Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kultur- und Sozialstaat [1 ed.] 9783428512904, 9783428112906


130 101 86MB

German Pages 639 [640] Year 2004

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kultur- und Sozialstaat [1 ed.]
 9783428512904, 9783428112906

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

MICHAEL DROEGE

Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kultur- und Sozialstaat

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 945

Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kultur- und Sozialstaat

Von Michael Droege

Duncker & Humblot • Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Bielefeld hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-11290-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706©

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Religiöse und kulturelle Partikularisierung und Individualisierung stellen die Gesellschaft und die staatliche Rechtsordnung vor erhebliche Herausforderungen. Der neuen Unübersichtlichkeit begegnen der belagerte Leviathan und sein Religionsverfassungsrecht nur zögerlich. Die religionsverfassungsrechtliche Dogmatik entwickelt erst langsam Instrumente, die Freiheitssphären der Religionsgemeinschaften und des Einzelnen und den Normbefolgungsanspruch der staatlichen Rechtsordnung neu auszutarieren. Dies geschieht jedoch kaum in der leistungsstaatlichen Dimension des Verhältnisses zwischen Staat und Religionsgemeinschaften: Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften werden ungefragt perpetuiert. Diesem dogmatischen Versäumnis will ich mit der vorliegenden Arbeit abhelfen, indem ich eine der religiösen Partikularisierung und kulturellen Varianz in der Gesellschaft entsprechende religionsverfassungsrechtliche Fundamentierung der überkommenen Staatsleistungen vornehme. Die religionsverfassungsrechtliche Rahmenordnung ist ihrerseits konturiert durch die Säkularität des Staates, die Kulturstaatlichkeit und die Sozialstaatsdimension. Diese Staatsattribute zeigen sich allerdings selbst in zunehmenden Maße als prekäre Strukturen. Die Arbeit versteht sich daher auch als ein Beitrag zu ihrer Neuformulierung und zur Vergewisserung ihrer verfassungsrechtlichen Funktionen im Hinblick auf Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften. Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Universität Bielefeld im Frühjahr des Jahres 2003 als Dissertation angenommen. Sie befindet sich auf dem Stand von Mai 2003. Betreut wurde die Arbeit von meinem akademischen Lehrer Herrn Prof. Dr. Joachim Wieland. Ihm gilt hier zuallererst mein Dank. In den Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Bielefelder und nunmehr Frankfurter Lehrstuhl hat er mich vielfältig gefördert und mir Freude am wissenschaftlichen Denken und Arbeiten vermittelt. An seinem Lehrstuhl herrscht die Atmosphäre der Freiheit des Geistes und der Rede, in der Ideen zwanglos ausgetauscht und stets eigene Wege gegangen werden können. Herr Prof. Dr. Wieland hat mein Dissertationsprojekt in allen Phasen nicht nur fachlich begleitet und gestützt. Für seine offene Kritik, seinen Zuspruch und seinen Rat danke ich ihm von Herzen. Dank schulde ich auch den Herren Professoren Dr. Thorsten Kingreen und Dr. Johannes Hellermann. Herr Prof. Kingreen hat die Mühen des Zweitgutachtens auf sich genommen und mir zahlreiche weiterführende Anregungen gegeben. Herrn Prof. Hellermann danke ich für seinen Rat und seine Mitwirkung an der Disputation.

8

Vorwort

Zwar mag man manchmal in der Wissenschaft allein spazieren gehen müssen, wenn man aber Glück hat, sind diese Spaziergänge nicht einsam. Ich hatte das Glück, dass liebe Menschen mich bei der Fertigstellung dieser Arbeit in vielfältiger Weise unterstützt haben. Ihnen allen danke ich herzlich. Besonderen Dank schulde ich meinen Freunden Petra Heibig, Kathrin Groh, Pascale Cancik und vor allem Katja und Imre Fahlbusch. In den Gesprächen mit ihnen hatte ich Gelegenheit, meine Gedanken auf eine zuweilen harte Probe zu stellen, und fand ich immer wohlwollende Kritik, unverzichtbaren Rat und herzliche Ermunterung. Mein Dank gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Finanzabteilungen der Religionsgemeinschaften und in den Ministerialverwaltungen des Bundes und der Länder, die mir wertvolle Einblicke in die finanziellen Beziehungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften gewährt haben. Daneben danke ich dem Bundesministerium des Innern für die großzügige Förderung der Drucklegung. Ich widme die Arbeit meinen Eltern in tiefer Dankbarkeit für all dasjenige, das hier unausgesprochen bleiben muss. Meiner Mutter danke ich zudem für ihre freundliche Förderung dieser Arbeit. Meinem Vater hätte ich das Buch gern gezeigt. Frankfurt am Main, im August 2003

Michael Droege

Inhaltsübersicht 1. Teil Einleitung

19

2. Teil Staatsleistungen - Versuch einer systematischen und quantitativen Bestandsaufnahme

30

1. Abschnitt: Staatsleistungen in den Systemen der Finanzierung von Religionsgemeinschaften

30

2. Abschnitt: Staatsleistungen im religionsgemeinschaftlichen Finanzsystem 3. Abschnitt: Finanzielle Leistungen des Staates an die Religionsgemeinschaften nach Sachbereichen 4. Abschnitt: Fazit einer unvollständigen Bestandsaufnahme

89 96 113

3. Teil Staatsleistungen im säkularen Staat

114

1. Abschnitt: Säkularisierung als normativer Begriff

115

2. Abschnitt: Staatsleistungen in Folge des Vorganges der Säkularisation

156

3. Abschnitt: Das dogmatische Schicksal der Staatsleistungen im säkularen Staat

256

4. Teil Staatsleistungen im Kulturstaat

258

1. Abschnitt: Kultur als „Um-willen" des Staates - der staatliche Kulturauftrag und die Religionsgemeinschaften 264 2. Abschnitt: Die Förderung von Religionsgemeinschaften und Religion im Kulturverfassungsrecht: der Kulturauftrag zwischen heuristischer Leerformel und normativer Gewährleistung 323 3. Abschnitt: Verfassungsrechtliche Maßgaben und freiheitskonforme Maßstäbe der Erfüllung des kulturstaatlichen Fördergebots 367 4. Abschnitt: Der Kulturauftrag und die Förderung von Religion - verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen

430

10

Inhaltsübersicht 5. Teil Staatsleistungen im freiheitlichen Sozialstaat

433

1. Abschnitt: Staatsleistungen zwischen Subvention und Leistungsentgelt - ein Überblick

438

2. Abschnitt: Sozialstaatlichkeit und staatliche Gewährleistungsverantwortung

455

3. Abschnitt: Religionsverfassungsrechtliche Determinanten im kooperierenden Sozialstaat 471 4. Abschnitt: Staatsleistungen als Steuerungsinstrument im kooperierenden Sozialstaat 537

6. Teil Ausblick und wesentliche Untersuchungsergebnisse

539

7. Teil Anhang 1. Abschnitt: Staatsleistungen in den Verfassungen der Bundesländer

546 546

2. Abschnitt: Staatsleistungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland an die evangelische und die katholische Kirche 548 3. Abschnitt: Das Kirchensteueraufkommen in der Bundesrepublik Deutschland

550

Literaturverzeichnis

552

Personen- und Sachverzeichnis

630

Inhaltsverzeichnis 1. Teil Einleitung

19

2. Teil Staatsleistungen - Versuch einer systematischen und quantitativen Bestandsaufnahme

30

1. Abschnitt Staatsleistungen in den Systemen der Finanzierung von Religionsgemeinschaften

30

A. Die Pole: Spendenfinanzierung vs. Staatsfinanzierung der Religionsgemeinschaften

31

B. Kirchenbeitrag, optionale Kultussteuer und Kirchensteuer

38

I. Das österreichische Kirchenbeitragssystem II. Allgemeine Sozial- und Kultursteuer mit Kirchenoption

38 44

III. Kirchensteuersysteme am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland

48

1. Finanzierungsform in der Kritik - Kirchensteuer in der Krise

49

2. Historische Bezüge der Kirchensteuer zur staatlichen Finanzierung

52

3. Qualifikation der religionsverfassungsrechtlichen Grundlagen

56

4. Die Exklusivität des Besteuerungsrechts als Recht der korporierten Religionsgemeinschaften

60

5. Das Strukturmerkmal der Mitgliedschaftsakzessorietät und seine Probleme

62

a) Mitgliedschaftserwerb

64

b) Mitgliedschaftsende: Kirchenaustritt

70

c) Rechtfragen der Ehegattenbesteuerung

72

d) Rechtsprobleme der Pauschalierung

76

6. Das Ausgestaltungsprinzip der Annexität und seine Verwerfungen

79

7. Kirchensteuerverwaltung im Ubergang zur Staatsleistung

85

C. Staatsleistungen in ihrer systematischen Bedeutung - ein Fazit

88

12

Inhaltsverzeichnis 2. Abschnitt Staatsleistungen im religionsgemeinschaftlichen Finanzsystem

89

A. Finanzwissenschaftliche Gruppierung der Einnahmen

90

B. Quantitative Zusammensetzung religionsgemeinschaftlicher Haushalte

93

3. Abschnitt Finanzielle Leistungen des Staates an die Religionsgemeinschaften nach Sachbereichen

96

A. Positive Staatsleistungen im engeren Sinn

96

B. Staatliche Kostentragung bei gemeinsamen Angelegenheiten

98

C. Wirken der Religionsgemeinschaften im gesellschaftlichen Raum: Bildungswesen und Denkmalpflege 102 D. Wirken der Religionsgemeinschaften im gesellschaftlichen Raum: Das sozial-karitative Engagement der Religionsgemeinschaften

106

E. Staatliche Förderung durch Einnahmeverzicht: negative Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften 110 4. Abschnitt Fazit einer unvollständigen Bestandsaufnahme

113

3. Teil Staatsleistungen im säkularen Staat

114

1. Abschnitt Säkularisierung als normativer Begriff

115

A. Begriffsgeschichte der Säkularisierung

117

B. Sachgeschichte der Säkularisierung

123

C. Rahmensäkularisierung als juristisches Konzept oder die (Re-)Neutralisierung der Säkularisierung 137 D. Die Selbstüberwindung des säkularen Staates: Staatswahrheit und Zivilreligion I. Säkularisierung und politische Theologie II. Säkularisierung und Zivilreligion

143 143 148

Inhaltsverzeichnis

13

2. Abschnitt Staatsleistungen in Folge des Vorganges der Säkularisation

156

A. Säkularisation

156

B. Gegenwärtige normative Behandlung

168

I. Landesverfassungen II. Vertragliche Regelung der Staatsleistungen

168 170

C. Staatsleistungen i. S. d. Art. 138 Abs. 1 WRV

177

I. Die Rechtsfigur der Staatsleistung

177

1. Die Parteien der Leistungsbeziehungen

180

2. Der Inhalt der Leistungsbeziehungen

189

3. Der zeitliche Anknüpfungspunkt der Staatsleistungen

192

4. Leistung und Unterlassen: die sog. „negativen Staatsleistungen"

194

II. Rechtstitel der Staatsleistungen D. Die Wirkungsweisen des Art. 138 Abs. 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG 1. Das Ablösungsgebot

201 206 207

a) Umfang der Ablösungsabfindung

208

b) Ablösungsmittel

220

2. Die Aufrechterhaltung des Status-quo: Formaler vs. materialer Bestandsschutz auf Widerruf 225 a) Die Garantiefunktion des Art. 138 Abs. 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG .. 226 b) Die Bundesgrundsätze der Ablösung - Freiheit und Bindung der Länder 231 aa) Die Kompetenzen des Art. 138 Abs. 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG 232 bb) Der Bund als „ehrlicher Makler" eines einmaligen Ablösungsvorganges 238 c) „Volenti non fit iniuria" oder verfassungsrechtliche Grenzen der vorzeitigen einvernehmlichen Ablösung 241 3. Das Verbot der Neubegründung von Staatsleistungen: Art. 138 Abs. 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG als Institutsliquidation 244 a) Die Interpretation des Ablösungsgebots als Institutsliquidation

245

b) Das Ablösungsgebot als retrospektive Überleitungsvorschrift

246

14

Inhaltsverzeichnis c) Das Ablösungsgebot als Rechtfertigungspflicht im normativen Ausdruck des dynamischen Säkularisierungsprozesses 248 aa) Das Entstehungsumfeld des Ablösungsgebotes als Institutsliquidation 249 bb) Die Handlungsform der Ablösung als Indiz des Liquidationscharakters des Art. 138 Abs. 1 WRV

250

cc) Das Ablösungsgebot als vermögensrechtliche Prolongation des Verbotes der Staatskirche 251 3. Abschnitt Das dogmatische Schicksal der Staatsleistungen im säkularen Staat

256

4. Teil Staatsleistungen im Kulturstaat

258

1. Abschnitt Kultur als „Um-willen" des Staates - der staatliche Kulturauftrag und die Religionsgemeinschaften

264

A. Kultur und Staat: Begrifflichkeiten auf der Suche nach einem juristischen Kulturstaatsverständnis 265 B. Religion als Kultur

279

C. Funktionen der Kultur im Kulturstaat: Zwischen Integration und Koexistenz in kultureller Differenz 287 I. Das Individualinteresse als Grund staatlicher Kulturverantwortung

287

II. Das Interesse an kollektiver Integration als Grund staatlicher Kulturverantwortung 290 1. Kultur und Konsens in Zeiten kultureller Varianz a) Kulturelle Varianz und Differenzierung

291 293

b) Der interkulturelle Minimalkonsens als Ausdruck des Konsensbedarfes pluraler Gesellschaften 297 2. Kultur als Medium der Integration durch den Verfassungsstaat a) Materialisierung des Grundkonsenses durch Grundwerte

300 303

b) Materialisierung des Grundkonsenses durch Zivilreligion als Bürgerreligion 306 c) Die unhintergehbaren Unverfügbarkeiten des offenen Kulturstaates ... 309 d) Exkurs: Kultur und Religion im Prozess der Europäischen Integration 312 D. Kulturauftrag und Förderung von Religion: Offenheit und Varianz

