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German Pages 210 Year 2014
Elli Scambor, Fränk Zimmer (Hg.) Die intersektionelle Stadt
Elli Scambor, Fränk Zimmer (Hg.)
Die intersektionelle Stadt Geschlechterforschung und Medienkunst an den Achsen der Ungleichheit
Fördergeber Buchpublikation:
Durchführende Organisation:
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld, nach einem Konzept von Fränk Zimmer Umschlagabbildung: Elli Scambor, Intersectional Map, Mariahilfstraße, Graz, 2008-2009 Redaktion: Elli Scambor, Fränk Zimmer Lektorat: Angela Heritsch, Christian Scambor Übersetzungen: Tania Thiel Satz: Fränk Zimmer Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1415-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
I N H AL T
Dank
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Vorwort Carol Hagemann-White
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Einleitung Elli Scambor & Fränk Zimmer
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DIE INTERSEKTIONELLE STADT Intersectional Map Elli Scambor & Fränk Zimmer
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Intersektionale Analyse in der Praxis. Grundlagen und Vorgangsweise bei der Analyse quantitativer Daten aus der Intersectional Map Christian Scambor & Elli Scambor
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THEORETISCHE ZUGÄNGE UND ANALYSEPERSPEKTIVEN AUF STADTRÄUME Intersektionalität als Analyseperspektive heterogener Stadträume Katharina Walgenbach
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Stadträume Dörte Kuhlmann
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Natur-Kultur-Verhältnisse und öffentlicher Raum Bettina Knothe
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ÜBERLEGUNGEN ZUR VERSCHRÄNKUNG VON WISSENSCHAFT UND KUNST Wissenschaft/Kunst – Medien der Erkenntnis Interview mit Werner Jauk
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Zwischenergebnisse – Verstreute Anmerkungen zu „Kunst und Wissenschaft“ Heimo Ranzenbacher
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Die Verflechtung von Kunst und Wissenschaft Ninette Rothmüller
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EMPIRISCHE STUDIEN Sozioökonomische und ethnische Segmentierung der Stadt im Spiegel der Alltagswege ihrer EinwohnerInnen Kheder Shadman
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Gender Planning – Geschlecht als Grundlage für Planung und Raum Elke Szalai
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Gendersensitive Governance im Bereich Verkehr und Mobilität Cosima Pilz & Daniela Jauk
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Autorinnen und Autoren
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Dank
Wir bedanken uns bei allen Autorinnen und Autoren, die sich dazu bereit erklärt haben, in ihren Beiträgen für diese Anthologie aus ihrem jeweiligen Forschungs-, Bildungs- und Kunstkontext heraus auf das Projekt Intersectional Map Bezug zu nehmen und damit Einblick in multiperspektivische Zugänge zu gewährleisten. Für Lektorat und fachliche Unterstützung bedanken wir uns bei Angela Heritsch und Christian Scambor. Vielen Dank auch an Tania Thiel für die Übersetzung des Beitrags von Ninette Rothmüller. Dieses Buch wurde vom Amt der Steiermärkischen Landesregierung Abteilung 9 – Kultur/Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark, dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung und dem Kulturamt der Stadt Graz unterstützt. Vielen Dank dafür. Wir bedanken uns insbesondere bei Werner Fenz und seinem Team im Institut für die Kunst im öffentlichen Raum Steiermark, die unsere transdisziplinären Sozialforschungs- und Medienkunstprojekte in den letzten Jahren sowie die vorliegende Publikation möglich gemacht haben. Das zugrunde liegende Projekt Intersectional Map wurde vom Amt der Steiermärkischen Landesregierung Abteilung 9 – Kultur/Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark, dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, dem Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur sowie der Stadt Graz/Wissenschaft unterstützt. Herzlichen Dank dafür. Wir bedanken uns außerdem bei allen kooperierenden Organisationen: Liquid Music, GenderWerkstätte, Arbeitsgemeinschaft Kartographie und mur.at. Unser Dank gilt außerdem allen 1650 Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt Graz, die uns im Rahmen der sozialwissenschaftlichen Studie wesentliche Informationen für das Projekt Intersectional Map zur 7
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Verfügung gestellt haben. Außerdem möchten wir uns bei allen Personen bedanken, die zum Gelingen dieses Projekts beigetragen haben: Bei Heimo Ranzenbacher bedanken wir uns für die Mitarbeit an der Entwicklung der Projektidee, bei Christian Scambor für die Mitarbeit bei der Datenanalyse, bei Murat Aygan, Coban Hasan, Anne Meinke, Lisa Mittischek, Benedicta Nwoha, Edith Pöhacker, Serafettin Tabur, Adriana Valle-Höllinger, Martin Winter und Sarah Zapusek bedanken wir uns für die Mitarbeit an der sozialwissenschaftlichen Erhebung, bei Wolfgang Scheicher für die Datenbankanbindung, bei Walter Lang für seine Unterstützung in der Objektrealisation, bei Jogi Hofmüller für die mur.at Serverbetreuung und bei IOhannes m zmölnig für das Video-Streaming. Die Studie wurde von sehr vielen Personen sowie unterschiedlichen Organisationen und Institutionen in der Stadt Graz unterstützt.1 Herzlichen Dank dafür! Dieses Buch widmen wir Andree und Etta.
Stattegg bei Graz im Dezember 2011 Elli Scambor & Fränk Zimmer
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Vorw ort CAROL HAGEMANN-WHITE
Intersektionalität, als Begriff und als Anspruch bei der Ausdifferenzierung der Frauenforschung in die Diskussion eingeführt, droht inzwischen im Zuge von „mainstreaming“ zur strukturellen Überforderung wissenschaftlicher Analysen und damit zur Leerformel zu werden. Lebt doch die Sozialforschung davon, eine begrenzte Anzahl von Variablen zueinander in Beziehung zu setzen, während die Theoriedebatten die Komplexität und Vielfalt der in ihrem Zusammenwirken zu berücksichtigenden Aspekte unaufhörlich steigern. Auch wenn die heutigen statistischen Verfahren und das Rechenvermögen der Computer sehr viel mehr Beziehungen rasch abarbeiten können als noch vor 20 Jahren, wächst die Größe der praktisch zu erhebenden Datensätze nicht im Gleichschritt mit der Kapazitätsvergrößerung der Festplatten. Zur Erhebung von Daten ist noch immer menschliches Arbeitsvermögen, sind zudem Zeit und Ressourcen erforderlich. Wenn diese eher in bescheidenem Umfang verfügbar sind, bleibt die Auswertung zwangsläufig auf eine überschaubare Zahl von Merkmalen begrenzt. Damit ist es nach wie vor schwierig, die hohen Ansprüche intersektionalen Denkens empirisch überzeugend einzulösen. Meist gelingt am ehesten die sequentielle Abarbeitung von Kategorien. Das vorliegende Buch stellt nun mit dem Projekt Intersectional Map und einer damit verknüpften Aufsatzsammlung eine innovative Möglichkeit vor, die mit Intersektionalität gemeinte Vielschichtigkeit sozialer Wirklichkeit durch interaktive virtuelle Prozesse fassbar zu machen und der Reflexion zuzuführen. Zentral ist dabei die Zusammenarbeit, wenn nicht sogar Fusion, von Sozialforschung und Medienkunst, wobei letztere die in der Aktionsforschung schlummernden Prinzipien der Par9
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tizipation und der Prozesshaftigkeit zu neuem Leben erweckt. Damit erschließt sich ein frischer Zugang zur Intersektionalität, der geeignet ist, die Diskussion in den kommenden Jahren zu bereichern. Vielleicht erlaubt erst die Einbeziehung der Denkweisen und Wahrnehmungspotentiale der Medienkunst, das Spezifische zu erfassen, das vom gleichzeitigen Zusammentreffen mehrerer analytischer Kategorien bestimmt ist. Die Datenerhebung des Projekts setzte zunächst, wie es scheint, konventionell an: Es sollte die Nutzung des städtischen Raums mit Fragebogen erhoben und nach den Merkmalen Geschlecht, Alter, Migrationshintergrund, sozioökonomischer Status ausgewertet werden, verfeinert noch speziell durch Bildungsniveau, Zuwanderung aus EU oder nicht-EU, Haushaltszusammensetzung (Kinder unter 14 Jahren oder nicht) und Wohnbezirk nach Merkmalen für Lebensqualität. Nur: das Erhebungsinstrument ist der Stadtplan von Graz; es werden damit visuelle Daten – Wege, Orte – erfasst, die zu Wegketten verknüpft werden. Und während eine „konventionelle“ statistische Analyse durchaus die unterschiedliche Stadtnutzung sozialer Gruppen herausarbeitet und dabei die soziale Fragmentierung der Stadt empirisch ausweist, bildet dies nicht ein abschließendes Resultat, sondern einen Ausgangspunkt: Die Visualisierung der analysierten Daten im virtuellen und öffentlichen Raum und das „Weiterleben“ z.B. durch interaktive Medieninstallationen in der Stadt setzen Prozesse in Gang, die nicht in Buchform vorgelegt, sondern in der Stadt gelebt werden. Paradox ist dabei, dass das Buch als klassisches Printmedium gar nicht in der Lage ist, den Einsatz partizipativer Medienkunst unmittelbar zugänglich zu machen. Das, was die BesucherInnen der Internetseite oder der Installation handelnd sich erschließen können, kann im Buch nur diskursiv beschrieben und reflektiert werden. Die besondere Qualität des Projekts kommt aber darin zum Ausdruck, dass sehr unterschiedliche diskursive Themenbehandlungen sich um das Projekt sinnvoll gruppieren und hier zusammen kommen. In den verschiedenen Beiträgen im vorliegenden Band wird grundsätzlich und auf hohem Niveau über Intersektionalität als Sichtweise auf Stadträume, auf Öffentlichkeit, Kunst und Wissenschaft reflektiert, sowie über das Verhältnis von Natur, Kultur und Technik im öffentlichen Raum und im Körper. Zudem werden empirische Studien zu städtischen Sozialräumen und Stadtplanung vorgestellt, die auch Handlungsempfehlungen für die Politik begründen. Mit Hilfe der gewonnenen Erkenntnisse werden insbesondere neue Impulse dafür gegeben, was eine angemessene Aufmerksamkeit für die unterschiedliche Lebens- und Alltagsgestaltung der Geschlechter – differenziert nach dem Zusammenwirken mit Herkunft und sozialer Lage – für gute Stadtplanung und kommunale Governance heißen würde. Ge10
VORWORT
schlecht, sozioökonomische Lage und Migrationshintergrund, die für die Datenerhebung als feste Kategorien operationalisiert werden mussten, werden im Zuge dieser auf Teilhabe und Mitwirkung angelegten Forschung verflüssigt. Keine Debatte für oder wider die Bedeutung von Geschlechterdifferenz ist in dem hier aufgespannten Feld notwendig; das Geschlecht ist vielmehr präsent und bedeutsam, weil es (in verschiedenen sozialen Kontexten unterschiedlich) gelebt wird. Die Verbindung von Sozialforschung und Medienkunst lässt zu, diese Präsenz unaufgeregt zu sehen, und dies lässt es eher erstaunlich werden, dass maßgebliche und mächtige Entscheider, wie etwa bei der Verkehrsplanung, glauben, davon absehen zu können. Insgesamt regt dieses Buch zum Nachdenken, aber auch zur Nachahmung und Weiterentwicklung an. Es wird sich lohnen, den intersektionalen Denkansatz nicht mehr nur zu beschwören, zu fordern und zu loben, sondern Möglichkeiten, ihn praktisch zu entfalten, auszuloten, die nur interdisziplinär einzulösen sind. Beim Lesen der verschiedenen, z.T. durchaus kontrovers zueinander stehenden Beiträge ist zu entdecken, wie viel mehr an Komplexität erfasst werden kann, wenn Medien und Kunst in Verbindung mit empirischer Forschung als Mittel der Entschlüsselung von Prozessen der Konstruktion und Wahrnehmung sozialer Wirklichkeit ins Spiel gebracht werden. Das Ensemble der Beiträge folgt nicht einem linear angelegten Programm, sondern bildet ein multidimensionales Netz, das viele Wege aufzeigt, die weiter verfolgt werden können. Gerade darin ist dies ein lesenswertes Buch.
