Stadt und Kontrolle: Der Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten [1. Aufl.] 9783839418659

Eine Thematisierung sozialer Kontrolle bedarf urbanistischer Reflexion - ebenso wie eine Thematisierung von Stadt system

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German Pages 618 Year 2014

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Inhalt
Danksagung
1. Der Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten
2. Die Thematisierung von Ausgrenzungstendenzen
2.1 Die Narration der postfordistischen Stadt
2.2 Segregation und soziale Segmentierung als Phänomenstruktur
3. Thematisierungen von Stadt, Urbanität und sozialer Kontrolle
3.1 Die soziologische Thematisierung von Stadt
3.2 Urbanität als Narration
3.2.1 Integration und Desintegration, Inklusion und Exklusion. Zur Dialektik städtischer Gesellschaften
3.2.2 Drinnen und Draußen. Die soziale Konstruktion städtischer Gruppen
3.2.3 Die neue Angst der Städter
3.3 Die soziologische Thematisierung sozialer Kontrolle
3.3.1 Eine Kriminologie des urbanen Raums: Soziale Kontrolle, Ordnung und Gouvernementalität
3.3.2 Visionen städtischer Sozialkontrolle
3.3.2.1 Soziale Kontrolle als Mickey-Mouse-Konzept: Disneyfizierung und Themenparks
3.3.2.2 Disziplinargesellschaft und Kontrollgesellschaft: Die Wiedervergemeinschaftung sozialer Kontrolle
3.3.2.3 Die Militarisierung städtischer Sozialkontrolle: Aufrüstung und Überwachung im Raum
3.4 Die Thematisierung von Urbanität, Öffentlichkeit und Raumkontrolle
3.4.1 Urbanität und die Narration der Öffentlichkeit
3.4.2 Die Narration vom Verschwinden des öffentlichen Raums
3.4.3 Raumkontrolle als urbane Sozialkontrolle
4. Zur Phänomenologie urbaner Sozialkontrolle: Dispositive des Diskurses
4.1 Die Phänomenstruktur „Urban Underclass“: Kontrolleure und Kontrollierte
4.2 Polizeien als Garanten von Sicherheit und Sauberkeit: Zwischen Repression und Prävention
4.2.1 Öffentliche Polizeien
4.2.2 Private Polizeien
4.2.3 Polizeiliche Public-Private-Partnerships
4.3 Die Architektur von Sicherheit und Sauberkeit: Materialisierungsmodus urbaner Ausgrenzung
4.4 Recht, Sicherheit und Sauberkeit: Verrechtlichung des öffentlichen Raums als Entrechtlichung von Benutzergruppen
5. Zur Genealogie des Verhältnisses von Urbanität und sozialer Kontrolle
5.1 Urbanität und soziale Kontrolle in der Vormoderne: Markt, Privileg und Schutz
5.2 Urbanität und soziale Kontrolle in der Moderne: Disziplin, Öffentlichkeit und soziale Wohlfahrt
5.3 Urbanität und soziale Kontrolle in der Postmoderne: Sozial zonierte Raumfragmente, Stadtbildproduktion und Konsumentenbürgerschaft
6. Diskurs, urbanes Wissen und Macht
7. Anhang
7.1 Quellen
7.2 Monografien, Sammelbände und Aufsätze
7.3 Presseartikel
7.4 Internetdokumente und sonstige Materialien
7.5 Rechtsnormen und Entscheidungen
7.6 Abkürzungen
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Stadt und Kontrolle: Der Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten [1. Aufl.]
 9783839418659

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Guido Lauen Stadt und Kontrolle

Urban Studies

Guido Lauen (Dr. rer. soc.), Diplom-Sozialwissenschaftler, hat an der Bergischen Universität Wuppertal Sozialwissenschaften, Pädagogik und Germanistik studiert. Nach dem Studium war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im ISO Institut zur Erforschung sozialer Chancen in Köln, Lehrbeauftragter und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Bildungs- und Sozialwissenschaften der Bergischen Universität Wuppertal und wissenschaftlicher Referent bei der Akkreditierungsagentur AQAS e.V. in Bonn. Er lebt in Köln.

Guido Lauen

Stadt und Kontrolle Der Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten

Zugl. Univ.-Diss., Bergische Universität Wuppertal, Fachbereich Bildungs- und Sozialwissenschaften, 2011

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Manfred Wegener, StadtRevue Köln, 2007. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Fotografen Lektorat & Satz: Guido Lauen Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1865-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Danksagung | 11 1. Der Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten | 13 2. Die Thematisierung von Ausgrenzungstendenzen | 47

2.1 Die Narration der postfordistischen Stadt | 49 2.2 Segregation und soziale Segmentierung als Phänomenstruktur | 60 3. Thematisierungen von Stadt, Urbanität und sozialer Kontrolle | 71

3.1 Die soziologische Thematisierung von Stadt | 73 3.2 Urbanität als Narration | 79 3.2.1 Integration und Desintegration, Inklusion und Exklusion. Zur Dialektik städtischer Gesellschaften | 92 3.2.2 Drinnen und Draußen. Die soziale Konstruktion städtischer Gruppen | 107 3.2.3 Die neue Angst der Städter | 118 3.3 Die soziologische Thematisierung sozialer Kontrolle | 134 3.3.1 Eine Kriminologie des urbanen Raums: Soziale Kontrolle, Ordnung und Gouvernementalität | 137 3.3.2 Visionen städtischer Sozialkontrolle | 161 3.3.2.1 Soziale Kontrolle als Mickey-Mouse-Konzept: Disneyfizierung und Themenparks | 163 3.3.2.2 Disziplinargesellschaft und Kontrollgesellschaft: Die Wiedervergemeinschaftung sozialer Kontrolle | 177 3.3.2.3 Die Militarisierung städtischer Sozialkontrolle: Aufrüstung und Überwachung im Raum | 195 3.4 Die Thematisierung von Urbanität, Öffentlichkeit und Raumkontrolle | 205 3.4.1 Urbanität und die Narration der Öffentlichkeit | 209 3.4.2 Die Narration vom Verschwinden des öffentlichen Raums | 238 3.4.3 Raumkontrolle als urbane Sozialkontrolle | 256

4. Zur Phänomenologie urbaner Sozialkontrolle: Dispositive des Diskurses | 269

4.1 Die Phänomenstruktur „Urban Underclass“: Kontrolleure und Kontrollierte | 271 4.2 Polizeien als Garanten von Sicherheit und Sauberkeit: Zwischen Repression und Prävention | 285 4.2.1 Öffentliche Polizeien | 293 4.2.2 Private Polizeien | 305 4.2.3 Polizeiliche Public-Private-Partnerships | 314 4.3 Die Architektur von Sicherheit und Sauberkeit: Materialisierungsmodus urbaner Ausgrenzung | 327 4.4 Recht, Sicherheit und Sauberkeit: Verrechtlichung des öffentlichen Raums als Entrechtlichung von Benutzergruppen | 347 5. Zur Genealogie des Verhältnisses von Urbanität und sozialer Kontrolle | 397

5.1 Urbanität und soziale Kontrolle in der Vormoderne: Markt, Privileg und Schutz | 400 5.2 Urbanität und soziale Kontrolle in der Moderne: Disziplin, Öffentlichkeit und soziale Wohlfahrt | 419 5.3 Urbanität und soziale Kontrolle in der Postmoderne: Sozial zonierte Raumfragmente, Stadtbildproduktion und Konsumentenbürgerschaft | 437 6. Diskurs, urbanes Wissen und Macht | 457 7. Anhang | 467

7.1 Quellen | 467 7.2 Monografien, Sammelbände und Aufsätze | 468 7.3 Presseartikel | 570 7.4 Internetdokumente und sonstige Materialien | 592 7.5 Rechtsnormen und Entscheidungen | 606 7.6 Abkürzungen | 610

D IE R ADSCHLÄGER Die Düsseldorfer Königsallee ist bestückt mit Café-Terrassen, auf denen sich die Newly Rich den Kuchen munden lassen. Die Düsseldorfer Königsallee ist auch berühmt für die Knaben, die bettelnd vor dem Publikum akrobatische Saltos schlagen. Die Düsseldorfer Königsallee zeigt, wie verschiedne Klassen das Wort beherzen, das befiehlt: Leben und Leben lassen! Die Radschläger der Königsallee und die lautlos schweren Wagen beweisen, wie die Klassen sich trotz Widerspruchs vertragen. Die Radschläger der Königsallee und Bankiers und Aktionäre verleihen der Stadt das Lokalkolorit, die teure Atmosphäre. Auf Spesen werden Autos gekauft, Kokotten angeheuert. Die Spesen bucht man vom Reingewinn ab, sie werden nicht versteuert. Der Staat ist neu, sein Wesen jedoch ganz wesentlich ein altes. Es schlägt ein Rad, steht auf dem Kopf, die Polizei erhalt es! ARNO REINFRANK (1966)1

1

Rothe 1988; S.449f.

DER ANBLICK die nicht sesshaften sitzen wo sie sesshaft nicht sitzen würden und nicht sesshaft nicht sitzen dürfen weil sie laut verwaltungsinterner verordnung störend im anblick keinen anspruch haben zu sitzen wo sesshafte nicht sitzen wollen STEFAN GILLICH (1988)2

D AS H UHN In der Bahnhofhalle, nicht für es gebaut, geht ein Huhn hin und her… Wo, wo ist der Herr Stationsvorsteh’r? Wird dem Huhn Man nichts tun? Hoffen wir es! Sagen wir es laut: Dass ihm unsre Sympathie gehört, selbst an dieser Stätte, wo es – „stört“! CHRISTIAN MORGENSTERN (1905)3

2

Gillich 1988; S.79.

3

Morgenstern 2006; S.22.

Danksagung

Die Arbeiten an diesem Text, der im Februar 2011 unter dem Titel „Urbanität und soziale Kontrolle. Der Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädte“ vom Fachbereich Bildungs- und Sozialwissenschaften der Bergischen Universität Wuppertal als Dissertation angenommen wurde, haben sich über einen längeren Zeitraum hingezogen. Anlässlich der Veröffentlichung ist es endlich Zeit, vielen Lehrern, Kollegen und Freunden Dank für die Inspiration, Unterstützung, Beratung und Geduld zu sagen. Beginnen möchte ich bei meinen akademischen Lehrern, die mir fachübergreifend und in unterschiedlichen Rollen Gegenstände und Methoden auch dieser Arbeit nahegebracht haben, mich als Studenten, Hilfskraft, Lehrbeauftragten, Mitarbeiter und Doktoranden unterrichtet, gefördert, beraten und damit ganz wesentlich geprägt haben. Mein Dank gilt insbesondere meinen Wuppertaler Lehrern Prof. Dr. Manfred Brusten, Prof. Dr. Herbert Grymer, Dr. Diethard Kuhne, Dr. Herbert Nolte, Dr. Herbert Reinke, Prof. Dr. Hans-Joachim Röhrs sowie Prof. Dr. Jörg Ruhloff. Besonderer Dank gebührt den Betreuern dieser Dissertation, Prof. Dr. Heinz Sünker (ebenfalls Wuppertal) und PD Dr. Reinhard Kreissl (Wien), der mich auf das Thema dieser Arbeit brachte und damit mein Denken über soziale Kontrolle und meine Wahrnehmung von Stadt mitgeprägt hat. Prof. Dr. Andreas Schaarschuch und Prof. Dr. Günter Borchert (Wuppertal) danke ich für Ihre Bereitschaft, sich an der Promotionskommission zu beteiligen. Bedanken möchte ich mich auch bei Sabine Meister (ISO Institut zur Erforschung sozialer Chancen, Köln) und Angélique Schrank (Wuppertal), die mich geduldig mit Kopien der zahllosen hier verwendeten Texte versorgt haben. Viele Freunde und Kollegen haben die Arbeit in unterschiedlichen Stadien diskutiert und Korrektur gelesen, dafür danke ich den ehemaligen Kollegen des ISO Instituts zur Erforschung sozialer Chancen, Prof. Dr. Markus Göbel (Hamburg) und Dr. Michael Schwarz (Sozialforschungsstelle Dortmund), sowie Dr. Philip Janssen (Köln) und meinem Bruder Ingo Lauen.

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Mein Dank gilt auch Manfred Wegener (StadtRevue, Köln), der das Umschlagfoto gemacht und mir freundlicherweise zur Nutzung überlassen hat. Nicht zuletzt danke ich meinen Eltern Karin Jostmann und Bodo Lauen, allen meinen Freundinnen und Freunden sowie meiner Tochter Lea Maria Breuer. Schließlich danke ich Olivia Steyaert für viele, viele Sonntage.

1. Der Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten „Obdachlose aber sind wie Graffitis und Taubenkot kein Anblick, der zur Steigerung von Attraktivität und Kaufkraft beiträgt. [...] Sauberkeit, Sicherheit und Ordnung auf den Straßen sind die wichtigsten Ziele der Destination Düsseldorf [...]. Hauptsache die Obdachlosen sind weg. [...] Wir wollen keine parlamentarische Demokratie, wir wollen etwas umsetzen.“ RALF ESSER4 „Zum Schmutz gesellen sich dann die schmutzigen Elemente der Gesellschaft.“ HANS-HEINO DUBENKROPP5 „Es ist nun einmal so, dass dort, wo Müll ist, Ratten sind. Und dass dort, wo Verwahrlosung herrscht, Gesindel ist. Das muss in der Stadt beseitigt werden!“ KLAUS LANDOWSKY6

4 So der von der Stadt Düsseldorf beauftragte Sprecher des „Forum Stadtmarketing“ und der Citymanagementagentur „Destination Düsseldorf“, Ralf Esser, am 12. März 1997 vor zwei Ausschüssen des Rates der Stadt Düsseldorf. Zit.n. Antifa-KOK 1998; S.1. Vgl. auch Rekittke 1997. 5 Zit.n. Herbst 1997; S.11. Dubenkropp war 1997 Vorstandsvorsitzender der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). 6 Am 27. Februar 1997 in seiner Eigenschaft als CDU-Fraktionsvorsitzender vor dem Berliner Abgeordnetenhaus (Plenarprotokoll 13/24; S.22). Zit. auch bei Rada 1997a; S.173. Vgl. auch Ebbrecht 1998; S.2, Frehsee 1998; S.146 und zur Reaktion darauf Koch 1997. Zuvor war von „Verslumung“, Sprayern, Müll und der „Verwahrlosung“ der städtischen Brunnen die Rede. Nach anderen Skandalen trat Landowsky 2001 zurück. William Brat-

14 | STADT UND KONTROLLE „Wir ziehen das Gesocks hier an [...] auch Penner und andere Leute, die in der Peripherie weggejagt werden, die werden bei uns schön gehätschelt und getätschelt. [...] Dies gilt auch für die jüdischen Einwanderer aus Osteuropa, jeder will nach Kassel: aggressives Bettlertum, Pennertum, Dealertum. Und wenn ich mit der Gefahrenabwehrverordnung ein Platzverbot ausspreche, werde ich gleich wieder in eine bestimmte Ecke gestellt [...]. Eins ist doch klar: je moderater ich es den Menschen mache, sich bei uns in der bequemen Hängematte auszuruhen, je mehr bekomme ich Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe.“ JÜRGEN GEHB7

Beobachtete man in den letzten Jahren die regionale und überregionale Presse, so ließen sich mühelos eine Reihe von Artikeln, Analysen und Kommentaren zu den ökonomischen, sozialen, politischen und „kulturellen“ Problemen der deutschen Städte im Allgemeinen und im Besonderen finden. Die behandelten Themen reichen von der Gestaltung der Innenstädte, der baulichen, sozialen und „kulturellen“ Auf- und Abwertung bestimmter Stadtteile,8 von der städtischen Kulturpolitik9 und den urbanen Kulturangeboten über die Interaktionen zwischen Stadtregierungen und -verwaltungen mit privaten Initiativen, Organisationen und Interessengruppen hin zu der finanziellen Misere der Kommunen als Ergebnis von Strukturveränderungen im ökonomischen, sozialen, politischen und fiskalischen Institutionengefüge der jüngsten Vergangenheit.10 Der Bogen, der sich auf Stadt beziehenden Diskurse

ton, von 1994 bis 1996 Chef des New York Police Departments und einer der Promotoren des „Zero-Tolerance“-Konzeptes (vgl. Kap. 3.2.3) spricht ebenfalls in diesem Zusammenhang von „Ratten“. Vgl. Rada 1997a; S.174. 7 So der ehemalige Kasseler Bürgermeister und Bundestagsabgeordnete Jürgen Gehb (CDU) im Rahmen eines Fernsehinterviews vom 18. September 1996. Zit.n. Brunst 1997c. 8 Vgl. z.B. o.V. 2001a, Rada 1996c, Rescher 2000 sowie Ronneberger 1997a und b. 9 Vgl. z.B. Hajer 1999. 10 Vgl. z.B. Heeg 1998, 2001 und Schnepper 1999.

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ist weit gespannt – ebenso zahllos sind die Beispiele und Belege hierfür aus der Tagespresse und anderen Literaturgattungen.11 Seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre war die Entwicklung und Etablierung einer weiteren, sehr spezifischen Debatte bezüglich städtischer Probleme sui generis zu beobachten.12 Diese scheint eingebettet in die allgemeine Diskussion um die Städte sowie deren tatsächlichen oder konstruierten Problemlagen; dennoch richtet sich der Fokus der Debatte auf einen zuvor vermeintlich marginalen Aspekt städtischer Probleme: Der zentrale Gegenstand ist die „Sicherheit und Sauberkeit“13 der Städte, vor allem aber der Innenstädte. So liest man beispielsweise in der Tagespresse – oder hört, wie oben zitiert, in Politikerreden – von ausufernder Kriminalität in den Citybereichen, von der „Verwahrlosung“ und damit „Abwertung“ einzelner städtischer Räume, von der notwendig gewordenen architektonischen, sozialen und „kulturellen“ Aufwertung anderer städtischer Räume, von der angeblich stetig steigenden Zahl von Obdachlosen, Alkoholikern, Drogenabhängigen, Punks oder Migranten und dem damit einhergehenden Betteln und anderen Störungen im Bereich der Innenstädte, von subjektiven Unsicherheitsgefühlen und Kriminalitätsängsten der Innenstadtpassanten und -bewohner, von Umsatzrückgängen der innenstadtansässigen Geschäftswelt, von Koalitionen einzelner Interessenverbände mit den kommunalen Verwaltungen, von veränderten Problemlagen der Polizei oder den Tätigkeiten privater Sicherheitsdienste in den Städten, von architektonischen Maßnahmen und von veränderten rechtlichen Regelungen. Auf der Ebene der mit diesen Problemen praktisch betrauten Institutionen werden unter anderem Konzepte zur Verbesserung des städtischen Erscheinungsbildes, darauf basierend Strategien zur Vermarktung der Städte nach innen, an die eigenen Bürger,14 und nach

11 Angesichts der kaum erfassbaren Fülle an wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Debattenbeiträgen zum Thema Stadt in allen erdenklichen Medien ist es unerlässlich, bezüglich der einzelnen Diskursbeiträge in Zeitungen, Zeitschriften, Monografien, Sammelbänden und Internetdokumenten zu selektieren. Deshalb wird die Untersuchung auf einige zentrale Beiträge eingegrenzt, die dann im Fußnotenapparat mit weiterführenden Hinweisen versehen werden. Es gehört zum Standardrepertoire einer Einleitung, sich über den mangelnden Raum zu beklagen, der Restriktionen auferlegt und Reduktionen nötig macht, wo Präzisierungen, Exkurse und Ausweitungen wünschenswert wären. Dies gilt auch für diese Arbeit. 12 Man könnte in diesem Zusammenhang sogar von einem „Leitdiskurs“ für die Stadtsoziologie sprechen. 13 Vgl. Friedrichs 2003. 14 Aus Gründen der Einfachheit wird in dieser Arbeit das generische Maskulinum verwendet. Bezeichnungen wie „Bürger“, „Städter“ etc. beziehen sich immer auf Angehörige beiderlei Geschlechts.

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außen, als Attraktivitätsangebote an potenzielle Investoren oder Arbeitskräfte,15 sowie Möglichkeiten zur Attraktivierung der Innenstädte und damit zur Verbesserung des Konsumklimas, vor allem aber die Prävention von Kriminalität oder anderen Belästigungen seitens der Konsumenten und die Entfernung sogenannter „Störergruppen“ und der weitere Umgang mit diesen diskutiert. Die Sozialwissenschaften haben sich dieser Debatte bzw. dieser Problemthematisierung ebenso angenommen wie die Rechtswissenschaft und die Architekturtheorie. Beiträge zu diesem etwas unübersichtlichen Komplex liefern auch die Polizei und Wohlfahrtsverbände. Die Thematisierung des Problemkontextes „Sicherheit und Sauberkeit“ wird hier als Diskurs aufgefasst, wobei unter Diskurs in diesem Rahmen zunächst „[...] in unterschiedlichen Graden institutionalisierte themen-, disziplin-, bereichs- und ebenenspezifische Bedeutungsarrangements, die in spezifischen Sets von Praktiken produziert, reproduziert und auch transformiert werden“16 verstanden wird. Um diesen zentralen Diskurs gruppieren sich dementsprechend eine ganze Reihe damit verwobener Thematisierungen unterschiedlichster theoretischer, praktischer, regionaler und disziplinärer17 Provenienz, Genese, Komplexität, Interessenlage, theoretischer Reflexionsniveaus und Qualität, die sich – von dort aus betrachtet – als Elemente des Diskurses verstehen lassen. Es sind diese im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit miteinander verwobenen Thematisierungen, an denen diese Erörterung ansetzt. Sowohl der zentrale Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit als auch die auf ihn bezogenen oder analytisch auf diesen beziehbaren Thematisierungen werden in unterschiedlichen Textsorten und auf unterschiedlichen Ebenen verhandelt: Entsprechende Korpora18 und insofern divergierende Problemwahrnehmungen finden sich im Bereich der Wissenschaften, insbesondere in den Sozialwissenschaften, der Rechtswissenschaft, aber auch der Architektur und Stadtplanung sowie in anderen Kontexten gesellschaftlicher Praxis, z.B. in der kommunalen Politik, den städtischen Verwaltungen, der Polizei, in privaten Sicherheitsunternehmen, im lokalen Handel, in Verbänden und sozialpädagogischen Institutionen sowie schließlich in

15 Vgl. zum „Doppelcharakter“ des Stadtmarketings z.B. Der Oberstadtdirektor der Stadt Wuppertal 1989, Janssen 2001 oder Schneider 1997; S.222. 16 Keller 2001; S.129. 17 Vgl. zu dem Problem unterschiedlicher disziplinärer Diskurskontexte und deren komplexem Zusammenspiel Kreissl 1993. 18 Zu der Lokalisierung eines Korpus in einem dreidimensionalen Modell aus Diskursebene, Teildiskurs und Textsorte vgl. Jung 2001.

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politischen Gruppen und Organisationen.19 In der professionell und fachlich ungebundenen Öffentlichkeit werden die um Sicherheit und Sauberkeit gelagerten Thematisierungen weniger in Fachpublikationen, sondern eher in Tageszeitungen sowie im Internet verhandelt. Sogar die Kunst (hier insbesondere Bildende Kunst und Literatur) als weiteres Feld gesellschaftlicher Praxis hat sich der Debatte angenommen und versucht, als zusammenhängend Verstandenes in ästhetischen Darstellungen zu thematisieren und damit zu transzendieren.20 Kurzum: Die Rede von der Sicherheit und Sauberkeit der Innenstädte ist einer der dominanten Diskurse zum Gegenstand Stadt, der sich für die vergangenen fünfzehn Jahre nachweisen lässt. Der Variantenreichtum, der die Thematisierungen kennzeichnet, bedingt, dass sich nicht ein Modell, ein typischer Verlauf rekonstruieren lässt. Im Gegenteil, je nach Korpus und fachlichem Hintergrund variieren Inhalt und Form der Auseinandersetzung und die eingesetzten Thematisierungsstrategien.21 Dabei vermischen sich nicht selten vermeintliche Realitätsbeschreibungen mit dem Sprechen über Realitätsungebundenes. Gleichwohl bleibt trotz auch regional bedingter Spezifika der zentrale Diskursgegenstand derselbe. Anhand einiger Überschriften und Artikel der Tagespresse lassen sich Diskurs und angesichts der wahrgenommenen Problemlage eingeleitete Maßnahmen beispielhaft über einen Zeitraum von acht Jahren verfolgen: „Neun Wachmänner sorgen in der Passerelle für Ordnung“;22 „Hannover bekämpft Betteln in der City“;23 „Privater Wachdienst in der City“;24 „Auslandsbüros der Messe fürchten um den

19 Die Wichtigkeit dieses Aspektes lässt sich auch anhand der Ergebnisse einer 2008 durchgeführten repräsentativen Befragung von Bewohnern der zehn größten deutschen Städte nachvollziehen. „Sicherheit“ und „Sauberkeit“ gehören zu den 12 wichtigsten Kriterien zur Beurteilung der „urbanen Qualität“. Vgl. BAT Stiftung für Zukunftsfragen 2008. 20 Vgl. dazu beispielsweise für den Bereich der Bildenden Kunst AG Baustop Randstadt 1999, Baumgärtel 2003, Becker 2001b und c für Fotografie sowie für den Bereich der Literatur Schimmang 1998. Vgl. allgemein Brock 1990, Gephart 1991 und Guha 1999. Vgl. zur kulturwissenschaftlichen Betrachtung von Stadt Heidenreich 1998. 21 Vgl. zu Thematisierungsstrategien Neidhardt (1998; S.491), der „Nachrichtenfaktoren“ nennt, um bestimmten Phänomenen einen prominenten Platz in der Agenda der Öffentlichkeit zu sichern. Konflikte oder Formen abweichenden Verhaltens werden so effektvoll beschrieben und als Problem konstruiert, dass einem möglichst großen Teil des Publikums eine gewisse Betroffenheit oder sogar ein Schaden suggeriert wird. Der Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit kann dafür als Beispiel gelten. „Öffentliche Meinung“ entsteht durch Fokussierung auf bestimmte Themen in entsprechenden Öffentlichkeitsarenen. 22 HAZ 8.11.1989, zit.n. Anti-Expo-AG 1997; S.43. Bei der „Passerelle“ handelt es sich um eine Einkaufspassage in Hannover. Vgl. Munier u.a. 1998c. Alle im Folgenden angeführ-

18 | STADT UND KONTROLLE guten Ruf der Stadt“;25 „Das Schmuddelimage wird abgelegt“;26 „Junkies vergraulen Kunden“;27 „Die City erhält ein neues Gesicht“;28 „Händler fordern: Innenstadt muss schneller sicherer und sauberer werden.“29

Ein weiterer Blick in eine Tageszeitung fördert für 1998 bis 2004 folgende Überschriften zu Tage, an denen auch die Chronologie eines lokal orientierten Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit deutlich wird: „Besseres Benehmen in der ‚guten Stube City‘. Kriminalität und verwahrloste Ecken schrecken immer mehr Innenstadt-Besucher. Ausweg ‚Ordnungspartnerschaft‘?“;30 „‚Ich habe mich nicht getraut‘. Versammlungsort neben dem Kiosk an der Baustelle am Mühlenhof ist zum Dauerärgernis geworden“;31 „Situation zeugt von Hilflosigkeit“;32 „Behandelt wie der letzte Dreck. Stadtbesucher fühlen sich von der Szene am Mühlenhof belästigt. Verwaltung sucht nach Lösungen“;33 „Problem kann nicht weggefegt werden. Toiletten und MüllContainer haben das Problem des Szene-Treffpunkts am Mühlenplatz entschärft, aber nicht gelöst;“34 „Keine Vogel-Strauß-Politik“;35 „Alarm: Der City laufen die Käufer weg. Marktforschung des Tageblatts untermauert die Notwendigkeit, die Innenstadt zu stärken“;36 „‚Die Innenstadt stärken‘. Einzelhandelsverband begrüßt die Einkaufsstudie aus dem Hause

ten Überschriften zit.n. dem „chronologischen Pressespiegel“ der Anti-Expo-AG 1997, S.41ff. 23 NP; 30.10.1992, zit.n. Anti-Expo-AG 1997; S.47. 24 HAZ; 27.11.1993, zit.n. Anti-Expo-AG 1997; S.48. 25 HAZ; 27.5.1993, zit.n. Anti-Expo-AG 1997; S.49. 26 HAZ; 20.7.1993, zit.n. Anti-Expo-AG 1997; S.50. 27 HAZ; 23.9.1995, zit.n. Anti-Expo-AG 1997; S.51. 28 HAZ; 2.8.1996, zit.n. Anti-Expo-AG 1997; S.52. 29 NP; 17.4.1997, zit.n. Anti-Expo-AG 1997; S.57. 30 o.V. 21.4.1998d; S.7. 31 Koch-Schreiber 1999a; S.13. Beim „Mühlenhof“ handelte es sich um einen öffentlichen Platz im nördlichen Teil der Solinger Fußgängerzone, der seit 2000 einer Shopping Mall, einem großen Einkaufszentrum, gewichen ist. Die ehemals dort ansässige „Szene“ wurde durch die Bauarbeiten verdrängt und traf sich an einem Kiosk in unmittelbarer Nähe zur Baustelle. 32 Koch-Schreiber 20.2.1999b; S.9. 33 o.V. 20.2.1999d; S.9. 34 Theyßen-Speich 19.10.1999a; S.13. 35 Theyßen-Speich 19.10.1999b; S.13. 36 Kob 26.10.1999a.

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B.Boll“;37 „Warum sind die Solinger Käufer untreu? Immer mehr kaufen außerhalb und nicht in der Stadt. Solingen-Studie ‘99 geht Ursachen hierfür auf den Grund“;38 „Strafe statt Hilfe? SPD und Jugendstadtrat gegen weitere Härte“;39 „Heikles Thema wird sachlich angepackt. Mit der Solinger ‚Straßenordnung‘ sollen sich die Fachausschüsse des Rates beschäftigen“;40 „‚Die Jugend braucht einfach ihre Freiräume‘. Jugendstadtrat: Demo gegen neue Straßenordnung“;41 „Innenstadt zurück zu neuer Stärke. ST präsentierte Cityhändlern SolingenStudie“;42 „‚Von niemandem manipuliert‘. Der Jugendstadtrat weist die Vorwürfe zurück, parteiisch zu sein oder von außen beeinflusst zu werden“;43 „Miteinander“;44 „Viele Menschen fühlen sich von ‚Szene‘ belästigt. Am Montag im Jugendhilfeausschuss und am Dienstag im Sozialausschuss wird über Solingens Straßenordnung diskutiert“;45 „Maltesergründe werden kaum noch genutzt. Jugendförderung, Jugendschutz und diverse soziale Einrichtungen arbeiten an vielen Stellen in Solingen“;46 „Hinwendung zu den ‚Rausgefallenen‘. Caritasverband nimmt in Solingen Auftrag der katholischen Kirche von Solingen wahr“;47 „Spritzen vor Ort umtauschen. Aufsuchende Sozialarbeit in Solingen“;48 „‚Solingen ist weder Köln noch Düsseldorf‘. CDU und FDP zogen ihren Antrag zur Änderung der Straßenordnung zurück. Zuerst werden Kirchen und Verbände gehört“;49 „Vorstoß gegen aggressive Bettelei“;50 „Bremsheyplatz regt weiter auf“;51 „Brennpunkt Bremsheyplatz“;52 „Ärger mit den Außenseitern: Was tun? Die Klagen der Händler über die Straßen-Szene reißen nicht ab“; „CDU: ‚Zu-

37 o.V. 4.11.1999k. B.Boll ist das Verlagshaus, in dem das Solinger Tageblatt erscheint. 38 Kob 6.12.1999b. 39 o.V. 11.5.2000l; S.13. 40 o.V. 12.5.2000n. 41 o.V. 12.5.2000o. 42 o.V. 19.5.2000t. 43 o.V. 30.5.2000k. 44 Koch-Schreiber 16.6.2000; S.9. 45 o.V. 16.6.2000d; S.9. 46 o.V. 16.6.2000e; S.9. Bei den „Maltesergründen“ handelt es sich um eine innenstadtnahe Grünanlage mit Kinderspielplatz, die teilweise von den im Artikel problematisierten Gruppen – auch zum Konsum von Alkohol und Drogen – genutzt wurde. 47 o.V. 16.6.2000f; S.9. 48 o.V. 16.6.2000g; S.9. 49 o.V. 20.6.2000h. 50 o.V. 20.7.2000i. 51 Schüller 5.3.2003; S.16. 52 o.V. 19.9.2003d; S.13.

20 | STADT UND KONTROLLE stände sind untragbar‘“, „Hilfe tut Not“; „Härtere Regeln auf der Straße?“;53 „Unnersberg/Brühl: Bald Streetworker?“;54 „Ambulante Hilfen und Arbeitsprojekte schaffen“.55

Die Reihe der Berichterstattung zum Thema und den damit assoziierten Problemen ist nahezu endlos, zahlreiche Beispiele aus anderen Städten könnten hier folgen.56 Dabei lassen sich insbesondere an dem zweiten Beispiel modellhaft Ausgangspunkt, Richtung und Logik der nicht-wissenschaftlichen Facette der Problemthematisierung ebenso ableiten wie sich einige zentrale Akteure und Motive identifizieren lassen: Zunächst wird die vermeintliche „Kriminalitätsfurcht“ der Bürger und die „Verwahrlosung“ eines städtischen Ortes als Tatsache unterstellt, in den Mittelpunkt gerückt und damit zum Ausgangspunkt des Diskurses. Parallel wird der Personenkreis, der für diesen Umstand als ursächlich angesehen wird, benannt. Dies sichert die Aufmerksamkeit eines großen Teils des Publikums, das sich jenseits eigener Erfahrungen als potenziell betroffen fühlen kann. Die Stadtverwaltung bemüht sich um organisatorische Lösungen zur vorgetragenen Problemlage. Nachdem erste improvisierte Maßnahmen gescheitert sind, drängt die ortsansässige Geschäftswelt die Stadtverwaltung zum Handeln – flankiert durch ein von der lokalen

53 o.V. 2.10.2003e-g; S.15 und Koch 2003. 54 Meurer 5.12.2003. 55 o.V. 13.2.2004; S.13. 56 Vgl. für Bonn Bickmann 2008a und b, Blessel 2008, Ernst 2008a-c, Inhoffen, Klein, Köhl (alle 2008) und Steeger 2008a-d. Krebs (2001) verfolgt den Ausgrenzungsdiskurs am Beispiel Stuttgarts. In Köln wurde ein Leitbild entwickelt, in dem Sicherheit und Sauberkeit zu Zielen städtischer Entwicklung erhoben werden. Vgl. Der Oberbürgermeister der Stadt Köln 2003; S.37 und 19f. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine genau zehn Tage dauernde Episode Kölner Lokalpolitik (vgl. dazu Stinauer 2007a-g und Berger 2007): Die temporäre Anwesenheit eines rumänischen „Bettlersyndikats“ beschäftigte dort die städtischen Akteure, wie sich an den Überschriften der Lokalpresse zeigt: „Ordnungsamt vom Bettler-Problem überrascht“; „Unhaltbare Zustände“; „Trostlose Idylle in der Höhle“; „Ausschuss berät über Bettler“; „Stadt will Bettler in ihre Heimat schicken“; „Mit voller Härte“; „Klare Linie gegen Bettelei“ und schließlich „Rumänen kehren heim“. Auch hier zeigt sich die Logik der Thematisierung („unhaltbare Zustände“, „volle Härte“) und die Handlungslogik der Akteure zwischen operationalem Dilettieren („überrascht“) über Beratungen und Klärungen im politischen Feld („Ausschuss“) und dessen Ergebnisse („klare Linie“) hin zu einschneidenden Maßnahmen („in die Heimat schicken“). Nach zehn Tagen verschwindet der Diskurs ebenso schnell von der Tagesordnung, wie er aufgetaucht war. Das „Bettlersyndikat“ selbst verschwand nicht – zumindest nicht dauerhaft. Vgl. Misik (2009) zur Begründung des besonders scharfen Vorgehens gegen rumänische Bettler, i.d.R. Roma.

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Tageszeitung, die damit zugleich Bühne wie Akteur des Diskurses ist, in Auftrag gegebenes Gutachten. Auf der kommunalpolitischen Ebene werden sodann erste kritische Stimmen laut, die einen sozialpolitisch vertretbaren Umgang mit den vermeintlichen Verursachergruppen anmahnen. Nachdem die Stadtregierung in Kooperation mit der Verwaltung eine Änderung der rechtlichen Bestimmungen zur Straßennutzung in Aussicht gestellt hat, erhebt sich auch in weiteren Gremien städtischer Politik Kritik, die allerdings als unbotmäßig und interessengesteuert zurückgewiesen wird. In der Folge engagieren sich sozialpolitische Akteure verstärkt in der lokal geführten Debatte – zunächst auch operativ erfolgreich, mit dem Ergebnis, dass angekündigte Maßnahmen zurückgenommen werden, die allerdings einige Zeit später erneut aufgelegt werden. Nach 27 Monaten scheint die hier nur beispielhaft angeführte öffentliche Thematisierung aus den kommunalen Medien nahezu verschwunden zu sein – um dann nach siebenmonatiger Pause wieder auf der Tagesordnung der städtischen Politik zu erscheinen und die involvierten Akteure in angedeuteter Weise wiederum tätig werden zu lassen. Ganz unabhängig von konkreten, möglicherweise auch lokal leicht unterschiedlichen Spezifika lässt sich feststellen: Das Thema Sicherheit und Sauberkeit der Innenstädte ist ein „Dauerbrenner“ der stadtbezogenen Diskurse spätestens seit Ende der neunziger Jahre. Er taucht in unterschiedlichen Thematisierungswellen mit je unterschiedlichen Schwerpunkten und Intensitäten sporadisch auf und ebbt dann wieder ab. Die den Diskurs begründende Problemlage bleibt die Gleiche. Innerhalb des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit in Presse, Politik, Verwaltungen, privaten und öffentlichen Initiativen sowie Organisationen und nicht zuletzt den Wissenschaften melden Kritiker unterkomplexer und vereinfachender Theorien, repressiver Strategien und improvisierter Maßnahmen gravierende Bedenken hinsichtlich der Stimmigkeit, der Relevanz, der Legitimation, der Rechtmäßigkeit, der Angemessenheit, der Durchführbarkeit sowie der sozialen, kulturellen und politischen Bedingungen und Folgen von Maßnahmen, die als Dispositive dieses Diskurses angesehen werden können, an. Innerhalb dieser kritischen Positionen macht (neben vielen anderen) das Wort von der „Vertreibung“,57 der „Segregation“,58 der „Fragmentierung,“59 von der „Ausgrenzung“, 60 der „Exklusion“, 61 der

57 Vgl. z.B. Gillich 1988, Herriger 2008, Kasparek 2001 oder Simon 2002. 58 Vgl. z.B. Herlyn 1993, Wehrheim 2002a oder Wienold 1978. 59 Vgl. Henning/Lohde-Reiff/Schmeling/Völker 1997 sowie Marcuse 1995, 1998 und 2005. 60 Vgl. z.B. BAG Wohnungslosenhilfe 1998 und Herkommer 1999. 61 Vgl. z.B. Bude 2004, Callies 2004 und Castel 2000.

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„Marginalisierung“,62 der „Kriminalisierung“63 und „Stigmatisierung“,64 von einem „Sicherheitswahn“65 und dem „Gespenst Sicherheit,“66 ja von „räumlicher Apartheid“67 die Runde. Es wird angemerkt, dass im Zuge des Versuchs, Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten zu (re-)etablieren, unerwünschte Nutzungen des öffentlichen Raums konstruiert und damit einem Teil der Öffentlichkeit spezifische urbane, alltäglich wahrgenommene Nutzungsmöglichkeiten versagt werden.68 In anderen Beiträgen wird kritisch angemerkt, dass Sicherheit und Sauberkeit Dispositive eines gesellschaftlichen Konsenses sind,69 der wiederum auf „Kapitalinteressen“, teilweise auch im Kern auf „rassistischen Ideologien“ fußt70 und der darauf zielt, die Innenstädte als zentrale Orte einer homogenen, irritationsbefreiten städtischen „Gemütlichkeit“ zu rekonstruieren.71 In den Beiträgen der Befürworter präventiver und repressiver Maßnahmen wird mit einer steigenden Kriminalitätsfurcht und wachsenden Unsicherheitsgefühlen argumentiert, mit einem Verlust an urbaner Erlebnisqualität, dem Verlust bürgerlicher Umgangsformen und damit zivilisatorischen Errungenschaften, ja mit dem Verlust von Urbanität selbst sowie mit erhebli62 Vgl. z.B. Andreß o.J., Eick/Sambale/Veith 1999, Häußermann 2001a, Ottersbach 2003, Sambale/Veith 1997 und Vogel 2003. 63 Vgl. z.B. Ludwig-Mayerhofer 2000a und b sowie Scherr 1997. 64 Vgl. z.B. Balke 1997, Sambale/Veith 1998 oder Viellard-Baron 1997 sowie Fuchs 2001b. 65 Stellvertretend für unzählige kritische Stimmen sei hier auf die Stellungnahmen im Rahmen der „Innenstadtaktionswoche“ vom Juni 1997 verwiesen. Vgl. z.B. Anti-Expo-AG 1997, Bareis 1997, Brunst 1997b, Diefenbach 1997, Hartmann 1997, Hauer/Peddinghaus 1997, Höge 1997, Holert 1997, InnenStadtAktion 1997, Kahl 1996, Korell/Liebel 1997, o.V. 1997a-q sowie Rada 1997b. 66 Vgl. Ebbrecht 1998. 67 Vgl. Davis 1996; S.43. Davis’ Buch „City of Quartz. Ausgrabungen der Zukunft in Los Angeles“ (Davis 1994a), das sich zentral mit dem urbanen Ausschließungsdiskurs auseinandersetzt und diesen in Deutschland beflügelte, wurde 1990 von der ASSA als bestes Buch des Jahres ausgezeichnet. Vgl. Durth 1995, Sträter 1995a und Strehle 1996. Zur Kontoverse um Davis’ Stadtanalyse in den USA vgl. de Turenne 1998, o.V. 2002i und Magloff 2003. Zur Rezeption Davis’ in Deutschland vgl. Häußermann 2001c sowie Ziegler 1999 und Kilb 1999. 68 Vgl. Brücher 1998. 69 Vgl. Ronneberger 1997a; S.48. 70 Vgl. Holert 1997; S.46. Der Vorwurf des Rassismus ergibt sich aus der unterstellten Konzentration diverser Ordnungsbehörden auf Angehörige von ethnischen Minderheiten, die sich im Innenstadtbereich aufhalten. Die Segregation der Wohnbevölkerung in ethnisch relativ homogenen Vierteln wird als weiterer Indikator für rassistische Strukturen angesehen. 71 Vgl. Glasauer 1998b.

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chen Umsatzrückgängen des innerstädtischen Einzelhandels und der dort ansässigen Gaststätten.72 Gefordert werden Maßnahmen, die geeignet sind, den kritisierten, nicht selten skandalisierten Zuständen in den Innenstädten abzuhelfen. Gleich aus welcher Perspektive argumentiert wird, innerhalb des Diskurses scheint eine eigentümliche Einigkeit darüber zu herrschen, wer die Verursacher von Unsicherheit und Unsauberkeit in den Innenstädten sind: Gemeint sind in der Regel Obdachlose, Drogenkonsumenten,73 öffentlich trinkende Alkoholiker, Vertreter „nicht-angepasster“ Lebensstile (z.B. Punks), sonstige Verhaltensauffällige, „Straßenkinder“ sowie Bettler.74 Weniger eindeutig ist, was man im Diskurs als „Normalität“ urbanen Lebens betrachtet und was als „Abweichung“ über diese Normalität hinausgeht. Normalität und Abweichung liegen dabei nicht als empirische „Tatsachen“ vor, beide Kategorien sind (veränderbare) Resultate eines komplexen wie komplizierten sozialen Definitions-, Deutungs- und Handlungsprozesses, in dem unter Einsatz spezifischen „Wissens“, mehrheitlicher Wertvorstellungen und aufgrund bestimmter Machtressourcen und Interessenlagen festgelegt wird, was normal ist und was nicht. Diese Definitionen gehen in das „Alltagswissen“ einer Gesellschaft ein. So gesehen ist im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit ein Prozess am Werk, in dem es um die Konstitution von Normalität und damit Ordnung und der auf sie bezogenen „Moral“ geht.75 Personen oder Gruppen, die diese herrschende Ordnungsvorstellung stören, die also mit Unsicherheit und Unsauberkeit assoziiert werden und insofern von der urbanen Normalität abweichen, können identifiziert und bestimmten, im Diskurs häufig als „ausgrenzend“ bezeichneten Maßnahmen unterworfen werden: „[...] ‚Abweichung‘ wird durch soziale Prozesse der Bewertung und unter Einsatz von Wissen in Handlungsabläufen konstruiert. Die Ab72 Vgl. „zur Gefährdung des Einzelhandels durch Kriminalität und Umfeldverschlechterung“ die vom HDE in Auftrag gegebene Studie von Busacker (1999), in der neben einem Forderungskatalog zahlreiche Probleme des Einzelhandels aufgelistet sind: Kriminalitätsfurcht, unternehmensbezogene Kriminalität (Laden- und Bandendiebstahl, Einbruch, Raubüberfall, Erpressung sowie Betrug), sozial unerwünschte Verhaltensweisen (Verunreinigungen, Graffiti, Drogenkonsum, Betteln, Alkoholkonsum, Trick- und Taschendiebstahl, Vandalismus) und deren Massierung im Innenstadtbereich sowie angestrebte Möglichkeiten der Prävention und Repression (Ordnungspartnerschaften, konsequentes Eingreifen der Polizei und Ordnungsbehörden etc.). 73 Vgl. zu Drogenkonsum und Urbanität Alsheimer 1995. Vgl. auch Ubben 1997 und Lehne 2001b sowie o.V. 2001b und o.V. 2001i. 74 Im Diskurs wird die Frage, ob die im öffentlichen Raum agierende Verkäufer von Zeitungen, Verteiler von Werbegeschenken oder Broschüren, Verkäufer, die Produkttests anbieten etc., nicht ebenso störend bzw. Unsicherheit verursachend sind wie die angesprochenen Gruppen, nicht beantwortet. Vgl. Fricke 2001b. 75 Vgl. Althoff/Leppelt 1995; S.14f.

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weichung an sich wird zum Anderen. Die Trennung zwischen ‚Abweichung‘ und ‚Konformität‘ ist eine zentrale, da sie als Konstruktion konstitutiv für das Andere ist – ohne Abweichung gäbe es das Konforme nicht und umgekehrt.“76 Uneindeutig ist auch, was denn nun Sicherheit und Sauberkeit genau sind, was sie auszeichnet und welche Bedeutung ihnen für die städtische Gesellschaft zukommt. 77 Bevor aber nun Gesamtdiskurs und die damit verwobenen Thematisierungen einer näheren Betrachtung unterzogen werden, soll der wissenschaftstheoretische Standpunkt und das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit im Sinne einer „wissenssoziologischen Diskursanalyse“78 erläutert werden. Grundlegend dabei ist die Annahme, dass alles Wissen über Gesellschaft und damit auch über städtisches Leben sowie die damit einhergehenden Probleme über symbolische Ordnungen in Diskursen wie z.B. dem um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten sozial hergestellt, transportiert, legitimiert und verändert wird. Wissen existiert nicht an und für sich, auch existiert kein naturwüchsiges kognitives Kategoriensystem, dem ein solches Wissen zugänglich wäre.79 Die Aufgabe einer wissenssoziologischen Diskursanalyse ist demnach „[...] Prozesse der sozialen Konstruktion, Objektivation, Kommunikation von Sinn-, d.h. Deutungs- und Handlungsstrukturen auf der Ebene von Institutionen, Organisationen bzw. sozialen (kollektiven) Akteuren zu rekonstruieren 80 und die gesellschaftlichen Wirkungen dieser Prozesse zu analysieren.“ Damit steht die Frage im Zentrum, „[...] was (jeweils gültiges) Wissen überhaupt ist, wie jeweils gültiges Wissen überhaupt zustande kommt, wie es weitergegeben wird, welche Funktion es für die Konstituierung von Subjekten und die Gestaltung von

76 Althoff/Leppelt 1995; S.15. 77 Sicherheit ist laut Bauman (2000, S.30f.) mit den Kategorien Beständigkeit im Sinne von Verlässlichkeit, Gewissheit im Sinne von Beurteilungen und Schutz verbunden. Vgl. auch Kap. 3.2.3 und von Kodolitsch 2003. Sauberkeit wird mit Hygiene, Reinlichkeit und Gepflegtheit assoziiert. Die Zielvorstellung von Sauberkeit bezieht sich auf Gesundheit, Wohlbefinden und „Schönheit“, die Zielnegation Unsauberkeit ist verbunden mit Krankheit, Unbehagen, Ekel und „Hässlichkeit“. Vgl. Bergler 1974; S.120 sowie Hilsmann/Sallmann (2000) zum „Reinemachen“ in den Innenstädten. 78 Vgl. Keller 2001, 2005 und 2007, der diesen Ansatz aus dem „interpretativen Paradigma“ der Wissenssoziologie, vor allem aus Berger/Luckmann 1994 (zuerst 1966), ableitet. Vgl. auch Maasen 2009 und die Beiträge in Keller/Hirseland/Schneider/Viehöfer 2001. Die Genese der wissenssoziologischen Diskursanalyse soll hier nicht referiert werden. Vgl. dazu Keller 2001; S.114ff. 79 Vgl. Keller 2001; S.113. 80 Keller 2001; S.113.

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Gesellschaft hat und welche Auswirkungen dieses Wissen für die gesamte gesellschaftliche Entwicklung hat.“81 Da dieses Wissen in diskursiven Zusammenhängen hervorgebracht und sprachlich tradiert wird, gilt es, die entsprechenden Diskurse und ihre Dispositive zu ermitteln, zu systematisieren und zu interpretieren sowie sie gegebenenfalls in einen breiteren theoretischen Kontext zu stellen. Dabei sollen nicht nur die Wissensvorräte typisiert und katalogisiert werden, vielmehr sollen – und darin liegt ein Anknüpfungspunkt zu der von Michel Foucault inspirierten „kritischen Diskursanalyse“82 – auch die kollektiven und institutionellen Prozessen untersucht werden, mit denen Wissen zur gesellschaftlichen Wirklichkeit wird. Während die (vor-)klassischen Ansätze der Wissenssoziologie gesellschaftlich konstruiertes Wissen und damit Wirklichkeit entweder als Täuschung, als „falsches Bewusstsein“ bzw. metaphysisch-abstrakt oder als Korrelat der „Seinsgebundenheit“ bzw. des „existenziellen Verhältnisses“ des Menschen verstanden haben,83 werden Wissen und soziale Wirklichkeit in den interpretativen Ansätzen der Wissenssoziologie und in dieser Arbeit als Bedingung und Ergebnis sozialer Interaktion verstanden. Phänomenen, Materiellem wie Immatriellem werden Bedeutungen zugemessen, die sozial objektiviert, also durch Interaktion mit anderen entstanden, modifiziert, verfestigt und transportiert werden. Diese Bedeutungszuweisung ist eingebunden in Handlungsprozesse, die einerseits deutend verstanden, andererseits sinnorientiert handelnd vollzogen werden: „Die Gesellschaft stellt den sozialen Akteuren über ihre Institutionen gesellschaftlich und historisch entstandene, komplexe Wissensbestände zur Verfügung. Diese sind auf die verschiedensten Handlungs- und Deutungsprobleme bezogen.“84 Sinn und damit die wahrnehmbare Wirklichkeit der Welt erschließt

81 Jäger 2001; S.81, ohne Hervorhebungen des Originals. Vgl. auch Werner 2004; S.9: „[...] es gehört zu den fesselndsten Fragen der Kriminalsoziologie, darüber nachzusinnen, wie bestimmte gesellschaftliche Wissensordnungen erzeugt und ununterbrochen in Schwebe gehalten werden. Wenn fast alles menschliches Tun oder Unterlassen vor dem Hintergrund kollektiv erzeugtem und geteiltem Wissens geschieht, dann stellen sich automatisch Fragen nach der Grenze des Wissens, in welcher es alleinige Gültigkeit beanspruchen kann und nach der stets neu zu schaffenden Identität derer, die Produzenten und Träger dieses Wissens sind.“ 82 Vgl. neben Keller 2001, 2005 und 2007 auch Bührmann u.a. 2007a und b, Diaz-Bone 2003, Dirks 2006, Jäger 1994, 1999, 2001, Jung 2001 sowie Sarasin 2001 und 2003. Keller (2007; Abs.8) schlägt vor, auf den Begriff „Foucault’sche Diskursanalyse“ zu verzichten, weil Foucault selber keine genaue Methodologie entwickelt hat und sein Ansatz sehr verschiedene Interpretationen und methodische Umsetzungen erfahren hat. 83 Vgl. Maasen 2009; S.12ff. 84 Keller 2001; S.117.

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sich dem erkennenden, wissenden, deutenden und handelnden Subjekt als sozial konstruiert. Das damit verbundene Wissen stammt aus dem gesellschaftlich produzierten und geteilten Wissensvorrat und beinhaltetet unter anderem Handlungsweisen, Interpretationsroutinen, Normen und Moralvorstellungen.85 Gesellschaft erscheint vor diesem Hintergrund als „[...] die in einer Vielzahl von symbolischen Systemen (Sinnwelten) objektivierte, d.h. institutionalisierte, legitimierte, realisierte Realität, gemachtes Faktum einerseits, sozialisatorisch angeeignete Realität andererseits.“86 Wissen und damit auch das gesellschaftliche Wissen über Stadt und Probleme des städtischen Lebens wird über die Externalisierung von Sinnangeboten und die Institutionalisierung von Handlungen und Deutungen konstruiert, durch Wiederholung verfestigt und schließlich sozialisatorisch vermittelt. Diese Genese und die damit eingebundene geschichtliche Kontingenz wird im Alltagsvollzug nicht mitreflektiert. Auch die Kontroll- und Sanktionsprozesse, die mit der Verfestigung und Institutionalisierung von Wissen einhergehen, ihr Geltungsanspruch und ihre Legitimation werden in der urbanen Interaktion ausgeblendet. Diese Geltungsansprüche werden sporadisch, z.B. wenn relevante Probleme, Irritationen oder Störungen auftreten, im Medium der Sprache objektiviert, unter anderem um Heuristiken, Legitimationstheorien oder symbolische Sinnwelten weiterzugeben. In diesem Zusammenhang spielt Macht eine zentrale Rolle:87 Macht ist in der Lage, diese Prozesse zu steuern und damit „Wirklichkeit zu setzen“.88 Damit können sich in interaktiven Prozessen bestimmte Interessen durchsetzen. Abweichung lässt sich vor einem solchen Hintergrund unmittelbar identifizieren, unter anderem auch weil die (expertengestützten) Wirklichkeitsinterpretationen in das Allerweltswissen der Individuen übergehen und deren Handlungen und Deutungen beeinflussen. In der Folge können Konflikte zwischen kollektiven Akteuren über die gültige Wirklichkeitsdefinition ausbrechen. Aber auch die Machtdimension gesellschaftlicher Wirklichkeitsdeutung wird häufig ausgeblendet, wenn es um die Genese und die Folgen gesellschaftlicher Problemlagen geht. Macht als „strategische Situation einer Gesellschaft“89 bestimmt, was Wahrheit ist. Wahrheit an und für sich kann es in diesem

85 Vgl. Keller 2001; S.118. 86 Keller 2001; S.118. 87 Keller (2001; S.118ff. und 2007; Abs.1ff.) führt aus, dass ein Defizit der interpretativen wissenssoziologischen Ansätzen darin besteht, zwar Prozesse der Wissenskonstruktion in den Blick genommen zu haben, die Setzung von Wirklichkeit, d.h. die „konflikthafte Auseinandersetzung

zwischen

kollektiven

Akteuren

über

gültige

keitsdefinitionen“ (Keller 2001; S.121) aber weitgehend ausgeblendet zu haben. 88 Vgl. Berger/Luckmann 1994 (zuerst 1966); S.128 und Keller 2001; S.119. 89 Foucault 1983; S.114.

Wirklich-

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Ansatz nicht geben; sie ist immer zurückgebunden an konkrete historisch-politische Bedingungen. Insofern ist auch Abweichung (als unterstellte Wahrheit im Bezug auf Personen und Gruppen) keine invariante Zuschreibung, sondern abhängig von den sich machtförmig durchsetzenden Interessen der Machtinhaber in politischen oder ökonomischen „Apparaten“. Wahrheit ist „[...] das Ensemble der Regeln, nach denen das Wahre vom Falschen geschieden und das Wahre mit spezifischen Machtwirkungen ausgestattet wird.“90 Um diese im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten aufgehobene Machtdimension reflektieren zu können, wird im Rahmen dieser Erörterung auch auf die an Foucault anschließende Machtanalytik Bezug genommen. In dem hier behandelten Diskurs gilt als wahr, dass Angehörige der oben aufgeführten Gruppen irgendwie bedrohlich, störend für die Sicherheit und Sauberkeit der Innenstädte sind oder werden können. Was sich als wahr herausstellt, ist das Ergebnis von politischen oder ideologischen „Kämpfen“, nicht zwangsläufig das Ergebnis einer wie auch immer erhobenen und reflektierten konkreten Erfahrung.91 Die Produktion von Wahrheit ist abhängig von Macht, die wiederum über Wahrheit ausgeübt wird. Macht ist auch das konstituierende und legitimierende Element von Wissen.92 Sie regelt, was sich im Diskurs durchsetzt und stellt entsprechende Normen auf. Ob tatsächlich Bedrohungen für Sicherheit und Sauberkeit von den Betroffenen ausgehen, spielt vor diesem Hintergrund keine Rolle. Sprache als Medium von Diskursen spielt dagegen eine entscheidende Rolle. Sie strukturiert die Interaktionen der Beteiligten und den Einsatz von Wissen, sie liefert interpretierbare Objektivationen und stellt das Ordnungssystem, vor dem diese Objektivationen Sinn ergeben.93 Insofern sind gesellschaftlich geteilte Denkmuster und darin eingelagerte Sinnzusammenhänge zentrale Elemente der Konstitution von Wissen.94 Bemüht man sich um die Interpretation von Diskursen, so leistet man dementsprechend zugleich einen Beitrag zum Verständnis von Gesellschaft: „Angesichts der Homologie zwischen Sprache und Gesellschaft ist es möglich, anhand von beliebigen Interaktionen die Tiefenstruktur bzw. den relevanten Teil der Tiefenstruktur einer Gesellschaft zu ermitteln. Dies deshalb, weil per definitionem jede sinnhafte (sinnvolle) Interaktion die richtige Anwendung der Grammatik der Gesellschaft, nämlich ihre Macht und

90 Foucault 1978; S.53. 91 Vgl. zur Beobachtung als einer Methode urbaner Erfahrung Legnaro 2001. 92 Vgl. Althoff/Leppelt 1995; S.46. 93 Vgl. Duneier/Molotoch 1999. Vgl. für ein Beispiel Engbergsen 1999. 94 Vgl. auch Jütte 2000; S.11.

28 | STADT UND KONTROLLE moralische Struktur darstellt, die zusammengebündelt Aufschluss über die ‚normale‘ Konstitution der Gesellschaft ergeben.“95

Selbstverständlichkeiten, die in solchen diskursiv vermittelten Wirklichkeitsdefinitionen selbst nicht weiter thematisiert werden, lassen sich so „sichtbar“ machen.96 Auch Raum als sozial konstruierter Raum lässt sich diskursanalytisch erschließen.97 Bei dem zu behandelnden Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten handelt es sich um eine solche Auseinandersetzung kollektiver Akteure, die jeweils ihre Problemdefinitionen, Verantwortungsbeschreibungen, Wirklichkeitsdeutungen und Handlungskonsequenzen in allgemeinöffentlichen Diskursen oder teilöffentlichen Spezialdiskursen durchsetzen wollen. In dem hier verwendeten Diskursbegriff sind Wissen und damit verbundene Praktiken bzw. Handlungsweisen eng aufeinander bezogen. Bei Foucault werden Diskurse als „geregelte Praktiken der Deutungsproduktion und Wirklichkeitskonstitution“98 verstanden. In ihnen werden unter anderem Subjektpositionen (im Sinne von Sprecherrollen) definiert und zugewiesen sowie legitime wie nicht-legitime Sprecher unterschieden. Ist eine Wirklichkeitsdefinition gesetzt, sind alle anderen ausgeschlossen. Diskurse sind in sich geordnet, sie stellen Wissensordnungen her, sie objektivieren und kontrollieren sie mit Hilfe von Institutionen.99 „In Gesellschaften wie der unseren kann die ‚politische Ökonomie der Wahrheit‘ durch fünf historisch bedeutsame Merkmale charakterisiert werden: Die Wahrheit ist um die Form des wissenschaftlichen Diskurses und die Institutionen, die ihn produzieren, zentriert; sie ist stän-

95 Smaus 1986; S.188f. Sprachgrenzen, also die mangelnde Fähigkeit, Sprache zu verstehen, bedeuten deshalb „Welt- und Verstehensgrenzen“. Vgl. Werner 2004; S.10. 96 Vgl. Renggli 2007 und Werner 2004; S.21: „Dieses Wissen wird unterschiedlichen Diskursen entnommen und führt, über die Regulation individuellen Bewusstseins, zu einem Typus von handelndem Menschen, der, zusammen mit Gleichgesinnten, am Aufbau und am Erhalt der Struktur einer sozialen Welt beteiligt ist. Zu einem nicht unbedeutenden Teil wird dieses (Alltags-)Wissen von ihnen selbst erzeugt, als Erzählung in Zirkulation gehalten, fortlaufend aktualisiert und angewandt. Dieses handlungsanleitende Wissen ist den Akteuren nur selten bewusst. Eine Vertrautheit mit diesen unbewussten Wissensbeständen kann durch einen Außenstehenden nur erlangt werden, in dem er sich selbst in das soziale Geschehen involviert und einen biografischen Wandlungsprozess durchläuft, in welchem er Kenntnisse darüber erwirbt, was in dieser Lebenswelt sagbar ist, was gesagt werden muss, was nicht gesagt werden darf und was hier als ‚wahr‘ gilt.“ 97 Vgl. Bauriedl 2007. 98 Keller 2001; S.123. 99 Vgl. Foucault 2001d (zuerst 1972).

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digen ökonomischen und politischen Anforderungen ausgesetzt (Wahrheitsbedürfnis sowohl der ökonomischen Produktion als auch der politischen Macht); sie unterliegt in den verschiedensten Formen enormer Verarbeitung und Konsumtion (sie zirkuliert in Erziehungs- und Informationsapparaten, die sich trotz einiger Einschränkungen relativ weit über den sozialen Körper ausdehnen); sie wird unter der zwar nicht ausschließlichen, aber doch überwiegenden Kontrolle einiger weniger großer politischer oder ökonomischer Apparate (Universität, Armee, Presse, Massenmedien) produziert und verteilt; schließlich ist sie Einsatz zahlreicher politischer Auseinandersetzungen und gesellschaftlicher Konfrontationen (‚ideologische Kämpfe‘).“100

Insofern bietet sich die Methode der wissenssoziologischen Diskursanalyse im hier behandelten Kontext an. Sie eignet sich, um das Verhältnis von Abweichung und Normalität im städtischen Kontext, wie es die Rede von Sicherheit und Sauberkeit impliziert, aufzuschlüsseln, weil sie die Reflexion des wissenschaftlichen und alltagspraktischen Interpretationsprozesses, in dem Normalität und Abweichung konstruiert werden, beleuchten kann. Sie setzt vor allem am wissenschaftlichen Diskurs an, berücksichtigt aber auch weitere Öffentlichkeitsarenen sowie unterschiedliche Institutionen sozialer Kontrolle und zeigt – die Foucault’sche Perspektive eingeschlossen – auf, welche machtvermittelten Interessen sich beispielsweise bezüglich der Definition und Kontrolle des öffentlichen Raums durchsetzen und wie diese Dispositive formen können, die wiederum die Alltagswelt der Städter, ihr Alltagswissen und ihre Wirklichkeitsinterpretation beeinflussen. Darüber hinaus hat sich seit Foucault diese Art der Analyse bei der Beschreibung des Phänomens der „Ausgrenzung“ einzelner oder bestimmter Gruppen bewährt: „Im Grunde hat er (Foucault, G.L.) immer die soziokulturelle Ordnung gleichmachender ‚Normalisierung‘ bekämpft, die ihr abnormes und unordentliches Andere aus der Welt schaffen wollte, handele es sich um Wahnsinnige, Kranke, Delinquente, Spinner und Perverse [...], die nicht so beschaffen sind, dass sie in einer zugelassenen oder anerkannten Sprache zum Ausdruck finden könnten.“101 Da Diskurse immer normativ aufgeladen sind, ergibt sich in ihnen, was „ausgeschlossen“, was „ausgegrenzt“ wird: „In diesen Feldern der ersten Differenzierungen, in den Entfernungen, den Diskontinuitäten und den Schwellen, die sich darin manifestieren, findet der [...] Diskurs die Möglichkeit, seinen Bereich abzugrenzen,

100 Foucault 1978; S.51. 101 Fink-Eitel 1989; S.114. Vgl. als Einführung in Foucaults Denken Dreyfus/Rabinow 1987 und Veyne 2003, zu seiner Bedeutung in den Humanwissenschaften Honneth 2003.

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das zu definieren, worüber er spricht, ihm den Objektstatus zu geben – es also erscheinen zu lassen, es nennbar und beschreibbar zu machen.“102 Die Summe der Aussagen, die sich aus einer diskursiven Praxis ergeben, nennt Foucault „Wissen“.103 In den interpretativen Ansätzen wird von „Wissensbeständen“ gesprochen. Jede Gesellschaft kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert diese Produktion von Wissen laut Foucault entlang einer „Ordnung des Diskurses“,104 dem auch der hier behandelte um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten folgt. Ausschließungssysteme, die innere Ordnung von Diskursen und die Bedingungen des Einsatzes von Diskursen führen unter anderem dazu, dass sich die vorfindbare Wirklichkeit als Wahrheit darstellt, anstatt als Konstruktion zu erscheinen.105 Das hat Konsequenzen auf die politische Diskussion der Diskursgegenstände. Sie erlauben aber auch, Diskurse zu gruppieren, indem bestimmte Aussagen mit einem Namen verknüpft werden.106 Sie verschleiern die in den Diskursen aufgehobene Macht und lassen den Eindruck entstehen, dass Diskurse gesellschaftliche Maßnahmen, Institutionen oder Gedanken abbilden, ohne diese Abbildung interessengeleitet zu verzerren. Insofern muss eine wissenssoziologische Analyse des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit aufzeigen, welche Verzerrungen vorliegen und inwiefern Diskurse kontrolliert werden. Ihre Aufgabe ist die „Reflexion und Kontrolle des wissenschaftlichen Interpretationsprozesses“.107 Damit wird Macht zu einer zentralen Kategorie jeder wissenssoziologischen Diskursanalyse: „Dem Diskurs die Machtfrage stellen, heißt also im Grunde genommen: wem nützt du?“108 Im Diskurs verbinden sich Wahrheit, Wissen und Macht zu einem Feld, das Gesellschaft strukturiert und die Grenzen von Normalität und Abweichung definiert: „[...] die Beziehungen, Strategien und Technologien der Macht, die uns konstituieren, uns durchqueren und ausmachen (sind, G.L.) von Formationen des Wissens und der Wahrheit begleitet [...], die sie ermöglichen und produzieren und die unentbehrlich für sie sind, um sich als evident und naturgegeben zu verfestigen und sich damit zugleich unsichtbar zu machen.“109 Diskurse können als institutionell verfestigte Redeweisen aufgefasst werden, die Verstehen ermöglichen, gesellschaftliches und individuelles Handeln bestim-

102 Foucault 1988; S.63. 103 Vgl. Foucault 1988; S.260. 104 Vgl. Foucault 2001d (zuerst 1972). 105 Vgl. Althoff/Leppelt 1995; S.33f. 106 Auf diese Weise entstehen im wissenschaftlichen Diskurs „Schulen“, auf die hier teilweise auch Bezug genommen wird. 107 Keller 2001; S.124. 108 Foucault 1978; S.29. 109 Foucault 1978; S.10.

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men und insofern Macht ausüben – oder in anderen Worten: Wirklichkeit setzen.110 Diskurse sind strukturierte und strukturierende Aussagesysteme, einzelne Aussagen (Beiträge, Positionen) sind „diskursive Ereignisse“, die Positionen des Sprechers bzw. des Autors enthalten.111 Sie sind als verselbständigte Flüsse gesellschaftlichen Wissens bzw. sozialer Wissensvorräte voraussetzungsvoll, sie sind in der Zeit beschreibbar und können insofern selbst bereits eine tradierte Geschichte haben – wie dies beim hier verhandelten Diskurs der Fall ist.112 Angesichts der Vielzahl kontroverser Beiträgen und deren komplexen Implikationen kann man von einer eigenen „diskursiven Praxis“ sprechen. Es handelt sich bei dem Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten um ein „[...] Feld von Aussagen und deren Konstruktion durch ein Formationssystem. Die Aneignung, Zurichtung und das Wirken [...] (dieses Diskurses, G.L.) durch nicht-diskursive Praktiken hindurch und ihr Zusammenspiel mit der Macht zeigt das Kräfteverhältnis auf, das dem Diskurs immanent ist.“113 Machtwirkungen haben Diskurse in zweierlei Hinsicht: Einerseits üben sie als institutionalisierte Redeweise und an Handlungen gekoppelte Formen der Thematisierung Macht aus, indem sie Aussagesysteme begrenzen und damit zugleich andere Aussagen, Blickrichtungen, Fragestellungen etc. ausblenden. Diskurse selbst haben einen machtförmigen, sowohl eingrenzenden wie ausgrenzenden Charakter, können somit als Medien der (thematischen) Inklusion wie Exklusion114 gelesen werden.115 Die Machtwirkungen eines Diskurses beziehen sich also auf die Begrenzung oder Entgrenzung des zu einem Thema Sagbaren,116 als regulierende Instanzen sind sie in der Lage, gesellschaftliches Wissen und individuelles Bewusstsein zu formieren. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum es im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten immer um dieselben, als abweichend deklarierten Personengruppen geht. Diskurse spiegeln gesellschaftliche Wirklichkeit, wie auch immer diese ihrerseits deutend und handelnd konstruiert sein mag,

110 Vgl. Sawyer 2003 und Keller 2001; S.119ff. 111 Foucault benennt vier Merkmale von Aussagen: Sie sind als „Referential“ eingebunden in ein diskursives Praxisfeld, sie weisen dem aussagenden Subjekt eine Position im Diskurs zu, sie benennen ein „assoziiertes Gebiet“ und sie haben eine materielle Existenz. Vgl. Foucault 1988 (zuerst 1973); S.133ff. und Althoff/Leppelt 1995; S.21f. 112 Vgl. Kap. 5. 113 Althoff/Leppelt 1995; S.18. 114 Vgl. Kap. 3.2.1. 115 Vgl. Boyle/Rogerson 2001. 116 Dies ist unter anderem abhängig vom Medienzugang, der Ökonomie und Eigenlogik der Massenmedien, der Wissenschaften und Politik sowie den Strategien der Tabuisierung und Enttabuisierung, der Relativierung, der Verleumdung etc.

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wider. Sie „[...] entwickeln einen systematischen und institutionellen Anspruch, ‚realitätsgetreu‘ zu sein.“117 Diskurse stellen eine eigene Wirklichkeit dar und lassen sich aus diesem Grund auch nicht einfach als verzerrte Wirklichkeitssicht oder Ideologie, als „falsches Bewusstsein“, qualifizieren.118 Aus diesem Grund verbietet es sich auch, die im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit angesprochenen Probleme zu verharmlosen oder als irrelevant einzustufen. Diskurse führen gegenüber gesellschaftlicher Wirklichkeit ein Eigenleben, das seinerseits gesellschaftlich konstruierte Wirklichkeiten prägt oder unter Umständen erst schafft. Sie sind demnach Praktiken, die systematisch die Gegenstände (Theorien, Aussagen etc.) bilden, die sie ihrerseits dann wieder thematisieren. Insofern sind Diskurse durchaus materiell, können aber ihre (Macht-)Wirkungen als Träger jeweils gültigen Wissens nur im Zusammenspiel mit Subjekten in überindividuellen gesellschaftlichen Kontexten entfalten, indem sie individuelles wie gesellschaftliches Handeln ebenso wie andere Diskurse induzieren. Sie tragen somit andererseits zur Strukturierung, Veränderung oder Verfestigung und Perpetuierung von gesellschaftlichen Machtverhältnissen bei. Dabei spielen Sonderwissensbestände von Expertengruppen eine wichtige Rolle. Im Rahmen einer wissenssoziologischen Diskursanalyse werden als Diskurse „[...] spezifische, thematisch-institutionelle Bündelungen der Wissensproduktion, Verknüpfungen von Deutungen und (nicht nur kommunikativen) Handlungen unter analytischen Gesichtspunkten aus dem gesellschaftlichen Wissensvorrat ‚herausgeschnitten‘ und als Zusammenhang von Wissensproduktion, Objektivationsbestrebungen und deren gesellschaftliche Wirkungen – eben der gesamte Bereich der Wissensproduktion und Wissenskonkurrenz – zum Forschungsgegenstand.“119 Dazu stellt die wissenssoziologische Diskursanalyse vier Kategorien als „sondierende Konzepte zur Analyse gesellschaftlicher Wissensverhältnisse und Wissenspolitiken“120 zur Verfügung:121

117 Althoff/Leppelt 1995; S.21. 118 Zum Verhältnis von Diskursanalyse und Ideologiekritik vgl. vor allem Hirseland/ Schneider 2001, Althoff/Leppelt 1995; S.77ff., aber auch Jäger 2001; S.85. In einer Ideologie sind Wissen und Macht unmittelbar „eingeschlossen“, um der Aufrechterhaltung von Herrschaftsverhältnissen zu dienen. „Die Macht ist nicht begriffen in der Alternative: Gewalt oder Ideologie. Tatsächlich ist jeder Punkt der Machtausübung zur gleichen Zeit ein Ort der Wissensbildung.“ Foucault 1976; S.118. Ideologie wird offenbar, wo sich Wissenschaft kritisch vom Wissen distanziert und dessen Formation infrage stellt. Vgl. grundlegend Habermas 1968. Vgl. zum Verhältnis von Wissenssoziologie und Ideologiekritik Maasen 2009; S.12ff. 119 Keller 2001; S.126. 120 Keller 2007; Abs.16. 121 Vgl. zum Folgenden Keller 2007; Abs.16ff.

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1. Deutungsmuster sind internalisierte kognitive Konstrukte, die auf ein definiertes Kollektiv bezogen Wert- und Angemessenheitsurteile leiten. Sie stellen in der Alltagswelt verbindliche Beurteilungsheuristiken bzw. -routinen zur Verfügung, um etwaige Problemstellungen zu verstehen und zu bewältigen. Sie werden in Interaktionen produziert, sind historisch gewachsen und werden in Sozialisationsprozessen tradiert. Sie sind als Regelstrukturen, Wissensbestände und gesellschaftliche Praxis den Subjekten vorgängig, werden allerdings auch situationsspezifisch weiterentwickelt: „Demnach ist ein Deutungsmuster ein Ergebnis der ‚sozialen Konstruktion von Wirklichkeit‘, d.h. ein historisch-interaktiv entstandenes, mehr oder weniger komplexes Interaktionsmuster für weltliche Phänomene, in dem Interpretamente mit Handlungsorientierungen, Regeln unter anderem verbunden werden.“122 2. Bei Klassifikationen handelt es sich um formalisierte und stabilisierte soziale Typisierungsprozesse. Ihre Aufgabe ist nicht, vorgefundene Wirklichkeit in Kategorien zu ordnen, sondern diese Wirklichkeit erfahrbar zu machen. Das Subjekt braucht demnach keine eigenen Typen zu bilden, es kann auf Bestehendes zurückgreifen: „Der normale Vollzug unserer deutungs- und handlungspraktischen Alltagsroutinen besteht in einem ununterbrochenen Prozess des Klassifizierens im Rückgriff auf angeeignete Elemente kollektiver Wissensvorräte.“123 Welche Klassifikation Gültigkeit beanspruchen kann, ist eine Machtfrage und kann zwischen unterschiedlichen Diskurse und auch innerhalb eines Diskurses umstritten sein. 3. Die Phänomenstruktur erlaubt als dritte, komplementäre Kategorie Diskurse zu strukturieren. Es handelt sich dabei um die Ergebnisse diskursiver Zuschreibungen, im Rahmen derer ein referenzieller Bezug mit unterschiedlichen Elementen oder Dimensionen benannt und zu einer spezifischen Form, einer spezifischen Phänomenkonstellation verdichtet wird. Dabei lassen sich die „dimensionale Erschließung“ als allgemeine Zusammensetzung der Phänomengestalt und die „inhaltliche Ausführung“ unterscheiden. „Bspw. erfordert die Konstruktion eines Themas als Problem auf der öffentlichen Agenda die Behandlung verschiedener Dimensionen durch die Protagonisten und im Rückgriff auf argumentative, dramatisierende und bewertende Aussagen: die Benennung von Merkmalen, kausalen Zusammenhängen (Ursache-Wirkung) und ihre Verknüpfung mit Zuständigkeiten

122 Keller 2007; Abs.21. 123 Keller 2007; Abs.22. In der Foucault’schen Diktion entsprechen dem „Episteme“ als unterscheidbare Klassifikationsregimes, die zu einem gegebene Zeitraum, in einer historischen Phase, eine Klassifikation festschreiben und handlungspraktische Folgerungen nahe legen.

34 | STADT UND KONTROLLE (Verantwortung), Problemdimensionen, Wertimplikationen, moralischen und ästhetischen Wertungen, Folgen, Handlungsmöglichkeiten u.a.“124

Phänomenstrukturen spielen bei der Analyse „sozialer Probleme“ eine wichtige Rolle, weil sie erlauben, diskursiv vermittelten Subjektpositionen und damit Akteuren Positionierungen als „Problemfälle“ oder „verantwortungsvoll Handelnde“ etc. zuzuordnen. Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit hat man es dementsprechend mit den sogenannten „A-Gruppen“,125 mit „Randständigen“,126 „Störern“,127 „Bettlern“, „Überflüssigen“128 etc. oder mit der „urbanen Unterklasse“ als Phänomenstruktur zu tun. Als handelnde Individuen, als Akteure, sind sie von Bedeutung, wenn es um die praktische Realisierung von Machtbeziehungen und die Verortung im Sozialen geht – nur geschieht dies in einem Netz diskursiver Beziehungen, in die das Subjekt verstrickt ist. Diese Subjekte treten im Rahmen einer wissenssoziologischen Diskursanalyse hinter die Diskurse zurück. Zwar vollziehen sie als Akteure die Handlungen, „durch die Diskurse existieren“129 in institutionell strukturierten Kontexten, sie müssen aber nicht zwangsläufig als individuelle Beiträger oder als Rezipienten von Diskursen auftauchen oder identifizierbar sein. Als kollektive Akteure können sie als Teil einer Diskursgemeinschaft in einem angebbaren sozialgeschichtlichen Kontext, die gemeinsame Diskurspositionen nutzen, erscheinen. Diskurse stellen potenzielle Positionen sowie Sanktionsmechanismen der Inund Exklusion von Sprechern für Akteure bereit, die fakultativ eingenommen bzw.

124 Keller 2007; Abs.26. 125 Vgl. zum Begriff der A-Gruppen Herlyn 1993; S.255. Zu ihnen zählen unter anderem Alkoholiker, Arme, Ausländer (vor allem ausländische Jugendliche), Asylanten, (arme) Alte, Arbeitslose, (Drogen-)Abhängige, sonst wie (psychisch) Auffällige, „Autonome“ (in innenstadtnahen besetzten Häusern und Wagenburgen, vgl. Blechschmidt 1998) usw. Vgl. zu einer weiteren Differenzierung der betroffenen Gruppen Kap. 4.1 und zur Konstruktion solcher Gruppen Kap. 3.2.2. 126 Als „Randständige“ werden die Angehörigen problematisierter und stigmatisierter Gruppen im sogenannten „Wrocklage-Papier“ bezeichnet, einem Thesenpapier aus dem Hause des ehemaligen Hamburger Innensenators zur „drohenden Unwirtlichkeit der Städte“, das die Debatte um die Vertreibung in den Innenstädten maßgeblich angestoßen hat und in der Reform des Hamburger SOG gipfelte. Vgl. Kahl 1996 und Hauer/Peddinghaus 1997. Vgl. auch Schüler-Springorum 1995. Von „Randgruppen“ sprechen Virilio/Brausch (1995). 127 Vgl. o.V. 1992. 128 Vgl. z.B. Bauman 2005; S.20, Bude/Willisch 2006a und b, Hark 2005, Imbusch 2001, Oswald 2006, Schroer 2001b, Steinert 2000, Werber 2001 sowie Willisch 2001. 129 Keller 2001; S.133.

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angewandt werden können. Diskurs und Akteursgruppe müssen deshalb nicht identisch sein.130 4. Die inhaltliche Gestalt von Diskursen wird durch narrative Strukturen bedingt. Narrative Strukturen sind strukturierende Momente von Aussagen und Diskursen, „[...] durch die verschiedene Deutungsmuster, Klassifikationen und Dimensionen der Phänomenstruktur (z.B. Akteur[innen], Problemdefinitionen) zueinander in spezifischer Weise in Beziehung gesetzt werden.“131 Sie verknüpfen disparate Zeichen und Aussagen als Erzählungen, um die Welterfahrung der Subjekte zu ordnen und Weltzustände zu beschreiben. Einzelne Diskursbausteine werden so zu unter Umständen komplexen „Story Lines“ zusammengefügt, sodass sie in einem mehr oder minder kohärenten Zusammenhang aufgenommen und verstanden werden können. Unterschiedliche kollektive Akteure können unter Rückgriff auf eine Grunderzählung, in der z.B. die Problemdringlichkeit, die kausale und politische Verantwortung, Lösungsmöglichkeiten, Opfer und Täter formuliert sind, koalieren, um ihren Interessen Gehör zu verschaffen: „Probleme lassen sich (ent-)dramatisieren, versachlichen, moralisieren, politisieren oder ästhetisieren. Akteure werden aufgewertet, ignoriert oder denunziert. Sagbares trennt sich von Nicht-Sagbarem.“132 Zusammengefasst: „Diskurse üben Macht aus, da sie Wissen transportieren, das kollektives und individuelles Bewusstsein speist. Dieses zustande kommende Wissen ist die Grundlage für individuelles und kollektives Handeln und die Gestaltung von Wirklichkeit.“133 Die genannten Kategorien ermöglichen eine systematisierende Ordnung und Analyse eines Diskurses wie um Sicherheit und Sauberkeit und die darin enthaltenen Deutungsmuster, Klassifikationen, Phänomenstrukturen und narrative Strukturen. Dazu fokussiert eine wissenssoziologische Diskursanalyse auch auf Dispositive von Diskursen. Foucault versteht darunter ein „[...] entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes wie Ungesagtes umfasst.“134 Damit schließt ein Dispositiv sowohl Diskurse wie auch die durch sie hervorgebrachte Wirklichkeit mit ein. Dispositive eines Diskurses lassen sich definitorisch als Ergebnisse des Zusammenspiels diskursiver Praxen (also des Sprechens und Denkens auf der Grundlage eines vorgängigen

130 Vgl. Keller 2001; S.133f. 131 Keller 2007; Abs.28. 132 Keller 2007; Abs.29. 133 Jäger 2001; S.87. 134 Foucault 1978; S.119f.

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Wissens), nicht-diskursiver Praxen (also des Handelns auf der Grundlage vorgängigen Wissens) und „Sichtbarkeiten“ bzw. „Vergegenständlichungen“ (von vorgängigem Wissen durch Handeln) fassen. Sie entstehen (intentional oder nicht) aus gesellschaftlichen Praxisvollzügen, mit denen auf eine gesellschaftliche „Notlage“ geantwortet wird. Es handelt sich um „Sichtbarkeiten“ und „Vergegenständlichungen“ eines Diskurses. „Insofern gilt es, die hier entlang des Dispositivkonzepts diskutierte Erweiterung des diskursanalytischen Blicks hin zu einer umfassenden Analyse der konkret erfahrbaren gesellschaftlichen Wirklichkeit, die sich den Akteuren nicht nur qua (diskursiv vermitteltem) Wissen und Kommunikation erschließt, sondern ihnen in den Objektivationen ihres Denkens und Handelns gegenübertritt und zum ‚Gegen-Stand‘ wird, wissenssoziologisch-diskurstheoretisch wie methodisch-praktisch voranzutragen. Dispositivanalysen könnten dazu beitragen, eine für Machtphänomene sensible ‚praxeologische Brücke‘ zwischen ‚Reden‘ und ‚Handeln‘ zu schlagen, indem sie uns die (historisch) unterschiedlichen Formen des ‚In-der-Welt-Seins‘ begreiflich machen, die nicht nur eine Frage des (Nicht)Sagbaren, sondern immer auch der (Un)Sichtbarkeiten/(Un)Erfahrbarkeiten sind.“135

Im Rahmen dieser Erörterung sollen neben einzelnen Thematisierungen als Diskurselementen und -kategorien auch drei Dispositive des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten thematisiert werden:136 die Entwicklung wiederum dreier Formen urbaner polizeilicher Tätigkeit, Architektur und Städtebau sowie das Recht.137 Der Gegenstand eines Diskurses wird durch die in ihm verwendete Begrifflichkeit erzeugt: „Die Geisteskrankheit ist durch die Gesamtheit dessen konstruiert worden, was in der Gruppe all dieser Aussagen gesagt worden ist, die sie benannten, sie zerlegten, sie beschrieben, sie explizierten, ihre Entwicklung erzählten, ihre verschiedenen Korrelationen anzeigten, sie beurteilten und ihr eventuell die Sprache verliehen, indem sie in ihrem Namen Diskurse artikulierten, die als die ihren gelten sollten.“138

135 Schneider/Hirseland 2005; S.272f. 136 Vgl. dazu Kap. 3. 137 Vgl. Kap. 4.2 bis 4.4. 138 Foucault 1988; S.49. Das Beispiel der Geisteskrankheit kann durch andere Formen von „Abweichung“ ersetzt werden. Tatsächlich bewegen sich viele der Personen, die im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten als „abweichend“ angesprochen werden, psychisch jenseits einer als selbstverständlich vorausgesetzten gesellschaftlichen Konstruktion von Normalität.

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Insofern ist eine Aufgabe der Diskursanalyse, solchen Konstruktionen zu folgen, indem die deutungs- und handlungsrelevanten Fundamente des Diskurses aufgefunden, benannt und erörtert werden.139 Die oben angedeuteten Regelmäßigkeiten, die innerhalb eines Diskurses in der Beziehung von Aussagen zueinander auftreten und die ihrerseits auf die genannten Kategorien verweisen,140 machen die Konstruktionen eines diskursiven Beziehungsgeflechtes ebenso ablesbar wie die Position der Sprechenden, deren Status wiederum den Wert und die Wirksamkeit einer Aussage bestimmt.141 Deshalb muss bei der Interpretation der Aussagen innerhalb des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit berücksichtigt werden, welche Begriffe in welcher Bedeutung Verwendung finden und welche soziale Position der Autor einnimmt. Erst durch den „Einbezug von sozialen Akteuren, verschieden Praxisformen und Dispositiven“ lassen sich Diskurse und ihre Elemente angemessen fassen.142 So macht es hinsichtlich der Machtwirkung unabhängig von der Qualität des Gesagten einen Unterschied, ob eine Aussage von dem kollektiven Akteur Lokalpolitik, der Sozialarbeit, Rechtspflege, Polizei, Architekten oder Sozialwissenschaftlern stammt. Sie alle beziehen ihre Aussagen auf Praktiken, die so dem Diskurs immanent werden ohne ihre Genese und ihre Bedingtheit mitzudenken. Praktiken sind „[...] sozial konventionalisierte Arten und Weisen des Handelns, also typisierte Routinemodelle für Handlungsvollzüge, die von den unterschiedlichsten Akteuren mit mehr oder weniger kreativ-taktischen Anteilen aufgegriffen, ‚gelernt‘, habitualisiert und ausgeführt werden.“143 Nicht-diskursive Praxen bezeichnet Foucault als Institutionen: „Was man im Allgemeinen ‚Institution‘ nennt, meint jedes mehr oder weniger aufgezwungene, eingeübte Verhalten. Alles was in einer Gesellschaft als Zwangssystem funktioniert und keine Aussage ist, kurz also: alles nicht-diskursive Soziale ist ‚Institution‘.“144 Diskursive und nicht-diskursive Praxen sind miteinander verwoben: „So kann dieser oder jener Diskurs bald als Programm einer Institution erscheinen, bald im Gegenteil als Element, das es erlaubt, eine Praktik zu rechtfertigen und zu maskieren, die ihrerseits stumm bleibt. [...] Kurz gesagt gibt es zwischen diesen Elementen, ob diskursiv oder nicht, ein Spiel von Positionswech-

139 Zum genaueren forschungspraktischen Vorgehen (Sampling, Kodierung etc.) vgl. z.B. Keller 2001; S.135ff. oder Keller 2007; Abs.31ff. 140 Foucault spricht in diesem Zusammenhang vom „Formationssystem“ eines Diskurses. 141 Vgl. Althoff/Leppelt 1995; S.24ff. 142 Vgl. Keller 2007; Abs.43. Insofern geht eine wissenssoziologische Diskursanalyse weit über eine reine Textanalyse hinaus. 143 Keller 2007; Abs.44. Keller unterscheidet im Weiteren zwischen „Praktiken der Diskurs(re)produktion“, „diskursgenerierten Modellpraktiken“ und „diskursexternen Praktiken“. 144 Foucault 1978; S.125.

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seln und Funktionsveränderungen, die ihrerseits wieder sehr unterschiedlich sein können.“145 Anhand von Dispositiven lässt sich dieses Verhältnis illustrieren. Sie „[...] vermitteln als ‚Instanzen‘ der Diskurse zwischen Diskursen und Praxisfeldern (Praktiken). Ein Dispositiv ist der institutionelle Unterbau, das Gesamt der materiellen, handlungspraktischen, personellen, kognitiven und normativen Infrastruktur der Produktion eines Diskurses und der Umsetzung seiner angebotenen ‚Problemlösung‘ in einem spezifischen Praxisfeld. Dazu zählen bspw. die rechtliche Fixierung von Zuständigkeiten, formalisierte Vorgehensweisen, spezifische (etwa sakrale) Objekte, Technologie, Sanktionsinstanzen, Ausbildungsgänge etc.“146

Stadt steckt den Rahmen der Lebenswelt des überwiegenden Teils der Bevölkerung sozial wie räumlich ab. Sie ist der Ort, an dem unterschiedlichste gesellschaftliche Bedingungen, Strukturmerkmale und Gegebenheiten in konkrete, in materielle Lebensbedingungen transformiert werden.147 Insofern entfaltet der auf sie bezogene Diskurs Realität wie Materialität.148 In ihnen wirken als kollektive Akteure politische Entscheidungsträger, gesellschaftliche Eliten, behördliche Funktionsträger, die Macht ausüben, indem sie diskursiv auf die Verdichtung sozialer Probleme in Stadt abheben, unerwünschtes Verhalten definieren und Missstände öffentlich benennen.149 Die Dispositive dieses Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit haben als Institutionen mittels der darin aufgehobenen Macht direkte Auswirkungen auf die Lebenswelt des größeren Teils der verstädterten Gesellschaft. Im Diskurs wird unter anderem die Gruppe der Auszugrenzenden definiert, Verhaltensstandards und ästhetische Standards werden zum Maß für Normalität erhoben,150 Subjekte werden handlungsstrukturierend durch die angeführten Dispositive im Raum verteilt, deren

145 Foucault 1978; S.120. 146 Keller 2007; Abs.45. 147 Vgl. Krämer-Badoni 1991; S.27. 148 Diese „Wahrheit“ existiert zunächst relativ unabhängig von empirischen Tatbeständen und hat insofern einen Eigenwert. Vgl. Bührmann/Schneider 2007. 149 Vgl. Althammer 2007; S.7. 150 In einem Modellprojekt wurde für London ein Katalog „akzeptabler Verhaltensweisen“ entwickelt, mit dem man „antisozialem“ Verhalten in der Stadt begegnen möchte. Zum antisozialen Verhalten gehören unter anderem die Beschädigung öffentlichen Eigentums, die Beleidigung von Passanten, die Versammlung in Gruppen, das „Herumhängen“ und laut Sein im öffentlichen Raum, das Spucken, Fluchen etc. Vgl. Bullock/Jones 2004.

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Zirkulation, deren Chancen, sich im öffentlichen Raum Gehör zu verschaffen oder Präsenz zu zeigen wird durch Interventionen sozialer Kontrolle beeinflusst, die sich wiederum dem Diskurs verdanken. Aber Macht, die konstitutiv in diesem Diskurs eingelassen ist, muss nicht nur repressiv wirken, sie kann produktiv sein: „Wenn sie nur repressiv wäre, wenn sie niemals etwas anderes tun würde als nein sagen, ja glauben Sie dann wirklich, dass man ihr gehorchen würde? Der Grund dafür, dass die Macht herrscht, dass man sie akzeptiert, liegt ganz einfach darin, dass sie nicht nur als neinsagende Gewalt auf uns lastet, sondern in Wirklichkeit die Körper durchdringt, Dinge produziert [...].“151 „Man muss aufhören, die Wirkungen der Macht immer negativ zu beschreiben, als ob sie nur ‚ausschließen‘, ‚unterdrücken‘, ‚verdrängen‘, ‚zensieren‘, ‚abstrahieren‘, ‚maskieren‘, ‚verschleiern‘ würde. In Wirklichkeit ist die Macht produktiv; und sie produziert Wirkliches. Sie produziert Gegenstandsbereiche und Wahrheitsrituale; das Individuum und seine Erkenntnis sind Ergebnisse dieser Produktion.“152

Macht geht in diesem Verständnis weit über staatliche Macht, über das Konzept des Souveräns oder einzelne juridische Verbote hinaus: Als positive Macht konditioniert sie „[...] eine ganze Serie von Machtnetzen, die die Verhaltensweisen, das Wissen, die Techniken usw. durchdringen [...]“,153 sie setzt Wirklichkeit und durchdringt so das alltägliche Leben der Städter. Macht formt, vermittelt durch Diskurse wie den hier behandelten, das ästhetische Empfinden der Städter, legt fest, was als normal, was als abweichend gilt und lenkt das Verhalten der Städter im Sinne einer Selbststeuerung, ohne sich repressiver Maßnahmen bedienen zu müssen. Will man ergründen, wie sich Herrschaft in Stadt vollzieht, muss man die auf Stadt bezogenen Diskurse und ihre Dispositive näher betrachten, weil sie die Wirklichkeitsdeutung der Städter beeinflusst und ihre Handlungsvollzüge leitet. Diskurs und Dispositive bedingen sich gegenseitig und formen die „Ausgrenzungsrhetorik“ gleichermaßen wie sie die „Ausgrenzungspraxis“ bestimmen. Dabei ist das Dispositiv des Rechts von besonderer Bedeutung, weil das Recht „die Sprache der Macht“154 in den abendländischen Gesellschaften ist, sich Macht in Form von Normen materialisiert und Machtwirkungen deshalb in juristischen Diskursen am augenscheinlichsten werden.155 Polizei ist die für jeden Städter unmittelbarste Repräsentation von Macht im Alltag. Architektur stellt den physischen Rahmen urbaner Wirklichkeits-

151 Foucault 1978; S.35. 152 Foucault 1995 (zuerst 1977); S.250. 153 Foucault 1978; S.39. 154 Vgl. Althoff/Leppelt 1995; S.48. 155 Vgl. Kap. 4.4.

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erfahrung. Daraus folgt aber, dass Macht auch verschleiert auftritt: Durch die Zuordnung zu einer Norm werden Ausgrenzungs- oder Kriminalisierungsprozesse entpolitisiert und moralisiert.156 Abweichung erscheint vor diesem Hintergrund als moralisches Problem, als Ergebnis des moralischen Versagens Einzelner, nicht als Ergebnis von politischer oder ökonomischer Herrschaft. Insofern ist auch verständlich, warum den betroffenen Personen oder Gruppen im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit mitunter „Faulheit“, „schlechte Erziehung“ oder „moralisches Versagen“ attestiert wird. Als Disziplinarmacht157 konzentriert sich Macht auf die Kontrolle der Körper, indem sie ein System von Regeln, Techniken, Prozeduren und Instrumenten („Disziplinen“) der Manipulation entwickelt, um Subjekte zu erziehen oder sie bzw. ihr Verhalten zu normieren. Machtausübung zielt in diesem Verständnis erstens auf die Herstellung von Gefügigkeit und zweitens auf die von Nützlichkeit. Gesellschaftlich nützlich ist das gefügige Subjekt. Wer sich abweichend verhält, ist dementsprechend gesellschaftlich unnütz, überflüssig, was dann wiederum Abwehrreaktionen hervorruft. Ist diese Normierung gelungen, schwebt Macht nicht abstrakt über den Individuen; als „Mikrophysik der Macht“158 ist sie verortet in den Subjekten und wendet sich ihnen zu: „Die Individuen überwachen und kontrollieren sich selbst.“159 Damit ist Disziplin das zentrale Element der Selbststeuerung. Macht scheint auch in der „konflikthaften Auseinandersetzung zwischen kollektiven Akteuren über gültige Wirklichkeitsdefinitionen“160 auf. Dabei spielt Wissenschaft eine besondere Rolle: Die nicht-diskursiven Praxen der Machtausübung beziehen sich auf die diskursive Praxis der Wissenschaften, indem diese Wissen produzieren, das zur Überwachung und Normalisierung der Subjekte nach zeitlichen, räumlichen und sachlichen Gesichtspunkten verwendet werden kann: „Der Übergang von der direkten, sichtbaren und punktuellen Machtausübung (‚Souveränitätsmacht‘, G.L.) zu einer vielschichtigen, allgegenwärtigen Machtausübung ist das Kennzeichen der Disziplinarmacht, welche nicht nur die ‚Kriminellen‘, ‚Kranken‘ und ‚Abnormalen‘, sondern die ganze Gesellschaft erfasst.“161 Die Analyse dieses Macht-/Wissen-Komplexes und des Verhältnisses von diskursiven und nicht-diskursiven Praxen eröffnet eine Perspektive auf Herrschaft, die

156 Vgl. Althoff/Leppelt 1995; S.49. 157 Vgl. Foucault 1995 (zuerst 1977); S.173ff. und Kap. 3.3.1 sowie 5.2. 158 Vgl. Foucault 1976. 159 Althoff/Leppelt 1995; S.52. Auch bei Max Weber wird Macht als Mittel der Kontrolle verstanden. Allerdings versteht Weber die Handlungen von Subjekten als Ausgangspunkt und Voraussetzung von Herrschaft. Bei Foucault ist das Subjekt Produkt von Machtbeziehungen. Vgl. Lukes 1983; S.107f. 160 Keller 2001; S.121. 161 Althoff/Leppelt 1995; S.54.

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hier als Zustand verfestigter Machtbeziehungen aufgefasst wird. In wissenschaftlichen Diskursen etabliert sich Herrschaft, indem sich das Verhältnis von Macht und Wissen „verschleiert“.162 Wissenschaftliche Diskursbeiträge zum Thema Sicherheit und Sauberkeit beanspruchen so, Autorität und „Wahrheit“ darzustellen ohne Rechenschaft über die in ihnen implizierten Interessen, Unwägbarkeiten, Auslassungen, Implikationen, Vorgeschichten etc. abzulegen und die Konstitutionsbedingungen der den Städtern begegnenden Realität als Konstruktion zu thematisieren. Deshalb gehört die Thematisierung des Macht-/Wissen-Komplexes, der sich innerhalb diskursiver wie nicht-diskursiver Praxen etabliert, zum Standardrepertoire einer wissenssoziologischen Diskursanalyse. Der Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit ist ein solcher Macht-/Wissen-Komplex. Neben den vier bereits genannten Kategorien einer wissenssoziologischen Diskursanalyse lässt sich zusätzlich noch zwischen „Archäologie“ und „Genealogie“ als grundlegenden Perspektiven auf Diskurse unterscheiden. Die Archäologie zeigt die Formation von Wissen auf und reflektiert damit stärker auf Thematisierungen als einzelne Stränge eines Diskurses. Die Genealogie beschreibt den sozialhistorischen Kontext der Aussagen eines Diskurses und will aufzeigen, wie es in bestimmten Ordnungen des Macht-/Wissen-Komplexes zu Entwicklungen und Transformationen kommt: „Beide Ansätze, die Archäologie und die Genealogie, versuchen, die veränderlichen Ordnungen des Wissens und der Macht aus historischen Bedingungen heraus zu betrachten.“163 Zunächst zur archäologischen Perspektive:164 Archäologie stellt eine Methode der „Aussagenanalyse“ dar, deren erstes Ziel nicht das Verstehen (im Sinne einer Hermeneutik) ist, sondern das phänomenologische „Ordnen wollen“. Insofern werden einzelne Thematisierungen innerhalb eines Diskurses systematisiert, ohne dabei zu überprüfen, ob diese Aussagen „wahr“ sind, wie sie in Interaktionsverhältnissen entstanden sind und welche Bedeutung von ihnen ausgeht. Auch wird nicht nach Kontinuitäten und Kausalitäten gefragt. Der Einblick in die Ordnung des Diskurses, d.h. den Prozess der gesellschaftlichen Wissensproduktion und -verteilung lässt erkennen, welcher Ordnung eine Gesellschaft bei der Ordnung der Gegenstände der sozialen Welt folgt. Dabei können Äußerungen unterschiedlichster Provenienz herangezogen werden, wissenschaftliche ebenso wie nicht-wissenschaftliche, um die Beziehungen zwischen diskursiven und nicht-diskursiven Praxen (politische Entscheidungen, ökonomische Verhältnisse etc.) aufzuzeigen. Auf diese Weise können

162 Althoff/Leppelt 1995; S.55. 163 Althoff/Leppelt 1995; S.57. 164 Vgl. zum Folgenden Althoff/Leppelt 1995; S.57ff.

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auch die Ausschließungsprinzipien eines Diskurses und der ihnen innewohnende historisch-politische Kontext aufgezeigt werden. Bei der genealogischen Analyse geht es um die Beschreibung der historisch aufgetretenen und sich durchhaltenden Interpretationen, in denen Wissen sich Geltung verschafft, um Herrschaft auszuüben: „Der genealogische Ansatz soll die Konstitutionsbedingungen und -modalitäten der ‚Gegenstände‘ und Bereiche des Wissens herausarbeiten, ohne sich ausschließlich auf die Ebene des Ereignisses – als Aussage – oder der Struktur zu beziehen.“165 Der Fokus der Analyse liegt auf den Machtpraktiken, die im Zuge des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit Ausgrenzung bewirken. Macht erscheint dann nicht mehr als Vermögen gesellschaftlicher Gruppen oder als Ursprung bestimmter Entwicklungen, sondern als zentraler Bestandteil historischer wie gegenwärtiger Formationen von Wissenssystemen, die analytisch dekonstruiert werden. Beide Perspektiven lassen sich dem wissenssoziologisch diskursanalytischen Prozess von Konstruktion und Rekonstruktion zuordnen und quer zu den genannten vier Kategorien nutzen, um zwei Intentionen zu unterscheiden. Die archäologische Perspektive möchte Deutungsmuster, Klassifikationen, Phänomenstrukturen und narrative Strukturen benennen und in systematisierender Absicht beschreiben, während die genealogische Perspektive stärker auf das Gewordensein von Deutungsmustern, Klassifikationen, Phänomenstrukturen und Narrationen rekurriert. Vor dem Hintergrund dieser diskurstheoretischen Überlegungen wird deutlich, welche soziologische Bedeutung dem Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit beizumessen ist. In ihm wird Wissen generiert, ohne dass die dahinter stehenden Machtverhältnisse aus dem Diskurs selbst abzulesen wären. Dem ausschließenden Charakter eines jeden Diskurses entspricht die Ausgrenzung von Personen oder Gruppen aus dem sozialräumlichen Ensemble von Stadt. Eine wissenssoziologische Diskursanalyse kann aufzeigen, dass Ausgrenzung nicht per se konstitutiv für städtische Vergesellschaftung ist, sondern dass sie erst im Rahmen eines bestimmten Modus der Thematisierung städtischer Probleme zentral und weitgehend akzeptiert wird. Sie verweist zugleich auf den konstruktivistischen Charakter der Definition von dem Auszugrenzenden und systematisiert Teildiskurse wie nicht-diskursive Praxen. Sie beschreibt Mechanismen und Institutionen, die zu Ausgrenzungen im städtischen Kontext beitragen. Dies soll hier im Rahmen einer Archäologie versucht werden, indem Teile des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit in ihren wesentlichen Aussagen und Implikationen beschrieben und durch eine gegliederte Systematik verdeutlicht wird, unter welchen Voraussetzungen welche Aspekte städtischer Vergesellschaftung angesprochen werden, um die mit dem Diskurs verbundenen Aus-

165 Althoff/Leppelt 1995; S.62.

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grenzung thematisieren und verstehen zu können. Dabei greift die Analyse des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit zwei Stränge des differenzierten Aussagesystems Soziologie auf: Die Soziologie der Stadt und die sozialer Kontrolle. Zwischen beiden Polen bewegt sich die Analyse. Die Analyse des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit zeigt, dass beide Stränge in einem engen systematischen Zusammenhang zu betrachten sind: Eine Soziologie der Stadt muss den Aspekt sozialer Kontrolle reflektieren, will sie desintegrative oder ausschließende Phänomene beschreiben und verständlich machen. Ebenso kann eine Soziologie sozialer Kontrolle nicht ohne Betrachtung der Wirkungsweise städtischer Vergesellschaftung auskommen, weil sie dann blind wäre für die Genese und Wirkung von Abweichung, die in einer verstädterten Gesellschaft mit urbanem Leben assoziiert ist. Urbane Gesellschaft kann ohne den Aspekt der Kontrolle nicht adäquat beschrieben werden, soziale Kontrolle wird unter den Bedingungen städtischer Vergesellschaftung im Hinblick auf den urbanen Raum, in dem sie sich materialisiert, konzipiert. Wissenssoziologische Erwägungen bieten sich an, um dieses Verhältnis im Rahmen einer Diskursanalyse fassbar zu machen. Eine wissenssoziologische Analyse des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit zeigt, dass sich städtische Gesellschaften durch deutungs- und handlungsleitenden Bedingungen auszeichnen, die spezifische Formen sozialer Kontrolle hervorbringen, die sich ihrerseits historisch etabliert haben und nun als allgemeines Modell sozialer Kontrolle angesehen werden, ohne ihre Geschichte oder Transformationen genealogisch zu reflektieren. Bei näherer Betrachtung zeigt sich auch, dass soziale Kontrolle, so wie sie sich heute in Organisationsformen, Institutionalisierungen und Wirkungen darstellt, eng mit der Geschichte der Städte als sich im historischen Prozess herausbildende Siedlungs- und Gesellschaftsform verknüpft ist.166 Denn Stadt wird in den auf sie bezogenen Diskursen seit der Antike167 immer im Zusammenhang mit der Gefahr der Unordnung, einem tendenziellen Chaos,168 mit Dissoziierung, Einsamkeit,169 Destabilisierung, mit Verfall und weiteren negativen Attributen in Beziehung gesetzt. Zugleich wird Stadt in den Entwürfen einer „idealen Stadt“ immer in Bezug auf Ordnung beschrieben.170 Ordnung und Unordnung sind gleichermaßen Metaphern für städti-

166 Vgl. Kap. 2 sowie Silver 1967. 167 Dieses Motiv taucht bereits in der biblischen Erzählung von „Babylon“ auf. 168 In der expressionistischen Malerei ist das chaotische Leben in den Metropolen ein verbreitetes Motiv. Paradigmatisch stehen dafür die Gemälde „The City/Metropolis“ (1916/17), „Widmung an Oscar Panizza“ (1917/18) oder „Friedrichstraße, 1918“ von George Grosz. Abbildungen in Kranzfelder 1993; S.14 und 25 sowie Rothe 1988; S.201. 169 Vgl. Schelsky 1956. 170 Zur Idealstadt vgl. Eaton 2001 und Klack 2009.

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sches Leben,171 sie bilden die narrative Struktur, vor der urbane Phänomene wahrgenommen, gedeutet und behandelt werden. Soziale Kontrolle erscheint deshalb als essenziell zur inneren Ordnung von Stadt, sie ist zugleich Bestandteil der urbanen Narration und der auf sie bezogenen Klassifikationen und Deutungsmuster. Diese Ordnung wird im Diskurs konstruiert, aktualisiert und durch Dispositive des Diskurses funktional sichergestellt. Eine Analyse der Ordnung des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit und der damit verbundenen analytischen Kategorien erlaubt also auch, die Macht, den Herrschaftsanspruch, der ordnend in Stadt eingreift, und der einen spezifischen Typ von ausgrenzender Ordnung etabliert, indem er den Zugang zu bestimmten Orten und die Nutzung städtischer Infrastruktur reglementiert, erschwert oder verwehrt, sichtbar zu machen. In dem anschließenden Teil soll der Ausgrenzungsdiskurs im engeren Sinne dargestellt werden. Dazu werden die ökonomischen Bedingungen der Städte der Gegenwart172 in der Narration um „Postfordismus“ und die sozialräumliche Stadtstruktur in der Phänomenstruktur „Segregation“ angesprochen. Der dritte Teil der vorliegenden Arbeit widmet sich Stadt, Urbanität und sozialer Kontrolle und den in ihnen aufgehobenen Klassifikationen, Deutungsmustern, Phänomenstrukturen und Narrationen, indem in ihm die sozialwissenschaftlichen Thematisierungen angesprochen werden, in denen diese Begriffe Bedeutung erhalten. Dabei werden die Stichworte Integration und Desintegration, Inklusion und Exklusion ebenso behandelt wie die soziale Konstruktion städtischer Gruppen und die „Angst“ der Städter vor abweichendem Verhalten und Ordnungsstörungen. Im Zusammenhang mit der Thematisierung urbaner Sozialkontrolle werden neben dem Verhältnis von Stadt und Ordnung auch Zuspitzungen der Debatte betrachtet, die als „Visionen“ thematisiert werden und spezifische Deutungsmuster und Narrationen beinhalten. Als solche werden das Kontrollparadigma von Themenparks und entsprechender architektonischer Ensembles sowie ihre Bedeutung für Stadt, die Wiedervergemeinschaftung sozialer Kontrolle in der „Kontrollgesellschaft“ in Abgrenzung vom Konzept der Disziplinargesellschaft sowie die „Militarisierung“ urbaner Sozialkontrolle zur Sprache gebracht. Die Thematisierung des Verhältnisses von Urbanität, Öffentlichkeit und Kontrolle wird danach in drei Dimensionen problematisiert, nämlich erstens in dem um das Verhältnis von Urbanität und Öffent-

171 Vgl. zu Metaphern städtischen Lebens de Certeau 1978 und Zohlen 1995. 172 Eine Analyse der Differenzen zwischen amerikanischen und europäischen Städten bezüglich ihrer Entstehungsbedingungen, Leitbilder und Urbanitätsbegriffe sowie der damit verbundenen wissenssoziologischen Standpunkte und Differenzen ihrer sozialwissenschaftlichen Analytiker ist für die Erörterung des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit nicht zwingend notwendig.

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lichkeit, zweitens dem um das „Verschwinden“ des öffentlichen Raums und drittens dem um die Kontrolle des Raums. Der vierte Teil widmet sich Dispositiven sozialer Kontrolle in Stadt. Angesprochen werden die Phänomenstruktur der „Urban Underclass“ sowie einige materielle und konkrete Maßnahmen, Konzepte und Organisationsformen, die auch hinausgehend über die etablierten traditionellen und institutionalisierten Formen sozialer Kontrolle die Sicherheit und Sauberkeit der Städte manifest wie latent sicherstellen. Dazu werden drei „Säulen“ städtischer Sozialkontrolle aufgegriffen: öffentliche wie private Polizeien und deren Kooperationen, Architektur und Städtebau als Materialisierungsmodi von Ausgrenzung und schließlich die Verrechtlichung des städtischen Raums, die mitunter als Entrechtlichung von Benutzergruppen interpretiert wird. Grob gesagt, lassen sich diese ersten Teile der vorliegenden Arbeit eher dem Pol Archäologie zuordnen. Im fünften Teil wird dann genealogisch auf Entwicklungstendenzen für die gegenwärtigen Städte rekurriert. Dabei wird die (Sozial-)Geschichte der Städte näher betrachtet, um die Thematisierungen qualitativer Veränderungen bzw. Konstanten in der sozial- wie stadtgeschichtlichen Entwicklung darzustellen und anhand dessen einen zugespitzten Ausblick auf Entwicklungen werfen zu können. Dabei legen diese Beiträge nahe, dass es sich bei den beschriebenen Ausgrenzungstendenzen keinesfalls um ein soziologisches Novum handelt, sonders dass sich solche historisch sowohl für die Vormoderne, wie die Moderne und die Postmoderne – wie auch immer man diese in Epochenbegriffen bezeichnen möchte – nachweisen lassen. Eine solche Diskursanalyse lässt erkennen, wie verfestigte Macht das gesellschaftliche Bild von Stadt konstruiert und Verstehen wie Handeln der Städter formt, zugleich aber stadttypisches wie abweichendes Verhalten verhindern oder ausgrenzen will.

2. Die Thematisierung von Ausgrenzungstendenzen „Ich denke, dass das Thema des Wiederaufbaus der Städte heute der Adelsname für eine Politik der Ausgrenzung ist. Das Phänomen der Ausgrenzung aber ist heute das wichtigste Phänomen.“ ALAIN TOURAINE173

Der wohl im deutschen Sprachraum am häufigsten mit dem Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten assoziierte Begriff ist der der „Ausgrenzung“.174 Als ausgrenzend bezeichnet werden diverse Maßnahmen175 oder strukturelle Ensembles, mit denen als problematisch wahrgenommene Personen oder Personengruppen aus bestimmten Bereichen der Innenstädte vertrieben,176 verdrängt, separiert, versteckt – eben sozial wie physisch ausgegrenzt – werden oder werden sollen. Diese Personen bzw. Gruppen zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie – wie sich am Beispiel obdachloser Bettler leicht zeigen lässt – auf den öffentlichen Raum der Städte existenziell angewiesen sind, ihn tatsächlich aber habituell als 173 Touraine 1996a; S.24. 174 Zu einer Unterscheidung der Begriffe Ausgrenzung und Exklusion vgl. Kap. 3.2.1. 175 Z.B. die Privatisierung öffentlichen Raums, die Streifentätigkeit der öffentlichen Polizeien, die Nutzung privatrechtlich organisierter Sicherheitsdienstleistungen, architektonische Ensembles, die Schaffung und Inanspruchnahme rechtlicher Grundlagen zur Erteilung von Platzverweisen, Aufenthaltsverboten, Hausverboten, des Verbringungsgewahrsams etc. Vgl. Kap. 4. 176 Vgl. für eine empirische Bestandsaufnahme über die Vertreibung von Obdachlosen und Drogenabhängigen in Köln Holm/Stumpfe 1998. Im Zentrum der Erhebung stehen die Zahl der betroffenen Personen, die Häufigkeit von Platzverweisen, der Verhängung von Aufenthaltsverboten und Bußgeldern sowie die Bedeutung solcher Maßnahmen für die Betroffenen.

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Aufenthaltsort, nicht nur als Durchgangsort, z.B. zu Zwecken des Konsums, nutzen.177 Sie gehören empirisch zum unmittelbar wahrnehmbaren Bild fast jeder Stadt.178 Der Diskurs um Ausgrenzung hat viele Implikationen, zwei sollen hier einleitend erörtert werden. Ausgrenzung lässt sich zum einen ökonomisch verstehen. In dieser Lesart wird davon ausgegangen, dass ökonomische Strukturveränderungen und Veränderungen im wohlfahrtsstaatlichen Institutionengefüge dazu geführt haben, dass ein wachsender Teil der Bevölkerung vom ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist. Ausgrenzung meint hier in erster Linie die Marginalisierung am Arbeitsmarkt, die zur Ausgrenzung im Bereich des Konsums führt. Im Diskurs werden diese Strukturveränderungen und ihre sozialräumlichen Auswirkungen als Narration von der „postfordistischen Stadt“ behandelt. Ausgrenzung hat demnach – zum anderen – eine sozialräumliche Bedeutung. Von ihr ist im Diskurs die Rede, wenn die Verteilung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen im Stadtgebiet mit „Segregation“ bezeichnet wird.

177 Vgl. Kap. 4.1. 178 Dementsprechend finden sich im deutschen Diskurs in den allermeisten Groß- aber auch in Mittelstädten Beispiele für solche Ausgrenzungstendenzen: beispielsweise in Berlin, Darmstadt, Düsseldorf, Essen, Frankfurt, Hannover, Hoyerswerda, Karlsruhe, Kassel, Köln, Konstanz, München, Solingen, Stuttgart und Wuppertal. Im internationalen Kontext könnten Beispiele aus Los Angeles, Amsterdam, Detroit, London, Marseille, New York, Paris, Rotterdam, aber auch aus Städten Lateinamerikas und Asiens angeführt werden. Es sei hier nur kurz auf die umfangreiche Literatur verwiesen, die sich den Diskursen in den entsprechenden Städten und Regionen widmet: Angelil 1996, Boden 1997a-g, Brunst 1997c und g, Brunst/Boller 1997, Bulla 2001, Burgers/Kloostermann 1998, Caldeira 2000, Damm 1998a und b, Dear 1995, Emig 2001, Gaudine 1996, Gillich 1988, Granitzki 1998, Häußermann 1997c, Hahn 2002, Hauer/Peddinghaus 1996, Hennig 1996, 1997 und 1998, InnenStadtAktion 1997, Jordan 2006, Karwinkel 1999, Kersten 1997, Kraas 1999, Lainsecq 2002, Lang 1997, Mayer 1995a und b, Meier 1999 und 2001, Mönninger 1994, Neitzke 1998, Noller/Ronneberger 1996a und b, o.V. 1997d,f,g,h,q-u, 1998h-l, 2001b,r, y, z, ac, ad, 2002e, g, h, 2006a, b und c, Patijn 2001, Pfaff 2005, Platen 1997b, Rada 1997a, c, 1998b-d, 1999e-h, Ruddick 1994, Schneider 1993, Soja 1994 und 1995b, Sträter 1995b, Stenzel 2001, Turnbull 1997, Wagner 1993, Wehrheim 1998a, Weisser 2001, Weirich 1991, Wiesmann 2005, Windhoff-Héritier 1991 und 1993 – um nur einige zu nennen.

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In dieser Phänomenstruktur tauchen auch die Begriffe „Fragmentierung“ des städtischen Raums,179 „soziale Zonierung“,180 „Exklusionsregimes“181 und „soziale Apartheid“182 auf. Beide Prozesse – so wird diskutiert – führen zu oder resultieren aus einem veränderten Leitbild städtischer (Sozial-)Politik, das sich auch auf der Ebene der Maßnahmen institutionalisierter – in erster Linie formaler – sozialer Kontrolle, aber auch auf der Ebene des Städtebaus und des Rechts niederschlägt.183 Genealogisch gelesen deutet sich in Diskursbeiträgen, die das Bild einer „exklusiven Stadt“ zeichnen, in denen eine „Politik der Ausgrenzung“ herrscht, ein tendenzieller Wandel einer Idee, eines gesellschaftlich geteilten Begriffs der Stadt der Moderne als Dispositiv des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit an.184 Demnach ändert sich die Narration moderner Urbanität. Sofern die Innenstädte vor allem als relativ homogene Konsumräume185 gestaltet und verstanden werden, werden diejenigen ausgegrenzt, die nicht in die Marketingkonzepte der Städte und damit in das inszenierte „Broschürenbild des Unternehmens Stadt“ passen.186 In welchem Zusammenhang ist im Diskurs die Rede von postfordistischen Städten und Segregation?

179 Vgl. z.B. Krasmann/Marinis 1997; S.174 und 182. 180 Vgl. z.B. Hauer/Peddinghaus (1996), die die Einteilung urbanen Raums in Zonen konsumfähiger und -unfähiger Klassen kritisieren. Vgl. auch Kap. 5.3. 181 Vgl. Bulpett 2002. 182 Die Bezugnahme zwischen der ethnisch-sozioökonomischen Restrukturierung des Raums und der rassistischen Segregation im Apartheidregime findet sich z.B. in Davis 1994b, Lopez 1996 oder Steinhof 1997a. 183 Vgl. auch Body-Gendrot 2001. 184 Vgl. Kap. 5. 185 Vgl. Holert 1997, S.46. 186 Vgl. Rada 1997a; S.174, 1996a-f, 1997b und c sowie 1998b und c. Vgl. auch Kap. 5.3.

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2.1 D IE N ARRATION DER POSTFORDISTISCHEN S TADT „Der herrschende Diskurs über Globalisierung ist ein Ausschließungsdiskurs.“ SASKIA SASSEN187 „Das ist die drohende soziale Spaltung der Stadt.“ HARTMUT HÄUSSERMANN/DIETER LÄPPLE/ WALTER SIEBEL 188

Im stadtsoziologischen Diskurs besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass das fordistische Entwicklungsmodell und damit das fordistische Stadtentwicklungsmodell spätestens seit den achtziger Jahren abgelöst wurde durch ein postfordistisches Regulationsmodell, das seinerseits die Entwicklung und Form der Städte und der verstädterten Gesellschaft wesentlich bestimmt.189 Die Begründung dieser Grundannahme wird hier nur insoweit aufgenommen, als sie zum Verständnis des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit unabdingbar ist und deutlich wird, dass die Rede von Ausgrenzung in den Städten und dem Streben nach Sicherheit und Sauberkeit in enger Beziehung zu der gegenwärtigen Funktionsweise des kapitalistischen Systems stehen.190 Zunächst sollen einige begriffliche Voraussetzungen der weithin geteilten und empirischen Phänomenen Ordnung stiftenden Narration vom Postfordismus erläutert werden:191 In der Theorie der aus Frankreich stammenden „Regulationsschu-

187 Sassen 1995a; S.6. Vgl. auch Ronneberger 1994a. 188 Häußermann/Läpple/Siebel 2008; S.172. 189 Für eine solche, auf den städtischen Raum konzentrierte Analyse und Kritik im Zusammenhang mit der postfordistischen Ökonomie vgl. Harvey 1992 und 1994 sowie Keil 1987 und 1991. Vgl. auch Jessop 2001, Keil/Kipfer 1994 und 1995 sowie Keil/Lehrer 1995, Keil/Ronneberger 1991, 1995, 2000, Lever 2001 sowie McNeill/While 2001. Zum Zusammenhang von Postfordismus und Armut vgl. Dangschat/Diettrich 1999. 190 Vgl. Krämer-Badoni 1987; S.169. 191 Das Narrativ des Postfordismus und damit einhergehend Globalisierung zeichnet sich durch ein gewisses Maß an Heterogenität aus – unter anderem abhängig vom politischen und ideologischen sowie fachlichen Standort der Diskutanten. Der Gleichklang einiger zentraler Merkmals wie z.B. der kausalen Verantwortung für assoziierte Entwicklungen erlaubt allerdings, von einem Narrativ zu sprechen. Weitgehender Konsens herrscht beispielsweise bezüglich der Rolle des tertiären Dienstleistungssektors, der auf Kosten des sekundären Produktionssektors einen wachsenden Teil am Bruttosozialprodukt in den westlichen Ländern erwirtschaftet. In den Wirtschaftswissenschaften scheint des Weiteren Konsens über das Schrumpfen der fordistischen Massenproduktion zugunsten einer

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le“192 werden alle gesellschaftlich erwirtschafteten Produkte nach bestimmten Regelungssystemen, den Akkumulationsregimes, distribuiert. Diese regeln unter anderem auch die Nutzung der gesellschaftlichen Arbeitskraft, aber auch die Reproduktion der entsprechenden Arbeitsbedingungen. Zwischen den drei Polen Produktion, privaten Haushalten und staatlichen Ausgaben bestehen jeweils systemische und dynamische Beziehungen, welche die Stabilität eines solchen ökonomischen Systems gewährleisten. Diese Formen, Beziehungen und Normen (dazu gehören z.B. das Tarifsystem oder die Geldpolitik) bezeichnet man als Regulationsweisen. Gerät ein solches System in eine Krise, kommt es zur Reform des herrschenden Akkumulationsregimes und damit seiner Regulationsweisen. Trotz der relativen Verwirrung um konkurrierende Inhalte der Rede vom Postfordismus193 kristallisieren sich in der narrativen Struktur insgesamt einige zentrale sozioökonomische Charakteristika und Entwicklungen heraus: Gemeinsamer Ausgangspunkt der Analyse ist dabei die oft diagnostizierte sogenannte „Krise des Fordismus“,194 also des die Moderne kennzeichnenden Strukturmoments kapitalistischer Ökonomie, auf die die im Zuge dieser Krise entwickelten und sich entwickelnden postfordistischen Strukturanpassungen reagieren.195 Dieser Übergang ist vor allem gekennzeichnet durch eine Internationalisierung diverser ökonomischer Prozesse; dennoch findet eine zunehmende Weltmarktorientierung ihren Ausdruck paradoxerweise zunächst lokal.196

flexiblen Spezialisierung auf bestimmte Nischen der Branchen- und Produktpalette zu herrschen. Beide ökonomischen Entwicklungen sind vor dem Hintergrund rasanter technischer Entwicklungen, vor allem in der Telekommunikation und Automatisierungstechnologie, zu sehen. Klar benannt werden auch die „Verlierer“ der Entwicklung: schlecht qualifizierte Arbeitnehmer, die zuvor Beschäftigung in und um die industriellen Agglomerationen des Fordismus fanden. 192 Vgl. für das Folgende Leborgne/Lipietz 1994, Hamm/Neumann 1996; S.112ff. sowie Lipietz 1995. 193 Zu der Abgrenzung zwischen Fordismus, Neo-Fordismus und verschiedener postfordistischer Positionen vgl. Leborgne/Lipietz 1994. 194 Vgl. z.B. Krämer-Badoni 1987; S.168ff. sowie Leborgne/Lipietz 1994; S.94ff. 195 Vgl. zu den wichtigsten Hauptcharakteristika des Postfordismus Häußermann/Läpple/ Siebel 2008; S.159ff., Krämer-Badoni 1987, Hamm/Neumann 1996; S.111ff., Noller/Prigge/Ronneberger 1994 sowie Ronneberger 1994a. Mit den räumlichen Konsequenzen des Postfordismus beschäftigt sich auch Sassen 1994 und 1995a. 196 Bauman (1996) benennt das zunächst widersprüchliche Verhältnis von Globalisierung und Lokalisierung im Begriff „Glokalisierung“, Welz (1994a) beschreibt die der Globalisierung folgende „Ekstase des Lokalismus“, Häußermann/Läpple/ Siebel (2008; S.169) sprechen von einem „Standortparadox“. Vgl. dazu auch Birenheide/ Legnaro/Ruschmeir 2001, Castells 1994, Frers/Hebecker/Wiese 2008, Hennig 2000a

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Die Restrukturierung auf dem Gebiet der Ökonomie findet ihre Entsprechung in einer Veränderung der urbanen, genauer: regionalen Strukturen auf der einen Seite und in Restrukturierungen der städtischen Gesellschaften auf der anderen Seite. Zwar stellen solche Entwicklungen laut Narration einen Einschnitt im tradierten Verständnis städtischer Ökonomie und Gesellschaft dar, allerdings sind sie bereits im fordistischen Akkumulationsregime angelegt. Folgt man dieser Überlegung, handelt es sich beim Übergang von Fordismus zu Postfordismus weniger um eine völlig neue Qualität sozioökonomischer Zusammenhänge, als vielmehr um eine Verstärkung bereits in der fordistischen Produktionsweise angelegter Trends. Die Narration von der postfordistischen Stadt ist dominant und erlaubt als gemeinsame Grunderzählung, unterschiedlichen Zielen verschiedener Interessengruppen als Begründung ebenso verschiedener Maßnahmen (z.B. der Betonung integrativer Sozialpolitik versus einer Vertreibung problematisierter Gruppen aus den Innenstädten) zu dienen. Der Fordismus war gekennzeichnet durch Kopplung von industrieller Massenproduktion und Massenkonsum. Damit verbunden war eine Rationalisierung des urbanen Alltagslebens, die sich als moderner Lebensstil durchsetzte und die unter anderem auf körperlicher, geistiger und moralischer Verlässlichkeit – kurz: urbaner Disziplin – beruhte.197 Störungen oder Abweichungen von dieser ökonomischgesellschaftlichen Ordnung wurde mit Maßnahmen der Anpassung begegnet.198 Die Lohnarbeit hatte sich endgültig gegenüber anderen Einkommensformen durchgesetzt, die in Fabriken organisierte und auf tayloristische Produktivitätssteigerung ausgerichtete Massenproduktion hatte andere Formen der Produktion199 und auch damit verbundene tradierte Lebensweisen durch die mit einem solchen Akkumulationsregime verbundene Kapitalisierung der Reproduktionssphäre verdrängt. Dies hatte gravierende Auswirkungen auf die städtische Lebensweise und die räumliche Struktur von Stadt. Charakteristisch für die fordistische Variante kapitalistischer Produktionsweise ist die Koppelung einer so erwirtschafteten ökonomischen Expansion mit einem verstärkten Wachstum auf der Nachfrageseite, das aus den allmählich steigenden Löhnen resultierte. Durch die Koppelung von Massenproduktion und Masseneinkommen, also von hoher Produktivität und steigender Nachfrage, schienen Einkommensmöglichkeiten für den größten Teil der Bevölkerung dauerhaft gesichert. Dieses neue, private Konsummodell der Massennachfrage und die

und b, Keil/Kipfer 1994, Keil 1995b, Korff 1991, Krebs 1994, Lohde-Reiff 2001, Prigge 1994, Schneider 2002, Sträter 1995b sowie Touraine 1996b. 197 Vgl. Häußermann/Läpple/Siebel 2008; S.151. Vgl. Kap. 5.2 und für die baulichen Auswirkungen dieses Paradigmas Kap. 4.3. Vgl. für ein Gegenmodell Sheik 2001. 198 Vgl. Kap. 3.3.1 und 5.2. 199 Vgl. Hamm/Neumann 1996; S.119f., aber auch Häußermann/Siebel 1987a; S.169ff.

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damit einhergehende Diversifikation der angebotenen Waren ist also in erster Linie das Ergebnis des damals neuen fordistischen, auf ubiquitärem Wachstum basierenden Produktionsmodells mit seiner spezifischen Organisation, Quantifizierung, Qualifikation und räumlichen Verteilung gesellschaftlicher Arbeitskraft. Im Zuge der damit einhergehenden funktionalen Differenzierung in Form einer sich immer weiter verästelnden auch internationalen Arbeitsteilung kommt es laut Narration zu einer Globalisierung der Produktions- wie Konsumtionsmärkte, welche wiederum, quasi nach außen, international, wie nach innen, innerhalb einer Volkswirtschaft, auf der Ebene von Beschäftigung und Umsatz den Konkurrenzdruck verschärft. Der nach dem Zweiten Weltkrieg sich langsam in der westlichen Welt durchsetzende relative Wohlstand breiter Bevölkerungskreise bewirkte nun auch sozialstrukturelle Verschiebungen, im Zuge derer es zur Herausbildung einer breiten, „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“200 kam. Die immer noch krassen Einkommensunterschiede zwischen Ober- und Unterschichten wurden zumindest abgemildert, das Gefühl einer tendenziellen Gleichheit evoziert und damit auch die habituellen Unterschiede zwischen den Schichten (so z.B. die Bewertung von und Verfügung über Bildung und Kultur, von Luxus und Konsum etc.) tendenziell überbrückt.201 Damit setzte sich auch die sich seit dem Übergang von Vormoderne zu Moderne entwickelnde bürgerliche Vorstellung von Urbanität weitestgehend durch.202 Große Teile der Arbeiterschaft werden so politisch in den Wohlfahrtsstaat integriert, was wiederum deren Loyalität gegenüber dem Staat einerseits sicherte, andererseits aber auch den Staat als „Verteilungsmedium“ ökonomischer und sozialer Ressourcen legitimierte. Prozesse der Verstädterung, der Suburbanisierung, der räumlichen Funktionstrennung und der Ausbildung eines „lokalen“ Sozialstaats werden im Diskurs als typische Kennzeichen der fordistischen Stadt diskutiert.203 In der in der Narration diagnostizierten „Krise“ werden die Strukturmerkmale des Fordismus brüchig, unter dem Stichwort Postfordismus werden diese qualitativen Veränderungen beschrieben. Im Zentrum stehen dabei wieder Produktions- und Konsummodell sowie sozialstrukturelle Entwicklungen. Durch die Koppelung von Produktion und Einkommen steigen mit den kontinuierlich wachsenden Produktivitätsraten die Löhne wie die Lohnstückkosten. Umfangreiche Rationalisierungen

200 Helmut Schelsky verwendet den Begriff der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ zuerst in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zur Charakterisierung der Sozialstruktur der Nachkriegsjahre. Vgl. dazu Bolte/Hradil 1988; S.94ff. 201 Zur Integrationsleistung von Städten im Fordismus vgl. auch Häußermann 1996a; S.41, Häußermann/Läpple/Siebel 2008; S.147ff. sowie Kap. 3.2.1 und 5.2. Vgl. zum Verhältnis von Urbanität und Bildung Böhme 1982. 202 Vgl. Kap. 3.2, 5.1 und 5.2. 203 Vgl. Candeias 2000.

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und die Verlagerung von Produktionsstandorten in bezüglich der Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital kostengünstigere Regionen lassen die Beschäftigung im Inland und damit die Binnennachfrage sinken. Die Exportabhängigkeit einer Volkswirtschaft steigt. Um diesen zentralen Aspekt zu verdeutlichen: War der Fordismus noch durch die weitestgehende Dominanz nationaler Ökonomien und Massenproduktion gekennzeichnet, verschieben sich nun sowohl Produktion als auch Distribution von Waren und Dienstleistungen immer mehr in Richtung einer globalen Wirtschaft. Das postfordistische Akkumulationsregime zeichnet sich nicht mehr durch allgemeine Massenproduktion aus, sondern vielmehr durch eine „flexible Spezialisierung“204 der Produktion und Distribution. Das Gleiche gilt für den ständig wachsenden Anteil des dritten Sektors, der Dienstleistungsbranche, und eines entstehenden „vierten Sektors“, in dem Dienstleistungen, neue Technologien und die Produktion bzw. Bereitstellung und Implementation kultureller Leistungen verschmolzen werden. Damit wächst der Bedarf an hochqualifizierten, spezialisierten und räumlich mobilen Arbeitskräften, deren Einkommen stabil sind oder wachsen. Die räumliche Verteilung von Produktion – und damit von Arbeit und Kapital – sowie Konsumtion sind Veränderungen unterworfen, die in der politökonomischen Narration unter dem Stichwort der „Globalisierung“ zusammengefasst werden. Forciert wird diese Entwicklung auch durch die zunehmende Bedeutung und die verbesserten technischen Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologien sowie beschleunigte Transportmöglichkeiten.205 Damit verändern sich aber auch die Einkommenschancen in den hoch industrialisierten Ländern: Wird die Produktion dezentralisiert, d.h. ganze Produktionszweige in sogenannte „Niedriglohnländer“ bei steigender Produktivität und steigenden Arbeitskosten in den ehemaligen Produktionsstandorten ausgelagert, oder werden zahlreiche gering qualifizierte Arbeitsplätze im Zuge technisch-organisatorischer Rationalisierungen abgebaut, werden Arbeitskräfte freigesetzt.206 Das nun ausbleibende und dem Wirtschaftskreislauf damit fehlende Einkommen der ehemaligen Beschäftigten fließt nicht mehr in den unmittelbaren Konsum. Damit ist laut Narration das zentrale Strukturmoment fordistischer Produktionsweise – die Koppelung von Massenproduktion und Massenkonsum schwerpunktmäßig innerhalb einer Volkswirtschaft – quasi ausgehebelt. Zugleich wird der Konsum besonders in den Innenstädten zum bestimmenden Moment insofern, als die allermeisten Nutzungsmöglichkeiten dem Konsum gewidmet werden.207 Nur zwei der zahlreichen Folgen sind sinkende Real-

204 Zum Begriff der postfordistischen flexiblen Spezialisierung als Gegenteil der fordistischen flexiblen Akkumulation vgl. Beste 1997; S.186 und Leborgne/Lipietz 1994; S.94. 205 Vgl. Leborgne/Lipietz 1990 und Sassen 1999. 206 Vgl. Shaw 2001. 207 Vgl. Kap. 5.3.

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einkommen und Massenarbeitslosigkeit bestimmter Gruppen im Inland und eine verschärfte innerstädtische Konkurrenz der Geschäftswelt um kaufkräftige Nachfrage. Die Bedeutung der (zumindest inländischen) Produktion und des Warenmarktes nimmt gegenüber den internationalen Finanz- und Kapitalmärkten ab. Innerhalb einer globalisierten Ökonomie, die teilweise Züge einer protektionierten großräumigen Regionalisierung trägt,208 verschärft sich die internationale Konkurrenz um Standorte.209 Ein ausschlaggebender Kostenfaktor sind dabei wieder die Lohnstückkosten. Die Informations- und Kommunikationstechnologien tragen zu diesem Prozess bei, indem sie wirtschaftliche Transaktionen auf den Waren- und Kapitalmärkten über große Distanzen in Echtzeit ermöglichen. Die Mobilität des Produktionsfaktors Kapital lässt die Bedeutung von Raum – damit auch Stadt – zunehmend als Maß von Distanz wie auch als Ort sozialer Bindungen schwinden. Die Nationalstaaten, die nun nicht mehr mit entsprechenden Volkswirtschaften in ihren Territorien kongruieren, fungieren ökonomisch als Gastländer internationalen („fiktiven“) Kapitals210 und internationaler Investitionen. Globale, teils spekulative Finanztransaktionen gewinnen so stärkeren Einfluss auf die materielle wie soziale Struktur der Städte. Der internationale Konkurrenzdruck führt zu weiterer Konzentration des Kapitals, damit zu transnationalen Multi-Konzernen in Form von „Global Players“.211 Während einige Städte und Regionen ihre Bedeutung als Produktionsstandorte verlieren, können andere ihre Steuerungsfunktionen im nun globalisierten ökonomischen System ausbauen.212 So verbleibt unter anderem wegen wichtiger Fühlungsvorteile das Management dieser transnationalen Multis in wenigen vernetzten Zentralen, den sogenannten „Global Cities“.213 Die Ökonomie solcher „Zi-

208 Vgl. Hamm/Neumann 1996; S.114f. zum Beispiel der regionalen Wirtschaftsräume von EU, NAFTA, Mercosur, ASEAN etc. 209 Vgl. Krätke 1997. 210 Z.B. Schulden, Spekulationsgewinne und Bodenrenten. Vgl. Christopherson 1994; S. 411. International agierenden Immobilienfonds können durch Anlagetätigkeit mitbestimmen, welche bauliche Struktur die Innenstädte haben, welche Waren bzw. Dienstleistungen in welchen Geschäften angeboten werden etc. 211 Eine Entwicklung, die bereits Karl Marx in der Hochzeit der Industrialisierung antizipiert hat. 212 Vgl. Hintz 1996 und Hintz/Schmid/Wolff 1995. 213 Vgl. Brake 1995, Dietrich 1995, Friedmann 1995, Graham/Keil 1997, Häußermann/Roost 1998, Harvey 1994, Keil/Kipfer 1994, Kramer 1995, Mönninger 1999, Nissen 2001, Noller/Prigge/Ronneberger 1994, Noller/Ronneberger 1996a und 1996b, Parsdorfer/Cernay 1999, Ronneberger 1994a, Ronneberger/Schmidt 1995, Sassen 1994, 1995a, b, c und 2001 sowie Schlögel 1999.

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tadellen“214 ist charakterisiert durch ein hohes Maß an internationaler Arbeitsteilung, einen hohen Qualifikationsbedarf sowie die Trennung von Management, Produktion und Handel. Global Cities zeichnen sich nicht mehr nur – wie noch im Fordismus – durch das Vorhandensein „harter“ Standortfaktoren wie eine funktionierende, günstige Infrastruktur, technologische Möglichkeiten oder niedrige Bodenund Rohstoffpreise aus. Hinzukommen sogenannte „weiche“ Standortfaktoren wie das Vorhandensein eines Potenzials an qualifizierten Arbeitskräften, ein gewisses kulturelles Ambiente zur Befriedigung der (Konsum-)Bedürfnisse dieser Klientel und nicht zuletzt relativer „sozialer Frieden“ sowie Sicherheit und Sauberkeit.215 Die Konzentration auf einige Metropolen, also die funktionale Integration der Volkswirtschaften an wenigen Orten, bedingt ein Wechselspiel von Herrschaft und Abhängigkeit im Städtesystem. Die zunehmende Standortkonkurrenz zwischen den Städten führt zur Herausbildung einer Städtehierarchie, deren zentrales Kriterium eben dieser Grad der Integration in die Weltwirtschaft ist.216 In der narrativen Struktur wird von vier postfordistischen Stadttypen ausgegangen, von denen die ersten drei die funktionale Integration des Städtesystems in das postfordistische Akkumulationsregime gewährleisten, mit anderen Worten, die einen Beitrag zur lokalen bzw. regionalen Kapitalakkumulation leisten:217 Erstens urbane Agglomerationen mit exponentiellem Wachstum, wie sie sich häufig in der sogenannten Dritten Welt, aber auch in Schwellenländern finden, zweitens Hauptstädte von politischer und/oder ökonomischer Bedeutung, drittens Weltstädte mit Konzentration auf ökonomische Macht sowie am Ende der Hierarchie viertens Städte der Peripherie, die unter Umständen im System der oben genannten funktional irrelevant sind. Damit kommt es zu einer räumlichen Fragmentarisierung und politisch-ökonomischen Polarisierung zwischen den entwickelten „Zitadellen“ der „reichen“ und den unterentwickelten kolonisierten „Ghettos“ der „armen“ Welt.

214 Unter Zitadelle versteht man den am stärksten ausgebauten Teil einer Festung. Interessant ist, dass der Begriff seiner ursprünglichen Bedeutung nach „kleine Stadt“ bedeutet. Interessant ist auch, dass der Begriff eine Verteidigungsbereitschaft von Städten gegen „Feinde“ beinhaltet. Zur Militarisierung des Städtischen vgl. Kap. 3.3.2.3. 215 „Sicherheit ist ein Standortfaktor“. Leicht 1997. Vgl. auch Teutlings 1998. 216 Diese wird z.B. operationalisiert anhand der Verkehrsanbindungen der Städte: „Megastädte“ sind demnach durch interkontinentale Direktflüge miteinander verbunden, „Makrostädte“ stellen eng verwobene Knotenpunkte auf europäischer Ebene dar, „Mesostädte“ sind immerhin noch an das internationale Flugverkehrsnetz angeschlossen, „Mikrostädte“ sind lediglich noch in das europäische Hochgeschwindigkeitsbahnnetz integriert. Der Rest bildet die breite Peripherie. Vgl. Hamm/Neumann 1996; S.124, Ramonet 1996 und Sassen 1995c. 217 Vgl. Beste 1997; S.185.

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Die Grenze zwischen Zitadelle und Ghetto218 verläuft in der Narration von der postfordistischen Stadt aber nicht nur entlang der Differenzierung „arme Welt/reiche Welt“, sondern auch innerhalb der Städte einer mehr oder weniger entwickelten Region. Dieser Polarisierung zwischen den Städten entspricht – auf anderer Ebene – eine soziale Polarisierung innerhalb der Städte.219 Dabei haben die Städte nur noch Einfluss auf einige wenige innere Faktoren, z.B. verschiedene Infrastruktur- oder wirtschaftspolitische Entscheidungen – eine eigentliche, auch verfassungsmäßig gewünschte lokale Politikfähigkeit220 wird ausgehöhlt, sofern transnationale Konzerne ihre Standortentscheidungen an wenigen ökonomischen Variablen ausrichten. In der Narration wird die Gefahr gesehen, dass kommunale Sozialpolitik in der politischen Agenda auf Positionen weit hinter die Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik verdrängt wird und angesichts fehlender Mittel dem steigenden Bedarf an sozialpolitisch gewünschter oder notwendiger Intervention nicht nachgekommen werden kann.221 Aus diesem Grund bedienen die Städte, die nur noch wenige Rahmenbedingungen aus eigener Kraft setzen können, Standortanforderungen von Investoren durch mitunter gewaltige infrastrukturelle Vorleistungen, die auch das materielle Bild der Städte einschneidend verändern. Bei der wachsenden Bedeutung des Dritten Sektors beginnt – neben anderen Entwicklungen – ein Wettlauf um Kaufkraft, also um lokale Konsumentenschichten. Die lokale Steuerungskompetenz – d.h. Macht – verlagert sich von den kommunalen Mitbestimmungsgremien auch in die Hände von „Citymanagern“, die unter anderem im Rahmen privatrechtlich organisierter Wirtschaftsförderungsinstitute oder ausgelagerter Eigenbetriebe Kapital und Arbeit und damit Kaufkraft in die Städte holen und lokal bzw. regional binden sollen. Auch der wachsende Einfluss des lokalen Einzelhandels und seiner Verbände lässt sich durch den Bedeutungszuwachs des Konsums erklären.222 In den Städten wird den von Interessengruppen daraus abgeleiteten Imperativen gehorchend städtischer Raum zu Konsumzwecken oder Zwecken der Gestaltung konsumfreundlicher Ensembles umgenutzt, „aufgewertet“ und festivalisiert.223 Hier zeigt sich, wie sich

218 Wacquant (2004a) definiert Ghetto nicht nur als eine räumliche Einheit, sondern als soziale Form, die sich durch die konstituierenden Elemente Stigma, Zwang, räumliche Einsperrung und institutionelle Ausstattung auszeichnet. Vgl. auch Amos 1999, Marcuse 1996 und 1998 sowie Wacquant 1998a und 2004b. 219 Vgl. z.B. Wolfe 1995 sowie Kap. 2.2 und 5.3. Vgl. auch Gottdiener, Feagin/Smith, Harvey, Leborgne/Lipietz, Moulaert/Swyngedouw, Soja und Storper/Scott (alle 1990). 220 Im Sinne des Art.28 II GG. 221 Vgl. Friedrichs/Vranken 2001. 222 Vgl. Kap. 5.3. 223 Vgl. zu Umnutzung und Aufwertung Ronneberger 1996, zur Festivalisierung aber vor allem Häußermann/Siebel 1993.

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eine in der Narration verbreitete Wirklichkeitsdefinition einiger kollektiver Akteure durchsetzt und materielle Veränderungen der Innenstädte zur Folge hat. So kommt zu den sogenannten weichen Standortfaktoren nun noch die Aufenthaltsqualität im Innenstadtbereich hinzu: Die Städte können sich nach dieser Wirklichkeitsdefinition angesichts des Konkurrenzdrucks keine „Schandflecke“ in den Innerstädten leisten – erforderlich sind repräsentative „Visitenkarten“ einer Stadt.224 Standortfaktoren im Stadtmarketing vor diesem Hintergrund bedeuten also das Vorhandensein von „Goods“ wie allen harten und weichen Standortvorteilen, aber auch – und das ist möglicherweise noch wichtiger – die Abwesenheit von „Bads“, z.B. Unsicherheit, Schmutz, Störungen und Gefährdung.225 Ein Beispiel einer solchen sozialtechnologischen Aufwertungsstrategie: „WIE MAN DIE ANGST VOR VERBRECHEN IN DEN INNENSTÄDTEN ÜBERWINDET Schaffen Sie einen dichten, kompakten, multifunktionalen Kernbereich. Man kann eine Innenstadt so planen und bauen, dass Besucher sie – oder einen großen Teil – für attraktiv und die Art von Ort halten, an denen sich ‚anständige Leute‘ wie sie selbst gerne aufhalten. [...] Ein kompakter, dichtbebauter und multifunktionaler Innenstadt-Kernbereich bringt mehr Menschen auf engerem Raum zu mehr Aktivitäten zusammen. [...] Das Angebot von Aktivitäten in diesem Kernbereich entscheidet darüber, welche ‚Sorte‘ von Menschen hier auf den Bürgersteigen schlendert; wenn Büros und Wohnungen für Gut- und Spitzenverdiener im Kernbereich oder in der Nähe angesiedelt werden, wird es einen hohen Anteil ‚anständiger‘, gesetzestreuer Fußgänger geben. Ein derart attraktives erneuertes Kerngebiet müsste auch groß genug sein, um das Image der Innenstadt insgesamt zu beeinflussen.“226

Eine solche Strategie legt soziale Folgen nahe: Die eingelagerte Differenzierung von „anständigen Leuten“, also solchen, die gemessen an etablierten Verhaltensstandards als weitgehend „normal“ gelten, und solchen, die als „abweichend“ qualifiziert werden, weil sie aus unterschiedlichen Gründen den gesellschaftlich konstruierten Normalitätsansprüchen und Konsumimperativen nicht genügen können (oder wollen), führt zu einer Bevorzugung der ersten Gruppen und zu einer Benachteiligung der zweiten. Die Bevorzugung drückt sich unter anderem in dem Versuch aus, die Innenstädte nach den Bedürfnissen dieser konsumkräftigen Gruppe zu gestalten

224 Vgl. unter anderem Rada 1997a; S.190ff. 225 Zu Standortfaktoren im Sinne von Goods und Bads vgl. Kreissl 1997b; S.545 und Lüdemann 2005a. Zur Unterscheidung von Gefahr und Risiko vgl. neben anderen Luhmann 1986 und 1993a sowie Bonß 1997 zur gesellschaftlichen Konstruktion von Sicherheit. 226 N.D. Milder, zit.n. Davis 1994a; S.268f. Hervorhebungen im Original.

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und im Interesse einer optimalen Kapitalverwertung möglichst viel innerstädtischen Raum dem Konsum zu widmen. Die Benachteiligung der zweiten Gruppen drückt sich unter anderem in der Verdrängung aus dem öffentlichen Raum, der nunmehr kaum noch zum längerfristigen Aufenthalt, sondern mehr und mehr dem Konsum und der auf ihn bezogenen Zirkulation dienen soll, aus. Damit sind Nutzungskonflikte und Konflikte um die Deutungshoheit, was Stadt ist und welchem Zweck der innerstädtische Raum dient, in der Narration um die postfordistische Stadt anschaulich.227 Der Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit verdankt sich zu weiten Teilen diesen Konflikten über die richtige Wirklichkeitsinterpretation und die konflikthafte Auseinandersetzung um die notwendigen Gegenmaßnahmen. Im Zuge dieser Entwicklungen kommt es laut Narration zu weiteren sozialstrukturellen Verschiebungen: Die im Fordismus gewachsene „breite“ Mittelschicht differenziert (und de-nivelliert) sich in sozial im stratifikatorischen System der Schichten auf- und absteigende Subgruppen.228 Es wird von einer sozialen Polarisierung gesprochen, die durch die auf hohem Niveau weitgehend stagnierende Arbeitslosigkeit angetrieben wird, und die droht, den fordistischen „Klassenkompromiss“229 und den sozialen Wohlfahrtsstaat als in seiner Leistungsfähigkeit infrage zu stellen.230 Die Orte der Verräumlichung dieser sozialen Probleme sind primär die Städte: „Was in Städten sichtbar wird und was die Entwicklung der Städte bestimmt, ist nur gesamtgesellschaftlich zu erklären.“ 231 Die konkreten sozialräumlichen Veränderungen einer postfordistischen Stadtökonomie sollen nun kurz und in konzentrierter Form anhand der Phänomenstruktur der sozialen Segmentierung und Fragmentierung von Stadt zur Sprache kommen.

227 Vgl. beispielsweise Scheffler 2009 für den aktuellen Konflikt um die Errichtung einer Shopping Mall in der Oldenburger Innenstadt. 228 Inzwischen ist im Diskurs bereits vom „Schrumpfen der Mittelschicht“ die Rede, die beim ökonomischen Wachstum und dem sozialstaatlichen Selbstverständnis der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit eine wesentliche Rolle gespielt hat. Vgl. Häußermann/Läpple/Siebel 2008; S.177ff. 229 Auch im Begriff des „Klassenkompromiss“ verbirgt sich eine Wirklichkeitsdefinition, die unter anderem mit dem Narrativ um die postfordistischen Stadt transportiert wird. 230 Vgl. z.B. Bailey 2001 und Vogel 2004. 231 Vgl. Siebel in Saunders 1987; S.12 und Saunders 1987; S.233ff. sowie Krämer-Badoni 1987; S.167ff. Vgl. auch Dear/Wolch 1991. Es scheint weitgehend Einigkeit darüber zu herrschen, dass die Städte, beginnend im Mittelalter, aber in jedem Falle seit der Industrialisierung, die Hauptschauplätze sozioökonomischer Entwicklungen sind. Marx spricht in diesem Zusammenhang von Städten als den zentralen Orten der Produktivkraftentwicklung.

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2.2 S EGREGATION UND SOZIALE S EGMENTIERUNG P HÄNOMENSTRUKTUR

ALS

„In den sozialräumlichen Strukturen der Städte ist ja immer beides wirksam: Sie sind Spiegel der sozialen Strukturen der Gesellschaft, aber sie formen auch immer auf spezifische Weise die Lebenschancen und -qualitäten von sozialen Gruppen.“ HARTMUT HÄUSSERMANN232 „Die Art der Infrastruktur, die funktionale Mischung, die städtebauliche Ästhetik – das alles ist besetzt mit kulturellen Codes, die Zugehörigkeit, Distinktion und Ausschluß symbolisch vermitteln.“ HARTMUT HÄUSSERMANN/DIETER LÄPPLE/ WALTER SIEBEL233

Die idealtypische Stadt des Fordismus wird in der Narration als durch eine relativ klare räumliche – und da städtische Räume auch immer sozial definiert sind – sozialräumliche Differenzierung234 gekennzeichnet ausgegeben. Charakteristisch war unter anderem der Versuch einer klaren Differenzierung und Gliederung in hauptsächlich vier Funktionsbereiche. Arbeiten, Wohnen, Konsumieren und Erholen als voneinander deutlich trenn- und unterscheidbaren „Handlungsspielräumen“ waren je einzelne räumliche Einheiten vorbehalten: Der Arbeit das Industriegebiet und einige Teile (auch konsum-)gewerblich genutzten städtischen Raums, dem Wohnen die innerstädtischen Altbauquartiere, die nach dem Krieg gebauten Quartiere in Innenstadtnähe sowie später die großen Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus außerhalb der Innenstädte,235 der Erholung Grüngebiete im Stadtbereich sowie die in

232 Häußermann 1996a; S.41 233 Häußermann/Läpple/Siebel 2008; S.183. 234 Als städtebauliches Leitmotiv wurde bereits 1933 diese Funktionstrennung in der „Charta von Athen“ festgeschrieben. Vgl. dazu Siebel 1994; S.5. 235 Hier soll nur kurz angemerkt werden, dass es sich bei dem – aus gutem Grund – oft geschmähtem sozialen Wohnungsbau in den „Trabantenstädten“ ursprünglich um ein emanzipatorisches Projekt der modernen Architektur und Städteplanung handelte: Die arbeitende städtische Bevölkerung sollte aus der ungesunden Enge der Mietskasernen und Hinterhöfe befreit werden, zugleich wurde radikal mit der Herrschaft symbolisierenden Architektursprache des bürgerlichen Neo-Klassizismus gebrochen. Das Motto lautete: Soleil, Air, Lumière (Frz.: Sonne, Luft und Licht; G.L.) für alle Städter. Vgl.

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der Sprache der Verwaltung sogenannten Naherholungsgebiete vor den Toren der großen Städte und industriellen Agglomerationen. Dem Konsum waren sowohl die Innenstadt, als später – etwa seit den späten sechziger Jahren – auch große Einkaufszentren in den städtischen Randgebieten vorbehalten.236 Nun ist Stadt nicht ausschließlich durch das Phänomen funktionaler Differenzierungen im Raum gekennzeichnet, sondern auch durch ein zweites Phänomen, nämlich eine gewisse Strukturierung sozialer Gruppen und Schichten im Raum einer Stadt.237 Innerhalb der horizontal gegliederten Funktionsbereiche lassen sich auch vertikale Differenzierungen nachweisen, sodass sich beide Einzelphänomene zu einer Phänomenkonstellation verdichten und zum Thema gesellschaftlicher Problemwahrnehmung werden. Dieses, in der Soziologie der Stadt als Segregation bezeichnete Phänomen, meint die räumliche Aufteilung von Bewohnern eines definierten Raums (i.d.R. einer Stadt) nach bestimmten Variablen,238 die sich in der Verfügungschance über sozioökonomische, aber auch in Ressourcen sozialräumlicher Infrastruktur239 niederschlägt. Kurzum, auf der Ebene der Städte lassen sich als Phänomene sozialräumliche Strukturen nachweisen, die der sozialen Ungleichheit, also den unterschiedlichen Verfügungschancen über diverse Ressourcen, eine räumliche Ordnung verleihen.240 Eine solche sozialräumliche Separierung von Bewohnern im Raum führt als weiteres Phänomen zu einer relativen – freiwilligen oder auch bedingten, erzwungenen – Kontaktvermeidung zwischen sozialen Gruppen in Stadt.241 Ist die Bevölkerung eines Stadtteils trotz solcher Segregationstendenzen sozialstrukturell noch verhältnismäßig heterogen, so spricht man von relativer sozialer Segregation. Je homogener soziale Merkmale im oben genannten Sinne im Raum verteilt sind, desto segregierter ist ein Stadtteil. Unter der Voraussetzung,

Charakter moderner Architektur Berndt 1967 und 1968. Vgl. zum städtebaulichen Funktionalismus und dem in ihm aufgehobenen Ordnungsparadigma Kap. 4.3. 236 Ausgenommen ist der Kleinkonsum im Wohn- und damit sozialen Nahbereich. 237 Vgl. z.B. Ruddick 1991. 238 Als solche gelten Einkommen, Bildung, Ethnie, Alter, Milieu- bzw. Klassenzugehörigkeit, Lebensstil etc., also alle diejenigen Variablen, deren sich die Soziologie zur Analyse sozialer Ungleichheit im Allgemeinen bedient. 239 Wie Kindergärten, Schulen etc. 240 Vgl. zur Definition von Segregation z.B. Dangschat 1998b, Krätke 1995; S.158 oder auch Dangschat 1998b. Zu den sozialen Folgen von Segregation vgl. unter anderem Alisch 2000, Alisch/Dangschat 1998, Bartelheimer/Freyberg 1996, Berger/Schmalfeld 1999, Dangschat 1995, 1996a und b, 1997, 1998a, 1999 und 2000, Farwick 2004, Friedrich 1999, Gisser 1974, Hahn 1999, Hamnett 2001, Hiss/Schneider/Wegener 1976, Ipsen 1999 und 2002, Josting 1996, Klagge 2003 sowie Schacht 1999. 241 Vgl. Wienold 1978; S.681. Vgl. auch Häußermann 1991 und Herlyn 1993; S.252.

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dass die räumliche Verteilung von Funktionen, Institutionen, Gruppen etc. – mithin Segregation – ein materielles Ergebnis urbaner Machtverhältnisse ist, kann man den Stadtplan „als Grundriss der Gesellschaft“242 begreifen. Diese Phänomenkonstellation zeigt, dass für eine verstädterte Gesellschaft, in der soziale Ressourcen aufgrund kapitalistischer Produktions- und Distributionsformen ungleich verteilt sind, Segregationstendenzen in unterschiedlichem Maße konstitutiv sind.243 Dementsprechend ist eine solche soziale Segmentierung im städtischen Raum als Phänomen nichts prinzipiell Neues. Ein Blick in wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Beschreibungen städtischer Gesellschaften des Industriekapitalismus deutet bereits früh auf eine Segregation von Bevölkerungsgruppen hin. Schon 1845, als Friedrich Engels die frühindustriellen Agglomerationen Nordenglands bereist,244 zeichnet er ein von moralischer Entrüstung geprägtes Bild der Elendsquartiere der in den großen Städten lebenden Arbeiterschaft. Detailliert beschreibt er die elende Wohnsituation proletarischer Familien und prangert gleichzeitig die Arroganz der Bourgeoisie gegenüber diesen menschenunwürdigen Verhältnissen im heute sogenannten „Manchesterkapitalismus“ an. Sein Hauptaugenmerk gilt dabei auch der räumlichen Lage der segregierten Arbeiterbezirke im Verhältnis zur Stadt im Ganzen. Auffällig scheint ihm, dass die monierten Missstände

242 W.H. Riehl, zit.n. Herlyn 1993; S.252. 243 Dabei ist zu bemerken, dass sich dennoch große Differenzen vor allem zwischen amerikanischen, europäischen und deutschen Städten bezüglich der Verteilung sozialer Gruppen im Raum ergeben. Sie basieren unter anderem auf unterschiedlichen historischen Entwicklungsbedingungen, auf unterschiedlichen Ideologien bzw. Zieldefinitionen bezüglich sozialer Ungleichheit und Wohlfahrt, aber auch auf unterschiedlichen Wirklichkeitsdefinitionen von Stadt. Solche Differenzierungen müssen hier außer Acht bleiben. Vgl. zum Diskurs um die „europäische Stadt“, die idealtypisch vorwiegend von der amerikanischen Stadt abgegrenzt wird, unter anderem Böhme 2001, Christ 2001, Friedrichs/Kempen 2001, Göschl 2004, Gornig 2004, Häußermann 2000b, 2001b, 2003, 2006, Häußermann/Kapphan 1999, Hassepflug 2001, Hesse/Schmitz 1999, Jessen 2001 und 2004, Kazig/Müller/Wiegandt 2003, Keil 1999, Kleger 2001, Krämer-Badoni 2004, Marcuse 2004, Moulaert/Nussbaumer 2004, Musterd 2004, Siebel 1999a und 2004, Sieverts 2000, Spiegel 2004, Strom/Mollenkopf 2004, Venturi 2004 sowie Walther 2004b und zum Vergleich von Berlin mit Los Angeles Hennig 1996, Hennig/LohdeReiff/Schmelin/Völker 1997 sowie Mayer 1995a und b. Konstruktivistisch betrachtet kann sich der Eindruck erschließen, dass die europäische Stadt als Idealtypus erst in Abgrenzung von den Städten anderer Kontinente sichtbar wird. Vgl. zu Städten als wissenssoziologischen Gegenständen Berking/Löw 2005. 244 Vgl. Engels 1974 (zuerst 1845); S.91ff. Davis (1994a; 268) nimmt diese Beschreibung auf.

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der Wahrnehmung des naiven Besuchers der Innenstädte eigentümlich verborgen bleiben. Der flüchtige Passant entdeckt sie nicht: „Jede Stadt hat ein oder mehrere ‚schlechte Viertel‘, in denen sich die arbeitende Klasse zusammendrängt. Oft freilich wohnt die Armut in versteckten Gässchen dicht neben den Palästen der Reichen; aber im allgemeinen hat man ihr ein apartes Gebiet zugewiesen, wo sie, aus den Augen der glücklicheren Klassen verbannt, sich mit sich selbst durchschlagen mag, so gut es geht. [...] Die Stadt selbst ist eigentümlich gebaut, so dass man jahrelang in ihr wohnen und täglich hinein- und herausgehen kann, ohne je in ein Arbeiterviertel oder nur mit Arbeitern in Berührung zu kommen – solange man nämlich eben nur seinen Geschäften nach- oder spazieren geht. Das kommt aber hauptsächlich daher, dass durch unbewusste, stillschweigende Übereinkunft wie durch bewusste ausgesprochene Absicht die Arbeiterbezirke von den der Mittelklasse überlassenen Stadtteile aufs schärfste getrennt oder, wo dies nicht möglich ist, mit dem Mantel der Liebe verhüllt werden.“245

Das von Engels beschriebene Modell der räumlichen Ausgrenzung – mithin Segregation – der Armutsbevölkerung in Städten ist unter dem Namen „Modell Manchester“ als Idealtypus in die Stadtsoziologie eingegangen.246 An anderer Stelle beschreibt Engels die von der Bourgeoisie als Bedrohung wahrgenommenen Alkoholexzesse der Arbeiterschaft nach dem wochenendlichen Empfang der Lohntüten, in deren Verlauf nicht selten einige Hundert Arbeiter teils marodierend durch die Straßen zogen.247 Beide von Engels beobachteten Phänomene – Segregation und die Angst vor Unruhe und Unordnung – kennzeichnen auch den zeitgenössischen Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten. In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts haben sich die wegweisenden Arbeiten der nach ihrem Entstehungsort benannten „Chicago-School“ der Sozialökologie mit dem Phänomen Segregation im Zuge beschleunigten Wachstums der Städte und damit einhergehender interner Differenzierungen vor dem Hintergrund massiver Migration auseinandergesetzt:248 Auf der Folie dieser Phänomenbeschrei-

245 Engels 1974; S.94 und 97 (zuerst 1845). 246 Vgl. Durth 1987; S. 157 und 1989; S.89. 247 Sperrstundenverordnungen – vor allem in Großbritannien – gehen noch heute auf diese Riot-Gefährdungen in frühindustriellen Zeiten zurück. Den Zusammenhang zwischen Industrialisierung und Aufruhrprävention am Beispiel Preußens untersuchen Jessen 1995 und Lindenberger 1995. Der englische Maler und Grafiker William Hogarth hat in den Stichen „Gin Lane“ und „Beer Street“ (beide von 1751) diese Zustände bildlich dargestellt. 248 Darstellungen der sozialökologischen Chicago-School und ihrer Bedeutung für die Soziologie der Stadt sind zahlreich. Vgl. unter anderem Davis 1996; S. 43f., Krämer-

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bung erscheint in sozialdarwinistisch-organologischer Tradition städtische Segregation als Ergebnis eines vermeintlich „natürlichen“ Wettbewerbs zwischen ökonomisch starken und schwachen Gruppen. Im städtischen Raum lassen sich solche Konflikte in einem dynamischen Modell anhand fünf konzentrischer Zonen abbilden, denen jeweils Funktionen und sozialstrukturell definierte Gruppen zugeordnet werden: In der ersten Zone sind hauptsächlich die Funktionen der Büro- und Geschäftsnutzungen zentralisiert. Wohnquartiere befinden sich hier nicht. In einer zweiten Zone des „Übergangs“ finden sich innenstadtnahe Industrie- und Gewerbeniederlassungen, aber auch sogenannte „degradierte Wohnquartiere“, Slums und Ghettos, sowie die Ansiedlungen von Immigranten. In der dritten Zone der Arbeitnehmerwohnquartiere finden sich ebenfalls Ansiedlungen von Immigranten, aber auch einfache Wohnquartiere der unteren Mittelschichten. In der vierten, der „Residenzzone“, sind die gehobenen mittelständischen Wohnquartiere lokalisiert, in der äußersten, fünften „Pendlerzone“ schließlich finden sind die randstädtischen, suburbanen gehobenen Wohnquartiere und Villenviertel sowie das Einzugsgebiet der Berufspendler. Mit nur wenigen, der Biologie entlehnten Begriffen dieses sozialökologischen Beschreibungssystems lässt sich der dynamische Charakter städtischer Siedlungsstruktur erfassen: „Konzentration“ und „Dispersion“ meinen die Fokussierung und Verteilung von Nutzungen in einem Raum, Segregation bezeichnet den Prozess der selektiven Konzentration von bestimmten Bevölkerungsgruppen in Teilen einer Stadt, „Invasion“ bezeichnet das Eindringen einer Gruppe oder Nutzung in Gebiete, die zuvor einen kleineren Anteil solcher Gruppen oder Nutzungen aufwiesen, „Sukzession“ meint eine vollständige Ablösung einer Nutzung oder sozialen Gruppe in einem Teilgebiet durch eine andere, und der Begriff der „Dominanz“ schließlich beschreibt den Sachverhalt der Durchsetzung einer ökonomisch stärkeren Bevölkerungsgruppe gegenüber einer schwächeren Gruppe in einem Stadtteil. Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit werden die Konzentration problematisierter Personen oder Gruppen an spezifischen Orten in den Innenstädten als Invasion und z.B. Obdachlose als Okkupanden verstanden.249 Dementsprechend harsch sind die Versuche, die Dominanz dieser Gruppen zu verhindern. Wie diese beiden in einer Phänomenkonstellation vorgebrachten Thematisierungen zeigen, sind soziale Segmentierung und räumliche Segregation keine neuen Erscheinungen postfordistischer Siedlungs- und Sozialstrukturen – dennoch werden bei ihrer Beschreibung deutliche Unterschiede herausgestellt: Zeichnete sich für

Badoni 1991; 17ff., Krätke 1995; S.158ff., Löw 2001a, Saunders 1987; S.55ff. sowie Rada 1997a; S.132f. Davis (1999b; S.412f.) greift dieses Modell auf und erweitert es im Hinblick auf eine „Ökologie der Angst“, die aus Segregation erwachsen kann. Vgl. Kap. 3.2.3. 249 Vgl. Krebs 2001; S.67.

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Engels noch das Bild einer Dualisierung und Dichotomisierung urbanen Raums in eine „Stadt der Armen“ und eine „Stadt der Reichen“250 und bildete das Modell konzentrischer Zonen trotz aller unterstellten Dynamik noch eine relativ großflächige Ordnung sozialstrukturell definierter Räume ab, so zeigt die Phänomenkonstellation gegenwärtiger, postfordistischer Stadtstruktur eher eine Tendenz zur „Vervielfältigung sozialräumlicher Spaltungen“251 im Sinne einer „zunehmend kleinräumigen Segregation von Bevölkerungsgruppen“, die sozialstrukturell auch mit der Fragmentierung nach sozialen Lagen und Milieus korrespondiert und zur Herausbildung von Räumen mit distinktem sozioökonomische Profil führt.252 Jedem in der Phänomenstruktur beschriebenen Sozialmodell (Klassen, Schichten, Milieus) ist ein entsprechendes sozialräumliches Modell zugeordnet.253 Im Zuge der in der Narration der postfordistischen Stadt unterstellten Krise des Fordismus werden also oben genannte relativ eindeutige Grenzen und Funktionszuweisungen als brüchig interpretiert, wenngleich Segregation ein konstitutives Element städtischer Struktur bleibt. Großflächige Funktionsdifferenzierungen werden durch tendenziell kleinräumigere Differenzierungen überformt – war noch bei Engels von eigentlich zwei Distrikten und für die amerikanischen Städte der zwanziger Jahre von fünf Zonen die Rede, so wird nunmehr die Stadtstruktur als Summe einzelner fragmentierter „Inseln“ verstanden. Diese Entwicklung spiegelt sich in der Thematisierung anhand zweier Modelle: Nach einer relativ früh formulierten Lesart einer „dreifach gespaltenen Stadt“ von Walter Siebel und Hartmut Häußermann bildet die erste Struktur die „international wettbewerbsfähige Stadt“, in der die national und international vermarktbaren repräsentativen Gelegenheiten254 einer Stadt konzentriert sind. Diese „erste Stadt“ verfügt über die Mehrzahl der Ressourcen, die als sogenannte harte Standortfaktoren oben erwähnt wurden. Die „zweite Stadt“ ist gekennzeichnet als „die normale Arbeits-, Versorgungs- und Wohnstadt für die deutsche Mittel-

250 Eine solche Vorstellung der Dichotomisierung lebt im Deutungsmuster des Begriffspaars Zitadelle versus Ghetto gleichwohl weiter, so z.B. bei Beste 1997; S.186. 251 Vgl. Häußermann/Siebel 1987a; S.138ff. Die folgenden Bezeichnungen sind diesem Text entnommen. Zur „polarisierten Stadtentwicklung“ innerhalb der Städte, aber auch zwischen den Städten des Nordens und Südens im Zuge ökonomischer Restrukturierung vgl. z.B. Häußermann/Siebel 1987b und Häußermann/Läpple/Siebel 2008; S.182ff. 252 Vgl. z.B. Krätke 1995; S.158, Häußermann/Kapphan 2000 und 2004, Krätke 1990, Marcuse/Kempen 2000a und b sowie Schulze 1994. 253 Vgl. z.B. Schlottmann 2005 und Vranken 2001. 254 Dazu zählen „Flughafen, internationaler Messe-, Kongress- und Hotelbereich, aufwendige Freizeit- und Kultureinrichtungen, Verwaltungen international organisierter Unternehmen und Inseln luxuriösen Wohnens.“ Häußermann/Siebel 1987a; S. 139. Zum Begriff der Gelegenheit vgl. Friedrichs 1995; S.16.

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schicht“. Die „dritte Stadt“ schließlich wird als die „marginalisierte Stadt der Randgruppen“ beschrieben. Zu ihnen zählen die dauerhaft Arbeitslosen, Ausländer, Drogenabhängige, Arme, kurz: die im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit als problematisch definierten Gruppen der städtischen Bevölkerung. In diesem ersten Modell kristallisieren sich im Zuge ökonomischer Reformierungen städtische Räume heraus, an denen jeweils bestimmte Gruppen und Strukturen ihre Orte haben. In einer anderen Lesart fortgeschrittener städtischer Segregation bei dem amerikanischen Stadtsoziologen Peter Marcuse ist gar die Rede von der „mehrfach gespaltenen Stadt“:255 Demnach differenziert sich eine postfordistische Stadt qualitativ pointiert in eine „Stadt der Herrschaft und des Luxus“, zu der die zentralen Geschäftsbezirke sowie die Steuerungszentren der postfordistischen Ökonomie, teilweise aber auch die Wohngegenden der funktionalen Eliten gehören. Die „gentrifizierte Stadt“,256 also die Distrikte der aufwendig (luxus-)sanierten und damit aufgewerteten innerstädtischen Altbauquartiere stellen das zweite Segment dar. Diese urbane Zone ist charakterisiert durch eine überwiegend hedonistische, kinderlose, individualistische, hoch qualifizierte, im Dienstleistungssektor beschäftigte, aufstiegs-, berufs- und konsumorientierte Wohnklientel,257 die nicht selten im ersten Raumsegment Beschäftigung findet.258 Gentrifizierungsprozesse, also die bauliche und soziale Umnutzung oder Aufwertung innenstadtnaher Wohnquartiere, werden

255 Vgl. Marcuse 1993 und 1995. Vgl. für Berlin auch Rada 1997a; S.132ff. Vgl. zu den Entwicklungen im postfordistischen Beschäftigungssektor oder auf dem Wohnungsmarkt Krätke 1995; S.158ff. 256 Der Prozess der Gentrifizierung lässt sich in der Diktion der Sozialökologie als Invasion besser verdienender Schichten in angestammte innenstadtnahe Wohngebiete unterer Einkommensgruppen interpretieren, die als Sukzession schließlich zur Verdrängung dieser Gruppen und im Ergebnis zur Dominanz der „funktionalen Eliten“ und „Stammbelegschaften“ postfordistischer Ökonomie über andere Gruppen führt. Vgl. Rada 1997a; S.121. Eine Definition dieser Begriffe findet sich bei Krämer-Badoni 1991; S.24. Laut Häußermann/Läpple/Siebel (2008; S.242) meint Gentrifizierung „[...] die bauliche Aufwertung eines Quartiers mit nachfolgenden sozialen Veränderungen [...], die in der Verdrängung einer statusniedrigen sozialen Schicht durch eine höhere resultieren.“ Vgl. auch Friedrichs 1998b. Vgl. zur Kritik z.B. Holm 2010. 257 Seit den späten achtziger Jahren hat sich für diese Gruppe auch der Begriff der „Yuppies“ eingebürgert, nämlich der „Young Urban Professionals“. Sofern es sich um eine Lebensgemeinschaft urbaner Berufstätiger ohne Kinder handelt, spricht man auch von „Dinks“ (Double Income, no Kids). 258 Zum Zusammenhang von Lebensstilen und räumlichen Milieus vgl. den von Dangschat/Blasius herausgegebenen Sammelband (1994) sowie Müller 1994 und Ritter 2001.

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als „Rekolonisierung der Innenstädte“259 durch die oberen Mittelschichten kritisiert. Sie haben auch Auswirkungen auf andere Quartiere: Das erhöhte Grundrentenaufkommen (also die steigenden Mieten) in solchen Sanierungsgebieten führt zu einer ökonomischen Verdrängung angestammter Bevölkerungsschichten, die diese erhöhten Mieten nicht mehr aufbringen können.260 Sofern Investitionen in einem Quartier Deinvestitionen in anderen Quartieren bedingen, sind Gentrifizierung und Slumifizierung, also die bauliche und soziale Abwertung eines Viertels mit einer entsprechenden Spreizung in der Ungleichheit von Wohnverhältnissen261 zwei Seiten einer Medaille. In der „mittelständischen Stadt“ finden sich KleinfamilienHaushalte aus dem mittelständischen Arbeiter- und Angestelltenmilieu. Die entsprechenden Wohnverhältnisse reichen hier von suburbanen Vorortsiedlungen über Einfamilienhausquartiere hin zu noch nicht-gentrifizierten innerstädtischen Altbaukomplexen. Die „Mieterstadt“ – sie umfasst sowohl Quartiere mit klassischen Arbeitermietskasernen der Jahrhundertwende wie auch Großsiedlungen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus der Nachkriegszeit – zeichnet sich im Gegensatz zur mittelständischen Stadt durch ein höheres Maß an sozialer Mobilität und damit auch sozialer Unsicherheit aus: So schwebt über solchen Vierteln stets das Damoklesschwert drohender Gentrifizierung – was dann aufgrund steigender Mieten zum Wohnungswechsel der Haushalte mit unterem bis mittlerem Einkommen führen kann. In solchen Fällen kann der Prozesscharakter einer solchen sozialräumlichen Definition städtischer Quartiere aber auch zum sozialen Abstieg in die „aufgegebene Stadt“ („abandoned City“) führen: Diese zeichnet sich vor allem durch eine lang anhaltende geringe Investitionsquote bezüglich der Wohnqualität und Bausubstanz aus. In solchen „slumifizierten“ Vierteln leben in erster Linie ethnische Minderheiten und auf staatliche oder kommunale Transferleistungen angewiesene städtische Unterschichten, die mittel- und langfristig keine Chance auf reguläre Beschäftigung und damit Integration im ersten Arbeitsmarkt haben.262 Diese Tendenz lässt sich empirisch für einige Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus ausmachen.

259 Vgl. Davis 1994a; S.267. 260 Vgl. dazu auch Taylor (1999; S.91ff.), der die Phänomene Wohnungsmarkt, Kriminalität, Unsicherheitsgefühle und „Marktgesellschaft“ im Zusammenhang betrachtet. 261 Vgl. Häußermann/Siebel 2000. 262 Am untersten Ende einer solchen Kategorisierung von „Elendsvierteln“ liegen die gänzlich von der regulären Wohnbevölkerung verlassenen Quartiere („empty Quarters“), deren Sozialstruktur und Ökonomie Krätke (1995; S.182ff.) sowie Davis (1994a; 421ff.) untersuchen. Zur ethnisch bedingten Segregation vgl. unter anderem Baringhorst 1997, Goldsmitz 2000, Martwich 1980 und Waltz 1997, zu den damit zusammenhängenden Konflikten Heitmeyer/Dollase/Backes 1998 und Ipsen 2004, zur Integration ethnischer Minderheiten vgl. Häußermann 2002, Rex 1998, zum Multikulturalismus vgl. Wieviorka

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In dieser Phänomenbeschreibung wird gefolgert, dass sich unter postfordistischem Akkumulationsregime die sozialräumliche Struktur der Städte im Sinne einer kleinräumlichen Segregation erneut verschiebt – auch angetrieben durch demografische Entwicklungen (z.B. Migrationsbewegungen) sowie einer Fragmentarisierung des Wohnungs- und Arbeitsmarktes. In der stadtpolitischen Diskussion wird auf drei sich widersprechende Hypothesen zurückgegriffen:263 Die „ContainerTheorie“ geht davon aus, dass städtebauliche Missstände die zentrale Ursache für die Konzentration sozialer Probleme in einem Stadtteil sind. Dementsprechend muss bei der Beseitigung dieser Probleme der bauliche Zustand des Quartiers verbessert werden. Die „Soziale-Lage-Theorie“ geht davon aus, dass die Probleme eines segregierten Stadtteils auf die Sozialstruktur der Bewohner zurückgehen. Armut, Arbeitslosigkeit und Unter- bzw. Fehlqualifikation müssen politisch durch die entsprechenden Fachressorts angegangen werden, Interventionen auf Quartiersebene sind nicht ausreichend, um die Missstände zu beseitigen. Nach der „KontextTheorie“ determiniert das soziale und kulturelle Milieu eines Stadtteils die Lebenschancen und -stile sowie die Mentalitäten und Verhaltensweisen der Bewohner.264 Insgesamt wird von einer Wirklichkeitsdefinition ausgegangen, nach der die in der fordistischen Ära relativ fest gefügte sozial- und funktionsräumliche Ordnung sich „verflüssigt“, flexibel wird, sich vor allem aber kleinräumiger organisiert. Ehemals sozial heterogen bewohnte Quartiere werden zunehmend „entmischt“,265 Segregation verschärft sich, damit entstehen aber auch neue „Inseln“ der Benachteiligung und Marginalisierung innerhalb der Stadtstruktur. Zwischen diesen Fragmenten entstehen soziale Grenzen, die von den besser Gestellten verteidigt werden: „Die kleinräumigen sozialen Spaltungsprozesse in den Städten zwingen immer mehr dazu, das Übergreifen der Ghettos und der marginalisierten Subkulturen auf die unmittelbar benachbarten Inseln von ‚High-Technology‘, ‚High-Consumtion‘ und ‚High-Culture‘ zu verhindern.“266 Nach dieser Interpretation trägt die sozial-

1998, zur Wahrnehmung von Ausländern als Bedrohung Sauter 2001. Vgl. auch Kap. 4.1. 263 Vgl. Häußermann/Läpple/Siebel 2008; S.258. 264 Vgl. z.B. Wilson 1987 und 1997. 265 Bartelheimer (1998) wendet sich als einer der wenigen Stadtsoziologen gegen die verordnete Durchmischung der Bewohner als Gegenmaßnahme zu den beschriebenen Segregationstendenzen und setzt sich für eine vorläufige Akzeptanz gewachsener Bevölkerungsstrukturen und deren Beobachtung im Rahmen eines sogenannten Stadtteilmanagements ein. Im Herbst 2007 hat sich eine hessische Wohnungsbaugesellschaft diese Position zu eigen gemacht und beschlossen, in Zukunft Häuser ethnisch homogen zu vermieten. 266 Esser/Hirsch 1987; S.55. Vgl. auch o.V. 1997c und Sassen 2000a.

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räumliche Struktur selbst zu ihrer Perpetuierung als Determinante sozialer Formation und damit zur Ungleichheit im urbanen Raum bei. Segregation ist nicht mehr nur der Ausdruck des Vorhandenseins verschiedener städtischer Gruppen, sie wird selbst zur Ursache von Benachteiligung und ungleichen Verfügungschancen über diverse Ressourcen.267 Stadtpolitische Interventionen, die von unzutreffenden Diagnosen ausgehen und – geleitet von den oben genannten Wirklichkeitsdefinitionen – ungeeignete Maßnahmen einleiten, scheitern und erzeugen allenfalls sogenannte „Wasserbetteffekte“: Was auf der einen Seite verdrängt wird, taucht auf der anderen Seite wieder auf.268 Segregation wird in keiner Interpretation als neues Phänomen urbaner Vergesellschaftung dargestellt – im Gegenteil, die Interpretationen legen nahe, dass die sozialräumliche Segmentierung städtischer Gruppen konstitutiv für die kapitalistische Stadt ist. Die Annahme einer neuen Qualität von Segregation, die zu den oben kurz umrissenen Ausgrenzungstendenzen führt, basiert also weniger auf Phänomenen sozialer Ungleichheit im städtischen Raum, sondern vielmehr auf der konfigurativen Annahme zunehmender sozialer Desintegration städtischer Gesellschaften, die mit einer fortschreitenden Polarisierung des sozialräumlichen Gefüges verbunden ist.269 Doch bevor es im Folgenden um die Dialektik von Segregation, also räumlicher Desintegration als Gegenteil von urbaner Integration geht, soll nach der Verknüpfbarkeit solcher Thematisierungen von Stadt mit der soziologischen Kategorie der „sozialen Kontrolle“ gefragt werden.

267 Vgl. Häußermann 1996a; S.44ff. sowie 1995; S.95f. 268 Vgl. Häußermann/Läpple/Siebel 2008; S.260 und Moll 2007. 269 Vgl. Krätke 1995; S.165 sowie für die Entwicklung Berlins Naumann 1998 und Rada 1997a; S.127ff.

3. Thematisierungen von Stadt, Urbanität und sozialer Kontrolle „Unter der Oberfläche sind die Signalqualitäten der zeitgenössischen urbanen Landschaft nicht Verspieltheit, sondern Kontrolle, nicht Spontaneität, sondern Manipulation, nicht Interaktion, sondern Trennung.“ SUSAN CHRISTOPHERSON270

In der Soziologie sind zahlreiche Definitionen, Erklärungs- und Thematisierungsansätze der begrifflich-theoretischen Grundkategorien Stadt, Urbanität271 und soziale Kontrolle vorgebracht und diskutiert, kritisiert und verworfen worden.272 Einige dieser Ansätze sollen hier zur Sprache kommen, weil sie für die Darstellung der relevanten Thematisierungen von Bedeutung sind – von Bedeutung insofern, als sie erlauben, Stadt und Urbanität unter dem Gesichtspunkt sozialer Kontrolle zu betrachten und die im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit beschriebenen Phänomene und Prozesse im Sinne einer Archäologie zu ordnen, zu systematisieren und sie in einen wissenssoziologischen Rahmen zu stellen. Dazu werden zunächst soziologische Konzeptionen von Stadt unterschieden, um in einem zweiten Schritt Ansätze zum typischen Vergesellschaftungsmodus

270 Christopherson 1994; S.409. Übersetzung von G.L. 271 Im Folgenden werden die Begriffe Urbanität und Stadtkultur synonym verwendet. Zum Begriff Stadtkultur und den Eingrenzungsversuchen von Urbanität vgl. Flagge, Häußermann, Herterich, Sachs Pfeiffer (alle 1988) sowie Difu 1991, Durth 1989, Jüchter 1996, Lindner 1990, 1998 und 1999b, Parker 2004, Ronge/Hopp 1988, Schäfers 1989, Schäfers/Köhler 1989, Schöneich 1991, Sennett 1991 und Siebel 1994. 272 Eine detaillierte Erörterung all dieser Ansätze würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.

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städtischen Lebens darzustellen, der im soziologischen Diskurs als Narration der Urbanität verhandelt wird. Auch dabei werden nur solche Beiträge der Urbanitätsnarration zur Sprache kommen, die einen Beitrag zur Systematisierung und Verständlichkeit des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit und seiner Dispositive leisten. Die konstitutive Dialektik städtischer Gesellschaften, die sich zwischen den Polen Integration und Desintegration oder – je nach theoretischem Standpunkt – Inklusion und Exklusion bewegt, wird im Anschluss aufgegriffen. Die im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit aufscheinende Konstruktion städtischer Gruppen und zugeordneter Deutungsmuster, die damit verbundene Zuweisung dieser Gruppen zu bestimmten Räumen und damit die sozialpsychologische wie sozialräumliche Grenzziehung bzw. Klassifikation zwischen „Drinnen“ und „Draußen“ wird danach dargestellt. Subjektive Unsicherheitsgefühle, Kriminalitätsängste und ihre Ursachen sowie die Auswirkungen solcher Deutungsmuster auf den innerstädtischen Raum sind im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit von außerordentlicher Bedeutung. Diesem Zusammenhang widmet sich das dritte Unterkapitel. Der soziologische Begriff „soziale Kontrolle“ im hier dargestellten Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit verweist nicht nur auf bestimmte Verhaltensimperative und Wertimplikationen, die sich in Stadt Geltung verschaffen, sondern auf basale Alltagsvorstellungen sozialer Ordnung. Insofern wird von sozialer Kontrolle in einem weiteren Sinne der Steuerung urbanen Verhaltens vor dem Hintergrund einer Normalitätsdefinition gesprochen. Im Wesentlichen geht es dabei um die Frage, wie bestimmte soziale Vorstellungen einer städtischen Ordnung strukturiert sind, welche Deutungsmuster und Klassifikationen in ihnen enthalten sind und wie sie sich als kriminologische Diskurse formieren. In den Thematisierungen urbaner Sozialkontrolle werden auch bestimmte Entwicklungen als „Visionen“, als Zuspitzungen des Status quo und gegebenenfalls als Szenarien für die Zukunft der Städte beschrieben. Drei dieser Thematisierungen werden hier kurz als narrative Strukturen gegenwärtiger und zukünftiger Stadtentwicklung aufgegriffen. Dabei stehen die Stichworte „Disneysierung“ der Städte, die Etablierung einer „Kontrollgesellschaft“ und die „Militarisierung“ urbaner Sozialkontrolle im Fokus. Einen gewichtigen Anteil in der manchmal nur schwer zu überschauenden Menge vorgetragener Positionen im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit macht die Behandlung des Komplexes Stadt, Öffentlichkeit und Raumkontrolle aus. In drei Schritten soll diese Phänomenstruktur dargestellt werden: zum Ersten im Hinblick auf das Verhältnis von Urbanität und Öffentlichkeit, zum Zweiten im Hinblick auf das unterstellte „Verschwinden“ des öffentlichen Raums und zum Dritten im Hinblick auf das Verhältnis von Urbanität und räumlicher Kontrolle. Im Folgenden wird gelegentlich auf andere Thematisierungen verwiesen, ohne sie explizit zu diskutieren. Die Aufgabe des folgenden Kapitels liegt weniger in einer kritischen Gesamtschau aller Standpunkte, sondern im Aufzeigen einiger Mo-

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mente, von denen aus der Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit von einem wissenssoziologisch-diskursanalytischen Standpunkt aus verständlich wird. Wie aber wird Stadt eigentlich in sozialwissenschaftlicher Hinsicht verstanden?