320

Inhaltsverzeichnis 2. Abschnitt Die Förderung von Religionsgemeinschaften und Religion im Kulturverfassungsrecht: der Kulturauftrag zwischen heuristischer Leerformel und normativer Gewährleistung

323

A. Der Kulturauftrag zur Förderung der Religion und seine normative Grundlage in der Schaffung der Gelingensvoraussetzungen der Religionsfreiheit 324 B. Der Kulturauftrag und die Funktionsgrenzen der Religionsfreiheit zwischen liberaler und kultureller Grundrechtstheorie 334 I. Der Kulturauftrag zwischen Grundrechtsvoraussetzung und Grundrechtstatbestand - eine Vorbemerkung 334 II. Der Kulturauftrag im Funktionsarrangement der Religionsfreiheit

336

C. Der Kulturauftrag und der Schutzbereich der Religionsfreiheit zwischen Kongruenz und normativ-hypertropher Überforderung 353 I. Der Schutzbereich der Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG zwischen Grundrechtspartitionierung und Grundrechtsmonismus 354 II. Definition und Begrenzung des Schutzbereichs zwischen kulturellem Selbstverständnis, staatlicher Definitionskompetenz und Kulturadäquanz 356 3. Abschnitt Verfassungsrechtliche Maßgaben und freiheitskonforme Maßstäbe der Erfüllung des kulturstaatlichen Fördergebots

367

A. Grundrechtsgeltung und Maßstabswahl bei der Förderung

369

B. Das Gebot weltanschaulich-religiöser Neutralität als Maßstab kulturverfassungsrechtlicher Religionsförderung

376

I. Die innere Dichotomie des neutralen Staates: distanzierende und übergreifende Neutralität 377 II. Übergreifende Neutralität kulturverfassungsrechtlicher Förderung als Gleichheitsproblem: Parität 386 1. Das Verbot der Anknüpfung an die Differenzierungskriterien der Religion und Weltanschauung 391 2. Gleichheit oder Privileg: die Maßgaben des allgemeinen Gleichheitssatzes

400

a) Der gleichbehandelnde Staat zwischen Berücksichtigung der religiösen Spezifika und Religionsblindheit 403 b) Der gleichbehandelnde Staat zwischen der Berücksichtigung kultureller Spezifika und „Kulturblindheit" 405 c) Der gleichbehandelnde Staat zwischen der Bindung an verfassungsunmittelbare Differenzierungsgebote und das kulturverfassungsrechtliche Dynamisierungsgebot 407

16

Inhaltsverzeichnis III. Die religiös-weltanschauliche Neutralität als Verfahrens- und Handlungsformgebot: Förderung von Religion zwischen integrativen Verfahrensformen und Parlamentsvorbehalt 415 1. Neutralität durch Entscheidung pluralistisch zusammengesetzter Gremien 415 2. Neutralität durch Parlamentsvorbehalt

420

4. Abschnitt Der Kulturauftrag und die Förderung von Religion verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen

430

5. Teil Staatsleistungen im freiheitlichen Sozialstaat

433

1. Abschnitt Staatsleistungen zwischen Subvention und Leistungsentgelt ein Überblick A. Die Vielgesichtigkeit der Staatsleistungen im sozialen Bereich

438 439

B. Die diakonischen und karitativen Einrichtungen als Empfänger von Staatsleistungen und als Leistungserbringer 444 C. Die Geberseite der „Staatsleistungen": Die „öffentlichen Sozialleistungsträger" zwischen mittelbarer Staatsverwaltung und sozialer Selbstverwaltung 447 2. Abschnitt Sozialstaatlichkeit und staatliche Gewährleistungsverantwortung

455

A. Das soziale Staatsziel als Grund staatlicher Gewährleistungsverantwortung gegenüber dem Bürger 455 B. Der kooperierende Sozialstaat: Staatsaufgabenerfüllung durch diakonische und karitative Einrichtungen 466 3. Abschnitt Religionsverfassungsrechtliche Determinanten im kooperierenden Sozialstaat

471

A. Das Grundrecht der Religionsfreiheit im Hinblick auf diakonische und karitative Betätigung 473 I. Der personale Schutzbereich der Religionsfreiheit in Bezug auf individuelles und gemeinschaftliches diakonisches und karitatives Engagement 474 II. Diakonie und Caritas im sachlichen Schutzbereich der Religionsfreiheit zwischen Hypertrophie und „kalter Säkularisierung" 476 III. Staatsleistungspflicht als Grundrechtsfunktion im freiheitlichen Sozialstaat? .. 483

Inhaltsverzeichnis B. Die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates und die Religionsfreiheit des Bürgers als Grenze sozialstaatlicher Aufgabendelegation 490 C. Das religionsgemeinschaftliche Selbstbestimmungsrecht als Grenze der Wahrnehmung staatlicher Gewährleistungsverantwortung 495 I. Die personale Reichweite des Art. 137 Abs. 3 WRV

499

II. Die sachliche Reichweite des Art. 137 Abs. 3 WRV: Dominanz des Selbstverständnisses zur Bestimmung der eigenen Angelegenheiten 503 III. Die Verzahnung sozialstaatlicher Gewährleistungsverantwortung und religionsgemeinschaftlicher Autonomie 508 1. Die Schranke des „für alle geltenden Gesetzes" als Diskriminierungsverbot und Abwägungsprogramm 509 2. Anwendungs- und Bewährungsfälle auf der Ebene des einfachen Rechts ... 517 a) Qualität der Leistungserbringung

518

b) Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung

521

c) Finanz- und Verwaltungsstrukturen in der Leistungserbringung

523

d) Finanzkontrolle in der Leistungserbringung

525

e) Die Vermittlung von Gewährleistungsverantwortung und Freiheitlichkeit im Abwägungsprogramm des Art. 137 Abs. 3 WRV i. V. m. Art. 140 GG 536 4. Abschnitt Staatsleistungen als Steuerungsinstrument im kooperierenden Sozialstaat

537

6. Teil Ausblick und wesentliche Untersuchungsergebnisse

539

7. Teil Anhang

546

1. Abschnitt Staatsleistungen in den Verfassungen der Bundesländer

546

2. Abschnitt Staatsleistungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland an die evangelische und die katholische Kirche

548

3. Abschnitt Das Kirchensteueraufkommen in der Bundesrepublik Deutschland

550

Literaturverzeichnis

552

Personen- und Sachverzeichnis

630

2 Droege

1. Teil

Einleitung „ Untersuchungen über die finanziellen Beziehungen zwischen dem modernen Staat und der Kirche gehören zu den ermüdendsten Aufgaben der neuesten kirchlichen Rechtsgeschichte." 1

Warum lohnt trotz dieser entmutigenden Einschätzung Johannes Heckeis die Befassung mit Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften i m säkularen Kultur- und Sozialstaat? Woraus rechtfertigt sich die Fragestellung dieser Arbeit? I m Religionsverfassungsrecht 2 oder „staatlichem Religionsrecht" 3 wurde die „Jahrtausendwende" 4 hinlänglich zum Anlass genommen, das Verhältnis von „Staat und Religion" 5 zu betrachten, die „ L a g e " 6 zu beschreiben, noch „offene Fragen" 7 zu beleuchten, die „Zukunftsfähigkeit des deutschen Staatskirchenrechts" 8 abzuklopfen sowie „Kontinuität und Wandlung des deutschen Staatskirchenrechts unter den Herausforderungen der Moderne" 9 abzubilden. Die finanziellen Beziehungen zwi1 Heckel, ZRG kanon. Abt. 50 (1930), 858 (859). Zum in dieser Arbeit grundsätzlich verwandten Begriff des Religionsverfassungsrechts und der Weiterverwendung des Begriffs des Staatskirchenrechts, dort, wo es durch die besonderen historischen Zusammenhänge geboten ist, nur: Hense, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht: mehr als ein Streit um Begriffe?, in: Haratsch u. a. (Hrsg.), Religion und Weltanschauung im säkularen Staat, S. 9 ff.; Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit, S. 215 ff.; Czermak, NVwZ 1999, 743 f. Krit.: Görisch, NVwZ 2001, 885 ff. m. zahlr. w. Nw. Zur Diskussion auch: Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Band VI, § 138 Rdn. 1 - 5 m. w. Nw. 2

3 So der Bezeichnungsvorschlag Görischs (NVwZ 2001, 885 (887)), der selbst allerdings an dem Begriffsnamen „Staatskirchenrecht" festhalten will. 4 Müller-Volbehr, ZevKR 44 (1999), 384 ff. 5

So das Thema der Tagung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer in Heidelberg 1999 mit den Referaten von Fiedler (VVDStRL 59 (2000), 199 ff.), Robbers (VVDStRL 59 (2000), 231 ff.) und Brenner (VVDStRL 59 (2000), 264 ff.) und auch der Titel des Begleitaufsatzes von Hillgruber, DVB1. 1999, 1155 ff. 6 Ehlers, ZevKR 45 (2000), 201 ff. 7

v. Campenhausen, Essener Gespräche 34 (2000), 105 ff. Isensee, Die Zukunftsfähigkeit des deutschen Staatskirchenrechts, in: ders. u. a. (Hrsg.), Dem Staate, was des Staates - der Kirche, was der Kirche ist, Festschrift für Joseph Listl, S. 67 ff. 9 Heckel, ZevKR 44 (1999), 340 ff. 8

2*

1. Teil: Einleitung

20

sehen Staat und „Religionsgemeinschaften" 10 scheinen nach diesen Bestandsaufnahmen weder die Lage zu prägen, noch scheinen insoweit Fragen offen zu sein. Ihre „Zukunftsfähigkeit" wird nicht thematisiert, obwohl Staatsleistungen in Kontinuität und Wandlung das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften von der Genese des modernen Staates in der deutschen Tradition an begleiten. Die großen Themen des Religions Verfassungsrechts sind andere: In der Außenperspektive fordert die Europäische Integration die Integrationsfähigkeit der religionsverfassungsrechtlichen Ordnungsmodelle auf nationalstaatlicher Ebene heraus. In der Binnenperspektive ist das Religionsverfassungsrecht gehalten, auf geänderte soziologische Rahmenbedingungen zu reagieren. Während 1961 noch 94,6 % der Bevölkerung den evangelischen Kirchen oder der römisch-katholischen Kirche angehörten 11 , betrug die Quote 1996 nur noch 67,3 % 1 2 . Wie diese Quote zeigt, scheint es einen gesellschaftlichen Wandel hin zur Entkirchlichung zu geben13, der sich nicht allein aus der Sondersituation der neuen Bundesländer und deren religionssoziologischen besonderen Bedingungen erklären lässt 14 . Dieser Trend führt seinerseits zu sinkender Akzeptanz religionsfördernder Aktivität des Staates15. Die institutionellen Privilegien der großen Kirchen drohen als „staatliche Krücken" nicht viel mehr als nur eine „Fassade einer sozial nicht mehr gedeckten Volkskirche" zu erhalten 16 und ihrerseits durch den geänderten gesellschaftlichen Bedingungen vermeintlich gerechter werdende normative Modelle ersetzt zu werden. Als Beispiel für letztere ließe sich prototypisch der durch das Bundesverfassungsgericht zunächst überraschenderweise durch einen Vergleichsvorschlag beigelegte17 Disput um das Fach Lebenskunde - Ethik - Religion (LER), das im Land Brandenburg an Stelle des hergebrachten Religionsunterrichts treten sollte 18 , anführen 19. Als Beispiel für ers10

Zur Begrifflichkeit hier nur grdl.: Anschütz, WRV, Kommentar, Art. 137 Anm. 2; neuer Definitionsvorschlag: Poscher, Der Staat 39 (2000), 49 ff.; im Überblick: Pieroth/Görisch, JuS 2002, 937 ff. n Vgl. Hollerbach, VVDStRL 26 (1968), 57 (65). 12 Vgl. Statistisches Jahrbuch des Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 96 f. 13 Müller-Volbehr, ZevKR 44 (1999), 384 (388); Rüfner, Staatskirchenrecht im pluralistischen Staat, in: Bohnert u. a. (Hrsg.), Verfassung - Philosophie - Kirche, Festschrift für Alexander Hollerbach, S. 691 (691 f.). 14 Zu diesen: v. Bose, Die Partnerschaft von Staat und Kirche in der säkularisierten Gesellschaft, in: Depenheuer u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos, Hommage an Josef Isensee zum 65. Geburtstag, S. 25 (35 ff.); Ehlers, ZevKR 45 (2000), 201 (214). 15 Nur: Müller-Volbehr, ZevKR 44 (1999), 384 (387 m. w. Nw. in Fn. 4). Zur „latenten Akzeptanzkrise" auch: Isensee, Die Zukunftsfähigkeit des deutschen Staatskirchenrechts, in: ders. u. a. (Hrsg.), Dem Staate, was des Staates - der Kirche, was der Kirche ist, Festschrift für Joseph Listl, S. 67 (68 f.). 16 Depenheuer, Religion als ethische Perspektive der säkularen Gesellschaft, in: ders. u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos, Hommage an Josef Isensee, S. 3 (5): „den Volkskirchen kommt das Volk abhanden"; Weber, ZevKR 36 (1991), 253 (275). 17 BVerfGE 104, 305 (307 ff.) sowie: BVerfG, Beschl. v. 31. 10. 2002, LKV 2003, 181 f., dazu: Janz, LKV 2003, 172 f.; Renck, LKV 2003, 173 f. Zum dabei genutzten verfassungsprozessualen Institut des Vergleichs: Schmidt, NVwZ 2002, 925 ff.

