Einleitung ............................................................................................... 1 1. Gutes Deutsch – Schlechtes Deutsch .............................................. 6 1.1. Zur Entwicklung des schriftsprachlichen Standards des Deutschen und der Bedeutung der Grammatiker................................................... 6 1.2. Die sogenannten Grammatiker des 17. Jahrhunderts................... 10 1.2.1. Zum Paradebeispiel Justus Georg Schottelius (1612 – 1676) 16 1.2.1.1. Die Teutsche Sprach Kunst (1641) und Der Teutschen Sprache Einleitung (1643).......................................................... 18 1.2.1.1.1. Anliegen und Argumentationsweise von Sprach Kunst und Sprach Einleitung ..................................................... 19 1.2.1.1.2. Fremdwortkritik – Xenophobie oder Stilkonvention? 22 1.2.1.1.3. Negativbewertungen konkreter orthographischer oder grammatikalischer Elemente .............................................. 25 1.2.1.1.4. Syntax........................................................................ 26 1.2.1.1.5. Orthographie ............................................................. 27 1.2.1.1.6. Morphologie .............................................................. 28 1.2.2. Verschiedene sprachtheoretische Werke, Poetiken, Lehrund Formelbücher ......................................................................... 31 1.2.2.1. Werke zu Sprachtheorie und Poesie............................... 31 1.2.2.2. Lehrbücher ................................................................... 33 1.2.2.3. Formularien .................................................................. 34 1.3. Standardisierung von Sprache...................................................... 35 1.3.1. Definition von Standardsprache ........................................... 35 1.3.2. Ablauf von Standardisierung: Varietätenselektion und Kodifizierung ................................................................................. 37 1.3.3. Standardnorm ...................................................................... 39 1.4. Bewertung von Sprache – ‚der‘ Duden als Referenz...................... 41 2. Die Commerzdeputation Hamburg und ihre Schreiber ............. 46 2.1. Geschichtlicher Hintergrund....................................................... 46 2.1.1. Aufschwung Hamburgs und Ablösung von der Hanse ......... 47
X
Inhalt
2.1.2. Zunehmende Selbstverwaltung und Selbstbewusstsein der Kaufleute: Gemeiner Kaufmann ...................................................... 50 2.1.3. Die Börse ............................................................................. 52 2.1.4. Ausweitung des Welthandels im 17. Jahrhundert – Ausweitung der Gefahren: Admiralität und Convoye....................... 54 2.1.5. Gründung der Commerzdeputation..................................... 57 2.1.6. Auseinandersetzungen mit dem Rat ..................................... 60 2.2. Entstehung und sozialer Kontext der Commerzprotokolle ............. 63 2.2.1. Die Schreiber der Commerzdeputation Hamburg und ihre Auftraggeber .................................................................................. 63 2.2.2. Zur Identität der Schreiber der Commerzdeputation ........... 64 2.2.3. Zur Entstehung der Commerzprotokolle................................ 71 2.2.4. Zu Ausbildungstraditionen in Hamburg im 17. Jh............... 76 2.2.5. Zum sozio-kulturellen Hintergrund der Kaufleute in der Hansestadt Hamburg .................................................................... 83 3. Textproduktion – Textsorte – Texttradition .................................. 89 3.1. Berufsschreiber im 17. Jahrhundert: Sozialer Status, Ausbildung und Tätigkeit...................................................................................... 89 3.1.1. Die Ausbildung von Schreibern ........................................... 89 3.1.2. Städtische Kanzleien............................................................. 92 3.1.3. Briefsteller des 17. Jahrhunderts ........................................... 95 3.1.3.1. Georg Philipp Harsdörffers Teutscher Secretarius (Teil 1: 1655, Teil 2: 1659) ...................................................... 100 3.1.3.1.1. Die Leserschaft des Secretarius und deren Bildungsstand .......................................................................... 103 3.1.3.1.2. Hinweise auf Berufsbild und Status von Sekretären im Secretarius ........................................................................... 107 3.1.3.1.3. Vorschläge für gute Sprache und guten Stil im Secretarius .............................................................................. 111 3.1.3.2. Kaspar Stielers Teutsche Secretariat-Kunst (Band 1: 1673, Band 2: 1674) ................................................. 125 3.1.3.2.1. Die Leserschaft der Secretariat-Kunst und deren Bildungsstand .......................................................................... 133 3.1.3.2.2. Hinweise auf Berufsbild und Status von Sekretären in der Secretariat-Kunst............................................................. 137 3.1.3.2.3. Vorschläge für gute Sprache und guten Stil in der Secretariat-Kunst ...................................................................... 140 3.2. Protokoll – Fragen zur Textsorte................................................ 154 3.2.1. Zum Texttyp Protokoll....................................................... 154 3.2.2. Zum Inhalt von Protokollen .............................................. 159 3.2.3. Zur Form von Protokollen ................................................. 160 3.2.4. Anwendung und Funktion von Protokollen ....................... 162
Inhalt
XI
3.2.5. Sprachliche und formale Kennzeichen von Protokollen...... 165 3.2.6. Protokollschreiber und Protokollschreiben ......................... 169 3.3. Kanzleisprache .......................................................................... 170 3.3.1. Einführung und Begriffsklärung......................................... 170 3.3.2. Das sprachgeschichtliche Interesse an den Kanzleisprachen 175 3.3.3. Die Rolle der Kanzleien im Sprachausgleich ...................... 177 3.3.4. Die sprachliche Situation in Hamburg zur Zeit der Ablösung des Niederdeutschen durch das Hochdeutsche.............. 181 3.3.5. Vorbildnennung und Vorbildfunktion................................ 185 3.3.6. Typische Merkmale der Kanzleisprache .............................. 187 3.3.6.1. Welche typischen Merkmale der Kanzleisprache werden in der Literatur erwähnt? ............................................ 187 3.3.6.2. Welche typischen Merkmale der Kanzleisprache finden sich in den Commerzprotokollen? ................................... 191 3.3.6.2.1. Wörter mit rechts-, verwaltungs- oder handelssprachlicher Konnotation ............................................. 192 3.3.6.2.2. Formeln ................................................................... 195 3.3.6.2.3. Afinite Nebensätze .................................................. 199 3.3.6.2.4. Hypotaxe ................................................................. 203 3.3.6.2.5. Komposita .............................................................. 210 3.3.6.2.6. Attributerweiterung ................................................ 210 3.3.7. Einordnung der Commerzprotokolle in eine konfessionelle Schreibtradition ........................................................................... 211
4. Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente eines geschäftssprachlichen Textkorpus ..................................................... 214 4.1. Der Untersuchungsgegenstand .................................................. 214 4.2. Zur Vorgehensweise bei Stichprobennahme und Transkription.. 214 4.2.1. Stichprobennahme ............................................................. 215 4.2.2. Paläographische Identifizierung der Schreiber .................... 215 4.2.3. Transkription ..................................................................... 219 4.2.3.1. Besondere Schwierigkeiten bei der Transkription ........ 220 4.2.4. Aspekte der Auswertung..................................................... 222 4.2.5. Abkürzungen in den Protokollen........................................ 223 4.3. Zur Orthographie im 17. Jahrhundert ...................................... 223 4.3.1. Unterscheidung der Vokale u-/v- und i-/j- am Wortanfang 226 4.3.2. Schreibung von Diphthongen: au/aw und eu/ew................ 226 4.3.3. i-/j-: Unterscheidung Vokal/Konsonant in den Commerzprotokollen...................................................................... 229 4.3.4. u-/v-: Unterscheidung Vokal/Konsonant in den Commerzprotokollen...................................................................... 230 4.3.5. au/aw: Schreibung des Diphthongs in den Commerzprotokollen...................................................................... 230
XII
Inhalt
4.3.6. eu/ew: Schreibung des Diphthongs in den Commerzprotokollen...................................................................... 231 4.4. Die Substantivzusammensetzung .............................................. 233 4.4.1. Zusammengesetzte Substantive in den Commerzprotokollen 234 4.4.2. Fugenmorpheme................................................................ 236 4.4.2.1. Fugenmorpheme in den Commerzprotokollen .............. 236 4.4.3. Schriftliche Form der Substantivzusammensetzungen ........ 238 4.4.3.1. Schriftliche Form der Komposita in den Commerzprotokollen ................................................................. 239 4.4.4. Zur Substantivgroßschreibung ........................................... 240 4.4.4.1. Zur Großschreibung der Komposita in den Commerzprotokollen ................................................................. 241 4.5. Präfixbildungen ........................................................................ 243 4.5.1. empf- statt ent- ................................................................... 244 4.5.1.1. empf- statt ent- in den Commerzprotokollen............... 245 4.5.2. ohn- statt un- ..................................................................... 245 4.5.2.1. ohn- statt un- in den Commerzprotokollen ................. 246 4.5.3. vor- statt für- ..................................................................... 246 4.5.3.1. vor- statt für- in den Commerzprotokollen ................. 248 4.5.3.2. Die Präpositionen vor und für in den Commerzprotokollen ................................................................. 250 4.6. Suffixbildungen ......................................................................... 255 4.6.1. Die Suffixe -lich und -ig...................................................... 256 4.6.1.1. -lich ............................................................................ 256 4.6.1.2. -ig ............................................................................... 258 4.6.1.3. Unterscheidung -lich/-ig ............................................. 259 4.6.1.4. Unterscheidung -lich/-ig in den Commerzprotokollen ... 261 4.6.1.5. -lich in den Commerzprotokollen ............................... 262 4.6.1.6. -ig in den Commerzprotokollen .................................... 264 4.6.2. Die Suffixe -nus bzw. -nüs und -nis ..................................... 265 4.6.2.1. -nus/-nüs oder -nis ....................................................... 265 4.6.2.2. -nis in den Commerzprotokollen................................... 266 4.7. Negation und Negationshäufung............................................... 268 4.7.1. Negation in den Commerzprotokollen ................................ 274 4.8. Partizipialkonstruktionen vs. Relativsatz.................................... 287 4.8.1. Erweiterte Partizipialattribute als Alternative zur Partizipialapposition und zum Relativsatz .................................... 287 4.8.2. Erweiterte Partizipialattribute in den Commerzprotokollen .. 293 4.9. Kausale Konjunktionen............................................................. 298 4.9.1. Die kausalen Konjunktionen weil, da und denn ................. 298 4.9.2. Die kausalen Konjunktionen weil, da und denn in den Commerzprotokollen...................................................................... 304
Inhalt
XIII
5. Zusammenfassung und Ausblick ................................................. 321 Anhang ............................................................................................... 337 Transkriptionen der Protokolltexte (Textproben aus dem Zeitraum 1665-1677)...................................................................................... 337 Tabellen zu Kapitel 4........................................................................ 421 Bibliographie.................................................................................... 467 1. Primärliteratur ......................................................................... 467 1.1. Unedierte Quellen ............................................................ 467 1.2. Edierte Quellen................................................................. 467 2. Sekundärliteratur ..................................................................... 473 3. Internet.................................................................................... 483 Register ............................................................................................... 485
Verzeichnis der Abbildungen Teil 2 Abbildung 2.1
Die Börse etc................................................... 53
Teil 3 Abbildung 3.1 Abbildung 3.2 Abbildung 3.3 Abbildung 3.4 Tabelle 3.1
Darstellung der idealen Frau nach verschiedenen Modellen als Bild für die Suche nach der idealen Sprache..................... 114 PC 770 (Ausschnitt): „Ißt nichts passiret.“..... 159 Reziproke Legitimierungsfunktion von institutionellen Protokollen........................... 164 Definition der Kanzleisprache nach Texterzeuger und -sorte. ................................ 174 Beispiele für Hypotaxe in den Commerzprotokollen. ..................................... 208
Teil 4 Tabelle 4.1 Tabelle 4.2 Tabelle 4.3 Graphik 4.1 Graphik 4.2 Tabelle 4.4 Graphik 4.3 Graphik 4.4 Graphik 4.5 Graphik 4.6 Tabelle 4.5 Graphik 4.7
Die Schreiber und ihre Produktion. .............. 217 Übersicht über die untersuchten Textseiten...................................................... 218 Übersicht über die Protokolle der Jahre 1665-1676. ................................................... 218 Abweichungen vom heutigen orthographischen Standard ........................... 231 Anteil der Komposita an der Gesamtwortzahl ........................................... 235 Fugenmorpheme in Substantivkomposita. .... 237 Relativer Anteil der Komposita mit Fugenmorphemen......................................... 238 Getrenntschreibung, Binnengroßschreibung und Schreibung mit Bindestrich bei Komposita .................................................... 240 An den Komposita beobachtete Abweichung von der Substantivgroßschreibung................. 242 Präfixbildung mit vor- ................................... 250 Präposition für statt vor. ................................ 251 Präposition vor .............................................. 253
XVI
Verzeichnis der Abbildungen
Graphik 4.8 Tabelle 4.6 Graphik 4.9 Graphik 4.10 Tabelle 4.9.2.a
Präposition für .............................................. 253 Negationshäufung bei positiver Aussage. ....... 281 Konkurrenz von Partizipialattribut, Relativsatz und Partizipialapposition ............. 294 Verhältnis von durchschnittlicher Länge und Position.................................................. 296 Weil-Sätze und andere Kausalsätze................. 306
Der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel danke ich für die freundliche Genehmigung zur Nutzung von Abbildung 3.1 aus Stielers Secretariat-Kunst (HAB 35.2 Rhet.).
Hinweise zur Gestaltung der historischen Texte und Zitate / sei[en]
æ, ü, Ú, Ù, ß
die Virgel wird in Zitaten aus Drucken beibehalten, in Zitaten aus den Handschriften dient sie zur Kennzeichnung des Zeilenumbruches unklare Lesung in den Transkriptionen der Commerzprotokolle erscheinen in eckigen Klammern Umlautzeichen werden wie im Text angegeben
Abkürzungen a.a.O. abgel. Adj. Adv. ahd. Akk. Anm. augm. BBKL BBRS Bd. BL BRS CB CD ders. Dat. dt. DWB ebd. Fnhd., fnhd. frz. gr. Gradp. HAB Hd. hd. HKHH Hrsg. i.S.v. idg. Ind. Pron. insg.
am angegebenen Ort abgeleitet Adjektiv Adverb althochdeutsch Akkusativ Anmerkung augmentativ Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon W. Besch, A. Betten, O. Reichmann, S. Sonderegger (Hrsg.): Sprachgeschichte Bd. 1-2 (1998/2000, s. Bibliographie) Band British Library London W. Besch, O. Reichmann, S. Sonderegger (Hrsg.): Sprachgeschichte Bd. 1-2 (1984/1984, s. Bibliographie) Commerzbibliothek Hamburg Commerzdeputation derselbe Dativ deutsch Deutsches Wörterbuch (Jacob und Wilhelm Grimm) ebenda Frühneuhochdeutsch, frühneuhochdeutsch französisch griechisch Gradpartikel Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Hochdeutsch hochdeutsch Handelskammer Hamburg Herausgeber im Sinne von indogermanisch Indefinitpronomen insgesamt
XVIII
ital. Jh., Jhs. jmd. Konj. lat. md. mhd. mlat. Mod. Part. mündl. Ndd., ndd. Nhd., nhd. nlat. nordd. obd. Obj. omd. PC PtAttr. PtApp. Pron. roman. Rtlr. s. s.a. s.o. sog. Sp. span. spez. Subj. u.a. u.A. vgl. vs. z.(gr.)T. * †
Abkürzungen
italienisch Jahrhundert, Jahrhunderts jemanden Konjunktion lateinisch mitteldeutsch mittelhochdeutsch mittellateinisch Modalpartikel mündlich Niederdeutsch, niederdeutsch Neuhochdeutsch, neuhochdeutsch neulateinisch norddeutsch oberdeutsch Objekt ostmitteldeutsch Protocollum Commercii (z.B. PC 12/3f. = Protocollum Commercii Seite 12, Zeilen 3 und folgende) Partizipialattribut Partizipialapposition Pronomen romanisch Reichstaler siehe siehe auch siehe oben sogenannte Spalte spanisch spezifisch Subjekt und andere unter Anderem vergleiche versus zum (großen) Teil ungrammatisch veraltet bzw. heute nicht mehr verwendet
Einleitung Dass die Art, wie wir sprechen und schreiben, Werturteilen ausgesetzt ist, ist eine triviale Erkenntnis. Vorausgesetzt wird bei diesen Werturteilen die selten hinterfragte Grundannahme, dass einerseits die Möglichkeit einer auf bestimmte Formen beschränkten richtigen und schönen Ausdrucksweise besteht, und dass diese andererseits klar definiert ist. Entsprechend dieser Annahme können den guten Formen solche gegenübergestellt werden, die im Gegensatz dazu falsch und unschön sind.1 Während die Sprachwissenschaft sich bemüht, Wertungen dieser Art zu vermeiden und zu einer sachlichen Beschreibung von Sprache zu gelangen, ist es offenbar ein Bedürfnis der Sprecher, in gute und schlechte Sprache zu unterscheiden.2 Die abgelehnten Varianten mit negativen Urteilen zu belegen, ist in der Gegenwart nicht nur gesellschaftlich akzeptiert sondern verkauft sich auch gut.3 Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen eines Projektes der Universitäten Bristol und Wales-Aberystwyth, das sich mit der bislang unbeantworteten Frage beschäftigte, woher solche Werturteile kommen, die bei den Sprechern fest verankert sind, ohne dass ihre Herkunft und ihre Überlieferungsart hinterfragt wird. Die diachronische Untersuchung dieser Frage für das 17. Jh. war dabei Grundlage der vorliegenden Untersuchung. Sie ist nicht nur wegen der Quellenlage auf die Schriftsprache beschränkt, sondern auch weil sprachliche Standards vor allem in der Schriftsprache gefunden werden. Die Ausgangsfrage dieser Arbeit ist, ob als Quellen der negativen Äußerungen zu bestimmten sprachlichen Varianten die Grammatiker des 17. 1 2
3
Vgl. Sandig (1973, 52f.) zum historischen Verhältnis von Sprachrichtigkeit und -gebrauch. Dies belegt z.B. das literarische Echo der sprachlichen Realität im Fantasy-Roman von Walter Moers (2002, 479): „Gesprochen wurde in Atlantis [...] Zamonisch. Jedes Volksgrüppchen hatte in die Sprache seinen eigenen Dialekt eingeschmuggelt [...]. Am einfachsten waren die gebildeten Druiden zu verstehen, die akademisch exaktes Hochzamonisch sprachen, am schwersten die Gehörnten Imbezibeln, die sich durch einen gekrächzten Singsang verständigten – alles was sie sagten, klang wie ein Opernsänger, dem eine Motte in den Hals geflogen war.“ In dieser Parodie zeigt sich die Aufwertung einer mit akademischer Bildung und Exaktheit verbundenen Hochsprache und deren Gegenüberstellung mit einer minderwertigen Sprachform. Ein rezentes Beispiel ist Bastian Sicks inzwischen als Buchbestseller verkaufte Kolumne Zwiebelfisch, eine „sprachpflegerische Kolumne, die schaurige, traurige, unsägliche, unerträgliche, abgehobene und verschrobene Erscheinungen der deutschen Sprachkultur unter die Lupe und aufs Korn nimmt“ (2004, 14).
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Einleitung
Jhs. in Frage kommen, die in sprachgeschichtlichen Darstellungen oft für die Standardisierung der deutschen Schriftsprache verantwortlich gemacht werden und die als Verantwortliche der Auffassung gelten, es gäbe „eine richtige, gehobene deutsche Sprache mit kulturellem Prestige“ (Polenz 1994, 135). In der Zeit der Ausdifferenzierung eines Standards aus verschiedenen Varianten müssen eine Vielzahl paralleler Konstruktionen gleichwertig nebeneinander existiert haben, die durch einen Prozess der Vertikalisierung mit unterschiedlichen Werturteilen belegt wurden (Reichmann 1990). Deswegen soll zusätzlich zur Untersuchung zeitgenössischer Grammatiken ein Korpus von Alltagsprosa daraufhin untersucht werden, inwieweit heutzutage als schlechtes Deutsch bezeichnete Konstruktionen dort noch als Varianten vorkommen, oder inwieweit bereits eine beginnende Reaktion auf die vermutete Stigmatisierung festgestellt werden kann. Untersuchungsobjekt sind Stichproben aus den ersten dreizehn Jahren der seit 1665 handschriftlich überlieferten Sitzungsprotokolle der Commerzdeputation Hamburg, einem Selbstverwaltungsorgan hamburgischer Kaufleute (dazu s. Kapitel 2.1.). Die Untersuchung beschränkt sich auf Elemente der Morphologie und der Syntax, die Bereiche Orthographie und Lexikographie sind an anderen Texten bereits eingehend untersucht worden.4 Im Teil 1 dieser Arbeit wird die Vermutung überprüft, die Entstehung der Negativwerturteile könne in die Phase der sprachlichen Standardisierung des Schriftdeutsch fallen. Ausleseprozesse aus verschiedenen Schriftdialekten hatten seit dem späten Mittelalter dazu geführt, dass eine im weitesten Sinne einheitliche deutsche Schriftsprache entstehen konnte, die aber noch im 16. und 17. Jh. eine hohe Variationsbreite aufwies. Die eigentliche Standardisierung wird von Sprachgeschichtsbüchern dann für das 17. Jh. angesetzt und als Folge der Bemühungen eines engen Kreises schriftinteressierter Persönlichkeiten dargestellt, die als die Grammatiker des 17. Jhs. bezeichnet werden. Deren Anstrengungen hatten in ihrer Zeit das Ziel, im Rahmen der allseits aufstrebenden europäischen Volkssprachen auch dem Deutschen eine gewichtige, wenn nicht gar vorrangige Stellung zu verschaffen; neben ihren literarischen Werken versuchten sie sich auch in sprach- bzw. schrifttheoretischen Werken, die der bis dahin uneinheitlichen deutschen Grammatik einen festen Rahmen geben sollten. Die wichtigste Persönlichkeit dieses Kreises war Justus Georg Schottelius (1612-1676), dessen Werk Ausführliche Arbeit von der Teutschen HaubtSprache (1663) als bedeutendste Arbeit dieser Epoche angesehen wird. In der 4
Während einerseits die Analyse des Lexikons im 17. Jh. von der politisch motivierten puristischen Fremdwortdiskussion überlagert wird, dreht sich andererseits die bereits früher beginnende Diskussion der Orthographie um die Darstellung der Sprache in der Schrift. Strukturelle Veränderungen sind in beiden Bereichen nicht ablesbar.
Einleitung
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Ausführlichen Arbeit fasste Schottelius Gedanken zusammen, die er seit den beiden vorangehenden Jahrzehnten bereits im Rahmen der in dieser Zeit tätigen Sprachgesellschaften (allen voran die Fruchtbringende Gesellschaft) z.T. kontrovers diskutiert hatte. Die Ausführliche Arbeit ist das erste umfassende systematische Werk zur deutschen Grammatik in deutscher Sprache. Ob in den in der Ausführlichen Arbeit zusammengefassten sprachtheoretischen frühen Studien Schottelius‘ sowie den zeitgleich entstandenen Werken anderer Grammatiker der Ursprung von Werturteilen über sprachliche Elemente gefunden werden kann, soll hier untersucht werden. Die Werturteile wären damit Nebenprodukte der sprachlichen Standardisierungsbemühungen des 17. Jhs. Ausgewählt wurden Beispiele zeitgenössischer Grammatikschreibung, deren Entstehung und Rezeption zeitlich vor die Entstehung des hier im Weiteren untersuchten Textkorpus fallen,5 so dass ein Einfluss auf die Schreiber des Textkorpus denkbar ist. Teil 2. der vorliegenden Untersuchung zeichnet den Hintergrund des untersuchten Textkorpus von Sitzungsprotokollen eines kaufmännischen Selbstverwaltungsorgans, der Commerzdeputation Hamburg (gegründet 1665) auf. Diese für sprachwissenschaftliche Arbeiten bislang ungenutzten Quellen wurden für die Untersuchung stichprobenweise transkribiert (s. Anhang) und auf in späterer Zeit negativ bewertete Elemente hin untersucht (s. Teil 4.). Der geschichtliche Teil ist nicht nur zum inhaltlichen Verständnis der Texte notwendig, sondern er ist auch Voraussetzung für eine Einschätzung der von den Kaufleuten als Auftraggeber der Protokolle gewählten Form und Sprache. Die ausführliche Darstellung erfolgt aufgrund der Annahme, dass nicht nur Struktur- sondern auch Statusentwicklungen für die Entwicklung einer Standardsprache ausschlaggebend sind. Als pragmatische Textform sind die Protokolle darüber hinaus in ihrer Autonomie stark eingeschränkt und noch stärker als poetische Texte von ihren Bezugsdimensionen abhängig (s. 3.2.4.). Zunächst wird der wirtschaftliche und politische Kontext dargestellt, in dem die Commerzdeputation und damit auch deren Sitzungsprotokolle entstanden. Danach wird versucht, über eine Schilderung des Entstehungsprozesses der Protokolle und der Ausbildungstradition in Hamburg zur Zeit von deren Entstehung sowie eine Darstellung des sozio-kulturellen Umfeldes der hamburgischen Kaufmannschaft ein Bild der anonymen Schreiber der Protokolle zu entwerfen. Dieses soll Aufschluss über deren Herkunft, Bildungsstand und sozialen Status ergeben. Ein wichtiges Anliegen hierbei ist, mögliche Ansatzpunkte für Verbindungen zwischen den Protokollan5
Ausnahme bildet die Secretariat-Kunst von Stieler (1673 und 1674). Da die Secretariat-Kunst oft als späte Zusammenfassung vorausgehender Briefsteller bezeichnet wird, erschien ihre Betrachtung gerechtfertigt. In manchen Fällen musste auf Ausgaben zurückgegriffen werden, die nach Niederschrift der Protokolltexte gedruckt wurden. Die Erstausgaben dieser Werke wurden jedoch davor herausgegeben.
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Einleitung
ten der Commerzdeputation und den Kreisen der Grammatiker und ihren sprachtheoretischen Schriften aufzuspüren. In Teil 3 der vorliegenden Untersuchung wird die letztgenannte Fragestellung auf die allgemeine Beschreibung von Berufsschreibern des 17. Jhs. ausgeweitet. Das Arbeitsfeld städtischer Kanzleien soll ebenso untersucht werden wie sozialer Status, Ausbildung und Tätigkeit der dort angestellten Schreiber. Besonders von Interesse sind hierbei die Briefsteller des 17. Jhs. Diese liefern einerseits Hinweise auf die Arbeitsbedingungen von Berufsschreibern, darüber hinaus kann über sie auch eine Verbindung zu den Autoren der in Teil 1 untersuchten sprachtheoretischen Werke hergestellt werden, da diese Autoren ebenfalls zum Kreise der Grammatiker gehörten. Exemplarisch untersucht werden zwei der einflussreichsten Briefsteller des Jahrhunderts, der Teutsche Secretarius von Georg Philipp Harsdörffer (Teil 1: 1655, Teil 2: 1659) und die Secretariat-Kunst von Kaspar Stieler (Band 1: 1673, Band 2: 1674). Außer einer Vertiefung der Kenntnisse über die Schreiber der Commerzdeputation und einem verbesserten Verständnis der Erstellungssituation der Commerzprotokolle steht hierbei die Frage im Vordergrund, ob die Briefsteller als Instrumente zur Verbreitung sprachtheoretischer Ideen und damit auch negativer Werturteile gedient haben. Es folgt ein Exkurs zum vorliegenden Texttyp des Protokolls, der ein tieferes Verständnis von Inhalt, Form und besonders Funktion der untersuchten Sitzungsprotokolle der Commerzdeputation als institutioneller Textsorte eröffnet. Anschließend wird eine mögliche Einordnung des Textkorpus in die Tradition kanzleisprachlicher Texte diskutiert, die nach Auffassung verschiedener Untersuchungen schon mit dem 16. Jh. zu einem Ende gekommen war und im 17. Jh. nur als ein immer bedeutungsloseres, zwar noch genanntes, aber nicht mehr angewendetes Vorbild weiterexistierte. Dazu wird zunächst eine Begriffsklärung und Schilderung der kanzleisprachlichen Tradition vorangestellt, die nicht nur eine Rechtfertigung der näheren Untersuchung bislang vernachlässigter handschriftlicher Texte enthält, sondern zugleich eine Schilderung des Übergangs von niederdeutscher zu hochdeutscher urbaner Leitvarietät in der Schriftsprache und damit weitere Informationen zum sprachlichen Hintergrund der Commerzprotokolle liefert. Im 4. Teil werden bestimmte syntaktische und morphologische Elemente in der Sprache der Commerzprotokolle analysiert. Diese Elemente wurden in Abstimmung mit anderen Teilnehmern des eingangs erwähnten Projektes aufgrund der Tatsache ausgewählt, dass sie sowohl im 17. Jh. als auch heute abgewertet waren bzw. sind. Nach einer Bestandsaufnahme der jeweils realisierten Formen in den Commerzprotokollen wird mit Hilfe der relevanten Forschungsliteratur eine Verortung der gefundenen Formen in der Entwicklung des zeitgenössischen Usus bzw. der sich anbahnenden
Einleitung
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Norm vorgenommen. Ein Vergleich der entsprechenden Äußerungen der Grammatiker mit der Entwicklung der einzelnen Formen soll Aufschluss darüber erbringen, inwieweit von einer Beeinflussung der Entwicklung der Standardsprache (im Sinne eines gezielten Ausschlusses einzelner Formen durch die negative Bewertung der Grammatikschreibung) ausgegangen werden kann. Aus heutiger Sicht wird dabei zum Vergleich in Abwesenheit eines staatlich sanktionierten Kodex die Duden Grammatik als kodifizierte Norm angesetzt. Zurückgegriffen wird dabei hauptsächlich auf die Ausgabe von 1998, da diese – wenn möglich – quantifizierte Regeln aufstellt und historische Zusammenhänge samt vorgenommene Sprachbewertungen darstellt. Dies war für die vorliegende Arbeit wesentlich. Die jüngste, neu erarbeitete Ausgabe der Duden Grammatik von 2005 verzichtet durch ihr Streben nach Allgemeinverständlichkeit und neutraler Beschreibung von Grammatik im Falle der untersuchten Phänomene auf derartige Angaben. Auf sie wird hier komplementär verwiesen. Abschließend werden die Ergebnisse diskutiert und die in der Untersuchung aufgetauchten weiteren Fragen zusammengefasst.
1. Gutes Deutsch – Schlechtes Deutsch Das vorliegende Kapitel geht von den Fragen aus, ob 1. die Entstehung von noch heute bestehenden abwertenden Urteilen über einzelne sprachliche Merkmale in den Zeitraum der sprachlichen Standardisierung des Schriftdeutsch fallen, die von sprachgeschichtlichen Darstellungen im 17. Jh. verortet wird, und ob darüber hinaus 2. die negativen Werturteile als Produkt der sprachlichen Standardisierungsbemühungen der sogenannten Grammatiker anzusehen sind. Für die Beantwortung dieser Fragen ist es zunächst sinnvoll, die bisherige Wahrnehmung der sprachlichen Standardisierungsprozesse der deutschen Schriftsprache kurz zu umreißen, sowie den Grad des Einflusses zu erfassen, den die bisherige Forschung dem Kreise der sog. Grammatiker auf diesen Prozess einräumt. Eine kurze Darstellung der Grammatiker und der Art und Ziele ihrer sprachtheoretischen Arbeiten ist dazu schon eingangs unumgänglich, obwohl später auf diese noch genauer eingegangen werden wird (1.2.1., 3.1.3.1. und 3.1.3.2.). Auch muss mit in Betracht gezogen werden, welche Problematiken bislang in diesen Forschungsbereichen festgestellt werden konnten.
1.1. Zur Entwicklung des schriftsprachlichen Standards des Deutschen und der Bedeutung der Grammatiker Die Entwicklung der deutschen Sprache beim Übergang von Frühneuhochdeutsch zu Neuhochdeutsch machte einen Prozess durch, der als Vertikalisierung bezeichnet wird (Reichmann 1990, 154), und der eine Reduzierung der fnhd. Variantenfülle und Variantentoleranz, verbunden mit einer Bewertung in bessere und schlechtere Formen bewirkte (zunächst noch hoch und niedrig, vgl. 3.2.5. und 3.3.7.). Der Prozess der Vertikalisierung wird von der Sprachgeschichtsforschung als Ergebnis der Aktivitäten von „Sprachfreunden, Sprachgelehrten, Poetikern, Poeten, Schriftstellern, Übersetzern und Schulreformern“ verstanden und im 17. und 18. Jh. verortet (Polenz, nach Reichmann 1990 a.a.O.). Die Variantenaussonderung bewirkte letztendlich die Differenzierung nach verschiedenen Kriterien (z.B. bildungssprachlich vs. alltagssprachlich), von denen, wie deutlich werden wird, für
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die untersuchten Protokolltexte v.a. schriftsprachliche, expertenhafte und überregionale Kriterien von Bedeutung sind (nach Polenz 1994, 136). Den Beginn einer deutschen Standardsprache kann man laut Besch (1967, 13ff.) aber schon viel früher, in den sogenannten Schreiblandschaften des Spätmittelalters finden (s. 3.3.3). Hierunter sind frühe Bemühungen zu verstehen, zwischen den Schreibgewohnheiten fürstlicher und städtischer Kanzleien größerer Regionen zu einem überregionalen Schriftausgleich zu kommen. Wenn diese Schreiblandschaften auch noch kein fixiertes, einheitliches System aufwiesen, so gab es doch – vor allem im Bereich der Graphemik und der Flexion – deutlich erkennbare Ansätze zur Vereinheitlichung (ibid.). Diese ersten Bemühungen um eine sprachliche Norm werden als sprachliche Ausgleichsprozesse bezeichnet. Ausgehend von regionalen Schreibdialekten, die sich weitgehend unabhängig von den gesprochenen Dialekten entwickelt hatten, kam es in diesem Ausgleich zunächst zur unbewussten Einstellung auf die Schreib- und Lesegewohnheiten der jeweiligen Adressaten. Zunächst ohne tiefere Reflexion, sonderten die Schreiber auffällige Dialektmerkmale aus und reduzierten so die Variationsbreite. In einem späteren Entwicklungsschritt kam es zu einer „überregionalen Tendenz um ihrer selbst willen, auch gegen die traditionellen regionalen Schreib- und Sprechgewohnheiten“ (Polenz 2000, 159). Im 14. und 15. Jh. wurde diese Entwicklung noch dadurch gefördert, dass viele Kanzleischreiber überregional geprägt waren (v.a. durch die Großkanzleien von Kaiser, Fürsten und Großstädten). Die Kanzleien beeinflussten ebenfalls die Ausbreitung der deutschen Schriftsprache, indem sie seit dem 13. Jh. allmählich den bis dahin ausschließlichen Gebrauch des Lateinischen in der Urkundensprache durch das Deutsche ablösten (Polenz 2000, 256), sodann waren sie im 16. und 17. Jh. Agenten des Sprachwechsels beim schrittweisen Übergang zum Gebrauch des Hochdeutschen - auch in niederdeutschen Kanzleien (s. 3.3.4.). Noch bei den Vertikalisierungsprozessen des 17. und 18. Jhs. (Polenz 1994, Kapitel 5.9.) spielten die Kanzleien indirekt eine Rolle durch ihre Wirkung als Sprachvorbild (s. Josten 1976). Für die vorliegende Untersuchung wird eine eingehendere Beschäftigung mit den Kanzleisprachen unumgänglich sein (3.3.). Inwieweit auch soziale, politische und v.a. wirtschaftliche Faktoren an der sprachlichen Gesamtentwicklung beteiligt waren, etwa die städtische Expansion der Schriftlichkeit seit dem 14. Jh. (s. Polenz 2000, 256), verbunden mit der Einrichtung deutscher Schulen (ibid. und vgl. 2.2.4.), wird erst seit kurzem im Betracht gezogen (vgl. Bolten 1998, 124).1 Auch diese 1
Überhaupt hat sich den letzten Jahrzehnten ein beträchtlicher Wandel in den Betrachtungsweisen historischer Sprachgeschichte vollzogen. Peter von Polenz (1998) und Oskar Reichmann (1998) zeichnen verschiedene Aspekte dieser Entwicklungen ausführlich nach. Auch
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Fragestellung ist, neben der umgekehrten Untersuchung der Wirkung der schriftsprachlichen Gesamtentwicklung auf die Gestaltung der betrachteten geschäftssprachlichen Prosatexte der Zeit, Gegenstand von Teil 2 und 3 dieser Arbeit. Die vorliegende Arbeit, die sich einerseits mit sprachtheoretischen Werken aus der Mitte des 17. Jhs. befasst und andererseits ein Korpus aus dem Zeitraum von 1665 – 1677 untersucht, hat damit eine durch die Epochengrenze zwischen Frühneuhochdeutsch und Neuhochdeutsch charakterisierte Sprache zum Gegenstand. Vielfach wird die Grenze zwischen diesen beiden um 1650 festgelegt.2 Da das Fnhd. dadurch charakterisiert ist, dass es als Sprache einer Übergangszeit keine Einheitlichkeit aufweist (in Orthographie, Flexion und Syntax existieren oft im selben Text mehrere Varianten nebeneinander, Stedje 52001, 115), fördert die Legung der Epochengrenze zum Nhd. in die Mitte des 17. Jhs. den Eindruck, die Konstituierung der nhd. Schriftsprache sei im 17. Jh. bereits abgeschlossen (s. König 2004, 91). Problematisch bei dieser Epochenfestlegung ist, dass das 17. Jh. andererseits in seiner Gesamtheit mit den sog. Grammatikern, den Sprachgesellschaften und dem Fremdsprachenpurismus in Verbindung gebracht wird, deren Beteiligung an der für die Grenzlegung zwischen Fnhd. und Nhd. notwendigen Entwicklungen noch in vollem Gang war und erst wirken musste (z.B. Stedje 2001, 144; Wolff 1990, 142 und König 2004, 104).3 Legt man den Beginn des Nhd. mitten in die Wirkungszeit der Grammatiker, impliziert dies nach den obigen Ausführungen ohne weitere Untersuchung einen messbaren Einfluss der Standardisierungsbemühungen dieser Personengruppen bzw. Bewegungen auf die Entwicklung der Schriftsprache, die in Sprachgeschichten als bei Ende der Periode relativ einheitlich vorliegende Schriftsprache dargestellt wird (s.o.). Die Epochenbestimmung ist also bereits eng mit der Einschätzung der hier untersuchten Wirkung der sog. Grammatiker auf die Entwicklung einer schriftsprachlichen Norm verbunden. Wie in dieser Arbeit deutlich wer-
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von anderen Sprachhistorikern werden problematische Aspekte der sprachwissenschaftlichen Methodik thematisiert, s.u. und s. auch 1.1. In der 8. Auflage der von Wilhelm Schmidt begründeten Geschichte der deutschen Sprache (2000, 30ff.) wird die Problematik der Periodisierung der deutschen Sprachgeschichte zwar diskutiert, aber doch an der Grenze von 1650 festgehalten (s. ibid., Darstellung S. 34). Ebenso zieht Wolff (2004, 133) zwar die Termini Abschnitte oder Phasen den „belasteten“ Begriffen Epoche oder Periode vor, er legt dann aber weiterhin den „Übergang vom ‚Meißnischen Deutsch‘ zum ‚Hochdeutsch‘“ auf 1650. S.a. Stedje (2001, 140), Kapitel 15: „Neuhochdeutsch (die Zeit von 1650 bis 1900)“. Schmidt (2000) löst diese Problematik damit, dass das „Entstehen eines volkssprachlichen Normbewusstseins durch die Grammatiker“ im Zusammenhang mit der Epoche vor 1650, das „Wirken der Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts“ aber mit der Phase nach 1650 behandelt werden (ibid., 117 und 121).
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den wird, kann eine entsprechende Darstellung der Rolle der Grammatiker als punktuell spürbarer Eingriff in die Sprachentwicklung ebenso wenig aufrecht erhalten werden, wie die Vorstellung einer homogenen Schriftsprache (gegen die sich auch König wehrt, 2004, 91). Das Ende der fnhd. Epoche muss schon von vorneherein aufgrund der um die Jahrhundertmitte noch deutlich abwesenden Homogenität der Schriftsprache zumindest in manchen Textsorten (vgl. Polenz 2000, 147 und 1994, 5.9., z.B. Variantenfülle in der Graphemik 242ff. oder in der Pronominalflexion 257f.) für diese nach hinten verschoben werden, ggf. auch bis über die Jahrhundertgrenze hinaus. Um der geschilderten Problematik auszuweichen und aus der Überzeugung, dass auch sprachsoziologische Entwicklungen bei der pragmatischen Textuntersuchung zu berücksichtigen sind (s.o.), wird hier der von Peter von Polenz (2000, 99f.) verwendete sprachsoziologischen Begriff der frühbürgerlichen Zeit bevorzugt (Näheres s. 3.2.).4 Markus Hundt (2000, 1ff.) bringt die Problematik der Epocheneinteilung mit einer Vernachlässigung des 17. Jhs. durch die Sprachgeschichtsforschung in Verbindung. Weitere Gründe sieht er in der Schwierigkeit des Textzuganges (Quellen des 17. Jhs. sind nicht nur rein praktisch sondern auch sprachlich und inhaltlich schwerer erschließbar als Texte des 18. und 19. Jhs.) und einer bisherigen Vernachlässigung der sprachhistorischen Relevanz von Schriften des 17. Jhs. Noch mehr sind allerdings für ihn die ablehnende Haltung nicht nur der Aufklärer sondern auch der Sprachwissenschaftler des 19. Jhs. gegenüber dem Barock sowie eine kritische Distanz gegenüber der im 19. und 20. Jh. erfolgten nationalistisch-puristischen Vereinnahmung des 17. Jhs. Gründe für eine im Vergleich zur Literaturwissenschaft „verzögerte und insgesamt geringere“ sprachwissenschaftliche Beschäftigung mit der Epoche (ibid. 3).5
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Hiermit wird die Festlegung allerdings nur auf eine andere Ebene verschoben, denn zeitlich steht Polenz‘ Charakterisierung dem Fnhd. nahe und endet mit der Konsolidierung des absolutistischen Systems (markiert durch Augsburger Religionsfrieden und Ende des 30jährigen Krieges) und deren Folgen (ibid., 100). Es sind besonders das Ausscheiden des Niederdeutschen aus der deutschen Sprachkultivierung und die Etablierung des Französischen als Prestigesprache deutscher Oberschichten, sowie die von Polenz a.a.O. genannten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Modernisierungen in städtischen Kulturen (vgl. 2.2.4. und 2.2.5.), die die Verwendung des Begriffes auch über die Grenze von 1650 hinaus gerechtfertigt erscheinen lassen. Auch Reichmann stellt bezüglich der fraglichen Epoche diverse Forschungsdefizite fest. Er schlägt zur Erforschung des Fnhd. u.a. vor (2000, 1644), „[d]ie Forschungsaktivität der kommenden Jahre sollte die schichten- und textsortenbedingte, im einzelnen auch die raumbedingte Varianz stärker zu gewichten versuchen als die Entwicklung in der Zeit.“ Kapitel 3.3.4. und 3.2. versuchen diesem Rechnung zu tragen.
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1.2. Die sogenannten Grammatiker des 17. Jahrhunderts Mit der kollektiven Bezeichnung die Grammatiker wird für das 17. Jh. Bezug auf die entsprechenden Mitglieder einer bereits mit Oskar Reichmann angesprochenen Gruppe von „Sprachfreunden, Sprachgelehrten, Poetikern, Poeten, Schriftstellern, Übersetzern und Schulreformern“ Bezug genommen, von denen man annimmt, dass sie im 17. Jh. und 18. Jh. die Vertikalisierung der deutschen Sprache bewirkten. Der Begriff Grammatiker ist aus verschiedenen Gründen unglücklich gewählt. Einerseits wird eine Reduzierung auf den Bereich der Grammatik den vielseitig interessierten Universalgelehrten, die sich mit literarischen Themen ebenso beschäftigten, wie mit Politik, Wissenschaft und Wirtschaftsfragen, nicht gerecht (vgl. Lebensläufe von Schottelius, 1.2.1., Harsdörffer und Stieler, 3.1.3.), andererseits impliziert diese Benennung nach der heutigen Bedeutung des Wortes6 bereits ein besonderes Interesse oder sogar ein Verdienst an der Grammatikographie, das in seiner genauen Form und seinem Ausmaß immer noch weitgehend ungeklärt ist. Zudem ging es den Gelehrten selbst bei ihrer Beschäftigung mit der deutschen Sprache vorrangig um andere Fragestellungen als solchen der Grammatik7 (vgl. 3.1.3. und Teil 4). Obwohl verschiedene alternative Benennungsmöglichkeiten vorgeschlagen wurden (Gardt 1994 spricht von Sprachpflegern, Jones 1995 von Sprachreinigern, Hundt 2000 konzentriert sich auf die Spracharbeit der Grammatiker selber), soll hier mit Hinblick auf den übergeordneten Kontext der vorliegenden Untersuchung zu speziellen Elementen der Grammatik und deren Bewertung weiterhin Rede von den (sogenannten) Grammatikern sein. Für Polenz (1994, 149) beginnt „die große Zeit der Grammatiker und Orthographielehrer“ um 1600. Als ein besonderes Merkmal dieser Phase sieht Polenz den Beginn einer sprachimmanenten Argumentationsweise in der Sprachlehre, die im Laufe des Jahrhunderts die pauschale Nennung von Sprachvorbildern immer mehr verdrängt (vgl. 3.3.) und stattdessen die Selektion einzelner Varianten nach theoretischen Kriterien begründet. Die Grammatiker engagierten sich für die Reinheit, Pflege und Untersuchung ihrer deutschen Muttersprache, indem sie sprachtheoretische Arbeiten in Form von Grammatiken, Poetiken, Orthographielehren und anderen wissenschaftliche Textformen verfassten. Laut Claudine Moulin-Fankhänel (2000, 1905) war dabei die zentrale Frage diejenige nach dem Ideal einer hochdeutschen Sprachnorm. Die Suche danach führte zu den verschiedensten, z.T. kontroversen Theorien. Einerseits wurde die Aufgabe des Gramma6 7
Lat. grammaticus bedeutete allgemein Gelehrter, während der Begriff später auf die „Wissenschaft vom Aufbau der Sprache“ eingeengt wurde (Wilpert 1989, 350). Selbst hier stand anfangs die Beschäftigung mit Lautlehre und Orthographie im Vordergrund, die sich im 17. Jh. erst langsam auf die Wortbildung und Wortkombinatorik als erste Ansätze syntaktischer Arbeit ausweitete (Hundt 2000, 17).
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tikers als „Findung und Beschreibung der ‚Grundrichtigkeit‘ der Sprache“ verstanden (ibid.), so gefordert v.a. von Justus Georg Schottelius, der damit die ideale Sprachform als Hochsprache über den Dialekten ansiedelte. Andererseits wurde, besonderes im ostmitteldeutschen Sprachgebiet, der regionale Sprachgebrauch gebildeter Stände als Vorbild dargestellt (ibid., nach Jellinek 1913, 112ff.). Untersuchungen zur Grammatiktheorie des 17. Jhs. und auch noch des 18. Jhs. stellen nach Moulin-Fankhänel (2000, 1908) wiederholt die Heterogenität der Standpunkte innerhalb der Grammatiker nicht nur zu speziellen Fragen der Grammatiktheorie, sondern auch zur Einschätzung des Sprachgebrauchs und der Sprachrichtigkeit fest (vgl. Hundt 2000, 51f. und 46ff.). Hundt (2000, 47ff. mit Gardt 1994) unterscheidet in diesem Zusammenhang drei sprachphilosophische Grundpositionen, die eklektisch miteinander vermischt werden.8 Aber auch bei einfachen Fragen wie der Substantivgroßschreibung oder der Worttrennung am Zeilenende herrschte eine große Meinungsvielfalt (s. Polenz 1994, 247f.; Einzelheiten zu den Vorstellungen der Grammatiker in Rechtschreibung, Morphologie und Syntax s. Takada 1998, Kapitel 3.-5.). Zentrales Anliegen der Grammatiker war, entsprechend den Vorbildern anderer nationalsprachlich engagierter europäischer Länder, die Legitimation und damit Durchsetzung der deutschen Sprache als eine der Hauptsprachen. Deswegen gehörte zu den grundlegende Fragen der zeitgenössischen Sprachdiskussion die Frage nach dem Charakter sprachlicher Zeichen, denn um die deutsche Sprache zu legitimieren, war es für die Grammatiker wichtig, eine motivierte Verbindung zwischen Zeichenebene und Inhaltsebene zu beweisen (vgl. 3.1.3.1.3., a). Argumentiert wurde immer mit Hinblick auf die schon anerkannten Hauptsprachen, Hebräisch, Griechisch und Latein, wobei allein diese Parallelisierung (unabhängig von der diskutierten Frage nach Motiviertheit bzw. Arbitrarität sprachlicher Zeichen) eine sprachlegitimierende Funktion für das Deutsche hatte (Hundt 2000, 33ff.). Weiter stand die Frage nach den Ursachen von Sprachwandel im Zentrum des Interesses. Weitgehend akzeptiert wurde die Tatsache, dass Sprache wandelbar sei (ibid., 39). Ziel der deutschen Sprachpfleger war nun, diesen Sprachwandel auch für die anderen Hauptsprachen nachzuweisen, um auch durch diese Parallelisierung zur Legitimierung des Deutschen beizutragen. Außerdem galt es, festzulegen, wie durch Spracharbeit der allgemeine Sprachverfall verlangsamt oder gar in seinen Auswirkungen behoben werden konnte,
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Diese sind die ontologisierend-patriotische Haltung (dem Humanismus verpflichtete, wenn auch nicht immer rationale Position), die sprachmystische Haltung (konzentriert auf eine von Gott gegebenen Ursprache) und die sprachuniversalistische Haltung (nach einer Idealsprache jenseits der Einzelsprachen strebend; Näheres a.a.O.).
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um zu einer unter der verderbten Oberfläche liegenden reinen, eigentlichen, grundrichtigen Idealsprache zurückzugelangen (ibid., 40ff.). Über die Art der Spracharbeit herrschte grundsätzliche Uneinigkeit, besonders bezüglich der jeweiligen Gewichtung von Sprachgebrauch bzw. Sprachrichtigkeit, worauf auch mit dem Stichwort Anomalia-AnalogiaDiskussion Bezug genommen wird. Während deskriptive Sprachpfleger wie Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen und Christian Gueintz dafür plädierten, sich in Zweifelsfragen am konkreten Sprachgebrauch (d.h. dem Usus vor allem gebildeter omd. Sprecher, also dem Meißnischen) zu orientieren und damit auch Anomalien in Kauf zu nehmen, nahm Schottelius immer deutlicher eine Gegenposition ein. Für ihn war die Orientierung an einem grammatischen Regelsystem und in Analogie gebildete Formen, kurz die Grundrichtigkeit, entscheidend für die Spracharbeit (Hundt 2000, 42ff.). Georg Philipp Harsdörffer stand in diesem Streit zwar an sich auf der Seite Schottelius‘, machte aber – noch stärker als dieser – Zugeständnisse an die Praxis (s. 3.1.3.1. und vgl. Hundt 2000, 43f. und 46). Die Beschäftigung mit der Grammatik der deutschen Sprache durch die Grammatiker im 17. Jh. kann für Moulin-Fankhänel außerdem nach deren Tradition in drei Überlieferungsstränge differenziert werden (2000, 1904f.). Einerseits gab es eine pädagogische Reformbewegung um Wolfgang Ratke, die der Muttersprache innerhalb des Schulunterrichtes einen neuen Stellenwert zuschrieb und deren Unterrichtung im Lehrplan festlegte (vgl. 2.2.4.), andererseits gab es eine Fortsetzung der Grammatiktradition innerhalb der Kanzlei- und Formularbücher. Von späteren Grammatikern und Orthographietheoretikern rezipiert wurde hier etwa Johann Rudolph Sattlers mehrfach aufgelegte Teutsche Orthographey und Phraseologey (Basel 1607, s. 1.2.2.). Briefsteller mit grammatisch-orthographischen Teilen wurden auch von Georg Philipp Harsdörffer, Samuel Butschky und Kaspar Stieler verfasst (s. 3.1.3.). Drittens entstanden Sprachgesellschaften mit sprachwissenschaftlichen Interessen, die sich für den Gebrauch der Muttersprache engagierten.9 Allen voran nahm die Fruchtbringende Gesellschaft eine hervorragende Stellung ein und nach Moulin-Fankhänel (ibid.) können die Werke derer prominenter Mitglieder (Schottelius, Gueintz, Harsdörffer, Zesen) als Produkte der Gesellschaft aufgefasst werden (vgl. hierzu auch Polenz 1994, 119). Die Fruchtbringende Gesellschaft war die wichtigste Sprachgesellschaft im deutschen Sprachraum. Die Ziele der 1617 von Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen in Weimar gegründeten Fruchtbringenden Gesellschaft (später auch Palmorden genannt) waren laut Hundt (2000, 19), anders als häufig 9
Der Ausdruck Sprachgesellschaften entstand erst im 19. Jh. (Breuer 1999, 201). Einen kurzen Überblick über Tradition und Funktion der Gesellschaften sowie die bedeutendsten Gesellschaften s. ebenda.
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in der Literatur dargestellt, nicht vorrangig auf Sprachpflege und Sprachreinigung ausgerichtet. Wie Hundt mit van Ingen (1972) erläutert, war das eigentliche Ziel der Gesellschaft ein Ethisches, nämlich die „Wiederaufrichtung der Sitten und Tugenden“. Der häufig mit den Grammatikern und den Sprachgesellschaften in Verbindung gebrachte Fremdwortpurismus war hierfür lediglich Mittel zum Zweck (ibid.).10 Hiermit verbunden waren die bereits erwähnten Bemühungen zur Legitimation der deutschen Sprache, die aus einem wachsenden kulturpatriotischen Bewusstsein erwuchsen (ibid., 20f.; vgl. Polenz 1994, 109f.). Dass dieses in der Rezeptionsgeschichte des 17. Jhs. mit Nationalismus in Verbindung gebracht wurde, wurde bereits im vorangehenden Abschnitt erwähnt. Tatsächlich ging es den Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft darum, fern von generellen Abwertungen gerade der oft übernommenen französischen Kultur, durch eine Abgrenzung des Deutschen die Möglichkeiten deutscher Kultur und Sprache deutlich bewusst zu machen und einen schmerzlich empfundenen kulturellen Rückstand aufzuholen (Hundt 2000, 20f.). Mittel hierzu war die Rückführung des Deutschen auf die Zeit der babylonischen Sprachverwirrung (Beweis des Sprachalters) und Betonung der Eignung der Sprache (Sprachreichtum), v.a. durch Größe ihres Wortbestandes (ibid., 21f.). Aber auch beispielhafte Übersetzungen ins Deutsche, besonders aus den anderen Hauptsprachen (z.B. Schottelius, 1643, 96f.), ebenso wie die Produktion literarischer und wissenschaftlicher Texte auf deutsch spielten dabei eine große Rolle (z.B. Schottelius 1641, 7. Lobrede). Sie sollten die Qualitäten der deutschen Sprache und deren Gleichwertigkeit mit den anerkannten Hauptsprachen demonstrieren. Die Fruchtbringende Gesellschaft tagte außer an ihrem Gründungsort in Halle und Köthen. In den Sitzungen wurden programmatische Vorstellungen zur Spracharbeit erstellt und debattiert (Hundt 2000, 23). In der Zeit ihres Bestehens von 1617 bis etwa 1680 hatte die Gesellschaft insgesamt 890 nachgewiesene Mitglieder, von denen 75% dem Adel angehörten11 (Polenz 1994, 113f.). Dies stimmt kritisch bezüglich eines Informationsaustausches mit den anderen sozialen Gruppen von Sprachteilnehmern (vgl. 2.2.5.), die ggf. in den Sprachgesellschaften entstandene Werturteile über gute bzw. schlechte Sprache ja kennengelernt und übernommen haben müssen, wenn die Grammatiker als Urheber von allgemein verbreiteten, bis heute bestehenden Negativurteilen gelten sollen (s. Textanalysen in Teil 4.). 10 11
Das Thema Fremdwortpurismus wird in dieser Arbeit nicht berührt, da es hier um negative Bewertung von Elementen der deutschen Sprache geht. Zum Purismus s. Jones (1995) und Hundt (2000, Kapitel 8.2). Da bürgerliche Mitglieder später geadelt wurden (z.B. Birken, Stieler, Zesen) ist diese Zahl kritisch aufzunehmen. Fest steht aber, dass die Gesellschaft im Wesentlichen von Adeligen getragen wurde.
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Unter den Gesellschaftsmitgliedern selber herrschte reger Austausch, und es ist nachweisbar, dass und inwiefern sie voneinander Ideen übernahmen. Weitere für die Spracharbeit bedeutende Gesellschaften des 17. Jhs. waren der Pegnesische Blumenorden (1644, Nürnberg), die Aufrichtige Tannengesellschaft (1633, Straßburg) sowie der Elbschwanenorden (1658, Wedel in Holstein) und die Deutschgesinnte Genossenschaft (1642/43, Hamburg). Letztere hatte im Gegensatz zur Fruchtbringenden Gesellschaft 86% bürgerliche Mitglieder (auch Frauen waren zugelassen, seit den 1670er Jahren zunehmend auch Lehrer und Juristen; Polenz 1994, 114), ein direkter Einfluss der von Philipp von Zesen gegründeten Genossenschaft auf die Schreiber der Protokolltexte der Commerzdeputation Hamburg vor diesem Zeitraum kann jedoch als unwahrscheinlich gelten (vgl. ibid. und s. 2.2.5.). Gleiches gilt für den von Johann Rist gegründeten Elbschwanenorden (s. 2.2.5.). Was die Einschätzung der Wirkung der Grammatiker betrifft, ist derzeit ein grundlegender Wandel zu beobachten. Während Sprachgeschichten bis gegen Ende des 20. Jhs. die normierende Wirkung der Grammatiker als gegeben ansahen (dies äußerte sich etwa in Annahmen bzgl. deren Einfluss auf die Vertikalisierung und indirekt in der Epochenfestlegung des Fnhd., s. voriger Abschnitt), wurden erst in jüngerer Zeit verschiedene Versuche unternommen, die Wirkung der Grammatiker anhand von Einzelmerkmalen zu untersuchen. Besonders sind hier für das 16. Jh. Prowatke (1988), für das 17. Jh. Moulin (1986), Takada (1998) und Langer (2001) sowie für das 18. Jh. Konopka (1996) und Voeste (1999) zu nennen (weitere Arbeiten s. Polenz 1994, 168 und Moulin-Fankhänel 2000, 1907). Eine umfassende, rezeptionsgeschichtliche Darstellung der deutschen Grammatikographie des 16. bis 18. Jhs. liegt bislang nur unter wissenschaftsgeschichtlichem Aspekt vor, es handelt sich um die grundlegende Arbeit von Max Hermann Jellinek (1913/1914). Davon unberührt blieb bis vor wenigen Jahrzehnten die Frage nach der Wirkung der grammatischen Theorie außerhalb der Grammatikerwelt, sofern man eine solche ansetzt. Dementsprechend ist, abgesehen von den erwähnten Einzelfällen, der tatsächliche Anteil der Wirkung oder Bedeutung von Grammatikern und Orthographielehrern auf die Entwicklung der nhd. Schriftsprache noch ungeklärt (Moulin-Fankhänel 2000, 1906f.). Die Ergebnisse bisheriger Untersuchung geben außerdem Anlass zu weiteren Fragen, denn obwohl Langer 2001 für den gesamten (hier als bis ins 18. Jh. reichend verstandenen) fnhd. Zeitraum einen Einfluss der Grammatiker auf die Aussonderung der Tun-Periphrase und des Doppelperfekts nachweist, und Takada 1998 belegen kann, dass die Grammatiker der Sprachpraxis in der Rechtschreibung manchmal und in der Formenlehre vielfach vorausgehen, so muss auch Takada feststellen, dass die Grammatiker in anderen Fällen der Sprachpraxis hinterherhinken (Takada 1998,
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z.B. 299). Die erwähnte Heterogenität der Äußerungen der Grammatiker und deren oft beobachteter Meinungsumschwung (s. Takada 1998, 298) machen es zudem schwer, einzuschätzen, welche der beobachteten kontroversen Meinungsäußerungen denn nun eine Wirkung entfaltet haben und welche nicht. Moulin-Fankhänel (2000, 1907) fasst die Problematik zusammen: Obwohl eine sprachgeschichtliche Wirkung der Grammatiker besonders aufgrund ihrer beruflichen Funktion prinzipiell leicht vorstellbar sei, scheine diese methodisch schwer nachweisbar. Unter anderem auch deswegen, weil die Grammatiker selbst sich teilweise schon am Gebrauch orientieren. Nach Moulin-Fankhänel (mit Gießmann 1981, 17f.) muss bereits in kleineren morphologischen Bereichen wie etwa der Flexion von gehen und stehen im Nhd. die Frage nach dem Anteil der Grammatiker an der Normierung offen bleiben. Als besonders problematisch beschreibt sie, dass die Arbeiten zur Wirkung der Grammatiker sich hinsichtlich ihrer Methode, der betrachteten Zeitspanne oder der Korpuszusammensetzung so beträchtlich unterscheiden, dass kaum verglichen werden kann. Die jeweiligen Ergebnisse zum Verhältnis von Sprachnormierung und Sprachgebrauch führen zu einem vielfältigen Befund und lassen eine Gesamteinschätzung vorerst nur mosaikartig erkennen (ibid.). Ergebnis der bisherigen Untersuchungen ist, dass die Wirkung der Grammatiker mittlerweile differenzierter beurteilt wird. Schon Polenz (1994, 149) äußert sich aufgrund entsprechender erster Untersuchungen (ibid., 168) vorsichtiger über das Wirken der Grammatiker, als dies in früheren Sprachgeschichten der Fall ist, nämlich haben diese laut seiner Darstellung nicht so sehr in der „Erfindung oder Setzung von Sprachnormen“ sondern vielmehr „durch Feststellung, Rechtfertigung und didaktisch-populärwissenschaftliche Weiterverarbeitung bereits weitgehend konventionalisierter Gewohnheiten vorbildlicher Sprachbenutzergruppen“ gewirkt (ibid., 149). Trotzdem ist die Wirkung der Grammatiker in ihren Einzelheiten noch nicht geklärt (vgl. auch Polenz 1994, 168). Die vorliegende Untersuchung zu Negativwerturteilen über bestimmte Sprachelemente, die an ausgewählten sprachtheoretischen Werken und der Praxis eines zeitgenössischen geschäftssprachlichen Korpus durchgeführt wird, möchte hier einen Beitrag leisten. Auch dieser wird jedoch nicht mehr als höchstens einige Mosaiksteinchen liefern können. Bevor der mögliche Einfluss der Grammatiker auf die Aussonderung unerwünschter Varianten gesucht wird, soll zunächst einmal geklärt werden, in welcher Form negative Werturteile bei den Grammatikern überhaupt vorliegen. Da als der hervorragendste Vertreter der Grammatiker Schottelius gilt, dessen Wirkung auf andere Grammatiker schon von Jel-
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linek nachgewiesen wurde (s.o.), liegt es nahe, sich als erstes seinem Werk zuzuwenden. 1.2.1. Zum Paradebeispiel Justus Georg Schottelius (1612 – 1676) Als bedeutendster Grammatiker des 17. Jhs. gilt Justus Georg Schottelius (Moulin-Fankhänel 2000, 1905), der als Begründer der systematischen Erforschung der deutschen Sprache angesehen wird (Polenz 1994, 152). Wie allen Grammatikern, wird man auch ihm nicht gerecht, wenn man seine Bedeutung auf die Grammatikschreibung beschränkt und den vielseitigen „Dichter, Pädagoge[n], Jurist[en] und Sprachwissenschaftler“ (Jones 1995, 163) nicht beachtet (vgl. Rist und Zesen in 2.2.5. sowie Stieler und Harsdörffer in 3.1.3.).12 Schottelius‘ Lyrik und seine dramatischen Werke werden heute als „eher belanglos“ beurteilt (Wilpert 1988, 724), dagegen wird er bis heute als Sprachgelehrter, Grammatiker und Poetiker des Barock, der sich besonders für die Reinhaltung der Sprache gegenüber einem alamodischen Fremdwörterkult und für die Festigung der Hochsprache durch eine normative Grammatik einsetzte geschätzt (ibid., vgl. vorigen Abschnitt). Vor allem die Beachtung der sprachhistorischen Dimension der Sprache, die Einführung des Prinzips der Analogie (Sprachähnlichkeit) und die Erforschung der Grundrichtigkeit der Sprache sowie seine Beschäftigung mit der Wortbildung des Deutschen kennzeichnen sein Werk (Moulin-Fankhänel 2000, 1905; Näheres s. Hundt 2000, 121). Seine sprachtheoretischen Ideen entwickelte Schottelius in einem langsamen Reifeprozess (Jones 1995, 163 und Hundt 2000, 42f.), zeigte aber bereits in seiner frühen Dichtung erste sprachreformatorische Tendenzen (Lamento Germaniae exspirantis, 1640). Nicht nur bei seiner Schilderung der Schändung der deutschen Sprache bedient er sich einer „drastischen Metaphorik“ (Jones 1995, 164). Sprachtheoretisch setzt er sich mit demselben Thema in seiner Teutschen Sprachkunst (1641) auseinander. Die positive Beurteilung der Sprachkunst durch seine Zeitgenossen (z.B. Rist, Harsdörf12
Geboren am 23.06.1612 in Einbeck als Sohn eines Pfarrers besuchte Schottelius zunächst in Hildesheim dann in Hamburg das Gymnasium (1627 bzw. 1630). Anschließend studierte er Jura in Helmstedt, Leiden, Leipzig und Wittenberg. Nach dem Studium kam er im Dienste Herzog Augusts von Braunschweig-Lüneburg als Erzieher des Prinzen Anton Ulrich nach Braunschweig und Wolfenbüttel. Es war die zeitliche und materielle Freiheit dieser Anstellung, die Schottelius die Möglichkeit zu Forschung und Publikation in einem Ausmaß eröffnete, wie sie anderen Zeitgenossen nicht möglich war (Hundt 2000, 120). Seit 1653 Hof-, Kammer- und Konsistorialrat, wurde Schottelius auch mit diplomatischen Aufgaben betraut, so dass er außer Erfahrung im pädagogischen Bereich auch in administrativen und politischen Fragen versiert war. Bis zu seinem Tod am 25.10.1676 blieb Schottelius in Wolfenbüttel (nach Jones 1995, 163ff. und Wilpert 1988, 723f.).
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fer) bewirkte, dass Schottelius schon früh (1642) als der Suchende in die Fruchtbringende Gesellschaft aufgenommen wurde (ibid.). In seiner Teutschen Sprach Einleitung (1643) erscheint die deutsche Sprache personifiziert als heruntergekommene Bettlerin und Hure, die kaum noch in der Lage ist, sich adäquat zu ihrer einst prachtvollen Vergangenheit zu äußern (ibid.; s. folgender Abschnitt). Sowohl aus der Sprachkunst als aus der Sprach Einleitung wurden ganze Teile fast wörtlich in die Ausführliche Arbeit (1663) übernommen, die zwar als „barocke summa philologica“ gilt, aber nicht so sehr als Pionierleistung sondern als zusammenfassender Rückblick aufgenommen werden muss (Jones 1995, 164ff., ebenso Hundt 2000, 121).13 Zur grammatikalischen Terminologie von Schottelius und Stieler liegt von Stjepan Barbarić (1981)14 eine umfassende Monographie vor. Aber auch Andreas Gardt (1994) und Hiroyuki Takada (1998) beschäftigen sich intensiv mit Schottelius‘ Sprachauffassung und Grammatiktheorie. Hundt (2000) dagegen untersucht die sprachtheoretischen Arbeiten von Harsdörffer, Gueintz und Schottelius besonders auf ihre Rezeption und Auswirkungen sowie auf textsortengeschichtliche Fragestellungen. Die folgende Untersuchung beschränkt sich auf die Teutsche Sprachkunst (1641) und der Teutschen Sprach Einleitung (1643), die einerseits das grundlegende Material aus Schottelius‘ sprachtheoretischen Äußerungen darstellen (Jones 1995, 165; s. auch Hundt 2000, 121), wobei dieses genügend lange vor der Erstellung des in Teil 4 betrachteten Textkorpus von 1665 und Folgejahren entstanden ist, so dass sie möglicherweise die Schreiber dieses Textkorpus‘ beeinflußt haben können. Die beiden Werke haben anderseits den Vorteil, dass sie nicht in das enzyklopädische Format der Ausführlichen Arbeit ausarten, so dass man eine breitere Rezeption vermuten kann (vgl. Moulin-Fankhänel, 2000, 1904ff.). Untersucht werden soll hier, ob sich bei Schottelius konkrete Bewertungen von Sprache finden, die für um gutes Deutsch bemühte Berufsschreiber wie die der Commerzdeputation in ihrer Arbeit als Richtlinie gewirkt haben können und die als Ursprung bis heute bestehender Negativurteile gelten können.
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Als grundlegende Untersuchung der Ausführlichen Arbeit gilt immer noch Jellinek (1913, s. Moulin-Fankhänel 2000, 1906 und Hundt 2000, 121). Barbarić liefert eine systematische Darstellung des grammatischen Fachwortschatzes der beiden Grammatiker, die auch einen Einblick in deren grammatisches System erlaubt. Frühere Arbeiten werden zur Erstellung eines historischen Kontextes mitberücksichtigt.
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1.2.1.1. Die Teutsche Sprach Kunst (1641) und Der Teutschen Sprache Einleitung (1643) Die von Schottelius‘ Zeitgenossen so wohlwollend aufgenommene Sprach Kunst von 1641 ist in drei Bücher genannte Teile gegliedert. Das erste Buch der hier verwendeten überarbeiteten Neuauflage von 165115 enthält zehn Lobreden auf gut 300 Seiten.16 Hier werden systematisch seine sämtlichen sprachphilosophischen Anliegen vorgestellt (zusammengefasst und diskutiert werden diese bei Hundt 2000, 83ff.). Das zweite Buch, genannt Etymologia, enthält auf ca. 550 Seiten in 20 Kapiteln Ausführungen zur „Wortforschung“, mittels derer Schottelius den ausführlichen und systematischen Beweis vornimmt, dass die deutsche Sprache den anderen Hauptsprachen ebenbürtig ist. Im Anschluss an allgemeine Ausführungen über die ideale Hochsprache (Kapitel 1) werden dort in siebzehn Kapiteln einzelne Aspekte der Sprache nach Wortarten analysiert. Auch die Rechtschreibung und besondere Zweifelsfälle werden behandelt (Kapitel 2 bzw. 20). Das dritte Buch der Sprach Kunst handelt in acht Kapiteln auf knapp 100 Seiten von der Syntax oder „Wortfügung“,17 einem damals erst rudimentär behandelten Gebiet, weswegen es nicht überrascht, dass die dortige Darstellung von einer heutigen Beschreibung der Syntax stark abweicht. Schottelius zweites sprachtheoretisches Werk, Der Teutschen Sprache Einleitung widmete er 1643, im Jahr nach seiner Aufnahme, zum Dank dem Gründer der Fruchtbringenden Gesellschaft, Fürst Ludwig von AnhaltKöthen. Auf einen Kurtzen Vorbericht an den Teutschliebenden wolgeneigten Leser (22 Seiten) folgt die einleitende Rede Von der Teutschen HaubtSprache (S. 1-22), in der die personifizierte deutsche Sprache als geschändetes Opfer des Sprachverfalls zu Wort kommt, um Anklage zu erheben. In der anschließenden ErklÒrung liefert der Autor in einer ausführlichen Erläuterung des Gedichtes mit Anmerkungen zu den einzelnen Strophen eine Darstellung seines schon im Text angedeuteten sprachphilosophischen Credos (S. 2314818). Die Sprach Einleitung liefert keine grundsätzlichen Abweichungen 15 16
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Verwendet wurde das Exemplar der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, HAB 75.3 Gram. Der im Original auftauchende gelegentliche Fettdruck wurde hier bei Zitaten nicht übernommen. Die Sprach Kunst von 1641 enthielt nur neun Lobreden, eine zehnte über die Notwendigkeit eines deutschen Wörterbuchs als Dokument deren Vollkommenheit wurde angekündigt (dies war ein besonderes Anliegen Schottelius‘, das hier vernachlässigt wurde; s. Sprach Einleitung 1643, 12 und 109f.). In der Ausführlichen Arbeit werden diese zehn Lobreden überarbeitet, der Inhalt bleibt aber im Wesentlichen derselbe. Die Zählung überspringt zwischen Buch 2 und 3 fast 60 Seiten und bricht gegen Ende des 3. Buches ab, vgl. Jellinek (1913, 130, Fußnote 1). Der Text bricht auf Seite 148 mit dem Wort Lob= ab, es sind 5 Blätter aus dem Buch getrennt. Das Exemplar enthält bemerkenswert viele Druckfehler, die zum Teil in bräunlicher Tinte in deutscher Laufschrift korrigiert wurden.
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von den Darstellungen in der Sprach Kunst, zumal bei letzterer hier ja die überarbeitete spätere Fassung benutzt wurde, in die in der Sprach Einleitung neu entwickelte Erkenntnisse eingearbeitet und noch ergänzt werden konnten (dementsprechend ist das überarbeitete Werk auch ausführlicher und systematischer). Die Sprach Einleitung erweist sich allerdings in ihren fremdwortpuristischen Tendenzen noch drastischer als die Sprach Kunst. In der folgenden Analyse wird von der Neubearbeitung der Sprach Kunst ausgegangen und die Sprach Einleitung nur verwendet, wenn sie sich besser zur Illustration der Darstellung eignet. 1.2.1.1.1. Anliegen und Argumentationsweise von Sprach Kunst und Sprach Einleitung Entsprechend den Ausführungen in Abschnitt 1.2. ging es Schottelius in Sprach Kunst und Sprach Einleitung um das Ideal einer hochdeutschen Sprachnorm als Hochsprache über den Dialekten (nach dem Prinzip der Grundrichtigkeit, also analogen Bildungen, s. z.B. 1. Lobrede der Sprach Kunst; vgl. Abbildung 3.1.). Zentrales Anliegen ist das Bedürfnis nach Legitimation und damit Durchsetzung der deutschen Sprache als einer Hauptsprache. Ganz allgemein unternimmt Schottelius dies bereits in der Zueignungsschrift der Sprach Kunst an Herzog August von Braunschweig und Lüneburg (unpaginiert) durch Lob des Deutschen bei gleichzeitig scharfer Kritik an dessen Vernachlässigung, durch die Nennung von Vorbildern (z.B. Luther), häufiger Gleichsetzung mit den anderen Hauptsprachen und Angriffe auf als unverständig dargestellte Kritiker der deutschen Sprache. Wichtig ist auch der Beweis der Eignung der deutschen Sprache als Dichtersprache (7. Lobrede). Auf der Ebene der gezielten sprachimmanenten Argumentation ist die Frage nach dem Charakter sprachlicher Zeichen innerhalb dieser Bemühungen wichtig (Schottelius bemüht sich, eine motivierte Verbindung zwischen Zeichenebene und Inhaltsebene aufzuzeigen, besonders im Vergleich zu den anderen Hauptsprachen, s. 4. Lobrede der Sprach Kunst und Sprach Einleitung 1643, 73ff. sowie 80ff.). Auch die grammatikalische Gleichwertigkeit des Deutschen mit den andern Hauptsprachen wird betont (z.B. Buch 2 der Sprach Kunst und Sprach Einleitung 1643, 84ff.), und die dringende Notwendigkeit einer Norm wird hervorgehoben, ohne die „die grundmessige Kundigkeit einiger Sprache nicht wol zu ererlangen [sic!]“ sei (Schottelius 1651, Zueignungsschrift der Sprach Kunst, unpaginiert). Diesem Mangel abzuhelfen ist das Ziel der Sprach Kunst (ibid.): Unsere Teutsche Sprache aber/ von vielen also angesehen und geschetzet worden/ als ob sie keine richtige GrÙnde/ noch gewißmessige eingeschlossene HaubtThei-
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lungen/ nach Art einer SprachKunst in sich hielte/ und deswegen/ als etwas rauhes fast unbegriffen/ und ohne kunstmessige Werthaltung geblieben: Als ist/ zu schuldigem Ruhme/ und nØthiger Rettung derselben/ solcher Zweiffel in dieser SprachKunst guten Theils verhoffentlich auffgehoben/ und dem jenigen/ welcher eine grÙndliche Gewißheit und kunstmessige Grundrichtigkeit/ auch in der Teutschen Sprache zu sehen begierig ist/ ein GnÙgen geschehen.
Dabei geht es in der Sprach Kunst um ein Idealbild, das gegen den alltäglichen Gebrauch der Sprache „wie sie von mancherley Landarten gebraucht/ von unwissenden hunderterley weise gehandhabt/ und von der blinden wackelenden Gewonheit zerzogen wird“ (1651, 6) mittels Herausstellung der vollkommene Grundregeln abzugrenzen ist („analogica linguæ fundamenta“, ibid.). Nach Schottelius (Sprach Einleitung, Kurtzer Vorbericht, unpaginiert) ist zu wünschen, man folge hier dem Vorbild der Hauptsprachen Griechisch und Latein, die ebenfalls „einen Unterscheid [...] unter der altages Rede oder dem Pöbelgebrauche und unter der Sprache/ nach dero Eigenschafft und grundrichtigen Vermögen/ selbst; inter sermonem vulgarem, wie sie es gene×et“ machen. Diese Unterscheidung ist für Schottelius auch für die deutsche Sprache wichtig (und auch der nötige Vergleich mit den anderen Hauptsprachen, z.B. ibid., 115f.). Die folgende Aussage ist für das Verständnis der Grammatiker insgesamt, deren angeblichen Purismus und Präskriptivität grundsätzlich (ibid.): Der altages Gebrauch wird von wiegen an eingeflØßet und durch sich selbst erlernet; Die Sprache aber mit nichten anders als durch erfoderten fleiß und Nachsinnen erlernet. Es were Demnach ja hochnØtig/ diese Haubtsprache/ welche wie unbehÔbig/ unvermØgend/ pØbelfrei/ klØtzig und Sprachkunstlos muß gehaltÕ/ und nur menglingsweis/ gebrauchet sein/ auch also aus ihrem eigenen zuheben/ die GrÙnde also darinn zupflantztn und die Springqwellen zuØfnen/ damit sie zu dem rechten/ festen/ einigem/ volligem Stande der Sprache gerahten/ das ist/ daßelbige sein mØge/ was andere Sprachen durch kÙnstliche AusÙbung geworden sein. Nicht zwar also/ dz man mÙßete anders schreiben/ als man redet/ oder daß man wolte den rechten Gebrauch durch Sprachkunstregulen meisteren; Nein/ sonderen daß eine jede Sprache/ wo man die in beschreibung der KÙnsten/ Wißenschaften und anderen hohen Sachen/ so wol nach gebundener als ungebundener Art/ recht gebrauchen wil; mÙße nicht in sich ungewiß/ gestÙckelt/ unerkant und nur aus dem Maule des PØbels genoÖen sein; Sonderen sie mÙsse zuvor nohtwendiglich in eine gewiße Kunstform gebracht und die Mittele und Wege darin recht kunt/ beliebt und gÔngig sein/ wodurch man ein wenig hØher steigÕ/ die Grentzen der KÙnsten Ùmsehen/ und alle Erfindungen und geburten unsers Verstandes durch HÙlfe solcher Sprache erst lebendig machen kØnne.
Sprachgebrauch des Volkes einerseits und Kunst, Wissenschaft sowie „andere hohe Sachen“ andererseits werden also völlig getrennt betrachtet. Und obwohl die Grammatiker auch darüber spekulieren, wie zu einem späteren Zeitpunkt die geeignete Kunstform zu verbreiten sei (s. 3.1.3.1.), geht es doch primär nur um die ideale Kunstform (im Sinne eines Normenkataloges, vgl. 1.3.3.), die dem Deutschen zu internationaler Anerkennung
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verhelfen soll. Die Funktion der Grammatik ist in diesem Sinne die einer Anleitung („Staffel“, s. Paul 2002, 952) für die kunstvolle Wiederherstellung der Sprache in ihrer ursprünglichen Vollkommenheit (Kurtzer Vorbericht, Sprach Einleitung, unpaginiert): [...] also ist [...] die Grammatica die Seule und Grundfeste/ worauf jeder Sprachen Kunstgebew beruhen und richtigen sicheren Auffenthalt haben muß: Hat sich auch keine Sprache eintziger Kunstmeßigen Gewisheit und vØlligen Vermogens rÙhmen/ noch hØher zusteigen erkÙhnen kÙnnen/ es sei de× daß sie durch untriegliche Staffelen der Grammatic den Anfang gemachet habe.
Ähnlich heißt es auf Seite 13 der Sprach Einleitung. Viel unmittelbarer noch ist die Grammatik Vorbedingung für eine „rechte vØllige/ richtige und durchgehende Prosodia“ (Sprach Einleitung 1643, 63), ohne die keine einheitliche Aussprache innerhalb der deutschen Mundarten erlangt werden kann (ibid., 64). Diese ist wiederum Voraussetzung für die Vereinheitlichung der Orthographie. Deutsche Mundarten haben laut Schottelius nur eine oberflächliche Wirkung auf die Aussprache gehabt, unterscheiden sich aber nicht wesentlich von der eigentlichen Sprache (Sprach Einleitung 1643, S. 54f.): Diese Mandarten [sic!] aber veruhrsachen keine wesentliche Versehrung der GrÙnden/ sonderen nur die so beliebte Ausrede verformet die WØrter durch etwa ein ZusÔtzlein/ WegwÙrflein oder verwanten Thon: so nennet man Currere Lauffen/ Lopen/ loffen/ lapen: Meus mein/ main/ min: dare geben/ gefen/ keben. Sal Saltz/ Soltz/ Sohlt/ Sahlt/ Sout etc. Sind doch/ dem Grunde nach/ alle eins.
Dies erklärt Schottelius tolerante Haltung gegenüber mundartlichen Abweichungen (s.u.). Als populäres Standardwerk im Sinne des Dudens (s. 1.4.) waren die sprachphilosophischen Werke der Grammatiker nie gedacht. Sie richten sich auch nicht gegen sprachliches Fehlverhalten des Volkes (mit dem Ziel, mundartliche Varianten auszurotten). Die im Titel der ersten Lobrede der Sprach Kunst scheinbar angekündigte Kritik an Missbräuchen (1651, 1: „Die erste Lobrede: BEgreiffet [...] der SprachKunst [...] bisherigen freien Misbrauche [...].“) bezieht sich dementsprechend allein auf die sprachphilosophische Ebene. Ohne die Berechtigung der Kritik an Mängeln der deutschen Sprache prinzipiell zu bezweifeln (sofern sie an deren korrumpierten Varianten vorgenommen wird, s.u.), schiebt Schottelius diese auf einen allgemeinen Sprachverfall und weist nach, dass auch die anderen Hauptsprachen Sprachwandel unterlagen (diese Gleichstellung wirkte, wie die Motiviertheit der Zeichen, aufwertend für die deutsche Sprache, s. Lobreden 2 und 3 der Sprach Kunst und vgl. die Dedicatio der Sprach Einleitung). Im Kurtzen Vorbericht der Sprach Einleitung (unpaginiert) gibt Schottelius die drei Hauptursachen des Sprachverfalls an mit „Hingang der Zeiten“, „Vermischung der Völker“ und Korruption durch das ungebildete Volk, in seinen Worten die
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befreite unacht/ unbedacht und unbetrachtete Ungewisheit der gemeinen Rede/ die sich fast in ieder Stat und jedem Lande mit der Zeit verzeucht/ und nach aller beliebung des PØbels zur Enderungen koÖt[.]
Schottelius Ziel ist, mittels der Entdeckung der zitierten kunstmäßigen Grundrichtigkeit den allgemeinen Sprachverfall zu verlangsamen bzw. dessen Auswirkungen zu beheben. Dadurch kann die Wiederherstellung der unter einer verderbten Oberfläche liegenden reinen, grundrichtigen deutschen Hauptsprache erfolgen, die (wie die anderen Hauptsprachen auch, das wird betont) erst durch ein Studium der Grammatik zu ihrer Kunstform gelangen kann (1651, Buch 1, Lobrede 1, 7): Unsere teutsche Sprache ist weit/ rÔumig/ tieff/ rein und herrlich/ voller Kunst und Geheimnissen/ und wird mit nichten nicht nach dero grundmessigen VermØgen slumpsweis aus dem gemeinen Winde ersnappet: Sondern durch Fleiß und Arbeit muß erlernet werden/ [...].
Eine gründliche Reinigung von fremden Elementen durch die das Deutsche „verstaltet und in eine gantz fremde Form gegoßen“ wurde, ist hierzu unerlässlich (Sprach Einleitung 1643, Kurtzer Vorbericht, unpaginiert). 1.2.1.1.2. Fremdwortkritik – Xenophobie oder Stilkonvention? Fremdwortpuristische Äußerungen kommen bei Schottelius mehrfach vor und sind meist drastisch formuliert. Mit Tacitus beklagt Schottelius schon in der Zueignung der Sprach Kunst (1651, unpaginiert) eine „FrØmdgierigkeit“, die „durch ein Verhengniß/ sonderlich vielen Teutschen/ angeboren“ scheint. Gegen fremde Flickwörter äußert er sich z.B. im 11. Kapitel der Sprach Kunst (Buch 2, 504).19 Auf den ersten Blick scheint es, als sei Schottelius ein Purist und Gegner anderer Sprachen. Man nehme nur die Überschrift des 1. Kapitels von Buch 2 der Sprach Kunst (1951, 315): Das erste Capitel [...] DEutet an die Nohtwendigkeit der anzunehmenden SprachKunst/ samt Vermeldung/ daß die Hochteutsche Mundart/ anderen Teutschen Mundarten/ aus gewissen Uhrsachen vorzuziehen.
Hier geht es aber mitnichten um eine Verdammung der Dialekte. Ganz im Gegenteil, sowohl das Niederdeutsche als auch das Holländische – für Schottelius ebenso wie das Englische deutsche Mundarten (Sprach Einleitung 1643, 53) – werden mehrfach gelobt, Ndd. wird sogar für die ursprünglichere, also unverderbtere Mundart gehalten (ibid., 319ff.). Es geht Schottelius allein um das für ihn und die anderen Grammatiker zentrale Idealbild der hochdeutschen Sprachnorm.
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Weitere Beispiele s.u. Zu Fremdwortpurismus s. Jones (1995, zu Schottelius s. ibid. 163192).
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Aber auch bezüglich praktischer grammatikalischer Belange, Abseits vom Kontext der zur Identitätsfindung nötigen Abgrenzung der hochdeutschen Sprache eingenommenen fremdwortpuristischen Position, zeigt sich Schottelius durchaus anderen Sprachen gegenüber offen. Seine Darstellungen sind fast durchweg deskriptiv und positiv formuliert, ohne Betonung von möglichen Fehlern oder deren Stigmatisierung. Schottelius geht in der Sprach Kunst sogar so weit, andere Sprachen – inklusive Französisch – als vorbildlich darzustellen, s. z.B. eine Anmerkung bei der Beschreibung der „Mittelwörter“ oder Partizipien (1651, Buch 2, Kapitel 14, 715): (Es kÙnnen die NiederlÔnder mit einer sØnderlichen Artlichkeit dieses Mittelwort Seynd oder Siende/ wie auch Wesend/ gebrauchen/ welches bey den Hochteutschen allerdings also nicht angehen kan/ wiewol man es durch den Gebrauch vieleicht kÙnte bekant/ und d‘ Sprache dadurch einen Vorteihl machen: Die Franzosen gebrauchen auch allhie estant. [...])
Ähnlich geht er zur Präposition auf nicht nur auf Ndd. und Holländisch ein, sondern führt auch eine Vielzahl von Beispielen an (1651, Buch 2, Kapitel 16, 790): (Dieses Vorwörtlein auf wird in gar vielen compositis hin und wieder geendert in Uf: die Niedersachsen nennens Up/ die HollÔnder Op: Es wird aber in guten Hochteutschen BÙcheren und Schriften auch/ wie erwehnt/ gefunden/ als: Ufflag/ ufruhr/ ufgehen/ rc. [...])20
Bezüglich der Artikel muss selbst der Analogie-Verfechter vor der Regellosigkeit der Praxis kapitulieren (Sprach Kunst 1651, Buch 3, Kapitel 1, 820f.): XIV. Wiewol nun in vorgehenden etlichen Regulen von Außlassung der Teutschen Geslecht WØrter ist Meldung geschehen/ ist es doch also bewandt/ daß man hierin (die Außlassung deroselben betreffend) nicht wol mØchte eine gemeine durchgehende Regul geben kØnnen/ weil der Gebrauch bey alten und neuen Teutschen Autoren darinn uneingeschlossen/ los/ frey und wilkÙrlich erkant wird.
Andererseits weitet der Grammatiker seine für heutige Verhältnisse drastische Kritik des Fremdwortgebrauchs auch auf allgemeine sprachliche Stümperei, also korrumpierendes Sprachverhalten der Sprecher, aus (Sprach Einleitung, Kurtzer Vobericht, unpaginiert): Nun aber ist ja unverneinlich, daß fast ein jeglicher die Teutsche Sprache nach bloßer Beliebung gebrauchet/ die W×rter ohn einige Uhrsache nach nichtigen einfÔllen oftmals verstØckelt/ verformet und zerdoppelt: Auch unteutsche Flickereien Ùberall eingemenget und die rechten Kunstqwellen und lieblich fließende Teutsche Arten verstopfet werden: [...]. [Hervorhebungen von MBL]
Bislang in den Untersuchungen des Fremdwortpurismus unbeachtet blieb die hier zutage tretende Problematik gewandelter Sprachkonventionen von 20
Die Gründe für die in diesem Fall an den Tag gelegte Toleranz liegen darin, dass auch Schottelius den tatsächlichen Sprachgebrauch zur Kenntnis nehmen musste. Besonders, wenn er die erwähnten Bücher und Schriften an anderer Stelle als Beweis für die Vollkommenheit der deutschen Sprache heranziehen wollte.
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der Zeit der Grammatiker bis heute. So ist es für Schottelius ganz normal, auch in seinem (nach heutigem Verständnis) wissenschaftlichen Text emotionale Bewertungen vorzunehmen. Es ist für Schottelius und seine Zeitgenossen ein durchaus akzeptierbarer Ausdruck seiner Ablehnung, wenn er von „fremden Flickwörtern“ bzw. „Iren=Dreck“ redet (wie in depeschieren, addressieren; Sprach Kunst, s.o. bzw. Sprach Einleitung, 148 sowie ähnlich 116f.). Schottelius‘ Äußerungen sind also im Rahmen der rhetorischen Konventionen seiner Zeit zu verstehen. Noch dazu richtet sich seine verbos vorgebrachte Abscheu nicht allein gegen die Fremdwörter, sie richtet sich ebenso gegen den Missbrauch der deutschen Sprache selbst, nämlich wenn Schottelius in der Sprach Kunst den Sprachverfall beklagt (1651, Buch 1, 138): Also wan die Teutschen WØrter verderbet/ verkehret/ und durch den harten groben Laut gest×kket/ gebl×kket/ und nicht nach rechtem Teutschen Wolverm×gen hervorgelanget sind/ kØnnen sie nicht/ als mit hÓrtigkeit geh×ret oder gelesen/ und mit solchem Verstande angesehen werden/ welcher der Sprache nichtes/ als grobe ungeschikte Armuht/ und unliebliches Wesen zuzueignen pflegt: Wie man solche BÙcher hat/ da die Teutsche Sprache so hartknarrend/ swer/ bl×kkig/ armsÓlig und kn×rrig ist/ daß sie in gegenbetracht der ausgezierten Lateinischen Sprache wol genennet mÙchte werden/ horrida, aspera, rauca, irux, dura, morosa, barbara. [Hervorhebungen von MBL]
Beim häufig vorkommenden Wort Missbrauch wäre zu prüfen, inwieweit das Wort auch damals schon als negativ wertend verwandt wurde. In einem der wenigen Beispiele emotionaler Kritik an bestimmten sprachlichen Konstruktionen aus der Sprach Kunst wird deutlich, dass entsprechende ablehnende Wertungen erst beim Verdacht des Latinisierens auftauchen, also nicht so sehr das betreffende Phänomen sondern die Orientierung am Latein kritisieren. Man beachte bei den folgenden Ausführungen Schottelius‘ über die Kennzeichnung der Kompositionsfuge die Zunahme und steigende Heftigkeit seiner Negativbewertungen (vgl. 4.4.; 1651, Buch 1, Lobrede 6, 213ff.): Man findet unterweilen diese verdoppelte mit einem Mittelstriche zusammen gefÙget/ und also im mitten des Wortes zerteihlet/ als: Nord=wind. Ubel=taht. Wohn=haus. Land=art. Noht=wehr./ rc. welches darÙm sol geschehen/ daß man dadurch abnehme die Verdoppelung: Aber dieses ist gar nicht von n×ten/ und kraft gegebener LehrsÓzze/ nicht recht. [...] Zu dem ist solche Schreibung von denen Authoren/ welche sie etwa in einem Orte gebrauchet/ hinwieder an vielen anderen nicht gebrauchet worden/ also daß keine andere Uhrsache als eine irrende Freiheit/ desselben zugeben ist. [...] Man findet auch noch einen anderen Irrtuhm bei ezlichen/ welche also diese WØrter schreiben wollen: Schiffesbruch/ Hofesrecht/ Blutesfreund/ Geldsmittel/ Erdenfall/ Landssteur/ BÙcherlade/ rc. fÙr Schiffbruch/ Hofrecht/ Blutfreund/ Geldmittel/ Erdfall/ Landsteur/ Buchlade. Dem aber also beliebet zuschreiben und zu latinisiren/ der behalte nur die beiden casus nach Art der Lateiner/ als Bruch des Schiffes/ Recht des Hofes/ oder
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des Schiffesbruch/ des Hofes Recht/ rc. und verschimpfe die Teutsche Sprache in den Grundregulen dero Verdoppelung also nicht: Dan es erfordert es [sic!] weder Verstand/ noch die Eigenschaft der Sprache/ noch der Verstand der W×rter/ noch der Wollaut/ noch ichtwas anders/ daß einer an das BeigefØgige ein solches Gesmiede mache/ und den Lateineren fuchsswÓnzen wil. [Hervorhebungen von MBL]21
Im Lichte der oben geschilderten Fremdwort- und Sprachverfallskritik können die Formulierungen „gar nicht von nØten“ und „nicht recht“ und selbst die Bezeichnung als „irrende Freiheit“ und „Irrtuhm“ nicht als heftige Kritik verstanden werden. Unbestreitbar ist aber, dass hier über eine deskriptive Bestandsaufnahme hinaus aus den gefundenen Varianten die in der idealen Sprache unerwünschten Formen ausgeschlossen werden. Allerdings geschieht dies mit Hinblick auf die „gegebenen Lehrsätze“, also nur bezüglich der gesuchten Idealform. Es findet sich damit auf der sprachphilosophischen Ebene heftig vorgebrachte Kritik nicht nur an Alamodismen sondern auch an den Sprachverfallserscheinungen (ebenfalls in dieser Art werden unverständige Kritiker der deutschen Sprache abgewertet, s.o.). Diese heute undenkbaren Äußerungen könnten zu einer verfälschenden Rezeption des Autors als insgesamt fremdsprachenfeindlich und extrem puristisch geführt und so zu seiner Einschätzung als präskriptiv beigetragen haben. Dass diese Wahrnehmung korrekturbedürftig ist, zeigt die Suche nach tatsächlichen Bewertungen konkreter sprachlicher Elemente. Diese zeigt, dass in den tatsächlich auf der grammatikalischen Ebene operierenden Ausführungen Schottelius‘ entsprechend negative Bewertungen äußerst selten zu finden sind. 1.2.1.1.3. Negativbewertungen konkreter orthographischer oder grammatikalischer Elemente Insgesamt bleibt selbst beim grammatographischen Vorreiter Schottelius die Behandlung grammatikalischer Probleme noch hinter den bereits erwähnten grundlegenden sprachphilosophischen Fragen zurück. Lautlehre und Orthographie stehen in der Sprach Kunst entsprechend der Grammatiktradition immer noch an erster Stelle (Buch 2, Kapitel 2), auch wenn Schottelius gerade in der neubearbeiteten Fassung intensiv auf die Wortbildung eingeht (Buch 2, diverse Kapitel). Syntax wird lediglich in ersten Ansätzen in der Sprach Kunst behandelt (es geht eher um Wortkombinatorik), oft überlagert von allgemeinen stilistischen Vorstellungen (Buch 3, hier werden entsprechend auch Themen behandelt, die nicht eigentlich zur Syntax gehören, etwa Kritik an Konstruktionen wie Er war schrecklich lustig, Sie ist 21
Dasselbe ist zu beobachten in der Sprach Einleitung bei Kritik an Komposita (1643, 50f.).
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schrecklich schÖn, Ich muste greulich lachen, die sich schon Sattler findet, s. 1.2.2.; ibid., 886). Wenn Bewertungen vorkommen, dann nach den verschiedensten Kriterien, etwa Wohlklang, Grundrichtigkeit, Angemessenheit (Voeste 1999, 177 liefert eine Liste von Kriterien, die bei der Auswahl bzw. Ablehnung zur Norm in Grammatiken des 17. und 18. Jhs. als relevant erachtet wurden). 1.2.1.1.4. Syntax Die allerwenigsten der seltenen negativen Bewertungen entstammen dem dritten Buch der Sprach Kunst über die Syntax.22 Nur ausnahmsweise sind sie in ihrer Form mit der oben kommentierten drastischen Beschreibung des beklagenswerten Verfallszustandes des Deutschen gleichzusetzen. Schottelius merkt zur Stellung des Verbs („Zeitwort“) an (1651, Buch 3, Kapitel 4, 864): Es sind aber allhie zweyerley MißbrÓuche zu meiden/ denn/ wie von etlichen geschehen/ allemahl und Ùberall darnach streben/ und die Rede deßwegen mißordnÔ/ damit ein Zeitwort zu lezt komme/ solches ist unn×tig/ und durchaus den GrØnden der Sprache nicht gemÓß. Zu dem/ welches auch affectirt wird/ daß man das Zeitwort gar zu weit hinten schraube/ und ein langes Gemenge darzwischen sezze/ solches ist gleichfals mißbrÓuchlich/ wird auch dadurch die rechte bewegende Art saÕt der deutlichen Meynung verlohren/ weil der Begrief unsers Verstandes also schraubenweiß sich nicht ausdehnen lÓßt. [Hervorhebungen von MBL]
Wenn auch genaue Untersuchungen zum damaligen semantischen Inhalt dieser Bewertungen bislang fehlen (v.a. der von Schottelius und seinen Zeitgenossen häufig verwendete Begriff der „Tunkelheit“ ist bislang noch nicht untersucht), so ist doch deutlich, dass Schottelius zu lange Sätze ablehnt. Diese Kritik ist allerdings so allgemein (es werden keine spezifischen Konstruktionen getadelt), dass eine Auswirkung auf die Verkürzung von Sätzen im tatsächlichen Sprachgebrauch – selbst wenn sie erfolgt wäre – schwerlich nachzuweisen sein dürfte. Die Kritik bezieht sich außerdem eher auf stilistische als auf syntaktische Aspekte.23 22
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Es ist zu vermuten, dass die Ursache für einen besonderen Mangel von Verweisen auf Missbräuche in der vergleichsweise geringen Beschäftigung mit syntaktischen Fragen zu suchen ist, durch die es noch nicht zu entsprechenden Kontroversen wie in früher behandelten Bereichen gekommen war. Gleiches gilt für die vielzitierte Kritik aus der Sprach Einleitung (1643, 126): „Diese FlickwØrter lahn/ hahn/ thun/ nun/ fein/ frist etc. mÙssen allezeit bei den gemeinen LiedertichterÕ und Reimschmieden vorn im Stalle [...] stehen [...]. Es ist aber ein gewis Zeichen des Flickens/ und eine Deutung auf ein sparsames VermØgen/ wo diese und derogleichen WØrter immer forthelfen und die ThÙr schließen mÙssen.“ Diese Kritik drückt nicht so sehr Ablehnung der genannten Wörter aus, sondern kritisiert Mangel an Variation in der Dichtung, als Vernachlässigung eines rhetorischen Postulats (vgl. Wilpert 1989, 901).
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Auch beim folgenden Fall (scheinbar) konkreterer Ablehnung der Verwechselung von für und vor stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit der Kritik, wenn Schottelius in der Sprach Kunst den sowohl bei Schreibern und Druckern zu findenden Missbrauch (abusus) für unnötig und abzuschaffend (imputandus) befindet, da er mit Hilfe der lat. Übersetzungen zu vermeiden sei (1651, Buch 3, Kapitel 6, Anmerkung, 879f.): I. Es werden in etlichen BÙcheren und Briefen diese VorwØrter fÙr und vor/ gar verÓndert/ vermenget und unrecht gebrauchet: Die doch an sich deutlich/ rein und gewiß. Denn fÙr bedeutet pro, und niÖt allemahl den Accusativum an sich: vor aber bedeut antè, coram, præ, und niÖt beydes den Accusativum und Ablativum zu sich/ als: fÙr den Bruder bitten/ antè quam frater, quid petere. Er hat fÙr dich/ vor mir wol geredt. Tuam causam coram me bene egit. Vor der TÙhr/ ante januam. Vor dem Herrn erscheinen/ coram domino. FÙr gut aufnehmen/ fÙr bØse aufnehmen/ rc. Abusus, non rei certitudini, sed tam scribentium, quàm imprimentium erranti libertati imputandus est. [Hervorhebungen von MBL]
Obwohl Schottelius hier eine klare Unterscheidungshilfe anzubieten meint, lässt sich trotzdem bis heute Unklarheit in diesem Bereich feststellen. Was Schottelius in seinem Ansatz einer Syntax außerdem entgeht, ist, dass es sich im Deutschen bei Präpositionen „um eine offene Klasse [handelt], was die Ermittlung ihrer Mitglieder erschwert“ (Duden Grammatik 2005, 607 bzw. s. 4.5.). 1.2.1.1.5. Orthographie Am ehesten finden sich bei Schottelius Bewertungen orthographischer Varianten (vgl. Fußnote 22). Die folgenden, vom Autor der Sprach Kunst als Idealform abgelehnten (aber nicht stigmatisierten!) Schreibweisen mit dt in undt, Mundt und den überzähligen bzw. fehlenden ts in mitt, gibtt bzw. Got, Spot haben sich bis heute nicht erhalten, man könnte hier also einen Einfluss des Autors auf die Variantenaussonderung in der Orthographie sehen (1651, Buch 2, Kapitel 2, 369f.): 1. Es ist unrecht/ daß man das t hinten an das d henget/ in denen WØrteren/ da es gar unn×tig/ als undt/ Stundt/ Mundt/ rc. fÙr und/ Mund/ Stund/ rc. 2. Ist auch falsch/ daß fast allerwegen/ sonderlich im Schreiben/das t wird zu Ende der WØrter gedoppelt/ und ein grosses doppeltes tt gemahlet/ als mitt/ gibtt/ erreichtt/ rc. fÙr mit/ gibt/ erreicht. Ein anders ist/ wan die Stammletteren das doppelte tt nohtwendig in sich haben/ als Gott/ Spott/ Tritt/ rc/ dÛ man sagt Gottes/ Spottes/ Trittes/ und nicht Gotes/ Spotes/ Trites.rc. [Hervorhebungen von MBL]
Entsprechend ist auch das b am Wortende (umb, darumb), das Schottelius in der Sprach Kunst mehrfach als „nicht recht/unrecht“ oder als „Misbrauch“ bezeichnet (1651, Buch 2, Kapitel 2, 334, 357 und 366), heute aus der Standardschreibung verschwunden. Gleiches gilt für das „ohne Uhrsach
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und unrecht“ an Wortendungen mit ß gehängte z (in daßz, waßz; 1651, Buch 2, Kapitel 2, 373). Auch gegen das Konsonanten nebengestellte h äußert sich Schottelius in der Sprachkunst (1651, Buch 2, Kapitel 2, 364f.) in entsprechender Form. „Ganz unrecht“ sei es, an Konsonanten ein h zu hängen, dies h gehöre hinter den Vokal: „Schreibt man derowegen nicht recht: muth/ Bluth/ Wirth/ Roth rc. sonderen Muht/ Bluht/ Noht rc.“. Gleiches schlägt Schottelius für die Voranstellung des hs, wo es nicht heissen kann „thaten/ rhaten/ felhen/ FÙrstenthum rc.“ sondern wo man „tahten/ rahten/ fehlen/ FÙrstentuhm &c.“ schreiben müsse. Interessant ist, dass sich weder die kritisierte noch die vorgeschlagene Form bis heute erhalten hat. Bei näherem Hinsehen lassen sich in der Sprach Kunst noch eine Reihe anderer Fälle finden, in denen Schottelius Schreibformen verwirft, die heute als normal gelten, z.B. die Schreibung von wir ohne h, bei der seiner Meinung nach „die rechte Ausrede mit der Schreibung nicht Ùberein[komt]“ (1651, Buch 2, Kapitel 2, 365f.) und die Schreibung von b statt p in verderbt, Haubt, Blut „so aber nicht zutuhn/ sondern mit fleiß zuvermeiden“ (also verderpt, Haupt, Plut, ibid. 357).24 Damit gewinnt die Frage nach dem Einfluss der Grammatiker (auch ohne dass man auf die bereits in 1.2. erwähnte Heterogenität der Äußerungen verschiedener Grammatiker einginge) eine neue Dimension. Es gilt, in den Fällen in denen sich eine Gleich- oder Nachzeitigkeit ergibt und die Grammatiker nicht nur das formulieren, was bereits üblich ist, die Kausalität von Kritik und Verschwinden kritisierter Formen zu beweisen. Es fragt sich dabei, ob angesichts dieses Befundes in der von den Grammatikern intensiv bearbeiteten Rechtschreibung immer noch von einer – wenn auch selektiven – Wirkung der Grammatiker auf die Aussonderung orthographischer Variantenausgegangen werden kann, und wenn dies der Fall sein sollte, wie genau die Selektion der Vorschläge erfolgte, die eine Wirkung ausübten bzw. nicht ausgeübt haben (s. Teil 3 und vgl. 3.1.3.1. und 3.1.3.2.). 1.2.1.1.6. Morphologie Bei den Kapiteln zur „Wortforschung“ (Morphologie) in Buch 2 der Sprach Kunst ist mehrfach deutlich zu sehen, wie Schottelius verschiedene Alternativen vorsichtig nebeneinander stellt,25 z.B. bei der Anpassung der FlexiAuch im Falle des Verbs empfangen (wie empfehlen und empfinden), das Schottelius im Kapitel Rechtschreibung der Sprach Kunst behandelt (1651, Buch 2, Kapitel 2, 367) steht Schottelius Empfehlung gegen den heutigen Gebrauch der assimilierten Formen (Näheres s. 4.5.). 25 In seinen Darstellungen arbeitet Schottelius bereits relativ systematisch, indem er weitgehend schematisch vorgeht, (idealisiert) die jeweilige Regel beschreibt und dazu Erklärungen (ggf. inklusive Implikationen für andere Bereiche) und Beispiele liefert, dabei auftretende
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onsendungen von Adjektiven (1651, Buch 2, Kapitel 3, 411; die von ihm letztendlich favorisierte Form gilt im Übrigen heute als falsch): (FÙrs ander wird es auch zu weilen nicht so gar genau in acht genommen/ wan wegen Zusammentreffung ezlicher selblautenden Buchstabe/ der Laut sich zu lang aufspalten wil: Denn die Teutsche Zier bestehet grossen Teihls darin/ daß sie mit brechender Liebligkeit dahergehe/ und in stetswollautender Ordnung angehØret werde. Also wÙrde man nicht unrecht sagen: der gnÔdiger/ gÙtiger und barmhertziger HErr: und mit besserem Wollaute/ als wenn man spreche: GnÔdige/ gÙtige und barmhertzige HErr. [...]) [Hervorhebung von MBL]
Ähnlich neutral äußert er sich in der Sprach Kunst über die Ablautschreibung bei der Pluralbildung, trotz seiner Präferenz für die als grundrichtiger bewertete Form mit Umlaut (1651, Buch 2, Kapitel 10, 483f.): Welche in der einzelen Zahl haben a/ o/ u/ die pflegen in der mehreren Zahl diese selblautende zuverenderen in ihren verwanten Kleinlaut/ nemlich das a in Ô/ das o in Ø/ und das u in Ù/ als: Ein Mann/ die MÔnner [...] Sohn/ SØhne/ [...] Tukk/ TÙkke/ Sprung/ SprÙnge. [...] (Man findet auch zum oftern/ das a in e verendert/ oder vilmehr also gedrukkt sey/ als Beume/ Zeune/ Gesenge/ fÙr BÔume/ ZÔune/ aber nach dem Grund der Sprache ist Ô zu setzen.)
Dies ist deskriptive, nicht prä- oder gar proskriptive Grammatikschreibung. Zwar gibt es auch Fälle, in denen Schottelius tatsächlich autoritär Varianten auszusondern scheint, bei genauem Hinsehen ist aber deutlich, dass dies nicht auf der Präferenz einer von mehreren gleichberechtigten Varianten beruht, sondern nur zur Vermeidung grammatischer Fehler geschieht, etwa wenn durch die Apokope Kasus, Numerus oder Genus der Pronomen verändert würde (1651, Buch 2, Kapitel 13, 704f.): Also wird auch das E in den Geslechtendungen der VornennwØrter zuweilen Ùbergangen/ als: Seins fÙr Seines: Meins fÙr Meines: unsers fÙr unseres. In Eueres wird bald das lezte/ bald das mittelste E ausgelassen/ denn man sagt eures und euers. Daß aber ezliche setzen mein Mutter/ dein Swester/ unser Augen/ mein allerliebsten Vater/ rc. solches ist durchaus falsch/ hat nichts als den unverstendigen Misbrauch zum Grunde [...]. [Hervorhebung von MBL]
Obwohl diese Darstellung in erster Linie negativ bewertende Formulierungen untersucht, darf nicht übersehen werden, dass positive Formulierungen in der Sprach Kunst26 so zahlreich sind (s. folgendes Zitat: „also sagt man gar Recht“), dass das vorrangige Bemühen des Autors um das sprachliche Idealbild auch in der Art der Grammatikschreibung deutlich wird. Wie hier gezeigt wurde, geht es an keiner Stelle um die generelle Ausrottung abgelehnter Varianten, lediglich um deren Aussonderung aus der zu konstruierenden idealen Hochsprache (d.h. aus einem spezifischen Subsystem). Dies
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Unregelmäßigkeiten oder Besonderheiten hervorhebt (ebenfalls mit Beispielen bzw. Gegenbeispielen) und ggf. Anmerkung, selten Kritik hinzufügt. Dies ist immer auf die ideale Sprachform ausgerichtet (z.B. zur Substantivzusammensetzung und entsprechender Stellung des Adjektivs in der Sprach Kunst, 1651, Buch 1, Lobrede 6, 153f.). In Buch 3 noch mehr als in Buch 2; vgl. Fußnote 22.
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geschieht auf einer rein akademischen Ebene, ohne eine Auswirkung auf die Sprache der breiten Masse ernsthaft zu erwägen. Mögliche Variationen werden, wie gezeigt, durchaus erwähnt, ggf. wird aber eher vor zu enthusiastischer Verwendung gewarnt und auf die Beschränktheit auf bestimmte Kontexte verwiesen, als dass stigmatisiert würde (1651, Buch 2, Kapitel 14, 741f.): In ezlichen ZeitwØrteren wird gedachtes WØrtlein ge zuweilen ausgelassen/ (sonderlich in Reimen) welches zu merken/ nicht aber allezeit zu tuhn seyn mØchte/ als: gessen/ fÙr: gegessen/ gangen/ fÙr: gegangen. Kommen/ fÙr: gekommen. Also sagt man auch in einer Rede gar recht/ mÙssen/ wollen/ sollen/ dÙrffen/ kØnnen/ mØgen/ fÙr: gemÙst/ gewolt/ gesolt/ gedÙrft/ gekont/ gemocht/ als: ich habe dir schreiben wollen/ fÙr: ich habe gewolt dir schreiben [...]. [Hervorhebungen von MBL]
Schottelius Absicht wurde oft als präskriptive Grammatikschreibung fehlinterpretiert: Ihm geht es in der Sprach Kunst und der Sprach Einleitung vor allem um die Beschreibung der Sprachwirklichkeit, mit dem Schwerpunkt auf philosophische, nicht primär grammatikographische Fragen. Eine Rolle dürfte bei der Wahrnehmung gerade Schottelius‘ als präskriptiv auch die zeitgenössische Rezeption seiner Werke gespielt haben. Wie in den Carmina Gratulatoria der Sprach Kunst zu sehen ist, wurde Schottelius als „Erfinder“ (im Sinne von Finder, Entdecker) der deutschen Sprache gefeiert, z.B. von Johannes Rist im 6. Lied (1651, unpaginiert): TEutschland/ Haubt und KÔiserinn Aller KØnigreich auf Erden/ Nim dein‘ edle SprachKunst hin/ Welche neu getrÙkt lÔst werden/ Schottel ein berÙhmter Mann/ Der ein Liecht hat angezÙndet/ Und die Teutsche Sprach ergrÙndet/ Daß man sie recht finden kan.
und Samuel Gerlach im 9. Lied (ibid.): Herr Suchender/ Ihr solt der Findend seyn genant/ Weil ihr erfunden habt/ was vor nie wr bekannt; Der Teutschen SpracheKunst. Wo niemand an gedacht/ Das habt ihr aus dem Grund ans Tageliecht gebracht.
Ebenso benutzt Johann Clajus in Lied 11 eine elaborierte Metapher von Deutschland als reicher Mine, die von Opitz mit einer Wünschelrute gefunden und von Schottelius als dem Obersteiger, der mit einem Licht vorangeht, erschlossen wurde. Der Bedeutungswandel des Wortes „Erfinder“ (von damals Entdecker zu heute i.S.v. Urheber) könnte zu einer Fehlinterpretation geführt und die Wahrnehmung von Schottelius‘ Werk als präskriptiv noch verstärkt haben (vgl. Lange 2005).27 Ebenso könnte die intensive Begründung der Notwendigkeit einer Norm durch die Grammatiker mit der tatsächlichen Erstellung (oder in Schottelius‘ Fall Erfindung) derselben gleichgesetzt worden sein. Aber auch der Bedeutungswandel der Wörter 27
Auch Schottelius selbst benutzt die Metapher der Zutageförderung eines Schatzes, z.B in der Dedicatio der Sprach Einleitung (unpaginiert) und auf S. 1 der Rede von der Deutschen HauptSprache (ibid.).
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Pöbel und gemein bietet sich als Grund für diese Wahrnehmung an (vgl. Kapitel 2, Fußnote 18). 1.2.2. Verschiedene sprachtheoretische Werke, Poetiken, Lehr- und Formelbücher 1.2.2.1. Werke zu Sprachtheorie und Poesie Um auszuschließen, dass Schottelius‘ Mangel an Werturteilen, abgesehen von dessen anderweitiger Vorbildrolle, eine persönliche Charakteristik und Ausnahme innerhalb der Äußerungen der Grammatiker war, wurden weitere sprachtheoretische Werke und Poetiken untersucht (im Einzelnen ist hier oft schwer zwischen beiden zu trennen).28 Christof Arnolds Kunst=spiegel (1649) beschränkt sich noch stärker als die Sprach Einleitung Schottelius‘ auf sprachphilosophische Fragen und zeigt in Argumentationsweise und Darstellungsform Ähnlichkeit mit dieser (dies äußert sich bereits in der Darstellung von Mutter Natur als versklavte Frau im Titelkupfer). Die genaue Lektüre von Arnolds Text bestätigt diesen Eindruck. In seinem Deutschen Helikon (41656) geht es Filip Zesen um „die hochdeutsche dicht= und reim=kunst“ durch deren „grundrichtige Anleitung“ der Wert der hochdeutschen Sprache dokumentiert werden soll (s. 1.2.1.1.1.). Die Verurteilung ungewollter sprachlicher Varianten spielt keine Rolle (vgl. Neumark). Andreas Tscherning beruft sich schon auf Schottelius, wenn er im Titel der Unvorgreifflichen Bedencken (1659) auf sein Ziel verweist, Missbräuche der deutschen Sprache anzuprangern, so weit sie von der von Schottelius postulierten Idealsprache abweichen. Es sind aber auch in diesem Werk nicht mehr Negativwerturteile oder Stigmatisierungen zu finden als bei Schottelius, auf dessen Sprach Kunst Tscherning sich mehrfach bezieht (ohne allerdings immer mit Schottelius übereinzustimmen, s. Unvorgreiffliches Bedencken 1659, 2; auch Harsdörffer wird als Vorbild erwähnt). Auch Tscherning geht es um eine deutsche Idealsprache, v.a. die poetische. Entsprechend äußert er sich heftig gegen Fremdspracheneinfluss und Sprachverderbung, z.B. in der auch bei ihm im Vordergrund stehenden Rechtschreibung: Bezüglich der ch- und ck-Schreibung sei die Jugend „bißanhero schändlich verfÙhret und irre gemacht worden“, in „misformierten“ Schreibungen wie schreichchen, weichchen finde man einen „heßlichen übelstand“ und „unnötige nÔrrische wortverterbung“ (Unvorgreiffliches Bedencken 1659, 3f.). 28
Bei den folgenden Zitaten wurden evt. in den Originalen vorhandene Fettdrucke nicht übernommen.
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Wie bei Schottelius ist zu sehen, dass bei vermutetem Einfluss der Fremdsprachen die Kritik an als kunstlos und daher ungeeignet empfundenen Elementen schärfer ausfällt (Unvorgreiffliches Bedencken 1659, 30): Aber diß schafft mir eben soviel nicht/ daß ich alsofort sagen mØge: das fuß/ die Weib/ das Tod. Oder das geist gelÙstet wieder den fleisch/ wie man dann dergleichen undeutsches bisweilen wol hØren muß. Bey denen/ so für gelehrte Leute angesehen sein wollen/ die auch geraume Zeit auff hoch deutschen Schulen vormals zugebracht haben/ ist es ein schÔndlicher Ùbelstand.
In der Dichtung müsse Bauern- und Pöbelsprache vermieden werden. Das gilt allerdings nur für die Dichtung (Unvorgreiffliches Bedencken 1659, 42): Derer wØrter/ so nur bey den bauren und gemeinen PØfel im brauche/ zumal in einem wichtigen wercke/ da nicht etwan bauren oder sonst ihres gleichen eingefÙhret werden/ sol ein Poët sich nicht gebrauchen. Dergleichen sind: keinest/ fÙr/ niemals: schnacken/ für/ reden/ oder sprache halten: dirnse/ für/ stube: fahrtig/ jemtig/ und dergleichen vielmehr.
Es handelt sich also um eine stilistische Empfehlung für einen spezifischen Texttyp (in einem an Bauern gerichteten Text wären anders zu sprechen, vgl. hierzu adressatenorientierter Stil, 3.1.3.1.). Negative Werturteile der fremdwortverdammenden Art tauchen bei Tscherning mit Bezug auf tatsächliche Elemente der Grammatik ohne deutlichen Zusammenhang mit Fremdspracheneinfluss nur ausnahmsweise auf, beispielsweise in der Verurteilung der Verwechselung von Dativ, Akkusativ und Ablativ, die laut Tscherning die Pronomen „schÔndlich misbrauchet und zersauset“ (Unvorgreiffliches Bedencken, 1659, 31). Verworfen werden hier die Formen Allein zu dich steht mein vertrawen (statt dir) und Was bildet er sich ein (statt ihm). Hier stellt sich folglich wie bei Schottelius die Frage nach den Wirkungskriterien der Grammatikschreibung auf die Sprachentwicklung. Auch Georg Neumark, dem ehemaligen Prinzenerzieher und Sekretär, geht es in seinen Gründlichen Anweisungen (1667) wie Zesen und Tscherning um das höchste Ideal einer Sprache der Poesie. Er orientiert sich in den Anweisungen wie Tscherning an Schottelius‘ Sprach Kunst und den Werken Harsdörffers (Vorrede an den Gewogenen Leser, unpaginiert). Bei seiner Darstellung der idealen Eignung des Deutschen als Sprache für alle Bereiche der Poesie, geht es ihm, wie Zesen in dessen Helikon, um eine positive Beweisführung. Eine besondere Stigmatisierung hier betrachteter Formen lässt sich nicht beobachten.
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1.2.2.2. Lehrbücher Die 1607 erschienene Orthographey und Phraseologey des Baseler Gerichtsschreibers Johann Rudolph Sattler (1577 – 1628) wurde vom Kreise der Grammatiker intensiv rezipiert (Moulin-Fankhänel 2000, 1904), sie diente also trotz des irreführenden Datums der hier verwendeten fünften Ausgabe von 1658 als Quelle vieler oben betrachteter Werke. Die Orthographey steht in der Tradition der Kanzlei- und Formularbücher (ibid.), und stellt sich als kommentierte und um eine Einleitung vom Ursprung der deutschen Sprache erweiterte Sammlung von beispielhaften Wörtern und Formulierungen aus der Schriftproduktion von Gerichten und Kanzleien dar, die ebenfalls orthographische und grammatikalische Teile enthält (vgl. dagegen die reinen Vorlagensammlungen von Blume und Lier, s.u. und s. 3.1.3.). Nach der Erörterung des Ursprunges der deutschen Sprache stehen Orthographie, Worttrennung und Interpunktion bei Sattler an erster Stelle (Kapitel 2-5). In seinen weiteren Ausführungen geht es ihm vor allem um einen kunstvollen Stil, zu dessen Erläuterung er vorwiegend Positivbeispiele liefert, z.B. zur nutzbringenden Verwendung von Synonymen (Orthographey 1658, 74): wann aber einer solcher wØrter viel in promtu hat/ dienÕ sie vnnd sind ihme nutz einen sententz auff vielerley weiß zu verendern/ vnd die vnliebliche widerholung gleicher wØrtern zuvermeiden [...].
Auch die von Opitz bekannte und Schottelius aufgenommene Kritik an unpassend verwendeten Adjektiven wird vorgebracht (ibid., 419f.): Wie schimpfflich/ verÔchtlich/ vnd verkleinerlich es stehe/ wann solche beygefÙgte wØrter/ nicht recht gebraucht werden/ als wie ich etwas gehØrt/ u× gesehe×/ daß man geredt/ u× geschriebe×: grausam schØn/ grausam reich/ grausam gelehrt/ an statt sehr /oder vber die massen schØn/ reich/ gelehrt/ und was dergleichen mehr sein mag: [...].
Auch bezüglich grammatikalischer Elemente, von Sattler besprochen innerhalb einer Anleitung zur Verwendung einzelner Wörter, ist die Darstellungsweise deskriptiv. Sattler zitiert Synonyme und ggf. eine kurze sachliche Erklärung, ansonsten beschränkt er sich auf das Anführen von Beispielsätzen zu jeder Bedeutung, z.B. zur Verwendung der unterordnenden kausalen Konjunktionen weil, dieweil, sittemahlen (Orthographey 1658, 68f.): Nicht offt werden solche wØrtlein funden/ daß sie den Sententz/ vor dem sie stehen/ dem vorigen anhencken [=syntaktisch unterordnen, MBL]: es werde ihnen dann/ nun/ aber/ denn/ rc. beygesetzt/ auff welchen fall dieselbige wØrtlein/ vnd nicht obbemelte den sententz vor: oder in dem sie gesetzt sind dem ersten anhencken: da sie aber den Sententz/ vor welchem die stehen/ dem vorigen anhencken: beschicht also: Welches alles mich nicht wenig befrembdt: dieweil ich mit ihme N. in vngutem nichts zu thun gehebt/ rc.
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Sonsten erfordern solche wØrter/ das hat/ haben/ hetten/ sind rc. vnd hencken damit dem vorigen Sententz ein newen an/ als: Weil vns gemeinen Lehenma×en/ vnd derselben Außschuß abermals zu gemutet worden/ wie zuvor angezeiget, daß wir vns auß dem N. begeben sollen: vnd aber der Gegentheil zu einstellung ihrer begangenen thÔtlichkeit/ nicht allein nicht verwilliget: sonder auch was in solchem sie thun/ vnnd ob sie die gÙtliche Handlung einwilligen wØllen oder nicht/ niemahls außtruckenlich sich vernemmen lassen/ viel weniger daß sie kÙnfftiger Turbation halb versicherung thun werden/ zu spÙren gewesen: haben wir ehren vnd pflicht halb vns vnsers Vortheils nicht begeben/ noch vom Fuchs/ gleich jenem Hanen/ vom Baum zusteigen bereden lassen/rc. [...]
Abgesehen davon, dass Schottelius‘ Ablehnung zu langer Satzstrukturen in den Sinn kommt, muss außer der Sachlichkeit der Darstellung festgestellt werden, dass die Variante weil + Verbzweitstellung (s. 4.9.) bei Sattler fehlt, man also von Selektion durch Auslassung sprechen könnte. Zwei weitere auflagenstarke, weit verbreitete Briefsteller aus dem Kreis der Grammatiker werden in Kapitel 3. näher untersucht. Ihnen wird besonderer Raum eingeräumt, weil sie mögliche Bindeglieder zwischen den Bereichen Theorie und Praxis (d.h. zwischen den Sprachgesellschaften und Berufschreibern) darstellen. Gleichzeitig dienen sie auch als Quelle für Hinweise zum Berufsbild von Berufsschreibern des 17. Jhs. Anthonio Oudins Dictionarivm Von Dreyen Sprachen (21673) wurde betrachtet, weil es als Fachbuch in einer städtischen Kanzlei durchaus einen Platz gehabt haben könnte, und somit zur Verbreitung von sprachlichen Wertvorstellungen, auch über soziale Grenzen hinaus gedient haben könnte. Es handelt sich beim Dictionarivm um ein dreisprachiges Wörterbuch mit einer kurzen, sachlichen Einführung in die Aussprache und die Hauptregeln der Grammatik samt wichtigen Ausnahmen. Es eignete sich dadurch auch zum selbstständigen Sprachstudium. In den Kontext der oben betrachteten Werke fügt es dadurch ein, dass es die bei Schottelius eingehend beschriebenen Legitimierungsbemühungen des Deutschen durch die Gleichstellung mit anderen Europäischen Sprachen unterstützt (in der Einführung wird gelobt, das Buch biete „einen überreichen Schatz der drey kØstlichsten Europäischen Spraachen“; Dictionarivm 1673, An den Leser). Jegliche Bewertungen fehlen. 1.2.2.3. Formularien Der Jurist Jacob Blume bietet mit seinen SUPPLICATIONES CAMERALES (1666) eine nach 18 Rechtsgebieten geordnete Sammlung von über 400 deutschen Supplicationen29 des Kaiserlichen Kammergerichts. Diese bietet er sowohl 29
Supplication: „[...] ausserordentliches Rechts=Mittel, dadurch die Aenderung eines End=Urtheils gesuchet wird [...]“ (Zedler Band 41, Spalte 365ff.).
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Berufsanfängern als auch erfahrenen Schreibern, „juvenibus veteranisque Practicis“, als Arbeitshilfe an (SUPPLICATIONES CAMERALES, AD SINCERVM LECTOREM, unpaginiert). Die sparsamen lateinischen Anmerkungen beziehen sich ausschließlich auf rechtliche Aspekte. Auch Heinrich Wilhelm Lier liefert mit den Formulæ cancellariæ cameralis Teutsch und Lateinisch (1667) eine Sammlung vorbildlicher Gerichtstexte „sonderlich die gewohnliche Clausulas der Proceß zu meinem Dienst gehörig“, „dergleichen Arbeit/ was von der Cantzley herkompt“, „damit die Herren Protonotarii, solche gantz zu exprimiren nicht nØthigh haben“ (Formulæ cancellariæ cameralis, Zueignung, unpaginiert). Sein Buch enthält eine Titelei und Hinweise praktischer Art (z.B. was zu Form, Format und Art der Anlagen bei Schreiben jeweils zu beachten ist). Sprachliche Merkmale werden nicht bewertet. Demnach kann durch ihren Fokus auf sprachphilosophische Fragen, die gegen Mitte des Jahrhunderts erst zögerlich wachsende Behandlung morphologischer und v.a. syntaktischer Themen, ihre uneinheitlichen Stellungnahmen und eine nach Lektüre älterer Sprachgeschichten überraschend sachliche Grammatikschreibung die Produktion sprachtheoretischer und verwandter Werke der Grammatiker des 17. Jhs. als Quelle negativer Werturteile mit Auswirkung auf ihre Zeitgenossen weitgehend ausgeschlossen werden. Überdies sind bei der Suche nach Sprachbewertungen auch Zweifel am bislang von der Sprachgeschichtsschreibung angenommenen Ausmaß des Einflusses der Grammatiker auf den Prozess der Variantenaussonderung aufgekommen. Als Folge dessen stellt sich auch die Frage nach dem Fortschritt der sprachlichen Standardisierung im 17. Jh., die in der Literatur als weitgehend auf dem Stand des Nhd. angekommen dargestellt wurde (1.1.). Bevor ein zeitgenössisches Textkorpus zur Klärung dieser Fragen herangezogen wird, soll der Begriff der Standardisierung noch einmal genauer betrachtet werden.
1.3. Standardisierung von Sprache 1.3.1. Definition von Standardsprache Theodor Lewandowski (1994, 1096) definiert Standardsprache als die „historisch legitimierte und institutionalisierte überregionale Verkehrssprache einer Sprachgemeinschaft, die Umgangssprache(n) und Dialekte überlagert und durch Normen des korrekten mündlichen und schriftlichen Gebrauchs festgelegt und tradiert wird.“ Die Standardsprache ist das in der Sprachgemeinschaft am weitesten verbreitete öffentliche Verständigungsmittel und wird in Schulen vermittelt. Sie kann von sozialem Standpunkt auch als Di-
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alekt der Gebildeten gesehen werden, oder als Varietät deren Normen überregionale Geltung erreicht haben (ibid.). Klaus J. Mattheier (2000, 1085) betont, dass es sich bei Standardsprachen gemäß der Tradition der Prager Schule immer um Schriftsprachen handelt.30 Als weitere Definitionskriterien für Standardsprache zitiert Mattheier: „überregional, oberschichtlich, invariant, ausgebaut bzw. multifunktional und schließlich kodifiziert.“ In Anlehnung an Ulrich Ammon (1986, 1752) unterscheidet Mattheier dann „zwischen Standardsprache und Standardvarietät“ wobei die Standardsprache einen historisch-gesamtsprachlichen Überbegriff darstellt, der die Standardvarietät mit einschließt. Obwohl es hilfreich ist, sich durch die terminologische Unterscheidung in (einzelne) Standardvarietät und in Standardsprache (als Summe aller historischen Varietäten) bewusst zu machen, dass es sich bei dem Untersuchungsgegenstand der Standardsprachforschung um einen übergeordneten Begriff handelt, so hat diese Terminologie doch auch ihre Schwächen. Nicht unbedingt in jeder historischen Stufe und in jeder Gesellschaft herrscht Einigkeit darüber, was als die Standardvarietät gilt, und so können auch innerhalb der sprachlichen Standardvarietät regionale oder funktionale Variationen auftreten. Kodifizierungsversuche können darüber hinaus an Einheitlichkeit mangeln. Beobachtet werden konnte dies für das 17. Jh. bereits bei der beschriebenen Diskussion der Grammatiker über eine künftige deutsche Idealsprache, bei der es sowohl Befürworter einer regionalen Variante als auch der Kodifizierung nach logisch-„grundrichtigen“ Regeln gab. Die von Lewandowski oben als die Standardsprache definierend angegebene historische Legitimierung und Institutionalisierung einer überregionalen Verkehrssprache mit allseits anerkannten Normen, die in Schulen vermittelt wird (die beiden letzten Punkte setzen Einheitlichkeit der Normen bereits voraus), war im betrachteten Wirkungszeitraum der Grammatiker erst eine Forderung, die selbst noch uneinheitlich vorgebracht wurde und deren Legitimität erst zu beweisen war. Die Legitimierung einer Standardsprache war nicht nur mangels Einigung auf einen Regelkanon noch nicht denkbar, sondern auch, weil es angesichts der politischen und religiösen Situation deutschsprachiger Städte und Staaten im 17. Jh. an einer überregionalen Institution mangelte, die die Autorität zur Legitimierung und die nötigen Mittel zur schulischen Verbreitung besessen hätte. Von einer Standardsprache im Sinne der obigen Definitionen kann also erst die Rede sein, nachdem basierend auf strukturellen Voraussetzungen eine verbindliche Kodifizierung der Sprache erfolgt ist. 30
Zum Problem von Mündlichkeit und Schriftlichkeit bei Textüberlieferungen s. Grubmüller (1998) und Polenz (1998, 48). Für diese Arbeit, die sich auf Äußerungen über eine ideale Sprachform der hohen Schriftlichkeit und ein schriftliches Korpus konzentriert, kann diese Problematik ausgeklammert werden.
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Dass man heute nicht mehr von einer vollständigen Einheitlichkeit der Standardsprache ausgeht, kann als gegeben angesehen werden (Klaus Gloy 1998, 404 hält eine solche schlichtweg für ein Konstrukt der Sprachwissenschaft). Mattheier (2000, 1093) löst dieses Problem, indem er (in Anlehnung an Gloy) folgende Definition liefert: Eine Standardsprache, d.h. ein einzelsprachiges Varietätensystem mit einer ausgebildeten Standardvarietät, stellt nun einen speziellen Fall von Varietätenkonstellation dar, bei dem eine Varietät einen erheblichen Anteil an kodifizierten Varianten enthält und auch über die nichtkodifizierten, jedoch als angemessen angesehenen Varianten des subsistenten Normbereichs weitgehend in der gesamten Sprachgemeinschaft Einverständnis besteht.
Es genügt also, wenn der Anteil an kodifizierten Varianten überwiegt. Die sprachliche Standardisierung ist weiter für Mattheier (2000, 1085) ein „Prozeß, an dessen Ende Standardsprachen entstanden sind. Der Standardisierungsprozeß muß dabei in erster Linie die Entwicklungen sprachlicher und gesellschaftlicher Art aufzeigen, die zur Ausbildung einer Standardvarietät geführt haben.“ 1.3.2. Ablauf von Standardisierung: Varietätenselektion und Kodifizierung Die Ausbildung von Standardsprachen wird von Mattheier als ein gesellschaftlicher und soziolinguistischer Prozess gesehen, der in den Sprachen Europas ähnlich ablief. Sie kommt einem Modernisierungsprozess gleich (2000, 1093). Mattheier beschreibt den Verlauf der Standardisierung und die sie abschließende Kodifizierung als Auswahlprozess einer Varietät aus dem Bestand autochthoner Varietäten und Sprachstile (2000, 1104f.). Bei Selektion einer einheimischen Varietät wurde das Lateinische, das die Funktionen einer schriftlichen Standardvarietät teilweise übernommen hatte, von dieser abgelöst, so dass gleichzeitig auch ein Emanzipierungsprozess ablief. Mit Anerkennung der einheimischen Varietät als überregionales normgemäßes Kommunikationsmittel war der jeweilige Selektionsprozess abgeschlossen. Danach begann in den meisten sprachgeschichtlichen Entwicklungen der Kodifizierungsprozess. Die Kodifizierung der Standardvarietäten bestand in europäischen Sprachgemeinschaften in der Regel „in einem komplizierten und langdauernden Prozess, der sich auf den Wortschatz, die Orthographie und die Grammatik der Varietät“ konzentrierte (ibid.).31 Für die Einheitlichkeit der Sprache kam besonders der Rechtschreibung eine spezielle symbolische Funktion zu. Die Arbeiten der Grammatiker (s. 1.2.1., 1.2.2., 3.1.3.1. und 3.1.3.2.) fallen nach dieser Darstellung noch in die Selektionsphase, sofern man nach 31
Zur Variantenselektion siehe auch Polenz (1998, 46).
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den Kriterien der Einigung auf eine autochthone Varietät und der Ersetzung des Lateinischen durch dieselbe geht. Die Wirkungsphase der Grammatiker liegt dann deutlich vor der Kodifizierungsphase des Deutschen. Urteilt man nach dem Beginn der Kodifizierung, beispielsweise dem speziellen Kriterium der Orthographie, liegen die Arbeiten der Grammatiker schon mitten in der Kodifizierungsphase. Ohne die Betrachtungskriterien besonders zu spezifizieren, was die Einschätzung noch weiter komplizieren würde,32 ist die Unterscheidung zwischen Selektions- und Kodifizierungsphase im Fall des Deutschen also auch aus theoretischer Sicht vielschichtig und komplex, was gleichzeitig die bereits unter 1.1. geschilderte Problematik der Epochenfestlegung erklärt (die ihrerseits vom wahrgenommenen Grad der Standardisierung abhängt, vgl. Wolff 1990, 137) und auch die Schwierigkeit der Anwendung der genannten Modelle auf die tatsächliche Sprachentwicklung verständlich macht. Die Kodifizierungsphase des Deutschen wird von Mattheier als plurizentrische Standardisierung beschrieben (2000, 1098), bei der verschiedene regionale Varietäten Eingang in die Standardsprache finden. Ihr Endpunkt wird im 18. Jh. mit der Grammatik von Gottsched (1748) und dem Wörterbuch von Adelung (1774-1786) verortet (ibid.) und dargestellt „als ein mehrfacher Überschichtungs- und Ausgleichsprozeß zwischen sehr verschiedenen regionalen Sprachen [...], die im heutigen Standard ein komplexes Mischungsverhältnis ergeben“ (2000, 1090). Für die sprachliche Standardisierung in Europa kann man generell zwei Phasen unterscheiden (Mattheier 2000, 1090f., nach Harald Haarmann 1988), wobei Phase I von der Ausbildung überregionaler Sprachformen gekennzeichnet wird (in deutschsprachigen Gebieten beginnend mit den Schreiblandschaften des Mittelalters, s. 1.1.), während in Phase II eine oft bereits latent vorhandene Besinnung auf die nationale Identität in den Vordergrund gerät, die bereits in den oben vorgestellten sprachtheoretischen Werken des 17. Jhs. zu beobachten ist.33 Mattheier (2000, 1105) beklagt, dass in der bisherigen Forschung die Strukturentwicklung des Sprachsystems allein im Vordergrund gestanden habe, so dass die mit dieser in Wechselwirkung stehende, gleichzeitig ablaufende Statusentwicklung bislang ignoriert wurde. Die Entwicklung des Status bewirkt eine „diatopische, diastratische und diaphasiche Generalisierung innerhalb der Sprachgemeinschaft“ (ibid.), d.h. die Standardvarietät erhält eine national anerkannte, klassenübergreifende Allgemeingültigkeit. Somit steht „[a]m Ende dieser Statusentwicklung einer Standardvarietät [...] idealiter eine Sprachform, die in allen soziokommunikativen Konstellatio32 33
Die textsorten- und kontextspezifische Ablösung des Lateinischen in deutschsprachigen Gebieten dauerte beispielsweise vom 13. Jh. bis ins 19. Jh. (vgl. König 2004, 79 und 85 sowie Polenz 1994, 56). Vgl. hierzu die Darstellung dieser Phasen in Langer (2001, 2f ).
Standardisierung von Sprache
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nen verwendet werden kann und die von allen Mitgliedern der Sprachgemeinschaft beherrscht wird“ (2000, 1105f.). Die Entwicklung der Struktur führt nach Mattheier (2000, 1091) zur Entstehung einer weitgehend kodifizierten Standardvarietät, i.d.R. durch die Festlegung einer Standardorthographie, oder die Erarbeitung eines ersten Wörterbuches. Mattheier schlägt vor (ibid., 1092), bei Untersuchungen entsprechender Fragestellungen in soziolinguistischen Teil (Status und Prestige) und linguistischen Teil (Struktur) zu trennen. Er betont die Ambivalenz der Sprachstandardisierung als linguistischen Prozess der Sprachveränderung einerseits und soziolinguistischen Prozess der Institutionalisierung gesellschaftlicher Normen andererseits, und es erscheint ihm „daher angemessen, den Prozeß der Entwicklung von Standardsprachen als einen unter besonderen Bedingungen stehenden soziolinguistischen und linguistischen Sprachveränderungsprozeß zu betrachten“ (ibid.). Die drei Phasen dieses Wandels sind die natürliche Bildung von Sprachvarianten, eine Selektionsphase, in der aus der Menge ungerichteter Varianten einige als innovative Basis für den neuen Standard ausgewählt werden, und schließlich die Generalisierungsphase, in der eine Innovation im Sprachsystem, Sprachgebrauch und in der Sprechergemeinschaft institutionalisiert wird (wie Mattheier beobachtet wird dabei oft eine traditionelle Variante verdrängt, ibid.). 1.3.3. Standardnorm Nach der Beschreibung der Prozesse der sprachlichen Standardisierung und der Kodifizierung einer sprachlichen Norm ist es ebenfalls sinnvoll, den Begriff der sprachlichen Standardnorm näher zu betrachten, auch um eine Erklärung für die Begriffe präskriptiv (bzw. proskriptiv) und deskriptiv nachzuliefern, die bereits in den vorigen Abschnitten verwendet wurden. Mit Mirra M. Guchmann (1973, 468ff.) definiert Mattheier (2000, 1085) die Standardnorm als „das Wissen um die Gesamtheit derjenigen kollektiven Realisierungsmöglichkeiten eines Sprachsystems, die von der Gesellschaft als richtig und vorbildlich aufgefaßt werden.“ Mattheier schließt hieraus (ibid.): Die Analyse einer Sprachstandardisierung hat demnach die Aufgabe, linguistisch und soziolinguistisch den Prozeß nachzuzeichnen, durch den sich eine solche Standardnorm innerhalb des Varietätsystems einer Sprache und innerhalb einer Sprachgemeinschaft ausbildet und vorbildlich wird. Wichtig ist dabei, daß die Standardnorm dadurch in einen engen Zusammenhang gerückt wird mit einer Sprachgemeinschaft, in der diese Form/Varietät als vorbildlich angesehen wird.
Für Ammon (1986, 50ff., nach Mattheier 2000, 1085f.) ist die Standardnorm entscheidend durch das Merkmal kodifiziert gekennzeichnet, also „in einem orthographischen, lexikographischen bzw. grammatischen Anwei-
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sungsbuch für den normangemessenen Sprachgebrauch verzeichnet und als Präskription formuliert.“ Voraussetzung für eine solche Präskription ist eine „gesamtgesellschaftliche Institution, die das Recht und die Macht hat, derartige Vorschriften zu propagieren und einzufordern“ (vgl. Gloy 1973, 3436). Einer derartigen, sogenannten präskriptiven Standardnorm (die auch Proskriptionen enthalten kann, also die Nennung von Formen, die von der Norm auszuschließen sind) kann jedoch noch ein anderer Typ von Sprachnorm entgegengestellt werden. Dieser beruht nicht auf einer offiziellen Kodifiziertheit, sondern auf dem Sprachgebrauch, dem sogenannten Usus. Gloy (1973, 31, nach Mattheier 2000, 1087) bezeichnet diese Normen als subsistente Normen, während Ammon von sekundären Normen spricht, „die zwar nicht offiziell kodifiziert, jedoch trotzdem offiziell akzeptiert werden“ (ibid.). „Während präskriptive Normen in einem Standardisierungsprozeß oftmals mittels offizieller Akte des Staates installiert werden, also intentionale Sprachveränderungshandlungen voraussetzen, stellt die Ausbildung und Durchsetzung subsistenter Normen einen vielschichtigen Prozeß dar, bei dem unterschiedliche Motive und Bewertungsstrukturen zusammenwirken“ (ibid.). Es ist nach den obigen Darstellungen fraglich, ob die Konzepte der Standardsprache und Standardnorm überhaupt sinnvoll auf die deutsche Sprache zur Zeit des 17. Jhs. (also auf die Zeit vor der verbindlichen Kodifizierung eines sprachlichen Standards, die in der Regel im 18. Jh. gesehen wird) angewendet werden können. Außerdem beinhaltet der Begriff präskriptive Norm als intentionale Sprachveränderungshandlung einen institutionalen Kodifizierungsprozess durch eine gesamtgesellschaftliche Institution (damit ist er als Begriff der Herausbildung einer subsistenten Norm durch Sprachgebrauch komplementär). Im Zusammenhang mit den Grammatikern des 17. Jh., also der Zeit vor einer institutionalen Kodifizierung des Deutschen, wäre der Begriff präskriptiv entsprechend dieser Definition noch gar nicht sinnvoll zu verwenden. Folgt man außerdem Mattheiers Darstellung, so muss man die Sprachnorm als Spezialform einer sozialen Norm verstehen. Nach Gloy 1975 (in Mattheier 2000,1094) ist die Sprachnorm dann eine „Vorschrift, die das (kommunikative) Handeln des Menschen als Mitglied einer Gesellschaft regelt“. Aus diesem Grund sieht Gloy (1998, 396f.) es als unzureichend an, Sprachnormen außerhalb ihres Kontextes zu untersuchen und sich nur auf die realisierten Normen zu beschränken: Sprachnormen werden deshalb nicht als geschichtslose Gegebenheiten, sondern in ihrer Verflechtung mit historisch-sozialen Lagen und Interessen adäquat analysiert. Wenn derart Umstände der Produktion, d.h. außer den Sprachnormen selber auch die Normierungsprozesse thematisch werden, dann ist eine Beschränkung auf bereits geltende Normen nicht länger aufrecht zu erhalten. Vielmehr verdienen auch
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die zahlreichen Normformulierungen und Normversuche, die zu keiner Legalisierung („Statuierung“) führten, Beachtung: [...].
Auch nach Polenz ist das sprachliche System ohne Hilfe sozialwissenschaftlicher Methoden nicht zu begreifen (1998, 46): Manche Sprachsystemveränderungen der neueren Zeit widersprechen geradezu sprachwandeltheoretischen Prinzipien wie Ökonomie, Ausgewogenheit, Verständlichkeit, z.B. die sprachkritisch notorischen weiten Satzklammern und puristischen Kombinationsbeschränkungen in der Lehnwortbildung des Deutschen [...], da sozialgeschichtlich erklärbare akademisch-schreibsprachliche Sprachideologie- und -stiltendenzen der natürlichen Systementwicklung entgegengewirkt haben [...].
Eine von Mattheier (2000, 1092) postulierte Ausweitung der sprachhistorischen Untersuchungen in soziolinguistischen und linguistischen Teil und sein Vorschlag, die Entwicklung von Standardsprachen als einen unter besonderen Bedingungen stehenden soziolinguistischen und linguistischen Sprachveränderungsprozess zu betrachten (s.o.), entspricht somit jüngeren Trends der Sprachgeschichtsschreibung, die auf eine Integration von sprachlicher und gesellschaftlicher Analyse hinzielen (vgl. Polenz 1998, 41f.; Moulin-Fankhänel 2000, 1907f.; s. auch Teil 3). Diese Zweiteilung soll im Weiteren berücksichtigt werden.
1.4. Bewertung von Sprache – ‚der‘ Duden als Referenz Im vorigen Abschnitt wurde bereits der Normbegriff aus sprachwissenschaftlicher Sicht beleuchtet. Hierbei wurde die Standardnorm als Wissen um die Gesamtheit derjenigen Realisierungsmöglichkeiten eines Sprachsystems definiert, die von der Gesellschaft als richtig und vorbildlich aufgefasst werden. Für eine präskriptive Standardnorm wurde die Kodifizierung der Norm postuliert, also die Formulierung verbindlicher Regeln für den normangemessenen Gebrauch von Rechtschreibung, Lexikon und Grammatik in einem Anweisungsbuch (Kodex). Formen, die im Kodex als unerwünscht bezeichnet werden, sind proskribierte Formen.34 Erst bei Existenz einer gesamtgesellschaftlichen Institution mit der Autorität zur Einsetzung des Kodex kann eine im eigentlichen Sinne präskriptive Norm wirkungsvoll verbreitet werden. Darüber, wie und wann der Kodex der deutschen Sprache zustande kam, herrschen unterschiedliche Ansichten. Zwar schreibt Barbara Sandig (1973, 51) noch über die Entwicklung der deutschen Sprachnormen aus dem Sprachgebrauch: „‚Sprachgebrauch‘ heißt seit Jahrhunderten schriftlicher Sprachgebrauch bestimmter sozialer Gruppen. Und schriftlicher Sprachgebrauch wurde entwickelt nach den normierenden Werturteilen 34
Zu möglichen Kriterien für die Proskription s. Voeste (1999, 177).
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der Grammatiker.“ Dagegen geht aber Anja Voeste davon aus, „daß die Normierung der Schriftsprache nicht der Leistung der Grammatiker des 17. und 18. Jahrhunderts zu verdanken sei“, jedenfalls nicht ausschließlich (1999, 18). Mattheier datiert das Ende der Kodifizierungsphase mit dem Erscheinen von Gottscheds Grammatik (1748) bzw. Adelungs Wörterbuch (ab 1774, s. voriger Abschnitt), womit der Arbeit dieser Grammatiker ein deutlicher Einfluss zugestanden wird. Solche Angaben lenken leicht davon ab, dass auf deutschsprachigem Gebiet eine Institution mit der überregionalen Autorität zur Kodifizierung bis heute fehlt (s.u.). Noch ein anderer wichtiger Punkt wird bei den theoretischen Normdiskussionen oft übersehen: Die Ansichten der Sprecher. Modernen sprachwissenschaftlichen Darstellungen sind spätestens seit den 70er Jahren Werturteile wie richtig oder falsch nicht mehr zu entlocken. Laut Barbara Sandig (1973, 53) gibt es „den richtigen Sprachgebrauch“ (für die Sprachwissenschaft!) nicht. Nur indirekt lässt sich aus modernen sprachwissenschaftlichen Äußerungen die Existenz von Sprachbewertungen rekonstruieren, obwohl ja nur logisch ist, dass bei einer Kodifizierung der richtigen und vorbildlichen Formen auch solche existieren müssen, die falsch und abzulehnen sind. Hugo Steger z.B. definiert (1987, in Polenz 1998, 48) Sprech- und Schreibsprachen als „Stile“, die nicht über das eigene sprachstrukturelle Zeicheninventar von Varietäten verfügen, sondern medien-, situations- und textsortenspezifische „Abwahlen der Sprachmittel aus dem Gesamtinventar der betreffenden Erscheinungsform, mit unterschiedlichen Häufigkeiten und unterschiedlichen Kombinationen“ sind. Steger fährt fort: „Beim Unterschied gesprochen vs. geschrieben gibt es als Sprachbewertung nicht ‚richtig/falsch‘, sondern nur ‚angemessen/unangemessen‘.“ Dies impliziert, bei aller Bemühung um sachlich-neutrale Sprachbeschreibung, die Existenz der Kategorien richtig und falsch, zumindest innerhalb der Schriftsprache. Wie Winifred Davies und Nils Langer zeigen können (2006), legen Sprecher des Deutschen ein starkes Unbehagen an den Tag, wenn sprachliche Beratungsstellen wie die Duden Sprachberatungsstelle oder das Sprachtelefon Brandenburg auf gezielte Anfragen zu Zweifelsfällen mit dem Hinweis eine offene Norm antworten. Die Antwort, es gäbe keine einzige richtige Antwort, und dass der Standard die Möglichkeit der Variation vorsehe, wird als unbefriedigend oder sogar unbehaglich empfunden („deeply uncomfortable“, ibid.). Es kann also von einem Bedürfnis der Sprecher nach klaren Unterscheidungen zwischen falsch und richtig ausgegangen werden. Die sprachwissenschaftlichen Bemühungen um weitestgehende Subjektivität können dieses Bedürfnis jedoch nicht befriedigen. Auch die im vorigen Abschnitt zitierte Definition der Standardsprache von Mattheier als Variantenkonstellation mit einem „erheblichen Anteil an kodifizierten
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Varianten“, über die „weitgehend in der gesamten Sprachgemeinschaft Einverständnis besteht“, muss in den Augen der nach absoluten Bewertungen suchenden Sprecher versagen. Dies erklärt, warum Autoren wie Gustav Wustmann Anfang des 20. Jhs. und gegenwärtig Bastian Sick (z.B. 2004) sich damals wie heute großer Beliebtheit und ihre Bücher sich hoher Auflagenzahlen erfreuen: Sie liefern den Sprechern klare Entscheidungshilfen und scheuen sich nicht vor expliziten Sprachbewertungen. So schreibt Wustmann im Vorwort zur 3. Auflage seines erfolgreichen Sprachratgebers Allerhand Sprachdummheiten (1903) dieser solle auch der herrschenden Fehlerhaftigkeit und Unsicherheit unsers Sprachgebrauchs steuern, aber vor allem soll es doch das Sprachgefühl schärfen und dadurch das Aufkommen neuer Fehler verhüten.
Bastian Sicks „Wegweiser durch den Irrgarten der deutschen Sprache“ wird als Hilfe beim Sortieren des „Sprachmülls“ (72004, Über das Buch, unpaginiert) verkauft. Wie der Autor in der Einleitung seiner 7. [!] Auflage beschreibt (2004, 9f.), entwickelte sich der Vorgänger des Buches, seine anfänglich auf Phrasen, Modewörter, Fachjargon und Anglizismen abzielende Internetkolumne, dank des enormen Interesses seiner Leser zu einer Kolumne über „die vielen Zweifelsfälle der deutschen Sprache im Allgemeinen“ (ibid., 10). Sick (ibid.): „Das Bedürfnis nach Aufklärung und Klarstellung ist immens.“ Gründe sieht Sick nicht in einem allgemeinen Sittenverfall, sondern in der komplizierten historischen Entwicklung der deutschen Sprache, dem Einfluss regionaler Aussprache, Grammatik und Lexik, der Wiedervereinigung und der Rechtschreibreform (ibid., 10f.). Dass Sicks Sprachratgeber kein Sonderfall ist, zeigt die Vielzahl entsprechender Veröffentlichungen (z.B. aus dem Hause Duden, etwa Alsleben 1998: Deutsch ist Glückssache). Das Bedürfnis der Sprecher nach unzweideutigen Regeln zieht nur zögernd das Interesse der Soziolinguistik auf sich. Klaus Gloy (1998, 404) vermutet aber: Die Ansichten, die Sprecher über die faktischen Sprachverhältnisse haben, sind möglicherweise entscheidender als die realen Sprachverhältnisse selber.
Herauszufinden, inwieweit die populären Sprachratgeber ihren Lesern wiedererzählen, was diese selber glauben und gerne hören möchten, wird Aufgabe der künftigen synchronischen Sprachforschung sein (vgl. Ansätze hierzu in der Schilderung in Davies/Langer, 2006, letztes Kapitel). Die Untersuchung der Vorstellungen von Laien über Sprachnormen von Davies/ Langer (2006) zeigt bereits, dass zwischen Kodex und wahrgenommenem Kodex zu unterscheiden ist. Wie die Autoren zeigen, gibt es nicht nur Fälle, in denen Sprecher Formen ablehnen, die im Kodex proskribiert werden (z.B. Polynegation – in solchen Fällen kann man von einem proskribierenden Einfluss des Kodex ausgehen), sondern auch solche, in denen Sprecher Formen ablehnen, von denen sie annehmen, dass sie im Kodex proskribiert
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seien, obwohl das nicht der Fall ist (z.B. temporales wo35). Ein anderer Fall ist die Konstruktion wegen + Dat.36 Diese Konstruktion wird von Sprechern in der (falschen) Überzeugung benutzt, sie sei von der Duden Grammatik mittlerweile in den Kodex aufgenommen (s. Davies/Langer, 2006). Für die vorliegende, diachronisch orientierte Arbeit, die den historischen Ursprüngen laienlinguistischer Vorstellungen nachgeht, ist von Bedeutung, welcher Status den Veröffentlichungen des Dudenverlags hierbei zukommt. Wie erwähnt, fehlt im deutschen Sprachraum bisher ein staatlich verordneter Kodex, der alle Bereiche der Sprache umfasst. Für die Rechtschreibung gibt es allerdings seit über hundert Jahren ein staatlich anerkanntes Standardwerk. Das von Konrad Duden Ende des 19. Jhs. entwickelte Rechtschreibwörterbuch37 wurde schon 1902 per Bundesratsbeschluss für verbindlich erklärt. Österreich-Ungarn und die Schweiz schlossen sich dieser Entscheidung an. Von der Kultusministerkonferenz der Bundesrepublik wurde das weiterentwickelte Werk 1950 als in Zweifelsfällen „richtunggebend“ anerkannt (vgl. Davies/Langer, 2006), die seitdem florierenden Bände der Rechtschreib-, Stil- und Grammatikbücher mit dem inzwischen geschützten Markennamen Duden bleiben aber bis heute rein kommerzielle Veröffentlichungen. Trotzdem hat ‚der‘ Duden sich seit seinem Entstehen zu einem inoffiziellen Kodex entwickelt: „In Deutschland verkörpert der Duden die sprachliche Autorität schlechthin“ (Weinrich 1976, 352, zitiert in Stevenson 1997, 189).38 Nicht nur Laien, sondern auch Sprachwissenschaftler haben seit langem den Status des Duden zur Kenntnis genommen. Hundt (2000, 2 vgl. Blackall 1966, 108) stellt zu Gottscheds Autorität in Sprachdingen fest: „[D]ie mehrfach aufgelegte ‚Deutsche Sprachkunst‘ hatte den Status eines ‚Duden des 18. Jahrhunderts‘“. Schon Wustmann fand es in seinem Vorwort zur 3. Auflage 1903 notwendig, sich gegen die Rezeption seines Buches als Nachschlagebuch und „als eine Art von ‚Duden‘ für Grammatik und Stilistik“ abzugrenzen (den er im Übrigen als „Sprachknecht, der auf jede grammatische Frage die gewünschte Antwort bereit hat“ ablehnte). In
35 36 37 38
Z.B. der nach der Duden Grammatik korrekte Satz In dem Augenblick, wo er kommt (vgl. Duden Grammatik 2005, 1040f. - hier wird allerdings temporales wo als „umgangssprachlich“ gekennzeichnet). Z.B.: *Wegen dem schlechten Wetter bleibe ich zu Hause. 1872 veröffentlichte Duden zum ersten Mal Die deutsche Rechtschreibung. Abhandlungen, Regeln und Wörterverzeichnis mit etymol. Angaben. Quelle: http://www.dhm.de.lemo/html/ biografien/Duden Konrad/ (14.11.2005). Näheres s. Duden Grammatik (2005, 64f.). Die Ambivalenz des Begriffes, der sich auf eine ganze Reihe von Nachschlagewerken zur deutschen Sprache bezieht, mit dem aber meist das Rechtschreibwörterbuch gemeint ist, erläutert Stevenson (1997, 187ff.).
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dieser Arbeit wird die Duden Grammatik als repräsentativ für einen allgemein akzeptierten Kodex angesehen (vgl. auch Davies/Langer, 2006).39 In den hier vorgenommenen Analysen von Originalquellen aus dem 17. Jh. sollen morphologische und syntaktische Merkmale untersucht werden, die heute negativ bewertet werden (Teil 4). Wegen der Bedeutung der Orthographie für die Arbeit der Grammatiker und die standardsprachliche Kodifizierung wird auch ein vergleichender Blick auf die Rechtschreibung erfolgen. Dabei werden Wertungen im Sinne heutiger Sprecher (d.h. nach Konsultation der Duden Grammatik) vorgenommen werden. Damit soll nicht etwa eine prä- bzw. proskriptive Tradition wieder aufgelebt werden,40 sondern diese Bewertungen dienen als Hilfsmittel, um den Bewertungen der entsprechenden Konstruktionen in den Augen heutiger Sprecher nachzugehen. Gleichzeitig zum Blick von heute aus sollen die Quellen auch mit den entsprechenden Äußerungen aus zeitgenössischen metalinguistischen Texten verglichen werden, so dass sie in ein zeitliches Kontinuum eingeordnet werden können. Durch den Vergleich mit heutigen und damaligen Bewertungen soll zu strukturellen Erkenntnissen über die Quellen gelangt werden. Die folgenden Teile 2 und 3 gehen zunächst auf die von Mattheier vorgeschlagenen soziolinguistischen Prozesse bei der Institutionalisierung gesellschaftlicher Normen näher ein, indem sie die Quellen in einen weiteren Kontext einordnen.
39 40
Dass sich ein solcher Kanon auch ohne staatliche Intervention etablieren kann, zeigte bereits Gloy (s. subsistente Norm 1.3.3.). Erklärungsversuche liefern Davies/Langer (2006). Über den präskriptiven Gebrauch auch deskriptiver Grammatiken und zur generellen Problematik der Trennung von beiden s. Eisenberg (1999, 2f.).
2. Die Commerzdeputation Hamburg und ihre Schreiber 2.1. Geschichtlicher Hintergrund Historisches Wissen über die Commerzdeputation Hamburg stützt sich zwar z.T. auf die Originalquellen (v.a. Baasch 1915), doch sind diese lückenhaft und die daraus gezogenen Schlüsse z.T. widersprüchlich. Bisherige Untersuchungen beschränken sich zudem auf wirtschaftliche und politische Aspekte. Aspekten wie der Sitzungspraxis der Deputierten, der Funktion der Protokolle, den Arbeitsbedingungen der Protokollisten oder deren Ausbildung wurde bislang keinerlei Beachtung geschenkt. Schon gar nicht wurden sie mit den bereits untersuchten Aspekten in Zusammenhang gebracht. Über die Entwicklung der Kaufmannssprache vom 14. bis zum 18. Jh. stellt Bolten (1998, 130; mit Stedje 1994, 115ff.) fest, dass der „Einfluss der wirtschaftlichen Entwicklung auch auf die Herausbildung einer deutschen Standardsprache nicht zu unterschätzen“ sei. Das Interesse heutiger Kommunikationsgeschichtsforschung gilt laut Bolten dem Verständnis und der Erklärung komplexer kultureller Bezüge und kommunikativer Praktiken. Es kann ein Wandel von auf die Wirtschaftssprache bezogener historischer Linguistik (die lange Zeit auf Aspekte wie die Untersuchung von Fachlexika beschränkt war) zu einer Kommunikationsgeschichtsschreibung in kulturanalytischer Absicht konstatiert werden (Bolten 1998, 126). Nach Bolten kann eine Annäherung an die Wirtschaftsgeschichtsschreibung dabei nicht ausbleiben (Bolten 1998, 127): Ein wesentliches Forschungsziel besteht gegenwärtig darin zu zeigen, wie sich Sprache im Kontext ihrer Vertextungssysteme bzw. wie sich diese Textsysteme selbst vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Entwicklungen verändern. Sprachgeschichte wird damit als Teilbereich einer umfassenden Kommunikationsgeschichte aufgefaßt, die ihrerseits wiederum als Teilsystem z.B. ökonomischen Handelns verstanden wird.
Gegenwärtiges Erkenntnisinteresse besteht unter anderem an der Erklärung von Wandel im Bereich wirtschaftsbezogener Lebenswelten umd dem damit zusammenhängenden Wandel kommunikativer Bezugssysteme (Bolten 1998, 127).1 Wandelerscheinungen in einzelnen Kommunikationsberei1
S. auch Bolten (1998, 123): „Daß sich ökonomische Entwicklungen sprachlich materialisieren, gilt bei allen Unterschieden im methodischen Ansatz quasi als historiolinguistisches Axiom.“
Geschichtlicher Hintergrund
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chen stehen mit nicht-sprachlichen Bereichen in engem Zusammenhang. Da Kommunikationsbereiche komplexe Systeme sind, können auch Veränderungen nicht-sprachlicher Teilsysteme zu Veränderungen der entsprechenden sprachlichen Teilsysteme führen (und umgekehrt). Zu untersuchen sind hier Art und Ausmaß der Zusammengänge. Interessant ist hierbei, inwieweit diese zur Konstitution von Kommunikationssystemen führen, „die für ökonomische Bezugswelten bestimmter historischer Abschnitte als signifikant bezeichnet werden können“ (ibid.). Auch für die Standardsprachforschung gilt, dass nach heutigem Wissensstand nicht nur strukturelle Aspekte (s. Teil 4), sondern auch soziolinguistische Aspekte untersucht werden sollten (s. Mattheier 2000, 1092 oder Punkt 1.3.3. und vgl. Reichmann 2000, 1626f.). Status und Prestige sind hier besonders wichtige Faktoren (vgl. ibid.). Sie sollen im folgenden Teil im Vordergrund stehen, wenn der historische Kontext der Commerzdeputation Hamburg und das soziale und kulturelle Umfeld der hamburgischen Kaufleute nachgezeichnet werden, die gleichzeitig den Entstehungshintergrund der in Teil 4 untersuchten Commerzprotokolle (der Sitzungsprotokolle der Deputation) bilden. 2.1.1. Aufschwung Hamburgs und Ablösung von der Hanse Die Wirtschaft Mitteleuropas im 16. Jh. ist gekennzeichnet durch das allmähliche Aufbrechen mittelalterlicher Handelsstrukturen, neu entstehende Wirtschaftsformen und Finanzmittel2 (s. 2.1.3.) sowie eine beginnende Umorientierung auf neue Fernhandelsziele (s.u., v.a. 2.1.4.). Im Falle Hamburgs sah es eine Ablösung der Hansestadt von dem zunächst noch mächtigeren Lübeck. Außerdem begann für Hamburg ein Aufschwung, der in auffallendem Gegensatz zur eher rezessiven europäischen Wirtschaftlage stand.3 Auf dem Landweg wurde die Handelsstadt, die seit über tausend Jahren allein vom Transithandel gelebt hatte (Kleßmann 1985, 123f.), zum wichtigsten Exporteur von Getreide, Holz, Tuchen, Metallwaren und Bier – dem einzigen autochthonen Produkt der Stadt4 – in die Gebiete des heutigen Schleswig-Holstein, Mecklenburg, die Mark Brandenburg, Obersachsen und Böhmen (Grobecker 1990, 25).5 2
3 4 5
Ab dem Ende des Jahrhunderts beschleunigten sich diese noch und führten zu fundamentalen Umwälzungen: Gründung der ersten Handelskammer 1599 in Marseille (Stein 1970, 765), Antonio Serras frühe merkantilistische Theorie 1613 (ibid., 773), Gründung der ersten Bank auf deutschsprachigem Gebiet in Hamburg 1619 (s. Abschnitt 2.1.3.; Näheres s. Kleßmann 1985, 126; Postel 1992, 24; Stein 1970, 775). Vgl. Fulbrook (1990, 75) und s. Fußnote 25. Laut Grobecker (1990, 25) gab es 1549 in Hamburg 531 Brauhäuser. Zu den nationalen Handelsverflechtungen s. Zedler (Bd. 12, 1735, 361f ).