3.1 D IE

SOZIOLOGISCHE

T HEMATISIERUNG VON S TADT „Die Stadtsoziologie scheint ohne einen theoretisch bestimmten Stadtbegriff auskommen zu können.“ THOMAS KRÄMER-BADONI273 „Das Urbane ist also eine reine Form [...]. Diese Form hat keinerlei spezifischen Inhalt [...]. Sie ist [...] eine Abstraktion, eine konkrete, an die Praxis gebundene Abstraktion.“ HENRI LEFÈBVRE274 „Die Stadt ist eher ein Bewusstseinszustand [...].“ ROBERT E. PARK275

Die interdisziplinäre Stadtforschung hat eine geradezu unüberschaubare Menge von Stadtdefinitionen hervorgebracht und etabliert. Um diese Komplexität zu reduzieren, bietet es sich in diesem Kontext an, einige Definitionen und Konzepte als Klassifikationen, d.h. als formalisierte und stabilisierte soziale Typisierungen zu verstehen. Allerdings hängen mit den hier ausführlicher beschriebenen Klassifikationen auch Narrationen zusammen, in denen diese Klassifikationen mit weitergehenden Ordnungssystemen von Welterfahrung verwoben werden. Die so konstruierten Kategorien können je nach ihren Schwerpunkten im Einzelnen betrachtet und diskutiert werden. Nun ist die wissenschaftliche Diskussion um den Gegenstand Stadt je nach entsprechenden Zugangsweisen, Disziplinen und Interessen differenziert.276 So wird von einer Seite auf architekturtheoretischer und -historischer, eher ästhetischer Basis argumentiert,277 in anderen Kontexten wird Stadt als politischadministrative, demografische Einheit betrachtet, ein dritter Diskussionsstrang fasst Stadt vornehmlich in ökonomischen Kategorien auf und eine soziologische Be-

273 Krämer-Badoni 1991; S.2. Vgl. auch Krämer-Badoni 1999. 274 Lefèbvre 1972; S.128. 275 Park in Burgess/McKenzie/Park 1967 (zuerst 1925); S.1. Übersetzung von G.L. 276 Vgl. z.B. Korte 1990 und Frey/Zimmer 2001. 277 Vgl. z.B. Seissl 2001.

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trachtung schließlich befasst sich zentral mit gesellschaftstheoretischen Implikationen städtischer Interaktion, Kommunikation und Struktur. Ein soziologischer Begriff von Stadt legt zugleich immer auch eine meist komplexe Theorie der verstädterten Gesellschaft nahe. Dementsprechend lässt sich ausgehend vom Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit, in dem sich eher soziale Kategorien, mitunter sozialwissenschaftlich-theoretische Versatzstücke spiegeln, Stadt als soziologische Kategorie thematisieren. Was also ist Stadt und in welchem Sinne wird hier von ihr gesprochen? Es gibt zumindest zwei Ansätze der Konstruktion eines soziologischen Stadtbegriffes: Eine Möglichkeit besteht darin, von ausgewählten Autoren ausgehend, die Stadtdefinitionen und -theorien vorgelegt haben, sich dem Konzept Stadt zu nähern. Auf der anderen Seite können aber auch die theoretischen Richtungen innerhalb einer Soziologie der Stadt herangezogen werden, um zu einer Eingrenzung des Begriffs von Stadt zu kommen.278 Um beide Ansätze zu integrieren, soll hier der Versuch unternommen werden, ausgewählten Klassifkationen Autoren zuzuordnen, um sich im Anschluss daran mit deren Bedeutung für den Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit auseinanderzusetzen. Einen frühen Versuch, das gesellschaftliche Phänomen Stadt und ihre Kultur zu beschreiben, legt Georg Simmel279 zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor. Demnach ist Stadt keine nur räumliche Tatsache mit sozialen Wirkungen, sondern eine soziologische Tatsache, die sich räumlich formt. Stadt ist so interpretiert in erster Linie ein Ort von vergesellschafteten Individuen, nicht der gebauten Umwelt. Kurzgefasst interpretiert Simmel die großstädtischen Lebensbedingungen als zentralen Mechanismus der Sozialisation des modernen Menschen.280 In diesem Ansatz einer kulturellen Definition großstädtischen sozialen Lebens geht er unter anderem davon aus, dass Variablen wie beispielsweise die Dichte der Bevölkerung, aber auch Umwelteinflüsse wie Lärm, Licht etc. zu einer permanenten nervlichen Überreizung des Städters führen, aufgrund derer er mit einer „Blasiertheit“ reagiert, um seine Individualität in der Masse zu schützen und zu repräsentieren. Diese „Reserviertheit“, diese leichte „Aversion“, erscheint zunächst als Anzeichen für gesellschaftliche Dissoziierungsprozesse, die die Kohäsion des Interaktionszusammenhangs Stadt zu gefährden scheinen. Im Gegenteil aber stellt gerade dieser Mechanismus für Simmel erst die Bedingung städtischen Zusammenlebens dar. In dieser Narration, die

278 Das erste Vorgehen wählt Krämer-Badoni 1991, der zweiten Möglichkeit folgt z.B. Siebel 1994. Eine demografische oder verwaltungsrechtliche Definition von Stadt bleibt hier außen vor. 279 Vgl. Simmel 1957 (zuerst 1903). Mönninger (1994, S.7) bezieht sich auf diesen Standpunkt, ebenso wie Rada 1997a; S.131. Vgl. auch Lechner 1991 und Lindner 2004. 280 Vgl. auch Lenger 1999.

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sich aus der Klassifikation „Stadt ist Dichte und heterogene Umwelteinflüsse“ ergibt, erscheint das im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit verhandelte Phänomen „Angst“ ebenso naheliegend, wie die Definition subjektiv unerwünschter Verhaltenskategorien oder die soziale Konstruktion einer Gruppe von subjektiv Störenden, die ausgegrenzt werden. Alle drei sind Kennzeichen moderner Urbanität in der Tradition Simmel’scher Stadtinterpretation. Eine zweite Narration städtischen Soziallebens wurde in der bereits erwähnten Chicagoer Schule in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt. Als direkter Schüler Simmels beschreibt Louis Wirth281 Stadt als prinzipiell charakterisiert durch die vier Variablen Größe, Dichte, Permanenz und Heterogenität. Stadt ist demnach einen „[...] relativ große, dichtbesiedelte und dauerhafte Niederlassung gesellschaftlich heterogener Individuen [...].“282 Diese Klassifikation von Stadt führt auf sozialstruktureller Seite – wie bereits bei Simmel theoretisch angelegt – zu Anonymität, funktionaler Differenzierung, zur Herausbildung von Rollensegmenten, zu sozialer Distanz und ökonomischer Konkurrenz. In dem mit dieser Definition verbundenen sozialökologischen Kontext gelingt die Bildung von stabilen urbanen Gemeinschaften durch eine sozialdarwinistische Anpassungsleistung an eine vermeintlich „natürliche“ gesellschaftliche Umwelt. Die Narration der Segregation von Minderheiten in bestimmten Vierteln und deren Verdrängung aus anderen basiert auf dieser Klassifikation. Ein dritter einflussreicher Ansatz der Stadtdefinition ist ökonomisch fundiert: Max Weber283 klassifiziert Stadt idealtypisch als Marktort. Der wesentliche Teil der ökonomischen Bedürfnisse wird demnach auf dem örtlichen, mit den Erzeugnissen ländlicher Agrarwirtschaft und städtischen Handwerks beschickten Markt befriedigt. Dieser Ansatz lenkt den Blick auf die ökonomische Bedeutung des städtischen Systems, wie sie bereits einleitend unter der Überschrift der postfordistischen Stadtnarration und der darin angelegten Betonung der Konsumfunktion angerissen wurde.284 Webers zentrales Anliegen war es, zu erklären, „[...] warum der Kapitalismus als universalistische Gesellschaftsformation seine historische Geburt gerade in Westeuropa erlebt hat [...]“,285 genauer: in welchem Verhältnis Stadt zur spezifischen okzidentalen Rationalität steht und welche Bedeutung beide für den modernen Kapitalismus haben. Dieses Forschungsprogramm Webers kulminiert in der Narration einer Typologie der Städte, in der er sich hauptsächlich mit der Verände-

281 Vgl. Wirth 1974 (zuerst 1938). 282 Wirth 1974 (zuerst 1938); S.48, auch zit. in Herlyn 1993; S.247. 283 Vgl. Weber 1972 (zuerst 1922); S.621ff. 284 Vgl. zu Max Webers Stadtbegriff und dessen Einfluss auf die Stadtsoziologie Bruhns 2000, Käsler 2000 und Nippel 2000. 285 Krämer-Badoni 1991; S.10.

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rung des Legitimitätsmodus von Herrschaft am Beispiel von Stadt auseinandersetzt.286 So beschreibt er die Herausbildung des Idealtypus des Bürgers und der Klasse der Bourgeoisie und damit des großindustriellen Unternehmertums. Webers Ansatz beinhaltet die Ablösung der feudalen Gesellschaft durch die kapitalistische und damit auch die politische und ökonomische Emanzipation der Städter aus den Zwängen der Feudalismus. In der Thematisierung von Urbanität und Öffentlichkeit wird dieser Ansatz aufgenommen. Eine kapitalismuskritische Stadtdefinition verdankt der stadtsoziologische Diskurs Karl Marx und Friedrich Engels.287 Stadt ist in ihrer Klassifikation in erster Linie der zentrale Ort der Produktivkraftentwicklung und stellt als Narration dementsprechend die Antagonie zwischen den Klassen zur Verfügung. Engels diagnostiziert im Zuge der Industrialisierung und der damit einhergehenden Pauperisierung Segregationstendenzen der städtischen Arbeiterklasse und deren Ausgrenzung aus dem Stadtbild, die in systematischem Zusammenhang mit der frühkapitalistischen Produktionsweise stehen. In dieser ökonomistisch-materialistischen Tradition der Beschreibung von Stadt stehen auch Autoren wie Manuel Castells,288 der Stadt in erster Linie als Ort kollektiver Konsumtion begreift, oder auch David Harveys Analyse flexibler Akkumulation289 und deren Auswirkungen auf den städtischen Raum. In dieser Narration ist die Verfügung über ökonomische Ressourcen und damit die Chance, an Konsum teilzuhaben, wesentlich. Vor diesem Hintergrund ist die Rede von der Ausgrenzung derer, die nicht über ausreichend ökonomisches Kapital und insofern über nur geringe Konsummöglichkeiten verfügen, verständlich. In der Diktion der in der Narration der postfordistischen Stadt Ausschlag gebenden Regulationsschule290 schließlich ist Stadt der Ort, an dem sich die Widersprüche zwischen Globalisierung und Lokalisierung zuspitzen und aufbrechen. In dieser Lesart steht Stadt in der Phase zunehmender Weltmarktausrichtung im Spannungsfeld zwischen internationalem Kapitalismus und der lokalen Anpassung an die daraus resultierenden ökonomischen Strukturbedingungen.291 Auf solche stadttheoretischen Ansätze wird im Diskurs rekurriert, wenn konstatiert wird, dass die Ausgrenzung problematisierter Gruppen eben auch auf der Ausrichtung der Städte

286 Diese „Typologie der Städte“ wurde später unter dem Titel „Die nicht-legitime Herrschaft“ als eigenständiges Kapitel in „Wirtschaft und Gesellschaft“ aufgenommen. Vgl. Weber 1972; S.727ff. Vgl. auch Breuer 2000. 287 Vgl. z.B. Engels 1974 (zuerst 1845). 288 Vgl. Castells 1977 und 1986. 289 Vgl. Harvey 1990 und 1992. 290 Vgl. z.B. Christopherson 1994, Featherstone 1994, Alnasseri u.a. 2001, Dangschat/ Diettrich 1999 und Storper/Scott 1990. Vgl. auch Kap. 2.1. 291 Vgl. Beste 1997; S.194.

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als reine und irritationsbefreite Konsumräume unter dem Druck interstädtischer Konkurrenz beruht. Die vierte, hier ebenfalls nur kurz umrissene, von Hans-Paul Bahrdt292 vorgelegte Klassifikation kreist um die konstitutive Differenz von Öffentlichkeit und Privatheit als zentralem Merkmal von Stadt und Urbanität. Nach Bahrdt besteht die zivilisatorische Hauptleistung der modernen Stadt darin, Interaktionsformen zu entwickeln, die die prinzipielle Differenz von städtischer Öffentlichkeit und individueller Privatheit zwar zu überbrücken in der Lage sind, diese aber gleichwohl tendenziell bestehen lassen: „Unsere These lautet: Eine Stadt ist eine Ansiedlung, in der das gesamte, also auch alltägliche Leben die Tendenz zeigt, sich zu polarisieren, d.h. entweder im sozialen Aggregatzustand der Öffentlichkeit oder in dem der Privatheit stattzufinden. Es bilden sich eine öffentliche und ein private Sphäre, die in engem Wechselverhältnis stehen, ohne dass die Polarität verloren geht. [...] Je stärker Polarität und Wechselbeziehung zwischen öffentlicher und privater Sphäre sich ausprägen, desto ‚städtischer‘ ist, soziologisch gesehen, das Leben einer Ansiedlung.“293

Diese Interpretation ist bei der Beschreibung städtischer Öffentlichkeit und der Narration vom Verschwinden des öffentlichen Raums von Bedeutung. Die im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit vorgebrachten Definitionen von Problemen, betrachtete Prozesse, aufgestellte Forderungen etc. beziehen sich primär auf den Bereich der Innenstädte. Historisch begründet ist diese Fokussierung auf die Stadtmitte durch die Unterstellung, dass diese der klassische Ort städtischer Öffentlichkeit mit besonderer symbolischer Bedeutung für die Kultur einer Stadt ist. Von „City“ ist die Rede, wenn die Wohnfunktion der Innenstädte der Konsumfunktion zum größten Teil gewichen ist.294 Angesichts der Konzentration von zumeist auch ästhetisch der symbolischen Bedeutung entsprechend repräsentativ gestalteten Gelegenheiten der Teilhabe am kulturellen Leben einer Stadt295 und der Konzentration der Steuerungszentralen von Wirtschaft und Verwaltung296 im Innenstadtbereich erscheint diese These durchaus plausibel. Laut der Narration vom Postfordismus sind in der City alle im interstädtischen Konkurrenzkampf mobili-

292 Bahrdt (1998, zuerst 1961) nennt seinen Essay im Untertitel „Soziologische Überlegungen zum Städtebau“. 1996 äußert er sich erneut zu Öffentlichkeit in der Stadt. Vgl. dazu Kaltenbrunner 1998. 293 Bahrdt 1998 (zuerst 1961); S.83f. 294 Vgl. Herlyn 1993; S.251. 295 Zu solchen zählen Theater, Kinos, Restaurants, Bars, Cafés, Diskotheken etc. 296 Z.B. Banken, Versicherungen, Rathäuser und überkommunale Behörden, Verwaltungen von Unternehmen aus dem sekundären, aber zunehmend auch tertiären Sektor etc.

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sierbaren harten und weichen Standortfaktoren als „Imageelemente“ zentralisiert – Sicherheit und Sauberkeit gehören dazu.297 Im Bereich der Innenstädte schneiden sich die hier verhandelten Thematisierungen sozusagen räumlich.298 Will man den Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten analysieren, muss man alle diese Stadtdefinitionen auch unter dem Aspekt sozialer Kontrolle interpretieren. Und dabei bedarf es nicht zwangsläufig einer bestimmten Definition von Stadt. Versteht man Stadt als Ort der Verräumlichung sozialer Prozesse und Phänomene, dementsprechend eine Soziologie der Stadt als Theorie der verräumlichten Gesellschaft, hat man es bezüglich des urbanen Ausschließungsdiskurses letztlich mit einem gesamtgesellschaftlichen Problem zu tun, das sich sozialräumlich in Stadt zeigt.299 Demnach ist die definierende Festlegung eines Begriffs von Stadt nicht notwendig, um den Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit zu systematisieren und aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Und in diesem Diskurs geht es immer um Entwicklungen einer in einem spezifischen Raum organisierten Gesellschaft. Folgt man diesem Gedanken, so zeigt sich, dass alle kurz umschriebenen, diskursiv auftretenden Stadtdefinitionen sich nicht ausschließen, sondern jeweils unterschiedliche Interpretationen, d.h. Klassifikationen oder teilweise Narrationen eines eigentümlichen Stadtbegriffs und städtischer Kultur aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven zu je unterschiedlichen Zeitpunkten darstellen. Vor diesem Hintergrund scheint die oben zitierte Auffassung Thomas Krämer-Badonis, nach der der Diskurs ohne eine Definition von Stadt auskommt, plausibel. Und insofern bietet sich auch ein weiter gefasster Begriff sozialer Kontrolle an, um Ordnungsvorstellungen einer verstädterten Gesellschaft und deren Wirkungen am Beispiel des zentralen Diskurses aufzuzeigen. Was aber zeichnet die Kultur, die Urbanität einer solchen Stadt aus?

297 Vgl. Krasmann/Marinis 1997; S.172. 298 Vgl. JungdemokratInnen/Junge Linke 1998; S.1. 299 Hinzukommt, dass in einer verstädterten Gesellschaft wie der deutschen 2006 ca. 70% der Bevölkerung (entspricht 57,4 Mio. Einwohnern) in Städten lebt, darunter ca. 27 Mio. im Großstädten mit über 100.000 Einwohnern.

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N ARRATION „Urbanität kann nicht begriffen werden als bloße Addition einzelner Elemente. Urbanität ist Ergebnis sozialer Prozesse [...].“ WALTER SIEBEL300 „Es besteht die Gefahr, dass die Stadt als soziale Einheit zerbricht. Stadtkultur aber heißt: Vielheit in der Einheit.“ HARTMUT HÄUSSERMANN301

War bislang nur kurz von diversen soziologischen, für den Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit relevanten Stadtdefinitionen die Rede, so soll hier eine Narration aufgenommen werden, in der die Eigenarten städtischen Soziallebens beschrieben werden. Unter den Überschriften „Stadtkultur“ und häufiger „Urbanität“ ist in Vergangenheit und Gegenwart versucht worden zu klären, was städtisches Leben kennzeichnet und wie es sich vom Landleben unterscheidet. In dieser Narration werden stadttypische Deutungsmuster, Klassifikationen und Dimensionen von Phänomenstrukturen so zueinander in Beziehung gesetzt, dass eine Folie entsteht, vor der heterogene Erfahrungen in einem kohärenten Zusammenhang verständlich werden. Mit diesem Anspruch verbunden war stets eine weiter gehende Thematisierung von Gesellschaft selbst. Auch in der Alltagsvorstellung und der feuilletonistischen, nicht-wissenschaftlichen Diskussion um städtische Lebensqualität hat sich der Begriff Urbanität niedergeschlagen.302 Diese Begriffskarriere kommt nicht von ungefähr, sondern lässt sich unter anderem mit der bereits angedeuteten Fokussierung auf die in der Narration der postfordistischen Stadt beschriebene Standortkonkurrenz303 und der unterstellten „Renaissance der Städte“304 und einer „neuen Bürgerlichkeit“305 erklären. Mit dem Begriff Urbanität ist also immer auch eine gewisse

300 Siebel 1994; S.7. 301 Häußermann 1996a; S.48. Häußermann und Siebel (1987a) formulieren in Auseinandersetzung mit den hier behandelten Ansätzen und neueren Entwicklungen in Gesellschaft und Arbeitswelt ein Plädoyer für eine „neue Urbanität“. 302 Vgl Rada 1997a; S.113. 303 Vgl. Kap. 2.1. 304 Vgl. z.B. Häußermann/Läpple/Siebel 2008; S.362ff. 305 Vgl. z.B. Schmidt 2002 und Ronneberger 1994b. Eng damit verbunden ist auch die Diskussion um bürgerliche Umgangsformen, die in diesem Diskurs distinktiv zum Standard erhoben werden und anhand derer dann diskursiv festgemacht werden kann, welche ur-

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normative deutungs- und handlungsleitende Vorstellung von der Qualität städtischen Lebens verbunden306 – was die klagende Rede von einem unterstellten „Verlust von Urbanität“ und von Störungen des städtischen Alltags erst verständlich macht.307 Nun lässt sich Urbanität nicht ohne Weiteres eindeutig definieren, dem Begriff wird kein eindeutiger semantischer Inhalt zugeordnet. Anhand vorliegender Interpretationen lässt sich Urbanität allerdings eingrenzen. Dazu soll zu Beginn ein perspektivischer Rahmen gesteckt werden, an dem sich die Systematisierung orientieren kann. Wie also kann Urbanität, so wie sie thematisiert wird, verstanden werden? In funktionalistischer Lesart ist davon auszugehen, dass Urbanität nicht nur alleine Kennzeichen städtischen Lebens per se ist, sondern dass Stadtkultur funktionale Beiträge zur Erhaltung des „Systems Stadt“ und damit der verstädterten Gesellschaft leistet. Die Urbanität einer Stadt erfüllt in dieser Wirklichkeitsdefinition eine ökonomische Funktion, wenn die spezifischen Eigenheiten dieser Stadt als harte oder weiche Standortvorteile in der nationalen und wie oben beschrieben interregionalen und internationalen Konkurrenz der Städte instrumentalisiert werden. Eine zweite Funktion von Stadtkultur liegt des Weiteren in deren Fähigkeit, die Identitätsbildung der Bürgerschaft als Mitglieder einer räumlich organisierten lebensweltlichen Gemeinschaft zu unterstützen. Damit eng verknüpft ist eine dritte, ideologische Funktion:308 Die Identifikation mit der Stadt als Ganzem oder einzelnen Stadtteilen309 führt, wie seitens einiger Kritiker vorgetragen, zur Verschleierung real existierender sozioökonomischer Konflikte in den Städten, die ihrerseits auf den unterschiedlichen und teilweise widersprüchlichen Interessenlagen der städtischen Akteure beruhen.310 Im Zentrum des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit steht allerdings eine vierte, integrative, vergesellschaftende Funktion. Eine Interpretation lautet, dass vor dem Hintergrund veränderter sozioökonomischer Strukturbedingungen und deren sozialräumlichen Auswirkungen die integrative Funktion von

banen Verhaltensweisen akzeptabel und welche Träger abweichenden Verhaltens auszugrenzen sind. Solche Wertüberzeugungen sind nicht unbedingt an die Zugehörigkeit zu einem Milieu gebunden. In den USA spricht man von (physical and social) „Incivilities“, wenn es um die Verletzung bürgerlicher Verhaltensnormen im öffentlichen Raum der Innenstädte geht. Vgl. z.B. Hunter 1995. Vgl. für die deutsche Diskussion Lüdemann 2005a und b. 306 Vgl. z.B. Herterich 1986. 307 Vgl. Siebel 1998; S.262. 308 Vgl. Schneider-Kuszmierczyk 1986. 309 In diesem Zusammenhang ist mitunter von der „Corporate Identity“ einer Stadt die Rede. Vgl. auch Bürkner 2002. 310 Vgl. Durth 1987 und 1989.

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Urbanität zunehmend prekär wird – was sich auch an den Dispositiven Polizeientwicklung, Architektur und Recht ablesen lässt und sich im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in allen hier genannten Perspektiven abbildet. Fortschreitende Segregations- und Ausgrenzungstendenzen erscheinen vor diesem Hintergrund als Ergebnis forcierter desintegrativer Tendenzen, wenngleich eine gewisse Dialektik von Integration und Desintegration – oder, je nach theoretischem Stadtpunkt, Inklusion und Exklusion – als konstitutiv für städtisches Leben verstanden wird. Die Erzählung von Urbanität weckt demnach unterschiedliche semantische und deutungsrelevante Assoziationen: Sie beschreibt sowohl die städtische „Hochkultur“, also spezifische institutionell an Theater, Museen, Oper etc. gebundene Eigenheiten von Städten, zugleich aber auch die Aktivitäten der – einem basisdemokratischen Ethos verpflichteten – Soziokultur wie das typische Muster städtischer Vergesellschaftung an sich. Sie liefert Klassifikationen für urbane Interaktionsformen und stellt Deutungsmuster für variante gesellschaftliche Mechanismen städtischer Wahrnehmung, Selektion und Informationsverarbeitung bereit. Nach dem städtebaulichen Funktionalismus, wie er am prägnantesten seinen Niederschlag in den Formulierungen der Charta von Athen311 findet, ist eine Stadt dann urban, wenn die vier Funktionen des Wohnens, des Arbeitens, der Erholung und des Verkehrs sozialräumlich einen Grad der Differenzierung aufweisen, die dem Niveau funktionaler Differenzierung in der Gesamtgesellschaft entsprechen. Diese Interpretation städtischer Kultur ist vor allem kennzeichnend für den Städtebau der klassischen Moderne. Im Diskurs wird konstatiert, dass sich diese starren Funktionsräume auflösen und sich damit sozialräumliche Spaltungen der Stadt in zahlreiche soziale Inseln ergeben. Ganz allgemein lässt sich festhalten, dass die Urbanitätsnarration immer auf einen bestimmten Typus von Gesellschaft reflektiert, denn was Urbanität ausmacht, kann aufgrund der Verwurzelung der Narration in gegenwärtigen Prozessen von „Weltkonstitution“312 stets nur im Hinblick auf eine historische Epoche und eine bestimmte Gesellschaftsformation erhoben werden: „Urbanität als Ergebnis und Ort der Kultivierung enthält von Anfang an ein emanzipatorisches Element, zunächst von Natur, später aus gesellschaftlichen Zwängen. [...] Stadtluft macht frei. Urbanität meint eine besondere alltägliche Lebensweise des Städters, die in utopischer Perspektive über die bestehenden Verhältnisse hinaus auf eine bessere Gesellschaft verweist.“313 Im Folgenden wird die Narration von Urbanität inhaltlich dargestellt: In der griechischen und römischen Antike bedeutet die städtische Lebensweise eine weit-

311 Vgl. dazu Siebel 1994; S.5 und Fn.234. 312 Keller 2001; S.114. 313 Siebel 1998; S.262.

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gehende Befreiung von den Zwängen der Natur.314 Die Entwicklung gewerblicher Produktions- und Distributionsformen befreite zudem von den Unwägbarkeiten der Landwirtschaft. Städte entstehen dort, wo die Landwirtschaft einen Überschuss, d.h. mehr Güter, als die in der Landwirtschaft Tätigen verbrauchen, erzeugt. Städter zu sein bedeutet in der Antike zuerst, nicht in der Landwirtschaft tätig zu sein – im Gegenteil, die Angehörigen der städtischen Aristokratie und andere freie Bürger waren von Arbeit weitgehend freigestellt. Diese Freistellung beruhte einerseits auf militärischer Macht und andererseits auf der Ausbeutung von Sklaven; ihr Zweck war es, den freien Bürgern eine Beteiligung an den öffentlichen Angelegenheiten der Polis und die Arbeit an geistiger und körperlicher Vervollkommnung zu ermöglichen: „Urbanität ist Bildung, ist Wohlgebildetheit an Leib und Seele und Geist, aber sie ist auch fruchtbare Mitwirkung des Menschen als Polis-Wesen, als politischem Wesen in seinem ihm und nur ihm eigenen politischen Raum.“315 Die Urbanität der Antike ist also gekennzeichnet von der Polarität von Muße und Arbeit, die der Trennung von Stadt und Land entspricht.316 Desintegrative Elemente sind bereits in dieses Konzept eingeschrieben, insofern als die Zugehörigkeit zur PolisBevölkerung ein ausgesprochenes Privileg Weniger war. Im europäischen Mittelalter hat sich die Spaltung zwischen Stadt und Land soweit entwickelt, dass man die städtische als eine „andere“ Gesellschaft interpretieren kann.317 Stadt ist das Subjekt sozialen Wandels, in dessen Folge das politischökonomische System des Feudalismus abgelöst wird von oligarchischen oder aristokratischen Herrschaftsformen und dem Kapitalismus als dominant werdender Produktions- und Distributionsform, in die der Städter anders als in der geschlossenen Selbstversorgungswirtschaft eingebunden ist. Auf diese Weise entsteht in Stadt die bürgerliche Gesellschaft, auf die in den hier referierten Thematisierungen rekurriert wird, wenn Ordnungskonzepte und Verhaltensstandards definiert werden. Max Weber318 versteht die europäische Stadt dementsprechend als „Keimzelle“ der modernen Gesellschaft und des Kapitalismus:

314 Vgl. hierzu und dem Folgenden Siebel 1998; S.262ff. sowie Siebel 1994; S.5ff. Für den Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit sei hier erwähnt, dass eine der problematisierten Gruppen, die der Obdachlosen, nicht in den Genuss dieses essenziellen Schutzes von Stadt kommt. Obdachlose sind in ihrem Dasein den Naturgewalten wesentlich stärker ausgeliefert als andere Städter. 315 Salin 1960; S.13f. 316 Dieser Gedanke taucht sowohl bei Marx („Reich der Freiheit jenseits des Reiches der Notwendigkeit“), als auch bei den Frühsozialisten wieder auf. Vgl. Siebel 1998; S.263. Bengs (1997) beschreibt Formen sozialer Kontrolle in den Städten der Antike. 317 Zur deutschen Stadt im Mittelalter vgl. Engel 1993. 318 Vgl. Weber 1972 (zuerst 1922); S.621ff.

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„Wir wollen von ‚Stadt‘ im ökonomischen Sinn erst da sprechen, wo die ortsansässige Bevölkerung einen ökonomisch wesentlichen Teil ihres Alltagsbedarfs auf dem örtlichen Markt befriedigt, und zwar zu einem wesentlichen Teil durch Erzeugnisse, welche die ortsansässige und die Bevölkerung des nächsten Umlandes für den Absatz auf dem Markt erzeugt oder sonst erworben hat. Jede Stadt im hier gebrauchten Sinn des Wortes ist ‚Marktort‘, d.h. hat einen Lokalmarkt als ökonomischen Mittelpunkt der Ansiedlung [...].“319

Politisch wird die mittelalterliche Stadt gekennzeichnet durch eine relative Autonomie, die aus der Selbstverwaltung der Bürgerschaft resultiert, durch militärische Macht und durch das Vorhandensein eines eigenen Rechts und eigener Gerichte. Politische Machtausübung und militärische Gewaltmittel entkoppeln sich allmählich, politische Macht wird stärker über ökonomischen Einfluss ausgeübt und insofern demokratisiert: „Politische Macht wird aus gottgegebenen Standeszugehörigkeiten gelöst und an die prinzipiell erwerbbaren ökonomischen Merkmale Beruf und Eigentum gebunden.“320 Bürgerrechte wurden nicht qua Abstammung verliehen, sondern im Ritual des Schwurs, gebunden an strenge Kriterien: „Der Bürger trat wenigstens bei Neuschöpfungen als Einzelner in die Bürgerschaft ein. Als Einzelner schwor er den Bürgereid. Die persönliche Zugehörigkeit zum örtlichen Verband der Stadt, und nicht die Sippe oder der Stamm, garantierten ihm seine persönliche Rechtsstellung als Bürger.“321 Diese Rechtsstellung, die mit einer Vielzahl von Partizipationsrechten verbunden war, kann den Bürgern nur bei Vorliegen genau definierter Voraussetzungen entzogen werden.322 Urbanität ist vor diesem Hintergrund dann Kennzeichen sozialen Lebens in Stadt, wenn die von feudaler Herrschaft freigesetzten Stadtbürger („Citoyén“) sich in öffentlichen Institutionen der Mitbestimmung engagieren und organisieren können. Bricht diese für die Menge aller Citoyén weg, ist der Weg frei für die Etablierung einer „Aristokratie der besitzenden Bourgeoisie“ (um in Webers Diktion zu bleiben), die in der Narration von der Postmoderne auch abschätzig „Konsumentenbürger“ 323 genannt werden. Hans-Paul Bahrdt324 setzt an den nun entstehenden Marktbeziehungen an und stellt fest, dass diese Marktbeziehungen den Einzelnen immer nur ausschnitthaft und partiell erfassen. Daraus folgt, dass die städtischen Individuen in bestimmten

319 Weber 1972; S.728. 320 Siebel 1998; S.264. 321 Weber 1972; S.747. Ortsfremde waren vom Bürgerschwur ebenso ausgeschlossen wie „Ehrlose“. Vgl. von Dülmen 1999. 322 Vgl. z.B. von Dülmen 1999; S.67ff. 323 Vgl. dazu Kap. 5.3. 324 Vgl. Bahrdt 1998 (zuerst 1961). Herlyn nennt Bahrdts Ansatz im Nachwort (S.242) „phänomenologisch“.

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Grenzen frei sind, auch nicht zweckgebundene Kontakte zu anderen Städtern aufzunehmen. Insofern ist Stadt gekennzeichnet durch „unvollständige Integration“.325 Allerdings erzeugt der ständige Kontakt mit Fremden auch Unsicherheit und damit das Bedürfnis nach Schutz, nach Abschottung326 – oder wie Bahrdt es ausdrückt, nach „geschützter Privatheit“.327 Sie ist die Reaktion auf die Diskrepanz zwischen räumlicher Nähe und sozialer Distanz, wie sie für den öffentlichen Raum der Städte seit dem Mittelalter typisch ist. Unvollständige Integration ist also eine Bedingung für die Möglichkeit von Privatheit, sie weckt zugleich das subjektive Bedürfnis nach ihr. Die daraus resultierende und oben bereits erwähnte Polarität von Öffentlichkeit und Privatheit als Kennzeichen moderner Urbanität lässt die Städter einen Verhaltensstil entwickeln, „[...] den wir Urbanität nennen und der den Charakter einer echten Tugend annimmt. Der urbane Mensch setzt in jedem Falle voraus, dass der andere – mag dessen Verhalten noch so sonderbar sein – eine Individualität besitzt, von der her sein Verhalten sinnvoll sein kann.“328 Urbanität ist also in dieser Konzeption die dialektisch vermittelte Polarität von Öffentlichkeit und Privatheit. Eine Siedlung ist umso urbaner, je mehr sich städtisches Leben in die miteinander verwobenen Sphären von Privatheit und Öffentlichkeit polarisiert. Privatheit wird als Rückzugsraum vom öffentlichen Leben in Stadt verstanden; die Teilnahme an Öffentlichkeit in Stadt, verstanden nicht als publizistische Öffentlichkeit, sondern auch als Fiktion der zum Publikum versammelten Menge der Städter,329 wird zwar nicht obligatorisch, sondern ist dem Städter situativ anheimgestellt. Verschwindet der öffentliche Raum und werden Gruppen aus der Öffentlichkeit zurück in eine unfreiwillige Privatheit verbannt, gilt Stadt vor diesem Raster nicht mehr als urban. Insofern lässt sich die Ausgrenzung von definierbaren Gruppen der städtischen Bevölkerung aus der Öffentlichkeit als Gefährdung bürgerlicher Urbanität begreifen. Es lässt sich festhalten, dass die Urbanitätsnarration ausgehend von der Entwicklung der Städte im Mittelalter städtischer Vergesellschaftung ein emanzipatives Element in dreifacher Hinsicht, nämlich auf Markt, Demokratie und Alltagsleben unterstellt: Zum Ersten emanzipiert sich der „Wirtschaftsbürger“, der Bourgeois, aus dem geschlossenen Kreislauf der Oikoswirtschaft. Zum Zweiten emanzipiert sich der „politische“ Bürger, der Citoyén, aus dem Herrschaftssystem des Feudalismus. Und zum Dritten emanzipiert sich der Städter als bürgerliches Individuum aus persönlichen Abhängigkeiten und direkter sozialer Kontrolle vormoder-

325 Bahrdt 1998; S.86. 326 Vgl. z.B. auch Legnaro 1998. 327 Vgl. Bahrdt 1998; S.98ff. 328 Bahrdt 1998; S.164. 329 Vgl. zu diesem Aspekt Habermas 1990 (zuerst 1962) und Kap. 3.4.1.

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ner Sozialbeziehungen im Modus der Polarität von Öffentlichkeit und Privatheit.330 Man kann aber auch folgern, dass die gewonnenen Emanzipationspotenziale und Freiheitsgrade genau durch die Prozesse, die sie hervorbringen, gefährdet sind: Die kapitalistische Produktion und Distribution birgt laut marxistischem Diskurs Gefahren wie die der Ausbeutung, der Entfremdung, der Pauperisierung und letztlich der Marginalisierung in sich.331 Die bürgerschaftliche Verfassung der Städte sichert nicht zwangsläufig allen Städtern gleiche Rechte, sondern kann potenziell einen großen Teil der Bevölkerung ausschließen.332 Und schließlich birgt die Polarität von Öffentlichkeit und Privatheit immer die Gefahr, dass eine der beiden Seiten dominant wird und die Urbanität einer Stadt damit infrage stellt.333 Auch Georg Simmels334 Interpretation von Urbanität trägt zwei Seiten in sich: Im 19. Jahrhundert verändert sich das Verhältnis von Stadt und Land und damit die zeitgenössische Urbanität erneut. War in der Antike die Stadt-Land-Differenz das entscheidende Merkmal von Urbanität und war im Mittelalter Stadt die Keimzelle für die Entwicklung einer kapitalistischen Gesellschaft, so kann die Stadt des 19. Jahrhunderts als Zentrum der Gesellschaft angesehen werden.335 Urbanität meint seitdem eine Beschreibung des modernen Sozialcharakters, weniger eine bestimmte Lebensart. Die Wahrnehmung der industriellen Großstadt wird – wie oben in der Stadtdefinition von Wirth angedeutet – von den zentralen Variablen Heterogenität, Größe, Dichte, Permanenz sowie nachgeordnet Dynamik und Unüberschaubarkeit dominiert. Stadt ist demnach gekennzeichnet durch eine permanente und ubiquitäre Überflutung an Reizen, die den Menschen in seiner Aufnahme- und Verarbeitungskapazität nahezu überfordern: „[...] die rasche Zusammendrängung wechselnder Bilder, der schroffe Abstand innerhalb dessen, was man mit einem Blick umfasst,

330 Vgl. Siebel 1998; S.266. 331 Verarmung und Marginalisierung sind allerdings auch in anderen Systemen denkbar. 332 Vgl. z.B. von Dülmen 1999. 333 Bahrdt spricht in diesem Zusammenhang von „Denaturierungen“ (Bahrdt 1998; S.102ff.). Für die Sphäre der Öffentlichkeit macht er sie aus in totalitären Systemen und Situationen der „Vermassung“. Für die Sphäre der Privatheit spricht Bahrdt von Denaturierung, wenn der Rückzug aus der Öffentlichkeit zum Suchen des „Glücks im Winkel“ im Privaten führt. 334 Vgl. Simmel 1957 (zuerst 1903). Simmel hat etwas später weitere Aufsätze vorgelegt, die sich mit dem Zusammenhang von Raum und Gesellschaft auseinander setzen. Vgl. dazu Simmel 1995a und b. Vgl. zu Simmels Urbanitätstheorie auch Lechner 1991, Müller 1988, Häußermann 1995; S.91ff., Krämer-Badoni 1991; S.12ff., Saunders 1987; S.89ff. sowie Siebel 1994; S.6. Zur Wahrnehmung von Stadt um 1900 vgl. Engeli 1999. 335 Vgl. Siebel 1998; S.266.

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die Unerwartetheit sich aufdrängender Impressionen.“336 Im Ergebnis führt die urbane Lebensweise zu einer „Steigerung des Nervenlebens“,337 was eine Form städtischer Vergesellschaftung nach sich zieht, die sich anhand dreier Stichworte beschreiben lässt.338 Zum Ersten spricht Simmel von Intellektualisierung: Da der Verstand anders als das Gefühl träge auf die Reizüberflutung reagiert, betont der Städter diesen. Er schafft sich so „[...] ein Schutzorgan gegen die Entwurzelung, mit der die Strömungen und Diskrepanzen seines äußeren Milieus ihn bedrohen: statt mit dem Gemüthe reagiert er auf diese im Wesentlichen mit dem Verstande [...] so als ein Präservativ des subjektiven Lebens gegen die Vergewaltigung der Großstadt [...].339 Zum Zweiten spricht Simmel von Blasiertheit und meint damit das Abstumpfen der Sinne gegenüber der Überbeanspruchung durch die Reize der Großstadt: „Die so entstehende Unfähigkeit, auf neue Reize mit der ihnen angemessenen Energie zu reagieren, ist eben jene Blasiertheit, die eigentlich schon jedes Kind der Großstadt im Vergleich mit Kindern ruhigerer und abwechslungsloserer Milieus zeigt.“340 Urbanität bezeichnet demnach auch immer eine bestimmte Erfahrungsund Wahrnehmungsqualität.341 Zum Dritten ist die Rede von Reserviertheit: Begegnet der Städter einem anderen, so nimmt er eine distanzierte Haltung ein, die sich zu „Aversion“ oder sogar „Fremdheit und Abstoßung“ steigern kann: „Die geistige Haltung der Großstädter zueinander wird man in formaler Hinsicht als Reserviertheit bezeichnen dürfen. Wenn der fortwährenden äußeren Berührung mit unzähligen Menschen so viele innere Reaktionen antworten sollten, wie in der kleinen Stadt, in der man fast jeden Begegnenden kennt [...], so würde man sich innerlich völlig atomisieren und in eine ganz unausdenkbare seelische Verfassung gera-

336 Simmel 1957 (zuerst 1903); S.228. 337 Simmel 1957 (zuerst 1903); S.228. 338 Vgl. für das Folgende Siebel 1998; S.267f. 339 Simmel 1957 (zuerst 1903); S.228f. 340 Simmel 1957 (zuerst 1903); S.232. 341 Die Erfahrungs- und Wahrnehmungsqualität spielt auch in dem von Lewis Mumford entwickelten Begriff von Urbanität eine zentrale Rolle – dort fungiert Stadt sogar als „Museum“, in der sich alles Mögliche widerspiegelt. Vgl. Mumford 1963; Bd.1; S.655ff. sowie Mumford 1995. Rada (1997a; S.109) kritisiert die „[...] gleichmacherische ‚Kultur‘ der Filialisten und Franchiser [...]“, der allerdings auch durch steigende Pachten in den Innenstädten, sowie den altersbedingten Rückzug der (Geschäfts-) Gründergeneration Vorschub geleistet wird. Die Tendenz zur Homogenisierung der Innenstädte führt damit zwangsläufig zu einer Verarmung der Erlebniskultur und der Erosion einer ihrer Hauptfunktionen, die so im Widerspruch zu allen idealtypischen modernen Konzeptionen von Urbanität steht. Vgl. auch Kap. 5.3.

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ten.“342 Die Phänomenstrukturen Intellektualisierung, Blasiertheit und Reserviertheit leiten also in Simmels Interpretation von Urbanität das Verhältnis der Städter zueinander und zu ihrer Umgebung. Denn zum einen müssen sich die Städter selbst schützen, zum anderen erfordert die Struktur der Großstadt eine besondere Organisationsform des städtischen Lebens, das im Wesentlichen auf Rationalität beruht. Diese Rationalität prägt sowohl die Raumorganisation wie die technischen Funktionserfordernisse der Stadt, sie prägt aber auch die sozialen und kommunikativen Kontakte der Städter zueinander. Es ist diese Form der Urbanität, die einerseits Begegnung ermöglicht und andererseits die Möglichkeiten einer gewissen Fremdheit bestehen lässt. In dieser Wirklichkeitsdefinition zeichnet sich das soziale Leben in Stadt durch die prinzipielle Chance aus, zunächst undefinierte Kontakte und Kommunikation zu pflegen;343 sie ermöglicht so ein distanziertes und tolerantes Beieinanderleben. Es scheint diese „Kultur der Vermittlung“344 zu sein, die als wichtige Facette moderne Urbanität charakterisiert. Städtische Vergesellschaftung ist demnach doppelt durch den Begriff der „Gleichgültigkeit“ beschrieben: Einerseits ist in der städtischen Masse der Einzelne als Individuum im Sinne des Ganzen Stadt relativ gleichgültig, andererseits aber erscheint subjektiv der Andere, der flüchtige Passant, der nur oberflächlich, also kurz, nur segmentär, in seiner jeweiligen Rolle und transitorisch, buchstäblich im Vorübergehen, wahrgenommen wird, als Individuum in seiner Dignität ebenfalls relativ gleichgültig. Im Gegenteil, statt wahllos Bindungen zu suchen und einzugehen, distanziert sich der Städter tendenziell vom einzelnen Menschen in der Masse der anderen Städter, er entwickelt eine Aversion und Blasiertheit gegenüber den Anderen. Dieses Strukturmerkmal städtischer Vergesellschaftung hat eine weitere Schattenseite: Die tendenzielle Fremdheit und Unpersönlichkeit fördert auch Distanz, ja Gleichgültigkeit gegenüber dem Nachbarn, Mitbürger oder zufälligen Passanten. Betrachtet man den Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit vor diesem Hintergrund, wird verständlich, warum in einigen Positionen die flüchtigen und blasierten Städter der Gegenwart so ausgesprochen dünnhäutig auf Störungen durch Verunreinigungen oder als abweichend wahrgenommene Personen bzw. Verhaltensweisen reagieren. Diese werden vor einem negativ besetzten Deutungsmuster urbanen Lebens als aversive Reize wahrgenommen und in erster Linie rational, erst in zweiter Linie emotional verarbeitet. Empathie wird – durch dieses Deutungsmuster geführt – überlagert von Angst und durch den Wunsch, „damit nicht konfrontiert zu werden“ oder nach einer „Lösung des Problems“. Ent-

342 Simmel 1998; S.233f. 343 Vgl. auch Sieverts 1986. 344 Vgl. Feldtkeller 1995; S.178.

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sprechend technokratisch sind die rationalen „Lösungen“ polizeilicher, baulicher oder juristischer Art.345 Städtisches Leben bewegt sich in einem Zirkel von Engagement und Distanzierung, sodass man tendenzielle Anonymität als Ergebnis aber auch als Bedingung städtischen Lebens auffassen kann. Heterogenität wie Anonymität kennzeichnen in dieser Interpretation Urbanität. Rationalität kennzeichnet auch den wirtschaftlichen Verkehr und verstärkt die emotionale Gleichgültigkeit gegenüber Armen, Suchtkranken, Verwirrten etc. Stadt ist Sitz der Geldwirtschaft sowie Zentrum des Konsums und diese Geldwirtschaft erzwingt eine Sachlichkeit und Indifferenz gegenüber Menschen und Dingen. Urbane Integration zeigt sich auch in der Verfügungsgewalt über Geld. Dementsprechend ist die Blasiertheit des Städters „[...] der getreue subjektive Reflex der völlig durchgedrungenen Geldwirtschaft“.346 Die mit der Marktökonomie einhergehende funktionale Differenzierung, d.h. die Arbeitsteilung, verstärkt die Heterogenität, die Stadt ausmacht. Zugleich entstehen so Spielräume für die Entwicklung einer individualisierten Lebensweise, die den Einzelnen aus Tradition und sozialer Kontrolle des Dorfes herauslöst, deren Korrelat aber auch Fremdheit und Ausgrenzung sein können. Die permanente Stilisierung der Städter als Individuen kann so Mittel der Abgrenzung sein: „Was in dieser (der großstädtischen Lebensgestaltung; G.L.) als Dissoziierung auftaucht, ist so in Wirklichkeit nur eine ihrer elementaren Sozialisierungsformen.“347 Neben Heterogenität und Anonymität zeichnet aber in diesem Ansatz noch ein Drittes Urbanität aus: nämlich die tendenziell chaotische Struktur städtischen Lebens. Lässt man sich auf das Bild Simmels, das des blasierten, oft gehetzten, distanzierten und überreizten Städters ein, erscheint Stadt, oder genauer der engere Bereich der Innenstadt, der das zentrale Refugium des Flaneurs348 ist, nicht gerade als Ort der Besinnlichkeit, des Einklanges mit der Natur – kurz einer natürlichen Ordnung, sondern als Ort der Überreizung, des Drängens und Gedrängtseins, des

345 Vgl. Kap. 4.2 bis 4.4. 346 Simmel 1957 (zuerst 1903); S.232. Vgl. dazu auch Häußermann 1995; S.91. 347 Simmel 1957 (zuerst 1903); S.234. Interessant ist, dass Simmel – vermutlich aus der Erfahrung der eigenen „Fremdheit“ als Jude im Kaiserreich – dem Fremden in seiner prekären Rolle eine besondere Produktivität zuweist. Er redet einer Ausgrenzung des Fremden also nicht das Wort. Wirth schließt sich Simmel an und betont den produktiven wie auch gefährdeten Charakter des Fremden. Vgl. Siebel 1998; S.268f. Nassehi (1999) betont ebenfalls die Bedeutung von Fremdheit für die Urbanität der Moderne. 348 Benjamin (1983; Bd.1, S.538) beschreibt die idealtypische Figur des Flaneurs gerade in Abgrenzung zur kapitalistischen Wirtschaftsweise: „Der Müßiggang des Flaneurs ist eine Demonstration gegen die Arbeitsteilung.“

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Stresses, des Lärms, des Gestanks, des Verfalls, des Schmutzes, der Enge, der Krankheit etc.349 „Berlin, Stadt des Nordens, Todesstadt, wo vereiste Fenster starren wie der Todkranken Augen, wo rissige Steine sich häufen, wo der Boden klafft wie der Wöchnerinnen Schoß. Stadt eisigen Wahns, des Krampfes in Dunkel und Gefängnis, wie verschieden von der überkochenden Tollheit im goldenen Sizilien! [...] O kranke, stinkende Stadt! Deines Pöbels Frucht breitet sich über deine faltige Haut wie erkalteter Lavastrom. Alte Menschenfresserin, deine schlaffen Brüste kollern unter papiernem Hemd, du bist erblindet in geheimnisvollem Schlamm.“350

Urbanes Leben steht also auch in der Spannung zwischen tendenziell chaotischen Zuständen und einem kontrafaktisch dem entgegen gestellten Deutungsmuster von Ordnung, das bezogen auf den städtischen Raum mit nachvollziehbarem Angeordnetsein, Überschaubarkeit, aber auch Sicherheit und Sauberkeit verbunden ist. Stadt ist eine Ordnungsnarration – zugleich aber auch Synonym für tendenzielles Chaos.351 Die Aufgabe urbaner Sozialkontrolle ist es, diese Ordnung herzustellen und aufrecht zu erhalten. Louis Wirth352 stellt zunächst diesen Aspekt in das Zentrum seiner Interpretation von Urbanität, ohne zu dem gleichen kulturpessimistischen Ergebnis wie sein Lehrer Simmel zu kommen. Für Wirth ist Stadt nicht nur der „[...] Ort der Individuierung sondern auch der Vereinsamung, des Zerfalls sozialer Bindungen, des krassen Gegensatzes von Arm und Reich, der Nivellierung und Vermassung.“353 Sie ist der Ort der auf die Spitze getriebenen Individualisierung und entwickelten kapitalistischen Produktion, zugleich aber auch der Ort der Pathologien der modernen Gesellschaft. Zu diesen Pathologien gehören auch Kriminalität und das unterstellte Fehlen sozialer Kontrolle in Stadt. Die Chicagoer Schule der Sozialökologie,354 der auch

349 Diesem Zusammenhang verdankt sich auch eine Thematisierung von Urbanität, die Bahrdt als vorurteilsbeladene, biologistische und verkürzte Großstadtkritik charakterisiert. Vgl. Bahrdt 1998; S.57ff. Mit dem Mythos der kranken Stadt und der daraus erwachsenden Großstadtfeindschaft beschäftigen sich auch Brömer 1994 und Gebhardt 1988. Vgl. zu weiteren „Bedrohungen der Stadtgesellschaft“ Anhut/Heitmeyer 2000, zu weiteren Mythen von Stadt Fuchs/Moltmann 1995. 350 Goll 1994 (zuerst 1929); S.8. 351 Dementsprechend finden sich in Malerei, Literatur, Film etc. ebenso viele utopische wie dystopische Thematisierungen von Stadt. 352 Vgl. Wirth 1974 (zuerst 1938). 353 Siebel 1998; S.268. 354 Vgl. auch Burgess/McKenzie/Park 1967 (zuerst 1925).

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Wirth zuzurechnen ist, hat vor diesem Hintergrund versucht zu beleuchten, wie eine soziale Integration der Stadtgesellschaft dauerhaft möglich ist: „Wenn Anonymität und Unübersichtlichkeit der Großstadt direkte soziale Kontrolle unmöglich machen, wenn andererseits Gleichgültigkeit und Blasiertheit typische Verhaltensweisen des Großstadtbewohners sind, und wenn schließlich die Stadt durch Zuwanderung von weit her wächst, was hält dann eine solche Stadtgesellschaft aus lauter Fremden zusammen?“355 Zentral war die Entdeckung, dass die soziale Arbeitsteilung und die daraus resultierende stratifikatorische Differenzierung der Gesellschaft eine räumliche Entsprechung in der Stadtstruktur hat. Die Großstadt ähnelt einem „Mosaik sozialer Welten“,356 das durch die Konkurrenz sozialer Gruppen um ökonomische wie räumliche Ressourcen entsteht. Wo viele verschiedene soziale Gruppen und Schichten unter dem Dach einer Stadt leben, entstehen sogenannte „Natural Areas“ als differenzierte Refugien in der Agglomeration.357 Hier schaffen sich die Bewohner eine Gemeinschaft als Ersatz für die verlassene Heimat und damit Schutz vor Anomie und Identitätsverlust.358 Die räumliche Ordnung hat allerdings dynamischen Charakter – Invasion, Transition Sukzession und Dominanz erlauben wechselnde Urbanitäten in unterschiedlichen Quartieren. Die im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit mitunter beschriebene „Vertreibung“ problematisierter Gruppen aus den Innenstädten lässt sich mit diesem Begriffsinstrumentarium, diesen Klassifikationen und Deutungsmustern analysieren.359 Denn Wirth geht davon aus, dass die Segregation in bestimmten Vierteln nicht auf Frei-

355 Siebel 1998; S.269. Vgl. auch Siebel 1999b. 356 Vgl. Saunders 1991; S.96. 357 Als Beispiele können Viertel wie „Chinatown“ oder „Little Italy“ in New York gelten. In Köln spricht man im Hinblick auf ein vornehmlich von türkischstämmigen Menschen bewohntes und genutztes Viertel despektierlich von „Klein-Istanbul“. 358 Im Grunde ließe sich dieser Prozess auch in der Diktion von Ferdinand Tönnies thematisieren: Gemeinschaft als Vergesellschaftungstypus, der im wesentlichen auf freiwilligen engen persönlichen Kontakten, auf instinktivem Gefallen des Anderen als spontaner Sympathie, auf gewohnheitsbedingter Anpassung oder auf ideenbezogenem kollektivem Denken beruht, kann sich nicht als Charakteristikum in der heterogenen, chaotischen Stadt als Ganzem vollziehen, sondern vielmehr in quasi dörflichen, dann wieder sozialstrukturell homogenen Inseln, oder in der Diktion der Sozialökologie: „natürlichen Gebieten“ im heterogenen urbanen Raum. Vgl. hierzu Hegner 1978; S.259, vor allem aber Bertels 1988 und Paddison 2001. Zur Bedeutung von Gemeinschaften für soziale Kontrolle vgl. Kap. 3.3.2.2. 359 Das Gleiche gilt für den Begriff der „Parallelgesellschaften“, der ebenfalls in diesem Kontext steht. Vgl. Rada 2007 und Heitmeyer 1998.

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willigkeit im Sinne einer Differenzierung von Lebensstilen oder ästhetischen Vorlieben beruht, sondern auf dem Zwang von Armut und Diskriminierung. Segregation – auch die heutiger Städte – verweist vor diesem Hintergrund eher auf eine „Landkarte sozialer Ungleichheit“,360 sie ist nicht nur als Ergebnis differenter Lebenswelten oder gar als Ergebnis unterschiedlicher Prozesse der Wirklichkeitsdeutung zu verstehen. In Wirths Urbanitätstheorie ist Differenz nicht – wie bei Simmel – als Gegenpol zu Integration gedeutet, sondern die Bedingung der Möglichkeit städtischer Integration. Bei allen diesen Narrationen von Urbanität fällt allerdings eines auf: Es ist immer die Rede von einer Urbanität. Demgegenüber wird gelegentlich ins Spiel gebracht, dass eine solche Konzeption von Urbanität bereits per se exklusiven Charakters ist. Historisch konnten sich in den Städten der Industrialisierung durchaus zwei widersprüchliche „Urbanitäten“ etablieren: die der bürgerlichen Gesellschaft und die der proletarischen Gemeinschaften bzw. Milieus. Beide Milieus verschmolzen tendenziell in der fordistischen Ära der nivellierten Mittelstandsgesellschaft, freilich nicht ohne als partielle Residuen auch weiterhin zu existieren. Im Zuge postfordistischer Stadtentwicklung und sozialräumlicher Segregation ist eine DeDifferenzierung der einen Urbanität in mehrere Urbanitäten wie die der konsumfähigen Mittelschichten und eine der Ausgeschlossenen in „schlechten“ Vierteln durchaus wieder eine Deutungsoption.361 Insofern wird bezüglich des bislang geteilten Begriffs von einer Urbanität diskutiert, dass der fordistische „Klassenkompromiss“ des Sozialstaats bundesrepublikanischer Prägung bei einer Verstetigung dieser Entwicklung unter Druck gerät. Gleichwohl ist im Zusammenhang mit dem Diskurs von Sicherheit und Sauberkeit immer von einer Urbanität die Rede, allerdings von der exklusiven Urbanität derer, die als „Modernisierungsgewinner“ die unterstellten postfordistischen Restrukturierungen als die relativ stabilen mittleren und oberen Mittelschichten überdauert haben und denen auch deshalb die Definitionsmacht über Urbanität zukommt:362 „Wer heute von Urbanität spricht, spricht nicht mehr von einem schichtübergreifenden Modell: Urbanität heute meint das Kulturverhalten städtischer Bildungsschichten.“ 363 Das soziale Leben in Stadt wird – zieht man obige Thematisierung zusammenfassend in Betracht – als Idealtyp vor allem durch die Heterogenität der städtischen Bevölkerung charakterisiert. Diese Verschiedenartigkeit der in Stadt lebenden Individuen bezieht sich dabei auf alle sozialstrukturell empirisch fassbaren Variablen

360 Siebel 1998; S.269. 361 Vgl. Kap. 2.2. 362 Dass in den Städten sich solche Dominanzverhältnisse sozialräumlich niederschlagen, beschreibt auch Rada 1997a; S.163ff. 363 Perchinig/Steiner 1991; S.21.

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wie auf persönliche Eigenschaften und Einstellungen etc. Im städtischen Raum finden sich demnach Menschen unterschiedlicher Einkommensgruppen, Ethnien, sozialen Milieus und Lagen, aller Bildungsstufen, politischen Präferenzen, Altersgruppen, aller Lebenssituationen etc. Wenn aber in der hier dargestellten Urbanitätsnarration Distanzierung und Abgrenzung als Konsequenzen spezifischer urbaner Vergesellschaftung städtisches Leben kennzeichnen, so muss man fragen, was denn angesichts so heterogener individueller Sozialisation, Lebensentwürfe und -chancen dann eine Stadt zusammenhält – oder anders gefragt, was die soziale Kohäsion in einer Stadt sichert.364 Eine Antwort müsste sich auf Integrationsleistungen oder zumindest Deutungen von Integration beziehen, die funktional für die Kohäsion der städtischen Gesellschaft sind und die desintegrative Momente kontrollieren. Die Angst der Städter vor benennbaren „Anderen“, vor Kriminalität und Unsicherheit zeichnet Urbanität ebenso aus und ist als Deutungsmuster bzw. als generalisierte Klassifikation problematisch für das städtische Zusammenleben. 3.2.1 Integration und Desintegration, Inklusion und Exklusion. Zur Dialektik städtischer Gesellschaften „Die Stadt ist weder ein Ort der Monokultur noch des beziehungslosen kulturellen Nebeneinander. Sie muss der Ort der Integration und darf nicht der Ort der Ausgrenzung sein [...].“ DEUTSCHER STÄDTETAG365 „Die soziale Frage in Europa hat einen neuen Namen: Exklusion.“ MARTIN KRONAUER366

In der Narration von Urbanität zeigt sich, dass städtische Vergesellschaftung einen Doppelcharakter aufweist: Einerseits integriert Stadt heterogene, anonyme Individuen und stabilisiert chaotische Strukturen. Insofern ist Urbanität funktional zur Ordnung einer verstädterten Gesellschaft. Stadt ist demnach ein Ort der „integrierten Differenz“, in dem Gegensätzliches nebeneinander existiert ohne Stadt als Ver-

364 Vgl. z.B. Nikodem/Schulze/Yildiz 2001 oder Krämer-Badoni 2001. 365 Aus einem Appell des DST an die Städte vom 14. Oktober 1992; zit.n. Feldtkeller 1995; S.179. 366 Kronauer 2002a; S.9.

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gesellschaftungsform infrage zu stellen.367 Andererseits werden unter der Überschrift Ausgrenzung Phänomene diskutiert, die sich im Sinne einer Desintegration von Teilen der städtischen Bevölkerung interpretieren lassen. Urbane Gesellschaften zeichnen sich laut dieser Narration immer sowohl durch integrative wie durch desintegrative Tendenzen aus, sie sind mithin – nicht nur in dieser Dimension – dialektisch vermittelt. Integration und Desintegration scheinen konstitutiv für städtische Vergesellschaftung zu sein. Beide Momente prägen auch die Wirklichkeitsdeutung der Städter: Einerseits kann Stadt als Ort der Integration (z.B. hinsichtlich unterschiedlicher Ethnien oder Angehörigen unterschiedlicher Milieus in einem Stadtteil) erlebt werden, gleichzeitig können aber andererseits auch desintegrative Tendenzen wahrgenommen werden (z.B. wenn Segregation zur Dominanz einer Gruppe in einem Stadtteil führt). Wie aber wird dieses Verhältnis gefasst? Auf einen kurzen Nenner gebracht, gelingt sowohl bei Georg Simmel, als auch bei den Sozialökologen um Louis Wirth Integration durch Separation.368 In beiden Konzeptionen fungieren Großstädte als Orte der Integration, in beiden Ansätzen ist Urbanität verbunden mit einem gewissen Grad an Toleranz im Sinne eines distanzierten Nebeneinanders.369 Unterschiede zeigen sich aber in der Vermittlung von Integration: In der Theorie Simmels gelingt Integration in urbane Gesellschaften durch Individualisierung, in der Perspektive der Sozialökologie gelingt sie durch gruppenorientierte Gemeinschaftsbildung in segregierten Vierteln. Dabei ist Wirths Ansatz eher modernisierungskritisch: Städtisches Leben, und hier folgt er Simmel, zeichnet sich durch unpersönliche, oberflächliche, eben transitorische und segmentäre Kontakte aus. Während dies aber noch für Simmel die Bedingung persönlicher Freiheit in Stadt ist, sieht Wirth die sich daraus ergebende soziale Desorganisation als treibende Kraft für eine erneute Vergemeinschaftung an – die städtische Bevölkerung entzieht sich der „kalten“ Stadtgesellschaft in segregierten, sozial und ethnisch homogenen Vierteln und sucht die Gemeinschaft. Gleichwohl bleiben diese Gruppen im Ganzen der Stadt integriert. In der Theorie Wirths erzeugt das Nebeneinander heterogener Gruppen Toleranz gegenüber dem Anderen, dem Fremden. Ähnlich versteht Simmel Urbanisie-

367 Feldtkeller 1995; S.146. Vgl. auch Göschl 2001, Häußermann/Siebel 2001 und 2004, Krämer-Badoni 2001 und 2002, Neckel 1999 sowie Young 1995. 368 Vgl. zum Folgenden Häußermann 1995 und 1996a; S.48, der sich mit der Integrationsleistung von Städten auseinandersetzt. Das Theorem der Integration durch Separierung bei der Chicago-School beschreibt auch Krämer-Bodoni 1991; S.25. Gans (1974; S.74) interpretiert desintegrative Tendenzen auch im Zusammenhang mit geografischer Mobilität. 369 Ibsen (1997 und 1999) entwickelt in diesem Zusammenhang das Konzept der „urbanen Kompetenz“.

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rung – freilich auf der Ebene des Individuums. Das sinnlich und nervlich überlastete Individuum schottet sich von seinem Gegenüber innerlich ab – hier ist die individuelle Distanz Voraussetzung des Zusammenlebens: „[...] was in dieser (der Antipathie; G.L.) unmittelbar als Dissoziierung erscheint, ist so in Wirklichkeit nur eine ihrer elementaren Sozialisierungsformen.“370 Auf einen kurzen Nenner gebracht: Integration gelingt jeweils durch Separation – auf der Ebene des Individuums, wie auch auf der Ebene der „Community“ der Natural Areas. Beide Konzeptionen betrachten städtische Integration allerdings in einem Kontext des ökonomischen Wachstums, wie es Industrialisierung und später Fordismus gewährleisteten, in dem beide Gruppen, etabliertes Bürgertum und Migranten, qualitativ zwar unterschiedliche, aber dennoch prinzipiell bestehende Teilhabemöglichkeiten realisierten oder zumindest erhofften. Mithin müssen Dissoziierungsprozesse in einer kapitalistischen Gesellschaft unter Wachstumsbedingungen nicht zwangsläufig zu Desintegrationsentwicklungen führen: „Angesichts der faktisch zunehmenden ökonomischen Integration konnte für Simmel die soziale Indifferenz zur Tugend und für Park die ethnische Segregation zu einem Mechanismus sozialer Integration werden.“371 Unter den gegenwärtigen Bedingungen relativer Stagnation und wachsender Einkommensunterschiede im Postfordismus372 erscheint die Narration von Stadt als „Integrationsmaschine“, als „Melting Pot“, zunehmend prekär: Gelingt Integration unter Bedingungen des Wachstums noch durch die Separierung und Segregation von Gruppen, so wird derselbe Mechanismus unter Bedingungen des Schrumpfens selbst zur Ursache weiterer Benachteiligung und letzten Endes von Ausgrenzung.373 Die „sozialen Inseln“,374 die einst als Errungenschaften städtischen Lebens galten,

370 Simmel 1957; S.234. Die wissenssoziologische Frage nach der Seinsgebundenheit der Theorien von Simmel (als Angehörigem des Berliner Bürgertums um die Jahrhundertwende) und von Wirth zur Zeit großer Migrationsbewegungen in den amerikanischen Städten der dreißiger Jahre muss hier außer Acht bleiben. 371 Häußermann 1995; S.95. Hervorhebungen im Original. 372 Vgl. Hauser 2003. 373 Vgl. z.B. Hanesch 2001, Harth/Scheller/Tessin 2000 und allgemein Schimank 2000. 374 Eine detaillierte Analyse einer größtenteils von italienischen Migranten bewohnten „Natural Area“ in den USA, einer nachbarschaftlich organisierten, ethnisch wie sozial relativ homogenen „sozialen Insel“, legt Whyte (1973, zuerst 1943) vor. Seine Beobachtungen waren das theoretische Fundament für den sogenannten Subkulturansatz der Soziologie sozialer Kontrolle, der davon ausgeht, dass innerhalb einer Gesellschaft verschiedene Subkulturen mit je eigenen Werten und Normen koexistieren, was aber Verhaltensweisen bedingen kann, die zwar aus Sicht der einen Subkultur legitim sind, aus der Sicht der Mehrheitskultur aber als illegitim und oft illegal gelten und insofern im Pro-

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werden nun als „schlechte Viertel“375 stigmatisiert, ihre Bevölkerung als gefährlich für den Fortbestand der sozioökonomischen Statuserhaltung der Mehrheitsbevölkerung und der sozialen wie ästhetischen Ordnung eingestuft. Diese Stigmatisierung wird Teil der urbanen Wirklichkeitserfahrung und -deutung, die wiederum konkretes Handeln, konkrete Maßnahmen nach sich ziehen. Die Sicherheitsmaßnahmen wenden sich gegen die Bevölkerung dieser Quartiere, werden laut Diskurs verstärkt und materialisieren sich als Dispositive in den Aktivitäten öffentlicher, privater und öffentlich-privater Polizeien, in städtebaulichen Maßnahmen und der Verrechtlichung des öffentlichen Raums.376 Dabei verschärfen die kontrollpolitischen Reaktionsformen die urbanen Widersprüche zusätzlich:377 „Die Stadt ist keine Gesellschaft im Kleinen mehr. Das Auseinanderfallen des wirtschaftlichen Austausches und der sozialen Gruppen hat die städtische Gesellschaft zum Verschwinden gebracht. So ist die Stadt zum Problem und die Integration nur mehr ein Ziel geworden – anstatt eines realistischen Modells für gesellschaftliche Organisation.“378 Aus der Integration qua Separation wird unter solchen Vorzeichen eine Desintegration städtischer Gruppen qua Fragmentierung, Ausgrenzung, Vertreibung etc. Hier zeigt sich auch das ökonomisch vermittelte Dominanz- und Machtverhältnis, das eine Gruppe solchen Maßnahmen unterwirft und tendenziell desintegriert,379 gleichzeitig aber die Blasiertheit und Indifferenz des Bürgertums als urbane Tugend bestehen lässt, ja sogar verstärkt: Die Aversion gegenüber dem Anderen, der nun zudem mit dem Stigma der Gefahr, der Unsicherheit und des Schmutzes belegt ist, wächst und rechtfertigt gleichzeitig die fortschreitende Ausgrenzung aus dem Blickfeld des städtischen Bürgertums, nicht selten mit dem Hinweis auf das ästhetische Empfinden derselben. Engels erkannte bereits Mitte des vergangenen Jahrhunderts in England dieses Prinzip: „[...] Aber sie (eine Reihe von Läden als Blickschutz; G.L.) sind immerhin hinreichend, um vor den Augen der reichen Herren und Damen mit starkem Magen und schwachen Nerven das Elend und den Schmutz zu verbergen, die das ergänzende Moment zu ihrem Reichtum und Luxus bilden.“380 Auf eine Formel gebracht:

zess sozialer Kontrolle definiert, selektiert, kriminalisiert, schließlich sanktioniert werden. 375 Dangschat (1995) versteht die Rede von „schlechten Vierteln“ und „sozialen Brennpunkten“ als Ergebnis bürgerlicher Hilflosigkeit. 376 Vgl. Kap. 4.2 bis 4.4. 377 Vgl. Beste 1997; S.185. 378 Touraine 1996b; Sp. 4. 379 Vgl. Paugam 2004. 380 Engels 1974; S.98.

96 | STADT UND KONTROLLE „Wenn Differenzen zu Gegensätzen werden, wenn Benachteiligungen in Ausgrenzungen umschlagen, wenn die Perspektive der systemischen Integration grundsätzlich in Frage gestellt wird, dann fehlt der Integration durch Separation das materielle Fundament. Blasierte Indifferenz ist unter solchen Umständen nicht mehr die Anerkennung des Fremden als gleich gültig (sic!), sondern realer Zynismus, wird selbst Teil einer strukturellen Gewalt, gegen die die Ausgeschlossenen von Fall zu Fall mit Gewalt rebellieren.“381

Es zeigt sich also, dass eine Dialektik von Integration und Desintegration städtischer Gruppen auch unter gegenwärtigen Bedingungen konstitutiv für Stadt ist. Der Versuch, dieses Verhältnis durch ein mehr an Ordnung im urbanen Raum zu durchbrechen, richtet sich gegen die moderne Urbanität selbst und bleibt hinsichtlich der gewünschten Ergebnisse wirkungslos: „Versuche, die Fremden durch Verstärkung der Ordnung auszumerzen, scheitern. Der soziale Raum wird ungleich einbeziehend wie auch ausgrenzend organisiert; so schafft Ordnung stets neue Diskrepanzen. Inklusion und Exklusion sind simultane Herrschaftsinstrumente im Umgang mit Fremden.“382 Die positiven und stabilisierenden Aspekte einer Integration durch Separation drohen angesichts der beschriebenen sozioökonomischen Veränderungen zu kippen und sich in ihr desintegratives Gegenteil zu verkehren. An diesem Punkt setzt auch des sogenannte „Desintegrationstheorem“ von Wilhelm Heitmeyer383 an: Demnach ist Desintegration Ergebnis sozialstruktureller und sozioökonomischer Veränderungen.384 Die damit einhergehenden „Verunsicherungserfahrungen“ und „Destabilisierungstendenzen“ führen zu Verlusten, die in „generelle Auflösungstendenzen“ münden. So lösen sich „Beziehungen zu anderen Personen oder von Lebenszusammenhängen“ auf, die „faktische Teilnahme an gesellschaftlichen Institutionen“ (politischen und beruflichen) geht zurück und die „Verständigung über gemeinsame Wert- und Normvorstellungen“385 ist in Auflösung begriffen. Die damit verbundene Freisetzung aus tradierten familiären, kulturellen, milieubedingten arbeitsmarkt-

381 Häußermann 1995; S.97. In der unterstellten Gewaltbereitschaft der Ausgegrenzten liegt allerdings auch immer eine sozio-biologische Komponente, wenn davon ausgegangen wird, dass unzureichende Territorialisierung mit Aggression einhergeht. Vgl. Sobich 1998; S.2. 382 Kron 2000; S.217. 383 Vgl. Heitmeyer 1994, 1998 und 1999. Heitmeyer betrachtet Desintegration vor allem als latente Bedingung für fremdenfeindliche und gewaltbereite Einstellungen. Vgl. auch Nassehi 1997a; S.136ff. Vgl. Nassehi 1997b, 2002a und b, 2004 und 2006. 384 Vgl. auch Schwinn 2000. Diese Veränderungen werden dem Postfordismus zugerechnet, vgl. Kap. 2.1. 385 Alle Zitate aus Heitmeyer 1994; S.46. Vgl. zur Kritik Diedrich/Meyer/Rössner 1999.

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und politikförmigen Zusammenhängen führt zu einer „negativen Individualisierung“. Individuen begegnen sich als Konkurrenten auf unterschiedlichen Märkten, ohne dass diese sozial gestützte Möglichkeiten der Einbindung, also der Integration, bieten. „Je mehr Freiheit, desto weniger Gleichheit; - je weniger Gleichheit, desto mehr Konkurrenz; - je mehr Konkurrenz, desto weniger Solidarität; - je weniger Solidarität, desto mehr Vereinzelung; - je mehr Vereinzelung, desto weniger soziale Einbindung; - je weniger soziale Einbindung, desto mehr rücksichtslose Durchsetzung“.386

An dieser Kausalkette wird deutlich, wie Solidarität gegenüber Ausgegrenzten oder von Ausgrenzung bedrohten Individuen oder Gruppen erodiert zugunsten einer Vergesellschaftungsform, der Empathie und soziales Engagement tendenziell fremd sind. Im Ergebnis kann es sogar zu Gewalttaten gegen bestimmte Personen und Gruppen kommen.387 Die damit einhergehenden Veränderungen im städtischen Leitbild zeigen sich dabei in der ideologischen Selbstvergewisserung einer postmodernen „Kultur der Differenz“,388 die die Verschiedenartigkeit sozialer Subgruppen als Errungenschaft segregierter Pluralisierung betont – ohne dabei zu sehen, dass diese erzwungen ist, und ohne zu sehen, dass angesichts desintegrativer Tendenzen dieses „Pastiche“ mit integrierter „Multikulturalität“ nur am Rande zu tun hat. Damit aber ist auch die Vision Frederick Law Olmsteds,389 durch eine Mischung von Klassen und Ethnien

386 Heitmeyer 1994; S.46. 387 Solche Gewalttaten gegen Obdachlose oder Alkoholiker konnten in den letzten Jahren verstärkt beobachtet werden. Heitmeyer spricht in diesem Zusammenhang von „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“. Vgl. Heitmeyer 2005. Die Gewalttaten gegen als „abweichend“ Definierte begründet Heitmeyer mit dem Begriff Heterophobie: Er „erfasst die Abwertung und Abwehr von Gruppenangehörigen, die wie Homosexuelle, Obdachlose und Behinderte, von der Normalität ‚abweichende‘ Verhaltensweisen und Lebensstile aufweisen.“ Heitmeyer 2005; S.14. Vgl. auch Keim 1998 und für Beispiele o.V. 1993. 388 Vgl. Kap. 5.3. 389 Vgl. zu Olmstedt vor allem Schwarz 2005. F.L. Olmsted gilt als Begründer des Central Parks in Manhattan, New York. Vgl. Davis 1994a; S.263. Parson (1993; S.268f.) hält Olmsteds Intention, öffentlichen Raum für alle urbanen Gruppen zu schaffen, für ideologisch und weitaus früher gescheitert: Bereits 1918 wurde agitierenden Arbeitern die Nutzung des öffentlichen Parks zu diesem Zweck untersagt – ein weiterer Beleg für die

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im öffentlichen Raum zur Zeit des exponentiellen Wachstums der amerikanischen Städte der Industrialisierung Integration sicherzustellen, infrage gestellt. Die im Diskurs vorgeschlagenen Gegenmaßnahmen reichen von der ökonomischen Existenzsicherung Einkommensschwacher über die Erhaltung eines marktfernen Segmentes des sozialen Wohnungsbaus als soziale „Pufferzone“ zwischen armen und reichen Quartieren hin zur Ermöglichung der Teilhabe an beiden, inzwischen polarisierten Ebenen: Wirtschaft und Kultur einer Stadt.390 Kritisch angemerkt sei dabei allerdings, dass die vor dem Hintergrund einer erwünschten Heterogenität urbanen Lebens erhobene Forderung nach Mischung statt Entmischung, von Erfahrungsvielfalt statt Eindimensionalität auch die Tendenz zur Inszenierung und Reetablierung einer auf dem Rückzug begriffenen Urbanität in sich trägt. Letzten Endes wird so lediglich das Alltagsleben in separaten Zonen, die ihrerseits wieder sozialstrukturell und ethnisch homogen sind, festgeschrieben sowie gegebenenfalls ästhetisiert und festivalisiert. In der ökonomischen Gebundenheit von Integration und Desintegration zeigt sich die Gebundenheit der Kategorie des Bürgers an die Teilhabe an kapitalisierter gesellschaftlicher Arbeit: Wer heute aus dem Arbeitsprozess ausgeschlossen ist, gilt als „Bürger zweiter Klasse“, sofern er an der kollektiven Konsumtion in den Innenstädten nicht oder kaum teilhaben kann.391 Das dialektische Verhältnis von Integration und Desintegration als relativ invariantes Kennzeichen von Urbanität bildet so einen weiteren Baustein in der Materialisierung sozialer Ausschließung. Innerhalb des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit taucht allerdings noch ein anderer Begriff auf, der unter anderem von Martin Kronauer zusammenfassend beschrieben wird und im Folgenden erörtert werden soll. Es handelt sich um den Begriff der „Exklusion“. Für den deutschen Diskurs ergibt sich das Problem, dass Ausgrenzung, sozialer Ausschluss und Exklusion nämlich häufig – durchaus auch

These, dass die Ausweisung unerwünschter Nutzungen quasi als Vorstufe zur Ausgrenzung von Nutzergruppen aus dem öffentlichen Raum kein neues Phänomen ist, sondern vermutlich konstitutiv für Urbanität ist. 390 Vgl. zu den Maßnahmen unter anderem Häußermann 1996b und Touraine 1996a; S.28 sowie Häußermann/Läpple/Siebel 2008; S.246ff. Auch der DST erhebt die Forderung nach „Integration statt Ausgrenzung“. 391 Dies gilt allerdings nur für die Moderne: Im okzidentalen Mittelalter war die soziale Position vermittelt über die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde und die Aktivitäten in ihr sowie über den ererbten Stand. Zum Zusammenhang von Urbanität und privatisierter Konsumentenbürgerschaft vgl. Kap. 5.3. Kronauer (2002a; S.15 und 96) spricht in diesem Zusammenhang auch von „Überflüssigen“. Vgl. zum Verhältnis von Ausschluss und Bürgerschaft Funk 1995b.

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im sozialwissenschaftlichen Diskurs – synonym verwendet werden. Mit der sprachlichen Vermischung werden aber auch die theoretisch zugrunde liegenden Ansätze der Phänomenstruktur vermischt, was im Diskurs zu einer gewissen konzeptionellen Verwirrung und Beliebigkeit führt und eine politische Instrumentalisierung der verwendeten Schlagworte, sowohl seitens der Kritiker wie derjenigen, die Ausgrenzung befürworten, befördert. Der Begriff Exklusion („Exclùs“) stammt ursprünglich aus der französischen Debatte der Armuts- und Arbeitslosigkeitsforschung.392 Ihm verdanken sich die beiden Begriffe „Ausgrenzung“ und „Ausschluss“, die die deutsche Debatte dominieren. Seit den neunziger Jahren lässt sich ein Trend in den französischen Sozialwissenschaften festmachen, der soziale Ungleichheit als Ergebnis von „Spaltungen“ betrachtet. Zu diesen Spaltungen zählt das Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, das von Stadt und Land sowie das von Jungen und Alten. Alle drei Spaltungen beschreiben wechselseitige, durch ungleiche Machtverteilung charakterisierte Abhängigkeitsverhältnisse. Zu den Spaltungen zählen aber auch die Verhältnisse „wohlhabend“ und „ausgeschlossen“, „beschäftigt“ und „arbeitslos“ sowie „Inländer“ und „Ausländer“. Diese Spaltungen entsprechen nicht einer Logik der Abhängigkeit, sondern einer der Trennung von Haben und NichtHaben, Dazugehören und Nicht-Dazugehören: „Der Logik der internen Ungleichheit und Dominanz steht eine Logik der Exklusion gegenüber.“393 Die erstgenannten Spaltungen sind typisch für die Industriegesellschaften der Nachkriegsära. Die letztgenannten Spaltungen sind Ergebnis von Entwicklungen, die sich in den letzten 20 Jahren – unter den Vorzeichen des Postfordismus – zugespitzt haben. Der Begriff der Exklusion gehört in diesen Zusammenhang.394 Er behandelt seit den siebziger Jahren die Gruppe der „Unangepassten“, der Drogenabhängigen, der psychisch Kranken, der Delinquenten, der ökonomisch Marginalisierten, der Behinderten und andere. Exkludierte als Phänomenstruktur sind nach dieser Lesart in vielen gesellschaftlichen Milieus anzutreffen und nicht mehr nur – wie sich in den Schichtmodellen der Nachkriegszeit widerspiegelt – am untersten Ende der Gesellschaft.395 Angesichts der sich in den achtziger Jahren verfestigenden Massenarbeitslosigkeit bezog sich der Begriff der Exkludierten nicht mehr nur auf die gemessen

392 Vgl. Kronauer 2002a; S.38ff., auf den sich auch das Folgende bezieht. Vgl. auch Kronauer 1997, 1998a-c, 1991, 2000, 2001, 2002b, 2006 sowie Kronauer/Vogel 2001, Kuhle 1999, Kuhm 1999 und 2000a sowie Schmidt 2000 und Silver 1995. 393 Kronauer 2002a; S.39. 394 Vgl. auch van Kempen 2001 und van Kempen/Andersen 2001a und b, die soziale Exklusion und soziale Fragmentierung in Beziehung setzen, sowie Rauer/Schmidtke 2001 und Rodgers 1995a und b. 395 In solchen Schichtmodellen ist recht drastisch von „sozialem Bodensatz“, „sozial Deklassierten“ oder „sozial Verachteten“ die Rede. Vgl. Bolte/Hradil 1988; S.84 und 220.

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an mehrheitlich geteilten sozialen Normen Unangepassten, sondern immer mehr auch auf Arbeitslose und (infolgedessen) Arme. Diese Armut gewann auch an räumlicher Präsenz: In den stadtentwicklungspolitisch gewollten Banlieus und „Trabantenstädten“ verdichteten sich Probleme wie Armut, Arbeitslosigkeit und Migration in umgrenzten Räumen.396 Trotz aller bei der Beschreibung dieser Phänomenstruktur vorgetragenen unterschiedlichen Bedeutungsinhalte lässt sich der französische Begriff von Exklusion in drei Dimensionen eingrenzen: Zum Ersten bedeutet Exklusion den Ausschluss vom Arbeitsmarkt (oder die weitgehende Prekarisierung von Erwerbsarbeit) und damit einhergehend die Auflösung sozialer Bindungen.397 Gesellschaftliche Integration wird hier als Einbindung von wechselseitigen Sozialbeziehungen in geregelten Kooperationsverhältnissen verstanden. Diese Kooperationsverhältnisse sind ihrerseits gesellschaftlich vorgeformt, z.B. durch Arbeitsteilung, standardisierte Arbeitsverhältnisse oder Regeln der gegenseitigen Anerkennung. Brüche in dieser Form der Vergesellschaftung betreffen nicht nur Individuen, sie führen zu einem schleichenden Verlust der Integrationsfähigkeit von Gesellschaft. Zum Zweiten wird Exklusion verstanden als Verlust von sozialen Teilhabemöglichkeiten: „Dabei geht es nicht mehr alleine um die gesellschaftliche Zugehörigkeit durch Einbindung in objektivierte und persönliche Sozialbeziehungen, sondern um die Qualität von Teilhabe in unterschiedlichen Bereichen sozialen Lebens.“398 Gemeint damit ist beispielsweise der Mangel an Geld, der die Betroffenen von der Möglichkeit ausschließt, am Konsumstil der Mittelschichten zu partizipieren,399 oder der Zwang, in schlecht beleumundeten Vierteln wohnen zu müssen. Exklusion heißt hier auch, dass die Betroffenen im Hinblick auf die politische Durchsetzung ihrer Interessen in einer schwachen Position sind, sofern sie aktiv aus politischen Diskursen ausgeklammert sind, und dass die ganzen Lebensumstände als unsicher erlebt werden. Die relative Chancenlosigkeit in Schule und Ausbildung zementiert den sozialen Ausschluss, der sich letztlich in dem subjektiven Gefühl, wie ein „Bürger zweiter Klasse“ behandelt zu werden, äußert.400 In dieser Interpretation wird deutlich, wie stark Ökonomie (durch die Momente Produktion und Reproduktion), Kultur (als Ergebnis von Orientierungen und Werten), Politik (sozialstaatliche Institutionen und politische Teilhabe) sowie Soziales (als Qualität sozialer Beziehungen) miteinander verwoben sind. In allen diesen Bereichen werden ge-

396 Vgl. Belle/Nöske 2002, Dubet/Lapeyronnie 1994, Gevret 1996/97 und 1998 sowie Russer 2000. 397 Inwiefern soziale Bindungen über Zugehörigkeit zu einer Ethnie, einer Religion, einem Milieu, einer Klasse etc. doch erhalten bleiben, soll hier nicht weiter diskutiert werden. 398 Kronauer 2002a; S.45. 399 Vgl. Kap. 5.3. 400 Vgl. z.B. Ahlemeier/Kärtner 2000.

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sellschaftlich geteilte und vor allem verteilte Lebenschancen angenommen: des Konsums, der Interessenvertretung, des sozialen Status, der materiellen Sicherheit und der Gestaltbarkeit des individuellen Lebens.401 Gesellschaftliche Integration bedeutet vor allem gesellschaftliche Partizipation. Ist diese verwehrt, kann man von Exklusion reden. Zum Dritten wird Exklusion als Prozess beschrieben: Verschieben sich die oben beschriebenen Achsen „Integration am Arbeitsmarkt“ und „soziale Einbindung im Nahbereich“, kommt ein Prozess in Gang, der von Integration (stabile Beschäftigung, intakte unterstützende soziale Netze) über „Verletzlichkeit“ (Brüchigkeit von Beschäftigung und sozialer Einbindung) zu „Desaffiliation“ (Ausschluss aus Erwerbsarbeit und Verlust des sozialen Netzwerks) reicht. In diesem Zusammenhang spricht man in der deutschen Debatte von Ausgrenzung.402 Es gibt aber noch einen weiteren, dichotomischen Begriff von Exklusion, der im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit auftaucht.403 Dieser Begriff stammt aus der Systemtheorie Luhmann’scher Prägung404 und verweist als Klassifikation auf eine „Innen-Außen-Spaltung“ der Gesellschaft,405 die ihrerseits ein Element der wissenssoziologischen Selbstbeschreibung der Gesellschaft ausmacht. Niklas Luhmann zweifelte scheinbar nach einem Besuch lateinamerikanischer Favelas an seiner zuvor verteidigten Prämisse, nach der Exklusion aus sozialen Systemen prinzipiell nicht möglich ist: „Zur Überraschung aller Wohlgesinnten muss man feststellen, dass es doch Exklusionen gibt, und zwar massenhaft und in einer Art von Elend, die sich der Beschreibung entzieht.“406 Mit diesem kurzen Satz hat Luhmann eine theorieinterne Debatte ausgelöst, die zu Variationen dieser Klassifikation geführt hat.407

401 Vgl. Kronauer 2002a; S.45. 402 Vgl. die Beiträge von Aktionsbündnis 1998, Ak Streetwork 1998, Anti-Expo-AG 1998, BAG Wohnungslosenhilfe 1998, Böhnke 2002, Bremer 1999 und 2000, Bremer/ Gestring 1997, Engel/Keim 2001, Gestring 1999, Häußermann 1999 und 2000, Höge 1997, InnenStadtAktion 1997, Keim/Neef 1999 und 2000, Kersten 1997, Küppers 1998, Leisering 1997, Loch 1998, Lock 1998, Mingione 2004, Peddinghaus/Hauer 1998, Schwarzer 1999, Siebel 1997, Vogel 1999, Walther 2001, Wehrheim 2001 und 2002a-c sowie die Beiträge in den Sammelbänden von Bude/Willisch 2006a, Dangschat 1999c, Herkommer 1999 und schließlich Häußermann/Kronauer/Siebel 2004. 403 Vgl. zu weiteren Interpretationen Giegel 1997. 404 Die Erörterung der strukturfunktionalistischen Systemtheorie, insbesondere ihrer Integrationsfunktion, kann hier außer Acht bleiben. 405 Vgl. zum Folgenden Kronauer 2002a; 123ff. 406 Luhmann 1995a; S.147. 407 Vgl. dazu Fuchs 1997a und b, Göbel/Schmidt 1998, Kronauer 1997, Lau 1995 und 1996, Lindemann 1997, Marchart 2002, Nassehi/Nollmann 1997, Nutt 1998, Rasch 1997,

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Denn bis dahin galt für die Systemtheorie dieser Provenienz: „Die Logik der funktionalen Differenzierung schließt gesellschaftliche Exklusionen aus, muss es dann aber erlauben, innerhalb der Funktionssysteme nach systemeigenen Kriterien zu differenzieren. Aber ist diese Logik haltbar? Wie kann es Inklusion geben, wenn es keine Exklusion gibt?“408 Das Problem scheint sich zu zeigen, wenn man davon ausgeht, dass es innerhalb der Systemtheorie einen „alten“ und einen „neuen“ Exklusionsbegriff gibt, die unterschiedliche, ja gegensätzliche Bedeutungen haben.409 Im alten Begriff von Exklusion ergänzen sich Inklusion und Exklusion, im neuen Begriff von Exklusion schließen sie sich wechselseitig aus. Einmal meint er die Bedingung für die Inklusion von Personen in Funktionssysteme sowie die Tatsache dieser Inklusion selbst, im anderen Fall bedeutet er den Ausschluss der Person aus Funktionssystemen. Der alte Begriff entspringt der grundlegenden Logik der Systemtheorie, nach der funktional differenzierte Gesellschaften keine Zentralinstanz für Inklusion aufweisen: „Weder eine einzelne Institution (oder ein einzelnes Funktionssystem) noch ein allgemein verbindliches Regelsystem sind für Inklusion in die Gesellschaft verantwortlich.“410 Inklusion wird innerhalb mehrerer Funktionssysteme geregelt, die eigenen Logiken folgen, Personen nur partiell über Kommunikation, als Träger bestimmter Rollen und gebunden an spezifische Kommunikationscodes, inkludieren. Nur so können Personen an Kommunikationen verschiedener Systeme teilhaben: „In diesem Sinne setzt Inklusion (der Person) die Inklusion (von Individualität) voraus.“411 „Individualität ist Exklusion“, heißt es an anderer Stelle.412 Der neuere Begriff von Exklusion versteht deren Möglichkeit nicht als Voraussetzung für die Inklusion in Funktionssysteme, sondern als „blockierten Zugang“ zu ihnen. Der Exklusionsbegriff der neueren Systemtheorie weist insofern Ähnlichkeiten zu dem der französischen Armuts- und Arbeitslosigkeitsforschung auf. Problematisch ist nun,

Semler 1994, Stichweh 1988, 1997, 1998, 2003, 2004 und 2005, Stähli/Stichweh 2002 sowie Werber 1997 und 1999 – um nur einige Beiträge zu nennen. Luhmann selbst hat diesen Aspekt nicht weiterverfolgt. Stichweh (1998) stellt klar, dass Raum und Stadt keine zentralen Begriffe der Systemtheorie sind. Insofern ist Stadt kein System im strengeren Sinne dieser Theorie und Raum ist keine weitere Sinndimension. Vgl. zu einer systemtheoretischen Kriminologie Boers 1997. 408 Luhmann 1995a; S.146f. 409 Vgl. zu dieser Diskussion zusammenfassend Kronauer 2002a; S.126ff. Vgl. zu den Begriffen Inklusion und Exklusion allgemein Farzin 2006a. 410 Kronauer 2002a; S.127. 411 Kronauer 2002a; S.127. 412 Nassehi 1997a; S.127.

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dass angeblich beide Exklusionsbegriffe der Logik funktionaler Differenzierung entspringen. Diese besagt, dass „[...] im Gegensatz dazu (nämlich stratifikatorischer Differenzierung, G.L.) [...] das Gesellschaftssystem und [...] dessen Funktionssysteme auf Inklusion der Gesamtbevölkerung angelegt (sind, G.L.). Es gibt keine ersichtlichen Gründe, jemanden von der Verwendung von Geld, von der Rechtsfähigkeit oder einer Staatsangehörigkeit, von Bildung oder vom Heiraten auszuschließen oder all dies von systemexternen Genehmigungen oder Sonderkonditionen abhängig zu machen. Bei prinzipieller Vollinklusion entscheiden die Funktionssysteme selbst, wie weit es jemand bringt: ob er Recht oder Unrecht bekommt, ob sein Wissen als wahr anerkannt wird oder nicht [...].“413

Im gleichen Text aber heißt es: „[...] funktionale Differenzierung kann, anders als die Selbstbeschreibung der Systeme es behauptet, Vollinklusion nicht realisieren. Funktionssysteme schließen, wenn sie rational operieren, Personen aus oder marginalisieren sie so stark, dass dies Konsequenzen hat für den Zugang zu anderen Funktionssystemen.“414 Inklusion erscheint hier eher als ein uneingelöstes, normatives Postulat, während die Systemrationalität empirisch aber doch zu Exklusionen im systemtheoretischen Sinne führt. Wann und unter welchen Bedingungen kommt es dann zu Exklusion? Luhmann spricht von zwei Bedingungen, unter denen in einer funktional differenzierten Gesellschaft extreme Ungleichheiten bei der Verteilung öffentlicher und privater Güter erzeugt und toleriert werden: Zum einen „Temporalisierung“ und zum anderen „Interdependenzunterbrechung“.415 Ersteres bedeutet, dass extreme Ungleichheit nur temporär sein darf und dass sich der Zustand der Ungleichheit auch wieder ändern kann. Zweiteres meint, dass Verluste in einem Funktionssystem nicht zu Verlusten in anderen führen dürfen. Beides hat – so Luhmann – moderne Gesellschaft bislang geleistet. Nimmt man diese Annahme ernst, dann dürfte es keine Exklusion in neuerer Definition geben. Meint Luhmann mit Temporalisierung eine empirische Beschreibung eines befristeten Zustands, gibt er keine Kriterien an, nach dem sich diese Ära eingrenzen ließe. Interdependenzunterbrechung bezieht sich auf den Umstand, dass Personen immer nur partiell in Funktionssysteme eingebunden sind, sodass der Inklusionsbereich eines Systems auf dem Modus der „lockeren Kopplung“ (im Gegensatz zur „integrierten Exklusion“) beruht. Folgt man seinen Ausführungen zum neueren Begriff von Exklusion, so zeigt sich, dass der Exklusion in einem Funktionssystem durchaus Exklusionen in anderen folgen können, dass es mithin nicht zu einer Unterbrechung von Interde-

413 Luhmann 1995a; S.142. 414 Luhmann 1995a; S.148. 415 Vgl. Luhmann 1995b; S.249ff.

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pendenz kommt. Es kann zu einer Kettenreaktion mit „Marginalisierungen bis hin zum gänzlichen Ausschluss“ kommen.416 Man kann nur Vermutungen darüber anstellen, inwiefern in diese Beschreibung der inkludierenden Systemleistung normative Aspekte eingeflossen sind.417 Noch problematischer wird es, wenn Luhmann einräumt, dass es (also die Erfüllung beider Bedingungen) „[...] erstaunlich (ist, G.L.), weil es gleichwohl unwahrscheinlich ist und unwahrscheinlich bleibt.“418 Luhmann löst diesen scheinbaren Widerspruch nicht auf. Die Logik seiner Theorie schließt zudem eine Analyse von Kategorien wie Macht oder ungleichem Zugang zu symbolischen oder materiellen Ressourcen aus.419 Armin Nassehi räumt dementsprechend ein, dass es „[...] ein erhebliches Versäumnis der Differenzierungstheorie systemtheoretischer Provenienz [...] (ist, G.L.), das Problem sozialer Ungleichheit und der damit verbundenen Destabilisierung von Lebenslagen nicht systematisch aufgegriffen zu haben.“420 Nassehi versucht den Widerspruch aufzulösen, indem er auf die „allinklusive“ Logik des Inklusions-Exklusions-Verhältnisses in älterer Lesart verweist und konstatiert, dass selbst angesichts sozialer Ungleichheit Kommunikation mit den Funktionssystemen stattfindet, unabhängig von der eigenen sozialen Lage.421 Ob man arbeitet und Steuern bezahlt oder ob man arbeitslos ist und Leistungen bezieht – man kommuniziert im ökonomischen System. Ob man als Obdachloser mit Mitteln des Rechts aus der Innenstadt vertrieben wird oder ob öffentliches Betteln geduldet wird – man kommuniziert im Rechtssystem etc. Für die Systemtheorie und ihren dichotomen Ansatz spielt es keine Rolle, ob man aktiv oder passiv, als Leistungserbringer oder -bezieher, inkludiert ist. Den neueren Begriff von Exklusion, mit dem die Debatte anhebt, sieht Nassehi nur für „benachteiligte Regionen der Weltgesellschaft“422 als adäquat an, in denen sich funktionale Differenzierung nicht in letzter Konsequenz durchgesetzt hat.423 Dementsprechend konstatiert Nassehi, dass sich das Konzept der Inklusion mittels Interdependenzunterbrechung auf moderne Gesellschaften bezieht und das neuere Konzept von Exklusion sich auf traditionale Gesellschaften bezieht. Ähnlich argumentiert auch Pe-

416 Luhmann 1995a; S.148. 417 Kronauer (2002a; S.129) und Nassehi (1997a; S.140) vermuten das jedenfalls. 418 Luhmann 1995b; S.250. Hervorhebung vom Autor. 419 Ein solcher ungleicher Zugang ist für Luhmann charakteristisch für stratifikatorisch, nicht für funktional differenzierte Gesellschaften. Vgl. Luhmann 1997, 2. Bd., S.631. Vgl. auch Kronauer 2002a; S.130. 420 Nassehi 1997a; S.140f., Hervorhebungen im Original. 421 Vgl. auch Farzin 2006b. 422 Nassehi 1997a; S.143. Zum systemtheoretischen Paradigma der Weltgesellschaft vgl. Stichweh 2004 und 2005. 423 Vgl. Nassehi 1997a; S.135.

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ter Fuchs aus sozialpädagogischer Perspektive: Solange eine „Sozialadresse“ vorhanden ist, ist eine Totalexklusion aus dem „System Sozialarbeit“ theoretisch ausgeschlossen.424 Man kann zusammenfassend den Exklusionsbegriff der Armuts- und Arbeitslosigkeitsforschung mit dem der Systemtheorie vergleichen, wenn man vier Dimensionen berücksichtigt: die Definition des Problems, das Verhältnis von Inklusion und Exklusion, die subjektive Bedeutung der Exklusionserfahrung und die Mechanismen der Exklusion.425 Zur Definition des Problems: Exklusion wird in der Systemtheorie als theorieimmanenter Test für die Luhmann’schen Inklusionsprämissen behandelt. Dementsprechend erscheinen beide Begriffe von Exklusion als notwendige Folgen der Logik der Systeme, die auf funktionaler Differenzierung beruhen. Der ältere Exklusionsbegriff ist Bedingung für Inklusion, der neuere stellt den logischen Gegensatz zu Inklusion dar. Problematisch ist auch, dass Exklusion als Ergebnis der Rationalität der Funktionssysteme erscheint, nicht als Ergebnis besonderer Umstände oder Handlungsweisen. Damit sind beide systemtheoretischen Begriffe von Exklusion enthistorisiert und einer „Verantwortlichkeit“ im handlungstheoretischen Sinne enthoben.426 Gesellschaftspolitisches Handeln, das sich gegen die Exklusion Einzelner oder Gruppen richtet, ist sinn- und zwecklos: „Die Suche nach Adressaten für Vorwürfe und nach Angriffspunkten für Änderungen in Richtung Allinklusion rechnet nach wie vor mit einer primär stratifizierten Gesellschaft.“427 Eine Konzentration auf die Phänomene Armut oder Arbeitslosigkeit oder gar Obdachlosigkeit ist in der systemtheoretischen Betrachtung nicht opportun, weil Exklusion von allen Funktionssystemen, die zudem in einem nicht-hierarchischen Verhältnis stehen und durch Interdependenzunterbrechung gekennzeichnet sind, hervorgebracht wird und deshalb eine Betrachtung des Wirtschaftssystems alleine nicht gerechtfertigt ist. Der Exklusionsbegriff der Armutsforschung bezieht sich dem gegenüber auf spezifisches soziales Handeln in einer gegebenen historischen Konstellation. Dementsprechend ist Exklusion nicht das Ergebnis einer Systemlogik, sondern tief greifender Veränderungen des kapitalistischen Gesellschaftssystems, wie sie in der Narration vom Postfordismus thematisiert werden. Damit rückt die Frage nach der Verantwortung wieder ins Blickfeld. Die Konzentration auf Armut (in der Regel als Ergebnis von Arbeitslosigkeit) ist gerechtfertigt durch die Bedeutung von Geld (nicht Kommunikation) als Medium sozialer Teilhabe und als „Verbindungsglied“ zwischen gesellschaftlichen Teilbereichen. Zum Verhältnis von Inklusion und Exklusion: In der systemtheoretischen Betrachtung bilden Inklu-

424 Vgl. Fuchs 1997a und b sowie 2001a und b. 425 Vgl. für das Folgende Kronauer 2002a; S.133ff. 426 Zu „Annäherungen“ von Handlungs- und Systemtheorien vgl. Nolte 1999. 427 Luhmann 1995a; S.146.

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sion und Exklusion eine logische Alternative. Da es aber scheinbar doch Exklusion im neueren Verständnis geben kann, bleibt Vollinklusion als Systemleistung ein Postulat. Der eher handlungstheoretische428 Exklusionsbegriff greift die Erosion dieses Postulats auf und bezieht sich auf die Diskrepanz zwischen den scheinbar umfassenden Angeboten einer Gesellschaft und den faktischen Möglichkeiten, diese zu nutzen. Dementsprechend sind auch die Exkludierten noch in Gesellschaft miteinbezogen, auch wenn sie von gesellschaftlicher Anerkennung, angemessenen Teilhabemöglichkeiten und sozialer Reziprozität ausgeschlossen sind. Zur subjektiven Bedeutung der Exklusionserfahrung: Die Rede von Exklusionserfahrung ist nur dann sinnvoll, wenn ein kulturell geprägtes Verständnis von dem vorliegt, was Teilhabe ist. Die Systemtheorie blendet diesen Aspekt aus und behandelt Exklusion eher als Klassifikation der wissenssoziologischen Selbstbeschreibung der Gesellschaft. Zu den Mechanismen der Exklusion: Die Systemtheorie liefert keine Gründe dafür, warum bestimmte Gruppen oder Personen stärker von Exklusion betroffen sind als andere – lässt man die Marginalisierung bestimmter Regionen außer Acht. Macht und soziale Ungleichheit werden nur am Rande thematisiert. Die handlungstheoretisch orientierte Exklusionsforschung geht davon aus, dass die Ausgrenzungsrisiken ungleich verteilt sind und sich an sozialen Merkmalen festmachen, die vom Einzelnen oder den betroffenen Gruppen kaum zu beeinflussen sind. Insofern werfen Vertreter der handlungsorientierten Exklusionsforschung der Systemtheorie vor, keinen sinnvollen Beitrag zur Analyse von Ausgrenzung bzw. Exklusion liefern zu können.429 Eine wissenssoziologische Diskursanalyse kann anhand der systemtheoretischen Diskussion allerdings zeigen, wie zwischen Theoriedebatten „Wettstreite um solche Klassifikationen“430 stattfinden ohne entscheiden zu müssen, welche der Theorien „recht“ hat. Beide beinhalten fundierte Wirklichkeitsdeutungen, die je nach Standpunkt unterschiedliche Wahrnehmungen sozialer Probleme zulassen bzw. nahe legen. Mit Luhmann könnte man in diesem Zusammenhang einwenden, dass die Unterscheidung von Inklusion und Exklusion eine „gepflegte Semantik“ ist, die geeignet ist, „aktuellen Sinn“ plausibel zu verarbeiten.431 Urbanität lässt sich unter Rückgriff auf die bedeutungs- und handlungspraktischen Klassifikationen Inklusion und Exklusion bzw. Integration und Desintegration interpretieren. Sie erscheinen aus beiden theoretischen Blickwinkeln als konstitutiv für städtische Vergesellschaftung.

428 Vgl. zur handlungstheoretischen Fundierung des Ausgrenzungsbegriffs Leisering 1997. 429 Vgl. Kronauer 2002a; S.137. 430 Keller 2007; Abs.24. 431 Vgl. Luhmann 1980; S.19ff. und Maasen 2009; S.56.

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3.2.2 Drinnen und Draußen. Die soziale Konstruktion städtischer Gruppen „Der größte Unterschied in unseren Gesellschaften liegt nicht mehr im Widerspruch zwischen denen, die ‚up or down‘ sind, sondern zwischen denen, die ‚in or out‘ sind.“ ALAIN TOURAINE432 „Ausgrenzung ist ein räumlicher Begriff.“ MARTIN KRONAUER433

Desintegration, Exklusion und Ausgrenzung sind – unabhängig von jeweiligen theoretischen Standpunkten im Wettstreit der Klassifikationen – konstitutiv für städtische Gesellschaften. Ohne sie sind Integration, Inklusion und Einschluss nicht denkbar. Zu diesen gesellschaftstheoretischen Klassifikationen gesellt sich eine weitere, die zwar terminologisch die räumliche Dimension im Sinne eines „Drinnen“ und „Draußen“ thematisiert, in der inhaltlich darüber hinaus aber auch die Frage gestellt wird, durch welche Definitions- und Selektionsprozesse städtische Gruppen als „abweichend“, „gefährdend“, „unsauber“ etc. definiert, erkannt und schließlich ausgegrenzt und damit – wenn diese Deutungen stabilisiert sind und handlungsleitend werden – von Drinnen nach Draußen transferiert werden.434 Drinnen und Draußen sind dabei metaphorische, räumlich angelehnte Begriffe für die mit Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten verbundenen (je nach theoretischem Standpunkt unterschiedlich benannten) Phänomene Desintegration, Exklusion bzw. Ausgrenzung. Wie also werden mit Hilfe dieser Klassifikation in den postfordistischen Städten der Gegenwart auszuschließende Personen oder Gruppen sozial konstruiert?435 Bei der Beantwortung dieser Frage soll nicht übersehen werden, dass die oben erörterten Phänomene Desintegration, Exklusion bzw. Ausgrenzung sich jenseits des aktiven Handels eines Zentrums, einer oder mehrerer Institutionen oder Gruppen sozusagen aus der Logik der städtischen Gesellschaft ergeben. Gleichwohl stößt man im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit auch auf Positionen, die durchaus versuchen, typische Verhaltensweisen des Drinnen zu definieren,

432 Touraine 1996a; S.26. 433 Kronauer 2002a; S.215. 434 Vgl. z.B. Fuchs 1994. 435 Vgl. zum Verständnis der sozialen Konstruktion der lebensweltlichen und systemischen Wirklichkeit die wissenssoziologische Untersuchung von Berger/Luckmann 1994 (zuerst 1966).

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um von dort aus den Maßstab anzulegen und Einzelne oder Gruppen dem Draußen zuweisen zu können. Die damit verbundene polarisierende Einteilung der Gesellschaft in „Wir“ und „Sie“ ist typisch für die hier zu behandelnde Klassifikation.436 Sie steuert im Vollzug der deutungs- und handlungspraktischen Alltagsroutinen die städtische Wahrnehmung, in dem sie auf „angeeignete Elemente kollektiver Wissensvorräte“437 zurück greift: „Die Grenzziehung der Experten zwischen ‚dem (Normal-)Bürger und den Anderen‘ zieht sich wie ein roter Faden durch fast alle Experteninterviews: Mitglieder von Randkulturen unterscheiden sich nicht nur in ihren (missliebigen) kulturellen Praxen von den restlichen Stadtbewohnern, sondern werden bereits qua ihres Status als Nicht-Bürger von der Gemeinschaft ausgegrenzt.“438 Die soziale Konstruktion städtischer Gruppen im Zusammenhang dieser Klassifikation kommt auf mehreren Ebenen und über verschiedene Dimensionen in Betracht. Exemplarisch soll die damit verbundene Typisierung und Unterscheidung anhand erstens der Rolle der Medien, zweitens der (dienst-)rechtlichen Vorgaben diverser Institutionen sozialer Kontrolle sowie drittens im Hinblick auf das Selbstverständnis und -konzept eines Teils der Bürgerschaft beschrieben werden. Die in den Medien in den letzten Jahren relativ weit verbreitete „Hysterie“439 bezüglich der angeblich wachsenden Kriminalität im Innenstadtbereich leistet im Sinne der sozialen Konstruktion städtischer Gruppen einen nicht zu unterschätzenden funktionalen Beitrag: So werden zentrale Eigenschaften wie die ethnische bzw. nationale Herkunft oder das soziale Milieu kriminalisierter Personen, der sogenannten Tätergruppen, herangezogen, um die Zugehörigkeit bzw. Nichtzugehörigkeit von Gruppen zu definieren und ihnen Aufenthalts- und Verhaltensrechte im Innenstadtbereich zuzuweisen.440 Durch die so geschaffene Differenz von „Uns“, folglich denjenigen, die mehrheitlich geteilten Erwartungen an Verhalten in Stadt entsprechen, und „Denen“, den inkriminierten Merkmalsträgern, die diesen Erwartungen nicht entsprechen, werden Einschränkungen des bürgerlichen Gleichheits- und Freiheitspostulats legitimiert und damit Grenzen des Anspruchs auf Anerkennung von sozialen Rechten wenn auch nicht bestimmt, so doch nahegelegt. Durch diese Definitionsleistungen wird unter anderem der Zugang zu bestimmten Ressourcen an den moralischen Status (z.B. legaler oder illegaler Aufenthalt im entsprechenden Land, legale, illegale oder halblegale Erwirtschaftung von Einkommen, zügelloses

436 Vgl. Krebs 2001; S.87. 437 Vgl. Keller 2007; Abs.22. 438 Krebs 2001; S.87; Fn.167. Vgl. auch Funk 1995b. 439 Im Diskurs ist von einem „Sicherheitswahn“ die Rede. Vgl. Anti-Expo-AG 1997, Höge 1997, InnenStadtAktion 1997 und Küppers 1998. 440 Vgl. z.B. Schnabel-Schüle 2004 und für ein Beispiel Fn.56.

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Genussstreben, Verweigerung von Arbeit, unkonventionelles Äußeres usw.) der inkriminierten Gruppenangehörigen gekoppelt. Der soziale Status von städtischen Benutzergruppen wird so zum zentralen Kriterium von Kriminalisierung oder der Zuschreibung von Störungspotenzial in den Innenstädten. Die auf diese Weise evozierten und sprachlich vorbereiteten441 Sicherheits- und „Moralpaniken“442 ebnen den Weg einer weiteren Grenzziehung zwischen einem gesellschaftlichen Innen und Außen und zu ihrer Verfestigung. Letzten Endes erscheint auf der Basis dieser Klassifikation eine solche Grenzziehung zur Aufrechterhaltung von Normalitätsstandards in Sinne eines relativ geordneten, sicheren und irgendwie „sauberen“ Zusammenlebens geradezu notwendig und legitimiert entsprechende Maßnahmen.443 Die zugrundeliegenden Deutungsprozesse werden in entsprechenden Handlungsvollzügen kaum mitreflektiert. Zum Zweiten: Ein ähnlicher Prozess wird durch die juristische Definition einer wie auch immer zu behandelnden Gruppe über deren spezifisches Verhalten in Gang gesetzt. Anlässlich der „Chaos-Tage“444 1996 stellte der Hannoveraner Polizeipräsident eine Liste mit „in der Punkszene typischen Verhaltensweisen“445 zusammen. Dazu gehören: „- Übermäßiger Alkoholgenuss in der Öffentlichkeit bis hin zu Alkoholexzessen - Beschimpfen, Anpöbeln, Beleidigen, Anspucken [...] - Gruppenweise lagern [...] - Verschmutzen von Straßen [...] - Demonstratives Urinieren in der Öffentlichkeit [...]“.

Eine ähnliche Aufzählung inkriminierter Verhaltensweisen, die dann den juristischen Unterbau sozialer Kontrolle bildet, lässt sich – um nur ein weiteres Beispiel zu nennen – aus der Dienstanweisung städtischer Hilfspolizisten im Rahmen einer kommunalen Sondernutzungssatzung herleiten.446 Hier reicht bereits das Niederlas-

441 Vgl. dazu die Äußerungen von Esser, Dubenkropp, Landowsky und Gehb zu Beginn (Fn.4-7) sowie Ebbrecht 1988; S.2f. 442 Vgl. Ronneberger/Lanz/Jahn 1999; S.171ff. Vgl. zu diesem Text Becker 2000 und Müller-Lohbeck 2001. 443 Vgl. Ronneberger 1997a; S.49 und Glasauer 1999. 444 Bei den Chaos-Tagen handelt es sich um das seit den frühen achtziger Jahren veranstaltete, inzwischen traditionelle jährliche Treffen der deutschen Punk-Szene, meist in Hannover. 445 Vgl. das Hannoveraner „Versammlungs- und Veranstaltungsverbot im Rahmen der ‚Chaos-Tage‘“, zit.n. Ihssen 1996. 446 Für die Stadt Kassel unterzeichnet von Lewandowski und Groß (1998).

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sen von mehr als 30 Minuten an einem Ort im öffentlichen Raum aus, um, in Verbindung mit dem Verzehr von Alkohol, zu der Gruppe der „Störer“, der „Anderen“ und Unerwünschten hinzugezählt zu werden. Ist dies geschehen, können dann nicht nur die Personalien des Betroffenen festgestellt werden,447 sondern auch repressive Sanktionen wie Platzverweise,448 die Verfügung von längerfristigen Aufenthaltsverboten (durch die entsprechende Ordnungsbehörde), der sogenannte Verbringungsgewahrsam,449 also die Verschleppung an den Stadtrand,450 aber auch Beschlagnahme und Sicherstellung z.B. alkoholischer Getränke451 verfügt werden. Ein drittes Beispiel zeigt sich im (medial) geäußerten Selbstverständnis und konzept eines Teils der städtischen Bürger selbst, das seinerseits jenseits juristischer Kategorien zwischen sich selbst, dem Drinnen, dem gesellschaftlichen „In“, und den Anderen, den Ausgegrenzten, dem Draußen, dem gesellschaftlichen „Out“, im durch die Klassifikation Drinnen/Draußen geleiteten Vollzug ihrer Alltagsroutinen eine Grenze zieht: So entspricht der Rede von der Rückeroberung „unserer öffentlichen Räume“452 eine Differenzierung von „Uns“ und „Denen“, die den ersten Schritt zu der differenzierten Behandlung der Anderen darstellt. Auch hier bezieht man sich implizit auf angeeignete und stabilisierte Wissensvorräte: Durch die Konstruktion eines kollektiven bürgerlichen Subjekts der „Wohlanständigen“453 wird gleichsam eine Linie durch die Gesellschaft gezogen, an deren Rändern die Differenz zwischen dem kollektiven Selbst und dem Anderen, Fremden ablesbar ist. Dies ist umso erstaunlicher, als es sich um eine gegenläufige Entwicklung zu einer im soziologischen Diskurs als weitgehend verbreitet angenommenen Praxis handelt: Während man dort von einer Aufweichung klassisch bürgerlicher kultureller Codes hört, werden Kleidungscodes zunehmend dazu verwendet, unerwünschte Personen oder Gruppen, die Minderheiten angehören, auszuschließen:454 „Der herr-

447 §§ 163b und c StPO. 448 § 31 HSOG. 449 § 32 I Ziff.3 HSOG. 450 Vgl. für die Praxis in den USA Christopherson 1994; S.418. Von Stadtrand zu Fuß in die Innenstadt zurückzukehren, dauert beispielsweise in Berlin durchschnittlich 2,5 Stunden. Vgl. auch Kap. 4.4. 451 §§ 40f. HSOG. 452 Vgl. Siegel 1995. Übersetzung und Hervorhebung von G.L. 453 Vgl. Ronneberger 1998b. 454 Vgl. Frehsee 1998; S.146. So ist es heute, mit dem entsprechenden kulturellen Kapital ausgestattet, ohne weiteres möglich, ohne Anzug und Krawatte in Oper, Theater; Büro etc. (also Orte, die klassischer Weise zur bürgerlichen [Hoch-]Kultur gehören und die sich durch spezifische ökonomische und symbolische Anforderungen auszeichnen) zu gehen.

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schende ‚Rassismus ohne Rassen‘ (hat, G.L.) die Vorstellung von natürlich vorhandenen rassischen Differenzen längst aufgegeben und abgelöst durch die Konstruktion kultureller, nationaler, ethnischer und sozialer ‚Wertigkeiten‘ von Menschen.“455 Bezogen auf den städtischen Raum folgen den sozialen Grenzen später auch materielle – vermittelt zunächst durch die Verdrängung stigmatisierter Einwohnergruppen in segregierte Viertel, die Ästhetisierung der Innenstädte, später dann durch die juristische Ausweisung „gefährlicher Orte“, die administrativ-soziale Ausweisung von „Konsumzonen“ oder von Zonen, in denen bestimmte Nutzungen implizit vorgeschrieben, andere explizit ausgeschlossen sind.456 So wird aus dem sozialen Drinnen und Draußen ein sozialräumliches. Unter Umständen werden physische Barrieren zwischen dem bereits ideell konstruierten Drinnen und dem Draußen gezogen, die zunächst intrapsychische und soziale Konstitutionsleistung wird förmlich baulich zementiert und damit materialisiert wie objektiviert. Auch hier wird die Zugehörigkeit zur einen oder anderen Gruppe durch definierte Verhaltensmerkmale bestimmt. Dazu zählt, um nur einige Beispiele zu nennen, das unachtsame Wegwerfen von Müll außerhalb der dafür vorgesehenen, sofern überhaupt vorhandenen Behältnisse, der Verzehr von Alkohol im öffentlichen Raum, d.h. außerhalb der dafür vorgesehenen Straßencafés oder Biergärten,457 oder auch der habituelle und anhaltende Aufenthalt im öffentlichen Raum.458 Hinzukommen Verstöße gegen Kleidungscodes und Verhaltensstandards wie eine „ungepflegte Erscheinung“ oder überlautes Reden etc. Mit anderen Worten: Als Reaktion auf – wie und weshalb auch immer – als bedrohlich wahrgenommene Andere bildet eine sich dazu komplementär verstehende Gruppe eine Identität aus, die sich selbst durch das Fehlen der Eigenschaften der Anderen definiert.459 Sofern eine solche Gruppe der störenden, bedrohlichen Außenseiter460 konstruiert ist, ist damit zugleich ihre Ausgrenzung, oder zumindest ein bestimmter Umgang mit ihren Angehörigen, legiti-

455 Cremer-Schäfer 1993; S.38. Vgl. zu ethnisch-kulturellen Konflikten auch Friedrichs 1998a und Friedrichs/Blasius 2001. 456 Vgl. Kap. 5.3. 457 Im Besonderen Verwaltungsrecht spricht man von „Schankflächen“. 458 Vgl. z.B. Siegel 1995; S.370 und 373. 459 Nach der Theorie symbolischer Interaktion entsteht das Selbstbild unter anderem durch die soziale Reflexion in einem gesellschaftlichen Spiegel: als „Looking-Glass-Self“. Vgl. Siegel 1995; S.373. 460 Die Begriffe „Etablierte“ und „Außenseiter“ sind hier ausdrücklich nicht im Sinne der Untersuchung von Elias und Scotson (1990) zu verstehen, die als Variable für Außenseitertum lediglich die Wohndauer an einem Ort annehmen. May (2001) analysiert die Dortmunder Nordstadt entlang Etablierter-Außenseiter-Beziehungen.

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miert.461 Die soziale Genese von Abweichung oder Mechanismen der Macht werden dabei ausgeblendet: „Die Existenz einer Klasse, die beständig kriminalisiert wird – die schiere Existenz eines verarmten Sektors der Bevölkerung – kann nun unter Bezugnahme auf die natürliche, veranlagungsmäßige Neigung dieser Individuen erklärt werden, während dabei ein Bezug zum Charakter des Rechts, der Politik oder sozialer Beziehungen ausgeblendet wird.“462 Darüber hinaus wird aber auch das Fundament gelegt für die Selbstwahrnehmung der Etablierten als moralisches, ethnisches etc. Kollektiv. Ein Verständnis als „Opferkollektiv“ ist dabei nicht ausgeschlossen, wenn sich der Eindruck verfestigt, dass man unter dem Fehlverhalten der Anderen in den Innenstädten zu „leiden“ habe.463 Entlang der Differenzierung von Norm und Ordnung als soziologische Grundkategorien bietet sich in dieser Klassifikation auch eine andere Sichtweise an:464 Normen können als Projektionen eines bestimmten Modells von Ordnung auf soziales Handeln verstanden werden. Stadt ist diesbezüglich dialektisch: Einerseits ist Stadt selbst eine normative Ordnungsmetapher, andererseits ist sie empirisch mit Unordnung verbunden. Ein Verstoß gegen gesellschaftliche Normalitätsstandards, gleich welcher Qualität, ist insofern auch immer eine Störung der sozialen Ordnung, die nach Korrektur, Wiederherstellung von Ordnung und manchmal Sühne verlangt: „Die Konzepte von Ordnung und Norm sind scharfe Messer, die sich gegen die Gesellschaft, so wie sie ist, richten; ihnen geht es in erster Linie um Trennung, Amputation, Beschneidung, Bereinigung und Ausschluss. Sie befördern das ‚Ordentliche‘, indem sie den Blick für das ‚Unordentliche‘ schärfen; sie benennen, umschreiben und stigmatisieren Teile der Realität, denen das Recht zu existieren versagt wird – bestimmt für Isolation, Exil oder Auslöschung. Wenn Ordnung installiert und befördert wird, wird der Ausschluss direkt vollzogen, indem man die, die

461 In o.V. 2000r wird beschrieben, wie eine Kölner Bürgerinitiative gegen Obdachlose scheiterte. 462 Garland 1985b; S.104. Übersetzung von G.L. 463 Vgl. Veith/Sambale 1998; S.3. Die von den ökonomischen Strukturveränderungen profitierenden und tendenziell aufsteigenden Teile der Mittelschicht nehmen sich demnach als „Opfer“ von „Fehlverhalten“, „Verwahrlosung“, „Sozialmissbrauch“, „Schmarotzertum“ etc. wahr. Die Problemurheberschaft wird damit einseitig den problematisierten Gruppen zugewiesen. Diese verstehen sich aber teilweise selbst als Opfer, als „Verlierer“ eines ökonomischen „Modernisierungsprozesses“. Vgl. auch Rada 1997a, S.165. 464 Vgl. z.B. Bauman 1997a.

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ausgeschlossen werden sollen, einem speziellen Regime unterwirft. Norm [...] agiert indirekt, indem sie den Ausschluss eher wie eine Selbstmarginalisierung aussehen lässt.“465

Am Beispiel der Phänomenstruktur der urbanen Unterklasse466 lässt sich dieser Mechanismus durchspielen. Die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung einer stadtbezogenen Ordnungsvorstellung konstituiert dabei zwangsläufig eine Norm und eine Abweichung, dementsprechend ein Drinnen und Draußen: Klar scheint für die Klassifikation, dass „[...] die Auferlegung eines jeglichen Ordnungsmodells ein Akt der Trennung ist und bestimmte Teile der sozialen Realität als unpassend und dysfunktional disqualifiziert, während die Erhebung einer jeglichen bestimmten Lebensweise zur Norm eine Vielzahl anderer Lebensweisen als abweichend oder abnormal klassifiziert. Die Armen sind Verkörperung und Prototyp des ‚Unpassenden‘ und des ‚Abnormalen‘“.467 Arme (in klassischer Vorstellung) entsprechen nicht den ästhetischen Normen der Mehrheitsgesellschaft, weil sie von dem über die Befriedigung der Grundbedürfnisse hinausgehenden Konsum, der selbst zur Norm geworden ist, weitestgehend ausgeschlossen sind. Hinzu kommt, dass Armen auf besondere Weise abweichendes Verhalten zugeschrieben wird.468 Vor diesem Hintergrund erscheint die wahrgenommene Bedrohung durch die „Outs“ des Draußen, durch Obdachlose, Junkies, Punks etc., geradezu als Bedrohung der sozialen, der bürgerlichen Identität. „Gesellschaftssanitäre“469 Maßnahmen wie die Entfer-

465 Bauman 1997a; S.117. Hervorhebungen im Original. Empirisch zeigte sich für Köln, dass von über 500 von Städtern der Lokalzeitung gemeldeten „Missständen“ sich die große Mehrheit auf Schlaglöcher in den Straßen und Bürgersteigen, umher liegenden Müll und volle städtische Abfallbehälter sowie auf wucherndes Grün beziehen. Vgl. Rösgen 2009. Bei einer Umfrage im Kommunalwahlkampf im August 2009 forderten 30% der befragten Kölner, dass der neue Oberbürgermeister dafür sorgen solle, „Müllsünder härter zu bestrafen.“ So ist beispielsweise für das Wegwerfen einer Zigarettenkippe eine Geldbuße von 25 Euro vorgesehen. Vgl. Bathke 2008. „Dreck“, also Unsauberkeit, scheint ein ausgesprochen wichtiges Problem zu sein. Vgl. auch Baumanns 2009 und Frangenberg 2008. Für 50% der befragten Kölner, darunter Anhänger aller Parteien, ist „Sicherheit“ das wichtigste Thema. Vgl. o.V. 2009 und Murphy 1999. 466 Vgl. Kap. 4.1. 467 Bauman 1997a; S.117. 468 Vgl. Cremer-Schäfer 1998a und Ohlemacher 2000b. 469 Die Etablierung des Begriffs „gesellschaftssanitär“ wird Horst Herold, dem ehemaligen Leiter des BKA zugeschrieben. Vgl. Schwinghammer 1980. Er verweist auch auf die Metapher von Stadt als (krankem) Körper mit „Adern“ (Verkehrswegen), der Innenstadt als „Herz“ etc. Sauberkeit in den Innenstädten ist demnach metaphorisch verbunden mit einer „gesunden“ Gesellschaft und sozialer „Hygiene“. Vgl. Gebhardt 1988 sowie Krebs

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nung des „Kranken“ scheinen bei entsprechender Wirklichkeitswahrnehmung gerechtfertigt. Zu den reinen Verhaltenskategorien als Differenzierungsmerkmal tritt nun auch die konstruktivistische Unterstellung von „Charaktermerkmalen“, die eine Grenze zwischen Drinnen und Draußen markiert: Die diskriminierten Gruppen gelten als „arbeitsscheu“, „ungepflegt“, d.h. prinzipiell unsauber, als affektgesteuert, aggressiv, haltlos etc.470 Damit liegt eine weitergehende Ausgrenzung der Betroffenen aus der Solidargemeinschaft nahe.471 Das Selbstbild der urbanen Bevölkerungsmehrheit wird zudem noch durch die Stadtbildproduktion der städtischen Vermarktungsagenturen verstärkt: Ist erst einmal das Bild einer homogenen, als sicher und sauber inszenierten Innenstadt propagiert, werden Abweichungen von diesem Image als dissonant wahrgenommen und psychisch als entsprechend irritierend verarbeitet. Ohne weiter auf die oben genannten, in der Literatur vorgebrachte Beispiele eingehen zu wollen, kann festgehalten werden, dass durch die Formulierung und Kodifizierung von verhaltensrelevanten Tatbeständen die Konstruktion von Störergruppen sichergestellt wird. Die Denunziation „stadtuntypischer“ Nutzungen bereitet den Weg zu einer Ausgrenzung der inkriminierten Gruppen.472 Diesen werden Raum, Status und Verhaltenskategorien zugeordnet, sie werden, wie sich aus dieser Klassifikation ergibt, unter besondere Beaufsichtigung bzw. Überwachung gestellt und zu Objekten spezifischer Kontrollinterventionen.473 Die Konstruktion sozialer Außenseitergruppen und die damit einhergehenden Prozesse werden in der Soziologie sozialer Kontrolle bereits seit den dreißiger Jahren in den USA, spätestens seit den sechziger Jahren in Deutschland unter der

(2001, S.118f.), der von Shopping Malls, Passagen, Galerien und „innerurban Plazas“ als modernen „Quarantänestationen“ und unter Verweis auf Dieter Bartetzko von einem „sozialhygienischen Aspekt“ spricht, durch den versucht wird, „Verelendungsfolgen“ der „sich formierenden Zwei-Drittel-Gesellschaft“ unsichtbar zu machen. Auch Foucault bezieht sich auf Stadt als Krankheitsmetapher, wenn er die Kontrolle bestimmter Raumtypen mit Pest- und Lepraepidemien assoziiert. Cohen (1985) greift die Zuordnung von Krankheiten zu Typen urbaner Sozialkontrolle auf. Vgl. auch Elden 2003. Vgl. auch zur unterstellten Analogie von Stadt und menschlichem Körper Sennett 1997. 470 In der amerikanischen Diskussion führt eine solche „Kultur der Armut“ zu einer weiteren, aber selbstverschuldeten Verelendung. Vgl. Bremer/Gestring 1997, Goetze 1992, Häußermann 1997a und b, sowie Kronauer 1997, Siebel 1997 und Kap. 4.1. 471 Vgl. z.B. Hahn 1998, Ebbrecht 1998 und Brücher 1998. 472 Vgl. Rada 1997a; S.105. Die Denunziation von Obdachlosen als „Street People“ entspricht einer Degradierung des öffentlichen Raums selbst. Vgl. dazu Davis 1994a, S.262. 473 Vgl. unter anderem Beste 1997; S.192 und 1998.

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Überschrift „Labeling Approach“ diskutiert. Im Mittelpunkt steht dabei der konstruktivistische Charakter abweichenden Verhaltens. Der entscheidende Paradigmenwechsel in der Analyse abweichenden Verhaltens und sozialer Kontrolle ist in der Umkehrung der Fragestellung zu sehen: Nicht abweichendes Verhalten oder dessen strukturelle Gründe werden erklärt,474 sondern die Definition und Selektion bestimmter Verhaltensklassen als abweichend wird aufgedeckt. Nicht mehr der Akteur als Träger abweichenden Verhaltens steht im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern der gesellschaftlich institutionalisierte und organisierte Definitions- und Selektionsprozess als Kennzeichen sozialer Kontrolle, der abweichendes Verhalten erst als solches zu erkennen ermöglicht und die Träger eines solchen etikettierten Verhaltens spezifischen Maßnahmen unterwirft. Prävention abweichenden Verhaltens bedeutet demnach die Prävention vor der stigmatisierenden Etikettierung einer Verhaltensklasse und damit von Personen als Akteuren solchen Verhaltens, nicht die Verhinderung unerwünschter Ereignisse oder die Ausgrenzung missliebiger Personen, Gruppen und Klassen. Kurzum: Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit hilft der Labeling Approach wie andere wissenssoziologische Bezugssysteme zu verstehen, dass problematisierte Gruppen im Innenstadtbereich nicht per se existieren und problematisch sind,475 sondern dass sie erst durch die Definition und Selektion bestimmter Kriterien zur Gruppe und zu städtischen Problemen und damit letztlich zu sozialen Outs werden. Die Mechanismen zu dieser Definition, Selektion, Stigmatisierung und Behandlung dieser Gruppen werden als integrale Funktionen sozialer Kontrolle in den hier systematisierten Thematisierungen kaum mitgedacht. Die soziale Konstruktion eines sozialen Drinnen und Draußen, eines gesellschaftlichen In und Out, ist schon Teil urbaner Sozialkontrolle. Nach den in der Urbanitätsnarration vorgetragenen Positionen kann man davon ausgehen, dass die Differenzierung eines Drinnen und Draußen ebenso wie die von Sicherheit und Unsicherheit476 selbst bereits konstitutiv für Urbanität ist – wenngleich sie selten thematisiert wird. Wie schon in der Diskussion des Simmel’schen Entwurfs von Urbanität deutlich geworden ist, zeichnet sich städtisches Leben durch eine Reserviertheit und Blasiertheit, durch die aversive Absetzung des Subjekts von den anderen aus. Zwar kann dies zur Ausbildung einer feinen Differenzierung zwischen Drinnen und Draußen führen, doch ist es hier zunächst noch das einzelne Subjekt, das diese Grenze zieht. Im Diskurs um das Drinnen und Draußen wird aber unterstellt, dass sich diese individuelle Differenzierungsleistung kollektiv auf breiterer Basis vollzieht. Durch die Zuschreibung der Merkmale „gefährlich“,

474 Für einen Überblick über solche ätiologischen Ansätze der Kriminalitätsanalyse, aber auch des Labeling Approachs, vgl. Lamnek 1993 (zuerst 1973). 475 Vgl. z.B. Granitztki 1998; S.2. 476 Vgl. Breckner/Sessar 2003.

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„kriminell“, „bedrohlich“, „unsauber“, „störend“ etc. wird allerdings die kollektive kognitive Infrastruktur477 in Richtung einer potenziell aggressiveren Abschottung von diesem Gefährdungspotenzial bewegt. So feiert die Rede von den „Dangerous Classes“ („gefährlichen Klassen“)478 als kollektivem Akteur im städtischen Diskurs heute eine Renaissance. Doch eigentlich neu – so könnte man genealogisch argumentieren479 – ist ein solches Konzept keinesfalls. Bereits 1730 alarmiert beispielsweise der englische Schriftsteller Daniel Dafoe den Lord Mayor der Stadt London mit einer eindringlichen Beschreibung der gefährlichen Klassen als „Truppen menschlicher Teufel“,480 die dem „anderen“, etablierten Teil der Bevölkerung mit Gewalt und Gewaltandrohung das Leben zur Hölle machen. Und auch der Begriff der „Lumpenproletarier“, der sich erstmals bei Marx und Engels findet,481 bezeich-

477 Vgl. Kreissl 1997a; S.384. 478 Vgl. zum Begriff der „Dangerous Classes“ Ruddick 1994 und Silver 1967. 479 Vgl. Kap. 5.1 und 5.2. 480 Daniel Dafoe, zit.n. Silver 1967; S.1. Übersetzung von G.L. Silver zitiert weitere Quellen, um den konstitutiven Charakter von städtischer Vergesellschaftung und Bedrohungswahrnehmung zu untermalen, z.B. aus London 1821, New York 1872, sowie den USA 1903 bzw. 1907. Vgl. Silver 1967; S.2ff. Neben den erwähnten lassen sich aber auch spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Beschreibungen der „gefährlichen Klassen“ und des repressiven Umgangs mit ihnen nachweisen. Vgl. z.B. Sachße/Tennstedt 1980 in den Quellenteilen, z.B. S.63ff., S.134f., S.139ff., S.309ff. sowie Jütte 1986 und 2000. 481 Marx versteht Lumpenproletarier nicht als Subjekte der Revolution, sondern als Angehörige einer Gruppe mit zweifelhafter Moral: Lumpenproletariat, „[...] das in allen großen Städten eine vom industriellen Proletariat genau unterschiedene Masse bildet, ist ein Rekrutierplatz für Diebe und Verbrecher aller Art, von den Abfällen der Gesellschaft lebend, Leute ohne bestimmten Arbeitszweig, Herumtreiber, dunkle Existenzen, verschieden nach dem Bildungsgrade der Nation, der sie angehören, nie den Tagediebcharakter verleugnend; [...]“. Marx/Engels, MEW Bd.7, S.26. Daneben zählen „Vagabunden, Verbrecher, Prostituierte“ zum „eigentlichen Lumpenproletariat“. Marx/Engels, MEW Bd.23, S.673. Und weiter: „Neben zerrütteten Lebeherren mit zweideutigen Subsistenzmitteln und von zweideutiger Herkunft, verkommene und abenteuerliche Ableger der Bourgeoisie, Vagabunden, entlassene Soldaten, entlassene Zuchthaussträflinge, entlaufene Galeerensklaven, Gauner, Gaukler, Tagediebe, Taschendiebe, Taschenspieler, Spieler, Zuhälter, Bordellhalter, Lastträger, Literaten, Orgeldreher, Lumpensammler, Scherenschleifer, Kesselflicker, Bettler, kurz, die ganze unbestimmte, aufgelöste, hin- und hergeworfene Masse, die die Franzosen la bohème nennen [...] dieser Auswurf, Abfall, Abhub aller Klassen [...].“ Marx/Engels, MEW Bd.8, 160f. Insofern steht Marx diesbezüglich eher in der Tradition des Bürgertums, das die Auszugrenzenden anhand morali-

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net den Teil der städtischen Bevölkerung, der als ins Gegenteil verkehrtes Spiegelbild der Mehrheitsbevölkerung (auch politische) Gefahr und damit Angst und Schrecken verbreitet. Die Externalisierung der Angst, die Koppelung eines abstrakten Gefühls an ein konkretes Objekt, macht die Anderen, die Fremden, die Alterität, das Draußen zum Problem. Die kollektiv-kognitiv geteilte Grenzziehung eines In und Out führt zur Verdrängung jener Gruppen aus bestimmten, meist innenstadtnahen Räumen, später dann zur weitergehenden Zonierung und Kontrolle des städtischen Raums.482 So verläuft zwar die Grenze zwischen dem Drinnen und Draußen als Konstitutionsleistung innerhalb des kognitiven Apparates des Subjekts, hat aber auch konkrete räumliche und damit materielle Konsequenzen, wenn sie sozial geteilt wird. Die sozialpsychologische Unterscheidung eines Drinnen und Draußen ist so verstanden nichts anderes als ein Prinzip zur Organisation des bewohnten bzw. bebauten Raums. Die Definition von Zugehörigkeitskriterien zu einer Gruppe steuert neben der Wahrnehmung auch die Zugangsmöglichkeiten und -berechtigungen zu spezifischen Orten.483 Die mit der Externalisierung der Angst einhergehenden und oben bereits erwähnten Kriminalisierungskampagnen484 zementieren und schärfen die Grenzen zwischen Drinnen und Draußen, Uns und den Anderen noch. In Anbetracht der oben dargestellten Integrationsleistung städtischer Vergesellschaftung – ohne desintegrative, ausgrenzende Tendenzen mit zu reflektieren – erscheint ein solcher klassifikatorisch nahe gelegter „Differenzurbanismus“485 vor dem Hintergrund der Ideologie einer partizipativen Urbanität als anti-urbane Verdrängungsleistung. Paradoxerweise verhindert zudem die weitere Normalisierung der psychogeografischen Innen-Außen-Differenz das, was Stadtmarketing erreichen will: nämlich die Identifikation der eigenen Bürger mit ihrer Stadt einerseits sowie die Wahrnehmung der Stadt als attraktiv für potenzielle Bürger, Kunden, Investoren andererseits.486 Anhand dieser Klassifikation wird klar, dass mit der Diskriminie-

scher Kategorien (nicht anhand der Verfügungsgewalt über Produktionsmittel) beschreibt. Das Lumpenproletariat ist nicht Klasse für sich, kein revolutionäres Subjekt, im Gegenteil: „Das Lumpenproletariat, diese passive Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft wird durch eine proletarische Revolution stellenweise in die Bewegung hineingeschleudert, seiner ganzen Lebenslage nach wird es bereitwilliger sein, sich zu reaktionären Umtrieben erkaufen zu lassen [...].“ Marx/Engels, MEW Bd.4, S.472. 482 Vgl. Rada 1997a; S.187. 483 Vgl. Macho 1991. 484 Vgl. Mansel 1998, Müller-Heidelberg 1998, aber auch Lehne 1996 und 1998. 485 Vgl. Ronneberger 1997a und Rada 1997a; S.124. 486 Vgl. Rada 1997a; S.168. Vgl. zum Stadtmarketing auch Bolz 1999, Book 1998, city.crime.control 2003, Gruber 2006 und Neill 2001.

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rung eines Drinnen und Draußen kollektiv geteilte soziale und materielle Grenzen entstehen, die unter anderem durch die Ordnungsbehörden als Instanzen sozialer Kontrolle aufrecht erhalten werden. Das sozial homogene In der etablierten Mittelschichten stützt sich paradoxerweise ökonomisch wie kulturell auf eine globalisierte Weltgesellschaft – und will zugleich eine soziale wie ethnische Enklave bleiben, in der ihr die Deutungshoheit und die politische wie ökonomische Macht zugeordnet ist. Zur Aufrechterhaltung dieses Status quo werden präventive und polizeilichrepressive genau wie architektonische und juristische Mittel implementiert.487 Die Konstruktion und Wahrnehmung bestimmter sozialer Gruppen wird durch ein urbanes Deutungsmuster mit dem Phänomen Angst in Beziehung gesetzt. 3.2.3 Die neue Angst der Städter „Haben Sie Angst vor Kriminalität? Wechseln Sie Ihre Tageszeitung!“ BERTHOLD BRECHT ZUGESCHRIEBEN488 „Es fürchten sich die falschen Menschen an den falschen Orten vor den falschen Menschen.“ UDO BEHRENDES489

In der Urbanitätsnarration wird davon ausgegangen, dass Urbanität als raumbezogenes sozialwissenschaftliches Phänomen auch immer eine psychogeografische Komponente490 hat. Orte beeinflussen das Denken, Fühlen und Handeln ihrer Nutzer.491 So entstehen Deutungsmuster allgemein als „[...] verinnerlichte kognitive Gebilde, die für soziale Kollektive gelten und die Angemessenheitsurteile von Individuen als eine Art ‚tacit knowledge‘ oder ‚mentale Disposition‘ leiten.“492 Im Zentrum dieses urbanen Deutungsmusters stehen die Phänomene Angst im urbanen Raum, subjektive Unsicherheitsgefühle und Kriminalitätsängste.493 Alle

487 Vgl. Touraine 1996a; S.24ff. 488 Zit.n. Lehne 1996; S.1. 489 Behrendes 2003; S.4. Udo Behrendes war 2003 Polizeidirektor und Leiter der Polizeiinspektion Innenstadt in Köln. 490 Vgl. Rada 1997a; S.155 und Rada 1998a. 491 Vgl. Sack 1993. 492 Keller 2007; Abs.17. 493 Vgl. unter anderem Albrecht 1998 und 2001, Altheide 2003, Bannister/Fyfe 2001, Bauman 1998a und b, Boers 2002, Davis 1996 und 1999c, Diederichs 1997, Duhm 1972, Eick 2000, Friedmann 2002, Göschl 1994, Grill 2000, Gross/Hitzler 1996, Gutsche

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drei Phänomene tauchen innerhalb des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit insofern auf, als sie als Begründung für bestimmte Maßnahmen oder als Hinweise auf bestimmte Probleme im Innenstadtbereich jeweils interessengeleitet gelesen oder instrumentalisiert werden. Dabei ist häufig die Rede von der „neuen“ Angst der Städter.494 Ob diese Angst nun neu ist oder nicht, soll hier nicht entschieden werden. Allerdings gibt es im Rahmen der Thematisierung Hinweise darauf, dass Unsicherheitsgefühle ebenso konstitutiv für urbanes Leben sind, wie die Dialektik von Integration und Desintegration, Drinnen und Draußen:495 „Die Stadt ist der Ort von Lust und Gefahr, von Chance und Bedrohung. Sie zieht an und stößt ab und kann das eine nicht ohne das andere.“496 Bei der Darstellung dieses Deutungsmusters stehen drei Aspekte im Vordergrund: Zum Ersten die Entstehung von Angst vor bestimmten Gruppen, Personen oder Orten, die als Bedrohungspotenziale bzw. als bedrohlich wahrgenommen werden.497 Zum Zweiten geht es um psychische und gesellschaftliche Strategien im Umgang mit Ängsten. Und zum Dritten geht es um die Instrumentalisierung einer solchen „Chimäre allgegenwärtiger Unsicherheitsgefühle“498 als Legitimation für konkrete Maßnahmen, die mitunter als „ausgrenzend“ kritisiert werden. Was also zeichnet Angst als Deutungsmuster aus? Aufschluss über die unzähligen Ansätze zur Beschreibung, Erklärung und Behandlung von Angst allgemein muss dabei nicht gegeben werden, es reicht Angst zu definieren als „[...] ein Unlustgefühl, das sich in einer Gefahrensituation einstellt, der man hilflos ausgesetzt ist.“499 Zwischen Angst und Furcht wird dabei nicht differenziert, weil sich diese psychologische Unterscheidung nicht bewährt hat.500 Angst wurde als Zustand und Persönlichkeitseigenschaft beschrieben. Furcht bezieht sich auf bestimmte Gegenstände, Personen, Orte oder Situationen. In dem Konzept Furcht ging man davon aus, dass das oben genannte Unlustgefühl auf ein bestimmtes Objekt (oder eine Klasse von Objekten, Merkmalen etc.) projiziert oder von ihm situationsspezifisch

2000, Knauf 1994, Lischka 2002, Munier 2001b, National Criminal Justice Commission 1998, Noll/Weick 2000, Noller/Ronneberger 1996a, Oberwittler 2003, Rada 1998a und 1999d, Reuband 1993, Roller 1998, Sessar 2004, Sparks/Girling/Loader 2001, Stanko 2000 und Wagemann/Mollenkopf 1999. 494 Vgl. Rada 1997a; S.55ff. und Schneppen 1997. 495 Sessar/Stangl/Schwaaningen (2007) sprechen von „Anxious Cities“. 496 Bauman 1997b; S.223. 497 Zur Wahrnehmung von Bedrohungspotentialen am Beispiel Wiens vgl. KarazmannMorawetz 1996, Stangl 1996a und b sowie Hanak 1996. 498 Beste 1997; S.189. 499 Kuhne 1981; S.48. 500 Vgl. dazu und für das Folgende Kuhne 1981; S.49.

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ausgelöst wird, während Angst als ein schwer lokalisierbarer Ich-Zustand, d.h. als Persönlichkeitseigenschaft, verstanden wurde. Diese Differenzierung beiseite gelassen werden die Begriffe Angst im urbanen Raum, Kriminalitätsangst bzw. -furcht oder subjektive Unsicherheitsgefühle weitestgehend synonym verwandt. Wichtig ist, dass Angst als Deutungsmuster entsteht, wenn subjektiv davon ausgegangen wird, dass man mit einem irgendwie schädigenden Reiz konfrontiert ist. Diese Konfrontation löst eine Erregung aus, die als unangenehm erlebt wird. Individuen nehmen dabei in bestimmten Situationen Einschätzungen über den Charakter dieser Situation vor und greifen dabei auf ihr Alltagswissen501 und ihre Vorerfahrungen, d.h. auf „ausgebildete Interpretationsmuster der Weltdeutung und Problemlösung“502 zurück. Erscheint die Situation als bedrohlich, kommt es zu Sekundäreinschätzungen bezüglich der Frage, ob Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die Gefahr abzuwenden. Ist dies nicht der Fall, steigt die Erregung, was dann als Angst erlebt wird. In raum-zeitlicher Nähe zu den erregungsauslösenden Reizen werden aber auch andere, eigentlich neutrale Reize wahrgenommen. Diese werden nun kognitiv im Sinne einer Wirklichkeitsinterpretation so verarbeitet, dass sie in ähnlichen Situationen als Signal für die eigentliche Gefahr dienen. Auf diese Weise können Alltagssituationen als angstauslösend erlebt werden, wenn sie in einer räumlichen Beziehung zum eigentlichen Angstobjekt stehen. Für den Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit folgt daraus, dass Angst vor einer Gruppe von Personen dazu führen kann, dass auch Räume oder Verhaltensweisen, die mit diesen Gruppen assoziiert werden, Angst auslösen können. Das gilt auch umgekehrt: Ist ein Ort angstbesetzt, so können auch Personen, die sich an diesem Ort aufhalten, als Gefahr erlebt werden. Damit ist aber nur die individuelle und situationsspezifische Seite des Deutungsmusters Angst beschrieben. Allerdings greift der psychologische Angstbegriff angesichts seiner Individualzentrierung und Situationsspezifik zu kurz, weil bestimmte Angstklassen so gar nicht greifbar sind: Dazu gehören allgemeine Existenz-, Abstiegs- und Zukunftsängste, die vage Besorgnis vor dem Unbestimmbaren oder die Angst vor der „strukturellen Gewalt der Verhältnisse“.503 Angst als Deutungsmuster wird hier deshalb nicht nur eine intrapsychische Aktion oder Reaktion auf etwas, sondern als das Ergebnis eines quasi interpsychischen sozialen Prozesses der Konstruktion verstanden,504 der zumindest zweierlei bedarf:

501 Dieses Wissen ist nicht voraussetzungslos sondern beinhaltet bereits Macht, die dieses Wissen hervorbringt. „In einer negativen Logik generiert dieses unaufhörlich wachsende Wissen aber immer mehr Risikopotenzial und begründet die fortschreitende Aufrüstung mit entsprechenden Maßnahmen.“ Zinganel 2003; S.271. 502 Lüders/Meuser 1997; S.62f. 503 Vgl. Kuhne 1981; S.51. 504 Vgl. auch Mattissek 2005.

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Zum einen eines oder mehrerer angstrelevanter Objekte, zum anderen aber auch eines kommunikativen und kollektiv geteilten Verständnisses von Gefahr und Bedrohung. Beide Aspekte, Fokussierung auf bestimmte Akteure oder Objekte und kollektive Situationsdeutungen, verweisen auf die im vorigen Kapitel angerissene Konstruktion sozialer Gruppen insofern, als eine Angst auslösende oder Angst projizierende Gruppe konstruiert werden muss, Orte als angstrelevant projiziert werden müssen und im gesellschaftlichen Verständnis von urbaner Realität auch irgendwie präsent, also wahrnehmbar sein müssen. Ist ein gesellschaftliches Drinnen und Draußen im Sinne einer Definition, Selektion und Stigmatisierung von Personen, Gruppen oder auch Orten konstruiert, müssen solche Differenzierungsleistungen auch kommuniziert und letzten Endes sozial geteilt werden, um von einem Deutungsmuster wie der Angst einer großen Menge von Städtern sprechen zu können.505 Ist dies geschehen, legitimiert die Angst vor bestimmten Personen oder Gruppen auch repressive Maßnahmen, sofern sie eine dauerhafte, stabile Angstreduktion verheißen und die Mehrheit der Städter „in Sicherheit“506 wiegen. Dass subjektive Unsicherheitsgefühle, Kriminalitätsfurcht und diffuse Ängste im städtischen Kontext bestehen, ist unbestritten:507 Untersucht man die Mental Map,508 also die individuelle psychologische Repräsentanz städtischen Raums der städtischen Bevölkerung, so lassen sich regelmäßig bestimmte Räume eingrenzen, denen Merkmale wie „unsicher“, „gefährlich“, „angstbesetzt“ etc. zugeordnet werden.509 Solche Ängste haben jeweils eine räumliche, aber auch eine soziale Ursa-

505 Vgl. für ein Beispiel Michailow 1994. 506 Bauman (2000; S.30f.) unterscheidet drei Dimensionen von Sicherheit: „Security“ als Gefühl der Beständigkeit und Verlässlichkeit der Welt, „Certainty“ als Gefühl der Gewissheit der Beurteilung von Dingen oder Situationen und schließlich „Safety“ als Gefühl, geschützt zu sein. Vgl. auch Koenen 1994 und Koetzsche 1996. 507 2008 fühlten sich 24% der Westdeutschen und 36% der Ostdeutschen in ihrer Wohngegend unsicher. Interessant ist, dass diese Furcht in Kleinstädten größer ist als in Großstädten. Vgl. Statistisches Bundesamt/Gesellschaft sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen/Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung 2008; S.306. Vgl. auch Walklate 2001. 508 Die Erstellung von Mental Maps oder Crime Maps gehört zu den Standardmethoden der Kriminalgeografie. Vgl. dazu Eck/Chainey/Cameron/Leitner/Wilson 2005, Harries 1999 und Legge 1994. Vgl. zur Kriminalgeografie grundlegend Schwind 1978, kritisch Belina 2000a und b sowie 2005b, Gestring/Maibaum/Siebel/Sievers/Wehrheim, Glasauer, Glasze/Pütz/Rolfes und Schreiber (alle 2005) sowie Hillier/Shu 2000 und für ein Beispiel Schlagehan 1998. Vgl. zu den Maßnahmen, die seitens der Polizeien an auf diese Weise identifizierten „Hot Spots“ angewandt werden, Braga 2008. 509 Vgl. z.B. Nord 2000.

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che: Räume können durch ihre ästhetisch-bauliche Gestaltung bereits Angst auslösen oder deren Entstehung begünstigen. Man spricht in diesem Zusammenhang von Angsträumen.510 Wichtiger aber ist die sozialräumliche Komponente. Räumen werden nämlich stets auch Benutzer- oder Wohngruppen zugeordnet, die als eigentliche Angstauslöser oder -objekte betrachtet werden. Solche subjektiven Stadtpläne, die die individuellen Einstellungen zu Stadt, städtischer Gesellschaft und Raum wiedergeben, mithin das „[...] ortsspezifische Erscheinungsbild der komplexen Erlebniswelt eines gelebten Stadtteils [...]“511 repräsentieren, erlauben Rückschlüsse nicht nur über die räumliche Orientierung der Städter, sondern über psychosoziale Szenarien im urbanen Raum.512 Urbane Angst ist demnach mit optischen, durch Nutzergruppen oftmals gar nicht zu beeinflussende Eigenschaften wie Einsehbarkeit, Übersichtlichkeit oder Beleuchtung verbunden.513 Gruppen oder Orte werden so zu Projektionsflächen eigener Ängste und systembedingter Unsicherheiten, abstrakter Bedrohungen und Manifestationen eines unregierbaren weil unfassbaren „Bösen“, das mit einer körperlichen Wirklichkeit verbunden wird.514 Umstritten sind die Gründe für die Entstehung von Angst oder das relevant Werden von Angst in der öffentlichen Diskussion. Deshalb seien hier zusammenfassend und überblickartig die wichtigsten Faktoren genannt, von denen angenommen wird, dass sie mit der Angst der Städter in Verbindung stehen – unabhängig davon, ob sie zu Recht oder zu Unrecht als Angst auslösend qualifiziert werden:515

510 Vgl. zu Angsträumen exemplarisch Hauser 2008, ILS 1995, Jansen 2004, Kail/Kose/Licka 1996, Ramler 2004, Rescher 2000, Roller 1998 und Zinganel 2000. 511 Rada 1997a; S.144. 512 Vgl. Rada 1997a; S.155ff. Als Beispiel kann auch die im Auftrag des LKA Hamburg durchgeführte Studie zur „kriminologischen Regionalanalyse“ (Legge u.a. 1994) gelten. Sie erfasst neben der Erlebniswelt der Bevölkerung auch die Mental Maps von Streifenpolizisten. Deren psychogeografisches Bedrohungsempfinden beeinflusst die Selektivität ihrer Kontrollleistungen: Ist ein Gebiet als gefährlich o.ä. im räumlichen System der Polizisten repräsentiert, wird es unter besondere Überwachung gestellt. Andererseits gelten in vermeintlich „sicheren“ Gebieten bereits alle gegen Normalitätsstandards verstoßenden Handlungen (z.B. ein „verdächtig“ aussehender Spaziergänger in Villenvororten) als Gefährdungspotenziale. Diese Verbindung von spezifischen Räumen mit einer „neuen moralischen Ordnung“ kommentiert Ruddick 1994; S.57. Vgl. zur informationellen Verortung des Nicht-Deutschen als Risiko Weichert 1995. 513 Zur Rolle von Straßenbeleuchtung für Stadt und Angst vgl. Held 2001, Platen 1997b und Ramler 2004. 514 Vgl. Krebs 2001; S.89, Bauman 2000; S.21 und Lisken 1998. 515 Vgl. Siebel/Wehrheim 2003b, S.25ff.

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Der demografische Wandel führt zu einem Anstieg des Anteils von Senioren in der städtischen Bevölkerung. Diese tendieren aufgrund des Fehlens von Ressourcen zur körperlichen Abwehr von Gefahren stärker zu Unsicherheitsgefühlen.516 Migration führt zu einer erhöhten Sichtbarkeit von „Fremden“ und löst Bedrohungsgefühle aus, die wiederum auf sozial geteilten Vorurteilen beruhen. Tradierte Abwehrmechanismen gegen Zuwanderung wie Verwehrung des Zugangs, bestimmter Teilhabechancen etc. greifen nicht hinreichend, was das Bedrohungsgefühl noch erhöht: „Sobald Gesellschaften keine Stadtmauern und gräben mehr bauen und instand halten, muss jeder einzelne Bewohner der Stadt Karatekurse besuchen.“517 Die Entwicklung am Arbeitsmarkt führt zu einer existenziellen Verunsicherung weiter Teile der Bevölkerung. Es ist die Rede von „Abstiegsängsten“, die auch die gut qualifizierten Mittelschichten erreicht haben.518 Angst vor problematisierten Gruppen erscheint hier als Reaktion auf die eigene soziale Unsicherheit, auf eigene unbewältigte Konflikte.519 Die Erosion des Wohlfahrtsstaats führt zu einem Gefühl des Verlustes von Sicherheit, das auf Kriminalitätsängste projiziert wird:520 „Ein ungesicherter Lebensunterhalt, verbunden mit dem Fehlen einer vertrauenswürdigen und verlässlichen Instanz, die imstande wäre, die Unsicherheit zu verringern oder zumindest als eine Adresse für die Bedürfnisse nach größerer Sicherheit zu fungieren, rührt ans Innerste der Lebenspolitik.“521 Verschmutzung und Vandalismus verletzen die symbolische öffentliche Ordnung und werden als Hinweise auf den Verlust der Selbstkontrolle einer zivilisierten, urbanen Lebensweise gedeutet. Entsprechend dem Thomas-Theorem522 wird diese Interpretation unabhängig von den objektiven Qualitäten der Situati-

516 Vgl. Aronowitz 1999. 517 Bauman 2000; S.77. 518 Neuere Daten zeigen, dass diese Abstiegsängste der Mittelschichten empirisch begründet sind. Vgl. Thelen 2008. Vgl. auch Göschl 1994 und Ehrenreich 1994; S.4: „Ob die Mittelklasse hinunterschaut in die Welt der Entbehrungen oder hinauf auf das Reich des Überflusses, die Angst vor dem Absturz verliert sie nie.“ 519 Vgl. Rada 1997a; S.160 und 174 sowie Glasauer 1998b; S.2 und Rada 1999d. 520 Vgl. auch Taylor 1999. 521 Bauman 2000; S.35. 522 Bei dem Thomas-Theorem handelt es sich um die „[...] Annahme von W. I. Thomas, der zufolge Menschen so handeln, wie sie eine Situation sehen (definieren), ohne dass sie auch so sein müsste. (‚If men define situations as real, they are real in their consequences.‘)“. Vgl. Friedrichs 1978.

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on zu einem Auslöser von Angst. Ein aus der Tradition der behavioristischen Sozialpsychologie stammender Ansatz hat unter dem Schlagwort „BrokenWindows-Theorie“523 Eingang in den Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit gefunden und ein Schlaglicht auf die diffusen Unsicherheitsgefühle der Städter geworfen. In einem Satz zusammengefasst geht diese „Theorie“ davon aus, dass abweichendes Verhalten und mit ihm die Angst vor selbigem immer dort entsteht, wo „Verwahrlosung“ im urbanen Raum droht. Ist erst ein Viertel baulich abgewertet, siedeln sich dort problematische Gruppen an, die sich gegebenenfalls deviant verhalten,524 was wiederum zu einer weiteren Verwahrlosung des Quartiers führt. Das seit Simmel in der Urbanitätsnarration bekannte „Unwohlsein“ des Bürgers, der mit solchen Verhältnissen in seinem direkten Wohnumfeld oder auf seinen Wegen konfrontiert ist, entwickelt sich zu Angst als einfacher Reaktion auf das Verhalten von Personen oder die materielle, auch bauliche Beschaffenheit von Orten, die mit eigenen Normen und Werten inkompati-

523 Der Begriff geht zurück auf Wilson und Kelling (1982, deutsch 1996). Die BrokenWindows-Theorie (streng genommen eine Hypothese) geht davon aus, dass eine Störung der öffentlichen Ordnung automatisch weitere Störungen nach sich zieht oder genauer: dass der Mangel an Kontrolle sogenannter „Lebensqualitätsvergehen“ (illegale Müllbeseitigung, öffentlicher Alkoholkonsum, Vandalismus etc.) die Wahrscheinlichkeit schwerer Rechtsverstöße (Raub, Vergewaltigung etc.) erhöht. Als empirische Begründung diente ein 1969 durchgeführtes Experiment von Philip G. Zimbardo, bei dem ein Auto mit offener Motorhaube in einem problematischen Stadtteil abgestellt wurde. Nach kürzester Zeit war das Auto durch Vandalismus weiter zerstört worden, andere Störungen der öffentlichen Ordnung (z.B. das Abladen von Müll) folgten. Die BrokenWindows-Theorie dient als vermeintlich empirisch untermauerte Begründung dafür, bei kleinsten Störungen der öffentlichen Ordnung polizeilich vorzugehen und diese zu beseitigen. Insofern ist die Broken-Windows-Theorie die Begründung für die in neunziger Jahren ausgehend von New York verbreitete „Zero-Tolerance“-Strategie, die unter anderem vorsieht, kleinere Störungen möglichst zeitnah durch Einsatz unterschiedlicher Institutionen sozialer Kontrolle zu beseitigen („fixing broken Windows“). Mit dem New Yorker „Zero Tolerance“-Modell beschäftigen sich en detail Behr, Brüchert/Steinert, Chambliss, Eisner, Gössner, Kerner, Nissen, Weitekamp, Klingst, die National Criminal Justice Commission (alle 1998) sowie Belina 2005a, Bronfen 2000, Darnstädt 1997, Golla 1998, Hansen 1999, Hassemer 1998, Hess 2000, Lehne 2001c, Munier 1998b und 2001c, Schulz 2000, Steinert 1998a, Truong 1999 sowie Wacquant 2002b. Vgl. dazu kritisch Miller 2001, Harcourt/Ludwig 2006 und Streng 1998. 524 Vgl. Siegel 1995; S.372f.

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bel sind.525 Die subjektive Unberechenbarkeit des Verhaltens anderer und die daraus resultierende Erschütterung von Seins- und Unversehrtheitsgewissheiten erzeugen Angst.526 Die sozialtechnologische Wendung dieser Hypothese ist unter dem Stichwort „Zero Tolerance“ in den Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten eingegangen. Als Umkehrschluss wird gefolgert und letzten Endes zur polizeilichen Strategie ausgebaut, dass man nur die Verwahrlosung (infolge von Verfall, auch durch Vandalismus), die Verunreinigung (z.B. durch Graffiti und unberechtigt angebrachte Plakate) oder auch Ansammlung eines irgendwie als unangenehm, störend oder gefährlich geltenden Potenzials verhindern oder verfolgen muss, um Kriminalitätsquoten zu senken, und wichtiger, die Angst der Städter zu beruhigen. Das breite Angebot an Medien hat zu einer Häufung spektakulärer Berichte über Kriminalität beigetragen und das Bild von der Gefährlichkeit von Stadt dramatisiert. Die kollektiven Bedrohungsszenarien bestätigen sich selbst bei jeder neuen Meldung einer sich verschärfenden angeblichen Gefährdungslage in der Stadt – vorausgesetzt, jede solche Information wird durch eine „dämonologische Linse“527 wahrgenommen, vor der auch kleine Vergehen oder Ordnungsstörungen im öffentlichen Raum als Bedrohung der eigenen Sicherheit erscheinen.528 Die Kommodifizierung von Unsicherheitsgefühlen haben den Markt für technische Sicherheitseinrichtungen und private Sicherheitsdienstleister prosperieren lassen. Dabei erzeugt das Angebot an sicherheitsrelevanten Dienstleistungen und Waren eine eigene paranoide Nachfrage: Die Verfügung über Sicherheit wird zum Statusobjekt, wo aufgrund ungleicher Einkommensverteilung nur wenige sich Sicherheit leisten können, und zum Prestigeobjekt bzw. Distinktionsmerkmal, weil man an der Verfügung über „Sicherheit“ auf den Status zurückschließen kann.529 Angst im städtischen Kontext hat aber auch eine weitere

525 Vgl. Hunter (1995; S.218), der „Urban Unease“ als ursächlich für die Entstehung von „Fear“ ansieht. 526 Vgl. Glasauer 1998b; S.2, aber auch Rada 1997a; S.160f. 527 Davis 1994a; S.262. 528 Zur Inszenierung von Kriminalitätsfurcht und Diskursen wie dem zu behandelnden vgl. Steinert 1995 und Kerner 1998. Zu der politischen Instrumentalisierung des Themas „Innere Sicherheit“ vgl. Munier 1998a, Feltes 2002 und Seidel-Pielen/Farin 1994. 529 Dementsprechend muss unsicher leben, wer sich Sicherheit nicht leisten kann. Im Diskurs wird diskutiert, inwiefern „[...] traditionelle Angsträume, Szenarien der Bedrohung sowie die Aufhebung jeglicher Privatsphäre durch Kontrolltechnologien, ursprünglich negativ besetzte Bilder, zu Symbolen eines neuen selbstbewussten urbanen Lifestyles umgedeutet werden können [...].“ Zinganel 2003; S.260. 1998 schätzte man den Umsatz

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ökonomische Bedeutung erlangt: Die Abwesenheit von Kriminalität gilt laut dem Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) als weicher Standortfaktor und wird in der interstädtischen Konkurrenz um Einwohner und Investitionen vermarktet.530 Der Modus sozialer Kontrolle selbst hat sich geändert:531 Wo früher am Resozialisierungsgedanken orientierte wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen bei der Problematisierung von abweichendem Verhalten dominierten, greift heute eher das Management von Kriminalitätsrisiken auch im Sinne einer Reduktion von Unsicherheitsgefühlen532 einerseits und andererseits die politisch instrumentalisierbare Dämonisierung von Kriminalität und „kriminellen Raum“. Die damit einhergehende „Law and Order“-Politik täuscht Handlungsfähigkeit vor, die in anderen Politikfeldern scheinbar fehlt. „So neigen die politischen Eliten verständlicherweise dazu, die tiefste Ursache von Angst – die Erfahrung individueller Unsicherheit und Ungewissheit – auf die verbreitete Besorgnis über (bereits falsch verortete) Bedrohungen des persönlichen Schutzes umzulenken. [...] Da die Wurzeln sozialer Unsicherheit an anonyme, ferne oder unzugängliche Orte verlegt sind, wird nicht unmittelbar deutlich, was die lokalen, sichtbaren Mächte zur

der boomenden Sicherheitsbranche in Deutschland auf 15 bis 16 Mrd. DM pro Jahr, 2004 sollten es sogar 20 Mrd. EUR sein, wobei unklar ist, welche Sicherheitsprodukte und -leistungen jeweils in die Berechnungen mit eingegangen sind. Die Schwerpunkte der privaten Aufrüstung bilden einerseits die persönliche Ausrüstung mit Waffen, Abwehrmitteln etc., andererseits Fortifikationsmaßnahmen des „Target Hardening“ zur Erschwerung von Einbrüchen in die Wohnung mittels Beschlägen, Schließanlagen, Wachhunden, Alarmanlagen („Lights and Locks“) sowie die technologische Überwachung des Raums mittels Kameras und Sensoren etc. Ein großer Teil des Umsatzes bezieht sich auch auf das Bewachungsgewerbe. Vgl. Kap. 4.2.2. Einbrüche gelten als besonders angstrelevant: Ein Einbruch in die Wohnung, aufgrund der quasi baulich abgesicherten Insulation des Individuums, ist auch immer ein Einbruch in die „Seele“ des Opfers, das nunmehr sein ureigenes Territorium und seine Intimsphäre verletzt sieht. Die Zahl der angezeigten Einbrüche, also dem ersten Hellfeld der PKS, ist innerhalb der letzten 15 Jahre um 600% gestiegen, demgegenüber die Aufklärungsquote von 40% in den sechziger Jahren auf 14% heute gesunken. 530 Vgl. Difu 1995 sowie Rada 1997a; S.189f. 531 Vgl. Kap. 3.3 sowie Taylor 1999; S.187ff. 532 So heißt es in einer Polizeidienstvorschrift (101, Nr.1.1) von 1999: „Die Polizei hat sich bei ihrem Tätig werden nicht nur an der Sicherheitslage, sondern auch am Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu orientieren. Sie hat ihre Schwerpunktbildung daran auszurichten und fortzuentwickeln.“ Vgl. auch de Haan 1998.

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Behebung akuter Leiden unternehmen könnten. [...] Die lokale Staatsmacht kann noch immer in Stellung gebracht werden, um [...] unwillkommene Fremde, die man ärgerniserregender und strafbarer Neigungen verdächtigt, zu verhaften und abzuschieben. Sie kann ihre Muskeln im Kampf gegen Kriminelle spielen lassen, kann Härte im Umgang mit Verbrechen demonstrieren, mehr Gefängnisse bauen, mehr Polizisten auf Streife schicken [...].“533





Hinzukommt eine scheinbar widersprüchliche Politik seitens der Kontrollagenturen: Neue Sicherheitsleistungen werden zum Gegenstand staatlichen Handelns, andere werden informell privatisiert. Eine ästhetische, handlungs- wie angebotsrelevante Homogenisierung des Innenstadtbereichs534 führt dazu, dass das Erleben von Differenz, das laut oben behandelter Narration typisch für Urbanität ist,535 nicht mehr zu den alltäglichen Erfahrungen der Städter gehört. Die Fähigkeit, mit Erfahrungen von Fremdheit und Devianz umzugehen, ist entsprechend verringert. Urbanität im oben dargestellten Sinne geht verloren: „Im öffentlichen Raum erlernt der Städter den alltäglichen Umgang mit Differenz und die [...] Formen stilisierten Verhaltens, die Voraussetzungen für ein zivilisiertes Miteinander in urbanen Räumen sind.“536 Im Zuge fortschreitender Individualisierung537 kommt es zu einer weitgehenden Emanzipation von tradierten Verhaltensweisen und Erwartungssicherheiten. Mit den erodierenden Standards, Gewissheiten, Biografien, Werten, Normen etc. werden aber auch die sozialen Beziehungen zwischen den freigesetzten Individuen brüchig. Die Auflösung traditioneller Milieus und die Pluralisierung von Lebensstilen538 verkomplizieren die Interpretation des Anderen und erschweren eine eindeutige Zuordnung entlang der Klassifizierung „gefährlich“ bzw. „harmlos“. Ein permanentes Misstrauen gegenüber den anderen Städtern erscheint so als rationales Verhalten.539 Eine solche, auf Individualisierungsschü-

533 Bauman 2000; S.78f. 534 Vgl. Kap. 5.3. 535 Vgl. für ein Beispiel Frers 2001. 536 Siebel/Wehrheim 2003a; S.6. 537 Auf eine Diskussion des Individualisierungskonzeptes kann hier verzichtet werden. Vgl. dazu Beck 1986, besonders S.113-248. Angesichts einer unterstellten Phänomenstruktur „urbane Unterklasse“ (s. Kap. 4.1) sei allerdings die Frage erlaubt, ob die These vom Bedeutungsverlust von Klassen und Schichten (Beck 1986; S.121ff.) vor dem diskutierten Hintergrund haltbar ist. Zur Gliederung der Gesellschaft in Klassen und deren Beziehung zum Raum vgl. Bourdieu 1985, 1991 und 1998. 538 Vgl. Siebel 1988 oder Simonsen 1997. 539 Vgl. Ross/Mirowsky/Pribesh 2001.

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ben beruhende Vergesellschaftung lässt aus tradierten Biografien Risikobiografien540 werden, denen eine gewisse Unkalkulierbarkeit und Unsicherheit per definitionem zu Eigen ist, ohne diese politisch zu reflektieren.541 Reflexiv gewendet werden aus abstrakten Risiken, z.B. Opfer einer Straftat im urbanen Raum zu werden,542 konkrete Gefahren in bestimmten Vierteln einer Stadt, was wiederum Angst evoziert. Die „verunsichernde Fremdheit“543 wächst. Etablierte, tradierte oder auch bereits gelernte Krisen- und Konfliktbewältigungsmechanismen reichen zur Reduktion entstehender Angstspannungen nicht mehr aus.544 Entsprechend dispositioniert, etabliert sich eine solche Gefahrenbiografie als Angstbiografie, die die weitgehende Steuerung des Erlebens im urbanen Raum mit verursacht. Aus gouvernementalitätstheoretischer Sicht545 kann Angst auf eine Störung in der Fähigkeit zur Selbststeuerung und -kontrolle hinweisen. Die Phänomenstruktur Segregation546 lässt Bevölkerungsgruppen aufeinandertreffen, denen aufgrund multipler Deprivationen die Fähigkeit fehlt, mit der Erfahrung von Fremdheit produktiv umzugehen. Die horizontale Abgrenzung von sozialen zu Wohnmilieus schließt eine Strategie der Vermeidung von Kontakten mit anderen Milieus ein. Die Invasion „unerwünschter“ Gruppen in den eigenen Raum wird als Kontrollverlust und damit als Bedrohung wahrgenommen.547 Die Fragmentierung des urbanen Raums schließlich führt zu einer Überlagerung solcher segregierten Räume, in denen zudem unterschiedliche Interessen zusammen laufen, mit der Konsequenz, dass eine Vielzahl „unerwünschter Nachbarschaften“548 entstehen, an deren Grenzen der Bedarf an spezifischen Formen sozialer Kontrolle entsteht.

Insgesamt wird bei der Thematisierung urbaner Angst davon ausgegangen, dass sich die Städter auf interpersoneller Ebene untereinander tendenziell suspekt werden, auf mesogesellschaftlicher Ebene werden die freigesetzten Individuen für die Institutionen sozialer Kontrolle zunehmend unkalkulierbar. Daraus ergibt sich auf mikrosoziologischer Ebene ebenso Angst, wie auf der Mesoebene formeller sozialer Kontrolle die Notwendigkeit, Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit

540 Vgl. Rada 1997a; S.158, Preußer 1998 und Schroer 2001a. 541 Vgl. Lehne 1993. 542 Vgl. Held 1999. 543 Siebel/Wehrheim 2003b; S.26. 544 Vgl. Rada 1997a; S.161. 545 Vgl. Kap. 3.3.1. 546 Vgl. Kap. 2.2. 547 Vgl. Ronneberger 2001a. 548 Siebel/Wehrheim 2003b; S.27.

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und Ordnung im Sinne der Angstreduktion einerseits und der Kontrolle der als unkalkulierbar definierten Gruppen oder Orte andererseits zu ergreifen.549 Bei einem Teil der Bevölkerung führt die erlebte Angst aber auch zur Vermeidung bestimmten Verhaltens, das mit dem Urbanitätsbegriff in Zusammenhang steht. Oder sie führt sogar zu einer Abschottung vor dem Urbanen: „Sich abschotten, einschließen, einbunkern, das sind bis jetzt [...] noch die verbreitesten Reaktionsweisen auf die Angst vor dem, was sich ‚da draußen‘ (vor der Tür) abspielt, was einen in vielfältigen ‚Masken‘ zu bedrohen scheint.“550 Stadt büßt unter dieser Bedingung ihr emanzipatives Potenzial ein, wenn die mit städtischer Lebensweise verbundenen Freiheitsgrade zu einer Abschottung vor (unangenehmen) Folgen von Freiheit führen. Es ist umstritten, ob das Vertrauen in die traditionellen Garanten von Sicherheit, Ordnung und damit der Unversehrtheit der Bürger und Monopolisierung von Gewaltanwendung sinkt oder konstant ist. Die wahrgenommene Machtlosigkeit und Ineffizienz der öffentlichen Polizeien, so wie sie in teilweise unpräzisen oder zumindest missverständlichen Statistiken und Berichten kolportiert wird, trägt zu weiterer Verunsicherung bei.551 Vor diesem Hintergrund – so wird vorgebracht – muten die Bemühungen, Angstabwehrmechanismen quasi institutionell über Maßnahmen der Polizeien, der Architektur und des Rechts abzusichern, als ideologische Ablenkungsmanöver angesichts der strukturellen Unlösbarkeit solcher städtischen Konflikte an.552 Dies gilt umso mehr, wenn Angst als Deutungsmuster eher als Ergebnis aggregierter individueller Interpretationen denn als Anliegen des Gemeinwohls aufgefasst wird.553 Wenn der Staat anscheinend nicht mehr für die innere Sicherheit der Gesellschaft und damit des Einzelnen sorgen kann, steigt einerseits die Bedrohungswahrnehmung, andererseits aber auch das Bedürfnis nach persönlicher präventiver Aufrüstung. Sicherheit wird von den verängstigten Städtern als konsumierbare Privatsache empfunden, was seinerseits die Angst der tendenziell paranoiden potenziellen Opfer weiter wachsen lässt und zu einer Ungleichverteilung von Sicherheit führt.554 Sicherheitspolitik wird so individualisiert.

549 Vgl. Hitzler 1994a, Hitzler/Göschl 1997 und Hornbostel 1994. 550 Hitzler 1994b; S.59. Vgl. dazu auch Thomas Bernhard (2004, zuerst 1983; S.20): „Er habe sich in seinem Haus verrammelt. Auf lebenslänglich. Den Wunsch nach Verrammelung haben wir drei lebenslänglich immer gehabt. Alle drei waren wir die geborenen Verrammelungsfanatiker. Glenn aber hatte seinen Verrammelungsfanatismus am weitesten vorangetrieben.“ Hervorhebung im Original. 551 Vgl. z.B. o.V. 1991. 552 Vgl. z.B. Kunz 1998. 553 Vgl. Bauman 2000; S.74. 554 Kreissl (1997b; S.386) führt diese Entwicklung auf die problematische Differenz von Staat und Gesellschaft zurück. Zu diesem Verhältnis im Bezug auf die Privatisierung so-

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Es wird davon ausgegangen, dass es Orte gelebter Angsterfahrung bzw. askriptiv bewertete Orte der Sicherheit gibt und dass diese dementsprechend auch die Bewegungsfreiheit der Städter verändern. Angsträume werden gemieden und vermeintlich sichere Räume in den Innenstädten bevorzugt aufgesucht. Die Freiheit des Flaneurs, die zur Konzeption der modernen Urbanität gehört, erfährt damit weitere selbst gewählte wie erzwungene Einschränkungen.555 Die Angst der Städter hat sowohl Auswirkungen auf Urbanität wie auch die materielle Gestaltung der Städte556 und die Umsatzchancen der innenstadtnahen Geschäftswelt.557 Städtischer Raum kann als Abbild der psychischen Verfasstheit der urbanen Akteure verstanden werden.558 Die Angst der Städter zeitigt gesellschaftliche Verarbeitungsmechanismen, die auf Angstreduktion ausgelegt sind. Zwei seien kurz genannt. Der Erste bezieht sich auf die Ziehung einer Grenze zwischen dem gesellschaftlichen Drinnen und Draußen:559 Ist eine Gruppe als bedrohlich, unangenehm, gefährlich etc. definiert, wird auf sie die Verantwortung für die individuell gefühlte Angst und Spannung attribuiert. Die Diskriminierung einer solchen Gruppe von „Sündenböcken“ als Externalisierung von Angst ermöglicht eine entspannende Angstabfuhr. Gleichzeitig bewirkt eine solche Diskriminierung eine weitere Entsolidarisierung mit den „Angstmachern“, den „Störern“, den Randständigen. Die Bewegung ist dabei zirkulär: Angst führt zur Definition und Selektion verantwortlicher Gruppen, gleichzeitig aber senkt eine solche Etikettierung und damit Externalisierung die Angst.560 Das emp-

zialer Kontrolle vgl. auch Keller, Ludwig-Mayerhofer, Matthews, Nogala und Trotha (alle 1995) sowie Funk 1995a und b. 555 Vgl. Rada 1997a, S.155ff. Wie weit diese Einschränkungen im Extrem gehen können, zeigt Klinenberg (1997) am Beispiel Chicagos: Im Sommer 1995 kommt es im Nordwesten der USA zu einer Hitzekatastrophe, in deren Verlauf das Trinkwasser in den Ghettos der „neuen Marginalisierung und sozialen Entsorgung“ (S.6) knapp wird, während die „Zitadelle“ und die Viertel der Besserverdienenden und Integrierten besser versorgt sind. Ca. 500 der mittellosen, meist afroamerikanischen „eingeschlossenen Ausgeschlossenen“ (S.6) starben, weil sie einerseits − auch individualisierungsbedingt − auf kein soziales Netzwerk zurückgreifen konnten, um sich bei der Versorgung helfen zu lassen, sie sich andererseits aber aufgrund des Gefährdungspotenzials im Ghetto nicht selber vor die Türe wagten. 556 Vgl. Kap. 4.3 und Davis 1994b; S.11. 557 Vgl. Levi 2001. 558 Dabei bleibt die mögliche Verbindung von Sicherheitsbedürfnis und „autoritärem Charakter“ in Sinne Adornos u.a. außen vor. 559 Vgl. Kap. 3.2.2. 560 Vgl. Beste 1997; S.192, Brücher 1998; S.2 sowie Rada 1997a; S.187.

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fundene Kriminalitätsrisiko wird auf den Fremden in der räumlichen und sozialen Nähe des Eigenen, des insulierten Territoriums, projiziert. Zum Zweiten fördert die Angst als Gefühl der Unsicherheit und kollektiven Bedrohungsfantasie die Reduktion der Möglichkeiten des urbanen Raums. Es entwickelt sich eine „Sicherheitskultur“,561 die ihrerseits wieder identitätsstiftend wirkt: Über „sichere Räume“ verfügen die Ins, die etablierten Mittelschichten, unsichere Räume werden den gegenwärtigen und zukünftigen Outs zugewiesen. Sicherheit wird, und weil Unsauberkeit als Bedrohung für Sicherheit angesehen wird auch sie, damit zu neuen „Kulturformen“ – freilich zu exklusiven, an denen ein wachsender Teil der städtischen Bevölkerung nicht partizipieren kann. Unsauberkeit ist assoziiert mit Krankheit, Tod, Seuche, Fäulnis, Unglück etc. Sie bildet den „Nährboden“, auf dem Kleinkriminalität gedeiht. Die problematisierten Gruppen werden sprachlich in die Nähe von sich parasitär ernährenden und mit Gesundheitsgefahr assoziierten Tieren gerückt, um entsprechend drakonische Maßnahmen zu legitimieren.562 Sicherheit im hier behandelten Diskurs bedeutet aber nicht nur persönliche Sicherheit, sondern auch die Vermeidung des In-Kontakt-Tretens mit unerwünschten Personen oder Situationen im Wohn- und Arbeitsbereich, aber auch in den Konsummeilen der Innenstädte sowie auf Reisen.563 Städtischer Raum wird so nicht mehr nur sozial segmentiert und kartiert, sondern auch psychologisch: Es werden unsichere und sichere Zonen zunächst intrapsychisch, dann auch sozial definiert, später dann juristisch in Sinne von Normenproduktion behandelt und räumlich separiert.564 Angst greift tief in Urbanität ein und leistet einen wesentlichen Beitrag zur Ausgrenzung im Innenstadtbereich. Personen oder Gruppen, die als fremd wahrgenommen werden, irritieren die urbane Ordnung. Angst als Reaktion darauf führt zu einer Vermeidung von als unordentlich Wahrgenommenen oder dem Versuch, Ordnung zu etablieren oder dem Aufruf, sich an eine gegebene Ordnung anzupassen. Die auslösenden Ursachen der Angst werden durch keine der genannten Maßnahmen angegangen. Auch reduziert sich die reale Kriminalitätsbelastung nicht: „Wir wollen Sicherheit vermitteln, nicht Kriminalität bekämpfen.“565 Zur sozialen Öko-

561 Beste 1997; S.187. 562 Dies zeigt sich z.B. in der sprachlichen Gleichsetzung von Asylanten, sonstigen Flüchtlingen, aber auch Kleinkriminellen und Obdachlosen mit Ratten, Taubenkot, Schmutz, also aversiv belegten Begriffen. Vgl. dazu die Motti von Kap. 1. 563 Vgl. Davis 1994a; S.260. Die Kriminalitätsfurcht von Touristen untersuchen unter anderem Mawby/Brunt/Hambly 2000. 564 Vgl. dazu die Ausweisung „gefährlicher Zonen“, z.B. im Berliner ASOG und Kap. 3.4.3. 565 So Joseph Hofmann, Vizepräsident des New Yorker Department of Subways, das für seine Beteiligung an der rigiden Zero-Tolerance-Politik in den neunziger Jahren in ent-

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logie der Stadt gesellt sich also eine weitere Komponente, die „Ökologie der Angst“.566 Es wird kolportiert, dass die „paranoide Einigelung“ der Städter bisweilen den Eindruck erweckt, als sei die „[...] offene Gesellschaft auf dem Weg zur geschlossenen Abteilung“.567 Dabei wird in dieser Thematisierung davon ausgegangen, dass es irrelevant ist, ob die paranoiden Vorstellungen eines Teils städtischer Bevölkerung empirisch zu untermauern oder ob die Ängste „irrational“ oder unbegründet sind.568 Es wird angenommen, dass die reale Bedrohungslage und damit die Viktimisierungswahrscheinlichkeit und die eingebildete Angst in Form subjektiver Unsicherheitsgefühle voneinander relativ entkoppelt oder zumindest nur lose verbunden sind. Mit anderen Worten, die objektive Sicherheitslage – bei aller berechtigten Kritik an der polizeilichen Kriminalstatistik – und die subjektiven Unsicherheitsgefühle bedingen sich zwar gegenseitig, stehen aber in keinem kausalen Verhältnis.569 Es handelt sich also bei der „neuen“ Angst der Städter im Wesentlichen um die Projektion einer Bedrohung auf eine Gruppe von Personen oder bestimmte als aversiv erlebte Orte.570 Zugleich wird Angst instrumentalisiert: Sie dient zur Legitimation von Interventionen sozialer Kontrolle im urbanen Raum. Seitens der Polizeipraktiker scheint sich die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass zwar operative Interventionen im städtischen Raum nur einen verhältnismäßig geringen Einfluss auf die reale Kriminalitätslage haben, gleichzeitig aber das Sicherheitsempfinden der Bürger sich so verbessert. Folglich ist jede Präsenz im öffentlichen Raum, jeder Umstrukturierungs- und Reorganisationsversuch eher an der Kriminalitätsfurcht als an Kriminalität – was immer das sei – reflexiv orientiert. Sofern die Schere zwischen realer Bedrohungslage und subjektivem Bedrohungsempfinden auseinandergeht, erscheint jede, gegebenenfalls auch repressive Maßnahme geeignet, das Vertrauen der Bürger in die Institutionen sozialer Kontrolle wiederherzustellen. Nicht mehr der „Crimefight“, das „Thieftaking“, sondern ein „Sicherheitsmanagement“, also der Abbau

sprechenden Thematisierungen Berücksichtigung gefunden hat. Zit.n. Herbst 1997; S.12. 566 Vgl. Davis 1994b; S.17 sowie Davis 1996. 567 So die beiden Journalisten Popp und Bergmann in einer am 28.1.1999 auf arte ausgestrahlten Fernsehdokumentation unter dem Titel: „Schotten dicht“. 568 Vgl. Laimer/Laimer/Prinz 2000. 569 Vgl. dazu Glasauer 1998b, S.1, Hunter 1995; S.217, Lehne 1996; S.2, LudwigMeyerhofer 2000a sowie Rada 1997a; S.169. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem „Kriminalitätsfurcht-Paradoxon“. Vgl. unter anderem Zinganel 2003; S.251; Fn.29 und Chadee 2001. 570 Vgl. auch Hunold 2005.