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Einleitung ELLI SCAMBOR & FRÄNK ZIMMER
Ausgangspunkt des vorliegenden Buchs ist das im Jahr 2008 in der Stadt Graz (A) durchgeführte Sozialforschungs- und Medienkunstprojekt Intersectional Map, das die Konstitution von städtischem Raum einer handlungstheoretischen Perspektive folgend aus den sozialen Praktiken, den alltäglichen Handlungen ihrer Bewohnerinnen und Bewohner erfasst. Städtischer Raum – so lautet die Annahme – entsteht erst dadurch, dass die Stadt von ihren Bewohnerinnen und Bewohnern genutzt wird. Die Struktur der Stadt wird als Ausdruck des Gesellschaftlichen gefasst. Die intersektionelle Stadt zeigt ihr Gesicht, wenn individuell erschlossene Stadträume in Abhängigkeit von den jeweiligen Lebenslagen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen ähnliche Strukturen aufweisen. Geschlecht, Ethnie, Milieu und Alter wurden in der Intersectional Map als Achsen der Ungleichheit betrachtet und entsprechend als zentrale Analysekategorien in die soziologische Studie eingeführt. Dieses Projekt steht in einer Reihe von Sozialforschungs- und Medienkunstprojekten, die seit dem Jahr 2006 unter dem gemeinsamen label social research and media art1 vom Medienkünstler Fränk Zimmer und der Sozialwissenschaftlerin und Geschlechterforscherin Elli Scambor vom Forschungsbüro der Männerberatung Graz gemeinsam mit einem großen Team an Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aus beiden Disziplinen durchgeführt wurden. Im Rahmen transdisziplinärer Projekte trifft dabei die Sozialforschung, die sich mit wesentlichen Aspekten des so-
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zialen Zusammenlebens beschäftigt, auf ein Medienkunstverständnis, das u. a. soziale Kontexte versteh- und erfahrbar machen möchte. Produkt dieser Zusammenarbeit sind bis jetzt drei Projekte, die im öffentlichen Raum stattgefunden haben: Die Gender Map (2007) ist ein dynamischer Stadtplan, der die Nutzung der Stadt durch Männer und Frauen unterschiedlicher Altersgruppen beschreibt und visualisiert (vgl. Scambor/Zimmer 2010; Scambor/Scambor 2007). Die Intersectional Map thematisiert im Rahmen der soziologischen Studie die Kategorien Geschlecht, Ethnie, Milieu und Alter hinsichtlich deren Bedeutung für die Nutzung städtischen Raums und macht diesen durch mobile, interaktive Installationseinheiten im Stadtraum und durch eine Webapplikation erkundbar. Im Projekt Social Networks (2011) stehen die sozialen Netzwerke von Stadtbewohnern und -bewohnerinnen im Mittelpunkt der sozialwissenschaftlichen Studie, deren Daten das Ausgangsmaterial für eine interaktive, multimodal erlebbare Medieninstallation im Grazer Augarten bildete. Der Gedanke der disziplinübergreifenden Arbeit wird in diesem Band im Sinne der Multidisziplinarität fortgesetzt. Anknüpfend an die Erfahrungen und Resultate der Intersectional Map stellen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus unterschiedlichen Fachbereichen sowie Künstlerinnen und Künstler ihre Überlegungen zur Zusammenarbeit von Wissenschaft und Kunst sowie theoretische Konzepte und Resultate empirischer Forschungsprojekte vor. Dabei bewegen sich die Beiträge inhaltlich sehr nahe am Schwerpunktbereich der Intersectional Map. Einer Vorstellung der Intersectional Map sowie der intersektionalen Analysestrategie in diesem Projekt im ersten Teil dieses Bands folgen theoretische Überlegungen und Analyseperspektiven auf Stadträume aus den Bereichen der Geschlechterforschung, der Architektur und der sozial-ökologischen Nachhaltigkeitsforschung. Beiträge, denen im darauffolgenden Teil des Buchs der hybride Charakter der Verschränkungen von Kunst und Wissenschaft innewohnt, wurden allesamt von Vertretern und Vertreterinnen beider Disziplinen verfasst, die alltäglich mit den Herausforderungen der Verbindung von Kunst und Sozialwissenschaft, Psychologie oder Journalismus konfrontiert sind. Im abschließenden Teil des Buchs werden empirische Studien zur sozialfragmentarischen Segmentierung von Städten sowie Empfehlungen zur geschlechtersensiblen Stadt- und Verkehrsplanung vorgestellt. Der Beitrag von Elli Scambor und Fränk Zimmer gewährleistet einen detaillierten Einblick in die praktische Zusammenarbeit von Sozialwis14
EINLEITUNG
senschaft und Medienkunst am Beispiel der Intersectional Map. Einer Projektbeschreibung werden Überlegungen zum Verhältnis von Wissenschaft und Kunst vorangestellt. Prozesse der Transformation und Visualisierung sozialwissenschaftlicher Daten im Rahmen interaktiver Medieninstallationen stellen Herausforderungen der disziplinübergreifenden Arbeit dar. Auseinandersetzungen mit der Aneignung von städtischem Raum als soziale Praxis seiner Bewohnerinnen und Bewohner sowie die damit einhergehende Ausformung des sozialfragmentarischen Charakters städtischer Strukturen bilden den theoretischen Rahmen des Projekts. In enger Verknüpfung mit dem Konzept der „Doppelten Vergesellschaftung“ (vgl. Becker-Schmidt 1987) wird die Aneignung von Raum intersektional gefasst. Geschlecht, Ethnie, Milieu und Alter formen dabei die Achsen der Ungleichheit einer Stadt. Die mit unterschiedlichen Vergesellschaftungsbedingungen einhergehenden Lebensrealitäten lassen deutliche Muster in der Intersectional Map erkennen. Im Beitrag von Christian Scambor und Elli Scambor werden grundsätzliche Zugänge und Vorgangsweisen intersektionaler Makroanalysen am Beispiel der Intersectional Map-Daten aufgezeigt und anhand einiger ausgewählter Aspekte der Studie erläutert. Dies beginnt bei der Verortung der intersektionalen Makroanalyse im Mehrebenenansatz von Winker und Degele (2009) sowie bei Überlegungen zur Kategorienbildung. Erhebung und Stichprobe der Studie werden detailliert beschrieben. Die Analysestrategie folgt einer Annahme, die Stadtnutzung als Ressource betrachtet, über die verschiedene Bevölkerungsgruppen in unterschiedlicher Weise verfügen (können). Geschlecht, Migration, sozioökonomische Lage und Eingebundenheit in Reproduktionsarbeit werden dabei als relevante Dimensionen der Kategorisierung betrachtet. Zunächst wird die Stadt zum Ausgangspunkt der Analyse, indem Bezirke und die dort lebenden Menschen fokussiert werden. Die Studienergebnisse verweisen auf unterschiedliche Bewegungsmuster der Stadtbewohner und Stadtbewohnerinnen, differenziert nach Wohnbezirk, Migrationshintergrund und Geschlecht. Für die verschiedenen Bewegungsmuster von Männern und Frauen bzw. deren Untergruppen konnte ein Einfluss der unterschiedlichen Eingebundenheit in Reproduktionsarbeit, die sich aus dem Vorhandensein von Kindern in betreuungsintensivem Alter im Haushalt ergibt, nachgewiesen werden. Katharina Walgenbach führt in ihrem Beitrag in das theoretische Konzept der Intersektionalität ein und diskutiert es als Paradigma im Sinne Kuhns. In der Unbestimmtheit und Offenheit dieses Konzepts wird dessen Potential als „Orientierungsmuster für gerichtetes Wahrnehmen“ 15
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verortet. Der Prozess der Konstruktion sozialer Kategorien wird reflektiert und deren strukturierende Wirkung in sozialen Realitäten sowie legitimierende Wirkung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen werden herausgearbeitet. Im Konzept der Intersektionalität sind soziale Kategorien nicht als isolierte Kategorien, sondern in ihren „Überkreuzungen“ oder „Überschneidungen“ (intersections) zu analysieren. Es geht um die Analyse ihrer Wechselwirkungen. Zwei ausgewählte Theorieansätze werden vertiefend präsentiert und auf das Projekt Intersectional Map bezogen: Zum einen wird dabei auf McCalls Unterscheidung zwischen antikategorialen, intrakategorialen und interkategorialen Ansätzen in der Debatte über Intersektionalität eingegangen. Des Weiteren wird der Doing Difference Ansatz von Fenstermaker und West präsentiert, da das Konzept der Intersectional Map davon ausgeht, dass eine Stadt erst durch die sozialen Praktiken ihrer Bewohnerinnen und Bewohner entsteht und dass diese wiederum von den sozialen Positionierungen von Subjekten abhängig sind. Dörte Kuhlmann beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit sozialen Implikationen der Architektur im urbanen Raum. In der Auseinandersetzung mit Bauten und städtebaulichen Strukturen zeigt sie anschaulich, wie die Architektur soziale und damit auch geschlechterbezogene Machverhältnisse räumlich zementiert und soziale Werte auch unter gesellschaftlichen Wandlungsbedingungen über Generationen konserviert. Am Beispiel der „street furniture“ in Chicago – ein Programm, das die visuelle Identität kommerzieller Subzentren in der Stadt hervorheben soll – wird die symbolische Bedeutung von Architektur als Zeichen für die Identifikation mit Quartieren in der Stadt diskutiert. Dabei vollzieht sich die Annäherung an den „Geist des Ortes“, indem die Architektur den Ort durch etwas radikal Außergewöhnliches markiert. Ethnische und genderbezogene Aspekte kennzeichnen u.a. territoriale Markierungen und inszenieren spezifische Quartiere auf symbolischer Ebene. Mechanismen der Separation werden am Beispiel von Bauten und städtebaulichen Maßnahmen diskutiert. „Harmlose“ Treppen, subtile Strategien der Verkehrsführung, Einkaufszentren, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln kaum zu erreichen sind und viele andere Beispiele zeigen, dass der Architektur „auch eine autonome Qualität der Restriktion und Diskriminierung“ unterstellt werden kann, „die unabhängig von gesellschaftlichen Vorgaben besteht.“ Bettina Knothe diskutiert in ihrem Beitrag das Konzept der Intersectional Map als digitale Dokumentation über die Nutzung der Stadt aus der Perspektive der Nachhaltigkeitsforschung mit speziellem Bezug zur so16