1. Teil: Einleitung

tere genügt nur der Hinweis auf den Verlust der Ubiquität christlich-abendländischer Symbolik, wie er in der Auseinandersetzung um das Kruzifix im Klassenzimmer kulminierte 20 . In diesen Auseinandersetzungen schlägt sich der Verlust des Selbstverständlichen religiöser, christlich-abendländischer Kulturphänomene nieder. Sie werden überführt in eine neue Unübersichtlichkeit, die mit der zunehmenden religiösen Pluralisierung und Individualisierung sowie wachsender kultureller Varianz einhergeht. Virile Herausforderungen für die staatliche Rechtsordnung sind zum einen der Umgang mit sog. neuen Religionsgemeinschaften 21, wie etwa die Auseinandersetzungen um die Scientology Church belegen, und zum anderen der Umgang mit der wachsenden sozialen Potenz des Islam. Als Begleiterscheinung dieser Herausforderungen treten im Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften verstärkt „Wertungsdifferenzen" 22 auf, die die religionsverfassungsrechtlichen Determinanten ihres Verhältnisses der „balancierten Trennung" 23 zunehmend belasten: In der Begegnung insbesondere mit dem Islam 24 wird der Verfassungsstaat auch vor die Herausforderung gestellt, mit religiösem Fundamentalismus25 und dessen schlimmstenfalls terroristischen Ausdrucksformen umzugehen26. Religion als Bedrohung der staatlichen Friedensordnung zu betrachten, war der modernen religionsverfassungsrechtlichen Tradition bisher unbekannt. Die eilends aktivierten 18 Zur nunmehrigen Ausgestaltung: Hanßen, LKV 2003, 153 ff. 19 Dazu aus der literarischen Debatte exemplarisch, einerseits: Link, „LER", Religionsunterricht und das deutsche Staatskirchenrecht, in: Bohnert (Hrsg.), Verfassung - Philosophie - Kirche, Festschrift für Alexander Hollerbach, S. 747 ff.; Starck, Religionsunterricht in Brandenburg, in: Isensee u. a. (Hrsg.), Dem Staate, was des Staates, der Kirche, was der Kirche ist, Festschrift Listl, S. 391 ff.; Heckel, ZevKR 44 (1999), 147 ff., andererseits: Schlink/Poscher, Der Verfassungskompromiß zum Religionsunterricht, 2000; Pieroth/Kingreen, Die Einschlägigkeit des Art. 141 für das Land Brandenburg, in Erbguth u. a. (Hrsg.), Rechtstheorie und Rechtsdogmatik im Austausch, Gedächtnisschrift für Bernd Jeand'Heur, S. 265 ff. m. w. Nw. in Fn. 65. 20 BVerfGE 93, 1 ff. Zur Diskussion in der Literatur statt vieler nur: v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 76 ff. sowie die Aufbereitung der Diskussion bei: Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 127 ff. 2 1 Vgl. nur zu Warnungen vor sog. „Sekten" nunmehr: BVerfG, Beschl. v. 26. 06. 2002, NJW 2002, 2626 ff. - Osho. 22 Rüfner, Staatskirchenrecht im pluralistischen Staat, in: Bohnert u. a. (Hrsg.), Verfassung - Philosophie - Kirche, Festschrift für Alexander Hollerbach, S. 691 ff. 23 Böckenförde, Staat-Gesellschaft-Kirche, in: Christlicher Glaube und moderne Gesellschaft, Teilband 15, S. 5 (64). 24 Hier nur: Muckel, Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, in: Isensee u. a. (Hrsg.), Dem Staate, was des Staates - der Kirche, was der Kirche ist, Festschrift für Joseph Listl, S. 239 ff. m. w. Nw. 25 Heitmeyer, Ethnisch-kulturelle Konfliktdynamiken in gesellschaftlichen Desintegrationsprozessen, in: ders. (Hrsg.), Die bedrängte Toleranz, S. 31 (37 ff.); Bielefeldt/Heitmeyer (Hrsg.), Politisierte Religion, 1998. 2 6 Vgl. hier nur: Depenheuer, Essener Gespräche 33 (1999), S. 5 ff.; Hufen, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992,455 (475 ff.).

22

1. Teil: Einleitung

Verteidigungsmittel des Staates27, namentlich das vom langen Nichtgebrauch abgestumpfte Schwert vereinsrechtlicher Sanktionsmechanismen28, wirken denn auch antiquiert und unbeholfen 29. Neben diesen aktuellen Problemlagen nehmen sich Stellungnahmen zu der fördernden Dimension der Beziehung zwischen Staat und Religionsgemeinschaften eher bescheiden aus. Sie stehen zwar auch Anfang der 90er Jahre auf der Tagesordnung dogmatischer Befassung 30, treten allerdings zumeist nur unter dem Deckmantel eines Mittels zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben im Zusammentreffen von Sozialstaat und christlicher Diakonie und Caritas in Erscheinung und verbleiben ansonsten aber eher im Hintergrund 31. Dies war einmal anders: Auch das Religionsverfassungsrecht partizipierte von der Entdeckung des Leistungsstaates Anfang der 70er Jahre 32. „Das Grundgesetz und die staatliche Förderung von Religionsgemeinschaften" wurde als weites Feld der Nutzung des Handlungsmittels der finanziellen Leistung zur „Grundrechtsaktivierung" eröffnet 33. Jenes Feld zu beackern, fiel umso leichter als die Verfassungsrechtslehre dem Grundgesetz verstärkt neben der Sozialstaatlichkeit eine neue Dimension abgewonnen hatte: den Kulturstaat 34. Vor dem Hintergrund der Überführung des Religionsverfassungsrechts in das allgemeine Verfassungsrecht und der Überwindung der Koordinationslehren aus der „Periode der Euphorie" 35 der Nachkriegsjahrzehnte 36 forderte etwa Klaus Schiaich, die „Ernte des Staatskirchen27

Zur Beobachtung der Scientology Church durch den Verfassungsschutz etwa: VG Berlin, Urt. v. 13. 12. 2001, NVwZ 2002, 1018. 28 Zum Verbot des Kalifatsstaates nur: BVerwG, Urteile v. 27. 11. 2002, Az. 6 A. 4.02, 6 A 1.02, NVwZ 2003, 986 ff., 990 ff. 29 1. Gesetz zur Änderung des Vereinsgesetzes, BGBl. I 2001, 3319, aus den Beratungen: Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT/Drs. 14/7026) sowie Beschlussempfehlung des Innenausschusses (BT/Drs. 14/7354). Hierzu eingehend: Groh, KritV 85 (2002), 39 ff.; Poscher, KritV 85 (2002), 298 ff. Vgl. auch schon: Pieroth/Kingreen, NVwZ 2001, 841 ff., sowie: Michael, JZ 2002,482 ff. 30 Robbers, Förderung der Kirchen durch den Staat, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, Band 1, § 31, S. 867 ff.; Pirson, Essener Gespräche 28 (1994), 83 ff.; Clement, Essener Gespräche 28 (1994), 41 ff.; Marré, Kooperation von Staat und Kirche und staatliche Kirchenförderung - vorbildhaft für Europa, in: Bohnert u. a. (Hrsg.), Verfassung Philosophie - Kirche, Festschrift für Alexander Hollerbach, S. 879 ff. 31 Vgl. aber: Marré, Kooperation von Staat und Kirche und staatliche Kirchenförderung vorbildhaft für Europa, in: Bohnert u. a. (Hrsg.), Verfassung - Philosophie - Kirche, Festschrift für Alexander Hollerbach, S. 879 (881 ff.). 32 Statt vieler nur: Haberle, VVDStRL 30 (1972), 43 ff. 33 Kewenig, Essener Gespräche 6 (1972), 9 ff. 34 Für die bundesrepublikanische Verfassungsrechtslehre grdl.: Huber, Zur Problematik des Kulturstaats, 1958. 3 5 v. Tiling, ZevKR 14 (1968/69), S. 238 (246). 36 Exemplarisch: Peters, Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts, in: Quaritsch/Weber, Staat und Kirchen in der Bundesrepublik, S. 88 (91 ff.). Dazu m. w. Nw. hier nur: Jeand'Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rdn. 45; Heckel, Religionsfreiheit und Staatskirchenrecht, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Band 2, S. 379 (380 f.).

1. Teil: Einleitung

rechts" in das allgemeine Staatsrecht einzubringen. Sei doch das Staatskirchenrecht „in manchem exemplarisch für das Kulturverfassungsrecht". Dies gelte insbesondere auch für die „staatskirchenrechtlichen Neutralitätsstrukturen, die im Bereich der kulturellen Freiheiten und der Förderung der Kultur fruchtbar gemacht werden" könnten37. In dialektischer Fortentwicklung dieser Verbindung von Religionsverfassungs- und Kulturverfassungsrecht konnte denn auch Schiaichs Schüler MeyerTeschendorf einen Paradigmenwechsel bei der Beurteilung staatlicher Förderung von Religionsgemeinschaften fordern. Diese sei nicht mehr als „staatskirchenrechtliches Privileg", sondern als „kulturstaatliche Normalität" anzusehen38. Ganz in diesem Sinne führte auch das Bundesverfassungsgericht in einem unscheinbaren Beschluss zur Inpflichtnahme des Arbeitgebers im Verfahren der Kirchenlohnsteuereinziehung aus, dass „an der damit verbundenen Förderung öffentlich-rechtlicher, gesellschaftlich relevanter Körperschaften, die keine Identifikation mit einer bestimmten Kirche oder Religionsgemeinschaft bedeutet, ( . . . ) auch der weltanschaulich neutrale Kultur- und Sozialstaat verfassungsrechtlich nicht gehindert" sei 39 . Durch die Sozial- und Kulturstaatlichkeit hatte man ein Instrumentarium in die Hand bekommen, die staatliche Förderung von Religion und Religionsgemeinschaften nicht nur zeitgemäß zu legitimieren, sondern sogar als Erfüllung einer verfassungsgebotenen Pflicht der öffentlichen Gewalt zu beschreiben. Konsequent hat man den Staat, wie Heiner Marré es ausgedrückt hat, unter der Pflicht gesehen, „grundrechtsaktivierende" und „sozial- und kulturstaatsintensivierende" Maßnahmen zu treffen 40. Bald wurden aber auch die Gefahren jener „neuen Rechtfertigung" der „traditionell geübten Kirchenförderung" 41 offenbar: Staatliche Finanzierung und Förderung erwies sich nicht nur als freiheitsfördernd, sondern auch als freiheitsgefährdend. Die Betonung der „dem modernen Kultur- und Sozialstaat im Interesse seiner anspruchsberechtigten Bürger" zuwachsenden „Gesamtverantwortung" 42 lenkt den Blick auf die Freiheitsgefahren, die für die Religionsgemeinschaften durch Einbeziehung in staatliche Bedarfsplanung im Kultur- und Sozialbereich erwachsen 43. Und auch die zur Legitimation fördernder Staatstätigkeit aktivierte Kulturstaatlichkeit selbst verliert ihre Selbstverständlichkeit: Das im abwehrrechtlichen Bereich den Staat herausfordernde Aufkommen „neuer religiöser und ideologischer 37

Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 169. Meyer-Teschendorf, Staat und Kirche im pluralistischen Gemeinwesen, S. 136 ff., 142 ff. 39 BVerfGE 44, 103(104). 38

40 Marré, Die Kirchenfinanzierung in Kirche und Staat der Gegenwart, S. 33 f.; ders., Kooperation von Staat und Kirche und staatliche Kirchenförderung - vorbildhaft für Europa, in: Bohnert u. a. (Hrsg.), Verfassung - Philosophie - Kirche, Festschrift für Alexander Hollerbach, S. 879 (885). 41

Marré, Die Kirchenfinanzierung in Kirche und Staat der Gegenwart, S. 33 f. 42 Simon, ZevKR 42 (1997), 155 (167). 43

Weber, NJW 1983, 2541 (2544); Simon, ZevKR 42 (1997), 155 (167).

24

1. Teil: Einleitung

Gemeinschaften und Psychogruppen" 44 stört die bis dahin weitestgehend homogene religionspolitische Landschaft. Der Umgang mit der Scientology Church 45 sowie den auf institutionelle Gleichordnung drängenden Zeugen Jehova46 stellt nicht nur für die Freiheit vor dem bzw. gegen den Staat, sondern auch für die Freiheit vom bzw. durch den Staat neue Fragen. Der Prozess zunehmender kultureller Varianz nimmt dem Kulturstaatsgedanken seine selbstverständliche legitimatorische Kraft im Hinblick auf die „traditionell geübte Kirchenförderung". Dies zeigte deutlich das Kruzifixurteil des Bundesverfassungsgerichts 47, das dem interpretatorischen Unternehmen der Umdeutung religiöser Symbolik in allgemein konsentierte Kulturbestände deutlich Grenzen setzte. Das Gericht nimmt diese Grenzziehung gleichzeitig zum Anlass, das Fortwirken der „Prägekraft der christlichen Kirchen" zu beschwören und dem Staat Gleichgültigkeit gegenüber den hierauf zurückführbaren „Denktraditionen, Sinnerfahrungen und Verhaltensmuster" zu versagen48. Der Versuch, hieraus verfassungsnormative Konsequenzen zu ziehen, kann seinen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, innerhalb derer er unternommen werden will, jedoch nicht ausweichen. Aufgegeben ist damit eine den Phänomenen kultureller Varianz angepasste Entfaltung der Kulturstaatlichkeit, soll diese die religionsfördernde Aktivität des Staates weiterhin tragen. Und auch der soziale Verteilungsstaat ist mittlerweile an die Grenzen des Wachstums gestoßen, woraus sich nicht nur Rufe nach dem schlankeren Staat, sondern auch härtere, gar wettbewerbliche Rahmenbedingungen der staatlichen Finanzierung von Caritas und Diakonie ergeben. Bei näherer Betrachtung ergibt sich also: Die eingangs geschilderten aktuellen Themen des ReligionsVerfassungsrechts lassen sich vom liberalen Bereich des Umgangs mit Freiheit in die fördernde Dimension der Staatstätigkeit quasi als höheren Aggregatszustand überführen. Mittelbar stellen sich all die abwehrrechtlichen Problemlagen des Umgangs mit Religion damit auch für den religionsfördernden Staat. Die geänderten Rahmenbedingungen führen zu einer neuen Bedarfslage: Das Religionsverfassungsrecht steht nicht mehr so sehr vor der Aufgabe, im „volkskirchlichen Missionsland"49 Deutschland den Platz der „Kirchen unter dem Grundgesetz"50 zu verorten 51, sondern sich in „Aufgeschlossenheit für die multikulturel44 Endbericht der Enquete-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen" des Deutschen Bundestages, Bonn 1998. Vgl. auch m. zahlr. w. Nw.: Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 2 f. 4 5 BVerwGE 105, 313 ff.; BVerwG, v. 3. 7. 1998, NVwZ 1999, 766; dazu auch: Thüsing, ZevKR 45 (2000), 592 ff. 4 6 BVerwGE 105, 117 ff.; BVerfGE 102, 370 ff.; BVerwG, v. 17. 5. 2001, NVwZ 2001, 924 ff. 47 BVerfGE 93, 1 ff. 48 BVerfGE 93, 1 (22). 49 Höllerbach, VVDStRL 26 (1968), 57 (65). 50 So noch das Oberthema der Staatsrechtslehrertagung 1967 in Frankfurt am Main mit den Berichten von Heckel (VVDStRL 26 (1968), 5 ff.) und Hollerbach (VVDStRL 26 (1968), 57 ff.).