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Die Commerzdeputation Hamburg und ihre Schreiber
Während Hamburg sich die bestehenden Strukturen der Hanse (an deren Entstehung und Blüte es maßgeblich beteiligt gewesen war, s. Wichmann 1889, 262f. und Grobecker 1990, 25) einerseits zunutze machte, beschleunigte es andererseits durch sein eigenmächtiges Handeln deren Untergang. In der zweiten Hälfte des 15. Jh. hatte es sich schon unter Umgehung des Stapelrechtes6 von Bergen den direkten Handel mit Island erlaubt, in der zweiten Hälfte des 16. Jhs. ging man so weit, der englischen Handelskompanie Merchant Adventurers Niederlassungsprivilegien zu gewähren, die die englischen Händler rechtlich besser stellten als manche Kaufleute der Hanse.7 Zwar konnte diese Bevorzugung nicht lange aufrechterhalten werden, aber das Hansemonopol war hiermit gebrochen, auch wenn es formal erst viel später zu deren Auflösung kam.8 Spannungen zwischen Hamburg und der Hanse hatte es schon von alters her gegeben, etwa wenn Hamburg vergeblich um Schutz vor Seeräubern gebeten hatte (Postel 1992, 12; Zedler Bd. 12, 345). Das 16. Jh. ist in der hamburgischen Geschichte von besonderer Bedeutung. Kurt Grobecker (1990, 25) zählt mit dem Stadtarchivar Johann Martin Lappenberg (um 1840) wichtige Errungenschaften dieser Zeit auf: Kirchenreformation, bürgerliche Verfassung, Errichtung der Gelehrtenschule, Verwaltung der Kämmerei durch die Bürger, Blüte des Handels und vieler Gewerbe – all dies bewirkte einen Wandel sozialer Strukturen und eine allmähliche Belebung des Kulturlebens (s. Abschnitt 2.2.5.). Bestimmend für das Leben der Stadt und tonangebend in der städtischen Oberschicht waren die in ihren Gesellschaften organisierten wohlhabenden Fernkaufleute, die häufig aus ihren Reihen auch Mitglieder des Rats stellten (s. folgenden Abschnitt). Hamburgischen Kaufleuten gelang es in dieser Zeit, die Vorherrschaft auf der Elbe zu übernehmen und auch im internationalen Handel Führungsposition zu erlangen. Grobecker schildert, dass Hamburgs Kaufleute schon ab 1590 durch die Straße von Gibraltar italienische und andere Mittelmeerhäfen anliefen. Selbst vor der spanischen Seemacht, die versuchte, Fremde von ihren Kolonien fernzuhalten, machten hamburgische Kaufleute nicht halt, und die Brasilienfahrt entwickelte sich zu einem gefährlichen aber profitablen Geschäft. Gegen Ende des 16. Jhs. hatte die Stadt ihre Einwohnerzahl innerhalb eines Jahrhunderts auf 40.000 Einwohner verdreifacht (1990, 27).9 6 7 8 9
Verpflichtung, eine Ware zuerst an einem bestimmten Ort günstig zum Kauf anzubieten. Näheres s. Grobecker (1990, 25 und 27). Stein (1970, 802) führt die Auflösung letzter Teile des norddeutschen Hansebundes für das Jahr 1669 an. Zum Vergleich: Postel (1992, 12) gibt die Einwohnerzahl Anfang des 16. Jh. mit 15.000 und damit „deutlich kleiner als Lübeck“ an. Berlin hat im Jahr 1648 etwa 6.000 Einwohner (1618 waren es um die 20.000 gewesen, 1786 waren es ca. 147.000). Die Bevölkerung
Geschichtlicher Hintergrund
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Die einmal begonnene Entwicklung setzte sich auch im folgenden Jahrhundert fort und so charakterisiert Rainer Postel die Entwicklung des 17. Jhs. (1992, 12): Hamburgs wirtschaftlicher Aufstieg im folgenden Jahrhundert, in dem es Lübeck auch an Einwohnern überflügelte, vollzog sich besonders in der liberalen Fremdenpolitik sowie der Übernahme modernerer Handelsformen in klarer Abkehr von alten hansischen Regeln und durch Anpassung an neue wirtschaftlichen Erfordernisse und Möglichkeiten.
In seinem Status als Freie Reichsstadt empfand Hamburg sich als wirtschaftlich und politisch unabhängig (auch wenn das de jure nicht stimmte). Politische oder militärische Macht, entsprechend dem Vorbild Venedigs, besaß es nie, und die Kriegsschiffe, die die Stadt sich ab 1668 kurzzeitig leistete (und die für die Geschichte der Commerzdeputation bedeutsam waren, s. 2.1.4.), blieben in ihrer Geschichte eine Ausnahme. Hamburg setzte auf Handel und Diplomatie – und auch die nahezu uneinnehmbaren Befestigungsanlagen, die rechtzeitig mit Beginn des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) fertiggestellt worden waren10 – aber es waren doch eher die großen Geldsummen, die der Stadt ihren Frieden erkauften (Kleßmann 1985, 123f.). Ständige Auseinandersetzungen gab es allerdings mit Dänemark, das schon von alters her Ansprüche auf Hamburg gehabt hatte und nach Gründung (1616) und anschließender Befestigung von Glückstadt ständig versuchte, den Handel der Stadt von hier aus zu beeinträchtigen (Postel 1992, 24; dazu s. PC 669f. und 760).11 Auch auf den Seewegen gab es zunehmend Probleme (s. Abschnitt 2.1.4.). Während in vielen deutschsprachigen Gebieten Jahrzehnte des Elends herrschten, entfaltete Hamburg seinen Wohlstand und gelangte im 17. Jh. zu einer wirtschaftlichen Blüte.12 Nicht zufällig führt auch der Nürnberger Georg Philipp Harsdörffer in seinem Briefsteller Teutscher Secretarius (s. 3.1.3.1.) Münzen, Maße und Gewichte Hamburgs an oberer Stelle an und benutzt für seine Beispielsammlung die Handelsbriefe eines hamburgischen Großhändlers aus den frühen 1650er Jahren (Harsdörffer 1674, 432ff.). Es
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Deutschlands [sic!] halbierte sich durch Krieg, Hunger und Seuchen von 17 Millionen vor dem Dreißigjährigen Krieg auf 8 Millionen (nach Stein 1970, 793). Zwischen 1616 und 1626, ausgeführt vom berühmten Festungsbaumeister Johann van Valckenburgh. Zusammen mit geschickten Verhandlungen und dem großzügigen Einsatz von finanziellen Mitteln führte dies dazu, dass Hamburg als eine der wenigen Städte in Deutschland den Dreißigjährigen Krieg völlig unbeschadet überstand (Kleßmann 1985, 126). Lies ‚Protokollum Commercii, S. 669‘ (ohne Zeilenangabe). S. Transkriptionen der Commerzprotokolle im Anhang. Einzelheiten zu den Streitigkeiten mit Dänemark s. Zedler (Bd. 12, 1735, Stichwort Hamburg). Zeugen hierfür sind etwa die Jungfernstieg Promenade von 1636 und Stadtbauten wie Millerntor (1663), Kornhaus (1671), Spinnhaus (1674), Bauhof (1675) oder die Türme von St. Nikolai (1655/56) und St. Katharinen (1665/68; s. Stein 1970, 787 und Kleßmann 1985, 123f.).
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kam zur Entwicklung neuer Formen von Geldgeschäften13 und im günstigen Klima Hamburgs entstand z.B. auch das Seeversicherungswesen (Postel 1992, 24). Ein seit dem Mittelalter bestehendes Botenwesen, das seit 1517 unter Aufsicht der hamburgischen Kaufleute stand (s. folgender Abschnitt), wurde auch nach deren Neuorganisation 1570 von diesen gepflegt. Es gewann in der Folgezeit immer mehr an Bedeutung und wurde mit regelmäßigen Reisezeiten und festen Gebührensätzen immer besser organisiert.14 Auch das literarische Leben begann, sich langsam zu entwickeln (Näheres s. Abschnitt 2.2.5.). 2.1.2. Zunehmende Selbstverwaltung und Selbstbewusstsein der Kaufleute: Gemeiner Kaufmann Die Kaufleute der Hanse bildeten in den Städten ihrer Niederlassungen Genossenschaften, die abgesehen vom Rechtlichen und Wirtschaftlichen auch ein soziales Netzwerk für ihre Mitglieder und deren Familien bildeten. Die ranghöchste Stellung innerhalb dieser streng hierarchisch durchorganisierten Gesellschaften nahmen deren Älterleute ein. In Hamburg waren zunächst die England-, Schonen-, Flandern-, Bergen- und Islandfahrer von besonderer Bedeutung. Mit zunehmendem Prestige der Schiffer, die immer mehr Verantwortung von den Kaufleuten übernahmen, wuchs auch deren Ansehen und der Einfluss ihrer sog. Schifferalten (Wichmann 1889, 262f.). Im Jahre 1517 entstand in Hamburg aus den drei ältesten Gesellschaften der Stadt, den Flandern-, England- und Schonenfahrern, die erste gemeinsame Interessenvertretung hamburgischer Kaufleute.15 Das Gründungsprotokoll des sogenannten Gemeinen Kaufmann ist auf Niederdeutsch abgefasst.16 Seine Statuten erhielt der Gemeine Kaufmann in schriftlicher Form allerdings erst 1523. In ihnen sind die Wahlen der Vorstände (Älterleute der Gesellschaften) und deren Verwaltung (etwa Aufbewahrung der Lade mit allen Unterlagen) festgelegt. Die Kaufmannsälterleute erhalten über die Statuten das weitgehende Kontrollrecht bei der Beladung von Schiffen und deren Besetzung mit geeignetem Personal. Auch deren Aufgaben (etwa Vorgehen gegen unmäßige finanzielle Abgaben der Händler auf internationaler Ebene) und Befugnisse (z.B. Bestrafung von Schiffern, die Verträge und Vorschriften missachteten) sind definiert. Die Tatsache, dass 13 14 15 16
Einzelheiten zur Form und Bedeutung der Geldgeschäfte in Hamburg s. Zedler (Bd. 12, 1735, 361f.). Einzelheiten zum Botenwesen s. Postel (1992, 21f.). S. Stieler (1673, Band II, Teil 3, 523f.) für eine hamburgische Posttafel. Weitere Einzelheiten s. Postel (1992, 11f.) Eine Übertragung des Gründungsprotokolls und der Statuten der Kaufmannsälterleute ins Hochdeutsche sowie eine Reproduktion der ersten Seite findet sich bei Klein (1965, 10f.).
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die Kaufleute von nun an die Schiffsabfertigung und die Konvoibildung übernehmen konnten, stellte einen deutlichen Machtzuwachs dar. Die im Gründungsprotokoll des Gemeinen Kaufmanns aufgeführten Ziele sind „viele Gebrechen und Nachteile, so täglich dem seefahrenden und seehandelnden Kaufmann erwachsen und auferlegt werden, zu vermeiden und ihnen zuvorzukommen“17 – sie gleichen bereits denen der viel später gegründeten Commerzdeputation. Die Befugnisse der Älterleute waren aber in dieser frühen Phase weitaus größer: Zwar konnten sie den Rat der Stadt in schwierigen Fällen um Hilfe und Unterstützung zu bitten, sie waren jedoch durchaus berechtigt, bei Verstößen gegen Anordnungen oder Gesetze selbstständig Strafen zu verhängen, um dadurch Schaden von den Kaufleuten abzuwenden (vgl. Grobecker 1990, 19f. und Postel 1992, 14f.). Wie Postel (1992, 9) feststellt, wurde im späten Mittelalter mit mene kopman in Hamburg wie in anderen Hansestädten und -kontoren die Gesamtheit der zur See handelnden Kaufleute (d.h. der Fernhändler) bezeichnet. Mit dem allgemeinen Wechsel von Niederdeutsch zu Hochdeutsch wurde auch dieser Begriff übertragen, er hatte sich außerdem zu einem festen Rechtsbegriff entwickelt: Seit dem 14. Jh. war Gemeiner Kaufmann ein fester Begriff für eine Organisation der Kaufleute, die wie eine Gilde strukturiert war und von Älterleuten angeführt wurde. Die Umbenennung der hamburgischen Kaufmannschaft von Gemeiner zu Ehrbarer Kaufmann scheint einerseits von der lexikalischen Abwertung des Adjektivs gemein motiviert gewesen zu sein, die ab dem 15. Jh. langsam eintrat.18 Andererseits beweist sie auch das hohe Selbstbewusstsein der Kaufleute, die sich sprachlich dem Rat der Stadt gleichstellten: „Wenn er [der Gemeine Kaufmann] im späteren 16. Jahrhundert vereinzelt und im 17. Jahrhundert dauerhaft das Prädikat „Ehrbar“ annahm, das bislang allein der Ratsobrigkeit zukam, so meinte dies weniger moralische Integrität als vielmehr den hohen Prestigeanspruch als Standesvertretung. Auch das bürgerliche Kollegium der Oberalten legte sich diesen Titel damals zu“ (Postel 1992, 9). Die Verwaltung der Börse trug den Mitgliedern des Gemeinen Kaufmanns wohl um das Jahr 1616 den Namen Börsenalte ein (vgl. PC 1/14 und 57/5), ein Titel, der allerdings von den Gewandschneidern angefochten wurde und der sich nicht lange hielt (Postel 1992, 19f.). Ungeachtet seines Ehrgeizes brach allerdings 1557 nach nur vier Jahrzehnten die Ordnung des Ehrbaren Kaufmanns zunächst zusammen: Ein Eintrag im Fundationsbuch des Vereins berichtet ohne nähere Einzelheiten anzugeben, dass die Ordnung nicht mehr bestünde und dass „wegen Un17 18
Nach Grobecker (1990, 19). Dieser Bedeutungswandel wird im Deutschen Wörterbuch detailliert beschrieben. Band 5: http://www.DWB.uni-trier.de/index.html (Februar 2004). Vgl. auch 1.2.1.1.6.
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einigkeit und anderer Ärgernisse“ (Postel 1992, 15) keine neuen Älterleute mehr gewählt worden seien. Zu dieser Zeit war die Stadt hoch verschuldet, und es wurden Klagen gegen den Rat laut, dem Bestechlichkeit und persönliche Bereicherung vorgeworfen wurde (s. Postel 1992, 15). Die Kaufleute scheinen trotz fehlender Vertretung insgesamt von dieser Situation profitiert zu haben, denn in dieser Zeit wurde ihre Hoheit über die Elbe weiter ausgebaut.19 Das zunehmende Unwesen der Seeräuber führte 1570 dazu, dass die Älterleute der drei alten Fernhändlergesellschaften den Rat um Wiedereinsetzung der alten Statuten von 1523 bat, was dieser auch bewilligte. Die Zollherren, die in der Zwischenzeit die Verwaltung übernommen hatten, händigten den von ihnen selbst und den Gesellschaften neu gewählten Älterleuten die Lade, Bücher, Briefe und Siegel des Ehrbaren Kaufmanns wieder aus (Postel 1992, 19). Nach Neuinstitution des erschlafften Ehrbaren Kaufmanns 1570 kamen zu den früheren Funktionen der Älterleute auch die Verwaltung der Börse, die Ordnung des Botenwesens und die Aufsicht über die Makler. Aber inzwischen hatte sich gerade im Überseehandel etliches geändert und die Vereinigung war nicht mehr repräsentativ für die hamburgische Kaufmannschaft. Durch bevorzugte Behandlung eigener Kaufleute verlor sie auch an Prestige bei den ausländischen Händlern. Ihre Zuständigkeiten schwanden (Postel 1992, 19f.). Die Geschichte scheint sich wiederholt zu haben, denn seit dem frühen 17. Jh. war die hamburgische Kaufmannschaft wieder ohne Vorstand, nur die Börse gewährte eine minimale Organisiertheit (s. 2.1.3.). 2.1.3. Die Börse Es kam vermutlich 155920 nach dem Vorbild Antwerpens (1531), Toulouses (1549) und Rouens (1556) zur Gründung der wohl ersten deutschen Börse. Um diese Zeit stellte der Stadtrat der Kaufmannschaft einen Platz gegenüber dem Rathaus zur Verfügung. Erst 1577 begannen die Lakenhändler und Gewandschneider, deren Gewerbe besonders im Handel mit England florierte, auf dem Platz mit dem Bau eines auf Eichenpfählen über dem Fleet errichteten Gebäudes (Postel 1992, 16f. und Wichmann 1889, 263).
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Z.B. der Elbstapel, Gebot für Schiffe von der Oberelbe, bestimmte Waren günstig anzubieten (ibid., 16). Grobecker (1990, 21) nennt 1558, Postel (1992, 16) 1559 und Wichmann (1889, 262f.) 1560 als Gründungsdatum. Erklärbar sind die unterschiedlichen Daten aus dem anfangs provisorischen Charakter der Börse als zentraler Treffpunkt, der die individuellen Versammlungsorte einzelner Gilden und Gesellschaften ersetzte: Unter oft chaotischen Zuständen kam man bis zum Bau des Börsengebäudes unter freiem Himmel zusammen.
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Die ebenerdige offene Säulenhalle bot ein Dach für die Händler; der darüber liegende geschlossene Saal, der Börsensaal, blieb besonderen Beratungen vorbehalten (er wird in den Protokollen der späteren Commerzdeputation als deren Sitzungsort häufig erwähnt: z.B. PC 12/20, PC 378/4f., PC 422/21). In der Börsenhalle wurden nicht nur Geschäftsabschlüsse vorgenommen, sie war auch ein Ort des allgemeinen Informationsaustausches. Der Botendienst wurde hier organisiert (Postel 1992, 20f.) und Predigten wurden hier ebenso angeschlagen (vgl. 2.2.5.; Baasch 1909, 14) wie kaiserliche Mandate (Zedler, Bd. 12, 1735, 358).
Abbildung 2.1: Die Börse etc. (Johann Christian Gottfried Fritzsch, ca. 1720-1802). Quelle: Wichmann 1889, 263.
Finanziert wurde das Gebäude aus Einnahmen der Qualitätsprüfung von Tuchen, eine Tatsache aus der sich jahrzehntelange Streitigkeiten über das Nutzungsrecht des Saales ergaben, den außer den Gewandschneidern auch die Kaufleute für sich beanspruchten. Die Verwaltung wurde von den Älterleuten der England-, Schonen-, Flandererfahrern und Gewandschneider übernommen, weswegen diese allmählich den Namen Börsenalte bekamen (s. voriger Abschnitt; Wichmann 1889, 263). Das Gebäude selbst erhielt im Laufe der Zeit den Namen Commercium.21
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Zur Entwicklung dieses Begriffes, neu eingeführt als positiv besetzter Begriff im Zusammenhang mit einer gewinnorientierten Handelsaktivität (damals noch negativ bewertet, vgl. 2.2.5.) s. Bolten (1998, 120f.).
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Laut Postel war es die Institution der Börse, die in den Zeiten massiver struktureller Veränderung in den Bereichen Handel und Geldwesen22 seit der Wende vom 16. zum 17. Jh. und trotz der Rivalitäten einzelner Gruppierungen innerhalb der Kaufmannschaft einen gewissen Zusammenhalt der Kaufleute gewährleistete. Hier mehrheitlich gefasste Entschlüsse wurden in der Regel als verbindlich betrachtet und eingehalten (Postel 1992, 20). Für Grobecker (1990, 20) stellt die Börsengründung den größten Verdienst des Ehrbaren Kaufmanns dar. Im hiesigen Kontext repräsentiert sie nur einen der vielen Reibungspunkte zwischen Commerzdeputation und Rat der Stadt (s. 2.1.6.). Die spätere Gründung der Bank (1619) erfolgte ebenfalls durch die Kaufleute, sie mussten deren Verwaltung jedoch bald mit dem Rat teilen (s. 2.1.6.).23 2.1.4. Ausweitung des Welthandels im 17. Jahrhundert – Ausweitung der Gefahren: Admiralität und Convoye Auf Betreiben der Kaufleute selbst wurde 1623 angesichts zunehmender Überforderung ihrer Selbstverwaltung als Behörde zur Sicherung von Handel und Schifffahrt die Admiralität eingerichtet. Die Admiralität, die nicht mehr von der Kaufmannschaft gewählt wurde und die alle ihre Beschlüsse im Namen des Rates fasste, hatte Polizeibefugnisse im Hafen und übernahm auch den Schutz vor äußeren Gefahren. Seit 1624 führte sie eine Sklavenkasse zur Befreiung festgehaltener Seeleute. Der Hafen wurde von ihr verwaltet, und sie übernahm es, die Ufer zu befestigen und durch Tonnen und Baken die Fahrrinne zu kennzeichnen (vgl. Beschwerden von 1668, PC 149f.). Die entsprechenden Beamten wurden von ihr eingestellt und angewiesen: die Taxadeure (für Seeschäden), der Dispacheur (Sachverständiger für Havarieschäden, s. PC 50f.), der Wasserschout (für Streitigkeiten von Schiffern und Besatzungen) und die Lotsen. Auch das Konsulatswesen und die erste gerichtliche Instanz in Fragen von Seerecht, Fracht und Seeversicherungen lagen in ihrer Hand (Postel 1992, 26f.; Näheres siehe dort). Anlass für die Gründung der Admiralität war zunächst die steigende Unsicherheit auf den Meeren, besonders die Bedrohung „nicht allein durch türkische, sondern auch durch andere streifende Seeräuber“ (Postel 1992, 22
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Vorläufer des Schecks entstanden Anfang des Jahrhunderts in Bologna und den Niederlanden (Stein 1970, 769). Damit begann die Geldwirtschaft, sich gegen Naturalwirtschaft durchzusetzen. In den hundert Jahren ab 1510 führte der Edelmetallimport aus den Kolonien zu einer 200%igen Preissteigerung (Stein 1970, 771). Aus kommunikations- und sprachgeschichtlicher Sicht ist die Entstehung der Börsen von nachhaltiger Bedeutung, da sie die Messen sukzessiv verdrängten. Zedler (Bd. 12, 1735, 362) liefert eine Beschreibung des hamburgischen Bankwesens, dessen ausgezeichneten Ruf in ganz Europa er betont. Zum Erlass der Banco-Ordnung s. ebenfalls Zedler (355ff.).
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26 zitiert die Admiralschaftsordnung vom 16.08.1623). Die Zuwanderung ausländischer Händler (v.a. Niederländer, die erheblich zur Ausweitung des Bank- und Maklergewerbes beitrugen sowie portugiesischer Juden, die zeitweise den Pfefferhandel monopolisierten und Hamburg zu besonderer Bedeutung im europäischen Gewürzhandel verhalfen; ibid., 24) spielte aber genau so eine Rolle, wie die Tatsache, dass sich der Radius des hamburgischen Seehandels seit dem Ende des 16. Jhs. beträchtlich ausgeweitet hatte.24 Auch die politischen Rahmenbedingungen waren günstig, denn zwischen den Niederlanden und England herrschten erhebliche Spannungen,25 Philipp II. führte Krieg gegen England, und auch Frankreich war anderweitig engagiert. Dadurch konnte sich besonders der Handel Hamburgs mit Spanien und Portugal ungehindert fortentwickeln. Dieser Handel weitete sich bald auf das Mittelmeer, v.a. Italien und die marokkanische Küste aus (Postel 1992, 23ff.).26 Allerdings wurden auch die Seewege zunehmend gefährlicher: Um wirkungsvollere Maßnahmen gegen türkische Seeräuber zu finanzieren, insbesondere um Schiffe für den Begleitschutz der Handelsflotte auszurüsten, bewilligte die Kaufmannschaft schließlich 1662 das sog. Convoygeld, eine Abgabe auf die Ein- und Ausfuhr von Waren.27 Zwar wurden umgehend einige private Schiffe und das zur Auszeichnung der Schifffahrtswege bestimmte Schiff der Stadt28 bewaffnet, aber weitergehende Maßnahmen, wie der beschlossene Bau von zwei Fregatten (Convoyschiffe), ließen auf sich warten. Die Kosten für deren Bau und Unterhalt sollen zur Hälfte vom Rat, zur Hälfte vom Ehrbaren Kaufmann (d.h. der zu diesem Zeitpunkt nicht mehr konstituierten Gesamtheit der Kaufleute) getragen werden. Mit den beiden Convoyschiffen sollten die bisherigen Schutzvorkehrungen der Admiralität ersetzt werden. Im selben Jahr (lange vor Bau der Schiffe, der erst 1667 begann) wurde eine eigene Verwaltungsdeputation eingesetzt, deren Mitglieder hauptsächlich vom Rat gestellt wurden (unter ihnen der Ratssekretär und der Schreiber der Admiralität als ihr Sekretär und Protokollführer): die Convoydeputation.29 Sie verwaltete die technischen Belange der 24 25
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Die Entstehung und Blüte der verschiedenen nationalen Handelskompanien fällt in diese Zeit. Dies bedeutete eine verschärfte Konkurrenz unter den seefahrenden Nationen (Dee 2001, 106ff.). Zwischen den Niederlanden und England entbrannte ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Vormacht im Seehandel (Dee 2001, 106f.). Diese beiden Nationen waren die einzigen, die im krisengeschüttelten Europa des 17. Jhs. einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebten (ibid. 142). 1652-1654 kam es zum Ersten Holländisch-Englischen Seekrieg, aus dem die englische Seemacht gestärkt hervor ging (Stein 1970, 794). Einzelheiten zu den internationalen Handelsverbindungen s. Zedler (Bd. 12, 1735, 361f.). Wie Zedler berichtet, verlor die Stadt in diesem Jahr fünf Schiffe an türkische Seeräuber, was einen Verlust im Wert von 500.000 Reichstalern bedeutete (Bd. 12, 1735, 357). Der Tonnenbojer (s. Grobecker 1990, 21f. und vgl. PC 162f.). Ihre Aufgaben überlagerten sich mit denen der Admiralität, mit der sie auch in den 1720er Jahren wieder zusammengelegt wurde.
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Schiffscharter, -ausrüstung und -besatzung, während die Admiralität für das Convoygeld30 zuständig war (Postel 1992, 27f.). Der erhebliche Verwaltungsaufwand zur Organisation des Konvoiwesens, zusammen mit dem großen Aufwand an finanziellen Mitteln, der nicht nur von den Kaufleuten, sondern auch vom Rat der Stadt getragen wurde, zeigt die Bedeutung der Wirtschaft für den Wohlstand der Stadt. Obwohl man sich in der Setzung der Prioritäten einig war, kam es zwischen Rat und zunehmend unzufriedenen Kaufleuten immer mehr zu machtpolitischen Rangeleien: In ihrer sozialen Führungsrolle unbestritten, fehlte ihr [der hamburgischen Kaufmannschaft] nach ihrem Strukturwandel durch den Zuzug und wirtschaftlichen Erfolg zahlreicher Fremder und den Bedeutungsverlust der alten Fahrergesellschaften eine förmliche Organisation. Und sie war ohne einen eigentlichen Vorstand, seit die wiedereingesetzten Kaufmannsälterleute diese Stellung nicht hatten behaupten können. Die Admiralität aber stand (wie übrigens auch die Deputation zur Verwaltung der Bank) unter dem bestimmenden Einfluß der Ratsobrigkeit, die bei aller sozialen Nähe zur Kaufmannschaft ihre autokratischen Neigungen seit dem 16. Jahrhundert immer deutlicher zeigte. (Postel 1992, 31)
Der Aufschub beim Bau der Schiffe kam die hamburgischen Kaufleute teuer zu stehen, denn sowohl Seeräuber als auch kriegführende Nationen griffen häufig die Handelschiffe an, was mehr Schaden verursachte, als der unverzügliche Bau gekostet hätte. Durch den Zweiten Englisch-Holländischen Krieg31 verschärften sich diese Probleme noch und die Unzufriedenheit der Kaufleute wuchs (Grobecker 1990, 21f.). Die Gründung der Admiralität hatte eine Minderung der Bedeutung des Ehrbaren Kaufmanns markiert, denn die Kaufleute hatten mit ihr „auch durch eigenes Verschulden“32 das Aufsichtsrecht über die Schifffahrt, besonders die Verantwortung für die Bewachung der Seetransporte verloren, während ihnen die finanziellen Verpflichtungen für die Sicherung der Transporte erhalten blieben (Grobecker 1990, 21f.). Die Admiralität brachte zwar das bestehende Bewusstsein gemeinschaftlicher Interessen und den Willen zum gemeinsamen Handeln zum Ausdruck, aber als Verwaltungsbehörde konnte sie keinen Beitrag zur genossenschaftlichen Selbstverwaltung der Kaufleute leisten. So ist es nicht verwunderlich, dass die Kaufleute in 30
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Bei Fahrten nach Spanien, Portugal, Italien, den Kanarischen Inseln und Westindien wurde 1 Prozent, bei Fahrten von und nach Frankreich, England und Russland ½ Prozent des Warenwertes als Convoygeld erhoben (Postel 1992, 27ff.; hier auch Näheres zu den Convoyschiffen und der Convoydeputation). 1664-1667 (Stein 1970, 800). Grobecker (1990, 22). Leider gibt Grobecker hierzu keine nähere Erläuterung, offensichtlich jedoch kamen die Kaufleute ihren Pflichten, zumindest in den Augen des Rats, nicht nach. Dies passt zur Darstellung bei Klein (1665, 12; s. 2.1.2.). Für den Beginn des 17. Jhs. werden Überalterung und mangelnde Flexibilität geschildert und als Grund für die Fundation der Admiralität angegeben (vgl. 4.4.4.).
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der zweiten Hälfte des 17. Jhs. wieder nach einer eigenen Interessenvertretung verlangten. Ein Streit um die Verwaltung des Convoygeldes, dessen Einnahme und Verwaltung die Admiralität übernommen hatte, das aber aus Abgabezahlungen der Kaufleute selbst bestand (s.o.), lieferte 1665 den Anlass dazu, dass der Ehrbare Kaufmann sich schließlich wieder konstituierte und zu einer neuen körperschaftlichen Identität fand. Die hamburgischen Kaufleute gründeten am 19.01.1665 als neues Organ zu ihrer Selbstverwaltung und Interessenvertretung die sog. Commerzdeputation (Grobecker 1990, 21f.). Für die Größe des neuen korporativen Selbstbewusstseins der Kaufmannschaft spricht, dass der Ehrbare Kaufmann mit der Schaffung eines eigenen Vertretungsorgans sich selbst als Wahlkörper definierte und mit der ständigen Führung seines Titels ab dieser Zeit klare Ansprüche auf Selbstverwaltung sowie Beteiligung an den Handelsangelegenheiten der Stadt stellte. Das musste dem Rat missfallen (Postel 1992, 31; vgl. 3.2.4.). 2.1.5. Gründung der Commerzdeputation33 Als mögliche konkrete Gründe für die Gründung der Commerzdeputation nennt Postel außer dem bereits im vorigen Abschnitt erwähnten EnglischNiederländischen Seekrieg (1664-1667) auch die Erhebung des konkurrierenden Altona zur Stadt (1664) durch den Landesherrn, den König von Dänemark, und das Vorbild des Commerzkollegiums zu Amsterdam (gegründet 1663), das allerdings selbst nur zwei Jahre bestand (Postel 1992, 34). Seiner Vermutung nach war es jedoch hauptsächlich der alte Wunsch nach einer selbstständigen Vertretung des Großhandels, der in einer Phase sich negativ auf den Handel auswirkender wachsender Spannung zwischen Rat und Bürgerschaft zur erneuerten Organisation der Kaufleute führte. Im Eröffnungsprotokoll selbst (s. PC 1) werden nur ganz allgemein Drangsahl und Beschwerden erwähnt (PC 1/9), die die neue siebenköpfige Deputation vom Heilsahmen Commerzio (PC 1/8) künftig abzuwenden trachtete. Es beinhaltet wie schon vorher beim Gemeinen Kaufmann nicht nur eine Vertretung der Interessen nach außen sondern auch disziplinarische Maßnahmen nach innen. Für ihren Träger, den Ehrbaren Kaufmann, bedeutete die Gründung der Commerzdeputation die neuerliche Schaffung einer eigenen Interessenvertretung. Durch diese (und später auch durch ihre Adjungierten, s.u.) erlangte man wieder dauerhaften Einfluss auf alle hamburgischen Handels33
Die detaillierteste Beschreibung von Gründung und Anfangsschwierigkeiten der Commerzdeputation liefert Ernst Baasch (1915, Kapitel I). Aufgrund Baaschs Interessenschwerpunktes ist seine Darstellung allerdings problematisch (vgl. 2.2.1.).
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angelegenheiten. Der organisatorische Rahmen ermöglichte die Entwicklung eines Bewusstseins korporativer Identität, zu dem auch ein gewisser Machtanspruch kam (Postel 1992, 44), besonders nach ersten Erfolgen in der Durchsetzung gegen den Rat und die von ihm gelenkten Behörden. Die Deputation bestand aus sechs Ehrbaren Kaufleuten und einem Schifferalten,34 die im Eröffnungsprotokoll namentlich aufgeführt werden.35 Entscheidungen wurden von 1667 an überwiegend auf Sitzungen im Börsensaal im Obergeschoss des Börsengebäudes getroffen (Postel 1992, 44). In Zweifelsfällen sicherte sich die Commerzdeputation jedoch dadurch ab, dass sie Entscheidungen vor den versammelten Ehrbaren Kaufmann trug. Anfangs gab es laut Postel etwa fünf offizielle Versammlungen pro Jahr, wobei Kaufleute und Deputierte in ständigem Austausch standen (1992, 46). Es konnten zu spezifischen Fragen auch gezielt Interessengruppen einberufen werden (etwa Spanienhändler, Assecuradeure oder Kornhändler, ibid.). Eine Formalisierung entstand erst Ende der 1680er Jahre. Anfänglich holten die Deputierten für jeden ihrer Schritte die Meinung des Ehrbaren Kaufmanns ein.36 Das bedeutete, dass der gesamte Ehrbare Kaufmann mehrfach im Jahr zusammenkam, bis die Commerzdeputation allmählich sicherer und selbstständiger wurde und nicht mehr ständig bei der Basis nachfragen musste. Einberufen wurden solche Versammlungen auf eigenen Wunsch von der Commerzdeputation, die ja den Vorstand des Ehrbaren Kaufmanns darstellte (ibid.), auf Anregung der Kaufmannschaft oder auf Veranlassung des Rates schriftlich und unter Angabe des Grundes. Die Tatsache, dass in der Anfangszeit alle anwesenden Kaufleute ihre Unterschriften unter die der Deputation setzten, lässt darauf schließen, dass es einige Zeit dauerte, bis die Deputation völlig als Vertretung der Kaufmannschaft anerkannt wurde (ibid., 42). Zunächst wurden „organisatorische Maßnahmen [...] ad hoc und bei gefährdeter Existenz getroffen. Die dabei gesammelten Erfahrungen bestimmten die spätere Praxis“ (Postel 1992, 41f., hier wird auch die weitere 34
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Der erste Schifferalte war Berent Jacobsen Karpfanger. Als die Commerzdeputation endlich durchgesetzt hatte, dass zum Schutz der Konvois bewaffnete Fregatten gebaut wurden, übernahm Karpfanger das Kommando auf der legendären Wappen von Hamburg (s. Grobecker 1990, 29). Näheres zur Geschichte der Convoyschiffe ist auch der Internetseite der Handelskammer Hamburg zu entnehmen: Http://www.hk24.de. Von den alten Fahrergesellschaften ist nicht mehr die Rede und der Wandel der letzten Jahrzehnte wird schon an den Präsides der Deputation ersichtlich: der erste Präses Michael Heuß (PC 1/20) war aus Holland zugewandert und sein Nachfolger Daniel Leconte war frz. Abstammung (s. PC 1/22; Postel 1992, 35ff.). Ungleichmäßiger, geringer und oft unpünktlicher Besuch bereitete später in Fragen von geringerem Interesse Probleme (oft Beschlussunfähigkeit), denen mit Disziplinarmaßnahmen begegnet wurde (Näheres s. Postel 1992, 47f.). Die Sitzungsordnung aus dem Jahre 1668 deutet an, dass auch die frühe Commerzdeputation schon mit solchen Problemen zu kämpfen hatte: Zuspätkommen oder Fernbleiben wurde bestraft (Grobecker 1990, 37).
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Entwicklung der Organisation, Wahl der Mitglieder etc. beschrieben, vgl. Grobecker 1990, 29). Als am 13.02.1667 zwei Deputierte den Wunsch äußerten, aus der Deputation auszuscheiden, wurde ein Verfahren zur Erneuerung des Gremiums nötig (Klein 1965, 15). Laut dem beschlossenen Wahlverfahren erfolgte die Wahl im Sechsjahresturnus, pro Jahr erfolgte eine Neuwahl aus den Reihen des Ehrbaren Kaufmanns, die mit dem Ausscheiden eines Mitglieds einherging. Der Schifferalte wurde für jeweils drei Jahre gewählt (Näheres s. Grobecker 1990, 29ff.). Die Annahme der Wahl in die Commerzdepuation war für die Gewählten eine ehrenamtliche Pflicht, der aufgrund der hohen Arbeitsbelastung des Ehrenamtes nicht immer gerne nachgekommen wurde (s. PC 301/95f.). Wählbar war de jure „jeder ungescholtene, selbstständige, solvente christliche Kaufmann“ mit hamburgischem Bürgerrecht (Postel 1992, 41ff., s.a. Grobecker 1990, 37). Der jeweilige Präses war der Hauptverantwortliche und vertrat die Deputation in Verhandlungen mit dem Ehrbaren Kaufmann, dem Rat und den Behörden, er saß in den meisten Kommissionen, an denen die Deputation beteiligt war, führte die Kasse, leitete das Rechnungswesen und verfasste die offiziellen Schreiben (Anträge, Denkschriften). Entscheidungen wurden jedoch demokratisch getroffen (ibid.). Aus Mangel an juristischer Ausbildung scheiden die Präsides aber als Verfasser der Commerzprotokolle aus (s. 2.2.2.). Ab 1670 wurden den sieben Deputierten mit den sog. Adjungierten sachlich kompetente Mitglieder des Ehrbaren Kaufmanns in bestimmten Angelegenheiten zur Seite gestellt (s. 2.1.6. und s. PC 385/12 und 422f.). Wie aus den wechselnden Namen für die Mitglieder der Commerzdeputation ersichtlich ist, änderte sich deren Benennung je nachdem, welcher Aspekt ihrer Tätigkeit im Vordergrund stand (zur See handelnde Kaufleute, Ehrbarer Kaufmann, Börse; s.a. vorige Abschnitte). Weitere in den Protokollen genannten Gremien mit erklärungsbedürftigen Namen sind die 144er, die 48er und die Oberalten (Klein 1965, 14f.): Die im Gründungsprotokoll genannten „144 Bürger“ oder „144er“ waren eines der drei seit der Reformation bestehenden „bürgerlichen Kollegien“, die beiden anderen waren die „Oberalten“ und die „48er“. Die Kollegien fungierten als ständige Vertretung der Bürgerschaft gegenüber dem Rat, sie waren an der Gesetzgebung und Verwaltung beteiligt und wachten über die Durchführung der Gesetze. Bei allen Verhandlungen zwischen Rat und Bürgerschaft mußten sie eingeschaltet werden.37
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Durch den Zuwachs des neuen, fünften Kirchspiels St. Michaelis erhöhte sich die Mitgliederzahl der Kollegien von 12 (nur Oberalte), 48 (Oberalte und Diakone), 144 (Oberalte, Diakone und Subdiakone der vier Kirchspiele) auf 15, 60 und 180. Weitere Einzelheiten über die demokratische Organisierung, v.a. die Zusammensetzung der Kollegien aus Subdiakonen und Diakonen (auch Gotteskastenverwalter, deren drei Älterleute Oberalte genannt wurden) und ihre Pflichten s. Klein (1965, 15) und Postel (1992, 35ff.).
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Der Rat war bei der Genehmigung der Commerzdeputation offensichtlich davon ausgegangen, dass es sich nur um einen befristeten Ausschuss handele, der sich konkret mit der Organisation und Finanzierung des Konvoibaus beschäftigen und sich nach Abwendung der Bedrohung auf See, insbesondere dem Ende des Seekrieges, wieder auflösen würde. Eine dauerhafte Einrichtung mit eigenen Interessen, in der er keinen Einfluss hatte und die sich seiner Autorität entzog, konnte seine Billigung nicht finden. Wie Postel (1992, 38) es ausdrückt, ignorierte man die Deputation zunächst und die „sonst so erzählfreudige Chronistik jener Zeit würdigt sie keiner Silbe.“ Für Postel ist nachträglich nicht mehr nachzuvollziehen, ob die umgehende Bestätigung der Commerzdeputation durch den Rat dessen Respekt vor den Deputieren ausdrückte (immerhin Ehrbare Kaufleute und Mitglieder des Kollegiums der 144), oder ob sie nicht auf einer Fehleinschätzung des Vorgangs durch den Rat basierte (was Postel wegen des Fehlens von eindeutiger Statuten der Commerzdeputation vermutet; ibid., 40). Konflikte entbrannten jedenfalls in dem Augenblick als klar wurde, dass die Commerzdeputierten ihre Aufgaben ernst nahmen. 2.1.6. Auseinandersetzungen mit dem Rat38 Die der Gründung der Commerzdeputation folgenden Jahrzehnte bis zum Eingreifen einer kaiserlichen Kommission und dem von ihr schließlich erwirkten Hauptrezess (1712) sind nach Postel die unruhigsten der hamburgischen Geschichte (1992, 34f.). Die Stimmung im inzwischen auf 75.000 Einwohner angewachsenen Hamburg war angespannt,39 die Stadt durch religiöse und soziale Gegensätze gespalten. Das feindliche Dänemark suchte dies zu nutzen (s. 2.2.1.). Auch die innenpolitische Lage war alles andere als spannungsfrei. Insbesondere der Rat war zunehmend umstritten, Zedler erwähnt Uneinigkeiten zwischen Rat und Bürgerschaft im Jahre 1657 (Bd. 12, 1735, 357) und laut Postel wurde dem Rat 1663 öffentlich Korruption und Vetternwirtschaft vorgeworfen, was noch im selben Jahr zu einer Wahlrechtsreform führte (1992, 34f.). Es bedurfte schließlich im Jahre 1674 des kaiserlichen Eingreifens zur Beilegung der Streitigkeiten (s.u.; Zedler 1735, 358). 38
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Die Komplexität der Auseinandersetzungen erhöht sich dadurch, dass der Gegensatz zwischen Rat und Commerzdeputation nicht immer eindeutig ist, denn viele ehemalige Deputationsmitglieder wurden später Ratsmitglieder: Deputierter der ersten Stunde Dieterich Cordes (s. PC 1/21) wurde 1666 in den Rat gewählt, Johan Schöder (ibid.) wurde 1670 Ratsmitglied und 1676 sogar Bürgermeister. Hieran lässt sich der Status der Deputierten erkennen (Postel 1992, 35ff.). Die Wahl in den Rat erforderte, anders als andere bürgerliche Ehrenämter, das Ausscheiden aus der Deputation (ibid., 38). Damit war Hamburg bemerkenswert groß: Zedler spricht von der „Volckreiche[n] Hansee=Handels und freye[n] Reichs=Stadt“ (Bd. 12, 1735, 333).
Geschichtlicher Hintergrund
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Grobecker (1990, 30) beschreibt, dass dem Rat die reine Existenz der Commerzdeputation ein Dorn im Auge war; schließlich war er davon ausgegangen, dass diese sich nach Beendigung des Seekrieges zwischen Holland und England umgehend wieder auflösen würde. In den Protokollen (z.B. PC 302) wird deutlich, dass die Interessenvertretung der Kaufleute eine konkurrierende Institution darstellte, und man sich von Seiten des Rats eine Rückkehr zu den alten Zuständen wünschte (wie diese aussahen s. 2.1.2. und 2.1.3.). Das entsprach aber mitnichten den Interessen der Kaufleute, die selbstbewusst eigene Rechte beanspruchten. Offener Konflikt war vorprogrammiert. Laut Grobecker (ibid.) entzündete sich dieser an Fragen des Convoygeldes, dessen Erhebung schon vor Gründung der Commerzdeputation beschlossen worden war. Bereits der zögerliche Bau der Convoyschiffe hatte die Kaufleute, für die es durch Piraterie und Kriegsbeute zu erheblichen finanziellen Verlusten gekommen war, stark verärgert. Über die Frage der Verwaltung des Convoygeldes entbrannte dann offener Streit. Die Kaufmannschaft sah die Kasse als ihr Eigentum – es waren ja von ihnen gezahlte Handelsabgaben, die sich in der Kasse befanden (s. Fußnote 30). Deswegen fand sie es selbstverständlich, dass auch andere in ihrem Interesse gemachten Ausgaben aus der Kasse beglichen werden durften. Die Admiralität war für sie lediglich die für die Ausgaben zuständige Verwaltungsbehörde ohne eigene Befugnisse. Dass die Kaufleute sich ab 1667 Geld aus der Kasse aushändigen ließen um eine Reihe ihrer Festkosten zu decken,40 erregte den Ärger des Rats um so mehr, als unter diesen Festkosten die Bezahlung des Protokollanten war (s. 2.2.2.). Wie Grobecker darstellt, bedeutete die bloße Führung des Protokolls für den Rat eine ständige Provokation, da in den Protokollen alles festgehalten wurde, was zwischen seinen Mitgliedern und den Deputierten der Commerzdeputation besprochen wurde, inklusive Klagen und (womöglich gerechtfertigte) Beschwerden gegen ihn (1990, 30). Mit den Protokollen verschaffte sich die Commerzdeputation Rechtsverbindlichkeit. Aber es gab noch weitere Reibungspunkte. 1666 machte die Commerzdeputation der Admiralität vergeblich die Wahl des Dispacheurs streitig (s. 2.1.4.). 1667 kam es zum offenen Streit mit der Kämmerei, über die Kosten und den Bau der Convoyschiffe. 1668 erstritten sich die Deputierten Einblick in das Admiralitätsprotokoll von 1662, wobei in Augen der Deputierten offenkundig wurde, dass man den Kaufleuten gegenüber die zugestandene Mitteilungspflicht und das Mitspracherecht in Fragen des Convoygeldes verweigert hatte. Die Admiralität bestritt dies nach wie vor und ging im Streit so weit, 1669 die Rechtmäßigkeit der Deputation als 40
Ansagen von Versammlungen (z.T. durch Flugzettel), Heizung des Obergeschosses des Börsensaals (Tagungsraum) und Protokollführung.
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solche überhaupt anzufechten. Auch die Mehrheit des Rates lehnte dies aus den angeführten Gründen ab (vgl. hierzu 3.2.4.). Die Reaktion des Ehrbaren Kaufmanns war, den Deputierten die Notwendigkeit ihres Bestehens zu bestätigen und sie in ihrem Tun zu ermutigen. Am 07.03.1670 kam es zur offiziellen Formulierung der Ablehnung der Commerzdeputation durch den Rat. Die Deputierten wurden daraufhin vom Ehrbaren Kaufmann beauftragt, hiergegen eine rechtlich hieb- und stichfeste Supplikation (Bittschrift) an den Rat zu formulieren. Dieser Aufgabe fühlten sich die Deputierten nicht gewachsen, weswegen sie darum baten, dass man ihnen hierbei juristisch qualifizierte Berater aus der Kaufmannschaft adjungiere (zur Seite stelle), was auch geschah und am 05.10.1670 zur Übergabe einer erfolgreichen Bittschrift führte.41 Ein neues Modell der Kooperation war entstanden, das sich auch in Zukunft bewähren und schließlich zu einer Dauereinrichtung werden sollte (Postel 1992, 38).42 Streitigkeiten gab es ebenfalls um die Bank. Sie war von den Kaufleuten 1619 begründet worden, inzwischen hatte jedoch der Rat Mitsprache bei ihrer Verwaltung. Als der Rat in 1672 ohne Begründung die einwöchige Schließung der Bank verfügte, gab es Proteste (vgl. PC 422/8ff.). Ein folgendes Mandat, in dem der Rat den Geldabfluss beschränkte, verschärfte den Streit noch. Wieder wurden den Deputierten in Sachfragen qualifizierte Adjungierte zur Seite gestellt. Dass die Kaufleute sich durch ihren Einsatz gegenüber dem Rat, der Bankdeputation und der Admiralität durchsetzen konnten, war ein erster großer Erfolg (Postel 1992, 42). Im Jahre 1674 kam es nach fast zehn Jahren schließlich zur Beilegung der Auseinandersetzung. Unter der Führung von Graf Windischgrätz kam eine kaiserliche Kommission nach Hamburg, um dortige „innere Streitigkeiten“ beizulegen (Postel 1992, 39). Die Kaufleute trugen zunächst ihr Anliegen der Bürgerschaft (‚26er-Ausschuss‘) und dann dem Grafen selber vor (s. PC 453/7). Er sprach sich für die Commerzdeputation aus und bewirkte damit, dass die Bürgerschaft am 03.04.1674 die Commerzdeputation offiziell bestätigte. Noch am selben Tag äußerten die Ratsherren, die durch schnelles Einlenken in diesem Fall eine baldiges Abreisen der kaiserlichen Kommission herbeizuführen hoffte, „daß Sie die vorgemelte Kauffmanß GeDeputirte allezeit wollen kennen, horen, und in billigen Sachen helfen, es solte Ihnen auch von der Admir[alität] Ihr nötige Vnkosten von ihrem 41 42
Für den Erfolg der Bittschrift unter Umständen verantwortlich war auch die in ihr formulierte Drohung der 75 unterzeichnenden Kaufleute, künftig kein Convoygeld mehr zu zahlen. Näheres s. Postel (1992, 38ff.). Hieraus entwickelte sich später die Einrichtung der Altadjungierten. Diese wurden vom Ehrbaren Kaufmann aus dem Kreise der ehemaligen Präsides gewählt und bildeten ein siebenköpfiges Seniorenteam, dessen Meinung großes Gewicht hatte (Grobecker 1990, 30). Das Prinzip ist bis heute erhalten: Senioren helfen jungen Unternehmern e.V. bzw. SES Senior Experten Service. Rätsel gibt allerdings die Abschrift des Ratsprotokolls gegenüber PC 1 auf, in der bereits 1665 Adjungierte erwähnt werden. Hier besteht Forschungsbedarf.
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Convojgelde gegeben werden“ (nach Postel 1992, 39). Den Einblick in die Convoygeldbücher konnte man den Kaufleuten jedoch erfolgreich verwehren, auch wenn die Commerzdeputation noch lange darum stritt (s. Klein 1965, 33). Trotzdem nahm in den folgenden Jahrzehnten der Einfluss der Commerzdeputation in der hamburgischen Verwaltung ständig zu (Grobecker 1990, 30).43 Es wird angesichts des beschriebenen konfliktreichen Kontextes davon ausgegangen, dass die Commerzdeputation mit der Verfassung der Commerzprotokolle bewusst einen Machtanspruch erhob, da sie durch Niederschrift der Ereignisse rechtsverbindliche Dokumente erstellte. Aus diesem Grund ist anzunehmen, dass bei der Verfassung dieser Texte, die schon dem Format nach anspruchsvoll sind (s. 3.2.) auch prestigereiche Sprache, also gutes Deutsch essentiell war. Dies wird im Folgenden zu beachten sein.
2.2. Entstehung und sozialer Kontext der Commerzprotokolle 2.2.1. Die Schreiber der Commerzdeputation Hamburg und ihre Auftraggeber Über die Identität der ersten Schreiber der Commerzdeputation liegen nur spärliche Angaben vor. Weder ihr Herkunftsort, ihr Stand noch die Art ihrer Ausbildung sind überliefert. Für die Interpretation der hier untersuchten Realisierung der Protokolle (Kapitel 4.) im Kontext der Grammatikschreibung der Zeit (Kapitel 1.) ist es jedoch wichtig, möglichst viele Information über die Schreiber zu sammeln (so kann auch die Textsorte und deren Tradition besser eingeschätzt werden, s.u.). Einige wenige Details zu den Protokollisten und ihrer Arbeit lassen sich den zeitgenössischen Dokumenten (den Protokolltexten selbst und dem „Cassa=Buch der GeDeputirten der Börße des Gemeinen Commercii“) entnehmen. Darüber hinaus können ausgehend von den aus späterer Zeit überlieferten Einzelheiten zu den Bibliothekaren der Commerzbibliothek (ab 1737), die gleichzeitig immer auch Protokollisten der Commerzdepu43
Anlässlich des 300jährigen Jubiläums der Handelskammer Hamburg (Nachfolgeorganisation der Commerzdeputation) wurden 1965 Teile der Protokolle transkribiert, um die Tätigkeit der Deputation in den ersten Jahren zu dokumentieren. Teilweise oder ganz transkribiert und/oder reproduziert sind folgende Protokollseiten aus Band A (1665-1674): Seite 1, Nachtrag vor Seite 1, Seiten 2, 3, 4, 5, 6, 13, 14, 15, 33, 34, 36, 190, 191, 200, 204, 206, 223, 298, 301, 302, 318, 326, 327, 328, 337, 338, 452, 457, 458, 459, 460, 466, 476, 477. Dies sind die einzigen veröffentlichten Seiten aus den Protokollen der Commerzdeputation vor 1700. Ebenfalls bei Klein wiedergegeben wird die erste Seite des Cassa=Buches von 16671704 mit dem Eintrag zur Bezahlung des ersten Protokollführers (das Buch ist im Besitz der Handelskammer Hamburg).
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tation waren, Rückschlüsse auf die vorangehenden Protokollisten angestellt werden (2.2.2.). Eine Darstellung der sozio-kulturellen Zustände im Hamburg des späten 17. Jhs. liefert zusätzlich zu den bereits dargestellten ökonomischen und politischen Hintergründen der Deputationsgründung weitere Anhaltspunkte zur Rekonstruktion der Umstände, unter denen die Commerzprotokolle niedergeschrieben wurden (2.2.5.). Darüber hinaus kann aus zeitgenössischen Handbüchern für professionelle Schreiber entnommen werden, wie man sich die Ausbildung und Praxis von Berufsschreibern der damaligen Zeit vorstellen kann (3.1.). Wie gezeigt werden wird, stellen diese sog. Briefsteller, die z.T. von Mitgliedern der Sprachgesellschaften und damit Sprachtheoretikern verfasst wurden, außerdem die einzige derzeit plausible Verbindung zwischen den sog. Grammatikern und den Schreibern der Commerzdeputation dar. Da es sich außerdem bei der Form der Texte um ein spezielle Textsorte handelt, muss auch diese zur Sprache kommen, indem mögliche Ansprüche an den Texttyp Protokoll sowie dessen weitere Tradition dargestellt werden (3.2. und 3.3.). 2.2.2. Zur Identität der Schreiber der Commerzdeputation Das Wissen über die Anfangszeit der Commerzdeputation ist trotz der nahezu durchgängig überlieferten Protokolle lückenhaft. Obwohl über die Gründung der Deputation in deren Eröffnungsprotokoll berichtet wird (PC 1, 19.01.1665 und Kopie des Ratsprotokolls vom 20.01.1665 auf der Innenseite des Deckblattes), ist nicht einmal eindeutig ersichtlich was der konkrete Gründungsanlass war und wie genau die Deputierten gewählt wurden (s. 2.1. und vgl. Baasch 1915, 2). Es hat allerdings den Anschein, als seien sie aus dem Kreis des Ehrbaren Kaufmanns, also der Gesamtheit der hamburgischen Großhändler, von den Mitgliedern der Börse und des bürgerlichen Kollegiums der 144 (oder der 144 Bürger, kurz 144er, einem der drei seit der Reformation bestehenden bürgerlichen Kollegien Hamburgs, vgl. 2.1.5.) u.a. aufgrund unsicherer Zustände zur See und wegen wachsender Konkurrenz durch die Stadt Altona gewählt worden.44 Auch aus anderen Quellen ist wenig über die Commerzdeputation bekannt. Eine der bis heute wichtigsten Untersuchungen ist das 1915 im 44
Baasch (1915, 2) kommt hier aufgrund einer ambivalenten Formulierung im Eröffnungsprotokoll (PC 1/13ff.) zu anderen Schlussfolgerungen, nämlich dass die Wahl durch Kaufleute aus den Kreisen von Börse und 144ern erfolgte. Die Wahl von Nicht-Kaufleuten scheint für ihn dadurch bestätigt, dass sich die Deputierten einige Jahre später (15.04.1670) auf juristisches Anraten hin sechs Kaufleute zu ihrer Unterstützung beiordnen ließen (Baasch 1915, 9). In Eröffnungsprotokoll (PC 1/1ff.) und Kopie des korrespondierenden Ratsprotokolls (wiedergegeben als Abschrift auf der Innenseite des Deckblattes, s. Anhang) wird jedoch erwähnt, dass die Deputierte Kaufleute (bzw. ein Schifferalter) waren. Vgl. auch Teil 2.1.6., Fußnote 42.
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Auftrag der Handelskammer Hamburg herausgegebene Werk Die Handelskammer zu Hamburg 1665-1915, von Ernst Theodor Baasch (selbst Bibliothekar der Commerzbibliothek). Das Werk ist stark auf (handels-) politische Aspekte hin ausgerichtet und die für die vorliegende Arbeit interessanten Zusammenhänge werden in den ersten 15 Seiten des in der vorliegenden Arbeit verwendeten fast achthundertseitigen Band I (1665-1814) nur kurz gestreift. Insgesamt liegt Baaschs Schwerpunkt eher auf dem 19. Jh. Dies macht verständlich, warum sein Werk zwar durch seine gute Kenntnis der Commerzprotokolle eine wichtige, wegen seines eingeschränkten Interessenschwerpunktes jedoch auch eine problematische Quelle darstellt (vgl. Fußnote 44 und s.u.). Wie Baasch (1915, 4) beschreibt, ging die Gründung der Commerzdeputation offenbar sang- und klanglos vonstatten und es wurde die „Errichtung jener ersten wirklichen korporativen Vertretung des Seehandels“ in zeitgenössischen Chroniken Hamburgs, die „von allen möglichen unwichtigen Dingen berichteten“, keiner Erwähnung gewürdigt. Baaschs Darstellungen nach ging es den Deputierten allein darum, eine Interessenvertretung der Kaufmannschaft zu schaffen und zu erhalten, die angesichts unbefriedigender Zustände auf verschiedenen Gebieten des Handels ihre Anliegen geordnet dem Rat der Stadt vorbringen und dadurch diesen Forderungen mehr Gewicht verleihen konnten. „Die Commerzdeputierten machten öffentlich aus ihrem Dasein wenig Wesens“ (ibid.) und betrachteten wohl insgesamt die Tätigkeit für die Deputation eher als lästige Pflicht denn als Privileg. Sie gingen 1669 sogar so weit, von sich aus vorzuschlagen, dass man sie von ihren Pflichten entbinde (Baasch 7f.).45 Auch scheinen nach Baaschs Darstellung nicht einmal die Deputierten selbst mit der Dauerhaftigkeit der Deputation gerechnet zu haben. Dieses Empfinden einer vorläufigen Tätigkeit kann dazu beigetragen haben, dass so wenig zu den ersten Deputierten und fast gar nichts zu den Protokollisten bekannt ist. Das Fehlen der Namensangabe durch die Schreiber in den Protokollen selbst war durchaus normal, wie in Topalovićs Untersuchung von Verhörprotokollen des 17. Jhs. deutlich wird. Dort sind trotz obligatorischer Angabe der Angeklagten, der Anwesenden und des Sitzungsortes (2003, 122 und 136) die protokollführenden Schreiber nur in einer Ausnahme erwähnt (2003, 137f.). Ein anderer Grund für die Anonymität der Schreiber ist sicherlich die Tatsache, dass in den Auseinandersetzungen der Commerzdeputation mit anderen städtischen Institutionen die bloße Existenz von schriftlichen Äußerungen einer organisierten Kaufmannschaft für ihre Gegner ein ständiger Stein des Anstoßes war, an dem sich – fern von allen Sachfragen – die Ge45
Auch 1670 äußern sie über ihr Ehrenamt, dass, wenn es nach ihnen ginge und nicht um die gesamte Kaufmannschaft, sie „woll dieser mùhe enthoben sein“ könnten (PC 301/26, 07.03.1670).
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müter wiederholt entzündeten. Die Verschriftlichung ihrer Angelegenheiten durch die Commerzdeputation war eine Neuerung, die einen selbstbewussten Anspruch der Kaufmannschaft auf Verbindlichkeit ausdrückte (s. 3.3.1. und 3.2.4. und vgl. Polenz 2000, 123), gegen den man sich seitens der etablierten Einrichtungen wehrte. Dass die Deputation bislang mündlich verhandelte oder in individuellen Eingaben vorgebrachte Angelegenheiten auf einmal organisiert schriftlich vorbrachte und sich dazu sogar eines Protokollisten bediente, wurde von den städtischen Autoritäten als Bedrohung der eigenen Machtposition empfunden, auf die der Rat wiederholt mit der Forderung nach Rückkehr zu den alten Zuständen reagierte (vgl. Baasch 1915, Seiten 7, 9, 11, 14f. und s. PC 302). In wie weit das Führen und Verwalten eines Protokolls an sich bereits Macht darstellte, zeigt der lang andauernde Kampf der Commerzdeputation um Einsichtnahme in das Admiralitätsprotokoll vom 04.07.1662, in dem Verhandlungen von Kaufleuten und Admiralität über das Convoygeld46 durch die Admiralität dokumentiert worden waren, deren Einzelheiten diese jedoch konsequent für sich behielt (Baasch 1915, 6 und Klein 1965, 26ff.). Die Admiralität hatte sich durch ihren Wissensvorsprung in den Streitigkeiten über die Convoye lange Zeit einen Vorteil verschafft, und das Führen eigener Protokolle durch die Commerzdeputation, als Streben nach Rechtssicherheit durch Dokumentation wichtiger Vorgänge, lief naturgemäß ihren eigenen Interessen entgegen (vgl. 3.2.4.). Baasch (1915, 11) berichtet über eine der vielen Eskalationen im Streit, die am 07.03.1672 wieder einmal um das Convoygeld entbrannt war, wobei er aus dem entsprechenden Protokolleintrag zitiert: Zugleich stellten sie [die Deputierten] vor, daß die Kaufleute täglich dies oder das von den Commerzdeputierten verlangten, „welches wohl nötig zu protocolliren wehre“; sie hofften deshalb, es werden die Admiralität nichts einzuwenden haben, wenn der Admiralitätsschreiber Richard Schröder und die Zollbedienten der Admiralität „zu diesen Kaufmanns=Geschäften“ hinzugezogen würden. Die Admiralität aber erklärte, zunächst müßte sich die Commerzdeputation einmal des Anspruchs begeben, ein Kolleg vorzustellen und einen Protokollisten zu halten; es müsse bei dem Dekret des Rats vom 4. November 1671 verbleiben, wornach sie durch Deputierte „die nothwendige Dinge des Commercii mündlich vorbringen“ könnten.
Es wurde also der Deputation fast sechs Jahre nach ihrer Gründung immer noch das Recht streitig gemacht, sich überhaupt schriftlich zu äußern. Der Streit um dieses Recht wurde weiterhin genutzt, von den eigentlichen Sachfragen abzulenken (Baasch zitiert mit dem Protokolltext eine der Anfragen der Deputation wegen der Abrechnung des Convoygeldes). Selbst 46
Eine von den Kaufleuten beim Warenhandel erhobene Abgabe, die zum Bau von Konvoischiffen verwendet werden sollte. Streit über diese Abgabe war einer der Auslöser für die Gründung der Commerzdeputation, und stellt lange Jahre ein Leitmotiv in ihren Protokollen dar (s. 2.1.4. und folgende).
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nach der kaiserlichen Intervention zur Legalisierung der Commerzdeputation tat sich der Rat noch schwer, die Existenz eines Protokollisten der Deputation hinzunehmen, weil ein solcher in deren Bestätigungsdokumenten nicht ausdrücklich erwähnt wurde. Die Commerzdeputation hielt andererseits an ihm als einem selbstverständlichen Recht fest (ein Hinweis auf den Status der mit dem Abfassen von Protokollen verbunden war). Noch am 13.07.1674, provoziert dadurch, dass ihr Protokollist mit einem Gesuch der Deputation am Rat erschien, verwahrte sich der Rat schriftlich gegen das Abfassen eines Protokolls, einer Forderung, die er 30.04.1675 zum letzten Mal wiederholte, wonach es schließlich durch Verstummen der (schriftlichen) Beschwerden 1676 endlich zur Anerkennung des Rechtes der Commerzdeputation auf einen Protokollisten kam (Baasch 1915, 15). Es ist vor diesem Hintergrund verständlich, warum die beharrlich für ihre Interessen kämpfende Kaufmannschaft die Tätigkeit ihrer Schreiber bewusst nicht weiter thematisierte: Dies hätte womöglich zu einer unnötigen Verschärfung der ohnehin angespannten Lage und zu Schwierigkeiten für den Schreiber wegen seiner (Doppel-) Tätigkeit führen können.47 Im vorliegenden Zusammenhang noch interessanter ist, dass die Commerzdeputation in der Anfangszeit offensichtlich verschiedene Aushilfen, nämlich den erwähnten Richert Schröder (bei Baasch Richard, s.o.), seines Zeichens Admiralitätsschreiber, und diverse Zollbediente der Admiralität beschäftigte. So wie Baasch seine Quelle zitiert (s.o.), war mit „diesen Kaufmanns=Geschäften“ das Protokollieren auf jeden Fall (mit)gemeint. Man hatte also anfangs keinen fest angestellten Sekretär, der Schreib- und andere organisatorische Arbeiten übernahm, sondern rief jeweils bei Bedarf entsprechend qualifizierte Hilfskräfte heran. Bei diesen handelte es sich, wie aus den Protokollen hervorgeht (s.u.) in einem Fall um einen Berufsschreiber, in den weiteren Fällen liegen bislang keine weiteren Angaben vor. Dass man sich schon zur Anfangszeit ab 1665 für das Schreiben des Protokolls des Zollschreibers bedient hatte, geht aus einer Rechnung des Cassa=Buchs der Commerzdeputation hervor, in dem als ein Posten die nachträglich aus der Convoykasse erstattete Vergütung für zwei Jahre Protokollschreiben an Richert Schröder auftaucht. Ob und von wem Richert Schröder schon vor der Erstattung des Geldes durch die Admiralität bezahlt wurde, ist nicht klar. Die Rechnung dokumentiert an sich aber nicht die Bezahlung des Protokollisten, sondern den Erfolg der Commerzdeputation, die sich hier erstmals zur Deckung ihrer Ausgaben Zugriff auf das umstrittene Convoygeld erkämpft hatten. 47
Lediglich wegen der Tätigkeit für eine konkurrierende Organisation. Wie man an den späteren Bibliothekaren der Commerzbibliothek sehen kann (s.u. und vgl. Backe-Dietrich 1985, 111ff.) waren ‚patchwork‘ Karrieren im 17 Jh. für Intellektuelle durchaus normal (dies gilt auch für die Grammatiker, vgl. 1.2.1., 2.2.5., 3.1.3. und s. Jones 1995, Einzelbiographien). Vgl. auch die Tätigkeit der Schullehrer, 2.2.4.
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Das Kassenbuch enthält im Eintrag für den 11. Februar 1667 folgende Posten (s. Klein 1965, 23f. für eine Reproduktion der Rechnung): Febr. 11. auf Befehl der He. Gedeputirte an Hanß Grotten für sein 2 jahriges Ansagen48 seit 1665 8 Rthlr. [Reichstaler] dito an Henrich Sahleman, dem Feurbeuter, auff Befehl für 2 Jahr49 dito an Richert Schrödern auff Concedirung der He. Gedeputirte für seine 2jährige mühewaltung beym Protocoll sieder Ao. 1665
24 [Mark] 6 [Mark]
200[Mark] 230
Wie ein vergleichender Blick auf die Namen der ersten Deputierten zeigt, die alle im Eröffnungsprotokoll genannt sind (s. PC 1/20ff. und vgl. Baasch 1915, Band II, 899ff.: Verzeichnis der Mitglieder der Commerzdeputation und der Handelskammer), taucht der Name Richert oder Richard Schröder hier nicht auf, was nochmals bestätigt, dass nicht ein deputierter Kaufmann sondern tatsächlich ein professioneller Schreiber die Protokolle führte. Damit scheint zunächst sicher belegt zu sein, dass zumindest die Mehrheit der Protokolle aus den ersten beiden Jahren der Commerzdeputation in der Hand von Schröder vorliegen. Für eine besondere Qualifikation von Richert Schröder, zur Führung von offiziellen Protokollen nötig und gleichzeitig für das Prestige der Commerzdeputation erwünscht (s. 3.2.), spricht schon die Tatsache an sich, dass er als Zollschreiber beschäftigt wurde. Auch die relativ gute Bezahlung von 200 Mark an Schröder (im Vergleich zu 24 Mark für das Ansagen der Versammlungen) ist ein Hinweis auf eine größere Wertschätzung der gelehrten Tätigkeit (s. 2.2.5.; auch im Vergleich zum Handwerk).50 Aus einem späteren hier transkribierten Protokolleintrag vom August 1665 geht zusätzlich hervor, dass Schröder damit beauftragt wurde, Schiffspässe auszustellen und zu verwalten.51 Es ist nicht wahrscheinlich, dass solch 48 49 50
51
Gemeint ist das Ansagen von Versammlungen. Vgl. Kapitel 2.1. Für zwei Jahre Heizen des Börsensaals im Obergeschoss der Börse, dem Sitzungsort (s. Klein 1965, 26). S. Gaedechens (1854, 193f.). Vgl. auch Rüdiger (1903, 289), der eine Vertragsurkunde von 1663 zitiert „8 Reichsthaler, sind 24 Mark Lübisch“. Da laut www.numismatikforum.de/ ftopic10530.html#86723 vom 27.06.05, 15.33 (eingesehen am 07.07.05) ein Taler zu 90 Kreuzern gerechnet wurde, erhielt Schröder 6000 Kreuzer. Dies entsprach 1667 in Regensburg 300 Tageslöhnen eines Zimmermeisters, 500 Arbeitstagen eines Tagelöhners oder 3000 Abendessen mit Bier (ibid.). PC 32/6ff., 11.08.1665: „ad 2. wehren mit den Kaùffleùten einig und/ soll Richert Schröder solches dem Schifferen/ andienen welcher nominirt die päße zu verfertigen.“ Wie aus dem Kontext hervorgeht, ist es Schröder, der die Pässe verfertigt und versiegelt an die Schiffer aushändigt, die sie später wieder bei ihm abliefern müssen: „2 Daß die Aydtlichen päße den Schifferen ver/ siegelt mochten gegeben und [...] so baldt Sie in Spagnien/ angelanget einzù-
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eine qualifizierte und verantwortungsvolle Tätigkeit einem Gelegenheitsschreiber mit minderen Kenntnissen anvertraut wurde. Hinzu kommt, dass in den Sitzungen auch über Dinge gesprochen wurde, die geheim gehalten werden sollten (vgl. PC 72‘/1), als Protokollist kam also nur eine besondere Vertrauensperson in Frage (s. 3.2.6.). Auch die Tatsache, dass der Deputation kein Archiv und keine feste Tradition vorlag, auf die man sich stützen konnte (vgl. Baasch 1915, 14), und dass die Deputierten Männer der Praxis waren, deren Arbeit für die Commerzdeputation anfangs ohne festen Aktionsplan erfolgte (vgl. 2.1.5. und 2.1.6.), unterstreicht, dass man darauf angewiesen war, sich in formalen Fragen der Hilfe eines in kanzleisprachlichen Angelegenheiten erfahrenen Schreibers zu versichern. Eine Verbindung zwischen dem Admiralitätsschreiber Richert Schröder und einem im 17. Jh. ebenfalls erwähnten Schreiber der Börse scheint nach den obigen Quellen ausgeschlossen. Dessen Anstellung ist laut Postel (1992, 20f.) durch die Rivalität zwischen Älterleuten und Gewandschneidern, die sich im Streit um die Anstellung der Börsenknechte äußerte, schon für das frühe 17. Jh. dokumentiert. Für die Anfangszeit ist belegt, dass der Knecht der Älterleute die abgehenden Boten aufrief, den Kaufleuten bevorstehende Reisen ansagte und die Älterleute über Verzögerungen auf dem Laufenden zu halten. Er hatte sich in der Börse dafür bereitzuhalten, bei Anfragen von Kaufleuten aktuelle Auskunft zu geben (Postel 1992, 21). „Später erhielt er den Titel eines Börsenschreibers und war besonders für die Anschläge in der Börse zuständig“ (ibid.). Hinweise auf eine Verbindung zur Commerzdeputation liegen nicht vor und auch die Natur der beschriebenen Arbeiten deutet auf eine geringere Qualifikation als die zur Führung eines offiziellen Protokolls in gutem Deutsch nötigen Kenntnisse hin (vgl. 3.2. und 3.3.). Über die genaue Dauer der Tätigkeit des nach Baaschs Angabe auch 1672 noch nebenamtlich tätigen Admiralitätsschreibers oder über seine möglichen Nachfolger als Protokollisten der Commerzdeputation ist nichts bekannt. Auch ist nicht klar, ob die Bestätigung der Commerzdeputation durch die Bürgerschaft 1674 oder ihre letztendliche Anerkennung durch den Rat 1675 umgehend zur Festanstellung eines eigenen Deputationsschreibers führte (was durchaus plausibel scheint, s.u.). Es ist denkbar, dass die weiteren, bislang noch nicht transkribierten Protokolle selbst Informationen zu den Schreibern enthalten. Eine gezielte Suche nach weiteren Hinweisen ist aber vor einer kompletten Erschließung des reichen Quellenmaterials, v.a. einer Übertragung in ein elektronisch nutzbares Textformat, unmöglich. Es bleiben also die Handschriften in den hier untersuchten Protokolltexten (s.u.) und die spätere, besser überlieferte Geschichte der
lievern, der Sie bey seiner/ zù rùckùnfft dem Admiral=Schreiber wieder/ einhandigen mùße“ (PC 31/9ff. 11.08.1665).
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Commerzbibliothek als zusätzliche Informationsquellen über die Schreiber der Commerzdeputation. Mit der Gründung der Commerzbibliothek durch die Commerzdeputation liegt über sechzig Jahre nach ihrer Gründung ein Ereignis vor, das aufgrund seiner Neuheit Interesse hervorrief und deswegen gut dokumentiert ist. Wie Berta Backe-Dietrich (1985, 15) beschreibt, gab es bis dato keine Einrichtung, die spezifische für Kaufleute notwendige Werke zur Verfügung stellte. Erst im Zuge einer langsamen Befreiung vom Stigma des gewinnorientierten Handels hatte sich seit dem 16. Jh. eine wirtschaftswissenschaftliche Fachliteratur entwickelt, die die bis ins 17. Jh. dominierende christliche Hausväterliteratur (Ratgeber für häusliches Wirtschaften) allmählich verdrängt hatte und nun, zu Beginn des 18. Jhs., den Bedarf eines speziellen Fachmarktes deckte (Bolten 1998, 129f.; Näheres s. 2.2.5.). Als Folge der Aufklärung gründeten im Zuge dieser Entwicklung welterfahrene Überseekaufleute 1735 in Hamburg die „älteste Kaufmanns- bzw. wirtschaftswissenschaftliche Bibliothek Europas und wohl der ganzen Welt“ (Backe-Dietrich 1985, 16). In diesem Zusammenhang schildert BackeDietrich auch die Sitzungspraxis der Commerzdeputation der vorangegangenen Jahre und die Tradition der Protokollisten. Bis zur Gründung der Bibliothek hatte die Commerzdeputation keine eigenen Räume. Getagt wurde an wechselnden Orten, entweder in der damaligen für Schifffahrt und Hafen zuständigen Behörde (also der Admiralität), dem Börsensaal der alten Börse oder dem Ratsweinkeller.52 Die Aufbewahrung der Dokumente der Commerzdeputation (deren Protokolle, Briefe, Akten und anderen Unterlagen) war Aufgabe des jeweiligen Präses, der sie in einer Lade in seinem eigenen Haus verwahrte, was laut BackeDietrich „schon lange als unbefriedigend empfunden“ wurde (1985, 16). Wie sie berichtet, wurden ab 1737 die Bücher der Commerzbibliothek im Obergeschoss der Waage untergebracht, eines neben dem Börsensaal günstig gelegenen Gebäudes (s. 2.1.3.). Die Dokumente der Commerzdeputation erhielten damit einen festen Aufbewahrungsort. Ab dieser Zeit ist auch die Identität der protokollführenden Schreiber dokumentiert, denn diese betreuten gleichzeitig die Bücher der Commerzbibliothek. Die Schreiber der Bibliothek werden von Backe-Dietrich (1985, 111) unter der Überschrift „Protokollisten und leitende Bibliothekare“ angeführt. Die Personalunion der beiden blieb lange erhalten und ist ein Hinweis auf die besondere Stellung der Protokollisten. Für das Gründungsjahr der Commerzbibliothek wird ein Notar Namens Froboes erwähnt (vermutlich Philipp Heinrich), der zur Probe eingestellt sei. Von ihm ist später nicht mehr die Rede. Backe-Dietrich vermutet, dass es sich um denselben Froboes gehandelt habe, der 1753 die Privilegien und Gereichtigkeiten des 52
Einer jedermann zugänglichen Weinstube.
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Kannen- und Rotgießeramtes aus dem Niederdeutschen ins Hochdeutsche übersetzte. Der zweite Bibliothekar war Christian Melchior Holzbecher. Er hatte Jura studiert und war Lehrer für Latein, Französisch und Italienisch in Hamburg, bevor er im März 1736 von der Commerzdeputation zum Protokollisten gewählt wurde. Außerdem nahm er vor seinem Amtsantritt Übersetzungen aus dem Französischen vor und war Redakteur der Niedersächsischen Nachrichten von neuen gelehrten Sachen (ibid.). Seine Nachfolger hatten bis Mitte des 19. Jhs. ebenfalls alle53 eine Hochschulausbildung mit rechtswissenschaftlicher Ausrichtung (vgl. Backe-Dietrich 1985, 111ff.). Zumindest ab der Gründung der Commerzbibliothek ist damit für den Ausbildungsstand der Protokollisten belegt, dass es sich durchweg um Hochschulabsolventen handelte, was damals mindestens ein Grundstudium der freien Künste und dadurch die Bekanntschaft mit gängigen literarischen Formen und profunde Lateinkenntnisse beinhaltete. Erst ein weiterführendes Studium vermittelte den Erwerb einer juristischen Bildung (s. Fußnote 68). Die Angaben Backe-Dietrichs zeigen auch, dass zumindest diese ersten bekannten Protokollisten in der Zeit von 1735 bis 1840 aus Hamburg oder wenigstens aus Norddeutschland stammten.54 Wegen der im 17. Jh. zumindest mündlich immer noch zweisprachigen Situation in Hamburg (s. 3.3.4.) ist demnach auch für die Anfangszeit der Commerzdeputation anzunehmen, dass man Hamburger oder zumindest Norddeutsche, die auch des Niederdeutschen mächtig waren, beschäftigte.55 Es ist aufgrund der Art seiner Haupttätigkeit und mit Blick auf die spätere ungebrochene Tradition also anzunehmen, dass schon der erwähnte Admiralitätsschreiber Richert Schröder, der bei den Sitzungen der Commerzdeputation Protokoll führte, wie seine Nachfolger aus Norddeutschland stammte und juristisch ausgebildet war (vgl. 2.2.4., 3.1.1. und 3.2.). 2.2.3. Zur Entstehung der Commerzprotokolle Man könnte nun bezüglich der Schreiber der Commerzprotokolle zusammenfassen, die Commerzdeputation habe sich in ihrer Anfangszeit (der Rechnung aus dem Cassa=Buch zufolge mindestens für zwei Jahre, laut 53 54 55
In einem Ausnahmefall ist über den Protokollisten nichts bekannt (s. nächste Fußnote). Froboes übersetzte aus dem ND, Holzbecher war Redakteur der Niedersächsischen Nachrichten. Ihre Nachfolger M. A. Wodarch, F. Surland, sowie J. G. und R. Mönckeberg stammten aus Hamburg (s. Backe-Dietrich a.a.O.). Zur Sitzungspraxis der Anfangszeit ist nichts bekannt, auch zu anderen hamburgischen Institutionen liegen für diese erst bruchstückhaft erforschte Zeit keine Untersuchungen vor. Es ist der sprachlichen Übergangssituation nach denkbar, dass damals von den mindestens zweisprachigen Kaufleuten auf Ndd. debattiert wurde, womit zur Leistung des Medientransfers mündlich => schriftlich durch den Protokollisten noch eine Übersetzungsleistung ins Hd. hinzuzurechnen wäre (vgl. 3.3.4. und 3.2.6.).
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Baasch noch mindestens bis 1672) des qualifizierten und vertrauenswürdigen Schreibers einer anderen Institution aushilfsweise bedient, bis sie irgendwann einen eigenen, praktischerweise aus der Gegend stammenden Schreiber ausreichender Bildung anstellten, der ihre Protokolle führte. Ausbildung und Herkunft dieses ersten Schreibers lassen sich aus seiner Beschäftigung als Admiralitätsschreiber und der weiteren Tradition der Commerzprotokollisten (s.o.) sowie den Anforderungen an die Textsorte (s. 3.2.) erschließen. Die nähere paläographische Untersuchung der Schrift in den heute erhaltenen Commerzprotokollen zeigt, dass der Ursprung der vorliegenden Texte leider nicht so klar ist. Irritierend ist zunächst, dass die Protokolle von 1665 bis 1667 keinesfalls aus der selben Feder stammen, Richert Schröder also allenfalls für entweder das erste oder das zweite Jahr der Protokolle verantwortlich gemacht werden kann. Die hier Schreiber A genannte erste Handschrift liegt für die Protokolle vom 19.01.1665 bis zum 28.02.1666 vor.56 Danach taucht zum ersten Mal Schreiber B auf, die zweite hier identifizierte Handschrift, in der die Protokolle für die nächsten 3 Jahre und 9 Monate abgefasst sind (bis zum 05.02.1670). Es folgen undatierte Textabschriften (als Nachträge bzw. Anlagen zu vorangehenden Protokollen) in der erstmals auftauchenden Hand Schreiber C, nach denen die Eintragungen von Schreiber B für etwa einen Monat wiederkehren. Am 13.04.1670 liegt ein zehn Seiten langer Protokolleintrag in Hand Schreiber C vor, zum letzten Mal gefolgt von Einträgen in Hand Schreiber B, diesmal für ca. 3 Monate. Es folgen ab 17.08.1670 für etwa 14,5 Monate Einträge in Hand Schreiber C. Vom 06.11.1671 bis zum 08.04.1674 liegt für etwa 2,5 Jahre eine weitere Handschrift, Schreiber D, vor. Danach sind bis Ende des untersuchten Texts alle Einträge von Schreiber C vorgenommen (letzte hier transkribierte Seite ist 761, Eintrag vom 22.08.1677, danach setzt sich die Handschrift noch bis mindestens Seite 1065 der Commerzprotokolle fort). Wenn im Gegensatz zur Handschriftenlage, die für diesen Zeitraum zwei deutlich verschiedene Handschriften (Schreiber A und B) aufweist, laut Rechnung des Cassa=Buches vom 11. Februar 1667 Richert Schröder für insgesamt zwei Jahre Protokollieren entlohnt wurde, und zwar in der Formulierung „Mühewaltung beym Protocoll sieder Ao. 1665“, was auf eine Fortdauer der Tätigkeit noch zur Zeit des Eintrages ins Kassenbuch 1667 hinweist (dies passt wiederum zu Baaschs Erwähnung Schröders noch für das Jahr 167257), so legt dies nahe, dass es sich bei den in der Handelskammer Hamburg heute vorliegenden Commerzprotokollen um Abschriften der eigentlichen Sitzungsprotokolle handelt. Dies wäre nicht undenkbar: Im Falle früher Rechtsprotokolle weist Arend Mihm (1995, 33) nach, dass die56 57
Vgl. 4.2., besonders Tabellen 4.1, 4.2, 4.3. Andererseits liegen die Protokolle dieser Zeit in Hand Schreiber D vor.
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se zunächst auf lose Zettel geschrieben wurden, die später in Reinschrift in Gerichtsbücher übertragen und nicht über Prozessdauer hinaus aufbewahrt wurden (vgl. 3.2.5. und 3.2.6.). Weitere Indizien, die für Abschriften sprechen, sind x die sorgfältige Gestaltung der Seiten (überwiegend gleichmäßiges Schriftbild, z.B. PC 20ff., PC 149, vgl. Topalović 2003, 124ff. und 129ff. zu Mitschriften und Abschriften bzw. deren Schriftbild), x die prachtvolle Gestaltung einzelner Überschriften (z.B. PC 1 und die Invocatorien, vgl. 3.3.6.2.2.), die auf eine in aller Ruhe ausgeführte Durchführung der Schreibarbeit schließen lassen, x der gute Zustand der Seiten, die nicht aussehen, als seien sie in den Ratsweinkeller oder die verschiedenen anderen Sitzungslokale mitgenommen wurden (s.o.) und
x eine in den Stichproben festgestellte Abweichung von der Chronologie (das Protokoll zu Jovis 10 Decemb: 1668 auf Seite 179, in Hand B, steht nach dem Protokoll Anno 1669 Martis 5 Janùarij).
Eigene Verbesserungen der Schreiber (schon am 20.02.1665, PC 13/5, besonders in den Protokollen in der Hand Schreiber B, z.B. PC 71/4, 07.01.1667) könnten zwar als Hinweise auf eine Festigung der Gedanken beim Schreiben aufgefasst werden. Sie beweisen damit aber nicht die Originalität der Protokolle, denn es ist ebenfalls denkbar, dass die Protokolle auch beim Kopieren noch geändert und ergänzt wurden (vgl. Topalović a.a.O.) oder dass die entsprechenden Kopien unter Zeitdruck hergestellt wurden. Eine dementsprechende weitere Nachbearbeitung der Protokolle zeigt sich zusätzlich in den durchgehend vorhandenen Randbemerkungen. Diese liegen weitgehend in einer einheitlichen Handschrift vor (Schreiber C). Die einfachste mögliche Schlussfolgerung ist, dass die Protokolle von verschiedenen Schreibern, die manchmal oder immer andere Schreiber als die Protokollisten waren, abschnittweise nachträglich ins Reine geschrieben wurden. Die undatierten Textabschriften von Schreiber C, die zwischen Einträgen von Schreiber B (05. und 11.02.1670) stehen, sowie der einzelne Eintrag von Schreiber C zum 13.04.1670 (ebenfalls zwischen von Einträgen von Schreiber B) sind Hinweise darauf, dass auf jeden Fall Schreiber C und Schreiber B gleichzeitig an den Protokollen gearbeitet haben müssen, denn die Übergänge der Handschriften erfolgen innerhalb der selben Seiten (s. 4.2., Tabelle 4.1.). Auch bei Schreiber A und Schreiber B muss es eine zeitliche Überlappung gegeben haben, denn auch hier erfolgt der Übergang der Handschriften auf der Mitte einer Seite (PC 57). Die gegenüber von Seite 1 auf der Rückseite eines Vorblattes enthaltene Abschrift des dem
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Eröffnungsprotokoll entsprechenden Ratsprotokolls, geschrieben in Hand Schreiber B und nicht Hand Schreiber C, ist ebenfalls ein Hinweis auf die gleichzeitige Arbeit der Schreiber an den Abschriften der Protokolle. Traditionell üblich war zwar die Niederschrift in spezielle Protokollbücher (s. 3.2.5.), bei dem vorherrschenden Gefühl provisorischer Tätigkeit der Commerzdeputation (s. 2.1.5. und 2.1.6.) ist jedoch denkbar, dass man zunächst auf einzelne Blätter geschrieben haben könnte und das erst die Abschrift in ein Buch erfolgte. Da einzelne Nachträge der Protokolle in Hand C vorliegen und auch die Randbemerkungen aller Protokolle58 von Hand Schreiber C geschrieben sind, ist es wahrscheinlich, dass die Protokolle oder ein Teil derselben zu dessen Zeit (also rückwirkend für einen längeren Zeitraum) geordnet, ergänzt, mit Randbemerkungen versehen, nummeriert und gebunden wurden und vermutlich unter seiner Anleitung abgeschrieben worden sind. Wenn es sich nun aber um nachträgliche Abschriften handelt, es also ganz unmöglich ist, von den Daten der Protokolle auf die Tätigkeitszeit der Schreiber zu schließen, stellt sich die Frage, was genau die Tätigkeitszeit von Schreiber C war. Auch Schreiber C kann, wie Schreiber B und vielleicht auch Schreiber A und D, ältere Texte (die in Form von wie auch immer gearteten Sitzungsmitschriften oder deren Abschriften vorlagen), nachträglich kopiert haben. Dies könnte bis zu dem Zeitpunkt rückwirkend vorgenommen worden sein, an dem alle Abschriften auf dem neusten Stand waren und von Schreiber C selbst zeitnah weiterhin ausgeführt wurden (theoretisch könnte dieser Zeitpunkt auch nach den hier untersuchten Texten, also nach 1677 liegen). Es lässt sich aber aus der Tatsache, dass die Protokolle von Hand Schreiber D59 innerhalb der beiden größeren Tätigkeitszeiten bzw. Abschriftszeiträume von Schreiber C liegen, und daraus, dass ab dem Anfang von Band B der Protokollschriften kontinuierlich die Hand Schreiber C vorliegt, eine frühere Datierung ableiten. Demnach hätte Schreiber C irgendwann vor dem oder um den 01.05.1674 die Arbeit an den Protokollen hauptverantwortlich übernommen und über einen gewissen Zeitraum mit Hilfe weiterer Schreiber alle Abschriften (evt. mit Ausnahme der Texte von Hand A) angefertigt, bis alles Material kopiert war. Ab irgend einem Zeitpunkt, der vor oder auch nach dem 01.05.1674 liegen kann, hat Schreiber C dann die Texte selbst zeitnah zu den Sitzungen weiter kopiert, weswegen die Protokolle einheitlich ab hier in seiner Handschrift vorliegen. 58 59
In einzelnen Fällen gibt es Randbemerkungen, die der Texthandschrift entsprechen (dies ist jeweils von der Autorin am oberen rechten Rand der Transkriptionen vermerkt, ‚B/C/C‘ etwa heißt, 1. Glosse von B, 2.+3. Glosse von C). Sie beginnen mit einer neuen Seite im November 1672 (PC 360 bis zum Ende der Einträge in Band A der Protokollschriften, PC 464) und sind durchgehend bis zum Anhang des ersten Bandes.
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Dass der Übergang von Band A zu Band B der Commerzprotokolle mitten im Jahr 1674 und nicht zu einem Jahresende liegt, spricht für eine Zäsur, die mutmaßlich den Zeitpunkt des Überganges von nachträglicher zu zeitnaher Abschrift der Sitzungsprotokolle darstellt. Noch plausibler werden diese auf Hinweisen aus den Handschriften basierenden Überlegungen, wenn man bedenkt, dass nach kaiserlicher Intervention die Bestätigung der Commerzdeputation durch die Bürgerschaft am 03.04.1674 zur Legalisierung der Deputation führte. Ab diesem Zeitpunkt stand nicht nur endgültig fest, dass die Commerzdeputation sich nicht wieder auflösen würde, sondern man betrachtete, wie in 2.1.6. belegt, seitens der Kaufmannschaft auch das Recht auf einen eigenen Protokollisten als gegeben. Es liegt folglich nahe, als Hintergrund der beobachteten Zäsur die offizielle Anstellung eines Protokollisten zu vermuten, der ab diesem Zeitpunkt die Protokolle selbst führte und die Akten aus der Vergangenheit mit Hilfe weiterer Schreibkräfte in Ordnung brachte. Bei der Untersuchung der Texte muss damit prinzipiell zwischen den Protokollisten und den Kopisten oder (Ab-)Schreibern der Protokolle unterschieden werden, selbst wenn diese in manchen Fällen ein und dieselbe Person gewesen sein können.60 Wegen nachträglicher Abschrift der Akten muss auch zwischen den auf den Protokollen vermerkten Sitzungsdaten und dem nicht genau geklärten Zeitpunkt der Abschrift der heute vorliegenden Dokumente durch die Schreiber (wie oben dargestellt vermutlich um den April/Mai 1674) unterschieden werden. Eine chronologische Entwicklung der Orthographie und Grammatik der Texte über einen längeren Zeitraum kann also nicht zwangsläufig angenommen werden. Es ist statt dessen plausibel, dass die Texte um den 01.05.1674 gleichzeitig bzw. innerhalb eines relativ begrenzten Zeitraums abgeschrieben wurden (s.o.). Damit liegt ein besonderer Fall vor, in dem beobachtet werden kann, wie verschiedene gleichzeitig tätige Schreiber die Abschrift von ähnlichem Material realisieren. Für die in Teil 4 dieser Arbeit vorgenommene Analyse der Sprache ergeben sich nur wenige Auswirkungen (z.B. müssen scheinbar chronologische Entwicklungen kritisch betrachtet werden, da immer mit einer nachträglichen Bearbeitung durch den Kopisten zu rechnen ist). Da das Protokoll als juristischer Texttyp grundsätzlich eine Stilisierung erfährt, egal, ob es sich um eine originale Sitzungsmitschrift oder die Reinschrift einer solchen handelt, sind für die hier untersuchten Merkmale keine relevanten sprachlichen Unterschiede zu erwarten (Topalović 2003, 161; vgl.
60
Bis zum Auffinden weiterer Informationen, etwa durch weitere Transkriptionen der Commerzprotokolle oder der Untersuchung der wenigen erhaltenen Admiralitätsakten, müssen die Fragen nach der Identität von Protokollisten und Schreibern und nach der genauen Entstehungszeit der Texte ungeklärt bleiben.
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3.2.). Erst bei der Suche nach Hinweisen auf gesprochene Sprache würde die Frage nach der Originalität der Texte an Bedeutung gewinnen. Die in diesem Kapitel relevante Frage nach Ausbildungsstand und Herkunft der Schreiber der Protokolle, von denen abhängt, inwieweit sie mit der Grammatiktradition der Zeit in Verbindung gebracht werden können, bleibt vom Problem der ungeklärten Identität der Schreiber weitgehend unberührt. Aus den im obigen Text gesammelten Angaben wurden bereits Anforderungen an die Tätigkeit als Protokollist deutlich (die zumindest auf Hand Schreiber C angewendet werden können, der nach obiger Interpretation beides, Protokollist und Schreiber gewesen ist). In den folgenden Abschnitten sollen der sozio-kulturelle Hintergrund der Kaufleute und der Protokollisten, die speziellen Anforderungen an öffentlich tätige (Berufs-)Schreiber und die Textsorte selbst, bzw. deren Kontext, zu weiteren Hinweisen auf das allgemeine Anforderungsprofil der Schreiber befragt werden. 2.2.4. Zu Ausbildungstraditionen in Hamburg im 17. Jh. In diesem und den folgenden Abschnitten wird die Ausbildungstradition von Kaufleuten, die Bildungssituation in Hamburg allgemein und das geistige Klima in Hamburg zur Entstehungszeit der Commerzprotokolle dargestellt. Zusätzlich zum Bildungsstand und sozialen Status der Kaufleute, dem möglichen Hintergrund von für Kaufmannshäuser tätigen Berufsschreibern und dem allgemeinen kulturellen Umfeld sollen das Spannungsverhältnis zwischen Handel und Kirche und der Beginn eines eigenständigen literarischen Lebens gegen Ende des 17. Jhs. in der Hansestadt erläutert werden. Über die Herstellung eines allgemeinen Kontextes für die Commerzprotokolle hinaus soll dieser Abschnitt dazu dienen, gemeinsam mit dem vorigen und den folgenden Abschnitten, Hinweise zu den möglichen Schreibern der Commerzdeputation zu sammeln, um beurteilen zu können, inwieweit sie mit der Grammatikdiskussion ihrer Zeit in Verbindung gestanden haben können. Robert Peters (2000, 1498) beschreibt, wie im 13. Jh. im hansischen Handel eine Verschriftlichung eintrat, die mit einer zunehmenden Sesshaftigkeit der Fernhändler einherging. Nicht mehr die Genossenschaften sondern die Städte vertraten ab dem 14. Jh. die Interessen der Kaufleute. Dies hatte grundlegende Veränderungen für die Organisationsformen im Handel zur Folge (ibid.; vgl. auch Polenz 2000, 122): „Der seßhafte Kaufmann führte nun, unterstützt von einem Schreiber und einigen Handlungsgehilfen, den Handel von seiner scrivekamere aus. Als Formen kaufmännischer Schriftlichkeit entstanden Kaufleutekorrespondenz und Handlungsbücher.“
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Bolten (1998, 130) geht so weit zu sagen, dass die Entwicklung bürgerlicher Schriftlichkeit im Wesentlichen als das Resultat dieser Entwicklung des Fernhandels und deren Folgen anzusehen ist. Das kaufmännische Bürgertum emanzipierte sich schnell von den Schriftmonopolen des geistigen Standes, und bereits im 16. Jh. wurde die Geschäftskorrespondenz ausschließlich von Laien geschrieben (Nikisch 1991, 206). Außer der Entstehung neuer Textsorten bewirkte das Ende der Vermischung von privater und geschäftlicher Korrespondenz und Buchführung nach dem 14. Jh. wichtige Veränderungen (Maas 1985, 62 nach Polenz 2000, 122). Durch eine strengere Formalisierung des Geschäftsverkehrs ab dem 15. Jh. (etwa die Einführung der doppelten Buchführung und der arabischen Zahlen, und eine allgemeine Systematisierung, z.B. Formatvorgaben des Papiers) trug die alltägliche kaufmännische Schriftlichkeit zur Entwicklung von Stadtverwaltungen bei, die von der kaufmännischen Praxis profitierten (ibid.). Für die Kaufmannschaft bedeutete dies einen erweiterten Bildungsbedarf. Schon aus der vorangehenden Zeit ist bekannt, dass die Mitglieder der Handelsgesellschaften eine geregelte Ausbildung erfuhren. Sie dienten sich innerhalb ihrer Gesellschaft von unten hoch, wobei sie schreiben, rechnen und Warenkunde lernten (Wichmann 1889, 262f.). Nach dem erwähnten Wandel zur Städtehanse traten weitere Kenntnisse hinzu. Laut Zedler (1737, Bd. 15, 261) gehörte es im frühen 18. Jh. zu den selbstverständlichen Tugenden eines Kaufmanns, daß er im Rechnen und Schreiben geübt sey/ die unter denen Kauffleuten übliche Kunst=Wörter und Redens=Arten wohl inne habe und verstehe/ in denen nöthigsten ausländischen Sprachen erfahren sey/ die unterschiedlichen einheimischen und ausländischen Müntzen/ wie nicht weniger die unterschiedliche Beschaffenheit des Maßes und Gewichtes wohl unterscheide und sich eine gute Wissenschafft im Buchhalten erworben habe.
Erworben wurde dieses an der Praxis orientierte Wissen laut Peters (2000, 1499) in den städtisch geführten Lateinschulen Norddeutschlands, die seit dem späten 13. Jh. entstanden waren. An diesen, wie an klerikalen Schulen, war Latein die Unterrichtssprache, aber in der Unterstufe wurde noch manchmal Ndd. bzw. nach dem Sprachwechsel Hd. zur Hilfe herbeigezogen (an privaten Schulen und an der Universität war in der Regel Latein die alleinige Unterrichtssprache; Sodmann 2000, 1506f.). Aber der Ruhm omd. Universitäten wie Leipzig und Wittenberg zog immer mehr nordd. Studenten in die Ferne. Timothy Sodmann belegt, dass am Ende des 16. Jhs. die bis dahin traditionell von nordd. Studenten besuchte Universität Rostock bereits nur noch weniger als 10% ihrer Studenten aus dem nordd. Raum bezog (ebd., 1507).61 Wie Boltens Ausführungen zur Führungsrolle 61
Vgl. Polenz (22000, 260f.) und Sodmann (2000, 1505).
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oberdeutscher Handelshäuser im deutschen Fernhandel seit dem 16. Jh. nahe legen, scheint ihrerseits die ökonomische Überlegenheit dieser Gebiete die Grundlage für wissenschaftliche Entfaltung im 17. Jh. gebildet zu haben (1998, 131). Wie im Kapitel 3.3.4. näher dargestellt wird, ging zu dieser Zeit in der hamburgischen stadtinternen Schriftkommunikation der Übergang von Niederdeutschen (Ndd.) zum Hochdeutschen (Hd.) vonstatten, von dem lediglich solche Kommunikationsbereiche noch eine Zeit lang ausgespart blieben, die sich ausschließlich an ndd. sprechende Personenkreise richteten. Auch die Bildungsstruktur der Hansestadt wurde durch diese sprachlichen Veränderungen beeinflusst. Um auch in der Handelsstadt selbst eine höhere Bildung zu ermöglichen, gründete man 1613 in Hamburg, das selbst keine Universität hatte, das Akademische Gymnasium, das die bereits seit 1529 bestehenden Möglichkeiten der Gelehrtenschule Johanneum in Hamburg weiter in Richtung höherer Bildung ausbaute (Kleßmann 1985, 26).62 Es entstanden auch zunehmend private Beischulen (Rüdiger 1903, 271; vgl. Polenz 2000, 125), die von unterschiedlich qualifizierten Lehrern und Lehrerinnen geführt wurden, manchmal innerhalb der Gebäude kirchlicher Schulen aber auf selbstständiger Basis oder zum Extraverdienst der dortigen Lehrer (s.u.). In diesen Beischulen, wie auch in vielen kirchlichen Schreib- und Rechenschulen Hamburgs, wurde im 17. Jh. bereits auf hochdeutsch unterrichtet.63 In Otto Rüdigers Sammlung von Urkunden zur hamburgischen Schulgeschichte (1903, 288f.) sind diverse Materialien64 zusammengestellt, die im Zusammenhang mit der Schulbildung in Hamburg, auch speziell der Ausbildung des kaufmännischen Nachwuchses und der Lebensumstände von Schreibern im 17. Jh. von Interesse sind. Im Verzeichnuss der vielenn Beischulen in Hamburg (ca. 1578-1600) werden bei Rüdiger (1903, 271) allein für das Kirchspiel St. Petri sechs private Schulen aufgeführt, wovon drei nähere Angaben zu den Lehrenden enthalten: Einer ist als ein ehemaliger Zuckerbäcker aus den Niederlanden angeführt, zwei weitere als Küster bzw. Schreiber des damaligen Maria Magdalenen Klosters. 62 63
64
Vgl. www.uni-hamburg.de/Dienste/geschichte.html (26.06.2005). „Die Sächsischen=Bücher sind in dieser Schul gantz abgeschaffet, vnd hergegen die Hochteutschen Bücher verordnet“ schreibt Magnus Kuman in seinem Brevier der Schreib- und Rechenschule St. Nicolai zu Hamburg von 1642 (in: Rüdiger 1903, 273; Weiteres von Kuman s.u.). Es handelt sich um Materialien aus der Zeit von 1568-1856, die für eine Festschrift 1896 gesammelt und später vom Verein für Hamburgische Geschichte veröffentlicht wurden. Die Sammlung enthält 33 Schriftstücke aus verschiedenen Archiven (v.a. von hamburgischen Hauptkirchen), die in Abschrift Rüdigers abgedruckt sind. Laut Rüdiger (263) enthält die Sammlung die „wesentlichen Formen, in denen sich das alte Schulleben bewegte“. Eine weitgehend originalgetreue Textwiedergabe ist wahrscheinlich.
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Bereits für die Mitte des 17. Jhs. liegen aber Beschwerden der kirchlichen Schulen über diese Privatschulen vor, „da doch sie von Niemand licentiam erlanget und aber im Werk befunden werden, daß Papisten und Calvinisten und andere Secten sich eingeschlichen“ (Rüdiger 1903, 286). Wie Baasch über diese Zeit darstellt, verhinderte die Kirche erfolgreich das Ausbreiten einer auf breiter Ebene angesetzten Bildung, die damit den unteren Bevölkerungsschichten lange verwehrt blieb (1909, 1). Rüdiger (1903) liefert Beispiele dafür, wie gegen die Konkurrenz durch Beischulen (293) und die „Verwahrlosung einiger im Lesen ohngegründeter Schulmeistere“ (297f.) vorgegangen wurde: Man regulierte das Schulwesen und warnte vor schwarzen Schafen (s. Rüdiger 1903, 292ff.: Vereinbarung der teutschen Schulmeistere im St. Jacobi Kirchspiel Anno 1698, hierzu s.u., und 299ff.: D. Mayer an St. Jacobi warnt die Eltern vor den falschen Schulmeistern und zeichnet die Namen der geprüften Lehrer auf um 1700, s.u.65). Über die Lehrer an Hamburgs Schulen erklärt Rüdiger, dass sie „in alter Zeit66 wie zünftige Lehrlinge ihren Beruf bei einem Schulmeister, am liebsten dem einer Kirchenschule erlernten“ (1903, 263). Allerdings waren Lehrer im Allgemeinen schlecht besoldet, so dass „sich nur invalide Soldaten, fallierte Handwerker oder Tagelöhner für dieses zugleich mühsame und schlecht angesehene Gewerbe gewinnen ließen“ (Maurer 1999, 89f.). Wie aus den Dokumenten in Rüdiger 1903 hervorgeht, wurden die Lehrer vor einer Anstellung an einer Kirchenschule von einem Pastor auf ihre Eignung geprüft. Es gab meist einen Obermeister (Praeceptor) und einen Untermeister. Für die weitere Anstellung eines Privatschulmeisters oder einer Privatschulmeisterin (die gegen besondere Bezahlung in den Schulräumen Privatunterricht erteilten, s.o.) musste der jeweilige Hauptpastor seine Zustimmung erteilen. Katechumenenunterricht bedurfte einer besonderen Konzession. Die Schüler zahlten Schulgeld, das für arme Schüler aus dem Gotteskasten bezahlt werden konnte. Rüdiger (1903, 288f.) gibt in seiner Sammlung einen Vertrag für die Anstellung eines Schulmeisters und seines Unterschulmeisters an der deutschen Schule zu St. Jacobi vom 20.12.1688 wieder, in dem außer Grundgehalt, Dienstwohnung etc. auch mögliche Nebentätigkeiten geregelt sind (die offenbar lebensnotwendig waren, vgl. Maurer, 1999, 89f.). „Privatschulen“ (d.h. Privatstunden) waren demnach nicht während der Schulzeit zu halten, im Anschluss an diese aber erlaubt (ibid., 289). Auch andere gestattete Nebentätigkeiten wie Auftragsschriften oder das Kopieren von Texten durften nicht in der Schule verrichtet werden (ibid., 290, 9.). 65 66
Zu dieser Zeit war es normal, dass Geistliche sich im Druck zum allgemeinen Tagesgeschehen äußerten (vgl. Baasch 1909, 6). Rüdiger bezieht sich konkret auf zwei Lehrcontracte von 1789 und 1837, es wird jedoch hier davon ausgegangen, dass diese auf einer Tradition beruhten, die schon längere Zeit vorher bestand.
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Wie man sich den Alltag an einer hamburgischen Schule vorzustellen hat, ist dem Breviarium von Magnus Kuman (1642) zu entnehmen. Unterrichtet wurden demnach in einem ganztägigen Schulbetrieb von Montag bis Samstag „grosse und kleine Knaben“ (ibid., 272) und in einer anschließenden Abendschule bis 19 oder 19.30 Uhr auch „etliche Buchhalter vnd Knaben, dazu kommen Kauffgesellen, welche in die Schreib= Rechen vnd Buchhalten Künste [sic!], ein mehres zu lernen begierig“ (ibid., 279). Unterschieden wurde in Rechen- und Schreibknaben, bei den Schreibknaben wiederum in solche, die nur auf deutsch, oder außer Deutsch auch die wichtige Handelssprache Niederländisch schrieben. Ein Großteil, v.a. der allgemeine Schreibunterricht, fand aber gemeinsam unter der Aufsicht des Praeceptors statt, der bei seiner Arbeit vom Untermeister unterstützt wurde. Nur die Buchhalter hatten „ihren sonderlichen Locum wie andere grosse Knaben, vnd erwachsene Gesellen, im Cantor, oder anderen Stuben, damit sie von der Jugend ihr Arbeit demolestirt, desto besser verrichten können“ (ibid., 277). Für die Schreibknaben bestand der Unterricht vor allen Dingen in der Anleitung zum richtigen Schreiben, der nach dem anfänglichen Grundunterricht im Lesen und Schreiben hauptsächlich seinen Schwerpunkt auf das Lesen von Bibelstellen und „Hochteutschen Büchern“ (ibid., 279), und das Abschreiben von Briefen legte. Es ist dabei aus dem Stundenplan ersichtlich, dass die Briefe im Laufe der Woche jeweils (mehrfach) gehört, gelesen, kopiert, als Diktat geschrieben und zur Hausaufgabe nochmals abgeschrieben wurden (278ff.). Leider geht aus Kumans Text nicht genau hervor, welche Vorlagen man außer den (vermutlich von den Lehrern erstellten) „Vorschrifften“ (Vorlagen, s.u.) benutzte, aber seine Beschreibung deutet auf die in Abschnitt 3.1.3. behandelten Briefsteller hin (in Rüdiger 1903, 280): [...] es schreiben [...] die sämptliche Schreib vnd Rechen Knaben, anstat der Vorschrifften ihren Brieff ab, welchen sie am Montag Nachmittag gelesen haben, da müssen sie, (weiln vnterschiedliche Köpffe in der Welt, die sonderliche Art im Stylisieren gebrauchen, ja etliche Brieffe, darauß man die Meinunge nicht leichtlich fassen kann) nach der rechten Orthographijschen, in hochteutscher Art abschreiben [...].
Aus einer Warnung von Magnus Kuman geht hervor, dass es nach dieser üblichen Praxis durchaus dazu kommen konnte, dass ein Schüler schöne Handschrift produzieren konnte, ohne wirklich des Lesens und Schreibens mächtig zu sein (in Rüdiger 1903, 272). Kuman leitete hieraus ab, dass auch das Lesen hochdeutscher Texte von den Schülern besonders sorgfältig geübt werden musste, insbesondere „da sie wegen der angebornen Muttersprach anstossen“ (ibid., 273, gemeint ist Ndd.). Allerdings war der Stellenwert der Handschrift trotz dieser besonderen Vorsicht auch in der St.
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Nicolai Schule hoch.67 Das Abschreiben immer schwererer „Vorschrifften“ (d.h. abzuschreibender Texte, die als Vorlage dienten und bei der Korrektur durch den Lehrer penibel mit dem Produkt des Schülers verglichen wurden, 275f.; vgl. ibid. 279) wird wegen seiner damaligen Selbstverständlichkeit als Lehrmethode (s. 3.1.3.1.1. und 3.1.3.2.1.) nur relativ kurz erwähnt und kann erst dem Stundenplan für die Schulwoche (in Rüdiger 1903, 277282) entnommen werden. Es wurde beim beschriebenen Unterricht an der St. Nicolai Schule besonders berücksichtigt, dass viele der Schüler, besonders die Älteren, später im kaufmännischen Bereich arbeiten würden, weswegen man auf praxisnahe Beispiele Wert legte (ibid. 276): Damit aber die Jugend, sonderlich die Erwachsene, so zu Kauffmansdiensten tretten sollen, ein solche erfundene geschwinde Rechen=Kunst, allerdings instruiret werden möge, als wird ihnen auß meinem componierten Rechen=Buch, sothane allerhand Kauffmans Rechnungen auffgegeben [...].
Aus verschiedenen Bemerkungen Kumans geht ebenfalls die enge Verbindung mit dem Handelsleben der Stadt hervor, das für Väter wie für Schüler selbst einen mittäglichen Gang zur Börse nötig macht, weswegen Zuspätkommen nach der Mittagspause großzügig gehandhabt wurde (in Rüdiger 1903, 278). Hohes soziales Prestige genoss diese deutschsprachige, praxisorientierte Bildung allerdings nicht (s. folgender Abschnitt), dieses blieb den Absolventen der Lateinschulen und hochschulgebildeten Gelehrten vorbehalten (Baasch 1909, 12f.): Noch [im 17. Jh.] konnte ein Gelehrter in der bescheidenen Studierstube, mit sehr mäßigem Einkommen, in selbstloser Bescheidenheit etwas Hervorragendes leisten; die Würde seiner Wissenschaft allein hob ihn noch hinaus über eine Sphäre, die nur dem Gelderwerb huldigte. So ward es dem Kaufmannsstand schwer, sich gegen die Gelehrten zu behaupten; er stützte sich auf nichts als seine materiellen Güter, und diese bestimmten die persönliche Wertschätzung noch nicht überwiegend; in der allgemeinen Bildung stand er überdies zurück; das öffentliche Schulwesen war vornehmlich auf die gelehrte Laufbahn berechnet; der Unterricht in den Realien gering; das Akademische Gymnasium gab dem Gelehrtenstand einen festen Rückhalt, für die Kaufleute hatte es geringe Bedeutung.
Wenn sich auch bereits, wie geschildert, durch Unterlaufen des kirchlichen Bildungsmonopols das Schulwesen zu ändern begann, so war die Ausbildung der Kaufleute in der zweiten Hälfte des 17. Jhs. also immer noch praxisorientiert und einfach (vgl. Grobecker 40ff.). Es ist deswegen zu differenzieren zwischen den von Peters und Sodmann schon ab dem 13. Jh. erwähnten begüterten Patriziersöhnen, denen eine gelehrte Laufbahn an einer Lateinschule und später der Besuch an einer (omd.) Universität möglich 67
Kuman führt 31 unterrichtete Schrifttypen an, geordnet in die Gruppen „teutsche Art“, „Cantzeley“, „Lateinisch“, „Niederlendisch“ und die „grossen Buchstaben“ – hier allein 5 verschiedene (274f.).
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war (Möhn 2003, 2304 erwähnt diese für das frühe 17. Jh., s. 3.3.4.) und den normalen Handeltreibenden (bis hin zu Bürgermeistern, s.u.), die eine praxisorientierte Ausbildung an einer deutschsprachigen Schule erhielten. Diese Darstellung der einfachen Schreib- und Rechenschulen in Hamburg stützt die unter 2.2.2. aufgestellte Vermutung, dass es sich bei den Protokollisten der Commerzdeputation um Männer mit höherer Bildung gehandelt haben muss. Weder die Absolventen der beschriebenen Schulen noch deren Lehrer (die üblicherweise ihr Einkommen durch private Schreibarbeiten aufbesserten) waren nach obiger Darstellung dem traditionellen, hoch formalisierten Texttyp Protokoll gewachsen (s. 3.2.). Weiter wurde deutlich, welchen Bildungshintergrund die Auftraggeber der Commerzprotokolle hatten, die damit auf professionelle Hilfe bei der Protokollierung angewiesen waren. Auch die Funktion der Briefsteller als Lehrmittel wurde angesprochen (Näheres s. 3.1.3.). Abschließend soll noch ein Umstand erwähnt werden, der im Zusammenhang mit der damaligen Bildung bisher nicht zur Sprache gekommen ist, für eine Einschätzung des Ausbildungsstandes von hamburgischen Kaufleuten, besonders aber der Schreiber der Commerzdeputation, eine Rolle spielt. Wie man z.B. an der erwähnten Vereinbarung der teutschen Schulmeistere im St. Jacobi Kirchspiel Anno 1698 des Pastors J. F. Mayer (in Rüdiger 1903, 292) sehen kann, wurden damals üblicherweise akademische und geistliche Titel bei der Nennung eines Namens mitangegeben. In der Titelerweiterung der Vereinbarung heißt es [...] Einige [...] vom Tit: Herrn Inspectore und Pastore, Dt Joh: Friderico Mayero confirmierte Articuli [...]. Genannter akademischer Titel68 Mayers ist hier Doktor, andere in der Vereinbarung verwendete Titel verweisen auf seine kirchlichen Ämter bzw. seinen geistlichen Stand (Titularius, Inspector, Pastor). Dies gilt auch für die Commerzprotokolle, etwa PC 453/17: „[Sr]: Hiebner an Lic. Mors“. Einfache Bürger werden in den Protokollen als Seigneur (Sr.) oder Herr (He.) tituliert. Weder die Commerzdeputierten noch der Admiralsschreiber Richert Schröder werden in den Quellen je mit akademischen Titeln erwähnt (nicht einmal der „Herr Bürgermeister Jarre“, vgl. PC 0, Zusatz zum Eröffnungsprotokoll69). Auch dies ist ein Hinweis auf den Bildungsstand der Kaufleute 68
69
Mögliche akademische Titel waren nach der mittelalterlichen Tradition baccalaureus, licentiatus oder magister artium, welche man schon nach einem Grundstudium der septem artes liberales erlangen konnte (u.a. Grammatik, Rhetorik und Dialektik/Logik). Nach einem teuren weiterführenden Studium konnte man an den höheren Fakultäten Theologie, Medizin und Recht studieren und die Titel baccalaureus, licentiatus oder doctor theologie/ medicine/ decretorum/legum/ utrisque iuris erlangen. Quelle: www.phil.uni-passau.de/histhw/TutMA/ grundbegriffe8.html (24.06.05). Laut Zedler (1735, Band 12, 334) bestand das hamburgische Ratskollegium aus 4 Bürgermeistern, 3 Syndices und 20 Ratsherren (davon 10 Gelehrte und 10 Kaufleute), und 3 Sekretären.
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und weist bereits auf den Platz hin, den die Kaufleute der Hansestadt in der sozialen Rangordnung einnahmen (s. folgender Abschnitt). 2.2.5. Zum sozio-kulturellen Hintergrund der Kaufleute in der Hansestadt Hamburg Das geistige Klima im Hamburg des 17. Jhs. wurde von den Kräften Kirche und Handel bestimmt. Ernst Baasch (1909, 14) geht soweit zu behaupten, „daß bis zum letzten Viertel des 17. Jahrhunderts Kirche und Börse es sind, die das öffentliche Leben Hamburgs beherrschen.“ Baasch zum Anteil der Kaufleute am Geistesleben (1909, 1): Wie in fürstlichen Residenzen sich eine höfische Kultur, Literatur und Kunst entwickelt hat, so ist in einem Mittelpunkt kaufmännischen, geschäftlichen Lebens, wie es Hamburg ist, eine Kultur und Literatur auf merkantiler Grundlage entstanden. In einer Stadt, in der ein Beruf so überwiegende Bedeutung besitzt, wie es in Hamburg beim Kaufmannsstand der Fall ist, hat dieser Stand einen Einfluß, der weit hinausgeht über das Kontor, die Börse, den Warenspeicher, den Hafen, den Kurszettel. Die treibende Kraft der Kultur in Hamburg war und ist merkantilen Charakters.
Zwischen der Kaufmannschaft und der Kirche bestand ein enger Kontakt, etwa gab es an der Börse Tafeln mit Anzeige der Predigten (Baasch 1909, 14) und auch die Kirche zeigte ein im fortlaufenden 17. Jh. ständig wachsendes Interesse für die bis dahin ignorierten Handelsangelegenheiten (ibid., 12; s.u.). Bis mit dem Aufkommen von Theatern in Hamburg gegen Ende des 17. Jhs. ein dritter Faktor des öffentlichen Lebens auftrat, wurden laut Baasch (1909, 14) die Kämpfe der Zeit zwischen diesen beiden Kräften „soweit sie nicht auf der Straße und in den Wirtshäusern ihre tumultuarische Erledigung fanden, in der Börse und auf der Kanzel durchgefochten.“ Auch die sog. galante Literatur, eine „Modeerscheinung in der europäischen Literatur des Spätbarock und Rokoko“ (ca. 1680-1720; Wilpert 1989, 318), die sich laut Niefanger besonders in Hamburg entwickelte (2000, 75), spielt erst ab dem Ende des Jahrhunderts eine eng mit dem aufkommenden Theater verknüpfte Rolle (ibid., 213). Für den hier beobachteten Entstehungszeitraum der Commerzprotokolle (ab 1665) ist sie noch nicht von Bedeutung. Prestige und Einfluss waren zwischen den beiden Kräften jedoch ungleich verteilt. Dies lag an einer generellen negativen Bewertung des Marktgeschehens und des frühen Kaufmannstandes,70 die erst im 18. Jh. endgültig entfiel. Es geschah erst im Laufe des 17. Jhs., dass die Kaufmannschaft ein 70
Bolten (1998, 128) verweist im Gegensatz dazu auf den positiv belegten Begriff Wirtschaft (i.S.v. Hausverwaltung). Die negative Bewertungen hängen mit dem biblischen Zinsverbot zusammen. Zur sukzessiven Aufwertung und Durchsetzung des marktorientierten Wirtschaftsbegriffes s. ibid.
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emanzipiertes Selbstbewusstsein und Identitätsgefühl entwickelte, zuerst noch zaghaft manifestiert in der (Wieder-)Gründung ihrer Interessenvertretung, der Commerzdeputation. Dass dies nicht ohne Widerstand der anderen weltlichen Kräfte verlief, ist bereits ausführlich dargestellt worden. Die in den Texten der Commerzdeputation häufig erwähnten Sitzungen des Rats und die Versammlung der erbgesessenen Bürgerschaft fanden hinter geschlossenen Türen statt (Baasch 1909, 14). Doch auch der Kirche war es nicht genehm, das Erstarken der Kaufmannschaft zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn, aus ihren eigenen Reihen darauf hingewiesen zu werden.71 Es war zwar laut Baasch (1909, 12) die Geistlichkeit selbst, die zuerst öffentlich darauf hinwies, dass „eben Handel und Schiffahrt die Lebensader Hamburgs sei“, eine bemerkenswert einsichtige Feststellung von einem Stand, dessen Mitglieder weitgehend ortsfremde waren, da sie aus hd. Gebieten stammten (ibid.). Diese Einsicht änderte aber lange Zeit nichts an der Kluft, die zwischen den Gelehrten auf der einen und den Kaufleuten auf der anderen Seite lag und die im protestantischen Hamburg womöglich noch größer war, als in anderen deutschen Gebieten (Baasch 1909, 12f.):72 Die Rangordnung kannte den Kaufmann nicht; selbst der kaufmännische Ratsherr rangierte nach den Doktoren und Pastoren [...].
Auch die Commerzprotokolle bezeugen diese strenge Unterscheidung in Gelehrte und Kaufleute (PC 320/16ff., 17.08.1670): Sie hetten Conferens gehalten mit E. H: Weisen Rahte daß [...] aùff daß schleünigste, Ein gelahrter vnd zwo Erfahrne Kaùff Leüte nach Engellant mochten abgefertiget werden vmb allen Vnheill, so die Englischen sich Kegenn dieser gùten Stadt, fùrgenommen, vorzÚbaÚwen.
Hier ist zu lesen „ein Gelehrter und zwei erfahrene Kaufleute“, die gemeinsam als Gesandtschaft nach England gehen sollen.73 In einem anderen Fall sind es die Schiffer, zu deren Unterstützung ein Gelehrter herangezogen wird (PC 613/10ff., 17.09.1675‘‘): [...] sÚchten also die/ Deputirte des Commercij daß E. Hochw./ Raht [...] einen Gelahrten denen/ Schifferen alda zÚgeben möchten, welÚ/ cher allen aÚffgebrachten Schiffen asÚ/ sistiren möchten. 71
72
73
Vgl. Baasch (1909, 14): „Doch spricht es für das wachsende Ansehen des Kaufmannsstandes, wenn man von gelehrter Seite schon früh warnte, nicht zu dulden, daß er das Übergewicht über den Gelehrtenstand erhalte. Im Jahre 1624 wandte sich Pastor Wudrian von St. Petri gegen diejenigen, die ‚mehr vom Mercurio als der Minerva halten‘ und die meinten, es sei genug, ‚daß wir einen stattlichen Handel haben und dadurch berühmet werden‘.“ Wenig später betont Zedler (1737, Bd. 15, 265f.) den Stellenwert des Handels im Staat und erteilt Ratschläge zu dessen Förderung durch Pflege der Kaufmannschaft. Es wird als typisch deutsch bezeichnet, dass nur Bürger (nicht Adlige) Handel treiben, und als typisch protestantisch, dass Handel als unanständig gilt. Wie unter 2.2.5. dargestellt, waren damals gelehrte Kaufleute die Ausnahme.
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Trotz allem waren die hamburgischen Kaufleute letztendlich prägend für das Geistesleben der Stadt, das eng mit allen Handelsaktivitäten verknüpft war (vgl. Baasch 1909, 54). Ein von den Börsenalten organisiertes regelmäßiges Botenwesen hatte die Stadt schon seit 1570 mit Amsterdam, Antwerpen, Köln, Kopenhagen, Danzig und anderen Städten verbunden und man war dank des regelmäßigen Austausches in Hamburg über politische Fragen des In- und Auslandes informiert (Grobecker 1990, 27). Welcher Stellenwert diesem Botenwesen zukam, zeigt der Abdruck der gesamten hamburgischen Botenseite bei Kaspar Stieler74 (s. 3.1.3.2.; Einzelheiten zu Korrespondenz- und Handelsverbindungen Hamburgs lassen sich auch bei Zedler nachlesen, Bd. 12, 1735, 362). Zwar entwickelte sich im 17. Jh. aus den Privatnachrichten der Kaufleute das Zeitungswesen,75 nach Ansicht von Baasch (1909, 14) spielte die deutschsprachige Presse in Hamburg aber noch eine Zeit lang keine bedeutende Rolle, da seiner Meinung nach im 17. Jh. v.a. holländische Zeitungen das Bedürfnis nach politischer Aufklärung befriedigten. Immerhin trugen die Zeitung zur Belebung des geistigen Lebens bei, ebenso wie die Kaffeehäuser, die in den 70er Jahren in Bremen und Hamburg entstanden76 und eine wichtige soziale Funktion übernahmen, da sie die Möglichkeit für Informationsaustausch boten. Die Zeitungen trugen indirekt auch zur weiteren Vereinheitlichung der Orthographie bei (Bolten 1998, 130; vgl. 4.3.). Eine über aktuelle Nachrichten hinausgehende kaufmännische Fachliteratur77 hatte sich in Hamburg bereits seit dem Ende des 16. Jhs. entwickelt (Baasch 1909, 2). Den im Vergleich zu anderer weltlicher und v.a. geistlicher Literatur noch sehr geringen Umfang dieser Drucke erklärt Baasch mit der oft übersehenen Tatsache, dass erst in dieser Zeit Hamburgs Aufschwung zur Welthandelsmacht erfolgte und davor „der Handel für Hamburg noch nicht eine überwiegende Bedeutung besaß“ (1909, 2). Auch war nach Baasch der Gedanke, gedruckte Werke als Hilfsmittel für den Handel 74
75
76 77
Stieler 1673 (Band 1, Teil II) liefert auf S. 523f. im Kapitel Vom Postwesen die „Hamburger Posttafel“ oder „Bericht von den Bohten wie dieselbe in Hamburg ankommen und abreisen.“ Diese steht an zweiter Stelle nach der „Nürnbergischen“, gefolgt von den „Erfurtischen“, „Leipziger“ und „Frankfurtischen“ Posttafeln. S. Deutsches Wörterbuch, Band 5, Spalte 3181: „[...] gemeine zeitungen im 17. jh., nachrichten für/ alle, im gegensatz zu besonderen oder/ privatnachrichten über welthändel, die sich/ deutsche kaufhäuser schon im 16. jh. aus/ Italien u. s. w. regelmäszig kommen lieszen:/ Pragische, Leipzigische und andere gemeine/ zeitungen, [...].“ Auch die Commerzdeputation scheint sog. ‚Agenten‘ beauftragt zu haben, die sie mit Nachrichten versorgten. Hinweise darauf s. PC 421f. (22.07.1673) und 613f. (17.09.1675‘‘). Es gibt unterschiedliche Datierungen, s. Stein (1970, 809) und Webseite des Deutschen Kaffeeverbandes (www.kaffeeverband.de/600.htm, 07.06.2005). Hier auch Näheres zur sozialen Funktion der Kaffeehäuser. Baasch nennt Werke zu den Themen Münzwesen, Segelanweisung und Wasserrecht. Das erste wirklich kaufmännische Buch ist für ihn Achacius Dörincks Arithmetica von 1549 (Baasch 1909, 1f.).
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bereitzustellen, im 16. Jh. noch ein völlig neuer (ibid.). Die Entwicklung der wirtschaftswissenschaftlichen Fachliteratur ist mit einem tiefgreifenden Wandel verbunden, da in den Fachbüchern erstmals die gewinnorientierte Wirtschaft thematisiert wurde, auf die damals noch als unchristlich herabgeblickt wurde (s.o.). Dies stand im Gegensatz zur Tradition der nur an Bedarfsdeckung orientierten Hausväterliteratur, die die christlich-tugendhafte Haushältertätigkeit des Hausvaters thematisierte und die im 16. Jh. vorherrschte (Bolten 1998, 130).78 Ein weitgreifendes Bildungssystem, das breite Bevölkerungsschichten mit einbezog, gab es wie schon geschildert wegen kirchlichen Widerstandes zu dieser Zeit in Hamburg noch nicht (Baasch 1909, 1f.; s. auch 2.2.4.). Aufgrund der geistigen Enge ließen viele Gelehrte und weltliche Schriftsteller ihre Werke außerhalb Hamburgs drucken (ibid.). Wichtige Impulse erhielt das Geistesleben Hamburgs ab dem 16. Jh. durch den Zuzug von Handeltreibenden. Allerdings muss man hier laut Baasch streng unterscheiden, aus welchen Motiven die Fremden in Hamburg waren. Diejenigen nämlich, die nur zum Handeln kamen, etwa die englischen merchants adventurers, führten ein privilegiertes und abgeschlossenes Leben und tauschten sich mit den Einheimischen nicht aus (1909, 2f.). Dagegen kam es zu einer intensiven Stimulierung von Wissenschaft und Bankwesen durch portugiesische Juden (Baasch 1909, 3) und niederländische Auswanderer. Diese waren nicht nur in allen Handelsfragen weltgewandt und erfahren, sie zeichneten sich laut Baasch auch durch höhere Bildung aus und spielten bald nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik der Hansestadt eine Rolle (ibid.). Da sie auch Einwanderer anderer Professionen nach sich zogen, kam es auf diese Weise auch zu einer Belebung der Naturwissenschaften und der Kunst. Durch diese Einflüsse und durch berufspraktische Bezüge bedingt, orientierte sich die entstehende kaufmännische Fachliteratur vorwiegend an französischen, holländischen und englischen Vorbildern und nicht an österreichisch-deutsch-mitteleuropäischen Vorbildern (Bolten 1998, 130). Wie Baasch (1909, 4f.) beschreibt, blühte mit der Blüte des Handels im 17. Jh. endlich auch in Hamburg das geistige Leben, v.a. in den Wissenschaften. Besondere Erneuerungen gab es außer in Mathematik, Botanik, Medizin und Jura auch auf den handelsspezifischen Gebieten der Wirtschaftsmathematik und der Handelstheorie. Die entsprechenden Werke wurden aber immer noch vorwiegend in Latein verfasst, an dem auch die Kirche lange festhielt, und dessen Kenntnis der Schlüssel zur Gelehrsam78
Die Kaufmannsliteratur entwickelte sich erst ungehemmt nach dem 30jährigen Krieg. Gegen Ende des 17. Jhs. verdrängte sie dann die Hausväterliteratur. Der damit verbundene Wertewechsel (Aufwertung eines marktorientierten Wirtschaftsbegriffes) vollzog sich Anfang des 18. Jhs. (Bolten 1998, 129f.).
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keit war. Diese Situation änderte sich im Laufe des 17. Jhs. grundlegend. Entsprechend änderte sich auch die Bildungssituation, v.a. durch das Aufkommen eines breiteren Schulwesens (s. 2.2.4.). Die Gemeine Bibliothek (die Stadtbibliothek Hamburgs) war gegen Ende des 17. Jhs. mit 25.000 Bänden und zahlreichen orientalischen Handschriften die größte und wertvollste öffentliche Bücherei auf deutschsprachigem Gebiet (Kleßmann 1985, 127). Mit der Gründung der Commerzbibliothek 1735, die speziell das Ziel hatte, mit dem Wissensstand der Kaufleute auch den Handel zu fördern, demonstrierten die Kaufleute dann ein Selbstbewusstsein, das sich im Laufe des 17. Jhs. erst neu geformt hatte. Nachvollzogen werden kann dies anhand der in den vorliegenden Protokollen dokumentierten Kämpfen um die Commerzdeputation (Grobecker 40ff.; s. 2.1.6.). Eine spezifisch hamburgische Poesie der frühbürgerlichen Zeit, entsprechend z.B. der schlesischen Dichterschule, entwickelte sich in Hamburg allerdings nie (Baasch 1909, 22): Wer im 17. Jh. hier dichtete, ging, was die Form betraf, in den Spuren der schlesischen Schule, namentlich Lohensteins. Inhaltlich wars nicht viel anders [...] nur selten und beiläufig finden sich Konzessionen des Dichters an die hamburgische, örtliche und persönliche Umgebung [...].
Für die Literatur des 17. Jhs. werden oft drei Namen mit Hamburg in Verbindung gebracht, die der gekrönten Dichter Paul Fleming (1609-1640) und Johann Rist (1607-1667) sowie der Name des vielseitigen Schriftstellers Philipp von Zesen (1619-1689). Warum diese in der obigen Beschreibung des geistigen Klimas in Hamburg aus Kaufmannsperspektive keine Erwähnung fanden, zeigen deren Biographien und ihr literarisches Schaffen.79 Paul Fleming hielt sich in Hamburg bei seinen Reisen überhaupt nur flüchtig auf und sein Schaffen steht in der Tradition der Leipziger Dichtung (Niefanger 2000, 111f.). Johann Rist war zwar gebürtiger Norddeutscher und erhielt auch seine Ausbildung hier, die niederdeutsche Sprache nutzte er jedoch nur für komische Effekte in seinen Dramen. Auch äußerte er sich relativ selten und dann wenig originell zu Sprachtheorie (seine Rettung der Edlen Teutschen Sprache war zwar einflussreich, ist aber laut William J. Jones 1995, 89 stark Schottelius‘ Sprachkunst verpflichtet). Philipp von Zesen stammte aus Anhalt und bei seinem Schaffen kann man noch mehr als bei Rist von einer in geschlossenen intellektuellen Kreisen vonstatten gehenden Diskussion literarischer und sprachtheoretischer Themen ausgehen (z.B. im Rahmen der Fruchtbringenden Gesellschaft). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass mit den in diesen Kreisen diskutierten Themen andere als Intellektuelle erreicht wurden oder überhaupt werden sollten.
79
Siehe z.B. Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL): http://www.bautz.de/ bbkl/ (29.06.05).
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Keiner der drei erwähnten Autoren verfasste bedeutende sprachkritische Werke, die sich ausdrücklich an ein breites Publikum richteten, also etwa Bücher für den Schulgebrauch oder Briefsteller zur Vermittlung der zahlreichen Normen barocker Briefgestaltung, die eine denkbare Verbindung zu den Protokollisten der Commerzdeputation darstellen könnten.
3. Textproduktion – Textsorte – Texttradition 3.1. Berufsschreiber im 17. Jahrhundert: Sozialer Status, Ausbildung und Tätigkeit In diesem Abschnitt soll über die bisherigen Betrachtungen der Schreiber der Commerzdeputation, des hamburgischen Schulwesens und des allgemeinen sozio-kulturellen Umfeldes hinaus der spezifische Kontext dargestellt werden, in dem im 17. Jh. Sekretariatsarbeit erfolgte. Dabei soll die Tätigkeit an städtischen Institutionen im Vordergrund stehen, um so die Anforderungen der Commerzdeputation an ihre Schreiber erfassen zu können bzw. um darzustellen, in welche Tradition zeitgenössische Schreiber an städtischen Institutionen eingebettet waren. Wie aus der mindestens zeitweiligen Beschäftigung eines Admiralitätssekretärs durch die Kaufleute zu entnehmen ist, waren die Ansprüche von Admiralität und Deputation an ihre Schreiber ähnliche bzw. suchten die Kaufleute durch die Beschäftigung eines qualifizierten, bereits an einer anderen etablierten Institution tätigen Protokollisten nach einer entsprechenden Geltungshöhe (s. 2.2.2.). Über die Beschreibung städtischer Schreibkonventionen der Zeit und der zeitgenössischen Anforderungen an die Qualifikation von Schreibern und Sekretären kann ein generelles Berufsbild von städtischen Schreibern erstellt werden, das auch Rückschlüsse auf deren sozialen Status möglich macht. Dieses Kapitel untersucht damit die Fragen, welche Ausbildung ein Schreiber gehabt haben muss, den die Commerzdeputation mit der Abfassung ihrer Protokolle in gutem Deutsch beauftragen konnte, und wie dessen Aufgabenfeld aussah. Mit den zu diesem Zweck untersuchten Briefstellern liegt zudem ein möglicher Berührungspunkt zwischen den Grammatikern des 17. Jhs. und zeitgenössischen Berufsschreibern vor, so dass gleichzeitig die Möglichkeit einer Einflussnahme der Grammatiker auf den Schreibusus beleuchtet werden kann. 3.1.1. Die Ausbildung von Schreibern Es wurde bereits über die Verbreitung der deutschen Schriftsprache seit dem 13. Jh. (Kapitel 1.1.) und die Aktivitäten der Grammatiker berichtet (Kapitel 1.2.), denen im 17. Jh. die Förderung dieser Schriftsprache am Herzen lag. Durch die Produktion eigener vorbildlicher Werke in deutscher Spra-
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che und durch die Diskussion sprachtheoretischer Fragen v.a. in gelehrten Briefwechseln und Veröffentlichungen wirkten die Mitglieder der Sprachgesellschaften auf dieses Ziel hin. Die Wirkung dieser Tätigkeiten, besonders der sprachtheoretischen Diskussionen, denen man lange die Entstehung der nhd. Grammatik als unmittelbaren Verdienst zusprach, werden heute differenziert beurteilt (s. 1.2.). Ein direkter Einfluss der Grammatiker auf die Schreibgewohnheiten ihrer eigenen Zeit kann, bedingt durch die weitgehende Exklusivität der Diskussion, nur an wenigen Punkten angenommen werden (s. auch 2.2.5.). Hier fehlt es trotz eines zunehmenden Interesses der Sprachgeschichtsforschung immer noch an Untersuchungen. Das Sekretariatswesen stellt einen möglichen Verbindungspunkt zwischen den Grammatikern und der Schriftproduktion der Zeit dar, denn die Anstellung als Sekretär stellte häufig einen Schritt in der Karriere der Grammatiker dar, die in manchen Fällen zu Veröffentlichungen von Stilratgebern oder Vorlagebüchern führte. Die resultierenden Werke sind einerseits innerhalb der Produktion der Grammatiker von Bedeutung und spielten andererseits bei der Literarisierung des Bürgertums eine Rolle (Polenz 2000, 173). Ein grundlegendes Problem ist, dass bislang nur relativ wenig darüber bekannt ist, wie im Einzelnen der vertikale Wissenstransfer im 17. Jh. verlief. Eine geregelte Ausbildung im heutigen Sinne gab es für die Schreiber nicht (s. Kapitel 3.1.3.). Bisherige Untersuchungen haben sich auf die Schicht des gelehrten Bürgertums konzentriert, aus der die intellektuellen Agenten des Sprachprestigewandels, die Grammatiker, hervorgingen. Wie (bzw. ob) deren Wissen in andere, besonders auch niedrigere Gesellschaftsschichten transzendierte, wurde bislang wenig untersucht, rückt aber mit wachsendem Bewusstsein der Forschungsdefizite des 17. Jhs. zunehmend in das Interesse sprachhistorischer Forschung. Die Konzentration auf ein gesellschaftliches Stratum hängt ihrerseits auch eng mit der bisherigen Schwerpunktsetzung der Forschung auf gedruckte Medien des 17. Jhs. und hier besonders der schöngeistigen Literatur zusammen (s.a. 3.3.3.). Eine Rolle spielen ebenso bis dato lückenhafte Kenntnisse des Schulwesens und damaliger Medien zur Wissensvermittlung (die Gründe liegen v.a. in der Oralität dieser Mechanismen, aber auch in der Vergänglichkeit bzw. der geringen Wertschätzung nicht formalisierter schriftlicher Texte, z.B. Notizen).1 Diese Arbeit kann sich also bei der Beantwortung der entsprechenden Fragen nur bedingt auf vorangegangene Untersuchungen berufen und wird sich deswegen vornehmlich auf Primärtexte, nämlich die erwähnten Sekretariatshandbücher der Grammatiker stützen (3.1.3.).
1
Weiteres zur Problematik der Oralität s. Maurer (1999, 87f.). Vgl. auch das Gravamen Hundts (2000, 1ff.) über die grundsätzliche Vernachlässigung des 17. Jhs. durch die Sprachgeschichtsforschung.
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Bekannt ist aber, dass Stadtbewohner, wenn sie am öffentlichen Leben der frühbürgerlichen Zeit teilnehmen wollten, mindestens über eine gewisse Lese- und Schreibfähigkeit verfügen mussten, um an den rechtlichen Praktiken teilhaben zu können. Letztere waren lange Zeit auf eine semiorale Rezeption der Art ausgerichtet, dass „rechtlich verbindliche und politisch wichtige Texte nicht nur verlesen, sondern sinnvoll und auf Verständlichkeit hin vorgelesen, erklärt und beredet wurden“ (Polenz 2000, 124; vgl. hierzu Bremer ).2 Seit dem 15. Jh. neu entstehende Textsorten waren laut Bremer (1984, 1383) weniger auf mündliche Vermittlung hin konzipiert (Verkünden, Verlesen), mehr auf verständliches Verlesen, Selbstlesen, Nachschlagen usw.: Protokolle, Verträge, Kleiderordnungen, Zunftordnungen, Polizeiordnungen, Beschwerdebriefe, Rechnungsbücher, Güterverzeichnisse, [...], Geschäftsbriefe, [...], Briefsteller, usw.
Untersuchungen von Gerichtsakten des 17. Jhs. zeigen, dass Rechtsangelegenheiten in diesem Jahrhundert bereits stark verschriftlicht waren (vgl. 3.3.1.), weswegen sowohl die Institutionen als auch die streitenden Parteien über befriedigende Schreib- und Lesefähigkeiten verfügt haben müssen. Aber selbst Mitarbeiter von Behörden mussten nicht unbedingt über höhere Schulbildung, also Lateinkenntnisse und Erfahrung im Kanzleistil, verfügen. Wie Cornelia Walther (1988, nach Polenz 1994, 230f.) anhand von Prozessakten des Dresdener Appellationsgerichts zwischen 1605 und 1701 aufzeigt, gab es durchaus eine Teilhabe der unteren Bevölkerungsschichten an der Schriftsprachenentwicklung. Nach Walther zwang die zunehmende Anwendung des römischen Rechts die Institution und die streitenden Parteien zur Verschriftlichung ihrer Angelegenheiten. Die untere Schicht der Behörde bildeten die Gerichtsboten, meist abgedankte Soldaten oder Handwerker. Ihnen fehlte eine höhere Schulbildung, v.a. Lateinkenntnisse und Routine im Kanzleistil, die in den deutschen Schreibschulen nicht oder nur sehr bedingt vermittelt wurden (s. 2.2.5.). Da sie aber (u.a. für ihre Entlohnung) schriftliche Berichte abgeben mussten, mussten sie versuchen, sich autodidaktisch durch ihre Teilnahme am Behördenalltag die nötigen stereotypen Schriftformeln anzueignen. Das Ergebnis sind Schriftstücke, die mit den Relationes der Gerichtsschreiber in ihrer Formulierungsweise stark kontrastieren und deren Normen laut Walther von den Gerichtsboten entsprechend den institutionellen Anforderungen eigenständig entwickelt wurden. Demnach bestanden klare Grenzen zwischen qualifizierter und weniger qualifizierter Schriftproduktion. 2
Die Bedeutung der Schriftkultur kann aus heutiger Sicht leicht überschätzt werden. Wie Maurer darstellt, konnte im 17. Jh. allein über die Fähigkeit des Hörens eine nicht unbeträchtliche Bildung erreicht werden und auch ohne Lesefähigkeit waren Religiosität und handwerklicher Erfolg möglich (1999, 85ff.).
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Wie groß der Anteil solcher durch Abschreiben von Vorlagetexten gebildeten Autodidakten oder Schüler deutscher Schreibschulen im Vergleich zu Absolventen von lateinischen Schulen war und welchen Anteil die benutzten Vorbildtexte im Einzelnen an der Bildung und anschließenden Entwicklung eigener Schriftformen hatten, ist wegen der mangelhaft erforschten Bildungssituation und der Fülle nicht ausgewerteten Manuskriptmaterials des 17. Jhs. schwer abschätzbar (s.o.). Für eine höhere Laufbahn war auf jeden Fall ein akademisches Studium notwendig, und städtische Kanzleien stellten nur eine Sprosse auf der Karriereleiter dar (s. 3.1.3.). Dass das Ausbildungsniveau der hier im Mittelpunkt stehenden Schreiber der Commerzdeputation deutlich über den von Walther beschriebenen autodidaktisch erworbenen Kenntnissen der Dresdener Gerichtsboten gelegen haben muss, ist nicht nur aus dem Prestigeanspruch der Commerzdeputation erschließbar (2.1.5. und 2.1.6.), es geht auch aus den Ansprüchen der Textsorte hervor (2.2.5. und 3.2.). Vermutet wird ein Kenntnisstand der Deputationsschreiber, der einer für eine städtische Institution wie der Hamburgischen Admiralität nötigen Qualifikation entsprach, also demjenigen städtischer Kanzleien. 3.1.2. Städtische Kanzleien Mit den Protokollen der Commerzdeputation Hamburg, die im bereits beschriebenen sozio-kulturellen Kontext einer internationalen Handelsstadt und der noch zu beschreibenden literarischen Tradition der Kanzleisprache entstanden, liegen Muster fnhd. Schriftproben aus dem Bereich der Geschäftssprache vor, die der Produktion städtischer Kanzleien sehr nahe stehen.3 Während in den entsprechenden Abschnitten von Kapitel 3.3. behandelt wird, was theoretisch unter Kanzleitradition und Kanzleisprache zu verstehen ist und mit welchen Aspekten sich die sprachwissenschaftliche Forschung in diesen Themenbereichen bislang vornehmlich beschäftigt hat, soll im Folgenden zunächst auf die Praxis städtischer Kanzleien und Schreibstuben eingegangen werden. In der Forschungsliteratur wird die Tätigkeit von Sekretären für Handelsorganisationen wie die Commerzdeputation Hamburg nicht erwähnt, es werden lediglich städtische Kanzleien und Gerichte untersucht (siehe z.B. Polenz 1994). Tatsächlich war die Selbstorganisation der Kaufleute in der Commerzdeputation, wie dargestellt wurde, ein außerordentlich früher 3
Diese Einordnung gründet sich auf Form und Funktion der Texte (s. voriger Punkt) und auf den Umstand, dass als erster Protokollist der 1665 gegründeten Deputation ein Schreiber der bereits seit 1623 bestehenden Admiralität beschäftigt wurde (2.2.2.). Zur Datierung des Fnhd. s. 1.1. und vgl. Hundt (2000, 1f.).
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Schritt der Kaufmannschaft in Richtung auf eine selbstbewusste Teilhabe an der städtischen Verwaltung. Es wäre aber unbefriedigend, der Deputation einfach einen Sonderstatus zuzuteilen und sie außerhalb des zeitgenössischen Kontextes zu beurteilen. Dass die Selbstverwaltung von Kaufleuten ein damals umstrittenes Thema gewesen sein muss, geht implizit aus einer Äußerung Georg Philipp Harsdörffers im zweiten Band (Teil 6) seines Teutschen Secretarius hervor (1661, 716; Näheres s. 2.1.3.1.): Es haben die Iuristen, Medici und Politici ihre Collegia, da man von Fried u× Kriegssachen berahtschlÔgt: warumb sollen die Kauffleute nicht zusammen tretten/ einander mit Raht und That beyzu stehen.
Es ist damit gerade das von den Zeitgenossen unterschiedlich aufgenommene, neuartige Bestreben der hamburgischen Kaufleute, sich über die Vereinnahmung traditionsreicher, geltungshoher Medien und Normen bereits etablierter Verwaltungsorgane einen Prestigezuwachs zu verschaffen, das aus heutiger Sicht eine Beurteilung der gewählten Kommunikationsmittel und -normen erlaubt. Die Tätigkeit nicht klerikaler Schreiber hatte seit dem Mittelalter in Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der Kanzleien, die ab dem 14. Jh. zu Zentralstellen der Verwaltung geworden waren, einen klaren Aufschwung genommen. Statt je nach Bedarf Schreiber heranzurufen (z.B. Klosterschreiber), waren immer mehr feste Stadtschreiber eingestellt worden. Im 15. Jh. stieg der Bedarf an Laien mit juristischer Ausbildung, besonders in fürstlichen Kanzleien (hierzu näher in 3.3.). Die Strukturen und Berufsbezeichnungen unterschieden sich von Kanzlei zu Kanzlei (vgl. 3.1.3.1. und 3.1.3.2.). Auch die Aufgaben der Kanzleischreiber waren vielfältiger Art (Bentzinger 2000, 1668; vgl. dazu auch Polenz 2000, 121, s.u.): Sie reichten von der Führung von Rechnungsbüchern und der Herstellung von Reinschriften und deren Kollation mit Konzepten über Registratur- und Ordnungsarbeiten zur Abfassung von Konzepten und Protokollführung beim Rat oder beim Gericht. In einigen Gebieten waren Kanzleischreiber auch Gesandte oder Begleiter von Gesandtschaften.
Das Protokoll vom 28.02.1676 (CD 670/7ff.) gibt einen entsprechenden Einblick in die Tätigkeit des „Herrn Secretarius Schröder“,4 der vom Rat der Stadt beauftragt wird nach Glückstadt zu gehen, um dort Kapitänen beizustehen, deren mit hamburgischen Gütern beladene Schiffe im Namen der dänischen Krone festgehalten wurden (zu Schröder s. 2.2.2., zum Konflikt mit Dänemark s. 2.1.1.): Darauff hette E. Hochw. Raht den He. SecreÓ/ tarium Schröder deputiret nach GlückÓ/ stadt zÚgehen, Únd die relaxation zÚ suchen [...]. 4
Es wird angenommen, dass es sich um denselben Schröder handelt, der auch 1665 und 1672 als Admiralitätsschreiber erwähnt wird. Welche Position Schröder 1676 bekleidet, ist nicht klar.
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Hier wird auch nochmals die damalige Trennung in Gelehrte und nicht-gelehrte Praktiker deutlich, die bereits in Kapitel 2.2.5. erwähnt wurde. Den nicht-gelehrten Schiffern wurde zu ihrer Hilfe ein gelehrter, höchstwahrscheinlich auch juristisch geschulter Sekretär geschickt.5 Schröders Aufgabe war es offensichtlich, durch Verhandlung die Aufhebung der Beschlagnahme der Schiffe zu erwirken (relaxation = relaxatio arresti, s. Förster 1899, 559). Ihm wurde also sowohl selbstständiges Handeln als auch rechtlich kompetentes Verhandeln zugetraut (was wiederum die Vermutung einer juristischen Ausbildung stützt). Die wachsenden kulturellen Anforderungen in den Städten führten dazu, dass auch die Ansprüche an die in städtischen Kanzleien Tätigen immer mehr stiegen. Polenz (2000, 121f.) beschreibt die städtischen Schreiber schon im 14. und 15. Jh. als sehr vielseitig beschäftigt und entsprechend gebildet, vor allem juristisch. Sie hatten nicht nur Amtliches und Rechtliches zu formulieren und niederzuschreiben, als Notare, Beamte, Protokollanten, Gesandte, Zeugen, Berater des Magistrats, Anwälte (vgl. Mihm 1999); sie waren meist zugleich als homines litterati für vielfältige Aufgaben tätig. Dazu zählen Tätigkeiten als Chronisten, Briefsteller, Gelegenheitsschriftsteller, Übersetzer, Schreiblehrer, Büchersammler, Literaturvermittler, Reiseberichterstatter, als Vermittler von Fachwissen und kommerziellen Geschäften, im Dienst des Magistrats, aber auch gelegentlich im Auftrag vermögender Patrizierfamilien.
Entsprechend belegt auch für das 17. Jh. ein Beispiel aus den Commerzprotokollen das breite Spektrum spezifischer Aufgaben städtischer Schreiber. Wie bereits in Kapitel 2.2.2. angeführt, fiel in die Zuständigkeit des in den Protokollen erwähnten Richert Schröder bei seiner Tätigkeit für die Admiralität auch das Ausstellen und Verwalten von internationalen Schiffspässen (s. PC 31/9ff., 11.08.1665). Diese hochspezialisierte und verantwortungsvolle Tätigkeit stellt gleichzeitig ein Indiz für vorhandene Fremdsprachenkenntnisse dar, denn bei den fraglichen Schiffspässen handelte es sich um solche für einen Konvoi nach Cadiz und Malaga in Spanien (es gibt leider keinen Hinweis auf diesbezügliche Anlagen, die normalerweise von Schreiber C am Rand des entsprechenden Protokolls vermerkt wären; in den Anlagen zu Band A der Commerzprotokolle finden sich aber lateinische, französische und spanische Texte, die das Vorhandensein von entsprechenden Fremdsprachenkenntnissen belegen). Ebenfalls kann für diese Aufgabe soziale Kompetenz vorausgesetzt werden, denn Schröder war im Fall der Pässe insgesamt für die Zusammenarbeit mit den Schiffern zuständig. 5
Entsprechend bestand wohl auch eine bereits erwähnte Gesandtschaft (s. 2.2.5.) von einem „Gelehrten“ und zwei erfahrenen Kaufleuten nach England aus einem Sekretär und zwei Kaufleuten (vgl. PC 320/16ff., 17.08.1670). In diesem Fall käme diplomatisches Geschick zu den Fähigkeiten eines Stadtsekretär hinzu, s.u.
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Als weitere besondere Eigenschaft der Kanzleischreiber nennt Bentzinger „Gelehrsamkeit“ (Bentzinger 2000, 1668),6 noch ein Hinweis darauf, dass Schullehrer oder Kaufleute als Protokollisten der Commerzdeputation nicht in Frage kamen (s. 2.2.4. und 3.1.3.). Dass die städtischen Schreiber trotz einer fachspezifischen (meist juristischen) Hochschulbildung relativ gering bezahlt worden sein müssen, lässt sich aus der Doppeltätigkeit des Admiralitätsschreibers Richard Schröder schließen. Das Gehalt, das Schröder für zwei Jahre Protokollieren bekam, entsprach damals etwa dem, was ein Zimmermeister für volle 300 Arbeitstage zu erwarten hatte (s. Teil 2, Fußnote 50), und war demnach für zwei Jahre unregelmäßiger Nebentätigkeit im Vergleich zu handwerklicher Arbeit relativ gut, wenn auch angesichts des wahrscheinlichen Zeit- und Arbeitsaufwandes nicht fürstlich. Ganz entsprechend ist wohl auch das gesellschaftliche Prestige der Kanzlisten zu beurteilen. 3.1.3. Briefsteller des 17. Jahrhunderts Da hier davon ausgegangen wird, dass die hamburgischen Kaufleute zur Durchsetzung ihrer Interessen Wert auf ein rechtsverbindliches Textformat und gutes Deutsch ihrer Protokolle legten (s. 2.1.6.), ist es von Interesse, was für den betrachteten Zeitraum um 1665 bezüglich ihrer Qualifikation von Schreibern bzw. Sekretären zu erwarten war. Zwar gab es keine geregelte Ausbildung, aber es gab durchaus klare Vorstellungen darüber, was ein Schreiber zu leisten hatte (s.u. und vgl. die vorigen Abschnitte). Als ein bis heute erhaltenes Mittel der Wissensvermittlung speziell für Schreiber dienten die Vorlagensammlungen, genannt Briefsteller.7 Wie die Darstellung der Schulsituation zeigte (s. 2.2.4.), wurden Vorlagensammlungen von beispielhaften Briefen bereits beim Schreiberwerb eingesetzt. Die Popularität der Briefsteller belegt, dass die z.T. in vielen Auflagen gedruckten (s.u.), v.a. für städtische und fürstliche Kanzleien gedachten, aber durchaus von Privatleuten benutzten Bücher beliebte Hilfsmittel der beruflichen Praxis waren. Gleichzeitig besteht hier möglicherweise eine Verbindung zwischen denjenigen, die einerseits die Standardisierung des Deutschen kritisch diskutierten, den Grammatikern, und praxisorientierten Schreibern wie denen 6
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Betrachtet man die Grammatiker des 17. Jhs., von denen eine Vielzahl im Laufe ihrer Karriere auch als Sekretäre tätig waren (s. Jones 1995 zu Einzelbibliographien), und die sich auf vielen Gebieten auszeichneten, so wird klar, das dies mehr als bloß ‚eine umfassende Gemeinbildung‘ bedeutet. Ursprünglich war ein Brief (von lat. brevis libellus = kurzes Schreiben) ganz allgemein ein offizielles Schriftstück, besonders eine Urkunde (Paul 2002, 189 und vgl. Fußnote 2). Demnach kann die Bezeichnung Briefsteller im Sinne von Urkundenverfasser verstanden werden (vgl. ibid., Briefsteller 1. und s.a. 3.2.).
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der Commerzdeputation andererseits, an deren Schriftproduktion sich heute ablesen lässt, inwiefern sich bereits Normen entwickelt und verbreitet hatten (s. Teil 4). Reinhard M. G. Nickisch (1991, 41) zu Handbüchern des Sekretariatswesen aus dem Kreise der Grammatiker: Es entstanden die Sprachgesellschaften, deren Mitglieder sich zum Gebrauch des Deutschen verpflichten mußten. Auch die Verwaltungssprache sollte nach den Vorstellungen dieser Gesellschaften so „deutsch“ wie möglich werden. Folgerichtig bemühten sich einige der bedeutendsten Mitglieder der Sprachgesellschaften ebenfalls darum, ihren Landsleuten einen guten deutschen Briefstil beizubringen. So schrieben sie, wie etwa G. Ph. Harsdörffer und K. Stieler, entsprechende Anweisungsbücher.
Weitere Einzelheiten zu den Verfassern der Handbücher liefert Kirsten Erwentraut (1999, 281f.). Sie schildert die Autoren als fast ausschließlich Männer bürgerlicher Herkunft mit universitärer Qualifikation, die durch ihren eigenen leistungsbezogenen Aufstieg einem wachsenden Publikum als Vorbild galten und diesem mit ihren Publikationen die Mittel für den eigenen Aufstieg an die Hand gaben. Ausbildung und Karriere der Autoren bezeichnet sie als standestypisch und fasst zusammen (ibid.): Sie [die Karriere] beginnt mit einem Studium, bevor eine Anstellung als Sekretär in höfischen oder als Notar in städtischen Diensten den Weg zu höheren Ämtern bzw. Titeln ebnet. Ihre Profession verleiht den Autoren den Status erfahrener Experten auf dem Gebiet der Briefverfassung. Unerachtet ihrer gelehrten Sozialisation treten die Epistolographen also keineswegs als Bewohner des Elfenbeinturms auf, im Gegenteil [...].
Die Briefsteller-Autoren werden von Erwentraut (1999) durchweg als Fachleute angesprochen (z.B. kanzlistische Fachkraft: Johan Rudolph Sattler, ibid. 269; juristisch-administrativer Fachmann: Georg Philipp Harsdörffer, ibid. 270), deren Arbeiten stark am beruflichen Alltag orientiert sind. Interessanterweise stellt Erwentraut fest, dass es bei ihrer Herkunft keine regionalen Übereinstimmungen gibt (ihre Konfession ist überwiegend protestantisch; ibid.). Die Briefsteller stellen für das 17. Jh. wertvolle, wenn auch nicht leicht zu erschließende Quellen dar, denen bislang von der Forschung nur ein beschränktes Interesse entgegengebracht wurde,8 was wohl nicht zuletzt im 8
Wichtigste Arbeit zu den Briefstellern ist die oft zitierte Monographie von Reinhard M. G. Nickisch (1969; vgl. dazu Polenz 1994, 100; Niefanger 2000, 221ff.). Wie im Titel angegeben, geht diese vor allem den Stilprinzipien der Briefsteller nach. Erwentraut (1999, 627, Fußnote 1) moniert bei Nickisch wie bei Agnes Roseno (1933), von der die andere bislang vorliegende Monographie über deutsche Briefsteller stammt, dass diese zu stark auf das 18. Jh. ausgerichtet seien. Wenn Nickisch (1991) in seiner Monographie über Briefe (die er „aufs engste“ mit den Brieflehren verbunden sieht; ibid. 239) schreibt, es sei das „Forschungsfeld der Geschichte der praktischen Brieflehre“ „schon recht gut bestellt“, so muss dies trotz seiner beiden ausführlichen Arbeiten Widerspruch hervorrufen und hat dies bereits getan (s. Erwentraut a.a.O.).
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Umfang der entsprechenden Werke begründet liegt. Bei den Briefstellern handelte es sich bis ins 16. Jh. um aus antiker Rhetoriktradition hervorgegangene Zusammenstellungen von Brief- und Urkundenvorlagen,9 die seit dem 12. Jh. immer öfter um einen theoretischen Teil ergänzt wurden und seit dem 14. Jh. zunehmend eingedeutscht vorlagen (Erwentraut 1999, 267).10 Verwendung fanden diese an den deutschen Schreibschulen, an denen „die künftigen Schreiber, Notare und Sekretäre der städtischen und höfischen Kanzleien im Aufsetzen von Briefen und Urkunden ausgebildet wurden“ (Nickisch 1991, 77f.).11 Anders als heute herrschte damals ein Gattungsverständnis, nach dem auch Briefe einen Urkundencharakter hatten und in dem nicht generell zwischen Literatur und Prosa unterschieden wurde (vgl. 3.2.). Briefsteller waren damit im 17. Jh. Ausbildungsmaterial und grundlegende Hilfsmittel für Schreiber an Höfen und im öffentlichen Dienst. Es kann demzufolge angenommen werden, dass sie durch deren Tätigkeit und deren Ausbildungsniveau auch den Schreibern der Commerzdeputation bekannt waren. Die deutschsprachigen Briefsteller erfuhren allerdings im 17. Jh. einen starken Wandel, der in engem Zusammenhang mit gleichzeitigen gesellschaftlichen Veränderungen ablief, wie sie bereits in vorigen Kapiteln (v.a. 2.1.2., 2.2.4. und 2.2.5.) angesprochen wurden. Ein Teil dieser Veränderungen bestand darin, dass ein breiteres Bürgertum nach Bildung und Einfluss strebte, wie auch an der hier untersuchten Commerzdeputation und den bürgerlichen Sprachgesellschaften beobachtet werden kann.12 Zunächst waren gegen Ende des 16. Jhs. die traditionellen Briefsteller der Form nach immer noch Sammlungen von vorbildlichen Briefen, ergänzt durch allgemeine rhetorisch-theoretische Abhandlungen (evt. mit Glossaren für lateinische oder spezifisch kanzleisprachliche Ausdrücke) und Titularsammlungen (Anweisungen zur korrekten, deren gesellschaftlicher Position entsprechender Anrede der Adressaten). Die Zielgruppe waren vorrangig Kanzleischreiber, Sekretäre und Notare, daneben waren Kaufleute angesprochen, für die zunehmend exemplarische geschäftliche Korrespondenz miteingeschlossen wurde.13 Damit waren die Briefsteller zu Beginn des 17. Jhs. hauptsächlich Instrument der Berufsbildung für Beamten in 9 10
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Vgl. Paul (2002, 16) zu Brief: 1. offizielles Schriftstück, Erlass, Urkunde, [...]; 2. an einen bestimmten Adressaten gerichtete schriftliche Mitteilung (s.a. Fußnote 7). Auch im 17. Jh. gab es aber noch reine Vorlagensammlungen, die nur Beispiele lieferten, ohne sie im Einzelnen zu kommentieren (z.B. Blume 1666 als reine Sammlung von lat. Gerichtssupplikationen, oder Lier 1667, als spärlich kommentierte Sammlung von lat. und deutschen Kammergerichtsurkunden). Allerdings bezieht sich Nickischs Aussage noch auf das Mittelalter, worin der Kontrast zwischen dem von ihm beschriebenen Anspruch der Schreibschulen und dem hier unter 2.2.4. für das 17. Jh. geschilderten Ausbildungsstand begründet sein dürfte. Soweit nicht anders angegeben, erfolgt die folgende Darstellung nach Erwentraut (1999). Dies geht einher mit dem sich wandelnden Prestige der Kaufleute, vgl. 2.2.5.