EINLEITUNG
zial-ökologischen Forschung (SÖF). Aus sozial-ökologischer Perspektive verbindet sich eine Sicherung und Gestaltung der sozialen und ökonomischen Existenz stets mit einer Sicherung und Gestaltung natürlicher Lebensprozesse in einer auf ganz spezifische Weise gestalteten und genutzten Umwelt. Räume sind in diesem Sinne Ausdrücke geronnener gesellschaftlicher Naturverhältnisse, in welchen sich materiell-physische und symbolische Dimensionen des Ökologischen, Wirtschaftlichen und Sozialen miteinander verbinden. Damit sind Räume weder „nur“ Naturnoch „nur“ Sozialräume. Auf der Basis der Ergebnisse des Projekts „Blockierter Wandel?“ (2003 bis 2006), das der thematischen Verknüpfung von Raum und Nachhaltigkeit die soziale Kategorie Gender als analytische Kategorie hinzufügt, werden die Erkenntnisse und Erfahrungen der Intersectional Map auf drei Analyseebenen diskutiert: Die alltägliche Konstitution von städtischem Raum wird als spezifische Ausprägung unterschiedlicher Subjektpositionen betrachtet, (nicht)-hegemoniale Räume werden als Analyseform für komplexe Ungleichheitsstrukturen in der Stadtraumnutzung vorgeschlagen und gesellschaftliche Natur-Kultur-Verhältnisse werden als relationale Verhältnisse von gesellschaftlicher Strukturiertheit, Identitätskonstruktion und symbolischer Repräsentation aufgezeigt. Die Intersectional Map wird dabei als „hybrides Mensch-TechnikVerhältnis“ betrachtet, das auf künstlerische und dynamische Weise der Vielschichtigkeit von Alltagswegen Ausdruck verleiht. Ninette Rothmüller untersucht eine aktuelle Ausprägung der Beziehung zwischen Kunst und Wissenschaft anhand von Projekten, die aus der Verbindung von Biomedizin und Kunst hervorgegangen sind. Ihr Fokus bei der Verbindung dieser beiden Disziplinen liegt auf der Beobachtung der Machtverhältnisse zwischen Kunst und Wissenschaft, sowohl in Bezug auf das verwendete Material als auch hinsichtlich technischer und konzeptioneller Methoden. Exemplarisch stellt sie in ihrem Beitrag die Arbeiten der britischen Künstlerinnen Helen Chadwick und Wendy Kirkup, sowie die der französischen Body Art Künstlerin Orlan vor. Rothmüller stellt fest, dass Kunst im öffentlichen Raum nicht nur das Erleben von Alltagsorten erweitert, sondern auch die Möglichkeit bietet, „Lebensrealitäten“ zu reflektieren. Durch die Interaktion mit Interfaces eröffnet sich die Möglichkeit, Wissen zu erwerben, welches als Basis für die Reflexion des eigenen Alltags dienen kann. Der Autor und Künstler Heimo Ranzenbacher, der an der Entwicklung der Projektidee zur Intersectional Map beteiligt war, beleuchtet die Betriebssysteme von Kunst und Wissenschaft. Er versucht den Mehrwert 17
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von Allianzen beider Disziplinen festzumachen und kommt zu dem Schluss, dass diese Art von Allianz Konsequenzen für den Erkenntnisund Handlungszusammenhang beider Disziplinen haben muss. Ausgehend von der Feststellung der Nicht-Verortbarkeit von Wissenschaft und Kunst im Alltag fordert Ranzenbacher ein neues Künstlerbild, in welchem Künstlerinnen und Künstler Projekterfahrungen, die Scheitern und Reüssieren gleichermaßen beinhalten, im Rahmen der Lehre an Schulen transparent machen. So wird zeitgenössische Kunst wieder ein Teil unseres Bildungskanons und bietet den Kunstschaffenden eine Reflexionsplattform für die eigene Kunst. Im Rahmen eines Interviews fasst Werner Jauk die theoretischen und künstlerischen Erfahrungen seines Arbeitsschwerpunkts „Musik/Gesellschaft/Technologie – Wahrnehmung und die (Neuen) Medien“ zusammen und verortet das Projekt Intersectional Map im System Medienkunst. Jauk schätzt die Haltung, Kunst und Wissenschaft öffentlich zu halten. Wissenschaftliche Ergebnisse und Kunstprodukte sollen niederschwellig zugänglich sein. Beide Disziplinen brauchen dazu einen nachvollziehbaren methodischen Rahmen. In der Medienkunst können Interaktionssituationen spezifisch herbeigeführt werden und so eine reflexive Wahrnehmung ermöglichen. Im Zentrum von Medienkunstarbeit stehen die Fragen: Wie wirken Medien auf den Erfahrungsbereich des/der Erfahrenden? Welche Medien werden genutzt und wie wirken sie auf die Wirklichkeitsgestaltung, wenn die Ergebnisse des Medienkunstprojekts der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden? Kheder Shadman beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der sozialräumlichen Ausdifferenzierung von Stadtquartieren und rückt dabei insbesondere Stadtteile mit sozioökonomischen Defiziten in den Mittelpunkt der Betrachtung. Das Konzept der „Lebenslagen“ bildet in Verknüpfung mit der Theorie der Exklusion/Inklusion die Basis für die vergleichende Analyse von Stadtteilen. Diskutiert werden die ökonomische, soziale und räumliche Dimension am Beispiel der Stadt Graz, dem Projektgebiet der Intersectional Map. Die Ergebnisse quantitativer und qualitativer Studien verweisen auf sozialräumliche Disparitäten in der Stadt Graz und lassen zentrumsnahe Stadtbezirke wie Lend, Gries und Jakomini aufgrund ihres hohen Anteils an Bevölkerungsgruppen in prekären Lebenslagen als marginalisierte Stadtteile hervortreten. Die Kumulation unterschiedlicher Benachteiligungen und Defizite in diesen Stadtteilen führt letztlich zu einem negativen Image und einer Stigmatisierung der Quartiere, was in den qualitativen Befunden zum „Selbstbild“ (Stadtteilbewohner und -bewohner18
EINLEITUNG
innen) und „Fremdbild“ (Außenstehende) der Quartiere zum Ausdruck kommt. Der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund im Quartier wird oft überschätzt und dem Faktor „Migration“ wird insgesamt eine hohe Bedeutung beigemessen, was wiederum die Ethnisierung von sozialen Konflikten begünstigt. Elke Szalai zeigt in ihrem Beitrag, wie stadtplanerische, architektonische, freiraumplanerische und verkehrsplanerische Vorgaben und Entscheidungen den öffentlichen Raum formen und beeinflussen. Einer kritischen Auseinandersetzung mit androzentrisch geprägten Planungskonzepten, die unterschiedliche Lebensrealitäten von Stadtbewohnern und Stadtbewohnerinnen systematisch ausblenden, wird das Konzept des „Gender Planning“ gegenübergestellt. Planung aus der Genderperspektive bezieht Menschen mit ihren vielfältigen Lebenszusammenhängen in den Planungsprozess ein und schafft neue Verhältnisse in der Stadtplanung sowie im städtischen Raum. Konkrete Tools zur verkehrs- und stadtplanerischen Erhebung sowie Empfehlungen zur Integration der Geschlechterperspektive in Planungsprozessen werden vorgestellt. Cosima Pilz und Daniela Jauk setzen sich kritisch mit Beteiligungsprozessen in der Verkehrsplanung auseinander. Die Erkenntnis, dass sich Bedürfnisse und Lebenszusammenhänge unterschiedlicher Frauengruppen in urbanen Verkehrsplanungskontexten der Stadt Graz nicht niederschlagen, bildete die Basis für das vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung geförderte Projekt „Frauen machen schön mobil – Gendersensitive Governance in the Field of Transport“ (2003 bis 2005). Im Rahmen dieses Projekts wurden spezifische Bedürfnisse von Frauen in unterschiedlichen Lebenszusammenhängen im Bereich Verkehr und Mobilität erhoben und Modelle zur Beteiligung von Bürgern und Bürgerinnen entwickelt. Im Rahmen der Studie wurden qualitative Methoden der empirischen Sozialforschung als Instrumente der Bürgerinnenbeteiligung genutzt. Die Ergebnisse gewähren Einblick in die Lebens- und Mobilitätsgewohnheiten der Befragten und bilden eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung handlungsleitender Gendersensitive-Governance-Modelle. Wir glauben, mit der Auswahl von Beiträgen aus unterschiedlichsten Blickwinkeln in diesem Buch die Verortung des Projekts Intersectional Map selbst gut abgebildet zu haben: in den Zwischenräumen und entlang der Verbindungslinien der unterschiedlichen Perspektiven.