1. Teil: Einleitung

len Bedürfnisse und Lebensformen der modernen Gesellschaft" um „innovatorische Lösungen für ihre neuartigen Probleme" zu bemühen52. Der „freiheitlichdemokratische Verfassungsstaat" wird insoweit vor der Herausforderung gesehen, „seine umfassende Kultur- und Sozialstaatsverantwortung [ - in einer Zeit der Knappheit der Mittel - ] 5 3 und schwindender religiöser Homogenität der Bevölkerung einheitlich und differenziert zugleich wahrzunehmen, ohne darüber die Anknüpfung an bewährte Formen der Tradition zu versäumen und ohne die Erfahrungen aus den totalitären Gefährdungen der Religionsfreiheit in der neueren und jüngsten Vergangenheit zu vergessen" 54. Diese Arbeit hinterfragt die Prämissen dieser den Staat herausfordernden Aufgabenbeschreibung, indem sie den verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkten jener „umfassenden Kultur- und Sozialstaatsverantwortung" und den Instrumenten zu ihrer Erfüllung nachspürt. Was ist mit der in diesem „Nachspüren" liegenden Frage gemeint? „Jedes Fragen ist ein Suchen". Jedes Suchen wiederum kann sich seiner hermeneutischen Bedingtheit durch das Gesuchte nicht verschließen. Für die formale Struktur der Frage dieser Arbeit ergibt sich danach ein Dreischritt: Zunächst ist Fragen ein Fragen nach, dem Gefragten. Sodann ist es ein Anfragen bei, dem Befragten. Letztlich mündet es in dem mit der Frage Intendierten, dem Erfragten 55. Wonach wird gefragt? Nach Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften. Gegenstand sind also Leistungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften. Diese Leistungen tauchen im Verfassungstext an kaum aktueller Stelle, nämlich in der Übergangs- und Schlussbestimmung des Art. 138 Abs. 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG auf. Art. 138 Abs. 1 WRV spricht davon, dass die Staatsleistungen an Religionsgesellschaften nach Maßgabe der Landesgesetzgebung abzulösen sind. In diesem verfassungsrechtlichen Kontext meint der Begriff der Staatsleistung spezielle Leistungen des Staates, die sich, wie noch zu zeigen sein wird, aus dem Prozess der Säkularisation ableiten und daher nur spezifische, diesem Hintergrund angepasste Leistungsbeziehungen ergreifen. Der in dieser Arbeit zum Gegenstand gewählte Begriff der Staatsleistung nimmt die Bedeutung des Staatsleistungsbegriffs des Art. 138 Abs. 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG zwar auf, geht hierüber jedoch - in Anpassung an das Befragte - hinaus. 51 Von einem „Prozeß des Abschiednehmens von der Volkskirche" spricht gar Müller-Volbehr, ZevKR 44 (1999), 384 (387). 52 Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, in: Ziemske u. a. (Hrsg.), Staatsphilosophie und Rechtspolitik, Festschrift für Martin Kriele, S. 281

(281). 53

Zusatz vom Verfasser. Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, in: Ziemske u. a. (Hrsg.), Staatsphilosophie und Rechtspolitik, Festschrift für Martin Kriele, S. 281 54

(281).

55 Das Voranstehende bewegt sich in der Terminologie, aber auch nur in der Terminologie Heideggers, Sein und Zeit, § 2, Die formale Struktur der Frage nach dem Sein, S. 5 ff.

26

1. Teil: Einleitung

Eine Definition des Staatsleistungsbegriffs sieht sich indes einer schillernden Vielfalt möglicher Bedeutungen gegenüber56. In Verengung der weiten Definition des § 241 BGB, von einem anderen ein Verhalten fordern zu können, soll hier unter Leistung zunächst ein Verhalten, mit dem eine Vermögensmehrung verbunden ist, verstanden werden. Diese Vermögensmehrung wird dadurch zu verdeutlichen versucht, dass von finanziellen Beziehungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften die Rede sein wird. Damit sind auch schon die Parteien der Leistungsbeziehungen - auf Schuldnerseite mit dem Staat, auf Gläubigerseite mit den Religionsgemeinschaften - umschrieben. Dieser weite Begriff der Staatsleistung wird, je nachdem in welchem Kontext er verwandt wird, unterschiedliche Gestalt annehmen. Auf eine abstrakte Definition des Staatsleistungsbegriffs soll daher hier verzichtet werden. An ihre Stelle tritt ein weites, relativ unbefangen konkretisiertes, alltägliches Vorverständnis, dessen nähere Grenzen sich erst im Laufe der Arbeit induktiv ergeben können. Die Themenstellung Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften zielt zunächst auf diejenigen Leistungen ab, die die Religionsgemeinschaften staatlicherseits unter legitimatorischen Rückgriff auf die Sozial- und Kulturstaatsdimension gleich beliebigen Dritten erhalten. Synonym könnte man insoweit auch von einer „Teilnahme an allgemeinen Staatsleistungen" sprechen57. Die Wendung Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften bliebe dann reserviert für die in Art. 138 Abs. 1WRV i. V. m. Art. 140 GG gemeinten Leistungsbeziehungen58. Dies leitet auch schon über zum nächsten Punkt: Was wird befragt? Das Religionsverfassungsrecht. Die Frage nach Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften wird grundsätzlich ausschließlich auf Grundlage der derzeit geltenden Verfassung der Bundesrepublik Deutschland behandelt werden. Angefragt wird also bei der staatlichen Verfassungsrechtsordnung. Kirchenrechtliche und auch theologische Aspekte staatlicher Leistungen an Religionsgemeinschaften werden von dieser Perspektive grundsätzlich nicht ergriffen; es sei denn, die staatliche Verfassungsrechtsordnung lässt für ihre Berücksichtigung Einfalltore 59 . Auch dort, wo im Laufe der Bearbeitung die „Voraussetzungen"60 dieser Verfassung in den Blick genommen werden, geschieht dies, um die so gewonnenen Erkenntnisse in normative Ergeb56 Vgl. nur: Mußgnug, VVDStRL 47 (1989), 113 (114 m. w. Nw.); Hufen, VVDStRL 47 (1989), 142 (144 f.). Vgl. auch: Hennecke, DÖV 1988, 768 (769 ff.) 57 So insbesondere Weber, ZevKR 36 (1991), 253 (262 ff.). 58 Weber, ZevKR 36 (1991), 253 (262). 59 Zum dies idealiter abbildenden Verständnis des Religionsverfassungsrechts als ausfüllungsbedürftige Rahmenordnung statt vieler: Hechel, ZevKR 44 (1999), 340 (360 ff. m. w. Nw.); ders., Religionsfreiheit, in: ders., Gesammelte Schriften, Band IV, S. 647 (651 f., 676 ff.); ders., Religionsfreiheit und Staatskirchenrecht, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Band 2, S. 379 (383 f.). 60

Krüger, Verfassungsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen, in: Ehmke u. a. (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Scheuner, S. 285 ff.

1. Teil: Einleitung

nisse zu überführen 61. Erkenntnisgegenstand ist damit die Bedeutung der „säkularen Entscheidungsgrundlagen", wie sie von der Verfassungsrechtsordnung gelegt werden, in der „postsäkularen Gesellschaft", die Jürgen Habermas dadurch charakterisiert sieht, dass sie sich auf das „Fortbestehen religiöser Gemeinschaften in einer sich fortwährend säkularisierenden Umgebung einstellt" 62 . Nachgezeichnet werden sollen mithin die verfassungsrechtlichen Stationen dieses „Sich-Einstellens". Eine gewisse etatistische Perspektive ist mit der Entscheidung, die Frage nach den Staatsleistungen allein an die staatliche Verfassung zu richten, freilich verbunden. Was wird erfragt? Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften bewegen. Die dem Staat konnotierte Pflichtigkeit oder zumindest Berechtigung zur Förderung von Religion und Religionsgemeinschaften, die diesem aus seiner Kulturund Sozialstaatlichkeit erwachsen soll, wird näher auf ihre verfassungsrechtliche Fundierung und die Rahmenbedingungen ihrer Einlösung hin untersucht. Das verfassungsrechtliche Prüfungsprogramm dieser Arbeit findet daneben sein Fundament in dem verfassungstextlich unmittelbar nahegelegten Kontext des Art. 138 Abs. 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG. Diese Vorschrift dient der Abwicklung derjenigen finanziellen Beziehungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, die ihren Legitimationsgrund in der Einheit von Staat und Religion finden. Sie spiegelt damit die Säkularität des Staates, die letztlich die Überwindung dieser Einheit kennzeichnet, wider. Auf diesem Fundament bauen dann die Kultur- und Sozialstaatlichkeit als weitere Dimensionen von Staatlichkeit auf, die ihrerseits auf ihre funktionale Potenz und Reichweite zur Stützung religionsfördernder Staatstätigkeit in Gestalt von Staatsleistungen hin untersucht werden sollen. Arbeitshypothese ist dabei, dass der Herausbildung jeder der genannten Attribute des Staates, also seiner Säkularität, seiner Kultur- und Sozialstaatlichkeit, spezifische Staatsleistungen nachfolgen, die je eigenen differenzierten normativen Rahmenbedingungen unterliegen. Je nach ihrem historischen und auf den Staat bezogenen funktionalen Kontext wird mithin vermutet, dass Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften unterschiedlichen normativen Mustern folgen. Diese gilt es aufzuzeigen und dabei gleichsam in der Perspektive des sich wandelnden Staates gegenüber den Religionsgemeinschaften mittelbar zugleich diese Wandlung zu erzählen. Die Untersuchung wird zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage in vier Schritten vorgehen, die Erzählung sich in vier Kapitel gliedern: Der erste Schritt ist rein deskriptiv und dient der Ausleuchtung des Untersuchungsfeldes. Er wird zunächst darin bestehen, Staatsleistungen in ihren Kontext 61

Zur Fruchtbarkeit dieser Vorgehens weise nur: Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 41 ff. 62 Habermas, Glauben und Wissen, S. 13, 15. Dazu: Hofmann, JZ 2003, 377 (380 f.).

28

1. Teil: Einleitung

möglicher Systeme der Finanzierung von Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften einzubetten. Ziel hierbei ist es, in der systematischen Außenperspektive die Bedeutung der Staatsleistungen im Umfeld des je gewählten Finanzierungssystems darzustellen. Der Schwerpunkt dieser Darstellung wird in der kursorischen Betrachtung des deutschen Kirchensteuerwesens als der Hauptfinanzierungsquelle der korporierten Religionsgemeinschaften bestehen. Daneben soll eine Binnenperspektive, d. h. die Sicht der Staatsleistungsempfänger, eingenommen werden. Staatsleistungen sollen in die Typologie religionsgemeinschaftlicher Einnahmen eingeordnet werden. Zudem soll anhand exemplarischer Darstellung ihrer Quantität ein Eindruck von ihrer tatsächlichen Rolle im Finanzierungskanon religionsgemeinschaftlicher Aktivität gewonnen werden. In einem weiteren Schritt werden der Vorgang der Säkularisierung und die ihn begleitenden Staatsleistungen darzustellen sein. Hier gilt es zunächst zu umreißen, was die Säkularität des Staates meint und in welchen Zusammenhang zum Prozess der Säkularisierung sie steht. Die so gewonnenen Erkenntnisse sollen als Auslegungsmittel nutzbar gemacht werden. Es wird mittels ihrer zu untersuchen sein, welche verfassungsrechtlichen Niederschläge die Säkularität des Staates gefunden hat und welchem Schicksal die säkularisationsbedingten finanziellen Leistungen des Staates an Religionsgemeinschaften durch den verfassungsrechtlichen Ablösungsauftrag aus Art. 138 Abs. 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG anheimgegeben werden. Am Ende dieses Abschnittes soll eine elaborierte Dogmatik zu Hintergrund, Wirkungsweisen und Konsequenzen des Ablösungsauftrages des Art. 138 Abs. 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG stehen. Zum Dritten wird der Topos der Kulturstaatlichkeit als Legitimationsgrund finanzieller Leistungen des Staates an die Religionsgemeinschaften auf seine Tragfähigkeit hin untersucht werden. Von Interesse wird insbesondere sein, welcher Erkenntnisgehalt dem zunächst verfassungstheoretischen Begriff der Kulturstaatlichkeit innewohnt und wie dieser verfassungsrechtliche Bedeutung gewinnen kann. Ziel der Darstellung sind die Funktionen, die dem Postulat der Kulturstaatlichkeit in Zeiten zunehmender kultureller Varianz und Differenz überhaupt und in Hinblick auf die Finanzierung von Religionsgemeinschaften durch Staatsleistungen im Besonderen zukommen können. Im Zentrum wird in dogmatischer Hinsicht die Entfaltung der Kulturstaatlichkeit im Grundrechtsbereich stehen müssen. Hier wird eine Antwort auf die dringende Frage zu suchen sein, ob die traditionelle Freiheitsgewährleistung im Sinne eines Schutzes vor staatlichen Eingriffen im Kulturstaat hinreichend ist, den Religionsgemeinschaften und ihren Mitgliedern „den notwendigen Freiraum für die nach ihrem Selbstverständnis für notwendig gehaltenen religiösen und sozialen Aktivitäten" zu sichern, oder ob es hierzu der staatlichen Förderung und Finanzierung bedarf 63. Auch werden die Grenzen aufzuzeigen sein, die dem weltanschaulich-religiös neutralen Staat auch als Kulturstaat für die finanzielle Unterstützung von Religionsgemeinschaften gezogen sind. Als Grenzstein 63 Weber, NJW 1983, 2541 (2544 m. w. Nw.).