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staatlichen und städtischen Diensten, die sich vornehmlich aus dem gehobenen Bürgertum rekrutierten (Erwentraut 1999, 280 spricht von einer Beamtenaristokratie). Diese Zielgruppe erweiterte sich im 17. Jh. allmählich, indem nicht mehr nur das gehobene Bürgertum sondern auch der bürgerliche Mittelstand angesprochen wurde. Als Folge wurden zu den juristischen, administrativen und kaufmännischen Texten der Exempelsammlungen allmählich auch private Briefe in die Briefsteller aufgenommen, Zeugnis für die zunehmende Literarisierung der Epoche und eine zunehmende Verbreitung der deutschen Sprache (Gelehrte schrieben bis dahin lateinisch, Adelige französisch, s. Nickisch 2000, 221). Mit einer zunehmenden Ausbreitung des Briefeschreibens mehrten sich im Verlauf des 17. Jhs. auch die denkbaren Schreibanlässe, so dass auf inhaltlicher Ebene die traditionelle Dreiteilung in theoretischen Teil, Titular und Exempelsammlung nicht mehr aufrechterhalten werden konnte. Die Briefsteller wurden ab der Jahrhundertmitte zunehmend nach neuen Kriterien geordnet, etwa nach Briefgattungen (z.B. Harsdörffer; s. Erwentraut 1999, 282) oder in didaktischer Absicht nach einzelnen Lernphasen (z.B. Weise, Neukirch; ibid.). In der Mitte des Jahrhunderts begannen gleichzeitig bis dahin vorhandene „berufsständische“ Ausrichtungen des Briefstils nach den Adressaten zu verblassen (Erwentraut 1999, 281), da sich im aufstrebenden Bürgertum ein übergreifendes höfisches Ideal durchsetzte, dessen Umgangsformen und Kommunikationsmittel begannen, die jeweilige standesspezifischen Normen einheitlich zu ersetzen. Damit wurde ein Übergang vom kanzleisprachlichen Briefstil zum höfisch-galanten Briefstil vollzogen. Dieser Wandel wird beispielsweise in Harsdörffers neuartiger alphabetischer (und damit rangunabhängiger) Anordnung der Titulare reflektiert (Erwentraut 199, 271; vgl. z.B. Harsdörffer 1661, Band 2, Teil IV, hier: Titular, S. 1-16).14 Das traditionelle Stilvorbild eines rhetorisch versierten Sekretärs, wie es laut Erwentraut (1999, 285) noch von Saur, Sattler und selbst von Stieler aufrechterhalten wurde, wich langsam demjenigen eines gleichzeitig weltgewandten und galanten Hofmannes, wie es schon in Ansätzen bei Harsdörffer (s. 3.1.3.1.) und später bei Neukirch zu finden ist. Dabei wurde das stilistisch stark reglementierte Ideal des Kanzleistils (vgl. 3.3.) durch ein natürlicheres, der Sprache näher stehendes Ideal ersetzt, was letztendlich die große Zeit der auf der Vermittlung eines Formelkataloges basierenden Briefsteller zu einem Ende führte (Erwentraut 1999, 285).15 14
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Die hier beschriebenen Entwicklungen sind selbstverständlich nur die überwiegenden Tendenzen. Mit Harsdörffers alphabetischer Titularordnung etwa war noch lange nicht das Ende hierarchischer Einstufungen erreicht (vgl. Polenz 1994, 293 zu Adjektiven wie wohllöblich, hochlöblich, hochwürdig etc., die auch noch in Briefstellern des 19. Jhs. zu finden sind). Eine völlige Loslösung von vorformulierten Texten muss im Bereich der Geschäftssprache logischerweise als Ende des Kanzleivorbildes gesehen werden, das ja durch Weiterreichen
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Ab der zweiten Hälfte des 17. Jhs. wurden den Briefstellern außerdem ausführliche Abhandlungen zur deutschen Sprache beigefügt (ibid., 282). In diesen wurden nicht mehr nur Theorie und Praxis unvermittelt nebeneinandergestellt, es dienten vielmehr die Briefe zur Illustration der theoretischen Teile, die nun von den Briefeschreibern selbstständig angewendet werden sollten. Im Zuge dieser Entwicklungen kam es auch zu einer Neubestimmung des Verhältnisses von Epistolographie, Rhetorik und Poesie, deren Ranghöhe von den Autoren der Briefsteller kontrovers diskutiert wurde, auf die hier aber nicht näher eingegangen werden kann (Näheres s. Erwentraut 1999, 284). Die sprachtheoretischen Teile enthalten außer diesen Rivalitätskämpfen oft fremdsprachenpuristische Kritik am Einfluss anderer Sprachen, vor allem des Französischen (ibid., 283; genannt werden Harsdörffer und Stieler; vgl. die entsprechenden Einträge in Jones 1995 und s. 1.2.1.1.2.). Diese theoretischen Erörterungen der Briefsteller-Autoren, denen Erwentraut (1999, 284) durchweg eine „epistolographisch-poetische Doppelexistenz“ bescheinigt, sind es, die eine Verbindung zwischen den in exklusiven Kreisen von Sprachgesellschaften debattierenden Grammatikern und den einfachen Lesern, etwa Schreibern des bürgerlichen Mittelstandes, darstellen. Somit könnten sie als Medien des Transfers intellektueller Theorien in die praktische Anwendung gedient haben. Die beiden dominierenden Handbücher für angehende Sekretäre, Advokaten und Notare in der zweiten Hälfte des 17. Jhs. waren laut Nickisch (1969, 77) Georg Philipp Harsdörffers Teutscher Secretarius (Teil 1: 1655, Teil 2: 1659) und Kaspar Stielers Teutsche Secretariat-Kunst (Band 1: 1673, Band 2: 1674):16 Die nächste Phase in der geschichtlichen Entwicklung der deutschen Brieflehre im 17. Jh. war von den großen theoretisch umfassend ausgearbeiteten Sekretariatsbüchern G. Ph. Harsdörffers und K. Stielers aus den fünfziger bzw. siebziger Jahren bestimmt. Wiewohl in der Lehre beider die Kanzlei und die dort gepflegte Rhetorik weiterhin unbestrittenes Vorbild für alles Briefschreiben waren, tauchte doch bei Harsdörffer als ein zweites, neues Vorbild das der Sprache bei Hofe auf. [...] Demgegenüber brachte Stieler in seinen üppigen Sekretariats-Lehrbüchern nichts eigentlich Neues; er faßte vielmehr noch einmal souverän und in enzyklopädischer Manier alle maßgeblichen Tendenzen der zünftigen deutschen Epistolographie des zurückliegenden 17. Jahrhunderts zusammen.
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von Format- und Inhaltsvorlagen wirkte. Zusätzlich zur Vorbildnennung und Vorbildwirkung der Kanzleisprache (Josten 1976) und zur Entwicklung des privaten deutschsprachigen Briefverkehrs (Nickisch 1991, Erwentraut 1999) müsste also untersucht werden, wie sich die Verwendung von Vorlagen speziell im geschäftssprachlichen Bereich entwickelte. Erst dort kann ggf. das Ende der kanzleisprachlichen Tradition ersichtlich werden (vgl. 3.3.). Auch nach Wilpert (1989, 117) erlebten die deutschen Briefsteller im Barock mit Harsdörffer und Stieler ihre Blüte. Von Erwentraut (1999) werden die beiden als vielfach vorbildlich bzw. repräsentativ geschildert.
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Beide Werke waren zu ihrer Zeit hochgeschätzt und erlebten in rascher Folge mehrere Auflagen. Mehr noch als andere von Nickisch untersuchte Briefsteller zeigen die Arbeiten von Harsdörffer und Stieler, „daß der beherrschende Einfluß der kanzlistischen Rhetorik auf die dt. Brieftheorie ungemindert und unbestritten fortbesteht“ (Nickisch 1969, 79). Gerade bei Harsdörffer tritt aber neben das Kanzleivorbild schon der neue höfische Stil, der im anschließenden 18. Jh. die alte Vorschrift, sich an den Kanzleien zu orientieren, verdrängt (ibid.; s.o.).17 Im folgenden Abschnitt sollen die beiden Autoren bezüglich ihrer Vorstellungen zum Berufsbild des Schreibers und zu ihrer Einstellung zur grammatikalischen Norm befragt werden. Insbesondere soll hier auch nach einer möglichen Vorbildwirkung geschaut werden bzw. der Frage, inwieweit die beiden Werke als Medien des Transfers grammatikalischer Normen in Frage kamen. 3.1.3.1. Georg Philipp Harsdörffers Teutscher Secretarius (Teil 1: 1655, Teil 2: 1659) Georg Philipp Harsdörffer18 wurde am 01.11.1607 in Nürnberg geboren. Von 1623 bis 1626 studierte Harsdörffer in Altdorf bei Nürnberg Jura. Ab 1626 setzte er sein Studium in Freiburg fort und studierte laut Wilpert (1988, 307) dort auch Philosophie, Geschichte und neuere Sprachen.19 Nach seiner Rückkehr von der üblichen Kavalierstour ließ Harsdörffer sich 1631 in Nürnberg nieder, das er später nur noch selten verließ.20 Hier wurde er 1637 Gerichtsassessor am Untergericht, später wurde er an das Stadtgericht berufen (Wilpert, ibid.). 1655 wurde er Mitglied des Hohen Rats der Stadt Nürnberg. Harsdörffer starb am 22.09.1658 in Nürnberg. Im literarischen Leben seiner Heimatstadt nahm Harsdörffer eine prominente Stellung ein und blieb gleichzeitig trotz seiner Sesshaftigkeit in regem brieflichen Austausch nach außen. Er wurde 1642 als der Spielende in die Fruchtbringende Gesellschaft aufgenommen und wurde im folgenden 17
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Der Verdrängungsprozess wird schon allein an den Titeln der 80 von Nickisch für das 17. Jh. zitierten Briefsteller deutlich (1969: Chronologischisches Verzeichnis der dt. Briefsteller, 245-308). Während sich in den Buchtiteln Hinweise auf den Kanzleistil mit abnehmender Frequenz finden lassen, nehmen die Referenzen auf Hofstil bzw. Französisch und Italienisch langsam zu (dies steigert sich noch im 18. Jh.). Die folgende Darstellung erfolgt, soweit nicht anders vermerkt, nach dem BBKL (Band II, Spalten 571-572). Nach seinem Studium begab Harsdörffer sich auf eine fünfjährige Bildungsreise durch Europa (u.a. nach Frankreich, Belgien, England und Italien). Die damals für junge Adelige typische Kavalierstour hatte den Zweck, den Söhnen des Adels Gelegenheit zu einem weiterführenden Studium im Ausland (samt Fremdsprachenerwerb) zu geben und sie höfische Umgangsformen lernen zu lassen. Nebenbei bildeten sie auch ihre soziale Kompetenz aus und knüpften Beziehungen für künftige Karrieren (Leibetseder 2004). Quelle: http://www.ni.schule.de/~pohl/literatur/sadl/barock/harsdoer.htm (19.07.2005).
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Jahr als der Kunstspielende Mitglied von Philipp von Zesens Deutschgesinnter Genossenschaft. Im Jahr danach, 1644, gründete er mit Johann Klaj den bis heute bestehenden Sprach- und Literaturverein Pegnesischer Blumenorden (genauer: Löblicher Pegnesischer Hirten- und Blumenorden an der Pegnitz), dem er selber vorstand. Trotz seines beruflichen Engagements produzierte er ein umfangreiches literarisches Werk mit einem breiten Spektrum, das von weltlichen und geistlichen Gedichten über unterschiedliche Erzählungen (etwa seine dialogischen Gesprächsspiele) und Kriminalgeschichten bis hin zu historischen und sprachtheoretischen Texten sowie zwei bedeutenden Sekretariatshandbüchern rangiert. Harsdörffer nahm auch Übersetzungen aus dem Französischen, Spanischen und Italienischen vor. Seine Rolle als Theoretiker des Barock wird als bedeutend eingeschätzt (Wilpert 1988, 307). Untersucht sind bislang vor allem biographische Einzelheiten und Aspekte einzelner literarischer Werke (vgl. BBKL, Literatur; s.a. Michele Battafarano 1991, Vorwort und Hundt 2000, 158 und 166). Von der Sprachgeschichtsforschung wird Harsdörffer als eher deskriptiver Grammatiker eingeschätzt (Jellinek 1913, 177). Dem auf vielen verschiedenen Gebieten gebildeten Nürnberger bescheinigt William J. Jones ein bemerkenswertes didaktisches Talent und ebensolches Kommunikationsgeschick (1995, 243). Harsdörffers Position als Sprachreiniger beschreibt Jones als flexibel, aber tendenziell eher gemäßigt (ibid., 244ff.). Für Markus Hundt (2000, 9) ist Harsdörffer der „wohl bedeutendste und wirkungsvolls[t]e Vertreter des Spracharbeitsprogramms“, was er aber nicht auf den Teutschen Secretarius bezieht (2000, 181), der für die Spracharbeit weniger von Bedeutung ist (vgl. ibid., 9). Harsdörffer gehörte also nicht nur in den Kreis der homines litterati seiner Zeit, sondern verfügte gleichzeitig zur Zeit des Erscheinens seines Teutschen Secretarius (Teil I: 1655, Teil II: 1659) bereits über eine fast fünfundzwanzigjährige Berufserfahrung am Unter- und am Stadtgericht Nürnbergs. Seine Ausführungen über Maßnahmen zur Förderung des Handels im Secretarius (Band II, Teil VI, 1661, 715f.) lassen vermuten, dass er auch intensiv mit handelspolitischen Fragen zu tun hatte (spätestens als Ratsmitglied ab 1655), wobei er eine dem Handel positiv gesonnene Position vertrat.21 Die Bedeutung des hamburgischen Handels im deutschsprachigen Raum bezeugt, dass die von Harsdörffer im Teutschen Secretarius Band I 21
Auch in Nürnberg scheint es dem Secretarius nach Konflikte zwischen Rat und Kaufmannschaft gegeben zu haben: „V. Sind der Kauffmanschafften nicht geringe Hinderniß die alten und neuen Auflagen/ ZØlle/ Mauten und Ambtgeldern/ [...]. Wa× nun solchÕ Hinternissen steuren u× die abfalligÕ Handlungen wid‘ auf starcken Fuß richtÕ wolte/ mÙssen nit nur die Handelsleute selbstÕ sondern auch derselbÕ ObrigkeitÕ/ mit gesambter HÙlfbietung/ ihnÕ an die Hand stehen/ welches leider mehr zu wÙnschen/ als zu hoffen.“ Harsdörffers Position in diesem Konflikt könnte einer der Gründe sein, warum er den Secretarius nicht unter seinem Namen veröffentlichte. S.a. Band I, Teil VI (1674, 414: Lob der Handelsschafft).
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(51674) wiedergegebenen Handelsbriefe zum Großteil aus der Korrespondenz des hamburgischen Kaufmanns Jacob MØhler und dessen Geschäftspartnern besteht (1674, 432). In Harsdörffers zweifellos charismatischer Persönlichkeit22 einen Grund für die große Popularität seines Buches zu suchen, wäre allerdings verfehlt, denn beide Bände des Teutschen Secretarius erschienen anonym, herausgegeben „Von etlichen Liebhabern der Teutschen Sprache“ (der 2. Band erschien 1659, erst im Jahr nach Harsdörffers Tod23). Eher dürfte die Qualität des Buches selber absatzfördernd gewesen sein, denn Harsdörffer veröffentlichte für damalige Verhältnisse „äußerst adressaten- und marktorientiert“ (Hundt 2000, 181). Er wurde erst spät als Hauptautor identifiziert (Erwentraut 1999, 270 und Nickisch 1969, 77). Die beiden jeweils fast 800 Seiten langen Bücher sind nicht als logisch aufeinander aufbauende Folgebände konzipiert, sondern der zweite Band ist ein Band I nachahmendes selbstständiges Werk gleichen Prinzips, das wegen der hohen Nachfrage nach dem ersten Band entstand (s. Band II, 1661, 18, IV. Von der Verfassung dieses Werckleins und vgl. Hundt 2000, 181). In den Überschriften werden die Secretarius-Bände Teil I und Teil II des Secretarius genannt, was umso mehr verwirrt, als die einzelnen Kapitel ebenfalls als Teile bezeichnet werden (der Secretarius I hat 10 Teile, der Secretarius II hat 7 Teile, außerdem sind beiden Bänden Anhänge zugefügt). Die Bücher werden zur Vermeidung von Unklarheit deswegen hier als Band I und Band II angesprochen, wenn sie nicht beide zusammenfassend als der Secretarius bezeichnet werden.24 Inhaltlich überschneiden sich beide Bände weitgehend, z.B. enthalten beide Bände Kapitel zu Ehrentiteln, Gruß- und Freundschafts- bzw. Complimentbriefen (Band II), sowie wichtigen Geschäfts- und Kanzleibriefen. Allein Band I enthält jedoch Kapitel zu höflichen Frauenzimmer- und Liebesbriefen, notwendigen Kauf- und Handelsbriefen und Briefen in Lehensangelegenheiten. Dagegen kommen Sittenlehre, Naturkunde und Buchhaltung nur in Band II vor (vgl. entsprechende unpaginierte Titelseiten der Bände und s. folgende Punkte).25 Viele 22 23
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Vgl. Battafarano (1991, Vorwort). Bei der hier verwendeten Auflage des zweiten Bandes von 1661 aus der HAB gibt es Hinweise auf mehrfache Überarbeitungen. Auffällig ist im zweiten Band der HAB, dass Zählung der Briefe und Register nicht immer übereinstimmen, vermutlich weil bei der Neuauflage Briefe hinzugefügt wurden, ohne das Register anzupassen. Auch sind auf der Titelseite nur 6 Teile angegeben, obwohl das Buch in 7 Teile geteilt ist. Auch Angaben über Auflagen des ersten Bandes sind widersprüchlich. Hier verwendet wurden die fünfte Auflage von Band I (1674, HAB Kc 37: 1) und eine spätere Auflage des 1659 erschienenen Band II (1661, ebenfalls HAB Kc 37: 2) aus der HAB (vgl. Fußnote 23). Die häufigen originalen Fettdrucke werden hier bei Zitaten nicht wiedergegeben. Harsdörffer plante noch einen 3. Teil, der wegen seines Todes nie realisiert wurde (s. Band II, 1661, 234).
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der in den Vorreden und Briefen angesprochenen Themen wiederholen sich nicht nur von Band zu Band sondern innerhalb der Bände selbst. Die Briefe des Secretarius sind nur zum Teil Abdrucke von echten Briefen, etliche Briefe sind auch Lehrbriefe des Autors, in denen die behandelten Themen diskutiert werden. 3.1.3.1.1. Die Leserschaft des Secretarius und deren Bildungsstand26 Trotz des Umfanges der beiden Secretarius-Bände finden sich nur wenige explizite Angaben zum Bildungsstand damaliger Schreiber, etwa Schilderungen von deren Ausbildung, Alltag oder Karrieren. Folgende konkrete Vorschläge für die Einübung von Geschäfts- und Kanzleibriefen mittels der Beispielsammlungen des Secretarius werden im entsprechenden Kapitel (Band II, Teil IV, 234: „bestehend In wichtigen GeschÔfft= und Cantzley=Briefen/ benebens einer Vorrede Von der WÙrde und Beschaffenheit eines Secretarii“) geliefert: SchlÙßlich soll ein angehender Secretarius benebens fleissig studieren/ viel Copiren/ noch mehr lesen/ und was er zu Papir setzet/ andern zu beurtheilen Ùbergeben. Es wird ihm auch folgendes/ als die gebrÔuchlichste Art Cantzley Teutsch zu stellen/ und dergleichen zu Papier zu bringen/ nachrichtig und fØrderlich seyn; massen solche von den besten Federn/ die heut zu Tage in der grossen Herrn und wichtigsten Geschäfften/ [...] hergeflossen; [...].
Dies entspricht der bereits geschilderten Praxis in städtischen Schreibschulen, die aus Lesen, Abschreiben und eigener Briefstellung anhand von Vorlagen bestand, zu denen je nach Neigung noch Rechnen oder lebende Fremdsprachen hinzukamen (s. 2.2.4.). Ebenfalls hatte sich nach der Reformation eine Praxis der Briefsteller eingebürgert, über den Schul- und Amtsgebrauch hinaus zum privaten Lesen und Schreiben anzuleiten (Polenz 2000, 173). Vorrangig werden im Secretarius aber die Qualitäten und Fähigkeiten angesprochen, die für die damals ideale Karriere bei Hofe nötig waren (Band II, 1661, 230f.): Es [...] muß eine solche Person [ein fürstlicher oder gräflicher Geheimrat, der zu hohen Ehren gelangen kann] vor allen was rechtschaffnes studirt haben/ getreu/ verständig/ fleissig/ freundlich/ hurtig/ beredt und vieler Sprachen kÙndig seyn/ nach dem er nemlich sich einer Bedienung27 unterzogen hat. Zum wenigsten soll er lateinisch reden und schreiben kØnnen/ [...] sonderlich aber zu dieser Zeit/ da viel vermeinen/ es kØnne kein wolgestellter Brief seyn wa× er nicht mit Latein unterzogen/ welches auch in technicis, ohne 26 27
Zum sprachpädagogischen und -didaktischen Anliegen der Grammatiker s. Gardt (1994, Teil II, Kapitel 5). Damals noch synonym mit ‚Amt‘ (Paul 2002, 143), also ist „sich einer Bedienung unterziehen“ so viel wie ‚ein Amt auf sich nehmen‘. Beredsamkeit und Fremdsprachenkenntnisse wurden also im Beruf erworben, s.u.
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verÔchtliche Neurung/ nicht fÙglich noch der Zeit nicht anders beschehen kan. Es wäre noch gut/ daß es bey dem Latein und dem Teutschen verbliebe/ und nicht zugleich das FrantzØsische und Italianische/ mehrmals in einem Brief zugleich/ mit eingeflochten wÙrde; daß auch dem vollkommenen Secretario solche Sprachen nicht gar unbekannt seyn sollen/ wann er nicht zu weilen sich mit den Ùbelgelesnen frembden WØrtern will schertzen lassen. Ferners soll der Secretarius nicht nur eine hurtige schØne/ zierliche und lesliche Hand/ sondern auch eine wolberedte Zunge haben; gestalt auch/ sonderlich bey Gesandschafften die Secretarii zu den allerwichtigsten Verrichtungen und Ausrichtungen/ Empfahung und Handlungen gebraucht und verschicket werden/ welches eine Erfahrung und HØflichkeit so bey den AnfÔngern nicht seyn kan/ erfordert. [...] Hierbey ist nun nicht ausser acht zu lassen/ daß der Secretarius seinem Ampt auch fleissig u× unverdrossen abwarten muß/ welches er nicht wird leisten/ wann er den Essen/ trincken/ Bulen und spielen ergeben ist.
Erwünscht als Sekretär bei Hofe war demnach ein zuverlässiger, intelligenter, fleißiger, freundlicher, flinker, geduldiger und nicht suchtgefährdeter Charakter. Als konkrete Qualifikationen waren ein „rechtschaffenes“28 Studium, auf jeden Fall gute Lateinkenntnisse in Wort und Schrift, weitere umfassende Fremdsprachenkenntnisse (v.a. Französisch und Italienisch, damit er sich beim Vorlesen der viel verwendeten Fremdwörter nicht blamiert – idealerweise aber nur zur spärlichen Verwendung, s. Fremdwortpurismus) und eine schnelle und trotzdem leserliche Handschrift nötig. Nachdem der Sekretär Berufserfahrung gesammelt hatte, also zu einer gewissen Beredsamkeit und einer durch Erfahrung geschulten Weltgewandtheit und höflichem Benehmen gelangt war, war dann ein Aufstieg möglich, der weitere Befugnisse, wie selbstständiges Handeln, mit sich brachte. Der Secretarius richtete sich aber nicht nur an angehende höfische Geheimsekretäre, obgleich diese Idealkarriere immer wieder im Vordergrund steht. In beiden Bänden werden mehrfach die Adressaten der Bücher angesprochen und die Motivation zum Schreiberwerb dargestellt, so dass von diesen Äußerungen auf Herkunft und Werdegang der übrigen Leser geschlossen werden kann. Wie schon aus den Titeln hervorgeht, ist der Secretarius von vorneherein als beides, als Lehrbuch und als Handbuch der Sekretariatspraxis zu verstehen (Band I: Der Teutsche Secretarius. Das ist: Allen Cantzleyen/ Studir= und Schreibstuben n×tzliches/ fast nohtwendiges/ [...] Titular= uÕ Formularbuch, Band II: Allen Cantzleyen/ Studir= und Schreibstuben dienliches Titular= und Formularbuch.). Er richtet sich somit explizit an eine Leserschaft von bereits im Beruf stehenden Schreibern städtischer und fürstlicher Kanzleien, sowie an (auch privat) Studierende und an einfache Schreibstuben, etwa solche von Kaufleuten (für die im Band I mit Teil VI
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D.h. ‚ordnungsgemäßes‘ Studium (vgl. Paul 2002, 786).
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und Band II, Teil VII, 1661, 713ff. spezielle Abschnitte geliefert werden). Letztere allerdings werden immer nur an zweiter Stelle angesprochen.29 Für bereits im Beruf befindliche Sekretäre war das Werk eher als Nachschlagewerk gedacht, in dem nicht nur diverse Briefvorlagen und Titulare gefunden werden konnten. Außer der Lieferung eines Glossars für Fremdwörter (für einfachere Schreiber ohne Fremdsprachenkenntnisse; 417ff.) werden in Band I z.B. auch Münzen (420), Gewichte (412), Maße (421f.) und Einheiten (422) erklärt, sowie spezifisch kaufmännische Textsorten vorgestellt (422). Außer für das private Studium bot sich der Secretarius auch als Schulbuch an (Band I, Zuschrift, 1674, 5). Die Nützlichkeit der vermittelten Fähigkeiten wird immer wieder betont (z.B. Band I, Vorrede, 1674, 16) und sozialer Aufstieg wird motivierend in Aussicht gestellt (Band II, I. Von dem Lobe der edlen Schreibekunst, 1661, unpaginiert, 12.), auch für eine breite, nicht professionell schreibende Allgemeinheit (z.B. Band I, Vorrede, 1674, 17). Dass gleichzeitig im Secretarius auch ein weitaus gebildeteres Publikum des höheren Bürgertums angesprochen war, geht nicht nur aus den Verweisen auf eine Karriere bei Hofe (s.o.) sondern aus der Verwendung von lateinischen und griechischen Wörtern hervor (z.B. Band I, Teil I, 1674, 13 und ibid., Teil III, 142). Außerdem wird dies aus gelegentlich angeführten lat. Kommentaren zu den behandelten Themen deutlich (z.B. Band I, Teil 4, 1674, 170: Ratio enim & schola ex legem Vulgi lingvam corrigere non potest.), die oft nicht übersetzt oder ausdrücklich erklärt werden, ohne dass aber deswegen das allgemeine Verständnis beeinträchtigt würde. Auch werden selbstverständlich lat. Werke als Referenz angeführt (Band I, Teil III, 1674, 73: „wie in specimine Philologiæ Germanicæ erwiesen“). Für die gebildeten Leser gibt es auch einen ausschließlich lat. Anhang in Band I. Weitere Fremdsprachenkenntnisse setzt Harsdörffer prinzipiell nicht voraus, vor allem nicht bei der spezifisch von Band I, Teil VI: Von Kauff= und Handels=Briefen angesprochenen Leserschaft. Italienische und französische Ausdrücke werden in diesem Teil übersetzt und erklärt (z.B. ibid., 415: Stylus), und im selben Teil liefert Harsdörffer zum praktischen Nutzen des Werkes für Leser ohne Fremdsprachen- und Fachkenntnisse sogar ein Fachwortglossar für gebräuchliche Fremdwörter aus dem Bereich des Handels. Für die Verbesserung der persönlichen Schreibfähigkeiten und die Nutzung des Briefstellers durch die gebildeteren Leser schlägt der Secreta29
S. Band II, Vorrede, IV. Von der Verfassung dieses Werckleins (1661, unpaginiert): „37. [...] VII. Damit aber auch der angehende Kauffmanns Diener hierbey etwas zu lernen finde/ ist hier ein kurtzer Bericht von dem Buchhalten beygedruckt/ [...].“ Ebenso Band II (1661, 718): „Inzwischen wollen wir dem Secretario oder angehenden Handels Dienern einÕ kurtzÕ Bericht von dem Buchhalten u× der Hofmeisterey ertheilÕ; Massen dieses Werck nicht nur fÙr den Cantzleyen und Studierstuben/ sondern auch fÙr die Schreib= u× Kauffma×s=Stuben gewidmet/ [...].“
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rius folgendes selbstständige Studium vor (die vorausgesetzten Latein- und Griechischkenntnisse und die vorgeschlagenen Schriften lassen auf bereits im Beruf stehende, studierte Schreiber schließen, Band I, Teil III, Vorrede, 1674, 78): Nach dem man die teutsche Sprachkunst/ wie in dem Latein und Griechischen genugsam gefasset/ welche der Grund ist/ darauf man bauen muß/ kan man die Reichsabschiede/ die Schrifften Herrn Doctor Luthers/ Goldasts/ Hortleders/ Lehmanns/ Schleidani/ Iohansens/ Maifarts/ Schottelins/ und anderer lesen/ und daraus alle sondere Redarten aufmercken/ nach der Ordnung und Anfang so in dem dritten Theil des Poetischen Trichters gemachet/ und auf darzwieschen geschlossenem weissen BlÔtlein fortgesetzet werden kan. [...] zu solchem Ende sind auch hierbeykommende Schreiben verabfasset/ nicht der Meinung/ daß man solche von Zeil zu Zeil aus= und abschreiben soll/ sondern daß man dergleichen und noch bessere hervorgeben lerne [...].
Diese Vorrede zu Teil III (Von dem Inhalt der Briefe und dessen schicklicher Verabfassung) widmet sich der Diskussion ästhetischer Aspekte von Briefen, war also vornehmlich für die gebildeteren Leser gedacht. Wie man dort sieht, folgten auch Sekretäre mit Hochschulbildung im Prinzip denselben Unterrichtsmethoden wie sie hier anhand der deutschen Schulen dargestellt wurden (s. 2.2.4.). Der Schwerpunkt lag aber bei ihnen auf hochwertiger Lektüre und selbstständiger Briefstellung. In Band I (Teil V, Vorrede, 1674, 365f., Von hÖflichen Schreiben/ an das HochlÖbliche Frauenzimmer) erfolgt die Diskussion von Rede- und Schreibkunst, die damals in den Sprachgesellschaften kontrovers bewertet wurden (s. 3.1.3.). Diese zielte eher auf eine gehobene Leserschaft, etwa die Angehörigen der Sprachgesellschaften. Derartige theoriebezogenen Diskussionen, oft zur Verwendung von Fremdwörtern (s. 3.1.3.1.3. und vgl. 1.2.1.1.2.) oder anderen literatur- und sprachtheoretischen Fragen, finden sich in beiden Bänden sowohl in den Vorreden als auch als Thema von Lehrbriefen (z.B. Band II, Vorrede, 1661, 12, III. Ob der/welcher wol schreibe/ auch wol rede und Band I, Brief XXX, 1674, 141ff.). Außer einem didaktischen Nutzen für Anfänger und Neulinge des Sekretariatswesens sowie für interessierte Laien, der praktischen Anwendung für Berufsschreiber verschiedener Kanzleien (und damit unterschiedlicher Bildung und sozialer Stellung) und zur Funktion als Forum für die Diskussion von literaturtheoretischen Themen, wie sie in den Sprachgesellschaften behandelt wurden, bot der Secretarius noch einen ganz allgemeinen Unterhaltungswert,30 wie angesprochen in der Vorrede von Band I (1674, 19):
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Z.B. Band I, Teil X. Dort stehen (immerhin in Briefform) Ausführungen zum Schachspiel (1674, 603), sonderliche Anekdoten und Geschichten (ibid., 667) und ein Abschnitt zur Handlesekunst (1674, 707-718).
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[...] der ungezweiffelten Hoffnung/ es werde dieser teutsche Secretarius oder Geheimschreiber den Jungen und Alten dienstliche Nachrichtung in vielen Sachen ertheilen/ und dieses Buch/ so wol nÙtzlich als lustig zu lesen/ allen Cantzleyen/ Studir= und Schreibstuben fast nothwendig seyn.
Bei der Breite der angesprochenen Leserschaft kann trotz der geringen Kenntnisse über die Schreiber der Commerzdeputation Hamburg davon ausgegangen werden, dass diese durchaus zum Leserkreis des Secretarius gehört haben könnten. Es ist aber fraglich, ob sie auch zu den Adressaten der literarischen und sprachtheoretischen Diskussionen gehörten (s. folgende Abschnitte). 3.1.3.1.2. Hinweise auf Berufsbild und Status von Sekretären im Secretarius Wie beschrieben, richtete der Secretarius sich an ein höchst diverses Publikum und erfüllte jeweils für die einzelnen Teile der Leserschaft unterschiedliche Funktionen. Die Art der behandelten Schreiben ist entsprechend vielfältig. Es gibt Kapitel zu Ehrentiteln, Gruß- und Freundschaftsbriefen, Klag-, Trost- und Vermählungsbriefen, Geschäfts- und Kanzleibriefen, Frauenzimmer- und Liebesbriefen, Kauf- und Handelsbriefen, Lehensachen, Sittenlehre, Recht, Naturkunde, Geschichte, Philosophie, Rechtschreibung und Buchhaltung. Wegen der relativ modernen Mitbehandlung von Privatbriefen in den beiden Secretarius-Bänden (s. 3.1.3.) und der Ausrichtung auf eine breite Zielgruppe, sprengt diese Vielfalt deutlich den Rahmen der eigentlichen Sekretariatsarbeit. Wie vielfältig das Berufsbild professioneller Schreiber in der Epoche war, zeigen schon die Überschriften und Titulare, die die Menge der Positionen in höfischen und städtischen Kanzleien mit einer entsprechenden Vielfalt von Titeln benennen. Erwähnt werden im Secretarius z.B. fürstliche und gräfliche Räte bzw. Geheimräte (Band II, 1661, 230), Geheimschreiber oder Geheime Skribenten (Band II, Teil IV, 1661, 229), Reichshofräte, Gelehrte, Juristen, Reichskanzlisten, Hofkriegsräte, Sekretäre, Registratoren, Expeditoren, Konzipisten, Kanzlisten, Kanzleidiener, kaiserliche HofKammer-Ratspräsidenten und Direktoren (Band I, Teil I, Titular, 1674, 32-74), Torschreiber, Kornschreiber, Ratschreiber, Bücherschreiber (Band I, Teil IV, Vorrede, 1674, 168) sowie Kaufmannsdiener (Band II, Vorrede, IV., 37., 1661, unpaginiert) bzw. Handelsdiener (Band II, 1661, 718). Zu den praktischen Aspekten des Sekretariatsalltags gibt es aber wenige konkrete Hinweise im Secretarius (verständlicherweise musste der Leserschaft nicht erzählt werden, was sie aus ihrem Alltag kannten). Eine unterhaltsame Anekdote in Band II dokumentiert, dass (mindestens theore-
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tisch) Verbesserungen in Texten verpönt waren (Vorrede, III. Ob der/welcher wol schreibe/auch wol rede, unpaginiert, 26.): [...] und schicket sich hieher zu erzehlen/ daß ein Venetianischer Edelman/ einen/ der sich fÙr einen Secretarium zu dienen angabe/ befragte: ob er auch wol radiren/ oder das unrecht geschriebene mit Fischbein und Federmesserlein wider auskratzen könne? Hat er geantwortet: Er könne solches auf das allerbeste/ der Edelman versetzt: Wol so dienet ihr nicht fÙr mich/ dann meine Schreiber mÙssen recht schreiben/ daß es keines radirens bedarff.
An diesem Beispiel wird die im Secretarius allgegenwärtige Kluft zwischen wohlformulierter (moralisierender) Theorie und Realität der Praxis deutlich. Dass nämlich Korrekturen in der Praxis nicht immer vermeidbar waren, zeigen die Verbesserungen in den Commerzprotokollen (sogar im sorgfältig gestalteten Eröffnungsprotokoll, PC 1/17). Als weiterer Hinweis auf die Praxis wird im Rahmen der Beschreibung von Tugenden eines idealen Sekretärs (Näheres s. 3.1.3.1.1.) erwähnt, dass den höfischen Geheimsekretären als Zeichen ihrer Vertrauensstellung oft Siegel zur Aufbewahrung anvertraut wurden (Band II, 1661, 230f.). Von der frühen Commerzdeputation ist im Kontrast dazu bekannt, dass deren Dokumente vom jeweiligen Präses verwahrt wurden – die Protokollisten waren in der Entstehungszeit der Deputation noch nicht fest angestellt (s. 2.2.2.). Beide Tatsachen sind Hinweise auf einen unvergleichbar niedrigeren sozialen Status der Commerzprotokollisten im Vergleich zum Ideal des höfischen Sekretärs. Die im vorigen Abschnitt wiedergegebene Schilderung der nötigen Tugenden eines höfischen Sekretärs weist auf die Praxis der Sekretäre hin. Zu den Tätigkeiten eines auf den obersten Sprossen der Karriereleiter angekommenen Geheimschreibers waren demnach Reden und Schreiben auf Lateinisch, die Abfassung deutscher Briefe, das Vorlesen auch fremdsprachlicher Texte sowie die Teilnahme an Gesandtschaften und die Erledigung unspezifizierter selbstständiger Aufgaben für den Dienstherren zu rechnen, wobei für letztere eine schöne Schrift und durch Erfahrung geschultes gutes Benehmen und Beredsamkeit erforderlich waren (s. ibid. und vgl. 3.1.3.). Über Praxis und Qualifikation der Commerzprotokollisten lassen sich wegen deren bislang ungeklärten Identität nur indirekt Schlüsse ziehen, z.B. anhand der weiteren Geschichte der Commerzdeputation und anhand der Protokolltexte (s. hierzu 2.2.2. und Teil 4). Dass Latein- und weitere Fremdsprachenkenntnisse dazu gehörten, geht aus den Protokollen klar hervor. Einen Einblick in den Alltag der einfacheren, auch unstudierten Sekretäre liefert das vornehmlich an Kaufmannsbediente gerichtete Kapitel Von Kauff= und Handels=Briefen (Band I, Teil VI, Vorrede, 1674, 415): DEmnach sich vielmals fÙget/ daß man in GeschÔfften/ im Reisen oder in seinen eigenen und anderer Angelegenheiten/ Wechselgelder zu empfahen/ Wahren zu verschicken oder auch zu verstellen oder zu versenden hat/ ist es den teutschen
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Secretarien sehr anstÔndig und fast nohtwendig/ daß er auch solches benebens der Rechenkunst verstehe/ und keinem andern Handleiter nachsehen mÙsse.
Auffällig ist hier die gleichzeitige Nennung von Schreib- und Rechenkunst und die Formulierung „den teutschen Secretarien“, möglicherweise richtet sich dieses Kapitel außer an Privatleute vor allem an praxisorientierte Sekretäre ohne Lateinkenntnisse (also Absolventen der deutschen Schreib- und Rechenschulen, s. 2.2.4.), für die die Nützlichkeit von Rechenkünsten, also Erfahrung in Buchhaltung, gesondert erwähnt wird. Dass entsprechend der angesprochenen Leserschaft in Teil VI des 2. Secretarius-Bandes ein geringerer Kenntnisstand vorausgesetzt wurde, zeigen die dort beigefügten Erklärungen von Fremdwörtern und die Lieferung eines Glossars (s. voriger Abschnitt). Auch an anderer Stelle in Band II (1661, 713, Anhang: Bestehend in Kurtzem und gr×ndlichem Bericht von dem Buchhalten/ mit vorgef×gter Vorrede/ Wie die Handelschafft empor zu bringen, hier v.a. Vorrede, 715) wird die Buchhaltung speziell im Zusammenhang mit dem Handel erwähnt: Durch was zutrÔgliche Mittel der Handelschafft und Gewerbe empor zu bringen. DEr Secretarius soll nicht nur verstÔndig schreiben/ schicklich reden/ sich freundlich und hØflich bezeugen; sondern auch die Haushaltung und Handlung verstehen/ damit er seines Herrn Geldmittel/ welche seiner Treue meinsten Theil anvertraut werden/ in guter Ordnung zu Buch tragen/ und also verwalten mØge/ daß er richtige Rechenschafft darvon geben/ u× ihm selbst zu Schaden nit verhandlÕ mØge. Solches kann er nicht besser Werckstellig machÕ/ als durch ein ordentliches Buchhalten/ [...]
Am Anfang des Bandes II, Vorrede ×ber dieses Werck (1661, unpaginiert), werden umgekehrt ambitionierte höfische Sekretäre mit Lateinbildung im Zusammenhang mit der Buchhaltung nicht erwähnt: VII. Damit aber auch der angehende Kauffmanns Diener hierbey etwas zu lernen finde/ ist hier ein kurtzer Bericht von dem Buchhalten beygedruckt/ welcher auch den HausvÔttern/ Hofmeistern/ Verwaltern und Ambtleuten zu sonder Nachrichtung gelangen wird.
Innerhalb des vielseitigen Berufsfeldes professioneller Schreiber gab es demnach im 17. Jh. eine Trennung in Gelehrte und Praxisorientierte, die der generellen Aufteilung dieser beiden Sphären in der Gesellschaft entsprach (s. 2.2.5.). Die Buchhaltung bzw. Rechenkunst zählte damit zur Sphäre der praxisorientierten Schreiber. Im Band 2 des Secretarius wird deutlich ausgesprochen, dass höfische Sekretäre mehr Prestige genossen als solche in öffentlichen Ämtern von Städten und Gemeinden. Begründet wird dies allerdings mit einer größeren Arbeitsbelastung (Band II, 1661, 229): „Etliche Secretarii dienen KØnigen/ FÙrsten und Herren: Etliche StÔdte und Gemeinen. Jene haben einen schweren Last aufgebürdet/ u× sind deßwegen auch mehr geehrt [...]“. Ein Sekretär wie Kaspar Stieler (s. 3.1.3.2.), der sich nach
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kaufmännischer Ausbildung und einem umfassenden Studium über den Regimentsdienst in fürstliche Dienste hochgearbeitet hatte (und schließlich selber geadelt wurde), hatte gegenüber einem einfachen Stadtschreiber, der weder eine entsprechende Qualifikation aufzuweisen noch auf eine steile Karriere zurückzublicken hatte, also ein entsprechend größeres Prestige. Aus der Übereinstimmung von Hand B in den Commerzprotokollen mit derjenigen der ersten Eintragungen des Cassa=Buches der Commerzdeputation ist damit auf eine eher praktische Ausrichtung des betreffenden Schreibers zu schließen (was Lateinkenntnisse von Schreiber B zwar nicht ausschließt, aber ein reguläres Studium unwahrscheinlicher macht; vgl. 2.2.2.). Zum sozialen Status von Sekretären finden sich insgesamt in den beiden Bänden des Secretarius widersprüchliche Hinweise. Insgesamt lässt sich folgern, dass damals Schreibarbeiten, v.a. auf deutsch, unterschiedliche Bewertungen hervorriefen und von Zeitgenossen regelmäßig unterschätzt oder sogar herabgewürdigt wurden (s. hierzu Band I, Vorrede, 1674, 13f.). Wie Harsdörffers Ausführungen zeigen, bemühte man sich aber im Rahmen des Engagements um die Aufwertung der deutschen Sprache (s. 1.2.)31 auch um eine allgemeine Aufwertung der schreibenden Professionen (s. Band I a.a.O. und Band II, Vorrede zu Teil IV, 1661, 229ff.). Das im vorigen Abschnitt näher beschriebene höfische Ideal wurde als leuchtendes Vorbild hingestellt, dem mit entsprechender Begabung, Fleiß und gutem Unterricht hoffnungsvoll nachgeeifert werden sollte (Band II, 1661, 231f.): [...] ob wol dergleichen hochbegabte Secretarii wenig zu finden seyn mØgen/ sollen sich doch alle Liebhaber der Schreiberey dahin bemÙhen/ daß sie sich solcher Bedienung fÔhig machen mØgen/ und ist keinem das Ziel zu weit gesteckt/ daß er solches nicht solte erlangen können/ wann er nur den natÙrlichen Verstand/ als den guten Erdboden erweist solchen mit gebÙhrenden Fleiß/ als die Zubereitung deß Feldes bearbeiten/ und der guten Unterweisung; als dem Samen/ fruchten lassen wird.
Angesprochen wurde durch den Secretarius also der Wunsch nach sozialem Aufstieg, der gleichermaßen bei höheren und niederen Schreibern vorhanden war.32 Aus der weiten Verbreitung des Briefstellers kann man schließen, dass er bei allen aufstrebenden Schreibern Interesse fand, den lateinisch gebildeten und den praxisorientierten.
31 32
Speziell zum Thema Sprachlob s. Gardt (1994, 146ff.) Trotz der realen Möglichkeit sozialen Aufstiegst blieb die zu Beginn des 17. Jhs. bestehende Untergrenze des Briefstellerpublikums noch bis ins folgende Jahrhundert unterhalb des bürgerlichen Mittelstandes erhalten (s. Erwentraut 1999, 280f. und vgl. 3.1.3.).
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3.1.3.1.3. Vorschläge für gute Sprache und guten Stil im Secretarius a) Konkrete grammatikalische Angaben vs. Erörterung sprachtheoretischer Streitpunkte Die beiden hier untersuchten Secretarius-Bände enthalten im Verhältnis zu ihrem Umfang nur wenige konkrete Äußerungen zu Fragen grammatischer Norm, genau wie Vorschläge für guten Stil bei der Briefstellung eher abstrakt, in Form theoretischer Diskussionen vorliegen (s. c). Am ehesten finden sich explizite Äußerungen zur Präferenz bestimmter Formen mit Bezug auf die Orthographie. Dabei wird die Rechtschreibung oft mit der Aussprache in Verbindung gebracht (s.u.; Näheres s. 4.3.), beispielsweise im Kapitel Von der Rechtschreibung der Teutschen Sprache, Band I, Teil VII (1674, 470), wo Erklärungen der folgenden Art alphabetisch aufgezählt werden: „Aal mit zweyen aa/ weil es langsam ausgesprochen wird“. In diesem Teil wird den Lesern anhand einer praktischen und hilfreichen Beispielliste die graphische Unterscheidung von Homonymen erklärt und zu weiteren zweifelhaften Schreibweisen mehr oder weniger ausführlich bzw. sachbezogen Stellung genommen (die Liste endet auf Seite 556 mit „ZwØlffe/ mit dem Ø l/ zweiyen ff/ und kurtzen e/ ist die Zahl von zweymal sechse/ man nennet es sonsten Dutzent“ – es folgen diesem zwei Bibelzitate, in denen die Zahl zwölf vorkommt). In wenigen Fällen wird im Secretarius zu spezifischen Fragen der Rechtschreibung und zu einzelnen Wörtern Stellung genommen, zu letzteren v.a. wenn sie im Zusammenhang mit der Sekretariatkunst stehen und im Rahmen der Fremdwortdiskussion (s. b) erklärt oder gar verteidigt werden müssen, z.B. Band I, Teil III (1674, 73): ETliche schreiben Briev und nicht Brief/ der Meinung dieses Wort komme von dem Lateinischen brevis her/ zu deuten/ daß die Briefe kurtz seyn solten. Weil aber unsre Sprache Ôlter als die Lateinische/ wie in specimine Philologiæ Germanicæ33erwiesen worden/ halten wir dieses Wort Brief/ fÙr ein teutsches Stammwort/ [...].
Ähnlich äußert sich Harsdörffer zu den Wörtern Titel, Stil, Kanzlei, Sekretär, Kopie (zu Titel s. Band I, Teil I, 1674, 26; zu Stil s. Band I, Teil VI, 1674, 415; zu Sekretär, Brief, Kanzlei, Kopie s. Band I, Teil IV, 1674, 167f.). Die Orthographie war im 17. Jh. das zentrale Thema der Grammatiker (s. 1.2. und Polenz 1994, 150), über das sie lange Jahre mit Eifer und mit den unterschiedlichsten Argumenten stritten. Entsprechend wird auch im Secretarius den theoretischen Erörterungen zum Thema deutlich mehr Raum als der Praxis gewidmet. Am folgenden Beispiel aus dem Kapitel Rechtschreibung (Band I, Teil VII) wird deutlich, auf welche Weise im Briefsteller anhand vordergründig behandelter Fragestellungen wie der Schreibung mit ä 33
Harsdörffer (1646).
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oder e bzw. k oder c die für die Mitglieder der Sprachgesellschaften eigentlich zentralen Diskussionen geführt wurden, nämlich Erörterungen zum Verhältnis von Rechtschreibung und Aussprache (diesbezüglich wurden drei Prinzipien kontrovers diskutiert: das Prinzip „Schreibe, wie du sprichst“ als phonologisches Prinzip, das Stammwortprinzip als morphologisch-etymologisches Prinzip, also graphische Kennzeichnung der Verwandtschaft, und das graphiegeschichtliche Prinzip, also die Vorbildlichkeit des Gebrauchs; s.u. und vgl. Takada 1998, 60ff.). Außerdem beschäftigte die Grammatiker die Frage danach, was eigentlich deutsch sei (Fremdwortdiskussion, s. b; Band I, Teil VII, 1674, 468f.): Die Alten haben Øffters das Ô/ und k/ als das e und c gebraucht/ wen es wie im Sehen ausgesprochen wird: Die nachfolgenden haben es verworffen/ weil sie es lieblicher gefunden haben: Dann wenn ich sage GlÙk/ so gibt es einen groben/ langsamen Ausspruch/ wie bey den Schlesiern und VoigtlÔndern zu finden. Wenn ich aber sage GlÙck/ so gehet es hastig/ und resch von der Zunge/ und ist lieblicher anzuhØren. Etliche sagen c sey kein teutscher Buchstab; sie irren aber weit/ weil es in den allerÔltesten Schrifften befindlich: wiewol ich gerne zugebe/ er sey neuer als das k/ und eben der Lieblichkeit halber erfunden worden: denn man sihet in allen Thun/ erstlich auf die Nohtdurfft/ hernach auf die Zierd und Lieblichkeit. So dem also/ was wollen wir lieber GlÙck/ oder GlÙkk schreiben/ wie es bey den Meisnern ausgesprochen wird? im Grund zwar ist das c/ das K/ und das G/ ein fast gleichlautender Buchstab/ im c/ aber ist kein Anfang: darum kling das nicht so hart und scharff/ als das k/ dann in demselben ist er vollkommen; G aber ist das Ende/ darum es auch gelinder/ als das c fÔllet: Dann im Anfang gehen die KrÔfften hervor auf ihre Vollkommenheit zu/ wann selbe erlangt/ nehmen sie ab/ und erleschen: Daher komt es/ daß das c mit dem k als der Anfang mit der Vollkommenheit zusammen gesetzt wird/ damit der Klang und Ausspruch/ nach Ordnung der Natur anfange/ volkommen und von den Gliedern zum schÔrffsten und hØchsten erhaben werden/ wie in dem Wort GlÙck. Die WØrter mit dem Ô werden geschrieben/ wann sie von einem a herkommen als schÔmen/ rc. In diesn und andern dergleichen ist nichts vonnØhten/ dn [sic!] Ursprung allezeit so genau in acht nehmen/ vund so hart fÙr denselben/ wider den gemeinen Gebrauch zu streiten. Nachsuchen stehet jedem frey/ [...]: Aber deßwegen Neuerungen machen/ und alles Alte verwerffen wollen/ ist teutsch davon zu reden eine Thorheit.
Das hier verworfene Stammwortprinzip wird nur eine Seite davor als grundlegend bezeichnet. Wegen der Problematik der regional verschiedenen Aussprachen nennt der Secretarius dort (467) als dritten Leitfaden nach dem Stammwortprinzip und der Aussprache speziell den kanzleiüblichen Gebrauch, wobei nicht eindeutig zu entnehmen ist, ob hier generell bedeutendere Kanzleien oder die Gepflogenheiten in der jeweiligen Kanzlei der berufsschreibenden Leser gemeint sind:
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III. In dem nun beede Grundseul der Schreibrichtigkeit nicht zu ergreiffen/ muß man sich an die Cantzleyen geliebten Gewonheiten halten/ und lieber mit andern fehlen als allein klug seyn wollen/ und mit guten Ursachen verlachet werden.
Dass die Kanzleien an dritter Stelle stehen, denen von vorneherein Fehler unterstellt werden, ist ein Hinweis auf ein schwindendes Prestige des Kanzleivorbildes im 17. Jh. (s. c und 3.3.). An anderer Stelle wird die Aussprache als oberster Leitfaden empfohlen (nämlich die meißnische bzw. obersächsische, „weil sie lautet/ wie man zuschreiben pfleget“, Band I, Teil VI, 46734). Andererseits wird wieder das Stammwortprinzip empfohlen, aber mit einem Verweis auf die deutliche Unterlegenheit der in den Kanzleien üblichen Rechtschreibung (1674, 17f.). Das Fehlen konkreter Stellungnahmen zu ungeklärten grammatikalischen Fragestellungen der Zeit, wie den in Teil 4 dieser Arbeit untersuchten Diskussionen um Komposita, Negationshäufung, Partizipialattribut, Verbstellung nach weil sowie Schreibung einzelner Präfixe und Suffixe, wird erst vor dem Hintergrund dieser noch rein theoretischen Erörterungen und vor den Ansprüchen der diversen Leserschaft verständlich. Die sprachtheoretischen Äußerungen des Briefstellers sind in ihrer fragmentarischen Widersprüchlichkeit noch weit entfernt von konkreten Anleitungen zum Sprachgebrauch. Der Secretarius wendet sich außerdem an Leser, deren Ansprüche von Unterhaltungsbedarf über Interesse an Sprachtheorie bis zum Bedarf an praktischen Vorlagen reichen. Eine normativer Anspruch kann bei einem derartigen Mangel an Fokus noch nicht angesetzt werden (s.a. 1.2. und vgl. Teil 4). Allerdings wird die für heutige Augen inkonsequente Präsentation eines Kaleidoskops von Meinungen in diesem Kontext nachvollziehbar.35 Zunächst ist es verwunderlich, wenn im Secretarius vorgebrachte Stellungnahmen, wie das bereits erwähnte Stammwortprinzip, das in der o.g. Textstelle aus Band I, Teil VII (1674, 467) als oberstes Prinzip der Rechtschreibung bezeichnet und Aussprache und Gebrauch übergeordnet wird, nur wenige Seiten später wieder zurückgenommen wird (Band I, Teil VII, 1674, 469; s.o.). Die beobachtete Inkonsequenz in den theoretischen Erörterungen von Rechtschreibung und auch in der Fremdwortverwendung (s. b) wird aber dann verständlicher, wenn man bedenkt, dass die Grammatiker sich bei der Diskussion der Themen selber noch im Prozess der Meinungsbildung befanden, auch wenn sich (vor allem in der Rechtschreibung) bereits einzelne Tendenzen abzuzeichnen begannen. 34 35
Harsdörffer erkennt selbst die Problematik solcher zirkulären Argumentation (s. 1674, Vorrede, 17f.). Gardt (1994, 377) spricht in diesem Zusammenhang speziell über die „inkonsequente Handhabung des Gebrauchsbegriffs“, die daraus resultiert, dass der vielgenannte ‚gute Gebrauch‘ in der Regel gar nicht definiert ist, also niemals klar aus den Texten hervorgeht, was im Einzelnen gemeint ist (ibid.).
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Abbildung 3.1: Darstellung der idealen Frau nach verschiedenen Modellen durch den Künstler Apelles als Bild für die Suche nach der idealen Sprache (von Johann David Herlicus). Titelkupfer aus Stielers Secretariat-Kunst II, 1674.36
Ein im Secretarius auf das Verfassen von Briefen angewendete Bild (Band I, 1674, 166), [...] wie Apelles von allen schØnen Jungfrauen das SchØnste abgesehen/ als von einer die lieblichen Augen/ von der anderen die rosenfarbenen Wangen/ von der dritten den rubinroten Munde/ rc. Also soll der teutsche Secretarius viel gute BÙcher und viel wolverfasste Briefe lesen/ daraus seiner Feder aller Zierlichkeit einzugeben/ und also derselben Kunstgeburten zu beschØnen wissen [...],
lässt sich in diesem Zusammenhang direkt auf die Diskussionen der Grammatiker übertragen, die zur Zeit der Entstehung des Secretarius bildlich 36
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (35.2 Rhet). Stieler übernahm das rhetorische Bild wohl aus Harsdörffers Secretarius und liess es von Herlicus für seine Secretariat-Kunst in einen Kupferstich umsetzen (s. 3.1.3.2.).
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gesprochen noch darüber stritten, welche Eigenschaft welchen Modells überhaupt vorbildlich sei. Von Details des fertigen Kunstwerkes, also konkreten Anweisungen zum Sprachgebrauch, ist deswegen kaum die Rede und wenn, dann erscheinen die Darstellungen wie im Secretarius oft noch skizzenhaft und widersprüchlich (s.a. 1.2.1.1.). Der dem Apelles-Bild beigegebene Kommentar weist auf die unter den Grammatikern noch herrschende Uneinigkeit in Fragen der Standardisierung und die Vielzahl der vertretenen Positionen hin (hierzu s. Gardt 1994). Der Ton der Diskussion erscheint nach heutigen Maßstäben vehement polemisch, s. z.B. obiges Zitat aus Band I, Teil VII (1674, 467: Neuerung ist „Torheit“), woraus vermutlich die lange vorherrschende Einschätzung der Grammatiker als präskriptiv resultierte (vgl. Lange 2005, 75 und s. 1.2.1.1.6.). Die dem Bild folgende Mahnung des Secretarius zur Geduld bei der sprachlichen Normierung demonstriert (verschleiert als Aufzählung verschiedener Briefstellungsweisen) die Vielfalt der damals in den Sprachgesellschaften diskutierten Meinungen (ibid., 166f.): Wie aber in allen Sachen die menschliche Schwachheit erhellet/ in dem man sich keiner einstimmigen/ durch gehenden und kunstgrÙndigen Richtigkeit vergleichen mag: Also ist sich nicht zuverwundern/ wann man so wol in dem Reden als HØren/ so wol in dem Schreiben als Lesen/ irren/ und sich wegen keiner allgemeinen Gleichheit nicht vereinigen kann. Dieser glaubet/ er habe richtige und gute Ursachen seiner gefasten Meinung: Jener beobachtet nicht/ was andere fÙr recht halten/ und bleibt bey seines Landes angewehnter Mundart. Der dritte richtet sich nach dem/ an welchen der Brief ablauffen soll/ und pfleget an einen andern/ auf eine andere Art zu schreiben. Der vierdte vergnÙget sich/ wann er schreibet/ daß man ihn verstehet/ und solcher hat keiner Belernung/ aus den Cantzleyen von nØhten.37 Der fÙnffte will alles rein Teutsch haben/ und die von jedermann bekante und gebrÔuchliche WØrter nicht/ mit neuen und unbekanten austauschen/ [...] Es wÔre zwar zu wÙnschen/ daß unser teutsche Sprache in vollstÔndige Reinlichkeit/ durch gesambte Handbietung und verstÔndigen Fleiß/ der Teutschgelehrten gesetzt wÙrde: solches ist aber nicht zu hoffen/ und muß nach und nach an= und eingefÙhret werden/ keines Weges aber wird sich die langbejahrte und gleichsam Wurtzelvest auffgewachsne Gewohnheit/ auf einen Strich oder in kurtzer Zeit fÙllen/ ausreissen und ausrÔiten lassen.
Insgesamt geht es im Secretarius, anders als die bisherige Rezeption der Grammatiker erwarten lässt, eher darum, ein dem Apelles-Portrait entsprechendes Idealbild überhaupt erst zu entwerfen, als dass tatsächlich schon dessen Anwendung durchgesetzt oder sogar Abweichungen von demselben als schlechter Gebrauch herabgesetzt würden (vgl. Lange 2005, 80). Auch Bemühungen, Sympathie für die entsprechenden Bemühungen einzuwerben, also das Prestige der deutschen Sprache zu fördern, werden häufig 37
Zur Nennung der Kanzleien als Vorbild s. jeweils 3.1.3.1.3. bzw. 3.1.3.2.3. c und vgl. 3.3. sowie 3.1.3.
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deutlich. Dabei zieht Harsdörffer (wie Schottelius, s. 1.2.1.1.5.) für die Orthographie auch alternative Möglichkeiten mit in Betracht, so dass die resultierenden Entwürfe für eine gute Sprache noch eher den Charakter von Bestandsaufnahmen des Argumentationsspektrums als den von eine spezifische Position vertretenden präskriptiven Grammatiken haben (gleiches gilt auch für die Stilprinzipien der Briefstellung, s. c). b) Fremdwortpurismus vs. Verteidigung von Fachsprache Fremdwortpuristische Äußerungen38 sind in beiden Secretarius-Bänden häufig (vgl. Jones 1995, 243ff.). Auch hier ist, wie bei den Äußerungen Harsdörffers zur Orthographie (s. a), Inkonsistenz in der Argumentation zu beobachten. In Brief XXX des dritten Teils von Band I (1674, 141ff.) werden etwa gleichzeitig der Wert der deutschen Sprache gegenüber der lateinischen, französischen und italienischen hervorgehoben und die Verwendung von Fremdwörtern angegriffen, während die Verwendung von Fremdwörtern verteidigt wird. Brief XXX beantwortet die für heutige Verhältnisse stark polemisch formulierte Frage, „Warum doch die teutsche Sprache in ihrem eigene Lande so veracht/ und auf viel Weise verstimmelt und unterdrucket werde; da doch alle andere VØlcker/ und so gar die TÙrcken/ und Moscawiter ihre Muttersprache lieben/ Ùben und sich zuerheben suchen“ (1674, 141). Als Antwort gibt der Brief sechs ausführliche Gründe (ibid., 142ff.): 1. Halten des Gottesdienstes auf Latein, 2. Profilierung von Gelehrten durch ihre Lateinkenntnisse, 3. der Krieg, 4. der Handel, 5. sowohl Alamodisten als auch übereifrige Puristen, 6. Neuheit der sprachpflegerischen Bemühungen, die erst seit wenigen Jahrzehnten aktiv seien. Innerhalb dieser Argumentation heißt es aber weiter unter 4., dass die Kaufleute ihre besondere Sprache ruhig beibehalten können, denn diese sei, wie die der Philosophen, eine Fachsprache (s.u.). Ebenso wird an anderen Stellen ausführlich gegen Fremdwörter argumentiert, aber dann werden großzügige Ausnahmen gemacht, so für Wörter, die viel gebraucht, durchgehend verstanden und eingedeutscht geschrieben werden, z.B. in Band I, Zuschrift (1674, 4f.): Lernen wir gleich Hebraeisch und Griechisch/ Lateinisch/ FrantzØsisch/ ItaliÔnisch und andere auslÔndische Sprachen/ so kØnnen wir doch in allen StÔnden/ unserm geehrten Vaterland mit keiner mehr als unsrer angebornen teutschen Sprache dienen/ und mÙssen wir Teutsch uns mit dem Teutschen behelffen/ ja fast in allen StÔnden unsre Nahrung damit erwerben. 38
Näheres zum Fremdwortpurismus im 17. Jh. (auch Alamode-Kritik genannt) liefert Gardt (1994, Teil I, Kapitel 3, e). Jones 1995 widmet diesem Thema eine umfassende Monographie.
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Eine ehrliche/ eine herrliche/ eine Lob= und PreiswÙrdige Sache ist die Sprache: welches so gar die Barbarischen und sonsten aller Belernung entnommene VØlcker erkennen/ in dem die TÙrcken/ Persianer/ Moscowiter und Tartern ihre Gesandte in keiner andern/ als ihrer angebornen Sprache zu reden ernstlich anbefehlen. Warumb dann solten wir neugierige Teutschen uns entblØden/ unsere Sprache ohne Noth/ mit frembden Flickwörtern zu beflecken/ mit dem FrantzØsisch=Welsch/ Lateinischen Bettlersmantel zu verhÙllen/ da wir uns doch sonsten der Lumpen in unserer Bekleidung schÔmen/ und solche in unsren Reden/ mit Fug/ fÙr keine Zierlichkeit halten mØgen. Ich sage/ daß man/ ohne Noth/ unsre teutsche Sprache mit frembden Worten nicht verunehelichen soll. Hierunter aber/ wollen wir nicht verstanden haben/ etliche frembde Sachen und zugleich frembde WØrter/ die zwar ihrer Ankunfft nach nicht teutsch/ aber dem Gebrauch/ durchgehenden VerstÔndniß und teutschen Schreibung nach keines Weges verwerfflich auch von dem beliebten allgemeinen Gebrauch bestÔttiget und deßwegen billich behalten werden.
Ähnlich für eine Toleranz gegenüber den andererseits häufig angegriffenen Fremdwörtern argumentiert wird in Band I, Teil VII (1674, 469).39 Im Kontext dieser Arbeit über frühbürgerliche Geschäftssprache ist es interessant, die obige Schilderung des Anteils der Kaufmannschaft an der Sprachverderbung näher in Augenschein zu nehmen. Hier noch einmal der ganze Punkt 4 aus dem bereits zitierten Brief XXX, Band I, Teil III (1674, 143): IV. Ferners haben sich zu dieser Sprachverderbung nicht wenig geholffen/ die Kauff= und Handelsleute/ welche frembde Wahren/ frembde WØrter/ das ItaliÔnische Buchhalten/ Bancho. conto, bilanciren, traffiren, commitiren, ein cassiren, transsumiren, &c. eingefÙhret und eine besondere Art zu schreiben angenommen/ und also das alte Teutsch so zermartert/ daß manche WØrter nur auf den letzten teutschen Sylben daher steltzen. Solche Gewonheit kØnte unter ihnen/ ohne Vernachtheiligung anderer HÔndel/ behalten werden/ wie etwan die Philosophi, und sonderlich die Scholastici eine sondere Sprachart in ihren Sachen haben.
Dies scheint aus zwei Gründen ein argumentatorisches Spagat. Erstens wird die Verwendung von Fremdwörtern im Handel im selben Atemzug als Sprachverderbung getadelt,40 wie sie als erhaltenswerte Gewohnheit verteidigt wird. Zweitens wird als weiteres Beispiel für eine unantastbare Fach39
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„Die fremden WØrter betreffend/ kØnnen solche alsdenn behalten/ und fÙr Schutzverwandte/ wegen ihres Gebrauchs/ behalten werden/ wenn sie I. nicht wol zu teutschen/ als Prophet/ Sacrament/ Evangelium/ rc. 2. von jederman verstanden werden/ da hingegen die neu aufgebrachte einem Dolmetscher vonnØthen haben. 3. Wenn sie mit teutschen Buchstaben geschrieben werden/ wie Suppliciren/ Appelliren/ arrestiren/ und also findet man sie in den Reichs=Abschieden und andern BÙchern.“ An anderer Stelle wird erneut die Schuld der Kaufleute an der allgemeinen Sprachvermengung betont, Band I, Teil VI, Vorrede (1674, 417): „Es ist aber sonderlich zu beobachten/ daß die Kauffleute/ welche in Franckreich handeln/ FrantzØsische WØrter mit einmischen; Die in Italien ihr Gewerb haben/ welche WØrter zu gebrauchen pflegen/ viel aber gebrauchen sich beederley Sprachen/ und noch etlicher Latenischen Reden darzu/ welches alles ins gemein beliebet worden/ wie nachgehends zu ersehen.“
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sprache die Sprache der Philosophen angeführt, nachdem gerade vorher in Punkt 2 erklärt wurde, dass Gelehrte Fremdwörter nur benutzen, um ihr Ansehen zu steigern (s.o.). Geradezu absurd scheint es nach heutigem Verständnis, wenn wie im Band I, Teil IV (1674, 170) erst die Verwendung von Fremdwörtern verteufelt und dann unvermittelt ein Glossar für Fremdwörter eingeführt wird (hier liegt ein Vergleich zur heutigen Diskussion über Anglizismen nahe):41 Wann der Mensch seine Stimme und Aussprache verÔndere/ in der Kindheit klar/ in dem Alter grØber zu sprechen pfleget: wie solte dann nicht auch die Art zu reden sich verändern/ und zugleich mit der: in dem nechsten hundert Jahren viel zierlicher Schrifft/ gewandelt worden seyn; wann sonderlich die Sprache noch nicht zu vollstÔndiger AusÙbung gelanget ist. Was ist in dieser Welt/ das nicht der VerÔnderung unterworffen seyn solte [...]. Solch VerÔnderung aber schlÔget mit bØsen Sachen/ zu keinem guten Ende hinaus/ und wie der Krieg alles Unheil mit sich bringet/ und die rechtmÔssige Besitzer aus ihren GÙtern vertreibet: Also muß man sich nicht verwundern/ wann unter den kriegenden Partheyen/ eines Theils die ItaliÔnischen/ anders Theils die FrantzØsischen WØrter mit dem Teutschen vermenget/ verwirrt/ verirrt/ und in folgenden Schreiben unverÔndert behalten worden. Solche sind mit grossem Fleiß aus unterschiedenen Cantzleyen gesamlet worden/ und meistentheils auch zu lesen in dem VI. Theile Theatri Europæi.
Bei genauerem Hinsehen nimmt der Secretarius in Brief XXX eine Unterscheidung zwischen der verteidigungswerten deutschen Sprache und der „sonderen Sprachart“ der Philosophen und Kaufleute vor. Während in der deutschen Sprache letztendlich die Fremdwörter ausgemerzt werden sollen, können sie in den Fachsprachen „ohne Vernachtheiligung anderer HÔndel behalten werden“ (s.o.). Im vorliegenden Kontext können die obigen Widersprüche damit nicht nur über die Trennung in Theorie und Praxis vom Leser gelöst werden (nämlich als Schilderung eines Idealzustandes, dem gegenüber in der Praxis Zugeständnisse gemacht werden müssen, vgl. a und c). Es wird auch eine Trennung auf sprachlicher Ebene angenommen, in der für Fachsprachen wie die Geschäftssprache und die philosophische Fachsprache besondere Regeln gelten. Deutlich wird dies auch bei einer Schilderung des Secretarius von der Diskrepanz zwischen Bedeutung und sprachlichem Aufwand in der Geschäftssprache, die nach dem geltenden Stilverständnis eigentlich einander zu entsprechen hatten (s. c). So heißt es in Band II, Teil VII („Von dem KAuffmanns=Stylo“, 1661, 730): DIE Kaufleute pflegen in ihren HandelsgeschÔfften nit grosse Tituln zu fÙhren/ oder viel Wort zu machen/ sondern geben/ alles auf das kÙrtzte/ u× verstehen einander doch wol/ also daß sie ohne bey gedrucktes Petschafft/ auf einen kleinen 41
Man beachte den Bezug auf die Kanzleien (vgl. 3.1.3.1.3. c). Im weiteren Text erfolgt die Mahnung, sich in Verwendung oder Vermeidung von Fremdwörtern nach dem Dienstherren zu richten (s. a.a.O.).
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Wechselbrief/ offt grosses Geld bezahlen/ oder auch dergleichen protestation wider zu rucke gehen lassen/ [...].
Dieser Stil war klar unterscheidbar und musste gezielt über die unter 3.1.3.1.1. geschilderte Anwendung des Briefstellers erlernt werden (Band I, Teil 6, Vorrede, 1674, 415): Zu solchem Ende sind hier 50= Handelsschreiben angefÙget worden/ welche verhoffentlich zu genugsamer Nachrichtung dienen werden/ den Stylum auf KauffmÔnnisch zufÙhren/ und mit ihnen ihre/ wiewol mit Latein und ItaliÔnisch= vermischte Sprache zu reden [...].
Mehrfach wird im Secretarius Toleranz gegenüber sprachlichen Besonderheiten von bestimmten sozialen Schichten und Berufsgruppen gefordert. Begründet wird dies im folgenden Zitat mit der bloßen Existenz und Verbreitung der Fachsprachen (z.B. Band I, Teil 6, Vorrede, 1674, 415): Massen der Bauer/ die BÙrger/ der Gelehrte/ der Soldat/ der Hofmann/ ja fast ein jedes Handwerck besondre Wort und Red=Arten hat/ von welchen man nicht wol aussetzen kan/ wann man mit ihnen zu handeln hat/ und von ihnen verstanden werden wil.
Der Rechtfertigung der Fachsprachen wird im Secretarius relativ viel Platz eingeräumt. Angesichts der herrschenden Stimmung gegen den Gebrauch von Fremdwörtern konnte sich offensichtlich auch ein honoriertes Mitglied der Sprachgesellschaften nicht ohne Weiteres über die herrschende Meinung hinwegsetzen. Andererseits war es, wie Harsdörffer aus seiner Berufserfahrung sehr wohl wissen musste, unrealistisch, in der Praxis den völligen Verzicht auf Fremdwörter zu fordern. Wert gelegt wird in der folgenden Argumentation auf die Funktionen von Fachsprachen zur Optimierung von Kommunikation und Kondensation von Wissen. So heißt es in Band I, Teil IV (1674, 169): Seltne Gedancken erfordern seltne Wort/ und haben die Philosophi und sonderlich die Scholastici (wie auch die hochgestirnte Geister der Poeten) ihnen fast eine absonderliche/ gelehrte Sprache erfunden/ die so viel herrlicher und werther/ so viel ihre Gedancken sich Ùber deß PØvelvolcks untÙchtiges SchwÔtzen erheben/ wie hiervon zu lesen der hochbegabte Schottel in seiner Sprachkunst XI. und XII. Cap. Hierdurch wird niemand zu Nachtheil geredet/ und wie es einem Schuster keine Schande ist/ daß er kein Kleid machen kan/ also ist es auch einem Ungelehrten nicht zu verargen/ wann er nicht weiß/ was er nicht gelehret hat.42
In Band II, Teil VII heißt es (1661, 719): Von dem Buchhalten. WIe die Philosophi ihre terminos, die Poeten ihre besondere Redarten/ die Handwercker ihrer KunstwØrter/ rc. Also haben auch die Herren Kauffleute ihre beson42
Es folgt ein Aufruf, den gesunden Menschenverstand walten zu lassen und nicht „wegen eines und deß andern geringen Fehlers oder etlichen frembden WØrter/ einen Brief/ oder ein gantzes Buch zu verwerffen“, der erneut die oft pragmatische Position des Secretarius zeigt (ibid.).
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dere und in Handelssachen Ùbliche terminos technicos, u× Gewohneit/ welche man verstehÕ und gleich ihnen gebrauchen muß/ wann man von ihnen wider mÙndlich oder schrifftlich will verstanden werden; damit es nicht ergehet wie man von Alexandro M. schreibet/ daß er so unverständig von der Mahlerey geredet/ daß ihn Apelles schweigen heissen/ weil ihn die Knaben/ welche die Farben abgerieben/ ausgelacht.
Implizit werden in den beiden obigen Zitaten bereits Argumente der heutigen Definition vorweggenommen (Lewandowski 1994, 294f., Stichwort Fachsprachen): [...] Fachsprachen ermöglichen den ökonomischen, differenzierten und präzisierten Ausdruck von Sachverhalten, die Skizzierung und Formulierung neuer Sachverhalte, die Kommunikation über Sachverhalte ohne Vorurteile, Vagheiten und Nebenbedeutungen. Die Diskussion um die >Verständlichkeit< von Fachtexten zielt auf den Mißbrauch von Fachsprachen im Sinne von Fachjargon (Prestigesprache, Imponiergehabe). Die Meinung jedoch, daß immer, wenn jemand etwas nicht versteht, die Fachsprachen daran schuld seien, verkennt den Zusammenhang von Sachwissen und Sprachwissen, von kognitiven Leistungen und sprachlichem Können.
Um den angehenden Kaufmannsdienern das Erlernen der verschiedenen zielsprachenbezogenen Fachwörter zu erleichtern, empfiehlt der Secretarius selbst für die Kaufleute Grundkenntnisse in Latein (Band II, Teil VII, 1661, 719), über die diese, wie in 2.2.4. dargestellt, nicht unbedingt verfügten: Nach dem nun ein Kauffmann in ein Land handelt/ nach dem mischt er von derselbÕ Sprache etliche WØrter mit unter/ [...] deßwegÕ sehr zutrÔglich/ daß die KnabÕ/ welche zu der Handlung gezögen werdÕ/ sollen einen festen Grund in Latein legÕ/ also/ daß sie einen casum setzen kØ×en/ und hernach die frembden WØrter/ welche meinsten Theils von Latein herkommen/ leichter verstehen/ mercken und correct schreibÕ/ sich in alle Handelsverrichtungen besser finden kØnnen.
Nachdem im Secretarius die Verwendung von Fachwörtern in den Fachsprachen, besonders der Geschäftssprache, dermaßen verteidigt, begründet und sogar empfohlen wurde, kann für diesen Bereich kein direkter Einfluss der ebenfalls im Secretarius formulierten fremdwortpuristischen Theorie auf die Praxis einer im kaufmännischen Bereich verorteten Leserschaft angenommen werden. Die Briefbeispiele im Secretarius zeigen auch, dass nicht versucht wurde, die Vorlagen einzudeutschen (z.B. Band I, Teil IV, 1674, 163ff.: Kanzleibriefe und Rechtssachen und Band II, Protokoll X, 1661, 252f.). Auch die Protokolle der Commerzdeputation dokumentieren, dass Fremdwörter durchaus benutzt werden (s. Transkriptionen und 3.3.6.2.) und somit die theoretische Forderung nach Verwendung deutscher Wörter keine Auswirkung auf die Praxis hatte. Allenfalls kann für den Secretarius wieder von einer generellen Förderung des Status der deutschen Sprache ausgegangen werden (vgl. a und c), indem diese nicht nur exemplarisch in den verschiedensten Bereichen benutzt wurde, sondern immer wieder
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betont als wertvoll und schreibenswert dargestellt wurde (oft durch eine Erhöhung der deutschen Sprache über andere.)43 c) Konkrete Hilfen zur Briefstellung vs. Erörterung von Prinzipien der Briefstellung Eine ähnliche Lage wie bei der Grammatik liegt bei den Anweisungen zum Verfassen von Briefen (also vielfältigen Kurztexten) vor. Die Hilfen zur Briefstellung oszillieren wegen der Diversität der angesprochenen Leserschaft zwischen simplen Verweisen auf die übliche Praxis (je nach Niveau des Schreibers Abschrift oder Eigenkreation nach Vorlage, s. 3.1.3.1.1.) und hochpoetischen Darstellungen des Briefstellens, wie dem Apelles-Bild für die kreative Leistung des Schreibens (s. 3.1.3.1.3. a). Die theoretischen Erörterungen der Briefstellungsprinzipien können im Secretarius als pauschale Äußerungen vorkommen, wie hier zum Balanceakt des Stils zwischen alt und modern, hoch und niedrig, formal und frei (Band I, Vorrede, 1674, 17): Die Stellung folgender Briefe betreffend ist solche noch zu alt/ noch gar zu neurlich/ nicht gar zu hoch/ nicht gar zu nider/ noch gar zu gezwungen/ noch gar zu frey: sondern hÔlt den Mittelweg.
Sie können auch, wie bei einer dreiseitigen Diskussion über die ideale Länge eines Briefes in Band II, ausführlich durchargumentiert werden (Teil IV, 1661, 232ff.). Dort wird gefordert, dass der Briefstil den allgemeinen Umständen wie der Person des Lesers, dem Zweck des Briefes und dem Inhalt individuell anzupassen sei, weswegen pauschale Angaben zur Länge eines Briefes nicht möglich seien.44 Nach Erwentraut setzt Harsdörffer durch seine mehrfache Erwähnung der individuelleren Nutzung der Musterbriefe in methodischer Hinsicht neue Standards (1999, 271). Letztendlich aber müsse „man sich eines Theils nach der Cantzley Gebrauch/ anders Theils 43 44
Zu analysieren wäre, inwieweit die angeführten Beispielbriefe im Secretarius und anderen Briefstellern zur Perpetuierung von bereits bestehenden Normen beitrugen und in welchem Verhältnis deren tatsächlicher Usus zur Theorie stand. Für Harsdörffer ist das Prinzip der Angemessenheit von Form und Inhalt vorrangig (vgl. Nikkisch 1969, V., 1.), weswegen er sich trotz seiner anderweitigen Modernität (s. 3.1.3.) gegen den aufkommenden individuellen bürgerlichen Briefstil äußert, z.B. in Band II (1661, 232): „Wie nun hierzu zu gelangen/ ist von vielen vielfÔltig gestritten wordÕ/ und stehen etliche in dem freyen Wahn/ daß die Art zu schreiben/ wie der Menschen Gedancken/ unbeschrenckt und unbezwÔngt seyn sollen; wie etwan in einem GesprÔche eine Sache aus der andern veranlasst/ und nach belieben gefÙget wird/ daß man also das Briefstellen in keine richtige Lehrahrt bringen/ noch in gleicher Ordnung zu verabfassen Ursach habe. Dieses mag unter vertrauten Freunden/ in erfreulichen Schertzschreiben/ etlicher massen verantwortlich fallen/ in wichtigen RegimentsgeschÔfften aber/ muß und kan man das hunderste nicht in das tausendste werffen.“ Auch dies ist ein Indiz für eine zeitgenössische Meinungsvielfalt zu sprachlichen und textuellen Normen.
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nach deß Herrn Sinn/ an den/ und in dessen Namen man schreibt/ gefolgig richten“ (Harsdörffer a.a.O., 232). Es werden hiermit drei Prinzipien des Briefeschreibens angesprochen: die adressatenorientierte Briefstellung, die Briefstellung nach dem allgemeinen Brauch (hier der Kanzlei für die man arbeitet) und die Briefstellung im Sinne des Auftraggebers. Auch zu diesen gab es unterschiedliche Standpunkte, die bei verschiedener Gelegenheit im Secretarius diskutiert werden. Insgesamt ist die adressatenorientierte Briefstellung dasjenige Prinzip, das in beiden Secretarius-Bänden am häufigsten erwähnt wird (z.B. Erklärung des Titelkupfers45 in Band II, 1674, unpaginiert; in Band I, Vorrede, 1674, 18 und 22; in Band I, Teil II, 1674, 1). Bei der Nennung des üblichen Gebrauchs alternieren im Secretarius konkrete Empfehlungen des gebräuchlichen höfischen Stils (z.B. Band I, Teil III, 1674, 76 und Band I, Teil II, 1674, 1) mit der Erwähnung von Kanzleien als Vorbild (z.B. vorangehende Zitate und Band I, Teil IV, Vorrede, 1674, 167, hier erwähnt als Vorbild, das ambitionslose Briefschreiber ignorieren). Das Kanzleivorbild wird dabei teilweise schon kritisch betrachtet, etwa als potentiell fehlerhaft (Band I, Teil VII, III., 1674, 467). Es kommt im Secretarius auch vor, dass beide Vorbilder, höfisches und Kanzleivorbild, gleichzeitig erwähnt werden (Band I, Teil IV, 1674, 166): „Dieser Meinung ist der rechte Gebrauch die Art zu reden unter verstÔndigen Leuten bey Hofe/ und die Art zu schreiben/ wie solche in den meisten teutschen Cantzleyen heut zu Tage gewØhnlich ist.“ Allerdings differenziert dieses Beispiel deutlich zwischen dem Schriftbereich, für den der Kanzleigebrauch gilt, und der Sprechsprache, für die auf den höfischen Gebrauch verwiesen wird. Im selben Text (Band I, Teil IV, Vorrede, 1674, 165ff.) werden nochmals die verschiedenen Positionen diskutiert, nach welchen Regeln ein Brief verfasst werden kann. Wie bei der Grammatik kann auch hier beobachtet werden, wie die vorgebliche Anleitung zum Briefeschreiben schnell in eine theoretische Diskussion (hier über den Gebrauch von eingedeutschten Fremdwörtern) übergeht. Die Position des guten Gebrauchs wird hier befürwortet, während die Einführung von Neuerungen abgelehnt wird: IN dem Schreiben und in dem Reden muß man sich nach der Gewohnheit richten/ wie solches Cicero lehret; (loquendum cum multis, sapiendum cum paucis) man muß reden/ wie man zu reden pfleget/ und klug seyn wie wenige sich erweisen. Mit was Vermessenheit unternemen etliche Sonderlinge den gemeinen/ und verjÔhrten Gebrauch/ ihrem eigensinnigen Gutachten zu unterwerffen?
In der so begonnenen Vorrede zu Teil IV, Band I, ×ber Die wichtigen Cantzley=Briefe wird nochmals der Grad der Uneinigkeit in den Diskussionen der Sprachgesellschaften widergespiegelt. Der Secretarius nimmt hier 45
„Der gantze Schreibzeug rufft: Halt stetig Maß u× Ziel/ und schreib (sagt das Papir) wie dein Freund haben will!“
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eine deutlich praxisorientierte, gemäßigte Position ein, wenn er zwar im Prinzip das Ideal einer reinen deutschen Sprache befürwortet, dessen Realisierung aber in eine ungewisse Zukunft legt. Dabei kommt es zwangsläufig zum Konflikt zwischen der Praxis und eher theoretischen Positionen, weswegen auch der oft erwähnte gute Gebrauch verteidigt wird (die Argumentation lässt darauf schließen, dass von der Gegenseite als Kritik angeführt wurde, man folge blind Gewohnheiten, auch wenn diese schlecht seien). Der Secretarius distanziert sich entsprechend vom bösen Gebrauch (Seite 167f. der Vorrede; vgl. auch ibid., 165f.): Wann wir uns zu der guten Gewonheit halten sollen/ (massen die bØse Gewonheit/ wie etwan das gebrÔuchliche Vollsauffen/ Spielen und MÙssiggehen/ niemand rechtfertigen wird/) ist fernes zu wissen/ daß solche ungezweiffelt und richtig/ oder zweiffelhafftig und streittig ist. Von dem ersten ist nicht zu melden; von dem andern aber ist zu sehen: wo solcher Zweiffel herkomme/ und worauff er sich beziehe. Wir reden alhier nicht von der Rechtschreibung: sondern von den Worten und desselben rechtmÔssigen Gebrauch Zum Exempel: Ich zweiffele ob ich soll sagen Secretarius/ oder Geheimschreiber? Cantzley= oder Brief=zimmer? Copey oder Abschrifft? Folge ich der Gewonheit/ so wird mich ein jeder verstehen: folge ich der verhassten Neurung/ so werden mich nicht wenig verspotten/ ob wol das letzte/ nemlich Abschrifft auch gebrÔuchlich/ und ich solches lieber/ als Copia, oder Copey/ oder Copie gebrauchen will/ weil es weniger frembd lautet/ als Geheimschreiber/ (wie man sagt Thorschreiber/ Kornschreiber/ Rahtschreiber/ BÙcherschreiber/ rz. BÙcherzimmer). Wann sich nun ansehnliche Leute finden/ welche erstbesagte und dergleichen WØrter in Gebrauch brachten/ so wÙrde ihnen ein jeder billich folgen/ und nachahmen: Inzwischen aber bist du/ der du dieses lisest/ und ich/ der ich solches schreibe/ viel zu schwach/ das Maß der Zeit/ und die gebrÔuchliche Gewohnheit/ auffzuheben/ oder zu Ôndern: Daß wir also verantwortlicher thun/ wir halten uns in solchem Zweiffel/ in schreiben und reden/ gleich andern/ ob wir gleich vermeinen und wissen/ jenes sey besser und unstrÔfflicher teutsch geredet.
Die Ausführungen sind ein Plädoyer für die dem bisherigen Usus folgende Verwendung von eingebürgerten Fremdwörtern wie Sekretär, Kanzlei, Kopie anstelle der Verwendung von Schreiber, Briefzimmer und Abschrift (s. Punkt a). Zumindest für die in Kapitel IV des ersten Bandes vornehmlich angesprochenen Kanzleien wird also der Gebrauch dem Stammwortprinzip übergeordnet.46 Direkt im Anschluss an diese Darstellung wird der Leser aber daran erinnert, dass ein Berufsschreiber sich letztendlich nach dem Standpunkt seines Dienstherren zu richten habe, der etwa über die Verwendung der Eindeutschungen entscheide (Band I, Teil IV, 1674, 170): Nach diesem Exempel kan der teutsche Secretarius seine Briefe/ an grosse Herren zu Papier bringen/ und wird ihm verhoffentlich mit solchem nachrichtlich gedienet 46
Vergleiche den Text zur idealen Briefstellung in Band I, Teil III (1674, 75f.): „Ein [wohlgestellter] Brief soll seyn I. kurtz II. deutlich III. zierlich/ und IV. mit gebrÔuchlichen Worten verabfasset.“
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seyn: also daß er auf seiner Herrn Befehl oder Verlaubniß/ die frembden WØrter auswechseln/ und teutsche dargegen einfÙgen mag.47
Dieses bereits oben erwähnte Prinzip der Briefstellung im Sinne des Auftraggebers setzt wiederum mit einer praktischen Anforderung theoretische Erörterungen über Stil oder Grammatik außer Kraft (vgl. vorige Punkte). Zu diesem frühen Zeitpunkt in den Diskussionen um die Standardisierung der deutschen Sprache kann man von einer einheitlichen Wirkung des Briefstellers im Sinne der Verbreitung eines Normenkatalogs damit ebenso wenig sprechen, wie im Secretarius eine klare Meinung gezielt propagiert wird. Die Diskussion verschiedener Standpunkte kann eher als Wegbereitung künftiger Diskussionen durch Sensibilisierung eines wachsenden Personenkreises für die diskutierten Thematiken gesehen werden.48 Die Wirkung des Secretarius muss also auch für den Stil eher im Charakter der durch Abdruck im Briefsteller verbreiteten Vorbildtexte aus den verschiedenen Kanzleien (inkl. Handelskontoren, s. b) vermutet werden, wozu es aber an Untersuchungen bislang mangelt, da die Erforschung kanzleisprachlicher Texte sich bislang überwiegend auf das 15. und 16. Jh. konzentrierten (vgl. 3.3.). Schlussfolgerung Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass aus den Diskussionen der Gebiete Orthographie, Fremdwortverwendung und Briefstil in den beiden Briefstellern der Teutsche Secretarius I und II wegen der Vielfalt der vorgebrachten Argumente und des weitgehenden Mangels an konkreten Vorschlägen keine normierende Steuerung der Behandlung dieser Gebiet durch die Leserschaft wahrscheinlich scheint. Als direkter Einfluss des Secretarius kann allenfalls eine Sensibilisierung für die Variationsbreite der Grammatik, bzw. als deren Vorläufer der Rechtschreibung, und damit eine Wegbereitung künftiger Standardisierungsarbeit angenommen werden. Auch eine Förderung des Selbstbewusstseins bei der schriftlichen Verwendung der deutschen Sprache über implizite Vorbildwirkung und wiederholte Betonung von deren Überlegenheit gegenüber anderen Sprachen ist anzunehmen und damit möglicherweise auch ein Zuwachs des Status der rein deutsch schreibenden Sekretäre. 47 48
Vgl. Band II (1661, 231): „Die Art zu schreiben belangend/ soll der Secretarius sich mÙhen/ nach seines FÙrsten Sinn zuschreiben/ [...]“. Erwentraut (1999, 271) stellt diesbezüglich fest, die Briefvorlagen und Theorieteil rücken bei Harsdörffer „näher als bisher zusammen“. Sie schränkt aber ein: „Die Erläuterungen beschränken sich hingegen auf den knappen Raum der gattungs- bzw. kapitelspezifischen Vorreden; bezeichnenderweise wird die korrekte Briefdisposition – eigentlich ein epistolographischer Kernpunkt – an keiner Stelle thematisiert.“
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Im Secretarius wird immer wieder die Nähe ihres Autors zur Praxis deutlich, deren Ansprüchen er auch innerhalb der theoretischen Erörterungen immer mit zu berücksichtigen versucht, ohne allerdings über eine Nebeneinanderstellung der beiden hinauszugelangen.49 Die Ansprüche der diversen Leserschaft an den Briefsteller erforderten, dass der Secretarius gleichermaßen intellektuelle wie praktische Bedürfnisse ansprach. Im Secretarius wird deswegen auf unterschiedlichen Ebenen gleichzeitig argumentiert, die vermutlich von den verschiedenen Lesergruppen getrennt rezipiert wurden (vgl. Hundt 2000, 406 zur sekundären Textfunktion der Spracharbeit). Der Secretarius konnte deswegen gleichzeitig als Zusammenfassung der aktuellen theoretischen Diskussionen und als Handbuch für praktische Sekretariatsführung aufgenommen werden, obwohl sich diese beiden im Grunde genommen widersprachen. Abgesehen davon war im Gegensatz zu heute in der frühbürgerlichen Zeit die Toleranz gegenüber Variationen allgemein größer, wie auch im Kapitel 4.3. deutlich wird. Das Normverständnis unterschied sich auch im 17. Jh. noch grundsätzlich vom heutigen. Wie am Secretarius zu beobachten ist, bestanden heutige streng gefasste Genrevorstellungen in der frühbürgerlichen Zeit noch nicht und anders als heute war die Kompilation von vielfältigen Textsorten nicht befremdlich für die Leserschaft (vgl. Niefanger 2000, 228ff., zu Hausväterliteratur). Man muss für damalige Texte also von einem gänzlich anderen Verhältnis der Leser zu geschriebener Literatur ausgehen (s. 3.2.), so dass es auch aus diesem Grund nicht anstößig war, wenn der Autor auf engem Raum gegenteilige Meinungen zusammenbrachte. 3.1.3.2. Kaspar Stielers Teutsche Secretariat-Kunst (Band 1: 1673, Band 2: 1674) Kaspar Stieler wurde am 02.08.1632 in Erfurt geboren.50 Er war Sohn einer wohlhabenden Apothekerfamilie, weswegen er nach dem Besuch des Ratsgymnasiums und einer kaufmännischen Ausbildung51 ein Jurastudium absolvieren und sich danach auf die für junge Adlige übliche Kavalierstour begeben konnte.52 Anschließend nahm er sein Jurastudium wieder auf, bis 49
50 51 52
Dies ist nicht als Kritik Harsdörffers aufzufassen, sondern hängt mit der Argumentationsstruktur des Barock zusammen, s. Gardt (1994, 21) und vgl. Gardts Kommentar zu Böhme: „vieles ist ausgesprochen konfus“ (ibid., 98). Allerdings ist Harsdörffer in dieser Hinsicht weniger modern, als ihm insgesamt bezüglich der Verknüpfung von Theorie und Praxis von Erwentraut (1999, 283, s. vorige Fußnote) zugesprochen wird. Sofern nicht anders vermerkt, erfolgt die Darstellung nach http://www.ni.schule.de/~pohl/ literatur/ sadl/barock/stieler.htm (12.07.2005). Quelle: http://www.erfurt-web.de/StielerKaspar (12.07.2005). Seine Studienzeit verbrachte er an den Universitäten von Leipzig, Erfurt, Magdeburg und Gießen. Eine Zeit lang arbeitete er als Hauslehrer, und setzte ab 1653 für weitere zwei Jahre
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er 1662 eine Stelle als Sekretär am Hofe des Grafen von Schwarzburg-Rudolstadt in Thüringen bekam, wo er bis 1666 blieb. In der Folge bekleidete er bei weiteren thüringischen Fürsten Dienste als Sekretär: 1666-1676 in Eisenach, 1678-1680 in Jena, 1680-1684 in Weimar, 1685-1689 in Holstein-Wiesenburg bei Dessau (vgl. Wilpert 1988, 767). Nach seiner letzten Anstellung ließ er sich in seiner Heimatstadt als Privatgelehrter nieder, wo er u.a. über den deutschen Stil Vorlesungen hielt. Hier starb er am 24.06.1707, zwei Jahre nachdem er geadelt worden war. Kaspar Stieler war seit 1668 als Der Spate Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft. Seine Schriftproduktion umfasst Lyrik (bekannt ist heute v.a. seine Sammlung origineller weltlicher Lieder Die Geharnschte Venus, 1660), sowie dramatische und sprachtheoretische Werke. Unter seinen Zeitgenossen hatte Stieler vor allem einen Ruf als Verfasser von Nachschlagewerken wie der Teutschen Secretariat-Kunst (1673), dem Allzeitfertigen Secretarius (1679) und dem ersten großen deutschen Wörterbuch, Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs oder Teutscher Sprachschatz (1691), das Stieler auch nach dem Ende der Fruchtbringenden Gesellschaft noch unter seinem Gesellschaftsnamen herausbrachte und das die ehrgeizigen Pläne der Grammatiker schließlich posthum verwirklichte (s. 1.2.). Sein spätes Werk Zeitungs Lust und Nutz (1695) gilt als Vorläufer der modernen Medien- und Kommunikationstheorie.53 Stielers hier betrachtete Teutsche Secretariat-Kunst war von Anfang an sehr erfolgreich und der erste Band wurde noch im Erscheinungsjahr 1673 mehrfach aufgelegt (Jones 1995, 527f.; es scheint nicht klar zu sein, wie viele Auflagen tatsächlich in diesem Jahr gedruckt wurden).54 Die Secretariat-Kunst fand trotz ihrer zeitgenössischen Beliebtheit bislang in der historischen Linguistik wenig Beachtung.55 Es handelt sich bei ihr um den Versuch
53 54 55
seine Studien der Medizin, Theologie, Rhetorik und später vor allem Jura in Königsberg fort. Von 1655 bis 1657 begab sich Stieler in brandenburgische Kriegsdienste und nahm als Auditeur (Richter am Militärgericht) am schwedisch-brandenburgischen Krieg um Ostpreußen teil. Wie Harsdörffer begab sich auch Stieler auf eine ausgedehnte Kavalierstour und bereiste von 1658 bis 1661 Holland, Frankreich, Italien und die Schweiz. Dabei begab er sich erneut in Kriegsdienste, diesmal in französische. S. o. und vgl. http://www.gmk.medienpaed.de/pdf/kunczik.pdf (20.07.2005). Es wurden hier die beiden Bände der Secretariat-Kunst der HAB aus den Jahren 1673 (HAB A: 35.1 Rhet.) bzw. 1674 (HAB A: 35.2 Rhet.) verwendet. Originale Fettdrucke werden in den hier zitierten Abschnitten nicht wiedergegeben. Takada (1998) und Jones (1995, 529ff.) behandeln nur Stielers Stammbaum (1691). Takada beschränkt sich dabei auf die „Kurze Lehrschrift Von der Hochteutschen Sprachkunst. Brevis Grammaticae Imperialis Lingvae Germanicae Delineatio.“ (Stammbaum, 3. Teil, 1-243). Langer (2001) zieht zwar eine spätere Auflage der Secretariat-Kunst von 1681 bei seiner Untersuchung mit in Betracht, beschränkt sich jedoch auf Aussagen zu Polynegation und Doppelperfekt. Gardt (1994) benutzt die Secretariat-Kunst wiederholt zum Vergleich, aber sein Anliegen ist die Sprachreflexion – Äußerungen zu einzelnen Phänomenen der sprachlichen Praxis liegen damit am Rande seines Interessengebietes. Polenz erwähnt die Secretariat-Kunst
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Stielers, ein umfassendes Handbuch der Sekretariatskunde zu erstellen, das nicht nur Vorlagen anbot, sondern auch theoretische Grundlagen erstmals systematisch und spezifisch für die Briefstellung erläuterte (ganz zu schweigen von Ausführungen über den für den Sekretärsberuf nötigen Charakter). Zwar ist das Werk mit einem modernen Sachbuch noch nicht gleichzusetzen, vor allem, weil Stieler den von ihm postulierten Forderungen nach einem theoretischen Unterbau der Briefschreibekunst selbst nicht befriedigend nachkommt, trotzdem kann man an vielen Stellen eine Loslösung des auf anderen Gebieten konservativen Autors von den vorangehenden Briefstellern sehen.56 So fehlt das Element der Unterhaltung weitestgehend. Die seit Anfang des 17. Jhs. vonstatten gehende Ausweitung des Rezipientenkreises der Briefsteller auf den privaten Bereich (Erwentraut 1999, 269), die eine frühere berufsspezifische Festlegung der Briefsteller aufhob, macht Stieler wieder rückgängig, ohne jedoch zu den alten Vorlagen zurückzukehren (s.u.). Der Autor selbst stellt in der Zueignungsschrift von Band II (Teil 4, 1674, unpaginiert) sein Buch als Nachschlagewerk vor, mittels dessen man sich bei der notwendigen Spezialisierung der Sekretariate über verschiedene abgelegenere Fachgebiete informieren könne. Auch bietet er seine Vorlagen zur Orientierungshilfe auf Reisen und bei Neugründung von Sekretariaten an, damit „wenn auf der Reyse/ auser der Hofstadt und Kanzeley/ wo man nichts aufsuchen und nachschlagen kan/ auch bei Anstellung neuer Regierungen/ wo gar keine Briefschaften vorhanden/ man nichts vor sich findet/ es an Veranlaßung zu rechtmÔßiger FÙhrung der Feder nicht ermangele“(ibid.). Außer an Reisende und Schreiber neuer Sekretariate/Institutionen richtet sich die Secretariat-Kunst aber vor allem an unerfahrene Sekretäre (s. 3.1.3.2.1.). Die Secretariat-Kunst unterscheidet sich schon durch ihren Umfang von anderen Briefstellern, denn ihre vier Teile, zusammengefasst in zwei Bänden,
56
nur im Vorübergehen, bezüglich Stielers Verdienst, öffentlich wichtige Sprachpraktiken einem verbreiterten Publikum zugänglich zu machen (1994, 376f.). Erwentraut sieht dagegen die Secretariat-Kunst von sozialhistorischer Warte als traditionsgebundenes Werk, das nur notgedrungen zeitgenössische Innovationen wie individuelle Briefgestaltung und eine „didaktisch durchdachte Mischung von Schreibanweisungen und Briefexempeln“ aufnimmt (1999, 274). Sie hält Stielers Briefsteller trotz dessen Übernahme dieser Neuentwicklungen für im Prinzip konservativ, weil er in seinem zweiten Teil die für die Briefstellung relevanten Themen der klassischen Rhetorik unverändert übernimmt und in seinem vierten Teil eine herkömmliche Vorlagensammlung liefert (ibid.). Besonders die Voraussetzung des klassischen Kanons rhetorischer Regeln hält Erwentraut für ein Mittel Stielers, die „berufsständische Exklusivität der ausgebildeten Sekretäre“ zu wahren (ibid., 274f.). Seine Erhebung der Briefstellung zum eigenständigen Bereich der Sprachkunst (s.u.) beurteilt sie entsprechend als Kunstgriff, um die private Briefkultur mit der exklusiven professionellen Briefstellung zu vereinbaren (ibid., 274).
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umfassen insgesamt ca. 4500 Seiten.57 Damit widmen sich über 700 Seiten, die gesamten Teile 1 und 2, allein der Theorie, zu denen noch weitere Abhandlungen in den jeweiligen Einführungen zu verschiedenen Kapiteln in den Teilen 3 und 4 kommen, die zusammen die Vorlagensammlung bilden. Stieler nimmt damit die von Harsdörffer vorgenommene, wegen mangelnder Anwendbarkeit der Theorie auf die Praxis problematische Nebeneinanderstellung von theoretischem und exemplarischem Teil wieder zurück (s. 3.1.3.1.3. und vgl. auch Erwentraut 1999, 271). Wie die Einteilung der Secretariat-Kunst zeigt, kehrt Stieler aber nicht zur klassischen Dreiteilung in Rhetorikteil, Titular und Briefvorlagensammlung zurück (s. 3.1.3.). Der bereits besprochene Teutsche Secretarius von Harsdörffer kann trotzdem in vieler Hinsicht als Vorbild für die Secretariat-Kunst gelten (s.u.). In den theoretischen Teilen 1 und 2 der Secretariat-Kunst behandelt Stieler alle schon in Harsdörffers Secretarius berührten Themen, er geht jedoch über diesen in manchen Punkten hinaus. Stieler geht in den Teilen 1 und 2 akribisch vor und unterscheidet einzelne Themengebiete aus den Bereichen des Sekretariatswesens (Teil 1, z.B. deren Namen, deren Entwicklung und Beschaffenheit, innerliche und äußerliche Hilfsmittel und auch das Verhalten eines Sekretärs) und der Sprache (Teil 2, z.B. Rechtschreibung, Interpunktion, verschiedene Stilmittel und -niveaus), die er umfassend abhandelt und wesentlich systematischer als Harsdörffer präsentiert.58 Obwohl auch Stieler wie seine Zeitgenossen insgesamt um die Aufwertung der deutschen Sprache mittels Schilderung deren Alter, Entwicklung, Funktionsfähigkeit und Schönheit bemüht ist (vgl. Harsdörffer),59 ist das Hauptanliegen der Secretariat-Kunst ein didaktisches. Die Neuartigkeit der Secretariat-Kunst als Versuch eines reinen Fachbuchs (von Erwentraut als berufständische Exklusivität gedeutet, s. Fußnote 56), wird auch von Stieler selbst immer wieder betont, wenn er sich wiederholt auf den italienischen 57
Band I umfasst Teile 1 (254 Seiten), 2 (527 Seiten) und 3 (1195 Seiten). Band II Teil 4 (2527 Seiten). 58 Z.B. wird die Namengebung der verschiedenen Sekretariate nicht wie bei Harsdörffer an verschiedenen Stellen ansatzweise erläutert (s. Harsdörffer) sondern in einem spezifischen Kapitel erklärt, in dem die verschiedenen Sekretariatstypen aufgezählt werden. Wie häufig bei Stieler werden bibliographische Hinweise zur Vertiefung des Themas geliefert, wonach noch ein ausführlicher Vergleich mit anderen Ländern folgt (XV. Von dem Unterscheid/ W×rde/ Besoldung rc. der Sekretarien, Band I, Teil 1, 1673, 158ff.). In Ansätzen finden sich Erklärungen, Aufzählungen und Bibliographieangaben zwar schon bei Harsdörffer, aber Stieler baut diese noch aus und präsentiert sie in strukturierterer Form. 59 Siehe z.B. Band I, Teil 2, 1673, 1: I. VOn der teutschen Sprache/ deren Ursprung/ Enderung und Vollkommenheit, wo u.a. eine Herleitung der deutschen Sprache aus dem Hebräischen erfolgt (die Frage nach dem Ursprung der Sprachen wurde im 17. Jh. eingehend diskutiert, s. Gardt 1994, Teil II, Kapitel 1). An anderer Stelle wird eine alte deutsche Schrifttradition beschworen (Band I, Teil 1, Segensreiche Eigenschaften und Verdienste der Schrift, 1673, 7). Stieler überträgt das Sprachlob ebenfalls auf den Ursprung und die Entwicklung der Sekretariate (z.B. Band I, Teil 1, 1673, 38).
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Autor „Pamfilus Persikus“60 und dessen Segretario als einziges existierendes Vorbild beruft, dessen Lektüre ihn stark inspiriert habe (Band I, Teil 1, Vorrede, 1673, unpaginiert): Von selbiger Zeit an [Lektüre des Segretario 1661 in Rom]/ hab ich mich nicht unbillig verwundert/ warÙm unter so vielen Sekretarien in Teutschland/ sich keiner/ dergleichen vorzunehmen/ und die Grundrichtigkeit seines Amts der lÙsternen Welt darzuzeigen entschließen kØnnen.61
Stieler geht für die Sekretariatsarbeit deutlich von einer grundlegenden Dichotomie von theoretischer Grundlage und praktischer Übung aus, die seines Erachtens einerseits eine (von ihm mehr geforderte als neu entwickelte) Unterweisung in Grundlagenkenntnissen nötig macht und andererseits die auf ersterer aufbauende Verwendung von Vorlagesammlungen weiterhin rechtfertigt (vgl. 3.1.3.2.1.). Im Zuge dieser Zweiteilung hebt er zwar die von Harsdörffer erreichte räumliche Nebeneinanderstellung von Theorie und Praxis auf, die Anwendung der einen auf die andere wird bei ihm jedoch insgesamt verbessert. Die Notwendigkeit eines theoretischen Unterbaus für die durch Übung in der Praxis zu verfeinernde Briefstellung wird in der Zueignung in Band I (Teil 1, 1673, unpaginiert) ausführlich erörtert und auch zur Rechtfertigung seiner Briefsammlung in Band I angemerkt (Einführung zur ersten Beispielsammlung in Teil 3, II. Von den Besuchungsschreiben, 1673, 11ff.): (y) Die allgemeinen GrundsÔtze einer Wißenschaft unterweisen den menschlichen Verstand zur Faßung der ErkÔntnÙß der Sache/ die sonderbare aber machen uns unmittelbarer Weise geschickt darinnen wirklich zu handeln. Dieweil denn die Sekretariatkunst/ (z) Ùm der AusÙbung willen / an meisten erlernet wird/ und sich mit dem bloßen Nachsinnen nicht begnÙgen lÔßet; als werdÕ wir auch nunmehr zu solcher AusÙbung ohne lÔngers Verweilen schreiten/ und was bey ieder Briefart absonderlich in acht zu nehmen/ darzeigen. [Fußnoten: y Vid. Persic. l.3.c.i. in princ.; z Actio, praxis, operatio.]62
Im Unterschied zu vielen seiner Zeitgenossen hat die Briefschreibekunst für Stieler schon eindeutig den Rang einer eigenen Disziplin (s. 3.1.3.2.3. c). Harsdörffer hatte bereits betont, dass Reden und Schreiben nur zufällig voneinander getrennt seien, ihnen aber prinzipiell der gleiche Wert zukä60 61 62
Panfilo Persico (1571-1625), Sekretär dreier Kardinäle und zuletzt Papst Urbans VIII. Autor eines wenig beachteten Werks Del Segretario (Venedig 1620). Näheres s. Giorgio (2003). Entsprechend auch in Band I, Teil 1 (1673, 41). Dies wird auch im Widmungsgedicht zu Band II, Teil 4 (1674, unpaginiert) des Egidius Martini deutlich, der die Bemühungen von Band I und das Ziel von Band II folgendermaßen zusammenfasst (Hervorhebung durch MBL): „Nun/ da er angezeigt/ wie man/ so wenig ist vorhanden/ soll erfinden/ wie der Beweistum sey im Zweyfel fest zu grÙnden/ und wie man ordnen soll/ den Leser ihm geneigt/ durch schØner WØrter Wahl und HØflichkeiten machen/ auf Wolstand und GebÙhr vernÙnftig haben acht/ der Titel nehmen wahr/ auf Vorsicht sei bedacht/ und was im ersten Band vor tausent andre Sachen stehn nach der Reyhe her: Steckt er nun auf das Licht und weist die Ubung an: lehrt/ was bey Kanzeleyen/ bey Rahtstub/Hof und Stadt man hÔlt vor gÔng‘ und eigen/ zu Fried= und Kriegeszeit ist gÙltig oder nicht.“
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me, ein Gedanke, der zu seiner Zeit neu war (vgl. Erwentraut 1999, 271f. und vgl. 3.1.3.1.). Stieler betrachtet weniger als zwei Jahrzehnte später seine wegen „eiliger Geburt verstümmelte“ Arbeit (Band I, Teil 1, Vorrede, 1673, unpaginiert) als Vorläuferin einer für ihn überfälligen theoretischen Brieflehre für „Menschen in allen Ständen“, deren bisheriges Fehlen innerhalb der „höchstrühmlichen“ Bemühungen der Fruchtbringenden Gesellschaft er beklagt. Dabei werden, wie gesagt, Briefsteller nicht völlig abgelehnt, im Gegenteil: vorbildliche Briefsteller, vor allen der immer wieder genannte Teutsche Secretarius von Harsdörffer, werden empfohlen (z.B. in Band I, Teil 1, 1673, 143ff. in einer Aufzählung vorbildlicher Lektüre für den jungen Sekretär, vgl. 3.1.3.2.1.), wenn auch gleichzeitig der Mangel spezifischer Entwürfe einer eigenen Ästhetik der Briefkunst bei diesen kritisiert wird. Auch die gezwungene, in der Praxis kaum verwendbare Form vieler Briefvorlagen wird beklagt (Band I, Teil 1, 1673, 42): HarsdØrfer/ Zeiler/ Butschky/ MØller/ Schuter und etliche mehr/ haben auch einen Versuch getahn/ aber an statt/ daß sie die (e) Briefkunst in gewisse (f ) Grundgesetze bringen sollen/ haben sie sich alleine mit dem blossen Exempeln begnÙget/ auch deren oft von so unterschiedlicher und gezwungener (g) Schreibart zusammen geraspelt/ daß ein angehender Secretarius und Schreiber/ so denselben nach zuahmen begehrt/ iezuweilen sich dadurch vielmehr verschlimmert/ als verbessert. [...] also kan der jenige/ so allein durch solche ungewisse Nachfolge zu einer warhaften Schreibrichtigkeit zugelangen gedenket/ ohne gnugsame Anweisung und ErØffnung der Kunstquellen/ nimmermehr seiner Sprache gewiß seyn/ sondern stehet allezeit in Zweifel und Sorge/ ob das ienige/ so er zu Papier gebracht/ den Stich halte/ und den Kunstgesetzen gemÓß sey oder nicht. Solche Ungewißheit giebt denn hernach/ wenn dergleichen Leute in die Aemter kommen/ viel durchstreichens und (h) verbesserns/ [...]. Wenn aber zu erst die Art und Weise/ einen Brief kunstmÔssig zuverfertigen/ begriffen/ und das Urteil zwischen guten und bØsen/ durch das Richtscheid gegrÙndeter Unterweisung bestÔtiget und abgemessen wird; Alsdenn wiederrahte ich nicht/ vielmehr halte ich es vor eine hohe Nohtwendigkeit alle obbesagte Exempelschreiber durch zugehen/ aus deren Schriften das beste/ gleich den Bienen/ auszusaugen/ und in gewisse (i) GemeinsÔtze und (k) GedÔchtnitzstellen einzusamlen. [Fußnoten: e Ars epistolaris; f Præcepta; g Stylo; h Corrigirens; i Locos communes; k Id.] (Hervorhebung von MBL)
Letztendlich geht es auch in der Ars epistolaris um die Forderung nach einem verbindlichen Regelkanon, lange bevor dieser überhaupt praktisch möglich ist. Bei der Suche danach folgt Stieler dem Vorbild Harsdörffers auf viele Weise. So übernimmt Stieler aus dem Secretarius das Bild der perfekten Frauenfigur, die nach fünferlei Modellen gemalt wird (das entsprechende Titelkupfer von Herlicus schmückt Band II, 1674; s. Abbildung 3.1). Typisch für Stielers Verhältnis zu Harsdörffer ist, dass das von Harsdörffer verwendete Bild vom Autor der Secretariat-Kunst aufgenommen und weiter ausgearbeitet wird (ein rhetorischer Vergleich bei Harsdörffer wird
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bei Stieler zum Titelkupfer und in Über das Kupfer dieses Zweiten Bandes gibt der Autor der Secretariat-Kunst auch genau an, welche Tugenden vom Künstler übernommen werden). Gleiches unternimmt Stieler auch mit verschiedenen inhaltlichen Äußerungen Harsdörffers, bei denen er keimhafte Erklärungen Harsdörffers systematisiert und weiter ausarbeitet (z.B. Von dem Nahmen der Sekretariatkunst, Band I, Teil 1, 1673, 9-21, wo etwa der Titel Geheimschreiber auf Seite 18f. differenzierter als bei Harsdörffer erklärt wird; vgl. Harsdörffer 3.1.3.1.2.; vgl. auch Fußnote 58). Auch in Band I, Teil 2 (1673, 397f.) zitiert bzw. verarbeitet Stieler bei seinen Ausführungen über die Geschichte des Briefschreibens mehrfach Harsdörffer (z.B. aus dessen 6. Vorrede des Teutschen Secretarius).63 Bei den Kaufmannsbriefen allerdings verlässt sich Stieler ganz auf seinen Vorgänger, dessen Vorlagen und weiteren Ausführungen er direkt übernimmt (Band II, Teil 4, Anhang 2, 1674, 161f.): Wir wollen uns auf dißmal Herrn HaarsdØrfers teutschen Secretarii bedienen/ und so wol unsere Vorrede darmit ergÔnzen/ als auch seiner Muster etliche alhier einschieben/ der Hoffung/ uns werde Niemand verdencken/ etwas auf Wechsel zu nehmen/ was wir in der Eile aus unserm Beutel nicht zahlen kØnnen.
Stieler bediente sich laut eigenen Angaben für die Vorlagen in seinen Teilen 3 und 4 der ihm zur Verfügung stehenden Archive,64 hatte aber offensichtlich kein eigenes Material zur Kaufmannssprache. Auch Stadtsekretariate kommen möglicherweise aus diesem Grund zu kurz (obwohl Stieler in der Vorrede Uber gegenwÒrtigen zweyten Band Platzmangel als Grund angibt, Band II, Teil 4, 1674, unpaginiert).65 Außer der Vertiefung von Themen, die sich schon bei Harsdörffer finden (vgl. 3.1.3.2.3.) behandelt Stieler auch eine ganze Reihe von Aspekten, die sich auf praktische Aspekte des Sekretariatwesens beziehen (s.o.), Berufsbild und Status der Sekretäre betreffen bzw. das Berufsethos von Sekretären und deren Arbeitgebern angehen. Auch das angemessene Verhalten von Sekretären, bzw. die Enthaltung von „unanstÔndlichen/ schimpflichen Verrichtungen“, zu denen auch das Handeltreiben gehört, wird beschrieben (ibid., 172f.). An dieser Stelle äußert Stieler auch eine Warnung davor, Se63
64
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Dass Stieler mehr als Harsdörffers Secretarius kannte, wird mehrfach deutlich, z.B. erfolgt ein Verweis auf Harsdörffers Gesprächspiele (Band I, Teil 1, 1673, 64). Bei der Orthographie beruft sich Stieler (Band I, Teil 2, II, 1673, 13-28) direkt auf Schottelius‘ Sprachkunst und Harsdörffers Specimen Philologiae Germanicae. Band II, Teil 4, Zueignungsschrift (1674, unpaginiert): „So habe ich/ den neuangehenden und noch ungeÙbten Sekretarien forzuhelfen/ endlich einen Sprung in das Archiv oder Ertzschrein gewaget/ und was mir merkwÙrdiges unter die Hand kommen/ meinem Nechsten aus Christlicher Liebe mitteilen und dardurch/ so wol dem auf mich habendem Sekretariat=Amt/ als dem Durchleuchtigsten Orden/ worein ich unwÙrdig aufgenommen/ ein GenÙgen thun wollen.“ Die Auslassung diverser Sekretariatstypen in der Vorlagensammlung wird ebenfalls mit einem Verweis auf das Ausufern des Werkes entschuldigt (ibid.).
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kretäre mehrere Ämter ausüben zu lassen, um Interessenkonflikten vorzubeugen. Diese ist ein Hinweis darauf, dass die von der Commerzdeputation betriebene Praxis der Beschäftigung eines Bedienten einer anderen Institution durchaus üblich und verbreitet war (s. 2.2.1.). Weitere praktische Verhaltensregeln liefert Stieler an anderer Stelle in Band I, Teil 1 (z.B. 1673, 102: über den Umgang mit Kollegen, den Sekretär als Figur des öffentlichen Lebens, soziale Kompetenz etc. und 1673, 117: von weiteren „beygeordneten Beschaffenheiten wormit ein Secretarius vor sich selbst und seinthalben begabt seyn soll“; s.a. 3.1.3.2.2.). Von der Bezahlung wird allerdings wenig Konkretes gesagt, stattdessen werden diplomatisch, ohne den Arbeitgebern in dieser heiklen Frage vorzugreifen, Quellen angegeben, wo über finanzielle Aspekte nachzulesen sei (Band I, Teil 1, 1673, 15f.). Es werden aber Deputatzahlungen und anderen Vergünstigungen (freier Unterhalt, Steuerbefreiung, Landbenutzung, Tischtrunk, Mitgenießung von Amts- und Gerichtsgebühren, genannt Accitentien oder Sportuln) für Sekretäre erwähnt (Band I, Teil 1, 1673, 166). Insgesamt ist Stieler in seinem Praxisbezug noch realistischer als Harsdörffer. Einerseits geht er in seiner Materiallieferung über das bloße Auflisten von Informationen hinaus. Das Kapitel XXIII in Band I, Teil 3 (1673, 1083ff., von Mischschreiben und anderen schwer einzuordnenden Texten) enthält wie der Teutsche Secretarius Währungstabellen und in Teil 4 (Zweites Angebinde, Band II, 1674, 226-230, Kurzer Bericht von den M×nzen/ Gewichten/ Maas und Zahlen/ wie auch andern KaufmaÕs=Wahren) werden weitere für die Praxis wichtige Informationen aufgelistet. Zusätzlich werden aber bei Stieler praktische Hinweise angegeben, die im Teutschen Secretarius in dieser Form fehlen.66 Andererseits ist auch Stielers Einstellung der Sekretariatsarbeit gegenüber nicht so stark wie die Harsdörffers von dem Wunsch nach einem Idealbild geprägt, man siehe etwa Stielers Einstellung zu Verbesserungen (Band I, Teil 1, Über das Verbessern, 1673, 147): „Jedoch muß man es bey den Øftern schreiben nicht bewenden laßen/ sondern es gehØret auch eine sorgfÔltige (q) Ausbeßerung zu den SchriftÕ.“ [Fußnote: q Correctio seu emendatio.] Bei Harsdörffer wird dieses Thema nur in einer Anekdote erwähnt, die rein akademisch das Verbessern verurteilt (s. Harsdörffer 3.1.3.1.2.).
66
So erklärt er, wie auf Reisen durch Furier- oder Futterzettel (Liste der Reisenden und deren Pferde; Band I, Teil 3, 1673, 1099) mit dem Wirt standesgemäße Unterbringung zu planen sei oder wie ein Sekretär die Selbstorganisation verbessern könne (etwa durch Führung eines Tagebuchs zur Terminplanung; ibid., 1115).
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3.1.3.2.1. Die Leserschaft der Secretariat-Kunst und deren Bildungsstand67 Stielers Secretariat-Kunst richtet sich gezielt an ein Fachpublikum, vor allem an Berufsanfänger, denen durch die Bereitstellung von bewährten Vorlagen die Einarbeitung erleichtert werden soll (Band II, Teil 4, Zueignungsschrift, 1674, unpaginiert, vollständiges Zitat s. Fußnote 64): „So habe ich/ den neuangehenden und noch ungeÙbten Sekretarien forzuhelfen/ endlich einen Sprung in das Archiv oder Ertzschrein gewaget [...].“ An anderer Stelle in der Zueignung entschuldigt sich Stieler dafür, dass auch banale Vorlagen in die Secretariat-Kunst mit aufgenommen seien und wiederholt, er habe „[...] auch mehr den ungeÙbten SchÙlern/ als großen Stats Secretarien/ so dergleichen Anweisungen ohne diß nicht von nØhten haben/ zu dienen gemeinet“. In ihrem Niveau richtet sich die Secretariat-Kunst ganz entsprechend eher an den unteren Teil des Berufsspektrums (hierzu s. 3.1.3.1.1.). Von der Benutzung lateinischer und griechischer Fachtermini und Zitate wird im Text abgesehen (dies entspricht den Verdeutschungsbestrebungen der Fruchtbringenden Gesellschaft, s. 3.1.3.2.2. b). Erst in den Fußnoten liefert Stieler die zum deutschen Text passenden lateinischen Fachbegriffe, genaue Quellenangaben und jeweils die Originale von im Text verdeutschten fremdsprachlichen Zitaten. Damit erreicht Stieler auch Berufsschreiber ohne fundierte Lateinkenntnisse und höhere Bildung, ohne eine qualifiziertere Leserschaft auszuschließen. Durch das konsequente Operieren auf einer Ebene wirkt die Secretariat-Kunst außerdem homogener und weniger eklektisch als Harsdörffers Secretarius. Die Hinweise, die Stieler zur Ausbildung von angehenden Schreibern liefert, sind konkreter als bei Harsdörffer. Schon im Titel des ersten Bandes der Teutschen Secretariat-Kunst wird Aufklärung darüber versprochen, „welcher Gestalt zu derselben gl×ck= und gr×ndlich zugelangen/ was Maßen ein Sekretarius beschaffen seyn solle/ [...] auch was zur Schreibfertigkeit und rechtschaffener Briefstellung eigentlich und vornehmlich erfordert werde.“ Von den 16 Kapiteln des ersten Teils widmen sich auch tatsächlich die Hälfte nicht den Briefen selbst sondern explizit den Sekretären und deren Beruf.68 67 68
Zum sprachpädagogischen und -didaktischen Anliegen der Grammatiker s. Gardt (1994, Teil II, Kapitel 5). Dies sind die Kapitel: III. Von Bemerkung der Sekretariatkunst und des Sekretariens/ [...]. VII. Von denen innerlichen H lfsmitteln/ vermittelst welcher zur Sekretariatkunst zu gelangen. IIX. Von denen euserlichen H lfsmitteln/ und zwar von denen wesentlichen Beschaffenheiten eines Sekretarien. IX. Von denen beygeordneten Beschaffenheiten eines Sekretarien/ und welcher gestalt sich derselbe gegÓ seine Herrschaft weiter zu erweisen habe. X. Was maßen ein Sekretarius sich gegen seine Mitbediente/ und [...] im gemeinen leben zu verhalten habe. IX. Von denen beygeordneten Beschaffenheiten/ wormit ein Secretarius vor sich selbst und seinet halben begabt seiyn soll. XV. Von dem Unterscheid/ W×rde/Besoldung rc. der Secretarien. XVI. Von der Vorsicht und Verwahrung eines Sekretarien/ auch welcher [...] in der Erwehlung vorzuziehen?
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Nicht nur berufliche Qualifikation sondern auch Charakter und besondere Eigenschaften werden erörtert, z.B. sind Begabung und Fleiß laut Stieler für einen Sekretär wichtig, da die Secretariat-Kunst einen „Abgrund aller KÙnste erØffnet und vorher setzet/ welcher/ ohne das Liecht eines gewaltigen Verstandes/ sauren Fleisses und unablÔßiger Ubung nicht ergrÙndet werden mag/ [...]“ (ibid.; auch in der Vorrede zu Band I, Teil 1, 1673, unpaginiert, liefert Stieler eine Aufzählung von Tugenden, die für einen Sekretär grundlegend sind). In der Zueignungsschrift zu Teil 1 wird auf weitere Eigenschaften des Sekretärs Bezug genommen, z.B. soziale Kompetenz und Berufserfahrung (Band I, 1673, unpaginiert): Zugeschweigen/ daß sein Amt keine Kalmeuserey69/ welche auf den Hohenschulen die Oberstelle besitzet/ leiden kan/ sondern er hierÙber auch ein Mann seyn muß/ mit dem wol Ùmzugehen/ und etwas mit ihm auszurichten ist/ worzu ihm die SittenÙbung/ nicht aus der Pedenterey/ sondern aus den weltlichen HÔndeln und Umgang mit großen Sachen gezogen/ Anleitung giebet.
Die schon bei Harsdörffer geforderte Berufserfahrung steht auch bei Stieler an erster Stelle. Welche Auswirkungen der Wunsch nach Erfahrung in der Praxis hat, gibt Stieler genauer an (Band I, Teil 1, 1673, 23): Dahero denn FÙrsten und Herren die rohen Leute/ so von den hohen Schulen erstlich kommen/ wie gelehrt sie auch sonsten seyn/ nicht gerne zu ihren Sekretarien annehmen/ andere aber an ihren HØfen dieselbe von vielen Jahren her auferziehen/ sie erstlich in dem (l) abschreiben/ (m) nachschreiben und gemeinen Sachen gebrauchen/ und dadurch allgemach zu hØhern Dingen angewehnen/ biß sie der (n) Schreibart/ und (o) Statssache kundig/ und zu solchem Amt genugsam geschikt und fÔhig befunden werden. [Fußnoten: l Copiare; m Excipere; n Stylus; o Negotia politica.]
Die stufenweise Hinführung vom Einfachen zum Schwierigen wird auch in Teil 2 (Band I, VI. Von den (g) Vorübungen [g: Progymnasmata, præexercitamenta], 64-92) metaphorisch ausgearbeitet, wobei am folgenden Zitat gut die schon im vorigen Zitat erkenntliche hierarchische Struktur unterschiedlicher Sekretariatstätigkeiten erkennbar ist und auch nochmals deutlich wird, dass Stieler sich mit seinen hier gerechtfertigten einfachen Vorübungen an unerfahrene Berufsanfänger richtet (1673, 64f.): Gleich wie die junge VØgelein/ bevor sie sich in die weite Luft begeben/ erstlich von einem Ast zum andern hupfen/ damit sie durch allzukeckes Unterfangen nicht zu boden fallen/ oder dem Habicht und andern RaubvØgeln zu teil werden: Also kan ein junger Schreiber nicht eher fliegen/ es sey ihm denn die Federn gewachsen/ das ist/ er muß sich vorher in allerhand geringen Schriften Ùben/ ehe er sich in den Haubtschreiben versteiget/ und dadurch seine Unwißenheit und Unkundigkeit der verstÔndigen Welt zum Spott und Schauspiel darleget. In den Kanzeleyen sind gewiße (i) Stuffen der Sekretarien und Schreiber. Ein Kanzelist und Registrator verfaßet selten Briefe/ so von Wichtigkeit seyn/ einen jungen und ungeÙbten 69
Wohl entsprechend Duckmäuserei, also hinterlistige Heuchelei verbunden mit der Angst, die eigene Meinung zu sagen (Paul 2002, 234f.; vgl. auch ibid. 119, ausklamüsern).
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Sekretarien werden nicht wol Stats= und andere Sachen anvertrauet/ ja selbst die GeschÔfte unter die Hand gegeben: WarÙm solte sich denn unser Secretarius mit ungewaschenen HÔnden straks an weitlÔuftige Briefe machen/ da er zuvor keinem Wortbegriff zu faßen gelernet/ keine Beschreibung zur Hand genommen/ nicht weyß/ was eine Erzehlung/ eine BestÔttigung/ Wiederlegung/ Anfang oder Schluß ist/ [...] DarÙm sehen wir/ wie die jenige/ so aus den Exempeln solche Schriftfertigkeit ihnen zu wege bringen wollen/ hin und wieder anstoßen und straucheln/ das hunderste ins tausente werfen/ und an statt eines wolklingenden Briefes/ lauter abscheuliche Misgebuhrten und Flicklappen hervor bringen. [... die Vorübungen sind also unerlässlich ...] So schreiben wir auch denen anfangenden/ kindischen und ungeÙbten Schreibern vornemlich zum besten: Die andere/ so allbereit geÙbt sind/ kØnnen diese BlÔtter Ùberschlagen und ihre Zeit zu was beßeres anwenden. [Fußnote: i Gradus, classes.]
Zusammenfassend erläutert Stieler die Didaktik des Schreiberwerbs als tägliche Übung in vier Schritten: viel Lesen, genaue Betrachtung des Gelesenen, Schreiben und genaues Verbessern der eigenen Texte (Band I, Teil 1, 1673, 138f. XIV. Von der Ub= und Nachahmung). Über diese praktischen Fingerübungen hinaus wird die Lektüre vorbildlicher Werke, nicht nur zur Briefstellung sondern auch zu Fachthemen, und der Gebrauch des hausoder institutionseigenen Archivs empfohlen (Band I, Teil 1, 1673, 143ff.). Abgesehen von verschiedenen Leseempfehlungen für das Fach Rhetorik und die deutsche Geschichte wird als vorbildliches Exempelbuch Harsdörffers Teutscher Secretarius genannt (ibid.): Ein Secretarius aber/ so im Amt ist/ gehet am allerrichtigsten/ wenn er die in dem (e) Erzschrein enthaltene Schriften sich bekant macht/ und daraus/ nebst den Sachen/ zugleich die bey seine Kanzeley gewØhnliche (f ) Schreibart begreiffet/ hierneben auch die Stadt= und Landgesetze erkundiget/ und das gemeine Landesrecht erforschet/ die Ùbrige Stunden aber auf die Rechte wendet. [e Archivum; f Stilus.]
Vorhandene, haus- oder institutionseigene Geschäftsvorgänge galten also damals wie noch in der heutigen Sekretariatspraxis als wichtigste Quelle von Vorlagen. Bezieht man diese Praxis auf die Anfangszeit der Commerzdeputation Hamburg, so wird deutlich, wie verlegen eine Institution ohne eigenes Archiv und vorbildliche Aktenvorgänge um Orientierungshilfe gewesen sein muss. Die Anstellung von Schreibern mit einschlägiger Berufserfahrung (bzw. die Verwendung prestigereicher Vorbildsammlungen der benötigten Textsorte) dürfte dementsprechend wichtig für die Deputation gewesen sein. In einer Zeit, in der der Begriff Plagiat noch nicht bekannt war (vgl. Cersowsky 1999, 195f.), war es völlig selbstverständlich, durch das Kopieren vorliegender Exempel zu lernen. Stieler empfiehlt diese Praxis besonders für formale Textsorten, da es wichtig sei, die „hergebrachte Schreibart bey Hof und dem gemeinen Wesen“ einzuhalten (Band II, Teil 4, 1674, unpaginiert). Weiter heißt es:
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Jedoch ist dieses das beste Nachahmen/ das die Gelehrsamkeit zum Grunde hat/ sintemal nirgend ein mehrer Verstand und erleuterter Urteil/ als in dem Nachahmen erfordert wird. Es ist durch die langwirige Erfahrung/ unverdroßenen Fleiß und sinnreiche Ausbildung der Alten/ zumal in dem Schreibewesen/ Himmel und Erde dermaßen genaue durchsucht/ daß man zu unser Zeit fast nichts mehr Neues in der Welt erfinden kan. Und die selzame ZufÔlle des menschlichen Lebens/ so wol auch die verkehrte Sitten samt dem Betruge der Handelnden und Wandelnden haben so viel Verwahrungen und Bedingungen/ so man teils Clausulen nennet/ verursachet/ daß darzu nichts weiters gebracht werden mag. Daher die junge Leute/ so noch nicht gewitziget worden/ viel beßer thun/ sie halten sich an ihrer Vorfahren gelehrter Ausarbeitung/ als daß sie ihre noch unreyffe Weisheit mit Schande und Nachteil zu Rahte ziehen. Ja was noch mehr/ der Stylus, oder die hergebrachte Schreibart bey Hof und dem gemeinen Wesen/ wird den Secretarien, Syndicen und RÔhten dermaßen fest eingebunden/ sonderlich in Lehen= Befreyungs= ZeugnÙß= BestÔtigungs und Handlungs=Sachen/ daß darvon abzuweichen ihnen große Verantwortung bringen wÙrde. Ich geschweige/ was vor eine treffliche Wolredenheit bey den Kanzeleyen ietziger Zeit gefunden werde/ daß dieselbe gar wol vor ausbÙndige Schulen der durchgehenden Beredtsamkeit gelten kØnnen. Wer diesem beyzupflichten Bedenken trÔgt/ der sehe nur eines jungen Doctors/ so von der HohenSchule kommt/ teutsche Schreiben an/ so wird er erfahren/ daß es ihm ein geringer Kopist in Briefstellen weit bevor thun kØnne.
Auch hier taucht also das Kanzleivorbild auf, das auch bei Harsdörffer erwähnt wurde, wenn auch mit Anzeichen schwindenden Prestiges (s. 3.1.3.2.2.). Der Praxis, so Stieler, sei ohnehin vor der Theorie Vorrang einzuräumen, und „wird mehr aus der Praxi oder Ubung und dem tÔglichen Gebrauch/ als durch Schulregeln gelernet“ (Band I, Teil 3, Kapitel XXIII, 1673, 1099). Abgesehen von der Empfehlung der Fremdsprachen zur Schulung des Geistes steht Stieler Fremdsprachenkenntnissen verhalten gegenüber (Band I, Teil 1, 1973, 149ff.), auch wenn diese bei Hofe gerne gesehen seien. Insgesamt stimmt Stieler mit Harsdörffer darin überein, dass erst wenn das Studium der deutschen Sprache schon von Jugend auf eingeführt sei, eine positive Wirkung auf die Reinheit der Sprache erwartet werden könne. Harsdörffers Hoffnung, ein geregelter Unterricht könne in Zukunft die Vereinheitlichung einer deutschen Rechtschreibung und letztendlich auch der Grammatik befördern (s. 3.1.3.1.1.), wird bei Stieler vergleichbar vorsichtig aufgenommen (Band I, Teil 2, 1673, 101): Wenn junge Leute von Jugend auf zur reinen teutschen Feder in den Schulen/ wiewol billig seyn solte/ angewehnet wÙrden; so hÔtte man von den Flickereyen in den fortgehenden Jahren Abscheu/ und befliße sich alles tutsch zu geben: Nun aber wißen teils Kanzler und RÔhte oft selbst nicht/ was diß oder jenes Wort auf teutsch heißet/ darÙm mÙßen die Sekretarien auch [...] sich ihre Weyse gefallen laßen/ ob sie es schon vielmal beßer verstehen.70
70
Ähnlich Band I, Teile 1 (1673, 26) und 2 (1673, 27f. und 38).
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Stieler empfiehlt schon die frühe Kindererziehung mit einzubeziehen, da schon hier die Weichen für eine gute Aussprache gestellt werden (Band I, Teil 3, XXII. Von den Unterredungs= Lehr= und Streitschreiben, 1673, 1081). Er stellt im Kapitel XXII einen stufenweisen Lehrplan vor, was für welches Alter geeignet sei und was jeweils beachtet werden müsse. Diese Darstellungen Stielers zu Ausbildung und Alltag der Schreiber verdeutlichen die Verlegenheit, in der sich die neugegründete Commerzdeputation befand, die weder über ein Archiv und eine eigene Schrifttradition verfügte, noch auf das nötige Wissen innerhalb des Kreises der Kaufleute selber zurückgreifen konnte. Man war also auf die Erfahrung des Bediensteten der Admiralität Richert Schröder völlig angewiesen, vor allem im Bereich des hoch formalisierten Texttyps Protokoll.71 Auch das Potential für Spannungen durch die (dem damaligen Brauch durchaus entsprechende) Doppelanstellung Schröders wird durch Stieler bestätigt. 3.1.3.2.2. Hinweise auf Berufsbild und Status von Sekretären in der Secretariat-Kunst Dass sich Stielers Secretariat-Kunst trotz ihrer Spezialisierung auf ein Fachpublikum an eine diverse Leserschaft richtet, zeigt der Titel der des zweiten Bandes (Band 4, 1674): „[...] Exempel und Muster/ so wol in Hof= Kammer= Lehn= Consistorial-Gerichts= Kriegs= als Haus= Liebes= Kaufmannschaft= Advokaten= und Notarien Sachen in sich haltend Allen Sekretarien/ Gelehrten/ Schreibern/ ja so gar neu angehenden RÒhten/ Amtleuten/ Richtern/ und ins gemein allen andern Herren=Bedienten/ und denen/ so mit der Feder umgehen [...]“. Diese Leserschaft ist hierarchisch gegliedert. An der Spitze der Hierarchie stehen die Sekretäre, die für Staatsgeschäfte und das Gemeinwohl wirken (Band I, Teil 1, 1673, 32): 8. [Es] besteht deren [der Sekretäre] (c) absonderliche Eigenschaft ferner darinnen/ daß sie die StatsgeschÔfte/ durch Briefe/ zu der Herrschaft gefallen/ und BefØrderung gemeiner Wolfart zuverwalten Anweisung tuhe. Hierdurch wird ein Secretarius von RÔhten/ (d) Sachwaltern/ (e) Øffentlichen Schreibern/ Rednern/ und allen andern/ so auf gewiße Maß mit den Weltlichen GeschÔften und der Feder Ùmgehen/ unterschieden. [Fußnoten: c Differentia specifica, d Advocatis, e Notariis.]
Es ist schwierig, ohne weitere Informationen die Commerzprotokollisten genau in diese Hierarchie einzuordnen. Öffentliche Schreiber (Notariis) standen ja prinzipiell eher an der Basis der Hierarchie. Umso mehr ein Schreiber, der für die Kaufmannschaft arbeitete. Andererseits war Richert 71
Außergerichtliche Protokolle der Hamburgischen Admiralität sind bedauerlicherweise wegen des großen Brandes von 1842 erst ab 1672 erhalten.
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Schröder zuallererst ja Admiralitätssekräter und die nachgewiesen Tätigkeiten bei der Ausstellung und Verwaltung von Schiffspässen deuten zumindest in späteren Jahren auf erweiterte Aufgaben und Befugnisse, und damit auf einen höheren Status des Sekretärs hin (s. 2.2.2.). Das Protokollieren von Sitzungen gehörte zu den Sekretariatspflichten, die Stieler in Teil 1 aufzählt (der Anfang des folgenden Zitats ist Stielers Wiedergabe von „Steckendörfers Fürstenstaat“,72 Kapitel 6, Teil 2, Paragraph 13; Stieler, Band I, Teil 1, 1673, 44f.): „Der Secretarien Amt ist/ daß jenige/ was in der Rahtstube geschloßen/ und ihnen daselbst anbefohlen/ oder in der schriftlichen Registratur der RahtschlÙsse ihnen Ùbergeben wird/ in gebÙhrlicher Form und gewØhnlichem Stylo oder Rede= und Schreibart der Kanzeley/ zu Papir bringen/ und concipiren/ es seyen nun Befehle/ Ausschreiben/ Resolutionen/ auch ankommende Supplicationen/ Bescheide/ Abschiede/ Instructionen/ Memorialien/ oder Schreiben und Briefwechslungen: Ingleichen haben sie in der Rahtstuben das Protokoll oder Niederschreibung deßen/ was die Parteyen und andere vorbringen zufÙhren/ auch sonsten mÙndliche Andeutungen und VortrÔge auf sich zunehmÕ/ die ihnen in der Rahtstube aufgetragen werden. In etlichen Orten pflegen sie auch die SchlÙße der RÔhte dem Landherrn allein zu referiren/ welches aber anderswo nicht geschicht/ sondern vielmehr fÙr einen Mißbrauch gehalten wird. Nach dem aber der GeschÔffte mancherley sind/ so werden auch bey denen Kanzeleyen die Verrichtungen unter den Sektetarien unterschiedlich befunden/ denn wo besondere geheime RÔhte sind/ da werden auch geheime Sekretarien und Kanzellisten gehalten/ sind aber solche Sachen gleich in einer Rahtstuben zusammen geschlagen/ so ist ein gewisser Kammer= oder geheimer Secretarius, zu denen Stats= oder Reichs= oder Kriegssachen: Ein ander zu den Lehn= oder Adelssachen: ein ander zu den Gerichtssachen: und/ nach Gelegenheit des Landes/ einer zu den Sachen dieses oder jenen Kreyses und Bezirks im Lande/ oder andere zu andern/ bestellet.“ [...] Ein anders ist bey denen Sekretarien und Ritterschafften und StÔdte/ welche letztere man/ bey vornehmen Stadtwesen auch Syndicos und Consulenten/ das ist/ rechtliche BeystÔnde/ RÔhte und BeschÙtzer: Bey geringen StÔdtlein Stadtschreiber nennet. Diese beyde haben nicht nur allein mit bloßer Verfassung der Briefe zutuhn/ sondern treten den GeschÔfften nÔher/ erØffnen ihr Guhtachten und helfen zugleich mit berahtschlagen/ wie ingleichen die Keyser= KØniglich= und ChurfÙrstl. StatsSekretarien/ bevorab/ we× sie Rahtsstelle zugleich mit vertreten/ einÕ Theil der LandesRegierung mit auf sich haben/ und Øfters/ ja so balden die Heimlichkeiten ihres Herrn/ als ein geheimer Raht wißen. Wiewol auch sonsten denen andern FÙrstl. Sekretarien/ darvon oben gedacht/ nicht verbohten/ ihre unvorgreifliche Meynung/ bey einer weitleuftigen und schweeren Sache/ zumal mit AnfÙhrung der Umst[ä]nde/ deren sie sich billig aus denen dißfals ergangenen Schriften und (u) Handlungen/ mit Fleiß vorher bekant machen/ und dieselbe erwegen sollen/ mit Bescheidenheit von sich zusagen und des Schlußes von der Herrschaft oder der Regierung zugewarten. [Fußnote: u Actis & actitatis.]
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Stieler meint den vielgedruckten Teutschen Fürstenstaat (1656) von Veit L. Seckendorff (1626-1692).
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Dies ist eine der wenigen Stellen, in denen außer höfischen Sekretariaten auch städtische Kanzleien erwähnt werden (in Hamburg gab es laut Zedler zu Beginn des 18. Jhs. drei Ratssyndizi, s. Teil 2, Fußnote 69). Wegen Stielers diesbezüglich eingeschränkten Erfahrungshorizontes liefert die SecretariatKunst insgesamt nur wenig Aufschlussreiches über städtische Kanzleien. Die unterschiedlichen Arbeitsfelder von städtischen und höfischen Sekretären werden nur indirekt bei Ausführungen zu Eignung verschiedener Sekretäre erwähnt (Band I, Teil 1, 1673, 125). Spezifische Hinweise auf die Tätigkeit des Protokollierens erfolgen im Kontext des Berichteschreibens73 (Teil 3, Kapitel XIV, 1673, 625ff.). Wie oft der Fall (s. 3.2.), ist mit Protokoll auch bei Stieler speziell die Textsortenklasse Gerichtsprotokoll gemeint. Dieser steht der mit den Commerzprotokollen vorliegende Texttyp Sitzungsprotokoll aber zumindest nahe (s. 3.2.1. und 3.2.5.), Stielers Beschreibung der Rolle des Gerichtsprotokollisten gibt also eine allgemeine Vorstellung von der Komplexität des Protokollierens, bei der der Protokollant sich durch ein vorheriges Studium der Akten und Nachschlagen der Rechtslage (zum Erwerb des passenden Fachvokabulars) vorzubereiten hatte. Schon vor der Verhandlung konnten Details wie Datum, Ort, Namen der Beteiligten niedergeschrieben werden. Während der Verhandlung wurden dann stichworthaft mitgeschrieben (genauer Textlaut Stielers s. 3.2.5.). Den Status der schreibenden Professionen sieht Stieler durch das Fehlverhalten von schwarzen Schafen unter den Schreibern und Sekretären beeinträchtigt, die mit unqualifizierter Tätigkeit, Faulheit und nicht näher erklärtem „oftmalige[n] schlechten Verhalten“ das Ansehen der gesamten Berufsgruppe zerstören (Band I, Teil 1, 1673, 9). Als Folge dessen leide der ganze Berufsstand an einer geringen Wertschätzung (Band I, Teil 1, Zueignung, 1673, unpaginiert): Der gemeine Wahn des PØfels/ wenn er einen Secretarium siehet/ fÔllet so bald auf den Kinderschluß: HÔtte dieser was grÙndliches studiret oder gelernet/ so wÙrde er wol ein Raht/ Doctor oder Kanzler/ nicht aber ein Schreiber worden seyn/ rc. Daher fleußt auch die durchgehende Verachtung der Sekretarien/ daß man sie nur vor halbgelehrte/ faule BrÙder/ und nichts Wisser schÔtzet/ so ihren Kunstfleiß auf den hohen Schulen nicht zu Ende zu bringen gewust/ und dahero solchen mittelmÔßigen Dienst erwehlen mÙßen.
73
Die Berichtschreiben „oder Andeutungsschreiben/ von den Lateinern relationes und monitoria, den Welschen lettere d‘aviso, den Franzosen aber lettres d‘avis genennet“ (ibid., 559), sind für Stieler eine Unterklasse der Geschäftsschreiben, zu denen auch die Protokolle zählen. Diese hält Stieler für die schwierigsten unter den von ihm behandelten Briefen (ibid. 560).
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Es wird deutlich ausgesprochen, dass Stielers Secretariat-Kunst eine Reaktion auf dieses schlechte öffentliche Ansehen ist und den Status der Sekretäre aufbessern soll (Band I, Teil 1, Zueignung, 1673, unpaginiert).74 Wie Harsdörffer stellt auch Stieler die damals einzigartige Möglichkeit sozialen Aufstiegs für Gelehrte heraus. Wie er betont, konnten hochgradige Akademiker einen Status erreichen, der mit dem Adel gleichrangig war (Band I, Teil 1, 1673, 187): Jedoch ist der freyen KÙnste herrlicher Glanz heutiges Tages in dergestaltige UnerkÔnntniß gerahten/ daß Teils vom Adel/ sich vor eine grØste Ehre SchÔtzen/ idioten und ungelehrt zu seyn/ auch ihren Nahmen nicht schreiben zu kØnnen. Dahero denn FÙrsten und Herren/ in Ermangelung gelehrter Edelleute/ gezwungen werden/ die vornehmste Ehrenstellen/ Leuten von geringer Ankunft einzurÔumen/ [...] 8. Es findet sich aber noch eine Art der weltlichen WÙrde/ so mit dem Adel in nicht geringen Standstreit lebet/ und so wol in Kleidung/ als dem Vorsitz/ Ehrenverdienste und Freyheiten denselben/ wo nicht zuÙbertreffen/ iedoch die Wage zuhalten/ ernstlich suchet. Solches sind die auf hohen Schulen zum Lehramt erhobene Personen/ so man graduirte/ von der hØchsten Kunststaffel/oder Doctorn und Licentiaten nennet.
Stielers Schilderungen von Tätigkeit und Status der Schreiber und Sekretäre liefern somit noch mehr als die Harsdörffers Hinweise zu den Rahmenbedingungen, unter denen die Schreiber der Commerzdeputation arbeiteten. 3.1.3.2.3. Vorschläge für gute Sprache und guten Stil in der Secretariat-Kunst a) Konkrete grammatikalische Angaben vs. Erörterung sprachtheoretischer Streitpunkte Wie die Untersuchung von Georg Philipp Harsdörffers Teutschem Secretarius in Abschnitt 3.1.3.1.3. zeigte, gab es in Harsdörffers Briefsteller noch wenige konkrete Äußerungen zu Fragen grammatischer Norm. Am ehesten fanden sich Äußerungen zu Fragen der Orthographie. Ebenso steht auch bei Stieler die Rechtschreibung im Vordergrund. Die im Buchtitel angekündigte Darstellung der Sekretariatkunst mit „grundrichtigen SÒtzen zuverlÒßigen Anweisungen und reinen teutschen Mustern/ nach heutigem durchgehendem Gebrauch“ nimmt der Autor nach eigenen Angaben im Fall der Orthographie (Band I, Teil 2, II, 1673, 13-28) direkt nach Schottelius‘ Sprachkunst und Harsdörffers Specimen Philologiae Germanicae vor (ibid.; 13). Auch di74
Vgl. auch ibid. 16, „[...] es wÙrden die Sekretarien weit Ùber Verdienst/ mit Ehren und gutem Auskommen/ von ihren Herren angesehen/ da sie doch auf der Beerenhaut gleichsam lÔgen [...]“ und ibid. 17f. Lob des Sekretariatsamtes als „ein freyer ungezwungener und ehrlicher Dienst“.
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verse Werke anderer Autoren wie Vossius und Gueintz werden im Laufe der Darstellung erwähnt (inwieweit Stieler sich im Einzelnen tatsächlich nach seinen Vorgängern richtet, kann in diesem Rahmen, der sich mit der Eignung der Briefsteller als Medien präskriptiver Grammatikschreibung befasst, nicht nachgeprüft werden, Takada 1998, 189 belegt jedoch eine fast wörtliche Übernahme von Schottelius‘ Vorlage in Stieler 1691). Es wird, wie bei Harsdörffer, ein widersprüchliches Regelwerk vorgestellt, dessen Unverbindlichkeit gleich anfangs durch Stielers Feststellung betont wird, „daß wir niemanden unsere Meynung dardurch aufzudringen/ oder VerstÔndigern daher Ziel und Maaß zu setzen/ viel weniger denn/ so dißfals andere und beßere Gedanken haben mØchten/ zu wiedersprechen gedenken“ (Stieler Band I, Teil 2, 1673, 13f.). Noch deutlicher als im Secretarius wird in der Secretariat-Kunst für abweichende Meinungen Raum gelassen und die Gültigkeit der jeweils vorgeschlagenen (theoretischen) Orthographieregeln von der Praxis abgetrennt, weswegen ein Sekretär sich auch wider besseres Wissen an die an seinem Arbeitsplatz übliche Gewohnheit halten soll (vgl. Harsdörffer 3.1.3.1.3. c; Band I, Teil 2, 1673, 17): Zu geschweigen/ daß ein Secretarius sich nach der Kanzeley/ worzu er berufen/ schicken/ und ob er wol eines beßern unterrichtet/ dennoch der tyrannischen Gewohnheit nachgeben muß/ damit er seinem Herrn/ so seine Briefe lieset/ nicht Verdruß/ ob Ersehung der Neulichkeit erwecken/ noch einen Schein/ eines sonderlichen angemasten DÙnkelwitzes von sich geben mØge.
Vermieden werden soll von den Schreibern also der Anschein unangebrachter Progressivität („Neulichkeit“) und arroganter Besserwisserei („angemasten Dünkelwitzes“, vgl. Stieler über die Verachtung der Bildung bei Hofe, Teil 1, 1673, 187). Mit diesen auf den Alltag der Sekretäre ausgerichteten Anweisungen, an anderer Stelle in der Formulierung ein Sekretär müsse „sich nach dem Orte/ wo er in Diensten ist/ richten/ mit den WØlfen heulen/ und fÙnfe/ [...] gerade seyn laßen“ (ibid., 18), werden im Prinzip wie bei Harsdörffer alle im weiteren gelieferten Regeln außer Kraft gesetzt. Im Übrigen wird auch der Eindruck erweckt, die von anderen Grammatikern übernommenen Einzelheiten zu Rechtschreibung und Grammatik seien nur der Vollständigkeit halber beigefügt, so kürzt Stieler seine Erklärungen zum „Mißbrauch“ von s, ss und sz am Wortende mit der Bemerkung ab, dass davon „aber allenthalben Regeln zugeben allzulang fallen wolte/ auch unserm Vorhaben zuwider lauffen wÙrde/ weil wir hier keine Grammatik oder Sprach= sondern die Sekretariatkunst zu schreiben bedacht seynd“ (Band I, Teil 2, 1673 38). In der bezüglich der Rechtschreibung geführten Diskussion über Sprachvorbilder (s. Harsdörffer 3.3.1.3.1.3. a) ist Stieler, besonders was regionale Sprachvorbilder angeht, vorsichtiger als sein Vorgänger und letztendlich wird den Sekretären trotz der bei Harsdörffer beobachteten, zeittypischen
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Nennung einer ganzen Reihe von Vorbildern nur das Kanzleivorbild als eigentlich nachahmenswert empfohlen (z.B. Band I, Teil 2, 1673, 10):75 Welches man auch alles an seinen Ort gestellet seyn lÔßet: Jedoch/ so viel unsern Sekretarien betrift/ halten wir darvor/ daß er sich in der gleichen FÔllen (r) unteilhaft mache/ und bloßer Dinge bey der allgemeinen hochteutschen Sprache/ wie solche in den Kanzeleyen gehandelt wird/ verbleibe/ nichts destoweniger aber aus denen vorhandenen vielen schØnen hochteutschen SchriftÕ/ das beste herausklaubet/ und ihme zu seinem Zwek zueigne/ wenn er zumal die jenige (s) Vorsicht/ deren wir hiernechts gedenkÕ werden/ darbey beobachtet/ und sich nach der Schreibart/ so am reinlichstÕ/ verstÔndlichsten und zierlichsten ist/ allenthalben richtet. [Fußnoten: r Unparteyisch; s Cautela.]
Im selben Atemzug warnt Stieler die Sekretäre davor, sich bei ihrer Arbeit vor Umgangssprache, Fremdwörtern und unqualifizierten Sprachschöpfern in Acht zu nehmen. Auch ein Jahrzehnt nach Harsdörffer bestehen die schon im Secretarius reflektierten Uneinigkeiten bei der Diskussion sprachtheoretischer Fragen fort (Band I, Teil 2, 1673, 11f.): Wann man nur darbey sich des allzuvielen klÙgelns/ ausdehnens/ schlenkerns und der Eigensinnigkeit enthalten mØchte/ so wÔre noch wol zu hoffen/ daß man unter uns Teutschen auch einsten den Zwek/ den andere Sprachen vor uns getroffen/ erlangen wÙrde. (u) Die Neugierigkeit aber ist allzugroß/ und will ein ieder der Sprache (vv) Hofmeister werdÕ/ dem doch oft wol billiger anstÙnde zu schweigen/ und zu lernen/ als seine unzeitige Misgeburten/ zu Schmach der wolgegrÙndeten Sprache herfÙr zu brÙhten. [...] Heute zu Tage haben solche (z) Nasenweyse Einbildlinge/ noch darzu von ihres gleichen Klugen/ als hÔtten sie es wol ausgerichtet/ ein unzeitiges Lob/ Ehre und Beyfall/ Schatz und Lorber zu gewarten. KrØnet also ein Midas den andern/ und ist keine Tohrheit ohne Verfechter und Plazhalter zu befinden. 7. Derohalben hat ein Secretarius/ bey Lesung der gedrukten teutschen BÙcher/ sich wol vorzusehen/ daß er nichts leichtlich annehme/ wehrt halte/ nachahme und gebrauche/ was nicht der teutschen Zunge/ denen GrÙnden und Brunnquellen der Sprache gemÔß/ und bey denen Gelehrten angenommen und gebilliget worden ist. Die (a) gemeine Alltagsrede kan hierinnen so wenig Richter seyn/ als etwa zu Zeiten des Homeri/ des Platonis/ Aristotelis/ Demostehnis und Eschinis/ eine Griechische Bauerdirne/ von solcher geistreichen Schreiber=Arbeit urteilen kØnnen. So mÙßen 75
Die Nennung des Kanzleivorbilds ist sicher ein weiterer Grund, warum Stieler heute so häufig als konservativ betrachtet wird. Ebenso lassen ihn anschließende Warnungen vor Umgangssprache und Neologismen (1673, 11) als unflexibel und hinter der Zeit zurück erscheinen (was er manchmal in der Tat auch ist, z.B. sein Plädoyer für Kleinschreibung von Nomen, Teil 2, 1673, 37). Solche Einschätzungen ignorieren allerdings, in welchem Grade Stieler der Praxis verpflichtet ist und dass seine Empfehlungen sich im Gegensatz zu anderen Anweisungen der Grammatiker weitgehend an der praktischen Realisierbarkeit im Sekretariat orientieren. Vor diesem Hintergrund erscheint Stielers Empfehlung, sich an vorhandenem Archivmaterial zu orientieren, eher als eine vernünftige Arbeitshilfe denn als reaktionäre Theorie. Dass sich Stieler damit auf einem Kollisionskurs mit den Zielen der Fruchtbringenden Gesellschaft befand, könnte ein Grund für deren häufige apologetische Nennung sein (vgl. hierzu auch Polenz 1994, 184 über Stielers Darstellung seines Wörterbuches als späte Frucht der Gesellschaft).
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auch (b) die AuslÔndische Flickereyen/ und MisbrÔuchliche EinfÔlle derer/ so etwa ein wenig in die Sprache gegucket/ und bald große Varronen und (c) Sprachenrichter seyn wollen/ die WØrter nach eigener Freyheit erdichten/ foltern und martern/ vor keine Regel und Richtschnur gehalten werden: Sondern/ wer darinnen was redliches und rÙhmliches zuverrichten gedenket/ der muß die bewÔhrten (d) Sprach= und RedekÙnstler hören/ gute teutsche BÙcher lesen/ und sich nach dem/ was in dem Reichsabschieden/ teutsche Geschichtsschreibern/ Kanzeleyen/ Gerichten und Druckereyen von Jahren zu Jahren angenommen und gebrauchet worden/ anschicken/ die Redarten daraus ausklauben/ eine gegen die andere/ prÙfen/ und die beste behalten/ sich auch tÔglich im schreiben und arbeiten Ùben/ und was der Grundrichtigkeit/ Art und Eigenschaft der Sprache zu wieder/ ob es schon etwa in eines andern/ als der FranzØsischen/ Welschen/ Lateinischen Sprache wol klinget/ nicht leichtlich/ es erfordere es dann der Sachen Beschaffenheit unÙmgÔnglich/ oder sey/ wie Schottel schreibt/ durch ein hochteutsches GeprÔge gÙltig/ angenehm und gÔnging gemacht/ setzen und gebrauchen. [Fußnoten: u Novitatis puritas; vv Censor, Aristarchus; z Nasutuli; a Sermo culinaris, quotidianus; c Exotica; d Linguarum censores; e Grammaticos. 76]
Klar wird bei diesem Zitat, dass Stieler sich der sonst von ihm – vielleicht aus diesem Grund (vgl. Fußnote 75) – immer wieder ehrend erwähnten Fruchtbringenden Gesellschaft und der von ihren Mitgliedern diskutieren Fragestellungen weniger verpflichtet fühlt als der Praxis des Sekretariatsalltages (s. dazu Band I, Teil 2, 1673, 10). Dabei kritisiert Stieler durchaus auch Mängel der von ihm als Vorbild genannten Kanzleisprache, die aber im Sonderfall des Sekretariats als offiziell anerkannte Formen richtigeren, aber noch nicht allgemein akzeptierten Formen vorzuziehen seien. Stieler geht aber nicht so weit wie Harsdörffer, die Fachsprache gesondert zu betrachten (s. Harsdörffer 3.1.3.1.2. und Stieler 3.1.3.2.3.). Kritik an der Kanzleisprache übt Stieler z.B. bei der Diskussion der Satzlänge, die sich seiner Meinung nach dem Inhalt anpassen muss.77 Das Beispiel eines unangemessen langen Satzes zur Beschreibung eines kleinen Flusses kommentiert er folgendermaßen (Band I, Teil 2, 1673, 41): Daß heißet den FlØhen StrÙmpfe anziehen/ und den Fliegen einen Harnisch anlegen: Dergleichen pralende Beschreibungen gehØren vor die Elbe/ Rein und Donau. Das Ohr ist gar zart/ und hØret leichtlich/ wenn man sich in Schreiben Ùbersteiget. Dannenhero sich nicht gnugsam zu verwundern/ daß noch tÔglich/ auch oft aus guten Kanzeleyen/ solche Briefe ausgehen/ da man wegen der grausamen LÓnge der Wortbegriffe/ dieselben oft wol zwey oder dreymal mit großer Ungeduld Ùberlegen muß/ ehe man deren rechten Verstand und Meynung einnehmen kan/ bevorab wenn man/ was schon einmal gesaget und geschrieben ist/ auf eine andere Weyse mit Ekel wiederholet/ bey ieder Sache verdrießliche Umschweiffe macht/ und mit vielen Einschlußzeichen die Rede verzwicket/ verstrecket/ oder auch dashinderste zuf×rderst setzet. [Hervorhebung durch MBL]
76 77
Kennzeichnung der Fußnoten: Sic! Tatsächlich kritisiert Stieler aber eher den Stil als den Satzbau (1673, 39ff.).
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Auch an anderer Stelle spricht Stieler bei Abweichung der Kanzleien von durch ihn empfohlenen Formen von „kindischen Sonderheiten“, über die man sich „nicht aufzuhalten“ habe (Band I, Teil 2, 1673, 26f.; vollständiges Zitat s.u.). Grammatikalische Fehler erscheinen für Stieler auch bei Propagierung durch vornehme Kanzleien nicht weniger tadelhaft, im Gegenteil.78 Wie die Sprache Stielers in seinen kritischen Äußerungen zeigt (s. beispielsweise obige Hervorhebungen) ist sie bei oberflächlicher Betrachtung sogar noch stärker als die Harsdörffers dazu geeignet, den Eindruck prä- oder sogar proskriptiver Grammatikschreibung zu erwecken (vgl. Lange 2005, 75). Zwar zeigt die Untersuchung der Vorschriften Stielers (wie die von Harsdörffer oder Schottelius), dass in deren Werken noch kein einheitliches orthographisches oder gar grammatikalisches Regelwerk geliefert wird. Es wird aber, und dies ist besonders deutlich bei Stieler, bewusst darauf hin gewirkt, ein Bewusstsein für gute und schlechte Sprache zu schaffen, womit die bereits erwähnte Variationstoleranz auf lange Sicht zum Schwinden verurteilt ist, nämlich zu dem Zeitpunkt, ab dem die abstrakten Platzhalter gute und schlechte Sprache durch klare und verbindliche Regeln zur Bewertung von Sprache ersetzt werden.79 Insgesamt kann aus den Stellungnahmen Stielers wegen der pauschalen Verweise auf den Kanzleigebrauch kein direkter normativer Einfluss auf die orthographischen Gewohnheiten seiner Leser abgeleitet werden. Über die Behandlung der Orthographie und stilistischer Fragen hinaus findet man in Stielers Secretariat-Kunst im Unterschied zum Secretarius Harsdörffers aber auch diverse Zweifelsfragen der Grammatik angesprochen (s.a. Fußnote 79). Die in dieser Arbeit im Teil 4 untersuchten grammatikalischen Zweifelsfälle betreffend kann man an der exemplarisch mitbehandelten Großschreibung und an Beispielen zu den Themen Komposita, Doppelnegation und Satzsyntax sehen, dass noch weniger als in der Orthographie in der Grammatik eine direkte Einflussnahme Stielers auf das Schreibverhalten seiner Leser im Sinne der durch die Sprachgesellschaften propagierten Vorschläge wahr78
79
Band I, Teil 2 (1673, 299): „Unrecht und ÙberflÙßig ist auch das Vornennwort/ so einen Besitz bedeutet/ nach dem Nennwort in der Geschlecht Endung. Als/ des FÙrsten sein Diener. [...] Dieser Uberfluß der VorwØrter/ ist auch wol bey vornehmen Kanzeleyen gemein/ aber ganz Ùmsonst/ und verwerflich/ darÙm sich ein guter Secretarius darvor sonderlich hÙten soll.“ Stieler gibt im Gegensatz zu den anderen hier untersuchten Grammatikern häufig Negativbeispiele (s. auch vorige Fußnote), z.B. „Exempel eines verdrießlichen Wortbegriffes“ (Band I, Teil 2, 1673, 285f.), das er so kommentiert: „Dieses ist/ wie iederman siehet/ ein GewÓsch/ welches nicht in einem Wortbegriff/ sondern in unterschiedliche Kapitel eines vollstÔndigen Lebenslauffs zu bringen gewesen. Vor solcher nichtswØrdigen Plauderey soll sich ein Secretarius hÙten/ denn dieselbe den Verstand merklich aufhÓlt/ und dem Leser einen wiederwÓrtigen Ekel verursachet.“ [Hervorhebungen durch MBL] Auch widmet Stieler der „tadelhaften und verwerflichen Schreibart“ in Teil 2 ein ganzes Kapitel (Kapitel XVI, 1673, 234ff.), und erwähnt im folgenden Kapitel über die „rechtmäßige und lobwürdige Schreibart“ weitere Missbräuche (1673, 293ff.). S.a. weiter unten im Text.
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scheinlich ist. Abgesehen von Stielers bereits vorgestellten Verweisen auf die jeweils am Arbeitsplatz üblichen Schreibgewohnheiten sind seine Empfehlungen zu den entsprechenden Fragen unklar, werden durch die Darstellung von Alternativen unverbindlich oder hängen bereits deutlich hinter der tatsächlichen Entwicklung zurück.80 So ist Stielers Position zur in dieser Arbeit am Rande erwähnten Großschreibung (Teil 4, Abschnitt X) altmodisch, wenn er zu einem Zeitpunkt, als diese sich schon fest etabliert hat von einem „Misbrauch der großen= oder Versalbuchstaben“ spricht (Randglosse, Band I, Teil 2, 1673, 37) und fordert, diese nur bei Eigennamen, am Satzanfang oder zur besonderen Betoung zu verwenden (ibid.). Stieler berührt in der Secretariat-Kunst zwar das Thema Komposita (Teil 4.4.), aber er behandelt eher die Interpunktion, z.B. mit der Frage, wann man das „Mittelstrichlein =“ verwenden dürfe (Band I, Teil 2, 1673, 36; nämlich zur Kenntlichmachung von Auslassungen bei Wiederholung eines Kompositionsgliedes).81 Stielers Standpunkt in der Streitfrage um die Kenntlichmachung von Zusammensetzung durch einen Bindestrich ist zwar einerseits realistisch, wenn er den Bindestrich als „Emphaticum“ zur Verdeutlichung des Stammwortes verteidigt, etwa im zusammengesetzten Adjektiv „heylig=glÔnzend“ (ibid.; dies entsprach der Praxis gegen Ende des Jahrhunderts, wurde aber von manchen Grammatikern kritisiert, s. Takada 1998, 217). Unmittelbar vorher erklärt Stieler diese Praxis aber für überflüssigen Missbrauch (ibid., 35): Ein großer Misbrauch aber dieses Mittelstrichleins befindet sich heut zu Tage unter denen/ so dieses KunststÙck nicht recht gelernet haben/ in dem sie alle Verduppelungen ohn unterscheid mit diesem Strichlein vergeblich wieder von einander trennen. Also schreiben sie unrecht/ Reichs=/ Stadt/ Schiff=streit/ Ehr=sucht/ Wol=lust/ Thier=garten rc. welche doch durch die in unserer Sprache hØchst kÙnstliche Verduppelung zu einem Worte worden/ und dieser Sonderung nicht vonnØhten haben.