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von Angst und sogenannter „Moral Panics“ durch Aufklärung, die Initiierung lokaler Arbeitskreise mit anderen Institutionen oder auch die Diskussion mit den Bürgern und deren Information stehen im Vordergrund polizeilicher Bemühungen.571 Gesellschaftstheoretisch basieren solche Veränderungen des Gegenstandes und Objektbereiches unter anderem auf Veränderungen in der Semantik der Gesellschaft, d.h. dem Wissensvorrat, mit dem eine Gesellschaft reflexiv kommuniziert, sich also selbst thematisiert.572 Wurde noch vor einigen Jahren in erster Linie polizeiliches Handeln entlang der Leitdifferenz Kriminalität und Sicherheit konzipiert, stehen heute angesichts der realistisch kaum durch polizeiliches Eingreifen einzudämmenden Kriminalität bzw. Abweichung die Furcht vor Kriminalität und das Gefühl der Unsicherheit im Zentrum reflexiver polizeilicher Selbstthematisierung. Es ist allerdings zweifelhaft, ob sich stabilisierte Deutungsmuster durch ad-hoc-Maßnahmen der Polizeien, deren Nachhaltigkeit nicht gesichert ist, verändern lassen. Gouvernementalitätstheoretisch kann man diese symbolische Politik polizeilichen Handelns auch als Imperativ subjektiver Selbststeuerung lesen. In diesem Zusammenhang aber erscheint die Reduktion der polizeilich registrierten Kriminalität als kontraproduktiv für deren Legitimation.573 Die Erhöhung des Sicherheitsgefühls erscheint so betrachtet paradox, insbesondere angesichts einer konstanten oder bei bestimmten Deliktklassen sinkenden objektiven Bedrohungslage und einer steigenden Kriminalitätsfurcht.574 Angst kann die Urbanität der modernen Stadt beeinträchtigen, wenn sie zur negativen Interpretation des Städtischen und zur Homogenisierung von Orten, zur Exklusion von Gruppen und Personen oder zur Vermeidung eigener Handlungen führt.

571 Vgl. Kreissl 1997b; S.386 und Kap. 4.2. 572 Vgl. Gransee/Scheerer 2000 und Kneer 1996. 573 Vgl. Rada 1997a; S.174 und 182. 574 Vgl. Rada 1997a; S.184. Ein anderes Paradox bezüglich der Furcht vor Kriminalität analysiert Lehne (1996; S.8): Empirische Untersuchungen zeigen, dass Gruppen mit der niedrigsten Viktimisierungswahrscheinlichkeit im öffentlichen Raum (alte Menschen und Frauen) die höchste Kriminalitätsfurcht zeigen. Dieser Widerspruch löst sich allerdings auf, wenn man methodenkritisch anerkennt, dass in den meisten empirischen Untersuchungen nicht die Kriminalitätsfurcht selbst gemessen wird, sondern nur deren Operationalisierung, nämlich das subjektive Unsicherheitsgefühl bei Dunkelheit. Solche empirisch-quantitativ verfahrende Designs sind damit nicht im strengen messtheoretischen Sinne valide. Im Übrigen steigt die gemessene Kriminalitätsfurcht, wenn in den Antwortvorgaben der Items jeweils viele potenzielle Bedrohungen genannt werden. Es gibt also Formulierungseffekte, die die Daten systematisch verzerren. Vgl. Diederichs 1997; S.2. Zur Messung von „Verbrechensfurcht“ vgl. auch Reuband 1993.

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3.3 D IE

SOZIOLOGISCHE T HEMATISIERUNG SOZIALER K ONTROLLE „Es geht um soziale Kontrolle, d.h. um die organisierten Wege, mit denen die Gesellschaft auf Verhalten und Menschen antwortet, die sie für abweichend, problematisch, besorgniserregend, bedrohlich, ärgerlich oder auf die eine oder andere Art unerwünscht hält.“ STANLEY COHEN575

Nachdem die Narration Urbanität mit einigen für den Zusammenhang dieser Arbeit wesentlichen Deutungsmustern, Klassifikationen und Dimensionen von Phänomenstrukturen dargestellt worden ist, soll dies im Folgenden für die Thematisierung sozialer Kontrolle im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten geschehen. Dass soziale Kontrolle im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit impliziert ist, lässt sich anhand des obigen Zitats verdeutlichen: Da gewisse Verhaltensweisen von Personen und Gruppen oder gar die Anwesenheit von bestimmten Personen oder Gruppen im innerstädtischen Raum als Problem, als unerwünscht, unangenehm etc. wahrgenommen wird,576 greifen Mechanismen sozialer Kontrolle, um einen gewünschten Zustand zu etablieren. Dieses im Diskurs sichtbare Normalisierungsdispositiv gründet auf der Alterität dieser Personen oder Gruppen. Der gewünschte Zustand ist in der Regel die Abwesenheit der als potenziell Sicherheit und Sauberkeit beeinträchtigenden Personen oder Gruppen, jedenfalls deren Unsichtbarkeit in den Innenstädten. Dabei kommen informelle wie formelle Wirkungsweisen sozialer Kontrolle in Betracht: Auf formeller Ebene können repressive Maßnahme durch diverse Polizeien auf der Grundlage des Rechts ins Werk gesetzt werden. Auf informeller Ebene kommt soziale Kontrolle dann in Betracht, wenn die „Alltagsbeziehungen“ der Städter jenseits einer durch Normen und Verfahren institutionalisierten Sozialkontrolle oder gouvernementalen Selbststeuerung geregelt werden oder architektonische bzw. räumliche Einrichtungen den gewünschten Zustand bewirken.577

575 Cohen 1985; S.1. Übersetzung von G.L. 576 Vgl. zum Beispiel der Armut Ortlepp 1998. 577 Vgl. zu einer „sozialen Kontrolle ohne Kontrolleure“ auch Franz 1995. Im Diskurs wird dies als „neoliberale“ Strategie interpretiert. Vgl. dazu Eick 2005, Häusler 2000, Krasmann 2001 und 2002, Lemke/Krasmann/Bröckling 2000, Lemke 2000 und o.J., Lock 1998, Müller 2003, Nogala 2000, Reitz 2003, Ronneberger 2000c und 2005, Reitz 2003 sowie spacelab 1998. Eine extensive Erörterung der zeitgenössischen Theorien sozialer

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Soziale Kontrolle wird hier nicht als Sujet allgemeiner Gesellschaftstheorie,578 sondern nur im Zusammenhang mit städtischer Vergesellschaftung aufgegriffen. Auf diese Weise lässt sich zeigen, inwiefern die Narration Urbanität und die Thematisierung sozialer Kontrolle innerhalb des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit systematische Berührungspunkte haben bzw. auf welche Weise sie aufeinander beziehbar sind. In der im Folgenden dargestellten Thematisierung stehen damit soziale Prozesse zur Erzeugung und Aufrechterhaltung von Konformität oder Verhinderung von Devianz, die Aufrechterhaltung oder Reetablierung einer spezifischen Ordnung und der formale gesetzlich-korrektive Rahmen der Behandlung abweichenden Verhal-

Kontrolle jenseits der Beschränkung auf den städtischen Aspekt würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Vgl. dazu unter anderem Barth 1997, Cremer-Schäfer 1993, 1995, 1997a und b, Cremer-Schäfer/Reinke 2001, Cremer-Schäfer/Steinert 1997a und b, Feeley/Simon 1992 und 1994, Garland 1985a, 1997, 1999 und 2001, Groenemeyer 2003a und b, Kreissl 1986, 1989, 2000b, 2001 und 2004a, Lianos 2003, Ludwig-Mayerhofer 1997a und b, Scheerer 1997, 1998 und 2001, Schmidt, L. 2000, Steinert 1998b, 2003 und 2006 sowie Young 1998, 1999 und 2001. Vgl. zu einem Beispiel Helms 2005. 578 Vgl. Hahn 1996. Es gibt zumindest drei Traditionen innerhalb der Thematisierung von Kontrolle, in denen städtische Probleme außer Acht gelassen werden: Der Schöpfer des Begriffs soziale Kontrolle, Edward A. Ross, bezeichnet gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf allgemeiner Ebene, unabhängig von räumlichen Kontexten, mit diesem Begriff die prinzipiellen Möglichkeiten stabiler gesellschaftlicher Ordnung einer Menge von heterogenen Individuen. Die sich wissenschaftshistorisch wie -theoretisch anschließende Forschungsrichtung der soziologischen Anthropologie untersuchte Formen, Bedingungen und Konzepte sozialer Kontrolle zunächst unter Stammesgesellschaften ebenfalls unter dem Aspekt sozialer Kohäsion, zudem aber auch unter der Fragestellung von Normübertretung, Normeinhaltung und Sanktionierung. Die strukturfunktionalistische Soziologie, die sich mitunter auf die Anthropologie bezog, versuchte ebenfalls unter Nichtberücksichtigung räumlicher Aspekte die Rolle sozialer Kontrolle für gesellschaftliche Stabilität und sozialen Wandel zu untersuchen. Alle drei Beispiele zeigen zwar, dass Sozialkontrolle als formales, auch abstraktes Phänomen außerhalb räumlicher Kontexte mit Begriffen wie Internalisierung, Sozialisation, Enkulturation, Sanktion, Erziehung usw. beschrieben und untersucht werden kann. Der Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit legt allerdings die These nahe, dass in zeitgenössischen verstädterten Gesellschaften soziale Kontrolle immer einen spezifisch räumlichen Aspekt beinhaltet. Eine hoch differenzierte, interdependente und plurale, dynamische Gesellschaft kann nicht losgelöst aus dem räumlichen Kontext, der auf die Gesellschaft wiederum selbst prägend zurückwirkt, verstanden werden, zumal nicht, wenn es um die Frage des Bestandes und der Herstellung von Ordnung in Städten geht.

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tens in verschiedenen Institutionen im Vordergrund. Kurzum: Es geht um die gegenwärtig579 organisierten Reaktionen auf als abweichend definiertes Verhalten und die damit verbundenen Formen sozialer Probleme speziell im Bereich der Innenstädte sowie um die Frage, wie und warum Städter bestimmte Verhaltensstandards erfüllen, ohne dass es direkter Interventionen bedarf. In einem ersten Abschnitt wird dazu die Thematisierung des spezifischen Charakters urbaner Sozialkontrolle im Allgemeinen, aber auch in spezifischen historischen Kontexten herangezogen. Dabei wird insbesondere auf die Formierung kriminologischer Diskurse wie auf das Konzept der Gouvernementalität eingegangen. Ein zweiter Abschnitt greift die Thematisierung der Entwicklung sozialer Kontrolle auf und verdichtet diese Tendenzen zu „Visionen“ sozialer Kontrolle in Stadt, die ihrerseits wieder als Narrationen, als Konstitution von „Weltzuständen“,580 aufgefasst werden können. Dabei werden drei herausgegriffen: Dies ist zum einen die Narration von der Ausweitung des Kontrollkonzeptes amerikanischer Vergnügungs- und Themenparks auf den urbanen Raum, die im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit mit dem Begriff „Disneyfizierung“ verbunden ist. Eng damit verwoben ist die Narration von der „Kontrollgesellschaft“ und ihrem Verhältnis zur „Disziplinargesellschaft“. Die dritte Narration wird unter der Überschrift „Militarisierung städtischer Sozialkontrolle“ beschrieben. In ihr geht es vor allem um die technische aber auch ordnungspolitische Aufrüstung im städtischen Raum, die in den letzten Jahren – so eine verbreitete These – eine neue Qualität gewonnen hat.

579 Betrachtet man die Thematisierung einer raumbezogenen sozialen Kontrolle und ihre Geschichte, kann man bei der Antike anheben und von dort aus sich durchhaltende Muster bis in die Gegenwart verfolgen. Vgl. z.B. Bengs (1997), der Implikationen sozialer Kontrolle im Raum für Stammesgesellschaften sowie in der Gesellschaft des antiken Griechenland und Rom darstellt. Hunter (1995) untersucht soziale Kontrolle in privaten, gemeindlichen und öffentlichen Sozialordnungen. Es zeigt sich, dass die Ausgrenzung missliebiger Personen aus dem Bereich der Innenstädte konstitutiv für städtische Gesellschaften zu sein scheint, sich jedenfalls in mehr als nur der gegenwärtigen Epoche beschreiben lässt. Vgl. Kap. 5.1 und 5.2. 580 Vgl. Keller 2007; Abs.28.

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3.3.1 Eine Kriminologie des urbanen Raums: Soziale Kontrolle, Ordnung und Gouvernementalität „Die urbane Kontrolle öffentlicher Räume [...] ist in erster Linie als Reaktion auf die wachsende soziale Spaltung sowie soziale Polarisation in der Stadt zu deuten.“ HUBERT BESTE581 „Wo Ordnung herrscht, entsteht Wohlbefinden“ LE CORBUSIER582

Soziale Kontrolle ist ein Grundproblem jeder städtischen Gesellschaft, die Produktion und Reproduktion einer gewünschten sozialen Ordnung ist eine ihrer zentralen Aufgaben. Insofern kann ihre Thematisierung im Rahmen einer wissenssoziologischen Diskursanalyse als Phänomenstruktur aufgefasst werden: In ihr wird Ordnung als referenzieller Bezug konstituiert, von dem aus eine Typisierung bestimmter Problemdimensionen möglich ist. Vor diesem Hintergrund lassen sich argumentative, dramatisierende oder bewertende Aussagen formulieren und systematisieren, mit denen Probleme urbanen Zusammenlebens benannt werden, kausale Zusammenhänge konstruiert, Zuständigkeiten zugeteilt und moralische wie ästhetische Urteile gefällt werden können.583 Ordnung wird dabei in der sozialwissenschaftlichen Kriminologie weniger als starres System gesellschaftlicher Beziehungen verstanden, sondern eher als diskursives und flexibles Geflecht von Normen unterschiedlicher Provenienz wie informelle Übereinkunft, Tradition oder materielles Recht. In dem folgenden Kapitel sollen deshalb zum Ersten einige allgemeine Aspekte urbaner Sozialkontrolle genannt werden, zum Zweiten soll aufgezeigt werden, wie in Teilen der Kriminologie Abweichung konstruiert wird, zum Dritten werden Transformationen des „Standardmodells sozialer Kontrolle“ aufgezeigt und zum Vierten soll anhand des Stichwortes Gouvernementalität ein spezifischer Aspekt des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten beleuchtet werden. In der kriminologischen Thematisierung werden unterschiedliche Gründe für den Bedarf an urbaner Sozialkontrolle für eine stabile städtische Gesellschaft angeführt: Ein klassischerweise vorgetragener Grund bezieht sich darauf, dass historisch zum einen im Zuge der Verstädterung der okzidentalen Gesellschaften und damit

581 Beste 1997; S.190. 582 Le Corbusier 1922, zit.n. de Bruyn 1996; S.41. 583 Vgl. Keller 2007; Abs.26f.

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einhergehend durchgreifender funktionaler Differenzierung auf persönlichen Kontakten beruhende Gemeinschaften und mit ihnen tradierte, mitunter binär fassbare Vorstellungen von gut/böse, erlaubt/verboten, wahr/unwahr etc. brüchig werden. Die informelle Sozialkontrolle der Gemeinschaften löst sich zunehmend auf. Das Ergebnis sind anomische Tendenzen und damit einhergehend eine Bedrohung der innerstädtischen Sicherheit und Ordnung. Laut diesem als „Metropolensyndrom“ bezeichneten Paradigma bergen Städte ein Kriminalitätspotenzial, dass „[...] vorallem bedingt durch überdurchschnittlich zahlreiche und verdichtete Tatgelegenheiten, geringe informelle soziale Kontrolle, besondere Bevölkerungsstrukturen (z.B. hoher Ausländeranteil), aber auch durch Sog auf Kriminelle bzw. Verhaltensauffällige [...]“584 ist. So fällt dann auch die Entstehung der ersten modernen metropolitanen Polizeien, die als Institutionalisierung formeller sozialer Kontrolle auf formaler, abstrakt-genereller, gesetzlicher Grundlage gleichsam als Substitution informeller sozialer Kontrolle die Linie zwischen Recht und Rechtsübertretung verfolgen und ahnden sollen, in die Epoche des exponentiellen Stadtwachstums in der frühen Industrialisierung.585 Ihre Aufgabe ist die Produktion und Reproduktion von Ordnung, sei es durch Rückgriff auf Gesetze und Rechtsprechung oder die Administration von Gefährdungen. Dabei wird darauf hingewiesen, dass Ordnung nicht Ergebnis eines naturwüchsigen Prozesses ist, der durch das Stadtwachstum in seiner Funktion gestört wird – vielmehr ist diese Störung der Ordnung nur vor dem Hintergrund einerseits des Ordnungsbegriffs der mittelalterlichen Stadt und damit der in ihr repräsentierten Stände und andererseits vor dem des aufstrebenden, sich allmählich emanzipierenden Bürgertums verständlich.586 Störungen dieser Ordnung ergeben sich laut dieser kriminologischen Position immer, wenn Herrschaft infrage gestellt wird, sei es durch die sich organisierende Arbeiterschaft als politischer Gegenöffentlichkeit oder anderer Emanzipationsbewegungen: „Bürgerliche Herrschaft in den Städten erwies sich als doppelgesichtig: Der Verteidigung der Rechte bürgerlicher Freiheiten nach außen und oben stand de facto das Bestreben gegenüber, die bürgerliche Herrschaft nach innen und unten weitmöglichst abzusichern. Hier ist auf die vor allem das 19. Jahrhundert kennzeichnende massive Unterdrückung von Streiks, Demonstrationen und Unruhen im städtischen Raum hinzuweisen, eine Unterdrückung, die im Regelfall nicht nur staatlich, sondern auch städtisch organisiert war.“587

584 So Klaus Timm, ehemaliger Direktor des LKA Hessen, zit.n. Narr 1995; S.11. 585 Vgl. Silver 1967. 586 Vgl. Kap. 4.4. 587 Von Saldern 2000a; S.4.

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Sicherheit und Ordnung werden gemäß dieser beiden Selbstverständnisse gestört durch die Anwesenheit der auf dem Land lebenden, verarmten Bevölkerung, die nun in die Städte zieht und unter bekanntermaßen elenden Umständen versucht, sich eine Existenz aufzubauen. Ordnungsverstöße ergeben sich einerseits durch den Bruch der strengen mittelalterlichen, vermeintlich gottgegebenen Sozial- und Raumordnung. Verstöße ergeben sich aber auch aufgrund der mit der Bevölkerungszahl zunehmenden ökonomischen Konkurrenz um knappe Ressourcen wie Wohnraum und Arbeit, die nun auch über den Markt, nicht mehr nur über Zugehörigkeit zu einem Stand vermittelt werden. Dabei kommt es – wie Historiker zu berichten wissen – unter den damals gegebenen Produktions- und Existenzbedingungen immer wieder zu punktuellen, teilweise heftigen, sich gewaltförmig entladenden Konflikten, die seitens der etablierteren Bevölkerung als politische, ökonomi588 sche und soziale Bedrohung wahrgenommen werden: „Die Barbaren, die die Gesellschaft bedrohen, bewohnen weder den Kaukasus noch die tatarischen Steppen, sie hausen in den Vororten unserer Fabrikstädte [...]. Neben der Mittelklasse gibt es eine proletarische Bevölkerung, die sich in einem Zustande der Erregung befindet und von Zuckungen ergriffen ist, die nicht weiß, was sie will, wohin sie geht, was sie angeht? Es geht ihr schlecht. Sie will eine Veränderung. Das ist eine Gefahr für die moderne Gesellschaft, daraus können Barbaren erstehen, die diese Gesellschaft zerstören. [...] Das sollte die Mittelklasse besser als irgendjemand aus den Lyoner Ereignissen erkennen, sonst ist sie betrogen und hat ihren eigenen Untergang heraufbeschworen.“589

Aus diesem Bedrohungsszenario entwickelt sich eine spezifische Form urbaner Sozialkontrolle, die in den Diskurs unter der Überschrift „Riot-Control“590 eingegan-

588 Vgl. hierzu auch Castells 1977; S.290 und Robert 1999; S.19ff. 589 Journal des Débats. Paris, 8. Dezember 1831, zit.n. Tarlé 1927. Vgl. dazu auch Robert 1999, S.20: „Mit Barbaren sind Menschen gemeint, die man wegen ihrer Kraft fürchtet und wegen ihrer Unkultiviertheit verachtet.“ Die Dichotomisierung von Kultiviertheit und Barbarentum reicht zurück bis in die Antike. 590 Unter Riots (Engl.) versteht man Gewaltunruhen, Aufstände, Zusammenrottungen, Aufruhrakte usw. Zu der Entstehung solcher Riots vgl. Thomas 1983. Ein paradigmatisches Beispiel für einen städtischen Riot sind die Unruhen in South Central Los Angeles vom April 1992. Vgl. hierzu Davis 1994a; insb. S.441-458 sowie retrospektiv Dreier 2003. Ein anderes Beispiel sind die „Detroit Race Riots“ von 1943 (an ihn schloss sich eine sechsmonatige militärische Belagerung des sechsmal sechs Häuserblocks großen und 200.000 Einwohner zählenden Ghettos „Paradise Valley“ an) und 1967. Vgl. Zinganel 2003; S.112ff. Als aktuelles Beispiel – gerade auch im Zusammenhang mit sozialräumlicher Ausgrenzung – können die Auseinandersetzungen in den französischen Banlieu

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gen ist. Urbane Sozialkontrolle zielt demnach auch immer darauf ab, die für die herrschende Ordnung gefährlichen, unkalkulierbaren Gruppen, die sogenannten „Dangerous Classes“ im Sinne der Stabilität des sozialen, ökonomischen und politischen Systems zumindest unschädlich zu machen.591 Ordnungsverstöße ergeben sich aber auch durch die Störung ästhetischer Standards, die mit Sauberkeit verbunden sind: Im Zuge der Entwicklung der Städte haben sich vor dem Hintergrund der Bekämpfung von Seuchen ästhetische und hygienische Standards durchgesetzt, von denen befürchtet wird, dass sie durch Personen oder Gruppen, die diesen Standards nicht genügen, gefährdet werden. Gesellschaftstheoretisch werden solche Entwicklungen im sogenannten „Standardmodell sozialer Kontrolle“ reflektiert. Jede soziale Ordnung etabliert jeweils eigene Prozesse sozialer Kontrolle, die ihrerseits wieder von dem charakteristischen räumlichen Kontext der jeweiligen Gesellschaft abhängen.592 Unter sozialer Kont-

gelten, in deren Zusammenhang Nicolas Sarkozy (damals in der Rolle des französischen Innenministers) vom „Auskärchern“ („nettoyer au Kärcher“) des dort lebenden „Gesindels“ („la racaille“) sprach. Vgl. die Beiträge in Keller/Schultheis/Berman 2008 sowie Martini 2009. Die Riots in Athen und anderen griechischen Städten im Dezember 2008 können als weiteres Beispiel für urbane Riots gelten. In Athen zeigte sich plastisch, wie solche Riots von benachteiligten Vierteln ausgehen und auf Viertel wohlhabender Schichten übergreifen. Vgl. van Gent 2008. Zum systematischen Verhältnis von Stadt und Riot vgl. die von Butler (1976; S.430f.) referierten fünf Hypothesen. Zur Rolle von Jugend und Ethnizität vgl. Lapeyronnie 1998. Vgl. auch Küppers 2002. 591 Vgl. auch Body-Gendrot 1999, die für ökonomische, polizeiliche und wohlfahrtsstaatliche Entwicklungen in den USA und in Frankreich von einer „Politik der Entfriedung“ spricht, die eine „Politik der Aussöhnung“ durch ein „Management der Polarisierung“ nach sich ziehen muss, wenn Städte sozial kontrollierbar bleiben sollen. Übersetzung der Begriffe in Anführungszeichen von G.L. Vgl. auch Pahl 1980. 592 Vgl. Hunter 1995; S.215. In der Thematisierung sozialer Kontrolle lassen sich zahlreiche weitere Positionen hinsichtlich der Frage, was soziale Kontrolle in einer verstädterten Gesellschaft kennzeichnet, ausmachen. Auf einige wichtige Ansätze sei hier nur verwiesen: Neben der Position Emile Durkheims (s.u.) sei George Herbert Mead erwähnt, der eine Entwicklung von der Repression abweichenden Verhaltens hin zu einer Resozialisierung sieht, also von der Desintegration als abweichend definierter Personen oder Gruppen hin zu einer Integration der Betroffenen in lokale Gemeinschaften und damit die urbane Gesellschaft. Heinrich Popitz betont die Selektivität sozialer Kontrolle in zweierlei Hinsicht: Werden zu viele Normabweichungen bekannt, ist die Gültigkeit einer Norm gefährdet, weil Abweichung dann im kollektiven Bewusstsein als „normal“ angesehen wird. Strafe muss ebenfalls selektiv sein, damit Strafe als Sanktion und nicht als Normalität im Rahmen einer Generalprävention begreifbar wird. Aus der Perspektive

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rolle wird im allgemeinen zunächst ein Bündel von Maßnahmen und Konzepten verstanden, das intentional wie funktional bestimmte Formen von als gesellschaftlich unerwünscht definiertem Verhalten verhüten bzw. gesellschaftlich als gewünscht definiertem Verhalten sicherstellen soll. Soziale Kontrolle zielt damit auf die normative und strukturelle Selbstregulation einer Gesellschaft,593 sie ist die soziale Reaktion auf die Verletzung aber auch auf die Überanpassung von Normen. 594 Abweichendes Verhalten als Pendant sozialer Kontrolle lässt sich demnach immer nur aus der Beobachterperspektive rekonstruieren, nämlich als gesellschaftliche Reaktion auf ein Verhalten, eine Handlung oder Kommunikation, die irgendwie unerwünscht ist.595 Damit öffnet sich der Blick für eine weiter gefasste Konzeption im Sinne sozialer Steuerung, die über die etablierte, aber nicht selten missverständliche Einschränkung des Begriffs sozialer Kontrolle auf Fragen der Kriminalitätskontrolle hinausgeht. Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten bezieht sich diese Steuerung räumlich auf den Bereich der Innenstädte, bezüglich des inkriminierten Verhaltens auf den öffentlichen Konsum von Alkohol, das Betteln und bisweilen auf den bloßen Aufenthalt im öffentlichen und privatisierten

der marxistisch inspirierten Kontrolltheorie erscheint der Verkauf ihrer Arbeitskraft als einzige Einkommensquelle der Proletarier in den Städten der Industrialisierung. Weil diese Arbeitskraft durch das Vorhandensein einer „industriellen Reservearmee“ teilweise entbehrlich scheint, suchen die verarmenden Massen nach anderen Einkommensquellen und verstoßen dabei (auch in kriminellen Subkulturen) gegen die normative Ordnung der industriellen Gesellschaft. Soziale Kontrolle als Reaktion besteht unter anderem in der Kasernierung der überschüssigen Arbeitskraft – oder wie es im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit auch heißt: der „Überflüssigen“ − in dafür vorgesehene und entsprechend überwachte Anstalten, i.d.R. Gefängnisse, in denen eine „industrielle“ Disziplin eingeübt werden soll. Vgl. Rusche/Kirchheimer 1981 (zuerst 1939, vgl. auch Schale 2002), aber auch Wacquant 1997, 2000a und 2003, der diesen Prozess für die USA und die „Masseneinkerkerung“ schwarzer und lateinamerikanischer Jugendlicher beschreibt. Talcott Parsons siedelt in seinem strukturfunktionalen Ansatz soziale Kontrolle als vermittelndes, institutionalisierendes und die Einhaltung der Normen überwachendes Strukturmerkmal zwischen dem sozialen und dem kulturellen Subsystem an. Die integrative Funktion des sozialen Systems erscheint vor dem Hintergrund ökonomischen Schrumpfens zunehmend prekär; die Struktur erhaltende Funktion des kulturellen Systems wird unter solchen Bedingungen in der Logik dieses Ansatzes durch eine potenzielle Verschärfung der Maßnahmen sozialer Kontrolle sichergestellt. 593 Vgl. Hunter 1995; S.210. 594 Vgl. Ludwig-Mayerhofer 1997b; S.3 sowie Albrecht 1989 und Kaiser 2001. 595 Vgl. zur konstruktivistischen Perspektive beispielsweise Hess/Scheerer 1997 und zum Begriff der Abweichung aus systemtheoretischer Perspektive Ohlemacher 2000a.

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Raum sowie gruppenspezifisch auf problematisierte Gruppen wie Obdachlose, Drogenabhängige, offensichtlich Arme, also auf die sogenannte „urbane Unterklasse“,596 der die Unterstellung einer gewissen Gefährlichkeit prinzipiell anhaftet. Soziale Kontrolle ist keine mechanische Reaktion auf die Qualität einer Handlung oder eines Zustandes, sondern das Ergebnis eines Prozesses von Definition, Selektion und Wahrnehmung von Abweichung.597 Sie beinhaltet zahllose „WissensBausteine“ über die Ursachen, Folgen, Verantwortungen, Problemlösungen, Subjekt- wie Objektpositionen sowie Wertbezüge, die soziale Kontrolle als Phänomenstruktur charakterisieren, aber nicht immer mitthematisiert werden. Im Rahmen einer wissenssoziologischen Diskursanalyse lässt sich soziale Kontrolle auffassen als Summe „diskursgenerierter Modellpraktiken“, die für diskursiv definierte Handlungsprobleme in gewissem Umfang Handlungsanweisungen zur Verfügung stellen.598 Es geht also nicht nur um Kriminalität im engeren Sinne. Die Betrachtung sozialer Kontrolle erlaubt so einen Blick auf unterschiedlichste gesellschaftliche Strukturen. Im weiteren Sinne geht es auch um die Anwendung und Identifizierung von „Metaregeln der Rechtsanwendung“599 und damit um die Frage, wer weshalb in welchem Rahmen zum Objekt urbaner Sozialkontrolle wird.600 Diese Fragen werden entlang des kriminologischen Diskurses beantwortet, dessen Korrelat soziale Kontrolle als Phänomenstruktur ist. Die Entstehungsgeschichte des kriminologischen Diskurses hebt an mit der Formation der positivistischen Kriminologie, die die Person des „Abweichenden“ in den Mittelpunkt rückt.601 Mittels statistischer Forschung werden dabei Menschen und Populationen unterschieden, um Kategorien, Begriffe und Differenzierungen zu generieren, die über die Kriminologie zu strafrechtlichen Kategorien umgewandelt werden, ohne deren Bedingungen und Konsequenzen mitzureflektieren. So entwickeln sich Kategorien der frühen Psychiatrie (z.B. „moralisch unmündig“, „unzurechnungsfähig“, „degeneriert“) zu Leitdifferenzen des kriminologischen wie juristischen Diskurses: „Von ihren Anfängen bis in die Gegenwart hat sich die Kriminologie auf die Daten und das Prestige der psychiatrischen Bewegung verlassen, um ihre eigenen Annahmen und Belange zu stützen, um ‚harte‘, ‚wissenschaftliche‘ Beweise zu liefern [...].“602

596 Vgl. Kap. 4.1. 597 Einen Überblick über die politischen Diskurse und Denktraditionen, über Kontrollstile und zukünftige Trends sozialer Kontrolle gibt Cohen 1993. Vgl. zur Auseinandersetzung zwischen kritischer und revisionistischer Kontrollsoziologie Cohen 1989. 598 Vgl. Keller 2007; Abs.26. 599 Vgl. Voß 1997; S.37. 600 Vgl. zu städtischer Kontrolle und Widerstand Hallsworth 1997. 601 Vgl. für das Folgende Althoff/Leppelt 1995; S.66ff. 602 Garland 1985a; S.113. Übersetzung von G.L.

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Die Konzepte des freien Willens, der Verantwortlichkeit für das eigene Handeln, der individuellen Schuld, die als Erbe der Aufklärung bis zu diesem Zeitpunkt auch den kriminologischen Diskurs dominiert hatten, wurden in der Folge aufgegeben.603 Die neue zentrale Kategorie der positivistischen Kriminologie ist demgegenüber die der relativen „Gefährlichkeit“ von Personen und Gruppen. Auf diese Weise lässt sich „Normalität“ in einem durchaus pathologischen Sinn von einem „kriminellen Charakter“ unterscheiden. Das Wissen des kriminologischen Diskurses bezieht sich in dieser Lesart auf die Vereinzelung und Unterscheidung im Sinne qualitativer und substanzieller Kriterien. Diese Distinktion kann als symbolische Konstruktion praktischer Unterschiede bezüglich eines binären Schemas von gut/böse, richtig/falsch, kriminell/konform, moralisch/unmoralisch und eben auch von sicher/unsicher und sauber/unsauber verstanden werden.604 Da diese durch kulturelle Distinktion gewonnenen Kategorien auf die „legitime“ (weitgehend gesellschaftlich geteilte Vorstellung von) Ordnung und damit Herrschaft verweisen, sind sie politisch aufgeladen und für gesellschaftliche Praxis von immenser Bedeutung.605 Der Blick auf den Charakter mittels eines als abweichend deklarierten Verhaltens erlaubt scheinbar, anhand von Verhaltensformen auf psychische Dispositionen einzelner zurückschließen zu können: „Der gesetzbrecherische Akt wies somit über sich selbst hinaus, er war Zeichen für den ‚kriminellen Charakter‘.“606 Aus diesem Grund wird innerhalb des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit den im Fokus stehenden Personen und Gruppen häufig „moralisches“ Versagen vorgeworfen: Wer bettelt, ist „faul“, „liegt in der sozialen Hängematte“, „lebt auf Kosten anderer“ etc., wer trinkt oder Drogen konsumiert, hat „keine Disziplin“, ist „haltlos“, „egoistisch“, „genusssüchtig“ usw. Dieses „Wissen“ um die Andersartigkeit der Störer hat Konsequenzen für deren Behandlung bzw. Bestrafung: Wer „seelisch“ und deshalb moralisch abweichend ist, mithin pathologisch unnormal, muss anders behandelt werden als ein Täter, der sich auf seinen freien Willen beruft. Auf diese Weise treten Erziehung, Zwangsdisziplinierung und – wo beides versagt – Ausschluss auf den Plan: „Die Einführung des Anscheins der Pathologie fixiert eine endgültige Norm sozialer und individueller ‚Gesundheit‘ und platziert den kriminellen Charakter unterhalb dieser Norm.“607 Der kriminologische Diskurs, der Abweichung und Normalität innerhalb einer Phänomenstruktur als Persönlichkeitseigenschaften auffasst, etabliert so ein Wissen, das sich in den Institutionen und Praktiken der Macht widerspiegelt. Armut taucht als Begründung abweichenden Verhal-

603 Vgl. Leppelt/Althoff 1995; S.70 sowie Garland 1985a; S.118. 604 Vgl. Leppelt/Althoff 1995; S.72. Zum Begriff Distinktion vgl. Bourdieu 1985; S.21. 605 Vgl. Hitzler 1994c und Hitzler/Milanés 2001. 606 Althoff/Leppelt 1995; S.73. 607 Garland 1985a; S.124. Übersetzung von G.L.

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tens gar nicht mehr auf. Ein Autor „[...] beschreibt, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts die meisten Untersuchungen zu dem Ergebnis kommen, dass über die Hälfte der ‚Bettler‘, ‚Landstreicher‘ und ‚Gewohnheitsdiebe‘ als ‚seelisch krank‘ zu bezeichnen seien.“608 Vor dem Hintergrund wohlfahrtsstaatlicher Arrangements bedeutet dies aber, dass nur der „seelisch Kranke“, der pathologisch „Unnormale“ scheitern muss. Die Ausgrenzung der öffentlich, in den Innenstädten sichtbar auftretenden Armen wird auf diese Weise nicht politischen, ökonomischen oder in einem weiteren Sinne sozialen Bedingungen angerechnet, sondern den körperlichseelischen Voraussetzungen der Individuen selbst. Die Orientierung am Konzept der Normalität erlaubt zudem, dass auch jenseits konkreter Rechtsverstöße „Anormale“ zu Objekten sozialer Kontrolle werden.609 Daraus folgt, dass selbst in Fällen, in denen ein Verhalten wie z.B. Betteln nicht explizit verboten ist bzw. in denen der Betroffene das Verhalten gar nicht zeigt, d.h. nicht bettelt, er gleichwohl Maßnahmen sozialer Kontrolle unterworfen werden kann. Das kriminologische Wissen, das aus diesem Diskurs entspringt, setzt eine Disziplinarmacht mit ihren politischen oder ideologischen Implikationen in Gang, ohne diese offenzulegen und sie theoretisch zu begrenzen: „Üblicherweise wurden diese Normen einfach unausgesprochen angenommen, weil vernünftige Menschen aus ähnlicher sozialer Situation darüber sprachen und einen Rahmen von Werten und Ideologien teilten, der unerwähnt bleiben konnte.“610 Insofern ist der kriminologische Diskurs keinesfalls ein neutrales Feld der Erkenntnis und Beschreibung. Sein Wissen ist geprägt durch den im Foucault’schen Sinne „Willen zur Wahrheit“, der seinerseits auf die politischen und moralischen Elemente des Diskurses verweist.611 Damit handelt es sich unabhängig von den Objekten sozialer Kontrolle um einen Ausgrenzungsdiskurs, der sich jenseits konkreter Rechtsnormen auf gesellschaftliche Werte beruft und Personen oder Gruppen, von denen angenommen wird, dass sie diese Werte nicht teilen, ausgrenzt. Kriminalität ist demnach ein soziopolitischer Begriff, Kategorien der Abweichung lassen sich als „soziale Missbilligungen“ („social Censures“) auffassen, anhand derer normal und unnormal unterschieden werden kann.612 Diese Missbilligungen sind politisch insofern, als sich in ihnen Interessen abbilden und Macht ebenso wie Wissen als Ressourcen zu deren Durchsetzung benötigt werden. Es ist eine der Aufgaben einer mit wissenssoziologischer Diskursanalyse kombinierbaren

608 Althoff/Leppelt 1995; S.75. 609 Vgl. Althoff/Leppelt 1995; S.75. 610 Garland 1985a; S.133. Übersetzung von G.L. 611 Vgl. Althoff/Leppelt 1995; S.80. 612 Vgl. Sumner 1983.

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reflexiven Kriminologie,613 solche Machtwirkungen zu benennen, sie entlang der Phänomenstruktur zu systematisieren und zu analysieren. Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit lässt sich das an der Verwendung von Schlagworten wie „Abwertung der Innenstädte“, „Krise des Einzelhandels“, „Verödung“, „Missbrauch des öffentlichen Raums“, „Verstöße gegen bürgerliche Umgangsformen“, „Einhaltung von Recht und Ordnung“ etc. veranschaulichen.614 Entsprechen diese Schlagworte ihrer Anmutungsqualität nach der Mehrheitsmeinung der urbanen Bevölkerung oder sind sie sogar dem Bereich des Rechts oder anderen mehrheitlich positiv bewerteten gesellschaftlichen Bereichen (z.B. dem Konsum) zugeordnet, erweckt deren Gebrauch den Eindruck der Legitimität des damit verbundenen Anspruchs oder der Legalität darauf bezogener Maßnahmen. Sie signalisieren symbolisch, dass die betreffenden Sprecher im Sinne des öffentlichen Interesses das Wort ergreifen, während abweichende Meinungen als illegitim oder zumindest abwegig erscheinen. Im Wesentlichen lassen sich Teile des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit als Auseinandersetzungen um die „richtige“ Benennung eines Problems, die richtige Deutung urbaner Realität begreifen. Ob Ordnung verletzt ist, ob kriminelles Verhalten vorliegt, ob Schäden verursacht werden, ob Gefährdungen zu befürchten sind, ist vor diesem Hintergrund zweitrangig. „Weil – wenn es um die soziale Welt geht – nichts weniger neutral ist als autoritativ zu erklären, was ist, das heißt, mit der durch das anerkannte Vermögen zur Vorhersage verliehenen Macht, sichtbar und glaubwürdig zu machen, wirken sich wissenschaftliche Feststellungen zwangsläufig politisch aus [...].“615 Es geht „[...] um das Monopol auf legitime Benennung als offizielle – das heißt explizite und öffentliche – Durchsetzung einer legitimen Sicht von sozialer Welt. [...] (Akteure kommen, G.L.) [...] ausgehend von ihrem partikularen Standpunkt wie ihrer partikularen Stellung lediglich zu einseitigen und interessengebundenen Akten der Benennung.“616 Die Macht zur Benennung einer Sache, eines Problems ist verbunden mit der Chance, bestimmte Deutungsmuster sozialer Realität sowie sozialen Verhaltens und damit ein Bild sozialer Ordnung durchzusetzen. Benennung bedeutet demnach auch die Chance, zu klassifizieren und auszugrenzen. Denn „‚Kriminalität‘ als politische Kategorie ist gleichbedeutend mit gesellschaftlicher Ausgrenzung und sozialem Ausschluss.“617

613 Vgl. z.B. Karstedt 2000b, Löschper 2000, Nelken 1994a und b, Pavarini 1994 sowie Scherr 2000. 614 Vgl. o.V. 2001g, wo sogar die Zeugen Jehovas ihre Interpretation der „Krise“ beschreiben. 615 Bourdieu 1985; S.57. 616 Bourdieu 1985; S.23f. 617 Althoff/Leppelt 1995; S.85.

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Da diese Form der Herrschaft sich auch auf das Wissen der Wissenschaft stützt, wird nicht nur deren politischer Charakter verschleiert, auch die impliziten moralischen Wertungen, die mit einer solchen „Rhetorik der Ausgrenzung“618 verbunden sind, werden undeutlich. Sich abweichend zu verhalten verweist nämlich angesichts der Wahrheit und Machtwirkungen des kriminologischen Diskurses auf die mangelhafte moralische Integrität des Abweichenden als Verstoß gegen die hegemoniale Vorstellung über das, was richtig und falsch in einer Gesellschaft ist.619 Diese moralische Geringschätzung des Störers ist anders als die politische Auseinandersetzung mit dem Problem Interessen übergreifend und allgemeingültig. Sie ist historisch gewachsen und dementsprechend genealogisch zu fassen.620 Als normative Imperative haben Wahrheit und Machtwirkungen die Fähigkeit, Störer der moralischen Ordnung weitgehend auszugrenzen: „Kriminell sein heißt moralisch minderwertig und unzuverlässig zu sein. Das aber bedeutet, die elementarste Voraussetzung sozialer Zugehörigkeit zu verfehlen, der Grundqualifikation des Mitgliedsstatus in der sozialen Gruppe zu entbehren. Moral ist hier nicht im elitären Sinne eines besonderen, kulturell hochstehenden Systems normativer Prinzipien, sondern im Durkheimschen Verständnis von Gesellschaft als einer moralischen Einrichtung zu verstehen, d.h. die Bedingung der Möglichkeit von Gesellschaft überhaupt.“621

Damit ist die soziale Missbilligung generalisiert, sie stabilisiert und reproduziert gesellschaftliche Macht und die mit ihr verwobene hegemoniale Moral, die als Ausdruck des Wissens tief in der sozialen Kontrolle als soziale Praxis einer urbanen

618 Vgl. Sack 1986; S.42. 619 Vgl. Althoff/Leppelt 1995; S.85ff. 620 Vgl. dazu Kap. 5.1 und 5.2. 621 Sack 1986; S.43. Emile Durkheim geht davon aus, dass soziale Kontrolle in erster Linie die symbolische Funktion einer Verdeutlichung der Richtigkeit kollektiv geteilter Vorstellungen, dem Kollektivbewusstsein, hat. Im Zuge der Modernisierung der Gesellschaft und dem damit verbundenen Übergang von mechanischer zu organischer Solidarität nimmt er an, dass repressive, in erster Linie strafende soziale Kontrolle zunehmend durch rezitative, ausgleichende Maßnahmen, ersetzt werden. Vgl. Durkheim 1977 (zuerst 1893). Cohen (1979a; S.355f.) führt ein Beispiel für die Notwendigkeit symbolischer Aktionen zur Sanktionierung abweichenden Verhaltens für das Kollektivbewusstsein an: Private Sicherheitsdienstleister treten im Unternehmensauftrag als Angestellte eines Kaufhauses auf, lassen sich vor den Augen der vermeintlichen Kollegen beim Stehlen erwischen und werden entlassen. Die Gültigkeit der Norm und die Richtigkeit der Normeinhaltung sind damit für das Publikum anschaulich geworden.

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Gesellschaft verankert ist.622 Abweichendes Verhalten, das vermeintlich geeignet ist, die politisch und sozial gesetzte urbane Ordnung von Sicherheit und Sauberkeit zu verletzen, hat den Ausschluss des Störers zur Folge. Da bei der angesprochenen Klientel von einem weiteren sozialen Ausschluss oftmals kaum noch die Rede sein kann,623 erfolgt er räumlich, indem der Aufenthalt der Betroffenen in den Innenstädten mittels der Polizeien, der Architektur oder des Rechts unmöglich, zumindest schwierig und unangenehm gemacht wird. Das Standardmodell sozialer Kontrolle, so eine Position bei der Thematisierung sozialer Kontrolle, das mit einer relativ klaren Unterscheidung von Abweichung und Normalität operiert und zudem von den Konstitutionsbedingungen des kriminologischen Diskurses absieht, erfasst die im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit postulierten Ausgrenzungstendenzen im urbanen Raum nur unzureichend.624 Die binären Leitdifferenzen von gut/böse, legal/illegal, legitim/illegitim etc., mit denen das Standardmodell arbeitet, können angesichts der oben skizzierten Prozesse nicht maßgeblich für die gesellschaftliche Reaktion auf Störungen der Ordnung sein. Das in den Kontrollmodellen aufgehobene kriminologische Wissen, also die in Zirkulation gehaltene Alltags- und Wirklichkeitsbeschreibung der Kriminologen und der Institutionen sozialer Kontrolle, hat sich dementsprechend angepasst.625 Der Blick richtet sich von dem als deviant definierten Verhalten auf die Regulierung bestimmter Verhaltenskategorien, sodass Kontrollvariablen im urbanen Raum ausgedehnt werden. Einerseits werden neue Ordnungsverstöße definiert, andererseits aber werden auch weitere Institutionen und Mechanismen in den Innenstädten installiert und erprobt. Der Übergang zwischen den Kontrollmodellen erscheint auch aus ökonomischer Perspektive plausibel: Das Standardmodell städtischer Sozialkontrolle basiert noch auf einer frühkapitalistischen wie fordistischen Ordnung, in der die städtischen Massen in gewisser Weise diszipliniert und die sozialen Beziehungen rationalisiert werden mussten, um in den Produktions- und Distributionsprozess eingegliedert zu werden.626 Der Foucault’sche Begriff der Disziplinierung mit den Kennzeichen Einschließung, Überwachung, Arbeitszwang und Unterwerfung unter

622 Vgl. Sumner 1983; S.196. 623 Hier käme nur eine Totalexklusion aus dem System sozialer Sicherung infrage, vgl. Kap. 3.2.1. 624 Zum Standardmodell sozialer Kontrolle und dessen Krise vgl. unter anderem Kreissl 1997b. Die folgenden Überlegungen stützen sich ebenfalls auf Kreissl. 625 Vgl. Werner 2004; S.5f. Werner versteht Kriminalität als nicht-diskursive Praxis, „[...] zu deren Darbietung es einer zeitlich vorhergehenden Erzählung (also einer diskursiven Praxis) bedarf, die von Menschen verinnerlicht und damit zu einem essentiellen Bestandteil ihres geistigen Lebens wurde.“ 626 Vgl. Kap. 3.3.2.2 und 5.2.

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ein strenges Zeitregime gehört in diesen Kontext.627 Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit wird unterstellt, dass die Desintegration vor allem unzureichend qualifizierter und wenig belastbarer Menschen aus dem Prozess der Disziplinierung durch Arbeit zu beobachten ist, wie sie auch in der Narration der postfordistischen Regulation aufscheint. Die freigesetzten Betroffenen werden als nicht mehr integrierbar separiert und als potenzielle Bedrohung städtischer Ordnung für die etablierten und integrierten Schichten – und damit als Bedrohung von Sicherheit und Sauberkeit – kontrolliert. Diese Entwicklung wird auch in der Narration von der Kontrollgesellschaft behandelt.628 Das Standardmodell sozialer Kontrolle verdankt sich der Rationalisierung sozialer Beziehungen besonders in Form der Verrechtlichung des sozialen Verkehrs. Gleichzeitig wird damit aber auch die individuelle Zurechenbarkeit z.B. einer Normübertretung in Form der binären Unterscheidung legal/illegal dem Subjekt zugewiesen, ebenso wie das moralische Versagen des Normabweichlers:629 „Der Einzelne wird zur Verantwortung gezogen und bestraft, das Individuum als Rechtssubjekt wird zum Ort von Abweichung und Kriminalität.“630 Die skizzierte städtische Entwicklung zeichnet sich durch eine zunehmende Verrechtlichung des Raums631 aus, allerdings zeigt sich zugleich, dass – nicht im strengen juristischen Sinne, wo ja anhand einer Norm immer eine Handlung als illegal im Sinne des Rechts interpretiert werden muss – im soziologischen Sinne nicht mehr Individuen diszipliniert werden, sondern Kontrolle an den Status einer Gruppe gekoppelt wird, d.h. Kontrolle damit quasi entindividualisiert und kollektiviert wird. Die Verantwortung für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Sauberkeit und damit die Verantwortung für Störungen wird den Individuen und ihren Kompetenzen anheimgestellt.632 Das Standardmodell wird so nicht gänzlich suspendiert – es treten lediglich neue, qualitativ andere Formen sozialer Kontrolle hinzu. Eine solche „Statuskriminalisierung“ kann sich auf den rechtlichen Status als Migrant (legal/illegal im „Gastland“), auf den Wohnstatus (obdachlos/mit festem Wohnsitz), den Arbeitsstatus (beschäftigt/arbeitslos) oder auf andere dichotomisierbare Variablen wie Kleidung (z.B. „normal“/betont auffällig), Lebensstile (angepasst/abweichend), den Gebrauch/Nicht-Gebrauch von Drogen, psychische Gesundheit (krank/nicht krank bzw. psychisch auffällig/nicht-auffällig) etc. beziehen.

627 Zu den architektonischen Implikationen einer solchen Disziplinierung vgl. z.B. Ronneberger 1999 und Kap. 4.3. Zur Theorie des Arbeitshauses vgl. Jütte 1986 und 2000. 628 Vgl. Kap. 3.3.2.2. 629 Scheerer (1998) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Person des Delinquenten von abnehmender Bedeutung für soziale Kontrolle ist. 630 Kreissl 1997b; S.525. 631 Zu Theorie und Praxis der Verrechtlichung vgl. Teubner 1984 und Kap. 4.4. 632 Vgl. Linder 1998.

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Die damit einhergehende Normierung läuft auf einen Kontrolltypus hinaus, der Rahmenbedingungen vorausschauenden, selbstverantwortlichen Handelns im Blick hat, statt ausschließlich auf externe Risiken oder punktuelle Abweichung abzustellen. Damit wird die diskursive Konstruktion gefährlicher Personen, Gruppen, Orte zementiert, wobei die so Stigmatisierten an ihrer eigenen Kriminalisierung mitwirken müssen, um in den Genuss staatlicher Transfer- und kommunaler Sozialleistungen zu kommen. Im Diskurs wird konstatiert, dass soziale Kontrolle auf diese Weise aber auch unberechenbarer wird: „Erwartungsstabilisierung“ und „Verhaltenssteuerung“, die Niklas Luhmann als Hauptfunktionen des Rechts633 ansieht, greifen nicht mehr in Fällen, in denen die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, nicht mehr ein gruppenunabhängiges Verhalten im Mittelpunkt steht.634 Die auf den städtischen Raum bezogene „Sicherheitsgesetzgebung“ als Dispositiv des kriminologischen Diskurses orientiert sich weniger an der dichotomen Leitdifferenz von legal/illegal, sondern vielmehr am binären Schema von Sicherheit und Risiko:635 Es gilt, Devianzrisiken zu minimieren und Sicherheit zu gewährleisten. Gruppen, die sich keiner Normverstöße im strafrechtlichen Sinne schuldig machen, aber als potenziell gefährlich für Sicherheit und Sauberkeit gelten, können so im Hinblick auf den Schutz der anderen im gesellschaftlichen Innenraum legitim erscheinenden repressiven Maßnahmen unterworfen werden, die juristisch in Regelungen des Polizeirechts, des Straßen- und Wegerechts oder in privatrechtlichen Hausordnungen gefasst sind. Dabei geht es weniger um die Kontrolle abweichenden Verhaltens, es geht um die Kontrolle abweichender Verhältnisse im Sinne eines Sicherheitsmanagements des urbanen Raums.636 Nicht Norm und Normübertretung, sondern Standards der von der Mehrheitsgesellschaft definierten Normalität von Sicherheit und Sauberkeit im urbanen Raum stehen im Mittelpunkt. Zur Kontrolle dieser diskursiv hervorgebrachten Vorstellung von Normalität wird nicht nur Delinquenz institutionell bearbeitet, sondern die Prävention weit im Vorfeld von Statusdelinquenz legitimiert die Kontrolle potenzieller Delinquenten und damit die Kontrolle ganzer Populationen im urbanen Raum. Das spätestens seit der Aufklärung tradierte liberale Gleichgewicht sozialer Kontrolle zwischen Repression und Reform gerät in dieser Thematisierung aus den Fugen und weicht schließlich der Rhetorik eines „niedrig-intensiven sozialen Kriegs“ in den Städten, der die Desin-

633 Vgl. Luhmann 1981; S.73ff. 634 Natürlich stehen Handlungen auch im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu Gruppen. Zentral für die juristische Bearbeitung abweichenden Verhaltens ist die Handlung selbst, erst in zweiter Linie deren gruppenspezifische Genese, die unter Umständen aber bei der Urteilsfindung berücksichtigt wird. 635 Vgl. Lutz/Thane 2002 sowie O’Malley 2000 und 2001. 636 Vgl. Kreissl 2001a.

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tegration und Homogenisierung der mehrfach zwischen Ghetto und Zitadelle und anderen sozialen Segmenten gespaltenen Städte weiter vorantreibt.637 Diese Vorverlegung sozialer Kontrolle im Sinne „gesellschaftssanitärer“ Prävention (in der Debatte als „Verstaatlichung der Gesellschaft“ beschrieben), andererseits aber auch die Privatisierung urbaner Sozialkontrolle („Vergesellschaftung des Staates“) ist das Ergebnis eines historischen Prozesses von Verrechtlichungsschüben, die sich wiederum dem wechselnden Verhältnis von Staat und Gesellschaft in der (Spät-) Moderne und deren ebenfalls rechtlich definierten Leitdifferenz verdankt.638 Nach diesem, in der Kriminologie weit verbreiteten Kontrollparadigma gelten Kontrollinterventionen dann als legitim, wenn sie die Reproduktionsbedingungen der Zivilgesellschaft639 sicher- oder wiederherstellen. Insofern erscheint jede repressive Maßnahme gegen einen relevanten Teil städtischer Bevölkerung nur dann als legitim, wenn ein Nicht-Eingreifen die Sicherheit der Anderen gefährden würde. Die Entfernung abweichender Personen oder Gruppen aus dem Sichtfeld der konsumfähigen Schichten wird vor diesem Hintergrund als illegitim angesehen.640 Damit ist ein zentrales Paradox des Interventionsrechts des modernen Staates benannt: Freiheitsverbürgende Rechte haben auch immer die Tendenz, die Freiheit des Nutznießers in der modernen Gesellschaft zu gefährden. Daraus wird in der kriminologischen Thematisierung eine weitere Tendenz der Abkopplung sozialer Kontrolle von konkreten rechtlichen Vorgaben abgeleitet: Einerseits agieren die Agenturen sozialer Kontrolle am Rande rechtsstaatlicher Vorgaben – wie sich am Beispiel der privaten Sicherheitsdienste, aber auch der öffentlichen Polizeien zeigen lässt. Andererseits werden Kontrollfunktionen in den vorstaatlichen und vorrechtlichen Bereich verlegt – wie sich an der Privatisierung des städtischen Raums zeigen lässt.641 In Zuge dieser Entwicklungen werden diskursiv neue Gefährdungen konstruiert und die Erforderlichkeit effizienter Sozialkontrolle betont. Damit wird aber auch gleichzeitig die Intervention außerstaatlicher und damit rechtlich weniger stark gebundener privater oder halbprivater Kontrollagenturen legitimiert. Die Vorverlagerung sozialer Kontrolle auch in die urbanen „Residualgemeinschaften“ zeigt sich unter anderem im hypertrophen Wachstum gesetzlicher Vorgaben, die aber nur lose mit der exekutiven Praxis sozialer Kontrolle insofern gekoppelt sind, als deren

637 Davis (1994a; S.260) beschreibt das Vorgehen gegen Arme und Obdachlose in Los Angeles als „sozialen Krieg“. Brüchert/Steinert (1997 und 1998) beschreiben aktuelle Entwicklungen sozialer Kontrolle ebenfalls anhand von Kriegsmetaphern. Vgl. Kap. 3.3.2.3. 638 Zu dieser und den folgenden Überlegungen vgl. Kreissl 1997a. 639 Vgl. zum Zusammenhang von Zivilgesellschaft und Stadt Rödel 2001. 640 Vgl. Kap. 4.4. 641 Vgl. Kap. 4.4.

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Einhaltung letztlich nicht überwachbar, und wenn, dann nicht justiziabel ist.642 Durch die Entkoppelung von Exekutive und Recht wird soziale Kontrolle als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wieder in außerstaatliche, mithin in gesellschaftliche Zuständigkeiten delegiert. Das regulative Verhältnis von Staat und Gesellschaft ist auf diese Weise am Modus urbaner Sozialkontrolle ablesbar. Auf der anderen Seite ergibt sich durch die Konstruktion neuer Gefährdungsdelikte im Sinne der Irritation von Sicherheit und Sauberkeit ein erweiterter Eingriffsspielraum für die Institutionen sozialer Kontrolle. Die eine stuft dieses Verhalten als gefährlich, unerwünscht etc. ein, eine andere jenes Verhalten. Verhaltensnormen werden so zu „Gelegenheitsnormen“, die ihrerseits auf im kriminologischen Diskurs vorrätig gehaltenem Wissen über urbanes Leben aufsitzen.643 Eine solche reprivatisierte Überwachung ist selektiver als eine staatlich institutionalisierte – sofern es keine klaren Rechtsgrundsätze der Intervention gibt. Und dazu fehlt die Legitimation im materiellen Recht. Abweichung diffundiert laut dieser Position mehr und mehr in die Definitionsmacht privater Institutionen und Interessen. Aus gesellschaftstheoretischer Perspektive kommt ein anderer Aspekt hinzu: Die Verwissenschaftlichung644 der über Medien verfügbaren Informationen über die Gesellschaft hat dazu geführt, dass auch von soziologischen Laien Gesellschaft nicht mehr als stabiles, sich bruchlos reproduzierendes Gefüge verstanden, sondern mitunter als fragiles, komplexes, interdependentes und risikobefrachtetes, krisenanfälliges System wahrgenommen wird. Ordnung erscheint in dieser Wirklichkeitsdefinition nicht mehr als selbstverständliches Produkt einer naturwüchsig irgendwie funktionierenden Gesellschaft, sondern als Ergebnis einer ständig Risiken abwägenden reflexiven Intervention als Reaktion auf und Verhinderung von allen denkbaren Störungen einer fragilen sozialen Stabilität. Aus diesen Veränderungen der gesellschaftlichen Semantik resultiert in der Bevölkerung Unsicherheit und deshalb die Erwartung eines omnipotenten Staates, die durch die Wahrnehmung seiner vermeintlichen Impotenz gebrochen wird. Dieser Prozess zeigt sich in der Verrechtlichung urbaner Beziehungen, die aber gleichzeitig mit der Vorverlagerung der So-

642 Um ein Beispiel zu nennen: Betteln darf im öffentlichen Raum nicht verboten werden (vgl. Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 16.4.1997 – Az.: B 8 OWI 25 Js 70/97; Hammel 1998a und b, o.V. 1998e, sowie Terwische 1997), gleichwohl sind die Städte bemüht, Satzungen zu erlassen, die das Lagern und Betteln im Innenstadtbereich verbieten. Da die entsprechenden Delinquenten i.d.R. „zahlungsunfähig“ sind, eine Sanktionierung über Geldstrafen also nicht infrage kommt, bleibt als repressive Maßnahme sozialer Kontrolle nur deren Vertreibung oder in Extremfällen (vgl. Hammel 1998c) der Freiheitsentzug. Vgl. Kap. 4.4. 643 Vgl. Werner 2004; S.29 und Kap. 4.2.2. 644 Vgl. Kreissl 1986 und 1989.

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zialkontrolle in den vorstaatlichen Bereich korrespondiert. In der Bevölkerung schwindet aufgrund dieser widersprüchlichen Erfahrung das Vertrauen in den Staat als Ordnungsmacht,645 was die Entstehung von diffusen Ängsten und die Entwicklung privater Sicherheitsanbieter begünstigt, aber auch zu einer reflexiven und operativen, gouvernementalen Selbstkontrolle nötigt,646 will man nicht den konstruierten Gefährdungen in Stadt zum Opfer fallen. Laut diesem Verständnis zielt soziale Kontrolle nicht mehr in erster Linie auf die Überwachung und Disziplinierung weniger Individuen und Territorien im öffentlichen Raum und Einschließungsmilieus im halbprivaten Raum, sondern erfasst den Großteil des urbanen Raums. Dabei entstehen auch Räume, die aufgrund der Kontrolle durch private Unternehmen im Sinne des ehemals staatlichen Kontrollmonopols als exterritorial erscheinen, wie z.B. Einkaufszentren in den Innenstädten, die sogenannten Malls, oder Vororte mit einer ethnisch und sozialstrukturell homogenen, wohlhabenden Mittel- und Oberschichtsbevölkerung, deren urbanes Verhalten sich jenseits polizeilicher Interventionen über Subjektivierungsprozesse steuert.647 Nicht mehr die (disziplinargesellschaftliche) Kontrolle von Abweichung steht im Vordergrund, sondern die (kontrollgesellschaftliche) Kontrolle von Mobilität und Zirkulation648 im Raum, z.B. von Besucherströmen in den Innenstädten. Und diese verläuft eben nicht mehr entlang der Differenz von Norm und entsprechender -übertretung, sondern im Sinne von Prävention, Überwachung und Regulierung.649 Soziale Kontrolle wird zusehends Raumkontrolle.650 Zusammengefasst wird urbane Sozialkontrolle anhand der nachstehenden Entwicklungen thematisiert:651 •



Die legitimierende und regulierende Trias von Staat, Recht und Gesellschaft verändert und entkoppelt sich mit den oben genannten Folgen für urbane Sozialkontrolle; die ökonomischen Veränderungen vom Fordismus zum Postfordismus lassen andere Kontrollparadigmen zur Stabilisierung des neuen Akkumulationsregimes in der Ökonomie der „Zitadellen“ erforderlich erscheinen;

645 Vgl. Melossi 1998. 646 Vgl. Legnaro 1999. 647 Vgl. zu dieser und den folgenden Entwicklungen Kreissl 1997b; S.538 und 543. Zur Selbststeuerung s.u. 648 Zum Begriff der Zirkulation und seinen Implikationen vgl. Kreissl 2004b. 649 Vgl. Castells 1999, Haggerty/Ericson 2000 und Hier 2003. 650 Vgl. Kap. 3.4.3. 651 Die von Kreissl (1997b; S.546ff.) formulierte Zusammenfassung wurde hier auf die Verhältnisse in Stadt, so wie sie im Diskurs angesprochen werden, verändert. Vgl. für einen Überblick auch Edwards/Matthews 1996 und South 1997.

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„Sozialdisziplinierung“652 bezieht sich zunehmend auf Mobilität, Zirkulation und Kommunikation in Stadt, weniger auf konkrete Normen und Abweichungen von ihnen; die Bedeutung virtueller urbaner Realität, einerseits als Simulation gelebter Urbanität im Innenstadtbereich, andererseits als Rekonstruktion urbaner Gemeinschaften, gewinnt an Bedeutung;653 kriminalisiert werden nicht mehr Verstöße gegen einen organischen gesellschaftlichen Körper, sondern Irritationen der urbanen Inszenierung von Freiheit, Konsum, Sicherheit und Sauberkeit; damit gewinnt die symbolische Herrschaft über den urbanen Raum die Qualität der Herrschaft über das gesellschaftliche Ganze; die als in diesem Prozess problematisch und störend definierten Gruppen werden als für diese Ordnung gefährlich stigmatisiert und entsprechenden Repressionen unterworfen.

Zum kriminologischen Diskurs um urbane Sozialkontrolle gehört auch das Stichwort „Gouvernementalität“. In dieser Narration werden unterschiedliche Deutungselemente und Wissensbausteine zusammengeführt und transportiert, die zum Verständnis des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit beitragen.654 Foucault fasst in diesem Begriff das Phänomen „Regieren“ (gouverner) und die darauf bezogenen „Denkweisen“ (Mentalité) semantisch zusammen, um Macht unter dem Blickwinkel von „Führung“ untersuchen zu können. Insofern gehört der Begriff der Gouver-

652 Zum Begriff der Sozialdisziplinierung vgl. Breuer, Jütte, Oexle, Sachße/Tennstedt und Stekl (alle 1986), sowie Kap. 5.2. Scheerer (1997) plädiert dafür, am Begriff der sozialen Kontrolle festzuhalten. 653 Vgl. Kap. 5.3. 654 Vgl. zum Themenkomplex Stadt und Gouvernementalität Bareis 2007, Becker 2001a, Brunnett/Gräfe 2003, Cremer-Schäfer 2007, Foucault 2000a und b sowie 2004, Garland 1997, Hamedinger 2006, Krasmann 2000a und b, 2003a und b sowie 2005, Legnaro 2000, Lemke 1997 und o.J., Lemke/Krasmann/Bröckling 2000, Michel 2005, Müller 2003, Pieper 2003, Roloff 2007, Rose 2000 sowie Rose/Miller 1992. Im Zuge dieser neuen „Genealogie der Macht“, die mit dem Begriff der Gouvernementalität verbunden ist, hat sich eine Forschungsrichtung etabliert, deren Ergebnisse man als Gouvernementalitätsstudien bezeichnet. Vgl. – um nur einige wenige Texte zu nennen − die Beiträge in Lemke/Krasmann/Bröckling 2000 und Bröckling/Krasmann/Lemke 2004 oder Lemke 1995, 1997, 1999, 2000, 2001 und 2003 sowie Bröckling 2002, 2003a und b sowie 2004, Krasmann 1999, 2000a, 2001, 2002, 2003a und b, 2005, Rose/Miller 1992 und Ziegler 2003.

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nementalität in den Kontext sozialer Kontrolle oder besser: sozialer Steuerung:655 „Unter Regierung verstehe ich die Gesamtheit der Institutionen und Praktiken, mittels derer man die Menschen lenkt, von der Verwaltung bis zur Erziehung. Diese Gesamtheit von Prozeduren, Techniken, Methoden, welche die Lenkung der Menschen untereinander gewährleisten, scheint mir heute in die Krise gekommen zu sein.“656 An anderer Stelle führt Foucault aus: „Mit diesem Wort ‚Gouvernementalität‘ ist dreierlei gemeint. Unter Gouvernementalität verstehe ich die Gesamtheit, gebildet aus den Institutionen, den Verfahren, den Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken, die es gestatten, diese recht spezifische und doch komplexe Form der Macht auszuüben, die als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als Hauptwissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat. Zweitens verstehe ich unter ‚Gouvernementalität‘ die Tendenz oder die Kraftlinie, die im gesamten Abendland unablässig und seit sehr langer Zeit zur Vorrangstellung dieses Machttypus, den man als ‚Regierung‘ bezeichnen kann, gegenüber allen anderen – Souveränität, Disziplin – geführt und die Entwicklung einer ganzen Reihe spezifischer Entwicklungsapparate einerseits und einer ganzen Reihe von Wissensformen andererseits zur Folge gehabt hat. Schließlich glaube ich, dass man unter Gouvernementalität den Vorgang oder eher das Ergebnis eines Vorgangs verstehen sollte, durch den der Gerechtigkeitsstaat des Mittelalters, der im 15. und 16. Jahrhundert zum Verwaltungsstaat geworden ist, sich Schritt für Schritt ‚gouvernementalisiert‘ hat.“657

Gouvernementalität ermöglicht die Herausbildung und Ausübung von Macht unter anderem mittels politökonomischen Wissens über die Bevölkerung anhand von Sicherheitsdispositiven. Auf Stadt ausgelegt folgt daraus, dass die urbane Bevölkerung „gouvernemental“ beherrscht wird, indem auf politökonomische Kategorien wie Konkurrenz, Vermarktung, Konsum etc. rekurriert wird und Sicherheitsdispositive angewendet werden. Zu diesen Sicherheitsdispositiven gehören alle steuernden sozialtechnologischen, auf die Bevölkerung bezogenen Instrumente, also auch polizeiliche, technologische (architekturale, überwachende) und rechtliche Maßnahmen und Einrichtungen. Dabei spielen wissenschaftliche (meist statistische) Erkenntnisse über das „normale“ Verhalten der Bevölkerung eine wichtige Rolle, weil diese eine Definition als von der statistischen Norm der Gesamtbevölkerung abweichend erlauben und nachfolgende Interventionen legitimieren. Insofern fließen in diesem Ansatz handlungsleitende Wirklichkeitsdefinitionen in urbane Sozialkontrolle ein. Während Disziplin sich auf Einzelne bezieht, wirkt Sicherheit abstrakt, indem sie

655 Vgl. zur Kritik Lacombe 1996. 656 Foucault 1996; S.119. 657 Foucault 2000a; S.64f.

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von individuell abweichendem Verhalten absieht und nach Auswirkungen auf eine größere Anzahl Betroffener fragt: „Die Kleinkriminalität eines Eigentumsdeliktes kann lediglich in der Häufung ihres Auftretens ein Gegenstand des gesellschaftlichen Interesses und nachfolgender Interventionen sein.“658 Stadt als Territorium wird im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit zum Gegenstand einer solchen gouvernementalen Analyse, weil sich mit der typischerweise hohen Bevölkerungsdichte Risiken verschärfen, sodass in dieser Perspektive Stadt als besonderer Sicherheitsraum mit eigener Realität erscheint.659 Gegenstand der Sicherheitsdispositive ist dabei nicht die bessernde Disziplinierung des Einzelnen, sondern die Vermeidung eines zu großen Maßes an Abweichung von der definierten Normalität. Insofern ist z.B. die Anwesenheit eines Bettlers (oder weniger Bettler) in bestimmten Arealen der Innenstädte in gouvernementaler Hinsicht noch kein Problem. Hier lässt sich, wenn man der Narration folgt, davon ausgehen, dass Disziplinierung der „Anormalen“660 (z.B. mittels Einweisung in eine psychiatrische Klinik oder die Definition eines „geregelten“ Tagesablaufes in einer Einrichtung betreuten Wohnens) die einschlägige Machtwirkung ist. Treten abweichende Personen allerdings jenseits eines gewissen, machtförmig definierten Maßes gehäuft auf, gegebenenfalls sogar als „gefährliche Klasse“, wird dies Wirkungen der Sicherheitsdispositive nach sich ziehen.661 Daraus folgt, dass im hier behandelten Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten von einer quantitativ nennenswerten Störung der urbanen Ordnung ausgegangen wird und dass diese Störung den Ausschlag für die unten zu beschreibenden Entwicklungen der Polizeien, der Architektur und des Rechts gibt. Um diese Entwicklungen anzustoßen, reicht es – wie oben zur Formierung kriminologischer Diskurse festgestellt –, ein bestimmtes Verhalten als unrecht, unmoralisch, verwerflich oder eben massenhaft darzustellen, um Ausgrenzungsmechanismen ins Werk zu setzen. Verletzungen des kompliziert austarierten regulativen Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit in Stadt und damit Verletzungen des „Sicherheitsvertrages“ beeinträchtigen das Normalisierungsverhältnis, das sich auf der Basis der Sicherheitsdispositive und der gegebenen Machtverhältnisse etabliert hat.662 Der Staat muss „[...] immer dann eingreifen, wenn der normale Gang des alltäglichen Lebens durch ein außergewöhnliches, einzigartiges Ereignis unterbrochen wird.“663

658 Ruoff 2007; S.193. 659 Vgl. Ruoff 2007; S.193. 660 Vgl Foucault 2003b. 661 Vgl. für ein Beispiel Müller-Lobe 2008. 662 Vgl. Roloff 2007; S.53. Roloff untersucht den Bruch des Sicherheitsvertrages vor dem Hintergrund der sogenannten SARS-Krise in Hong Kong. 663 Foucault 2003a; S.498.

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Normalität in der Interpretation Foucaults ist ein ausgewogener Zustand, in dem der Sicherheitsvertrag zwischen Regierung und urbaner Bevölkerung stabil ist, weil sich die Macht innerhalb des städtischen Raums und innerhalb der städtischen Gesellschaft so verteilt hat, dass sie bei der Ausübung des alltäglichen Lebens der Städter für die Mehrheit nicht spürbar ist.664 Insofern ist Stadt in genealogischer und gouvernementaler Perspektive immer zugleich auch ein „Sicherheitsraum“. Damit grenzt sich dieser spezifische Raum als Gegenstand von Steuerung ab von den Konzepten des Raums als „Territorium“, das typisch für den Machttyp der Souveränität ist, sowie des Raums als „Feldlager“, das mit dem Machttyp der Disziplin verbunden ist und einen auf Hierarchie und Funktionalisierung ausgerichteten Raum meint, in dem Individuen so angeordnet werden, dass deren optimale Verwertung bzw. Verwaltung sichergestellt ist.665 Stadt erscheint in diesem Sicherheitsraum nicht mehr als „erstarrter“ Raum der Disziplinierung, sondern als Knotenpunkt von Zirkulation von Menschen und sichtbaren wie unsichtbaren „Dingen“.666 In der Narration der Gouvernementalität wird davon ausgegangen, dass die damit verbundene Offenheit, die sich aus der tendenziellen Unmöglichkeit einer Totalüberwachung ergibt, eine spezifische Form der Regierung von Stadt, nämlich eine „Gouvernementalität des Städtischen“ hervorbringt. Diese Gouvernementalität des Städtischen zielt nicht mehr wie im Machttyp Disziplin auf Repression und unmittelbaren Zwang, sie zielt darauf, die „Freiheiten“ der Subjekte so zu gestalten, dass sie funktional für die Regierung bzw. die Macht zu nutzen sind.667 Die Narration Gouvernementalität zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass in ihr nicht mehr nur der Körper und dessen disziplinierende Zurichtung im Mittelpunkt stehen, sondern dass zusätzlich den umfassenden Prozessen der Subjektivierung Beachtung geschenkt wird.668 Zu den lokalen Praktiken und bestimmten Institutionen der Machtausübung rückt der Staat als Träger von Regierung und Resultat von Machtbeziehungen in seinem Verhältnis zu den Subjekten in den Fokus.669 Der Staat erscheint in dieser Perspektive nicht mehr nur als institutionell-administrative Struktur, sondern als „[...] verwickelte Kombination von Individualisierungstechniken und Totalisierungsverfahren [...]“,670 mithin als Modus zur Ermöglichung individuellen Handelns und mit dem Anspruch von Herrschaft im Interesse der Allge-

664 Vgl. Roloff 2007; S.54. 665 Vgl. Foucault 2004; S.26ff. und Roloff 2007; S.54. Im Machttyp Souveränität stand unter anderem der Schutz der territorialen Grenzen im Mittelpunkt staatlichen Handelns. 666 Vgl. z.B. Jäger/Koetzsche 1994. 667 Vgl. Roloff 2007; S.55. 668 Vgl. Kocyba 2003. 669 Vgl. Lemke/Krasmann/Bröckling 2000; S.8. 670 Foucault 1987; S.248.

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meinheit. Dieser erweiterte Blickwinkel führt auch zu einem breiteren Verständnis des Begriffs Regierung: „Man muss diesem Wort die sehr weite Bedeutung lassen, die es im 16. Jahrhundert hatte. Es bezog sich nicht nur auf politische Strukturen und auf die Verwaltung der Staaten, sondern bezeichnete die Weise, in der die Führung von Individuen oder Gruppen gelenkt wurde: Regiment der Kinder, der Seelen, der Gemeinden, der Familien, der Kranken. [...] Regieren heißt in diesem Sinne, das Feld eventuellen Handelns der anderen zu strukturieren.“671

Und dieses Feld ist in einer verstädterten Gesellschaft nunmal Stadt, sein Fokus ist die in Stadt lebende Bevölkerung. Die dort wirksamen Sicherheitsdispositive, die die Freiheiten der Bevölkerung regieren, sind „[...] netzwerkartige Verbindungen scheinbar unabhängiger Institutionen, Handlungsweisen, Wissensformen sowie Gesetze und Regime von Praktiken, die auf ein bestimmtes strategisches Ziel ausgerichtet sind [...]“672 – wie eben den Schutz vor Abweichung oder die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten. Ihre Mittel sind die sogenannten Risikotechnologien, anhand derer Menschen, Gruppen, Orte unter der Maßgabe des jeweiligen Sicherheitsdispositivs in Träger riskanten Verhaltens, Risikogruppen oder Risikoorte differenziert werden. Diffuse Risiken werden so in konkreten Räumen lokalisierbar und hinsichtlich der Individuen und Gruppen subjektivierbar. Gouvernemental ist dieser Prozess insofern, als Regierung, die Foucault als „[...] Tätigkeit des Anführens anderer [...] und die Weise des sichAufführens in einem mehr oder weniger offenen Feld von Möglichkeiten [...]“673 bezeichnet, soziale Handlungskontexte so beeinflusst, dass gewünschtes Verhalten gefördert wird, ohne dieses – wie im Machttyp der Disziplin – direkt zu erzwingen. Der Terminus „Mentalité“ verweist auf die zugrunde liegende Rationalität von Lokalisierung und Subjektivierung: Risikotechnologien ermöglichen eine Ökonomisierung von Regierung, weil sie den Einsatz von Macht auf die statistisch stärkste Abweichung von „Normalität“, nämlich Risikoindividuen, -gruppen und -orte beschränkt.674 Während die disziplinierende „Normalisation“ auf die Anpassung gesellschaftlicher Realität an einen durch Normen vorgegebenen gewünschten Zustand zielt, fokussiert das gouvernementale Sicherheitsdispositiv auf die „Normalisierung“ der Realität, d.h. auf die rationale Verwaltung von Risiken. Nicht die Abschaffung von Risiken, nicht totale Sicherheit, nicht totale Kontrolle ist ihr Ziel, sondern das „[...] bestmögliche Management aller beteiligten Elemente eines Prob-

671 Foucault 1987; S.255. 672 Roloff 2007; S.56. 673 Foucault 1993a, S.193. 674 Vgl. Roloff 2007; S.56 und Foucault 2001b.

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lems [...]“675 zur Aufrechterhaltung der gewünschten sozialen Ordnung.676 Maßnahmen der Normalisation wie der Normalisierung lassen sich innerhalb des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit finden. Normalisation greift beispielsweise, wenn der Aufenthalt von als abweichend wahrgenommenen Personen in den Innenstädten verwehrt oder erschwert wird. Normalisierung greift beispielsweise, wenn gefährliche Orte benannt werden, wenn diese technologisch überwacht werden oder wenn Personengruppen als potenzielle Störer sozialer Ordnung benannt werden.677 Die damit verbundene Differenzierung der Bevölkerung in Aufenthaltsberechtigte/Nicht-Aufenthaltsberechtigte und Konforme/Risikoträger individualisiert soziale Ungleichheit sowie Konflikte, lässt Störungen der Sicherheit als intentionalen Angriff einzelner verantwortlicher Subjekte auf die Ordnung des Ganzen erscheinen und legitimiert dadurch eine Reihe repressiver wie präventiver, jedenfalls ausgrenzender Maßnahmen im urbanen Raum. Risiken sind in diesem Zusammenhang keine objektiven Bedrohungen, sie sind „[...] diskursive Praktiken [...], mit denen gesellschaftliche Probleme und soziale Konfliktstoffe in statistisch erfassbare, objektiv erscheinende Unsicherheitsfaktoren umformuliert werden.“678 Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, wie die dargestellte Praxis der Benennung und die Ausweisung von Risiken Angst evozieren kann. Die Gouvernementalität des Städtischen trägt so auch zur Konstruktion von Problemgruppen bei.679 Wie aber gewährleistet sie Sicherheit? In der Narration werden zwei Strategien der Regierung unterschieden, anhand derer ein „Möglichkeitsfeld“ individuellen Handelns konstruiert wird und Sicherheitsdispositive so in den urbanen Alltag integriert werden, dass soziales Handeln im Rahmen bestimmter gesetzter Machtlinien verläuft.680 Die erste Strategie zielt auf die „Bevölkerung“ als Verwaltungsobjekt, mit dem das Individuum gesteuert und seine Position im Kollektiv reguliert wird. Die zweite bezieht sich auf das „Milieu“, in dem Sicherheitsdispositive räumlich ausgestaltet werden. Betrachtet man den Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit, so kommt die erste Strategie in Betracht, wo es um den physischen und psychischen Zustand der Städter und deren Gefährdung geht. Störungen der Sauberkeit können auf diese Weise als Beginn eines Zustands aufgefasst werden, in dem die Verwertung der Städter als produktive Arbeitskräfte und deren Verwaltung als politisch

675 Roloff 2007; S.57. 676 Vgl. auch Fraser 2003. 677 Vgl. z.B. Ronneberger 1997c. Es könnten noch zahlreiche Beispiele folgen. Wichtiger ist die Wirkungsweise des zugrunde liegenden Steuerungsparadigmas. 678 Foucault 2004; S.69. 679 Vgl. Kap. 3.2.2 und 3.2.3. 680 Vgl. dazu und für das Folgende Roloff 2007; S.58ff.

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lenkbare Bürger prekär wird.681 Das Individuum ist in dieser Hinsicht nicht Objekt einer disziplinierenden Macht, es wird an den mehrheitlich geteilten Eigenschaften der Bevölkerung gemessen und dient nur als Instrument der Herstellung einer Totalität von Bevölkerung, die im Sinne der Regierung produktiv ist. Die Abweichung Einzelner steht dann pars pro toto für das Abweichungspotenzial einer Gruppe. Bestimmte Bevölkerungsgruppen sind vor diesem Hintergrund verpflichtet, für die ihnen inhärenten Risiken die Verantwortung zu übernehmen.682 Die Regierung übernimmt die Verantwortung für die Gestaltung des „Lebensraumes“, indem sie ein Milieu schafft, das bestimmte Formen der Abweichung unmöglich oder unwahrscheinlich macht. In diesem „Interventionsfeld“ sorgt Regierung für eine für Sicherheit und Sauberkeit funktionale Infrastruktur und materialisiert das Sicherheitsdispositiv in baulicher Form, in der Form eines Rechts, das nur für einen definierten Raum Gültigkeit beansprucht, oder in der Form unterschiedlicher Polizeien, die sich einem Raum zuwenden und dabei auf Deutungsmuster zurückgreifen, die zuvor diskursiv produziert wurden. In diesem Kontext ist der Diskurs um Architektur, Recht, Polizei und Sicherheit von Belang – auch weil Foucault davon ausgeht, dass erst durch die „Verräumlichung des Wissens“ das Wissen über den Menschen in seiner Materialität wirksam wird.683 Machtbeziehungen sind in diesem Diskurs immer materielle Beziehungen zwischen Menschen, Dingen oder Texten. Macht ist keine transzendentale Kategorie, sie existiert als Modus von Beziehungen und bedarf um wirksam zu werden unterschiedlicher Instrumente. Raum ist vor diesem Hintergrund nicht nur physischer Raum, sondern ein Mittel, um soziale Ordnung als Korrelat von Machtbeziehungen darzustellen.684 „Raum ist fundamental für jede Form des kommunalen Lebens; Raum ist fundamental für jede Ausübung der Macht. [...] Architektur [...] ist nur ein Element der Unterstützung, um eine bestimmte Verteilung von Menschen im Raum sicherzustellen, ihre Zirkulation zu kanalisieren, und auch um ihre reziproken Beziehungen zu verschlüsseln. Deshalb ist sie nicht nur

681 Foucault und die an ihn anschließenden Studien zur Gouvernementalität der Gegenwart sprechen in diesem Zusammenhang von „Biopolitik“. 682 Vgl. Roloff 2007; S.60. Dabei kann es sich um spezifische, demografisch fassbare Gruppen handeln (z.B. ausländische Jugendliche, Empfänger von Transferleistungen), um Gruppen mit bestimmtem Habitus (z.B. Drogenuser, Alkoholiker) oder um Gruppen, die an bestimmten Orten leben (z.B. Bewohner von „Problemvierteln“ oder Obdachlose). 683 Vgl. Kap. 4.3. 684 Eine ausführliche Diskussion anderer Theorien des sozialen Raums findet sich bei Löw 2001b und Sturm 2000.

160 | STADT UND KONTROLLE ein Element im Raum, sondern das Eintauchen in ein Feld sozialer Beziehungen, in dem sie spezifische Effekte bewirkt.“685

Raum ist die Materialisierung der Produktion und Zirkulation von Macht.686 Die Regierung des städtischen Raums kann unter der Maßgabe der tendenziellen Unmöglichkeit einer disziplinarischen Totalüberwachung nur gelingen, wenn die Städter sich selbst und damit Stadt so steuern, dass ihr Verhalten dem Wohl der Stadt und der städtischen Gesellschaft entspricht: „Indem sie lernen, auf sich selbst zu achten, lernen sie auf die Stadt zu achten.“687 Der Städter bewegt sich in diesem Diskurs in den engen Grenzen einer Freiheit, die nicht nur durch die imperativen Erfordernisse der Macht eingeschränkt wird, sondern die erst innerhalb der Macht produziert wird. Die dazu notwendigen „Technologien“ werden durch Prozesse wie Überwachung oder Normalisierung wirksam, wobei die Städter zu Objekten von Kontrolle und Disziplinierung werden. Anpassung der Subjekte an die Bedingungen städtischen Lebens ist die Konsequenz. Diese Anpassung wird Teil der Lebensführung der Individuen und als Form der Selbstwahrnehmung und der Selbstkontrolle zu einer „Technologie des Selbst“, mit der die Individuen ihre eigenen Interessen verwalten und Einstellungen (re-)produzieren.688 Im Verhalten der Städter im innenstädtischen Raum sowie in ihrer Einstellung gegenüber den als problematisch dargestellten und wahrgenommenen Gruppen verbinden sich die Technologien der Macht mit den Technologien des Selbst: „Man muss die Punkte analysieren, an denen die Herrschaftstechniken über Individuen sich der Prozesse bedienen, in denen das Individuum auf sich selbst einwirkt. Und umgekehrt muss man jene Punkte betrachten, in denen die Selbsttechnologien in Zwangs- und Herrschaftsstrukturen integriert werden.“689 Die Lebensführung des Städters ist geprägt von der Herrschaftsstruktur urbaner Gouvernementalität, sie trägt damit die Tendenz zur Ausgrenzung der Träger abweichender Verhaltensweisen oder Lebensstile in sich. Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit werden einige Positionen des Kontrolldiskurses mitunter zugespitzt und als Narrationen zu „Visionen“ städtischer Sozialkontrolle verdichtet.

685 Foucault 1999b; S.140. Übersetzung von G.L. 686 Vgl. Roloff 2007; S.63 unter Verweis auf Elisabeth Grosz. 687 Foucault 1993a; S.29. Vgl. auch Vaz/Bruno 2003. 688 Vgl. Foucault 1993a und Roloff 2007; S.64. 689 Foucault 1993b; S.203.

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3.3.2 Visionen städtischer Sozialkontrolle „Ich habe lediglich einige westliche Muster sozialer Kontrolle ausgewählt, die ich als Schlüsselentwicklungen verstehe, und diese als Basis für weitere Spekulationen von größerem sozialem Belang genutzt.“ STANLEY COHEN690

Im Diskurs um urbane Sozialkontrolle wird aus unterschiedlichen Perspektiven davon ausgegangen, dass diese sich aufgrund diverser Prozesse qualitativ seit dem Beginn der Industrialisierung wesentlich verändert, oder wenn man affirmativ so will, „modernisiert“ hat. Der kriminologische Diskurs hat andere Personen, Gruppen und Orte hervorgebracht, die zu Objekten urbaner Sozialkontrolle werden, die behauptete Krise des Standardmodells sozialer Kontrolle hat den Blick auf rechtssoziologische Veränderungen gerichtet und die Gouvernementalität des Städtischen beschreibt urbane Herrschaft anhand abstrakter Kategorien in Abgrenzung von Machttypen, die vergangene Epochen geprägt haben. Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten lassen sich aber auch weitere Positionen finden, die sich thematisch sehr zugespitzt auf urbane Sozialkontrolle beziehen und als „Spekulationen“ verdichtet Auswirkungen auf Urbanität beschreiben. In diesen Narrationen, die diese Wirklichkeits- bzw. Zukunftsdeutungen erzählbar machen, wird insgesamt davon ausgegangen, dass sich Urbanität in Richtung einer intensiv kontrollierten „New Urban Publicity“,691 einer „qualifizierten Öffentlichkeit“ als neuem, auch (stadt-)politischem Leitbild bewegt. Dabei greifen die beschriebenen Kontrollparadigmen teilweise direkt in die sozialräumliche Gestaltung und Struktur der Städte ein. Die Städte und das gesellschaftliche Zusammenleben in ihnen waren immer schon Gegenstände von Utopien,692 aber auch von Dystopien: Einerseits scheint

690 Vgl. Cohen 1985; S.1; Übersetzung von G.L. 691 Vgl. unter anderem bei Rada 1997a; S.112. 692 Vgl. zu sozialräumlichen wie politökonomischen Utopien (z.B. dem spätromanische Klosterplan von St. Gallen, Jerusalem als Vorbild für die mittelalterliche Stadt, der geometrische Idealstadt der ausgehenden Renaissance, La Phalanstère und der Gartenstadt der Industrialisierung, der futuristischen Stadt der klassischen Moderne und den postmodernen Stadtsimulationen der Gegenwart) Münger 1998. Rehrl (2001) beschreibt unter anderem die Stadtutopie „Anthropolis“. Vgl. zu Stadtutopien und Idealstädten Easton 2001 und Klack 2009 mit weiteren Beispielen. Vgl. zum Verhältnis von Urbanität und Utopie Thomas 1997. Eine Utopie ist eine „determinierte soziohistorische Vernei-

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Stadt mit einem Denken verbunden zu sein, nach dem man die in ihnen sich reproduzierende Gesellschaft durch Veränderungen der sozialräumlichen, politökonomischen oder baulich-materiellen Struktur nach einem spekulativen Ideal, sei es in der Vormoderne die Offenbarungswahrheit christlicher Überlieferung, die Rationalisierungstendenzen der Moderne oder die Simulation des Städtischen in der Postmoderne,693 formen kann: „Stadtentwürfe sind Utopien ihrer Zeit. Die Bedürfnisse, die Wünsche, die Träume und die Ideale der Menschen haben immer schon die Entwürfe für ihre zukünftigen Siedlungen und Städte beeinflusst. [...] Die Umsetzungsversuche dieser utopischen Stadtentwürfe prägen bis heute das Bild unserer Städte und auch unsere Vorstellungen von Stadt.“694 Andererseits aber zeitigen die als real wahrgenommenen Konsequenzen städtischer Vergesellschaftung offensichtlich so viele Fehlentwicklungen und negativ bewertete Aspekte, dass man Stadt auch immer als Ort des Niedergangs, der Strafe Gottes (z.B. Babylon), drohender Irrationalität durch Aufstände oder als Orte der Überbevölkerung, der Dissoziierung etc. betrachten kann: „Heute steht sie (die Stadt; G.L.) unveränderlich für Unordnung, Chaos und Zusammenbruch. Es wird angenommen, dass, wenn wir keine radikalen Veränderungen vornehmen (eine neue Art von Ort entwickeln? neu beginnen?), die Stadt der Gegenwart – die Ikonographie von Gewalt, Verbrechen, Unsicherheit, Verschmutzung, Verkehrsstaus, Überbevölkerung – die Gesellschaft der Zukunft ist. Auf den Straßen der Stadt liegen die schärfsten Spiegel dystopischer Vorstellungen.“695

Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit tauchen U- bzw. Dystopisches als „Visionen“696 städtischer Sozialkontrolle auf und formen die Urbanitätserfahrung der Städter mit. Sie bezeichnen gleichwohl auch Szenarien mit empirischer Basis, weil es benennbare Entwicklungen und Räume gibt, die ihnen entsprechen. Im Wesentlichen handelt es sich um Narrationen, die vereinzelt beobachtbare, aber noch nicht raumgreifend sich durchsetzende Entwicklungen, die als relevant für städtische

nung des Existierenden.“ Sorkin 1992b; S.232 unter Verweis auf Herbert Marcuse, Übersetzung von G.L. Vgl. auch Kambartel 1996 und Pröfener 2001. In Berlin wurde in den neunziger Jahren im Osten der Stadt im Zuge umfassender Gentrifizierungen die „autonome Republik Utopia“ gegründet, die sich gegen die „Kahlschlagsanierungen“ des Senats und der Alteigentümer wandte. Vgl. Rada 1997a; S.116. Vgl. auch Cohen 1979b und Meyer 1980. 693 Vgl. Kap. 5 694 Münger 1998; S.134. 695 Cohen 1985; S.205. Übersetzung von G.L. 696 Der Begriff der Vision nimmt Bezug auf Cohen 1985. Vgl. auch Gottdiener 1997.

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Vergesellschaftung, die soziale Kontrolle von Stadt und die Behandlung als unerwünscht geltender Personen, Gruppen oder Zustände eingeschätzt werden, aufnehmen und transportieren. Allerdings lassen sich aus ihnen keine exakten oder abgesicherten Prognosen für die Zukunft ableiten. Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit wird versucht, anhand dieser Visionen aufzuzeigen, welche weiteren Entwicklungen denkbar sind und was dies für Konsequenzen für Urbanität und soziale Kontrolle hätte. Dabei wird das urbane Kontrollparadigma überspitzt und zu drei Trends verdichtet: Zum Ersten wird die Analogie des Kontrollkonzeptes amerikanischer Vergnügungs- und Themenparks auf den urbanen Raum der Innenstädte dargestellt und hinsichtlich daraus ableitbarer Konsequenzen für soziale Kontrolle in Stadt kritisiert. Dazu kommt die Beschreibung eines städtebaulichen Trends,697 der wie das entsprechende Kontrollkonzept mit dem Namen „Disney“ verknüpft ist und ebenfalls mit einem spezifischen Kontrollparadigma, das sich architektonisch und städteplanerisch materialisiert, einhergeht. Zum Zweiten wird der Übergang von Disziplinargesellschaften, wie Michel Foucault sie beschrieben hat, zu Kontrollgesellschaften, wie Gilles Deleuze sie bezeichnet, aufgegriffen. Die dritte Vision bezieht sich auf die Militarisierung sozialer Kontrolle im urbanen Raum, wie sie sich bereits in der Metapher des „sozialen Krieges“ in den Städten angedeutet hat. Das Stichwort „Überwachung“ steht ebenfalls im Zentrum dieser Narration. Mit diesen „Spekulationen“ über urbane Sozialkontrolle wird zugleich auf die Entwicklung der Städte selbst, der urbanen Raumordnung, der städtischen Kontrollkonzepte und damit insgesamt auf Urbanität als Kultur der Stadt verwiesen.698 Damit zunächst zur Narration urbaner Themenparks, ihrem Kontrollparadigma und ihren räumlichen Fortsetzungen in der Planung von Städten. 3.3.2.1 Soziale Kontrolle als Mickey-Mouse-Konzept: Disneyfizierung und Themenparks „Der Begriff ‚soziale Kontrolle‘ hat neuerdings etwas von einem Mickey-Mouse-Konzept.“ STANLEY COHEN699

Am Beispiel der zuerst in den USA entstandenen Themen- und „Vergnügungsparks“ lässt sich beobachten, wie sich ein spezifisches Kontrollmodell in einem räumlich begrenzten Territorium implementieren lässt und welche Folgen dies für

697 Vgl. Roost 2000. 698 Vgl. auch Kap. 5.3. 699 Cohen 1985; S.2. Übersetzung von G.L.

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das Verhalten und das Handeln der Nutzer hat. Am Beispiel der Narration von den Archetypen der Themenparks Disneyland bzw. Disneyworld700 sollen zunächst die Grundlinien dieses Kontrollmodells beschrieben werden, um eventuelle Analogien und Differenzen zur Kontrolle der Innenstädte aufzuzeigen. Im zweiten Teil des Kapitels wird dann das sogenannte „Disney-Modell“ hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die gegenwärtige Stadtentwicklung im Sinne einer ästhetisch wie sozial gestalterischen „Disneyfizierung“ der Städte aufgegriffen.701 Auch dabei geht es um die Kontrolle von Populationen und deren Verhalten in einem städtischen, zumindest städtisch anmutenden Kontext. Disneyland hat – ähnlich wie die Innenstädte – als attraktives Ziel für Besucher täglich relativ große Menschenmengen zu kontrollieren und zu regulieren. Der Einlass muss kontrolliert werden, Besucherströme müssen gelenkt, Müll muss beseitigt

700 Tendenziell zeigen alle Themenparks ähnliche, zumindest aber vergleichbare Kontrollstrategien. Disneyland wird hier ausgewählt, weil das entsprechende Kontrollparadigma dort maßgeblich entwickelt wurde. Prinzipiell fungiert soziale Kontrolle in allen – auch deutschen – Themenparks nach diesem Modell. Über die Geschichte, Theorie und Praxis des Themenparks und ihre Einflüsse auf Stadt anhand diverser Beispiele informieren Boddy 1992, Boyer 1992, Crawford 1992a und b, Davis 1995a, Gottdiener 1997, Legnaro 2000, Smith 1992, Soja 1992, Sorkin 1992a und b, sowie Winner 1992 und Zukin 1991. Parson (1993) kritisiert bei allen diesen Ansätzen das Fehlen eines utopischen Potenzials, das in Richtung der Überwindung der sich im pseudo-urbanen Raum der Simulationen materialisierenden Widersprüche deutet. Hannigan (1998) betrachtet Stadt in einem weiteren Zusammenhang mit Imagination, „Entertainment“ und „Vergnügen“. Auf dem Gebiet des Tourismus entspricht der „Club-Urlaub“ in abgeschlossenen Arealen, in dem nur kalkulierte und erwünschte Erlebnisse und Ereignisse inszeniert und animiert werden, den Themenparks. Es scheint plausibel, dass dort ähnliche Kontrollstrategien greifen. Sorkin (1992b; S.209ff.) sieht Messen als Vorformen der Themenparks an: Auch sie sind konzipiert als Modelle für Stadt (z.B. für die Stadt der Moderne: die Chicago Fair 1892 mit der ersten modernen Passage des „Crystal Palace“, die Weltausstellung 1929 in Barcelona, besonders das „Pueble espanyol“, die Architekturausstellung „Hauptstadt Berlin“ im Hansapark 1957), ohne die „Schattenseiten“ urbaner Vergesellschaftung dabei ebenfalls zu repräsentieren. Insofern kann man das Arrangement von Welt- und Architekturausstellungen auch als Idealstädte interpretieren. Zur Geschichte der Weltausstellungen vgl. Kaiser 2000. In den utopischen Entwürfen einer gartenstadtgleichen „Democracity“ und der klassisch modernen „City of 1960“ (beide 1939 konzipiert) sind jeweils die „entfremdete“ Moderne und die „sozialromantische“ Gartenstadt zu einem Modell vereint. In den Themenparks wird städtebauliche Avantgarde mit den sozialen Utopien ihrer Betreiber verwoben. 701 Vgl. dazu vor allem Roost 2000.

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werden, Unfälle und andere unerwünschte Ereignisse müssen verhindert werden. Schließlich muss ein räumliches Ensemble wie ein Themenpark dafür Sorge tragen, dass alle Besucher sich wohlfühlen und gerne wiederkommen. Als Privatunternehmen sind die Betreiber der Parks für die Sicherheit, d.h. die materielle, physische und psychische Unversehrtheit der Besucher verantwortlich, sofern sie privatrechtlichen Restitutionsansprüchen oder einer strafrechtlichen Verfolgung oder der verwaltungsrechtlichen Überprüfung von Genehmigungen und den damit verbundenen Schädigungen des „Public Image“ und ihrer Profite entgehen wollen. Für die Betreiber ergibt sich so allein schon aus ökonomischen Gründen die Notwendigkeit der Vorsorge vor unerwarteten Ereignissen, Schäden oder Verletzungen. Die Besucher wollen sich vor Schäden oder unerwünschten Erlebnissen, die im Zusammenhang mit der Benutzung der angebotenen „Attraktionen“ (z.B. zahlreichen Fahrgeschäften, Shows, Simulationen etc.) oder auch durch Gedränge, Paniken etc. entstehen können, sicher fühlen können. Risiken auszuschließen ist demnach gleichermaßen aus Betreiber- wie aus Nutzerperspektive gewünscht. So wirbt dann auch Disney-World für sich als „mittelgroße Stadt mit einer Kriminalitätsrate gleich null“.702 Soziale Kontrolle in einem Themenpark ist insofern beides: Einerseits die Sicherstellung erwünschten und Sanktionierung unerwünschten Verhaltens sowie die Minimierung von Risiken im Rahmen eines Sicherheitsmanagements, das auf unterschiedlichen Säulen fußt. Die Gouvernementalität eines Themenparks zielt darauf, die Besucherpopulation so zu führen, dass sie das Wirken der Sicherheitsdispositive wie Zugangs- und Zirkulationskontrolle und das Tun zahlreicher Sicherheits- und Reinigungskräfte nicht bemerkt und dass die eigene Intention, sich ein außergewöhnliches Erlebnis durch reproduzierbare Simulationen zu verschaffen, mit der Intention der Betreiber, Profit zu maximieren, zur Deckung kommt. Die dazu notwendigen Inszenierungs-, Erfahrungs- und Ereignismuster setzen dabei weniger auf die Illusion einer Grenzüberschreitung, sondern auf die Ausstellung von nur scheinbar zahllosen Optionen im Rahmen einer symbolisch wie materiell vermittelten sozialen Ordnung. Diese Ordnung basiert im Wesentlichen auf zwei Momenten: Erstens werden die scheinbar zahlreichen Optionen des Parks reduziert auf die Übernahme konventioneller Rollenmuster (Vater, Mutter, Kind) und die Rationierung des Erlebbaren, zweitens wird die Vielfalt der Möglichkeiten konterkariert durch den Zwang zu einer peniblen Sauberkeit und die rigide durchgesetzte Konformität der Besucher.703 Aldo Legnaro unterscheidet dabei zwei gouvernementale Strukturmerkmale der Kontrolle in Themenparks: „Gouverning Fun“ lässt die Besucher lernen, was sie erleben können und sollen, was sie erwarten sollen und wie ihre Erlebnisse in einem solchen Park stimuliert werden. Insofern handelt es sich

702 Vgl. Sorkin 1992b; S.231. 703 Vgl. Legnaro 2000; S.288.

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um eine „intellektuelle Technologie“.704 „Gouverning by Fun“ gestaltet solche Erfahrungen, gibt ihnen ihre Qualität und transportiert Ideologien ebenso wie andere subjektivitätssteuernde Gehalte. Insofern handelt es sich um eine Technik der Wirklichkeitsrepräsentation. „Gouverning Fun“ ist unter anderem gekennzeichnet durch die planerisch optimierte Auswahl der zu besuchenden Attraktionen durch schriftliche, imperativ formulierte Park-Führer und damit mit der antizipierenden, „fürsorglichen Fernsteuerung“ der Besucher. Zeitmanagement und Besuchersteuerung verweisen dabei auf die optimierte Nutzung von Zeit und Raum. Für den Flaneur der klassischen Urbanitätsentwürfe ist in den Themenparks kein Platz. Im Gegenteil: „Spontaneität scheint völlig dysfunktional [...]“.705 Stattdessen erinnert die Erlebnisproduktion des Themenparks an das fordistische Produktionsmodell mit seinen Intervallen konkret vorgegebener Handlungsabläufe, geringen Optionen und verordneten (Konsum-)Pausen. Nur die Einheit des Erlebnisses zu einem Ganzen muss der Besucher in Eigenarbeit selber herstellen. Damit ist der Besucher sowohl Konsument wie Produzent von antizipierten Emotionen, die als einzigartige Erlebnisse verkauft werden: „In seinem architektonischen Arrangement entwirft der DisneyKontinent eine Landschaft verführerisch-kontrollierenden Charakters, die das Erleben einerseits vorstrukturiert und zu Erwartungshaltungen formt, andererseits seine Wirkungen gerade aus den eigenen Handlungen, Erlebnisbereitschaften und Sehnsüchten der Besucher gewinnt.“706 Die Selbstführung der Besucher gelingt durch die arrangierende Planung, die Inszenierung von Freiheit und die Verschleierung von Herrschaft. Das zweite gouvernementale Prinzip der Themenparks, das des „Gouverning by Fun“, basiert auf dem Arrangement, der Inszenierung, der „Verlebendigung“ dessen, was aus anderen Erlebniskontexten und Wirklichkeitszusammenhängen dem Besucher bekannt ist, aber in den Themenparks unter anderen Vorzeichen und mit anderen Absichten präsentiert wird. „Das Überblenden des Realen mit dem Imaginären [...]“707 unter einer erzieherischen Intention ist das wesentliche Moment. Deutlich wird dies, wenn man sich die Beschreibung einer Stadtsimulation in Disney-World vergegenwärtigt: „Dies ist die Disney-Version einer KleinstadtHauptstraße um die Jahrhundertwende – frisch gestrichen. [...] Diese Straße repräsentiert eine ideale amerikanische Stadt. Obwohl eine solche Stadt nie wirklich existierte, haben viele Städte für sich in Anspruch genommen, als Inspiration gedient zu haben.“708 Als „platonisches Urbild“ wird dem Besucher ein „Potpourri

704 Vgl. Legnaro 2000; S.289 unter Verweis auf Miller/Rose. 705 Legnaro 2000; S.292. 706 Legnaro 2000; S.296. 707 Legnaro 2000; S.298. 708 Zit.n. Legnaro 2000; S.299.

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mythischer Bilder“709 geboten, das die Wirklichkeitserfahrung der Städter insofern transzendiert, als ihm ein ungetrübtes Ideal von Stadt präsentiert wird, mit dem die Wirklichkeit nicht konkurrieren kann.710 Realität wird dekontextualisiert, indem bestimmte Fragmente des Städtischen selektiv präsentiert werden, um im Auge des Betrachters ein Ideal zu vermitteln, das zwar an seine Stadterfahrung anknüpft, zugleich aber irreal bleibt: „Das ‚gouverning by fun‘ geht dann unmerklich in ein ‚self gouverning‘ über, bei dem die Besuchenden sich nicht nur, wie innerhalb der Warteschlangen, selbst polizieren, sondern sich selbst Bilder, Versatzstücke von Wissen, kontextualisierte Vorstellungen herstellen, welche die Welt wiedergeben, ‚Disney Version‘ selbstredend.“711 Clifford D. Shearing und Philip C. Stenning beschreiben und problematisieren die „Disney-Ordnung“ als ein quasi universelles Modell sozialer Kontrolle, das als Ordnungs- und Kontrollparadigma auch auf den urbanen Raum der Innenstädte übertragen werden kann, deren dominierendes „Thema“ ebenfalls der Konsum (von Erlebnissen, Eindrücken und vor allem Waren) ist.712 Als Ordnung eines Privatunternehmens, so eine zentrale These, unterscheidet sich der Begriff der DisneyOrdnung zentral von dem der öffentlichen Ordnung. Öffentliche Ordnung wird konstituiert durch die kollektiven, zumindest mehrheitlich geteilten Vorstellungen von Normalität und der Moral einer „rechtschaffenen Gemeinschaft“.713 Die private Kontrolle zur Aufrechterhaltung einer nicht kollektiven, sondern unternehmensabhängigen und partikularen Vorstellung von Ordnung wie der eines Themenparks hingegen dient in erster Linie dem Zweck der Maximierung von Profit und der Minimierung von Kosten, nicht dem Zweck einer Stabilisierung einer sozialen Ordnung, die über den Themenpark hinaus Geltung für sich beanspruchen könnte.714 Dementsprechend ist die Kategorie des „Verlustes“ in doppeltem Sinne zentral für private Sozialkontrolle: Verlust entsteht nicht nur unmittelbar durch „Schäden“ (z.B. Diebstahl, Vandalismus, Unfälle), sondern auch mittelbar in Form von Kosten durch Maßnahmen zur Verhinderung von unmittelbaren Verlusten. Ein enges, Risiken minimierendes Netz sozialer Kontrolle ist deshalb unabdingbar für die Betreiber von Themenparks, muss aber im ökonomischen Interesse der Kostenminimierung rationalisiert werden. Operativ folgt daraus, dass kostengünstige Maßnahmen der normalisierenden Prävention im Sinne der Verhinderung von Möglichkeiten der Störung von Sicherheit und Sauberkeit im Mittelpunkt des privatrechtlichen Kont-

709 Legnaro 2000; S.300. 710 Vgl. Laimer/Meinharter/Ronneberger 2000. 711 Legnaro 2000; S.301. 712 Vgl. Shearing/Stenning 1985 und 1987. 713 Vgl. den Begriff des Kollektivbewusstseins bei Durkheim (Fn.621) und Kap. 3.3.1. 714 Vgl. Shearing/Stenning 1985; S.339f.

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rollhandels stehen, nicht unter Umständen kostenintensive direkte, mit Aufsehen und Verunsicherung verbundene Interventionen im Störungsfall, also die Her- und Sicherstellung von Disziplin im Sinne einer Normalisation. Potenzielle Störer dieser Ordnung sind alle Besucher, die in ihrer Summe weniger als Individuen denn als Mitglieder einer amorphen Menschenmenge auftreten, die per se mit Vorstellungen von Unordnung, Chaos, mangelnder Disziplin und inhärenter Panikgefahr assoziiert ist. Prävention zielt unter solchen Bedingungen nicht auf definierte Einzelne oder Gruppen, die durch bestimmte Merkmale erkennbar wären, sie zielt als Normalisierung auf alle sich im entsprechenden Areal Befindlichen. Insofern kommen als Sicherheitsdispositive vor allem Überwachung, Steuerung der Zirkulation und Reglementierung großer Menschenmengen ins Spiel. Ein Areal unter Privatbesitz, ausgestattet mit eigenen, einer juristischen Prüfung enthobenen Verhaltensregeln, wird so zum kontrollierbaren und verteidigungsfähigen Raum. Für Disneyland lässt sich dies an einem Bündel von sozialräumlichen Kontrollmaßnahmen zeigen:715 Bei der Ankunft werden die Besucher in freie Parklücken gelotst, ohne dass sie dabei freie Wahlmöglichkeiten hätten. Ein Miniaturzug bringt die Besucher an den Eingangsbereich, wobei während der Zugfahrt die Besucher mit einer Anzahl von Sicherheitsvorschriften vertraut gemacht werden, die vorgeblich der „eigenen Sicherheit“, sowie dem eigenen Komfort und Amüsement dienen. Im Eingangsbereich sind die zu benutzenden Wege durch physische Barrieren begrenzt und durch Markierungen gekennzeichnet, sodass eine Bewegung in andere als die vorgegebenen oder in der Öffentlichkeit eigentlich nicht zugänglichen Bereiche nicht möglich ist. Die Besucher werden buchstäblich „gegängelt“. Das Arrangement von Zäunen, Toren und Gruppenbegleitern verhindert eine freie, zielund zwecklos flanierende Bewegung im Raum, wie sie noch – personalisiert im Idealtypus des Flaneurs – für die Konzeption der Stadt, der Urbanität der Moderne kennzeichnend war.716 Nicht erwünschte Verhaltensweisen werden weitgehend durch die räumliche Anlage und das eingesetzte Personal unmöglich gemacht. In dieser Hinsicht erweisen sich in der inszenierten und simulierten Erlebniswelt Hinweisschilder, Wegmarkierungen und omnipräsente Mitarbeiter als funktional äquivalent. Durch die strenge Reglementierung des Raums und der in ihm möglichen Handlungen erlaubt ein solches Kontrollregime die wohlgeordnete, irritations- und

715 Für die folgende Beschreibung vgl. Shearing/Stenning 1985; S.342ff. 716 Zur Rolle des Flaneurs im urbanen Raum der Moderne vgl. beispielsweise Benjamin 1974 und 1980, Bauman 1997b sowie Noteboom 1996. Zusammenfassend Henschel 2000, Rada 1999c, Russo 2006b und c sowie Voss 1988. Mit dem „Gehen als urbaner Strategie und urbanistischer Praxis“ beschäftigt sich Meinharter 2006.

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risikenminimierte Abfertigung großer, auch heterogener Menschenmengen.717 Alle eventuellen Verhaltensmöglichkeiten und damit Gefährdungen sind antizipiert, in einen Maßnahmenkatalog aufgenommen und weitestgehend verhütet. Die korrespondierende Ordnung dominiert das tendenzielle Chaos, das von Massen ausgeht: „Die Möglichkeiten für Unordnung sind durch die konstante Instruktion ebenso minimiert, wie durch physische Barrieren, die die verfügbaren Handlungsmöglichkeiten streng limitieren, ebenso wie durch die Überwachung der omnipotenten Angestellten, die die leiseste Abweichung entdecken und korrigieren.“718 In einer solchen simulierten Wirklichkeit werden Arrangements der räumlichen Umwelt wie die sozialen Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Besuchergruppe selbst (z.B. mit dem Aufsichtspersonal) miteinander kombiniert. Dabei fungieren diese Arrangements nicht nur im Sinne sozialer Kontrolle, sie dienen auch noch einer optimalen Kapitalverwertung: Die markierten Wege führen gleichzeitig an diversen Versorgungs- und anderen Einheiten vorbei, die Parkangestellten übernehmen neben Kontroll- noch andere Service- oder Reinigungsaufgaben. Ihre Kontrollfunktion und die des räumlich-gestalterischen Arrangements bleiben dabei dem unbedarften Besucher verborgen. Er tritt nur noch als Konsument auf, Eigeninitiative ist dysfunktional. Das Gefühl der wohligen Geborgenheit im Schoße von Mickey Mouse und Donald Duck wird weder durch unvorhergesehene Irritationen, noch durch die martialische Präsenz auffälliger Kontrollagenten und schon gar nicht durch die Anwesenheit von Bettlern oder anderen Anormalen gestört. Soziale Kontrolle ist in dieser Narration konsensuell für alle Beteiligten: Die disziplinarische Unterwerfung unter das private räumliche Kontrollparadigma eines Unternehmens bezieht die Besucher als Agenten ihrer eigenen Kontrolle mit ein. Die implementierte Fremdkontrolle schrumpft auf ein Mindestmaß, die Erwartungen der Besucher und die kommerziellen Interessen der Betreiber kommen unter der Zielperspektive auf Sicherheit und Vergnügen zur Deckung. Soziale Kontrolle in einem solchen Themenpark ist in erster Linie eine Technik der Selbstführung, die über disziplinierende Einrichtungen hinausgeht. Shearing und Stenning sprechen in diesem Sinne von „korporativer Kontrolle“. Wählen Besucher eine Handlungsmöglichkeit, die im Sicherheitskonzept und Verhaltenskanon des Themenparks nicht vorgesehen ist, verstoßen sie gegen die gesetzte Disney-Ordnung. Der unweigerlich folgende Verweis aus dem rechtlichen Einflussbereich des Parks wird legitimiert mit der Aufsichtspflicht des Betreibers über die Besucher. Beim Eintritt in das Territorium des Parks werden so

717 Ob die Besucher tatsächlich sozialstrukturell heterogen sind, muss hier offenbleiben. Hinsichtlich zentraler Variablen (Vorhandensein von Kindern, Zugehörigkeit zu den Mittel- und Unterschichten, Besitz von Autos etc.) scheint eine gewisse Homogenität vorzuherrschen. 718 Shearing/Stenning 1985; S.344. Übersetzung von G.L.

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zentrale Rechte wie die Freizügigkeit des Individuums etc. massiv zugunsten einer willkürlichen, öffentlich-rechtlich de facto nicht überprüfbaren, aber gleichwohl vertraglich und damit privatrechtlich wirksamen Ordnung eingeschränkt. Die Geduld, die die Konsumenten aufbringen müssen, um in den Genuss der Attraktionen des Parks zu kommen, wird nicht zwangsläufig zur Quelle von Unruhe – im Gegenteil, die zeitlich nach hinten verschobene Bedürfnisbefriedigung719 wird durch ein Rahmenprogramm noch versüßt. Zudem sorgt das räumliche Ensemble dafür, dass die Warteschlangen so verlaufen, dass man je nach Standpunkt einen Blick auf die entsprechende Attraktion erhaschen kann und sich so in seinem Interesse bestätigt und dem Ziel seiner Wünsche förmlich immer näher sieht.720 Dazu wird zum weiteren Konsum eingeladen. Korporative Kontrolle bedeutet, dass die Kontrollierten einsehen, dass die Kontrolle zu ihrem „Besten“ ist, auch wenn sie dafür Kosten wie längere Wartezeiten und Unbequemlichkeiten in Kauf nehmen müssen: „[...] die Quelle der Macht der Disney-Productions resultiert aus dem physischen Zwang, den sie zum Tragen bringen kann, und in ihrer Möglichkeit, Kooperation dadurch zu induzieren, dass sie Ressourcen, die die Besucher schätzen, verknappt.“721 Zur korporativen Kontrolle gehört also auch ein gewisses Training der Kontrollierten, nämlich das disziplinierende Einüben in bestimmte Verhaltensmuster und die Selbstdisziplinierung als Selbstführung der Konsumenten. Insofern ähnelt die Disney-Ordnung auch der klassischer Einschließungsmilieus: Im Mittelpunkt steht das Erlernen und Beachten von Regeln und damit die Einhaltung einer für die Besucher fremd definierten Ordnung. Aber anders als in den klassischen Einschließungsmilieus wird nicht systematisch auf die „Seele“, die Persönlichkeit eines Gefangenen eingewirkt, um ihn zu bessern oder optimaler verwerten zu können. Der Besucher ist nur so lange von Interesse, wie er sich im Park aufhält. Seine „Seele“ gilt es allenfalls so zu beeinflussen, dass der Aufenthalt in positiver Erinnerung bleibt. Seine Persönlichkeit als Ensemble zahlreicher individueller Eigenschaften, Dispositionen, Emotionen ist für die Parkbetreiber von untergeordneter Bedeutung – sofern nicht von ihnen vermutet wird, dass sie mit potenziellen Gefährdungen verbunden sind: „Zusammengefasst, in Disney-World ist Kontrolle eingebettet, präventiv, subtil, ko-operativ und offensichtlich zwanglos und konsensuell. Es konzentriert sich auf Kategorien, erfordert keine Kenntnisse des Individuums und verwendet durchdringende Überwachung.“722 Die simulierte und inszenierte Wirklichkeit eines Themenparks folgt einem korporativen Kontrollmodell, das konsensuell wie feingliedrig ist, und von sensuel-

719 Bei Talcott Parsons wird dieses Muster als „deferred Gratification Pattern“ bezeichnet. 720 „Line-Management“ nennt sich diese Technologie. Vgl. Legnaro 2000; S.295. 721 Shearing/Stenning 1985; S.345. Übersetzung von G.L. 722 Shearing/Stenning 1985; S.347. Übersetzung von G.L.

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ler und intellektueller Kritik der Besucher ungetrübte, oberflächliche Erlebnisse ermöglicht, verschleiert bleibt und zu alledem noch offensichtlich Spaß macht. So wird angesichts dieses Kontrolltyps auf die von George Orwell im Roman „1984“ und die von Aldous Huxley in „Schöne neue Welt“ beschriebenen Kontrollmodelle verwiesen, wobei Zweiteres eher als Vergleich mit dem eines Themenparks taugt: Die Kontrolle und Steuerbarkeit der Besucher geht vom Amüsement der Teilnehmer aus, nicht von deren totalitärer Kontrolle, Deprivation, Erziehung und Folter.723 In dieser Narration werden Parallelen zum Kontrollregime im Innenstadtbereich aufgezeigt: Auch dort steht die möglichst kostengünstige Prävention unerwünschter Ereignisse im Vordergrund, wenn der Konsumbetrieb der Innenstädte reibungslos und angenehm sein soll. Und ein solches ist nach Auskunft der Betreiber von Kaufhäusern und Einkaufszentren, die die „neue Mitte“ der Innenstädte zu bilden scheinen,724 der Kontakt mit oder der Anblick von Armut, Schmutz und als gefährlich oder sonstwie risikoassoziierten Personen oder Gruppen.725 Der wesentliche Unter-

723 Zur Validität der Prognosen von Huxley (und Orwell) auf die Zukunft der Kriminalpolitik vgl. Hess 2001. 724 Shearing/Stenning kolportieren das Erstaunen einer Romanautorin beim Vergleich der Städte der dreißiger Jahre mit denen der Gegenwart: Wurde damals noch das Zentrum der Innenstadt durch Kirche und Rathaus als symbolischer Repräsentanz von religiöser und weltlicher Macht gebildet, so symbolisiert heute der Archetyp der Mall die eigentliche städtische Macht. Die Anstrengungen der Städte um potenzielle Investoren aus der Handels- und Dienstleistungsbranche scheinen das zu bestätigen. Wurde in früheren Zeiten noch einer höheren moralischen oder weltlichen Macht gehuldigt, lautet heute die Devise: „Worshipping Shopping!“. Vgl. Shearing/Stenning 1985; S.348. Vgl. auch Kap. 5.3. In Oberhausen heißt das Areal um eine große Mall tatsächlich „Neue Mitte“. Vgl. Basten 2001 und Wilke 1997. Man könnte das Bild der neuen Mitte auch noch weiter bemühen: Politisch versteht man unter der „neuen Mitte“ sozialstrukturell wie ideologisch genau diejenige Klientel, die in dem hier verhandelten Diskurs als Kern der „etablierten Mittelschichten“ oder dem „Bürgertum“ auftauchen. Zum einen bilden sie die Zielgruppe dieser inszenierten und festivalisierten „Einkaufsparadiese“, zum anderen treiben sie in den beschriebenen Zusammenhängen der Konstruktion städtischer Gruppen und der Angst im urbanen Raum Ausgrenzungen voran. Hier wird ein ideologischer Begriff durch einen anderen ersetzt, der dann aber angeblich dazu dienen soll, ideologische Verkrustungen aufzubrechen. 725 Bezüglich des Schmutzes liefert Parson (1993; S.269) ein Gegenbeispiel: In einem anderen Themenpark, der ein innerstädtisches Einkaufsareal selbst zum Thema hat, sind scheinbar weggeworfene Bonbonverpackungen in den Asphalt eingearbeitet, um so den Eindruck von Authentizität zu vermitteln. (Ob verkleidete Obdachlose die Inszenierung

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schied zu privaten Themenparks besteht darin, dass der Zugang zu den Innenstädten weder durch die Höhe von Eintrittspreisen, noch durch eine persönliche Kontrolle an den Zuwegen noch durch andere, direkte Maßnahmen kontrolliert werden kann. Die Struktur der Innenstädte, die sich nicht ausschließlich einer intentionalen Sicherheitsarchitektur verdankt, tut ein Übriges, um Risiken zu erhalten. Zudem gilt in den Innenstädten größtenteils öffentliches Recht, das den Ausschluss bestimmter Personen oder Populationen nur in sehr engen Grenzen zulässt.726 Daraus ergeben sich in den Innenstädten kaum abzustellende, höchstens einzudämmende Störungspotenziale, die in urbanitätssimulierenden Themenparks gänzlich ausgeschlossen werden können: „Müde von den Schuldgefühlen gegenüber den Obdachlosen? Überdrüssig des Kämpfens mit dem Verkehr und der Sorge über Verbrechen? Wenn CityWalk (so der Name des Themenparks; G.L.) im Herbst öffnet, versprechen die Schöpfer eine armutsfreie Fußgängerpromenade mit vielen Parkplätzen und einem Nebenbüro des Sheriffs auf dem Grundstück.“727 Auch hier unterstützen drei Sicherheitsdispositive als sozialräumliche Maßnahmen die Entfernung der unerwünschten Gruppen und Personen aus dem Umfeld der Malls – die Präsenz von Polizei(en), architektonische bzw. städtebauliche Arrangements sowie die private Rechtsform dieses pseudo-urbanen Raums. Ihr Wirken wird mit Verweis auf die vermeintliche Gefährlichkeit der zu Kontrollierenden oder ihr Störungspotenzial sowie die diffuse Angst der Städter und deren Streben nach stabilisierender Ordnung legitimiert. Die im Zitat angesprochene moralische Komponente lässt erahnen, dass zu dem ästhetischen Unbehagen des Anblicks Armer noch andere Motive kommen. Durch das Versprechen einer irritationsbefreiten pseudo-urbanen „Gegenwelt“ zu den realen Innenstädten wird die Konstruktion von Personen als Gruppen von Störern oder entsprechenden Klassen von Handlungen als moralisch ungebührlich, fahrlässig, unangenehm, ästhetisch störend etc. vorangetrieben und Innenstadt als zentrale Bühne städtischer Öffentlichkeit und herkömmlichen urbanen Lebens, das Heterogenität einschließt, entwertet. In dieser Narration bleibt allerdings uneindeutig, ob die Kontrollmodelle von Themenpark und Innenstadt sich sinnvoll aufeinander beziehen lassen: Zum Ersten ist die korporative Sozialkontrolle innerhalb des urbanen Raums und innerhalb der Malls oftmals nicht konsensuell. Die Vertriebenen und Ausgegrenzten verlassen nicht in allen Fällen freiwillig und konfliktlos ihre angestammten Areale.728

abrunden, war dem nicht zu entnehmen.) Man kann die Konsumenten also durchaus mit Schutz und Abfall konfrontieren – nur sauber muss er sein! 726 Vgl. Kap. 4.4. 727 Los Angeles Times, zit.n. Parson 1993; S.270. Übersetzung von G.L. 728 Vgl. dazu auch den Fall eines Münchner Obdachlosen (s. Hammel 1998c sowie Kap. 4.4), der nach mehrfachem Verstoß gegen die Anweisungen des Ordnungspersonals

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Gleichwohl führt das mitunter martialische Auftreten diverser Kontrollinstanzen und die vorsätzliche Beeinträchtigung jeder Aufenthaltsqualität des Innenstadtbereichs für solche Gruppen, was gleichzeitig zur Perfektionierung der urbanen Erlebnisqualität der konsumfähigen Schichten beitragen soll, dazu, dass die Unerwünschten auch ohne direkte Gewalt, angesichts der „strukturellen Gewalt“ innerstädtischer Ensembles das Feld räumen.729 Die Selbstführung derjenigen, die die Innenstädte zu welchem Zweck auch immer aufsuchen wollen, bewirkt, dass im Vorfeld konkreter Interventionen oder Drohungen unerwünschte Verhaltensweisen unterbleiben. Zum Zweiten muss zwischen dem rechtlichen Status privater Räume (z.B. dem Interieur und Eingangsbereich von Malls, Bahn- und U-Bahnhöfen etc.) und dem öffentlicher Räume in kommunalem Besitz unterschieden werden. Die Handlungsmöglichkeiten der Kontrollinstanzen im privaten Raum sind wesentlich größer – wenn auch nicht absolut, wie im juristischen Diskurs aufgezeigt wird – als die Befugnisse öffentlicher Polizeien im öffentlichen Raum. Ohne dieses Problem bereits hier vertiefen zu wollen, sei auf eine Thematisierung hingewiesen, nach dem innerstädtischer Raum zunehmend unter privates Kuratel gestellt wird und zugleich die rechtlich fundierten Interventionsmöglichkeiten der Polizeien modifiziert werden.730 Zum Dritten fehlt der moralische Aspekt, dessen Fehlen korporative Sozialkontrolle zugunsten rein instrumenteller Kontrolle auszeichnet, offensichtlich nicht vollständig im Umgang mit den Problematisierten: Gegenüber Bettlern und Junkies zeigen sich sowohl moralische Verachtung als „Schmarotzer“ und „Versager“ etc.731 wie auch tätiges Mitleid und soziales Engagement. Das Disney-Modell sozialer Kontrolle basiert auf der engmaschig überwachten freiwilligen Konformität zu privaten, streng definierten Verhaltensstandards, die keine Abweichung von dieser Ordnung duldet. Es wird unterstellt, dass die Innenstädte sich diesem Modell annähern, ohne allerdings das Kontrollregime der Themenparks in Gänze übernehmen zu können. Urbanität unter den Bedingungen einer Gouvernementalität des Städtischen folgt einer ähnlichen, in den Details aber anderen Logik.732

schließlich in das traditionelle Einschließungsmilieu des Gefängnisses eingewiesen wurde. 729 Davis (1994a; S.262) betont mit Blick auf die Semantik der Sicherheitsarchitektur die präventive Wirkung einer martialischen Symbolik. Vgl. zum Begriff der strukturellen Gewalt in Stadt Grymer 1981, vgl. auch Welz 1993. 730 Vgl. Kap. 3.4.2, 4.2 und 4.4. 731 Vgl. z.B. Gartzwerg 1996/1997, Sönmez 1998 und Ubben 1997. 732 Vgl. hierzu auch Ronneberger 2001a.

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Von der Kommodifizierung von Erlebnissen und der Vermittlung eines spezifischen Stadtbildes mit rigidem Kontrollmodell bis zur Herstellung einer realen Stadt nach Disney-Vorbild ist es in dieser Narration nur ein kleiner Schritt: Frank Roost beschreibt die „Disneyfizierung der Städte“ anhand ausgewählter Stadtentwicklungsprojekte des Disney-Konzerns733 und wie sich die Disney-Vorstellungen von Urbanität und dem entsprechenden Kontrollmodell Geltung in realen Städten bzw. Siedlungen verschaffen. So entstehen Räume, in denen urbane Erlebnisse in homogenen Räumen planerisch arrangiert und kontrolliert werden, um Profite zu erwirtschaften. Foucault spricht in diesem Zusammenhang von „Heterotopien“: „Es gibt gleichfalls – und das wohl in jeder Kultur, in jeder Zivilisation – wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplatzierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in den die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können. Weil diese Orte ganz andere sind als alle Plätze, die sie reflektieren oder von denen sie sprechen, nenne ich sie im Gegensatz zu den Utopien die Heterotopien.“734

Anders als in den „Abweichungsheterotopien“, in denen alles „[...] gesellschaftlich Ungehörige und Unerträgliche oder nicht zu duldende symbolisch ausgegrenzt, aber auch faktisch in einen abgeschlossenen, uneinsehbaren Raum verwiesen wird [...]“,735 werden in den „Illusions- oder Kompensationsheterotopien“ gesellschaftliche Gegenbilder entworfen, anhand derer versucht wird, eine neue Ordnung zu verwirklichen.736 Diese neue Ordnung der Disney-Stadt besteht nun in der rigiden Kontrolle von und der Kommodifizierung typisch urbaner Erlebnisse, die in strengem Kontrast zu dem stehen, was Urbanität kennzeichnet: Heterogenität, damit Widersprüchliches, Unordnung, Lautstärke, Schmutz etc. Die Nutzer dieser StadtSimulationen sind in erster Linie Konsumenten, die nach Erlebnissen suchen, die im gemeinsamen Erleben ein Kollektivbewusstsein über das, was Stadt ist, und was es heißt, sich urban zu verhalten, herstellen und erst durch die Konstruktion einer urbanen Gemeinschaft der Konsumenten der gesuchten Erlebnisse teilhaftig werden.737 Folgt man dieser Narration, so lassen sich die entstehenden Siedlungen und städtebaulichen Projekte des Disney-Konzerns als solche Illusions- und Kompensa-

733 Vgl. Baudrillard o.J. 734 Foucault 2001a; S.26 (zuerst 1984). Kursiv im Original. 735 Krasmann 1997; S.93. 736 Hetherington (1997) diskutiert das Verhältnis von Heterotopien, Moderne, Raum und sozialer Ordnung anhand von Beispielen. 737 Vgl. Legnaro 2000; S.311.

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tionsheterotopien verstehen. So konstatiert Roost, dass sich die Zentren vieler Städte bereits in „[...] inszenierte Einkaufs- und Unterhaltungsbereiche mit Disneylandartigen Qualitäten verwandelt [...]“738 haben. „Die Anregungen für dieses Spektakel stammen nicht zuletzt aus Disneyland und aus dem Fernsehen, den beiden bekanntesten Kommerzialisierungsmechanismen der amerikanischen Kultur. Motive der sogenannten ‚Themenparks‘ sind inzwischen zum festen Bestandteil der Shopping Malls geworden. Man könnte sogar sagen, dass die beiden Institutionen immer mehr verschmelzen – in den Malls findet zunehmend Unterhaltung statt, während die ‚Themenparks‘ immer mehr zu Einkaufszentren werden. Beide stellen kontrolliert und sorgfältig verpackte öffentliche Räume dar – eine fußläufige Erfahrungswelt für die in den Vorstädten lebenden Familien.“739

Um Heterotopien handelt es sich, weil „[...] die Bewohner der endlosen suburbs in den zersiedelten Agglomerationen [...] sich zwar nach urbanen Flair (sehnen, G.L.), [...] sich aber nicht mehr in die von den Ghettos der ethnischen Minderheiten geprägten Städte (trauen, G.L.).“740 Die entstehenden Einkaufszonen und „neotraditionalen“ Siedlungen741 als „historisierende Stadtsurrogate“ versprechen unter Rückgriff auf eine an das 19. Jahrhundert erinnernde, aber niemals stattgefundene Vergangenheit, „romantisch inszenierte Wohnidyllen“, in denen Sicherheit, Sauberkeit und ethnische wie soziale Homogenität anders als in der urbanen Realität garantiert sind.742 Diese städtebauliche Tendenz wird als „Disneyfizierung“ bezeichnet und als Teil des sogenannten „New Urbanism“ betrachtet, einer Bewegung von Stadtplanern und Architekten, die angetreten ist, um „Probleme“ amerikanischer Stadtregionen zu lösen, unter anderem indem unerwünschte Begleiterscheinungen städtischen Lebens eliminiert werden.743 Während in Malls und Themenparks eine irritationsbefreite Form von Urbanität simuliert wird,744 werden die Innenstädte nach dem Vorbild dieser priva-

738 Roost 2000; S.10. Vgl. sekundär Fricke 2001a. 739 Crawford 1992b; S.79. 740 Roost 2000; S.10. Kursiv im Original. 741 Die bekannteste dieser Siedlungen heißt „Celebration“, hat ca. 20.000 Einwohner und diente mehreren Hollywood-Filmen als Kulisse. Vgl. auch Werneburg 1999. 742 Zu den Zitaten vgl. Roost 2000; S.11. 743 Vgl. dazu Roost 2000; S.27ff., aber auch Bodenschatz 2000 und 2001, Bodenschatz/Kegler 2000, Lejeune 2000 sowie Marcuse 2000. Im Diskurs spricht man in diesem Zusammenhang auch von der „Urban-Renewal-Bewegung“. Vgl. Zinganel 2003; S.135. 744 Vgl. auch Misik 2006a und b.

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ten Konsumzonen und nach den Maßgaben dieses Urbanitätsideals umgestaltet. Und dazu gehört eben die Ausrichtung nach den strengen Kriterien von Sicherheit und Sauberkeit und deren rigider Kontrolle. Diese „konservative Utopie“745 städtischen Lebens stellt die Organisation und Kontrolle der „Gemeinschaft“ in den Vordergrund: „Es ist wie die Stadt von morgen sein sollte, eine Stadt, die den Menschen als Servicefunktion dient. Es wird eine geplante, kontrollierte Gemeinschaft sein [...]. In EPCOT wird es keine Slums geben, weil wir solche nicht entstehen lassen. [...] Jeder muss arbeiten. Eine unserer Forderungen ist, dass die Menschen, die in EPCOT leben, helfen müssen, es am Leben zu halten.“746 Diese Aneinanderreihung von Dienstleistungs- und Konsumfunktionen sollten vom Disney-Konzern selbst kontrolliert werden. Die Bewohner waren handverlesen. Zu den Verhaltensregeln gehörte neben dem Arbeitszwang auch das Verbot von Haustieren, Kleidungsvorschriften, ein Alkoholverbot und das Verbot der gemeinsamen Übernachtung unverheirateter Paare. Verstöße führten unweigerlich zum Ausschluss aus der Stadt. Mitbestimmungsrechte wären in diesem privatwirtschaftlich betriebenen Wohnprojekt suspendiert gewesen. Zwar scheiterte EPCOT, doch es wird konstatiert, dass die Planungen heute in modifizierter Form in den neotraditionalen Siedlungen umgesetzt werden. Charakteristisch ist auch in ihnen, dass der Gemeinschaftssinn, der typisch für diese Siedlungen sein soll, sich nicht aus der Eigeninitiative der Bewohner ergibt, sondern Produkt der von Disney organisierten Maßnahmen ist, während demokratische Rechte der Bewohner an den Konzern abgetreten werden. So ist die „Town Hall“ in Celebration kein Rathaus, sondern ein Vergnügungszentrum, die „Community Association“ hat keine politischen, allenfalls minimale administrative Mitwirkungsrechte. Die Verhaltensregeln sehen eine Residenzpflicht vor, verbieten gestalterische Veränderungen an den Häusern, verpflichten zur Pflege des Gartens und dazu, weiße Vorhänge zu verwenden, verbieten das Abstellen schmutziger Autos oder das Aufhängen von Wäsche im Garten. Verstöße werden von der Disney-Verwaltung geahndet und können zur Ausweisung aus diesen simulierten urbanen Paradiesen führen. Auch die Gesundheit der Gemeinschaft wird unter biopolitischem Anspruch kontrolliert: „Um eine optimale Gesundheit zu erreichen müssen wir uns auch auf den Geist, die Seele und die sozialen Kräfte, die die Gesundheit und die soziale Gemeinschaft beeinflussen, konzentrieren.“747 Ziel ist das „totale Wohlgefühl“. Abweichung wird nicht geduldet. In Kursen des „Community Integration Process“ werden neuen Bewohnern die Besonderheiten von Celebration beigebracht, in sogenannten „Brainwriting-Sitzungen“ soll das

745 Roost 2000; S.72. Walt Disney hat in den sechziger Jahren den Plan zu einer Siedlung entwickelt, die er EPCOT nannte: Experimental Prototype Community of Tomorrow. 746 Disney zit.n. Roost 2000; S.77. Übersetzung von G.L. 747 Aus dem offiziellen Programm für Celebration Health, zit.n. Roost 2000; S.90.

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Gemeinschaftsgefühl permanent erneuert werden.748 Was entsteht, bezeichnen die Planer als „Disney-Realität“: „Was wir schaffen ist eine Disney-Realität, eine Art natürlicher Utopie in der wir vorsichtig unerwünschte negative Elemente entfernen und positive Elemente einprogrammieren.“749 Dabei können die Planer auf die selbststeuernde Mithilfe der Bewohner und Besucher rechnen: Die Simulation gelingt, weil sie an eigene Assoziationen und Wunschbilder anschließt. Diese simulierte, konsensuelle, hoch kontrollierte und autoritäre Disney-Realität greift über in die realen Innenstädte und formt diese im Sinne ihrer konservativen Utopie um. Sicherheit und Sauberkeit als zentrale Standards der Themenparks werden insofern zu den unabdingbaren Bedingungen städtischer Politik und Gestaltung. Abweichungen von dieser Ordnung sind im DisneyModell undenkbar. Neben die Festivalisierung der Innenstädte750 tritt deren Disneyfizierung und damit die Homogenisierung des urbanen Raums als irritationsbefreite Erlebnis- und Konsumzone. 3.3.2.2 Disziplinargesellschaft und Kontrollgesellschaft: Die Wiedervergemeinschaftung sozialer Kontrolle „Die Kontrollgesellschaften sind dabei, die Disziplinargesellschaften zu ersetzen“ GILLES DELEUZE751

Neben der Narration vom Kontrollparadigma der Themenparks und dessen Übergreifen in disneyfizierte Innenstädte lässt sich die Narration von der Kontrollgesellschaft zu den hier ausgewählten „Visionen“ urbaner Sozialkontrolle zählen.752 Mit ihr eng verbunden ist der Aspekt der Wiedervergemeinschaftung sozialer Kontrolle, also die „Rückgabe“ von Kontrollfunktionen von den zu diesem Zweck funktional ausdifferenzierten Institutionen und Organisationen an nachbarschaftlich agierende,

748 Vgl. Roost 2000; S.87ff. 749 Zit.n. Roost 2000; S.94. Übersetzung von G.L. Die Planer werden „Imageneers“ (ein Neologismus aus „Imagination“ und „Engineer“) genannt. 750 Vgl. Becker 1998 sowie Häußermann/Siebel 1993 und Scholz 2000. 751 Deleuze 1990; S.6. Auch zit. in Scheerer 1996; S.321. 752 Vgl. grundlegend zum Narrativ von der Kontrollgesellschaft Deleuze 1990 und 1993, der den Begriff vor allem geprägt hat. Vgl. zur Übertragung des Begriffs auf den kriminologischen Diskurs Cohen 1979a und b, Krasmann 1999 und 2002, Lindenberg/ Schmidt-Semisch 1995, Marinis 2000, Prömmel 2002 sowie Scheerer 1996.

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homogene Gemeinschaften.753 Soziale Kontrolle von Stadt wird aufgrund dieses gouvernementalen Ensembles als „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“754 definiert, die von den eigens ausdifferenzierten Agenturen urbaner Sozialkontrolle angesichts ihrer Strukturen und Selbstbilder und der sich verändernden Aufgaben nicht mehr alleine geleistet werden kann und soll.755 Disziplinargesellschaften, wie Foucault sie genealogisch beschrieben hat,756 zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass Disziplinierung sich in sogenannten Einschließungsmilieus unter den Vorzeichen zweckrationalen ökonomischen Handelns und rationaler, legaler Herrschaft vollzieht. Der Archetypus des Einschließungsmilieus ist sicherlich das Gefängnis, aber auch Arbeitshäuser,757 geschlossene psychiatrische Anstalten, Schulen und Fabriken werden in diesem Diskurs dazugezählt. Im Unterschied zur Souveränitätsgesellschaft werden in der Disziplinargesellschaft Körperstrafen wie Folterungen und die Todesstrafe allmählich durch Freiheitsstrafen ersetzt, in denen nunmehr keine unmittelbare physische Gewalt über den Körper ausgeübt wird, sondern in denen Disziplin über die Gewöhnung an bestimmte Zeit- und Arbeitsregime eingeübt werden soll. Disziplinargesellschaften entscheiden nicht über Leben und Tod, sie verwalten Leben, sie schöpfen nicht nur Profit ab, sie organisieren die gesellschaftliche Produktion und Distribution. Ziel einer solchen disziplinierenden Einwirkung ist es, die „Seele“ als Ort der Persönlichkeit des zu bestrafenden Individuums zu verändern, also im klassischen Sinne Individuen zu erziehen. Soziale Kontrolle in der Disziplinargesellschaft orientiert sich an moralischen Konzeptionen der Resozialisierung, der Besserung und der Behandlung.758 Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene erfolgt die Sicherstellung dieser Disziplin durch den Übergang von einem Einschließungsmilieu oder einer verwandten Sozialform in das bzw. die nächste: von der Familie zur Schule, in die Kaserne, in

753 Vgl. zu der damit verbundenen Rekommunalisierung sozialer Kontrolle in der Polizeiarbeit z.B. Behr 1998, Nitschke 1995, Prätorius 2004 sowie Wilke-Launer 1998. 754 Vgl. Beste 2000, Rohmer 1998, Walter 2001 und Wurtzbacher 2003. 755 Vgl. vor allem Michel 2005. 756 Vgl. vor allem Foucault 1995 (zuerst 1977). 757 Die Rolle der Arbeitshäuser für die Disziplinierung und Überwachung der städtischen Armen in verschiedenen Epochen beschäftigt Breuer, Jütte, Oexle, Pankoke und Stekl (alle 1986) sowie Sachße/Tennstedt 1980, 1983, 1986 und Jütte 2000. Vgl. Kap. 5.1 und 5.2. 758 Den Übergang von Disziplinar- zu Kontrollgesellschaften und die allmähliche Ablösung solcher moralischen Konzepte durch das „moralferne Konzept der Sicherheit“ beschreiben auch Lindenberg/Schmidt-Semisch 1995.

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die Fabrik,759 im Falle massiver Abweichung in eine Klinik, möglicherweise in ein Gefängnis. Soziale Kontrolle in diesen Milieus impliziert sowohl die Konzentration von Personen in einem Raum (in einem Gebäude), wie auch die Verteilung von Individuen in diesem Raum an bestimmten Orten (Hallen, Büros, Zellen, Zimmern, Aufenthaltsräumen etc.), die Unterwerfung unter ein strenges Zeitregiment (Arbeitstag, Stundenplan, Tagesablauf usw.), die Addition von Einzelkräften zu einer größeren Produktivkraft im Produktionsprozess etc., kurzum: Die Disziplin eines Gefängnisses ähnelt der einer industriellen Produktionsstätte, beide Modelle folgen derselben Logik und sind eng mit dem Fordismus verknüpft.760 Zentral ist auch eine weitere Überlegung: Macht, hier also die Macht zu disziplinieren, hat in keinem der Einschließungsmilieus einen konkreten Ort – sie zeigt sich zwar in Gestalt einer totalen Kontrolle über den Raum (z.B. in panoptischen Gefängnisbauten), ist aber im Raum selbst nicht zentralisiert. Sie ist ortlos und zeigt die Tendenz, in andere Milieus, Sphären, Räume zu diffundieren. „Diese Macht ist nicht so sehr etwas, was jemand besitzt, sondern vielmehr etwas, was sich entfaltet; nicht so sehr das erworbene oder bewahrte ‚Privileg‘ einer herrschenden Klasse, sondern vielmehr die Gesamtwirkung ihrer strategischen Positionen – eine Wirkung, welche durch die Position der Beherrschten offenbart und gelegentlich erneuert wird.“ [...] „Die ‚Disziplin‘ kann weder mit einer Institution noch mit einem Apparat identifiziert werden. Sie ist ein Typ von Macht; eine Modalität der Ausübung von Gewalt; ein Komplex von Instru-

759 Foucault siedelt die Hochzeit der Disziplinargesellschaft in der Zeit der Industrialisierung an. Vgl. Deleuze 1993; S.254. 760 Unterschiedlich ist nur die Bezahlung: So sagen Manager von „Prison Blue Jeans“, einem Unternehmen, das in Zusammenarbeit mit dem Oregon Department of Correction in einem Gefängnis Jeans herstellen lässt, im Film „Too soon for Sorry“ zu diesem Arbeitsdienst: „Eingesperrte Arbeitskräfte haben enorme Vorteile. Sie sind immer pünktlich und können sich nicht wegen kaputter Autos entschuldigen, weil sie verkatert oder im Gefängnis gelandet sind. So begeisterte Arbeiter, die noch dazu dankbar für schlecht bezahlte Jobs sind, finden sich heute auf dem freien Markt nicht mehr.“ Dazu ein Gefangener: „Sklaverei hat seine Form geändert.“ (Busch 2001, 77f., Übersetzung von G.L.). Ob Arbeit im Gefängnis von ökonomischer Bedeutung ist oder nicht, ist umstritten. Im Narrativ von der Disziplinargesellschaft ist Arbeit jedenfalls von erzieherischer Bedeutung im Sinne der Vorbereitung auf das Leben in der Fabrik. Es geht um die Einübung in Kontrolle, um die Verteilung im Raum, um Zeitmanagement und ein arbeitsrelevantes Zeitregime, es geht darum, eine produktive Einheit in einem raum-zeitlichen Gefüge so einzurichten, dass deren Output größer ist, als der der Summe ihrer Teile. Vgl. Farocki 2001b; S.71ff.

180 | STADT UND KONTROLLE menten, Techniken, Prozeduren, Einsatzebenen, Zielscheiben; sie ist eine ‚Physik‘ oder eine ‚Anatomie‘ der Macht, eine Technologie.“761

Diese Überlegung macht sich Stanley Cohen zu eigen und beschreibt die qualitativen Veränderungen sozialer Kontrolle im urbanen Raum als „Dispersion sozialer Kontrolle“ hin zu einer „strafenden Stadt“,762 die zugleich den Übergang von der fokussierten, am Individuum orientierten Disziplinierung hin zur übergreifenden Kontrolle markiert. Mit der Herausbildung eines Sozialkontrolle organisierenden zentralistischen Staatsapparates, in dem spezifische Typen devianten Verhaltens differenziert, selektiert, definiert und kodifiziert werden, entstehen unterschiedliche Formen von Institutionen, deren Gemeinsames in der Separierung der als deviant definierten Personen oder Gruppen von den als „normal“ Geltenden, hinsichtlich ihres Verhaltens, psychisch wie moralisch Konformen liegt. Diese Entwicklung beruht nicht zuletzt auf dem bereits angeklungenen Funktionsverlust traditioneller Gemeinschaften bezüglich informeller sozialer Kontrolle, der mit der zunehmenden Verstädterung einhergeht. Die sich entfaltende städtische Macht geht von den zentralen, hoch professionalisierten Funktionseinheiten über auf eine als homogen konstruierte Gemeinschaft der Städter und findet dort ihre strategische, mitunter nachbarschaftlich auftretende Position zur Aufrechterhaltung bzw. Reetablierung urbaner Ordnung, die zugleich von den Angehörigen dieser Gemeinschaft gegen die aus ihr Ausgeschlossenen definiert wird. Grundlegend für diesen Prozess ist die sich im Zuge einer Gouvernementalität des Städtischen ändernde Vorstellung von Subjektivität und Sozialität.763 Die sich in den Städten entwickelnde Abkehr von der ländlichen Gemeinschaft764 mit den ihr zugeschriebenen Restriktionen, ihrer „Tyrannei der Intimität“,765 war lange Zeit in der Urbanitätsnarration positiv besetzt und mit Begriffen wie Privatheit, Emanzipation oder Freiheit assoziiert. Angesichts des unterstellten Verlustes von Ordnung erlebt das Konzept der Gemeinschaft unter dem Etikett „Community“ eine Renaissance, die allerdings mehrere Akzentverschiebungen beinhaltet: „Anfangs entfaltete sich diese Vorstellung von der Ge-

761 Foucault 1995; S.38 und S.276f. 762 Vgl. dazu und dem Folgenden Cohen 1979a und b. 763 Vgl. Michel 2005; S.105. Ein Beispiel dafür sind die Wohn- und Gemeinschaftsformen, die für „New Urbanism“ typisch sind. Auch Projekte im Rahmen des Bund-LänderProgramms „Soziale Stadt“, in denen ebenfalls die nachbarschaftliche Gemeinschaft in Wohnvierteln gestärkt werden soll, können als weitere Beispiele gelten. Vgl. dazu Becker/Löhr 2000, Friedmann 2002, Häußermann 2000a, Löhr 2001, o.V. 1999f sowie Walther 2004a und b. 764 Vgl. hierzu Kap. 3.2, Fn.358 sowie Lindenberg 2000 und Hennig 1999. 765 Vgl. Sennett 1999 (zuerst 1977).

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meinschaft als verlorener Authentizität und Zusammengehörigkeit im sozialen Raum als Teil der Kritik und Opposition gegen eine bürgerferne Bürokratie. Wer sich als Aktivist für die Gemeinschaft stark machte, war eben kein Vertreter des wohlfahrtsstaatlichen Systems, das ja gerade als Entmündigungs-, Überwachungsund Kontrollinstanz galt.“766 Zunächst sind die aufkommenden urbanen, Kontrolle implizierenden Community-Ansätze mit positiven Assoziationen wie Abkehr von bürokratischer Entfremdung, Eigenverantwortung, Selbststeuerung, Autonomie etc. verbunden. „Annähernd zeitgleich wurde der Gemeinschaftsdiskurs auch von den Behörden, beispielsweise der Polizei, übernommen, um die Probleme zu begreifen, mit denen sie in ‚sozialen Brennpunkten‘ konfrontiert waren [...]. Innerhalb kurzer Zeit verwandelte sich das, was als Diskurs des Widerstands und der Gegenkultur begonnen hatte, aus zweifellos höchst ehrenhaften Motiven in einen Expertendiskurs und verfestigte sich zu einem professionellen Aufgabenfeld.“767

Dementsprechend wird konstatiert, dass sich die inhärenten emanzipatorischen Potenziale des Gemeinschaftskonzeptes angesichts dieser erneuten Problem- und Konzeptenteignung in ihr Gegenteil verkehren.768 Moralische Kategorien sind in der Community-Narration zentral: Abweichendes Verhalten im urbanen Raum wird mit Begriffen wie „Werteverfall“, „Versagen“, „Ablehnung bürgerlicher Umgangsund Verkehrsformen“, „Asozialität“, „Verwahrlosung“ etc. assoziiert, was Ausgrenzung im Sinne der Etablierung eines (moralischen) Drinnen und Draußen von Gemeinschaft vorantreibt. Die Wiedervergemeinschaftung sozialer Kontrolle beinhaltet drei Aspekte: Zum Ersten wird soziale Kontrolle unmittelbar, d.h. sie wird von spezialisierten Institutionen verlagert in die Lebenswelt der Städter, direkt in die Nachbarschaften, in denen sich spezifische, private Kontrollagenturen wie Nachbarschaftswachen etc. etablieren. Diese auf das Soziale gerichteten Sicherheitsdispositive beziehen sich nicht auf den gesamten Stadtraum, sondern auf kleinräumige, aber intensiv regulierte private Einheiten wie privatisierte Räume, Einkaufszentren oder abgeschlossene

766 Rose 2000; S.80. 767 Rose 2000; S.80f. Zum problematischen Begriff „sozialer Brennpunkt“ vgl. Dangschat 1995. 768 Dies lässt sich auch anhand des Konzepts „Empowerment“ zeigen, das eigentlich auf die Aktivierung eigener Potenziale zielt, aber zugleich Elemente der (Fremd-)Kon trolle in sich trägt. Vgl. Atkinson 2003, Bröckling 2003b und 2004, Keim 2000 sowie Takahashi 1997.

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Wohngegenden.769 Zum Zweiten impliziert die Wiedervergemeinschaftung sozialer Kontrolle die Homogenität der Kontrolleure. Diese Homogenität war im klassischen Wohlfahrtsstaat mit einem Bild verbunden: „Das seine sämtlichen Schichtungen und Variationen überwölbende Soziale hatte man sich als einheitlichen Raum vorgestellt, mit einem die ganze Nation einschließenden Territorium.“770 Die Vorstellung der „Verschiebung des Sozialen“, die im gouvernementalitätstheoretischen Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten vorherrscht, operiert dagegen mit der Vorstellung einer Privatisierung des Sozialen, dem Rückzug staatlicher (Sicherheits-)Dienstleistungen771 und damit einhergehend der Fragmentierung des Sozialen und des Raums, dessen Funktion und Zuweisung zu einer sozial homogenen Schicht eindeutig ist.772 Auf diese Weise etabliert sich eine homogene Gemeinschaft von Städtern mit gleichen, auf Konformität zielenden Werten, von denen abzuweichen sozial und jenseits juristischer Normen entweder starken Konformitätsdruck erzeugt oder mit Ausschluss sanktioniert wird.773 „Es geht nicht oder nicht nur um Kriminalität, sondern um das partikular-moralisch ‚passende‘ und ‚Schickliche‘, um Unordnung und ‚Incivilities‘ und dieses englische Wort heißt nicht Inzivilität, sondern schlicht Unhöflichkeit. Und damit ändert sich wiederum das Bild des Abweichlers. Es geht nicht um die Illegalität seiner Handlung, sondern vor allem um seinen Habitus und seine Form der Lebensführung, seine Tugenden und Loyalitäten und eine Reihe anderer Eigenschaften und Zuschreibungen sowie um die Frage ob diese innerhalb oder ‚unterhalb‘ dominanter symbolischer Standards liegen, die die je dominante Gruppe an einem je spezifischen Feld legen.“774

Zum Dritten ist die Narration von der Wiedervergemeinschaftung sozialer Kontrolle verbunden mit der Vorstellung eines im Sinne urbaner Sozialkontrolle zu aktivierenden sozialen Kapitals, das einen Beitrag zu Sicherheit und Regierung von Stadt leisten kann: „Soziales Kapital macht uns klüger, gesünder, sicherer, reicher und verbessert unsere Fähigkeit, eine gerechte und stabile Demokratie zu regieren.“775 Dementsprechend lässt sich schließen, dass Menschen, die über wenig soziales Kapital verfügen, und benachteiligte Stadteile, in denen die Bewohner erzwungener-

769 Vgl. Michel 2005; S.109. 770 Rose 2000; S.82. 771 Vgl. Thiel 1995 und Treiber 1998. 772 Vgl. z.B. Lauermann 1994. 773 Vgl. z.B. Wiles/Pease 2000. 774 Ziegler 2003, o.S. 775 Putnam 2000; S. 290 (Übersetzung von G.L.).

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maßen als Gemeinschaft leben, dümmer, ungesünder, ärmer etc., jedenfalls aber unsicher leben oder eine Gefahr für die Sicherheit der anderen darstellen. „Ähnlich wie ein Club, der unerwünschte Mitglieder aktiv ausschließt, weiht das schicke Wohnviertel jeden einzelnen seiner Bewohner symbolisch, indem es ihnen erlaubt, an der Gesamtheit des akkumulierten Kapitals aller Bewohner Anteil zu haben. Umgekehrt degradiert das stigmatisierte Viertel symbolisch jeden einzelnen seiner Bewohner, der das Viertel degradiert, denn er erfüllt die von den verschiedenen gesellschaftlichen Spielern geforderten Voraussetzungen ja nicht. Zu teilen bleibt hier nur die gemeinsame gesellschaftliche ExKommunikation. Die räumliche Versammlung einer in ihrer Besitzlosigkeit homogenen Bevölkerung hat auch die Wirkung, den Zustand der Enteignung zu verdoppeln, insbesondere in kulturellen Angelegenheiten.“776

Wer über soziales Kapital (und damit verbunden über ökonomisches und kulturelles Kapital) nicht oder nicht in ausreichendem Maß verfügt, wird aus bestimmten urbanen Kontexten der Innenstädte ausgeschlossen und als ihrerseits homogene Gruppe der Nicht-Besitzer stigmatisierten Vierteln zugewiesen, was den Zustand der Benachteiligung und den Anschein der Gefährdung für die Besitzenden wiederum verstärkt: „Es scheint, als gebe es außerhalb des Gemeinwesens der Inkludierten, außerhalb der Überwachungsgesellschaft eine Vielzahl von Mikrosektoren, in denen sich diejenigen aufhalten, die unfähig oder nicht willens sind, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen oder Risikomanagement zu leisten, die nicht in der Lage sind, verantwortlich ein selbstbestimmtes Leben zu führen, und die entweder keiner Gesinnungsgemeinschaft oder einer Gemeinschaft der Antigesinnung angehören.“777

Aus der Perspektive der Abweichung definierenden und Kontrolle ausübenden Gemeinschaft sind Angehörige dieser Gruppen Mitglieder einer GegenGemeinschaft, die qua Kontrolle eingedämmt werden muss, wenn nicht Lebensstil oder Besitz der eigenen Gemeinschaft bedroht werden soll. Alle genannten Aspekte machen deutlich, dass eine wiedervergemeinschaftete Sozialkontrolle für Regierung eine effiziente und damit entlastende Form der Steuerung darstellt. Alle drei Aspekte lassen sich auch für die urbane Sozialkontrolle in den disneyfizierten Städten des New Urbanism nachweisen.778 Aus der Perspektive einer Definition von Urbanität, die die Heterogenität der Städter mit einschließt, ist diese

776 Bourdieu 1998; S.23. 777 Rose 2000; S.103. 778 Vgl. Michel 2005; S.109ff.

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Form der Gemeinschaftsbildung und die Ausstattung der Gemeinschaft der Besitzenden mit Kontrollkompetenzen eigentlich anti-urban: „Je wirkungsvoller das Streben nach Homogenität und die Neigung, Differenzen auszumerzen, sind, desto schwieriger wird es, sich in Gegenwart von Fremden wohl und zu Hause zu fühlen; je bedrohlicher die Differenzen erscheinen, desto größer die Angst, die sie erzeugen. Das Projekt der Abschottung gegen die Polyphonie des städtischen Lebens in den Enklaven kommunitärer Einförmigkeit ist so selbstzerstörerisch wie selbstverstärkend.“779

Kontrolle, Überwachung und Bestrafung780 erfolgen laut der Narration von der Kontrollgesellschaft also wieder in einer vermeintlich urbanen lebensweltlichen Gemeinschaft, deren Restrukturierung und Funktionsverlust zuvor in der Urbanitätsnarration um Stadt und Emanzipation als Befreiung von den Fesseln des Ständewesens und anderer Herrschaftsformen als positiv dargestellt worden war.781 Die „Gemeinschaftskontrolle“ beinhaltet alle Formen formeller sozialer Kontrolle außerhalb der Mauern traditioneller Jugend- und Erwachseneninstitutionen und ist damit umfassend, weniger selektiv und unberechenbarer als die Kontrolle formeller Institutionen.782 Insgesamt soll so Kriminalitätsprävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe von den ausdifferenzierten und hoch professionalisierten Institutionen sozialer Kontrolle auf die Mitglieder der Gemeinschaft teilweise zurückübertragen werden.783 War die disziplinierende Kontrolle in Einschließungsmilieus noch räumlich klar vom sozialen Leben außerhalb der entsprechenden Asyle durch physische Barrieren getrennt, so führt diese Rückgabe zu einem normalisierenden „korrektiven Kontinuum“ und damit zur Auflösung auch der nicht-physischen Grenzen zwischen Abweichung/Normalität, gesund/krank, gefährlich/ungefährlich etc. in der Kontrollgesellschaft. Die Unklarheit über den Status des Individuums im nunmehr

779 Bauman 2003; S.127. 780 Zur Bestrafung in der Gemeinschaft seien nur zwei Beispiele genannt: Das Internet bietet die Möglichkeit, überführte Straftäter öffentlich an einen virtuellen Pranger zu stellen. So ist es in den USA und in Teilen Europas möglich, den Wohnort verurteilter Sexualstraftäter via Internet zu ermitteln. In diesem Zusammenhang kann auch die amerikanische Praxis, kleinere privatwirtschaftlich organisierte Gefängnisse in Wohnvierteln zu betreiben, interpretiert werden. 781 Der Wechsel von traditionaler gemeinschaftlicher zu der städtischen Vergesellschaftung der Moderne und wieder zurück beschäftigt auch Christopherson 1994; S.422ff. 782 Vgl. Cohen 1979a; S.343. Ein Beispiel für eine Maßnahme gemeinschaftlicher Kontrolle in Deutschland ist die Verhängung sogenannter „Arbeitsstunden“ in gemeinnützigen Einrichtungen im Rahmen des Jugendstrafrechts. Vgl. auch Cohen 1979b. 783 Vgl. Nitschke 1998.

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auf die Gemeinschaft räumlich ausgeweiteten, jetzt „offenen Einschließungsmilieus“ kann dazu dienen, den Status zwischen Drinnen und Draußen zu verschleiern, einerseits um Resozialisierung für die Eingeschlossenen zu ermöglichen, und andererseits, um die Nicht-Eingeschlossenen Träger sozialen, ökonomischen und kulturellen Kapitals von Abweichung im Sinne einer Generalprävention abzuhalten. So zeichnet sich die Gemeinschaftskontrolle operativ nicht nur durch das Vorhandensein relativ „offener“, als solche nicht mehr erkennbarer Asyle und Einschließungsmilieus aus,784 sondern vor allem durch die Bereitstellung präventiver Maßnahmen, die Abweichung verhindern oder zumindest früh diagnostizieren sollen und dementsprechend auf potenzielle „Vor-Delinquente“ oder „Risikopopulationen“ zielen. Im Gegensatz zum System des Gefängnisses als reinem Einschließungsmilieu der Normalisation, wo, abgesehen von strafrechtlich relevanten Faktoren, auch immer andere Variablen in die Beurteilung der Institutionen sozialer Kontrolle einfließen (z.B. Ethnie, Bildung, Klassenzugehörigkeit etc.), der Nachweis einer konkreten Rechtsverletzung aber immer die Voraussetzung für die Einweisung ist, zeichnet sich Gemeinschaftskontrolle nun dadurch aus, dass man nicht unbedingt gegen eine kodifizierte Norm verstoßen haben muss, um korrektiven Maßnahmen unterworfen zu werden. Es reicht, „unkooperativ“ gegenüber der Gemeinschaft gewesen zu sein785 oder den Verdacht moralischer Abweichung evoziert zu haben. Die Reduktion staatlicher Intervention zugunsten einer normalisierenden Intervention einer vermeintlichen urbanen Gemeinschaft, die „Transformationen“786 des Sozialen, führen also nicht zu einer Reduktion der Kontrollleistungen,787 sondern im Gegenteil zu einer Ausweitung des Kontrollhandelns. Einerseits wird also das „Netz“ sozialer Kontrolle788 gleichsam über Handlungen und Personen ausgeworfen, die der Intervention sozialer Kontrolle im disziplinierenden System der Ein-

784 Vgl. Davis 1994a; S.293ff. Lindenberg (1995a und b) setzt sich mit der zunehmenden Privatisierung des Strafvollzugs auseinander. Vgl. auch McMahon 1997. 785 Z.B. unentschuldigt seiner Therapie- oder Diagnosegruppe ferngeblieben zu sein. 786 Vgl. Rose 2000; S.104. 787 Eine solche wäre insbesondere dann wünschenswert, wenn man davon ausgeht, dass Abweichung und Stigmatisierung in erster Linie Ergebnisse sozialer Kontrolle, nicht deren Ursache sind. 788 Vgl. zu diesem Bild Cohen 1979a; S.346 und 1979b; S.610f. Cohen spricht im Weiteren von der Erweiterung des Netzes („Widening the Net“) und der Verengung der Maschen („Thinning the Mesh“). Diese Metapher findet sich auch im Diskurs um das vermeintliche Wegbrechen des staatlich-kommunalen sozialen Netzes („Safetynet“) und die gleichzeitige Ausdehnung des Netzes sozialer Kontrolle, besonders aber polizeilicher Repression („Dragnet“). Vgl. dazu Wacquant 1998b; S.8.

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schließung oder des gesellschaftlichen Ausschlusses nicht anheimgefallen wären, andererseits werden die Maschen des bereits ausgeworfenen Netzes so verengt, dass nun auch Verhaltensweisen als abweichend indiziert werden, die zuvor noch als normal, nicht-pathologisch und legal galten.789 In der kontrollgesellschaftlichen, urbanen Gemeinschaftskontrolle werden andere Personengruppen und Verhaltenskategorien erfasst, als dies die Narration von der Disziplinargesellschaft unterstellt. Weil nicht Ein- oder Ausschluss diese Vision urbaner Sozialkontrolle kennzeichnen, greifen erzieherische Maßnahmen: Diversion, also die „Umleitung“ Straf- oder Verhaltensauffälliger in den Zuständigkeitsbereich der Sozialarbeit,790 bedeutet die Minimierung formaler Sozialkontrolle zugunsten der „Überweisung“ potenziell Delinquenter in strukturell gleiche oder ähnliche, funktional aber äquivalente, informelle oder auch formelle Kontrolle, Überwachung, Therapie und Bestrafung durch die unmittelbaren und homogenen Gemeinschaften. Dazu wird soziale Kontrolle, die aus den Einschließungsmilieus in den urbanen Raum diffundiert, verschleiert und maskiert: Gefängnisse bzw. Korrekturinstitutionen791 sind als solche nicht erkennbar, die in aller Regel behavioristisch inspirierte Therapie und angeblich resozialisierende Interventionen erscheinen als Prävention, der Vollzug von Überwachung, Bestrafung und Kontrolle wird sprachlich so rekodiert, dass der eigentliche Zweck der Maßnahmen dem Laien zu-

789 Man könnte diese Entwicklung aus biopolitischer Sicht auch an dem Versuch, den Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit oder das Rauchen an allen möglichen Orten zu verbieten, aufzeigen. 790 Vgl. zur Rolle der Sozialarbeit in diesem Zusammenhang unter anderem AK Streetwork 1998, Beckmann 2001, Behrendes 1998, Brumlik 2005, Jaschke 1998, Kessl 2001, Kleve 1997, Manderscheid 1997, Merten 2001, Nagel/Rieckmann 1999, o.V. 2000g und 2004, Sachse 1990, Sünker 2003 sowie Stern 1999. Konstitutiv für Sozialarbeit ist das „doppelte Mandat“ von Hilfe und Kontrolle. Insofern kann die Sozialarbeit mit Angehörigen der „urban Underclass“ (vgl. Kap. 4.1) zumindest funktional „vertreibende Hilfe“ sein. Vgl. Krebs 2001; S.140. Im Diskurs wird zum Verhältnis von Sozialarbeit und polizeilicher Intervention angemerkt, dass sich Sozialarbeit um die Probleme kümmert, die auffällige Menschen haben, während Polizei und Ordnungsamt sich um die Probleme kümmern, die auffällige Menschen machen. Zur Sozialpolitik in der Stadt vgl. MacGregor 2001. 791 In den USA existieren beispielsweise spezifische „Correction Facilities“ für verschiedene Delinquentengruppen: Boot Camps, in denen Jugendliche nach militärischem Drill systematisch gedemütigt und so diszipliniert werden sowie die üblichen kommunalen und bundesstaatlichen Gefängnisse und eine wachsende Anzahl von Privatgefängnissen mit je besonderer, klientenzentrierter Ausrichtung. Vgl. auch Christie 1994, zum deutschen Trend Diederichs 1999.

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nächst unklar bleibt.792 Das hat Konsequenzen für den rechtlichen Status des vermeintlich Delinquenten und seine rechtsstaatlichen Möglichkeiten zur Überprüfung solcher Maßnahmen: „In einem System niedriger Sichtbarkeit und niedriger Zurechenbarkeit gibt es wenig Raum für solche Feinheiten wie einen gerechten Prozess oder gesetzliche Rechte.“793 Die Zentralisierung sozialer Kontrolle ist mit der Ausbildung einer öffentlichen, professionalisierten, staatlichen oder auch regionalen oder kommunalen Polizei als einer Instanz sozialer Kontrolle einhergegangen. Mit der Vergemeinschaftung sozialer Kontrolle scheint sich der öffentliche Charakter sozialer Kontrolle zu ändern – und die Rolle der privaten Sicherheitsdienstleistungen beginnt zu wachsen. Öffentliche (staatliche) und private (gemeinschaftliche) Kontrolle mischen sich und geben urbaner Kontrolle somit weitere, qualitativ differente Tönungen. Damit bekommen Unternehmen, die privatrechtlich operieren und auch nicht öffentlich-rechtlich beliehen im Sinne des Verwaltungsrechts sind, hinsichtlich ihrer Kontrollfunktionen einen „para-legalen“ Status: Sie haben keine hoheitlichen Befugnisse, greifen dennoch tief in die private Sphäre der von ihnen kontrollierten Klientel ein. Privatleute übernehmen als Angehörige von Nachbarschaftswachen oder Angestellte von Sicherheitsfirmen traditionelle Polizeiaufgaben. Gleichwohl wird das teilweise vormodern und ländlich anmutende gemeinschaftliche Leben des New Urbanism nicht wiederbelebt, es wird lediglich in groben Zügen nachgestellt: „Unnötig zu sagen, dass die heutigen Formen der Friedenserhaltung durch die Gemeinschaft nicht ganz dieselben sind wie in den goldenen Tagen ‚wechselseitiger Verantwortung‘. Ein geschlossenes Fernsehnetz, Zwei-Wege-Radios, Patrouillen von Vigilanten und Polizeilockvögel simulieren kaum das Leben in einem vorindustriellen Dorf.“794 Die Foucault’schen Einschließungsmilieus der Disziplinargesellschaften repräsentieren nicht nur soziale Isolation und räumliche Beschränkung, sie dienen auch zur Ritualisierung von physischer Exklusion. Insofern erfüllen die eingeschlossenen Ausgeschlossenen die Funktion des Sündenbocks, der die Sünden der Gemeinschaft mit sich, gewissermaßen weg von der Gemeinschaft trägt. Der Einschluss in ein solches Milieu folgt diesem Muster. Da dieser Einschluss aber im Rahmen von Gemeinschaftskontrolle weitestgehend wegfällt, muss eine Kontrollintervention

792 Zur sprachlichen Verschlüsselung neuer Formen sozialer Kontrolle vgl. Cohen (1985; 273ff.), der in der Tradition eines Orwell’schen Newspeak die sprachliche Vorbereitung mehr oder minder totalitärer (Kontroll-)Regimes untersucht. Die sprachlogische Simulation bzw. Reetablierung von Gemeinschaft im Sinne von Nachbarschaft analysiert Kreissl (1987) am Beispiel australischer Neighborhood Watch Programs. Vgl. auch Hess 2001. 793 Cohen 1979a; S.351; Übersetzung von G.L. 794 Cohen 1979a; S.355; Übersetzung von G.L.

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gleichzeitig sowohl dem sozialen Ausschluss, als auch der Reintegration in die Gemeinschaft dienen. Das kontrollgesellschaftliche Modell der „strafenden Stadt“, dem die soziale Kontrolle des Disney-Modells weitgehend entspricht, zeichnet sich durch das Vorhandensein unmittelbarer, homogener Gemeinschaft mit Kontrollfunktion in fragmentierten Räumen aus. Es ermöglicht die Dispersion sozialer Kontrolle weit hinein in die Lebenswelt der Städter, dringt in ihr Privates ein, verschleiert das Kontrollhandeln, absorbiert Deviante entweder in die Gemeinschaft oder schließt sie aus und erweitert das Kontrollnetz verengter Maschen. Dabei werden neue, moralbasierte Kategorien abweichenden Verhaltens und entsprechende Reaktionen auf Abweichung von ihnen geschaffen, die dann je unterschiedlichen Agenturen zur Bearbeitung zugewiesen werden. Disziplinierung gelingt nicht nur in Einschließungsmilieus, sondern auch in fragmentierten, nur vermeintlich offenen Räumen. In Stadt entstehen so, um in der Sprache Foucaults zu bleiben, „hunderte winzige Theater der Bestrafung“.795 Daran schließt Gilles Deleuze mit seiner Narration von der Kontrollgesellschaft an:796 Demnach befinden sich die traditionellen Einschließungsmilieus in einem Transformationsprozess. Die soziale Isolation in einem Einschließungsmilieu wird zugunsten einer Sektorisierung, d.h. der Verteilung funktionaler Leistungen eines Milieus in mehrere, abgelöst. Der analoge, lineare Charakter aufeinander folgender Milieus wird durch einen Code numerischer, binärer Kontrollen ersetzt, sodass der starre und formale Disziplinierungsapparat mehr und mehr durch „flexible Modulationen“ in diversen Kontrollagenturen ersetzt wird. Dies wird am Beispiel der Produktion verdeutlicht: In der disziplinierenden Fabrik herrscht ein System der starren Löhne, die bei steigender Produktivität unter fordistischem Akkumulationsregime relativ niedrig bleiben. Die Fabrik wird unter postfordistischem Akkumulationsregime ersetzt durch das Unternehmen, in dem die Gehälter nach einem System von Sondergratifikationen (Boni, Prämien), flexiblen Statuszuweisungen und Selektionsverfahren moduliert werden. Die daraus folgenden, durch finanzielle und aufstiegsrelevante Belohnungen motivierten Konkurrenzkämpfe innerhalb der Belegschaft sichern eine hohe interne Kontrolldichte – allerdings ohne im Sinne Foucaults individuell zu disziplinieren. Das Einschließungsmilieu der Schule wird ersetzt durch die Modulationen lebenslanger Weiterbildung, sodass die scheinbare Entlassung aus einem Einschließungsmilieu einem tendenziell unbegrenzten Konti-

795 Zit.n. Cohen 1979a; S.359; Übersetzung von G.L. Auf die symbolische Funktion der öffentlichen Wahrnehmbarkeit von Bestrafung war bereits bei der Beschreibung des Durkheim’schen Konzepts vom Kollektivbewusstsein hingewiesen worden. 796 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Deleuze 1990 und 1993.

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nuum in der Kontrollgesellschaft weicht. War noch in den Disziplinargesellschaften jedes Individuum durch eine persönliche, aktenmäßige Signatur gekennzeichnet und seine Position in der Masse durch eine Zahl bestimmbar, werden nun Zugangsmöglichkeiten und die Verfügung über Ressourcen über „Losungen“, über soziokulturelle Chiffren reguliert. Ein weiterer Aspekt der Narration von der Kontrollgesellschaft liegt in der Verwendung von Technologie: Souveränitätsgesellschaften bedienten sich relativ einfacher Mechanismen zur Produktion und Bestrafung, Disziplinargesellschaften operierten vornehmlich mit Maschinen und Einschließungsmilieus, Kontrollgesellschaften schließlich arbeiten mit elektronischen Informations-, Kommunikations- und Kontrolltechnologien.797 Die fordistische Disziplinargesellschaft zeichnete sich in erster Linie durch zwei Variablen aus: Eigentum und Konzentration des Kapitals. Zur Sicherung dieser Faktoren errichteten die Kapitaleigner verschiedene analoge Milieus der Fabrikschulen, der Werkswohnung,798 des Arbeitshauses und des Gefängnisses. Unter postfordistischen Produktions- und Konsumtionsbedingungen spielt weniger die ausgelagerte Produktion eine Rolle, sondern zunehmend der Handel mit Dienstleistungen. Insofern macht Einschließung wenig Sinn, wichtiger ist die Streuung von Leistungen auf dem Markt, schließlich die Steuerung und Kontrolle von Distributionsabläufen im Marketing: „Marketing heißt jetzt das Instrument sozialer Kontrolle und formt die schamlose Rasse unserer Herren. Die Kontrolle ist kurzfristig und auf schnellen Umsatz gerichtet, aber auch kontinuierlich und unbegrenzt, während Disziplin von langer Dauer, unendlich und diskontinuierlich war.“799 Die tief greifenden Veränderungen postfordistischer Ökonomie verfestigen die relative Deprivation eines großen Teils der Weltbevölkerung und eines relevanten Teil der hiesigen städtischen Bevölkerung. Gleichwohl ist die Masse dieser Menschen zu groß, um sie einzusperren800 – die sich ausweitenden oder entstehenden Ghettos drängen in die Inseln des Wohlstandes, was wiederum die Kontrolle über die „gefährlichen Klassen“ ihrer Bewohner ins Zentrum der urbanen Politik rückt. Eine mögliche technologische Lösung ist die Kontrolle der Position eines Individuums im Raum mittels elektronischer Sender und Chips,801 in denen Daten wie Zu-

797 Vor diesem Hintergrund lässt sich die Verwendung von Videokameras im öffentlichen Raum als Kennzeichen einer Kontrollgesellschaft interpretieren. 798 Vgl. zum Zusammenhang von Werkswohnung und Effizienzsteigerung der Produktion im Fordismus Berg 2009. 799 Deleuze 1993; S.260. Die Bedeutung des Stadtmarketings steigt entsprechend. 800 Gleichwohl steigt die Zahl der Gefangenen in den USA stetig. Vgl. o.V. 2000m. 801 Als Beispiele können die inzwischen weitverbreiteten Chipkarten gelten: Krankenkassenchipkarten, Mobilitätstickets und Eintrittskarten mit integrierten Chips, Geldkarten,

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gangsberechtigungen, quasi raumbezogene Akkreditierungen, oder Chancen der Ressourcenverfügung und des Konsums gespeichert sind. In Modellprojekten sind bereits Teile des Einschließungsmilieus des Gefängnisses ersetzt worden durch den Strafvollzug in der privaten Wohnung des Delinquenten. Mit Hilfe eines „elektronischen Halsbandes“ ist die umfassende Kontrolle über den Tagesablauf des so Gefangenen gewährleistet.802 Bewegung im urbanen Raum wird auf diese Weise moduliert, Strafe und Sicherheit werden so reformiert. Es wird diskutiert, ob und inwiefern der Ansatz von Deleuze vereinbar mit dem Foucault’schen Konzept der Disziplinargesellschaft ist. Aus einer gouvernementalitätstheoretischen Sicht stellt die Kontrollgesellschaft lediglich ein anderes Regime dar, das sich aus dem disziplinargesellschaftlichen ableiten lässt.803 Vieles von dem, was bei Deleuze als Kennzeichen der Kontrollgesellschaft apostrophiert wird, wird bei Foucault unter dem Stichwort der Gouvernementalität behandelt. Insofern sind die Konzepte von Kontroll- und Disziplinargesellschaft nicht gegensätzlich – als Debattenbeiträge skizzieren beide zeitgenössische Rationalitäten staatlichen und außerstaatlichen Kontrollhandelns mit unterschiedlichen Akzenten und unter Verwendung unterschiedlicher Begrifflichkeiten. Zentral für das Konzept der Kontrollgesellschaft wie für das der Gouvernementalität ist dabei der Begriff der „Regierung aus der Distanz“, der auf die permanente, auch nicht-staatlichen Akteuren übertragene Überprüfung und Kalkulation mittels Technologie und unter dem Leitprinzip der Sicherheit abhebt, und der Begriff der „Regierung über Freiheit“, der auf die Herstellung von Verhältnissen, in denen Menschen aktiviert werden, eigenverantwortlich zu handeln, zielt. Eine solche kommunale Sicherheitspolitik kann als gouvernementale Strategie der Regierung verstanden werden.804 Damit verbunden ist eine Änderung der Rationalität und Technologie der Kontrolle, die weniger auf Repression als vielmehr auf Subjektivierung und damit Selbststeuerung setzt. Für die Thematisierung urbaner Sozialkontrolle bedeutet dies eine Verschiebung weg von den Strategien der Repression abweichenden Verhaltens im Sinne einer Normalisation hin zu einem normalisierenden Management des Phänomens Abweichung im Rahmen eines marktförmigen Produktes „Sicherheit“.805 Die Rede vom „Rückzug des Staates“, die für die kontrollgesellschaftliche Gouvernementalität

„Asylkarten“ etc. Vgl. Alisch 2001, Brandt 1999, Ebner 1999, Höller/Lyon 1997 und o.V. 1998c. 802 Da die Überwachung qua elektronischem Halsband teilweise auch von privaten Unternehmen durchgeführt wird, entsteht eine kommerzielle Verbindung von Privatwirtschaft und Sozialkontrolle. Vgl. Bammann/Temme 2001, Lindenberg 1995b und Pilgram 1995. 803 Vgl. dazu und zum Folgenden Krasmann 1999; S.107ff. 804 Vgl. Stenson 1996 und 2001, Stenson/Edwards 2001 sowie Sullivan 2001. 805 Vgl. de Haan 1998.

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kennzeichnend ist, wird vor diesem Hintergrund verständlich. An seine Stelle tritt das eigenverantwortliche Subjekt, das als „Unternehmer seiner selbst“806 sich ohne äußeren Zwang selbst regiert und die Verantwortung für die Konsequenzen seines Handelns hinsichtlich einzelner Lebenssituationen wie bezogen auf die gesamte Lebensführung sich selbst zuschreibt. Sofern im urbanen Kontext bestimmte Verhaltensweisen gesellschaftlich negativ sanktioniert sind, ist im Sinne von Selbststeuerung mit Konformität zu rechnen. Die etablierte städtische Ordnung ist so verstanden das Ergebnis sich selbst disziplinierender Subjekte. Abweichendes Verhalten und Störungen der Ordnung werden dementsprechend nicht Strukturbedingungen,807 sondern dem Versagen der Fähigkeit zur Selbststeuerung zugerechnet und entsprechend sanktioniert. Wer betteln muss, hat als „unternehmerisches Ich“ versagt, wer im Übermaß und öffentlich Drogen oder Alkohol konsumiert, hat hinsichtlich seiner Fähigkeit zur Selbststeuerung und -disziplinierung versagt etc. Prinzipiell eröffnet dieses Versagen zwei gesellschaftliche Reaktionsweisen: Entweder werden die Abweichenden disziplinierend erzogen oder als der Verhaltensänderung oder der Einsicht in das Notwendige unfähig ausgeschlossen. Der „Unternehmer seiner selbst“ orientiert sich weniger an rigiden Verhaltensmaßgaben von außen, sondern an der Einsicht in die Notwendigkeiten des Systems und einer an sie angepassten, moralbasierten Lebensweise. Wer dem nicht folgt oder diese Lebensweise hinterfragt, widerspricht offen moralischen Imperativen und kann dementsprechend als amoralisch, faul, dumm, und „selber schuld“ qualifiziert werden. Wenn man im Diskurs einen Unterschied von Disziplinar- und Kontrollgesellschaft ausmachen will, läge er wohl im allmählichen Übergang von externer Kontrolle mit ihrer Auswirkung auf das Innere des Kontrollierten hin zu einer situationsspezifischen, flexiblen Anpassung an Systemimperative. Im Zentrum der Beurteilung von Abweichung stehen die Disziplin und der Gehorsam. Unterschiede in der Interpretation ergeben sich vor allem hinsichtlich der Quellen der Disziplin: „Der ‚Unternehmer seiner selbst‘ löst das Disziplinarindividuum ab, den innengeleiteten Charakter, der, von seiner Persönlichkeit ‚beseelt‘, sein Handeln nach Wertorientierungen und Moralvorstellungen ausrichtet, ausrichten muss, eingezwungen in das Korsett von Identität und Gewissen(sbissen).“808 Aber: „Die Befreiung aus den Zwängen der Disziplin, der Normalisierung und Moralisierung, von Zwängen, die auch mit zugestandener Fürsorge verbunden sind, bringt andere Formen des Zwanges mit sich, die als solche nicht wahrgenommen werden müssen und dennoch etwas

806 Krasmann 1999; S.112. 807 Vgl. zur gegenteiligen Position z.B. Girling/Loader/Sparks 2000. 808 Krasmann 1999; S.113.

192 | STADT UND KONTROLLE eigentümlich Zwingendes an sich haben, wie die Einsicht in Notwendigkeiten, beispielsweise für sich selbst zu sorgen, und vor allem in das, was vernünftig ist, worin eine angemessene, kluge und in diesem Sinne richtige Lebensweise bestehen sollte.“809

Auf diese Weise erfährt die Freiheit, das emanzipatorische Potenzial, das Stadt in der Urbanitätsnarration zugeschrieben wird, eine doppelte Einschränkung: Freiheit in Stadt kann sich nur im Rahmen der Einschränkungen bewegen, die sich entweder aus dem disziplinierenden oder dem selbststeuernden Moment urbaner Lebensweise ergeben. Die Freiheit, sich über solche Imperative hinwegzusetzen, wird entweder mit dem Versuch der erzieherischen Verhaltensänderung oder dem sozialräumlichen Ausschluss quittiert. Im Diskurs wird konstatiert, dass die „Rückkehr der ‚gefährlichen Klassen‘“ im Kontext mit den sich in der Narration von der Kontrollgesellschaft angesprochenen Veränderungen der Rationalität staatlichen Kontrollhandelns gesehen werden muss.810 Denn im Gegensatz zu den „alten gefährlichen Klassen“, die mit der Gefährdung der politischen Ordnung assoziiert wurden, stellen die neuen gefährlichen Klassen von Obdachlosen, Alkoholkonsumenten, Jugendgangs etc. „[...] keine politische Gefahr und keine gewichtige Herausforderung mehr für die bestehende ökonomische und moralische Ordnung dar. Sie sind ein Abfallprodukt einer sozialen Entwicklung, die für sie keinen Platz vorsieht.“811 Ihre Gefährlichkeit ist anders codiert: „Die gefährlichen Klassen sind gefährlich, insofern sie da sind. Ihre Gefährlichkeit schwindet, insofern sie weg sind. Sie müssen verschwinden, jedoch nicht vollständig. Denn ihre bloße Anwesenheit legitimiert weitere Interventionen.“812 Die Existenz der neuen gefährlichen Klassen ist in dieser Interpretation auch dem Wandel der ökonomischen Regulationsweise geschuldet, die durch den Übergang vom Fordismus zum Postfordismus gekennzeichnet ist.813 Mit dem Verschwinden des dequalifizierten Produktionsarbeiters und einer auf Individualisierung und Homogenisierung der Lebenslagen zielenden Gesellschaftspolitik entstehen im Postfordismus vielfältige Spaltungen und Differenzierungen, auf die sich staatliche Regulation einstellen muss. Der fordistische Interventionsstaat wird durch einen postfordistischen Managementstaat ersetzt, der flexibel nach vermeintlichem Bedarf und nicht im Sinne der Durchsetzung einer universellen moralischen Ordnung handelt:

809 Krasmann 1999; S.113. 810 Vgl. Prömmel 2002; S.243. 811 Krasmann/de Marinis 1997; S.177. Vgl. auch Prömmel 2002; S.243. Das Wort Platz kann dieser Kontext durchaus räumlich verstanden werden. 812 Krasmann/de Marinis 1997; S.179. 813 Vgl. Kap. 2.1.

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„Insgesamt geht es in dieser nachfordistischen Regulationsweise in der Bundesrepublik um eine Deregulierung arbeitspolitischer Strukturen im Produktionsbereich, um eine RePrivatisierung der Kosten und Risiken, eine ‚Effektivierung‘ sozialer Dienstleistungen durch deren Spezialisierung, Ambulantisierung, Familialisierung, sowie die Regulation und Bearbeitung der für die Flexibilität der nachfordistischen Akkumulationsweise funktional notwendigen Reservearmee und der dauerhaft aus dem Produktionsprozeß Ausgegrenzten: d.h. es ist nicht mehr das Ziel der Regulation, ein ganz bestimmtes Normalitätskonzept durchzusetzen, sondern der Sozialpolitik kommt die umfassendere Aufgabe der Regulation einer gespaltenen Gesellschaft zu.“814

Damit stellt sich die Frage, inwiefern Disziplin angesichts dieser Situation eine angemessene theoretische Referenz darstellt, und ob nicht die Perspektive auf Kontrolle adäquat wäre. Mit Blick auf das Konzept der Sozialdisziplinierung,815 die definiert wird als „[...] die Totalisierung jener Disziplinartechniken, mit deren Hilfe abweichendes Verhalten schon an der Wurzel ausgerottet wird [...]“ und „[...] als Sozialisation in eine Gesellschaft, die durch eine asymmetrische Kombination ihrer Elemente, d.h. [...] durch Herrschaft gekennzeichnet ist“,816 wird der Bedeutungsverlust der Disziplin bestritten.817 So umfassend verstanden geht Sozialdisziplinierung weit über andere Disziplinbegriffe (z.B. bei Max Weber, Gerhard Oestreich und Michel Foucault) hinaus und wird unter Einbeziehung ihrer Formprinzipien Kommunalisierung, Rationalisierung, Bürokratisierung und Pädagogisierung universell: „Sie umfasst auch die wohlfahrtsstaatlichen Apparate und Akteure selbst und schafft damit Sicherheit und Freiräume für seine Klienten. Disziplinierung kann nicht mehr als einseitige, pädagogisch-repressive Unterwerfung einer Bevölkerungsgruppe unter die Normen einer anderen verstanden werden, sondern als Ausdruck dezentraler, umfassender Rationalisierung von Lebensführung und Lebensverhältnissen, als Ausdruck umfassender gesellschaftlicher Normalisierung.“818

Damit kommen sich der Disziplin- und der Kontrollbegriff, mit dem Deleuze argumentiert, relativ nahe. Gleichwohl zeigen sich am Stellenwert von Moral auch Unterschiede zwischen beiden Konzepten. In der Kontrollgesellschaft verzichtet der Staat auf individuelle Sanktionen zugunsten eines Risikomanagements komplexer

814 Schaarschuch 1994; S.78. Kursiv im Original. 815 Vgl. Prömmel 2002 sowie Breuer, Jütte, Oexle und Sachße/Tennstedt (alle 1986). 816 Beide Zitate aus Breuer 1986; S.62f. 817 Vgl. Prömmel 2002; S.247ff. 818 Sachße/Tennstedt 1980; Bd.1; S.371.