1. Teil: Einleitung

sei hier nur auf die Reichweite der Gebote religiös-weltanschaulicher Neutralität und Parität verwiesen. Der letzte Schritt ist der strukturell jüngsten Schicht der finanziellen Beziehungen zwischen Religionsgemeinschaften und dem kooperierenden Sozialstaat vorbehalten. Hier stehen staatlicher und religionsgemeinschaftlicher Aufgabenkreis in partieller Kongruenz. Es gilt, die Grenzen dieser Kongruenz ebenso aufzuzeigen, wie die Ausgestaltung der Zusammenarbeit innerhalb des kongruenten Bereichs. Die verfassungsrechtliche Verzahnung soll über den Gedanken des freiheitlichen und damit grundrechtsgebundenen Sozialstaats erfolgen. Hierzu sollen dessen Gewährleistungsverantwortung und daraus resultierende Steuerungsinteressen näher entfaltet und das Instrument staatlicher Finanzierung als Lenkungsmittel dargestellt werden. Zudem sollen die Grenzen der steuernden Einflussnahme auf im weiteren Sinne religionsgemeinschaftliche sozial-karitative Aktivitäten nachgezeichnet werden. Hauptaugenmerk der Betrachtung sind somit die spezifischen religionsverfassungsrechtlichen Bindungen, denen der freiheitliche Sozialstaat unterliegt. Abschließend soll anhand einiger typischer Kollisionen sozialstaatlicher Steuerung und der eigenverantwortlichen Gestaltung des sozial-karitativen Engagements der Religionsgemeinschaften die Reichweite der diesbezüglichen Verkoppelungsvorschrift des Selbstbestimmungsrechts und seiner Schranken aus Art. 137 Abs. 3 WRV i. V. m. Art. 140 GG in Bezug auf förderndes, doch zugleich lenkendes Staatshandeln untersucht werden.

2. Teil

Staatsleistungen Versuch einer systematischen und quantitativen Bestandsaufnahme Der angekündigte Versuch, in beschreibender Absicht Rolle und Bedeutung von Staatsleistungen als Handlungsform der Finanzierung von Religionsgemeinschaften aufzuzeigen, soll aus zwei Blickwinkeln heraus unternommen werden: Zum einen können Staatsleistungen vor der Folie der Finanzierung der Religionsgemeinschaften durch den Staat betrachtet werden. In dieser Außenperspektive gewinnt die Handlungsform der Staatsleistung nähere Konturen durch ihre Entgegensetzung zu anderen Möglichkeiten der Finanzierung. Hierbei wird insbesondere ihre wachsende Anziehungskraft vor dem Hintergrund struktureller Mängel der Kirchensteuer als der in der Bundesrepublik Deutschland systemprägenden Form der Finanzierung von Religionsgemeinschaften zu erörtern sein. Zum anderen können Staatsleistungen als Element des religionsgemeinschaftlichen Finanzwesens, also aus einer Binnenperspektive heraus, erfasst werden.

1. Abschnitt

Staatsleistungen in den Systemen der Finanzierung von Religionsgemeinschaften Die Art der Finanzierung von Religionsgemeinschaften und damit einhergehend die Stellung und Bedeutung von Staatsleistungen innerhalb des Finanzierungssystems spiegelt das Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften des jeweiligen Landes wider 1. Bei aller Vorsicht gegenüber typisierender Betrachtungsweise, die durch die jeweiligen sozialen und historischen Gegebenheiten in den einzelnen Ländern gespeist wird, 2 lassen sich die Grundformen der Finanzierung der Kirchen und Religionsgemeinschaften durch den Staat auf der einen und der 1 Statt aller Marré , Kirchenfinanzierung, S. 13; Kleindienst/Binder, BayVBl. 1999, 197 (200). Umfassende Schilderung durch Vorstellung der Finanzierungsweisen der Kirchen in 181 Ländern auch für den außereuropäischen Bereich: Pradel, Kirche ohne Kirchenbeitrag, 1981. Ein kurzer Überblick findet sich bei: Petersen, KuR 1997, 140, S. 33 ff. Für den ehemaligen Ostblock zum ersten Überblick: Luchterhandt, ZevKR 35 (1990), 283 ff. 2 Dazu: Robbers, Das Verhältnis von Staat und Kirche in rechtsvergleichender Sicht, in: Brugger/Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, S. 59 (61).

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften

31

Finanzierung der Kirchen und Religionsgemeinschaften durch ihre Mitglieder auf der anderen Seite, die in verschiedene Unterformen zerfällt, unterscheiden3. Die sich hieraus ergebenden Typen der Finanzierungssysteme sind in unterschiedlichen Ländern jeweils nicht idealtypisch verwirklicht, sondern es finden sich in den einzelnen Finanzierungsweisen der Kirchen Elemente mehrerer, wenn nicht gar aller, Finanzierungsformen 4. Die folgende Zuordnung der Finanzierungssysteme der Kirchen und Religionsgemeinschaften in den verschiedenen Ländern zu den genannten Grundformen versteht sich daher als Idealisierung der realiter vorzufindenden Mischformen der Finanzierungsweisen, die aber unvermeidlich ist, um eine Systematisierung der Bedeutung der Staatsleistungen in den einzelnen Systemen zu ermöglichen.

A. Die Pole: Spendenfinanzierung vs. Staatsfinanzierung der Religionsgemeinschaften Die höchste Bedeutung besitzen Staatsleistungen evident in den Staaten, in denen die Kirchen und Religionsgemeinschaften durch den Staat finanziert werden. Dies ist grundsätzlich, wenn auch mit erheblichen Varianten, u. a. in Belgien, Griechenland, Island, Norwegen und Luxemburg der Fall 5 . So bestimmt etwa in Belgien Art. 181 der Verfassung von 1831, dass Gehälterund Pensionen von Geistlichen und Bischöfen vom Staat zu bezahlen sind6. 3 Zu dieser Einteilung Marré, ZevKR 42 (1997), 338. Dort auch zu der hier wegen der nur marginalen Bedeutung der Staatsleistungen nicht behandelten Finanzierungsweise der Kirche aus Eigenmitteln, etwa seitens der nicht durch Säkularisationen betroffenen Kirche von England in Großbritannien, Marré, a. a. O., S. 345 f. Dazu auch: Kleindienst/Binder, BayVBl. 1999, 197 (201); McClean, Staat und Kirche im Vereinigten Königreich, in: Robbers, Staat und Kirche in der Europäischen Union, S. 333 (347 f.). Vgl. auch die Ausführungen zu den einzelnen Finanzierungssystemen bei Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, S. 90 ff. 4 Kiderlen, Systeme der Kirchenfinanzierung, in: Fahr, Kirchensteuer, S. 36 ff.; Marré, Kirchenfinanzierung, S. 17; Arbeitspapier „Kirche- Staat- Gesellschaft" der gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Teil D, Die Finanzierung kirchlicher Aufgaben, Ergänzungsband II, S. 206 (208). 5 Zum ersten Überblick die Länderstudien: Torfs, Staat und Kirche in Belgien, in: Robbers, Staat und Kirche in der Europäischen Union, S. 15 ff. ; Papastathis, Staat und Kirche in Griechenland, in: Robbers, Staat und Kirche in der Europäischen Union, S. 79 ff.; Pauly, Staat und Kirche in Luxemburg, in: Robbers, Staat und Kirche in der Europäischen Union, S. 21; Pradel, Kirche ohne Kirchenbeitrag, S. 66 (Norwegen); Gullaksen, ZevKR 45 (2000), 277 ff.; Eyjôlfsson, ZevKR 45 (2000), 257 (268 ff.); Böttcher, in: Nachrichten der ev-Luth. Kirche in Bayern 1992, 224 (226). Auch in Liechtenstein findet sich eine vornehmlich staatliche Finanzierung der vorherrschenden röm.-kath. Kirche in Form des übergemeindlichen Kultusbeitrages, der Liechtenstein jedoch eher typologisch in die Nähe der Finanzierungsformen durch Beiträge rücken lässt, vgl. Wille, EuGRZ 1999, 543 (547).

32

2. Teil: Staatsleistungen - Versuch einer Bestandsaufnahme

Hinzu tritt die Verpflichtung des weltlichen Gemeinwesens, sei es auf der Ebene der Gemeinde oder der Ebene der Provinz, Unterkünfte für Pfarrer und Geistliche bereitzustellen oder aber deren Kosten zu tragen 7 . Zu dieser umfassenden Staatsalimentation des kirchlichen Personals tritt eine Defizittragungslast der politischen Gemeinden für solche Defizite, die bei der kirchlichen Verwaltung weltlicher Güter entstehen 8 . Ein weiteres Beispiel für eine umfassende Finanzierung der Kirche durch den Staat findet sich bei der östlich-orthodoxen Kirche Griechenlands. Diese Finanzierungsform geht in Griechenland einher mit einer Spielart des Staatskirchentums in Gestalt einer weiterentwickelten Form des Cäsaropapismus 9 , indem Art. 3 § 1 der griechischen Verfassung bestimmt, dass die östlich-orthodoxe Kirche „vorherrschend" sei und somit den Status einer offiziellen „Staats"- Religion erhält 1 0 . Diese Kirche finanziert sich zum einen zu einem geringen Teil aus Eigenvermögen sowie Spenden; 11 zum anderen hat der Staat fast zur Gänze die Deckung ihrer finanziellen Bedürfnisse übernommen 1 2 . Dies in Form von Subventionen, 13 der Übernahme der Kosten für die orthodoxe kirchliche Ausbildung sowie die Alimentation des kirchlichen Personals, 14 in Gestalt der Besoldung der Bischöfe, Priester, 6

Alen/Van Haegendoren, Relationship between church and state, in: Alen, Treatise on belgian constitutional law, p. 265 (267); Torfs, Staat und Kirche in Belgien, in : Robbers, Staat und Kirche in der Europäischen Union, S. 15(19, 32); Pradel, Kirche ohne Kirchenbeitrag, S. 17; Marré , ZevKR 42 (1997), 338 (339). 7 Alen /Van Haegendoren, Relationship between church and state, in: Alen, Treatise on belgian constitutional law, p. 265 (267); Marré , ZevKR 42 (1997), 338 (340); Torfs, Staat und Kirche in Belgien, in: Robbers, Staat und Kirche in der Europäischen Union, S. 15 (20). 8 Alen /Van Haegendoren, Relationship between church and state, in: Alen, Treatise on belgian constitutional law, p. 265 (267); Marré , ZevKR 42 (1997), 338 (340); Torfs, Staat und Kirche in Belgien, in: Robbers, Staat und Kirche in der Europäischen Union, S. 15(19). 9 So: Papastathis, Staat und Kirche in Griechenland, in: Robbers, Staat und Kirche in der Europäischen Union, S. 79; Marré, ZevKR 42 (1997), 338 (340). 10

Papastathis, Staat und Kirche in Griechenland, in: Robbers, Staat und Kirche in der Europäischen Union, S. 81 f.; ders., State financial support for the Church in Greece, in: European Consortium For Church-state Research, Church and State in Europe, p. 1 (3); Pradel, Kirche ohne Kirchenbeitrag, S. 48 f. Differenzierend: Troianos, ÖARR 1 (1999), 58 ff. 11 Papastathis, Staat und Kirche in Griechenland, in: Robbers, Staat und Kirche in der Europäischen Union, S. 92. 12 Papastathis, Staat und Kirche in Griechenland, in: Robbers, Staat und Kirche in der Europäischen Union, S. 92; ders., State financial support for the Church in Greece, in: European Consortium For Church-state Research, Church and State in Europe, p. 1 (1). Die Staatsleistungen machten allein 1989 annähernd 200 Mio. Dollar aus, vgl. Papastathis, daselbst, p. 1 (17 u. Fn. 19). Zur Sonderstellung des Berg Athos: ebendort, p. 15 f. 13 Näher zu diesen: Papastathis, State financial support for the Church in Greece, in: European Consortium For Church-state Research, Church and State in Europe, p. 1 (6 f.). 14 Zur Einkommenstruktur des Klerus: Papastathis, State financial support for the Church in Greece, in: European Consortium For Church-state Research, Church and State in Europe, p. 1(9 f.).