Ebenso ist Stielers Standpunkt zur Doppelnegation (Teil 4.7.) unverbindlich, denn laut einer gedruckten Randglosse sind „Doppele Verneinungen [...] nach den GehØrurteil abzuwÔgen“ (Band I, Teil 2, 1673, 301). Stielers folgende Darstellung der Problematik entspricht genau dem tatsächlichen 80
81
Vgl. Fußnote 78, wo die angeblich gerade bei vornehmen Kanzleien zu findende Konstruktion „des Fürsten sein Diener“ (possesives Genitivattribut) kritisiert wird. Diese Konstruktion war eine Mischform aus Genitiv und possessivem Dativattribut als Genitiversatz (Letzteres belegt seit dem 15. Jh., s. Polenz 1994, 271). Beide blieben laut Polenz (a.a.O.) nur „umgangssprachnahe Randerscheinungen“, die selbst in einer Phase des relativen Booms in schriftsprachlichen Texten zwischen ca. 1500 und ca. 1700, bei dem ihre Verwendung von 0,1 auf 1,1% anstieg, selten blieben (vgl. ibid. 206f.). In den hier untersuchten Commerzprotokollen taucht eine derartige Konstruktion nur ein einziges Mal auf: „Schiff.[er] Andreß Rùmp sein Schiff“ (PC 285/17f., 29.11.1672, Schreiber D). „Als: Der Ehr= Lust= und Geltgeiz/ ist den Geistlichen gleichsam angebohren“.
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Stand des Sprachgebrauchs, nach dem bereits einfache Negationen favorisiert werden, obwohl Negationshäufungen noch akzeptabel sind (Band I, Teil 2, 1673, 301): Also ist zu merken: Daß obwol in der Teutschen Sprache zwey oder mehr (p) VerneinungswØrter noch hÔrter verneinen: Als: das tuh ich nimmer nicht; Nichts nicht ist schlimmer/ als die Einbildung. Keiner nicht wird die RÔhtsel auflØsen. [...] dennoch man sich wol vorzusehen habe/ daß/ wo in einem Worte/ als da sind keiner/ noch/ weder/ nirgend/ niemals/ auser/ ausgesetzt/ ausgenommen/ mit nichten rc. die Verneinung albereit stecket/ man nicht das Zuwort nicht vergeblicher weyse darzufÙge/ als: Weder Bitte noch Recht/ gilt bey einen bestochenem Richter. Ist beßer als wenn ich sage: Weder Bitte noch Recht gilt nicht rc. [Fußnote: p Negationes.]
An dieser Stelle wäre aus heutiger Sicht eine präskriptive Äußerung zu erwarten, wenn die tatsächliche Entwicklung des Verschwindens gehäufter Negationen als Folge der Grammatikschreibung durch Stieler und andere Grammatiker zu verstehen wäre. In diesem Fall ist aber allenfalls eine akkurate Beschreibung des Sprachgebrauchs zu beobachten. Was die Satzsyntax angeht, bleiben Stielers Äußerungen unklar. Das liegt vor allem daran, dass er noch eher über den die Satzlänge und -komposition bestimmenden Stil (deren „Angemessenheit“) als über die Organisation des Satzes selbst schreibt, z.B. (Band I, Teil 2, 1673, 39): Der vielfache Wortbegriff hingegen ist von mehrern (y) Wortgliedern zusammen gesetzet. Solche Glieder machen die Rede deutlich/ annehmlich/ wolgeteilet/ und ergetzen gewaltig/ zumal in Sachen von Wichtigkeit/ in schØnen Beschreibungen/ Vermahnungen/ und dergleichen: Die Glieder selbst haben auch nicht allein eines/ sondern öfters mehr (z) Gelenke/ die Gelenke auch so viel Worte/ als zu Darlegung der Sache und ErØfnung unserer Meynung von nØhten. [Fußnoten: y Membris, z Articulos.]
Ebenso auf der folgenden Seite 40, wo abstrakt gefordert wird, Satzlänge und Inhalt müssen in angemessener Proportion stehen. Solche Erklärungen bleiben trotz Nennung konkreter Satzgliedzahlen undeutlich, u.a. darum, weil es an klaren Definitionen dessen mangelt, was er unter dem Begriff Wortglieder versteht (ibid., 40f. und ebenso Band I, Teil 2, 1673, 42, 5.): Der lange aber so fern er anders in seiner rechten Bildung seyn soll/ hat zwar minder nicht/ als zwey/ auch mehr nicht/ denn vier Wortglieder/ (denn wo er sich weiter erstrecket/ so Ùberschreitet er seine Maaß/ ersticket den Verstand/ und macht dem Leser Ungelegenheit) aber er lÔßet sich doch etwas prÔchtiger heraus/ gebrauchet sich der (b) Weiterungskunst/ durch Beschreibungen/ BeysÔtze/ Vergleichungen/ ErklÔrungen/ AusfÙhrungen/ und allerhand UmstÔnde/ iedoch also/ daß die Wortglieder nicht allzufern sich ausdehnen/ sondern sich/ wie erwehnet/ nach der Sache richten/ welche/ gleich dem menschlichen Leibe/ mit einem geschiklichen Kleide angetahn seyn muß. [Fußnote: b Amplificatio.]
Wieder fehlen klare Anweisungen dazu, wo die Grenze zwischen zu kurz und zu lang zu ziehen sei, was also konkret unter guter und schlechter Spra-
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che zu verstehen sei, während gleichzeitig das allgemeine Empfinden beim Leser gefördert wird, dass solche Kategorien existieren und dass es von besonderer Wichtigkeit sei, sich an den rechten, die gute Sprache propagierenden Vorlagen zu orientieren. Damit wäre die Secretariat-Kunst zwar als Quelle eines Bewusstseins von Sprachbewertungen zu sehen, als konkretes Vorbild für die Protokollanten der Commerzdeputation Hamburg in deren Orthographie und Grammatik kann sie aber nicht gelten. Hierfür wären eher Protokolle anderer Institutionen in Betracht zu ziehen (s. voriger Abschnitt). Außerdem kann der Secretariat-Kunst eine Art Legitimationsfunktion zugesprochen werden, dank derer Männer schreibender Professionen weiterhin möglich blieb, die zunehmend in Angriff geratene Kanzleisprache, mit der bei Stieler oft ganz konkret die lokalen, besonders die institutionseigenen Normen und erst danach überregionale Vorbilder wie die Reichsabschiede gemeint sind, als Maßstab für ihre Textproduktion zu verwenden. Was bis zu einem gewissen Grad schon Harsdörffer auf intellektueller Ebene durch eine Ausklammerung der Fachsprache aus dem betrachteten Regelwerk unternahm, geschieht bei Stieler noch viel stärker durch eine Betonung der Trennung von Theorie und Praxis, mit der die Schreiber vor den noch unübersichtlichen Standardisierungs- und damit z.T. auch Modernisierungsversuchen der Grammatiker, insbesondere der Fruchtbringenden Gesellschaft, in Schutz genommen werden. Also wirkt auch die SecretariatKunst eher politisch durch die Thematisierung von Fragen der deutschen Schriftsprache, als durch tatsächliche Grammatikschreibung (vgl. 1.2. und 3.1.3.1.). b) Fremdwortpurismus vs. Verteidigung von Fachsprache Genau wie in Harsdörffers Secretarius (s. Harsdörffer 3.1.3.1.3. b), so finden sich auch in Stielers Secretariat-Kunst zahlreiche Äußerungen gegen „fremde Flickerey“ (z.B. Band I, Teil 1, Zueignung, 1673, unpaginiert). In Band I, Teil 2 seines Briefstellers prangert Stieler (1673, 257) mit Scaliger an, es gäbe nicht allein heute zu Tage viel Sekretarien/ sondern auch andere gelehrte Teutsche/ die da nicht meynen/ daß man sie recht verstehen kØnne/ wenn sie nicht mit expectoriren/ resolviren/ intentiren/ protestiren/ affection, courtesie, faveur, contentement, menagieren/ incaminiren/ sondiren/ opinastriren/ jalousie, und dergleichen tausend anderen WØrtern/ [...] Ùm sich werfen solten.
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Scaligers Forderung, nach Reinlichkeit82 „als eine Achthabung/ unverbrÙchlich/ nach der Teutschen Sprache zu reden/ daß nehmlich alles/ was man vorbringet/ gut Teutsch/ und nicht aus andern Sprachen oder fremden untÙchtigen Mundarten entlehnet sey“ (ibid.) übernimmt Stieler mehrfach, z.B. auf Seite 100f. des selben Teils: Ein Teutscher Secretarius soll teutsch schreiben mit den Teutschen/ und Lateinisch mit andern VØlkern/ wenn es die Sache erfordert. Zwar muß er sich zuweilen nach seinem Herrn und (g) des Hofs Schreibart richten/ wie denn ein Gerichts= und Kriegs Secretarius der Lateinischen und andern fremden Sprachen WØrter sich nicht iedesmal entschlagen kan: Zu wÙntschen wÔre aber/ man musterte solche WØrter allgemach aus/ und setze gute teutsche an deren Stelle/ so benehme man den fremden den Verdacht von der teutschen Sprache UnvermØglichkeit/ und tÔhte unser Sprache das Recht/ so ihr gebÙhret. [Fußnote: g Stylus curi.]
Wie schon im vorigen Abschnitt dargestellt, macht Stieler häufig direkt nach seiner absoluten Forderung nach einem Idealzustand Zugeständnisse an die Praxis. Die Verwirklichung des Ideals wird auf eine unbestimmte Zukunft verschoben. Dem obigen Zitat folgt im Original eine Klage über die hier bereits zitierten Missstände (wobei an dieser Stelle besonders bedauert wird, auch Kanzler und Räte seien unfähig, alles, was sie ausdrücken wollen auf deutsch zu sagen, weswegen Sekretäre trotz besseren Wissens nachgeben müssen). Im Anschluss betont Stieler, mit wie viel Mühe er die Zitate aus anderen deutschen Schriften selbst verdeutscht habe. Diese Verdeutschungsarbeit, so wird auf Seite 257 des selben Teils deutlich, geschieht ausdrücklich im Sinne der Satzung der Fruchtbringenden Gesellschaft (vgl. auch ibid., 258ff.). Die HochlØbliche Fruchtbringende Gesellschaft/ hat ein anders ausdrÙckliches Ordensgesetz/ daß jeder/ wer hinein begehret/ sich vor dergleichen FlickwØrtern/ nicht allein selbst hÙten/ sondern es auch andern zu tuhn nicht gestatten solle.
In der Tat ist Stieler, wie in den bisherigen Zitaten an den zahlreichen Fußnoten bereits deutlich wurde, in seinen Eindeutschungsbemühungen äußerst konsequent (interessant wäre, einerseits die Quelle seiner Verdeutschungen festzustellen und andererseits zu verfolgen, inwieweit sich diese bis heute erhalten haben). Seine Argumentationsweise unterscheidet sich nicht wesentlich von der Harsdörffers (vgl. Fußnote 39), wenn Stieler in Wörter mit und ohne deutsches „Stadtrecht“ unterscheidet (Band I, Teil 1, 1673, 20f.). Dass es manchmal unvermeidbar sei Fremdwörter zu benutzen, gibt Stieler wie Harsdörffer in bestimmten Fällen zu, so in Band I, Teil 2 (1673, 261ff.). Es können „also in den teutschen Briefen geduldet werden“ fremde Wörter, die
82
Puritas - diese wird von Stieler eng mit der Angemessenheit oder „Eigenschaft“ der Worte, proprietas verbunden (ibid.; Näheres zum Puritas-Begriff s. Gardt 1994, Teil II., Kapitel 4.).
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zwar fremd klingen, aber eigentlich deutsch seien (z.B. Spiegel und Spaziergang deren Verdeutschungen Gesichtsglas/Luftwandelgang Stieler ablehnt, ibid., 263), ein Bürgerrecht erlangt haben, wie Person, Testament, Natur, etc. (ibid., 263), in Streitschriften stünden, in gerichtlichen Handlungen und Rechtsbriefen vorkämen (ibid., 264: „Man verteutsche nun diese Lateinische Worte/ so kÙnstlich/ als man wolle/ so wird doch der rechte Verstand nimmermehr heraus kommen.“), und ganz allgemein in „allen denen Schreiben/ so von Sachen handeln/ die man anders nicht wÙrde deutlich gebe kØnnen“ (z.B. Kriegssekretarien, ibid., 264).
Die letzten Punkte beziehen sich also auf Fachtermini, die einer längeren deutschen Definition bedürften. Dem nach Rat suchenden Schreiber dürften diese komplizierten Ausführungen in der Praxis wenig hilfreich gewesen sein. Aber wieder fügt Stieler hinzu, dass man als Sekretär seine eigene Meinung zurückhalten müsse, da man sich nach dem „Kanzeley stylum oder Schreibart bey den Regierungen zu richten“ habe (ibid., 264) und er betont, dass Deutlichkeit und Verständlichkeit bei allen Schreiben die oberste Maxime sein müsse weil „man da vergeblich redet/ wenn/ was wir reden/ und warÙm wir reden/ nicht verstanden wird“ (nach Augustinus, ibid. 265). Das ist erneut ein Freibrief für die Verwendung von praktisch bewährten Schriftvorlagen. Zwar wird in der Secretariat-Kunst auch auf Fachsprachen verwiesen, z.B. in Band I, Teil 2 (1673, 272): (z) Die Eigen= Kunst= und HandwerkswØrter; Wie bey den Uhrmachern/ Goldschmieden/ Papiermachern/ Buchdruckern und andern KÙnsten/ eine absonderliche Sprache gleichsam/ zu Benennung ihrer (a) Werkzeuge und Schriften/ von nØhten ist/ so man ihnen laßen/ und nach ihrere Art reden muß/ damit man nicht von den Lehrjungen/ wie Alexander beym Apelle/ ausgelacht werde. [Fußnoten: z Termini artium, a Instrumentorum.]
Stieler nähert sich aber in seiner Darstellung nicht der Komplexität von Harsdörffers Beschreibung der Fachsprachen (vgl. Harsdörffer 3.1.3.1.2., v.a. dessen Erwähnung der Apelles-Anekdote, Secretarius Band II, Teil VII, 1661, 719).83 Klarer als bei Harsdörffer wird allerdings in der SecretariatKunst eine Verteidigung der Schreiber vorgenommen, die sich in der Praxis über die oben angegebenen Postulate der Reinlichkeit hinwegsetzen müssen (Band I, Teil 3, 1673, 617f.):
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Auch zeigt Stieler wenig Sympathie für andere Fachsprachen als die als Vorbild empfohlene Kanzleisprache, die er aber nicht als solche beschreibt. Selbst die verteidigten „Eigen-, Kunstund Handwerkswörter“ werden letztendlich als „Unwörter“ klassifiziert (1673, 273). Die Sprache der Kaufleute lobt Stieler wegen ihrer lakonischen Prägnanz (Band II, Teil 4, Anhang 2, 1674, 161).
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Wir vermahnen hier ein= vor allemal/ daß sich niemand an Einmischung der Lateinische WØrter/ welche die Gewohnheit bey Kanzeleyen so mit sich bringet /und sich zwar sÔmtlich verteutschen/ aber hernach nicht wol gebrauchen laßen/ Ôrgern mØge: Was wir zwar selber aufs neue vor uns aufgesetzet/ darinnen wird man so leicht nichts fremdes oder unteutsches finden/ was aber aus dem Schatz des F. Erzschreines und den Briefschaften aus der Kanzeley/ oder sonst aus bey handen gehabten Handschriften gezogen worden/ solches ist billig ungeendert und in seinem Wehrt verblieben: Es laßen sich auch viel Worte/ ohne eine Elenlange Umschreibung nicht wol verteutschen/ und ob sie schon teutsch ausgeredet werden/ nicht wol verstehen. Als: eine Person recommendiren, eine Schrift communiciren/ etwas in die Feder dictiren, einen expressen abfertigen/ ein concept machen/ von einem dependiren, eine reflexion worauf machen/ das Wort respectivè, à part, in summa, bis dato, [...]. WarÙm solten wir denn/ Ùm des tyrannischen (etliche sagen wÙterischen) Gebrauchs (observanz) willen/ nicht auch fÙnfe gerade seyn laßen/ zumal wenn mich iederman/ wie der Bauer die contribution und der BÙrger die accise/ verstehet. Oft ist die grØste Klugheit (sagte jener) ein Narr mit sein.
Entsprechend richten sich Stielers Briefvorlagen nach dem tatsächlichen Gebrauch und es wird – wie von Stieler selbst im obigen Zitat angemerkt – in den Beispielbriefen von der Verdeutschung der Fremdwörter abgesehen. Zu beobachten ist dies z.B. in einer Einladung zur Hochzeit (Band I, Teil 3, IX. Von Einladungsschreiben, 1673, 375f.), in der zahlreiche Fremdwörter vorkommen. Die dort zu findende Satzlänge (von Stieler an anderer Stelle mehrfach kritisiert, s. 3.1.3.2.3 a) und die Verwendung von tun als Hilfswort (ebenfalls von Stieler angeprangert, s. Band I, Teil 2, 1973, 293f.), zeigen zusätzlich, wie weit Theorie und Praxis immer noch voneinander entfernt sind. Sie demonstrieren auch, dass insgesamt die Briefvorlagen nicht gezielt zur Verdeutlichung oder gar Einbürgerung der neuen Grammatiktheorie genutzt wurden. c) Konkrete Hilfen zur Briefstellung vs. Erörterung von Prinzipien der Briefstellung Wie Harsdörffers Secretarius liefert auch Stielers Secretariat-Kunst ihren Lesern noch wenige konkrete Vorschläge für die Briefgestaltung. Gleich dem Secretarius diskutiert die Secretariat-Kunst an verschiedener Stelle Themen wie das Register der Briefe (hoch, mittel niedrig84), die Brieflänge und andere Aspekte der Briefästhetik.85 Seine Beispiele liefert Stieler jeweils in den 84 85
Z.B. Band I, Teil 2 (1673, 331ff.): XIX Von dem Wolstand der Schreibart/ was die Sache/ oder den Zeug belanget/ und zwar von den dreyen Haubtschreibarten (verschiedene Klassifizierungen werden diskutiert). S. Band I, Teil 2, XVII. Von der rechtmÒßigen und Lobw×rdigen Schreibart/ und zwar absonderlich von der VerstÒndlichkeit (1673, 255): „Lipsius in seinem Brief Unterricht am 7. Kapitel [...] lehrt auf fÙnf Dinge acht zuhaben; Als: auf die KÙrze/ die Deutlichkeit/ die RÙnde/ die Zierde und die GebÙhr.“
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verschiedenen erklärten Stilen (z.B. Glückwunschschreiben in Band I, Teil 2, Kapitel XIX in „hoher“, „mittlerer“ und „niederer Schreibart“). Stieler legt dabei großen Wert auf die Verständlichkeit der erstellten Texte (Band I, Teil 1, 1673, 56; vgl. Fußnote 44), als praxisorientiertes Maß für die Eignung der Vorlagen. Wie schon in der anfänglichen Beschreibung der Secretariat-Kunst erwähnt, argumentiert Stieler wiederholt dafür, die Sekretariatskunst als eigene Disziplin zu sehen (Band I, Teil 1, 1673, 9f. und ebd. XIII. Von denen H×lfsmitteln aus der Rednerkunst gezogen [...], 133ff.). Aus Stielers Argumentationsweise kann entnommen werden, dass die Anwendung der Rhetorik auf die Briefstellung ein relativ neuer, bzw. umstrittener Standpunkt war (z.B. Band I, Teil 2, 1673, 234). Die Grundprinzipien der Briefschreibekunst entnimmt Stieler direkt der Rhetorik, wobei er sich, wie auch bezüglich Orthographie und Grammatik, auf ältere Vorbilder beruft, etwa auf Cicero und Lipsius (z.B. Band I, Teil 1, 1673, 136 und Band I, Teil 2, 1673, 237f.). Der Schreiber hat sich laut Stieler nicht so sehr um den Inhalt der von ihm verfassten Schriftstücke zu kümmern (das ist Sache seines Dienstherren). Es geht in der Sekretariatkunst vielmehr um die kunstvolle Ausschmückung und geschickte Art der Darstellung. Der Brief soll gelehrt sein, aber nicht so aussehen. Er soll logisch aufgebaut und intelligent sein. Stil und Inhalt sollen einander angemessen sein, was z.B. durch „Redeblumen“, „Verwandlungen“, „Übersätze“, „Redarten“ und „schriftliche Ausführungen“ (Figuris, Tropis, Verbis translatis, Phrasibus elegantibus, Deductione) erreicht werden kann (Band I, Teil 1, 1673, 137).86 Es wurde bereits erwähnt, dass Stielers Briefsteller didaktisch besser aufbereitet ist als Harsdörffers Secretarius: In der Regel führt Stieler neue Begriffe ein, dann erklärt er sie und dann gibt er Beispiele, z.B. für die verschiedenen tadelhaften und verwerflichen Schreibarten (Band I, Teil 2, XVI., 1673, 234-254). Hier, wie bei allen Negativbeispielen Stielers, wird offen kritisiert, manchmal in direkter Qualifikation (z.B. ist die vermessene Stilart „strafbar“, s. ibid., 255, die kindische Schreibart besteht in „eiteler und gezwungener Lieblichkeit“, s. ibid., 244) oder auch durch Vergleiche, z.B. wenn es um die zerworfene und ungleiche Schreibart geht (ibid., 252): Diese aber/ wenn man aus einer Schreibart in die andere hÙpfet/ bald mit hochtrabenden und schwÙlstigen Worten herein bricht/ bald in gemeinen niedertrÔchtigen Reden sich aufhÔlt/ bald ernsthaft/ bald kindisch/ bald verblÙmt/ bald kaltsinnig sich hØren lÔßet/ dergleichen Brief sich einer Misgebuhrt gleichet/ da der Kopf groß/ die HÔnde und FÙße klein/ der RÙcke hockericht/ und der Bauch abhangend gesehen wird.
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Für weitere Beispiele der Anwendung von rhetorischen Prinzipien auf die Briefstellung s. Band I, Teil 1, Kapitel XIII und Teil 2, Kapitel VI-XII.
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Derartige Äußerungen sind dazu geneigt, bei den Lesern die Wahrnehmung zu verstärken, es gäbe bereits eine klare Norm, die die Regeln für gutes bzw. schlechtes Deutsch festlege, obwohl tatsächlich erst Notwendigkeit und möglicher Charakter einer verbindlichen, auf wenige Formen beschränkten Norm diskutiert werden (vgl. 3.1.3.1. und 1.2.). Über die Anwendung rhetorischer Prinzipien auf die Briefstellung hinaus liefert Stieler keine nennenswerten konkreten Anweisungen für das Schreiben von kurzen Texten im Sekretariatsalltag. Stattdessen empfiehlt er wieder, sich an bekannte Vorbilder zu halten87 (Näheres s. vorige Abschnitte) und sich durch Lesen vorbildlicher Autoren für die Sekretariatkunst weiterzubilden (Band I, Teil 2, 1673, 403f.; hier wie ibid. 356f. wird auch wieder Harsdörffers Secretarius als „vortreffliches“ deutschsprachiges Werk erwähnt). Gegen zu viel Freiheit bei der Briefstellung äußert sich Stieler vehement (Band I, Teil 2, 1673, 402): Es ist aber leider ! bey vielen/ auch gar gelehrten Leuten/ der falsche Wahn eingerißen/ ob mÙße man den Briefen ihre Freyheit laßen/ zumal dieselbe der Rede Ôhnlich/ und keiner sonderen Ordnung nach Wahl von nØhten hÔtten/ anfÙhrende (e) des Ciceronis Laufrede an seinen Bruder Quintum geschrieben [...]. [Fußnote: e Epistolæ debent interdum hallucinare. Cic. ad Quinct. fratrem l.2.ep.10.]
Es ist diskutierbar, ob man aus der Warnung, sich an die Konventionen zu halten, bereits eine konservative Grundhaltung des Autors ablesen kann, oder ob er lediglich in seinem Bedürfnis, ein praktisches Hilfsmittel für die Sekretariatsarbeit vorzulegen, ein realistisches Gespür für die Praxis zeigt (im Übrigen warnt auch Harsdörffer bei bestimmten Texttypen vor zu viel Freiheit, s. Fußnote 44).88
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Etwa in Abschnitt XVII. in Band I, Teil 2 (1673, 255-302): Von der rechtmÒßigen und Lobw×rdigen Schreibart/ und zwar absonderlich von der VerstÒndlichkeit. Hier erfolgt die Empfehlung, sich an Bewährtes zu halten, etwa die in Kanzleien und Schreibstuben übliche Schreibweise: „[...] da doch viel beßer wÔre/ man scheidete mit guter Vorsicht die Spreu von den Weizen/ und bliebe bey der durchgehenden Ùblichen Schreibart/ wie sie in den Kanzeleyen und Schreibstuben befindlich.“ Die oben zitierte Position führt oft zur Beurteilung Stielers als traditionell (z.B. im Vergleich zu Harsdörffer, s. Nickisch 1991, 79). Diese in vielen Punkten berechtigte Einschätzung gilt es nach Ansicht der Autorin bezüglich der Traditionalität der Briefstellung deswegen zu relativieren, weil die schriftlichen Produkte der Schreiber in der Praxis tatsächlich stark formalisierten Ansprüchen zu genügen hatten, womit sich diese von den in der Secretariat-Kunst im Hintergrund stehenden privaten Briefen (vgl. Band II, Teil 4, Gemein Register, 1674, unpaginiert) prinzipiell unterschieden. Anders als von Nikisch a.a.O. dargestellt, unterscheidet Harsdörffer also selbst auch in private und öffentliche Schreiben, beschränkt sich aber nicht wie Stieler auf die letzteren.
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Schlussfolgerung Letztendlich dient auch Stielers Briefsteller wieder eher dazu, den Status des Deutschen zu heben (z.B. durch Sprachlob und Lob der Sekretariatkunst) als tatsächlich verbindliche Regeln durchzusetzen. Wie bei Harsdörffers Secretarius kann auch bezüglich Stielers Secretariat-Kunst allenfalls eine Sensibilisierung für die Variationsbreite der Grammatik bzw. Orthographie und damit die Wegbereitung für spätere Standardisierungsarbeit als Wirkung angenommen werden. Der prinzipielle Bedarf an Richtlinien für die Briefschreibekunst, aber auch für die Grammatik, wird bei Stieler immer wieder betont (z.B. Band I, Teil 2, 1673, 286f.). Auch die Förderung des Selbstbewusstseins beim Schreiben auf deutsch wäre als mögliche Auswirkung der Secretariat-Kunst plausibel. Stielers Secretariat-Kunst liefert trotz der Unterschiede zu Harsdörffers Secretarius damit genau wie dieser ein Beispiel für die Mechanismen, die man insgesamt auch an den anderen Arbeiten der Grammatiker beobachten kann: Zwar wird viel Energie auf Begründungen, Rechtfertigungen, und Überzeugungsarbeit bezüglich der Eignung und des Wertes der deutschen Sprache verwendet, letztendlich werden aber relativ wenige verbindliche Regeln aufgestellt. Die in Teil 4 der vorliegenden Untersuchung beobachteten Problemfälle der Grammatik werden ignoriert oder so widersprüchlich diskutiert, dass kaum konkrete Normvorschläge aus den Diskussionen zu entnehmen sind. In Stielers Briefsteller ist es u.a. das Bestreben, zwischen geschäftssprachlicher Praxis und gesamtsprachlicher Theorie zu vermitteln, ohne aber den Sonderstatus der Fachsprachen wirklich zur Kenntnis zu nehmen, das die Realisierung der formulierten Ziele (ein Regelwerk für Geschäfts- und Fachsprachen zu erstellen) letztendlich verhindert. Die von Harsdörffer geleistete Vorlage für die Erstellung einer eigenen fachsprachlichen Norm nimmt der Autor der Secretariat-Kunst trotz seiner genauen Kenntnis von Harsdörffers Secretarius nicht auf. Obwohl Stieler den schon ansatzweise in Harsdörffers Secretarius auftauchenden individuellen Schreibstil weiter fördert, bleibt auch in der Secretariat-Kunst der Kanzleistil als Vorbild letztendlich unangetastet. Allerdings ist diese Vorbildnennung, die bei beiden Autoren teils als Bezug auf eine allgemeine geschäftssprachliche Ästhetik und, mehr noch bei Stieler, als Verweis auf die jeweiligen Gepflogenheiten in den Kanzleien der angesprochenen Schreiber verstanden werden kann, bei Stieler ausschließlich für den Bereich professioneller Schreibarbeiten gültig. Damit bleibt in der Secretariat-Kunst immer noch die Orientierung an formalisierten Vorlagen erhalten, aber es werden dort Vorlagen in verschiedenen Stilen alternativ zur Verfügung gestellt. Das bedeutet für die kanzleisprachliche Tradition, dass diese ununterbrochen aber bereits aufgeweicht erhalten bleibt, da weiterhin nach
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Textproduktion – Textsorte – Texttradition
überlieferten Vorlagen gearbeitet wird, die Vorlagen aber zunehmend individualisiert werden. Die Kanzleisprache wird in Stielers Fachbuch noch klarer als in Harsdörffers Kompilation auf die Domänen offizieller Geschäfts- bzw. Fachsprachen beschränkt, womit es zur Trennung des schriftsprachlichen Standards in Normen für freiere, private und solche für formalisiertere, offizielle Schriftstücke kommt. Damit kann festgestellt werden, dass auch in der späten Phase der hier untersuchten Commerzprotokolle noch kein Werk vorlag, dass die Schreibgewohnheiten der Protokollanten durch die Verbreitung einer einheitlichen Norm (nämlich der Geschäftssprachen) hätte beeinflussen können. Entsprechend Stielers Empfehlung dürften vorbildliche Schreiben ähnlicher Institutionen als Vorlagen herangezogen worden sein.
3.2. Protokoll – Fragen zur Textsorte 3.2.1. Zum Texttyp Protokoll Der Begriff Protokoll stammt aus dem Griechischen (prōtos: der erste, kólla: die Klebe) und bezeichnete in byzantinischer Gerichts- und Verwaltungssprache einen Zettel, auf dem einer Papyrusrolle die Daten ihrer Herstellung (Datum, Namen der amtierenden Gerichtsbeamten) angeheftet wurden (Kalivoda/Roll 2005, 371). Die Bezeichnung des Vorsatzblattes ging dann auf die eigentlichen Dokumente über. Über das Griechische wurde der Ausdruck in die mittellateinische Fachsprache übernommen, von der er in die Volkssprachen einging. Für den deutschen Sprachraum ist er ab dem 15. Jh. belegt. Seit Julius Cäsar wurden diese Protokolle durch amtliche Schreiber geschrieben, die die Protokolle (lat. acta) in Büchern zusammenfassten, die öffentlich zugänglich archiviert wurden. Beglaubigte Abschriften hieraus galten als Urkunde (Kalivoda/Roll 2005, 373). Aus anderen Teilen des Römischen Reiches ist belegt, dass in Ägypten und Griechenland auch Gemeinderatssitzungen protokolliert wurden, wobei in die Protokolle auch Zwischenrufe und andere Reaktionen der Anwesenden aufgenommen wurden. Laut Bernhard Roll (ibid.) bildeten in nachklassischer Zeit Protokolle einen wichtigen Bestandteil des öffentlichen Urkundenwesens. Nach Roll war es ein besonderes Privileg staatlicher Stellen, Protokolle mit urkundlicher Beweiskraft erstellen zu können. Schon im klassischen römischen Recht, noch zur Zeit v.a. mündlich geführter Verhandlungen (vgl. 3.3.), verbreitete sich die Erstellung von Protokollen als schriftliches Speichermedium. Im Mittelalter wurde die römische Tradition der Protokollführung weitergeführt und breitete sich auch auf geistliche Verhandlungen aus (z.B.
Protokoll – Fragen zur Textsorte
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Synoden, Konzile, Verhandlungen nach kanonischem Recht). Seit dem vierten Laterankonzil (1215) war ein öffentlicher, vereidigter Schreiber (Notarius) bei geistlichen Gerichtsverhandlungen Pflicht. Mit der Ausbreitung der Schriftlichkeit drang der Brauch des Protokollierens auch in andere weltliche Bereiche vor (Mihm 1995, 27 erwähnt die erste Protokollpflicht im Mainzer Landfrieden 1235; vgl. auch Stieler 1673, 62589). Laut Roll (Kalivoda/Roll 2005, 363) gehört spätestens seit der Wende zur Neuzeit (laut Schmidt 2000, 34 etwa 1450-1500) zum Personal der meisten Gerichte ein geschworener Gerichtsschreiber. Heute bezeichnet der Begriff laut Darstellung Rolls nach dem Historischen Wörterbuch der Rhetorik die Mitschrift einer Verhandlung, deren Natur amtlich oder politisch ist, also z.B. eines Verhörs oder einer Sitzung. Mit dem Protokoll sollen Vorgänge rekonstruierbar gemacht werden, damit die aus der protokiollierten Abhandlung resultierenden Beschlüsse und Handlungen beglaubigt werden (Kalivoda/Roll 2005, 372).90 Damit überführt das Protokoll nach festgelegten Kriterien mündliche in schriftliche Ereignisse und macht sie verfügbar bzw. verwaltbar (Niehaus/Schmidt-Hannisa 2005, 7f.). Gleichzeitig gehört es zum Charakter des Protokolls, dass es sozusagen reziprok-legitimierend ist, also erst durch seine Niederschrift den festgehaltenen Reden der Status verliehen wird, der seinerseits die Gültigkeit des Protokolls als Dokument ausmacht (vgl. ibid. und s. Abbildung 3.3). Dass der Begriff Protokoll als Textsortenbezeichnung problematisch ist, zeigt ein Blick auf die Definition des Textsortenbegriffes selbst.91 Nach Lewandowski (1994, 1173; vgl. auch ibid. 1177) sollte es für jeden Text möglich sein, ihn einer Klasse von Texten mit bestimmten Merkmalen zuzuordnen. Diese sog. Textsorte kann bereits intuitiv-praxisbezogen eingeteilt werden, etwa in die Textsorten Brief, Predigt, Protokoll, Rezept, Wetterbericht, oder sie kann vortheoretisch in Kategorien wie fiktional, gebrauchssprachlich, juristisch, protokollarisch oder religiös eingeteilt werden. Die 89
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„Das Protokoll/ so ein Griechisch Wort/ und so viel als die erste Zusammenleimung heißet/ weil die Notarien oder offenbare Schreiber vor alters die BlÔtter an einander zu leimen pflegten/ ist ein geschwindes Aufzeichnen/ Niederschreiben= und Verfaßung vorgehender GeschÔfte/ zu fernerer Ausbutzung in Eil zusammen gebracht. Wird [...] von denen Rechtsgelehrten die erste Klitterung [vgl. Kladde] genennet.“ „Das Protokoll gehört zu allen politisch, administrativ, öffentlich, privat-rechtlich oder arbeitsspezifisch definierten Bereichen, in denen im Rahmen von Sitzungen und Debatten Beschlüsse zu fassen und Verhandlungsabläufe schriftlich festzuhalten sind“ (Kalivoda/Roll 2005, 374). Die Problematik der Textsortenbenennung ist gerade für die frühbürgerliche Zeit besonders groß, weil es generell schon schwierig ist, in dieser Zeit überhaupt in literarische oder nichtliterarische Texte zu unterscheiden, da die damaligen Gattungsgrenzen zwischen schöngeistiger Literatur und Prosa fließend waren (Niefanger 2000, 200; vgl. 3.3.). Auch aus sprachwissenschaftlicher Sicht weist Reichmann (2000, 1643f.) auf diese Problematik hin und beschreibt einen oft widersprüchlichen Gebrauch der Termini, der auch wichtige Aspekte (z.B. soziale Schichtung) häufig vernachlässigt.
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Textproduktion – Textsorte – Texttradition
Klassifikation von Textsorten wurde bisher in verschiedenen Ansätzen sowohl nach textinternen als auch textexternen Merkmalen vorgenommen, und es wurden auch Versuche unternommen, beide einander zuzuordnen (ibid., Näheres s. auch Topalović 2003, 95ff.). Textinterne Kriterien sind etwa syntaktische oder semantische Merkmale, ein textexternes Kriterium ist z.B. die pragmatische Funktion eines Textes. Trotz verschiedener Versuche in beide Richtungen gibt es bisher kein rundum befriedigendes Model zur Textsortenbestimmung, denn (Lewandowski 1994, 1173f.): Textsortenklassifikationen in aufsteigender Linie droht letztendlich die Gefahr diffuser Komplexität; Klassifikationen in absteigender Linie können sich in immer kleineren Unterteilungen verirren. Eine praxisangemessene Textsorteneinteilung könnte aber von großem Nutzen für Textproduzenten und Textrezipienten sein, da Sorten und Typen (Gattungen usw.) erwartbare Hilfen zur Reduktion von Komplexität darstellen.
Die besondere Problematik der Textsortenklassifizierung im Fall Protokoll wird an den oben genannten, Lewandowski entnommenen Beispielen deutlich, wenn etwa die intuitiv eingeordnete Textsorte Protokoll nicht zwischen den in der Regel in der (nicht nur zeitgenössischen) Literatur vornehmlich angesprochenen Gerichtsprotokollen und den deutlich andersartigen in der vorliegenden Arbeit betrachteten Sitzungsprotokollen zu unterscheiden im Stande ist, die doch schon auf ersten Blick durch verschiedene Erstellungssituationen, eine zumindest teilweise andere Textgestaltung und abweichende Textintentionen unterscheidbar sind (s.u.). Für die hier behandelten Commerzprotokolle wären aus den oben aufgeführten vortheoretischen Kategorien sowohl gebrauchssprachlich als auch protokollarisch und im weitesten Sinne auch juristisch anzuwenden, womit diese Einteilungen als Differenzierungsmittel ebenfalls versagen.92 In der wenigen bislang zum Thema Protokolle bestehenden, weitgehend an gerichtlichen Protokollen orientierten Literatur wird dieser grundlegenden Problematik allerdings nicht Rechnung getragen (vgl. Niehaus/Schmidt-Hannisa 2005 und Kalivoda/Roll 2005).93 Eine Ausnahme bildet Elvira Topalović 2003, die im Kontext ihrer Untersuchung von Osnabrücker Verhörprotokollen des 17. Jhs. die Textsortenproblematik ausführlich diskutiert (ibid., Kapitel 4). Topalović (2003, 95) geht von einer Gliederung Kästner/Schütz/Schwitallas (2000, 1606) aus, die Texte des 15. und 16. Jhs. nach fünf Funktionsbereichen pragmatisch ordnet: 1. Alltagswelt, 2. Institutionen, 3. Religion, 4. Wissenschaft und 5. Dichtung. 92 93
Die Problematik der unklaren Zuordnung teilt der sprachwissenschaftliche Textsortenbegriff mit dem literarischen Gattungsbegriff (auch Genre; Wilpert 1989, 321), aus dem er sich entwickelte (ibid. 935). Dies ist nicht neu. Schon Kaspar Stieler (Secretariat-Kunst, Band I, Teil 3, 1673, 557ff.) führt in seiner Darstellung über das „Berichtschreiben“ (wozu er Protokolle rechnet) ausschließlich Gerichtsprotokolle an.
Protokoll – Fragen zur Textsorte
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Zum hier interessanten zweiten Bereich werden als Textsorten Urkunden, Erlasse, offizielle Briefkorrespondenzen, Rechts- und Polizeiordnungen, Beschwerdeschreiben, Einnahme- und Ausgabeinventare und Protokolle genannt, letztere unterschieden in Rats-, Gerichts- und Verhörprotokolle. Topalović beleuchtet in ihrer Arbeit die Textsorte Verhörprotokolle näher, und schlägt für diese folgende Klassifizierung vor (2003, 160): Texttyp: Protokoll, Text(sorten)klasse: Gerichtsprotokoll, Textsorte: Verhörprotokoll.
Der Begriff Protokoll wird also auf die übergeordnete Ebene des Texttyps gerückt, wodurch weitere Einteilungen in die weniger abstrakten Kategorien der Textsortenklasse und Textsorte möglich werden. Der Texttyp Protokoll kann dann auch problemlos unterschiedliche Protokollsorten umfassen. Wie Topalović hierzu ausführt, unterliegt der Texttyp Protokoll je nach Institution verschiedenen Normen, die ihrerseits nochmals innerhalb von Institutionen in verschiedene Klassen unterteilt werden können (ibid., 104). Wichtig ist hierbei ein Textsortenbegriff, der sowohl die historische Entwicklung der Textsorte als auch deren Zugehörigkeit zum Repertoire des Alltagswissens beinhaltet (Brinker 2005, 144): Textsorten sind konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen und lassen sich als jeweils typische Verbindungen von kontextuellen (situativen), kommunikativ-funktionalen und strukturellen (grammatischen und thematischen) Merkmalen zu beschreiben. Sie haben sich in der Sprachgemeinschaft historisch entwickelt und gehören zum Alltagswissen der Sprachteilhaber [...].
Das Wissen um die konventionell geltenden Regeln für die Erstellung von Protokollen (vom Inhalt über deren Form und Funktion bis zur Sprache, s. 3.2.2.-3.2.5.) gehört also zum Bestand der Kenntnisse, die auch für die historischen Protokollisten zur Ausübung ihrer Tätigkeiten gehörte (s. 3.2.5.). Allerdings geht es in der vorliegenden Untersuchung um Protokolle, die der Textsorte des bislang wenig untersuchten Ratsprotokolls näher stehen als dem Gerichtsprotokoll. Hier könnte in Anlehnung an Topalović als Textsortenklasse das außergerichtliche Protokoll (Extrajudizialprotokoll) angenommen werden, dem als Textsorten sowohl Ratsprotokolle als auch die Sitzungsprotokolle vergleichbarer Institutionen der innerstädtischen Verwaltung untergeordnet werden können: Texttyp: Protokoll, Text(sorten)klasse: Extrajudizialprotokoll, Textsorte: Sitzungsprotokoll städtischer Institutionen.
Eine solche Zuordnung kann zunächst intuitiv festgestellt werden: Wie in Kapitel 2. geschildert, befand sich die Commerzdeputation in einer Situation, bei der sie im Bereich der städtischen Verwaltung von Fernhandelsangelegenheiten um Gleichstellung mit dem Rat der Stadt strebte, wobei
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Textproduktion – Textsorte – Texttradition
angenommen werden darf, dass man sich seitens der Kaufleute am Rat der Stadt und anderen städtischen Institutionen orientierte. Auch kann vermutet werden, dass bei Gründung der Deputation bereits eine innerstädtische Schreibtradition vorhanden war, innerhalb derer sich in den eng miteinander verbundenen Institutionen Rat, Admiralität und Convoydeputation bereits Konventionen zum Schreiben außergerichtlicher Protokolle etabliert hatten (und zwar durch die Verwendung von Vorlagen, s. 3.1.3.2.).94 Dass es direkte Verbindungen zwischen den städtischen Institutionen gab, ist verschiedentlich belegt. Insbesondere zog die Commerzdeputation in den ersten beiden Jahren nach ihrer Gründung einen Schreiber der Admiralität zur Protokollierung heran (s. 2.2.2.). Wie aus dem Findbuch 371-2 „Admiralitätskollegium“95 des Staatsarchivs der Freien und Hansestadt Hamburg hervorgeht (maschinenschriftliche Vorbemerkung des Archivars, ibid. Seite I), zog die Admiralität für ihre eigene Protokollführung nicht den zu ihrem Kollegium gehörenden Protonotar sondern einen Ratssekretär heran. Bei Sitzungen der Convoydeputation, eines Organs, das 1662 zur Verwaltung der immer mehr umstrittenen Convoygelder instituiert wurde (vgl. 2.1.4. – 2.1.6.) und aus Deputierten der beteiligten Behörden bestand,96 protokollierte laut Archivar dafür der Admiralitätsschreiber (Findbuch 3712, S. II). Ohne dass bislang gesicherte Erklärungen hierfür vorliegen (vgl. 2.2.2.), kann immerhin festgestellt werden, dass innerhalb der genannten hamburgischen Institutionen ein für Texttypkenntnisse förderlicher Austausch stattfand. Im Folgenden soll kurz aufgezeigt werden, inwieweit sich die bisherigen Erkenntnisse97 zum Texttyp Protokoll auf die hier vorgeschlagene Textsorte des Sitzungsprotokolls städtischer Institutionen anwenden lassen. Anders als bei poetischen Texten handelt es sich bei pragmatischen Texten wie Protokollen um Texte mit eingeschränkter Autonomie, die besonders stark von ihren kontextuellen Dimensionen abhängen (Mihm 1995, 26): „Daher ist auch der Wandel pragmatischer Textstrukturen häufig nur aus den Veränderungen der tragenden Institutionen zu verstehen oder aus den 94
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Aus dieser Zeit sind wenige Akten erhalten. Es existiert jedoch im Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg ein Band mit Extrajudizialprotokollen der Admiralität aus den Jahren 1672 bis 1719, die in Format und Schriftbild den Commerzprotokollen vergleichbar sind. Diese bieten sich für weitere Untersuchungen der Textsorte an (s. Extrajudizialprotokolle, A1 Band 1). Zum Findbuch s. Flamme/Gabrielsson/Lorenzen-Schmidt (1999, 199). Nämlich dem ältesten dem Admiralitätskollegium angehörenden Ratsherrn als Präses sowie den jeweils ältesten drei Kämmereibürgern, drei Admiralitätsbürgern und einem Schiffer. Vgl. Niehaus/Schmidt-Hannisa (2005, 16), die auf die Diversität von Protokollen aufmerksam machen: „[Das Protokoll] ist [...] bisher kaum zum Gegenstand systematischer Betrachtung gemacht worden. Es gibt viele Protokolle zu lesen, aber wenig über das Protokoll.“ Leider hilft ihre Darstellung dem monierten Mangel an Systematisierung nicht nachhaltig ab. Eine Typologie früher Rechtsprotokolle liefert Arend Mihm (1995), der auch den bisherigen Forschungsstand auf diesem Gebiet zusammenfasst (ibid., 22).
Protokoll – Fragen zur Textsorte
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administrativen Ambitionen des Institutsträgers.“ Diesem Umstand wird in den ausführlichen Darstellungen von Kapitel 2 und 3 dieser Arbeit zum historischen, lokalpolitischen, sozialen und textsortengeschichtlichen Hintergrund der untersuchten Protokolle Rechnung getragen.
3.2.2. Zum Inhalt von Protokollen Wie bereits gesagt, wird unter der textklassifizierenden Bezeichnung Protokoll im Allgemeinen die Mitschrift einer Verhandlung amtlicher oder politischer Natur verstanden, womit es die Geschehnisse von Verhören oder Sitzungen wiedergibt. Dabei spielt laut Roll (Kalivoda/Roll 2005, 372) der zeitliche Ablauf eine Rolle, in dem die Vorkommnisse und Äußerungen der entsprechenden Versammlung stattfanden. Protokolle können von wörtlichen Mitschriften aller Äußerungen (i.d.R. unter Verwendung einer Kurzschrift) bis hin zu reinen Ergebnisprotokollen reichen, die nur wesentliche Inhalte und Beschlüsse referieren (Kalivoda/Roll 2005, 372). In den Protokollen der Commerzdeputation Hamburg finden sich sowohl Elemente des reinen Ergebnisprotokolls als auch des Verlaufsprotokolls (s. 3.2.3.). Der wegen seiner Kürze in Teil 4 dieser Arbeit nicht berücksichtigte Protokolleintrag des 09.11.1677 (PC 770, Hand C) enthält die Feststellung „Ist nichts passiret.“
Abbildung 3.2: PC 770 (Ausschnitt): „Ißt nichts passiret.“
Angesichts der Tatsache, dass ohne eine Versammlung zumindest einiger Commerzdeputierte am 09.11.1677 vermutlich kein Protokoll zustande gekommen wäre, ist dies also eine stark verkürzte Zusammenfassung der tatsächlichen Ereignisse, bei denen sich ja zumindest der Schreiber und ein Teil der Deputierten zur Feststellung des Fehlens festhaltenswerter Ereignisse zu einer bestimmten Zeit am selben Ort eingefunden haben mussten. Dass es sich bei der Abwesenheit von Ereignissen um einen wesentlichen Inhalt handelt, kann in diesem Kontext nicht behauptet werden. Hier wird deutlich, wie stark die Bedeutung der frühen Commerzprotokolle auf ihrem
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Textproduktion – Textsorte – Texttradition
formalen Charakter beruht, oder anders gesagt in ihrer bloßen Existenz. Nicht so sehr das (evt. auch zeitlich) beschreibende Festhalten und Verfügbarmachen von Inhalten ist Funktion des vorliegenden Protokolls, sondern seine textsortengetreue Form demonstriert vorrangig die von der Commerzdeputation erwünschte institutionslegitimierende Funktion (s.o. und vgl. 3.2.4.). Damit kommt also der Form von Protokollen selbst eine semantische Funktion zu. 3.2.3. Zur Form von Protokollen Die Ausdifferenzierung verschiedener Protokollformen hängt, wie schon früher mit Topalović ausgeführt, mit unterschiedlichen institutionellen Ansprüchen zusammen (vgl. Niehaus/Schmidt-Hannisa 2005, 9). Das Verlaufsprotokoll hat die Funktion, Prozesse möglichst vollständig zu erfassen und steht damit in der Nähe der Transkription, die Rede rein physisch wiedergibt. Das Ergebnisprotokoll muss gefasste Beschlüsse und bekundete Absichten festhalten und darüber Aufschluss geben, welche Einigungen erzielt wurden bzw. was ergebnislos vertagt wurde. Deswegen enthält es häufig „explizit performative Formeln, auf die die Beteiligten festgelegt werden“ (Niehaus/Schmidt-Hannisa 2005, 13; auch das Verlaufsprotokoll kann Ergebnisse festhalten, berichtet dabei aber, wie diese zustande gekommen sind). Da das Ergebnisprotokoll dazu dient, Willenserklärungen zu dokumentieren (s. 3.2.4.), nähert es sich damit der Form der Urkunde, die laut Michael Niehaus und Hans-Walter Schmidt-Hannisa (2005, 9) nicht so sehr Anspruch auf Wahrheit sondern eher auf Gültigkeit erhebt. Anders als Urkunden steht aber dabei laut Niehaus/Schmidt-Hannisa das Protokoll grundsätzlich in einem Bezug zu realen Ereignissen, deren Ergebnisse es festhält. Von grundsätzlicher Bedeutung ist, dass es sich bei Protokollen um institutionelle Textsorten handelt, die zwar auf der Grundlage von mündlichen Aussagen beruhen, textlinguistisch gesehen aber nicht mit diesen gleichgesetzt werden dürfen. Erst diese Voraussetzung rechtfertigt die hier vorgenommene Untersuchung der Sitzungsprotokolle der Commerzdeputation als schreibsprachliche, in der kanzleisprachlichen Tradition zu verortende Textsorte (s. 3.2. und Teil 4).98 In den Commerzprotokollen sind alle drei genannten Protokollformen ansatzweise zu beobachten. Ein weitgehend auf die legitimierende Funk98
Vgl. hierzu Busse, allerdings über Gerichts- und Vernehmungsprotokolle (2000, 672): „Der gesprochene Text erfährt bei der Übertragung ins Protokoll [...] charakteristische Umformungen in Richtung einer rechtlichen Vor-Bearbeitung (durch Auswahl, Zuspitzung, Umformulierung), die diese Texte zu juristisch geformten Texten in vollem Sinne macht.“ Zum Aspekt der Mündlichkeit in Protokollen s. Mihm (1995).
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tion des Protokolls reduziertes Ergebnisprotokoll wurde schon im vorigen Abschnitt gezeigt. Ein weiteres Beispiel für ein Ergebnisprotokoll ist auch das Eröffnungsprotokoll vom 19.01.1665 (PC 1, s. Anhang; dieses steht aber auch der Form der Urkunde nahe, s.u. und vgl. Mihm 1995, 29). Im Eröffnungsprotokoll wird summarisch festgehalten, dass und zu welchem Zwecke man sich zur Commerzdeputation konstituiert habe (wie lange dies dauerte, wie der Konstituierungsprozess verlief oder welche Ursachen diesem zugrunde lagen, wird nicht gesagt) und es werden die gewählten Vertreter genannt. Die historisch spätere Erscheinung des Verhandlungen in ihrem zeitlichen Ablauf dokumentierenden, transkriptionsnahen Verlaufsprotokolls (Niehaus/Schmidt-Hannisa 2005, 14; laut Mihm 1995, 22 ab dem 16. Jh.) findet sich nur ansatzweise in den Protokollen, z.B. Protokoll des 01.11.1671. Dies beginnt mit dem Satz (PC 356/6ff.): 1. Nachdeme daß CommerciØm beruffen; wart von/ Sr. Johan GÚhlen gerepetirt waß 1mo in pØncto gefohÓ/ derter RechnÚng von dem respectivè 1 Únd dem 1/2 pcto/ vorgeloffen;.
In der im Protokoll anschließenden Wiedergabe der Ausführungen von Johan Guhlen wird aber schon deutlich, dass dessen in indirekter Rede wiedergegebene Darstellung von den Schreibern in eine komprimierte schriftsprachliche Form übertragen wurde, also nicht mehr direkt der Sprechsprache entspricht (vgl. Mihm 1995, 5.): Weilln es sich dann fast ansehen ließe, als/ wan E. Hochw. Rhat dieß CollegiØm lieber aÚffgehoben/ alß lenger geContinØiret sege, Sie gedepØtirte aÚch gern/ dieser æmulation entübriget sein möchten; zÚ dehme He. Johan/ Schröder aÚß diesem Collegio zu Rahte erwehlet worden:/ Vndt sein, Johan GÚhlen zeit, beÿ diesem Collegio zÚ wohnen/ schon verstrichen;/ Alß wehre sein gesÚch man möchte sich zÚsammen thùn vnd/ schließen ob dieß CollegiØm ferner zÚm besten des gemeiÓ/ nen Commercii Únterhalten vnd die ledige stellen mit/ behÚffigen Persohnen ersezet werden solten [...]. (PC 356/9ff.)99
Während in den frühen Protokollen noch eine klare (wenn auch nach obiger Form schriftsprachlich komprimierte) dialogische Struktur zu beobachten ist, bei der z.B. die Abgeordneten der Commerzdeputation und des Rats abwechselnd zu Wort kommen (z.B. Protokoll vom 10.02.1665, PC 5f.), lassen sich in späteren Protokollen immer öfter summarische Darstellungen der Art „Die Deputierten des Commercii [sagten] 1. ... 2. ... 3. ... 4. .... Die Deputierten des Senatùs [antworteten] zu 1. ... 2. ... 3. und 4. ....“ finden (z.B. Protokoll des 12.07.1669, PC231f.). Insgesamt lässt sich aber sagen, dass eine Zwischenform von Verlaufs- und Ergebnisprotokoll vorliegt, bei der zwar noch indirekte Rede vorkommt, diese aber bereits gestrafft und 99
Inhaltlich spricht aus dieser Textstelle der Verdruss der immer noch in einer rechtlichen Grauzone operierenden, gegen die verschiedensten Hindernisse anarbeitenden Commerzdeputierten (vgl. 2.1.6.).
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geordnet in die schriftsprachliche Form überführt wurde, also nicht mehr direkt der wörtlichen Rede und der Chronologie der realen Ereignisse entspricht (vgl. Topalović 2003, Kapitel 5). Sogar die von Niehaus/SchmidtHannisa erwähnten, explizit performativen Formeln kommen nur selten vor (s. obiges Zitat aus PC 356, dies hat mit den generell häufigen Verbellipsen zu tun, Näheres s. 4.9.). Einzelheiten zur historischen Entwicklung der Textsorte Sitzungsprotokoll städtischer Institutionen bis heute sind in wünschenswerten künftigen Untersuchungen noch zu etablieren. Der erwähnten Textform der Urkunde steht das Eröffnungsprotokoll vom 19.01.1665 nahe (PC 1). Die aufwendige Überschrift nimmt ein Viertel der Seite ein und weist schon dadurch darauf hin, dass die Form der Darstellung selbst von Bedeutung ist. Auch die Namen der gewählten Deputierten nehmen eine besondere Stellung ein. Im Gegensatz dazu ist die Abschrift des entsprechenden Ratsprotokolls auf der Gegenseite (s. PC 0) weitaus weniger aufwendig gestaltet und formuliert. Der oben nach Niehaus/Schmidt-Hannisa erwähnte Bezug zur Realität (laut den Autoren bei Protokollen zwangsläufig) kann bezüglich des Eröffnungsprotokolls je nach Perspektive unterschiedlich ausgelegt werden. Schließlich ist von Baasch belegt, dass der Rat der Stadt Hamburg noch am 07.03.1672 anzweifelte, dass die Kaufleute überhaupt berechtigt gewesen seien, ein Kollegium instituiert zu haben (s. 2.2.2.). Nach diesem Standpunkt wäre das Eröffnungsprotokoll der Commerzdeputation ungeachtet seiner Selbstbezeichnung Protocollum Deputatorum Communis Commercij Civitatis Hamburgensis als solches gar nicht anzuerkennen, da es ja erst einer Institution zukommt, Protokolle zu schreiben. Anwendungsbereich und Funktion sind also ebenfalls Faktoren, die beim Texttyp Protokoll von Bedeutung sind. 3.2.4. Anwendung und Funktion von Protokollen Bezüglich der Anwendung und Funktion von Protokollen wurde bereits unter 3.2.1. festgestellt, dass in Protokollen Vorgänge rekonstruierbar gemacht werden sollen, damit die aus der betreffenden Verhandlung resultierenden Beschlüsse und Handlungen beglaubigt werden. Dazu überführt das Protokoll nach festgelegten Kriterien mündliche in schriftliche Ereignisse und macht sie verfügbar bzw. verwaltbar. Gregor Kalivoda und Dirk Roll (2005, 374) definieren demgemäß die Aufgabe von Protokollen als die Dokumentation von Gesprächs-, Handlungs- oder Abstimmungsprozessen zum Zweck der Überprüfbarkeit und Verfügbarkeit für weitere Entscheidungsschritte. Gleichzeitig gehört es nach Niehaus/Schmidt-Hannisa zum Charakter des Protokolls, dass erst durch seine Niederschrift den festgehaltenen Reden der Status verliehen wird, der seine Gültigkeit als Dokument
Protokoll – Fragen zur Textsorte
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ausmacht. Es wurde eingangs die Bezeichnung reziprok-legitimierend für diese Eigenschaft vorgeschlagen (s. 3.2.1.). Zum Kontext der Protokolle gehört auch, dass sie an eine schriftlich orientierte Kulturform gebunden sind. Protokolle setzen eine hochkultivierte Verwaltungsform voraus, innerhalb derer sie ihre Funktion entfalten können (Niehaus/Schmidt-Hannisa 2005, 14). Dies liegt, wie Niehaus/ Schmidt-Hannisa ausführen, nicht primär in der Verwendung als Erinnerungsstütze – Protokolle fungieren nach Ansicht der Autoren allein durch ihre Verwaltbarkeit: Im Normalfall werden Protokolle in einem Archiv abgelegt, von dem aus sie keine aktive Wirkung ausüben. Ihre Bedeutung liegt darin, dass potentiell auf sie zurückgegriffen werden könnte, falls es nachträglich zu Zweifeln, Fragen oder Einsprüchen bezüglich der dokumentierten Ereignisse kommen sollte (ibid.). Sowohl das Protokoll als auch das verwaltende Archiv stellen dadurch, trotz des Anspruchs auf Objektivität der das Protokoll konstituiert, eine Möglichkeit der Machtausübung dar. Aufbewahrungsort und Zugriffsrechte sind hier von besonderer Relevanz (Niehaus/Schmidt-Hannisa 2005, 15): Protokolle müssen keineswegs jedem jederzeit zugänglich sein. Wem die Einsicht in die Akten und in die Protokolle verwehrt wird, sieht sich der verwaltenden Instanz als einer institutionellen Macht gegenüber. Die Einsicht kann aus verschiedenen Gründen verwehrt werden. Stets sind es Gründe, die die Kraft der Textsorte ins rechte Licht setzen. Am deutlichsten wird das, wenn das Protokollierte selbst zum Grund dafür wird, die Einsicht zu verweigern. Denn damit wird notwendig auch die Einsicht in den Grund der Verweigerung verweigert. Und darin bewahrheitet sich die Macht der Verwaltung.
Ein Beispiel für eine derartige Konstellation liefert die Geschichte der hier betrachteten hamburgischen Kaufmannschaft, die im Jahre 1662 die Zahlung des sog. Convoygeldes an die Admiralität bewilligt hatte, wobei ihrer Meinung nach auch eine Mitteilungspflicht der Admiralität und ein Mitspracherecht der Kaufleute vereinbart worden war. In der anschließenden Verwaltung des Convoygeldes, bei dem diese Vereinbarungen verletzt wurden, kam es 1667 zum Rechtsstreit, in dessen Folge sich die Kaufleute 1668 Einsicht in das entsprechende Protokoll der Admiralität erstritten (eine Abschrift erhielten sie allerdings nicht). Obwohl die Deputierten der inzwischen gegründeten Commerzdeputation ihren Standpunkt bei Einsicht in das fragliche Admiralitätsprotokoll bestätigt sahen, bestritt die Admiralität weiterhin die Rechte der Kaufleute und bestritt im Gegenzug 1669 die Rechtmäßigkeit der Commerzdeputation (Näheres s. 2.1.). Die Gründung der Commerzdeputation als protokollführende Institution ist in diesem lang anhaltenden Konflikt um Areale der innerstädtischen Verwaltungshoheit also ein wichtiger Schritt der Kaufleute.
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Textproduktion – Textsorte – Texttradition
Statusgewinn durch Legitimation der Institution
Machtzuwachs durch Verwaltung der Informationen
Institution
legitimiert durch Dokumentation in relevantem Format
dokumentiert
legitimiert durch Nachprüfbarkeit von Fakten
Protokoll = verwaltbares Dokument Abbildung 3.3: Reziproke Legitimierungsfunktion von institutionellen Protokollen.
Einerseits schaffte man durch das Führen eines Protokolls juristische Verbindlichkeit und nutzte damit eine der Grundfunktionen des Protokolls (s. Niehaus/Schmidt-Hannisa 2005, 11), um der adversären Institutionen schriftlich fixierte Fakten entgegenzustellen. Andererseits erhob man seitens der Kaufleute den Anspruch einer Gleichberechtigung mit anderen Institutionen, indem man sich selber in einem protokollführenden Kollegium konstituierte. Der erste Eintrag des Jahres 1669 (PC 179/16ff., 05.01.1669) lautet betreffenderweise: „Depùtati Commercii fùnden diensam dasieÓ/ nige so Zwischen Jhnen ùndt der Admiralitet/ in pùncto des Convoÿegeldes vorgefallen/ zù Protocolliren.“ Dies steigerte gleichzeitig den Status der protokollierten Daten und der protokollierenden Institution. Zur Legitimation der neugegründeten Commerzdeputation trug damit nach dem oben beschriebenen reziproklegitimierenden Effekt die Führung eines Protokolls noch bei (nur legitime Institutionen schreiben Protokolle). Der legitimierende Effekt wurde seinerseits durch die Beanspruchung einer gleichberechtigten Stellung der Institution innerhalb der städtischen Verwaltungskultur noch verstärkt, da man nun selber Protokolle hatte, über deren Einsichtnahme bzw. Nicht-
Protokoll – Fragen zur Textsorte
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Einsichtnahme man entscheiden konnte, und in denen man seinerseits Fakten rechtskräftig dokumentieren konnte (nur protokollschreibende Institutionen sind legitim). Diese komplexe Funktion als juristisches und legitimierendes Dokument bestimmt auch die formale Gestaltung von Protokollen, die stark standardisiert ist (Kalivoda/Roll 2005, 373). Das schlägt sich in einer stark genormten formalen Gestaltung wieder, die sich außer im Erscheinungsbild auch in bestimmten sprachlichen Kennzeichen äußert. 3.2.5. Sprachliche und formale Kennzeichen von Protokollen Als juristischer Texttyp erfährt das Protokoll grundsätzlich eine Stilisierung, egal, ob es sich um eine Sitzungsmitschrift handelt oder um die Reinschrift einer solchen (Topalović 2003, 161). Aus diesem Grund ist die in Kapitel 2.2.2. aufgeworfene Frage nach der Originalität der Commerzprotokolle zur Beurteilung der schreibsprachlichen Texte nicht so relevant, wie man zunächst annehmen könnte. Erst bei der Suche nach Hinweisen auf gesprochene Sprache würde diese Frage Bedeutung gewinnen. Kalivoda/Roll (2005, 374) sprechen vom Protokoll als einer „sachlichfunktionalen Textsorte“. Da der Protokollant nicht der eigentliche Verfasser sondern eher derjenige ist, der Mündlichkeit in eine zumindest idealerweise neutrale Schriftlichkeit transformiert (s. 3.2.6.), ergibt sich für die Sprache ein „Ideal der Unauffälligkeit“ (Niehaus/Schmidt-Hannisa 2005, 16). Weil aus diesem Grund auf rhetorische Effekte verzichtet wird, bezeichnen Niehaus/Schmidt-Hannisa die nüchterne Sprache als „geradezu anti-rhetorisch“ (ibid., 17). Als Eigenschaften der Protokolle fordern auch Kalivoda/ Roll (2005, 374), diese „sollten sich durch eine klare, überschaubare Syntax, begrifflich-fachliches Vokabular, Sachlichkeit (Stilmittel) und funktionale Angemessenheit auszeichnen (perspicuitas, brevitas, genus humile).“ Das Protokollieren wird in der in dieser Arbeit näher untersuchten Secretariat-Kunst Stielers unter dem Thema „Berichtschreiben“ mitbehandelt und vom Autor zu den schwierigsten Texten gerechnet (1673, Teil 3, Kapitel XIV, 560). Zwar kann die vorliegende Arbeit nicht leisten, die Textsorte Sitzungsprotokoll städtischer Institutionen (als Extrajudizialprotokoll) erschöpfend zu beschreiben und von anderen Unterklassen des Protokolltyps, etwa derjenigen des bei Topalović 2003 herausgearbeiteten Verhörprotokolls (als Gerichtsprotokoll) abzugrenzen. Es soll jedoch die Möglichkeit des Vergleichs mit den von Topalović beschriebenen Verhörprotokollen genutzt werden, zumal sich in den hier bearbeiteten Commerzprotokollen durchaus eine gewisse Nähe zu diesen Gerichtsprotokollen feststellen lässt, die u.a. darauf beruht, dass die Schreiber in der Regel eine juristisches Studium absolviert hatten (s. 3.1.).
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Textproduktion – Textsorte – Texttradition
Dass es im gerichtlichen Bereich klare Vorgaben für die Verschriftlichung von mündlich geführten Verhandlungen gab, weist Topalović ausführlich nach (2003, Kapitel 4.2.). Schon seit der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 (kurz Carolina, s. Topalović 2003, 116ff.) und der Reichskammergerichtsordnung von 1495 (am umfassendsten erweitert 1555, s. Topalović 2003, 119ff.) gab es Vorgaben, zu welchem Zweck was in welcher Form bei Gericht protokolliert werden musste. Wie Topalović beschreibt, waren die in der Carolina festgelegten Vorgaben zur schriftlichen Fixierung von Verhören Bestandteil des geltenden Reichsrechtes (a.a.O.). Z.B. wurden Gerichtsprotokolle chronologisch in einem speziellen Buch festgehalten. Auch die Reichskammergerichtsordnung diente (wegen der Funktionen des Reichskammergerichts als erste Instanz bei Streitfällen zwischen Reichsständen und als oberstes Appellationsgericht) sowohl den territorialen100 als auch städtischen Gerichtsordnungen als Vorbild. Dass die von Topalović samt ihren rechtlichen Wurzeln beschriebene Protokollpraxis auch gegen Ende des 17. Jhs. noch gepflegt wurde, lässt sich Stielers Secretariat-Kunst entnehmen, die eine Beschreibung der Pflichten eines Sekretärs bei Gerichtsverhören aus praktischer Sicht liefert, die sich mit Topalovićs Darstellung der theoretischen Hintergründe zu Form und Inhalt der Protokolle anhand der genannten Rechtstexte deckt (Kapitel XIV, Berichtschreiben, Band I, Teil 3, 1673, 625f.): 1. Soll sich ein Secretarius, der geschicklich protocoll zu fÙhrÕ gedenket/ die acta oder Rechtsschriften/ noch vor der VerhØr/ wol bekant machen/ damit er nicht allein die streitende Personen nennen/ sondern auch warÙm ihr Rechtsstreit und welcher Gestalt derselbe angestellet/ wißen kØnne: Es schadet auch nicht/ wenn er zu Hause vorher in denen RechtsbÙchern den Casum oder Rechtsfall aufschlÔget/ damit er hernach desto geschicklicher/ und mit eigenen Kunstworten alles ausdrÙcken/ und darauf den Bescheid rechtmÔßig verfertigen mØge. 2. Muß er/ ehe noch die Parteyen vorgelassen werden/ den Eingang von Andeutung des Gerichtsorts/ des Tages/ der Stunden/ des Richters und Beysitzer/ der Nahmen des KlÔgers und Beklagtens/ oder auch deren GevolmÔchtigten/ worÙber sich allenfals zeitlich zu erkundigen/ samt der action oder angestelten Streithandel und deßen Beschaffenheit oben an verzeichnen. 3. Wenn nun die Parteyen vorgelaßen/ hat er/ was von dem Richter proponiert oder vorgetragen wird/ mit kurz verfaßten Kernworten ordentlich niederzuschreiben. 4. Des KlÔgers Anbringen/ des Beklagten exception oder Gegeneinwendung/ sie seyn dilatorisch oder peremotorisch (aufhÔltlich oder zerstØrisch) nebst der Wiederbeantwortung und darauf erfolgter ErklÔrung/ samt allem was darbey vorgehet. 5. Welcher gestalt die GÙte versucht werde/ und worÙm sie sich zerschlÔgt/ was zu ieder Partey â part und abgesondert geredet wird/ wenn dieser oder jender abtritt und zurÙck kommt/ und warum es geschiehet/ die euserliche Gebehrden/ Farbe/ Zittern (sonderlich in peinlichen Sachen) eigentlich zu beschreiben. 6. Was von brieflichen Urkunden Ùberreichet/ vom Gegenteil recognosci100 Die Kurstaaten waren hier ausgenommen, da sie ein besonderes de non appellando Privileg genossen, das die Anrufung einer höheren Instanz ausschloss (Näheres s. Topalović 2003, 119).
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ret oder vor gestÔndig geachtet wird/ wie auch die Angelobung der Gewehrschaft/ Vorstandes/ die protestationes oder Bezeugungen und Gegenbezeugungen/ die reservata oder Bedingungen/ die provocationes oder Beruffungen/ und alles andere so geredet/ gebehten und gehandelt wird/ bey zu setzen/ und endlich wenn sich die Parteyen zum Bescheid submittiren oder untergeben/ wie auch des Innhalts und ErØffnung des darauf verfaßten Bescheids nicht zu vergessen/ [...].
Man kann dementsprechend davon ausgehen, dass öffentliche Schreiber durch ihren juristischen Hintergrund mit der geschilderten Protokollpraxis hinlänglich vertraut waren. Zwar fehlen in den Commerzprotokollen manche Angaben, die für das von Topalović beschriebene Verhörprotokoll konstituierend sind (z.B. fehlen verständlicherweise die Namen der Angeklagten, aber oft auch die des Ortes, der in der Regel der Börsensaal war, z.B. PC 12/20, und der einzelnen Anwesenden, s. Topalović 2003, 122 und 136), es lassen sich aber auch Parallelen entdecken: Die Titulatur der Commerzprotokolle ist zwar um die erwähnten Informationen verkürzt, die Gestaltung der Datumsangabe am Kopf der Protokolle ist jedoch im Prinzip die selbe (vgl. z.B. Topalović 2003, 133 mit den Datumsangaben in den Commerzprotokollen; s.a. Mihm 1995, 23). Auch das gesamte Schriftbild der Commerzprotokolle mit Marginalglossen zur schnellen Auffindung von Stichworten ist dem der von Topalović abgebildeten Verhörprotokolle ähnlich (s. Topalović 2003, 131ff.).101 Es fällt aber auf, dass die nachträglich von Hand C zugefügten Marginalglossen in den Commerzprotokollen auf Deutsch vorliegen, manchmal in Form von verkürzten Sätzen, z.B. PC 25: „beÿ den/ Hhe. Oberal:/ ten die/ Ent. Sache/ Recommen:/ diret“ und „Convoÿ/ prolongation“ oder PC 31: „Fahrt aØf/ Duÿn Kirchen/ Ønd ostende“, „Pässe“ und „Convoÿ/ pr. Spanien“. Es werden nicht, wie bei Topalović (2003, 136f.) beschrieben, lat. Stichwörter zum Thema festgehalten.102 Die Marginalglossen waren demzufolge in den Commerzprotokollen eher für den Gebrauch von Laien, nämlich der deputierten Kaufleute, und dem Korpus des Ehrbaren Kaufmanns, dem diese Rechenschaft schuldeten, bestimmt. Bemerkenswert sind weiter verschiedene lat. Formeln in den Commerzprotokollen. Es handelt sich bei diesen Termini nicht um juristische Fachvokabeln, sondern um Satzteile in lat. Sprache, die in deutsche Sätze integriert sind, z.B. 1.
Depùt. Commercii per He. Johan Gùhle beklagen sich du [...] (PC 71/5),
101 Vgl. hierzu 2.2.2. Die Marginalglossen der Commerzprotokolle wurden oft nachträglich von Hand C hinzugefügt, in welcher ab 1674 die Protokolltexte durchgehend vorliegen. Dies unterstützt die angestellte Vermutung einer leitenden Position des entsprechenden Schreibers, evt. auch die einer höheren Qualifikation (dies wäre z.B. über eine weitere Untersuchung der Lateinkenntnisse zu überprüfen). 102 Zwar liegt in den Commerzprotokollen vereinzelt auch die von Topalović (a.a.O.) erwähnte typische Randbemerkung NB vor (nota bene), diese ist in den Commerzprotokollen jedoch mit Bleistift nachträglich eingetragen und kann keiner Schreiberhand eindeutig zugeordnet werden (s. PC 386, 387, 456).
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Textproduktion – Textsorte – Texttradition
2.
Depùtati SenatØs respond: sie wolten von diesem anbringen zÚ Rahte referiren [...] (PC 322/12),
3.
Commercium post aùdita. [sagten] Darinnen konten sie nicht willigen, [...] (PC 38/12),
4.
Depùtati Senatùs [...] erschienen aÚff der Admiral: denen prævia salutatione angebracht wùrde. [...] (PC 321/24 und s.o.).
5.
Corpori Mercatorùm convocato auf dem Börsensahl, ward præviâ salùtatione angebracht [...] (PC 378/4f.),
6.
facta prælectione fielen etzliche contrario Meinùngen [...] (PC 13/6),
7.
DepØtati Senatus reversi. [sagten] E. Hochw. Raht wehre über dieser Sache in sorgfältiger ConsØltation begriffen, [...] (PC 322/16),
8.
reversi respondunt. E: Hochwß: Rath hette dieserwegen neùlich kein Schreiben aus Engellant gehabt, [...] (PC 300/28), [Hervorhebungen in Fettdruck durch MBL]
Wenn es auch ohne weitere Untersuchung nicht immer ersichtlich ist, warum die Schreiber auf lat. Ausdrücke auswichen (z.B. wären Übersetzung von Beispielen 1. und 2.: durch, antworteten leicht möglich gewesen), so ist doch insgesamt eine Tendenz zur Sprachökonomie erkennbar. Die dt. Übersetzungen der lat. Ausdrücke in den Beispielen 3.-8. sind alle länger als die gewählten lateinischen (Übersetzungen: 3. nach den Anhörungen, 4. nach vorausgegangener Begrüßung bzw. nachdem die Begrüßung erfolgt war, 5. nachdem sie zusammengerufen worden waren/ nach vorausgegangener Begrüßung, 6. nach Vorlesung der Tatsachen bzw. Ereignisse, 7. nachdem sie zurückgekommen waren, 8. nachdem sie zurückgekommen waren, antworteten sie). Eine besondere Vorliebe gilt hier lat. Konstruktionen mit Partizipien in der Perfektform (convocato, reversi), die im Deutschen zwar als Form existieren (zusammengerufen, zurückgekehrt), aber im Kontext gewöhnlich anders ausgedrückt werden (etwa durch Relativsätze, nachdem sie zusammengerufen worden waren, oder durch Substantivierung des Verbs, nach ihrer Rückkehr). Ohne künftigen Untersuchungen zu weit vorzugreifen,103 kann festgestellt werden, dass diese Ausdrücke nochmals die Bildung der Schreiber dokumentieren (z.B. prævia salutatione vgl. Joachim Meier an Leibniz: praevia humillima mea salutatione, Brief vom 30.04.1700, Nr. 356 in Leibniz, Sämtliche Schriften 2004, 608) und dass sie zumindest teilweise typisch für einen verwaltungs- bzw. rechtssprachlichen Stil sind (z.B. facta prælectione vgl. Urbar des Guts Zalenze vom 25.09.1779).
103 Eine detailliertere Einordnung der sprachlichen Merkmale der Protokolle in den Kontext der rechts- und urkundensprachlichen Tradition wäre wünschenswert.
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3.2.6. Protokollschreiber und Protokollschreiben Protokolle folgen historisch seit der Antike entwickelten Regeln, die einerseits eine möglichst genaue Wiedergabe des Geschehens garantieren sollen und andererseits bis heute „konstitutive Merkmale für diesen Texttyp“ sind (Kalivoda/Roll 2005, 372), z.B.: x
der Protokollant hat der Verhandlung beizuwohnen, auch wenn das Protokoll später geschrieben wird,
x
der Protokollant steht in einer gewissen Nähe zur Institution, in deren Kreis die Verhandlung stattfindet, ist speziell ausgebildet bzw. gehört dem verhandelnden Gremium an.
Topalović liefert eine entsprechende zeitgenössische Liste diesbezüglicher Merkmale aus der Gemeinen Geistlichen und Land-Gerichts-Ordnung (Codex 1783, 69). Außer dem von Roll ebenfalls an erster Stelle erwähnten Punkt zur Anwesenheit des Protokollanten finden sich in der Ordnung noch vier weitere für Protokolle konstitutive Merkmale: 2.
mündliche oder schriftliche Eingaben werden unverändert niedergeschrieben,
3.
protokolliert wird in spezifische Protokollbücher und nicht auf lose Zettel (vgl. allerdings 2.2.3., Mihm 1995, 33 über frühe Rechtsprotokolle),
4.
angegeben werden müssen Jahr, Monat, Tag, Gerichts- bzw. Rechtsort und ggf. Zeugen,
5.
die Aufgabe des Protokollbuches ist es, den ordnungsgemäßen Verlauf des Verfahrens nachzuweisen.
Auch dies bestätigt, dass Protokollanten über einen juristischem Hintergrund und eine spezifische schriftsprachliche Kompetenz verfügt haben müssen. Im Mittelalter wurde diese Kunst (ars dictandi, Kalivoda/Roll 2005, 372) durch das Studium der ars notariae erworben (ibid., 373). Während der Begriff Notar heute schon auf die Bedeutung „zu Beglaubigungen und Beurkundungen berechtigter Jurist“ eingeschränkt ist (Paul 2002, 712), übersetzt Kaspar Stieler 1673 notariis noch ganz allgemein mit öffentliche Schreiber (Band I, Teil 1, 1673, 32: Fußnote e), die allerdings schon damals in der Regel juristisch geschult waren. Der Person des Protokollführers kommt bis heute eine besondere Funktion zu, sie muss besondere Voraussetzungen erfüllen und sich an bestimmte Regeln halten. „Immer schon war das Führen des Protokolls ein Amt, das nicht nur die Beherrschung der erforderlichen Kulturtechniken voraussetzte, sondern auch an institutionelle Qualifizierungsprozeduren geknüpft war“ (Niehaus/Schmidt-Hannisa 2005, 11). Niehaus/Schmidt-Hannisa führen an, dass schon in der bereits erwähnten Carolina der Eid des Schreibers eine besondere Bedeutung hatte. Aber auch außerhalb des gerichtlichen Kontextes ist der Protokollführer eine Person, die öffentlich bestellt oder durch ein
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Textproduktion – Textsorte – Texttradition
besonderes Verfahren legitimiert ist (Vereidigung, Wahl). Der Protokollant hat nicht nur die Entscheidungsgewalt darüber, welche Inhalte in welcher Form in das Protokoll aufgenommen werden, er hat auch eine disziplinierende Funktion, und kann über diese direkt in das Verfahren eingreifen (ibid., 12). Andererseits hat der Protokollant sich als Subjekt zurückzunehmen, er transformiert lediglich Mündlichkeit in Schriftlichkeit und tritt dabei als Autor nicht in Erscheinung (ibid., 16). Vom Protokollführer wird erwartet, dass er alles wahrheitsgemäß aufzeichnet, womit er in eine unparteiische Position rückt, die nicht mehr von der Institution abhängt, die ihn ernannt hat. Um Machtmissbrauch vorzubeugen ist es oft üblich, dass das Protokoll von allen Beteiligten unterschrieben wird (ibid. 12; dies trifft auf die Commerzprotokolle aber nicht zu, auch wenn gelegentlich die entscheidungstragenden Anwesenden namentlich genannt werden). Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum die Commerzdeputation überhaupt den Schreiber einer adversären Institution (Richert Schröder, Schreiber der Admiralität) zu ihrem Protokollanten machen konnte. Schröder war als Protokollant zur Objektivität verpflichtet, weswegen man sich seine institutionelle Qualifizierung zu Nutze machen konnte. Ob Schröder und die weiteren Commerzprotokollanten zusätzlich zum Medienwechsel von sprechsprachlich zu schriftsprachlich (Näheres s. Koch/Oesterreicher 1990, 5f.) auch noch einen Sprachwechsel von Ndd. zu Hd. vornehmen mussten, kann mangels entsprechender Hinweise aus den Texten nicht ausgesagt werden. Es ist aber nach der damaligen Mehrsprachigkeitssituation durchaus anzunehmen (s. 3.3.4.). In den untersuchten Protokolltexten wurde lediglich ein regionales Zeigerwort beobachtet.104 Dass städtische Schreiber zu diesem Sprachwechsel grundsätzlich im Stande waren, belegt Topalović (2003, 101f.; vgl. auch Kapitel 3.1.1.).
3.3. Kanzleisprache 3.3.1. Einführung und Begriffsklärung In diesem Kapitel soll über die Beschreibung der Kanzleisprachen die weitere Texttradition der Commerzprotokolle beschrieben werden. Betrachtet wird die Entwicklung und Erforschung der deutschen Kanzleisprachen, wobei die hiermit in Zusammenhang stehende Sonderentwicklung der Ablösung der niederdeutschen Verkehrssprache durch das Hochdeutsche weitgehend 104 Es handelt sich um die ndd. Präposition up, PC 421/25, 22.07.1673, Schreiber D (vgl. Peters 2003, 163ff.). Nach Peters wurde die ndd. Variante in vergleichbaren Texten spätestens Anfang des 17. Jhs. durch hd. auf ersetzt. Eine Interferenz durch die Sprechsprache ist damit wahrscheinlich.
Kanzleisprache
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vernachlässigt werden kann, da diese, wie sich bei der Analyse der Protokolltexte zeigt (4.3. – 4.9.), keine Rolle für deren Erstellung mehr spielte. Eine Darstellung einzelner Aspekte der Schul- bzw. Schreibtradition ist bereits unter 2.2.4. und 3.1. erfolgt. Bei den folgenden Ausführungen stehen diejenigen schriftlichen Traditionen im Vordergrund, die den engeren Kontext der Commerzdeputation darstellen; vorausgegangene oder verwandte mündliche Entwicklungen können nicht berücksichtigt werden.105 Das vorliegende Kapitel, das sich mit einer schriftsprachlichen Tradition befasst, in deren Kontext die hier betrachteten Texte verortet werden sollen, konzentriert sich somit auf die Epoche, die deren Entstehung vorangeht. Peter von Polenz führt für den fraglichen Zeitraum in seiner Sprachgeschichte den Epochenbegriff der frühbürgerlichen Zeit ein (2000, 99f.). Der Vorteil dieser Neuprägung ist, dass er dem traditionellen Abschnitt Frühneuhochdeutsch nahe kommt, ohne das für den sprachlichen Kontext in Norddeutschland interessante (Mittel-) Niederdeutsche (13.-16. Jh., resthaft bis ins 17. Jh.) von vorneherein auszuschließen (vgl. 1.1.). Die frühbürgerliche Zeit bezeichnet damit die Übergangsepoche zwischen mittelalterlichem und neuzeitlichem Deutsch, die zeitlich etwa um zwei Jahrhunderte versetzt der Hochphase der Kanzleien folgte (etwa 13.16. Jh., s.u.), und die mit dieser im 15. und 16. Jh. überlappt. Der Begriff beinhaltet in sich bereits eine Referenz auf die für die Epoche prägenden Entwicklungen verschiedener aufstrebender städtischer Gesellschaftsschichten. Anfang der frühbürgerlichen Phase ist die Schreib- und Leseexpansion um 1400, ihr Ende liegt um den Anfang des 17. Jhs., also zur Zeit der untersuchten Protokolle. Als ihre Hauptfolgen gibt Polenz an (ibid.): „Ausscheiden des Niederdeutschen aus der deutschen Sprachkulturentwicklung; Gewöhnung deutscher Oberschichten an das Französische als Prestigesprache.“ Es wird zu zeigen sein, inwieweit sich die Produktion der Commerzprotokolle in diesen Kontext einordnen lässt (s. 3.3.6.2.). Die Wörter Kanzleischreiber bzw. Kanzleistil sind seit dem 15. bzw. 16. Jh. belegt. Bis ins 18. Jh. hatte der Begriff Kanzleisprache eine positive Bedeutung: er wurde gleichbedeutend mit vorbildlicher und angemessener Sprache gesetzt (s. 3.1.3.1.3. c und 3.1.3.2.3. c; Moser 1985, 1398 zitiert als prominente Verfechter des kanzleisprachlichen Vorbildstatus M. Opitz und G. E. Lessing; Bentzinger 2000, 1665 beruft sich in diesem Kontext auf M. Luther, F. Frangk, M. Opitz und J. G. Schottelius). Seit dem 19. Jh. wird der Begriff auf die Besonderheiten der Sprache von Ämtern, Behörden und Verwaltung (im Sinne eines Funktiolekts, s.u.) angewendet; er 105 Das soll nicht bedeuten, dass der Kanzleistil nicht auch die gesprochene Sprache beeinflusste und umgekehrt. Tatsächlich waren es die Traditionen mündlicher Rechtsprechung, aus denen die Kanzleisprachen überhaupt erst hervorgegangen sind (s.u.; vgl. Bentzinger 2000, 1666).
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Textproduktion – Textsorte – Texttradition
bezieht sich ab dieser Zeit i.d.R. auf den vorwiegend negativ bewerteten Stil dieser Sprache, auch Kanzleistil, Behördensprache oder Verwaltungsdeutsch etc. genannt. Unter dem Begriff Kanzleisprachen werden die den Kanzleien eigenen sprachlichen Varianten zusammengefasst. Dem dabei oft erzeugten Eindruck einer einzigen, einheitlichen Kanzleisprache muss, nicht nur wegen der vielfältigen Texttypen, die unter diesem Begriff zusammengefasst werden, energisch widersprochen werden (vgl. Macha 2004, 163 u. 173). In der deutschen Sprachgeschichte wurde der Begriff Kanzleisprache bislang auf die Form (Graphie, Morphologie, Lexikon) der Geschäftssprachen größerer städtischer und fürstlicher Kanzleien des 14. bis 16. Jhs. bezogen und dann mit Hinblick auf die Betrachtung sprachlicher Standardisierungsprozesse angewendet. Als neutrales Instrument sprachhistorischer Diskussion schlägt Moser für die Untersuchung fraglicher Texte eine Definition vor, die sich am Texterzeuger orientiert: „Sprache/sprachliche Merkmale von Texten, die von Kanzlei(en)/Behörde(n) verfaßt sind“ (Moser 1985, 1398). Interessant ist, dass in dieser Definition keine Zeitgrenzen enthalten sind. Definiert man die Commerzdeputation als „behördenähnlich“ (die Kaufleute orientierten sich an Admiralität und Rat, s. 2.1. und 2.2.), so sind die Protokolle nach dieser texterzeugerorientierten Definition als kanzleisprachlich zu bezeichnen. Die Verschriftlichung von Sprache in funktionsorientierten Texten ist deswegen interessant, weil im Prozess der sprachlichen Normierung im Allgemeinen Sachprosa mehr Bedeutung zukommt als literarischen Texten (schon allein durch ihren größeren Anteil, s. 3.3.3.).106 Rechtstexte haben dann noch einmal eine Sonderstellung, weil ihnen die höchste Verbindlichkeit und damit das höchste sprachliche Prestige im Kreis der Sprecher sowie im Kontakt mit anderen Sprachen zukommt (Moser 1985, 1399). Es wurde im Abschnitt 3.2.4. deutlich, dass sich die Auftraggeber der Commerzprotokolle dieser Tatsache durchaus bewusst waren. Die Geschichte der deutschen Rechtssprache wird gleichzeitig als Entstehungsgeschichte der Kanzleisprachen angesehen; sie ist im Vergleich zu derjenigen anderer europäischen Rechtssprachen ungewöhnlich. Zwar war Deutsch von Anfang seiner Geschichte an rechtsfähig (d.h. als Funktionalstil in Rechtsangelegenheiten anerkannt), aber das deutsche Rechtswesen basierte auf einer ausschließlich mündlichen Tradition.107 Schriftliche Dokumentation erfolgte bis ins 13. Jh. grundsätzlich auf Lateinisch in Form von Urkunden, der damals überwiegend produzierten Textform. Durch eine drastische Zunahme des Schriftverkehrs in dieser Zeit (man schätzt,
106 Im Gegensatz zu literarischen sind pragmatische Texte viel stärker kontextabhängig (s. Mihm 1995, 26). 107 Zum Wechsel von mündlicher zu schriftlicher Tradition s. Mihm (1999, 13ff.).
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die Produktion von privaten Urkunden108 habe sich im 13. Jh. mehr als verachtfacht; vgl. Moser 1985, 1399) kam es dann zu einer revolutionären Umwälzung in der deutschen Rechtssprache. Diese ging einher mit einem radikalen Wandel des Rechtswesens. Schon Mitte des 14. Jhs. hatten deutsche Urkunden die lateinischen bereits auf unter 10% verdrängt (ibid.), eine Entwicklung die als gesamteuropäisch verstanden werden kann.109 Beeinflusst wurde diese Tendenz laut Moser durch eine zunehmend selbstbewusstere Beteiligung des nicht lateinkundigen Bürgertums am öffentlichen Leben und durch die führende politische und wirtschaftliche Rolle überwiegend südwestlicher Städte (1985, 1400). Diese besondere Situation in den Städten führte im 14. Jh. dazu, dass dort städtische Kanzleien entstanden, die in deutscher Sprache schrieben. Auch die bereits bestehenden fürstlichen und kirchlichen Kanzleien wechselten im Rahmen der allgemeinen volkssprachlichen Entwicklung und der Rechtsreformen schnell zum Deutschen. Durch die um sich greifende allgemeine Verschriftlichung des Alltagslebens florierte das Kanzleiwesen. In dieser Zeit kam es notwendigerweise zu einer zunehmenden Organisation des Schreibwesens und damit zur weiteren Herausbildung verschiedener in den Kanzleien produzierten Textsorten. Moser (1985, 1400) nennt „Sal- und Kopial-, Stadt- und Rechnungsbücher, Register(bücher), Urbare und Aufzeichnungen anderer Art (Notizen, Entwürfe, Abschriften, Amtsbücher), die der Verwaltung und dem behördeninternen Verkehr dienlich waren.“ Er nimmt zu der oben getroffenen Definition noch eine weitere Kategorie hinzu und untergliedert die fraglichen Texte außer nach ‚Texterzeuger‘ in kanzleisprachlich und nichtkanzleisprachlich zusätzlich auch nach ‚Textsorte‘ in Urkundensprache und Geschäftssprache110 (die Urkundensprache wird damit zur Untergruppe der weitergefassten Geschäftssprache, die alle o.g. Textsorten mit einschließt; ibid.).
108 Dies sind streng genommen alle außer päpstlichen und Herrscherurkunden. 109 Vgl. Bentzinger (2000, 1667f.) zur Entwicklung der deutschen Urkundenproduktion vom 12. – 15. Jh. 110 Nach Polenz (2000, 122) stammt dieser Terminus von Schmitt (1942, 1966).
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Textproduktion – Textsorte – Texttradition
Textsorte Geschäftssprache
Texterzeuger
kanzleisprachlich Urkundensprache nicht-kanzleisprachlich Abbildung 3.4: Definition der Kanzleisprache nach Texterzeuger und -sorte (MBL nach der Schilderung in Moser 1985; beide Kategorien können gleichzeitig angewendet werden).
Moser kommt damit zu einer Definition von Kanzleisprache als „die Geschäftssprache der größeren und großen Kanzleien.“ Oder wie Bentzinger (2000, 1665) erweiternd formuliert: „[...] unter Geschäftssprache wird also die geschriebene (und gedruckte) Sprache der städtischen und fürstlichen Kanzleien im Spätmittelhochdeutschen und Frühneuhochdeutschen verstanden, aber hier ist zu ergänzen, daß noch andere Texterzeuger wie Gerichte und Handelskontore hinzutreten.“ – Die Sprache der Commerzprotokolle ist laut dieser Definitionsansätze prinzipiell als Geschäftssprache einzuordnen, schon allein durch das typisch verwaltungssprachliche Format des Protokolls (s. 3.2. bezüglich der Nähe zu Rechtssprache und Urkundenformat). Die weitere Qualifikation als kanzleisprachlich oder nicht-kanzleisprachlich (nach Mosers texterzeugerorientierter Definition, erweitert durch Bentzinger um „noch andere Texterzeuger ...“) hängt dann von der Einschätzung der Commerzdeputation ab (behördenähnliche Institution oder nicht). Die Nähe zur kanzleisprachlichen Tradition ist jedoch unbestreitbar. Das Ende der Kanzleisprachenzeit sieht Moser mit der Reformation und der allgemeinen Akzeptanz des geltungshohen (da an die politische und ökonomische Vormacht gekoppelten) Meißnischen gekommen (1985, 1406). Untersucht worden ist die Tradition der Kanzleien bislang innerhalb des Zeitrahmens 12./13.-16. Jh.; Moser schränkt den Begriff sogar noch mehr ein und definiert die Kanzleisprachen als Phänomene des 14.-16. Jhs. (s.o.). Das hier im Mittelpunkt stehende 17. Jh. wird mit den Kanzleisprachen selten in Verbindung gebracht,111 lediglich bezüglich der späteren Rezeption der Kanzleisprachen richtete sich bislang das Augenmerk der Sprachhistoriker auf das 17. Jh., etwa wenn es zur Erwähnung der Vorbildlichkeit der Kanzleien durch bedeutende literarische Figuren kommt (Opitz, Schottelius, Lessing; s.o. und vgl. 3.1.). Nach Macha (2004, 162) kann aber 111 Nur implizit findet sich eine entsprechende Zuordnung, so bei Admoni (1990, 176), der in seinem Kapitel Die dritte Etappe des Frühneuhochdeutschen (1550-1700) feststellt „Es blüht weiter die Urkundensprache mit ihrer übertriebenen Hypotaxe, und ihre Wirkung ist in manchen anderen Textgattungen zu spüren.“
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davon ausgegangen werden, dass der „gesellschaftlichen Instanz ‚Kanzlei‘ auch um 1600 noch eine sprachusus-prägende Bedeutung“ zukam. Diese Auffassung wird allerdings kontrovers diskutiert (s. ibid. und vgl. Wiesinger 1999, 243). Die Ergebnisse von 3.1.3.2.3. c legen in Übereinstimmung mit Macha nahe, kanzleisprachliche Traditionen auch über das 16. Jh. hinaus zu untersuchen (s. 3.3.5. und 3.3.6.). 3.3.2. Das sprachgeschichtliche Interesse an den Kanzleisprachen Die Untersuchung der Kanzleisprachen erfolgte bislang unter verschiedenen sprachhistorischen Gesichtspunkten. Bedeutende Fragestellungen der Sprachgeschichtsschreibung im Kontext der Kanzleien waren bisher die Suche nach Aufschluss über gesprochene Sprache, das sich zwischen der Sprache von Institutionen einerseits und der von individuellen Schreibern andererseits ergebende Spannungsfeld, die Feststellung und Beschreibung der Eigenheiten des Funktionalstils der Kanzleien sowie die Frage nach der Bedeutung, die den Kanzleisprachen bei der Herausbildung einer frühneuhochdeutschen Sprachnorm zukommt.112 Hierzu lässt sich nach Moser (1985, 1665) Folgendes zusammenfassen. Kanzleisprachliche Texte wurden wiederholt nach Hinweisen auf Mündlichkeit untersucht. Obwohl diese Texte weiter als andere Textsorten von der gesprochene Sprache entfernt sind, enthalten auch sie Hinweise auf gesprochene Sprache. Der orale oder semi-orale Charakter von zum Vorlesen gedachten Urkunden im späten Mittelalter wird immer wieder betont (vgl. Bentzinger 2000, 1665 und Mihm 1995, 51ff.; s.u.). Ein weiterer im Kontext der Kanzleisprachen interessanter Aspekt war die Frage, inwieweit einzelne Schreiber ihre Gewohnheit denen von Schreibort und Institution aufprägten bzw. unterordneten. Wie man heute weiß, trat die Bedeutung des Einzelschreibers, der zunächst seine individuellen Schreibgewohnheiten am Schreibort aufrechterhielt und mitunter auch dort einführte, im Laufe des 14. Jh. zurück. Nach dieser Zeit wurde zunehmend der Usus der Schreiborte bzw. Institutionen zum dominierenden Faktor (s. Briefsteller von Harsdörffer und v.a. Stieler). Wie in 3.3.1. erwähnt, widmete sich die Kanzleisprachenforschung auch einer genauen Beschreibung des Kanzleistils. Der Stil der Kanzleien ist von der Funktion der Texte bestimmt, vor allem durch deren enge Verbindung mit Rechtsvorgängen. Man spricht deswegen von einem Funktiolekt. Die bislang vorrangig von der Sprachgeschichtsforschung untersuchte Fragestellung bezüglich der Kanzleisprachen ist die Frage danach, inwieweit 112 Darstellungen des historischen Stellenwertes dieser Aspekte liefern Moser (1985, 3.-5.) und Bentzinger (2000, 2.-5).
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die verschiedenen regionalen Kanzleisprachen durch eine „offene“ Norm (Moser 1985, 1401) einen Rahmen für den Sprachausgleich lieferten und so zum Vorbild des Frühneuhochdeutschen (Fnhd.) wurden. Diskutiert wurde, ob und inwieweit Kanzleisprache ein Prototyp des Fnhd. ist. Innerhalb der Suche nach dem Ursprung einer deutschen Sprachnorm hat es zwei bedeutende Ansätze gegeben, die die Rezeption der Kanzleisprache nachhaltig beeinflusst haben. Das aus den 30er Jahren des 20. Jhs. datierende, lange wirkende Modell Konrad Burdachs sieht die führenden Kanzleien (vor allem die Prager Kanzlei Kaiser Karls IV.) als Musterbeispiel eines neu aufkommenden Prosastils, der dann von Beamten und Literaten übernommen und über die Kanzleien, Schulen und Literatur weiter verbreitet worden sei (Moser 1985, 1401f.; Bentzinger 2000, 1666). Im Kontrast hierzu steht die von Theodor Frings seit den 40er Jahren vertretene Darstellung der Kanzleien als Vermittlerinnen zwischen verschiedenen Volkssprachen. Diese Entwicklung wurde vor allen in den ostmitteldeutschen (omd.) Gebieten verortet, in denen sich Siedler verschiedener Herkunft mittels einer übergreifenden Verkehrssprache (Ausgleichssprache) verständigt hätten, die dann zur Basis für das spätere Nhd. wurde, indem sie auf den immer wichtiger werdenden wettinischen Einflussbereich übergriff und so zu ihrer zentralen geographischen Lage noch den führenden politischen Raum vereinnahmte (Moser 1985, 1402.). Während Burdachs lange vertretene These mittlerweile als widerlegt gilt (es wurde nachgewiesen, dass die Prager Kanzlei weder so einheitlich schrieb noch eine annähernd so dominante Rolle hatte, wie zunächst angenommen), ist Frings Darstellung von der Entwicklung einer omd. Ausgleichssprache mittlerweile im Wesentlichen etabliert (wenn auch in stark relativierter Form, vgl. Fußnote 115; ibid.). Die Geschäftssprache der Kanzleien ist zur Beobachtung der Ausgleichsfunktion von Kanzleisprache laut Moser ein hervorragend geeigneter Untersuchungsgegenstand. Durch ihre inhaltliche Beschränkung und die formelhafte Sprache, also einer hohen Frequenz relevanter Elemente, lässt sie sich gut für sprachliche Vergleiche heranziehen, so dass der Stand des Ausgleichs sich an ihr gut beobachten lässt. Besondere Auswirkungen der Kanzleisprache auf den Prosastil wurden später allerdings angesichts ihrer stilistischen Beschränktheit und Formelhaftigkeit als wenig plausibel betrachtet (Moser 1985, 1403). Die Ergebnisse der vorliegende Untersuchung widersprechen der pauschalen Verneinung einer Bedeutung der Kanzleisprache (s. Kapitel 4).
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3.3.3. Die Rolle der Kanzleien im Sprachausgleich Den Beginn einer deutschen Standardsprache kann man laut Polenz (2000, 158ff. mit Besch 1967, 13ff.) in den sogenannten Schreiblandschaften des Spätmittelalters sehen. Hierunter sind frühe Bemühungen zu verstehen, zwischen den Schreibgewohnheiten fürstlicher und städtischer Kanzleien größerer Regionen zu einem überregionalen Schriftausgleich zu kommen. Wenn diese Schreiblandschaften auch noch kein fixiertes, einheitliches System aufwiesen, so gab es in ihnen doch – vor allem im Bereich der Graphemik und der Flexion – deutlich erkennbare Ansätze zur Vereinheitlichung. Diese ersten Bemühungen um eine sprachliche Norm werden, wie bereits beschrieben, als sprachliche Ausgleichsprozesse bezeichnet. Ausgehend von regionalen Schreibdialekten, die sich in den Kanzleien bis zu dieser Zeit weitgehend unabhängig von den gesprochenen Dialekten entwickelt hatten, kam es in diesem Ausgleich zunächst zur unbewussten Einstellung auf die Schreib- und Lesegewohnheiten der jeweiligen Adressaten.113 Zunächst ohne tiefere Reflexion sonderten die Schreiber auffällige Dialektmerkmale aus und reduzierten so die Variationsbreite. In einem späteren Entwicklungsschritt kam es zu einer „überregionalen Tendenz um ihrer selbst willen, auch gegen die traditionellen regionalen Schreib- und Sprechgewohnheiten“ (Polenz 2000, 159). Im 14. und 15. Jh. wurde diese Entwicklung noch dadurch gefördert, dass viele Kanzleischreiber überregional geprägt waren (v.a. durch die Großkanzleien von Kaiser, Fürsten und Großstädten). Entgegen traditioneller Auffassungen, die eine monozentrische Dominanz weniger Kanzleien postulierten,114 geht man heute von einer stark plurizentrischen Entwicklung aus, bei der allerdings eine gewisse Dominanz „zuerst des Südens, vor allem Südostens zusammen mit dem mittleren Osten, dagegen eine bewahrende Passivität und schließlich Unterlegenheit des Nordens, Westens und Südwestens“ (Polenz 2000, 160; Näheres s. Moser 1985 und Peters 2003) zu beobachten ist. Die Volkssprache hat laut Werner Besch (1967, 357) nur anfangs eine geringe, mittelbare Einwirkung auf die Entwicklung der Ausgleichssprache gehabt. Auch die Herkunft der Schreiber spielte nur in frühen Jahrhunderten eine Rolle – sie wurde ab dem 15. Jh. durch den jeweils in den hochorganisierten Schreibzentren herrschenden Institutionsusus abgelöst (s.o. und vgl. Bentzinger 2000, 1669). Wie die neuere Forschung gezeigt hat, kann man nicht generell sagen, dass alle großen Kanzleien progressiver waren als die kleinen, aber trotzdem kann weiterhin von einer gewissen Vorbildwirkung der großen Kanzleien ausge113 Reichmann (2000, 1632) vermutet zusätzliche hohe Variationskompetenz. Vgl. Hartweg (BRS 1419ff.). 114 Ältere Forschungsmeinungen waren aus nationalpolitischen Gründen oft auf Regionen oder Institutionen festgelegt, Beispiele s. Polenz (2000, 160f.). Zum Thema Nationalphilologie s. Mattheier (1999, 230).
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gangen werden (Bentzinger 2000, 1669).115 In diesem Kontext ebenfalls anzumerken ist, dass eine ehemals angenommene Kontinuität von bäuerlicher oder städtischer Sprechsprache hin zur Schreibsprache der Kanzleien als heutzutage weder sozial- noch wirtschafts- oder mediengeschichtlich haltbar bezeichnet wird. Durchgesetzt hat sich die Meinung, dass die stärker schreibsprachlichen Ansätze frühbürgerlicher Stadtkulturen in den Vordergrund zu stellen sind (Polenz 2000, 161 und s.o.: gerade was die soziale Schichtung angeht besteht laut Reichmann 2000 noch Forschungsbedarf ). Als schriftliche Produkte einer städtisch geprägten merkantilistischen Selbstverwaltung stehen damit die hier untersuchten Commerzprotokolle in enger Verbindung zu den von der Forschung identifizierten zentralen Trägern der sprachlichen Ausgleichsprozesse. Moser (1985, 1404, mit Stopp 1976)116 fasst die folgenden vier Wirkungsfaktoren zusammen, die den Ausgleichsprozess am stärksten geregelt haben: 1. Geltungsareal (die am weitesten verbreitete Variante hat die größten Chancen, sich durchzusetzen), 2. Geltungsgrad (die am häufigsten verwendete Variante hat die größten Chancen, sich durchzusetzen), 3. Geltungshöhe (die Variante, die mit dem höchsten Sprachprestige verbunden wird, hat die größten Chancen, sich durchzusetzen), 4. strukturelle Disposition (die Variante, die mit dem bestehenden System am besten harmoniert, hat die größten Chancen, sich durchzusetzen). Sowohl für die großen Partialstaaten als auch für Städte mit überregionalem Handel kann mit Moser nachvollzogen werden, dass ein großer Geltungsgrad (2.) und eine adäquate strukturelle Disposition (4.) durchaus von Vorteil für die Verbreitung von Schriftmaterial waren und dass es im Interesse der Kanzleien lag, aktiv nach einem hohen Geltungsareal (1.) und einer großen Geltungshöhe (3.) ihrer Textproduktionen zu streben. Sowohl für Fürsten als auch für Handeltreibende gilt, dass deren Territorien bzw. Handelsgebiete in sich unterschiedliche Sprachregionen vereinten. Unterschiedliche Reichweite und Geltungshöhe einzelner Kanzleien führen dabei 115 Diese Erkenntnis bewirkte, dass die von Frings angenommene Theorie der Variantenauswahl relativiert wurde, da sie in der von ihm angenommenen Form (nämlich durch Normierungsleistung von Einzelfiguren) nicht mehr länger haltbar war, s.o. 116 Moser fasst frühere Darstellungen zusammen, vgl. Polenz (2000, 171), der Besch zitiert (BRS 1790ff.).
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zu einem uneinheitlichen Bild. Die Entwicklung in Norddeutschland muss aufgrund des Sprachkontaktes mit dem Niederdeutschen (Ndd.) und der hier bereits vorhandenen hochentwickelten ndd. Schreibtradition prinzipiell als Sonderfall betrachtet werden, da dort die Entwicklung der Kanzleien zunächst in ndd. Sprache verlief und später ein Wechsel von Ndd. zu Hochdeutsch erfolgte, bei dem Traditionen anderer Regionen übernommen wurden (dies spiegelt sich auch in der Geschichte der Commerzdeputation wieder, s. 2.1.). Während für die Frühzeit der Kanzleisprachen zunächst die verschiedenen o.g. Faktoren bestimmend waren, scheint nach Moser (1985, 1405) mit der Schwelle zum 16. Jh. eine gewisse Normierung erreicht: Der Ausgleich in den großen Kanzleien der führenden Landschaften des deutschen Ostens ist um 1500 so weit gediehen, daß ihre Graphem- und Morphemsysteme beinahe als Subsysteme eines gedachten, noch nicht realisierten Idealsystems aufgefaßt werden können. Da die Forderung nach der „uniformität einer modernen standardisierten orthographie“ (Bach 1955, 195) und Morphologie dem Normverständnis der Zeit fremd war, konnten diese Systeme von den Zeitgenossen als eine gewisse Sprache (Luther) empfunden werden.117
Mit dem Erreichen dieses Entwicklungshöhepunktes begann jedoch gleichzeitig das Verblassen der kanzleisprachlichen Führungsrolle. Peter von Polenz schildert den schriftsprachlichen Statuswechsel zu Anfang des 16. Jhs. folgendermaßen (2000, 171f.): Nach 1500 wechselten die Vorbildgeber der gemeinsprachlichen Aussonderung: Weniger die Kanzleien waren jetzt maßgebend, mehr die Drucker, Universitäten, vorbildlichen Autoren, Schulmeister, Verfasser von Orthographien [...]. Den Bücherlesern konnte damals ein hohes Maß an Kenntnis fremdregionaler Varianten zugemutet werden; die Schwelle der Variantentoleranz lag wesentlich höher als seit der Sprachkultivierung der Aufklärungszeit. Noch zu Anfang des 16. Jh. sind den Schreiblandschaften vergleichbare regionale ‚Druckersprachen‘ zu unterscheiden (Hartweg, in: BRS 1419ff.) [...].
Obwohl rückblickend ein Bild relativer sprachlicher Einheit wahrgenommen wird, muss also von einer größeren sprachlichen Diversität ausgegangen werden (vgl. Fußnote 114). Es stellt sich außerdem die Frage, wie der Widerspruch zwischen dem erklärten Ende der kanzleisprachlichen Vorbildwirkung im frühen 16. Jh. (s.o.) und den noch mehr als zwei Jahrhunderte lang aufzufindenden Verweisen angesehener literarischer Figuren des 17. und 18. Jhs. auf die Vorbildrolle der Kanzleien vereinbart werden kann (s. 3.3.5.). Es ist fraglich, ob und inwieweit der Einfluss der Kanzleien tatsächlich bereits im 16. Jh. von anderen Institutionen und Individuen abgelöst wurde. Diese Frage, die bereits im Zusammenhang mit den Brief117 Zur Definition der wichtigsten konstituierenden Merkmale geduldeter Variationen s. ibid. 1405f.
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stellern angesprochen wurde (3.1.3.2.3. c), soll auch bei der Untersuchung der Commerzprotokolle im Auge behalten werden (s. 3.3.6.2. und 4.). Dass noch Nachholbedarf bei der Untersuchung von Spätphase und Nachwirkungen der Kanzleisprache besteht, ist unbestritten. Auch die Gründe hierfür sind bereits identifiziert, denn durch eine Schwerpunktlegung in Richtung schöngeistiger Literatur kam bislang in der Sprachgeschichtsforschung der Bedeutung der Fach- und Wissenschaftssprachen für die Normierung der deutschen Schriftsprache in absolutistischer Zeit eine Nebenrolle zu. Oskar Reichmann (2000, 1627) stellt ganz allgemein bezüglich des Kenntnisstandes fnhd. Varietäten fest, dass sie diversen Filtern unterliegen: Von dem (geringen) Teil der Gesamtheit kommunikativer Handlungen der Epoche, der sich in schriftlicher Form vollzog, wurde nur ein geringer Teil erhalten; vom Erhaltenen ist nur ein Teil durch Kataloge erschlossen; vom Erschlossenen ist maximal derjenige Teil durch Editionen zugänglich gemacht, der das Erkenntnisinteresse der Forschung gefunden hat; vom ediert Zugänglichen kann aus arbeitstechnischen Gründen nur ein Teil wissenschaftlich untersucht werden.
Zu den bisher durch die Forschung besonders vernachlässigten Bereichen zählen nicht nur allgemein die Geschäftstexte des 17. Jhs. (mangels Interesse), sondern hier wiederum diejenigen, die bisher nur in Handschriften vorliegen (wegen Bevorzugung der Printmedien in dieser Zeit). Schon 1920 monierte der Wirtschaftswissenschaftler und Politologe Ernst Theodor Baasch (1920, 48): Während aus dem 15. und 16. Jahrhundert eine ganze Reihe kaufmännischer Geschäftsbriefe veröffentlicht sind, hat man für das 17. Jahrhundert sich hierin bisher große Zurückhaltung auferlegt, obwohl es an Material nicht fehlt und die private Geschäftspraxis des 17. Jahrhunderts mindestens ebensosehr der Aufklärung bedarf wie die früherer Zeiten.
Dirk Niefanger (2000, 220) weist aus literaturwissenschaftlicher Perspektive auf die Problematik des modernen Gattungsbegriffes hin, die seiner Darstellung nach der Grund für eine allgemeine Vernachlässigung von Sachtexten ist. Er schreibt speziell dem Einfluss von Goethes Ausführungen über die drei Hauptgattungen (Epik, Lyrik und Dramatik) eine rückblikkend verfälschte Sicht auf die noch fließenden Gattungsgrenzen des 17. Jhs. zu. Niefanger stellt fest (ibid.), dass „das, was nach heutigem Verständnis schöngeistige Literatur ist, nur ‚einen Bruchteil der Buchproduktion des 17. Jahrhunderts darstellt‘ (Hoffmeister 1987, 156), die nicht-fiktionale Prosa aber einen erheblich größeren Part [...].“ Zu allem diesem kommt noch die Tatsache, dass die Wissenschaft bislang von einer schwindenden Bedeutung kanzleisprachlicher Texte ausgeht, ohne das diese im Einzelnen für das 17. Jh. untersucht wäre. Nickischs Standardwerk zu den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jhs. (1969) legt seinen Schwerpunkt eher auf das 18. Jh. (vgl. Fußnote 8) und auch
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Dirk Josten 1976 löst den Widerspruch zwischen Vorbildnennung und Vorbildrolle nicht auf, sondern liefert im Gegenteil sowohl eine Beschreibung der verblassenden Vorbildrolle als auch Beispiele für einen ungeminderten Einfluss der kanzleisprachlichen Rhetorik zumindest auf die deutsche Briefkultur (s. 3.3.5.). Wie Polenz (1994, 347) zu bedenken gibt, ist diese Vernachlässigung angesichts der weiten Verbreitung von Sachtexten in der frühbürgerlichen Zeit ungerechtfertigt: Fachliches und Wissenschaftliches gehörte jedoch zu den meistverbreiteten und meistgelesenen Texten in dieser Epoche (Eis 1967, 59; Drozd/Seibicke 1973, 33), die damit zur langfristigen Vorbereitungszeit der Sprache der Industriegesellschaft wurde. Es ist in dieser Zeit den Praktikern und Theoretikern der frühindustriell wichtigen Sachgebiete und Berufe gelungen, den enormen sprachlichen und soziolinguistischen Abstand zu überbrücken zwischen dem praxisbezogenen speziellen, zünftischen, z.T. regionalen Sprachgebrauch [...] einerseits und der rhetorisch hochstilisierten esoterischen Denk- und Schreibweise von Juristen, Kanzleibeamten und Gelehrten andererseits. Dabei kam es darauf an, brauchbare, lehrbare Standards für die merkantilistische Verwaltung und Wirtschaft und für die bürgerliche Allgemeinbildung zu entwickeln.
Anders ausgedrückt kam es in dieser Zeit aus den praktischen Bedürfnissen der frühbürgerlichen Industrie und Marktwirtschaft heraus zu einer Vereinigung verschiedener Schrifttraditionen, deren Resultat die Vereinbarung praktischer Bedürfnisse mit theoretischen Vorgaben in einer allgemeingültigen Schreibsprache war. Es wird zu beobachten sein, inwiefern sich dies in den Commerzprotokollen manifestiert und wie diese Texte in einen Kontext einzuordnen sind, der im Spannungsfeld zwischen praktischen Bedürfnissen und dem Streben nach politischer Legitimität liegt. An den zeitgenössischen Handbüchern für Sekretäre wurde bereits ersichtlich, dass die Versuche Praxis und Theorie zu vereinen problematisch waren (s. 3.1.3.1.3. c und 3.1.3.2.3. c). 3.3.4. Die sprachliche Situation in Hamburg zur Zeit der Ablösung des Niederdeutschen durch das Hochdeutsche Der Sprachentwicklung in städtischen Kontexten kommt auch laut Dieter Möhn (2003, 2297) besondere Bedeutung zu, nicht nur wegen günstiger Überlieferungssituationen. Die Stadt offenbart sich als „Ereignisfeld intensiver und vielfältiger Sprachentwicklung“ und hat als „Wahrnehmungsraum [...] mit [...] heterogenem Sprachaufkommen“, der ein hohes Bewusstsein für mögliche Sprachvariationen in unterschiedlichen Alltagskontexten bedingt und dessen Folge eine städtische Mehrsprachigkeit ist, auch eine besondere Funktion in der Sprachentwicklung (ebd.). Als Faktoren innerhalb des städ-
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tischen Kontextes sind es im Falle Hamburgs die Aktivitäten der Hanse, der aufblühende Fernhandel, eine zunehmende innerstädtische Organisation und eine fortschreitende Arbeitsteilung, die besondere Bedeutung für die Sprachentwicklung haben (a.a.O., 2299).118 Diese Feststellung entspricht der heutigen Einschätzung der Stadt als zentraler Ort des Sprachausgleichs (s. 3.3.3.) und weist damit den Protokollen der Commerzdeputation als Texten aus dem Kontext von Fernhandel und städtischer Organisation eine zentrale Stellung zu. Im Fall der Stadt Hamburg liegt insofern eine Besonderheit innerhalb der deutschen Sprachgeschichte vor, als hier ein Wechsel der Leitvarietät von Niederdeutsch (Ndd.) zu Hochdeutsch (Hd.) stattfand (ibid. 2297f.). Dieser Wechsel war nicht abrupt, sondern erfolgte ganz allmählich über eine sich wandelnde Kontaktvarietät zwischen den sich ablösenden Hauptvarietäten.119 Dabei verlief der Übergang in der Schriftsprache schneller als in der Sprechsprache (s.u.).120 Möhn unterscheidet zwischen zwei Entwicklungsstadien, dem frühen Stadium, in dem Ndd. die urbane Leitsprache war (12.-16. Jh.) und der folgenden Phase, in dem Hd. die Stellung als urbane Leitvarietät übernahm (16. Jh. bis heute; ibid. 2298). Inwiefern es im Einzelnen zu Interferenzen zwischen den beiden Sprachen kam, zeigt das Brevier des Praeceptors der hamburgischen Schreib- und Rechenschule St. Nicolai von 1642, in dem es als Kommentar zur Abschaffung ndd. Schulbücher heißt (nach Rüdiger 1903, 273; Näheres s. 2.2.4.): So wird auch nun von Dato an bis dahin gehalten, daß die grossen der Hochteutschen= Sprache sich befleissigen vnd da sie wegen der angebornen Muttersprach anstossen, wird ihnen besser zu reden, Anleitung gegeben.
Im vorliegenden Kontext von besonderem Interesse ist nicht die Entwicklung von Ndd. als urbane Leitvarietät (Näheres hierzu s. Möhn 2003, 22982303), sondern der Verlauf der Ablösung derselben durch das Hd. Der Untergang der Hanse (als Gegenbewegung zum Erstarken der europäischen Nationalstaaten) und der Wirtschaftsboom md. und obd. Städte bewirkten eine grundlegende Veränderung in den Handelsbeziehungen Hamburgs 118 Als einen der größten Faktoren innerhalb der Sprachentwicklung Hamburgs nennt Möhn den Einfluss von Handel und Handwerk durch die Ausbildung lokaler Fachsprachen (2003, 2300; vgl. 3.3.6.2.2., Invocatorien). Ein Beispiel ist u.a. die Kollektivmarkierung für selbstständige Fernkaufleute -farer (vgl. 2.1.2.). 119 Bilinguismus wurde allmählich zur Diglossie. Als Sprachmischungserscheinungen entstanden Formen, die pauschal als Missingsch bezeichnet werden. Nach Bichel (BRS 1868ff.) ist Missingsch eine „Brockenhafte Vermischung von Hochdeutsch (Meißnisch) mit Niederdeutsch, wenn muttersprachlich Niederdeutsche sich in unvollkommener Weise hochdeutsche Ausdrucksweise angewöhnten.“ Weiteres s. Polenz (1994, 218f.). 120 Überhaupt vollzog der Übergang zum Hochdeutschen sich nicht plötzlich und homogen sondern langsam und je nach Region völlig unterschiedlich. Die ersten hd. und letzten ndd. in einer Stadt produzierten Texte können bis zu hundert Jahre auseinanderliegen. Die Reformation wirkte beschleunigend (Polenz 2000, 261f.).
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(vgl. 2.1.), die nicht ohne Auswirkungen auf die Sprache blieb: „die Kommunikationsgrenzen des Niederdeutschen zeichneten sich ab, das Hochdeutsche bot die moderneren Beteiligungsmöglichkeiten (einschließlich der Korrespondenzen mit dem Reichskammergericht in Speyer)“ (Möhn 2003, 2303).121 Als Folge der Aufwertung des Hd. kam es ab dem 16. Jh. zu einem Sprachwechsel, der sich über mehrere Jahrhunderte erstreckte (ebd.). Als ein Grund für die bessere Bewertung des Hd. bietet sich die von Jürgen Bolten (1998, 131) beschriebene Führungsrolle oberdeutscher Handelshäuser im deutschen Fernhandel seit dem 16. Jh. an, also ökonomische Überlegenheit, die laut Bolten auch einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Standardsprache auf omd. Grundlage ausgeübt hat. Im Verlauf des Sprachwechsels setzte sich das Hd. in Hamburg zuerst in der stadtoffiziellen Schriftlichkeit durch, vor allem solchem Schriftverkehr, der der stadtexternen Kommunikation diente. Laut Möhn begann diese Umstellung um 1530 und war bereits 1565 abgeschlossen. Die stadtinterne Amtssprache folgte dieser Entwicklung mit Verzögerung, und erst zu Beginn des 17. Jhs. sind Zeichen einer Umstellung zu finden, die laut Möhn aber nach kurzer Zeit, etwa um 1620, bereits vollständig vonstatten gegangen war (laut Sodmann 2000, 1506 dauerte der Übergang von Ndd. zu Hd. innerhalb der städtischen Kanzleien Norddeutschlands etwas länger, nämlich durchschnittlich 25-30 Jahre). Bei amtlichen Texten, die auch von rein ndd. sprechenden Bevölkerungsschichten verstanden werden mussten, wurde noch weitaus länger auf Ndd. geschrieben (z.B. Emdener Pestverordnung 1664, Bremer Wachtordnung 1694, Hamburger Bürgereid ca. 1700; s. Sodmann 2000, 1505). Für das hansische Kontor zu Bergen erwähnt Sodmann (ibid.), dass dessen innere Angelegenheiten bis zur Mitte des 17. Jhs. mittels ndd. Schriftkorrespondenz geregelt wurden, wenn diese auch bereits „vom HD zersetzt“ war. Außerdem wurden auch im 17. Jh. weiterhin ndd. Bücher gedruckt (Möhn 2003, 2303f.), allerdings bei verarmter Vielfalt literarischer Gattungen (vgl. Sodmann 2000, 1508), und insgesamt erfolgte der Schreibsprachenwechsel in verschiedenen Text- und Adressatengruppen nur allmählich. Über verschiedene Phasen der Sprachaneignung, bei denen Ndd. mit hd. Einsprengseln, ein ndd.-hd. Sprachgemisch und schließlich Hd. mit ndd. Resten zu beobachten sind (Möhn 2003, 2304), vollzog sich der Sprachwechsel zuerst im Schriftbereich. Die Entwicklung der Sprechsprache setzte sich „ungleich langwieriger und verwickelter fort. Die Koexistenz von Hochdeutsch und Niederdeutsch blieb bis in die unmittelbare Gegenwart folgenreich [...]“ (ebd.). Noch 1533 121 Polenz (22000, 261f.) hält die Sonderstellung des Niederländischen in Hamburg für einen retardierenden Faktor und verweist auf den Hamburger Bürgereid, der noch bis 1844 auf Ndd. geleistet wurde.
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wurde festgestellt, dass sich in Hamburg viele Personen befänden, die des Hd. völlig unkundig seien (ebd.). Seit Anfang des 17. Jhs. ist belegt, dass hamburgische Patrizier ihre Söhne zur Ausbildung nach Leipzig sandten (ebd., nach Gabrielsson 1983, 125). Die Übernahme der hd. Sprechsprache schritt zunächst in gesellschaftlich höheren Schichten voran, so dass eine sozial markierte Zweisprachigkeit entstand. Tatsächlich herrschte in Alltagssituationen noch lange das Ndd. vor (ebd.). Für das 17. Jh. kann man in Hamburg laut Möhn (2003, 2305f.) zumindest für Ratsherren, Bürgermeister, Gelehrte und Handelsherren von einer ndd.-hd. Zweisprachigkeit ausgehen. Für diesen Zeitraum erscheint angesichts des großen Anteils an nl. Bevölkerung auch eine (zumindest passive) Kompetenz in Niederländisch plausibel (ebd. 2303). Als Leitvarietät spielte in früheren Phasen teilweise auch Latein ein Rolle (ebd. 2297; vgl. auch Hinweise auf den Druck lat.ndd. Schulbücher im 16. Jh., ebd. 2302; s.a. 2.2.4.). Insgesamt verlief der Übergang vom Ndd. zum Hd. vom offiziellen hin zum privaten Bereich, vom Adel über die Bürger bis zum einfachen Volk und vom (kanzlei)schriftlichen hin zum mündlichen Bereich (Bichel 1985, 1866). Ulf Bichel beschreibt u.a. eine deutlich politische Motivation für stadtoffiziellen Sprachwechsel, etwa für Goslar (1985, 1866f.): Hier werden zur Führung des für die Stadt lebenswichtigen Rechtsstreites um Bergbaurechte auswärtige Hochdeutsch beherrschende Syndici angestellt, um die Sache der Stadt beim Reichstag in Regensburg und beim Reichskammergericht in Speyer zu vertreten (vgl. Cordes 1934, 48f.). Mit dem Niedergang der Hanse [...] hat das ND an politischem Prestige verloren, so daß sein Einsatz im amtlichen (und auch geschäftlichen) Verkehr weniger Erfolg verspricht als das vom erstarkenden Landesfürstentum bevorzugte Hochdeutsche.
Versucht man nun, die Protokolle der Commerzdeputation in diesen Kontext einzuordnen, ergibt sich, dass diese (entsprechend der vorausgegangenen Entwicklung der stadtoffiziellen Schriftsprache) zweifellos in den Bereich der neuen hd. Schriftsprache fallen. Wie aus den Texten sichtbar wird (s. Transkriptionen), wirkt sich das Vorhandensein einer parallelen ndd. Schreibtradition nicht spürbar auf die Sprache der Protokolle aus. Es liegt keine der von Möhn beschriebenen sichtbaren Phasen der Sprachaneignung vor, bei denen Ndd. mit hd. Einsprengseln, ein ndd.-hd. Sprachgemisch und schließlich Hd. mit ndd. Resten zu beobachten waren.122 Die Verwendung der hd. Sprache ist aus einem Streben der Commerzdeputation nach sozialem Prestige erklärbar (s. 3.3.3., hohes Geltungsareal etc.). Einerseits folgte man dem bereits fest etablierten Vorbild der Stadtverwaltung, was als selbstbewusster Verweis auf den eigenen Status gedeutet werden kann (vgl. 2.1.2.). Andererseits vermied man die ndd. Sprache, die Mitte des 17. Jhs. 122 Einzig beobachtete Ausnahme ist die einmalige Verwendung der Präposition up statt auf, s. Fußnote 104.
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bereits eine deutlich mindere soziale Markierung angenommen hatte und in Literatur und Theater oft nur noch zur Erzielung komischer Effekte vorkam (vgl. Rist, 2.2.5.). Bezüglich weiterer Einzelheiten zu Aspekten des ndd.-hd. Sprachwechsels, etwa der Verdrängung des Mittelniederdeutschen als Schreib- und Druckersprache Norddeutschlands (Sodmann 22000), der Überlagerung des Ndd. durch das Hd. (Bichel 1985) oder zur Rolle der Hanse und Lübecks in der mndd. Sprachgeschichte (Peters 22000) muss an dieser Stelle auf die entsprechende Literatur verwiesen werden.123 3.3.5. Vorbildnennung und Vorbildfunktion Wie bereits in der Einführung zum dritten Teil dieser Arbeit erwähnt, genoss die Sprache der Kanzleien noch lange nach ihrer Hochphase im 14. bis 16. Jh. eine große Geltungshöhe und wurde von führenden literarischen Persönlichkeiten wie Luther, Frangk, Opitz, Schottelius und Lessing als Vorbild zitiert.124 Es erscheint jedoch, als ob die Vorbildnennung allmählich zur unreflektierten Wiederholung vorhandener Werteinschätzung wurde (Polenz 1994, 148): Ab Mitte des 17. Jh. wird das Lob der Reichstexte und von Kanzleisprache überhaupt oft stereotyp, ohne Begründung und Spezifizierung, mit dem der Luthersprache verbunden, manchmal mit Aufteilung in weltlich und geistlich. Vielfach heißt es nur summarisch „Kaiser-Chur- und fürstliche Kanzleyen“. Kanzleivorbild wird besonders gern in Rhetoriken, Formelbüchern und Briefstellern genannt. Daß Schulen und Universitäten nur sehr selten (oft negativ) als Vorbilder genannt werden (Josten 1976, 143), hängt mit dem fortdauernden Monopol des Lateins zusammen.
Für den kirchlichen Bereich galt (neben der starken Position des Lateins) das Vorbild Luthers als ausreichend. Zusätzlich wurden sowohl in protestantischen als auch katholischen Ländern die jeweiligen Dialekte berücksichtigt (Josten 1976, 143). Speziell für den ndd. Raum findet man bei den relevanten Autoren für das 16. und noch mehr für das 17. Jh. Nennungen des Meißnischen als Sprachvorbild. Zusätzlich wird auch hier die Vorbildlichkeit der Kanzleien, Luthers, von Musterschriften und guten Autoren betont. Auch die „immanente Sprachargumentation“, die auf eine der Sprache innewohnende Schönheit und Regelmäßigkeit verweist (die von kompetenter Seite herausgearbeitet werden muss, s. 1.2. und vgl. 3.1.3.1.3., a), wird hervorgehoben (Josten 1976, 217 und 169ff.). 123 Eine umfangreiche Bibliographie zum Thema liefert Möhn (2003, 2309-2312). 124 Josten (1976, 144ff.) erwähnt für den Zeitraum 16. und 17. Jh. 72 Äußerungen dieser Art, von denen 52 auf das 17. Jh. fallen.
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Die Nennung der Kanzleien als Vorbild hielt bis ins frühe 18. Jh. an. Wie Bentzinger (2000, 1665) aufzeigt, lässt nach diesem Zeitpunkt die Geltungshöhe der Kanzleisprache nach: bei Johann Christoph Adelung125 wird die Kanzleisprache 1781 ohne besondere Würdigung nebenbei angeführt und bei Jacob Grimm126 bleibt sie 1848 bereits gänzlich unerwähnt. Entsprechend kommt Steffen Krogh zu einer Einschätzung von Johann Christoph Gottsched (1700-1766) als modern, weil dieser den Kanzleistil verwirft (1989, 26f.). Parallel dazu beobachtet Josten einen langsamen Zuwachs kritischer Äußerungen127 ab dem 16. Jh. (1976, 145f.), durch die indirekt nachträglich die (nun vergangene) Wertschätzung der Kanzleien bestätigt wird. Dies zeigt deutlich, dass sich in der Mitte des 18. Jhs. der Schreibstil und damit verbundene Ideale zu wandeln beginnen. Es lässt sich andererseits auch entnehmen, dass das Kanzleivorbild als Stereotyp auch in der Mitte des 18. Jhs. immer noch latent vorhanden war – wenn auch als etwas, das man zu verwerfen begann. Der angeführten Vorbildnennung der Kanzleisprache bis ins 18. Jh. steht entgegen, dass diese nach heutiger Forschungsmeinung nur bis zum Anfang des 16. Jhs. tatsächlich die Form der deutschen Schriftproduktion maßgeblich beeinflusst zu haben scheint. Wie unter Punkt 3.3.3. mit Polenz festgestellt, waren nach 1500 „mehr die Drucker, Universitäten, vorbildlichen Autoren, Schulmeister, Verfasser von Orthographien“ die entscheidenden Vorbilder für die gemeinsprachliche Schriftproduktion (vgl. Moser 1985, 1406). Wie Polenz sieht auch Moser die kanzleisprachliche Vorbildfunktion mit dem angebrochenen 16. Jh. als beendet. Auch für ihn fällt die „wichtige Rolle als Motor und Vorbild des Sprachausgleichs“ ab dieser Zeit an den Buchdruck und die Druckersprachen, an vorbildliche Autoren (allen voran Luther) und schließlich an die Schulmeister und Grammatiker: „Daß sie [die Kanzleisprachen] diesen neuen Wirkungskräften ein einigermaßen festes Gerüst der äußerlichen sprachlichen Formen hinterlassen haben, darin ist in erster Linie ihre eng begrenzte, aber wichtige sprachhistorische Bedeutung zu sehen“ (ibid.). Die Kanzleisprachen wirkten somit nur noch indirekt durch das Vorbild ihrer strengen Normiertheit128 und konnten allenfalls noch dazu dienen, Schreibgewohnheiten einzuführen und durchzusetzen (ibid.). Der Begriff Vorbild ist also, was die Kanzleisprache betrifft, differenziert zu sehen und es muss klar getrennt werden zwischen der anfänglichen Funktion als sprachlich dominierende Variante, die den Verlauf des Sprachausgleichs beeinflusste, und der folgenden Rolle eines (z.T. rückblickend) als 125 Über die Geschichte der Deutschen Sprache, über Dt. Mundarten und Dt. Sprachlehre. Leipzig. 126 Geschichte der deutschen Sprache. Leipzig. 127 Diese richten sich v.a. gegen niedere Kanzleien, denen man stilistische Fehler und AlamodeSchreibung vorwirft (ibid.). Vgl. Fußnote 124. 128 Siehe auch Bentzinger (2000, 1668).
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vorbildlich bezeichneten Leitideals. Anders gesagt, zwischen tatsächlicher Vorbildfunktion und bloßer Vorbildnennung. Die erwähnten Vorbildnennungen – gerade in früherer Zeit (vor 1500) – können damit zwar laut aktuellem Forschungsstand als Indizien für eine tatsächliche Vorbildwirkung aufgefasst werden. Sie sind jedoch per se – besonders in späterer Zeit – allenfalls als Beweis für die Existenz eines beispielhaften Status‘, nicht aber eines tatsächlichen Einflusses auf die Sprachentwicklung zu verstehen. Bereits angesichts der in den Briefstellern beobachteten Äußerungen zur Kanzleisprache wurde die Vermutung geäußert, im 17. Jh. habe möglicherweise eine Beschränkung der kanzleisprachlichen Vorbildwirkung auf fachspezifische Subsysteme der Schriftsprache stattgefunden (3.1.3.2.3. c). Die Sprache der Commerzdeputation wird als Teil dieser Subsysteme eingeschätzt (s. 3.3.1.). Sofern beide Aussagen zutreffen, müssten in den Commerzprotokollen auch im späten 17. Jh. noch Anzeichen für eine Wirkung des Kanzleivorbildes und damit für eine Fortsetzung der Kanzleitradition zu finden sein. Dazu gilt es zunächst, typische Merkmale der Kanzleisprache zu identifizieren. 3.3.6. Typische Merkmale der Kanzleisprache 3.3.6.1. Welche typischen Merkmale der Kanzleisprache werden in der Literatur erwähnt? Im Rückblick erscheint der stark ritualisierte Kanzleistil künstlich und unnötig kompliziert und seine Auswirkung auf die sprachliche Entwicklung wird nicht durchweg positiv beurteilt (s.o.). Polenz (1994, 100) schreibt in diesem Zusammenhang: Der deutsche bildungssprachliche Sprechstil war ebenso wie der traditionelle Briefstil vom Latein und vom Kanzleistil her in hohem Maße verkünstelt, ritualisiert und sprachlich kompliziert. Hier bedeutete das französische Vorbild der Aufklärungszeit eine stilistische Befreiung [...].
Im Einzelnen können stilistische Merkmale des Kanzleistils oft in Verbindung mit der Form (bestimmte Textsorten, z.B. Urkunden und Gesetzestexte) und Funktion (dokumentierend, gesetzgebend) kanzleisprachlicher Texte gebracht werden. Wie Polenz (2000, 243) zu bedenken gibt, sind dabei aber nicht automatisch Format und Stil gleichzusetzen. Bentzinger (2000, 1668f.) sieht die an den Anfängen der kanzleisprachlichen Tradition stehenden ersten Urkunden als besonders dem Brief und der Predigt nahestehend.129 Die meisten in ihnen gefundenen stilistischen Mittel ste129 Diese sind zwar medial schriftlich, konzeptionell stehen sie jedoch eher der mündlichen Sprache nahe (nach Koch/Oesterreicher 1990, 7f. und 130; vgl. hierzu 3.2.6., Stichwort
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hen dementsprechend für ihn in Verbindung mit der alten mündlichen Rechtstradition in deutschsprachigen Gebieten. Die folgenden Charakteristika können nach Bentzinger für den Kanzleistil zusammengefasst werden (a.a.O.): Der Wortschatz ist umfangreich und klar strukturiert, Wörter mit rechtssprachlichen Konnotationen sind häufig. Substantive sind oft Komposita (burgererbe) oder abstrakte Derivate (d.h. abgeleitete Formen: behebunge). Adjektive weisen manchmal besondere Suffixbildung auf (antwart: anwesend) oder sind gänzlich suffixlos. Verben sind oft Komposita oder Derivate (beinsiegelen). Trotz starker Formelhaftigkeit herrscht in kanzleisprachlichen Texten keine totale Monotonie sondern Abwechslung. Es finden sich Zwillingsformeln (wissentlich und bedahtlich), auch Mehrgliedrigkeit (mit wort mit werche mit guberde mit rechte aller der gzuirde). Antithese findet sich seltener als in der Literatur, sie kommt aber durchaus vor (vor armen vnd vor richen); auch Alliteration wird zitiert (g t vnde gebe). Die verwendeten Formeln sind von Kanzlei zu Kanzlei unterschiedlich. Die Syntax entspricht nach Bentzinger dem gehobeneren Stil (d.h. u.a. es kommen verschiedene Typen komplexer Sätze vor und es werden vielfältige Konjunktionen und Partikeln verwendet, ibid.) und ist insgesamt komplex.130 Weitere Beispiele für Merkmale des Kanzleistils finden sich in Polenz, der ebenso wie Bentzinger eine komplexe Syntax für typisch kanzleisprachlich hält, die seines Erachtens dann im 17. Jh. genreübergreifend zu einer Blütezeit gelangt und epochentypisch wird (1994, 274; vgl. Fußnote 111; Näheres s 3.3.6.2.4.). Die strengen Stilgewohnheiten der Kanzlei- und Wissenschaftssprache, besonders bezüglich hypotaktischer Satzstrukturen, wurden aber schon im 18. Jh. stilistisch verworfen und man machte zunehmend „auch von Ausklammerungen und anderen Möglichkeiten zur Vermeidung verschachtelter Konstruktionen wieder mehr Gebrauch, vor allem bei stark erweiterten Satzgliedern“ (Polenz 1994, 270).131 Als Begleiterscheinung des immer komplexeren Satzbaustils traten laut Polenz (a.a.O., 278f.) auch sog. afinite Nebensätze auf, bei denen die finiten Verbformen (v.a. die temporalen Hilfsverben sein und haben) wegfielen. Diese elliptischen Formen kamen nach Polenz bereits vereinzelt im mittelniederdeutschen und spätmittelMedienwechsel). 130 Bentzinger betont an dieser Stelle, dass (anders als lange angenommen) die Syntax den Regeln des dt. Satzbaus und nicht unbedingt den lat. Regeln folgt (s. hierzu auch Polenz 22000, 219 und vgl. 4.8.). 131 Laut Polenz (1994, 274) wurde die extreme Ausnutzung der Verbgruppenklammer zunehmend als ‚Schachtelsatz‘ kritisiert. Somit böte sich eine Untersuchung der kontrovers diskutierten Satzmuster in Teil 4 dieser Arbeit an, was Aufgrund der Komplexität dieses Merkmals jedoch unterbleiben musste.
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hochdeutschen Kanzleistil vor, wurden im 16. Jh. häufiger, traten im 17. und 18. Jh. massenhaft auf und gingen dann im 19. Jh. zurück. Auch die Verwendung spezieller Haupt- und Nebensatzkonnektoren (zu kausalen Nebensatzkonnektoren s. 4.9.) zeichnet kanzleisprachliche Texte aus (Polenz 1994, 275f.). Im Rahmen eines immer präziser werdenden argumentativen Ausdrucks stieg die Zahl der Satzkonnektoren zwischen dem 16. und 18. Jh. zunächst an, wobei sich viele dieser Ausdrücke jedoch längerfristig nicht hielten (Polenz a.a.O., nach Admoni, in BRS 1540): In professionellen Textsorten in Verwaltung, Recht, Wissenschaft sind in der Barockzeit typisch k a n z l e i s p r a c h l i c h e , sehr speziell anmutende, aber meist recht vage verwendete Haupt- und Nebensatzkonnektoren [...] üblich gewesen, von denen sich viele auf die Dauer nicht durchgesetzt haben [...]: gestalt, was gestalt, in gestalt, dergestalt, welchergestalt, maßen, was maßen, inmaßen usw.
Die im 4.8. näher untersuchte Attributerweiterung ist nach Polenz (1994, 271f.) ebenfalls kanzleisprachlich, ebenso wie bestimmte Formen der Wortkomposition (nach Bentzinger kanzleisprachlich, s.o.), die hier im Kontext der Frage nach sprachlicher Normierung auf Fugenelemente hin untersucht werden (4.4.). Auch Präfigierungen mit un- (s. 4.5.2.1.) gelten als kanzleisprachlich. Während es, wie erwähnt, die Tendenz gab, dass als typisch für den Kanzleistil geltende sprachliche Merkmale spätestens seit dem 18. Jh. immer mehr abgelehnt wurden (s. 3.3.5.), wurde im Gegensatz dazu das Relativpronomen welcher/-e/-es im 17. Jh. zu einem Kennzeichen der gehobenen deutschen Bildungssprache. Im 14. Jh. von der mittelnl. in die mittelndd. Kanzleisprache übernommen, war es seit dem 15. Jh. auch im Hd., v.a. Ostmitteldeutschen verwendet worden. Im 16. Jh. war es stilistisch noch als Element der Amts- oder Gelehrtensprache markiert, wurde aber seit dem 17. Jh. zur Mode in der Sprache der Gebildeten (Polenz 1994, 277; seit dem 19. Jh. wird das Pronomen jedoch immer mehr als zu formal abgelehnt). Trotz der zunehmenden Ablehnung einzelner Merkmale der Kanzleisprache darf also nicht der Eindruck entstehen, der Terminus Kanzleisprache beziehe sich auf einen Sammelbegriff ausgestorbener Sprachvarianten, die keinerlei Bezug zur Gegenwart haben. Auch wenn bei der Lektüre kanzleisprachlicher Forschungsliteratur manchmal ein gegenteiliger Eindruck entsteht, so handelt es sich – wie man an den Protokollen der Commerzdeputation sehen kann (s.u.) – bei kanzleisprachlichen Texten doch um Texte, die der heutigen fachsprachlichen Literatur in Format und Eigenschaften immer noch sehr nahe stehen.132
132 Was Klaus Grubmüller (21998, 307) im Kontext der Kanzleien über schriftliche Aufzeichnungen sagt, nämlich dass diese generell den Anschluss an vorausliegende Systeme und Traditionen brauchen, lässt sich demnach zeitlich auf heutige Fachsprachen übertragen.
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Viele der oben aufgeführten Merkmale lassen sich dementsprechend in Zusammenhang mit Merkmalen bringen, die auch heute noch als definierend für Sprachen der „fachlichen bzw. beruflichen Spezialisierung“ gelten (Lewandowski 1994, 293). Solches sind z.B. ein spezialisierter Wortschatz, intensive Nutzung bestimmter Wortbildungsmodelle und syntaktische Besonderheiten (ibid.). Anders herum betrachtet lassen sich auch manche heute als typisch fachsprachlich angesehenen Merkmale bereits in kanzleisprachlichen Texten auffinden, etwa die für heutige Fachsprachen festgestellte Tendenz zur Terminologisierung (a.a.O.) oder die als typisch fachsprachlich gesehene gehäufte Verwendung von Abkürzungen (s. Lewandowski 1994, 19). Während erstere die Kondensation eines oft komplizierten Zusammenhangs darstellt (Expertenwissen), und nicht nur heute sondern schon im 17. Jh. für Behördenangestellte ohne höhere Schulbildung, v.a. ohne Lateinkenntnissen und Routine im Kanzleistil, eine berufliche Hürde repräsentierten (vgl. 3.1.1.), entspringt letztere damals wie heute der Notwendigkeit starker Informationsökonomie, die gerade in fachsprachlichen Texten gegeben ist. Aus der Fülle der gerade in den letzten Jahren wachsenden Literatur zur Kanzleisprache133 können zwangsläufig nur wenige als Beispiele für den typisch kanzleisprachlichen Stil angeführten sprachlichen Mittel hier untersucht werden. Es ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit auch nicht möglich, nachzuzeichnen, wie es im Einzelnen zur Einschätzung der Stilmittel als typisch für die Kanzleisprache kam und auf welchen Zeitraum sich diese genau bezieht (obwohl hier durchaus Bedarf an Differenzierung besteht). Im Folgenden soll lediglich ein genereller Kontext für die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Protokolle der Commerzdeputation Hamburg hergestellt werden, und überprüft werden, inwieweit sich die Texte nicht nur nach Textsorte und Texterzeuger sondern auch nach konkreten Textmerkmalen als kanzleisprachlich bezeichnen lassen. Aus den von Bentzinger angesprochenen Bereichen Wortschatz, Wortbildung, Formelsprache und Satzbau sollen die folgenden als kanzleisprachlich bezeichneten Merkmale auf ihre Verwendung in den Commerzprotokollen untersucht werden: 1. Wörter mit rechtssprachlicher Konnotation (erweitert durch allgemein verwaltungssprachlichen oder spezifisch handelssprachlichen Wortschatz) und 2. formelhafte Ausdrücke a. Zwillingsformeln und mehrgliedrigen Formeln, 133 Eine Zusammenfassung rezenter Publikationen liefern Meier/Ziegler (2002; vgl. auch dies. 2003).
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b. Invocatorien und Datumsangaben, c. formelhaft verwendete lateinische Sprachelemente. Die von Bentzinger angesprochenen Bereiche Morphologie und Syntax werden noch ergänzt durch die durch Peter von Polenz (1994, genaue Angaben s.o.) ebenfalls als kanzleisprachlich bezeichneten Merkmale 3. afinite Nebensätze und 4. Hypotaxe. Abschließend soll ein kurzer Blick auf die in dieser Arbeit im Zusammenhang mit den sprachlichen Standardisierungsvorgängen des 17. Jhs. (teilweise) untersuchten Bereiche 5. Komposita (vgl. 4.4.) und 6. Attributerweiterung (s. 4.8.) fallen. 3.3.6.2. Welche typischen Merkmale der Kanzleisprache finden sich in den Commerzprotokollen? Als Vorbild direkt genannt wird die Kanzleisprache in den analysierten Texten nicht (etwa „aufgeschrieben nach Kanzleiart ...“), dies wäre angesichts der Textsorte auch überraschend (s. 3.2.5.). Wie unter 3.3.1. dargestellt lässt sich argumentieren, dass die Protokolle der Commerzdeputation allein durch ihren Texttyp und den institutionellen Texterzeuger in die Kanzleisprachentradition einzuordnen sind. Im Folgenden soll anhand von in der Literatur kanzleisprachlich genannten textimmanenten Merkmalen diese Zuordnung grob überprüft werden.
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3.3.6.2.1. Wörter mit rechts-, verwaltungs- oder handelssprachlicher Konnotation134 Für einen kurzen Test, ob es Anzeichen für einen Wortschatz gibt, der als typisch für einen kanzleisprachlichen Kontext angesehen werden könnte, soll an dieser Stelle jeweils die erste Textseite pro identifizierter Handschrift135 (bzw. wenn der Text nicht am Seitenanfang beginnt das Äquivalent einer Textseite, Wiedergabe s. 3.3.6.2.3.) nach Wörtern durchsucht werden, die nach der Verwendung in den jeweiligen Textbeispielen einem spezifischen juristischen, administrativen oder kanzleisprachlichen Wortschatz zugerechnet werden könnten, oder die zusätzlich zu ihrer Grundbedeutung mit einer weiteren semantischen Komponente auf den rechtssprachlichen Kontext verweisen.136 Schreiber A (Eintrag vom 19.01.1665, S. 1)137 Einem spezifisch juristischen und verwaltungssprachlichen Wortschatz zugerechnet werden können die Wörter:138 ‚einhellig‘, ‚berahmet‘, ‚diensahmb‘, geremediirt, ‚benennet‘, Actiones, passù, ‚approbiren‘, admittiret, cooperirten und confirmirt. Einem eher handelssprachlichen Wortschatz können zuge-
134 Diese Einteilung orientiert sich an Möhn (2003, 2299f.), der für die städtische Organisation der Hansestadt Hamburg und deren Einfluss auf die Stadtsprache die Teilbereiche Stadtpolitik, Rechtswesen, Stadtverwaltung und -aufsicht sowie Kirche anführt, und dann fortfährt „Den größten Einfluß auf die Sprachentwicklung übten zweifellos Handel und Handwerk aus.“ Die Kirche wurde hier vernachlässigt. 135 Zu den einzelnen Händen s. 4.2.2. Schreiber C ist überrepräsentiert, da von ihm 2 Textseiten betrachtet werden. Die Möglichkeit verschiedener Schaffensphasen (vgl. 2.2.2.) legte aber eine doppelte Betrachtung nahe. 136 Vgl. Th. Lewandowski (1994, 584), Stichwort Konnotation. Da es hier ganz allgemein um die Frage geht, ob auch der Wortschatz Anzeichen dafür liefert, fachsprachlich beeinflusst zu sein, erfolgt die Einordnung der Wörter nur sehr grob. Es werden Wörter aufgeführt, die im vorliegenden Text einen von der gemeinsprachlichen Bedeutung abweichenden Inhalt ausdrücken, oder die einem speziellen Sachgebiet zuzuordnen sind (vgl. auch Fluck 1996, 47). Angesichts der Komplexität der Fachsprachendefinition, die nicht nur Substantive und Adjektive, sondern (in geringerem Maße) auch Adverbien, Pronomina und Konjunktionen mitberücksichtigt (ibid., 47ff.), ist die vorliegende Einordnung oberflächlich. 137 Obwohl es prinzipiell ungünstig ist, präambelartige Textanfänge in eine Untersuchung mit einzubeziehen (vgl. Hünecke 2004, 122), wurde hier wegen des dem Protokolltyp nahestehenden Urkundencharakters des Eröffnungsprotokolls (s. 3.1.) die erste Seite der Protokolltexte mituntersucht. 138 Da es sich nur um eine qualitative Bestandsaufname handelt, erfolgt die Nennung auch wiederholter Wörter nur einfach. Die Wörter sind einmal in der ersten gefundenen Form aufgeführt. Unleserliche Ausdrücke werden nicht berücksichtigt (unklare Teillesungen stehen in eckigen Klammern). Um die originale Hervorhebung fremdsprachlicher Wortelemente durch lat. Schrift zu erhalten, werden diese kursiv geschrieben (Banco), während Wörter die im Original in deutscher Kurrentschrift erscheinen in einfachen Anführungszeichen stehen (‚handelende‘).
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ordnet werden: ‚handelende‘, ‚Kaùffleùte‘, ‚Handel‘, Correspondence, Assekurantz und Commercio. Das im untersuchten Textabschnitt ebenfalls auftretende Kürzel Sr für Seigneur ist in diesem Kontext deswegen erwähnenswert, weil es als Abkürzung einerseits eine bis heute typisch fachsprachliche Informationsökonomie verkörpert (Lewandowski 1994, 19; s.o.), während es andererseits als französisches Fremdwort ein Beispiel für die gerade im 17. Jh. typische alamodische Vielsprachigkeitstendenz, gerade in gehobeneren Schichten, darstellt (vgl. Polenz 1994, 51f.).139 Weitere Abkürzungen in diesem Abschnitt sind: ‚E. Hochw.‘ bzw. ‚E.E. Hochw.‘ für einem Hochweisen bzw. Eurem Hochweisen [Rat der Stadt].140 Schreiber B (aus dem Eintrag vom 11.05.1666, S.56f.) Dem juristischen und verwaltungssprachlichen Wortschatz zugerechnet werden können die Wörter: Dep: Senaty, reglement, Composition, GeDepùtirten, ‚oberalten‘, ‚erwogen‘, ‚befùnden‘, ‚Sache‘, ‚behuffigen‘, rationibus, trainiren, ‚Dialog‘, offendirte, ‚Gesandten‘, ‚persohn‘, ‚Rath‘, Commùnicirt, ‚diensamb‘, ‚befùnden‘, ‚hinterbringens‘ und ‚erklehrùng‘. Dem handelssprachlichen Wortschatz kann mit Vorbehalt das Wort ‚Geßanten‘ zugeordnet werden (politisch aufgefasst, müsste es eher dem diplomatischen Fachwortschatz zugeordnet werden). Gefundene Abkürzungen sind: Dep: bzw. Deput. für Deputatis und ‚He.‘ bzw. ‚He:‘ für Herrn/Herren. Schreiber C1 (aus dem Eintrag vom 17.08.1670, S. 319f.) Dem juristischen und verwaltungssprachlichen Wortschatz zugerechnet werden können die Wörter: DepØtatis, ‚die zweÿ vnd funfftziger‘ (bürgerliches Gremium, s. Teil 2), ‚Sache‘, Conferentz, Depùt:[ati], ‚diensahmb‘, ‚anbringen‘, ‚Ober Alten StÚbe‘, GedepØtirte, ‚zÚsammenkumbft‘, ‚Bürgerschafft‘, ‚Bürgerlich‘, ‚Eidt‘, ‚beschloßen‘, geproponirt, Dominùs, Præses, Conferens, ‚Rahte‘ und ‚Bùrgerschlùß‘. Dem eher handelssprachlichen Wortschatz können zugeordnet werden: Commercii, ‚Kaùff Leüte‘ und ‚abgefertiget‘. Abkürzungen in diesem Abschnitt: Sr für Seigneur, Depùt: für Deputati, Aùg: für Augusti, ‚E. H:‘ für ‚Euren Hoch‘ und ‚du‘ für daß.
139 Gegen beide, Abkürzung von Titeln und Fremdwörter, äußert sich K. v. Stieler 1673 in der Teutschen Secretariat=Kunst (Teil 2, 467): „Die AbkÙrzung der Titel (Abbreviationes) kØnnen/ ohne Verdacht einer GeringschÔtzung/ nicht statt haben. Der Titel Monsieur ist verdÔchtig.“ 140 Vgl. Grun (1966, 130). Diese Anrede ist noch in der Mitte des 19. Jhs. zu beobachten, s. Gaedechens (1854).
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Schreiber D (Eintrag vom 10.06.1672, S. 378 und aus dem Eintrag vom 19.06.1672, S. 378f.) Zum juristischen und verwaltungssprachlichen Wortschatz gezählt werden können die Wörter bzw. Ausdrücke: Corpori, convocato, præviâ salùtatione, Deputirten, ‚Rahtß‘, ‚Oberalten‘, ‚Cämerey‘, passiret, Fùndation, Depùtati und pùncten. Eher dem handelssprachlichen Wortschatz, und hier oft einem speziell finanzfachlichen Wortschatz zugeordnet werden können: Mercatorùm, Börsensahl, ‚Banco Bürgern‘, Banco, ‚Kaùffman‘, Coùranten Gelde, Bezahlùng, Pfandtverschreibùng, Oblig.[ation], Wechselbriefe, ‚Bùchschùlden‘, Banco Volùta [sic! für Valuta = Wechselwert] und Contrahirt. Abkürzungen in diesem Textabschnitt sind: ‚E.E.‘ für Einem oder Eurem Ehrbahren. Schreiber C2 (Eintrag vom 03.09.1675, S. 611f.) Dem juristischen und verwaltungssprachlichen Wortschatz zugerechnet werden können die Wörter: Admiralitet, Præses, Deputirte, ‚Rahts‘, præviâ, salutatione, puncta, Deputirten, ‚item‘ [sic!], resolvieret, protocollo, ‚verlesen‘, ‚Raht‘, ‚anbringen‘, und ad referendum. Dem eher handelssprachlichen Wortschatz können zugeordnet werden: ‚Kaùffman‘, ‚Wexel‘, negotie. Abkürzungen in diesem Abschnitt sind Bart. für Bartolomäus, D.ny für Dominy, Aug.ti für Augusti, ‚5.tn‘ für fünften und ‚5.te‘ für fünfte.141 Es lässt sich schon anhand der oberflächlichen Betrachtung eines jeweils kurzen Textbeispiels bestätigen, dass bei allen Schreibern ein mehr oder weniger spezialisierter Wortschatz Anwendung findet, der (mitbestimmt auch durch den Inhalt der untersuchten Protokolle) weitgehend einem juristischen bzw. verwaltungssprachlichen Wortschatz nahe kommt (s. Textbeispiele von Schreiber A, B, C1, C2). In einem Fall jedoch liegt eher ein typisch handelssprachlicher (bzw. finanzfachlicher) Wortschatz vor (s. Textbeispiel Schreiber D). Dies weist auf einen großen Einfluss des Textinhaltes auf den jeweils verwendeten Wortschatz hin, der bei tiefergehenderen Untersuchungen im Einzelnen (auch mit Hinblick auf die Wortarten) zu ermitteln wäre. Bei der obigen Einschätzung als juristisch oder verwaltungssprachlich wurden automatisch alle lateinischen Wörter im deutschen Text als typisch für diese beiden mitaufgeführt (hierbei kommt es zu Überschneidungen mit der Untersuchung formelhafter Sprache, s. folgender Abschnitt). Erwähnenswert ist die Tatsache, dass bei Fremdwörtern typischerweise für die 141 Während sich diese Art der Abkürzung durch Hochstellen des Wortendes in der deutschen Schriftsprache nicht bis zur Gegenwart erhalten hat, ist sie in anderen Sprachen wie dem Englischen oder Spanischen noch heute in Resten zu finden (z.B. 2nd für second oder Ma für Maria).
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Zeit der Wortstamm in lateinischer Handschrift geschrieben wird (hier wiedergegeben durch kursive Schrift), während die deutsche Flexionsendung in der Regel in alter deutscher Kurrentschrift kenntlich gemacht wird (Näheres s. 4.3.). Die Herkunft der einzelnen Lehnwörter kann hier nicht untersucht werden, Latein ist jedoch deutlich prominent, und darüber hinaus können auch Italienisch und Französisch beobachtet werden (z.B. valuta, Seigneur). In einigen Fällen konnte zusätzlich zu einem spezifischen Wortschatz auch noch die Verwendung von Abkürzungen beobachtet werden (z.B. Sr und ‚5.te‘), die auch heute noch als typisch für ein fachsprachliches Bedürfnis nach Informationsökonomie gilt. 3.3.6.2.2. Formeln Formeln sind feststehende Redewendungen oder Satzteile, die in gewissen Umgebungen weitgehend unverändert wiederkehren. Sie können hierbei (z.B. als Brief-, Gruß-, Anrede- oder Dankesformel) ihren ursprünglichen Sinn verloren haben, etwa bei der Formel Handel und Wandel, die heute (nostalgisierend) eher das Handeltreiben allgemein bezeichnet, als dass sie sich dem ursprünglichen Sinn gemäß auf den Verkauf gegen Geld sowie das Eintauschen von Wahren bezieht. Häufig weisen sie spezielle formelle Merkmale auf (z.B. Rhythmus, Assonanz, Alliteration oder Endreim), was ihnen eine leicht reproduzierbare Qualität verleiht (nach Wilpert 1989). Als Herkunftsbereich vieler Formeln, v.a. der Zwillings- bzw. Drillingsformeln, steht die Rechtsprechung an erster Stelle (a.a.O. 305 und 1052). Die Verwendung stereotyper Schriftformeln in deutscher und lateinischer Sprache gehörten zum Alltag der kanzleisprachlichen Praxis (vgl. 3.1.1.). Eine besondere Form von Formel sind die sog. Invocatorien, Formeln zur Anrufung Gottes oder Heiliger (a.a.O. 418, vgl. auch ibid. 34), die als Einleitungsformeln vor Urkunden stehen. Laut Bentzinger (2000, 1668f.) waren die Invocationsformeln von Kanzlei zu Kanzlei unterschiedlich (Bentzinger zitiert eine Invocatio aus Strassburg: Innamen des vaters vnd des sunes vnd des heiligen geistes und eine aus Augsburg: In nomine domini amen142), was auf eine Vorgabe durch dortige Institutionen schließen lässt (s. 3.3.2. zum Einfluss von Individuen/Institutionen). Für den Kontext ndd. Testamente in Hamburg ab dem 13. Jh. beschreibt Möhn (2003, 2302) die Einbürgerung bestimmter Invocatorien als textbezogener Formelvorrat. Er zitiert die Eingangsformeln in Godes namen amen, in deme namen Godes amen und in nomine Domini amen (die lat. Version wurde laut ihm im 14. Jh. in den ndd. Texten nur noch vereinzelt verwendet). Bei Christoph Scho142 Bentzinger gibt für diese keine Jahreszahlen an, der Kontext ist jedoch der des 13. Jhs. (a.a.O., 1669).
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rer (1644, nach Jones 1995, 304ff.) stehen für das 17. Jh. die Invocatorien, besonders in Kaufmannsbriefen, im Zentrum fremdsprachenpuristischer Kritik (Schorer zitiert die Anrufungsform Laus Deo semper, ibid. 306f.). Die ausgewählten Anfänge der Protokolltexte (s. 3.3.6.2.1.) sollen auf die Verwendung von Zwillingsformeln und mehrgliedrigen Formeln (a. Unterstreichungen von MBL) sowie Invocatorien und Datumsangaben (b.) untersucht werden. Zusätzlich sollen dort vorkommende formelhaft verwendete lateinische Sprachelemente mitaufgeführt werden (c.).143 Schreiber A a. Zwillingsformeln und mehrgliedrigen Formeln ‚gùten Handel und Correspondence‘; ‚so woll ùmb die Ost alß West See‘; ‚alles und jedes, waß [...] diensahmb‘; ‚daß solche [...] gewehret oder best müglichst geremed[ii]rt werden möchten‘ b. Invocatorien und Datumsangaben Protocollum Deputatorum Communis Commercij Civitatis Ham burgensis 19. JanuarÿÜ1665; Anno 1666: c. formelhaft verwendete lateinische Sprachelemente – (‚dem Heilsahmen Commercio‘) Schreiber B a. Zwillingsformeln und mehrgliedrigen Formeln – (‚ie meer ùndt mer weidtleùffiger‘) [Symmetrie durch Wiederholung] b. Invocatorien und Datumsangaben I: N: Jesú (1667); Cum Bono Deo (1668); In nomine Jesu Anno (1669); 11. Maÿ c. formelhaft verwendete lateinische Sprachelemente rebùs sic stantib[uy] Schreiber C1 a. Zwillingsformeln und mehrgliedrigen Formeln – b. Invocatorien und Datumsangaben Cum bono Deo (1670); In nomine Domini (1671); AØg: 17. c. formelhaft verwendete lateinische Sprachelemente Convocatis DepØtatis; ‚den 15. Aùg: præsentes gewesen‘; Depùt: Commercii responduØt
143 Titel bzw. Anredeformeln werden in dieser einfachen Bestandsprobe weitgehend vernachlässigt.
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Schreiber D a. Zwillingsformeln und mehrgliedrigen Formeln ‚daß man davon nicht weichen könte, noch mÚste‘; ‚wie itzo aùch hinführo‘ b. Invocatorien und Datumsangaben In nomine Domini (1672); In Nomine Domini (1673); In nomi ne Dominum (1674); 10 Jùnij.; 19 Jùnÿ. c. formelhaft verwendete lateinische Sprachelemente Corpori Mercatorùm convocato; præviâ salùtatione Schreiber C2 a. Zwillingsformeln und mehrgliedrigen Formeln – b. Invocatorien und Datumsangaben J. N. J. (1675); [keine Invocatio, nur Jahreszahl] (1676); I.N.J. Anno (1677); In nomine Dni. Anno (1677) [sic!]; Veneris d 3. Septemb: 1675. , ‚den 25. Aug.ti‘ c. formelhaft verwendete lateinische Sprachelemente præviâ salutatione a) Zwillingsformeln und mehrgliedrigen Formeln Bei zweien der vier Schreiber (A und D) lassen sich schon auf der ersten untersuchten Textseite Zwillingsformeln beobachten. Um bei Schreiber B und C solche zu finden, muss die Suche auf den weiteren Text ausweiten werden (z.B. Schreiber B, 176/27: ‚ehe ùndt bewehe‘, C1, 323/23 ‚Handell vnnd Wandell‘). Mehrgliedrige Formeln dagegen lassen sich hingegen auch im restlichen Korpus nicht finden (wohl aber kommt die Kombination mehrerer Zwillingsformeln vor, z.B. Schreiber B, 302/5ff.: ‚daß waß vom Commercio anÓ ùndt fùrzùbringen aùff Arth ùndt Weiße wie vor Alters ùndt vor diesem Gewesen‘). Auf der ersten untersuchten Seite von Schreiber B findet sich auch die Wiederholung eines Elementes, wodurch eine formelhafte Struktur erreicht wird: ‚ie meer ùndt mer weidtleùffiger‘. Auffällig ist auch eine formulaische Wiederholung gewisser Adjektive, etwa in der Anrede (‚Euer Hochweiser Rath‘, auch abgekürzt ‚E. Hochw. Rath‘, z.B. 1/10 und 17) oder in der Verwendung von ‚heilsam‘ im Bezug auf den Handel (‚dem Heilsahmen Commercio‘, 1/8), die bei der weiteren Lektüre der Protokolle ins Auge fällt. Wie der Blick auf weitere Beispiele aus den restlichen Protokolltexten auch zeigt, werden manche Elemente erst durch Wiederholung als Formel erkennbar. Z.B. ist in der Äußerung ‚Weiln der Schiffer ùnsere Baken ùnd
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Tùnnen genoßen‘ (Schreiber D, 410/8f.) durchaus möglich, dass es sich innerhalb einer Aufzählung wirklich genau um diese beiden Posten handelt. Erst wenn aus dem weiteren Text deutlich wird, dass eine Präferenz zur Verwendung eines gewissen Textformats besteht (in diesem Fall die Aufzählung zweier Elemente aus klanglichen Gründen, wo schon eines genügt hätte), oder wenn innerhalb eines Textes eine Form tatsächlich identisch wiederholt wird (z.B. ‚gesehen und wùsten‘: bei der ersten Verwendung weicht ‚Einige Persohnen die es gesehen und wùsten, daß ...‘ vom Format der Zwillingsformel durch einen angeschlossenen Dass-Satz ab, die Formel wird aber wenig später wiederholt und dadurch als solche erkennbar: ‚daß sie es gesehen ùnd wùsten‘ [Satzende], Schreiber D, 386/8f. und 15). b) Invocatorien und Datumsangaben Da es sich bei den Invocatorien um ein wenig frequentes Merkmal handelt, wurden hier die im gesamten Zeitraum der Untersuchung jeweils zu Jahresbeginn verwendeten Invocationsformeln angeführt. Wie zu sehen ist, liegt offensichtlich keine institutionelle Vorgabe vor und die Schreiber verwenden entweder stereotyp dieselbe Formel (In nomine Domini, Schreiber D), oder variieren zwischen verschiedenen Versionen, wobei eine bevorzugt wird (Schreiber C: In nomine Domini/Jesu > Cum bono Deo; Schreiber B: In nomine Jesu > Cum Bono Deo). Bei Schreiber A findet sich – außer einer elaborierten Titelüberschrift im Gründungsjahr 1665 – keine Invocatio sondern nur ein schlichtes Anno 1666 im zweiten Jahr seiner Tätigkeit. Aus dem Rahmen fällt die Form In nomine Dominum (1674, Schreiber D). Da aus der selben Hand zwei grammatikalisch korrekte Formen (Domine) vorliegen, wird ein Schreibfehler vermutet. Bei einer nur einmaligen Verwendung pro Jahr ist die Frequenz des Merkmals nicht nur pro Schreiber sondern auch insgesamt zu gering für weitere Aussagen, ein Vergleich mit anderen hamburgischen Institutionen böte sich hier an. Die Angabe des Datums des jeweiligen Protokolleintrages erfolgt nicht nur auf den ausgesuchten ersten Seiten sondern prinzipiell in lateinischer Sprache, die Form kann aber unterschiedlich stark elaboriert bzw. abgekürzt sein (z.B. Schreiber C1: AØg: 17. vs. Schreiber C2: Veneris d 3. Septemb: 1675). Um anhand der Datumsangabe Aussagen über die Lateinkenntnisse der Schreiber zu machen, müssten sämtliche Angaben (v.a. flektierte lat. Formen und deren Anpassung an den dt. Kontext) in Betracht gezogen werden.