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Gruppen und Räume: „Da den Menschen mit ihren vielen unterschiedlichen Identitäten in den zahllosen Subkulturen nicht mehr mit einer universellen, alle gleichermaßen disziplinierenden Moral beizukommen ist, wird nun der einzelne aus dem zu aufwendig gewordenen Kontrollblick entlassen.“819 Moral ist im Narrativ der Kontrollgesellschaft eine Kategorie von untergeordnetem Stellenwert. Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit tauchen allerdings sowohl im theoretischen wie in praktischen Zusammenhängen moralische Kategorien auf, sei es, dass es um den „strafenden Staat“, das „moralische Versagen“ von problematisierten Gruppen oder „Bürgerlichkeit“ und Urbanität geht. Insofern kann von einer Entmoralisierung des Diskurses keine Rede sein: „Solche Entmoralisierung [...] bezieht sich jedoch vor allem auf die Art der Zuschreibung und Sanktionen, weniger jedoch auf den Effekt, der sich durchaus als die Herstellung einer ‚moralischen Ordnung‘ gewissermaßen neuen (oder: überwunden geglaubten) Typs betrachten lässt.“820 Diese Ausweitung von Moral greift tradierte Stereotypen von Gefährlichkeit wieder auf und formuliert damit zugleich die moralischen Imperative einer Mehrheit, an denen sich die Problemgruppen und Risikopopulationen dann messen lassen müssen. Auch die Formprinzipien, die kennzeichnend für Sozialdisziplinierung sind, sind innerhalb des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit nicht suspendiert. Kommunalisierung zeigt sich beispielweise in der geänderten Behandlung ansässiger und fremder Randständiger, Pädagogisierung z.B. in den Versuchen der „Aktivierung“821 und der Sanktionierung von Passivität durch den Entzug von Leistungen. Im Wesentlichen geht es bei solchen Maßnahmen letztlich um die Unterwerfung von sich abweichend Verhaltenden unter ein moralisch bestimmtes Modell der Lebensführung. Gleichwohl hat sich gegenüber klassischen disziplinargesellschaftlicher Ensembles die Rolle und Form von Kontrolle verändert. Die Verschränkung beider Konzepte lässt sich mit einem Bild verdeutlichen: „So bleibt zu fragen, ob man die drei von Foucault beschriebenen Machttypen [...] nicht eher als verschiedene Aggregatzustände eines und desselben verstehen sollte: Die Souveränitätsmacht mit ihrer starken Wirkung in einem Zentrum, der oestreichschen Stabsdisziplinierung, die umso schwächer wird, je weiter man in die Peripherie vordringt, als festen Zustand. Die Disziplinarmacht lässt sich dagegen insofern als Verflüssigung charakterisieren, als sie kein bestimmbares Zentrum mehr hat, sondern den Gesellschaftskörper mit ihren verschiedenen Einschließungsmilieus durchzieht, welche aber noch voneinander abgrenzbar sind. Die Gouvernementalitätsmacht schließlich als gasförmiger Zustand wirkt zwar dünner als die beiden

819 Lindenberg/Schmidt-Semisch 1995; S.5. 820 Legnaro 1998; S.272. 821 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Diskussion um „Empowerment“ bei Bröckling 2003b und 2004. Vgl. Fn.768.

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anderen Zustände, aber umfasst endlich den Gesellschaftskörper in Gänze und lässt sich flexibel, je nach Bedarf, an bestimmten Punkten verdichten, während an anderen seine Intensivität abnimmt.“822

Die Militarisierung sozialer Kontrolle, die sich als dritte Vision im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten finden lässt, setzt unter anderem bei dem Moment der technologischen Überwachung an. 3.3.2.3 Die Militarisierung städtischer Sozialkontrolle: Aufrüstung und Überwachung im Raum „Während Städte immer schon dicht mit militärischen Technologien, Interessen und Strategien verknüpft waren, wird jetzt klar, dass die Intensivierung der globalen Urbanisierung, Ressourcenknappheit, Ungleichheiten und Bevölkerungsdruck die Rolle des städtischen Terrains als strategischem Gelände des Militärs und für soziale und repräsentationsbezogene

Auseinandersetzungen

weiter

wachsen wird.“ STEPHEN GRAHAM823 „Einem städtischen Raum, in dem der latente Bürgerkrieg herrscht, ist die Stadtkultur verlorengegangen.“ HARTMUT HÄUSSERMANN824 „Niemand kann das Recht geltend machen, unerkannt durch die Stadt zu gehen.“ WOLFGANG BOSBACH825

Die dritte Vision urbaner Sozialkontrolle verweist als Narration einerseits auf Sprache als Medium der Wirklichkeitsbeschreibung, andererseits aber auch auf die technische Ausstattung des Raums, die Strategien urbaner Kontrolle sowie schließ-

822 Prömmel 2002; S.254. 823 Graham 2002. 824 Häußermann 1996; S.48. 825 Zit.n. Wehrheim 2002a; S.91. Bosbach war 2002 CDU-Fraktionsvize im Deutschen Bundestag und Beauftragter für Innen- und Rechtspolitik.

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lich auf das damit angesprochene Verhältnis von Überwachung als Fremdkontrolle und reaktive Selbstdisziplinierung als deren Korrelat im städtischen Raum.826 Alle drei Aspekte sind in der Narration von der Militarisierung des städtischen Raums miteinander verknüpft. So ist etwa die Rede von „Militarisierung“,827 einem „Krieg gegen das Verbrechen“, von einer „Aufrüstung“,828 einem „neoliberalen Truppenaufmarsch“,829 von einem „Feldzug gegen Kriminalität“ und der Polizei als „Streitmacht“, von „defensible Space“,830 von der Stadt als „Kampfgelände“831 oder „Kriegsschauplatz“,832 von einem „Abwehrkrieg“833 in den U-Bahnen, von einem „Aneignungskampf“,834 von „Military Operations in Urban Terrain“835 oder von einem „sozialen Krieg“ zwischen der Lebenswelt der Armen und der der Reichen.836 Bei der Schilderung der Zustände in den Städten und den Strategien ihrer Kontrolle werden Bilder und Begriffe bemüht, die ursprünglich aus dem militärischen Sprachgebrauch stammen: „Wir leben in ‚Festungsstädten‘, die brutal gespalten sind in ‚befestigte Zellen‘ der Wohlstandsgesellschaft und ‚Orte des Schreckens‘, wo die Polizei kriminalisierte Arme bekämpft.“837 Auch wird intensiv diskutiert, ob und inwiefern das Militär im „Inneren“, also im urbanen Raum, eingesetzt werden darf.838 Im Wesentlichen basieren diese Metaphern und Überlegungen

826 Zur sprachlichen Vorbereitung entsprechender quasi-militärischer Maßnahmen vgl. Rada 1997a; S.173ff., zu Kriegsmetaphern in diesem Zusammenhang vgl. Brüchert/ Steinert 1997 und 1998. 827 Rada 1996f. 828 Vgl. für das Beispiel Los Angeles Davis 1994a; S.259, 1994b, 1995a-c sowie 1996. Vgl. auch o.V. 1998f. 829 Eick 2005. 830 Newman 1973 (zuerst 1972). 831 Neitzke 1999. 832 Wehrheim 1998b; S.10. 833 Herbst 1997; S.12 834 Rada 1997a; S.149. 835 Dabei handelt es sich um eine Strategie der NATO. Vgl. Graham 2002. 836 Vgl. hierzu Arantes 1996 am Beispiel Sao Paulos und Hartmann 1998. Zum Verhältnis von Stadt, Krieg und Städtebau vgl. Koschorke 1999. 837 Davis 1994a; S.260. 838 Auf symbolischer Ebene lässt sich beobachten, dass die Zahl öffentlicher Vereidigungen im urbanen Raum, also eine verstärkte Präsenz des Militärs im öffentlichen Raum, zugenommen hat. Vgl. Becker, Eick und Narr (alle 1998). Es wird auch darauf hingewiesen, dass der ehemalige Innensenator Berlins und Innenminister Brandenburgs, Jörg Schönbohm, ein Fürsprecher einer strikten Politik von Sicherheit und Sauberkeit, ehemaliger General der Bundeswehr ist. Seit den Anschlägen vom 11.9.2001 ist das Narra-

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auf der technisch-organisatorischen Reaktion klassischer wie neuer Instanzen urbaner Sozialkontrolle auf ein Bedrohungsszenario, in dessen Mittelpunkt eine fast gewaltförmige Gefährdung städtischer Sicherheit und Sauberkeit steht. Die städtische „Innenpolitik“ reagiert auf das Vorhandensein solcher Feindbilder mit einer polizeilichen, architektonischen und juristischen „Aufrüstung“: Neue „Einsatzkommandos“ werden organisational etabliert, der ehemals militärisch organisierte Bundesgrenzschutz wird um die Bahnhöfe und damit in den Innenstädten tätig, die Ausrüstung der Polizei wird der Bedrohungslage angepasst, eine „Armada semimilitärischer Polizeitechniken“839 wird zum Einsatz gebracht, verdachtsunabhängige Kontrollen werden ermöglicht, unterschiedlichste Technologien der Überwachung werden zum Einsatz gebracht, gefährliche Zonen ausgewiesen, die Übergänge zwischen den segregierten Vierteln der gefährliche Klassen werden wie Frontlinien überwacht, die Architektur bedient sich einer „neomilitaristischen Syntax“840 und gehorcht militärischen Anforderungen.841 Systematisch lassen sich dabei technische und organisatorische Maßnahmen unterscheiden: Zu den technischen Maßnahmen gehören z.B. die Videoüberwachung des Raums und die technische Zugangskontrolle und -beschränkung. Die Überwachung erfolgt in erster Linie durch sichtbare oder versteckte Kameras („CCTV“),842 durch elektronische Zugangskontrollsyste-

tiv von der Militarisierung urbaner Sozialkontrolle um den Aspekt der Terrorismusbekämpfung erweitert worden. Vgl. Bauer 2004, Erbel 2002, Glaeser/Shapiro 2001, Marcuse 2006, Niketta 2004 und Schirmer 2005. Rada (1997a; S.200f.) greift diesen Aspekt am Beispiel Londons auf, wo zur Verhinderung von Terrorakten der IRA schon seit längerem militärische Maßnahmen im städtischen Raum üblich sind. Vgl. auch Zinganel 2003; S.205ff. 839 Michel 2005; S.56. 840 Vgl. Davis 1994a; S.262. 841 Vgl. Koschorke 1999 und Zinganel 2003; S.205ff. 842 Vgl. zur deutschen Debatte z.B. Achelpötter/Niehaus 2001, Alisch 2001, Belina 2003, Blum 1999, Eckert 2004, Helling 2001, die Beiträge in Hempel/Metelmann 2005, Klingelschmitt 1999, Krasmann 2002, Leihs 2000, Leopold 2004, Lischka 2000, Mason 2009, Nogala 2003, o.V. 2001o und x, Paulet 1999, Platen 2003, Rath 2003, Roggan 2001b,

Rollmann

1999,

Schirmer

2005,

Schulzki-Haddonti

1998,

Stolle/

Hefendehl 2002, Töpfer 2005, Trenchow 2001b, Vähling o.J., Veil 2001, Weichert 1998a und b sowie Wehrheim 2001b. Zum europäischen Kontext vgl. die Veröffentlichungen des EU-Projektes „Urbaneye“ (www.urbaneye.net; 18.12.2009), Hempel/ Töpfer 2003, McCahill/Norris 2003a-c, Koskela 2003, Ney/Pichler 2003 sowie Wiecek/Saetnan 2003a und b. Vgl. zum englischen Diskurs Coleman/Sim 2000, Ditton 2000, Goold 2003, Short/Ditton 1998, Simon 2001, Veil 2003a und b sowie Welsh/ Farrington 2002 und Whitaker 1999. Glaubt man empirischen Studien, so leistet Video-

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me, Techniken der Audioüberwachung, durch satellitengestützte Beobachtungssysteme,843 Funkchips und Bewegungsmelder.844 Ziel dieser technologischen Ausrüstung des urbanen Raums ist es, in einer panoptischen Stadt qua Überwachung das Verhalten der Passanten und Nutzer so zu beeinflussen, dass abweichendes Verhalten entweder nicht auftritt oder unmittelbar – z.B. durch Ausschluss aus dem urbanen Raum – sanktioniert werden kann.845 Dabei ist die Sensibilität der Überwachungstechnologien inzwischen so weit entwickelt,846 dass es anhand von Verhaltens- und Bewegungsmustern, über Wärmestrahlung und olfaktorische Sensoren etc. möglich ist, „[...] erfolgreich zwischen Stadtstreichern und Passanten zu unterscheiden.“847 So kann man Riots, Zusammenrottungen, Paniken, aggressives und abweichendes Verhalten im Entstehen erkennen, einzelne Personen in einer Menschenmenge identifizieren oder die Bewegung von Gruppen nachvollziehen.848 Mit diesen Maßnahmen ist es aber zugleich auch möglich, die Städter im Sinne einer „Disciplina militaris“ zu steuern. Der größere Teil der genannten technischen Möglichkeiten leitet sich aus militärischen Entwicklungen ab. Die akustische Überwachung von Stadtteilen ist aus umkämpften Gebieten der nordirischen Städte ebenso bekannt wie aus Kalifornien, wo Schussgeräusche durch die Polizei detektiert werden.849 In diesen Zusammenhang gehören aber auch Techniken zur akustischen Verdrängung. So beschallt man Orte, an denen sich unerwünschte Gruppen oder Personen aufhalten, mit klassischer Musik oder hochfrequenten Tönen, um diese zu vertreiben oder ihnen den Aufenthalt in den Innenstädten möglichst unangenehm zu

überwachung keinen nachhaltigen Beitrag zur Vermeidung von Straftaten, erleichtert allerdings unter Umständen deren Aufklärung. Abweichendes Verhalten wie Betteln, öffentliches Trinken, Drogengebrauch etc. lässt sich durch Videoüberwachung nicht eindämmen, allenfalls temporär an bestimmten Orten erschweren. Vgl. Mason 2009. 843 Vgl. Virilio 1999. 844 Vgl. grundlegend Lyon 1994. Man spricht bezüglich dieser Technologien auch von „Social Control Technologies“. Vgl. Wehrheim 2002a; S.73. Auf technische Details zu den Überwachungsmöglichkeiten wird hier verzichtet. Vgl. dazu z.B. Wehrheim 2002a; S. 73ff. mit weitergehenden Hinweisen. Vgl. auch Davis 1999d. 845 Vgl. Wehrheim 2002a; S.74. Die Diskussion um die elektronische Fußfessel bzw. das elektronische Halsband, mit dem man die Bewegungen Delinquenter im Raum überwachen kann (vgl. Kap. 3.3.2.2), lässt sich auch ausgehend vom Narrativ der Militarisierung städtischer Sozialkontrolle diskutieren. 846 Vgl. Duclos 2004. 847 Norris/Moran/Armstrong 1999; S.264. Übersetzung von G.L. 848 Vgl. Wehrheim 2002a, S.75f. und Töpfer 2005; S.264. 849 Vgl. Wehrheim 2002a; S.78.

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machen.850 Diese Technik stammt ebenfalls aus dem Arsenal des Militärs, das akustische Reize seit langem zur Verunsicherung von Gegnern einsetzt. Die visuelle Überwachung hat militärische Wurzeln, weil der Überblick über das Schlachtfeld ein entscheidender Vorteil in bewaffneten Auseinandersetzungen ist. Technologien der Wahrnehmung haben deshalb in der modernen Militärtechnologie einen ähnlichen Status wie Waffen.851 Zu den organisatorischen Maßnahmen gehört die Ausgliederung spezieller Polizeieinheiten, die mit ursprünglich dem Militär zugerechneten Strategien und Ausrüstungen die Sicherheit in den Innenstädten garantieren sollen. Mit der Diffusion der Militärtechnologie in die Polizeiarbeit und der Konvergenz ihrer Mittel entgrenzen sich die Areale, die traditionell beiden Institutionen der Kontrolle zugewiesen sind, nämlich Schlachtfeld und Stadt. Der historisch gewachsenen Unterscheidung von polizeilich befriedetem Inneren der Städte und dem konfliktträchtigen, militärisch relevanten Äußeren zwischenstaatlicher Beziehungen entspricht die Trennung von privatem Verbrechen und militärischer Intervention. Übernimmt das Militär polizeiliche Aufgaben (z.B. im Rahmen der Terrorbekämpfung im Inneren) und die Polizei die des Militärs in sogenannten „Low Intensity Conflicts“, z.B. zur Bekämpfung städtischer Riots oder der Auseinandersetzung mit bewaffneten Angehörigen von Gangs etc., wird diese Trennung brüchig.852 Die Überwachung städtischer Areale zwingt die „[...] mehr oder weniger unsichtbaren Gegner auf ein offenes, übersichtliches Schlachtfeld [...].“853 War die traditionelle Aufgabe des Militärs, Stadt und Stadtbewohner vor äußeren Feinden zu schützen, zielen die in der Narration als militärisch apostrophierten Maßnahmen gegen „Feinde“ aus dem Inneren der Städte, nämlich auf die „gefährlichen Klassen“ aus Migranten, Jugendlichen, Armen, Devianten und sonst wie Ausgegrenzten.854

850 Vgl. Gräff 2007 und Wehrheim 2002a, S.79. 851 Vgl. Töpfer 2005; S.260. Zur Überwachung von Städten werden neben Helikoptern, deren Verwendung durch das Militär perfektioniert wurde, auch unbemannte Drohnen eingesetzt, wie sie aus Kriegsgebieten bekannt sind. Beide arbeiten neben herkömmlichen mit Infrarot- und Wärmebildkameras, Restlichtverstärkern, Röntgenstrahlen, Radar- und Mikrowellen etc. Vgl. Töpfer 2005; S.260ff. 852 Vgl. Töpfer 2005; S.265f. Stichworte innerhalb dieser Narration sind auch „Low Intensity Warfare“, „Military Operations other than War“ oder auch „Military Operations in Urban Terrain“. Der aus dem Jargon der Geheimdienste stammende Begriff der „Urban Counterinsurgency“ gehört ebenfalls in diesen Zusammenhang. Vgl. Klare 1974. 853 Töpfer 2005; S.267. 854 Zinganel (2003; S.155ff.) zeigt am Beispiel Wiens, wie architektonische Verteidigungseinrichtungen des Militärs auch zur Aufstandsbekämpfung gegen „innere Fein-

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In der Narration werden zwei militärische Aspekte genannt, die dabei in den Städten in Betracht kommen. Der erste bezieht sich auf die strategische Kontrolle von „gefährlichen“ Stadtteilen:855 Das grundlegende Muster dieser Form sozialer Kontrolle ergibt sich dabei aus der Notwendigkeit, trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit in solchen Stadtteilen Hegemonie durch die technologische und vor allem organisatorische Überlegenheit der „Streitkräfte“ zu etablieren und zu sichern, sowie die „Zitadellen“, wie die politischen und ökonomischen Steuerungszentralen auch genannt werden, zu schützen. In diesen sogenannten „Remote Areas“ agieren die (para-)militärischen Kräfte vernetzt wie eine Besatzungsmacht, die durch geheimdienstliche Aktivitäten potenzielle Widerstände in der zu überwachenden Bevölkerung registriert und Führungspersonen identifiziert, detaillierte Informationen über das zu überwachende Gebiet sammelt und auswertet, über Territorien vorübergehend den Ausnahmezustand verhängt, ephemere bauliche Maßnahmen trifft, Infrastruktureinrichtungen der Bewohner stört oder zerstört, technologisch bezüglich der Kommunikation, Mobilität und der Waffen den zu überwachenden Gruppen überlegen ist und die gegebenenfalls auf Verstärkung zurückgreifen kann.856 Die genannten Maßnahmen unterscheiden sich kaum von denen, die im Krieg zum Einsatz kommen. Mit diesen Strategien verbunden ist ein zweiter Aspekt: Mit den beschriebenen ökonomischen und räumlichen Strukturveränderungen857 wächst die Gefahr gewalttätiger Riots in den segregierten, ethnisch wie sozial zunehmend homogenen Quartieren der Großstädte und an deren Grenzen,858 die sich gegen die Lebensbedingungen in diesen Ghettos richten. Diese Riots werden militärisch eingedämmt: „Watts, 1965. Amerika wachte auf und entdeckte, dass seine heimatliche Kolonie, das urbane Ghetto, nicht länger sicher war, und dass die lokalen Garnisionstruppen überwältigt worden waren. Vietnam war nach Hause gekommen.“859

de“ instrumentalisiert wurden und wie die militärstrategische Interpretation von Baukörpern den Wiener Gemeindebau beeinflusst hat. 855 Vgl. Klare 1974. 856 Diese Strategie lässt sich auch für den Einsatz paramilitärisch operierender Polizeien im Rahmen von Großdemonstrationen nachweisen. Vgl. Zinganel 2003; S.225ff. Vgl. auch Graham 2002 und Porta/Reiter 1998. 857 Vgl. Kap. 2.2. 858 Z.B. in Watts, Los Angeles 1965, später dann auch in Großbritannien (z.B. 1976 und seit dem fast jährlich „Notting Hill Carneval“), vereinzelt in Deutschland zu Beginn der achtziger Jahre (im Rahmen des „Häuserkampfes“ in Kreuzberg, Berlin), später dann am 1. Mai 1987 in Kreuzberg, Berlin, dann wieder 1992 in South Central, Los Angeles, und vor allem 2007 in den Banlieus um Paris sowie 2008 in Athen. Vgl. auch Diefenbach 1997. 859 Klare 1974; S.99. Übersetzung von G.L.

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Dazu müssen sich die „Truppen“ auch unter Bedingungen kleinerer Angriffe und Provokationen diszipliniert in der Menge bewegen, um die Bevölkerung kontrollieren zu können, sie müssen militante Gruppierungen bekämpfen, ihre Rädelsführer identifizieren und verhaften, ganze Areale der gefährlichen und gefährdeten Territorien abriegeln, um die Ausschreitungen lokal zu begrenzen, eine effektive Kommunikation zwischen der Leitstelle und den Truppen aufrecht erhalten, während die Kommunikationsmöglichkeiten der Störer eingeschränkt werden müssen, gegebenenfalls Waffen der Aufrührer auffinden, beschlagnahmen und vernichten, sowie mit den sozialen und räumlichen Gegebenheiten des Viertels vertraute, speziell ausgebildete Kräfte in die Konfliktzone bringen und zurückholen. Um dies zu ermöglichen, muss Polizei als lokal verfügbare und primär zuständige „Truppe“ sowohl strategisch wie technologisch, gegebenenfalls auch juristisch aufgerüstet werden, wobei alle drei Maßnahmen durch städtebauliche Interventionen unterstützt werden.860 Eine so in den Städten agierende Polizei verteidigt die gesellschaftliche Ordnung mit paramilitärischen Mitteln gegen innere Feinde, die sich aus ausgegrenzten Gruppen rekrutieren. Ihre Strategien polizeilicher Riot-Prävention zielen auch auf die Verteidigung des Lebensstils und des Besitzes der etablierten Mittelund Oberschichten und setzen sich in Repressionen und die Kontrolle über die als gefährlich eingestuften Gruppen um: „Das alte liberale Paradigma der sozialen Kontrolle, das eine Balance zwischen Repression und Reform zu halten versucht, ist schon lange einer Rhetorik des sozialen Kriegs gewichen [...].“861 Die Innenstädte werden dementsprechend zunehmend nach Sicherheitserwägungen gestaltet, zentrale Gebäude der politischen oder ökonomischen symbolischen Repräsentanz werden nach dem Muster von Hochsicherheitsgebäuden wie Botschaften, Gefängnisse, militärische Festungen gestaltet und mit Überwachungszentren im Innern, am Beispiel des panoptischen Gefängnisses angelehnt, versehen: „Eine Mall ist ja nicht mehr als ein großes Haus, in dem mehrere Geschäfte untergebracht sind oder die Fortsetzung der Fußgängerzone mit kriegerischen Mitten: In der Regel verfügt es über einen eigenen Sicherheitsdienst, damit der Konsument beschützt vor Bettlern und Drogensüchtigen sein schwer verdientes Geld ausgeben kann.“862 Hinzukommen die sicherheitstechnischen Einrichtungen. Auch die Einteilung des Raums nach Kriterien von Sicherheit und Gefährdung entspricht militärischen Strategien: In einigen Metropolen hat die Polizei drei Klassen sogenannter „Social Control Dis-

860 In den USA waren mit den Planungen solcher Konzepte in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre insgesamt sechs staatliche Stellen auf Regierungsebene betraut. Vgl. Klare 1974; S.100ff. 861 Davis 1994a; S.260. 862 Gottschalk 2001b, S.8.

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tricts“ (SCD) ausgewiesen:863 In „Verbotsdistrikten“ werden bestimmte Verhaltenskategorien unter Strafe gestellt (analog den auch in Deutschland bekannten Sperrzonen und Bannmeilen,864 die heute aber auch in die Innenstädte ausgeweitet werden), in „Strafverschärfungsdistrikten“ werden inkriminierte Handlungen im Areal einer ausgewiesenen Sperrzone mit höheren Strafen belegt (z.B. Drogenverkauf in der Nähe einer Schule) und in „Eindämmungsdistrikten“ schließlich werden bestimmte soziale bzw. rechtliche Probleme (z.B. Drogenhandel und -gebrauch) isoliert, überwacht und so kontrolliert.865 Zur Unterstützung der im Krieg erprobten Helikoptertaktik866 werden die Dächer ganzer Straßenzüge mit StraßennummerKennzeichnungen versehen, um die Überwachung aus der Luft tags wie nachts gleichermaßen zu ermöglichen: „Neue Kontrolltechnologien haben das Auge Gottes auf die Erde geholt. Netzwerke von Videokameras, die über Terminals gesteuert werden, klären die Städte auf. Beobachtungssatelliten erhellen ganze Landstriche.“867 Die Städter selbst reagieren ebenfalls auf die vermeintliche Bedrohung, in dem sie sich selbst ausrüsten und ihr Eigentum technisch zu schützen versuchen.868 Subjektiv führt die potenziell ubiquitäre Dauerüberwachung869 aber auch zu einer gou-

863 In Deutschland hat man in einigen Städten sogenannte „gefährliche Orte“ ausgewiesen und deren Überwachung polizeirechtlich legitimiert. Vgl. §§ 21 II ASOG, 21 PolG BW, 15a PolG NRW und 8 III HamSOG. Vgl. auch Kap. 3.4.3. 864 Zum Konzept der Bannmeile vgl. auch Eick 1998a und b sowie Starnik 1994. 865 Zu den SCD vgl. Davis 1994b; S.16. 866 Zu den technologischen Möglichkeiten der Überwachung und ihren Folgen s. auch Virilio 1998b, Vitalis 1998 und Weichert 1998a. Über den „Abandoned Cities“, den innerstädtischen Ghettos und „No-Go-Areas“ bestimmter Metropolen wie Los Angeles oder Sao Paulo, fliegen nachts Polizeihubschrauber, um die Situation vor Ort zu kontrollieren. 867 Perchinig/Steiner 1991; S.23. Während des Riots in South Central, Los Angeles, registrierten geostationäre militärische Beobachtungssatelliten „außergewöhnliche thermodynamische Aktivitäten“, die von zahlreichen Bränden in der Stadt herrührten. Vgl. dazu Groß 1998. 868 Besonders frappierend ist dies in amerikanischen Städten, wo in den Vorgärten der Suburbs in Gated Communities private Sicherheitsdienstleister Schilder aufstellen, auf denen die Hauseigentümer mit der „bewaffneten Erwiderung“ im Falle des unerwünschten Betretens drohen. Vgl. Davis 1994a; S.259, aber auch Christopherson 1994; S.422. Vgl. auch Glasauer 1998a. 869 Um die Breite der Überwachung zu illustrieren seien hier die häufigsten Einsatzgebiete der Videoüberwachung genannt. Kameras finden sich unter anderem in Banken, Museen, Bahnhöfen, Stadien, Tankstellen, Kaufhäusern, Gastronomien, auf Märkten, an Ver-

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vernementalen Selbststeuerung der städtischen Bevölkerung: Da man nie weiß, wann man durch wen mit welchen Folgen beobachtet wird, passen sich die Innenstadtbesucher den durch die Kameras vermittelten Verhaltensstandards von Sicherheit und Sauberkeit an, um Sanktionen oder als unangenehm erlebte Interventionen zu vermeiden.870 Ihre Wirklichkeitsdeutungen verändern sich entsprechend – der wahrgenommene Ausnahmezustand wird zur urbanen Normalität. Anders als im disziplinargesellschaftlichen Panopticon ist die visuelle Überwachung für die Überwachten kaum noch zu lokalisieren.871 Urbane Sozialkontrolle dehnt sich so aus, diffundiert und wird tendenziell unberechenbar, auch weil die mittels technologischer Überwachung gewonnenen Daten jederzeit rekontextualisierbar, anlassbezogen abruf- und kombinierbar sind. In einem solchen kontrollgesellschaftlichen Ensemble steht weniger das städtische Subjekt im Vordergrund, vielmehr wird die Zirkulation im urbanen Kontext kontrolliert.872 In diesem Sinne lässt sich auch eher von einer Technik der Kontrolle als von einer der Überwachung reden. Die Kontrolle mittels Überwachung besteht darin, dass anlass- und situationsspezifisch ein beobachteter Zustand mit einem gewünschten „Sollwert“ verglichen wird, der dann über die ausgelösten Maßnahmen entscheidet. Befinden sich an einem definierten Ort zu viele Bettler, Trinker oder sonst wie Unerwünschte, kann eine Zentrale mobile Einsatzkräfte an den entsprechenden Ort befehligen. Ein fester Ordnungsrahmen, vor dem das Beobachtete bewertet wird, ist dazu nicht zwangsläufig notwendig, die ausgelöste Maßnahme kann sich dabei auch an wechselnden Maßgaben und Sollwerten orientieren. Was an einem Ort an einem Tag verhindert werden soll, kann an einem anderen durchaus geduldet werden. Wichtig ist die Form der Subjektivierung, die die Kontrolle qua Überwachung hervorbringt und damit die Reaktion der Überwachten sowie die gouvernementale Herausbildung eines sich durch die Technologie steuernden Selbsts der Städter:873 „Der Blick der Macht verlagert sich in die Individuen, die äußere Kontrolle wird zu einem Teil des Selbst, zur Fähigkeit der Selbstbeherrschung und der selbständigen Lebensführung.“874

kehrsknotenpunkten, in Schulen, Universitäten, Kindergärten, Krankenhäusern, öffentlichen Toiletten, Discotheken, Bars, Siedlungen des öffentlichen Wohnungsbaus, Seniorenwohnanlagen, Messegeländen, Konzertsälen, an Parkplätzen, in Bussen, U-Bahnen, Tiefgaragen, Häfen, Regierungsgebäuden, Versicherungen etc. Vgl. Wehrheim 2002a; S. 83. Hinzukommen die Kameras im öffentlichen Raum, die „gefährliche Orte“ oder den Verkehr überwachen sollen. Vgl. auch Wehrheim 2003. 870 Krasmann 2001; S.60. 871 Vgl. Yar 2003. 872 Vgl. Krasmann 2001; S.55. 873 Vgl. Krasmann 2001; S.55f. und Vaz/Bruno 2003. 874 Krasmann 2001; S.57.

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Um diese normalisierende Reaktion auszulösen, ist kein disziplinargesellschaftlich starres Ensemble von Überwachungseinrichtungen notwendig. In einem flexiblen, mehrschichtigen und umfassenden System urbaner Kontrolle qua Überwachung wird Konformität über eine Vielzahl an Modulationen erreicht, ohne sozialstrukturelle Entstehungsbedingungen von Abweichung zu reflektieren. Der Imperativ der Kameras zielt auf das eigene Verhalten und den Zwang, sich selbst an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten auf bestimmte Weise selbst zu kontrollieren und zu disziplinieren, ohne durchgreifende Wirkungen auf die „Seele“ der Städter zu reklamieren.875 Videoüberwachung nimmt also als Maßnahme urbaner Sozialkontrolle eine besondere Rolle im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit ein: „Der Aufstieg öffentlicher Videoüberwachung zeigt also mehr an als einen Paradigmenwechsel in der Kriminalpolitik und der Stadtentwicklung. Vielmehr muss er auch verstanden werden im Kontext eines tiefgreifenden Formwandels bewaffneter Konflikte, dessen wesentliches Merkmal die Krise der Legitimität staatlich monopolisierter Gewalt ist.“876 Doch jenseits dieser gesellschaftstheoretischen Erörterungen scheint die Verknüpfung von Stadt, Militär und Krieg im Sinne der Logik von Angriff und Verteidigung und deren Metaphorik auch historisch plausibel zu sein, denn eine der Hauptaufgaben der mittelalterlichen Stadt war der militärische Schutz vor feindlichen Eindringlingen mittels technischer Einrichtungen (Mauern, Wälle, Tore etc.). Erst im 19. Jahrhundert wird dieses Modell der verteidigungsbereiten Stadt immer mehr abgelöst zugunsten des Modells einer vornehmlich zivilen Stadt der Bürger. Die Urbanisierung des Militärs und die Militarisierung des Urbanen tragen einerseits zur Perfektionierung urbaner Sozialkontrolle bei und verwischen andererseits die scharfe Trennung des Militärischen vom Zivilen, die sich im Laufe der Herausbildung des liberalen Bürgertums in den okzidentalen Städten etabliert hat. Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit werden jenseits visionärer Zuspitzungen Urbanität und soziale Kontrolle auch im Spannungsfeld zwischen Öffentlichkeit und Raumkontrolle thematisiert.

875 Vgl. Krasmann 2001; S.60ff. 876 Töpfer 2005; S.269.

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3.4 D IE T HEMATISIERUNG VON U RBANITÄT , Ö FFENTLICHKEIT UND R AUMKONTROLLE „Dabei geht es um die zentrale Frage, wer in wessen Auftrag öffentliche und öffentlich zugängliche Räume überwacht, welche Ordnungsvorstellungen und Devianzkonzepte dieser Überwachung zugrunde liegen und welches Resultat durch diese spezifischen Überwachungstechniken und Kontrollformen herbei geführt werden soll: etwa eine neue Urbanität oder eine Reform großstädtischen Lebens?“ HUBERT BESTE/STEFAN BRAUM877

Der Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit der Innenstädte streift neben teilweise dystopischen Visionen städtischer Sozialkontrolle auch den Begriff der städtischen Öffentlichkeit und das komplexe wie komplizierte Verhältnis von öffentlichem Raum und dessen politisch-gesellschaftlicher Ordnung.878 Im Hintergrund schwingt

877 Beste/Braum 1995; S.59. 878 Vgl. Reck 1997; S.1 und von Saldern 2000a; S.3. Vgl. zur Produktion und Konstruktion des öffentlichen Raums auch Low 1999b und 2000. Auch in der französischen Debatte nimmt die Produktion von Raum (z.B. Lefèbvre 1972) und die Aneignung von Raum (z.B. Bourdieu 1991) eine Schlüsselrolle ein. Die Thematisierung von Öffentlichkeit, Raum und Geschlecht wird hier nicht vertiefend behandelt. Auch die Ausgrenzung von Frauen aus der städtischen Öffentlichkeit, die historisch in Europa noch im letzten Jahrhundert typisch war, heute besonders aber Frauen in einigen islamischen Ländern betrifft, insofern auch in Migrantenfamilien hierzulande mitunter eine Rolle spielt, soll hier ebenfalls nicht dargestellt werden. Ein Aspekt dabei ist die angstinduzierte Vermeidung des Aufenthalts im öffentlichen Raum der Stadt, die unter anderem historisch auf der Zuweisung des privaten Haushalts als sozialem Ort der Frau und der Definition des öffentlichen Raums als sozialem Ort männlicher Dominanz basiert. Hinzukommt, dass durch die mit der Absenz im städtischen Raum einhergehenden „Hausfrauisierung“ der Gewalt im Privaten buchstäblich Tür und Tor geöffnet sind. Eine genuin „städtische“ Angst prägt das Selbst- und Fremdbild: Im männerzentrierten Bild der Bedrohung weiblicher Tugenden in und durch Stadt erscheint die Frau als hilflos. Laut eines anderen Stereotyps kann eine Frau im urbanen Raum auch als Bedrohung für die Autonomie des Mannes aufgefasst werden, weshalb die tendenziell irrationale und emotionale Frau von der städtischen Männerwelt ferngehalten werden muss. Öffentlichkeit und Privatheit in Stadt sind demnach auch Medien der Perpetuierung genderspezifischer Stereotypen und deren herrschaftsförmigen Instrumentalisierung. Vgl. Veith/Sambale 1998; S.2f. sowie

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auch in dieser Thematisierung wieder die Frage mit, woraus sich die normative Ordnung von Stadt herleitet und wie sie Wirkung in den Innenstädten entfaltet. Dabei wird erstens konstatiert, dass sich mit der räumlichen wie sozialen Marginalisierung urbaner Minderheiten eine exklusive städtische Öffentlichkeit etabliert, in der die ausgegrenzten Gruppen und Personen schon nicht mehr als zur Stadt zugehörig und zur Teilhabe am städtischen Leben berechtigt berücksichtigt, sondern allenfalls deren Beseitigung aus dem Straßenbild mitgedacht ist. Das Verhältnis von „Urbs“, der gebauten Stadt, und „Civitas“, der Kultur einer Stadt, sowie deren Bedeutung für urbane Gesellschaft, verändert sich laut dieser Narration in dem Maße, in dem sich das Verhältnis von städtischer Öffentlichkeit und öffentlichem Raum verändert – so eine der Thesen. Dabei wird im Wesentlichen angenommen, dass Urbanität durch einen definierten Raum und das Vorhandensein einer städtischen Öffentlichkeit gekennzeichnet ist. Ist diese Öffentlichkeit durch die Beschneidung sozialer Teilhabechancen im städtischen Raum eingeschränkt, verliert die Stadt an Urbanität. Der in dieser Narration verwendete Öffentlichkeitsbegriff ist weit gefächert.879 Insbesondere rücken drei Einsichten den öffentlich zugänglichen Sozialraum und damit das Verhältnis von Öffentlichkeit und Raum in den Mittelpunkt:880 Zum Ersten tendieren soziale Beziehungen und insbesondere Machtkonstellationen sowie soziale Hierarchien dazu, sich räumlich abzubilden. Machtgefälle und hierarchische Status- wie Positionszuschreibungen lassen sich demnach im städtischen Raum ablesen.881 Zum Zweiten haben die so vergesellschafteten Räume ihrerseits symbolische wie materielle Auswirkungen auf die Wahrnehmung, Einstellung und Deutungsschemata der Städter. Auf diese Weise werden die im Raum abgebildeten Sozialverhältnisse reproduziert. Zum Dritten eignen sich Städter öffentliche Räume (hier im Sinne allgemein zugänglicher Räume) auf unterschiedlichste Arten an, was zu Nutzungskonflikten und Unterschieden in der Handhabung und Wahrnehmung

Wilson 1991. Aufgrund des höheren Angstpotenzials von Frauen im öffentlichen Raum gilt beizeiten die verstärkte Kontrolle der Innenstadt als feministisches Projekt. Vgl. Christopherson 1994; S.423 und Ruhne 1996, 2002 und 2003. Vgl. zum Aspekt „Gender und Stadt“ auch Borst 1990, Eickhoff 1998, Frank 1999, Hainard/Verschuur 2002, McDowell 2001, Löw 1997, Miranne/Young 2000, Pain 2001, Riedel-Pfäfflin 2001, Zinganel 2000 sowie Breckner/Sturm, Dörhofer sowie Terlinden (alle 2002). Zu Gender und sozialer Kontrolle vgl. Seus 2001. 879 Vgl. Breuer 2003. 880 Vgl. von Saldern 2000a; S.3. 881 Vgl. Kap. 2.2 und 3.2.

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von Sicherheit, Sauberkeit und Ordnung führt.882 Es wird zudem konstatiert, dass sich der Modus der Raumproduktion verändert, indem Raum privatisiert wird. Damit ändert sich der Modus der Raumaneignung883 im Sinne einer höheren Exklusivität seiner Nutzung. Soziale Kontrolle bezieht vor diesem Hintergrund auch auf die Steuerung der Prozesse der Raumnutzung und -aneignung.884 Es wird erstens diskutiert, inwieweit ausgegrenzte Gruppen, die zwar noch im urbanen Raum lokalisier- und wahrnehmbar sind, aus der urbanen Öffentlichkeit ausgeschlossen sind. Das hat auch politische Folgen: Seit dem 18. Jahrhundert gehört Öffentlichkeit zumindest normativ als Medium und Bedingung legaler, rationaler Herrschaft zum Kernbestand der politischen Kultur der westlichen Demokratien und gilt als Sediment bürgerlicher Freiheit im Sinne der Emanzipation aus feudalen Zwängen.885 Unabhängig davon, ob es sich bei dieser Annahme um Ideologie oder eine adäquate Beschreibung historischer Prozesse handelt – in jedem Falle verändert die Ausgrenzung von Teilen der urbanen Unterschicht aus dem öffentlichen Leben und der öffentlichen Kommunikation in Stadt auch Teile der normativen Grundbedingung städtischer Vergesellschaftung.886 Fassbar wird dies zweitens in der Thematisierung des öffentlichen Raums als zentralem Ort bürgerlicher Öffentlichkeit. Dazu zählen neben dem Straßenraum auch Parks und Bedürfnisanstalten, vor allem aber Plätze, die – da eine bestimmte Nutzungsart nicht vorgegeben ist – in erster Linie die kommunikativen Möglichkeiten der Öffentlichkeit seit der Moderne symbolisch repräsentieren.887 Öffentlichkeit hat demnach eine materielle wie immaterielle Komponente: „Öffentlichkeit erfährt zwar historisch auch immer eine

882 Als aktuelles Beispiel ließe sich der Konflikt um die Nutzung des Brüsseler Platzes in Köln anführen. Von Jugendlichen wird er seit Sommer 2008 verstärkt als Treffpunkt in den Abendstunden genutzt, was von den Anwohnern als Störung empfunden wird. Insbesondere werden der mit den Treffen verbundenen Alkoholkonsum und das Hinterlassen von Müll thematisiert. Vgl. aus der Wiesche 2009, Drack 2009, Hengesbach 2009a und b sowie Risse 2008b. Diese spezifische Problemlage wird dabei auch in einen breiteren Kontext eingeordnet: Die Nutzung des öffentlichen Raums in Sommernächten nimmt allgemein zu, was durch das Rauchverbot in Gaststätten noch befördert wird. Vgl. Frangenberg 2010. 883 Vgl. Chombart de Lauwe 1977 und Bourdieu 1991. 884 Die sogenannte „Sozialraumarbeit“ nimmt diesen Zusammenhang auf. Vgl. Kessl 2001, Kessl/Otto/Ziegler 2002, May 2001 und Schmid-Urban 1997. 885 Vgl. Knoch 2005. 886 Vgl. Kuhm 2000b. 887 Vgl. Kap. 5.2. Rechtlich ist eine solche fehlende Vorgabe von Nutzungen in den Begriffen des „Gemeingebrauchs“ und des „weiten Verkehrsbegriffs“ aufgehoben. Vgl. Kap. 4.4.

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Ausprägung in Gestalt von Architekturen, etwa von Gefäßen, Brennpunkten oder Monumenten. Sie bedarf gebauter Physikalität. Mindestens ihre symbolische Orientierung und Auszeichnung, topographisch und topologisch, kommt ohne materielle Träger dieser Auszeichnungen nicht aus. In ihrer Substanz aber ist sie immateriell.“888 Drittens wird ein Trend beobachtet, der als das Verschwinden des öffentlichen Raums erzählt wird: Ehemals öffentliche Räume, Straßen, Parks und Plätze werden rechtlich wie phänomenologisch privatisiert mit der Folge, dass die nun für diese Räume Zuständigen (Eigentümer, Pächter, Aufseher) die „erwünschte Öffentlichkeit“ ortsspezifisch definieren können und dieser Definition nicht entsprechende Gruppen oder Personen aus dem Kontext dieser „neuen urbanen Öffentlichkeit“ ausschließen können. Ihre Sicherheitsinteressen und Sauberkeitsvorstellungen sowie die damit einhergehenden Kontrollstrategien werden – da sie im vormals öffentlichen Raum greifen – als öffentliche Sicherheitsinteressen und Sauberkeitsvorstellungen dargestellt ohne deren Profitinteressen auszuweisen.889 Das „Verschwinden“ des öffentlichen Raums wird in dieser Narration als ein Beitrag zur Kontrolle des städtischen Raums betrachtet. Die Folgen für Urbanität sind wesentlich: „Sie (die Privatisierung öffentlichen Raumes; G.L.) führ(t) nicht nur zu einer rechtlichen Privatisierung des öffentlichen Raums, sondern immer auch zu sozialer Ausgrenzung. Damit werden Tendenzen noch verstärkt, die seit längerem beobachtbar sind. Die Stadt wird mehr und mehr eingerichtet für den kaufkräftigen, erwachsenen Kunden. Alte Menschen und Kinder, Arme und teilweise auch die Frauen werden an den Rand gedrängt. Damit aber verliert die Stadt ein wesentliches Element von Urbanität, nämlich ihre Öffentlichkeit. Eine Öffentlichkeit, von der angebbare Gruppen ausgegrenzt sind, ist per definitionem keine Öffentlichkeit.“890

Die Ausrichtung der Innenstädte auf Kaufkräftige und -willige wird auch unter dem Stichwort der „Konsumentenbürgerschaft“ behandelt.891 Zunächst wird die Narration von Öffentlichkeit, Demokratie und Urbanität dargestellt.

888 Reck 1997; S.6. Auch Habermas (1990, zuerst 1962; S.246) betont die Bedeutung von Architektur für Öffentlichkeit. 889 Vgl. Veith/Sambale 1998; S.1. 890 Siebel 1994; S.18f. 891 Vgl. Kap. 5.3. Davis (1994a; S.272) verwendet den Begriff der „verschiedenen Menschheiten“, um überspitzend die soziale, räumliche und ökonomische Separierung von städtischen Gruppen und damit den Verlust von Urbanität und Öffentlichkeit zu beschreiben.

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3.4.1 Urbanität und die Narration der Öffentlichkeit „Die bürgerliche Öffentlichkeit steht und fällt mit dem Prinzip des öffentlichen Zugangs. Eine Öffentlichkeit, von der angebbare Gruppen eo ipso ausgeschlossen wären, ist nicht etwa nur unvollständig, sie ist vielmehr gar keine Öffentlichkeit.“ JÜRGEN HABERMAS892

Eine wesentliche, mit dem oben eingeführten Zusammenhang von Stadt, Öffentlichkeit und Raumkontrolle zusammenhängende Narration ist die von Urbanität und Öffentlichkeit sowie deren gegenseitigem Bedingungsverhältnis. Auch diese Narration kreist um den zentralen Diskurs um die Sicherheit und Sauberkeit der Innenstädte – und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum Ersten wird befürchtet, dass angesichts der verstärkten Bemühungen um Sicherheit und Sauberkeit die tradierte Idee einer demokratischen, emanzipatorischen städtischen Öffentlichkeit aller zugunsten eines ideologisch heiklen Konstrukts einer exklusiven städtischen Öffentlichkeit der „Nicht-Ausgeschlossenen“ abgelöst wird. Damit etabliert sich ein Begriff von Öffentlichkeit, der sich inhaltlich qualitativ stark vom seit spätestens dem 19. Jahrhundert sich entwickelnden abstrakten, aber stets auf Stadt zurückbezogenen Konzept von Öffentlichkeit unterscheidet und in dem die Emanzipationsgeschichte unterschiedlichster städtischer Gruppen, insbesondere die des städtischen Bürgertums, von zentraler Bedeutung ist.893 Zum Zweiten und damit einhergehend werden weitergehende Konsequenzen dessen als potenzieller Niedergang der modernen urbanen politischen Kultur auf einer höheren Ebene diskutiert. Hier wird deutlich, dass in dieser Narration eine direkte Verbindung von städtischem Leben, Öffentlichkeit und demokratischem System angenommen wird, wobei ein Verlust an wie auch immer ausgestalteter städtischer Öffentlichkeit auch zu Strukturveränderungen in der demokratischen Kultur einer Gesellschaft führt.894 Öffentlichkeit wird hier sowohl in einem emphatischen Sinne als regulative Idee wie ein einem pragmatischen Sinne als allgemeine Zugänglichkeit thematisiert. Dabei fällt auf, dass die Narration von Urbanität und Öffentlichkeit die Kategorie der Öffentlichkeit meist als bedroht thematisiert und dass die Geschichte der städtischen Öffentlichkeit mehrheitlich als

892 Habermas 1990; S.156 (zuerst 1962). 893 Vgl. Herterich 1987. 894 Vgl. z.B. Jansen 2001.

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Verfallsgeschichte beschrieben wird.895 Außerdem fällt auf, dass die Phänomenstruktur Öffentlichkeit nicht für sich, sondern oftmals als Gegenpol zur Phänomenstruktur Privatheit konstruiert wird.896 Interessant ist die Öffentlichkeitsnarration aber auch schon deshalb, weil Öffentlichkeit erstens durch die reflexive Zirkulation von Wirklichkeitsdeutungen konstruiert ist und zweitens, weil Öffentlichkeit das machtdurchwirkte Medium ist, in dem über die Verhandelbarkeit oder gar die Zulassung bestimmter Wirklichkeitsdeutungen entschieden wird.897 Öffentlichkeit ist ein diskursives Forum, das aus der Betrachtung einzelner Thematisierungen heraus verständlich wird. Anhand einiger ausgewählter Positionen898 soll im Folgenden diese Narration so nachgezeichnet werden, dass Anknüpfungen an den Bezugspunkt der Analyse,

895 Z.B. bei Sennett (1999, zuerst 1977; S.16): „[...] die Foren dieses öffentlichen Lebens, etwa die Stadt, sind in Verfall begriffen.“ Von Saldern (2000a; S.13) spricht von einer „Verlustgeschichte“, Keim (1997) von „Zerfall“. 896 Beide Kategorien haben – so wird unterstellt – auch Auswirkungen auf die materielle Gestalt der Städte. Vgl. Kap. 4.3. Überhaupt ist im stadtsoziologischen Diskurs auffällig, dass kategoriale Gegensatzpaare die Beschreibung und Analyse mitbestimmen. Als Beispiele für diese wissenssoziologisch aufschlussreiche Dualität des Urbanitätsdiskurses können neben dem Begriffspaar Öffentlichkeit/Privatheit auch Stadt/Land, Zentrum/Peripherie, Ordnung/Chaos, Ghetto/Zitadelle, Integration/Desintegration, Schrumpfung/Wachstum, Fordismus/Postfordismus etc. gelten. 897 Dieser Machtaspekt wird auch in der Öffentlichkeitsdefinition von Foucault (s.u.) deutlich. Zur systemtheoretischen Perspektive und dem Verhältnis von öffentlicher Meinung und Demokratie vgl. Luhmann (1999), der Öffentlichkeit als Reflexionsmedium und damit als Medium der Vergesellschaftung unter Anwesenden versteht. NichtAnwesende, von Kommunikation Ausgeschlossene, sind von einer Vergesellschaftung im Medium der Öffentlichkeit ausgeschlossen. Dies trifft beispielsweise auf die aus dem öffentlichen Raum der Innenstädte vertriebenen Gruppen zu. 898 Dabei zwingt die Fülle von Ansätzen zum Thema zu einer strengen Selektion. Berücksichtigt werden insbesondere solche Beiträge, die innerhalb der Stadtsoziologie von größerem Einfluss waren und die sich – wenn auch teilweise nur am Rande – auf städtisches Leben beziehen. Noetzel (1998) schlägt den Bogen weiter und berücksichtigt auch den philosophischen Diskurs um Öffentlichkeit und Privatheit, z.B. bei Kant und Adorno. Von Saldern (2000a; S.10f.) führt den Begriff der „Öffentlichkeitskultur“ ein und unterscheidet eine kommunikativ-partizipatorische Öffentlichkeitskultur (etabliert und wahrgenommen z.B. durch „neue soziale Bewegungen“), institutionalisierte Öffentlichkeitskultur (die städtische Hochkultur), eine inszenierte Öffentlichkeitskultur (Zeremonien und Feiern im öffentlichen Raum) und schließlich eine kommerziell geprägte städ-

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nämlich den Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten und das Verhältnis von Urbanität und sozialer Kontrolle, das darin greifbar wird, möglich sind.899 Für Michel Foucault ist Öffentlichkeit nur insofern von Bedeutung, als sich an diesem Begriff der subjektive Aspekt des Regierungsobjektes Bevölkerung deutlich machen lässt: „Öffentlichkeit ist die Bevölkerung von der Seite ihrer Meinungen her gesehen, von ihrer Art, etwas zu tun, von ihren Verhaltensweisen, ihren Gewohnheiten, ihren Befürchtungen, ihren Vorurteilen, ihren Ansprüchen her; sie ist das, worauf wir durch Erziehung, Kampagnen, Überzeugungen etc. Einfluss haben.“900 Öffentlichkeit erscheint als kollektive Realität einer Bevölkerung, sie ist ein wesentliches Element des Möglichkeitsfeldes sozialen Handelns und beeinflusst die Subjekte jenseits ihres Handelns auch kognitiv und affektiv.901 Eine räumliche Dimension, von der aus man das Verhältnis von Öffentlichkeit und Stadt betrachten könnte, fehlt in dieser Interpretation, während die habituelle Nutzung des öffentlichen Raums und die Emotionen, die mit seiner Nutzung verbunden sein können (z.B. auch Angst), angesprochen sind. Als Jürgen Habermas zu Beginn der sechziger Jahre den „Strukturwandel der Öffentlichkeit“902 untersuchte, diagnostizierte er die Auflösung und den Funktionswandel der bürgerlichen Öffentlichkeit, die sich im Prozess der Herausbildung der

tische Öffentlichkeitskultur. Zu Öffentlichkeit in der amerikanischen Stadt vgl. Fairfield 2003. 899 Dementsprechend wird hier auch keine allgemeine und abstrakte Definition des Begriffs Öffentlichkeit entwickelt oder diskutiert. Eine kritische Begriffsgeschichte findet sich bei Hohendahl 2000. Wichtig ist allerdings, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung voneinander abzugrenzen: Letztere ergibt sich durch die Fokussierung auf ein bestimmtes Thema in einer Öffentlichkeitsarena. Vgl. Neidhardt 1998; S.487. Bei „öffentlicher Meinung“ und „Diskurs“ handelt es sich um unterschiedliche Phänomene. Vgl. Luhmann 1999. 900 Foucault 2004; S.115. 901 Vgl. Roloff 2007; S.65. 902 Vgl. Habermas 1990 (zuerst 1962) in seiner Habilitationsschrift, der in einer späten Neuauflage einige relativierende Anmerkungen vorangestellt sind. Bahrdt (1998, zuerst 1961; S.30ff.) setzt sich in späteren Auflagen mit dem Begriff der Öffentlichkeit im Sinne Habermas’ und dessen Bedeutung für die urbane Öffentlichkeit, wie er sie versteht, auseinander. Løvlie (2001) kritisiert Habermas’ Konzept und plädiert für eine (postmoderne) Perspektive, die auch Werbung und das Internet als Bestandteile von Öffentlichkeit mit einbezieht. Koivisto/Väliverronen (1993) beschreiben unter anderem die Kritik von Oskar Negt und Alexander Kluge an Habermas’ Ansatz.

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liberalen Rechtsstaaten in den Städten (als Orten der Freisetzung von den Zwängen feudaler Ordnung) etabliert hatten.903 Urbanität und Öffentlichkeit stehen in dieser Perspektive historisch wie systematisch in einem engen Zusammenhang insofern, als erst städtische Lebens- und Interaktionsformen Öffentlichkeit hervorbringen konnten.904 Öffentlichkeit ist für Habermas eine „Epochalkategorie“ der bürgerlichen und damit urbanen Gesellschaft.905 Die zentrale Funktion der Institution Öffentlichkeit als Fiktion der zum Publikum versammelten Menge aller Bürger war es, im Medium öffentlicher Diskurse Herrschaft zu kontrollieren und zu legitimieren, und dies unter Berücksichtigung zunächst aller potenziellen Gruppen, Meinungen und Interessen. Dabei wird Diskurs als ein Mittel der organisierten und strukturierten Aushandlung, die mit einer ethischen Ordnung verknüpft ist, verstanden.906 Öffentlichkeit stellt eine unteilbare, das ganze Gemeinwesen vertretende Einheit dar, die unter idealen Bedingungen wie ein rational argumentierendes und handelndes Subjekt fungiert.907 Meinungs- und Willensbildung vollziehen sich nach Ver-

903 Die historische Analyse Habermas’ wird hier nicht detailliert beschrieben. Stark verkürzt kann man aber festhalten, dass sich in der Antike die Sphäre der Öffentlichkeit weitestgehend auf der Agora vollzog und in enger Abgrenzung zum Bereich des Privaten, der dem Oikos zugeordnet war, stand. Im Mittelalter wurde die Differenz zwischen Öffentlichem und Privatem anhand der Begriffe Urbs und Civitas markiert. Öffentlichkeit manifestierte sich als repräsentative Öffentlichkeit, als symbolische Darstellung von (kirchlicher und weltlicher) Herrschaft. In diesem Zusammenhang weist Bahrdt (1998; S.34) darauf hin, dass das Stadtbürgertum des Spätmittelalters keineswegs mit der bürgerlichen Gesellschaft gleichgesetzt werden darf. In der Renaissance wird dieser Repräsentationscharakter nochmals verstärkt. Die kulturelle und historische Identität der Stadt und der Bürger wird verstärkt zum Sujet der Künste während sich politische Repräsentationen eher in Architektur und Stadtstruktur ausdrücken. In den absolutistischen Staaten wurde Öffentlichkeit zum Synonym staatlicher Herrschaft unter einer ständigen Verwaltung. Im 18. Jahrhundert schließlich bildete sich aus den Kreisen des Bürgertums eine literarische Öffentlichkeit heraus, die sich im 19. Jahrhundert öffnet und zur bürgerlichen Öffentlichkeit im Sinne Habermas wird. 904 Städtischer Raum im engeren Sinn spielt in Habermas’ Analyse keine Rolle und findet lediglich implizit Erwähnung, wenn es um Orte (Kaffeehäuser, Klubs, Salons etc.) geht, in denen über öffentliche Angelegenheiten debattiert wurde. Vgl. von Saldern 2000a; S.3. 905 Vgl. Habermas 1990; S.51. Zu weiteren Begriffen von Öffentlichkeit vgl. Neidhardt 1998; S.487f. 906 Der Habermas’sche Diskursbegriff unterscheidet sich insofern von dem hier gewählten. Vgl. Keller 2005; Abs.2. 907 Vgl. hierzu von Saldern 2000a; S.13.

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fahrensregeln geleitet in diskursiven Praxen im Medium Öffentlichkeit. Öffentlichkeit erscheint also bei Habermas anders als bei Foucault, der Öffentlichkeit als Medium der Subjektivierung versteht, als die zentrale Instanz eines demokratischen und partizipativ ausgelegten Gemeinwesens: „Öffentlichkeit war, ihrer eigenen Idee zufolge, ein Prinzip der Demokratie nicht schon darum, weil in ihr prinzipiell jeder mit gleicher Chance seine persönlichen Neigungen, Wünsche und Gesinnungen vorbringen durfte [...]; sie war nur in dem Maße zu verwirklichen, in dem diese persönlichen Meinungen im Räsonnement eines Publikums zur öffentlichen Meinung sich ausbilden konnten [...].“908 Werden Personen oder Personengruppen aus diesem diskursiven Kontext ausgeschlossen, kann Öffentlichkeit ihre zentralen Funktionen909 nicht mehr erfüllen: „Die bürgerliche Öffentlichkeit steht und fällt mit dem Prinzip des öffentlichen Zugangs. Eine Öffentlichkeit, von der angebbare Gruppen eo ipso ausgeschlossen wären, ist nicht etwa nur unvollständig, sie ist vielmehr gar keine Öffentlichkeit.“910 Es sind nach Habermas’ Analyse vor allem zwei Kriterien, die den Zugang zur (städtischen) Öffentlichkeit ausmachen: Bildung und Besitz. Und damit ist auch zugleich klar, welche Gruppen es sind, die in der Gefahr stehen, keinen Zugang zu Öffentlichkeit zu finden: die Weniger- oder Nicht-Gebildeten und die Wenigeroder Nicht-Besitzenden. Um aber eine Öffentlichkeit im oben genannten Sinne überhaupt etablieren zu können, muss für alle Bürger eines demokratischen Staates zumindest die Chance bestehen, sich dem Publikum anzuschließen: „Öffentlichkeit ist dann garantiert, wenn die ökonomischen und sozialen Bedingungen jedermann gleiche Chancen einräumen, die Zulassungskriterien zu erfüllen: eben die Qualifikation der Privatautonomie, die den gebildeten und besitzenden Mann ausmachen, zu erwerben.“911 Urbanität ist demnach bei Habermas die Grundlage für eine sich historisch konstituierende Öffentlichkeit. Werden aus diesem Kontext Gruppen oder Personen ausgegrenzt, wie dies im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit unter anderem diskutiert wird, kann man von urbaner Öffentlichkeit, wie Habermas sie versteht, kaum noch sprechen. Dementsprechend wird Öffentlichkeit inszeniert oder gar simuliert, um dem Ideal der bürgerlichen Demokratie zumindest formal noch gerecht

908 Habermas 1990; S.323. 909 Neben der Kontrolle von Herrschaft und ihrer Legitimierung sind als weitere Funktionen auch die Meinungsbildung und die Sicherstellung sozialer Kohäsion denkbar. 910 Habermas 1990; S.156. 911 Habermas 1990; S.157. In diesem Zusammenhang könnten neben einer geeigneten Bildungspolitik auch Maßnahmen sozialstaatlicher Umverteilung oder die Garantie bestimmter Teilhaberechte thematisiert werden.

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zu werden.912 Aber so entsteht eine separate, eigentlich pseudo-öffentliche Sphäre der Medien, z.B. des Fernsehens, des Radios und der Publizistik, in der nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse direkt, kommunikativ und verbindlich ausgehandelt, sondern vor allem die Konkurrenz privater und öffentlicher Interessen ausgetragen werden.913 Auf diese Weise wird jeweils die Zustimmung oder Ablehnung zu bestimmten (politischen oder gesellschaftlichen) Projekten konstruiert, aber auch das Prestige, die Wertschätzung einer der jeweiligen Gruppen gesteigert oder gesenkt. So betrachtet stehen im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit weniger die sozialen Verhältnisse an sich zur Diskussion als vielmehr die Durchsetzung entweder öffentlicher oder privater Interessen. Dass dabei Gruppen problematisiert und zum Gegenstand teilweise repressiver Maßnahmen werden, liegt in der Logik dieser Pseudo-Öffentlichkeit, wie Habermas sie dystopisch beschreibt. Nachdem sich die Meinungsbildung durch sich überlagernde Interessenkonflikte kommunikativ nicht mehr im Sinne Habermas’ öffentlich vollzieht, wird diese Funktion der Öffentlichkeit anderen Instanzen überantwortet, die ihrerseits aber selber Machtinteressen vertreten und Herrschaft ausüben: Die allgemeine, bürokratische moderne Administration des liberalen Rechtsstaates – und damit auch die Verwaltung der Städte – wird so mehr und mehr die eigentliche zentrale öffentliche Instanz, in der alle sozialen Probleme verhandelt werden. Da die Öffentlichkeit so ihre herrschaftskontrollierende Funktion und Fähigkeit weitestgehend verloren hat, muss die soziale und politische Macht der gesellschaftlichen Institutionen wieder an rationale Vollzüge eines liberalen und demokratischen Rechtsstaates zurückgekoppelt werden, wenn nicht diese Errungenschaften bürgerlicher Gesellschaft aufgegeben werden sollen.914 Nun besteht die von Habermas beschriebene Öffentlichkeit allerdings eben nicht aus der Summe aller zum Publikum versammelten, sondern nur aus einem bestimmten Milieu, einer Klasse, nämlich derer, die über Eigentum und Bildung verfügen. Angesprochen sind die Städter, die gleichsam doppelt freigesetzt sind: als Citoyén freigesetzt von politischen Funktionen, die nun der Rechtsstaat monopolisiert, und als Bourgeois freigesetzt von ständischen Beschränkungen der wirtschaftlichen Tätigkeit. Im Zuge der Herausbildung eines bürgerlichen (Rechts-)Staats wird diese Klasse zur Avantgarde, die allen anderen Klassen Emanzipation im libe-

912 Sennett (1999, zuerst 1977, S.331ff.) beschreibt das Aufkommen und vor allem den Untergang der urbanen Öffentlichkeit als „Tyrannei der Intimität“ und bedient sich dabei der zentralen Phänomene der Angst im urbanen Raum, der Konstruktion von zu exkludierenden Gruppen und der Wiedervergemeinschaftung sozialer Kontrolle. 913 Vgl. Halimi 1999. 914 Vgl. auch Keil (1995a), der in diesem Zusammenhang von „Wiederaneignung des Politischen“ spricht.

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ralen Rechtsstaat im Medium der Öffentlichkeit erst ermöglicht oder eben auch verwehren kann. Mit dem Zerfall der bürgerlichen Öffentlichkeit einerseits durch die Monopolisierung von Herrschaft durch die Verwaltung, andererseits durch den Kurzschluss nicht-öffentlicher, weil nicht im Medium der Öffentlichkeit entstandenen, und quasi-öffentlicher Meinung in den Medien verliert die Klasse des emanzipierten und emanzipierenden Bürgertums weitestgehend ihre Funktion der Herrschaftskontrolle. Gleichwohl macht sich der Teil des zum Publikum versammelten Bürgertums zum Vormund der durch Nicht-Eigentum und Nicht-Bildung ausgeschlossenen Gruppen, allerdings ohne deren Interessen im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit immer wirklich und wirksam zu artikulieren – im Gegenteil. In dieser Interpretation fordert die bürgerliche Klasse der Besitzenden und Gebildeten gerade „Machtinterventionen“915 im urbanen Raum um unerwünschte Gruppen, Personen oder Artikulation und Teilhabeansprüche auszuschließen. Sie fungiert damit eben nicht als Avantgarde für die Rechte und die Emanzipation der NichtBesitzenden und Nicht-Gebildeten, von Ausgrenzung bedrohten Gruppen, sondern treibt vielmehr die Exklusion dieser Gruppen und Personen voran. Damit wird aktiv die Funktion und Rolle bürgerlicher Öffentlichkeit in den Städten weiter entwertet. Sofern die Klasse der gebildeten und konsumkräftigen Städter, an denen sich sowohl der innerstädtische Handel, als auch Stadt, Stadtbild und -image inszenierende Agenturen in ihren Bemühungen, Stadt sicher und sauber zu machen, orientieren, zu den unterstellten Ausgrenzungstendenzen schweigen oder sie nicht zur Kenntnis nehmen, sind sie „Scheinöffentlichkeit“ und verfehlen die normative, demokratische Funktion, nämlich einen Beitrag zur partizipativen Selbstbestimmung der Gesellschaft zu leisten. Sofern sie aber die Ausgrenzung von Minderheiten fordert, vorantreibt oder stillschweigend befürwortet, macht sie sich erneut zur Avantgarde: Diesmal allerdings nicht mehr im Sinne der Emanzipation derer, die kaum für sich sprechen können und insofern bei der Problemartikulation und -deutung nicht ausreichend mitwirken, sondern mittels deren Verweis aus der demokratischen Öffentlichkeit unter Maßgabe der Polizeien, der Stadtgestaltung und des Rechtes. Die Verwaltung treibt durch Machtinterventionen eine solche Ausgrenzung voran, die Medien legitimieren sie.916 In der Öffentlichkeitsnarration wird ebenfalls die Aushöhlung lokaler Politikfähigkeit durch die Ausrichtung von Entscheidungen nach den Interessen der Wirtschaft, die ja in der Allzuständigkeit der Kommunen917 als Recht und Verpflichtung des sozialen Rechtsstaats formuliert ist, angeschnitten. Dies lässt sich anhand zwei-

915 Vgl. Krasmann/Marinis 1997 und Marinis 2000. 916 Wie sich an einer Vielzahl von Zeitungsberichten zum Thema nachweisen lässt. Vgl. z.B. Meyer 2008. 917 Art. 28 II GG.

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er Beispiele aus dem Kontext des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit zeigen: Öffentlichkeit als Medium zur Kontrolle und Legitimation eines demokratischen Systems zeigt sich in der europäischen Verfassungstradition auch immer räumlich wie rechtlich im Umgang mit Demonstrationen als Form der kollektiven Meinungsartikulation. Demnach bedeutet ein Einschnitt in das Demonstrationsrecht zugleich einen Einschnitt in die Artikualtionsfähigkeit der urbanen Öffentlichkeit – weshalb das Recht auf Demonstration ein hohes, verfassungsrechtlich garantiertes Gut ist.918 Problematisch wird dies beispielsweise, wenn die „AG City-West“, ein Interessenverband der West-Berliner Einzelhändler, fordert, den „Missbrauch des Ku’damms als Demonstrationsmeile“ zu beenden und von „demobedingten Umsatzeinbußen“919 spricht. Hier werden die wirtschaftlichen Interessen einer Gruppe im Themenfeld Innenstadt und die Attraktivität für Konsumenten gegen die Artikulationsfähigkeit städtischer Öffentlichkeit in Stellung gebracht.920 Etwas Ähnliches ließe sich von den Bestrebungen der Einzelhandelsverbände sagen, qua kommunalem Straßen- und Wege- sowie Ordnungsrecht zu versuchen, bestimmte problematisierte Gruppen aus dem Bereich der Innenstädte zu entfernen. Die Rechtsprechung geht mehrheitlich davon aus, dass der sogenannte „weite Verkehrsbegriff“ nicht nur den Innenstadtaufenthalt zu Konsumzwecken deckt, sondern auch den kommunikativen oder auch nicht zweckgerichteten Verkehr der Öffentlichkeit im Innenstadtbereich mit einschließt.921 An diesem Beispielen zeigt sich, dass die in der Öffentlichkeitsnarration verhandelten Positionen auf die „konflikthafte Auseinandersetzung zwischen kollektiven Akteuren über gültige Wirklichkeitsdefinitionen“922 und mithin auf gesellschaftliche Macht verweisen. Der Strukturwandel der Öffentlichkeit im Spätkapitalismus, wie Habermas ihn beschreibt, führt auch in dieser Lesart zu einem Bedeutungsverlust der städtischen Politik und zu einem Machtgewinn seitens der kommunalen Verwaltung, die mit den Wirtschaftsförderungsagenturen, oder nach der Restrukturierung im Rahmen eines neuen Steuerungsmodells, des „New Public Managements“, mit privatrechtlich organisierten Stadtmarketing- und Citymanagementagenturen sowie Einzelhandelsverbänden die Entwicklung der Stadt bestimmt. Die Inszenierung von Stadt als attraktiv für Investoren und Konsumenten ersetzt teilweise die demokratische Meinungsbildung im Medium der Öffentlichkeit. Vor diesem Hintergrund lässt sich

918 Dass Verfassungsanspruch und -wirklichkeit hier auseinanderklaffen können, wird – ebenso wie Einschränkungen in VersG, durch Rechtsprechung und Verwaltungshandeln – nicht weiter thematisiert. Vgl. dazu im Einzelnen Kreissl 2000a. 919 Vgl. Eick 1995a; S.31. 920 Vgl. Kap. 5.3. 921 Vgl. Kap. 4.4. 922 Vgl. Keller 2001; S.121.

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allerdings die Ausgrenzung Unerwünschter in den Innenstädten in zweierlei Richtung verstehen: Einerseits setzt die kommunale Politik mit der Verrechtlichung des Raums bzw. der Abschaffung öffentlicher Räume zum Zwecke deren Ausrichtung in kommerzieller Hinsicht Rahmenbedingungen für die Attraktivierung der Städte angesichts zunehmender Standortkonkurrenz.923 Andererseits simulieren die Städte so politische Autonomie, Gestaltungsfreiheit und Liberalität, wie sie kennzeichnend für Aufkommen und Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft waren. Die Ausgrenzung Unerwünschter aus den Innenstädten ist so betrachtet aber nicht nur eine sozialräumliche Reaktion auf die zunehmende sozioökonomische Polarisierung, die durch den tendenziellen Rückzug des Sozialstaates vorangetrieben wird,924 sondern auch das Ergebnis einer eingeschränkten lokalen Politikfähigkeit, die (Innen-) Städte inszeniert und Politik nur noch simuliert, wo kommerzielle Interessen das Gemeinwohl definieren.925 Die Krise des kommunalen Sozialstaates wird mit ordnungspolitischen Mitteln verschleiert, Ausgrenzung ist demnach eine Art „Politikersatz“, wie Alain Touraine konstatiert: „Eine solche Entwicklung führt zum Niedergang des städtischen und des politischen Lebens. Die Führungselite interessiert sich immer weniger für die Politik, die sich ihrerseits der Entstädterung, Unsicherheit, Gewalt, ethnischen Konflikte und Armut immer weniger annimmt. So driften mit den Menschen auch zwei Entscheidungssysteme auseinander: dasjenige, das den Fluss von Kapital, Handel und Information regelt, und jenes, das panem et circensis verteilt, das Beistand gewährt und soziale Kontrolle ausübt.“926

Öffentlichkeit ist in Habermas’ Konzeption nicht räumlich gebunden oder an bestimmte Orte geknüpft: Historisch hat sich Öffentlichkeit zwar häufig an „Lokalen ihrer Repräsentation“927 materialisiert, sie ist aber auch ohne konkreten Ortsbezug denkbar. In der Öffentlichkeitsnarration ist diese, auch normativ aufgeladene Position von großer Bedeutung und liefert auch im aktuellen Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit und den damit einhergehenden, unterstellten Ausgrenzungstendenzen einer Reihe weiterer Beiträge die argumentative Blaupause. In einer späteren Auf-

923 Vgl. Kap. 3.4.2 und 2.1. 924 Vgl. z.B. Wacquant 2001. 925 Vgl. Kap. 5.3. 926 Touraine 1996b; Sp. 3. Hervorhebungen im Original. 927 Habermas 1990; S.62ff. Solche Orte der Repräsentation können ebenso Kirchen wie Paläste und deren räumliches Umfeld sein. Aber auch zentrale Plätze in den Innenstädten können als repräsentative Räume von Öffentlichkeit interpretiert werden. Weiske (2003; S.21) versteht die Agora der Polis als Urbild aller „szenischen Arrangements“ von Öffentlichkeit.

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lage928 räumt Habermas – auch in Auseinandersetzung mit Foucault929 – ein, dass die Fixierung auf Öffentlichkeit als Fiktion einer zum Publikum versammelten Menge aller Bürger problematisch ist. Im Gegenteil muss man in der Nachschau davon ausgehen, dass sich parallel mehr als nur ein Publikum etablieren konnte. Neben der hegemonialen bürgerlichen Öffentlichkeit haben sich andere, subkulturelle oder gar klassenspezifische (Teil-)Öffentlichkeiten herausbilden können, die sich trotz gegenseitigen Rückbezugs in wesentlichen Aspekten voneinander unterscheiden:930 „Der Ausschluss der kulturell und politisch mobil gewordenen Unterschichten bewirkt bereits eine Pluralisierung der im Entstehen begriffenen Öffentlichkeit. Neben der hegemonialen, und verschränkt mit ihr, bildet sich eine plebejische Öffentlichkeit.“931 Kollidierende Gruppeninteressen und eventuelle Verteilungsprobleme ließen sich aber in der Phase des reifen Sozialstaates nach dem Krieg diskursiv zwischen den anschlussfähigen Öffentlichkeiten konsensorientiert vermitteln bzw. lösen.932 Aber wenn plurale und ortlose Öffentlichkeiten denkbar sind, ist ein kommunikativer oder räumlicher Ausschluss der weniger Gebildeten und Besitzenden aus dem Konstrukt Öffentlichkeit in dieser revidierten Konzeption kaum oder nur lokal begrenzt möglich. Demnach kann zunächst von Ausgrenzung im urbanen Kontext nur die Rede sein, wenn man Räume benennt, aus denen ausgegrenzt wird. Und auch aus dem unterstellten „Verschwinden des öffentlichen Raums“933 lässt sich allein kein Niedergang einer (ortlosen) Öffentlichkeit ablesen. Aber Habermas relativiert

928 Habermas 1990; S.11ff. 929 Dabei unterstellt Habermas Foucault von Ausschluss nur im Bezug auf Gruppen zu sprechen, deren Rolle für die Formierung welcher Öffentlichkeit immer konstitutiv ist. Vgl. Habermas 1990; S.15. An anderer Stelle (Habermas 1990; S.20) bescheinigt er Foucaults Diskursanalytik einen absoluten Ausschließungscharakter insofern, als Macht habende Diskurse ein „Anderes“ konstituieren, das seinerseits diskursiv nicht zu erreichen ist. Dagegen seien die Diskurse der entstehenden pluralen Öffentlichkeit prinzipiell anschlussfähig. Vgl. auch Habermas 1985. 930 Vgl. Hemphill 2006 und Reisch 1988; S.25ff. 931 Habermas 1990; S.16f. 932 Vgl. Habermas 1990; S.40. Neidhardt (1998; S.488f.) spricht in diesem Zusammenhang – Bezug nehmend auf den Habermas’schen Diskursbegriff – von einem „Diskursmodell“ von Öffentlichkeit. Sinn von Öffentlichkeit sei es, nicht nur die Pluralität vorhandener Meinungen abzubilden oder sich in advokatischer Interessenvertretung zu erschöpfen, sondern Klärungen oder Verständigungen zu produzieren, zu entfalten und damit gegenüber dem politischen System gegebenenfalls sogar Druck auszuüben. 933 Vgl. Kap. 3.4.2.

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den sozial-integrativen Aspekt seines Begriffs von Öffentlichkeit noch weiter:934 Unter den Bedingungen einer zunehmend globalisierten Ökonomie und entsprechend vervielfältigter Kommunikation besteht heute mehr denn je die Gefahr, dass sich Öffentlichkeiten immer weiter ausdifferenzieren und auseinanderdriften, sodass sie sich kaum noch überbrücken und im Konsens integrieren lassen. Zudem führen verschärfte internationale Konkurrenz und die Denationalisierung der Wirtschaft (insbesondere der Finanzmärkte und der industriellen Produktion) zu eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten der Nationalstaaten.935 Im Ergebnis bildet sich eine „Underclass“ heraus, die sich aus marginalisierten und von der übrigen Gesellschaft segmentierten Gruppen rekrutiert.936 Letztlich sieht Habermas drei mögliche Konsequenzen dieser sozialstrukturellen und damit einhergehend sozialräumlichen Marginalisierung in den Städten:937 Zum Ersten erzeugt eine solche Marginalisierung soziale Spannungen, die sich in urbanen Riots entladen können und mit repressiv-militärischen Mitteln wiederum der Exklusion bekämpft werden.938 Zum Zweiten diffundieren Verelendung und Verwahrlosung aus den Ghettos in die Innenstädte und Regionen, sofern die soziale und räumliche Isolation der segmentierten Gruppen nicht total ist. Zum Dritten – und hier nimmt Habermas ein bereits oben beschriebenes Element seiner vorherigen Argumentation auf – erodiert die moralische Selbstvergewisserung der demokratisch-liberalen Gesellschaft des Rechts- und Sozialstaats, sofern sich in den formal korrekt zustande gekommenen Mehrheitsbeschlüssen, auf denen die Marginalisierung beruht, nur noch die „[...] Statusängste und Selbstbehauptungsreflexe einer vom Abstieg bedrohten Mittelschicht widerspiegeln [...]“,939 bzw. in ihnen der Exklusivitätsanspruch der aufgestiegenen Mittelschichten zementiert wird. In dieser dritten Form der Habermas’schen Thematisierung von Öffentlichkeit klingen pessimistischere Töne an, was die dauerhafte Integration von (städtischer) Gesellschaft im Medium Öffentlichkeit angeht. In dieser Lesart scheint Ausgrenzung zumindest nicht mehr prinzipiell ausgeschlossen – im Gegenteil, anders als in seinen früheren Entwürfen greift Habermas’ Position Motive auf, die den Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit im

934 Vgl. Habermas 1995; S.182. 935 Vgl. Kap. 2.1. 936 Vgl. Kap. 4.1. 937 Habermas (1995; S.186f.) greift hier die Debatte um die „Urban Underclass“ auf und diskutiert sie im Zusammenhang der Gefahren für den liberalen Rechtsstaat. Er wendet sich damit auch erneut gegen Niklas Luhmann, der die Legitimation des Rechtsstaates jenseits sozialstaatlicher oder universalpragmatischer Normen allein im formal korrekten Verfahren der Mehrheitsbeschlüsse begründet sieht. Vgl. Luhmann 2001 (zuerst 1969). 938 Vgl. Kap. 3.3.2.3. 939 Habermas 1995; S.187.

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Allgemeinen kennzeichnen: eine sich unter ökonomisch ungünstigen Bedingungen verschärfende Marginalisierung, die Gefahr gewaltförmiger Entladungen sozialer Spannungen, eine sich in den Innenstädten materialisierende verelendete Underclass und eine Erosion städtischer Öffentlichkeit zugunsten einer abstiegsbedrohten und ihre exklusiven Interesse verfolgenden Mittelschicht. Zwar unterscheidet sich die Position von Hans-Paul Bahrdt in einigen Punkten von der Habermas’,940 gleichwohl weist auch er der Stadt der Moderne als positiver Kulturleistung das Verdienst zu, eine Öffentlichkeit geschaffen zu haben, die die Kommunikation im Medium der Öffentlichkeit potenziell aller mit allen ermöglicht.941 Gleichzeitig aber bleibt in diesem Konzept die schon von Simmel beschriebene Distanz942 der Städter untereinander, die sich im Medium der Privatheit des Einzelnen niederschlägt, bestehen. Urban ist eine Stadt, die sowohl Öffentlichkeit herstellt wie Privatheit zulässt und diese prekäre Polarität hält.943 Ähnlich wie bei Habermas ist der potenzielle Zugang zu Öffentlichkeit von entscheidender Bedeutung. Ausgehend von der Stadtanalyse Max Webers beschreibt Bahrdt Stadt als Marktort, der sich gegenseitig unbekannten Menschen Kontakte in einem offenen Sozialgefüge ermöglicht, ohne sie dabei vollständig zu integrieren: „Ein Markt ist kein geschlossenes soziales System, in das alle Mitglieder vollständig integriert sind. Weder sind die Personen, die auf dem Markt mitspielen, vollständig in das Marktgeschehen einbezogen; sie stehen jeweils noch in anderen Sozialgefügen, die sie hinter sich gelassen haben und in die sie wieder zurückkehren [...]. Noch ist ihr Verhalten auf dem Markt durch dessen Verhalten vollständig festgelegt. Im Gegenteil, die Ordnung des Marktes garantiert gerade eine gewisse Beliebigkeit der Kontaktaufnahme jedes mit jedem [...]. Ein Merkmal des Marktes ist gerade die unvollständige Integration [...]. Diese unvollständige Integration ist die negative Voraussetzung der Öffentlichkeit.“944

Damit Öffentlichkeit sich konstituieren kann, ist darüber hinaus noch eine spezifische Stilisierung der Städter im Hinblick auf ihr Verhalten, auf Kommunikation

940 So stellt auch Bahrdt einer neueren Auflage ein ausführliches Vorwort voran, in dem er explizit auf Habermas Bezug nimmt. Ergänzungen dieser Auflage macht Bahrdt durch Kursivierungen kenntlich. 941 Vgl. auch Seggern 2000. 942 Vgl. Kap. 3.2. 943 Vgl. Rada (1997a; S.113f.), der diesen Gedanken Bahrdts aufnimmt. 944 Bahrdt 1998; S.86.

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und strukturelle Arrangements notwendig.945 Die tendenzielle Fremdheit der Städter und ihre gegenseitige Distanz in der öffentlichen Sphäre, wie sie auch Simmel und Sennett946 thematisieren, sind dabei nicht hinderlich, sondern zentrale Voraussetzungen.947 Komplementär zur Sphäre der Öffentlichkeit etabliert sich in Stadt Privatheit als „[...] ein Schonraum, in dem sich Entfaltungschancen für Individualität bieten, für die Kultivierung von Emotion und Intimität.“948 So bilden sich zwei gegensätzliche Sphären, die die Urbanität der Moderne kennzeichnen und Stadt als soziale Form ausmachen: „Unsere These lautet: Eine Stadt ist eine Ansiedlung, in der das gesamte, also auch alltägliche Leben die Tendenz zeigt, sich zu polarisieren, d.h. entweder im sozialen Aggregatzustand der Öffentlichkeit oder in dem der Privatheit stattzufinden. Es bilden sich eine öffentliche und eine private Sphäre, die in einem engen Wechselverhältnis stehen, ohne das die Polarität verloren geht.“949 Auch bei Bahrdt ist Öffentlichkeit also untrennbar mit Urbanität verbunden. Eine Stadt, die Öffentlichkeit nicht (mehr) herstellt, verliert eines ihrer zentralen Definitionsmerkmale und kann nicht mehr als urban in Bahrdts Sinne gelten. Das ist z.B. der Fall, wenn nicht mehr alle städtischen Gruppen Zugang zu Öffentlichkeit haben. Und daraus folgt, dass eine Stadt, in der angebbare Gruppen und Personen aus der Öffentlichkeit ausgegrenzt werden, an Urbanität verliert. Insofern markieren die Ausgrenzungstendenzen, die mit dem Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten einhergehen, einen erneuten Strukturwandel städtischer Öffentlichkeit. „Wenn aber von einer modernen urbanen Öffentlichkeit die Rede sein soll, dann müssen noch andere Kriterien erfüllt sein. Vor allem, dass Fremde unvermittelt als Individuen aufeinandertreffen und miteinander Kontakt aufnehmen können, ohne durch ihre Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen identifizierbar zu sein. [...] Urbane Öffentlichkeit muss stets so anonym sein, dass niemand sich aus ihr ausgeschlossen fühlt und auch niemand umstandslos ausgrenzbar ist. Ihre Qualität liegt nicht im gemeinschaftlichen Handeln, sondern darin, fremde Menschen und abweichendes Verhalten zu integrieren.“950

945 Vgl. Bahrdt 1998; S.89ff. Bahrdt hat später (1996; insb. S.195ff.) diese Anforderungen präzisiert. Vgl. auch Schubert (1999 und 2000), der für eine Verhaltensregulierung im öffentlichen Raum plädiert. 946 Vgl. Sennett 1991, 1996 und 1999 (zuerst 1977). 947 Vgl. auch Bahrdt 1996. 948 Siebel 1998; S.265. 949 Bahrdt 1998; S.83. 950 De Bruyn 1996; S.43f. Hervorhebungen von G.L.

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Bahrdt benennt – aus seiner Sicht Ende der sechziger Jahre – auch erste Entwicklungen, die das Gleichgewicht von Öffentlichkeit und Privatheit stören:951 Zum Ersten nehmen bestimmte soziale Milieus ihre Teilhabechancen in Öffentlichkeit kaum noch wahr; die Privatheit als Rückzugssphäre, als „Schlupfwinkel“ oder als „Fluchtburg“952 wird allgemein als wichtiger eingeschätzt. Zugleich lässt sich die ebenfalls gewachsene Bedeutung der „Berufswelt“ nicht sinnvoll einer der beiden Sphären zuordnen. Das hat auch dazu geführt, dass sich die Interessen anderer Gruppen – Bahrdt zielt in diesem Zusammenhang auf die „Geschäftsleute“ in den Innenstädten ab – in kommunalen Zusammenhängen durchsetzen können, auch wenn diese nicht dem „Gemeinwohl“ dienen. Auch hier zeigen sich die Deutungskonflikte städtischer Interessengruppen. Gruppen oder Personen, die diesen Geschäftsinteressen entgegenstehen, laufen Gefahr, aus der städtischen Öffentlichkeit verdrängt und ihrer Privatheit, die dann allerdings keine freiwillig gewählte ist, anheimgestellt zu werden. Denkbar ist dies in Fällen, in denen vom Handel definierte „Störergruppen“ aus dem Bereich der Innenstädte verwiesen werden.953 Öffentlichkeit als Medium eines partizipativen Gemeinwesens wird meist nur noch als „Öffentlichkeit des Staates“ erlebt, die Öffentlichkeit der Stadt hingegen hat an Bedeutung verloren.954 Das hat auch Auswirkungen auf das demokratische System und die Teilhabe der Städter an ihm. Ähnlich und fast zur gleichen Zeit argumentiert Alexander Mitscherlich:

951 Vgl. zu diesen Störfaktoren Bahrdt 1998; S.151f. und 161ff. 952 Bahrdt verwendet beide Begriffe (1998; S.165), um den Status quo zu beschreiben. Heute spricht man mit Blick auf das Milieu der akademisch gebildeten, politisch wenig engagierten Großstädter vom „Bionade-Biedermeier“ (vgl. Sußebach 2007) oder von „Grappa-Urbanisten“ (vgl. Rada 1999c). 953 Dabei müssen diese Gruppen allerdings die Möglichkeit haben, in die Sphäre des Privaten überzuwechseln, was bei Obdachlosen nicht ohne Weiteres der Fall sein kann. Stellvertretend für divergierende Wirklichkeitsdeutungen im Zusammenhang mit der Nutzung des öffentlichen Raums sei ein Beispiel aus der Stadt Köln angeführt: Geschäftsleute aus der Kölner Innenstadt empören sich über Junkies, die sich an einem zentralen Platz in der Stadt aufhalten, und fordern die Polizei auf, diese zu vertreiben (vgl. Meyer/Merting 2009). Die Stadt Köln und die Polizei Köln entgegnen, dass die Wahrnehmbarkeit dieser Gruppe (anhand des äußerlichen Erscheinungsbildes) im öffentlichen Raum unvermeidbar sei, unter anderem weil sich die Vergabestellen für die Substitutionsmittel dieser Drogenkranken in der unmittelbaren Nähe dieses Platzes befinden. Zudem gingen von dieser Gruppe auch nicht mehr ordnungsrechtliche Verstöße als von anderen Problemgruppen aus. Die meisten im Innenstadtbereich ermittelten Tatverdächtigen entstammen nicht der Drogenszene (vgl. Polizei Köln 2009). 954 Vgl. zum Bedeutungswandel von Öffentlichkeit Herlyn 2004.

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„Die Berührung mit dem Nachbarn wie mit dem Staat ist zur Berührung mit etwas weithin Fremden geworden; in Reaktion auf die unüberschaubare Größe der Institution hat sich ein ‚unpolitisches‘ Verhältnis von ‚anspruchsloser Gleichgültigkeit‘ hergestellt [...]. Er ist nur noch in seltenen Augenblicken der erregten Anteilnahme je mein Staat [...]. Denn Öffentlichkeit als Schauplatz von widerstreitenden Ideen, als Medium rationaler Einsicht, gehört wesentlich der Vergangenheit an.“955

Auch der öffentliche Raum wird in erster Linie als Verkehrsraum wahrgenommen, weniger als Raum, der transitorische Begegnungen mit Anderen ermöglicht und ein Feld des nicht-kommerziellen Austausches markiert. Öffentlichkeit ist bei Bahrdt auf „Akte der Repräsentation“ angewiesen – und auch diesbezüglich diagnostiziert er einen Mangel. Das vielfach konstatierte Verschwinden des öffentlichen Raums tut ein Übriges, Öffentlichkeit als zentrales Element städtischen Lebens in unüberschaubaren Städten wahrzunehmen und zu nutzen. Bahrdts Fazit ist pessimistisch: „Die Integration in die Öffentlichkeit ist vom Individuum her kaum noch zu leisten.“956 Bahrdt sieht also wie Habermas die Gefährdung von Öffentlichkeit in den Städten der Gegenwart und damit eines zentralen Elements städtischer Vergesellschaftung. Parallelen im aktuellen Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit lassen sich bezüglich zweier Akteursgruppen und einer räumlichen Komponente zeichnen: Zum Ersten ist es die Gruppe der Geschäftsleute, die durch die Durchsetzung ihrer Interessen städtische Öffentlichkeit gefährdet. Zum Zweiten sind diejenigen Milieus angesprochen, die ihre partizipativen Teilhabechancen im Medium Öffentlichkeit nicht mehr wahrnehmen – sei es freiwillig oder weil sie beispielsweise aus Sicht des Handels als problematisch gelten und deshalb in der Ausübung der ihnen normativ zukommenden Teilhabechancen behindert werden. Und zum Dritten ist es die konstatierte „Entwertung“ des öffentlichen Raums, die nicht nur Bahrdts Position, sondern auch die Narration urbaner Öffentlichkeit kennzeichnet. Hinzukommt eine Gefährdung des Privaten in der Sphäre der Öffentlichkeit, die sich aus der um sich greifenden Videoüberwachung ergibt.957 Den systematischen Zusammenhang von Öffentlichkeit und Privatheit rückt auch Richard Sennett in den Mittelpunkt seiner Analyse.958 Und auch Sennett stellt die

955 Mitscherlich 1996 (zuerst 1965); S.76. Diese enge Verbindung zwischen Xenophobie und Entfremdung vom Staat sieht auch Sennett, s.u. 956 Bahrdt 1998; S.165. 957 Vgl. Kap. 3.3.2.3 und z.B. Whitaker 1999. 958 Vgl. hierzu Sennett 1999 (zuerst 1977). Die folgenden Ausführungen beziehen sich auch auf Winter 2000. Wustlich (1996) setzt sich kritisch mit Sennetts Ansatz auseinander und unterstellt, dass dieser ein homogenisiertes Bild von städtischer Öffentlichkeit ent-

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Geschichte der in Stadt sich etablierenden Kategorie der Öffentlichkeit als Verfallsgeschichte dar. Ausgehend von der Konstruktion eines „Public Man“, eines Öffentlichkeitsmenschen im Ancien Régime, der auf gleichsam schauspielerische Art Einstellungen und Emotionen in der Öffentlichkeit zum Ausdruck brachte,959 beschreibt Sennett einen radikalen Wandel, der im 19. Jahrhundert einsetzte und im 20. Jahrhundert zum Verschwinden dieses Sozialtypus führt. Dem modernen, säkularen,960 unter dem Einfluss des Kapitalismus stehenden Akteurs ist diese Fähigkeit zur Expression im Zuge der Industrialisierung allmählich abhandengekommen. Stattdessen hat er sich bei der narzisstischen Selbstsuche auf die intime Gemeinschaft im Schonraum der Privatheit konzentriert und damit das Intime zum bestimmenden Kennzeichen städtischen Lebens gemacht. Der öffentliche Raum und Öffentlichkeit als Sphäre verlieren dadurch an Bedeutung, mit dem Ergebnis, dass sich keine benennbare Gruppe mehr für beides zuständig fühlt und dass deshalb in beiden Sphären das entstandene Vakuum durch die kommerziellen Interessen einer Minderheit gefüllt werden konnte. Noch im Ancien Régime – ähnlich wie bei Habermas beschrieben – war Öffentlichkeit als literarische Öffentlichkeit in Cafés, Parks, Plätzen und Theatern räumlich als kultivierter und expressiver Austausch mittels eines gemeinsamen Vorrats an sozialen Zeichen, Gebärden und vor allem Rollen zwischen Fremden greifbar: „Die Stadt bildet ein Milieu, das die Begegnung einander fremder Menschen wahrscheinlich macht.“961 Wie bei Habermas steht hier der Aspekt der Kommunikation (bei Sennett aber auch über Klassengrenzen hinweg) im Mittelpunkt.962 Auf diese Weise konstituierte die Ästhetik des Theaters, in

werfe, das sich so für keine Epoche nachweisen lasse. Darüber hinaus gehöre die von Sennett selbst beschriebene sozialräumliche Fragmentierung zu den Charakteristiken der Moderne und sei dementsprechend keine Fehlentwicklung. 959 Sennett (1999; S.19) spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „Theorie des öffentlichen Ausdrucks“, die er zu entwickeln versucht. 960 „Säkularität ist, vor unserem Tode, das feste Wissen, warum die Dinge sind, wie sie sind.“ (Sennett 1999; S.38). 961 Sennett 1999; S.72. An anderer Stelle hat Sennett die Heterogenität städtischen Lebens, die sich aus dem Kontakt mit (dem) Fremden ergibt, auf das Problem abweichenden Verhaltens − auch in der Chicagoer Schule sozialökologisch orientierter Stadtsoziologie − bezogen. Vgl. dazu Sennett 1991; S.165ff. 962 Gleichwohl kritisiert Habermas Sennetts Position (1990; S.17), weil dieser von einem falschen Modell von Öffentlichkeit ausgehe: „Sennett trägt nämlich Züge der repräsentativen Öffentlichkeit in die klassische bürgerliche hinein; er verkennt die spezifisch bürgerliche Dialektik von Innerlichkeit und Öffentlichkeit [...]. Weil er die beiden Typen von Öffentlichkeit nicht hinreichend unterscheidet, glaubt er, das diagnostizierte Ende der ‚Öffentlichen Kultur‘ mit dem Formenverfall des ästhetischen Rollenspiels einer dis-

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der auf quasi-schauspielerische Art Emotionen, Erfahrungen, Einstellungen etc. zur Darstellung kamen, eine Ästhetik des urbanen Alltags, die Stadt zum „Theatrum Mundi“ machte. Öffentlichkeit, in der das Ansehen von Personen von untergeordneter Bedeutung war und die Privatsphäre, die der emotionalen Sphäre der Akteure zugeordnet war, befanden sich laut Sennett in einem relativen Gleichgewicht. Erst der aufkommende Industriekapitalismus963 störte dieses Gleichgewicht nachhaltig, indem er eine säkulare Warenöffentlichkeit hervorbrachte und diese als Gegenpol zur intimen Welt der Gemeinschaft aufbaute: „Der Industriekapitalismus wirkte sich auf die Stadtöffentlichkeit in doppelter Weise aus: zum einen durch den Privatisierungsdruck, den der Kapitalismus in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts erzeugte; zum anderen durch die Verschleierung der materiellen Verhältnisse in der Öffentlichkeit [...], die durch Massenproduktion und -verteilung verursacht wurde.“964 Der bis dahin einheitlich geteilte Charakter des Stadtbürgertums wird in zahllose individuelle Persönlichkeiten differenziert, die nunmehr die öffentliche Sphäre dominieren. Dadurch rückt auch die äußere Erscheinung der Städter und ihre Innenwelt ins Blickfeld und fokussiert die Aufmerksamkeit auf die Details der Selbstdarstellung insbesondere in den Innenstädten. An diesem Punkt setzt auch Simmels Analyse an. Aus Angst, in der Öffentlichkeit unbedacht und unwillkürlich dieses nunmehr zu schützende Innere zu enthüllen, versuchen diese nun als Gegenreaktion mehr und mehr, die Kontrolle ihrer selbst in der öffentliche Sphäre so zu steigern, dass sie die Eindrücke ihres Gegenübers steuern können. Foucault spricht in einem ähnlichen Kontext von der Regierung – hier des öffentlichen Raums – durch die Subjektivierung von Macht. Öffentliche Rollen werden seltener oder kaum noch übernommen, stattdessen entsteht eine voyeuristische Beobachterrolle, die nur noch eine passive Teilnahme an städtischer Öffentlichkeit vorsieht. Die gesellschaftliche Dimension von Öffentlichkeit als steuerndem Medium der Verständigung tendenziell Fremder in Stadt wird damit ausgehöhlt. In der sich im 20. Jahrhundert ausbildenden intimen Gesellschaft ist das Gleichgewicht von öffentlicher und privater Sphäre so verschoben, dass nunmehr – wie ja auch Bahrdt beschreibt –

tanziert unpersönlichen und zeremonialisierten Selbstdarstellung belegen zu können. Der maskierte Auftritt, welcher private Gefühle, Subjektives überhaupt den Blicken entzieht, gehört aber zu dem hochstilisierten Rahmen einer repräsentativen Öffentlichkeit, deren Konventionen schon im 18. Jahrhundert zerbrechen, als sich die bürgerlichen Privatleute zum Publikum und damit zum Träger eines neuen Typs von Öffentlichkeit formieren.“ 963 Sennett hat später seine Position im Hinblick auf einen flexibilisierten Kapitalismus erweitert. Vgl. Sennett 2001. 964 Sennett 1999; S.36.

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die Privatsphäre dominiert. An die Stelle des sozialen Engagements tritt die emotionale Selbsterkundung, eine Form innerer Emigration, die die individuelle Authentizität der Städter verabsolutiert und zum zentralen Kriterium jeder sozialen Beziehung erhebt. Das öffentliche Leben ist zur Pflicht- und Formsache geworden,965 die zu allem Überfluss noch mit einem emotional als unangenehm empfundenen Verpflichtungsdruck einhergeht: „Umgang und Austausch mit Fremden gilt allenfalls als langweilig und unergiebig, wenn nicht gar als unheimlich. Der Fremde wird zu einer bedrohlichen Gestalt, und nur wenige Menschen finden Gefallen an jener Welt von Fremden, die ihnen in der kosmopolitischen Stadt entgegentritt.“966 Damit hat sich der Funktionsmodus der Öffentlichkeit und damit eines zentralen Bestandteils der „Res Publica“ fundamental verändert. Die „intime Gesellschaft“ hat zwei wesentliche Strukturmerkmale, die auch für den aktuellen Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit von Bedeutung sind: Erstens ist diese Gesellschaft geprägt durch einen Narzissmus, der die Individuen zu einer Konzentration auf das je eigene Innenleben zwingt. Damit wird die soziale Realität psychologisiert und individualisiert – was für das Verhältnis zum öffentlichen Raum eben auch die Entstehung von diffusen Ängsten bedeuten kann, was wiederum zur Vermeidung des InKontakt-Tretens führen kann. Zweitens bilden sich „destruktive Gemeinschaften“, die sich von ihrer Außenwelt abschotten967 (z.B. in Gated Communities oder segregierten Stadtteilen) und ihre Mitglieder binden, indem sie gegenseitige Selbstoffenbarungen (z.B. über materiellen Besitz, Konsummöglichkeiten oder die Verfügung über kulturelle Distinktionsmerkmale) zum Hauptbestandteil des Gemeinschaftslebens machen. Es entsteht eine mediengestützte „Tyrannei der Intimität“, in der die Städter kaum noch öffentliche Rollen wahrnehmen und in der Öffentlichkeit nur noch individualisiert wahrgenommen werden kann. Dieser behauptete Substanzverlust von Öffentlichkeit lässt sich auch im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten belegen, z.B. wenn dem öffentlichen Raum als ehemaliger Bühne der emanzipierten Städter ein Großteil seiner sozialen Funktionen abgesprochen wird, mit der Folge, dass dieser auch räumlich wie rechtlich dezimiert wird: „Der öffentliche Raum stirbt ab. Der Intimitätskult wird in dem Maße gefördert, wie die öffentliche Sphäre aufgegeben wird und leer zurückbleibt. In einer ganz unmittelbaren, physischen Weise weckt die Umwelt in den Menschen den Gedanken, dass die öffentliche Sphäre bedeutungslos sei. Ich meine die Organisation

965 Vgl. Sennett 1999; S.15. Das hat auch politische Konsequenzen: „Ihren Umgang mit dem Staat betreiben die meisten Bürger im Geiste ergebener Zurückhaltung, aber die Entkräftung der öffentlichen Sphäre geht weit über das eigentlich Politische hinaus.“ 966 Sennett 1999; S.16. 967 Sennett spricht in diesem Zusammenhang auch von „Phantasiekommunen“ und „Klaustrophobie“. Vgl. Sennett 1996; S.10f.

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des Raums in den Großstädten.“968 Die verbleibende Bühne wird vorwiegend dem Konsum gewidmet.969 Die destruktiven Gemeinschaften sind es schließlich auch, die durch permanente Selbstinspektion die Innenstädte subjektiv als gefährliche Zonen erleben und zugleich Angst verursachende Gruppen oder Personen identifizieren, die in erster Linie als irgendwie andersartig gekennzeichnet sind, und die es gilt, aus ihrer homogenen Gemeinschaft fernzuhalten: „Und wenn sich Stadtviertel, Städte oder Nationen zu defensiven Zufluchtsorten gegen eine feindliche Welt entwickeln, dann kann es auch dazu kommen, dass sie sich die Symbole des Selbstwert- und Zugehörigkeitsgefühls nur noch mittels Praktiken der Ausgrenzung und Intoleranz zu verschaffen vermögen.“970 Damit ist deren Forderung nach Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten, die ja stets auch mit diesen problematisierten Gruppen verbunden ist, plausibel. Die Position, nach der eine städtische Gesellschaft sich nicht nur aus einer (Schein-)Öffentlichkeit der bürgerlichen Mehrheit konstituieren kann und damit problematisierte Gruppen aus dem öffentlichen Raum jede demokratische Gesellschaft tendenziell gefährdet, vertritt auch der Architekt und Stadtplaner Andreas Feldtkeller: „Als öffentlich [...] empfinden wir eine städtische Situation immer dann, wenn der vorhandene Straßenraum für jedermann frei (das heißt ohne besondere Berechtigung) zugänglich ist und nicht einer bestimmten Benutzergruppe [...] zugeordnet und als von ihnen vereinnahmt gelten kann. Öffentlichkeit heißt damit zunächst Vielfältigkeit der tatsächlichen und möglichen Begegnungen.“971 Der sozialräumliche Ausschluss bestimmter Gruppen aus den Innenstädten und damit die Exklusion einer unerwünschten städtischen (Teil-)Öffentlichkeit bedeutet demnach deren Ausschluss aus der räsonnierenden, „politischen“ Öffentlichkeit und damit letztendlich deren Verdrängung aus dem demokratischen Prozess öffentlicher Herrschaftskontrolle, der ja laut Habermas erst in den Städten möglich wurde. Es kommt noch ein anderer Punkt hinzu: Öffentlichkeit schließt in dieser Definition auch immer die Heterogenität städtischen Lebens mit ein. Die im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit aufscheinenden Tendenzen, den Bereich der Innenstädte sowohl bezüglich der zugelassenen Nutzer- bzw. Konsumentenschichten, als auch des Angebotes an Läden und Waren zu homogenisieren, beeinträchtigen urbane Öffentlichkeit zudem, sofern die „[...] gleichmacherische ‚Kultur‘ der Filialisten und Franchiser [...]“972 nur noch bestimmte Erlebnis- und Ereignisklassen zulässt

968 Sennett 1999; S.27. 969 Vgl. Kap. 5.3. 970 Sennett 1996; S.9. 971 Feldtkeller 1995; S.57. Feldtkeller (1995; S.164f.) betrachtet auch sowohl Architektur, wie auch Städtebau als Teil des Gefüges Öffentlichkeit. 972 Rada 1997a; S.109.

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und die Begegnung mit der Vielfalt, mit dem Unerwarteten verhindert, Urbanität im klassischen Sinne also nur noch simuliert und inszeniert.973 Die dominierende neue „qualifizierte städtische Öffentlichkeit“,974 die laut narrativer Struktur die dominante Klientel urbanen Lebens in den Innenstädten bildet, entfernt sich in ihrem Leitbild und ihrer Praxis der Nutzung des innerstädtischen Raums von dem klassischmodernen Charakter von Urbanität. Die in ihr aufgehobenen Ausgrenzungstendenzen werden auch aufgrund ihrer Entpolitisierung nicht reflektiert. Dadurch verändern sich Struktur und Semantik der sozialen Theorie und Praxis von Urbanität. Urbanität verliert ihren ursprünglichen, normativ aufgeladenen Charakter als Öffentlichkeit.975 Die enge Verbindung von städtischer Öffentlichkeit, öffentlichem Raum und Demokratie beschreibt auch Bernhard Schäfers, der sich dabei sowohl auf Bahrdt als auch auf Habermas bezieht.976 Er argumentiert dabei nicht defensiv anhand der Beschreibung einer Verfallsgeschichte von Öffentlichkeit, thematisiert aber auch ak-

973 Vgl. Kap. 5.3. 974 Nach dem Willen der DB AG, in deren Marketingkonzept auch die drei „S“ (Service, Sicherheit, Sauberkeit) aufgenommen worden sind, sollen die Bahnhöfe zukünftig nicht mehr der Öffentlichkeit schlechthin zur Verfügung stehen, sondern nur noch dieser „qualifizierten Öffentlichkeit“. Sie zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass deren Mitglieder im Besitz einer Fahrkarte sind und damit als nutzungsberechtigt gelten (in vergangenen Jahrzehnten müsste man eine „Bahnsteigkarte“ kaufen, um die Gleise betreten zu dürfen) und über ihren Habitus, die Kleidung etc. eindeutig nicht den bekannten Problemgruppen zugehören. Damit sind die Bahnhöfe, die ja oftmals ein Zentrum der Innenstädte bilden, seit der Privatisierung der Bahn der „allgemeinen“ städtischen Öffentlichkeit partiell entzogen. Im Zuge der „Renaissance der Bahnhöfe“ im Sinne ihrer Ästhetisierung und Säuberung von Schmutz und unerwünschten Menschen wird so eine Kunde-Störer-Dichotomie konstruiert, an der sich der Prozess der Konstruktion eines gesellschaftlichen Drinnen und Draußen hin zum materiellen Ausschluss exemplarisch verfolgen lässt. Vgl. dazu Staffelt/Künast 1998; S.1, Brücher 1998, o.V. 2000p und q, Quadfasel 1998 sowie Rada 1997a; S.199. Als Ausgleich hat man in Köln eine Obdachlosenstation im Bahnhof eingerichtet, möglicherweise aber nicht nur aus reiner Caritas, sondern um diese Problemgruppe unter Kontrolle und aus dem Blick zu bekommen. Vgl. o.V. 2001j. 975 Dieser Aspekt findet sich auch in der Debatte der sogenannten „kritischen Gegenöffentlichkeit“ vor allem in Internet und Zeitungen, die nach Habermas pseudoöffentlich ist. Vgl. z.B. Ebbrecht 1998; S.1, Kaltenbrunner 1994, aber auch Goetz/ Baumann 1998. 976 Vgl. zum Folgenden Schäfers 2003.

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tuelle Gefährdungen. Öffentlichkeit als Zentralbegriff bürgerlich-demokratischer Gesellschaft umfasst vier Aspekte: zum Ersten ein Prinzip des allgemeinen Zugangs, zum Zweiten den Grundsatz der Publizität bei Angelegenheiten allgemeinen Interesses, zum Dritten eine Methode zur Aufklärung und Transparenz zur Freiheitssicherung und zum Vierten als politische Öffentlichkeit ein Medium zur Kontrolle von Herrschaft. Damit alle diese Aspekte greifen und eine demokratische Öffentlichkeit lebbar wird, müssen sie in den Städten und Gemeinden sowohl politisch wie städtebaulich zur Anschauung kommen. Dazu bedarf es wiederum viererlei ortsbezogener Phänomene und Funktionen: Es müssen Orte zum Austausch von Waren und Gütern bereitgestellt werden, es müssen Orte geschaffen werden, an denen sich interessierte Städter mit Kunst auseinandersetzen können, es muss Orte geben, an denen sich verschiedene soziale Gruppen und Individuen darstellen und repräsentieren können, damit die Komplexität der Lebenswelt und der Lebensformen öffentlich sichtbar und erlebbar wird, und schließlich muss es Orte geben, an denen kulturelle und soziale Widersprüche ausgedrückt und deutlich werden können. Bezugspunkte zum Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit liefern insbesondere die beiden letztgenannten Anforderungen: Werden Gruppen aus dem öffentlichen Raum verwiesen oder erschwert man ihren Aufenthalt in ihm, wenn man die soziale Heterogenität städtischer Gesellschaft in den Innenstädten deshalb nicht mehr erleben kann, ist städtische Öffentlichkeit als Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft infrage gestellt. Das Gleiche gilt, wenn der öffentliche Raum mittels verschiedener Maßnahmen so hergerichtet wird, dass kein Ort bleibt, an dem die kulturellen und sozialen Widersprüche einer urbanen Gesellschaft ausgedrückt werden können. Stadt ist zur Wahrnehmung der genannten Aufgaben auf öffentliche Räume angewiesen. Als „Denaturierungen“ und „Gefährdungen“ sieht Schäfers unter anderem die Nutzung des öffentlichen Raums als reinen Verkehrsraum sowie ihre aktuelle Kommerzialisierung und Intimisierung an, die sich auch in dem Bestreben, die Städte sicher und sauber zu machen, widerspiegelt. Darüber hinaus kritisiert Schäfers die Gefährdung des öffentlichen Raums durch „soziale Schließung“977 und partielle Okkupationen durch bestimmte Gruppen in zweierlei Richtung: Einerseits durch eine sich gegen andere abschottende Mittel- und Oberschicht, die beispielsweise dem traditionellen öffentlichen Raum den privatisierten, irritationsbefreiten Raum von Malls vorzieht, und andererseits durch die im Mittelpunkt von Sicherheits- und Sauberkeitsstrategien stehenden Gruppen, die bestimmte Areale der Innenstadt okkupieren und – beabsichtigt oder nicht – möglicherweise andere daran hindern, diese Räume ebenfalls und angstfrei zu nutzen. Diese Form sozialer

977 Der Begriff der sozialen Schließung geht auf Max Weber zurück und meint soziale Beziehungen, deren „[...] Sinngehalt oder ihre geltenden Ordnungen die Teilnahme ausschließen oder beschränken oder an Bedingungen knüpfen.“ Weber 1972; S.23.

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Schließung stellt sowohl die Urbanität einer Stadt, als auch deren auf Öffentlichkeit unabdingbar angewiesenen demokratischen Charakter infrage. Alle bislang aufgeführten Positionen in der Narration von Stadt und Öffentlichkeit gehen von einem spezifisch gearteten und begründeten Verfall oder zumindest partiellen Verlust von Öffentlichkeit in den Städten aus. Hans Ulrich Reck unterstellt all diesen Positionen, ein idealisiertes Konzept von Öffentlichkeit zu vertreten, das – unzureichend ideologiekritisch und erkenntnistheoretisch reflektiert – in die Irre führt.978 Mit dem Verweis auf das Thomas-Theorem979 bescheinigt er in konstruktivistischer Absicht den Vertretern der oben genannten skeptischen Positionen ein Verschwinden von Öffentlichkeit und dessen Konsequenzen nur deshalb beobachten zu können, weil sie von vornherein dieses Verschwinden als reales Faktum behaupten. Insofern sei das konstatierte Verschwinden ein selbst induziertes Konstrukt ohne empirische Basis. „Eine Gesellschaft, die mental, sozial und symbolisch nicht mehr auf die Geltung bestimmter Öffentlichkeit, auf ihre Funktion und Leistung vertraut, schafft mit der spekulativen Vermutung über das Verschwinden der Öffentlichkeit diese tatsächlich selbst ab. Ja: nur im Vertrauen auf ihre suggestive Dispensierung liquidiert sie das Öffentliche.“980 Im Gegensatz zu den angeführten Positionen wird hier davon ausgegangen, dass Öffentlichkeit stets ein machtdurchwirktes Terrain ist, das keineswegs allen Städtern zu allen Zeiten offensteht. Im Gegenteil: „Die Epochen einer vermeintlich idealen politisch-sozialen Öffentlichkeit [...] sind bei genauer Betrachtung keineswegs Einlösungen dieses Ideals gewesen, sondern Epochen der gewaltigen Manipulation sozialer Gefolgschaft durch machtbewusste, über Gewaltmittel verfügende und diese hemmungslos einsetzende soziale Eliten [...].“981 Wenn diese Beschreibung zutrifft, ist auch angesichts des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit keine wesentliche Änderung der genannten Mechanismen zu unterstellen – im Gegenteil, vor diesem Hintergrund erscheinen die im Zusammenhang damit diskutierten Maßnahmen und Folgen als geradezu logisch und konstitutiv für eine Gesellschaft unter den Bedingungen von marktvermittelter Konkurrenz. Öffentlichkeit als Medium bürgerlicher Emanzipation, die in der Narration wesentlich mit der Ideengeschichte von Urbanität verbunden ist, ist auch historisch immer ein europäisches Ideal geblieben, das zu keiner Zeit verwirklicht worden und deshalb stets literarische oder philosophische Fiktion geblieben ist. Typisch für Stadt ist eher das Nebeneinander

978 Vgl. zum Folgenden Reck 1997. 979 Vgl. Fn.522. 980 Reck 1997; S.1. 981 Reck 1997; S.2.

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„[...] von zahlreichen Sub- und Teilkulturen, Urbanität ist wesentlich Synonym (und Konnotat) für verstreute und doch verbundene Öffentlichkeiten.“982 Wie bei Habermas wird auch in dieser Position von parallel existierenden Öffentlichkeiten ausgegangen. Ein Ausschluss problematisierter Gruppen aus dem Gesamtkontext Öffentlichkeit ist dann nur denkbar, wenn ihnen die Teilhabe an allen Teil- bzw. Suböffentlichkeiten verwehrt ist. Dementsprechend sind nach Reck die vorgebrachten „Klagen um den Kulturverfall“ (z.B. „Verlust der Öffentlichkeit“, „Intimisierung“, Terror der Privatheit“, „Rückzug aus der Öffentlichkeit“, „Verlust der gemeinsamen Sprache und Vorstellungswelt“, „Entsolidarisierung“ etc.) „[...] keine theoretischen Postulate, sondern Visionen, deren Energie aus hochgradig nervösen Systemen wie Kunst oder Wahnsinn herrühren, aber nicht aus den Begründungsleistungen epistemologischer Reflexion.“983 Solange die unerwünschten Gruppen oder Personen eine eigene, wie auch immer geartete Öffentlichkeit schaffen, kann von Ausgrenzung aus der einen Öffentlichkeit keine Rede sein. Gleichwohl bedingt der oben beschriebene machtförmige Charakter vielgliedriger und von Interessen beherrschten Städte Ausgrenzungen, die konstitutiv für urbanes Leben sind: „Teilkulturen werden immer wieder – was für urbanes Leben nicht Defizit, sondern notwendig ist – ins Dunkle, Stumme, Schweigende abgedrängt. In Zeiten horizontalen Ausgleichs, den eigentlichen demokratischen Phasen in der Geschichte der Stadtkulturen, hat jede Teilkultur die Aufgabe, die sie unverwechselbar bestimmenden Eigenheiten mit selbstgesetzten Grenzen ihres Handlungs- und Geltungsanspruchs autonom zu verbinden. Teilkulturen können sich aus Eigeninteresse nicht gegen alle Einflüsse abschotten (das ist vielmehr Kennzeichen monolithisch-hegemonialer Kulturen). Sie brauchen beide Bestimmungselemente: das grenzsetzende Fremde und die Autonomie des Eigenen.“984

In dieser Heterogenität und Vielfalt betonenden Position der Narration von Stadt und Öffentlichkeit bedarf es als Korrelat zu den Tendenzen temporärer Ausgrenzungen bzw. Dominanzen der Toleranz den anderen Teilkulturen und -öffentlichkeiten gegenüber. Dazu gehört auch der Versuch, unterschiedliche Interessen so auszutarieren, dass die entstehenden Kompromisse nach möglichst vielen Seiten durchsetzbar sind und nicht – wie bei Habermas – Öffentlichkeit „vage und überzogen“ als herrschaftsfreien „[...] republikanischen Raum einigermaßen vernünftiger Einigung unter normativ ausgezeichneten ‚selbstbewussten Subjekten‘ [...]“985 zu

982 Reck 1997; S.3. 983 Reck 1997; S.3 und 4. 984 Reck 1997; S.4. 985 Reck 1997; S.5.

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idealisieren. Denn der Verfallsdiskurs einer städtischen Öffentlichkeit misst als real wahrgenommene Entwicklungen der Gegenwart mit einem zur Zeit der Aufklärung entwickelten Maßstab und damit mit einem bestimmten Code, der eine ideologieminimierte Betrachtung der Problematik zumindest erschwert. Im Gegenteil, das Festhalten an dieser normativen Fiktion ist laut dieser Position im Kern sogar „regressiv“, „anti-urban“ und „anti-zivilisatorisch“, weil die Vorstellung einer Öffentlichkeit, in der sich Fremde in direktem Kontakt diskursiv austauschen, dem Bild der „Keimzelle des Urbanen als Dorf, Subkultur, Quartier, Stadtteil“ oder „gewachsener Kultur“986 entlehnt ist und so in der Urbanisierungsgeschichte kaum empirisch zum Tragen kam. Die wissenssoziologisch konstitutiven Interessen- und damit Deutungsgegensätze urbaner Realität werden auf diese Weise einander angenähert. Damit rücken weniger aktuelle soziale Entwicklungen ins Bild, sondern die „ideellen Gravitationskräfte“, die im Laufe von Jahrhunderten in gesellschaftlich weitgehend geteilten Bildern von städtischen Leben verbindlich geworden sind.987 Walter Siebel und Jan Wehrheim beziehen in ihrem Ansatz988 den urbanitätsgestaltenden Dualismus von Öffentlichkeit und Privatheit konkret auf die Veränderungen sozialer Kontrolle in den Städten der Gegenwart. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die kulturpessimistische und großstadtkritische Rede vom Verfall der Öffentlichkeit und des öffentlichen Raums bei Weitem zu kurz greift. Auch sie beschreiben Öffentlichkeit nicht als verfallend, benennen aber ebenfalls strukturelle und technologisch bedingte Probleme der Gegenwart. Ergänzend zum Konstrukt Öffentlichkeit muss dazu die Rolle des bislang immer eher kritisch beleuchteten Strebens nach Sicherheit in den Städten betrachtet werden, die insofern von doppelter Bedeutung ist, als beides – sowohl ein Zuviel, als auch ein Zuwenig an Sicherheit – den Öffentlichkeitscharakter von Stadt unterminiert. Siebel und Wehrheim ordnen der Polarität von Öffentlichkeit und Privatheit vier Dimensionen zu: Juristisch scheint der Verlauf der Trennlinie klar: Öffentlicher Raum wird durch öffentliches Recht reguliert, privater Raum durch Privatrecht.989 Funktional sind dem öffentlichen Raum (Platz und Straße) die Funktionen Markt und Politik zugeordnet,990 während dem privaten Raum (Betrieb und Wohnung) die Funktionen Produktion und Reproduktion zugewiesen sind. Sozial spiegelt sich die Dualität in Öffentlichkeit als „Vorderbühne“ mit dem auch von Sennett und Bahrdt angesprochenen, vor

986 Reck 1997; S.5. 987 Vgl. Prigge 1986. 988 Vgl. zum Folgenden Siebel/Wehrheim 2003a und b. 989 Ott (1998) problematisiert das Recht auf Öffentlichkeit und Privatheit. 990 Hier wären als weitere Funktionen allerdings noch Fortbewegung (in Verkehrswegen) und Erholung (z.B. in Parks etc.) zu ergänzen. Vgl. Böhme 2001.

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allem von Erving Goffman991 explizierten öffentlichen Role-Taking und RoleMaking und der Privatheit als entsprechender „Hinterbühne“. Materiell wie symbolisch signalisieren Architektur und Städtebau Zugänglichkeit und Exklusivität von Räumen. Wie auch Reck verstehen Siebel und Wehrheim die unterstellte Dualität von Öffentlichkeit und Privatheit als normativ aufgeladen und ideologielastig. So ist dem Bereich der Privatheit stets die bürgerliche Familie zugeordnet und dem Bereich der Öffentlichkeit ein Ideal verwirklichter, in allen Hinsichten integrativer Demokratie. Beide Unterstellungen lassen sich weder historisch noch nach struktureller Analyse der Gegenwart empirisch halten. Ebenso wenig lässt sich Sicherheit als soziales Gut einem Raumtypus oder einer Nutzergruppe zuordnen. Öffentliche Räume sind nicht prinzipiell unsicher und der private Raum nicht prinzipiell sicher.992 Der öffentliche Raum war stets mehr oder weniger exklusiv. Lediglich die ausgegrenzten Gruppen und der Modus der Ausgrenzung variieren in dieser Position. Waren früher Frauen und das Industrieproletariat aus dem öffentlichen Raum der Städte ausgegrenzt, so sind heute ausländische Jugendliche, Obdachlose und Drogennutzer Ziele besonderer Formen sozialer Kontrolle. Allerdings konstatieren Siebel und Wehrheim, dass sich der Abstand zwischen dem Ideal und der Wirklichkeit des öffentlichen Raums aktuell und in allen vier Dimensionen aufgrund struktureller Prozesse wie technischer Entwicklungen erhöht. Ein Aspekt ist dabei der Funktionswandel städtischer Räume: Während ehemals öffentliche Räume private Funktionen „einhausen“ und damit privatisiert werden, werden ehemalige Privaträume (wie Industrieanlagen oder Konversionsflächen) zu öffentlichem Raum – wenngleich dieser neue öffentliche Raum nicht die Funktionen übernehmen kann, die in den Innenstädten qua Privatisierung verloren gegangen sind. Zugleich werden Funktionen der privaten Haushalte unter Rückgriff auf staatliche oder marktförmige Güter- und Dienstleistungsangebote wahrgenommen. Dabei bleibt der Aspekt der Privatheit als „innerer Bezirk“ (Habermas) oder als „Schonraum“ (Bahrdt) unberührt. Bezüglich der sozialen Dimension lässt sich die Verschiebung von Öffentlichkeit und Privatheit an dem Tatbestand ablesen, dass mittels moderner Kommunikationsmedien (vor allem Handy und Internet) die informellen Kontrollen der Privatsphäre die Grenzen von Wohnung und Betrieb verlassen und den öffentlichen Raum durchdringen.993 Dabei werden tradierte urbane Verhaltenskodizes verletzt, z.B. wenn Handynutzer Privates in die Öffentlichkeit tragen (und damit die Simmel’sche Distanziertheit der Großstädter aushöhlen) oder Obdachlose private

991 Vgl. Goffman 2003 (zuerst 1956). 992 Ein Blick in die polizeiliche Kriminalstatistik – bei allen konstruktivistischen Vorbehalten – genügt, um die Vermutung zu erhärten, dass die meisten Gewaltstraftaten Beziehungstaten sind und sich in der Privatsphäre ereignen. 993 Vgl. auch Duclos 1999.

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Verrichtungen (Körperpflege etc.) im öffentlichen Raum praktizieren (und damit in einem langen von Norbert Elias beschriebenen Prozess der Zivilisation994 aus der Öffentlichkeit Verdrängtes wiederholen). Auf der symbolischen und materiellen Ebene zeigt sich, dass öffentliche Räume zunehmend so ausgestattet werden, dass architektonische oder gestalterische Details als „Social Filters“ wirken: „Ihr sozialer Doppelcharakter lässt sie zugleich abstoßend wie anziehend sein, je nachdem, welchem sozialen Milieu oder welchem sozialen Status sich der einzelne Städter selbst zuordnet.“995 Von einem eindeutigen Verfall städtischer Öffentlichkeit ist in dieser Diskursposition nicht die Rede – eher von einem erneuten Strukturwandel,996 der auch die in Stadt implizierte Sozialkontrolle betrifft. Dass die Norm der unterstellten Polarität von Öffentlichkeit und Privatheit und die Realität, wie Siebel und Wehrheim sie darstellen, voneinander abweichen, lässt sich am Beispiel der im Diskurs geforderten Sicherheit aufzeigen. War im Mittelalter noch das Land, insbesondere der Wald Sitz des Unsicheren und die wesentliche Bedrohung der Städter, so wird seit der Industrialisierung vermehrt Stadt als bedrohlich wahrgenommen: „Damit ändern sich auch die Kontrollstrategien. Sie sind nicht mehr nach außen, sondern nach innen gerichtet – auf den Städter selbst.“997 Jedenfalls ist über alle historischen Epochen hinweg eine wie auch immer ausgestaltete und zu organisierende Sicherheit der Städter eine Grundvoraussetzung von Öffentlichkeit. Ohne dies und ein gesellschaftliches Bekenntnis zu Öffentlichkeit998 ist auch öffentlicher Raum kaum denkbar. Es gilt, das ambivalente und Stadt immanente prekäre Gleichgewicht von sozialer Kontrolle und Öffentlichkeit so auszutarieren, dass Anonymität und soziale Kontrolle, Sicherheit und Verunsicherung, Vertrautes und Fremdes, Gleichheit und Differenz in einem ausgewogenen Verhältnis stehen und insofern allen Nutzergruppen Teilhabe ermöglicht wird. Dabei stehen die Städter in dem Dilemma, dass man zu wenig über eine Situation im öffentlichen Raum wissen kann, um jede Situation kontrollieren zu können – schließlich machen Städter sich jeweils lediglich mit einem kleinen Ausschnitt ihres

994 Vgl. Elias 1976 (zuerst 1939). 995 Siebel/Wehrheim 2003a; S.6. 996 Von einem neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit sprechen auch Beste/Braum (1995), die diesen Wandel dann allerdings an dem Boom privater Sicherheitsunternehmen und der fehlenden verfassungsrechtlichen Legitimation privatisierter Sozialkontrolle festmachen. 997 Siebel/Wehrheim 2003a; S.6. Vgl. auch Kap. 3.3.1 und 5.1. 998 Vgl. Janus 2000.

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Rollenrepertoires kenntlich.999 Eine gewisse Verunsicherung bleibt stets und ist konstitutiv für jedes Sich-Bewegen im öffentlichen Raum – was sich dann aber auch in berichteter Kriminalitätsfurcht und diffusen Ängsten widerspiegelt.1000 Selbstkontrolle und -steuerung als eine Dimension sozialer Kontrolle ist deshalb ein wichtiges Element der Regulierung des öffentlichen Raums – womit die Foucault’schen Technologien des Selbst als Ergebnis der Subjektivierung von Herrschaftszusammenhängen angesprochen sind.1001 Darüber hinaus wandelt sich unter dem Einfluss der genannten ökonomischen Strukturveränderungen der „Dienstleistungsgesellschaft“1002 auch soziale Kontrolle in den Städten, ohne die Sicherheit nicht gewährleistet und sich Öffentlichkeit nicht konstituieren kann. Siebel und Wehrheim fassen die Änderungen des Modus, wie Sicherheit und Sauberkeit in Stadt hergestellt werden, in drei Schlagworten, die sich in vier Dimensionen nachweisen lassen, zusammen: „Vergesellschaftung“, „Privatisierung“ und „Verstofflichung“. In der Dimension des Rechts lassen sich aktuelle Novellierungen kommunaler und länderspezifischer auf Sicherheit und Ordnung zielende Normen beobachten. Im Mittelpunkt der Reglementierungen stehen dabei Zugänglichkeit und Nutzung öffentlicher Räume oder das Verhalten in ihnen.1003 In den privatisierten Räumen der Innenstädte dominieren Partikularnormen (z.B. durch Hausordnungen), sodass man es parallel zu den Änderungen der Rechtsgrundlagen im öffentlichen Raum mit „lokal differenzierten Normativitäten“1004 zu tun hat. Damit verändern sich auch die Organisations- und Interventionsformen sozialer Kontrolle. Auch hier verschiebt sich die Aufgabenwahrnehmung und damit Interventionsmacht von der informellen städtischen Sozialkontrolle (wie Jane Jacobs sie noch betonte)1005 hin

999 Von einem solchen Repertoire sprechen in dem skizzierten Zusammenhang auch Bahrdt, Sennett und Goffman. Dass die Kontakte der Städter oberflächlich, transitorisch und segmentär sind, haben Simmel und nach ihm Wirth beschrieben. Vgl. Kap. 3.2. 1000 Vgl. Kap. 3.2.3. 1001 Vgl. Kap. 3.3.1. Bahrdt spricht in diesem Zusammenhang von „urbanen Tugenden“. Simmel versteht die Blasiertheit, die Gleichgültigkeit des Städters als zentrale Voraussetzung städtischen Lebens. Elias (1976) beschreibt den Prozess der Zivilisation als Prozess des Wechsels von „aufgeherrschter“ Disziplin zu einer verinnerlichten Selbstdisziplin. 1002 Vgl. Kap. 2.1. 1003 Vgl. hierzu Kap. 4.4. 1004 Siebel/Wehrheim 2003a; S.7. 1005 Vgl. hierzu Jacobs 1963, vor allem S.27ff. Demnach verdankt sich das etwas nostalgisch erscheinende System informeller sozialer Kontrolle dem respektvollen, aber distanzierten Miteinander und Aneinandervorbei von Passanten, Nachbarn und Anliegern. Dabei spielt die kommerzielle Nutzung des öffentlichen Raums eine positive Rolle.

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zur unter Umständen formellen, von den öffentlichen Polizeien hin zu privaten Sicherheitsdienstleistern oder auch Public-Private-Partnerships.1006 In der Dimension Technik wird vor allem die videogestützte Überwachung des öffentlichen Raums thematisiert, weil mit der Implementation dieser Technik der Anspruch des modernen Städters auf Anonymität tendenziell untergraben wird. In der Dimension Architektur bzw. Ästhetik sind die Bestrebungen eines „sicheren“ Bauens in Stadt von Bedeutung. Dazu gehört nicht nur das klassische technische „Target Hardening“, sondern auch die Aufnahme von Sicherheits- und Kontrolldenken in die Gestaltung selbst. Hier sind vor allem das Modell des „Defensible Space“ oder auch der Ansatz der „Crime Prevention Through Environmental Design“ (CPTED) zu nennen.1007 Betrachtet man alle vier Dimensionen, dann – so die Diskursposition von Siebel und Wehrheim – wird erstens Sicherheit immer mehr zur sozial ungleich verteilten Ware und zweitens werden zentrale Merkmale urbaner Vergesellschaftung durch diese Strukturveränderungen tendenziell unterminiert. Alle diese beschriebenen Entwicklungen gefährden die prekäre Balance von Öffentlichkeit und Privatheit, sie begründen aber nicht hinreichend die Verfallsgeschichte, die die oben angeführten Autoren beschreiben. Dazu fehlt es an Hinweisen auf die weniger repressive Wirkung informeller Sozialkontrolle und an der Berücksichtigung von gruppenspezifischen Coping-Strategien seitens der problematisierten Gruppen, die es ihnen ermöglichen, mit Überwachung oder gar Ausgrenzung umzugehen. Neben den Veränderungen urbaner Sozialkontrolle sind es die durch ein Bündel an Faktoren erzeugten Unsicherheitsgefühle der Städter,1008 die Öffentlichkeit in Stadt gefährden können, indem sie zu einem Rückzug aus Öffentlichkeit führen und den öffentlichen Raum und seine Kontrolle in den Mittelpunkt des Diskurses gerückt haben. Vor dem Hintergrund eines von der Mehrheit der referierten Beiträge unterstellten dystopischen Verfalls städtischer Öffentlichkeit kann man auch das bereits angerissene Verschwinden des öffentlichen Raums betrachten: Das Vorhandensein eines nicht-nutzungsdeterminierten Raums geht einher mit der Konzeption einer Öffentlichkeit, die diese Räume der Kommunikation, der Meinungs- und Willensbildung frei in Anspruch nimmt oder zumindest dazu die Möglichkeit hat. Die in dieser Narration unterstellte Krise der urbanen Öffentlichkeit, die dies nicht mehr leistet, erschließt sich so betrachtet auch durch die Abschaffung öffentlicher Räume und

Obwohl Jacobs die Kontrolle des Raums fordert, geht sie von einer gewissen „Selbststeuerung“ der Städter aus. Vgl. Kap. 3.4.3. 1006 Vgl. Kap. 4.2. 1007 Vgl. Kap. 3.4.3 und 4.3. 1008 Vgl. Kap. 3.2.3.

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deren Aneignung durch private oder allenfalls öffentlich-private Allianzen.1009 In den von der Öffentlichkeit in diesem Sinne verwaisten Räumen entstehen Konflikte, die sich auf ihre zukünftige Nutzung beziehen: Konsumfähige Gruppen streben in Allianz mit den Eigentümern nach Räumen der Repräsentation, der Distinktion, der Angstfreiheit und des Konsums1010 – die vom Konsum Ausgeschlossenen suchen ebenfalls Räume der Repräsentation, aber mehr noch solche, an denen sie sich schier störungsfrei aufhalten können, wenngleich mit geringeren Konsummöglichkeiten. Die klassisch-moderne Trias von Öffentlichkeit, Demokratie und Urbanität wird aufgelöst zugunsten eines unverbindlichen und beliebigen Nebeneinanders von urbaner „Pseudo-Öffentlichkeit“, „Mediendemokratie“ und exklusivem „Konsumurbanismus“1011. Die „New Urban Publicity“, die neue städtische Öffentlichkeit, die zwar im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit oftmals als Anzeichen der Renaissance der Städte und damit als Zukunft der Stadt beschworen wird, wird vor dem Hintergrund einer Rekonstruktion des Urbanen entlang einer demokratischen Öffentlichkeit als Katalysator eines tendenziellen Untergangs der modernen Stadt als Form des gesellschaftlichen Verkehrs angesehen.1012 Mit dem teilweise unterstellten Absterben der Öffentlichkeit im Zuge der sozialen Homogenisierung der Innenstädte verlieren Straße und Platz ihre Bedeutung als Kommunikationsräume eines räsonnierenden Publikums und fungieren nunmehr einzig als Verkehrsräume. Den problematisierten, von Ausgrenzung bedrohten Gruppen bleiben einige wenige Orte außerhalb der Innenstädte und in problematischen Stadtteilen vorbehalten.1013

1009 Zur Krise des öffentlichen Raums als Krise der öffentlich-rechtlichen „Regierungsform“ und einem entsprechenden Aufkommen der privatistischen Herrschaft der Gemeinschaft vgl. Siegel 1995; S.382f., vor allem aber Sennett 1999; z.B. S.329ff. Vgl. auch Kap. 4.2.3 und 4.2.2. 1010 Vgl. Prigge 1991 und Kap. 5.3. 1011 Vgl. Kap. 5.3. 1012 Ähnliche Hinweise gibt Davis 1994a; S.263ff. Er konstatiert, dass auch in dieser Hinsicht die USA das „Land der unbegrenztem Möglichkeiten“ sind, aber seiner Auffassung nach weniger „the Land of the Free“: In Los Angeles sei der öffentliche Raum beispielsweise „so gut wie abgeschafft“, die „Fußgänger-Demokratie“, die als Bindeglied Öffentlichkeit wie städtisches Leben ausmacht, hat damit bildlich an Boden verloren. Auch in der europäischen Tradition der Moderne lässt sich in der Figur des Flaneurs derselbe semantische Gehalt nachweisen. Öffentlicher Raum und Demokratie werden also im Diskurs sowohl in der amerikanischen, wie in der europäischen Tradition als aufeinander verwiesen betrachtet. 1013 Davis (1994a; S.298) kritisiert, dass sich die „Street Corner Society“ (Whyte 1973), die einst typisch für die amerikanischen Quartiere war, nur noch als „Streetscene“ zu kar-

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Unkontrollierte und heterogene Menschenmengen, die ja tendenziell als chaotisch und insofern bedrohlich wahrgenommen werden, verschwinden zusammen mit dem ihnen zugeschriebenen Raum aus dem Bild der Innenstädte. Hinzukommen die repressiven und präventiven Maßnahmen einer Sicherheitskultur, die den Verlust urbaner Freiheit, die ja noch in der mittelalterlichen Rede „Stadtluft macht frei“ erhalten ist, bedeuten kann. Das Zurückdrängen einer allgemeinen Öffentlichkeit in den angesprochenen Dimensionen bedeutet auch den Verlust von nicht über den Markt vermittelten Teilhaberechten. Die Olmstedt’sche Vision,1014 nach der Urbanisierung durch die Heterogenisierung der Bevölkerung gelingt, scheitert auf diese Weise: Das mehr oder minder gewaltfreie Nebeneinander aller in den Städten lebenden Klassen, Schichten oder Milieus und Ethnien, also die Ermöglichung einer demokratischen Freiheit aller, wird durch die Freiheit des Einzelnen, sich ungehindert und vermeintlich sicher im Raum zu bewegen, abgelöst. Insofern bedeutet die Beschneidung derselben Freiheit von in ihrer Größe relevanten Gruppen lediglich die Durchsetzung der Freiheit der Mittelschichten, sich ohne Angst und Irritation im innerstädtischen Raum zu bewegen.1015 Die mittelalterliche Rede von der freien Stadt wird dadurch ad absurdum geführt. In vielen Positionen des zentralen Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit wird davon ausgegangen, dass das Leitbild der modernen, demokratischen und sozialen Stadt auf diese Weise erodiert.1016 Flankiert wird diese Entwicklung noch durch das unterstellte Verschwinden des öffentlichen Raums. 3.4.2 Die Narration vom Verschwinden des öffentlichen Raums „Viel ist da die Rede vom öffentlichen Raum, in dem sich die Gesellschaft selbst ins Gesicht sieht, es wird ein ungeteilter Raum beschworen, der alle Bewohner einer Stadt in ihrer Unterschiedlichkeit verbindet und in dem es möglich erscheint, dass sich bei aller Vielfalt doch so etwas wie Eintracht

nevalesken Inszenierungen des innerstädtischen Raums im Rahmen urbaner Festivals präsentieren kann. 1014 Zu der Idee Frederick Law Olmstedts, des Gründers des Central Parks in New York, einen „Park für das Volk“ zu schaffen und damit Stadt, Öffentlichkeit, Demokratie, Natur und Gesundheitspflege zusammenzuführen, vgl. Schwarz 2005. 1015 Granitzki (1998; S.1) vermutet, dass nicht das Elend als solches den blasierten Bürger mit dem empfindlichen Magen stört, sondern die Öffentlichkeit der Armut. Vgl. auch Geiger 1996. 1016 Vgl. z.B. Schroer 2005a.

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ereignet – und zwar ohne dass diese inszeniert oder veranstaltet werden müsste.“ HANNO RAUTERBERG1017 „Die dem Allgemeingebrauch gewidmeten, offen zugänglichen und in diesem Sinne öffentlichen Räume der Stadt – Straßen, Plätze und Parkanlagen – sind schon seit langem nicht mehr das, was sie einmal waren oder sein sollten, nämlich Räume einer Stadtgesellschaft, die ihre eigene Öffentlichkeit wie ihre eigenen Individualität braucht, schafft und garantiert. Diese Stadtgesellschaft, die eben dadurch lebt, dass sich ihre Mitglieder auch im öffentlichen Raum [...] artikulieren und vermitteln, verschwindet zunehmend [...].“ BRUNO FLIERL1018

Wie das Verhältnis von Urbanität und Öffentlichkeit wird auch der gesellschaftliche Umgang mit dem öffentlichen Raum in den Städten negativ beschrieben. Die Narration vom „Verschwinden des öffentlichen Raums“ dominiert und präformiert auf diese Weise die Wahrnehmung von Stadt.1019 Die Ausgrenzung problematisierter Gruppen und Personen wird dem Verschwinden des öffentlichen Raums direkt zugerechnet. Sofern öffentlicher Raum aufgrund rechtlicher oder phänomenologischer Privatisierung quantitativ abnimmt oder nicht uneingeschränkt nutzbar ist, findet der Teil der Nutzer, der sich habituell im öffentlichen Raum dauerhaft aufhält, ohne ihn nur als Verkehrsraum zu nutzen, keinen Ort zum Verweilen in den Innenstädten mehr. „Sie (die Privatisierung öffentlichen Raumes; G.L.) führ(t; G.L.) nicht nur zu einer rechtlichen Privatisierung des öffentlichen Raums, sondern immer auch zu sozialer Ausgrenzung. Damit werden Tendenzen noch verstärkt, die seit längerem beobachtbar sind. Die Stadt wird mehr und mehr eingerichtet für den kaufkräftigen, erwachsenen Kunden. Alte Menschen und Kinder, Arme und teilweise auch die Frauen werden an den Rand gedrängt. Damit aber verliert die Stadt ein wesentliches Element von Urbanität, nämlich ihre Öffentlichkeit. Eine Öf-

1017 Rauterberg 2001; S.351. 1018 Flierl 2000; S.6. Auch zit. in Selle 2003; S.352. 1019 Vgl. als ersten Meilenstein Jacobs 1963. Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten ist die Narration vom „Verschwinden des öffentlichen Raums“ weit verbreitet und wird häufig ungeprüft oder wenig reflektiert übernommen.

240 | STADT UND KONTROLLE fentlichkeit, von der angebbare Gruppen ausgegrenzt sind, ist per definitionem keine Öffentlichkeit.“1020

Sicherheit und Sauberkeit dienen dabei häufig als Argumente für die Abschaffung bzw. Umwidmung oder die Neugestaltung des öffentlichen Raums: So wird entweder vorgetragen, dass der öffentliche Raum umgewidmet, zurückgebaut etc. wird, weil Sicherheit und Sauberkeit nicht (mehr) gewährleistet sind und man den damit in Beziehung gesetzten Problemen nur durch Privatisierung, Rück- oder Umbau Herr werden kann. Oder es wird umgekehrt vorgetragen, dass Sicherheit und Sauberkeit notwendige Bedingungen sind, um einer weiteren „Entwertung“ entgegenzuwirken oder eine Wieder- bzw. Neugewinnung von öffentlichem Raum zu ermöglichen. Dabei ist in beiden Fällen unterstellt, dass juristisch nicht-öffentlicher Raum (unabhängig davon, ob es sich phänomenologisch um öffentlichen Raum handelt, insofern als er öffentlich zugänglich ist)1021 irgendwie sicherer und sauberer ist, wenn die abstrakte Möglichkeit besteht, Nutzungen oder Personen aus diesen Räumen auszugrenzen. Was unter öffentlichem Raum verstanden wird, unterscheidet sich jeweils nach Profession und Standpunkt der Definierenden.1022 Von einer einheitlichen Definition kann nicht ausgegangen werden. Klar scheint aber, dass öffentlicher Raum nicht als in erster Linie physischer Raum aufzufassen ist, sondern dass die soziale Nutzung des öffentlichen (wie privaten) Stadtraums Ergebnis eines komplexen sozialen Prozesses der Aneignung ist. Die Möglichkeiten der Aneignung öffentlichen Raums korrespondieren wiederum mit dessen Eigenschaften wie Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit, seiner Zugänglichkeit, den Möglichkeiten der Bewegung in ihm, den ihm zugeschriebenen Funktionen sowie der Wahrnehmung von urbanen Symbolen und der Fähigkeit, sie zu entschlüsseln.1023 Auf eine kurze Formel gebracht: „Die Aneignung des Raumes ist das Resultat der Möglichkeit, sich im Raum frei zu bewegen, sich entspannen, ihn besitzen zu können, etwas empfinden, bewundern, träumen, etwas kennenlernen, etwas den eigenen Wünschen, Ansprüchen, Erwar-

1020 Siebel 1994; S.18f. 1021 Vgl. Thurnher 1993. 1022 Vgl. Selle 2003; S.24ff. Dort findet sich auch eine differenzierte Systematisierung von „Übergängen“ zwischen öffentlichem und privatem Raum im Sinne „halböffentlicher“, „bedingt“ privat wie öffentlich nutzbarer Raum etc. Vgl. auch Newman 1973; S.9ff. Benhabib (1991) beschreibt drei Modelle des öffentlichen Raums. Vgl. auch Krau 1987 und Weintraub 1995. 1023 Zur Raumaneignung und Raumnutzung vgl. Herlyn 1993; S.253.

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tungen und konkreten Vorstellungen zu tun und hervorbringen zu können.“1024 Damit kann öffentlicher Raum prinzipiell auch zu Zwecken genutzt werden, die ursprünglich nicht intendiert waren, was erstens die prinzipielle Möglichkeit zur Ausgrenzung Unerwünschter wie auch zweitens den Wandel seiner Funktion impliziert.1025 Die Zuschreibung eines Raums als öffentlich geht mit der Durchsetzung eines obrigkeitsstaatlichen Ordnungsanspruchs einher. Die modernen Entwürfe (meist bürgerlicher) Urbanität, die in der entsprechenden Narration mit dichotomen Begriffspaaren wie Heterogenität versus Homogenität, privatistische Reserviertheit versus Öffentlichkeit und Chaos versus Ordnung beschrieben werden, weisen dem öffentlichen Raum Funktionen zu, die dem je spezifischen Bild von Stadt entsprechen: Der öffentliche Raum soll Ort der unerwarteten Begegnung sein, Ort des zweckfreien Flanierens, der Freizeit, er soll auch der Ort der öffentlichen Auseinandersetzung über Politisches, Ökonomisches und Soziales sein, in ihm soll sich die Vielfalt der Welt widerspiegeln und Verweilen, Betrachten sowie Konsum organisiert werden.1026 Kurzum: Öffentlicher Raum kennzeichnet das an sich Städtische und zugleich nichts Bestimmtes, in ihm sind seiner Idee nach zunächst wenige Nutzungsmöglichkeiten ausgeschlossen bzw. verboten.1027 Der öffentliche Raum ist damit die konkret-materielle, aber auch ideelle Verwirklichung des einen Pols der von Bahrdt beschriebenen Urbanität, nämlich der Öffentlichkeit, und Ausdruck der

1024 So der französische Soziologe Paul-Henry Chombart de Lauwe, zit.n. Herlyn 1993; S.253. 1025 Vgl. Hahn 1998. Innerstädtische Plätze werden von verschiedenen Personengruppen zu unterschiedlichen Zwecken genutzt, jede spezifische Gruppe definiert ihre Zwecke. Dies gilt für den Verzehr von Alkohol ebenso, wie für den Konsum anderer Waren, das Flanieren, Shopping etc. Vgl. auch Doehler 2003. 1026 Zur Verbindung von öffentlichem Raum und Konsum vgl. ein Zitat von Walter Prigge (zit.n. Rathaus ratlos 2001; H.135; S.4): „Historisch gesehen hat der Platz eine Verteilungsfunktion, er ist der Ort, wo man stehen bleibt, verweilt. Die Aufgabe der Platzgestaltung ist es, das Verweilen zu organisieren. Ohne Konsum funktioniert ein Platz nicht.“ 1027 Rada (1997a; S.103) unterstreicht diese Notwendigkeit einer demokratischen Stadt. Am Beispiel der Angstreduktion im öffentlichen Raum (1997a; S.167ff.) zeigt er, dass gerade zur Bewältigung städtischer Probleme das Vorhandensein öffentlichen Raums der Auseinandersetzung, der Begegnung, der uneingeschränkten Möglichkeit, Erfahrungen zu machen bzw. diese auszutauschen, grundlegende Bedingung ist. Die räumliche Distanzierung von den „Angstmachern“ ist in dieser Hinsicht sogar dysfunktional. Vgl. auch Koenen 2003 und Siebel/Wehrheim 2003a; S.6: „Im öffentlichen Raum erlernt der Städter den alltäglichen Umgang mit Differenz und die [...] Formen stilisierten Verhaltens, die Voraussetzungen für ein zivilisiertes Miteinander in urbanen Räumen sind.“

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Freiheit, die mit Stadt assoziiert ist.1028 Materialistisch denkende Kritiker dieser idealistischen Konzeption urbanen Lebens, urbaner Öffentlichkeit und des öffentlichen Raums wenden dagegen ein, dass öffentlicher Raum keinesfalls so neutral beschrieben werden kann, weil er zugleich auch Ort der Reproduktion von Macht und Herrschaft ist, vermittelt z.B. über die architektonische Symbolsprache der den öffentlichen Raum umgebenden oder dominierenden Gebäude, und damit ein Ort der Reproduktion gesellschaftlicher Verhältnisse und Identitäten (auch im Sinne eines Drinnen oder Draußen) ist: „Der öffentliche Raum als jederzeit für jedermann zugänglicher Raum hat ebenfalls noch nie in irgendeiner Stadt existiert. Er ist immer auch exklusiver Raum.“1029 Aus beiden Wirklichkeitsdeutungen öffentlichen Raums ergibt sich ein Spannungsfeld, das die Narration kennzeichnet und je nach Standpunkt unterschiedliche Maßnahmen geboten bzw. illegitim erscheinen lässt. So wird deutlich, dass die Ausgrenzung bestimmter Nutzungen, sei es das zweckfreie Verweilen im öffentlichen Raum jenseits definierter Verhaltensstandards oder der Nicht-Konsum in ihm, konstitutives Element öffentlichen Raums ist. Raum ist nicht nur physischer Raum, er erschließt sich nur als sozial ungleich angeeigneter Raum.1030 Der normative Anspruch, Stadt müsse Theatrum Mundi sein und insofern Möglichkeiten im öffentlichen Raum bereit stellen, die Urbanitäten seiner Bewohner angemessen zu repräsentieren, bricht sich an diesem konstitutiven Verhältnis.1031 In der Narration wird unterstellt, dass öffentlicher Raum unter vier Perspektiven betrachtet werden kann:1032 den Rechtsverhältnissen des öffentlichen Raums, seiner funktionalen Nutzung sowie einer sozialen und einer symbolischen Perspektive. In juristischer Perspektive ist Raum dann öffentlich, wenn er sich in öffentlichem Eigentum befindet und öffentlich ausgewiesen, d.h. dem Allgemeingebrauch gewidmet ist und überwiegend durch die öffentliche Hand gepflegt, kontrolliert und verantwortet wird. Das schließt nicht unbedingt ein, dass öffentlicher Raum physisch für alle Personen uneingeschränkt – räumlich wie sozial – zugänglich ist.1033 Auch

1028 Vgl. Feldtkeller 1995; S.163. Die Privatisierung des öffentlichen Raums im Sinne der Umwidmung zu privaten Zwecken erscheint vor diesem Hintergrund als „Zweckentfremdung“. Vgl. Feldtkeller 1995; S.136. Vgl. zum Verhältnis von moderner Stadt und dem Verlust des öffentlichen Raums auch Holston 1999. 1029 Siebel/Wehrheim 2003b; S.12. 1030 Vgl. Bourdieu 1991. Vgl. auch Läpple 1991a und b. 1031 Vgl. auch Bendiks 2006. 1032 Vgl. hierzu Gestring u.a. 2005; S.224. 1033 In Kap. 4.4 wird beschrieben, wie mittels Nutzungssatzungen der öffentliche Raum zwar nicht per se privatisiert wird, Nutzungsmöglichkeiten aber im Sinne einer stritti-

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im öffentlichen Raum in der Hand der Öffentlichkeit können definierte Nutzungen ausgeschlossen werden. Aus der Perspektive der funktionalen Nutzung betrachtet ist öffentlicher Raum, was von der Öffentlichkeit als Raum genutzt werden kann – unabhängig von den tatsächlichen Rechtsverhältnissen und ohne, dass bestimmte Nutzungen determiniert oder andere per se ausgeschlossen wären.1034 So sind traditionell dem öffentlichen Raum die Funktionen Markt und Politik zugeordnet, dem privaten Raum Produktion und Reproduktion. Der nicht-konsumtive Aufenthalt im öffentlichen Raum der Innenstädte wäre in dieser Perspektive eingeschlossen. Anschaulich formuliert Andreas Feldtkeller: „Als öffentlich – in dem hier erörterten Sinne – empfinden wir eine städtische Situation immer dann, wenn der vorhandene [...] Raum für jedermann frei (das heißt ohne besondere Berechtigung) zugänglich ist und nicht einer bestimmten Benutzergruppe – seien es die Anwohner, bestimmte soziale oder kirchliche Nutzer, oder heute die Autobesitzer – zugeordnet und als von ihnen vereinnahmt werden kann.“1035

In sozialer Perspektive geht man davon aus, dass im öffentlichen Raum prinzipiell andere Verhaltensweisen als im privaten erwartbar sind. Zeichnet sich das Verhalten des Simmel’schen Großstädters durch seine Distanziertheit und Blasiertheit aus, dominieren im privaten Raum idealtypischerweise Intimität, Emotionalität und Körperlichkeit. Eine Nutzung des öffentlichen Raums, die sich von der des privaten nicht wesentlich unterscheidet, könnte demnach als problematisch angesehen werden.1036 Insofern korrespondiert mit dem Vorhandensein öffentlichen Raums und seiner Nutzung immer ein abstrakter Bedarf an öffentlicher Verhaltensregulierung, um ihn im Sinne aller Städter nutzbar zu machen. Die soziale Kontrolle des öffentlichen Raums ist demnach – auch jenseits des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit – konstitutiv für jede Interpretation und Thematisierung öffentlichen Raums.1037 In symbolischer Perspektive kann man Räume mittels deren physischen

gen Definition des Gemeingebrauchs sukzessive durch die Ausweisung „untypischer Nutzungen“ eingeschränkt werden können. 1034 Vgl. z.B. Wonneberger 1999. 1035 Feldtkeller 1995; S.57. Auch zitiert in Selle 2003; S.31. 1036 So wird in der juristischen Thematisierung auch das dauerhafte Niederlassen an einem Ort und der Konsum von Speisen und Getränken außerhalb von Schankflächen und räumen als problematisch thematisiert. Vgl. Kap. 4.4. 1037 Vgl. Schubert 2000, der dieses Verhältnis zu einer „integrierten Theorie des öffentlichen Raums“ verdichtet. Zur Lösung der mit diesem Verhältnis verbundenen Probleme und Konflikte schlägt er eine „kommunitaristische“ Regulierung, z.B. durch kommunale Kriminalpräventionsräte, vor.

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Gestaltung (insbesondere durch Materialien und Barrieren) als öffentlich oder privat markieren. Dabei spielen die Zugänglichkeit des Raums und seine Möblierung eine wesentliche Rolle. Im Diskurs werden grundlegend hinsichtlich des Verschwindens des öffentlichen Raums zwei Strategien angeführt: Öffentliche Räume werden städtischen Nutzern entzogen, indem sie von den vorherigen Besitzern, in aller Regel den Kommunen selbst, an Privatpersonen oder -unternehmen verkauft werden, die die betreffenden Räume in ihrer Gestalt als Plätze, Parks, Straßen etc. zunächst im Wesentlichen unverändert lassen, aber unter Umständen in ihnen andere Kontrollstrategien implementieren. Dazu gehört auch die Definition unerwünschter Verhaltensweisen. In solchen Fällen entstehen Räume, die zwar phänomenologisch öffentlich erscheinen, insofern als sie ohne erkennbare Umwehrung auskommen und physisch zunächst jedermann zugänglich sind, juristisch aber Privatgelände sind.1038 Bei der zweiten Strategie wird ehemals öffentlicher Raum überbaut und verschwindet so auch phänomenologisch aus dem Bild der Stadt.1039 Wo öffentlicher Raum bestehen bleibt, sei es in öffentlicher oder privater Hand, ändert sich in vielen Fällen seine Nutzung: Der phänomenologisch wie juristisch öffentliche Raum in öffentlicher Hand wird als Ort des Aufenthalts unattraktiv, weil er im Sinne der Verbesserung von Sicherheit und Sauberkeit so gestaltet oder möbliert wird, dass nur

1038 Zwar wird das Eigentumsrecht i.S.d. § 903 BGB durch den Art. 14 II GG eingeschränkt, dennoch ist der Verweis unerwünschter Personen von solchen Privatgrundstücken davon scheinbar unbenommen und gängige Praxis. Vgl. Kap. 4.4. 1039 Es ist zwar denkbar, dass private Unternehmen auf städtischem Grund bauen ohne diesen zu erwerben, aber nicht üblich. Häufiger sind Fälle, in denen die Städte die oftmals zentralen Grundstücke im Innenstadtbereich (teilweise unter Wert) an Investoren verkaufen, um angesichts der gestiegenen Konkurrenz unter den Städten Investitionen und Arbeitsplätze – damit Kaufkraft – an sich zu binden. In Solingen wurde 2000 beispielsweise eine Mall eröffnet, für die der ehemals zentrale Innenstadtplatz vollständig überbaut wurde. Die Entscheidung, den öffentlichen Raum so in letzter Konsequenz preiszugeben, dürfte der städtischen Politik, Verwaltung und Bevölkerung auch deshalb leicht gefallen sein, weil dieser Platz seit Jahrzehnten größtenteils von Obdachlosen und öffentlich Trinkenden genutzt wurde. Die Wahrnehmung dieses Zustands als Problem, das tief greifender Maßnahmen bedarf, etablierte sich erst mit dem Aufkommen des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten. Nach Baubeginn siedelten sich die zum Problem erklärten Gruppen im Bereich der Baustelle, am Rande des ehemaligen Platzes an, und sorgen nun dort für Unwohlsein, Angst und eine verstärkte Kontrolltätigkeit der Polizeien. Vgl. Koch-Schreiber 1999b, o.V. 1999c und d sowie Fn.30-55.

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eine eingeschränkte Nutzung möglich ist.1040 Phänomenologisch öffentlicher Raum in privater Hand hingegen wird teilweise mit rigiden Nutzungs- und Zugangsbeschränkungen versehen, sodass eine Nutzung durch eine uneingeschränkte Öffentlichkeit ausgeschlossen ist. Im ersten Fall schwinden die Nutzungsmöglichkeiten qua Gestaltung, im zweiten Fall schrumpfen die Nutzungsmöglichkeiten durch eine Verrechtlichung des Raums.1041 Aber auch die Kommunen geben dem öffentlichen Raum Ordnungen, von denen bisweilen behauptet wird, dass sie der Rigidität und Repressivität denjenigen privater Eigentümer in nichts nachstehen. Die juristische Privatisierung oder die symbolische Umgestaltung des öffentlichen Raums geht i.d.R. mit dessen Gentrifizierung, also dessen baulicher Aufwertung, einher. In beiden Konstellationen können ehemalige Nutzergruppen ausgeschlossen werden:1042 entweder mittels des privaten Kontrollregimes oder mittels der Gestaltung von Nicht-Orten1043 ohne jede Aufenthaltsqualität. Öffentliche Räume, die weder juris-

1040 Als Beispiel seien Sitzgelegenheiten genannt: Es werden Bänke oder Brunnen aufgestellt, auf denen man nicht sitzen kann oder will, oder aber vorhandene Sitzgelegenheiten entfernt. 1041 Vgl. zu Gegenstrategien Project for Public Spaces 2004a und b. 1042 Vgl. Tolmein 1997. 1043 Die Differenzierung zwischen Orten und Nicht-Orten geht auf Marc Augé (1994) zurück. Augé meint damit monofunktional genutzte urbane und suburbane Räume, die vor allem dem Transit dienen (Shopping Mall, Flughafen etc.). Ihnen fehlen im Gegensatz zum „anthropologischen Raum“ Geschichte, Identität und Relation. Kommunikativ sind sie verwahrlost. „So wie ein Ort durch Identität, Relation und Geschichte gekennzeichnet ist, so definiert ein Raum, der keine Identität besitzt und sich weder als relational noch als historisch bezeichnen lässt, einen Nicht-Ort“ (Augé 1994; S.92). Das Ergebnis ist Ähnlichkeit und Einsamkeit. Denkbar sind Zwischenformen sowie technische Substitutionen von Orten. Unklar ist, wann ein Nicht-Ort zum Ort wird. Vgl. auch Pelzer/Sedlmaier 2000, Nutz/Stumpf 1994 und o.V. 2003. Foucault (2001a) spricht in einem ähnlichen Zusammenhang von „anderen Räumen“: „Es gibt gleichfalls [...] wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplatzierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können. Weil diese Orte ganz andere sind als alle Plätze, die sie reflektieren oder von denen sie sprechen, nenne ich sie im Gegensatz zu den Utopien die Heterotopien.“ (S.26) Auch Lefèbvre (1972) spricht von Heterotopien und definiert sie als „andere Orte“ und „Orte des Anderen, das ausgeschlossen und gleichzeitig einbezogen wird.“ (S.138). Nicht-Orte sind für ihn „U-Topien“, „Orte des Anderswo“ (S.139, vgl. auch S.44). Vgl. auch Salein 1994.

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tisch privatisiert noch symbolisch verändert wurden, drohen zu slumifizieren, sofern notwendige Investitionen ausbleiben.1044 Neben dem Straßenraum und Plätzen zählt man auch Parks und Bedürfnisanstalten zum öffentlichen Raum einer Stadt. Da eine bestimmte Nutzungsart in den meisten dieser Räume nicht vorgegeben ist, werden in idealistischen und mitunter ideologischen Stadtentwürfen der Moderne1045 öffentliche Räume vor allem mit den kommunikativen Möglichkeiten einer politischen Öffentlichkeit, die sich auf diese Weise symbolisch im Raum repräsentiert, in Verbindung gebracht.1046 Eine entsprechende Interpretation bezieht sich auf Gemeinschaft: „Der öffentliche Raum symbolisiert die Gemeinschaft der Städter und ist damit die eigentliche Verwirklichung von Stadt, die mehr ist als nur die Summe von [...] Einzelgebäuden, genau wie Stadtgesellschaft keine Zufallsansammlung von Menschen ist, die nichts miteinander zu tun haben, sondern eine Gemeinschaft, die mehr als die Summe von Individuen ist. Öffentlicher Raum ist die Inkarnation von Stadt, durch ihn werden Gebäude zur Stadt.“1047

Eine andere Wirklichkeitsdeutung legt die politische wie symbolische Unhintergehbarkeit des öffentlichen Raums als Zentrum von Stadt als sozialer Form nahe, indem der öffentliche Raum als „das ‚Grundgesetz‘ der Stadt“ 1048 bezeichnet wird, was Assoziationen wie die der „Würde“ und der „Unantastbarkeit“ nahe legt. Aus gouvernementalitätstheoretischer Perspektive wäre allerdings zu fragen, ob denn nicht trotz einer unausgesprochenen Nutzungsbestimmung bestimmte Nutzungen als ausgeschlossen gar nicht erwogen (z.B. dauerhaftes Verweilen) werden, während andere Nutzungen (z.B. Konsum) als Hauptzweck und eigentliche Existenzberechtigung des öffentlichen Raums angesehen werden. Eine Antwort könnte in der „Verräumlichung des Denkens“ liegen, nach der Raum eine strukturierende Funktion hat, der eine Beschreibung des Raums entspricht, die dann das Denken, also die Wirklichkeitswahrnehmung und -interpretation der Subjekte formiert.1049

1044 Davis (1994a; z.B. S.264) beschreibt eine solche Allianz zwischen Bodeneigentümern, den Kommunen und den Stadtentwicklungsunternehmen, den sogenannten „Developers“, die für die Entwicklung Südkaliforniens ausschlaggebend war. 1045 Vgl. Eaton 2001. 1046 Rechtlich ist eine solche fehlende Vorgabe von Nutzungen in den Begriffen des „Gemeingebrauchs“ und des „weiten Verkehrsbegriffs“ aufgehoben. Vgl. Kap. 4.4. 1047 Leipprand 2000; S.96. 1048 Sieverts 1996; S.161. 1049 Vgl. Foucault 1974 und 2005; S.339.

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Die damit verbundene Parzellierung des Raums1050 legt die juristische wie symbolische Gestaltung des öffentlichen Raums entsprechend dessen Funktionserfordernissen nahe und ermöglicht seine effiziente, auch jenseits reiner Disziplinierung ansetzende, normalisierende Kontrolle. Die Städter als Subjekte machen sich die funktionalen Erwartungen an den Raum zu eigen und unterwerfen sich dem entsprechenden Kontrollregime, ohne entsprechend diszipliniert werden zu müssen. Vor diesem theoretischen Hintergrund wäre das Verschwinden des öffentlichen Raums ein typisches Kennzeichen der Stadtentwicklung in der Kontrollgesellschaft. Da der öffentliche Raum im Verschwinden gesehen wird, ist damit auch die moderne Konzeption von Stadt in Gefahr: „Das Verschwinden öffentlicher Räume ist das Verschwinden einer bestimmten Fiktionalisierung und Idealisierung der Kultur.“1051 Man müsste ergänzen, dass es sich um dabei eine bestimmte Lesart von Kultur handelt. Drastisch bringt dies auch eine Beobachtung Walter Benjamins auf den Punkt: „Er berichtet [...] auch von einem ‚Schock‘ über das Verschwinden des öffentlichen Raums. Mit der Zurichtung des Stadtraums auf den Konsum hat er als Aufenthaltsort ausgedient – aus dem Theatrum Mundi wurde ein Theatrum Konsumendi.“ 1052 Die genannten vier Perspektiven treffen hinsichtlich der prinzipiellen Möglichkeit des Ausschlusses bestimmter Personen oder Gruppen aus dem öffentlichen Raum zunächst keine Festlegungen, legen aber Annahmen nahe. So kann man annehmen, dass in der rechtlich-eigentumsorientierten Perspektive1053 privatisierten Raums Ausschluss möglich ist, ohne dass dies der gängigen idealistischen Definition öffentlichen Raums widersprechen würde, während aus der funktionalen Perspektive öffentlicher Raum, der nicht allen Mitgliedern der Öffentlichkeit zugänglich ist, per definitionem kein öffentlicher Raum mehr wäre. Die Möglichkeit der Nutzer, sich öffentlichen Raum subjektiv selbstbestimmt anzueignen,1054 d.h. sich

1050 Vgl. Foucault 1995 (zuerst 1977), S.181ff. 1051 Reck 1997, S.4. 1052 Rada 1997a; S.110. Die Rede ist hier von den Eindrücken Walter Benjamins bei der Beschreibung des in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufkommenden Bautyps der Passage. Als Materialist schließt Benjamin von dem Aufkommen dieses Bautyps gewissermaßen als Desiderat städtischen Seins auf den Bedeutungszuwachs des Individuums und seines reservierten Bewusstseins im öffentlichen Raum und weist damit, als Zeitgenosse Simmels, auf erste Individualisierungsschübe im Sinne Ulrich Becks (1986) hin. 1053 Vgl. zum Zusammenhang von Eigentumsrechten und öffentlichen Raum Webster 2002. 1054 Öffentlicher Raum wird erst durch die soziale Praxis hergestellt. Vgl. dazu Bourdieu 1991 und Löw 2001b; S.152ff. Veith/Sambale (1998; S.4) stellen dar, dass aus diesem Grund von einem „neutralen“ öffentlichen Raum wertfreier, kommunikativer Begeg-

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Raum auch sozial wie intellektuell handelnd so zu erschließen, dass in ihm sowohl Orientierung, aber auch der Entwurf beliebiger Handlungen und deren Realisation prinzipiell möglich ist, und die Möglichkeit, öffentlichen Raum als kommunikativen Raum zu nutzen, in dem alle Gestaltungsmöglichkeiten progressiv offen stehen, wird innerhalb beider Perspektiven nicht immer expliziert, durchzieht aber insbesondere Teile der Narration, die auf die zweite Perspektive rekurrieren, normativ. Nach dieser Interpretation würde mit dem Verschwinden des öffentlichen Raums sich auch die Ideologie der modernen Stadt und der städtischen Gesellschaft verändern, was wiederum auf die Theorie von Öffentlichkeit in der Stadt1055 zurückwirkt. Eine einheitliche Interpretationslinie ist im Diskurs nicht zu erkennen. Klar aber scheint, dass aus juristischer Perspektive aus öffentlichem Raum privater wird, wenn man ihn enteignet, umwidmet und privatem Hausrecht unterstellt. In funktionaler Perspektive wird öffentlicher Raum privatisiert, wenn Politik im Sinne der öffentlichen Verhandlung von Fragen des Gemeinwohls ausgeklammert und die Marktfunktion verabsolutiert wird, indem Konsum als einzig legitime Funktion der Innenstädte erscheint.1056 In sozialer Perspektive wird Raum privatisiert, wenn „Andersartiges“, „Fremdes“, gegebenenfalls „Bedrohliches“ ausgeschlossen wird, indem die Zugänglichkeit oder der Aufenthalt für entsprechende Eigenschaftsträger erschwert oder eingeschränkt wird, oder wenn die Andersartigkeit oder Fremdheit von Personen oder Situationen als kategoriale Bestimmung ihres Wesens angesehen wird, sodass die Betroffenen keine Chance haben, andere Blickweisen auf sie zu ermöglichen. Aus der symbolischen Perspektive tragen Veränderungen der Semiotik des öffentlichen Raums zu dessen Privatisierung bei, z.B. durch Einhegung oder Einhausung der Marktfunktion in Shopping Malls, Ladenpassagen, Kaufhäusern etc. oder durch die Implikation gestalterischer Reminiszenzen an den Privatraum der Wohnung.1057 Die Symbolsprache des gentrifizierten öffentlichen Raums mit exklusiver Ausstattung und hochwertigen Materialien wird von den im Interesse der neuen Besitzer zu vertreibenden, aber auf den öffentlichen Raum angewiesenen Personen oder Gruppen sehr wohl verstanden und in ihrer impliziten Ausgren-

nung und Auseinandersetzung nicht ausgegangen werden kann. Öffentlicher Raum ist dynamisch, in ihm konkurrieren mannigfaltige Nutzungen und Symboliken. Insofern ist davon auszugehen, dass auch in historischer Perspektive Stadtraum niemals öffentlich für alle Gruppen war und sein kann (s.o.). Ronneberger (2001) kritisiert, dass sich die Städter den Innenstädten nicht mehr als ganze Bürger nähern, sondern nur noch in der segmentierten Rolle des Konsumenten oder des Touristen. 1055 Vgl. Kap. 3.4.1. 1056 Vgl. Kap. 5.3. 1057 Vgl. Gestring u.a. 2005; S.248.

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zungssemantik entschlüsselt.1058 Nicht entschlüsselt werden müssen explizite Vertreibungsmaßnahmen wie nicht zum Liegen nutzbaren Bänke, vergitterte Nischen, Brunnen ohne Sitzmöglichkeit, stachelbewehrte Mülleimer, gekühlte Fußböden, die mit scharfen Reinigungsmitteln benetzt werden, um ein Auf-dem-Boden-Liegen zu verhindern, Schwarzlichtlampen in Toiletten, sublime Schlagermusik oder hochfrequenten Töne als Dauerbeschallung, Areale mit künstlich erhöhter Luftfeuchtigkeit, gezielt starkem Luftzug oder künstlichen kalten Windböen etc., weil diese den länger andauernden Aufenthalt in solchen Räumen sehr unangenehm oder unmöglich machen.1059 In der Narration ist die Rede von „Vertreibung qua Gestaltung“1060 und dem „Selbstausschluss durch Habituspräferenzen“.1061 Es handelt sich bei den so gestalteten, gentrifizierten Orten um „pseudo-öffentliche“ Räume oder um „Zonen ‚öffentlicher Privatheit‘“.1062 Wo ehemals öffentliche Räume überbaut werden, nehmen die entstehenden Malls den ehemaligen öffentlichen Außenraum in sich auf. Im Inneren entstehen Marktplätze, Straßencafés etc., die in ihrer Gestaltung an den verschwundenen öffentlichen Raum erinnern, aber anderen Funktionsprinzipien, Erwartungen und Kontrollregimes unterworfen sind. Der öffentliche Raum der Innenstädte implodiert und wird nach innen gesogen.1063 Nischen für Marginalisierte gibt es in solchen sozialräumlichen Ensembles kaum, eine informelle Raumnutzung ist ausgeschlossen, weil sie dem hauptsächlichen Raumzweck Konsum widerspricht.1064 Die Freizügigkeit des Flaneurs bleibt im Wortsinne außen vor, denn im

1058 Vgl. Davis 1994a; S.262. 1059 Weitere Beispiele solcher „sadistischen Straßenumwelten“ mit ihrer typischen, spärlichen Möblierung des öffentlichen Raums (z.B. „pennersichere“ Bänke; man spricht auch von „Behinderungsmöblierung“) folgen bei Davis 1994a; S.269ff. Für weitere Beispiele vgl. Zinganel 2003; S.275ff. Davis beschreibt auch Versuche, durch die Hebung bzw. Senkung von Straßenniveaus im Übergang von öffentlichem Straßenraum und exklusiv nutzbaren Gebäuden (Einkaufszentren, Bürogebäude) die Grenze von Öffentlichkeit und Privatheit zu markieren. In Köln hat 2008 die Stadtverwaltung die Kanten von Brunnenrändern, Sitzbänken und Blumenkübeln in Domnähe abgefräst, um den Platz für Skater unattraktiv zu machen. Vgl. Baumanns 2008 und Riesenbeck 2008. Vgl. zur „revanchistischen Stadt“ Smith 1996, o.V. 1998b, Ronneberger 2000c und spacelab 1998. 1060 Crime Prevention through Environmental Design, CPTED. Vgl. Kap. 4.3. 1061 Löw 2001b; S.215. 1062 Wagner (1993; S.286ff.) zeigt dies am Beispiel der neuen „Plazas“ in Manhattan, New York. Davis (1994a; S.297) verwendet den Begriff der „pseudo-öffentlichen Räume“, Ludwig-Mayerhofer (1997b; S.15) den der „Zonen ‚öffentlicher Privatheit‘“. 1063 Vgl. Baecker 1990 und Kap. 4.4. 1064 Vgl. Becker 2001a und Kap. 5.3.

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Inneren gilt das private Kontrollregime des Eigentümers, der neben Nutzungen auch Personen wie Gruppen aus dem nun Innen liegenden, pseudo-öffentlichen Raum ausschließen kann. Die damit einhergehende Entwertung des verbleibenden öffentlichen Raums und vor allem seines Konzepts, die Ende des vergangenen Jahrhunderts mit der Verbreitung der (Laden-)Passagen begann und den öffentlichen Raum zum reinen Verkehrsraum degradierte, wird im Narrativ kritisiert. Die städtische „Öffentlichkeit“ der Passanten wird ins Innere von Bauwerken geleitet und damit phänomenologisch wie juristisch „privatisiert“. Klaus Selle hat „Gegenwartsprobleme des öffentlichen Raumes“ untersucht und zusammengefasst.1065 Dabei hat er sich auch kritisch mit den im Verfallsdiskurs vorgetragenen Annahmen (auch der der tendenziellen Ausgrenzung aus dem öffentlichen Raum) auseinandergesetzt und „Gegenreden“ entwickelt, die auch auf solche Diskurspositionen gestützt werden, die gerade wieder jüngst eine „Renaissance des öffentlichen Raums“ ausrufen.1066 Im Folgenden sollen einige weitere Positionen des Verfallsdiskurses dargestellt und in ihren Bezügen zum Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten erläutert werden. Es sind im Wesentlichen drei Entwicklungen, die das Verschwinden des öffentlichen Raums vorangetrieben haben oder zumindest seine Substanz ausgehöhlt haben: Erstens wird der öffentliche Raum zunehmend dem Individualverkehr gewidmet. Öffentlich zugänglicher Raum wird mehrheitlich als Raum für den fließenden und ruhenden Verkehr genutzt. Zum Zweiten verfällt – wie oben gezeigt – auch das öffentliche Leben und damit folgerichtig auch der darauf ausgerichtete öffentliche

1065 Vgl. Selle 2003. Die folgenden Ausführungen stützen sich auf diese Studie. Eine konzise Zusammenfassung der Hauptergebnisse findet sich in Selle 2004. 1066 Selle zitiert in diesem Zusammenhang Stichworte wie „Inbesitznahme von Stadträumen“, „neue Lust auf Stadt“, „Citytainment“ „Stadt als Bühne“, „Auszug ins Öffentliche“, „Entdeckung von Möglichkeitsräumen“ etc. (Vgl. Selle 2004; S.131). Dass bei all diesen Stichworten oder Konzepten bei genauerer Betrachtung schon von einer Ausgrenzung problematisierter Gruppen ausgegangen wird oder zumindest deren planerisch-konzeptionelle Umsetzung mit einer solchen vermutlich einhergehen würde, soll hier nicht weiter diskutiert werden. Vgl. auch Häußermann/Läpple/Siebel 2008; S.362ff. In diesem Zusammenhang ist auch von einer „konservativen Utopie“ des städtischen Bürgertums die Rede. Vgl. Veith/Sambale 1998; S.1. Ronneberger (1997a; S.48) kritisiert in diesem Tenor auch die Position Sennetts, der ebenfalls eine vergangene Vorstellung von Urbanität wieder ins Werk setzen will. Vgl. dazu auch Schmitt 1996, Winter 2000 und Wustlich 1996. Sennett hat in späteren Arbeiten dazu selbstkritisch Stellung genommen, vgl. z.B. Sennett 2001.

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Raum. Drittens konstatiert auch Selle, dass öffentlicher Raum entweder privatisiert oder in den privaten Innenraum verlegt wird.1067 Insgesamt handelt es sich in den beiden ersten Fällen um eine „Entleerung“ und im dritten Fall um eine „Privatisierung“ des öffentlichen Raums. Die These von der „Entleerung“ geht von einem Funktionsverlust des öffentlichen Raums aus, insofern als öffentliche Räume heute in erster Linie weder der Manifestation kirchlicher wie weltlicher Macht, noch in erster Linie politischen Debatten oder Manifestationen als Raum dienen, weder die zentralen Orte des Handels noch den Raum eines Gutteils des Alltagslebens der Städter darstellen. En détail lässt sich das anhand einzelner Phänomene festmachen:1068 Kirche, Markt (in der Form des traditionellen „Wochenmarktes“) und Politik haben sich weitgehend aus dem öffentlichen Raum zurückgezogen. Die Auftritte der Kirche im öffentlichen Raum beschränken sich auf hohe Feiertage oder unterbleiben in den meisten Gemeinden ganz. Der Staat veranstaltet kaum prunkbesetzte Paraden oder Zeremonien.1069 Der zeitgenössische Staat repräsentiert sich vor allem über Gesetze und Institutionen, nur selten über politische Veranstaltungen im öffentlichen Raum. Gleichwohl ist staatliche Macht über öffentliche Polizeien und deren Technologien (z.B. Überwachungskameras) im öffentlichen Raum sichtbar und wirksam, wenn es um die Herstellung oder Aufrechterhaltung von Sicherheit und Sauberkeit geht.1070 Die öffentliche Meinung als Referenzphänomen von Politik entsteht oder zeigt sich nur noch selten auf öffentlichen Plätzen (durch Demonstrationen oder Versammlungen), oder – wie im vorherigen Kapitel angeklungen – in Caféhäusern bzw. politischen Klubs, die ihrerseits aber eigentlich noch nie öffentlich im Sinne des weitgehenden Fehlens sozialer Ausschlusskriterien waren. Medien, Parteien und andere Organisationen dominieren heute die politisch relevante Meinungs- und Willensbildung. Die Marktfunktion öffentlichen Raums hat sich in den Innenraum der Warenhäuser,1071 Ladenpassagen und Shopping Malls verlagert – unabhängig davon, ob sie in den Innenstädten oder der Peripherie liegen.1072 Wochenmärkte spielen heute bei der Versorgung der städtischen Haushalte eine vergleichsweise geringe Rolle, weshalb es inzwischen sporadische Versuche gibt, mit spezifischen Marktkonzepten (Nostalgiemärkte, Öko- und Erzeugermärk-

1067 Eine Parole, die sich in dieser Narration findet, lautet: „The public goes indoor“. Mit dem öffentlichen Raum muss Öffentlichkeit nicht zwangsläufig verschwinden, sie verlagert sich zumindest. 1068 Vgl. für das Folgende Selle 2004; S.132ff. 1069 Sieht man von einzelnen Gelöbnissen, die interessanterweise seit kurzem wieder im öffentlichen Raum stattfinden, ab. Vgl. auch Kap. 3.3.2.3 1070 Vgl. hierzu Kap. 3.3.2.3 und 4.2.1. 1071 Vgl. Lipp 1991. 1072 Vgl. Felicella 1997.

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te) Märkte zu inszenieren, zu festivalisieren oder wieder attraktiv zu machen. Gleichwohl ist der Konsum ein bestimmendes Merkmal der Gestalt und Funktion der Innenstädte geblieben. Insgesamt hat die Konsumfunktion im öffentlichen Raum gegenüber allen anderen traditionellen Funktionen an Bedeutung gewonnen: „Andere Märkte, andere Prozessionen, andere Huldigungen: Promotion-Veranstaltungen, Beach-Volleyball, Streetsoccer, Inszenierungen der unterschiedlichsten Art und natürlich: Konsum in seinen vielfältigen Facetten.“1073 Es wird angeführt, dass Aktivitäten der Städter im öffentlichen Raum, gleich aus welcher Perspektive man ihn definiert, an sich nicht abnehmen,1074 wohl aber sich ihre Qualität ändert. Virtuelle Räume und mediale Kommunikationsformen ergänzen den physischen Stadtraum, aber sie lösen die persönliche Face-to-FaceKommunikation nicht ab. Die neuen Formen von Raum und Kommunikation ergänzen die traditionellen. Insgesamt beurteilt Selle die immer wieder bemühte These von der Entleerung des öffentlichen Raums eher kritisch, zumindest aber müsse sie ergänzt und präzisiert werden. Aus der von Selle diagnostizierten Qualitätsänderung resultiert, so die kritischen Stimmen innerhalb des Diskurses um den Verfall des öffentlichen Raums durch dessen Entleerung, Potenzial für soziale Ausgrenzung: Denn wo öffentlicher Raum nicht mehr als solcher wahrgenommen wird, besteht auch die Gefahr, dass dieser nicht mehr von allen Individuen („Jedermann“, vgl. oben) und allen sozialen Gruppen jenseits einer konkretisierten Zweckbestimmung genutzt wird und so verödet. Neben der Entleerung wird in der Narration die Privatisierung des öffentlichen Raums als Grund für dessen Verschwinden angeführt. Selle1075 unterscheidet dabei nicht weniger als neun „Vermutungen“, die mit dem „schillernden“ Begriff der Privatisierung (bezogen auf Stadt) einhergehen und die nur teilweise einer Überprüfung standhalten: Zum Ersten ist da die „Beschlagnahme öffentlicher Räume für private Zwecke“, wie sie z.B. dem Individualverkehr angelastet wird. Zum Zweiten wird mit Privatisierung auch die Inanspruchnahme öffentlichen Raums durch Gastronomie und Handel bezeichnet.1076 Zum Dritten meint man die Zunahme privater Aktivitäten in der Stadtentwicklung, wie z.B. Investoren sie betreiben, während sich die öffentliche Hand darauf beschränkt, Flächen auszuweisen und Verträge mit den Investoren abzuschließen. Daraus ergibt sich viertens eine quantitative Abnah-

1073 Selle 2004; S.133. Vgl. auch Kap. 5.3. 1074 Trotz unzureichender Datenlage geht Selle sogar von einer Zunahme der Aktivitäten im öffentlichen Raum aus. Vgl. Selle 2004; S.133. 1075 Vgl. zum Folgenden Selle 2004; S.135ff. 1076 In diesem Zusammenhang spricht man auch von der Kommerzialisierung des öffentlichen Raums.

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me der Fläche juristisch öffentlichen Raums. Fünftens verlagern sich durch die Aktivitäten privater Investoren Funktionen und Aktivitäten z.B. in den privaten Raum von Malls, die so zur Bühne urbanen Verhaltens werden, das zuvor und im klassischen Entwurf moderner Urbanität im öffentlichen Raum1077 seinen Platz hatte. Sechstens folgt aus dieser Entwicklung ein Mehr an Aus- und Abgrenzung. Siebtens gehört zu den Vermutungen über Privatisierung auch die Übernahme ehemals öffentlich wahrgenommener Funktionen wie z.B. die Herstellung und Aufrechterhaltung von Sicherheit und Sauberkeit in Hand der Privatwirtschaft. Wo ehedem Polizei und städtische Ordnungsdienste zuständig waren, patrouillieren heute private Sicherheitsunternehmen.1078 Achtens wird auch die gestalterische Bezugnahme auf klassische Elemente des öffentlichen Raums im privaten Raum als Privatisierung bezeichnet. Neuntens schließlich versteht man unter Privatisierung das Eindringen privater Kleidungs- und Verhaltensstile in den öffentlichen Raum. Dazu gehört die ungehemmte private Kommunikation im öffentlichen Raum via Handy ebenso wie das Tragen von Hausanzügen im öffentlichen Stadtraum. Nicht alle Konnotationen des Passepartoutbegriffs Privatisierung beziehen sich direkt auf den hier zu behandelnden Problemkomplex oder können im Allgemeinen als einschlägig angesehen werden. Einigkeit herrscht im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit hinsichtlich der folgenden Aspekte: Da ist zum Ersten die Zweckentfremdung des öffentlichen Raums durch den Individualverkehr: „Das Abstellen von Autos auf der Straße (stellt; G.L.) nichts anderes dar als eine Beschlagnahme öffentlichen Raums für private Zwecke.“1079 Hinzukommt, dass Emissionen auch die angrenzenden (privaten wie öffentlichen) Räume in Anspruch nehmen. Zum Zweiten steht die rechtliche Privatisierung im Vordergrund, die zugleich auch immer mit Ausgrenzungstendenzen und damit dem Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in Beziehung steht: „Unübersehbar ist ein Trend zur rechtlichen Privatisierung öffentlicher Räume, seien es nun Einkaufspassagen oder Shopping Malls in den Zentren der Städte, oder Urban Entertainment Centers oder auch die in den USA stark zunehmenden sog. ‚gated communities‘ mit ausgedehnten Kontrollvorrichtungen (Torwächter, Zäune, Hunde, Beleuchtungen). Sie sind zusammengenommen alles Versuche, die freie Zugänglichkeit öffentlicher Räume zu behindern (z.B. ‚Verrieglung von ganzen Gebäudekomplexen nach Ladenschluss oder Ausgrenzung von ganzen Bevölkerungsgruppen‘ wie es in einer Fachkommission des Deutschen Städtetages

1077 Vgl. zu anderen Traditionen öffentlichen Raums Low 1999b und 2000. 1078 Vgl. Kap. 4.2.2. In diesem Zusammenhang spricht man von Kustodialisierung sozialer Kontrolle. Vgl. van Elsbergen 2004a. 1079 Feldtkeller 1995; S.182f. Ähnlich argumentiert Sennett (1999; S.27), wenn er konstatiert, dass „der öffentliche Raum [...] zu einer Funktion der Fortbewegung [...]“ wird.