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L i t e r a t ur Becker-Schmidt, Regina (1987): „Die Doppelte Vergesellschaftung – die doppelte Unterdrückung: Besonderheiten der Frauenforschung in den Sozialwissenschaften“, in: Lilo Unterkircher/Ina Wagner (Hg.), Die andere Hälfte der Gesellschaft. Österreichischer Soziologentag 1985, Wien: ÖGB Verlag, S. 10-25. Scambor, Elli/Zimmer, Fränk (2010): „Gender_Map/Judenburg, Intersectional Map/Graz“, in: Kunst im öffentlichen Raum Steiermark (Hg.), Projekte 2007-2008, Wien/New York: Springer Verlag, S. 106-111. Scambor, Elli/Scambor, Christian (2007): „Der Gender Walk. Eine bewegte Analyse der sozialen Konstruktion von Geschlecht im öffentlichen Raum“, in: zoll+ Österreichische Schriftenreihe für Landschaft und Freiraum 17 (10), S. 25-29. Winker, Gabriele/Degele, Nina (2009): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten, Bielefeld: transcript.
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Die intersektionelle Stadt
Intersectional Map ELLI SCAMBOR & FRÄNK ZIMMER
Sozialforschung und Medienkunst „Kunstprojekte im öffentlichen Raum werden durch öffentlichkeitsbezogene Kunstprojekte ersetzt und münden in die Kunst des Öffentlichen.“ (Fenz o. J.) Das Projekt Intersectional Map ist eine interdisziplinäre Arbeit an der Schnittstelle von Sozialforschung und Medienkunst. Partizipation und Prozesshaftigkeit – typische Charakteristika von Medienkunst – lassen sich in der Verbindung von Medienkunst und Sozialforschung umsetzen: Medienkunst wird dabei nicht zum „Aufputz“ empirischer Daten, sondern liefert ein Werkzeug, ein Tool, das Datenmaterial für eine interessierte Öffentlichkeit erlebbar macht. Umgekehrt ist die empirische Sozialforschung aufgefordert, ihre Ergebnisse in einer Weise aufzubereiten, die eine andere Öffentlichkeit erreicht als die herkömmlichen Fachzirkel. Die Datentransformation wird zur gemeinsamen Aufgabe von Sozialforschung und Medienkunst. Das Verhältnis zwischen Kunst, Wissenschaft und Technik hat im Laufe der Jahrhunderte abendländischer Geschichte viele verschiedene Formen angenommen. Wichtige Wendepunkte, bei denen diese drei Bereiche engere Verbindungen eingegangen sind, sind Gianetti (2004) zufolge die Ausdifferenzierung von Kunst und Handwerk sowie die Aufspaltung der 23
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Methoden, Zielsetzungen und Instrumente von Kunst, Technik und Wissenschaft. Darüber hinaus das Autonomiebestreben einer Kunst, „[…] die sich vor allem seit der industriellen Revolution aus der grundlegenden Kontroverse zwischen dem Rationalismus der Wissenschaften, dem Pragmatismus der Technik (Instrumente und Maschinen) und dem Humanismus der Kunst ergibt.“ (Gianetti 2004: 14) Auch gegenwärtig ist meist klar wo Kunst zu finden ist: im Theater, in der Galerie, im Kino, im Konzerthaus oder als Skulptur im öffentlichen Raum. Wissenschaft hingegen findet zumeist an Universitäten, Forschungseinrichtungen und anderen Bildungseinrichtungen statt. Es sind zwei Welten, die vieles gemeinsam haben, vom Sich-verkaufenmüssen (Marketingstrategien) über die Notwendigkeit, in fachspezifischen Journalen zu publizieren, in den jeweiligen Communities teil zu haben bis zum Ansuchen um Subventionen bei staatlichen Institutionen bzw. nicht-staatlichen Geldgebern. Doch ein Austausch, eine interdisziplinäre, inhaltliche Zusammenarbeit zwischen Kunst und Wissenschaft findet zumeist nicht statt. Es scheint, als hätten beide Disziplinen etwas zu verlieren, wenn sie zu weit über die Ränder hinausschauen und sich aufeinander einlassen: „Eine Wissenschaft, die sich auf künstlerische Verfahren, der Allegorese oder der Assoziation beruft, die inspirativ oder entlang der Bruchstellen des Materials operiert, diskreditiert sich selbst. [...] Umgekehrt macht sich der Künstler, der wissenschaftlich verfährt, verdächtig, weil er systematisch vorgeht oder theoretische Methoden und Resultate für andere Zwecke missbraucht, sodass deren Übertragungen und Anwendungen auf Missverständnissen beruht.“ (Mersch/Ott 2007: 9) Aber auch ein zweites spannungsgeladenes Themenpaar fließt in die Intersectional Map mit ein: Kunst und Design. Design, als Fortführung von handwerklichem Gestalten von realen und virtuellen Objekten, Situationen, Orten und Subjekten. Design grenzt sich oft durch die Funktion, die dem designten Objekt innewohnt, gegenüber Kunst ab. Das Visualisieren von Informationen ist eine Designaufgabe: „Auf dem Gebiet der Daten gibt es einerseits die Informationsvisualisierung, wo es darum geht, jemanden über etwas auf verständliche Weise zu informieren oder darüber aufzuklären, was sich hinter dem Datensatz verbirgt. Andererseits gibt es Datenvisualisierung, bei der Daten dazu benutzt werden, eine Form für die Schaffung eines visuellen/ästhetischen/experimentellen Sinneseindrucks zu finden. In einem Designprojekt geht es immer um die Information, die kommuniziert werden soll. Der Designer muss die richtige Form für die Übertragung der Daten in Information finden. In einem datenbasierten Kunstwerk
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INTERSECTIONAL MAP
geht es eher um die formale und ästhetische Qualität als um den Inhalt.“ (Sauter 2010: 250) Die Grenze zwischen Design und Kunst verschwimmt zusehends. Vielmehr scheint es von der Lesart und dem „mitgebrachten“ Impetus bzw. Konzept der Ausführenden abzuhängen, welche Arbeit wo eingeordnet wird und in welcher Disziplin sie als zugehörig empfunden wird.
Theoretische Überlegungen „Räume entstehen also nur erstens dadurch, dass sie aktiv durch Menschen verknüpft werden.“ (Löw 2001: 158)
Der Raumsoziologin Martina Löw zufolge konzentriert sich die Stadtraumforschung häufig auf die Strukturebene. „Untersucht werden die gesellschaftlichen Ursachen von Städtewachstum und Suburbanisierung, die Aufteilung des städtischen Raums in verschiedene Zonen und deren gesellschaftliche Funktionen, Segregationsprozesse sowie die Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit“ (Löw 2001: 254). Die einzelnen Forschungsstrategien konzentrieren sich dabei auf ausgewählte Phänomene in Städten oder die Stadt wird als Ganzes in den Blick genommen (vgl. Löw 2001: 254). Das Projekt Intersectional Map versucht diese partikularen Perspektiven zu überwinden und, einer handlungstheoretischen Perspektive folgend, die Entstehung der Stadt aus den alltäglichen Handlungen ihrer Bewohner und Bewohnerinnen zu erfassen. Die empirische Studie im Rahmen dieses Projekts beschäftigt sich mit der Frage, wie eine Stadt im Handeln entsteht, im konkreten, wie die Stadt Graz für die befragten Personen zu „ihrer“ Stadt wird. Der städtische Raum wird im Projekt Intersectional Map als „relationale (An-)Ordnung sozialer Güter und Menschen gedacht“ (Löw 2001: 257). Löw zufolge vollzieht sich die Konstitution von Raum durch zwei unterschiedliche Prozesse. Raum konstruiert sich einerseits durch das „Platzieren von sozialen Gütern und Menschen“ (Löw 2001: 158). Löw bezeichnet diesen Prozess des Errichtens, Bauens und sich selbst Positionierens (in Relation zu anderen Positionierungen) mit dem Begriff „spacing“. Voraussetzung für „spacing“ ist das Vorhandensein von Orten. An Orten wird platziert. Der Ort wird, ebenso wie der Raum, nicht als statisches Konstrukt betrachtet, sondern als sich veränderndes gesellschaftlich determiniertes Segment. Darüber hinaus bedarf es eines Prozesses der Vorstellung und Wahrnehmung, der Güter und Personen gedanklich zu Räumen zusammenfasst: die Syntheseleistung (vgl. ebd.). 25
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In diesem Sinne thematisiert die Intersectional Map die räumliche Struktur der Stadt als spezifische Ausprägung des Gesellschaftlichen. Die alltägliche Erschließung der Stadt durch ihre Bewohner und Bewohnerinnen wird in enger Verknüpfung mit der Diversität der Lebensumstände unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen erfasst (vgl. Scambor 2007; Scambor/Scambor 2007). Die entleiblichte Logik der prinzipiellen Teilnahme aller (vgl. Marth 2000; Acker 1991, 1992) – ein häufig anzutreffendes Prinzip in der Stadtplanung – weicht damit einer Betrachtung, die den unterschiedlichen Bedürfnislagen verschiedener Bevölkerungsgruppen gemäß, Differenzen in der Erschließung der Stadt hervorhebt. Die „Syntheseleistung“ der befragten Stadtbewohner und Stadtbewohnerinnen ermöglicht dabei, ein „Ensemble sozialer Güter“ (Löw 2001: 257), in diesem Fall alltäglich aufgesuchte Orte in der Stadt, als individuell erschlossene Stadträume wahrzunehmen, die in Abhängigkeit von den jeweiligen Lebenslagen ähnliche Strukturen aufweisen. Der städtische Raum konstituiert sich aus der alltäglichen Praxis der Stadtbewohner und Stadtbewohnerinnen. Die soziale Stellung der Menschen führt zu spezifischen distributionellen (An-)Ordnungen bzw. Aneignungen im physischen Raum. Das bedeutet wiederum, dass die angeeigneten physischen Räume Auskunft geben über die Stellung im sozialen Raum. Der soziale Raum ist Bourdieu (1982, 1991) zufolge ein Raum der Beziehungen zwischen Menschen, damit auch ein Raum relational angeordneter Personen im permanenten Verteilungskampf. Menschen verfügen über unterschiedliche Möglichkeiten, ökonomische, soziale und kulturelle Kapitalien zu kumulieren. Der soziale Raum steht dem angeeigneten physischen Raum gegenüber. „Wohnungen, Häuser oder Stadtteile werden entsprechend dem Einkommen, dem kulturellen oder sozialen Kapital gewählt, und diese ‚Wahl‘ reproduziert die Klassenstrukturen erneut.“ (Löw 2001: 182) Die Sozialraumforschung basiert auf der Grundannahme, „[…] dass das Ausmaß an sozialer Ungleichheit in der städtischen Gesellschaft eine räumliche Ausprägung besitzt.“ (Stöger/Weidenholzer 2007: 91; vgl. Häußermann/Kapphan 2002; Häußermann/Siebel 2004; Dangschat 1998) Dabei werden Einflussfaktoren auf der Angebots- und auf der Nachfrageseite unterschieden, die die sozialräumliche Segregation plausibel zu erklären versuchen. Nachfrageseitig spielt die Verteilung von ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital bei der Wahl der Wohnform und des Wohnstandorts eine maßgebliche Rolle (vgl. Dangschat 2000). „Auf der Angebotsseite werden durch die Instrumente der Stadtplanung und der Wohnungspolitik Zonen mit verschiedenen Wohn- und 26