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c) Formelhaft verwendete lateinische Sprachelemente Formelhafte lateinische Sprachelemente werden von allen Schreibern verwendet. Während bei Schreiber A im hier untersuchten Abschnitt nur die eröffnende Überschrift des Gründungsprotokolls auftaucht (s. 3.3.6.2.2., Schreiber A, b), so finden sich schon auf der 1. Seite bei allen anderen Schreibern lateinische Textelemente, die mal weniger (z.B. Schreiber C1: Convocatis DepØtatis; Schreiber C2 præviâ salutatione) mal mehr (z.B. Schreiber B: rebùs sic stantib[uy], Schreiber C1: ‚den 15. Aùg: præsentes gewesen‘) in den deutschen Text integriert sind, also z.T. mehr als auswendig gelernte Versatzstücke sind. Der Blick auf die weiteren Texte zeigt, dass im Bereich der lateinischen Formeln eine große Variationsbreite zu finden ist, z.B. kommt die oben bei Schreiber C2 angeführte Eingangsformel præviâ salutatione (nach vorausgegangener Begrüßung) in verschiedenen Variationen vor: Schreiber D, 455/13: nach prævia Salutation; Schreiber C2, 613/2f.: prævia salute & gratiar actione (nach vorausgegangener Begrüßung und Danksagung); Schreiber C2: præviâ resalutat.[ione] (nach vorausgegangener erneuter Begrüßung). Wie bei den Datumsangaben so wäre eine Untersuchung der lateinischen Ausdrücke (z.B. deren Einbettung in den Text und entsprechende Anpassung der Endungen) aufschlussreich über das genaue Ausmaß der bei allen Schreibern vorhandenen Lateinkenntnisse. 3.3.6.2.3. Afinite Nebensätze Wie Peter von Polenz feststellt (1994, 241, nach Admoni 1990, 18), lässt sich für den makrosyntaktischen Bereich im Fnhd. vorübergehend die Tendenz beobachten, dass der Status von Nebensätzen durch Weglassung der finiten Verben markiert wird. Konstruktionen bei denen das finite Verb fehlt, werden als afinite Konstruktionen bezeichnet. Diese elliptischen Formen entstammen nach Polenz dem mittelniederdeutschen und spätmittelhochdeutschen Kanzleistil (s. 3.3.6.1.). V.a. die temporalen Hilfsverben sein und haben im Perfekt und Plusquamperfekt (z.B. weil sie gegangen [ist/sind] oder nachdem er gegangen [ist/war]) wurden im Fnhd. häufig ausgelassen. Wie schon diese Beispiele zeigen, hängt die Ergänzung der ausgelassenen Verben vom Kontext ab. Parallel dazu findet man in diesem Zeitraum auch afinite Infinitiv- und Partizipialgruppen, die satzwertige Reduktionsformen von Nebensätzen darstellen (finite Beispiele hierfür: ihn gesehen zu haben und von diesem Eindruck überwältigt). Diese Begleiterscheinungen eines insgesamt immer komplexer werdenden hypotaktischen Satzbaustils traten laut Polenz (a.a.O., 278f.) vom 17. bis 19. Jh. auf.
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Die starke Hervorhebung der Unselbstständigkeit der Nebensätze durch Weglassen der finiten Verbformen wurde nach Admoni (BRS, 1967 und 1980) im Laufe des 19. Jh. überflüssig, da die komplexen Hypotaxeformen des 16. bis frühen 18. Jh. weitgehend verschwanden und so die Satzgefügestrukturen einfacher durchschaubar wurden.144 Die Ellipse von Satzelementen kann im vorliegenden Kontext auch im Sinne einer fachsprachlichen Informationsökonomie gedeutet werden (s. 3.3.6.1.). Obwohl bei der ersten Textseite der Commerzprotokolle eine abweichende präambelartige Funktion erwartet werden kann, die in einer von der Gesamtgestaltung abweichenden Syntax resultiert (vgl. Hünecke 2004, 122), soll für diesen kurzen Einblick an den unter 3.3.6.2.1. beschriebenen Textseiten festgehalten werden (die Nähe von Urkunde und Protokoll, beide kanzleisprachlich, scheint dies zu rechtfertigen). Die Texte werden hier aus Gründen der Übersichtlichkeit ohne die originale Silbentrennungen am Zeilenende abgebildet (vgl. Transkriptionen). Im Fettdruck und in eckigen Klammern erscheinen die hier ergänzten, in den afiniten Konstruktionen fehlenden Verben. Weitere elliptische Textstellen werden in eckigen Klammern ohne Fettdruck ergänzt. Schreiber A 1665 Protocollum Deputatorum Communis CommercijÞCivitatis Hamburgensis 19. Januarÿ [Es145] Haben die alhie zù Hambùrg zùr See handelende Kaùffleùte einhellig berahmet, daß Sieben Persohnen Ihres Mittelß alß [da sind] 6 aùß den Erb Kaùffleùten die da gùten Handel und Correspondence so woll ùmb die Ost alß West See trieben, [und die] aùch der Assekurantz sich bedienten, und einen Schiffer Alten, möchten erwählet werden, welche da alles und jedes, waß dem Heilsahmen Commercio diensahmb [sei] beobachteten, die Drangsahl und Beschwerden, so demselben Zùstoßen mochten, E. Hochw. Rahte fleißigst hinterbrächten und cooperirten daß solche n Zeiten gewehret oder best müglichst geremediirt werden möchten: Zù welchem Ende dan folgende 7 Persohnen von der Börse und den 144 Bürgeren sein benennet [worden] und von E. E. Hochw. Rahte den 20 Janù: confirmirt F [worden] aùch dehren Actiones in diesem passù negst vorwis[esen]sen E. Hochw. Rahts zù approbiren sein admittiret worden. Alß [da sind] die Ehrbahre 1 Sr. Michel Heùß [...] ùndt 7 [Sr.] – Schiffer Berent Jacobsen, Karpfanger.
144 Das Vorbild lat. Partizipkonstruktionen für diese Konstruktion ist umstritten (Ebert 1986, 134). 145 Es könnte hier und im Folgenden auch alternativ das Datum in den Text mit einbezogen werden, was zur ebenfalls elliptischen Lesung, etwa „[Den] 19. Januarii haben die ...“, führen würde. Die Überschriften werden aber in dieser Arbeit als vom Text separat interpretiert.
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Schreiber B 11. Maÿ Dep: Senaty [sagten, daß] weilln die Geßanten in Engellangt [sic!] eineÓ Zeit gelegen [haben] ùndt man gehoffet [habe] es wùrde ein reglement getroffen werden ùndt weilln der Krieg aberÓ ie meer ùndt mer weidtleùffiger [werde] wird, aùch aùß Hollant geschrieben [xxx] wurde daß wenig [apparantz] zùr Composition vorhanden [sei], ùndt man vor diesem mit de[m] He. GeDepùtirten geredet [habe] aùch mit de[m] oberalten weisslich geerwogen [habe] ùndt befùnden [habe] man mòchte die Sache rebùs sic stantib[uy] aùffs beste die Sache mit behuffigen rationibus trainiren, weilln Franckreich ùndt Denmak sich mit inÓ den Dialog fl[ö]chten, ùndt man also nicht wùste ob man einem zù gefallen den anderen nicht offendirte, undt also wodùrch dan wenig drauf dem He: Gesandten meer Zùverrichten [sei], welches etwan von einer ander[e]n persohn vielleicht verrichtet werden könte alß hette Ein Hochw: Rath mit d[e]n Oberalten darùber Commùnicirt fùnden ùnd diensambbefùndendie He: Gesante zù avo[n]ciren rùck zù rùffen Alß [Es] hette alsoÓ ein Hochw: Rath diensamb erachtet befùnden solches de[n] He: Gedepùtirten der Börse zù hinterbringen ùnd dehren Meinung Ózù vernehmen Dep. Commercii bedanckten sich des freùndlichen hinterbringens [Sie] wolten es mit einander besprechen ùnd den He: Depùt. Senatùs alß [da wären] He: Casparo Westerman ùnd He. Friederich Hartgen Jhre erklehrùng entdecken.
Schreiber C1 AÚg: 17. Convocatis DepØtatis des Commerÿ wart von Sr Johan Gùllen angetragen daß die zweÿ vnd funfftziger gewillet [seien] mit Jhnen wegen der Englischen Sache Conferentz zùpflegen Depùt: Commercii fùnden diensahmb dero anbringen zù vernehmen; Nachdeme man zù Ihnen aÚff der Ober Alten StÚbe getreten [war] wart von den 52 gefraget ob die GedepØtirte allein jüngst gehaltener zÚsammenkumbft der Bürgerschafft den 15. Aùg: præsentes gewesen [seien], vnd [es wurde gesagt] wo jemand gemangelt [habe] mochte derselbe aÚff sein Bürgerlich Eidt verheißen, Waß von den 52. von dehme so in versaÖleter Bürgerschafft beschloßen [worden sei und hier], vorgetragen werden solte zù verschwigen, Depùt: Commercii responduØt. Es erklehrte sich ein jeder so jüngsthin nicht zù Kegen gewesen, waß geproponirt werden möchte , aÚff sein Bürgerlich Eidt beÿ sich verschwiegen zÚbehalten. Dominùs Præses der 52. [entgegnete] Sie hetten Conferens gehalten mit E. H: Weisen Rahte daß sich derselbe möchte gefallen Laßen, den Bùrgerschlùß nachzùleben, du aùff daß schleünigste, Ein gelahrter und vnd zwo Erfahrne Kaùff Leüte nach Engellant mochten abgefertiget werden vmb allen Vnheill, so die Englischen sich Kegenn dieser gùten Stadt, fùrgenommen [haben], vorzÚbaÚwen.
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Schreiber D 10 Jùnij. Corpori Mercatorùm convocato aùf dem Börsensahl, ward præviâ salùtatione angebracht, was bey den Deputirten des Rahtß, [den] Oberalten, [der] Cämerey ùnd [den] Banco Bürgern wegen der Banco passiret [sei], ùnd [es] wùrde Jhnen die Fùndation der Banco vorgelesen, [Sie] sein darauff beyeinander getreten. Ein Erb. Kaùffman gab zùr Antwort, [die] Depùtati Commercÿ möchten E. E. Rath wider hinterbringen, sie fùnden die FØndation der Banco also beschaffen, daß man davon nicht weichen könte, noch mÚste, ùnd [es] konnte dieselbe keine Verenderùng leiden, [sie fügten hinzu] wan nùr fest darüber gehalten worden wehre, so wùrde es mit dem Coùranten Gelde so schlim nicht geworden seyn; ùnd wenn noch darùber gehalten wùrde, [so] mùste es sich wohl mit der Zeit schicken, [Sie] sein also voneinander geschieden. 19 Jùnÿ. [Es] Wùrden aùß dem Rahte Depùtatis CommercÿÞ 9. andere pùncten, wegen der Banco übergeben, [Diese] laùten wie folget á 1. Daß es wie itzo aùch hinführo bey einerley Bezahlùng bleiben soll, es sein Pfandtverschreibùng, gemeine Oblig. Wechselbriefe, aùch Bùchschùlden aùff Banco Volùta Contrahirt. [á 2. ... ]
Schreiber C2 Veneris d 3. Septemb: 1675. aÚff der Admiralitet. Bart. Jenquel [Der] D.ny Præses [hat] gegen die Herren Deputirte des Rahts als [da sind] Herrn Dieterich Möller vnd Herrn Johann Schröder, [nach] præviâ salutatione wiederholet die 5. puncta. welche Sie den Deputirten des Commercij den 25. Aug.ti jüngst hin Vorgetragen [haben], Únd [er hat] berichtet, wie daß Sie die Vier ersten pùncta E: E: Kaùffman Vorgebracht [haben], und waß aÚff den Vierten punct geschloßen [wurde]. item waß die Deputirte Únter sich aÚff den 5.tn punct resolvieret [haben], welcher 5.te punct von mir aùch aùß dem protocollo verlesen ward, [Es] Zeigte aùch der H. Præses dabeÿ an, daß E: E: KaÚffmann wegen der dreÿ ersten puncten, insonderheit wegen der Wexel etwas schwierig gewesen [sei], Únd gebeten [habe], und gebeten, Ein Hochw: Raht möchte doch sich dahin aller Möglichkeit nach bemühen, daß wir beÿ Únser freÿheit Únd negotie bleiben möchten. He. Dieterich Müller & H. Johan Schröder:/ hetten ihr anbringen vernommen. [Sie] nahmen solches ad referendum an.
Wie zu erkennen ist, sind afinite Konstruktionen in allen Textbeispielen (wenn auch in stark unterschiedlicher Häufigkeit) vorhanden. Besonders deutlich ist ein hoher Grad an Ausformulierung im Eröffnungsprotokoll (bei Schreiber A findet sich auf der ersten Seite nur eine afinite Konstruktion), der dem besonderen Status von Eröffnungs- bzw. Endtexten entspricht. Auch bei Schreiber D liegt im untersuchten Text nur eine einzelne afinite Konstruktion vor. In den restlichen Textseiten fanden sich deutlich mehr
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Beispiele (bei Schreiber B lagen acht afinite Konstruktionen vor, bei Schreiber C1 und C2 fanden sich je sieben Beispiele). Es scheinen jedoch bereits auf den ersten Blick verschiedene Arten von Auslassung vorzuliegen, z.B. aus stilistischen Gründen (etwa bei Schreiber B: ‚weisslich geerwogen ùndt befùnden [habe]‘, eine reduzierte Zwillingsformel, s. 3.3.6.2.2.). Andere Auslassungen des Hilfsverbs scheinen durch Textökonomie motiviert (z.B. Schreiber D: ‚was [...] wegen der Banco passiret [sei]‘). Es sind außerdem auch bei diesen kurzen Textstellen Satzteile auffindbar, in denen die Möglichkeit zur afiniten Konstruktion zwar bestand, aber nicht genutzt wurde (etwa Schreiber C2: ‚aùß dem protocollo verlesen ward‘; Unterstreichung von MBL). Hier wäre eine systematische Untersuchung angebracht, um das Verhältnis von tatsächlichen zu möglichen (aber nicht realisierten) afiniten Konstruktionen zu erheben. Zusätzlich wird anhand der zahlreichen weiteren hier hinzugefügten Ergänzungen deutlich, dass sich mit der bloßen Feststellung afiniter Sätze bei weitem nicht alle elliptischen Konstruktionen in den Texten aufspüren lassen. Diese sind z.B. Auslassung von Verben des Sagens (z.B. Schreiber B: ‚Dep: Senaty [sagten, daß] weilln [...]‘), von Personalpronomen und Pronomen in unpersönlichen Ausdrücken (z.B. Schreiber C2: ‚[Es] Zeigte aùch der H. Præses dabeÿ an [...]‘; ‚[Sie] nahmen solches ad referendum an‘), Verkürzung eines formulaischen als da sind/wären zu Beginn einer Aufzählung (z.B. Schreiber A: ‚alß [da sind] 6 aùß den Erb Kaùffleùten [...]‘; Schreiber C2: ‚die Herren Deputirte des Rahts als [da sind] Herrn Dieterich Möller vnd Herrn Johann Schröder‘) etc. Eine tiefergehende Untersuchung kanzleisprachlicher Elemente müsste alle Mittel der Informationsverdichtung und somit weit mehr als nur afinite Konstruktionen erfassen. Es müssten in einer solchen auch auf die in den Beispieltexten beobachteten starken Unterschiede in der Frequenz elliptischer Konstruktionen eingegangen werden, um zu klären, inwieweit es sich um individuelle oder textbedingte, etwa durch Format oder Inhalt bedingte Schwankungen handelt. 3.3.6.2.4. Hypotaxe Unter Hypotaxe oder Subordination versteht man die Unterordnung eines Satzes unter einen anderen, wodurch das untergeordnete Glied in eine strukturell unselbstständige Beziehung gerückt wird (vgl. 4.9.). Diese zeichnet sich durch Unumkehrbarkeit aus (d.h. über- und untergeordneter Satz sind nicht austauschbar; nach Lewandowski 1994, 411f.). Laut Lewandowski (a.a.O.) ist bei vorliegender Hypotaxe interessant, worauf der untergeordnete Satz sich bezieht (etwa auf den ganzen Hauptsatz oder nur auf ein
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Satzglied), welche formalen Mittel die Hypotaxe anzeigen (z.B. Auslassung des Finitums) und welche semantische Auswirkung die Unterordnung hat. Laut Bentzinger entspricht eine komplexe Syntax146 dem gehobenen Stil, der auch die Kanzleisprache charakterisiert. Für Peter von Polenz (1994, 274) wird die Komplexität der deutschen Syntax zunächst in der Kanzleisprache ausgebaut und gelangt dann im 17. Jh. genreübergreifend zu einer Blütezeit, womit sie allgemein epochentypisch wird. Allerdings werden die strengen Stilgewohnheiten der Kanzlei- und Wissenschaftssprache, besonders bezüglich hypotaktischer Satzstrukturen, bereits im 18. Jh. stilistisch verworfen. Für das 17. Jh. gibt Polenz (a.a.O.) mit Wladimir Admoni (1967, 169) an, dass elf von zwölf Texten über 60% Hypotaxe aufweisen (davon ein Großteil Nebensätze 2. und 3. Grades, mit der Tendenz zu weiterer Verschachtelung). Für das 18. Jh. sinkt dieser Prozentsatz auf unter 50% bei elf von zwölf Texten, wobei auch der Grad der Unterordnung abnimmt. Die Texte der Commerzdeputation sind also zur einer Zeit entstanden, als die Hypotaxe ihre Hochphase hatte und bereits von der Kanzleisprache auf andere Genres übergriff. Wie schon bei den vorigen Punkten soll hier die jeweils erste Textseite pro Hand auf den Grad der syntaktischen Unterordnung untersucht werden. Hinzugefügt wurde die Nummerierung der Sätze im Fettdruck – entsprechend der Interpretation der Autorin (s.u.). Wie zu sehen ist, sind bereits die heutigen Mittel der Textgliederung vorhanden (Punkt, Komma, Semikolon und z.T. auch Absatz), jedoch haben diese noch nicht ihre heutige Funktion, so dass die Interpunktion noch nicht dem heutigen Maßstab entspricht (vgl. 4.2.3.). Im vorigen Abschnitt in eckigen Klammern vorgenommene Ergänzungen wurden zum besseren Verständnis beibehalten. Schreiber A [1.] [Es] Haben die alhie zù Hambùrg zùr See handelende Kaùffleùte einhellig berahmet, daß Sieben Persohnen Ihres Mittelß alß [da sind] 6 aùß den Erb Kaùffleùten die da gùten Handel und Correspondence so woll ùmb die Ost alß West See trieben, [und die] aùch der Assekurantz sich bedienten, und einen Schiffer Alten, möchten erwählet werden, welche da alles und jedes, waß dem Heilsahmen Commercio diensahmb [sei] beobachteten, die Drangsahl und Beschwerden, so demselben Zùstoßen mochten, E. Hochw. Rahte fleißigst hinterbrächten und cooperirten daß solche n Zeiten gewehret oder best müglichst geremediirt werden möchten: Zù welchem Ende dan folgende 7 Persohnen von der Börse und den 144 Bürgeren sein benennet [worden] und von E. E. Hochw. Rahte den 20 Janù: confirmirt F [worden] aùch dehren Actiones in diesem passù negst vorwis[esen]sen E. 146 Dazu zu rechnen sind alle komplexen Satzgebilde, also Satzverbindungen (durch Koordination verknüpft) und Satzgefüge (durch Subordination verknüpft), bis hin zu Perioden (komplexe Hauptsätze mit subordinierten Teilsätzen verschiedener Abhängigkeitsgrade, Nähreres s. Duden Grammatik 2005, 1029ff.).
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Hochw. Rahts zù approbiren sein admittiret worden. Alß [da sind] die Ehrbahre 1 Sr. Michel Heùß [...] ùndt 7 [Sr.] – Schiffer Berent Jacobsen, Karpfanger.
Schreiber B [1.] Dep: Senaty [sagten, daß] weilln die Geßant[e]n in Engellangt [sic!] eineÓ Zeit gelegen [haben] ùndt man gehoffet [habe] es wùrde ein reglement getroffen werden ùndt weilln der Krieg aberÓ ie meer ùndt mer weidtleùffiger [werde] wird, aùch aùß Hollant geschrieben [xxx] wurde daß wenig a[pparantz] zùr Composition vorhanden [sei], ùndt man vor diesem mit de[m] He. GeDepùtirten geredet [habe] aùch mit dem oberalten weisslich geerwogen [habe] ùndt befùnden [habe] man mòchte die Sache rebùs sic stantib[uy] aùffs beste die Sache mit behuffigen rationibus trainiren, weilln Franckreich ùndt Denmak sich mit inÓ den Dialog fl[ö]chten, ùndt man also nicht wùste ob man einem zù gefallen den anderen nicht offendirte, undt also wodùrch dan wenig drauf dem He: Gesandten meer Zùverrichten [sei], welches etwan von einer ander[e]n persohn vielleicht verrichtet werden könte alß hette Ein Hochw: Rath mit de[n] Oberalten darùber Commùnicirt fùnden ùnd diensambbefùndendie He: Gesante zù avo[n]ciren rùck zù rùffen [2.] Alß [Es] hette alsoÓ ein Hochw: Rath diensamb erachtet befùnden solches de[n] He: Gedepùtirten der Börse zù hinterbringen ùnd dehren Meinung Ózù vernehmen [3.] Dep. Commercii bedanckten sich des freùndlichen hinterbringens [4.] [Sie] wolten es mit einander besprechen ùnd den He: Depùt. Senatùs alß [da wären] He: Casparo Westerman ùnd He. Friederich Hartgen Jhre erklehrùng entdecken.
Schreiber C1 [1.] Convocatis DepØtatis des Commerÿ wart von Sr Johan Gùllen angetragen daß die zweÿ vnd funfftziger gewillet [seien] mit Jhnen wegen der Englischen Sache Conferentz zùpflegen [2.] Depùt: Commercii fùnden diensahmb dero anbringen zù vernehmen; [3.] Nachdeme man zù Ihnen aÚff der Ober Alten StÚbe getreten [war] wart von den 52 gefraget ob die GedepØtirte allein jüngst gehaltener zÚsammenkumbft der Bürgerschafft den 15. Aùg: præsentes gewesen [seien], vnd [es wurde gesagt,] wo jemand gemangelt [habe,] mochte derselbe aÚff sein Bürgerlich Eidt verheißen, Waß von den 52. von dehme so in versaÖleter Bürgerschafft beschloßen [worden sei und hier], vorgetragen werden solte zù verschwigen, [4.] Depùt: Commercii responduØt. Es erklehrte sich ein jeder so jüngsthin nicht zù Kegen gewesen, waß geproponirt werden möchte , aÚff sein Bürgerlich Eidt beÿ sich verschwiegen zÚbehalten. [5.] Dominùs Præses der 52. [entgegnete] Sie hetten Conferens gehalten mit E. H: Weisen Rahte daß sich derselbe möchte gefallen Laßen, den Bùrgerschlùß nachzùleben, du aùff daß schleünigste, Ein gelahrter und vnd zwo Erfahrne Kaùff Leüte nach Engellant mochten abgefertiget werden vmb allen Vnheill, so die Englischen sich Kegenn dieser gùten Stadt, fùrgenommen [haben], vorzÚbaÚwen.
Schreiber D [1.] Corpori Mercatorùm convocato aùf dem Börsensahl, ward præviâ salùtatione angebracht, was bey den Deputirten des Rahtß, [den] Oberalten, [der] Cämerey ùnd
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[den] Banco Bürgern wegen der Banco passiret [sei], ùnd [es] wùrde Jhnen die Fùndation der Banco vorgelesen, [Sie] sein darauff beyeinander getreten.[2.] Ein Erb. Kaùffman gab zùr Antwort, [die] Depùtati Commercÿ möchten E. E. Rath wider hinterbringen, sie fùnden die FØndation der Banco also beschaffen, daß man davon nicht weichen könte, noch mÚste, ùnd [es] konnte dieselbe keine Verenderùng leiden, [sie fügten hinzu] wan nùr fest darüber gehalten worden wehre, so wùrde es mit dem Coùranten Gelde so schlim nicht geworden seyn; ùnd wenn noch darùber gehalten wùrde, [so] mùste es sich wohl mit der Zeit schicken, [3.] [Sie] sein also voneinander geschieden. 19 Jùnÿ. [4.] [Es] Wùrden aùß dem Rahte Depùtatis CommercÿÞ 9. andere pùncten, wegen der Banco übergeben, [5.] [Diese] laùten wie folget á 1. Daß es wie itzo aùch hinführo bey einerley Bezahlùng bleiben soll, es sein Pfandtverschreibùng, gemeine Oblig. Wechselbriefe, aùch Bùchschùlden aùff Banco Volùta Contrahirt. [á 2. ... ]
Schreiber C2 [1.] [Der] D.ny Præses [hat] gegen die Herren Deputirte des Rahts als [da sind] Herrn Dieterich Möller vnd Herrn Johann Schröder, [nach] præviâ salutatione wiederholet die 5. puncta. welche Sie den Deputirten des Commercij den 25. Aug.ti jüngst hin Vorgetragen [haben], Únd [er hat] berichtet, wie daß Sie die Vier ersten pùncta E: E: Kaùffman Vorgebracht [haben], und waß aÚff den Vierten punct geschloßen [wurde]. item waß die Deputirte Únter sich aÚff den 5.tn punct resolvieret [haben], welcher 5.te punct von mir aùch aùß dem protocollo verlesen ward, [2.] [Es] Zeigte aùch der H. Præses dabeÿ an, daß E: E: KaÚffmann wegen der dreÿ ersten puncten, insonderheit wegen der Wexel etwas schwierig gewesen [sei], Únd gebeten [habe], und gebeten, Ein Hochw: Raht möchte doch sich dahin aller Möglichkeit nach bemühen, daß wir beÿ Únser freÿheit Únd negotie bleiben möchten. He. Dieterich Müller & H. Johan Schröder:/ hetten ihr anbringen vernommen. [3.] [Sie] nahmen solches ad referendum an.
Schon bei der Einteilung des Textes in Sätze zeigt sich, dass die Ergänzung mutmaßlich ausgelassener Satzelemente (z.B. elliptische Verben des Sagens) bereits eine Interpretation darstellt, die einen Einfluss auf die folgende Interpretation der Satzverknüpfung haben kann. Ein solcher Fall liegt beispielsweise bei Schreiber C2 vor, bei dem der folgende Textabschnitt als zwei Satzgefüge interpretiert wurden: [1.] [Der] D.ny Præses [hat] gegen die Herren Deputirte des Rahts als [da sind] Herrn Dieterich Möller vnd Herrn Johann Schröder, [nach] præviâ salutatione wiederholet die 5. puncta. welche Sie den Deputirten des Commercij den 25. Aug.ti jüngst hin Vorgetragen [haben], Únd [er hat] berichtet, wie daß Sie die Vier ersten pùncta E: E: Kaùffman Vorgebracht [haben], und waß aÚff den Vierten punct geschloßen [wurde]. item waß die Deputirte Únter sich aÚff den 5.tn punct resolvieret [haben], welcher 5.te punct von mir aùch aùß dem protocollo verlesen ward, [2.] [Es] Zeigte aùch der H. Præses dabeÿ an, daß E: E: KaÚffmann wegen der dreÿ ersten puncten,
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insonderheit wegen der Wexel etwas schwierig gewesen [sei], Únd gebeten [habe], und gebeten, Ein Hochw: Raht möchte doch sich dahin aller Möglichkeit nach bemühen, daß wir beÿ Únser freÿheit Únd negotie bleiben möchten. He. Dieterich Müller & H. Johan Schröder:/ hetten ihr anbringen vernommen.
Die Interpretation des hier unter [1.] aufgeführten Satzgefüges basiert auf einer Übersetzung der lat. Konjunktion item als dt. auch und eine anschließende Koordination des mit item eingeleiteten Teilsatzes. Im 2. hier definierte Satzgefüge wird der Teilsatz beginnend mit ‚He. Dieterich Müller [...]‘ als dem einleitenden Hauptsatz ‚[Es] Zeigte aùch der H. Præses dabeÿ an‘ subordiniert aufgefasst, implizit wird also ein Rückbezug auf diesen Hauptsatz bzw. ein elliptisches Verb des Sagens, z.B. er sagte, ergänzt. In beiden Fällen ließen sich andere Entscheidungen treffen, beide Teilsätze, der koordinierte Satz mit item und der subordinierte Satz beginnend ‚He. Dieterich Müller‘, könnten als unabhängige, durch ein Verb des Sagens eingeleitete Sätze aufgefasst werden (denkbar wäre zusätzlich eine kopulative Konjunktion, etwa der Form Er sagte auch). In diesem Fall wäre derselbe Textabschnitt in 4 Sätze aufzuteilen. Damit ergäben sich abweichende Satzanzahlen und Satzumfänge. Zwar wird in keinem der beiden vorliegenden Fälle durch die andere Texteinteilung der Grad der Unterordnung verändert (s.u.), es ist jedoch zu vermuten, dass bei einer größeren Textmenge bei unterschiedlicher Interpretation komplexer Perioden auch andere Werte für den Grad der hypotaktischen Unterordnung erzielt werden könnten. Die unter 3.3.6.2.3. betrachteten Textellipsen (nicht nur afinite Konstruktionen) stehen also in engem Zusammenhang mit dem Satzbau und sollten deshalb gemeinsam untersucht werden. Auch der Umgang mit lateinischen Textelementen spielt eine Rolle in der Textinterpretation, z.B. Schreiber D: ‚Corpori Mercatorùm convocato aùf dem Börsensahl, ward præviâ salùtatione angebracht, [...]‘. Eine direkte Übersetzung aus dem Lateinischen ist zwar möglich, jedoch nicht idiomatisch (Der Körperschaft der Kaufleute, zusammengerufen auf dem Börsensaal, ward nach vorausgegangener Begrüßung angebracht ...). Andere Übersetzungen der Konstruktion um das lat. Partizip Perfekt convocato (z.B. Nachdem sie auf dem Börsensaal zusammengerufen worden waren, ward der Körperschaft der Kaufleute nach vorausgegangener Begrüßung angebracht ...) resultieren in einer anderen Satzstruktur. Es herrscht also auch zwischen Satzstruktur und Verwendung lateinischer Textelemente ein Zusammenhang, der in weiteren Untersuchungen beobachtet werden müsste. Für die hier nur exemplarisch untersuchten Textstellen der vier Schreiber ergaben sich nach hier vorgeschlagener Interpretation die folgenden Werte (für Schreiber C wurden zwei Textstellen untersucht, s. Fußnote 135):
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Tabelle 3.1: Beispiele für Hypotaxe in den Commerzprotokollen. Schreiber Satzanzahl höchster erreichter Grad der Unter- Satzlänge (Anzahl der Wörter) auf erster ordnung (Hypotaxe) untersuchter Textseite A 1 3 166 B 4 Satz 1: 9 Durchschnitt: 3 138 Durchschnitt: 47,5 Satz 2: 1 22 Satz 3: 0 8 Satz 4: 2 22 C1 5 Satz 1: 1 Durchschnitt: 2,6 24 Durchschnitt: 34,3 Satz 2: 1 8 Satz 3: 3 58 Satz 4: 2 28 Satz 5: 6 54 D 5 Satz 1: 2 Durchschnitt: 1,25 41 Durchschnitt: 32 Satz 2: 3 70
C2
3
Insgesamt 3,6
Satz 3: 0 Satz 4: 0 (Satz 5: 1)147 Satz 1: 2 Satz 2: 3 Satz 3: 0
4 13 (27) Durchschnitt: 1,67 79 58 5 2,3
Durchschnitt: 47,4
65,5
Für die fünf untersuchten Textseiten ergab sich eine durchschnittliche Satzanzahl von 3,6 pro Seite. Die individuellen Schwankungen lagen zwischen 1 und 5 Sätzen (Schreiber A bzw. Schreiber C1 und D), wobei die geringe Zahl von nur einem Satz pro Seite bei Schreiber A durch die besondere Stellung der betreffenden Seite als Eröffnungsseite erklärt werden kann und damit eine Ausnahme darstellt (s.o.). Beobachtet wurde ebenfalls eine starke Variation der erreichten Hypotaxe (Unterordnungen der Grade 0 bis 9). Im Gesamtdurchschnitt wurden nur rund 2 Grade an Unterordnung erreicht. Der Satz mit 9 Graden der Unterordnung ist also eine klare Ausnahme. Eine starke Variation gab es auch bei der Satzlänge (gemessen an der Wortanzahl). Durchschnittlichen enthielt ein Satz 65,5 Wörter. Die Schwankungen lagen jedoch zwischen dem Sonderfall von Schreiber A (166 Wörter = 1 Satz) und kürzeren Sätzen von 4, 5 oder 8 Wörtern (Schreiber D, C2 und C1 bzw. B). Ein Vergleich der beiden Ausnahmen längstes Satzgefüge (Satz 1. von Schreiber A) und Satzgefüge mit dem höchsten Grad an Unterordnung (Satz 1. von Schreiber B) legt nahe, dass nicht unbedingt ein Zusammenhang zwischen Satzlänge und Grad der Unterordnung bestehen
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muss. Das Satzgefüge der ersten Seite von Schreiber A sieht reduziert auf den Hauptsatz (hier unterstrichen) samt dem untergeordneten Satz erster Ebene und dessen koordinierten Gliedern folgendermaßen aus: [Es] Haben die alhie zù Hambùrg zùr See handelende Kaùffleùte einhellig berahmet, daß Sieben Persohnen Ihres Mittelß [...] möchten erwählet werden [...]: Zù welchem Ende dan folgende 7 Persohnen von der Börse und den 144 Bürgeren sein benennet [worden] und von E. E. Hochw. Rahte den 20 Janù: confirmirt F [worden] [...] Alß [da sind] die Ehrbahre 1 Sr. Michel Heùß [...] ùndt 7 [Sr.] – Schiffer Berent Jacobsen, Karpfanger.
Die übrigen, hier entfernten Textteile enthalten dieser ersten Ebene untergeordnete Teilsätze bzw. solche, die wiederum diesen untergeordnet sind (z.B. ‚welche da alles und jedes, waß dem Heilsahmen Commercio diensahmb [sei] beobachteten,‘ [Unterordnung räumlich dargestellt]). Auf diese Weise werden trotz allem insgesamt nur 3 Grade der Unterordnung erreicht. Der Fall liegt ganz anders bei Schreiber B. Einem Hauptsatz folgen stufenweise Unterordnungen, bis der 9. Grad der Unterordnung erreicht ist. Manchmal umfassen diese Stufen mehrere koordinierte Glieder, wie in folgendem Textstück, das mit 4 die höchste Anzahl von koordinierten Teilsätzen aufweist: ‚daß wenig a[pparantz] zùr Composition vorhanden [sei], ùndt man vor diesem mit de[m] He. GeDepùtirten geredet [habe] aùch mit de[m] oberalten weisslich geerwogen [habe] ùndt befùnden [habe]‘. Nach der Erreichung des tiefsten Grades der Unterordnung mit dem Teilsatz ‚welches etwan von einer ander[e]n persohn vielleicht verrichtet werden könte‘ wird mit dem Teilsatz ‚alß hette Ein Hochw: Rath mit de[n] Oberalten darùber Commùnicirt‘ wieder die Ebene der ersten Unterordnung erreicht, der noch ein subordinierter Satz angeschlossen wird, so dass die Periode auf der 2. Ebene der Unterordnung endet. Reduziert auf den Hauptsatz (hier unterstrichen) samt dem untergeordneten Teilsatz erster Ebene, dessen koordinierten Gliedern und den subordinierten Sätzen erster Ebene (tiefergestellte Buchstaben) sieht dieser Satz von Schreiber B so aus: Dep: Senaty [sagten, daß] weilln die Geßant[e]n in Engellangt [sic!] eineÓ Zeit geleg[e]n [haben] ùndt man gehoffet [habe] es wùrde ein reglement getroffen werden alß hette Ein Hochw: Rath mit de[n] Oberalten darùber Commùnicirt fùnden ùnd diensambbefùnden die He: Gesante zù avo[n]ciren rùck zù rùffen
An diesem Beispiel lässt sich erkennen, dass man die bloße Angabe von statistischen Daten wie dem Satzumfang oder dem Grad der Unterordnung der Komplexität der Syntax der Commerzprotokolle kaum gerecht wird. Dies um so weniger, als deutlich wurde, dass durch die Verwendung lat. Textelemente und den stark elliptischen Charakter Schwierigkeiten bei der genauen Erfassung dieser Daten bestehen. Immerhin lässt sich anhand der untersuchten Textstellen für die Protokolle zeigen, dass sie zumindest be-
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Textproduktion – Textsorte – Texttradition
dingt den Anforderungen komplexer Satzgestaltung genügen und von daher dem Stil der Kanzleisprache zugeordnet werden können. 3.3.6.2.5. Komposita Laut Rudolf Bentzinger ist die Verwendung von Komposita in den Kanzleisprachen besonders häufig (s. 3.3.6.1.; leider liefert Bentzinger keine konkreten Zahlen). Auch anhand von Zeitungstexten konnte ein starker Anstieg in der Verwendung von Nominalkomposita zwischen 1609 und 1667 festgestellt werden, wobei sich bis zu viergliedrige Komposita fanden (s. 4.4.). Wie in 4.4. im Einzelnen dargestellt, herrschen bei den einzelnen Schreibern stark unterschiedliche Vorlieben bezüglich der Anzahl und Auswahl der Komposita. Komplexe Zusammensetzungen sind, anders als von der Textsorte her zu erwarten, selten zu finden und beschränken sich auf vereinzelte Beispiele (A: -, B: ‚Börse in convenientien‘, C1: ‚Ober Alten Stube‘, D: ‚in banco Ordnung‘, ‚Gronlandes Handeler‘, C2: ‚KaÚffmans Gueter‘). 3.3.6.2.6. Attributerweiterung Die Möglichkeit, ein Substantiv besonders durch Voranstellung eines erweiterten Partizipialattributes zu ergänzen (z.B. die schön blühende Blume), wird als typisches kanzleisprachliches Phänomen betrachtet. Die Attributerweiterung ist eine rein schreibsprachliche Erscheinung, die in der Alltagsund Sprechsprache vermieden wird. Sie gehört zu den Phänomenen, die im Deutschen zum vergleichsweise großen Abstand von Bildungssprache zu Sprechsprache beitragen. Attributerweiterungen erfreuten sich besonders im 17. und 18. Jh. einer großen Beliebtheit und wurden somit zum epochentypischen Phänomen (Näheres s. 4.8.). Aus der Ablehnung weniger Formen entwickelte sich im Laufe des 18. Jhs. schließlich generelle Vorbehalte gegen die Verwendung von Partizipialkonstruktionen (s. 3.3.6.1.). Wie unter 4.8. gezeigt wird, sind Partizipialattribute in den Protokollen der Commerzdeputation durchaus normale Erscheinungen, werden aber nicht prinzipiell anderen Konstruktionen (v.a. den Relativsätzen) vorgezogen. Im Gegenteil fällt in diesem Kontext eine große individuelle Spannbreite bei der Frequenz und Auswahl der beobachteten konkurrierenden Mittel zum Ausbau der Substantivgruppe auf. Anders als nach der Literatur zu erwarten, in der umfangreiche Konstruktionen von über 30 Wörtern zitiert werden, werden Partizipialattribute größeren Umfanges in den Protokollen nur in einem einzigen Fall beobachtet (15 Wörter, Schreiber A).
Kanzleisprache
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Auch hier muss also festgestellt werden, dass die als typisch kanzleisprachig bezeichnete Konstruktion des Partizipialattributs zwar durchaus bei allen Schreibern festzustellen ist, dass jedoch gleichzeitig individuelle Schwankungen bei der Häufigkeit und der Art der Verwendung zu beobachten sind. 3.3.7. Einordnung der Commerzprotokolle in eine konfessionelle Schreibtradition Wie bereits unter 3.3.1. erwähnt, wurde in der Literatur oft der Eindruck erweckt, es habe eine einheitliche, als Vorbild allgemein anerkannte Kanzleisprache gegeben. Jürgen Macha (2004, 162f.) zitiert hierzu Luther, Opitz und andere Autoren des 16. und 17. Jhs. mit der Empfehlung, sich für das Schreiben in „reinem“ Deutsch nach „den Kanzleien“ zu richten. Dies beurteilt er folgendermaßen: „Bei genauerem Hinsehen schafft dieser gute Rat freilich eher Verwirrung und Ratlosigkeit.“ Deutlich wird dies auch bei näherer Betrachtung der Briefsteller der Zeit, die mit ihrem Lob der Kanzleien sowohl zu deren irreführender einheitlicher Darstellung als auch zur Verwirrung über den genauen Charakter der empfohlenen Sprache beigetragen haben dürften, da sowohl überregionale Vorbilder als auch ortsüblicher Brauch empfohlen werden (s. v.a. 3.1.3.1.3. c und 3.1.3.2.3. c) Angesichts der offensichtlichen Diversität kanzleisprachlicher Schriftlichkeit deutet Macha existierende Schilderungen „einer ‚gemeindeutschen Kanzleisprache‘ um 1600“ als Resultat eines ausgeprägten Wunschdenkens bezüglich deutscher Spracheinheit (2004, 163). In seiner Untersuchung von Dokumenten der hohen Schriftlichkeit vom Beginn des 17. Jhs. entlarvt er durch den Nachweis einer konfessionell bedingten Differenz der Graphien eine „vorgebliche Homogenität ‚der‘ Kanzleisprache [...] als Fiktion“ (ibid., 173). Die Gründe für die von ihm gefundene Diversität liegen laut Macha einerseits in einem Weiterbestehen alter regionalsprachlicher Prägungen des Kanzleigebrauchs, andererseits sieht er auch die Wirkung neuer Wandelprozesse als Resultat konfessioneller Unterschiede (ibid., 163). Die Auswirkungen der konfessionellen Unterschiede machen eine klare Zuordnung der von Macha betrachteten Texte zu einer katholischen bzw. protestantischen Tradition möglich. In seiner Variablenanalyse zeigt Macha (2004, 167ff.), dass das von ihm untersuchte oberdeutsche Dokument der katholischen Liga durch landschaftssprachlich-bairische Sprach- und Schreibformen geprägt ist und dass in ihm im Unterschied zur üblichen Schreibpraxis der Zeit schon weitestgehend nach einem „isographischen Prinzip“ (ibid. 173) geschrieben wird, bei dem nur wenig Variation der jeweils selben Worte im gleichen Text
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Textproduktion – Textsorte – Texttradition
vorkommen. Der im Vergleich stehende Text der protestantischen Union weist dagegen eine weitaus pluriformere Schreibungsvarianz auf, die laut Macha die Beteiligung sowohl mittel- als auch oberdeutscher Partner an der Union widerspiegelt (ibid.). Eindeutig zugeordnet werden können dem oberdeutschen Text u.a. die Graphien ay und ai für mhd. ei (ibid., 167), der Mangel eines Dehnungs-hs in Possessivpronomen (ime, inen; ibid. 168), das Einschieben eines Sekundärvokals zwischen l und ch (sollicher, wellicher; ibid. 170) und die konsequente Verwendung von nit für nicht (ibid.). Im protestantischen Text erfolgt entsprechend die Schreibung des mhd. ei mit e (ei, am Silbenende oft ey), Possessivpronomen werden immer mit h geschrieben, ein Sekundärvokal zwischen l und ch fehlt und in zwei Dritteln der Fälle wird nicht statt nit geschrieben. Die hier untersuchten Protokolltexte der Commerzdeputation Hamburg sind entsprechend der antiken, noch in der frühbürgerlichen Periode wirksamen rhetorischen Einteilung in die Stilarten leichter, mittlerer und erhabener Stil (humile, medium, grande)147 einer mittleren Kanzleisprache zuzuordnen (vgl. Macha 2004, 173). Macha liefert in seiner Analyse zwar die Beschreibung von Texten der hohen Kanzleisprache, die von ihm untersuchten Variablen können aber auch auf das hier untersuchte Beispiel der mittleren Kanzleisprachlichkeit angewendet werden. In den Commerzprotokollen finden sich entsprechend der protestantischen Tradition Hamburgs und der dortigen an omd. Gebieten orientierten Ausbildungstradition (s. 2.2.5.) weit überwiegend die Graphien ei und ey. Die ‚katholischen‘ Schreibungen ay, ai kommen insgesamt nur in vereinzelten Beispielen vor (ay steht in den Lexemen Majestät, kaiserlich und eidlich: Mayst, PC 24/5 und Mayt., PC 613/24; Aydtlichen, PC 31/9; Kayßl. Maye. PC 457/16; ai wird nur in Fremdwörtern wie Mai, maintenieren, Capitain, Dessain etc. geschrieben).148 Die Schreibung von Possessivpronomen (z.B. ihr, ihnen) ohne Dehnungs-h wie im Beispiel der Liga findet sich in den Commerzprotokollen nicht (vgl. aber 4.3.3.). Das Einschieben eines Sekundärvokals zwischen l und ch nach ‚katholischer‘ Schreibung kommt in den Commerzprotokollen ebenfalls nicht vor. Die Schreibung von solch und welch ist darüber hinaus schon stärker isographisch als in Machas Texten vom Anfang des Jahrhunderts und sie kommt durchweg mit nur einem l vor. Auch die obd. Schreibung von nit statt nicht fehlt in den Protokollen.149 147 Die einfache Stilart diente für einfache Mitteilungen oder Belehrungen, der mittlere Stil wies mehr Schmuckmittel auf und sollte außer informativ auch gefällig sein, der erhabene Stil war anspruchsvoll und nur bei wichtigen Inhalten gestattet. Näheres s. Wilpert, Stichwort Stilarten (1989, 890f ). Vgl. auch 3.1.3.2. 148 Die Lexeme Mayestät und Kayserlich tauchen in abgekürzter Form auf, was womöglich auf eine formelhafte Verwendung der Schreibung in (reichs-)offiziellen Kontexten deutet. 149 Es fällt ins Auge, dass in vier Fällen dem nicht ein e zugefügt wurde (nichtes). In allen diesen Fällen handelt es sich um indirekte Rede (Rat: PC 423/6 und 760/16, Oberalte: 424/26, Seigneur de Ruscher: 409/18) und zwar die Wiedergabe adversärer bzw. kontroverser Dialog-
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Die Commerzprotokolle stehen also in allen untersuchten Graphien der protestantischen Tradition vom Anfang des Jahrhunderts nahe. Schlussfolgerung Die Untersuchung der unter 3.1. betrachteten Briefsteller legte die Vermutung nahe, dass es im 17. Jh. nicht wie oft dargestellt zum Ende, sondern lediglich zu einer starken Einschränkung des vorher allgemeinvorbildlichen Kanzleigebrauches kam. Dieser wirkte nur noch auf spezifische geschäftssprachliche Textsorten, während sich für andere Textsorten ein individueller Briefstil ausbreitete. Damit verloren kanzleisprachliche Texte zwar ihre gesamtsprachliche Vorbildfunktion und hatten zunehmend als Vehikel des Sprachausgleichs ausgedient, vom Ende der Kanzleisprachentradition an sich kann aber, den Briefstellern nach zu schließen, nicht die Rede sein (vgl. 3.1.3.2.3. c und 3.3.5.). Die ansatzweise Überprüfung der Commerzprotokolle auf kanzleisprachliche Merkmale bestätigte diese Vermutung, denn es zeigte sich, dass die Protokolltexte des späten 17. Jhs. noch weitgehend die in der Literatur genannten kanzleitypischen Merkmale aufwiesen. Wie aus den Briefstellern zu entnehmen ist, fand die Überlieferung der Texttradition in diesem Bereich immer noch durch die Orientierung an vorbildlichen Schriftstücken nationaler oder lokaler Kanzleien statt. Damit steht fest, dass trotz einer allgemeinen Individualisierung des Briefstils in stark formalisierten pragmatischen Textsorten die Kanzleisprache das 17. Jh. überdauerte und zumindest in Teilbereichen der Sprachusus weiter von ihr geprägt wurde. Zu prüfen wäre, ob und inwieweit sich diese Tradition noch weiter fortsetzte und welche sprachlichen Teilbereiche bzw. Textsorten sie dabei berührte. Teilweise beträchtliche individuelle Schwankungen in der Frequenz der beobachteten Elemente legen ebenfalls weitere Untersuchungen nahe (z.B. zu individueller Präferenz und Zusammenhang von Form und Inhalt). Dabei muss im Auge behalten werden, dass der elliptische Charakter der Texte die Interpretation syntaktischer Strukturen erschwert, die zudem oft von der Interpretation kanzleitypischer lat. Textelemente abhängt.
partner bzw. -inhalte. Ob hier die Graphie bewusst zur Verfremdung benutzt wurden, wäre an einer größeren Textmenge zu untersuchen.
4. Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente eines geschäftssprachlichen Textkorpus 4.1. Der Untersuchungsgegenstand Untersuchungsgegenstand der folgenden strukturellen Untersuchung sind Stichproben aus den Sitzungsprotokollen der in Kapitel 2 näher beschriebenen Commerzdeputation Hamburg aus dem Zeitraum 1665-1677. Dem Eröffnungsprotokoll, einer Art Gründungsurkunde (PC 1, vgl. 3.2.), folgen Stichproben der Commerzprotokolle, in denen die Bemühungen der hamburgischen Großkaufleute dokumentiert werden, ihre Handelsbedingungen zu verbessern. Dabei geht es einerseits um international greifende Maßnahmen, um z.B. die Kaufleute vor Verlusten im Seekrieg zwischen England und Holland zu schützen oder internationalem Betrug vorzubeugen, indem man sicherere Seebriefe erstellte. Es geht aber auch um stadtinterne Fragen, z.B. Bankzinsen und Zölle in Hamburg. Diese Fragen stellen Zeugnisse der andauernden Auseinandersetzung der Händler mit dem Rat der Stadt dar, z.B. wenn sich die Kaufleute über unerwünschte Einmischung des Rats in Bankgeschäfte beschweren (Näheres s. Teil 2 und 3.2.). Zu den stadtinternen Fragen gehören auch praktische Belange, wie Probleme beim Erlangen aktueller wirtschaftlicher und politischer Informationen, das Bemannen von Schiffen oder die Sicherung der Schifffahrtswege auf der Elbe und in der Elbmündung. Probleme individueller Schiffe und Schiffer wurden laut den Protokollen ebenso debattiert wie diplomatische Fragen, etwa anlässlich von Übergriffen fremder Nationen auf hamburgische Schiffe.
4.2. Zur Vorgehensweise bei Stichprobennahme und Transkription Der folgende Abschnitt beschreibt die Vorgehensweise bei Stichprobenentnahme und Übertragung der in dieser Arbeit analysierten Handschriften. Die Transkriptionen werden im Anhang wiedergegeben. Außer die Vorgehensweise transparent zu machen, führen die Angaben zu den Transkriptionen vor Augen, dass man es bei allen Untersuchungen mit Individuen zu tun hat, auch wenn letztendlich Aussagen über allgemeine Tendenzen der Schriftsprachenstruktur getroffen werden sollen.
Zur Vorgehensweise bei Stichprobennahme und Transkription
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4.2.1. Stichprobennahme Bei der Stichprobenentnahme wurden zunächst etwa 60 Seiten der Protokolle aus den ersten dreizehn Tätigkeitsjahren der Commerzdeputation fotografiert. Dabei wurde darauf geachtet, dass vollständige Protokolleinträge in möglichst regelmäßigen Abständen gewählt wurden. Seiten mit längeren Namenslisten oder Abschriften ebenso wie besonders kurze oder besonders lange Einträge wurden vermieden (unter 1 Seite bzw. über 6 Seiten).1 Bei der Transkription aus deutscher Kurrentschrift (vgl. Dohna 2001, Newton 2003, Verdenhalven 1989) in einen Textverarbeitungsschriftsatz wurde deutlich, dass vier verschiedene Handschriften vorlagen. Da die bisherigen Stichproben auf diese unregelmäßig verteilt waren, wurden erneut Aufnahmen gemacht, bis für die endgültige Analyse insgesamt ca. 80 Seiten in etwa gleicher Verteilung pro Hand ausgewertet werden konnten (s. Tabellen 4.1 bis 4.3). Die Transkriptionen wurden zur Minimierung von Lesefehlern abschließend jeweils mit den Originalprotokollen verglichen. 4.2.2. Paläographische Identifizierung der Schreiber Über die Schreiber der Commerzdeputation in deren Anfangszeit ist wenig bekannt. Es ist lediglich Zufall, dass der Name des ersten Schreibers, Richert Schröder, außerhalb der Protokolle überliefert ist (Näheres s. Teil 2.2.). Innerhalb der Protokolle selbst werden die Namen der jeweiligen Protokollisten ungleich moderner Protokollpraxis (vgl. 3.2.) nicht angegeben. Entsprechend der Tradition der Kanzleisprache, die unpersönlichen Stil bevorzugt, taucht nur einziges Mal ein Pronomen in der ersten Person Singular auf: mir (PC 612/12). Lediglich in einem Fall ist ein Sekretär namentlich genannt: „Darauff hette E. Hochw. Raht den He. SecreÓ/ tarium Schröder deputiret nach GlückÓ/ stadt zÚgehen“ (PC 670/7f.). Dieser Eintrag stammt aus dem Jahre 1676 (Band B der Protokolle, also nicht aus der Anfangszeit der Deputation) und die Rede ist von einem (ehemaligen?) Admiralitätssekretär. Die Identifizierung der Schreiber wurde folglich paläographisch vorgenommen. Wenn sich auch Handschriften im Laufe der Zeit verändern3, so überwiegen doch die konstanten Merkmale. Als Vergleichsbeispiel wurde das Wort und gewählt, das nicht nur die häufigste Konjunktion sondern 1 2 3
Hieraus erklären sich leichte Unregelmäßigkeiten bei der chronologischen Verteilung. Zu lesen ‚Protocollum Commercii S. 612, Zeile 1‘. Ein Beispiel für eine Veränderung ist etwa die vorübergehende Vorliebe eines Schreibers für die Schreibung eines doppelten ‚n‘ am Wortende (siehe Protokolle im November 1676). Diese Vorliebe nimmt über einen gewissen Zeitraum zu (frühes Beispiel 1670: 321/20), wird jedoch nach einer Weile wieder weitgehend aufgegeben.
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
auch eines der häufigsten Worte der deutschen Sprache überhaupt ist (Eisenberg 1999, 369). Es ist in den meisten Protokollabschnitten vorhanden. Zum Vergleich der Handschriften und zu ihrer Identifizierung eignet es sich besonders, weil allein das u charakteristisch sein kann (etwa mit Überstrich in individuell typischer Form, s. 4.2.3.1.) bzw. die alternative Vorliebe für ein v (v.a. Schreiber C). Trotz der Ähnlichkeit der n-Ausführung bei allen untersuchten Schreibern erwies sich die Zahl der n-s (Variationen von 1-3) als signifikant. Das d, das schon im Anstrich kennzeichnend sein kann, liefert einen weiteren Hinweis, da es oft auch charakteristisch mit einer Verzierung abgeschlossen wird. In Zweifelsfällen wurde die Schreibung einzelner Buchstaben (z.B. des großen F, s.u.) zur Identifizierung der Schreiber hinzugezogen. Schreiber B schrieb darüber hinaus mit einer heute dunkelbraunen Tinte, die an Wortanfängen häufig sehr dick aufgetragen ist und durch das Gesamtbild auffällt. Schreiber C (gekennzeichnet durch eine Vorliebe für v statt u, charakteristischen d-Aufstrich samt d-Endschlaufe und zeitweilige Vorliebe für Ø, z.B. PC 356f.) verwendet generell eine hellere Tinte, wodurch sich die meisten Randglossen eindeutig als nachträglich von seiner Hand hinzugefügt identifizieren lassen (vgl. 2.2.2.). Auch der Neigungswinkel der Schrift4 wurde berücksichtigt. Für die Untersuchung der Schriftsprache der Commerzdeputation Hamburg wurden vollständige Protokolleinträge (d.h. Einträge zu einem bestimmten Datum) transkribiert.5 Quantitative Angaben zu den Transkriptionen erfolgen zwar in Form der Angabe von ganzen Seitenzahlen (s. Tabellen 4.1 und 4.3), es müssen diese jedoch nicht vollständig abgeschrieben worden sein, wenn z.B. ein Eintrag in der Mitte einer Seite beginnt oder endet. Derartige Angaben sind also nur vage und sollen einen ungefähren Eindruck vom Umfang der Stichproben vermitteln. Angaben innerhalb der Protokolle erfolgen in der Form Seite/Zeile, also bedeutet die auf die Protokolltexte bezogene Quellenangabe PC 178/19 „Protocollum Commercii S. 178, Zeile 19“. Für Band B der Protokolle wird von den dort notierten beiden Zählungen nur die laufende, an Band A anschließende Zählung verwendet. 4 5
Der Winkel zwischen Buchstabenlängen und Grundlinie. Ausnahme bildet der Eintrag zum 01.11.1671 (PC 357ff.), der eineinhalb Seiten einer Anwesenheitsliste enthält, die hier fehlt. Gleichfalls wurde die Abschrift eines Ratsprotokolls, die dem Eintrag zum 19.05.1668 (PC 149) folgt, weggelassen, da unklar ist, inwieweit der Text beim Abschreiben von fremder Vorlage übernommen wurde. Die nachträglich dem Eröffnungseintrag vom 19.01.1665 mit anderer Hand zugefügte Abschrift des entsprechenden Ratsprotokolls ist der Transkription zwar beigefügt, da sie einen Eindruck für die Variationsbreite der schriftlichen Wiedergabe liefert, die sich besonders gut an den in beiden Versionen aufgeführten Namen zeigt. Der Nachtrag wurde als Abschrift eines fremden Textes aber nicht strukturell ausgewertet.
Zur Vorgehensweise bei Stichprobennahme und Transkription
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Die folgenden Tabellen enthalten Informationen zu den Schreibern der Commerzdeputation. 6 7 Tabelle 4.1: Die Schreiber und ihre Produktion Schreiber Seiten geschrieben/ Zeitraum der Tätigkeit Name| transkribiert erster - letzter Eintrag Reihenfolge (Dauer)
beschriebene Seiten erste Seite-letzte Seite/Seiten insges.
A
1.
~55/19
B
2.
~188/16 (+Nachtrag S. 0)
B'
4.
~11/3
B''
6.
~2/0 (∑B=19)
C
3.
~52/0
C'
5.
~10/0
C''
7.
~40/11
17.08.1670-01.11.1671 (ca. 14.5 Monate)
319 (unteres Viertel)-359 40
C'''
9.
~503?/11 (∑C=22)
D
8.
104/21
01.05.1674-nicht festgestellt7 (mind. 3,5 Jahre, insg. mind. 4,5 Jahre) 06.11.1671-08.04.1674 (ca. 29 Monate, also fast 2,5 Jahre)
562‘-1065/? (ab Anfang Band B bis Ende des untersuchten Textes) 503? 360-464 (Ende Band A, gefolgt von Anhang und Index: diverse Hände) 104
19.01.1665-28.02.1666 (ca. 13 Monate) 11.05.1666-05.02.1670 (ca. 3 Jahre und 9 Monate) 11.02.1670-09.03.1670 (ca. 1 Monat) 15.04.1670-25.07.1670 (ca. 3 Monate, insg. gut 4 Jahre) Textabschriften ohne Schreibdatum (zwischen Einträgen vom 05. und 11.02.1670, B)6 13.04.1670 (1 Tag)
1-56 (bis 1. Drittel) 56 56 (ab 2. Drittel)-244 (bis 1. Hälfte) 188 296 (unteres Drittel)-302 (obere 2/3) 6 317 (unteres Drittel)-319 (3/4 der Seite) 2 244 (ab 2. Hälfte)-296 (obere 2/3) 52 307 (unteres Drittel)-317 (obere 2/3) 310
In 4.1. ist zusammengefasst, welcher Schreiber wie viele und welche Seiten geschrieben hat und in welchem Zeitraum dies geschah. Reihenfolge und Benennung der Schreiber sind hier angegeben. Es lässt sich entnehmen, aus welcher Zeit bzw. Abschriftsphase (vgl. 2.2.3.) die untersuchten Stichproben stammen und in welchem Verhältnis sie zur Gesamtproduktion des 6 7
Es ist denkbar, dass diese Seiten zu einem späteren Zeitpunkt niedergeschrieben und nachträglich an dieser Stelle eingebunden wurden. Womöglich geschah dies zeitgleich mit der Hinzufügung der Randglossen durch Schreiber C. Vgl. Kapitel 3. Die Untersuchung der Protokolle endet bislang mit dem Jahre 1677. Oberflächliche Durchsicht der folgenden Einträge schien auf Konstanz des Schreibers bis zur Unterbrechung der Einträge auf S. 1065 hinzuweisen.
218
Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
jeweiligen Schreibers stehen. Fett gedruckt ist die Summe der jeweils von einem Schreiber transkribierten und hier untersuchten Seiten. Tabelle 4.2: Übersicht über die untersuchten Textseiten Schreiber A Schreiber B Schreiber C analysierte Seiten 1, 5, 6, 12, 13, 23, 24, 25, 31, 32, 36, 37, 38, 40, 41, 42, 43, 50, 51
56, 57, 58, 70, 71, 72‘, 91, 92, 149, 161, 162, 163, 178, 179, 231, 232, 300, 301, 302
319, 320, 321, C1 322, 323, 324, 339, 340, 341, 356, 357 611, 612, 613, C2 614, 623, 624, 669, 670, 759, 760, 761
Schreiber D 378, 379, 380, 385, 386, 387, 408, 409, 410, 421, 422, 423, 424, 425, 445, 446, 453, 454, 455, 456, 457
Tabelle 4.2 gibt an, welche der insgesamt für die Untersuchung transkribierten Protokollseiten welchem Schreiber zuzuordnen sind. Die folgende Tabelle stellt chronologisch dar, wie viele Textseiten in welchem Jahr geschrieben wurden und auf wie viele Protokolleinträge diese Textproduktion zu verteilen ist (daraus ist die Entwicklung der durchschnittlichen Länge der Protokolle erschließbar).8 9 10 Tabelle 4.3: Übersicht über die Protokolle der Jahre 1665-1676 ~ Anzahl der Seiten Protokolleinträge in diesem Jahr tätige transkribiert/insgesamt transkribiert/insgesamt Schreiber 1665 17/43 8/34 A 1666 5/26 2*/17 *(A und B je 1) AB 1667 5/59 3/33 B 1668 5/53 5/21 B9 1669 3/6510 3/31 B 1670 12/103 4*/23 * (B=1, C=3) BC 1671 2/13 1*/10 * (C) CD 1672 6/29 4/24 D 1673 6/49 8/45 D 1674 7/43 5*/33 * (D) DC 1675 6/65 3/35 C 1676 2/87 1/55 C 1677 3/45 2/36 C Jahr
8 9 10
Die besonders im Jahr 1673 aber auch sonst gelegentlich auftretenden Mehrfacheinträge zu einem Datum wurden als ein Eintrag gewertet. Der letzte Eintrag von 1668 erfolgt nach dem ersten Eintrag des Jahres 1669. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Protokolle nachträglich aufgeschrieben worden sein dürften. Hiervon sind 51 Seiten Nachträge von Hand des Schreibers C, die sich auf vorangegangene Jahre beziehen.
Zur Vorgehensweise bei Stichprobennahme und Transkription
219
Ihr lässt sich ebenfalls entnehmen, in welchem Jahr welcher Schreiber tätig war bzw. welche Jahrgänge von welchem Schreiber kopiert wurden (s. 2.2.3.). Bei der vorliegenden relativ geringen Stichprobengröße und vor allem bei den relativ kurzen Untersuchungszeiträumen von wenigen Jahren pro Schreiber wurde es als gerechtfertigt betrachtet, die Textproduktion der jeweiligen Schreiber als Einheit zu untersuchen. Tatsächlich stammen die Stichproben in drei der vier Fällen auch aus kontinuierlichen Phasen der Schreibertätigkeiten, nur bei Schreiber C gibt es eine längere Pause zwischen 1671 und 1674. Es wird in diesem Fall beobachtet werden, ob sich für die erste Hälfte der Stichprobe (C1 1670/71) andere Werte ergeben als für die zweite Hälfte (C2 1674-1677), mit anderen Worten, ob in der Sprache des Schreibers eine Entwicklung aufzuzeigen ist (vgl. hierzu aber 2.2.3.). 4.2.3. Transkription Bei der Transkription wurde versucht, das Erscheinungsbild der Originaltexte annähernd darzustellen. Wenn nicht die ganze Seite zur Analyse transkribiert und berücksichtigt wurde, so ist zumindest durch die Zählung der abwesenden Textzeilen angedeutet, ob der Rest der Seite beschrieben ist und welcher Eintrag folgt bzw. vorausgeht. Da die individuellen Charakteristika zu zahlreich und die auftretenden Schwankungen zu groß sind, übersteigt es allerdings die Möglichkeiten der Textverarbeitung, die Variationen im Verhältnis 1:1 wiederzugeben, sie sind lediglich typographisch angedeutet. Die Manuskripte, die Manifestationen verschiedener Handschriften und Entstehungsbedingungen sind, widerstreben an sich einer normierten Darstellung. Anmerkungen der Autorin und originale Randglossen am äußeren Seitenrand (alternierend links und rechts) sind in den Transkriptionen am rechten Seitenrand zusammengefasst. Die Glossen sind im Abdruck durch Kursivstellung gekennzeichnet, und, falls identifiziert findet sich eine Angabe zum Schreiber der Glosse in der Form Glosse links (A/C/C), d.h. die erste am linken Rand gefundene Glosse stammt von Schreiber A, die zweite und dritte sind von Schreiber C. Die am linken Rand befindliche Zeilenzählung wurde von der Autorin eingefügt, um ein genaues Referenzsystem zu erstellen. In den ebenfalls beigefügten Fußzeilen steht die Angabe des Datums des aktuellen Protokolleintrages (es können auf einer Seite auch mehrere kurze Einträge bzw. nur ein Teil eines längeren Eintrages wiedergegeben sein) sowie die Seitenzahl. Eigene Verbesserungen durch die Schreiber selbst sind im Text reproduziert bzw. am Rand kenntlich gemacht.
220
Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
Wie die Schriftanalyse ergab, sind die Glossen überwiegend nachträglich von der Hand des dritten Schreibers (Schreiber C) in Form von inhaltlichen Stichworten beigefügt, um den schnelleren Zugang zu den Protokollen zu ermöglichen (vgl. auch 2.2.). 4.2.3.1. Besondere Schwierigkeiten bei der Transkription Schwierigkeiten bei der Übertragung der Handschrift11 in eine Computerschrift sind nicht ohne Auswirkung auf die Analyse. Es folgen Anmerkungen zu speziellen Problembereichen der vorliegenden Schriftübertragung. Es geht dabei um mehr als Hinweise zur Orthographie, obwohl Besonderheiten auf dieser Ebene besonders auffällig sind. Die scheinbar oberflächlichen graphologisch-graphemischen Merkmale beeinflussen auch die Durchführung der Analyse tieferliegender Strukturen; sie können außerdem in gewissem Maße als früher Indikator für die fortschreitende Normierung auf allen Ebenen verstanden werden.12 Im 17. Jh. war die Orthographie oder Rechtschreibung noch ein theoretisches Konzept, praktisch war sie „eher eine persönlich, institutionell, lokal oder regional bedingte, recht flexible Variantenfülle, die von streng philologischer oder modern-normativer Einstellung her gern „chaotisch“ genannt wird“ (Polenz 1994, 242 nach Blackall 1966, 95).13 Während heutzutage Unterscheidungen zwischen den Graphemen s/ß, u/ü, f/F, ij/ÿ vorgenommen werden, waren für die damaligen Schreiber diese für uns unterschiedlichen Schriftrealisierungen (wenigstens bei Bedarf ) synonym.
11
12 13
Die Protokolle sind in einer Form der deutschen Kurrentschrift geschrieben (s. 4.2.1.). Lateinische Wörter werden in einer heute leichter lesbaren Kurrentschrift wiedergegeben, hier gekennzeichnet durch Kursivstellung. Die Schrift wird durchaus in der Wortmitte gewechselt, nämlich beim Übergang von einer lateinischen Wurzel zu dem bzw. den deutschen Affix(en), z.B. „Gedeputirte“ (vgl. Polenz 1994, 61). Die Schreiber gehen, wie für ihre Zeit typisch, sehr konsequent vor und seltene Abweichungen sind als Flüchtigkeitsfehler zu werten. Für den Bereich der Orthographie wurde die Notwendigkeit einer Normierung am ehesten einstimmig anerkannt (s. Kapitel 2.3.). Vgl. hierzu Reichmann (2000, 1634): „Die Kombination der Kennzeichen des frnhd. Schreibsystems vermittelt dem in Kategorien heutiger Normorthographie Denkenden und diese auf historische Graphieverhältnisse Übertragenden, erst recht natürlich dem mit solchen Verhältnissen nicht Vertrauten das Bild heilloser Varianz. Dementsprechend ist vor allem in älteren Darstellungen üblicherweise von Regel-, System-, Funktionslosigkeit vieler Schreibungen, etwas neutraler von der Vielfalt, Differenziertheit des Schreibsystems die Rede, die damit gleichzeitig als ein vitium und seine Beseitigung als historische Notwendigkeit begriffen wird.“
Zur Vorgehensweise bei Stichprobennahme und Transkription
221
u-Schreibungen Besonders groß ist die Variationsbreite in der Schreibung des u,14 die eine Unterscheidung zwischen u und ü unmöglich macht. Es kommt dabei selbst innerhalb eines Textabschnittes, ja sogar eines Satzes, zu unterschiedlichen Realisierungen eines Wortes (s. PC 356f.): übergeben bzw. Ýbergeben. Entsprechend zeigen Zeilen 20 und 25 (PC 624) verschiedene Versionen des Wortes Ausrüstung (AØßrüstùng bzw. AùsrØstØng).15 In manchen Fällen scheint dagegen bereits ein Standard erreicht und Abweichungen sind die Ausnahme: So tritt Depüt. als Abkürzung für Deputation nur einmal auf (PC 25/15; vgl. die Schreibung ë, die sich nur ausnahmsweise findet: gëntzlich, PC 324/4). Die Schwierigkeit der u-Entzifferung (Minimalpaare mit u und ü sind nicht unterscheidbar) hat darum eine tiefgreifende Konsequenz für die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Strukturen. Durch die Unmöglichkeit der klaren Unterscheidung zwischen u und ü ist die Untersuchung der Konjunktivformen mit würde nicht möglich. Daraus folgt umgekehrt, dass ohne vorangehende klare orthographische Differenzierung in der Schrift für die Schreiber auch eine Herausbildung entsprechender Konjunktivformen nicht eindeutig möglich gewesen sein kann (vgl. auch worden, wurden, werden vs. mögen, mügen, mogen, PC 339/10 und anderswo). Groß- und Kleinschreibung Die Unterscheidung von großen und kleinen Buchstaben am Wortanfang ist durchweg problematisch. Es gibt selbst innerhalb der einzelnen Hände Schwankungen der verwendeten Schrifttypen und Schriftgrößen. In Zweifelsfällen wurde deswegen die heute verwendete Schreibung transkribiert. Man muss also von einer Grauzone im Gebrauch von Groß- und Kleinschreibung ausgehen, die unserer heutigen normbewussten Sicht widerspricht und die eine Übergangsperiode zur beginnenden Durchsetzung der Substantivgroßschreibung charakterisiert (zur Einführung der Substantivgroßschreibung s. Polenz 1994, 246ff.). Aus diesem Grund müssen die Erkenntnisse von Kapitel 4.4.4.1. mit Vorbehalt aufgenommen werden.
14 15
Vgl. Fnhd. Grammatik, 46f. Es werden in den Transkriptionen folgende Formen benutzt, um die Variationsbreite der Handschrift anzudeuten: u, ü, ù, ú, ß, Ú, ů. In den Handschriften kommt das in Drucken verwendete überschriebene e nicht vor. Zusätzlich erschwerend sind Flecken auf dem Papier, versprühte Tinte und Interferenz mit Unterstrichen der vorigen Zeilen sowie Verzierungen benachbarter Buchstaben.
222
Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
ij oder ÿ Die Buchstaben ij oder ÿ sind oft nicht unterscheidbar. Da es kein Minimalpaar gibt, das durch sie unterschieden wird, ist dies für die Auswertung nicht von Bedeutung (Näheres s. Fnhd. Grammatik, 43f.). s, ß oder Zwischenform? In der modernen Kurrentschrift wird prinzipiell deutlich zwischen dem s (s) und dem ß (ß) unterschieden. Es finden sich in den Handschriften jedoch noch viele Zwischenformen, die zum Teil in die Nähe des heutigen Schreibschrift-s geraten (Aussagen zur Verwendung dieser Buchstaben aus deren übertragenen Formen können also lediglich Tendenzen darstellen). Zeichensetzung Die Zeichensetzung scheint von den einzelnen Schreibern unterschiedlich systematisiert zu sein (nicht in allen Händen kommen Punkt, Komma, Semikolon und senkrechte Striche plus nebenstehender Doppelpunkt in der Funktion eines Kommas oder einer Klammer gleichermaßen vor). Weitere Untersuchung wäre hier wünschenswert (vgl. Polenz 1994, 248ff.). 4.2.4. Aspekte der Auswertung Die folgende Auswertung der Protokolltexte beschränkt sich bei der Fülle und Vielfalt der möglichen zu untersuchenden Aspekte auf wenige Beispiele. Dieses sind Aspekte der Morphologie und Syntax, es geht also um strukturelle Merkmale. Gerade die angesprochenen orthographische Aspekte werden als oberflächliche Merkmale nur am Rande erwähnt, eine weitere Analyse dieser Aspekte muss künftigen Untersuchungen der Commerzprotokolle vorbehalten bleiben, die sich zusätzlich zu den bereits genannten Schwierigkeiten, beispielsweise mit der Häufung von Konsonanten (Kaufffleute, inklusive Dehnungs-h: Rahth), der Variation von Vokalen (gelaufen, geloffen) oder der Differenzierung des Suffixes te (Adjungierde vs. Adjungierte) beschäftigen könnten.16
16
Untersuchungen der Orthographie in den Protokollen könnten sich an bestehenden Textanalysen orientieren, wie sie in von Polenz (1994, S. 242ff.) vorgestellt werden.
Zur Orthographie im 17. Jahrhundert
223
4.2.5. Abkürzungen in den Protokollen Abkürzungen stellen für die Lektüre und das inhaltliche Verständnis der Protokolltexte eine Schwierigkeit dar, v.a. die Abkürzungen für Währungen sind schwer erschließbar. Für die Analyse syntaktischer oder morphologischer Merkmale sind diese allerdings zu vernachlässigen, z.B. macht es für die Syntax keinen Unterschied, ob man für ein Symbol ‚Mark‘, ‚Krone‘ oder ‚Pfund‘ liest. Für den Leser der Protokolle ist es vor allem wichtig zu wissen, dass Worte i.d.R. durch den Wortanfang abgekürzt werden.17 Die Beifügung eines Abbrechungszeichens (ähnlich einem kleinen e in Lateinschrift bzw. einem großen C oder kleinen l in deutscher Kurrentschrift, vgl. Grun 1966, Teil 1, Kapitel II) dient ebenfalls zur Abkürzung eines Wortes. Beispiele: Auge. oder AugC. He. oder HeC. Kauff. Engell Sr. oder S.r Bco oder B.co ß H. HH.
August Herr, Herrn, Herren Kauffman/Engelland Seigneur Banco Schilling Herr, Herrn, Herren Herren
4.3. Zur Orthographie im 17. Jahrhundert Wenngleich die vorliegende Arbeit sich bei ihrer Betrachtung der Normierungsprozesse im 17. Jh. auf bislang relativ wenig untersuchte Phänomene aus dem Bereich der Wortbildung und der Satzstellung konzentriert,18 lohnt es sich doch, eingangs einen Blick auch auf die Orthographie zu werfen. Wie bereits in Teil 1 deutlich wurde, nimmt diese in der Diskussion der Grammatiker aus zwei Gründen eine Sonderstellung ein. Einerseits war sie dasjenige Gebiet, auf dem man schon früh und besonders dringlich die Notwendigkeit einer Normierung der deutschen Schriftsprache wahrnahm.19 Andererseits ist die fortschreitende Vereinheitlichung augenfälli17
18 19
Dieser kann alleine stehen, von einem Punkt oder Doppelpunkt begrenzt werden und zusätzlich bzw. alternativ teilweise oder ganz durchstrichen sein. In manchen Fällen werden Wortteile neben dem oder den Anfangsbuchstaben hochgestellt (diese können zusätzlich unterstrichen sein). Die Entwicklung der deutschen Orthographie wird seit längerer Zeit untersucht, z.B. Blakkall (1966), Josten (1976), Garbe (1978), Schildt (1992). Z.B. Jellinek (1913, 161): Fürst Ludwig betont in einer Denkschrift an Schottelius 1642, es sei eine Einigung in der Grammatik und insbesondere der Orthographie nötig.
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
ger als in anderen Gebieten. Für den Einstieg in die Untersuchung wurden deswegen als Beispiele die Schreibung der Vokale u und i im Kontrast zu den Konsonanten v und j sowie die Schreibung der Diphthonge au und eu gewählt, deren Normierung Hiroyuki Takada (1998) im Rahmen seiner Untersuchung der Grammatiker und ihres Einflusses auf die Sprachwirklichkeit detailliert nachzeichnet und die sich in den Commerzprotokollen gut beobachten lassen. Während Jellinek im Rahmen der Substantivgroßschreibung feststellt, dass „die Theorie nicht mit dem Gebrauch stimmte, dem die Zukunft gehörte“ (1913, 104) und noch Peter von Polenz für die Entwicklungstendenzen der Orthographie einen generell widersprüchlichen Gebrauch bei den Orthographielehrern und Grammatikern konstatiert, denen er außerdem eine Vorbildrolle abspricht (1994, 245), zeigt Takada (1998), dass es im 17. Jh. sehr wohl eine Beeinflussung der Rechtschreibung durch die Grammatiker gegeben hat.20 In seiner Schilderung der von den Grammatikern über Jahrzehnte hinweg geführten Diskussionen stellt Takada einige zentrale Gebiete der Orthographie exemplarisch dar (ibid., 60ff.). Dabei unterscheidet er fünf wahlweise von den Grammatikern in Betracht gezogene Grundprinzipien der Orthographie (vgl. 1.2. und 3.1.3.): 1. phonologisches („Schreibe, wie du sprichst“21), 2. graphiegeschichtliches (Beibehaltung überlieferter Schreibung), 3. morphologisch-etymologisches (graphische Kennzeichnung der Verwandtschaft), 4. semantisches (graphische Unterscheidung der Homonyme) und 5. grammatisches Prinzip (Kennzeichnung des grammatischen Status). Unterschieden werden bei Takada drei Phasen, in denen durch das 17. Jh. hindurch unterschiedliche Annäherungsweisen an eine vereinheitlichte Orthographie vorliegen. Bemerkenswert ist, dass die Diskussionen der Grammatiker sofort in medias res gehen, wobei sie schnell zu Auseinandersetzungen über einzelne Phänomene führen. Die Notwendigkeit einer Norm an sich wird zu diesem Zeitpunkt zwar oft erwähnt, aber nicht eingehend debattiert, „erst um die Mitte des 18. Jh. hat sich das Bewusstsein der Notwendigkeit einer möglichst einheitlichen, konsequent geregelten Rechtschreibung als beliebtes Thema in der bildungsbürgerlichen Öffentlichkeit verbreitet, mit viel Streit, Unsicherheit und Rechthaberei“ (Polenz 1994, 242). Die Grammatiker folgen nach Auffassung Takadas zumindest in einigen Gebieten der Rechtschreibung nicht dem bereits herrschenden Gebrauch sondern setzen eigene Trends – und zwar einheitlicher als bis20 21
Außer regionalen Reformbewegungen mit offiziellem Charakter (z.B. Praxis in Wolfenbüttel unter Herzog August) beleuchtet Takada auch individuelle (und dann lokal stärker begrenzte) Einflussnahme, etwa durch Schottelius und Bellin in Lüneburg (ibid., 135). Bei regional unterschiedlicher Aussprache resultierten aus diesem Leitsatz zwangsläufig Konflikte. Z.T. wird diese Problematik bedauernd zur Kenntnis genommen, s. 3.1.3.1. und 3.1.3.2.
Zur Orthographie im 17. Jahrhundert
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lang zugestanden. In der frühesten von Takada beschriebenen Phase orthographischer Regeldiskussionen ab 1641 wird weitgehend die traditionelle Schreibung und Aussprache als Maßstab anerkannt. Selbst zwischen den beiden Antipoden Gueintz und Schottelius (beide 1641) herrscht weitgehend Übereinstimmung in der Empfehlung, dass man sich bei der Rechtschreibung nach dem bestehenden Gebrauch zu richten habe (Takada 60f.). Keiner der beiden stellt allerdings dar, wie dies angesichts der großen Variationsbreite der herrschenden Schreibpraxis zu verstehen ist, es ist zu vermuten, dass sie damit eine einheitliche Durchsetzung der bestehenden Leitvarianten meinen. Alternativ wird in dieser frühen Phase das Prinzip der Aussprache als Richtlinie gewählt, so 1643 von Harsdörffer und Zesen (phonologisches Prinzip). Gegen Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre kommt es dann in einer zweiten Phase zu diversen Reformversuchen, besonders durch Schottelius (verwendet von ihm schon 1647, theoretisch untermauert 1651) und Bellin (1657, letzterer stark orientiert an Zesen, etwa 1643). Diese trachten danach, außer konsequenterer Berücksichtigung der Aussprache in der Rechtschreibung auch theoretisch motivierte Grundprinzipien stärker zu berücksichtigen (morphologisch-etymologisches, semantisches und grammatisches Prinzip). Radikale Vorschläge aus dieser Phase wie izzo, unglükk, sezzen, slagen, wihr, Qwaal (Schottelius 1651) oder buuch, mier, gähen, lezte (Bellin 1657) machen allerdings keine Schule (Takada 1998, 68ff.). In einer dritten Phase, die von den 60er bis zu den 90er Jahren anhält, kehrt man dann wieder zu traditionelleren Vorschlägen zurück, was besonders gut an Schottelius‘ Ausführlicher Arbeit (1663) zu beobachten ist. Im Bereich der Orthographie vorgenommene Ergänzungen seiner früheren Teutschen Sprachkunst (1651, s. 1.2.1.1.1.) bestehen in der Ausführlichen Arbeit weitgehend darin, radikale Vorschläge zurückzunehmen und den traditionellen Gebrauch wieder aufzuwerten (Takada 1998, 70ff.). Auch das prominent von Zesen vertretene morphologisch-etymologische Prinzip, das vor allem in Bellin einen aktiven Anhänger gefunden hatte, wird wieder durch das historische bzw. graphiegeschichtliche Prinzip ersetzt (z.B. Morhof 1682). Bei aller Diskussionsfreudigkeit der Grammatiker im 17. Jh. und trotz der z.T. radikalen Reformbewegungen in der Mitte des Jahrhunderts kann man Takadas Arbeit entnehmen, dass es in der Diskussion der Orthographie im Gegensatz zu anderen Gebieten der Grammatik relativ einheitliche und gut nachvollziehbare Tendenzen gab. Wenn trotz der bereits dargestellten Problematik der Briefsteller (3.1.3.) eine Beeinflussung der Protokollanten der Commerzdeputation durch die zeitgenössische Diskussion sprachlicher Prinzipien stattgefunden hat, so müsste sie im Gebiet der Orthographie am klarsten erkennbar sein.
226
Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
4.3.1. Unterscheidung der Vokale u-/v- und i-/j- am Wortanfang Die Buchstaben i und j gehen im Deutschen auf eine gemeinsame Vorform zurück (Näheres s. Fnhd. Grammatik, 43; vgl. dort auch 54, Anm. 4 und 119). Die Trennung der Zeichen nach dem Lautwert in Vokal und Konsonant wird im 16. Jh. aus den romanischen Sprachen übernommen und findet sich laut Fnhd. Grammatik zuerst in Paul Schedes Melisssus [sic!] von 1572. In die Grammatikschreibung geht die Unterscheidung durch Jakob Brückners Teutsche Grammatic von 1620 ein (ibid., 43). Als Schreibung für den Vokal [u] sind im Fnhd. u, v und w möglich, wobei am Wortanfang lange Zeit v dominiert und sich die konsequente u-Schreibung für den Lautwert erst im 17. Jh. durchsetzt (ibid., 46ff.). Damit kann die i-/jUnterscheidung als bereits relativ etabliert gelten, während die u-/v-Unterscheidung jüngeren Datums zu sein scheint (vgl. 4.3.5. und 4.3.6.). Schottelius unterscheidet schon früh zwischen u und i als Schreibung für Vokale und v und j für Konsonanten (1641, 183). Auch Bellin (1642, 7) und Zesen (1643, 61f.) fordern dies, wenn auch mit anderer, phonetischer Begründung. Harsdörffer (1644, 35; alle nach Takada 1998, 75) gibt an, man habe „und/ über/ nicht vnd/ vber/ ihn/ ihm nicht jhn/ jhm“ zu schreiben und auch Gueintz (1645, 13f.) äußert sich zum j am Wortanfang, es stehe vor Selbstlauten, weswegen es jederman und nicht iederman hieße (Takada 1998, 75). Auch bei Schottelius findet sich diese Regel mehrfach (1651, 365 und 1663, 213) und er betont, dass es Jahr, Joch und jemand heißen müsse. Es findet sich hier eine negative Bewertung (also schreibt man nicht recht) aber keine Stigmatisierung (etwa dumm/ primitiv): „Das j (jod) muß vor einem mitlautenden n i e m a l s geschrieben werden/ also schreibt man nicht recht/ jmmer/ jst/ jzzo“ (nach Takada 1998, 76). Laut Takada (ibid.) steht Girbert (1653, Bl. A5r) alleine, wenn er fordert, dass u niemals am Wortanfang stehen könne.22 4.3.2. Schreibung von Diphthongen: au/aw und eu/ew Im Fnhd. wird w sehr häufig in den Digraphien aw und ew verwendet, in manchen Texten ist diese Schreibung sogar dominant (Fnhd. Grammatik, 47). Leitgraphie ist allerdings schon in dieser Zeit au (ibid., 59). Auch eu ist bereits im Fnhd. eine Hauptvariante zur Diphthongschreibung. In Drukken des 17. Jhs. tritt neben sie die Variante Òu. Da im Falle des Diphthongs [oe~öü] historisch vier verschiedene Laute zusammenfallen, überrascht es nicht, dass hier die Variantenvielfalt ihr für den Bereich des Vokalismus 22
Laut Diedrichs (1983, 180 nach Polenz 1994, 244) hat sich „die Beschränkung von und auf konsonantische Geltung“ im 18. Jh. völlig durchgesetzt.
Zur Orthographie im 17. Jahrhundert
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größtes Ausmaß erreicht (ibid., 61). Schreibungen mit w werden in der Diskussion des 17. Jhs. oft für ältere Schreibungen gehalten, was zeigt, dass diese bereits als Abweichungen von einer sich herauskristallisierenden Norm empfunden wurden. In dem man die Schreibungen mit u als neue Schreibungen bezeichnet und deren Verwendung propagiert, äußert man indirekt beides, Erkenntnis und Anerkennung der entstehenden Norm. Durch die formale Setzung der ausgewählten Formen als Standard wird der Ausgleichsprozess beschleunigt und damit ebenfalls das Veralten der verworfenen Formen. Gleiches passiert im Falle i-/j- (s.o.). Olearius hält die Schreibungen aw und ew für alternative Schreibung von auu und euu, die er schon 1630 als unnötige Betonung der Diphthonge ablehnt. Dies bleibt einige Zeit umstritten, wobei Gueintz eine traditionelle Position vertritt und sich äußert, man habe mit der Schreibung aw und ew „dem gebrauche zu folgen“, d.h. die w-Schreibungen zu akzeptieren (1641, 19 nach Takada, 76). In Widerspruch dazu steht Schottelius, der sich für die als neuer bezeichneten Varianten au/eu ausspricht und von den w-Formen fordert, „man möge den Mißbrauch abschaffen“ (1641, 185 nach Takada, 76). Bellin (1642, 8) verhält sich zwar noch vorsichtig, indem er die u-Formen lediglich als Option anführt, die man gebrauchen könne. Die Schreibungen au und eu setzen sich aber unter den Grammatikern schnell durch und selbst ehemalige Opponenten nehmen sie an (z.B. Gueintz 1645, 17). Takada konstatiert, dass „außer von Girbert [...] die neuen Varianten von keinem Grammatiker nach 1642 abgewiesen“ werden, wobei es offensichtlich Harsdörffer noch für angebracht hält auch 1647 (112), weiter vor der Verwechselung von Vokalen und Konsonanten zu warnen und die Schreibungen „jhr/ jhn/ jch/ Awen/ ewer/ schawen/“ als unerwünscht anzuführen (Takada 1998, 77).23 Wie Takada anhand seiner Korpusanalysen beobachtet, werden in der Lutherbibel die neuen Schreibungen in den 50er bis 60er Jahren konsequent eingeführt und die alten Formen v-/j- am Wortanfang und aw/ew für Diphthonge können bereits um 1670/1680 in einer Reihe anderer Drucke nur noch selten nachgewiesen werden (135). Es erfolgt hier eine von den Grammatikern betriebene Durchsetzung der zumindest in den Fällen i/j-Differenzierung und au-/eu-Schreibung bereits im Vorfeld entstandenen Norm. Diese Durchsetzung erfolgt in den Jahrzehnten zwischen 1650/60 und 1670/80 – genau in die Zeit der Entstehung der hier untersuchten Commerzprotokolle (ab 1665). Für die ab dem 17. Jh. gültige Unterscheidung u-/v- ist bislang ungeklärt, wann und wie sie zustande kam bzw. wie 23
Nach Polenz (1994, 245) tauchen in den von Kettmann (in Schildt 1992) untersuchten Drucken aus allen deutschen Druckregionen zwischen 1570 und 1730 statt ew/euw/äu etc. bereits 1700 nur noch eu/äu und seltener au auf. Ausgeschiedene Varianten halten sich am längsten in einzelnen Lexemen, etwa ew in Fewr.
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
das laut Fnhd. Grammatik vorherrschende v als Vokalschreibung in Initialstellung verloren ging. An dieser Stelle ist ein kleiner Diskurs angebracht, der die Qualität der hier betrachteten Quellen in den Vordergrund rückt. Es darf in dieser Untersuchung nicht vergessen werden, dass der Blick der Forschungsliteratur im Bereich der nhd. Sprachentwicklung auf Drucke beschränkt ist,24 und so meint Takada (1998, 135) wenn er sagt „Die neuen Schreibungen finden also Eingang in die allgemeine Sprachwirklichkeit“, dass sich diese in den von ihm untersuchten Drucken verschiedenster erbaulicher bis fachtheoretischer Texte aus der Zeit von 1634 bis 1715 und (gedruckten) Auflagen der Lutherbibel zwischen 1626 und 1710 durchsetzen. Die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Handschriften repräsentieren folglich einen anderen, bislang wenig beachteten Ausschnitt derselben Sprachwirklichkeit. Das handschriftliche Medium allein stellt einen großen Unterschied zu den bislang vorrangig untersuchten Drucken dar. Bei einem Druck kann man von der Überlagerung verschiedener Einflüsse durch Autor, Herausgeber und Drucker bzw. Setzer ausgehen, so dass selbst im Falle des Eigenverlags mehrere Bearbeitungsdurchgänge vorliegen, die eine kontinuierliche Textüberarbeitung ermöglichen. Dagegen ist eine Handschrift das Produkt eines einmaligen, individuellen Vorgangs. Etwaige nachträgliche Verbesserungen bleiben als solche kenntlich, sofern nicht eine Abschrift des gesamten Textes vorgenommen wird. Selbst wenn es sich bei den Commerzprotokollen um spätere Abschriften handeln sollte (s. 2.2.3.), so wären im Vergleich zu Drucken die Einflüsse immer noch relativ beschränkt (vgl. Topalović 2003, 4.3.). Auch der Texttyp ist nicht ohne Einfluss auf deren Form. Da es sich um Sitzungsprotokolle handelt, ist eine Hauptanforderung an die Texte eine präzise, nachvollziehbare Dokumentation von Fakten (vgl. 3.2.). Andere Faktoren, wie gute Lesbarkeit oder Eleganz des Ausdrucks, treten in dieser Textsorte in den Hintergrund. Dazu kommt noch ein spezifisches, durch den Inhalt der Texte bedingtes Fachvokabular (s. 3.3.6.2.1.). Als weiterer Faktor müssen die jeweiligen Charakteristika der Schreiber berücksichtigt werden, über deren Personen leider keine konkreten Informationen bekannt sind. Man kann jedoch aufgrund ihrer Kenntnisse der lateinischen Sprache sowie der fachsprachlichen Termini davon ausgehen, dass es Männer gewesen sein müssen, die an einer Universität (und somit nur außerhalb Hamburgs) Recht und Wirtschaft studiert hatten und die sich mit ihrer Schreibertätigkeit für die Commerzdeputation zunächst ein Zubrot, in späteren Tagen der Deputation dann eine Existenz verdienten 24
So basieren die Arbeiten auf die sich Polenz (1994, 244ff.) in seinem Abschnitt über Orthographie stützt alle auf Drucken. Das Stichwort Handschrift fehlt bezeichnenderweise im Register des Bandes 2 (17. und 18. Jh.) seiner Sprachgeschichte.
Zur Orthographie im 17. Jahrhundert
229
(s. 2.2.). Die untersuchten Texte stammen aus den Jahren 1665-1677 für welchen Zeitraum vier verschiedene Handschriften identifiziert wurden, die mit A bis D benannt wurden (dabei ist C nicht kontinuierlich, so dass sich eine chronologische Reihenfolge der Hände von A, B, C1, D, C2 ergibt, s. 4.2.2.). Für die Realisierung der oben vorgestellten orthographischen Merkmale durch die identifizierten Schreiber A bis D lässt sich folgendes zusammenfassen (Textbelege s. Anhang, Tabelle 4.3.3.-4.3.6).25 4.3.3. i-/j-: Unterscheidung Vokal/Konsonant in den Commerzprotokollen Die Unterscheidung zwischen i und j am Wortanfang ist das größte Problem für alle Schreiber. Die meisten Fehler26 unterlaufen in Form der Verwendung von j statt i (nur Schreiber B und C1 schreiben auch i für j). Bei der Schreibung der Präposition in (bzw. der kontrahierten Form im, auch in deutschen Wortverbindungen: instendig (PC 623/13) gibt es keine Schwierigkeiten. Einzige Ausnahme ist die Schreibung Jmgleichen bei Schreiber B (PC 149/24), für den die i-/j-Unterscheidung ein großes Problem darstellt (bei 21 Worten 16 Fehlschreibungen). Bei Schreiber D findet sich eine Fehlschreibung (ad Jnterim, PC 410/9), die als Fremdwort in der Bewertung ohne Berücksichtigung bleibt. Die Fehlerquote ist am niedrigsten bei A (27,6%), am höchsten bei Schreiber B (76,2%), Schreiber D liegt in seinen Fehlern bei 64,3%. Für Schreiber C liegt die Fehlerquote im Schnitt bei 50,6%, wobei eine leicht Verbesserung, d.h. Annäherung and die sich 25
Zur Zählweise: Unklare Lesungen (in den Protokollabschriften im Anhang in eckigen Klammern) werden nicht berücksichtigt. Die Variationen bei der u-Schreibung werden zwar aufgenommen, bleiben aber unberücksichtigt, d.h. auch ü, ú, Ø oder ù werden als u gezählt und den Schreibweisen mit w gegenübergestellt. Groß-/Kleinschreibung wird nicht gesondert aufgeführt, aufgelistet wird die jeweils erste aufgefundene Schreibweise. Es werden i-s, j-s, v-s und u-s ausschließlich am Wortanfang gezählt. Bei den Diphthongen werden zusammengesetzte Nomen auch angeführt, wenn sie als zwei einzelne Wörter geschrieben sind (Kaùff Leüte). Abkürzungen werden nicht berücksichtigt (V: für von, z.B. PC 408/5). Fremdworte (Veneris, urgieren, Augusti, clausula, Julÿ) werden ebenfalls nicht gezählt, aber es wird beobachtet, dass hier die sog. Fehler bei der i-/j- und u-/v-Unterscheidung außerordentlich selten sind (Schreibungen wie Jnterim, PC 410/9, oder auans PC 409/4 und PC 445/17 sind Ausnahmen). Die Untersuchung beschränkt sich auf Wörter des Lexikons, Eigennamen werden nicht berücksichtigt (die Anwesenheitsliste der Abstimmung vom 01.11.1671 PC 358f. wurde aus diesem Grund vollkommen von der Bewertung der Protokolle ausgenommen; vereinzelte Schreibungen wie Iesù oder Trittaw bei Schreiber B bleiben unberücksichtigt). Randglossen (da vorwiegend nachträglich zugefügt) werden ignoriert. 26 Die im Folgenden vorgenommen Bewertung der Schreibungen als richtig oder falsch wurde nach den Vorschlägen der zeitgenössischen Grammatiker vorgenommen, und zwar im Sinne derjenigen postulierten Rechtschreibung, die sich bis heute als Standard durchgesetzt hat. Die Begriffe falsch und richtig stellen damit eine bedingt rückblickende Bewertung dar. Eine Liste der Belege befindet sich im Anhang (Tabelle 4.3.).
230
Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
abzeichnende Norm, in der späteren Phase (47,4%) gegenüber der früheren Phase (53,8%) zu verzeichnen ist. Dies deckt sich zwar mit den Ergebnissen von Diedrichs, der die Durchsetzung der entsprechenden Norm erst im 18. Jh. verortet (s. Fußnote 22), ist aber angesichts der Tatsache, dass die Unterscheidung bereits im 16. Jh. aus den roman. Sprachen übernommen wurde, überraschend. Die allgemeine Abwesenheit eines Normbewusstseins ist bei Schreiber C1 gut zu beobachten, wenn die Formen itzo, jetzo, ietzo dicht hintereinander auf derselben Seite auftauchen (PC 340, Zeilen 10, 11, 15). Darstellung s. Graphik 4.1. 4.3.4. u-/v-: Unterscheidung Vokal/Konsonant in den Commerzprotokollen Diese Unterscheidung stellt nur für Schreiber C ein Problem dar, wobei sich dessen Fehlerquote von 34,6% in Phase 1 (1670-1671) auf 21% in Phase 2 (1674-1677) verbessert. Die Fehler treten in Form der veraltenden Schreibung v statt u auf. In der zweiten Phase beschränkt sich die Verwendung von v auf die Konjunktion vnd, die alle 8 gezählten Fehler ausmacht. In diesem Bereich ist also eine frühere Normierung zu beobachten als für die Unterscheidung i-/j-. Es stellt sich damit die Frage, ob hier eine gezielte Einflussnahme der Grammatiker vorliegt, die eine Durchsetzung der u-Schreibung in initialer Position gegenüber der im Fnhd. vorherrschenden v-Schreibung betrieben haben. Darstellung s. Graphik 4.1. 4.3.5. au/aw: Schreibung des Diphthongs in den Commerzprotokollen Die Schreibung des Diphthongs au ist bei Schreiber B noch wechselnd, immerhin 10,75% der Wörter die den Diphthong enthalten schreibt er auw27 oder aw, bei allen anderen Schreibern bleibt dies die große Ausnahme. (Die Variantenvielfalt ist generell groß: Beachtet man die unterschiedliche Akzentuierung und alle anderen Variationen, lassen sich z.B. im Falle des frequenten Wortes Kauffman - hier im Plural - bis zu 8 Schreibungen beobachten, dabei 4 bis 6 Varianten pro Schreiber: Kauffleute[n], Kaùffleùte, Kaùffleüte, Kaùfleùte, KaØffleØte, Kauff Leüte[n], Kaùff Leüte, Kaùff Leùte.) Darstellung s. Graphik 4.1.
27
Die Schreibung auw wird bei Takada nicht erwähnt, sie wurde hier gleich aw im Sinne der Grammatiker als falsch bewertet.
231
Zur Orthographie im 17. Jahrhundert
4.3.6. eu/ew: Schreibung des Diphthongs in den Commerzprotokollen Wie die Schreibung des Diphthongs au bedeutet auch die Schreibung des eu kein wirkliches Problem für die Schreiber. Dies entspricht den Ergebnissen von Kettmann (s.o., Fußnote 23).
70 60 50 40 % 30 20 10 0 A
B
C1
D
C2
Schreiber Graphik 4.1: Abweichungen vom heutigen orthographischen Standard (1. j- statt i-, 2. i- statt j-, 3. Unterscheidung u-/v-, 4. aw/auw statt au, 5. ew statt eu)
Schreiber A und D verwenden hierbei kein Mal das w, Schreiber B benutzt es 1-mal (von 13 Worten mit eu), Schreiber C insgesamt 2-mal (1-mal pro Phase, bei insgesamt 18 Worten mit eu). Schlussfolgerung Das, was heute unserer Norm entspricht, nämlich die Trennung u-/vbzw. i-/j- in Vokal und Konsonant am Wortanfang sowie eine einheitliche Schreibung der Diphthonge au und eu, war nicht nur seit 1642 von den Grammatikern immer wieder postuliert worden – die i-/j-Unterscheidung fing bereits seit dem Ende des 16. Jhs. an, sich durch Einfluss der roman. Sprachen auch im Deutschen durchzusetzen. Auch die Diphthongschreibungen au und eu waren bereits seit fnhd. Zeit bei aller Variantenvielfalt Leitgraphien. Damit haben die Grammatiker lediglich bereits bestehende Entwicklungen legitimiert und deren Durchsetzung vorangetrieben. Allein die Unterscheidung u-/v- ist eine dem 17. Jh. zuzuordnende Entwicklung,
232
Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
in der das bis dahin dominante v- vom u- verdrängt wurde. Es liegt nahe, dass hier eine direkte Einflussnahme der Grammatiker vorliegt. Für den Fall der hier untersuchten orthographischen Merkmale und deren Realisierung durch die einzelnen Schreiber lässt sich zusammenfassen, dass ein Schreiber (A) alle fraglichen Regeln bereits weitestgehend verinnerlicht hat, auch wenn bei der Unterscheidung zwischen dem Konsonanten j und dem Vokal i am Wortanfang noch gelegentlich Fehler (aus heutiger Sicht) unterlaufen. Ein weiterer Schreiber (D) ist ebenfalls völlig sicher in der Schreibung der Diphthonge und der Unterscheidung zwischen u- und v- am Wortanfang. Die Fehlerquote von fast 64,3% in seiner Trennung zwischen i- und j- zeigt einen völligen Mangel an Übereinstimmung mit den geforderten Normen. Ein weiterer Schreiber (C) differenziert weder i-/jnoch u-/v- am Wortanfang. Für seine zweite Tätigkeitsphase ist hierbei eine deutliche Änderung festzustellen, wenn die Fehlerquote für i-/j- von 53,8% auf 47,4% und für u-/v- sogar von 34,6% auf 9,2% sinkt. Die Fehlerquote für die Diphthonge liegt bei diesem Schreiber insgesamt unter 3%, die entsprechenden Regeln sind also von ihm bereits verinnerlicht. Ein weiterer Schreiber (B) differenziert wie die drei anderen nicht zwischen i- und j-, während die Unterscheidung u-/v- für ihn völlig klar ist. Bei der Schreibung des Diphthongs au variiert er noch, aber bei ew ergeben sich so gut wie keine Abweichungen vom heutigen Usus. Angesichts der früh formalisierten Regelung der i-/j-Unterscheidung überrascht es, dass diese Schreibung in den Texten so viel problematischer ist als die relativ später formalisierte Unterscheidung von u- und v-, die nur in einem Fall ein Problem darstellt (das zudem schwindet). Für die Orthographie in den Protokollen der Commerzdeputation lässt sich die für die Zeit typische hohe individuelle Variationsbreite bestätigen, auf die sich Polenz als „eine persönlich, institutionell, lokal oder regional bedingte, recht flexible Variantenfülle“ bezieht (1994, 242). Es wird an der Vielfalt der graphischen Realisierungen der Worte Kaufman/Kauffleute und der aufgezeigten Variationsdichte am Beispiel jetzo deutlich, wie stark die Schwankungen noch sein können. Es wird auch deutlich, wie weit sich solche Schwankungen bei den individuellen Schreibern auf einzelne Bereiche beschränken können. Die individuellen Unterschiede in der Realisierung einzelner Norminhalte bei den jeweiligen Schreibern demonstriert damit, dass die sprachlichen Normierungsvorgänge auf verschiedenen Ebenen verschiedene Entwicklungsgeschwindigkeiten durchlaufen. In diesem Zusammenhang verwundert nochmals, dass die Grammatiker angesichts der Fülle der üblichen Schreibvarianten in ihren Texten nur vergleichsweise wenig Energie auf die grundsätzliche Betonung der Notwendigkeit einer einheitlichen Norm in der Rechtschreibung und auch der Grammatik allgemein verwenden (s.o. und vgl. Takada 1998, 60). Dieser
Die Substantivzusammensetzung
233
Mangel an elementarer Bewusstseinsentwicklung könnte ein Grund für die anhaltenden Schwierigkeiten bei der Normdurchsetzung gewesen sein. Statt dessen verzettelt man sich innerhalb eines elitären Kreises in vehemente Auseinandersetzungen über einzelne Details der künftigen Norm (s. 3.1.3.1. und 3.1.3.2.). Die bei den Schreibern der Commerzdeputation beobachtete hohe Divergenz (Verinnerlichung nur einzelner Regeln) stimmt mit dem Bild einer bis dahin uneinheitlichen Normbewegung ohne verbindliche Autorität überein. Zwar vollzieht sich eine allmähliche Entwicklung hin zur postulierten Norm, jedoch scheint diese (wie in den Drucken) ebenfalls unkoordiniert und individuell auf einzelne Gebiete der Rechtschreibung beschränkt verlaufen zu sein. Der genaue Ablauf dieser Normierung muss bis zur bislang ausstehenden Erklärung der Mechanismen der damaligen Normvermittlung Objekt von Spekulationen bleiben. Die o.g. Zahlen zeigen immerhin, dass in der zweiten Hälfte des 17. Jhs. für die Orthographie auch im Bereich handgeschriebener, formaler Gebrauchstexte ein gewisser Normansatz bereits etabliert gewesen ist.
4.4. Die Substantivzusammensetzung Die Zusammensetzung oder Komposition ist laut Lewandowski (1994, 577) die häufigste Form der Wortneubildung im Deutschen.28 Durch Verbindung zweier oder mehrerer lexikalischer Bestandteile entstehen ohne zusätzliche Ableitungsmittel neue Wörter, die sich umgekehrt wieder in selbstständige Wörter zerlegen lassen. Dabei haben sie charakteristischerweise eine binäre Struktur (was nicht ausschließt, dass ein Element komplexer sein kann als das andere, z.B. Armband+uhr, Reise+schreibmaschine, Näheres s. Duden Grammatik 2005, 724ff.). In manchen Fällen ist es möglich, Wortbildungen durch verschiedene Mechanismen zu erklären.29 Wenn eine Zusammensetzung lexikalisiert wurde und bei Zerlegung synchron nicht mehr erklärbar ist (z.B. Gugelhupf), spricht man von einer unmotivierten Komposition, bei Zerlegung in nur bedingt verständliche Elemente nennt man eine Komposition teilmotiviert (z.B. Brombeere, vgl. Duden Grammatik 2005, 641). Die Nahtstelle zwischen den beiden Elementen kann, bei zusammengesetzten Substantiven häufiger als bei anderen Zusammensetzungen ein Fugenmorphem enthalten (z.B. e, (e)s, (e)n, vgl. Duden Grammatik 2005, 721ff.). Die 28 29
Es folgen Ableitung und Präfixbildung. Hier betrachtet wird die Komposition Substantiv+Substantiv. In dieser Arbeit gilt dies v.a. für Wörter bei denen ein Bestandteil gleichzeitig als Nomen oder als Adjektiv gedeutet werden kann. So ist z.B. bei hier gefundenen Kompositionen mit Contrario, Courant, Interim und Criminal diskutierbar, ob sie wirklich aus Substantiven bestehen (vgl. Duden Fremdwörterbuch bzw. zu contrario s. Hau 1986, 219f.).
234
Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
Abwesenheit durchgängiger Regeln für die Setzung von Fugenzeichen ist bis heute ein Problem der deutschen Grammatik.30 Wie bereits in Teil 1 zur Sprache kam, beschäftigten sich auch die Grammatiker mit der Substantivzusammensetzung (s. auch Takada 1998, 217). Schottelius beschreibt 1641 den Mechanismus der Komposition von Substantiven und definiert das an zweiter Stelle stehende Wort als Grundwort, das am Wortanfang stehende als beifügig (108, nach Takada 1998, 144f.).31 Verschiedene Wortbildungsmechanismen haben in verschiedenen Textsorten unterschiedlichen Bedeutung (vgl. Duden Grammatik 1998, 444ff.). Zusammensetzungen sind durch ihre nachvollziehbare Struktur (Grundwort-Bestimmungswort) besonders für Fachsprachen ideal, da sie trotz ihrer Transparenz hoch spezialisiert sein können. Besonders in der Amts- und Verwaltungssprache wird die Möglichkeit der Informationsverdichtung durch mehrgliedrige Komposita gerne genutzt (ibid.). Es besteht jedoch bei hochkomplexen Fachtexten typischerweise das Risiko mangelnder Verständlichkeit, was aber zugunsten von Systematik und Präzision in Kauf genommen wird (Duden Grammatik 2005, 725). Dies entspricht der Beobachtung von Rudolf Bentzinger, der über die Verwendung von Substantiven schon in den Kanzleisprachen (s. 3.3.) feststellt, dass diese besonders häufig Komposita sind (z.B. burgererbe; 2000, 1668).32 Anhand von Zeitungstexten konnte ein starker Anstieg in der Verwendung von Nominalkomposita zwischen 1609 und 1667 festgestellt werden, wobei sich bis zu viergliedrige Komposita fanden (Fritz/Straßner 1996, 109 und 113ff. nach Takada 163). Die weitere Ausbreitung der Fugenelemente konnte in der entsprechenden Untersuchung dem 17. Jh. zugeschrieben werden. 4.4.1. Zusammengesetzte Substantive in den Commerzprotokollen Der Anteil an zusammengesetzten Substantiven in den Protokollen der Commerzdeputation schwankt je nach Schreiber von 1,1% bis 2,9% der Gesamtwortzahl (Textbelege zu Kapitel 4.4. s. Anhang, Tabelle 4.4.1.-4.4.4.).33 Davon sind zwischen 45,2% und 62,8% teilmotivierte Kompositionen,34 30 31 32 33
34
Vgl. Duden Newsletter vom 28. Mai 2004, „Fugenzeichen“ (s. http://www.duden.de). Noch die Duden Grammatik 1998 (480) spricht von Grundwort und Bestimmungswort. Leider finden sich dort keine Angaben, mit welchen Prozentsätzen man dort zu rechnen hat. - Im Kontrast zu Bentzingers Beobachtungen besonders arm an Komposita sind nach Pavlov in der Zeit um 1700 anscheinend wissenschaftliche Traktate (1983, 105). A: 1,1%; B: 1,6%; C1: 1,4%, D: 2,9%, C2: 1,1%, C: 1,2%. Zusammengesetzte Adjektive fanden sich nur in zwei Fällen (hochschädlich, PC 454/25f., und hochwichtig (759/18). In Kontrast hierzu hat die nicht ausgewertete Abschrift eines kaiserlichen Memorials in den Protokollen genretypisch schon in der Titelei mit mehrere zusammengesetzte Adjektiven (PC 457/17f.: allergnädigst, hochansehnlich, ehrenfest). A: 60%; B: 45,2%; C1: 68,4%, D: 47,8%, C2: 56,3%, C: 62,8%.
235
Die Substantivzusammensetzung
also bereits lexikalisierte Bestandteile des Wortschatzes.35 Wie man sehen kann, ist die Frequenz zusammengesetzter Nomen individuell unterschiedlich, also von der Vorliebe des jeweiligen Protokollanten stärker abhängig als von der Textsorte. Bei Schreiber A lässt sich eine regelrechte Abneigung gegen Komposita beobachten, wenn in Konstruktionen wie der Mùndt der Elbe (PC 37/14), wahren von Contrabando (PC 42/1), verboht von Hambürg auff Holland keine gütere Zù fuhren (PC 42/26f.) oder die Gefahr der Türcken (PC 50/18) die naheliegende Möglichkeit der Komposition (etwa Elbemündung, Schmuggelware, Verbot der Gütereinfuhr aus Holland, Türkengefahr) nicht genutzt wird. Ähnliche Tendenzen finden sich auch bei C (z.B. Bürgerlich Eidt, PC 320/7+13, statt Bürgereid). Dagegen verwendet Schreiber D Komposita weitaus häufiger und auch freier, da gleichzeitig der Anteil an vorgegebenen, bereits lexikalisierten Komposita bei ihm geringer als bei den beiden anderen Schreibern ist (s.o). Auch Schreiber B, der ebenfalls häufiger die Komposition wählt als A und C, verwendet relativ weniger lexikalisierte Komposita sondern mehr motivierte Zusammensetzungen. Bei Ausmaß und Art der Kompositaverwendung gibt es damit individuelle Unterschiede. Komplexe Zusammensetzungen sind, anders als von der Textsorte zu erwarten, selten zu finden.36
3.5 3 2.5 2 % 1.5 1 0.5 0 A
B
C1 Schreiber
D
C2
Graphik 4.2: Anteil der Komposita an der Gesamtwortzahl 35
36
Lexikalisiert sind z.B. die Wochentage (s. Duden Herkunftswörterbuch) oder ältere Zusammensetzungen wie Kaufmann (ahd. choufman, mhd. koufman, s. ibid., 399), Kurfürst (Nebenform von Kür: Wahl; mhd. kürvürste, s. Duden Herkunftswörterbuch, 461) oder Notdurft (ahd. durft: Bedürfnis, vgl. ibid., 563 und 167). Sie beschränken sich auf die folgenden Beispiele: A: -, B: Börse in convenientien, C1: Ober Alten Stube, D: in banco Ordnung, Gronlandes Handeler, C2: KaÚffmans Gueter.
236
Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
4.4.2. Fugenmorpheme Etwa 30% aller Komposita weisen im Deutschen ein Fugenelement auf, besonders vielfältig sind diese bei substantivischen Komposita (Näheres s. Duden Grammatik 2005, 722). Obwohl einst aus Flexionsendungen entstanden, haben Fugenelemente heute keine Flexionsfunktion mehr (sie können jedoch mit den Flexionsendungen des ersten Kompositumgliedes formal übereinstimmen, dann heißen sie „paradigmisch“, ibid.). Zwischen Substantivgliedern dominieren mit je 10-20% (e)s oder (e)n. Die Fugenmorpheme er und e sind mit 1-2% schon wesentlich seltener (Duden Grammatik 1998, 497; zu ens werden keine Werte genannt). Die Hinzufügung von Fugenmorphemen bei der Zusammensetzung zweier Substantive wurde von den Grammatikern im 17. Jh. diskutiert, wobei nach Takadas Schilderung (1998, 145f.) keine großen Meinungsverschiedenheiten bestanden. So hält Schottelius 1641 (137f. nach Takada 145f.) die Verwendung von Fugenmorphemen in Schiffesbruch, Erdenfall, Hoffsrecht oder Landesstewr, irrigerweise für Latinismen, die er vehement als unnötiges geschmiede ablehnt, das die deutsche Sprache verschimpft und nur aus dem Wunsch entstehe, den Lateinern zu fuchsschwäntzen (also sich einzuschmeicheln, ibid.). In seinen späteren Arbeiten von 1651 und 1663 ändert er seine grundsätzliche Einstellung hierzu nicht. Im Kontrast dazu steht, dass er an anderer Stelle sowohl 1651 (571) als auch 1663 (395f.) für den Fall eines weibliche Substantivs als Bestimmungswort ein Fugen-s, etwa in Versicherungsschreiben, Arbeitsgenossen, Endungsweise, als gleichwertige Alternative beschreibt (ebenso 1676, 117f.; s. Takada 1998, 146). Auch Bellin (1660, 27) und Bödiker (1690, 161) empfinden das gelegentliche (Bellin) bzw. häufige (Bödiker) Auftauchen eines Fugen-s in der Substantivkomposition bei femininem Bestimmungswort als normal (Takada 1989, 146). Der Konsens bestand also aus einer Ablehnung der Fugenelemente s und en in Substantivkompositionen, außer diese enthielten als Bestimmungswort ein weibliches Hauptwort, in welchem Fall ein Fugen-s akzeptiert wurde (Weiteres zur zeitgenössischen sprachkritischen Reflexion über die Substantivzusammensetzung fasst Pavlov 1983, 107f. zusammen). 4.4.2.1. Fugenmorpheme in den Commerzprotokollen Bei Betrachtung der Fugenmorpheme in den Protokollen lässt sich feststellen, dass im Vergleich zu heute eher weniger als mehr Fugenelemente verwendet werden (heute wären folgende in den Protokollen vorkommende Formen mit Fugenmorphem zu erwarten: A: Admiral=Schreiber, Ratsaal; B: Börse in convenientien; D: admiralitet Sache, Interim Verordnung). Dagegen
237
Die Substantivzusammensetzung
findet sich nur ein Fall, in dem man heute von dem damals verwendeten Fugenelement absehen würde, nämlich bei Schreiber D: Gronlandes Handeler (heute Grönlandhändler). Die von Schreiber D verwendete Endung des Bestimmungswortes ist eine syntaktisch noch aktive Genitivendung. Allgemein liegt die Verwendung von Fugenelementen in den Protokollen unter den erwarteten, von der Duden Grammatik 1998 veranschlagten 10-20% für (e)s oder (e)n.37 Schreiber A, der Komposita äußerst sparsam benutzt, verwendet bei 25 Komposita nur ein einziges Fugenelement (3,8%). Schreiber B verwendet 9 Fugenmorpheme (das entspricht 21,4%, also knapp der Erwartung des Duden). Schreiber C verwendet insgesamt 2 Fugenmorpheme (5,7%) und bei Schreiber D tauchen 6 Fugenmorpheme auf (6,5%). Wegen der geringen Frequenz des beobachteten Phänomens erfordern weitere Aussagen die Untersuchung einer größere Stichprobe als hier ausgewertet werden konnte.38 Tabelle 4.4.: Fugenmorpheme in Substantivkomposita (Fugenmorpheme hier fett gedruckt) Schreiber A Schreiber B Schreiber C lexikalisierte Dienstag 1 KaÚffmans Komposita Donnerstag 3 Güeter 1 (C2) Bestimmungswort feminin
-
Tonnen-läger 1 Tonnen läger 1 Tonnenleger 1
Fugen-s bei femininem Bestimmungswort Bestimmungswort maskulin oder neutrum
-
-
sonstige
37 38
BÚrrendreyerey 1 (des) botten= Lohnß 1 (der) briefs= Constitutionen 1
-
Ober Alten StÚbe 1 (C1)
Schreiber D
BörÓ sensahl 1 Börßen Saal 1, Börsen Saahl 1 Börsen Sahl 1 -
Gronlandes Handeler 1
Interims Zeit 1
Die vom entsprechenden Duden mit 1-2% angegeben er und e sind bei der geringen Stichprobengröße nicht erfassbar. Für weiterführende Untersuchungen zu Fugenmorphemen in geschäftssprachlichen Handschriften bietet sich Pavlovs Forschung zu Komposita in literarischen Drucken als Vergleichsmaterial an (1983; s.a. Pavlov 1972). Die Überlegungen Ágels zu den Prinzipien der Grammatik (2003, passim, besonders 15) sollten in eine Interpretation künftiger Ergebnisse einfließen.
238
Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
25 20 15 % 10 5 0 A
B
C1
D
C2
heute
Schreiber Graphik 4.3: Relativer Anteil der Komposita mit Fugenmorphemen
4.4.3. Schriftliche Form der Substantivzusammensetzungen Nicht nur die Struktur, auch die schriftliche Form der Substantivkomposita findet Beachtung bei den Grammatikern. Für Schottelius ist der „unterweilen“ gefundene Gebrauch eines Bindestrichs innerhalb der Komposita „gar nicht von noten/ und kraft gegebener Lehrsätze/ nicht recht“ (1641, 136; ebenso 1651 und 1663; nach Takada 1998, 148), da die getrennte Schreibung dem Charakter der durch die Komposition neugeschaffenen Bedeutung entgegensteht. Offensichtlich beobachtet der Grammatiker zwischen 1663 und 1676 eine Zunahme der Schreibungen mit Bindestrich, denn während er 1663 noch vom gelegentlichen Auftauchen des Bindestrichs ausgeht (s.o.), beobachtet er 1679, es habe sich „in neulichen vielen Schriften/ und in den Trükkereyen hervorgethan/ daß man mit Zergliederung und Voneinandertheilung der gedoppelten Wörter es hat machen und schreiben wollen/ wie es nur gefallen/ und jeder es sich eingebildet“ – wogegen er sich ausdrücklich verwahrt, da dies „ohn alle Grundrichtigkeit/ dem allgemeinen guten Gebrauch zuwider“ sei (130, nach Takada 1998, 148f.).39 Für die Komposition von Adjektiven lässt er dies allerdings als guten Gebrauch zu (1676, 208; nach Takada 1998, 149). Bödiker dagegen, der zunächst noch die Verwendung des Bindestriches innerhalb von 39
Takada selbst (1998, 163ff.) stellt in Drucken der Lutherbibel aus Nürnberg und Lüneburg einen extremen Anstieg in der Verwendung des Bindestrichs fest, allerdings erst ab 1680 (Nürnberg) bzw. 1690 (Lüneburg).
239
Die Substantivzusammensetzung
zusammengesetzten Adjektiven und Substantiven ohne Bewertung aufzählt (1642, 61; s. Takada 1998, 149), lehnt dies mit Bezug auf Schottelius 1651 im Jahre 1657 als „wider die natur und eigenschaft der verdoppelung“ ab (97), da es die neu verbundenen Wörter trenne (nach Takada 1998, 149). Gegen Ende des Jahrhunderts macht er das Zugeständnis, in manchen schwer verständlichen Zusammensetzungen könne ein Bindestrich dem Verständnis hilfreich sein40 (1690, 33; nach Takada 1998, 150). Kaspar Stieler dagegen lehnt nicht nur den seiner Ansicht nach nur von ungebildeten verwendeten Bindestrich in Drucken und Handschriften ab (1690, 35) sondern verurteilt auch die Binnengroßschreibung (z.B. ZollHerren, PC 761/5) als „gar nicht fein“ (1691, 30; nach Takada 1998, 150). 4.4.3.1. Schriftliche Form der Komposita in den Commerzprotokollen Die grundsätzliche Notwendigkeit der Zusammenschreibung von Komposita wird von den Grammatikern vorausgesetzt. Laut Duden Grammatik 1998 scheint dies allerdings nicht immer so gewesen zu sein.41 Auch in der Praxis der Commerzdeputation zeigt sich, dass ein gewisser Teil der Komposita durchaus in zwei getrennten Worten geschrieben wird. Hierbei ist ein deutlich steigender Trend zu beobachten: A: 13,6% B: 20,5% C1: 22,2 % D: 37,8% C2: 25% Die Binnengroßschreibung, die von Stieler 1690 als unfein bezeichnet wird, spielt in den Protokollen keine große Rolle, es gibt insgesamt nur wenige Beispiele: A: -
B: -
C1: -
D: 1 (HaùbtMerck) C2: 2 (ZollHerren, OostSee)
Auch die Verwendung des Bindestrichs,42 von Schottelius lange abgelehnt und schließlich als Hilfsmittel bei schwer verständlichen Worten allgemein anerkannt, spielt keine Rolle, womöglich hängt dies mit der geringen Anzahl komplexer Komposita in den Protokollen zusammen: A: 1 (Admiral=Schreiber) B: Briefs=Constitutionen) C+D: 0 40 41 42
3
(Tonnen-läger,
botten=Lohnß,
Dies entspricht der heutigen Praxis, vgl. Duden Grammatik (2005, 720). Duden Grammatik (1998, 433): „Im heutigen Deutsch (im Unterschied zum älteren Deutsch und z.B. auch zum Englischen) werden Komposita traditionell zusammengeschrieben [...].“ Ausnahmen s. Duden Grammatik (2005, 720f.). Die Schreibung mit Doppelpunkt, die sich in einem Einzelfall findet (B: See: Schùltzen) findet keine Beachtung bei den Grammatikern.
240
Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
Der von Schottelius für Druckereien beschriebene Trend zur Schreibung mit Bindestrich zwischen 1663 und 1673, könnte die Schreibungen mit Bindestrich zu dieser Zeit erklären (nur Schreiber A und B verwenden den Bindestrich, die Schreibungen stammen aus Protokollen von 1665 bis 1668). Allerdings kann von einem dramatischen Anstieg der betreffenden Schreibung in den Protokollen nicht die Rede sein. 40 35 30 25 %
20 15 10 5 0 A
B
C1 Schreiber
D
C2
Graphik 4.4: Getrenntschreibung, Binnengroßschreibung und Schreibung mit Bindestrich bei Komposita
4.4.4. Zur Substantivgroßschreibung Die seit dem 13. Jh. in Manuskripten bekannte Großschreibung wurde seit dem 16. Jh. zunehmend zur Regel für Satzanfänge, Eigennamen und später alle Substantive überhaupt. Für die Substantivgroßschreibung setzte sich besonders Ritter (1616), Bellin (1642) und Bödiker (1690) ein, gegen sie waren Schottelius (1641), Gueintz (1645), Stieler (1691) und andere (s. Polenz 1994, 247f. und Takada 1998, 91ff.). Andere nahmen eine tolerante Haltung zu dieser Frage ein (z.B. Harsdörffer 1657; s. Polenz 1994, 247). In der Praxis der Druckereien war diese Frage eigentlich schon im frühen 17. Jh. entschieden, da sich hier die Substantivgroßschreibung bereits durchgesetzt hatte (vgl. Takada 1998, 14 und 94 sowie Polenz 1994, 247f.). Dennoch kann man entsprechend der Umstrittenheit der Regelung noch lange Uneinheitlichkeiten feststellen (Polenz 1994, 148; bis heute gibt es immer wieder Demonstrationen ostentativer Kleinschreibung). Im Falle
Die Substantivzusammensetzung
241
vierer von Peter Wiesinger ausgewerteter österreichischer predigthafter Texte ließ sich zeigen, dass es 1631 noch 8% Kleinschreibung gab, 1663 nur noch knappe 2%, mit anderen Worten, dass sich die Substantivgroßschreibung in der zweiten Hälfte des 17. Jhs. durchgesetzt hat (1987, nach Polenz 1994, 248). 4.4.4.1. Zur Großschreibung der Komposita in den Commerzprotokollen Betrachtet man die Groß- und Kleinschreibung im Falle der zusammengesetzten Substantive, so zeigt sich, dass sich im Zeitraum zwischen 1665 und 1677 zumindest bei dieser Wortart die Substantivschreibung durchsetzt. Die Kleinschreibung macht bei den Komposita pro Schreiber folgenden, tendenziell abnehmenden Anteil aus: A: 8,3%, B: 10,5%, C1: 0%, D: 3,4%, C2: 0%. Damit liegt ein deutlicher Trend zur Substantivgroßschreibung vor, der sich bis auf den zweiten Bestandteil der Komposita auswirkt, bei denen – wenn sie nicht zusammen sondern als zwei separate Worte geschrieben werden – mindestens die Hälfte (Schreiber B) bis hin zu allen zweiten (bzw. dritten: Ober Alten StØbe) Wortkomponenten groß geschrieben werden (Schreiber A und C1).43
43
Genauer werden bei in zwei Worten geschriebenen Komposita bei Schreiber A: 2 von 2, bei Schreiber B: 4 von 9, bei Schreiber C1: 4 von 4, bei Schreiber D: 28 von 31 und bei Schreiber C2: 3 von 4 Zweitgliedern groß geschrieben (wegen der geringen Menge der Beispiele wurde von einer Darstellung in Prozent abgesehen). Großschreibung des ersten und zweiten Kompositionsgliedes müssen dabei nicht zusammenfallen, vgl. botten=Lohnß und Convoÿe goldt (Schreiber B).
242
Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
12 10 8 %
6 4 2 0 A
B
C1 Schreiber
D
C2
Graphik 4.5: An den Komposita beobachtete Abweichung von der Substantivgroßschreibung
Schlussfolgerung Die Substantivzusammensetzung nahm in den Argumenten der Grammatiker einen besonderen Raum ein, da sie als Beweis für die Gleichwertigkeit des Deutschen mit den anderen Hauptsprachen herangezogen wurde. Komposition ist nicht nur die häufigste Form der Wortneubildung des Deutschen, sondern eignet sich durch gleichzeitige Transparenz und Komplexität besonders für Fachsprachen. In den untersuchten Texten, die ja alle der selben Textsorte angehören, zeigte sich, dass die individuelle Vorliebe des jeweiligen Schreibers eine Auswirkung auf die Frequenz der Substantivzusammensetzungen hatte (diese schwankte zwischen 1,1 und 2,9% der Gesamtwortzahl). Wegen der relativ geringen Größe des Korpus bei geringer Frequenz des beobachteten Phänomens müssen die folgenden Beobachtungen bis zur Bestätigung durch ein größeres Korpus mit Vorbehalt aufgenommen werden. Die Grammatiker standen Fugenelementen in Komposita eher kritisch gegenüber und lehnten sie in den meisten Fällen ab. Angesichts dieser Ablehnung überrascht es, dass in der beobachteten Praxis bei drei von vier Schreibern die Verwendung von Fugenelementen im Vergleich zu den von der Duden Grammatik 1998 veranschlagten 10-20% (je nach Textsorte) stark nach unten abweicht. Nur Schreiber B verwendete in gut 20% Fugenmorpheme, die Verwendungen der anderen Schreiber lagen bei ca. 4% (A),
Präfixbildungen
243
ca. 6% (B) und ca. 7% (D) Prozent. Die Kritik der Grammatiker ist also im Falle der Commerzprotokolle substanzlos. Hier fehlen Vergleichszahlen für handschriftliche Gebrauchstexte, weswegen nicht klar ausgesagt werden kann, ob die Grammatiker den zeitgenössischen Gebrauch nur beschrieben oder diesen beeinflusst haben. Die negative Einstellung der Grammatiker hat aber offensichtlich längerfristig nicht zur Verringerung des Gebrauchs von Fugenmorphemen beigetragen. Die äußerliche Form der Komposita weicht von den Vorstellungen der Grammatiker dadurch ab, dass sie häufig in getrennten Schreibungen vorliegen (Ober Alten Stube). Da sich heute eine von den Grammatikern propagierte Zusammenschreibung durchgesetzt hat, ist in diesem Fall ein Einfluss auf die sprachliche Entwicklung denkbar. Allerdings ist weiter zu beobachten, dass die noch lange kritisierte Binnengroßschreibung (OostSee) und die kontrovers diskutierte Verwendung des Bindestrichs (Tonnen-läger) in den untersuchten Protokollen bereits weitgehend fehlen, sich also der heutige Standard bereits vor den Diskussionen der Grammatiker etabliert hatte. Im Fall der Großschreibung der Komposita, die sich in Drucken bereits im frühen 17. Jh. (also vor der kontroversen Diskussion durch die Grammatiker) durchgesetzt hatte, kann für die Commerzprotokolle festgestellt werden, dass auch hier unabhängig von der metalinguistischen Diskussion ein bereits vorhandener weitgehender Konsensus zur Substantivgroßschreibung (Schreiber A: ca. 8%, B ca. 11%, D ca. 3% Abweichung) bzw. in einem Fall einer vollkommenen Etablierung der Großschreibung beobachtet wird (Schreiber C: 0% Abweichung).
4.5. Präfixbildungen Ähnlich der Komposition handelt es sich bei der einfachen Präfigierung um die Zusammensetzung zweier Morpheme, nämlich eines voranstehenden Präfixes und eines nachgestellten Grundwortes bzw. Morphemkomplexes, zu einer neuen Wortbildung, bei der die Wortklasse des Grundworts unverändert bleibt. Im Unterschied zu den Komposita, die wieder in selbstständige Elemente aufgeteilt werden können (s. 4.4.), kommen Präfixe nicht selbstständig vor.44 Präfigierung wirkt in allen drei Hauptwortarten, jedoch baut sie am stärksten den verbalen Wortschatz aus, in dem sie räumliche, zeitliche oder modale Bedeutungskomponenten ergänzt (s. Duden Grammatik 2005, 700). Bei Substantiven kann die Präfigierung die Sprechereinschätzung wiedergeben (besonders, groß, falsch, Duden Grammatik 1998, 435), ist aber als Wortbildungsmechanismus längst nicht so produktiv 44
Wenn sie als sog. Halbpräfixe isoliert auftauchen, haben sie laut Duden Grammatik 1998 abgeschwächtere Bedeutung (435 und 463f. sowie Lewandowski 1994, 826).
244
Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
(hier herrscht die Komposition vor). Bei Adjektiven kommt der Zusatz von Präfixen und Halbpräfixen immerhin ungefähr doppelt so häufig vor wie bei Substantiven, was sich durch die Produktivität von Gegensatzpaaren erklärt (schön – unschön, ibid., 435 und 441). Präfixe stehen nicht nur den Präpositionen nahe, sie grenzen auch an die Wortkomposition, in deren Grenzbereich die Halbpräfixe, auch trennbare Verben genannt, liegen (z.B. aussteigen – sie steigt aus). Die Unterscheidung zwischen Präfixen, Halbpräfixen und Kompositionsgliedern ist nicht immer eindeutig (Duden Grammatik 1998, 436f., vgl. auch 2005, 663ff. u. 756ff. sowie Fnhd. Grammatik, 375). So wird z.B. vor in der Duden Grammatik 1998 „zwischen“ Halbpräfixen und Kompositionsgliedern eingeordnet (469, s. 4.5.3.), ent- erscheint hier sowohl als Halbpräfix (463) als auch als Präfix (461). Textbelege zu den folgenden Abschnitten s. Anhang (Tabelle 4.5.1.1-4.5.3.1). 4.5.1. empf- statt entLaut Duden Grammatik (1998, 459; s.a. 2005, 701) sind von allen durch Präfigierung entstandenen deutsche Verben 15% Bildungen mit ent-, womit das Präfix nach ver- und be- das dritthäufigste ist. Im Mittelhochdeutschen erfolgte bei den mit ent- beginnenden Verben eine Assimilation des t an das folgende f zu empf-. Diese wurde in den meisten Fällen später wieder rückgängig gemacht – außer bei empfangen, empfehlen und empfinden (Takada 1998, 160f.; vgl. Paul 2002, 274). Inhaltlich überschneidet sich das Präfix ent- mit anderen Präfixen (an-, ab- und aus-, z.B. anzünden, abreißen, ausleihen, s. Duden Grammatik 1998, 455); zu ver- und be- stellt es semantisch einen Gegensatz dar (ibid.), wobei es ausdrücken kann, dass Handlungen reversibel sind (ibid., 458).45 Schottelius definiert ent- als „praepositio inseparabile“ (1663, 616) oder „unabsonderliches Vorwort“ (1641, 486), das nur in Verbindung mit einem weiteren Wort sinnvoll ist (nach Takada 1998, 158). Dies entspricht der antiken Grammatiktradition (ibid.) und ist bis heute die Definition eines echten Präfix. Schottelius fordert konsequent den einheitlichen Gebrauch des Präfixes ent- und spricht sich deutlich gegen assimilierte Formen aus: „ist kein Wörtlein in Teutscher Sprache/ das em oder emp heisset“ (Schottelius 1651, 367 und 1663, 215; vgl. 1676, 56; nach Takada 1998, 160). Andere Grammatiker sind in dieser Frage toleranter und lassen aus klanglichen Gründen die Assimilation zu, z.B. Prasch, der empfangen und empfehlen explizit für akzeptabel erklärt (1687, 18; nach Takada 1998, 161).
45
Zur den semantischen Modifizierungsmöglichkeiten von ent- s. Duden Grammatik (1998, 461 und 475).
Präfixbildungen
245
4.5.1.1. empf- statt ent- in den Commerzprotokollen In den Protokolltexten ist mit nur 18 Formen (davon 4 Assimilationen) nicht ent- das häufigste Präfix, sondern vor- (mit 56 Bildungen, s. 4.5.3.). Es werden in der Präfigierung mit ent- ausschließlich Verbbildungen beobachtet (allerdings sind 2 von den 18 beobachteten Formen durch zusätzliche Suffigierung zu Adjektiven modifiziert: C1: empfangene, D: enthaltener). Diese sind relativ gleichmäßig auf die Schreiber verteilt (A: 3, B: 5, C1: 4, D: 5, C2: 1 Formen mit ent-). Entsprechend dem schon im 17. Jh. von vielen Sprachtheoretikern akzeptierten Gebrauch finden sich die Formen empfangen bzw. empfinden in assimilierter Form (dafür gibt es je ein Beispiel bei den Schreibern A, B, C1 und D). Die von Schottelius vertretene, puristische Verwendung des ent- auch vor f kann in den Protokollen nicht beobachtet werden, die Schreiber folgen also dem eingebürgerten Gebrauch. 4.5.2. ohn- statt unDas Präfix un- kann zu Augmentativbildungen verwendet werden (Unsumme, Duden Grammatik 1998, 505ff.), dient aber vor allem zu Negationsbildungen (Untat, ibid., 508ff.), und hier besonders zur Erstellung von Antonymen zu Adjektiven (v.a. einfache Adjektive werden negiert, es gibt aber auch diverse andere Bildungsformen, s. ibid., 530f. und 534f. sowie 2005, 694). Inhaltlich steht es deswegen der Präposition ohne nahe. Für Schottelius ist die Unterscheidung Präfix/Präposition in diesem Fall wichtig und er betont, dass un- ein „unabsonderliches Vorwort“ ist (1641, 486, vgl. 4.5.1.), ohn dagegen ein „absonderliches“, das aus funktionalen Gründen nicht wahlweise für un- eingesetzt werden darf (1641, 507f., ebenso 1651, 821 und 1663, 649; nach Takada 1998, 161). Er nennt für die von ihm kritisierte Verwechselung der beiden Kategorien Negativbeispiele wie ohnglaublich, ohnwillig, ohnverzagt, ohnschuld, ohnglück. Mit ihm überein stimmt Zesen, wenn auch mit der Begründung, un- klinge „bässer und anmuhtiger“. Er nennt als Negativbeispiele ohnverhofft, ohnzucht und ohntugend (1643, 51; nach Takada 1998, 161). Takada (1998, 168) beobachtet in Drucken der Lutherbibel sowohl Änderungen von ohn- in un- (Hoburg 1655 => 1700: ohnmöglich, ohnstreigig => unmöglich, unstreitig) als auch umgekehrt (Anton Ulrich 1678+1685 =>1712: ungefähr=>ohngefähr). Im Simplicissimus-Druck von Georg Müller (Frankfurt 1669) kann er eine konsequente Ersetzung von ohn- durch un- aufzeigen (Takada 1998, 294).
246
Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
4.5.2.1. ohn- statt un- in den Commerzprotokollen Das Präfix un- ist in den Commerzprotokollen ebenso oft zu finden, wie das Präfix ent-. Am häufigsten kommt es jedoch im Bereich der Adjektive/Adverbien vor, gefolgt von den Nomen. Von den insgesamt 18 gefundenen Wortbildungen mit un- sind insgesamt 11 Adjektive/Adverbien, 7 sind Nomen. Die Verwendung von Adverbien mit un-46 wird von der Fnhd. Grammatik (375f.) als besonders für die Kanzleisprache typisch bezeichnet. Dabei werden ohn- und un- für die fnhd. Periode (in der Grammatik definiert als selbstständige Periode vor der nhd. Phase, d.h. Mitte des 14. bis Mitte des 17. Jhs.; ibid. 5) noch nicht unterschieden. Die Verteilung der Präfixbildungen mit un- auf die Schreiber der Commerzdeputation ist fast so regelmäßig wie die mit ent- (A: 4, davon 1 Nomen, B: 3, davon 1 Nomen, C1: 5, davon 3 Nomen; D: 4, davon 1 Nomen, C2: 2, davon 1 Nomen). Im Kontrast zu den gut vertretenen Bildungen mit un- findet sich in den Texten nur eine einzige Präfixbildung mit ohn- (A: ohnzweiffel). Ohnzweiffel ist damit innerhalb der Protokolle die klassische Ausnahme im Kontext einer ansonsten klaren Verwendung von un- als Präfix und ohne als Präposition, die sich zudem mit der Darstellung Schottelius‘ deckt. Vergleicht man die Ergebnisse von Takada (s. 4.5.2.), so liegt die Vermutung nahe, dass die Schwierigkeit der Verwendung von ohn- als Präfix vor allem dort liegt, wo ohn- in der Kombination mit Nomen (oder mit denen verwechselbaren Formen) steht, bei denen also die Verwendung der Präposition ohne durchaus angebracht wäre (z.B. die Veränderung von Anton Ulrich von 1678+1685 auf 1712 ungefähr=>ohngefehr, aber auch PC 5/8: ohnzweiffel: in diesen Fällen wäre, unter Berücksichtigung der Schriftvariationsbreite, ohne+Nomen korrekt). Somit wäre das eigentliche Problem nicht die Verwechslung Präposition/Präfix sondern die Fehleinschätzung des Grundwortes und damit der gesamten Modifikationssituation (statt ein Morphem mit un- zu präfigieren wird ein vermeintliches Nomen mit der Präposition ohne negiert). 4.5.3. vor- statt fürUnter den hier betrachteten Präfixen ist vor- dasjenige, das am wenigsten eindeutig als Präfix zu kategorisieren ist. So tut sich auch die Duden Grammatik 1998 schwer, das Morphem einzuordnen. Sie beschreibt eine Wortgruppe, die als häufigste Glieder vor-, nach- und zu- enthält als „Verbzusätze, die 46
Genauer gesagt Partizipien in adverbialer Verwendung, die mit un-/ohn- präfigiert sind und in ihrer Funktion Prä-/Postpositionen ähneln (ibid.). Beispiele aus den Protokolltexten: unbefugt, unangezeigt.
Präfixbildungen
247
schon einige (halb)präfixartige Züge haben, mit ihrer einheitlicheren räumlichen Bedeutung aber den Zusammensetzungen noch näher stehen“ (469), und betont im Falle des vor dessen inhaltliche Nähe zur gleichlautenden Präposition. Auch als Verbzusatz kennzeichnet vor- v.a. räumliche Beziehungen, markiert aber in einer kleinen Gruppe von Verben auch eine temporale Bedeutung. Vor- dient außerdem zu Bildungen, die anzeigen, dass jemand andere täuscht, dass jemand eine Handlung vor anderen Personen ausführt, oder dass einem künftigen Ereignis Rechnung getragen wird (ibid., 469). Durch Suffigierung können aus den entstandenen Verbformen leicht Adjektive gebildet werden und auch bei Nomen kann vor- dazu dienen, die o.g. Bedeutungen zu kennzeichnen (ibid., 435f. und 452ff.). Entsprechend der sprachgeschichtlichen Entwicklung (s.u.) kommt für als Präposition nur noch in abgeleiteter Funktion vor. Als Verbzusatz ist es auf bestimmte Wendungen beschränkt, z.B. bei Aussprechen eines logischen Urteils (ein Ding/eine Person für etwas halten) und in Verbindung mit Adjektiven und Substantiven (für gut befinden). Auch hier zeigt sich die Problematik der Kategorisierung, wenn es in Paul (2002, 362) über die Funktion von für in den eben genannten Wendungen heißt, für „wird hierbei nicht mehr recht als Präposition empfunden“, die Bedeutungen aber ohne weiteren Kommentar in einer Liste von Präpositionen auftauchen. Da die Grenzen hier besonders verwischt sind, werden im folgenden Abschnitt neben den Präfixen (bzw. nach anderen den Verbzusätzen) auch die Präpositionen für und vor betrachtet werden.47 Die inhaltliche Bedeutung von vor (ahd. fora) und für (ahd. furi) entwickelte sich in engem Zusammenhang miteinander. Sie unterlief im Laufe der Zeit einer Wandelung, bei der die Bedeutungen von vor und für sich großenteils austauschten (s. Paul 2002, 361 und 1125f.). Damit einher ging ein Wandel der Rektion. Wenngleich beide Präpositionen von Anfang an räumliche Bedeutung hatten, so diente vor ursprünglich zur Bezeichnung einer Ruhelage, während für bei einer Bewegung richtungsanzeigend war (Paul 2002, 361). Während für ursprünglich nur mit Akkusativ auftauchte, wurde vor ursprünglich nur mit dem Dativ verbunden (ibid., 1125). Im Mitteldeutschen und Niederdeutschen fielen beide dann in der Form vor zusammen.48 Dies führte im Schriftdeutschen zu einer gegenseitigen Verdrängung einzelner Formen durch die jeweils andere. „Die Konkurrenz von vor und für führt dann dazu, daß auch für mit dem Dativ angewendet wird: Gott bewahre einen für der Idee“ (ibid., 361). Am Ende des Verdrängungsprozesses hatte vor die Bedeutung des ursprünglichen für eingenommen und 47 48
Die für Schreiber B belegte Wendung halten für wurde hier als Zweifelsfall mitaufgeführt. S. Fußnote 52. Die Fnhd. Grammatik unterscheidet innerhalb ihrer Periode nicht zwischen vor und für, z.B. 363, Anm. 1.
248
Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
erscheint ab dieser Zeit auch mit dem Akkusativ während für nur in abgeleiteten Funktionen überdauerte. Eine weitgehende, keinesfalls aber vollständige Durchsetzung dieser Verwendung erfolgte laut Paul (ibid., 1125) nach einer langen Phase der Unsicherheit, die bis weit ins 18. Jh. andauerte. Bei Schottelius wird vor als „Stammvorwort“ bzw. „praepositio primitiva“ bezeichnet (1676, 132; nach Takada 1998, 159), womit auch seine Schwierigkeit zum Ausdruck kommt, das „Vorwort“ eindeutig zu kategorisieren (Takada 1998, 159f.). Gegen die Verwechslung von für- und vorverwahrt sich Schottelius immer wieder (1641, 639 und später; s. Takada 1998, 163). Er weist funktionell argumentierend darauf hin, dass die Präposition für dem lat. pro gleichbedeutend sei und den Akkusativ fordere, während vor mit ante, coram, prae zu übersetzen sei und sowohl Akkusativ als auch Ablativ regiere.49 Damit gibt er gleichzeitig die relativ neu angenommene Inhaltskomponente der zielgerichteten Bewegung wieder, die vor in der mitteldeutschen Phase von für zu übernehmen begonnen hatte (vgl. die entsprechenden Einträge zu den lat. Präpositionen bzw. Präfixen in Hau 1986). Auch heute legt die Präposition für das von ihr angeschlossene Wort auf den Akkusativ fest (Duden Grammatik 2005, 619), vor erfordert Dativ oder Akkusativ (ibid., 615). 4.5.3.1. vor- statt für- in den Commerzprotokollen Unter den hier untersuchten Präfixbildungen ist vor- mit 57 Belegen das häufigste der beobachteten Präfixe. Von den 57 Formen mit vor sind 45 Verbformen (davon 4 suffigiert zu Adjektivfunktion), 10 Nomen und 2 Adverbien. Die nach heutigen Werten ungewöhnliche50 Häufigkeit des Präfix kann mit den semantischen Modifikationsmöglichkeiten erklärt werden, die vor- bietet und die dem spezifischen Inhalt der Protokolle entsprechen. Wir finden unter diesen etwa: Ausführen einer Handlung vor anderen Personen (hier aufführend genannt: vorzeigen, vorbringen, vortragen), Tatbestand der Täuschung (vorenthalten), Prävention oder Planung eines künftigen Ereignisses (vorbauen, sich vornehmen, bevorstehen), und Vorzeitigkeit (vorgewest, Vorjahr51). Auch die Häufigkeit des Präfix im Bereich der Adjektive weicht von den auf heute bezogenen Richtwerten der anfangs zitierten Duden Grammatik ab, da sie relativ gering ist. Dies ist jedoch ebenfalls noch kein 49 50 51
Takada merkt an, dass diese Differenzierung zwischen für/vor oft Bödiker (1690) zugeschrieben wird. Als die produktivsten Präfixe nennt die Duden Grammatik 1998 ver-, be-, ent-, er- und zer-, die 90% der Verben bilden (459). Im Eintrag vom 10.02.1665 (PC 5/5) lautet es: „weil daß Vorjahr nahet und viele Schiffe erwartet werden“. Es ist hier vor gleichbedeutend mit früh (das ebenfalls temporal und inhaltlich nahe der Vorzeitigkeit ist).
Präfixbildungen
249
Grund, von fundamentalen Unterschieden in der Präfixbildung auszugehen, da mit den Protokolltexten eine ganz spezifische Textsorte vorliegt, die darauf ausgerichtet ist, Vorfälle ohne Ausschmückung festzuhalten (s. 3.2.). Im Kontrast zu den 57 Formen mit vor- finden sich nur 7 mit fürund während die Wortbildungen mit vor- in ihrer Verwendung des Präfix fast ausschließlich der heutigen Norm entsprechen,52 sind die Wendungen mit für- (A: furüber, B: fur bringen, fùrbringen, brachten fùr, fùrzùbringen, C1: fùrgenommen, D: fùr gelesen) vom heutigen Standpunkt aus inakzeptabel und werden nach gegenwärtigem Standard ebenfalls mit vor- gebildet. Aus heutiger Sicht guter Sprachgebrauch wäre (Änderungen hier unterstrichen): A:
Ihr Fleiß wurde vorüber paßirt gelassen (36/16), räumlich
B:
bei der Admiralität ihre Notdurft an- und vorbringen (301/15f.), aufführend bei der Admiralität ihr Notdurft vor bringen (301/24), aufführend [Herren X und Y] brachten vor (302/4), aufführend daß waß [...] an= ùndt vorzùbringen (302/6), aufführend
C1: sie haben sich etwas gegen die Stadt vorgenommen (320/20), präventiv/planend D: denen negst salutation vorgelesen, was (421/26). aufführend
Man kann bei diesen Verwendungen von für jedoch nicht von einem generell vom heutigen abweichenden Gebrauch des Präfix sprechen, denn es finden sich bei allen Schreibern den Fehlbildungen korrespondierende Formen, die bereits der heutigen Norm entsprechen (A: vorlieffe, B: vorzùtragen, vorgebracht, brachte voor, C1: vorgenommen, D: vorgelesen). Die Abweichungen von der Norm sind also entsprechend dem bereits angesprochenen Zustand in der Orthographie als damals übliche Schwankungen innerhalb eines Variationsspektrums zu verstehen, das sich auf eine (neue) Norm erst hinbewegt. Wie deutlich wird, betreffen diese Schwankungen nicht nur die Verwendung der Präfixe/Verbzusätze sondern auch die Präpositionen vor und für (Textbelege s. Anhang, Tabelle 4.5.3.2).
52
Die einzige Ausnahme findet sich bei Schreiber B: „hielten Sie [...] vor ùnnötig“ (301/10). Diese Konstruktion ist ein gutes Beispiel für die Schwierigkeit der klaren Zuordnung in die Kategorien Präfix bzw. Präposition und der nach heutigem Standard nicht mehr korrekt verwendete Verbzusatz wurde der Vollständigkeit halber hier unter Präfix mit aufgeführt. Vgl. halten+für+Adj. in Paul (2002, 448). Wenn man von der Verwendung des Präfix absieht, zeigt sich in den Protokollen allerdings auf verschiedenen Ebenen noch ein deutlicher Abstand von der heutigen Wortbildung: vorgewest, vorgangen, vorgeloffen etc.
250
Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
A B Bx C D
Graphik 4.6: Präfixbildung mit vor- (Bx entspricht nicht der heutigen Norm)
4.5.3.2. Die Präpositionen vor und für in den Commerzprotokollen Betrachtet man im Vergleich zu den Präfixen/Verbzusätzen die Präpositionen vor und für in den Protokollen, so ist auffällig, dass auch hier aus heutiger Sicht etliche Fehler in der Verwendung der Präposition für (anstelle von vor) auftauchen (die Verwechslung ist auch hier einseitig, die Verwendung von vor statt für kommt nicht vor). Insgesamt enthalten die untersuchten Protokolle 23 Sätze mit der Präposition vor und 17 mit der Präposition für. Unter letzteren sind 9 nach heutiger Sicht falsch. Die Verteilung der Belege von vor/für auf die einzelnen Schreiber ist die folgende (Anzahl vor/Anzahl für): A: 1/4, B: 16/1, C: 4/4, D: 2/8.53 Bei der Verwendung von für sind Abweichungen von der heutigen Norm auf A, B, C und D mit der Anzahl 2/0/1/6 verteilt (zur Erinnerung: bei den Präfixen beliefen sich die Abweichungen in der Verwendung von für bei den Schreibern auf die Häufigkeiten 1/4/1/1, bei der Verwendung von vor gab es überhaupt nur eine Abweichung und zwar bei B). Bei einer Schwankung zwischen 2 und 7 Abweichungen kann man noch nicht von starken individuellen Unterschieden sprechen, die Fehlerquote relativiert sich auch, wenn man sie der Anzahl der Verwendungen von vor und für gegenüberstellt. 53
Der Gebrauch der fraglichen Elemente hängt stark vom Inhalt der Texte ab, so erklärt z.B. der Inhalt vom Protokoll zum 11.08.1668 die hohe Frequenz der Präposition vor bei Schreiber B: dort steht eine Liste, in der die Platzierung von Bojen beschrieben wird, allein 7 Belege der Präposition stammen aus diesem Abschnitt.
Präfixbildungen
251
Summiert man alle Belege von vor und für (als Präfix/Verbzusatz und als Präposition), so ergibt sich für die Schreiber eine durchschnittliche Abweichungsquote von 20,6% (bzw. 19,6%), verteilt auf die Schreiber: A: 18,8%, B: 16,7%, C: 8/12%, D: 35%.54 Von den 9 vom heutigen Standard abweichende Verwendungen von für fallen 8 in die Ebene der räumlichen Modifikation des Verbinhalts durch vor- (5 Belege fallen auf für jemanden treten, eine sechste Verwendung ist für jemanden kommen). Ein weiterer Beleg liegt in der semantischen Ebene der Prävention (sich hüten vor). Nur in drei der neun Fälle haben die durch die Präposition angeschlossenen Nomen einen vom heutigen Normfall abweichenden Kasus. Es sind dies chronologisch gesehen die ersten drei Belege, in denen jeweils ein Dativ statt eines Akkusativs folgt. Tabelle 4.5: Präposition für statt vor. Schreiber Beleg (Fundort)
A (23/12f.) A (25/2f.)
D (408/6)
D (410/14) D (424/23) D (455/12) D (454/5) C1 (341/2)
D (422/6f.)
54
Inhaltsebene heutige Norm angeschlossenes Nomen: verwendeter Kasus/ heutiger Kasus Kamen viele Kaùfleüte [...] fùr räumlich kamen vor die Dat./Akk. den gedepùtirten des Commercÿ welches sich die Depùt: gefal- räumlich traten vor die Dat./ Akk. len lassen [...] fùr den Oberalten traten [...] und bestes fleises commendirten Frans v: Bremen [...] et Harm räumlich traten vor die Gen. od. Dat./ Gertßen Backer, traten fùr der Akk. Admiralität [.] traten fùr die He. Oberalräumlich traten vor die Akk./ Akk. ten [.] traten vor die Akk./ Akk. E: Erb. Kaùffman trat [...] fùr räumlich die He. Oberalten ùnd traten fùr das neùe Colle- räumlich traten vor das Akk./ Akk. gium der 26. ùnd gehört dieser Pùnct nicht räumlich gehört (nicht) Akk./ Akk. für die Bürgerschafft vor die vor der Admi- Gen. od. Dat./ Eß wehren fÚr der Admiralität räumlich ralität Dat. viel parten beschieden so gehört werden müsten damit sie sich fùr Schaden präventiv sich hüten vor Dat./Dat. wùsten zù hùten
Für Schreiber C1 und C2 ergaben sich so ähnliche Werte, dass sie in diesem Abschnitt zusammen betrachtet werden. Je nachdem ob man für sie zugemacht als Fehler rechnet oder nicht, ergibt sich eine höhere/niedrigere Fehlerquote für die Texte von Schreiber C. Die hohe Abweichung von Schreiber D geht nicht so sehr auf eine Unsicherheit in der Verwendung vor/für zurück, wie auf eine häufige Verwendung des Ausdrucks für jemanden treten (s. Anhang, Tabelle 4.5.3.2). Damit spielen auch hier Protokollinhalt und stilistische Vorliebe eine gewisse Rolle (vgl. vorige Fußnote).
252
Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
Man kann hier einen sprachlichen Zustand beobachten, bei dem sich die relativ neue Verwendung von vor als bewegungsanzeigend bereits größtenteils durchgesetzt hat, bei dem aber eine neue Rolle der Präposition für noch nicht klar definiert ist. In einigen Fällen entspricht sie dem älteren sprachlichen Zustand, der aber nur noch resthaft vorhanden ist und dessen weitere Verdrängung auf wenige Einzelfälle man in der Folgezeit bis heute beobachten kann. Die Verwendung von für+Dativ kann dabei als Zeichen für die allgemeine Unsicherheit in der Verwendung gedeutet werden (weder vor noch nach dem Bedeutungswandel stand der Dativ nach für bzw. zeigte dieser Kasus eine zielgerichtete Bewegung an). Ein Zweifelsfall, der von der Bewertung ausgenommen wurde, jedoch hier Erwähnung finden soll, ist die bei Schreiber C2 auftauchende Formulierung für sie zumachen (PC 669f.): [...] Únd wie sie darauff ge/ antwortet, daß sie solches nicht thùn könt[en],/ [...] so hette man sie gedrewet, man wolte sie da/ zù zwingen, hetten aÚch Thor und BeÚme/ für sie zÚgemachet, Únd Volck aÚff ihre/ Schiffe gesetzet. [Unterstreichung von MBL]
In diesem Fall ist nicht eindeutig, ob eine räumliche Verwendung von für vorliegt (in welchem Fall wir heute von einem Fehler sprechen und vor+Dat. verwenden würden) oder ob eine objektbezogene Verwendung vorliegt (in welchem Fall für sie zumachen in der Bedeutung von ihnen etwas verwehren vorläge, also das für auch heute korrekt wäre).
253
Präfixbildungen
A B Bx C D
Graphik 4.7: Präposition vor (Bx entspricht nicht der heutigen Norm)
A Ax B C Cx D Dx
Graphik 4.8: Präposition für (die x-Werte entsprechen nicht der heutigen Norm)
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
Schlussfolgerung Zusammenfassend lässt sich für die Präfixbildungen feststellen, dass bei allen Schreibern ähnliche Werte gefunden werden, es in diesem Bereich also keine starken individuellen Unterschiede gibt (die unterschiedlichen Phasen von Schreiber C1/2 konnten deswegen zusammengefasst werden). Das bedeutet auch, dass sich für keines der betrachteten Präfixe die Möglichkeit einer zeitlichen Entwicklung feststellen lässt. Die gefundenen Werte weichen z.T. von dem ab, was man nach heutigem Standard erwarten könnte. Dies lässt sich jedoch in allen Fällen mit den spezifischen Eigenheiten der Textsorte Protokoll (etwa geringerer Anteil an Adjektiven) oder den behandelten Inhalten (etwa hohe Frequenz von vor durch Ortsbeschreibungen) erklären. Im Falle des ent- entspricht der Gebrauch in den Protokolltexten dem heutigen Standard, was bedeutet, dass Schottelius‘ puristischer Vorschlag zur Abschaffung der assimilierten Formen mit empf- ignoriert wird. Das Präfix kommt ausschließlich in der Verbbildung vor, aber nicht so oft wie man nach heutigem Standard erwarten könnte. Der Gebrauch von un- entspricht mit einer Ausnahme dem heutigen. Oft zu finden ist das Präfix v.a. auf dem Feld der Adjektive/Adverbien, gefolgt von den Nomen. Verbbildungen sind nicht belegt. Die nach heutigem Standard und auch nach Schottelius falsche Bildung ohnzweiffel dokumentiert eine Unsicherheit in der Verwendung von ohne als Präposition. Im Vergleich mit den Ergebnissen von Takada, der in den von ihm untersuchten Drucken sowohl Ersetzungen von ohn- durch un- als auch umgekehrt fand, und der Bildungen wie ohngefähr dokumentiert, liegt es nahe, dass in derartigen Fällen die Verwechselung von Präposition und Präfix stattfand, weil das nachfolgende Grundwort ein Nomen war (oder diesem stark ähnelte), in welchem Fall eine Präposition angebracht wäre. Dieser Verwechselung wird durch eine mangelnde Normierung der Orthographie (nämlich bei der Substantivgroßschreibung und der Wortzusammenschreibung) Vorschub geleistet. Bezüglich des Präfixes vor- und seiner Verwechselung mit dem Verbzusatz für ließ sich eine streng getrennte Untersuchung von Präfixen und Präpositionen nicht durchführen. Die Grenzen zwischen den funktionalen Kategorien sind so unscharf, dass die Präpositionen in die Untersuchung mit einbezogen wurden. Als Präfix ist vor- in den Protokollen mehr als dreimal so häufig wie die ebenfalls untersuchten ent- und un-. Dies ist durch die semantischen Modifikationsmöglichkeiten bedingt, die der Verbzusatz bietet und der den dargestellten Inhalten der Texte entspricht. Abweichungen von der heutigen Norm treten bei der Verwendung von vor- und für nur in der Form auf, dass für aus heutiger Sicht fälschlicherweise das vor
Suffixbildungen
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ersetzt. In allen Fällen gibt es hierzu parallele Verwendungen, bei denen vor nach heutigem Standard bereits richtig erscheint (etwa finden sich bei Schreiber B beide Formen, fürbringen und vorbringen). Dasselbe passiert auch auf der Ebene der Präpositionen, bei der die Abweichungen von der heutigen Norm in der offensichtlich noch nicht gefestigten Verwendung von für anstelle des vor liegen. Dass es aber bereits so etwas wie einen Normtrend gibt, zeigt der Quotient der Abweichungen von der heutigen Norm, der im Durchschnitt bei etwa 20% liegt. Die gefundenen Fehler (aus heutiger Sicht) demonstrieren den Verdrängungsprozess des für durch das vor. Einerseits finden wir Reste eines älteren sprachlichen Zustands, in dem das für in seiner räumlichen Bedeutung noch stärker vertreten war. Andererseits liegen mit der sprachgeschichtlich relativ neuen Verbindung für+Dat. Produkte des sprachlichen Übergangs vor, die als Manifestationen einer sprachlichen Unsicherheit innerhalb der neu entstehenden Verwendung des vor keinen dauerhaften Bestand hatten.