254 | STADT UND KONTROLLE kürzlich hieß) und gleichzeitig die interne Sicherheit durch mannigfache Kontrollen und Reglements zu verstärken. Es kommt zu einer Ausdehnung des privaten Raumes auf Kosten der öffentlichen Räume (es entsteht also eine Art Pseudoöffentlichkeit).“1080

Aus privatisierten, nur noch phänomenologisch öffentlichen Räumen in Privatbesitz werden unerwünschte Personen oder Gruppen ausgegrenzt, wenn dies dem Eigentümer nützlich bei der Durchsetzung seiner Interessen erscheint. Allmählich bildet sich so eine „Stadt in der Stadt“ heraus.1081 Dabei sind wiederum zwei Aspekte zu berücksichtigen: Erstens gibt es keine valide Flächenbilanz, an der sich ein tatsächlicher Verlust an öffentlichem Raum empirisch festmachen ließe. Im Gegenteil, laut Selle entstehen oftmals durch das (wie auch immer im Einzelfall zu bewertende) Wirken privater Akteure zusätzliche Räume, die zunächst öffentlich zugänglich scheinen oder tatsächlich keine restriktiven Zugangsbeschränkungen aufweisen. Als Beispiele für eine solche Entwicklung können umgenutzte Bahn-, Hafen-, Kasernen- oder Industriegelände ebenso gelten wie durch Verkehrsberuhigung, Ausweisung von Wohnstraßen oder die Erweiterung von Fußgängerzonen oder die Umgestaltung und Aufwertung andere Räume zu „Stadtplätzen“ gewonnenen öffentlichen Räume.1082 Auf der anderen Seite entsteht durch Schrumpfungsprozesse ein „Zuviel“ an öffentlichem Raum, das zurückgebaut wird. Der zweite Aspekt bezieht sich in historischer Perspektive auf private Investitionen, die die Gestalt der Städte immer geprägt haben und die Ausweisung von öffentlichen Räumen erst ermöglicht haben. „Umgekehrt: was späteren urbanen Räumen als beispielhafte positive Qualität zugeschrieben wird, ist, wie die Boulevards von Paris zeigen, nicht selten aus dem Werk einer Zerstörung bestehenden und bisherigen städtischen Lebens hervorgegangen, das man mit gewaltigen, zum Glück nicht im einzelnen vorherplanbaren Konsequenzen neuen und intensiven Kontrollbedürfnissen unterworfen hat.“1083

1080 Herlyn 2003; S.123. 1081 Hoffmann-Axthelm (1993; S.139) sieht diese Entwicklung als „das sicherste Krisensymptom, das wir haben [...]“. Selle nennt als Beispiel für solche „Städte in der Stadt“ die riesigen, inzwischen brach liegenden Werksgelände des Montankomplexes im Ruhrgebiet, die mit Mauern und Werkschutz von der Außenwelt abgeriegelt waren. Man spricht in diesem Kontext auch von „verbotenen Städten“. Vgl. Selle 2004; S.139 und Elser 1998; S.1. 1082 Vgl. für ein Beispiel Wellmann 2001. 1083 Reck 1997; S.2.

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Auf diese Weise reproduzieren sich zwar (politische, ökonomische, weltanschauliche) Machtverhältnisse im städtischen Flächengefüge, daraus folgt aber – affirmativ gelesen – auch eine Relativierung der grundsätzlich pessimistischen Einschätzung des Passepartoutbegriffs Privatisierung, insofern als darin nicht die einzige Wurzel des Übels „Verschwinden des öffentlichen Raums“ und daraus resultierender „Ausgrenzung“ liegen kann. Auf ähnlicher Ebene liegt auch das Argument der Verlagerung von Funktionen und Aktivitäten im Zuge der Privatisierung öffentlichen Raums. Die dabei unterstellten Probleme wie die Entwertung des traditionellen öffentlichen Raums und die abstrakte Möglichkeit einer sozialen Ausgrenzung stellen keine gänzlich neue Entwicklung von Stadt dar, sie unterscheidet sich lediglich in den Zwecken der Umnutzung (Konsum und Freizeit) und dem Zusammenspiel öffentlicher wie privater Akteure. Beide Aspekte deuten darauf hin, dass das Lamento des Verschwindens öffentlichen Raums unterkomplex ist. Dieser Doppelcharakter des Verschwindens des öffentlichen Raums wird auch hinsichtlich der Gestaltung des öffentlichen Raums deutlich, wenngleich auch hier die Ausgrenzung der Unerwünschten impliziert ist: „Die sogenannten ‚Unerwünschten‘ sind nicht das Problem. Das Problem sind die Maßnahmen, die ergriffen werde, um sie zu bekämpfen [...]. Der beste Weg, um mit dem Problem der Unerwünschten umzugehen ist, die Orte attraktiv für alle anderen zu gestalten.“1084 Die damit einhergehende gestalterische „Trivialisierung“ des öffentlichen Raums, die auch als Abkehr von seiner ursprünglichen Idee betrachtet wird, zieht ebenso Kritik auf sich. Die Rede ist von „hässliche(n, G.L.), chaotische(n, G.L.) Bühnen und Kitschkulissen [...] Bierzelte(n, G.L.), Karusselle(n, G.L.), Stahlgerüste(n, G.L.) [...] oder putzige(n, G.L.) Glaspavillons [...]. Dabei verkommt der Stadtplatz zum Rummelplatz, die urbane Würde zum Witz. Städtische Lebendigkeit bedarf keiner Inszenierung [...]. Erst haben die modernen Städteplaner die historischen Plätze zerstört. Jetzt [...] rücken neue Vandalen nach: wütende Dekorateure, rastlose Freizeit-Manager.“1085

Die Narration vom Verschwinden des öffentlichen Raums ist unter den Vorzeichen veränderter Ansprüche an Sicherheit und Sauberkeit vielstimmig. Man kann aber festhalten, dass in jeder Hinsicht ausgrenzende Momente aufscheinen. Welche Perspektive auch immer eingenommen wird, der Tenor der Narration vom Verschwinden des öffentlichen Raums lässt sich auch jenseits einer einheitlichen Definition öffentlichen Raums (oder eines einschlägigen soziologischen Konzepts von Raum), seiner ideologischen Gehalte und einer weitergehenden Problemerörterung wie 1084 So der New Yorker Stadtplaner William H. Whyte, zit. in Project für Public Spaces (www.pps.org/info/placemakingtools/placemakers/wwhyte) (12.4.2008). Übersetzung von G.L. 1085 FAZ 13.7.1988. Zit.n. Reisch 1988; S.32.

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folgt zusammenfassen: Im Zuge politisch-ökonomischer und sozialräumlicher Strukturveränderungen, die diskursiv mit Sicherheit und Sauberkeit in Verbindung stehen, tendiert die städtische Gesellschaft dazu, ehemals öffentlichen Raum umzunutzen, zu verkaufen, zu überbauen und/oder unter privatrechtliches Kuratel zu stellen. Der öffentliche Raum in den Städten der Gegenwart nimmt – so die weitverbreitete kritische These – quantitativ ab. Der unter Umständen nun nicht mehr im juristischen Sinne, gleichwohl aber phänomenologisch und als solcher nutzbare öffentliche Raum verändert sich damit auch qualitativ. Der noch verbliebene originär öffentliche Raum ist bedroht. Das Fehlen öffentlichen Raums beeinflusst die Wahrnehmung der Städter negativ, weil diese ihn immer weniger selbstverständlich nutzen und ihn letztendlich kaum noch vermissen. Das traditionelle Bild der europäischen Stadt, das durch Plätze, Alleen, Boulevards und Parks gekennzeichnet ist, scheint unter dieser Annahme in allen Perspektiven gefährdet. Mit dem Vorhandensein öffentlicher Räume gekoppelte urbane Verhaltensweisen (z.B. zweckfreies Flanieren, im Straßenraum Heterogenität erleben, in direktem Kontakt kommunizieren, die individuelle oder kollektive Schicht-, Lagen-, Klassen-, Gruppen- oder Geschlechtszugehörigkeit repräsentieren etc.) finden buchstäblich keinen Raum mehr. Diese Momente spiegeln sich auch in der Thematisierung neuer Formen der Raumkontrolle wieder. 3.4.3 Raumkontrolle als urbane Sozialkontrolle „Und außerdem müssen wir dafür sorgen, dass auf diesem öffentlichen Straßenraum Augen sind, und zwar überall und so durchdringend wie möglich.“ JANE JACOBS1086 „Solche Archipele eines kontrollierten städtischen Erlebens versuchen die Atmosphäre und das Image eines traditionellen Stadtplatzes zu erzeugen, der gemeinhin mit Kommunikation, Öffentlichkeit und Spektakel gleichgesetzt wird. Diese Einrichtungen sind mit aufwendigen Sicherheitssystemen versehen: durch Raumplanung, Architektur und Technoprävention werden unerwünschte Personen und unerwünschte Ereignisse ferngehalten.“ KLAUS RONNEBERGER1087

1086 Jacobs 1963; S.33. 1087 Ronneberger 1997a; S.48.

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Das unterstellte Verschwinden von Öffentlichkeit in Stadt und damit das des öffentlichen Raums wird im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten häufig im Zusammenhang mit Veränderungen im Paradigma sozialer Kontrolle und den daraus resultierenden Maßnahmen und Interventionen thematisiert.1088 Dabei wird davon ausgegangen, dass der städtische Raum neben dem zu disziplinierenden Individuum ein ebenso wichtiger Gegenstand urbaner Sozialkontrolle ist.1089 Ordnung als zentrales Kriterium urbaner Sozialkontrolle wird dabei eng auf Raum als soziales Phänomen bezogen, die Rede ist von einem „spatial turn der sozialen Kontrolle“.1090 Die direkte, aktive Vertreibung von Personen oder Gruppen aus dem Raum der Innenstädte oder die Gestaltung von innerstädtischen Arealen nach Regeln, die habituelles Verhalten der Unerwünschten verbietet, erschwert oder unwahrscheinlich macht, sind nur zwei Beispiele für konkrete Maßnahmen, die zur Wiederherstellung oder Sicherstellung einer gewünschten Ordnung, eines gewünschten Bildes von Stadt im urbanen Raum impliziert werden. Soziale Probleme werden auf diese Weise umgedeutet zu räumlichen Problemen,1091 die diskursiv einfacher als die zugrundeliegenden komplexen sozialen Probleme von Arbeits-, Chancen- und Perspektivlosigkeit, Armut, Krankheit etc. zu transportieren und instrumentell fass- sowie handhabbar zu sein scheinen. Die Kontrolle des Raums ist damit zugleich Ergebnis von Macht wie Voraussetzung für ihre Erhaltung – sei es die des Staates oder die von Interessen, die sich in den Innenstädten bündeln.1092 „Henri Lefèbvre verweist darauf, das sich Macht durchsetzt, in dem sie Raum produziert; Michel Foucault behauptet, Macht überdauert, indem sie Raum diszipliniert; Gilles Deleuze und Felix Guattari erinnern daran, dass der Staat räumliche Kontrolle reproduzieren muss, um soziale Kontrolle zu reproduzieren.“1093 Raumkontrolle lässt sich vor diesem Hintergrund gouvernementalitätstheoretisch gelesen als Strategie „normalisierender Machteffekte“1094 verstehen. Dabei können segregationsbedingt unterschiedliche Räume und Raumtypen unterschiedlichen Kontrollregimen und -strategien unterliegen.1095 Raum als sozial ungleich angeeigneter Raum1096 ist zugleich auch ungleich kontrollierter Raum. Allerdings – so

1088 Vgl. z.B. Michel 2005; S.54ff. oder Sampson/Raudenbush 1999. 1089 Vgl. Kap. 3.3.1, o.V. 2000a sowie kritisch Witte 1995. 1090 Michel 2005; S.117. Vgl. zum „spatial turn“ der Sozial- und Kulturwissenschaften allgemein Geppert/Jensen/Weishold 2005. 1091 Vgl. Karstedt 2000a und Sibley 1995. 1092 Vgl. Jahn/Lanz/Ronneberger 1997. 1093 Soja 2000; S.361. Übersetzung von G.L. 1094 Michel 2005; S.56. 1095 Vgl. Ronneberger 2001a; S.36. 1096 Vgl. Kap. 3.4.2.

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wird behauptet – haben sich die Modi und die Techniken der Kontrolle erweitert und bewegen sich zwischen dem klassisch-disziplinar- und dem flexibel modulierenden kontrollgesellschaftlichen Instrumentarium. Auch diese Thematisierung pendelt zwischen beiden Polen. Das Ziel aller damit verbundenen Maßnahmen ist allerdings unverändert: „Dem Anschein nach haben wir also nur einige einfache Ziele: Straßen zu haben, auf denen der der Öffentlichkeit vorbehaltene Raum eindeutig öffentlich ist und unvermischt mit dem privaten oder einem unidentifizierbaren Raum, damit der Bezirk, der Beaufsichtigung braucht, klar und übersehbar abgegrenzt ist; und außerdem müssen wir dafür sorgen, dass auf diesem öffentlichen Straßenraum Augen sind, und zwar überall und so durchdringend wie möglich.“1097

Zwei Thematisierungsstränge greifen dieses Problem auf: Im ersten wird davon ausgegangen, dass man diese Verhaltensnormierung durch disziplinierende Machtinterventionen im Sinne einer Normalisation herbeiführen kann und muss – sei es durch ein verstärktes Polizeiaufgebot oder ein entsprechendes Aufgebot an privaten Sicherheitskräften, sofern der zu beaufsichtigende Raum privatisiert ist, sei es durch technische Möglichkeiten der Überwachung oder auch indem man den zu beaufsichtigenden Raum verknappt oder kontrollierbar gestaltet. Dazu muss der Raum eindeutig segmentiert und ihm Funktionen zugewiesen sein.1098 Der zweite Strang thematisiert eine solche urbane Raumkontrolle als Funktion eines „[...] komplizierten, fast unbewussten Gewebes aus freiwilliger Kontrolle und grundsätzlichen Übereinkommen unter den Menschen selbst [...]“,1099 mithin als kontrollgesellschaftlich-gouvernementale Funktion der normalisierenden Selbststeuerung der Städter, die keiner direkten Interventionen bedarf.1100

1097 Jacobs 1963; S.32f. Jacobs formuliert im Weiteren auch Voraussetzungen für die Existenz und Erhaltung des öffentlichen Raums als Raum städtischer „Mannigfaltigkeit“ (S.95): die Pluralität von Funktionen, Durchdringung des Bezirks mit Verkehr, die Mischung von Gebäudetypen und schließlich die Dichte der Besiedlung. 1098 Die Grenzziehung bei Räumen in Mischbesitz ist schwierig, da sich unterschiedliche „Herrschaftsräume“, „Hoheitsgebiete“ und entsprechend Raumregimes ergeben. Vgl. Krebs 2001; S.134. Zudem kann die Kontrolldichte abnehmen, je weiter man sich vom Zentrum entfernt. Vororte gerieren sich als „Refugien der Sicherheit“, während in den sogenannten Ghettos die Streifentätigkeit der öffentlichen Polizeien nachlässt. Vgl. Jahn/Lanz/Bareis/Ronneberger 2000. 1099 Jacobs 1963; S.29. 1100 Jacobs betont den Gedanken der Übereinkunft, um den kommunitaristischen Aspekt ihrer Argumentation zu unterstreichen.

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Technologisch basierte Raumkontrolle nimmt nicht nur quantitativ nachweisbar zu, auch deren Stringenz und Geschlossenheit nimmt zu und unterscheidet sich insofern von den sporadischen und partikularen Kontrollen, die das disziplinargesellschaftliche Kontrollparadigma der Innenstädte lange kennzeichnete.1101 Hier ist das grundlegende Ziel, den tendenziell chaotischen, unübersichtlichen, aufstandsgefährdeten, heterogenen, teils unsauberen, lauten, von einem Teil der Bevölkerung als unheimlich, unwirtlich und bedrohlich wahrgenommenen „ungovernable Space“1102 umfassend und dauerhaft in „defensible Space“1103 zu verwandeln und alles Akzidentielle und Undeterminierte, was Stadt empirisch, ideell und ihrer historischen Entwicklung nach auszeichnet, auszuschließen oder Kontrolle zugänglich zu machen.1104 Neben gestalterischen Maßnahmen wie dem Aufstellen von „Behinderungsmöblierung“1105 werden insbesondere Räume privatisiert oder hinsichtlich ihrer Nutzung juristisch eingeschränkt. Dadurch wird die Fragmentierung des Sozialraumes Stadt weiter vorangetrieben: „All diese Projekte, die um das Konzept des ‚verteidigbaren Raumes‘ organisiert sind, illustrieren, wie öffentliche und private Stadtplanung nun in einem beträchtlichem Maß durch den Versuch der ‚Insulation‘ gesteuert werden.“ 1106 Dem entsprechen die Aufteilung des Raums in kleine Untereinheiten und die Verteilung und Zerstreuung von Menschenmengen in ihnen, um die möglichst weitgehende Raumkontrolle zu gewährleisten. Die Ausweisung besonderer Distrikte, sogenannter Social Control Districts (SCD, in Deutschland „gefährliche Zonen“ oder „gefährliche Orte“) in Form von Verbots-, Strafverschär-

1101 Vgl. Michel 2005; S.59. 1102 Unter „ungovernable Space“ versteht Kreissl (1997b, S.543) Räume, deren Struktur nicht mehr über eine am Arbeitsmarkt orientierte Ordnung gestiftet wird. Dazu zählen Ghettos (mit hohen Arbeitslosenquoten), aber tendenziell eben auch die Innenstädte, sofern deren Zentrum zum habituellen Aufenthaltsort der aus dem Arbeitsmarkt Desintegrierten wird. 1103 Der Terminus „defensible Space“ wurde gegen Ende der sechziger Jahre von dem USamerikanischen Architekten Oscar Newman eingeführt und gipfelte in der Entwicklung des Konzeptes CPTED (Crime Prevention Through Environmental Design). Vgl. Newman 1973 sowie Atlas o.J., 1986, 1989, 1991, 1999a-c, Atlas/LeBlanc 1994 sowie Brown 1995 und Kap. 4.3. Die Stadt Zürich (2003) hat beispielsweise einen Ratgeber mit Checklisten für „mehr Sicherheit im öffentlichen und halböffentlichen Raum“ herausgegeben. 1104 Vgl. Michel 2005; S.59. Davis (1994a; S.289) spricht in diesem Zusammenhang von einer Polizeifunktion, die der Raum übernimmt. 1105 Michel 2005; S.62. Vgl. auch Schmidt 1980, die die bauliche Besucherlenkung in Fußgängerzonen und Einkaufszentren kritisiert. 1106 Siegel 1995; S.371. Übersetzung von G.L.

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fungs- und Eindämmungsdistrikten, also die juristische Ausformung einer kodifizierten räumlichen Disziplin, wird in diesem Zusammenhang thematisiert.1107 Der Raum, der für zweckfreie städtische Tätigkeiten, z.B. das Flanieren, aber auch zweckgerichtete Zusammenkünfte, z.B. Demonstrationen, zur Verfügung steht, wird verknappt und damit der Öffentlichkeit weitgehend entzogen. Die ansässigen Händler fordern die Errichtung von Bannmeilen in den zentralen Einkaufsstraßen und ein Verbot Umsatz schädigender Demonstrationen in den Innenstädten.1108 Die Reglementierung des öffentlichen Raums korrespondiert mit der Ausweisung „stadtuntypischer Nutzungen“, die dann in einem definierten Raum verboten oder eingeschränkt werden können.1109 Als stadttypische Nutzung gilt hingegen der Konsum, der durch die ästhetische Ausrichtung der Innenstädte auf diesem Zweck und die Ausblendung nicht-konsumtiven Verhaltens aus dem urbanen Verhaltensrepertoire in den Mittelpunkt gerückt wird. Solche Verbote werden dann überwacht und ihre Übertretung selektiv sanktioniert: „Die stillste und zugleich effektivste Weise,

1107 Vgl. Beste 1997; S. 183. 2001 forderte der Senator für Inneres der Stadt Berlin, Eckart Werthebach, die Ausweisung „befriedeter Bezirke“, in denen Demonstrationen verboten sein sollen. Das Prinzip einer solchen rechtsförmigen, oft auf breitem gesellschaftlichen und politischen Konsens beruhende Segmentierung des Raums ist nicht neu: In vielen Großstädten gibt es sogenannte Sperrbezirke, in denen z.B. Prostitution untersagt ist, und sogenannte Toleranzzonen, in denen sie geduldet wird. Vgl. Ruhne 2006. Ein anderes Beispiel sind die Bannmeilen, in denen Demonstrationen, die als Gefährdung der Sicherheit und Unabhängigkeit der Parlamentarier und Bundesrichter eingestuft werden, untersagt und deren Verletzung unter Strafe gestellt sind. Vgl. §§ 16 und 21ff. VersG, sowie §§ 106a und b StGB. Als drittes Beispiel können Regelungen des Straßenverkehrsrechts angeführt werden: Mit dem Wachsen der Städte in der Industrialisierung und dem Aufkommen des Individualverkehrs – zuerst in Pferdegespannen, dann mit Automobilen – wurde auch eine Regulierung der räumlichen Mobilität, die ja auch immer gesellschaftlicher Verkehr ist, notwendig. Es erscheint heute selbstverständlich, dass nur auf je einer Straßenseite gefahren wird, nur auf dem Bürgersteig gegangen wird. Dies sind soziologisch betrachtet allerdings Ergebnisse langfristiger Norminternalisierungs- und Disziplinierungsprozesse, die auch heute noch mit einem umfangreichen Gesetzes-, d.h. Straf- wie Ordnungswidrigkeitskatalog reglementiert und selektiv kontrolliert werden. Vgl. Pfeiffer/Gelau 2002. 1108 Vgl. Eick 1995a; S.31 und Kap. 3.4.1. Die juristische Güterabwägung zwischen Demonstrationsfreiheit (Art. 8 GG) und dem Recht auf freie wirtschaftliche Entfaltung (wie sie sich aus den Art. 2 und 12 GG ergibt) fällt in dieser Argumentation offensichtlich zugunsten wirtschaftlicher Interessen aus. Auch in Köln wurden Demonstrationen in Domnähe untersagt, vgl. o.V. 2001x und Sedlmayr 2001. 1109 Vgl. zu Betretungsverboten z.B. Belina 2000a.

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Herrschaft zu sichern, besteht darin, unliebsame Themen aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit auszuschließen. Eben das ist die latente Funktion der Ästhetisierung von Stadt.“1110 Dadurch entstehen paradoxe privaträumliche Ensembles in den Innenstädten: Phänomenologisch befindet man sich im Zentrum der Stadt, das aber hinsichtlich seiner Nutzungsmöglichkeiten eingeschränkt ist, weil bestimmte, eigentlich typisch städtische Verhaltensweisen in den Innenstädten ausgeschlossen sind. Es wird stellenweise bezweifelt, ob man von Stadt, wie sie traditionell verstanden und soziologisch beschrieben wird und die sich durch das Spannungsverhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit, Heterogenität, Unüberschaubarkeit etc. auszeichnet, in solchen Ensembles noch sprechen kann, oder ob man es in Teilen der Zentren mit Simulationen zu tun hat.1111 Die gouvernementale Selbststeuerung der Städter wird anhand der Stichworte „Fixierung“ und „Prävention“ abermals in Abgrenzung zum Konzept der Disziplinierung thematisiert. Dabei wird davon ausgegangen, dass Disziplinierung im Sinne der direkten personengebundenen Intervention nicht notwendig ist, solange definierte Individuen und Gruppen lokalisierbar sind. Nach diesem Muster werden in vielen Städten1112 „gefährliche Orte“1113 als Kriminalitätsschwerpunkte, jedenfalls als Zonen besonderer Kontrolle ausgewiesen, um deren Überwachung per Kamera und durch eine intensivierte Streifentätigkeit zu rechtfertigen. Ihnen werden unausgesprochen Nutzergruppen und Eigenschaften zugeordnet, die mit einem abstrakten Bedrohungs- bzw. Störungspotenzial verbunden sind, das es dann zu kontrollieren gilt.1114 Auch die Ausweisung von „Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf“

1110 Häußermann/Siebel 1987a; S.210. 1111 Diefenbach (1997; S.49) spricht in diesem Zusammenhang von „urbanem Provinzialismus“, den sie von „urbanem Kosmopolitismus“ abgrenzt. 1112 Vgl. § 21 II ASOG. Ähnliche Regelungen finden sich beispielsweise auch in §§ 21 PolG BW, 15a PolG NRW und 8 III HamSOG. 1113 Zu den gefährlichen Orten vgl. Rada 1997a; S.196 sowie JungdemokratInnen/Junge Linke 1998. Die Ausweisung solcher Orte könnte die Selektivität polizeilicher Aufgabenwahrnehmung über die sowieso der Streifentätigkeit zugrundeliegenden individuellen Mental Maps der Kontrolleure hinaus verfestigen. Die Treffpunkte von Drogenabhängigen nennt man „Needle Parks“, womit sprachlich zugleich auf die Gefährdung Unbeteiligter, vor allem Kinder, hingewiesen wird. Im amerikanischen Diskurs spricht man von „Hot Spots“. Vgl. Braga 2008. 1114 Clarke/Eck (2007) beschreiben sogar „riskante Einrichtungen“, an denen sich Störungen von urbaner Sicherheit und Ordnung festmachen lassen und mit denen der Großteil polizeilicher Einsätze zusammenhängt. Dazu zählen Supermärkte und Einkaufszentren, Bars und Gaststätten, Tankstellen, Schulen, öffentliche Telefone, Bushaltestellen und Einzelhandelsgeschäfte. Diskotheken und U-Bahn-Stationen müsste man wohl ergän-

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folgt diesem Muster, wenngleich das Ziel der damit verbundenen Sozialprogramme vorgeblich die Integration der dort lebenden, meist unterprivilegierten Bevölkerung und die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen und Teilhabechancen ist.1115 Durch diese „Territorialisierung des Sozialen“1116 treffen auf den Raum bezogene Maßnahmen wie die Ziehung symbolisch-rechtlicher Grenzen, die Errichtung von Barrieren oder die Ausblendung bestimmter Verhaltensmöglichkeiten diejenigen Nutzer eines Raums, die als abweichend wahrgenommen werden. Raum ist in dieser Perspektive ein zentrales gouvernementales Interventionsfeld. Es stellt nicht mehr „[...] Akteure und die Ermöglichung und Gestaltung ihrer Subjektivierungsprozesse in den Mittelpunkt, sondern richtet sich an territorial identifizierbaren Bevölkerungsgruppen aus.“1117 Die Änderung der Blickrichtung weg von dem Störungen verursachenden Individuum hin zur Problemgruppe hebelt Versuche der disziplinierend-sozialpädagogischen Intervention aus, lenkt die Aufmerksamkeit auf ein gouvernementales Risikomanagement und zementiert so die Wahrnehmung bestimmter Gruppen und Orte als „gefährlich“. Prävention wird unter diesen Vorzeichen nicht mehr als Strategie zur Verhinderung eines konkreten, von einem Individuum ausgeführten Akts der Devianz betrachtet. Die Kontrolle eines Raumsegmentes setzt im Vorfeld von Devianz an und verschiebt den Fokus damit von der konkreten Gefahr hin zu einem abstrakten Risiko. „Sicherheit – davon geht die ‚neue Prävention‘ aus – ist offensichtlich nicht mehr auf ‚klassische‘ Weise, als reaktive Strafverfolgung, herzustellen, weil die traditionelle Verhaltenssteuerung der Individuen über das herkömmliche Straf- und Gefahrenabwehrrecht unzulänglich geworden ist [...] und wenn bisher Individuen im Mittelpunkt standen, so richten sich diese Strategien jetzt verstärkt auf den sozialen Raum.“1118

Es geht in kontrollgesellschaftlich-gouvernementaler Perspektive weniger um die disziplinierende Repression, als vielmehr um die abstrakte Verhaltenssteuerung im Raum, in der durch präventive Maßnahmen das Nicht-Eintreten dessen, was zu seiner Begründung angenommen wurde, legitimiert wird. Insofern müssen als problematisch etikettierte Gruppen nicht zwangsläufig direkt aus den Innenstädten vertrieben werden; es reicht, den Raum so zu kontrollieren und zu gestalten, dass das

zen, weil auch hier von einem höheren Gefährdungspotenzial ausgegangen wird. Vgl. zu Diskotheken Innenstadtaktion Frankfurt/M. 1998b und Aram/Bals 2000. 1115 Vgl. z.B. Häußermann/Läpple/Siebel 2008; S.112ff., 225ff. und 318. 1116 Michel 2005; S.118, vgl. auch Krasmann 2003. 1117 Kessl/Otto/Ziegler 2002; S.178f. 1118 Legnaro 1997; S.276.

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Auftreten unerwünschten Verhaltens hinreichend unwahrscheinlich ist. Raumkontrolle als gouvernementales Sicherheitsdispositiv zielt auf die Normalisierung von Risiken.1119 Das Risiko, in den Innenstädten den „falschen“ Menschen an den „falschen“ Orten zu begegnen, wird so minimiert. Um diese Ordnung aufrecht zu erhalten, muss auch die Zirkulation im urbanen Raum reguliert werden.1120 Kontrolle greift aus diesem Grund nicht flächendeckend, sondern setzt an bestimmten ausgewählten Orten an, die entweder mit Mobilität verbunden sind (z.B. Bahnhöfe) oder mit dem kurzfristigen Verweilen (z.B. Plätze, Parks). An besonders geschützten Orten (z.B. in Gated Communities) ist eine formale Zugangsberechtigung nötig, um diese Räume betreten zu können.1121 Diese Zugangsberechtigung zu Räumen wird dabei auch anhand semiotischer Kriterien 1122 über die Kleidung oder das Vorhan-

1119 Vgl. Kap. 3.3.1. 1120 Vgl. hierzu Kreissl 1998, 2004b und Siegel 1995; S.371. Zur Kontrolle von Zirkulation gehört auch die elektronischen Markierung von Menschen und Gegenständen und das anschließende Aufspüren und Verfolgen („Tracing“). Kreissl (1987; S.368) beschreibt die Kennzeichnung und Identifizierung von Eigentum im Rahmen einer „Operation ID“ als erste Stufe zur Etablierung eines Neighborhood Watch Programs. Brandt (1999) beschreibt die Möglichkeiten einer Mobilitätsüberwachung durch elektronische Tickets. 1121 Wehrheim (2000a und b, 2001a, 2002a) beschreibt Wohnviertel, deren Betreten nur mit einem Ausweis und nach entweder elektronischer Kontrolle oder Kontrolle durch Sicherheitsdienste möglich ist. Vgl. auch Blakely/Snyder 1997, Glasze 2003, Low 2005, Rada 1999a sowie Webster/Glasze/Frantz 2002. Auf der Seite der Ausgegrenzten gibt es inzwischen Viertel, in denen weder öffentliche, noch private Polizeien oder Mischformen patrouillieren. Der Zugang zu diesen „No-Go-Areas“ wird nur den Anwohnern, die sich als zugangsberechtigt ausweisen können, gestattet. Vgl. Davis 1994a; S.284ff., sowie López 1996. 1122 Insofern hat die Kontrolle des städtischen Raums auch einen semiotischen Aspekt. Jean Baudrillard (1978), der die Ordnung der Zeichen im urbanen Raum analysiert hat, empfiehlt als ein „Gegengift“ die Störung der semiotischen Ordnung durch die Implementierung anderer Zeichen, nämlich Graffitis. Offensichtlich stört eine solche Strategie tatsächlich die Ordnung der Städte, wie man aufgrund der intensivierten Maßnahmen gegen Graffitis und „Sprüher“ meinen könnte. In Köln (Kölner-Anti-Spray-Aktion, „KASA“) und Berlin („Nofitty“) gibt es eigene öffentlich-private Task Forces, die sich ausschließlich Graffitis widmen. Vgl. z.B. Der Oberbürgermeister der Stadt Köln 2000, Helling 2001, KASA o.J., o.V. 2000s, o.V. 2001 h und w, 2002l, 2003a, Ruch 2000, Scheuermann 2001, Schierz 2002, Schminke 2007 sowie Sülz 2003. Solche Koalitionen aus Kommunen, Hausbesitzern und Gebäudereinigungsfirmen fordern Verordnungen, mit denen Hausbesitzer bei Androhung eines Ordnungsgeldes gezwungen werden können, die Außenwände ihres Eigentums frei von „Schmierereien“ zu halten. Vgl. da-

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densein bzw. Fehlen bestimmter Accessoires definiert. Insofern gilt für den städtischen, ehemals öffentlichen Raum, was für die Kontrolle privater (Innen-)Räume (Diskotheken, Theater etc.) lange gängige Praxis ist. Am Beispiel der Zirkulationssteuerung in Shopping Malls1123 lässt sich nachvollziehen, wie kaufkräftige Gruppen angezogen und nicht-kaufkräftige auf nichtkonsumtive Zonen verwiesen werden.1124 Diese Einkaufszentren, deren panoptisches Erschließungssystem aus der Hochzeit des disziplinargesellschaftlichen Gefängnisbaus stammt,1125 lassen ihre Zugänge von privaten Sicherheitsdiensten bewachen, die dann unerwünschten vermuteten Nicht-Konsumenten den Eintritt verwehren können. In ihrem korporativen Kontrollsystem1126 werden Warenumsatz und profitable Immobilienverwertung in direkte Beziehung zu Sicherheit und Sauberkeit gesetzt. Malls gelten insofern als Idealtypus des neuen, kontrollierten pseudo-öffentlichen, dafür sicheren Raums, als „Archipele“ reinen und ungestörten Konsums: „Räumliche Kontrolle und privates Management lassen die Malls als Idealtypen eines neuen öffentlichen Raumes erscheinen, der der Mittelklasse-Norm einer cleanen Erlebniswelt entspricht.“ 1127 Die in diesem kontrollierten Raum möglichen, durch die Eigentümer instrumentell nutzbaren Erlebnisse1128 und Ereignisse

zu Halbe 1998 sowie Rada 1997a; S.178. Zur subversiven Nutzung des Stadtraums vgl. Girtler 1994. 1123 Crawford (1992a) interpretiert Malls als Versuche, die Heterogenität von Stadt, ja die Vielfalt der Welt, die auch Mumford (1963 und 1995) in der Stadt widergespiegelt sieht, zu repräsentieren. Vgl. auch Hoffmann-Axthelm 1995. 1124 Die dann wiederum weiterer Slumifizierung und Ghettoisierung preisgegeben sind. Vgl. Rada 1997a; S.194. 1125 Vgl. Rada 1997a; S.111. 1126 Vgl. Kap. 3.3.2.1. 1127 Ronneberger 1997a; S.48. Vgl. auch Christopherson (1994; S.418), die Malls als Nachahmung des typischen Vorstadthauses interpretiert und den verbliebenen pseudoöffentlichen Raum als Nachahmung des traditionellen öffentlichen Raums in Stadt sieht. Ideal sind solche Räume auch im Sinne einer Angstreduktion seitens der Konsumenten. Zwar ist hier eine potenziell Angst senkende Kommunikation zwischen AngstMachern und Angst-Habenden auch nicht möglich; wenigstens aber glauben die MallBesucher, dass sie hier „sicher“ sind. Zu Räumen der Konfliktbewältigung vgl. Rada 1997a; S.169. Farocki (2001a; S.70) beschreibt die Nutzung von Computerprogrammen, um den optimalen Standort von Malls zu bestimmen. Dabei fließen auch die Daten der lokalen Kriminalitätsstatistik ein, da Malls nur in irritationsbefreiten Räumen profitabel betrieben werden können. Vgl. auch Buss 2001. 1128 Zur Verknüpfung von Erlebnis und Konsum vgl. Schulze (1992), der die Erlebnisgesellschaft als kultursoziologische Form der Gegenwart beschreibt. Auf die Verknüp-

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sind kalkuliert, die Geschäfte sind gleichförmig und insofern auch zwischen verschiedenen Städten tendenziell austauschbar, die Kundenschicht homogen, bei Störungen der Konsumroutine greifen Sicherheitsbedienstete, die den Raum panoptisch kontrollieren, repressiv ein. Der Ausschluss erfolgt, wenn der zumindest potenzielle Konsumentenstatus nicht mehr aufrecht erhalten wird bzw. werden kann oder die Konsumatmosphäre gestört ist. Die Innenstadt als „Raum der Freiheit“, in dem prinzipiell alles möglich ist, verblasst so weiter zur Idee: „Das Einkaufszentrum ist das genaueste Spiegelbild der verlorengehenden Stadt, das wir heute haben, und es ist damit ihr pünktlichster Totengräber.“1129 Urbanität wird in solchen pseudo-öffentlichen, kontrollierten Räumen simuliert und inszeniert,1130 der ursprüngliche, ungeschönte und widersprüchliche Charakter der Stadt als Lebenswelt heterogener Menschen wird in seiner tendenziellen Unwirtlichkeit1131 ausgeblendet und nur noch betont, um Raumkontrolle zu legitimieren. Die gelenkten Besucherströme flanieren nicht mehr, schon gar nicht zweckfrei: „Wie wir gesehen haben, greifen die Planer von Einkaufszentren und pseudo-öffentlichen Räumen die Menschenmenge an, in dem sie sie homogenisieren. Sie errichten architektonische und semiotische Hürden, um ‚unerwünschte Personen‘ herauszufiltern. Die übrige Masse zäunen sie ein und steuern ihre Bewegung mit behavioristischer Brutalität. Sie locken sie mit allen möglichen visuellen Reizen, lullen sie ein mit Muzak (sic!) und parfümieren sie zuweilen sogar mit unsichtbaren Düften. Wenn diese Skinnersche Partitur gut dirigiert wird, entsteht eine richtiggehende Einkaufssymphonie wimmelnder, konsumierender Monaden, die sich von einer Kasse zur nächsten bewegen.“1132

fung von Stadt mit Erlebniskultur weisen auch Häußermann/Siebel (1987 und 1993) hin. Zum widersprüchlichen Charakter der urbanen Erlebnisgesellschaft, die vordergründig eine „Kultur der Differenz“ wünscht und beizeiten feiert, und dem tendenziellen Ausschluss des „Fremden“ im Alltag vgl. Beste 1997; S.194. 1129 Dieter Hoffmann-Axthelm, zit.n. Beste 1997; S.188. 1130 Vgl. Kap. 5.3. 1131 Der Begriff der Unwirtlichkeit der Stadt taucht zuerst bei Mitscherlich (1996, zuerst 1965) auf, wird in der Debatte um Sicherheit, Sauberkeit und Ausgrenzung aber in verschiedenen Kontexten wieder aufgegriffen und ins Feld geführt. Vgl. Feltes 1997; S.52, Mitscherlich 1989 (zuerst 1971), Ronneberger 1998a, sowie Stangl 1996a. Der Begriff wird zudem politisch instrumentalisiert, wie sich am Beispiel Hamburgs zeigen lässt. Vgl. Fn.126 und Hauer/Peddinghaus 1997. 1132 Davis 1994a; S.297. In Deutschland kann man dies exemplarisch an Möbelmärkten schwedischer Provenienz studieren. Vom Eingang aus wird man – mit wenigen Ausnahmen – an allen angebotenen Waren vorbei geführt. Die Möglichkeit, individuelle Wege frei zu selektieren, wird auf diese Weise eingeschränkt.

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An diesem Beispiel zeigen sich auch Parallelen zwischen dem Kontrollkonzept von Themenparks wie Disneyland und den innerstädtischen „Themenparks“, die dem Konsum gewidmet sind: Raumkontrolle folgt den Maßgaben von Abweichungsminimierung qua Strukturierung, Manipulation, Lenkung usw. und dient so gleichzeitig noch den Interessen einer optimalen Kapitalverwertung: „In jeder Designstufe, von Gebäuden bis zu Geschäftsdistrikten, liegt die Betonung auf der Kontrolle und Regulation menschlichen Verhaltens. Im Unterschied zur persönlichen Kontrolle, die in früheren Perioden ausgeübt wurde, z.B. durch polizeiliche Gewalt, ist diese Regulation unpersönlich und verdeckt im Design und unaufdringlichen Techniken.“1133 Die Kontrolle über den städtischen Raum lässt sich auch an historischen Beispielen zeigen:1134 Im Zuge fataler Pestepidemien wird der Raum im Mittelalter und der frühen Neuzeit unterteilt, seine Bewohner als krank/nicht-krank registriert, dementsprechend im Raum verteilt, Kranke werden separiert und überwacht. Durch die Auferlegung einer solchen räumlichen Disziplin sollte die Ausbreitung der Seuche eingedämmt werden. Anders verhielt es sich beim Auftreten der Lepra: Hier erfolgte der sofortige räumliche Ausschluss der „Aussätzigen“ in speziellen Elendsquartieren.1135 Am Beispiel der moderneren Planungen des Baron Georges

1133 Christopherson 1994; S.412f. Übersetzung von G.L. 1134 Vgl. Kap. 5.1 und 5.2. 1135 Die Seuchen Pest und Lepra tauchen als Modelle der Raumkontrolle sowohl bei Foucault (1995; S.251-256), bei Cohen (1985; S.208) als auch bei Diefenbach (1997; S.49) auf. Interessant ist dabei, dass im heutigen Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit die Auszugrenzenden nicht selten mit Ratten verglichen werden, die ja bekanntlich die Hauptüberträger der Pest sind. Will man also die unterstellte, im Mythos der pathogenen Stadt noch lebendige (Seuchen-)Gefahr bannen, muss man potenzielle Überträger vertreiben. Generell dient die Übernahme von Krankheits- oder Tiermetaphern in den außerwissenschaftlichen Raum der Denunziation bestimmter Personengruppen. Vgl. Sarasin 2003; S.228 und von Saldern 2000a; S.11. Die Konzentration von „Kranken“, Auszugrenzenden, in speziellen Lagern wird im Rahmen einer „Containment-Lösung“, d.h. der „Endlagerung“ von Obdachlosen am Rande von Los Angeles wieder diskutiert. Bislang ist eine solche Internierung von Obdachlosen am Widerstand der jeweiligen Bezirksvertreter gescheitert, die zwar prinzipiell einer solchen Kasernierung zustimmen, aber keiner sie in seinem Bezirk dulden möchte. Vgl. Davis 1994a; S.269f. Ähnliches ließe sich über Standortentscheidungen der (auch städtischen) Ordnungsbehörden hinsichtlich der Ansiedelung von Forensiken, Straßenstrichs und Obdachlosenheimen berichten. An solchen Beispielen wird deutlich, wie brüchig solche „großen Koalitionen für sicher und sauber“ (vgl. Becker 1998, Gössner 1998 und Platen 1997a) zwischen Bürgern, Ordnungsbehörden, Sicherheitsdienstleistern und innerstädtisch Gewer-

T HEMATISIERUNGEN

VON

S TADT , URBANITÄT

UND SOZIALER

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Eugéne Haussmann1136 kann man ebenfalls die normalisierende Implementierung sozialer Raumkontrolle, hier im engen Zusammenhang mit Architektur und Militarisierung, illustrieren: Haussmann, nach den revolutionären Erhebungen und deren Niederschlagung 1848 an den Plänen zum Umbau von Paris unter Schleifung des mittelalterlichen Stadtbildes beteiligt, plante große Teile der repräsentativen neuen Innenstadt nach Sicherheitserwägungen. Boulevards und Straßen wurden so breit angelegt, dass der Bau von Barrikaden erschwert war.1137 Sie sollten gerade und sternförmig um einen Platz verlaufen, damit sich die auf den Plätzen eventuell versammelnde politisch wie militärisch bedrohliche Menge durch das schnelle Eingreifen der militärischen Ordnungsmacht zerstreut werden konnte. Hinzukam eine segregative Verteilung von Bewohnergruppen im Raum, die eine spontane Zusammenrottung verhindern sollte und diese, zudem durch krasse soziale Unterschiede gekennzeichnet, deutlich quasi entlang einer imaginären Mauer von Klassenschranken, trennte. Insofern ist Raumkontrolle auch auf Verhinderung von politischsozialen Ausschreitungen ausrichtbar und hilft, den sozialen und politischen Status quo zu perpetuieren.1138 Darin zeigt sich der stabilisierende Charakter räumlicher

betreibenden sein können, wenn die einzelnen Interessen nicht zur Deckung kommen. Eine Folge solcher Planungen sind dann erneut Nutzungskonflikte, in denen die Anwohner, die ihre Sicherheit fordern, gegen die Installation solcher „Gefahrenquellen“ im eigenen Territorium protestieren. In diesem Zusammenhang wird auch von einer „NIMBY-Politik“ gesprochen: Not in my Backyard. Die Implementierung von gefängnisuntypischen Gefängnissen in Wohnvierteln beschreibt Davis 1994a; S.293ff. 1136 Über die Strategien Haussmanns (1809-1891), des Präfekten des Seine-Departments unter Napoleon III., berichten unter anderem Sennett 1999; S.176ff., 276 und 374f., aber auch Eco 1989; S.132f. sowie Benjamin 1983, Bd.1, S.57ff., 180, 526 und 533. 1137 Vgl. Schneider 1997. 1138 Vgl. dazu Diefenbach 1997, Silver 1967, aber auch Klare 1974. Der Beweis für den intentionalen Charakter einer solchen Prävention vor Aufständen etc. ist schwer zu führen. Tatsächlich aber dienen solche Maßnahmen funktional zur Aufstandsprävention. Weitere Beispiele dafür sind die Hauptgebäude der nordrhein-westfälischen, vormals sogenannten Universitäten-Gesamthochschulen: Geplant und konzeptionalisiert unter dem Einfluss der Studentenbewegung von 1968ff., haben die Bauwerke weder architektonisch sonderlich hervorgehobene Haupteingänge, noch zentrale Orte (mit Ausnahme der Mensen), der für die Zusammenkunft einer größeren Menge Studierender geeignet wären. Streiks und andere Protestaktionen haben gezeigt, dass viel Personal allein durch die Blockade zahlreicher dezentraler Eingänge gebunden wird. Insofern erinnern die Bauten zwar optisch an Burgen, gehorchen aber kaum der entsprechenden Kontrollund Verteidigungsstrategie (z.B. ein zentraler, schnell verschließ- und sicherbarer Zugang), sind dennoch im Sinne einer Riot-Prävention hoch funktional.

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Kontrolle: Die Kontrolle über den Raum ist eine der „[...] privilegiertesten Formen der Machtausübung, da die Manipulation der räumlichen Verteilung von Gruppen sich als Instrument der Manipulation und der Kontrolle der Gruppen selbst durchsetzen lässt.“1139 Die gouvernementale Sozialkontrolle der Stadt zeitigt eine „Topographie der Macht“.1140

1139 Ronneberger 2001a; S.39. Vgl. auch Bourdieu 1991. 1140 Vgl. Wunderlich 1999.

4. Zur Phänomenologie urbaner Sozialkontrolle: Dispositive des Diskurses „Hinter den geschilderten Maßnahmen steckt das gefährliche Programm einer sauberen Stadt.“ ELISABETH BLUM1141

Diskursanalytisch lässt sich am Beispiel von Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten zeigen, wie Wissen über eine konstruierte Problemlage mittels Macht hergestellt und verbreitet wird. Der Diskurs verweist zudem auf Dispositive als Gesamtheiten von Institutionen, Diskursen und Praktiken, die der Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung von Sicherheit und Sauberkeit in den Städten als konkrete Maßnahmen oder Interventionsstrategie dienen oder dienen sollen. Dispositive sind definiert als eine „[...] heterogene Gesamtheit, bestehend aus Diskursen, Institutionen, architektonischen Einrichtungen, reglementierenden Entscheidungen, Gesetzen, administrativen Maßnahmen, wissenschaftlichen Aussagen, philosophischen, moralischen und philanthropischen Lehrsätzen, kurz Gesagtes wie Ungesagtes, das sind die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das man zwischen den Elementen herstellen kann.“1142

Dispositive geben als Ergebnisse von Praxisvollzügen Antworten auf gesellschaftliche Bedürfnisse oder „Notlagen“. Anhand dieser „Vergegenständlichungen“ eines Diskurses lassen sich die Machtverhältnisse einer Gesellschaft entschlüsseln.1143 Da die Tätigkeiten unterschiedlicher urbaner Polizeien, die architektonische Gestaltung der Innenstädte und das Recht Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten „her-

1141 Blum 1996a; S.19. Hervorhebungen im Original. 1142 Foucault 2003a; S.392. 1143 Vgl. Kap. 1.

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vorbringen“ sollen, kann man sie als Dispositive eben dieses Diskurses verstehen. Polizeiliches Handeln stellt administrative Maßnahmen dar, denen reglementierende und damit machtdurchwirkte Entscheidungen zugrunde liegen. Dabei kann unterschieden werden zwischen den öffentlich-rechtlichen Polizeien (Polizeivollzugsdienst und städtischer Ordnungsdienst), privaten Polizeien, d.h. privaten Sicherheitsdiensten, und öffentlich-privaten Kooperationen von beidem. Die Gestaltung der Städte ist Ergebnis architektonischer Einrichtungen. Materielles Bauen und Planen können eine Beitrag zur Vertreibung bzw. der Prävention des Aufenthalts unerwünschter Gruppen im innerstädtischen Kontext leisten und werden von Bodeneigentümern, Investoren und Bauherren entsprechend funktionalisiert. Da Architektur auf diese Weise einen Beitrag zur Ausgrenzung Unerwünschter leisten kann, können Architektur und Städtebau als Materialisierungsmodi städtischer Ausgrenzung interpretiert werden. Recht verweist auf Gesetze und Entscheidungen, die ihrerseits machtbasiert sind und Macht entfalten. Veränderungen der rechtlichen Grundlagen städtischen Zusammenlebens und darauf bezogene Entscheidungen können entlang der juristischen Thematisierung als Entrechtlichung städtischer Nutzergruppen verstanden werden. Die Dispositive verweisen im Hinblick auf ihre Funktionsbestimmung aufeinander: „Architektur (schafft; G.L.) einen Raum für soziale Interaktion. Der Raum nimmt Einfluss auf die soziale Interaktion: Er begrenzt, ordnet, gliedert, er schafft Wege und Zugänge oder sieht sie nicht vor; er ermöglicht Sicht oder verschließt vor Blicken. Auch das Recht begrenzt, ordnet und gliedert soziale Beziehungen, schafft rechtliche Zugänge, Ansprüche, oder verweigert sie. Formuliert man diese Strukturparallelen, ergibt sich die bereits genannte Ausgangsthese: Architektur und Recht sind Mittel und Formen der Gestaltung sozialer Räume und sind insofern nicht nur äußerlich, sondern substanziell aufeinander bezogen. Sie konstruieren und ordnen ihre Räume nach den gleichen Vorstellungen, Ideen, Ideologien.“1144

Alle drei Dispositive verweisen auf Institutionen, insofern als sich Verhaltensimperative in ihnen manifestieren und sie dementsprechend relativ geordnete Verhaltensabläufe in der tendenziell chaotischen Stadt garantieren. Als städtische Institutionen sind sie geronnenes Wissen und Materialisierungen von Macht, als Phänomenstrukturen urbaner Sozialkontrolle sind in ihnen Machtstrategien und Wissenstypen genealogisch und archäologisch miteinander verwoben.1145 Ihre Funktion ist die Schaffung von Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten. Ihre spezifischen Mechanismen dienen dementsprechend der sozialen Kontrolle in den Städten.

1144 Strauch 2001; S.128f. 1145 Vgl. Ruoff 2007; S.101.

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Allen drei Dispositiven (Entwicklung der Polizeien, der Architektur, des Rechts) ist gemeinsam, dass sie auf spezifische Weise auf bestimmte Personen und Gruppen, die in den Innenstädten anzutreffen sind, reagieren. In diesem Zusammenhang ist von der Phänomenstruktur „Urban Unterclass“ die Rede. Was zeichnet sie aus?

4.1 D IE P HÄNOMENSTRUKTUR „U RBAN U NDERCLASS “: K ONTROLLEURE UND K ONTROLLIERTE „Sie sind die underclass [...]: (a) die passiven Armen, normalerweise langfristig Empfänger von Sozialleistungen; (b) feindselige Straßenkriminelle, die die meisten Städte terrorisieren und die meistens Schulabbrecher und Drogenabhängige sind; (c) Straßenprostituierte, die, wie Straßenkriminelle, zwar nicht arm sein mögen und ihren Lebensunterhalt in der Untergrundwirtschaft verdienen, aber selten Gewaltverbrechen begehen; (d) die traumatisierten Trinker, Gammler, Obdachlosen und entlassenen psychisch Kranken, die umherziehen oder auf den Straßen kollabieren.“ KEN AULETTA1146 „Eingeschlossen in diese Gruppe sind Individuen, denen Ausbildung und Fertigkeiten fehlen und die entweder langzeitarbeitslos sind oder die nicht zum Kreis möglicher Arbeitnehmer gehören, Individuen, die in Straßenkriminalität oder andere Formen abweichenden Verhaltens verwickelt sind sowie Familien, die längere Phasen der Armut und/oder der Abhängigkeit von Sozialleistungen erleben.“ WILLIAM J. WILSON1147

1146 Auletta 1982; S.XVI (Übersetzung von G.L., Hervorhebungen im Original); auch (freier) zit. in Häußermann/Kronauer/Siebel 2004; S.18. Auletta spricht von „homeless shopping-bag ladies“, was hier allgemeiner und unter Vernachlässigung des Genderaspektes mit Obdachlosen übersetzt wird. 1147 Wilson 1987; S.8 (Übersetzung von G.L.); auch zit. in Häußermann/Kronauer/Siebel 2004; S.13f.

272 | STADT UND KONTROLLE „Damit sammelt sich in den Städten der Ersten Welt eine funktionslose, überflüssige Bevölkerung von Aufstiegswanderern, Kriegs- und Armutsflüchtlingen – die Ausgrenzung wird gleichsam importiert. Schließlich lassen sich vor allem im Zusammenhang mit Langzeitarbeitslosigkeit negative Karrieren beobachten, an deren Ende hohe Schulden, soziale Isolation, gesundheitliche Probleme und der Verlust der technischen und moralischen Arbeitsqualifikationen stehen können.“ WALTER SIEBEL1148

Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit ist von „Ausgegrenzten“, „Exkludierten“, den „Vertriebenen“, den „A-Gruppen“ oder „Marginalisierten“, von den „Randständigen“, „Missliebigen“, „Unbequemen“, von „gefährlichen Klassen“,1149 „Lumpenproletariern“, „Entbehrlichen“1150 und „Überflüssigen“ etc. als Objekten urbaner Sozialkontrolle und Ausgrenzung die Rede. Mit dieser Phänomenstruktur sind soziale Ungleichheit und die Sozialstruktur in den Städten angesprochen, in der der betroffene Personenkreis stratifikatorisch wie segmentär, vertikal wie horizontal verortet ist.1151 Dabei hat sich der Begriff der „Urban Underclass“ als Ober-

1148 Siebel 1997; S.70. 1149 Vgl. Morris 1994 und 1996, die auch eine definitorische Abgrenzung zwischen den Begriffen vornimmt. Im englischen Sprachraum spricht man von „Dangerous Classes“. „Gefährliche Klassen“ sind Konstrukte, die eine Menge von „Folk Devils“ beinhaltet und auf „Moralpaniken“ beruht, vor deren Hintergrund die Gefährlichkeit der Gruppen erscheinen kann. Laut Ronneberger (2001) wurden die gefährlichen Klassen im Laufe des 20. Jahrhunderts durch staatliche Normalisierungsstrategien zurückgedrängt und stellen heute keine reelle Gefahr für die Stabilität von Staaten dar. Die i.d.R. problematisierten Gruppen haben kaum Potenzial zur Inszenierung städtischer Riots, sie dienen lediglich als Projektionsfläche für Ängste und entsprechende Kampagnen. Es ist ein Kennzeichen der Phänomenstruktur, dass sie vor allem als Gefährdung von Sicherheit und Sauberkeit thematisiert werden, seltener als sozialstaatliches Problem. Vgl. auch Gebhardt/Heinz/Knöbl 1996. 1150 Vgl. Bude/Willisch 2006b. 1151 Vgl. Kreissl 1999.

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begriff zur Klassifizierung der unterschiedlichsten Typen der Phänomenstruktur, auf die soziale Kontrolle in den Innenstädten zielt, etabliert.1152 In der traditionellen soziologischen Ungleichheitsforschung tritt der Begriff der „Unterklasse“1153 zunächst nicht auf, wenngleich in einigen Schichtungsmodellen als Restkategorie von „sozial Verachteten“, „sozial Deklassierten“ oder auch „sozialem Bodensatz“1154 gesprochen wird. In vielen Schichtungsmodellen ist von „Unterschicht“ die Rede, um diejenige Gruppe zu kennzeichnen, die über die geringsten materiellen, kulturellen und sozialen Ressourcen und das geringste Sozialprestige verfügt. Erst in den letzten Jahren, angestoßen von Forschungen in den USA, aber auch in Frankreich und England, findet der Begriff in seiner typisch und genuin urbanen Ausprägung als analytische Kategorie für ein neues Phänomen sozialer Ungleichheit Eingang in die Debatte:1155 „Die Verwendung des Begriffs Underclass ist

1152 Vgl. dazu unter anderem Berking 2002, Bremer 1997, Bremer/Gestring 1997, Buck 1996, Fainstein 1996, Gans 1992 und 1996, Ganßmann 1999, Gielnik 1999, Häußermann 1997a, b und 1998, Häußermann/Kazepov 1996, Herkommer 1999, Koch 1999, Kronauer 1997, 1998a, 2001, 2002a; S.52ff., Logan/Alba/McNulty 1996, Massey/ Denton 1993, Micheli 1996, Mingione 1996a und b, Monkkononen 1993, Morlicchio 1996, Morris 1994 und 1996, Naroska 1988, Sassen 1996, Seabrook 2003, Siebel 1997, Silver 1996, Tosi 1996, Wacquant 2002a und 2004b, Wehrheim 1999a sowie Zajczyk 1996. Zur Begründung, warum Arme vor allem in Städten leben, vgl. Glaeser/Kahn/ Rappaport 2000. 1153 In der marxistischen Tradition ist der Begriff der Klasse gebunden an den Besitz oder Nicht-Besitz von Produktionsmitteln. 1154 Von „sozialem Bodensatz“ und „sozial Verachteten“ ist in den Schichtungsmodellen von Scheuch und Kleining/Moore die Rede. Vgl. Bolte/Hradil 1988; S.216ff. Max Weber (1972; S.178) spricht von einer „negativ privilegierten Besitzklasse“. Zum „veränderten Vokabular“ der Ungleichheitsforschung vgl. Vogel 2006. 1155 Zur Definition und Abgrenzung des amerikanischen Underclass-Konzeptes von europäischen Modellen vgl. auch Häußermann/Kronauer/Siebel 2004; S.7ff. Differenzierungen zwischen amerikanischem und europäischem Diskurs finden sich z.B. bei Kronauer 1997. Siebel (1997) versucht, den Begriff „soziale Ausgrenzung“ im Sinne einer empirischen Überprüfung einzugrenzen. Im politischen Diskurs ist seit 2006 verstärkt von einer „neuen“ Unterschicht die Rede, auch im Zusammenhang mit einen „Prekariat“, das allerdings bislang soziologisch wenig präzise beschrieben ist und zudem auch Angehörige von Milieus miteinschließt, die kaum als „gefährlich“ im hier gemeinten Sinne etikettiert werden dürften. Böhnke (2006; S.102) unterscheidet zur empirischen Klassifikation zwischen Armut („Einkommensarmut“, „unzureichender Lebensstandard“) und multipler Deprivation („mehrfache Benachteiligung beim Einkommen, im Lebensstandard, beim Wohnen“) als „Versorgungsdefizite“ auf der einen Seite und

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dann legitim und sinnvoll, wenn damit eine neue Qualität sozialer Spaltung beschrieben wird, die von den bisherigen Klassen- und Schichtmodellen nicht erfasst wird.“1156 Der Underclass-Begriff wurde zu Anfang der achtziger Jahre in den USA im Zusammenhang mit einer konservativen Strömung, die den Sozialstaat europäischer Prägung ablehnte, verbreitet.1157 Ursprünglich bezieht sich der Begriff aber gerade auf diejenige Gruppe der Un- und Unterbeschäftigten, die klassischerweise die Hauptklientel sozialstaatlicher Fürsorgemaßnahmen sind.1158 Gunnar Myrdal beschreibt die Entstehung einer Underclass als Ergebnis eines Prozesses der Veränderung in der Arbeitswelt.1159 Die Diskrepanz zwischen Qualifikationsangebot und nachfrage wächst beim Übergang vom Fordismus zum Postfordismus, sodass – auch im Zuge partieller und regionaler Deindustrialisierung – eine strukturelle Arbeitslosigkeit entsteht, im Zuge derer ehemals am Arbeitsmarkt Integrierte mit niedrigem Qualifikationsniveau dauerhaft aus dem Erwerbsprozess ausgeschlossen werden. Sozialer Aufstieg wird für die Betroffenen unmöglich, eine Teilhabe am System höherer Bildung unwahrscheinlich, bestehende Qualifikationen werden entwertet. Am Rande der Gesellschaft entsteht so ein „unnützes und elendes Substrat“.1160 In den siebziger Jahren erfuhr der Begriff Underclass in der amerikanischen Debatte einen grundlegenden Bedeutungswandel:1161 Zum Ersten wurde der Begriff rassistisch eingegrenzt und vor allem mit afro-amerikanischen Ghetto-Bewohnern assoziiert.1162 In der weiteren Thematisierung verschob sich dann zum Zweiten auch die Begründung für die Existenz einer Underclass: Nicht mehr Veränderungen am Arbeitsmarkt, sondern das Verhalten der Betroffenen selbst wurde als Ursache für die Existenz der Underclass angesehen. Damit wurden zugleich die wohlfahrtsstaatlichen Versuche der Reintegration in den Arbeitsmarkt diffamiert: „Aus der

Marginalisierung („negative Selbsteinschätzung persönlicher Teilhabechancen, Mangel an Anerkennung, Entfremdung, Wert- und Nutzlosigkeit“) und sozialer Ausgrenzung („mehrfache Benachteiligung und gleichzeitig marginalisiert in der Selbstwahrnehmung“) als „Integrationsdefizite“ auf der anderen Seite. Zur Geschichte der Kategorie vgl. O’Connor 2004, zur empirischen Situation in Deutschland die laufenden Armutsberichte der Bundesregierung. 1156 Bremer/Gestring 1997; S.61. 1157 Vgl. grundlegend Auletta 1982 sowie Wilson 1987 und 1997. 1158 Vgl. Kronauer 2002a; S.53. 1159 Vgl. Myrdal 1965. Vgl. zum Verhältnis von Arbeitsmarkt und Ausgrenzung auch Ganßmann 1999. 1160 Myrdal 1965; S.41. Übersetzung von G.L. 1161 Vgl. Kronauer 2002a; S.55ff. 1162 Vgl. Quillian/Pager 2001.

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positiv bewerteten sozialstaatlichen Intervention (im weitesten, einschließlich wirtschaftspolitischen Sinn) als Gegenmittel gegen Ausgrenzung wurde der Sozialstaat als korrumpierendes Element, das die Absonderung der Armen erst ermögliche.“1163 Die Rede war von einer „destruktiven, übrig gebliebenen Underclass“, deren Existenz sich städtischen Wohlfahrtsprogrammen verdanke, die Armut institutionalisiere, Aufwärtsmobilität ersticke und stabile Familienverhältnisse verhindere.1164 Niedriges Einkommen und die Ablehnung allgemein anerkannter Werte, die sich in abweichendem Verhalten äußert, werden seitdem als zentrale, voneinander unabhängige Kriterien für die Beschreibung der „urban Underclass“ als Phänomenstruktur transportiert: „Diese Underclass lehnt die üblicherweise akzeptierten Werte ab, sie leidet sowohl an Verhaltens- als an Einkommensdefiziten. Sie scheinen nicht nur arm zu sein; den meisten Amerikanern scheint ihr Verhalten abweichend.“1165 Hinzukommt, dass seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre die Underclass zugleich als „gefährliche Klasse“ und damit als stabilitätsgefährdend etikettiert wird: „[...] das große unerwähnte Problem des heutigen Amerika – das schnelle und heimtückische Wachstum einer Gruppe in unserer Mitte, vielleicht gefährlicher, aller Hoffnung beraubt, schwieriger zu begegnen als jeder anderen, für die unsere Geschichte uns vorbereitet hat. Es ist eine Gruppe, die droht zu werden, was Amerika niemals kannte – eine dauerhafte Underclass in unserer Gesellschaft.“1166

Im Zentrum dieser verhaltensorientierten Lesart steht die moralische Be- und Verurteilung von städtischer Armut, nicht die Analyse ihrer Entstehungsbedingungen. Flankiert durch eine prinzipielle Kritik am Sozialstaat wurde diese Lesart des Underclass-Begriffs in den achtziger Jahren in den USA dominant1167 und prägte so auch die europäische Debatte. Allerdings forcierte diese negative Inanspruchnahme des Underclass-Begriffs auch Kritik. William Julius Wilson setzt an der negativen, durch Ausschluss und Nutzlosigkeit gekennzeichneten Definition an, um Strukturmomente und kategoriale Bestimmungen der Existenz einer urbanen Underclass

1163 Kronauer 2002a; S.56. 1164 Vgl. Kronauer 2002a; S.56. 1165 Auletta 1982; S.XIII. Übersetzung von G.L. 1166 So Edward Kennedy 1978 vor der Bürgerrechtsorganisation „National Association for the Advancement of Coloured People (NAACP)”. Zit.n. Kronauer 2002a; S.57. Übersetzung von G.L. Der Underclass-Begriff wird hier aus dem amerikanischen Sprachgebrauch ohne Übersetzung übernommen. 1167 In diesem Kontext steht die politisch einflussreiche Studie von Murray (1994, zuerst 1984).

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aufzuzeigen.1168 Demnach sind drei Momente bestimmend: Zum Ersten sind die Angehörigen der Underclass nur marginal in den Arbeitsmarkt eingebunden. Diese Marginalität reicht von unregelmäßiger Erwerbstätigkeit bis zum völligen Rückzug aus dem Arbeitsmarkt. Zum Zweiten sind sie sozial isoliert. Es bestehen kaum Kontakte zu Personen und Institutionen, die über regelmäßige Erwerbstätigkeit an der Lebensweise der Mehrheitsgesellschaft teilhaben. Zudem ist der Begriff der sozialen Isolation räumlich aufgeladen: In den Städten konzentrieren sich die so Benachteiligten in bestimmten Wohngegenden und sind auch räumlich von den Wohnquartieren der Mehrheitsgesellschaft isoliert. Unter diesen beiden Bedingungen konstituiert sich die urbane Underclass. Zum Dritten reproduziert sich die UnderclassPosition über Generationen, weil in einem „Teufelskreis“ unterschiedliche Benachteiligungen ineinandergreifen und der soziale Ausschluss sich auf diese Weise selbst verstärkt bzw. verlängert. Lang andauernde Arbeitslosigkeit führt zu Armut, diese zwingt zum Wohnen in benachteiligten Stadtvierteln und zum Besuch schlechter ausgestatteter und anderweitig problematischer Schulen, was die Aufstiegschancen der nachwachsenden Generationen, die ohne Konfrontation mit einer Lebensweise, die um Erwerbsarbeit organisiert ist, aufwachsen, verschlechtert. Gesellschaftliche Integration, die durch das Ineinandergreifen unterschiedlicher Teilhabemöglichkeiten, die sich wiederum an gesellschaftlichen Standards orientieren, vermittelt wird, ist für die Mitglieder der urbanen Underclass unwahrscheinlich.1169

1168 Vgl. Wilson 1987. Später hat Wilson seine Position reformuliert, vgl. Wilson 1997. Vgl. auch die Darstellung in Kronauer 2002a; S.60ff. 1169 Anders als in der Studie von Oscar Lewis zur „Kultur der Armut“ (gekennzeichnet durch ein Gefühl der Marginalität, der Hilflosigkeit, der Abhängigkeit, der NichtZugehörigkeit, der Inferiorität, der persönlichen Wertlosigkeit, verbunden mit mangelndem Klassenbewusstsein etc., vgl. Lewis 1966 und Lindner 1999a), geht es bei Wilson nicht um die Verselbständigung einer sich unter restriktiven Bedingungen etablierenden Armutskultur, sondern um die einschränkenden Bedingungen selbst, die Armut perpetuieren, nicht zuletzt deshalb, weil sich Betroffene im Prozess eines LookingGlass-Self (vgl. Cooley 1902) als Arme definieren. Die Ausgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft ist definitiv, wenn sich die Betroffenen nicht mehr in der Lage sehen, ihre Lebensverhältnisse aus eigener Kraft zu ändern. Vgl. Kronauer 1997; S.46 und Leisering/Voges 1992. Auch bei Wilson ist der Underclass-Begriff nicht klassentheoretisch fundiert. Bei der Beschreibung der Phänomenstruktur wird mehrheitlich davon ausgegangen, dass Armut mittelfristig auch zum Ausschluss aus politisch-partizipativen Foren führt, was die Nutzung des öffentlichen Raums in dieser Hinsicht ebenfalls unwahrscheinlich werden lässt und die weitgehende politische Apathie der urbanen Underclass verstehen hilft. Nur vereinzelt wird von der Beteiligung an städtischen Riots, die für die Konstruktion eines Bildes der Bedrohung, später dann für die Interventionen

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Das hat auch Auswirkungen auf die Nutzungsmöglichkeiten städtischer Angebote: Da die Innenstädte größtenteils dem Konsum gewidmet sind,1170 ist die urbane Underclass systematisch und weitgehend von der Teilhabe am sozialen Verkehr in den Innenstädten ausgeschlossen, was ihre Selbsteinschätzung und ihr Verhältnis zur Mehrheitsgesellschaft negativ beeinflussen kann.1171 In Europa wurde der Underclass-Begriff aufgenommen, als sich beim allmählichen Übergang vom fordistischen zum postfordistischen Akkumulationsregime ähnliche Problemlagen ergaben, wie sie aus amerikanischen Städten bekannt waren: Deindustrialisierung, gestiegener Qualifikationsbedarf am Arbeitsmarkt, dauerhafte Arbeitslosigkeit unqualifizierter Arbeitskräfte, mangelnde Integration von Migranten, die Abwertung ganzer Stadtteile, die Auflösung integrativer städtischer Lebensformen, die um Erwerbsarbeit organisiert waren etc.1172 Insofern operiert der Underclass-Begriff mit einem binären Muster der stratifikatorischen Verortung im sozialstrukturellen System: Die Ausgrenzung der Urban Underclass ist ökonomisch wie sozialräumlich fixiert. Dem entspricht die Verortung der so ausgegrenzten Underclass entlang des Begriffspaares Zentrum und Peripherie:1173 Wer ökonomisch wie sozialräumlich ausgeschlossen ist, lebt in der Peripherie der Gesellschaft und der Stadt, weil er in problematischen Quartieren wohnt und städtische Angebote nicht nutzen kann. Der Underclass-Begriff beschreibt eine gesellschaftliche wie räumliche Innen-Außen-Spaltung von Gesellschaft.1174 Dem entspricht die für die

der entsprechenden Ordnungsmächte, wichtig sind, berichtet: Ein Sprecher der BAG KritPol beschreibt am Beispiel Kölns, wie sich marginalisierte Gruppen im Rahmen von Demonstrationen politisches Gehör verschaffen wollen, und sich so wieder, auch räumlich, zur Masse des „räsonnierenden städtischen Publikums“ gesellen. Vgl. Kap. 3.4.1. Die Demonstration wurde von den Ordnungsbehörden unter Hinweis auf die Gefährdung der öffentlichen Ordnung verboten. Vgl. Boden 1997a-g sowie Damm 1998a und b. Wie schnell und unvermittelt - und mit welcher Wucht - sich spontane städtische Riots als Interessenartikulation entladen können, haben die sogenannten „Kurdenkrawalle“ in einigen europäischen Großstädten Ende Februar 1999 ebenso gezeigt wie die schweren Ausschreitungen in den Pariser Banlieus 2007 und in Athen 2008. Zur Mobilisierung von Betroffenen vgl. Bernt/Holm 1998. 1170 Vgl. Kap. 5.3. 1171 Vgl. dazu das Theorem des „Looking-Glass-Self“, Fn.459 und 1169. 1172 Vgl. Kronauer 2002a; S.65. Gleichwohl sind die sozialstrukturellen Folgen in Europa weniger krass. So sind i.d.R. Wohnviertel stärker sozialstrukturell und ethnisch durchmischt als dies in den USA der Fall ist. Vgl. auch Bartelheimer 1998, Jargowski 2004 und Jessen 2001. Vgl. zur Armut in Deutschland z.B. Bäcker 2002. 1173 Vgl. Kronauer 1997; S.31ff. 1174 Vgl. Kronauer 2002a; S.70f. und 204ff.

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Phänomenstruktur typische „doppelte Bestimmtheit“ in der Armutsdefinition: Vorausgesetzt wird zum einen „[...] ein eigener, negativ bestimmter (und häufig institutionalisierter) gesellschaftlicher Status des Armen, der auf fremde Hilfe angewiesen ist; der Status dessen, der keine Erwerbsarbeit hat; zum andern die Tatsache, dass dieser negativ bestimmte gesellschaftliche Status für die Individuen zur lebensbestimmenden Realität wird.“1175 Diese doppelte Bestimmtheit sozialer Ungleichheit zeigt sich auch auf struktureller wie auf habitueller Ebene, insofern als sich die Betroffenen mit ihrer sozialen Lage auseinandersetzen und sich in ihrer alltäglichen Lebenspraxis auf sie einstellen. Laut Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit setzt am sich so etablierenden Habitus der Underclass die forcierte Ausgrenzung aus den Innenstädten an, weil dieser Habitus mit allgemein geteilten symbolischen (Sprache, Kleidung, Bildung), materiellen (Geld, Wohnung, Eigentum), moralischen (Arbeitsethos, Disziplin) vor allem aber Verhaltensstandards1176 nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Dementsprechend wird gegenüber der urbanen Underclass die sozial- bzw. wohlfahrtsstaatliche Solidarität aufgekündigt und durch punitive, repressive Maßnahmen ersetzt.1177 Lärmendes öffentliches Trinken, „ungepflegtes“, also unsauberes Auftreten, Betteln, Pfandflaschen einsammeln etc. gelten als typische Verhaltensweisen der urbanen Underclass, die im Bereich der Innenstädte als störend, gefährlich, unangenehm etc. empfunden wird. „Ganz gleich, ob die Armen im Zentrum oder an der Peripherie leben, es zählt nur, dass Zonen der Marginalität und der Ausgrenzung entstehen – Schandflecken, die mehr und mehr vom vorherrschenden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben ausgeschlossen bleiben.“1178 Innerhalb der urbanen Underclass werden einzelne Gruppen unterschieden, zwischen denen es zwar zahlreiche Überschneidungen gibt, sich aber dennoch als Idealtypen identifizieren lassen: Eine Gruppe stellt die nicht-deutsche Bevölkerung in ethnisch und sozial homogenen Vierteln der Großstädte dar.1179 Eine zweite

1175 Kronauer 2002a; S.68. 1176 Vgl. Kronauer 2002a S.72. 1177 Vgl. Kronauer 1997; S.36ff. oder Smaus 2001. Zur wachsenden Punitivität der Gegenwartsgesellschaft und dem Verhältnis zum Wohlfahrtsstaat vgl. Cohen 1979a, CremerSchäfer 1998b und 2007, Groenemeyer 2003b, Kreissl/Sack 1998, Simon, J. 2001 sowie Wacquant 1997, 2000b, 2001t und u. 1178 Touraine 1996b; Sp.1. 1179 Vgl. Heitmeyer (1994, 1998 und 1999), der in diesem Zusammenhang auch den Begriff der „Parallelgesellschaft“ geprägt hat. Vgl. auch Bukow/Nikodem/Schulze/Yildiz 2001, Darden 2001 und Fijalkowski 1999.

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Gruppe besteht aus arbeitslosen oder nur marginal beschäftigten Jugendlichen.1180 Hinzu kommen die Langzeitarbeitslosen und anderweitig von Transferleistungen Lebenden,1181 besonders die Älteren und Kranken, des Weiteren Wohnungs- und Obdachlose1182 sowie eine wachsende Gruppe von illegalen Immigranten.1183 Als

1180 Im April 2008 waren das rund 400.000 Menschen unter 25 Jahren. Vgl. Solga 2006. Diese Jugendlichen halten sich unter anderem auch in Malls auf (vgl. Bareis 2003), wo sie teilweise von privaten Sicherheitsdiensten, aber auch von Konsumenten als störend wahrgenommen werden. Vgl. auch Merkens 2001 und Permien/Zink 2000. 1181 Im November 2009 empfingen laut Agentur für Arbeit rund 5.870.000 erwerbsfähige Menschen Lohnersatzleistungen nach SGB III oder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II. 1182 Als wohnungslos gelten Personen, denen keine eigene, selbst gemietete private Wohnung zur Verfügung steht, die dennoch nicht obdachlos sind, weil sie in städtischen Unterkünften, Asylen, Notschlafstellen o.ä. untergebracht sind. Obdachlos sind Personen, die ebenfalls nicht über einen privaten Wohnsitz verfügen und darüber hinaus auch in keinem Asyl dauerhaft untergebracht sind, also auch phänomenologisch buchstäblich auf der Straße leben. Als „freiwillige“ Obdachlose („Nicht-Sesshafte“) hat diese Gruppe zunächst keinen sozialrechtlichen Anspruch auf Unterbringung durch kommunale Ordnungsbehörden. Nichtsesshaft sind auch solche Obdachlose, die sich habituell (auch aufgrund eines ökonomischen oder kulturellen Konzeptes) nicht nur in einer Stadt aufhalten, sondern den Ort wechseln. Vgl. Huppertz 2002. Blum (1996b; S.45f.) interpretiert Sesshaftigkeit als zentralen Modus für das Funktionieren der gegenwärtigen Gesellschaften. Gerade wer wohnungslos ist, gilt deshalb als sozial hoch problematisch. Obdachlose selbst verstehen sich als „Berber“. Virilio/Handwerk/Gevret (1997) sprechen von „Nomaden“. Im dritten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung von 2008 wird die Zahl der Obdachlosen in Deutschland auf ca. 265.000 geschätzt. Ca. 18.000 Menschen leben buchstäblich auf der Straße. Hinzu kommen ca. 9.000 sogenannte „Straßenkinder“. Die BAG Wohnungslosenhilfe schätzte für 2006 zwischen 240.000 und 290.000 Obdachlose. Vgl. für weitere Zahlen Alleweldt/Leuschner 2002, o.V. 1998g, 1999e, 2000a und c, 2001l und Sedlmayr 2003. Eine bundeseinheitliche Wohnungsnotfall-Berichterstattung existiert nicht. Vgl. zum Topos Obdachlosigkeit vor allem Bloom 2005 und Oberhuber 1999. Theodor W. Adorno (1969, zuerst 1951; S.265f.) beschäftigt sich mit der Vertreibung von Bettlern aus einer eher kulturhistorisch-kritischen Perspektive: Die Vertreibung des Bettlers in einem Kinderlied erscheint ihm als „Austreibung des Fremdlings“, des „Eindringlings“, des „Schwächeren“ durch die „bürgerliche Härte“. Vgl. zur Kriminalisierung Wohnungsloser PaulgergMuschiol/Müller 2000. Vgl. zur Situation in Obdachlosenunterkünften Bollwahn 2006, o.V. 2001p, y und 2002c, zu aktuellen Entwicklungen Liebl 2004 und Mayer/Sambale/ Veith 1995 und 1997.

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sechste Gruppe kann die der Alkohol- und Drogenabhängigen1184 und der anderweitig psychisch Destabilisierten1185 angesehen werden, als siebte die derjenigen, die sich aus Gründen subkultureller Differenzen von den Werten der Bevölkerungsmehrheit bewusst unterscheiden und deshalb ausgegrenzt sind, so z.B. Punks.1186 Soziale Ausgrenzung kann für diese Gruppen die Form sozialen Abstiegs annehmen, von vornherein aber genauso gut den Zugang zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben der Anderen versperren oder schließlich bereits prekäre Positionen am Rande der Gesellschaft zum Kippen bringen.1187 Aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive ist allen diesen Gruppen gemein, dass sie als „Außenseiter“ stigmatisiert sind, mit sozialen, persönlich-charakterlichen und moralischen Attributen wie „undiszipliniert“, „gefährlich“, „unangenehm“, „ungepflegt“, „pervers“, „krank“, „unnormal“, „faul“, „dumm“, „gewalttätig“ usw. belegt und identifiziert werden. Um nur ein Beispiel zur Beschreibung einer dieser Gruppen aufzunehmen: „Obdachlose sind die Kellerkinder der Gesellschaft, die Aussätzigen der modernen Zivilisation,

1183 Das Bundesministerium des Innern diskutierte im Februar 2007 die Zahl von 500.000 bis 1.000.000 sich illegal in Deutschland aufhaltender Menschen. Ein valides Schätzsystem existiert nicht. Vgl. Bundesministerium des Inneren 2007; S.16f. und zu Migrationsmustern und städtischer Ausgrenzung Oswald 2006. 1184 Drogenabhängige werden bisweilen mit dem Stigma des „kranken Kriminellen“ belegt und ihr Verhalten damit pathologisiert. Gerade Drogenabhängigen wird typischerweise unterstellt, dass ihnen die Fähigkeit und der Willen zu einem abwechslungsarmen, disziplinierten bürgerlichen Leben ebenso fehlt wie die Fähigkeit und die Bereitschaft, einen produktiven Beitrag zur gesellschaftlichen Reproduktion zu leisten. Da sie vor diesem Hintergrund als integrationsunfähig und -unwillig, damit als „sozialschädlich“ gelten, ist die Ausgrenzung dieser Gruppe besonders rigide. Hinzu kommen die angenommene Bedrohung durch die „Beschaffungskriminalität“ Drogenkranker und ihr Status als Träger übertragbarer Krankheiten. Vgl. Krebs 2001; S.84f., der von einen „Paria“-Status von Junkies spricht, und Alsheimer 1995 zu Drogenkonsum und Urbanität. Vgl. auch Laimer 2000 und Sutton 2000. 1185 Auf den auffällig hohen Anteil physisch Kranker wie psychisch Destabilisierter an der urbanen Underclass, also im wohlfahrtsstaatlichen Sinne eigentlich besonders schutzwürdiger Menschen, weist neben Christopherson (1994; S.418) auch Glasauer (1998d; S.2) hin. Zudem hat oftmals die Destabilisierung im Zusammenhang mit der entsprechenden Etikettierung als „krank“, „wahnsinnig“, „merkwürdig“, „gefährlich“, „unproduktiv“ erst zum sozialen Abstieg geführt. 1186 Aus der relativ großen Subkultur der Punks lebt nur ein kleiner Bruchteil auf der Straße. 1187 Vgl. zu entsprechenden Bewältigungsstrategien unter anderem Bareis/Böhnisch 2000.

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die, von ihrer Umwelt ausgestoßen, in oft kümmerlichen Baracken hausen und nicht selten in die Kriminalität abzugleiten drohen.“1188 Damit ist der Blick auch auf die in Stadt Kontrolle ausübenden Institutionen, auf die Kontrolleure, gerichtet. Die beobachtete Entsolidarisierung gegenüber der urbanen Underclass ist genealogisch betrachtet einerseits das Ergebnis einer veränderten Wohlfahrtspolitik, andererseits aber auch in der zunehmend moralischen Beurteilung von Armut etc. begründet.1189 Das Hauptaugenmerk bei der Beschreibung der Phänomenstruktur liegt auf der Rolle der Wohlfahrtsinstitutionen im Prozess urbaner Sozialkontrolle. Im Hochmittelalter wurde Armut noch entsprechend der christlichen Überlieferung (und möglicherweise weil sie einen großen Bevölkerungsteil betraf) teilweise als Wert an sich, in der Regel aber nicht zwangsläufig als Schande verstanden. Mit dem Erstarken der Reformationsbewegung und dem damit einhergehenden Aufkommen eines anderen Bildes vom „tätigen Menschen“ im Spätmittelalter, das später Max Weber mit der Entstehung des Kapitalismus in Zusammenhang brachte, wird Armut auch individuellem Versagen und persönlicher Untätigkeit angelastet.1190 Daraus ergibt sich für die helfenden Institutionen und Personen die Frage, wie „wirkliche“, „würdige“ Bedürftigkeit, die konstitutiv für jede wohlfahrtsstaatliche Intervention ist, von „Simulanten-“ und „Schmarotzertum“ zu unterscheiden ist. Diese Frage nach der „richtigen“ Wirklichkeitsdeutung scheint zwar inzwischen über objektive Armuts- bzw. Bedürftigkeitsdeterminanten (Warenkörbe, Existenzminima, Durchschnittseinkommen etc.) institutionell abgesichert zu sein, veranlasst aber häufig Misstrauen gegenüber jedem scheinbar Bedürftigen in der „sozialen Hängematte“.1191 Hinzu kommt eine immer noch verbreitete Ideologie, nach der jeder eine „ehrliche“ Arbeit finden kann, wenn man nur will, und dann die gleichen Entbehrungen wie jeder Beschäftigte erdulden muss, der sich moralisch den Angehörigen der urbanen Underclass überlegen fühlt. Mit der beginnenden Industrialisierung stand die Armenfürsorge unter den Vorzeichen, die oben unter dem Begriff der Disziplinargesellschaften angeklungen sind. Arme, Bedürftige usw. wurden Arbeitshäusern zugeführt, dort interniert, individuell diszipliniert und deren Arbeitskraft ausgebeutet. Das Betteln wurde gleichzeitig unter Strafe gestellt und verfolgt, da ja nun die Existenzsicherung von der Zentralmacht über-

1188 Franz, zit.n. Terwiesche 1997; S.410; Sp.2; Fn.2. 1189 Vgl. Bohle 1997 und für das Folgende Kap. 5.1 und 5.2. 1190 Vgl. Kap. 5.1 und den Quellenteil in Sachße/Tennstedt (1980; S.51ff.), besonders aber die Positionen der Reformatoren Martin Luther und Wenzel Linck, sowie die Aussagen des Johannes Geiler von Kaysersberg. 1191 Vgl. Fuchs 2001a und b, der die stets wiederaufkeimende populistische Diskussion um „Drückeberger“, „Faulenzer“ etc. in einen historischen Kontext stellt.

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nommen und bürokratisiert wurde,1192 demnach kein Bedürftiger über den gewährten Unterhalt hinaus selbst zu sorgen hatte. Der liberalen Ideologie der individuellen Erreichbarkeit von Wohlstand und Glück folgend, entwickelte sich die Zuschreibung der Ursache von Armut von strukturellen Ursachen hin zu einer Schuld des Individuums, das im „freien Spiel der Kräfte“ persönlich und moralisch versagt. Hier setzt auch die oben erwähnte zeitgenössische liberal-konservative Sozialstaatskritik an und fordert als politische Strategie die Kürzung oder Abschaffung von Sozialleistungen. Auf diese Weise vollzieht sich der Umgang mit der urbanen Underclass als „doppeltes Mandat“, als polizeilich und sozialpolitisch „repressive Fürsorge“, als Kombination von Hilfe und Kontrolle:1193 „Es geht um den schrittweisen Umbau eines Semi-Wohlfahrtsstaats in einen Straf- und Polizeistaat, der die Kriminalisierung von Randgruppen und die ‚punitive Ausgrenzung‘ sozial Benachteiligter zu einem zentralen Bestandteil seiner Politik macht.“1194 Der im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten beschriebene „Disziplinarstaat“1195 zieht sich aus seiner Verantwortung als Sozialstaat zurück und entwickelt zwei Strategien, mit denen auf die unterstellte „Disziplinlosigkeit“ der urbanen Unterklasse reagiert will: Erstens werden die verbliebenen sozialen Dienste in Instrumente der sozialen Kontrolle und Überwachung der vermeintlich gefährlichen, Leistungen und Hilfen jedenfalls „unwürdigen“ Underclass umfunktioniert, indem sie den Anspruch auf Transferleistungen an bestimmte Verhaltensnormen und ein allgemeines Wohlverhalten der Antragsteller koppeln und dementsprechende disziplinargesellschaftliche Pflichtarbeitsprogramme mit einem gewissen Strafcharakter auflegen.1196 Die zweite Strategie zur Kontrolle einer Armutsbe-

1192 In der Vormoderne übernahm die Kirche die Organisation der Armenfürsorge. Vgl. Althammer/Brandes/Marx 2004. 1193 Vgl. Fn.790. 1194 Wacquant 1997; S.50. Vgl. auch Wacquant 1998b, wo er sich – als Beleg für diese These – mit dem zahlenmäßigen Anwachsen der unter der Aufsicht der Justiz stehenden unterprivilegierten Minderheiten in den USA befasst. Vgl. auch Wacquant 1999. 1195 Wacquant (1997; S.57) spricht von „Disziplinarstaaten“, um die qualitativen Änderungen vom Wohlfahrtsstaat hin zum strafenden Staat deutlich zu machen. Er schließt damit konzeptionell an Foucaults Begriff der Disziplin an. 1196 Sozialleistungen werden nur dann transferiert, wenn die Adressaten oder ihre Kinder an Bildungsprogrammen teilnehmen („Learnfare“) oder ihre Arbeitskraft in Beschäftigungsprogrammen zur Verfügung stellen („Workfare“). Vgl. o.V. 1999j und 2001c. In Großbritannien und Australien heißt das entsprechende Programm „From Welfare to Work“. Vgl. Wacquant 1997; S.57. In Deutschland sieht das Sozialrecht ebenfalls gewisse Pflichten zum „Wohlverhalten“ (eigene, dokumentierte Bemühungen zur Arbeitsplatzsuche, Erscheinen bei potenziellen Arbeitgebern etc.) vor. Vgl. auch Nutt

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völkerung, deren Chance auf Integration in den Arbeitsmarkt gering und deren Arbeitskraft im Sinne der ökonomischen Verwertbarkeit als humanes Kapital1197 deshalb funktionslos ist, besteht in der „repressiven Eindämmung“1198 der Underclass in separierten Stadtteilen oder gar in Einschließungsmilieus. Das „Strafimperium“1199 greift zur Eindämmung der wachsenden Massen der städtischen Unterklasse zu repressiven Maßnahmen wie intensivierter Überwachung, der Ausweisung von Social Control Districts, der Kontrolle der Grenzen zwischen Ghetto und Zitadelle, verschärften und neu geschaffenen Gesetzen, der Abschaffung von Verwarnungen, Bewährungsfristen und anderen Toleranzen gegenüber wenig gravierenden Normübertretungen etc., sodass die Menge der Ausgegrenzten und tatsächlich Eingeschlossenen oder unter der Aufsicht der Justiz Stehenden wächst.1200 Unter diesen Bedingungen tendiert Sozialpolitik vor allem zur gesetzlichen Formulierung von Verwertbarkeits-, Zumutungs- und Verfügbarkeitsstandards unter anderem in Form von Arbeits- und damit Disziplinierungszwängen von sozial Unterprivilegierten.1201 „Aus dem ‚Krieg gegen die Armut‘ ist ein Krieg gegen die Armen geworden [...]“.1202 Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten wird dieser veränderte wohlfahrtsstaatliche Umgang mit der urbanen Underclass und die auf sie gerichteten Maßnahmen als klassischer Fall von Ausgrenzung thematisiert.

2001. Die Koppelung von Leistungen und Hilfen mit Verhaltens- oder Unterlassungspflichten ist beispielsweise auch im Zusammenhang mit der Opiatsubstitution von Heroinabhängigen bekannt. 1197 Vgl. Christopherson 1994; S.417. 1198 Vgl. Wacquant 1997; S.58 zu Tendenzen in den USA. Für Deutschland beschreiben Rusche/Kirchheimer (1981, zuerst 1939) und Pilgram 1998 diese Strategie. 1199 „Strafimperium“ nennt Wacquant (1998b; S.8; Sp.3) den niedergegangenen Sozialstaat und gleichermaßen aufgerüsteten „Strafstaat“. 1200 Mit den Mechanismen der Kontrolle der Armen am Beispiel New Yorks beschäftigt sich Nissen 1998. Bauman (1997a und 1998) beschreibt die Funktionslosigkeit der Armen und den Nutzen eines Paradigmas von „Law and Order“ zur „Bekämpfung“ derselben. 1201 Vgl. Innenstadt AG Frankfurt/M. 1998a; S.2. 1202 Wacquant 1997; S.53 und zur Kritik an dieser Form amerikanischer Strafrechtspolitik Weitekamp 1998. Die Schwierigkeiten der Sozialarbeit mit Obdachlosen und Drogenabhängigen angesichts dieser Entwicklungen beschreiben AK Streetwork 1998 sowie unter anderen Vorzeichen der Kölner Polizeidirektor Behrendes 1998 und CremerSchäfer 1997a und b.

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Man kann zusammenfassend insgesamt sechs Dimensionen von Ausgrenzung unterscheiden:1203 •







„Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt“ liegt vor, wenn den Betroffenen dauerhaft der Zugang zum ersten Arbeitsmarkt institutionell versperrt bzw. individuell verwehrt ist, sie also nicht einmal mehr zur „industriellen Reservearmee“ und damit nach den Kriterien ökonomischer Verwertbarkeit zu den „Entbehrlichen“ der Arbeitsgesellschaft gehören.1204 „Ökonomische Ausgrenzung“ liegt vor, wenn die Mitglieder einer so definierten städtischen Underclass nicht oder nur prekär in der Lage sind, im regulären System der Beschäftigung den eigenen Lebensunterhalt zu erwirtschaften, um sich oder ihre Familien zu reproduzieren. Sofern sie Transferleistungen beziehen, sind sie zwar institutionell inkludiert, jedoch nur in einer sozial als negativ definierten Position. Von „kultureller Ausgrenzung“ ist dann die Rede, wenn die Betroffenen sich nicht entsprechend der sozial anerkannten Muster, Werte und Normen verhalten. Da aber mitunter durchaus versucht wird, entsprechend dem strukturfunktionalistischen Begriff von Anomie,1205 sich mit Hilfe in der Mehrheitsbevölkerung als illegaler oder illegitim geltender Mittel Zugang zu solchen Zielen zu verschaffen bzw. durch Normübertretungen gesellschaftlichen Erwartungen zu genügen, führt kulturelle Ausgrenzung auch zu weiterreichenden Sanktionierungen. Hinzu kommt, dass eine unterstellte „Kultur der Armut“ die Benachteiligungen reproduziert, Unterprivilegierungen als selbst verursacht erscheinen lässt und dementsprechend sozialpolitisch instrumentalisiert wird. „Ausgrenzung durch gesellschaftliche Isolation“ bezieht sich sowohl auf die Identitätsbildung der Betroffenen als auch auf die Reichweite der Ausgrenzung: Isolation fördert entweder die vermeintlich „freiwillige“ Kontaktvermeidung mit der Out-Group im Form von zunehmender Vereinzelung oder die Intensivierung von Kontakten mit der eigenen In-Group, also weitere Gruppen- oder Milieubildung.1206 Im Falle der Vereinzelung sind Dissoziierungstendenzen zu

1203 Vgl. zu diesen Dimensionen Kronauer 1997; S.39ff. Siebel (1997; S.73ff.) nennt andere Dimensionen bzw. definiert und gewichtet bei Kronauer anklingende Aspekte anders: Recht (vor allem Aufenthalts- und Arbeitsrechte), Raum, Circulus-Vitiosus-Effekte, Dynamik, Diskriminierung und Stigmatisierung, Funktionslosigkeit und Selbstdefinition. 1204 Vgl. Engbersen 2004. 1205 Zum Begriff der Anomie und den darauf basierenden Theorien vgl. Lamnek 1993 (zuerst 1973); S.106ff. 1206 Vgl. auch Rust 1999.

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erwarten, sowie eine zumindest erschwerte Identifikation mit der Gesamtgesellschaft im Sinne einer Zugehörigkeit. In zweiten Fall assoziieren sich die Betroffenen untereinander und identifizieren sich mit ihrer Subkultur. „Räumliche Ausgrenzung“ bezieht sich auf bereits angerissene Segregationstendenzen im urbanen Raum.1207 Die Ausgrenzung in sozial homogenen Ghettos geht einher mit der Verengung des Bewegungs- und damit Handlungsspielraums, sodass Ausgrenzungen im Raum immer auch die Tendenz zur Selbstverstärkung in sich tragen. „Institutionelle Ausgrenzung“ schließlich meint die Abkoppelung der Funktionslosen, der Unbequemen und Randständigen aus den integrativen Institutionen, aus den Ausbildungsinstitutionen, aus der wohlfahrtsstaatlichen Arbeitsverwaltung und zuletzt aus den staatlichen und privaten Institutionen der sozialen Wohlfahrt und Versorgung.

4.2 P OLIZEIEN ALS G ARANTEN VON S ICHERHEIT S AUBERKEIT : Z WISCHEN R EPRESSION UND P RÄVENTION

UND

„Das Eindringen der Polizei in die Zivilgesellschaft kann nicht nur der eingeschränkten Anwendbarkeit auf Kriminalität und Gewalt zugeschrieben werden. In einem weiteren Sinne repräsentierte sie das Eindringen und die kontinuierliche Präsenz einer zentralen politischen Autorität im gesamten alltäglichen Leben.“ ALLAN SILVER1208

Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit spielt die Entwicklung von Polizeien eine bedeutende Rolle. Zum einen stellen die Polizeien die archetypische Institution sozialer Kontrolle in den Städten dar, sie symbolisieren und materialisieren die Autorität von Ordnungs- und Normalitätsstandards in Stadt und ihre Entwicklung wird erst vor dem Kontext der Stadtentwicklung verständlich.1209 Als exekutive Instituti-

1207 Vgl. Kap. 2.2. 1208 Silver 1967; S.12f. Übersetzung von G.L. 1209 Vgl. dazu auch Reinke (1991), der am Beispiel einer „Sittenpolizei“ des Kaiserreichs zeigt, wie die „Reinhaltung der Gegend“ eine der zentralen Aufgabenstellungen und zugleich Element des Selbstverständnisses von Polizei war. Zu Rechts- und Ordnungsvorstellungen der Polizei vgl. Liebl 2003.

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onen sind sie Dispositive eines kriminologischen Diskurses, der die Risiken des Stadtlebens betont. Zum anderen wird davon ausgegangen, dass sich im Zuge der angedeuteten Strukturveränderungen in den Städten, aber auch im Hinblick auf die Konzepte sozialer Kontrolle, Aufgaben und Strukturen der Polizeien ändern bzw. diversifizieren. Überwachten die öffentlichen Polizeien des 20. Jahrhunderts lediglich die bürgerliche Ordnung der modernen Stadt, so greifen sie heute aktiv in die Gestaltung des sozialen Zusammenlebens ein und animieren auf diese Weise urbanes Leben. Im Folgenden ist von drei unterschiedlichen Polizeien die Rede: Zum Ersten von den „öffentlichen Polizeien“, also von Polizeien, deren Tätigwerden auf öffentlichem Recht beruht und die eindeutig dem Staat zugeordnet sind. Dazu gehört der klassische Polizeivollzugsdienst ebenso wie die Bundespolizei (ehemals BGS) und städtische Ordnungsdienste. Von privaten Polizeien wird zum Zweiten im Zusammenhang mit sogenannten „privaten Sicherheitsdiensten“ gesprochen. Sie unterstehen dem Privatrecht und agieren im Auftrag von Privatpersonen. Die dritte Kategorie stellt eine Mischform der Erstgenannten dar: In einigen Städten haben sich Public-Private-Partnerships aus öffentlichen Polizeien, Bürgern und privaten Sicherheitsdienstleistern gebildet, die durch gemeinsame Streifentätigkeit, Fallbearbeitung, Strategieentwicklung etc. versuchen, die Sicherheit und Sauberkeit der Innenstädte zu gewährleisten. Allen drei Polizeitypen ist gemeinsam, dass sie in den Städten mittels spezifischer Interventionen Sicherheit und Sauberkeit erhalten oder wiederherstellen sollen – jeweils mit anderen Schwerpunkten, Einsatzgebieten, Strategien, Ausbildungen, Ausrüstungen und rechtlichen Befugnissen. Insofern wird hier von einem funktionalen Polizei-Begriff ausgegangen, nicht von einem juristischen. Die Entstehung der Polizei im heutigen Sinne fällt nicht zufällig in die Epoche des exponentiellen Wachstums der Städte in der Frühphase der Industrialisierung. Mit dem starken Wachstum der urbanen Bevölkerung, die sich wegbrechender Existenz- und Reproduktionsmöglichkeiten auf dem Land verdankte und mit der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen in den Städten verbunden war, wurden die gewachsenen Strukturen der oftmals noch mittelalterlich strukturierten Städte bezüglich ihres Raumangebotes, aber auch ihrer Infrastruktur der Ver- und Entsorgung überfordert.1210 Diese Überforderung bezog sich auch auf die soziale Kontrolle des urbanen Raums und der in ihn strömenden Massen, insofern als mit tradierten Mitteln die für das städtische Leben und die Erhaltung der staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung notwendige Disziplin nicht mehr hergestellt bzw. aufrecht erhalten werden konnte. Disziplin ist dabei

1210 Vgl. Sälter 2002 zum Beispiel Paris und Silver 1967.

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„[...] der Machtmechanismus, über den wir den Gesellschaftskörper bis hin zum kleinsten Element, bis hin zu den sozialen Atomen, also den Individuen zu kontrollieren vermögen. Es handelt sich um die Techniken der Individualisierung von Macht. Wie kann man jemanden überwachen, sein Verhalten und seine Eignung kontrollieren, seine Leistung steigern, seine Fähigkeiten verbessern? Wie kann man ihn an den Platz stellen, an dem er am nützlichsten ist? Darum geht es bei der Disziplin.“1211

Die „Ordnungsmacht“ des Militärs und die seit dem Ancien Régime sich entwickelnde wohlfahrtsstaatliche „Policey“ waren sowohl strategisch, als auch bezüglich der Ausbildung und Ausrüstung der Situation und der Aufgabe, Disziplin herzustellen, nicht in ausreichendem Maß gewachsen. So drohten in vielen Quartieren der Städte dieser Phase Chaos, Unordnung, Kriminalität, Aufstände, Krankheit, Verfall, Unsicherheit, Unsauberkeit.1212 Es bieten sich zwei Strategien an, diese Disziplin herzustellen: Zum Ersten muss Raum kontrolliert werden (z.B. durch Streifentätigkeit) und zum Zweiten müssen die in die Stadt strömenden Individuen „Disziplinarräumen“ zugeordnet werden, in denen der ungeordnete Aufenthalt, die unkontrollierte Bewegung, die spontane Versammlung, das „Herumstreunen“ oder das unerlaubte Entfernen oder der Zuzug weiterer Personen unmöglich oder zumindest kontrolliert und erschwert ist.1213 Insofern ist polizeiliche Arbeit immer eine raumbezogene Kontrolltätigkeit. Die öffentlichen Polizeien als Organe des staatlichen Gewaltmonopols haben die Aufgabe, die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne einer Gefahrenabwehr und Strafverfolgung präventiv aufrecht zu erhalten und gegebenenfalls wiederherzustellen.1214 Polizei ist in „polizierten Gesellschaften“ gekennzeichnet durch das Vorhandensein einer zentralstaatlichen Macht, sie ist bürokratisch organisiert, sie ist professionell ausgebildet und erhebt den Anspruch auf die Ausübung des physischen Gewaltmonopols.1215 Das sichert ihre Effizienz und Legitimität. Aus governementalitätstheoretischer Sicht ist wesentlich, dass mit der Entstehung der modernen Polizei erstmals eine zentrale politische Autorität im Alltagsleben der Städter auftritt, ihre Kontrolle verkörpert und sicherstellt: „Das Eindringen der Polizei in die Zivilgesellschaft kann nicht nur der eingeschränkten Anwendbarkeit auf Kriminalität und Gewalt zugeschrieben werden. In einem weiteren Sinne repräsen-

1211 Foucault 2005; S.233. 1212 Vgl. Silver 1967, der die Rolle der Polizei als Mittel der Aufstandsbekämpfung unterstreicht, und Kap. 5.2. 1213 Vgl. Ruoff 2007; S.105. 1214 Vgl. zu präventiven Strategien unter anderem Bannenberg 2003. 1215 Vgl. Silver 1967; S.6ff., der auch den Begriff der „polizierten Gesellschaft” (Übersetzung von G.L.) verwendet.

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tierte sie das Eindringen und die kontinuierliche Präsenz einer zentralen politischen Autorität im gesamten alltäglichen Leben.“1216 Dazu müssen sich Polizei und polizeiliches Handeln im Einklang mit dem moralischen Konsens der Gesellschaft bewegen. Insofern erfordert die Polizierung der Gesellschaft notwendigerweise die „moralische Kooperation“1217 mit dem Sozialen. Gelingt diese Kooperation, ist eine kontinuierliche und enge Kontrolle des alltäglichen Lebens der Städter möglich. Insofern gehören Polizeien, die sich auf diese Kooperation berufen können, zu den wesentlichsten Institutionen urbaner Sozialkontrolle. Betrachtet man den Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Städten unter der Annahme der moralischen Kooperation, so erscheint die Ausgrenzung der problematisierten Gruppen nur dann legitim und Erfolg versprechend, wenn Polizei das operativ umsetzt, was in der Bevölkerung gemessen an moralischen Maßstäben Konsens ist. Besteht dieser Konsens in dem Wunsch, solche Gruppen aus dem öffentlichen Raum zu verbannen, können entsprechende polizeiliche Maßnahmen legitimerweise ergriffen werden. Im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert war die Aufgabenstellung der entstehenden Polizeien noch breiter gesteckt.1218 Im Laufe der Entwicklung hat eine funktionale Differenzierung, die im Wesentlichen zurückgeht auf qualitative wie quantitative Anforderungen im operativen Geschäft der Polizei, zu einer Ausdifferenzierung von Sondereinheiten und Spezialpolizeien (Bundespolizei, diverse SEK und MEK) mit je eigenständig definierten Aufgaben, Ausbildungen, Ausrüstungen etc. geführt.1219 Es wird konstatiert, dass bei den Großstadtpolizeien heute ein Trend zu beobachten ist, neben der Polizei auch andere Institutionen und Organisationen in die soziale Kontrolle der Innenstädte einzubinden, wobei die öffentlichen Polizeien die Aufgaben der Gefahrenabwehr und Her- und Sicherstellung von Sicherheit und Ordnung behalten, unterhalb dieser verfassungsrechtlich gesetzten Grenze aber eine Vielzahl anderer Akteure im urbanen Raum tätig werden.1220 Die öffentlichen Poli-

1216 Silver 1967; S.12f. Übersetzung von G.L. 1217 Silver 1967; S.14. Zum Verhältnis von Polizei und Moralurteilen Herbert 1998. 1218 Mit der „Allzuständigkeit“ der Polizei im Sinne einer „Policey“ als allgemeiner Ordnungsmacht des Ancien Régime beschäftigt sich unter anderem Reinke (1992) am Beispiel der rheinischen Großstädte vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Vgl. auch Härter 2002, Pankoke 1986 und Sälter 2004. Auch Hunter (1995; S.217ff.) sieht die ursprüngliche Aufgabe der Polizei als reaktivem Instrument und öffentlicher Agentur sozialer Kontrolle in der Ordnung des gesamten öffentlichen Einflussbereiches. Vgl. auch Kap. 5.2. 1219 Vgl. zur Entwicklung der Polizei in Deutschland Winter 2003. 1220 Vgl. z.B. Hermann/Laue 2003 oder Bigo 1996.

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zeien selbst reorganisieren sich, bilden Schwerpunktwachen1221 (z.B. an gefährlichen Orten), gliedern Einheiten und Fachpersonal aus (z.B. Kontaktbereichs-1222 und Jugendbeamten,1223 städtische Ordnungsdienste), entwickeln und erproben neue Strategien, beraten Anwohner und Geschäftsinhaber,1224 engagieren sich in Gremien der Jugendwohlfahrt und der Prävention (z.B. in Kriminalitätspräventionsräten) sowie der Stadtplanung1225 (Stadtplanungsausschüsse, Wirtschaftsförderungsinstitutionen) und -gestaltung. Auf diese Weise setzen sie sich reflexiv mit einer vermeintlichen, von den bekannten Personen und Gruppen ausgehenden Bedrohungslage oder Störungspotenzialen auseinander und gestalten damit urbanes Leben.1226 Im Hinblick auf den Bereich der Innenstädte ist von einem umfassenden „Sicherheitsmanagement“ die Rede. Dazu gehört auch, dass andere öffentlich-rechtliche Stellen und Behörden in den Innenstädten, als „besondere Vollzugsdienste“ den Ordnungsämtern unterstellt, mit dem Anspruch tätig werden, Sicherheit und Sauberkeit, kurz: Ordnung, zu gewährleisten und damit zur urbanen Sozialkontrolle beizutragen. Außerdem übernehmen private Sicherheitsdienstleister (PSD) Kontrollfunktionen in den Städten, einerseits im öffentlichen Raum der „Konsummeilen“, andererseits aber auch in den privatisierten Räumen der Malls, Themenparks und privatisierten ehemals öffentlichen Räumen. Unter dem Anspruch, Kontrollfunktionen an die Gesamtgesellschaft zurückzugeben, arbeiten die öffentlichen Polizeien verstärkt mit privaten Organisationen zusammen, seien es „neue Vigilan-

1221 In Wuppertal wurde in den neunziger Jahren zwischen Bahnhof und Fußgängerzone eine neue Wache zur besonderen Überwachung der sich dort aufhaltenden Gruppen, vermutlich aber auch zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls der Passanten, eröffnet. Vgl. für Köln Damm 1998b. 1222 Vgl. zu den Kontaktbereichsbeamten (KoB) Hausmann/Hornbostel 1994 und 1995. 1223 Vgl. Schwinghammer 1980. Zum Verhältnis von Polizei und Jugend vgl. Breyvogel 1998, Frehsee 1998, Jünschke 2001 und Kersten 1998. 1224 Vgl. o.V. 1997c. 1225 Laut Davis (1994a; S.272) ist das Los Angeles Police Department in jedem Planungsausschuss eines größeren Stadterneuerungsprojektes vertreten. Vgl. auch Ehrsam/ Eichhorn/ Heitmann/Safak/Wieder 1998 und für ein Beispiel Meurer 2003. 1226 An dem umstrittenen Hamburger Drucksachenentwurf zur „drohenden Unwirtlichkeit der Städte“ kann man exemplarisch verfolgen, wie polizeiliche Handlungsstrategien bezogen auf den öffentlichen Raum gezielten politischen Handlungsanweisungen folgen, die die Vertreibung unerwünschter Gruppen beabsichtigen. Vgl. Hauer/Peddinghaus 1997 und Fn.126.

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ten“1227 (als „Sicherheitspartner“ oder „Sicherheitswachten“) oder die „intakten Gemeinschaften“ der Nachbarschaften (in den „Neighborhood Watch Programs“). Außerdem arbeiten die öffentlichen Polizeien im Zuge der skizzierten Entwicklungen in den Städten auch mit privaten Sicherheitsdiensten (z.B. im Rahmen sogenannter „operativer Gruppen“) in den Innenstädten zusammen. Auf diese Weise institutionalisieren sich mehr oder minder straff organisierte Gruppen und leisten funktional einen Beitrag zur sozialen Kontrolle der Städte. Hubert Beste hat die Kennzeichen der „neuen Formen urbanen Polizierens“ als „Ansätze städtischer Ordnungssicherung“1228 in 13 Punkten zusammengefasst:1229 1. Hoheitliche Aufgaben werden auf dem Wege der „Beleihung“ an Privatpersonen (i.d.R. Angehörige von privaten Sicherheitsdiensten) übertragen. Dies betrifft insbesondere die Überwachung des ruhenden Verkehrs. 2. Der öffentliche Raum wird zunehmend durch die Kommunen auf dem Weg des Erlasses von Gefahrenabwehrverordnungen oder Sondernutzungssatzungen reglementiert. Die darin definierten Ordnungswidrigkeiten richten sich auf Verhaltensweisen, die bestimmten Randgruppen zugeordnet werden.1230 3. Sogenannte „hybride“, also halböffentliche Räume breiten sich aus, was ein gleichermaßen „hybrides Policing“ dieser Räume ermöglicht, weil dort soziale Kontrolle sowohl über das Hausrecht des Eigentümers bzw. Betreibers als auch durch Interventionen der öffentlichen Polizeien möglich sind. 4. Öffentliche Räume werden durch die Errichtung von Einkaufszentren, Ladenpassagen, Erlebnisparks etc. privatisiert und kommerzialisiert. Das Hausrecht üben die privaten Betreiber aus. 5. Im öffentlichen Raum werden profitorientierte Sicherheitsdienste im Auftrag von Geschäftsinhabern ohne besondere Rechtsgrundlage tätig. Bei dieser „wilden“ Kommerzialisierungsvariante berufen die Akteure sich auf die sogenannten „Jedermannrechte“,1231 die zu Regeleingriffsbefugnissen überhöht werden. 6. Befugnisse des Polizeivollzugsdienstes werden durch die Wiedereinführung einer genuin städtischen Polizei in Form von Ordnungsdiensten rekommunalisiert. In vielen Großstädten existieren uniformierte Ordnungsdienste,1232 die den

1227 Vigilanten galten in demokratischen Systemen lange Zeit als politisch wie sozial unerwünscht, werden aber unter heutigen Bedingungen offensichtlich sowohl von staatlicher wie von gesellschaftlicher Seite höher geschätzt. Vgl. auch Eisfeld 2004. 1228 Beste 2003; S.288. 1229 Vgl. Beste 2000b, S.66f., 2001 und 2003; S.288f. 1230 Vgl. Kap. 4.4. 1231 Vgl. o.V. 1997r. 1232 Vgl. für Köln Crumbach 2001, o.V. 2001f. und Schürmann 2001.

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Ordnungsämtern unterstellt sind und die (teilweise in Kombination mit der Schutzpolizei) als „Raumpolizei“ agieren. 7. Der ehemalige Bundesgrenzschutz wurde zur Bundespolizei mit erweiterten Befugnissen aufgewertet und agiert nicht mehr ausschließlich an Verkehrsknotenpunkten wie Bahnhöfen und Flugplätzen, sondern auch im Rahmen der „Aktion Sicherheitsnetz“1233 und diverser „Sicherheitspartnerschaften“ in enger Kooperation mit anderen Akteuren im Bereich der Innenstädte.1234 8. Schutzpolizei und private Sicherheitsdienste kooperieren formell (also vertraglich gesichert, z.B. im Rahmen des „3-S-Konzeptes“ der DB AG1235) wie informell auf Alltagsebene über persönliche Kontakte verstärkt miteinander. Eine gesicherte Rechtsgrundlage für solche Kooperationen existiert nicht. 9. Ein umfassendes „Sicherheitsmanagement“ sieht vor, die Polizeien und ihre spezifischen Kenntnisse und Erfahrungen systematisch in die städtische wie stadtteilbezogene Sicherheitspolitik zu integrieren.1236 Zu entsprechenden Institutionen zählen Präventionsräte, in denen teilweise auch private Sicherheitsdienstleister mitarbeiten.1237 10. Bürger werden zur Sicherung und Herstellung sozialer Kontrolle in den Städten herangezogen. Dies umfasst die Einrichtung von Nachbarschaftswachen sowie die Schaffung von Bürgerwehren.1238 11. Die Festivalisierung und Kommerzialisierung der Innenstädte kann bereits als Beitrag zur Polizierung des Raums verstanden werden, weil durch sie bestimmte, nicht-kommerzielle Nutzungen der Innenstädte zurückgedrängt werden.1239 12. Es werden kommunitaristische Präventions- und Sicherheitskonzepte, die alle relevanten städtischen Instanzen versammeln, etabliert. Dabei werden auch Behörden in die Prozesse urbaner Sozialkontrolle integriert, die traditionell eher „kriminalitätsfremde“ Aufgaben wahrnehmen, z.B. Schul-, Jugend- und Gesundheitsämter. Durch eine entsprechende Sozialarbeit sollen Bürger aktiviert werden, sich vor Ort in diese Gremien einbinden zu lassen.1240

1233 Vgl. Kant/Pütter 1998 und Weiland 1998. 1234 Vgl. o.V. 2001s und 2000j. 1235 Vgl. Ronneberger/Lanz/Jahn 1999; S.144ff. 1236 Vgl. Blankenburg 1994 und 1996. 1237 Vgl. Kap. 4.2.3. 1238 Vgl. Kap. 4.2.3. 1239 Vgl. Kap. 5.3. 1240 Vgl. z.B. Autschbach/Schulz zur Wiesch/Schumann/Siebert 1998. Dabei spielt das Konzept des „Empowerment“ eine zentrale Rolle. Vgl. Fn.768, 821 und Kap. 4.2.3.

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13. Durch die Einführung einer intensivierten Videoüberwachung sollen als gefährlich eingestufte Räume kostengünstig kontrolliert werden, um die Prävention wie Aufklärung von Ordnungsverstößen zu verbessern.1241 Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten wird insgesamt davon ausgegangen, dass sich im Zuge der angesprochenen Veränderungen im Verhältnis von Staat und Gesellschaft urbanes Polizieren wandelt, in der Tendenz ehemals gesellschaftliche Kontrollfunktionen verstaatlicht werden, gleichzeitig aber auch staatliche Ordnungsfunktionen vergesellschaftet werden. Die beschriebenen Maßnahmen (aufkommendes Vigilantentum, die Privatisierung sozialer Kontrolle,1242 die Popularisierung bürgernaher Polizeiarbeit etc.) werden als „Policing as Governance“1243 verstanden, wobei in diesem Begriff sowohl die disziplinierende Funktion intervenierender Polizeien wie die Selbststeuerung der Städter im Rahmen einer distanzierten „Regierung über Distanz“ mitgedacht ist. Der Staat zieht sich aus der Aufgabe urbaner Sozialkontrolle teilweise zurück, in dem er die Autonomie und Gestaltungsfreiheit im Sinne einer Selbststeuerung und Individualisierung der Sicherheitspolitik durch private Initiativen anerkennt und stärkt. Gleichzeitig beteiligt sich Polizei in urbanen Institutionen, in denen man sie nicht vermuten würde. Von Interventionen in den Innenstädten und einer zunehmenden Kontrolldichte in den Wohnvierteln profitieren die Akteure entsprechend: Die Polizei verbessert ihr Image über sinkende Anzeige- und gegebenenfalls verbesserte Aufklärungsquoten in der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), dem polizeilichen Tätigkeitsbericht.1244 Zudem werden öffentliche Mittel eingespart. Einzelhandelsverbände sowie Hotelund Gaststättenbetreiber werden politisch aufgewertet. Die Sicherheitsindustrie und das entsprechende Dienstleistungsgewerbe boomen. Multinationale Kaufhaus- und Ladenketten und Projektentwickler, also solche Gruppen, die die Entwicklung der westlichen Innenstädte qua Kapital und politischem Einfluss zumindest mitbestimmen, profitieren ebenfalls ökonomisch stark.

1241 Vgl. Kap. 3.3.2.3 und 3.4.3. 1242 Vgl. Newburn 2001, Rigakos 2002 und South 1995, die von der „Kommodifizierung“ sozialer Kontrolle sprechen. 1243 Vgl. Shearing 1995 sowie Beste 1997; S.193. 1244 Zur Rolle der PKS bei der polizeilichen Selbstdarstellung, aber auch der öffentlichen Bedrohungswahrnehmung, vgl. Lehne 1996, aber auch Beste (1997; S.192), der die Nützlichkeit der Verknüpfung von Personengruppen (z.B. Drogenabhängigen, Ausländern) mit bestimmten Deliktklassen angesichts relativer polizeilicher Machtlosigkeit und die anschließende besondere Überwachung und Repression dieser Gruppen darstellt. Vgl. zur PKS auch Munier 2001a und Rügemer 2000.

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Insofern ist die „Krise“ des urbanen (Standard-)Kontrollmodells und damit auch die „Krise“ des öffentlichen Raums (als Verschwinden desselben) zugleich auch eine Krise der öffentlichen Regierungsform. Das Staatliche wird ersetzt, ergänzt oder dominiert durch Privates: Eigentum, Unternehmen, Initiative.1245 Da diese Veränderungen und die damit verbundenen Maßnahmen stärker auf die politisch wie ökonomisch weniger Mächtigen treffen, die als sozial Unerwünschte aus den Innenstädten, die ja einmal zentraler Ort der räsonnierenden Öffentlichkeit waren, entfernt werden, ist die Rede von der „Demokratisierung sozialer Kontrolle“ durch die „Rückgabe von Kontrollfunktionen an die Gesamtgesellschaft“ hochgradig ideologisch aufgeladen.1246 Es wird davon ausgegangen, dass die Leitdifferenz zwischen situativer wie sozialer Prävention und operativen Maßnahmen mit Eingriffscharakter erodiert, wo unter der Zielsetzung städtischer Sicherheit und Sauberkeit die Ausgrenzung Unerwünschter betrieben wird.1247 4.2.1 Öffentliche Polizeien „Und sie (einige frühe Beobachter der metropolitanen Polizeien; G.L.) betonen zudem die Macht der Polizei über Massenunruhen, die nicht nur von einer überlegenen Organisation und der rationalen Anwendung ihrer Stärke herrührt, sondern zudem von ihrer Präsenz als den offiziellen Repräsentanten der moralischen Ordnung im Alltagsleben.“ ALLAN SILVER1248

1245 Am Beispiel der öffentlichen Parks und Grünanlagen erläutert Siegel (1995) eine konservative Sicht auf diese „Krisen“: Nachdem das „demokratische Experiment“ der „progressiven Ära“, die „Olmstedt’schen Vision“, allen städtischen Gruppen Raum zu bieten, durch exzessiven „Missbrauch“ gescheitert sei und die „gefährlichen Klassen“ den öffentlichen Raum erobert hätten und mit Angst und Schrecken überziehen, wehren sich private Initiativen aus den Mittelschichten gegen diesen Missbrauch. In der Nähe der innerstädtischen Geschäftsbezirke („Business Improvement Districts“) werden Parks gekauft und privatisiert, Patenschaften übernommen, Zäune, Barrieren und andere physische Zugangsbeschränkungen errichtet, um die „progressive Vision“ der Benutzbarkeit des Parks für die Bürger wieder zu etablieren. Die urbane Underclass wird so von der Nutzung ehemals öffentlichen Raums ausgeschlossen, der exklusive Charakter der öffentlichen Anlagen und Räume festgeschrieben. 1246 Vgl. Beste 1997; S.193. 1247 Vgl. Rada 1997a; S.178. 1248 Silver 1967; S.14; Übersetzung von G.L.

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Die Geschichte der öffentlichen Polizeien als urbaner Ordnungsmacht ist eng mit der Urbanisierung während der Industrialisierung verbunden.1249 Ihre Genealogie oszilliert dabei von der Allzuständigkeit der „Policey“ nach dem Muster des Ancien Régime über das Bild der „feinen Linie zwischen Recht und Unrecht“1250 in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur ersten demokratisch legitimierten Polizei der Weimarer Republik und der totalitären „Gesinnungspolizei“ im Nationalsozialismus hin zu den demokratisch legitimierten, rechtsstaatlich gebundenen Organen des staatlichen Gewaltmonopols heutiger Zeit.1251 Die Aufgabenstellungen der jeweiligen polizeilichen Ordnungsregimes waren ebenso unterschiedlich. Sie reichten von der Aufruhrprävention in den ersten industriellen Agglomerationen über Aufgaben der Fürsorge bezüglich des Erziehungs-, Familienwohlfahrts-, Bau-, Umwelt- und Gesundheitswesens über die Ermittlung und Vernichtung von Minderheiten und Oppositionellen hin zum traditionellen „Crime-Fight“ und „Thief-Taking“ einer Polizei, die sich nicht mehr nur als exekutiver Arm des Staates, sondern als „Freund und Helfer“ und neuerdings sogar als „Partner des Bürgers“, als „öffentlicher Dienstleister“ versteht.1252 Die rechtlich codierten Aufgaben der Polizei sind die Gefahrenabwehr und die Strafverfolgung. Im Zuge der Ausdifferenzierung des ordnungspolitischen Apparates sind einige dieser Aufgaben an andere kommunale Behörden abgegeben worden, weitere sind hinzugekommen. Insofern wird im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit ein weiterer Begriff der öffentlichen Polizei verwendet, in den auch

1249 Vgl. Sälter 2002. Hier werden nur solche Entwicklungen referiert, die sich auf die Polizei als Ordnungsmacht in den Städten beziehen. Zu den Unterschieden ruraler und urbaner Polizeiarbeit vgl. Cain 1971 und Wein 1995. 1250 Das Bild der feinen blauen Linie zwischen Norm und Normübertretung wird Sir Robert Peel, der 1829 die London Metropolitan Police als erste Großstadtpolizei gründete, zugeschrieben. 1251 Vgl. allgemein zur Soziologie der Polizei Endruweit 2003, Feltes 1997, Haselow 2003, Korell 1995, Lange 2003, Ohlemacher 2003, Reichartz 2003 und Reinke 2001. Zur Polizeikultur vgl. Behr 2003, zum Verhältnis Polizei und Medien Frevel 2003 und zu Veränderungen der Polizeiorganisation und Verwaltung McLaughlin/Mutji 2001 sowie Lange/Schenk 2003. Zu einer systemtheoretischen Interpretation von Polizei vgl. Vogl 2002, zur Wirklichkeitskonstruktion von Polizei vgl. Pilgram 2001. 1252 Vgl. zur Polizeientwicklung anhand von Policeygesetzen Härter 2002. Die aktuellen Aufgaben der Polizei sind dem ständig wachsenden Polizeiaufgabenrecht zu entnehmen. Vgl. zu Rechts- und Ordnungsvorstellungen der Polizei Liebl 2003, zum „Polizeirecht“ und dessen Entwicklung zu einem „Sicherheitsrecht“ Prümm 1997.

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städtische Ordnungsdienste1253 eingeschlossen sind, die auch öffentlich-rechtlich kontrolliert sind und ebenfalls der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten dienen sollen. Typisch für öffentliche Polizeien in einem Rechtsstaat ist eine hoch spezialisierte und professionalisierte Ausbildung, die genaue rechtliche Vorgabe eines Aufgabenfeldes und die Kontrolle über polizeiliche Arbeit1254 sowie die Orientierung am „Gemeinwohl“. Diese Kennzeichen fehlen privaten Polizeien. In der Aufgabenstellung der öffentlichen Polizeien sind die Aufrechterhaltung von Ordnung und die Orientierung am Gemeinwohl so miteinander verbunden, dass eine Störung einer Ordnung durch problematisierte Gruppen und das ihnen zugerechnete Verhalten zugleich als Störungen des Gemeinwohls erscheinen, wobei Gemeinwohl als moralischer Standard der Mehrheit der Städter definiert wird. Werden die räumlichen Grenzen, die dieser moralischen Differenz entsprechen, verletzt, wird Polizei als exekutiv verlängerter Arm der Mehrheitsbevölkerung tätig: „Man kann vermutlich drei Stufen dieser Entwicklung ins Auge fassen: Eine, in der die Wohlhabenden oder Respektablen oft in einer unvorstellbaren Nähe zu Verbrechen und der Bedrohung durch Aufstände oder dem Pöbel lebten; eine Zweite, in der diese Gruppen sich erfolgreich insulierten – räumlich, durch Umgruppierung in und außerhalb der Stadtzentren sowie organisationell durch die Polizei; und eine Dritte, in der das Eindringen in diese Grenzen eine Reaktion auslöst, die vor dem Hintergrund früherer Jahre als exorbitant anzusehen ist.“1255

In den öffentlichen Polizeien lassen sich dementsprechend widersprüchliche Trends beobachten, die sich – gleichsam als Spiegelbild der allgemeinen Debatte um soziale Kontrolle – einerseits als Aufrüstung, andererseits aber gleichzeitig als Ab- bzw. Umrüstung verstehen lassen: Aufrüstung meint dabei die Erhöhung der Kontrolldichte (im Sinne eines Net-Widening und Mesh-Thinning)1256 in den Innenstädten. Dazu gehört die Ausdifferenzierung und Spezialisierung von „Sonderpolizeien“ wie eben städtischen Ordnungsdiensten, organisatorische Maßnahmen zur Ermöglichung von Streifentätigkeit in den Innenstädten, der Einsatz verdeckter Ermittler, die Nutzung von Videoüberwachung sowie der Rückgriff auf und die Ausschöpfung eigens geschaffener rechtlicher Möglichkeiten zur Beseitigung von Störungen (z.B. Platzverweise, Aufenthaltsverbote, Verbringungs- und Präventivgewahrsam)

1253 Vgl. zu diesen Ordnungsdiensten z.B. Antifa-KOK 1998, Bonner Forum 1998, Lange 1998 und o.V. 2001ab. 1254 Vgl. zur Kontrolle der Polizei Lehne 2001a. 1255 Silver 1967; S.21. Übersetzung von G.L. 1256 Vgl. Fn.788.

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in den Innenstädten oder auch in insulierten Vierteln der „Wohlhabenden“. Abrüstung der Polizei meint einerseits die Abgabe originär polizeilicher Aufgaben (also auch die Gewährleistung von Sicherheit und Sauberkeit in bestimmten Arealen der Stadt sowie die allgemeine Gefahrenabwehr) vor allem an private Sicherheitsdienste (PSD), zugleich aber auch die Kooperation mit diesen in sogenannten Operativen Gruppen (OG), aber auch die informelle Ablehnung bestimmter Aufgaben, z.B. der relativ ineffizienten Verfolgung von Kleinstkriminalität, Drogenabhängigen und Ladendieben. Hinzukommt eine abnehmende Kontrolldichte in weniger wohlhabenden Wohngegenden, obwohl dort tatsächlich die höchste Kriminalitätsbelastung herrscht.1257 Umrüstung schließlich meint im Anschluss an die reflexive Wende von der schieren Kriminalitätskontrolle zu einem umfassenden Sicherheitsmanagement und einer dementsprechenden Abkehr vom Einwirken auf Devianz schlechthin oder devianter Verhältnisse im Allgemeinen die intensivierten Bemühungen, das Sicherheitsempfinden der Bürger zu stärken, wenn schon die eigentliche Sicherheitslage durch polizeiliche Intervention kaum beeinflussbar scheint.1258 Solche Maßnahmen der Umrüstung zu einer weiteren Form gemeindenaher Polizeiarbeit zeigen sich in Kooperationen mit Gremien der Prävention (Kriminalitätspräventionsräte und Neighborhood Watch Programs) und der allgemeinen Beratung von Hilfesuchenden. Die Thematisierung öffentlicher Polizeien und ihrer Interventionen im urbanen Raum zeigt zumindest vier Trends auf, die sich auch den Entwicklungen urbaner Sozialkontrolle verdanken, diese aber zugleich selbst mit beeinflussen. Der erste Trend bezieht sich auf die Popularisierung und Intensivierung der sogenannten gemeindenahen Polizeiarbeit („Community Policing“),1259 die von der Polizei in Eigenregie betrieben wird, z.B. wo es um den verstärkten Einsatz von zivilen und uniformierten Streifen, die Spezialisierung und Ausrüstung spezieller Einheiten oder die Implementierung von Kontaktbereichsbeamten und Jugendpolizisten in die urbane Lebenswelt geht. Zugrunde liegt die Erkenntnis, dass „Probleme im Bereich polizeilicher Gefahrenabwehr [...] sich also gezwungenermaßen

1257 Zum Verhältnis von Polizei und Armen vgl. Beste 1998, Polizei und Obdachlosen Fopp 2001, Polizei und Randgruppen Golla 1998a sowie Polizei und Migranten Heuer 1998a und o.V. 2001aa. 1258 Vgl. Kreissl 1997a und b sowie Kap. 3.3.1. 1259 Vgl. zum Community Policing bzw. zur „bürgernahen Polizeiarbeit“ vor allen die Beiträge in Dölling/Feltes 1993 und DStGB/GdP 1998 sowie Fehervary 1996, Feltes 1996, Füller 1997, Funk 1999, Hohmeyer 1999a, Jäger 1993, 1996 und 1998, Jentsch 1998, Klinenberg 2001, Lederer 1999, Legge 1994; S.26ff., Lentze 1998, Pollard 1998, Prätorius 2003, Pütter 1999a und b, Sadd/Grinc 1997, Skogan 1998 und international vergleichend Wong 2000.

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immer dann (ergeben, G.L.), wenn Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte nur auf die eigenen Deutungsmuster zur Erklärung der Handlungs- und Verhaltensweisen des polizeilichen Gegenübers zurückgreifen können.“1260 Deshalb wird die enge Kooperation mit den Bürgern gesucht, z.B. wo es um die Initiierung von Kriminalitätspräventionsräten, von Neighborhood Watch Programs, Sicherheitswachten oder die Beratung von Geschäftstreibenden oder Privathaushalten geht, um an deren Deutungsmuster anschließen zu können. Urbane Sozialkontrolle diffundiert so tief in die urbane Gesellschaft hinein und bezieht Bürger aktiv in die polizeiliche Kontrolltätigkeit ein.1261 Doch die öffentlichen Polizeien, die in Stadt tätig werden, bestehen nicht aus der „grünen Polizei“, auch andere behördliche Dienste nehmen Ordnungsfunktionen im öffentlichen Raum wahr: In vielen Städten existieren „besondere Vollzugsdienste“,1262 die, gestützt auf Straßenbenutzungsordnungen, allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetze1263 und interne Dienstanweisungen, an der Kontrolle von Sicherheit und Sauberkeit im Bereich der Innenstädte maßgeblich beteiligt sind. Diese Trends der Entwicklung in der Arbeit öffentlicher Polizeien werden als Reaktion auf eine veränderte sozioökonomische und sozialstrukturelle Situation der Städte und als eine Folge reflexiver Modernisierung1264 der Polizeiarbeit interpretiert. Unter gemeinde- oder bürgernaher Polizeiarbeit („Community Policing“)1265

1260 Werner 2004; S.17. 1261 Vgl. Franz 2000 und Kap. 3.3.2.2. Die empirischen Ergebnisse sind dabei – wie bei denen der Videoüberwachung (vgl. Fn.842) – enttäuschend. Auch die Evaluation von Mason (2009) zeigt, dass erhoffte Verbesserungen im Bereich des Crimefight nicht signifikant nachweisbar sind. 1262 Besondere Vollzugsdienste werden unter Aufsicht der jeweiligen Ämter für Öffentliche Ordnung und Soziales z.B. in Kassel oder Krefeld tätig. Vgl. dazu Brunst 1997c, g und h, sowie Lewandowski/Groß 1998. In anderen Städten, z.B. auch in Wuppertal, nennen sich solche Dienste „City-Service-Teams“. In Lippstadt hat der Besondere Vollzugsdienst den bildlichen Namen „LASSO“: Lippstädter Aktion für Sicherheit, Sauberkeit und Ordnung. Vgl. Such 1998. Rekrutiert werden die Mitarbeiter nicht selten aus der Gruppe der Langzeitarbeitslosen, damit diese weiterhin Transferleistungen beziehen können („Workfare“). Fraglich ist, ob diese Gruppe die Moralvorstellungen der etablierten Mittelschichten transportiert. 1263 Z.B. das Hessische HSOG, das Berliner ASOG oder das Hamburger SOG. 1264 Vgl. Beck 1994 sowie speziell zur Polizeientwicklung in der „Risikogesellschaft“ Ericson/Haggerty 1997. Vgl. auch Johnston 1997. 1265 Erste empirische Ergebnisse einer Evaluation des Community Policing legen z.B. Sadd/Grinc (1997) vor. Allgemeines über das von den USA über Skandinavien nun in Deutschland vermehrt implementierte Konzept des Community Policing ist dem Sam-

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versteht man die polizeiliche Hinwendung zur Alltagswelt der Bürger, zu den gemeinschaftlichen Bezügen in Stadt. Die zu kontrollierenden Städter werden dadurch in den Prozess urbaner Sozialkontrolle (re-)integriert, wobei die Kontrolltätigkeit sich nicht nur auf die so Integrierten richtet, sondern auch auf diejenigen, die von der Mehrheit der Städter als randständig angesehen werden und insofern von Desintegration bedroht sind. Die Konzentration polizeilicher Tätigkeit auf diese „Risikopopulation“ wird unter dem Stichwort „Policing the Poor“ behandelt.1266 Im Zuge der Zentralisierung der polizeilichen Aufgabenwahrnehmung in den vergangenen Jahrzehnten kam es – so die anderslautende offizielle Begründung in Kreisen der Polizei und der Politik – zu einer Vernachlässigung der alltäglichen, für den Bürger nachvollziehbaren Arbeit im Revier. Die organisatorische Hinwendung zum Bürger als „Rekommunalisierung“1267 soll erstens die Akzeptanz polizeilicher Arbeit verbessern, damit auch legitimatorische Probleme lösen, zweitens informelle Kontrollnetze in den lebensweltlichen Gemeinschaften knüpfen helfen, um das formelle Netz der Kontrolle zu entlasten, drittens Kriminalitätsbekämpfung und -prävention effektivieren sowie viertens die Angst der Städter senken und deren Sicherheitsgefühl positiv beeinflussen.1268 Die „tatortnahe Sachbearbeitung“ im Viertel sowie die „täterorientierte Ermittlung“ im sozialen Nahbereich sind auf die enge Kooperation der Polizei mit dem Bürger angewiesen. Eine Maßnahme der gemeindenahen Polizeiarbeit ist die Implementierung von im bürokratischen Polizeijargon sogenannten „Kontaktbereichsbeamten (KoB)“.1269 Bei ihnen handelt es sich meist um ältere Schutzpolizisten ohne Sonder- oder Zusatzausbildung, die, befreit von sonstigen alltäglichen Aufgaben, als „Bürgerbeamte“ Kontakte zur Orts- bzw. Bezirksverwaltung, zu Bürgern und ortsansässigen Gewerbetreibenden als Ansprechpartnern im sozialen Nahbereich knüpfen und pflegen sollen. Dabei sollen sie nicht nur Streit schlichten und Konflikte moderieren, sondern auch bereits als problematisch eingestufte Räume (z.B. Asylbewerberund Übergangsheime, Hauptschulen), Räume im Innenstadtbereich, an denen sich die urbane Underclass aufhält, oder hochselektiv Gruppen und einzelne Personen (Jugendliche, Ausländer, öffentlich Trinkende etc.) ansprechen oder kontrollieren und so das Netz sozialer Kontrolle enger knüpfen und die Maschen undurchlässiger

melband von Rosenbaum (1986) zu entnehmen. Stangl/Karazmann-Morawetz/ Hammerschick (1996) beschreiben Probleme der Umsetzung kommunaler Sicherheitspolitik. 1266 Vgl. Beste 1998. 1267 Vgl. Nitschke 1995. 1268 Vgl. Korell 1995 und Silverman/Della-Giustina 2001. 1269 Zu den KoB vgl. Korell 1995; S.17ff. sowie Diederichs 1995a; S.25f. Im Köln beispielsweise gab es 2008 ca. 120 KoB.

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machen. Der lokale Bekanntheitsgrad der KoB, ihr persönliches Engagement, ihre soziale Akzeptanz sowie die genaue räumliche wie soziale Kenntnis ihres zu Fuß patrouillierbaren Reviers bedingt deren Erfolg bei den Aufgaben gemeindenaher Polizeiarbeit.1270 Gesonderte Normen und Dienstvorschriften für ihre spezifische Tätigkeit gibt es nicht. Im Grunde gilt das Gleiche für die Jugendpolizisten (JuPo),1271 die in öffentlichen und privaten Einrichtungen der Jugendwohlfahrt, aber auch an Treffpunkten der Jugendszene tätig werden, den Jugendlichen Konfliktmanagement beibringen sollen und soziale Kompetenz anbieten, aber auch an deren Kontrolle, der Prävention im Vorfeld konkreter Straftaten (z.B. durch „Gefährderansprachen“), beteiligt sind.1272 Die zweite Gruppe von Maßnahmen des Community Policing bezieht sich auf die Beratung und Moderation sozialer Prozesse, z.B. von Gremien der Prävention wie den sogenannten Kriminalitätspräventionsräten (KPR) oder den Neighborhood Watch Programs (NWP) bzw. auf die Schulung der und Aufsicht über sogenannte Sicherheitswachten, Sicherheitspartner1273 usw., die als zeitgenössische Vigilanten im urbanen Raum der Wohnviertel kontrollierend tätig werden. Solche beratenden, moderierenden Tätigkeiten, die zwischen der öffentlichen Polizei und privaten Initiativen angesiedelt sind, werden als „PublicPrivate-Partnerships“ gesondert beschrieben.1274 Die dritte Maßnahme angesichts der steigenden Bedrohungswahrnehmung der Bürger in den Städten ist eine verstärkte Streifentätigkeit.1275 Unter dem Motto „mehr Grün auf den Straßen“ wird die Zahl der Streifenbeamten zu Fuß bzw. in Funkstreifen erhöht, deren Frequenz verdichtet, die Überwachungs- und Kontrolldichte der Patrouillen wird verstärkt, und zudem werden auch Areale in die Streifentätigkeit mit einbezogen, die zuvor unter Kontrollaspekten vernachlässigt wurden. Das verlautbarte Ziel ist es, Kriminalität

1270 Vgl. zur Bedeutung sozialer und kommunikativer Kompetenz dieser Form polizeilicher Arbeit Davis 1994a; 290. 1271 Vgl. Schwinghammer 1980 und Diederichs 1995b. 1272 Ein Tätigkeitsschwerpunkt ist die Kontrolle von Schulschwänzern und von Angehörigen bestimmter als problematisch etikettierter „Szenen“. 1273 Vgl. z.B. Simon 1998 und van Elsbergen 2004b. 1274 Vgl. Kap. 4.2.3. 1275 Unter Streifentätigkeit versteht man im Allgemeinen die zumeist sichtbare Präsenz von Polizei im öffentlichen Raum. Die Geschichte der Streifen beginnt mit der Einführung von Nachtwächtern in den Städten des späten Mittelalters, etabliert ist sie zu Beginn der Industrialisierung Anfang des 19. Jahrhunderts. Historisch folgt der zu Fuß patrouillierende Polizist, später dann die technisierten Funkstreifen, die in Deutschland erstmals 1948 in West-Berlin angesichts chaotischer Nachkriegszustände sowie der Bedrohung durch ein gewaltsames Übergreifen pro-sowjetischer wie hungernder Einwohner, zum Einsatz kamen.

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präventiv vorzubeugen,1276 sowie gegebenenfalls in strafrechtlich relevantes – oder entsprechend „verdächtiges“ Handeln – einzugreifen. Ziel ist die sogenannte „Straßenkriminalität“: „Als Straßenkriminalität sind diejenigen Straftaten zu erfassen, die sich örtlich, d.h. der Polizei in normaler Dienstausübung ohne Inanspruchnahme polizeirechtlicher oder strafprozessualer Befugnisse zugänglichen Raum ereignen oder in diesen hineinwirken und durch präventiven Einsatz der Polizei verhindert werden können. [...] Angriffsobjekte der Straßenkriminalität sind zahlreich vorhandene Güter oder die rechtstreuen Bürger selbst. Durch die Massenhaftigkeit der Tatgelegenheiten und des kriminellen Geschehens besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die meisten Menschen irgendwann Opfer einer dieser Straftaten werden. Art und Umfang der Straßenkriminalität wirken somit entscheidend auf das individuelle Sicherheitsempfinden der Bevölkerung ein.“1277

Unterhalb dieser Ebene soll den Bürgern zugleich Sicherheit durch polizeiliche Präsenz suggeriert werden. Geplant wird der Einsatz der Streifen nach Kriterien der Effektivität, d.h. Funkstreifen werden besonders da eingesetzt, wo besondere Sicherheitsanliegen vorherrschen oder in Stadtteilen, die der Polizei als „kriminogen“ bekannt sind, und damit auch in den Innenstädten, wobei hier aus Gründen der Zugänglichkeit in aller Regel Fuß- oder Fahrradstreifen patrouillieren, aber auch in benachteiligten Stadtteilen.1278 De facto bestimmt aber aufgrund der vielfältigen Aufgaben, die die Streifen besonders nachts wahrnehmen, eher der Zufall als administrative Planung die Route. Es wird kritisch diskutiert, ob sich dadurch die Effektivität der Polizeiarbeit insgesamt steigern bzw. die Aufklärungsquote erhöhen lässt, die Anwesenheit von Streifen präventiv oder Angst induzierend wirkt.1279 Längsschnittuntersuchungen der Funkstreifeneinsätze in den Großstädten in den letzten Jahren1280 haben vier große Tätigkeitsfelder der Polizeistreifen ergeben: Vorkommnisse im Straßenverkehr, Nachbarschafts- und Familienstreitigkeiten, Ruhestörungen sowie das Aufgreifen hilfloser Personen, also insgesamt Tätigkeiten, die den sogenannten „Serviceleistungen“ der Polizei zugerechnet werden, für die die Polizisten bislang unzureichend ausgebildet und insofern nicht selten über-

1276 Vgl. zur präventiven Polizei Kreissl 1981 und Mokros 1998. 1277 Polizei Köln 2007; S.31. 1278 Die Muster selektiver Wahrnehmung der Polizisten können entsprechend ihrer Mental Maps durch diese Einsatzmuster weiter zementiert werden. 1279 Vgl. Hinkle/Weisburd 2008. 1280 Vgl. Diederichs 1995a; S.26ff.

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fordert sind, weniger dem genuinen „Crimefight“.1281 Die Schutzpolizei zieht das ernüchternde Fazit, „[...] dass schutzpolizeiliches Alltagshandeln, sieht man von den verschiedensten Verwaltungs- und Sachbearbeitungsaufgaben einmal ab, geprägt ist von Anliegen, bei denen Bürger sich belästigt fühlen, Hilfe erwarten oder einfach meinen, eine Instanz zu benötigen, die rund um die Uhr für alle ‚Unnormalitäten‘ des Alltags zuständig ist.“1282 Der empirische Zusammenhang zwischen begangenen Straftaten im Innenstadtbereich, die sich in der PKS an prominenter Stelle wiederfinden und die für die Bedrohungswahrnehmung der Städter wesentlich sind, und dem Einsatz von Streifen ist schwach: Die direkte Wahrnehmung und der direkte Eingriff in Straftaten durch Polizisten während der Streife sind eher unwahrscheinlich.1283 Die objektive Kriminalitätslage im registrierten Hellfeld ändert sich nicht – nur das Sicherheitsempfinden der Bürger könnte sich verbessern.1284 Die dem Unsicherheitsgefühl der Bürger geschuldete und reflexartig infolge bekannt gewordener Straftaten vorgetragene Forderung nach verstärkter Streifentätigkeit in den Innenstädten wird angesichts dieser empirischen Tatbestände als Strategie der Beruhigung der Städter gewertet.1285 Lediglich der Aufenthalt urbaner Problemgruppen an definierten Orten wird erschwert, wenn diese öffentlichkeitswirksam kontrolliert oder vertrieben werden. Zur allgemeinen Effizienzsteigerung der Polizei bezüglich ihrer traditionellen Aufgaben erscheint dies nicht erforderlich.1286 Zusammengefasst: „Entgegen der weitverbreiteten Alltagsmeinung, die sich auch im kontrolltheoretischen Diskurs großer Popularität erfreut, hat polizeiliche oder anderweitige Kontrollpräsenz im öffentlichen Raum eben nicht die großartigen Präventions- oder Repressionseffekte. [...] Die Ver-

1281 Hunter (1995; S.218) bestätigt diese Ergebnisse auch für die USA, wo die Polizei mit „nicht-kriminellen Beschwerden“ ihre „Zeit vergeudet“. Übersetzung von G.L. 1282 Aus der Zeitschrift „Die Polizei“, zit.n. Diederichs 1995a; S.26f. Zu „Verunsicherungen des Alltags“ und der alters- und geschlechtsspezifischen Bedrohungswahrnehmung äußert sich auch Hammerschick 1996. Vgl. auch Gilchrist/Bannister/Ditton/Farrall 1998 sowie Heuer 1998b. 1283 Feldexperimente zur Effizienz von Streifen im öffentlichen Raum („Kansas City Preventive Patrol Experiment“ oder „Newark Foot Experiment“) zeigen ähnliche Ergebnisse. Vgl. Diederichs 1995a; S.27f. 1284 Vgl. Hausmann/Hornbostel 1994. Zum Verhältnis von Polizei und Sicherheitsgefühl vgl. Kruse 1996. 1285 Zum Verhältnis von Polizeiarbeit und Unsicherheitsgefühlen Johnston 2001. 1286 Vgl. Feltes 1996.

302 | STADT UND KONTROLLE teilungskämpfe innerhalb der Stadt haben eine deutliche räumliche Konnotation, die ein ‚policing of the urban underclass‘ einschließt.“1287

Eine weitere Reaktion der öffentlichen Polizeien auf die Anforderungen urbanen Lebens ist eine vermehrte Spezialisierung, also die Ausdifferenzierung spezialisierter Funktionseinheiten. So entstehen auf organisatorischer Ebene „Sonderkommissionen“ (SoKos) der Kriminalpolizei, auf operativer Ebene übernehmen „Sondereinsatzkommandos“ (SEK) oder „mobile Einsatzkommandos“ (MEK) besondere Aufgaben. Für den Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit ist diese Spezialisierung von Belang, wo diese auf genuin städtische Risikopopulationen, z.B. Drogenabhängige, Kleindealer, Prostituierte, Laden- und Taschendiebe spezialisiert sind.1288 In vielen Fällen ist die Einrichtung von SoKos im Hinblick auf die tatsächliche Reduktion abweichenden Verhaltens relativ erfolglos, erfolgreich dagegen in der Produktion dann in der PKS gezählten abweichenden Verhaltens durch die selektive Wahrnehmung und Kriminalisierung ausgewählter Klienten. Die Ausgliederung einer spezialisierten Einheit kann die Zahl der bekannt gewordenen Straftaten in diesem Bereich erhöhen, weil die Anzeigebereitschaft und die Zahl der registrierten spezifischen Vergehen steigen. Damit ist aber nichts über die tatsächliche Kriminalitätslage gesagt.1289 Auf der anderen Seite sollen andere Tätigkeitsfelder aus dem Kanon der Polizeiaufgaben gestrichen und privatisiert werden. Selbst die Gewerkschaft der Polizei (GdP), aber auch die Polizeiführungen treten in letzter Zeit verstärkt für eine Übertragung originärer Polizeiaufgaben an andere, zumeist private Sicherheitsdienste, ein. So soll die präventive und proaktive Gewährleistung von Sicherheit und Sauberkeit zusätzlich von privaten Sicherheitsunternehmen unterstützt werden. Solche Kooperationen zwischen PSD und öffentlich-rechtlich kontrollierten Polizeien im öffentlichen Raum der Innenstädte, aber auch im privaten Raum der U-Bahnen, werden in den sogenannten „operativen Gruppen“ (OG) erprobt. Fehlt eine öffent-

1287 Beste 1997; S.190f. 1288 In Wuppertal machten Fälle systematischer Schikanierung von Drogenabhängigen vor einigen Jahren Schlagzeilen: Im Bereich zwischen Bahnhof und Konsummeile wurden die körperlich schlecht gestellten Abhängigen von durchtrainierten Polizeibeamten bis zur Erschöpfung gejagt. Unterschwelliges Ziel war die Vertreibung dieser Gruppe aus der Innenstadt, nicht etwa deren Verfolgung als vermeintliche Straftäter. Die Beamten nannten ihr systematisches Vorgehen zynisch „Junkie-Jogging“. Vgl. Herriger 2008, Simon, T. 2001a und Stummvoll 2006. Vgl. zur polizeilichen Alltagspraxis auch Hüttermann 2000a-c. 1289 Vgl. Rada 1997a; S.183. Über das nichtregistrierte Dunkelfeld können keine zuverlässigen Aussagen gemacht werden.

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lich-rechtliche Kontrolle, beispielsweise wenn ganze Aufgabengebiete auf die privatrechtlich operierenden PSD übertragen werden, werden damit zugleich tendenziell zentrale Abwehr- und Schutzrechte der Betroffenen ausgehebelt. Es besteht die Befürchtung, dass – falls sich die Polizei aus dem öffentlichen Raum der Innenstädte zurückzieht und den von den auszugrenzenden Gruppen genutzten Raum einzelnen Unternehmern, Handelshäusern oder Dienstleistungsfirmen überlässt – diese Gruppen tendenziell aus dem Sichtfeld der Konsumenten entfernt werden, um ihnen einen irritationsbefreiten Innenstadtaufenthalt zu ermöglichen.1290 Neben der grünen Polizei nehmen aber auch andere Vollzugsdienste Aufgaben im öffentlichen Raum zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Sauberkeit wahr: Die ebenfalls uniformierten „besonderen Vollzugsdienste“, „Bürger-Services“,1291 „City-Service-Teams“ oder „Ordnungspolizeien“ werden im Auftrag i.d.R. des Ordnungsamtes auf der Grundlage von kommunalen Dienstordnungen in Verbindung mit Straßenbenutzungsordnungen in den Innenstädten tätig und tragen zur Kontrolle missliebiger Personen, Gruppen, Situationen und bestimmter Objekte bei.1292 Zur Begründung der Notwendigkeit eines solchen zusätzlichen Dienstes wird angeführt: „Es wird in zunehmenden Maße darüber Klage geführt, dass ein sorgloser Umgang mit Abfällen, aggressivem Betteln, massiertes, störendes Auftreten von drogenabhängigen Personen und Nichtseßhaften, Beschädigungen und Zerstörungen öffentlicher Einrichtungen und andere störende Verhaltensweisen in der Innenstadt, aber auch in den zur Erholung der Bevölkerung bestimmten Parkanlagen haben Zustände entstehen lassen, die vom überwiegenden Teil der Bevölkerung als nicht mehr zumutbar und damit als Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung empfunden werden. [...] Die Möglichkeiten des Ordnungswidrigkeitenrechts, im Einzelfall durch Sanktionen nachträglich zu reagieren, reichen nicht aus.“1293

Der Aufgabenkatalog umfasst dementsprechend mit „Störungen im Straßenbild durch Dreck oder Hundekot, defekte(r; G.L.) Beleuchtung, Radfahren in Fußgängerzonen, offene(m; G.L.) Drogendeal, Straßenprostitution oder unerlaubte(n; G.L.)

1290 Vgl. Kap. 5.3. 1291 In Köln kümmern sich Mitarbeiter des Bezirksamtes (in Kölner Mundart „Veedelsmanager“) unter anderem um die Aufrechterhaltung bzw. Durchsetzung eines Bildes von Ordnung in Stadt. In Berlin tun dies „Quartiersmanager“. Vgl. Rada 1998d. Hinzukommen weitere Aufgaben des Quartiermanagements im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“. Vgl. Hinte 2001. 1292 Vgl. z.B. Pütter 2000 und Pütter/Kant 2000. 1293 Aus einer Beschlussvorlage des Kasseler Magistrats, zit.n. Brunst 1997c.

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Feuerstellen im Stadtwald“1294 solche Abweichungen von einem kontrafaktisch unterstellten „Normalzustand“ in den Innenstädten, die auch ohne Hilfe der grünen Polizei lös- oder zumindest behandelbar erscheinen. Verfolgt werden auch das Füttern von Tauben sowie das Nicht-Anleinen von Hunden. Dabei umfassen die Befugnisse auch hoheitliche Akte wie das Feststellen der Personalien,1295 die Durchsuchung von Personen, Sachen und Wohnungen sowie die vorläufige Festnahme. Steht noch das Recht der vorläufigen Festnahme im Sinne des § 127 I StPO jedermann zu, ergeben sich die anderen Befugnisse aus der Beleihung von Beamten im Außendienst als Hilfspolizisten mit hoheitlicher Macht analog dem Verwaltungsvollstreckungsrecht. Vollzugsdienste sind in der Regel zu zweit tags wie nachts in den Innenstädten eingesetzt. Ihr Charakter als Instanz sozialer Kontrolle (auch der urbanen Underclass) erschließt sich ganz unmittelbar aus einer einschlägigen Dienstanweisung:1296 Dort ist festgelegt, dass das regelmäßige Eingreifen dieser Hilfspolizei erfolgen soll, „[...] wenn das gruppenweise Ansammeln (mindestens drei Personen) und Niederlassen von Personen vornehmlich im Bereich der Fußgängerzonen, aber auch auf sonstigen öffentlichen Straßen oder Plätzen festzustellen ist und dieses Niederlassen bzw. Lagern mit dem Verzehr von Alkohol innerhalb eines Zeitraumes von 30 Minuten und länger einhergeht.“1297 Damit zielen die besonderen Vollzugsdienste auf Obdachlose, Junkies, Punks, eben auf diejenigen problematisierten Gruppen, die im öffentlichen Raum der Innenstädte das Zentrum ihrer Lebenswelt haben. Personen, die einschlägig bekannt sind, d.h. innerhalb von drei Monaten bereits drei Platzverweise erhalten haben, worüber genau Buch zu führen ist, können unmittelbar des Ortes verwiesen werden. „Niederlassen“ bedeutet dabei jedes Verweilen an einem Ort, wobei dies sich „[...] für unbeteiligte Bürgerinnen und Bürger oder Anwohner der Örtlichkeit als Einschränkung bzw. Behinderung der Verkehrs- und Kommunikationsmöglichkeiten im Bereich dieser öffentlichen Straßen bzw. Fußgängerzonen auswirken“ muss. Auch das Mitführen einer größeren Menge alkoholischer Getränke ist Gegenstand der Kontrolltätigkeit der Vollzugsdienste. Dermaßen Aufgegriffene sind über die Rechtslage zu belehren und zu bewegen, innerhalb einer Frist den öffentlichen Raum zu verlassen. Wird die „unerlaubte Sondernutzung“ des Stadtraums ohne erforderliche Erlaubnis festgestellt, ist dies eine Ordnungswidrigkeit, die im Verwarnungs- oder Anzeigeverfahren geahndet werden kann. Die Sachen (Alkoholika oder auch die Waren von

1294 Brunst 1997c. Besondere Vollzugsdienste werden anhand der Beispiele aus Krefeld und Kassel beschrieben. 1295 Private Sicherheitsdienste dürfen die Personalien nicht feststellen. Vgl. Rudolph 1998. 1296 Für Kassel unterzeichnet von Lewandowski/Groß 1998. 1297 Lewandowski/Groß 1998.

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Straßenverkäufern) sind sicherzustellen,1298 in Verwahrung zu nehmen,1299 und gegebenenfalls zu vernichten.1300 Platzverweise können zur Durchsetzung des Satzungsrechtes ausgesprochen werden.1301 Wird ihnen nicht Folge geleistet, kann die Polizei beauftragt werden, die Betreffenden in Verbringungsgewahrsam zu nehmen,1302 sie also an den Rand der Stadt zu bringen. Im Wiederholungsfall kann vom Ordnungsamt ein längerfristiges Aufenthaltsverbot verfügt werden. Dabei können die Personalien der zu Vertreibenden festgestellt werden.1303 Der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte steht unter Strafe.1304 Es wurde erwogen, zu diesem Vollzugsdienst, damit er kostendeckend arbeiten kann, in erster Linie Empfänger von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch zwangszurekrutieren 1305 – womit Kontrolleure und Kontrollierte sozialstrukturell zumindest im Hinblick auf bestimmte Variablen zur gleichen Gruppen gehören würden, die Kontrolleure dann allerdings weniger stark von Ausgrenzung betroffen wären, da sie in den (zweiten) Arbeitsmarkt integriert sind. Es wird kritisiert, dass die Tätigkeit der Vollzugsdienste auf der Grundlage kommunaler Straßenbenutzungssatzungen, die sich fast ausschließlich eines als in den Innenstädten unerwünscht definierten Personenkreises annehmen, tief in die bürgerlichen Freiheitsrechte eingreifen. Aus freiheitsverbürgenden Rechten ergeben sich Einschränkungen für einen kleinen Teil ihrer Nutznießer. Neben den öffentlichen Polizeien werden auch verstärkt private Polizeien in den Städten tätig. 4.2.2 Private Polizeien „Öffentliche Sicherheit ist in beträchtlichem Umfang ein Gegenstand privater Betätigung geworden.“ MICHAEL VOSS1306

1298 Vgl. § 40 HSOG, das hier als Beispiel dient. 1299 § 41 I HSOG. 1300 § 42 HSOG. 1301 § 31 HSOG. 1302 § 32 I Ziff. 3 HSOG. 1303 § 18 HSOG i.V.m. §§ 163b und c StPO. 1304 § 113f. StGB. 1305 In Wuppertal versahen meist ehemalige Sozialhilfeempfänger ihren uniformierten Dienst in der „Aktion freundliches Wuppertal“. 1306 Voß, M. 1993; S.91.

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Eine funktionale Betrachtungsweise erlaubt, im Hinblick auf die Tätigkeit privater Sicherheitsdienstleister in den Innenstädten von privaten Polizeien zu sprechen. Ihre Aufgabe ist es, im Kundenauftrag und anhand deren Normen, die sich von denen der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden können, zu gewährleisten, dass deren Hauptziel (i.d.R. eine optimale Kapitalverwertung bzw. die Maximierung von Profit) erreicht wird.1307 Dazu leisten Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten ihren Beitrag, sofern sie positiv zum angestrebten Konsumklima beitragen. Man kann zweierlei Arten von privaten Sicherheitsdienstleistern unterscheiden: Auf der einen Seite handelt es sich um Organisationen, die im Auftrag von Privatpersonen (z.B. Hauseigentümern) oder Unternehmen (z.B. Einzelhandel, Gaststätten, Verkehrsbetriebe oder Industrieunternehmen) im urbanen Raum tätig werden und polizeiliche, also im soziologischen Sinne ordnende oder ausführende, aber keine im juristischen Sinne hoheitlichen Aufgaben zur Herstellung und Aufrechterhaltung von Sicherheit und Sauberkeit wahrnehmen. Auf der anderen Seite stehen die „modernen Bürgerwehren“ und „neuen Vigilanten“, in denen durch Eigeninitiative ohne Auftrag Privatleute quasi-polizeilich tätig werden, um im sozialen Nahraum ihrer lokalen Gemeinschaft Sicherheit, Sauberkeit und Ordnung zu schützen bzw. wiederherzustellen. Da die zweite Gruppe in der Regel unter Anleitung und Aufsicht der öffentlichen Polizei tätig wird, werden diese „Sicherheitswachten“ o.ä. und ihre spezifischen Beiträge zur urbanen Sozialkontrolle unter der Überschrift Public-Private-Partnerships beschrieben. Im Folgenden geht es also ausschließlich um private Sicherheitsdienste (PSD), ihren rechtlichen Status und die Problematik, die sich aus der Privatisierung sozialer Kontrolle für die Innenstädte ergibt. Das zentrale Abgrenzungskriterium zwischen privaten und öffentlichen Sicherheits- und Sauberkeitsdienstleistungen liegt in deren Warencharakter – private sind käuflich.1308 Hinzukommt, dass private Sicherheitsdienstleistungen dementsprechend auch nicht als moralisch legitim angesehen werden müssen, um dauerhaft wirksam zu sein. Es reicht, wenn Auftraggeber und Auftragnehmer sich auf Partikularnormen verständigt haben, die dann im vertraglichen Rahmen zu exekutieren sind und einen gesetzlichen Rahmen nicht überschreiten dürfen. Diese Dienstleistungen lassen sich grob auf vier Einsatzgebiete aufteilen: Dienstleistungen, die innerhalb von Unternehmen und/oder Behörden von Fachunternehmen zu internen Zwecken durchgeführt werden (Werkschutz,1309 Wertaufbewahrung und -trans-

1307 Vgl. Hirsch 1995. 1308 Vgl. Voß 1997; S.37f. 1309 Der Werkschutz dient heute eher der Abwehr von Wirtschaftsspionage und der Kontrolle der Arbeitnehmer. Während der Industrialisierung diente er in erster Linie der Bekämpfung von Streiks und Aufständen. Den Unternehmen steht die Beauftragung der

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porte), der allgemeine Schutz von Personen und Objekten (Bodyguards und Wachschutz,1310 Pförtner, Concierge1311 etc.), die Ermittlung von Sachverhalten und eine entsprechende Beweissicherung (Privatdetekteien und Kaufhausdetektive) sowie die Bereitstellung, Installation und Überwachung technischer, mechanischer und elektronischer Sicherheitsausrüstungen (z.B. Videoüberwachung und Alarmierungsdienstleistungen sowie weitere Produkte des „Target-Hardening“).1312 Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit bezieht man sich vor allem auf solche privaten Sicherheitsdienste, die in privatem oder öffentlich-rechtlichem Auftrag „[...] in öffentlich zugänglichen Bereichen andere Personen anhand vorgegebener Verhaltensmaßstäbe überwachen, ggf. Devianz kontrollieren und hierzu neben gesetzlichen Universalnormen von ihren Auftraggebern postulierte Partikularnormen als Verhaltensmaßstäbe nutzen.“1313 Die Tätigkeiten dieser auch sogenannter „schwarzen Sheriffs“, die aber im öffentlichen Raum der Stadt auch in zivil auftreten, konvergiert auf den ersten Blick nicht mit dem Gebot staatlichen Gewaltmonopols,1314 nach dem die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung das originäre Handlungsfeld der öffentlichen Polizeien ist und exekutiv nur durch diese erzwungen werden kann. Gleichwohl wird in der Wahrnehmung der Städter inzwischen eine Vielzahl polizeiäquivalenter Aufgaben von privaten Sicherheitsdiensten ausgeführt.1315 Sie kontrollieren und überwachen – größtenteils als uniformierte Fußstreifen oder Zugangskontrolleure, um von der Autorität der Staatsmacht zumindest mittelbar zu profitieren – Ladenpassagen, Einkaufszentren, Bahnhöfe, Flughäfen, Behörden, Kultureinrichtungen, Großveranstaltungen, Verkehr und Verkehrsmittel, aber auch separierte „High-Security Wohnanlagen“ wohlhabender Städter.1316 Die rechtliche Grundlage für ihre Intervention ergibt sich nicht aus komplexen Gesetzesvorgaben, sie erschließt sich aus dem Eigentumsrecht,1317 den Selbsthilferech-

PSD frei, nach § 1 TVG i.V.m. § 87 I Ziff. 1 BetrVG muss die Arbeitnehmervertretung dem zustimmen. Vgl. Voß, M. 1993; S.85ff. 1310 Gemeint ist hier auch die Bewachung von Behörden, Baustellen, Botschaften etc. Vgl. o.V. 2000b. 1311 Vgl. Rother 1999. 1312 Vgl. auch Brunst 1997a, d-f und h. 1313 Voß 1997; S.38f. 1314 Vgl. Art. 20 III, 28 I und 33 IV GG. 1315 Vgl. unter anderem Beste 1996, o.V. 2001n. 1316 Dort werden Objekte bewacht, der Zugang kontrolliert oder Bewohner geschult. 1317 § 903 BGB.

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ten des Besitzers und Besitzdieners,1318 den Nothilfe- und Notwehrrechten,1319 die eigentlich als letzte Mittel des privaten Rechteinhabers zur Durchsetzung von Ansprüchen vorgesehen sind, dem Festnahmerecht1320 sowie vertraglichen Absprachen zwischen PSD und Auftraggebern, die zum Teil auch die Erhebung und Speicherung von personenbezogenen Daten vorsehen. Es geht also einerseits um exklusive Hausrechtsbefugnisse,1321 andererseits aber auch um sogenannte Jedermannrechte. Beide privatrechtlichen Befugnisse werden durch die Tätigkeit der privaten Sicherheitsdienste von den eigentlichen Rechteinhabern abgelöst, professionalisiert und kommerzialisiert.1322 Beide, Haus- und Jedermannrechte, sind ihrerseits den beiden Sphären urbanen Lebens und urbaner Raumordnung zugewiesen: der Privatheit des privaten Raums und der Öffentlichkeit des öffentlichen Raums. Durch die Verdichtung und räumliche Konzentration von Privatbesitz in den Städten, vor allem in den Innenstädten, ergibt sich eine Situation, in der öffentlicher und privater Raum so dicht aneinandergrenzen, dass die öffentlichen Räume teilweise das Hausrecht privater Räume mit einschließen, zumindest aber eine scharfe Trennung beider Bereiche – wie noch von Bahrdt nahe gelegt – schwierig ist. Ein Beispiel für solche hybriden Räume ist der Bürgersteig vor innerstädtischen Einzelhandelsgeschäften: Ob er dem Betreiber oder der Kommune eigentumsrechtlich zugeordnet ist, ist im Einzelfall häufig weder den Passanten, noch den Sicherheitsdiensten oder der Polizei klar – interveniert wird unabhängig davon.1323 Entsprechende rechtliche Unklarheit besteht dann auch bezüglich der materiellen Eingriffsbefugnisse der privaten Sicherheitsdienste. Noch prekärer aber ist die Legitimation eines solchen Eingreifens, denn PSD zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie in privatem Auftrag tätig sind, variablen und situativen Partikularnormen unterliegen und insofern im operativen Handeln nicht der öffentlich-rechtlichen Kontrolle unterliegen. Es gibt keinerlei unmittelbaren Rechtsschutz für die von unter Umständen unangemessenen und schikanösen Maßnahmen Betroffenen im Sinne eines Widerspruchsrechts oder an-

1318 §§ 859f. BGB. 1319 §§ 32ff. StGB, 15f. OWiG, 227ff., 904 BGB. 1320 §127 StPO. 1321 Vgl. Pung 1998. 1322 Dabei nutzen nicht alle PSD Jedermann- und Hausrechte: Die in Berlin nach dem Modell der in den USA tätigen „Guardian Angels“ nehmen keine Hausrechte wahr, sondern wollen durch ihr Auftreten Sicherheit vermitteln, in Gewalttätigkeiten gegebenenfalls direkt eingreifen und besonders Jugendliche zu couragiertem Verhalten gegen Gewalt animieren. Vgl. Beck 2004. 1323 Vgl. Kap. 2.4.2 und 2.4.3.

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derer Rechtsmittel, es gibt keine zentrale Beschwerdeinstitution.1324 „Wer kontrolliert die privaten Kontrolleure?“ lautet dementsprechend eine häufig bei der Thematisierung privater Polizeien aufgeworfene Frage.1325 Nach Meinung von Datenschützern besteht bezüglich der Tätigkeit der privaten Sicherheitsunternehmen im öffentlichen Raum Regelungsbedarf:1326 Aufgrund der relativ hohen Eingriffsintensität werden nicht selten individuelle wie kollektive Rechte auf Anonymität im öffentlichen Raum verletzt – datenschutzrechtliche Vorschriften finden aber aufgrund der fehlenden Dateibindung oftmals keine Anwendung.1327 Neben dem des Datenschutzes ergeben sich weitere rechtliche Probleme, denn anders als für das Handeln der öffentlichen Polizeien gelten der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel1328 und andere interventionsbeschränkende Rechtsgrundsätze und Gesetze im privaten Sicherheitsgeschäft nicht. Gewalttätige Exzesse der Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen, die Anwendung illegaler Verhörmethoden, die illegale Überwachung von Passanten und Einzelhandelsmitarbeitern, die Verletzung von Informationspflichten oder überzogene Reaktionen auch bei kleinen Abweichungen von der gewünschten Ordnung sind auf diese Weise denkbar, einzelne Beispiele werden immer wieder angeführt. Es wird zu bedenken gegeben, dass die privaten Sicherheitsdienste aus staatstheoretischer Sicht nicht ausreichend legitimiert sind, um als Kontrollinstitution in den Städten zu arbeiten. Das zeigt sich auch in ihrer Aufgabenbeschreibung in Abgrenzung zu der der öffentlichen Polizeien: Die originäre

1324 Aus dem GG ergibt sich nur eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte in das Privatrecht. Daneben unterliegen die PSD natürlich dem Strafrecht. In Betracht kommen hier Körperverletzungsdelikte (§§ 223ff. StGB), Straftaten gegen das Leben (§§ 211ff. sowie § 222 StGB), Unterschlagung gem. § 246 StGB, sofern eine Sache widerrechtlich beschlagnahmt wurde, sowie Freiheitsberaubung (§ 239 StGB), Beleidigungsdelikte i.S.d. §§ 185ff. StGB, falsche Verdächtigung (§ 164 StGB), und – angesichts der Aufgabenwahrnehmung gerade im Dienste der öffentlichen Ordnung besonders pikant – auch Straftaten gegen die öffentliche Ordnung wie Haus- und Landfriedensbruch (§§ 123, 125 StGB), die Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten (§ 126 StGB), die Bildung bewaffneter Haufen (§127 StGB) sowie Amtsanmaßung (§ 132 StGB). Die PSD unterliegen der BewachV und § 34a GewO. 1325 Vgl. z.B. Gottschalk 2001a und Löwisch 1999. 1326 Vgl. Weichert 1998b und Gast 2001. 1327 I.S.d. § 27 BDSG. Vgl. Brunst 1998, Weichert 1998c und Zimmermann 1997. 1328 Danach ist von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenige auszuwählen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt und die nicht zu einem Nachteil führt, der zu dem angestrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Vgl. auch § 11 ASOG. Der Grundsatz ergibt sich mittelbar aus Art. 1 III, 20 I und III und 28 I GG.

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Aufgabe der Sicherheitsunternehmen ist eben nicht die Strafverfolgung, sondern die proaktive und präventive Gefahrenvorbeugung. Insofern wird aus staats- wie aus kontrolltheoretischer Sicht einer Privatisierung und Vergesellschaftung des Staates Vorschub geleistet, wenn PSD Aufgaben in den Innenstädten wahrnehmen. Diskutiert wird deshalb, Qualitätsanforderungen wie Zuverlässigkeitsprüfungen (z.B. die ausschließliche Beschäftigung ausgebildeter und zugelassener Personen mit Fachkundenachweis), die Einhaltung von Geheimnis- und Datenschutz, eine Ausweis-, Kennzeichnungs- und Auskunftspflicht, Haftpflichtregelungen, Anforderungen an Aufsicht und Dokumentation (auch des Schusswaffengebrauchs) zu fixieren und behördlich zu kontrollieren. Die Partikularnormen, denen die Aufgabenwahrnehmung der PSD im öffentlichen Raum unterliegt, definieren neue, situative und zeitgebundene Devianzformen, die in ihrer speziellen Formulierung, bezogen auf unerwünschte Personen und Gruppen, weit über das (Haupt- und Neben-)Strafrecht als allgemein-verbindlichem und jedermann zugänglichem Katalog an Handlungsverboten hinausgehen. Man muss eigentlich nichts rechtlich Verbotenes unternommen haben, um von den privaten Sicherheitsdiensten angesprochen oder vertrieben zu werden – der unerwünschte und deshalb nicht geduldete Aufenthalt im privaten Raum der Innenstädte reicht aus. Eine nachträgliche rechtliche Überprüfung einer solchen Intervention ist unter den gegebenen Bedingungen schwierig – zumal für die i.d.R. Betroffenen, die weder über Rechtskenntnisse oder entsprechende Mittel zur Durchsetzung ihrer Rechte verfügen. Es handelt sich um „Gelegenheitsnormen“, die mit rechtsstaatlichen Normen nicht vergleichbar sind, weil ihnen alle rechtsstaatlichen Anforderungen an den Vorrang und den Vorbehalt des Gesetzes, Analogieverbot und Bestimmtheitsgebot, die als Abwehrrechte die Willkür der Herrschenden eindämmen sollten, fehlen. Insofern wird die Kommodifizierung privater Sicherheitsdienstleistungen1329 aus einer rechtsstaatlichen Perspektive mitunter als Rückschritt betrachtet, weil Garantien des Rechtsstaats wie z.B. das oben erwähnte Willkürverbot unter Umständen ausgehebelt werden. Urbanitätstheoretisch bedenklich sind Interventionen der PSD, weil sie die Freiheit des Städters im phänomenologisch öffentlichen Raum einschränken können und damit die Ideologie städtischer Freiheit, die Emanzipationsverheißung städtischen Lebens, unterminieren. Private Sicherheitsdienste verfolgen keine Straftaten, nicht die Übertretung von staatlichen Normen, sie überwachen nicht in erster Linie deren Einhaltung – sie leisten einen umstrittenen Beitrag zur Lösung privater und typisch urbaner Ordnungsprobleme und -konflikte. Dem staatlichen Legalitätsprinzip wird so ein an spezifischen Interessen orientiertes Opportunitätsprinzip gegenübergestellt, dass seinerseits wiederum dem wohlfahrtsstaatlichen Anspruch, Sicherheit für alle Städter zu

1329 Vgl. Newburn 2001.

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produzieren und zu gewährleisten, entgegensteht. Die staatliche, aus dem Gewaltmonopol abgeleitete (Straf-)Rechtspflege wird unter Umständen in den Innenstädten partiell suspendiert, zugleich wird Sicherheit ungleich, vornehmlich auf zahlungsfähige Gruppen, verteilt. So wird befürchtet, dass Sicherheitspolitik auf diese Weise privatisiert und individualisiert wird1330 – was gleichwohl aber Effekte auf die städtische Gesellschaft als Ganzes hat.1331 Was sind aber die Gründe für die Intervention privater Sicherheitsdienste in den Innenstädten?1332 Zum Ersten gehört es zum Risikomanagement eines jeden Konzerns, des innerstädtischen Einzelhandels zumal, interne Betriebsrisiken zu minimieren. Diebstahlprävention1333 ist demgemäß ein Gebot – und da Kaufhausdetektive einen Dieb (Kunden wie Angestellte) regelmäßig erst nach Vollendung der Tat, d.h. also nach dem Verlassen des Geschäfts, vor der Türe, beweiskräftig überführen können, finden solche Maßnahmen im zumindest noch phänomenologisch öffentlichen Raum statt: „Die Sicherheitsdienste funktionieren gewissermaßen wie ein auf die Straße vorverlegter Werkschutz: nur dass hier nicht mehr die Fabriken, sondern die Räume der Dienstleistungsökonomie geschützt werden.“1334 Hinzukommt, dass sich viele Einzelhandelsbetreiber durch die Präsenz von Sicherheitsdiensten höhere Umsätze versprechen, weil reflexiv davon ausgegangen wird, dass Kunden, die mangels Sicherheit und Sauberkeit die Innenstädte gemieden haben, diese nun wieder verstärkt frequentieren, wenn PSD als Garanten ungetrübten Innenstadtaufenthalts bürgen. Der Verlust von Profit, Waren und Daten formt – wie schon in der korporativen Disney-Ordnung – die räumliche Disziplin, sie ist instrumentell und nicht auf individuelle moralische Besserung abgestellt. Insofern sind private Sicherheitsdienste keine disziplinierenden Institutionen, ihr Zweck ist die normalisierende Kontrolle abstrakter, potenziell möglicher Störungen im Umfeld der innerstädtischen Konsumgelegenheiten.

1330 Vgl. z.B. Shearing 1997. 1331 Vgl. z.B. Kreissl 2001b, Ludwig-Mayerhofer 2000a; S.14f. oder Wakefield 2005. 1332 Vgl. Voß 1997; S.42ff. 1333 Die vielfach kritisierte, Devianz begünstigende Struktur des Kaufhauses trägt wiederum zur Etablierung des Wahrnehmungsmusters der Detektive bei: freie Mobilität der Kunden mit und ohne Ware im Kaufhaus, geringe Personaldichte, zahlreiche hohe Regale und Umkleidekabinen als Sichtschutz etc. Vgl. Ronneberger 1997a; S.48. Hinter der Annahme Devianz begünstigender Strukturen verbirgt sich ein ätiologisches Denken, das die kriminelle Qualität einer Handlung im Subjekt und seiner (räumlichen) Umgebung verortet, ohne nach den Prozessen der Kriminalisierung zu fragen. 1334 Ronneberger 1997; S.48. Die privaten Sicherheitsdienste sind selbst Teil der Dienstleistungsökonomie, organisatorisch gehören sie häufig zu postindustriellen Konzernen, die ihren ehemaligen Werkschutz reorganisiert haben. Vgl. Becker 2001a.

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Zum Zweiten unterstützt das Sicherheitsbedürfnis der Städter die Ausweitung präventiver Privatkontrolle. Risikogesellschaften1335 neigen in ihrer Logik tendenziell dazu, ihre materiellen, ökonomischen, ökologischen, sozialen wie symbolischen Grundlagen zu verknappen oder gar zu zerstören. Die reflexive Umwidmung solcher gesellschaftlichen, aber auch individuellen Risiken – auch der Angst in Stadt – führt zur Hypostasierung einer „Kultur der Sicherheit“, die von den öffentlichen Kontrollinstanzen nicht in allen Fällen sichergestellt werden kann.1336 Insofern kann die in der Thematisierung skizzierte „Sicherheitsgesellschaft“1337 als Pendant der Risikogesellschaft verstanden werden. Diese Hypostasierung greift umso stärker, als die „grüne Polizei“ von vielen Städtern als ineffizient wahrgenommen wird und der Eindruck entsteht, dass sie aus operativen Erwägungen bestimmte Aufgaben nicht mehr wahrnimmt (beispielsweise die Sicherung bestimmter Räume oder die Verfolgung von kleineren Ordnungsstörungen oder Vergehen). Tatsächlich tolerieren die öffentlichen Polizeien das Wirken der privaten Sicherheitsdienstleister und arbeiten operativ mit ihnen zusammen, um ihre Aufgabe, Sicherheit wahrnehmbar zu garantieren, effizienter zu erfüllen. Nichtsdestotrotz weisen die Innenstädte, die sich durch eine doppelte – private und öffentlich-rechtlich legitimierte – Kontrolldichte auszeichnen, immer noch eine hohe Kriminalitätsbelastung auf.1338 Faktisch „sicherer“ werden die Innenstädte nicht. Die Sicherheitsleistungen der privaten Sicherheitsdienste erscheinen so als Selbstzweck: „‚Nicht mehr das ursprüngliche Objekt des Schützens wird jetzt ins Auge gefasst, sondern das Schützen selbst wird Objekt im Denken und Handeln‘ [...]. So werden die instrumentellen Aspekte von Sicherheit zugunsten normativer Bedeutungsanteile verdrängt: Sicherheit wird zu einem symbolischen Begriff.“1339 Zum Dritten wird die steigende Nachfrage nach privater Sicherheitsdienstleistung durch die Wahrnehmung problematisierter, bedrohlicher Gruppen angeregt.1340

1335 Vgl. grundlegend Beck 1986 und zu den entsprechenden strafrechtlichen Implikationen Prittwitz 1993 und Hudson 2001. 1336 Vgl. zur Rolle von Polizei in der Risikogesellschaft Ericson/Haggerty 1997 und Hughes 2000. Vgl. auch Pratt 2000. 1337 Vgl. Häfele/Sobczak 2002, Hansen 1999, Lange 2002 und vor allem Legnaro 1997. 1338 Vgl. Beste 1997; S. 198. 1339 Voß 1997; S.45 mit einem Zitat von Franz-Xaver Kaufmann. 1340 Entlang dieser Begründungen verläuft auch die Selbstwahrnehmung der Mitarbeiter der PSD: Nach einer Befragung (n=156) verlangen die Auftraggeber zu jeweils über 80% das Fernhalten von unliebsamen Personen, die Abschreckung von potenziellen Straftätern und die Stärkung des Sicherheitsgefühls der Passanten und Kunden. Nur eine Minderheit von Auftraggebern erwartet offensichtlich das operative Eingreifen in die Übertretung strafrechtlicher Normen. Vgl. Beste 2000a; S.458.

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Das private Sicherheitsgewerbe als lukrative Wachstumsbranche1341 ist inzwischen eine feste Institution der urbanen Sozialkontrolle. Die Klientel ist klar definiert: Neben der Überführung von Ladendieben geht es um die Vertreibung von offensichtlich nicht-konsumfähigen oder -willigen Gruppen, um die Verhinderung von Störungen, um die Aufrechterhaltung von Sauberkeit sowie um die Stärkung des Sicherheitsgefühls. Auf diese Weise sind die privaten Sicherheitsdienste in den Innenstädten ein Element eines neuen Kontrollregimes und für die Interessen ihrer Auftraggeber hochfunktional: „Orientiert an der Funktionstüchtigkeit ökonomischer gesellschaftlicher Subsysteme hat sich ein Zweig sozialer Disziplinierung ausdifferenziert, der den Bürger als Produktivfaktor erfasst und einer profitablen Verwertung zuführt, sei es im Bereich der Produktion, des Konsums, des Wohnens oder der Freizeitgestaltung. Wer den systemspezifischen Normalitätsvorstellungen nicht entspricht, wird sanktioniert – wenn auch in diskreter Weise. Wer an den systemrationalen Imperativen gemessen nicht als verwertungsfähig erscheint, wird nach Möglichkeit ausgegrenzt, der Arbeitsstätte oder der Ladenpassage verwiesen, und an den immer schmaleren Rand der ökonomischen Subsysteme gedrängt. In der funktional ausdifferenzierten Gesellschaft vervielfältigen sich offenbar die Organe der Devianzzuschreibung.“1342

Deshalb wird davon ausgegangen, dass private Sicherheitsdienste, die im öffentlichen Raum operieren, auf diese Weise einen Beitrag zur sozialräumlichen Ausgrenzung der Randständigen leisten. Doch neben den öffentlichen und privaten Polizeien beteiligen sich auch Kooperationen aus beiden an der urbanen Sozialkontrolle des Innenstadtbereichs.

1341 Der Jahresumsatz 1998 betrug ca. 4,5 Mrd. DM bei ca. 1.400 im Bundesgebiet tätigen Unternehmen. Nach einer Verlautbarung des Bundesverbandes Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen haben 2001 2.500 Unternehmen mit ca. 150.000 Mitarbeitern insgesamt 2,8 Mrd. Euro umgesetzt. 2007 wurden 4,5 Mrd. Euro im 3.400 Unternehmen von über 170.000 Mitarbeitern umgesetzt. Bei diesen Wachstumszahlen muss man allerdings bedenken, dass immer mehr Sicherheitsdienstleistungen ausgelagert werden, die zuvor intern erbracht wurden. Vgl. Siebel/Wehrheim 2003a; S.9. Notorisch schlecht ist die Bezahlung der in PSD Angestellten. Vgl. Wallraf/Amann 2002. Zum Dienstleistungsportfolio vgl. Meiser 1999 und Mongin 2008. 1342 Voß, M. 1993; S.99.

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4.2.3 Polizeiliche Public-Private-Partnerships „Die Verantwortung des Staates für die öffentliche Sicherheit sowie für die Kontrolle, Verfolgung und Verhütung von Kriminalität ist als eine gesamtstaatliche Aufgabe zu begreifen, die sich ressortmäßig nicht isolieren läßt [...].“ POLIZEIREFORMKOMMISSION NIEDERSACHSEN1343

Neben der reflexiven Restrukturierung der öffentlichen Polizeien und der Diffusion privater Polizeien in den öffentlichen Raum wird im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten eine dritte Variante polizeilichen Kontrollhandelns in den Städten thematisiert, die rechtlich wie organisatorisch zwischen den beiden Erstgenannten steht: Public-Private-Partnerships leisten als Institutionen sozialer Kontrolle einen Beitrag zur urbanen Sozialkontrolle, indem Privatleute und -unternehmen von den öffentlichen Polizeien begleitet, angeleitet, beraten und beaufsichtigt, kurz: wenn Kontrollaufgaben in den Städten in spezifischer funktionaler Differenzierung von Privaten in Kooperation mit den öffentlichen Polizeien wahrgenommen werden. Dabei versteht man unter Public-Private-Partnerships „[...] Kooperationen zwischen staatlichen bzw. kommunalen, privatgewerblichen und nichtöffentlichen Akteuren zur Erstellung bestimmter Werke oder Leistungen. [...] Unterschiedliche Handlungslogiken (werden; G.L.) zu einer gemeinsamen Zielperspektive vermittelt.“1344 Soziale Kontrolle lässt sich auf diese Weise unter Ausnutzung der vermeintlichen Effizienz nicht-staatlicher Anbieter gemeindenah organisieren, ohne die staatliche Legitimität polizeilichen Handelns auszuhöhlen. Soziale Kontrolle wird so wiedervergemeinschaftet.1345 Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, der Sicherheit und Sauberkeit in den Städten, wird als „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ oder „integrierte kommunale Sicherheitspolitik“1346 zusammengefasst und gebündelt, polizeiliche Sozialkontrolle wird im Sinne eines „Thinning the Mesh“1347 intensiviert oder dort etabliert, wo öffentliche Polizeien nach Einschätzung der Bürger bislang zu wenig präsent waren. Die entstehenden „Sicherheitsgemeinschaf-

1343 Polizeireformkommission Niedersachsen: Polizeireform in Niedersachsen. Abschlussbericht vom 31.3.1993, zit.n. Stokar 1995; S.57. 1344 Aus dem Bericht der Enquéte-Kommission des Landtags NRW zur „Zukunft der Städte“, zit.n. Häußermann/Läpple/Siebel 2008; S.267. 1345 Vgl. Kap. 3.3.2.2. 1346 Vgl. Leonhardt 2003. Vgl. auch Nack 1993. 1347 Vgl. Fn.788.