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Wohnstandortqualitäten geschaffen (‚politische Differenzierung von Räumen‘). Zugleich kristallisieren sich zwischen Wohnqualitäten und Wohnstandorten zum Teil erhebliche Preisdifferenzen heraus (‚ökonomische Differenzierung des Raumes‘), ebenso verfügen die einzelnen Stadtteile über eine positive oder negative Etikettierung, die in ihrer Geschichte, ihrer städtebaulichen Gestaltung und dem Image ihrer Bewohnerschaft begründet liegt (‚symbolische Differenzierung des Raumes‘). Schließlich existiert noch eine ‚soziale Differenzierung von Räumen‘, die vom Status ihrer Bewohner abhängt und durch eine bestimmte Preisgestaltung und sozial selektive Wohnungsvergabe gezielt gesteuert werden kann.“1 (Stöger/Weidenholzer 2007: 92) Die Intersectional Map thematisiert den sozialfragmentarischen städtischen Charakter, indem sie die alltägliche Erschließung der Stadt durch ihre Nutzer und Nutzerinnen fokussiert und vergleicht. Ausgangspunkt der empirischen Studie ist die Annahme, dass die Daten städtische Räume transparent machen, in denen sich Bewohner und Bewohnerinnen in ähnlichen sozialen Lagen zusammenfinden. Auf diese Weise werden sozialhomogene Milieus in einzelnen Stadtteilen sichtbar und die sozialräumliche Segregation zwischen Stadtteilen erschließt sich den Betrachterinnen und Betrachtern. Bisherige Studien zur sozialräumlichen Segregation im Stadtraum von Graz verweisen auf sozialhomogene Stadtteile, gemessen an den sozialen und ökonomischen Ressourcen der dort lebenden Bewohner und Bewohnerinnen (vgl. Shadman 2008). Die soziale und ökonomische Dimension marginalisierter Stadtteile, gekennzeichnet durch einen hohen Anteil arbeitsloser Bewohner und Bewohnerinnen, Sozialhilfebezieher und -bezieherinnen, Menschen mit Migrationshintergrund, alter Menschen und alleinerziehender Personen mit niedrigem ökonomischen Status, wird auch auf der symbolischen Ebene zum Ausdruck gebracht: „Grau, laut, verschmutzt und beengt charakterisieren die Situation in den marginalisierten Stadtteilen.“ (Ebd.: 25) Städteplaner und -planerinnen versuchen mehrheitlich den städtischen Raum als neutralen Raum zu gestalten. Daraus resultiert, dass der fragmentarische Charakter von Städten neutralisiert, verallgemeinert und damit verwischt wird. Erst auf der Grundlage systematischen Wissens um die geschlechter-, milieu- und migrationsrelevante Struktur der Stadt ist es möglich, Planungskonzepte zu entwickeln, die die Pluralität und Diversität der Stadtbewohner und Stadtbewohnerinnen in den Blick nehmen. 1
Stöger und Weidenholzer beziehen sich in diesen Ausführungen auf Häußermann und Siebel (2004). 27
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Abbildung 1: Intersectional Map im EKZ Shopping Nord (Graz)
Das Projekt Der Gebrauch der Stadt stand im Mittelpunkt des Wissenschaft- und Medienkunstprojekts Intersectional Map, das die Kategorien „Geschlecht, Ethnie, Milieu und Alter als Achsen der Ungleichheit einer Stadt“ – so der Untertitel dieses Projekts – thematisierte. Diese vier sozialen Kategorien bildeten die Analysekategorien der soziologischen Studie, die die alltägliche Nutzung der Stadt Graz (Wege und Orte) durch 1650 Bewohner und Bewohnerinnen im Jahr 2008 erfasste. In der Intersectional Map werden drei Zugänge vereint. Am Anfang stand eine soziologische Studie, die Datenmaterial lieferte. Die Daten wurden in der Stadt Graz erhoben und anschließend in den virtuellen Raum transferiert. Ein virtueller Stadtplan auf der Projekthomepage, basierend auf den Befragungsdaten, und mobile, interaktive Medieninstallationen im Grazer Stadtraum machten das gewonnene Wissen erfahrbar und erlebbar. Die statistisch ausgewerteten Ergebnisse dieser Studie werden erstmals im Artikel „Intersektionale Analyse in der Praxis“ (vgl. Scambor/Scambor in diesem Band) vorgestellt. In einem zweiten Schritt wurden die Daten über ein eigens entwickeltes Softwaretool erfasst und mittels definierter Visualisierungsroutinen innerhalb einer interaktiven visuellen Umgebung für Interessierte 28
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aufbereitet. Das digitale Werkzeug zur Transformation der erhobenen Daten in den virtuellen Raum diente zugleich deren Visualisierung und Dynamisierung. Interaktive Medieninstallationen im Stadtraum von Graz fungierten als öffentlich zugängliche Instrumente zur Navigation durch die Intersectional Map, jenem Stadtplan, der aus den Daten der Studie entstand. Ein nächster Schritt ging über das Aufzeigen-Wollen von Daten/ Informationen hinaus, griff die Idee des Erfassens von Bewegungsverhalten auf und machte den Gebrauch der einzelnen Installationen im öffentlichen Raum der Stadt, die der Interaktion mit der Informationsstruktur diente, selbst zu virtuellen Orten, die optisch und akustisch wahrnehmbar wurden. Im Folgenden werden die einzelnen Elemente der Studie in ihrer Chronologie dargestellt: Studie/Verknüpfung von Studie und Installation/Visualisierung der Daten/Installationen im öffentlichen Raum.
Die Studie Die Konstitution von städtischem Raum als „intersektionellen Raum" wurde auf Basis der wissenschaftlichen Studie zur alltäglichen Nutzung der Stadt durch ihre Bewohner und Bewohnerinnen sichtbar gemacht. Es wurde davon ausgegangen, dass sich in der Struktur städtischer Räume die unterschiedlichen Vergesellschaftungsbedingungen der Geschlechter (vgl. Becker-Schmidt 1987; Becker-Schmidt/Knapp 2001), die in unterschiedliche Ethnien und Milieus eingebettet sind, abbilden lassen. Das Projekt orientierte sich im Zuge der Analyse der Mobilitäten unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen am theoretischen Konzept Intersectionality (vgl. Crenshaw 1998), das die Wechselwirkungen der Verknüpfung unterschiedlicher sozialer Kategorien („Gender“, „Ethnicity“ und „Class“) fokussiert. Leslie McCall (2005) zufolge lässt sich die Analyse sozialer Komplexität u.a. mithilfe des sogenannten interkategorialen Zugangs bewerkstelligen. Dieser Ansatz untersucht Ungleichheitsbeziehungen zwischen sozialen Kategorien auf der Makroebene, indem er ihre Wechselwirkungen in den Blick nimmt. Katharina Walgenbach (2007) diskutiert das Zusammenwirken sozialer Kategorien im Konzept der interdependenten Kategorie. Dieser Ansatz konzeptualisiert soziale Kategorien „als in sich heterogen strukturiert“ (Walgenbach in diesem Band). Die soziologische Studie erfasste Wegketten und alltäglich aufgesuchte Orte von 1650 Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt Graz. Der Stichprobe wurden die Schichtungsvariablen Geschlecht, Migra29
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tionshintergrund und Alter zugrunde gelegt. Im Rahmen der Erhebung konzentrierten sich die Interviewerinnen und Interviewer darauf, möglichst unterschiedliche Personengruppen in der Stadt zu befragen. Darüber hinaus wurde Wert darauf gelegt, insbesondere unterrepräsentierte Personengruppen in die Stichprobe aufzunehmen (z.B. Bewohnerinnen und Bewohner mit Migrationshintergrund aus Nicht-EU-Ländern). Die Befragung dieser Personengruppen erfolgte durch sogenannte „Brückenpersonen“, also Interviewer und Interviewerinnen, die sich selbst der zu befragenden Personengruppe zugehörig fühlten. Datenerhebungsinstrument war ein aktueller Stadtplan von Graz. Zusätzlich wurden soziodemografische Daten erfasst. Dieser Fragebogen wurde für die schriftliche und mündliche Befragung eingesetzt. Die Erhebung erfolgte im Rahmen von Face-to-Face-Interviews an öffentlichen Plätzen in der Stadt bzw. als Fragebogenerhebung in Institutionen (Verteilung von Fragebögen in Schulen, Kindergärten, Dienstleistungseinrichtungen, Weiterbildungseinrichtungen etc.) und in Form von Einzelinterviews mit spezifischen Personengruppen (Menschen über 60 Jahre, Menschen mit sprachlichen Barrieren, etc.). Knapp 56% aller Daten wurden mittels Face-to-Face-Interviews erhoben. Eine detaillierte Beschreibung von Schichtungsmerkmalen, Stichprobe und Erhebungsverfahren bietet der Artikel „Intersektionale Analyse in der Praxis“ (vgl. Scambor/Scambor in diesem Band). Ziel der soziologischen Studie war es, Aussagen über die Mobilität der erfassten Personengruppen treffen zu können. Wir interessierten uns beispielweise für folgende Fragestellungen: • Wo bewegen sich Frauen und Männer in der Stadt? Welche Orte suchen sie alltäglich auf? Welche Wegstrecken legen sie alltäglich zurück? • Lassen sich Arbeitsteilungsmodelle zwischen Frauen und Männern (Mikroebene) in der städtischen Makrostruktur abbilden? • Unterscheiden sich die Mobilitäten von Frauen und Männern mit Kindern im betreuungspflichtigen Alter (unter 14 Jahren)? Gilt dies für Personen mit und ohne Migrationshintergrund gleichermaßen? • Unterscheiden sich die (Sozial-)Räume von Stadtbewohnern und Stadtbewohnerinnen mit unterschiedlichem Migrationshintergrund? • Konzentrieren sich sozial und ökonomisch marginalisierte Bevölkerungsgruppen in einzelnen Stadtteilen? Handelt es sich dabei um sozialhomogene Stadtteile?