4.6. Suffixbildungen Die Wortbildung durch Kombination von Grundwörtern mit Affixen (d.h. Präfigierung, Suffigierung und Kombination der beiden) stellt einen der wichtigsten Wortbildungsmechanismen des Deutschen dar. Damit gehören zwar Präfixe und Suffixe zur selben Kategorie der Wortbildungsmorpheme, aber nur die Suffigierung kann die Ausgangswörter in eine andere Wortartoder Klasse überführen (eine Ausnahme bilden verbale Präfixe, s. Duden Grammatik 2005, 665). Man spricht bei dieser Möglichkeit von Ableitungen (Duden Grammatik 2005, 673f. u. 663ff.). Im Folgenden werden drei Fälle der Suffixbildung betrachtet, bei denen Adjektive (mit -lich, und -ig) und Substantive (-nis) abgeleitet werden. Je nach Art des Ausgangswortes kann man bei Ableitungsvorgängen in deverbale, deadverbiale, deadjektivische und desubstantivische Ableitungen unterscheiden. Hat man das entstandene Ableitungsprodukt im Blick, spricht man von Verbableitungen, Adjektivableitungen etc. Bei der anschließenden Betrachtung der Suffixe -ig, -lich und -nis (sowie der konkurrierenden Formen -bar und -ion) spielen vor allem Adjektiv- und Adverbialableitungen bzw. Substantivableitungen eine Rolle (Verben auf -igen werden in die Betrachtung mit einbezogen). Als Grundwörter kommen dabei Verben, Adjektive, Adverbien und Substantive in Frage. Adjektive bilden mit 10-15% am Gesamtwortschatz die drittumfangreichste Wortart in der gegenwärtigen deutschen Standardsprache (nach Substantiven an erster und Verben an zweiter Stelle). Ein Großteil davon sind Ableitungen der einfachen Formen (d.h. der nicht abgeleiteten oder
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
zusammengesetzten Adjektive), die selbst nur ein paar hundert zählen. Die häufigsten Suffixe, -ig, -isch, und -lich, sind allein für 40% des adjektivischen Wortschatzes verantwortlich und bilden tausende von Ableitungen. Dabei findet in 97% der Fälle ein Wandel der Wortart statt (Duden Grammatik 1998, 530). Bei der Substantivableitung kann man generell in zwei verschiedene Gruppen unterscheiden, in Abstrakta und Konkreta (ibid., 512). Das hier betrachtete Suffix -nis bildet ausschließlich Ableitungen innerhalb des Bereiches der Abstrakta (ibid., ff.) und beschränkt sich auf wenige Bereiche (s.u.). Die Möglichkeit der Bildung von Adverbien aus einfachen Adjektiven+-lich spielt im Gegensatz zu früher (s.u.) heute keine besondere Rolle, sie findet schon in der Duden Grammatik 1998 keine Erwähnung mehr (s. ibid., 551f.). 4.6.1. Die Suffixe -lich und -ig 4.6.1.1. -lich Die Modifizierung des Grundwortinhaltes (Haus-Häuschen) oder die Veränderung der Wortklasse (Mutter-Mutterschaft) ohne gleichzeitige Veränderung der Wortart ist bei Suffigierung generell selten (s.o. bzw. s. Duden Grammatik 2005, 764). Regelfall der Adjektivableitung ist die einfach Ableitung von Adjektiven aus Substantiven und Verben. Modifikationsbildungen aus anderen Adjektiven erfolgen nur ausnahmsweise. Die Suffixe -lich und -ig gehören (neben -bar, -isch und wenigen anderen) zu denen, die genau diese Ausnahme darstellen. Kombinatorische Präfixbildungen fehlen bei -lich ganz, abgesehen vom Sonderfall der Zirkumfixbildung mit un-+ -lich (unausweichlich; Duden Grammatik 2005, 764f.; zu -ig s.u.). Damit ist die deadjektivische Abwandlung mit -lich eine rein semantische Abwandlung und als einziges Suffix der Standardsprache nimmt -lich diese Art der Modifikation von Adjektiven reihenhaft vor. Dabei erfolgt fast regelmäßig eine Umlautwandlung des Grundwortes (blau-bläulich). In erster Linie werden Farbbezeichnungen abgewandelt, außerdem auch einige vielbenutzte Bezeichnungen für Personeneigenschaften (dumm-dümmlich). Manchmal drückt die Ableitung inhaltlich fast dasselbe aus wie das Grundwort (frohfröhlich) aber bei verändertem Gebrauch im Satz (Duden Grammatik 1998, 540). Ein weiterer Ableitungstyp in dem -lich (neben -abel, -bar) vorkommt, ist die passivisch-modale deverbale Ableitung, bei der angegeben wird, wozu sich das im Grundwort genannte eignet oder auf welche Handlung es sich bezieht. Dieser Typ konkurriert mit dem modalen Infinitiv, Konstruktionen mit lassen und Passivumschreibungen (das ist erträglich/ist zu ertragen/lässt
Suffixbildungen
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sich ertragen/kann ertragen werden; ibid.). In diesem Bereich ist der Anteil von -lich-Ableitungen sehr hoch. Und das, obwohl heutzutage das Suffix nicht mehr in dieser Funktion vorkommt. Die bestehenden Ableitungen sind laut Duden Grammatik 1998 immer noch überwiegend durchsichtig (löblich - ist zu loben). Innerhalb dieses Typs stammen über zwei Drittel der Bildungen aus Verben mit Präfix (begreiflich), wobei es häufig eine konkurrierende Form mit -bar gibt (begreifbar). Manchmal werden durch -lich Bildungen mit -bar negiert (ersetzbar – unersetzlich). Aktivisch-modale Ableitungen aus Verben sind weniger häufig und erfolgen auch nicht so systematisch wie passivisch-modale Ableitungen. Sie betreffen v.a. intransitive Verben (der wackelige Tisch) und transitive Verben, bei denen dann das Akkusativobjekt wegfällt (das ist begreiflich [für mich]). Das Suffix -lich kommt oft in abstrakten Ableitungen vor (betrüblich). Manchmal bildet es Negationsbildungen zu denen es keine positive Entsprechungen gibt (unermüdlich; Duden Grammatik 1998, 442f.). Besonders hohe Vielfalt findet sich bei den desubstantivischen Adjektivableitungen.55 Suffixe sind in diesen Ableitungen von ihrer Funktion her schon fast syntaktische Bindeglieder und beziehen Bezugsnomen und Basiswort aufeinander (Klang, Qualität: klangliche Qualität; Näheres s. Duden Grammatik 1998, 544f.). Bei der Ableitung aus Substantiven liegt die Hauptfunktion von -lich bei den possessiven Bildungen (ärztliche Praxis), auch wenn mit -lich weitere Bildungen möglich sind (hierzu s. Duden Grammatik 1998, 546).56 Sprachgeschichtlich gesehen war mhd. līch ursprünglich ein selbstständiges Wort und bedeutete Körper, Körpergestalt (Paul 2002, 612; s. auch Einträge Leiche und gleich; s.a. dtv Etymologisches Lexikon 1995, 797). In verkürzter Form bezeichnet es dann als Suffix einen voranstehenden Wortbestandteil mit der Bedeutung „die Gestalt habend, die der erste Bestandteil näher bezeichnet“ (Paul 2002, 612; s.o.). Suffixe wie -lich und -bar treten in fnhd. Zeit besonders häufig auf und übernehmen in dieser Phase die Funktion der Bedeutungsdifferenzierung (Schmidt 2000, 361).57 Außer Adjektivbildungen übernehmen -lich und -lichen die Funktion, zu einfachen Adjektiven wieder Adverbien zu bilden. In fnhd. Zeit sind solche Adverbien laut Paul (2002, 612) besonders häufig, laut Schmidt (2000, 361) gehen sie allerdings trotz häufigen Auftretens in dieser Zeit bereits seit dem Mhd. wieder zurück. Dabei kann man differenzieren in die frühe Verdrängung von -liche im 13./14. Jh. und -lichen im 15./16. Jh., die zunächst beide 55 56 57
Eine Darstellung der hierbei vorliegenden semantischen Muster s. Duden Grammatik (1998, 545). Das Morphem -tauglich wird von der Duden Grammatik 1998 als eigenes Halbsuffix klassifiziert, das aus Verbalabstrakta Adjektive ableitet (flugtauglich, 543f.). Das nachträglich den -lich-Formen angepasste täglich samt der ihm nachgebildeten jährlich, monatlich, wöchentlich entstammen laut Paul (2002, 612) einem anderen Bildungsmechanismus.
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
durch -lich ersetzt werden, und das anschließende langsame Abnehmen von -lich, das ab dem 19. Jh. selbst aus der adverbialen Funktion verdrängt wird (Schmidt 2000, 363) und heute nur noch in wenigen Bereichen produktiv ist (s.o.). Ähnlich wie -lich entstand auch das mit diesem konkurrierende Suffix -bar aus einem selbstständigen Adjektiv ahd. beran, tragen. Es verweist in der Suffixfunktion also auf die Fähigkeit, den im ersten Wortbestandteil bezeichnenden Begriff zu tragen (Paul 2002, 136) bzw. hervorzubringen (dtv Etymologisches Lexikon 1995, 97), die heutige Bedeutung ist laut Paul die Beifügung des Inhalts kann werden zum Bezugswort (ibid.). 4.6.1.2. -ig Das Suffix -ig findet in der Literatur weitaus weniger Beachtung als -lich. Wie dieses trägt es zu Modifikationsbildungen bei (dumpfig, untertänig; Duden Grammatik 1998, 540), wenn auch nur in Einzelfällen. Die passivischmodale Ableitung von Adjektiven durch -ig ist ebenfalls selten (zulässig, doppeldeutig; ibid., 543). Bei Ableitungen nach dem aktivisch-modalen Typ ist das Suffix dagegen das meistgenutzte (nörgelig, bröckelig; ibid., 543 und 2005, 765). Häufig sind hierbei auch kompositionsartige Zusammensetzungen mit einem adjektivischen Erstglied (geringschätzig).58 Die Ableitung aus Substantiven ist die Form, in der -ig insgesamt am häufigsten vorkommt (laut Duden Grammatik 1998, 546 fallen 83% aller Verwendungen von -ig in diesen Bereich). Adjektivableitungen aus Substantiven sind allgemein verbreitet und vielfältig, dabei aber nicht beliebig bildbar. Mit -ig können beispielsweise keine agensbezogene Bildungen nach dem Muster polizeiliche Anordnung (die Polizei [=Agens] ordnet es an, vgl. Duden Grammatik 1998, 545) abgeleitet werden. Bei adjektivischen Zeitbestimmungen steht -ig in Konkurrenz zu -lig, wobei letzteres vorzugsweise mit Simplizia erscheint (täglich, jährlich), während -ig sich mit Wortgruppen verbindet (vierzehntätig, einjährig; ibid., 544). Inhaltlich gesehen ist es von Bedeutung bei der Bildung von Vergleichen (milchig), Gleichsetzungen (trottelig) sowie Raum-, Zeit- und Mittelbestimmung (außerhäusig, zweijährig, eigenhändig) u.a.59 Eine Sonderfunktion von -ig ist die deadverbiale Ableitung von Adjektiven. Nur durch -ig können Adverbien zu Adjektiven umgebildet werden, um sie attributiv verwendbar zu machen (Inge reist morgen ab. – Inges morgige Abreise ...; Duden Grammatik 1998, 551). Als Suffix der Verbalableitung von 58 59
Die Formen -fähig, -pflichtig und -würdig sind in der Duden Grammatik 1998 (544) als eigene Suffixe aufgeführt; 2005 erscheinen -fähig und -würdig als Suffixoide bzw. Affixoide (758). Zu den semantischen Mustern der Ableitungen mit -ig s. Duden Grammatik (1998, 545f. und 2005, 663f., hier besonders zur semantischen Polyfunktionalität von -ig).
Suffixbildungen
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Substantiven ist in Ansätzen -igen zu finden (ängstigen; Duden Grammatik 1998, 472 und 474). Auch aus Adjektiven könne mit -igen Verben gebildet werden (festigen; ibid., 476). Possessivpronomen, die ohne Substantiv und mit Artikel gebraucht werden, können mit -ig adjektivisch abgeleitet werden (dein Mann - der deinige, ibid. 590). Historisch gesehen taucht -ig genau wie -lich seit der fnhd. Zeit vermehrt auf (Schmidt 2000, 361), u.a. durch Übernahme der Funktion von -icht (Duden Grammatik 2005, 687). 4.6.1.3. Unterscheidung -lich/-ig Die klare Unterscheidung der Suffixe -lich und -ig scheint sich nach einer Phase der Unsicherheit erst im 17. Jh. herausgebildet zu haben. An verschiedenen Drucken des Simplicissimus zeigt Takada 1998, dass noch in Auflagen von 1669, 1671 und 1684 keine klaren Differenzierung der beiden Suffixe vorliegt und diese in Grimmelhausens Roman erst ab 1703 an Boden gewinnt (287). Laut Takadas weiterer Untersuchung von Drucken der Lutherbibel erfolgt die Umstellung von -lig auf -lich im Wort Herrlichkeit zuerst im Nürnberger Druck von 1649. Danach folgen Frankfurt/Wittenberg und Lüneburg in den Ausgaben von 1677 (1998, 166). In anderen von Takada untersuchten Texten kann eine Differenzierung -ig/-lich (etwa bei Beweglichkeit und Unbilligkeit) erst nach 1680 beobachtet werden. Zwar erkennen die Grammatiker selbst schon früh, dass es sich um zwei unterschiedliche Suffixe handelt und fordern ab diesem Zeitpunkt auch immer wieder deren Unterscheidung, keiner übernimmt jedoch den Versuch einer klärenden, etwa funktionalen oder inhaltlichen Definition, so dass die Stellungnahmen schleierhaft bleiben (Takada 1998 zitiert zu dieser Frage Harsdörffer, Schottelius, Bödiker und Stieler, 153f.; Zweideutigkeiten in den Grammatiken von Gueintz 1641 und 1645 gehen möglicherweise auf ein Missverständnis durch Gueintz‘ Korrektor zurück; 1998, 278; vgl. auch ibid. 270). Am deutlichsten äußert sich Harsdörffer, der in einem Satz -lich und -ig als Suffixe anerkennt, -lig aber ablehnt: „nullum enim est suffixum lig“ (1646, 294; nach Takada 1998 153). Schottelius bezieht sich auf beide an verschiedenen Stellen, wobei er bei -lich die Graphie -lig und bei -ig die Schreibung mit -ch ablehnt (1651, 540 und 1663, 364f. bzw. 1676, 110 und 113; nach Takada 1998, 153). Noch Bödiker 1690 (25, nach Takada, ibid.) ist wenig hilfreich in dieser Frage, wenn er vorschlägt, dass man über die Bildung der obliquen Fälle oder Pluralformen zur Unterscheidung der beiden gelangen könne (1690, 25; nach Takada, ibid.). Auch Stieler (1691, 107; nach Takada 1998, 153f.) begegnet dem Problem nicht an der Wurzel, wenn er am Beispiel von Ewigkeit vorführt, wie bei Ableitungen von Adjektiven auf -lich und -ig das Grundwort (hier ewig) im Auge zu behalten sei,
260
Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
um einer Fehlschreibung (Ewichkeit) vorzubeugen. Außer der Tatsache also, dass von den Grammatikern beide, -lich und -ig, als Ableitungssuffixe60 anerkannt werden, verharrt deren Argumentation letztendlich auf der Ebene der orthographischen Unterscheidung von -lich und -ig (vgl. Takada 166f.). Uneinigkeit bei der Aussprache ist hier wahrscheinlich ein zu berücksichtigender Faktor (beide können [ç] ausgesprochen werden, -ig kommt aber auch als [Zk] vor; zur standardsprachlichen Spirantisierung bzw. Unterbleiben derselben bei g im Stammauslaut s. Duden Grammatik 2005, 58). Im Zusammenhang einer Schilderung des hier unbestrittenen Verdienstes der Grammatiker, die Strukturiertheit der deutschen Sprache aufzuzeigen und dadurch deren Eignung als Literatur- und Wissenschaftssprache zu beweisen, stellt Takada (1998, 297) fest: „Schottelius verlangt die strenge Unterscheidung der Ableitungssuffixe -lich und -ig, die danach in der allgemeinen Sprachpraxis zunehmend beachtet wird.“ An anderer Stelle heißt es (217): „Die Unterscheidung der Ableitungsendungen -ig und -lich wird gegen Ende des 17. Jahrhunderts in der Sprachpraxis durchgeführt, nachdem die meisten Grammatiker sie seit Mitte des Jahrhunderts wiederholt gefordert hatten. Die Vorschriften der Grammatiker sind hier der Praxis nicht nach-, sondern vorausgegangen.“ Angesichts der Unklarheit der Äußerungen der Grammatiker sowie auch des frühen Einsetzens der Umstellung scheint es allerdings wenig plausibel, Schottelius oder andere Grammatiker als direkte Initiatoren der zunehmend beobachteten Unterscheidung -lich und -ig sehen zu wollen. Vielmehr scheint deren Verdienst als Förderung des Sprachbewusstseins vorstellbar, die längerfristig gesehen eine Unterscheidung in Stammwort und Suffix möglich machte (vgl. heil-ig, herr-lich) und schließlich indirekt die Variantenselektion beschleunigt hat. Tatsächlich äußerte sich jedoch keiner der von Takada zitierten Grammatiker dazu, dass es durchaus zu Endungen auf -lig kommen kann, wenn das Bezugswort auf -l endet (Hell-ig-keit). Auch die problematische Aussprache wird nicht kommentiert (variable Aussprache von -ig als [Zç] oder [Zk], s.o.). Die pauschale Erklärung der Kombination lig als nichtexistent dürfte somit eher zur Verunsicherung der Leser beigetragen haben. Alles andere als undeutlich formuliert ist die von Schottelius geäußerte Meinung, dass -lich das einzige gültige Suffix zur Adverbialbildung sei (s. Takada 1998, 154f.). Es heißt bei ihm, einerseits könne mit -lich die Funktion von Adjektiven zu Adverbien modifiziert werden, andererseits fungieren Adjektive, die schon auf -lich endeten, auch als Adverbien. Zu Abweichungen dieser Regeln heißt es (1641, 641f.; ebenso 1651, 881f. und 1663, 775; nach Takada 1998, 154): Wiewol die zwo vorigen Regulen durchgehend und allgemein sind/ dennoch leiden sie hierin jhren abfall/ daß die Zuwörtliche endung lich außgelassen/ und d a s
60
Mit Schottelius Hauptendungen, s. Takada (1998, 150).
Suffixbildungen
261
b l o s s e Ne n n w o r t i n a r t d e s Zu w o r t e s gebraucht werde/ als [...] Scharff mit einem umbgehen (für scharfflich) Steiff und fest einbinden/ (steiflich festlich) [...].
Mit anderen Worten erklärt der Grammatiker Adverbien ohne -lich für verkürzte Formen und damit zu Regelabweichungen (er bezieht sich in seiner Definition auf die syntaktische Erklärungsfunktion). Dieser Meinung schließen sich unter den von Takada betrachteten Grammatikern (bedingt) Girbert (1653) und Stieler (1691) an, und nur Bödiker (1690) spricht aus, dass Adverbien ohne -lich mehr als nur Zufallsprodukte sind (nach Takada, 154f.). Takada schließt aus Schottelius‘ o.g. Äußerung, dass der Grammatiker alle anderen Adverbien bannen will (1998, 217). Eine Schwierigkeit der deutschen Sprache ist, dass Adverbien keine einheitliche Form aufweisen (vgl. engl. quick/quickly, frz. seule/seulement). Adverbial gebrauchte Adjektive werden im Deutschen i.d.R. nicht durch ein besonderes Suffix gekennzeichnet (Duden Grammatik 1998, 361f. und vgl. 2005, 575). Einige Gruppen von Adverbien werden allerdings mit Suffixen gebildet, z.B. mit -s (abends), -weise (ausnahmsweise) oder -wärts (talwärts). Angenommen, Schottelius‘ Bemühungen gingen tatsächlich dahin, alle Adverbien in der Form -lich zu vereinheitlichen, so muss man feststellen, dass er hierin nicht besonders deutlich und ggf. deshalb nicht besonders erfolgreich war. 4.6.1.4. Unterscheidung -lich/-ig in den Commerzprotokollen Die Belege von -lich und -ig in den Commerzprotokollen (s. Anhang, Tabellen 4.6.1.5 und 4.6.1.6) sind folgendermaßen auf die einzelnen Schreiber verteilt: -lich: A: 19, B: 16, C1: 10, D: 12, C2: 6 (C: 16); insg. 63 Belege (37 Ausgangswörter) und -ig/-igen: A: 34, B: 28, C1: 31, D: 31, C2: 16 (C: 47); insg. 139 Belege (64 Ausgangswörter). Die Unterscheidung der Suffixe wird von allen Schreibern klar erkannt. Verwechselungen ergeben sich nur in zwei Ausnahmen. In einem Fall verwendet Schreiber B -ig für heutiges -lich (PC 71/17: bedreùwligkeiten, an anderer Stelle schreibt B bedreùlich), in einem weiteren Fall schreibt D für heutiges -ig -lich (PC 424/15: nötich; an anderer Stelle schreibt er benötiget und nötig, so dass die Schreibung mit ch als Ausnahme zu sehen ist). In-
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
teressant ist in diesem Kontext die ebenfalls ausnahmsweise vorkommende Schreibung gekricht (Schreiber C2, PC 623/9), ein Indiz für eine generelle Problematik der Aussprache/Schreibung. 4.6.1.5. -lich in den Commerzprotokollen Suffixbildungen mit -lich sind in den Texten der Commerzdeputation bei allen Schreibern gut vertreten (12 - 19 Belege).61 Auch wenn die Belegzahlen bei Schreiber A höher liegen als bei D ergeben sich keine drastischen individuellen Unterschiede. Lediglich die Verteilung von -lich auf die beiden zeitlich separaten, aber etwa gleichlangen Textproben von Schreiber C ist etwas unregelmäßig. Die Anzahl jeweils gefundener Belege bzw. die Anzahl der zur Bildung von -lich-Ableitungen verwendeten Grundwörter pro Schreiber ist: A: 19/17, B: 16/12, C: 16/13 (C1: 10/9, C2: 6/4), D: 12/11. Das sind insgesamt 63 Belege (insgesamt gibt es 37 verschiedene Wortbildungen mit -lich). Es fallen somit bei keinem Schreiber zahlreiche Wiederholungen vor, stattdessen werden vielfältige Grundwörter mit -lich abgeleitet und die Wiederholungsbildungen sind relativ gleichmäßig auf viele Wörter verteilt (das Wort möglich ist mit insgesamt 8 Belegen das mit Abstand häufigste, tunlich folgt mit 4 und gefährlich/bedrohlich mit jeweils 3 Belegen). Weitere Ableitungen der mit -lich abgeleiteten Adjektive in andere Wortkategorien sind selten, es finden sich bei A: 3, bei B: 1, bei C1: 1 und bei D: 2 Kombinationen mit weiteren Ableitungsaffixen (z.B. hochansehnlich, Bedrohlichkeit). Hierunter fallen auch die drei gefundenen Negationsbildungen mit un- (A: unnützlich†, unvergreiflich†; C1: unerträglich), die alle eine positive Entsprechung haben. Der Satzfunktion nach herrschen Adverbien bei allen Schreibern außer A vor (Anzahl der Belege pro Schreiber: A: 8, B: 9, C1: 5, D: 9, C2: 3; ∑=34), gefolgt von Adjektiven (A: 9, B: 5, C1: 4, D: 2, C2: 2; ∑=22). Die restlichen Belege verteilen sich auf wenige Nomen (5), und Partikeln (3). Eine Betrachtung der Bildungen mit -lich nach dem verwendeten Grundwort ist insofern schwierig, da manche Formen nur schwer feststellbar sind (ist z.B. ernstlich erst von ernst oder schon vom vorangehenden Ernst abgeleitet, also deadjektivisch oder desubstantivisch gebildet? vgl. Anhang, Tabelle 4.6.1.5). Folgendes lässt sich jedoch eindeutig feststellen: Unter den gefundenen Ableitungstypen fehlen abgewandelte Farbbezeichnungen (aus Mangel an inhaltlicher Relevanz). Überhaupt waren die deadjektivischen, also rein semantischen Ableitungen mit etwa 16 Belegen unter allen ge-
61
Die alten Formen -liche und -lichen (s.o.) als Adverbien finden sich in den Protokollen nicht (wenn Adjektive auf diese Weise enden, handelt es sich um Flexionsformen).
Suffixbildungen
263
zählten Belegen (also inklusive der Wortwiederholungen) am wenigsten62 vertreten (z.B. beschwerlich, ernstlich, reiflich). Eine Umlautwandelung des Grundwortes tritt nur wenige Male bei deadjektivischen bzw. einer desubstantivischen Bildungen auf (in den Formen gefährlich, täglich, schädlich, gänzlich - bei C1 auch als gëntzlich). Sie ist allerdings in den Protokolltexten nicht immer eindeutig bestimmbar (z.B. ùnnùtzlich, vgl. 4.2.3.1.). Mit ca. 17 deverbalen Ableitungen ist diese Gruppe die zweitgrößte in den Protokollen und enthält sowohl passivisch-modale (z.B. erträglich) als auch aktivisch-modale Ableitungen (z.B. bedrohlich). Die präfigierten Ableitungen in dieser Gruppe nähern sich in ihrer Anzahl jedoch nicht dem heutigen Durchschnitt von 2/3 aller Ableitung dieses Typs (ansehnlich, beschwerlich, bedrohlich, unerträglich und unvergreiflich sind die einzigen präfigierten Formen und insg. nur neunfach belegt). Die größte Gruppe bilden die desubstantivischen Bildungen (etwa 28, z.B. bürgerlich, dienstlich, eidlich, freundlich, gefährlich). Die erwähnte Konkurrenz der Ableitungsendung -bar mit -lich (4.6.1.1.) lässt sich nur bedingt beobachten, die Untersuchung ist durch den Textumfang eingeschränkt. Die Ableitung von -bar-Bildungen durch -lich-Formen lässt sich ebenso wenig beobachten wie die früher betrachtete Negationsbildung ohne positive Entsprechung (s.o.). Immerhin enthalten die Protokolle einen Beleg pro Schreiber (A: ehrbar, B: ehrbar, C1: vereinbaren, D: benachbart), an denen man die in der heutigen Grammatik beschriebene Konkurrenz der Formen beobachten kann (man vgl. die in den Texten vorkommenden ehrbar und unnützlich mit den möglichen Formen ehrlich und nutzbar). Schon bei oberflächlicher Untersuchung der semantischen Ebene, die hier leider nicht weiter vertieft werden kann, wird deutlich, dass viele der gefundenen Belege im Prozess des Bedeutungswandels begriffen sind (s. Tabelle 4.6.1.5 im Anhang). Außer den heute veralteten Wörtern (fodderlig, unvergreiflich, weisslich) finden sich solche, die ihre Bedeutung heute geändert haben (neulich), die auf feste Verbindungen festgelegt sind (etw. tunlichst vermeiden), die auf spezifische Bedeutungen eingeschränkt wurden (redlich) oder die auf spezielle Funktionen im Satz eingeengt wurden (gänzlich).
62
Nicht gerechnet wird hierbei die Sonderbildung etlich von ahd. edde(s)līh, mhd. et(e)lich/ etzlich/eteslich. Sie geht laut Paul (2002, 305) auf einen Wortbestandteil zurück, der Pronomen und Adverbien mit demonstrativer Funktion bildete (etwa, etwas; das Morphem kommt heute nur noch in gebundener Form vor). Etlich ist (in der Graphie etzlich, vgl. Anhang, Tabelle 4.6.1.5) in den Protokollen zweimal belegt.
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
4.6.1.6. -ig in den Commerzprotokollen Ableitungen mit dem Suffix -ig sind in den Protokolltexten mit 139 Formen mehr als doppelt so häufig belegt wie diejenigen mit -lich (s. Anhang, Tabelle 4.6.1.6). Wie bei -lich gibt es nur leichte individuelle Schwankungen bei der Verteilung auf die einzelnen Hände (v.a. wiederholt sich die leichte Unregelmäßigkeit bei der Verteilung der Belege auf die zeitlich separaten Abschnitte von Schreiber C), wobei diesmal die Texte von Schreiber B insgesamt die wenigsten und die von C die meisten Belege aufweisen. Die jeweilige Anzahl der gefundenen Belege bzw. die Anzahl der zu deren Bildung herangezogenen Grundwörter ist: A: 34/25, B: 28/13, C: 47/28 (C1: 31/20, C2: 16/13), D: 30/20. Die belegten Formen werden mit Bildungen erreicht, die von insgesamt 64 verschiedenen Grundwörtern ausgehen, das sind verhältnismäßig etwa 10% mehr Wiederholungen als bei -lich. Im Fall -ig tritt gleichzeitig eine größere Häufung auf (die größte Gruppe von Ableitungen eines einzigen Grundwortes ist mit 20 Belegen die der mit ein gebildeten Wörter, v.a. einig und einige, außerdem einigen und einiges). Ebenfalls häufig abgeleitet sind die Substantive Not (13 Belege von nötig, nötigen bis hin zu Notwengikeit) und Kunft (künftig: 7 Belege).63 Die Wortbildungen mit -ig verteilen sich ihrer Funktion nach auf insgesamt 58 Adjektive (pro Schreiber A: 8, B: 13, C1: 16, D: 14, C2 7; C: 23), 49 Adverbien (pro Schreiber A: 17, B: 10, C1: 8, D: 8, C2: 6; C: 14), 12 Verben64 (pro Schreiber A: 4, B: 1, C1: 3, D: 4, C2: 0; C: 3), 12 Substantive (pro Schreiber A: 4, B: 1, C1: 3, D: 2, C2: 2; C: 5), und 8 Pronomen (pro Schreiber A: 1, B: 3, C1: 1, D: 2, C2: 1; C: 2). Insgesamt sind 28 Wörter von Bildungen mit -ig/-igen weiter abgeleitet (etwa hochvernünftig, Willigung, entübrigt, unbillig; pro Schreiber A: 8, B: 4, C1: 5, D: 5, C2: 5; C: 10). Die Verteilung auf verschiedene Wortfunktionen erfolgt damit bei allen Schreibern recht gleichmäßig (einzige Abweichung ist das Vorherrschen von Adverbien vor Adjektiven von Schreiber A, der damit vom allgemeinen Trend abweicht). Auch komplexe Bildungen, die -ig im Gegensatz zu -lig laut Duden Grammatik 1998 häufig eingeht, konnten in den Protokollen beobachtet werden (pro Schreiber A: 5, B: 2, C1: 6, D: 3, C2: 1; C: 7) und zwar in den Formen einhellig, nochmalig, einhändigen, einstimmig, rechtmäßig, weitläufig, dasjenige, zweiundfünfzig, sorgfältig, rückständig. Es werden ebenso die nur durch -ig möglichen deadverbialen Adjektive verwendet, (hiesig, abermalig, jetzig), genau wie adjektivisch abgeleitete Possessivpronomen (das ihrige, selbige, dasjenige, diejenige). Die für heutige Verhältnisse mit 83% 63 64
Danach nehmen die Wiederholungen ab (fleißig etc. 5, hiesig etc. 4, behufig etc. 4) und die restlichen Belege kommen wie bei -lich nur ein bis zwei Mal vor. Auffällig ist, dass 7 von den 12 Verben im Passiv vorliegen.
Suffixbildungen
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der gesamten -ig-Bildungen angegebenen desubstantivischen Ableitungen kommen durchaus vor, erreichen aber in keinem Fall viel mehr als 50% der Bildungen (obwohl auch -igen-Bildungen in diesen Wert mit einfließen, s.u.). Es fragt sich, ob hier eine Veränderung in der Verwendung der einzelnen Bildungsmechanismen vorliegt, oder ob auch hier die Textsorte der Protokolle eine Rolle spielt. In engem Zusammenhang mit -ig ist das Suffix -igen zu sehen, das desubstantivisch und deadjektivisch Verben ableitet. In den Protokollen sind insgesamt nur 11 Verbableitungen vorhanden (willigen 2, einhändigen 2, verfertigen, nötigen 2, abfertigen, entübrigen, beherzigen, befestigen). Auffällig ist, dass ein Großteil derselben im Partizip Perfekt vorliegen und passivische Konstruktionen bilden (gewilligt werden, genötigt werden, abgefertigt werden, entübrigt sein, beherzigt werden, befestigt sein). Ein Zusammenhang mit dem Texttyp wäre hier denkbar. 4.6.2. Die Suffixe -nus bzw. -nüs und -nis 4.6.2.1. -nus/-nüs oder -nis Mit dem Suffix -nis gebildete Substantivableitungen haben als Grundwörter Adjektive und in Einzelfällen Verben. Sie sind immer abstrakt. Im heutigen Deutsch spielt zwar die Ableitung von Eigenschaftsabstrakta aus Adjektiven eine große Rolle (er ist dumm – seine Dummheit), innerhalb dieser Gruppe deadjektivischer Ableitungen nimmt -nis aber eine relativ beschränkte Rolle ein, da es (wie -lich in passivisch-modalen deverbalen Ableitungen) heute nicht mehr produktiv ist. Es bildet nur einzelne Adjektivabstrakta, die zudem oft in Konkurrenz zu Bildungen mit -(ig)keit stehen (BitternisBitterkeit; Duden Grammatik 1998, 519f.). Bei der deverbalen Substantivableitung ist -nis auf das semantische Gebiet der Zustandsbeschreibung beschränkt (Bedrängnis, Betrübnis). In der Bildung von Abstrakta steht es mit dem entlehnten Suffix -(at)ion in Konkurrenz (ibid., 528f. u. 2005, 734ff.). In einzelnen Fällen kommen Sachbezeichnungen vor, die aus Verben abgeleitet werden (Hindernis; 1998, 434). Die Vielfalt der Graphien für heutiges -nis ist in fnhd. Zeit sehr hoch, da sowohl der Vokal variiert (i, u, ü) als auch der Konsonant (s, ss, ß). Bei den Grammatikern finden sich sowohl Nennungen von -nüs als Hauptendung (z.B. Gueintz 1641, s. Takada 1998, 271) als auch von -niß (Schottelius 1651 und 1663, Girbert 1653; s. ibid. 272). Eine etwaige Debatte über die Unterscheidung von beiden und etwaige Bevorzugung einer Variante erwähnt Takada nicht (es scheint sich hier wie bei -lich, -ig eher um eine mit der Aussprache eng verbundene Frage der Orthographie zu handeln).
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Von Luther selbst wurde die Endung -nis gebraucht und auch in nachfolgenden Drucken seiner Bibelübersetzung beibehalten.65 Selten konnte von Takada in neuen Ausgaben die Ersetzung durch -nus/-nüs festgestellt werden. In den anderen von Takada untersuchten Texten wurden verschiedenartige Änderungen festgestellt, sowohl in der Richtung -nis => -nüs, als auch umgekehrt; s. Takada 1998, 167f.). Auch mehrfache Änderungen, etwa von -nus zu -nis zu -nus zu -niß stellt Takada fest. Letztendlich scheint jedoch -nis trotz eines vorübergehenden Anstiegs der -nus/-nüs-Schreibung (vgl. Besch 1979, 137) die Leitgraphie gewesen zu sein. Die lange kontrovers diskutierte Variantenselektion dauerte trotzdem im Fall -nis bis zum Ende des 18. Jhs. (ibid., 141). 4.6.2.2. -nis in den Commerzprotokollen Wie oben beschrieben, bildet -nis v.a. deadjektivische Abstrakta, ist aber in dieser Weise heute nicht mehr produktiv. Bei keinem der untersuchten Schreiber sind Bildungen auf -nis zu finden. In einer vergleichbaren Untersuchung von Texten des Bonner Fnhd.-Korpus zählt Besch (1979, 146) in den zehn aus dem Zeitraum 1650-1700 stammenden Texten verschiedener Regionen durchschnittlich 17,6 Belege mit -nis (oder deren damaligen Entsprechungen).66 Die Anzahl der Belege schwankt dabei zwischen 7 und 44 pro Text (die Texte haben laut Besch eine Länge von etwa 12.000 Wörtern). Nur bei drei der insgesamt 40 von Besch untersuchten Texte tauchen überhaupt keine Formen des heutigen -nis auf (diese drei Texte stammen alle aus der Zeit vor 1500). Der Umfang der in der vorliegenden Arbeit untersuchten Protokolltexte liegt bei insg. etwa 13.700 Wörtern, also etwas mehr als die von Besch untersuchten Texte. Das völlige Fehlen von Belegen ist also ungewöhnlich. Ein Blick auf die von der Duden Grammatik 1998 als Konkurrenten zu -nis angeführten Suffixe -keit und -ion zeigt, dass in den Commerzprotokollen durchaus Abstrakta vorkommen. Während -keit mit insg. 7 Belegen nur spärlich belegt ist (mit den Wörtern Gefährlichkeit, Notwendigkeit, Wichtigkeit, Bedrohlichkeit, Unrichtigkeit, Möglichkeit, verteilt auf die Schreiber A: 3, B: 1, C1: 1, D: 1, C2: 1), bei denen keiner der Belege in direkter Kon65 66
Der Einfluss der Luthersprache auf die Normierung der -nis-Graphie ist umstritten. Näheres s. Besch (1979) und Hatz (1985). Wegen der Nichtrealisierung in den hier untersuchten Texten unterbleibt eine tiefergehende Diskussion. Die Texte bezeichnet Besch als ripuarisch, thüringisch, obersächsisch, hessisch, ostfränkisch, elsässisch, schwäbisch, ostschwäbisch, mittelbairisch, osthochalemannisch. Die Texte sind benannt und beschrieben in: H. Graser und K.-P. Wegera, Zeitschrift für deutsche Philologie 97 (1978, 81f.). Sie stehen auch im Internet zur Verfügung: http://www.ikp.uni-bonn.de/dt/ forsch/frnhd/quellen.html.
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kurrenz zu Bildungen mit -nis steht, kommen Bildungen mit -ion weitaus häufiger vor. In den hier untersuchten Texten gibt es 72 Belege für Substantive auf -ion (sie werden erreicht mit 34 Grundformen). Die Herkunft der Lehnbildungen werden (sofern dort ersichtlich) laut Duden Fremdwörterbuch vorwiegend als lateinisch angegeben, dazu zweimal mittellateinisch, nur elf Mal findet sich der Vermerk französisch, je zweimal neulateinisch und gleichzeitige Angabe von lateinisch/italienisch/französisch. Man kann also davon ausgehen, dass ein Großteil der Bildungen, vermutlich über die Kanzleisprache, schon wesentlich früher in die deutsche Fachsprache übernommen wurde als die für das 17. Jh. im Mittelpunkt fremdwortpuristischer Betrachtungen stehende Welle französischer Lehenwortbildungen (vgl. Jones 1995 und Polenz 1994, Kapitel 5.4). Die inhaltlichen Bereiche aus denen die Entlehnungen stammen können zusammengefasst werden als Bankwesen, Diplomatie, Handel, allgemein kanzleisprachlich (Näheres s. 3.3.). Schlussfolgerung Die Suffixe -lich und -ig kommen in den Protokolltexten häufig und in vielfältiger Form vor (dabei ist -ig doppelt so häufig belegt wie -lich, geht aber nicht von doppelt so viel Grundwörtern aus). Die Verwendung der Suffixe weicht insgesamt nicht nennenswert von der in der Duden Grammatik für die heutige Sprache beschriebenen ab (es findet sich in den Texten allerdings keine Negationsbildung ohne positive Entsprechung und keine Negation von -bar-Bildungen durch -lich-Formen, wohl aufgrund des relativ geringen Textumfanges). Die Konkurrenz des Suffixes -bar mit -lich konnte beobachtet werden. Individuelle Unterschiede zwischen den einzelnen Händen sind minimal und beschränken sich auf eine geringere oder größere Anzahl von Verwendungen der Suffixe bzw. auf Vorlieben für einzelne Wortfunktionen. Die für heute beschriebenen Ableitungsmechanismen von -ig lassen sich also in den Protokolltexten vollständig beobachten, ihre Häufigkeit weicht jedoch von dem für die heutige Schriftsprache beschriebenen Standard ab (eine Erklärung hierfür bleibt noch aus). Die Trennung der Suffixe -lich und -ig ist in den Protokolltexten klar erreicht (in nur zwei Ausnahmen weichen die Schreiber bezüglich der Suffixe noch von der heutigen Norm ab). Das ist früher als in den von Takada untersuchten Texten, nach dem die Unterscheidung der Suffixe ab der Entstehung der Protokolle erst langsam in Gang kommt. Im Lichte dieses Ergebnisses und mit Hinblick auf die Unklarheit von deren Äußerungen scheint eine direkte Einflussnahme der Grammatiker auf die Unterscheidung -lich/-ig unwahrscheinlich.
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
Das Suffix -nis kommt in den Texten gar nicht vor, was angesichts des Vergleichs mit ähnlichen untersuchten Texten erstaunlich ist. Es wird vermutet, dass hier eine textsorten- und inhaltsbedingte Bevorzugung vorwiegend lateinischer, auch französischer und zum geringen Teil auch italienischer Lehnwortbildungen auf -ion vorliegt.
4.7. Negation und Negationshäufung Auf verbaler Ebene stehen im Deutschen spezifische sprachliche Mittel für die Verneinung zur Verfügung.67 Diese werden in der Duden Grammatik (2005, 920f.) folgendermaßen beschrieben. Negiert werden kann zum einen auf der Wortebene (lexikalische Negation), durch die Gegenüberstellung von Begriffen wie essen – fasten, groß – klein, die sich gegenseitig ausschließen (ibid.; man spricht hier auch von komplementären Lexemen). Auf Wortbildungsebene (morphologische Ebene) werden häufig Präfixe zur Bildung von Gegenbegriffen zu Nomen, Adjektiven und Verben genutzt (das Beispiel un- wurde hier unter anderen Gesichtspunkten bereits näher betrachtet, s. 4.5.2.; Näheres s. Duden Grammatik 2005, 920f. und 1998, 508, 534ff., 716 und 825). Zum anderen findet die Negation von positiven Aussagen auf der Satzebene durch sog. Negationswörter statt, die im Zentrum der Negationssyntax stehen. Beide hier benutzten Duden Grammatiken konzentrieren sich in ihrer Darstellung der Negation auf die Satzebene. Dementsprechend werden auch in der vorliegenden Arbeit andere Phänomene nur gestreift. Die Duden Grammatik 1998 unterscheidet vier Arten von Negationswörtern (716; vgl. die ähnliche Aufteilung in 2005, 921f.): 1. Satzäquivalente (nein, keineswegs, auf keinen Fall), 2. nicht und ähnliche Negationswörter (auch nicht, ebenso wenig, mitnichten, nicht mehr), 3. Negationswörter in Funktion negativer Indefinitpronomen bzw. -adverbien (niemand, keiner, nichts, nie, nimmer, nirgends, kein), 4. a. Konjunktionen mit negierender Bedeutung (ohne dass, außer dass, weder noch), b. Präpositionen mit negierender Bedeutung (ohne, außer, statt, anstelle, entgegen). 67
Weder nonverbale (Kopfschütteln) noch unspezifische Verneinung (etwa die Beantwortung der Frage Kommst Du mit? mit dem Satz Ich hab‘ schon etwas vor) werden damit betrachtet. Sie sind Gegenstand der Pragmatik und werden als Negierung von der Negation abgegrenzt (vgl. Duden Grammatik 1998, 715 und 2005, 920).
Negation und Negationshäufung
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Das Negationswort nein entspricht einem ganzen negierten Satz68 (Kommt sie? – Nein = Sie kommt nicht), weswegen im den Duden Grammatiken, die die Negationswörter im Satzgefüge darstellen, die Betrachtung entfällt. Auch negierende Konjunktionen und Präpositionen finden dort kaum Betrachtung. Die erwähnten Negationswörter können laut Duden Grammatik (1998, 716ff.) nach ihrer Funktion innerhalb des Satzes grammatikalisch klassifiziert werden: 1. Negationspronomen (niemand, nichts, kein) Diese können im Satz ein Satzglied oder einen Teil davon einnehmen. Sie können zum Einen die Funktion von Subjekt oder Objekt haben (Niemand kommt; Ich höre nichts). Zum Anderen können sie attributiv fungieren (Ich habe kein Glück; Niemand anderes ist gekommen; Ich habe nichts Rechtes gegessen). 2. Negationspartikeln (nie, nicht, nirgends; kein) Wie Negationspronomen können diese als Satzglied bzw. Satzgliedteil fungieren. Im ersten Fall sind sie Adverbgruppen: Ich habe sie nirgends gesehen. Sie können aber auch zu anderen Satzgliedern treten, z.B. Adjektiv-, Adverboder Präpositionalgruppen: Ich habe dich nie geliebt. Sie stehen dann vor diesen. Das Negationswort nicht nimmt hier aufgrund einer eingeschränkt möglichen Wortstellung (Näheres 1998, 720f.) und seiner Verbindung mit ein, in der es in bestimmten Fällen kein ersetzen kann (ibid., 722f.) eine Sonderstellung ein. Eine Verstärkung dieser Negationswörter kann durch Wörter wie gar, überhaupt, absolut erfolgen (Das ist gar kein Problem) und sie können durch mehr und noch auch zeitlich näher bestimmt werden (Ich habe kein Geld mehr; 2005, 922). Die Reichweite von Negationswörtern innerhalb des Satzes ist im Deutschen unterschiedlich. Sie hängt vom Negationswort selbst, von dessen Kontext, von der Wortstellung und Akzent bzw. Intonation ab und kann sich auf ein Präfix (Sie hat ihn nicht be- sondern verraten), auf ein einzelnes Wort (Grün, nicht blau), auf eine bestimmtes Satzglied oder die Aussage eines ganzen Satzes beziehen (1998, 718ff. und vgl. die neuere Darstellung in 2005, 922ff.). Traditionell unterscheidet man in Satznegation und Sondernegation. In der Sondernegation (auch Teilnegation, s. Fnhd. Grammatik, 68
Andere Negationswörter kommen zwar auch selbstständig vor, werden dann aber laut Duden Grammatik 1998 elliptisch aufgefasst: Hilft er ihr? – Keinesfalls [hilft er ihr]; Hilft sie ihm? [Sie hilft ihm] überhaupt nicht!
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425f.) wirkt die Verneinung nicht über das akzentuierte, hinter dem Negationswort stehende Element hinaus. Sie steht innerhalb einer prinzipiell positiven Aussage, die mit einer konkreten Ausnahme berichtigt wird. Diese Ausnahme muss aus dem Kontext erkenntlich sein (falls sie nicht durch einen korrigierenden Satz, etwa eingeleitet mit sondern ... angegeben wird). Eine Satznegation liegt dann vor, wenn das Negationswort potenziell auf den ganzen Satz bzw. auf alle Beziehungen wirkt, die innerhalb des Satzes zwischen verbalen Teilen und Satzgliedern existieren. D.h. nicht, dass unbedingt der ganze Satz negiert ist, aber die Verneinung ist weiter wirksam als bei der Sondernegation.69 Über diese beiden Negationsarten hinaus gibt es noch einen Bereich von Problemfällen, in denen eine klare Bestimmung schwer fällt (Beispiele s. Duden Grammatik 1998, 719f. und 2005, 923f.). Die Stellung des Negationswortes im Satz ist i.d.R. ausschlaggebend für seine Reichweite (Näheres a.a.O.). Ein Problemfall ist das Negationswort kein, dass funktional attributiv auftritt (hier kann es nicht ein ersetzen: Ich habe kein Buch gekauft), also sondernegierend ist. Faktisch kann es aber satznegierend sein (dann ist es oft mit nicht austauschbar: Ich hatte keine Angst; 1998, 722f.). In Ausrufen und Fragesätzen kann nicht ein Modalpartikel sein, der die emotionale Beteiligung des Sprechers ausdrückt oder andeutet, dass eine positive Antwort erwartet wird (Was haben wir nicht alles durchgemacht! Waren sie nicht dabei?, ibid. 724). Die Häufung von negierenden Wörtern (Doppel- oder Mehrfachnegation, auch Polynegation genannt) ist im Deutschen nicht ohne Schwierigkeiten, da sich hier ein grundlegender Wandel ereignet hat. Vor dem 19. Jh. bedeutete die Mehrfachsetzung von Negationswörtern eine Verstärkung der Verneinung (Duden Grammatik 1998, 723f.; zitiert wird u.a. Goethe: Unsere Weiber haben nie kein Geld und brauchen immer viel). Dies ist heute nur noch in Dialekten und landschaftlichen Umgangssprachen erhalten (Das hab‘ ich nie nicht gesagt). Auch die bis in die Klassik übliche Verneinung nach Verben des Verhinderns, Unterlassens, Abratens, Verbietens, Leugnens und Bezweifelns (Lessing: Hüte dich, dass du mit Jacob nicht anders redest! = Hüte dich davor, anders mit Jacob zu reden!) ist heute standardsprachlich nicht mehr korrekt (vgl. Fnhd. Grammatik, 428f.). In der gegenwärtigen Standardsprache sind laut Duden 1998 nur wenige Möglichkeiten der Negationshäufung akzeptabel, z.B. die additive Negation (Das geht nirgends, an keiner Stelle, weder hier noch dort). Auch die Kombination von einem Negationswort mit einem inhaltlich negierenden
69
Hinweise zur Debatte über die Zweckmäßigkeit dieser Unterscheidung, die seit den 1960er Jahren bis heute immer wieder in Frage gestellt wird, s. Duden Grammatik (1998, 719, Fußnote 1 und vgl. 2005, 923f.).
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Wort ist als Stilmittel70 zulässig (Nicht schlecht! = Gut!). Ein Übergangsfall sind Sätze, die durch die Konjunktionen bevor, bis, ehe eingeleitet werden. Diese enthalten in sich schon eine gewisse negative Aussage. Es ist in durch sie eingeleiteten Nebensätzen laut der Duden Grammatik fakultativ möglich, nicht zu setzen (Die Mutter geht nicht schlafen, bevor die Kinder [nicht] zu Hause sind). Wustmann lehnt allerdings schon um 1900 eine derartige Wiederholung der Verneinung ab (s.u.). Ansonsten heben sich nach heutiger Grammatikauffassung zwei Negationen im selben Satz auf, so dass es zu einer positiven Aussage kommt (Kein einziger ist nicht gekommen = Alle sind gekommen). Das gilt auch für verneinte Relativsätze, denen ein verneintes Substantiv folgt, so dass eine positive Aussage erzielt wird (Es war niemand da, der das nicht gewusst hätte = Alle wussten es; Duden Grammatik 1998, 723f.). Den Beginn des erwähnten Verdrängungsprozesses der im Ahd. und Mhd. noch häufig zu findenden Negationshäufung aus der Standardsprache beschreibt Nils Langer (2001, 123-134 und 150-176). Er zeichnet zunächst die Entwicklung der Negation für die alt- und mhd. Periode nach, in der eine ältere Form der Verneinung nach einer Phase der gegenseitigen Ergänzung durch die neuere Form nicht (ahd. neowiht, aus ni eo wiht: nie eines Wesens, s. Paul 2002, 702) langsam durch diese ersetzt wird (Langer, 126ff.). Beide Formen teilten die Fähigkeit, die Negation entweder alleine oder in Kombination mit anderen negierenden Elementen zu bilden. Wie Langer feststellt, war die Negationshäufung in diesen Perioden durchaus üblich, wobei einer quantitativen Analyse mhd. und älterer Texte oft entgegensteht, dass manche Formen sowohl bejahend als verneinend verwendet werden konnten (ibid. 127; s. auch Fnhd. Grammatik, 429). Erst der in frnhd. Zeit vonstatten gehende vollständige Bedeutungswandel von kein = ‚jemand oder niemand‘ zu kein = ‚ausschließlich niemand‘ begünstigte die Abnahme der Mehrfachnegation. Nicht wird allmählich zum Hauptmedium der Satznegation (s.o.). Eine quantitative Untersuchung der Negation im Fnhd. durch N. Bulach zitiert Wladimir Admoni (Bulach 1962, 271f., nach Admoni 1990, 187). Für das 16. Jh. fand Bulach, dass nur 2,1% der untersuchten Negationen gehäufte Negationen waren. Im 17. Jh. sinkt diese Zahl auf 1,6% noch weiter ab, was Admoni als „Verstärkung der Tendenz zur mononegativen Gestaltung des Satzes“ umschreibt (ibid.).71 Diese stammen laut Admoni aus Schriften mit besonderen stilistischen Parametern, entweder weil in ihnen die gesprochene Sprache wirkt oder weil sie rhythmischen Forderungen poetischer Texte nachkommen. 70 71
Vgl. hierzu die Stichwörter Litotes, Understatement, Meiosis in Wilpert (1989). Die Untersuchung liegt in russischer Sprache vor, weswegen nicht nachvollzogen werden kann, weswegen Bulach bei insg. 607 Negationen mit 11 Polynegationen in der späteren untersuchten Phase ein Ergebnis von 1,6 und nicht 1,8% erreicht.
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Als einzige quantitative Untersuchung in deutscher Sprache befasst sich Franzjosef Pensel (1976) mit der Negation im Fnhd. Seine Untersuchung vergleicht die syntaktische Negation innerhalb eines Korpus verschiedener Gattungen und Regionen aus zwei Zeiträumen der fnhd. Sprachvergangenheit mit dem heutigen Status Quo. Ausgewertet werden alle Satznegationen in Einfachsätzen, sofern durch diese „in einem Satz eine gesetzte positive Aussage verneint wird“ (ibid., 287). Laut Joachim Schildt und Gerhard Kettmann (Herausgeber des Bandes Der Einfachsatz, in dem auch Pensels Arbeit vorliegt, ibid. 36) gelten als Einfachsätze alle einfachen, alleinstehenden, selbstständigen Sätze, einschließlich solcher, die Satzglieder 2. Grades und nebensatzähnliche Wortgruppen enthalten. Auch zusammengezogene Sätze werden in Der Einfachsatz bewertet. Elliptische Sätze und Fragesätze werden bedingt mitbewertet, eingeschobene Gliedsätze bleiben dort unberücksichtigt.72 In der ersten von ihm untersuchten Periode (1470-1530) findet Pensel 1370 negierte Einfachsätze, in der zweiten Periode (1670-1730) 875.73 Anders als erwartet, herrscht bereits im ersten Zeitraum in allen Landschaften und Gattungen die einfache Negation mit nicht vor (im Gesamtdurchschnitt stellt alleinnegierendes nicht 88,6% der gefundenen Negationen). Wie Pensel feststellt, setzt diese Negationsmöglichkeit sich kontinuierlich durch, so dass im zweiten Zeitraum alleinnegierendes nicht insgesamt einen Durchschnitt von 99,4% erreicht. Es hat sich damit bereits um 1700 eine weitgehend homogene, dem heutigen Standard entsprechende Negationssituation herausgebildet. Die Möglichkeit der zusätzlichen Betonung von alleinnegierendem nicht wird nach Pensel im ersten Zeitraum nur ausnahmsweise genutzt (insg. 4 Belege von gar bzw. ganz, das sind 0,3%), im zweiten Zeitraum hat diese an Grund gewonnen (insg. zählt Pensel 37 Belege von verstärkenden Partikeln wie gar, ganz, ganz und gar, durchaus auf, das entspricht 4,3%; 316f.). Die von Pensel beobachtete Häufung von Negationspartikeln ist schon in der frühen Phase gering und macht dann gesamtdurchschnittlich nur 1,8% aus. Sie sinkt in der späteren Phase auf 0,8%74 weiter ab (die Ergebnisse gleichen denen Bulachs, s.o.). Auffällig ist, dass die überwiegende Kombinationsmöglichkeit in beiden Phasen die Kombination nicht+kein ist 72 73
74
Zur komplexen Frage der Satzdefinition an sich s. Lewandowski (1994, 887ff.). Pensel bietet als mögliche Erklärung für den Rückgang der negierten Einfachsätze an, dieser könne entweder an der Art der Quellen liegen (es wurden für die beiden Zeiträume verschiedene Textsorten untersucht) oder es könne ein allgemeinen Rückgang der Einfachsätze gegeben haben (ibid., 294). Pensel spricht von 0,6%, wobei er nur die Ergänzung von nicht mit kein bewertet. Zählt man auch die von ihm zitierte im westoberdeutschen gefundene Negation der Form nicht allein niemand ... sondern ..., ergeben sich die hier genannten 0,8% (314f.). Es muss bei Pensels Werten allgemein beachtet werden, dass diese offensichtlich bis auf eine Stelle hinter dem Komma angegeben und nicht gerundet werden.
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(Phase I: 31 Sätze, Phase II: 6 Sätze). Pensel vermutet, bei dieser Kombination könne es sich im Prinzip um eine Negation mit kein gehandelt haben, die aufgrund des anfangs noch ambivalenten Charakters von kein früher häufig noch eine Ergänzung durch nicht erfuhr (320f.). Im Kontrast zur von ihm aufgezeigten Quellenlage stellt Pensel eine Überrepräsentation der gehäuften Negation in der Grammatikschreibung fest (320), die der Tatsache nicht Rechnung trägt, dass diese um 1700 bereits so gut wie aus der Schriftsprache verschwunden ist. In der zeitgenössischen Literatur wird die Negation und ihr Gebrauch i.d.R. nicht behandelt. Falls doch, dann wird sie laut Pensel nur ganz allgemein gestreift. Pensel zitiert Johann Bödiker (Grund=Sätze), der lapidar feststellt, dass nicht besonders in Gedichten „am Ende stehen“ könne. Auch Justus G. Schottelius beschränkt sich laut Pensel auf eine kurze Aufzählung dessen, was er „adverbia negandi“ nennt (Schottelius‘ Ausführliche Arbeit, 659; nach Pensel 324, Fußnote 36): Adverbia negandi, verneinende ZuwØrter/ als: Nein/ nicht/ gar nicht/ mitnichten/ keineswegs/ mitnichten nicht/ nirgends/ weder dis noch das/ etc.
Erst mit Gottsched (Sprachkunst, 500; nach Pensel 324f.) finden sich negative Werturteile über Negationshäufung, was laut Pensel wiederum eine erst posthume Bewertung ist (s.o.). Wie Langer in seiner Untersuchung im Einzelnen nachweisen kann, hebt die Grammatikschreibung (z.B. A. Ölinger 1574, 192; in Langer 2001, 161) zunächst nur den Unterschied zwischen verstärkender Mehrfachnegation im Deutschen und sich aufhebender Mehrfachnegation im Lateinischen hervor. Erst mit Kaspar Stieler tauchen laut Langer Vorbehalte gegen einige Fälle doppelter Verneinung auf, nämlich in der Bemerkung, dass in manchen Wörtern bereits eine lexikalisierte Verneinung enthalten sei, die eine weitere Verneinung überflüssig mache.75 Stieler äußert hier eine klare Präferenz für die einfache Verneinung (1681, 398f.; nach Langer 2001, 165): [...] wo in einem Worte/ als da sind keiner/ noch/ weder/ nirgend/ niemals/ auser/ ausgesetzt/ ausgenommen/ mit nichten etc. die Verneinung albereit steckt/ man nicht das Zuwort nicht vergeblicher weise darzufüge/ als: Weder Bitte noch Recht / gilt bey einen bestochenen Richter. Ist besser als wenn ich sage: Weder Bitte noch Recht/ gilt nicht etc.
Dieses Argument wird 1754 von Carl F. Aichinger aufgenommen, der über Stielers Äußerungen hinaus noch anmerkt, dass seines Erachtens „die einfachen Verneinungen allemahl schöner“ seien (457, nach Langer 2001; 168f.). Erst ab dieser Zeit häufen sich die ablehnenden Bewertungen der 75
Jahrzehnte vorher äußert sich Stieler noch weitaus offener, beschreibt die grundsätzliche Möglichkeit der Mehrfachnegation und stellt Einzelfälle zur Diskussion: Doppele Verneinungen sind nach den GehÖrurteil abzuwÒgen (11673, Band 1, Teil 3, Randglosse, 301; vgl. 3.1.3.2.).
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
Mehrfachnegation (Langer 2001, 168ff.). Der laut Davies/Langer (2006, Kapitel 6.7.) einflussreiche Sprachkritiker des ausgehenden 19. Jhs., Gustav Wustmann, zeichnet in seiner ab 1891 vielfach aufgelegten „Kleinen deutschen Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen“ Allerhand Sprachdummheiten (hier verwendet 41908) ein Bild der Negation, das dem heutigen bereits nahe kommt (s.o.) und sowohl die ursprüngliche Möglichkeit der verstärkenden Mehrfachnegation als auch deren Verdrängung in den Dialektbereich enthält. Insgesamt bedauert der Autor den dominierenden Einfluss der lateinischen Grammatik, dem er den Sprachwandel zuschreibt (1908, 271; ebenso Pensel 320; Langer betrachtet eher den Einfluss rationalistischen Denkens als Grund für die Verdrängung der Negationshäufung, 2001, 171f.). Allerdings findet Wustmann durchaus Gelegenheit, an modernen Verwendungen der Mehrfachnegation Anstoß zu nehmen. Herablassend äußert er sich etwa über die exzessive Verwendung der Litotes als rhetorische Figur (nicht unmöglich = möglich) und die Formulierung von nicht unschwer für leicht lehnt er als dumm ab. Fälle, in denen unbeabsichtigt eine zusätzliche Verneinung beigefügt wird, so dass logisch gesehen das Gegenteil des Gemeinten formuliert wird (eine nicht ungewöhnliche Begabung) sind für ihn „eine gerechte Strafe für törichte Sprachziererei“ (1908, 273). 4.7.1. Negation in den Commerzprotokollen In den Protokolltexten wurde zunächst alle vorhandenen Negationswörter gesucht und 113 Satzteile76 (verteilt auf Schreiber A: 24, B: 21, C1: 12; D: 46; C2: 10; C: 22) mit insgesamt 105 Belegen des Negationswortes nicht (verteilt auf Schreiber A: 28; B: 14; C1: 10; D: 43; C2: 10; C: 20), 22 Belegen von kein (verteilt auf Schreiber A: 7; B: 6; C1: 3; D: 5; C2: 1; C: 4) und 11 Belegen von nichts (verteilt auf Schreiber A: 2; B: 3; C1: 1; D: 4; C2: 1; C: 2; 4 davon in der Form nichtes, belegt 3-mal bei Schreiber D, 1-mal bei Schreiber C2) gezählt. Über diese bemerkenswert eingeschränkte Auswahl an Negationswörtern hinaus finden sich in den Protokollen nur wenige negierende Konjunktionen und Präpositionen (s.u.). Aus dem Bestand an negativen Sätzen in den Commerzprotokollen lässt sich eine gewisse Anzahl zur näheren Analyse aussondern, wenn man dem Vorbild von Pensels Untersuchung der Satznegation folgt. Pensel beschränkt seine Analyse auf den Bereich des Einzelsatzes (s.o.). Er legt für seine oben vorgestellte Textanalyse außerdem eine Definition 76
Gezählt wurden an dieser Stelle inhaltlich zusammenhängende Textstellen mit Negationswörtern, so dass mit dieser Zählung eine Vielfalt von Strukturen zwischen Elementarsätzen und Ganzsätzen erfasst wurde.
Negation und Negationshäufung
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zugrunde, nach der die syntaktische Negation lediglich dann von ihm untersucht wird, wenn sie als ein sprachliches Mittel verstehbar ist, mit dessen Hilfe eine in einem Satz gesetzte positive Aussage verneint wird (die Duden Grammatiken schließen auch andere Verwendungen von Negationswörtern mit ein, s.o. und vgl. Pensel 288f.). Über die Satzeinheit und das Auftauchen eines Negationswortes hinaus ist damit der Inhalt der Aussage für Pensel ausschlaggebend. Darüber hinaus unterscheidet er Satz- und Sondernegation, wobei Pensel den im Duden vorgenommenen, ganz allgemeinen Erklärungen von Sondernegation noch eine ganze Reihe von konkreten Bedingungen zufügt. So schließt er die Negationswörter kein, niemand und nichts in Funktion substantivischer Indefinitpronomen (für ihn generell sondernegierend) von der Untersuchung aus. Auch die negierende Konjunktion weder ... noch ... und die Adverbien nirgends, nirgendwo, nie, niemals, nimmer werden als tendenziell sondernegierend ausgenommen, ebenso wie kein, wenn es als Attribut eines Substantivs auftritt (1976, 289ff.). In Zweifelsfällen richtet sich Pensel nach dem modernen Sprachgebrauch und seine Kategorisierung verschiedener Negationstypen erfolgt nach modernen Beispielsätzen (s. 291 und 293f.). In der vorliegenden Arbeit werden entsprechend Ganzsätze aufgelöst und ggf. auf den Inhaltsbereich der Negation gekürzt.77 Nach Ausschluss der inhaltlich positiven Aussagen (s.u.), der Sondernegationen (s. Anhang, Tabelle 4.7.1.a) und der komplexeren Sätze (ibid.) bleiben noch 49 Sätze zum Vergleich mit Pensel.78 Wie Pensel feststellt, herrscht in seinen Korpora alleinnegierendes nicht in den Einfachsätzen vor, in Phase I kommt er zu einem gesamtlandschaftlichen und gattungsübergreifenden Durchschnitt von 88,6%, in Phase II liegt dieser Schnitt bei 99,4% (die Ausnahmen sind minimal, Näheres s. 314ff.). In den Protokolltexten liegt ganz entsprechend ein homogenes Bild der Einfachsatznegation vor, alle 49 untersuchten Sätze werden mit einfachem nicht negiert (Verteilung der Sätze: Schreiber A: 14; B: 4; C1: 5; D: 24; C2: 2; C: 7). Die generell ungleichmäßige Verteilung der Negationen auf die Schreiber (s.o.) kann ohne weitere Untersuchung nur vorläufig als Ergebnis stilistischer Präferenzen und inhaltlicher Unterschiede gedeutet werden.
77 78
Z.B. wird der erste Ganzsatz von Seite 42 in 4 jeweils negierte Teile zerlegt, von denen nur der 1. und 3. Pensels Auswahl zugeordnet wurde. Tabelle 4.7.1.b (Anhang) enthält die weiteren Negationen. Das sind im Schnitt 0,61 negierte Einfachsätze pro Seite. Zum Vergleich: Pensel fand in seiner Phase I 0,78 negierte Einfachsätze pro untersuchte Seite, in seiner Phase II waren es 0,46 (vgl. Pensel 313 und 319). Die Frequenz negierter Einfachsätze in den Protokollen liegt damit zwischen Pensels Phasen. Die Tendenz zur zeitlich vorangehenden Phase I könnte an einer Orientierung an älteren Texten liegen (s. 3.3. und 3.3.).
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
Von Pensel weiter beobachtet wurde eine Zunahme des betonten alleinnegierenden nicht, die um 1700 in seiner Phase II 4,3% erreicht. Bei Pensel belegt sind gar, ganz, ganz und gar und durchaus als Verstärkungspartikel. In den Commerzprotokollen findet sich nicht je 1-mal verstärkt durch gantz (Schreiber B) und durch gar (Schreiber D). Bei Erweiterung der Suche um die von den Duden Grammatiken verwendete Kategorie „zeitliche Bestimmung“ (s.o.) sowie eine Kategorie, die hier qualitative Bestimmung genannt werden soll, lassen sich insgesamt 12 Ergänzungen erfassen (Verteilung der Ergänzungen auf die Schreiber A: 3; B: 3; C1: 2; D: 4; C2: 0; C: 2).79 Nur in einem Fall liegt eine Kombination mehrerer Elemente vor (Verstärkung+zeitliche Ergänzung: gar nicht mehr, Schreiber D). Die ergänzten Formen des alleinnegierenden nicht nach Kategorien: 1. verstärkende Ergänzung des nicht (2-mal, einmal kombiniert mit zeitlicher Ergänzung) gantz nicht, gar nicht (mehr) 2. zeitliche Ergänzung des nicht (8-mal, einmal kombiniert mit Verstärkung) noch nicht (3-mal), nicht mehr80 (2-mal), annoch nicht, (gar) nicht mehr, nicht eben81 3. qualitative Ergänzung des nicht (3-mal) nicht vollends, nicht soviel, nicht wohl Damit sind 24,5% der gefundenen Einzelnegationen erweiterte Negationen, 4,1% davon durch verstärkende Partikel, was genau dem von Pensel beschriebenen Trend entspricht. Die Häufung von Negationspartikeln, die Pensel mit 1,8% für Phase I und 0,8% für Phase II belegt und als tendenziell abnehmend charakterisiert (Bulach beobachtet nach Admoni 2,1% im 16. und 1,6% im 17. Jh.), konnte in den gewählten Einfachsätzen der Protokolle nicht festgestellt werden. Erweitert man die Suche auf Sätze, die zwar noch insgesamt eine negative Aussage haben,82 aber nicht mehr dem Kriterium des Einfachsatzes entsprechen, bieten sich zwei zusätzliche Sätze zur Prüfung auf den Tatbestand der Negationshäufung an (potentielle Negation fett gedruckt):
79 80 81 82
Die ergänzten Formen sind im Anhang in Tabelle 4.7.1.a zu finden, in der die Negationen bzw. deren Ergänzungen jeweils durch Fettdruck bzw. grauen Fettdruck hervorgehoben sind. Ein Beleg in der Schreibvariante mer. S. PC 40/7ff. Eben wird hier im Sinne von zuvor oder vorher verwendet. Es soll nochmals betont werden, dass hier von syntaktischer Negation die Rede ist, so dass weitere, inhaltlich negative Sätze (z.B. PC 301/9ff.) unberücksichtigt bleiben.
Negation und Negationshäufung
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[...] weilln Franckreich ùndt/ Denmak sich mit inÓ den Dialog fl[ö]chten, ùndt/ man also nicht wùste ob man einem zù/ gefallen den anderen nicht offendirte, [...] (Schreiber B, PC 56/22ff.) ad 4. Wehre nicht eines Hochwß. Rahts meinùng/ daß man nicht aùff Brabant fahren solte [...] (Schreiber A, PC 32/10f.)
Im ersten Fall liegt eindeutig eine negative Aussage mit zwei Negationswörtern vor. Bei der Wiederholung des nicht handelt es sich jedoch um einen Modalpartikel (s.u.), der das Präpositionalobjekt des einleitenden, negierten Satzes darstellt. Nach Pensels Kriterium der inhaltlichen Verneinung handelt es sich also nur um eine einfache Negation. Im Übrigen erfolgt die Verwendung beider Negationswörter auch in diesem Satz nach heutigem Standard. Im zweiten Fall liegt eine durch dass vorgenommene syntaktische Unterordnung eines Inhaltssatzes vor (vgl. Duden Grammatik 1998, 766, 756 und 407). Formal gesehen werden dabei ein Haupt- und ein Teilsatz verknüpft, inhaltlich bleibt es jedoch bei einer Aussage. Es liegt mit dem Satz eine zunächst ambivalente Aussage vor, in der unklar ist, ob tatsächlich logisch gesehen nein+nein = ja ergibt (man soll auf Brabant fahren), oder ob es sich um eine noch der alten Norm entsprechende Betonung der Verneinung handelt (man soll wirklich nicht auf Brabant fahren). Wie aus dem weiteren Kontext (PC 31/2ff.) ersichtlich ist, war dem Rat vorgeworfen worden, die Fahrt auf Brabant untersagt zu haben. Diesen Vorwurf berichtigt man im zitierten Satz. Damit handelt es sich inhaltlich um eine Bejahung, die formal den von Langer und Pensel in ihrer Entwicklung beschriebenen modernen Regeln der logisch durchkonstruierten Negation entspricht. Doppelte Negation auf der Syntaxebene im alten, negationsverstärkenden Sinne kommt somit in den untersuchten Protokolltexten nicht vor, die damit in diesem Aspekt völlig der heutigen Norm entsprechen. Mit Hinblick auf die Differenz von 49 aus den Commerzprotokollen nach Pensel zur Untersuchung ausgewählten Einfachsätzen im Vergleich zu anfänglich gefundenen 113 Textstellen mit Negationswörtern stellt sich die Frage, ob mit Pensels spezifischer Fragestellung nicht wichtige Aspekte des Verhältnisses von damaliger zu heutiger Negationssituation unbeachtet bleiben. Es schließt deshalb zur Erweiterung des Bildes eine Betrachtung der Protokolltexte nach den von den Duden Grammatiken angeführten Kategorien an. Negation auf Wortebene bzw. auf Ebene der Wortbildung (etwa durch den Gebrauch komplementärer Lexeme oder die durch Bildung von Gegenbegriffen durch Präfixe, im Folgenden in grauem Fettdruck) wird in der Duden Grammatik 1998 als erstes erwähnt. Sie tritt in den untersuchten Texten bei allen Schreibern auf, z.B.: [...] man hetten ihren fein/ den verbotene Wahren wieder vergleich/ zùgefùhret [...] (Schreiber A, PC 40/13f.),
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
[...] So/ hielten Sie derowegen vor ùnnötig daß/ daß Commerciùm in solcher qualitet/ die Depùtirten des Raths fohdern könten,/ [...] (Schreiber B, PC 301/9ff.), [...] waß geproÓ/ ponirt werden möchte , aÚff sein Bürgerlich Eidt/ beÿ sich verschwiegen zÚbehalten. (Schreiber C1, PC 320/12ff.), [...] man ließ ùns hülfflos [...] (Schreiber D, PC 456/22).
Starke Unterschiede zum heutigen Sprachstandard scheinen nicht vorzuliegen. Wie zu beobachten ist, deutet sich jedoch in manchen Fällen eine gewisse Konzentration von Verneinungen verschiedener Ebenen der Negation an (Weiteres s.u., Tabelle 4.6). Es besteht hier noch Forschungsbedarf. Ebenfalls in der Aufzählung der Duden Grammatik 1998 enthalten ist die satzäquivalente Negation. Unter den zahlreichen syntaktischen Negationen in den Commerzprotokollen kommt dieser Typ nur in einer Ausnahme vor: [...] die Admirl: möchte sich doch gefallen Laßen dero ErÓ/klehrÚng mit Ja od. Nein zÚ geben. (Schreiber D, PC 340/17f.)
Erklärbar ist das weitere Fehlen dieses Negationstyps aus der Entfernung der formalen Protokolltexte von der gesprochenen Sprache, in der diese Negationsform zu Hause ist (vgl. 3.2.). In den Duden Grammatiken auch erwähnt werden negierende Konjunktionen und Präpositionen (bei Pensel durch die Unterscheidung in Satz- und Sondernegation von der Bewertung ausgeschlossen, s.o.). Die Durchsuchung der Protokolltexte nach in der Duden Grammatik 1998 aufgezählten negierenden Konjunktionen ergibt das mit Pensels Befund relativ moderner Negationsverhältnisse kontrastierende Ergebnis, dass diese noch nicht in der heutigen starren Form vorliegen. Anhand von negierenden Konjunktionen, die dem heutigen weder ... noch ...83 funktional entsprechen, kann beobachtet werden, wie flexibel die Aufgabe der heutigen Konjunktion in den Texten durch andere Elemente geleistet wird (weder ... oder ... und nicht ... noch ...). Nach heutigen Maßstäben würde die Verwendung nur eines Teils der mehrgliedrigen kopulativen Konjunktion (hier grauer Fettdruck) als fehlerhaft gelten: [...] daß ùnßere von hinÓ/ nen gehende Schiffe in Jhrer Rückkùnft/ weder zù Caleis, Ostende Dùnekereken/ oder anderen Haven zwischen Caleiss und/ den Mùndt der Elbe liegent solten ein/ lauffen oder laßen, [...] (Schreiber A, PC 37/10ff.) [...] mùste E. Erb. Kaùffmann/ wol etwaß thùn waß Er nicht gerne wolte/ noch ohn schaden thùn konte. (Schreiber A, PC 41/25f.) [...] sie fùnden die FØndation der Banco/ also beschaffen, daß man davon nicht weichen könte,/ noch mÚste, [...] (Schreiber D, PC 378/12ff.) 83
Die koordinierende Konjunktion weder ... noch ... bzw. die Entsprechung weder ... weder ... treten erst seit dem Fnhd. auf (Schmidt 2000, 376). Die Fnhd. Grammatik und Admoni erwähnen Konjunktionen nicht.
Negation und Negationshäufung
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Die Entwicklung der nhd. Konjunktionen, die heute in ihrer Anwendung relativ spezialisiert sind, ist offensichtlich in der Zeit der Niederschrift der Protokolle noch nicht abgeschlossen (vgl. Schmidt 2000, 235, 295 und 374f. zur Variantenreduzierung und Monosemierung der Konjunktionen). In den Protokolltexten gefundene Konjunktionen wie das kopulative nicht allein/nur ... sondern vielmehr ... und das konditionale wenn ... dann ... enthalten zwar Negationsworte, haben aber keinen negativen Inhalt. Wie in den folgenden Belegen ersichtlich, können unabhängig von den Konjunktionen die freien Stellen X und Y (nicht nur X sondern Y; weder X noch Y) optional mit positiven oder negativen Elementen besetzt werden, so dass es in dem jeweiligen Satzteil zu einer negativen Aussage kommen kann (die Konjunktionen erscheinen in grauem Fettdruck, die Negation in schwarzem Fettdruck): [...] referirten Ihnen [...] wie Sie umb CommunicaÓ/ tionem der mit Engellandt obhanden haÓ/ benden Tractaten so weit es dem Commercio/ betreffe, angehalten, dieselbe aber nicht/ allein nicht erhalten konnen besondern es/ wehre Jhnen noch ùber dehme zùr Antwort/ geworden, Mann hette alles mit den He: Ober/ alten communiciret (Schreiber A, PC 36/11ff.)84 [...] wann solches geschege so lebte man/ der gëntzlichen HoffnÚng E: Hochw: Raht wùrde nicht allein/ dieß CollegiØm nicht sùchen zu dissolviren sondern vielmehr/ solches ùnter die arme greiffen [...] (Schreiber C1, PC 324/3ff.) [...], das/ lieffe wider die Fundation der Banco, wen man/ die nicht lenger wolte halten, so konnte ein Erb KaùffÓ/ man aùch nicht gebùnden seÿn, [...] (Schreiber D, PC 424/3ff.)
Da die negierten Elemente entweder die Kriterien des selbstständigen Einfachsatzes nicht erfüllen oder nicht als Satznegationen zu betrachten sind (s.o.), blieben die in den koordinierten Sätzen vorhandenen Negationen in der obigen Betrachtung nach Pensel unberücksichtigt. Die nach erweiterten Suchkriterien gefundenen Belege weisen jedoch darauf hin, dass in den Protokolltexten ein vom heutigen Stand noch abweichendes Instrumentarium für die negierende Konjunktion und Konjunktionen allgemein zur Verfügung steht (vgl. 4.9.). Diese können über die Suche nach heutigen Konjunktionen nicht erfasst werden (um von den heutigen abweichende Konjunktionsmittel erfassen zu können, müssen Inhalt und Struktur der Sätze miterfasst werden). 84
Pensel nimmt eine derartige Konstruktion in die Bewertung der Negationshäufung mit auf, s. 315: Aber ich fande nicht allein niemand, der diesem Befelch Christi nachzukommen begehrte, sondern jederman thät grad das Widerspil. Dies kann im Widerspruch zu seinen Auswahlkriterien für die Auswahl des Untersuchungsgegenstandes gesehen werden, da der Satz insgesamt kein Einfachsatz ist (wenn man auch das negierte Element als solches deuten könnte, dann allerdings ist es sondernegiert) und außerdem die kopulative Konjunktion inhaltlich positiv ist.
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
Die Suche nach den in der Duden Grammatik 1998 angeführten negierenden Präpositionen erbrachte 9 Verwendungen der Präposition ohne und 1 Verwendung von anstatt (s. Anhang, Tabelle 4.7.1.c; Verteilung auf die Schreiber A: 3; B: 3; D: 4; C: 0). In einem Fall wurde außerdem die Präposition für im Sinne von anstatt verwendet.85 Besonders auffällig ist, dass die Verwendungen von ohne häufig in Verbindung mit anderen Negationspartikeln oder mit lexikalischen/morphologischen Negationen vorliegt, weswegen sich an dieser Stelle nochmals eine Betrachtung der Negationshäufung einschließlich dieser Formen anbietet. Die Häufung negierender Elemente mit negativer Aussage innerhalb von Einfachsätzen wurde ja bereits mit Pensel untersucht (sie verlief negativ). Die Suche nach Äußerungen, die trotz Kombination negierender Elemente in aufeinander bezogenen Satzteilen positiven Inhalts sind, ergab folgende Belege aus den Protokollen (als Überschrift ist den Beispielsätzen eine Paraphrase des mit den Negationspartikeln vermittelten Inhalts vorangestellt, um die positive Deutung der Aussage zu illustrieren; in grau erscheinen lexikalische und morphologisch Negation):
85
Schreiber B (PC 72‘, 14ff.): „ob Sie/ Starck genùg fùr diesen 2 persohnen/ 2 andere zù erwehlen“. Zwei Verwendungen von gegen+Akk. Obj. erfolgen im Sinne von einer Person gegenüber, vor jemandem (PC 453, 19f.: „jegen die OberalÚ/ ten“, PC 611/17f. „gegen die Herren DeputierÚ/ te“).
Negation und Negationshäufung
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Tabelle 4.6: Negationshäufung bei positiver Aussage. (vgl. Negationshäufung mit negativer Aussage, s.o.) Textbeleg Schreiber A nicht+nicht = doch ad 4. Wehre nicht eines Hochwß. Rahts meinùng/ daß man nicht aùff Brabant fahren solte [...] (Schreiber A, PC 32/10f.) ohne Schaden = mit Vorteil [...] mùste E. Erb. Kaùffmann/ wol etwaß thùn waß Er nicht gerne wolte/ noch ohn schaden thùn konte. (PC 41/25f.) (hierzu s.a. negierende Konjunktionen) [...] großer Schade in einKaùffung der Wahren durch diese tarÓ / dance [...] ohnzweiffel erfolÓ/ gen werde: [...] (PC 5/6ff.) keinen ... als = nur, ohne Not = im Normalfall [...] daß Sie aùff ihren/ Rückreisen von Spanien oder anderen Quar/ tieren anhero keine nähere Haven in der/ Norster Nortsee ohne noht wollen kiesen alß die/ Elbe. (PC 41/9ff.) nicht anders = nur so ad 1. Wann es nicht anders zù erhalten, fùnde/ [...] die/ Dep: Commercÿ diensahmb daß [...] (PC 41/5ff.) nicht länger als = nur so lange wie So mochte wo thùnlich dem Tractatui/ beygefùget werden daß allß al solcher ver/ gleich nicht lenger alß wehrender Krieg/ mit Engeland daùren [...] solte. (PC 43/4ff.) es fehlt nicht = es ist da [...] Es mangelte an ihre[m] fleiß nicht [...] (PC 25/9) ad 2: Waß vorgebracht funde man/ nicht ùndiensahm [...] (PC 51/6f.) [...] So wolte man hinfùhÓ/ ro an fleißiger Obacht [...] nichts er/ winden lassen, [...] (PC 37/4ff.) [...] alß zweiffelete man nicht E. Hochw. Rath/ würde Hochvernùfftig darùber bedacht sein/ daß so viel müglich dießem ùbel vor geÓ/ bawet würde, [...] (PC 41/21ff.) Schreiber B nichts lieber als = sehr [...] Die Gedepùtirten wie aùch ein ieder/ wùnscheten nichts lieber alß Ódu die He. Gesante möchten/ avocirt werden, [...] (PC 57/13ff.) nicht undiensam = diensam 2 Wehre nicht ùndiensamb daß [...] daruber gesprochen/ wurde [...] (PC 149/15ff.) nicht+ohne = mit [...] daß Er [der Ehrbare Kaufmann] zù fohderst/ Fracht ùndt Provision verlöhre, hernegst/ soviell weiter von seinen effecten in/ Frembden Landen, nicht ohne Gefahr/ disponiren mùste. (PC 178/21ff.) Nùn könte/ das Commerciùm ohne nachteil nicht erÓ/ tragen, das die gäntzliche aùßfùhrùng des/ Silbers oder Stùeck [v$te] so stricte nach/ einhalt der Briefs=Constitutionen, abg[efass]etbefohlen/ ùndt pùblicirt wurde, [...] (PC 178/11ff.)
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
Schreiber C1 wo nicht gar = vielleicht sogar [...] BedreüÚnÓ/ gen [...] welche [...] dem/ Erb: Kaùffman insonderheit treffen wo nicht gar vnterÓ/ drücken wÚrden, [...] (PC 322/1ff.) nicht mehr als = nur 2. Weilln man öffters beÿ der Löbl. Admirl: zÚ des ComÓ/ mercii besten und nötigen aÚßgaben auß den ConvoÿeÓ/ Geldern, 600 [s] gesùchet aber nicht mehr als die am 30/ Martÿ gedecretirte 256 [s] und zuvor erst den 27. OctoÓ/ ber jüngsthin erhalten mögen, [...] (PC 356/20ff.) zweifelten nicht = waren sicher [...] weilln dann vor diesem die Börse 3. persohnen/ im Vorschlag gebracht [...], so zweiffelete das CommerciØm/ nicht, es würde sich die Admiralitet gefallen Laßen,/ daß Ihnen 3 BeqÚeme SØbjecta [...] gepræsentiret werden möchten. (PC 339/15ff.) konnten nicht unangezeigt lassen = mussten anzeigen Konten aber hiebeÿ Únangezeiget nicht laßen, daß/ beÿ Handell vnnd Wandell zu weilen solche Sachen/ vorfielen [...] (PC 323/22f.) ohne Zweifel = sicher; nicht unkundig = kundig [...] Weilln dann solches E: Hochw. Raht/ ohne Zweiffel nicht wÚrde ùnkÚndig sein, so [...] (PC 322/6f.) (befremdete) nicht wenig = (sie verstanden es nicht) sehr ad SecØndØm Befrembdete Jhnen nicht wenig/ solche abermahlige erklehrÚng E. Hochw. Rahts/ zÚ vernehmen [...] (PC 323/12f.) Schreiber D ohne+nicht = nur mit 2. Jhr Meinùng günge dahin die BancoBürger hetten ohn/ Vorwißen eines Erb. Kaùffmanß hierin nicht consenÓ/ tiren sollen, [...] (PC 422/16ff.) nicht zweifeln = sicher sein zweiffelten nicht. Jhr Königl. Maÿe. aÚß geÓ/ nerosität etwas thÚn würden (PC 760/1f.) Schreiber C2 Schreiber C
Die Verteilung der insgesamt 20 Belege auf die Schreiber ist unregelmäßig (Schreiber A: 8, Schreiber B: 4, Schreiber C1: 6, Schreiber D: 2 Belege), aber es finden sich bei allen Belege von Negationshäufung mit positiver Aussage. Die Negationen können folgendermaßen klassifiziert werden:86 1. Kombination zweier Negationsmittel nicht+nicht 1 ohne+nicht 1 nicht/nichts+lexikalische Negation 6 nicht+morphologische Negation 3 ohne+lexikalische Negation 0 ohne+morphologische Negation 0 86
Auf eine individuelle Klassifizierung der gesuchten Phänomene pro Schreiber wird aufgrund der geringen Frequenz des gesuchten Phänomens abgesehen. Auch auf die Wortstellung wird hier nicht näher eingegangen, also enthält z.B. die Kategorie nicht+lexikalische Negation auch Beispiele, in denen nicht der lexikalischen Negation folgt. Da eine inhaltliche Betrachtung vorliegt, wird in diesem Abschnitt ebenfalls die funktionelle Unterscheidung zwischen Negationspronomen und Negationspartikel (nichts/nicht) ausgesetzt.
Negation und Negationshäufung
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Zur Kombination von zwei Negationsmitteln gehören die meisten Belege, allen voran durch lexikalische Negation ergänztes nicht (6-mal, z.B.: nicht anders, nichts fehlen lassen, zweifeln nicht), gefolgt von durch morphologische Negation ergänztem nicht (3-mal, z.B.: nicht undiensam, konnten nicht unangezeiget lassen). Die sich laut Duden Grammatik 1998 im 19. Jh. durchsetzende Deutung von nicht+nicht als Bejahung liegt in ihrer modernen Bedeutung in den Texten bereits mit einem Beispiel vor. Ohne ergänzt durch morphologische Negation ist denkbar, aber in den Texten nicht belegt, ohne kombiniert durch lexikalische Negation findet sich nur als Bestandteil komplexerer Bildungen (s.u.). 2. Kombination von drei Negationsmitteln nicht+ohne+lexikalische Negation 2 (lexikalische Negation+nicht+lexikalische Negation 1) Kombiniert mit dem Negationswort nicht erscheint ohne+lexikalische Negation relativ häufig (2 Belege: nicht ohne Gefahr, ohne Nachteil nicht). Deutet man das Wort befremden als inhaltlich negativ (etwa im Sinne von nicht vertraut sein mit), so ist die Aussage befrembdete Jhnen nicht wenig als Kombination von nicht mit zwei lexikalischen Negationen verstehbar. 3. Kombination von vier Negationsmitteln ohne+lexikalische Negation+nicht+morphologische Negation 1 Die Kombination von vier Negationsmitteln (aufteilbar in zwei Elemente der ersten Kategorie) ist nur in einem Fall zu beobachten (ohne Zweifel nicht unkundig). 4. Kombination von Negationsmitteln mit weiteren Elementen (spezifische Wendungen) nicht/nichts/kein+Komparativ+als 3 konditionale Konjunktion+nicht+Verstärkungsmittel 1 In Form einer rhetorischen Steigerung kann nicht mit einem Komparativ und dem Vergleichspartikel als vorkommen (3 Belege: nichts lieber als, nicht mehr als, nicht länger als; es ist hier eine Ergänzung durch weitere Negationsmittel möglich, s.u.). Nicht in Verbindung mit der konditionalen Konjunktion wo und dem verstärkenden Partikel gar ist nur einmal belegt. Die Wortgruppe übernimmt hier insgesamt die Funktion einer kopulativen Konjunktion (vgl. Duden Grammatik 1998, 401f.).
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
5. Kombination von Negationsmitteln mit weiteren Elementen verstärkt durch Kombination von zwei Negationsmitteln kein+Komparativ+als+ohne+lexikalische Negation 1 Nur in einem Fall ist die Kombination von Elementen der Kategorie 1 mit denen der Kategorie 4 belegt (kein nähere Haven [...] ohne Noht wollen kiesen alß die/ Elbe). Dies resultiert nach modernen Verhältnissen in einem logischen Widerspruch, was bei der Paraphrase deutlich wird. Die Aussage nur (für keinen als)+im Normalfall (für ohne Not) ist im Text deutlich nicht beabsichtigt: gemeint ist nur im Notfall. Es liegt damit noch eine altertümliche Verstärkung der Negation kein durch ein zusätzliches ohne vor, die ab Gottsched stilistischer Kritik ausgesetzt gewesen wäre (vgl. auch Wustmann 1908, 273). Da die Aussage insgesamt positiv ist und in einer Struktur über Einzelsatzniveau vorliegt, war dieser Satz nach Pensels Kriterien nicht erfassbar. Je nach Blickwinkel ließe sich in manchen Fällen der Negationshäufung mit positiver Aussage eine Verbindung zu den oben betrachteten Konjunktionen und den Ergänzungen der Negationspartikel nicht herstellen (z.B. wo nicht gar, nicht mehr als). Im Kontext dieser Arbeit, die ja ihr besonderes Augenmerk auf die Entstehung von Normen und deren Bewertung richtet, kann trotz definitorischer Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Satzbegriff und dem Negationsbegriff folgende wichtige Beobachtung gemacht werden. Fast alle Kombinationen von Negationsmitteln mit positivem Inhalt in den Commerzprotokollen können nach dem Standard der Duden Grammatiken auch heute als normgerecht gelten (richtig), selbst wenn sie womöglich stilistischer Kritik ausgesetzt sein können (nicht schön). Sie fallen mehrheitlich in den Bereich dessen, was in der Rhetorik als Litotes bezeichnet wird, nämlich Verstärkung eines Begriffes durch Verneinung des Gegenteils (vgl. Wilpert 1989, 534). Am häufigsten ist die Kombination von nicht/nichts+lexikalische Negation, die schon als einfache Kombination sechsmal vorkommt und darüber hinaus auch in den komplexeren Negationshäufungen viermal auftaucht. Im Falle der einzigen beobachteten Kombination von nicht+nicht ergibt sich aus dem Kontext, dass bereits die moderne, den Regeln der Logik entsprechende Deutung als Bejahung vorliegt. Nur in einem einzigen Fall liegt eine nach altertümlicher Form vorgenommene Verstärkung der Negation durch Häufung vor. Schließlich bleibt noch die von der Duden Grammatik 1998 erwähnte Verwendung von Negationswörtern als Modalpartikel. Solche Verwendungen liegen auch in den Protokollen vor (Belege bei Schreiber A: 0; Schreiber B: 6; Schreiber C1: 0; Schreiber D: 1; Schreiber C2: 2). In allen 9 Fällen handelt es sich um Fragen, deren positive Beantwortung erwartet wird. Vor allem werden in diesen ob+nicht kombiniert, in einem Fall taucht auch
Negation und Negationshäufung
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ob+kein auf (folgend im Fettdruck). Der deutliche Unterschied in der Verwendungshäufigkeit (6 von 9 Belegen tauchen allein bei Schreiber B auf ) deutet darauf hin, dass es sich um eine individuell bevorzugte Stilvariante handelt: [...] weilln Franckreich ùndt/ Denmak sich mit inÓ den Dialog fl[ö]chten, ùndt/ man also nicht wùste ob man einem zù/ gefallen den anderen nicht offendirte, [...] (Schreiber B, PC 56/22ff.) Depùt: Commercii wollen vernehmen [...] ob nichts darinnen der Convoÿe/ von hier betreffent, [...] (Schreiber B, PC 70/3ff.) Suchten also ob nicht/ diensamb, wann so einem Neùwen Schiffer/ päße gegeben werden daß derselbe/ mùste burgen s[tel]len seine Rùckreiße/ aùff Hambùrg nehmen. (Schreiber B, PC 92/11ff.) Ob man kùnftigen Donnerstag nicht beÿ der/ Admirl: wolte anhalten ùmb das gefohderte/ Decret [...] (Schreiber B, PC 149/12ff.) Der Stader Zollen oder beschwerde Óaùff der/ Elbe betreffent, ob man nicht nochmahls/ anmahnùng thete an gehorigen Ohrte darÓ/ ùber zu schreiben. (Schreiber B, PC 149/20ff.) Depùt: Commercii wollen vernehmen/ ob aÚs Frankreich kein brieffe/ [...] (Schreiber B, PC 70/3f.) [...] ob die GeDeputirte nicht konten/ consentieren, [...] (Schreiber D, PC 445/15ff.) [...] alß stellete man E. Hochw. Raht anÓ/ heim, ob nicht dienlich were beÿ Jhr/ Königl. Maÿe. von Engeland anzùhalt[en] [...] (Schreiber C2, PC 623/21ff.) D.ny Præses spricht an ob nicht rahtsahm mit/ den HHe. Oberalten erst zÚreden [...] (Schreiber C2, PC 670/13ff.)
Die vorliegenden Beispiele sind in ihrer Verwendung des modalen nicht nach heutigem Standard akzeptabel. Insgesamt fällt auf, dass in den Protokollen nur eine geringe Auswahl an den anfangs vorgestellten möglichen Negationsmitteln realisiert wird (2 negierende Konjunktionen, 2 bzw. 3 negierende Präpositionen, 1-mal Nein, als Negationswörter nur nicht/nichts und kein). Dies ist womöglich textsortenbedingt. Die laut Duden Grammatik 1998 fakultativ mögliche Wiederholung der Verneinung nach Verben des Abratens, Bezweifelns, Verhinderns etc. und nach negierten Sätzen mit ehe, bis, bevor konnte anhand der Protokolltexte nicht überprüft werden, da in den Texten keine entsprechende Konstruktionen gefunden wurden.
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Schlussfolgerung Die Untersuchung der Negationen in den Protokollen leidet insgesamt an definitorischen Unstimmigkeiten in der berücksichtigten Forschungsliteratur (etwa berücksichtigt Pensel in einem durch strukturelle Auswahlkriterien eingeschränkten Textbereich nur Sätze, deren Aussage negativ ist, die Duden Grammatik 1998 beobachtet zunächst jegliche Verwendung von Negationswörtern, argumentiert aber ebenfalls mit den Inhalt; welche Definitionen Bulach und Langer verwenden ist nicht ersichtlich; Pensel und die Duden Grammatiken unterscheiden sich in ihrem Verständnis von Satz- und Sondernegation). Folgt man in der Auswahl des Untersuchungsgegenstandes Pensels Einfachsatzanalyse ergibt sich ein Bild der Satznegation in den Commerzprotokollen, das – wie auch von Pensel weitestgehend beobachtet – bereits der heutigen Satznegation mit einzelnegierendem nicht entspricht. Eine hohe Schwankung der Verneinungsfrequenz bei den einzelnen Schreibern in den Protokollen (zwischen 5 und 24 Verwendungen von nicht pro Schreiber) wurde als Ergebnis individueller stilistischer Präferenzen und inhaltlicher Unterschiede gedeutet. Es wird weiter vermutet, dass die Verwendung eines relativ beschränkten Negationsinstrumentariums textsortenbedingt ist, was durch den Vergleich mit anderen Textsorten zu belegen wäre. Die Häufigkeit gefundener Verstärkungspartikel wie ganz und gar stimmt mit dem von Pensel beschriebenen Trend einer Zunahme derselben überein. Zusätzlich werden noch zeitliche und qualitative Ergänzungen von nicht beobachtet und festgestellt, dass bei erweiterter Satzdefinition noch komplexere Ergänzungen von nicht gefunden werden können. Bei Anwendung von Pensels Parametern zur Auswahl des Untersuchungsgegenstandes lassen sich keine Negationshäufungen in den Protokolltexten feststellen. Geht man dagegen nach Kriterien der Duden Grammatiken, ergibt sich ein etwas differenzierteres Bild, nach dem zusätzlich ein Fall von satzäquivalenter Negation beobachtet wird (nein). Negierende Präpositionen (ohne, anstatt) kommen selten vor und werden dann überwiegend in Kombination mit anderen Negationsmitteln beobachtet. Modales nicht und kein entsprechen in ihrer Funktion dem heutigen Standard. Für morphologische und lexikalische Negation gilt gleiches noch zu bestätigen. Im Bereich Negationshäufung und mehr noch dem Bereich der negierenden Konjunktionen stellt sich der Standard als noch nicht ganz gefestigt dar. Wenn auch bei der Negationshäufung die Abweichungen minimal sind, so muss doch erwähnt werden, dass mit der Verneinungsform nicht+nicht=Bejahung bereits im ausgehenden 17. Jh. eine Form vorliegt, die sich laut Duden erst ab dem 19. Jh. herausgebildet hat. Andererseits liegt mit der einfach belegten Negationshäufung der Form kein+[ohne Not]+alß
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eine Negationshäufung im altertümlichen, betonenden Sinne vor, die von Pensel als bereits um 1700 so gut wie verschwunden beurteilt wurde. Es stimmt nachdenklich, dass diese Formen erst bei erweiterten Kriterien festgestellt werden konnten (allerdings ändert sich durch diese Werte das Gesamtbild nicht). Pensels Feststellung, die Negationshäufung sei in der Grammatikschreibung überrepräsentiert, kann folglich nur zugestimmt werden. Die gefundenen als stilistische Instrumente verwendeten Negationshäufungen mit positiver Aussage gelten damals wie heute als korrekter Sprachgebrauch. Abschließend bleibt die Frage nach geeigneteren Modellen der Negationsbeschreibung, die alle Formen der Verneinung einschließen (was besonders für die Beschreibung der Häufung von Negationsmitteln von Vorteil wäre) und die auch das Beziehungsgeflecht verneinender Elemente in komplexen Satzgefügen zu erfassen im Stande sind. In einer vollständigen Untersuchung der Negationssituation zur Zeit der Entstehung der Commerzprotokollen müsste darüber hinaus die hier vernachlässigte Wortstellung mitberücksichtigt werden. Sinnvoll wäre hier eine grundsätzliche Hinterfragung der Prinzipien heutiger Grammatikschreibung und deren Verhältnis zu historischen Strukturen.87
4.8. Partizipialkonstruktionen vs. Relativsatz 4.8.1. Erweiterte Partizipialattribute als Alternative zur Partizipialapposition und zum Relativsatz Die Möglichkeit, ein Substantiv durch Voranstellung eines erweiterten Partizipialattributes zu ergänzen, wird als typisches kanzleisprachliches Phänomen betrachtet (z.B. die schön blühende Blume).88 Alternativ hierzu stehen als satzbauliche Mittel für den Ausbau der Nominalgruppe die Nachstellung erweiterter Partizipialattribute (auch erweiterte Partizipialapposition genannt, z.B. die Blume, schön blühend; s.u.) und die Relativsatzbildung zur Verfügung (die Blume, die schön blühte; s.u.). Partizipialattribute können aus 87
88
Entsprechend fordert Vilmos Ágel (2003, 29 und 2007, 41ff. - u.a. am Beispiel angeblich pleonastischer Negation) eine ganz neue Herangehensweise an die Untersuchung historischer Strukturen, die sich vom statischen Blickwinkel bisheriger synchronizistischer und skriptizistischer Grammatikschreibung der Gegenwart lösen und Methoden finden sollte, die historische und gegenwärtige Strukturen gleichermaßen erfassen können (vgl. hierzu die verschiedenen traditionellen Meinungen zu Negationshäufung unter 4.7. mit Ágels Prinzip der Viabilität 2001, 319). S. 3.3. und vgl. Takada (1998, 222). PtAttr. werden in der Literatur oft mit Adjektivattributen gemeinsam betrachtet, da deren Entwicklung und Funktion vergleichbar ist. Diese Arbeit beschränkt sich auf PtAttr.
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
beiden im Deutschen möglichen Partizipien, dem Partizip Präsens89 und dem Partizip Perfekt,90 gebildet werden. Bildungen mit Partizipien werden laut Duden Grammatik 1998 in heutiger Standardsprache häufig verwendet, gehören dort aber zum gehobenen Register; in Dichtung oder Umgangssprache kommen sie dagegen kaum vor (vgl. ibid. 190 und 618f.). Voraussetzung für die Bildung der Partizipialattribute ist die Tatsache, dass bei manchen Verben die Partizipien wie Adjektive verwendet werden können. Das Partizip Perfekt wird bei transitiven Verben i.d.R. auf ein Substantiv bezogen, das in einem entsprechenden Aktivsatz Objekt bzw. in einem Passivsatz Subjekt ist (der gehasste Feind; er hasst den Feind, der Feind wird gehasst). Bei intransitiven Verben steht das Partizip im Allgemeinen bei einem Substantiv, das in einem entsprechenden Aktivsatz Subjekt ist (die untergegangene Sonne; die Sonne geht unter; s. Duden Grammatik 1998, 192 u. 2005, 569ff., 840f.). In der Standardsprache sind Fügungen wie das ihn betroffene Unglück nicht korrekt (da fälschlicherweise Unglück als Subjekt eines inhaltlich entsprechenden Passivsatzes erscheint: das Unglück ist betroffen worden statt das Unglück hat ihn betroffen). Trotzdem haben sich einige konkrete Fügungen eingebürgert, die heute als korrekt empfunden werden (eine studierte Frau, ein geschworener Feind [des Alkohols], ein [aus-/alt-] gedienter Soldat; ibid. u. 2005, 570f.; s.a. Wustmann 1908, 166).91 Als Attribut verwendet werden manche Partizipien wie Adjektive dekliniert (Näheres s. Duden Grammatik 1998, 292ff. u. 2005, 569ff.). Alle Präsenspartizipien gehören zu dieser Gruppe (das schlafende Kind). Im Gegensatz zum Englischen wird eine Verlaufsform im Deutschen nicht gebildet (*ich bin schlafend). Beim Partizip Perfekt beschränkt sich dieser Gebrauch auf die transitiven Verben (der geprüfte Schüler, sie traf ihn verwirrt an, verlassen blieb er zurück) und bestimmte Gruppen der intransitiven Verben (z.B. solche die perfektiv sind und mit sein verbunden werden: die verblühte Rose, der zugefrorene Teich; 1998, 192f., weitere Beispiele s. dort). Intransitive Verben die mit haben verbunden werden und reflexive Verben mit Akkusativ-Reflexivpronomen können i.d.R. nicht wie Adjektive gebraucht werden (*das gelaufene Kind, *die sich gefreute Frau). Wladimir Admoni beschreibt, wie in der Entwicklung zum Nhd. die Differenzierung der Substantivgruppe von der des Verbs zur allgemeinen 89
Das Part. Präsens wird mit der Endung -end bzw. bei Verben auf -eln, -ern, -nd gebildet. Es ist zeitneutral (Zeitangaben liefert der Kontext: die blühenden Blumen erfreuen/erfreuten uns; s Duden Grammatik 1998, 190 u. 2005, 446). 90 Das Part. Perfekt wird bei regelmäßigen Verben auf -t oder -et, bei unregelmäßigen Verben auf -en gebildet (ggf. mit Ablaut). Oft wird das Präfix ge- verwendet (gelobt, gesungen; s. Duden Grammatik 1998, 190f. u. 2005, 447). 91 Zu weiteren attributiv gebrauchten Partizipien dieser Art, durch die ein Zustand oder ein Verhalten mit inhaltlicher Verbindung zum Substantiv angegeben werden kann (etwa als dessen Merkmal/Ursache: in liegender Stellung; in trunkenem Zustand) s. Duden Grammatik (1998, 264).
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Durchgestaltung des Satzes beitrug, so dass es innerhalb der Substantivgruppe zur „immer stärkeren Ausnutzung des erweiterten Adjektiv- und Partizipialattributs des voranstellenden Typs“ kommen konnte (1990, 9; nach Polenz 1994, 240). Polenz resümiert (258f.): „Aus der grundsätzlichen morphosyntaktischen Differenzierung zwischen Verb- und Substantivgruppe im 14. bis 16. Jh. nach Admoni [...] folgt im 17. und 18. Jh. ein ‚klarere Konstruktion der Gruppe des Substantivs, Zunahme ihres Umfangs und ihres Gebrauchs‘, d.h. eine ‚Profilierung‘ der Wortart Adjektiv vor allem in seinem attributiven Gebrauch [...].“ Mit der Entwicklung dieser grundlegenden strukturellen Rahmenbedingungen geht die Entwicklung der Adjektivflexion innerhalb der Substantivgruppe einher, die Polenz als „schwer durchschaubar“ bezeichnet (Polenz 1994, 258; sie wird im Einzelnen von Solms/Wegera 1991, 314ff. beschrieben; für das 18. Jh. s. auch Voeste 1998). Die Konsolidierung der Substantivgruppe (etwa durch Reduzierung der Variationsbreite innerhalb der Flexionsendungen, durch die Übernahme der bei Adverbien und prädikativen Adjektiven untergehenden Flexion durch attributive und substantivierte Adjektive und durch Durchsetzung der Monoflexion) trat zwar prinzipiell schon im Frnhd. ein, restliche „Belege für den älteren diffusen Zustand finden sich aber noch im 17. Jh., teilweise auch im 18. Jh.“ (Polenz 1994, 259). Funktional gesehen kann mit der für die deutsche Sprache typischen Konstruktion des erweiterten Attributs die Mehrstufigkeit von Satzgefügen verringert werden. Allerdings geht dies bei langen Erweiterungen auf Kosten der Hörverständlichkeit, die mit wachsendem Abstand zwischen Artikelwort und Substantiv (also mit Umfang der Nominalgruppenklammer, s.u.) sinkt. Deshalb ist die Attributerweiterung eine rein schreibsprachliche Erscheinung, die in der Alltags- und Sprechsprache vermieden wird (Polenz 1994, 272; s.o.). Sie gehört zu den Phänomenen, die im Deutschen zum vergleichsweise großen Abstand von Bildungssprache zu Sprechsprache beitragen. Die Attributerweiterung ist einer der wesentlichen Gründe dafür, dass im Elementarsatz und in der Substantivgruppe des 17. und 18. Jhs. die Wörterzahl ansteigt (Polenz 1994, 272). Schon im Frühneuhochdeutschen hatte es sowohl vorangestelltes als auch nachgestelltes erweitertes Attribut gegeben (vgl. Ebert 1993, 327). Im 17. Jh. wurde das bis dahin nur gelegentlich auftauchende, dem Substantiv vorangestellte erweiterte Attribut jedoch zu einer Mode, die zunächst in Kanzleitexten und ähnlichen Textsorten florierte und sich dann in späthumanistischen Fachtexten und literarischer Bildungsprosa durchsetzte (Polenz 1994, 272). Ob dies unter dem Einfluss lateinischen Vorbilds geschah, wird bis heute kontrovers diskutiert (Näheres s. ibid.). Laut Andreas Lötscher (1990, 22f. in Polenz 273) war es zunächst die Nachstellung des
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einfachen attributiven Adjektivs im Fnhd., die zugunsten einer Voranstellung aufgegeben wurde. Die vorangestellte Position wurde dann auch bei attributiven Erweiterungen immer mehr genutzt. Mit dem Vordringen der vorangestellten Attributerweiterung im Kanzlei- und Gelehrtenstil ging ein Rückgang der nachgestellten Adjektiv- und Partizipialappositionen einher (Heinrich Weber 1971, 130; nach Polenz 274), die dort im 14. und 15. Jh. wohl vor allem wegen der guten Hörverständlichkeit an Beliebtheit gewonnen hatten (Lötscher 1990, nach Polenz 273). Lötschers Auffassung vom Übergang von der Nach- zur Voranstellung der Attribute teilt Takada (1998, 220ff.). Er zeigt, dass die Stellung des einfachen attributiven Adjektivs sich nicht nur im Gebrauch durchsetzt, sondern auch in der deutschen Grammatikschreibung bereits früh als eindeutig dem übergeordneten Substantiv vorangehend angegeben wird (z.B. Ritter 1616). Nachfolgende Grammatiker wie Opitz, Buchner oder Schottelius teilen diesen Standpunkt vorbehaltlos (ibid.). Die modernisierte Wortstellung wird nach Takadas Darstellung von ihnen auch auf das vorangestellte erweiterte Adjektiv- und Partizipialattribut übertragen, wobei angemerkt werden muss, dass eine systematisierte Syntax erst später zum Thema der Grammatikschreibung wird (s. 1.2.).92 Stilistisch gesehen wird von Schottelius (1641, 571f., ebenso 1651 und 1663, s. Takada 1998, 222) gegenüber dem Relativsatz die Voranstellung des Attributs bevorzugt, die seiner Meinung nach „den Verstand der Rede kürtzlich und zierlich befodert“. Es werden also Sprachökonomie und ästhetischer Wert93 der Konstruktion betont. Schottelius gibt als Beispiele an: jhre/ von übermächtiger Sorgfältigkeit unterdrückte Seele, die hohe vor Augen schwebende Noht [...], ein noch nicht satter Löwe (ibid.). Die von ihm angeführten Beispiele stammen vorwiegend aus Reichsabschieden und gerichtlichen Texten, laut Takada ein Beweis für das noch hohe Prestige und die Vorbildfunktion der Kanzleisprache. Womöglich sind sie aber auch ein Indiz dafür, dass Schottelius sich der spezifisch textsortenbedingten Vorliebe für das Partizipialattribut bewusst ist. Schottelius‘ Ansicht wird mit entsprechenden Argumenten auch von Girbert (1653), Pudor (1672) und Stieler (1691) vertreten (Takada 1998, 223f.). Lediglich Bödiker (1690) ermahnt bei allem Lob des erweiterten Partizipialattributes, dieses „ohne Dunckelheit“ zu bilden (224, nach Takada 1998, 224), laut Takada eine Warnung, die Nominalklammer nicht zu überlasten. Auch Stieler warnt vor zu langen 92
93
Laut Takada (1998, 220f.) ist es Stieler, der 1691 als erster Regeln zur Syntax des Deutschen zusammenstellt, wobei er mehr als auf allgemeine Regeln zur Wortstellung und Satzordnung auf die Charakteristika der deutschen Wortstellung Wert legt. Die Ausbildung des Nominalrahmens mit vorangestelltem erweiterten Adjektiv- und Partizipialattribut gehört zu diesen Charakteristika. Man beachte, dass laut DWB zierlich noch sowohl formschön als auch gemäß den [hier ästhetischen] Vorschriften bedeuten kann (Bd. 31, Sp. 1195ff.).
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Satzbegriffen, denn die „allzugroße LÔnge ermÙdet Mund und Augen/ und ist dem Nachsinnen verdrießlich“ (Secretariat-Kunst, Teil 2, 1673, 40; Näheres s. 3.1.3.2.). Takada zitiert hierzu auch den Duden von 1966 mit einer gleichen Ermahnung (ibid., Fußnote 409).94 Abgesehen von der Bevorzugung des vorangestellten erweiterten Partizipialattributes gegenüber dem Relativsatz findet Takada bei den Grammatikern keine ausdrückliche Präferenzäußerung (alternativ steht noch das nachgestellte erweiterte Partizipialattribut zur Auswahl, nach Weber 1971 auch als Partizipialapposition bezeichnet; Takada 1998, 224). Die Partizipialapposition wird von Schottelius verschiedentlich als dem vorangestellten erweiterten Attribut gleichwertig erwähnt, findet aber keine weitere Beachtung (ebenso bei Pölmann 1671, 36; nach Takada 1998, 224). Offensichtlich ist die Voranstellung bereits soweit etabliert, dass sie als selbstverständlich betrachtet und als Norm beschrieben wird und nicht mehr gegen die zurücktretende Möglichkeit der Nachstellung abgegrenzt werden muss. Laut Weber (1971, 98f.; nach Takada 1998, 224) verschwindet die nachgestellte erweiterte Partizipialapposition gegen Ende des 17. Jhs. aus der Kanzleisprache. In dieser Zeit entstehen nach seiner Beobachtung aus der Feder Schottelius‘ und Thomasius‘ stammend die ersten wissenschaftlichen Texte, in den erweiterte Attribute größeren Umfangs mit einer höheren Frequenz verwendet werden. Auch in der laut Fritz/Straßner (1996, 107f.; nach Takada 1998, 225) stark von der Kanzleisprache beeinflussten Zeitungssprache nehmen die vorangestellten Attribute bei wachsendem Umfang der Erweiterung zwischen 1609 und 1667 zu. Auch für Polenz ist die Satzerweiterung durch Partizipialattribute ein epochentypisches Phänomen. Traditionell gesehen noch nicht in den Begriff Hypotaxe eingeschlossen, dienen die adjektivisch gebrauchten Partizipien dazu, verkürzte Ersatzformen für Nebensätze in die Attributposition von Substantivgruppen zu bringen und sind damit „Sparformen des komplexen Satzbaus, ‚Hypotaxe‘ im weiteren Sinne“ (1994, 271). Im Extremfall können ganze Satzgefüge in die Attributstelle hineingezwängt werden (Polenz zitiert an dieser Stelle einen Reichsabschied von 1670, den er als „vorbildgebenden barocken Kanzleistil“ bezeichnet, in dem der Umfang der Satzklammer95 von klammereröffnendem Artikel bis Kernsubstantiv 36 Wörter beträgt). Weitere konkrete Beispiele hebt Polenz exemplarisch aus dem Oeconomus Prvdens et legalis von 1722 hervor (15f., nach Polenz 1994, 379ff.), einem Hausväterbuch. Dort sind jedem Kapitel Zitate juristischer 94 95
Es ist interessant zu sehen, dass die Duden Grammatik von 1998 eine solche Warnung nicht mehr für nötig hält. Im Duden-Newsletter vom 11.06.2004 findet sich allerdings wieder ein entsprechender Hinweis (s.u.). Die Satzklammer beginnt mit dem Kopf (Artikel = Klammer auf ) und endet mit dem Kern (Kernsubstantiv = Klammer zu). Näheres s. Eisenberg 1999, 155 (weitere Definitionen s. ibid. 401f.).
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Fachliteratur als sog. Rechts-Anmerkungen beigefügt. Das von Polenz wiedergegebene Textstück, verfasst in einem der Kanzleisprache nahestehenden Fachjargon (Abdruck s. Polenz 1994, 381), enthält in einem Textabschnitt von etwa 280 Wörtern 5 erweiterte Attributgruppen, davon 4 Partizipialattribute, die Polenz alle als „stark erweitert“ bezeichnet (die jeweils nachstehende Zahl gibt den Wortumfang der Nominalgruppe ohne Artikel an): bey den alten Teutschen observirte differenz 6 eine vom schlechtem Stand entsprossene Weibs-Person 5 die aus solcher Ehe erzeugte [sic!] Kinder 5 aus dem [sic!] im Text bereits angezeigten, und von Carpzovio l. 2. def. 9. noch mehrern auf die Bahn gebrachten Ursachen 18/13 (Quellenangabe lies: libro segundo, definitio nona, also 2. Buch, 9. Definition)
Die Länge der Erweiterungen haben einen Umfang zwischen 6 und 13 bzw.18 Wörtern (Durchschnitt: 8,5 bzw. 7,5 Wörter), wobei die Erweiterung mit 13/18 Wörtern deutlich hervorsticht. Bei der großen Beliebtheit von Attributerweiterungen wurde im 17. und 18. Jh. nicht nur über erschwertes Verständnis sondern auch über inhaltliche Ungenauigkeit hinweg gesehen, z.B. in Polenz‘ Beispiel mit meinem bey mir habenden Vermögen (1994, 27496), das nach heutigem Grammatikverständnis nicht korrekt ist (s.o.). Ab Gottsched geriet solches aber immer mehr in Verruf. Die heute unzulässige Adjektivierung von reflexiven Verben war bis in Goethes Zeit zulässig (s. Polenz 1994, 247). Der Sprachkritiker Gustav Wustmann schlägt angesichts der Unmöglichkeit der Bildung von Partizipialattributen reflexiver Verben (*der sich eingenistete Brombeerstrauch) und zur Vermeidung komplizierter Konstruktionen mit haben (der sich eingenistet habende Brombeerstrauch) vor, Relativsätze zu verwenden. Implizit geht aus Wustmanns Vorschlag hervor, dass er Relativsätze für die zweite Wahl nach Partizipialattributen hält. Aus der Ablehnung weniger Formen scheinen sich nach den Darstellungen in Polenz 1994 im Laufe des 18. Jhs. schließlich generelle Vorbehalte gegen die Verwendung von Partizipialkonstruktionen entwickelt zu haben. Diese Bevorzugung scheint jedoch zunehmend zu einem regionalen Phänomen geworden zu sein (s. Reiffenstein 1988, nach Polenz 1994, 173), das ab der Jahrhundertmitte immer mehr in den Hintergrund gedrängt wurde. Schon 1729 erklärt Johann Christoph Gottsched in seinem Grundriß zu einer vernunfftmäßigen Redekunst97 u.a. Partizipialkonstruktionen als Hin96
97
Polenz spricht von referenzieller Agens-Inkongruenz zwischen Adjektiv und Substantiv, also Verwechslung von Aktiv und Passiv. Wustmann vermutet, die Schranke zwischen Aktiv und Passiv sei erst nach dem Anfang des 19. Jhs. entstanden. Er gibt etliche Beispiele (1908, 165f.). Revidiert und erweitert als Ausführliche Redekunst (1736).
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dernisse beim Textverständnis (nach Polenz 1994, 316). Auch Louise A. V. Gottsched verwendet in ihrem satirischen Lustspiel Herr Witzling (erschienen 1745) u.a. Partizipkonstruktionen und partizipialadjektivische Wendungen dazu, einen latinisierten Kanzlei- und Bildungsstil zu kennzeichnen (Näheres s. Polenz 1994, 220ff.). Die Ablehnung von Partizipialkonstruktionen nimmt ab dieser Zeit immer mehr zu, und sogar in Reformbemühungen der konservativen Rechtssprache werden laut Hans Hattenhauer (1987, 49f. nach Polenz 383) im späten 18. Jh. nicht nur Schachtelsätze sondern auch „verworrene und weitschweifige Participialkonstruktionen“ als geeignete Ausdrucksmittel verworfen. Wustmann dagegen äußert sich um 1900 ausschließlich gegen falsch gebrauchte Partizipialkonstruktionen (falscher Bezug durch Verwechselung von Aktiv und Passiv, Bildung des Partizip Perfekt von reflexiven Verben; s. 1908, 165ff.), die er durch einen Relativsatz zu ersetzen vorschlägt. Auf überlange Erweiterungen kommt er nicht zu sprechen. Auch die Duden Grammatik von 1998 äußert sich nicht gegen erweiterte Partizipialattribute. Dagegen schlägt der monatlich von der Dudenredaktion versandte DudenNewsletter vom 11. Juni 2004 die Vermeidung von überlangen attributiven Partizipgruppen durch Verwendung eines Relativsatzes oder wenn nötig radikale Umformung des Satzes vor (s. Fußnote 94). 4.8.2. Erweiterte Partizipialattribute in den Commerzprotokollen Die Untersuchung der Commerzprotokolle ergibt ein Bild, das von dem in der vorstehend betrachteten Literatur gezeichneten in einigen Punkten abweicht. Die Anzahl des schon von den Grammatikern bevorzugten und um 1900 noch bzw. wieder vom Sprachkritiker Wustmann geschätzten erweiterten Partizipialattributs in den Protokollen liegt mit einer Gesamtzahl von 18 (verteilt auf Schreiber A: 4; Schreiber B: 1; Schreiber C1: 3; Schreiber D: 2; Schreiber C2: 8; Schreiber C insgesamt: 11) unter dem der Relativsätze. Diese kommen mit insgesamt 24 Belegen vor (Relativsätze pro Schreiber A: 8; Schreiber B: 4; Schreiber C1: 3; Schreiber D: 6; Schreiber C2: 0; Schreiber C: 3). Erweiterte Partizipialattribute sind damit zwar durchaus normale Erscheinungen, sie werden aber nicht, wie von den Grammatikern empfohlen, prinzipiell den Relativsätzen vorgezogen.
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
8 7 6 5 4 3 2 1 0 A
B
C1 Schreiber
D
C2
Graphik 4.9: Konkurrenz von Partizipialattribut (1. Säule), Relativsatz (2. Säule) und Partizipialapposition (3. Säule)
Es fällt ins Auge, dass es in diesem Bereich offensichtlich starke individuelle Abweichungen gibt (s. Graphik 4.9), z.B. bevorzugt Schreiber A den Relativsatz (8 Belege) gegenüber dem linksstehenden Partizipialattribut (4), während Schreiber C das Partizipialattribut (10) dem Relativsatz (5) vorzieht. Schreiber D zeigt die größte Ausgewogenheit mit je 2 linksstehenden Partizipialattributen und rechtsstehenden Partizipialappositionen sowie 6 Relativsätzen. Schreiber B verwendet mit insgesamt 6 Belegen alle drei Phänomene nur spärlich, was dazu anregen sollte, in weiterführenden Studien die individuell bevorzugte makrosyntaktische Struktur der Protokollanten zu vergleichen, die womöglich weitere Alternativen zu den hier beobachteten mikrosyntaktischen Phänomenen bietet. Die für die Zeit gegen Ende des 17. Jhs. bereits totgesagte Partizipialapposition ist zwar wenig frequent, sie ist mit 7 Belegen aber trotzdem bei allen Schreibern mindestens ein Mal vertreten (Verteilung: Schreiber A: 1; Schreiber B: 1; Schreiber C1: 2; Schreiber D: 2; Schreiber C2: 1; C: 3). Allerdings stellt die Partizipialapposition bei Schreiber B einen Sonderfall dar, da sie in lateinischer Sprache vorliegt („die Sache rebùs sic stantib[us]“,98 PC 56/20). Dies ist ein Beleg für die Lateinkenntnisse der Schreiber, kann aber zu diesem späten Zeitpunkt der Entwicklung nicht mehr als Argument für 98
Lat. für bei so stehenden Sachen oder da die Sachen so stehen (i.S.v. in dieser Lage). Vermutlich ist hier der Schreiber aus stilistischen Gründen zur Vermeidung einer Wortwiederholung auf die lat. Sprache ausgewichen (s. Protokolltext).
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die Favorisierung der Partizipialattribute in der Kanzleisprache herangezogen werden (vgl. Polenz 1994, 380). Von den insgesamt 25 in den Protokollen gefundenen Partizipialattributen (links- und rechtsstehend) können außer der lateinischen Partizipgruppe um stantibus noch drei aus lat. Fremdworten gebildete Partizipien beobachtet werden, die aber nach deutscher Grammatik konjugiert werden (gedecretirte 1 Beleg, proponirte 2 Belege). Abgesehen von 2 Partizipien heute aus dem Wortschatz verschwundener Verben (obhanden habend99 und nachgetan100) sind alle Partizipien in ihrem referenziellen Bezug zum Substantiv stimmig und entsprechen der heutigen Norm (von orthographischen Abweichungen abgesehen, vgl. 4.3.). Heute als falsch betrachtete Partizipbildungen reflexiver Verben finden sich nicht. Dagegen weicht die Adjektivflexion (z.B. die zur See [...] handelende Kaùffleùte, PC1/1f.) von der heutigen in 12 der 24 Fälle ab, das sind 50% (Fehler bei den verwendeten adjektivierten Partizipien bei Schreiber A: 4/4; Schreiber B: 0/1; Schreiber C1: 1/5; Schreiber D: 3/5; Schreiber C2: 4/9; C: 5/14). Dies ist mehr als bloß ein „restlicher Beleg für den älteren diffusen Zustand“ (Polenz, s.o.). Die Adjektivflexion weicht bei Schreiber A noch völlig, bei Schreiber D stark und bei Schreiber C bis zu einem gewissen Grade vom heutigen Standard ab (Schreiber B liefert nur 1 Beleg, der der heutigen Norm entspricht). Der Umfang der Partizipialattribute101 beträgt im Durchschnitt 5,3 Wörter (Schreiber A: 8,3; Schreiber B: 4; Schreiber C1: 4,3; Schreiber D: 4,5; Schreiber C2: 4,3; Schreiber C: 4,3). Die Partizipialappositionen102 haben im Schnitt einen Umfang von 7,2 Wörtern (Schreiber A: 10; Schreiber B: 5; Schreiber C1: 7,5; Schreiber D: 7; Schreiber C2: 5; C: 6,7) und die Relativsätze103 einen durchschnittlichen Umfang von 9 Wörtern (Schreiber A: 11,25; Schreiber B: 8; Schreiber C1: 7,6; Schreiber D: 6,3; Schreiber C2: 13,3; Schreiber C: 10,5). Der Umfang der Partizipialattribute liegt damit unter dem in Polenz‘ Beispiel starker Erweiterungen erreichten Durchschnitt von 7,5 (bzw. 8,5) Wörtern. Die bei Polenz zu findenden extremen Umfänge attributiver Erweiterungen, die von 13 (bzw. 18) Wörtern bis hin 99 Heute vorhanden. Laut DWB (Bd. 13, Sp. 1107) zur Zeit des Wörterbuchs schon dialektal. 100 Heute hinzugefügt, noch dazu getan (s. DWB Bd. 13, Sp. 186). 101 Die Partizipialattribute wurden gezählt ab Artikel/Pronomen/Zahlwort (exklusive) bis Kernsubstantiv (inklusive), wobei Abkürzungen wie vollständiger Text aufgelöst und mitgezählt wurden (s.u.). 102 Partizipialappositionen wurden gezählt ab Substantiv (bei mehreren Substantiven wurden, wie bei allen Konstruktionen, diese samt Konjunktion mitgezählt) bis Partizip (jeweils inklusive, s.u.). 103 Relativsätze wurden, zum Vergleich mit den Partizipialattributen und –appositionen, vom Nomen bis zum Verb gezählt (jeweils inklusive). In allen drei Konstruktionen wurden Komposita nach heutigem Brauch gezählt, auch wenn diese in den Protokollen als zwei Wörter auftauchen (z.B. Wexel Brieffe = 1 Wort). Bei angenommenen Ellipsen (2 Fälle) wurden die ergänzten Elemente mitgezählt (s. Anhang, Tabelle 4.8.2).
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
zu 36 Wörtern reichen, werden in den Protokollen nur in einem einzigen Fall beobachtet (Schreiber A, PC 41/1ff., 15 Wörter). Die von Bödiker 1690 geäußerte Ermahnung, Partizipialattribute „ohne Dunckelheit“ zu verwenden kann demnach im Fall der Commerzprotokollisten als zu spät kommend betrachtet werden, da sie bereits verinnerlicht scheint. 14 12 10 8 6 4 2 0 A
B
C1 Schreiber
D
C2
Graphik 4.10: Verhältnis von durchschnittlicher Länge und Position (1. PtAttr., 2. PtApp. und 3. Relativsatz)
Es geht aus den Zahlen hervor, dass die Länge der Erweiterung insgesamt offensichtlich einen Einfluss auf deren Position hat: mit zunehmendem Umfang wandert die Ergänzung nach hinten und je größer der Umfang der Erweiterung wird, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Konstruktion eines Relativsatzes bevorzugt wird. Es kollidiert hier sichtbar der Wunsch nach formaler Entlastung des Satzgefüges (Ersparnis eines Nebensatzes durch Partizip) mit der Rücksichtnahme auf das zwangsläufig endliche Kurzzeitgedächtnis des Lesers/Hörers. Interessant ist in diesem Kontext ein Fehler, der eine Unsicherheit bei der Entscheidungsfindung von Schreiber D dokumentiert. Es wird rechts des Substantivs ein Anakoluth aus Relativsatz und Partizipialattribut niedergeschrieben, das dann in einen korrekten Relativsatz verbessert wird: Wechselbrieffe auch Bùchschùlden welche aùff 400 Mark oder/ ein Mehres sich erstreckende (PC 379/6f.).
Dieser Satz liegt mit 12 Wörtern klar über den in den Protokollen für Partizipialattribute durchschnittlich akzeptierten Werten. Bei Durchsicht der überlangen rechtssubstantivischen Ergänzung durch den Schreiber muss
Partizipialkonstruktionen vs. Relativsatz
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dies deutlich geworden sein, so dass die offensichtlich erst angedachte, dann verworfene (mit welche wurde ein Relativsatz eingeleitet) und dann doch halb ausgeführte Entscheidung zum Partizipialattribut (erstreckende) rückgängig gemacht und dieser vollständig zum Relativsatz modifiziert wurde. Die Möglichkeit, welche zu streichen und ein längeres Partizipialattribut zu belassen, wurde nicht genutzt. Die Kombination von Erweiterungen links und rechts des Substantivs kommt in den Protokolltexten i.d.R. nicht vor, nur in einem Sonderfall wird sowohl links als auch rechts des Substantivs eine umfangreichere Erweiterung104 vorgenommen: der vor Aùgen schwebenden Gefahr/ womit die Englische Nation dieser Statt BeÓ/ drewlich zùsetzten (Schreiber C1, PC 321/11ff.).
Was die Häufigkeit von Partizipialattributen angeht, so weicht deren Einschätzung in der Literatur von deren Vorkommen in den hier untersuchten Quellen ab. Der Vergleich zu dem von Polenz 1994 angeführten Beispiel juristischer Fachsprache von 1722, in dem die besonders hohe Frequenz von 4 Partizipialattributen pro ca. 280 Wörtern vorlag (das bedeutet 1 PtAttr. pro 70 Wörter), ergibt weitaus niedrigere Werte für die Commerzprotokolle. Schreiber C, bei dem die Frequenz der Partizipialattribute am höchsten ist, erreicht nur einen Wert von 1 PtAttr. pro ca. 256 Wörter, bei Schreiber A liegen die Werte schon bei 1 PtAttr. pro ca. 594 Wörter (bei Schreiber D kommt 1 PtAttr. pro gut 1.500 Wörtern, bei Schreiber B 1 PtAttr. pro gut 2.500 Wörtern vor). Schlussfolgerung Die Analyse der Commerzprotokolle erbrachte Ergebnisse, die von den Beobachtungen der Forschungsliteratur in einigen Bereichen abweichen.105 Erweiterte Partizipialattribute links des Substantivs sind in den Protokollen weitaus weniger frequent und durchschnittlich auch weniger umfangreich als die in der Literatur angeführten Beispiele. Partizipialattribute größeren Umfanges (Polenz 1994 zitiert ein Erweiterung von 36 Wörtern) werden in einem einzigen Fall beobachtet, in dem eine Erweiterung ausnahmsweise 15 Wörter erreicht. Ermahnungen zur Vermeidung von Unklarheit bei der Verwendung von zu langen Partizipialattributen, wie sie aus dem Munde späterer Grammatiker vernommen wurden, sind also bei den Protokollen nicht angebracht.
104 D.h. außer einem Relativsatz steht links mehr als Artikel/Zahlwort+Adjektiv (s. Anhang, Tabelle 4.8.2). 105 Lediglich Lötscher deutet dies an (1990, 25).
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
Ins Auge sticht eine große individuelle Spannbreite bei der Frequenz und Auswahl der betrachteten konkurrierenden Mittel zum Ausbau der Substantivgruppe (Partizipialattribute, Partizipialapposition und direkt an das Substantiv angeschlossener Relativsatz). Trotz dieser Spannbreite zeichnet sich insgesamt ab, dass die Auswahl der genannten Phänomene in engem Zusammenhang mit deren Umfang steht: Je länger eine Erweiterung ist, desto weiter hinten im Satz wird sie üblicherweise platziert. Anders als in der Literatur beschrieben, ist in den Protokollen die Partizipialapposition noch nicht so gut wie ausgestorben, aber sie hat die deutlich schwächste Position innerhalb der Konkurrenten. Die Adjektivflexion weicht noch in 50% der Fälle von der heutigen ab (wobei das individuelle Spektrum wiederum groß ist, bei einem Schreiber kommt es zu 100%iger Abweichung); das ist mehr, als nach den Darstellungen der Literatur zu erwarten wäre, die für das späte 17. bis hin ins 18. Jh. von Resten diffuser Adjektivflexion spricht. In der Verwendung der Partizipien entsprechen die Attribute bereits dem heutigen Standard, Verwechselung von Aktiv und Passiv oder Bildungen falscher Partizipien kommen nicht vor.
4.9. Kausale Konjunktionen 4.9.1. Die kausalen Konjunktionen weil, da und denn Konjunktionen sind unflektierbare Wörter, die die Funktion haben, andere Wörter, Wortgruppen oder Sätze miteinander zu verbinden (die Duden Grammatik 2005 bevorzugt den Begriff Junktionen, s. 926). Dabei stellen sie meistens außer einer bloßen Verknüpfung einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen den verbundenen Gliedern her. Man kann Konjunktionen folglich nach ihrer Funktion oder nach ihrem Inhalt betrachten, d.h. nach der Beschaffenheit der von ihnen geschaffenen Verknüpfungen oder den von ihnen hergestellten Sinnzusammenhängen (einen Überblick über beides gibt die Duden Grammatik 1998 unter Die Wortarten, 10 bzw. 2005 unter 4 Junktionen). Für die inhaltliche Verknüpfung gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, etwa konditional (eine Bedingung angebend: falls) oder temporal (zeitlich: während). Es gibt auch Konjunktionen, die inhaltlich neutrale Verknüpfungen herstellen können (dass, ob). Die hier betrachteten Konjunktionen denn und weil sind im heutigen Deutsch ihrer Bedeutung nach kausal (begründend; 1998, 403 u. 2005, 631 sowie 638).106 Man kann bezüglich der Beschaffenheit der möglichen Satzverknüpfungen zwischen 106 Andere im engeren Sinne kausale Konjunktionen sind zumal, da und nun. Sie sind alle subordinierend, s.u. Zur weiteren Differenzierung von kausalem und intentionalem weil s. Keller (1990, 110ff.). Näheres zum Begriff der Kausalität s. Eisenberg (1999, 324ff.).
Kausale Konjunktionen
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den Typen koordinierende (nebenordnende) Konjunktionen (Pat und Doris) und subordinierende (unterordnende) Konjunktionen unterscheiden (Ich freue mich, weil die Sonne scheint). Im Kontext von denn und weil sind die koordinierende und subordinierende Funktion von Interesse, v.a. wenn es auf Satzebene darum geht, Hauptsätze nebeneinander zu stellen (parataktische Funktion) oder Nebensätze unterzuordnen (hypotaktische Funktion). Die Definition von Hauptsätzen und Nebensätzen ist problematisch, da unterschiedliche Grammatiken verschiedene Kriterien ansetzen. Traditionell werden Sätze mit Verbendstellung als Nebensätze und Sätze mit dem Verb an zweiter Position im Deutschen als Hauptsätze bezeichnet (s.u. und vgl. Uhmann 1998, 93). Die Duden Grammatik 1998 (617ff.) orientiert sich v.a. an der grammatikalischen Abhängigkeit einzelner Teilsätze. Hauptsätze sind demnach Teilsätze, die ohne einschneidende Veränderung der Aussage für sich alleine stehen können. In Satzverbindungen sind sie formal aneinandergereiht, ohne von einander grammatikalisch abhängig zu sein (ibid. 617f. und auch 2005, 1030). Sind Teilsätze in der Art verknüpft, dass grammatikalische Abhängigkeit besteht, spricht man im Fall der untergeordneten Teilsätze von Nebensätzen und insgesamt von einem Satzgefüge. Ein entsprechender Teilsatz kann weiteren Teilsätzen über- oder untergeordnet sein, ist jedoch immer ein Nebensatz. Nur derjenige Satz des Satzgefüges, der keinem anderen Satz untergeordnet ist, ist ein Hauptsatz (1998, 618f.; zur weiteren Unterscheidung der Teilsätze nach Form, Funktion und besonders Inhalt s. ibid. 755ff. und vgl. 2005, 1027ff.). In der Regel orientiert sich die Satztopologie an der Stellung des finiten Verbs. Je nachdem ob das Finitum an erster, zweiter oder letzter Stelle im Satz steht, spricht man von Verberststellung, Verbzweitstellung oder Verbendstellung (auch Verbletztstellung). Laut Duden Grammatik 1998 ist die Verbzweitstellung als Normalfall der deutschen Sprache anzusehen, es gibt jedoch hiervon abweichende Ansätze (vgl. Eisenberg 384ff.; die Duden Grammatik 2005 deutet nur eine besondere Häufigkeit der Verbzweitstellung in Aussagesätzen an, 875). Da Konjunktionen keinen Satzgliedstatus haben, werden sie bei der Zählung nicht mitberücksichtigt, der Satz Denn sie hatte kein Geld ist also ein Satz mit Verbzweitstellung (und nach oben dargestellter Auffassung ein Hauptsatz). Die Konjunktionen denn und weil können beide als koordinierende Konjunktionen fungieren (Duden Grammatik 1998, 400 und 2005, 631). Dabei kann denn ausschließlich ganze Sätze miteinander verbinden, und zwar, indem es inhaltlich gesehen an einen vorangegangenen Aussagesatz einen begründenden Satz anschließt (Ich singe, denn das macht mir Spaß). Die Duden Grammatik 1998 (403, Fußnote 1) weist hier auf die Möglichkeit einer Verwechselung von denn (kausale Konj.) und dann (temporales Adv.)
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
in Norddeutschland hin, die sich in einer in der Standardsprache nicht tolerierten Verwendung von denn in beiden Fällen, auch als Adverb, äußert (*Denn eben nicht).107 Weil steht als koordinierende Konjunktion nur zwischen zwei Adjektiven (Das schlechte, weil fehlerhafte Buch oder Das Buch ist schlecht, weil fehlerhaft). Zwischen zwei Hauptsätzen ist es in der schriftlichen Standardsprache bisher nicht akzeptiert (s.u.). Bei der Verknüpfung von Sätzen tritt weil als subordinierende Konjunktion auf (Ich singe, weil es mir Spaß macht; 1998, 404f.). Laut Duden Grammatiken standardsprachlich inakzeptabel ist die Verbindung von zwei Hauptsätzen mit weil (*Sie sang, weil es machte ihr Spaß, s.u.). Wie bereits angedeutet, nennt in kausalen Satzgefügen ein Hauptsatz ein Geschehen, eine Handlung oder eine Aussage, für die der kausale Nebensatz die Ursache, das Motiv oder einen Grund liefert (Duden Grammatik 1998, 789 u. vgl. 2005, 631). Vor allem da und weil dienen in solchen Verbindungen als Anschlussmittel. Sie stehen am Kopf des Nebensatzes, der in beiden Fällen vor oder nach dem Hauptsatz stehen kann: Da/weil es heute regnet, (darum) fällt die Wanderung aus oder Die Wanderung fällt (deshalb) aus, da/weil es heute regnet. Die Hauptsätze können hierbei die Korrelate darum, deswegen oder deshalb (bei da auch so) enthalten. Weil bezeichnet häufig gewichtigere oder neuere Informationen als da und steht dann hinter dem Hauptsatz,108 i.d.R. sind aber beide ohne grundsätzlichen Sinnverlust austauschbar (auf die Frage Warum? kann allerdings ausschließlich mit weil geantwortet werden; 1998, 790). Entwicklungsgeschichtlich gemeinsam haben sowohl denn (Herkunft uneindeutig) als auch weil (aus temporalem die weil), dass sie vor dem 15. Jh. kaum kausal vorkommen und sich erst nach dieser Zeit zugunsten von kausalem wann/wenn durchsetzen, die als Folge in dem relativ kurzen Zeitraum von 1400 bis 1550 untergehen (Fnhd. Grammatik, 473f.). Für kausale Sätze mit denn ist von Anfang an die Verbzweitstellung109 vorherrschend, jedoch sind im 15 Jh. noch häufig Varianten belegt, in denen das finite Verb weiter nach hinten oder sogar ans Satzende gestellt vorkommt. Diese alternativen Verbstellungen verschwindet allmählich und im 17. Jh. finden sich nur noch Reste davon. Die Verwendung von weil in temporaler Bedeutung (neben dieweil) verschwindet im Laufe des 18. Jhs. (Polenz 1994, 276). Im Kontext des hier untersuchten Kausalsatzes ist von Bedeutung, dass sich vom 16. bis zum 17. Jh. eine besondere Präferenz für hypotakti107 Dies ist nach Polenz als Rest einer bis ins 18. Jh. noch in Umgangssprache und Dialekten verbreitet bestehenden polysemen Übereinstimmung von dann und denn zu sehen (1994, 276). 108 Laut Eisenberg (1999, 4) ist sich der Sprecher des mit weil angeschlossenen Grundes weniger sicher, es wird zwischen weil und da also durchaus semantisch differenziert. 109 Ebert zählt die Konjunktion mit und spricht daher in der Fnhd. Grammatik von Verbdrittstellung.
Kausale Konjunktionen
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sche Anschlüsse herausbildet, besonders im Kanzleistil (Admoni 1980, 352, nach Polenz 1994, 274 sowie Reichmann 2000, 1641 und 1643). Für die Periode zwischen 1500 und 1700 beobachtet der von Polenz zitierte Admoni (1980, 352, in 1994, 274f.) eine zunehmend „logische Präzisierung“ des Satzgefüges, wobei das System der unterordnenden Konnektoren als „noch recht unpräzise und mangelhaft“ bezeichnet wird (Reichmann spricht für die gesamte fnhd. Periode von einer hohen Varianz im gesamten Feld der Konjunktionen, 2000, 1643). Es ist für Texte aus dieser Zeit demnach mit einer Präferenz der Hypotaxe und einer erhöhten Polysemität der Nebensatzkonnektoren zu rechnen. Eine in der Gegenwart der deutschen Sprechsprache selbst im gesprochenen Standard immer stärker zu beobachtende Flexibilität der Verbstellung im Zusammenhang mit der Konjunktion weil wird in der germanistischen Linguistik derzeit mit großem Interesse beobachtet, nicht zuletzt, weil die Verwendung als koordinierende Konjunktion oft als schlechtes Deutsch bezeichnet, und als Fehler, z.B. als Verwechselung mit dem eher schriftsprachlichen denn, dargestellt wird (vgl. Duden Grammatik 1998, 406, Fußnote 1 und 709, Fußnote 2; außerdem s. Sandig 1973, 42 und 52f.; die Duden Grammatik 2005 führt Beispiele für satzkoordinierendes weil an, betont aber deren Sprechsprachlichkeit, 631). Laut Duden Grammatik (1998, 790) ist ein heute beobachteter Übergang von weil als subordinierende Konjunktion zu weil als koordinierende Konjunktion über Sätze entstanden, bei denen nach weil eine elliptisch aufzufassende Pause zu beobachten ist: Ich singe weil [Folgendes zutrifft:] es macht mir Spaß. Laut einer weiteren Darstellung in Polenz (1994, 205) fungiert weil in derartigen Fällen als gesprächsschritteinleitende Interjektion.110 Eisenberg weist seinerseits auf eine strukturelle Problematik der koordinierenden Verwendung der Konjunktion hin, hat sie doch semantisch gesehen die Funktion, Kausalität im Sinne von Ursache und Wirkung auszudrücken. Dies ist eine inhaltlich asymmetrische Zuordnung zweier nicht gleichwertiger Sachverhalte (Aussage+weil+Begründung). Hierzu steht die formal symmetrische Nebenordnung von Hauptsätzen im Widerspruch (Hauptsatz+weil+Hauptsatz; allerdings liefert Eisenberg keine Erklärung, warum dieselbe inhaltlich asymmetrische Zuordnung bei denn etabliert und akzeptiert ist, vgl. Eisenberg 201f.). Dies sind nur wenige der verschiedenen funktionellen Deutungen des in gesprochenem Deutsch relativ häufigen weil mit Hauptsatzverbstellung (d.h. weil mit Verbzweitstellung, s.o.; weitere Erklärungsvorschläge s. Eisenberg 1999, 3ff.). 110 Einzelheiten zur hier nicht behandelten Diskursfunktion von weil s. Gohl/Günthner (1999) und Duden Grammatik (2005, 1219). Hierzu s. auch Ágel (2003, 12: Fußnote 18), der die Weitergrammatikalisierung von parataktischem obwohl und weil zu Diskursmarkern als potentielles Beispiel für die Überlagerung von mündlichkeitsgeprägten durch schriftbestimmte Strukturen anführt.
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Im vorliegenden Kontext aufschlussreich ist ein Ansatz von Susanne Uhmann (1998), die in ihrer Arbeit zur gegenwärtigen Umgangssprache für eine Polysemie von weil argumentiert. Uhmann geht davon aus, dass in der gegenwärtigen Sprechsprache die kausalen Konjunktionen da und denn, die dem Wortschatz des schriftlichen Standards angehören, durch verschiedene syntaktisch, semantisch und pragmatisch differenzierte Polyseme von weil ersetzt werden. Sie argumentiert in ihrem Aufsatz für einen diesbezüglichen Systemunterschied zwischen gesprochener Sprache und schriftlichem Standard. Ihrer Ansicht nach wird im umgangssprachlichen Register denn zunehmend von weil ersetzt (ibid., 95f.). Damit gibt es für Uhmann einzig im Fall von weil eine gleichlautende Konjunktion mit anderer Syntax – bei da und denn kommt solches (zumindest heute) nicht vor (ibid., 115). Das quantitative Verhältnis von weil zu anderen Kausalkonjunktionen wird für die gegenwärtige Umgangssprache von Uhmann folgendermaßen (1998, 100f.) beschrieben. Sie beobachtet ein Vorkommen von weil:da:denn im Verhältnis 49:1:5.111 Der von ihr zitierte Schlobinski (1992, 315) findet Werte von 98:1:1. Dies bedeutet nicht, dass da und denn in der Umgangssprache nicht aufträten. Aber sie kommen als Konjunktionen äußerst selten vor und haben in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle die Funktion eines Lokaladverbs, Modalpartikels oder sogar Temporaladverbs (nämlich bei der von Uhmann auch heute noch beobachteten phonetischen Realisierung von dann als denn; s. ibid., 100f. und s.o.). Uhmann kommt aus ihren Untersuchungen zu der Vermutung, dass denn möglicherweise in der Vergangenheit in manchen Varietäten gar nicht nennenswert vorkam (ibid., 132): Demzufolge wäre in diesen Varietäten nicht von einer Verdrängung von denn durch weil zu reden, sondern von einem „System, das von vorneherein nur weil-Varianten enthielt.“ Insgesamt stellt Uhmann für die diachronische Erforschung von weil erhebliche Forschungsdefizite fest (1998, 132f.). Während die Duden Grammatik 1998 das Auftauchen von weil als koordinierende Konjunktion zwischen zwei Sätzen als rezente Entwicklung behandelt,112 betrachtet Vilmos Ágel 2000 die Verwendung von weil im Kontext einer wesentlich länger andauernden Entwicklung (vgl. Sandig 1973, passim). Wie bereits im vorangehenden Kapitel 4.8. geschildert, ist 111 Der Umfang der Stichprobe wird als „2 längere Konversationen“ und „6 kürzere Telefongespräche“ beschrieben, konkrete Angaben zur Wortzahl fehlen (Uhmann 1998, 96). 112 Diese Ansicht wird von laienlinguistischen Puristen geteilt, die einen unerwünschten Einfluss durch die englische Sprache wittern, in der das begründende because mit Verbzweitstellung auftritt (vgl. Uhmann 1998, 93). Noch 1998 hält Brigitte Alsleben in einer in der DudenReihe erschienen „amüsanten Fibel sprachlicher Pannen“ in ihrem Eintrag zum Stichwort „... weil ich habe null Bock auf Grammatik!“ (9f.) am Postulat der Verbendstellung als obligatorisch fest. In modernen Grammatiken und germanistischen Lehrbüchern ist es heute selbstverständlich, dass auch Weil-Sätze mit Verbzweitstellung behandelt werden (z.B. Eisenberg 1999, 3ff. und Elisabeth Berner in Schmidt 2000, 181f.).
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die strukturelle Trennung von Haupt- und Nebensätzen eine kennzeichnende syntaktische Entwicklung der fnhd. Periode. Sie geht einher mit einer Festlegung der Funktion der Nebensatzkonnektoren. Ein typisches Merkmal für diese Trennung ist der Abbau der Polyfunktionalität der Konnektoren. Polenz (1994) beschreibt darüber hinaus für die folgende Aufklärungszeit eine Tendenz zum einfachen Hauptsatz+Nebensatz- oder Nebensatz+Hauptsatzgefüge (275), die seines Erachtens in Verbindung mit den mittlerweile weitgehend monosemierten (d.h. auf eine Funktion festgelegten) Konjunktionen steht. Während diese Systemfestigung für viele bereits im 18. Jh. fertiggestellt ist (Ágel 2000, 1880 zitiert Admoni 1990, 212), nimmt Ágel zumindest auf mikrosyntaktischer Ebene eine bis heute weiter andauernde strukturelle Entwicklung wahr (a.a.O.; vgl. auch 4.7.). Dabei bestreitet Ágel die makrostrukturell abgeschlossene Trennung in Haupt- und Nebensatz keineswegs. Durch die mit ihr verbundene Spezialisierung der Konjunktionen wurde seiner Ansicht nach mit denn bereits früh ein funktionelles Gegenstück zu weil in der deutschen Schriftsprache etabliert, so dass die beiden arbeitsteilig kausale Begründung in Haupt- bzw. Nebensätzen übernehmen (2000, 1881). Gleichzeitig sieht Ágel jedoch eine Gegenbewegung ablaufen. Die Verbzweitstellung nach weil gehört für ihn insofern in deren Kontext, als das Weiterbestehen bzw. (sprechsprachliche) Neuaufkommen von weil in parataktischer und hypotaktischer Doppelfunktion (also als Konjunktion und Subjunktion) eine klare Gegenbewegung zur sonstigen syntaktischen Entwicklung der Konnektorenspezialisierung darstellt. Ágel stellt auf diesem Gebiet Forschungsbedarf fest, da lediglich die oben erwähnte Strukturfestigung, nicht jedoch ihre mikrostrukturelle Gegenbewegung bislang historisch erforscht ist, die seines Dafürhaltens anhand der zunehmenden Flexibilität von weil aufgezeigt werden könnte (2000, 1881). Zwar wurde – gerade im Fall der Konjunktion weil – der mhd. Gebrauch von Konjunktionen bereits untersucht, aber zwischen dem 17. Jh. und heute gibt es laut Ágel keine Belege für weil mit Verbzweitstellung. Problematisch ist hierbei, dass sprechsprachliche Belege für historische Sprachstufen nicht in originaler Form zur Verfügung stehen. Für Vergleiche mit der heutigen Sprechsprache stehen also nur schriftliche Äußerungen zur Verfügung (vgl. Ágel 2000, 1886f.). Auch Uhmann weist darauf hin, dass das erstmalige Auftauchen von weil mit Verbzweitstellung zeitlich bislang nicht festgelegt werden konnte (1998, 92). Bei den Grammatikern fanden sich noch keine stigmatisierenden Aussagen zu weil+Verbzweitstellung. Die Darstellung der kausalen Konjunktionen weil, dieweil und sittemahlen in Johann R. Sattlers Orthographey (51658, 68f.) sieht diese Variante jedoch nicht vor.
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
4.9.2. Die kausalen Konjunktionen weil, da und denn in den Commerzprotokollen Die vorliegende Untersuchung der kausalen Konjunktionen weil, da und denn in den Commerzprotokollen konzentriert sich auf zwei Hauptbereiche. Unter Vernachlässigung der jeweiligen weiteren Satzgefüge113 werden vorrangig die folgenden beiden Phänomene beobachtet: 1. Verbstellung des Kausalsatzes. Es wird beobachtet, ob in dem durch die kausale Konjunktion eingeleiteten Satz jeweils Verbzweitstellung oder Verbendstellung vorliegt, mit anderen Worten, ob die Teilsätze hypotaktisch oder parataktisch verknüpft werden. 2. Topologie Aussage-Begründung. Es wird beobachtet, ob der durch die kausale Konjunktion eingeleitete Satz links oder rechts von dem durch ihn begründeten Aussagesatz steht (heute sind nur bei weil beide Stellungen möglich). Darüber hinaus wird entsprechend den vorigen Kapiteln untersucht, inwiefern sich der in den Protokolltexten gefundene Status Quo der Konjunktionen bereits mit dem in der heutigen Grammatik geschilderten Bild derselben deckt (Textbelege s. Anhang, Tabelle 4.9.2.b). In Übereinstimmung mit den Ausführungen in 4.3. gibt es in den Protokolltexten eine Vielfalt graphischer Realisierungen von weil. Es liegen (ohne Beachtung der Groß- und Kleinschreibung) 7 mögliche Schreibweisen der Konjunktion weil vor: weil, weiln, weill, weilln, weilen, weillen, weÿlln. Ein Zusammenhang der Schreibungen weiln, weillen, weÿlln mit inhaltlich temporaler Deutung konnte, zumindest bei oberflächlicher Betrachtung, nicht festgestellt werden, es besteht aber hier wie insgesamt bei der Untersuchung der Polysemität der Konjunktion (s.u.) noch Forschungsbedarf. Auch heutiges denn kommt in mehreren Schreibungen vor: denn, den und dann; lediglich bei da und den außerdem gefundenen Belegen von alßdann und daferner gibt es nur jeweils eine graphische Realisierung. Es ist interessant zu beobachten, dass die Anzahl der kausalen Begründungen bei allen Schreibern mit 16 bis 19 relativ gleich ist, auch wenn (besonders bei Schreiber D) außer dem überwiegenden weil noch andere Konjunktionen verwendet werden.114 Insgesamt kommen in den Commerz113 Aus Gründen der Übersichtlichkeit mussten die Sätze z.T. stark gekürzt werden. Die Ausschnitte wurden so weit gewählt, dass man den jeweiligen begründenden Satz und den damit korrespondierenden Aussagesatz beobachten kann (die ganzen Sätze sind im Anhang über die Quellenangaben in Tabelle 4.9.2.b auffindbar). 114 Gesucht wurde maschinell, unter Einbeziehung eines großen orthographischen Spielraums, nach den Konjunktionen da, denn (auch als dann), weil, seit, nachdem, während, so, dieweil, als, alsdann. Außerdem wurde der Text inhaltlich durchsucht.
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protokollen 59 (bzw. 60115) Weil-Sätze vor (verteilt auf Schreiber A: 17; B: 18 bzw. 19; C1: 9; D: 8; C2: 7; C=16). Davon stehen 42 (bzw. 43) WeilSätze links von dem Satz, den sie begründen. Hiervon sind 19 elliptische Sätze, bei denen die Verbstellung aufgrund des fehlenden Finitums nicht klar bestimmt werden kann, 21 (bzw. 22) Sätze weisen Verbendstellung auf und weitere 2 sind Sätze, bei denen die Verbstellung aus anderen Gründen mehrdeutig ist (s.u.).116 Nur insgesamt 8 Weil-Sätze stehen rechts des Satzes, den sie begründen. Hiervon ist 1 Satz nicht eindeutig als Verbzweit- oder Verbletztsatz zuzuordnen.117 In 9 Fällen liegt die kausale, durch weil eingeleitete Begründung in Form eines parenthetischen Einschubs vor (z.B. er sagte, weil es wichtig war, was er wollte; Schreiber A: 3; Schreiber B: 4; Schreiber C1: 0; Schreiber D: 1; Schreiber C2: 1). Es entfällt folglich bei diesen Einschüben die relative Verortung von Aussage und Begründung. Von diesen Sätzen sind 5 elliptisch (bei ihnen könnte durch einfache Ergänzung des finiten Verbs jeweils gleichermaßen Verbzweit- oder Verbendstellung erreicht werden). 3 Sätze weisen Verbendstellung auf, während 1 Satz nicht klar bestimmbar ist.118 Damit stehen insgesamt 71,2% der Weil-Sätze vor dem Satz, den sie begründen, 11,6% stehen dahinter. 50,6% der Weil-Sätze weisen Verbendstellung auf, während ebenfalls 42,4% der Sätze elliptisch sind. Weil-Sätze haben in 15,3% der Fälle die Form eines parenthetischen Einschubs. Insgesamt liegt bei 6,8% der Sätze eine problematische Verbstellung vor.
115 Die Abweichung entsteht, sofern ein durchgestrichener aber lesbarer Weil-Satz bei Schreiber B mitbewertet wird. In der folgenden Auswertung wird die Anzahl 59, also aller im Original belassenen Sätze, zugrundegelegt. 116 Ein Weil-Satz ist so kurz, dass in ihm durch Nicht-Besetzung des Mittelfeldes die Verbzweit mit der Verbendstellung identisch ist (Schreiber D, PC 445/11ff.). Gleiches gilt für die kausalen Da-Sätze (s.u.). 117 Wie bei den linksstehenden Weil-Sätzen beobachtet, gibt es auch hier einen Satz, der so kurz ist, dass die Verbzweitstellung der Verbendstellung entspricht (Schreiber B, PC 91/4ff.): weill die Zeit verlieffe. 118 Vgl. vorangehende Fußnoten: weilln Claß/ Richers schreibet (Schreiber B, PC 149/15ff.). Der Satz ist unterschiedlich interpretierbar, aber auch bei einer von der hiesigen Interpretation abweichenden Deutung ist die Verbstellung nicht feststellbar, da der weitere Satz elliptisch ist und das finite Verb fehlt.
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Tabelle 4.9.2.a: Weil-Sätze* und andere Kausalsätze (*WS; geordnet nach Verbstellung und relativer Position zum übergeordneten Satz; kausale Sätze mit alßdann, da, daferner und denn grau markiert) Schreiber Parenthese Verbendstellung Verbzweitstellung Verbellipse unklar WS WS WS WS WS WS links rechts links rechts links rechts A 3 6 2 0 0 5 0 1 WS (elliptisch) 1 Alß1 Da- links dannSatz Satz 0 0 5 0 1 WS B 4 6 (7)119 2 rechts (2 elliptisch, 1 Verbendstellung, 1 unklar) C1 0 6120 0 0 0 3 0 0 1 Daferner-Satz D 1 3 0 0 0 3 0 1 WS (Verbendstel2 Denn4 Denn2 Da- links lung) Sätze Sätze Sätze C2 1 0 3 0 0 3 0 0 (Verbendstellung) C gesamt 1 6 3 0 0 6 0 0 ∑ weil = 9 59/60 ∑ kausale Konj. = 70
21/22 +2
7
19 +4
3 +3
119 120
Kausale Denn-Sätze treten in den untersuchten Texten ausschließlich bei einem Schreiber auf, Schreiber D (zu anderen Verwendungen von denn und da s.u.). Von den insgesamt 6 Denn-Sätzen weisen 4 Verbzweitstellung auf, 2 haben Verbendstellung. In allen 6 Sätzen steht der Denn-Satz rechts des Aussagesatzes. Auch Da-Sätze die (zumindest potentiell) kausalen Inhalts sind (s.u.), finden sich nur bedingt (bei Schreiber D sind es 2 Sätze, bei Schreiber A ist es 1 Satz). Alle 3 Da-Sätze stehen rechts vom Aussagesatz und weisen elliptische Verbformen auf (wegen der geringen Anzahl kausaler Sätze mit da/denn wird von der Angabe von Prozentzahlen abgesehen). Außerdem taucht in den Protokollen jeweils 1 Satz mit alßdann (Schreiber 119 Einer der Sätze ist während des Schreibens verbessert worden, so dass ein weil durchgestrichen ist. Dieser Satz weist eine Parallelstellung von mehreren Weil-Sätzen auf (PC 56f./10ff.; Näheres s.u.). Als durchgestrichener Satz wurde er von der Bewertung ausgenommen, hier aber durchgestrichen angeführt. 120 Einer der Sätze von C1 weist eine parallele Struktur auf, bei der vor der Aussage im Hauptsatz mehrere Gründe angeführt werden (PC 321/1ff.; s.u.).
Kausale Konjunktionen
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C1) bzw. daferner (Schreiber A) auf, der kausal interpretierbar ist. Insgesamt stellen die Kausalsätze mit alßdann, da, daferner und denn mit nur 11 Belegen lediglich 15,7% der Kausalsätze, während die Weil-Sätze die restlichen 84,3% ausmachen. Weitere Konjunktionen, bei denen eine kausale Interpretation zumindest denkbar ist, wurden nicht beobachtet. Das Verhältnis der beobachteten kausalen Konjunktionen weil:alßdann:daferner:da:denn ist somit 59:1:1:3:6, und liegt damit nahe an dem von Uhmann beobachteten heutigen Verhältnis (weil:da:denn = 49:1:5). Im Vergleich zu diesen beiden Untersuchungen heutiger Umgangssprache liegt in den Protokollen zum Einen eine größere Vielfalt vor (5 statt 3 kausale Konjunktionen werden beobachtet), zum Anderen sind die anderen kausalen Konjunktionen (v.a. da) im Verhältnis zu weil noch etwas stärker vertreten (11:59 statt 6:49 oder 2:98). Das Auffinden von Denn-Sätzen mit Verbendstellung und die große Differenz in der Verwendungshäufigkeit der Konjunktionen entspricht den bisherigen Beobachtungen zum 17. Jh. (s. 4.9.1.). Zwar sind die Denn-Sätze in ihrer Position (genau wie heute) schon auf die rechte Seite des durch sie begründeten Aussagesatzes festgelegt, aber ihre Wortstellung weicht noch in 2 von 6 beobachteten Fällen von der postulierten Verbzweitstellung ab. Im Gegensatz dazu ist weil in den untersuchten Texten in seiner Position eher auf die linke Seite des begründeten Satzes festgelegt (allerdings finden sich auch ca. 12% rechtsstehende Sätze; die Duden Grammatik liefert leider keine Vergleichswerte zum heutigen Stand). Insgesamt machen Weil-Sätze mit etwa 84% den Großteil der in den Protokollen gefundenen Kausalsätze aus. Bei der Verbstellung in Weil-Sätzen gibt es keine Abweichungen vom heutigen schriftsprachlichen Standard: sofern die Verbposition der Sätze klar bestimmbar ist und diese nicht elliptisch sind, liegt Verbendstellung vor. Insgesamt wird bei inhaltlich kausaler Satzverknüpfung also deutlich die Form der Hypotaxe vorgezogen, die nach Eisenberg die semantische Ebene formell widerspiegelt (in elliptischen Sätzen wird die Entscheidung zwischen Hypotaxe und Parataxe vermieden). Auch dies entspricht dem bisherigen Kenntnisstand. Wie eingangs dargestellt, kommt weil als kausale Konjunktion laut Duden Grammatik schriftsprachlich nur bei Adjektiven koordinierend vor (Das schlechte, weil fehlerhafte Buch). Standardgerecht ist die Konjunktion im Falle ganzer Sätze nur subordinierend zu verwenden. Der Kausalsatz mit weil ist ebenso wie der mit da immer Nebensatz, egal ob er rechts oder links vom Aussagesatz steht. In den Commerzprotokollen konnte keinerlei koordinierende Funktion bei weil beobachtet werden, weder bei Adjektiven (heute akzeptiert) noch bei ganzen Sätzen (heute in der gesprochenen Sprache verbreitet aber in der Schriftsprache abgelehnt: Ich singe, weil es macht mir Spaß). Laut Duden Grammatik liefern Weil-Sätze häufig neuere Informatio-
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
nen als Da-Sätze (laut Eisenberg ist die Information weniger sicher). Dieser Aspekt kann wegen des geringen Umfanges des untersuchten Korpus nicht untersucht werden. Denn als kausale Konjunktion koordiniert im Gegensatz dazu ganze Sätze, indem an einen Aussagesatz eine Begründung angeschlossen wird (der Denn-Satz ist immer ein Hauptsatz rechts von Aussagesatz). Die heute standardsprachliche Verbzweitstellung stand schon seit dem 15. Jh. fest, auch wenn laut Ebert vereinzelt bis ins 17. Jh. hinein Abweichungen belegt sind. Bis ins 18. Jh. waren die heutige kausale Konjunktion denn und das heutige temporale Adverb dann polysem übereinstimmend (d.h. beide leisteten beides). In Norddeutschland besteht noch heute die Tendenz beide gleichzusetzen. Von den 6 bei Schreiber D gefundenen kausalen Sätzen mit der Konjunktion denn/dann liegt nur bei einem die Variante dann vor, die anderen 5 weisen denn (3) bzw. den (2) auf. In diesem Fall ist also die Monosemierung deutlich fortgeschritten und dann bereits stark zurückgedrängt. In einem anderen Fall sorgt allerdings umgekehrt die Verwendung von den statt dann für Unklarheit (die entsprechende Verwendung wurde in der Auszählung ignoriert, die unklaren Interpretationen erscheinen in den folgenden Sätzen unterstrichen): Bùrgerm: ùnd Rath aùch die Oberalten ùnd/ die Kaùffleùte, kamen den Nachmittag wieder/ aùff das Rahthaùß, da den die He. Commiss. des/ Rahts mit den Oberalten, den mit den KauffÓ/ Leüten geredet, [...] (PC 425/7ff.)