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften

33

Diakone, Prediger 15. Zudem finanziert der Staat theologische Hochschulen und übernimmt die Kosten der Erteilung des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen durch beamtete Lehrer 16 . Kontradiktorisch entgegengestellt ist dem System der Staatsfinanzierung der Kirchen und Religionsgemeinschaften die Deckung des kirchlichen Finanzbedarfs durch Spenden und Kollekten 17 . Als Klassiker der Spendenfinanzierung von Religionsgemeinschaften sind die Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich 18 zu nennen. Frankreich ist, was das Religionsverfassungsrecht in Europa angeht, der klassische Staat der Koexistenz zweier von ihren Grundsätzen her eigentlich nicht kompatibler Systeme aus unterschiedlichen Entwicklungsstadien der Beziehung zwischen Staat und Kirche 19 . So findet sich im Gebiet Elsass-Lothringens20 grundsätzlich noch der Rechtszustand der Fortgeltung des napoleonischen Konkordats von 1801 und der Organischen Artikel und damit ein System der staatlichen Alimentation der Kirchen durch Zurverfügungstellung und Erhaltung von Gotteshäusern sowie der Zahlung staatlicher Gehälter an Pfarrer und Diener anerkannter Religionsgemeinschaften 21. Demgegenüber wird das Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften in den übrigen Landesteilen durch laizistische, jedoch religionsfreundliche, akonfessionelle 22 Trennung bestimmt23. Nach der Anerkennung 15 Papastathis, State financial support for the Church in Greece, in: European Consortium For Church-state Research, Church and State in Europe, p. 1 (4 f.); Marré , ZevKR 42 (1997), 338 (341). 16 Papastathis, Staat und Kirche in Griechenland, in: Robbers, Staat und Kirche in der Europäischen Union, S. 95 f. 17 Als mögliche Finanzierungsweise der Kirche mit kaum nennenswerten Staatsleistungen ist neben Spenden- und Kollektensystemen die Finanzierung der Kirchen aus Eigenvermögen zu nennen. Als Beispiel sei auf die Kirche von England verwiesen, vgl. auch: Marré, ZevKR 42 (1997), 338 (345 f.); Pradel, Kirche ohne Kirchenbeitrag, S. 49 ff.; v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 386 f. 18 Marx, KuR 1995, 31 (32). 19 Kiderlen, Kirchenfinanzierung, in: Fahr, Kirchensteuer, S. 36 (43); Metz, in: Essener Gespräche, Band 6, S. 103 (103); Böttcher, Nachrichten der ev-Luth. Kirche in Bayern 1992, 224 (224 f.). 20 Gemeint sind die östlichen Departements Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle. 21 Kiderlen, Kirchenfinanzierung, in: Fahr, Kirchensteuer, S. 36 (43); Marré, ZevKR 42 (1997), 338 (345); Pradel, Kirche ohne Kirchenbeitrag, S. 36. Eingehend zu den Vorteilen und Verpflichtungen der anerkannten Kulte in den drei östlichen Departements: Metz, Essener Gespräche, Band 6, S. 103 (107 ff.); ders., Kirche und Staat in Frankreich, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, § 117, S. 1109 (1120 ff.); Leisching, Kirche und Staat in den Rechtsordnungen Europas, S. 102 ff. Zu neueren Einflüssen und Weiterentwicklungen vgl.: Messner, Die aktuellen Entwicklungen des Lokalrechts in Elsaß-Moselle, in: Festschrift Hollerbach, S. 865 ff. 22 v. Campenhausen, Staat und Kirche in Frankreich, S. 8; Pradel, Kirche ohne Kirchenbeitrag, S. 42 f. Da diese Organisation in demokratischen Kultvereinen dem Selbstverständnis und der Organisationsstruktur der katholischen Kirche widersprach, widersetze sich diese diesem Gebot des Trennungsgesetzes, dazu: v. Campenhausen, Staat und Kirche in Frank-

3 Droege

34

2. Teil: Staatsleistungen - Versuch einer Bestandsaufnahme

der Religionsfreiheit durch Art. 1 des Gesetzes über die Trennung von Kirche und Staat vom 19. Dezember 1905 heißt es in Art. 2 des Gesetzes: „ D i e Republik erkennt keinen Kult an, sie zahlt keine Gehälter und Subventionen . . . alle Ausgaben zu Gunsten der Kultusausübung in den Staats-, Departements-, und Kommunalhaushalten werden abgeschafft" 24 . Überraschenderweise finden sich auch i m laizistischen Trennungssystem Frankreichs Staatsleistungen. Staatliche Förderung besteht neben Spenden und Kollekteneinnahmen 25 in Form der Finanzierung der Religionsausübung in besonderen staatsnahen Verhältnissen der Militär- und Anstaltsseelsorge 26 und etwa bei der Finanzierung konfessioneller Privatschulen, die mit dem Staat einen „contract simple" nach dem „Lex D e b r e " 2 7 geschlossen haben, und von Schulen, die vertraglich das Schulprogramm der öffentlichen Schulen übernommen haben („contract d'association") 2 8 . Daneben begibt der Staat Bürgschaften für Kultvereine, stellt Pfarrhäuser gegen nur einen symbolischen Mietzins zur Verfügung 2 9 und trägt die reich, S. 4 ff. Dies hatte zur Folge, dass u. a. alle katholischen Sakralbauten an den Staat fielen, der jedoch schon 1907 den katholischen Pfarrern die Nutzung der Kirchen durch Gesetz ermöglichte. Zur heutigen Verfassung der katholischen Kirche durch Nutzung modifizierter, ihrer innerkirchlichen Hierarchie angepaßter Diözesanvereine nur: Robbers, VVDStRL 59 (2000), 231 (240). 23 Grundlegend zu den Auswirkungen des Trennungsgesetzes 1905: Chélini, Staat und Kirche in Frankreich, in: Forster, Das Verhältnis von Kirche und Staat, S. 13 (18 ff.); Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 695 ff. Zu neueren Strömungen im Laizismus Verständnis: Müller, Laizität und Zivilreligion in Frankreich, in: Schieder (Hrsg.), Religionspolitik und Zivilreligion, S. 142 ff. 24 Die Übersetzung folgt von Campenhausen, Staat und Kirche in Frankreich, S. 39 Fn. 148. Vgl. zum Verbot der Religionsfinanzierung auch: Metz, Essener Gespräche, Band 6, S. 103 (113); Robbers, VVDStRL 59 (2000), 231 (239). 25 Näher zur Ausgestaltung der religionsgemeinschaftlichen Eigenfinanzierungsformen, insbesondere zu dem Finanzausgleich und dem freiwilligen Kultbeitrag: Basdevant-Gaudemet, Staat und Kirche in Frankreich, in: Robbers, Staat und Kirche in der Europäischen Union, S. 127 (149); Metz, Theolog. Quartalsschrift 156 (1976), S. 205 (206 f.). 26 Für die schon Art. 2 Abs. 2 des Trennungsgesetzes 1905 die Anstellung eines Geistlichen durch den Staat vorsah (vgl. v. Campenhausen, Staat und Kirche in Frankreich, S. 3). Allgemein dazu: Basdevant-Gaudemet, Staat und Kirche in Frankreich, in: Robbers, Staat und Kirche in der Europäischen Union, S. 127 (151 f.). 27 Dazu auch: Chélini, Staat und Kirche in Frankreich, in: Forster, Das Verhältnis von Kirche und Staat, S. 13 (43 f.); Leisching, Kirche und Staat in den Rechtsordnungen Europas, S. 94. 28 Epp, Staat, Schule und Kirchen in Frankreich, in: Starck, Staat, Schule, Kirche in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich, S. 73 (95 f.); Leisching, Kirche und Staat in den Rechtsordnungen Europas, S. 101; Pradel, Kirche ohne Kirchenbeitrag, S. 44; Metz, Kirche und Staat in Frankreich, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, § 117, S. 1109 (1118 f.). Zur beabsichtigen, probeweisen Einführung eines Religionsunterrichts an französischen Schulen nur: Décisions du ministre de l'éducation nationale sur l'enseignement du fait religieux dans l'École laique, 14. novembre 2001, Quelle: http://www.education.gouv.fr/ discours/2002/religion.htm (recherchiert am 04. 05. 2002). 2 9 Vgl. v. Campenhausen, Staat und Kirche in Frankreich, S. 46 ff.

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften

35

Unterhaltungskosten für katholische Sakralbauten 30, die in Folge des Gesetzes von 1905 in sein Eigentum übergingen 31. Da diese wiederum unentgeltlich der Kirche überlassen werden, „marginalisiert" die staatliche Unterhaltung der auf diesen übergegangenen Kirchengebäude das „Verbot staatlicher Religionsfinanzierung" deutlich 32 . Die laizisierende Perspektive in ihrer Reduktion von Religion auf bloßen Kult eröffnet „unerwartete Spielräume staatlicher Religionsförderung", bleibt der Staat doch nur zur Blindheit gegenüber der Religion als solcher nicht aber ihren sozialen und kulturellen Aktivitäten gegenüber verpflichtet 33. Ähnliches trifft auch für die Vereinigten Staaten zu 3 4 . Dies überrascht zunächst, ist verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt in den USA doch auch eine rigide Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften. Die verfassungsrechtliche Stellung der Religionsgemeinschaften in den Vereinigten Staaten von Amerika wird nämlich durch das 1. Amendment der Verfassung, wonach „Congress shall make no law respecting an establishment of religion or prohibiting the free of exercise thereof. ..", bestimmt35. Neben der Freiheitsgarantie des zweiten Halbsatzes hat die Establishment Clause des ersten Zusatzartikels zu einer nuancierten und facettenreichen Interpretation durch den Supreme Court geführt 36. Ausgangspunkt der Rechtsprechung ist dabei die Leitentscheidung Everson v. Board of Education 31. Dort stellte das Gericht fest: „The „establishment of religion" clause of the first Amendment means at least this: Neither a state nor the Federal Government can set up a church. Neither can pass laws which aid one religion, aid all religions, or prefer one religion. ( . . . ) No tax in any amount, large or small, can be levied to support any religious activities or institutions, whatever they may be called, or whatever form they may adopt to teach or practice religion. ( . . . ) In the words of 30 Vgl. v. Campenhausen, Staat und Kirche in Frankreich, S. 40 ff.; Basdevant-Gaudemet, Staat und Kirche in Frankreich, in: Robbers, Staat und Kirche in der Europäischen Union, S. 127 (150). 31 So: v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 395; Chelini, Staat und Kirche in Frankreich, in: Forster, Das Verhältnis von Kirche und Staat, S. 13 (46); Metz, Essener Gespräche, Band 6, S. 103 (114); Pradel, Kirche ohne Kirchenbeitrag, S. 34. 32 Robbers, VVDStRL 59 (2000), 231 (241). 33

Robbers, VVDStRL 59 (2000), 231 (242). Vgl. den Überblick zu den Formen staatlicher Religionsförderung in den USA bei: Muckel/Ogorek, DÖV 2003, 305 (306 ff.). 35 Zur Vorgeschichte des ersten Amendments und seiner grundsätzlich nicht kirchenfeindlichen Intention: Krings, ZevKR 45 (2000), 505 (597 ff.); Bradley, Church-State Relationships in America, p. 18 ff.; Bayer, ZaöRV 24 (1964), 201 (214 ff.); Heun, Trennung von Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten von Amerika, in: Festschrift Heckel, S. 341 (342 ff. m. w. N.); Quaas, Staatliche Hilfe an Kirchen und kirchliche Institutionen in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 25 ff. 36 Zu den Interpretationsansichten in der verfassungsrechtlichen Literatur: Quaas, Staatliche Hilfe an Kirchen und kirchliche Institutionen in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 69 ff. 37 330 U.S. 1 (1947). Zur älteren, wenig ergiebigen Rechtsprechung des Supreme Court: Bayer, ZaöRV 24 (1964), 201 (202 ff.). 34

3*

36

2. Teil: Staatsleistungen - Versuch einer Bestandsaufnahme

Jefferson, the clause against establishment of religion by law was intended to erect „a wall of separation between church and state".38 Ausgehend von dieser „wall of separation"-Doktrin hat der Supreme Court in der Entscheidung Lemon v. Kurtzmann 39 ein dreistufiges Prüfungsschema hinsichtlich der diesbezüglichen Verfassungsmäßigkeit staatlicher Akte entwickelt 40 . Diesem Prüfungsschema zufolge sind staatliche Maßnahmen mit der Einrichtungsklausel des 1. Zusatzartikels nur dann vereinbar, wenn erstens, staatliches Handeln einen säkularen, bzw. in neuerer Diktion „religionsneutralen" 41 Zweck verfolgt, zweitens, der primäre Zweck des Staatshandelns weder in der Förderung noch in der Beeinträchtigung von Religion besteht, und drittens, das staatliche Tätigwerden nicht zu einer exzessiven Verwicklung von Staat und Kirche führt. 42 Die Rechtsprechung des Supreme Court ist jedoch im einzelnen schwankend und hält die genannten Prüfungskriterien nicht immer strikt ein 43 . Daher ergibt sich ein facettenreiches Bild höchstrichterlicher Rechtsprechung von der strikten Trennung im Sinne einer „wall of separation" bis hin zu einer „wohlwollenden Neutralität" 4 4 . Diese in der Establishment of religion clause schon angelegte Bipolarität zwischen Trennung und Offenheit gegenüber der Religion 45 hat verhindert, dass der Supreme Court in seiner Rechtsprechung auch im Bereich öffentlicher Subven38 330 U.S. 1, 15 (1947). Dazu auch: Bradley, Church-State-Relationships in America, p. 1 ff.; Bayer, ZaöRV 24 (1964), 201 (206 f.); Quaas, Staatliche Hilfe an Kirchen und kirchliche Institutionen in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 47 ff. 39 403 U.S. 602 (1971). 40 Zur Entwicklung der Rechtsprechung m. w. Nw.: Krings, ZevKR 45 (2000), 505 (513 ff.); Fleischer, JZ 1995, 1001 (1002). 41 Krings, ZevKR 45 (2000), 505 (528 f.). 42 Lemon v. Kurtzmann, 403 U.S. 602, 12 f. (1971). Die Übersetzung folgt Heun, Trennung von Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten von Amerika, in: Festschrift Heckel, S. 341 (351). Zur dogmatischen Einzelanalyse des 3-Stufen-Tests: Quaas, Staatliche Hilfe an Kirchen und kirchliche Institutionen in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 60 ff. und auch im Abriß: v. Campenhausen, ZevKR 42 (1997), 169 (176). 43 Krings, ZevKR 45 (2000), 505 (515 ff.); Heun, Trennung von Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten von Amerika, in: Festschrift Heckel, S. 341 (352). Im Gegenteil scheint sich in der Rechtsprechung eine vorsichtige Loslösung von dem Lemon-Test anzudeuten. Vgl.: Zobrest v. Catalina Foothills School District (113 S.Ct.2462 (1993)) sowie Board of Eduction of Kiryas Joel Village School District v. Grumet (114 S.Ct.2481 (1994)). So auch: Fleischer, JZ 1995, 1001 (1002). 44 Walz v. Tax Commission, 397 U.S. 664, 668 f. (1970); Die Entscheidung „Walz" war Höhepunkt einer tendenziell religionsfreundlicheren Rechtsprechung des Supreme Court im Anschluß an „Everson v. Board of Education" und führte erstmalig den „Drei-Stufen-Test" ein, der in der „Lemon"- Entscheidung weiterentwickelt wurde, vgl.: Miller /Flowers, Toward Benevolent Neutrality: Church, State, and the Supreme Court, 1992; Quaas, Staatliche Hilfe an Kirchen und kirchliche Institutionen in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 51 ff. 45 Fleischer, JZ 1995, 1001 (1001 m. w. N.); Krings, ZevKR 45 (2000), 505 (523 ff.).