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Die Ergebnisse dieser Studie lassen insbesondere zwei Mobilitätsmuster deutlich hervortreten: • Hoch komplexen Wegketten von Personen, die Erwerbsarbeit und Familienarbeit täglich miteinander verknüpfen, stehen vergleichsweise einfache Wegketten von Personen gegenüber, deren alltäglicher Weg zur Arbeit und wieder nach Hause führt. Es sind dabei vor allem die Wegketten von Frauen, die starke Unterschiede aufweisen, je nachdem ob sie Kinder unter 14 Jahren haben oder nicht. Frauen mit Kindern unter 14 Jahren weisen wiederum deutlich komplexere Wegketten auf als Männer. Die Wegketten von Männern mit und ohne Kinder unter 14 Jahren unterscheiden sich kaum voneinander. Die geschlechterrelevante Arbeitsteilung auf der Mikroebene (Familienernährer-Zuverdienerinnen-Haushalte) tritt auf der Makroebene im Bewegungsverhalten der Befragten zutage. • Die Bewegungsmuster von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund unterscheiden sich stark voneinander. Die Ergebnisse verweisen auf räumliche Netzwerke bei Befragten mit Migrationshintergrund (Nicht-EU-Länder) und auf entlokalisierte soziale Beziehungen bei Befragten ohne Migrationshintergrund. Die Intersectional Map verweist in diesen Ergebnissen auf die soziale Fragmentierung der Stadt. Einwohner und Einwohnerinnen mit Migrationshintergrund aus Nicht-EU-Ländern konzentrieren sich vorwiegend in einzelnen Stadtteilen rechts der Mur, wie Gries und Lend, die einen hohen Anteil an Menschen mit niedrigem Bildungsniveau und niedrigem Einkommen sowie eine hohe Arbeitslosen- und Sozialhilfedichte aufweisen. Kurze tägliche Wegdistanzen der befragten Personen mit Migrationshintergrund aus Nicht-EU-Ländern sowie eine große Bedeutung von „Zuhause“ und „Besuch von Freundinnen“ als alltäglich relevante Orte verdeutlichen zudem die räumliche Nähe sozialer Beziehungen zur Wohngegend. Analyseverfahren und Ergebnissen sind im Artikel „Intersektionale Analyse in der Praxis“ detailliert beschrieben (vgl. Scambor/Scambor in diesem Band).
Z u r V e r k n ü p f u n g vo n S t u d i e u n d I n s t a l l a t i o n e n Die in der Studie erhobenen Daten wurden via einer eigens programmierten Processing/Java-Anwendung und einer MySQL Datenbank in
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den virtuellen Raum transferiert und damit für die Öffentlichkeit sichtbar und erlebbar gemacht. Abbildung 2: Public Terminal in der Stadtbibliothek Eggenberg (Graz)
Die Intersectional Map machte das Wissen über den öffentlichen Raum im Stadtraum durch Schaufenster und Public Terminals zugänglich. Sowohl das Webinterface für den privaten Raum als auch die Installationen im öffentlichen Raum lieferten ein zu explorierendes Environment. Die Erkundung des städtischen Gefüges entlang soziodemografischer Merkmale kann durch Kombination unterschiedlicher Selektionskriterien (Geschlecht, Alter, Migration, Bildung, Einkommen) erfolgen. Das Filtern nach Alter und Migrationshintergrund führt beispielsweise zu einem anderen visuellen Ergebnis als die Kombination von Geschlecht und Migrationshintergrund. Auf diese Weise lassen sich relationale Bilder der Stadt erstellen. „Das Subjekt erkundet den Wissensraum, aktiviert und realisiert diesen in vielen Fällen aber auch erst im Prozess dieser Erkundung. Erst durch das interessegeleitete, zum Teil auch intuitive Handeln des Subjektes werden dann Daten zusammengestellt, Strukturen sichtbar gemacht und Informationen als solche verfügbar. Der Benutzer wird zum eigenen Denken, Erforschen, Handeln aufgefordert.“ (Strauss/ Zschocke 2004)
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Die Visualisierung der Daten Auf der Intersectional Map (vgl. Abb. 4) sind Wege, Orte und Mikromarker erkennbar. Mikromarker symbolisieren Personen auf ihren alltäglichen Wegen durch die Stadt. Blaue Marker symbolisieren Männer, grüne symbolisieren Frauen. Die Formen der Marker ermöglichen eine Differenzierung von Personen mit und ohne Migrationshintergrund. Personen aus Nicht-EU-Ländern sind als Rauten dargestellt. Personen aus EU-Ländern sind als Dreiecke und Personen aus Österreich als Quadrate dargestellt. Punkte symbolisieren alltäglich aufgesuchte Orte in der Stadt. Die Ortspunkte haben unterschiedliche Größen und Farbabstufungen. Die Größe der Punkte charakterisiert die Frequenz am Ort – je größer der Punkt umso öfter wurde dieser Ort als alltäglich relevanter Ort angegeben. Helle Ortspunkte symbolisieren soziale Ähnlichkeit der Personengruppen, die diesen Ort alltäglich frequentieren (= homogene Orte). Dunkle Ortspunkte symbolisieren eine sozial heterogene Zusammensetzung der Personengruppen, die diesen Ort alltäglich aufsuchen (= heterogene Orte). Jedem Ort auf der Intersectional Map wurde ein sogenannter Heterogenitätswert auf einem Kontinuum von 0 bis 100 zugeordnet. Dieser Wert setzt die Orte miteinander in Beziehung. Ein Beispiel dazu: Bei Anklicken des Orts Lendplatz öffnet sich auf der linken Seite eine Legende. Die erste Angabe ist der Heterogenitätswert – dieser ist mit 58,5 vergleichsweise hoch und bedeutet, dass dieser Ort von einer Vielzahl unterschiedlicher Personengruppen als alltäglich bedeutsamer Ort angegeben wurde. Es folgt die Personenfrequenz, darunter die konkreten Verteilungen am Ort entlang der erfassten sozialen Kategorien Geschlecht, Alter, Migration, Bildung und Einkommen. Sobald der Ort angeklickt wird, bewegen sich die Mikromarker – also Personen – die diesen Ort als alltäglichen Ort angegeben haben, auf diesen Ort zu.
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Abbildung 3: Screenshot Intersectional Map, Seitenleiste, Lendplatz und Legende
Abbildung 4: Screenshot Intersectional Map, Lendplatz (Graz), aktiv
Die Visualisierung des erhobenen Datenmaterials im virtuellen und im öffentlichen Raum und das „Weiterleben“ der Intersectional Map bilden zentrale Schwerpunkte in diesem Projekt. Die Wegketten aller an der 34
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Erhebung beteiligten Personen werden im virtuellen Stadtplan sichtbar, folgt man den einzelnen Mikromarkern. Die Ansteuerung konkreter Orte in der Stadt (Jakominiplatz, Bahnhof, usw.) auf der virtuellen Oberfläche, löst die Anziehung jener Mikromarker/Personen aus, die angegeben haben, diesen Ort in ihrem Alltag aufzusuchen. Abbildung 5: Screenshot – Vollbild Intersectional Map, Lendplatz
Am unteren Rand der Intersectional Map besteht die Möglichkeit, die Daten zu filtern. Die Kategorie Geschlecht ermöglicht beispielsweise die getrennte Darstellung von Frauen und Männern. Dasselbe gilt für die Kategorien Migration, Alter, Einkommen und Bildung. Hierbei lässt sich eine Verknüpfung aller Kategorien herstellen. Auf diese Weise erschließt sich den Besuchern und Besucherinnen der Intersectional Map die Nutzung der Stadt durch unterschiedliche Personengruppen auf anschauliche Weise. Frauen mit Migrationshintergrund aus Nicht-EULändern suchen beispielsweise andere Orte in der Stadt auf als Frauen ohne Migrationshintergrund. Innerhalb spezieller Personengruppen fallen die Unterschiede in der Stadtraumnutzung vergleichsweise gering aus. Personen mit Migrationshintergrund aus Nicht-EU-Ländern scheinen aufgrund der vorliegenden Daten beispielsweise kaum Querungen über den Fluss (Mur) vorzunehmen. Dieser Fluss bildet einen wesentlichen geographischen Raumteiler, der die Stadt in Nord-Süd-Richtung in „zwei unterschiedlich strukturierte Bereiche“ (Kubinzky 2009: 20) teilt. Kulturelle Institutionen waren traditionell im bürgerlichen Teil der Stadt, also links der Mur, angesiedelt, während die Arbeiterbezirke rechts des Flusses zu finden waren. Die Intersectional Map zeigt deut35
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lich, dass Personen mit Migrationshintergrund aus Nicht-EU-Ländern die Stadt vorwiegend auf jener Seite des Flusses nutzen, die ihnen Wohnstatt bietet. Besucher und Besucherinnen der Intersectional Map bewegen sich in diesem Szenario. Sie „betreten“ die Stadt im virtuellen Raum auf ihren gewohnten, alltäglichen Wegen und an gewohnten Orten und finden sich wieder – in Relation zur Mobilität anderer Bevölkerungsgruppen – im bewegten Feld der Anziehung.