Die beiden dens, die nicht Artikel sind (hier unterstrichen), können in diesem Satz entweder als zusammenfassender Abtönungspartikel (i.S.v. heutigem also) oder als temporale Adverbien interpretiert werden, etwa i.S.v. „da die Herren Kommissare des Rats dann [zunächst] mit den Oberalten und dann [danach] mit den Kaufleuten geredet hatten“. Dann ... dann ... könnte auch als eine heute verschwundene zusammengesetzte temporale Konjunktion gedeutet werden. Nicht ausgeschlossen ist aber auch, dass es sich schlicht um einen auch nach damaligen Verhältnissen nicht klar durchkonstruierten Satz handeln könnte (sprich, einen Schreibfehler: es gibt in den Protokollen einige wenige entsprechende Beispiele anakoluther Strukturen, etwa bei Schreiber A, PC 72‘/20ff., dass man das Commercium berufen werden oder bei C1, PC 759/7ff. [sie ...] es kämen Klagten). Man beachte des weiteren, dass im vorliegenden Fall das als kausal aufgefasste da durchaus einer temporalen Interpretation offen steht und z.B. durch nachdem ersetzt werden könnte (s.u.). In den untersuchten Protokolltexten findet sich kein Komparativ mit denn (denn als vergleichende Satzteilkonjunktion wird von der Duden Grammatik 1998 noch als veraltete Verwendung angeführt). Dies kann durchaus
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an der Stichprobengröße liegen, die offensichtlich niedrig frequenten Konjunktionen nicht gerecht wird (s.o.). Hier als kausal interpretiertes da liegt in nur drei Sätzen vor, die alle elliptisch sind, so dass die vollständige Verbstellung erschlossen werden muss (Beispiele für andere Verwendungen von da s.u.; Konjunktionen erscheinen im Fettdruck): [...] nùn/ er von Bordos alhier gekommen, wolte man den/ Zollen von ihm haben, von Schiff ùnd Gùtt, da aùch/ aùff die Elbe gekommen, [...] (Schreiber D, PC 409/20ff.) [...] Spagnien und/ franckreich solten solches hoch empfinÓ/ den, daß man Jhre Haven nicht fùr neù/ tral wolte kennen, da man doch in/ freùntschafft mit Sie begriffen [...] (Schreiber A, PC 38/13ff.) Bùrgerm: ùnd Rath aùch die Oberalten ùnd/ die Kaùffleùte, kamen den Nachmittag wieder/ aùff das Rahthaùß, da [weil oder nachdem?] [den] die He. Commiss. des/ Rahts mit den Oberalten, [den] mit den KauffÓ/ Leüten geredet, [...] (Schreiber D, PC 425/7ff.)
In allen Fällen wäre nach heutigem Standard eine Verbendstellung wahrscheinlich. Zur Rekonstruktion eines Standards der mit da in den Commerzprotokollen verbundenen Anknüpfungsart fehlt es jedoch bislang an ausreichenden Belegen vollständiger Da-Sätze. Zudem sind die gefundenen Sätze mehrdeutig. Der zweite Satz etwa ist nicht eindeutig kausal, denn es wird eher ein Bedenken als ein Grund angegeben.121 Auch der dritte Satz ist problematisch, nicht nur aufgrund der verschiedenen Interpretationen der dens (s.o.), sondern weil da auch als temporale Verknüpfung interpretierbar ist. Im Falle des bei Schreiber C1 gefundenen daferner ist diskutierbar, ob formell gesehen nicht statt einer damaligen Konjunktion daferner die Konjunktion da samt Adverb oder evt. auch Abtönungspartikel ferner in Form eines Wortes realisiert sind, und somit ein weiterer Beleg von da vorliegt (dies wäre im Rahmen des damaligen Orthographieverständnisses durchaus denkbar, s. 4.3.). Der Gebrauch von daferner ist auch semantisch zweideutig, denn es könnte es sich dem Kontext nach um beides handeln, eine Vermutung (i.S.v. falls) oder einen Grund (i.S.v. weil): Weilln man öffters beÿ der Löbl. Admirl: zÚ des ComÓ/ mercii besten und nötigen aÚßgaben auß den Convoÿe Ó/ Geldern, 600 [s] gesùchet aber nicht mehr als die am 30/ Martÿ gedecretirte 256 s [Mark] und zuvor erst den 27. OctoÓ/ ber jüngsthin erhalten mögen, [...] Ünnd aber daferner/ mit diesem Lobl. Collegio sollte geContinØiret werÓ/ den, selbiges einige Mittel zÚ BehÚffigen ausgaÓ/ ben haben mÚste; So mochte E. Erb. KaÚffÓ/ man dahin bedacht sein woher die Noht121 Nach der Duden Grammatik (1998, 367f.) kann da als ein relativisch gebrauchtes Lokaladverb gesehen werden, dessen Gebrauch in dieser Form heute veraltet ist (stattdessen müsste heute wo stehen).
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
wendigkeit zÚ solchen/ nöhtigen Spesen Konte genommen werden. (Schreiber C1, PC 356f./20ff.) Paraphrase: Weil die Kaufleute wiederholt finanzielle Unterstützung von der Admiralität beantragt, diese aber erst sehr spät und auch nur in unzureichendem Umfang erhalten haben, [...] jedoch weil [falls?] die Commerzdeputation weitergeführt werden solle Geld nötig sei, so solle man überlegen, woher solches zu beschaffen sei.
Der Form nach entspricht der Daferner-Satz dem ersten der beiden unten besprochenen Weil-Sätze mit paralleler Mehrfachbegründung. Die noch nicht dem heutigen Standard entsprechende Anordnung in der Verbalgruppe (sollte geContinØiret werden statt geContinØiret werden sollte) wurde aufgrund ihrer Gesamtposition als Verbendstellung eingestuft (vgl. Fußnoten 124 und Anhang, Fußnote 64). Als weitere potentiell kausale Konjunktion lässt sich, in zwei Belegen und nur bei Schreiber A alßdann beobachten (beide Male in der Schreibung alßdann, davon 1-mal am Zeilenende mit Trennungsstrichen getrennt in alßÓ und dann). Wie bei daferner ist auch hier die Interpretation als Konjunktion samt Adverb in graphischer Realisierung als ein Wort möglich (i.S.v. weil dann): Es solte noch nicht/ geschehen konnen, die 144 währen heùte/ convocirt, wie weit man mit Ihnen kehÓ/ me würde diesen Mittag sich finden, alßÓ/ dann des Rahts resolùtion erfolgen würde. (Schreiber A, PC 5/19ff.) Nach einer halbe Stunde brachten die/ He. gedeputirte ein, man hette der Kaùff/ leùte und Schiffer Supplic zù vor zù/ Rahte verlesen, Es wolte E. Hochwß. Raht/ mit den Oberalten und der Kämmereÿ/ reden, hetten schon dem ein Capt: Mart[adg] Höchste ordre/ geben, Brodt, Bier und zù behör aùff den raht/ sal zù bestellen, man erwartete mit[en]/ ehister Post gùte Brieffe aùß Engellant/ alßdan alles richtig werden solte. (Schreiber A, PC 25/23ff.)
Somit liegt entweder mit alßdann eine heute nicht mehr gebräuchliche Konjunktion zumindest teilweise kausalen Inhalts vor oder es handelt sich um eine damalige (mindestens bedingt) kausale Verwendungen des heute nur noch temporalen, komparativen oder Satzteile anschließenden als, das in Verknüpfung mit einem temporalen Adverb erscheint. Im ersten Satz ist die Paraphrase weil dann für alßdann ohne Probleme vornehmbar. Im zweiten Satz liegt eher eine konsekutive (nicht einen Grund sondern eine Wirkung anzeigende) inhaltliche Verknüpfung mit alßdann vor, bei der eine Ersetzung durch so dass dann am geeignetsten scheint. Dieser Satz kann also nicht als eindeutiger Kausalsatz gewertet werden (er wurde entsprechend in der Auswertung nicht mitgezählt). Die beiden Belege demonstrieren eine noch relativ flexible Handhabung der Konjunktionen, die aus heutiger Sicht i.d.R. als Unsicherheit oder Uneinheitlichkeit gewertet wird: etwa beobachtet Admoni für die Periode zwischen 1500 und 1700 die „logische Präzisierung“ des Satzgefüges und das Abnehmen der „unpräzisen Konstruktionen“
Kausale Konjunktionen
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(1980, nach Polenz 1994, 274). Ebenso findet sich in Schmidt (2000, 374) die Auffassung, dass erst durch die Monosemierung der Konjunktionen im Fnhd. Bedeutung und Inhalt der Nebensätze klar zum Ausdruck gebracht werden konnte. Es besteht hier Forschungsbedarf.122 Auch bei den Weil-Sätzen gibt es einige Konstruktionen, die nur schwer oder mit unterschiedlichen Ergebnissen interpretiert werden können bzw. deren Struktur besondere Komplexität aufweist und die daher besonders erwähnt werden müssen. Es finden sich zwei Beispiele, in denen Weil-Sätze parallel nebeneinandergestellt werden, um ein und derselben Aussage Nachdruck zu verleihen (vgl. daferner). Diese Sätze wurden in der vorliegenden Analyse auf jeweils einen Aussage- und Kausalsatz reduziert und deren relative Topologie sowie die Verbstellung der Kausalsätze untersucht (jeder Weil-Satz wurde also einmal gezählt, während die entsprechenden Aussagesätze mehrfach berücksichtigt wurden). Die beiden Sätze mit Mehrfachbegründungen sind die folgenden (Konjunktionen erscheinen fett gedruckt, Korrelate in grauem Fettdruck): weilen man von denselben [He. 52.] verÓ / stÚnde daß es ein Bùrgerschlùß [sei], vnd weilln/ die gefahr sehr groß so man vor der Handt von/ den Englischen besorgete, Alß sÚchte man dieses/ Ohrtes in gefaßeter MeinÚng zù verharren; darÓ/ aùff geschieden. (Schreiber C1, PC 321/1ff.) Dep: Senaty weilln die Geßant[e]n in Engel:/ langt eineÓ Zeit geleg[e]n ùndt man gehoffet/ es wùrde ein reglement getroffen werÓ/ den ùndt weilln der Krieg aberÓ ie meer/ ùndt mer weidtleùffiger wird, [...] weilln Franckreich ùndt/ Denmak sich mit inÓ den Dialog fl[ö]chten, ùndt/ [weil] man also nicht wùste ob man einem zù/ gefallen den anderen nicht offendirte,/ undt also wodùrch dan wenig drauf dem He: Gesandten/ meer Zùverrichten, [...] alß hette/ Ein Hochw: Rath mit de[n] Oberalten darùber/ Commùnicirt fùnden ùnd /diensambbefùndendie He: Gesante/ zù avo[n]ciren rùck zù rùffen [...] (Schreiber B, PC 56f./10ff.)
Der erste Satz hat eine einfache Parallelstruktur, in der zwei Weil-Sätze mit und verbunden werden, während der zweite Satz aufgrund seiner Länge und einer vermutlich vom Schreiber selbst vorgenommenen Verbesserung (Tinte und Schrift deuten darauf hin) komplexer ist. Die Struktur der vor der Korrektur bestehenden begründenden Sätze ist deutlich parallel: weil [1. Grund] und [2. Grund] und weil [3. Grund] weil [4. Grund] und [5. Grund] alß [Aussage]. Diese Parallelstruktur wurde aber mit der Verbesserung zugunsten der Ausrichtung auf eine Klimax aufgegeben: weil [1. Grund] und [2. Grund], [3. Grund] weil [4. Grund] und [5. Grund] alß [Aussage].
122 So müsste z.B. festgestellt werden, wie sich das System der Konjunktionen nicht nur syntaktisch sondern auch semantisch gesehen entwickelt hat und ob zu einem früheren Zeitpunkt womöglich ein inhaltlich vom heutigen abweichendes Bedeutungssystem bestanden hat. Besonders der heutige Begriff der Kausalität wäre mit Hinblick auf seine Gültigkeit in früheren Systemen zu untersuchen.
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
Über diese beiden Sätze hinaus konnte die Verbstellung in den folgenden Weil-Sätzen nicht eindeutig bestimmt werden: [...] es wehre/ woll diensamb du der Anfang damit geÓ/ machet wùrde weill die Zeit verlieffe. (Schreiber B, PC 91/4ff.) 2 Wehre nicht ùndiensamb daß weilln Claß/ Richers schreibet keine tonnen aùff Cùcks:/ haven in Vorrath, das daruber gesprochen/ wurde du 6 in Vorrath stets daselbst beÿ/ der Hant sein möchten. (Schreiber B, PC 149/15ff.) [...] wehre an dem, daß die Banco wieder aùffgeÓ/ hen solte, ùndt weiln ein Erb. Kaùffman wollte,/ Ihr geldt alle[Z]eit sollte in Banco gereth seÿn, so/ daß Sie auff pande keinen Nüzen damit so dan/ machen könten, also ob die GeDeputirte nicht konten/ consentieren, (Schreiber D, PC 445/11ff.) [Deput: Commercÿ] proponirten, weilln beÿÿ die/ sem Zwürigen Zeiten Zwischen Holland und/ Engelland, man dahin müste bedacht sein/ wie man solche Seebrief[f ]e und attestationen/ mochte abfassen [...], so hette man/ eine formul so woll des Seebriefes alß/ General certification, aùch unverg[reiff.] meinùng eines Mandats [...] abfassen lassen, [...] (Schreiber A, PC 12f./20ff.)
In den ersten drei Fällen führt die Nicht-Besetzung des Mittelfeldes dazu, dass die Verbzweit- und Verbendstellung nicht unterscheidbar sind. Bei Besetzung des Mittelfeldes würde das Verb entweder in die Position der linken Satzklammer (auch Complementizer-Position genannt) gedrängt, so dass eine Verbzweitstellung erkennbar wäre (z.B. weil die Zeit verlieffe unaufhaltsam). Das Verb könnte alternativ auch auf die Position der rechten Satzklammer rücken (auch als Position des Infiniten Verbalkomplexes bezeichnet), also in Verbendstellung (z.B. weil Claas Richers in seinem Brief schreibt).123 Dagegen zeigt der vierte Satz, dass die Topologie der Verbgruppe zur Zeit der Niederschrift der Protokolle noch nicht gefestigt ist.124 Der Satz ist eine Übergangsform (Schreiber A, PC 12f./20ff.: weilln [...] man dahin müste bedacht sein), die jedoch insgesamt der heutigen Verbendstellung sehr nahe kommt (weil man dahin bedacht sein müsste). Für eine Darstellung des semantischen Status Quo der kausalen Konjunktionen in den Protokolltexten ist es unerlässlich darauf hinzuweisen, dass es (wie schon bei da beobachtet) auch in einigen Weil-Sätzen möglich ist, ohne größere Sinnänderung die hier kausal interpretierte Konjunktion durch temporale Konjunktionen wie dieweil, nachdem, solange, während zu ersetzen, z.B. bei Schreiber A (temporale Interpretationsvorschläge wur-
123 Es wird eine heute übliche Feldgliederung des deutschen Satzes – wie von Eisenberg (1999, 387ff.) zusammengefasst – angewendet; vgl. hierzu auch Uhmann (1998, 92f.). 124 Zur schrittweisen Herausbildung der Nachstellung des Finitums in mehrgliedrigen Verbalkomplexen von Nebensätzen s. Ágel (2000, 1877ff.).
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den, wie bereits oben, in eckigen Klammern ergänzt, Korrelate erscheinen grau):125 Commercium. Nach dehme He. Johan SchroÓ/ tering abgetreten suchten daß den OberÓ/ alten weiln [≈ solange] sie doch beysammen diese Sache/ recommendiret werden möchte, [...] (PC 24f./27ff.) ad3. Weiln [≈ dieweil, während] wahren von Contrabando sich weit/ extendiren und mann nicht weiß ob die/ Englischen die gantze fahrt auff Holland von/ hier stilschweigend ùnter wehren von con Ó/ trabando wollen verbieten, Alß wolle/ E. Hochws. Raht einen He gesanten kund thùn [...] (PC 42/1ff.) Commerciùm: Weilln [≈ nachdem] die gedeputir Ó/ te von dem Commercio erwehlet worden/ so sùchte daßelbe Sie mochten eintreten [...] (PC 37/24ff.) weilln [≈ solange, während] daß Admi Ó/ ralt: Collegium beÿsammen und daß/ Commercium versamlet, fùnde man/ Diensahmb daß man gesambt fur der/ Admiral: trete [...] (PC 37/15ff., vgl. 37/17ff.)
Es ist also im 17. Jh. noch die von Polenz beschriebene Polysemie der Konjunktionen vorhanden (s.o.), die erst im 18. Jh. verschwindet. Andererseits kommen aber Weil-Sätze mit rein temporalem Inhalt (weil und dieweil waren immerhin bis zum 15. Jh. ausschließlich in dieser Funktion vorhanden) nicht mehr vor, der Übergang von temporaler zu kausaler Bedeutung befindet sich also bereits in einem fortgeschrittenen Stadium. Es scheint zusätzlich, als ob die Korrelate (als, so etc., s.u.) bei den Konjunktionen in Richtung einer Monosemierung mitwirkten (in den temporal interpretierbaren Sätzen sind lediglich sie es, die einen heutigen Leser bei der temporalen Umdeutung stocken lassen – aber dies kann möglicherweise auch daran liegen, dass heute im Zusammenhang mit weil ganz andere Korrelate üblich sind, s.u.; es besteht auch hier Forschungsbedarf ). Auch im Fall der wenigen Beispiele für da und denn (bzw. die damals gleichbedeutende Form dann), hier als kausale Konjunktionen interpretiert, sind in den Protokollen temporale Deutungen möglich (s.o.): Sie mochten sich hüten aùff [sic!] ùnd Hamb: Schiffe/ zù versichern, dann [≈ solange] die Holland dùrch solche Schiffe vor/ wie nach ihren Handell theten,treiben (Schreiber D, PC 422/2ff.) Bùrgerm: ùnd Rath aùch die Oberalten ùnd/ die Kaùffleùte, kamen den Nachmittag wieder/ aùff das Rahthaùß, da [≈ nachdem] [den] die He. Commiss. des/ Rahts mit [den] Oberalten, den mit den KauffÓ/ Leüten geredet, [...] (Schreiber D, PC 425/7ff.)
Die erwähnten Korrelate, also Worte, die von einem Hauptsatz auf einen Nebensatz verweisen, tauchen in den Protokollen etwa in der Hälfte aller 125 Ebenso ist eine temporale Interpretation diskutierbar in weiteren Sätzen von Schreiber A (PC 50/5ff., PC 42/9ff.), Schreiber B (PC 70/14ff., PC 300/21ff., PC 56f./10ff., PC 58/5ff., PC 301/4ff., Schreiber C1, PC 322/6ff., PC 341/12f.), Schreiber D (PC 408/12f.) und Schreiber C2 (PC 669f./29ff., PC 613f./26ff.).
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durch kausale Nebensätze begründeten Aussagesätze auf. Auf Kausalsätze mit weil und da weisen laut Duden Grammatik 1998 typischerweise die Korrelate darum, deswegen und deshalb hin, im Fall von da kommt zusätzlich so vor. In den 70 hier ausgewerteten, kausal interpretierten Sätzen wurden 34 Korrelate zu weil festgestellt, die relativ regelmäßig auf die einzelnen Hände verteilt sind (Schreiber A: 8; Schreiber B: 9; Schreiber C1: 6; Schreiber D: 7; Schreiber C2: 4). Diese Korrelate lauten alß/als, so, also und derowegen. Ihre Frequenz und die Verteilung auf die Schreiber ist die folgende: A: alß (4), so (4); B: so (4), alß (3), als (1), derowegen (1); C1: alß (3), so (3); D: so (3), also (2), alß (1), als (1); C2: alß (3), derowegen (1). Damit herrschen die Korrelate als (16 Belege, in den Schreibungen alß und als) und so (14 Belege) vor, und erst in den späteren Schriftproben tauchen vereinzelt andere Formen auf (2 Belege von also, 2 Belege von derowegen). In einem Fall liegt eine Kombination von Korrelaten vor (so+derowegen). Dieses Bild weicht von dem für heute beschriebenen Standard stark ab, das in den Protokollen gerne mit weil assoziierte so ist heute nur noch bei da verwendbar, und mit dem beiden Belegen von derowegen liegen lediglich zaghafte Schritte in Richtung der heute erwarteten Korrelate zu weil vor. Zur möglichen Konjunktion daferner (alternativ als da+ferner zu deuten, s.o.) liegt bei Schreiber C1 das Korrelat so vor. Zu Korrelaten der parallel untersuchten Konjunktion da gibt es wegen geringer Frequenz keinen Befund (s.o.): Auf die drei Sätze mit da wird in keinem der Fälle durch ein Korrelat verwiesen. Auch bei den Denn-Sätzen liegt in keinem der entsprechenden Hauptsätze ein Korrelat vor. Daraus ergibt sich, dass sich in den Protokollen (abweichend von der Darstellung in der Duden Grammatik, bei der verweisende Korrelate vor, hinter oder auf beiden Seiten von begründenden Sätzen stehen können) nur die Möglichkeit des rückwirkenden Verweises auf links der Aussage stehende Begründungen realisiert findet. Vorwärts gerichtet oder beidseitig treten sie in den Texten nicht auf. Anders ausgedrückt, bei rechtsstehendem alßdann, da, denn und weil fehlen Korrelate (im Fall des mit derowegen kombinierten so bei Schreiber B stehen beide rechts von weil). Interessant wäre festzustellen, ob dies in vergleichbaren Texten derselben Epoche auch gilt. Die Untersuchung der Korrelate könnte auch Aufschluss darüber erbringen, inwieweit z.B. denn und weil damals noch gleichwertig verwendbar waren bzw. wie weit die Monosemierung bereits vorangeschritten war (eine Verwendung von Korrelaten auch in DennSätzen etwa spräche für eine weitgehende Entsprechung der beiden). Zusätzlich zu den Korrelaten fällt in den Commerzprotokollen auf, dass in den Kausalsätzen regelmäßig Abtönungspartikeln vorkommen. Abtönungspartikeln (auch Modalpartikeln genannt) sind Wörter, deren Bedeutung weniger in der Vermittlung von sachlichem Inhalt sondern eher in einer kommunikativen Funktion liegt. Durch sie kann eine innere Annahme, Er-
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wartung oder Einstellung ausgedrückt werden (Duden Grammatik 1994, 379). Über Abtönungspartikel kann eine Aussage eine sprechersubjektive Tönung erhalten (z.B. Zustimmung, Ablehnung, Erstaunen, Interesse des Sprechers) oder es kann angezeigt werden, dass etwas als allgemein bekannt betrachtet wird. Ab dem 16. Jh. werden Abtönungpartikel im Deutschen immer mehr verwendet (Reichmann 2000, 1641), auch wenn sie stilistisch bis in unser Jahrhundert als unnütze „Flickwörter“ abgelehnt wurden (Duden Grammatik 1998, 379, Fußnote 2). Erst seit in jüngerer Zeit auch kommunikative Funktionen in der Stilistik Beachtung gefunden haben, wird anerkannt, dass Abtönungspartikeln nicht nur in der gesprochenen Sprache sondern auch im schriftlichen Sprachgebrauch dazu verhelfen, Texte flüssiger, wärmer oder natürlicher erscheinen zu lassen. Vor dem historischen Hintergrund des umstrittenen Fortbestandes der Commerzdeputation (s. 2.1.6.) ist es somit nachvollziehbar, dass die Schreiber bei der Verwendung von Abtönungspartikeln nicht nur danach streben, die Texte flüssig und natürlich zu gestalten, sondern dass ihnen auch daran gelegen ist, eine größtmögliche Nähe zu potentiellen Lesern zu erzielen, deren Sympathie für den Fortbestand der Deputation u.U. von Bedeutung sein konnte (vgl. 3.2.4.). Insgesamt wurden in den Protokollen in 11 (bzw. wenn man den korrigierten Satz von Schreiber B mitrechnet 12) Weil-Sätzen Abtönungspartikeln gefunden (Verteilung auf die Schreiber: Schreiber A: 4; Schreiber B: 3/4; Schreiber C1: 3; Schreiber D: 0; Schreiber C2: 1). Die Anzahl ist mit 4 (bzw. 3) bei den Schreibern A, B und C gleich, nur Schreiber D verwendet keine Abtönungspartikeln, was mit der Beobachtung übereinstimmt, dass er auch in anderen Bereichen (etwa seiner Vorliebe für Denn-Sätze) vom Stil der anderen Schreiber abweicht. Bei den einzelnen Schreibern gefundene Abtönungspartikeln (und ihre Häufigkeit) sind: A: doch (3), dan (1); B: etwa (1), also (1), aber (1/2); C1: dann (3); D: - (0); C2: nun (1). Diese Partikeln haben weitgehend schon die heute an ihnen zu beobachtende Funktion: weil/doch verweisen auf eine bekannte Tatsache, etwa zeigt, dass etwas nur eine Möglichkeit von vielen ist, aber verweist auf einen Kontrast, also kündigt eine Schlussfolgerung an. Interessant ist der Fall des damaligen dann, dessen auf die allgemeine Bekanntheit einer Tatsache verweisenden Funktion in heutiger Sprache durch nun übernommen wurde (z.B. Schreiber A, PC 36/14ff. oder Schreiber C1, PC 322/6ff.). Während bei Schreiber A und Schreiber C1 noch diese alte Verwendung auftritt, weist der Text von Schreiber C2 schon ein Beispiel des heutigen nun für dieselbe Funktion auf.
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Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
Nicht kausale Verwendungen von dann/denn und da wurden in den Protokollen in den folgenden Sätzen beobachtet (Fettdruck): [...] wehre der Gedepùtirte/ diensahmes gesùch, Jhnen |: da E: E. E: Hochwß:/ Rathe hieran etwaß grùntliches wißent : |/ solches zù entdecken, [...] (Schreiber B, PC 300/16ff.) Depùtati Commercÿ. Mann wehre von vielen [...] berichtet, daß die Englische Nation dieser gÚten/ Stadt mit Harten [...] BedreüÚnÓ/ gen zÚsetzete, welche da sie effectØiret werden solten dem/ Erb: Kaùffman insonderheit treffen wo nicht gar vnterÓ/ drücken wÚrden (Schreiber C1, PC 322/1ff.) So das nicht seÿn konte/ mochten sich die He. Oberalten belieben laßen, morÓ/ gen die 48. zu fodern, da das nicht genùch, jegen/ solchen Nachmittag die 144. ùnd dan am Montag/ die ganze Bürgerschafft, denn es erfoderte die/ Noht, ein Erb Kauffman solte große Frachten/ ùndt andere Aùßgaben bezahlen, [...] (Schreiber D, PC 425/14ff.)
In allen Sätzen liegt ein konditionales da (i.S.v. falls) vor. Diese Verwendung von da wird heute nicht mehr dem Standard zugerechnet (vgl. Duden Grammatik 1998, 406). Zum dritten Satz ist erwähnenswert, dass Schreiber D temporales dann und kausales denn im modernen Sinne unterscheidet. Nicht in den Duden Grammatiken erwähnt, aber in den Protokollen deutlich vertreten, ist eine spezifische Verwendung von Weil-Sätzen innerhalb von Aufzählungen. Wiederholt wird in den Texten auf Ereignisse Bezug genommen, die in nummerierte Tagesordnungspunkte unterteilte sind. In etlichen Fällen wird ein direkter Anschluss des Weil-Satzes an eine Zahl beobachtet, z.B. ad 1: Weil dieß der Admiral: meist/ anginge so wolte man solches an behoriÓ/ gen Ohrte observiren. (Schreiber A, PC 51/3ff.) 2. Weiln der Schiffer ùnsere Baken ùnd Tùnnen genoßen/ mùste ad Jnterim Solchen [sic!] aùch den admir: Zollen deponi Ó/ ren, [...] (Schreiber D, PC 410/8ff.).
Diese Form wird insgesamt 8-mal beobachtet (Beispiele bei Schreiber A: 4; Schreiber C1: 1; Schreiber D: 3). Durch Zahlen eingeleitete Kausalsätze der Form „1. weil dies so ist, also muss folgendes gemacht werden“ oder „ad. 2. weil folgendes vorgeht, so schlagen wir vor ...“ müssen somit zu den Besonderheiten der Textsorte gerechnet werden (s. 3.3.). Schlussfolgerung Im vorliegenden Abschnitt wurde der Gebrauch kausaler Konjunktionen in den Commerzprotokollen untersucht. Vorrangig wurden dabei die Topologie Aussage:Begründung und die Art des durch die jeweils betrachtete Konjunktion vorgenommenen Anschlusses betrachtet (parataktische oder hypotaktische Verknüpfung).
Kausale Konjunktionen
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Der in den Duden Grammatiken beschriebene heutige Status Quo der kausalen Konjunktionen und derjenige der Commerzprotokolle konnten – vermutlich Aufgrund der geringen Belegzahl aller Konjunktionen außer weil in den Protokolltexten – nur bedingt verglichen werden. Gleiches gilt vermutlich für die Koordination bei Adjektiven und bei ganzen Sätzen und für denn als Vergleichspartikel im Komparativ, die im Korpus nicht beobachtet werden. Die bis heute in regional gefärbter Umgangssprache beobachtete unklare Trennung von denn (kausaler Konjunktion) und dann (temporales Adverb) wird in nur einem der 6 im Korpus gefundenen DannSätze beobachtet. Die Differenzierung der beiden scheint also zur Zeit der Niederschrift der Protokolle zumindest für den Schreiber der 6 Belegsätze weitgehend klar (das ist mit dem Bildungsstand des Schreibers bzw. der Textsorte erklärbar). Die insgesamt 70 in Form von Konjunktionalsätzen beobachteten kausalen Begründungen kommen bei allen Schreibern etwa gleich häufig vor, da und denn konzentrieren sich jedoch auf einen Schreiber (D). Außer mit dem stark dominanten weil (84,3% der Sätze, bei 59 Belegen) werden die kausalen Verknüpfungen in den Protokolltexten mit denn, da, alßdann, daferner vorgenommen (hier angeführt nach ihrer relativen Häufigkeit, d.h. 6, 3, 1, 1 Belege; insgesamt 15,7%). Die Untersuchung der relativen Topologie von Aussage und Begründung im Falle der 59 beobachteten Weil-Sätze ergibt, dass in den Texten Weil-Sätze eher vor dem zu begründenden Aussagesatz stehen (71,2%, gegenüber 13,6% nachgestellt). Der Rest der Belege entfällt auf parenthetische Einschübe der Weil-Sätze in den jeweils begründenden Aussagesatz (15,3%). Abgesehen von 25 elliptischen Sätzen (42,4%) und 4 weiteren Sätzen bei denen die Verbstellung nicht klar bestimmt werden konnte (6,8%), wurde bei 30 Weil-Sätzen (50,8%) Verbendstellung gefunden. Verbzweitstellung konnte in den untersuchten Texten nicht beobachtet werden. Dies ist eine klare Bevorzugung der Verbendstellung bei kausaler Satzverknüpfung mit weil, was ganz den Feststellungen Admonis entspricht, der die Präferenz des 17. Jhs. für die Hypotaxe, besonders im Kanzleistil beschreibt. In elliptischen Sätzen wird die Entscheidung zwischen Hypotaxe und Parataxe vermieden. Bei den 25 Belegen mit Verbellipse ist zu beobachten, dass die Mehrzahl dieser Sätze linksstehend ist. Dies spricht nach den weiteren kausalen Sätzen des Korpus für eine Verbendstellung (Linksstellung kombiniert mit Verbendstellung ist hier laut der gefundenen nicht-elliptischen Beispiele wahrscheinlicher). In den 4 Fällen in denen die Verbstellung nicht eindeutig bestimmbar ist, liegt dies etwa an einer Nicht-Besetzung des Mittelfeldes, oder an einer schwer einzuordnenden Topologie der Verbgruppe. Die Bewertung der weiteren gefundenen kausalen Konjunktionen denn, da, alßdann und daferner ist wegen deren geringen Frequenz problematisch
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(in den Fällen alßdann und daferner ist diskutierbar, ob jeweils eine eigene Konjunktion oder eine Zusammensetzung aus Konjunktion und Adverb bzw. Abtönungspartikel vorliegt). Die Untersuchung größerer Textmengen wird erforderlich sein, um den damaligen Standard zu rekonstruieren. Dies wäre, vor allem mit Hinblick auf die von Ágel und Uhmann festgestellten Forschungsdefizite zur diachronischen Entwicklung der Nebensatzkonjunktionen im Allgemeinen und weil im Besonderen, wünschenswert. Begründungen mit denn sind in den Commerzprotokollen ganz wie heute auf die rechte Seite der Aussage festgelegt, ganz unabhängig von der Verbstellung; von den anderen Konjunktionen steht nur daferner links, die 3 Belege von da und der Beleg von alßdann stehen ebenfalls rechts der Aussage die sie begründen. Dies spricht für eine klare schriftsprachliche Arbeitsteilung in Kausalsätzen, bei der im vorliegenden Fall auf der linksargumentierenden Seite weil und daferner, auf der rechtsargumentierenden Seite dann, alßdann und da operieren, wobei in linksstehenden Sätzen die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass Verbendstellung vorliegt, während bei rechtsstehenden Sätzen Verbzweitstellung wahrscheinlicher ist. Verbellipsen und parenthetische Einschübe fehlen allerdings in diesem Modell. Allerdings leiten von den 6 in den Protokollen gefundenen Denn-Sätzen immerhin 2 Sätze mit Verbendstellung ein, was im Gegensatz zum Befund bei weil noch von der heutigen klaren Beschränkung der Konjunktion auf eine Verknüpfungsart abweicht. Die nur dreifach belegten Da-Sätze sind alle elliptisch, so dass hier wegen Fehlen des finiten Verbs zur Qualität des Satzanschlusses keine Aussage gemacht werden kann. Auch die stark unterschiedliche Frequenz der Konjunktionen spricht bis zu einem gewissen Grad gegen eine symmetrische Arbeitsteilung (andererseits kann eine ausgewogene Verteilung kausaler Verknüpfungen auf hypotaktisches weil und parataktisches denn bei der ausgesprochenen Präferenz von Textsorten des 17. Jhs. für die Hypotaxe auch gar nicht erwartet werden). Bei weiteren Untersuchungen der kausalen Konjunktionen und deren historischer Arbeitsteilung sollte also Uhmanns Vorschlag einer (gewissen) historischen Abwesenheit von denn in manchen Textsorten in diesem Zusammenhang im Auge behalten werden. Das Verhältnis der in den Protokollen beobachteten kausalen Konjunktionen weil:alßdann:daferner:da:denn ist 59:1:1:3:6, und liegt auffallend nahe an dem von Uhmann beobachteten heutigen Verhältnis in der Umgangssprache (weil:da:denn = 49:1:5). Dies ermutigt zu weiteren Vergleichen historischer und damit zwangsläufig schriftlicher Sprachbelege auch mit gesprochener Sprache. Im Vergleich zu Uhmanns Untersuchung liegt in den Protokollen eine etwas größere Vielfalt vor (5 statt 3 kausale Konjunktionen werden beobachtet), zum Anderen sind andere kausale Konjunktio-
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nen (v.a. da) im Verhältnis zu weil etwas stärker vertreten (11:59 statt 6:49 oder 2:98). In den Protokollen liegen Reste älterer Sprachstufen vor, in denen sowohl weil als auch denn und da noch polysem waren, die Monosemierung der Konnektoren ist zur Zeit der Gründung der Commerzdeputation also noch im Gang. Besonders die Monosemierung von weil in den Texten scheint dabei fortschreitend zu sein. Es besteht hier Forschungsbedarf, v.a. bezüglich möglicher inhaltlicher Differenzierung der einzelnen kausalen Konnektoren und ihrer Wortstellungsvarianten. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung legen nahe, dass die Korrelate (von denen in den Protokollen ein vom heutigen stark abweichendes Repertoire gefunden wurde) hier monosemierend fungieren könnten. Ebenso könnten die Abtönungspartikeln an der inhaltlichen Festlegung der Konjunktionen beteiligt sein und sollten daher mituntersucht werden. Für die Korrelate zu weil wurde festgestellt, dass sie in den Protokolltexten nur in rechts der Begründung stehenden Aussagesätzen vorkommen (die Duden Grammatiken erwähnt eine derartige Beschränkung nicht). Zu da wurden keine Korrelate belegt. Die in den Commerzprotokollen beobachtete Polyfunktionalität der Konjunktionen erschwert eine klare Interpretationen des Textinhalts aus heutiger Sicht (z.B. finden sich temporal interpretierbares weil und da sowie konditional interpretierbares daferner). Die lapidare Bezeichnung des Systems der unterordnenden Konnektoren (die in einer die Parataxe vernachlässigenden Schriftsprache zwangsläufig von Vorrang sind) als „unpräzise“ und „mangelhaft“ (Admoni) kann dabei nicht befriedigen. Vielmehr sollte untersucht werden, wie das logische System der Nebensatzkonnektoren vor der Festlegung auf einzelne Bedeutungen konstituiert war. Insbesondere der Begriff der Kausalität wäre in diesem Zusammenhang auf seine Anwendbarkeit auf das 17. Jh. zu prüfen. Eine Untersuchung der diachronen Entwicklung der kausalen Konjunktionen könnte nicht nur Entscheidendes zur gegenwärtigen Debatte um weil beitragen, sondern auch den zeitlichen Ablauf der Monosemierung der Nebensatzkonnektoren und deren bisher zeitlich noch nicht bestimmten Umschwung in die heute beobachtete Polysemierung exemplarisch nachzeichnen. Die Commerzprotokolle bieten sich hier als umfangreiches und nahezu durchgehend überliefertes Textkorpus für künftige Untersuchungen an. Für die Textsorte Protokoll ist als bemerkenswert festzuhalten, dass in fast 20% der Weil-Sätze Abtönungspartikeln verwendet werden. Dies überrascht angesichts der Tatsache, dass diese nach heutiger Auffassung in einem sachlichen Bericht vermieden werden sollten. Die Verwendung von Abtönungspartikeln in den untersuchten Protokolle ist aber angesichts deren Kontexts (Sympathiewerbung für die Commerzdeputation) nachvollziehbar. Ein Sonderstatus von Schreiber D in dessen Gebrauch kausaler Kon-
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junktionen wird durch gänzliche Abwesenheit von Abtönungspartikeln in seinen Protokollen erhärtet. Eine in den Duden Grammatiken nicht erwähnte Sonderform der Verwendung von weil, nämlich an Aufzählungszahlen angeschlossene Weil-Sätze, scheinen textsortenspezifisch zu sein (vgl. 3.2. und 3.3.).
5. Zusammenfassung und Ausblick Ausgangspunkt für die vorliegende sprachhistorische Arbeit war das Interesse an den Gründen gezielter Stigmatisierung einzelner sprachlicher Formen in der Gegenwart. Da der Grund für ihre Stigmatisierung nicht an den betroffenen Konstruktionen selbst zu liegen scheint – z.B. fällt bei den Formen weil ich Hunger habe und weil ich habe Hunger kein funktionaler Unterschied ins Auge – wurden die Gründe für die Stigmatisierung in der Grammatikschreibung des Deutschen vermutet. Aufgrund sprachgeschichtlicher Darstellungen, die den Grammatikern des 17. Jhs. einen großen Anteil an der Standardisierung der deutschenSchriftsprache einräumten, wurde die Theorie aufgestellt, dass es womöglich diese Grammatiker sein könnten, die für die Ablehnung bestimmter Konstruktionen verantwortlich seien. Sie hätten damit aktiv in die Variantenaussonderung des Fnhd. eingegriffen und nachweislich zur Vertikalisierung der deutschen Schriftsprache beigetragen. Dies müsste sich dann in Gebrauchstexten der Zeit nachweisen lassen.
5.1. Gutes Deutsch – Schlechtes Deutsch Schon die Sichtung neuester Forschungsliteratur ließ allerdings Zweifel an dieser Theorie aufkommen, da rezente Untersuchungen demonstrierten, dass aktive Eingriffe in die sprachlichen Selektionsprozesse methodologisch äußerst schwer nachweisbar sind. Nur im Falle vereinzelter Konstruktionen konnte Selektion bzw. Vertikalisierung durch die Grammatiker plausibel gemacht werden, was aber noch nicht ausreicht, um die bisherige Wahrnehmung der Grammatiker als ausschlaggebende Träger der Standardisierung zu rechtfertigen. Die Gründe für die Probleme bei der Einschätzung der Grammatiker wurden bei der Lektüre ihres bedeutendsten Vertreters, Justus Georg Schottelius deutlich. Die Analyse seiner beiden frühen sprachtheoretischen Werke Teutsche Sprach Kunst (1641) und Der Teutschen Sprache Einleitung (1643), die als repräsentativ für die Interessen, Ansichten und Argumentationsweise der Gruppe der Grammatiker (sprachinteressierte Gelehrte im 17. Jh.) gelten können, gab ein von traditionellen sprachgeschichtlichen Darstellungen deutlich abweichendes Bild. Zunächst wurde deutlich, dass es noch nicht so sehr die Grammatikographie selbst war, die das Hauptin-
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Zusammenfassung und Ausblick
teresse der Grammatiker darstellte. Von den drei von der sprachlichen Kodifizierung betroffenen Gebieten Orthographie, Lexikon und Grammatik wurde in der untersuchten Zeit um Mitte des 17. Jhs. das Lexikon lediglich in theoretischen Diskussionen als Basis einer künftigen Norm anerkannt und seine Erstellung gefordert, ein erstes Wörterbuch entstand erst später (Kaspar Stielers Wörterbuch Der Teutschen Sprache Stammbaum von 1691). Was die Grammatik anging, zeigte sich Schottelius als Vorreiter morphologischer Untersuchungen, die trotz seiner hervorragenden Systematisierungsanstrengungen aber noch nicht als ausgereift gelten können. Auf dem Gebiet der Syntax waren nur erste Ansätze festzustellen, oft noch überlagert von stilistischen Vorschlägen. Lediglich die Rechtschreibung wurde viel und ausgiebig diskutiert, jedoch ließ die Menge der vorgeschlagenen Formen und die Divergenz von Vorschlägen und tatsächlicher Sprachentwicklung fraglich erscheinen, ob die Vorschläge in der Praxis überhaupt einen Einfluss auf die Variantenaussonderung gehabt haben können. Auch war festzustellen, dass die Art der Grammatikschreibung weitaus sachlicher war, als nach der traditionellen Darstellung der Grammatiker als präskriptiv zu vermuten war (vgl. Watts 2001). Ein zusätzlicher Vergleich der anhand Schottelius‘ Werken gemachten Beobachtungen mit einer Reihe zeitgenössischer Werke metasprachlicher Art (Poetiken, Lehrbücher, Formularien) bestätigte diese Beobachtungen. Auch die spätere Untersuchung der beiden Briefsteller der Teutsche Secretarius (Georg Philipp Harsdörffer, 1655 und 1659) und die Teutsche SecretariatKunst (Kaspar Stieler, 1673 und 1674) brachte kein abweichendes Ergebnis, sondern demonstrierte nochmals, dass durch die Spannbreite der gemachten Vorschläge und durch die weitgehende Exklusivität der sprachtheoretischen Diskussionen eine direkte Beeinflussung des Schreibverhaltens weiter Teile der Sprachgemeinschaft unwahrscheinlich erschien. Das Wichtigste ist aber, dass alle Werke das zentrale Interesse der Grammatiker an sprachphilosophischen Fragen bestätigten, was bereits in Untersuchungen von Andreas Gardt (1994) und Markus Hundt (2000) im Einzelnen dargestellt wurde. Aus einem sich entwickelnden patriotischen Bewusstsein heraus ging es den Grammatikern (wie den Intellektuellen anderer europäischer Länder, die den Sprechern des Deutschen in dieser Hinsicht voraus waren) in ihren Werken vor allem um die Legitimation ihrer eigenen Muttersprache als Schreibsprache. Ihre Schriften verfolgten das Ziel, die deutsche Sprache als geeignetes Instrument hochsprachlicher Schriftäußerungen zu etablieren. Mögliche Auswirkungen auf die Umgangssprache lagen dabei außerhalb des Gesichtsfeldes der ein sprachliches Ideal diskutierenden Grammatiker, die die Sprache des einfachen Volkes (gemeiner Pöbel) nur erwähnten, wenn sie die Grenzen ihres Interessengebietes absteckten, oder wenn sie den allgemeinen Sprachverfall beklagten. Dies war allerdings
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keine sozial abwertende Klage,1 die innerhalb der sprachphilosophisch-ästhetischen Bemühungen der Grammatiker keinen Platz hat, sondern eine argumentatorische Notwendigkeit bei den Anstrengungen, das Deutsche als an sich vollkommene Hauptsprache zu etablieren. Sobald erst der bedauerliche Sprachverfall, dem nach Ansicht der Grammatiker alle Sprachen durch Einfluss des ungebildeten Volkes ausgesetzt seien, behoben wäre, hätte man es wieder mit einer Sprache zu tun, die den klassischen Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein gleichwertig, wenn nicht gar überlegen sei. Die zur Etablierung als Schriftsprache nötige Kodifizierung des Deutschen war ein häufiges Postulat, z.B. in Form von Forderungen nach Prosodien (als Vorbedingung für vereinheitlichte Rechtschreibung), Orthographien, einem deutschen Lexikon und auch einer Grammatik. Um die deutsche gegen die lat. Schriftsprache durchzusetzen, nahmen die Grammatiker nicht nur beispielgebende Übersetzungen ins Deutsche und die Komposition vielfältiger literarischer Werke auf deutsch vor. In ihren theoretischen Schriften arbeiteten sie auch an einer Abgrenzung des Deutschen gegen andere europäische Sprachen, v.a. das Französische, und an der Aufwertung des deutschen Sprachprestiges. Diese Argumente wurden ab dem 19. Jh. von Nationalisten übernommen, was die spätere Wahrnehmung der Grammatiker ebenfalls beeinflusste. Auf das Ergebnis dieser Bemühungen wird heute mit dem Stichwort Fremdwortpurismus Bezug genommen. Wie aus Schottelius‘ Arbeiten hervorging, kann diese zur Identitätsfindung nötige Abgrenzung aber keinesfalls mit einer generellen Ablehnung anderer Sprachen und noch viel weniger mit Nationalismus gleichgesetzt werden. Allerdings könnten die nach heutigen Konventionen unsachlichen und aggressiven zeitgenössischen Kommentare zur Fremdwortverwendung oder zu fremden Wortbildungsmechanismen beim heutigen Leser leicht genau diesen Eindruck hervorrufen, wenn es in den Texten heißt undeutsche Flickereien verstückeln, verformen und verdoppeln die deutsche Sprache und verstopfen mit ihrem Geschmiede die rechten Kunstquellen und liebliche Art des Deutschen, das durch die Fuchsschwänzerei2 der Lateiner verschimpft werde etc. Es wurde hier die Vermutung angestellt, dass die häufigen ablehnenden Äußerungen zu fremdsprachlichen Einflüssen in Verknüpfung mit den ständigen Forderungen nach einer deutschen Norm zur Wahrnehmung der Grammatiker als präskriptiv beigetragen haben. Auch die Nennung von Schottelius als Erfinder der deutschen Sprache durch seine Zeitgenossen könnte hier eine Rolle gespielt haben, wiederum als Konsequenz eines sprachlichen Wandels seit der Zeit der Grammatiker, demzufolge heute ein 1
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Die Bedeutungsverschlechterung von gemein und Pöbel setzte zu dieser Zeit erst ein, gesellschaftliche Grenzen waren klar geregelt, weswegen Abgrenzungen verbaler Art noch unnötig waren. Die Umbenennung der hamburgischen Kaufmannsvereinigung Gemeiner Kaufmann in Ehrbarer Kaufmann (als Gleichsetzung mit dem Rat) erfolgte dauerhaft erst im 17. Jh. Fuchsschwänzerei der Lateiner: Sich bei diesen anbiedern, beliebt machen wollen.
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Erfinder etwas Neues kreativ herstellt, während in Schottelius‘ Fall die Entdeckung von etwas bereits Vorhandenem gemeint war. Kommentare der negativ bewertenden Art kamen außerhalb des fremdwortkritischen Kontextes nur sehr selten vor, womit die anfänglich aufgestellte Theorie von den Grammatikern als Urheber negativer Vorurteile über bestimmte sprachliche Konstruktionen generell nicht mehr haltbar ist. Zusätzlich zu dieser negativen Beantwortung der Ausgangsfrage waren auch Zweifel an Art und Ausmaß des Einflusses aufgetaucht, den die Grammatiker auf die von der Forschung eindeutig beobachteten Entwicklungen der Variantenaussonderung und Vertikalisierung im 17. Jh. tatsächlich ausgeübt haben können. Es stellte sich also in der vorliegenden Arbeit ganz allgemein die Frage nach dem Einfluss der Grammatiker und dem Verlauf der schriftsprachlichen Entwicklung des Deutschen. Wie ein Blick auf die mit standardsprachlichen Entwicklungsprozessen befasste Forschungsliteratur zeigte, liegt die Zeit der Grammatiker nach den üblichen Definitionen von Standardsprache, die (aufbauend auf einer relativen Einheitlichkeit der Normen) eine historische Legitimierung durch eine überregionale Institution, allgemeine Anerkennung und überregionale Gültigkeit beinhalten, noch deutlich vor der Kodifizierungsphase des Deutschen. Auch die nötigen Mittel zur schulischen Verbreitung, eine strukturelle Voraussetzung für eine verbindliche Kodifizierung der Sprache, waren im 17. Jh. noch nicht gegeben. Die Begriffe einer präskriptiven (bzw. proskriptiven) Sprachnormierung sind damit auf die Grammatiker nicht sinnvoll anzuwenden, weil diese erst bei den Kodifizierungsprozessen zum Tragen kommen. Rein definitorisch also scheiden die Grammatiker auch mangels struktureller Voraussetzungen noch als Vertreter der standardsprachlichen Norm aus. Der Widerspruch zwischen (fälschlicher) Wahrnehmung der Grammatiker als präskriptiv und einem gerade in der rezenten Forschung wachsenden Bewusstsein des Mangels an strukturellen Voraussetzungen für eine solche Präskriptivität trägt zu einer in der Forschungsliteratur zu beobachtenden Problematik bei der Epocheneinteilung (genauer, der Festlegung der Grenze zwischen Nhd. und Fnhd.) bei. Da die Epocheneinteilung auf dem Grad der wahrgenommenen Vereinheitlichungstendenzen in der Sprache beruht, dürfte die verzerrte Wahrnehmung der Grammatiker und ihrer Leistungen hier nicht ohne Folge gewesen sein. Eine Verlegung der lange auf die Mitte des 17. Jhs. festgelegten Epochengrenze auf einen spätere Zeitraum wäre die notwendige Folge der Korrektur dieser Sichtweise. Aus der Forschungsliteratur wurde auch deutlich, dass es außer dem Typ der hier vorausgesetzten präskriptiven Norm noch einen anderen Typ von Sprachnorm gibt. Diese subsistente Norm beruht nicht auf einer offiziellen Kodifiziertheit, sondern dem Usus, der auch ohne offiziell kodi-
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fiziert zu sein offizielle Anerkennung finden kann. Die Ausbildung und Durchsetzung subsistenter Normen wurde als sehr vielschichtiger Prozess geschildert, innerhalb dessen Sprachnormen als Spezialformen von sozialen Normen verstanden werden können. Nicht nur erweitert die Möglichkeit subsistenter Normen den auf präskriptive Normen eingeengten Blickwinkel, sie legt auch eine Ausweitung sprachhistorischer Untersuchungen von rein strukturellen auf soziologische Fragestellungen nahe. Allen voran sind es die Fragen nach Status und Prestige, die bei integrativen sprachlichen und gesellschaftlichen Analysen mitberücksichtig werden sollten. Zur Feststellung des Entwicklungsstandes eines zeitgenössischen Textkorpus‘ wurde die strukturelle Analyse einer Reihe von damals kontroversen Merkmalen vorgenommen, die heute immer noch als problematisch bezeichnet werden können: die Problematik der Fugenmorpheme bei Substantivzusammensetzungen (Bratskartoffel vs. Bratkartoffel), die Präfixe empf-/ent-, ohn-/un- sowie vor- und für-, bei denen sich archaische Formen bis heute erhalten haben (empfinden), bzw. die nicht klar von Präpositionen zu trennen sind (vor/für). Weiter wurden untersucht die Suffixe -lig/-ig und -nis/-nus/ -nüs (bis heute gibt es hier regionale Schwankungen bei der Aussprache) und die Problematik der in deutschen Dialekten erhaltenen aber aus dem schriftlichen Standard verschwundenen Negationshäufung. Außerdem wurden heute als Beamtendeutsch kritisierte Partizipialkonstruktionen und die kausalen Konjunktionen denn und weil untersucht, von denen letztere in der Kombination mit Verbzweitstellung in der Schriftsprache kritisiert wird (weil ich habe Hunger). Als Vergleichsmoment zu diesen morphologischen und syntaktischen Merkmalen wurde der Stand der Orthographie (in den Fällen Unterscheidung i-/j- und u-/v- sowie au/aw und eu/ew) untersucht, da nach der Forschungsliteratur im Laufe des frühen 17. Jhs. die Orthographie bereits eine weitgehende Vereinheitlichung erfahren hatte. Untersuchungsgegenstand war ein bislang unediertes und linguistisch nicht erschlossenes Korpus der Sitzungsprotokolle eines hamburgischen Selbstverwaltungsorgans von Überseekaufleuten und Großhändlern. Eingebettet wurde die strukturelle Untersuchung einzelner Merkmale und deren Vergleich mit den Vorstellungen der Grammatiker einerseits und heutigen Normen andererseits in eine Untersuchung des historischen und sozio-kulturellen Erstellungshintergrundes der Sitzungsprotokolle. Auch deren Textsorte und Texttradition wurden beleuchtet.
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Zusammenfassung und Ausblick
5.2. Geschichtlicher Hintergrund und sozio-kultureller Kontext Die Hintergründe innenpolitischer Auseinandersetzungen und Machtkämpfe spielten für das Verständnis der untersuchten Protokolltexte aus verschiedenen Gründen eine wichtige Rolle. Einerseits dokumentierten sie, dass die protokollierende Institution unter allergrößtem Zwang stand, ein legitimes, also formal korrektes und sprachlich nicht angreifbares Dokument zu produzieren. Die angestrebte Geltungshöhe war groß und ebensolches muss für die Geltungsreichweite angenommen werden (es kam in der Tat zur Intervention eines kaiserlichen Kommissars im Streit um die Anerkennung der Deputation). Auswahl der Textform (Protokoll), der Sprache (kanzleisprachliches Hochdeutsch) und Schreiberwahl (studierte Schreiber mit Berufserfahrung) sind in diesem Lichte zu sehen. Andererseits ist an den Auseinandersetzungen der Kaufleute mit Admiralität und Stadtrat auch die Bedeutung von Protokolltexten als legitimierendes Dokument und damit als Machtinstrument abzulesen. Ein Rechtsstreit, der 1667 zwischen Commerzdeputation und Admiralität ausgebrochen war, und dessen Eskalation letztendlich die offizielle Anerkennung der Deputation durch die Bürgerschaft herbeiführte, war beispielsweise an Protokolltexten entbrannt. Es ging um Admiralitätsprotokolle, die eine Vereinbarung über das Hamburgische Convoy-Geld dokumentierten (eine Sonderabgabe zur Finanzierung bewaffneter Konvoischiffe zum Schutz der Handelsschiffe). Die Admiralität verweigerte aber den Kaufleuten Einsicht in das entsprechende Protokoll, sicherlich um sich größeren Freiraum bei der Interpretation der dort festgelegten Verwendung des Convoy-Geldes zu verschaffen. Für die Commerzdeputation waren ihre Sitzungsprotokolle ein Instrument zur Legitimierung ihrer neugegründeten Deputation (weswegen das Eröffnungsprotokoll auch in Form einer Urkunde gestaltet wurde). Gerade das rief aber die Opposition des dominanten Rats hervor, der immer wieder dagegen protestierte, dass die Kaufleute sich überhaupt schriftlich äußerten. Besonders das Führen eines Protokolls wurde kritisiert, auch noch nach der offiziellen Anerkennung der Commerzdeputation 1674. Damit wurde deutlich, dass die Protokollführung über die reine Existenz der Commerzdeputation hinaus einen Machtanspruch repräsentierte. Die Wahl des Schreibers war also von besonderer Bedeutung. Wie die Beleuchtung des sozio-kulturellen Hintergrundes der Kaufmannschaft zeigte, war kaum wahrscheinlich, dass aus ihren eigenen Reihen ein qualifizierter Protokollist hervorgehen konnte. Trotz eines maßgeblichen Einflusses der Kaufleute auf ein gegen Jahrhundertende langsam entstehendes Geistesleben der Stadt Hamburg (das bislang von der Kirche geprägt gewesen war), waren die Kaufleute bis auf wenige sehr begüterte Ausnahmen von hö-
Berufsschreiber im 17. Jh. – Textproduktion, Textsorte, Texttradition
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herer Bildung ausgeschlossen. Wie die Geschichte Hamburgs zeigt, griffen sie erst gegen Ende des Jahrhunderts aktiv in das Geistesleben ein (Presse, Kaffeehäuser, Theater). Auch Schullehrer, die ihr Gehalt durch Nebentätigkeiten aufbesserten, wiesen nicht die nötige Qualifikation auf, um juristisch wirksame Dokumente zu verfassen. Es musste sich also bei den Schreibern der Commerzdeputation um Gelehrte, d.h. vermutlich um studierte Juristen handeln. Nach den wenigen Hinweisen zum Schreiber der Deputation – trotz der Konkurrenzsituation bemühte man in der Anfangszeit den Schreiber der Admiralität – scheint diese Annahme gerechtfertigt. Der erste Protokollist der Commerzdeputation verfügte nicht nur über weitreichende Fremdsprachenkenntnisse, er war auch qualifiziert, offizielle Dokumente auszustellen und zu verwalten sowie mit dritten Parteien in Verhandlung zu stehen. Informationen aus Briefstellern des 17. Jhs. bestätigten dieses Berufsprofil studierter Sekretäre (s.u.). Auch die weitere Tradition der Commerzdeputation, die nach Einsetzen der Überlieferung 1735 mit Gründung der Commerzbibliothek immer Juristen, meist aus Hamburg, einstellte, bestätigt dies.
5.3. Berufsschreiber im 17. Jh. – Textproduktion, Textsorte, Texttradition Wie damals üblich, gibt es in den Protokolltexten keine Angaben zu den Protokollisten. Es liegt lediglich eine problematische Rechnung im CassaBuch der Commerzdeputation vor, außerdem erwähnt Baasch (1915) die Doppeltätigkeit des Admiralitätssekretärs. Wegen des Mangels an konkreten Hinweisen zur Identität der Commerzprotokollisten wurde die Tradition beruflicher Schreiber im 17. Jh. untersucht, um ganz allgemein das Anforderungsprofil eines städtischen Schreibers zu erstellen. Wegen der besonderen Funktion der Protokolltexte als legitimierendes Machtinstrument wurde dabei auch der soziale Status berücksichtigt, der den Schreibern und ihrer Textproduktion zukam. In diesem Rahmen wurden u.a. Auswahl der Textform und Wahl der Sprache betrachtet, die sich bei der Betrachtung des geschichtlichen Hintergrundes als relevant für die Textfunktion erwiesen hatten. Zur Untersuchung gehörte deswegen auch die Untersuchung der weiteren Texttradition der Kanzleisprachen. Außerdem wurde anhand zweier der bedeutendsten Briefsteller des Jahrhunderts geprüft, ob sich über dieses Genre eine Verbindung von Berufsschreibern und Grammatikern herstellen ließ, bzw. ob sich die Briefsteller als Instrument der Weiterverbreitung von Werturteilen über Sprache in die geschäftssprachliche Praxis geeignet haben könnten.
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Zusammenfassung und Ausblick
Wegen der Sonderrolle der Commerzdeputation, für die es keinen Präzedenzfall in deutschsprachigen Gebieten gab und die als Neugründung über keine eigene Schrifttradition verfügte, muss von einer Orientierung derselben an ihren Konkurrenzinstitutionen, dem Rat der Stadt und der Admiralität, ausgegangen werden. Die Verwendung institutseigener und institutsfremder Vorlagen wird in den Briefstellern als praktisches Mittel zur Erstellung von Texten ausdrücklich empfohlen. Für das Berufsbild der Schreiber ergab sich in Bestätigung der bisherigen Erkenntnisse, dass für eine höhere Karriere ein Studium und anschließende Arbeitserfahrung an einer städtischen oder höfischen Kanzlei unerlässlich waren. In den Briefstellern ließ sich ein Übergang der Stilprinzipien vom kanzleisprachlichen auf ein höfisches Ideal beobachten, der den Beobachtungen Nickischs (1969 und 1991) und Erwentrauts (1999) großenteils entsprach. Deutlich wurde, dass die gesellschaftlichen Wandelprozesse einer Erstarkung des Bürgertums, die letztendlich auch die Gründung der Commerzdeputation herbeigeführt hatten, auch zu einer Veränderung im Bereich der Schreibertätigkeiten führten. Neue Möglichkeiten zu gesellschaftlichem Aufstieg taten sich auf und bis dahin feste Standesgrenzen wurden für das Bildungsbürgertum langsam durchlässig. Die Leserschaft der Briefsteller erweiterte sich um den bürgerlichen Mittelstand. Das führte zu einer Erweiterung des Textkanons der Briefsteller auf juristische, administrative, kaufmännische und private Vorlagen. Diese sollten immer weniger blind kopiert werden, sondern zu eigener Produktion anregen. Bei beiden Briefstellern wurde deutlich, dass es sich bei den die Briefe erläuternden Texten trotz Stielers Anspruch auf Erstellung eines Sachbuches um typische Produktionen aus dem Kreise der Grammatiker handelte, die ihre theoretischen Prinzipien diskutieren und auf den Bereich der Verwaltungssprache anwenden wollten. Beide hier untersuchten Briefsteller wandten sich an eine höchst diverse Leserschaft und operierten deswegen auf verschiedenen Ebenen (reine Unterhaltung, Sachbuch, Beispieltexte, metasprachliche Diskussionen). Dies gilt für den Harsdörffers Secretarius noch weitaus mehr als für Stielers Secretariat-Kunst, die sich bemüht, v.a. Berufsschreiber anzusprechen. Bei den metasprachlichen Äußerungen ergab sich ein Bild, das mit dem schon bei Schottelius gezeichneten übereinstimmte, auf den sich beide Autoren auch als Vorbild beriefen. Bewertungen, die als Quelle für heutige grammatikalische Proskriptionen gedeutet werden konnten, fanden sich keine. Auch als Vermittler der von den Sprachgesellschaften aufgebrachten sprachtheoretischen Vorschläge an ein Fachpublikum erschienen die Briefsteller ungeeignet. Die zu diesem Zeitpunkt noch bestehende Unvereinbarkeit von Theorie und alltäglicher Praxis wird durch die direkte Gegenüberstellung
Textsorte
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beider besonders deutlich. Bestätigt wurde in der Untersuchung aber der in der Forschungsliteratur beschriebene Einfluss der Grammatiker auf das Sprachbewusstsein durch Propagierung der Idealvorstellung von einer guten normgemäßen Sprache, die vom schlechten Alltagsgebrauch abweicht. Deutlich wurde an den Briefstellern, dass sich entgegen den Aussagen der Forschungsliteratur (Nickisch, s.o., und Josten 1976), die die Kanzleisprache als nicht mehr wirksames Klischee auffasste, durchaus noch Empfehlungen der Kanzleisprache finden, die zu praktischer Anwendung als Vorbild geeignet waren. Diese waren aber strikt auf den Bereich der Geschäftssprache beschränkt, während die Kanzleisprache schon dadurch als Vorbild für private Briefe ausschied, dass sich der individualisierte Briefstil durchsetzte (als Folge wurden in diesem Bereich Vorlagen an sich unsinnig). Damit hat die Kanzleisprache zwar als Vehikel des allgemeinen Sprachausgleichs ausgedient, ist aber in bestimmten Bereichen durchaus noch wirksam. Bemerkenswert war in diesem Zusammenhang eine unterschiedliche Handhabung des Begriffes Kanzleivorbild, der sich gerade bei Stieler sowohl auf den überregionalen Usus als auch auf die jeweilige institutseigene Handhabung beziehen kann. Hier besteht besonders angesichts der zahlreichen zeitgenössischen Nennungen des Kanzleivorbildes Klärungsbedarf. Die Empfehlung institutseigener Muster bei gleichzeitiger Abwesenheit geeigneter gedruckter Protokollvorlagen in den Briefstellern legte auch nahe, dass zumindest der erste Schreiber der Commerzprotokolle auf (handschriftliche) Vorlagen der Admiralität zurückgegriffen haben dürfte, sofern er sich nicht an juristischen Richtlinien zum Abfassen von Verhörprotokollen orientierte (s.u.). Ausführungen Harsdörffers über praxisorientierte deutschsprachige Sekretäre ohne Studium, die z.B. mit der Führung von Rechnungsbüchern beauftragt waren, legten nahe, dass es sich bei Schreiber B (in dessen Hand auch das Cassa-Buch der Commerzdeputation vorliegt) um einen weniger qualifizierten Schreiber gehandelt haben könnte. Die Tatsache, dass dieser Schreiber auch die größte Variationsbreite in der Orthographie aufweist, scheint dies zu bestätigen und spricht dafür, dass eine höhere Ausbildung der Schreiber mit einem stärkeren Grad an Normbewusstsein verbunden werden kann.
5.4. Textsorte Die Sichtung der Forschungsliteratur über Protokolle ergab ein Forschungsdefizit und Unzulänglichkeiten der bisher vorliegenden Textsortendefinitionen. In Anlehnung an die Arbeit von Topalović 2003 wurde deswegen vorgeschlagen, den Begriff Protokoll auf die höhere Ebene des Texttyps zu verlagern und als Textsorte Institutionelles Sitzungsprotokoll anzusetzen (die
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Zusammenfassung und Ausblick
der von Topalović vorgeschlagenen Textsorte Verhörprotokoll nebenzuordnen wäre). Aus der Betrachtung des Hintergrundes der Protokolltexte wurde deutlich, dass umfassende Kenntnisse des Texttyps von großer Bedeutung für die Ausführung von Protokollen sind und waren. Die Funktion von Protokollen als juristisch legitimierende Texte bedingt einen hohen Grad an Formalisierung, bei welcher der Textform an sich schon eine inhaltliche Aussagekraft zukommt. Die Analyse von Funktion und Anwendung des Texttyps machte deutlich, dass sich die Commerzdeputation in ihrem Streben um innenpolitische Machtteilhabe die legitimierende Funktion der Protokolle zu Nutze machte und eine prestigereiche Texttradition für sich vereinnahmten. Die Auswahl gebildeter Protokollisten und die Sprachwahl hochdeutscher Kanzleisprache unterstützten die gewünschte Legitimationsfunktion. In den Protokolltexten wurde eine Zwischenform von Verlaufs- und Ergebnisprotokoll festgestellt, die zwar in Form von indirekter Rede noch dialogische Strukturen enthielt, wobei diese aber insgesamt schon gestrafft, geordnet und in schriftsprachliche Form gebracht waren. In der vorliegenden Arbeit wird damit eine neue, selbstständige Form von Protokoll beschrieben, zu der bis jetzt noch keine Untersuchungen vorlagen. Als allgemeine sprachliche und formale Kennzeichen des Protokolls wurde eine weitgehend sachliche Sprache festgestellt. Die Aufgabe der speziell ausgebildeten und oft vereidigten Protokollisten konnte dabei als neutrale Bezeugung schriftlicher und mündlicher Vorkommnisse wahrgenommen werden, wobei die mündlichen Eingaben in schriftliche Form zu überführen waren. Gegebenenfalls gehörte zum Medienwechsel auch ein Sprachwechsel, wofür es aus den Protokollen nur einen vereinzelten Beleg gab, der aber nach der Schilderung der sprachlichen Situation Hamburgs wahrscheinlich war. Vorgaben für diese Tätigkeit lieferten seit dem späten 15. und frühen 16. Jh. die Reichskammergerichtsordnung von 1495 und die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. (Carolina, 1532). Die Arbeit Topalovićs und Angaben aus Stielers Secretariat-Kunst belegten, dass diese Vorgaben auch im 17. Jh. noch maßgeblich waren. Durch den juristischen Hintergrund der Commerzprotokollisten waren diese mit der juristischen Tradition des Verhörprotokolls vertraut, was sich auch an (kanzlei)sprachlichen Elementen der untersuchten Protokolle nachvollziehen ließ. Eine Abweichung von den Erwartungen an die Textsorte stellte die in der sprachlichen Analyse festgestellte hohe Verwendung von Abtönungspartikeln dar (s.u.), die als Träger kommunikativer Funktion in einem neutralen Text eigentlich fehlen sollten.
Kanzleisprache
331
5.5. Kanzleisprache Über den Texttyp wurde die Nähe der Protokolle zur Kanzleisprachentradition demonstriert. Die nähere Beschäftigung mit der kanzleisprachlichen Tradition erbrachte die Bestätigung der bisherigen Beobachtungen sowie weitere Aufschlüsse. U.a. wurde deutlich, warum die Verwendung der schwindenden niederdeutschen Schriftsprache für die prestigebewussten hamburgischen Kaufleute nicht mehr in Betracht kam: Sie hätte dem Anspruch an Gleichstellung mit den anderen städtischen Institutionen entgegengestanden, die den Schriftsprachenwechsel bereits in der ersten Hälfte des Jahrhunderts vorgenommen hatten. Auch hätte sie das Geltungsareal der Protokolle eingeschränkt. Von sprachgeschichtlichem Interesse waren die Kanzleisprachen daher, weil sie in den fnhd. Sprachausgleichsprozessen eine bedeutende Rolle spielten. Außerdem konnte entgegen früherer Konzentration auf literarische Werke inzwischen belegt werden, dass weniger Drucke sondern eher die Ausführung von Prosatexten für die Ausbildung des heutigen Schriftstandards einflussreich war. Anhand verschiedener schriftsprachlicher Merkmale wie Fachvokabular, Formeln, afinite Nebensätze, Hypotaxe, Komposita und Attributerweiterung konnte hier ansatzweise aufgezeigt werden, dass die untersuchten Protokolltexte nicht nur textsortenbedingt, sondern auch sprachlich in den kanzleisprachlichen Kontext einzuordnen waren. Die Texte konnten ebenfalls innerhalb der von Macha (2004) beschriebenen konfessionellen Schreibtraditionen als mittlere bis höhere Kanzleisprache der protestantischen Tradition zugeordnet werden. Der anschließende Vergleich dieses Ergebnisses mit dem Befund der Textanalyse morphologischer und syntaktischer Merkmale führte insgesamt zu dem Schluss, dass die Kanzleisprachentradition auch im 17. Jh. noch wirksam war, wenn auch nicht mehr als gesamtsprachliches Vorbild. Im Bereich der untersuchten geschäftssprachlichen Protokolltexte wirkte diese Tradition deutlich stärker, als die in ihrer Wirkung auf den entsprechenden zeitgenössischen Schriftsprachgebrauch überschätzten Grammatiker. Dieses Ergebnis ermutigt besonders zu weiteren Untersuchungen handschriftlicher kanzleisprachlicher Texte, die für das 17. Jh. bisher weitgehend vernachlässigt wurden. Die hier nicht beachteten Textvorlagen in Formularien und die nur ansatzweise dargestellte Ausbildungstradition im Bereich der Berufsschreiber sollten deshalb näher auf ihren Beitrag zur Variantenaussonderung hin untersucht werden.
332
Zusammenfassung und Ausblick
5.6. Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente Bei der Untersuchung von orthographischen, morphologischen und syntaktischen Merkmalen in den Quellen der Commerzdeputation Hamburg ergaben sich unerwartet weitgehende Übereinstimmungen der jeweiligen Merkmalsrealisierung innerhalb der Texte mit der heute gültigen Norm. Die Trennung der Schreibungen i/j und u/v am Wortanfang für Vokale bzw. Konsonanten und die Schreibungen der Diphthonge au/eu entsprachen ebenso weitgehend der heutigen Norm wie die sich durchsetzende Großschreibung von Substantiven. Mangelnde Differenzierung einzelner Merkmale war individuell, z.B. trennte Schreiber D i/j noch nicht und Schreiber B zeigte außer bei der Diphthongschreibung eu bei allen anderen Merkmalen Mangel an Differenzierung, während die Realisierung der beobachteten Merkmale bei A in allen Bereichen außer der Substantivgroßschreibung (von der er in ca. 8% abwich) weitestgehend dem heutigen Standard entsprach.3 Auch die Präfixe empf-/ent- und un-/ohn- wurden in den meisten Fällen wie heute gebraucht. Dasselbe gilt für die Suffixe -lig/-ig (das Suffix -nis fehlte in den Texten völlig, vermutlich textsortenbedingt ersetzt durch -ion). In der Untersuchung der Polynegation fand sich ein dominierendes einzelnegierendes nicht nach heutigem Standard, ebenso wie modales nicht und kein. Auch die heute mögliche Negationshäufung mit positiver Aussage lag vor. Allerdings ließen sich diese und Reste heute nicht mehr grammatischer Negationshäufung mit negationsverstärkendem Inhalt erst auffinden, nachdem morphologische und semantische Negation zusätzlich zur lexikalischen Negation in die Untersuchung miteinbezogen worden war (vorliegende Untersuchungen, die das Fehlen dieser Formen zu beweisen scheinen, wären also entsprechend zu hinterfragen). Partizipialattribute, die der Forschungsliteratur nach häufig und umfangreich zu erwarten wären (im Extremfall bis zu 36 Wörter lang), lagen in den Quellen seltener und in kürzerer Form vor als erwartet (extremer Einzelfall: 15 Wörter Umfang). Darüber hinaus war in den Quellen eine trotz leichter individueller Schwankungen klare Positionierung der Substantivzusätze nach ihrer Länge zu beobachten. Je länger ein Zusatz war, desto weiter wanderte er nach hinten (kurz: Partizipialattribut, mittel: Partizipialapposition, lang: Relativsatz). Partizipien wurden bereits entsprechend der heutigen Norm gebildet. Die Konjunktion weil wurde ausschließlich in unterordnenden Sätzen gefunden (sowohl die heute möglichen Koordinationen als auch das schriftsprachlich immer noch ungrammatische koordinierende weil mit Verb3
Die Unregelmäßigkeit der beobachteten individuellen Schwankungen, die bei einigen Merkmalen fehlten und bei anderen sehr stark waren, legen weitere Untersuchungen nahe.
Analyse syntaktischer und morphologischer Elemente
333
zweitstellung fehlten). Nur ein Schreiber verwendete denn, das in nur einem von fünf Fällen durch das temporale Adverb dann ersetzt wurde.4 Dagegen noch nicht wie heute realisiert wurden die Fugenelemente in zusammengesetzten Substantiven (sie waren deutlich seltener als heute). In den Komposita tauchten auch noch Reste von Binnengroßschreibung und Schreibungen mit Bindestrichen auf. Mit Übergangsformen des Suffixes für- liegen in den Quellen heute verschwundene Überbleibsel einer älteren Sprachstufe vor, in der für noch räumlich gebraucht wurde. Die Reste alter, betonender Negationshäufung wurden erst bei Betrachtung aller möglichen Negationsmittel, nicht nur der lexikalischen Satznegation, beobachtet (s.o.). Die für das späte 17. Jh. totgesagte Partizipialapposition tauchte ebenfalls noch auf, wenn auch selten. Beobachtet wurde in den Partizipialkonstruktionen auch eine große Unsicherheit bei der Adjektivflexion (ein Schreiber wich in 100% von der heutigen Norm ab, im Gesamtdurchschnitt war die Abweichung 50% und kam bei allen Schreibern vor). Laut Forschungsliteratur waren zum Untersuchungszeitpunkt nur noch Reste diffuser Adjektivflexion zu erwarten. Im Bereich der kausalen Konjunktionen überraschte die Vielfalt der Konjunktionen (alßdann, daferner, unterschiedlichste Realisierungen von weil). Außerdem war unerwartet, dass in zwei Fällen Denn-Sätze mit Verbendstellung vorlagen. Einerseits war also noch keine klare Arbeitsteilung von weil und denn erreicht, andererseits trat die Abweichung nicht (wie heute) bei weil, sondern bei denn auf. Mit den Aufzählungen 1. weil, 2. weil, etc. lag eine Sonderform der linksargumentierenden Weil-Sätze vor, die in der Forschungsliteratur unerwähnt war. Sie wurde als textsortenspezifisch gedeutet. Unerwartet war darüber hinaus eine häufige Verwendung von Abtönungspartikeln in den Protokollen, die angesichts der theoretischen Ansprüche an die Textsorte zur Sachlichkeit überraschte. Von bisherigen Untersuchungen abweichend war auch die weitgehend klare Trennung der Suffixe -lig/-ig, die in den Quellen früher als bei Takada (1998, für Drucke) belegt werden konnte. Dies Ergebnis steht im Widerspruch zur Annahme einer Vorreiterrolle der Druckereien und betont den Forschungsbedarf im Bereich der handschriftlichen Dokumente des 17. Jhs. Auch die Verwendung zweier nicht im bejahenden Sinn in den Quellen erscheint früher, als nach Duden Grammatik und Langer 2001 zu erwarten wäre. Gleiches gilt für die nur einmalige Verwechselung von denn (kausale Konjunktion) und dann (temporales Adverb), womit auch hier die Realisierung in den Protokolltexten dem heutigen Standard näher steht als in der Forschungsliteratur dargestellt.
4
Laut Duden Grammatik 1998 bis ins 18. Jh. in der Umgangssprache und in Dialekten normal, heute nur noch in dialektaler Umgangssprache.
334
Zusammenfassung und Ausblick
Einflussnahme der Grammatiker auf den zeitgenössischen Sprachgebrauch konnte nach den Ergebnissen der Untersuchung nur in zwei Fällen angenommen werden, nämlich in der Differenzierung u-/v- als Vokal bzw. Konsonant am Wortanfang, die erst im Laufe des 17. Jhs. passierte, in den Quellen aber schon fast vollzogen ist. Außerdem in der Ablehnung von Fugenelementen, die in den Quellen weitgehend fehlen. Es erscheint außerdem nach dem Befund aus den Quellen und einem Vergleich mit der heutigen Norm denkbar, dass die Grammatiker auch auf die Gestaltung der Komposita eine, wenn auch später einsetzende Wirkung hatten (die in den Protokollen noch fehlende Zusammenschreibung setzte sich bis heute durch). In den anderen Fällen konnte eine nachträgliche Forderung dessen beobachtet werden, was sich in der Praxis bereits durchgesetzt hatte, oder durchzusetzen begonnen hatte (Binnengroßschreibung, Substantivgroßschreibung, Abschaffung der Polynegation). Zu anderen Fragen wurde gar nicht oder so kontrovers Stellung genommen, das auch hier kein Einfluss der Grammatiker auf die Realisierung in den Quellen realistisch erschien (Präfixe ohn-/un-, vor-/für-, Suffixe -lig/-ig, Verwendung kausaler Konjunktionen; das vieldiskutierte -nis/-nus/etc. trat in den Quellen nicht auf ). In noch weiteren Fällen standen die gefundenen Empfehlungen der tatsächlichen Verwendung direkt entgegen5 (Abschaffung der Substantivgroßschreibung und des assimilierten empf-, grundsätzliche Bevorzugung der vorangestellten Partizipialattribute). Insgesamt musste zusätzlich zu der bereits festgestellten Nicht-Eignung der Grammatiker als Urheber negativer Werturteile über spezifische Konstruktionen festgestellt werden, dass nach dem Stand der untersuchten Protokolltexte die Grammatiker auf die Realisierung der untersuchten Phänomene in der entsprechenden Textsorte wenn überhaupt nur einen minimalen Einfluss gehabt haben können. Außerdem lag angesichts der über den Erwartungen liegenden Annäherung der Quellen an den heutigen Normzustand nahe, eine (womöglich textsortenspezifisch wirksame) andere Tradition zu suchen, die für diese relativ starke Annäherung der Texte an die heutige Norm verantwortlich gemacht werden kann. Hier wird die kanzleisprachliche Tradition vorgeschlagen, der damit eine weitaus bedeutendere und zeitlich später wirksame Rolle zukäme als bislang angenommen.
5
Das heißt nicht, dass nicht andere Grammatiker diese evt. befürworteten. Aber auch dann wäre ein Einfluss wegen Uneinigkeit der Empfehlungen wenig wahrscheinlich.
Forschungsausblick
335
5.7. Forschungsausblick Bei folgenden in dieser Arbeit angesprochenen Problemstellungen wurden Forschungsdefizite wahrgenommen. Soziolinguistisch gesehen ist es dringend nötig, die Art der heutigen Stigmatisierungen, die in dieser diachronischen Untersuchung nicht hinterfragt wurde, genauer zu untersuchen. V.a. ist nach Mustern zu suchen, die erklären, wer in welchem Kontext und über welche Medien stigmatisiert und welche pragmatische Funktion die Stigmatisierungen für die Sprecher haben. Strukturell sollten die stigmatisierten Konstruktionen und ihre Alternativen genauer untersucht werden. Die Frage ist hier, ob sich Muster bei der Ablehnung bestimmter Arten von Konstruktionen finden lassen und ob es wirklich keine Unterschiede in der Funktionalität hier als gleichwertig angenommener Konstruktionen gibt. Weiteren Untersuchungen der Polynegation müssten klare Definitionen der Untersuchungsparameter vorangehen, um die Ergebnisse vergleichbar zu machen. Eine Beschränkung auf einzelne Negationstypen scheint dabei ungeeignet, den Stand der Negationsentwicklung befriedigend zu erfassen. Die große Vielfalt der im Korpus gefundenen kausalen Konjunktionen und Hinweise auf polyseme Verwendung belegen Forschungsbedarf. Korrelate und Abtönungspartikeln sollten hier mitberücksichtigt werden. Der beobachteten unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeit einzelner Merkmale und den starken individuellen Schwankungen in Einzelbereichen der sprachlichen Realisierung (im Vergleich zur insgesamt relativ starken Uniformität) sollte nachgegangen werden. Die vorgeschlagene Verlegung der lange auf die Mitte des 17. Jhs. festgelegten Grenze zwischen Fnhd. und Nhd. auf eine spätere Zeit müsste entsprechend den vorliegenden Ergebnissen gezielt textsortenspezifisch überprüft werden, da es zwischen einzelnen Textsorten u.U. gravierende zeitliche Entwicklungsunterschiede geben könnte. Der bisherigen Einordnung von Protokolltexten als Textsorte wurde in Anlehnung an Topalović widersprochen und eine Höherstufung als Texttyp gefordert – weiterführende Studien des bislang vernachlässigten Texttyps Protokoll, gerade aus historischer Sicht, sind dringend wünschenswert. Eine wünschenswerte Abgrenzung der Textsorten Verhörprotokoll und Institutionelles Sitzungsprotokoll könnte hier als Ausgangspunkt dienen. Die weitere Transkription der Commerzprotokolle könnte in diesem Zusammenhang u.U. weiteren Aufschluss zur Produktionssituation und damit zusätzliche Hinweise zur Einschätzung der Textsorte und ihrer Funktion liefern. Idealerweise ließen sich dort auch nähere Informationen über Tätigkeit, Status und Identität der Protokollisten finden, welche die bisher einseitig auf po-
336
Zusammenfassung und Ausblick
litische und wirtschaftshistorische Interessen ausgerichteten Untersuchungen des Korpus ergänzen könnten. Auch wegen ihrer Bedeutung für die weitere Untersuchung der kanzleisprachlichen Tradition und angesichts des Forschungsbedarfs zur Textsorte sollte diese Quelle untersucht werden. In diesem Zusammenhang wären die Tätigkeit von hamburgischen Stadtschreibern bzw. die Bedingungen an dortigen Kanzleien näher zu untersuchen. Eine Klärung der zeitgenössischen Bedeutung(en) des Begriffes Kanzleisprache wäre eine Voraussetzung weiterer Untersuchungen in diesem Bereich. Auch das Problem des damaligen Wissenstransfers, vertikal und horizontal, schriftlich und mündlich, dessen bisher ungeklärte Mechanismen diese Arbeit erschwerte, wäre zu bearbeiten. Auch für den Bereich der Syntax, der hier nur gestreift wurde, könnte die weitere Erschließung der Quellen aufschlussreiches Material liefern und die wünschenswerte Untersuchung potentieller inhaltlicher Differenzierungen kausaler Konjunktionen im 17. Jh. ermöglichen. Insgesamt hat diese Untersuchung gezeigt, dass mit den zahlreichen unerschlossenen Handschriften des 17. Jhs. lohnenswerte Untersuchungsgegenstände vorliegen, die bereits bestehende (anhand gedruckter Texte gewonnene) Erkenntnisse komplementieren können.
Anhang Transkriptionen der Protokolltexte (Textproben aus dem Zeitraum 1665-1677)
Transkriptionen der Protokolltexte
339
F
Allermaßen solche Confirmation in E: E: Hochwß: Raths Protocoll folgender maßen enthalten. Veneris adi 20. Janùarÿ 1665. He: Bùrgermeister Jarre Die Kaùffleute haben 87 Kauffleùte Depùtiret so wegen Sachen so zùr See vorgehen Conferiren sollen, er: sùchen darùber Confirmation ùnd 2° Herrn Jhnen zù adjùngiren. Die 87 Kauffleute werden Confirmiret ùndt Jhnen adiùngiret He: Schröttering, He: Möller und He: Eckhoff. Die Vorgeschlagene Kaùffleùte seÿn Michel Heùß; Dieterich Cordes, Daniell leConte, Henrich Bùsch, Johan Schöder, Johan Gùel, ùndt Berent Jacobßen Karpfanger. ____________ vide fol. 460. ein mehrers vide infra f o. 201 de hac materia
Zusatz auf der Rückseite des Deckblattes, also links von Seite 1. Schreiber B.
340
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Anhang
1665 Protocollum Deputatorum Communis Commercij Civitatis Hamburgensis 19. Januarÿ Haben die alhie zù Hambùrg zùr See handelenÓ de Kaùffleùte einhellig berahmet, daß SieÓ ben Persohnen Ihres Mittelß alß 6 aùß den ErbÓ Kaùffleùten die da gùten Handel und CorresponÓ dence so woll ùmb die Ost alß West See trieben, aùch der Assekurantz sich bedienten, und einen Schiffer Alten, möchten erwählet werden, welche da alles und jedes, waß dem Heilsahmen Commercio dienÓ sahmb beobachteten, die Drangsahl und Beschwerden, so demselben Zùstoßen mochten, E. Hochw. Rahte fleißigst hinterbrächten und cooperirten daß solÓ che ın Zeiten gewehret oder best müglichst geremeÓ d[ii]rt werden möchten: Zù welchem Ende dan folgenÓ de 7 Persohnen von der Börse und den 144 BürÓ geren sein benennet und von E. E. Hochw. Rahte den 20 Janù: confirmirt F aùch dehren Actiones in diesem passù negst vorwis[esen]sen E. Hochw. Rahts zù approbiren sein admittiret worden. Alß die Ehrbahre 1 Sr. Michel Heùß 6 Sr Johan Gùhle 2 – Dieterich Chordes 5 – Johan Schroder ùndt 3 – Daniel Leconte 7 – Schiffer Berent Jacobsen, 4 – Heinrich Bùsch Karpfanger.
Randglosse links (Schreiber C):
fundation des Lobl Collegii Commercii.
Sr. = Seigneur
19.01.1665 S. 1
341
Transkriptionen der Protokolltexte
5 Glosse am linken 1665. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31
Veneris 10 Febr. Commercÿ Depùt. thun nochmahlige inÓ stantz eine ansehnliche Legation nach EnÓ gellandt zù spediren in Consideration weil daß Vorjahr heran nahet, und viel Schiffe erwartet werden, aùch großer Schade in einKaùffung der Wahren durch diese tarÓ dance |: weiln Ein Erb. Kauffmann nicht wüßte in waß vernehmen man jetzo mit den Englischen stunde :| ohnzweiffel erfolÓ gen werde: Zù dehme wehre zù erwegen, daß der Handell zùr See gleichsahmb dieÓ ser Stadt Seele und Wolfahrt wolte man derselben in Zeiten nicht rahten sonÓ dern sterben lassen, würde es mit dem Commercio gethaen sein. Senatùs Dep: wollen zù Rahte davon referiren hoffen aùch gewürige erklehÓ rùng zù erhalten: Es solte noch nicht geschehen konnen, die 144 währen heùte convocirt, wie weit man mit Ihnen kehÓ me würde diesen Mittag sich finden, alßÓ dann des Rahts resolùtion erfolgen würde. Commercÿ Dept: Die Convoc: der 144 betreffen Hellmeke und Beselers Sache Cotr: der Englischen Court, wehre eine Sache apart, konte lange genùg anlaùffen ehe ein Schlùß darinnen kehme, interim konÓ te daß Gantze Commercium darùber nicht wohl leiden und die gantze Stadt schier darÓ ùber darben.
Rand (C):
Gesandsche. pe. England
10.02.1665 S. 5
342
Anhang
6/ io feb. ” 1665. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Senatus Dep: Man wolte E: Hochw. ÓRath davon referiren, und weilln viel zù Rahte jetzo vor lieffe, würden die He. gedeputirten der Ant wort nicht erwarten konnen, wann E. Hochw: Raht zù Mittage geschieden, würde einem oder andern Jhreß Mittelß den Verlaùff kùndt gethan werden. Worauff man geschieden. Mittags ùmb 12½ sage halb ein Ùhr zeigÓ te He. Johan Schrottering an Sr: Mühel Heußen Er wehre zù Rahte davon vorgewest, wehre aber biß künfftigen Montag verschoben worÓ den, weilln die Zeit zu kùrtz gefallen. Lunae 13. Jan: ...
Glosse und Korrektur am linken Rand (C/C):
wegen Gesandtsche. ‚Jhrem‘ verbessert in ‚Jhreß‘ pe. Engeland
Febr.
10.02.1665 S. 6
343
Transkriptionen der Protokolltexte
12/ 17. feb: i665
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29
... Luna den 20 Febr: Deput: Commercÿ convocirte daß Commerciùm die Borse nebenst den Schifferen auff den Borsen Sahl; proponirten, weilln beÿ die sem Zwürigen Zeiten Zwischen Holland und Engelland, man dahin müste bedacht sein wie man solche Seebrieffe und attestationen mochte abfassen, damit beeden theilen aller Scrùpel und argwohn einiges ùnterschlei[f ] [serl] oder also genanten BÚrrendreyerey mochte abgeschnitten werden, so hette man eine formul so woll des Seebriefes alß General certification, aùch unverg[reiff].
Glosse links (C):
wegen Seebriefe sic! Attestatio: en beÿ schwü rigen Zeiten zwischen Holl: [und] Engelland
hier geflicktes Loch in der Seite Reparatur
20.02.1665i S. 12
344
Anhang
13 1665. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
meinùng eines Mandats, ùmb solches E. Hochw: Rahte dienstlich zù hinterbringen abfassen lassen, wollten solches verlesen, und wo einer oder anÓ der etwaß dabey zù errinnern, wolten Sie dehÓ ren Meinùng gerne bvernehmen, und waß nötig darinnen corrigiren. Facta prælectione fielen etzliche contrarioÓ Meinùngen, die aber nachdehme sie mit gùten fundamenten beantwortet würden, weck fielen, und wùrdewohnet das verlesene approbieret. Veneris 24. Feb: ...
Glosse links (C):
wegen von A verbessert Seebriefen vnd Certification: & Mandat deßwegen
20.02.1665ii S. 13
345
Transkriptionen der Protokolltexte
23 1665. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
Glosse links (C):
... Marti 2. Maÿ. Kamen viel Kaùffleüte der Borse fùr den gedepùtirten des Commercÿ sùchen ihnen kundt zù machenÓ waß mit jungsten BrieÓ fen aùß Engelland kommen, ùnterschieÓ dene Briefe, meldeten man wolte die Sache daselbst nicht tractiren Sie solÓ te hier abgethan werden: Nùn wehren bereits so viel Schiffe daselbst aùff gebracht, Mann mochte doch sehen daß den Englischen satisfaction gegeben wùrÓ de, damit so viel ehrliche Leùte nicht ùmb daß Ihrige möchten kommen. Depùt: Commercÿ. Sie wolten die DeÓ put Senaty aùßfohrdern, die Meinung der Kaùfleùte Ihnen entdecken, so k[ön], ten sie selbst die resolution mit mehÓ ren.
aØfbringØng Schiffe in Engelland
02.05.1665i S. 23
346
Anhang
24 / =2 Maii 1665 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 fa 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29
He. Johan Schrötering negst anhorùng der gedeputirten anbringen. Zeigte an, Es weh re E. Hochw. Raht mehr dan wol wissen wie schwartz die Stadt in Enggellandt angeÓ schrieben . S. Mayst trùngen hart aùff abthùùng der Sachen mit der Court, Contra Helmeke und Beseler, Es wehre mit den Oberalten darùber communiciret und were mit Hellmeke ùnd Beseler geredet lassen reden, die sich dann zù einstellùng dieses Han, dels erklehret. Commercium. Weiln die Sachen in solchen Terminis berùheten, wehre diensahmb das je ehr je lieber mit dem Herrn Engelischen Residenten darùber gehandelt geret ùnd die Sache vorabel zù referiren recommendiret würde Zeigten dabey an, daß die Briefe so heute Abend bestellet würden ebenso geschwinde überkehmen alß die verganÓ genen Sonnabend wehren spediret worden. H. Johan Schotering Er wolte zù Rahte befordern und fleiß anwenden daß diesen Abend so wol dùrch den He. ResiÓ denten als aùch E. Hochw: Raht dieser Sachen wegen aùff Engeland geschrieben würde. a[bii]t. Commercium. Nach dehme He. Johan SchroÓ tering abgetreten suchten daß den OberÓ alten weiln sie doch beysammen diese Sache
von A selbst ergänzt
unkenntlich korrigiert
02.05.1665ii S. 24
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Transkriptionen der Protokolltexte
25 Glossen am linken Rand (C/C):
1665. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32
recommendiret werden möchte, welches sich die Depùt: gefallen lassen mit den Kaùffleù ten fùr den Oberalten traten, die wichtig keit der Sache dùrcHe. Dieterich Cordes alß mitglit der Deputirte des CommerÓ cÿ remonstrirten und bestes fleises comÓ mendirten. Die He Oberalten dùrch He Lorens Worden hoff. Es mangelte an ihre[m] fleiß nicht wolten aùch ferner dahin sich bearbeiten daß heùte bey der Sache so viel thùnÓ lich solte verrichtet werdenÓ waß diensamb woraùff man geschieden. Martis dr. 13 Junÿ Depüt: Commercÿ. ùberreichen Suppli catione[m] worinnen nochmahln Convoÿe gesùchet und du der Terminus wen sie ab gehen solle biß aùff den 25 Junÿ zù pro longiren gesùchet wùrde. Dep.t Senatùs. Wolten die Supplic zù Rahte nehmen, und dehren resolutiō einbringen. Nach einer halbe Stunde brachten die He. gedeputirte ein, man hette der Kaùff leùte und Schiffer Supplic zù vor zù Rahte verlesen, Es wolte E. Hochwß. Raht mit den Oberalten und der Kämmereÿ reden, hetten schon dem ein Capt: Mart[adg] Höchste ordre geben, Brodt, Bier und zù behör aùff den raht sal zù bestellen, man erwartete mit[en] ehister Post gùte Brieffe aùß Engellant alßdan alles richtig werden solte.
beÿ den Hhe. Oberal: ten die Ent. Sache Recommen: diret
sic!
Convoÿ prolongation
02.05.1665iii+13.06.1665 S. 25
348
Anhang
31 Glossen links 1665 1 2 /4 3 4 5 6 7 8 9 /2 10 11 12 13 14 15 16 17 /3 18 19 20 21 22 /1 23 24 25 26 27 28 29
Veneris 11. Augusti Deput: Commercÿ suchen es mochte Jhnen commùniciret werden, waß mit Engelland wegen der farth aùff Dunekereken und osten de vorgewest, es gingen differente Rehden von verbott aùff selbigen Haven, wo darin solte gewilliget werden möchte man SpagÓ nien und franckreich offendiren, Daß die Aydtlichen päße den Schifferen ver siegelt mochten gegeben und denselben in jungieret werden alsolche päße versiegelt oder zerbrochen |: wo es in See hette geschehen müßen:| den Convoÿer so baldt Sie in Spagnien angelanget einzùlievern, der Sie bey seiner zù rùckùnfft dem Admiral=Schreiber wieder einhandigen mùße. Fùnde man notig daß wan der Convoÿer die ersten Schiffe in salvo zù Mallaga ge bracht Er mit Ersten gùten Winde wieder nach Caditzen Segelte und die anderen Schiffe nach Mallaga brechte. Daß Capitain Holste mit dem Ersten nach borth nebenst seinem folcke gehen möchte ùmb so baldt der Windt Gùht Er nach Frey bùrg, möchteÓ * odre haben in See zu gehen dan solte Er negst erlangeten Gùter zeiÓ tung, und wann der Wind gùet erst fer tig machen wolken, mochte der Wint ver weghen und die Reise ver[hemn]et werden.
(alle C):
Fahrt aØf Duÿn Kirchen Ønd ostende
Pässe
Convoÿ pr. Spanien ‚Caditzen‘ später korrigiert
*interlineare Ergänzung (A): siegeln woselbsten er könte w[annes xxx] Er
11.08.1665i S. 31
349
Transkriptionen der Protokolltexte
32 ii. Aug[e]. 1665. 1 2 ad1 3 4 5 6 ad2 7 8 9 ad3 10 ad4 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22
Deputati Senatús. ConVoÿe wehren parat, daß man aber daß Volck sol fort an bohrt senden wùrde große Kosten er fordern, es wehre beliebet anzùschlagen so balt der Wind gùht solte die Convoÿe siegeln wehren mit den Kaùffleùten einig und soll Richert Schröder solches dem Schifferen andienen welcher nominirt die päße zu verfertigen. Wehren mit den Kauffleuten einig. Wehre nicht eines Hochwß. Rahts meinùng daß man nicht aùff Brabant fahren solte es wehre zù dem Ende geschehen, daß sich ein jeder lieber aùff Hambùrg alß ostende oder Dùnekereken befrachten ließen. Waß anlanget die Communication mit den He gedepùtirten, daß waßÓmit frembden He und Potentaten solte geschloßen werden, dazu daß konte E. Hochwß. Raht sich nicht verstehen, es lieffe wieder die Statuta mit den OberÓ alten würde alles fleißig communiciret Lunæ den 14 Aug: ...
Glossen links (beide C):
Die
Convoÿ
Pässe
11.08.1665ii S. 32
350
Anhang
36/ 1665. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
Jovis 17 Aug: Deput: Commercÿ Convocirten das CommerÓ cium und referirten Ihnen alles waß biß anhero zwischen ihnen und E. Hochw. Rahte vorgeloffen, aùch wie Sie umb CommunicaÓ tionem der mit Engellandt obhanden haÓ benden Tractaten so weit es dem Commercio betreffe, angehalten, dieselbe aber nicht allein nicht erhalten konnen besondern es wehre Jhnen noch ùber dehme zùr Antwort geworden, Mann hette alles mit den He: Ober alten communiciret aùßer welchen man zú keiner weïteren communication sich ver stùnde. Weiln dan al ihr fleiß, so Sie gerÓ ne dem Commercio und dieser Stadt geleiÓ stet, so frùchtloß furüber paßirt gelaßen wùrde alß sùchten Sie fleißigst E. Erb. Kaùffman geliebte Sie wieder zù licentiÓ ren damit Ihre gùte Zeit nicht so ùnnùtzÓ lich verwendet würde. Daß Commercium, Bedanckte sich getraÓ gene[n] Sorgfalts, Sie seegen wol, daß Jhnen in gùten Wegen zù weiln obijcirt wúrde man wolte darùmb nicht vermùden es wehre die Hochste Nohtwendigkeit daß je mand daß Commercium verspreche wozù die He. erwehlet, welche davon nicht erÓ lassen werden konten.
Glosse am linken Rand (C):
Depti. CoÔer: cii Beschweer ~ wegen nicht zØ erhalten: de CoÔunica: tion was von Tractaten mit Engeland verhanden
17.08.1665i S. 36
351
Transkriptionen der Protokolltexte
37 Glosse am linken 1665 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29
Commercium. Weill, Ein Erb. Kaùffman bey der einmahl geschloßenen Deputation zù verharren und die Dep: nicht zù er laßen gemeinet: So wolte man hinfùhÓ ro an fleißiger Obacht so dem CommerÓ cio zustatten kommen konte nichts er winden lassen, zeigten demnach dem Erb: Kaùffman an, wie daß ob handen Zwischen hiesigen Rahte und Engelland sollte geÓ schloßen werden, daß ùnßere von hinÓ nen gehende Schiffe in Jhrer Rückkùnft weder zù Caleis, Ostende Dùnekereken oder anderen Haven zwischen Caleiss und den Mùndt der Elbe liegent solten ein lauffen oder laßen, weilln daß AdmiÓ ralt: Collegium beÿsammen und daß Commercium versamlet, fùnde man Diensahmb daß man gesambt fur der Admiral: trete und vernehme, weil der Kaùffman von der Admir: beschiÓ den worden, waß dehren anbringen, ob es berührter farth wegen wehre oder waß anders mit sich führete. Commerciùm: Weilln die gedeputirÓ te von dem Commercio erwehlet worden so sùchte daßelbe Sie mochten eintreten und die proposition Jhnen hinterbrin gen. Welches geschehenÓ wùrde von He. Bürgermei stern Lütgenß angebracht wùrde: Es wolte
Rand (C):
E. Erb: KaØffm. SchlØß
von A selbst verbessert
sic!
17.08.1665ii S. 37
352
Anhang
38
17. Aug[e]. 1665.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22
gleichen wan ùnsere Schiffere ein eidtÓ liche attestation, worinnen enthalten daß aùff Jhrer Ruckkùnfft keine Haven binÓ nen der Engte von Caleis biß an der Mund der Elbe solten beschiffet werden, vor zeigten, Sie freÿe fahrt solten genießen alß mochte man solches mit dem Erb: Kaùffman besprechen, aùch die Schiffere vorfohderen und Jhnen davon parth ge ben; welches die gedepùtirte ad referenÓ dum angenommen Commercium post aùdita. Darinnen konten sie nicht willigen, Spagnien und franckreich solten solches hoch empfinÓ den, daß man Jhre Haven nicht fùr neù tral wolte kennen, da man doch in freùntschafft mit Sie begriffen es moch ten die Schiffere darùber gefoderet und aùch gehöret werden die aùff folgende[n] morgen als den 18. Aùg: beschieden word[en]. Veneris den 25. Aug. Junijsti ...
Verbessert: ‚Aùg.‘ in ‚Junij‘ in ‚Aùgùsti‘
17.08.1665iii S. 38
353
Transkriptionen der Protokolltexte
40/ 1665. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
Martis 20 Sept: Deput: Commerÿ bedancketen sich der Communication der 3en Punkten. Antwor teten daß man auff den Ersten und 2. Punc te wol etwaß finden mochte daß man einstimmig würde den 3ten Punct suchten sie zu declariren dann solte man sich bundig machen den Holländern keine wahren contrabanda von hier aùß zù zùführen und da es geschehe und nicht eben in HenÓ den der Englischen geriete mochten sie her nach aùff freyen gùtern prætension maÓ chen mit forwand man hetten ihren fein den verbotene Wahren wieder vergleich zùgefùhret, wolten sich auß andern gù tern dafùr revangieren ,steckte streckte also die ser Articùl voller Gefahrlichkeiten welche E. Hochw: Rahte hoch vernùnnfftig mochte erwegen. Depu. Senat: berichten zù Rahte dar aùß gereferiret zù haben zù dehm Ende dan eine Clausula abgefasset worden womit der Rigör vermiltert wird, daß nemlich im fahl Wahren von contrabande in ùnsern Schiffen nach Holland gefùhret werden solten, solten solche Schiffe und Gùtern allein solten fùr confiscabel ge achtet werden.
Glossen am linken Rand (A?/C):
Nr. 8 p. 492.
contraban: da
Probleme mit der Platzaufteilung
20.09.1665i S. 40
354
Anhang
41 1665 1 2 3 4 5 ad1 6 7 8 9 10 11 12 13 14 ad2 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
Ùnverghreiffliches Bedencken aùff die von E: Hochw: Rahte den 20. 7tr: denen gedeputirten des Commercÿ übergebenen 3en. Articulen Wann es nicht anders zù erhalten, fùnde aùff verbesserùng E. Hochw. Rahts die Dep: Commercÿ diensahmb daß ùnseren Schifferen solcher Gestalt der Eydt abge nommen würde, daß Sie aùff ihren Rückreisen von Spanien oder anderen Quar tieren anhero keine nähere Haven in der Norster Nortsee ohne noht wollen kiesen alß die Elbe. Weilln dieses eine Sache von boser Conse qventz so dem Rechtmessigen freyen com: mercio seer beschwerlich aùch andere hohe Herren ministri dergleichen fohderen möchÓ ten wo dùrch dann wan es ihnen nicht geÓ geben werden konte der freye laùff des diensahmen Commercÿ gehemmet würde alß zweiffelete man nicht E. Hochw. Rath würde Hochvernùfftig darùber bedacht sein daß so viel müglich dießem ùbel vor geÓ bawet würde, solte aber nichts erhalten konnen werden mùste E. Erb. Kaùffmann wol etwaß thùn waß Er nicht gerne wolte noch ohn schaden thùn konte.
Probleme mit der Seiteneinteilung: mit Bleistift eingezeichneter Rand wird ignoriert
20.09.1665ii S. 41
355
Transkriptionen der Protokolltexte
42/
20.Sept: 1665.
1 ad3 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29
Weiln wahren von Contrabando sich weit extendiren und mann nicht weiß ob die Englischen die gantze fahrt auff Holland von hier stilschweigend ùnter wehren von conÓ trabando wollen verbieten, Alß wolle E. Hochws. Raht einen He gesanten kund thùn daß wo in diesem Pùnct keine DeclinaÓ tion zù erhalten, man denselben so abfaßeÓ te daß die Delinqventen allein:| weiln es doch bereits dùrch offentlichen verboht in Engelland pro clamiret worden, keine Wahren von contrabando aùff Hollant zù fùhren |: mit confiscirùng der also attra[p]irten contrabando guteren bestrafÓ fet, die Ùnschùldige aber nicht dadùrch gefehret werden möchten. Dann sol ten die Englischen solchen Meinùng haben von hieraùß die gantze Zùfùhr aùff Hol land zù hemmen, konte denselben obijciÓ ret werden, daß dùrch dieser sen Weg sie ihren Dessain nicht erhalten würden, in maßen viele Stäte und Ohrter aùff der Elbe legen alß Hambùrg Altena Buxtehùde, Stade, Gluckstat, Ottern dorff, Brünßbüttel und andere, welÓ cher dùrch diesen verboht von Ham bürg auff Holland keine gütere Zù fuhren freyer Handel und Wandel verschaffet, dieser Statt aber und angehörige dadùrch
Glosse links (C):
contra: bande
unkenntlich verbessert sic!
20.09.1665iii S. 42
356
Anhang
43 1665. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
grosser Nachtheil verùhrsachet, ja gahr aùß der Nahrùng gesetzet wùrde, und gahr aùß der Nahrùng gesetzet wurden: So mochte wo thùnlich dem Tractatui beygefùget werden daß allß al solcher ver gleich nicht lenger alß wehrender Krieg mit Engeland daùren, hernacher aber aùffgehoben sein solte. Mercurij 13. ...
20.09.1665iv S. 43
357
Transkriptionen der Protokolltexte
50/ 1666.
1 2 3 4 5 /1 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 /2 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
Lunæ 19. Febr: Deputati Senatus praeria prævia salùÓ tatione begehren de[n] Deputirten willen zù vernehmen. Depti. Commercÿ bedancken sich, erÓ rinnern daß weil, Sr. Johan Radema cher verstorben dessen Stelle mit einer bequehmen Persohne zú“nötig sein wùrde besetzen, und Sie gedepùtirte von der Borse ersuchet worden einem Loblichen Collegio der Admiral: zù errinneren eine beqùe me düchtige und Redliche Persohne zù ernennen nehmen zù welchem Ende dann Sie die Mùhe wol wolten nehmen eine oder mehr Persohnen der Admiralitet Vor zu schlagen aùß welchen eine erwehlet werden mochte. Weilen die Gefahr der Türcken sehr groß, so daß kein Hambùrger Schiffe sich mehr ùmb die Weste willen befrach ten lassen Es sey dann daß eine Con voÿe mit gegeben werde Alß suchet die borse daß ein Hochweiser Raht be stes fleißses darzù thùn wolle, daß 2 Convoÿere mochten ordiniret werden undman zweiffelten nicht, wan in der Bürgerschafft darùber errenstlich ange, halten wùrde, derselben gùte Resolution
Glossen am linken Rand (C/C):
‚den‘ verbessert in ‚des‘? Dispacheur verstorben Zusatz steht über besetzen
Convoÿ pr Spanien
‚und‘ zu ‚undman‘ verändert
19.02.1666i S. 50
358
Anhang
51 1666. 1 2 3 /1 4 5 6 /2 7 8 9 10
zu erhalten. Deputati Senaty. ad 1: Weil dieß der Admiral: meist anginge so wolte man solches an behoriÓ gen Ohrte observiren. ad 2: Waß vorgebracht funde man nicht ùndiensahm, es solte darùber im Rahte ansprach geschehen. Martÿ 27. Feb. ...
Glossen links (C/C):
Dispacheur
Convoÿ
19.02.1666ii S. 51
359
Transkriptionen der Protokolltexte
56
28. Feb: 1666
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29
Randglosse links (C):
Übergang von Schreiber A (oben) zu Schreiber B (unten).
... 11. Maÿ Dep: Senaty weilln die Geßant[e]n in Engel: langt eineÓZeit geleg[e]n ùndt man gehoffet es wùrde ein reglement getroffen werÓ den ùndt weilln der Krieg aberÓie meer ùndt mer weidtleùffiger wird, aùch aùß Hollant geschrieben [xxx] wurde daß wenig a[pparantz] zùr Composition vorhanden, ùndt man vor diesem mit de[m] He. Ge Depùtirten geredet aùch mit de[m] ober: alten weisslich geerwogen ùndt befùnden man mòchte die Sache rebùs sic stantib[us] aùffs beste die Sache mit behuffigen rationibus trainiren, weilln Franckreich ùndt Denmak sich mit inÓden Dialog fl[ö]chten, ùndt man also nicht wùste ob man einem zù gefallen den anderen nicht offendirte, undt also wodùrch dan wenig drauf dem He: Gesandten meer Zùverrichten, welches etwan von einer ander[e]n persohn vielleicht verrichtet werden könte alß hette
sic!
avoci: rØng d. Hhe. Gesandtn in Engeland
11.05.1666i S. 56
360
Anhang
57 11 Maii 1666 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
Ein Hochw: Rath mit de[n] Oberalten darùber Commùnicirt fùnden ùnd diensambbefùndendie He: Gesante zù avo[n]ciren rùck zù rùffen Alß hette alsoÓein Hochw: Rath diensamb erachtet befùnden solches de[n] He: Gedepùtirten der Börse zù hinterÓ bringen ùnd dehren MeinungÓzù vernehmen Dep. Commercii bedanckten sich des freùndÓ lichen hinterbringens wolten es mit einander besprechen ùnd den He: Depùt. Senatùs alß He: Casparo Westerman ùnd He. Frie derich Hartgen Jhre erklehrùng entdecken. Depùtati Commercii bedanckten sich genoÖenen abtrits. Die Gedepùtirten wie aùch ein ieder wùnscheten nichts lieber alßÓdu die He. Gesante möchten avocirt werden, Lem Daß aber Lemkùhlen et Consortes der Kaùfleùte ùndt Schiffer Sachen sollte aùfgetragen werden fùndt man gantz nicht diensamb, weilln selbige meer Ihr Interesse alß der hiesigen Börse obserÓ virten. besonders Mann fùnde höchstÓnötig diensamb dass wo ùnsere He: abgesante solten abgÓ heischet, werden, daß zù forderst eine andere qùalificirte persohn dehm des Raths so möchte nominirt ùndt dahin gesandt werden ehe die He: abgefohdert werden. in Consideration noch viele schiffe aùffgeÓ bracht wehren, zù dehme ùnsere Flote ùnter die Convoÿe aùß Spagnien vernich tet wùrde, aùch zù dehm der Friede zù hoffen beÿ welche[n] das In te resse
Glosse links (C):
avoci: rØng der Hhe: Ge: sandten in En: geland
sic!
Verbesserung: Hilfsverb nur einmal
11.05.1666ii S. 57
361
Transkriptionen der Protokolltexte
58/
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22
11. Maii 1666.
Dieses ohrtes zù obseviren, ùber das durch der EnglÓresident nùhmer von hier nach En, gellant in Aùffbruch begriffen ùndt man seine Meinung affection dieses ohrtes mehr dan zùwoll wùste, alß woher mann der Meinùng weilln ùnsere Hern Heren noch daselbst vor handen die sich bereits einige freùnde gemacht ùndt beÿ den He: Commissariis daselbst bekant, EsÓwehre daß nötigste die Herren da nach eine Weile verharren verbleiben möchten: sollte aber E: Hochw: Rath beÿ der avocation verharren mùste zù vohr eine qualifiÓ cirte persohn abgeordnet ehe diese konten abgefordert werden. Caspar Tammer produciert einen Extract seines [bei dem Jùrgen Cammon] brieffes aùß barbarien bittet du derselbe mùge verlesen ùndt wo mùglich Jhm zùm besten etwas beÿ der Camereÿ procùrirt werden. Deput. wùnsche[n] deßen lesùng v h[erh]en haben den brieff verlesen, wolln an behorigem orthe das beste recommendiren.
Glosse links (C):
‚sollte’: ‚S‘ in ‚s‘ verbessert
Schiffer in d. Barbareÿ
11.05.1666iii S. 58
362
Anhang
70/ 1667 1 2 3 4 /1 5 6 7 8 /2 9 10 11 12 13 14 /3Ó 15 16 17 18 19 20 ad1 21 22 23 24 25 26 27 28 29
Glossen am linken Rand (C/C/C):
I: N: Jesù Janùarÿ 7. Depùt: Commercii wollen vernehmen ob aÚs Frankreich kein brieffe ùndt ob nichts darinnen der Convoÿe von hier betreffent, weillen iùngsthin geferliche brieffe aus Franckreich gewest Sùchen zù wißen, ob ùnserm Convoÿer ordre gegeben, wie Er seine Rùckreise anzùstellen, da Er keine ordre, suchen Sie Jhm zù ordoniren daß beÿ Norden ùmb die Rùckreÿße genommen werden mùge ~ Weÿlln aùch die Zeit des frùlings nahete ùndt Convoÿeschiffe zù baùwen wehre bewilli, get worden alß wurde gesùchet wo daß mit erbaùwùng derßelben der AnÓ fang gemachet werden mùge. Depùt: Senaty Mann hätte brieffe aùß Franckreich ùndt Engellant in welchen nichts des ConvoÓ ÿers gedacht wirt, hoffete man also daßÓ die Convoÿe das Canall passirt wehre[n]: Es wehren sonsten aùs Franckreich scharffe brieffe in welche den oberalten wehren commùnicirt, worùber mann in Tractaten stùnde, aùff waß wege mann zu Paris daß werck könte vor: bawen.
FranckÓ reich
zür Convoÿ Rückreise
Convoÿ baØ
eigene Korrektur von B
07.01.1667i S. 70
363
Transkriptionen der Protokolltexte
71 1667 1 ad2 2 3 ad3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
Solte an Capt: Holsten geordonirt werden beÿ Norden ùmb zü kommen Wehre bereites in der Cämmereÿ anÓ geworben, ùndt solte noch in kùrtzen neulich geschehen Depùt. Commercii per He Johan Gùhle beklagen sich du der Convoÿer den auff Portùgall gehenden Schiffen keine wùrkliche begleitùng biß aùff die Cost von Portùgl. præstiren wollen, weshalben die LisaboÓ nischen Schiffe sich sofort von der ComÓ pagnia abgewant, ùndt weilln sowoll die Schiffe aùff Portùgall alß Spagnien daß Convoÿe goldt betzahlten, so wehre aùch diensamb daß beeden theilen die ConÓ voÿe zù genießen geordert wùrde. Weilln dann aùch die Franschen wie abgedacht sich bedreùwligkeiten vernehmen ließen, worÓ aùß großer Schade zù befahren, als suchte man, daß den Schiffen aùff Lissabon dùrch den Consùl Gùilliam Heùß daselbst möchte geÓ ordonirt werden beÿ Norden ùmb die Rùckreÿse anzùnehmen. Depùt: Senaty. wolten zù Rathe daran refeÓ riren. Depùt: Senaty Mann hette zù Rathe der He: anbringen proponirt, aùch bereits mit den Oberalten darùber gesprochen ùndt solte die ordre beÿ Norden ùmb an Capt: Holsten alß aùch an Gùilliam Heùß aùff Lissabon geschrieben werden mann
Glossen links (C/C):
Conv: Cap.t ordre
‚den‘ von B selbst korrigiert
Fransche Caper
07.01.1667ii S. 71
364
Anhang
72 1667 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
Mann mochte aber alles geheim halten. Wegen erbaùwùng der Convoÿeschiffe solte mit der Cämereÿ geredet ùndt die Sache beschleùniget werden. So solte auch zù Paris aller Fleiß angewent werden daß allem ùnheÿll vorgebaùwet wùrde. Lùna 11 Febr: Depùt: Commercii versamblet proponiren daß weilln ùnsrer He: Dieterich Chordes abgetreten in Senatùm He: Grùß auch seinen abtrit aùß diesem Collegio begehret alß wollen die Ge Deputirte von dem Ehrbahren Kauffman vernehmen ob Sie Starck genùg fùr diesen 2 persohnen 2 andere zù erwehlen Commerciùm durch He. Frantz von Brehmen contestitiren du die Zeit kùrtz sie wehren Schwach solches ùber sich zù nehmen sùchten du man ùbermorgen ùmb 9. oder 10: das Commerciùm mochte berùffen werden also dann mann weiter wolte erÓ scheinen ùndt sich hieruber erklehren. mit ersuch es in Zeiten möchte angemelÓ det werden. Mercùrÿ . 13. febr: ...
Glosse links (C):
Convoÿ baØ
07.01.1667iii+11.02.1667 S. 72’
365
Transkriptionen der Protokolltexte
91 Randglossen links 1667 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31
Veneris, 1. Martÿ Deput. Commercii suchten, weilln sie hart an d Börse daruber zùgerehdet wùrden, zù vernehmen wie weit man mit der Camereÿ in erbaùwùngÓdes Convoyschiffs gekoÖmenF es wehre woll diensamb du der Anfang damit geÓ machet wùrde weill die Zeit verlieffe. Depùt: Senaty wie es letzt verabrehdet worÓ den dabeÿ wohran es noch geblieben damahlen dabeÿ wehre aber discùrsivè gerehdet, daß wann der Kaùfman dùrch die Admirl: eins wolte baùwen so könte die Cämereÿ woll resolviren zu den andern Baùw. Davon möchte man nùhr des KaÚffmans meinùng vernehmen , ob man der Camereÿ könte solche veroißerùng geben daß wann sie den Anfang gemachet die Admirl: auch den Anfang machen wùrden. Depùt: Commercii der Schlùß wehre geÓ faßet du wan die Cämereÿ vermöge bùrgerschlùß den anfang machete wùrde der Kaùffman suchen du die Cä mereÿ Admirl: so forth solte folgen, ùndh wehre kein farth beÿ der Admirl: dazù vorÓ handen wolte mann zù mittell resolviren zeigten hiebeÿ an du zùr [Wismee] 2 erfahrene Zimmermeister so etzliche Orlog schiffe erbaùÓ wet die sich erbötten auff begehren herùÓ ber zù kommen, ùmb ùber den Baùw zù Capitùliren, waß nùn E: Hochw: Rath hie
(B/C/C):
Fso hetten Sie solches anzeigen wollen
Convoÿ von B ‚die‘ in ‚der‘ korrigiert BaØw
in Com:
munio:
ne
01.03.1667i S. 91
366
Anhang
92 /
i Martii 1667
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
hierinnen diens amb Achtete vernehme man gerne Depùt: Senaty Wolten zù Rathe darùber uprechen: Depùt: Commercii: Es wùrden alhir viele schiffe aùff Grönlant aùsgereiset, man verstùn[de] aber du solche ob Sie schon hambùrger brieffe undt päße fùhreten nicht alle aùff Hambùrg zùrùcke sondern aùff Ambsterdamb kehmen such wodùrch dann vielle Nahrùng diesen Orth entzogen wùrde. Suchten also ob nicht diensamb, wann so einem Neùwen Schiffer päße gegeben werden daß derselbe mùste burgen s[tel]len seine Rùckreiße aùff Hambùrg nehmen. Dep: Senaty wollen davon referiren 8. Martÿ ...
01.03.1667ii S. 92
367
Transkriptionen der Protokolltexte
149 Glossen am linken 1668 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 /1 12 13 14 15 2. 16 17 18 19 20 3. 21 22 23 24 4. 25 26 27 28 29 30 31
Rand (alle von C):
... Martis 19. Maÿ Depùt: Commercii. Ob man kùnftigen Donnerstag nicht beÿ der Admirl: wolte anhalten ùmb das gefohderte Decret wegen Willigùng des 1 pcto . Wehre nicht ùndiensamb daß weilln Claß Richers schreibet keine tonnen aùff Cùcks: haven in Vorrath, das daruber gesprochen wurde du 6 in Vorrath stets daselbst beÿ der Hant sein möchten. Der Stader Zollen oder beschwerdeÓaùff der Elbe betreffent, ob man nicht nochmahls anmahnùng thete an gehorigen Ohrte darÓ ùber zu schreiben. Jmgleichen anzùmahnen, in wie weit man gekoÖen in dem Zollweßen, zù Oldeschloe Trittaùw ùndt anderen Ohrten in Holstein. Weilln E: E. Hochw. Rath nicht versamlet mùste man heute acqùiescirn, stelleten aber feste folgenden Donnerstag den ersten pùnct aùff der Admirl: vorzùtragen, kùnfftigen Dienstag folgende 2.2.4. Artic:
1 Pc.to zØr Convoÿ
Tonnen in Vorraht zØ haben ersØchet. Stad. Zoll
Zoll zu Oldesloe Tr:
sic!
Es folgt auf Seite 150 der erwähnte Eintrag von Di., 26. Mai 1668.
19.05.1668 S. 149
368
Anhang
161 1668 1 2 1. 3 4 5 2. 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 ad1 24 25 26 27
Martis 11. Aùgùsti Depùt. Commercii Jùngsthin wehre gesuchet die Claùsùl aùs den Seebrieffen zu laßen. Daß die Mangelenden tonnen möchten gelget, aùff Vorrath einige gemacht, ùndt dem Inspectori bau der Cämereÿ möchte aùffgetragen werden ùber dem to nnen. läg er aùffsicht zù haben du alle mangelende tonnen wieder möchten geleget werden. So hette man dasonder mit einigen Lootzen gerehdet, ùndt befùnden du am folgendem dato noch [ma]h[se]: setzete 7 tonnen gemangelt. 1. Vor den Sadelshorn eine schwartze tonne 2. Vort Flack eine weiße tonne. 3. Vor die Meme 1. Weiße tonne. 4. Vor dem Oldenbrock 1 schwartze tonne. 5. Vor Stubben Sant 1. weiße tonne 6. Vor die plate 1 weiße tonne 7. de Olde Huck tonne schwartz Depùt: Senatùs E: Hochw: Rath wehre von meinùng du in den Seebrieffen an staat des 1 Jahrß 2Jahrn mochte gesetzet werden zù evitirùng der Misbreùche so vorgehen wùrde
Glossen am linken Rand (C/C):
Tonnen Mange lung
Seebriefe
sic!
11.08.1668i S. 161
369
Transkriptionen der Protokolltexte
162 1668 1 2 3 ad2 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26
wann man kein Zeit in selbigen berechÓ nete. Wehre mit der CäÖereÿ schon gerehdet die meineten nùhr 2 tonnen mangelten hetten auch anzeige begehret vor die mangelende ohrter wehren, dann" wann mann solches wùste sollte dazù gethan werden, nùn man diese Lieste empfangen wolte man wiederùmb mit der Cämereÿ sprechen. Daß Claùß [R]ichers Commando ùber dem Tonnen-läger gegeben werde damit wehre die Cämereÿ einig, es wehre aùch bereits an dem Tonnen läger darùber geschrieben. Depùt: Sena Commercii jùngsthin wehre aùch gedacht, daß den GedeÓ putirten solte Copiam der Englischen Privilegien commùnicirt werden welche mann erwartete. Depùt: Senatùs, Es wehre bereits He: See: Schùltzen committirt worden. weilln derselbe aber zùm BùrgerÓ meister stande erhoben erhoben, so mùste es nùhmer He. Secret: Vom K[ăm]pen aùffgetragen werden;
Glossen links (C/C):
ToÕen Mange: lung
sic!
sic!
Engl: Privile: gien wegen Staalhoff sic!
11.08.1668ii S. 162
370
Anhang
163 i668
1 2 /1 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Martis 25. Aùg: Deput: Commercii haben jùngsthin mit dem Tonnenleger in Kegenwart He. [R]örer ùndt He. Möllern gesprochen ùndt befundenden du noch 4 und mern tonnen mangelten welche zu legen mit der CäÖerej solte gesprochen werden, Deput: Commercii berahmeten auff der Admirl: zù sùchen, wegen Anortnùng das 1 ùndt ½ pcto zùr Convoÿe, abefaßeter maßen zù Proto: colliren. Conclùsùm daß aùff bevor: stehenden Donnerstag, das abgefaßete Concept aùff der Admirl: soll vorge: bracht werden Martis 1. Sept: ...
Randglosse links (C):
Zeilen 2 – 7 sind diagonal zweimal durchgestrichen
‚suchen‘ i. S. v. ‚ersuchen‘
1. vnd ½ pcto. zØr Con: voÿ
25.08.1668 S. 163
371
Transkriptionen der Protokolltexte
178 1668 1 2 /1 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 /2 29 30 31 32 33 34
Martis 8. Nbris: Depùt. Commercii. Mann ist berichtet worden wie du der Gesetzete Jùde wegen aùsgeschaffeten Silbers von dem Tùrmb wehre erlaßen, welcher dann aùff seine Frage, wie Er kùnfftig mit dem Silberhandell sich könte verhalten von E: Hochw: Rathe und einige persohnen deselben Jhm wehre zùr Antwort worden, es wùrde ehister tagen ein mandatùm pùblicirt werden, darnach Er sich, ùndt andere zù achten hetten; Nùn könte das Commerciùm ohne nachteil nicht erÓ tragen, das die gäntzliche aùßfùhrùng des Silbers oder Stùeck [dpt] so stricte nach einhalt der Briefs=Constitutionen, abg[efass]etbefohlen ùndt pùblicirt wurde, in betracht der Kaùffman aùff Hispanien dadùrch wùrde genötiget werden, sein Silber aùff Hollant oder Brabant oder Franckreich koÖen zù laßen, wodùrch dann dem Erbb: Kaùffman soviel Schaden zùwùchße, daß Er zù fohderst Fracht ùndt Provision verlöhre, hernegst soviell weiter von seinen effecten in Frembden Landen, nicht ohne Gefahr disponiren mùste. Betten demnach E: How: Rath möchte solches reiffÓ lich erwegen ehe ùndt bewehe solches mandat emanirt wùrde. Wolten nochmahls daß Faßgeldt worùber bereits einige mahlen wehre angesprochen worden E: Hochw: Rathe weilln es eine Sache von großer importanß, bestes Fleises recommendirt haben.
Glossen links (C/C):
Silber HandlØng
Faßgeld
08.11.1668i S. 178
372
Anhang
179
Randglosse links (C):
1668 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
Depùtati Senatùs wolten davon Zù Rathe referiren. ___________________________________________ Satùrni. 12. Decemb: Depùt. unter sich versamlet, conclùdiren |: Daß weil[e]n vorgestern beÿ der Admiralitæt, [w]egen des 1 ùndt ½ pcto die Antwort nicht gefallen wie man etwa gesùchet :| Daß h[w] E: Erb: Kaùffman am Kùnfftigem Montag: dùrch Zettùln beÿ saÖen gefohdert, ùndt denselben eröffnet wùrde waß biß dato [s]ic passù vorgegangen~ In nomine Iesù Anno 1669 Martis 5 Janùarij Depùtati Commercii fùnden diensam dasieÓ nige so Zwischen Jhnen ùndt der Admiralitet in pùncto des Convoÿegeldes vorgefallen zù Protocolliren. Jovis 10 Decemb: 1668 ...
i pC.to ½ pC.to sic!
08.11.1668ii+12.12.1668+05.01.1669 S. 179
373
Transkriptionen der Protokolltexte
231 1669 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 i. 14 15 16 17 18 19 2. 20 21 22 23 24 25 3. 26 27 28 29
Glossen links (alle C, aber verschiedene Tinten):
... Lùnæ den 12 Martÿ Jùlÿ Depùtati Commercii brachten ein der Admirl: erklährùng in pùncto des 1. undt des ½ pro cento Convoÿegeldes. Depùt: Commercii prævia salùtatione brachte Voor Vor ùngefehr 4ÓWochen wehre gepromittirt zù Lùbeck anweisùng zù thùn wegen des See Tractats mit Franckreich ùmb prolongation deßelben, wolten gerne vernehmen waß darinnen vorgangen. Wehre öffters geklaget wegen des botten=Lohnß von Ambsterdamb daß ieder Brieff aùff 1 ß verhöhet worden wehre welches eine große aùfflage sùchte man demnach du solches abgestellet werden möchte. Möchte mann gerne vernehmen wie weit der Convoÿer in strùirt die Schiffe von Port Lissabon ùndt Cadiz Mallaga ùndt Livorno zù bringen.
x vide infra 268.
Ó Traktate[n] mit Franck: reich pro: longation [Np] 30. Amsterd: Bohten stei: gerØng von ß = Schilling Briefport pag: 523.
12.07.1669i S. 231
374
Anhang
232 Glossen am linken i669 1 2 3 4 5 6 7 8 ad 9 10 11 ad 12 13 14 15 ad 16 17 18 19 20 21 22 23
4Ó Verstùnde mann daß der Brieff nach Franckreich wegen des PaßÓ geldes annoch noch nicht forth gesant worden, sùchte mann also befohderùng daß solcher brieff forthgesant wùrde. Depùt: Senatùs. 1: Mann erinnerte sich nicht waß eigentÓ lich hierinnen vorgangen, wolten zù Rathe darùber ansprach thùn. 2: Wehre heùte zù Rathe getractirt ùnd geschlossen Dieterich Gerbrandes anzùmelden, daß Er es beÿ dem Alten laßen solte. 3Ó et. 4. Solte zù Rathe angesprochen werden. Mercùrÿ den 21. Jùlÿ Con clùsùm das mit He. Lt. Marsten in pùncto des 1 ùndt des ½ pro centi soll gerehdet werden und Consùlirt werden. Veneris. 6. Aùg: ...
Rand (C/?/C/C): No. 31 pag. 527. ____32. pag. 529.
Paßgeld in FranckÓ reich
Amsterd: Bohten
‚das‘ in ‚des‘ geändert
12.07.1669ii + 21.07.1669 S. 232
375
Transkriptionen der Protokolltexte
300 Glosse am linken 1670 Luna den 97 Martÿ 1 Depùtati Commercii versamlet fohdern 2 die Jhnen adjùngirte Herren des Raths aùff. 3 Woraúff He. Peter Rorer ùndt He. Jochim 4 Wichman erschienen. 5 /1 Denen prævia salùtatione dùrch Sr: Johan 6 7 Schrödern vorgebracht wùrde: An 8 der Börse lieff ein boses Gerùchte alß wenn 9 die Englischen in Engellant sich solten bedreù: 10 lich haben vernemmen laßen daß im Fall 11 Sie nicht wegen der aùff der Elbe ver: 12 branten Schiffen satisfaction ùberkoÖen 13 sollten Sie selbsten mittell an die Hant 14 nehmen wolten ùmb sich betzahlet zù machen 15 Wann dann der Kaùffman hierbeÿ große 16 gefahr lieffe, so wehre der Gedepùtirte 17 diensahmes gesùch, Jhnen |: da E: E. E: Hochwß: 18 Rathe hieran etwaß grùntliches wißent :| 19 solches zù entdecken, damit E: E: Kaùffman 20 sich wo mùglich vor Schaden hùten könte. 21 2 Weilln der See Tractat mit franckreich 22 zù ende lieffe, so wehre der Gedepùtirten 23 diensahmeß gesùch aùff wege bedacht zù 24 sein, damit eine Gesantschafft dahin befohdert 25 ùndt alsolcher See Tractat renovirt 26 werden möchte. 27 Depùtati Senatùs wolten davon zù Rathe 28 ad1: referiren. reversi respondùnt. 29 E: Hochwß: Rath hette dieserwegen neùlich kein 30 Schreiben auß Engellant gehabt, Es wùrden 31 alle diensahme Mittell angewant ùmb 32 Börse in convenientien zù verhùten.
Rand (C):
eigene Verbesserung
Tractat mit Franck: reich reno: virØng
07.03.1670i S. 300
376
Anhang
301
7. Martii 1670
1 ad2 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32
So wùrde aùch weisslich erwogen wie man mit Franckreich in diesem pùnct ùberein koÖen möchte. Depùtati Senatùs annectirten E: Hochwß: Rath begehrte Jhnen Kùndt zù machen: daß weilln die Deputirte des Commercii nùr pro Interim in wehrendem Orlog wehren confirmirt worden ietzo aber wieder in einem anderen Standt begriffen So hielten Sie derowegen vor ùnnötig daß daß Commerciùm in solcher qualitet die Depùtirten des Raths fohdern könten, sondern daß der Kaùffmann wie vor dießem beÿ der Admiralitet ge: schehen Jhre notturfft an ùndt fur: bringen solten. Ser: Johan Schröder im Nahmen des Com: mercii respondirte, daß es den Depù: tirten befrombdete solche erklehrùng von E: E: Hochwß: Rathe zù vernehmen: Daß die geDepùtirte nicht mer nötig wehren, daß E. E: Kaùffmann kùnfftig wie vor diesem geschehen beÿ der Admiralitet selbsten Ihre nottùrfft woll fùrbringen könten. Sie Gedeputirte konten woll dieser mùhe enthoben sein, nehmen gethaenes Anbringen ad refe: rendùm an, mùßten aber solches dem Gemein[em] Corpori des Commercii commùniciren ùndt dehren Schlùß daraùff erwarten. He
Glosse am linken Rand (C):
E. E. Rahts Antrag du Depte. CoÔercii nØn in Orlogs zei: ten zØ seÿn confirmirt alß nØn zØ cessiren
sic!
07.03.1670ii S. 301
377
Transkriptionen der Protokolltexte
302 1670 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
He. Rorer úndt He. Wichman kahmen zùm andermahl im Nahmen E.E.E. Hochwß. Raths beÿ den Gedeputirten aùff der AdmiraliÓ tet brachten fùr E: Hochwß: Rath begehrete nochmahlen daß waß vom Commercio anÓ ùndt fùrzùbringen aùff Arth ùndt Weiße wie vor Alters ùndt vor diesem GeÓ wesen an die Admirl: oder p: SùppliÓ cationem zù Rathe Ansùchúng geschehen solte, alßdem solte dem Commercio an die Haut gegangen werden: Solches wehre beÿ E. Hochwß: Rathe also PotocolÓ lirt worden. Mercurÿ 9. Martÿ ...
07.03.1670iii S. 302
378
Anhang
319
25. Julii 1670
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29
... Übergang von Schreiber B (oben) zu Schreiber C (unten).
... / AØg: 17. Convocatis DepØtatis des Commercÿ wart von Sr Johan Gùllen angetragen daß die zweÿ vnd funfftziger gewillet mit Jhnen wegen der Englischen Sache Conferentz zùpflegen
17.08.1670i S. 319
379
Transkriptionen der Protokolltexte
320 Glosse am linken 1670. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
Rand (C):
Depùt: Commercii fùnden diensahmb dero anbringen zùÓ vernehmen; Nachdeme man zù Ihnen aÚff der Ober Alten StÚbe getreten wart von den 52 gefraget ob die GedepØtirte allein jüngst gehaltener zÚsammenÓ kumbft der Bürgerschafft den 15. Aùg: præsentes gewesen, vnd wo jemand gemangelt mochte derselbe aÚff sein Bürgerlich Eidt verheißen, Waß von den 52. von dehme so in versaÖleter Bürgerschafft beschloÓ ßen, vorgetragen werden solte zù verschwigen,
sic!
Depùt: Commercii respondØnt. Es erklehrte sich ein jeder so jüngsthin nicht zù Kegen gewesen, waß geproÓ ponirt werden möchte , aÚff sein Bürgerlich Eidt beÿ sich verschwiegen zÚbehalten. Dominùs Præses der 52. Sie hetten Conferens gehalÓ ten mit E. H: Weisen Rahte daß sich derselbe möchte gefallen Laßen, den Bùrgerschlùß nachzùleben, du aùff daß schleünigste, Ein gelahrter und vnd zwo Erfahrne Kaùff Leüte nach Engellant mochten abgefertiget werÓ den vmb allen Vnheill, so die Englischen sich Kegenn dieser gùten Stadt, fùrgenommen, vorzÚbaÚwen.
Gesand. schafft p.r Eng: land
Depùt: Commercÿ alß gevollmächtigte von E: Erb:
17.08.1670ii S. 320
380
Anhang
321
17. Augti. 1670.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
Kaùffman man wehre mit dem Colegio der He. 52. gantz einig weilen man von denselben verÓ stÚnde daß es ein Bùrgerschlùß, vnd weilln die gefahr sehr groß so man vor der Handt von den Englischen besorgete, Alß sÚchte man dieses Ohrtes in gefaßeter MeinÚng zù verharren; darÓ aùff geschieden. Depùtati Commercÿ negst genommenen abtritt von den 52. vereinbahreten sich aùff der Admiral: in Consideration der vor Aùgen schwebenden Gefahr womit die Englische Nation dieser Statt BeÓ drewlich zùsetzten, GedepØtirte des Rhats zù sich aùffzùfohdern, vmb so woll Jhnen die vorstandene Gefahr zu hinterbringen alß die præcavirùng derÓ selben bestermaßen zÚ recoÖendiren; absentis ministris der He: Gedepùtirten hat einer Jhres mittelß beÿ E: H: W. Rahte Úmb ein Oder zweÿ He: des Rahts Jhnen zÚ Committiren ansÚchÚng gethann.
eigene Korrektur?
Depùtati Senatùs alß He: Dieterich Waßmer vnd H: Georg B[oec]eler erschienen aÚff der Admiral: denen prævia salutatione angebracht wùrde.
17.08.1670iii S. 321
381
Transkriptionen der Protokolltexte
322 1670 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 /1: 17 18 19 20 21 22 /2: 23 24
Depùtati Commercÿ. Mann wehre von vielen aùch von den 52 berichtet, daß die Englische Nation dieser gÚten Stadt mit Harten vnd fast vnertraglichen BedreüÚnÓ gen zÚsetzete, welche da sie effectØiret werden solten dem Erb: Kaùffman insonderheit treffen wo nicht gar vnterÓ drücken wÚrden, Weilln dann solches E: Hochw. Raht ohne Zweiffel nicht wÚrde ùnkÚndig sein, so wolten die Gedepùtirte diensamst erinnert vnd gesÚcht habenn, fleißige obacht zÚnehmen wie diesem Ünheil so viel müglich præcavirt vnd abgeholffen werden möchte, Depùtati SenatØs respond: Sie wolten von diesem anbringen zÚ Rahte referiren, vnnd empfangene AntÓ wort zÚ rücke bringen, DepØtati Senatus reversi. E. Hochw. Raht wehre über dieser Sache in sorgfältiger ConsØltation begri ffen, hoffeten nicht daß es zÚr Extremitet koÖen oder einige armatØr Kegen Únseren Schiffen vorgeÓ nommen werden sollte. Sonsten wehre E: Hochw. Raht gemeinet beÿ Ihrer ErÓ KlehrÚng den 7 Martÿ laÚffenden Jahrs gethan es Bewenden zÚlaßen, daß nemblich die GedepØtirte
17.08.1670iv S. 322
382
Anhang
323.
17. Augti. 1670.
1 2 3 4 5 6 ad1. 7 8 9 10 11 12 ad2 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
Keine He: des Rahts mehr aÚfffohdern möchten, sondern daß E: Erb: KaÚffman seine NottÚrfft beÿ der Admirl: oder zÚ Rhate per sØpplicationem möchte einbringen, so solte Jhm geholffen werden.
sic!
Depùtati Commercii Bedancketen sich ad 1. du E. Hochw. Raht in sorgfältiger erwegÚng dieser Sachen begriffen, beten alles errenst zÚ Continù, iren vnnd so viel tùhnlich allem [Ú]nheill zÚ præcaÓ viren. ad SecØndØm Befrembdete Jhnen nicht wenig solche abermahlige erklehrÚng E. Hochw. Rahts zÚ vernehmen daß man die GedepØtirte des ComÓ mercÿ nicht mehr nöhtig achtete vnnd von Jhnen Eines Erb: KaÚffmans Beschwerden nicht wolte vernehmen; Sie GedepØtirte wehren gerne dieser Mühe entübriget, wann sie nùr von E: Erb: KaÚffman wolten erlaßen werden, Sie wolten hievon dem Gemeinen Corpori deß Commercii referiren. Konten aber hiebeÿ Únangezeiget nicht laßen, daß beÿ Handell vnnd Wandell zu weilen solche Sachen vorfielen die nicht so viel aÚffschub leiden könten
17.08.1670v S. 323
383
Transkriptionen der Protokolltexte
324 1670 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
daß man erstlich weitleüffig Sùpplicirendß vnnd SolliÓ citirenß darüber machete mann bete solches reiffÓ lich zÚ Consideriren, wann solches geschege so lebte man der gëntzlichen HoffnÚng E: Hochw: Raht wùrde nicht allein dieß CollegiØm nicht sùchen zu dissolviren sondern vielmehr solches ùnter die arme greiffen vnd feste stabiliren. DepØt: Senatus. Sie wolten es E. Hochw. Rahte hinÓ terbringen vnd weilen es schon späte besorgeten sie daß E: Hochw: Raht bereis mochte von einander gegangen sein , Konte also die erklehrÚng aÚff einer andern Zeit folgen. Aug: 26. ...
17.08.1670vi S. 324
384
Anhang
339 1670.
1 2 3 4 5 6 7 /1 8 9 10 11 /2 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
Randglosse links (C):
... Nov: 24. Depùt: Commercii sÚchen beÿ der Admirl: daß Jhnen Primo aÚß den gehobenen 1 vnd ½ pCto Convoÿe Geldern etwa 200- [RF]. zÚ abtragÚng nöhtiger Ünkostenn mügen gegeben werden. Secùndo Weilln der Despachero Dieterich Wetken aÚsgetreten, deßen stelle dan wieder zÚ besetzenn stÚnde, alß woher billig so ein SØbjectØm dazÚ zÚ erwehlen womit dem Commercio mochte gedienet sein, weilln dann vor diesem die Börse 3. persohnen im Vorschlag gebracht woraÚß eine von der Admirl: erwehlet worden, so zweiffelete das CommerciØm nicht, es würde sich die Admiralitet gefallen Laßen, daß Ihnen 3 BeqÚeme SØbjecta zÚ dem Ende von E: E: KaÚffmanne gepræsentiret werden möchten. Admirl: per DominØm ConsØlem E. Erb: Kauffman
= Reichsthaler
Dispa: cheurs Wahl
24.11.1670i S. 339
385
Transkriptionen der Protokolltexte
340. 1670.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
mochte sich gefallen Lassen Jhnen ein wenig zÚ entweichen so sollte vber dem angebrachten geConsØltiret werden. DepØtati Commercii traten abe. Admirl: santen forth daraÚff heraÚß zÚ den GedepØt: Ihres Collegii mit depØtirte Sr Gerdt BÚhrmester vnd Schiffern Henrich Martenß; mit anzeige daß CollegiØm der Admiralität were jetzo schwach, mann möchte sich gedÚlden biß negster versamlÚng, ietzo konte keine erklehrÚng folgen; Deput: Commercii. Mann BefÚnde daß CollegiØm itzo Starck genÚg aÚff den Beeden vorgetragenen pØnÓ cten welche von geringer importantz zu ConclØdiren, die Admirl: möchte sich doch gefallen Laßen dero ErÓ klehrÚng mit Ja od. Nein zÚ geben. Admiralitatis DepØtirte Sr Gerdt BÚhrmeister und S.r Henrich Martens, Sie wollten der DepÚti[rten] GesÚch dem Collegio der Admirl: anbringen, vnd Jhnen Antwort ertheilen. Dirck Köhrte Admirl: Zoll Knecht aÚf be[fehl seines]
fleckiges Papier
24.11.1670ii S. 340
386
Anhang
341. 1670. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
He. brachte denn GedepØtirten zÚm Bescheide; Eß wehren fÚr der Admiralität viel parten beschieden so gehört werden müsten, es solte den He. GedepuÓ tirten aÚff der Börse gÚter Bescheidt gegebenn werdenn. Es erfolgete aber nichts. Decembr: 5. DepØt: Commercii berahmeten nochmalige anregÚng zÚthÚn beÿ der Admirl: von deme waß jüngst den 24. 9bris proponiret worden. Weilln aber keine Session auff der Admirl: gehalÓ ten würde bliebe es Rückstendig. Decembris. 12 ...
24.11.1670iii + 05.12.1670 S. 341
387
Transkriptionen der Protokolltexte
356. 1671
1 2 3 4 5 6 1. 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 2. 21 22 23 24 25 26 27
Glosse links (C):
... den 1 November. Nachdeme daß CommerciØm beruffen; wart von Sr. Johan GÚhlen gerepetirt waß 1mo in pØncto gefohÓ derter RechnÚng von dem respectivè 1 Únd dem ½ pcto vorgeloffen; Weilln es sich dann fast ansehen ließe, als wan E. Hochw. Rhat dieß CollegiØm lieber aÚffgehoben alß lenger geContinØiret sege, Sie gedepØtirte aÚch gern dieser æmulation entübriget sein möchten; zÚ dehme He. Johan Schröder aÚß diesem Collegio zu Rahte erwehlet worden: Vndt sein, Johan GÚhlen zeit, beÿ diesem Collegio zÚ wohnen schon verstrichen; Alß wehre sein gesÚch man möchte sich zÚsammen thùn vnd schließen ob dieß CollegiØm ferner zÚm besten des gemeiÓ nen Commercii Únterhalten vnd die ledige stellen mit behÚffigen Persohnen ersezet werden solten Weilln man öffters beÿ der Löbl. Admirl: zÚ des ComÓ mercii besten und nötigen aÚßgaben auß den ConvoÿeÓ Geldern, 600 [s] gesùchet aber nicht mehr als die am 30 [s] = Mark Martÿ gedecretirte 256 [s] und zuvor erst den 27. OctoÓ ber jüngsthin erhalten mögen, welche dennoch Bereits von Jhm Sr. Johan GÚhlen Verschoßen gewesen wie solches CoÔercii Außgaben die RechnÚng seinem SØccessorj H. Frantz von Brehmen übergeben
01.11.1671i S. 356
388
Anhang
357.
1. Novemb : 1671
ùbergeben wÚrde ausweisen , Ünnd aber daferner mit diesem Lobl. Collegio sollte geContinØiret werÓ den, selbiges einige Mittel zÚ BehÚffigen ausgaÓ ben haben mÚste; So mochte E. Erb. KaÚffÓ man dahin bedacht sein woher die Nohtwendigkeit zÚ solchen nöhtigen Spesen Konte genommen werden. 6 E. Erb. KaÚffman bedanckte sich der Berůffung wie 7 aÚch gegen Sr. Johan GÚhlen fÚr gehabte MühewalÓ 8 9 tÚng Únd angewandten Fleiß Zeit wehrender assitiÓ 10 ad1 rÚng beÿ diesem Collegio Únd wehren ad 1. ein 11 helliger MeinÚng du dieß CollegiØm feste gestellet 12 bleiben aÚch die beeden vacanten stellen aÚß Jhrem 13 Mittell wieder besezt werden solten. 14 ad2 Wolte man dahin bedacht sein wie einige GeldtmitÓ 15 tell beÿ gebracht werden möchten Úmb davon die 16 Nöhtigen aÚßgaben zÚthÚen. 17 18 Die KaÚffleÚte so dießmahl erschienen seint folgenÓ 19 de gewest. 20 Von den gedepÚtirten des Commercÿ 21 Johan GÚhl 22 Frantz von Brehmen 23 Frantz Schloÿer 24 Johan Jacob Hiebener 25 Von den 1 2 3 4 5
S. 358: Von den anderen Kauffleuten der Börse erschienen folgende.
Fortsetzung auf S. 358: Namenslisten bis zum Ende des Eintrags, S. 359
01.11.1671ii S. 357
389
Transkriptionen der Protokolltexte
378. 1672
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Randglosse links (C):
... 10 Jùnij. Corpori Mercatorùm convocato aùf dem BörÓ sensahl, ward præviâ salùtatione angebracht, was bey den Deputirten des Rahtß, Oberalten, CäÓ merey ùnd Banco Bürgern wegen der Banco pasÓ siret, ùnd wùrde Jhnen die Fùndation der BanÓ co vorgelesen, sein darauff beyeinander getreten. Ein Erb. Kaùffman gab zùr Antwort, Depùtati Commercÿ möchten E. E. Rath wider hinÓ terbringen, sie fùnden die FØndation der Banco also beschaffen, daß man davon nicht weichen könte, noch mÚste, ùnd konnte dieselbe keine Verenderùng leiden, wan nùr fest darüber gehalten worden wehre, so wùrde es mit dem Coùranten Gelde so schlim nicht geworden seyn; ùnd wenn noch darùber gehalten wùrde, mùste es sich wohl mit der Zeit schicken, sein also voneinander geschieden. 19 Jùnÿ. Wùrden aùß dem Rahte Depùtatis Commercÿ 9. andere pùncten, wegen der Banco übergeben, laùten wie folget
Bco
10.06.1672+19.06.1672i S. 378
390
Anhang
379
19. Junii 1672.
1 á1. 2 3 4 5 á2. 6 7 8 9 10 á3. 11 12 á4. 13 14 15 16 17 18 19 20 á5. 21 22 23
Daß es wie itzo aùch hinführo bey einerley Bezahlùng bleiÓ ben soll, es sein Pfandtverschreibùng, gemeine Oblig. Wechselbriefe, aùch Bùchschùlden aùff Banco Volùta Contrahirt. Daß alle aùff banco Valùta geschlossene parteÿen ùnd Wechselbrieffe aùch Bùchschùlden welche aùff 400 [s] oder ein Mehres sich erstreckende in banco geschrieben werÓ den sollen beÿ der in banco Ordnung enthaltener Straffe. Schulden und Wexel Brieffe aùff specie [rf]. laùtende sollen mit 1. pro mil abgeschrieben werden. Zù einer Interim Verordnùng soll die Banco Cassa ùp 6/m. geschloßen bleıben ùnd in solcher Zeit kein species heraùß gezogen werden, nach verfließùng der 6/m. soll mit Zùziehùng eines Erb. Kaùffmanß ferner Verordnùng berahmet werden, ùnd wird man imÓ miettelß sehen was im Römischen Reich wegen des Mùnz wesendes passire, aùch wie diese Interim Verordnùng sùccedire. Wer speties in banco bringet dem sollen 4 pro mil. gùth gethan werden.
sic!
= Mark
= Reichsthaler
/6. weiln
19.06.1672ii S. 379
391
Transkriptionen der Protokolltexte
380 1672.
1 á6. 2 3 4 5 á7. 6 7 8 9 10 11 á8. 12 13 14 15 16 á9. 17 18 19 20
Weiln der Zoll bißhero mit specie [rf] entrichtet ist, solche Gelder Interim mangeln möchten, alß soll der Zoll biß dahin mit gùt Coùrant geldt, ùnd aùff Jeden [Rf]: ein Dùtÿen gegeben werden, Alberty, Baren, Holland=[f] Luÿsen, so 4 6 ß. gelten wie aùch die Rtl. à 3 ¾ [s]. sollen in banco diese Interims Zeit mit 1[½]. proC. verlies angenomÓ men ùnd dem Einbringer aùff sein Rechnùng gestellet werden, daß Er davon kan ab ùnd zùÓ schreiben. Die Banco soll allezeit Silber ùnd Goldt wen es ùmb einen Billigen Preiß zù haben, gùte qùantitet einkaùffen ùnd wenn es die hiesige Müntze nicht benötiget mit Vortheil an anÓ dere wider Verkaùffen. Eß soll die Banco kein Geldt aùff andere Pfande geben, alß Goldt, Silber, Kùpfer und Eisen. 21. Jùnÿ. ...
= Reichsthaler
= Reichsthaler =Thaler ß=Schilling = Mark
19.06.1672iii S. 380
392
Anhang
385
Glosse links (C):
1672. 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
... 29. Nov. Convocati| Deputatis| et Adjunctis|, aùff der admir“ versamlet thaten beÿ E. E. Raht ansùchùng, daß die Banco Herren möchten beÿ ihnen kommen. He. Vasmer et He. Bartels comparirten denen præviá salùtatione vorgemelte 3. pùncten aùsÓ führlich angebracht, wie aùch daß Schiff. Andreß Rùmp sein Schiff in Holl. aùch aùffgebracht wehre, allem ansehende nach wolten sie die Engl. güter so darin Confisciren, die Hamb. nachgeÓ thanen großen Kosten frey geben, welches zu wider die pacta lieffe, so wir mit Holl. hetten, ùnd wurde solches ein ansehen bey Engel. ùndt Francz. geben, die hinfùhro deßgleichen thùn wùrden, So daß wir gar nicht mehr wùrden fahren können, Respond. Sie wolten es zù Rath referiren, ùnd weil es all stätt, dazù Criminal Sachen [vor] wehren, als solte fodderligst Antwort erfolgen. 4. Dec. Hielten die Depùtierte et Adjùncti ùmb antwort beÿ den Banco Herren an. He. Vasmer et He: Bartels erschienen aùf der Admiralitet thaten, nomine Senatÿ relation aùf die 3 pùncten. EE.
eigentl. ‚vor Gericht erscheinen‘ Schiff in Holland aØfgebracht
29.11.1672+04.12.1672i S. 385
393
Transkriptionen der Protokolltexte
386: Zahlen (D) und 1672.
Glosse (C) links:
1 ad1. E. E. Rath hette Hoffnùng der Krieg mit Francr. Engell. ùnd Holl. solte diesen Winter beygeleÓ 2 get werden, wo solcheß nicht geschehe, wolten sie 3 aùff den früling daraùff bedacht sein, daß E. 4 Erb. Kaùffman solte Klagloß gestelet werden, 5 Interim thaten sie beÿ Mons. Po[ntp]om alß 6 sonsten das beste. 7 8 ad2 Eß möchten Einige Persohnen die es gesehen Feuer und wùsten, daß Feùr aùff dem heil. Landt geÓ 9 auf dem wesen bey He. Vasmer kommen, dan wolte E. E. 10 Heÿ. Land Rath ferner das best dabey thùn. 11 = Helgoland 12 NB. Den folgenden tag haben Alert Hilbrant, Harm Gertzen BacKer und Schipp. Rickmer Erichs, desÓ 13 halben Jhre Aùßage an He. Vaßmer aùff dem 14 Rahthaùse gethan,daß Sie es gesehen ùnd wùsten. 15 16 ad3. NB E. E. Raht bemùhete sich mit den Benachbarten HerÓ NB ‚die‘ geändert in 17 ‚den‘, zweimal ren und fùrsten, ùnd wehren die Fùrsten von HolÓ 18 ‚NB‘ mit Bleistift stein, Lünebùrg Sachtzen, Lawembe. Mecklembe. 19 zugefügt die Stadt Lùbeck mit E. E. Raht einig daß das 20 Coùrant geldt gesetzet ùnd [rf.] wider solten geÓ 21 müntzet werden, es mangelte aber Jhnen an 22 der Vollmacht von der Bùrgerschafft, die E. E.
04.12.1672ii S. 386
394
Anhang
387: 1672. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 NB 10 11
Rath bey so bestalten Sachen nicht könte beyeinander bringen, sie meinten, hetten sie Vollmacht gehabt es solte all zùm Stande gewesen seyen, alß versùÓ chete E. E. Raht die Banco so lang in itzigem stande zù laßen, biß eine Ordnùng könte gemacht werden damit die gùten rf. nicht vollends aùß der Banco geholet wùrden. Depùtati respond. Sie mùsten solcheß einen Erb. Kaùffman hinterbringen. 9. Dec. ...
Randbemerkung mit Bleistift
04.12.1672iii S. 387
395
Transkriptionen der Protokolltexte
Datumsangaben
408 und Zahlen (D) und Glosse (C) am linken Rand:
1673
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
... Frans v: Bremen, Frans Schl[o]ÿer, Johann Jacob Hiebener et Harm Gertßen Backer, traten fùr der Admiralität frageten nach den der Convoÿe, wenn solches berichÓ tet wehre, so hette man ferner mit Jhnen zù reden, wie kùnfftig den Leüten so nach Franckreich ùnd Argangel fahren mit Convoÿe zù helffen seÿ. Resopnd: Weiln der Bùrgermeister nicht alda, so möchteman acht tage in Rùhe stehen. Hiebeÿ angesprochen man vernehme der Brieff nach Stade wehre noch nicht forth, es mangelde daran, die Schiffer die zù Stade bestraffet worden, solten es aùßloßen ùnd forthschaffen. Nùn wehre es an dem, daß die Schiffer nicht geklaget hetten, besonderen das Commercium hett solches gethan, ùnd wehre eine wichtige Stadtsache, hielten woll nötig daß Herren, [alùß] dem Raht dahin gesandt werden. He. Moller belobet es zù befodern, daß solch Schreiben zùerst dùrch einen Kämmer Botten solte fort gehen. Ist die Admiralität nicht beÿeinander gewesen. Man hat von gewißer hand ein Docùmentùm bekommen, was ein E. E. Raht [a1608]. wegen des Stader Zollen alhie angehangen.
auffälliger Wechsel der Schrift (ab 06.03. dunklere Tinte, evt. auch neue Feder) 6 Martÿ Lücke für geplanten aber vergessenen Nachtrag?
‚als‘ verbessert in ‚auß‘?
13 Martÿ Stader Zollen
06.03.1673+13.03.1673i S. 408
396
Anhang
Datumsangaben (D), Zahlen (D) und Glossen (C) am linken Rand:
409: 1673 1 2 3 4 5 6 7 1. 8 9 10 11 12 13 14 2. 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 3. 28
Ließ ein E. E. Raht ùnß die Antwort einbehänÓ digen so von Stade gekommen. Jst ùns beÿ der Admiralität zùr Nachricht geÓ worden [Sr]: Albert Fischbeck solte ùnß den auans des Convoÿe berichten. He. Diderich Müller et He. Johann Schröder angebracht. Die GeDepùtirte hetten mit Einem Erb. Kaùffman gesprochen, die sich bedancken wegen Communication des Briefes Von Stade, es sege E. E. Raht fellich daraùs daß Sie nicht allein gestehen wie ùnsere Schiffer geÓ straffet, besondern es nach ferner thùn wollen, versùchen daß in dieser wichtigen Stadt Sache mag Wandel geschaffet werden. Es beklagen sich S[r]: de Ruscher et Consortes daß Jhr Schipp: Corn: Peterßen von Conigbergen nach Bordos gewolt, wegen Contrario Windte ùnd erlittenen Schaden die Elbe ansùchen mùsten bis Glùckstadt nichtes alhir geloschet oder geladen, besondern da sich wider geprofiantieret und seinen Schaden an Siegel gebeßert, sein Reÿse befordert, nùn er von Bordos alhier gekommen, wolte man den Zollen von ihm haben, von Schiff ùnd Gùtt, da aùch aùff die Elbe gekommen, Jn gleichsahm nùn er weck wolte ùnd der Windt gùtt, in arrest gehalten wùrde, also man mochte doch den Schiffer nicht aùffhalten. Die Leùte von dem Heiligem Lande geben ùns selb
14 Mart: 20 Mart: Convoÿ Geld
Wegen Stader Bestraf= fØng unserer Schiffer. Schiff weg con: trairen Wind auf d. Elbe biß Glückstad keinen Zoll zu bezahlen
sic!
13.03.1673ii+14.03.1673+20.03.1673i S. 409
397
Transkriptionen der Protokolltexte
410. Datumsangaben,
Zahlen und Glossen (C/C) links:
1673 1 2 3 4 5 6 1. 7 8 2. 9 10 11 3. 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26
selber an die Handt, daß es mit einer Blùßen alda woll angehen konte, wann es nùr befodert worden des halben ansùchgung gethan, Es ward zù Rahtt gebracht. Respond: E. E. Rath wolten wegen der Stader Sache mit den 48. Reden ùnd die Sache bester maßen befodern. Weiln der Schiffer ùnsere Baken ùnd Tùnnen genoßen mùste ad Jnterim Solchen aùch den admir: Zollen deponiÓ ren, das W[in]ter davon könte gesprochen werden. Wegen des Feürs ùp heilige Land das wolte man befodern. Convocatis Deputatis des Commercÿ. traten fùr die He. Oberalten ùnd 48. Bürger brachten an, man hette von E. E. Raht vernommen daß mit Jhnen wegen des Stader Zollen geredet, Sie mochten doch gedencken was das fùr ein Wichtiges Werck wehre, daß eine frembde Regierùng ùnsere Bürger, Ja so ùnbefùget Straffeten. versucheten daß diese Sache nicht mochte aùff die lange bancke geschoben, ùnd dazù mochte gethan werden. Nach gethanen abtrit der He. 48. preses respond: Sie hetten bißheero Jhr best gethan, wolten es aùch ferner thun, daß diese Sache möchte geÓ hoben werden. ...
Blüse feuer sic!
‚Bolen‘ geändert in ‚Baken‘ ‚davon‘ mit heller Tinte nachgebessert
24. Martÿ
Stader Zollen wegen Bestraff= fung unserer Schiffer sic!
28. Martÿ
20.03.1673ii+24.03.1673 S. 410
398
Anhang
42i. 7.Julii 1673. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 ... 24 25 22 Julÿ. Convocat: Depùtat: et Mercator: ùp den Börßen Saahl, denen negst salutation fùrgelesen, was ùnsere 26 He. Abgesandten von paris schreiben, als daß Mons. 27 Colbert 28
22.07.1673i S. 421
399
Transkriptionen der Protokolltexte
422 1673. 1 2 3 4 5 6 7 8 2. 9 10 11 12 13 1. 14 15 16 2. 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
Randglosse links (C):
Colbert die Admir: aùch assec: berùffen ùnd anmelden laßen, Sie mochten sich hüten aùff ùnd Hamb: Schiffe Lücke im Text zù versichern, dann die Holland dùrch solche Schiffe vor wie nach ihren Handell theten,treiben/daß also solche Schiffe beordert wehre aùff zù bringen, ùnd dabeÿ ùnrichtigÓ keit befùnden, zù Convisciren, damit sie sich fùr SchaÓ den wùsten zù hùten. Weilln E E. Rath, die Banco abermahl ohn eines Erb: Kaùffmanß Vorwißen od. Consens geschloßen, daß keiner Geld heraùßbekommen könte, so hette ein Bco Erb Kaùffman begehret, gefodert zù seÿn, man wolÓ te Jhre Meinùng hievon vernehmen. Aùf den ersten Pùnkt, bedancketen sich der Nachricht ein Erb Rath worde das Schreiben den Handel zùm besten wißen zù beantworten. Jhr Meinùng günge dahin die BancoBürger hetten ohn Vorwißen eines Erb. Kaùffmanß hierin nicht consenÓ tiren sollen, es mochten dreÿ Gedeputirde mit dreÿ Bco Adjungirde zù den Banco Bürgern in der Banck Schließung treten, daß sie möchten zù einem Erb: Kaùffman kommen aùf dem Börßen Saal, damit man Jhnen Jhr Ampt erinnere. Die Banco Bürger ließen wißen Sie hetten mit den Kaùffleüten nichts Zù thùende, wolten Sie was möchten Sie in der Banck beij Jhnen kommen, worÓ aùff die GeDeputirte mit den Kaùffleùten so zimlich starck gewesen, nach der Banco gegangen,
22.07.1673ii S. 422
400
Anhang
423 23 Julii
Randglosse links (C):
1673 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 23. 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29
Jhnen Jhres Ambtes erinnert, daß Sie wegen Eines Erb. Kaùffmans alda säßen, und also nicht recht gethan hetten, daß Sie geConsentieret, daß die Banco nùn abermahl were geschloßen ohn ihrem Vorwißen Jhr Præses [H]Sr: Bùrmester saget abermahl, Sie hetten mit den Kaùffleüten nichtes zu thun, wollten Sie was, daß mùsten Sie beim E E. Raht sùchen. Ein Erb: Kaùffman Respond: Sie wùrden gewiß die Fundation der Banco nicht wißen, den Jhrenthalben wehren Sie da. Die Banco Bürger nahmen es ùber sich, mit einem E.E. Raht zù reden, daß der Sachen geholfen worde, ùnd am folgenden Tage mit eines Erb: Kaùffmans GeDeputirte wieder zù reden. Julÿ kamen die GeDeputirte ùnd die Kaùffleùte wieÓ der aùf dem Börsen Sahl, ließen beÿ den Banco Bürgern vernemen, ob Sie mitt E.E. Rath geredet daß Wandel geschaffet werde, Bekahmen Zùr Antwort ein Erb: Kaùffman mochten GeDepùtirde ùndt adjungirde machen E.E. Raht wolte solches aùch thùn, ùmb die Sache zù heben Es werden zù eines Erb. Kaùffmanß ordinari Siben GeDepùtirte adjùngiret. alß [H]Sr: Jacob Delboj Simon Fock, Cornelis de Hartoch. Aegidio Rùlant die zù eines E. E. Raths geDepùtirte getreten, ùnd hat E.E. Rath begehret man mochte mit Schließùng der Banco 4/w in rùhe stehen. Die Gedeputirte ùnd Adjùngirde antworteten
Bco
daß
22.07.1673iii + 23.07.1673i S. 423
401
Transkriptionen der Protokolltexte
424 1673 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
daß E.E. Raht mit den HHe. Oberalten acht Mannen ùndt Banco Bürgern, die Banco theten schließen ohn Vorwissen ùnd Consens Eines Erb: Kaùffmanß, das lieffe wider die Fundation der Banco, wen man die nicht lenger wolte halten, so konnte ein Erb KaùffÓ man aùch nicht gebùnden seÿn, so mochte man einem Jeden der es begehrde das seinige heraùßgeben, od wolten die Banco föllig offen haben, wie Sie geordenirt seÿ He. Bartels He. Bexler, He. Wulff & He. Mattfeldt ersùchten Nomine Senatùs die kleine Zeit in Rùhe zù stehen, die geDeputirde wolten es E: Erb KaùffÓ man woll hintterbringen, gleùben nicht, es geschehn konnte, den die Kaùffleùte hetten täglich, sonderlich die Gronlandes Handeler viel Geldt nötich. Julij Kahmen die GeDeputirde ùnd Adjùngirde wieÓ der auff den Börsen Saahl, giengen aùf das RathÓ haùß nach der admir: foderten Rahts GeDeputirte He. Synd: Garmers. He. Bexler, He. Wùlff erschienen, die Kaùffleùte begehrten die Banco offen, ein E E. Raht sùchete Dilation biß Montag und giengen von einander. E: Erb. Kaùffman trat mit ihre geDepùtirde fùr die He. Oberalten, ùmb zu vernehmen, ob Sie mit darin geconsentiret, daß die Banco geschloßen. Resp: Sie hetten mit der Banco nichtes zùr schaffen, es wehren wol Discursen beÿ Jhnen da von vorgefallen. Sie hetten gesaget man mùste
Randglosse links (C):
helle Tinte
BanÓ co
23.07.1673ii+24.07.1673i S. 424
402
Anhang
425. 24. Julii 1673. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 25.
es den Kaùffleùten zùverstehen geben, die KaùffÓ Leüte begehrten die He. Oberalten mochten es dem præsidirenden Herrn Borgerm: wißen laßen, daß Sie diesen Nachmittag beÿeinander wieÓ der kehmen, auch selber erscheinen ùmb die Banco Sache zùm Stande zù bringen. Bùrgerm: ùnd Rath aùch die Oberalten ùnd die Kaùffleùte, kamen den Nachmittag wieder aùff das Rahthaùß, da den die He. Commiss. des Rahts mit den Oberalten, den mit den KauffÓ Leüten geredet, der Raht sùchte allzeit aùßÓ standt biß Montag, die Kaùff Leùte wolten Zùsage haben, daß am Montag die Banco wieÓ der liber ùndt offen wehre, So das nicht seÿn konte mochten sich die He. Oberalten belieben laßen, morÓ gen die 48. zu fodern, da das nicht genùch, jegen solchen Nachmittag die 144. ùnd dan am Montag die ganze Bürgerschafft, denn es erfoderte die Noht, ein Erb Kauffman solte große Frachten ùndt andere Aùßgaben bezahlen, ùnd wùrde Jhnen das Jhrige ùnbefùget vorenthalten, ùnd es die Leùte der Banco nicht wisÓ sen laßen, dazù wehre es wider die fùndation der banco, daß der Bùrgerschafft mùste berichtet werden. Julÿ ...
sic!