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ten“ oder „Common Interest Developments“ werden als zivilgesellschaftliche Kooperationen beschrieben, die sich neben staatlich-administrativen Strukturen sozialer Kontrolle etablieren. Gouvernementalitätstheoretisch interpretiert erscheinen solche Formen der Kooperation als Bestandteil allgemeiner Regierung, weil durch sie die Förderung von Sicherheit und die Vermeidung von Risiken effektiv arrangiert werden.1348 Eine solche „Regierung durch Communities“ wird mitunter als „postsoziale Strategie der Verhaltensregulierung“ gelesen, weil „unternehmerische Individuen“ aktiviert werden, um in fragmentierten Räumen als eigenverantwortliche, zivilgesellschaftliche Teilnehmer im Markt privatisierter Sicherheitsdienstleistungen losgelöst von übergreifenden sozial-ethischen Erwägungen die Sicherheits-, Sauberkeits- und Ordnungsnormen ihrer spezifischen Gemeinschaft durchsetzen.1349 Für diese Kooperationen des „Community Policing“ bzw. der „gemeindenahen Polizeiarbeit“1350 kommen zwei Organisationsformen in Betracht: Einerseits die Supervision, Beratung und Anleitung von Gremien der Kriminalitätsprävention und damit der proaktiven „Aufsicht“ beispielsweise über Areale und Quartiere durch die öffentlichen Polizeien und andererseits die direkte operative Kooperation zwischen öffentlichen Polizeien und privaten Diensten oder Akteuren, z.B. auf Streifengängen, bei der Fallbearbeitung und vor allem bei der Ansprache von „Gefährdern“.1351 Für den ersten Fall werden die sogenannten „Kriminalitätspräventionsräte“ (KPR), „Neighborhood Watch Programs“ (NWP) und „Sicherheitswachten“ genannt, der zweite Fall wird anhand der sogenannten „operativen Gruppen“ (OG) behandelt. Beide Formen werden auch unter der Überschrift „Ordnungs-“ oder „Sicherheitspartnerschaft“ diskutiert.1352

1348 Vgl. Ronneberger 2001a; S.39. 1349 Vgl. Rose 2000; S.81ff. und Becker 2001a; S.12. Fitzpatrick (2001) spricht von einem „postsozialen Sicherheitsstaat”. Vgl. auch Lanz 2000 sowie Mayer 1990 und 1995c. 1350 Vgl. hierzu auch Dölling/Feltes 1993, DStGB/GdP 1998, Fehervary 1996, Feltes 1996, Füller 1997, Funk 1999, Hohmeyer 1999a, Jentsch 1998, Klinenberg 2001, Lederer 1998, Pollard 1998, Prätorius 2003, Pütter 1998a und b sowie 2001, Sadd/Grinc 1997, Skogan 1998 sowie Wong 2000. Qualitative Daten und Erfahrungsberichte finden sich in Pütter 2006. 1351 Vgl. z.B. Institute for Law and Justice 2003. 1352 Vgl. Behrens 1999, Behrendes 1998 und 2003, Boden 1997a, Innenministerium NRW 1998, Innenministerium NRW/HDE/Einzelhandelsverband NRW o.J., Kant/Pütter 1998, o.V. 1998a, d, 2003c sowie Simon, T. 2001b. Levin/Myers (2005) sprechen von „nachbarschaftsorientierter Polizei“.

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Bei den Kriminalitätspräventionsräten (KPR)1353 handelt es sich um unregelmäßig auf kommunaler Ebene zusammentretende Gremien ohne direkte Entscheidungsbefugnis mit beratender Stimme, an denen neben öffentlichen Polizeien und Justiz (Anklagevertretung, Strafvollzug und Bewährungshilfe) auch Vertreter aus städtischen Behörden (Jugend-, Sozial-, Gesundheits-, Schulverwaltungs-, Bauaufsichts-1354 und Ordnungsamt), der Kirchen, Opferhilfeorganisationen, Beratungsstellen, der freien und kirchlichen Wohlfahrtsverbände, Selbsthilfegruppen, Versicherungen sowie Schulen beteiligt sein können. Zu ihren Aufgaben gehört die Erstellung von Kriminalitätslagebildern oder psychogeografischen Angst-Kartierungen in definierten Arealen (z.B. auf Bezirksebene), das Anstoßen und Führen von Diskussionen über die Situation im Bereich der Zuständigkeit und das Entscheiden über die Aufwertung oder Umnutzung einzelner urbaner Räume und Gelegenheiten. Hinzu kommt die Mitarbeit an Maßnahmen der technischen Prävention (z.B. hinsichtlich der Videoüberwachung), aber auch die Beratung über das Maß an sichtbarer Polizeipräsenz in den Innenstädten oder Wohnvierteln. Die Legitimation ihrer Tätigkeit beziehen die KPR einerseits aus der in der Öffentlichkeit vermeintlich wahrgenommenen und deutungsleitenden Ineffizienz öffentlich-polizeilicher Prävention und Strafverfolgung bei geringfügigen Straftaten und Ordnungsverstößen (z.B. Sachbeschädigung, Graffiti, Verschmutzung etc.), andererseits aber auch aus der vielfach artikulierten Kriminalitätsfurcht der Bevölkerung. Argumentiert aber wird von offizieller Seite anders: „Staatlicher Kriminalpolitik in der modernen, arbeitsteiligen und komplexen Gesellschaft sind mehr als früher Grenzen gesetzt, die es offensiv und öffentlich zu benennen gilt. Mehr denn je besteht die Notwendigkeit einer kriminalpolitischen Arbeitsteilung zwischen Staat und Gesellschaft. Polizei und Strafjustiz haben sich deutlicher und wirksamer als bislang ge-

1353 Vgl. z.B. Stokar 1995, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung auch als Angeordnete von Bündnis 90/Grüne Mitglied im Niedersächsischen Landtag war. KPR werden an anderer Stelle auch deshalb als „grüne“ bzw. kommunitaristische Variante der Kriminalitätsprävention interpretiert, weil durch paritätische Besetzung zentrale Bürgerrechte der demokratischen Mitbestimmung und Selbstverwaltung gegen den Zugriff der Polizei angeblich gewahrt bleiben. Vgl. auch Appel/Sandmann 2000, Berner/Groenemeyer 2003, Brandt 1998, van den Brink 2005, Brunst/Boller 1997, Füller 1997, Künast 1997, Panne 1999 sowie Stokar 1998 und 2001. Ähnliche Gremien existieren in Australien, den USA, Skandinavien und den Niederlanden. Vgl. auch Hohmeyer 1999a und b. 1354 Auch heute nennt man die Baubehörden noch umgangssprachlich Baupolizei, was historisch noch aus der Zeit der Allzuständigkeit der „Policey“ im Ancien Régime herrührt. Vgl. Kap. 5.2.

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gen die politisch und gesellschaftlich bequeme Alleinverantwortung für die innere Sicherheit und die Kontrolle der Kriminalität zu wehren.“1355

Hier sind es nicht Ineffizienz und wachsendes Unsicherheitsgefühl der Bürger, die zur Restrukturierung öffentlicher Sicherheitsleistungen und damit zur Etablierung von Public-Private-Partnerships auf dem Gebiet urbaner Sozialkontrolle führen, sondern das Stadium erreichter funktionaler Differenzierung bezüglich Strafverfolgung und der Gewährleistung innerer Sicherheit, das vor dem Hintergrund wahrgenommener Bedrohungen und Risiken paradoxerweise dysfunktional erscheint. Implizit wird damit auch eine relative Ineffizienz der Strafverfolgungsbehörden bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben eingestanden, die im Verständnis der Polizei als allzuständigem „Crimefighter“ und urbaner Ordnungsmacht fehlt. Insofern wandelt sich unter den Vorzeichen eines veränderten Verständnisses sozialer Kontrolle in den Städten das Bild der Polizei in Richtung des „Partners des Bürgers“, des „Freundes und Helfers“, des „Dienstleisters“, der den „Kunden Bürger“ beruhigt und schützt, indem er ihn an seiner öffentlich-rechtlichen Aufgabenstellung beteiligt. Der gouvernementale Kern der Wiedervergemeinschaftung sozialer Kontrolle wird in der außerwissenschaftlichen Debatte nicht betont. Da die Imperative von Sicherheit und Sauberkeit tief in das Bewusstsein der Städter eingedrungen sind, wird Polizei nicht mehr in jedem Fall als vom Staat oktroyierte Ordnungsmacht verstanden. In einer „polizierten Gesellschaft“1356 wird eine zivilgesellschaftliche, professionelle, gut ausgebildete, rechtsstaatliche Polizei nicht als „fremde“ Ordnungsmacht, sondern als „Helfer“ des Bürgers bei der Wahrnehmung gemeinschaftlicher Aufgaben betrachtet. Die Einbindung in die lokale Gemeinschaft verstärkt diese Wahrnehmung noch. Wo die Städter gelernt haben, sich selbst und damit das Leben in Stadt so zu steuern, dass ihr Verhalten dem Wohl der Stadt und damit der städtischen Gesellschaft, der lokalen Gemeinschaft entspricht,1357 können Sicherheitsleistungen vergesellschaftet werden. Die vermeintliche Rückübertragung ehemals ausdifferenzierter Kontrollbefugnisse vom Staat an die Gesellschaft als Vergesellschaftung des Staates hat eine besondere Pointe, wenn man dabei die Rolle der stellvertretenen Öffentlichkeit betrachtet: Auch hier ist es nicht die demokratische Öffentlichkeit des zum Publikum versammelten räsonnierenden Publikums, das präventiv tätig wird, sondern eine „halbierte“ Öffentlichkeit der mächtigen Interessengruppen aus Handel, Dienstleistungsunternehmen, Parteien, Behörden und Kirchen. Die auch wiederum – zumindest potenziell – „qualifizierte Öffentlich-

1355 Polizeireformkommission Niedersachsen: Polizeireform in Niedersachsen. Abschlussbericht vom 31.3.1993, zit.n. Stokar 1995; S.57 1356 Vgl. Silver 1967; S.6ff. 1357 Vgl. Kap. 3.3.1 und Fn.687.

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keit“1358 aus Vertretern der lokalen Gemeinschaft wirkt an Entscheidungen mit, die die soziale und räumliche Ausgestaltung der städtischen Areale betreffen, und anhand derer unter Umständen andere Institutionen sozialer Kontrolle gegen problematisierte Gruppen tätig werden. Dabei muss nicht zwangsläufig die Prävention von Straftaten im Vordergrund stehen.1359 Vielmehr wird in solchen Kooperationen eine Vorstellung von Ordnung durchgesetzt, die weit im Vorfeld kriminellen Handelns ansetzt und zentral auf die Kriterien Sicherheit und Sauberkeit bezogen ist. So wird bezweifelt, ob die tatsächliche Kriminalitätslage durch solche Initiativen beeinflusst wird.1360 Es wird vermutet, dass es sich eher um Akte symbolischer Politik handelt, die die Verantwortung für die Existenz sozialer Probleme in den Städten vom Staat auf die lokale Gemeinschaft verschiebt.1361 Dabei steht die gesellschaftsund kriminalpolitische Beruhigung der Städter Pate. Es besteht in solchen Gremien die Gefahr, dass stereotype Wahrnehmungsmuster von Drinnen und Draußen, „ordentlichem“ und „unordentlichem“ Verhalten, von „Fremdheit“ bzw. „Fremdartigkeit“ sowie von Bedrohungsszenarien im urbanen Raum perpetuiert und zementiert werden. Auf diese Weise können Kriminalitätspräventionsräte genau wie die Maßnahmen der öffentlichen Polizeien und der privaten Polizeien einen Beitrag zur Ausgrenzung problematisierter Gruppen in den Innenstädten oder bestimmten Wohnvierteln leisten.1362 Bei der zweiten Gruppe öffentlich-privater Kooperationen unter der Ägide der Polizei und von ihr beratenen und instruierten Präventions- und Überwachungsinstitution urbaner Sozialkontrolle handelt es sich um die „Neighborhood Watch Programs“

1358 Dass in den Gremien der Abweichungsprävention nicht alle betroffenen Gruppen vertreten sind, ist klar. Hier stellt sich die Frage, wer denn die Interessen der betroffenen Problemgruppen vertritt. Zwar gibt es Allianzen aus den Wohlfahrtsverbänden, karitativ engagierten Bürgern, den Kirchen, der freien Sozialarbeit und den Gewerkschaften, die sich z.B. für Obdachlose engagieren. Inwiefern aber deren Interessenartikulation in solchen Gremien Gehör findet, müsste eine qualitative Untersuchung einzelner KPR ergeben. 1359 Vgl. für ein Beispiel Lindenberg 2001. 1360 Vgl. Roll 1996; S.144. 1361 Vgl. Hohmeyer 2000; S.1. 1362 Vgl. Braun 2009, der am Fall der italienischen „Ronde” zeigt, dass Punks, politisch Andersdenkende und Ausländer mit Gewalttaten von rechtsgerichteten Bürgerwehren rechnen müssen. Diese Bürgerwehren wurden, um solche Übergriffe zu verhindern, von der Polizei bei ihren Streifengängen begleitet.

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(NWP),1363 im Rahmen derer Nachbarn im sozialen Nahraum des lebensweltlichen Quartiers aufgerufen sind, auf die Wohnungen, den Besitz, das Wohlergehen etc. ihrer direkten Nachbarn in verstärktem Maße zu achten. Anhand dieser neuen urbanen Kontrollinstitutionen soll die in den Städten verloren gegangene informelle Sozialkontrolle der Gemeinschaft reetabliert und durch die Mobilisierung von „Bürgersinn“ „zurückerobert“ werden: „Man sagt, dass Kriminalität in einer Gemeinschaft, die sich umeinander kümmert, nicht existieren kann.“1364 Die Polizei fungiert dabei als Initiator und Garant dieser Entwicklung.1365 Entsprechend instruiert, informiert man sich in der Nachbarschaft gegenseitig1366 über anstehende längere Abwesenheiten, tauscht Telefonnummern aus, verwahrt Schlüssel der Nachbarn, spricht offensichtlich Ortsfremde im Territorium des NWP an, notiert unbekannte Autokennzeichen, organisiert Fahrdienste zu Banken, informiert die Polizei, organisiert Beratungsstunden insbesondere für Ältere, registriert und kennzeichnet im Rahmen einer „Operation ID“ wertvolles Wohnungsinventar, um proaktiv im Falle von Diebstählen die Strafverfolgung der Polizei zu erleichtern etc. Ein NWP umfasst zwischen 40 und 600 Haushalte, die allerdings von der Polizei nicht technologisch (z.B. mit Funkgeräten oder Waffen) ausgestattet werden.1367 Die Polizei beschränkt sich darauf, die Bewohner in speziellen Kursen zu schulen und allgemein über (kriminalitäts-)präventive Maßnahmen zu beraten. Darüber hinaus werden in einigen NWP sogenannte „Abschnittsleiter“ im Zuge eines Bewerbungsverfahrens von Polizeivertretern ernannt, nicht etwa in einem demokratischen Verfahren in-

1363 Die folgenden Ausführungen zu den NWP beziehen sich auf Hohmeyer 2000, Kreissl 1987 und Sadd/Grinc 1997. Bereits 1984 waren in fast 20% der amerikanischen Kommunen NWP eingerichtet. Dort firmieren sie auch unter dem Namen „Blockwatch“. In Deutschland existieren NWP z.B. in Wiesbaden („Nachbarn helfen Nachbarn“), Hamburg („Projekt Sichere Nachbarschaft“) oder in Bergisch-Gladbach („Nachbarschaftswache“). 1996 haben das Bundesinnenministerium, der Deutsche Städte- und Gemeindebund, der Deutsche Städtetag, der Verband der Schadensversicherer und die lokalen Polizeien die Aktion „Vorsicht! Wachsamer Nachbar“ ins Leben gerufen. Vgl. Loose 1996. Kritiker stellen solche Dispositive in einen Kontext mit dem Blockwartsystems des Nationalsozialismus oder der IM-Tätigkeit in der DDR, in denen ebenfalls die soziale Kontrolle in der nachbarschaftlichen Gemeinschaft im Vordergrund stand. 1364 Schneppen 1997; S.47f. 1365 Vgl. Rada 1997a; S.181. 1366 Vgl. Andrejevic 2005. 1367 Inwiefern die entsprechenden Haushalte solches aber in Eigenverantwortung anschaffen, muss hier offenbleiben.

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nerhalb der Nachbarschaft gewählt.1368 Voraussetzungen für diese Ernennung sind ein tadelloser Leumund, d.h. eine nach Polizeiauffassung gewisse „Zuverlässigkeit“, regelmäßiges Einkommen, fehlende Vorstrafen und die Verfügung über ein Kontingent an Zeit, das eine solche Tätigkeit überhaupt erlaubt. Die so relativ lose organisierten Bürger sollen nicht direkt in beobachtete Straftaten eingreifen. Ihr Ziel ist es, eine erhöhte Alarmbereitschaft und damit Kooperationsbereitschaft mit der Polizei zu induzieren, um das Sicherheitsgefühl zu verbessern. Die generellen Motti des Verhaltens in den Neighborhood Watch Programs lauten: „Sei immer aufmerksam“ oder auch: „Lasst uns zusammenarbeiten“. So wird die erodierende informelle Sozialkontrolle in einem spezifischen sozialräumlichen Areal, z.B. im (sub-)urbanen Raum der Wohnbezirke, (re-)etabliert und zugleich eine konstruierte Gefährdung durch „Fremde“ angelegt, die es dann abzuwenden gilt. Insofern wohnt den NWP wie anderen neuen Formen des öffentlich-privaten Polizierens ein ambivalenter Kern inne: Einerseits werden die solidarische Hilfsbereitschaft und die Möglichkeit zur zivilen Konfliktlösung verstärkt, andererseits werden durch solche Initiativen Überwachung, Ausgrenzungstendenzen sowie obrigkeitsstaatliches Verhalten forciert, unter Umständen werden bereits schwelende (nachbarschaftliche) Konflikte verstärkt oder zum Ausbruch gebracht.1369 Nachbarschaften werden auf diese Weise nach dem Modell der Natural Areas inszeniert, um deren „naturwüchsige“ und verloren geglaubte Kontrollfunktion über eine Integration mittels geteilter Werte und Normen zu animieren. Stadtbürger werden so zu „Ohr und Auge der Polizei“.1370 Die Wirkung auf die diffusen Ängste der Städter ist ambivalent: Einerseits kann die organisierte Gefahrenabwehr in der vermeintlich intakten, wiederentdeckten Gemeinschaft der Nachbarschaft das individuelle wie kollektive Sicherheitsgefühl steigern, andererseits kann die permanent aufrecht gehaltene paranoide Aufmerksamkeit gegenüber allem, was einem operativ wie kognitiv unterstellten Bild städtischer „Normalität“ nicht entspricht, Ängste schüren, statt sie zu beruhigen und aufgrund des Verdachts der Denunziation und Spitzelei die fragile Balance

1368 Davis (1994b; S.21) kritisiert, dass die engagierten Bürger in den auch teilweise heterogenen Nachbarschaften nicht repräsentativ für die Bevölkerungsstruktur sind. So bestimmen möglicherweise Vertreter einer sich artikulierenden Minderheit, was lokal als „normal“ gilt, und wirken damit möglicherweise an der Kontrolle einer schweigenden Mehrheit mit. 1369 Vgl. Hohmeyer 2000; S.2. In den wohlhabenderen Vororten sind zwar meist größere Werte konzentriert, Einbrüche in innenstadtnahen Wohnungen sind aber zumindest ebenso häufig. Im Regelfall finden sich NWP aber in den Vororten, nicht selten auch in den fast noch ländlich anmutenden Gegenden der „Pendlerzone“ (Vgl. Kap. 2.2). 1370 Hohmeyer 2000; S.6; Übersetzung von G.L.

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von Gegenseitigkeit und Hilfsbereitschaft stören.1371 Dadurch wird eine Wirklichkeitsinterpretation begünstigt, die städtisches Leben als tendenziell gefährlich versteht. Empirisch zeigt sich zudem, dass in Arealen, in denen solche Programme aufgrund massiver sozialer Probleme und einer hohen Kriminalitätsrate sinnvoll sein könnten, sich diese nicht etablieren lassen, weil die Bewohner dort geringe soziale Beziehungen zueinander unterhalten und der Grad der Anonymität hoch ist, während sie sich in den Vierteln, in denen bereits zuvor nachbarschaftliche Strukturen etabliert waren und die Fluktuation der Bewohner gering ist, aber außer gelegentlichen Einbrüchen die Kriminalitätsrate marginal ist, gut institutionalisieren lassen.1372 Für den Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit sind drei Aspekte von Bedeutung: Zum Ersten wird soziale Kontrolle wieder in der lebensweltlichen Gemeinschaft der Stadt verortet, mehr noch, sie wird in den privaten Wohnbereich selbst vorverlagert. Zum Zweiten orientiert man sich wiederum an den Ängsten der Bevölkerung. Zum Dritten wird ein Bild von „Normalität“ im sozialen Nahbereich simuliert und funktionalisiert, das von einer Integration über geteilte Werte und Normen ausgeht und deutungs- wie handlungsleitend wird. Die Klientel der besonders misstrauisch zu beobachtenden ist negativ definiert als die Gruppe derjenigen, die nach ihrem habituellen Verhalten oder dem Äußeren nicht in die Gemeinschaft des nachbarschaftlichen Drinnen zu passen scheint, weil sie fremd und „untypisch“ ist. Gemeinschaft und Normalität als Begriffe, die den klassischen Urbanitätstheorien nicht in jeder Hinsicht entsprechen,1373 werden unter den Vorzeichen des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit in Stadt zu Simulakren – instrumentalisiert als Medien sozialer Kontrolle.

1371 Vgl. Hohmeyer 2000; S.6. Kreissl (1987; S.373ff.) schildert einen Fall aus Australien, bei dem zwei offensichtlich Ortsfremde, die mit Koffern bei Anbruch der Dunkelheit den Eingangsbereich eines dem NWP angeschlossenen Hauses betraten, verhaftet wurden, weil die alarmbereiten Nachbarn sie für potenzielle Diebe hielten und pflichtgemäß die Polizei verständigten. Wie sich später herausstellte, handelte es sich um eingeladene Gäste, die sich lediglich in der Tür geirrt hatten. Im Juli 2009 erregte der Fall des Havard-Professors Henry L. Gates Jr. Aufsehen, der aufgrund eines Hinweises von Nachbarn bei dem Versuch, sein Haus durch den Hintereingang zu betreten, verhaftet wurde. In der sich anschließenden Diskussion wurde der Verdacht geäußert, dass seine Verhaftung eine rassistische Komponente habe, weil die herbeigerufenen Polizisten sich nicht hätten vorstellen können, dass ein Afroamerikaner in einem solchen gutsituierten Vorort wohnen könne. Vgl. Rüther 2009. 1372 Vgl. Hohmeyer 2000; S.4. 1373 Vgl. Kap. 3.2 und 3.2.1.

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Die dritte Gruppe der im Rahmen einer Wiedervergemeinschaftung sozialer Kontrolle im Community Policing mit der Polizei kooperierende „Bündnis“ von Privatpersonen ist die der modernen Bürgerwehren, der „neuen“ Vigilanten.1374 Aufgrund der wahrgenommenen Bedrohungssituation in den Städten einerseits und der unterstellten Ineffizienz der öffentlichen Polizeien im Bezug auf Prävention und Reaktion auf Straftaten andererseits schließen sich Bürger zusammen, um nunmehr in Eigeninitiative und -regie ihrem Sicherheitsbedürfnis durch Patrouillengänge selbst Genüge zu leisten. Um einem unkontrollierten Vigilantentum entgegenzutreten, also dem hoheitlichen Sektor Kontroll- und Steuerungskompetenzen zu sichern, schulen, beraten und kontrollieren die öffentlichen Polizeien die Kontrollleistungen dieser gemäßigten, zivilen „Hilfssheriffs im Bürgerdesign“1375 in den Städten. Laut Innenministerium Brandenburg handelt es sich um ein „Angebot der Polizei zur Zusammenarbeit“, in dem sich Bürger „mit Zivilcourage für die Gemeinschaft einsetzen“ wollen.1376 Ausgerüstet werden diese „Ordnungspartner“ mit Taschenlampen, Kameras, Schreibutensilien sowie einer geringen Aufwandsentschädigung. Sie beraten beim Eigentumsschutz, begleiten schutzbedürftige Personen, initiieren Telefonketten und alarmieren die Polizei, geben Rat im Bezug auf den Täter-OpferAusgleich im Jugendstrafverfahren und gehen Streife im Bereich der Innenstädte sowie der Wohngebiete. Dabei stehen ihnen – wie allen Nicht-Beliehenen – keine hoheitlichen, sondern nur Jedermannrechte zu. Auch sollen sie nicht direkt in Straftaten eingreifen,1377 sie sollen lediglich als „herausgehobene Vorbilder“ und als „Beispiel für soziales Engagement“1378 einerseits durch unkalkulierbare und inten-

1374 Newiger (1995), auf die sich das Folgende bezieht, beschreibt das Modell der „Sicherheitspartnerschaften“ am Beispiel Brandenburgs. Vgl. auch Korfes/Sessar 1998 und Reimer 2000. In Bayern heißt eine ähnliche Gruppe „Sicherheitswacht“ (vgl. Göschl/ Lustig 1994), in Mecklenburg-Vorpommern „Bürgerpolizei“, in Sachsen und Niedersachsen sind ähnliche Organisationen geschaffen worden. Vgl. zur „Sächsischen Sicherheitswacht“ Reimer 2000. Diese Gruppen sind aber von der „Freiwilligen Polizeireserve“ (FPR), die 1960 als Reaktion auf die Einrichtung von Betriebskampfgruppen in der DDR in West-Berlin gegründet worden war, oder dem 1970 in Baden-Württemberg gegründeten „Freiwilligen Polizeidienst“ zu unterscheiden: Im Gegensatz zu diesen dürfen die Ordnungspartner weder Waffen tragen, noch haben diese hoheitliche Befugnisse. Vgl. Kutscha 2004, o.V. 1999a; S.32, Plarre 1999, Schneider 2004 und Wieland 2000. 1375 Vgl. Newiger 1995; S.50 1376 Innenministerium Brandenburg 1994. Beides zit.n. Newiger 1995; S.50 1377 Was nach internationalen Erfahrungen der öffentlichen Polizeien relativ unwahrscheinlich ist. Vgl. Kap. 4.2.1 und Fn.1283. 1378 So dargestellt in einer Informationsbroschüre der Polizei, zit.n. Newiger 1995; S.52.

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sive Streifentätigkeit präventiv tätig werden und andererseits die Anwohner des Einsatzgebietes in Sicherheit wiegen. Zusammengefasst könnte man die Aufgaben der Sicherheitspartner interpretieren als wenig differenziertes Amalgam aus Nachbarschaftshilfe, Beratung in Sicherheitsfragen, Ansprechpartnerschaft für alltägliche, diffuse Sorgen, Nöte und Ängste – insofern als laienhafte Sozialarbeit unter Kontrollgesichtspunkten kombiniert mit hilfspolizeilichen Maßnahmen. Wenn die Ordnungspartner auch effektiv nichts an der gemessenen Kriminalität im urbanen Nahraum ändern, so können sie doch das Sicherheitsgefühl der Städter heben und – wichtiger noch – die Polizei im alltäglichen Streifegehen und -fahren und als Ersthelfer in Konfliktsituationen entlasten. Es wird befürchtet, dass durch die „Mobilmachung der Bürger“1379 als Agenten sozialer Kontrolle die Gefahr des Missbrauchs oder der extensiven Nutzung ordnungspolitischer Befugnisse und Kompetenzen wächst. Die Aufgabenwahrnehmung von Privatleuten in allen diesen Public-Private-Partnerships im Rahmen der Reprivatisierung und Wiedervergemeinschaftung sozialer Kontrolle, die weitgehend parallel zu einer Restrukturierung der Polizei verläuft, bedingt eine relativ problematische Übernahme einer Rolle des Garanten für Sicherheit, Sauberkeit und Ordnung. Die Nachbarn „liegen auf der Lauer“.1380 Die daraus gegebenenfalls resultierende Übermotivation der alarmierten und Streife gehenden Bürger kann schnell in ein Arrangement systematischer Bespitzelung, Überwachung und Denunziation münden, das zwar im Sinne der Kriminalitätsprävention funktional sein mag, aber zur Reetablierung nachbarschaftlicher Gemeinschaften in den Wohnbezirken wohl eher dysfunktional sein dürfte. Des Weiteren wird angemerkt, dass die Kompetenz, anhand professioneller Kriterien Verdacht zu entwickeln, also die „Normalität“ des Bürgers durch die „Normalität“ des Polizisten zu ersetzen und sich damit anderer Maßstäbe von Selektion und Definition zu bemächtigen, in Konflikte regulierend und deeskalierend einzugreifen, bei den Laienpolizisten größtenteils fehlt. Darin liegt der größte systematische Unterschied zwischen dem Kontrollhandeln von Bürgern und dem professionell ausgebildeter Kräfte in einer polizierten Gesellschaft. Weit intensiver allerdings – bezogen auf das operative Geschäft – ist die Kooperation der öffentlichen Polizei mit den privaten Polizeien, den privaten Sicherheitsdiensten.1381 In sogenannten „operativen Gruppen“ patrouillieren beide gemeinsam,

1379 Vgl. Benteler 2001. 1380 Vgl. Davis 1994b; S.18. 1381 Vgl. zum Verhältnis von öffentlichen Polizeien und privaten Sicherheitsdiensten Beste 2000a und 2003, Beste/Voß 1995, Brunst/Korell 2001, Bülow/Hohnen 2000, Diede-

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um als funktional äquivalente, rechtlich und legitimatorisch aber differente Kontrollinstitutionen in den Innenstädten Sicherheit und Sauberkeit aufrechtzuerhalten. Angehörige der problematisierten Gruppen wie Obdachlose, Drogenabhängige etc., die sich im öffentlichen Raum der Innenstädte sowie im privaten Raum der Bahnhöfe, Ladenpassagen und der Verkehrsmittel aufhalten, sind die Hauptadressaten ihrer Arbeit. Von Juni 1993 bis März 2005 hatte sich beispielsweise in Berlin die „OG City-West“ vornehmlich auf Druck ortsansässiger Einzelhändler und sonstiger Geschäftsleute in der Umgebung des Kurfürstendamms und des Bahnhofs Zoo etabliert.1382 Die organisatorisch beim Innensenator angesiedelte und weisungsbefugte Leitung setzte sich aus Vertretern der Senats- und Bezirksverwaltung, sozialer Organisationen wie Wohlfahrtsverbänden etc., der DB AG, der Berliner Polizei, dem Bundesgrenzschutz sowie einem privaten Sicherheitsdienst zusammen. Operativ tätig waren erst 20, später dann 13 Polizisten (meist in zivil) und 15 private Sicherheitsangestellte sowie ein türkischer Übersetzer. Wie bei den bisher vorgestellten Kontrollmaßnahmen im öffentlichen Raum der Stadt lautete auch hier die Aufgabenstellung, potenzielle Täter durch bloße Anwesenheit generalpräventiv abzuschrecken, Kriminalitätsschwerpunkte zu identifizieren, in Straftaten direkt einzugreifen, um damit insgesamt dem Sicherheitsbedürfnis der Innenstadtbesucher, Anwohner, Gaststättenbetreiber und Einzelhändler gerecht zu werden. Dazu waren die Mitglieder der OG von Verwaltungsaufgaben weitestgehend befreit und führten eine eigens zu diesen Zwecken eingerichtete Datenbank. Die Stadt Wuppertal hat am 28. Juli 2003 mit der Wuppertaler Polizei einen Vertrag geschlossen, der gemischte Streifen aus Polizei und Kommunalem Ordnungsdienst im Rahmen einer „Ordnungspartnerschaft“ vorsieht. Ziel ist es, die „[...] Anzahl der Störer auf bestimmten exponierten Plätzen und Anlagen [...]“ durch die „[...] Verhinderung neuer Gruppenbildung auf der Basis begleitender Alternativangebote [...]“ zu reduzieren. Dazu hat man einen „Tatbestandskatalog“ entwickelt, der auf bestimmte Verhaltensweisen (z.B. „aufdringliches Betteln“, also „Festhalten, Hindern am Weitergang, Beschimpfung, Versperren von Geschäftseingängen“, Wegwerfen von Müll, „Mitführen von Alkohol in mehr als nur geringfügigen Mengen zum Genuss vor Ort“, Urinieren etc.) Bußgelder zwischen 15 und 250 Euro vorsieht. Erstverstöße werden einheitlich mit 50 Euro Bußgeld geahndet.1383 Ebenfalls bekannt ist die

richs 2000a-c, Eick 1995a und b, 1997a und b, 1998a, 2005, 2006a und b sowie Kirsch 2004. 1382 Vgl. für das Folgende Eick 1995a und b, sowie 1997a und b. Vgl. auch Schraven 1998 und Watenphul 1998. 1383 Rechtsgrundlage sind nach Auskunft des zuständigen Geschäftsbereiches der Stadtverwaltung Wuppertal die §§ 3 III Nr. 1 StrO Wuppertal und 188 OWiG. § 3 III Nr. StrO

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Ordnungspartnerschaft des privaten Sicherheitsdiensts der DB AG, der Bundespolizei und der zuständigen Landespolizeien, die 2000 durch eine Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium des Inneren und der DB AG geschaffen wurde. Zielrichtung ist unter anderem „[...] die Präventionsbreite durch mehr uniformierte Präsenz zu erhöhen [...], der Entwicklung von Kriminalität wirksam vorzubeugen, Straftaten, Ordnungswidrigkeiten und Ordnungsstörungen bereits im Ansatz zu erkennen und zu unterbinden, das Entdeckungsrisiko für Straftäter und Störer zu erhöhen, das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung [...] zu steigern [...]“1384 sowie die „Verdrängung unerwünschter Personen“.1385 In der Begründung wird auf die Vergemeinschaftung sozialer Kontrolle explizit abgehoben: „Sicherheit und Sauberkeit sind eine Gemeinschaftsaufgabe und nicht allein eine polizeiliche. Ziel ist, gemeinsam wieder einen Bahnhof zu bekommen, auf dem sich Reisende wohlfühlen. Mutwillige Verschmutzungen und Vandalismus sollen bereits im Ansatz entdeckt und unterbunden werden. Mit der Ordnungspartnerschaft geben wir gemeinsam ein Signal, dass Vandalismus nicht geduldet wird. Das Entdeckungsrisiko ist hoch – dessen sollten sich die Täter bewusst sein. Auch, weil immer mehr Bürger der Stadt wachsam sind und uns ihre Beobachtungen mitteilen.“1386

Bei dieser Konstellation wird vor allem das Verhältnis zwischen öffentlicher und privater Kontrolle, zwischen Staat und Gesellschaft diskutiert.1387 Einerseits treten die privaten Sicherheitsdienste hier als Erfüllungsgehilfen der öffentlichen („grünen“) Polizei auf. Damit werten sie ihr Image auf. Zudem profitieren sie von den Zwangsbefugnissen und informationellen Privilegien der Polizei. Andererseits entlasten sie die Polizei auch, sofern sie zur Strafverfolgung und Prävention von Straftaten beitragen. Die öffentliche Polizei schützt in solchen spezialisierten Kooperationen ganz explizit und in besonderem Maße die privaten (Geschäfts-)Interessen des lokalen Handels sowie der lokalen Dienstleistungsökonomie und übernimmt damit neben ihrem allgemeinen Auftrag des Schutzes, der Her- und Sicherstellung einer abstrakten wie konkreten Ordnung und der Verfolgung von Straftaten eine zentrale

Wuppertal verbietet allerdings nur „Störungen durch grob anstößiges Verhalten”, nicht explizit das „aufdringliche Betteln” mit den genannten Tatbeständen. Vgl. o.V. 2003c. 1384 Vereinbarung über die Ordnungspartnerschaft zwischen DB AG und dem Bundesministerium des Innern vom 27.11.2000; S.2f. Vgl. auch Schierz 2004. 1385 Vgl. Behrendes 2003; S.5. 1386 So ein Sprecher der DB AG in einer Pressemeldung vom 7.12.2006 (www.s-bahnberlin.de/aktuell/2006/357_db_praewentionstag_2006) (sic!). Zur „Wachsamkeit“ der Bürger vgl. auch Göschl/Milanés 1997, Hohmeyer 2000 und Loose 1996. 1387 Vgl. Krebs 2004.

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Aufgabe, die eigentlich den PSD als Exekutivorgan von Partialnormen zukommt. Das strategische Bündnis von öffentlicher und privater Hand erfüllt so Erwartungen der Privatwirtschaft, die – so wird diskutiert – politisch und rechtlich nicht einwandfrei legitimiert sind. Die Leitdifferenz zwischen Staat und Gesellschaft auf dem Gebiet urbaner Sozialkontrolle verschwimmt auch hier tendenziell – mit Folgen für die Sicherheits- und Urbanitätswahrnehmung. Die Schnittstellen, die gesellschaftliche Arbeitsteilung, die ja allen Maßnahmen der Public-Private-Partnerships zugrunde liegen soll und die das Verhältnis von Staat und Gesellschaft bezüglich dieser Funktion ordnet, ist im Rahmen eines solchen „grey Policing“ prekär.1388 Die in der Diskussion vorgetragene Konvergenz- oder Defizitthese, nach der eine Zusammenarbeit zwischen Polizei und PSD sich in allen Dimensionen positiv im Sinne des „Crimefight“ auswirkt, wird kritisiert. Die Arbeit der Polizei wird auch qua Kooperation nicht effizienter oder effektiver, es kommt lediglich zu einer Verschiebung der Konzentration von sogenannten Serviceleistungen auf bestimmte Deliktklassen wie Drogenkriminalität, strafrechtlich relevante Verstöße gegen das Ausländer- und Melderecht, Terrorismus und Gewaltkriminalität. Dies sind aber genau nicht die Straftaten, die Kriminalitätsängste in der städtischen Bevölkerung induzieren, denn dies sind nach wie vor Raub, Nötigung, (Taschen-)Diebstahl, Sachbeschädigung sowie Körperverletzung, deren Prävention im öffentlichen Raum nun zu einem guten Teil den privaten Sicherheitsdiensten überantwortet wird. Arbeitsintensive, niedrig qualifizierte und entlohnte Sicherheitsarbeit wird privat organisiert, die Polizei behält demgegenüber die Aufsicht über die komplexen Makrosicherheitssysteme im öffentlichen Raum der Städte.1389 Für die Betroffenen öffentlich-privater Interventionen sind die Konsequenzen der Kooperation spürbar: Das Netz sozialer Kontrolle wird weiter ausgeworfen, die Maschen enger und die privaten Sicherheitsdienste gewinnen durch diese Kooperationen an Legitimität und damit Autorität. Die Wahrnehmung des städtischen Lebensraums wird negativ beeinträchtigt. Ob die repressiven, gegebenenfalls schikanösen Maßnahmen dem Tätigwerden der öffentlichen, der privaten oder der Kooperation aus beiden geschuldet sind, ist im Ergebnis für die Betroffenen gleichgültig. Die „Problembürger“1390 verschwinden aus dem Stadtbild.

1388 Die informellen Netzwerke zwischen aktiven Polizisten und Sicherheitsangestellten („Moonlighting“, Dt.: Schwarzarbeit) oder die Zusammenarbeit zwischen ehemaligen Polizisten und PSD („Old-Boy-Network“) werden in der Debatte nur angedeutet. Vgl. Eick 1997; S.22. 1389 Vgl. Davis 1994a; S.289f. 1390 So nennt der Sicherheitschef der DB AG Berlin 1999 die unerwünschten Personen. Obwohl in dem Terminus von Bürgern die Rede ist, werden die Teilhaberechte, die in der liberalen Tradition Bürgern zuerkannt werden, durch solche Maßnahmen und ent-

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Neben dem vielgestaltigen Handeln unterschiedlicher Polizeien tragen auch bauliche Maßnahmen zur urbanen Sozialkontrolle bei. Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit wird dabei angenommen, dass sich Architektur und Städtebau auch als Materialisierungsmodi sozialer Ausgrenzung in den Städten verstehen lassen.

4.3 D IE ARCHITEKTUR VON S ICHERHEIT UND S AUBERKEIT : M ATERIALISIERUNGSMODUS URBANER AUSGRENZUNG „Die Besessenheit, mit der physische Sicherheitssysteme errichtet und gleichzeitig durch die Architektur soziale Trennungslinien durchgesetzt werden, ist zum Zeitgeist in der Umstrukturierung der Stadt geworden – zum zentralen Diskurs in der gesamten entstehenden bebauten Umwelt der 90er Jahre.“ MIKE DAVIS1391

Stadt wird im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit nicht nur als soziales und kulturelles Phänomen diskutiert. Stadt ist zugleich immer auch ge- und bebauter, materiell fassbarer, lokalisierbarer, ästhetisch wahrnehmbarer,1392 von ökonomischen Interessen durchwobener,1393 mehr oder minder geplanter Raum mit Gebäuden, Straßen, Plätzen, Parks etc.1394 Diese „Materialität“ von Stadt1395 korrespondiert mit

sprechende Organisationsformen infrage gestellt oder sogar negiert. Vgl. o.V. 1999a; S.32. 1391 Davis 1994a; S.259. 1392 Zum Verhältnis von Kunst, Platzgestaltung und Öffentlichkeit vgl. unter anderem Kaltenbrunner 1994 und 2003. 1393 Vgl. Zinganel (2003; S.127), der Frank Unger zitiert: „Die ökonomische Bereicherung ist das höchste Ziel jedes Individuums, und deshalb ist die höchste, ja einzige Funktion der Stadt, eine optimale Umgebung für das private Gewinnstreben [...] bereitzustellen [...].“ Daraus resultiert ein zunehmender Einfluss von Investoren auf die Entwicklung der Städte, der seinerseits in der Narration vom Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft mit der Ablösung des Staates durch Unternehmen und Marketing als Instrument sozialer Kontrolle in Verbindung gebracht wird und der die Konsumfunktion von Stadt betont. Vgl. Kap. 3.3.2.2 (Fn.799), Kap. 5.3 und Zinganel 2003; S.267. 1394 Feldtkeller (1995; S.196f.) kritisiert in diesem Zusammenhang den „Starkult“ um einige der zeitgenössischen Architekten, die bemerkenswerte Gebäude entwerfen, ohne

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dem sozialen und kulturellen Phänomen Stadt auf vielfältige Weise:1396 Zum Ersten wirkt die materielle Umwelt auf die Handlungsmöglichkeiten der Städter ein, insofern als die Bebauung und Gestaltung von Stadt bestimmte Handlungen ermöglicht oder verwehrt. Wo Verkehrswege fehlen, ist Mobilität erschwert, wo Plätze fehlen, kann man sich nicht versammeln, wo Einkaufsmöglichkeiten fehlen, kann man sich nicht versorgen, wo Häuser fehlen, kann man nicht wohnen, wo die bauliche Infrastruktur Qualitätsmängel aufweist, wohnen sozioökonomisch Benachteiligte, wo eine entsprechende Möblierung des öffentlichen Raums fehlt, kann man sich nur schwer niederlassen. Architektur strukturiert den alltäglichen Handlungsspielraum der Städter, ihre Gestaltungselemente wirken als „social Filters“.1397 Zum Zweiten leistet die physische Umwelt der Städter einen wesentliche Beitrag zu deren Wirklichkeitserfahrung und damit Wirklichkeitsdeutung. In der materiellen Struktur der Städte ist sozialer Sinn insofern aufgehoben, als in Stadt Erzeugungsprozesse und Erscheinungsformen sozialen Lebens wahrnehmbar und relativ dauerhaft, mithin sinnlich erlebbar sind und sich sinnhaft erfahrbar niederschlagen.1398 Zum Dritten spiegeln sich in der materiellen Gestalt der Städte auch die sozialen Beziehungen der Städter zueinander wider. Auf diese Weise lässt sich die physische Gestalt von Stadt unter anderem auch als dynamische „Landkarte der Macht“1399 lesen. „In einem engeren Sinne repräsentieren Landschaften die Architektur sozialer Klassen, der Geschlechter- und der Rassenbeziehungen, die durch mächtige Institutionen auferlegt wird.

dass dabei mittelfristige Planungen für die umgebenden Areale vorliegen oder sich die Bauwerke sozial wie ästhetisch in die Umgebung zufriedenstellend einfügen. Vgl. zum hier angesprochenen Architekturdiskurs unter anderem Büsser 2001, Jessen 2004, Mattl o.J. und Meyhöfer 1996. 1395 Vgl. Durth 1987 und Prigge 1995. Schöttker (2002; S.498f.) beschreibt ein zentrales Defizit des Architekturdiskurses: „Für die Philosophie der Bundesrepublik war das Haus kein Gegenstand des Nachdenkens, während die Stadt in den Kulturwissenschaften nur als Gegenstand der schönen Künste, nicht aber der Realität in den Blick kam.“ Vgl. zum Architekturdiskurs allgemein auch Ambros 1991, Dieckmann 2001, Elser 1998 sowie Kosik 1997. 1396 Vgl. zur Schnittmenge von Architekturtheorie, Stadtplanung und Soziologie Siebel 1967. 1397 Vgl. Zinganel 2003; S.9. und Siebel/Wehrheim 2003a. Becker (1999) beschreibt, wie sich die südafrikanische Apartheidspolitik auf Stadtplanung und Architektur ausgewirkt hat. 1398 Insofern kann Stadt Gegenstand einer hermeneutischen Wissenssoziologie sein. Vgl. Keller 2007; Abs.9. 1399 Vgl. Zukin 1991. Vgl. dazu auch Schlögel 2003; S.81ff.

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In einem weiteren Sinne ist damit das gesamte sichtbare Panorama verbunden: sowohl die Landschaft der Mächtigen – Kathedralen, Fabriken und Wolkenkratzer – und der untergeordnete, widerständige oder expressive Ausdruck der Machtlosen: Dorfkapellen, Barackenviertel und Mietskasernen. Eine Landschaft vermittelt symbolisch wie materiell zwischen der sozialräumlichen Differenzierung des über den Markt verteilten Kapitals und der sozialräumlichen Homogenität der durch den Ort vorgegebenen Arbeit.“1400

Diese städtischen Landschaften werden architektursoziologisch als „symbolische Repräsentationen“1401 eines „Ensembles materieller und sozialer Praktiken“ verstanden:1402 „Architektur stellt einen wichtigen Katalysator für kulturellen Wandel dar, weil sie in der Lage ist, die ‚Lebens-Praxis‘ der Welt alltäglicher Handlungen zu verbinden mit der Sphäre der Ideen, Ideologien und Ästhetiken.“1403 An Architektur lassen sich die Strukturen dieses Ensembles ablesen, „[...] die städtische Hardware und ihre signifikanten Veränderungen (bilden; G.L.) immer auch die Verfaßtheit des Gemeinwesens und die Machtverhältnisse, die sie hervorgebracht haben, ab [...]“.1404 Beide Seiten dieses komplexen Verhältnisses formen die Wahrnehmung von Stadt. Auch Foucault1405 weist auf die Bedeutung von Macht und Raum hin: Raum bzw. Architektur können funktional für Disziplinierung sein, indem sie „[...] das automatische Funktionieren der Macht sicherstell(en). [...] Der architektonische Apparat ist eine Maschine, die ein Machtverhältnis schaffen und aufrecht erhalten kann, welches vom Machtausübenden unabhängig ist.“1406 Aus diesem Grund rückt auch der ge- und bebaute physische Raum der Stadt in den Mittelpunkt, wenn im

1400 Zukin 1991; S.16. Übersetzung von G.L. 1401 Vgl. zur symbolischen Geschlechterzuordnung in Stadt Dörhöfer 2002 und zur Identitätskonstruktion durch Architektur Hannemann/Sewing 1998. 1402 Zukin 1991; S.16. Übersetzung von G.L. Sutton (1997) nimmt Zukins Begriff „Landscape“ (hier übersetzt mit „Landschaft“) auf. 1403 Knox 1987; S.361. Übersetzung von G.L. 1404 Zinganel 2003; S.344. Feldtkeller (1995; S.164) erläutert dieses Verhältnis am Beispiel der Rolle von Architektur für städtische Öffentlichkeit. 1405 Darüber hinaus ist der Begriff der „Heterotopie“ (vgl. unten, Kap. 3.3.2.1, Fn.734, 736 und 1043) zentral für Foucaults Thematisierung des bebauten Raums. Gegenüber Foucaults (und sich indirekt auf Foucault beziehend Davis’) Architekturkritik, die im Wesentlichen Herrschaftskritik ist, wird eingewandt, dass beide die Bedürfnisse der weniger Mächtigen („Ältere, Behinderte, Kranke“), die Schutz suchen statt die Herausforderungen der Stadt anzunehmen, systematisch nicht berücksichtigen. Vgl. Zinganel 2003; S.251; Fn.24 unter Bezugnahme auf Mary McLeod. 1406 Foucault 1995 (zuerst 1977); S.258.

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Diskurs von Verhaltensregulierung die Rede ist. Schließlich lassen sich im Medium der Architektur mittels Fortifikations- und Bewachungstechniken unerwünschte Verhaltensweisen präventiv ausschließen bzw. lassen ihr Auftreten unwahrscheinlich werden, während gewünschte Verhaltensweisen in den Innenstädten ermöglicht bzw. gefördert werden können. Unerwünschte Aspekte städtischen Lebens werden durch die Ästhetisierung der gebauten Umwelt ausgeblendet, während ein gewünschtes Bild von Stadt inszeniert wird: „Die Ästhetisierungen, Kulturalisierungen und Inszenierungen sind bewußter Teil einer Strategie, bestimmte Themen im öffentlichen Diskurs zu setzen [...] und gleichzeitig andere, unliebsame Themen und ihre Repräsentanten aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit auszuschließen, zu verdrängen oder zu vertreiben.“1407 Architektur repräsentiert die „Doppelbewegung von Befreiung und Versklavung“, die typisch für die „Anstaltsordnung“ ist, die der verstädterten Gesellschaft ihre Gestalt gibt.1408 So basiert beispielsweise die sich im Zuge des fordistischen Wohnungsbaus durchsetzende „Erziehung zur Wohnkultur“ auf den Prinzipien „Hygiene, Sauberkeit und Ordnung“: „Neue Menschen fordern ein neues Gehäuse, aber neues Gehäuse fordert auch neue Menschen. Die Baukunst (wird) mit der Unentrinnbarkeit, die der Architektur zu eigen ist – zum Lehrer, zum Erzieher [...] Schlichtheit, Einfachheit, Strenge. Dazu andere, deren sittliche Forderung vielleicht weniger deutlich ist wie Sauberkeit und Hygiene; sie begünstigt das Ordnungsverhalten, ist ‚aufgeräumt‘ im doppelten Sinne.“1409

Eine strukturierte Bauweise kann die Städter disziplinieren, indem sie Verhalten nahelegt oder erschwert. Architektur kann „[...] einen Eindruck von Ruhe, Ordnung und Sauberkeit auslösen und ihren Bewohnern unweigerlich Disziplin beibringen.“1410 Auf diese Weise leistet Architektur einen funktionalen Beitrag zur Disziplinierung und damit zur sozialen Kontrolle der Städter. Zugleich transportieren Architektur und Städtebau als Repräsentationsforen von Macht auch ideologische Elemente gesellschaftlicher Semantik: „Die Art der Bebauung gibt dem öffentlichen Raum sowohl eine real erfahrbare als auch eine symbolisch imaginierte Kontur. Als Verräumlichung gesellschaftlicher Beziehungen drückt sie soziale Macht

1407 Zinganel 2003; S.295f. Vgl. zur ideologischen Funktion der Ästhetisierung des Städtischen auch Kap. 3.4.3. 1408 Vgl. Habermas 1985; S.289. 1409 Fritz Wichert 1928, zit.n. Ronneberger 1999; S.441. 1410 Le Corbusier 1922, zit.n. Ronneberger 1999; S.440.

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und hierarchisierte Nutzungschancen aus, die aber meist nicht als gewaltsam wahrgenommen werden.“1411 Der Verlust von „Ordnung“ in baulichen Ensembles wird mit dem Niedergang des „Gemeinwesens“ assoziiert, infolgedessen sich „anständige“ Städter aus dem öffentlichen Raum zurückziehen und Unsicherheit, sogar Angst entstehen.1412 Subjektiv ergibt sich für derart disziplinierte Städter, dass erlebte Unordnung als Widerspruch zur gelebten Normalität angesehen wird. Dieser Zusammenhang von strukturierendem, planerischen Wissen über Architektur und seine Wirkung auf die Lebensgestaltung der Städter und die disziplinierende Macht lässt sich am Beispiel der Gouvernementalität des „fordistischen Städtebaus“ illustrieren, mit dem dieses, eigentlich aus der funktionalistischen Rationalität von Fabriken und Büros entlehnte1413 bauliche wie soziale Gestaltungsparadigma auf den Wohnbereich übertragen wurde:1414 Im aufkommenden Konzept des Wohlfahrtsstaats wurden die Faktoren betriebliche Rationalisierung, Massenkultur und Sozialmanagement in einem engen Zusammenhang diskutiert. Um der Verarmung weiter Teile der Bevölkerung, insbesondere der urbanen Arbeiterschaft, und den damit verbundenen politischen Konfliktpotenzialen der „gefährlichen Klassen“ sowie Störungen städtischer Sicherheit und Sauberkeit zu begegnen, wurden unter dem Einfluss eines funktionalen Gestaltungsparadigmas standardisierte, industriell gefertigte, einheitlich gestaltete Siedlungen geschaffen, die als „Oasen der Ordnung“1415 genuin städtische Probleme förmlich aussperren und die Regierung der städtischen Industriegesellschaft sicherstellen sollten.1416 Der in diesem Paradigma unausgesprochene, aber mittranspor-

1411 Von Saldern 2000a; S.6. 1412 Vgl. Zinganel 2003; S.127f. Vgl. zum Zusammenhang von Angst, Architektur und bebauter Umwelt unter anderem Chase, Ellin, Epstein, Flusty, Greinacher, Ingersoll, Marcuse, Shulman, Sutton, Takahashi und Troutman (alle 1997) sowie Ellin 2001. 1413 Vgl. von Saldern 2000a; S.7. Vgl. zur Kritik am architektonischen Funktionalismus Berndt 1967 und 1968, Horn und Lorenzer (beide 1968). Auch Haussmanns Pläne zur Modernisierung von Paris lassen sich mit Einschränkungen in diesem Kontext verstehen. Insofern ist das Bauen der fordistischen Moderne nur eine, wenn auch folgenreiche Spielart von Rationalisierungs-, Kontroll- und Disziplinierungsstrategien in Stadt. 1414 Vgl. z.B. Ronneberger 1999 und Hartmann 1980a. Beide kritisieren das in der Weimarer Republik entstandene, im Nationalsozialismus forcierte und für die Entwicklung der Bundesrepublik ausgesprochen bedeutende Modell des „sozialen Wohnungsbaus“ als „Normalisierungsprozedur“ (Ronneberger) bzw. „Gewaltstruktur“ (Hartmann). Vgl. zum Begriff der strukturellen Gewalt in Stadt Grymer 1981. 1415 Manfredo Tafuri 1977, zit.n. Ronneberger 1999; S.442. 1416 Neben „Soleil, Air, Lumière“ war „Form follows Function“ das zentrale Motto moderner, fordistischer Architektur. Dem entsprach eine Vereinheitlichung der Wohnqualität.

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tierte kulturelle Normtyp vom idealen Leben in idealer baulicher Umgebung setzte repräsentative, konsumtive und soziale Standards, an denen Stadt und Städter sich bis heute orientieren.1417 Es „[...] resultierte ein staatlich abgestütztes Urbanisierungsmodell, das die Alltagspraxis der städtischen Bevölkerung zunehmend rationalisierte und normierte.“1418 Vor diesem Hintergrund werden Abweichungen von diesen Standards als auffällig erlebbar. Die Architektur der fordistischen Moderne verstand sich ihrem Ideal nach als emanzipativer, ästhetisierender Beitrag zur Verbesserung der sozialen Lebensbedingungen in der industriellen Gesellschaft.1419 Zugleich aber ermöglicht sie das Eindringen der staatlichen Ordnungsmacht in den privaten Bereich des Wohnens und der privaten Lebensführung. Die funktionalistische Architektur repräsentiert eine formale Ordnung,1420 die ihre Entsprechung in der wohlgeordneten Struktur der (Trabanten-)Stadt findet, wo „(e)in Zusammenhang zwischen Hygiene, Sichtbarkeit und Ordnung [...] überall feststellbar“1421 ist und leistet damit einen Beitrag zur sozialen Kontrolle der Städter, der dann auf Stadt als Ganzes zurückwirkt.1422

Zugleich wurde mit dem neoklassizistischen, kleinteiligen Gestaltungsparadigma der bürgerlich dominierten „Gründerzeit“ sowie nach dem Zweiten Weltkrieg auch mit dem Monumentalismus der Nazi-Architektur zugunsten einer klaren, geometrischen Formensprache gebrochen. Vgl. Rada 1999b. 1417 Vgl. Meyer 1980. 1418 Ronneberger 1999; S.461. 1419 Die Verbesserung der Lebensbedingungen durch Architektur beschränkte sich nicht alleine auf Soleil, Air, Lumière, sondern auch auf individuelle und generative Reproduktionsmöglichkeiten, d.h. sonstige Verbesserungen des Wohnens (mehr Wohnfläche, sanitäre Anlagen in der Wohnung etc.) und des Wohnumfeldes (z.B. Konsum-, Erholungs- und Freizeitangebote). Zur Bedeutung des Konzepts „Sozialhygiene“ und damit verbunden der „Bio-Politik“ dieses Konzepts vgl. Ronneberger 1999; S.432ff. und 449ff. Zur Bedeutung des fordistischen Wohnkonzepts für das Ideal der Haushaltsführung sowie die „Normalisierung des (proletarischen) Alltags“ vgl. Hartmann 1980a, S.23ff. und Ronneberger 1999; S.432ff. 1420 Vgl. Silver 1967; S.12f. 1421 Wie Krasmann/Marinis (1997; S.180) mit Blick auf die Disziplinargesellschaften der Industrialisierung feststellen. Diese Vorstellung taucht auch in der sogenannten „Broken-Windows-Theorie“ auf, nach der eine Störung dieser städtischen Ordnung weitere Verwahrlosung und dementsprechend Kriminalität nach sich zieht. Le Corbusier stellt einen Zusammenhang zwischen Ordnung und Wohlbefinden her. Vgl. das zweite Motto von Kap. 3.3.1 und Fn.582. 1422 Für den Bereich des Konsums in den Innenstädten entsprach die Passage dieser formalen Ordnung. Vgl. Baretzko 1994.

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Zum emanzipativen (freiheitsverbürgenden) Gehalt städtischen Bauens gesellt sich, quasi als dialektische Kehrseite, die relativ umfassende (freiheitsbeschränkende) Kontrolle der urbanen Wohnbevölkerung, auch über deren Lebensgestaltung im gebauten Raum.1423 Die repressive Komponente sozialer Kontrolle tritt in den Hintergrund, wo Sozialdisziplinierung durch Architektur und Städtebau geleistet wird.1424 Die These, Architektur oder bestimmte Orte können Kriminalität erzeugen, ihr begegnen oder sie verhüten, taucht auch in der deutschen Diskussion zu Beginn der achtziger Jahre auf: Einem ätiologischen Ansatz folgend, nach dem Kriminalität eine Qualität der Tat selber oder der ausführenden Person und der – hier baulichräumlichen – Umstände ist, nicht etwa Ergebnis eines sozialen Prozesses der Zuschreibung von Eigenschaften und der Kriminalisierung, wurde versucht, kriminogene Orte zu identifizieren und diese baulich so zu verändern, dass von ihnen keine Gefahr mehr ausgeht.1425 Das prekäre urbane Spannungsverhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit1426 gerät angesichts der damit verbundenen baulichen wie sozialplanerischen Maßnahmen unter Druck. Sozialräumliche Kontrollmechanismen

1423 Die Einteilung der Wohnungen in den Gebäudekomplexen der klassischen Moderne, später dann in den großen Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus, lässt sich ebenfalls unter dem Gesichtspunkt sozialer Kontrolle interpretieren: So sind dort z.B. Schlafzimmer häufig so angelegt, dass die aufgehende Sonne die Bewohner morgens wecken hilft. Die Bewohner sind voneinander, auch bedingt durch die Anlage der Wohnungen zueinander, relativ isoliert, sodass informelle soziale Kontrolle, wie sie heute unter anderen Vorzeichen wieder als erwünscht gilt (vgl. Kap. 3.3.2.2 und 4.2.3), im sozialen Nahraum auf ein Minimum schrumpft. Vgl. zu „Isolation“ und „Atomisierung“ Ronneberger 1999; S.460f., Pahl 1980 und Hartmann (1980a; S.21ff.), der auch schildert, wie professionalisierte Instanzen sozialer Kontrolle (Sozialarbeit und Polizei) die entstehende Lücke zu füllen versuchen. Spätestens mit der Auflösung des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaukonzerns „Neue Heimat“ 1986 gilt dieses Paradigma des sozialen Wohnungsbaus als gescheitert. Vgl. Hartmann 1980b. Vgl. für einen frühen Versuch der Ausübung sozialer Kontrolle in einer Arbeiterstadt durch den Arbeitgeber Berg 2009. Auch hier diente die modern-fordistische Bauweise nicht in erster Linie der Emanzipation der Bewohner, sondern der „Effizienzsteigerung der Produktion eines Privatunternehmens“ (S.15). 1424 Vgl. Ronneberger 1999; S.436. 1425 Vgl. z.B. Herringer 1985, Kube 1982, Müller 1981, Schaub 1980, Schmid 1979, Schwind 1978 und Schwinges 1984. Dass dieser Diskurs immer noch von Bedeutung ist, zeigen die Beiträge von Kube (1998 und 2003), LKA Schleswig-Holstein 2006, Schulz 1993 und Siemonsen/Zauke 1991. 1426 Vgl. Kap. 3.2.

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weisen den Städtern im Raster der funktionsgeteilten Stadt einzelne Orte zu, an denen je bestimmte Personengruppen lokalisiert sind und Verhaltensweisen nahegelegt oder baulich verhindert sind. Dies gilt auch für die Träger des Gefährdungspotenzials städtischer Sicherheit und Sauberkeit: „Die gefährlichen Klassen waren das besondere Zielobjekt von Kontrolle, Normalisierung, aber auch Integration und Ausnutzung.“1427 So lautet eine Annahme, dass die begünstigten Gruppen sich räumlich und bezüglich der architektonischen Gestaltung in segregierten Wohnbereichen abgrenzen.1428 Im Zuge dieser schubweisen sozialräumlichen Transformation räumt die proletarische und kleinbürgerliche Wohnbevölkerung einerseits unter dem Druck der Marktmechanismen, aber auch forciert durch stadtpolitische Steuerung (z.B. die Ausweisung von Sanierungsgebieten),1429 den Innenstadtbereich.1430 Dieser Prozess gewinnt an Dynamik, wenn die so ausgegrenzten Gruppen ästhetisch und bezüglich ihrer Kaufkraft und ihres Konsumstils nicht dem Bild entsprechen, dass man für die Innenstädte wünscht. Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit wird davon ausgegangen, dass durch Architektur und Stadtplanung die Struktur und das Wertsystem einer Gesellschaft abgelesen werden können, sich also in der architektonischen Struktur der Stadt baulich, symbolisch und semiotisch die gesellschaftliche Ordnung materialisiert.1431 Sofern von Ausgrenzung die Rede ist, kann Architektur als „Materialisierungsmodus“ dieser Ausgrenzung verstanden werden: „Bauwerke, Städte, Nationen und Nationenverbände hatten seit jeher Schutz- und Kontrollfunktionen zugleich. Sie schließen die einen ein und unterwerfen sie sowohl ihren baulichen Strukturen als auch ihrem Hausrecht – sie grenzen aber gleichzeitig andere aus.“1432 So entstehen bebaute Räume, die für eine definierte Klientel geplant wurden und aus denen eine angebbare Klientel ferngehalten werden soll. Die ästhetische Gestaltung von Bau-

1427 Krasmann/Marinis 1997; S.180. Vgl. zur Rekonstruktion der „gefährlichen Klassen“ als Begründung für deren Ausgrenzung aus den Innenstädten Ruddick 1994. Zur Architektur für Wohnungslose vgl. Dear/Mahs 1997. 1428 Vgl. Blakely/Snyder 1997 sowie Shane 1997. Zur Kritik an dieser Entwicklung vgl. unter anderem Blum 1996b, Lautenschläger 1999, Mönninger 2000, Rada 1999a und Ronneberger 1996. 1429 Vgl. zum Zusammenhang von Stadtplanung, Macht und den mit ihnen zusammenhängenden Konflikten Simmie 2001. Vgl. zu Architektur und Macht Neitzke 2006. 1430 Vgl. von Saldern 2002a; S.7. Zinganel (2003; S. 136) spricht in diesem Zusammenhang von „Slum Clearence“. Zur sozialen und ökonomischen Dimension von Stadterneuerung vgl. Häußermann/Läpple/Siebel 2008; S.112ff. und 225ff. 1431 Vgl. z.B. Herterich 1996, Jenks 1997, Leipprand 2000, Scholz 1997 und Zinganel 2003; S.8. 1432 Zinganel 2003; S.9. Hervorhebung im Original.

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werken und Städten, die auf symbolischer Ebene einen Ordnungsbegriff mittransportiert, kann vor diesem Hintergrund als materieller Modus der Verhaltensregulierung, der Verfestigung einer sozialräumlichen Segregation wie der Verschleierung dieses prinzipiellen Exklusivcharakters von Architektur verstanden werden. Die Kontrolle über den städtischen Raum und dessen materielle Gestaltung im Sinne eines „Sicherheitsensembles“ sind eng aufeinander verwiesen. Stanley Cohen spricht angesichts des sich damit ausbreitenden baulich materialisierten Netzes sozialer Kontrolle von einer „strafenden Stadt“.1433 Es herrscht Einigkeit darüber, dass Städte nicht nur nach ästhetischen Kriterien, sondern auch immer nach Kriterien der Funktionalität und Repräsentation gestaltet werden: Ein Ziel von Stadt ist es seit jeher, wie auch immer definierte Feinde abzuwehren, und so den Bestand der Stadt, die ja mitunter auch als politische wie soziale Einheit galt, und der in ihr inkorporierten Gesellschaft zu wahren. Fast alle Entwürfe von Idealstädten1434 zeichnen sich durch eine klare sozial- wie funktionsräumliche Gliederung aus, die diese nach außen gerichtete Verteidigungsfunktion manifest sicherstellte.1435 Zugleich fungiert latent eine solche städtebauliche Planung auch dazu, eine je spezifisch definierte Ordnung im Inneren der Städte aufrecht zu erhalten:1436 „Die Stadtplanung sah sich mit sehr unterschiedlichen Aufgaben konfrontiert: Durch welche Maßnahmen vermeidet man Aufstände, die die städtischen gefährlichen Klassen in Gang setzen könnten?“1437 Entsprechende bau-

1433 Vgl. Cohen 1979a und b sowie 1985; S.197ff. Krasmann/Marinis (1997; S.182) greifen diese Metapher auf und entwerfen die Vorstellung eines lückenhaften und flexiblen Netzes urbaner Kontrolle in postfordistischen Gesellschaften. Die „Toleranz der Macht“, die flexibel kleinere Abweichungen weniger hart ahndet als in der Vergangenheit, zeigt sich in den genannten Tendenzen der Umleitung Delinquenter vom Kriminaljustizsystem in die Sozialarbeit (Diversion) oder auch in der informellen Tätigkeitsselektion öffentlichen Polizei. Ein Gegenbeispiel stellt der Diskurs um „Zero Tolerance“ dar, der zuerst mit Blick auf New York City geführt worden ist. Phillip (1994) spricht von strafender Architektur. 1434 Vgl. Eaton 2001. 1435 Typisch dafür sind massive Verteidigungswälle, Befestigungsanlagen, wenige schwere Tore und Stadtmauern. Deren Struktur ergab sich in der frühen Neuzeit auch aus dem jeweils verfügbaren Schussfeld der Artillerie, die so Angriffe aus allen Himmelsrichtungen abwehren konnte. Die langen Belagerungszeiten diverser europäischer Städte sprechen für den relativen Erfolg dieser Strategie. Vgl. Hotzan 1994; S.36, Abb. C. 1436 Im Spätmittelalter beispielsweise wurde auf diese Weise die rigide Zunft- und Ständeordnung materiell festgeschrieben. Vgl. Hotzan 1994; S.37; Sp.2. 1437 Krasmann/Marinis (1997; S.179) unter Verweis auf Pere López Sánchez.

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liche Präventionsmaßnahmen gegen feindliche Angriffe von außen wie innen haben sich auf vielfältige Weise in die physische Realisierung von Stadt eingezeichnet. Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit wird darüber hinaus der Frage nachgegangen, wie Architektur zur Prävention von realem wie imaginiertem Verbrechen, gegen Abweichung vom je zeittypisch definierten Begriff von Normalität reagieren bzw. wie Architektur, die diesen Zusammenhang nicht explizit reflektiert, zur „[...] strukturbildenden Kraft eines imaginären Sicherheitsdenkens im Urbanismus [...]“1438 werden kann. Dabei spielt die subjektive Angst der Städter eine ebenso zentrale Rolle wie die Minimierung von „objektiven“ Risiken.1439 Beide Faktoren resultieren aus dem Vergesellschaftungsmodus Urbanität und sind insofern konstitutiv für städtisches Zusammenleben. Entsprechende Maßnahmen reichen von der „[...] Verbesserung des Türschlosses zur Alarmanlage, von der öffentlichen Beleuchtung zur Videoüberwachung des Stadtraums, von der Befestigung von Objekten oder militärstrategischen Anlagen zur sozialen Kontrolle durch transparente Gestaltung und Ansiedlung von Konsumzonen, um als gefährlich empfundene Orte durch entsprechende Belebung sicherer erscheinen zu lassen, usf.“1440 In der Architekturdiskussion werden unterschiedliche proaktive Strategien diskutiert: Zum einen können Bauten mittels technischer Einrichtung so befestigt werden, dass unerwünschte Personen oder Ereignisse weitgehend ausgeschlossen werden. Dazu werden beispielsweise Übergänge von außen nach innen personell oder technisch (z.B. durch Einlasskontrollen, Mauern, Zäune,1441 Zufahrtsbeschränkungen1442) gesichert, der Baukörper entsprechend orientiert, robuste Materialien bevorzugt verwendet, Schwachstellen wie Kellerfenster eliminiert etc. Die zweite Strategie bezieht sich auf die als mögliche Störer, Gefährder, Risikoträger angesehenen Personen, die durch eine umfassende Überwachung erkannt und daran gehindert werden sollen, sich abweichend zu verhalten. Dazu wird in Gebäuden Wert auf eine umfassende Einsehbarkeit, die Eliminierung möglicher Verstecke (z.B. öffentliche Toiletten) und Sitzgelegenheiten, auf Beleuchtung, den Einbau „intelligenter“ Technologien1443 wie die Videoüberwachung des Innenraums usw. ge-

1438 Zinganel 2003; S.13. 1439 Vgl. z.B. Schlör 1994. 1440 Zinganel 2003; S.16f. 1441 Vgl. Risse 2008a. 1442 Vgl. Zinganel 2003; S.215. 1443 Vgl. Davis 1994a; S.12ff. Intelligent werden Gebäude z.B. durch den Einsatz von Sensoren (zur Identifikation von Zugangsberechtigten, vgl. Gray 2003, Geruchsdetektoren, Temperatur-, Rauch-, Feuchtigkeits-, Geräusch- und Bewegungssensoren) oder Kameras (panoptische Rundumsicht, Einzelüberwachung etc.). Im Falle kleinerer Sicherheitsstörungen wird der private Sicherheitsdienst verständigt, im Falle von „Sicher-

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legt.1444 Die dritte Strategie besteht darin, die Bewohner mittels Segregation so im Raum zu verteilen und diesen Raum zu überwachen, dass Übergriffe und Ordnungsverstöße im Innenstadtbereich minimiert werden.1445 Auch für diese kontrollgesellschaftlichen Strategien der Normalisierung gilt, dass sie „Normalität“ definieren, indem sie Abweichung normativ ausgrenzen und Risiken rational verwalten.1446 Sie spiegeln sich auf unterschiedlichen Ebenen wider: Sicherheitstechnische Einrichtungen wie Schlösser und Alarmanlagen, Türen und andere Barrieren, Flure und Vorzimmer als Zwischenräume, Vergitterungen, Türspione etc. bewegen sich auf der untersten Ebene der Sicherung und Aufrechterhaltung des etablierten Ordnungsbegriffs durch Architektur. Sie verhindern das Eindringen des bzw. der Unerwünschten in einen geschützten privaten Bereich, der von dem vermeintlich unsicheren urbanen Außen geschieden wird. Auf der nächst höheren Ebene geht es um die Sicherung ganzer Wohneinheiten, z.B. durch Zugangskontrollen zu geschlossenen Siedlungsanlagen oder die Umwehrung solcher insulierter Areale durch Mauern, Zäune etc. Ein plastisches Beispiel sind die sogenannten „Gated Communities“, also umzäunte, physisch abgegrenzte,1447 technisch überwachte und privat bewachte Wohnareale mit einer Bewohnerschaft, die erstens großen Wert auf die Trennung von geschützter Privatheit von der tendenziell unsicheren, schmutzigen Öffentlichkeit der Innenstädte legt und sich zweitens diese exklusive Wohnform

heitskrisen“ sollen Gefahren quasi selbstständig abgewendet werden können (Fahrstühle mit nicht-identifizierten Personen oder auch ganze Korridore werden z.B. blockiert). Vgl. Zinganel 2003; S.205ff. Nierhaus (2001) spricht von „Munitionen des Hauses“. Zur „intelligenten Stadt“ vgl. Jahn/Kluge 1988. 1444 Davis (1994a; S.269ff.) spricht in diesem Zusammenhang von „sadistischen Straßenumwelten“ und beschreibt die Umgestaltung von Orten und Räumen, an denen sich erfahrungsgemäß „gefährliche Gruppen“ aufhalten. Brunnen, an denen man sitzen könnte, werden abgerissen oder so umgestaltet, dass ein Verweilen auf ihnen unmöglich ist, Parks werden mit versetzt zeitgesteuerten Sprinkleranlagen ausgestattet, damit man in ihnen nicht schlafen kann, ganze Zonen werden mit Zäunen oder Mauern umgeben und durch private Sicherheitsdienste kontrolliert, sodass nur Angehörige augenscheinlich konformer Gruppen Zugang haben etc. Es entstehen „ungewöhnliche“ Räume für Arme, die nur stark eingeschränkt genutzt werden können. Supermärkte vergiften Lebensmittel mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum, damit Obdachlose diese nicht essen. Vgl. o.V. 2008. 1445 Diese Strategie zeigt sich auch in der Ausweisung spezifischer „Social Control Districts“ bzw. „gefährlicher Zonen“. Vgl. Kap. 3.4.3. 1446 Vgl. Zinganel 2003; S.145. 1447 Vgl. Caldeira 1999.

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leisten kann.1448 Auf der nächsten Ebene geht es um die Fortifikation von Großbauten beispielsweise durch elektronische Zugangskontrollen, die Implementation von Verhalten begünstigenden oder verhindernden architektonischen Gestaltungselementen, die Steuerung von Besucherströmen mittels einer verwissenschaftlichten Bauplanung usw., wie man sie aus der Planung von Büro- oder Wohnhochhäusern oder Shopping Malls kennt. Auf der höchsten Ebene geht es um die Planung von Städten oder Stadtteilen, in die Aspekte der Verhaltenssteuerung und Sicherung über die Kombination von Bauten, die Anlage von Straßen, Wohnvierteln, die Sanierung von problematischen Vierteln etc. einfließen, wie man sie aus der Planung sogenannter „Trabantenstädte“ oder der Planung von inzwischen kleinstadtähnlichen Flughäfen oder Themenparks kennt.1449 Dabei spielen auch Boden- und daraus abgeleitete Mietpreise eine Rolle. Alle drei Strategien werden häufig vermengt, wenn es um die Interpretation oder die Planung von Stadt geht. Zugang wird in allen diesen Strategien auf zweierlei Weise beschränkt: einerseits durch physische Schranken, andererseits informell mittels ökonomischer Regulative wie Konsummöglichkeiten oder Symbolen wie Kleidung.1450 Das vermeintliche Wissen über das Bedrohliche der Stadt, dass durch wissenschaftliches (kriminologisches, epidemiologisches) wie kulturelles, machtdurchwirktes Wissen (Verführungscharakter von Stadt, Überreizung der Städter, ubiquitäre Gefahr etc.) und Alltagswissen (aversive eigene Erfahrungen von Unsicherheit und Unsauberkeit) durchzogen ist, bedingt eine Architektur, die sich auf das schützende Innere in Abgrenzung vom bedrohlichen Äußeren bezieht. Der Bereich der Passage zwischen dem Innen und Außen1451 gewinnt so in den bürgerlichen Wohnvierteln architektonisch an Bedeutung: So entstehen Flure, Vorzimmer, die Wohnungstüren werden massiver, Türspione eingebaut, Fenster vergittert usw.: „Der Grad der Abgeschlossenheit der Wohnung wird bereits im 19. Jahrhundert zum Maß ihres Standards.“1452 Der Innenbereich der Architektur kann, anders als das urbane Außen als irritationsarmer und regierbarer Raum, der eindeutig den sozialen Normen der Bewohner gehorcht, ohne durch scheinbar unausweichliche Ordnungsstörungen anderer kompromittiert zu werden, eingerichtet werden.1453 Dementsprechend sollen auch die Innenstädte, die den Repräsentationsbedürfnissen und Kon-

1448 Vgl. Siebel 2003; S.116. 1449 Vgl. Zinganel 2003; S.38f. 1450 Vgl. Zinganel 2003; S.274. 1451 Vgl. zum Verhältnis von Innen und Außen in der Architektur Baecker 1990. 1452 Irene Nierhaus, zit.n. Zinganel 2003; S.55. Hier deutet sich an, dass die Verfügung über Sicherheit zum Statussymbol und Distinktionsmerkmal derjenigen wird, die sich Sicherheit leisten können. Vgl. Kap. 3.2.3. 1453 Vgl. Zinganel 2003; S.75.

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sumgewohnheiten der kaufkräftigen Milieus angepasst sind, zu ebensolchen Räumen werden. In diesem Zusammenhang ist auch von Architektur als „Technologie der Normalisierung“1454 die Rede, weil durch sie Normalität baulich manifestiert und Abweichung auf diese Weise markiert wird. Der symbolische Schutz, der baulich-gestalterisch dem Wohnbereich zugeordnet ist, greift unter den Bedingungen einer empfundenen oder tatsächlichen Bedrohung oder Ordnungsstörung auch in die Innenstädte über, weil die Gefahr besteht, dass sie gemieden würden, wenn nicht den Bedürfnissen der Träger der Kaufkraft architektonisch, d.h. baulichgestalterisch nachgekommen wird. So kann sich kein Gebäudetypus der sicherheitstechnischen „Hochrüstung“ entziehen: Geschäftslokale, Gewerbebetriebe, Büros, Sportanlagen, Verkehrsbauten und Konsumgelegenheiten werden wie Wohnhäuser so gestaltet, dass erstens das sichere Innere eindeutig von Äußeren geschieden ist und dass zweitens diese Differenz technisch und/oder personell aufrecht erhalten werden kann.1455 Dazu müssen die entsprechenden Bauwerke vor allem übersichtlich gestaltet werden. Um Abweichung zu verhindern, muss deren Möglichkeit präventiv detektiert werden können. Hinsichtlich der Gestaltung von Shopping Malls, aber auch der Neuplanung oder des Umbaus bestehender Ladenpassagen wird darauf hingewiesen, dass sich deren Struktur inzwischen dem Bentham’schen Panopticum,1456 das den Gefängnisbau prägte, stark angenähert hat. Im Inneren orientiert sich dieser Gebäudetypus an den traditionellen Stadträumen europäischer Innenstädte, indem sie Straßen, Plätze, Brunnen etc. imitieren und verdichten, um ein Kontinuum öffentlicher Außenräume und privater Innenräume zu simulieren, ohne die Öffentlichkeit des Stadtraums im Inneren zuzulassen.1457 Solche Bauwerke kommen ohne funktionale Gliederung der Fassade, ohne repetitive Elemente wie Fenster, ohne imposante Portale und ohne direkten Kontakt zur Straße, ohne Kon-

1454 Vgl. z.B. Ronneberger 1999; S.432, 436 und 459. 1455 Häufig wird darauf hingewiesen, dass empirisch die Gefahr tatsächlich nicht von außen, sondern aus dem Inneren kommt. Die meisten Gewalttaten ereignen sich innerhalb der „eigenen vier Wände“ (insofern innerhalb des „sozialen Nahraums“), die Hauptgefahr im gewerblichen Bereich dräut nicht durch Einbruch, sondern durch Diebstahl während der regulären Öffnungszeiten. Vgl. z.B. Zinganel 2003; S.103. 1456 Vgl. Blum 1999. Vgl. zum Gefängnisbau der Gegenwart Köhler 2004. 1457 Vgl. Zinganel 2003; S.114. Viktor Gruen, einer der ersten Architekten dieses Bautyps, siedelte in seiner ersten „Mall“ sogar einige für Innenstädte typische Infrastruktureinrichtungen der Öffentlichkeit an. Moore (1965; S.62ff.) kritisiert, dass öffentliche und private Räume so ununterscheidbar werden. Die Gebäude selbst leisten keinen Beitrag mehr zum öffentlichen Leben. Inzwischen spricht man angesichts immer mehr aufgegebener Malls von deren „Untergang“, unter anderem weil sich die Simulation von Urbanität als nicht nachhaltig erwiesen hat. Vgl. Hellmuth 2009.

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takt zum Außen aus.1458 Da bei der Planung Fragen der optimalen Kapitalverwertung und der Sicherheit im Vordergrund stehen, sind die Zugänglichkeit, die Menge an Parkraum, die Geschossfläche, die Zahl der Eingänge und die der Organisation des Konsums zentrale Kriterien, die ausschließlich konsumtechnokratisch angegangen werden.1459 Die Möglichkeiten zur spontanen Begegnung, zum zweckfreien Flanieren oder zur subjektiven Erschließung des Raums, die den Urbanitätsbegriff traditionell kennzeichnen, spielen in diesen Planungen keine Rolle. Die Gestaltung solcher Gebäude und Ensembles ordnet sich ihrem Zweck unter, schließt andere Zwecke bzw. Nutzungsmöglichkeiten oder gar abweichendes Verhalten aus und trägt so zur vermeintlichen Sicherheit und Sauberkeit der Innenstädte bei. Auf diese Weise werden die Innenstädte funktional von der lokalen Geschäftswelt und ihren spezifischen Nutzungsangeboten beherrscht, die sich baulich-gestalterisch auf bestimmte Art niederschlagen.1460 Nicht-konsumtive Tätigkeiten sind in einem solchen baulichen Ensemble nicht vorgesehen, die „bürgerliche Straßenöffentlichkeit“ ist anders als bei der Planung der traditionellen Ladenpassage nicht Planungsgegen-

1458 Die Ladenpassage, die als Leitparadigma der Innenstadtgestaltung in den sechziger Jahren dem der Mall vorausging, zeichnete sich demgegenüber durch eine Vielzahl an Schaufenstern aus. Zinganel (2003; S.121ff.) beschreibt dies anhand des „Detroit Renaissance Centers“ (Fertigstellung 1973), eines für dieses Paradigma archetypischen Gebäudes. Das von Herny Ford Jr. unterstützte Projekt war angetreten, um die als unwirtlich und spätestens seit dem Riot von 1967 als gefährlich geltende Innenstadt von Detroit aufzuwerten – offensichtlich indem man einen Raum schafft, der von typisch urbanen Eigenschaften befreit ist. 1459 Die Verwissenschaftlichung der Konsumplanung ist weit fortgeschritten, deshalb hier nur einige wenige Beispiele: So weiß man, dass Treppen pro Etage 10% Umsatzverlust bedingen, weshalb man bei der Planung auf große Flächen und Rolltreppen setzt. Da Männer von Treppen oder Rolltreppen weniger abgeschreckt werden, finden sich deren Abteilungen meist in den oberen Stockwerken. Die Mischung der Anbieter („Tenant Mix“) wird so gewählt, dass die Mall für eine möglichst breite Konsumentenschicht attraktiv ist. Seeßlen (2009) nennt das fordistische Warenhaus eine „konkrete Utopie der kapitalistischen Klassenmischung“. Die Fußgängergeschwindigkeit im Inneren und die Steuerung des Blicks wird bei der Planung experimentell so optimiert, dass Besucher in eine Art Trance („Gruen-Effekt“) verfallen und auf Konsum konditioniert werden. Die Besucherströme werden über Bodenmaterialien und Hindernisse wie Pflanzen etc. gelenkt. Düfte und Musik vervollständigen die unterbewusste Steuerung der Konsumenten. Vgl. Farocki 2001a; S.72ff. und Schmidt 1980. Vgl. für weitere „technische Tricks“ Krebs 2001; S.105ff. Zur Konsumerfahrung in den ersten Warenhäusern und die Rolle der Frauen bei deren Planung vgl. Haupt 1999; S.311ff. 1460 Vgl. von Saldern 2000a; S.7.

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stand.1461 Nischen für die Angehörigen marginalisierter Gruppen gibt es nicht, eine „Verhinderungsarchitektur“1462 reguliert Ein- und Auslass, eine informelle Nutzung der Architektur ist weitgehend ausgeschlossen. Die Schankflächen im Inneren der Malls simulieren Öffentlichkeit und erinnern weniger an städtische Plätze denn an moderne „Quarantänestationen“.1463 Insgesamt entsteht eine „funktionalistische Urbanität“ der „Hochsicherheitsarchitektur“,1464 eine „monotone Behaglichkeit“1465 statt „einprägsamer Orte“.1466 „Die postmoderne Architektur zeichnet sich eher aus durch ihre Komplizenschaft bei der Abwertung des öffentlichen Raumes, durch ihre Angst vor der Straße und den ihr zugeschriebenen Gefahren. Sie spielt außerdem eine zentrale Rolle bei der ‚Maquillage‘ von Städten: Spektakelmontage einerseits, Verbreitung eines Sicherheitswahns und einer Festungsmentalität andererseits verbünden sich und bilden ein Leitmotiv gegenwärtiger Architekturtendenzen.“1467

Es wird befürchtet, dass die Aufenthaltsqualität der Innenstädte entsprechend ab1468 nimmt. Neben den Innenräumen der Konsumgelegenheiten spielen die Zonen des Übergangs vom öffentlichen zum privaten Raum wie auch die Struktur der Stadt als Ganzem eine Rolle in der Architekturdiskussion. Mit der Übergangszone hat sich

1461 Vgl. Kap. 5.3 und 3.4.1. 1462 Christopherson (1994; S.420ff.) spricht vom „Design der Vermeidung“. Davis (1994a; S.286) weist auf die Verknüpfung von Sicherheitsarchitektur und Profitinteressen der Bauherren bzw. Betreiber hin. Auf dem privaten Wohnungsmarkt lassen sich gesicherte Wohnviertel besser vermarkten. Versicherungen fordern inzwischen sowohl für gewerblich genutzte Gebäude wie für Wohnviertel verbesserte Sicherheitssysteme und „vandalensichere Strukturen“, um ein entsprechend minimiertes Risiko überhaupt zu versichern. 1463 Krebs 2001; S.118. 1464 Vgl. Becker 2001a. 1465 Ernst Jünger zugeschrieben. Zit.n. Reisch 1988; S.30. 1466 So der Architekt Charles Moore, zit.n. Reisch 1988; S.30. Vgl. auch Moore 1965. 1467 Krasmann/Marinis 1997; S.181. Durth (1975) spricht in diesem Zusammenhang von Stadt als Theaterwerkstatt, in der Urbanität nur inszeniert würde, wo sie nicht (mehr) gelebt werden kann. Vgl. auch Durth 1987, 1988 und 1991 sowie Kap. 5.3. 1468 Wozu die Abschaffung der ohnehin spärlichen Stadtmöblierung einen weiteren Beitrag leistet. Vgl. Blum 1996b; S.20 und 22. In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, in der Hochzeit des Flaneurs, galt die Ausstattung des öffentlichen Raums mit Möbeln als Qualitätsmaßstab für eine Stadt. Vgl. Davis 1994a; S.269.

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das Konzept des „Crime Prevention through Environmental Design“ (CPTED) besonders auseinandergesetzt.1469 Der zentrale Gedanke einer sogenannten „Architektur der Paranoia“1470 ist die Umwandlung von Gebäuden von „angreifbarem Raum“ zu „verteidigbarem Raum“:1471 Dazu werden verschiedenste Mechanismen der Sicherung, reale und symbolische Barrieren in Bauwerke implementiert, persönliche Einflussbereiche der Bewohner definiert, sowie die Möglichkeiten der Überwachung verbessert. Territorien werden definiert, die „natürliche Überwachung“ wird verbessert, indem zusätzliche Lichter und Bewegungsmelder installiert werden, aber auch auf Gardinen, Sichtschutz, Gebüsche, Mauern etc. verzichtet wird, um dem Nachbarn die Kontrolle der eigenen Wohnung und damit des intimen Privatlebens zu ermöglichen. Der halböffentliche Raum des Vorgartens wirkt als Puffer zwischen dem geschützten Drinnen und den bedrohlichen Draußen, aus der militärischen Architektur entlehnte Elemente bietet dieser zusätzlichen Schutz.1472 Implizit bedürfen solche Maßnahmen der Kriminalitätsprävention im Gemeinschaftsterritorium neben technischen Interventionen aber ähnliche Absprachen wie in den Neighborhood Watch Programs, um Abweichungen von einer definierten Norm kenntlich zu machen. Insofern handelt es sich um eine Normalisierungstechnologie. Es muss ausgehandelt und bestimmt werden, wer sich um welche Areale zu kümmern hat, um Verantwortungsdiffusionen oder pluralistische Ignoranz als Ursachen der Ablehnung von gegenseitiger Hilfeleistung oder des Nicht-Eingreifens im Vorfeld auszuschließen. Gefragt sind „Konsens, Kohäsion und Kooperation“.1473 Insofern ist CPTED ein begleitendes Mittel zur Intensivierung informeller sozialer Kontrolle in der Gemeinschaft der Nachbarschaft. Es ist dieses Eindringen der Gemeinschaften in die städtische Gesellschaft, dass Richard Sennett auch als „Tyrannei der Intimität“1474 bezeichnet. Die Angst vor dem Draußen mit Schmutz, vermeintlicher Gefahr und potenzieller Unordnung verräumlicht sich so und schlägt sich in der materiellen Gestalt der Städte nieder. Noch zu bauende Wohnhäuser dürfen weder besonders auffällig gestaltet sein, noch vereinzelt, ohne Schutz, stehen. Außerdem sollen entstehende Wohngebiete nur in der Nähe ähnlicher Nutzungen angesiedelt werden, die Funktionsmischung des urbanen Raums aufgehoben werden. Am Ende

1469 Vgl. z.B. Atlas 1986, 1989, 1991, 1999a-c, o.J. und Atlas/LeBlanc 1994, Brown 1995, Christopherson 1994; S.420ff., Schubert 2002 und 2005 sowie Stollard 1991. 1470 Brown 1995; S.1. Übersetzung von G.L. 1471 Vgl. Newman 1973 und Fn.1103. Übersetzung von G.L. 1472 Vgl. Büsser 2001; S.1. 1473 So Atlas 1991; S.1. Damit imitieren angeblich die rechtschaffenen Bewohner nur die „Kriminellen“, die ihre „Stützpunkte“ zum Schutz vor Konkurrenz und Polizei schon lange nach solchen Kriterien ausrichten. Vgl. Atlas 1991; S.4f. 1474 Vgl. Sennett 1999 (zuerst 1977) und Kap. 3.4.1.

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solcher städtebaulichen Planungen stehen gestalterisch homogene Vorortsiedlungen (z.B. auch „Gated Communities“)1475 mit einer sozial homogenen Wohnklientel, in denen, ähnlich den Themenparks,1476 Irritationen durch die sozialräumliche Ordnung relativ ausgeschlossen sind. „Deutlichster Ausdruck dieser Ausweitung des Privaten sind die Gated Communities, die umzäunten Nachbarschaften in den Vereinigten Staaten. Sie sind umzäunt mit physischen Grenzen, technischen Überwachungsmitteln und privaten Sicherheitsdiensten, aber auch durch juristische Grenzen: Anstelle der öffentlich-rechtlich verfassten Kommune tritt die privatrechtlich organisierte Vertragsgemeinschaft der Eigentümer; anstelle der öffentlichen Planung die Produktion der Stadt durch private Developer; anstelle der politischen Administration ein privates Management.“1477

Die Semiotik solcher bebauten Räume ist beredt, die Botschaft dieser „neomilitärischen Syntax der Gegenwartsarchitektur“1478 an alle Nicht-Erwünschten klar: „Die gesamte Anlage demonstriert ihr soziales Niveau mit den nur first class tenants erschwinglichen Kaufpreisen und Mieten von Büros und Appartments optisch so sinnfällig nach außen, dass hier trotz der Zugangsmöglichkeit [...] keine homeless people, keine plastic bag ladies angetroffen werden.“1479 Die äußere Erscheinung entsprechender Gebäude ist dabei von entscheidender Bedeutung: Die inkorporierte soziale Kontrolle erscheint als natürlicher Bestandteil des Baukörpers und wird ästhetisiert,1480 seine Glasfassaden simulieren optische Durchlässigkeit, die personellen und technischen Sicherheitseinrichtungen aber praktizieren sozialräumliche Exklusion. Die nach innen geholten, sich an den öffentlichen Plätze Europas orientierenden Gestaltungselemente (Plastiken, Brunnen, Bepflanzungen, künstlerische Darbietungen etc.) dienen weniger dem ästhetischen Genuss, der Kontemplation

1475 López (1996) spricht von Festungsstädten, Davis (1994a; S.260) von „befestigten Zellen“. Vgl. auch Montclos 1996, Siebel/Wehrheim 2003a; S.8f. und Wehrheim 2002a. Litz (2000) spricht in diesem Zusammenhang von „Zitadellengesellschaft“, Kunz (1999) von „Wohlstandsfestung“. 1476 Sorkin (1992b; S.222) nennt solche Wohnparks auch „Disneyville“. 1477 Siebel 2003; S.116. 1478 Davis 1994a; S.262. In einigen Gated Communities sind die Häuser vom Hubschrauber aus sichtbar mit Nummern versehen, um die Einsatzkräfte im Alarmfall schnell zum Einsatzort beordern zu können. Vgl. Zinganel 2003; S.93. Im Zusammenhang mit terroristischer Bedrohung und entsprechenden baulichen Abwehrmechanismen wird auch von „Militarisierung“ gesprochen. Vgl. Zinganel 2003; S.205ff. und Kap. 3.3.2.3. 1479 Wagner 1993; S.292. Hervorhebungen im Original. 1480 Vgl. Christopherson 1994; S.409f.

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oder der Erholung der Besucher als der Lenkung und Kontrolle von Besucherströmen. Die Wege zwischen ihnen dienen dem gleichen Zweck: Als Puffer ziehen sie materielle Grenzen zwischen urbanen Gruppen und zementieren so die sozialräumliche Trennung,1481 sie fungieren als reine Verkehrswege, von denen die Gebäude sich förmlich abgewendet haben, als Raumbeschleuniger, als Nicht-Orte, auf denen eine Begegnung zwischen Flaneuren unterschiedlicher sozialer Herkunft tendenziell unmöglich ist, weil die baulichen Bedingungen dem entgegenstehen.1482 Gebäude können so als Materialisierungsmodi städtischer Sozialkontrolle strukturelle Gewalt1483 ausüben, verschleiern dies zugleich hinter ihren Fassaden mithilfe ihres Designs. Kunst als Element der Innenstadtgestaltung spielt dabei insofern eine Rolle, als die Integration von Kunst, der ja immer ein exklusives Image anhängt, in dem Zeichengefüge der privatisierten Indoor- und Outdoor-Plazas die Herrschaft der Mittelschichten über den gentrifizierten Raum symbolisiert,1484 während innenstadtnahe Orte der „Off-Kultur“ wie besetzte Häuser oder revitalisierte Industriebrachen im erweiterten Bereich der Innenstädte nur geduldet werden, wenn sie sich als Orte der Kunst ohne expliziten politischen Anspruch gerieren.1485 Die Bewertung einer solche Form von architektonischer Städteplanung variiert mit dem sozia-

1481 Das gilt insbesondere für Schnellstraßen, aber auch für Parkplätze und andere Absperrungen. Vgl. Rada 1997a; S.201. 1482 Bisweilen werden Straßen in ihrer Funktion als Zugang zu Gebäuden sogar völlig entfunktionalisiert: Oberirdische Glastunnel („Skyways“) verbinden die einzelnen exklusiven Hochsicherheitshäuser oder Gelände (z.B. die der Expo 2000 in Hannover). Vgl. Christopherson 1994; S.409f. Sofern das Straßenniveau verlegt wird, ist der Zugang zu diesen Häusern nur noch über die Sicherheitssysteme der anderen Häuser möglich. Siegel (1995; S.371) schildert das Beispiel eines Hotels, dessen Lobby – früher einmal konzipiert als lebendiger Ort von Kommunikation und Begegnung – im siebten Stock untergebracht ist, um sicherzustellen, dass keine unerwünschten, zufälligen Passanten den Betrieb oder die Gäste stören. 1483 Vgl. Duntze 1981 und Grymer 1981. 1484 Zur Verbindung von Kunst, Privatisierung und Exklusion am Beispiel Manhattans vgl. Wagner 1993. Für Kassel schildert Becker (1997a) den Zusammenhang von Vertreibung und Festivalisierung der Kunst im öffentlichen Raum im Rahmen der „Documenta X“. 1485 Das „Tacheles“ in Berlin kann dafür als Beispiel dienen: Während alle anderen besetzten Häuser und Wagenburgen seit dem Mauerfall sukzessive geräumt wurden, um die unerwünschte Klientel der Störer, Chaoten etc. zu vertreiben, wurde das Tacheles als „Kunst- und Atelierhaus“ nicht nur lange geduldet, es gab sogar Vorstöße, ein solches Projekt aufgrund seiner Anziehungskraft auf Touristen als musealisierte randständige Großstadtkultur zu protegieren. Vgl. Rada 1996b und Elser 1998; S.2.

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len Status: Die relativ isolierten, bebauten Inseln und Archipele im phänomenologisch öffentlichen Raum werden von den aufsteigenden und aufgestiegenen Mittelschichten als gestalterische Repräsentation ihres eigenen Status als Konsumenten und des Status ihrer Stadt als Image wahrgenommen – auf die Gruppen, die man ausgrenzen möchte, wirken diese Bauwerke zurückweisend. In der Diskussion wird davon ausgegangen, dass sich die soziale Biografie mit Raumphänomenen verbindet. Der Segregation der städtischen Bevölkerung im Medium der Architektur wird dadurch Vorschub geleistet. Bereits die historisch orientierte Architekturdiskussion hatte für die Vergangenheit konstatiert, dass den einzelnen Ständen oder Klassen eigene, segregierte Wohnviertel zugewiesen wurden und die klerikale, später dann die säkulare Macht mit imposanten Prachtbauten die Mitte der Städte dominierte.1486 Die „abandoned Cities“1487 der problematisierten Gruppen werden so zu „NoGo-Areas“ für diejenigen Bürger, die sich in der materiellen Ordnung ihrer urbanen Lebenswelt gestört fühlen. Besonders an den Beispielen des nachrevolutionären Paris1488 und des Wiens der Jahrhundertwende1489 zeigt die Diskussion, dass auch die Anlage von Verkehrswegen im materiellen Sicherheitsensemble der Städte eine gewisse Rolle bei der Etablierung von Sicherheit und Sauberkeit spielt. „Man hat festgestellt, daß es häufig keine bessere Möglichkeit gibt, ein Slumviertel zurückzugewinnen, als eine große, vor allem von industriellen Durchgangsverkehr genutzte Straße quer hindurch zu bauen. Wie ein Strom klaren Wassers wird sie reinigen, was sie berührt, wenn der Verkehr im ergötzenden Rhythmus des städtischen Lebens, getragen von harter Arbeit und Zweckmäßigkeit, durch ein brachliegendes oder heruntergekommenes Viertel fließt und so zu einer höheren Bestimmung erweckt.“1490

Am Beispiel der städtischen Agglomerationen der Industrialisierung1491 lässt sich der disziplinierende Kontrollcharakter der Aufteilung der Stadt in Funktionsräume

1486 Die Verkehrswege im engeren Bereich der Innenstädte wurden bereits in der Frührenaissance nicht selten so angelegt, dass man die Herrschaftssymbole aus jeder Richtung beim Einzug in die Stadt sehen konnte. Vgl. Hotzan 1994; S.202f., der dies am Beispiel Paduas zeigt. In der Fächerstadt des Absolutismus erreicht eine solche herrschaftszentrierte Stadtplanung ihre volle Blüte. 1487 Vgl. Davis 1994a; S.421ff. 1488 Vgl. dazu die in Kap. 3.4.3 vorgestellten Überlegungen Haussmanns. 1489 Vgl. Zinganel 2003; S.155ff. 1490 So der amerikanische Architekturtheoretiker Robinson, zit.n. Dear 1995; S.22. 1491 Vgl. die Beobachtungen der Stadtstruktur durch Engels (vgl. Kap. 1.1.2). Noch deutlicher wird der Zusammenhang von Funktionstrennung, Stadtstruktur und Kontrolle der

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aufzeigen.1492 Sozialstrukturell relativ homogene Wohnviertel entwickeln sich disparat zu auf- und abgewerteten Inseln mit je unterschiedlichen Wohnklienteln, die obsolet gewordenen Industrieansiedlungen1493 werden umgenutzt zu gentrifizierten Wohneinheiten, Technologieparks, Dienstleistungszentren oder multifunktionalen Veranstaltungsräumen. Zugleich tendiert die gegenwärtige, häufig als postmodern bezeichnete Architektur dazu, den städtischen Raum ins Innere zu holen1494 und den verbleibenden öffentlichen Raum in seiner Aufenthaltsqualität zu entwerten und teilweise sogar qua Privatisierung abzuschaffen. In diesen mit baulichen Mitteln abgegrenzten Räumen herrschen dementsprechend unterschiedliche Normen vor, weil ihnen unterschiedliche Bewohner- bzw. Nutzergruppen zugeordnet werden. Auch hinsichtlich des inkorporierten Regulationsgrades unterscheiden sich bauliche Ensembles in den Innenstädten. Sofern es sich um Räume der Repräsentation in den Innenstädten handelt, ist der Regulationsgrad höher, handelt es sich um „verwahrloste“ Räume, in denen Problemgruppen sich aufhalten, ist der Regulationsgrad und damit auch die Kontrolldichte geringer. Als drittes Dispositiv des Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit wird im Folgenden das Recht behandelt: Durch die Verrechtlichung des Raums und die sich daraus ergebenden konkreten Maßnahmen zur Kontrolle des urbanen Raums werden städtische Benutzergruppen entrechtet.

dort arbeitenden Bevölkerung im Idealmodell der sowjetischen Bandstadt. Vgl. Hotzan 1994; S.58; Abb. A. 1492 Es werden auch Strategien beschrieben, die innerhalb von Gebäuden soziale Kontrolle sicherstellen und unliebsame Bewohner (z.B. Drogendealer) vertreiben sollen. Vgl. Zinganel 2003; S.106ff. 1493 Eine besondere Form solcher Industrieansiedlungen stellen nicht mehr genutzte Hafenanlagen dar, die seit den späten achtziger Jahren verstärkt gentrifiziert werden. Man spricht von „Waterfront Architecture“ (z.B. London Docklands, Düsseldorf Medienhafen, Hamburg Hafencity, Duisburg Innenhafen, Berlin Mediaspree, Bremen Überseestadt, Frankfurt Westhafen, Köln Rheinauhafen etc.). 1494 Vgl. Baecker 1990.

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4.4 R ECHT , S ICHERHEIT UND S AUBERKEIT : V ERRECHTLICHUNG DES ÖFFENTLICHEN R AUMS ALS E NTRECHTLICHUNG VON B ENUTZERGRUPPEN „Recht, wenn es heute als sozialstaatliches Steuerungsmedium eingesetzt wird, verfügt über Funktionsmodi, Rationalitätskriterien und Organisationsformen, die der lebensweltlichen Struktur der regulierten Sozialbereiche nicht angemessen sind, deshalb an ihr erfolglos auflaufen oder aber um den Preis ihres Erfolges diese zerstören.“ GÜNTHER TEUBNER1495 „Das Recht sollte meines Erachtens nicht von einer festzusetzenden Legitimität aus betrachtet werden, sondern von den Unterwerfungsprozessen, die es ins Werk setzt.“ MICHEL FOUCAULT1496

Als drittes Dispositiv des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit neben denen um die Entwicklung der urbanen Polizeien und des materiellen Bauens soll im Folgenden das Recht behandelt werden. Dabei werden Recht und die zu thematisierenden rechtlichen „Tatbestände“ (Normen, Beschlüsse, Probleme) Foucault folgend selbst als Dispositiv eines juristischen Diskurses1497 betrachtet. Das heißt zunächst, dis-

1495 Teubner 1984; S.290. 1496 Foucault 1999a; S.36 und 1978; S.79 in anderer Übersetzung. Auch zit. in Bähr 2001; S.93. 1497 Aus anderer Perspektive kann man Recht auch als normative Materialisierung gesellschaftlicher (konsensualer) Wertvorstellungen verstehen (vgl. hierzu vor allem Habermas 1992). Folgt man den Theorien nicht-ontologischer, diskursethischer Begründungen des Rechts (vgl. dazu auch Seibert 2003d), kann eine Norm nur Geltung für sich beanspruchen, wenn alle von ihr möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer eines praktischen Diskurses Einverständnis darüber erzielen (oder zumindest potentiell erzielen könnten), dass diese Norm gilt. Dazu sind Verfahrensregeln entscheidend: Neben der Inklusion aller möglicherweise Betroffenen müssen Regeln institutionalisiert werden, die zwanglose Argumentation und faire Verhandlungen im Kommunikationsprozess sicherstellen (vgl. Habermas 1990; S.41). Sicherheit, Sauberkeit und Ordnung als zentrale Topoi eines Diskurses wären so nichts anderes als Imperative eines gesellschaftlichen, normativ aufgeladenen Konsenses – und tatsächlich wird in der juristi-

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kursive wie nicht-diskursive Praxen sowie Vergegenständlichungen des Rechts zu identifizieren. Nach Foucault1498 ist das Dispositiv „Justiz“ nicht mit den soziologischen Institutionen der Justiz identisch; vielmehr markiert es den Übergang idealer (rechtlich codierter) Zeichen in die Sphäre praktizierten Rechts. Dispositiv nennt Foucault eine Diskursformation, in der Macht, Wahrheit und Recht miteinander verknüpft und Praktiken institutionalisiert sind, um intentional „menschlichem Begehren“ und „gesellschaftlicher Not“ gleichermaßen zu genügen. Anhand von Dispositiven lassen sich bestimmte Verhaltensweisen, Selbstverhältnisse, aber auch Diskurse im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Akzeptanz analysieren. Foucault versucht anhand des Dispositivbegriffs (sowohl „archäologisch“ wie „genealogisch“) zu zeigen, wie sich bestimmte Praxen etablieren und welche Effekte sie ermöglichen. Auch vermeintlich Selbstverständliches kann so als Machteffekt beschrieben werden: „‚Dispositiv‘ wird immer [...] als zweistelliges Prädikat eingeführt; ein Dispositiv ist immer ein Dispositiv von Macht.“1499 Es handelt sich bei Dispositiven um „[...] ein entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institu-

schen Erörterung auch überprüft, inwiefern bestimmte inkriminierte Verhaltensweisen eine Gefährdung oder Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung begründen können. Die begrenzenden Wirkungen des Rechts (vor allem durch den umfassenden individuellen Rechtsschutz oder die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung – beispielsweise die Feststellung, dass bestimmte Normen nicht verfassungskonform sind oder aber bestimmte normativ inkriminierte Verhaltensweise eben keine Gefährdungen der genannten Rechtsgüter begründen oder Platzverweisungen unter Umständen nicht rechtmäßig sind etc. – dienen als „Filter“ staatlicher Macht über die Gesellschaft. Aus wieder anderer Perspektive lässt sich Recht als Unterdrückungsinstrument für seitens der Herrschenden unerwünschte Artikulationen und Handlungen interpretieren. Recht dient so der Stabilisierung eines seitens der herrschenden Klasse gewünschten Zustandes oder Systems. Beide Betrachtungsweisen werden im Folgenden nicht vertiefend behandelt. 1498 Vgl. zum Folgenden Seibert 2003a-d sowie Rothe/Nowak 2003a-d. 1499 Hubig 2003; S.4. Hubig charakterisiert den Foucault’schen Dispositivbegriff auf drei Ebenen (vgl. S.4f.): Extensional spricht Foucault von Dispositiven als Menge, die neben Diskursen auch Institutionen, architektonische Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, Aussagen sowie philosophischmoralische Lehrsätze umfassen – alle diese Elemente sind für die Analyse des rechtlichen Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit von besonderer Bedeutung. Intensional wird diese Menge durch ihre innere Struktur eines „dynamischen Netzes“, das einen Positionswechsel der Elemente untereinander zulässt. Diese Struktur wird durch die funktionalen Beziehungen der Elemente zueinander fassbar. Die Intention, unter der die Formation eines Dispositivs gedacht ist, ist die Fähigkeit, funktional auf einen gesellschaftlichen „Notstand“ oder eine „Störung“ zu reagieren.

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tionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: gesagtes ebenso wohl wie ungesagtes umfasst.“1500 Im ihm sind Wissen und Macht – die zentralen Kategorien in Foucaults Analyse – auf komplexe Art miteinander verwoben.1501 Ausgelegt auf das Dispositiv der Justiz ist damit die Gesamtheit der modernen rechtsstaatlichen Praktiken eingeschlossen. Konstituiert wird der juristische Diskurs durch organisiertes Wissen,1502 kontrolliert wird er durch die machtbasierte Einbeziehung und den Ausschluss möglicher Beteiligter. Die sich seit dem Mittelalter konstituierende „Rechtslehre“ lässt sich nicht abgekoppelt von den gesellschaftlichen Machtverhältnissen denken: „Für das Verhältnis zwischen Recht und Macht gilt ein Grundprinzip: ich meine, dass die Ausarbeitung der Rechtslehre in den abendländischen Gesellschaften seit dem Mittelalter im Wesentlichen um die reale Macht herum erfolgte. Das Rechtsgebäude unserer Gesellschaften wurde auf Verlangen der realen Macht, zu ihrem Nutzen und um ihr als Werkzeug oder Rechtfertigung zu dienen, errichtet.“1503

Rechtsregeln, Machtmechanismen und Wahrheitswirkungen vereinheitlichen sich in dieser rechtsphilosophischen Lesart zu einem „juristischen Dreieck“, in dem erstens Handlungen angeordnet werden (z.B. durch Normen oder die Rechtsmaterie

1500 Foucault 1978; S.120f. 1501 Vgl. Kap. 1. 1502 Dieses Wissen wird innerhalb der Jurisprudenz als Universitätsdisziplin aber nicht nur als Summe dessen tradiert, was man juristisch zu einem Fall, einer Konstellation aussagen kann – gleichzeitig muss auch die Gesamtheit der Kontext-, Kohärenz- und Formationsregeln beachtet werden. Damit setzt sich dieses Wissen vom subjektiven Alltagswissen ab. Die rechtswissenschaftliche Lehre setzt sich unter anderem mit Urteilen auseinander, die aus Foucault’scher Perspektive als „Signifikate verkündeter Zeichen“ verstanden werden können und – weil Urteile i.d.R. auf anderen Texten, z.B. Gesetzen beruhen – damit zu einer eigenen deutbaren Signifikantenkette werden. Diese Zeichenketten können aber nicht mehr nur durch Verkündung tradiert werden, sie müssen im Rahmen der juristischen Disziplin „empfangen“ und von Rechtskundigen mit Hilfe ihrer disponiblen Interpretationsmacht entweder konsentiert oder abgelehnt werden. Auf diese Weise beherrschen Doktrinbildung und das Erlernen juristischen Argumentierens die Ausbildung künftiger Juristen. Im Gegensatz zu anderen Diskursen ist der Rechtsdiskurs gegenüber Laien alleine schon durch die Verwendung bestimmter sprachlicher Figuren und Regeln geschlossen. 1503 Foucault 1978; S.77.

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der Prozessordnungen), zweitens diesen Anordnungen Grenzen gesetzt werden (z.B. durch Grundrechtsgarantien oder Normenkontrollverfahren) und drittens Grenzen wie Anordnungen auf ihren wahren Inhalt nach der tatsächlichen Sachlage kontrolliert werden (z.B. durch konkrete Rechtsprechung im Einzelfall). Die Analyse der rechtlichen Regelungsversuche, die mit dem Bemühen um Sicherheit und Sauberkeit einhergeht, bezieht sich dementsprechend auf alle drei Dimensionen. Im juristischen Diskurs ist das Machtinteresse des Rechts darauf ausgerichtet, eine unterstellte Wahrheit zu finden. Eine Aufgabe der Rechtswissenschaft besteht nun darin, die als Rechtszeichen gesetzten Befehle (in der Form materiellen Rechts) durch Prüfung und Kontrolle zu begrenzen (in Form von Gutachten oder Normenkontrollverfahren). Die Richtigkeit einer Norm (d.h. ihre Rechtmäßigkeit) wird über ein justizinternes Begründungssystem gerechtfertigt, in das seinerseits eine Vielzahl normativer, wertorientierter Annahmen über öffentliche Wohlfahrt und individuelle Lebensführung eingehen. Die „Wahrheit“ der durch Recht innerhalb eines Gerichtsverfahrens gezogenen Grenzen wird durch „Tatsachen“ bestimmt, die durch die Aussagen von Zeugen, Sachverständigen,1504 Urkunden und Erklärungen beteiligter Parteien gewonnen werden. Im Rechtsverfahren werden diese Tatsachenbeschreibungen durch die Justiz zu definitiven Feststellungen transformiert. Die Wahrheit des juristischen Diskurses kann deshalb nicht absolut sein, es handelt sich um eine weitgehend kontingente „forensische Wahrheit“ als eine mögliche Wirklichkeitsdeutung, „[...] die nach den juristisch anerkannten Mitteln der Darlegung und des Beweises zum Gegenstand eines Urteils gemacht werden können.“1505 Jenseits von Gerichtsverfahren erschließt sich die Wahrheit des juristischen Diskurses durch Argument und Gegenargument privilegierter Sprecher. Diejenigen Rechtsvorschriften, von denen sich die Autoren (in diesem Falle) einen Beitrag zur Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung von Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten versprechen, indem sie bestimmte Verhaltensweisen inkriminieren, können dabei als Vergegenständlichungen eines solchen Diskurses verstanden werden. Sie gehören zu den „Mittel(n) der guten Abrichtung“1506 und diese werden ihrerseits wiederum in (anderen) Diskursen vermittelt.1507 Sie bilden die legitimatori-

1504 Hier deckt sich die Theorie Foucaults mit der unten beschrieben Kritik Hesses, wonach im juristischen Diskurs selbst keine Tatsachen erhoben werden, sondern sich das Recht „fremder“ Tatsachenbeschreibungen, die zudem häufig Wirklichkeitsdeutungen sind (z.B. Zeugenaussagen), bedient. 1505 Seibert 2003a; S.3. 1506 Vgl. Foucault 1995; S.220ff. 1507 Foucault (2001c) hat in diesem Zusammenhang von einem „Räderwerk“ gesprochen, das Gesetz und Verbot ebenso einschließt wie die Zensur, an der der „inquisitorische Wille zur Wahrheit“ besonders augenfällig wird. So betrachtet, erscheinen die kodifi-

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sche Grundlage, auf der Herrschaftsträger ihre Ordnungsvorstellungen (auch im öffentlichen Raum) durchsetzen können.1508 Zwar entsteht Recht in diskursiven Praxen, tritt aber nach Verabschiedung losgelöst von den rechtshervorbringenden Diskursen auf und vergegenständlicht diese im Ergebnis. Wichtiger ist hier eine weitere diskursive Praxis, die Recht als Dispositiv konstituiert: nämlich der rechtswissenschaftliche Diskurs um die Adäquanz, Rechtmäßigkeit und damit Gültigkeit solcher Normen. Diese diskursive Praxis vollzieht sich rechtsintern, d.h. zwischen rechtstheorieorientierten Wissenschaftlern, die in Gutachten und Kommentaren Stellung zu Normen, Beschlüssen und Urteilen beziehen einerseits, und andererseits zwischen rechtsprechungsorientierten Richtern, sofern sie materielles Recht hinsichtlich seiner verfassungsrechtlichen Vereinbarkeit zu prüfen haben, Urteile und Beschlüsse hervorbringen und Recht so weiterentwickeln.1509 Diese Kommentare, Urteile und Beschlüsse sind zwar stets kontingent und können sich im Rückblick als zweifelhaft erweisen. Bis dahin aber herrschen sie als machtgeladene, formierte Aussagen besonders legitimierter Sprecher in einem Feld, zu dem Nicht-Juristen keinen Zugang haben, und die den weiteren juristischen Diskurs mitsteuern. Die Rechtsanwendung kann als nicht-diskursive Praxis verstanden werden, die wiederum einerseits Aufgabe der Rechtsprechung ist, wenn es weniger um Normenkontrolle geht, sondern um die Auslegung abstraktgenereller Normen auf konkret-individuelle Fälle. Andererseits sind die (öffentlichrechtlichen) Polizeien und andere Exekutivorgane beauftragt, geltende Normen zu exekutieren – allerdings ohne direkt auf juristische diskursive Praxen und Vergegenständlichungen zurückzuwirken.1510 Dementsprechend wird im Folgenden unter

zierten und weniger stark formalisierten Verbote, bestimmte Worte oder Zeichenketten zu verwenden (z.B. Beleidigungen, herabsetzende Äußerungen gegenüber Minderheiten, sexistische oder sexuell aufgeladene Bemerkungen, die Leugnung des Holocaust, Propagandadelikte etc.), in einem anderen Licht. 1508 Vgl. von Saldern 2000a; S.5. 1509 Die unterschiedlichen professionellen Implikationen und Machtdifferenzen in der rechtlichen Wirksamkeit ihres Tuns bleiben hierbei unberücksichtigt. In der juristischen Diktion könnte man auch bezüglich der Positionen der ersten Gruppen von „herrschender Lehre“, bezüglich derer der zweiten Gruppe von „herrschender Meinung“ sprechen. Systemtheoretisch betrachtet sind sowohl Rechtstheorie wie auch Rechtsprechung Selbstbeschreibungen des Rechtssystems. Nach Hassemer (1995; S.208) ist Rechtstheorie nichts anderes als die Bestimmung von Position und Aufgaben eines Rechtsgebiets. Zu einer materialistischen Strafrechtstheorie vgl. Wächter 1984. 1510 So beschreibt beispielsweise der Polizeidirektor Behrendes (1998 und 2003) die vergeblichen Versuche den Rat der Stadt Köln angesichts von Vollzugsdefiziten und Um-

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Bezugnahme auf konkrete Normen, Gutachten, Urteile und Beschlüsse das Dispositiv eines Rechts, das auf die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung von Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten zielt, im Zentrum stehen. Zunächst aber sollen einige andere, sich nicht auf Foucault berufende, aber ebenfalls für den Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit relevante Positionen der neueren rechtssoziologischen Diskussion beschrieben werden, um zu zeigen, wie Recht in deren Perspektive auf eine zunächst allgemeine, nicht juristisch spezifische Problembeschreibung reagiert und welche Konsequenzen für die Steuerung gesellschaftlicher Prozesse und Recht als Institution sozialer Integration1511 und Medium sozialer Steuerung damit verbunden sind. Dabei ist – in je unterschiedlichen theoretischen und methodischen Hinsichten – die Unterscheidung von Rechtsideal und Rechtsnorm („Law in the Book“) einerseits und Rechtsverhalten und Rechtsalltag („Law in Action“) andererseits ebenso maßgeblich wie die grundlegende, triviale Erkenntnis, dass Recht fast alle sozialen Phänomene durchzieht und formt – so auch das urbane Leben der Gegenwartsgesellschaft.1512 Die Verrechtlichung des städtischen Raums ist keine neue Erscheinung; vielmehr ergibt sie sich historisch zum einen aus den Entwicklungstendenzen eines sich herausbildenden Wohlfahrts- und Rechtsstaats im 19. Jahrhundert,1513 zum anderen aber auch aus der Tatsache, dass die Städte der Industrialisierung ein solches Maß an Unübersichtlichkeit, Chaos und Potenzial für soziale Konflikte in sich trugen, dass schon damals unter Kontrollaspekten die rechtliche Regulierung des innerstädtischen Verkehrs geboten schien. Auf höherem Abstraktionsniveau und allgemeiner, systemtheoretisch betrachtet bilden sich im Zuge funktionaler Differenzierung im kapitalistischen bürgerlichen Staat seit dem Absolutismus allmählich die relativ autonomen Subsysteme Wirtschaft und Politik heraus; Recht wird zum zentralen Medium der Steuerung und Moderation beider (und später anderer) Subsysteme. 1514 Prinzipiell und jenseits aller spezifischen Theorieperspektiven kann man festhalten, dass Recht die hier unterstellte soziale Integrationsfunktion durch seine Legitimität und seine Steuerungsfunktion durch seine Legalität erbringt.1515 Integrati-

setzungsschwierigkeiten dazu zu bewegen, bestimmte Tatbestände aus der KStO zu streichen. 1511 Vgl. Rottleuthner 1999. 1512 Vgl. Machura 2002; S.50. Vgl. auch Hiller/Welz 2000. 1513 Vgl. für das beginnende 17. Jahrhundert Schnabel-Schüle 1999 und Kap. 5.2. 1514 Die Aussagen zur Verrechtlichung beziehen sich auf Teubner (1984; hier besonders S.300ff.), der sich wiederum an der Theorie funktionaler Differenzierung von Luhmann orientiert. Weiterführende Überlegungen zum Verhältnis von Recht, Staat und Gesellschaft finden sich in Teubner 1998 und Teubner/Willke 1984. 1515 Vgl. Kreissl 2000a, S.82ff.

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on bedeutet hier aber nicht, dass Recht nicht auch spezifisch desintegrierende Wirkungen haben kann: Sofern die Desintegration bestimmter problematisierter Gruppen aus einem räumlichen, urbanen Kontext Normziel ist, kann Recht auch intentional desintegrierend wirken. Kritisch bezüglich der desintegrierenden Wirkung solcher Normen kann man konstatieren, dass eine Verrechtlichung des öffentlichen Raums zu einer Entrechtlichung spezifischer Benutzergruppen führt.1516 Daraus folgt für den hier zu behandelnden Problemkontext, dass auf Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten zielende Normen integrativ wirken, wenn sie einer qualifizierten Bevölkerungsmehrheit legitim erscheinen1517 und eine von den Normgebern in bestimmter Richtung gewünschte Steuerungsfunktion nur entfalten können, wenn sie legal sind, d.h. auch nach rechtswissenschaftlicher Untersuchung und Überprüfung durch die Rechtsprechung Geltung für sich beanspruchen können. Dass Letzteres nicht immer der Fall ist, zeigt sich im juristischen Diskurs und soll hier dargestellt werden. Legitimität erwuchs – wie bereits Max Weber ausführt1518 – in traditionalen Gesellschaften entweder aus Überlieferung oder dem Charisma der Rechtshonoratioren. In modernen Gesellschaften sind die Prozesse der Rechtsgenese selbst rechtlich normiert. Dementsprechend können Rechtsnormen dann Legitimität reklamieren, wenn sie in parlamentarischen Prozessen nach bestimmten Verfahren erzeugt wurden und diejenigen Interventionen, die mit diesen Normen einhergehen, sich wiederum auf gesetzliche Grundlagen berufen können.1519 Beleuchtet man diese Position im Spiegel der zugrunde liegenden Interessen, ist zu fragen, welche Interessen sich denn in solchen Verfahren durchsetzen können und welche Interessen entweder unartikuliert bleiben oder sich trotz entsprechender Lobby nicht durchsetzen können. So betrachtet beschneidet Recht stets die Möglichkeiten derjenigen, die in einer machtlosen Position sind. Recht entwickelt sich in dieser Perspektive in Abhängig-

1516 Vgl. auch Stummvoll 2006. Dass die zunehmende Verrechtlichung des öffentlichen Raums tendenziell zu einer Entrechtlichung seitens spezifischer Benutzergruppen geführt hat, scheint auch von juristischer Seite unwidersprochen zu sein. Gleichwohl könnte man anmerken, dass angesichts der wahrgenommenen Problemlage erst eine Verrechtlichung des öffentlichen Raums die Wahrnehmung der Rechte nichtproblematisierter Gruppen ermöglicht. 1517 Diese empirische Frage wird hier nicht behandelt, weil der gesellschaftliche Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten und seine Konsequenzen, in dem allerdings auch kritische Stimmen, die die Legitimität entsprechender Normen und Beschlüsse bezweifeln, eingeschlossen sind, im Zentrum steht. 1518 Weber 1972; S.16ff. 1519 Luhmann (2001) spricht in diesem Zusammenhang von der „Legitimation durch Verfahren“.

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keit von vor- oder außerrechtlichen gesellschaftlichen Machtverhältnissen, die sich wiederum zumeist ökonomisch begründen lassen. Eine solche Interpretation würde – bezogen auf die formulierte Entrechtlichungsthese – bedeuten, dass problematisierte Gruppen deshalb zu Adressaten von aufenthaltsbeschränkenden oder -verhindernden Normen werden, weil sie ökonomisch marginalisiert sind und deshalb über keine relevante Lobby verfügen, während ökonomisch privilegierte Gruppen ihre Interessen rechtsförmig durchsetzen können. Aus evolutionärer Perspektive ist Recht das Ergebnis eines sozialen Prozesses, im Zuge dessen Herrschaft rationalisiert und Rechtsverwaltung wie -durchsetzung bürokratisiert werden. Recht autonomisiert sich so gegenüber anderen gesellschaftlichen (auch sozialpolitischen) Zusammenhängen. Argumentiert man zugespitzt aus systemtheoretischer Perspektive weiter – und löst sich damit von macht- und interessenpolitischen Erwägungen –, so entwickelt sich Recht zu einem autopoietisch geschlossenen System, das sich nach eigenen Regeln innerrechtlich reproduziert, sich mehr und mehr von außerrechtlichen (z.B. wissenschaftlichen) oder naturrechtlichen (moralischen) Bezügen löst und sich in letzter Konsequenz permanent selbst hervorbringt: „Recht ist, was das Recht als Recht bestimmt.“1520 Recht reagiert in dieser engen systemtheoretischen Perspektive nur noch auf rechtsspezifische Kommunikationen bzw., wie oben dargestellt, die diskursiven und nichtdiskursiven Praxen von Rechtstheoretikern und Rechtsanwendern innerhalb des Dispositivs Recht. Erweitert man die Perspektive und fragt dennoch nach Wechselwirkungen zwischen Recht und Gesellschaft, lässt sich die Entwicklung des Rechts als Folge von Verrechtlichungsprozessen beschreiben. Ein solcher Prozess wird durch den Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit angestoßen. Verrechtlichung meint dabei die Umstellung der Steuerung gesellschaftlicher Prozesse auf das Medium des Rechts.1521 Recht beinhaltet in dieser Lesart nicht nur die zeittypischen Moralvorstellungen einer Gesellschaft, vielmehr werden mit Mitteln des Rechts nunmehr alle (politischen, ökonomischen und sozialen) Probleme einer Gesellschaft gehandhabt. Recht entwickelt sich dementsprechend sowohl entlang gesellschaftlicher Entwicklungen als auch entlang eigener Kriterien. Betrachtet man die Genese der zeitgenössischen urbanen Gesellschaften unter dieser Maßgabe, lassen sich Verrechtlichungsschübe ausmachen, in deren Zuge Recht stets entstehende Lücken einer erodierenden normativen Ordnung füllt und so Steuerungsfunktionen übernimmt. Auf diese Weise wirkt Recht – verlässt man die engere systemtheoretische Perspektive – sowohl gesellschaftsgestaltend als auch reaktiv auf soziale Kon-

1520 Luhmann 1993b; S.143f. 1521 Vgl. Teubner 1984.

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flikte.1522 Recht steuert und kolonisiert kommunikativ strukturierte Handlungssphären zugleich. Diese Problematik lässt sich wiederum aus systemtheoretischer Perspektive als „regulatorisches Trilemma“1523 darstellen, das seinerseits Folge einer zunehmenden Autonomisierung und Ausdifferenzierung unterschiedlicher Teilrationalitäten zwischen gesellschaftlichen Subsystemen ist. Recht differenziert sich zwar einerseits als autonomes System aus, wird andererseits aber seitens des politischen Systems mit Steuerungsanforderungen überlastet. Gerechtigkeitserwägungen werden dabei im modernen Recht unter Sach- oder Systemrationalitätserwägungen subsumiert.1524 Für das moderne Recht lassen sich infolge dessen drei „trilemmatisch“ problematische Konstellationen unterscheiden: die wechselseitige Indifferenz von Recht und rechtlich zu regelnden gesellschaftlichen Handlungsbereichen, die gesellschaftliche Desintegration durch Recht und die rechtliche Desintegration durch Gesellschaft. Die erste Konstellation liegt vor, wenn bestehende Gesetze nicht angewandt werden, die zweite Konstellation entspricht der Kolonisierung originär gesellschaftlicher Handlungszusammenhänge und die dritte Konstellation beschreibt die Nicht-Beachtung der rechtsinternen Qualitätsmaßstäbe des modernen rechtsstaatlichen Formalrechts durch die Steuerungserfordernisse des politischen Systems. Alle drei Konstellationen lassen sich auch bezüglich des rechtlichen Diskurses um Normen und Tatbestände zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung von Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten finden. Eine weitere Folge dieses evolutionären Prozesses ist die Verrechtlichung des Verhältnisses von Staat und Bürger, das im Zentrum der Idee des modernen Rechtsstaats steht. Eine andere Position der rechtssoziologischen Debatte geht davon aus, dass angesichts der „aktuellen Sicherheits-, Gefahren-, Risiken und Katastrophen-Debatten“1525 das moderne Staat-Bürger-Verhältnis „[...] überwuchert (wird; G.L.) von staatlicher – und das heißt primär: exekutivistisch-bürokratischer – Sorgebereitschaft und Sorgetätigkeit: der Staat ist programmatisch zum Schutzstaat geworden.“1526 Bezieht sich die Rechtsstaatsidee auf das moderne Bürgertum und

1522 Kreissl (2000a, S.86) führt mit Verweis auf Habermas an, dass unter den Vorzeichen eines „wohlfahrtsstaatlichen“ Verrechtlichungsschubes der freiheitsverbürgende Charakter des Rechts gegenüber freiheitsbeschränkenden Implikationen an Bedeutung verliert. Vgl. auch Glaeßner 2001 und 2002. 1523 Vgl. Teubner 1984 sowie Kreissl 2000a, S.87ff. 1524 Vgl. Kreissl (1989, S.431), der zur Bewältigung der so entstandenen normativen wie faktischen Kontingenzspielräume für ein komplexes Verständnis sozialer Ordnung plädiert, das Unsicherheitspotenziale zulässt und zu nutzen versteht. 1525 Hesse 1995, S.53. Die Diskussion um den „Schutzstaat“ wurde maßgeblich von Hesse angestoßen. Vgl. Hesse 1994. 1526 Hesse 1995; S.53.

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die Sozialstaatsidee auf das Proletariat als Trägergruppen, so beziehen sich aktuelle Staat-Bürger-Konzepte auf weniger genau definierte ad-hoc-Gruppierungen, anhand derer taktisch mal die Rechtsstaatsidee, mal die Sozialstaatsidee, immer häufiger aber die Schutzstaatsidee ins Feld der öffentlichen Debatte geführt wird. Ist Letzteres der Fall, geht es anders als in der Rechtsstaatsidee nicht mehr um die Abwehr und Kontrolle staatlichen Gewaltpotenzials oder wie in der Sozialstaatsidee um soziale Sicherung und Ausgleich, sondern gerade darum, das Gewaltpotenzial des Staates „[...] zu aktivieren und zu effektivieren im Kampf um Schadenspotentiale, von denen die individuelle Lebensführung umstellt und umlauert ist. Kampf um Schadenspotentiale heißt freilich Kampf gegen die Urheber der Schadenspotentiale, wenn und insoweit es denn gelingt, die Urheber zu identifizieren.“1527 Im hier beschriebenen Problemkontext handelt es sich dabei eben um ganze problematisierte Gruppen oder um einzelne Mitglieder. Dieser Kampf wird legitimatorisch – und damit um die integrative Wirkung des Rechtes aufrechtzuerhalten – als „Krisenmanagement“ oder „Risikomanagement“ zur Aufrechterhaltung von „Gemeinschaftsinteressen“ codiert, die, wenn man interessentheoretisch argumentiert, aber stets die Interessen der mächtigeren Gruppen sind und auf die Normalisierung gesellschaftlicher Realität in deren Interesse zielen. Eine wissenssoziologische Analyse des juristischen Diskurses kann also aufzeigen, wessen Interessen sich durchsetzen und wer die Macht hat, Wirklichkeit zu setzen.1528 Unter dem zunächst unspezifischen „Gefahrbegriff“, der nicht mehr zwangsläufig durch das Konzept der „hohen Güter“ limitiert sein muss, lassen sich auch die störenden Daseins- und Kommunikationsformen problematisierter Gruppen in den Innenstädten subsumieren – vor denen ein Schutzstaat die anderen Gruppen zu schützen habe. Dies erklärt auch die rege – vor allem kommunale – Normenproduktion, die die Innenstädte sicher und sauber halten und entsprechendes Verhalten steuern sollen. Da im juristischen Diskurs selbst aber keine Tatsachen erhoben werden, die eine Definition von „Schaden“ oder solchen auslösenden Gruppen rechtfertigen, bedient sich das Recht „fremder“ Tatsachen-, d.h. Wirklichkeitsbeschreibungen, die ihrerseits wiederum interessengeleitet konstruiert bzw. erhoben und transportiert werden. Erst im engeren rechtstheoretischen und rechtsprechungsorientierten Diskurs tauchen entsprechende Realitätskonstruktionen wieder auf und werden als Schadensvermu-

1527 Hesse 1995; S.54. In bestimmten Notlagen sind unter Umständen eine tendenzielle Aufhebung der Gewaltentrennung und eine Tendenz zur Gewaltenverschränkung zu beobachten. Als Beispiel lässt sich die Diskussion um „Terrorabwehr“ anführen. 1528 Vgl. Berger/Luckmann 1994 (zuerst 1966); S.128 und Keller 2001; S.119.

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tungen1529 juristisch diskutiert. In dieser Perspektive werden Handlungsoptionen immer häufiger als vermeintliche Schadenspotenziale wahrgenommen und entsprechend über Vorsorgemaßnahmen in nicht notwendigerweise juristisch codierte Praxisregulierungen umgesetzt, die ihrerseits neue Praxen hervorbringen und somit trotz ungewisser tatsächlicher Annahmen „[...] in den Konsequenzen ihres Tuns zu neuen Gewissheiten führ(en; G.L.).“1530 Eine sichtbare Vertreibung einzelner Personen oder Gruppen – egal durch wen oder warum – aus dem innerstädtischen Ensemble zementiert also gerade die Risikowahrnehmung der Bürger und legitimiert so weitere Präventivmaßnahmen im Vorfeld einer tatsächlichen Gefährdung: „Das Recht (bewährt sich; G.L.) im Schutzstaat als Instrument staatlicher Aktionen, die sich gegen Bürger richten, um diese zu schützen vor anderen Bürgern oder vor sich selbst oder jedenfalls vor der Angst, die sich unter ihnen breit macht infolge von Informationen, denen sie ausgesetzt sind, ohne ihren Wahrheitsgehalt prüfen zu können.“1531 Recht dient in dieser Perspektive nicht mehr nur der Verhaltenssteuerung und Erwartungssicherung,1532 sondern zur Rechtfertigung, Eingriffe in die private Lebensführung als Ausdruck staatlichen Krisenmanagements auszuweisen. Die Grundrechte dienen nicht mehr nur – wie noch in der traditionellen Rechtsstaatsidee – der Zurückweisung staatlicher Zugriffe auf die Bürger und ihre private Lebensführung.1533 Im Schutzstaat wird die Gewährleistung von Grundrechten umgedeutet in eine Verpflichtung zum Eingriff des Staates in ehemals der privaten Lebensführung überlassene Domänen und damit zur „Entfesselung exekutiven Handelns“1534 unter den Vorzeichen eines erweiterten Risikomanagements. Diese rechtssoziologisch beschriebenen Tendenzen lassen sich auch am rechtsinternen Diskurs anhand von konkreten Normen, Gutachten, Urteilen und Beschlüssen im Themenkreis Sicherheit und Sauberkeit veranschaulichen. Im Folgenden sollen deshalb drei ausgewählte rechtliche (Teil-)Diskurse1535 beschrieben werden, die alle

1529 Hesse (1995; S.56) zeigt anhand des juristischen Diskurses um das Thema AIDS, dass neben Schadensvermutungen auch private „Lebensphilosophien“ und diffuse Unsicherheitsgefühle oder sogar manifeste Ängste Eingang in diese Diskussion finden. 1530 Hesse 1995; S.57. 1531 Hesse 1995; S.57. In diesem Zusammenhang wird auch die Anerkennung und Forderung einer erweiterten staatlichen Schutzpraxis durch das BVerwG (Entscheidung vom 19. Oktober 1990; Az.: 3 C 2/88) kritisiert. 1532 Vgl. Luhmann 1981. 1533 Vgl. auch Baratta/Giannoulis 2001. 1534 Hesse 1995; S.57. 1535 Neben den ausgewählten (Teil-)Diskursen könnte man in diesem Zusammenhang auch den juristischen (und staatstheoretischen) Diskurs um die Privatisierung sozialer Kont-

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um die Sicherheit und Sauberkeit der Innenstädte kreisen: zum Ersten der (Teil-) Diskurs um das kommunale Ordnungsrecht, mit dem gegen problematisierte Grup-

rolle (und die damit zusammenhängenden rechtlichen Probleme privater Sicherheitsdienste) untersuchen, der ebenfalls in den Kontext von Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten gehört, darüber hinaus aber auch in anderen Kontexten diskutiert wird. Vgl. hierzu Beste/Voß, Hassemer, Keller und von Trotha (alle 1995) sowie Kapitel 4.2.2. In diesem Zusammenhang sei hier nur kurz auf die Rechtsgrundlagen zur Tätigkeit privater Sicherheitsdienste verwiesen, die BewachV und den 2002 eingefügten § 34a GewO, der erstmals Kontrollgänge privater Sicherheitsdienste im öffentlichen Verkehrsraum anspricht und an Sachkundenachweise knüpft. Zu den Rechtsgrundlagen des „Sicherheitsgewerbes“ vgl. Müller 2000. Das Gleiche gilt für den Diskurs um Recht und Stadtgestaltung und -planung in baulicher Hinsicht. Auch das Bauplanungs- und Bauordnungsrecht mit ihren zahlreichen Institutionen (Raumordnung des Landes, Regionalplanung, kommunaler Flächennutzungs- und Bebauungsplan, städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen etc.) zielen neuerdings vermehrt auf die Sicherheit und Sauberkeit der Städte. Vgl. hierzu Strauch 2001; insb. S.138f. Darüber hinaus greifen auch spezielle baurechtliche Gebote in den Kontext von Sicherheit und Sauberkeit in den Städten ein: So sind nach § 1 VI Nr. 2 BauGB bei der Planung „stabile Bewohnerstrukturen“ zu berücksichtigen, um einer Ghetto-Bildung vorzubeugen. Das BauGB sieht noch weitere soziale Ausgleichs- und Schutzmaßnahmen vor. Ein Beispiel für raumordnungsrechtliche Eingriffe ist § 2 ROG, nach dem alle Bevölkerungsgruppen in allen Teilräumen gleichwertige Lebensbedingungen vorfinden sollen. Vgl. Schubert 2000; S.45f. sowie Häußermann/Läpple/Siebel 2008; S.112ff. und 225ff., die sich ebenfalls mit planungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit Segregation und Stadterneuerung auseinandersetzen. Auch der aktuelle Diskurs um die Videoüberwachung öffentlicher Räume ließe sich in diesem Kontext untersuchen (vgl. Kap. 3.3.2.3). Das Bundesverfassungsgericht hat 2007 entschieden: „Die geplante Videoüberwachung ist ein intensiver Eingriff. Sie beeinträchtigt alle, die den betroffenen Raum betreten. Sie dient dazu, belastende hoheitliche Maßnahmen vorzubereiten und das Verhalten der den Raum nutzenden Personen zu lenken. Das Gewicht dieser Maßnahme wird dadurch erhöht, dass infolge der Aufzeichnung das gewonnene Bildmaterial in vielfältiger Weise ausgewertet, bearbeitet und mit anderen Informationen verknüpft werden kann. Von den Personen [...] dürfte nur eine Minderheit gegen die Benutzungssatzung oder andere rechtliche Vorgaben, die sich aus der allgemeinen Rechtsordnung für die Benutzung [...] ergeben, verstoßen. Die Videoüberwachung und die Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials erfassen daher – wie bei solchen Maßnahmen stets – überwiegend Personen, die selbst keinen Anlass schaffen, dessentwegen die Überwachung vorgenommen wird.“ (BVerfG, 1 BvR 2368/06 vom

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pen vorgegangen wird,1536 zum Zweiten der (Teil-)Diskurs um die rechtliche Stellung der Bahnhöfe und die in ihnen praktizierten Ordnungsstrategien1537 und zum Dritten der (Teil-)Diskurs um die fortschreitende Privatisierung öffentlicher Flächen und deren Implikationen insbesondere für den Umgang mit obdachlosen Menschen.1538 Zunächst aber zu dem Diskurs um die ordnungsrechtlichen Strategien, mit denen die bundesrepublikanischen Kommunen Sicherheit und Sauberkeit im Bereich der Innenstädte etablieren oder rekonstruieren wollen. Es ist nicht zu übersehen, dass spätestens seit Mitte der neunziger Jahre sich die Kommunen1539 vermehrt auf bestehende Polizeiverordnungen (sogenannte Gefahrenabwehrverordnungen) oder straßenrechtliche Sondernutzungssatzungen berufen, solche erlassen oder verändern, um gegen unerwünschte Verhaltensweisen und damit gegen bestimmte Randgruppen, die mit solchen Verhaltensweisen i.d.R. assoziiert werden, vorzugehen.1540 Verboten wird (teilweise nur in definierten Arealen1541) beispielsweise und neben anderen Handlungen • • • • •

„sich nach Art eines Land- oder Stadtstreichers herumzutreiben“, das Betteln im allgemeinen oder spezifische Formen des Bettelns, das „sich Niederlassen zum Alkoholgenuss“ (außerhalb der dafür vorgesehenen Schankflächen), „Störungen in Verbindung mit Alkoholkonsum“, „wiederkehrende Ansammlungen von Personen, von denen Störungen ausgehen“,

23.2.2007, Absatz 52). Leopold (2005) beklagt die unzulängliche Reaktion des Rechts auf Videoüberwachung und spricht von „Rechtskulturbruch“. Gras (2005) eröffnet eine Perspektive für eine rechtspolitische Diskussion in Europa. Zur aktuellen Rechtslage der Videoüberwachung öffentlicher Räume vgl. Ebert 2010. 1536 Für einen Überblick dieser Rechtsmaterie vgl. Hecker 1998 und Bösebeck 2001, auf den sich die folgenden Ausführungen beziehen. Vgl. auch Simon 2001a; S.43ff. Zur älteren Rechtslage vgl. Stolleis/Kohl 1990 sowie Eichert 1986. 1537 Vgl. Hecker 2001 und 2002. 1538 Vgl. Wolf 1999. 1539 Hier werden entsprechende Normen nur zu Zwecken der Illustration herangezogen. Ein systematisierender Vergleich wird nicht angestrebt. Auch ist die Auswahl der angeführten Kommunen nicht repräsentativ, sondern dient der Veranschaulichung. Vgl. auch Golla 2000. 1540 Vgl. Simon 2001b, Freiberg 2000 und o.V. 2001ad. 1541 Vgl. Kap. 3.4.3. In der Regel handelt es sich um Bereiche in den Innenstädten.

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der Aufenthalt zum Drogenerwerb bzw. -konsum, „belästigendes Lärmen“, das Verrichten der Notdurft das Lagern und Nächtigen im öffentlichen Raum.1542

Das Polizeirecht1543 lässt sich unterscheiden in das Allgemeine und das Spezielle Polizei- bzw. Ordnungsrecht. Das Allgemeine Polizeirecht dient der Abwehr von Gefahren an den polizeilichen Schutzgütern öffentliche Sicherheit und öffentliche Ordnung, der Begriff des Speziellen Polizeirechts meint eine Zusammenfassung besonderer Ordnungsrechtsgebiete wie z.B. das Ausländer-, Bauordnungs- oder Gesundheitsrecht etc.1544 Die von den Bundesländern erlassenen Polizeigesetze ent-

1542 Vgl. zu den inkriminierten Handlungen beispielsweise §§ 6 Ziff. a und b AltstadtFußgängerbereicheS, 13 KStO 2001, 12 KStO 2005 und 2006, 7 PolVO Frankfurt/M., 2 StachusbauwerkS, 1 Ordnungsbehördliche VO Rudolstadt, 2 StrAnlPoVO, 5 DStO, 3 II-IV StrO Wuppertal, sowie 2 StrO Bonn. In der StrO Solingen finden sich keine derartigen Verbote. In Hamburg hat man darüber hinaus 1999 das 40 Jahre alte Wohnwagengesetz (HamWohnwagenG) novelliert, um die problematisierten, meist innenstadtnah gelegenen sogenannten Bauwagenplätze räumen zu können. In der Folge kam es 2003 und 2004 zu Zusammenstößen von Bewohnern und Sympathisanten mit der Polizei, die unter dem Namen „Bambule“ für Schlagzeilen sorgten. In Köln sorgte 2005 die Änderung der KStO für Protest, weil in einer ersten, nur kurz in Kraft gewesenen Fassung zusätzlich das Durchsuchen von Müllbehältnissen nach (Pfand-)Flaschen verboten worden war. Vgl. Fannrich 2005, Gannott 2005, Wilberg 2005 und Kim 2006. Nach einem im Auftrag der Stadt Köln erstellten Rechtsgutachten ist auch das „Skaten“ auf einem Nebenplatz des Domes eine unzulässige Sondernutzung, weil man sich dort massiv und intensiv mit einer nicht „an den Fußgängerverkehr angepassten Geschwindigkeit“ bewege. Vgl. Pesch 2010. 1543 Prümm (1997) bemängelt den Begriff „Polizeirecht“ als untauglich und plädiert für die Verwendung des Begriffs „Sicherheitsrecht“, unter dem das bis dahin uneinheitlich sogenannte „Gefahrenabwehrrecht“, „Polizeirecht“, „Polizei- und Ordnungsrecht“, „Polizei- und Sicherheitsrecht“ sowie „Sicherheits- und Ordnungsrecht“ zusammengefasst werden könnte. Roggan (2001a) betrachtet aktuelle Entwicklungen im Polizeirecht im Hinblick auf die Aushöhlung zentraler Bürgerrechte. 1544 Dieser weite Begriff der polizeilichen Zuständigkeit stammt historisch aus den Ancien Régime, in dem die „gute Policey“ im Sinne einer polizeistaatlichen Verwaltung für die Wohlfahrt der Bürger in einem umfassenden Sinn und in sämtlichen Lebenslagen zuständig war. Vgl. hierzu Reinke 1992, Pankoke 1986 und Sälter 2002. Eine „Entpolizeilichung“ vollzog sich in mehreren Schüben am Ende des 18. Jahrhunderts, bei Grün-

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halten polizeiliche Generalklauseln,1545 welche Behörden ermächtigen, ihrerseits Polizeiverordnungen zu erlassen, die abstrakt-generell der Gefahrenabwehr dienende Gebote oder Verbote enthalten. Für einen solchen Erlass muss eine abstrakte Gefahr für das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung vorliegen: „Eine solche abstrakte Gefahr liegt vor, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass wegen bestimmter Geschehnisse, Handlungen oder Zustände ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt. Eine Polizeiverordnung darf somit nur Lebenssachverhalte regeln, die nach der Lebenserfahrung geeignet sind, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit konkrete Gefahren herbeizuführen.“1546

Dementsprechend dürfen einfache Belästigungen oder Unannehmlichkeiten, wie sie gegebenenfalls von den genannten problematisierten ebenso wie von anderen Gruppen ausgehen können, nicht mittels Polizeiverordnung präventiv als Gefahren eingestuft werden. Dies gilt auch für sozial non-konformistisches Verhalten, sofern der oben gesteckte Rahmen nicht gesprengt wird.1547 Wie aber wird im juristischen Diskurs das Polizeigut der Sicherheit und Ordnung definiert? „Das polizeiliche Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst nach allgemeiner Ansicht die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen (Leben, Gesundheit, Ehre, Freiheit und Vermögen) sowie der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt. [...] Das polizeiliche Schutzgut der öffentlichen Ordnung wird als der Inbegriff der sozialen Normen angesehen, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen unentbehrliche Voraussetzung für ein gedeihliches Zusammenleben ist.“1548

Damit ist ein relativ weiter und sich permanent wandelnder Interpretationsspielraum eröffnet, was denn im Einzelnen Verstöße gegen die öffentliche Ordnung sei-

dung der Bundesrepublik und gegenwärtig im Zuge der tendenziellen Privatisierung bestimmter polizeilicher Aufgaben. Vgl. Kap. 5.2. 1545 Vgl. beispielsweise §§ 10 PolG BW, 1 HamSOG, 74 HSOG und 55 ASOG. In Nordrhein-Westfalen werden die Kommunen entsprechend durch § 27 des Gesetzes über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden (OBG) ermächtigt, Verordnungen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu erlassen. 1546 Kohl 1991; S.621. 1547 Hinzukommt, dass das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 I GG) solches Verhalten zusätzlich deckt. 1548 Kohl 1991; S.621.

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en. Da die meisten Tatbestände spezialgesetzlich geregelt sind, bleibt juristisch wenig Raum für ungeschriebene Sozialnormen. Einige Länder haben deshalb seit den achtziger Jahren den Schutz der öffentlichen Ordnung aus ihren Polizeigesetzen gestrichen, ohne dass dadurch Defizite in der polizeilichen Praxis entstanden wären.1549 Dennoch besteht in vielen Bundesländern „[...] die Möglichkeit eine von der Mehrheit eines Bevölkerungskreises in irgendeiner Form wahrnehmbare Verhaltensweise, die gegen ihren herrschenden Sozial- und Moralkodex verstößt, als polizeirechtliche relevante Störung zu behandeln mit der möglichen Folge eines unterbindenden Polizeieingriffs.“1550 Aus rechtssoziologischer Perspektive erscheint hier problematisch, dass mit solchen Regelungen unter Umständen „bewertungsmäßige Grauzonen“ impliziert werden, die eine eindeutige und im polizeilichen Alltag schnell zu treffende Entscheidung, ob ein legales oder illegales, ein Einschreiten erlaubendes Verhalten vorliegt. Denn diese hängt von der Wirklichkeitsdeutung der handelnden Polizisten ab. Weiterhin ist problematisch, dass Minderheitenrechte unberücksichtigt bleiben – und dies, obwohl eine gesellschaftliche Konformierung mit rechtsstaatlichen Prinzipien unvereinbar ist.1551 Angesichts des auch im juristischen Diskurs anerkannten „Pluralismus der Lebensgewohnheiten und -anschauungen“ scheint ein gesellschaftlicher Konsens über die unentbehrlichen Normen eines gedeihlichen Zusammenlebens unmöglich. Dementsprechend bleibt unklar, welche Normverletzungen staatliche Eingriffe legitimieren. Die Existenz einer „Moral Majority“ wird hinsichtlich der öffentlichen Ordnung nicht angenommen,1552 gleichwohl wird eingeräumt, dass in der Praxis die entsprechende Evaluation eines Verhaltens als mit der öffentlichen Ordnung vereinbar oder nicht vereinbar weniger ein reflektiert-kognitiver, sondern eher ein nicht-rationalisierbarer, subjektiver Vorgang ist. Einzelnen Polizisten sind entsprechende Entscheidungen kaum zuzumuten und die Polizei als Institution darf nicht als „mythischer Bewahrer vorgeblicher Mehrheitsmoral“1553 eingesetzt werden. Nach dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz1554 „[...] müssen Eingriffe der öffentlichen Gewalt so klar und bestimmt gefasst sein, dass der Betroffene die Rechtslage, d.h. Inhalt und Grenzen des Verbots, erkennen und sein Verhalten danach ausrichten kann.“1555 Damit werden

1549 Vgl. Behrendes 1998; S.43; Sp.2. 1550 Kese 1994; S.12. 1551 Vgl. Bösebeck 2001; S.78 sowie Behrendes 1998; S.43. 1552 Die bloße Addition einzelner Einschätzungen zu einer Mehrheitsmeinung durch die Verwaltung lässt sich mit dem verfassungsrechtlichen Demokratieprinzip kaum vereinbaren. Vgl. Bösebeck 2001; S.80. 1553 Alberts zit.n. Bösebeck 2001; S.81. 1554 Art. 103 II GG. 1555 Bösebeck 2001; S.81. Vgl. auch Terwiesche 1997; S.413.

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die Gestaltungskompetenzen der Kommunen bei der normativen Festlegung von Verstößen gegen die öffentliche Ordnung eingeschränkt. Nach dem Gesetzesvorbehalt der Legislative darf nur der Gesetzgeber entscheiden, welche Gemeinschaftsinteressen so bedeutend sind, dass die Freiheitsrechte Einzelner eingeschränkt werden dürfen: „Eine vage Generalklausel, die es dem Ermessen der Exekutive überließe, die Grenzen der Freiheit zu bestimmen, ist mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht vereinbar.“1556 Insgesamt wird im juristischen Diskurs mehrheitlich anerkannt, dass die Rechtsfigur „öffentliche Ordnung“ insgesamt kein polizeirechtliches Vorgehen gegen problematisierte, die Sicherheit und Sauberkeit der Städte vorgeblich gefährdende Gruppen rechtfertigt. Neben den polizeirechtlichen Verordnungen stehen den Kommunen auch straßenrechtliche Sondernutzungssatzungen als Rechtsmittel zur Verfügung, um die befürchtete „Aneignung des öffentlichen Raums durch Randgruppen“ zu verhindern.1557 Der ungehinderte Zugang zu Straßen und die Möglichkeit, sich frei in ihnen zu bewegen und sie sicher zu nutzen, ergeben sich aus den Grundrechten:1558 „Aus diesen Rechten ergibt sich, dass jeder Straßen im Rahmen des vorgesehenen Gebrauchs ohne übermäßige Beeinträchtigung durch den Staat oder durch Dritte benutzen kann, und aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergibt sich zudem, dass der Einzelne vor einem übermäßigen Eindringen in seine Privatsphäre zu schützen ist.“1559 Wenn diese Grundrechte – etwa durch eine straßenrechtliche Sondernutzungssatzung – eingeschränkt werden sollen, müssen triftige und qualitativ hochwertig dargelegte Gründe vorliegen. Die Gesetzgebungskompetenz für das Straßenrecht liegt bei den Ländern.1560 In den entsprechenden Normen wird unter-

1556 Kese 1994; S.16. 1557 Bösebeck 2001; S.82. Wohlfahrt (1997) spricht von einer „Inbesitznahme der Straße durch Randgruppen“. 1558 Strittig ist allerdings, ob und aus welchen Grundrechten dieses Recht abzuleiten ist: Einige Autoren ziehen das Grundrecht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 I GG), das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II S.1 GG) und das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 1 I und II GG) heran. Andere Autoren beziehen sich darüber hinaus auf die Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 I S.1 GG), die Versammlungsfreiheit (Art. 8 I GG), die Freiheit der Berichterstattung (Art. 5 I S.2 GG), die Wirtschaftsfreiheit und die Freiheit der Werbung (Art. 12 und 14 GG) sowie die Kunstfreiheit (Art. 5 III GG), die alle mit der Straßennutzung zusammenhängen. Vgl. Bösebeck 2001; S.82. 1559 Meyer, zit.n. Bösebeck 2001; S.82. 1560 Eine Ausnahme bildet der Bereich der Bundesstraßen. Vgl. dazu BABG und FStrG.

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schieden zwischen Gemeingebrauch und Sondernutzung.1561 Gemeingebrauch – oder auch erlaubnisfreier Gemeingebrauch – bedeutet „[...] das jedermann gewährte subjektiv-öffentliche Recht, die öffentlichen Wege ohne besondere Zulassung im Rahmen der Widmung zu Zwecken des Verkehrs unentgeltlich zu benutzen.“1562 Die juristische Kategorie des Gemeingebrauchs spiegelt also das oben angeführte Bild eines städtischen Raums wider, der der gesamten urbanen Bevölkerung – mithin Öffentlichkeit im Sinne von Publikum – offen steht. In den entsprechenden Normen werden Straßen, Plätze und Wege dem öffentlichen Verkehr gewidmet1563 und damit der Gemeingebrauch gestattet.1564 So heißt es beispielsweise und stellvertretend für andere landesrechtliche Regelungen im Berliner Straßengesetz allgemein: „Der Gebrauch der öffentlichen Straßen ist jedermann im Rahmen der Widmung und der verkehrsrechtlichen Vorschriften gestattet (Gemeingebrauch).“1565 Eine Sondernutzung liegt dagegen vor, wenn der Gebrauch der Straße über den Gemeingebrauch hinausgeht.1566 Sondernutzungen sind prinzipiell erlaubnispflichtig, sachlich zuständig ist die kommunale Straßenbehörde, die nach pflichtgemäßem Ermessen eine Erlaubnis erteilt oder verwehrt. Die Kommunen haben darüber hinaus die Möglichkeit, bestimmte Sondernutzungen (z.B. Jahrmärkte, Stadtfeste, Feste der regionalen Traditionspflege) erlaubnisfrei zu stellen oder andere (mit Ausnahme politischer Veranstaltungen) gänzlich von der Erlaubnis auszuschließen. Dabei müssen die Kommunen allerdings besondere Sorgfalt walten lassen, denn wenn eine Sondernutzung präventiv als nicht erlaubnisfähig verboten wird, „[...] darf kein Fall denkbar sein, in dem diese Sondernutzung den Gemeingebrauch so unerheblich einschränkt, als dass die Sondernutzung nicht doch erlaubnisfähig wäre.“1567 Laut einem Beschluss des OLG Saarbrücken1568 sind vorüberge-

1561 Prümm (1989) widmet sich den „Grenzen der erlaubnisfreien Nutzung von öffentlichem Straßenland“ anhand der rechtlichen Abgrenzung öffentlichen Straßenlandes von privatem und aller denkbaren Formen von Gemeingebrauch und Sondernutzung. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Gemeingebrauch durch eine Vielzahl von Vorschriften mitbestimmt wird, die selten beachtet werden. 1562 Kohl 1991; S.624. 1563 § 2 I BerlStrG, ähnlich in §§ 2 HessStrG, 2 I StrG, Art. 1 BayStrWG, 6 I StrWG NRW sowie 2 I HWG. 1564 Z.B. durch die §§ 10 II S.1 BerlStrG, 14 HessStrG, 14 StrG, Art. 14 BayStrWG, 14 I StrWG NRW sowie 16 HWG. 1565 § 10 II S. 1 BerlStrG. 1566 Entsprechendes regeln beispielsweise die §§ 11 BerlStrG, 16 HessStrG, 18 StrG, 18 BayStrWG sowie 19 HWG. 1567 Bösebeck 2001; S.83f.

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hende Beeinträchtigungen des Gemeingebrauchs noch keine Sondernutzungen. Der Gemeingebrauch wird erst verletzt, wenn die Gemeinverträglichkeit verletzt ist.1569 Die Kommunen sind nicht befugt, durch Sondernutzungssatzungen Regelungen über die Ausübung des Gemeingebrauchs zu treffen, insbesondere dürfen sie nicht gemeingebräuchliche Benutzungsarten als Sondernutzungen behandeln und unter Erlaubnisvorbehalt stellen bzw. für nicht-erlaubnisfähig erklären.1570 Um nun zwischen Gemeingebrauch und Sondernutzung unterscheiden zu können, wird im juristischen Diskurs zwischen einem engen und weiten Verkehrsbegriff differenziert. Der enge Verkehrsbegriff umfasst lediglich die menschliche Fortbewegung und den Gütertransport (also den Bereich der geografischen Ortsveränderungen), während der weite Verkehrsbegriff die idealistischen Urbanitätsentwürfe der Moderne aufnimmt1571 und auf den sogenannten kommunikativen Verkehr abstellt. Dazu gehören neben dem Verweilen im Straßenraum (zum Reden, zum Ruhen, zum Betrachten, zweckfreien Flanieren etc.) auch das Abhalten von (politischen, kirchlichen

1568 Beschluss des OLG Saarbrücken vom 15. September 1997; Az.: Ss (Z) 217/97 (51/97). „Wo einer [...] sich aufhält, kann nicht zugleich ein anderer dasselbe tun, niemand kann beanspruchen, den Gemeingebrauch an jeder Stelle einer öffentlichen Straße jederzeit ausüben zu können.“ Weiterhin heißt es im Orientierungssatz: „Es unterliegt keinem Zweifel, dass das ‚Niederlassen‘ einzelner oder mehrerer Personen im innerstädtischen Bereich, auch wenn man darunter ein längeres Verweilen versteht, z.B., um eine Zeitung oder ein Buch zu lesen, sich mit anderen zu unterhalten oder um sich durch Aufnahme von Speisen und Getränken zu stärken, vom verfassungsrechtlich garantierten Gemeingebrauch gedeckt ist, zumal der Gemeingebrauch anderer hierdurch nicht – jedenfalls nicht unzumutbar – beeinträchtigt wird. Wenn in einer solchen Situation von einer oder mehreren Personen Alkohol getrunken wird, ändert das grundsätzlich nichts daran, dass dieses Verhalten im Rahmen des Gemeingebrauchs liegt. Eine Überschreitung des Gemeingebrauchs kann aber gegeben sein, wenn mehrere Personen im städtischen Bereich lagern und sich dabei so ausbreiten, dass andere in der Ausübung des Gemeingebrauchs im genannten Sinne beeinträchtigt werden. Es kommt insoweit auf alle Umstände des Einzelfalles an, so unter anderem die Breite der Straße, die Anzahl der Personen, die sich niederlassen und in welcher Weise dies geschieht. Es ist auch zu beachten, ob ein solches Verhalten ortsüblich ist. Von Bedeutung kann insbesondere sein, ob und in welcher Menge dabei Alkohol getrunken wird.“ 1569 Die konkrete Ausübung des Gemeingebrauchs wird durch das Straßenverkehrsrecht geregelt. Ein Verstoß gegen das Straßenverkehrsrecht ist keine Sondernutzung, sondern ein verbotener Gemeingebrauch. 1570 Vgl. Kohl 1991; S.624 sowie Bösebeck 2001; S.84. 1571 Vgl. Kap. 3.2 und 3.4.1.

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usw.) Veranstaltungen.1572 Die Straße ist demnach ein Ort der Pflege menschlicher Kontakte, der religiösen wie politischen Willensbildung und des Informations- und Meinungsaustausches im kommunikativen Verkehr.1573 Da der straßenrechtliche Ausschluss spezifischer Personengruppen aus diesen sozialen, politischen und insgesamt kulturellen Zusammenhängen sowohl sozialpolitisch wie auch bezüglich des staatlich-gesellschaftlichen Selbstbildes hoch brisant ist, wird im juristischen Diskurs intensiv die Rechtmäßigkeit solcher kommunalen jeweils polizei- und straßenrechtlichen Ordnungsstrategien debattiert. Aus der Perspektive der stadtsoziologischen Thematisierung betrachtet ergibt sich diese Brisanz aus der Tendenz des gerade reformierten Straßen- und Wegerechts, Stadt kontrafaktisch als einen Raum zu konstruieren, der von zentralen Merkmalen moderner Urbanität befreit zu sein hat, um als gemeingebräuchlich zu gelten. Denn wo bestimmte Verhaltensweisen, die im weiten Verkehrsbegriff noch eingeschlossen sind, untersagt oder beschränkt werden, entfernt man sich von den Urbanitätsentwürfen der Moderne. Dieser Raum trägt bereits das Bild einer – so wird von Kritikern unterstellt – politisch gewollten „anderen“ Urbanität in sich: das einer irritationsbefreiten, geordneten Urbanität exklusiver „Konsumentenbürgerschaft“.1574 Insbesondere geht es im juristischen Diskurs erstens um Ordnungsstrategien gegen den schieren Aufenthalt von sogenannten Randgruppen im öffentlichen Raum, zweitens um Ordnungsstrategien gegen das Betteln und drittens um Ordnungsstrategien gegen das Niederlassen zum Alkoholgenuss.1575 Ad 1: Wenn mittels Polizeiverordnung verboten werden soll, sich „nach Art eines Land- oder Stadtstreichers herumzutreiben“,1576 dann muss dieses Verhalten die öf-

1572 Vgl. Terwiesche 1997; S.414; Sp.2. Beides zusammen entspricht dem (modernen) Bild des öffentlichen Raums als Bühne bürgerlichen, demokratischen und zumindest normativ gleichberechtigten Miteinanders. Laut der Straßenordnung Wuppertals dient der öffentliche Raum auch dem „Aufenthalt zur bürgerschaftlichen Begegnung“ (§ 3 I StrO Wuppertal). 1573 Eine entsprechende Straßengestaltung durch verkehrsberuhigte Fußgängerzonen, Sitzmöglichkeiten, Wasserspiele, Vegetation, sonstige Möblierung etc. trägt dieser Zweckbestimmung Rechnung. 1574 Vgl. Kap. 5.3. 1575 Vgl. zum Folgenden Bösebeck 2001; S.86ff. 1576 Eine Gemeinde in Baden-Württemberg erließ ein entsprechendes Verbot. Der VGH Baden-Württemberg erklärte dieses Verbot in einem Normenkontrollverfahren am 29. April 1983 (Az.: 1 S 1/83) für rechtswidrig, da es nicht dem „rechtsstaatlichen Bestimmtheitserfordernis“ entsprach und das „untersagte Verhalten [...] auch keine hinrei-

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fentliche Sicherheit oder öffentliche Ordnung gefährden. Es besteht allerdings weitgehend Einigkeit in der Feststellung, dass Obdachlosigkeit an und für sich die öffentliche Sicherheit nicht gefährdet.1577 Obdachlose gefährden weder zwangsläufig die Individualrechtsgüter Dritter, noch den Staat oder seine Einrichtungen.1578 Da die Straftatbestände „Obdachlosigkeit“ und „Landstreicherei“1579 mit der Strafrechtsreform 1974 abgeschafft wurden und beide Tatbestände auch nicht nach Bundes- oder Landesrecht als ordnungswidrig gelten, dürfen die Kommunen entsprechendes Verhalten ebenfalls nicht inkriminieren.1580 Da nicht davon ausgegangen wird, dass die Lebensform der Land- und Stadtstreicher den inneren Frieden des Gemeinwesens stört und damit die Voraussetzungen für ein gedeihliches Zusammenleben unterminiert werden, gefährdet eine solche Lebensform auch nicht die öffentliche Ordnung. Im Gegenteil: Es wird diskutiert, ob entsprechende Verbote nicht gegen das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit1581 verstoßen und der Anerkennung des Existenzrechts von Minderheiten im Weg stehen.1582 Eine

chende abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ darstellt. Vgl. Krebs 2001; S.91f. Im Folgenden ist von Obdachlosen, nicht von Stadt- oder Landstreichern die Rede. Zu den älteren politischen Plänen des Bayerischen Staatsministerium des Innern, „das Stadtstreicherunwesen umfassend unter Strafe zu stellen“, vgl. Holtmannspötter 1988. 1577 Im Falle einer Selbstgefährdung, wenn also eine Gefahr für das Leben des Obdachlosen besteht oder das Kriterium des bewussten Handelns entfällt, dürfen Behörden einschreiten. 1578 Kohl 1991; S.623. Vgl. auch Müller/Paulgerg-Muschiol 2001. 1579 Ehemals § 361 Nr. 8 und Nr. 3 StGB. Zur älteren Rechtslage vgl. Bösebeck 2001; S.88, der auch ein Urteil des LG Köln von 1953 zitiert, in dem Landstreichern ein „Hang zum Herumtreiben“ unterstellt und die Frage diskutiert wird, wo die Grenze zwischen Landstreichern und „reisenden Verbrechern“ sei. Damals sollte ein kommunales Verbot auch „wandernde Müßiggänger“ davon abhalten, sich „der Versuchung zu Gelegenheitsstraftaten“ zu ergeben. 1580 Vgl. Kohl 1991; S.622. 1581 Art. 2 I GG. 1582 Vgl. Kohl 1991; S.622. Das BVerfG erkannte bereits 1967 an, dass der Staat nicht die Aufgabe hat, seine Bürger zu bessern. Er darf ihnen zu diesem Zweck nicht die Freiheit entziehen, ohne dass sie sich selbst oder andere in Freiheit gefährden. Im Übrigen dürfte kaum davon auszugehen sein, dass es sich bei dem Phänomen der Obdachlosigkeit um eine selbstgewählte Lebensweise handelt. Im Gegenteil, die empirische Forschung liefert zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass Obdachlosigkeit aus Konstellationen resultiert, die nicht oder nicht mehr im willentlich zu beeinflussenden Handlungsbereich der Betroffenen liegt (z.B. Drogen- und Alkoholsucht, psychische Destabilisierung, Ar-

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konkrete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung durch Obdachlose wird also im Ergebnis verneint.1583 Allerdings reicht eine abstrakte Gefahr, die unmittelbar Schäden verursachen kann, aus, um die Lebensweise von Obdachlosen zu verbieten. Eventuelle Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten, die prinzipiell auch von anderen begangen werden können, reichen für ein solches Verbot nicht aus, und im juristischen Diskurs werden keine Argumente dafür vorgebracht, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Lebensform von Obdachlosen Gefährdungen der polizeirechtlichen Schutzgüter herbeiführen. Es ist also ein zentrales Ergebnis des juristischen Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten, dass Obdachlosigkeit, die mit dem genannten Problemkontext unmittelbar in Zusammenhang gebracht wird, weder die öffentliche Sicherheit noch die öffentliche Ordnung abstrakt oder konkret gefährdet. Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten können im Einzelfall in ausreichendem Maße auch ohne ein entsprechendes Verbot geahndet werden1584 und eventuelle Belästigungen müssen toleriert werden.

beitslosigkeit, kritische Lebensereignisse, Armut und Folgen längerfristiger Armut wie z.B. Schulden, Flucht etc.). 1583 Dasselbe gilt im Ergebnis für ein von den Kommunen erlassenes Betretungs- und Aufenthaltsverbot für andere problematisierte Gruppen – neben Obdachlosen. So hat die Stadt Karlsruhe mittels amtlicher Bekanntmachung eine Allgemeinverfügung „über ein räumlich und zeitlich beschränktes Betretungs- und Aufenthaltsverbot auf dem Kronenplatz, (für Personen; G.L.) die der ‚Punk-Szene‘ zuzurechnen sind“, erlassen (vgl. Amtliche Bekanntmachung der Stadt Karlsruhe vom 5. Juli 2002 – mit ausführlicher Begründung, die sich einerseits an den „Zielen der Punkszene“ und deren typischen Verhaltensweise, andererseits aber auch an einem diagnostizierten Unsicherheitsgefühl der Bevölkerung, Beschwerden aus der Geschäftswelt aber auch Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung orientiert). Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat auf Antrag eines Betroffenen durch Beschluss von 7. August 2002 (Az.: 12 K 2595/02, s. auch VGH Baden-Württemberg 2002) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Betroffenen wiederhergestellt und verlangt, ihn bis zur weiteren Klärung vor dem Vollzug der Verfügung zu verschonen. Im Übrigen meldet das Gericht Zweifel an der Rechtsgrundlage der Verfügung an, weil durch die Ansammlung von Punks vermutlich keine Gefahren und Störungen für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen. Die Beschwerde der Stadt Karlsruhe gegen diesen Beschluss hat der VGH BadenWürttemberg durch Beschluss vom 4. Oktober 2002 (Az.: 1 S 1963/02) als unbegründet zurückgewiesen. Vgl. auch o.V. 2002j und k. 1584 Nicht selten sind allerdings die Normadressaten mangels finanzieller Mittel nicht in der Lage, entsprechende Ordnungsgelder zu bezahlen. In einem solchen Fall hat der VGH München am 20. August 1997 (Az.: 8 C 96.4230) trotz massiver Bedenken anderer Juristen auf fünf Tage Ersatzzwangshaft für einen Obdachlosen erkannt, der mindestens

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Zudem verstößt eine solche Verbotsnorm gegen das grundgesetzlich geforderte Bestimmtheitsgebot, weil nicht klar ist, welche Verhaltensweise genau inkriminiert ist: „Es dürfen nicht alle irgendwie als störend empfundenen Verhaltensweisen präventiv verboten werden, indem an eine bestimmte Lebensform angeknüpft wird, die eigentlich strafbare Handlung aber nicht bestimmt wird.“1585 Unklar ist insbesondere, „[...] welcher Dauer und Häufigkeit der Aufenthalt auf öffentlichen Straßen und in öffentlichen Anlagen sein muss, damit ein Sichherumtreiben i.S. der Verbotsnorm vorliegt, und welcher Grad äußerer Ungepflegtheit oder unangepassten Verhaltens Sanktionen nach sich zieht.“1586 Damit ist vom Normgeber keine klare Grenze zwischen Erlaubtem und Verbotenem gezogen worden. Insgesamt kommt der rechtliche Diskurs um ein entsprechendes Verbot zu folgendem Ergebnis: „Eine Polizeiverordnung gegen die Lebensform der Land- bzw. Stadtstreicher ist daher weder gerechtfertigt noch rechtlich zulässig.“1587 Eine weitere, im Kontext um die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung von Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten diskutierte polizeirechtliche Maßnahme insbesondere gegen Obdachlose ist der sogenannte Verbringungsgewahrsam, bei dem eine oder mehrere Personen vom Polizeivollzugsdienst in Verwahrung genommen werden und in Wald- oder andere Randgebiete der Stadt gebracht und dort abgesetzt werden.1588 Störende Handlungen sollen so durch die Schaffung

49 mal binnen von 15 Monaten gegen die StachusbauwerkS verstoßen hatte und damit ordnungswidrig handelte. Im Laufe eines weiteren halben Jahres hat die zuständige Polizeibehörde den Betroffenen 192 mal aufgefordert, das Bauwerk zu verlassen. Die Stadt München erließ in der Folgezeit nicht weniger als 77 Bußgeldbescheide über je 1000 DM, von denen keiner beglichen wurde. Die Ersatzzwangshaft wurde als „geeignetes und nunmehr auch verhältnismäßiges Zwangsmittel“ erkannt und entsprechend verhängt. Vgl. dazu Hammel 1998c. 1585 Bösebeck 2001; S.91. Vgl. zum Bestimmtheitsgebor Art. 103 II GG. 1586 VGH BW 1983, zit.n. Bösebeck 2001, S.91. 1587 Bösebeck 2001; S.90 mit Verweis auf den Normenkontrollbeschluss des VGH BadenWürttemberg vom 29. April 1983 (Az.: 1 S 1/83), Deutsches Verwaltungsblatt 1983; S.1070ff. 1588 Diese Maßnahme ist keineswegs nur Gegenstand des aktuellen juristischen Diskurses, sondern lässt sich auch historisch nachweisen: Bereits 1516 beschließt die Stadt Paris, dass alle Bettler die Stadt zu verlassen haben. Für das Gebiet der heutigen Bundesrepublik lassen sich ebenfalls zahllose Beispiele anführen. Gerade gegen Ende des 18. Jahrhunderts sind „Bettelschübe“ vor allem in deutschen Landen und Österreich massenhaft festzustellen. Vgl. hierzu Simon 2001a; S.61 sowie Kap. 5.1 und 5.2. Aber auch heute praktiziert man außerhalb Deutschlands besondere, äquivalente Formen des Verbrin-

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einer räumlichen Distanz von potenziellem Störer und Innenstadt verhindert werden. Die juristische Position zu dieser Maßnahme ist relativ eindeutig: Nach geltendem Polizeirecht scheinen solche Verbringungen unzulässig und mit der Rechts-, insbesondere Grundrechtsordnung unvereinbar.1589 Das LG Mainz stellte bereits 1982 fest,1590 dass Obdachlose durch solche Maßnahmen von allen sozialarbeiterischen und gegebenenfalls medizinischen Hilfemöglichkeiten abgeschnitten werden und dass der Weg zurück in die Städte durch verschiedene Einflüsse (Verkehrsanbindungen, Witterung, Ortsunkenntnis und fehlende finanzielle Mittel) zusätzlich erschwert ist. Eine Verbringung wegen geringfügiger Tatvorwürfe ist kränkend und hat entwürdigenden Charakter.1591 Die Intention, kurzfristig und nur vorläufig „Ruhe zu schaffen“, ist durch keine polizeirechtliche Eingriffsgrundlage gedeckt. Deshalb sei eine Verbringung grundsätzlich eine Freiheitsberaubung. Auch handelt es sich nicht um einen „atypischen Gewahrsam“, eine Platzverweisung oder eine unkonventionelle Maßnahme, die weder aufgrund der polizeilichen Generalklauseln noch als Anwendung unmittelbaren Zwangs legitimiert werden könnte. Im

gungsgewahrsams: Im Rahmen eines internationalen Gipfels sollten beispielsweise im Oktober 2003 tausende von Bettlern und Obdachlosen von Bangkok in die ärmeren Provinzen im Norden Thailands verbracht werden. 600 sich illegal in Thailand aufhaltende kambodschanische Bettler hatte man bereits zuvor nach Phnom Penh ausgeflogen. Zur Begründung gab man an, die Betroffenen davor schützen zu wollen, entweder selbst Verbrechen zu begehen oder Opfer eines Verbrechens zu werden. Der thailändische Premierminister hatte Arme und Obdachlose als „schwache Charaktere“ bezeichnet, die „körperliche und geistige Schulung“ bräuchten, „um sie für eine Anstellung und die Herausforderungen des Lebens abzuhärten“. Der Gouverneur von Bangkok verglich Obdachlose mit Straßenhunden. Vgl. Glass 2003. 1589 Vgl. Kappeler 2000. 1590 Urteil vom 17. Dezember 1982, Az.: Js 19170/80 – 5 Ns, Monatsschrift für deutsches Recht 1983; H.12; S.1044ff. Aus dem „sonstigen Orientierungssatz“: „Die polizeiliche ‚Verbringung‘ von Stadtstreichern aus dem Stadtgebiet ‚aufs Land‘ ist grundsätzlich Freiheitsberaubung.“ 1591 Darüber hinaus zeigt ein Fall aus Stralsund, dass der Verbringungsgewahrsam unter Umständen auch lebensgefährlich ist. Seit dem 26. Juni 2003 mussten sich zwei Polizisten wegen Aussetzung mit Todesfolge vor dem LG Stralsund verantworten. Ein von ihnen ausgesetzter, stark alkoholisierter Obdachloser war im Dezember 2002 am Stadtrand erfroren, wo ihn die beiden Polizisten ausgesetzt hatten. Dabei hatte es sich um eine „üblich Praxis“ gehandelt. Vgl. o.V. 2003b. Die Beamten wurden, nachdem der BGH die Revision verworfen hatte, zu je drei Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Vgl. o.V. 2003h.

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Ergebnis: „Der Verbringungsgewahrsam ist nach dem geltenden Polizeirecht unzulässig.“1592 Seit Juli 2003 eröffnet § 34 II PolG NRW1593 der Polizei die Möglichkeit, Personen (auch jenseits definierter Verhaltens- oder Erscheinungsmerkmale) für eine bestimmte Zeit den Aufenthalt an bestimmten Orten gänzlich zu untersagen, wenn begründet davon ausgegangen werden kann, dass diese Person in demselben örtlichen Bereich eine Straftat begehen wird oder zur Begehung beitragen wird. Damit steht die länger praktizierte Form der Wegweisung aus den Innenstädten – kritisch könnte man auch von einem Stadtverbot mittelalterlicher Tradition sprechen – erstmals auf einer spezialgesetzlichen Grundlage.1594 Zurzeit liegen weder ausreichend Erfahrungen aus der Praxis, noch juristische Kommentierungen oder richterliche Überprüfungen der Norm vor, um die Diskussion zu dieser Norm darstellen zu können. Neben polizeirechtlichen Mitteln bedienen sich die Kommunen aber auch straßenrechtlicher Sondernutzungssatzungen, um Obdachlosen den Aufenthalt im Innenstadtbereich zu verwehren und so für Sicherheit und Sauberkeit zu sorgen.1595 Welche Positionen spiegeln sich hierzu im juristischen Diskurs? Ausgangspunkt ist die unterstellte oder bestrittene „Belagerungssituation“ der Straße durch die problematisierten Gruppen, die – so eine Position – dem Anspruch der Passanten auf ungehinderte Fortbewegung und konfliktfreie Kommunikation entgegensteht. Der Gemeingebrauch ist in dieser Perspektive verletzt, es liegt demnach eine Sondernutzung vor.1596 Auf der anderen Seite wird argumentiert, dass es sich um zeitlich begrenzte Zusammenkünfte1597 handelt, die der menschlichen Kontaktpflege dienen. Insofern handelt es sich in anderer Perspektive um erlaubnisfrei-

1592 Maaß, zit.n. Bösebeck 2001; S.92. 1593 Art. 1 Nr. 26 des Gesetzes zur Änderung des Polizeigesetzes und des Ordnungsbehördengesetzes vom 8. Juli 2003. 1594 Vgl. Daniel/Kirchbach 1998. Bislang stützte sich die polizeiliche Praxis auf die Generalklausel des § 14 OBG, nach dem die Ordnungsbehörde im Einzelfall die notwendigen Maßnahmen treffen kann, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Vgl. Behrendes 2003; S.5. In der Stadt Peine können „Störenfriede“ seit März 2003 für bis zu sechs Monate aus der Innenstadt verwiesen werden. Vgl. o.V. 2008. 1595 Vgl. Marciniak 1990. 1596 Vgl. Wohlfahrt 1997; S.42. 1597 Terwiesche (1997; S.413) merkt dazu an, dass man bei anderen, gesellschaftlich weniger unerwünschten Gruppen den Zeitaspekt nicht heranziehen würde, um über Gemeingebrauch oder Sondernutzung zu entscheiden.

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en Gemeingebrauch, der durch den weiten Verkehrsbegriff gedeckt ist.1598 Hinzukommt, dass die verfassungsrechtlich garantierte Versammlungsfreiheit1599 nicht nur politische Zwecke umfasst. Eine solche Versammlung kann nur verboten werden,1600 wenn die öffentliche Sicherheit und öffentliche Ordnung bei der Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet werden – was der VGH Kassel allerdings verneint hat: „Bei der Abwägung möglicherweise beeinträchtigter Verkehrs- und Sicherheitsbelange mit der Versammlungsfreiheit ist zunächst in den Blick zu nehmen, dass die öffentliche Sicherheit mit der Unversehrtheit der Rechtsordnung insbesondere die Unversehrtheit der Grundrechtsordnung umfasst und die wirksame Wahrnehmung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit zum Gemeingebrauch an öffentlichen Straßen und Wegen zählt.“1601

Hinzukommt die lebensweltliche Erfahrung, dass es in stark frequentierten Bahnhöfen und Fußgängerzonen in den Innenstädten mitunter unmöglich ist, sich nicht gegenseitig zu behindern.1602 Eine weitere Position im juristischen Diskurs um die Rechtmäßigkeit straßenrechtlicher Sondernutzungssatzungen gegen den Aufenthalt von problematisierten Gruppen in den Innenstädten geht davon aus, dass sowohl Aufenthaltsverbote, als auch längerfristige Platzverweise einen Eingriff in das Grundrecht der Freizügigkeit1603 darstellen und dass solche Eingriffe nur in engen Grenzen möglich sind.1604 Nach dem darin formulierten „Kriminalitätsvorbehalt“ sind Beschränkungen der Freizügigkeit im Einzelfall nur möglich, wenn dadurch strafbaren Handlungen vorgebeugt wird. Unterhalb dieser Schwelle sind derartige Einschränkungen oder „Präventionssysteme“ unzulässig – so auch die aufenthaltsbeschränkenden oder -unterbindenden kommunalen Satzungen. Entsprechende Regelungen für ganze Personengruppen oder -kreise sind generell fragwürdig und unverhältnismäßig, da jeweils im konkreten Einzelfall über Rechtsverletzungen entschieden werden muss.1605 Deshalb ist es auch unzulässig, in solchen Satzungen auf alle Angehörigen einer bestimmten „Szene“ abzustellen, während einzelne Personen, sofern die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen, sehr wohl verwiesen

1598 Vgl. Kohl 1991; S.625. 1599 Art. 8 GG. 1600 § 15 I VersG. 1601 Beschluss des VGH Kassel vom 29. Dezember 1987 (Az.: 3 TH 4068/87), zit.n. Bösebeck 2001; S.94. 1602 Vgl. Terwiesche 1997; S.412. 1603 Art. 11 I GG. 1604 Art. 11 II GG. Vgl. hierzu Hecker 1997; S.247f und o.V. 2001z. 1605 Vgl. Bösebeck 2001; S.93.

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werden können. Nur der Bund (nicht einzelne Länder oder Kommunen) hat die Kompetenz, Gesetze zu erlassen, die die Freizügigkeit der Bürger einschränken.1606 Eine entgegengesetzte Position verneint diese Vorbehalte (und perpetuiert gängige Bilder undisziplinierter, vorsätzlich sozialschädlicher Störer): „Soziale Randgruppen, die nichts zu verlieren haben, stellen für ihr Dasein auf der Straße selbstverständlich keine Erlaubnisanträge, sondern lassen sich von ihren Neigungen treiben. Solche Lebensformen kalkulierter Spontaneität und Okkupation schließen seriöse Gegenkonzepte durch Genehmigungen mit Nebenbedingungen realistischer Weise aus.“1607 Die Stadt Stuttgart argumentiert in einem Normenkontrollverfahren ähnlich: „Gekennzeichnet sei diese Szene insbesondere in den Großstädten vielmehr ganz überwiegend von sozialen Randgruppen und von Einzelpersonen, die in ihrer Lebensart kaum Distanz und Achtung vor den Rechten anderer zu akzeptieren bereit seien.“1608 Da auch die zuständigen Wohlfahrtsverbände gegen das Verhalten „Therapieresistenter“ machtlos seien, sei ein Eingreifen der öffentlichen Hand unter Ordnungsgesichtspunkten umso notwendiger.1609 Nach dieser Position dürfen Städte sehr wohl die „Aneignung der Straße durch Randgruppen“ als nicht erlaubnisfähige Sondernutzung unterbinden. Eine einheitliche Position ist im rechtlichen Diskurs um die straßenrechtlichen Sondernutzungssatzungen als Strategie gegen den Aufenthalt von problematisierten Gruppen im öffentlichen Raum der Innenstädte bislang nicht auszumachen. Ad 2: Neben den aufenthaltsbeschränkenden bzw. -verhindernden Normen werden im juristischen Diskurs auch Ordnungsstrategien gegen das Betteln diskutiert.1610 Entsprechende Regelungen können Gegenstand sowohl einer kommunalen Polizeiverordnung oder einer Sondernutzungssatzung sein. Wie aber definiert der juristische Diskurs „Betteln“?

1606 Art. 71 und 73 I Nr. 3 GG. Zur Rechtswidrigkeit von Platzverweisen vgl. auch o.V. 2001z. 1607 Wohlfarth 1997, S.426. 1608 Aus der Begründung zur Abweisung des Antrags im Normenkontrollverfahren vor dem VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Juli 1998 (Az.: 1 S 2630/97). Vgl. Hammel 1998b; S.123; Sp.2. Allerdings ging es hier um die Zulässigkeit eines Bettelverbots qua Polizeiverordnung. Die Konstruktion einer Gruppe von „Asozialen“, die bürgerliche Ordnung bewusst ablehnenden und vorsätzlich handelnden Störern, ist allerdings die Gleiche. 1609 Vgl. Nagel/Rieckmann 1999. 1610 Zu den historischen Wandlungen des gesellschaftlichen Verhältnisses zum Betteln vgl. Voß, A. 1993.