Die Installationen – Public Space, P u b l i c I n t e r f a c e , P u b l i c K n ow l e d g e Webinterface im privaten Raum
Die Website http://socialresearch-mediaart.mur.at bietet die Möglichkeit, die Stadt Graz unter den Aspekten Geschlecht, Ethnie, Alter, Einkommen und Bildung durch ein Webinterface zu erkunden. Jede dieser fünf Kategorien kann im Hinblick darauf erforscht werden, welche Plätze für welche Personengruppen in Graz von Bedeutung sind. Eine Grafikanimation stellt die Daten in einem virtuellen Stadtplan dar. Installationen im öffentlichen Raum
Vier mobile, interaktive Medieninstallationen in Schaufenstern oder in Form von Public Terminals in Supermärkten, Stadtbibliotheken, Geschäften und Bildungseinrichtungen fungierten im Projektzeitraum (November 2008 bis Februar 2009) als Instrumente zur Navigation durch die Intersectional Map. An den Schaufenstern wurden Kameras angebracht, die Schnappschüsse der Benutzer und Benutzerinnen der Installation machten. Die vier Medieninstallationen waren untereinander vernetzt. Die Passanten und Passantinnen hatten die Möglichkeit, sich gegenseitig beim Gebrauch der Installation zu sehen. Am oberen Rand der Bildschirme zeigte eine Bildleiste, wo und von welchen Personen die Installationen benutzt wurden. Ein Boxensystem, das straßenseitig montiert war, unterstützte das visuelle Geschehen durch eine Klangebene, die das akustische Geschehen der Installationsorte aufgriff. Der Gebrauch der Installationen wurde durch Timestamps in der Intersectional Map dokumentiert. Die Timestamps in dem Format Tag.Monat.Jahr.Stunde.Minute.Sekunde wurden erstellt wenn Passantinnen und Passanten die Installationen im öffentlichen Raum benutzten. Die Timestamps schienen in Folge in der Darstellung der Intersectional Map als virtuelle Orte auf. Die X/Y Koordinaten dieser virtuellen Orte 36
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ergaben sich durch ein definiertes Zeitraster, das sich an der dreimonatigen Laufzeit (täglich 24 Stunden) der mobilen Installationen orientierte. Die Anhäufung der Timestamps bildete einerseits einen virtuellen Ort des Interesses, andererseits bestimmten deren Elemente (Datum, Zeit und Dauer) das Verhalten eines Klangbearbeitungswerkzeugs, durch das eine akustische Repräsentanz der virtuellen Orte erzeugt wurde. Klang wurde gleichsam zu einer Kontur der Virtualität dieser Orte. Abbildung 6: Intersectional Map an der Universität Graz
Neben den Installationen wurden „ortsspezifische“ Plakate im Stadtraum platziert, die relevante Informationen zur Nutzung der jeweiligen Orte vermittelten. Die Plakatständer enthielten jeweils Plakate, die das Nutzungsverhalten des Orts visuell wiedergaben. Die Darstellung war ein Snapshot aus der Intersectional Map. Der Gebrauch der Installationen erzeugte neue Orte im virtuellen Stadtplan. In Analogie zum Gebrauch des realen städtischen Gefüges wurde auch bei der Installation die Alltagswertigkeit eines Orts durch den Gebrauch des Orts bestimmt.
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Abbildung 7: Schaufensterinstallation, Mariahilferstraße (Graz)
Au s b l i c k Nur durch das egalitäre Engagement von Kunst und Wissenschaft konnte ein Tool entstehen, das, über das eigentliche Projekt hinausreichend, einen weiteren Gebrauchs- und Erkenntniswert entwickelt hat, der auf konkrete Veränderungen im Umgang mit öffentlichem Raum abzielt (vgl. Scambor/Zimmer 2010). Mehrere Folgeprojekte der Intersectional Map stellen unterdessen die Nutzungsmöglichkeiten der entwickelten Tools und Manuale in der Forschungsrealität unter Beweis, so z.B. eine Jugendstudie (2008 bis 2009), die sich im Auftrag vom Integrationsreferat der Stadt Graz mit der Frage beschäftigte, ob bzw. inwieweit Angebote der Offenen Jugendarbeit zu gelingender Integration beitragen. Eine Status QuoAnalyse zur Erschließung der Stadt durch ca. 350 Jugendliche bildete dabei eine wichtige Planungsgrundlage zur Erarbeitung vom Empfehlungen (vgl. Steirischer Dachverband der Offenen Jugendarbeit 2009). Die Herausforderungen in der Zusammenarbeit von Sozialwissenschaft und Medienkunst sowie wesentliche Resultate der Intersectional Map haben weitere Überlegungen zur disziplinübergreifenden Arbeit nach sich gezogen. Konkrete Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Studie – insbesondere Ähnlichkeiten alltäglich aufgesuchter Orte bei
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spezifischen Personengruppen – haben unsere Aufmerksamkeit auf die sozialen Netzwerke der Befragten gelenkt. Im Rahmen des Folgeprojekts social networks/graz (2011) – neuerlich als Wissenschaft- und Kunstprojekt konzipiert – standen deshalb soziale Netzwerke von Bewohnern und Bewohnerinnen der Stadt Graz im Mittelpunkt. Aus individuellen Netzwerken wurden idealtypische Netzwerkstrukturen unterschiedlicher Personengruppen ermittelt. Relevante Strukturmerkmale sozialer Netzwerke (Netzwerkdichte, Kontakthäufigkeit, etc.) wurden in einer interaktiven Installation im Grazer Augartenpavillon räumlich, optisch und akustisch miteinander in Beziehung gesetzt. Als Produkt entstand je nach Lesart eine „verstehbare“ Anordnung von Datenmaterial oder auch eine sinnlich erfahrbare Medien-/Klang-installation, die die sozialen Beziehungsnetze der Grazerinnen und Grazer zum Gegenstand hatte. Abbildung 8: social networks/graz Installation im Grazer Augarten
Die Erfahrungen im Projekt Intersectional Map haben unsere Arbeit geprägt. Von Beginn an stellte uns dieses Projekt vor die Herausforderung, über die Umsetzung sozialwissenschaftlicher Daten im Kontext der Medienkunst nachzudenken. Diese Arbeit an der Schnittstelle beider Disziplinen bildet gewissermaßen das „Herzstück“ der Zusammenarbeit. Von der Erstellung des Erhebungsmanuals bis zur Eröffnung der Medieninstallation standen die Möglichkeiten der Transformation des Datenmaterials, die „Übersetzung“ der Daten in eine medienkünstlerische „Spra39
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che“ und das Erlebbar-Machen des Materials für eine interessierte Öffentlichkeit im Mittelpunkt unserer Arbeit. Insbesondere die mit der Datentransformation einhergehende Komprimierung des Datenmaterials – komplexe soziale Zusammenhänge mussten auf nachvollziehbare und verständliche Weise optisch und akustisch präsentiert werden – führte zu Auseinandersetzungen und Diskussionen über grundsätzliche Herangehensweisen in beiden Disziplinen. In den Diskussionen zur Datentransformation traten grundlegende Prämissen und Zugänge beider Disziplinen zutage, die mitunter auf den ersten Blick widersprüchlich erschienen, beim Versuch, mit der Ambivalenz umzugehen, zum Teil aber letztlich zu erstaunlichen Ergebnissen führten. Der Blick über den Tellerrand lohnt sich jedenfalls.
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Inters ektionale Anal yse in de r Praxis G ru n dl ag en u nd Vo rg an gs we is e be i d e r A na l ys e q u ant it ati ve r Dat en aus d er I nter sect io na l Map CHRISTIAN SCAMBOR & ELLI SCAMBOR
Im Projekt Intersectional Map wird die Bewegung der Menschen im städtischen Raum als Abbild unterschiedlicher Vergesellschaftungsbedingungen der Geschlechter thematisiert, wobei die Geschlechter wiederum in unterschiedliche Ethnien und Milieus eingebettet sind. Bei der Analyse dieser Struktur beruft sich das Projekt auf das theoretische Analysekonzept Intersectionality (vgl. Crenshaw 1998), das die Triade von Gender, Ethnicity und Class unter anderem in einer interkategorialen Zugangsweise (vgl. McCall 2005) reflektiert. Das bedeutet, dass einzelne gesellschaftliche Kategorien in ihrem Verhältnis zueinander bzw. in ihrer Wechselwirkung betrachtet werden (vgl. Walgenbach 2007), um komplexe Strukturen zu erfassen und Ungleichverhältnisse zwischen sozialen Gruppen sowie sich verändernde Konfigurationen abzubilden. Das Ziel des folgenden Beitrags ist es, relevante Aspekte einer intersektionalen Makroanalyse anhand einiger ausgewählter Ergebnisse der Intersectional Map darzustellen und zu erläutern.
I n t e r s e k t i o n a l e M a k r o a n a l ys e Winker und Degele (2009) unterscheiden in ihrem Zugang zu intersektionaler Analyse die Ebenen Struktur, symbolische Repräsentation und Identität. Eine umfassende Analyse würde sich einem Phänomen auf al43
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len drei Ebenen nähern. Wenn auch dieser Anspruch in einem einzelnen Projekt nicht immer umgesetzt werden kann, so ist es doch möglich, die jeweilige Arbeit als Puzzlestein in einem Forschungsprogramm oder einer Serie von Arbeiten zu betrachten. Eine Studie kann im Kontext anderer Arbeiten verortet sein und einen spezifischen Beitrag auf einer der drei Ebenen leisten. Dies ist im Rahmen der quantitativen Makroanalyse Intersectional Map der Fall. Der Zugang der Studie ist auf der StrukturEbene verortet, die weiteren Analyse-Ebenen (symbolische Repräsentation und Identität) konnten mit dem ausgewählten Untersuchungsdesign und den vorhandenen Ressourcen nicht bearbeitet werden.1 Winker und Degele differenzieren „[...] auf der Strukturebene kapitalistischer Gegenwartsgesellschaften vier Herrschaftsverhältnisse entlang der Kategorien Klasse, Geschlecht, Rasse und Körper, nämlich Klassismen, Heteronormativismen, Rassismen und Bodyismen.“ (Winker/Degele 2009: 38) Im Projekt Intersectional Map wurde dieser Ansatz für Erhebung und Analyse aufgegriffen, jedoch ohne den Anspruch, die vorgeschlagene Vorgangsweise exakt oder vollständig umzusetzen. Der Grundgedanke wurde jedenfalls übernommen, was unter anderem zu folgenden Fragestellungen führte: • Wie kann die Verflechtung von mehreren sozialen Kategorien (Geschlecht, Migrationshintergrund, sozio-ökonomische Lage) mit der Bewegung der Menschen im städtischen Raum in Verbindung gebracht werden? • Können z.B. Unterschiede zwischen bestimmten Gruppen von Menschen gefunden werden hinsichtlich der Orte, an denen sie sich aufhalten, und ihrem Bewegungsverhalten in der Stadt? • Lassen sich Arbeitsteilungsmodelle zwischen Geschlechtergruppen in der städtischen Makrostruktur abbilden, wenn das Mobilitätsverhalten im Mittelpunkt steht? • Unterscheidet sich die alltägliche Mobilität von Frauen und Männern, mit und ohne Kinder? Lassen sich dabei binnengeschlechtliche Differenzierungen (z.B. mit und ohne Migrationshintergrund) ausmachen?