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften

37

tionen - beispielsweise im Schulwesen46- zu einer klaren Linie gefunden hat 47 . Die verfassungsrechtliche Ausgangslage ist damit sicher mit Inkonsistenzen verbunden und entbehrt des Vorbildcharakters für deutsche religionsverfassungsrechtliche Verhältnisse 48. Das amerikanische Verfassungsrecht und seine Ausgestaltung und Interpretation durch die Rechtsprechung zeigen aber, dass es dem säkularen Verfassungsstaat prinzipiell möglich ist, eine Bereichsscheidung zwischen Religionsgemeinschaften und Staat durchzuführen, ohne dabei die Freiheit und Wirkungskraft von Religionsgemeinschaften und Religion in Frage zu stellen49. Als warnendes Beispiel der eintretenden Folgen mangelnder Flexibilität von Separationstheorie und Neutralitätsthese bei Anwendung starrer Auslegungsregeln und daraus destillierter Prinzipien ist das amerikanische Beispiel daher jedenfalls für das deutsche Verfassungsrecht wenig geeignet50. Weitestgehende staatliche Finanzierung, aber auch primär auf Spenden aufbauende Finanzierungsformen bergen freilich erhebliche Gefahren. Spendensysteme haben sicherlich den Charme der Aktualisierung der Beitragspflicht des einzelnen Mitgliedes einer Religionsgemeinschaft, wie sie etwa für die katholische Kirche korrespondierend zum kirchlichen Forderungsrecht aus Can. 1260 CIC 1983 in Can. 222 § 1 CIC 1983 Ausdruck gefunden hat, 51 sowie das Moment der Freiwilligkeit und Gewissensbestimmtheit des Geleisteten für sich 52 . Ein Spenden* und Kollektensystem geht aber auch mit Nachteilen einher 53 : Hier gilt es, das Hauptaugenmerk auf das Phänomen zu richten, dass regelmäßig nur publikumswirksame Projekte die Chance haben, eine entsprechende Spendenbereitschaft der Mitglieder hervorzurufen, was in Folge zu einer erheblichen Ungleichgewichtigkeit hinsichtlich der Finanzierbarkeit verschiedener Bereiche kirchli-

46 So etwa die ausdrückliche Aufgabe der restriktiven Entscheidung Aguilar v. Feiton, 473 U.S. 402 ff. (1985), durch die in modifizierter Anwendung des Lemon Tests ergangene Entscheidung Agostini v. Feiton (117 S.Ct. 2007 ff. (1997)) Vgl. auch: Fleischer, JZ 1995, 1001 (1002 ff.). 47 Mit Beispielen: Heun, Trennung von Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten von Amerika, in: Festschrift Heckel, S. 341 (353); v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 399 f. 48 Zutreffend: v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 400; Quaas, Staatliche Hilfe an Kirchen und kirchliche Institutionen in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 23. 49 Heun, Trennung von Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten von Amerika, in: Festschrift Heckel, S. 341 (357). 50 So aber: v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 400.Vorsichtiger in Hinblick auf eine Vorbildfunktion des deutschen Staatskirchenrechts auch: Heun, Trennung von Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten von Amerika, in: Festschrift Heckel, S. 341 (357). 51 Marré, Kirchenfinanzierung, S. 13; Kleindienst/Binder, BayVBl. 1999, 197 (199). 52 Arbeitspapier „Kirche - Staat - Gesellschaft" der gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Teil D, Die Finanzierung kirchlicher Aufgaben, Ergänzungsband II, S. 206 (209); Meuthen, Kirchensteuer als Einnahmequelle von Religionsgemeinschaften, S. 184 f. 53 Dazu: Meuthen, Die Kirchensteuer als Einnahmequelle von Religionsgemeinschaften, S. 184 ff.

38

2. Teil: Staatsleistungen - Versuch einer Bestandsaufnahme

chen Wirkens führt 54 . Zudem wird vielfach auf die dem Spenden und Kollektensystem immanente, latente Abhängigkeit der Kirchen von einigen Großspendern hingewiesen55, die die Freiheit des kirchlichen Wirkens in Frage stellen kann 56 . Staatsfinanzierung wiederum bedingt Staatsabhängigkeit.

B. Kirchenbeitrag, optionale Kultussteuer und Kirchensteuer Zwischen den genannten Extremen der Staats- und der generellen Eigenfinanzierung der Religionsgemeinschaften liegen diejenigen Finanzierungskonzepte, bei denen sich in unterschiedlichem Maße staatlicher Hilfe bei der Heranziehung der Kirchen- und Religionsgemeinschaftsmitglieder zur Leistung ihres Finanzierungsbeitrages bedient wird, oder aber, in denen ein neuerer, steuerorientierter Weg der staatlichen Finanzierung durch die Möglichkeit der religionsgemeinschaftsnützigen Zweckbestimmung eines bestimmten Anteils der staatlichen Einkommensteuer eröffnet wird.

I. Das österreichische Kirchenbeitragssystem Eine einmalige Form der Kirchenfinanzierung durch ihre Mitglieder findet sich in Österreich in Gestalt des obligatorischen Kirchenbeitrages 57. Hierbei handelt es sich um die Erhebung als privatrechtlich zu qualifizierender Beiträge seitens der Kirchen bei ihren volljährigen Mitgliedern, zu deren zwangsweiser Durchsetzung der Zivilrechtsweg offen steht58. Diese Finanzierungsweise beruht auf einem brachialen Bruch im österreichischen System der Kirchenfinanzierung durch die nationalsozialistischen Macht54 Kleindienst/Binder, BayVBl. 1999, 197 (201); Klieber, Diakonia 1995, S. 111 (115); Marx, KuR 1995, 31 (35); v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 282; Arbeitspapier „Kirche- Staat- Gesellschaft" der gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Teil D, Die Finanzierung kirchlicher Aufgaben, Ergänzungsband II, S. 206 (209). 55

Arbeitspapier „Kirche - Staat - Gesellschaft" der gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Teil D, Die Finanzierung kirchlicher Aufgaben, Ergänzungsband II, S. 206 (209); v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 282; Meuthen, Die Kirchensteuer als Einnahmequelle von Religionsgemeinschaften, S. 184. 56 Marx, KuR 1995, 31 (36). 57 Marré, Kirchenfinanzierung, S. 22. 58 Marré, ZevKR 42 (1997), 338 (348); Leisching, Kirche und Staat in den Rechtsordnungen Europas, S. 139 f.; Potz, Staat und Kirche in Österreich, in: Robbers, Staat und Kirche in Europa, S. 251 (274); Gampl, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 275; Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 266 f.

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften

39

haber 5 9 . Diese unterzogen das überkommene System der Kirchenfinanzierung, 60 das auf Seiten der katholischen Kirche weitestgehend auf den Erträgnissen aus den Religionsfonds, die aus dem i m Zuge der Josephinischen Säkularisation aufgehobenen Klostervermögen gebildet worden waren, 6 1 und hinzutretenden Staatszuschüssen 62 sowie auf Seiten der evangelischen Kirche auf Pfarrumlagen und Staatszuschüssen nach Maßgabe der § § 8 und 20 Protestantenpatent 63 beruhte, einer grundlegenden Umwandlung. Die katholische Kirche, die evangelische Kirche Augsburgischer und Helvetischer Konfession sowie die altkatholische Kirche sind auf Grund des § 1 des „Gesetzes über die Erhebung von Kirchenbeiträgen i m Lande Österreich" (KBG) vom 1. M a i 1939 6 4 „berechtigt, nach Maßgabe von ihnen zu erlassender Kirchenbeitragsordnungen 65 zur Deckung des kirchlichen Sach- und Personalbedürfnisses Kirchenbeiträge zu erheben". Einhergehend mit der gesetzlichen Einräumung des Beitragsrechts wurden bestehende staatliche Leistungspflichten aus den Religionsfonds und Patronaten nach Maßgabe des § 5 K B G aufgehoben 66 . Die Religionsfonds wurden aufgelöst und fielen nach Maßgabe des § 1 der 3. Durchführungsverordnung zum K B G 6 7 dem Deutschen Reich z u 6 8 . Die Einführung des Kirchenbeitrages stellt eine Maßnahme des nationalsozialistischen Kirchenkampfes d a r 6 9 , die Vorbildfunktion für das gan59 Klecatsky, Essener Gespräche 6, S. 54 (54 f.); Pree, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 84.; Leisching, Finanzielle Beziehungen von Kirche und Staat, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 73 (77 f.); Smekal, Kirchensteuer- und Kirchenbeitragssystem im Vergleich, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 121 (125); Link, Theolog. Quartalsschrift 1976, S. 210 (210 f.); Ritter, Kirchenbeitrag, in: Festgabe Schwendenwein, S. 665 (665); Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 259. 60 Hagel, Die Finanzen der Kirche in Österreich von Maria Theresia bis 1939, in: Paarhammer, Kirchliches Finanzwesen, S. 61 ff.; Smekal, Kirchensteuer- und Kirchenbeitragssystem im Vergleich, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 121 (124 f.). 61 Hagel, Die Finanzen der Kirche in Österreich von Maria Theresia bis 1939, in: Paarhammer, Kirchliches Finanzwesen, S. 61 (63, 66 ff.). 62 Gampl, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 278 f.; Link, Theolog. Quartalsschrift 1976, S. 210 (210 Fn. 1.). 63 Abgedruckt und kommentiert bei Klecatsky, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 417 ff. 64 Abgedruckt und kommentiert bei: Klecatsky, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 152 ff. 65 Zu diesen grundlegend: Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 268 ff. 66 Klecatsky, Essener Gespräche 6, S. 54 (55).

67 Klecatsky, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 165 ff. 68 Plöchl, Zum Kirchenbeitragsgesetz in Österreich, in: Festschrift Heckel, S. 108 (112 f.); Pree, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 84; Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 259. 69 Zur Entstehungsgeschichte: Liebmann, Die Genese des Kirchenbeitragsgesetzes vom l.Mai 1939, in: Paarhammer, Kirchliches Finanzwesen, S. 93 ff. Grundlegend: Plöchl, Zum Kirchenbeitragsgesetz in Österreich, in: Festschrift Heckel, S. 108 (108 ff., dort auch zum

40

2. Teil: Staatsleistungen - Versuch einer Bestandsaufnahme

ze Reich haben sollte und eine Mediatisierung der Kirchen durch Gleichstellung mit privatrechtlichen Vereinen sowie die Errichtung eines lückenlosen öffentlichrechtlichen Genehmigungs- und Kontrollsystems anstrebte 70 . Trotz dieser eindeutigen gesetzgeberischen Schädigungsabsicht ist das Kirchenbeitragssystem in das geltende österreichische Recht überführt worden 7 1 , wobei sich um eine zeitgemäße und verfassungskonforme Anwendung bemüht w i r d 7 2 . Zudem ist das K B G durch Art. I I Abs. 4 des Vermögensvertrages 73 sowie durch § 1 Abs. 2 des ProtestantenG 74 konkordatär bzw. staatskirchenvertraglich „saniert" 7 5 , wobei die verfassungswidrigen Vorschriften des K B G als außer Kraft gesetzt gelten bzw. derogiert worden sind 7 6 .

Entstehungsumfeld des KBG); Potz, Staat und Kirche in Österreich, in: Robbers, Staat und Kirche in Europa, S. 251 (274); Pree, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 84; Branahl, Kirchenfinanzierung, in: Ockenfels, Kirchensteuer, S. 95 (101). Zur kirchlichen Rezeption: Slapnicka, Geschichtliche Entwicklung der Kirchenfinanzierung in Österreich seit 1938, in: Paarhammer, Kirchliches Finanzwesen, S. 77 ff. 70 Klecatsky, Essener Gespräche 6, S. 54 (55 f.); Kostelecky, Das Kirchenbeitragsgesetz, in: Paarhammer, Kirchliches Finanzwesen, S. 123 (123 f.); Leisching, Finanzielle Beziehungen von Kirche und Staat, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 73 (78); Plöchl, Zum Kirchenbeitragsgesetz in Österreich, in: Festschrift Heckel, S. 108 (118); Pree, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 84; Smekal, Kirchensteuer- und Kirchenbeitragssystem im Vergleich, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 121 (125); Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 260. 71

Potz, Staat und Kirche in Österreich, in: Robbers, Staat und Kirche in Europa, S. 251 (252); Pree, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 88; Smekal, Kirchensteuer- und Kirchenbeitragssystem im Vergleich, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 121 (125); Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 260. 72 Dazu: Branahl, Kirchenfinanzierung, in Ockenfels, Kirchensteuer, S. 95 (101); Marré, Kirchenfinanzierung, S. 22; Klecatsky, Essener Gespräche 6, S. 54 (58 f.). 73 Vertrag zwischen dem Hl. Stuhl und der Rep. Österreich zur Regelung vermögensrechtlicher Beziehungen vom 23. 6. 1960, BGBl. Nr. 195. Zu diesem im Überblick: Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 668. 74 BG vom 6. Juli 1961, BGBl. Nr. 182. 75

Leisching, Finanzielle Beziehungen von Kirche und Staat, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 73 (78); Ritter, Kirchenbeitrag, in: Festgabe Schwenden wein, S. 665 (667); Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 261, 672. Dies gilt auch auf Grund § 2 des Bundesgesetzes vom 26. 10. 1960 (BGBl. Nr. 221) für die Altkatholische Kirche. Vgl. Pree, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 90. So auch: Klecatsky, Kirche und Staat in der Republik Österreich, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, § 115, S. 1081 (1094), der jedoch einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz annimmt. 76

Kostelecky, Das Kirchenbeitragsgesetz, in: Paarhammer, Kirchliches Finanzwesen, S. 123 (127); Leisching, Finanzielle Beziehungen von Kirche und Staat, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 73 (78); Marré, Kirchenfinanzierung, S. 22; Pree, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 85, 89 f.; Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 262.