374 | STADT UND KONTROLLE „‚Betteln‘ ist nach der Definition der Rechtsprechung die an einen beliebigen Fremden gerichtete Bitte um Gewährung eines geldwerten Geschenkes unter der Behauptung der Bedürftigkeit des Bettelnden selbst, eines Angehörigen oder einer ihm sonst nahestehenden Person. Unbedenklich erscheint die Ausdehnung dieser Begriffsbestimmung auf das Betteln unter der Behauptung der Bedürftigkeit von Tieren (Bitte um Spende für den Hund eines Stadtstreichers, Bitte um Spende für überwinternde Zirkustiere).“1611

Dabei wird zwischen vier Formen des Bettelns – mit je spezifischen juristischen Einschätzungen – unterschieden: •

„[...] das ‚stille‘, sog. passive Betteln, das dadurch gekennzeichnet ist, dass der Bettelnde sich in keiner Weise auf Passanten zubewegt und auch nicht zielgerichtet jemanden anspricht oder berührt, während er auf einer öffentlichen Straße sitzend oder stehend mit eindeutiger Geste um eine ‚Spende‘ bittet; [...]



das Betteln ‚en passant‘ (verdecktes aktives Betteln), bei dem Passanten direkt und unmittelbar angesprochen werden [...] mit Äußerungen wie ‚Haste mal `ne Mark? ‘;



das ‚offen aktive Betteln‘, bei dem sich der Bettelnde direkt auf den Passanten zubewegt, [...] dort – verbal oder unter Hinweis auf ein [...] Schriftstück – Passanten angeht mit dem Ziel, Mitleid zu erregen und zu einer ‚Spende‘ zu motivieren sowie



das ‚aggressive Betteln‘, im Rahmen dessen entweder auf belebten Straßen und Plätzen [...] Passanten von Bettelnden direkt und unmittelbar auf ‚eine milde Gabe‘ unter Verweis auf eine angeblich bestehende Bedürftigkeit angesprochen werden; falls keine Bereitschaft zur Abgabe einer derartigen ‚Spende‘ besteht, hat dies von Bettelnden ausgeübte Tätigkeiten wie ein Festhalten der Passanten oder Griffe nach deren Handtaschen zur Folge oder dieser Täter stellt sich den Passanten in der Weise in den Weg, dass keine freie Fortbewegung mehr möglich ist.“ 1612

1611 Fahl 1996; S.956f. 1612 Hammel 1998a; S.52. Vgl. Hierzu auch Simon 2001a; S.55. Das sogenannte „aggressive Betteln“ hat innerhalb des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten besonders hohe Wellen geschlagen. In einigen Kommunen ist der Tatbestand des „aggressiven Bettelns“ deshalb eigens in die entsprechenden Polizeiverordnungen aufgenommen und verboten worden, so z.B. in §§ 13 Ziff. a. KStO 2001, 12 Ziff. a. KStO 2005 und 2006, 7 PolVO Frankfurt/M. sowie 6 DStO. Dabei wird auf die potenzielle Gefährdung, Behinderung oder Belästigung Anderer durch die inkriminierten Verhaltensweisen verwiesen. Zuwiderhandlungen sind in §§ 22 I Ziff. 13 KStO 2001, 22 I Ziff. 15 KStO 2005, 22 I Ziff. 15a-g KStO 2006, 13 III Ziff. 1 PolVO Frankfurt/M. sowie 15 I Ziff. 16 DStO als Ordnungswidrigkeiten sanktioniert. In Bonn und Rudolstadt ist das Betteln in jeder Form untersagt (§§ 2 I StrO Bonn und 1 BettelO Rudolstadt). Zuwiderhandlungen sind als Ordnungswidrigkeiten in den §§ 11 I Ziff. 1 StrO Bonn

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Seit der Strafrechtsreform von 1974 ist Betteln nicht mehr Gegenstand des Strafrechts. Ein Verbot des Bettelns jenseits des Strafrechts mittels einer ordnungsrechtlichen Polizeiverordnung wird im juristischen Diskurs mit den unterschiedlichen Regelungszwecken beider Rechtsmaterien begründet: Demnach hat Strafrecht den Zweck, besonders sozialschädliche Verhaltensformen unter Strafe zu stellen, während das Ordnungsrecht eher präventiv auf das Verhalten der Bürger einwirken will, um solche als schädlich definierten Vorgänge zu verhindern. „Aufdringliches Betteln“ wird teilweise als sozialschädlich angesehen, da eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung gegeben ist. Weil eine solche nicht im Sinne des (Bundes-) Gesetzgebers sein kann, scheint eine Korrektur des Strafrechts durch das kommunale Ordnungsrecht im Bezug auf bestimmte Bettelformen gerechtfertigt.1613 Dagegen wird eingewandt, dass unter dem Gesichtspunkt der Gesetzesgebundenheit der Verwaltung1614 ein Eingriffsrecht der Kommunen verneint werden muss, weil sonst der Wille des (Bundes-)Gesetzgebers, von einer Pönalisierung des Bettelns abzusehen, faktisch mit polizeilichen Mitteln unterlaufen wird.1615 Auch ist die öffentliche Ordnung durch keine der Bettelformen gefährdet, weil es den Angesprochenen stets

sowie 4 BettelO Rudolstadt sanktioniert. In den einzelnen Verbotsnormen unterscheiden sich die Legaldefinitionen des „aggressiven Bettelns“ zudem leicht: In Köln versteht man darunter das „[...] Anfassen, Festhalten, Versperren des Wegs, aufdringliches Ansprechen, Errichten von Hindernissen im Verkehrsraum, bedrängende [...] Verfolgung, Einsetzen von Hunden, d(as; G.L.) bedrängende [...] Zusammenwirken [...] mehrerer Personen [...]“, in Frankfurt ist das „[...] nachdrückliche oder hartnäckige Ansprechen von Personen zum Zweck der Bettelei [...]“ nicht gestattet, in Düsseldorf gilt als aggressives Betteln das „[...] unmittelbare Einwirken auf Passanten durch In-den-WegStellen, Einsatz von Hunden als Druckmittel, Verfolgen oder Anfassen [...]“. Vgl. zur DStO Terwiesche 1997. Zur Kritik an der Kölner Straßenordnung vgl. Hermann 1998. 1613 Vgl. Bösebeck 2001; S.96. 1614 Art. 20 III GG. 1615 Vgl. Terwiesche 1997; S.412, der auch darauf hinweist, dass Tatbestände wie Beleidigung, Bedrohung, Nötigung oder körperliche Angriffe bereits durch das Strafrecht inkriminiert sind (§§ 185, 241, 240, 223 und 224 StGB) und alleine deshalb ordnungsrechtliche Sondernormen gegen die beschriebenen Verhaltensweisen unnötig sind. Der Straftatbestand der Nötigung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Bettelnden Hunde mit sich führen und deshalb unter Umständen das Vermögen der Angesprochenen, sich der Bitte zu widersetzen, beeinträchtigt sein könnte. Aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht kommen bei der juristischen Beurteilung des Verhaltens problematisierter Gruppen im öffentlichen Raum die Tatbestände unerlaubte Ansammlung, unzulässiger Lärm, Belästigung der Allgemeinheit und Vollrausch (§§ 113, 117, 118 und 122 OWiG) in Betracht.

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frei steht, tatsächlich den Bitten nachzukommen. Das reine und gelegentliche Ansprechen von Passanten gefährdet ein geordnetes menschliches Zusammenleben nicht. Auch hier wird eingeräumt, dass in der allgemeinen Öffentlichkeit, insbesondere im innerstädtischen öffentlichen Raum, der Kontakt oder gar die subjektiv unerwünschte oder im Einzelfall sogar lästige Ansprache durch Mitglieder problematisierter Gruppen ebenso wie die Konfrontation mit Armut zu den typischen Rahmenbedingungen des öffentlichen, urbanen Lebens gehört und insofern zu akzeptieren ist. Positionen der sozialwissenschaftlichen Thematisierung werden dabei auf die juristische übertragen. Die öffentliche Ordnung zwingt auch nicht zu sozial konformen Verhalten.1616 In den Worten des VGH Baden-Württemberg: „Die Anwesenheit auf dem Bürgersteig sitzender Menschen, die in Not geraten sind und an das Mitleid und die Hilfsbereitschaft von Passanten appellieren, muß von der Gemeinschaft jedenfalls in Zonen des öffentlichen Straßenverkehrs als eine Erscheinungsform des Zusammenlebens hingenommen werden und kann folglich nicht – generell – als ein sozial abträglicher und damit polizeiwidriger Zustand gewertet werden.“1617 Des Weiteren ist sowohl bei der Formulierung einer das Betteln verbietenden Polizeiverordnung als auch einer straßenrechtlichen Sondernutzungssatzung das Bestimmtheitsgebot1618 zu beachten: „Abstrakt generelle Verbote sind so klar und bestimmt zu fassen, dass der Inhalt und die Grenzen des Verbots erkennbar sind und Betroffene ihr Verhalten danach einrichten können. Insbesondere muss eine eindeutige Abgrenzung zwischen Verbotenem und zulässigem Verhalten möglich sein. Die bloße Erkennbarkeit eines Kernbereichs verbotenen Verhaltens genügt diesem Bestimmtheitsgebot nicht.“1619 Dementsprechend muss klar sein, wel-

1616 Vgl. Bösebeck 2001; S.97. 1617 Normenkontrollbeschluss des VGH Baden-Württemberg vom 6. Juli 1998 (Az.: 1 S 2630/97). Vgl. Hammel 1998b; S.125. Weiter heißt es dort: „Das Betteln stellt – jedenfalls in seiner ‚stillen‘ Erscheinungsform – abstrakt generell keine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar. Mit ihm ist auch keine abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verbunden.“ (Hammel 1998b; S.122). Siehe auch Hecker 1998; S.25 und Bösebeck 2001, S.100. In einem Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 16. April 1997 (Az.: B 8 Owi 25 Js 70/97) heißt es: „Es ist nicht ersichtlich, dass das einfache, unaufdringliche, körperlose Betteln und damit das bloße Erbitten einer materiellen Zuwendung durch das ausdrückliche oder konkludente Behaupten, bedürftig zu sein, sich zu einem polizeirechtlichen Schaden verdichtet oder auch nur die Grenze zur persönlichen Belästigung überschreiten könne. Dies gilt sowohl für den isoliert auftretenden ‚Bettler‘ als auch für eine zeitliche und räumliche Massierung.“ Zit.n. Wohnungslos 39 (1997); S.123. Vgl. auch Hammel 1998a. 1618 Art. 103 III GG. 1619 Holzkämper 1994; S.149.

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ches Verhalten genau verboten ist und wo genau die Grenzen zwischen „Aufdringlichkeit“, „Bedrängen“, „Hartnäckigkeit“ etc. liegen. Kann eine solche Grenze nicht gezogen werden, sind die entsprechenden Normen unzulässig. In anderen Kommunen ist das Betteln mittels Sondernutzungssatzung untersagt.1620 Im juristischen Diskurs steht hinsichtlich der Rechtmäßigkeit einer solchen Satzung die Frage im Mittelpunkt, ob denn Betteln zum erlaubnisfreien Gemeingebrauch an öffentlichen Straßen und Plätzen gehört oder ob Betteln als eine erlaubnisfähige bzw. nicht erlaubnisfähige Sondernutzung einzuschätzen ist. Auch hier divergieren die Einschätzungen: Auf der einen Seite wird Betteln als erlaubnispflichtige Sondernutzung angesehen, weil eine objektive Bedürftigkeit von Bettlern angesichts des sozialen Sicherungssystems zu verneinen ist. Insofern das Betteln aber nicht der Unterhaltssicherung, sondern einer Gewinnerzielung1621 dient, muss von einer Sondernutzung ausgegangen werden – und eine solche kann durchaus verwehrt werden. Der VGH Baden-Württemberg hat dem widersprochen und festgestellt, „[...] dass eine aktuelle Notlage auch deshalb gegeben sein kann, weil Leistungen nach den BSHG nicht in Anspruch genommen werden oder zur Existenzsicherung nicht ausreichen, weil etwa dem Empfänger die Fähigkeit fehlt, mit der erhaltenen Geldzuwendung zweckentsprechend umzugehen.“1622 Darüber hinaus wird eine genaue Abgrenzung von Betteln und dem Sammeln von Spenden notwendig, wenn Betteln verboten und das Sammeln von Spenden erlaubt sein soll. Nach dem grundgesetzlichen Bestimmtheitsgebot1623 und dem Grundsatz der Gleichbehandlung1624 ist zweifelhaft, dass „[...] Straßenkunst oder die Sammlung eines Zirkus für die überwin-

1620 So z.B. in München gem. §§ 6 Ziff. b. Altstadt-FußgängerbereicheS und 2 II Ziff. 7 StachusbauwerkS. Zuwiderhandlungen sind nach §§ 7 Ziff. b. Altstadt-FußgängerbereicheS und 3 II StachusbauwerkS (unter Verweis auf Art. 66 Nr. 2 und 3 BayStrWG) als Ordnungswidrigkeiten sanktioniert. Ein Münchner Passant, der einen Obdachlosen Geld gegeben hatte, wurde daraufhin von der Polizei kontrolliert. Vgl. Weiland 1997. 1621 So hat eine beklagte Kommune ausgeführt, dass es sich beim Betteln „[...] um ein auf Gewinnerzeilung hin angelegtes Verhalten (handelt, G.L.), das der Anbahnung und Abwicklung von Geschäften diene.“ Zit.n. Hammel 1998b; S.123; Sp.2. Die gleiche Argumentation taucht auf, wenn Vertreter des Hamburger Einzelhandelsverbandes in einem Fernsehinterview 2002 behaupten, dass Bettler im Durchschnitt täglich mehr als die Inhaber von Geschäften in der Hamburger Innenstadt „verdienen“ würden. 1622 Normenkontrollbeschluss vom 6. Juli 1998 (Az.: 1 S 2630/97). Vgl. Hammel 1998b, S.124; Sp.2. 1623 Art. 103 II GG 1624 Art. 3 I GG

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ternden Zirkustiere erlaubt ist, die Bitte eines Stadtstreichers um eine milde Gabe aber nicht.“1625 Auf der anderen Seite wird behauptet, dass insbesondere das aggressive Betteln die Grenzen der Gemeinverträglichkeit und damit den Gemeingebrauchsanspruch bei Weitem überschreitet, weil durch diese Form des Bettelns die Freiheit der Willensentschließung der potenziellen Spender gefährdet sei und eine die „Selbstbestimmung ausschließende Zwangseinwirkung“ entsteht.1626 Aber auch hier finden sich Gegenstimmen, die eine solche Zwangslage verneinen und davon ausgehen, dass selbst aufdringliche Formen des Bettelns lediglich Belästigungen seien, von denen keine so gravierenden Beeinträchtigungen für andere Verkehrsteilnehmer ausgingen, dass diese an ihrem Recht auf Ausübung des Gemeingebrauchs an öffentlichen Straßen und Plätzen gehindert werden würden. Das Argument, dass es eine „[...] Erfahrungstatsache (sei; G.L.), dass mit der Bettelei generell ein inneres Gefühl der Unsicherheit in der Bevölkerung, insbesondere bei älteren und behinderten Menschen, gefördert werde“1627 wird durch den Hinweis entkräftet, dass „[...] das Betteln als solches regelmäßig gegen die weithin anerkannten Regeln von Sitte, Anstand und Ordnung verstößt, [...] nicht festgestellt werden (kann; G.L.). Zumindest das ‚stille‘ Betteln ist dazu nicht geeignet. Das seelische Unbehagen (schlechte Gewissen), dass der regelmäßig still auf dem Bürgersteig sitzende Bettler einem nicht unerheblichen Teil der Passanten bereiten mag, [...] nicht den Tatbestand des § 118 OWiG (erfüllt; G.L.).“1628 Den Anblick von Not und Elend müssen Passanten ertragen können:

1625 Bösebeck 2001; S.98. Vgl. Fahl 1996; S.957, der auch fragt, ob es sich noch um Betteln handele, wenn der Bettelnde ein Gedicht rezitiert oder sein Hund ein Kunststück vorführt. 1626 Vgl. Wohlfahrt 1997; S.423f. 1627 Aus der Argumentation einer beklagten Kommune im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens des VGH Baden-Württemberg vom 6. Juli 1998 (Az.: 1 S 2630/97). Vgl. Hammel 1998b, S.123; Sp.2. Im Weiteren wird dargelegt, dass das Betteln im Bereich der Innenstädte ein „Nährboden“ für weitere Störungen der urbanen Ordnung ist. Für den Diskurs typisch ist die biologische (genauer: ökologische) Metapher des „Nährbodens“ oder auch des „Umkippens“ der Innenstädte, die ihrerseits unmittelbar entsprechende mechanisch-technologische Problemlösungen nahe legen: Der „Sumpf“ muss „ausgetrocknet“ werden, um die Innenstädte neu zu „beleben“. 1628 Normenkontrollbeschluss des VGH Baden-Württemberg vom 6. Juli 1998 (Az.: 1 S 2630/97). Vgl. Hammel 1998b, S.124; Sp.2. Nach § 118 OWiG handelt ordnungswidrig, wer eine grob ungehörige Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen, zu gefährden oder die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen.

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„Nur weil bereits der reine Anblick von Armut, Not und Verwahrlosung gerade an den öffentlichen Stellen einer Stadt ‚stört‘, an den sich die Kommune in einer für Käufer und Touristen attraktiven Weise präsentieren will, nämlich in Fußgängerzonen und Einkaufspassagen, kann nicht davon ausgegangen werden, es handle sich hier um polizeirechtlich relevante und somit regelungsbedürftige sowie – kraft kommunaler Satzung – regelungsfähige Tatbestände.“1629

Der weite Verkehrsbegriff legt zudem nahe, dass Betteln ein Mittel der menschlichen Kontaktaufnahme und damit der Kommunikation auf öffentlichen Verkehrsflächen und insofern Gemeingebrauch ist. Erklärt eine Kommune das Betteln mit einer Sondernutzungssatzung zu einer nicht erlaubnisfähigen Sondernutzung, darf kein Fall denkbar sein, in dem ein Passant durch das Betteln in seinem Recht auf Gemeingebrauch der Straße nicht beeinträchtigt wird – wie dies ja außerhalb stark frequentierter Innenstadtbereiche durchaus denkbar ist. De facto aber wird das Betteln so generell verboten, da Obdachlose sinnvoll nur in den Innenstädten um eine Spende bitten können. Auch hier hat sich im juristischen Diskurs noch keine der genannten Positionen eindeutig durchgesetzt. Ad 3: Wie bereits angedeutet, erlassen Kommunen neben Vorschriften gegen das Betteln auch ordnungs- oder straßenrechtliche Vorschriften gegen das Niederlassen zum Alkoholgenuss.1630 Die Normziele sind dieselben: Durch die Inkriminierung

1629 Hammel 1998a, S.53. 1630 Beispiele für straßenrechtliche Regelungen sind die §§ 6 Ziff. c Altstadt-FußgängerbereicheS und 2 II Ziff. 8 StachusbauwerkS. Ordnungsrechtliche Normen sind z.B. §§ 3 II 2. Spiegelstrich und 6 2. und 3. Spiegelstrich DStO, nach denen die „Benutzung der Anlagen des ÖPNV als Ruhe-, Spiel- oder Lagerplatz [...] sowie der Genuss von Alkohol oder anderen berauschenden Mittel“ ebenso verboten sind wie das „Lagern in Personengruppen“ und „Störungen in Verbindung mit Alkoholgenuss“. In Bonn ist nach §§ 3 I StrO Bonn „störender Alkoholgenuss, Trunkenheit“ sowie das „Benutzen der UBahn-Anlagen als Ruhe- oder Lagerplatz“ untersagt. In Köln war bis 2005 nur der „übermäßige Alkoholkonsum“ (§ 13 Ziff. d KStO 2001) und die Benutzung öffentlicher Straßen, Wege, Plätze etc. als Lager- oder Schlafplatz (§ 13 Ziff. d KStO 2001) ordnungsrechtlich relevant. Seit 2005 sind laut § 12 KStO 2005 auch die „wiederkehrende Ansammlungen von Personen, von denen Störungen ausgehen“, „Störungen in Verbindung mit Alkoholkonsum“, „der Konsum von Alkohol und anderen Rauschmitteln auf Spiel- und Bolzplätzen“, „die Verrichtung der Notdurft“, „die Benutzung als Schlaf- oder Lagerplatz“ sowie die Allgemeinheit belästigendes Lärmen inkriminiert. Vgl. die Fassung von 2006 (KStO § 12 Ziff. a-g). In Frankfurt/M. ist nur das „Lagern

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eines „gruppentypischen Verhaltens“ sollen die problematisierten Gruppen aus den Innenstädten vertrieben werden. Auch auf diese Weise erhoffen sich die Kommunen, Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten zu etablieren oder wiederherzustellen.1631 Wenn das Sich Niederlassen rechtsgültig mittels einer Polizeiverordnung untersagt werden soll, muss aus diesem Verhalten eine Störung entweder der öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung erwachsen – wobei ein Verbot auch hier zulässig wäre, wenn eine abstrakte Gefahr für obige Rechtsgüter anzunehmen wäre. Weit mehrheitlich wird eine solche Gefahr im juristischen Diskurs allerdings abgelehnt.1632 Alkoholkonsum ist für Volljährige weder hinsichtlich des Ortes, noch der Dauer oder Art sanktioniert1633 – was sich auch mit dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit1634 kaum vereinbaren ließe. Eine Störung der öffentlichen Sicherheit wird deshalb verneint. Der Aspekt der Selbstgefährdung durch Alkoholkonsum spielt dabei keine Rolle, es steht den Menschen frei, eine „seiner Gesundheit abträgliche Lebensführung“1635 zu vollziehen. Man geht des Weiteren davon aus, dass auch keine Störung der öffentlichen Ordnung vorliegt, weil der Konsum von Alkohol – auch in der Öffentlichkeit – den herrschenden ethischen und sozialen Anschauungen nicht widerspricht. Im Gegenteil, Alkoholkonsum ist gesellschaftlich sogar (in gewissen Grenzen) erwünscht.1636 Wäre dem nicht so, würden Bier-

und dauerhafte Verweilen [...] zum Zweck des Konsum von Betäubungsmitteln“ i.S.d. BTMG verboten (§ 7 II PolVO Frankfurt/M.). 1631 Als aktuelles Beispiel kann das Alkoholverbot in der Freiburger Innenstadt (dem sogenannten „Bermudadreieck“) gelten. Vgl. Rath 2009. Der VGH Mannheim hat entschieden, dass ein solches Verbot rechtswidrig ist, unter anderem weil nicht von allen Trinkenden Gefahren ausgehen (Az.: 1 S 2200/08 und 1 S 2340/08). VGH BadenWürttemberg online 24.9.2009. 1632 Vgl. den Überblick bei Bösebeck 2001; S.101, Kohl 1991 sowie den Normenkontrollbeschluss des VGH Baden-Württemberg vom 6. Oktober 1998 (Az.: 1 S 2272/97) und den darauf bezogenen Kommentar von Hammel 1999; S.74f. 1633 Regelungen zum Jugendschutz und zum Konsum von Alkohol im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr fallen nicht in die Regelungsbereich von Polizeiverordnungen, sondern sind Gegenstand der Bundesgesetze JSchG bzw. StVG oder StVO. Vgl. auch Martens 1999. 1634 Art. 2 I GG. 1635 Bösebeck 2001; S.101. Nur im Falle einer drohenden Selbsttötung darf die Polizei zum Zweck der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit einschreiten. 1636 Als Beispiel sei hier auf einen Leitbildentwurf für die Stadt Wuppertal verwiesen, in dem das Verweilen zum Alkoholgenuss als gewünscht dargestellt wird, weil dieser mit Geselligkeit, Entspannung und positiven Folgen für die soziale Kohäsion verbunden

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gärten, Straßenfeste etc. ebenfalls gegen die öffentliche Ordnung verstoßen. Eine abstrakte Gefahr für beide polizeilichen Rechtsgüter wird ebenfalls verneint, weil die mit dem Alkoholkonsum teilweise einhergehende Senkung der Hemmschwelle nicht zwangsläufig und vor allem nicht unmittelbar zu einer Gefährdung führt. Weitaus kontroverser wird der Versuch beurteilt, das „Niederlassen zum Alkoholkonsum außerhalb zugelassener Freischankflächen“ 1637 mittels Sondernutzungssatzung zu verbieten, d.h. es zu einer nicht erlaubnisfähigen Sondernutzung zu erklären. Dann darf kein Fall denkbar sein, in dem das Niederlassen zum Alkoholgenuss erlaubnisfreier Gemeingebrauch bzw. erlaubnisfähige Sondernutzung sein kann. Im juristischen Diskurs wird dabei zwischen beiden Normbestandteilen – dem „Alkoholgenuss“ und dem „Sich Niederlassen“ – als jeweils nicht erlaubnisfähige Sondernutzungen unterschieden. Zum Ersten wird angemerkt, dass der reine Alkoholgenuss – dessen Verbot wohl nicht Normzweck ist – zum weiten Bereich des Gemeingebrauchs an öffentlichen Straßen, Plätzen und Wegen zu zählen ist und dass zwischen dem reinen Konsum und den damit unter Umständen auftretenden Belästigungen juristisch fein unterschieden werden muss. Der bloße Konsum von Alkoholika hindert niemanden daran, den öffentlichen Raum zu nutzen und damit eventuell einhergehende Belästigungen können mittels anderer einschlägiger Normen1638 unterbunden und geahndet werden. „Ein Rückgriff auf das Straßenrecht ist daher weder notwendig noch sachgerecht.“1639 Die Vertreter der Gegenposition beziehen sich auf die genannten Gesetzesgrundlagen außerhalb des Straßenrechts, die allerdings für den Erlass einer Sondernutzungssatzung aus systematischen Gründen irrelevant sind.1640 Weder durch Verstöße gegen das Ordnungswidrigkeitenrecht,

sei. Vgl. Der Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal 1989; S.85. In München wurde im Rahmen der sogenannten „Biergartenrevolte“ zu Beginn der neunziger Jahre mit Unterstützung der Stadt und der Landesregierung das Recht, im Freien Alkohol zu konsumieren, eingefordert. 1637 Vgl. §§ 6 Ziff. c Altstadt-FußgängerbereicheS und – in ähnlicher Formulierung - 2 II Ziff. 8 StachusbauwerkS. Beide Regelungen sind in einem Normenkontrollverfahren durch den VGH München in einem Beschluss vom 27. Oktober 1982 (Az.: 8 N 82 A. 277) nicht beanstandet worden. 1638 Z.B. §§ 117 und 118 OWiG oder gegebenenfalls das Straßenverkehrsrecht. 1639 Bösebeck 2001, S.103. 1640 So wird z.B. angeführt, dass Alkoholgenuss zwar sozial nicht unerwünscht, aber doch weitgehend reglementiert sei (so z.B. im Straßenverkehrsrecht, im Gaststätten-, im Lebensmittelrecht). Im Ergebnis: „Der niedergelassene potentiell störende Straßentrinker darf sondernutzungsrechtlich nicht besser als der Besucher einer genehmigten Außenausschankanlage behandelt werden.“ Wohlfarth 1997; S.426.

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noch durch Verstöße gegen das Straßenverkehrsrecht kann ein Verbot qua Sondernutzungssatzung gerechtfertigt werden. Zum Zweiten, dem Sich Niederlassen, wird einerseits angemerkt, dass eine Definition im Sinne des Bestimmtheitsgebotes problematisch ist,1641 auch wenn der VGH München definiert: „Das Niederlassen ist eine über ein zeitlich begrenztes Verweilen hinausgehendes Bleiben und Verharren am Ort, nicht notwendigerweise mit einem ‚Hinsetzen‘ verbunden, am besten wohl mit ‚es sich bequem machen‘ umschrieben.“1642 Hier stellt sich auch die Frage, was denn nun unter dieser „Bequemlichkeit“ zu verstehen ist und ob denn ein gemeingebräuchliches Verweilen im öffentlichen Straßenraum nicht gewissen Ansprüchen an Bequemlichkeit genügen darf – insbesondere eingedenk der Tatsache, dass der öffentliche Straßenraum oftmals möbliert ist, um gerade ein einigermaßen bequemes und durch den weiten Verkehrsbegriff gedecktes Verweilen von Passanten zu ermöglichen. Das OLG Saarbrücken hat dem beigepflichtet:1643 „Es unterliegt keinem Zweifel, dass das Niederlassen einzelner oder mehrere Personen im innerstädtischen Bereich [...] vom verfassungsrechtlichen Gemeingebrauch gedeckt ist, zumal der Gemeingebrauch anderer hierdurch nicht – jedenfalls nicht unzumutbar – beeinträchtigt wird.“ Eine Sondernutzung könnte höchstens vorliegen, „[...] wenn mehrere Personen im städtischen Bereich – insbesondere wenn dies auf einer übereinstimmenden Willenserklärung beruht – lagern und sich dabei so ausbreiten, dass andere in der Ausübung des Gemeingebrauchs [...] beeinträchtigt werden.“ Insgesamt beurteilt der rechtliche Diskurs den Genuss von Alkohol im öffentlichen Raum als nicht ordnungswidrig und das Sich Niederlassen im öffentlichen Raum als erlaubnisfreien Gemeingebrauch. Wie verhält es sich mit der Kombination beiden Verhaltens? Hier wird einerseits unterstellt, dass ein solches Niederlassen zum Alkoholgenuss deshalb von straßenrechtlicher Relevanz sei, weil „in der sozialen Realität“ dieses Verhalten den Gemeingebrauch anderer – z.B. durch Störungen – unzumutbar einschränke und alleine deshalb eine Sondernutzung sei.1644 Dagegen wird an-

1641 Vgl. Fahl 1996; S.957ff. 1642 VGH München, Beschluss vom 27. Oktober 1982 (Az.: 8 N 82 A. 277). 1643 OLG Saarbrücken, Beschluss vom 15. September 1997 (Az.: Ss [Z] 217/97 [51/97]), NJW 1998, H.4; 252. 1644 Vgl. zu dieser Position auch den Beschluss des VGH München vom 27. Oktober 1982 (Az.: 8 N 82 A. 277), in dem explizit auf das „Nachahmungspotential von gerne mittrinkenden ‚Interessenten‘“ verwiesen und befürchtet wird, dass der öffentliche Raum durch diese Störungen seine Eignung als Kommunikationszentrum verlieren würde. Kohl (1991; S.625) argumentiert in gegenteiliger Richtung und behauptet, dass gerade

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geführt, „[...] dass der Gemeingebrauch allein auf den Verkehrszweck orientiert ist und im Übrigen zweckneutral ist.“1645 Alkoholgenuss ist straßenrechtlich nur relevant, wenn er eine verkehrsbezogene Verhaltensweise ist – was nicht der Fall ist, da dies nur auf das Sich Niederlassen, Verweilen etc. zutrifft. Dementsprechend ist auch irrelevant, ob die Verkehrsart des Sich Niederlassens ausgeübt wird, um Alkohol zu konsumieren. Von Passanten empfundene Belästigungen werden ebenfalls als straßenrechtlich unbedeutend eingeschätzt. Hinzukommt, dass eine straßenrechtliche Norm, die das Niederlassen zum Alkoholgenuss untersagt und andere Formen des Alkoholkonsums im öffentlichen Raum (Trinken im Stehen, Umhergehen etc.) nicht inkriminiert, unter der Maßgabe des grundgesetzlichen Gleichheitsgebots1646 problematisch ist.1647 Das Gleiche gilt für die Unterscheidung von erlaubtem und verbotenem öffentlichen Alkoholkonsum: Schließlich ist nicht der Konsum an sich, sondern die sich daraus gegebenenfalls entwickelnden Folgen (Verunreinigungen, Ruhestörungen, aggressives Verhalten, Straftaten und Ordnungswidrigkeiten) rechtlich relevant.1648 Insgesamt wird von den Kritikern eines straßenrechtlichen Verbotes des Niederlassens zum Alkoholgenuss geschlossen: „Mit derartigen Regelungen werden gezielt einzelne Personengruppen im öffentlichen Raum erfasst. Hier tritt offenkundig zutage, dass das Ziel derartiger Regelungen die Schaffung einer Rechtsgrundlage für die flexible Steuerung des Aufenthalts einzelner Personengruppen im öffentlichen Raum ist, nicht aber der Schutz von Bürgerinnen und Bürgern vor den Folgen des allgemeinen Alkoholkonsums.“1649 Auch bezüglich der Verweildauer, die ja ein wichtiges Abgrenzungskriterium bei der Definition des Niederlassens ist, herrschen im juristischen Diskurs unterschiedliche Auffassungen. Unklar ist, ob ein längeres Verweilen nicht ebenso gemeingebräuchlich wie ein kürzeres Verweilen sein kann und ob ein kurzes Verweilen zum Alkoholgenuss dementsprechend nicht auch gemeingebräuchlich sein könnte. Fraglich ist auch, ob die problematisierten Gruppen ihren Lebensmittelpunkt auf die Straße verlagern würden1650 oder ob sie nur befristet im öffentlichen Raum verweilen, um zu kommunizieren und menschliche Kontakte zu pflegen, was auch wiederum gemeingebräuchlich wäre.1651 Da Verstöße gegen die fraglichen

dort „Kommunikationszentren“ entstehen, wo man sich zum Alkoholkonsum niederlässt. 1645 Kohl 1991; S.626. 1646 Art. 3 I GG. 1647 Vgl. Fahl 1996; S.957. 1648 Vgl. Behrendes 1998; S.44. 1649 Hecker 1997; S.246. 1650 Vgl. Wohlfahrt 1997; S.425. 1651 Vgl. Terwiesche 1997; S.413.

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straßenrechtlichen Normen als Ordnungswidrigkeiten verfolgt werden, müssen Verstöße durch die Ordnungsbehörden eindeutig als solche erkannt werden können – was wiederum die Anforderung an die Bestimmtheit der Normen erhöht. Zwar ist der VGH München der Meinung, dass die Tatbestandsmäßigkeit des Sich Niederlassens an äußeren Merkmalen abgelesen werden kann, z.B. dem Mitführen von Alkohol oder dem Anschluss an eine Gruppe, die sich bereits niedergelassen hat. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive wird gegen diese Position allerdings eingewandt, dass es im Sinne des Bestimmtheitsgebotes nicht ausreicht, wenn der Normgeber davon ausgeht, dass eine Ordnungsbehörde ein ordnungswidriges Verhalten erkennt, wenn sie damit konfrontiert ist – im Gegenteil: Die Tatbestandsmäßigkeit einer Normübertretung muss vor dem Auftreten genau bestimmt werden können.1652 Aber auch die Rechtsprechung reagiert uneinheitlich auf straßenrechtliche Sondernutzungssatzungen, die ein Sich Niederlassen zum Alkoholkonsum verbieten: So hat das OLG Saarbrücken ein solches Verbot per Satzung unter Verweis auf die Freiheitsrechte1653 mit folgender Begründung als rechtswidrig beurteilt: „Wenn in einer solchen Situation (Niederlassen zum Verweilen zum Zwecke des Lesens, Essens, Trinkens, Unterhaltens...) von einer oder mehreren Personen Alkohol getrunken wird, ändert das grundsätzlich nichts daran, dass dieses Verhalten im Rahmen des Gemeingebrauchs liegt. Nicht jede Alkoholaufnahme führt dazu, dass es zu einer nicht mehr als vorübergehend anzusehenden Nutzung der Straße oder zu Belästigungen anderer kommt.“1654

Der Erlass einer solchen Sondernutzungssatzung ist durch die Ermächtigung in den Straßen- und Wegegesetzen der Länder nicht gedeckt und damit rechtswidrig. Kommunen, die solche Satzungen dennoch verabschieden, wird vorgeworfen, illegalerweise den Versuch zu unternehmen, „[...] Verhaltensweisen, die polizeirechtlich nicht fassbar sind, sachwidrig mit den Mitteln des Straßenrechts zu bekämpfen.“1655 Neben den polizei- und straßenrechtlichen Interventionen, die auf die Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten zielen, wird auch die rechtliche Rolle der Bahnhöfe – die im Urbanitätsdiskurs von herausragender Bedeutung sind1656 – dis-

1652 Vgl. Fahl 1996; S.959. 1653 Art. 2 GG. 1654 OLG Saarbrücken, Beschluss vom 15. September 1997 (Az.: Ss [Z] 217/97 [51/97]), NJW 1998; H.4; S.252. 1655 Kohl 1991; S.626. 1656 Vgl. zur stadtsoziologischen Reflexion des Phänomens Bahnhof Gottwald 2005, Hengartner 1994, Milanés 2001 sowie Russo 2006d. Interessant sind die kulturell geprägten

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kutiert. Im Zentrum dieser Diskussion stehen das Recht auf Zugang zu und Aufenthalt in Bahnhöfen und die Zulässigkeit von Hausverboten.1657 Bahnhöfe sind – insbesondere nach dem Beginn der Privatisierung der DB AG im Jahre 1992 – keine öffentlichen Räume in Sinne des Straßenrechts. Dementsprechend gibt es keinen erlaubnisfreien Gemeingebrauch an ihnen. „Die rechtliche Stellung der Bahnhöfe weist aber eine deutliche Nähe zu den im Gemeingebrauch stehenden öffentlichen Straßen auf.“1658 Denn einerseits bestehen widmungsrechtliche Vorgaben,1659 nach denen jedermann Bahnhöfe zu Reisezwecken nutzen kann, und andererseits sind gerade unter den andernorts beschriebenen Tendenzen zur Attraktivierung der Bahnhöfe diese als Marktplätze für das allgemeine Publikum auch jenseits jedes Reisezwecks geöffnet worden.1660 Aus dieser „Sachnähe“ zum Straßenrecht folgt, dass Bahnhöfe allgemein zugänglich sein müssen. Das gutachterliche Ergebnis der Diskussion und Prüfung ist eindeutig: „Auch wer nicht reist und nicht konsumiert, darf sich in Bahnhöfen aufhalten.“1661 Der Aufenthalt unterliegt allerdings den privatrechtlichen Bestimmungen der Hausordnung der DB AG.

Bilder und Metaphern, die das Phänomen Bahnhof charakterisieren: „Kathedrale der Moderne“, „Palast der Mobilität“, „Säle der verlorenen Schritte“, „Passagenraum“, „Ort der großen Verwandlung“. Explizit negativ sind Bilder und Metaphern, die die Unsicherheit und Unsauberkeit der Bahnhöfe beschwören: „Stätte der Hässlichkeit“, „Biotop des Verbrechens“, „Krebsgeschwüre der Stadt“, „herabgesunkene Hinterhöfe der Stadt“ oder „wahre Pestbeulen“. Vgl. Zinganel 2003; S.293 und Matzig 2001. Zur Ästhetisierung der Bahnhöfe im Zuge ihrer „Renaissance“ vgl. Wucherpfennig 2002. Zinganel (2003; S.291ff.) beschreibt die kommerzielle Umstrukturierung der Bahnhöfe nach dem Beispiel der Flughäfen, die aus „Kathedralen des Verkehrs“ „Kathedralen des Konsums“ macht. Vgl. auch Becker 1997b. Häfele/Sobczak (2002) untersuchen die Prozesse sozialer Kontrolle und Ausschließung am Beispiel des Hamburger Hauptbahnhofs. 1657 Für die folgenden Ausführungen vgl. Hecker 2001 und 2002. Vgl. auch Brunst 1999, Eckert 2002 und o.V. 2001v. 1658 Hecker 2002; S.31, ohne Hervorhebungen des Originals. 1659 Insbesondere in § 10 AEG. Ausschlussgründe sind in § 8 EVO geregelt und beziehen sich auf den Ausschluss von Kindern, Menschen mit ansteckenden Krankheiten und Personen, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Mitreisenden darstellen oder den Anweisungen des Beförderungspersonals nicht Folge leisten. Vgl. Hecker 2002; S.8. 1660 Interessanterweise fordern nicht alle in diesen „Markthallen mit Gleisanschluss“ ansässigen Händler den räumlichen Ausschluss Obdachloser. Viele schätzen die Obdachlosen durchaus auch als Kunden. Vgl. Özbay 2002. 1661 Hecker 2002; S.31, ohne Hervorhebungen des Originals.

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Als Eigentümerin der Gebäude kann sie bestimmte Verhaltensweisen verbieten, sofern diese die Funktion der Bahnhöfe oder andere Nutzer beeinträchtigen.1662 Die Allgemeinzugänglichkeit darf aber durch eine Hausordnung nicht infrage gestellt oder gar durch Interventionen privater Sicherheitsdienste oder des Bundesgrenzschutzes verhindert werden. Die Hausordnung für Bahnhöfe der DB AG umfasste 2010 nicht weniger als 22 Punkte, in denen jeweils mehrere Verhaltensweisen verboten werden. Verstöße führen zu Hausverweisen und -verboten, zur Strafverfolgung oder zu Schadensersatzforderungen. Hinzu kommen sechs Verhaltenskategorien, die nur nach vorheriger Genehmigung durch das Bahnhofsmanagement gestattet werden. Eins der oben genannten Verbote bezieht sich auf das „Herumlungern“ in Bahnhöfen.1663 Im rechtlichen Diskurs besteht Einigkeit darüber, dass eine solche Norm nicht hinreichend bestimmt ist und in der konkreten Anwendungspraxis zu Interventionen führen kann, die mit der Allgemeinzugänglichkeit der Bahnhöfe unvereinbar ist. Gegenüber anderen speziellen Verhaltensverboten in der Hausordnung der DB AG können nur sehr bedingt rechtliche Bedenken formuliert werden. Als Eigentümerin hat die DB AG einen Gestaltungsspielraum bei der Organisation ihres Betriebs und dementsprechend auch bei der Formulierung einer Hausordnung – zumal einige Verhaltensverbote sich ausschließlich auf die Sicherheit des Bahnbetriebs und der Nutzer beziehen. Aber auch Bettelverbote und das Verbot „übermäßigen“ Alkoholkonsums sind an sich statthaft – sofern den Exekutivorganen der Bahn zuzumuten ist, zwischen tolerablem und übermäßigem Konsum zu unterscheiden. Und dementsprechend ist die DB AG auch berechtigt, bei Verstößen gegen die Hausordnung Hausverweise und Hausverbote auszusprechen – wenn der

1662 Anders verhält es sich mit Werbung, die in unmittelbarer Nähe der Bahnhöfe auf Grundstücken der DB AG angebracht ist. Hier hat das LG Kassel am 2. April 2002 (Az.: 8 O 428/02) gegen die DB AG und im Sinne der klagenden BAG Wohnungslosenhilfe in einem einstweiligen Verfügungsverfahren entschieden, dass die DB AG nicht berechtigt ist, ihren Vertragspartnern in der Außenwerbewirtschaft aufzugeben, Plakate, deren Inhalt die DB AG für geschäftsschädigend hält, zu überkleben und weitere Aufträge dieser Art nicht auszuführen. Die BAG Wohnungslosenhilfe hatte bei einer Außenwerbungsagentur, die auch vertraglich mit der DB AG verbunden ist, die Plakatierung von bahnkritischen Aushängen als Reaktion auf Pläne der Bahn, in Zukunft Obdachlose nicht mehr in Bahnhofsnähe dulden zu wollen, in Auftrag gegeben. Im Vorfeld der von der DB AG angestrengten Berufungsverhandlung sah sich die BAG Wohnungslosenhilfe am 20. Dezember 2002 aufgrund des hohen Prozess- und damit Kostenrisikos gezwungen, ihren Antrag auf einstweilige Anordnung zurückzuziehen – sodass eine endgültige gerichtliche Klärung des Zusammenhangs bislang ausgeblieben ist. Vgl. Amann 2002 sowie o.V. 2002b und d. 1663 Vgl. für einen entsprechenden Fall o.V. 1999b.

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Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dabei eingehalten wird. Ist dies der Fall und der Verstoß gegen die Hausordnung entsprechend gravierend, sind sogar längerfristige Hausverbote zulässig. Allerdings unterliegen solche Hausverbote deutlich strengeren Grenzen als dies im allgemeinen öffentlichen Raum und in sonstigen privaten Ladengeschäften der Fall ist.1664 Im Regelfall muss aufgrund der widmungsrechtlichen Vorgaben für Bahnhöfe den Betroffenen auch bei einem zu recht ergangenen Hausverbot ein Zugang zum Bahnhof zur Verfolgung eines Reisezwecks wieder eingeräumt werden. Auch hier zeigt sich, in den Worten Teubners,1665 dass eine solche (privat-)rechtliche Regelung deshalb erfolglos bleibt, weil sie der lebensweltlichen Struktur des regulierten Sozialbereichs (hier: Bahnhof und geografische Mobilität) nicht angemessen ist. Würde die DB AG die Exekution eines Hausverbots forcieren, würde sie sich schließlich gegen ihre eigenen widmungsrechtlichen Vorgaben stellen. Mit dem (wiedererlangten) Recht auf Zugang geht auch das Recht auf einen „angemessenen“ Aufenthalt im Bahnhofsgelände einher. Da in der Praxis die Frage eines angemessenen Aufenthalts kaum trennscharf zu klären sein dürfte und darüber hinaus auch nicht ganz eng ausgelegt werden kann, wird die DB AG in relativ weitem Umfang auch den Aufenthalt von des Hauses zurecht verwiesenen Personen dulden müssen. Von Hausverweisen oder -verboten Betroffene können zivilgerichtlichen Rechtsschutz oder im Fall des Verweises wegen Hausfriedensbruchs1666 sogar die strafprozessualen Rechte Beschuldigter in Anspruch nehmen. Zusammenfassend lässt sich für die Stellung der Bahnhöfe festhalten, dass „[...] die Feinabstimmung zwischen neuer Marktorientierung der DB AG und den Ansprüchen gegenüber den Bahnhöfen als öffentlichen Räumen für die Allgemeinheit [...] noch nicht abgeschlossen [...]“1667 ist.

1664 Diese Position vertrat auch eine Gewerkschaft, deren Mitglieder beim Verteilen von Werbematerial von einem privaten Sicherheitsdienst (als Verrichtungsgehilfe des Betreibers) aus einer Shopping Mall verwiesen wurden. Nach Art. 9 III GG und der darauf bezogenen Rechtsprechung des BAG (AP Nr. 10 zu Art. 9 GG Bl. 2 R) dürfen die Gewerkschaften ebenso wie andere politische Gruppen im öffentlichen Raum tätig werden. Nach der Rechtsauffassung der Gewerkschaft handelt es sich bei der Verkaufstätigkeit im phänomenologisch öffentlichen, rechtlich aber privaten Raum einer Mall um eine Tätigkeit, die sich zwangsläufig und regelmäßig nach außen richtet und insofern auch im rechtlichen Sinne öffentlich ist. Demnach müssen auch hier strengere Grenzen an das privatrechtliche Wegweisungsrecht der Betreiber gelegt werden – mit dem Ergebnis, dass die Darbietung politischen Werbematerials nicht untersagt werden kann. Vgl. Goetz/Baumann 1998. 1665 Vgl. das erste Motto dieses Kapitels, Teubner 1984; S.290. 1666 § 123 StGB. 1667 Hecker 2002, S.33, ohne Hervorhebungen des Originals. Vgl. auch o.V. 2002f.

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Privatisierung als Thema des juristischen Diskurses um die Sicherheit und Sauberkeit der Innenstädte ist allerdings nicht ausschließlich auf die innenstadtnahen Einrichtungen der DB AG bezogen. Denn ebenfalls im Zusammenhang mit der beschriebenen Aufwertung der Innenstädte werden spätestens seit Mitte der neunziger Jahre zunehmend ehemals öffentliche Flächen privatisiert.1668 Im juristischen Diskurs sind Fragen eben dieser Form der Privatisierung auch im Zusammenhang mit den Rechten wohnungsloser Menschen thematisiert worden, deren Aufenthalt im öffentlichen Raum im Zuge solcher Privatisierungen tendenziell infrage gestellt ist.1669 Leitfrage ist also das Verhältnis von Privatisierung kommunaler Flächen und den damit einhergehenden Möglichkeiten eines „regulierenden Eingriffs“ in das so verstandene Problem des Aufenthalts Obdachloser in den Innenstädten. In diesem Zusammenhang kann man festhalten, dass „[...] (d)ie Praxis der Kommunen gegenüber obdach- und wohnungslosen Menschen [...] nach wie vor von polizei- und ordnungsrechtlichen aufenthaltsbeendenden und vertreibenden Maßnahmen dominiert [...] (wird; G.L.).“1670 Die Möglichkeiten verwaltungsorganisatorischer und planungsrechtlicher Koordination und Kooperation zwischen auf diesem Gebiet tätigen Behörden sind bislang weitestgehend ungenutzt bzw. nicht voll ausgeschöpft. Die Privatisierung öffentlicher Flächen kann vor diesem Hintergrund als Versuch interpretiert werden, sich der Problematik des Aufenthalts wohnungsloser Menschen in den Innenstädten mit Mitteln privatrechtlicher Verweisungsmaßnahmen anzunehmen und dem so als Missstand wahrgenommenen Status quo Herr zu werden. Aber nicht alle erprobten und geplanten Privatisierungsstrategien halten der Prüfung stand. Dabei bezieht sich die Privatisierung öffentlicher Flächen – wie oben gezeigt – auf die Flächen und Einrichtungen der DB AG, aber auch auf die zeitweise Privatisierung öffentlicher Flächen im Rahmen privater Veranstaltungen, die Verpachtung und Vermietung öffentlicher Flächen (insbesondere Plätze, Parkanlagen, Einkaufsstraßen) an private Betreiber, ein privates City-Management, privat finanzierte öffentliche Straßen und Einrichtungen1671 sowie die Instandhaltung und Bewirtschaftung ehemals kommunaler Gebäude durch private Unternehmen. Wie aber werden öffentliche Flächen im juristischen Diskurs überhaupt definiert? „Öffentliche Flächen sind die nach landesrechtlichen Straßen- und Wegegesetzen

1668 Vgl. Kap. 3.4.2. Hier steht ausschließlich der juristische Diskurs um die Privatisierung öffentlicher Flächen im Vordergrund. 1669 Vgl. für die folgenden Ausführungen Wolf 1999, der im Auftrag der Landesregierung NRW ein Rechtsgutachten anfertigte. 1670 Wolf 1999; S.59. 1671 In diesem Zusammenhang ist die kritisch diskutierte, zwischenzeitlich gängige und nunmehr auf dem Rückzug befindliche Praxis des sogenannten „Cross Border Leasings“ zu nennen. Vgl. hierzu Wex/Koufen 2003.

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sowie nach den bundesgesetzlichen Straßen- und Verkehrsgesetzen dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straßen, Wege, Plätze und Grundstücke sowie die ohne Widmung mit privatrechtlichen Mitteln in den Dienst öffentlicher Verkehrszwecke gestellten oder für solche Zwecke offengehaltenen Flächen.“1672 Folgt man dem juristischen Privatisierungsdiskurs, lassen sich verschiedene Privatisierungsformen und -grade unterscheiden. Im Wesentlichen handelt es sich bei den oben erwähnten kommunalen Flächenprivatisierungen um „Organisationsprivatisierungen“, um „Aufgabenprivatisierungen“ sowie um Kombinationen beider Formen. Bemerkenswert ist allerdings, dass in allen diesen Privatisierungsformen die Kommunen nicht gänzlich aus ihrer Verantwortung entlassen werden – oder anders ausgedrückt – Privatisierung nicht alle Probleme der Kommunen lösen kann: Ihre Aufgabenverantwortung für die Regelung ihrer örtlichen Angelegenheiten1673 umfasst nämlich nach den funktionalrechtlichen Grundlagen weiterhin die Erschließung des Gemeindegebiets durch Straßen, Wege und Plätze und die Sicherung eines ausreichenden Verkehrsangebots. Diese Kernaufgaben sind nicht privatisierbar.1674 Auch bundes- oder landesrechtliche Zuweisungen finanzwirksamer Aufgaben (z.B. der Unterbringung und Betreuung obdachloser Menschen) begründen weder rechtliche Einwände, noch rechtliche Befreiungstatbestände für die grundgesetzlich gebotene eigenverantwortliche Regelung der örtlichen Angelegenheiten durch die Kommunen. Deren Versuche, den Aufenthalt von Obdachlosen und anderen problematisierten Gruppen im Innenstadtbereich mit Mitteln der ortsrechtlichen Sondernutzungssatzungen zu steuern, scheitern dementsprechend am gesetzlichen Gemeingebrauch an öffentlichen Straßen und Plätzen, der auch qua Privatisierung nicht aufgegeben werden kann. Allerdings verbleiben den Kommunen andere rechtliche Möglichkeiten des „regulierenden Eingriffs“ in das Problem des Aufenthalts von Obdachlosen in den Innenstädten.1675 Steht den problematisier-

1672 Wolf 1999; S.59. 1673 Art. 28 II GG. 1674 Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom „Funktionsvorbehalt gemeinwohlgebundener Aufgabenerfüllung“. Vgl. Wolf 1999; S. 29ff. 1675 Wolf (1999; S.33ff.) erörtert in diesem Zusammenhang ebenfalls Fragen des Ordnungswidrigkeitenrechts (insb. §§ 116ff. OWiG), des Sondernutzungssatzungsrechts und des Polizeirechts. Im Ergebnis stellen der „normale Aufenthalt“ von Obdachlosen im Bereich der Innenstädte und „die hiermit verbundenen üblichen Lebensformen“ keine Ordnungswidrigkeit dar, auf den sich polizeiliche Maßnahmen der Gefahrenabwehr gründen könnten. Mit Ausnahme des Nächtigens auf öffentlichen Plätzen und Wegen können auch die ortsrechtlichen Sondernutzungssatzungen solche Tatbestände nicht schaffen (s.o.). Nach Wolf sind – teilweise abweichend von den oben dargestellten Positionen – das Mitführen sämtlicher Habseligkeiten und der Genuss von Alkohol in der

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ten Obdachlosen allerdings aufgrund mangelnder sozialer Einrichtungen in den Kommunen keine Alternative zum Aufenthalt im öffentlichen Raum offen, so besteht – sofern sie gemeldete Einwohner der entsprechenden Kommunen sind1676 – ein Anspruch auf gesteigerten Einwohnergemeingebrauch. Kommunale Behörden müssen damit einhergehende Belastungen tolerieren, auch wenn diese über den normalen Gemeingebrauch an öffentlichen Flächen hinausgehen.1677 Ob die Privatisierung öffentlicher Flächen weitere Möglichkeiten zu einem „regulierenden Eingriff“ für das Problem der Obdachlosen in den Innenstädten bietet, hängt nicht zuletzt von der vermögensrechtlichen Zuordnung der kommunalen Grundflächen zum Staatsvermögen einerseits oder zum privatrechtlichen Vermögen von Handelsgesellschaften, Einzelkaufleuten oder sonstiger Privatpersonen andererseits ab. Denkbar sind Zuordnungen als ausschließlich öffentlich-rechtlich bzw. privatrechtlich oder Kombinationen beider Typen – wobei der Mangel an Trennschärfe eine juristische Herausforderung sui generis zu sein scheint. Entscheidend ist, welcher Typ dominant bleibt. So darf straßen- und wegerechtliches Verwaltungsvermögen sowie Verwaltungsvermögen nach bundesrechtlichen Verkehrsund Verkehrswegegesetzen nur unter der Voraussetzung entwidmet werden, dass der allgemeine Verkehrszweck, dem das Vermögen zu dienen bestimmt ist, vollständig entfällt. Ist dies nicht der Fall – beispielsweise wenn ehemals frei zugängliche Flächen lediglich überdacht und als Ladenpassagen betrieben werden1678 –, muss die Widmung zum öffentlichen Verkehr erhalten bleiben. Prinzipiell ist aber – so kann man ein Ergebnis des juristischen Privatisierungsdiskurses festhalten – Finanzvermögen des Staates und der Kommunen durchaus privatisierungsfähig. Ob der Fortfall der öffentlichen Zweckbestimmung bisherigen Verwaltungsvermögens eine Verwandlung betreffender Vermögensgegenstände in Finanzvermögen bedeutet, hängt davon ab, ob der bisherige Verwaltungszweck vollständig oder teilweise entfällt oder zumindest – wo dies nicht der Fall ist – von einer rechtlichen Strukturveränderung gesprochen werden kann. Unklare Rechtslagen entstehen insbesondere

Öffentlichkeit ohne besonderen Anlass sehr wohl Störungen der öffentlichen Ordnung, die im Rahmen verhältnismäßiger Abwehrmaßnahmen durch die Polizei unterbunden werden können. Dasselbe gilt für die Verunreinigung öffentlicher Plätze und Wege. 1676 Die Frage nach der eigentlichen Zuständigkeit der Kommunen für ihre „Armen“ war bereits im Hoch- und Spätmittelalter strittig (vgl. Kap. 5.1) und ist dies offensichtlich bis heute. 1677 Vgl. Wolf 1999; S.42ff. Allerdings führen Defizite in der Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten nicht automatisch zur Rechtswidrigkeit von ordnungsrechtlichen Mitteln, wenn Ordnungswidrigkeiten und Straftaten – etwa aus dem Kreis der problematisierten Gruppen – begangen werden. Vgl. Wolf 1999; S.52. 1678 Wie dies z.B. im „Olivandenhof“ in Köln der Fall ist.

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dann, wenn bei privaten Finanzierungsformen öffentlicher Infrastruktureinrichtungen die Investoren entsprechende Einrichtungen für einen bestimmten Zeitpunkt selbst betreiben, wie dies teilweise im Konzessions- und Betreibermodell im Straßenbau der Fall ist. Die öffentliche Hand ist gehalten, sich bei der Privatisierung von Flächen Rückübertragungsansprüche zu sichern, damit diese in dann zu definierender Weise rechtlich dem herkömmlichen Verwaltungszweck verhaftet bleiben.1679 Zudem muss das aufsichtsrechtliche Instrumentarium der Verwaltung bei Formen der Privatisierung öffentlicher Flächen, die einen Rechteübergang auf private Unternehmen einschließen, bezüglich ihres Rechtsstatus als öffentliche Sache oder teilweisem Festhalten an der herkömmlichen Zweckbestimmung ebenfalls rechtlich neu definiert werden – nicht zuletzt, um zu klären, ob denn nun auf diesen Flächen öffentliches (Polizei- oder Straßen-)Recht oder nunmehr privates Recht anzuwenden ist. Dazu reichen bislang weder die Kriterien einer staatlichen Rechtsaufsicht im herkömmlichen Sinne, noch die Kategorien einer gewerberechtlichen Unternehmensüberwachung aus. Aus der Perspektive des Grundrechtsschutzes obdachloser Menschen ist es einerlei, ob diese durch private Sicherheitsdienste oder Exekutivorgane der öffentlichen Hand aus dem zumindest phänomenologisch noch öffentlichen Raum vertrieben werden. In jedem Fall liegt eine tatbestandsmäßige Einschränkung der Grundrechte vor. Ein wichtiges Grundrecht ist in diesem Zusammenhang das Recht auf Freizügigkeit,1680 nach dem die Entscheidung eines Obdachlosen, einen Ortswechsel vorzunehmen, mit der Entscheidung, an einem Ort zu verbleiben, gleichrangig ist. Die kommunalen Ordnungs- und Sozialverwaltungen müssen dies respektieren. Folgt man dem logischen Verhältnis von straßenrechtlichem Gemeingebrauch und dem Recht auf Freizügigkeit, so ergibt sich eine unmittelbare Betroffenheit dieses grundgesetzlichen Schutzbereichs bei jeder Privatisierung öffentlicher Flächen.1681 Daraus folgt eine erhöhte Begründungsbedürftigkeit solcher kommunalen Strategien im Einzelfall. Zwar erfüllt die Privatisierung öffentlicher Flächen nicht in allen Fällen besondere Einschränkungsgründe.1682 Sind allerdings Obdachlose in ihrem Recht auf freie Bestimmung ihres gewöhnlichen Aufenthaltsortes beeinträchtigt, sind entsprechende Privatisierungsformen verfas-

1679 Z.B. bei befristeten Privatisierungsmaßnahmen (Cross Border Leasing, Fn.1671). Vgl. Wolf 1999; S.47ff. und 60. 1680 Art. 11 GG. 1681 Vgl. hierzu Wolf 1999; S.55f. Ein Individualanspruch auf die Durchführung von bestimmten Straßenbaumaßnahmen oder den Erlass konkreter Widmung gibt es allerdings nicht. Das Gleiche gilt für den Bestand von Widmungen. 1682 Art. 11 II GG.

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sungswidrig.1683 Insofern gilt die Privatisierung öffentlicher Flächen nicht als adäquates Mittel, gegen den Aufenthalt von Obdachlosen in den Innenstädten in der Intention vorzugehen, einen Beitrag zur Etablierung von Sicherheit und Sauberkeit zu leisten. Innerhalb des juristischen Diskurses wird sehr kritisch diskutiert, ob sich die seitens der Städte erlassenen straßenrechtlichen Sondernutzungssatzungen oder entsprechende polizeirechtliche Verordnungen im Hinblick auf das Ziel, Sicherheit und Sauberkeit mit Mittel des kommunalen Rechtes sicher- bzw. wiederherzustellen, bewähren. Im Gegenteil, sofern solche Rechtsvorschriften nicht bereits durch höherinstanzliche Urteile kassiert wurden oder in der Praxis schlichtweg nicht exekutiert werden oder polizeiliche Praktiken als nicht grundrechtskonform kritisiert wurden, bestehen in der rechtswissenschaftlichen Forschung und Rechtsprechung eher gravierende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Normen. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive wird die Zweckmäßigkeit juristischer Regelungen in diesem Problemfeld per se bezweifelt.1684 Auch die Stellung der Bahnhöfe und die rechtlichen Konsequenzen der Privatisierung öffentlichen Raums sind umstritten. Es scheint, als hätten sich themenspezifisch noch kaum Positionen so eindeutig durchgesetzt, dass man von einer herrschenden Meinung ausgehen könnte. Mangels dieser im Rechtssystem unabdingbaren Verbindlichkeit werden sowohl die Prozes-

1683 Vgl. Wolf 1999; S.61. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 I GG) kommt zur Begründung einer solchen Verfassungswidrigkeit nur in Betracht, wenn die Wahrnehmung des Gemeingebrauchs nicht die spezifischen Merkmale der Freizügigkeit aufweist. 1684 Bemerkenswert ist auch die etwas hilflose Empfehlung, gerade angesichts der Aussichtslosigkeit eines juristischen Vorgehens gegen „aggressives Betteln und alkoholisierte Gruppen“, das Abfall-, Landesimmissionsschutz- oder Straßenverkehrsrecht zu bemühen – sofern die Grenze zum strafrechtlichen Verhalten (§§ 240, 185 StGB: Nötigung, Beleidigung) oder Ordnungswidrigkeiten wie §§ 117, 118 und 121 I Nr. 1 OWiG (erhebliche Lärmbelästigung, Belästigung oder Gefährdung der Allgemeinheit und Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung, freies Umherbewegen bösartiger Tiere) nicht überschritten ist. Hier seien wenigstens die §§ 61 I Nr. 1 und 2 und 27 I des KrW-/ AbfG zu prüfen, wenn es um liegengelassenen Müll geht oder insbesondere die bußgeldbewehrten §§ 9 I, 10 I und II sowie 12 LImschG NRW (stellvertretend für ähnliche landesgesetzliche Vorschriften) zu bemühen, wenn es um die Störung der Nachtruhe, den Gebrauch von „Tongeräten“ oder die belästigende Haltung von Tieren geht. Zudem käme § 49 I Nr.1, 27, 32 und II StVO in Betracht, wenn Verkehrsteilnehmer andere oder den Verkehr gefährden. Vgl. Innenministerium NRW/HDE/Einzelhandelsverband NRW o.J.; S.21 und 25f.

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se der Norm(-re-)formulierung wie der Kommentierung, aber auch der Rechtsfortbildung durch gesprochenes Recht anhalten. Koppelt man diesen ernüchternden Befund zurück an die eingangs dargestellten rechtssoziologischen Positionen, so lässt sich das Bild des regulatorischen Trilemmas am Beispiel des dargestellten juristischen Diskurses bestätigen. Die erste problematische Konstellation der wechselseitigen Indifferenz von Recht und rechtlich zu regelnden Handlungsbereichen führt im Ergebnis zu einer voluntaristischen Nicht-Anwendung bestehender Gesetze. Dies lässt sich beispielsweise in Kommunen beobachten, in denen Betteln, das Verweilen zum Alkoholkonsum oder auch das nächtliche Lagern untersagt sind, aber weder Polizei noch städtische Ordnungsdienste in jedem Einzelfall einschreiten. Erstens weil man nicht über die dafür notwendigen Ressourcen verfügt oder auch – insbesondere seitens der Polizei – informell andere Prioritäten setzt. Zweitens hat sich sowohl bei den Praktikern als auch in den Steuerungszentralen der entsprechenden Institutionen verstärkt die Erkenntnis durchgesetzt, dass durch die Exekution der diskutierten Normen keine Lösung des zugrundeliegenden Problems erreicht werden kann. Wo bestehende Normen aber manchmal angewandt, manchmal nicht angewandt werden, kann man von Indifferenz sprechen. Die zweite problematische Konstellation der gesellschaftlichen Desintegration durch Recht kolonisiert originär gesellschaftliche Handlungszusammenhänge mit oft dysfunktionalen Folgen: „Recht, wenn es heute als sozialstaatliches Steuerungsmedium eingesetzt wird, verfügt über Funktionsmodi, Rationalitätskriterien und Organisationsformen, die der lebensweltlichen Struktur der regulierten Sozialbereiche nicht angemessen sind, deshalb an ihr erfolglos auflaufen oder aber um den Preis ihres Erfolges diese zerstören.“1685 Eine ähnliche Position gegenüber Bürokratisierungs- und Verrechtlichungsphänomenen vertritt Habermas: „Diese pathologischen Effekte treten auf als Folgen staatlicher Interventionen in Handlungsbereiche, die so strukturiert sind, dass sie sich gegen den rechtlich-administrativen Regelungsmodus sperren.“1686 Die empirische Frage, ob denn die Exekution der diskutierten Normen nun zu einer Lösung der Probleme von Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten beiträgt oder ob eben die Normen der „lebensweltlichen Struktur“ nicht angemessen sind und deshalb erfolglos bleiben, ist im Diskurs umstritten. Allerdings wird auch seitens der Praktiker in den Kommunen (Polizeien, Ordnungsdienste, Sozialarbeiter etc.) nicht selten selbstkritisch angemerkt, dass es zwar gelungen sei, Zentren bestimmter Szenen aufzulösen, dass diese Szenen dadurch aber allenfalls in andere Areale abgewandert seien und sich so atomisiert hätten, dass eine weitere Kontrolle

1685 Teubner 1984; S.290. Frehsee (1997) spricht in einem ähnlichen Zusammenhang von „Fehlfunktionen“ des Strafrechts. 1686 Habermas 1992; S.92.

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sogar noch erschwert würde.1687 Von einem oberflächlichen Erfolg rechtlicher Eingriffe in die städtische Lebenswelt lässt sich wohl nur auf der Ebene der Selbstvermarktung der Städte reden. Die dritte problematische Konstellation innerhalb des regulatorischen Trilemmas ist die der rechtlichen Desintegration durch Gesellschaft. Von ihr spricht man im Zusammenhang mit der Nichtbeachtung rechtsinterner Qualitätsmaßstäbe des modernen rechtsstaatlichen Formalrechts durch die Steuerungserfordernisse des politischen Systems. Am Beispiel des rechtlichen Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten zeigt sich diese Konstellation, wenn von den Kommunen formulierte Normen in höherinstanzlichen Kontrollverfahren in großer Zahl und teilweise mehrfach kassiert werden, weil sie nicht verfassungskonform sind: Entweder weil sie nicht bestimmt genug sind oder weil sie mit dem Grundrechtskatalog nicht in Einklang zu bringen sind. Auch die referierten juristischen Unklarheiten, wie denn die Stellung der Bahnhöfe einzuschätzen ist und was aus der von den Kommunen vorangetriebenen Privatisierung öffentlichen Raums nun juristisch eindeutig folgt, gehören in diesen Zusammenhang.1688 Bezieht man sich auf die interessengeleitete Interpretation des modernen Rechts, so zeigt sich, dass sich in den beschriebenen Normgebungsaktivitäten tatsächlich die Interessen einer wirtschaftlich mächtigeren Lobby gegen ökonomisch marginalisierte Gruppen durchsetzen. Dabei stellt sich das Recht als potentes Mittel zur Geltendmachung einer Wirklichkeitsinterpretation heraus: „Wer den derberen Stock hat, hat die bessere Chance, seine Wirklichkeitsbestimmung durchzusetzen, eine Faustregel, die für jede größere Gemeinschaft gilt [...]“.1689 Zwar werden Erfahrungen der Polizei und die diagnostizierten Unsicherheitsgefühle der Bevölkerung stets angeführt, ein ungleich höheres Druckpotenzial geht allerdings von den

1687 Vgl. z.B. die Einschätzungen des Kölner Polizeidirektors Behrendes (2003) oder Einschätzungen aus dem Kontext der Streetwork oder akzeptierenden Sozialarbeit. Häußermann/Läpple/Siebel (2008; S.260) sprechen in diesem Zusammenhang von einem „Wasserbetteffekt“. Vgl. Kap. 2.2, Fn.268. 1688 In diesen Zusammenhang ließe sich auch der Versuch, ungewünschtes aber legales Verhalten durch einen Rekurs auf Regelungsbereiche, die zu anderen Zwecken definiert wurden, zu verhindern, diskutieren. In Köln wurde beispielsweise versucht, eine Kioskbesitzerin wegen eines Verstoßes gegen das Gaststättengesetz zu belangen, weil sie Jugendlichen Flaschenbier verkauft hatte, das diese an einem belebten Innenstadtplatz konsumiert hatten – was wiederum von den Anwohnern als Störung empfunden wurde. Der Versuch einer Sanktionierung schlug fehl. Hier zeigt sich auch die Hilflosigkeit städtischer Ordnungsbehörden, die aus politischen Gründen nach Wegen sucht, einen Missstand zu beseitigen, zu dessen Beseitigung aber keine geeigneten rechtlichen Mittel zur Verfügung stehen. Vgl. Drack 2009 und Fn.882. 1689 Berger/Luckmann 1994 (zuerst 1966); S.177.

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ähnlich argumentierenden Einzelhandelsverbänden aus, wenn Umsatzrückgänge (und damit Rückgänge im kommunalen Haushalt) oder Standortverlagerungen in Aussicht gestellt werden.1690 Auch die Schutzstaatsidee lässt sich an den legislativen und exekutiven Maßnahmen der Städte in diesem Themenfeld nachvollziehen. Durch die Etikettierung bestimmter Gruppen als potenziell „gefährlich“ lassen sich repressive wie präventive Maßnahmen unterschiedlicher Art rechtfertigen – insbesondere, wenn das in Anschlag gebrachte kommunale und sich rechtsförmig materialisierende Krisenmanagement vorgeblich dazu dient, die Interessen der „Gemeinschaft“, die – mit dieser Wirklichkeitsbestimmung konfrontiert – tatsächlich verunsichert ist, wahrzunehmen. Die mit dem Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit verbundene Rede von der tendenziellen Entrechtlichung bestimmter Benutzergruppen im Zuge fortschreitender Verrechtlichung des öffentlichen Raums lässt sich anhand der genannten Beispiele aus dem juristischen Diskurs nachvollziehen. Viele der auf Sicherheit und Sauberkeit gerichteten rechtlich kodierten Maßnahmen, die zuvor unbeanstandetes, zumindest geduldetes Tun bestimmter Personen oder Gruppen inkriminieren, haben sich als illegal oder zumindest fragwürdig erwiesen.1691

1690 Vgl. hierzu Innenministerium NRW/HDE/Einzelhandelsverband NRW o.J., in dem dieses Druckpotenzial ins Feld geführt wird, um auf dieser Basis für sogenannte „Ordnungspartnerschaften“ zu werben und diesen zugleich die künftigen Tätigkeitsfelder zu definieren. Die entsprechende Broschüre wurde im Rahmen eines Public-PrivatePartnerships herausgegeben. Vgl. Kap. 4.2.3. 1691 Auch wenn umstritten ist, ob die damit verbundenen Rechte zuvor gewährt worden sind, kommt eine verstärkte Kontrolltätigkeit den Entzug von gewohnten „Rechten“ gleich. Schon das Infragestellen bestimmter gewohnheitsgemäß wahrgenommener Rechte kann von den Betroffenen als Entzug verstanden werden.

5. Zur Genealogie des Verhältnisses von Urbanität und sozialer Kontrolle „Der Vergesellschaftungsprozeß dieser Epochen war durch eine ‚Dialektik von Integration und Ausschließung‘ gekennzeichnet.“ HANNES STEKL1692

Innerhalb des breiten Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten zeigt sich, dass es hinsichtlich unterschiedlicher Epochen je spezifische Thematisierungen des Zusammenhangs von Urbanität und sozialer Kontrolle gibt.1693 Diese Thematisierungen sollen im Folgenden im Mittelpunkt stehen, um genealogisch aufzuzeigen, dass der aktuelle Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit sich Traditionen und sozialhistorischen Bedingungen verdankt, die in aktuellen Beiträgen kaum noch reflektiert werden. Die sich aus der genealogischen Betrachtung ergebenden Strukturmerkmale des Verhältnisses von Urbanität und sozialer Kontrolle dienen dann als Kontrastfolie für eine erneute Thematisierung dieses Verhältnisses in der (postmodernen) Gegenwart. Diese genealogische Thematisierung kreist neben anderen Aspekten zentral um die Fragen, welche Kontinuitäten und Brüche sich im Verhältnis von Urbanität und sozialer Kontrolle nachzeichnen lassen, welche Rolle Sicherheit und Sauberkeit in den zeitgenössischen Wirklichkeitsdeutungen spielten und welche spezifischen Ideologien mit dem Begriff Urbanität jeweils transportiert wurden und wie unter diesen Vorzeichen der Umgang mit den jeweils als problematisch angesehenen städtischen Gruppen zu beschreiben ist.1694 Es geht also um synchrone Kontinuitäten bzw. Diskontinuitäten und diachrone Parallelitäten, die

1692 Stekl (1986; S.119) unter Verweis auf Richard von Dülmen. Die Rede ist von den Epochen des Absolutismus und Merkantilismus. 1693 Vgl. auch Sack 1974. 1694 Vgl. zu unterschiedlichen Raumvorstellungen Mejstrik 2005.

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sich in der historischen Darstellung widerspiegeln. Ausgehend von den Ergebnissen einer solchen genealogischen Betrachtung wird in einigen Beiträgen versucht, die Gegenwart aus der Vergangenheit zu analysieren und einen Blick in die Zukunft dieses Verhältnisses zu werfen. Diese Genealogie beschreibt den Zusammenhang von Urbanität und sozialer Kontrolle anhand von „historischen Fundstücken“, sie fragt nach der Entstehung und Beschaffenheit des Wissens, das sich ausgehend von diesen Fundstücken verbreitet hat. Es geht damit im Wesentlichen um „[...] Kenntnisse, philosophische Ideen und Alltagsansichten einer Gesellschaft, aber auch ihre Institutionen, die Geschäfts- und Polizeipraktiken oder die Sitten und Gebräuche [...].“1695 Weil es sich bei diesen über die Jahrhunderte hervorgebrachten Kenntnissen um diskursives Wissen handelt, steht die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Äußerungen nicht im Vordergrund. Vielmehr interessiert der Einfluss, der von solchen Äußerungen bis in die Gegenwart wirkt, wie sie die Wirklichkeitserfahrung der Städter beeinflusst haben und wie sie damit Macht formiert haben. Zudem interessiert der theoretische Hintergrund, der solche Äußerungen hat hervortreten lassen.1696 Insofern ist eine genaue geschichtswissenschaftliche oder ideengeschichtliche Analyse nicht das Ziel der folgenden Kapitel1697 – vielmehr geht es um die Illustration weiterer Thematisierungen, die um die Sicherheit und Sauberkeit der Innenstädte kreisen. Den in diesem Zusammenhang angerissenen historischen Stationen werden drei verhältnismäßig weite, kulturwissenschaftlich bestimmte, relativ grobe Epochenbegriffe zugeordnet, die ausschließlich heuristischen Zwecken dienen und – wie vermutlich die meisten Epochensetzungen – keinerlei Anspruch auf historische Präzision erheben: Sofern von Vormoderne die Rede ist, geht es um das städtische Leben des Hoch- bis Spätmittelalters. Moderne als zivilisatorische Moderne wird hier als der Zeitraum von der Reformation über Ancien Régime, Aufklärung und Industrialisierung bis zum Ende der „industriellen Ära“ in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bezeichnet. In nicht wenigen Beiträgen wird davon ausgegangen, dass sich seit Mitte der achtziger Jahre das gesellschaftlich geteilte Bild von Urbanität soweit gewandelt hat, dass man von einem epochalen Einschnitt sprechen kann. Für die Thematisierung dieses Urbanitätsbegriffs bietet sich die Epochenbezeichnung Postmoderne an, zum einen weil sich in diesem Begriff die Ablösung vom Urbanitätskonzept der Moderne andeutet und zum anderen, weil dieser Begriff sich ausgehend vom Architekturdiskurs, der sich auf Stadt als Ganzes bezieht, auch

1695 Foucault 2001e; S.645. 1696 Aus diesem Grund wird hier keine Quellenexegese oder -kritik betrieben oder versucht, ideengeschichtliche Zusammenhänge zu verfolgen. Vgl. Ruoff 2007; S.69. 1697 Vgl. Althoff/Leppelt 1995; S.56ff.

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für andere Bereiche gegenwärtiger Kultur durchgesetzt hat. Die Grenzen dieser Epochenbegriffe sind nicht scharf, weder lassen sich genaue Daten festlegen, noch lässt sich der Übergang von Epoche zu Epoche als Ablösung des Einen durch ein Neues charakterisieren. Auch bedeutet das Herausgreifen eines Strukturmerkmals einer Epoche nicht, dass dieses in anderen Epochen gänzlich fehlen würde. Gleichwohl werden konkrete Konstellationen, Strukturbedingungen und Ideologien städtischen Lebens zugeordnet, um Tendenzbeschreibungen und Entwicklungen an andere Stränge der historischen Betrachtung zurückbinden zu können.1698 Dabei drängt sich der Eindruck auf, dass einige der systematischen Probleme, die die Beschreibung der Gegenwart aufdeckt, sich auch genealogisch herleiten lassen. Insofern lässt sich die Frage nach Kontinuitäten und Brüchen anhand von Zeugnissen der Diskussion vergangener Epochen für die gegenwärtige stellen. Die dabei zu betrachtenden Epochen werden anhand von je drei charakteristischen Merkmalen beschrieben, die zwar relativ willkürlich gewählt sind, aber in der Thematisierung der Urbanität einer jeden Epoche unter anderen als zentral angesehen werden. Für die Stadt der Vormoderne sind dies das Vorhandensein eines Marktes in den Städten, das Privileg, in Stadt zu leben und schließlich der Schutz, den die Stadt als Verteidigungseinheit typischerweise gewährt. Die Stadt der Moderne zeichnet sich durch das Vorhandensein einer städtischen Öffentlichkeit aus, die im Zuge der Entwicklung ein demokratisches Gemeinwesen konstituiert, das wiederum zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner Entwicklung die soziale Wohlfahrt in den Mittelpunkt seiner Selbstbeschreibung stellt. Der Kontrollaspekt der Moderne wird unter anderem anhand des Begriffs der Disziplin, die sich im Zuge einer „Sozialdisziplinierung“ bereits in der Vormoderne entwickelt, behandelt. Die Postmoderne, wie die Gegenwartsepoche häufig genannt wird, wird durch das Vorhandensein fragmentierter (Stadt-)Räume, in denen die Bevölkerung sozial zoniert ist, beschrieben. Das Privileg der Stadtbürgerschaft wird nach dem ökonomischen Kriterium der Konsumfähigkeit zuerkannt. In allen angesprochenen Epochen verändert sich die Rolle der städtischen Öffentlichkeit, während das Bedrohungsbild der problematisierten Gruppen relativ unverändert bleibt. In einigen zentralen Punkten erinnert die Stadt der Postmoderne an die Stadt der Vormoderne: Die Auswahl der in den (Innen-)Städten Teilhabeberechtigten ist selektiv, die Inkludierten werden privilegiert, die (Stadt-)Bauweise ist verteidigungsorientiert, die Bedeutung des lokalen Marktes ist hypostasiert und die Rolle der urbanen Öffentlichkeit ist unterentwickelt. Die Stadt der Moderne war demgegenüber durch einen allmählichen Prozess der Öffnung für alle Interessierten gekennzeichnet, vordergründig und normativ bot sie allen städtischen Gruppen Par-

1698 Vgl. zur Problematik einer Diskursanalyse in der Geschichtswissenschaft Sarasin 2001 und 2003.

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tizipationschancen, hielt aber auch ein ganzes Arsenal disziplinierender Maßnahmen und Einrichtungen zur Aufrechterhaltung städtischer Ordnung vor. Eine genealogische Perspektive greift Aspekte in den Thematisierungen heraus, um Entwicklungen zu verdeutlichen. Langsame historische Entwicklungen, Ergebnisse mal schleichenden, mal dynamischen sozialen, politökonomischen und kulturellen Wandels, können dabei höchstens exemplarisch aufgezeigt werden. Auch ist klar, dass sich die Stadt der Moderne beispielsweise durch das Vorhandensein eines lokalen Marktes auszeichnet, wie auch die soziale Zonierung des urbanen Raums bereits in der Moderne angelegt ist oder Demokratie auch in der Postmoderne die dominante Staats- und Regierungsform ist. Das zentrale Abgrenzungskriterium für die gewählte Epochenunterteilung ist das Aufkommen, die Entwicklung oder die Perfektionierung der genannten Merkmale in einem nicht genau eingegrenzten Zeitraum. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, dass diese dann auch in den Gesellschaften der darauffolgenden Epochen noch eine gewisse Rolle spielen können, sei es als Schwundstufe oder Ergebnis eines Prozesses der Weiterentwicklung, Verfeinerung oder auch Beharrung. Kurzum: Es geht exemplarisch anhand einiger Merkmale um das Verhältnis von Urbanität und sozialer Kontrolle in Vergangenheit und Gegenwart. Wie stellt sich dieses Verhältnis für die Stadt der Vormoderne dar?

5.1 U RBANITÄT UND SOZIALE K ONTROLLE IN DER V ORMODERNE : M ARKT , P RIVILEG UND S CHUTZ „Man ist hinsichtlich der Landstreicher, unverschämt Abbettelnden [...] und aller Bettler übereingekommen, wie es in der nachfolgenden Ordnung geschrieben steht. Erstens soll niemand vor den Kirchen, noch in der Stadt bitten, und es soll auch niemand in den Kirchen und in der Stadt betteln, es sei denn er besitzt das Zeichen der Stadt.“ DER RAT DER STADT NÜRNBERG1699 „Ibi sunt plura pecata.“ SPRUCHWEISHEIT AUS DEM 13. JAHRHUNDERT1700

1699 Aus einer der ältesten bekannten Bettelordnung, Nürnberg ca. 1370. Zit.n. Sachße/ Tennstedt 1980; S.63. 1700 Lat.: „Dort (in der Stadt; G.L.) gibt es viele Sünden“. (Übersetzung G.L.). Zit.n. Sobich 1998.

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Das Verhältnis von Urbanität, sozialer Kontrolle, Sicherheit und Sauberkeit in der Vormoderne, hier exemplifiziert am Beispiel des Zeitraums vom Hoch- bis zum Spätmittelalter, d.h. bis zur Reformationszeit,1701 wird in der historischen Betrachtung unter anderem anhand dreier Kerncharakteristika thematisiert. Stadt im Mittelalter1702 zeichnet sich erstens durch das Vorhandensein eines lokalen Marktes aus,1703 in Stadt zu leben, zu arbeiten und gegebenenfalls auch um Almosen bitten zu dürfen war zweitens ein Privileg, das vielen Menschen nicht gewährt wurde und drittens bot Stadt einen gewissen Schutz, was auf den Sicherheitsbegriff dieser Epoche verweist. Diese drei Charakteristika bedingen einen spezifischen Umgang mit den in Stadt lebenden Armen, der ebenfalls für jede der hier behandelten Epochen typisch ist, und der anhand des in dieser Epoche sich entwickelnden Kontrollmodells der Sozialdisziplinierung beschrieben wird.1704 Die Stadt der Vormoderne zeichnet sich durch das Vorhandensein eines lokalen Marktes aus: „Wir wollen von ‚Stadt‘ im ökonomischen Sinn erst da sprechen, wo die ortsansässige Bevölkerung einen ökonomisch wesentlichen Teil ihres Alltagsbedarfs auf dem örtlichen Markt befriedigt, und zwar zu einem wesentlichen Teil durch Erzeugnisse, welche die ortsansässige und die Bevölkerung des nächsten Umlandes für den Absatz auf dem Markt erzeugt oder sonst erworben hat. Jede Stadt im hier gebrauchten Sinn des Wortes ist ‚Marktort‘, d.h. hat 1705

einen Lokalmarkt als ökonomischen Mittelpunkt der Ansiedlung [...].“

Insofern wird die Stadt der Vormoderne im Gegensatz zu der ländlichen, feudalen Oikoswirtschaft in der historischen Betrachtung als Ort der Entwicklung des modernen Kapitalismus und zugleich als Bedingung für dessen Durchsetzung angesehen. Zentral ist dabei die ideologisch und moralisch relevante Kategorie der Arbeit, die im Mittelalter, insbesondere im Spätmittelalter – wie heute noch – auch immer in Beziehung zu dem Problem der urbanen Armut und ihrer Beurteilung steht.1706

1701 Eine genauere epochale Einordnung erfolgt in der historischen Thematisierung selten. Gemeint ist im Wesentlichen die Periode zwischen 1370 und der Hochzeit der Reformation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. 1702 Vgl. allgemein Engel 1993. 1703 Die Bezugnahme auf den Markt in der mittelalterlichen Stadt wird hier abgegrenzt von den Thematisierungen sozialer Kontrolle in den Marktgesellschaften der Gegenwart. Vgl. dazu Bähr 2001, Krasmann 2000b und Taylor 1999. 1704 Vgl. Gestrich 2000 und Hofmann 2004. 1705 Weber 1972; S.728. Hervorhebungen des Originals werden hier ausgelassen. Vgl. zu den hier nicht berücksichtigten Städten der Antike Bengs 1997. 1706 Vgl. Oexle 1986.

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Die europäische Stadt des Mittelalters ist zugleich Produzentenstadt, Gewerbestadt, Händlerstadt und Konsumentenstadt und bot insofern andere Möglichkeiten, eine Existenz aufzubauen, als dies auf dem Land möglich war.1707 Dort sah das feudale System vor, dass ein Teil des Ertrags des Bodens, der den landlosen Bauern zur Bearbeitung verpachtet wurde, von den Eigentümern und der Kirche abgeschöpft wurde. Das Leben in der Stadt hingegen befreite zumindest von diesen Zwängen der feudalen Ständeordnung, die sich einerseits in der Rechtsstellung (der Zugehörigkeit zu einem Stand), andererseits im Besitz (der Produktionsfaktoren Grundbesitz oder Kapital) ausdrückte.1708 Gemäß dieser Lesart wird Stadt in der historischen Betrachtung als Ort erster Emanzipation, einer vorläufigen Freisetzung von den Standeszwängen des feudalen Landlebens, beschrieben, die auch in der mittelalterlichen Rede von der Stadtluft, die frei macht, aufgehoben ist. Diese Emanzipation entwickelte sich in drei Schritten: „[...] •

als Schritt der politischen Emanzipation des Staatsbürgers, des Citoyén, aus dem Herrschaftssystem des Feudalismus hin zu Frühformen der Demokratie



als Schritt der ökonomischen Emanzipation des Wirtschaftsbürgers, des Bourgeois, aus den geschlossenen Kreisläufen ländlicher Oikoswirtschaft hin zu freiem Tausch auf ungeregelten Märkten



schließlich als Schritt der sozialen Emanzipation des bürgerlichen Individuums aus den dichten sozialen Kontrollen dörflicher Nachbarschaft hin zur städtischen Dialektik von Privatheit und Öffentlichkeit, in deren Schutz sich Intimität und Individualität erst entfalten konnten.“1709

Gleichwohl war die Stadt der Vormoderne kein Ort der Freiheit von Herrschaft, Standesschranken und sozialer Kontrolle, sie war auch kein Ort einer idealen Gemeinschaft freier und gleicher Bürger; ihre Urbanität war gekennzeichnet durch eine ständische Oligarchie.1710 Sofern die Stadt frei war, d.h. Stadtrechte besaß und

1707 Vgl. Weber 1972; S.729. Der Begriff „Konsumentenstadt“ spielt für die Urbanität der Postmoderne eine wesentliche Rolle. Vgl. Kap. 5.3 sowie Häußermann/Siebel 1987; S. 91ff. 1708 Vgl. Meckseper 1973; S.53f. 1709 Siebel 1994; S.10 unter Verweis auf Weber 1972. 1710 Vgl. Siebel 1994; S.12. Erst in der Moderne entwickelt sich die bürgerliche Gesellschaft, wie sie heute allgemein verstanden wird. Vgl. dazu Schoedel 1993. Nach der Definition von Habermas (1990, zuerst 1962) widerspricht die mittelalterliche Ständeordnung dem modernen Staatsbegriff, da eine resönnierende Öffentlichkeit weitgehend

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dementsprechend bestimmte Selbstverwaltungsrechte ausüben konnte, entzog sie sich partiell den absoluten Rechten des Herrschers und ersetzte diese durch die Herrschaft städtischer Notabeln, Korporationen und Beamter. Die Kirche übte zudem weiterhin traditionale Herrschaft über die städtische Gesellschaft aus.1711 In einer Stadt relativ frei zu leben, war als Bürger- und Beisassenrecht ein Privileg, das unter anderem nach einer konkret-individuellen Entscheidung des Rates und in einigen Städten nach einem Ritual, dem Schwören des Bürgereides,1712 erteilt wurde. In Stadt zu leben bedeutete unter anderem auch die Chance, sich entsprechend der Zunftordnung in gewissem Sinne zumindest ökonomisch selbständig zu machen, und sich damit eine wirtschaftliche Existenz als Reproduktionsgrundlage relativ unabhängig vom Landesfürsten und der Kirche zu schaffen. Mit der materiellen Basis verbunden ist zugleich ein gewisser sozialer Status,1713 nämlich der des freien Bürgers, der eine gewisse soziale Sicherheit versprach. Zudem waren mit dem Rechtsstatus des Bürgers in Spuren politische Partizipationschancen und rechte verbunden,1714 die dann später, in der anhebenden Moderne, der Stadt das Gepräge einer demokratischen Öffentlichkeit geben. Allerdings wurden diese als Bürgerprivileg bezeichneten Chancen durch eine genuin urbane Institution, entweder den Rat der Stadt oder die mächtigen Zünfte, die auch über den Bedarf an Handwerkern in der Stadt und damit die Zahl der in den Städten zuzulassenden „Bürgeranwärtern“ sowie deren Entlohnung entschieden, nach strengen Vorgaben erteilt. Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass das mittelalterliche Stadtbürgertum ein exklusives Privileg war: Nicht jeder erhielt die Berechtigung, sich als Städter niederzulassen, in der Stadt zu leben, zu arbeiten oder sonst wie seinen Ge-

fehlt und sich lediglich in Spuren eine repräsentative oder akklamatorische Öffentlichkeit beobachten lässt. Vgl. auch Schuster 2000a. 1711 Vgl. dazu die idealtypische städtebauliche Struktur der mittelalterlichen Stadt: Im Zentrum finden sich die Macht repräsentierenden Bauwerke der Kirche, der Feudalherrscher oder später dann der legitimen Herrschaft des Rates. Heute werden nicht wenige Innenstädte von Einkaufszentren dominiert, die auf die Bedeutung des Konsums für die gegenwärtige Stadtgesellschaft verweisen. Vgl. Kap. 5.3. 1712 Mit dem Schwören des Bürgereides verpflichteten sich die Bürger dazu, in den ersten Jahren des privilegierten Lebens als Städter keine Almosen in Anspruch zu nehmen. Vgl. Jütte 1986; S.110. Zum Bürgerbegriff des Mittelalters vgl. Türke 2004. 1713 Die Statuszuweisung erfolgte über strenge Regeln des zugestandenen Besitzes wie einer repressiven Kleiderordnung. Vgl. dazu und zur sozialen Ungleichheit in der mittelalterlichen Stadtgesellschaft Bolte/Hradil 1988; S.79ff. 1714 „Müßiggänger“ und „träge Dahinlebende“ sollten allerdings von den politischen Rechten der Städter ausgeschlossen werden. Vgl. Rossiaud 1996; S.188.

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schäften nachzugehen:1715 „Zum Stadtvolk zu gehören, wurde nicht leicht gemacht, und eine Mehrheit mittelloser Einwohner konnte die von wachsamen Minderheiten errichteten inneren Mauern nicht überwinden.“1716 Das Bild der stadtgesellschaftlichen Ordnung (lat.: Ordo) ergibt sich also insgesamt aus dem Begriff des Standes, der aus der christlichen Offenbarung abgeleitet wurde und in verschiedenen Dimensionen die Urbanität der mittelalterlichen Stadt prägte.1717 Privilegiert waren die Städter auch, weil Stadt eine gewisse Sicherheit vor äußeren Feinden, nämlich Schutz, versprach.1718 Stadt als Civitas stand im Mittelalter für die Abwesenheit von Gewalt.1719 Das Land, insbesondere der Wald, galt als Sitz des Bösen und Unkalkulierbaren. Die sich seit dem 12. Jahrhundert entwickelnden städtischen Rechtsordnungen waren mit hohen Erwartungen hinsichtlich dauerhaften Friedens und weitgehender Ruhe verbunden: „Das (geschriebene) Recht, darin waren sich die Bürger der mittelalterlichen Städte einig, war Garant für die Bewahrung von Frieden und Ordnung.“1720 Damit verbunden war aber zugleich die Vorstellung, dass alles, was sich jenseits dieser göttlichen Ordnung1721 befand, „wild“, „ungeordnet“ und „gefährlich“ war, was das Bedürfnis nach Schutz verstärkte, vor allem auch deshalb, weil Stadt durch den Status als Marktort auf vielfältige Weise mit dem Außen verbunden war und dementsprechend viele Menschen anzog: „Dort kommen alle möglichen Leute aus allen möglichen Ländern zusammen; jede Rasse schleppt ihre eigenen Laster und Bräuche ein. Niemand lebt dort, ohne auf irgendein Verbrechen zu verfallen. Jeder Stadtteil wimmelt von widerwärtigen Scheußlichkeiten [...]. Die Zahl

1715 Unehelich Geborenen, den Nachkommen Angehöriger unehrlicher Berufe oder entflohenen Leibeigenen wurde beispielsweise der Zugang zu diesem Privileg verwehrt. Vgl. Rossiaud 1996; S.158f. 1716 Rossiaud 1996; S.159. 1717 In der mittelalterlichen Politiklehre verwies der Begriff „Politia ordinata“ auf das ständisch geordnete Gemeinwesen. Vgl. Pankoke 1986; S.150. Zur Aufrechterhaltung dieser Ordnung differenzieren sich erste Frühformen einer quasi-polizeilichen Organisation heraus: Die Zünfte fungieren als „Gewerbepolizei“, die Gilden als „Gesundheitspolizei“ während der fatalen Epidemien. 1718 Vgl. Raphael 2004, Schwerhoff 2000 und Rossiaud 1996; S.160. 1719 Lat.: „Inde civitas, idest citra vim habitas“ (Lat.: „Daher bedeutet Stadt, Du wohnst jenseits der Gewalt”). Schuster 2000b; S.69. 1720 Schuster 2000b; S.71. 1721 Die ideale mittelalterliche Stadt verstand sich als Abbild des „himmlischen“ Jerusalems. Vgl. Schuster 2000b; S.72. Das Gegenteil, das Unsichere, Ungeordnete, wird durch „Babylon“ repräsentiert. Vgl. Rossiaud 1996; S.157. Vgl. auch Ipsen 2004.

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der Schmarotzer ist dort unendlich groß. Schauspieler, Possenreißer, Weichlinge, Mohren, Speichellecker, Lustknaben, Päderrasten, Tänzerinnen und Sängerinnen, Scharlatane, Bauchtänzerinnen, Geisterbeschwörer, Erpresser, Nachtschwärmer, Zauberer, Pantominenspieler, Bettler, solches Volk füllt diese Häuser. Wenn man also keinen Umgang mit diesen Schurken haben will, lasse man sich nicht in London nieder. Ich sage nichts gegen die Gebildeten, nichts gegen die Frommen oder die Juden. Dennoch glaube ich, dass die dort nicht so makellos sind wie anderswo, weil sie mitten unter Schelmen leben [...].“1722

Der Wunsch nach Schutz bezog sich auf das Innere wie das Äußere: Das klassische Bild der mittelalterlichen Stadt ist das einer mauerumwehrten, fortifizierten Verteidigungseinheit, die in ihrem Innern die militärische Streitmacht, den Reichtum der Stadt (Schätze der Kirche und der Herrscher, Inventar der Bürger und Gewerbetreibenden) und Lebensmittelvorräte (Getreide- und Salzspeicher) beherbergte und ihr Äußeres als Verteidigungsgürtel vor Feinden und Fremden schützte – wenngleich der Festungscharakter der mittelalterlichen Städte täuscht und sich die Sicherungsversuche oft als unzureichend erwiesen.1723 Im Inneren entsprach dem die sozialräumliche Ordnung:1724 Das städtische Patriziat wohnte bevorzugt an der Randlage der Mauern, um besonders gegen Angriffe von Außen geschützt zu sein.1725 „Die Familienzusammenschlüsse des Adels zerteilten das Stadtgebiet in mehr oder minder innengerichtete Räume.“1726 Außerhalb der Stadt lebten unter anderem Menschen, die auch aufgrund ihres Status als Nicht-Städter bedrohlich wirkten. Innerhalb dieser Schutzeinheit sind aber auch wiederum einzelne umwehrte Einheiten zu unterscheiden: Die „Judensiedlungen“ der europäischen Städte, die ihrerseits teilweise mit Tor und Kette gegenüber den anderen Quartieren der Stadt separiert und abgeschlossen waren, befanden sich häufig in Marktnähe, die Wohn- und Arbeitsräume der Handwerkerschaft befanden sich, jeweils unterteilt nach dem spezifischen Gewerbe, über den Rest der Stadt verteilt:1727 „Innerhalb des Stadtviertels fördern die Anordnung der Wohngebäude, die Erfordernisse der Verteidigung und des Wachwesens den Partikularismus einer Flußinsel [...], einer Straße, einer Häusergruppe um einen oder mehrere Innenhöfe. So sieht die Nachbarschaft aus, deren

1722 Richard de Devizes, Mönch in Winchester, am Ende des 12. Jahrhunderts über London, zit.n. Rossiaud 1996; S.156. 1723 Vgl. Macho 1991; S.117 und Jütte 1986; S.104. 1724 Vgl. Jütte 2000; S.74ff. 1725 Vgl. zum Privileg des Stadtrandwohnens in historischer Perspektive auch von Saldern 2000b, zum Wohnen am Stadtrand heute Gratz/Mintz 2000. 1726 Rossiaud 1996; S.172. 1727 Vgl. Meckseper 1973; S.54ff.

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Grenzen recht deutlich gezogen sind [...].“1728 Innerhalb dieser Grenzen galten für die territorialen Gruppen die Regeln eigener Sozialpraktiken und lokaler Solidarität; Nicht-Zugehörige wurden sozial wie räumlich durch Oberhäupter, Patrizier, Notablen oder Bruderschaften ausgeschlossen.1729 Nicht selten befanden sich außerhalb der Mauern, wenngleich mit relativ enger infrastruktureller Bindung zur Stadt, Klöster als Zentren geistlicher Herrschaft, der Bildung und Armenfürsorge, aber auch die Sitze der Adeligen in Burgen, Schlössern etc. Im Inneren wurde Schutz gewährleistet, in dem sich die Städter einerseits dem Recht, andererseits den „Gesetzen“ der Standesgesellschaft unterwarfen. Insofern bezog sich der Schutz der Städte nicht nur auf das Äußere, sondern auch auf das Innere: „Damit ändern sich auch die Kontrollstrategien. Sie sind nicht mehr nach außen, sondern nach innen gerichtet – auf den Städter selbst.“1730 Wer diese Regeln brach oder sie nicht mit der notwendigen Sorgfalt befolgte, unter anderem, weil er „gottlos“ lebte, stellte eine Gefahr für die Ordnung der Stadt dar und lief Gefahr, ehrlos zu werden,1731 außerhalb der Stadtmauern vertrieben1732 oder körperlich bestraft, also gefoltert oder getötet zu werden. Die Gefahr, durch gottloses, sündiges, unmoralisches Leben der Mitstädter der Strenge des strafenden Gottes zu erliegen, führte – neben profanen Ängsten wie denen vor Feuer, Krankheit, Dunkelheit, Krieg und Hungersnöten – zu einem Unsicherheitsgefühl, das sich in zahlreichen Verbotsnormen ausdrückte1733 und sich gegen alle Fremden und Zuwanderer richtete, die den Schutz und das Privileg mehr oder minder bescheidenen Wohlstands zu bedrohen schienen.1734 Die Angst vor Kriminalität im heutigen Sin-

1728 Rossiaud 1996; S.173. Zur Segregation kommt eine vertikale Schichtung innerhalb der Gebäude: Arme wohnten in den schlecht isolierten, feuchten Kellern oder den obersten Stockwerken kleinerer Gebäude. In einigen Städten herrschte eine horizontale Gliederung vor: Räume wurden maximal ausgenutzt, indem für Arme Rückgebäude („Gänge“, „Innenhöfe“) ohne direktes Sonnenlicht angebaut wurden. Vgl. Jütte 2000; S.87. 1729 Vgl. Rossiaud 1996; S.175ff. 1730 Siebel/Wehrheim 2003a; S.6. 1731 Vgl. von Dülmen 1999. „Unehrliche“ gab es allerdings auch innerhalb der Städte: So galten bestimmte Handwerke und Tätigkeiten zwar als unehrlich, waren aber für das Funktionieren der Städte, insbesondere des städtischen Marktes, notwendig. 1732 Vgl. die Nürnberger Bettelordnung von 1478, zit. in Sachße/Tennstedt 1980; S.65. 1733 Vgl. Blastenbrei 2000. 1734 Dante Alighieri spricht vom „Gestank der raffgierigen Zuwanderer“, die „Verwirrung“ stiften und den moralischen Niedergang der Stadt beschleunigen. Vgl. Rossiaud 1996; S.163.

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ne war dagegen kein Kennzeichen mittelalterlicher Urbanität1735 – obwohl das Ausmaß an Gewalttätigkeiten beachtlich war.1736 Segregation und Funktionstrennung waren für die Stadt der Vormoderne durchaus typisch. Sie verliefen entlang der relativ undurchlässigen, über Geburt zugeschriebenen Standesgrenzen und entlang religiöser Differenzen, darüber hinaus entlang der Variablen Besitz und Prestige.1737 Am Beispiel der Judenviertel lässt sich zeigen, dass die sozialräumliche Struktur der Städte mit Mitteln des (Standes-) Rechtes und der (militärischen) Ordnungsmacht durchgesetzt sowie aufrecht erhalten wurde und sich städtebaulich widerspiegelte. Angehörige unterschiedlicher Stände und Religionsgemeinschaften wurden mittels Toren, Ketten, Mauern innerstädtisch voneinander separiert, Nicht-Städter, Nonkonformisten und Fremde galten als Gefahr – auch für die bestehende, gottgewollte Ordo1738 – und wurden durch physische und rechtliche Barrieren exkludiert, soweit dies der über den Markt vermittelte Austausch mit dem Land oder anderen Städten zuließ.1739 Der exklusive Charakter der mittelalterlichen Stadt wird in der historischen Betrachtung auch am Beispiel der Armenfürsorge, also dem Umgang mit den Armen als stadtgesellschaftlicher Gruppe,1740 und damit einhergehend, der Bettelrepression, aufgezeigt:1741 Im frühen Mittelalter war freiwillige Armut, der christlichen Lehre entsprechend, ein gesellschaftlich und nach Auffassung derjenigen, die nicht arm waren, ein akzeptiertes und beizeiten sogar gewünschtes Phänomen,1742 das –

1735 Vgl. Schuster 2000b; S.75f. 1736 Vgl. Siebel/Wehrheim 2003a; S.6. 1737 Vgl. z.B. Schäfers 2000. 1738 Vgl. zu Diffamierung und Kriminalisierung Würgler 1999. 1739 Vgl. Meckseper 1973; S.53f. und Eibach 2000a. In diesem Zusammenhang spielt auch das mittelalterliche Pilgerwesen eine große Rolle. 1740 Nicht nur Arme, auch andere städtische Gruppen waren von repressiven Maßnahmen betroffen. Vgl. Irsigler/Lassotta 2001, Rheinheimer 2000 sowie Sachße/Tennstedt 1983. Man schätzt den Anteil der Armen unter den Städtern von ca. 2% bis zu 75% – je nach Definition („Fürsorgeempfänger“, „fiskalische Arme“), Zeitraum, Jahreszeit und Region. Vgl. Jütte 2000; S.58ff. Meist handelte es sich bei ihnen um arbeitslos gewordene Lohnabhängige ohne anerkannte Berufsausbildung. Vgl. dazu und zur Wohnsituation der Armen in einer mittelalterlichen Stadt Rossiaud 1996; S.161ff., der von einem Armenanteil in den mittelalterlichen europäischen Städten von durchschnittlich 25% ausgeht. 1741 Vgl. Cless 1999. 1742 So gingen z.B. Pilger auch als Sühne für begangene Sünden oder zur Erlangung besonderen Segens mehr oder minder als Bettler auf Reisen. Als Thomas von Aquin im 13. Jh. die grundsätzliche christliche Legitimität des Bettelns behauptete, entstanden zudem

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wenn man so will – sozialpolitisch der Kirche zugeordnet war.1743 So wurden Pilgern, Kranken, (Bettel-)Mönchen, Einsiedlern etc. und unter bestimmten Bedingungen auch anderen Erwerbslosen durchaus Almosen gewährt. Im ausgehenden Hochmittelalter bzw. der anhebenden Reformation veränderte sich das Verhältnis von Arbeit und Armut. Galt in der Antike1744 Arbeit noch als Zeichen von Armut, da nur Arme und Unfreie zur Arbeit gezwungen waren, erfährt nun, unter dem Einfluss der neutestamentarischen christlichen Lehre, Arbeit genau wie Armut eine positive Konnotation.1745 Dementsprechend wird ein Leben ohne Arbeit als unchristlich und sündig aufgefasst: „Auch im Mittelalter ist die Geschichte der Armut weitgehend bestimmt von der Diffamierung und Diskriminierung der Armen, auch im Mittelalter wird – wie schon in der Antike – die Armut immer wieder mit Unmoral und Verbrechen gleichgesetzt.“1746 In den Worten eines zeitgenössischen Theologen: „In der Schrift wird vielfältig aufgezeigt, wie verdammenswert müßiges, faules Leben ist. Denn wer faulenzt und ohne Lasten lebt, der wird völlig ungeschickt, er trachtet nicht nach den wahren Gütern, wie sich an den Reichen zeigt.“1747 Die Stigmatisierung als „arm“ bedeutet den Übergang von der „Normalität“ städtischen Lebens im Mittelalter zur Diffamierung, Verunehrlichung, zu Marginalisierung und in letzter Konsequenz dann auch Kriminalisierung.1748 Gleich-

zahlreiche Bettelorden. Zum Verhältnis von Arbeit und Armut in der Antike vgl. Oexle 1986, S.73ff. 1743 Ergänzt wurde die kirchliche Armenfürsorge, die in Zeiten von Hungersnöten an ihre Grenzen stieß, durch Frühformen genossenschaftlicher Selbsthilfe. Vgl. Oexle 1986; S.80. Vgl. auch Barzen/Escher-Apsner/Multrus 2004 und Gestrich 2000. 1744 Im antiken Rom wurde urbane Sozialkontrolle unter anderem durch die ca. 3.000 Mann starke „Stadtkohorte“ wahrgenommen, die als Vorläufer der mittelalterlichen und modernen Polizeien angesehen wird. Unter der Befehlsgewalt des Stadtpräfekten patrouillierte sie insbesondere in der Nähe der Märkte. Eingesetzt wurde sie aufgrund von Störungen der Sicherheit und Sauberkeit in Folge der Verarmung großer Bevölkerungsteile und miserabler Wohnverhältnisse. 1745 Vgl. Oexle 1986; S.75. 1746 Oexle 1986; S.77. 1747 So der Reformator Wenzel Linck in einer Schrift über „Bettelei und Arbeit“ von 1523, zit.n. Sachße/Tennstedt 1980; S.60. 1748 Oexle (1986; S.78f.) merkt an, dass Armut prinzipiell alle Stände treffen konnte: So gab es arme Bauern, Handwerker, Kleriker, Ritter, Adelige. Armut war nicht nur von der Verfügung über ökonomisches Kapital (Geld oder Besitz) abhängig, sondern von der Verfügung über soziale „Stärke“, die sich auch im sozialen und kulturellen Kapital ausdrückte. Die Kleidung (bei Armen: „malvestus“) spielte für die Stigmatisierung als „arm“ in der Vormoderne eine besondere Rolle, unter anderem weil sich Stand und

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wohl wurde den Armen eine feste Position in der mittelalterlichen Ständegesellschaft zugewiesen, sie blieben integriert in das System mittelalterlicher Ordo,1749 ihre Existenz galt als gottgewollt – und den wohlhabenderen Städtern zudem als nützlich: „Denn man muss not halben Reiche haben, die den Armen handtreichung und huelff beweisen, so muß man widerumb auch Arme haben, welche den Reichen mit Handwercken und sonst zu arbeiten geschickt seyen.“1750 Armut galt als Bestandteil mittelalterlicher Urbanität, ihr Auftreten war Teil städtischer Ordnung und erforderte zunächst keine Normalisationsstrategien. Im 14. Jahrhundert hatte sich die Bevölkerung der europäischen Städte fast verdoppelt – die Zahl der in Stadt lebenden Armen war entsprechend gewachsen, mit der Folge, dass in den Städten Institutionen wie Spitäler, Armen- und Leprosenhäuser geschaffen wurden, in denen sich der Armen professionell angenommen wurde. Da die Kapazitäten dieser Anstalten begrenzt waren, musste selektiert werden, d.h. es musste definiert werden, wer als arm galt und wer legitimerweise Hilfen in Anspruch nehmen konnte: „Es stellte sich nämlich die Frage, ob es sich im Einzelfall um ‚wirklich‘ Arme handelt, oder nur um Leute, die arm zu sein ‚scheinen‘, weil sie keiner Erwerbstätigkeit nachgehen wollen oder nachzugehen brauchen.“1751 In der historischen Betrachtung wird dargestellt, wie sich die Einstellung der Bevölkerung zur Armut und den Armen veränderte. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Pestepidemien verwiesen, die einerseits zu einer Verdichtung des Netzes sozialer Kontrolle führten, indem die städtischen Verwaltungen den Gesundheitszustand der Bevölkerung kontrollierten, ärztliche Versorgung sicherstellten, den Raum parzellierte und sich verstärkt für die Sauberkeit der Städte einsetzten.1752 Die Verbindung, die zwischen Unsauberkeit, Pest und Armut angenommen wurde, legitimierte entsprechend repressive Maßnahmen.1753 Das Verhältnis von Armut und Arbeit wurde neu definiert, eine allgemeine Arbeitspflicht etablierte sich all-

damit Ordo über Kleidung ausdrückten. Vgl. Jütte 2000; S.102f. und Bolte/Hradil 1988; S.12. Vgl. zur Kriminalisierung der Armen in der Vormoderne Jütte 2000; S.190ff. und 209ff., zur Kriminalisierung der Armen in der Gegenwart vgl. CremerSchäfer 1998a. 1749 Vgl. Oexle 1986; S.77. 1750 So der Verleger Sigmund Feyerabend in einem Versbuch über das Ständewesen von Hans Sachs und Hartmann Gropper aus dem Jahr 1568, zit.n. Jütte 1986; S.102. Um 1600 erklärt ein anonymer englischer Autor: „Wir sagen nämlich, dass die Armen zum Wohle der Reichen erschaffen sind.“ Zit.n. Jütte 2000; S.12. 1751 Oexle 1986; S.87. 1752 Vgl. Oexle 1986; S.87f. sowie Kap. 3.4.3. 1753 Vgl. Jütte 2000; S.30.

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mählich,1754 die Teilhabe an Arbeit wurde neben einem gewissen Bildungsgrad integraler Bestandteil des Bürgerstolzes und prägte die Mentalität und die Wirklichkeitsdeutung der vormodernen Städter.1755 Nicht-Arbeit wird dementsprechend im ausgehenden Mittelalter zum Gegenstand von gouvernementalen Normalisationsstrategien, die durch spezialisierte Institutionen exekutiert werden. Das Gewähren von Almosen jenseits der dafür geschaffenen Institutionen und Organisationen wurde unter Strafe gestellt. „Da viele gesunde Bettler es ablehnen zu arbeiten, solange sie von erbettelten Almosen leben können, und sich so dem Nichtstun, der Sünde, zuweilen gar der Räuberei und anderen Verbrechen hingeben, darf niemand (unter Androhung der oben genannten Gefängnisstrafe) Leuten, die arbeitsfähig sind, unter dem Schein der Religiosität oder des Almosens etwas geben oder ihr Herumlungern fördern, damit man sie auf diese Weise zwingt, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu erwerben.“1756

Die karitative, der christlichen Überlieferung und Tradition verpflichteten Armenfürsorge1757 wurde durch eine bürokratische, allmählich sich verrechtlichende und gouvernemental interpretierbare Armenpolitik, die auf Ausschluss oder Normalisation sowie Aufstands- und Seuchenbekämpfung zielte, ersetzt.1758 Städtische Arme sind seit dieser Phase bis in die Gegenwart Objekte spezifischer Maßnahmen – wenngleich heute das gouvernementale Spektrum von der Normalisation bis zur Normalisierung reicht. Im Verlauf des Hoch- und Spätmittelalters kommt es immer wieder zu teilweise immensem zahlenmäßigen Wachstum1759 der bedürftigen, vormodernen urbanen

1754 In diesem Zusammenhang wird angemerkt, dass die mittelalterlichen Städte vor allem durch Gruppen getragen wurden, die sich durch körperliche Arbeit definierten. Der „gemeine Mann“ wurde wegen seiner körperlichen Arbeit wertgeschätzt und grenzte sich durch sie von der Obrigkeit, dem Adel und dem Klerus, ab. Vgl. Oexle 1986; S.91ff. 1755 Vgl. Rossiaud 1996; S.191. 1756 „Pro vitae necessariis laborare“. The Statues of the Realm, Bd.1, 1810, Nachdruck London 1863; S.307, zit.n. Oexle 1986, S.89. Dass Arbeit nicht in jedem Falle von Armut befreit, wird erst im Zuge der Industrialisierung und des damit einher gehenden Pauperismus erkannt. Vgl. Oexle 1986; S.95. 1757 Vgl. Schmidt 2004 und Schmidt/Wagner 2004. 1758 Vgl. Oexle 1986; S.90. 1759 Die Gründe für dieses Anwachsen und die darauf folgende Landflucht sind vielfältig: Schlechte Ernten, z.B. durch Dürre, primitive Ackerwerkzeuge, schlechtes Saatgut, fehlenden Dünger etc., führten zyklisch zu hohen Teuerungsraten durch ein schrumpfendes

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Unterklasse, das krisenartige Zustände evoziert und entsprechende Reaktionen seitens der Städte auslöst. Als ein Beispiel wird die krisenartige Zuspitzung in Folge einer Teuerungswelle 1570 und 1571 in Augsburg beschrieben: „Die Obrigkeit [...] hat das arme Volk unterstützt, den Bürgern jede Woche unter erheblichen Kosten das Brot zum Leben gegeben. Doch etliche waren ausgesondert; ich weiß nicht warum, es wundert mich nur, denen reichte man auf der Wache kein Brot. Alsbald verfälschte man die Berechtigungszeichen für Brot, und täglich wurden ihrer mehr, niemand wußte woher sie kamen, vieles verkaufte und verpfändete man, weshalb die Obrigkeit schließlich von neuem Ordnung schaffen und sich intensiv der Angelegenheit widmen mußte.“1760

Die Einführung und Aufrechterhaltung dieser „neuen Ordnung“ hinsichtlich des stadtgesellschaftlichen Umgangs mit Armut ist in der historischen Thematisierung mit dem Begriff „Sozialdisziplinierung“ verknüpft. Sie „[...] wurzelt in der Verurteilung des Bettels als Müßiggang und in dem Willen der Obrigkeit, die Pflicht der Armen zur Arbeit durchzusetzen [...]“1761 und zielt auf alle Verhältnisse sozialer Desorganisation, d.h. gegen alle Verstöße gegen die mittelalterliche Ordo.1762 Das Anwachsen der sichtbaren Armut in den Städten angesichts der Bevölkerungszunahme, der Verknappung des Nahrungsmittelspielraums, von Strukturveränderungen in Handwerk, Handel, Gewerbe und Landwirtschaft gefährdete diese Ordnung und drohte zu einer Gefahr für die ständisch verfasste Gesellschaft zu werden. Wachsende Armut durfte im Sinne der Stabilisierung von Herrschaft nicht als Des-

Angebot an landwirtschaftlichen Erzeugnissen bei konstanter Nachfrage auf dem städtischen Markt. Vgl. Jütte 2000; S.36ff. Hinzukamen fatale Epidemien, die die materielle Basis der städtischen Gesellschaft ebenfalls ausdünnten, indem sie unter anderem die Schrumpfung der Bevölkerung verursachten. Solche Krisen wurden auf der Grundlage eines göttlichen Willens interpretiert. Vgl. den Straßburger Ratsbeschluss aus der Reformationszeit, zit. in Sachße/Tennstedt 1980; S.79: „Man könnte fragen: Was treibt die armen Leute aus allen Landen hierher? Antwort: Die große Not und Teuerung. Woher kommt die Teuerung? Von Gott. Warum hat er sie uns geschickt? Wegen unseres Unglaubens und unserer Sünden, ebenso wegen unserer Undankbarkeit und Eigennützigkeit, warum dann eine große Unbarmherzigkeit und unbrüderliche Härte gegen unseren Nächsten erwächst. Das führt auch dazu, dass sich jeder mit Müßiggang oder unredlichen Geschäften und Beschäftigungen ernähren will.“ 1760 Zit.n. Sachße/Tennstedt 1980; S.44. Das Original ist in Versform abgefasst. 1761 Oexle 1986; S.90. 1762 Zu Begriff und Theorie der Sozialdisziplinierung vgl. Breuer, Jütte, Oexle, sowie Sachße/Tennstedt (alle 1986). Jütte (1986; S.102) spricht für die Phase des Hochmittelalters von „Sozialregulierung“ als Vorform der Sozialdisziplinierung.

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organisationserscheinung einer überkommenen Sozialordnung erscheinen. Die Grenzen der kirchlichen Armenfürsorge waren schnell erreicht;1763 auch die sich in dieser Phase herausbildenden Gilden als genossenschaftliche und freiwillige Institutionen der Selbsthilfe unter Handwerkern,1764 konnte die in die Städte Drängenden nicht mehr auffangen und integrieren. „Zu heterogen waren die pauperisierten Massen, um sich in ihrer Gesamtheit als integrationsfähig zu erweisen. Wo die auf Integration ausgerichtete Politik der städtischen Obrigkeit versagte, bekam Sozialdisziplinierung ‚die Wirkung einer diskriminierenden Ausgrenzung‘. Die Mehrzahl der fremden Bettler, Zigeuner, Vaganten und vagabundierenden Landsknechte wurde, nachdem Eingliederungsversuche fehlgeschlagen waren, als nutzlose, faule und gefährliche Elemente gebrandmarkt und in eine gesellschaftliche Randexistenz gedrängt.“ 1765

Sozialdisziplinierung als urbanes, auf Normalisation gerichtetes Kontrollmodell des Mittelalters zeigte sich einerseits als Versuch der Erziehung und Integration, wo dies nicht gelang aber andererseits auch als Kriminalisierung und Repression: „Als Gegenbeispiel definiert die Darstellung von Bettlern und Armen, die stets verkommen sind, die Codes des städtischen Anstands. [...] Maß, Ordnung, Höflichkeit; die Städter übernahmen langsam und auf verschiedene Weise diese Urbanität, dank der Rituale, die sie zwangen, Frieden miteinander zu halten, ihre Gewalttätigkeit oder Furcht zu zügeln, sich von ihrer Narrheit frei zu machen, ihre Zugehörigkeit oder ihren Gehorsam zu bekunden.“1766

Die Unterscheidung „echter“ von „falschen“ Bedürftigen, solchen nämlich, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen brauchten oder wollten,1767 ist demnach konstitutiv für die repressive Form der Sozialdisziplinierung1768 und unter dem Begriff „Sozi-

1763 Bereits Mitte des 12. Jahrhunderts versorgten die 300 Mönche des Klosters Cluny ca. 10.000 Arme. Vgl. Oexle 1986; S.80. 1764 Vgl. Jütte 2000; S.106ff. 1765 Jütte 1986; S.103. Das eingeschlossene Zitat stammt von Richard von Dülmen. 1766 Rossiaud 1996; S.192f. 1767 Vgl. Dribbusch 1997. 1768 Fuchs (1997a und b) interpretiert Armut und damit verbundene totale Ausgrenzungsphänomene in der mittelalterlichen Stadt aus der Sicht der Luhmann’schen Systemtheorie entlang der binären Unterscheidung zwischen Inklusion und Exklusion (vgl. auch Kap. 3.2.1). Im Wesentlichen geht es um die Unterscheidung zwischen einzelnen Exklusionen als Konsequenzen diverser „Verunehrlichungen“. Vor diesem theoretischen Hintergrund führt dann der Verlust der Sozialadresse im Inklusionsbereich zu räumlicher Ausgrenzung in der Exklusionssphäre der Vagabondage derjenigen ohne Woh-

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almissbrauch“, also der gesellschaftlich unerwünschten und moralisch verurteilten Inanspruchnahme von Transferleistungen ohne die definierten Bedürftigkeitskriterien voll zu erfüllen, ist dieser Gedanke seit dem ausgehenden Mittelalter konstitutiv für den Diskurs um städtische Armut und den Umgang mit ihr. So heißt es 1586: „Das ihr [...] (gemeint ist hier der Rat der Stadt Augsburg; G.L.) aber fürwenden möchtet, es sei das Almosen bei vielen übel angelegt; das ist leider wahr, wollen es auch nicht leugnen, wir können es aber bei einem solchen großen Haufen nicht alles schwer grade richten: denn mancher frommer Mann hat ein liederliches Weib, also manche häusliche Frau einen liederlichen unhäuslichen Mann. Da sie aber mit vielen Kindern beladen (wie dies gewöhnlich bei solchen geschieht), da muß man um derselben Willen etwas nachsehen.“1769

Im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit der Städte damals wie heute ist „Sozialmissbrauch“ eine Rechtfertigung für den Abbau von Sozialleistungen.1770 Dementsprechend wurden im Hoch- und vor allem ab dem Spätmittelalter Kataloge mit Kennzeichen „falscher“ und „echter“ Armer entwickelt, die dann im Zuge einer einsetzenden Bürokratisierung des Armen- und Bettelwesens auch kodifiziert wurden.1771 Es „[...] ist vonnotten, das dem gemeinen beuthel diese vorsteher, welche in

nung, ohne Herd (Frz.: „ni Feu ni Lieu“), ohne Lehnsbrief (Frz.: „sans Aveu“), der Lumpenbedeckten (Lat.: „Pannosus“), die bestenfalls in Verschlägen (Lat.: „Domuncula“) vor den Toren der Stadt hausen. Die mittelalterliche (Stadt-)Gesellschaft ist demnach doppelt differenziert: In ihr selbst, nicht nur in den Städten, werden Innen und Außen unterschieden. Vgl. auch Oexle 1986; S.87. Im Spätmittelalter wird versucht, Inklusion über Zwangsarbeit herzustellen. 1769 Aus einer Ratsanhörung zur Lage der Armenversorgung in Augsburg 1586, zit.n. Jütte 1986; S.110. Orthographie und Interpunktion der heutigen Sprache angepasst von G.L. 1770 In der Drucksache des Hamburger Innensenators „Zur drohenden Unwirtlichkeit in den Städten“ (vgl. Kap. 3.2.3) wie auch in der Antragsbegründung der Stadt Stuttgart im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens (vgl. Kap. 4.4) wird konstatiert, dass Betteln zu einem hohen Einkommen führe und dass dieses nicht selten über dem eines durchschnittlichen Normalarbeitnehmers läge. Vgl. auch Fuchs 2001b, Kirbach 1995, Solga 2006, Vogel 2006 und Willisch 2001. Im März 2009 kürzte die Göttinger Sozialverwaltung einem Mann das Arbeitslosengeld II, weil ihn kontrollierende Beamte beim Betteln beobachtet hatten. Seine Einnahmen beliefen sich auf insgesamt sieben Euro. Vgl. Spiegel 2009 und Bergt 2009. 1771 Die Unterscheidung echter und falscher Bettler beschäftigt Dribbusch (1997), lässt sich aber auch aus dem Quellenband von Sachße/Tennstedt (1980; S.42ff.) herleiten, insbesondere aus dem Buch Martin Luthers „Von der Betrügerei der falschen Bettler“. Als berechtigt definierte und dementsprechend gekennzeichnete Arme konnten von der Un-

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der Stad kundigk und der armen leuthen vormoge, wesen, stand, hehrkomen und redlichkeyt wissen und untterden selbigen, ab sie zur Arbeyth geschickt ader lessigk, neben allen umstenden ein untterschey irkennen mogen, vorordenth werde.“1772 Mit dem Erstarken und der Verbreitung der kapitalistischen Wirtschaftsform und damit eines in seiner Qualität sich wandelnden Begriffes von Arbeit am Vorabend der Reformation wurde die Verantwortung für Armut (sofern nicht freiwillige Armut im oben genannten Sinne vorliegt) als Schuld im Individuum selbst verortet und als Ergebnis von Müßiggang (einer schweren Sünde) oder als Konsequenz eines Aktes der Bestrafung Gottes gewertet. Individueller Wohlstand hingegen wurde als Zeichen göttlicher Auserwähltheit im Sinne einer (frühprotestantischen) christlichen Prädestinationslehre verstanden. Dementsprechend wurde die Zugehörigkeit zur städtischen Gesellschaft nicht mehr nur über Privilegien oder die bloße Mitgliedschaft in der christlichen Gemeinde zuerkannt, sondern an die Teilhabe an Arbeit gekoppelt. Arbeit wurde als einzig legitimes Mittel gegen Armut verstanden, Armut dementsprechend als „Nicht-Arbeit“ aufgefasst.1773 Armenfürsorge und Bettelrepression gingen im Spätmittelalter mit der beginnenden Unterbringung der städtischen Armen in Arbeitshäusern, in denen diese dann diszipliniert und zwangsweise an Arbeit beteiligt wurden, einher: „[...] so wird jedoch die überaus große Flut der neuen Bürger (von denen sich die meisten in ihrer Armut und in der Hoffnung, man werde sie hier nicht verhungern lassen etc., allein mit Blick auf das Almosen und die Bettelgelegenheit unter Ausnutzung des Einbürgerungsrechtes des Schultheißen hier einkaufen, ungeachtet der Bestimmung, die ihnen das verbietet) schließlich dahin führen, dass man sie entweder durch öffentliche Arbeitsbeschaffung (auf was immer man da auch verfallen könnte) vom Almosen und Betteln fernhält, was jedoch für meine Herren und den Gemeinnutz äußerst belastend, darüber hinaus weder für ein Handwerk noch für die Eigenart und Gewohnheit dieser Stadt förderlich oder zuträglich sein wird.“1774

terstützung der Kirche, später dann den ausdifferenzierten Institutionen der staatlichen Armenfürsorge profitieren. Zur Policeyordnungen und mittelalterlichen Normtexten vgl. Pauser 2002, Härter 2002 und Mahlerwein 2000. 1772 Aus der „Wittenberger Beutelordnung. Ain loblich Ordnung der Fürstlichen Stat Wittenberg“ vom 24. Januar 1522, zit.n. Jütte 2000; S.140. 1773 Vgl. Oexle 1986; S.91. 1774 Aus einem Ratsbeschluss der Stadt Straßburg zur Zeit der Reformation, zit.n. Sachße/Tennstedt 1980; S.78.

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An diesem langsamen Übergang zwischen spätmittelalterlicher Vormoderne und früher Moderne und dementsprechend zwischen Souveränitäts- und Disziplinargesellschaft wurden repressive Maßnahmen gegen die Unterschicht implementiert, die auch in der Gegenwart eine Rolle spielen. Armenfürsorge wurde bürokratisiert, indem Verwaltungsapparate geschaffen wurden, in denen die geänderte Einstellung gegenüber Armen administrativen Ausdruck fand, die Finanzierung der öffentlichen Armenfürsorge wurde rationalisiert, indem feste Kriterien an die Gewährung von Almosen geknüpft wurden, vor allem aber wurde sie pädagogisiert, indem Moral- und Verhaltensnormen für Arme aufgestellt wurden, in denen Fleiß, Disziplin, Mäßigung und Ordnung von zentraler Bedeutung waren.1775 Es entstand ein frühes Wohlfahrts- und Polizeiwesen,1776 das Zucht- und Polizeiordnungen, Luxus-, Taxund Kleiderordnungen, insbesondere aber Armen- und Bettelordnungen durchsetzte und Sozialdisziplinierung als normalisierendes engmaschiges Netz sozialer Kontrolle über den vormodernen Städten ausbreitete.1777 Arme, die nicht das Zeichen der Stadt hatten, also nicht über das amtliche Privileg verfügten, innerhalb der Stadtgrenzen zu betteln, wurden räumlich exkludiert und gegebenenfalls bestraft. Ein großer Teil der vom Land in die Stadt strömenden Armen musste sein Dasein außerhalb der Stadt fristen, in einem Elendsgürtel, der nicht selten bezüglich seiner Einwohnerzahl die der mittelalterlichen Stadt übertraf.1778 Die vormoderne Bettelrepression wurde von einer eigens zu diesem Zweck geschaffenen Bettelpolizei unter der Leitung der städtischen Verwaltung kontrolliert: „Bald hatte das Landvolk keine Arbeit mehr, und in der Stadt erfuhren sie, dass man dort so barmherzig war. Da eilten sie in großer Menge da hin, mit Weib und Kind in großer Zahl und hausierten in der Stadt herum. Dadurch wurde die Stadt dann voll von armen Leuten, was der Obrigkeit nicht gefiel. Um das Elend abzuwehren, gab man an die Tore den Auftrag, keinen Fremden einzulassen, der in der Stadt nur betteln wollte. Sie beschworen das und hielten’s doch nicht. Deshalb setzte man Ratsknechte auf sie an, die ihnen, wo sie sie antrafen, das Erbettelte abnahmen. Sie jagten sie zum Tor hinaus, aber die blieben nicht etwa draußen, sondern kamen mit Stitzen, Gabeln, Stangen, Schnecken und anderen Waffen zurück.“1779

1775 Vgl. Oexle 1986; S.90 und unten. 1776 Vgl. Bendlage 2000. 1777 Vgl. Jütte 1986; S.103. 1778 Jütte (1986; S.106) beschreibt die Praxis der Stadt Frankfurt am Main, gegen ortsfremde Bettler außerhalb des Stadtgebietes vorzugehen, weil diese ansonsten die im Umland lebenden Bauern bestehlen würden. 1779 Aus der Beschreibung eines Zeitzeugen der Hungersnot in Augsburg um 1570/71, zit.n. Sachße/Tennstedt 1980; S.45f.

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Hier zeigt sich ein weiterer Aspekt urbaner Sozialkontrolle der Vormoderne: Die städtische Ordnungsmacht fungierte angesichts solcher Krisen bereits als Institution der Verhinderung von (Hunger-)Aufständen; der äußere Schutz der vormodernen Stadt durch Mauer, Tor und Torwächter und der innere Schutz durch die von der Obrigkeit entsprechend Beliehenen diente bereits dem Schutz vor städtischen Riots. Dennoch waren die befestigten Städte nicht gänzlich vor dem Zustrom von Armutsmigranten geschützt. Die Mobilität der Bettler zwang die städtische Obrigkeit, ein System der räumlichen Ausschließung zu entwickeln, das nur noch die einheimischen Bedürftigen mit Almosen versorgte. Die Einlass in die Städte begehrenden ausgeschlossenen Armen erschienen vor diesem Hintergrund als Feinde, die es mit militärischen Mitteln abzuwehren galt. Die Militarisierung urbaner Sozialkontrolle hat in dieser Praxis ihre Wurzeln. Ein Verstoß gegen die „Bettelordnung“ und damit gegen die mittelalterliche, als gottgegeben interpretierte Ordnung, wurde, teilweise im Rahmen eines öffentlich inszenierten Schauspiels, bestraft und/oder mit der dauerhaften Exklusion aus der Stadt, der Stadtverbannung, geahndet:1780 „Deshalb werden alle schnellstens zu den Toren hinausgebracht, die gelegentlich in der Stadt, auf den Gassen oder irgendwo in den Scheunen, Ställen, Häusern etc. beim Betteln ergriffen werden. [...] Wenn aber jemand nach alledem noch immer beim Betteln angetroffen würde, der ein-, zwei-, drei-, viermal oder öfter Eid und Versprechen (nicht mehr in der Stadt zu betteln; G.L.) absichtlich verletzt hätte, dann soll ein jeder von diesen eine Leibesstrafe erleiden. Dann soll man einen jeden im Turm (wegen des geringen Geredes gegenüber öffentlicher Vollstreckung) durch den Schergen mit Ruten dermaßen prügeln lassen, so dass er dabei zum einen [...] über den Meineid nachdenken und zum anderen umso leichter für die Arbeit sich entscheiden kann [...].“1781

Erst im „aufgeklärten“ Absolutismus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzte sich die Erkenntnis durch, dass das Exerzieren solcher Körperstrafen nur die Stigmatisierung der Armen befördern würde: „Würden solche Buben [...] (gemeint sind arbeitsscheue Bettler; G.L.) mit Ruten gehauen, so gäben sie hernach, weil an Ehren geschmäht und unter den Handwerkern nicht mehr geduldet, erst rechte Diebe und Straßenräuber ab, während hingegen durch harte Arbeit schon mancher der Faulheit und des Müßiggangs entwöhnt und zur Besserung gebracht worden

1780 Vgl. Jütte 2000; S.218ff. 1781 Aus einem Ratsbeschluss der Stadt Straßburg zur Zeit der Reformation, zit.n. Sachße/Tennstedt 1980; S.77

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sei.“1782 Hierin deutet sich auch der allmähliche Übergang von Souveränitäts- zu Disziplinargesellschaften an.1783 Die gegenwärtig praktizierten Maßnahmen gegen Bettler und Obdachlose in den Innenstädten wie beispielsweise die Überwachung der Innenstädte durch eine Polizeimacht, die Verschleppung an den Stadtrand oder Platzverweise haben also mittelalterliche Vorbilder, die Foucault als „Verfahrenstechniken der Disziplin“ beschreibt und die auf Normalisation als Anpassung gesellschaftlicher Realität an einen durch Normen vorgegebenen gewünschten Zustand zielen.1784 In der historischen Thematisierung wird ein weiterer Aspekt hinzugefügt: Die bereits genannten Epidemien und die Krisen der ländlichen Oikoswirtschaft hatten ebenso wie Kriege im Spätmittelalter zu einer Verknappung an Arbeitskräften geführt. Die zwangsweise Kasernierung der Armen, die ja zudem als „unehrenhaft“ galten und deren Zwangsbeschäftigung folgten auch den Imperativen der frühkapitalistischen städtischen Marktwirtschaft. So veränderte sich das Verhältnis von Arbeit und Armut erneut: Freiwillige Armut galt weder als Wert an sich noch als einfache Sünde, die zwar sozial verachtet war, aber nicht zur völligen Exklusion führte.1785 Nicht-Arbeit wurde als Verweigerung einer sozialen Notwendigkeit angesehen. Armut und die Nicht-Ausübung einer Tätigkeit wurde unter Strafe gestellt, die Einübung von Arbeitsdisziplin wurde zu einer der zentralen Aufgaben der entstehenden Einschließungsinstitutionen. Insgesamt wird die Armenfürsorge des Mittelalters und die beginnende soziale Disziplinierung der Armen anhand von vier Strukturmerkmalen beschrieben: Bürokratisierung schafft einen spezifischen Apparat zur Verwaltung der mittelalterlichen urbanen Unterklasse, Rationalisierung bezieht sich auf die Mittelzuwendung und die rechtliche Behandlung der Armen, also die Entwicklung von Kriterien zur Gewährung der Unterstützung sowie die rechtliche Fixierung solcher Regeln. Hinzu kommt die Pädagogisierung der Armen, also

1782 Aus der Reichsstadt Augsburg, zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts, zit.n. Jütte 1986; S.111. 1783 Vgl. Kap. 5.2. 1784 Vgl. Foucault 1995 (zuerst 1977); S.220ff. und Kap. 3.3.1. Hinzu kommt das gegenwärtige System der Wohlfahrtspflege, dass ebenfalls noch Spuren seiner mittelalterlichen Herkunft verrät. 1785 Eine andere Erklärung für das mittelalterliche Verhältnis von Arbeit und Armut bietet Fuchs (1997b; S.427ff.) an: In den funktional differenzierten Gesellschaften der Moderne ist Arbeit das Medium der sozialen Inklusion. Nur die unvollständige funktionale Differenzierung in der stratifikatorischen Gesellschaft des Mittelalters führt zu totaler Exklusion in der Vagabondage. In der funktional differenzierten modernen Gesellschaft bleibt der Arbeitslose zumindest als „Fall“ (der Arbeits- oder genauer Leistungsverwaltung) inkludiert. Vgl. Kap. 3.2.1.

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die Entwicklung normativer Regeln des moralischen Appells an die Betroffenen sowie die planmäßige Einwirkung auf ihr Verhalten im Sinne der Gewöhnung an Arbeit in eigens zu diesem Zweck geschaffenen Einrichtungen wie Spitälern, Pilger-, Handwerker- und Elendenherbergen und Gefängnissen.1786 Städtische Armut wird so parzelliert, hierarchisiert und klassifiziert.1787 Die Sozialdisziplinierung des Spätmittelalters bewegt sich als Normalisationsstrategie zwischen der Kriminalisierung der Vagabondage und Repression des Bettelns auf der einen Seite und der Erziehung zu einem frühbürgerlichen Verhaltenskodex mit den Grundbestandteilen Gehorsam, Fleiß, Demut, Bescheidenheit, Mäßigung, Sittsamkeit, Gottesfurcht sowie relative Sauberkeit und Integration in die ständische Gesellschaft auf der anderen Seite.1788 In der historischen Thematisierung geht man davon aus, dass sich schon im ausgehenden Mittelalter ähnliche Mechanismen herausbilden, die noch heute für das Verhältnis von Urbanität und sozialer Kontrolle in den Städten eine Rolle spielen: Segregation, die städtebauliche und soziale Anordnung von Funktions- und Wohnräumen mit spezifischer Klientel in der Stadt, die Etablierung eines – wenn man so will: frühbürokratischen – militärischen Polizeiäquivalents als Ordnungsmacht, die rechtliche Festlegung von Normen der Zuzugsbegrenzung und Sanktionen im Falle deren Übertretens, und schließlich die räumliche Exklusion der Armen außerhalb der engeren Stadtgrenzen. Das Stadtprivileg, die tendenzielle Emanzipation des Individuums, ist an die Berechtigung, in Stadt zu leben, gekoppelt. Der in der Vormoderne anhebende Prozess der Sozialdisziplinierung zielt neben der Repression auch auf Verinnerlichung von Disziplinierungsmechanismen und vollendet sich in der Moderne. Insgesamt zeichnet sich die Urbanität der vormodernen Stadt aus durch den Schutz durch die Befestigungsanlagen, das Privileg der Bürgerschaft, das einen Teil städtischer Emanzipation ausmacht, das Vorhandensein eines Marktes, der Stadt zum Ort des Handels, der Produktion, aber auch des Konsums macht, aber eben auch durch die rigide Selektion der in der Stadt Wohn-, Arbeits-, Betteloder sonst wie Zugangsberechtigten und dementsprechend die Implementierung und Unterwerfung unter ein Modell sozialer Kontrolle, das in seinen charakteristischen Merkmalen des Ausschlusses und der Raumkontrolle dem zeitgenössischen Modell postmoderner städtischer Sozialkontrolle in Ansätzen ähnelt.1789 Das Urbanitätsmodell der Vormoderne vor dem Hintergrund dieser Form sozialer Kontrolle ist das einer exklusiven, oligarchischen Bürgerstadt.

1786 Vgl. Oexle 1986; S.90 und Jütte 1986; S.104. 1787 Vgl. Jütte 1986; S.105ff. 1788 Vgl. Jütte 1986; S.103 und 112. 1789 Vgl. Kap. 5.3.

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Wie gestaltet sich das Verhältnis von Stadt, Urbanität und sozialer Kontrolle in der Moderne?

5.2 U RBANITÄT UND SOZIALE K ONTROLLE IN DER M ODERNE : D ISZIPLIN , Ö FFENTLICHKEIT UND SOZIALE W OHLFAHRT „Das Überhandnehmen der patentierten Musikanten, Orgeldreher, Tierführer und Marionettenspieler wird allmählich für die Einwohner zur drückenden Last und läßt sich ohne alle Übertreibung mit dem Namen einer konzessionierten Bettelei belegen. Daneben wird das Ohr nicht selten durch eine über allen Glauben schlechte Musik beleidigt.” UNTERPRÄFEKT DELIUS1790 „Wie jedes Haus, so hat auch die große Stadt ihren Kehrichtwinkel, wo der Ausschuß, das Gerümpel, der Schmutz, die Armut und das unverschuldete Elend sich zusammenfinden. Ein solcher Winkel ist für Berlin das Arbeitshaus [...].“ MAX RING1791 „Gesellschaftliche Modernisierung war in die Lebenswelt vermittelt über die inneren und äußeren Zwänge organisierter Normalitätskontrolle.“ ECKART PANKOKE1792

Die Urbanität der Moderne und der ihr zugeschriebene Modus sozialer Kontrolle wird in der historischen Betrachtung häufig mit den Begriffen Disziplin, soziale

1790 1810 in einem „Zeitungsbericht“ (also einem amtlichen Bericht zur aktuellen Lage) aus Bielefeld für die oberste Preußische Verwaltung. „Hier spricht sich das Ressentiment des genervten Bourgeois gegenüber den sozialen Außenseitern der Gesellschaft aus.“ Kahmann 1998; S.6. Die Belästigung durch schlechte Straßenmusiker wird auch heute noch beklagt. Vgl. Volberg 2010a und b. 1791 1857 in einer Reportage über das Arbeitshaus in der bürgerlichen Zeitschrift „Die Gartenlaube“, zit.n. Sachße/Tennstedt 1980; S.318. 1792 Pankoke 1986; S.148.

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Wohlfahrt und Öffentlichkeit in Verbindung gebracht. Unter Moderne wird dabei die kulturelle Epoche verstanden, die von der Reformationszeit im 16. Jahrhundert über das „Ancien Régime“, Aufklärung, Industrialisierung bis zum Ende der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts reicht.1793 Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass sich auch die Moderne durch ein spezifisches Verhältnis von Urbanität und sozialer Kontrolle auszeichnet, das sich ebenfalls anhand des Umgangs mit Armut in Stadt nachzeichnen lässt und das – wie in der Vormoderne bereits angelegt – ebenfalls mit dem Begriff der Disziplin oder genauer: Sozialdisziplinierung beschrieben werden kann. Bei der Thematisierung der Städte der Moderne wird zudem die Existenz einer urbanen Öffentlichkeit als kennzeichnendes Element angenommen sowie unterschiedliche Thematisierungen von sozialer Wohlfahrt. Die skizzierten Probleme in den vormodernen Städten, im Zuge derer sich das Kontrollmodell der Sozialdisziplinierung durchsetzte, bedingten auch die Entwicklung der Städte der Moderne. Die Produktion und Reproduktion von Ordnung wurde in den Städten der beginnenden Moderne stärker zum Fokus der Selbstbeschreibung und des konkreten Herrschafts- und Verwaltungshandelns, unter anderem weil zu diesem Zeitpunkt neue Formen der „Gesetzwidrigkeit des Volkes“1794 wahrgenommen wurden, die sich weniger gegen die Rechte des Adels, der Notabeln oder der Krone richteten, sondern vielmehr gegen die Güter der Anderen.1795 Soziale Kontrolle richtete sich nicht mehr nur nach außen, im Sinne einer Abwehr externer Bedrohungen durch Fortifikation, sondern stärker als in der Vormoderne nach innen, nämlich gegen alles abweichende Verhalten und jede Störung gesellschaftli-

1793 Der Sozialhistoriker Reinhart Koselleck (1979) prägte für den Zeitraum von ca. 1750 bis 1870 den Begriff der „Sattelzeit der Moderne“ und bezeichnet damit eine Übergangszeit („Epochenschwelle“) zwischen früher Neuzeit und Moderne. Hier ist der Terminus Moderne auf die sogenannte „zivilisatorische Moderne“ bezogen, weniger auf die sogenannte „klassische Moderne“, auf die in der kulturwissenschaftlichen Thematisierung Bezug genommen wird, wenn der Zeitraum von der Mitte des 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert gemeint ist. „Den Beginn der zivilisatorischen Moderne setzt man mit der Entdeckung und Kolonisierung fremder Kontinente sowie mit der Doppelrevolution von Reformation und moderner Wissenschaft um 1500 an. Im 18. Jahrhundert erreicht die zivilisatorische Moderne ihren ersten Höhepunkt mit der Aufklärung, der Säkularisierung, der Ausdifferenzierung der Wissenschaften und dem Beginn der industriellen Produktion. Die künstlerische Moderne beginnt aber mit den Verweigerungsgesten des l’art pour l’art in der Malerei und Literatur nach der Mitte des 19. Jahrhunderts.“ Lützeler 2000; S. 120. 1794 Foucault 1995 (zuerst 1977); S.107. 1795 Breuer 1985; S.300.

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cher Ordnung.1796 Im Ancien Régime, der Zeit des Absolutismus, bildete sich im Rahmen funktionaler Differenzierung eine lokale Policey aus, die sich dieser Aufgabe legislativ, judikatorisch und administrativ annahm.1797 Der Begriff der städtischen Ordnung erschien dabei weniger als Ergebnis einer Setzung von Kirche, städtischen Notablen oder dem Patriziat, sondern stärker als Ergebnis eines diskursiven und flexiblen Geflechts von Normen unterschiedlicher Herkunft, also informelle Übereinkunft, Sitte, Satzung, Gesetz etc.1798 Das starre vormoderne System gesellschaftlicher Beziehungen wandelte sich in der beginnenden Moderne zu einem flexibleren Ensemble verschiedener Akteure mit unterschiedlichen Interessen und Chancen, den Begriff der sozialen Ordnung und darauf bezogene Maßnahmen mitzugestalten. Dies zeigte sich auch an den Institutionen, in denen sich diese Akteure, die Territorialherren, Ratsregimes, Patriziat und städtische Eliten, lokale Notabeln, Verwaltungseinheiten, lokale Gemeinschaften, Zünfte, Gerichte usw., engagierten. So hatte in einigen Städten der Rat, also eine Bürgerversammlung, in enger Kooperation und Konsultation mit den genannten Interessengruppen Gesetzgebungskompetenzen. In anderen Städten lag die Kompetenz, normative Vorgaben für die Ordnung der Städte zu setzen, noch in den Händen der Krone oder der Territorialherrscher (z.B. Landesfürsten). Aber auch dort waren Notabeln, Korporationen und städtische bzw. territoriale Beamte an der Ausgestaltung und Vermittlung von Ordnung und damit Herrschaft beteiligt.1799 Die entsprechenden, diskursiv hergestellten und machtdurchwirkten Gesetze, Satzungen und Anordnungen und die in ihnen zum Ausdruck kommenden Ordnungsinteressen der Herrschaft wurden durch die unterschiedlichen städtischen Gruppen auf je spezifische Art angeeignet, z.B. indem auf Beamte Einfluss genommen wurde, missliebige Normen ignoriert wurden oder jenseits der vorgesehenen Wege versucht wurde, die jeweiligen Interessen durchzusetzen. Die so entstandene und in Veränderung befindliche urbane Ordnung bewegte sich zwischen „Bürgersicherheit und Herrschaftssicherung“1800 und musste, um eine gewisse Stabilität gewähren zu können, immer wieder neu reproduziert, implementiert und durchgesetzt werden. In dem sozial strukturierten Raum der frühmodernen Städte spielte die Herrschaft durch Policey dabei eine entscheidende Rolle. Sie hatte Kompetenzen in der Normgebung, der Konfliktregelung1801 und allumfassende Befugnisse in der Verwaltung. Hinzu kommt, dass im Zusammenhang mit der anhebenden Staatenbildung in Europa die Städte als vormals häufig

1796 Vgl. Holenstein 1999. 1797 Vgl. auch Sälter 2002 und Härter 2002. 1798 Vgl. dazu und dem Folgenden Sälter 2004. 1799 Vgl. Sälter 2004; S.2. 1800 Vgl. Hoffmann 2000. 1801 Vgl. Sälter 2000.

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autonom verfasste Gebilde, die auf internem Konsens der Herrschaft, der Bürgerschaft und des Militärs basierten, nunmehr in größere, staatliche Gebilde zu integrieren waren und sich insofern auch die zu treffenden Übereinkünfte auf mehr und andere Interessen unterschiedlicher Akteure stützen mussten.1802 Die städtische Obrigkeit verteidigte ihren Status gegen konkurrierende Gruppen, schlug Revolten nieder und unterstützte ansonsten die in Korporationen und lokalen Gemeinschaften ausgeübte soziale Kontrolle, indem sie Gerichte einsetzte oder Stellen besetzte und Konfliktfälle entschied. „Soziale Ordnung wurde durch Machtverhältnisse strukturiert, in sozialen Beziehungen vermittelt und durchgesetzt, und durch Gerichte garantiert und überwacht.“1803 In der historischen Betrachtung wird konstatiert, dass sich dieses Ensemble städtischer Macht im Zuge der sich weiter entwickelnden Staatlichkeit ebenso wie die Verfahren der Normgebung und der Durchsetzung sozialer Kontrolle in den Städten veränderten. Die Staaten betrachteten die in den Städten etablierten Korporationen als Konkurrenz, die es zur Machterhaltung und -ausdehnung einzudämmen galt. Während die städtische Obrigkeit dazu tendierte, das Verhalten der Städter aktiv zu überwachen statt passiv auf Klagen zu warten und deshalb mit der Policey eine allzuständige proaktive Überwachungsinstitution schuf, setzten die an Einfluss gewinnenden staatlichen Ordnungsverantwortlichen auf Institutionen der Innenverwaltung, die erst in konkreten Fällen auf Zuruf reaktiv tätig wurden: „Diese Veränderung markiert den Übergang von der Policey, einer auf dem Handeln vieler Instanzen beruhende Praxis städtischer Herrschaft, zur Polizei, einer zentral gelenkten obrigkeitlichen Behörde mit weitreichenden exekutiven Vollmachten.“1804 Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass unter dem Einfluss diversen Veränderungen in den lokalen und städtischen Machtstrukturen sich in der frühen Moderne zunächst mit der Policey, später dann der Polizei moderne Institutionen urbaner Sozialkontrolle herausbilden. Aus gouvernementalitätstheoretischer Perspektive wird für den gleichen Zeitraum ein Bedeutungszuwachs von Disziplin konstatiert, die notwendig war, um eine stabile Ordnung im urbanen Leben zu gewährleisten und der mit der fortschreitenden Rationalisierung sozialer Bezüge und deren Entsubjektivierung im Zusammenhang steht.1805 Sozialdisziplinierung als auf die immer stär-

1802 Danker (2001) beschreibt anhand der für das Ancien Régime typische Phänomene der „Räuber“, „Gauner“ und „Fahrenden“ welche Kontrollprobleme sich aus diesem Integrationsprozess ergaben. Vgl. auch Fuchs 2001a und b und Wiebel/Blauert 1999. 1803 Sälter 2004; S.2. 1804 Sälter 2004; S.3. Kursiv im Original. 1805 Vgl. Breuer 1986; S. 45ff. Für die Theoretiker der Moderne Georg Simmel und Max Weber ist Disziplin ein genuin modernes Phänomen, das Voraussetzung jeder urbanen Ordnung ist. Für Simmel ergibt sich Disziplin aus der „[...] Transformation subjektiver,

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ker urbanisierte, rationalisierte Gesellschaft gerichteter Integrationsmodus ermöglicht beidermaßen die äußere Kontrolle wie die Innensteuerung des Alltagshandelns der Städter,1806 und leitet damit den Herausbildungsprozess einer polizierten Gesellschaft ein.1807 Damit deutet sich auch der Beginn des Übergangs von Normalisation zur Normalisierung an.1808 In der historischen Thematisierung wird versucht, dies am Beispiel der Policey-Ordnungen frühneuzeitlicher Städte aufzuzeigen.1809 Mit ihnen reagierte die städtische Herrschaft gleichermaßen auf die beschriebenen Auflösungstendenzen der Ständegesellschaft, die sich einerseits aus der steigenden Bevölkerungszahl, der wachsenden funktionalen Differenzierung und der Verknappung des Lebensmittelangebotes und andererseits dem tendenziellen Verlust kirchlicher und ständischer Ordnungsnormen ergab. Durch die einsetzende Normenproduktion wurde die traditionale Ordnung aber nicht einfach reetabliert, das gesamte urbane Leben, das wirtschaftliche, sittliche und soziale Verhalten der Städter wurde „gesatzten Ordnungen“ unterworfen. Neben der affektregulierenden Verhaltenssteuerung der Individuen zielten die Normautoren auch auf eine Ermächtigung der Staaten, mittels Policey stärker in das urbane Leben einzugreifen. Die Prinzipien der der Sozialdisziplinierung vorausgehenden „Heeres-“ oder „Stabsdisziplinierung“ (gekennzeichnet durch das Motto „Exercitium, Ordo, Coerctio und Exemplum“1810) wurden in diesen Normen aufgegriffen und bildeten den Rahmen für den äußeren Zwang, der von ihnen ausging. Um der Vielzahl dieser teilweise weitreichenden Normen Folge leisten zu können und um die Bereitschaft zu entwickeln, sich widerstandslos politisch unterzuordnen, musste dieser äußere Zwang durch Selbstzwang, durch eine verstärkte Innensteuerung der Städter, ergänzt werden.1811

auf persönlicher Unterwerfung beruhender Machtverhältnisse in Beziehungen der Unterordnung unter ein objektives und unpersönliches Prinzip [...]“. Breuer 1986; S.45. Für Max Weber ist Disziplin „[...] die Chance, kraft eingeübter Einstellung für einen Befehl prompten, automatischen und schematischen Gehorsam bei einer angebbaren Vielheit von Menschen zu finden.“ Weber 1972; S.28. 1806 Vgl. Breuer 1986; S.51. 1807 Vgl. Kap. 4.2. 1808 Vgl. Kap. 3.3.1. 1809 Vgl. Breuer 1986; S.53 sowie Härter 2002, Mahlerwein 2000 und Pauser 2002. Aus der Sicht der Systemtheorie Luhmanns ist die frühmoderne Fixierung auf Normengenerierung ein Übergangsphänomen, das später dann durch die Konzentration auf kognitive Mechanismen abgelöst wird. Erst wenn zur Aufrechterhaltung einer Ordnung keine oder besser: nur wenige Normen notwendig sind, ist Sozialdisziplinierung perfektioniert. 1810 Lat.: Übung, Ordnung, Bescheidenheit und Vorbild. Übersetzung von G.L. 1811 Vgl. Breuer 1986; S.53f., Silver 1967 und Kap. 4.2.

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Diese Entwicklung führt laut Gerhard Oestreich, der den Begriff der Sozialdisziplinierung eingeführt hat, in der Phase des „aufgeklärten Absolutismus“ seinen Höhepunkt, weil in dieser Phase weitere „Disziplinierungsfelder“ (Wirtschaft, Wissenschaft, Schule, Natur) erschlossen wurden, auf die sich Foucault ebenfalls bezieht. Der damit einhergehende „Vermachtungsprozess“ ordnete alle Bereiche des öffentlichen Lebens auf eine Zentralinstanz1812 aus, die zwar lokal in den Städten nicht immer greifbar, aber doch in der Steuerung der Städte durch Verwaltung präsent war. Weil diese Zentralinstanz nicht als Ordnungsmacht physisch präsent war, mussten potenzielle Ordnungsstörungen rational verwaltet werden. Erst auf dieser Basis konnte das zweite hier ausgewählte Merkmal der Urbanität der Moderne, nämlich eine elaborierte städtische Öffentlichkeit, entstehen, weil diese auf der „Disziplin der Staatsbürger“ beruht.1813 In den zeitgenössischen Ordnungsdiskursen und polyzentristischen Institutionen städtischer Herrschaft spiegelte sich diese städtische Öffentlichkeit wider.1814 Mit dieser widersprüchlichen Entgegensetzung von städtischer Öffentlichkeit und Sozialdisziplinierung wurde im Ancien Régime ein Prozess in Gang gesetzt, der dann in der Epoche der Aufklärung, die sich als philosophische wie politische Strömung an das Ancien Régime anschloss, in den Emanzipationsbestrebungen des Bürgertums und des „Dritten Standes“ kulminierten – und mit dem Streben nach Mündigkeit und Partizipation scheinbar im Widerspruch zu den äußeren und inneren Zwängen der Disziplin standen. Ihren Höhepunkt erlebten diese Emanzipationsbewegungen dann in den revolutionären Erhebungen und den damit verbundenen ersten modernen städtischen Riots. Zentral ist in der historischen Thematisierung die Kategorie der sich herausbildenden, autonomen Sphäre der städtischen Öffentlichkeit, die als Medium demokratische Tugenden wie freie Meinungsäußerung und Willensbildung, die Assoziation in Vereinen, Parteien und die Kontrolle von Herrschaft etc. möglich macht.1815 Die Sphäre städtischer Privatheit bleibt demgegenüber bestehen. Es ist dieses genuin städtische dialektische Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit, das Emanzipation auf gesamtgesellschaftlicher Ebene erst möglich macht und das städtische Bürgertum zur zentralen ökonomischen und politischen Macht werden lässt.1816 Auch Foucault lokalisiert die Ursprünge der „Disziplinargesellschaft“ in der verfallenden Ständegesellschaft des Spätmittelalters und beschreibt deren Entwicklung

1812 Foucault (1983; S.114) spricht in diesem Zusammenhang von „Mittelpunkt“ und „Sonne der Souveränität“. 1813 Vgl. Breuer 1986; S.55f. 1814 Vgl. Kap. 3.4.1. 1815 Vgl. Knoch 2005 und Strohmeyer 2000. 1816 Vgl. Kap. 3.4.1 sowie Bahrdt (1971, zuerst 1961, sowie 1996) und Habermas (1990, zuerst 1962).

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bis zum Zeitalter der Industrialisierung und darüber hinaus.1817 Im Bereich der Kapitalakkumulation, die sich vorwiegend in den Städten vollzieht, ergeben sich Veränderungen in den Produktionsverhältnissen sowie den Aneignungsstrukturen, die typisch sind für den „[...] Übergang von einer Gesellschaft rechtlich-politischer Unterdrückung zu einer Gesellschaft der Aneignung von Arbeitsmitteln und -produkten [...].“1818 Mit diesen Veränderungen der materiellen Basis einher gehen veränderte „Gesetzwidrigkeiten“ der Städter,1819 die in letzter Konsequenz die polyzentristische Herrschaft der Städte zu bedrohen in der Lage waren. So entwickelte sich als Ergebnis diskursiver wie nicht-diskursiver Praktiken ein Kontrollmodell, das als „Macht-Wissen“1820 nicht mehr nur auf Ausnahmen von der gesetzten Regel reagiert, sondern mit der disziplinierenden Kontrolle der Städter operiert, das nicht mehr nur die punktuelle Abschreckung in Marterzeremonien öffentlich exerziert, sondern die dauernde Reglementierung der Bevölkerung beabsichtigt. So wird das Kontrollmodell der Souveränitätsgesellschaft im Zeitalter der Aufklärung1821 abgelöst, u.a. weil es mit der Aufrechterhaltung der Ordnung der Städte überfordert war.1822 Die „Ökonomie der Verausgabung und Exzesses“ wird durch die disziplinargesellschaftliche „Ökonomie der Kontinuität“1823 ersetzt. Auf der einen Seite wird die Ausübung von Herrschaft an Regeln gebunden, die Exzesse der Gewalt und die Willkür der Herrscher einschränken soll, andererseits aber wird so die Perfektionierung von Unterwerfung und Disziplinierung erreicht. Die Ausgrenzung problematischer Individuen, Gruppen und Schichten ist nun zwar an das Recht gebunden, vollzieht sich aber gleichwohl totaler, wenn auch weniger spektakulär. 1824 Herrschaft ist nicht mehr nur die Domäne eines absoluten Souveräns, sondern zeigt sich in unzähligen auch urbanen Machtkonstellationen, die zwar kein materielles

1817 Vgl. zur Bedeutung der Foucault’schen Analyse für die kriminalitätshistorische Forschung Maset 2000. Vgl. auch Rehmann 2003. 1818 Foucault 1995 (zuerst 1977); S.110. 1819 Vgl. auch Breuer (1985; S.300f.), der das Verhältnis der Foucault’schen Thesen zum kritischen Materialismus und die Kritik an Foucaults Machtbegriff diskutiert. Vgl. auch Steinert 1978 und Pircher 1978. 1820 Foucault 1983 (zuerst 1977); S.75. 1821 „Die ‚Aufklärung‘, welche die Freiheiten entdeckt hat, hat auch die Disziplinen erfunden.“ Foucault 1995 (zuerst 1977); S.285. 1822 Vgl. Foucault 1995 (zuerst 1977); S.280f. 1823 Beide Zitate aus Foucault 1995 (zuerst 1977); S.111. 1824 Bauman (2005; S.187) geht davon aus, dass „Einschluss“, d.h. eine Form der Integration durch Zwang, kennzeichnend für diese Epoche ist. „Ausschluss“ ist ein Kennzeichen der gegenwärtigen Gesellschaft.

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Fundament, keinen direkten Bezug zur ökonomischen Basis haben, aber dennoch die für eine kapitalistische Ökonomie unabdingbare Disziplin sicherstellen. Die Bedeutung von Arbeit wird verabsolutiert, Nicht-Arbeit ist noch stärker als in der Vormoderne Kennzeichen der Nicht-Zugehörigkeit und wird mit Faulheit, Werteverfall, Exzentrik verbunden.1825 In der Moderne ist die produktive Ausübung von Macht und ihrer Erscheinungsform, der Disziplin – auch um zur Arbeit anzuhalten – in einer Stadt weniger die Konsequenz eines Privilegs oder militärischpolizeilichen Zwangs, sondern Ergebnis eines strukturellen Arrangements zwischen Adel, Klerus und Bürgertum.1826 Damit verliert Disziplin aber auch endgültig ihren ausschließenden Charakter – sie dringt tief in die herrschafts- und damit gesellschaftsreproduzierenden Sektoren der Produktion, der Erziehung und der Verwaltung ein. Die Maschen des Netzes sozialer Kontrolle werden enger, weitere Normen werden kodifiziert, die Gewaltausübung wird beschränkt und rationalisiert. Damit wird als gouvernementales Sicherheitsdispositiv eine Strafgewalt geschaffen, die nach rationalen, ökonomischen Kriterien wesentlich effizienter und effektiver die soziale Ordnung der Städte aufrecht zu erhalten in der Lage ist: „Während die absolute Monarchie mit ihrer Sprunghaftigkeit und Regellosigkeit sowie mit der Weitmaschigkeit ihres Kontrollnetzes den Gesetzwidrigkeiten der Untertanen breiten Raum ließ, bemühen sich die Justizaufklärer darum, durch Milderung der Strafen, sorgfältigere Kodifizierung und Rationalisierung der Gewaltausübung die Basis für einen gesamtgesellschaftlichen Konsens hinsichtlich der Strafgewalt zu schaffen, der eine wirksamere Verteidigung gegen einen Gegner erlaubt, ‚der jetzt raffinierter, aber auch verbreiteter im gesellschaftlichen Körper ist‘. Indem sie die Willkür des Souveräns anprangert, bereitet die Aufklärung zugleich den Boden für ein neues, perfekteres System der Kontrolle.“1827

Das „Disziplinarindividuum“1828 ist einer verfeinerten Unterwerfung und Disziplinierung ausgesetzt. Die „Transformationen an den Individuen“1829 gehen auch mit

1825 Bauman (1995) weist darauf hin, dass Identität in der Moderne in erster Linie über die Teilhabe an Arbeit entwickelt wird. 1826 Hier unterscheidet sich die Position Foucaults von denen Webers und Oestreichs, die noch die institutionelle Bindung des Zwangs im Rahmen der Sozialdisziplinierung betonen. Vgl. Breuer 1986; S.60. 1827 Breuer 1986; S.56f. Das eingeschlossene Zitat stammt von Foucault selbst, der die moderne Verbreitung von abweichendem Verhalten in den Übergriffen gegen privates Eigentum als Reaktion der urbanen Unterklasse auf die Veränderung der Kapitalakkumulation im Frühkapitalismus deutet. 1828 Foucault 1995 (zuerst 1977); S.397. 1829 Foucault 1995 (zuerst 1977); S.317.

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veränderten Einstellungen der Bevölkerung gegenüber denen, die von der gesetzten und überwachten Ordnung abweichen, einher. Während in der Vormoderne stärker Ausschluss drohte, droht in der Moderne Internierung, wobei diese Form der sozialen Kontrolle sich nicht auf die physische Entfernung der Störer aus der Stadt, sondern sich auf die Überweisung in urbane Besserungsanstalten wie Asyle, Zuchtund Arbeitshäuser1830 bezieht, in denen mit Zwang Disziplin für ein Leben außerhalb der Anstalt „erlernt“ werden soll und in denen „[...] jene ambivalente Funktion des Strafens und der Unterstützung (ausgeübt wird; G.L.), die für die Reform der Wohlfahrt [...]“1831 typisch ist. In diesem „Kerker-Kontinuum“,1832 das sich über die Kinderbetreuung in die Wohnbezirke der Arbeiterschaft als panoptisches System erstreckt und insbesondere „Nichtseßhafte“, „nicht Arbeitende“ und „Überflüssige“1833 im Blick hat,1834 werden Abweichler einer Normalisation zugeführt, d.h. mittels mehr oder weniger spürbaren Zwangs an einen gesellschaftlich gewünschten Zustand angepasst: „Die Disziplin rückt von den Rändern der Gesellschaft in deren große Hauptfunktionen vor und verliert immer mehr ihre Rolle als Ausschließung oder Sühnung, Einsperrung oder Rückzug.“1835 Damit bilden sich Verfahren und Mechanismen der Macht aus, „[...] die nicht mit dem Recht, sondern mit der Technik arbeiten, nicht mit dem Gesetz, sondern der Normalisierung, nicht mit der Strafe, sondern der Kontrolle, und die sich auf Ebenen und in Formen vollziehen, die über den Staat und seine Apparate hinausgehen.“1836 Die Macht, über Disziplin die städtische Gesellschaft zu kontrollieren, basiert auf der „Gesamtwirkung ihrer strategischen Positionen“, sie ist bei Foucault nicht als einseitiges Repressionsverhältnis beschrieben und anders als in der Vormoderne nicht mehr das „‚Privileg‘ einer

1830 Vgl. Stekl 1986 und Jütte 2000; S.224ff. Jacob Stoit, ein englischer Richter, kritisierte bereits 1605 die Besserungsanstalten: „[...] dass sie eine Last bedeutet, die jede Gemeinde in der Grafschaft zur genüge kennt; dass sie keine Früchte trägt und vielmehr einen Schritt und eine zwangsläufige Stufe auf dem Weg zum Galgen ist, wie man allenthalben beobachtet. Und aus diesen Gründen hämmert und klöppelt sich der Landstreicher, den man nach dort eingewiesen hat, wo er Schwerarbeit leistet, die Seele aus dem Leib und kommt in einer schlimmeren Verfassung heraus, als er dort hineinging, denn wenn man erfährt, wo er gewesen ist, erhält er auch keine Unterstützung mehr.“ Zit.n. Jütte 2000; S.225. Bauer (1980) nennt in diesem Zusammenhang auch Krankenanstalten. 1831 Jütte 2000; S.160. 1832 Foucault 1995 (zuerst 1977); S.384. 1833 Vgl. Imbusch 2001. 1834 Vgl. Foucault 1995 (zuerst 1977); S.280f. und Oberhuber 1999. 1835 Breuer 1986; S.61. 1836 Foucault 1983 (zuerst 1977); S.110f.

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herrschenden Klasse“.1837 Macht ermöglicht in ähnlichem Maße, wie sie verhindert.1838 Ziel all dieser Machtinterventionen ist es, in den Städten kalkulier- und kontrollierbare Individuen zu „fabrizieren“,1839 von denen entweder keine Ordnungsstörungen ausgehen, weil sie „[...] nach den allgemeinen Normen einer industriellen Gesellschaft mechanisiert sind“1840 oder deren Ordnungsstörungen schnell abzuschalten sind. Disziplin verbreitet sich im urbanen Vergesellschaftungsmodus der Moderne auf eine Weise, dass die policeyliche Außensteuerung durch eine polizierte, disziplinierte Innensteuerung allmählich abgelöst wird. Sie bezieht sich auf „[...] sämtliche Aspekte des Individuums: seine physische Erscheinung wie seine moralische Einstellung, seine Arbeitsneigung wie sein Alltagsverhalten; und alle diese Manifestationen werden nicht nur kontrolliert und reglementiert, sondern von Grund auf ‚reformiert‘, bis sie den geltenden Standards entsprechen.“1841 Sozialdisziplinierung zielt damit in erster Linie auf Normalisation, auf die Beseitigung der Nicht-Koinzidenz von urbaner Sozialordnung und individuellem Verhalten der Städter, indem sie Disziplinierungstechniken totalisiert, mit denen Ordnungsstörungen oder abweichendes Verhalten präventiv verhindert werden sollen.1842 Gelingt dies nicht, werden mehr oder weniger formelle Reaktionen oder Sanktionen des Disziplinierungsapparates impliziert. Das Problem der Disziplinierung wird der Diskussion um das Verhältnis von Urbanität und sozialer Kontrolle auch in engem Zusammenhang mit der sozialen Wohlfahrt in den von Armut gekennzeichneten Städten thematisiert. 1843 Das im Spätmittelalter einsetzende Bevölkerungswachstum setzte sich fort. Mit der beginnenden Industrialisierung stießen die häufig noch spätmittelalterlich strukturierten Städte an ihre Grenzen, nicht nur weil sich (früh-)industrielle Produktionsstätten ansiedelten, sondern auch, weil die relativ arme Landbevölkerung massenhaft in die Metropolen zog. Insbesondere die Landlosen migrierten in die Städte, um ein Auskommen durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft zu finden, das die noch quasi-feudale Agrarwirtschaft der wachsenden Bevölkerung immer weniger bieten konnte. Die industrielle Arbeit in der Stadt verhieß nicht nur ein bescheidenes, unter teilweise katastrophalen Bedingungen erworbenes Einkommen, sondern war auch mit dem in mehreren Dimensionen emanzipativen, politischen Charakter städtischen Lebens

1837 Beide Zitate aus Foucault 1995 (zuerst 1977); S.38. 1838 Vgl. Kap. 1. 1839 Foucault 1995 (zuerst 1977); S.397. 1840 Foucault 1995 (zuerst 1977); S.311. 1841 Breuer 1985; S.303. 1842 Vgl. Breuer 1986; S.62. 1843 Vgl. vor allem Pankoke 1986. Zur sozialen Wohlfahrt in den Städten der Moderne allgemein vgl. Althammer 2007, Althammer/Brandes/Marx 2004 sowie Offe 2004.

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verbunden, unter anderem weil Zunftzwänge und die Abhängigkeit von ländlichen Bodenbesitzern wegfielen. So entstanden um und in den teilweise noch mittelalterlich geprägten Städten Agglomerationen, die sowohl infrastrukturell, wie bezüglich der ordnungsstiftenden Interventionsmacht der Policey und des Militärs schlichtweg überfordert waren.1844 Die hygienischen Zustände in den Wohnquartieren waren desaströs, die ehemals fest gefügte mittelalterliche Ordnung drohte ins Chaotische zu kippen. Die tendenzielle Anomie, die daraus erwuchs, wurde mit der Betonung der Disziplinierung rationalisiert, die auch mit der Benennung „gefährlicher Klassen“ und der Entstehung der modernen Großstadtpolizeien einherging. Wie schon in der Vormoderne wurde in der zeitgenössischen Debatte einerseits Armut, andererseits aber auch die Armen als ein Grund für diese Gefährdungen der urbanen Ordnung benannt. Armut wird seitdem – anders als in der Vormoderne – stärker mit Nonkonformismus und Exzentrik in Verbindung gebracht,1845 was problematisch ist in einer Gesellschaft, in der Konformismus und Disziplin ideologisch zum Grundverständnis gehören und zugleich Grundbedingung des ökonomischen Funktionierens der Städte sind. Die sich daraus entwickelnde Diskussion um die soziale Wohlfahrt in den modernen Städten weitet den Blick und versteht Machtinterventionen und staatliche Eingriffe nicht nur im Kontext repressiver Disziplinierung, sondern rationalisiert sie als Normalisierung im Horizont gesellschaftspolitischer Steuerungsoptionen und Entwicklungsperspektiven. Insofern zeichnet sich die Moderne auch durch die allmähliche Herausbildung von Sozialpolitik als eigenständigem Handlungsfeld und Vehikel sozialer Kontrolle aus.1846 Im Ancien Régime war dabei der „policeyliche“ Anspruch auf „Wohlfahrt“ und „Glückseligkeit“ zur Aufrechterhaltung sozialer Ordnung und zur Förderung der gesellschaftlichen Entwicklung dominant. Der Übergang von diesem absolutistischen Anspruch auf die Verengung des Polizeibegriffs durch die formale Kompetenz physischer Gewaltanwendung und die materielle Kompetenz der Aufrechterhaltung urbaner Normalität in Form von „öffentlicher Ruhe, Ordnung und Sicherheit“ in späteren Phasen der sich entwickelnden Moderne begrenzt die Möglichkeiten des modernen Staates auf eine rein regulative Entstörungsfunktion und grenzt öffentliche Wohlfahrt als Staatszweck aus. Die sich entwickelnde polizierte Gesellschaft betont stattdessen die selbstregulativen Kräfte und gibt den Anspruch allumfassender „guter Policey“ auf.1847 Die sich insbesondere in der Industrialisierung und der mit ihr einhergehenden Urbanisierung stellenden „socialen Fragen“ wurden in der liberalen Debatte entweder als Fragen der Störung von „Ruhe, Ordnung und Sicherheit“, als

1844 Vgl. Sälter 2002. 1845 Vgl. Jütte 2000; S.25 1846 Vgl. Steinert 1990. 1847 Vgl. Pankoke 1986; S.149. Vgl. zur Allzuständigkeit der Policey auch Reinke 1992.

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Fall für die „Armenpolizei“ oder als Betätigungsfeld karitativer Organisationen bzw. engagierter Privatpersonen thematisiert.1848 Insofern sahen es Sozialpolitiker als Aufgabe an, „[...] eine auf reine Entstörungsfunktion ‚polizeiliche Gewalt‘ verkürzte öffentliche Macht im Sinne einer bejahten Wohlfahrtsfunktion ‚sozialer Verwaltung‘ auszubauen und damit den gesellschaftspolitischen Gestaltungsauftrag von ‚guter Policey‘ in die Programmatik ‚socialer Politik‘ einzubringen.“1849 Dieses aus der Spannung „liberaler“ und „sozialer“ Positionen erwachsende Programm ist in unterschiedlichen Thematisierungen wesentlich für das Verhältnis von Urbanität und sozialer Kontrolle in den Städten der Moderne. Der weit gesteckte Anspruch, mittels Policey die Wohlfahrt der Bevölkerung zu sichern, entwickelte sich aus der mittelalterlichen Formel von der „Politia ordinata“, dem ständisch geordneten Gemeinwesen. Der sich ausdifferenzierende Behördenapparat des Ancien Régime war dem mittelalterlichen Anspruch, Städte als himmlisches Jerusalem zu ermöglichen, verpflichtet: „Die Staatskunst wendet auswärtigen Angriff von uns ab und versichert uns vor innerlichen Unruhen und Zerrüttungen des gemeinen Wesens. Die Policey sorgt vor die Gesundheit, vor die Sicherheit des Privatvermögens und die guten Sitten der Untertanen, und bemüht sich, allenthalben im Lande Nahrung und Überfluß zu verbreiten [...]. Der Hauptzweck der Staatskunst, nämlich dem gemeinen Wesen eine vollkommene Sicherheit zu verschaffen, [...] damit der Staat sowohl von außen als auch von innen vollkommene Ruhe genießen könne.“1850

In der beginnenden Aufklärung wurde demgegenüber die Frage aufgeworfen, inwieweit der Staat als dem Menschen äußerliches Gebilde in die Freiheiten des Individuums eingreifen dürfe: „[...] der Staat (muss; G.L.) sich schlechterdings alles Bestrebens, direkt oder indirekt auf die Sitten und den Charakter der Nation anders zu wirken, als insofern dies als eine natürliche, von selbst entstehende Folge seiner übrigen schlechterdings notwendigen Maßregeln unver-

1848 So hat beispielsweise 1882 das preußische Oberverwaltungsgerichts entschieden, dass soziale Prävention sowie die Organisation und Administration sozialstaatlicher Leistungen nicht mehr zu den Kernaufgaben der Polizei gehört. Betrachtet man aber die tatsächlichen Tätigkeiten im Streifendienst einer zeitgenössischen Großstadtpolizei, so kann man feststellen, dass zumindest die Bevölkerung immer noch von einer Allzuständigkeit der Polizei ausgeht und diese wegen auch kleinster Ordnungsverstöße, die sich teilweise weit jenseits des polizeilichen Zuständigkeitsbereich bewegen, alarmiert. Vgl. zu diesen „Serviceleistungen“ der Polizei Kap. 3.2.1. 1849 Pankoke 1986; S.149. 1850 Johann Heinrich Gottlieb Justi 1755, zit.n. Pankoke 1986; S.152.

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meidlich ist, gänzlich enthalten [...] und (erkennen; G.L.) daß alles, was diese Absicht befördern kann, vorzüglich alle besondre Aufsicht auf Erziehung, Religionsanstalten, Luxusgesetze usf. schlechterdings außerhalb der Schranken seiner Wirksamkeit liege.“1851

Mit der Popularisierung dieses liberalen Staatsverständnisses wurden die polizeistaatlichen Eingriffsbefugnisse im Wesentlichen beschränkt auf die Aufrechterhaltung von Sicherheit. Der Anspruch der Policey wurde zurückgedrängt, die polizierte, bürgerliche Gesellschaft entwickelt sich.1852 Ihr Zweck ist nicht mehr die umfassende „Glückseligkeit“ der Bevölkerung, sie dient nur der „Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung“ und der „Abwendung von Gefahr“.1853 Unter dem Eindruck der wachsenden Pauperisierung weiter Bevölkerungsteile verschob sich allerdings der ordnungspolitische Bezug polizeilicher Intervention allmählich von der Aufrechterhaltung bürgerlicher Freiheit durch die Entstörung bei Sicherheitsproblemen hin zu einer sozialpolitischen Ausweitung staatlicher Steuerungskompetenz in einer Gesellschaft, die sich nicht mehr als in Stände, sondern in Klassen unterteilt beschreibt.1854 Das „Gemeinwohl“ rückte in den Mittelpunkt polizeylichen Tuns.1855 Zum polizeilichen Aufgabenkatalog gesellte sich so die Aufsicht über das staatliche Armenwesen sowie der Besserungsanstalten und damit die Kompetenz, im Rahmen der Wohlfahrtspflege, also der Beschäftigung mit der Arbeiterklasse bzw. den unteren Schichten, soziale Kontrolle und Disziplinierung auszuüben.1856 In der historischen Betrachtung ist die Rede von einer „[...] ungeklärten Verwischung von Sicherungs- und Ordnungsverwaltung und Wohlfahrtsförderung [...].“1857 „Auffälligkeit“ und fehlende „Gesellschaftsfähigkeit“ wurden zu polizeilichen und von engagierten Bürgern in „Hilfsvereinen“ und „Corporationen“ angegangenen Problemen, die anhand der Stichworte „Rettung“, „Besserung“, „Erzie-

1851 Humboldt 2008 (zuerst 1792); S.611. 1852 Vgl. Pankoke 1986; S.154 und Silver 1967 sowie Kap. 4.2. Der wechselhafte makropolitische Rahmen dieser Zeit und regionale Unterschiede spielen hinsichtlich der hier beschriebenen Prozesse sicher eine wichtige Rolle, werden in der Debatte allerdings meist ausgeblendet. 1853 Vgl. Teil II, Titel 17 des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 1794, zit.n. Pankoke 1986; S.156. 1854 Vgl. Pankoke 1986; S.155 und Jütte 2000; S.11 und 15. 1855 Vgl. Bohlender 2001. 1856 Vgl. Königlich preußische „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung von Provinzialbehörden“ vom 30.4.1815, zit.n. Pankoke 1986; S.157. 1857 Pankoke 1986; S.158.

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hung“,1858 „Behandlung“, „Heilung“, „Förderung“, „Entwicklung“ etc. vor allem die städtischen Armen traf, die vom Land in die Städte gekommen waren, und im Wesentlichen auf Repression hinausliefen.1859 Hinzukam, dass die Segregation der industrialisierten Städte in Viertel der Arbeiterschaft bzw. Tagelöhner und Räume der Repräsentation der wachsenden ökonomischen und politischen Macht des aufstrebenden, wohlhabenden Bürgertums, das Kirche und Adel aus ihren Machtpositionen verdrängt hatte, Grenzen sichtbar werden ließ, die polizeilich aus Angst vor Übergriffen geschützt werden sollten.1860 Die Stadt der Moderne war anders als die Stadt der Vormoderne sowohl sozial wie ethnisch heterogen und diese Heterogenität, die Ausdifferenzierung spezifischer Milieus, wurde als Ursache von Sicherheitsgefährdungen und Ordnungsverstößen wahrgenommen.1861 Sie begründete die Notwendigkeit polizeilicher Integration, die laut Urbanitätsnarration der Moderne

1858 Vgl. das preußische „General-Landschul-Reglement“ von 1763 sowie Breuer 1986; S.55. 1859 Vgl. zur zeitgenössischen konservativen, „sozialrevolutionären“ und liberalen Kritik an dem so entstandenen Polizeistaat Pankoke 1986; S.160ff. Zur Beschreibung polizeilicher Tätigkeiten unter diesem Anspruch vgl. Eibach 2000b, Hüchtker 2000, Jessen 1995, Kienitz 1997, Reinke 1991, 1992, 1995 und 2000. In den USA wird diese Phase unter dem Stichwort „progressive Ära“ behandelt. So z.B. bei Siegel (1995; S.371ff.), der dieses „Experiment“ des frühen Wohlfahrtsstaates angesichts der „Inseln der Unzivilisiertheit“ im urbanen Raum der Gegenwart als „offensichtlich gescheitert“ ansieht. Die geordnete Integration der urbanen Unterschichten sei später dann als typisch bürgerliche Ausübung sozialer Kontrolle verdammt worden und alle darauf bezogenen Maßnahmen seien allmählich zurückgefahren worden. Als „neo-progressiv“ beschreibt Siegel die Wiederherstellung und Gentrifizierung der öffentlichen Parkanlagen, deren Benutzung dann allerdings unter privatrechtlicher Kuratel den unerwünschten „Verwahrlosten“ und „Vandalen“ verwehrt werden kann. Das emanzipatorische Integrationsversprechen der Moderne, dass unter anderem in der Olmstedt’schen Vision eines Parks für alle Schichten seinen Ausdruck findet, wird in dieser neo-konservativen Position in sein Gegenteil verkehrt, indem die Desintegration problematisierter Gruppen als „progressiv“ dargestellt wird. An die „Prudentia Civilis“ wird auch in der Gegenwart appelliert, wenn ein bürgerschaftliches Engagement bei der Reetablierung sozialer Kontrolle oder der karitativen Hilfe gefordert wird. Vgl. Kap. 3.3.2.2. 1860 Vgl. das „Modell Manchester“, Kap. 2.2. 1861 Die Chicagoer Schule der Sozialökologie versuchte zu zeigen, dass die entstehende Hegemonie einer Gruppe über ein Stadtviertel „Ordnung“ in das tendenzielle Chaos der modernen Großstadt bringen kann. Aus dem individuellen „Kampf“ um städtische Ressourcen entwickeln sich unter Umständen ein gemeinsamer Lebensstil und kollektive Institutionen praktischer Solidarität. Vgl. Kap. 3.1, 3.2.1 sowie Saunders 1991; S.95f.

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durch Separation gelingt:1862 „Die Städte des 19. Jahrhunderts waren Klassenstädte mit krassen sozialen Ungleichheiten und Gegensätzen. Sie waren durch starke sozialräumliche Segregation geprägt [...].“1863 In den dazu geschaffenen Institutionen1864 wurde diejenige Klientel, die aus verschiedenen Gründen als nicht in den Arbeitsprozess integrierbar erscheint, kaserniert und durch Unterwerfung unter ein strenges Zeitregime, unter diverse „Vollzugspläne“ sowie individuelles Einwirken auf die „Seele“ der Devianten, in den Prozess kapitalistischer Produktion und Reproduktion über den Verkauf von Arbeitskraft reintegriert. Wo diese Integration mittels Normalisation nicht möglich scheint, werden sie gegenüber der Gesellschaft abgeschirmt, die Bewegungsfreiheit der Armutsbevölkerung wird eingeschränkt und das Kontrollhandeln auf gesamte Stadtbezirke ausgedehnt – was gouvernementalitätstheoretisch gedeutet den allmählichen Übergang vom Kontrollmodus der Normalisation zur Normalisierung markiert.1865 „Nachdem bey nunmehr erfolgter Vereinigung des sogenannten neuen Arbeitshauses mit den übrigen Armenanstalten, die Einrichtung gemacht worden, dass diejenigen, welche ihren Lebensunterhalt von der Milde anderer Menschen suchen, in gehörige Classen vertheilt, der Mitleiden und Nachsicht verdienende Hülflose von dem muthwilligen Bettler und faulen unterschieden, beyde aber nach diesem sich von selbst ergebenden Unterscheid, auf Vorkehrung Unseres Armen-Directorii verpflegt werden sollen. [...] Diejenigen hingegen, welche sich dieser Wohlthat nicht bedienen wollen, sondern lieber das Betteln zu ihrem Gewerbe machen, sollen, wenn sie beym Betteln auf Strassen und in Häusern betroffen werden, ohne irgendeine Nachsicht oder Unterscheid, sie mögen abgedankte Soldaten, Soldatenweiber, oder deren Kinder, oder Bürger und deren Weiber und Kinder, Handwerksbursche, oder herumlaufendes

1862 Vgl. Kap. 3.2. Vorangetrieben wird diese Entwicklung durch steigende Bodenpreise, die eine weitere sozial- wie funktionsräumliche Trennung forcieren. Als weitere, die Moderne kennzeichnenden Entwicklungen werden die Rationalisierung der ökonomischen und sozialen Beziehungen, damit einhergehend auch Verdinglichung und Entfremdung, der Übergang von stratifikatorischer zu funktionaler Differenzierung (vgl. Breuer 1986 sowie Fuchs 1997a und b), damit auch (industrielle) Arbeitsteilung und die Verlängerung von Handlungsketten, sowie die Weiterentwicklung des Kapitalismus genannt. Andere angeführte Merkmale und Voraussetzungen der Moderne (die „Entdeckung“ des Individuums, der Bedeutungswandel der Religion, damit die Säkularisierung von Macht und Herrschaft, technische und wissenschaftliche Entwicklungen, der allmähliche Strukturwandel der ständischen Gesellschaft etc.) werden hier nicht en detail diskutiert. 1863 Häußermann 1996a; S.42. 1864 Vgl. Stekl 1986. 1865 Vgl. Ludwig-Mayerhofer 1997b; S.10f. und Jütte 2000; S.24.

434 | STADT UND KONTROLLE Gesindel seyn, aufgegriffen, in das Arbeitshaus gebracht, und daselbst, wenn sie zum erstenmal beym Betteln betroffen werden, auf drey Monate, wenn es das zweitemal ist, auf ein Jahr, und wenn es zum dritten- oder mehrernmale ist, auf längere, auch nach Beschaffenheit Lebenszeit, in der ihnen gebührenden niedrigern Classe, zur Arbeit angehalten, jedoch dabei nothdürftig verpflegt werden.“1866

Dementsprechend werden auch weitere Verhaltenskategorien, die eine Integration in diesen Arbeitsprozess verhindern oder erschweren oder die als Bedrohung bürgerlicher Ordnungsdefinition gelten, als interventionsrechtfertigende Abweichung definiert und unter besondere Kontrolle gestellt: so z.B. übermäßiger Alkoholgenuss, Absenz vom Arbeitsplatz, Nichterscheinen bei Ämtern etc. Im „socialen Wohlfahrtsstaat“ erscheint zudem, vor dem Hintergrund staatlicher oder karitativer Transferleistungen, Betteln als illegitim, da der Staat bzw. bürgerliche Korporationen für den Lebensunterhalt der Bedürftigen sorgen und der Versuch, über diese Unterstützung hinaus noch Mittel zu akquirieren, als Betrug an der Gesellschaft angesehen wird.1867 In diesen disziplinierenden Einschließungsmilieus soll zu Fleiß, Sauberkeit, Gehorsam, Demut, Gottesfurcht, Sittsamkeit und Pünktlichkeit erzogen werden. Nur wenn diese Eigenschaften nachgewiesen werden können, werden Unterstützungsleistungen gewährt. In diesem Zusammenhang wird von der Entwicklung „strafender Wohlfahrt“ gesprochen.1868 Die damit einhergehende Vereinheitlichung, Rationalisierung, Bürokratisierung und disziplinarische Integration der verarmten Bevölkerung steht in engem Zusammenhang mit dem bürgerlichen Selbstbewusstsein der Prudentia Civilis. Der Disziplinierungsgedanke durchdringt die gesamte Moderne und kulminiert im Fordismus, der als ökonomisches Produk tions- , Distributions- und Gesellschaftssystem Disziplin und Berechenbarkeit erfordert.1869 In der historischen Thematisierung wird das Modell des janusköpfigen Bürgers angeführt, bei dem auf der Seite des Citoyén entsprechend dem emanzipatorischen Gehalt urbanen Lebens demokratische Vorstellungen wie die von individuellen (Menschen-)Rechten und der Akzeptanz einer autonomen Sphäre der Freiheit, die auch die tendenzielle Entsozialisierung und Desorganisation, die ja Kennzeichen moderner Urbanität sind, beinhaltet1870 und so gegenseitige Toleranz und

1866 Aus einer königlich-preußischen Verordnung von 1774, zit.n. Sachße/Tennstedt 1980; S.146. In Berlin wurde zur gleichen Zeit das erste Armenhaus Preußens gegründet. 1867 Vgl. Ebbrecht 1998; S.2. 1868 In der englischsprachigen Diskussion „penal Welfare“. Vgl. Baumann 1998, Bischoff 1999, Simon 2001a sowie Wacquant 1997 und 2000a. 1869 Dieses Ordnungsbedürfnis und -empfinden spiegelt sich auch in der Architektur der Moderne wider. Vgl. Kap. 4.3 und 2.1. 1870 Vgl. Touraine 1996a; S.28.