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In weiterführenden Projekten spielten diese Perspektiven aber eine Rolle, z.B. in einer Bestandsaufnahme zur interkulturellen Arbeit mit Jugendlichen (vgl. Steirischer Dachverband der Offenen Jugendarbeit 2009), wo die Ergebnisse auf der strukturellen Ebene aus der Intersectional MapStudie Kontextinformationen für Fragen lieferten, die stärker die Ebenen Repräsentation und Identität berührten (z.B. hinsichtlich Netzwerkverhalten, Konflikterfahrungen etc.).
INTERSEKTIONALE ANALYSE IN DER PRAXIS
Der intersektionale Ansatz dient uns hier als Analyse- und Interpretationsrahmen; gleichzeitig wird eine Wissensbasis für zukünftige Projekte erzeugt, die bottom-up auf den Ebenen Repräsentation und Identität mit anderen Methoden (z.B. mit qualitativen Interviews) arbeiten und Kontextinformation auf der Strukturebene benötigen, was die Nutzung der Stadt betrifft.
Kategorisierungen Katharina Walgenbach (in diesem Band) verweist auf die Unvermeidbarkeit der Verwendung von Kategorien wie Geschlecht, Migrationshintergrund u.ä. im Zuge quantitativer Makroanalysen wie im Fall der Intersectional Map. Dem Einwand, dass bei der Verwendung von sozialen Kategorien die gesellschaftlichen Strukturprinzipien als determiniert und einzementiert vorausgesetzt werden, soll an dieser Stelle mit dem Hinweis auf deren provisorischen Charakter zum Zweck der Analyse begegnet werden. Geschlecht, sozio-ökonomischer Status oder Migrationshintergrund werden im Sinne McCalls (2005) in strategischer Weise als analytische Kategorien betrachtet, welche die Basis einer vergleichenden Analyse darstellen. Es ist aber festzuhalten, dass der quantitative Zugang auf der Struktur-Ebene durch Reduktionen von Phänomenen auf analytische Kategorien gekennzeichnet ist, also zunächst durch eine Verringerung von Komplexität. Tatsächlich wird eine eher breite Perspektive auf Zusammenhänge in einer Population (meist auf der Basis relativ großer Fallzahlen) mit oberflächlich erscheinenden Operationalisierungen der interessierenden Dimensionen erkauft. So wurde im Projekt Intersectional Map z.B. Geschlecht mit den Ausprägungen männlich und weiblich erhoben, sozio-ökonomische Situation wurde mit Indikatoren zu abgeschlossener Ausbildung, Tätigkeit, Einkommen und Struktur des Haushalts (Anzahl der Personen, Kinder) erfragt, Migrationshintergrund durch Staatsbürgerschaften (die eigene und jene der Eltern) erfasst.2 Basis der interkategorialen Makroanalyse im Rahmen der Intersectional Map bildet also ein Bündel von verknüpften sozialen Kategorien (multigroups, vgl. McCall 2005), die relativ simpel definiert sind. Obwohl dieser Ansatz vorerst reduktionistisch erscheinen mag, ermöglicht er dennoch jene vergleichende Analyse, die letztlich den Blick auf kom-
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Als Indikator für „Bodyismen“ (vgl. Winker/Degele 2009) könnte allenfalls noch „Alter“ gezählt werden, was aber diese Dimension nur mehr bruchstückhaft abbildet. 45
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plexe Ungleichheitsstrukturen freigibt (vgl. Walgenbach in diesem Band). Wenn deutliche Muster (Zusammenhänge oder Unterschiede) tatsächlich vorhanden sind, dann besteht die Chance, dass diese sich auch in Indikatoren zeigen, die dann sozusagen als Vertretungsinstanz ihrer zugrundeliegenden inhaltlichen Dimensionen interpretiert werden.
Erhebung und Stichprobe Im Rahmen einer schriftlichen Befragung in den Monaten Juni bis Oktober 2008 wurde die alltägliche Mobilität (Wegketten und Orte) von 1650 Bewohnern und Bewohnerinnen (über 14 Jahre) der Stadt Graz erfasst. Bei der Stichprobe handelte es sich um einen disproportional geschichteten Ausschnitt der Stadtbewohner und Stadtbewohnerinnen. Die Schichtung erfolgte entlang der Variablen Geschlecht, Migrationshintergrund und Alter. Dem Vorgehen lag die Absicht zugrunde, Aussagen über die Erschließung und Nutzung der Stadt durch unterschiedliche Bevölkerungsgruppen treffen zu können (vgl. Kromrey 2006). Es wurde insbesondere darauf geachtet, Personengruppen zu erfassen, die in der Stadt unterrepräsentiert sind (z.B. Personen mit Migrationshintergrund aus Nicht-EU-Staaten). Datenerhebungsinstrument war ein Fragebogen, der sowohl für schriftliche als auch für mündliche Befragungen eingesetzt wurde. Die Befragten wurden gebeten, alltägliche Wege und dabei aufgesuchte Orte im Fragebogen einzutragen. Deshalb erschien es naheliegend, einen aktuellen Stadtplan von Graz als Datenerhebungsinstrument zu verwenden.3 Darüber hinaus wurden soziodemografische Daten (Geschlecht, Alter, Einkommen, Bildung, Staatbürgerschaften u.ä.) erfasst. Die Erhebung erfolgte auf unterschiedliche Weise:
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Ein Großteil der Fragebögen wurde in öffentlichen und privaten Einrichtungen (Bildungseinrichtungen, Betreuungseinrichtungen, NGOs, Schulen, Kinderbetreuungseinrichtungen etc.) verteilt. Für diese Erhebung wurden einzelne innerstädtische Gebiete sowie Stadtrandbezirke ausgewählt, die sich hinsichtlich der Bevölkerungsstruktur voneinander unterschieden: Randzonen der Stadt Graz weisen z.B. ein höheres Durchschnittsalter auf als innerstädtische Zonen; höhere Haushaltseinkommen in Stadtrandbezirken sind vor allem auf Mehr-
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Der aktuelle Stadtplan von Graz wurde von der Arbeitsgemeinschaft Kartographie kostenlos zur Verfügung gestellt.
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personenhaushalte, höhere Pro-Kopf-Einkommen im Stadtzentrum auf Ein- und Zweipersonenhaushalte zurückzuführen; Innenstadtbezirke westlich des Flusses Mur (Stadtteile Gries und Lend) weisen einen hohen Anteil von Stadtbewohnern und Stadtbewohnerinnen mit Migrationshintergrund auf, in Stadtrandbezirken hingegen ist der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund deutlich geringer. (Vgl. ARGE GISDAT – Rettensteiner 2006) Im Rahmen von Einzelinterviews wurden Personen an öffentlichen Plätzen in der Stadt, in Parks, auf Spielplätzen u. ä. sowie vor und in Institutionen und Dienstleistungseinrichtungen befragt (Universitäten, Arbeitsmarktservice, Krankenhäuser, Bahnhöfe, Einkaufszentren, Friedhöfe, Jugendzentren, Stadtbibliotheken etc.). Die Befragung von Personen mit Migrationshintergrund erfolgte hauptsächlich in Form von Einzelinterviews (Face-to-Face-Befragung), die von Interviewern und Interviewerinnen mit Migrationserfahrung durchgeführt wurden. Dieser Vorgangsweise lag die Überlegung zugrunde, dass „Brückenpersonen“ ein hohes Maß an Vertrauen und sozialer Anerkennung in den einzelnen Communities entgegengebracht würde, wodurch sich die Bereitschaft zur Teilnahme an der Befragung erhöhte. Für die Befragung von Männern und Frauen in der Altersgruppe über 60 Jahre wurden gezielt Orte der Kommunikation aufgesucht (z.B. Pensionisten-Vereine u. ä.).
Von den insgesamt 1650 Fragebögen wurden 917 mittels Face-to-FaceInterviews erhoben, 733 Fragebögen wurden von jenen Einrichtungen und Institutionen retourniert, über die sie ausgegeben worden waren. Die Entscheidung, einen Stadtplan als Erhebungsinstrument zu verwenden, stellte das Projektteam gleichzeitig vor die Herausforderung, die Erhebung barrierefrei zu gestalten. Befragte, von denen angenommen werden konnte, dass sie aufgrund unterschiedlicher Bedingungen nicht in der Lage waren, einen Stadtplan zu lesen (z.B. wegen Sehschwäche, Schwierigkeiten der sprachlichen Verständigung, keine oder mangelhafte Fähigkeit zur Orientierung auf Stadtplänen etc.), wurden im Rahmen von Einzelinterviews befragt.
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Abbildung 1: Erhebungsinstrument der Intersectional Map
Die Instruktion für die Interviewer und Interviewerinnen im öffentlichen Raum, an öffentlichen Orten und in Communities lautete, in ihrem jeweiligen Bereich eine möglichst heterogene Gruppe von Personen zu befragen, soweit die entsprechenden Merkmale eben erschließbar oder bekannt waren (z.B. Geschlecht, Sprache, Alter, Tätigkeit, Religion). Die ausgewählten Erhebungsorte waren über das gesamte Stadtgebiet gestreut (Schulen, Kindergärten, Einrichtungen, öffentliche Plätze, Parks etc.). In Abbildung 2 ist dargestellt, welcher Anteil von Fragebögen von welchen Erhebungsorten stammt. 48
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Abbildung 2: Erhebungsorte und Anteil an Fragebögen, die von den verschiedenen Erhebungsorten stammen, n=1650. ŝŶƌŝĐŚƚƵŶŐĞŶ ϭϱй
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