Lücken im Text
24.07.1673ii S. 425
403
Transkriptionen der Protokolltexte
445 1674 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26
Randglosse links (C):
... 12. Jan: Convocat: Deputat. et adjùnct. aùf der Admiral. wegen der Banco gefodert worden von E.E. Raths geDeputirte beÿ den Oberalten, Kämereÿ ùndt Banco Bürgern einberùffen. Der He. Synd: Garmers brachte an. Es hetten die den 4. Jan. geproponirte puncten zù Rathe noch nicht können deliberirt werden, inmitÓ telst wehre an dem, daß die Banco wieder aùffgeÓ B.co hen solte, ùndt weiln ein Erb. Kaùffman wollte, Ihr geldt alle[Z]eit sollte in Banco gereth seÿn, so daß Sie auff pande keinen Nüzen damit so dan machen könten, also ob die GeDeputirte nicht konten consentieren, [o]d mochten es beÿ E. Erb Kauffman ansprechen, daß ein Jeder der nùn noch sein auans beÿ Eröffnung der Banco und neüen [Fo]lien fragete 2 [e] 3 [rf]. nach aduerant zù ùnderhaltùng der BanÓ co möchte geben, wie zù Nùrnb: ùnd anderen plaetsen Frans v Bremen, Es gebührte Jhm nicht allein daraùf zù antworten, versùchte mit seine Collegen ùmb einen Abtrit, wollten dann Jhre resolution zùrück bringen. Brachten in Antwort, Jhre Vollmacht von E. Erb Kaùffman.
12.01.1674i S. 445
404
Anhang
446. 1674 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Kaùffman gingen dahin, daß die fundation möchte nachÓ gelebet, ùnd so einige Mißbreüche, daß die möchten abÓ geschaffet werden; Sie konten dieses zÚmùhten für sich nicht consentieren, mochten aùch solches E:Erb KaùfÓ man nicht vortragen, biß erstlich das Haùbt Merck abgethan wehre, ùnd mùste man sich nicht nach Nürnb besondern nach der fØndation, oder wie es zù Amsterd: gehalten wÚrde, richten, denn hier mehr daùsenden in Banco, ab ùnd zù geschrieben werden, wie in Nürnb: hùndert, baten das HaùbtMerck zù tractieren. Synd: Garmers es sollte zù Rahtt befodert werden. daß solches so baldt müglich geschehe. 21 Jan: ...
12.01.1674ii S. 446
405
Transkriptionen der Protokolltexte
Datumsangaben und Glossen am linken Rand (alle nachträgl. von C?):
453. 1674. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
... Kahm die Bùrgerschafft beÿ sammen, wie aùch der He. Graff alß Keyserl. Commiss. zu RahttÓ hause, des halben ein Memoriale an die He. OberÓ alten wieder übergegeben, den einhalt, daß Sie mügen der GeDeputirten Gesùch in der BürgerÓ schafft bringen, damit diese Zeit nicht verstreiÓ chen möchte. weiln ùnser Gesùch nicht in die Bürgerschafft gebracht ist, also die Banco Sache [sehze], die admiralitet Sache den Neüen geDeputirten schrifftlich übergeben daß ùnß mochtegeholffen werden, geb[e]ten, dùrch [Sr]: Hiebner an Lic. Mors der aùs ùnser acten referiren soll gegeben, was den 2. Martÿ von der Banco ùnd admir: jegen die OberalÓ ten proponiret: Es hat E. Erb. Kaùffman mit Bestürzùng erfahren mùßen, daß am 4. Martÿ wie die Lobl. BürgerÓ schafft Jùngst beÿeinander gewesen, E. E. Rahtt hat mit in die Bürgerschafft gebracht, wie daß die Kaùff Leüte wegen der Engl. prætension einen neüen Zollen [C] 1/3 pro[e]. entrichten mochten nùn ist ein Erb Kaùffman an dieser præten
4 Martÿ
6 dito Bco Sache ii Martÿ
6 dit. 1/3 Pc. Zollen zu sion
04.03.1674+06.03.1674+11.03.1674+diverse dito S. 453
406
Anhang
454. Randglosse links 1674 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
sion nicht schüldig, des halben wehre ùnbillig Sie. den schaden tragen solten, denn Sie ohn dem erstatten über den Zollen so bereits zahlen, alles was ein ander Bürger [vff offg] Einwohner bezahlet, ùnd gehört dieser Pùnct nicht für die Bürgerschafft, zùmahlen die KaùffÓ Leùte die wenigsten seÿn, ùnd nicht zùgeben können daß die versamlete Bürgerschafft über das Jenige, was nicht die gesampte Bürgerschafft angehet, votiÓ ren sollen; So mùß auch hierbeÿ beherziget werÓ den, wenn man die Negotie noch mit mehrem ZolÓ len wùrde beschwehren, daß damit der Handel ganz von der Stadt gewiesen wùrde, ùnd ist Notorium, daß bereits ùmb des geringen Zollens willen, die Lübecker, Danziger ùnd andere Jhre Güter von Engell: ùnd Holl. kommende zù GlùckÓ stadt laßen aùsladen, ùnd nicht dùrch diese Stadt kommen, alß worde dann vollends der Handel sich nach Harborch, Stade, Alt[e]na etc. wenÓ den, ùnd also der neüe mit dem alten Zollen vergehen, die Erb. Aempter sowohl als sampt den Kaùff[ma]n verderben, darzù aùch zù beÓ sorgen ander Nationes wenn Sie dieses hören werden, daß man Sie hier mit neüen Zollen wolte beschwehren, Sie ùns des gleichen thùn wùrden, als versùcht man, diesen HochschädtÓ
(Fortsetzung v. S. 453):
der Engl. Præ: tensi: on zu decli: niren
06.03.1674ii S. 454
407
Transkriptionen der Protokolltexte
455 1674. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
lichen Pùnct nicht wehre in die Bürgerschafft zù bringen. Obiges, dieses Lc: Mors aùch zùgestellet ùmb beÿ den anderen Acten zùn bringen. Sein die GeDeputirte beÿ den Keÿserl. He. Graffen von Windes gräz gewesen, Jhm alle die schrifften von der Banco ùnd der admir: weÓ gen den neùen angemùhteten Zollen, wie es den neüen Deputirten übergeben, es Jhm auch überreiÓ chet. Convocat. Deputat: des Commercÿ ùp der admiralit: worden sich einig ùnd traten fùr das neùe ColleÓ gium der 26. nach prævia Salutation daß Jhnen E. Erb. Kaùffmanß Gravamina den 6. Martÿ schrifftlich übergeben; bestùnde in 4 Puncten, als das die Banco beÿ der alten funÓ dation bleiben mochte, daß E. Erb: Kaùffmans GeDeputirte die Rechnùng von dem Convoj gelde wie Sie es bedùnget: möchte gekriget werden, ùnd daß die Deputation der Kaùffleùte in der Bùrgerschafft mochte confirmieret werden ùnd daß man den Pùnct wegen eines neüen Zollen hinfùhro nicht in die Bürgerschafft bringen möchte, so kehm aùch itzt darzù, daß man in der Bùrgerschafft bringen wolte,
Datumsangaben und Randglossen links (C/C/C):
8. Martÿ
11 dit. Lücke im Text Banco
Convoÿgeld Collegii Confirmat.
06.03.1674iii + 08.03.1674 + 11.03.1674i S. 455
408
Anhang
456. 1674
1 2 3 4 NB 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26
daß von alle Weinen [c]2 rf von 6 [c]hourt solte beÿ Ankùnfft deponiren, was hinaùss gienge, solte wider zùrück gegeben werden, wenn man solche Consilia fùnde, so wùrde man Hamb zùm Dorffe ùnd Altena zù einer großen Stadt machen, solches nicht in die Bürgerschafft zù bringen versùchet. Traten daraùff ab worden wieder einÓ gefodert. Der Præses He. Jochim Anckelman saget: Es wehre angesprochen, es solte befodert werden. Der GeDeputirten Præses repetirte obige puncten Man vernehm E. E. Raht gebe für, diese Sachen wehÓ ren zù der Commission, es wehre zuvor die Banco Sache zù der Commission, aber man hette von Jùnj biß Jan: ge fodert bisman mit der Nottùrff[t] gehöret wehre, das wehre eben das wir klaÓ gen, man weißete die Sachen zù der ComÓ mission od ins Raht, ùndt ließe Sie dann liegen, wir mùsten geholffen seÿn. wegen der admir: wehre nicht zù Commission ùnd man ließ ùns hülfflos, man solte es alle tage treiben, das wehre ùns nicht thùnlich, und wenn die Deputation in der Bùrgerschafft nicht befestiget worde, weiln zù zeiten wenn was anbrachten
NB mit Bleistift nachgetragen
11.03.1674ii S. 456
Transkriptionen der Protokolltexte
409
457 1674 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 20/30 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22
daß doch zùm besten der Stadt wehre, saùer sauer angesehen worden, so wolten lieber von der Deputation seÿn, ob das zùm aùffneh[men] der Stadt gereichen w[e]rde, daß w[o]rde die Zeit in Kùrzem weisen, der begehrte Zollen und wegen der Weine das gehorde nicht nach der Bùrgerschafft, denn die Bürger mùsten über das Jenige votiren, was sie selber bezahlen wolten daß man also diese Posten dahin nicht bringen möchte, wie mit mehrem in übergegebene Schrifften Verholet, damit voneinander geschieden. Martÿ Von Jhrer Hochgrffl: Exe. He. Godtlieb v. Windegretz ein memorial empfangen folgenden Einhalts. Aùff die der Rome. Kayßl. Maye. ùnseres allergenäÓ digen Keÿsers ùnd Herrn Hoachansehnlichen He. BottÓ schaffter Hochehrfte. Exe: von denen Deputirten zù dem Commercio eingereichte Memorial ist EE. Rahts Conclusum 1. Daß E.E. ... 2. ...
nachträglicher Bleistifteintrag
Die Abschrift ist hier nicht wiedergegeben. Sie enthält 5 Punkte und endet auf S. 458.
11.03.1674iii S. 457
410
Anhang
/2 611.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29
... Veneris d 3. Septemb: 1675. aÚff der Admiralitet. Bart. Jenquel D.ny Præses gegen die Herren DeputirÓ te des Rahts als Herrn Dieterich MölÓ ler vnd Herrn Johann Schröder, præÓ viâ salutatione wiederholet die 5. puncta. welche Sie den Deputirten des Commercij den 25. Aug.ti jüngstÓ hin Vorgetragen, Únd berichtet, wie daß Sie die Vier ersten pùncta E: E: Kaùffman Vorgebracht, und waß aÚff den Vierten punct geschloßen. item waß die Deputirte Únter sich aÚff den 5.tn punct resolvieret, welÓ
03.09.1675i S. 611
411
Transkriptionen der Protokolltexte
612.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
26.
welcher 5.te punct von mir aùch aùß dem protocollo verlesen ward, Zeigte aùch der H. Præses dabeÿ an, daß E: E: KaÚffmann wegen der dreÿ ersten puncten, insonÓ derheit wegen der Wexel etwas schwierig gewesen, Únd gebeten, und gebeten, Ein Hochw: Raht möchte doch sich dahin aller Möglichkeit nach bemühen, daß wir beÿ Únser freÿheit Únd negotie bleiben möchten. He. Dieterich Müller & H. Johan SchröÓ der:| hetten ihr anbringen vernommen. nahmen solches ad referendum an. Veneris d 17. Septemb. (Bart. Jencquell.) Würden vom He. Præside unterschiedliÓ che puncta vorgetragen Únd vorerst conÓ cludieret, daß mit He. Dieterich Müller, wegen der Convoy[è], wie dieselbe sich [üm] rückwege zù gouuerniren, geredet werÓ den, Únd zÚgleich erkündigÚng geschehen möchte, waß für Nachricht aÚß franckÓ reich were. Commiss. dem He. Præsidi Únd H. Hiebner. Veneris d 17. Septemb. D.ny Præses proponit D.nis Deputatis
03.09.1675ii+17.09.1675’+17.09.1675’’i S. 612
412
Anhang
17. Septb:
p. 613 Randglossen links (C/C/?):
1675 1 2 3 4 1.) 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 2.) 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
Senatus He. Dieterich Müller & He. Matfeld. præviâ salute & gratiar aÓ ctione Daß unsere Schiffe zù Copenhagen anÓ gehalten Ja gahr ihnen befohlen worden in den Bäùmen zùlegen. oder man wolte sie herein holen laßen, hergegen die LüÓ beckische freÿ gegeben, vnd die VerÓ mÚhtÚng seÿ, daß Sie die HandlÚng freÿ behalten würden, sÚchten also die Deputirte des Commercij daß E. Hochw. Raht eine Gesantschafft an Jhr Königl. Maÿe. schicken, Únd nicht allein solcher Únser angehaltenen Schiffe relaxirùng, sondern aÚch die freÿe fahrt sollicitiren laßen, Únd einen Gelahrten denen Schifferen alda zÚgeben möchten, welÓ cher allen aÚffgebrachten Schiffen asÓ sistiren möchten. Hette E. Hochw. Raht Jhnen dùrch He. Johann Schöder Únd Herrn Dieterich Müller einen Brieff von dem He. AgenÓ ten Beck communiciren lassen, worin derselbe schriebe, daß Jhr Königl. Mayt. die aÚßschaffÚng der Ministers ressenÓ tiren würden. Weilen nÚn dergleichen Brieffe von anderen KaÚffleÚten aÚß franckreich schon lengst hie gewesen, alß sege man daß He. Beck nicht vigilant
Wegen anhaltØng hiesiger Schiffe in Copenhagen eine Ge: sandschaft an Jhro Kö: nigl. Maÿe. ersucht
Französische Ministers WegschaffØng (der Brief des agenten Jean Beck mangelt im Protocoll: vid. f o. 299.) geÓ
17.09.1675’’ii S. 613
413
Transkriptionen der Protokolltexte
p 614.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 3.) 10 11 4.) 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
genÚg were, sÚchte man also daß ein ander Subjectum an dem Königl. Hoffe zù Paris bestellet werden möchte, daß zÚ diesen gefährlichen Zeiten alda vigiÓ lirte, vnd Únser bestes beobachtete, vnd fragte dabeÿ , ob E: Hochw. Raht aÚch deßÓ fals E: E: KaÚffman etwas vorgetraÓ gen haben wolte. Dass die Posten freÿ gehen möchten. JhÓ nen recommendirt zÚhalten. Dass die dreÿ Städte Lübeck, HambÚrg vnd Brehmen conjunctim Jhr Keÿl. Maÿe. den großen Schaden, so ihnen Únd dem Reiche aÚß diesen Wesen, wegen der avocatoÓ rien Únd waß dem anhengig zÚstoßte, bestermaßen Vorstellen, Únd also ümb freÿe Handlung Únd waß dem anhenging soviel die allijrte betrifft, anhalten möchten. D.ni Deputati Senatus præviâ resalutat. hetten die puncten vernommen, wolten Sie zù Rahte bringen, wegen der Botten aber were schon Albert Geideman mit behÚeffigen schreiben, Únd Johan Schrodt nach den König Únd ChÚrfürsten Von BranÓ denbÚrg gegangen. Lunæ d 27. Sept r. 75. ...
27.
Randglosse links (C):
Avocatorien
17.09.1675’’iii S. 614
414
Anhang
p. 623 Randglossen links (C/C/C):
1 2 3 4 5 6 7 8 1.) 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 2.) 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
... Mercurÿ d 20 Octob. 75. Dny Præses prævia salute poponit He.n Dieterich Müller & Herrn Schröder. Daß weilln man gestern der betrübte ZeitÚng gekricht, daß Jürgen Peterß Von französischen Caperen genommen, Únd dergleichen mehr ZÚbesorgen, daß die Deputirte im Nahmen E: E: KaÚffÓ mans derowegen instendig sÚchten, daß über die zwee bereits aÚsgerüstete Schiffe, daß Convoije Schiff schleùnigst aÚßgerüstet werden Únd in See gehen möchte. Bedanckten sich die Deputirte wegen comÓ municirten Brieffes von He. Beck, Únd weilln darin nicht viell gÚts enthalten, alß stellete man E. Hochw. Raht anÓ heim, ob nicht dienlich were beÿ Jhr Königl. Maÿe. von Engeland anzùhalt[en] daß S. Maÿe. beÿ Jhr. Königl. Maÿe. Von Franckreich für Únß intercedirte; daß dieselbe den gefaßten Zorn aÚff Únß, fallen laßen möchte.
französische Capern Schiffe genommen
Convoÿ
intercession Von England beÿ Franckre.
3.) hetÓ
20.10.1675i S. 623
415
Transkriptionen der Protokolltexte
p. 624
1 3.) 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 ad 21 22 23 24 25 26 ad 27 ad 28
hette man allezeit sich daraÚff verÓ laßen, daß man in Englischen Schiffen sicher laden könte, nùn were aber ein EngÓ lisches Schiff Von Hambùrgern beladen zù Copenhagen angehalten, Únd würde geÓ dreÚet, daß man ihn alda lassen, vnd demSchiffer die fracht bezahlen wolte, bäte man also, daß man beÿ dem Engl. Herrn Residenten anhalten möchte, solches sÚchen ZÚverwehren , Únd die Freÿheit der EnglischenSchiffe zù mainteniren. Dni Deputati nahmen die dreÿ puncta ad referendum an, wiewoll Sie ad 2. antworteten, daß solches schon geschehen aÚch mit demHe. Residenten deßfalles geredet were. Dni Deputati Senatÿ reversi :| Sie hetÓ ten Senatui die dreÿ puncta hinterbracht, Únd were 1.) wegen Cap.t Holsten schleùniger AÚßrüstùng angesprochen, aÚch mit der Cämereÿ darÓ über geredet, selbige were mit dem Rahte Únd diesen Deputirten einig, daß keine Zeit darin verseÚmet werden möchte, sonÓ dern solche AùsrÚstÚng geschehen sollte. 2.) were schon geantwortet. 3.) weren einige Deputirt, mit dem EngÓ lischen Herren Residenten Zùreden.
32.
Randglossen links (C/C):
Ein Engl. Schiff [Wo]. Hambe. geÓ laden zØ CopenÓ hagen angehalten
Convoÿ zØ [kreØtzen]
20.10.1675ii S. 624
416
Anhang
p. 669
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
Randglossen links (?/C):
... Luna 28. februarÿ 1676 He. Möller & He. JohannSchröder, kahmen aÚff beschehenes ersÚchen zu den Deputirten heraÚff. He. Præses Jenckel proponit præviis curialibus, daß ein Gerücht erschollen, ob solten Únsere von Lissabon gekomÓ mene Schiffe zù Glückstadt angehalten werden, Únd daß E. Hochw. Raht davon Brieffe hette, sÚchten also diesen DeÓ putirten davon part zÚgeben. HHe. Dieterich Möller & Condeput. respondent. daß solches leider war were, comÓ municirte aÚch einen Brieff, so einer der Schiffer an Alert Hillbrantsen de Groot geschrieben, welchen derselbe dem Rahte zÚgestellet, worin entÓ halten, daß Jhnen in Glückstadt anÓ gemeldet were, daß Sie mit ihren Schiffen dem Könige Von Dennemarck dienen solten, Únd wie sie darauff geÓ
Datum=Nachtrag (C)
(der brief ist dem protocolló einverleibet. vid. po 300.) arrestirùng d. Schiffe zØ Glückstad
antÓ
28.02.1676i S. 669
417
Transkriptionen der Protokolltexte
p. 670.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
55.
antwortet, daß sie solches nicht thùn könt[en], weil sie KaÚffmans Güeter einhetten, so hette man sie gedrewet, man wolte sie daÓ zù zwingen, hetten aÚch Thor und BeÚme für sie zÚgemachet, Únd Volck aÚff ihre Schiffe gesetzet. Darauff hette E. Hochw. Raht den He. SecreÓ tarium Schröder deputiret nach GlückÓ stadt zÚgehen, Únd die relaxation zÚ suchen, müsste man also zÚfoderst sehen, waß darÓ auff kommen würde discedunt. D.ny Præses spricht an ob nicht rahtsahm mit den HHe. Oberalten erst zÚreden, ehe man des KaÚffmans Supplic zù rahte übergebe Conclusum daß der KaÚffman hierüber erst zÚvernehmen, wie aber dem selben es proponiret hat der KaÚffman geschlossen, daß die supplic dem Rahte nÚr übergegeÓ ben werden solte, welches am 29 dieses dùrch S.r Jenckel Únd S.r Lemmerman geschehen. Veneris d 3. Martÿ ...
Randglossen links (C/C/?):
[9 op.] Secretarium zù GlØckstad die Relaxir: d. Schiffe zØÓ sØchen
Supplic wegen DeclinirØng [hohern] Brief: hortes Supplic ist diesem Protocoll nicht inseriret. vid.f o. 300. ohne Zweiffel aber ist dieses die supplic (vid.1.febr.) so f o. 262 be.findlig.
28.02.1676ii S. 670
418
Anhang
p. 759 Randglosse links (C):
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31
1677. Mercurij 8 Augusti H. Moller & H. Bexeler kahmen zù den Deputirten des Commercij. Dny Præses præviis curalibus, sÚchet antÓ wort aùf die letzt proponirte zehen punÓ cta, insonderheit wegen der Meckeler, vnd wegen des hiesigen Zollens, wobeÿ viele Kaùffleùte Geld deponiren müßen, vnd könten es nicht wieder kriegen, es kehmen aùch neùe Klagten. D.ni Deputati Senatus wolten es Zù Rahte bringen, E. Hochw. Raht sùchte aber daß man dieser Sachen ein Anstand geben, ùnd inzwischen die Jenige von diesen DeÓ putirten, so zù den 144 gehörten, hinÓ aùff gehen möchten, damit die Vorseÿnde hochwichtige Sache zùm ende kommen möchte. Mercurij 22. Aug.ti H. Dieterich Möller & H. Bexeler kahÓ men heraÚff. D.ny Præses præviis curalibus: Es hetten einige Grönlandische Schiffe sich wegen des bewÚsten Ünglücks der von den CaÓ pern genommenen Schiffe seer beklaget, suchten alß Intercessionales an den König von Franckreich ümb restitution der Schiffe, weill es fischereÿ were, und dabeÿ derÓ gleichen dienliche Motiven beÿ zufügen
sic!
Jntercessiones an den König Von Franckr: vmb restituÓ zweifÓ tion d. SchiffeÓ
08.08.1677+22.08.1677i S. 759
419
Transkriptionen der Protokolltexte
p. 760.
1 2 3 2. 4 5 6 7 8 9 10 11 12 ad 13 14 ad 15 16 17 18 19 20 ad 21 22 23 24 ad 25 26 27 ad 28 ad 29 30 31
100.
zweiffelten nicht. Jhr Königl. Maÿe. aÚß geÓ nerosität etwas thÚn würden urgiren daß gravamen wegen des Zollns; weiln insonderheit abermahln man wegen RÚstman sich beschweerte, daß man darin neÚerÚng sÚchte Únd sÚchen aÚff die übrige letzt proponirte puncta eine Antwort. D.ni Deputati Senaty nahmen solche 2 puncta ad referendum an, Únd antwortete ferner aÚff die letzt Von den Deputirten Vorgetragene Zehn puncta waß folget. 1. were He. Hüneken aÚff dieser Deputirtn letztmahls gegebene ErklehrÚng instruieret. 2. E. Hochw. Raht thete ihr bestes, hetten vernommen, daß die HHe. General Staaten nichtes davon wüsten, sÚchten dannenhero daÓ von dÚrch He. Hüneken ein attest. He. Westerman were aÚch dieser Sachen halben nach Dreßden gesant. 3. würde nicht practicabel sein, weill solÓ ches in der der West see nicht angehen würde, ob es gleich in der OostSee solte können praÓ cticiret werden. 4. E.E. Raht promittirte deßfals nochmahln alles waß MenschÓ Únd müglich were, ZùÓ thùn, müste am Keÿserl. Hoffe gesÚcht werden. 5. darin were schon verordnùng gemachet. 6. E. Hochw: Raht vermeinte, daß solches zù Nimwegen gesÚchet, Únd deß fals an die HHe. Mediatores geschrieben werde müße. were auch geschehen. ad 7.
Randglossen links (C/C/?):
NeØerØng hiesig Zollen
Rath f. = Holländisch Glück: städsch Zollen
Briefe pr. Schwe: den
22.08.1677ii S. 760
420
Anhang
p. 76i.
1 ad 2 3 4 ad 5 6 7 8 ad 9 10 11 12 ad 13 14 15 16
7. E. Hochw. Raht were selbst deßfals ùnÓ gedültig, die Deputirte Herren solten fürÓ derlichst damit verfahren. 8. Solten die ZollzettÚl nachgesehen werden es sagten aber die ZollHerren discursive daß die KaùffleÚte NeùerÚng Únd die Säcke größer machten, welchen man aber contradicirte 9. E: E. Raht hette solches mit BestürtzÚng vernommen, wolten gerne, daß Jemand, der deßfals ZÚklagen hette, sich angeben möchte alßdann solten der Verbrecher gestrafft werden. 10. were denn von der Banco coÔitÓ tieret. 1677. Saturni d 22. Septembr.
Randglossen links (C):
Mackler
hiesigen Zoll Wage Un: richtigkeit
Jahr nachträglich (C).
...
22.08.1677iii S. 761
Tabellen zu Kapitel 4
423
Tabellen zu Kapitel 4 Tabelle 4.3.3.-4.3.6 Orthographie1 (in grau erscheinen nicht berücksichtigte aber interessante Formen) i-/ju-/vau/aw Schreiber A korrektes i korrektes u korrektes au i-/j- insgesamt: 29 ın 1 ùber 1, ùbel 1 anlaùffen 1 richtig: 21 ihr 1 ùberreichen 1 aùch 11 falsch: 8 Ihre 1 ùmb 6, umb 1 auff 5, aùff 18 Ihres 1, Ihreß 1 und 56, undman 1 aùffgehoben 1 u-/v- insgesamt: 114 ihren 3 ùnd 2, ùndt 1 auß, 1 aùß 7 richtig: 114 Ihrige 1 ùndiensahm 1 aùßer 1 falsch: 0 Ihnen 6 = 14 ùnnùtzlich 1 aùßfohrdern 1 ùnschùldige 1 daùren 1 au/aw insgesamt: 69 korrektes j ùnseren 1, unsern 1 einKaùffung 1 richtig: 68 ja 1 unßere 1, ùnter 1 hieraùß 1 falsch: 1 je 1 ùnterschiedene 1 Kaùffleùte 1 jetzo 2 Ùnverghreiffliches 1 Kaùffleüte 1 eu/ew insgesamt: 14 jeder 1 unvergreiff. 1 = 80 Kauffleuten 1 richtig: 12 jemand 1 Kaùffleùten 3 falsch: 0 jungsten 1 = 7 korrektes v Kaùfleùte 1 verbesserùng 1 Kaùffman 5 j statt i verbieten 1 Kauffmann 1 Jhnen 5 verboht 2, verbott 1 Kaùffmann 1 Jhrer 2 verbotene 1 laùff 1 Jhre 1 = 8 vergleich 1 lauffen 1 verhemnet 1 Verlaùff 1 i statt j verlesen 2 Worauff 1 0 verlesene 1 woraùff 1 = 68 vermiltert 1 vermùden 1 aw statt au vernehmen 1 gebawet 1 = 1 vernùnnfftig 1 verrichtet 1 verschaffet 1 verspreche 1 verstehen 1 verùrsachet 1 verweghen 1 verwendet 1 viel 6, viele 1 vorfohderen 1 vorgeloffen 1 vorgewest 2 Vorjahr 1 = 34
eu/ew korrektes eu freùntschafft 1 heute 1 heùte 1 Kaùffleùte 3 Kaùffleüte 1 Kauffleuten 1 Kaùffleuten 1 Kaùffleùten 2 Leùte 1 = 12 ew statt au 0
u statt v 0 v statt u 0 vgl. forwand S. 40/13 1
1
Etwaige Zeilentrennung im Original entfällt in dieser Darstellung (aùsÛ/ führlich => ausführlich).
424 Schreiber B i-/j- insgesamt: 21 richtig: 5 falsch: 16 u-/v- insgesamt: 123 richtig: 123 falsch: 0 au/aw insgesamt: 93 richtig: 83 falsch: 10 eu/ew insgesamt: 13 richtig: 12 falsch: 1
Anhang korrektes i Ihr 1 Ihre 1 = 2 korrektes j Jüngsthin 3 = 3 j statt i Jhm 3 Jhnen 4 Jhre 2 Jmgleichen 1=10 i statt j dasienige 1 ie 1 ieder 2 ietzo 1 iùngsthin 1 = 6
korrektes u ùber 4 ùbermorgen 1 ùberein 1, ùmb 10 und 3, ùnd 5 ùndh 1, undt 2 ùndt 42 ùndiensamb 1 ùnheÿll 1, ùnnötig 1 ùnsere 1, ùnserm 1 ùnsrer 1 unter 1, ùnter 1 darùber 1 = 78 korrektes v vorhanden 2 vielleicht 1 verrichtet 1 viele 2 vernehmen 7 vernichtet 1 vohr 1, vernehme 1 von 1, vorbawen 1 versamblet 2 versamlet 1 verhalten 1 Vom 1 vorgebracht 2 vorgestern 1, vor 5 Vorrath 3 vielle 1, verstúnde 1 verabrehdet 1 vorgegangen 2 vorgefallen 1 Voor 1, verhöhet 1 vernemmen 1 verbranten 1 verhúten 1 = 45 u statt v 0 v statt u 0
korrektes au auch 4 aùch 12 auff 4, aùff 24 Aùffbruch 1 aùffgebracht 1 aÚffgetragen 2 aùfgetragen 1 aùfflage 1 aùffs 1 aùffsicht 1 aùsgeschaffeten 1 aùßfùhrùng 1 aus 1, aùs 2, aÚs 1 aùsgereiset 1 aùß 7 bau 1 daraùff 1 drauf 1 Haut 1 Kaùfleùte 1 Kauffman 1 Kaùffman 6 Kauffmann 2 KaÚffmans 1 Kaùfman 1 Woraùff 1 = 83 auw statt au erbaùwet 1 Baùw 2 vorgebaùwet 1 baùwen 2 erbaùwùng 3 = 9 Trittauw 1 aw statt au vorbawen 1 = 1
korrektes eu bedreùlich 1 bedreùwligkeiten 1 beschleùniget 1 freùnde 1 freùndlichen 1 heute 1 heùte 1 Kaùfleùte 1 Misbreùche 1 neulich 1 neùlich 1 weidtleùffiger 1 = 12 ew statt au Neuwen 1 = 1
Tabellen zu Kapitel 4 Schreiber C1 i-/j- insgesamt: 26 richtig: 12 falsch: 14 u-/v- insgesamt: 78 richtig: 51 falsch: 27 au/aw insgesamt: 48 richtig: 47 falsch: 1 eu/ew insgesamt: 7 richtig: 6 falsch: 1
korrektes i Ihnen 2 Ihrer 1 itzo 1 = 4 korrektes j ja 1 jüngst 2 jemand 1 jeder 1 jüngsthin 2 jetzo 1 = 8 j statt i jhm 2 Jhnen 8 Jhres 1 Jhreß 1 Jhrem 1 = 13 i statt j ietzo 1 = 1
korrektes u über 1, übergeben 1 ùbergeben 1 Úmb 2 Únangezeiget 1 Ünheil 1, Únheill 1 Ünkostenn 1 ùnkÚndig 1 und 3, Únd 3 Únnd 1, únter 1 Únterhalten 1 = 19 korrektes v vereinbahreten 1 vernehmen 3 verschwiegen 1 verschwigen 1 verstrichen 1 viel 3, vielen 1 vielmehr 1 von 12, vor 1 vorfielen 1 vorgenommen 1 vorgetragen 1 vorgetragenen 1 Vorschoßen 1 vorstÚnde 1 vorzÚbaÚwen 1 = 32 u statt v 0 v statt u vber 1, vmb 2 vnd 15, Vndt 1 vnnd 5 vnertraglichen 1 Vnheill 1 vnterdrücken 1 = 27
korrektes au aÚch 2, aùch 2 aÚf 1, aÚff 10, auff 2 aÚffgehoben 1 aÚffschub 1 aÚffzùfohdern 1 Aùgen 1 ausgaben 1 aÚßgaben 2 aÚsgetreten 1 auß 1, aÚß 4 ausweisen 1 daraÚff 1 heraÚß 1 KaÚffleÚte 1 Kauffleuten 1 Kaùff Leüte 1 Kauffman 1 Kaùffman 2 KaÚffman 4 KaÚffmanne 1 KaÚffmans 1 laÚffenden 1 woraÚß 1 = 47 auw statt au vorzÚbaÚwen 1 = 1
425 korrektes eu schleünigste 1 Kaùff Leüte 1 BedreüÚngen 1 weitleüffig 1 KaÚffleÚte 1 Kauffleuten 1 = 6 ew statt au Bedreuwlich 1 = 1
426 Schreiber D i-/j- insgesamt: 42 richtig: 15 falsch: 27 u-/v- insgesamt: 167 richtig: 167 falsch: 0 au/aw insgesamt: 124 richtig: 124 falsch: 0 eu/ew insgesamt: 29 richtig: 29 falsch: 0
Anhang korrektes i ihm 1 ihr 1, ihre 1 ihnen 1 ihren 1 itzo 1 itzigem 1 itzt 1 = 8 korrektes j Ja 1 Jeden 2 Jeder 1 jùngst 1 das Jenige 2 = 7
korrektes u über 2, ùber 1 übergeben 3 überreichet 1 ùmb 8 ùnbefùget 2 ùnbillig 1 und 11, ùnd 58, ùndt 8 ùns 5, ùnß 3 ùnsere 3 ùnterhaltùng 1 ùnser 1, ùnsere 1 ùp 1 = 110
korrektes v verderben 1 Verenderùng 1 verfließùng 1 vergehen 1 verholet 1 Verkaùffen 1 verlies 1 vernehmen 1 vernemen 1 vernommen 1 Verordnùng 3 i statt j versamlet 1 0 versamlete 1 versichern 1 j statt g verstreichen 1 vgl. jegen (gegen) 1, versucheten 1 453/19 versùcht 1 versùchte 1 vollends 1 Vollmacht 3, von 20 voneinander 2, vor 3 vorenthalten 1 vorgefallen 1 vorgelesen 1 vorgemelte 1 Vortheil 1 vortragen 1 Vorwissen 1 Vorwißen 1 = 57 j statt i Jhm 2 Jhnen 10 Jhre 5 Jhr 5 Jhrer 1 Jhres 1 Jn (ihn) 1 Jhrenthalben 1 (das) Jhrige 1 =27
u statt v 0 v statt u 0
korrektes au auch 3 aùch 19 aùf 10 auff 1 aùff 15 aùffgehen 1 auffgebracht 1 aùffhalten 1 aùffnehmen 1 aùs 1, aùß 2 aùsführlich 1 aùsladen 1 Aùßage 1 Aùßgaben 1 aùßlosen 1 aùßstandt 1 daraùf 1 darauff 2 daraùff 1 daraùs 1 daùsenden 1 einkaùffen 1 Haùbt Merck 2 heraùß 1 heraùßbekommen 1 heraùßgeben 1 hinaùss 1 Kaùfman 1 Kaùffleùte 4 Kaùffleüten 1 Kaùffleùten 2 Kaùff Leüte 2 Kauff Leüten 1 Kaùff Leùte 2 Kauffman 2 Kaùffman 18 Kaùffmans 3 Kaùffmanß 6 laùten 1, laùtende 1 Rathaùse 1 Rathhaùß 1 Rahthaùß 1 Rahtthause 1 saùer 1 Verkaùffen 1 = 124 aw statt au Lawembe. 1
korrektes eu Feùr 1 Feürs 1 gleùben 1 Kaùffleùte 5 KaùffLeüte 1 KaùffLeùte 1 Kaùff Leùte 1 Kaùffleüten 2 Kaùffleùten 2 KauffLeüten 1 Leùte 1 Leüte 1 Leüten 1 Mißbreüche 1 neùe 1 neüe 1 neüen 6 neùen 1 = 29 ew statt au 0
427
Tabellen zu Kapitel 4 Schreiber C2 i-/j- insgesamt: 19 richtig: 10 falsch: 9
korrektes i ihn 1 ihnen 2 ihr 2 insonderheit 1 = 6
u-/v- insgesamt: 87 richtig: 79 falsch: 8
korrektes j ja 1 jemand 1 jüngsthin 1 die Jenige 1 = 4
au/aw insgesamt: 47 richtig: 47 falsch: 0 eu/ew insgesamt: 11 richtig: 10 falsch: 1 Schreiber C i-/j- insgesamt: 45 richtig: 22 falsch: 23 u-/v- insgesamt: 165 richtig: 130 falsch: 35 au/aw insgesamt: 95 richtig: 94 falsch: 1 eu/ew insgesamt: 18 richtig: 16 falsch: 2
j statt i Jhnen 3 Jhr 6 = 9 i statt j 0
korrektes u übergegeben 1 ümb 2 und 3, ùnd 1, Únd 32 ùngedültig 1 Ünglücks 1 Únß 2, Únser 3 unsere 1, Únsere 1 unterschiedliche 1 Únter 1 = 50 korrektes v Verbrecher 1 verfahren 1 verlesen 1 vermeinte 1 vernommen 4 verordnùng 1 verseÚmet 1 viell 1, Vier 1 vom 1, von 10 vorerst 1 Vorgebracht 1 Vorgetragen 3 Vorgetragene 1 = 29
korrektes au auch 1 aÚch 6 aùch 3 aùf 1 auff 2 aÚff 9 aÚffgebrachten 1 aÚsgerüstet 1 aÚsgerüstete 1 aÚß 5 AùsrÚstÚng 1 AÚßrüstùng 1 aÚßschaffÚng 1 darauff 2 daraÚff 1 heraÚff 2 Kaùffleùte 1 KaÚffleÚte 1 KaÚffleÚten 1 Kaùffman 1 KaÚffman 2 KaÚffmann 1 KaÚffmans 2 = 47
u statt v 0
aw statt au 0
v statt u vnd 8 = 8
korrektes eu BeÚme 1 gedreÚet 1 Kaùffleùte 1 KaùffleÚte 1 KaÚffleÚten 1 neúe 1 neÚerÚng 1 NeùerÚng 1 schleùnigst 1 schleùniger 1 = 10 ew statt au gedreuwet 1
428
Anhang
Tabelle 4.4.1-4.4.4: Komposita2 (Fugenmorpheme sind fett gedruckt, Zeilenumbrüche werden durch angegeben) Adjektive Nomen3 Schreiber A Zusammenschreibung: Komposita insg.: 26 BÚrrendreyerey 1 Wortanzahl: ca. 2.378 Kaùffleüte 1, Kaùfleùte 1 Anteil Komposita: 1,1% Kaùffleùten 3, Kauffleuten 1 Kaùffman 5 dt.-dt. Komposita: 23 Kauffmann 1, Kaùffmann 1 nicht-dt.+dt.: 3 Montag 1 dt.+ nicht-dt.: 0 Nortsee 1 Seebrieffe 1, (des) Seebriefes 1 Zusammenschreibung: 19 Sonnabend 1 = 19 - davon mit Fugenmorphem: 1 - davon ohne Fugenmorphem: 18 Getrenntschreibung: Getrenntschreibung: 3 West See 1 - davon mit Fugenmorphem: 0 Admiral=Schreiber 1 = 2 - davon ohne Fugenmorphem: 2 zus.-getr. nicht bewertbar: 4 Kompositum mit fremdem Element: contrario ÓMeinùngen 1 Binnengroßschreibung: 0 Admiral=Schreiber 1 Fugenmorpheme insgesamt: 1 General certification = 3 Verwendung des Bindestrichs: 1 Trennung am Zeilenende Groß-/Kleinschreibung: 24/2 - in einem Wortteil: Großschreibung 2. Wort: 2 (alle geKauffleuten 1 trennt geschriebenen; Trennung am Zeilenende und nachträgliche Verbesse- in der Kompositionsfuge: rung nicht bewertet) SchifferAlten 1 rahtsal 1 Kaùffleùte 1 = 3 2 3
2
3
Unklare Lesungen in den Protokollen wurden bei der Zählung nicht berücksichtigt. Nicht gezählt wurde das nur halb manifestierte Ostsee in „so woll ùmb die Ost alß West See“ (PC 1/5) und die Abkürzung Borgerm: (PC 425/3). Die Schreibung to nnen. läg er (PC 161/9) wurde ignoriert, sie ist ein Einzelfall und entspricht keinen sonst von Schreiber B angewandten Regeln. Zusammensetzungen mit lat., ital. bzw. nddt. Elementen wurden mitbewertet, da auch bei ihnen die Regeln der dt. Wortbildung angewendet wurden. Es erfolgen hier Mehrfachnennungen einzelner Elemente durch die Erfassung in verschiedenen Kategorien.
Tabellen zu Kapitel 4 Schreiber B Komposita insg.: 42 Wortanzahl: ca. 2.577 Anteil Komposita: 1,6 % dt.-dt. Komposita: 31 nicht-dt.+dt.: 5 dt.+ nicht-dt.: 4 Zusammenschreibung: 31 - davon mit Fugenmorphem: 5 - davon ohne Fugenmorphem: 29 Getrenntschreibung: 8 - davon mit Fugenmorphem: 4 - davon ohne Fugenmorphem: 5 zus.-getr. nicht bewertbar: 2 Binnengroßschreibung: 0 Fugenmorpheme insgesamt: 9 Verwendung des Bindestrichs: 3 Verwendung des Doppelpunktes: 1 Groß-/Kleinschreibung: 38/4 Großschreibung 2. Wort: 4 (bei getrennt geschriebenen)
Zusammenschreibung: bùrgerschlùß 1 (des) Convoÿegeldes 2 Convoÿeschiffe 1 (des) Convoyschiffs 1 Dienstag 1 Donnerstag 3 Faßgeldt 1 Kaùfleùte 1 Kauffman 1, Kaùffman 6 Kaùfman 1, Kauffmann 2 KaÚffmans 1 Montag 1 notturfft 1, nottùrfft 1 (aus/in den) Seebrieffen 2 Silberhandell 1 Tonnenleger 1 Zimmermeister 1 Zollweßen 1 = 31 Getrenntschreibung: Tonnen-läger 1, Tonnen läger 1 See: Schùltzen 1 (des) botten=Lohnß 1 Convoÿe goldt 1 (der) Briefs=Constitutionen 1 See Tractat 1, (des) See Tractats 1 Börse in convenientien 1 = 9 (to nnen. läg er 1) Kompositum mit fremdem Element: (des) Convoÿegeldes 2 Convoÿeschiffe 1, (des) Convoyschiffs 1 Convoÿe goldt 1 (der) Briefs=Constitutionen 1 (des) See Tractats 1, See Tractat 1 Börse in convenientien 1 = 9 Trennung am Zeilenende - in einem Wortteil: 0 - in der Kompositionsfuge: BurgerÓ meister 1 (des) PaßÓ geldes 1 = 2
429
430 Schreiber C1 Komposita insg.: 19 Wortanzahl: ca. 1.342 Anteil Komposita: 1,4% dt.-dt. Komposita: 17 nicht-dt.+dt.: 1 dt.+ nicht-dt.: 0 Zusammenschreibung: 14 - davon mit Fugenmorphem: 0 - davon ohne Fugenmorphem: 14 Getrenntschreibung: 4 - davon mit Fugenmorphem: 1 - davon ohne Fugenmorphem: 3
Anhang Zusammenschreibung: Bùrgerschlùß 2, GeldtmitÓtell 1 KaÚffleÚte 1, Kauffleuten 1 Kauffman 1, Kaùffman 2 KaÚffman 3, KaÚffmanne 1 KaÚffmans 1, NottÚrfft 1= 14 Getrenntschreibung: Ober Alten StÚbe 1 (den) Convoÿe Geldern 1 Zoll Knecht 1 Kaùff Leüte 1 = 4 Kompositum mit fremdem Element: (den) Convoÿe Geldern 1
zus.-getr. nicht bewertbar: 1 Binnengroßschreibung: 0 Fugenmorpheme insgesamt: 1
Trennung am Zeilenende - in einem Wortteil: GeldtmitÓtell 1
Verwendung des Bindestrichs: 0 Groß-/Kleinschreibung: 19/0 Großschreibung 2. Wort: 4 (bei allen getrennt geschriebenen)
- in der Kompositionsfuge: KaÚffÓ man 1
Tabellen zu Kapitel 4 Schreiber D Komposita insg.: 92 Wortanzahl: ca. 3.196 Anteil Komposita: 2,9% dt.-dt. Komposita: 68 nicht-dt.+dt.: 21 nicht-dt.+nicht-dt.: 3 dt.+ nicht-dt.: 0
Zusammenschreibung: Bùchschùlden 2, Bùrgermeister 1 BörÓ sensahl 1, Kaùffleùte 4 Kaùffleüten 1, Kaùffleùten 2 Kauffman 2, Kaùffman 17 Kaùffmans 3, Kaùffmanß 6 Montag 4, Nottùrfft 1 Pfandtverschreibùng 1 (dem) Rahthaùse 1, Rahthaùß 1 Stadtsache 1 Wechselbriefe 1, Wechselbrieffe 1 = 50 (Borgerm: 425/3 Abkürzung)
Zusammenschreibung: 50 - davon mit Fugenmorphem: 1 - davon ohne Fugenmorphem: 49 Getrenntschreibung: 31 Getrenntschreibung: - davon mit Fugenmorphem: 5 admiralitet Sache 1 - davon ohne Fugenmorphem: 26 Banco Bürger 1, Banco Bürger 1 (den) Banco Bürgern 4 zus.-getr. nicht bewertbar: 11 Banco Herren 2, Banco Sache 1 Binnengroßschreibung: 1 in banco Ordnung 1 Fugenmorpheme insgesamt: 6 Börßen Saal 1, Börsen Saahl 1 Börsen Sahl 1 Verwendung des Bindestrichs: 0 Contrario Windte 1 Groß-/Kleinschreibung: 89/3 Coùrant geldt 2 Großschreibung 2. Wort: 29 (28 (dem) Coùranten Gelde 1 getrennt geschriebene + 1 BinGronlandes Handeler 1 nengroßschreibung; Trennung am Haùbt Merck 1 Zeilenende unberücksichtigt) Interim Verordnùng 1, Interims Zeit 1 Kaùff Leüte 1, Kaùff Leùte 1 (einen) Kämmer Botten 1 (des) Mùnz wesendes 1 Stadt Sache 1 Wexel Brieffe 1 Banco Cassa 1 Banco Valuta 1, banco Valùta 1= 31
431 diesen HochschädtÓ lichen Pùnct (454/25f.) vgl. 457/17 allergnädigst, hochansehnlich, ehrenfest (Abschrift Memorial Windischgräz) – die hohe Frequenz in der Memorialsabschrift dokumentiert die textsortenspezifische Häufigkeit der Komposita
432
Anhang Binnengroßschreibung: HaùbtMerck 1 Kompositum mit fremdem Element: admiralitet Sache 1 Banco Bürger 1, Banco Bürger 1 (den) Banco Bürgern 4 (den) BancoBürgern 1 BancoSache 1, BancoSache 1 Banco Sache 1, Banco Herren 2 banco Ordnung 1 Contrario Windte 1 Coùrant geldt 2 (dem) Coùranten Gelde 1 CriminalSachen 1 Interim Verordnùng 1, Interims Zeit 1 Banco Cassa 1 Banco Valuta 1, banco Valùta 1= 24 Trennung am Zeilenende - in einem Wortteil: BörÓ sensahl 1 - in der Kompositionsfuge: (den) BancoBürgern 1 BancoSache 1, BancoSache 1 CriminalSachen 1 KaùffÓ Leüte 1, KaùffÓ Leùte 1 KauffÓ Leüten 1 KaùfÓ man 1, KaùffÓ man 1 RathÓ haùß 1 = 10
Tabellen zu Kapitel 4 Schreiber C2 Komposita insg.: 16 Wortanzahl: ca. 1.476 Anteil Komposita: 1,1% dt.-dt. Komposita: 14 nicht-dt.+dt.: 2 dt.+ nicht-dt.: 0 Zusammenschreibung: 10 - davon mit Fugenmorphem: 0 - davon ohne Fugenmorphem: 10 Getrenntschreibung: 4 - davon mit Fugenmorphem: 1 - davon ohne Fugenmorphem: 3 zus.-getr. nicht bewertbar: 0 Binnengroßschreibung: 2 Fugenmorpheme insgesamt: 1 Verwendung des Bindestrichs: 0 Groß-/Kleinschreibung: 16/0 Großschreibung 2. Wort: 5 (4 getrennt geschriebene + Binnengroßschreibung) Schreiber C Komposita insg.: 35 Wortanzahl: ca. 2.818 Anteil Komposita: 1,2% dt.-dt. Komposita: 31 nicht-dt.+dt.: 3 dt.+ nicht-dt.: 0 Zusammenschreibung: 24 - mit Fugenmorphem: 0 - ohne Fugenmorphem: 24 Getrenntschreibung: 8 zus.-getr. nicht bewertbar: 1 Binnengroßschreibung: 2 Fugenmorpheme insgesamt: 2 Verwendung des Bindestrichs: 0 Groß-/Kleinschreibung: 35/0 Großschreibung 2. Wort: 9 (bei allen getrennten & Binnengroßschreibung)
Zusammenschreibung: (dem) ChÚrfürsten 1 Kaùffleùte 1, KaÚffleÚte 1 KaÚffleÚten 1 Kaùffman 1, KaÚffman 2 KaÚffmann 1, KaÚffmans 1 ZollzettÚl 1 = 10 Getrenntschreibung: Convoije Schiff 1, General Staaten 1 KaÚffmans Güeter 1 West see 1 = 4 Binnengroßschreibung: ZollHerren 1 OostSee 1 = 2 Kompositum mit fremdem Element: Convoije Schiff 1 General Staaten 1 = 2 Trennung am Zeilenende - in einem Wortteil: 0 - in der Kompositionsfuge: 0
433 die Vorseÿnde hochwichtige Sache (759/17f.)
434
Anhang
Tabelle 4.5.1.1-4.5.3.1: Präfixe4 emp-/entohn-/unSchreiber A Verben: Verben: 0 ent-: 2 (eine Meinung) entdecken 1 emp-: 1 enthalten 1 Adjektive/Adverbien: ùndiensahm 1 un-: 4 empfinden 1 = 3 ùnnùtzlich 1 ohn-: 1 Ùnverghreiffliches 1 Adjektive/Adverbien: 0 richtiges vor: 11 ohnzweiffel 1 = 4 vor statt für: 0 Nomen: 0 für statt vor: 1 Nomen: die Ùnschuldige 1 (1. Pers. Pl. Nom.)
vor-/fürVerben: vorwisesensen 1 vorlieffe 1 vorgewest 2 vorgeloffen 1 vorzeigten 1 vorfohderen 1 vor gebawet 1 Vor zu schlagen 1 vorgebracht 1 (2 Morpheme) furüber5 paßirt 1 = 11 Adjektive/Adverbien: 0
Nomen: Vorjahr 1 Schreiber B Verben: Verben: 0 Verben: ent-: 4 (e. Erklährung) entdecken 2 vorbawen 1, vorgebaùwet 1 emp-: 1 enthoben 1 Adjektive/Adverbien: vorgehen 1 entzogen 1 ùngefehr 1 vorzùtragen 1 un-: 3 ùnnötig 1 = 2 vorgebracht 2 ohn-: 0 empfangen 1 = 5 vorgangen 2, vorgegangen 1 Nomen: vorgefallen 1 richtiges vor: 19 Adjektive/Adverbien: 0 ùnheÿll 1 brachte voor 1 vor statt für: 1 bevorstehenden 1 (2 Morfür statt vor: 4 Nomen: 0 pheme) halten vor (unnötig) 1 fur bringen 1, fùrzùbringen 1 fùrbringen 1, brachten fùr 1 = 17 Adjektive/Adverbien: vorgestern 1 vorhanden 3 = 4 Nomen: Vorrath 3 45
4
5
Unklare Lesungen in den Protokollen wurden bei der Zählung nicht berücksichtigt. Nicht kenntlich gemacht wurden Worttrennungen am Zeilenende. Groß- und Kleinschreibung wurde nicht differenziert (es erscheint die zuerst gefundene Schreibung). In wenigen Fällen beobachtete mehrfache Präfigierungen (z.B. vorenthalten) wurden in dieser Zählung mitaufgenommen. „Weiln [...] ihr fleiß [...] so frùchtlos furüber paßirt gelaßen wùrde [...]“ (36/14ff). Vorüber aus vor etwas über entstand laut Paul (2002, 1133f.) im 16. Jh. zunächst mit räumlicher Bedeutung. Der von Paul ins 18. Jh. datierte Übergang zu einer zeitlichen Bedeutung deutet sich in den Protokollen bereits an, wenn durch das räumlichen Bild die vergebene Mühe (und damit die vergeudete Zeit) ausgedrückt werden.
435
Tabellen zu Kapitel 4 Schreiber C1 ent-: 3 emp-: 1 un-: 5 ohn-: 0 richtiges vor: 8 vor statt für: 0 für statt vor: 1
Verben: entübriget 2 entweichen 1 = 3 Adjektive/Adverbien: empfangene 1 Nomen: 0
Verben: 0 Adjektive/Adverbien: ùnkÚndig 1 Únangezeiget 1 = 2 Nomen: Ünkostenn 1 Ünheil 1 Únheill 1 = 3
Verben: vorfielen 1 vorgetragen 1 vorgeloffen 1 vorgenommen 1 vorzÚbaÚwen 1 fùrgenommen 1 = 6 Adjektive/Adverbien: vorgetragenen (pØncten) 1 vorstandene (Gefahr) 1 = 2
Schreiber D ent-: 3 emp-: 1 un-: 4 ohn-: 0 richtiges vor: 10 vor statt für: 0 für statt vor: 1
Verben: entrichtet 1 entrichten 1 vorenthalten 1 empfangen 1 = 4
Verben: 0 Adjektive/Adverbien: ùnbillig 1 ùnbefùget 2 = 3 Nomen: ùnrichtigkeit 1
Adjektive/Adverbien: enthaltener 1
un-: 2 ohn-: 0
Verben: enthalten 1
Verben: 0
Adjektive/Adverbien: Adjektive/Adverbien: 0 ùngedültig 1 Nomen: 0
fùrgelesen = 6 Adjektive/Adverbien: 0
Nomen: 0
Schreiber C2 ent-: 1 emp-: 0
Nomen: Vorschlag 1 Verben: vorenthalten 1 (2 Präfixe) vorgelesen 1 vorgemelte 1 vorgefallen 1 vortragen 1
Nomen: Ünglücks 1 (Gen. Sg.)
Nomen: Vorwissen 1 Vorwißen 3 Vortheil 1 = 5 Verben: Vorgetragen 3 Vorgebracht 1 Vorstellen 1 Vorgetragene 1 = 6
richtiges vor: 8 vor statt für: 0 für statt vor: 0
Adjektive/Adverbien: Vorseÿnde (hochw. Sache) 1 vorerst6 1 = 2
Schreiber C ent-: 4 emp-: 1
Nomen: 0
un-: 7 ohn-: 0 richtiges vor: 16 vor statt für: 0 für statt vor: 1
insgesamt: 64 Formen davon mit für-: 7 vor-: 57
6
6
I.S.v. fürs erste. Nach Paul (2002, 1128) seit dem frühen 16. Jh. belegt. Bis ins 19. findet sich die Nebenform fürerst.
436
Anhang
Tabelle 4.5.3.2: Präpositionen7 vor zeitlich: Schreiber A zù vor 1 vor: 1 davon falsch: 0 räumlich: 0 für: 4 davon falsch: 2 [Kamen [...] vor die gedepùtirten 1 vor die Oberalten traten 1 = 2]
für fùr neùtral [...] kennen 1 fùr confiscabel geachtet 1 = 2 für statt vor: Kamen [...] fùr den gedepùtirten 1 fùr den Oberalten traten 1 = 2
andere: 0
Schreiber B vor: 16 davon falsch: 1 für: 1 davon falsch: 0
vor statt für: 0 zeitlich: vor diesem 2 vor dießem 1 vor [...] 4 Wochen 1 wie [...] vor diesem Gewesen an 1 zù vohr 1 = 6
fùr diese persohnen 1 [an ihrer Stelle] für statt vor: 0
räumlich: vor den/die/dem [X] 5 vor Stubben Sant 1 Vort Flack 1 wie vor Alters 1 = 8 präventiv: sich [...] vor Schaden hùten 1
Schreiber C1 vor: 4 davon falsch: 0 für: 2 davon falsch: 1
vor statt für: 0 zeitlich: vor diesem 1 zuvor 1 vor der Handt 1 [i.S.v. bald?] = 3 räumlich: vor Aùgen schwebenden 1 [vor der Admiralität 1]
bedanckte sich der Berůffung wie auch [...] fÚr [...] 1
für statt vor: für der Admiralität 1
andere: 0 vor statt für: 0 7
7
Die eckig umklammerten und unterstrichenen präpositionalen Wendungen sind nach heutigem Standard verbesserte Versionen von in den Texten gefundenen Formen. Grau gedruckt sind hier die problematischen Wendungen. S. Kapitel 4.5.3.2.
Tabellen zu Kapitel 4 Schreiber D vor: 2 davon falsch: 0 für: 8 davon falsch: 6
Schreiber C2 vor: 0 davon falsch: 0 für: 3 davon falsch: 1?
zeitlich: vor wie nach 1
räumlich: 0 [hetten [...] Thor und BeÚme vor ihnen zÚgemachet 1]
andere: 0 Schreiber C vor: 4 vor statt für: 0 davon falsch: 0 für: 5 davon falsch: 1/2? 8
8
was [...] fùr8 ein wichtiges Werk 1 konnten dies [...] für sich nicht consentieren 1=2
Kennzeichnung einer Täuschung: Man vernehm E.E.Raht gebe für 1 für statt vor: [i.S.v. behaupte] traten fùr der Admiralität 1 trat(en) fùr die He. Oberalten 2 räumlich: 0 gehört [...] nicht für die Bürgerschafft 1 [traten vor die Admiralität 1 traten fùr das neùe Collegium 1 trat(en) vor die He. Oberalten 2 fùr Schaden [...] hùten 1 = 6 gehört [...] nicht vor die Bürgerschafft 1 traten vor das neùe Collegium 1 vor Schaden [...] hùten 1 = 6] vor statt für: 0 zeitlich: 0
S. hierzu Fnhd. Grammatik, 318.
437
waß für Nachricht 1 daß [er ...] für Únß intercedirte 1 = 2/3? hetten [...] Thor und BeÚme für sie zÚgemachet 1 [i.S.v. ihnen verschlossen?] für statt vor: hetten [...] Thor und BeÚme für sie zÚgemachet 1 [i.S.v.: vor ihnen geschlossen?]
438
Anhang
Tabelle 4.6.1.5: Suffixbildungen9 mit -lich Beleg in den Protokolltexten
Schreiber A Belege: 19 (versch. Wörter: 17) Nomen: 1 Adj.: 9 Adv.: 8 Partikel: 1 Ableitungen: 3 (1 x un-) Grundwortarten: Nomen: 11
daß solche [...] best müglichst geremediirt werden eine ansehnliche Legation solches [...] dienstlich zù hinterbringen fielen etzliche contrario“ Meinùngen viel ehrliche Leùte thùnlich solte verrichtet werden die Aydtlichen päße Ihre [...] Zeit [...] ùnnùtzlich verwendet eine eidtliche attestation Gefährlichkeiten daß nemlich im fahl [...] Ùnverghreiffliches Bedencken eine Sache [...] so [...] seer beschwerlich [ist]
Grundwort,10 Wortfunktion der Ableitg. mögen, Adv.
heutige Bedeutung falls geändert/weiter abgeleitet - /Ableitung11
Ansehen Adj. Dienst Adv.
respektabel12 -
*et- Adj. Ehre Adj. Tun † Adv. Eid Adj. Nutzen † Adv.
einige13 wenn möglich14 nutzlos
Eid Adj. Gefahr Nomen Name Mod. Part. vergreifen †† Adj. schwer Adv.
-/Ableitung respektvolles?15/Ableitung
9 10 11 12 13 14 15
9
10 11 12 13
14 15
In die Auswertung mit einbezogen wurden alle vorkommenden Verwendungen der entsprechenden Suffixe, auch wenn sie mit weiteren Ableitungssuffixen kombiniert (z.B. hochansehnlich) oder später durchgestrichen wurden (z.B. neulich, durchgestrichen und dann ersetzt durch in kúrtzen). In der Auflistung fallen im Text vorgefundene Zeilenumbrüche weg. Heutige Form des Grundwortes. †: heute spezifische Funktion/Bedeutung/Verwendung. ††: heute veraltet. Best ist schon der Superlativ zu gut (Paul 2002, 162). Gesteigert wird also doppelt, wenn best und die Steigerungsform möglichst zusammenkommen. Nach Paul ist trotz des Mangels an Logik die Kombination bestmöglichst nicht selten. Nach (Paul 2002, 79) taucht die Verwendung i.S.v. angesehen „im 18./19. Jh. gelegentlich“ auf. Hier liegt ein enger Bezug zur Bedeutung von ansehnlich als stattlich, bedeutend vor (ibid.). Heute kommt etlich nicht mehr im Sg. vor, wo es von mancher verdrängt wurde. Die Bildung geht auf ahd. edde(s)līh und mhd. et(e)lich/etzlich/eteslich zurück, wobei der heute nur noch als gebundenes Morphem existierende erste Wortbestandteil dazu diente, Pronomen und Adverbien mit demonstrativer Funktion zu bilden (z.B. etwa, etwas; s. Paul 2002, 305). Das Deutsche Wörterbuch führt als Hauptvariante etslich an und bezeichnet etzlich als „schlechte Schreibung“. Das Wort ist laut DWB nur bis ins 17. Jh. gut belegt, danach spärlich und wenn dann „gesucht oder scherzhaft“ (Bd. 3, Sp. 1178f.). Laut Paul (2002, 1030) nur noch in der Wendung etwas tunlichst vermeiden. Hier direkt durch möglich ersetzbar. S. Paul (2002, 1086f.): vergreifen und DWB (Bd. 25, Sp. 491): vergreiflich: „wodurch man sich vergreift, schaden anrichtet“.
439
Tabellen zu Kapitel 4
Schreiber B Belege: 16 (versch. Wörter: 12) Nomen: 2 Adj.: 5 Adv.: 9 Partikel: 0 Ableitungen: 1 Grundwortarten: Nomen: 3
so viel müglich [...] vor gebawet durch offentlichen verboht mochte wo thùnlich [...] beygefùget werden einem Loblichen Collegio eine [...] Redliche Persohne wan [...] darùber errenstlich angehalten wùrde weisslich ge erwogen bedanckten sich des freùndlichen hinterbringens wo mùglich [...] etwas [...] procùrirt werden geferliche brieffe solte [...] in kùrtzen neulich geschehen keine wùrkliche begleitùng bedreùwligkeiten etzliche Orlog Schiffe die gäntzliche aùßfùhrùng reifflich erwegen waß eigentlich [...] vorgangen sich [...] bedreùlich haben vernehmen laßen etwaß grùntliches wißend sich wo mùglich vor Schaden hùten hette [...] neùlich kein Schreiben [...] gehabt weisslich erwogen
mögen Adv. offen Adj. Tun † Adv.
mhd. mügelīch Paul 671 s.o.
Lob † Adj. Rede † Adj. Ernst/ernst † Adv. weise †† Adv. Freund Adj.
ehrenwert?16 tüchtig in seiner Art17 ernsthaft/mit Nachdruck18 sorgfältig19 -
mögen Adv.
-
Gefahr Adj. neu Adv.† wirken Adj. drohen Nomen *et- Adj ganz Adj. reif Adv. eigen Adv. bedrohen Adv.
vor kurzem/seit kurzem20 real, tatsächlich -/Ableitung s.o. ganze21 (im übertragenen Sinne) in Wirklichkeit22 -
Grund Nomen wo möglich Adv. neu † Adv.
unentbehrlich23 s.o. in letzter Zeit, s.o.
weise †† Adv.
s.o.
16 17 18 19 20 21 22 23
16
Laut Paul (2002, 619) bis ins 18. Jh. spezifisch titelartiges Adj., das heute nur noch ironisch verwendet wird. 17 Eigentlich bedeutend so wie es sich gehört wurde redlich zu tüchtig in seiner Art. Heute erscheint es nur noch auf moralische Tüchtigkeit bezogen (Paul 2002, 788). 18 Paul (2002, 293): Die Bedeutung differenzierte sich von Stimmungsbeschreibungen zur Bedeutungsverstärkung bei einem Nomen (z.B. Folgen) i.S.v. gravierend, bedrohlich. Die Bedeutung von aufrichtig, wirklich, die der ursprünglichen Bedeutung nahe stand, wurde von ernsthaft übernommen. 19 Schon zur Entstehungszeit des DWB nur selten als Adj. gebraucht. Es wird ein Bedeutungswandel beschrieben, der eine Entfernung von weise hin zu ganz allgemein gut, wohl bedingt. Weislich wird zunehmend auch auf alltäglichste Verrichtungen angewendet (Bd. 28, Sp. 1146ff.). 20 S. Paul (2002, 702). Heute wird es immer nur von der Gegenwart aus gebraucht. Das Auftauchen neben dem Präsens in der Bedeutung von seit kurzem wird als ungewöhnlich bezeichnet. Erst seit dem 17. Jh. findet man neulich auch als Adj. 21 Paul (2002, 368): ursprünglich fast nur als Adverb fungierend, dann von ganz in spez. Adjektivfunktionen verdrängt. 22 Paul (2002, 250): nur als Adv. in der Bedeutung im Grunde genommen, in Wirklichkeit. Vgl. hier auch 2 (eigentlich i.S.v. korrekt, genau). 23 Im vorliegenden Kontext ist mit etwas Gründliches eine wesentliche Information gemeint. Vgl. Paul (2002, 436 Eintrag Grund, 1.3).
440 Schreiber C1 Belege: 10 (versch. Wörter: 9) Nomen: 0 Verben: 0 Adj.: 4 Adv.: 5 Partikel: 1 Ableitungen: 1 (un-) Grundwortarten: Nomen: 3 Schreiber D Belege: 12 (versch. Wörter: 11) Nomen: 0 Adj.: 2 Adv.: 9 Partikel: 1 Ableitungen: 2 (2 x hoch-) Grundwortarten: Nomen: 5
Anhang sein Bürgerlich Eidt 2 dieser Statt Bedrewlich zùsetzten mit fast vnertraglichen BedreüÚngen
Bürger Adj. bedrohen Adv. ertragen Adj.
-/Negationsableitung mögen Adv. s.o. Name Mod. Part. s.o. Tun Adv. † s.o.
so viel müglich præcaviert daß nemblich so viel tùhnlich [...] zÚ præcaviren daß man erstlich [...] Sùpplicirendß [...] machete reiflich [...] Consideriren der gëntzlichen HoffnÚng
erst Adv. †† reif Adv. ganz Adj.
zuerst24 s.o. s.o.25
aùsführlich angebracht es sege E.E.Raht [ge?]fellich daraùs
ausführen Adv. gefallen Adv. ††
wohl? 26 vgl. [er] suchen
zimlich starck hetten täglich [...] Geldt notich sonderlich die Gronlandes Handeler biß erstlich das Haùbt Merck abgethan wehre daß solches so baldt müglich geschehe schrifftlich übergeben 2 diesen Hochschädtlichen Pùnct
ziemen Gradpart. 27 Tag Adv. (zu nötich s. -ig) sonder Adv. besonders28 erst Adv. †† s.o.
das wehre ùns nicht thùnlich Hochansehnlichen He. Bottschafter
Tun Adv. † Ansehen † Adj.
mögen Adv. Schrift Adv. Schaden Adj.
s.o. -/Ableitung (augm.: hoch-) s.o. s.o. /Ableitung (augm.)
24 25 26 27 28
Paul (2002, 297): Bis ins 19. Jh. verwendet für zuerst, zunächst. Heute nur noch im Sinne von erstens. 25 Mhd. genzlich, die hier vorliegende Schreibweise liegt also näher am Mhd. 26 Paul (2002, 316f.) führt fällig auf eine übertragene Bedeutung von fallen zu. Fällig sehen würde demnach soviel bedeuten wie logisch folgern. Das Deutsche Wörterbuch führt i.d.S. fällig geben an als hingeben, mitteilen, zufallen lassen an (Bd. 3, Sp. 1288). Man beachte die Nähe zu gefällig II (auch in der Schreibung gefellig), Bd. 4, Sp. 2116ff.: passend, bequem, willkommen, dienlich. 27 Laut Paul (2002, 1203) ist diese neben schicklich eine neue Bedeutung, die sich erst im Fnhd. durchgesetzt hat. Während Paul z. als Adj. der Gradabstufung bezeichnet, ist es laut Duden Grammatik ein Gradpartikel (378). 28 Paul (2002, 925) bezeichnet s. als seit dem 18. Jh. veraltet. Es werden drei Bedeutungen für sonderlich angeführt, abgesondert, ungewöhnlich und vor allem. Im vorliegenden Kontext hat sonderlich die dritte Bedeutung. 24
Tabellen zu Kapitel 4 Schreiber C2 Belege: 6 (versch. Wörter: 4) Nomen: 1 Adj.: 2 Adv.: 3 Partikel: 0 Ableitungen: 1 (-keit)
Möglichkeit diesen gefährlichen Zeiten ob nicht dienlich were dienliche Motiven waß [...] müglich were solten fürderlichst damit verfahren
mögen Nomen Gefahr Adj. Dienst Adv.† Dienst Adj.† mögen Adv. förder/fürder Adv.†
441 s.o. /Ableitung diensam, nützlich29 nützlich (Argumente) weiterhin30
Grundwortarten: Nomen: 3
Schreiber C Belege: 16 (versch. Wörter: 13) Nomen: 1 Adj.: 6 Adv.: 8 Partikel: 1 Ableitungen: 2 29 30
29 30
Paul (2002, 222): dienlich steht gleich diensam für nützlich. Vermutlich der Kanzleisprache entstammend. Heute vorwiegend in Zusammensetzungen (zweckdienlich). Wie fürderhin, also i.S.v. künftig (Paul 2002, 363).
442
Anhang
Tabelle 4.6.1.6: Suffixbildungen31 mit -ig/-igen Beleg in den Protokolltexten32
Schreiber A Belege: 34 (versch. Wörter: 25) Nomen: 4 Verben: 4 Adj.: 8 Adv.: 17 Pronomen: 1 Ableitungen: 8 Wortgruppen: 5
Haben [...] einhellig berahmet thun nochmahlige instantz wo darin solte gewilliget werden †† Darinnen konten sie nicht willigen †† die [...] Beschwerden [...] fleißigst hinterbrächten hoffen aùch gewürige erklehrùng zù erhalten †† biß künfftige Montag beÿ diesem Zwürigen Zeiten einiges [...] mochte abgeschnitten werden waß nötig [...] corrigiren ùmb daß Ihrige [...] kommen die wichtigkeit richtig werden aùff selbigen Haven der sie [...] wieder einhandigen mùße Funde man notig fertig machen wehren mit den Kaùffleùten einig 2 päße zu verfertigen würde alles fleißig communiciret alß [er]sùchten Sie fleißigst [ge] fellig Nohtwendigkeit
Grundwort,33 Wortfunktion der Ableitung einhellig, Adv. nochmal Adv. Wille Verb.
Bedeutung heute falls geändert
übereinstimmend34 einwilligen35 Ableitung einwilligen Wille Verb Fleiß Adv. (gesteigert) Ableitung gewürig Adj. künftig Adj. schwer Adj. einiges Adv. nötig Adv. ihr abgel. Possessivpron. wichtig Nomen richten Adv. selbst Adj. eine Hand Verb Not Adv. fertig Adv. ein Adv. 2 fertig Verb Fleiß Adv. Fleiß Adv. (gesteigert) notwendig Nomen
31 32 33 34 35
31
In die Auswertung mit einbezogen wurden alle vorkommenden Verwendungen der entsprechenden Suffixe, auch wenn sie mit weiteren Ableitungssuffixen kombiniert vorliegen (z.B. Wichtigkeit, hochwichtig). Verbableitungen durch –igen sind hier mit aufgeführt. In der Auflistung fallen im Text vorgefundene Zeilenumbrüche weg. Abkürzungen wurden nicht berücksichtigt (z.B. das häufige Königl. Maÿe. für Königliche Majestät bei Schreiber C2). Zahlen wurden nur in ausgeschriebener Form gewertet (nicht etwa in der Form die 144, z.B. PC 759/15). 32 ††: Ableitung auf –ig im heutigen Wortschatz nicht mehr vorhanden. †: Ableitung auf –ig heute mit anderer Bedeutung verwendet. 33 Heutige Form des Grundwortes. †: heute spezifische Funktion/Bedeutung/Verwendung. ††: heute veraltet. 34 S. Paul (2002, 257). 35 S. Paul (2002,1172f.): Willig als Adj. zu Wille: das Wollen, die Absicht, der Wunsch; davon abgeleitetes Verb willigen (sich willig zeigen).
Tabellen zu Kapitel 4
Schreiber B Belege: 28 (versch. Wörter: 13) Nomen: 1 Verben: 1 Adj.: 13 Adv.: 10 Pronomen: 3 Ableitungen: 4 Wortgruppen: 2
an fleißiger Obacht Zwischen hiesigen Rahte daß man einstimmig würde sich bundig machen †† hoch vernùnnfftig [...] erwegen dem Rechtmessigen freyen commercio Hochvernùfftig darùber bedacht sein die Ùnschùldige[n] dieser Statt [...] und [deren] angehörige[n] nötig sein eine [...] düchtige [...] Persohne Willigùng meer ùndt mer weidtleùffiger wird wenig [...] vorhanden mit behuffigen rationibus wenig drauf selbige [Lemkùhlen et Consortes] der hiesigen Börse Mann fùnde höchst“nötig einige freùnde wehre daß nötigste an behorigem orthe beschleùniget werden kùnftigen Donnerstag an gehorigen Ohrte kùnfftigen Dienstag aùff Vorrath einige [Tonnen] gemacht mit einigen Lootzen in selbigen [Seebriefen] damit wehre die Cämereÿ einig wie Er kùnfftige [...] sich könte verhalten und einige persohnen dadurch [...] genötiget werden bereits einige mahlen am Kùnfftigem Montag dasienige so [...] vorgefallen hielten Sie [...] vor ùnnötig nicht mer nötig wehren kùnfftig [...] selbsten [...] fùrbringen
Fleiß Adj. hier Adj. eine Stimme Adv. Bund Adv. Vernunft Adv. rechtes Maß Adj. Vernunft Adv. augm. Unschuld Nomen angehören Nomen Not Adv. tüchtig Adj. Wille Nomen weit laufen Adv. wenig Adv. Behuf † Adj. wenig Adj. selbst Pronomen hiesig Adj. Not Adv. ein Adj. Not Adv. (elliptisch) behörig Adj. schleunig Adv. [Zu]Kunft †† Adj. gehören Adj. Kunft Adj. ein Adj. ein Adj. selbst Pronomen ein Adv. Kunft Adv. ein Adj. Not Verb ein Adj. Kunft Adj. dasjenig Demonstrativpron. Not Adv. Not Adv. Kunft † Adv.
443
444
Anhang
Schreiber C1 Belege: 31 (versch. Wörter: 20) Nomen: 3 Verben: 3 Adj.: 16 Adv.: 8 Pronomen: 1 Ableitungen: 5 Wortgruppen: 6
solche abermahlige erklehrÚng † billig [...] zÚ erwehlen † nochmalige anregÚng zÚthÚn † einhelliger MeinÚng die zweÿ vnd funfftziger aùff daß schleünigste abgefertiget werden alß gevollmächtigte von E: Erb: Kaùffman man wehre [...] gantz einig wÚrde ùnkÚndig sein fleißige obacht in sorgfältiger ConsØltation einig armatØr [...] vorgenommen in sorgfältiger erwegÚng Befrembdete Jhnen nicht wenig nicht mehr nötig achtete dieser Mühe entübriget weitleuffig Sùpplicirendß [...] machete abtragÚng nöhtiger Ünkostenn ein wenig zÚ entweichen bliebe es Rückstendig dieser æmulation entübriget sein die ledige stellen mit behÚffigen Persohnen nötigen aÚßgaben selbiges [Collegium] einige Mittel zÚ BehÚffigen ausgaben nöhtigen Spesen einige Geldtmittel die Nöhtigen aÚßgaben
aber mal †† Adj. billig Adv. noch mal Adj. ein hell Adj. zweiundfünfzig Nomen schleun Nomen Abfertigung Verb Vollmacht Nomen ein Adv. Kunde Adv. Fleiß Adj. Sorgfalt Adj. einig Adj. Sorgfalt Adj. wenig Adv. Not Adv. übrig Verb weit laufen Adv. Not Adj. wenig Adv. Rückstand Adv. übrig Verb ledig Adj. Behuf † Adj. Not Adj. selbst Pronomen ein Adj. Behuf † Adj. Not Adj. ein Adj. Not. Adj.
36
angemessen37 nochmals38 übereinstimmend
36 37 38
36 37 38
Paul (2002, 36): abgeleitet vom Adverb abermals. Paul (2002, 173;1). Laut Paul (2002, 709) ist nochmalig ein Adjektiv des 18. Jhs. Nochmals ordnet er dem 17. Jh. zu.
445
Tabellen zu Kapitel 4 Schreiber D Belege: 31 (versch. Wörter: 20) Nomen: 2 Verben: 4 Adj.: 14 Adv.: 8 Pronomen: 2
einen Billigen Preiß solte fodderligst Antwort erfolgen
billig Adj. vorderlig Adv. †† abgel. dem Heiligem Lande Heil Adj. ùp heilige Land Heil Adj. föllig offen voll Adv. deshalben wehre ùnbillig billig † Adv. die hiesige Müntze hier Adj. benötiget Not Verb Einige Persohnen ein Adj. Ableitungen: 5 wehren [...] einig ein Adv. Wortgruppen: 3 in itzigem Stande jetzt Adj. wie kùnfftig [...] zù helffen seÿ Kunft† Adv. eine wichtige Stadtsache Gewicht? Adj. hielten woll [für] nötig Not Adj. Ließ [...] ùnß die Antwort einbehändigen Hand Verb in dieser wichtigen Stadt Sache Gewicht? Adj. ein Wichtiges Werck Gewicht? Adj. einem Jeden [...] das seinige sein Nomen hetten [...] viel Geld nötich Not Adv. wurde Jhnen das Jhrige [...] vorenthalten ihr Nomen so einige Mißbreüche ein Adj. ist [...] nicht schüldig Schuld Adv. zùmahlen die Kaùffleùte die wenigsten seÿn wenig Adj. (elliptisch) das Jenige, was [...] die [...] Bürgerschafft das jener Pron. (s.o.) angehet So mùß beherziget werden Herz Verb Obiges oben Adj. (elliptisch) worden sich einig ein Adv. obige puncten oben Adj. befestiget worde fest Verb das Jenige [...] was [...] jener Pronomen (s.o.)
günstig39 bald?40
unrecht, s.o.
39 40
39 40
Paul (2002, 173;2). Aus mhd. billīch. Bis ins 17. Jh. mit ch geschrieben. Möglich ist aus dem Kontext (PC 385/24f., D) sowohl eine Bedeutung i.S.v. umgehend als auch von vorrangig. Wahrscheinlicher ist die temporale Bedeutung, s. Eintrag zu fodder, födder, Deutsches Wörterbuch (Band 3, Spalte 1865). Vgl. auch födderlich (ibid.) und s. ebenfalls Eintrag vordersam, Paul (2002, 1128). Vgl. auch die Verwendung von fürderlichst (PC 761/1ff., C2), die im Kontext eindeutig temporal ist.
446 Schreiber C2 Belege: 16 (versch. Wörter: 13) Nomen: 2 Verben: 0 Adj.: 7 Adv.: 6 Pronomen: 1 Ableitungen: 5 Wortgruppen: 1 Schreiber C Belege: 47 (versch. Wörter: 28) Nomen: 5 Verben: 3 Adj.: 23 Adv.: 14 Pronomen: 2 Ableitungen: 10 Wortgruppen: 7
Anhang schwierig gewesen erkündigÚng Königl. Maÿe. 6 wegen der avocatiorien Únd waß dem anhengig mit behÚeffigen schreiben instendig sÚchten schleùnigst aÚsgerüstet wegen [...] schleùniger AÚsrüstùng selbige [Cämereÿ] were [...] einig weren einige Deputiert [zu ...] wegen des hiesigen Zollens die Jenige [...], so zù den 144 gehörten die [...] hochwichtige Sache einige Grönlandische Schiffe auf die übrige [...] puncta E. Hochw. Raht were [...] ùngedültig
schwer Adv. Kunde Nomen König Adj. Anhang Adv. Behuf Adj. Stand? Adv. schleunig Adv. schleunig Adj. selbst Nomen ein Adv. ein Adj. hier Adj. jener Demonstrativpron. [Ge]Wicht Adj. ein Adj. über Adj. Geduld Adv.
Tabellen zu Kapitel 4
447
Tabelle 4.6.2.2: Suffixbildungen -nis; Konkurrenzbildungen mit -bar, 41 -keit, -ion Alternative zu -lich: -bar -nis,42 nüs, nus Alternativen zu -nis: -keit, -(at)ion Herkunft der Lehenbildung43 Schreiber A - nis: 0 -bar: 1 -keit: 3 -ion: 21
-keit Gefahrlichkeiten Nohtwendigkeit wichtigkeit -ion Actiones attestation attestationen certification Communication 3 Communicationem consideration Declination Deputation [facta] prælectione Legation prætension proposition resolution Resolution resolùtion salùtatione satisfaction Supplicationem
die Ehrbare Sr. Heùß [...]
lat. lat. lat. lat./mlat. lat. lat. lat./frz. † lat. †† lat./frz. lat./nlat. †† lat. lat./frz. s.u. lat./nlat. lat./frz. lat./frz. lat./frz. lat. † lat. lat./ital./frz.
41 42 43
41 42 43
Nicht gewertet wurden Abkürzungen (z.B. das häufig formelhaft verwendete Ehrbar in E.[in/ uer] E.[hrbarer] Rath, s. 4.2.5.). In der vorliegenden Auflistung fallen im Text vorgefundene Zeilenumbrüche weg. Gesucht wurde nach Graphien mit i, u, ü, s, ss, und ß. Nicht gezählt wurde –nis als Flexionsendung lat. Fremdwörter z.B. communis (Überschrift Eröffnungsprotokoll) oder terminis (52/17). Laut Duden Fremdwörterbuch. Als a.a.O. veraltet bezeichnete Wörter oder Wörter, die heute nur noch in einem spezifischen anderen Kontext verwendet werden (z.B. Schreiber A, Deklination: 1. Grammatik, 2. Astronomie, 3. Geographie) werden mit einem Kreuz (†) gekennzeichnet. Wörter, die nicht mehr in der in den Protokollen vorliegenden Bedeutung aufgeführt sind, erhalten zwei Kreuze (††). Hierbei gibt es einen gewissen Spielraum bei Wörtern, die als erschließbar eingeschätzt wurden (z.B. Fundation: 1. Fundament[ierung ] 2. [kirchliche] Stiftung, in den PC i.S.v. Gründung). Wörter, die das Duden Fremdwörterbuch überhaupt nicht aufführt, erhalten drei Kreuze (†††).
448
Anhang
Schreiber B - nis: 0 -bar: 1 -keit: 1 -ion: 12
Schreiber C1 - nis: 0 -bar: 1 -keit: 1 -ion: 8
Schreiber D - nis: 0 -bar: 1 -keit: 1 -ion: 26
44
44
Anspruch, Anmaßung.
-keit bedreùwligkeiten -ion affection avocation Briefs=Constitutionen Composition Consideration prolongation Provision rationibus salùtatione 2 satisfaction Sùpplicationem -keit Nohtwendigkeit -ion æmulation Consideration ConsØltation Nation 2 salutatione Session sØpplicationem -keit ùnrichtigkeit -ion Commission 4 Communication Deputation 3 Dilatation Fùndation 2 FØndation 2 Fundation 4 Nationes prætension 2 relation resolution salutation 2 salùtatione 2
dem Ehrbahren Kauffman
lat. † ††† mlat./nlat./frz. lat. ††† lat. lat./ital. lat. †† lat. † lat. lat./ital./frz. Depùtati Commercÿ [...] vereinbahreten ††† ††† ††† lat./frz. lat. † lat. lat./ital./frz. † den Benachbarten Herren
lat./mlat. † lat./frz. lat. †† lat. lat. lat. lat./frz. lat./frz.44 lat. † lat./frz. lat. † lat. †
Tabellen zu Kapitel 4 Schreiber C2 - nis: 0 -bar: 0 -keit: 1 -ion: 5 Schreiber C - nis: 0 -bar: 1 -keit: 2 -ion: 13
449
-keit Möglichkeit -ion actione Intercessionales relaxation restitution salutatione
lat. lat.45 lat. †† lat. lat. †
45
45
Interzession: 1. das Eintreten für die Schuld eines anderen (Duden Fremdwörterbuch 1990, 360).
450
Anhang
Tabelle 4.7.1.a: einfache Satznegation mit nicht (nach Pensel 1976) Textbeleg (Protocollum Commercii Seite/Zeile)46 Schreiber A Es solte noch nicht/ geschehen konnen, [...] (PC 5/19f.) Sätze insg.: 14 [...] interim konÓ/ te daß Gantze Commercium darùber nicht/ wohl leiden (PC erweitert: 3 5/28f.) [...] dazu daß/ konte E. Hochwß. Raht sich nicht verstehen, [...] (PC 32/17ff.) [...] man wolte darùmb nicht vermùden [...] (PC 36/24) Darinnen/ konten sie nicht willigen, [...](PC 38/12) [...] weiln Ein Erb. Kauffmann nicht/ wüßte in waß vernehmen man jetzo mit/ den Englischen stunde [...] (PC 5/6ff.) [...] Spagnien und/ franckreich solten solches hoch empfinÓ/ den, daß man Jhre Haven nicht fùr neù/ tral wolte kennen, da man doch in/ freùntschafft mit Sie begriffen [...] (PC 38/12f.) [...] Sie wieder zù licentiÓ/ ren damit Ihre gùte Zeit nicht so ùnnùtzÓ/ lich verwendet würde. (PC 36/24ff.) [...] konte denselben obijciÓ/ ret werden, daß dùrch dieser sen Weg sie/ ihre[n] Dessain nicht erhalten würden, [...] (PC 42/19ff.) ad 3. Weiln wahren von Contrabando sich weit/ extendiren und mann nicht weiß ob die/ Englischen die gantze fahrt auff Holland von/ hier [...] wollen verbieten, [...] (PC 42/1ff.) [...] es/ wehre die Hochste Nohtwendigkeit daß je/ mand daß Commercium verspreche wozù/ die He. erwehlet, welche davon nicht erÓ/ lassen werden konten. (PC 36/24f.) [...] undman zweiffelten nicht, wan [...] darùber errenstlich ange,/ halten wùrde, derselben gùte Resolution/ zu erhalten. (PC 50f./26ff.) [...] daß die Delinqventen allein [...] mit confiscirùng der also/ attra[p]irten contrabando guteren bestrafÓ/ fet, die Ùnschùldige aber nicht dadùrch/ gefehret werden möchten. (PC 42/9ff.) [...] und da es geschehe und nicht eben in HenÓ/ den der Englischen geriete mochten sie her/ nach aùff freyen gùtern prætension maÓ/ chen [...] (PC 40/10ff.) Schreiber B [...] Daß aber Lemkùhlen/ et Consortes der Kaùfleùte ùndt Schiffer/ Sachen sollte Sätze insg.: 4 aùfgetragen werden fùndt man/ gantz nicht diensamb, [...] (PC 57/15ff.) erweitert: 3 [...] respondirte, daß es den Depù:/ tirten befrombdete solche erklehrùng/ von E: E: Hochwß: Rathe zù vernehmen:/ Daß die geDepùtirte nicht mer nötig wehren, [...] (PC 301/18ff.) 4Ó Verstùnde mann daß der Brieff/ nach Franckreich wegen des PaßÓ/ geldes annoch noch nicht forth/ gesant worden, [...] (PC 232/1ff.) ad 1: Mann erinnerte sich nicht waß eigentÓ/ lich hierinnen vorgangen, [...] (PC 232/8f.) Schreiber C1 [...] ein/ jeder so jüngsthin nicht zù Kegen gewesen [...] (PC 320/11f.) Sätze insg.: 5 [...] zÚ vernehmen daß man die GedepØtirte des ComÓ/ mercÿ nicht mehr nöhtig erweitert: 2 achtete [...] (PC 323/15ff.) [...] zÚ vernehmen daß man [...] von Jhnen/ Eines Erb: KaÚffmans Beschwerden nicht wolte/ vernehmen; [...] (PC 323/14ff.) [...] daß/ beÿ Handell vnnd Wandell zu weilen solche Sachen/ vorfielen die nicht so viel aÚffschub leiden könten [...] (PC 323/22ff.) E. Hochw. Raht wehre/ über dieser Sache in sorgfältiger ConsØltation begri/ ffen, hoffeten nicht daß es zÚr Extremitet koÖen/ oder einige armatØr Kegen Únseren Schiffen vorgeÓ/ nommen werden sollte. (PC 322/16ff.) 46
46
Das Negationswort erscheint in schwarzem Fettdruck, Negationsqualifikationen in grauem.
Tabellen zu Kapitel 4
451
Schreiber D [...], der begehrte Zollen/ und wegen der Weine das gehorde nicht nach/ der BùrSätze insg.: 24 gerschafft, [...] (PC 457/5ff.) erweitert: 4 [...] man solte/ es alle tage treiben, das wehre ùns nicht/ thùnlich, [...] (PC 456/22ff.) [...] als versùcht man, diesen HochschädtÓ/ lichen Pùnct nicht wehre in die Bürgerschafft/ zù bringen. (PC 454f./25ff.) [...] ùnd daß man den Pùnct wegen eines neüen/ Zollen hinfùhro nicht in die Bürgerschafft/ bringen möchte, [...] (PC 455/22ff.) [...] solches nicht in die Bürgerschafft/ zù bringen versùchet. (PC 456/6f.) [...] daß die versamlete Bürgerschafft über das Jenige,/ was nicht die gesampte Bürgerschafft angehet, votiÓ/ ren sollen [...] (PC 454/7ff.) [...] ùnd gehört dieser/ Pùnct nicht für die Bürgerschafft, [...] (PC 454/4ff.) [...] nùn ist ein Erb Kaùffman an dieser præten/ sion nicht schüldig [...] (PC 453f./27ff.) Sie konten dieses zÚmùhten für/ sich nicht consentieren, [...] (PC 446/3f.) Es hetten die den 4. Jan. geproponirte puncten/ zù Rathe noch nicht können deliberirt werden, [...] (PC 445/9f.) [...] ùnd ist/ Notorium, daß bereits ùmb des geringen Zollens/ willen, die Lübecker, Danziger ùnd andere Jhre/ Güter von Engell: ùnd Holl. kommende zù GlùckÓ/ stadt laßen aùsladen, ùnd nicht dùrch diese/ Stadt kommen, [...] (PC 454/12ff.) [...] zùmahlen die KaùffÓ/ Leùte die wenigsten seÿn, ùnd nicht zùgeben können/ daß die versamlete Bürgerschafft [...] votiÓ/ ren sollen [...] (PC 454/5ff.) Ist die Admiralität nicht beÿeinander gewesen. (PC 408/24) 8. Die Banco soll allezeit Silber ùnd Goldt/ [...] einkaùffen ùnd wenn es die hiesige/ Müntze nicht benötiget mit Vortheil an anÓ/ dere wider Verkaùffen. (PC 380/11ff.) [...] ùnd wurde solches ein ansehen bey Engel. ùndt/ Francz. geben, die hinfùhro deßgleichen thùn wùrden, So daß wir gar/ nicht mehr wùrden fahren können [...] (PC 385/21ff.) [...] es mangelte aber Jhnen an/ der Vollmacht von der Bùrgerschafft, die E. E./ Rath bey so bestalten Sachen nicht könte beyeinander/ bringen, [...] (PC 386f./21ff.) Hiebeÿ angesprochen man vernehme der Brieff nach Stade/ wehre noch nicht forth, [...] (PC 408/14f.) [...] alß versùÓ/ chete E. E. Raht die Banco so lang in itzigem stande/ zù laßen, biß eine Ordnùng könte gemacht werden damit die gùten rf. nicht vollends aùß der Banco/ geholet wùrden. (PC 387/3ff.) Sie wùrden gewiß die Fundation der Banco/ nicht wißen, den Jhrenthalben wehren Sie da. (PC 423/9f.) [...] man mochte doch den Schiffer/ nicht aùffhalten. (PC 409/25f.) [...] ùnd wùrde/ Jhnen das Jhrige ùnbefùget vorenthalten, ùnd/ es die Leùte der Banco nicht wisÓ/ sen laßen, dazù wehre es wider die fùndation/ der banco, [...] (PC 425/20ff.) [...] Jhnen [...] erinnert, daß Sie wegen Eines/ Erb. Kaùffmans alda säßen, und also nicht recht/ gethan hetten, daß Sie geConsentieret, daß [...] (PC 423/1ff.) [...], gleùben nicht, es geschehn/ konnte, den die Kaùffleùte hetten täglich, sonderlich die/ Gronlandes Handeler viel Geldt nötich. (PC 424/13f.) [...] wobeÿ viele/ Kaùffleùte Geld deponiren müßen, vnd/ könten es nicht wieder kriegen [...] (PC 759/7ff.) Schreiber C2 Weilen nÚn dergleich[e]n/ Brieffe von anderen KaÚffleÚten aÚß/ franckreich schon Sätze insg.: 2 lengst hie gewesen,/ alß sege man daß He. Beck nicht vigilant/ genÚg were [...] (PC erweitert: 0 613f./26ff.) 3. würde nicht practicabel sein, weill [...] (PC 760/20) Schreiber C Sätze insg.: 7 erweitert: 2
452
Anhang
Tabelle 4.7.1.b: Sondernegation und komplexe Sätze47 (von Pensel 1976 unberücksichtigt) Textbeleg (Protocollum Commercii Seite/Zeile) Schreiber A Sondernegation Sätze insg.: 16 [...] man wolte die/ Sache daselbst nicht tractiren sie solÓ/te hier abgethan werden teilnegiert: 11 (PC 23/16f.) komplex: 5 [...] mùste E. Erb. Kaùffmann/ wol etwaß thùn waß Er nicht gerne wolte/ noch ohn schaden thùn konte. (PC 41/25f.) [...] wolte/ man derselben in Zeiten nicht rahten sonÚ/ dern sterben lassen, würde es mit dem/ Commercio gethaen sein. (PC 5/13ff.) [...] solte aber nichts erhalten/ konnen werden mùste E. Erb. Kaùffmann/ wol etwaß thùn [...] (PC 41/24ff.) Mann hette alles mit den He: Ober/ alten communiciret aùßer welchen man/ zú keiner weïteren communication sich ver/ stùnde. (PC 36/5ff.) Weilen die Gefahr der Türcken sehr/ groß, so daß kein Hambùrger Schiffe/ sich mehr ùmb die Weste willen befrach/ ten lassen [...] Alß suchet/ die borse [...] (PC 50/18ff.) [...] welÓ/ cher dùrch diesen verboht von Ham/ bürg auff Holland keine gütere Zù fuhren/ freyer Handel und Wandel verschaffet [...] PC 42f./25ff.) [...] :| weiln/ es doch bereits dùrch offentlichen verboht in/ Engelland pro clamiret worden, keine/ Wahren von contrabando aùff Hollant/ zù fùhren |: [...] (PC 42/9ff.) [...] dann solte man sich/ bundig machen den Holländern keine wahren/ contrabanda von hier aùß zù zùführen/ [...](PC 40/7ff.) [...] ein eidtÓ/ liche attestation, worinnen enthalten daß/ aùff Jhrer Ruckkùnfft keine Haven binÓ/ nen der Engte von Caleis biß an der Mund/ der Elbe solten beschiffet werden, [...] (PC 38/1ff.) [...] Alß wolle/ E. Hochws. Raht einen He gesanten kund thùn/ daß wo in diesem Pùnct keine Declina Ó/ tion zù erhalten, man denselben so abfaßeÓ/ te daß [...] (PC 42/5ff.) komplexe Sätze [...] weilln viel zù Rahte jetzo vor/ lieffe, würden die He. gedeputirten der Ant/ wort nicht erwarten konnen [...] (PC 6/2ff.) Weill, Ein Erb. Kaùffman/ bey der einmahl geschloßenen Deputation/ zù verharren und die Dep: nicht zù er/ laßen gemeinet: So wolte man [...] (PC 37/1ff.) Mann mochte doch sehen daß/ den Englischen satisfaction gegeben wùrÓ/ de, damit so viel ehrliche Leùte nicht/ ùmb daß Ihrige möchten kommen. (PC 23/20ff.) [...] wo dùrch dann wan es ihnen nicht geÓ/ geben werden konte der freye laùff des/ diensahmen Commercÿ gehemmet würde [...] (PC 41/18ff.) [...] referirten Ihnen [...] wie Sie umb CommunicaÓ/ tionem der mit Engellandt obhanden haÓ/ benden Tractaten so weit es dem Commercio/ betreffe, angehalten, dieselbe aber nicht/ allein nicht erhalten konnen besondern es/ wehre Jhnen noch ùber dehme zùr Antwort/ geworden, Mann hette alles mit den He: Ober/ alten communiciret (PC 36/11ff.) (enthält Sondernegation, s. 4.7.) 47
47
In diesem Zusammenhang werden komplexe Sätze als Sätze verstanden, die aufgrund einer komplexeren Struktur nicht als Einfachsätze zu werten sind.
Tabellen zu Kapitel 4 Schreiber B Sätze insg.: 11 teilnegiert: 7 komplex: 4
Schreiber C1 Sätze insg.: 5 teilnegiert: 4 komplex: 1
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Sondernegation Mann hätte brieffe aùß Franckreich ùndt/ Engellant in welchen nichts des ConvoÓ/ ÿers gedacht wirt, [...] (PC 70/20ff.) Pronomen oder Adverb? [...] da Er keine ordre, suchen Sie/ Jhm zù ordoniren daß beÿ Norden ùmb/ die Rùckreÿße genommen werden/ mùge ~ (PC 70/10ff.) Depùt. Commercii per He Johan Gùhle/ beklagen sich du der Convoÿer den auff/ Portùgall gehenden Schiffen keine wùrkliche/begleitùng biß aùff die Cost von Portùgl./ præstiren wollen, [...] (PC 71/5ff.) [...] ùndh wehre/ kein farth beÿ der Admirl: dazù vorÓ/ handen wolte mann zù mittell resolviren (PC 91/23ff.) [...] weilln Claß/ Richers schreibet keine tonnen aùff Cùcks:/ haven in Vorrath, das daruber gesprochen/ wurde du 6 in Vorrath stets daselbst beÿ/ der Hant sein möchten. (PC 149/15ff.) E: Hochwß: Rath hette dieserwegen neùlich kein/ Schreiben auß Engellant gehabt, [...] (PC 300/29ff.) [...] zù evitirùng/ der Misbreùche so vorgehen wùrde/ wann man kein Zeit in selbigen berechÓ/ nete. (PC 161f./24ff.) komplexe Sätze Weilln E: E. Hochw. Rath nicht versamlet/ mùste man heute acqùiescirn, [...] (PC 149/27f.) [...] conclùdiren |: Daß/ weilen vorgestern beÿ der Admiralitæt, wegen/ des 1 ùndt ½ pcto die Antwort nicht gefallen/ wie man etwa gesùchet :| Daß [...] (PC 179/5ff.) An/ der Börse lieff ein boses Gerùchte alß wenn/ die Englischen in Engellant sich solten bedreù:/ lich haben vernemmen laßen daß im Fall/ Sie nicht wegen der aùff der Elbe ver: / branten Schiffen satisfaction ùberkoÖen/ sollten Sie selbsten mittell an die Hant/ nehmen wolten [...] (PC 300/10ff.) [...] man verstùn[de]/ aber du solche ob Sie schon hambùrger brieffe/ undt päße fùhreten nicht alle aùff Hambùrg/ zùrùcke sondern aùff Ambsterdamb kehmen [...] (PC 92/6ff.) (sondernegiert) Sondernegation Es erfolgete aber nichts. (PC 341/7) [...] mann/ möchte sich gedÚlden biß negster versamlÚng, ietzo konte/ keine erklehrÚng folgen (PC 340/10ff.) Weilln aber keine Session auff der Admirl: gehalÓ/ ten würde bliebe es Rückstendig. (PC 341/12f.) [...] daß [...] die GedepØtirte/ Keine He: des Rahts mehr aÚfffohdern möchten,/ sondern daß E: Erb: KaÚffman seine NottÚrfft/ beÿ der Admirl: oder zÚ Rhate per sØpplicationem/ möchte einbringen [...] (PC 322f./22ff.) komplexe Sätze [...] wann solches geschege so lebte man/ der gëntzlichen HoffnÚng E: Hochw: Raht wùrde nicht allein/ dieß CollegiØm nicht sùchen zu dissolviren sondern vielmehr/ solches ùnter die arme greiffen [...] (PC 324/3ff.) (enthält Sondernegation, s. 4.7.)
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Anhang
Schreiber D Sätze insg.: 27 teilnegiert: 11 komplex: 16
Sondernegation Frans v Bremen, Es gebührte Jhm nicht allein daraùf/ zù antworten, [...] (PC 445/21f.) [...] daß man also diese Posten dahin nicht bringen/ möchte [...] (PC 457/9f.)48 [...] hetten/ vernommen, daß die HHe. General Staaten/ nichtes davon wüsten, [...] (PC 760/14ff.) Jhr Præses [H]Sr: Bùrmester saget abermahl, Sie hetten/ mit den Kaùffleüten nichtes zu thun, [...] (PC 423/5f.) Die Banco Bürger ließen wißen Sie hetten mit den/ Kaùffleüten nichts Zù thùende, [...] (PC 422/23f.) Resp: Sie hetten mit der Banco nichtes zùr/ schaffen, [...] (PC 424/26f.) 2. Weilln E E. Rath, die Banco [...] geschloßen, daß / keiner Geld heraùßbekommen könte, so hette ein/ Erb Kaùffman begehret, gefodert zù seÿn, [...] (PC 422/8ff.) [...] ùnd konnte dieselbe [Fundation der Banco] keine Verenderùng/ leiden, [...] (PC 378/14ff.) 4. [...] soll die Banco Cassa/ ùp 6/m. geschloßen bleıben ùnd in solcher Zeit kein species/ heraùß gezogen werden [...] (PC 379/12ff.) [...] ùndt weiln ein Erb. Kaùffman wollte,/ Ihr geldt alleZeit sollte in Banco gereth seÿn, so/ daß Sie auff pande keinen Nüzen damit so dan/ machen könten, also [...] (PC 445/12ff.) 9. Eß soll die Banco kein Geldt aùff andere Pfande geben, alß/ Goldt, Silber, Kùpfer/ und Eisen. (PC 380/16ff.) komplexe Sätze [...] Sie mügen der GeDeputirten Gesùch in der BürgerÓ/ schafft bringen, damit diese Zeit nicht verstreiÓ/ chen möchte. (PC 453/10ff.) Weiln der Bùrgermeister nicht alda, so möchteman acht/ tage in Rùhe stehen. (PC 408/12f.) [...] wan nùr fest darüber gehalten worden wehre,/ so wùrde es mit dem Coùranten Gelde so schlim nicht/ geworden seyn [...] (PC 378/15ff.) Sie [...] mochten aùch solches E:Erb KaùfÓ/ man nicht vortragen, biß erstlich das Haùbt Merck/ abgethan wehre, [...] (PC 446/3ff.) [...] wenn die Deputation in der/ Bùrgerschafft nicht befestiget worde,/ weiln zù zeiten wenn was anbrachten/ daß doch zùm besten der Stadt wehre, saùer/ angesehen worden, so wolten lieber von der/ Deputation seÿn, (PC 456f./24ff.) [...] weiln ùnser Gesùch nicht in die Bürgerschafft/ gebracht ist, also die Banco Sache [sehze], die admiralitet/ Sache den Neüen geDeputirten schrifftlich übergeben [...] (PC 453/13ff.) E. E. Rath hette Hoffnùng der Krieg [...] solte diesen Winter beygeleÓ/ get werden, wo solcheß nicht geschehe, wolten sie/ aùff den früling daraùff bedacht sein, [...] (PC 386/1ff.) [...] die Kaùff Leùte wolten/ Zùsage haben, daß am Montag die Banco wieÓ/ der liber ùndt offen wehre, So das nicht seÿn konte/ mochten sich die He. Oberalten belieben laßen, morÓ/ gen die 48. zu fodern, [...] (PC 425/12ff.) [...] mochten sich die He. Oberalten belieben laßen, morÓ/ gen die 48. zu fodern, da das nicht genùch, jegen/ solchen Nachmittag die 144. ùnd dan am Montag/ die ganze Bürgerschafft [...] (PC 425/16ff.)
48
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Die Ambivalenz des Satzes, die durch die Wortstellung und das Wort Posten entsteht (heißt es Waren, Wachen, Mehrzahl von Post?), beeinflusst die Art der Negation nicht.
Tabellen zu Kapitel 4
Schreiber C2 Sätze insg.: 5 teilnegiert: 2 komplex: 3 Schreiber C Sätze insg.: 10 teilnegiert: 6 komplex: 4
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[...], das/ lieffe wider die Fundation der Banco, wen man/ die nicht lenger wolte halten, so konnte ein Erb KaùffÓ/ man aùch nicht gebùnden seÿn, [...] (PC 424/3ff.) [...] sie fùnden die FØndation der Banco/ also beschaffen, daß man davon nicht weichen könte,/ noch mÚste, [...] (PC 378/12ff.) [...] es sege E. E. Raht fellich daraùs/ daß Sie nicht allein gestehen wie ùnsere Schiffer geÓ/ straffet, besondern es nach ferner thùn wollen, [...] (PC 409/9ff.) [...] ùnd mùste man sich nicht nach Nürnb/ besondern nach der fØndation, oder wie es zù Amsterd:/ gehalten wÚrde, richten, [...] (PC 446/ff.) Nùn wehre es an dem, daß die Schiffer/ nicht geklaget hetten, besonderen das Commercium hett/ solches gethan, [...] (PC 408/17ff.) [...] daß Jhr/ Schipp: Corn: Peterßen von Conigbergen nach Bordos/ gewolt, wegen Contrario Windte ùnd erlittenen/ Schaden die Elbe ansùchen mùsten bis Glùckstadt/ nichtes alhir geloschet oder geladen, besondern/ da sich wider geprofiantieret und seinen Schaden/ an Siegel gebeßert, sein Reÿse befordert [...] (PC 409/14ff.) [...] versucheten/ daß diese Sache nicht mochte aùff die lange bancke/ geschoben, ùnd dazù mochte gethan werden. (PC 410/19ff.) Sondernegation [...] weill solÓ/ ches in der der West see nicht angehen würde,/ ob es gleich in der OostSee solte können praÓ/ cticiret werden. (PC 760/20f.) [...] selbige were mit dem Rahte/ Únd diesen Deputirten einig, daß keine/ Zeit darin verseÚmet werden möchte, sonÓ/ dern [...] (PC 669/22ff.) komplexe Sätze [...] wie sie darauff geÓ/ antwortet, daß sie solches nicht thùn könt[en],/ weil sie KaÚffmans Güeter einhetten,/ so hette man sie gedrewet, [...] (PC 669f./29ff.) [...] sÚchten also die/ Deputirte des Commercij daß E. Hochw./ Raht eine Gesantschafft an Jhr Königl./ Maÿe. schicken, Únd nicht allein solcher/ Únser angehaltenen Schiffe relaxirùng,/ sondern aÙch die freÿe fahrt sollicitiren/ laßen, [...] (PC 613/10ff.) [...] weilln darin nicht viell gÚts enthalten,/ alß stellete man E. Hochw. Raht anÓ/ heim, [...] (PC 623/20ff.)
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Anhang
Tabelle 4.7.1.c: negierende Präpositionen ohne, anstatt Textbeleg Schreiber A [...] mùste E. Erb. Kaùffmann/ wol etwaß thùn waß Er nicht gerne wolte/ noch ohn schaden thùn konte. (PC 41/25f.) [...] daß Sie aùff ihren/ Rückreisen von Spanien oder anderen Quar/ tieren anhero keine nähere Haven in der/ Norster Nortsee ohne noht wollen kiesen alß die/ Elbe. (PC 41/9ff.) Schreiber B [...] daß Er [der Ehrbare Kaufmann] zù fohderst/ Fracht ùndt Provision verlöhre, hernegst/ soviell weiter von seinen effecten in/ Frembden Landen, nicht ohne Gefahr/ disponiren mùste. (PC 178/21ff.) Nùn könte/ das Commerciùm ohne nachteil nicht erÓ/ tragen, das die gäntzliche aùßfùhrùng des/ Silbers oder Stùeck [v$te] so stricte nach/ einhalt der Briefs=Constitutionen, abg[efass]etbefohlen/ ùndt pùblicirt wurde, [...] (PC 178/11ff.) E: Hochw: Rath wehre von meinùng du in den/ Seebrieffen an staat des 1 Jahrß 2Jahrn/ mochte gesetzet werden zù evitirùng/ der Misbreùche [...] (PC 161f./24ff.) Schreiber C1 Schreiber D [...] wehre ùnbillig Sie./ den schaden tragen solten, denn Sie ohn dem erstatten/ über den Zollen so bereits zahlen, [...] (PC 454/1ff.) 2. Weilln E E. Rath, die Banco abermahl ohn eines Erb:/ Kaùffmanß Vorwißen od. Consens geschloßen, daß [...] (PC 422/8ff.) [...] daß die Banco/ nùn abermahl were geschloßen ohn ihrem Vorwißen [...] (PC 423/3ff.) [...] daß E.E. Raht mit den HHe. Oberalten acht Mannen/ ùndt Banco Bürgern, die Banco theten schließen ohn/ Vorwissen ùnd Consens Eines Erb: Kaùffmanß, das/ lieffe wider die Fundation der Banco [...] (PC 424/1ff.) Schreiber C2 Schreiber C
Tabellen zu Kapitel 4
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Tabelle 4.8.2: Erweitertes Partizipialattribut, Partizipialapposition oder Relativsatz?49 Textbeleg Partizipialattribut linksstehend (4) Schreiber A die alhie zù Hambùrg zùr See handelenÓ/ de Kaùffleùte (PC1/1f.) 7 PtAttr.: 4 [Mitteilung] der mit Engellandt obhanden haÓ/ benden Tractaten (PC 36/6ff.) 6 Umfang: 8,3 (obhanden = vorhanden, in manibus esse, s. Text) ùnßere von hinÓ/ nen gehende Schiffe (PC 37/10f.) 5 PtApp.: 1 die/ von E: Hochw: Rahte den 20. 7tr: denen/ gedeputirten des Commercÿ überUmfang: 10 gebenen/ 3en. Articulen (PC 41/1ff.) 15 Fehler bei der Adj.flexion: 4/4 Partizipialapposition rechtsstehend (1) anderen Haven zwischen Caleiss und/ den Mùndt der Elbe liegent (PC 37/13f.) Relativsätze: 8 Umfang: 11,25 10 Kombinationen: Relativsatz (8) 1 (+Adj. links) den ErbÓ/ Kaùffleùten die da gùten Handel und CorresponÓ/ dence so woll ùmb die Ost alß West See trieben,/ aùch der Assekurantz sich bedienten (PC 1/3ff.) 20 die Drangsahl und Beschwerden,/ so demselben Zùstoßen mochten (PC 1/9f.) 7 die Briefe/ so heute Abend bestellet würden (PC 24/17f.) 6 ihr fleiß, so Sie gerÓ/ ne dem Commercio und dieser Stadt geleiÓ/ stet (PC 36/14ff.) 10 an fleißiger Obacht so dem CommerÓ/ cio zustatten kommen konte [nichts fehlen lassen] (PC 37/5f.) 7 Gefahrlichkeiten welche/ E. Hochw: Rahte hoch vernùnnfftig mochte/ erwegen (PC 40/17ff.) 9 eine Sache von boser Conse/ qventz so dem Rechtmessigen freyen com:/ mercio seer beschwerlich (PC 41/14ff.)50 11 und andere [Städte und Orte], welÓ/ cher dùrch diesen verboht von Ham/ bürg auff Holland keine gütere Zù fuhren/ freyer Handel und Wandel verschaffet (PC 42/25ff.)51 20 49 50 51
49
50 51
Gezählt wurden nur erweiterte Partizipialkonstruktionen, keine einfachen Partizipialattribute (z.B. der gefasste Zorn, PC 623/26) wenn sie die Nomen ergänzen (in einem Fall wurde eine elliptische Struktur angenommen, s.u.). Erweiterte Adjektivattribute wurden nicht berücksichtigt (z.B. mit Harten vnd fast vnertraglichen BedreüØnÓ/ gen, PC 322/3f.). Unklare Lesungen wurden ignoriert, wenn mehr als einzelne Buchstaben unklar waren. Relativsätze wurden gezählt, wenn sie direkt an ein Nomen anschließen (also nicht: du [...] tonnen mangelten, welche zu legen ..., PC 163/5f. oder dasieÚ/ nige, so Zwischen Jhnen [...] vorgefallen, PC 179/16f.). Ellipsen oder Ergänzungen zum Verständnis der Beispiele werden in eckigen Klammern ergänzt. Der Bezug des Relativsatzes ist ambivalent, er könne sich auf die Sache beziehen und wäre dann nicht direkt angeschlossen (also hier nicht mitzuzählen, s.o.). Da der Bezug auf Konsequenz ebenfalls möglich ist, wird der Satz in die Auswertung mit einbezogen. Der Satz wird als elliptisch aufgefasst (s. Kontext PC 42) und deswegen mitbewertet. Die ergänzten Wörter werden mitgezählt.
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Schreiber B PtAttr.: 1 Umfang: 4 PtApp.: 1 Umfang: 5 Fehler bei der dt. Adj.flexion: 0/1 Relativsätze: 4 Umfang: 8 Kombinationen: 2 (+Adj.; + Adj.&Zahlwort) Schreiber C1 PtAttr.: 3 Umfang: 4,3 PtApp.: 2 Umfang: 7,5
Partizipialattribut linksstehend (1) den auff/ Portùgall gehenden Schiffen (PC 71/6f.) 4 Partizipialapposition rechtsstehend (1) die Sache rebùs sic stantibus (PC 56/20) 5 Relativsatz (4) scharffe brieffe in welche den oberalten/ wehren commùnicirt (PC 70/25f.) 7 2 erfahrene/ Zimmermeister so etzliche Orlog schiffe erbaùÓ/ wet (PC 91/26ff.) 6 zur Vermeidung der Misbreùche so vorgehen wùrde/ wann man kein Zeit in selbigen berechÓ/ nete (PC 161f./27ff.) 11 daß Faßgeldt/ worùber bereits einige mahlen/ wehre angesprochen worden (PC 178/29f.) 8 Partizipialattribut linksstehend (3) der vor Aùgen schwebenden Gefahr/ [womit ...] (PC 321/11ff.) +Rel.Satz rechts 4 [aÚff] den Beeden vorgetragenen pØnÓ/ cten (PC 340/15f.) 3 die am 30/ Martÿ gedecretirte 256 Mark (PC 356/22f.) 6
Partizipialapposition rechtsstehend (2) Fehler bei der Adj. Ihrer ErÓ/ KlehrÚng den 7 Martÿ laÚffenden Jahrs gethan (PC 322/22f.) 7 flexion: 1/5 die RechnÚng seinem SØccessorj H. Frantz von Brehmen/ übergeben (PC 356/27f.) 8 Relativsätze: 3 Umfang: 7,6 Relativsatz (3) Kombinationen: allen Vnheill, so die Englischen sich Kegenn/ dieser gùten Stadt, fùrgenommen 1 (+PtAttr.) [vorzubauen] (PC 320/21f.) 10 der vor Aùgen schwebenden Gefahr/ womit die Englische Nation dieser Statt BeÓ/ drewlich zùsetzten (PC 321/11ff.) 9 Die KaÚffleÚte so dießmahl erschienen (PC 357/ 18f.) 4 Schreiber D Partizipialattribut linksstehend (2) PtAttr.: 2 alle aùff banco Valùta geschlossene parteÿen (PC 379/5) 5 Umfang: 4,5 die Hamb. nachgeÓ/ thanen großen Kosten (PC 385/19f.) (nachgetan = zugefügt, s. Text) 4 PtApp.: 2 die den 4. Jan. geproponirte puncten (PC 445/9) 6 Umfang: 7 Partizipialapposition rechtsstehend (2) Fehler bei der Adj. Schulden und Wexel Brieffe aùff specie Reichstaler laùtende (PC 379/10) 7 flexion: 3/5 | Deputatis| et Adjunctis|, aùff der/ admir“ versamlet (PC 385/12f.) 7 Relativsatz (6) Relativsätze: 6 Wechselbrieffe auch Bùchschùlden welche aùff 400 Mark oder/ ein Mehres sich Umfang: 6,3 Kombinationen: 0 erstreckende (PC 379/6f.)52 12 einige Persohnen die es gesehen (PC 386/8) 4 den Leüten so nach Franckreich ùnd Argangel/ fahren (PC 408/9f.) 7 die Schiffer die/ zù Stade bestraffet worden (PC 408/15f.) 6 den Kaùffleùten so/ zimlich starck gewesen (PC 422/26f.) 5 den Zollen so bereits zahlen (PC 454/3) 4 52
52
Makrosyntaktisch gesehen steht zwar links von Buchschulden ein Partizipialattribut, dieses bezieht sich jedoch auf das in der Aufzählung vorangehende Wechselbriefe (s. Kontext, PC 379). Interessant ist, dass der Schreiber dieses Satzes offensichtlich bei der Niederschrift zwischen Relativsatz und PtAttr. schwankt, so dass eine Verbesserung nötig wird (s. Kap. 4.8.).
Tabellen zu Kapitel 4 Schreiber C2 PtAttr.: 8 Umfang: 4,3 PtApp.: 1 Umfang: 5 Fehler bei der Adj.flexion: 4/9 Relativsätze: 3 Umfang: 13,3 Kombinationen: 2 (+Adj.; + Zahl) Schreiber C PtAttr.: 11 Umfang: 4,3 PtApp.: 3 Umfang: 6,7 Fehler bei der Adj.flexion: 5/14 Relativsätze: 6 Umfang: 10,5 Kombinationen: 3 (+PtAttr.; + Adj. + Zahl)
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Partizipialattribut linksstehend (8) Schreiber C insg.: 11 die letzt proponirte zehen punÓ/ cta (PC 759/5f.) 4 die zwee bereits aÚsgerüstete/ Schiffe (PC 623/14f.) 4 Únsere von Lissabon gekomÓ/ mene Schiffe (PC 669/14f.) 4 die Vorseÿnde/ hochwichtige Sache (PC 759/16f.) 3 [wegen/des bewÚsten Ünglücks] der von den CaÓ/ pern genommenen Schiffe (PC 759/24ff.) 5 die übrige letzt proponirte/ puncta (PC 760/6f.) 4 die letzt Von den Deputirten Vorgetragene Zehn/ puncta (PC 760/10f.) 7 aÚff dieser [den] Deputirtn/ letztmahls gegebene ErklehrÚng (PC 760/12f.) (Ellipse) 4 Partizipialapposition rechtsstehend (1) Schreiber C insg.: 3 ein EngÓ/ lisches Schiff Von Hambùrgern beladen (PC 624/3f.) 5 Relativsatz (3) Schreiber C insg.: 6 die 5./ puncta. welche Sie den Deputirten/ des Commercij den 25. Aug.ti jüngstÓ/ hin Vorgetragen (PC 611/20ff.) 12 den großen Schaden, so ihnen Únd dem Reiche/ aÚß diesen Wesen, wegen der avocatoÓ/ rien Únd waß dem anhengig zÚstoßte (PC 614/13ff.) 17 einen Brieff, so einer/ der Schiffer an Alert Hillbrantsen de/ Groot geschrieben (PC 669/22ff.) 11
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Tabelle 4.9.2.b: Kausale Konjunktionen: da, denn und weil 53 Schreiber Textbelege Auswertung (kausal interpretierte Konjunktionen erscheinen in Fettdruck, Korrelate in grauem Fettdruck und Abtönungspartikel grau) Schreiber A Weil-Satz als Parenthese 3 kausales weil: 17 Commercium. Nach dehme He. Johan SchroÓ/ tering abgetreten suchten daß Korrelate zu den OberÓ/ alten weiln sie doch beysammen diese Sache/ recommendiret werden weil: 8 möchte, [...] (PC 24f./27ff.) [...] fùnde man/ Diensahmb daß man gesambt fur der/ Admiral: trete und kausales denn: 0 vernehme, weil/ der Kaùffman von der Admir: beschiÓ/ den worden, waß dehren kausales da: 1 anbringen, [...] (PC 37/17ff., vgl. 37/15ff.) [...] daß die Delinqventen allein:| weiln/ es doch bereits dùrch offentlichen weitere kausale verboht in/ Engelland pro clamiret worden, keine/ Wahren von contrabando aùff Konjunktionen: Hollant/ alßdann: 1 zù fùhren |: mit confiscirùng der also/ attra[p]irten contrabando guteren bestrafÓ/ fet, [...] (PC 42/9ff.)54 Abtönungsparti- weil+Nebensatzverbstellung – Begründung rechts von Aussage 2 Commercÿ Depùt. thun nochmahlige in Ó/ stantz eine ansehnliche Legation nach kel: 4 EnÓ/ gellandt zù spediren in Consideration55 weil/ daß Vorjahr heran nahet [...] (PC 5/2ff.) Er [...], wehre/ aber biß künfftigen Montag verschoben worÓ/ den, weilln die Zeit zu kùrtz gefallen. (PC 6/11ff.) weil+Nebensatzverbstellung – Begründung links von Aussage 6 [...], und weilln viel zù Rahte jetzo vor/ lieffe, würden die He. gedeputirten der Ant/ wort nicht erwarten konnen, [...] (PC 6/1ff.) Commercium. Weiln die Sachen in solchen/ Terminis berùheten, wehre diensahmb das/ je ehr je lieber mit dem Herrn Engelischen/ Residenten darùber gehandelt [...] würde (PC 24/12ff.) Weiln dan al ihr fleiß, so Sie gerÓ/ ne dem Commercio und dieser Stadt geleiÓ/ stet, so frùchtloß furüber paßirt gelaßen/ wùrde alß sùchten Sie fleißigst E. Erb./ Kaùffman geliebte Sie wieder zù licentiÓ/ ren [...] (PC 36/14ff.)56 Commercium. Weill, Ein Erb. Kaùffman/ bey der einmahl geschloßenen Deputation/ zù verharren und die Dep: nicht zù er/ laßen gemeinet: So wolte man hinfùhÓ/ ro an fleißiger Obacht so dem CommerÓ/ cio zustatten kommen konte nichts er/ winden lassen, [...] (PC 37/1ff.)57 ad3. Weiln wahren von Contrabando sich weit/ extendiren und mann nicht weiß ob die/ Englischen die gantze fahrt auff Holland von/ hier stilschweigend ùnter wehren von conÓ/ trabando wollen verbieten, Alß wolle/ E. Hochws. Raht einen He gesanten kund thùn [...] (PC 42/1ff.)58 ad 1: Weil dieß der Admiral: meist/ anginge so wolte man solches an behoriÓ/ gen Ohrte observiren. (PC 51/3ff.) 535455565758
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Gekürzte Sätze (vollständige Zitate s. Transkriptionen). Hier wird die Parenthese durch ein Klammerzeichen gekennzeichnet: :| ... |:. In Consideration thun: in Betracht nehmen. Dieser Weil-Satz enthält eine Parenthese, hat aber selbst Nebensatzformat. Dem Weil-Satz ist ein weiterer Nebensatz mit und subordiniert. Dem Weil-Satz ist ein weiterer Nebensatz mit und subordiniert, dessen Wortstellung von der heutigen abweicht. Der Weil-Satz selbst hat Verbendstellung.
Tabellen zu Kapitel 4
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weil+Verbellipse – Begründung links von Aussage 5 Commerciùm: Weilln die gedeputirÓ/ te von dem Commercio erwehlet worden/ so sùchte daßelbe Sie mochten eintreten [...] (PC 37/24ff.) weilln daß AdmiÓ/ ralt: Collegium beÿsammen und daß/ Commercium versamlet, fùnde man/ Diensahmb daß man gesambt fur der/ Admiral: trete [...] (PC 37/15ff., vgl. 37/17ff.) ad2. Weilln dieses eine Sache von boser Conse/ qventz [...] alß zweiffelete man nicht E. Hochw. Rath/ würde Hochvernùfftig darùber bedacht sein/ daß so viel müglich dießem ùbel vor geÓ/ bawet würde, [...] (PC 41/14ff.) /2 Weilen die Gefahr der Türcken sehr/ groß, [...] Alß suchet/ die borse daß ein Hochweiser Raht be/ stes fleißses darzù thùn wolle, daß/ 2 Convoÿere mochten ordiniret werden [...] (PC 50/18ff.) [Depti. Commercÿ] erÓ/ rinnern daß weil, Sr. Johan Radema/ cher verstorben dessen Stelle mit einer/ bequehmen Persohne zú“nötig sein wùrde besetzen [...] (PC 50/5ff.)59 weil+Hauptsatzwortstellung – Begründung rechts von Aussage 0 weil+Zwischenform (links) – Topologie der Verbgruppe noch nicht gefestigt 1 [Deput: Commercÿ] proponirten, weilln beÿÿ die/ sem Zwürigen Zeiten Zwischen Holland und/ Engelland, man dahin müste bedacht sein/ wie man solche Seebrieffe und attestationen/ mochte abfassen [...], so hette man/ eine formul so woll des Seebriefes alß/ General certification, aùch unverg[reiff.] meinùng eines Mandats [...] abfassen lassen, [...] (PC 12f./20ff.) kausales denn/dann 0 da – bedingt kausal (Nebensatz enthält eher ein Bedenken als einen Grund) 1 [...] Spagnien und/ franckreich solten solches hoch empfinÓ/ den, daß man Jhre Haven nicht fùr neù/ tral wolte kennen, da man doch in/ freùntschafft mit Sie begriffen [...] (PC 38/13ff.)60 kausales alßdann 1 Es solte noch nicht/ geschehen konnen, die 144 währen heùte/ convocirt, wie weit man mit Ihnen kehÓ/ me würde diesen Mittag sich finden, alßÚ/ dann des Rahts resolùtion erfolgen würde. (PC 5/19ff.) 59 60
59 60
Die nachträgliche Verbesserung macht deutlich, dass der Schreiber die Ellipse des Hilfsverbs [sei] entweder in Haupt- oder Nebensatzverbstellung selber nicht mehr erkennt. Nach dem Duden Grammatik (1998, 367f.) ist da ein relativisch gebrauchtes Lokaladverb, dessen Gebrauch in dieser Form heute veraltet ist (stattdessen muss wo stehen). Funktionell und inhaltlich gesehen entspricht jedoch da einer kausalen Konjunktion, weswegen es in die Bewertung mit aufgenommen wird.
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Weil-Satz als Parenthese 4 Deput. Commercii suchten, weilln sie hart an d Börse daruber/ zùgerehdet wùrden, zù vernehmen wie weit/ man mit der Camereÿ in erbaùwùngÓdes Convoyschiffs gekoÖmenF [...] (PC 91/2ff.) 2 Wehre nicht ùndiensamb daß weilln Claß/ Richers schreibet keine tonnen aùff Cùcks:/ haven in Vorrath, das daruber gesprochen/ wurde du 6 in Vorrath kausales denn: 0 stets daselbst beÿ/ der Hant sein möchten. (PC 149/15ff.)61 kausales da: 0 Wolten nochmahls daß Faßgeldt/ worùber bereits einige mahlen/ wehre angesprochen worden E:/ Hochw: Rathe weilln es eine Sache/ von großer importanß, weitere kausale bestes/ Fleises recommendirt haben. (PC 178/29ff.) Konjunktionen: 0 Depùt. unter sich versamlet, conclùdiren |: Daß/ weil[e]n vorgestern beÿ der Admiralitæt, wegen/ des 1 ùndt ½ pcto die Antwort nicht gefallen/ wie man etwa gesùchet :| Daß h[w] E: Erb:/ Kaùffman am Kùnfftigem Montag: dùrch/ ZetAbtönungsparti- tùln beÿ saÖen gefohdert, [...] (PC 179/5ff.)62 kel: 3/4 weil+Nebensatzverbstellung – Begründung rechts von Aussage 2 Daß aber Lemkùhlen/ et Consortes der Kaùfleùte ùndt Schiffer/ Sachen sollte aùfgetragen werden fùndt man/ gantz nicht diensamb, weilln selbige meer/ Ihr Interesse alß der hiesigen Börse obserÓ/ virten. (PC 57/15ff.) Depùt: Commercii wollen vernehmen/ ob aÚs Frankreich kein brieffe/ ùndt ob nichts darinnen der Convoÿe/ von hier betreffent, weillen iùngsthin/ geferliche brieffe aus Franckreich gewest (PC 70/3ff.) weil+unklare Verbstellung (Verbzweit=Verbendstellung) – Begründung rechts von Aussage 1 [...] es wehre/ woll diensamb du der Anfang damit geÓ/ machet wùrde weill die Zeit verlieffe. (PC 91/4ff.) weil+Nebensatzverbstellung – Begründung links von Aussage 6 (bzw. 7) Welln aùch die Zeit des frùlings nahete/ ùndt Convoÿeschiffe zù baùwen wehre bewilli,/ get worden alß wurde gesùchet wo daß/ mit erbaùwùng derßelben der AnÓ/ fang gemachet werden mùge. (PC 70/14ff.) [...] ùndt weilln sowoll die/ Schiffe aùff Portùgall alß Spagnien/ daß Convoÿe goldt betzahlten, so wehre/ aùch diensamb daß beeden theilen die ConÓ / voÿe zù genießen geordert wùrde. (PC 71/11ff.) Weilln dann aùch die Franschen wie abgedacht/ sich bedreùwligkeiten vernehmen ließen, [...] als suchte man,/ daß den Schiffen aùff Lissabon [...] möchte geÓ/ ordonirt werden beÿ Norden ùmb die/ Rùckreÿse anzùnehmen. (PC 71/16ff.) 2 Weilln der See Tractat mit franckreich/ zù ende lieffe, so wehre der Gedepùtirten/ diensahmeß gesùch aùff wege bedacht zù/ sein, damit eine Gesantschafft dahin befohdert/ [...] werden möchte. (PC 300/21ff.) davon 1 Zwei- bzw. Dreifachbegründung (eigene Verbesserung): Dep: Senaty weilln die Geßant[e]n in Engel:/ langt eineÓ Zeit geleg[e]n ùndt man gehoffet/ es wùrde ein reglement getroffen werÓ/ den ùndt weilln der Krieg aberÓ ie meer/ ùndt mer weidtleùffiger wird, [...] weilln Franckreich ùndt/ Denmak sich mit inÓ den Dialog fl[ö]chten, ùndt/ man also nicht wùste ob man einem zù/ gefallen den anderen nicht offendirte,/ undt also wodùrch dan wenig drauf dem He: Gesandten/ meer Zùverrichten, [...] alß hette/ Ein Hochw: Rath mit de[n] Oberalten darùber/ Commùnicirt fùnden ùnd /diensambbefùndendie He: Gesante/ zù avo[n]ciren rùck zù rùffen [...] (PC 56f./10ff.) Schreiber B kausales weil: 18 (19) Korrelate zu weil: 8
6162
61 62
Wiederholung des daß, um die Konstruktion nach der Unterbrechung durch den Einschub wieder in Erinnerung zu rufen (dies mutet sprechsprachlich an, vgl. Sandig 1973, passim). Verwendung eines Klammerzeichens (s. Fußnote 54) und Wiederholung des daß (s.o.).
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weil+Verbellipse – Begründung links von Aussage 5 [...] woher mann der Meinùng weilln/ ùnsere Hern Heren noch daselbst vor/ handen [...] ùndt beÿ den He: Commissariis daselbst/ bekant, EsÓ wehre daß nötigste die Herren/ da nach eine Weile verharren verbleiben möchten (PC 58/5ff.)63 Depùt:Commercii versamblet proponiren/ daß weilln ùnsrer He: Dieterich Chordes/ abgetreten in Senatùm He: Grùß auch seinen/ abtrit aùß diesem Collegio begehret/ alß wollen die Ge Deputirte von dem/ Ehrbahren Kauffman vernehmen ob Sie/ Starck genùg fùr diesen 2 persohnen/ 2 andere zù erwehlen (PC 72/9ff.) Weilln E: E. Hochw. Rath nicht versamlet/ mùste man heute acqùiescirn, [...] (PC 149/27ff.) weilln derselbe aber zùm BùrgerÓ/ meister stande erhoben erhoben [sic!], so mùste/ es nùhmer He. Secret: Vom K[ăm]pen/ aùffgetragen werden; (PC 162/23ff.) [...] E: Hochwß:/ Rath begehrte Jhnen Kùndt zù machen: daß/ weilln die Deputirte des Commercii nù[r]/ pro Interim in wehrendem Orlog wehren/ confirmirt worden [...] So/ hielten Sie derowegen vor ùnnötig daß/ daß Commerciùm in solcher qualitet/ die Depùtirten des Raths fohdern könten, [...] (PC 301/4ff.) weil+Hauptsatzwortstellung – Begründung rechts von Aussage 0 weil+Hauptsatzwortstellung – Begründung links von Aussage 0 kausales denn/dann 0 kausales da 0 63
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Nachträglich vom Schreiber selbst als unklar befunden und verbessert (s.o.). Dadurch Hauptsatzverstellung statt Ergänzung der vermutlich ursprünglichen Ellipse von [es] nach wehre.
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Schreiber C1 kausales weil: 9 Korrelate zu weil: 6 kausales denn: 0 kausales da: 0 weitere kausale Konjunktionen: daferner: 1 Abtönungspartikel: 3
Weil-Satz als Parenthese 0 weil+Nebensatzverbstellung – Begründung rechts von Aussage 0 weil+Nebensatzverbstellung – Begründung links von Aussage 6 Weilln dann solches E: Hochw. Raht/ ohne Zweiffel nicht wÚrde ùnkÚndig sein,64 so wolten die/ Gedepùtirte diensamst erinnert vnd gesÚcht habenn,/ fleißige obacht zÚnehmen wie diesem Ünheil so viel müglich/ præcavirt vnd abgeholffen werden möchte, [...] (PC 322/6ff.) Weilln aber keine Session auff der Admirl: gehalÓ/ ten würde bliebe es Rückstendig. (PC 341/12f.) Weilln es sich dann fast ansehen ließe, als/ wan E. Hochw. Rhat dieß CollegiØm lieber aÚffgehoben/ alß lenger geContinØiret sege, [...] Alß wehre sein gesÚch man möchte sich zÚsammen thùn vnd/ schließen ob dieß CollegiØm ferner zÚm besten des gemeiÓ/ nen Commercii Únterhalten vnd die ledige stellen mit/ behÚffigen Persohnen ersezet werden solten (PC 356/9ff.) 2. Weilln man öffters beÿ der Löbl. Admirl: zÚ des Com Ó/ mercii besten und nötigen aÚßgaben auß den ConvoÿeÓ/ Geldern, 600 [s] [Mark] gesùchet aber nicht mehr als die am 30/ Martÿ gedecretirte 256 [s] [Mark ...] erhalten mögen, [...] So mochte E. Erb. KaÚffÓ/ man dahin bedacht sein woher die Nohtwendigkeit zÚ solchen/ nöhtigen Spesen Konte genommen werden. (PC 356f./20ff.) davon 1 Zweifachbegründung: weilen man von denselben [He. 52.] verÓ/ stÚnde daß es ein Bùrgerschlùß [sei], vnd weilln/ die gefahr sehr groß so man vor der Handt von/ den Englischen besorgete, Alß sÚchte man dieses/ Ohrtes in gefaßeter MeinÚng zù verharren; darÓ/ aùff geschieden. (PC 321/1ff.) weil+ Verbellipse – Begründung links von Aussage 3 [...] vnd weilen es schon späte besorgeten/ sie daß E: Hochw: Raht bereis mochte von einander/ gegangen sein , [...] (PC 322/ 9ff.) Secùndo Weilln der Despachero Dieterich Wetken/ aÚsgetreten, deßen stelle dan wieder zÚ besetzenn/ stÚnde, alß [fragen sie an] woher billig so ein SØbjectØm dazÚ zÚ/ erwehlen womit dem Commercio mochte gedienet/ sein, (PC 339/11ff.) weilln dann vor diesem [dem Commercio] die Börse 3. persohnen/ im Vorschlag gebracht woraÚß eine von der Admirl:/ erwehlet worden, so zweiffelete das CommerciØm/ nicht, es würde sich die Admiralitet gefallen Laßen,/ daß Ihnen 3 BeqÚeme SØbjecta [...] gepræsentiret werden möchten. (PC 339/15ff.) weil+Hauptsatzwortstellung – Begründung rechts von Aussage 0 weil+Hauptsatzwortstellung – Begründung links von Aussage 0 kausales denn/dann 0 kausales da 0 kausales daferner 1 Weilln man öffters beÿ der Löbl. Admirl: zÚ des ComÓ/ mercii besten und nötigen aÚßgaben auß den ConvoÿeÓ/ Geldern, 600 [s] [Mark] gesùchet [...] Ünnd aber daferner/ mit diesem Lobl. Collegio sollte geContinØiret werÓ/ den, selbiges einige Mittel zÚ BehÚffigen ausgaÓ/ ben haben mÚste; So mochte E. Erb. KaÚffÓ/ man dahin bedacht sein woher die Nohtwendigkeit zÚ solchen/ nöhtigen Spesen Konte genommen werden. (PC 356f./20ff.)
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Trotz abweichender Topologie der Verbalgruppe liegt eine identifizierbare Verbendstellung vor (vgl. heute: nicht unkundig sein würde).
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Weil-Satz als Parenthese 1 [...] und wenn die Deputation in der/ Bùrgerschafft nicht befestiget worde,/ weiln zù zeiten wenn was anbrachten/ daß doch zùm besten der Stadt wehre, saùer/ angesehen worden, so wolten lieber von der/ Deputation seÿn, [...] (PC 456f./24ff.) kausales denn: 6 weil+Nebensatzverbstellung – Begründung rechts von Aussage 0 kausales da:1 weil+Nebensatzverbstellung - Begründung links von Aussage 3 á 6. Weiln der Zoll bißhero mit specie [rf] [Reichsthaler] entrichtet ist,/ solche weitere kausale Gelder Interim mangeln möchten, alß soll der/ Zoll biß dahin mit gùt Coùrant Konjunktionen: 0 geldt, ùnd aùff/ Jeden [Rf:] [Reichsthaler] ein Dùtÿen gegeben werden, [...] (PC 380/1ff.) Sie wolten es zù Rath referiren, ùnd weil es all stätt, dazù Criminal/ S[a]chen Abtönungsparti- [vor] wehren, als solte fodderligst Antwort erfolgen. (PC 385/24f.) kel: 0 weiln ùnser Gesùch nicht in die Bürgerschafft/ gebracht ist, also die Banco Sache [sehze], die admiralitet/ Sache den Neüen geDeputirten schrifftlich übergeben/ daß ùnß mochtegeholffen werden, (PC 453/13ff.) weil+ Verbellipse – Begründung links von Aussage 3 Weiln der Bùrgermeister nicht alda, so möchteman acht/ tage in Rùhe stehen. (PC 408/12f.) 2. Weiln der Schiffer ùnsere Baken ùnd Tùnnen genoßen/ mùste ad Jnterim Solchen [sic!] aùch den admir: Zollen deponiÓ/ ren, [...] (PC 410/8ff.) 2. Weilln E E. Rath, die Banco abermahl ohn eines Erb:/ Kaùffmanß Vorwißen od. Consens geschloßen, daß/ keiner Geld heraùßbekommen könte, so hette ein/ Erb Kaùffman begehret, gefodert zù seÿn, [...] (PC 422/8ff.) weil+unklare Verbstellung (Verbzweit- = Verbendstellung) – Begründung links von Aussage 1 (deswegen Verbendstellung wahrscheinlich; und denn geht nicht) [...] wehre an dem, daß die Banco wieder aùffgeÓ/ hen solte, ùndt weiln ein Erb. Kaùffman wollte,/ Ihr geldt alle[Z]eit sollte in Banco gereth seÿn, so/ daß Sie auff pande keinen Nüzen damit so dan/ machen könten, also ob die GeDeputirte nicht konten/ consentieren, (PC 445/11ff.) weil+Hauptsatzwortstellung – Begründung rechts von Aussage 0 weil+Hauptsatzwortstellung – Begründung links von Aussage 0 denn+Nebensatzwortstellung – Begründung rechts von Aussage 2 [...] ùnd mùste man sich nicht nach Nürnb/ besondern nach der fØndation, oder wie es zù Amsterd:/ gehalten wÚrde, richten, denn hier mehr daùsenden/ in Banco, ab ùnd zù geschrieben werden, wie in Nürnb:/ hùndert, [...] (PC 446/6ff.) Sie mochten sich hüten aùff ùnd Hamb: Schiffe/ zù versichern, dann die Holland dùrch solche Schiffe vor/ wie nach ihren Handell theten,treiben (PC 422/2ff.) denn+Hauptsatzwortstellung - Begründung rechts von Aussage 4 Sie wùrden gewiß die Fundation der Banco/ nicht wißen, den Jhrenthalben wehren Sie da. (PC 423/9f.) [He. Bartels und andere ...] gleùben nicht, es geschehn/ konnte, den die Kaùffleùte hetten täglich, sonderlich die/ Gronlandes Handeler viel Geldt nötich. (PC 424/13ff.) So das nicht seÿn konte/ mochten sich die He. Oberalten belieben laßen, morÓ/ gen die 48. zu fodern, da das nicht genùch, jegen/ solchen Nachmittag die 144. ùnd dan am Montag/ die ganze Bürgerschafft, denn es erfoderte die/ Noht, ein Erb Kauffman solte große Frachten/ ùndt andere Aùßgaben bezahlen, [...] (PC 425/14ff.) [...] der begehrte Zollen/ und wegen der Weine das gehorde nicht nach/ der Bùrgerschafft, denn die Bürger mùsten über/ das Jenige votiren, was sie selber bezahlen wolten (PC 457/5ff.) Schreiber D kausales weil: 8 Korrelate zu weil: 7
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Schreiber C2 kausales weil: 7 Zahl+weil: 0 Korrelate zu weil: 4 kausales denn: 0 kausales da: 0 weitere kausale Konjunktionen: Abtönungspartikel: 1
Schreiber C kausales weil: 16 Korrelate zu weil: 10 kausales denn: 0 kausales da: 0 weitere kausale Konjunktionen: daferner: 1
denn+Hauptsatzwortstellung – Begründung links von Aussage 0 denn+Nebensatzwortstellung – Begründung links von Aussage 0 da Begründung rechts von Aussage – Verbellipse 2 [...] nùn/ er von Bordos alhier gekommen, wolte man den/ Zollen von ihm haben, von Schiff ùnd Gùtt, da aùch/ aùff die Elbe gekommen, [...] (PC 409/20ff.) Bùrgerm: ùnd Rath aùch die Oberalten ùnd/ die Kaùffleùte, kamen den Nachmittag wieder/ aùff das Rahthaùß, da [den] die He. Commiss. des/ Rahts mit den Oberalten, [den] mit den KauffÓ/ Leüten geredet, [...] (PC 425/7ff.)65 Weil-Satz als Parenthese 1 2. urgiren66 daß gravamen wegen des Zollns; weiln/ insonderheit abermahln man wegen RÚstman/ sich beschweerte, daß man darin neÚerÚng sÚchte [...] (PC 760/3ff.)67 weil+Nebensatzverbstellung – Begründung rechts von Aussage 3 [...] wie sie darauff geÓ/ antwortet, daß sie solches nicht thùn könt[en],/ weil sie KaÚffmans Güeter einhetten,/ so hette man sie gedrewet, [...] (PC 669f./29ff.) [...] suchten alß Intercessionales an den König/ von Franckreich ümb restitution der Schiffe,/ weill es fischereÿ were, [...] (PC 759/27ff.) ad 3. würde nicht practicabel sein, weill solÓ/ ches in der der West see nicht angehen würde, [...] (PC 760/20ff.) weil+Nebensatzverbstellung – Begründung links von Aussage 0 weil+Verbellipse – Begründung links von Aussage (deswegen Verbendstellung wahrscheinlich) 3 Weilen nÚn dergleich[e]n/ Brieffe von anderen KaÚffleÚten aÚß/ franckreich schon lengst hie gewesen,/ alß sege man daß He. Beck nicht vigilant/ genÚg were, [...] (PC 613f./26ff.) 1.) Daß weilln man gestern der betrübte/ ZeitÚng gekricht, daß Jürgen Peterß/ Von französischen Caperen genommen [...], daß/ die Deputirte im Nahmen E: E: KaÚffÓ/ mans derowegen instendig sÚchten, daß/ [...] daß Convoije Schiff schleùnigst/ aÚßgerüstet werde[...] Únd in See gehen / möchte. (PC 623/8ff.) [...] Únd/ weilln darin nicht viell gÚts enthalten,/ alß stellete man E. Hochw. Raht anÓ/ heim, ob nicht dienlich were beÿ Jhr/ Königl. Maÿe. von Engeland anzùhalt[en]/ daß S. Maÿe. [...] für Únß intercedirte; [...] (PC 623/19ff.) weil+Hauptsatzwortstellung – Begründung rechts von Aussage 0 weil+Hauptsatzwortstellung – Begründung links von Aussage 0 kausales denn/dann 0 kausales da 0
Abtönungspartikel: 2 65 66 67
65
66 67
Die beiden dens, die nicht Artikel sind, können als temporal interpretiert werden, etwa i.S.v. „da die Herren Kommissare des Rats dann [zunächst] mit den Oberalten und dann [danach] mit den Kaufleuten geredet hatten“. Sie können auch als Abtönungspartikel aufgefasst werden. Man beachte, dass im ersten Fall das als kausale aufgefasste da einer finalen oder temporalen Interpretation offen steht und z.B. durch nachdem ersetzt werden könnte. Zur polysemen Übereinstimmung von denn und dann s. Kapitel 4.9. [Sie] urgiren: [sie] bestehen auf, legen Nachdruck auf. Wiederholung der Konjunktion daß auf beiden Seiten der Parenthese, s. Fußnote 61.
Bibliographie 1. Primärliteratur 1.1. Unedierte Quellen Cassa=Buch der GeDeputirten der Börße des Gemeinen Commercii. [1667-1704, im Besitz der Handelskammer Hamburg]. Commerzprotokolle der Commerzdeputation Hamburg. [Band A 1665-1674 und Band B 1674-1682, Commerzbibliothek Hamburg] Extrajudicialprotokolle der Hamburgischen Admiralität. [Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg A1 Band 1 (1672-1719)] Findbuch 371-2 ‚Admiralitätskollegium‘ des Staatsarchivs der Freien und Hansestadt Hamburg. [mit maschinenschriftlicher Vorbemerkung des Archivars. S. I-IV] Urbar des Guts Zalenze bei Pless [heute Pszczyna, Oberschlesien]. 25.09.1779. Verkäuferin: Juliane von Pelka, geb. Ogonin. Käufer: Carl von Wachowsky und Johanna von Wachowsky, geb. Pelka. [s.u., Internet]
1.2. Edierte Quellen Anon. 1688. Heinrich Meissners und Hohann Reinholdts Bestallung als Schulmeister an der St. Jacobi=Schule. 1888 Dec. 20. [Abschrift des Memorialbuches aus dem Nachlass J. F. Mayers.] In: Otto Rüdiger. 1903. „Urkunden zur hamburgischen Schulgeschichte. Nr. 10.“ In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte, Elfter Band. Hamburg: Lütcke & Wulff. S. 288-292. Anon. Ca. 1578-1600. Verzeichnuss der vielenn Beischulen in Hamburg. In: Otto Rüdiger. 1903. „Urkunden zur hamburgischen Schulgeschichte. Nr. 5.“ In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte, Elfter Band. Hamburg: Lütcke & Wulff. S. 271f. 1783-1819. Codex Constitutionum Osnabrugensium oder Sammlung von Verordnungen, gemeinen Bescheiden, Rescripten und anderen erläutenden Verfügungen, welche das Hochstift Osnabrück betreffen. Teile I und II. Osnabrück: Kißling. [Niedersächsisches Staatsarchiv Osnabrück: BS IX 2] Aichinger, Carl Friedrich. 1754. Versuch einer teutschen Sprachlehre. Wien: Johann P. Kraus. [Nachdruck 1972, Hildesheim/New York: Georg Olms] Alewein, Hans Adolf Frh. von. 1649. Kurtze doch grundrichtige Anleitung zur Höfligkeit: Darinnen gewiesen würd, wie man so wohl mit Fürsten und Herren, als auch gemeinen Leuten ümgehen, und sich im Frauen-zimmer und anderen Gesellschafften verhalten sol./ Verabfasset durch Den Schmäkkenden, der Höchstlöbl. Deutschgesinneten Genossenschft Mitglied. Hamburg: Christian Gutt. [HAB M: Lo 49] Arnold, Christof. 1649. Christof Arnolds Kunst=spiegel/ Darinnen die Hochteutsche Sprach nach ihrem merckw×rdigen Uhraltertuhm/ ersprießlichen Wachstuhm/ und reich=vÖlligen Eigentuhm/ auf F×nfferlei Gestalten Denkzeitweis außgebildet. Nürnberg: Dümler. [HAB M: Ko 162]
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Anhang
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Schottelius, Justus Georg. 1676. Brevis & fundamentalis Manuductio ad Orthographiam & Etymologiam in Lingua Germanica. [...]. Braunschweig. Schottelius, Justus Georg. 1663. Ausführliche Arbeit Von der Teutschen HauptSprache/ Worin enthaltener Gemelter Sprache Uhrankunft/ Uhraltertuhm/ Reinlichkeit/ Eigenschaft/ VermÖgen/ Unvergleichlichkeit/ Grundrichtigkeit/ zumahl die SprachKunst und VersKunst Teutsch und guten theils lateinisch vÖllig mit eingebracht/ [...] Abgetheilet In F×nf B×cher. [...]. Braunschweig/ Gedrukt und verlegt durch Christoff Friederich Zilligern/ BuchhÔndlern. [HAB 37.5 Gram] Seckendorff, Veit Ludwig. 1656. Teutscher Fürsten-Stat, oder Gründliche und kurtze Beschreibung, welcher gestalt Fürstenthümer, Graff- und Herrschafften im H! Römischen Reich teutscher Nation [...] beschaffen zu seyn, regieret [...] zu werden pflegen. [...] Hanaw 1656 bey Th. M. Goetzen in Franckfurth am Main. [HAB Ai 30.12 Pol. (39)] Stieler (Der Spahte), Kaspar von. 1673. Teutsche Secretariat=Kunst/ Was sie sey/ worvon sie handele/ was darzu gehÖre/ welcher Gestalt zu derselben gl×ck= und gr×ndlich zugelangen/ was Maßen ein Sekretarius beschaffen seyn solle/ worinnen deßen Amt/ Verrichtung/ Geb×hr und Schuldigkeit bestehe/ auch was zur Schreibfertigkeit und rechtschaffener Briefstellung eigentlich und vornehmlich erfordert werde. Alles mit grundrichtigen SÒtzen zuverlÒßigen Anweisungen und reinen teutschen Mustern/ nach heutigem durchgehendem Gebrauch/ Entworffen/ und/ zu MitbefÖrderung gemeinen Nutzens/ heraus gegeben von dem Spahten. N×rnberg/ In Verlegung Johann Hofmann/ KunsthÒndlern. Gedruckt zu Weimar/ durch Joachim Heinrich Schmide. M. DC. LXXIII. Nürnberg. [HAB A: 35.1 Rhet] Stieler (Der Spahte), Kaspar von. 1674. Der Zweyte Band oder Der Vierte Teil Der Teutschen Secretariat=Kunst/ Allerhand bewÒhrte/ und dem Kanzley=Stylo, ietzigem durchgehenden Gebrauch nach/ ganz gemeinste Exempel und Muster/ so wol in Hof= Kammer= Lehn= Consistorial-Gerichts= Kriegs= als Haus= Liebes= Kaufmannschaft= Advokaten= und Notarien Sachen in sich haltend Allen Sekretarien/ Gelehrten/ Schreibern/ ja so gar neu angehenden RÒhten/ Amtleuten/ Richtern/ und ins gemein allen andern Herren=Bedienten/ und denen/ so mit der Feder umgehen/ hÖchst=nÖhtig und vortrÒglich. Als ein Schatz und allgemeines Vorbild/ woraus die geschickliche und rechtmÒßige gute Schreibart abzusehen/ zu fassen und zu ×ben. Samt einem zuverlÒßigen Register erÖffnet und dargestellet von dem Spahten. N×rnberg/ In Verlegung Johann Hofmanns/ Kunst= und BuchhÒndlers. Gedruckt zu Jehna/ durch Johann Nisio. M. DC. LXXIV. Nürnberg. [HAB A: 35.2 Rhet] Stieler (Der Spahte), Kaspar. 1691. Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs/ oder Teutscher Sprachschatz [...]. Nürnberg: Hofmann. Stieler, Kaspar. 1691. „Kurze Lehrschrift Von der Hochteutschen Sprachkunst. Brevis Grammaticae Imperialis Lingvae Germanicae Delineatio.“ In: Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs/ oder Teutscher Sprachschatz. Nürnberg. 3. Teil. S. 1-243. Tscherning, Andreas. 21659. Andreas Tschernings Unvorgreiffliches Bedencken ×ber etliche mißbrÒuche in der deutschen Schreib= und Sprach=Kunst/ insonderheit der edlen Poeterey. [...]. LÙbeck/ In vorlegung Michael Volcken/ Gedruckt bey sel: Schmalhertzens Erben/ Im 1659sten Jahre. [HAB Ko 137]
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Anhang
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Register Abtönungspartikel 308, 309, 315, 318, 460, 462, 464, 465, 466 Abtönungspartikeln 314, 315, 319, 320, 330, 333, 335 Admiralitätsprotokolle 326 Ausbildungstradition 3, 76, 212, 331 Ausführliche Arbeit 2, 3, 17, 273, 472 Berufsschreiber X, 17, 67, 89, 123, 133, 327, 328, 331 Berufsschreibern 4, 34, 64, 76, 89, 327 Bildungsbürgertum 328 Bildungsstand X, 3, 76, 82, 103, 133, 317 Binnengroßschreibung XV, 239, 240, 243, 333, 334, 428, 429, 430, 431, 432, 433 Börse X, XV, 51, 52, 53, 54, 59, 64, 68, 69, 70, 81, 83, 200, 201, 204, 205, 209, 210, 235, 282, 340, 360, 365, 375, 384, 386, 388, 429, 443, 453, 462, 464 Bürgerschaft 57, 59, 60, 62, 69, 75, 84, 326 Bürgertum 77, 97, 98 Bürgertums 90, 105, 173, 328 Commerzdeputation Hamburg IX, X, 2, 3, 14, 46, 47, 63, 92, 107, 135, 147, 159, 190, 212, 214, 216, 332, 467 Commerzprotokolle X, XI, XVI, 4, 47, 49, 59, 63, 64, 65, 71, 72, 75, 76, 82, 83, 84, 94, 154, 156, 159, 165, 167, 170, 171, 172, 174, 178, 180, 200, 209, 211, 213, 214, 222, 227, 243, 293, 297, 317, 319, 329, 335, 467 Convoy 326, 411 Convoye X, 54, 66 Convoy-Geld 326 Der Teutschen Sprache Einleitung 18, 321, 471 deutsche Schriftsprache 2, 480 deutschen Schriftsprache 2, 6, 7, 89, 147, 180, 194, 223, 303, 321 Elbschwanenorden 14 Epocheneinteilung 9, 324 Epochengrenze 8, 324 Ergebnisprotokoll 160, 161, 330 Ergebnisprotokollen 159 Fachvokabular 228, 331 Fachvokabulars 139
Fremdwortkritik IX, 22 fremdwortkritischen 324 Fremdwortpurismus 13, 22, 23, 104, 116, 147, 323, 477 Fruchtbringende Gesellschaft 3, 12, 13, 17, 100, 148 Gebrauchstexte 233, 243 Gebrauchstexten 321 Geltungshöhe 89, 178, 185, 186, 326 Geltungsreichweite 326 gemein 31, 51, 117, 137, 144, 323, 468, 472 gemeine 23, 85, 135, 139, 142, 202, 206, 390 Gemeiner Kaufmann X, 50, 51, 323 Grammatikographie 10, 14, 321 guten Stil X, 111, 140 gute Sprache X, 111, 116, 140, 147 Handschrift 72, 73, 74, 80, 104, 192, 195, 220, 221, 228 Handschriften XVI, 69, 72, 73, 75, 87, 150, 180, 214, 215, 216, 219, 221, 222, 228, 229, 237, 239, 336 handschriftlicher Texte 4 Hd. XVII, 71, 77, 78, 170, 182, 183, 184, 185, 189 Hochdeutsch XVII, 8, 51, 179, 182, 183, 184, 326, 479, 480 hochsprachlicher 322 höfische Ideal 110 höfisches Ideal 98, 328 indirekte Rede 161, 212 indirekter Rede 161, 330 individualisierte Briefstil 329 juristisch 62, 71, 94, 96, 155, 156, 160, 169, 194, 327, 330 juristische 164, 167, 328 juristischer 59, 75, 93, 165, 291, 297 Kanzleisprache XI, XV, 92, 143, 147, 149, 154, 170, 171, 172, 174, 176, 180, 185, 186, 187, 189, 190, 191, 204, 210, 211, 212, 213, 215, 246, 267, 290, 291, 292, 295, 329, 330, 331, 336, 441 Kanzleivorbild 100, 122, 136, 142, 185, 186, 329 Kanzleivorbilds 142
486
Register
kodifizierte Norm 5 Kodifizierung IX, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 45, 322, 323, 324 Kodifizierungsphase 38, 42, 324 konfessionelle Schreibtradition XI, 211 Konvoi 94 Konvois 58 Konvoischiffe 326 Konvoischiffen 66 legitimierend 155, 163 legitimierende 160, 164, 330 Leitvarietät 4, 182, 184, 480 Lexikon 41, 172, 257, 258, 322, 323 Medienwechsel 170, 187, 330 Mehrsprachigkeit 181 Muster 92, 131, 137, 157, 257, 258, 329, 335, 472, 481 Nationalismus 13, 323 ndd. XVIII, 78, 170, 179, 182, 183, 184, 185, 195 Ndd. XVIII, 22, 23, 71, 77, 78, 80, 170, 179, 182, 183, 184, 185 Negativbewertungen IX, 24, 25 negativer Vorurteile 324 negativer Werturteile 4, 35, 334 negative Werturteile 15, 273 Negativwerturteile 2, 31 Negativwerturteilen 15 Niederdeutsch XVIII, 50, 51, 182, 183, 479 niederdeutsche 87 niederdeutschen 7, 170, 331, 476 niederdeutscher 4 Normbewusstsein 329 Normbewusstseins 8, 230 Pöbel 31, 322, 323 Polynegation 43, 126, 270, 332, 334, 335 präskriptiv 25, 30, 39, 40, 115, 322, 323, 324 präskriptive 30, 40, 41, 146, 325 präskriptiven 40, 45, 116, 324 präskriptiver 141 Präskriptivität 20, 324 Prestige 2, 39, 47, 50, 52, 68, 81, 83, 95, 97, 109, 110, 113, 115, 172, 184, 290, 325 proskriptiv 39 proskriptive 29, 45 proskriptiven 324 proskriptiver 144 Protokollant 139, 165, 169, 170 Protokollanten 61, 94, 147, 154, 169, 170, 225, 235, 294 Protokollführung 61, 93, 158, 326 Protokollist 67, 69, 76, 92, 326, 327 Protokollisten 46, 63, 64, 65, 66, 67, 69, 70,
71, 73, 75, 76, 82, 88, 89, 95, 108, 157, 215, 327, 330, 335 Quellenlage 1, 273 Rat X, 51, 52, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 65, 66, 67, 69, 93, 101, 149, 157, 158, 162, 172, 193, 211, 212, 214, 277, 323, 328, 483 Rats 48, 56, 61, 66, 84, 100, 157, 161, 214, 308, 326, 466 Rechtsstreit 163, 166, 326 Relativsatz XII, XVI, 287, 290, 291, 293, 294, 296, 297, 298, 332, 457, 458, 459 Sachbuch 127, 328 Sachbuches 328 Schreibtradition XI, 158, 171, 179, 184, 211 Schreibtraditionen 331 Schriftdeutsch 2, 6 Schriftsprachenwechsel 331 schriftsprachlichen Standard 307 schriftsprachlichen Standards IX, 6, 7, 9, 154 Schullehrer 67, 95, 327 Sitzungsprotokoll 139, 157, 162, 165, 329, 335 Sitzungsprotokolle 2, 3, 4, 47, 72, 75, 157, 160, 228, 325, 326 Sitzungsprotokollen 3, 156, 214 sozialen Status 3, 76, 89, 108, 110 sozialer Status 4 soziale Status 327 Sprachausgleich XI, 176, 177, 474 Sprachausgleichs 182, 186, 213, 329 Sprachausgleichsprozessen 331 sprachlichen Wandels 323 sprachliches Ideal 322 sprachphilosophisch 323 sprachphilosophische 11, 21, 31, 35 sprachphilosophischen 18, 21, 25, 322 Sprachprestige 178 Sprachprestiges 323 Sprachverfall 11, 21, 22, 24, 323 Sprachwahl 330, 482 Sprachwechsel 77, 170, 183, 184, 330 Stadtrat 52, 326 Standardisierung IX, 2, 6, 35, 37, 38, 39, 95, 115, 124, 321 Standardsprache IX, 3, 5, 7, 35, 36, 37, 38, 40, 42, 46, 177, 183, 255, 256, 270, 271, 288, 300, 324, 473 standardsprachlichen Norm 324 Stigmatisierung 2, 23, 32, 226, 321 Substantivzusammensetzung XII, 233, 234, 236, 242 Substantivzusammensetzungen XII, 238, 242, 325
Register Teutscher Secretarius X, 49, 99, 100, 135, 148 Teutsche Secretarius 4, 104, 124, 128, 130, 132, 322, 469 Teutsche Sprach Kunst IX, 18, 321, 471 Textfunktion 125, 327 Texttradition X, 89, 170, 213, 325, 327, 330 Texttyp X, 4, 32, 64, 75, 82, 139, 154, 157, 158, 162, 165, 169, 191, 228, 265, 331, 335 Texttyps 137, 157, 329, 330, 335 Transkription XI, 160, 214, 215, 216, 219, 220, 335 Transkriptionen XIII, XVI, 49, 74, 75, 120, 184, 200, 214, 215, 216, 219, 221, 337, 460 Usus 4, 12, 40, 121, 123, 175, 232, 324, 329 Variantenaussonderung 6, 27, 35, 321, 322, 324, 331 Varietätenselektion IX, 37
487
Verhörprotokoll 157, 167, 330, 335 Verhörprotokolle 157, 167 Verhörprotokollen 65, 156, 165, 329, 482 Verlaufsprotokoll 160 Vertikalisierung 2, 6, 10, 14, 321, 324, 482 Vorbildfunktion XI, 185, 186, 187, 213, 290 Vorbildnennung XI, 98, 153, 181, 185, 186, 187 Vorlage 81, 121, 141, 153, 216 Vorlagen 80, 103, 113, 120, 127, 131, 133, 135, 147, 151, 153, 154, 158, 328, 329 Wertungen 1, 24, 45 Werturteile 1, 3, 4, 6, 13, 15, 32, 35, 42, 273, 334 Werturteilen 1, 2, 3, 31, 41, 327 Xenophobie IX, 22 Zeitwort 26 Zollherren 52 Zweifelsfragen 12, 144