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Achtung ermöglicht, im Vordergrund stehen. Die soziale Interaktion der Städter untereinander in der (Groß-)Stadt der Moderne wird durch die tendenzielle Anonymität, Aversion und Blasiertheit des Städters beschrieben1871 und fördert damit ein Interaktionsmuster, das Distanz erfordert, aber karitatives Engagement nicht ausschließt. Die Chance zu zivilem, politischem wie sozialem Engagement als Citoyén tritt damit neben das rein wirtschaftliche Engagement als Bourgeois, der durch seine wirtschaftliche Betätigung die Verhältnisse mitverursacht, die so gemildert werden sollen – wenn auch mit disziplinierendem Anspruch: „Betrachten wir nur die unnütze Last, welcher jeder von uns fühlt, der einigermaßen wohlhabend ist oder in einem Haus wohnt, von dessen Wohlstand der Bettler sich etwas verspricht. Was für einen An- und Überlauf von Leuten müssen wir erdulden! Welch eine Störung in unseren Geschäften und in unserer häuslichen Ruhe dadurch! Wie oft den Tag hindurch kommen Bettler an unsere Türe, und da muß man alles stehen und liegen lassen und aufmachen oder wenigstens nachsehen. Gibt man nicht jedem Bettler, wie mißhandeln uns die oft in unserem eigenen Hause, welche abgewiesen werden. Oder gibt man nicht manchem unverschämten Bettler nach seinem Willen, welche Grobheiten hat man nicht oft auszustehen. Ja, was noch ärger ist, so ist man oft nicht sicher in seinem eigenen Hause. Wie oft entsteht nicht die Klage, dass ein Bettler, welcher sich herbeigeschlichen, statt eine Gabe zu erwarten, genommen hatte und zum schändlichen Dieb geworden war. [...] Kommen wir auf die Gassen, so haben wir den nämlichen Überlauf; wir gehen kaum etwelche Schritte, so werden wir ganz besonders von Bettelweibern und Kindern ganze Gassen lang verfolgt. Und sogar in den Kirchen wird man dieser ungestümen Leute nicht los.“1872

Die bürgerliche Urbanität der Moderne erkennt einerseits die Aufklärungsprinzipien Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit vordergründig an, andererseits aber unterstützt und ermöglicht sie die Repression nicht nur von Gewalttaten und des als illegitim eingeschätzten Bettelns, sondern die Entfernung der Unterklasse aus dem Stadtbild selbst, wo die „Last“ und empfundene Bedrohung durch die „gefährlichen Klassen“ überhand nehmen.1873

1871 Vgl. Kap. 3.2. 1872 Aus dem Churpfalzbaierischen Intelligenzblatt vom 21.3.1788; S.41f., zit.n. Sachße/Tennstedt 1980; S.134f. 1873 Allerdings gab es seitens des Bürgertums auch Widerstand gegen die repressiven Maßnahmen der modernen Bettelpolizei: So wurden nicht selten inhaftierte Bettler befreit bzw. die Kontrolltätigkeit der „Gassen-Meister“ erschwert. Vgl. dazu die Berichte eines Polizeidirektors von 1743, 1747 und 1751 in Sachße/Tennstedt 1980; S.157f. Zum negativen Bild des Jugendlichen als Störer der Ordnung in der Moderne vgl. Simon 2001a, S.56f und 1997 sowie Breyvogel 1998 und Jähner 1998.

436 | STADT UND KONTROLLE „Die ganze Stadt [...] ist alarmiert und unwohl; die Bosheit hat sich so entwickelt, die Räuber und die Anmaßungen der Nacht sind dergestalt, dass die Bürger in ihren eigenen Wänden oder wenn sie die Straßen betreten, nicht mehr sicher sind. Sie werden beraubt, beleidigt und missbraucht, sogar an ihren eigenen Türen. [...] Die Bürger werden bedrückt durch Vergewaltigung und Gewalt. Die Hölle scheint Truppen menschlicher Teufel auf sie losgelassen zu haben. Und dieses Unheil geschieht unter Ihrer Regierung wie nie zuvor (zumindest nicht in diesem Ausmaß) und wird, wenn das Leiden weitergeht, nach Armeen, nicht dem Magistrat, rufen, um es zu unterdrücken.“1874

Die urbane Öffentlichkeit als Medium der Thematisierung unterschiedlicher Interessen wird auf diese Weise einseitig genutzt, um bürgerliche Ordnungsvorstellungen und Sicherheitsansprüche zu transportieren und Störungen derselben als bedrohlich für das städtische Zusammenleben darzustellen. Die damit nahe gelegte Repression der urbanen Unterschichtbevölkerung hat in der Vormoderne ihren Ursprung, in der Moderne verschiebt sich das Problem zur Herausforderung an den rationalisierten und rationalisierenden Wohlfahrtsstaat, bleibt aber in seiner Struktur prinzipiell erhalten. Auch die Moderne antwortet auf dieses Problem mit Aussperrung, Einschließung und Ausgrenzung, wenngleich sowohl die Mittel, wie auch die gesellschaftliche Ideologie angesichts liberaler, aufgeklärter Wertvorstellungen sich in der gesamten Spannbreite von inkludierender Exklusion bis zur exkludierenden Inklusion, von Repression zu Reform, bewegt. Der Kontrollaspekt ist also ein konstantes, wenn auch in seiner Form und seiner Thematisierung variables Kennzeichen der Urbanitätsvorstellungen der Vormoderne und der Moderne. Urbanität kann nur im Zusammenhang mit sozialer Kontrolle adäquat soziologisch thematisiert werden. Demgegenüber wandeln sich in der Postmoderne das Muster urbaner Vergesellschaftung und damit das Verhältnis von Urbanität und sozialer Kontrolle erneut.

1874 So der Schriftsteller Daniel Dafoe 1730 in einem an den Lord Mayor of London gerichteten Pamphlet, zit.n. Silver 1967; S.1, Übersetzung von G.L. An diesem Beispiel lässt sich auch zeigen, wie weit die Tradition moralischer Paniken der bürgerlichen Gesellschaft zurückreicht.

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5.3 U RBANITÄT UND SOZIALE K ONTROLLE IN DER P OSTMODERNE : S OZIAL ZONIERTE R AUMFRAGMENTE , S TADTBILDPRODUKTION K ONSUMENTENBÜRGERSCHAFT

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„In der Postmoderne suchen wir nach Möglichkeiten, [...] neue Räume – Texte einer ungezähmten, nicht in Einklang zu bringenden Urbanität – zu begreifen. Die postmoderne Sichtweise vermag es letztlich, den rissig gewordenen Kanon modernen Denkens hinter sich zu lassen und durch neue Ansätze

zum

Verständnis

sowie

zur

(Wieder)

erschaffung des Städtischen zu ersetzen.“ MICHAEL J. DEAR1875 „Die ökonomische Bereicherung ist das höchste Ziel jedes Individuums, und deshalb ist die höchste, ja einzige Funktion der Stadt, eine optimale Umgebung für das private Gewinnstreben [...] bereitzustellen [...].“ FRANK UNGER1876 „Die Ausübung von Bürgerschaft, die aus der urbanen Erfahrung stammt, wird graduell transformiert, um einem Konsumentenverhalten nachzueifern.“ SUSAN CHRISTOPHERSON1877 „Ich bin, was ich habe und was ich konsumiere.“ ERICH FROMM1878

Die Urbanität der Postmoderne wird im Wesentlichen aus zweierlei Perspektiven thematisiert: Die erste Perspektive bezieht sich auf beobachtbare Qualitäten der zeitgenössischen Städte wie abgrenzbare Räume oder die Gestaltung von Stadt durch Architektur und Design. Die andere Perspektive fokussiert auf die Städter

1875 Dear 1995; S.29. 1876 Zit.n. Zinganel 2003; S.127. Vgl. Fn.1393. 1877 Christopherson 1994; S.410f. Übersetzung von G.L. 1878 Fromm 1976; S.36.

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und ihre Wirklichkeitsdeutungen des zeitgenössischen urbanen Lebens.1879 Beide Perspektiven finden sich im hier angesprochenen Problemzusammenhang wieder, wenn die Urbanität der Postmoderne und das für sie in ihrer Thematisierung angenommene spezifische kontrollgesellschaftliche Regime sozialer Kontrolle entlang der Stichworte sozial zonierte Raumfragmente, Konsumentenbürgerschaft und Stadtbildproduktion beschrieben wird. In diesen drei Stichworten spiegeln sich zugleich die beiden unterschiedlichen Richtungen der Thematisierung, weil sowohl die Frage, ob es sich bei postmoderner Urbanität um ein materielles Ensemble, das Orte verändert, sie konkret bestimm- und unterscheidbar macht, ebenso berührt wie die Frage, ob es sich um einen gänzlich neuen interpretativen Referenzrahmen handelt, der Dinge thematisierbar macht, die mit dem Theoriearsenal der Moderne nicht zur Sprache gebracht werden können oder die geeignet sind, eine fundamentale Differenz zur Moderne zu begründen.1880 Alle drei Stichworte beziehen sich jeweils auch auf das Verhältnis von räumlicher Regulation und sozialer Exklusion, mithin also auf das Verhältnis von gegenwärtiger Urbanität und sozialer Kontrolle. Die Erkenntnismöglichkeiten der Thematisierung einer Urbanität der Postmoderne werden wie folgt beschrieben: „Postmoderne Ansätze sind am nützlichsten, wenn sie die Aufmerksamkeit auf die Interpretation der Probleme von Erfahrung und Bedeutung, Vorstellung und Diskurs lenken. Postmodernes Denken ist wesentlich schwächer, wenn es auf die Erklärung struktureller Variationen, regulärer Muster und tatsächlichen Bedingungen der Existenz abzielt. Postmoderne Ansätze scheitern bei dem Versuch, kohärente Rahmen zu schaffen, durch die man Fälle vergleichen und generalisieren kann. [...] Postmodernes Denken ermutigt uns, neue Fragen zu stellen und ganz neue Linien der Untersuchung zu eröffnen. Trotz gegenteiliger Behauptungen vermittelt postmodernes Denken nicht die intellektuellen Werkzeuge, die benötigt werden, um die Gründe für unterschiedliche Typen von Urbanität im Zeitverlauf oder Variationen räumlicher Charakteristika urbaner Landschaften zu erklären.“1881

Was zeichnet die postmoderne Urbanität also aus? Allgemein wird angenommen, dass die postmoderne Urbanität durch die mehr oder minder radikale und vollstän-

1879 Vgl. Cherot/Murray 2002; S.432. 1880 Vgl. Cherot/Murray 2002; S.433. 1881 Cherot/Murray 2002; S.437. Übersetzung von G.L. Touraine (1996a; S.24f.) beschreibt die Ersetzung vormoderner und moderner Dichotomien durch postmoderne andere. Vgl. zur Kritik an der Postmodernedebatte Krämer-Badoni 1987 sowie in empirischer Hinsicht Woodward/Emmison/Smith 2000. Bukow (2001) geht davon aus, dass die gesamte Postmodernedebatte im Wesentlichen auf die Analyse der zeitgenössischen Metropolen fokussiert ist.

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dige Abkehr von der rationalen, fordistischen Ordnung der modernen Stadtstruktur konstituiert wird und dass mit dieser Abkehr zugleich der Anspruch und der methodologische Zugriff moderner Stadttheorie zu verneinen ist. Dementsprechend greifen weder die klassischen Theorien moderner Urbanität, noch die etablierten Architektur- und Raumtheorien, noch die klassischen Theorien sozialer Kontrolle, um eine angemessene Beschreibung der postmodernen urbanen Realität zu liefern. Postmoderne Urbanität zeichnet sich also durch eine „andere“ Urbanität, „andere“ Räume und ein „anderes“ Kontrollparadigma aus.1882 Dieses Anderssein wird im Folgenden – soweit sich aus der Thematisierung konkrete Beschreibungen ableiten lassen – umrissen. Einer der Ausgangspunkte ist ein verändertes Raumparadigma, das sich von denen früherer Epochen, insbesondere dem der Moderne, absetzt. Während sich in diesen soziale Beziehungen und damit einhergehend Informationen über Macht und Status sowie deren gesellschaftliche Verteilung in der Stadtstruktur eindeutig wahrnehmbar abgebildet haben, sind sie in der Postmoderne eher „[...] verdeckt und in dramatischer Weise manipuliert: das Telefon und das Modem haben die Straße der Bedeutungslosigkeit anheimgegeben; soziale Hierarchien, die einst auch räumlich festgemacht werden konnten, haben diesen Bezug verloren, sind ‚ent-räumlicht‘ worden. Tatsächlich ist der Raum selbst aufgelöst worden.“1883 Stattdessen hat die

1882 In der stellenweise herbeigesehnten Wiederbesinnung auf die Moderne liegt die Hoffnung, dass als negativ bewertete Begleiterscheinungen der Modernisierung wie die Rationalisierung der sozialen Beziehungen sowie des Raums und der damit einhergehende Dissoziierungsprozess durch einen weiteren Modernisierungsschub abgemildert werden können. Die zeitgenössische, privatisierte Stadt erscheint vor einem solchen Hintergrund als „unvollendet“ modern. Die Moderne ist in dieser und in der Lesart Habermas’ (1981) ein „unvollendetes Projekt“ „[...] solange Urbanität als maßgebliches Ziel der Aufklärung nicht erreicht ist und die produktiven Energien in den Städten nicht auch zur Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse eingesetzt werden.“ Feldtkeller 1995; S.159. Vgl. auch Feldtkeller 1995; S.138ff. und S.158ff. Demnach müssten die „Grundideen“ moderner Urbanität wie Integration, Öffentlichkeit, Partizipation etc. auf die heutigen Bedingungen städtischen Zusammenlebens übertragen werden. Dem wird entgegengehalten, dass die Suche nach einer authentischen modernen Urbanität ideologisch insofern ist, als sie erstens nicht erkennt, dass es aus der simulierten Erlebniswelt der Postmoderne kein reales Entrinnen gibt und zweitens Stadt – wie gezeigt – weder in der Vormoderne, noch in der Moderne der Ort umfassender Integration war, sondern tendenziell immer eine exklusive, in der Moderne aber ideologisch verschleierte Seite in sich birgt. Vgl. Touraine 1996a; S.24 und Veith/Sambale 1998; S.2. Auch Siebel (1994; S.12ff.) stellt dar, dass die Reetablierung moderner Urbanität problematisch ist. 1883 Dear 1995; S.20f.

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Postmoderne ihr eigene, teilweise hybride Räumlichkeiten hervorgebracht, die allerdings einer anderen Rationalität folgen.1884 Damit ist ein anderes Steuerungsparadigma sozialer Kontrolle angesprochen.1885 Die Moderne strebte eine disziplinierende Ordnung an, die auf Kapitalakkumulation, Beschleunigung, Einheit, Integration, Planung und Kontrolle abzielte und die sich dazu des Wissens von Experten bediente.1886 Zentral waren die Regulierung der Massen und die Kontrolle der räumlichen Ausdehnung. Um den Schattenseiten der mit der Moderne einhergehenden Urbanisierung planerisch entgegenzutreten, wurden Experten durch spezialisierte Behörden (Bauaufsicht und -verwaltung, Sozial- und Jugendverwaltung) hinzugezogen, durch die auch sozialreformerische Programme zur Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität angestoßen wurden. So entwickelte sich eine normative, auf einer idealisierten utopischen Planungstheorie basierende Vorstellung von moderner, fordistischer Urbanität, vor deren Hintergrund Abweichungen individualisiert und entsprechend disziplinierend und normalisierend behandelt werden konnten. Dementsprechend ist das klassische Bild moderner Urbanität das einer rationalen, sozial weitgehend homogenen Metropole mit sich annähernden Wohnverhältnissen, die einem universellen Modell entspricht, die ein Zentrum aufweist, in dem das Partikulare enthistorisiert ist, die funktionsräumlich differenziert ist, aber sozialräumlich auf Integration setzt, die öffentlichen Raum umfasst und demokratische Partizipation im Sinne einer liberalen, rechtsstaatlichen Gesellschaft ermöglichen soll, die semantisch so vielschichtig, abstrakt ahistorisch und losgelöst von räumlichen Bezügen ist, dass man ihr weder systemische wie regionale Unterschiede auf den ersten Blick ansieht und die dazu tendiert, sich im Raum der Städte zu Monumenten der industriell-technischen, nivellierten Mittelstandsgesellschaft selbst zu verabsolutieren.1887 Die Urbanität der Postmoderne wird demgegenüber mit Begriffen wie „dezentral“, „informalisiert“, „privatisiert“, „diversifiziert“, „fragmentiert“, „zoniert“ etc. beschrieben. Postmoderne Urbanität ist gekennzeichnet durch „[...] dezentrale urbane Zersiedelung, Fragmentierung des Raumes, Gated Communities, das Ersticken des öffentlichen Raums [...].“1888

1884 Vgl. z.B. Bittner 2001 und Hannigan 1998. 1885 Vgl. z.B. Häußermann/Läpple/Siebel 2008; S.246ff. 1886 Vgl. Dear 1995; S.21. 1887 Vgl. Dear 1995; S.23. Häußermann/Läpple/Siebel (2008; S.225ff.) verdeutlichen diese Zusammenhänge am Beispiel der Stadterneuerung. 1888 Cherot/Murray 2002; S.433f. Übersetzung von G.L.

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Auch der Kontrollmodus hat sich von der disziplinierenden Normalisation hin zur kontrollgesellschaftlichen Normalisierung gewandelt.1889 Lebensstile pluralisieren sich,1890 (sozial-)staatliche Interventionen werden zugunsten marktförmiger Regulation minimiert.1891 Die Postmoderne schließt sich an die Hochphase der Nachkriegsmoderne an, in ihrem Verlauf werden „[...] soziale, politische und ökonomische Strukturen in Abgrenzung zu dem nun hinfällig gewordenen institutionellen Rahmenwerk [...]“1892 remodelliert. Der globale Kapitalismus hat die Metropolen so eng mit dem weltweiten Wirtschaftsgeschehen verbunden, dass sich Auswirkungen dort zunächst lokal, auf der Ebene der Städte, zeigen.1893 Das führt auch dazu, dass sich im informellen Sektor eine „Überlebensökonomie“ ausbildet, die strukturell in der Nachkriegsmoderne eher für die Großstädte der „Dritten Welt“ kennzeichnend war, nun aber in den postfordistischen Städten der „Ersten Welt“ greift: „Die postmoderne Metropole polarisiert sich in steigendem Maße entlang klassen- und einkommensspezifischer sowie ethnischer Demarkationslinien.“1894 Damit ist auch das fordistische Integrationsparadigma der Moderne infrage gestellt: „Die Stadt ist nicht länger das Symbol der triumphierenden Moderne, sondern der Zerrissenheit einer Gesellschaft, in der die Wirtschaft immer weniger gesellschaftlich ist. Die Stadt ist nicht länger die räumliche Ausprägung der Moderne. Sie zu erhalten ist jedoch das Ziel jener, die sich gegen den wachsenden Abstand zwischen einer globalisierten Wirtschaft und einer in Auflösung begriffenen städtischen Gesellschaft wenden.“1895

Zugleich wächst die Bedeutung des Konsums als dominante Einnahmequelle und Attraktivitätsangebot an Besucher im interregionalen Konkurrenzkampf,1896 wo industrielle Arbeitsplätze an andere Standorte verlagert werden. Entsprechend werden

1889 Vgl. zum Kontrollmodell der Postmoderne unter anderem Bähr 2001, Beste 2000c und 2001, Henry/Milovanovic 1994, Krasmann 2000, Ludwig-Mayerhofer 1997a, Morrison 1994, Nitschke 1995, Paulet 1999, Ronneberger 1998c und 2000b, South 1995 sowie Steinert 1998b. Vgl. auch Kap. 3.3.1. 1890 Vgl. Bauman 1995 und 1997b, Dangschat/Blasius 1994 sowie Featherstone 1994. 1891 Vgl. Breckner 1999. 1892 Dear 1995; S.29. 1893 Dieses Phänomen wird unter dem Stichwort „Glokalisierung“ behandelt. Vgl. Kap. 2.1 und Fn.196. 1894 Dear 1995; S.26. 1895 Touraine 1996b; Sp.4. 1896 Vgl. Glaeser/Kolko/Saiz 2000 und Kap. 2.1.

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die Innenstädte ausgerichtet.1897 Die im Postfordismus präferierte Politik der Privatisierung hat eine privatistische Einstellung der Bürger begünstigt, die die prekäre, für die Moderne typische Dialektik von Öffentlichkeit und Privatheit aus dem Gleichgewicht bringt, den öffentlichen Raum tendenziell entwertet und in der Folge umwidmet bzw. Zonen der Innenstädte privatisiert.1898 Das „Gemeinwohl“, das in der Moderne einer der Leitbegriffe polizeylichen und später polizeilichen Handelns war, steht nicht mehr im Vordergrund städtischer Planung. Es wird zusammengefasst, „[...] daß die postmoderne Stadt durch den Verlust traditioneller Formen der Regelung gekennzeichnet ist, ohne daß sich eine neue, das Ganze umspannende Rationalität als Ersatz abzeichnen würde. Gleichzeitig entstehen neue Formen ökonomischer, sozialer und politischer Beziehungen, die in dieses Vakuum hineindrängen und deren räumliche Verortung die neue Geographie der postmodernen Gesellschaft erschafft.“1899 Kurzum: „In dieser postmodernen Welt kann sich niemand mehr auf den fürsorglichen Schutz durch die Gemeinschaft (die Stadt) verlassen, vielmehr muss sich jeder einzelne seinen Platz in [...] Auseinandersetzungen erkämpfen.“1900 Diese neuen Formen von Beziehungen, die die postmoderne Urbanität kennzeichnen, betreffen soziale Kategorien, sofern sich postmoderne Städte sozialräumlich so weit auseinanderentwickeln, dass von „Substädten“ gesprochen werden kann, ökonomische Kategorien, sofern von einer dynamischen Gleichzeitigkeit von De- und Reindustrialisierung die Rede ist und schließlich politische Kategorien, wenn stadtpolitisch einflussreiche Eliten „[...] durch neue Koalitionen abgelöst (werden; G.L.), die sich territorial begreifen und sich entlang tribalistischer Konzepte von Hautfarbe, Ethnizität oder Geschlechtszugehörigkeit herausbilden.“1901 Dementsprechend schlägt sich die „Postmodernisierung“ der Städte in einer stark segregierten Stadtstruktur nieder, in der der Anteil der an einer Schattenökonomie oder in prekären Beschäftigungsverhältnissen Beteiligten steigt, während sich die Gruppen mit sicherem, relativ hohem Einkommen stärker abschotten.1902 Der formale Wohlfahrtsstaat, der die sozialen Verhältnisse der modernen Stadt regulierte, zieht sich zurück und wird nur in Teilen ersetzt durch private Freiwilligenund Non-Profit-Organisationen. Soziale Desintegration und eruptive Gewaltausbrüche („Ghetto-Riots“) sind die Extremfolgen einer sozialen Heterogenisierung und des Verlustes an sozialtechnologischer Planung, die die Städte der Moderne ge-

1897 Vgl. Ronneberger 2001b. 1898 Vgl. Kap. 3.4.1 und 3.4.2. 1899 Dear 1995; S.28. Vgl. auch Kirchberg 1998a und b. 1900 Häußermann/Läpple/Siebel 2008; S.240. 1901 Dear 1995; S.29. 1902 Vgl. Marcuse 1995, Sassen 2004 sowie Soja 1989 und 1995a.

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kennzeichnet haben.1903 Diese Entwicklung zeigt sich als Dispositiv auch in der Stadtgestaltung und auf der Ebene des Bewusstseins der Städter: „Eine prominente Manifestation dieses Unterschiedes (des Unterschiedes zwischen der fordistischen Stadt der Moderne und der heutigen Stadt; G.L.) ist der Festungscharakter städtischer Entwicklung und die intensive Verwaltung des städtischen Raumes. Weil soziale Desintegration und wachsende ökonomische Ungleichheit die Stadt gefährlicher gemacht haben, haben die Designs der Gefahrenabwehr, besonders diejenigen, die Eigentum sichern, die räumliche Beziehung zwischen öffentlich und privat verändert, eine Beziehung, die sich auf einem Verständnis gemeinsamen Eigentums und der Kontrolle über die Straße gründete.1904

Das Gestaltungsparadigma der postmodernen Städte folgt – anders als das der Vormoderne oder der Moderne – keiner sozialen Utopie, sondern den Maßgaben von „Spiel“ und „Bezugnahme“. Aufgrund der komplexen Struktur aus Medienund Informationsnetzen können sich postmoderne Städte in der Darstellung ihrer selbst in einem „parallelen Universum der Simulation“ thematisieren.1905 In der „Hyperrealität“1906 von an Themenparks erinnernden Konsumarealen werden an die Stadt der Moderne wie an die der Vormoderne erinnernde Baustile und Gestaltungselement imitiert, um den Eindruck von Authentizität zu simulieren und dem Klischee des Lebensgefühls der vormodernen und modernen Städter1907 zu entsprechen. Dabei entsteht eine Stadt ohne gelebte menschliche Erfahrung:1908 „Mit fossilem Bonbonpapier und anderen Illusionen macht sich CityWalk (so der Name eines Themenparks in Los Angeles; G.L.) höhnisch über uns lustig, während es jede Spur

1903 Vgl. Dear 1995; S.30. 1904 Christopherson 1994; S.410. Übersetzung von G.L. 1905 Via Internet ist es mit Hilfe von „Google Street View“ möglich, virtuell durch beliebige Städte bzw. Orte zu flanieren, ohne physisch dort zu sein. Vgl. auch Davis 1994b; S.23. In Berlin konnte man in der roten „Infobox“ am Potsdamer Platz bereits zu Beginn der Bauarbeiten Mitte der neunziger Jahre virtuell durch das „neue Berlin“ schlendern. Vgl. Rada 1997a; S.8ff. Heute ist das bei vielen Großprojekten selbstverständlich. 1906 Vgl. Dear 1995; S.19. Im „Hyperspace“ sind die Beziehungen zwischen Raum und Zeit anders als in Moderne und Vormoderne voneinander entkoppelt und enträumlicht. Die marginalisierten Gruppen jenseits der postmodernen Demarkationslinie können allerdings von diesem Effekt nicht profitieren. Das Zeit-Raum-Prism wird dann zum ZeitRaum-Prison. 1907 Vgl. Posener 1966. 1908 Vgl. auch Koolhaas 1997 und 1999.

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unserer wirklichen Freuden, Leiden oder Arbeit auslöscht.“1909 Insofern beinhaltet postmoderne Urbanität Elemente der Simulation. Die in der Thematisierung als typisch herausgestellte Signatur postmodernen Gestaltens, Denkens und Lebens, die im Allgemeinen mit Begriffen wie „Imitation“, „Pastichebildung“, „Ironie“, „Simulation“, „Imagination“, „Ästhetisierung“, „Inszenierung“, „Kulturalisierung“, „Pluralisierung“, „Entgrenzung“ und „Implosion“ in Verbindung gebracht wird,1910 bedingt also eine Form von Urbanität, die sich deutlich von der der Moderne unterscheidet. Postmoderne Urbanität hat demnach mit dem Ideal der demokratischen und „sozialen“ oder „solidarischen“ Stadt der wohlfahrtsstaatlichen Moderne1911 wenig gemein:1912 Die Bedeutung des öffentlichen Raums nimmt ab, oft ist er in die ästhetisierten High-Tech- und High-Security-Malls, die ihrerseits als Themenparks des Konsums einen neuen, hochkontrollierten Raumtypus darstellen,1913 gesogen worden,1914 die urbane Unterklasse und die „Randständigen“, die im aktuellen Gebrauch des Begriffs „Bürger“ kaum noch mit gemeint sind,1915 werden ausgegrenzt, weil sie im Ensemble der drei „E’s“ (Einkaufsmeile, Einkaufszentrum und Erlebnispark),1916 flankiert vom „3-S-Konzept“ der DB AG (Sicherheit, Sauberkeit, Service),1917 als Konsumenten nicht mehr profitabel erscheinen.1918 Die Betonung der Konsumfunktion der Innenstädte in den postmodernen Städten überlagert andere

1909 Vgl. Davis 1994b; S.25. Die Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnologie begünstigen zudem die Möglichkeiten der Dezentralisierung innerhalb der Städte. Vgl. Feldtkeller 1995; S.141ff. 1910 Vgl. die Beiträge in Welsch 1988 und Koslowski 1987. 1911 Vgl. Dangschat 1996b und Hanesch 1995. Häußermann (1996; S.41) interpretiert die europäische Stadt in ihrer Tradition als weitestgehend „soziale“ Stadt, die aber angesichts aktueller politökonomischer, sozialräumlicher und demografischer Entwicklungen in eine Krise geraten ist. Vgl. zur Geschichte der europäischen Stadt auch Böhme 2001 sowie Kaelble 2001, zu Gemeinschaftsformen in der modernen Stadt Bertels 1988. 1912 Vgl. Davis 1994b; S.10f., der für die Zukunft die Gefahr eines „Cyber-Faschismus“ sieht. Die entsprechende Gegenutopie eines Cyber-Marxismus entwirft Kreissl 1997b; S.546ff. 1913 Vgl. Ronneberger 1997; S.48 und Kap. 3.4.3. 1914 Vgl. Baecker 1990. 1915 Vgl. Krasmann/Marinis 1997; S.171. 1916 Vgl. Ebbrecht 1998; S.1. 1917 Vgl. Deutsche Bahn 2008. 1918 Die relative Armut der urbanen Unterklasse macht sie als Kunden des Innenstadthandels uninteressant. Vgl. Christopherson 1994; S.413ff.

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Funktionsbeschreibungen,1919 z.B. die der Moderne, nach der Innenstädte auch Orte der Kommunikation sind, und die der Vormoderne, nach der die zentralen Plätze vor allem der Repräsentation geistlicher oder weltlicher Macht dienen. Dadurch verlieren die Städte der Postmoderne auch tendenziell ihre spezifische Unverwechselbarkeit: Die Innenstädte ähneln sich untereinander immer mehr, die „[...] gleichmacherische ‚Kultur‘ der Filialisten und Franchiser [...]“1920 bedingt stets gleiche Warenangebote in ähnlichen Ensembles an verschiedenen Orten einer globalisierten Städtelandschaft.1921 Dabei sind „Büroparks, Konsumgalerien und Museen“ wichtiger als Kommunikationsorte oder gar soziale Einrichtungen für von Ausgrenzung Betroffene.1922 Das Gleiche wird für die Architektur konstatiert: Die Malls mit ihrem standardisierten Muster der panoptischen Raumerschließung, ebenso wie Flughäfen und Bahnhöfe, die Vorortsiedlungen der Gated Communities und die innerstädtischen Büro- und Dienstleistungszentren weisen hinsichtlich ihrer Gestaltung und räumlichen Erschließungsform sichtbare strukturelle Parallelen auf: „Der Homogenität der Lösungen zu dem Problem des ‚Raummanagements‘ gibt einen Eindruck von der Aufhebung der Besonderheiten des Ortes und der Zeit. Wie auch immer, als Antworten auf den zeitgenössischen Kapitalismus sind diese Lösungen tief in ihr Zeitalter eingebettet; sie sind lebendige zeitgenössische Demonstrationen der ‚räumlichen Konsequenzen kombinierter sozialer und wirtschaftlicher Macht‘.“1923

Diese Macht, die sich in der sozialräumlichen und ästhetischen Gestaltung der Innenstädte materialisiert und widerspiegelt, basiert auf der Rolle der konsumfähigen Mittelschichten im globalen bzw. interregionalen Wettbewerb der Städte, die um Investoren, Arbeitsplätze und Einwohner konkurrieren.1924 Es sind gerade diese relativ gut verdienenden, qualifizierten und etablierten Mittelschichten, die durch die Ausrichtung der Innenstädte zu Erlebniswelten des Konsums angesprochen und gebunden werden sollen.1925 Auf diese Weise reflektieren die postmodernen Städte normativ einen bestimmten Lebensstil und damit eine spezifische Vorstellung von

1919 Vgl. Greiner 2001. 1920 Rada 1997a; S.109. Vgl. Kap. 3.4.1. Bittner (2001; S.24) spricht in diesem Zusammenhang unter Verweis auf Schulze (1992; S.98ff.) von einer „Nivellierung der Alltagsästhetik“ und einer „Destandardisierung symbolischer Distinktionspraktiken“. 1921 Vgl. Prigge 1999. 1922 Vgl. Noller 1994, 1999 und 2000 sowie Norquist 2000. 1923 Christopherson 1994; S.410. Das eingeschlossene Zitat stammt von Sharon Zukin. Übersetzung von G.L. 1924 Vgl. z.B. o.V. 1999b. 1925 Vgl. Ronneberger 2000a.

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Urbanität, in der für andere konkurrierende Milieus und deren Ideale städtischer Kultur zumindest vordergründig und im Bereich der Innenstädte kaum Platz bleibt.1926 Zugleich reflektieren sie aber durch ihren impliziten Ausgrenzungscharakter auch die sozioökonomischen Konflikte der postfordistischen und postmodernen Epoche zwischen „Modernisierungsverlierern“1927 und „-gewinnern“. Die ökonomische und soziale Macht der konsumfähigen Konsumentenschichten zeigt sich auch an dem Kontrollparadigma, das Störungen der Erlebnisqualität in den Innenstädten oder dem Konsum bzw. seiner Anbahnung abträgliche Verhaltensweisen präventiv verhindern soll und damit in den Innenstädten mögliches Handeln normalisiert, indem es Nicht-Gewünschtes ausschließt und Gewünschtes befördert. „Die postmoderne Architektur zeichnet sich eher aus durch ihre Komplizenschaft bei der Abwertung des öffentlichen Raumes, durch ihre Angst vor der Straße und den ihr zugeschriebenen Gefahren. Sie spielt außerdem eine zentrale Rolle bei der ‚Maquillage‘ von Städten: Spektakelmontage einerseits, Verbreitung eines Sicherheitswahns und einer Festungsmentalität andererseits verbünden sich und bilden ein Leitmotiv gegenwärtiger Architekturtendenzen.“1928

Diese soziale, Normen generierende Macht der konsumfähigen Schichten ist dabei nicht auf die Veränderung, die normalisierende Disziplinierung der von ihren Normen Abweichenden gerichtet, sie soll präventiv Störungen vermeiden, indem urbane Risiken verwaltet werden.1929 Sicherheit und Sauberkeit rücken als Voraussetzungen eines ungetrübten urbanen Konsumerlebnisses in den Mittelpunkt des Kontrollhandelns in den Innenstädten. Zwar waren weder die Städte der Vormoderne noch die der Moderne durch die Abwesenheit von Standes- oder Klassengegensätzen gekennzeichnet, auch in ihnen zeigte sich der sozioökonomische Status der Wohnbevölkerung anhand von Segregation und Ausschluss: „Es wäre unaufrichtig beispielsweise zu suggerieren, dass die [...] Städte jemals auf solche Weise funktioniert hätten, die Interaktion und Gegenseitigkeit zwischen Menschen verschiedener Rassen und Klassen begünstigt hätte. Von der frühesten Geschichte der Besiedlung

1926 Vgl. Christopherson 1994; S.410. Vgl. auch Krieger 2000. 1927 Vgl. Hines 1999. 1928 Krasmann/Marinis 1997; S.181. Durth (1975) spricht in diesem Zusammenhang von Stadt als „Theaterwerkstatt“, in der Urbanität inszeniert wird, wo sie nicht (mehr) gelebt werden kann. Vgl. auch Durth 1987 und 1988. 1929 Vgl. Vaz/Bruno 2003.

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amerikanischer Städte an hat der private Raum Vorrang gegenüber dem öffentlichen, und Separation über Interaktion gehabt.“1930

Während sich die Moderne aber noch durch den wohlfahrtsstaatlichen Anspruch auszeichnete, diese sozialen Unterschiede durch Transferleistungen und personenbezogene Intervention sowie strukturelle Einrichtungen zumindest tendenziell anzugleichen, scheint sich in der Postmoderne das ökonomische Fundament des Wohlfahrtsstaates von der Gesellschaft abgekoppelt zu haben. So werden, unter der Begründung fehlender Mittel oder erschlichener Nutzung, Sozialleistungen entweder abgebaut, oder – wie am Beispiel der Sozialarbeit gezeigt – mit repressiven Kontrollmaßnahmen kombiniert.1931 Es wird die Gefahr gesehen, dass die sich denivellierende Mittelschicht in auf- und absteigende Subgruppen auseinanderdriftet, sodass durch die damit verbundene Segregation in den Bereichen Wohnen, Arbeiten und Freizeit und die „Verflüssigung“ und „Entmischung“1932 des innenstadtnahen Raums in den Städten ein zeitgenössisches, postmodernes „Mosaik sozialer Welten“1933 entsteht, in dem auf engstem Raum die zitadellenartigen repräsentativen (Herrschafts-)Symbole der konsumfähigen Schichten und die desintegrierten Ghettos der von Ausgrenzung bedrohten zugleich sozial voneinander getrennt, andererseits aber räumlich in einem Areal vereint sein können. Die Metropolen der Postmoderne sind „polarisiert, polyzentrisch und polyglott“,1934 hinsichtlich ihrer Gestaltung ist von einer „Befestigungsästhetik“1935 oder einem „Design der Vermeidung“1936 die Rede. Die fragmentierten Räume der sozialen Inseln, die auf diese Weise entstehen, sind bezüglich ihrer Wohnbevölkerung bzw. bezüglich derer, die sich in ihnen aufhalten, nach sozialer Zugehörigkeit sozial zoniert. Dem entspricht erstens die soziale Regulation, die neue Formen der Ausgrenzung nach sich ziehen kann: „Befestigte Enklaven produzieren soziale Segregation und verstärken soziale Ungleichheit.“1937 Dem entspricht aber zweitens auch die Gestaltung der postmodernen Städte: „Mauern, Zäune und Absperrungen drücken Stil, Geschmack und

1930 Christopherson 1994; S.410. Parson (1993; S.268f.) zeigt anhand des Ausschlusses aufwieglerischer Arbeiter aus dem Central Park in New York, dass die Olmstedt’sche Vision eigentlich immer eine geblieben ist. Vgl. Kap. 3.2.2. Vgl. zum ausgrenzenden Charakter der Moderne auch Bauman 2003 und 2005 sowie Semler 1994. 1931 Vgl. zum „doppelten Mandat“ Kap. 3.3.2.2, Fn.790 und Kap. 4.1, Fn.1193. 1932 Vgl. Kap. 2.2. 1933 Vgl. Christopherson 1994; S.409, Hesse 2001 und Kap. 3.2. 1934 Vgl. Dear 1995; S.30. 1935 Vgl. Cherot/Murray 2002; S.433 unter Verweis auf Teresa Caldeira. 1936 Vgl. Christopherson 1994; S.420. Übersetzung von G.L. 1937 Cherot/Murray 2002; S.435.

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Unterscheidung aus, aber ihre ästhetische Intention kann über ihre Hauptaussage – Angst, Verdacht, Segregation – nicht hinwegtäuschen.“1938 Auch hinsichtlich der Gestaltung der postmodernen Stadt lässt sich eine Abkehr von der Moderne feststellen. Mit dem „Bauwirtschaftsfunktionalismus“ wird zugleich der gesellschaftsgestaltende Anspruch moderner Planung und Gestaltung aufgegeben. Die Einheit von „Form und Funktion“ und der gesellschaftsanimierende und ordnungsstiftende Anspruch werden zugunsten einer ornamentalen, Pluralismus betonenden Symbolsprache, die Stile aufnimmt, nachahmt oder parodiert, aufgegeben: „‚Stileklektizismus‘ und ‚Doppelkodierung‘ sind die prägenden Kennzeichen postmoderner Architektur.“1939 Damit werden allerdings – so Kritiker wie Jürgen Habermas – soziale Fragen, die in der Moderne auch mittels Architektur zu lösen versucht wurden, zugunsten von Stilfragen verdrängt. Die gesellschaftliche Dimension des Bauens wird vordergründig negiert, deren de facto sozialen Folgen im Diskurs ausgeblendet.1940 Eine Kritik der postmodernen Urbanität muss als „[...] Ideologiekritik von Urbanität [...] nicht nur Architektur-Formen kritisieren, sondern gegenwärtige Formen von Architektur-Arbeit problematisieren im Hinblick auf die ideologische Verschiebung der diese Arbeit regulierende Idee des Städtischen, welche als praktischer Diskurs auch das alltägliche, Architekturen nutzende Verhalten der Bewohner zu ‚ihrer‘ Stadt neu definiert.“1941 Diese Verhaltensdetermination durch Gestaltung, die einerseits bestimmtes Verhalten fördert und anderes unterbindet,1942 wird in der Thematisierung der postmodernen Urbanität besonders in einer Richtung gedeutet. Demnach ist die postmoderne Stadt vor allem durch Konsumenten geprägt:1943 „Urbanität wurde eingeengt und als Konsumerfahrung redefiniert.“1944 Diese Konsumerfahrung wird zur dominanten Urbanitätserfahrung und definiert so, was Normalität in den Innen-

1938 Caldeira 2000; S.296. Übersetzung von G.L. 1939 Becker 1991; S.264. 1940 Vgl. Becker 1991; S.264. Vgl. auch Knox 1987. 1941 Prigge 1987; S.178. 1942 Vgl. auch Kap. 4.3. 1943 Castells (1977; S.277ff.) beschreibt Stadt als Ort kollektiver Konsumtion und meint damit eine Konsumtion, die weder durch Markt oder Gesellschaft, sondern durch den Staat organisiert wird. Der damit einhergehende Staatsinterventionismus (also die moderne Stadtplanung im weitesten Sinne) führt nach Castells zu einer Politisierung des Alltagslebens, von der alle urbanen Bevölkerungsgruppen unterschiedlich betroffen sind. Je nach „Artikulation der Widersprüche“ und der „Praxisform“ können Integration und Partizipation der einen oder Desintegration und die Verwehrung von Partizipationschancen der anderen Gruppe die Folgen sein. Vgl. auch Saunders 1987; S.170ff. 1944 Christopherson 1994; S.413. Übersetzung von G.L.

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städten ausmacht. Vielfalt und Heterogenität, die zentrale Merkmale moderner Urbanität waren, werden in der postmodernen Stadt vor allem als Geschmacksdifferenzen, als symbolische Distinktion und als ästhetische Erfahrungen inszeniert,1945 die ein segmentierter Markt in den Städten bedient – sei es durch Waren- und Dienstleistungsangebote oder Angebote auf dem Immobilienmarkt. Das Verhältnis von kultureller Vielfalt und deren geduldete Repräsentation im verbliebenen oder simulierten öffentlichen Raum der Innenstädte ist widersprüchlich: Einerseits wird idealistisch die kulturelle Vielfalt – entsprechend dem kosmopolitischen Selbstbild der etablierten Mittelschichten – begrüßt, andererseits wird in materialistischer Hinsicht auf ein Übermaß an kultureller Autonomie einer Minderheit mit Skepsis und Misstrauen, ja sogar mit Angst vor dem Verlust der eigenen kulturellen Identität und Hegemonie reagiert. Dieser Konflikt umfasst die genuine und gelebte Kultur der Anderen und die inszenierte, oberflächlich kulturelle Vielfalt, die als verkaufsfördernde Kulisse dargeboten wird.1946 Die Abgrenzung sozialer Milieus drückt sich im unterschiedlichen Besitz und Gebrauch von Konsumgütern aus, Konsum und soziale Identität werden miteinander verknüpft.1947 In der Moderne mit zunehmendem Wohlstand standardisierte Verbrauchsmuster haben wesentlich zur Auflösung traditionaler Zuordnungen beigetragen und in Form des Massenkonsums integrativ gewirkt: „Der universale Konsum der industriellen und publizistischen Massenproduktionen sorgt auf allen Lebensgebieten dafür, dass fast jedermann seinen Fähigkeiten angemessen das Gefühl entwickeln kann, nicht mehr ‚ganz unten‘ zu sein, sondern an der Fülle und dem Luxus des Daseins schon teilhaben zu können; vor allem aber ist diese Teilhabe zum selbstverständlichen Sozialanspruch aller geworden.“1948 Konsum, der als Massenkonsum in der fordistischen Moderne die Struktur der Innenstädte wesentlich bestimmte, wird gesellschaftlich neu organisiert, ausdifferenziert und prägt als „differentieller“ Konsum erneut die postmodernen, postfordistischen Innenstädte.1949 Auf diesen (Teil-)Märkten setzen sich die Interessen derjenigen Teilnehmer durch, die über die meisten Ressourcen zur Generierung von

1945 Vgl. Flohé 2000, Ronneberger 2001a sowie Bourdieu 1985, 1991 und 1998. 1946 Dieses widersprüchliche Verhältnis zeigt sich auch auf einer anderen Ebene: Die postfordistische Angestellten- und Unternehmerelite stützt sich ökonomisch im Zuge der Globalisierung auf die Internationalisierung sozialer wie wirtschaftlicher Beziehungen, will andererseits aber „Fremde“ und damit nicht selten die Verlierer des weltweiten Wettbewerbs nicht als Nachbarn, schon gar nicht als Bettler in den Innenstädten dulden. Vgl. Touraine 1996a; S.26. 1947 Vgl. Ronneberger 2001a; S.35. 1948 Schelsky 1965; S.339f. Vgl. Haupt auch 1999; S.303f. 1949 Zur Geschichte des Konsumenten, seiner Entdeckung und seinem „Aufstieg“ vgl. Haupt 1999 und Hine 2002.

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Nachfrage verfügen. Der Geschmack der „Konsumbevölkerung“,1950 der sich als kaufkräftige Nachfrage zeigt, setzt sich durch, verdrängt andere, nicht-konsumtive Artikulationsformen und verabsolutiert sich. Konsum dient zur ostentativen Darstellung einer sozialen Position, der Anteil des Konsums, der der reinen Bedarfsdeckung dient, nimmt in diesem Milieu ab,1951 während „Konsumismus“ als Haltung, als „Weltverhältnis“ zu einem Lebensstil avanciert.1952 Dementsprechend richten sich die Innenstädte funktional auf Konsum und die Geschmackskultur der konsumfähigen Nutzergruppe ein:1953 „Die Souveränität des Konsumenten ist unausweichlich. [...] Der Schlüssel liegt darin, Konsumenten mit viel Kapital anzuziehen. Dies bedeutet, dass starke Grunddienstleistungen wie sichere Straßen [...] angeboten werden müssen.“1954 Konsum wir zu einen „Erlebnisvorgang“, der mit einer Funktionalisierung der Raumgestaltung zur Ermöglichung, Unterstützung und Inszenierung dieses Erlebnisses einhergeht.1955 In den für den Konsum geschaffenen Räumen1956 greift ein Kontrollmodell, das den Nicht-Konsum in die Nähe abweichenden Verhaltens rückt. Nicht-komsumtive, nicht über Geld vermittelte urbane Artikulationsformen wie das Flanieren oder das zweckfreie Verweilen im öffentlichen Raum erscheinen vor diesem Hintergrund zumindest als nicht-funktional – und wo es Konsum behindert sogar als schädlich.1957 Das hat auch Folgen für Öffentlichkeit in den Innenstädten: „Öffentlichkeit ist allein als mediales Moment realisiert worden, eine politische Öffentlichkeit der Straße, dieses pathetische Versprechen der bürgerlichen Revolution, versperren Segregation, Einsperrung und Ausbeutung. Erst als reine Konsum-Erfahrung wird sie wieder reaktualisiert, als Warenöffent-

1950 Vgl. Eick 1997b; S.3. 1951 Vgl. Haupt 1999; S.307. 1952 Vgl. Misik 2006a; S.46. 1953 Glaeser/Kolko/Saiz (2000; S.2f.) nennen neben dem Konsum noch die Ästhetik einer Stadt, die Qualität öffentlicher Güter und die Geschwindigkeit des Transportes zwischen zwei Orten als „kritische urbane Annehmlichkeit“, die Standortentscheidungen beeinflusst. 1954 Glaeser/Kolko/Saiz 2000; S.4. Übersetzung von G.L. 1955 Vgl. Ronneberger 2001a; S.31 und Ermlich 2002. 1956 Hine (2002; S.65) beschreibt die „Buyosphere“ als Set virtueller Räume und als Bewusstseinszustand. In diesen Räumen verbringen Städter einen großen Teil ihrer Zeit. In der dazugehörigen Haltung zeigt sich die wachsende Abhängigkeit der westlichen Kultur von Einkaufszonen, Warenhäusern, Werbung und Fernsehen, die das innere Streben der Käufer abbilden. 1957 Vgl. z.B. Steinhof 1997.

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lichkeit.“1958 Auch der Architekt Rem Koolhaas konstatiert: „Shopping dürfte wohl die letzte noch übrig gebliebene Form öffentlicher Aktivität sein.“1959 Mit Unsicherheit oder Unsauberkeit assoziierte Phänomene werden verdrängt, untersagt, räumlich ausgeschlossen, um dem gewünschten Konsum Raum zu verschaffen. Das betrifft besonders diejenigen, die das inszenierte Bild der Innenstädte durch ihr elendes Erscheinen stören bzw. durch ihr Stigma der „Gefährlichkeit“ bedrohen. Der öffentliche Anblick von Armut ist „[...] schlecht fürs Geschäft.“1960 Die Fähigkeit, an der innerstädtischen Welt des Konsums teilhaben zu können, wird zum zentralen Zuweisungskriterium für die postmoderne (Stadt-)Bürgerschaft. Es wird befürchtet, dass diejenigen, die nicht an dieser Form des Konsums teilhaben können, auch tendenziell Einschränkungen ihres Status’ als Bürger hinnehmen müssen.1961 Dieser beruhte in der Moderne auf allgemeinen Partizipationschancen, während nun davon ausgegangen wird, dass der postmoderne Bürgerstatus an die Fähigkeit, in den Innenstädten Geld auszugeben, gebunden ist. Wer dies nicht kann oder will und darüber hinaus gegen gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen verstößt, läuft Gefahr, aus den Innenstädten verwiesen zu werden. Der Bürgerstatus wird dabei entpolitisiert: „Für den Konsumentenbürger ist Politik die Praxis der Auswahl aus einer gegebenen Reihe von Gütern, nicht der Anspruch und die Übereinkunft, ein Gut zu kreieren.“1962 Statt als Bürger wird der Städter in erster Linie als Kunde wahrgenommen.1963 Gewünschte urbane Qualitäten erscheinen vor diesem Hintergrund weniger als Ergebnisse der Interaktion aller Städter, weniger als öffentliche Güter, sondern als private und zweckgebundene Güter, die von den Stadtregierungen und den Innenstadthändlern bereitgestellt werden. Zugang zu diesen (Privat-)Gütern wird nicht durch bürgerschaftliche Teilhabe sondern durch Konsumentenrechte erworben.1964 So wird konstatiert, dass das evozierte Konsumdenken dazu führt, das z.B. Sicherheit und Sauberkeit nicht mehr als öffentliche Güter wahrgenommen werden, sondern als Dienstleistungen, die einer bestimmten Klientel zustehen und auch nur von dieser konsumiert werden. Sicherheit und Sauberkeit werden zu privatisierbaren Gütern, deren Konsummöglichkeiten ungleich

1958 Diefenbach 1997; S.50. Vgl. auch Russo 2006a. 1959 Zit.n. Misik 2006a; S.46. 1960 Eick 1997b; S.3. 1961 Die Fokussierung auch des Staates (hier repräsentiert durch Stadtverwaltungen) auf Konsum spiegelt sich auch in der Rede des „Bürgern als Kunden“. Die politische Bedeutung des Konsums lässt sich an anhand der Diskussion um „moralischen Konsum“ zeigen. Vgl. die Beiträge in Heidbrink/Hirsch 2008. 1962 Christopherson 1994; S.415. Übersetzung von G.L. 1963 Vgl. Russo 2006e. 1964 Vgl. Christopherson 1994; S.415.

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verteilt sind, wie zu Bedingungen des ungestörten Konsums in den Innenstädten. Mit dem Verlust des Bewusstseins öffentlicher Güter geht auch das Bewusstsein der Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft der Städter verloren. Mit der Verdrängung von „Problembürgern“ aus dem öffentlichen Raum als einer Maßnahme der kontrollgesellschaftlichen Normalisierung von Realität im Sinne eines Risikomanagements geht aber auch deren Verdrängung aus der Öffentlichkeit des räsonnierenden Publikums einher: „Ebenfalls nachgeahmt wird die Welt der Konsumenten und ihre wachsende Betonung der Segmentierung des Marktes von der Fragmentarisierung politischer Interessen in immer enger definierten ‚Gemeinschaften‘. Genau wie Marktsegmentierung Massenproduktion erschwert, unterminiert das Aufkommen von Gemeinschaften von Identitäten die Möglichkeit, eine zusammenhängende ‚soziale Rationalität‘ zu konstruieren. Obwohl man die verschiedenen Stimmen in der Stadt erkennen und eigentlich begrüßen kann, gab es bislang wenige Versuche, eine gemeinsame Stimme aus den multiplen Gemeinschaften zu konstruieren. Im Fehlen des Willens, breitere gemeinsame Absichten zu definieren und zu artikulieren, hat sich ein politisches Vakuum entwickelt, das mit roher ökonomischer Macht gefüllt wurde.“1965

Öffentlichkeit braucht Repräsentationsorte, die – historisch betrachtet – je nach Trägergruppen variieren können.1966 Der Repräsentationsort des Konsumentenbürgers ist die Innenstadt. Das Ergebnis – so wird befürchtet – ist eine fragmentierte Politik, die mit ihrer Konzentration auf die Ermöglichung ungestörten und vielseitigen Konsums die Möglichkeiten der Nutzung der urbanen Öffentlichkeit und auch des öffentlichen Raums einengt und damit dem in der Moderne entwickelten Anspruch an Urbanität entgegensteht. Die Entwicklung einer postmodernen Konsumentenbürgerschaft1967 geht einher mit einem erneuten Strukturwandel der Öffent-

1965 Christopherson 1994; S.411. Übersetzung von G.L. 1966 Vgl. Habermas 1990; S.62. 1967 Einen frühen Hinweis auf die Entwicklung einer Konsumentenbürgerschaft gibt Moore (1965; S.64), wenn er feststellt, dass die ausschließlich kommerzielle Nutzung der Innenstädte Urbanität erst ermöglicht und durchsetzt. Saunders (1991) versteht Konsumentenbürgerschaft in einem anderen Zusammenhang: Für ihn ergibt sie sich aus dem Wechsel von sozialisiertem zum privatem Konsum unter den Bedingungen postfordistischer Ökonomie. Im Sinne einer gewissen Konsumentensouveränität ermöglicht privater Konsum, der staatliche Interventionen allmählich ablöst und überflüssig macht, sowohl Wahlmöglichkeiten, sowie die tendenzielle Einebnung größerer sozialer Ungleichheiten. Auf der anderen Seite exkludiert ein ungezügelter Markt auch sozial weniger gesicherte Schichten und wirkt dann dysfunktional im Sinne einer gesamtgesell-

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lichkeit, diesmal mit einem, der einen in seiner Größe relevanten Teil der Städter aus der politökonomischen Öffentlichkeit verdrängt, sie in segregierten Vierteln marginalisiert und somit sowohl als politisch ohne Einfluss und ökonomisch funktionslos, wie als sozial deklassiert und räumlich separiert ausgrenzt: „Es gibt keine Stadtbürgerschaft mehr, in deren Öffentlichkeit das allgemeine Wohl als Kompromiss zwischen den konfligierenden Interessen einer Bürgerschaft und den divergierenden Anforderungen der verschiedenen Funktionen formuliert werden könnte.“1968 Konfligierende Interessen der städtischen Bevölkerung werden seltener über politische Teilhabe im Medium der Öffentlichkeit ausgeglichen. Die Betonung des Konsums führt dazu, dass sich Städte vor allem verschiedenen Kundengruppen gegenübersehen, die voneinander relativ isoliert spezifische Interessen erfüllt sehen möchten. Lokal nicht mehr fixierbare Interessenkoalitionen verweisen auf fundamental unterschiedliche Wirklichkeitsinterpretationen und können mittels ebenso unterschiedlicher Ressourcen die städtische Politik beeinflussen.1969 Die Homogenisierung der Innenstädte hinsichtlich der Benutzergruppen, des (Waren-)Angebots und des Designs gibt sich oberflächlich den Anschein großer Vielfalt, Pluralität und Multikulturalität, praktiziert aber auf der anderen Seite die Ausgrenzung der Nicht-Konsumenten.1970 Die Privatisierung des Raums und die Privatisierung sozialer Kontrolle, auf denen diese Ausgrenzung zu großen Teilen beruht, entsprechen dem Modell privaten Konsums, das die New Urban Publicity als einen Teil postmoderner Urbanität kennzeichnet. Auch die Redefinition öffentlicher Güter in der Diktion des Konsums (alle möglichen Aktivitäten als „Arbeit“, alle Güter als „Produkte“, Verwaltung und Kontrolle als „Dienstleitung“) drückt die Dominanz privatistischen Konsumbewusstseins aus. Disziplin und Kontrolle werden durch lebenslange Modulation über rationalisierenden Konsum gewährleistet. Öffentliche Güter – und als solche galten in der Moderne Sicherheit und Sauberkeit

schaftlichen Integration. Markt wird dabei weder als pathologisch, noch als gut oder schlecht verstanden: Er ist amoralisch, erlaubt aber soziale Kohäsion sowie moralische Wahlmöglichkeiten. Saunders setzt gegen die ausgrenzenden Tendenzen des freien Marktes ein Modell des Kommunitarismus, in dem dysfunktionale Folgeprobleme städtischer Vergesellschaftung über den Markt solidarisch durch ein nicht-staatliches System sozialer Wohlfahrt abgefedert werden. In einer solchen „Bottom-Up-Politik“ sieht auch Touraine (1996a; S.30ff.) die Chance einer zukünftigen Entwicklung der sozialen und solidarischen Stadt. 1968 Siebel 1994; S.13. 1969 Vgl. auch Albrechts/Denayer 2001. 1970 Touraine (1996a; S.26) interpretiert die Ausgrenzung von Ausländern und Armen als Ergebnis dieser Homogenisierung.

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noch – werden als käufliche Waren verstanden, die prinzipiell durch geeignete Maßnahmen sozialtechnologisch beliebig herstellbar sind, oder die vom uneingeschränkten Markt je nach Nachfrage konsumentenspezifisch gewährleistet werden. Auf der baulich-materiellen Ebene von Stadt entspricht der postmodernen Konsumentenbürgerschaft die Ausrichtung der Innenstädte zu Themenparks des Konsums, in denen ehemals öffentliche Räume nun ausschließlich dem Konsum gewidmet werden: „Während die Straßenfronten weiterhin als Nebenaspekt bestehen bleiben, tendiert das dominante Design zur Konstruktion größerer, hochkontrollierter kommerzieller und konsumtiver Umwelten. Diese Zwischenstufen urbaner Umwelten werden gestaltet, um zu insulieren, zu isolieren, und im Raum die sogenannten ‚Normalbenutzer‘ zu puffern und zu schützen. Der hochkontrollierte Charakter dieser Räume wird reflektiert in Regulationen, die Verweildauer, erlaubte Aktivitäten und die Gestaltung der Umgebung beherrschen.“1971

Im Wohnsektor leistet die privatistische Wiederbelebung der Gemeinschaft der Ausgrenzung unerwünschter Gruppen oder städtischer Phänomene Vorschub. So lässt sich am Beispiel der Gated Communities zeigen, dass der Rückzug in die Gemeinschaft die „Tyrannei der Intimität“ erst ermöglicht und entsprechend Unerwünschte ausschließt.1972 Dieser Ausschluss hebelt das moderne, normative Ideal von Partizipation und gesamtgesellschaftlicher Integration in Stadt aus. Die für die Urbanität der Moderne kennzeichnende Heterogenität und die Akzeptanz von Heterogenität als Modus urbaner Vergesellschaftung wird durch den Versuch, auf unterschiedlichen Ebenen homogene Ensembles zu schaffen, infrage gestellt. „Stadt hat historisch den Kontext gestellt, in dem wir mit Fremden interagieren und dem Unbekannten begegnen. Städte sind die Orte, an denen wir eine weitergefaßte soziale Identität konstruieren und Bedeutungen jenseits von Familie und Stamm teilen. Sie stellen die Zugänge, durch die wir die ‚Bedürfnisse des Fremden‘ und die Natur unserer Verpflichtung diesen gegenüber verstehen. In dem Maße, in dem die Stadt soziales Leben spiegelt, wird sich das Wesen unserer Begegnungen und die Bedeutung, die wir ihnen zumessen, im Laufe der Zeit verändern. Dieses wird im Gegenzug darin reflektiert, wie wir Bürgerschaft, ihre Ausübung und ihre Verpflichtungen definieren.“1973

Städtische Politik hat in der Postmoderne – folgt man der einschlägigen Thematisierung – unter anderem die Aufgabe, Verhalten und Einstellungen zu fördern, die

1971 Christopherson 1994; S.417. Übersetzung von G.L. 1972 Vgl. Sennett 1999 (zuerst 1977) und Christopherson 1994; S.422ff. 1973 Christopherson (1994; S.424) unter Verweis auf Ignatieff. Übersetzung von G.L.

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im Einklang mit den ökonomischen Imperativen postfordistischer Produktionsweise stehen.1974 Der postmoderne Stadtraum muss demnach so eingerichtet werden, dass die Dienstleistungsökonomie und der Konsum gefördert werden.1975 In dieser „regulierten Umwelt“1976 sind sowohl die Gestaltung der Stadt als auch die Nutzung von Räumen und Möglichkeiten ein Distinktionsmerkmal, „[...] eine Demonstration, einer bestimmten sozialen Schicht anzugehören.“1977 Dementsprechend ist die Ausgrenzung anderer, die dieser Schicht nicht angehören, legitim und notwendig im Interesse der optimalen Verwertung des öffentlichen Raums. Die Bedeutung der Innenstädte als Konsum- und Kulturzentren wird seitens der städtischen Politik im Rahmen des Stadtmarketings betont, um als Standort mit „günstigem Geschäftsklima“ attraktiv zu sein.1978 Dies zieht Inszenierungen, Events, Spektakel, „große Projekte“ etc.1979 nach sich, die sich als Simulationen von Urbanität interpretieren lassen. Sie dienen auch dazu, Images von Städten zu produzieren, die von den politischen Interessenslagen und denen der lokal ansässigen „Geschäftswelt“ geprägt sind und die als Attraktivitätsangebote wirksam werden sollen. Diese produzierten Stadtbilder reflektieren als Simulationen nicht zwangsläufig die städtische Realität oder die kognitiven bzw. affektiven Deutungen der Bevölkerung von ihrer Stadt,1980 es handelt sich vielmehr um „[...] auf einen Raum projizierte, in der Regel materialisierte Zeichenkomplexe, die in ihrer latenten Sinnhaftigkeit stets Bezug zu einem Entwicklungsmodell haben. Indem sie sich auf eine Entwicklungskonzeption beziehen, überziehen sie den Raum mit Werten.“1981 Diese Stadtbilder sind sozial konstruiert und ökonomisch motiviert, sie beziehen sich weniger auf die Infrastruktur von Stadt, sondern eher auf das kulturelle Flair, auf das ästhetische Ambiente einer Stadt, von dem man sich in der interkommunalen Konkurrenz um Konsumenten Standortvorteile erhofft. Als kulturindustrielle Produkte sind sie von der Wirklichkeitserfahrung der Städter abgekoppelt und zugleich als Angebote auf sie bezogen.1982 Faktoren wie Sicherheit, Sauberkeit und die Abwesenheit von Störungen dienen dem Konsum, bedingen ein verändertes

1974 Vgl. Becker 1991; S.265. 1975 Vgl. Harvey 1992 und 1994. 1976 Vgl. Christopherson 1994; S.416. Übersetzung von G.L. 1977 Becker 1991; S.267. 1978 Vgl. Becker 1991, S.267 und Kap. 2.1. 1979 Vgl. Ehrenberg/Kruse 2000, Häußermann/Siebel 1993, Scholz 2000 sowie o.V. 2001k. 1980 Vgl. Becker 1991; S.269f. Ipsen geht davon aus, dass der „Realgehalt des Bildes in seiner Beziehung zu Raum und Zeit“ kaum überprüfbar ist, wenn es gelungen ist, ein stabiles Raumbild zu konstruieren und zu kommunizieren. 1981 Ipsen 1987; S.146. 1982 Vgl. Horkheimer/Adorno 1969 (zuerst 1944).

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Kontrolldispositiv und werden insofern zu einem wichtigen Gegenstand des Stadtmarketings und insofern postmoderner Urbanität.

6. Diskurs, urbanes Wissen und Macht „Dem Diskurs die Machtfrage stellen, heißt also im Grunde genommen: wem nützt du?“ MICHEL FOUCAULT1983 „Wem gehört die Stadt?“ ELISABETH BLUM1984

Das Erkenntnisinteresse dieser Erörterung besteht unter anderem darin aufzuzeigen, wie die symbolische und materielle gesellschaftliche Ordnung einer urbanen Gesellschaft über den Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit stadtbezogenes Wissen herstellt, transportiert, legitimiert und verändert. Dazu wurden im Rahmen einer wissenssoziologischen Diskursanalyse die damit einhergehenden Prozesse der sozialen Konstruktion, Objektivation, Kommunikation von Sinn-, d.h. Deutungs- und Handlungsstrukturen auf der Ebene von Institutionen, Organisationen bzw. sozialen kollektiven Akteuren beschrieben und die gesellschaftlichen Wirkungen dieser Prozesse aufgezeigt.1985 Das darauf bezogene Wissen um das Urbane wird durch voneinander abgrenzbare, aufeinander verweisende und insofern systematisierbare Thematisierungen hergestellt und ist zugleich in ihnen aufgehoben. Zur Wirklichkeit wird dieses Wissen, indem es Handlungen und Deutungen von Stadt herstellt und beeinflusst sowie Dispositive zeitigt, die ihrerseits das städtische Leben prägen. Dazu wurden Entwicklungen in der Polizei, der Architektur und dem Recht beschrieben. Da sich die Problemdefinitionen, Verantwortungsbeschreibungen, Wirklichkeitsdeutungen und Handlungskonsequenzen der Städter unterscheiden, setzen sich kollektive Akteure in allgemeinöffentlichen Diskursen oder teilöffentlichen Spezialdiskursen auseinander, um jeweils ihren Interpretationen zur Durchsetzung

1983 Foucault 1978; S.29. 1984 Blum 1996a und b. Vgl. auch Sassen 2000b und Zörner 1997b. 1985 Vgl. Keller 2001; S.113 und Kap. 1.

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zu verhelfen. Macht und die Interessen der Mächtigen setzen auf diese Weise urbane Wirklichkeit, die dann wiederum als Normalität aufscheint, vor deren Hintergrund Abweichung definiert und ausgegrenzt werden kann. Eine solche Analyse des heterogenen, breit angelegten und in unterschiedlichen Foren geführten Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten eröffnet eine Perspektive auf ein weit verzweigtes Netz unterschiedlicher Thematisierungen. Um ihren Zusammenhang und ihr Miteinanderwirken aufzuzeigen, wurden diesen Thematisierungen, die um den zentralen Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit kreisen, vier sondierende Konzepte zur Analyse gesellschaftlichen Wissens zugeordnet. In archäologischer Hinsicht können auf diese Weise einzelne, sonst heterogen erscheinende Thematisierungen systematisiert und gebündelt werden, um aufzuzeigen, welche Aspekte in welcher Beziehung bei der Thematisierung eines Problems in Betracht gezogen werden. Dabei zeigt sich – ohne an dieser Stelle Details wiederholen zu wollen –, dass Ausgrenzungstendenzen, die mit dem Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten in Beziehung gebracht werden, einerseits anhand der Narration von der postfordistischen Stadt und andererseits unter Verweis auf die Phänomenstruktur Segregation und soziale Segmentierung thematisiert werden. Die Narration der postfordistischen Stadt greift dabei politökonomische Entwicklung heraus, im Zuge derer einerseits die Struktur der Städte, aber auch das Stadtgefüge so verändert werden, dass sich die Konkurrenz zwischen den Städten verschärft und Stadtmarketing an Bedeutung gewinnt. Es entstehen Zentren, in denen die Steuerungszentralen der globalen Ökonomie verortet sind, und Auffangräume innerhalb der Peripherie, die insgesamt im Akkumulationsregime des Postfordismus von untergeordneter Bedeutung sind. Die damit einhergehenden sozialstrukturellen Veränderungen in den Städten führen laut diskursiver Zuschreibung in der Thematisierung von Segregation und Segmentierung zu einer „Verflüssigung“ der Sozialstruktur und damit zu verschärfter sozialräumlicher Trennung urbaner Gruppen. In der Sozialstruktur der Städte differenzieren sich auf- und absteigende Schichten heraus, die wiederum vermittelt über Boden- und Mietpreise, aber auch über symbolische Repräsentanz, die sozialräumliche Struktur der Städte verändern: Durch De-Investition und den stetigen Abbau sozialer und urbaner Infrastruktur entstehen „Viertel sozialer Benachteiligung“, in denen sich eine sozial, teilweise auch ethnisch homogene, ökonomisch zum Teil funktionslose „neue Unterklasse“ ansiedelt, während die aufsteigenden und aufgestiegenen Mittelschichten auch in den gentrifizierten Quartieren in Innenstadtnähe ihren Ort finden. Urbanität als genuin städtischer Vergesellschaftungsmodus wird in der entsprechenden Narration ideengeschichtlich wie empirisch mit Heterogenität, der Mischung der städtischen Bevölkerung, mit tendenziell chaotischer Struktur und Anonymität verbunden. Sie weist integrative wie desintegrative bzw. inkludierende wie

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exkludierende Momente auf, insofern als Integration vor allem durch Separation gelingt, was die soziale Konstruktion städtischer Gruppen bedingt. Die Ausgrenzung bestimmter Gruppen und Personen aus dem Bereich der Innenstädte wird laut dieser Urbanitätsnarration noch von einem weiteren Charakteristikum städtischen Lebens unterstützt, nämlich der prinzipiellen Aversion des Städters gegen den Anderen, die aus dem intellektualistischen Charakter und ubiquitärer Überreizung resultiert. So werden schließlich Gruppen und Personen identifiziert, selektiert, definiert und im Rahmen eines gesellschaftlichen Draußen als nicht-zugehörig und störend etikettiert. Hinzu tritt eine diffuse Angst der Städter, auf deren Grundlage den als randständig definierten Gruppen noch Eigenschaften wie „gefährlich“, „bedrohlich“ etc. zugewiesen werden und damit deren Ausgrenzung im Sinne der sozialen Pazifierung und Angstreduktion als gerechtfertigt erscheint. Diese sozialräumlichen Verschiebungen einerseits und die Modi städtischer Vergesellschaftung andererseits wirken auf die Thematisierung von Veränderungen der Semantiken und Maßnahmen sozialer Kontrolle und der urbanen Sicherheitsdispositive ein. In ihnen werden gesellschaftliche Modifikationen im beschriebenen Sinne ebenso aufgenommen und reflektiert wie forciert. In der soziologischen Thematisierung sozialer Kontrolle werden beispielsweise die binären Unterscheidungen und Leitdifferenzen zwischen recht/unrecht, legitim/illegitim, legal/illegal zunehmend aufgeweicht und durch Muster von Risiko und Gefahr versus Sicherheit ersetzt: Im Zentrum sozialer Kontrolle steht demnach nicht mehr nur die Kontrolle individuellen abweichenden Verhaltens, sondern auch die Regulation abweichender Verhältnisse als Sicherheitsmanagement im urbanen Raum. Mit dem Begriff der Gouvernementalität wird eine Schlüsselkategorie in die Thematisierung eingeführt, die es erlaubt, über Sicherheitsdispositive den gesellschaftlichen Umgang mit solchen Risiken zu beschreiben. Mit der Unterscheidung von Normalisation und Normalisierung und der Bezugnahme auf urbane Ordnungsvorstellungen lassen sich aufgefundene Phänomene interpretieren. Die aufgeführten Veränderungen urbaner Sozialkontrolle werden in eigenen Thematisierungen zu Visionen städtischer Sozialkontrolle zugespitzt: Laut einer entsprechenden Narration folgt die Kontrolle des urbanen Raums der Ordnung diverser Themenparks, die sich in städtische Areale ausweiten und in denen konsensuell auch durch architektonische Mittel, vor allem aber durch permanente Überwachung und die gouvernementale Selbststeuerung der Nutzer ein korporatives Regime aufrechterhalten wird, das nur einen rigiden Kanon von Handlungsmöglichkeiten und konformen Verhaltensweisen zulässt. Eine zweite Thematisierung behandelt Disziplinar- und Kontrollgesellschaften im Hinblick auf die Wiedervergemeinschaftung sozialer Kontrolle in städtischen Quartieren. Der Fokus verschiebt sich in dieser Narration auf die informelle soziale Kontrolle in städtischen Gemeinschaften. Die Disziplinierung des Städters wird durch eine permanente, technolo-

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gisch hochgerüstete Überwachung und Modulation abgelöst. Unter dem Stichwort der Militarisierung des Raums werden in einer weiteren auf städtische Sicherheit und Sauberkeit bezogenen Narration Tendenzen urbaner Sozialkontrolle beschrieben, die sich vor allem bezüglich der Aufstands- und Abweichungsbekämpfung in städtischen Ghettos aus dem Methoden- und Materialarsenal militärischer Aktion und Reaktion bedienen. Mit der Exklusion von Personengruppen aus dem Kontext der Innenstädte ist laut einer Narration von Öffentlichkeit zugleich aber auch die Konzeption der Stadt in der bürgerlichen Gesellschaft der Moderne, nämlich als zentraler Ort demokratischer Öffentlichkeit, betroffen. Es etabliert sich eine „qualifizierte“ städtische Öffentlichkeit, die nicht mehr die Summe aller zum imaginären Publikum versammelten Städter umfasst, sondern nur noch diejenigen, deren sozialstrukturelle Position sie zur Teilhabe der zunehmend über den Markt vermittelten Aufenthaltsrechte privilegiert. Mit der Erosion städtischer Öffentlichkeit verbunden ist die Narration vom Verschwinden des öffentlichen Raums. Der nunmehr privatisierte und umgenutzte innerstädtische Raum wird laut einer Thematisierung urbaner Raumkontrolle entsprechend unter ein privates Regime der situativen und partikularen Kontrolle gestellt. Die Entwicklungen der öffentlichen und privaten Polizeien sowie deren Kooperationen, Entwicklungen in der Architektur und dem Rechtssystem lassen sich im Rahmen einer wissenssoziologischen Diskursanalyse als Dispositive des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten verstehen. Sie alle beziehen sich auf eine – je nach Ansatz unterschiedlich definierte mehr oder weniger heterogene – Phänomenstruktur „urbane Unterklasse“, die als Träger von Abweichung und Gefahr thematisiert wird und insofern Objekt ausgrenzender, punitiver oder repressiver Maßnahmen und Ensembles ist. In polizierten Gesellschaften markiert die öffentliche Polizei die Autorität von Ordnungs- und Normalitätsstandards. Als zentrale Institution urbaner Sozialkontrolle hat sie mit unterschiedlichen Entwicklungstrends (bürgernahe Polizeiarbeit, verstärkte Beratung, Ausdifferenzierung von Spezialeinheiten, Veränderung der Streifentätigkeit) auf Ordnungsstörungen in den Städten reagiert. Neben der „grünen Polizei“ nehmen aber auch verstärkt weitere öffentlich-rechtliche Vollzugsdienste Aufgaben im öffentlichen Raum zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Sauberkeit wahr. Mit den privaten Sicherheitsdiensten beteiligt sich eine weitere Institution urbaner Sozialkontrolle an der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten, allerdings ohne dem Gemeinwohl, sondern vielmehr den Partikularinteressen der Auftraggeber verpflichtet zu sein. Auch PublicPrivate-Partnerships (Kriminalitätspräventionsräte, Neighborhood Watch Programs, Ordnungspartnerschaften) beteiligen sich an dem rationalen Risikenmanagement in den Innenstädten, indem „unternehmerische Individuen“ aktiviert werden, um in

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fragmentierten Räumen als eigenverantwortliche, zivilgesellschaftliche Teilnehmer im Markt privatisierter Sicherheitsdienstleistungen losgelöst von übergreifenden sozial-ethischen Erwägungen die Sicherheits-, Sauberkeits- und Ordnungsnormen ihrer spezifischen Gemeinschaft durchzusetzen. Insgesamt wird durch die veränderte Polizeitätigkeit in den Innenstädten das Netz sozialer Kontrolle weiter ausgeworfen, seine Maschen werden enger. Im Medium der Architektur lassen sich beispielsweise mittels Fortifikationsund Bewachungstechniken unerwünschte Verhaltensweisen präventiv ausschließen bzw. ihr Auftreten unwahrscheinlich werden, während gewünschte Verhaltensweisen im Wohnbereich oder in den Innenstädten ermöglicht oder gefördert werden können. Unerwünschte Aspekte städtischen Lebens werden durch die Ästhetisierung der gebauten Umwelt ausgeblendet, während ein gewünschtes Bild von Stadt inszeniert wird. Soziale Kontrolle und Ausgrenzung werden so materialisiert. Auch das Rechtssystem reagiert auf sozial konstruierte Bedrohungen durch definierte Personen und Gruppen, indem auf unterschiedlichen Gebieten (durch das städtische Ordnungsrecht, Betretungsverbote an Bahnhöfen und die Privatisierung öffentlicher Flächen) versucht wird, den habituellen Aufenthalt Unerwünschter in den Innenstädten zu unterbinden. Die juristische Thematisierung zeigt, dass solche, auf die Entrechtlichung bestimmter Problemgruppen zielenden Initiativen einer rechtssysteminternen Überprüfung oft nicht standhalten und darüber hinaus an der lebensweltlichen Struktur des Urbanen scheitern. Die genealogische Perspektive erlaubt eine Weitung des Blickes von den archäologisch aufgefundenen gegenwärtigen Thematisierungen hin zu Thematisierungen der Vergangenheit. Dabei werden Kontinuitäten wie Brüche sichtbar. So zeichnet sich das Mittelalter bereits durch ein exklusiv privilegiertes Stadtbürgertum aus, das die Stadt der Moderne so nicht aufweist. Dort stehen unter anderem die Möglichkeit des Kontaktes mit dem Fremden und im Fordismus die wohlfahrtsstaatliche Integration im Mittelpunkt gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen. Dagegen wird die postmoderne Stadt als Hort neo-feudaler Elemente thematisiert und damit unterstellt, dass mittelalterliche Urbanität diskontinuierlich in die Gegenwart wirkt.1986 Dies betrifft zum einen die Qualität der zeitgenössischen urbanen Unterklasse: „In ihrer Unorganisierbarkeit und fehlenden Durchsetzungsmacht erinnern die neuen Armen nicht an das Industrieproletariat des 19. Jahrhunderts, sondern an viel archaischere Erscheinungsformen des Außenseitertums, an das Bettelvolk früherer Zeiten.“1987 Dies hat für die sozialpolitische Thematisierung des Umgangs mit ihr, die hier abschließend nur angerissen werden soll, Auswirkungen, weil dies mit dem sich in

1986 Vgl. Ronneberger/Lanz 1999, Jahn/Schmals 1999 und Schmals 1999. 1987 Ross 1999; S.113. Vgl. auch Fn.481.

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der Moderne allmählich entwickelnden sozialstaatlichen Modell und seinem „demokratischen Versprechen“1988 nicht zu vereinbar scheint: „Man wird also alle Anstrengungen darauf richten müssen, die neue Unterschicht der Überforderten nicht nur zu alimentieren, sondern auch zu beschäftigen; [...] Wieder, wie bei der Rückkehr der Armut, zeichnet sich hier eine Veränderung ab, die mit dem Gesellschaftsmodell der Bundesrepublik schwer zu vereinbaren ist, weil sie scheinbar rückwärts weist, in eine feudalistische Vorzeit.“1989 Der moderne Wohlfahrtsstaat, der im entwickelten Fordismus der Nachkriegszeit seine Blüte erreichte, hatte das vormoderne Muster der „klassischen Gestalt von Caritas und Barmherzigkeit“1990 vom Makel des Gnadenaktes der Almosenerteilung gewissermaßen „demokratisch gereinigt“.1991 Die in der Thematisierung postmoderner Urbanität diagnostizierte entstehende „postmoderne Dreiklassengesellschaft“ aus einer hochqualifizierten etablierten Angestellten- und Unternehmerelite, einer sich in auf- und absteigende Gruppen differenzierenden Mittelschicht und einem Bodensatz von Exkludierten erinnert eher an die Ständegesellschaft der Vormoderne als an die nivellierte Mittelstandsgesellschaft der fordistischen Moderne: „Denn ein Bürgerrecht auf Barmherzigkeit [...] ist ein kategorialer Schritt über die bestehende Gesellschaft, ja, über den Begriff der Gesellschaft selbst hinaus. Denn wo nicht der Reichtum der Gesellschaft zum Maßstab der Umverteilung wird, sondern die Zahl der prinzipiell Überflüssigen zum Maß des Menschenwürdigen, da wird die bürgerliche, also durch Arbeit integrierte Gesellschaft zugunsten eines gesellschaftstheoretischen Bastards, einer Art feudalen Quadratur des kapitalistischen Kreises, verlassen.“1992

Zu den als teilweise dystopisch beschriebenen Folgeerscheinungen gegenwärtiger Restrukturierungen von Stadt und städtischer Gesellschaft gehört demnach die Veränderung des modernen Bürgerbegriffs, die im Aufkommen einer postmodernen, marktinduzierten Konsumentenbürgerschaft ihren Ausdruck findet. Damit zeigt die genealogische Perspektive unter anderem auch auf, wie sich die Ursachenzuschreibung von Armut und damit die moralische Beurteilung der Armen geändert hat: Während Armut in der Vormoderne zunächst als Tugend, dann als gottgewolltes, hinzunehmendes Übel verstanden wurde, wird Armut seit der Moderne als selbst-

1988 Siegel 1995; S.375. 1989 Ross 1999; S.117. Ross setzt dabei auf „personenbezogene Dienstleistungen“, die – wie er einräumt – „[...] etwas Dienstbotenhaftes haben werden“. 1990 Ross 1999; S.113. Hervorhebungen des Originals sind hier ausgelassen. 1991 Vgl. Greffrath 1999; Sp.2. 1992 Greffrath 1999; Sp.2.

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verschuldetes und insofern zu bestrafendes Übel behandelt. Dementsprechend repressiv waren die Maßnahmen. Der fordistische Wohlfahrtsstaat löste sich zwar nicht von disziplinären Instrumenten, stellte dabei aber die Integration der Betroffenen in den Vordergrund. Heute sind Positionen auszumachen, in denen angesichts einer als steigend wahrgenommenen Zahl von Transferempfängern auf der Basis sich durchhaltender Ressentiments „Leistungsträger“ gegen den Sozialstaat polemisieren und die Alltagspraktiken von Transferempfängern in das Zentrum der Kritik stellen. Auch hier rivalisieren machtdurchwirkte Wirklichkeitsdeutungen um den Anspruch auf Wahrheit. Damit wird der Sozialstaat, der sich über die skizzierten Epochen auch anhand urbaner Armutserfahrung entwickelt hat, infrage gestellt.1993 Sofern sich die Interessen der sogenannten „Neobourgoisie“ durchsetzen, droht am „harten Ende“ des Verhältnisses von Urbanität und sozialer Kontrolle die (dystopische) Verschärfung der beschriebenen Situation und damit die weitergehende selektiv-präventive Überwachung, Vertreibung, Desintegration, Ausgrenzung und Separation der Marginalisierten und Kriminalisierten mittels der Polizeien, der Architektur und des Rechts.1994 Dagegen wird am „weichen Ende“ der (utopische) Ausgleich der konfligierenden Interessen der urbanen Gruppen zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit und Sauberkeit und Lebenschancen sowie Aufenthaltsmöglichkeiten in den Innenstädten nahegelegt. Die Her- und Sicherstellung einer stabilen, integrierenden städtischen Ordnung erscheint vor diesem Hintergrund als zentrale gesellschaftliche Aufgabe. Dabei muss anerkannt werden – auch das zeigt der Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten –, dass Stadt widersprüchlich war und ist und dass diese Widersprüche sich nicht durch die postmoderne Inszenierung und Simulation von Heterogenität, die in Wirklichkeit Homogenität bedeutet, in Wohlgefallen aufgelöst werden können: 1995 „Präsenz von Geschichte, die Nachtseiten der Urbanität, die Stadt als Ort der Emanzipation, als Heimat und als Maschine, diese Stichworte kennzeichnen Urbanität als ein widersprüchliches Konzept. Diese Widersprüche sind nur in einer fernen Zukunft zu versöhnen. Urbanität

1993 Vgl. für eine knappe Zusammenfassung www.prokla.de/2009/12/11/cfp-160 (7.1.2010). 1994 Vgl. auch Lehne 1996; S.10ff. 1995 Bezüglich dieser ersten Lösungsmöglichkeit sei kritisch daran erinnert, dass der öffentliche Raum weder in der Vormoderne, noch in der Moderne ein Ort herrschaftsfreien Diskurses gewesen ist. In den neuen Raumtypen der Malls oder den anti-geografischen Nicht-Orten („Exopolis“; vgl. Sorkin 1992b; S.208 sowie Soja 1992) lässt sich keine strukturell adäquate Öffentlichkeit simulieren.

464 | STADT UND KONTROLLE wird deshalb auch niemals Wirklichkeit. Aber – und das ist das Entscheidende: das Konzept Urbanität benennt doch Hoffnungen und Versprechungen [...].“1996

Der Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten legt nahe, dass man gewisse „Schattenseiten“ urbanen Lebens als konstitutiv wird annehmen müssen. Dazu gehören in gewissen Grenzen auch Unsicherheit und Unsauberkeit.1997 Insofern wäre eine Frage nach polizeilichen, baulichen oder rechtlichen Lösungsmöglichkeiten unterkomplex, weil sie weder das Gewordensein, noch den konstruktivistischen Charakter der thematisierten Problemlage sowie die darin eingeschlossenen Deutungsmuster, Klassifikationen, Phänomenstrukturen und Narrationen adäquat reflektiert. Es scheint, als wäre der moderne Wohlfahrtsstaat, dessen integratives Selbstverständnis zunehmend unter Druck steht, vor dem Hintergrund des diagnostizierten konstitutiven und kontinuierlichen Charakters städtischer Ausgrenzung, also der rigiden Ausschlusspraxis der Vormoderne und der forcierten Ausgrenzung Unerwünschter in der Postmoderne, das kurzlebige Ergebnis einer langen Entwicklung, derer man sich zu entledigen habe, um soziale Probleme wie das von Sicherheit und Sauberkeit in den Innenstädten angehen zu können. Normativ wird dagegen eingewendet, dass man kaum hinter diese Entwicklungsstufe zurücktreten kann, weil im modernen Wohlfahrtsstaat das Emanzipations- und Egalitätsversprechen universeller Menschenrechte zumindest programmatisch aufgehoben sind: „Aufbauend auf der Aufklärung, der französischen und bürgerlichen Revolution steht das Städtische für einen universellen Gleichheitsanspruch, die Freiheit des Individuums, die Rationalität des öffentlichen Diskurses, das zivile Engagement und die Solidarität. Diese Maxime waren die notwendige Grundlage, die es der modernen Stadt ermöglichten, sich während der vergangenen Jahrhunderte stets aufs Neue kaum vorstellbaren Anforderungen und Belastungen zu stellen. War die moderne Stadt doch stets der Ort des Zuzugs der Fremden und ihrer Kulturen, der Armen, der Konfrontation mit dem Außergewöhnlichen, der Ort der Angst vor den jeweils ‚neuen‘ gefährlichen Klassen und Schichten. Städtisches Zusammenleben war und ist für die Individuen immer auch belastend, nervig, irritierend und angsteinflößend. Stadt war und wird daher niemals gemütlich sein. Die Maxime eines universellen Gleichheitsanspruchs, der Freiheit des Individuums etc. ist auch aktuell gültig – und erzwingt daher, dass Stadtpolitik generell, dass sich die hier lebenden Menschen, trotz individueller Verunsicherung, Abscheu, Ekel und auch Angst, sich mit dem sichtbaren, unästhetischen Elend der Armut täglich auseinandersetzen müssen.“1998

1996 Siebel 1994; S.11f. 1997 Vgl. Dinges/Sack 2000. 1998 Glasauer 1998b; S.1.

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Folgt man dem, darf eine integrative Stadtpolitik nicht nur Wirtschaftspolitik sein, sie muss um desintegrativen Tendenzen entgegenzutreten, verstärkt Sozialpolitik betreiben. Dazu bietet sich die beratende Zusammenarbeit zwischen städtischer Politik, Verwaltung, urbanen Interessengruppen, den entsprechenden Kontrollagenturen, Architekten und Städteplanern sowie Sozialwissenschaftlern und gegebenenfalls Pädagogen an. Eine wissenssoziologische Diskursanalyse könnte in diesem Zusammenhang dazu dienen, die unterschiedlichen Pfade und die Machtgebundenheit des vermeintlich sicheren Wissens über das Städtische aufzuzeigen und im Rahmen einer kritischen Selbstaufklärung und -reflexion gegenhegemoniale Deutungen und Begriffe des Urbanen anzubieten.1999 Dazu gehört auch anzuerkennen, dass Urbanität des öffentlichen Raums ebenso bedarf wie eines Maßes an Heterogenität, das – in „realistischer“ Anerkennung der sozioökonomischen und als ausgrenzend verstandenen Gegebenheiten2000 – die Kluft und die Grenzen zwischen den Städtern nicht zu groß und zu rigide setzen darf: „Übergroße gesellschaftliche Ungleichheit zerstört [...] die politische Freiheit, weil freie Bürger, so verschieden sie im übrigen nach ihren Anschauungen, Lebensweisen und Wohlstandsverhältnissen auch sein mögen, als Bürger doch gleich sein müssen. Und diese für die Demokratie unerläßliche Bürgergleichheit, die selbstverständliche Gewißheit, einem ‚Gemeinwesen‘ anzugehören, eine ‚gemeinsame Sache‘, eben die ‚res publica‘ zu haben – diese Bürgergleichheit wird unmöglich, wenn überhohe Mauern zwischen den Lebenswelten gar keine verbindenden Interessen oder auch nur Probleme mehr erkennen lassen. [...] Die Herausbildung einer verfestigten, auf Dauerunterstützung angewiesenen Schicht von Langzeitarbeitslosen, von ökonomisch ‚nutzlosen‘ Existenzen in einer immer anspruchsvolleren Berufswelt, konfrontiert die Bundesrepublik mit dem ihr unvertrauten Phänomen echter Armut.“2001

Eine gouvernemental kontrollierte Urbanität des Drinnen und Draußen bedarf insofern politischer Korrekturen.2002 Eine wissenssoziologische Diskursanalyse kann dazu Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen, weil sie archäologisch wie genealo-

1999 Vgl. Kreissl 1997a; S.387. Vgl. zur Zusammenarbeit von Architekten und Soziologen auch Siebel 1967. 2000 Vgl. Ross 1999 und zur Kritik Greffrath 1999. 2001 Ross 1999; S.112f. Hervorhebungen im Original. Roos führt in diesem Zusammenhang einschränkend an, dass aus dem „Aufklärungsspießertum“ der Modernisierungsgewinner auch Fremdenfeindlichkeit und „Außenseiterhass“ resultieren können. Auf der Ebene der „Berufswelt“ kann sich zudem eine veränderte, engere Beziehung von „Intimität“ und „Geschäftlichkeit“ entwickeln. 2002 Vgl. Touraine 1996a; S.31f.

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gisch den Status quo der mit dem Problemkomplex Sicherheit und Sauberkeit verbundenen, breit angelegten Thematisierungen beschreiben kann. Sie zeigt auf, dass städtische Unordnung und damit ein für das Gros der urbanen Gesellschaft vertretbares Maß an Unsicherheit (im Sinne der konstitutiven Abwesenheit völliger Sicherheit) und Unsauberkeit essentiell und insofern notgedrungen zu akzeptieren sind. Sie zeigt auf, dass die Toleranz des Fremden, mitunter auch des Unangenehmen, nicht nur ethische Setzung, sondern Bedingung städtischen Miteinanders ist und dass der Versuch, dieses Miteinander durch Ausgrenzung aufzuheben, im Kern anti-urban ist. Sie zeigt auf, dass Sicherheit und Sauberkeit Facetten eines Macht-/ Wissen-Komplexes sind, der sich nicht naturwüchsig ergeben hat, sondern sozial konstruiert ist und Interessen sowie vielfältigste Wirklichkeitsdeutungen beinhaltet. Sie hilft zu erkennen, welche Interessen sich durchsetzen und welche Standards für das Verhalten (oder mit ethischer Konnotation: Benehmen) in Stadt vorherrschen. Sie macht deutlich, dass alle angeführten Komplexe von Urbanität über städtische Öffentlichkeit und soziale Kontrolle inklusive aller ihrer Institutionen letztlich Ergebnisse wissens-, macht- und interessengebundener Praxen und Thematisierungen sind, deren zugrundeliegenden Sinnstrukturen interpretationsabhängig und insofern kontingent sind.2003 Die archäologische wie die genealogische Perspektive zeigen bei all dem auf, dass Stadt, Urbanität und soziale Kontrolle im Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit auf das engste miteinander verwoben sind. Insofern kann geschlossen werden, dass eine Thematisierung sozialer Kontrolle der urbanistischen Reflexion ebenso bedarf wie eine Thematisierung von Stadt systematisch Aspekte sozialer Kontrolle mitdenken muss. Und schließlich kann eine wissenssoziologische Analyse des Diskurses um Sicherheit und Sauberkeit auf einen Stand der gesellschaftlichen Entwicklung und eines noch überwiegend gültigen Wertkonsenses verweisen, von dem aus es die Aufgabe einer urbanen „Politik der Würde“2004 wäre, die Ausgrenzung von Gruppen oder Personen aus den Innenstädten zu verhindern, um Urbanität zu ermöglichen: „Nur eine Stadt, in der alle auf eine sozial gesicherte Existenz hoffen können, kann eine urbane Stadt sein.“2005

2003 „Kontingent ist etwas, was weder notwendig ist noch unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist. Der Begriff bezeichnet mithin Gegebenes (zu Erfahrendes, Erwartetes, Gedachtes, Phantasiertes) im Hinblick auf mögliches Anderssein; er bezeichnet Gegenstände im Horizont möglicher Abwandlungen.“ Luhmann 1984; S.152. 2004 Vgl. Margalit 1999. Vgl. auch Balke 1997 und Markus 2001. Blum (1996b; S.29) weist darauf hin, dass die gängige Exklusionspraxis gegenüber Obdachlosen gegen diverse Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verstößt. 2005 Häußermann 1995; S.98.

7. Anhang

7.1 Q UELLEN Der Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit hat sich in unterschiedlichen Medien und Textgattungen niedergeschlagen. Dem trägt das folgende Quellenverzeichnis Rechnung. Einerseits hat dies mit dem Gegenstand selbst zu tun, der viele Ränder und Überschneidungen mit anderen Gegenstandsbereichen und Disziplinen aufweist, sodass sich eine zu strenge Eingrenzung von heranziehbaren Quellen verbietet. Andererseits ist die Thematisierung breit und in verschiedenen Foren und Teilöffentlichkeiten mit je spezifischen Sprachen, divergierenden Strukturen etc. geführt worden, sodass sich die Materialfülle auch aus diesem Umstand erklären lässt. Neben den Wissenschaften (vor allem Soziologie, Kriminologie, Architektur, Geschichtswissenschaft, Rechtswissenschaft) und ihren Medien sind hier die Tagespresse sowie das Internet zu nennen. Dementsprechend lässt sich die vorliegende Auswahl in drei Kategorien und Textgattungen differenzieren: Neben Monografien und Sammelbänden als eigenständigen Veröffentlichungen sowie Artikeln aus Sammelbänden und Zeitschriften als unselbstständigen Veröffentlichungen wurden ausgewählte Artikel aus Tages- bzw. Wochenzeitungen und Illustrierten sowie einige Dokumente aus dem Internet aufgenommen. Die vorliegende Auswahl ist selektiv entsprechend disparat, was sich allerdings nicht vermeiden lässt, will man den Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit in den Städten möglichst genau und facettenreich abbilden.2006 Die beiden letztgenannten Quellenarten liefern bei der behandelten Debatte um Stadt gerade wegen ihrer Aktualität zum Zeitpunkt der Publikation einen wertvollen Beitrag zum Diskurs um Sicherheit und Sauberkeit. Des Weiteren bieten sie auch solchen Autoren ein Forum, die in der wissenschaftlichen Literatur seltener und wenn, dann nur mittelbar zur Sprache kommen – wenngleich mit anderem Anspruch und auf anderem Reflexionsniveau. Dennoch erschließen

2006 Vgl. zur Methodik des Auswahlprozesses, also der Bildung eines Teilkorpus aus einem Gesamtkorpus, Keller 2007; Abs.31ff. und 2001; S.135ff.

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gerade solche Quellen häufig einen anderen Blick auf die zu diskutierende Problemlage. Die Quellenauswahl gibt – mit wenigen aktuelleren Beiträgen – den Stand der Debatte Ende des Jahres 2009 wieder – freilich ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

7.2 M ONOGRAFIEN , S AMMELBÄNDE

UND

AUFSÄTZE

Achelpöcher, W./Niehaus, H.: Sicherheit statt Freiheit. Vermehrte Videoüberwachung des öffentlichen Raumes. In: AKP 2001; H.6; S.63-65 Adorno, Th.W.: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt/M. 1969 (zuerst 1951) AG Baustop Randstadt: # 1. Aggressives, nicht-akkumulatives, städtisches Handeln. Berlin 1999 Ahlemeier, M./Kärtner, M.: Das Sozialamt als Schauplatz für Ausschließung. In: Karstedt, S. u.a.: Soziale Ausschließung. Stadtreportagen aus Bielefeld (Soziale Probleme, Gesundheit und Sozialpolitik; Bd.1). Bielefeld 2000; S.30-39 AK Streetwork/Mobile Jugendarbeit Westfalen-Lippe: Streetwork im Spannungsfeld ordnungspolitischer Vereinnahmung und stetig wachsender Armut. Über Ausgrenzung in den Innenstädten unter dem Deckmantel „Sicherheit“. In: Wohnungslos 40 (1998); S.117-120 Albrecht, G.: Kontrolle, soziale. In: Endruweit, G./Trommsdorf, G. (Hgg.): Wörterbuch der Soziologie. 3 Bde. Stuttgart 1989; Bd.2; S.364-366 Albrecht, H.J.: Die neue Angst vorm schwarzen Mann. Was steckt hinter dem Gerede von der Ausländerkriminalität? In: Der Überblick 1998; H.1; S.13-16 – : Kriminalität, Kriminalitätsangst, Unsicherheitsgefühle, Kriminalpolitik und deren Folgen. In: Criminologische Vereinigung (Hg.): Retro-Perspektiven der Kriminologie. Stadt – Kriminalität – Kontrolle. Freundschaftsgabe zum 70. Geburtstag von Fritz Sack. Hamburg 2001; S.59-76 Albrechts, L./Denayer, W.: Communicative Planning, Emancipatory Politics and Postmodernism. In: Paddison, R. (Hg.): Handbook of Urban Studies. London u.a. 2001; S.369-384 Alisch, M.: Arme Viertel – Reiche Viertel: Strategien gegen die sozialräumliche Spaltung der Gesellschaft. In: Loers, A./Knopp, R. (Hgg.): Ortsgespräche. Die Zukunft der Stadt in der Diskussion. Essen 2000; S.41-51 Alisch, M./Dangschat, J.S.: Armut und soziale Integration. Strategien sozialer Stadtentwicklung und lokaler Nachhaltigkeit. Opladen 1998 Alleweldt, E./Leuschner, V.: Straßenkinder gibt es doch! In: Neue Caritas 2002; H.2; S.23-27 Alnasseri, S./Brand, U./Sablowski, Th./Winter, J.: Raum, Regulation und die Periodisierung des Kapitalismus. In: Argument 2001; H.239; S.23-42

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7.3 P RESSEARTIKEL Amann, S.: Bahn pokert weiter. Trotz einer Niederlage vor Gericht versucht die Bahn, kritische Plakate eines Obdachlosenvereins zu verhindern. In: taz; 27.3.2002; S.8 Balke, F.: Der Prozeß der Demütigung. Schwierigkeiten mit der Anständigkeit: Avishai Margalits „Die Politik der Würde“ ist eine wegweisende Studie über soziale Gerechtigkeit und Stigmatisierung. In: taz; 15.10.1997; S.XVIII Bathke, R.: „Die Straße ist kein Aschenbecher“. Weggeworfene Zigarettenkippen machen rund die Hälfte des Kölner Straßenmülls aus. Die Stadt hat den stinkenden Stummeln jetzt den Kampf angesagt. Wer seine Zigarette nicht ordnungsgemäß entsorgt, muss 25 Euro zahlen. In: KStA; 4.8.2008 Bauman, Z.: Gegen den diffusen Sog der Angst. In: taz mag; 21.3.1998b; S.10 Baumanns, R.: Die Skater ziehen ab in den Süden. In: Express Köln; 5.12.2008 – : „Das Schlimmste an Köln ist der Dreck.“ In: Express Köln; 30.6.2009 Baumgärtel, T.: Ab heute wird zurückgefilmt. Mit schrägen Aktionen wehren sich Künstler gegen die wachsende Videoüberwachung. In: Die Zeit; 4.9.2003; S.50 Becker, J.: Kasseler Spitzen. Die documenta geht, die Innenstädte bleiben. Künstler protestieren gegen Saubermänner und Spekulationspraktiken. In: taz; 26.9.1997a; S.15 – : Im Flutlicht der Städte. BahnCardFirst: Durch die Privatisierung der Deutschen Bahn AG mutieren selbst die Bahnhöfe zu Shoppingzentren, während der öffentliche Raum allmählich verschwindet. Eine Ausstellung und ein Symposium in Hamburg sehen darin das Modell für die Zukunft. In: taz; 11.12.1997b; S.15 – : Der Stadt den Krieg erklären. Große Koalitionen für Sicher & Sauber. In: Zum Thema: Hauptstadt der Militarisierung. Bündnis Geloebnix ´98. Beilage der taz; 3.6.1998; S.3 – : Nach dem Goldrausch. Eine Ausstellung im Berliner Haus der Kulturen der Welt zeigt, wie sich die Apartheid in Südafrika auch auf Stadtplanung und Architektur ausgewirkt hat. In: taz; 28.9.1999; S.14

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– : Bin ich noch drin? Der Urbanistik-Reader „Die Stadt als Beute“ analysiert, wie sich der städtischen Raum unter dem Druck von Wirtschaft, Standortpolitik und Innerer Sicherheit zur lebensberuhigten Zone verwandelt. In: taz; 15.3.2000b; S.14 – : Passionierte Modellbauer. Dekorbusiness as usual. In den Bänden „Magic Worlds“ und „Scanscape“ zeigen die Fotografen Thomas Wrede und Marc Räder, wie in der Architektur von Freizeitparks und suburbanen Wohnsiedlungen neue Wertegemeinschaften heranwachsen. In: taz; 3.5.2001b; S.15 – : Risse im Ring aus Stahl. Nils Normans Reader „The Contemporary Picturesque“ dokumentiert, wie sich ein innerstädtisches Kontrolldesign entwickelt hat. Unterdessen entwirft Janice Kerbel mit „15 Lombard St.“ daran das Szenario des perfekten Banküberfalls, Fluchtwege inklusive. In: taz; 24.7.2001c; S.15 Benteler, N.: Meister Propper is watching you. Die Stadt Köln macht mobil gegen Müll und Graffiti. In: StadtRevue 2001; H.5; S.15 Berg, R.: Stadt aus Schuhen. Totale Architektur. Zlín, eine in den zwanziger Jahren am Reißbrett entstandene Idealstadt in Südmähren, war Gegenstand eines Symposions, das den totalitären Charakter von kombiniertem Wohnen und Arbeiten erforschte. In: taz; 15.6.2009; S.15 Berger, P. : Mit voller Härte. In: KStA; 30.4.2007 Bergt, S.: Wegen Bettelns Stütze gekürzt. Das Göttinger Sozialamt zählte die Einkünfte eines Bettlers. Anhand der Summe rechneten die Beamten den unzulässigen Zuverdienst hoch. Der Bettler muss nun mit weniger Stütze klar kommen. In: taz; 28./29.3.2009; S.2. Bickmann, D.: Kiosk-Besitzer will das Alkoholverbot kippen. In. Express Bonn; 15.6.2008a Bickmann, D.: Polizei warnte vor Alk-Verbot. In: Express Bonn; 20.7.2008b Bigo, D.: Polizeihochburg Europa. Sicherheit, Immigration und soziale Kontrolle. In. Le Monde diplomatique; 10/1996; S.14 Blessel, D.: Noch nimmt die Polizei keine Getränkeproben im Bonner Loch. Nach dem Alkoholverbot hat sich die Situation verbessert – Anzeigen und Geldbußen ab 1. August. In: Bonner Generalanzeiger; 12.7.2008 Blum, E.: Voll ins Auge. Verlust an Freiheit oder Gewinn an Sicherheit? Überwachungskameras verändern das Bild von uns selbst. In: Die Zeit; 18.11.1999; H.47 Bodenschatz, H.: Auferstanden aus Ruinen und dem Auto abgewandt. Nostalgischer Mumpitz oder zukunftsweisende Stadtplanung? Das amerikanische Konzept des „New Urbanism“ hält langsam auch in Deutschland Einzug. In: FAS; 28.10.2001; S.53 Bollwahn, B.: Ein dauerhafter Notfall. In der Obdachlosenunterkunft – Provisorium oder Dauerzustand? In: taz; 7./8.1.2006; S.5

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Brandt, J.: Ticket an Polizei: Da ist er! Wenn der Tick.et-Test der Berliner Verkehrsbetriebe erfolgreich ist, gibt es bald keine Papierfahrkarten mehr. Dafür die Möglichkeit der Überwachung. In: taz; 19.11.1999; S.19 Braun, M.: So viel Sicherheit war nie. Wenn Bürgerwehren von der Polizei bewacht werden müssen. In: taz; 28.9.2009; S.11 Breuker, P.: Sozialdemokrat erfreut Rechtsradikale. Bei Köln wirbt ein langjähriger Bundestagsabgeordneter der SPD mit markigen Sprüchen im Kommunalwahlkampf. Dafür schätzen ihn die lokalen Rechten. In: taz; 5.8.2009 Bronfen, E.: Willkommen am Times Square. Wer im Glashaus sitzt, soll nicht schießen. Das New York Police Department macht dem Senatskandidaten Giuliani Probleme. In: taz; 19.4.2000; S.13 Brown, P.L.: Designs for a Land of Bombs and Guns. In: NYT; 28.5.1995 Buss, Ch.: Hereinspaziert! Harun Farocki zeigt, warum angebliche ShoppingParadiese perfekt geplante Höllen sind. In: taz; 22.8.2001; S.16 Chmielewski, A./Hasenkopf, A./Lang, P./Lompscher, K./Reimann, C./Salomon, D.: Sind öffentliche Saufverbote sinnvoll? In: taz; 8./9.8.2009; S.14 Cless, O.: Vom Almosen zum Zuchthaus. Wie man in Mittelalter und Neuzeit mit der Armut umging. In: fifty-fifty 5 (1999); S.6-11 Cremer-Schäfer, H.: Alternativen zur repressiven Kriminalpolitik. In: div.V.: Mit Sicherheit weniger Freiheit. Gegen die Kriminalpolitik mit der Angst. Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union zum Thema „Innere Sicherheit“. (Beilage der taz v. 21.9.1998b); S.4 Crumbach, C.: „Menschliche Rufsäulen“. Einrichtung eines Ordnungshelferdienstes vom Rat bestätigt. In: StadtRevue 2001; H.4; S.19 Daniel, H./Kirchbach, H.D. von: Deutschland im Frühling. Stadtverbot für Punks – Willkür gegen Ausländer. Das Kölner Landrecht – Fesselndes Frankfurt. In: Junge Welt; 5.6.1998 Darnstädt, Th.: Der Ruf nach mehr Obrigkeit. Vorbild New York: Deutsche Polizeichefs pilgern in die amerikanische Metropole, um von der Stadt zu lernen, die das Verbrechen zurückgedrängt hat. Berlin, Frankfurt, Hamburg suchen neue Methoden, um gegen Räuber und Junkies, Bettler und Sprayer vorzugehen. Auch Sozialdemokraten plädieren für größere Härte. In: Spiegel 1997; H.28; S.48-61 Davis, M.: Hell Factories in the Field: A Prison-Industrial Complex. In: The Nation; 20.2.1995c; H.7; S.229 Diederichs, O.: Der Knast als privates Profit Center. Zwanzig Prozent Überbelegung sind in deutschen Gefängnissen normal. Private Sicherheitsunternehmen wollen diesen neuen Markt erobern. Sie bieten dem Staat schlüsselfertige Knäste samt eigenem Personal zur Miete. Die Resozialisierung bleibt dabei auf der Strecke. In: taz; 25.11.1999; S.3

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– : Grundrechte gefährdet. Ausweitung von Polizeibefugnissen führt zur Einschränkung bürgerlicher Freiheiten, beklagen Experten. Unabhängige Polizeibeauftragte sollten Behörden kontrollieren. In: taz; 18.9.2000a; S.7 – : Wachsheriffs jagen Bankräuber. Nach jahrelangem Misstrauen kooperieren immer mehr Polizeipräsidien mit privaten Sicherheitsfirmen. Die Wachdienste übernehmen zunehmend klassische Polizeiaufgaben. Doch von der Zusammenarbeit profitieren vor allem die Privaten. In: taz; 18./19.11.2000b; S.9 – : Wachdienste werden hoffähig. Kriminalpolizei lehnt Zusammenarbeit mit den Sicherheitsdiensten nicht mehr ab. In Düsseldorf gibt es schon eine gemeinsame Leitstelle für Polizei und private Wachleute. Polizei hofft auf „Bereicherung der Erkenntnislage“. Tagung der Kripo in Berlin. In: taz; 2.10.2000c; S.6 Drack, H.: Wenn das Büdchen zur Kneipe wird. Lärm und Alkoholkonsum bei den nächtlichen Feiern am Brüsseler Platz: Erstmals beschäftigt sich ein Gericht mit dem Thema. Einer Kioskbetreiberin konnte kein Verstoß gegen das Gaststättengesetz nachgewiesen werden. In: KStA; 22.7.2009 Dribbusch, B.: Wer spendete, bekam einen Platz im Himmel. Bettelverbote sind so alt wie die Frage: Was unterscheidet „echte“ von „falschen“ Bettlern? Im Mittelalter galt freiwillige Armut als ehrenhaft, heute nicht mehr. In: taz; 31.5.1997; S.11 Duclos, D.: Die Wahnidee vom wahren Kern. Gründe für den fortgesetzten Angriff des Privaten auf das Private. In: Le Monde diplomatique 1999; H.8; S.10-11 – : Nachbarn, Scanner, Zielobjekte. Neue Überwachungstechnologien im Alltag. In: Le Monde diplomatique 2004; H.8; S.5 Ebner, M.: Der große Bruder fährt immer mit. Neuartige Mikrochips machen die Fahrkarte zum Universalpass und schaffen den gläsernen Kunden – Datenschützer warnen vor Missbrauch der Bewegungsprofile. In: taz; 6.7.1999; S.9 Eckert, D.: Hausverbot für Obdachlose. Wohnungslose werden im Hauptbahnhof immer öfter als unerwünschte Personen angesehen und von Ordnungshütern vor die Tür gesetzt. Zu diesem Ergebnis kommt der „Arbeitskreis Umbruch“. In: taz köln; 15.4.2002; S.1 – : Alle Langfinger opjepass! Die Kölner Rats-CDU will öffentliche Plätze unter Kamerabeobachtung stellen, um Taschendiebstähle und Überfälle zu verhindern. Die Polizei lehnt aber dankend ab, der grüne Koalitionspartner ebenso. In: taz köln; 7.1.2004; S.1 Eick, V.: Arme sind schlecht fürs Geschäft. Polizei und Sicherheitsdienste sorgen sich um die Konsumbevölkerung. In: Freitag; 5.9.1997b; S.3 – : Von der temporären Bannmeile zur Garnisonshauptstadt. In: Zum Thema: Hauptstadt der Militarisierung. Bündnis Geloebnix ´98. Beilage der taz; 3.6.1998b; S.2 Engbergsen, G.: Armut ist ein dehnbares Wort. Mit Sprache Distanz schaffen. In: Le Monde diplomatique; 1999; H.9; S.6

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Ermlich, G.: Sinnenreiche Erlebnisse am laufenden Band. Urbane Entertainment Center sind der Versuch, kommerzträchtige Plätze zu schaffen, wo Menschen shoppen, schauen, essen, Kinder im Kindergarten und Männer an der Bar abgeliefert werden. Eine Exkursion zu Englands neuen „Freizeitkathedralen“ wie the Printworks, Star City und Bluewater. In: taz; 22.6.2002; S.20-21 Ernst, Ch.: Alkoholverbot am Bonner Loch. In: Express Bonn; 21.1.2008a – : Alle Büdchen-Besitzer sind stinksauer. In: Express Bonn; 29.1.2008b – : „Sie verdienen am Elend der Ärmsten”. In: Express Bonn; 5.5.2008c Fannrich, I.: Stadt soll Verordnung entrümpeln. Die „Aktion Hammelschreck“ zeigt Wirkung. Inzwischen macht sich sogar der CDU-Ratsherr Winrich Granitzka für eine Änderung der umstrittenen Straßenordnung stark. Die Regelung sei „überflüssig“. In: taz köln; 7./8.5.2005; S.1 Feltes, Th.: Hauptsache plakativ. Politiker von rechts und links zündeln mit sicherheitspolitischen Themen. Und machen eine Kriminalpolitik, die von sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen weit entfernt ist. In: taz; 9.9.2002; S.13 Frangenberg, H.: Bunte Abfalleimer für Köln. Kölns Mülleimer werden in Zukunft in knalligem Orange leuchten. Die Initiative für mehr Sauberkeit der Kölner Abfallwirtschaftsbetriebe (AWB) soll die Abfalltonnen besser sichtbar machen. Die AWB wollen ihren Service auch in Zukunft weiter verbessern. In: KStA, 4.8.2008 – : Ein Trend überrollt die Innenstadt. Die nächtlichen Besucher am Brüsseler Platz werden immer mehr, die Anwohner reagieren genervt bis verständnisvoll. Experten sind sich sicher: Die Probleme im Belgischen Viertel sind erst der Anfang. Der Trend ist nicht aufzuhalten. In: KStA; 11.6.2010 Fricke, H.: Wer nicht mitmacht, fliegt raus. Der Berliner Architektursoziologe Frank Roost hat sich in der Celebration-Siedlung in Florida, am New Yorker Times Square und in der Kirchsteigfeld-Siedlung von Potsdam umgesehen. Nun liegt das Ergebnis vor: Die Disneyfizierung der Städte ist in Europa angekommen – knallbunt und sicher. In: taz; 14.3.2001a; S.14 – : Avantgarde der Anbiederung. Werbegeschenke werden immer aggressiver an die Leute gebracht. Aber niemand regt sich auf, alle greifen zu. In: taz; 13.11.2001b; S.13 Fuchs, P.: Gemeinschaftsfremd. Die Stigmatisierung der so genannten Arbeitsscheuen hat eine lange Tradition und wurde schon von den Nazis perfekt institutionalisiert. Einige Anmerkungen zur Wiederkehr eines perfiden Musters. In: taz; 27.4.2001b; S.14 Füller, Ch.: Die Polizei als Freund und Helfer. Das neue bündnisgrüne Sicherheitskonzept: Waffentragende Polizisten sollen zu freundlichen Kiezcops mutieren. Sicherheit ist „zivilgesellschaftliche Aufgabe“. Prävention gefordert. In: taz, 13./14.9.1997; S.4 Gannott, S.: Pullen sammeln lohnt sich wieder. Das Verbot der Pfandflaschenentnahme aus Kölner Mülltonnen wird heute wohl wieder aufgehoben. Für den Ini-

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tiator der Proteste gegen die Straßenordnung ist das ein Erfolg, den Grünen reicht das nicht. In: taz köln; 27.6.2005; S.1 Gast, W.: Schutz vor Security. Grüne wollen private Sicherheitsdienste zähmen: Keine Hoheitsgewalt und Pflicht zur Ausbildung des Personals. In. taz; 29.6.2001; S.8 Gent, W. van: Exarchia ist überall. Längst sind nicht nur die Autonomen auf den Barrikaden, sondern eine ganze Generation lässt Wut und Frust raus – und empfindet Freude daran. Doch die Stimmung kippt. In. taz; 10.12.2008 Glass, N.: Bangkok soll schöner werden. Im Vorfeld des Gipfeltreffens der AsienPazifik-Staaten wird die thailändische Hauptstadt aufpoliert. In den Augen der Behörden stören da Bettler und Obdachlose nur. Deshalb sollen sie verschwinden. Menschenrechtler kritisieren diese Maßnahmen. In: taz; 1.10.2003; S.11 Goetz, J./Baumann, Ch.: Öffentlichkeit ausgeschlossen. In: taz mag; 21./ 22.11.1998; S.7 Gottschalk, Ch.: Guten Tag, Kontrollen-Kontrolle. „Komitee gegen amtlichen Rassismus“ wirft am Bahnhof ein Auge auf den Bundesgrenzschutz. In: StadtRevue 2001a; H.3; S.12 – : Viel zu popelig. In: taz köln; 8.11.2001b; S.8 Gräff, F.: Harte Mittel gegen Halbstarke. Um Jugendliche von Spielplätzen zu vertreiben, wollte eine Stadt ein Hochfrequenzgerät einsetzen, dessen Töne nur Teenager hören können. Doch das Gerät ist nicht unumstritten. In: taz; 21.12.2007 Greffrath, M.: Barmherzigkeit für den sozialen Bodensatz. In: taz; 3.3.1999; S.12 Greiner, Y.: Der Nutzen von Plätzen. Verschönerung einerseits, Kommerzialisierung andererseits: Die Kölner Plätze werden zum öffentlichen Thema. In: StadtRevue 2001; H.7; S.15 Grill, B.: Paranoia im Paradies. In den Megastädten der Südhalbkugeln flüchten sich die Reichen in luxuriöse Wohnburgen. Die Zitadellen verheißen Sicherheit, reine Luft und viel Grün für die Kinder. Aber sie stiften keinen Seelenfrieden. Mit den Mauern wächst die Angst. In: Die Zeit; H.21; 18.5.2000 Groß, Th.: Happy Holocausts. 138mal wurde Los Angeles in Film und Buch vernichtet. Und während die Stadt auf das große Erdbeben wartet, träumen Urbanisten von einer „Ökologie der Angst“. In: taz; 24./25.10.1998; S.15 Häußermann, H.: Die Einwanderungsstadt. Unsere Städte verändern sich und suchen eine neue Balance zwischen „Leitkultur“ und ethnischer Vielfalt. Heute geht es darum, die Spannung zwischen Harmoniesucht und heterogener Realität neu zu organisieren. Eine Betrachtung. In: taz; 7.1.2002; S.14 Hahn, D.: Hart gegen die Verlierer. Die rechte französische Regierung legt ihr Gesetz über die „innere Sicherheit“ dem Parlament vor. Im Visier stehen die Armen: Bettler, Obdachlose, Nichtsesshafte, Hausbesetzer und Prostituierte. Letztere gehen jetzt dagegen auf die Straße. In: taz; 7.11.2002; S.11

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Hainard, F./Verschuur, Ch.: Städte, Lebensumfeld und Geschlechterrollen. Ein Forschungsprojekt in sieben Ländern des Südens und des Ostens. In: NZZ; 19./20.1.2002; S.57 Halimi, S.: Die Herrschaften der virtuellen Öffentlichkeit. Wie die Demokratie im Talk versickert. In: Le Monde diplomatique 1999; H.3; S.3 Hauser, C.: Vier Minuten – eine Ewigkeit. In: KStA; 12.1.2008 Hengesbach, S.: Zugemüllt und platt gesessen. Der Brüsseler Platz ist in den vergangenen Jahren zur trendigen Open-Air-Trinkmeile avanciert. Doch der sommerliche Chill-Out bringt vor allem Pflanzenfreunde gehörig auf die Palme. Für ihre liebevoll gepflegten Beete fordern sie mehr Rücksicht und Respekt. In: KStA; 26.4.2009a – : Jenseits vom Wir-Gefühl. Am Brüsseler Platz ist abends die Hölle los. Ob ein Alkoholverbot oder eingeschränkte Kiosk-Öffnungszeiten helfen würden? Sicherlich hilfreich wäre etwas mehr Rücksicht im öffentlichen Raum. Doch das ist scheinbar zuviel verlangt. In: KStA; 26.4.2009b Henschel, G.: Im Wiegeschritt der Moderne. Abends zum Gasthof herüberschlendern ist noch lange nicht sein Schönstes: Der Flaneur ist nicht totzukriegen, nur seine Deuter schreiben im fiebrigen Rausch. In: FAZ; 6.1.2000; S.48 Helling, O.: Big Brother für Alle? Videoüberwachung in Köln. In: Rathaus ratlos; H.132; 2/2001; S.10-11 – : KASA expandiert. Weitere 1,5 Mio. DM aus städtischen Mitteln. In: Rathaus ratlos 2001; H.135; S.10-11 Höge, H.: Flugis gibt’s hier am Lauti. Politik im öffentlichen Raum. Eine „Innenstadtaktion gegen Privatisierung, Sicherheitswahn und Ausgrenzung“ in Berlin und 19 weiteren Städten. In: taz; 7./8.6.1997; S.14 Huppertz, E.: Trebegänger im statistischen Dunkel. Sozialminister Schartau vermeldet, dass weniger Menschen obdachlos sind. Die Asyle für Menschen auf Wanderschaft merken davon nichts. Kein Wunder, denn die Statistik zählt nur die Menschen in städtischen Notunterkünften. In. taz köln; 10.1.2002; S.3 Ihssen, J.: Demonstratives Urinieren. Höchstinstanzliche Polizeiprosa gegen ChaosTage. In: taz; 15.7.1996; S.20 Inhoffen, L.: Alkoholkonsumverbot im Bonner Loch: Skeptiker pochen auf mehr soziale Unterstützung. Kirchen und Wohlfahrtsverbände erinnern an Beschlüsse des Runden Tisches. In: Bonner Generalanzeiger; 20.6.2008 InnenStadtAktion (Hg.): Innenstadtaktion gegen Privatisierung, Sicherheitswahn, Ausgrenzung. Beilage der taz; 31.5./1.6.1997 Jansen, K.: Landeshauptstadt rüstet auf. Die Düsseldorfer Polizei bekommt neue Beamte für den Personen- und Objektschutz. Grund sei die konstant hohe Terrorgefahr in der Landeshauptstadt. Eingreiftruppe soll „Angsträume“ beseitigen. In: taz köln; 12.8.2004; S.2 Jünschke, K.: Kriminell! Jagd auf Jugendliche. Glaubt man den Angaben der Polizei und dem, was die Zeitungen daraus gemacht haben, ist Köln ein Zentrum

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der Jugendkriminalität. Die Statistik des BKA – gerade von Innenminister Otto Schily vorgestellt – scheint dies zu bestätigen. Doch dahinter steckt reine Anzeige-Lust. Ein Diskussionsbeitrag. In: taz köln; 31.5.2001; S.8 Kahl, R.: Die Pädagogik des Überflüssigen. Bettler sollen aus den deutschen Innenstädten verjagt werden – und Hamburg wollte dabei just die Avantgarde spielen. In: taz; 1.11.1996; S.10 Kammerer, D. (Interviewer): Kameras für eine freundliche U-Bahn. Der Berliner CDU-Politiker Peter Trapp fordert eine viel stärkere Videoüberwachung von Uund S-Bahn und von öffentlichen Plätzen. Nur so komme man gegen Randalierer, Drogenabhängige und die Taliban an. In: taz; 19./20.9.2009; S.14 Kaltenbrunner, R.: Wo bitte, geht´s hier zur Stadt? Über die Stadt als Idee und ihr Verlorenes „urbanes“ Profil. Statt natürlicher und architektonischer (Frei-) Räume erleben wir die Simulation des Öffentlichen. In: taz; 2.4.1994; S.13 – : Schöne Grüße aus unserer Lebenswelt. Himmlische Planungsfehler und „gesunder Menschenverstand“. H.P. Bahrdts Aufsätze. In: taz; 3.2.1998; S. 19 Kasparek, M.: Vertreibung statt Prävention. Das Jugendamt startet in der zweiten Januarhälfte eine äußerst fragwürdige Aktion in den Kölner Fußgängerzonen. In: Stadt Revue 2001; H.3; S.11 Kil, W.: Aneignung der Bilder. In: taz berlin; 9.8.1996a; S.24 Kilb, A.: Das Lied vom Untergang. Über Mike Davis, den Stadtsoziologen und Unheilspropheten von Los Angeles, und sein neues Buch „Ökologie der Angst“. In: Die Zeit; 28.10.1999; H.44; S.53-54 Kim, U.Y.: Ein Sommernachtsalptraum. Köln verbietet Obdachlosen, in Mülltonnen nach Pfandflaschen zu suchen. Der BGS setzt Hubschrauber gegen GraffitiMaler ein. Zum städtischen Sauberkeitsfimmel und seinen Folgen ein Kommentar. In: Stadtrevue 2006; H.6; S.15 Kirbach, R.: Porsche oder Penner. Die Geschäftsleute auf der Kö drohen mit Steuerboykott, wenn Bettler Peter Otte mit seinen Hunden dort um Almosen bittet. In: Die Zeit; 13.10.1995; H.42; S.64 Klein, R.: Verwaltungsrichter bestätigen Alkoholverbot im Bonner Loch. Gericht lehnt Antrag eines Kioskbesitzers gegen Konsumverbot im Bonner Loch ab. Geschäftsmann sieht seine Existenz gefährdet. Polizei registriert Verlagerung der Szene in andere Innenstadtgebiete. In: Bonner Generalanzeiger; 23.7.2008 Klinenberg, E.: Autopsie eines mörderischen Sommers in Chicago. In: Le Monde diplomatique 1997; H.8; S.6-7 – : Alleine Kegeln gehen, gemeinsam Wache stehen. Bürgersinn, öffentliche Sicherheit und die Aufwertung der Polizei. In: Le Monde diplomatique 2001; H.2; S.1, 10-11 (Engl. in: Social Justice 28 [2001]; H.3; S.75-80) Klingelschmitt, K.P.: Spaziergänger werden gefilmt. Hessen will das Gesetz für Sicherheit und Ordnung verschärfen. Plätze und Straßen sollen mit Videokameras überwacht werden. In: taz; 26.8.1999

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Kob, St.M.: Alarm: Der City laufen die Käufer weg. Marktforschung des Tageblatts untermauert die Notwendigkeit, die Innenstadt zu stärken. In: ST; 26.10.1999a – : Warum sind die Solinger Käufer untreu? Immer mehr kaufen außerhalb und nicht in der Stadt. Solingen-Studie 99 geht Ursachen hierfür auf den Grund. In: ST; 6.12.1999b Koch, H.: Eine Zensur findet statt. Polizei vernagelt ein Wandporträt des Berliner CDU-Chefs Landowsky. In: taz; 18.6.1997; S.4 Koch, S.: Hilfe tut Not. In: ST; 2.10.2003; S.15 Koch-Schreiber, S.: „Ich habe mich nicht getraut“. Versammlungsort neben dem Kiosk an der Baustelle am Mühlenhof ist zum Dauerärgernis geworden. In: ST; 12.1.1999a; S.13 – : Situation zeugt von Hilflosigkeit. In: ST; 20.2.1999b; S.9 – : Miteinander. In: ST; 16.6.2000; S.9 Köhl, B.: Ordnungshüter erteilen Platzverweise am Bonner Loch. Deutlich weniger offene Bierflaschen rund um den Brennpunkt. In: Bonner Generalanzeiger; 2.7.2008 Köhler, A.: Der Gefängnisarchitekt. Kein Fenster breiter als ein Schädel und kein Haken, an dem man sich erhängen kann: James Kesslers Arbeit unterliegt ganz besonderen Einschränkungen. In: NZZ Folio 2004; H.1 Kreissl, R./Sack, F.: Die strafende Gesellschaft – Der Staat und seine letzte Rettung. In: div. V.: Mit Sicherheit weniger Freiheit. Gegen die Kriminalpolitik mit der Angst. Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union zum Thema „Innere Sicherheit“. Beilage der taz v. 21.9.1998; S. 4 Kronawitter, G.: „Die Strukturen zerfallen“. Der Münchner Oberbürgermeister Georg Kronawitter über die drohende Verslumung der deutschen Großstädte. In: Der Spiegel 1993; H.15; S.47-54 Küppers, K.: Grill-In gegen Bahn-Saubermänner. KünstlerInnen (sic) und politische Initiativen wollen gegen den Sauberkeits- und Sicherheitswahn auf Bahnhöfen protestieren. Heute beginnen die „Innenstadtaktionstage gegen Privatisierung und Ausgrenzung“. In: taz; 2.6.1998; S.7 – : Depression und Revolte in der Großstadt. Traurige Brandstifter. In: taz; 10.7.2002; S.17 Lainsecq, M. de: Favela-Bewohnerinnen nehmen ihr Schicksal in die Hand. Aktionsforschung in einem Elendsquartier Sao Paulos. In: NZZ; 19./20.1.2002; S.55 Lau, J.: Es kommen härtere Tage. Während die Systemtheorie die soziale Frage und die Fatalität der Technik entdeckt, verlegt sich die Kritische Theorie auf die Beobachtung des Feuilletons. Neue politische Schriften von Niklas Luhmann und Jürgen Habermas. In: taz; 18.7.1995; S.12 – : Darin, dagegen. In: taz; 10.8.1996; S.15 Lautenschläger, R.: Stadtflucht macht frei. Sind die Innenstädte zu Shoppingmalls verkommen? Oder lassen sie sich feiern als Vergnügungsorte für Urbaniten der

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Marke neue Mitte? Der nationale Städtebaukongress diskutierte in Berlin über die Angst vor der Verödung der Metropolen. In: taz; 24.11.1999; S.14 Lehne, W.: Die Kriminalstatistik: Sicherheitsbarometer oder Tätigkeitsnachweis der Polizei? In: div.V.: Mit Sicherheit weniger Freiheit. Gegen die Kriminalpolitik mit der Angst. Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union zum Thema „Innere Sicherheit“. Beilage der taz v. 21.9.1998; S.2 Leihs, N.: Big Brother ohne Container. Bielefeld will die erste Stadt in NRW sein, in der polizeiliche Videoüberwachung erlaubt ist. Andere Großstädte zeigen daher kein Interesse. In: taz nrw; 12.10.2000; S.2 Liebl, St.: Armut macht Kölner aggressiv. Den typischen Obdachlosen gibt es nicht mehr, sagen Kölner Hilfsorganisationen. Auch Rentner und Sozialhilfeempfänger finden sich inzwischen in den Suppenküchen. Die Stadt tue zu wenig, so die Vereine. In: taz köln; 1.7.2004; S.1 Lischka, K.: Big Brother is watching in Bayern. Regensburg startet ein Pilotprojekt zur polizeilichen Videoüberwachung öffentlicher Plätze. In fast allen Bundesländern arbeiten die Parteien an solchen Projekten und an neuen Polizeigesetzen. Auch das Bundesdatenschutzgesetz wird novelliert. In: taz; 31.5./1.6.2000; S.7 – : Aus Angst geboren. Die Reichen und ihre Wächter: Bald werden 11 Millionen Amerikaner in umzäunten Wohnsiedlungen mit bewachten Einfahrten leben. Privilegierte soziale Gruppen verabschieden sich damit aus der Gesellschaft. Hauptsache, man ist unter sich, nicht Teil der heterogenen, nivellierten Masse. In: taz; 13.3.2002; S.17 Lisken, H.: Jeder Mensch ein Sicherheitsrisiko? In: div.V.: Mit Sicherheit weniger Freiheit. Gegen die Kriminalpolitik mit der Angst. Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union zum Thema „Innere Sicherheit“. Beilage der taz v. 21.9.1998; S.1 Löwisch, G.: Private Aufpasser in Dienste des Staates. Zunehmend vergibt der Staat Aufgaben, um die sich bislang Polizisten kümmerten, an private Wachschützer – ohne für eine gesetzliche Regelung der Sicherheitsbranche zu sorgen. Das soll nun anders werden. In: taz; 6.10.1999; S.7 Loose, H.W.: Anonymität schafft Freiraum für Kriminalität. Konferenz der Innenminister und Schadenversicherer starten die Aktion „Vorsicht! Wachsamer Nachbar“. In: Die Welt; 13.8.1996 López, R.: Festungsstädte nur für Reiche. Neue soziale Apartheid. In: Le Monde diplomatique 1996; H.3; S.1 und 4 (auch in: Blum, E. [Hg.]: Wem gehört die Stadt? Armut und Obdachlosigkeit in den Metropolen. Basel 1996; S.51-59) Mansel, J.: Ausländerkriminalisierung als politisches Instrument. In: div.V.: Mit Sicherheit weniger Freiheit. Gegen die Kriminalpolitik mit der Angst. Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union zum Thema „Innere Sicherheit“. Beilage der taz v. 21.9.1998; S.2

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Martens, R.: Das Recht auf ungezieltes Saufen in unzurechnungsfähigem Zustand. In: taz; 7.5.1999; S.9 Martini, T.: Hör die Straße, Marianne! Als 2005 die französischen Vorstädte brannten, war es ein Leichtes, die Jugendlichen zu kriminalisieren. Robert Castel hingegen zeigt: Die Banlieu-Jugendlichen sind Bürger zweiter Klasse und von Prekarität und Ausgliederung bedroht. In: taz; 12.3.2009; S.13 Matzig, G.: Bahnhof verstehen. Eine Mission: Warum wir die dunklen Seiten der Stadtgesellschaft nicht aussperren können. In: SZ; 18.10.2001; S.15 Meier, M.: Meister Propper reinigt Stadt der Shopper. Essens Sozialdemokraten sind an ihrer Arroganz gescheitert. Und wurden von der CDU deklassiert. Nun wird mit dem Wolfgang Reiniger ein CDU-Mann die Stadt regieren, dessen Programm 1. Wechsel, 2. Law, Order und Sauberkeit lautet. In: taz ruhr; 16.9.1999; S.4 Meiser, Th.: Mit Sicherheit ein gutes Gefühl. Auf der Security-Messe in Essen geht die Branche mit Netzen und Fußangeln auf Kundenfang. In: taz ruhr; 8.10.1999; S.3 Meurer, H.P.: Unnersberg/Brühl: Bald Steetworker. Polizei mahnt in Bezirksvertretung Besonnenheit an. In: ST; 5.12.2003 Meyer, O.: Jetzt räumt die Stadt auf. Früher Drogenumschlagplatz. Junkies und Nutten sind heute auf dem Platz verschwunden. Doch das war ein langer Weg, den Geschäftsleute und Anlieger unterstützten. In: Express Köln, 15.3.2008 Meyer, O./Merting, Ch.: Empörung über Neumarkt-Junkies. Geschäftsleute fordern Polizei zum Handeln auf. In: Express; 22.7.2009 Miller, D.W.: Poking Holes in the Theory of „Broken Windows“. In: The Chronicle of Higher Education; 9.2.2001 Misik, R.: Wenn Menschen Dinge besitzen wollen, von denen sie kurz zuvor noch nicht einmal wussten: Was ist Shopping? In: taz; 3.1.2006b; S.14 – : Wer die Bettelcodes verletzt. In: taz; 16.9.2009; S.1 Moll, S.: Rückkehr der Verdrängten. In: taz; 12.3.2007; S.4 Mongin; M.: Dieses Subjekt wird bewacht. Smarter Bodyguard, verdruckster Aufpasser oder kantiger Rausschmeißer: Der private Wachschutz ist vor Banken, in Supermärkten und Diskotheken allgegenwärtig – und längst auch akzeptiert. Porträt eines Berufs mit unklarem Profil. In: Le Monde diplomatique 2008; H.1; S.12-13 Montclos, M.A.P. de: Afrikas Oberschicht igelt sich ein. In: Le Monde diplomatique 1996; H.3; S.4 Müller-Heidelberg, T.: Kriminalität als Wahlkampfthema. In: div.V.: Mit Sicherheit weniger Freiheit. Gegen die Kriminalpolitik mit der Angst. Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union zum Thema „Innere Sicherheit“. Beilage der taz v. 21.9.1998; S. 1 Müller-Lobeck, Ch.: Hamburg hat Angst vor den gefährlichen Klassen. Auf der Reeperbahn wird ein rigoroses Waffenverbot durchgesetzt – dem ungetrübten

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Konsum zuliebe. Die Benutzung von Speisemessern bleibt daher auch auf der Straße erlaubt. In: taz; 22.1.2008; S.17 – : Amerika ist doch anderswo. Schriften zu Zeitschriften: Das Autorenteam des Readers „Die Stadt als Beute“ überdenkt in einem Sonderheft der „Widersprüche“ seine Befunde. In: taz; 25.4.2001; S.14 Murphy, M.: Der Sozialdemokrat als Saubermann. Städte in NRW sollen sauber werden – zumindest im Wahlkampf. In: taz ruhr; 9.9.1999; S.3 Narr, W.D.: Öffentlicher Firlefanz mit System. Notizen anlässlich der zweiten öffentlichen Vereidigung von Bundeswehrsoldaten in Berlin. In: Zum Thema: Hauptstadt der Militarisierung. Bündnis Geloebnix ’98. Beilage der taz; 3.6.1998; S.1 Naumann, J.: Der soziale Frieden der Stadt ist in Gefahr. Lebensverhältnisse driften auseinander, Armutspotential und Ungleichheit wachsen. Die neue BerlinStudie zeichnet ein niederschmetterndes Bild von der sozialen Situation Berlins. In: taz; 9.12.1998; S.19 Nord, Ch.: „Natürlich kann ich nachts nicht ausgehen“. In: Stadtrevue 2000; H.10; S.28-29 Nutt, H.: Ein-Mann-Unternehmen im Dienste der Erkenntnis. In: taz; 12.11.1998; S.3 – : Lob der Faulheit. Wovon wir sprechen, wenn wir von Sozialhilfe sprechen. Zu einer politischen Asoziologie der Talente. In: FR; 21.8.2001; S.17 Özbay, J.: Kaufkräftige Obdachlose. Geschäftsleute im Hauptbahnhof schätzen Menschen ohne Wohnung als Käufer. Das überrascht die Deutsche Bahn, die ihre Kunden vor Obdachlosen „schützen“ will. In: taz köln; 31.10.2002; S.3 o.V.: „Die Polizei kommt nicht hinterher“. Private Sicherheitsdienste: Boom durch wachsende Kriminalität. In: Der Spiegel 1991; H.42; S.34-36 – : „Wer stört, fliegt raus“. In: Der Spiegel 1992; H.27; S.70-80 – : Einen Backstein ins Gesicht. Jugendliche ermorden, verprügeln oder berauben Obdachlose. In: Der Spiegel 1993; H.48; S.56-59 – : Gegen Vertreibung! Die Straße gehört allen! In: fiftyfifty 3 (1997b) H. 6; S.1516 – : Dreckspatzen und Drecksarbeit. In vielen Städten machen Ordnungspolitiker und Geschäftsleute gemeinsame Sache, um Obdachlose und Arme aus den Innenstädten zu entfernen. Ein breites Bündnis sozial Engagierter will nun verhindern, dass Polizei und private Sicherheitsdienste die Randgruppen verscheuchen. In: Der Spiegel 1997c; H.24; S.48-50 – : Asylbewerber sind „eine Art Pilotgruppe“. Die Asylcard – der Anfang für die Überwachung weiterer Bevölkerungskreise? In: taz; 16.1.1998c; S.3 – : Besseres Benehmen in der „guten Stube City“. Kriminalität und verwahrloste Ecken schrecken immer mehr Innenstadt-Besucher. Ausweg „Ordnungspartnerschaft“? In: ST; 21.4.1998d; S.7 – : Betteln darf nicht verboten werden. In: taz; 25./26.7.1998e; S.6

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– : Chronologie der inneren Aufrüstung. In: div.V.: Mit Sicherheit weniger Freiheit. Gegen die Kriminalpolitik mit der Angst. Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union zum Thema „Innere Sicherheit“. Beilage der taz v. 21.9.1998f; S. 3 – : Hilfe für Straßenkinder. Kontaktstelle fordert Ende der Vertreibung obdachloser Jugendlicher. In: taz; 9.12.1998g; S.18 – : Stadt will für mehr Sicherheit sorgen. In: Live! 1998h; H.1; S.47 – : Freundliches „Lungern“. Noch kein Urteil im ersten Prozeß gegen einen Verkäufer der „Straßenzeitung“. In: taz; 26.1.1999b; S.18 – : Behandelt wie der letzte Dreck. Stadtbesucher fühlen sich von der Szene am Mühlenhof belästigt. Verwaltung sucht nach Lösungen. In: ST; 20.2.1999d; S.9 – : Rund 80.000 Frauen ohne festen Wohnsitz. In: taz; 1.7.1999e; S.4 – : Sonderprogramm soll Verslumung stoppen. Bund, Länder und Gemeinden starten „Soziale Stadt“ mit 300 Millionen Mark. In: taz; 6.7.1999f; S.4 – : Obdachlose sollen für Unterkunft arbeiten. Ankündigung von Guiliani. In: FR; 28.10.1999g; S.17 – : „Die Innenstadt stärken“. Einzelhandelsverband begrüßt die Einkaufsstudie aus dem Hause B.Boll. In: ST; 4.11.1999h – : Zahl der Wohnungslosen in Deutschland. In: Die Straße 6 (2000a); H.70; S.1315 – : Mehr Wachschutz. In: StadtRevue 2000b; H.4; S.8 – : 550.000 ohne Obdach. In: taz; 12.7.2000c; S.7 – : Viele Menschen fühlen sich von „Szene“ belästigt. Am Montag im Jugendhilfeausschuss und am Dienstag in Sozialausschuss wird über Solingens Straßenordnung diskutiert. In: ST; 16.6.2000d; S.9 – : Maltesergründe werden kaum noch genutzt. Jugendförderung, Jugendschutz und diverse soziale Einrichtungen arbeiten an vielen Stellen in Solingen. In: ST; 16.6.2000e; S.9 – : Hinwendung zu den „Rausgefallenen“. Caritasverband nimmt in Solingen Auftrag der katholischen Kirche von Solingen wahr. In: ST; 16.6.2000f; S.9 – : Spritzen vor Ort umtauschen. Aufsuchende Sozialarbeit in Solingen. In: ST; 16.6.2000g; S.9 – : „Solingen ist weder Köln noch Düsseldorf“. CDU und FDP zogen ihren Antrag zur Änderung der Straßenordnung zurück. Zuerst werden Kirchen und Verbände gehört. In: ST; 20.6.2000h – : Vorstoß gegen aggressive Bettelei. In: ST; 20.7.2000i – : Polizisten baten zur Kontrolle. Aktionstag an Bahnhöfen und in S-Bahnen. In: FR; 28.6.2000j; S.25 – : „Von niemandem manipuliert“. Der Jugendstadtrat weist die Vorwürfe zurück, parteiisch zu sein oder von außen beeinflusst zu werden. In: ST; 30.5.2000k – : Strafe statt Hilfe? SPD und Jugendstadtrat gegen weitere Härte. In: ST; 11.5.2000l; S.13

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– : Bald alle Amis im Knast? In: taz; 23./24.4.2000m; S.10 – : Heikles Thema wird sachlich angepackt. Mit der Solinger „Straßenordnung“ sollen sich die Fachausschüsse des Rates beschäftigen. In: ST; 12.5.2000n – : „Die Jugend braucht einfach ihre Freiräume“. Jugendstadtrat: Demo gegen neue Straßenordnung. In: ST; 12.5.2000o – : Zentrale wacht über die Reisenden. Die drei „S“ lauten Service, Sauberkeit und Sicherheit – Kein Winkel im Bahnhof bleibt unbeaufsichtigt. In: Colonaden. Hauptbahnhof Köln; H.6; 29.3.2000p; S.30 – : Statt Lärm, Schmutz und Dreck lockt jetzt das Einkaufsvergnügen. In: Colonaden. Hauptbahnhof Köln; H.6; 29.3.2000q; S.6-7 – : Bürgerinitiative gegen Obdachlose gescheitert. In: Rathaus ratlos 2000r; H.128; S.11 – : Fuck da KASA. In: Krass 2000s; H.4; S.6-9 – : Innenstadt zurück zu neuer Stärke. ST präsentierte Cityhändlern SolingenStudie. In: ST; 19.5.2000t – : Schritte zur Aufwertung der Bäckeranlage. Viele kleine Massnahmen (sic) gegen die Drogenszene. In: NZZ; 6./7.1.2001a; S.31 – : Politik setzt Signal für Wohnungslose in der Altstadt. In: fifty-fifty 7 (2001b); H.2; S.15 – : Ordnung statt Sozialhilfe. Auch Langzeitarbeitslose sollen „Streife“ gehen. In: taz köln; 8.3.2001c – : Weg von der Straße. In: taz; 20.3.2001d; S.2 – : Gericht: Junkies vertreiben OK. In: taz köln; 15.3.2001e; S.6 – : Ordnungshelfer, Nein, danke. In: Rathaus ratlos 2001f; H.133; S.7-8 – : Städte. Warum in der Krise? Städte erleben ein explosionsartiges Wachstum. Kaum imstande, dies zu bewältigen, sind viele Großstädte in eine Krise geraten. In: Erwachet! 82 (2001g); H.7; 8.4.2001g; S.3-10 – : Legales Sprayen zieht illegale Nachahmer an. Millionenschäden durch Schmierereien. Geldforderungen an Sprayer. In: Kölner Wochenspiegel; 11.4.2001h; S.1 – : Essener Junkies vertreiben. Bahn greift durch. In: taz köln; 12.4.2001i; S.6 – : Überlebens-Station für Obdachlose. In: Colonaden 2001j; H.12; S.9 – : Endlich Ruhe in der City! Nix mehr Kirmes, nix mehr CSD-Parade, nix Trödel. In: taz köln; 3.5.2001k; S.4 – : Obdachlose: In drei Jahren Zahl halbiert. In: taz köln; 10.5.2001l; S.7 – : Profit statt Prügel. Boom mit weißer Weste: Sicherheitsfirmen. In: taz; 26./27.5.2001n; S.8 – : Kriminalität in Bayern. Video überwacht. In: taz; 30.5.2001o; S.2 – : Obdachlose. Internetcafé eröffnet. In: taz; 29.5.2001p; S.7 – : Sauberkeitsoffensive in 6.000 deutschen Stationen. In: Bahnhof live Hamburg 2001r; H.1; S.6

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– : Dreierstreifen stärken subjektives Sicherheitsgefühl. Pilotprojekt „Sicherer Bahnhof“. BGS-Kräfte rund um die Uhr präsent. Zusammenarbeit mit Bundesgrenzschutz und Polizei. In: Bahnhof live Hamburg 2001s; H.1; S.6 – : Irgendwann alle Amis im Knast? In: taz; 19.7.2001t; S.10 – : Knastrekord in USA. 6,47 Millionen Menschen verbrachten im vergangenen Jahr einen Teil ihres Lebens in amerikanischer Haft. In: taz; 28.8.2001u; S.10 – : Mission: Bahnhof bleibt Obdach. In: taz; 16.10.2001v; S.8 – : KASA-grau? Graffitibunt! Denkwerkstatt CasaNova will für Sprayer kämpfen. In: taz köln; 18.10.2001w; S.1 – : Mauer nein, Minen ja. Verwaltung meint, Walter Hermanns Friedensaktion vor dem Dom sei nicht auf Kommunikation ausgerichtet. In: taz köln; 15.11.2001x; S.5 – : Gulliver gibt Licht und Wärme. In: taz köln; 13.12.2001y; S.1 – : Platzverweise rechtswidrig. In: Rathaus ratlos 2001z; H.141; S.5 – : Bahn verbietet Plakataktion. In: taz, 29.1.2002b; S.8 – : Wohnungslose: Zahl gesunken. In: taz, 1.2.2002c; S.6 – : Per Gericht gegen Plakatverbot. In: taz; 1.3.2002d; S.7 – : Gefährliches Stadtleben. Kriminalität in großen deutschen Städten nimmt zu. An der Spitze liegen Hamburg, Berlin und Frankfurt/Main. In: taz; 3.4.2002e – : Für den Bahnhof beten. Obdachlose haben bei der Bahn nichts mehr zu suchen. Ein Jurist rät zum Kampf um den „Schutzraum“. In: taz köln; 23.5.2002f; S.3 – : Mehr Obdachlose in New York. In: taz; 31.10.2002g; S.2 – : Punker dürfen bleiben. In: taz; 16.10.2002h; S.2 – : Kunst aus der Dose hält Sprayer in Schach. In: Fakt NRW 2003a; H.2; S.1 – : Aussetzung: „Übliche Praxis“. In: taz; 27.7.2003b; S.7 – : Bußgelder für Bettler. Ordnungspartnerschaften wollen mehr Strafen verhängen. In: Bergische Zeit 2003c; H.9; S.31 – : Brennpunkt Bremsheyplatz. In: ST; 19.9.2003d; S.13 – : Ärger mit den Außenseitern: Was tun? Die Klagen der Händler über die Straßen-Szene reißen nicht ab. In: ST; 2.10.2003e; S.15 – : CDU: „Zustände sind untragbar“. In: ST; 2.10.2003f; S.15 – : Härtere Regeln auf der Straße? In: ST; 2.10.2003g; S.15 – : Mann erfroren: Beamte verurteilt. In: taz; 31.12.2003h; S.10 – : Ambulante Hilfen und Arbeitsprojekte schaffen. Drei Monate ist der Sozialarbeiter Marco Krienke im Dienst: Alkohol spiele in der Szene am Bremsheyplatz die größte Rolle, in der Innenstadt gehe es in den Gesprächen oft um illegale Drogen. In: ST; 13.2.2004; S.13 – : Nagel will City bettlerfrei. In: taz; 31.12.2005/1.1.2006a; S.7 – : Bettelverbot in der City: Zwei Drittel dagegen. In: taz; 12.1.2006b; S.5 – : Sperrbezirk für Bettler gefordert. In: taz nrw; 16.1.2006c; S.2 – : Der Stadt verwiesen. Störenfriede in Peine. In: taz; 1./2.3.2008 – : Köln – Bürger fordern: Stadt muss sicher werden. In: KStA; 16.8.2009

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Pesch, M.: Skaten ohne Sprünge. Zahlreiche Skater präsentieren regelmäßig auf dem Roncalliplatz ihre neuesten und spektakulärsten Tricks. Das darf die Stadt laut eines Gutachtens verbieten. Die ortsansässigen Bürger fordern nun zügige Konsequenzen. In: KStA; 9.6.2010 Pfaff, J.: Eine Stadt verbietet das Spucken. Die Kleinstadt Belzig in Brandenburg sorgt sich um die Jugend – und um ihr Erscheinungsbild. Deshalb sollen Bürger Bußgelder zahlen, wenn sie auf öffentlichen Plätzen rauchen oder auf die Straße spucken. Rauchen am falschen Ort soll 50 Euro kosten. In: taz; 22.11.2005; S.7 Plarre, P.: Freizeit mit Knarre und in Uniform. Knapp 600 Hobbypolizisten machen Berlin weiter unsicher: Wegen zahlreicher Skandale und massiver Kritik wurde die Freiwillige Polizeireserve zwar aufgelöst, doch unter anderem Namen und mit erweiterten Befugnissen probt die Truppe nun einen Neuanfang. In: taz; 8.11.1999; S.19 Platen, H.: Bettler raus, fließender Verkehr rein. Große Koalition in Frankfurt am Main gestern festgeklopft. „Feste Zusammenarbeit“ und Doppelhaushalt vereinbart. In: taz; 17.9.1997a; S.4 – : Es werde Licht am Platz der Angst. In Bensheim an der Bergstraße sind zwei Lichtmasten Teil eines Sicherheitskonzeptes, das Drogendealer vertreiben soll. Aber auch Obdachlose, Punker und Skater fühlen sich beobachtet. Die Bürger sind überglücklich. In: taz; 3.11.1997b; S.7 – : Alleine gegen die Kameras. Immer mehr Städte lassen öffentliche Plätze mit Videokameras überwachen, die Polizei feiert die Pilotprojekte und das Misstrauen der Bürger hält sich in Grenzen. Dem Mannheimer Christoph Saeftel ist das egal, er klagt beharrlich gegen die Überwachung. Was bringt den 37jährigen dazu? In: taz; 16.9.2003; S.5 Rada, U.: Viel Fassade. In: taz; 28.11.1996a; S.3 – : Freiraum oder bloße Kulisse? Der Streit um die Bebauung des tacheles ist auch ein Kampf um das Verständnis von Urbanität. In: taz berlin; 19.7.1996b; S.23 – : Rückzug in die nächste Eckkneipe. In Prenzlauer Berg findet neben der Aufwertung zum urbanen Freizeit- und Lifestyle-Park auch eine Verdrängung des öffentlichen Raums statt. In: taz berlin; 26.7.1996c; S.23 – : Kann man in der Passage küssen? Der Trend zu Passagen hält an. Der geordnete Konsum im Privaten stößt aber kaum auf Gegenliebe. In: taz berlin; 2.8.1996d; S.24 – : Waschzwang im Abstiegskampf. Die Vision der Metropole ist längst Makulatur. Die Privatisierung der Stadt geht aber weiter. In: taz berlin; 15.8.1996e; S.23 – : Militarisierung des Raums. Sauber und proper soll der öffentliche Hauptstadtraum sein. Doch dies birgt auch Risiken. In: taz berlin; 23.8.1996f; S.23 – : Die City ist nicht für alle da. Bettler sollen raus aus den Innenstädten – gegen diesen Trend kämpfen politische Initiativen von Montag an mit einer „Aktionswoche“ in mehreren Städten. In: taz; 31.5./1.6.1997b; S.11

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Rada, U./Lautenschläger, R./Johnson, D./Hahn, D./Siebel, W./Orlowski, W./ Häußermann, H./Gaserow, V.: Dossier: Die Stadt und die Fremden. In: taz; 26.11.1997c; S.I-IV Rada, U.: Survival statt Revival. Die Wiederbelebung des Mythos Berlin für die eigentumsfähigen Mittelschichten oder Armutsmetropole. Im amerikanischen Cambridge diskutierten Stadtplaner über das Bauen einer nationalen Hauptstadt. In: taz; 14./15.2.1998b; S.13 – : Verdrängung im vierten Stadium. Legte man die Berliner Stadtentwicklung der Nachwendezeit und deren Protagonisten allesamt auf die Couch, würden Psychologen unschwer ein Verhaltensmuster erkennen, das fast automatisch zu Neurosen, Depressionen oder zu Phobien führt. In: taz mag; 31.1./1.2.1998c; S.V – : Manager gegen die Verelendung. Um Problemquartieren zu Leibe zu rücken, will Berlin ab Januar „Quartiersmanager“ einsetzen. Kritiker befürchten, dass damit die Probleme nur verwaltet werden. In: taz; 12./13.12.1998d; S.27 – : Visionen von Licht, Luft, Sonne. In: taz mag; 13./14.3.1999b; S.III – : Die Rückkehr des Flaneurs. Das neue Berlinbild ist unter den Stadtbeobachtern ein kritischeres geworden, dennoch neigen diese Grappa-Urbanisten dazu, die Brennpunkte in der Metropole zu kulturalisieren. In: taz; 26./27.6.1999c; S.21 – : Die Grenzen der Sicherheit. Im subjektiven Empfinden der Stadt spielen sichere und gefährliche Orte eine große Rolle. Hinter die Verräumlichung der Angst tritt die Sorge um die Unsicherheit der eigenen Existenz zurück. In: taz; 23.8.1999d; S.19 – : Last Exit Landsberger Allee. Noch immer wird die Hauptstadt aus der Perspektive des Zentrums wahrgenommen. Einige Grenzgänger wagen aber schon den Blickwechsel auf die immer näher rückende Peripherie. In: taz; 30.8.1999e; S.19 – : Die einen drin, die anderen draußen. Zehn Jahre nach dem Mauerfall sind am Checkpoint Charlie und Potsdamer Platz neue, unsichtbare Grenzen entstanden. In: taz; 9.8.1999f; S.19 – : Geschlossenen Gesellschaft. Der Rückzug in die privaten Räume der „Neuen Mitte“ hat auch das Stadtbild verändert. Mit der städtischen Öffentlichkeit verschwindet aber auch die Wahrnehmung derer, die an der Privatisierung nicht teilhaben können oder wollen. In: taz; 16.6.1999g; S.19 – : Die zwei Seiten einer Stadtwerkstatt. Zehn Jahre Stadtforum Berlin sind auch zehn Jahre Planungskultur. Um die ist es allerdings nicht allzu gut bestellt. Aus der einstigen „Denkwerkstatt“ ist inzwischen sogar ein Ort für Denkverbote geworden. Eine kritische Bilanz. In: taz; 16.5.2001; S.19 – : Der Trend zur Parallelgesellschaft. Lebenslüge durchmischte Städte. In: taz; 1.12.2007; S.10

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Ramler, H.: Zu wenig Licht in der Nacht. Wegen mangelnder Beleuchtung werden öffentliche Parks und Bahntunnel besonders oft von Frauen als „Angsträume“ wahrgenommen. In: KStA; 10.1.2004 Ramonet, I.: Megastädte. In: Le Monde diplomatique 1996; H.6; S.1 Rath, Ch.: Nur wenige Kameras erlaubt. Grundsatzurteil des VGH BadenWürttemberg: Videoüberwachungen von Innenstädten sind zulässig, wenn sie sich auf echte „Kriminalitätsschwerpunkte“ konzentrieren, wo besonders viele Straftaten passieren oder geplant werden. In: taz; 22.7.2003; S.6 – : Trinken im Süden wieder erlaubt. Im Freiburger Ausgehviertel darf wieder auf der Straße getrunken werden, entschied der Verwaltungsgerichtshof. Randgruppen darf das öffentliche Trinken nicht pauschal verboten werden. In: taz; 29.7.2009; S.6 Rehrl, A.: Auf Wolken bauen. „Anthropolis“ steht für ein neues Humanitätsideal. Städteutopien im Wandel der Zeiten. In: SZ; 18.4.2001; S.V2/3 Reimer, N.: Hilfssheriffs für Sachsen. Die sächsische Polizei bekommt Verstärkung: Weitere 240 Bürger patrouillieren als Sicherheitswacht durch den Freistaat. Die Opposition hat Bedenken und spricht von einer gefährlichen Grauzone. In: taz; 15.3.2000; S.7 Riesenbeck, M.: Am Ziel vorbei. Mit abgeschrägten Kanten versucht die Stadt, die Skater von der Domplatte fernzuhalten. In: StadtRevue 2008; H.8; S.11 Risse, D.: Ein Zaun riegelt den Rheinpark ab. Mit einem Gitterzaun will die Stadt dem Vandalismus- und Müllproblem im Rheinpark begegnen. Dieser wird nachts nicht mehr zu betreten sein; leider wird auch der Rad- und Fußweg am Rheinufer entlang unterbrochen. In. KStA; 26.9.2008a – : Trinken wird verboten. Die Anwohner des Brüsseler Platzes klagen über Lärm und Dreck. Die Stadt plant ein Flaschen- und Alkoholverbot. Momentan werde an den rechtlichen Bestimmungen gefeilt, bestätigt der Leiter des Ordnungsamtes. In: KStA; 13.11.2008b Rösgen, H.: Köln – eine Stadt sieht rot. Bei unserer Aktion „Mangelhaft“ wurden bislang rund 500 Missstände gemeldet. Schlaglöcher, Müll und wucherndes Grün ärgern die Bürger besonders häufig. In. KStA; 11.5.2009 Rollmann, A.: Die Kamera hat alle im Griff. Öffentliche Videoüberwachung steht bevor. In England gehört sie zum Alltag. In Berlin streiten sich die Koalitionäre darum. In: taz, 19.11.1999; S.19 Ronneberger, K.: Die Erosion des Sozialstaats und der Wandel der Stadt. Gefährliche Orte und unerwünschte Personen. Über den Zusammenhang von postmoderner Entwicklung und „law-and-order“-Politik. In: FR; 10.2.1998c – : Konsum im reinen Raum. In: StadtRevue 2001b; H.4; S.36-38 Rother, R.: Der Concierge sieht alles. In Berliner Plattenbauten sorgen Portiers rund um die Uhr für Ordnung und Sicherheit. Mit mehr Menschlichkeit soll dem drohenden Leerstand begegnet werden. In: taz; 10.9.1999; S.19

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Ruch, M.: Der Kampf wird härter. Die Graffiti-Welle im Land ist ungebrochen, der öffentliche Druck auf Polizei und Justiz nimmt zu. Mit einer härteren Gangart gegen die Writer will Nordrhein-Westfalen den Sprühregen jetzt in den Griff bekommen. Auch die Deutsche Bahn hat ihre Strategie geändert. In: taz nrw; 23.11.2000; S.3 Rüther, F.: Warum wurde Henry Louis Gates Jr. verhaftet? Routine oder Rassismus? In: FAZ; 23.7.2009 Scheuermann, Ch.: Polizei fürchtet Graffiti-Touristen. Sprayer wollen legal sprayen. In: taz köln; 15.3.2001; S.4 Schlagehan, W.: Die Köln-Karte des Verbrechens. In: Express Köln; 27.11.1998; S.32 Schirmer, D.: Tod im Panoptikum. Mit moderner Überwachungstechnik hat Scotland Yard in London erfolgreich Terroristen ermittelt. Doch Kameras verhindern Terror nicht – sie disziplinieren nur friedliche Bürger. In: taz; 12.8.2005; S.11 Schmidt, Th.E.: Die neue Bürgerlichkeit. Mehr Lebensstil als Besitz, mehr Ehrgeiz als Herkunft: Die Deutschen suchen das Bourgeoise. In: Die Zeit 2002; H.16; S.45 Schminke, C.: Ein Trick soll Skater vertreiben. In: KStA, 21.12.2007 Schraven, D.: Aufrüstung im Jagdrevier. Law & Order für vorgebliche Sicherheit: Mit Ordnungsdiensten gehen Ruhrgebietsstädte gegen Bettler vor. In: taz ruhr; 19.11.1998; S.2 Schüller, K.: Bremsheyplatz regt weiter auf. Vor einem Jahr liefen Ohligser Einzelhändler Sturm gegen die Szene am Eingang zur Düsseldorfer Straße. Das ST hakte nach, was sich seitdem bewegt hat. In: ST; 5.3.2003; S.15 Schulz, O.: Kakerlakenfreie Zeiten. New York nach dem großen Saubermachen von Bürgermeister Rudolph Giuliani: Manche haben mehr Angst vor der Polizei als vor Überfällen, auch die Dealer schieben Panik. In: taz; 23./24.2000; S.15 Schulzki-Haddonti, Ch.: Watching you. Spähangriff auf Bürger. In: c’t 1998; H.4; S.84ff. Sedlmayr, S.: Herrmann lässt auch Wale leben. Doch für das Gericht ist das bloß Umweltschutz und keine Friedenspolitik. In: taz köln; 31.5.2001; S.5 – : Einsatz für Obdach. Zahl der Wohnungslosen in Köln sinkt. Sozialministerin Fischer (SPD) will Obdachlosigkeit stärker bekämpfen. In: taz köln; 11.12.2003; S.4 Seeßlen, G.: Du bist 7,99. Der Einzelhandel erfindet die Unterschicht neu. Glücksversprechen sind out. In: taz; 29.12.2009; S.12 Semler, Ch.: Der ausgegrenzte Rest. Ist das „Barbarische“ ein Produkt der Moderne oder ein atavistischer Reflex? Ein Tagungsbericht. In: taz; 11.4.1994; S.12 Sennett, R.: Stadt ohne Gesellschaft. Der flexible Mensch und die Uniformität der Städte. In: Le Monde diplomatique 2001; H.2; S.12-13

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wird im Beirat wohl scheitern. Im Viertel herrscht Ratlosigkeit: Was tun mit Junkies. In: taz bremen; 5.9.1997; S.21 Virilio, P.: Die Ära des universellen Voyeurismus. Live-Kameras dringen in alle Räume vor. In: Le Monde diplomatique 1998b; H.8; S.15 – : Nachrichten aus dem All. Die globale Teleüberwachung des 21. Jahrhunderts. In: Le Monde diplomatique 1999; H.10; S.22 Vitalis, A.: Der öffentliche Raum im Fadenkreuz der Kameras. Moderne Methoden der sozialen Kontrolle. In: Le Monde diplomatique 1998; H.3; S.22-23 Volberg, St.: Ärger um Musik auf der Straße. Kunst oder Belästigung? In: Kölnische Rundschau, 20.7.2010 – : Zu viel Musik. In: Kölnische Rundschau, 20.7.2010 Wacquant, L.J.D.: In den USA wird die Armut bekämpft, indem man sie kriminalisiert. Niedergang des Sozialstaats, Aufrüstung des Strafstaats. In: Le Monde diplomatique 1998b; H.7; S.8-9 – : Statt der Armut werden die Armen bekämpft. US-Amerikanische Rezepte zur Inneren Sicherheit finden Beifall in Europa. In: Le Monde diplomatique 1999; H.4; S.1 und 12f. – : Null Toleranz für die Mär von der Sicherheit. Die New Yorker Polizeistrategie auf dem Prüfstand. In: Le Monde diplomatique 2002b; H.5; S.12-13 Wagemann, J./Mollenkopf, H.: Eine Spirale aus Angst und Gefahr. In: taz; 12.7.1999; S.6 Watenphul, J.: SOS: Auf den Strich gehen oder Strafe zahlen. Ruhrgebietsstädte gehen verstärkt gegen aggressives Betteln vor. In: taz ruhr; 26.11.1998; S.3 Weiland, S.: Münchens Law and Order. Ein Bürger, der einem Obdachlosen Geld gab, wurde von der Münchner Polizei kontrolliert. In: taz; 23.12.1997; S.6 – : Kanthers Sicherheit. Die Innenminister der Länder und die neue Aktion „Sicherheitsnetz“. In: taz; 4.2.1998; S.2 Weisser, A.: We almost lost Detroit. In der siebtgrößten Stadt der USA herrscht faktisch Apartheid. Die Weißen haben sich in die Suburbs, die Vororte zurückgezogen, in der City leben fast nur noch Schwarze. Nun versucht die Politik gegenzusteuern. In: taz mag; 20./21.1.2001; S.V Wellmann, G.: Dionysos, verpiss dich! Schmuddelecke zwischen Hauptbahnhof und Altstadt soll Schmuckstück werden. In: taz köln; 31.5.2001; S.4 Werber, N.: Löcher in der Weltgesellschaft. Was passiert, wenn Menschen aus der Rolle fallen? Zum 70. Geburtstag von Niklas Luhmann beschäftigt sich eine Festschrift mit der Ausschlußlogik der Moderne. In: taz; 8.12.1997; S.18 – : Wir Überflüssigen. Exklusion der Exklusion? Die derzeitige Soziologiedebatte über die Problematik des Ausschlusses aus der Gesellschaft schwankt zwischen scholastischer Abstraktion und theoriefernem Engagement. In: taz; 27.2.2001; S.13-14 Werneburg, B.: Von Disney lernen. Pionier im eigenen Land. Andrew Ross über sein Jahr in Disneytown „Celebration“. In: taz; 13.10.1999; S.II

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Wex, C./Koufen, K.: Der Goldregen aus Übersee. Cross-Border-Leasing (CBL) scheint ein Geschenk des Himmels für die finanzschwachen Kommunen zu sein. Doch die Risiken sind unkalkulierbar. In: taz; 17.6.2003; S.4 Wiesche, B. aus der: Partymeile soll sauberer werden. Jedes Wochenende das Gleiche: Hunderte junger Menschen feiern am Brüsseler Platz in die Nacht hinein. Den Anwohnern allerdings reicht es langsam. Lärm, Müll, Alkohol: Die Diskussion um die neue Partymeile spitz sich langsam zu. In: KStA; 6.8.2009 Wiesmann, N.: Düsseldorfer Trinker sollen heimlich saufen. Die Stadt Düsseldorf plant in sozialen Brennpunkten das öffentliche Trinken zu verbieten. Im Rat steht die CDU mit ihrer Forderung aber bisher alleine da. Auch in anderen NRW-Städten herrscht kein Verständnis für den Düsseldorfer Vorstoß. In: taz nrw; 19.2.2005; S.1 Wilberg, B.: Flaschen sammeln erlaubt. Der Mülltonnen-Paragraph wird nun doch entschärft. In: StadtRevue 2005; H.7; S.13 Willisch, A.: Wenn nicht, dann nicht. Die neuerliche „Faulenzer“-Debatte zeigt vor allem eins: Das Bild, das wir von den aus der Arbeitsgesellschaft Ausgeschlossenen haben, ist voller blinder Klischees. Tatsächlich haben viele der „Überflüssigen“ für sich ein subkulturelles Lebensmodell gefunden, das hilft, mit der Abqualifizierung fertig zu werden. Es wird öffentlich gelebt, ist laut und selbstbewusst und gar nicht so passiv und kleinlaut, wie die neue Mitte sich die Versager wünscht. Ein Streifzug. In: taz mag; 12./13.5.2001; S.I-II

7.4 I NTERNETDOKUMENTE

UND SONSTIGE

M ATERIALIEN

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606 | STADT UND KONTROLLE

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7.5 R ECHTSNORMEN

UND

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E NTSCHEIDUNGEN

Allgemeines Gesetz zum Schutz der Öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG – Berliner Polizeigesetz) i.d.F.v. 4. April 1992, zuletzt geändert durch Artikel I des Gesetzes zur Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes vom 11. Mai 1999 Amtliche Bekanntmachung der Stadt Karlsruhe über ein räumlich und zeitlich beschränktes Betretungs- und Aufenthaltsverbot auf dem Kronenplatz für Personen, die der „Punk-Szene“ zuzurechnen sind vom 5. Juli 2002. In: www.dunkle stadt.de/download/punkverbot (3.8.2002) Baden-Württembergisches Polizeigesetz (PolG BW) i.d.F. der Bekanntmachung vom 13. Januar 1992, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Dezember 2000 m.W.v. 29. Dezember 2000 Baugesetzbuch (BauGB) i.d.F. der Bekanntmachung vom 23.9.2004, zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 31. Juli 2009 Bayerisches Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 5. Oktober 1981. Geändert durch § 8 des Gesetzes v. 16. Juli 1986, durch § 4 des Gesetzes vom 26. Juli 1997 und durch § 3 des Gesetzes v. 27. Dezember 1999 Berliner Straßengesetz (BerlStrG) vom 28. Februar 1985, zuletzt geändert durch Art. VII des Gesetzes von 25. Juni 1998 Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 29. April 1983 (Az.: 1 S 1/83), Deutsches Verwaltungsblatt 1983; S.1070ff. Beschluss des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 15. September 1997 (Az.: Ss [Z] 217/97 [51/97]). In: NJW 1998, H.4; S.251-252 Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 7. August 2002 (Az.: 12 K 2595/02) Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg von 4. Oktober 2002 (Az.: 1 S 1963/02) Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Februar 2007 (BVerfG, 1 BvR 2368/06 vom 23. Februar 2007) Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 Bundesfernstraßengesetz (FStrG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Juni 2007 (BGBl. I S. 1206), neugefasst durch Bekanntmachung vom 28. Juni 2007, I 1206 Gesetz über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden (Ordnungsbehördengesetz NRW – OBG) vom 13. Mai 1980, zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juli 2003 Gesetz über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs (BABG) in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 911-1-5, veröffentlichten bereinigten Fassung, ge-

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ändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 30. August 1971 (BGBl. I S. 1426), geändert durch Art. 3G v. 30. August 1971, I 1426 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1987, zuletzt geändert durch Art.2 des Gesetzes vom 22. August 2002 Gesetz zum Schutz vor Luftverunreinigungen, Geräuschen und ähnlichen Umwelteinwirkungen – Landes-lmmissionsschutzgesetz NRW (LImschG NRW) vom 18. März 1975 i.d.F.v. 25. September 2001 Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (KrW-/AbfG) i.d.F.v. 27. September 1994, zuletzt geändert durch Art. 69 des Gesetzes vom 21. August 2002 Gewerbeordnung (GewO) i.d.F.v. 1. April 1983, neugefasst durch Bekanntmachung vom 22. Februar 1999, zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 11. Oktober 2002 Hamburgisches Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) vom 14. März 1966, zuletzt geändert am 14. Juli 2000 Hamburgisches Wegegesetz (HWG) 22. Januar 1974, zuletzt geändert am 16. November 1999 Hamburgisches Wohnwagengesetz (HamWohnwagenG) vom 25. Mai 1999, zuletzt geändert am 18. Juli 2001 Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) i.d.F.v. 31. März 1994 Hessisches Straßengesetz vom 9. Oktober 1962, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 17. Dezember 1998 (abgekürzt HessStrG) Ordnungsbehördliche Verfügung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Stadtgebiet Rudolstadt. Bettelordnung vom 25. Oktober 1996 (abgekürzt BettelO Rudolstadt). In: www.kommunale-info.de/Themen/Sicher heit/Rudolst (6.9.2001) Ordnungsbehördliche Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Landeshauptstadt Düsseldorf (Düsseldorfer Straßenordnung – DStO) i.d.F.v. 4. Juni 1997, zuletzt geändert durch Verordnung vom 17. März 2000 und Verordnung vom 30. Juni 2000 Ordnungsbehördliche Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf und an den öffentlichen Straßen, in den öffentlichen Anlagen sowie in den U-Bahnanlagen im Gebiet der Stadt Bonn (Straßenordnung) i.d.F.v. 19. Dezember 1989 (abgekürzt StrO Bonn) Ordnungsbehördliche Verordnung über die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Gebiet der Stadt Köln, insbesondere auf den Straßen und in den U-BahnAnlagen (Kölner Straßenordnung – KStO) vom 18. Dezember 1985 i.d.F.v. 4. Dezember 2001 Ordnungsbehördliche Verordnung über die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Gebiet der Stadt Köln, insbesondere auf den Straßen und in den U-Bahn-

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Anlagen (Kölner Straßenordnung – KStO) vom 1. April 2005 i.d.F der 1. Änderungsverordnung zur KStO vom 13. Oktober 2005 Ordnungsbehördliche Verordnung über die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Gebiet der Stadt Köln, insbesondere auf den Straßen und in den U-BahnAnlagen (Kölner Straßenordnung – KStO) vom 1. April 2005 in der Fassung der 2. Änderungsverordnung zur ordnungsbehördlichen Verordnung über die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Gebiet der Stadt Köln, insbesondere auf den Straßen und in den U-Bahn-Anlagen (Kölner Straßenordnung – KStO) vom 14. Mai 2006 Ordnungsbehördliche Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf den Straßen und in den Anlagen der Stadt Wuppertal (Straßenordnung) vom 15. Dezember 2000 (abgekürzt StrO Wuppertal) Ordnungsbehördliche Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf den Straßen und in den Anlagen des Gebietes der Stadt Solingen vom 12. August 1987, zuletzt geändert durch Änderungsordnung vom 25. März 2002 (abgekürzt StrO Solingen) Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW) in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Februar 1990, zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juli 2003 Polizeigesetz des Landes Baden-Württemberg (PolG BW) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Januar 1992, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Dezember 2000 m.W.v. 29. Dezember 2000 Polizeiverordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf und an den Straßen und in öffentlichen Anlagen in Stuttgart (StrAnlPolVO) vom 15. Juli 1999, zuletzt geändert am 21. September 2000 Polizeiverordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf und an den Straßen, Grün- und Spielanlagen, auf Gewässern, im Wald sowie den unterirdischen Anlagen in der Stadt Frankfurt am Main i.d.F. vom 14. Dezember 1984, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Februar 1999 (abgekürzt PolVO Frankfurt/M.) Raumordnungsgesetz (ROG) vom 22.12.2008, zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 31. Juli 2009 Saarländisches Straßengesetz (StrG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 15. Oktober 1977, zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Juni 2002 Saarländisches Polizeigesetz (SPolG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 26. März 2001 Satzung über die Benutzung der Fußgängerzonen des Stachusbauwerkes (StachusbauwerkS) vom 16. April 1992, zuletzt geändert am 7. Dezember 1992 Satzung über die Sondernutzungen an den Fußgängerbereichen in der Altstadt der Stadt München (Altstadt-FußgängerbereicheS) vom 21. Juli 1970, zuletzt geändert am 27. Mai 1994

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Satzung über Erlaubnisse und Gebühren für Sondernutzungen an öffentlichen Straßen der Stadt Wuppertal – Sondernutzungssatzung – vom 20. Dezember 2001 (abgekürzt SondernutzungsS Wuppertal) Strafgesetzbuch (StGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 22. August 2002 Strafprozessordnung (StPO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987, zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 2001 m.W.v. 1. Januar 2002 und 1. Januar 2005 Straßen- und Wegegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (StrWG NRW) i.d.F.d. Bekanntmachung vom 23. September 1995 Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 11. März 1985 (Az.: 12 OVG C 1/84). In: DÖV 1985; H.16; S.688-689 Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 16.4.1997 – Az.: B 8 OWI 25 Js 70/97. Unrechtmäßige Sanktionierung des Bettelns. In: Wohnungslos 39 (1997); S.123125 Urteil des Landgerichts Kassel vom 21. März 2002 (Az.: 8 O 428/02) Urteil des Landgerichts Mainz vom 17. Dezember 1982, Az.: Js 19170/80 – 5 Ns. Monatsschrift für deutsches Recht 1983; H.12; S.1044ff. Vereinbarung über die Ordnungspartnerschaft zwischen DB AG und dem Bundesministerium des Innern vom 27.11.2000 Verordnung über das Bewachungsgewerbe (BewachV) i.d.F.v. 7. Dezember 1995, zuletzt geändert am 24. April 2003 Verwaltungsordnung über die Sondernutzung an öffentlichen Straßen der Landeshauptstadt München vom 16. Dezember 1983, zuletzt geändert am 14. Oktober 1999 VGH Baden-Württemberg online: Generelles Aufenthaltsverbot für „Punks“ auf bestimmten Flächen ist unzulässig. VGH Baden-Württemberg, 4. Oktober 2002, Az.: 1 S 1963/02. In: www.otto-schmidt.de/ovs_sonstigesrecht/11425_13189 (29.10.2002) VGH Baden-Württemberg online: Freiburger Alkoholverbote rechtswidrig. VGH Baden-Württemberg, 28. Juli 2009, Az.: 1 S 2200/08 und 1 S 2340/08. In: vghmannheim.de/servlet/PB/menu/1244595/index (29.7.2009)

7.6 ABKÜRZUNGEN Abb. AEG AfK AJS AG AGB AK

Abbildung Allgemeines Eisenbahngesetz Archiv für Kommunalwissenschaften American Journal of Sociology Aktiengesellschaft bzw. Arbeitsgemeinschaft Arbeitsgruppe Bestandsverbesserungen Arbeitskreis

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AKP Antifa/BO Antifa-KOK AP APuZ Art. ASEAN ASOG ASR ASSA Aufl. AZ Az. BABG

BAG BAG KritPol BauGB BayVBl BayStrWG Bd. (Pl.: Bde.) BDSG Bearb. BettelO BetrVG BewachV BGB BGS BJCrim BJS BerlJS BerlStrG BKA BldW BSHG BTMG BerlStrG BlWp BVerfG BVerwG BVG

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Zeitschrift für alternative Kommunalpolitik Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation Koordinierungskreis antifaschistischer Gruppen Arbeitsrechtliche Praxis Aus Politik und Zeitgeschichte Artikel Association of Southeast Asian Nations Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin American Sociological Review American Social Science Association Auflage Autonomes Zentrum Aktenzeichen Gesetz über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs Bundesarbeitsgemeinschaft bzw. Bundesarbeitsgericht Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten (Hamburger Signal e.V.) Baugesetzbuch Bayerische Verwaltungsblätter Bayerisches Straßen- und Wegegesetz Band (Pl.: Bände) Bundesdatenschutzgesetz Bearbeiter Bettelordnung Betriebsverfassungsgesetz Bewachungsverordnung Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgrenzschutz British Journal of Criminology British Journal of Sociology Berliner Journal für Soziologie Berliner Straßengesetz Bundeskriminalamt Blätter der Wohlfahrtspflege – Deutsche Zeitschrift für Sozialarbeit Bundessozialhilfegesetz Betäubungsmittelgesetz Berliner Straßengesetz Blätter der Wohlfahrtspflege Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Berliner Verkehrsbetriebe

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BW bzw. ca. CCTV CILIP CPTED DB AG DDR Demo DfK DGS d.h. Difu Diss. DISP div.V. DÖV DST DStGB DStO Dt. dtv DVAG Engl. etc. e.V. EVO Expo f. (Pl.: ff.) FAS FAZ FernU FJ NSB Fn. FPR FQS Frz. FStrG GdP gem. GeoR GewO GG

Baden-Württemberg beziehungsweise circa Closed Curcuit Television Civil Liberties and the Police (Dt.: Bürgerrechte und Polizei) Crime Prevention Through Environmental Design Deutsche Bahn Aktiengesellschaft Deutsche Demokratische Republik Demokratische Gemeinde (Zeitschrift) Deutsche Zeitschrift für Kommunalwissenschaften Deutsche Gesellschaft für Soziologie das heißt Deutsches Institut für Urbanistik Dissertation Dokumente und Informationen zur schweizerischen Orts-, Regional- und Landesplanung diverse Verfasser Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutscher Städtetag Deutscher Städte- und Gemeindebund Düsseldorfer Straßenordnung Deutsch Deutscher Taschenbuch Verlag Deutscher Verband für angewandte Geographie Englisch et cetera eingetragener Verein Eisenbahnverordnung Weltausstellung folgende Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung Fernuniversität Forschungsjournal Neue soziale Bewegungen Fußnote Freiwillige Polizeireserve Forum Qualitative Sozialforschung Französisch Bundesfernstraßengesetz Gewerkschaft der Polizei gemäß Geographical Review Gewerbeordnung Grundgesetz

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G.L. GMH H. Habil. HamSOG HamWohnwagenG HAZ HBS HDE HessStrG Hg. (Pl.: Hgg.) HSOG HWG ID i.d.F. i.d.F.v. i.d.R. IM IMS ila ILS IRA ISI i.S.d. i.V.m. IWOS IZ3W Jb. Jh. JuPo Kap. KASA KoB Komm. KPR KrimJ KrW-/AbfG KStA KStO KZfSS L.A. Lat. LImschG

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Guido Lauen Gewerkschaftliche Monatshefte Heft Habilitationsschrift Hamburger Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung Hamburger Wohnwagengesetz Hannoversche Allgemeine Zeitung Heinrich-Böll-Stiftung Hauptverband des Deutschen Einzelhandels Hessisches Straßengesetz Herausgeber Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung Hamburgisches Wegegesetz Identifizierung in der Fassung in der Fassung vom in der Regel Inoffizielle(-r) Mitarbeiter(-in) Informationen zur modernen Stadtgeschichte Informationsstelle Lateinamerika Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung Irisch-republikanische Armee Informationsdienst Soziale Indikatoren im Sinne des in Verbindung mit Institut für Wohnungsbau und Stadtteilplanung Informationszentrum Dritte Welt Jahrbuch Jahrhundert Jugendpolizeibeamte(-r) Kapitel Kölner Anti-Spray-Aktion Kontaktbereichsbeamte(-r) Kommentator Kriminalitätspräventionsrat/-räte Kriminologisches Journal Kreislaufwirtschafts-/Abfallgesetz Kölner Stadtanzeiger Kölner Straßenordnung Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Los Angeles Lateinisch Landesimmissionsschutzgesetz

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LG LKA M. MEK MEW Mio. Mitarb. MSKS Mrd. m.W.v. NAFTA NBzSRSoz NJW NP Nr. NRW NVwZ NWP NYT NZZ OBG ÖZS OG o.J. OLG o.O. o.V. OWiG PKS Pl. PolG Prokla PSD PVS RdJB Red. ROG RP S. s. SCD SEK SLR SOFI SOG

Landgericht Landeskriminalamt Main mobile(-s) Einsatzkommando(-s) Marx-Engels-Werke Million(-en) Mitarbeit(-er) Ministerium für Stadtentwicklung, Kultur und Sport Milliarde(-n) mit Wirkung vom North-American Free Trade Association Nachrichtenblatt zur Stadt- und Regionalsoziologie Neue juristische Wochenschrift Neue Presse Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neighborhood Watch Program(-s) New York Times Neue Zürcher Zeitung Ordnungsbehördengesetz NRW Österreichische Zeitschrift für Soziologie Operative Gruppe(-n) ohne Jahr Oberlandesgericht ohne Ort ohne Verfasser Ordnungswidrigkeitengesetz Polizeiliche Kriminalstatistik Plural Polizeigesetz Probleme des Klassenkampfs (Zeitschrift) Privater Sicherheitsdienst Politische Vierteljahresschrift Recht der Jugend und des Bildungswesens Redaktion Raumordnungsgesetz Rheinische Post Seite(-n)/Satz siehe Social Control District(-s) Sondereinsatzkommando(-s) Sozialwissenschaftliche Literaturrundschau Soziologisches Forschungsinstitut (Göttingen) Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung

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SoKo(-s) Sp. SPolG SPW SR ST StGB StPO StrAnlPoVo StrG StrO StVG StVO s.u. SuB SZ taz taz mag TVG u.a. Unterz. unveröff. USA usw. UTB v. Verf. VersG vgl. Vj. VRS vs. VGH VwR WSI ZAG z.B. ZBBS ZfE ZfPolPsych ZfRSoz ZfS ZfVolkskunde Ziff. zit.n.

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Sonderkommission(-en) Spalte Saarländisches Polizeigesetz Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft Soziologische Revue Solinger Tageblatt Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Straßen- und Anlagenpolizeiverordnung Saarländisches Straßengesetz Straßenordnung Straßenverkehrsgesetz Straßenverkehrsordnung siehe unten Sozialwissenschaften und Berufspraxis Süddeutsche Zeitung Die Tageszeitung Magazin der Tageszeitung Tarifvertragsgesetz und andere Unterzeichner unveröffentlicht Vereinigte Staaten von Amerika und so weiter Universitäts-Taschenbuch von/vom Verfasser Versammlungsgesetz vergleiche Vierteljahr Verkehrsverbund Rhein-Sieg versus Verwaltungsgerichtshof Verwaltungsrundschau Wirtschafts- und sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung Zeitschrift antirassistischer Gruppen zum Beispiel Zeitschrift für qualitative Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung Zeitschrift für Erziehungswissenschaft Zeitschrift für Politische Psychologie Zeitschrift für Rechtssoziologie Zeitschrift für Soziologie Zeitschrift für Volkskunde Ziffer zitiert nach

Urban Studies Ralph Buchenhorst, Miguel Vedda (Hg.) Urbane Beobachtungen Walter Benjamin und die neuen Städte (übersetzt von Martin Schwietzke) 2010, 230 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1524-1

Thomas Dörfler Gentrification in Prenzlauer Berg? Milieuwandel eines Berliner Sozialraums seit 1989 2010, 336 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1295-0

Florentina Hausknotz Stadt denken Über die Praxis der Freiheit im urbanen Zeitalter August 2011, 366 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1846-4

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Urban Studies Michael Müller Kultur der Stadt Essays für eine Politik der Architektur 2010, 240 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1507-4

Julia Reinecke Street-Art Eine Subkultur zwischen Kunst und Kommerz November 2011, 194 Seiten, kart., zahlr. farb. Abb., 23,80 €, ISBN 978-3-89942-759-2

Carsten Ruhl (Hg.) Mythos Monument Urbane Strategien in Architektur und Kunst seit 1945 Mai 2011, 320 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1527-2

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Urban Studies Uwe Altrock, Grischa Bertram (Hg.) Wer entwickelt die Stadt? Geschichte und Gegenwart lokaler Governance. Akteure – Strategien – Strukturen November 2011, 330 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1752-8

Peter Dirksmeier Urbanität als Habitus Zur Sozialgeographie städtischen Lebens auf dem Land 2009, 296 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1127-4

Christine Dissmann Die Gestaltung der Leere Zum Umgang mit einer neuen städtischen Wirklichkeit 2010, 248 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1539-5

Monika Grubbauer Die vorgestellte Stadt Globale Büroarchitektur, Stadtmarketing und politischer Wandel in Wien März 2011, 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1475-6

Stefan Kurath Stadtlandschaften Entwerfen Grenzen und Chancen der Stadtplanung im Spiegel der städtebaulichen Praxis November 2011, ca. 652 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 45,80 €, ISBN 978-3-8376-1823-5

Piotr Kuroczynski Die Medialisierung der Stadt Analoge und digitale Stadtführer zur Stadt Breslau nach 1945 September 2011, 328 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1805-1

Bastian Lange, Ares Kalandides, Birgit Stöber, Inga Wellmann (Hg.) Governance der Kreativwirtschaft Diagnosen und Handlungsoptionen 2009, 344 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-996-1

Annika Mattissek Die neoliberale Stadt Diskursive Repräsentationen im Stadtmarketing deutscher Großstädte 2008, 298 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1096-3

Thomas Pohl Entgrenzte Stadt Räumliche Fragmentierung und zeitliche Flexibilisierung in der Spätmoderne 2009, 394 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1118-2

Gudrun Quenzel (Hg.) Entwicklungsfaktor Kultur Studien zum kulturellen und ökonomischen Potential der europäischen Stadt 2009, 246 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1353-7

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