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften

41

Das geltende System obligatorischer Kirchenbeiträge unterscheidet sich vom deutschen Kirchensteuersystem vor allem dadurch, dass sich der Kirchenbeitrag trotz steuerähnlichen Charakters i m innerkirchlichen Bereich 7 7 als ein privatrechtlicher Beitrag 7 8 und somit nicht als „öffentliche A b g a b e " 7 9 darstellt. Ihm geht folglich mangels der Möglichkeit staatlicher Zwangseintreibung 80 die Steuerqualität ab. Durch den Verweis auf den Zivilrechtsweg in § 3 Abs. 1 K G B stellt der Staat den Kirchen ein Instrument zur Durchsetzung von Kirchenbeiträgen zur Verfügung, die auf Grund staatlich genehmigter Kirchenbeitragsordnungen, die durch die Genehmigung Grundlage der Klagbarkeit des Beitrages sind 8 1 , zu zahlen sind. Die Steuerqualität begründende Verwaltungsvollstreckung wird nach österreichischem Staatsrecht lediglich denjenigen Kirchen und Religionsgemeinschaften gewährt, die nicht unter den Anwendungsbereich des K B G fallen und nach dem AnerkennungsG 8 2 1874 anerkannt sind (vgl. § 14 AnerkennungsG 8 3 ) 8 4 . Der bereits erlangte Status einer anerkannten Religionsgemeinschaft wird durch die Reform der gesetzlichen Regelungen über die Rechtspersönlichkeit von Religionsgemeinschaften durch das Gesetz über die religiösen Bekenntnisgemeinschaften vom 10. 1. 1998 8 5 nicht berührt 8 6 . Zukünftigen gesetzlichen Anerkennungen, deren

77 Klecatsky, Essener Gespräche 6, S. 54 (60); Leisching, Finanzielle Beziehungen von Kirche und Staat, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 73 (78); Ritter, Kirchenbeitrag, in: Festgabe Schwendenwein, S. 665 (668); Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 266. 78 Leisching, Finanzielle Beziehungen von Kirche und Staat, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 73 (78 f.). 79 Siehe: Leisching, Finanzielle Beziehungen von Kirche und Staat, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 73 (79); Pree, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 90; Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 267. 80 Bzw. diese erst nach Beschreiten des Zivilrechtsweges und Erstreiten eines vollstreckungsfähigen Titels möglich ist, vgl. Gampl, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 276 f. 81 Leisching, Finanzielle Beziehungen von Kirche und Staat, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 73 (83). 82 Abgedruckt und kommentiert bei Klecatsky, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 62 ff. (daselbst S. 73). 83 Klecatsky, Kirche und Staat in der Republik Österreich, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, § 115, S. 1081 (1093). Der dort unpräzise genannte „staatliche Beistand" ist als Gewährung der Verwaltungsvollstreckung zu verstehen. Klecatsky, Österreichisches Staatskirchenrecht, § 14 AnerkennungsG Anm. 3, S. 73. S4 Kucsko-Stadlmayer, EuGRZ 1999, 505 (zu den Folgen der Anerkennung: S. 507); Klecatsky, Essener Gespräche 6, S. 54 (63); Leisching, Finanzielle Beziehungen von Kirche und Staat, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 73 (76 f., 84). 85

Bundesgesetz über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften, BGBl. 1 1998, Nr. 19, S. 485 ff. 86 Schwendenwein, Das neue österreichische Gesetz über die religiösen Bekenntnisgemeinschaften, in: Festschrift Listl, S. 309 (332).

42

2. Teil: Staatsleistungen - Versuch einer Bestandsaufnahme

Voraussetzungen - etwa im Hinblick auf eine bestimmte Mindestmitgliederzahl oder auch einer positiven Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat verschärft worden sind 87 , ist jedoch ein Stadium privatrechtlicher Verfasstheit der jeweiligen Religionsgemeinschaft als angezeigte religiöse Bekenntnisgemeinschaft vorgeschaltet 88. Das Kirchenbeitragssystem hat gegenüber der Kirchensteuer sicherlich den Vorteil, dass es zunächst ohne den staatlich vermittelten Zwang zur Eintreibung, und damit verbundener Gefahren der Entfremdung des zahlenden Mitgliedes, dem der staatliche Zwangsapparat statt seiner Kirche bzw. Religionsgemeinschaft gegenübertritt, auszukommen sucht und somit stärker an der Gruppensolidarität und der Freiwilligkeit ausgerichtet ist 89 . Diesen Vorteilen im menschlich-sozialen Bereich stehen jedoch Nachteile im verwaltungsmäßigen und finanzierungstechnischen Bereich gegenüber90. Auf Grund des im Vergleich zum Kirchensteuersystem geringeren Grades der Parafiskalisierung 91 ist die Eintreibung des Kirchenbeitrages mit relativ hohem Verwaltungsaufwand verbunden 92. Zudem ist die fiskalische Effizienz des Kirchenbeitragssystems ungünstig93. Dies liegt neben den hohen Verwaltungskosten vor allem daran, dass mangels nur unzureichender staatlicher Verpflichtung zur Zurverfügungstellung von Melde- und Einkommensdaten eine Festsetzung der einkommensorientierten Kirchenbeiträge hauptsächlich von den freiwilligen Angaben der Beitragspflichtigen abhängt94. Da diese oftmals im Wege der kompromissorientierten Zusammenarbeit und 87

Vgl. § 5 des Gesetzes. Vgl. Schwendenwein, Das neue österreichische Gesetz über die religiösen Bekenntnisgemeinschaften, in: Festschrift Listl, S. 309 (332 ff.). 89 Smekal, Kirchensteuer- und Kirchenbeitragssystem im Vergleich, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 121 (128). 90 Smekal, Kirchensteuer- und Kirchenbeitragssystem im Vergleich, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 121 (131). Zu den Vor- und Nachteilen des Kirchenbeitrages im Vergleich zur Kirchensteuer auch: Ritter, 50 Jahre Kirchenbeitrag in Österreich, in: Paarhammer, Kirchliches Finanzwesen, S. 17 (19 f.). 91 Smekal, Kirchensteuer- und Kirchenbeitragssystem im Vergleich, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 121 (130 ff.). Umfassend zur Parafiskalität von Religionsgemeinschaften: Meuthen, Kirchensteuer als Einnahmequelle von Religionsgemeinschaften, S. 46 ff. 92 Kostelecky, Das Kirchenbeitragsgesetz, in: Paarhammer, Kirchliches Finanzwesen, S. 123 (127); Leisching, Finanzielle Beziehungen von Kirche und Staat, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 73 (80). 93 Smekal, Kirchensteuer- und Kirchenbeitragssystem im Vergleich, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 121 (133 ff., 135). 94 Branahl, Kirchenfinanzierung, in: Ockenfels, Kirchensteuer, S. 95 (102); Leisching, Finanzielle Beziehungen von Kirche und Staat, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 73 (81); Link, Theolog. Quartalsschrift 1976, S. 210 (212); Ritter, Kirchenbeitrag, in: Festgabe Schwendenwein, S. 665 (668). Es wird geschätzt, dass lediglich 5 % der Beitragspflichtigen richtige Angaben bei der Beitragsveranlagung machen, vgl. Böttcher, Nachrichten der ev. Luth. Kirche in Bayern 1992, 224 (227). 88

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften

43

Schätzung erfolgt, 9 5 erreicht das Kirchenbeitragsaufkommen lediglich ca. Zweidrittel des erwartbaren Sollaufkommens 96 . Ohne eine den gezeigten Mängeln entgegentretende Reform bleibt das österreichische Kirchenbeitragssystem ein Beispiel für eine nur halbherzige Loslösung vom Staat, das jedoch mit dem scheinbar unverzichtbaren Institut der Klagedrohung und der Wahl des steuerpflichtigen Einkommens als Bemessungsgrundlage für den Kirchenbeitrag eine andauernde Konfliktsituation mit den Gläubigen institutionalisiert 9 7 . Bei der bestehenden kirchensteuerähnlichen Handhabung des Kirchenbeitragssystems werden die genannten Nachteile, die typisch für Kirchensteuersysteme sind, bewusst in Kauf genommen, ohne jedoch an den Vorteilen eines Kirchensteuersystems teilzuhaben, anstatt das menschlich- soziale Potential eines freiwilligkeitsorientierten mitgliedschaftlichen, kircheneigenen Beitragssystems zu ergreifen 98 . Neben der Finanzierung über Kirchenbeiträge finden sich in Österreich auch direkte Leistungen des Staates zur Finanzierung von Religionsgemeinschaften und Kirchen. Insbesondere i m Bildungsbereich trägt der Staat die Finanzierungsverantwortung für das hauptsächlich katholische Privatschulwesen 99 , für theologische Fakultäten an staatlichen Hochschulen 1 0 0 und die Kosten des Religionsunterrichts 1 0 1 . 95 Branahl, Kirchenfinanzierung, in: Ockenfels, Kirchensteuer, S. 95 (102); Leisching, Finanzielle Beziehungen von Kirche und Staat, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 73 (82 f.); Klieber, Diakonia 1995, 111 (114). 96 Branahl Kirchenfinanzierung, in: Ockenfels, Kirchensteuer, S. 95 (102); Link, Theolog. Quartalsschrift 1976, S. 210 (212); Smekal, Kirchensteuer- und Kirchenbeitragssystem im Vergleich, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 121 (135); Böttcher, Nachrichten der ev-Luth. Kirche in Bayern 1992, 224 (227). 97 Smekal, Kirchensteuer- und Kirchenbeitragssystem im Vergleich, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 121 (139). Anders insoweit die Einschätzung von Ritter, 50 Jahre Kirchenbeitrag in Österreich, in: Paarhammer, Kirchliches Finanzwesen, S. 17 (23, 26 f.), der den Kirchenbeitrag als wünschenswerte Herausforderung an die Kirche begreift, die trotz aller Probleme beizubehalten sei. 98 Vgl. Smekal, Kirchensteuer- und Kirchenbeitragssystem im Vergleich, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 121 (132, 139). 99 Gampl, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 279; Leisching, Finanzielle Beziehungen von Kirche und Staat, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 73 (94 f.); Potz, Staat und Kirche in Österreich, in: Robbers, Staat und Kirche in Europa, S. 251 (264 f.); Schwendenwein, Die Finanzierung des Religionsunterrichts und des konfessionellen Privatschulwesens, in: Paarhammer, Kirchliches Finanzwesen, S. 149 (157 ff.). 100 Potz, Staat und Kirche in Österreich, in: Robbers, Staat und Kirche in Europa, S. 251 (267 f.). 101 Leisching, Finanzielle Beziehungen von Kirche und Staat, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 73 (95 f.); Potz, Staat und Kirche in Österreich, in: Robbers, Staat und Kirche in Europa, S. 251 (265 f.); Schwendenwein, Die Finanzierung des Religionsunterrichts und des konfessionellen Privatschulwesens, in: Paarhammer, Kirchliches Finanzwesen, S. 149 (149 ff.); ders., Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 391 ff.

44

2. Teil: Staatsleistungen - Versuch einer Bestandsaufnahme

Zudem hat der österreichische Staat zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts, nicht zuletzt wegen der Aufhebung der Religionsfonds und hergebrachten Staatsleistungen, Verpflichtungen zur Erbringung wiederkehrender Staatsleistungen aus Budgetmitteln übernommen 102.

II. Allgemeine Sozial- und Kultursteuer mit Kirchenoption Ist das österreichische Beispiel noch von einem Nebeneinander staatlicher Leistungen und mitgliedschaftlicher Beiträge geprägt, wird diese Unterscheidung zunehmend aufgelöst. So hat sich in Italien, Spanien und Ungarn 103 mit dem System der optionalen Kultsteuer die derzeit jüngste Form staatlicher Finanzierung von Religionsgemeinschaften durchgesetzt. Die Finanzierung der Kirchen in Italien und Spanien hat nämlich gegen Ende der 80er Jahre einen tiefgreifenden Wandel erfahren. In beiden Ländern wurde in Ablösung des überkommenen Staatskirchentums eine neue Form der staatlichen Finanzierung von Religionsgemeinschaften über Steuern eingeführt, in der Weise, dass jeder Steuerpflichtige das Recht erhalten hat, über einen bestimmten Teil der staatlichen Einkommensteuer eine Zweckbestimmung zu treffen, dahingehend, dass der Steueranteil für soziale Zwecke des Staates verwendet oder aber einer Kirche anfallen soll 1 0 4 . In Spanien wurden die überkommenen Staatsdotationen und Benefizien 105 von einem System der zweckbestimmten Steuer mit der Option auf kirchennützige Verwendung abgelöst106. Gem. Art. 2 § 2 des Vertrages zwischen dem spanischen 102 An die kath. Kirche nach Maßgabe des Art. II Abs. 1 lit. a. und b. des Vermögensvertrages von 1961 (BGBl. 86/1990) sowie an die ev. Kirche nach Maßgabe des § 20 Protestantengesetz 1961 (BGBl. 182/1961, 309/1960). Dazu: Kucsko-Stadlmayer, EuGRZ 1999, 505 (518); Leisching, Finanzielle Beziehungen von Kirche und Staat, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 73 (90 ff.); Link, Theolog. Quartalsschrift 1976, S. 210 (211). Entsprechende Leistungsverpflichtungen finden sich zugunsten der Altkatholischen Kirche (BGBl. 221/1960) (dazu: Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 751) sowie der Israelitischen Religionsgesellschaft (BGBl. 222 / 1960) (dazu: Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 807 f.). Zum Umfang der Leistungen: Potz, Staat und Kirche in Österreich, in: Robbers, Staat und Kirche in Europa, S. 251 (273 Fn. 44); Gampl,Österreichisches Staatskirchenrecht, S. 278 f.; Klecatsky, Kirche und Staat in der Republik Österreich, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, § 115, S. 1081 (1094). Umfassend zu den konkordatären vermögensrechtlichen Beziehungen in Folge des Vermögens Vertrages und ihrer Genese: Paarhammer, Die vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Kirche und Staat auf der Grundlage des Konkordatsrechts, in: ders., Kirchliches Finanzwesen, S. 189 (194 ff.). 103 Marre, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 10 Rdn. 1.

104 Marre, ZevKR 42 (1997), 338 (351 f.). i° 5 Zur vorherigen Ausgestaltung der Finanzierung der katholischen Kirche in Spanien: Corral, Essener Gespräche 18, 156 (156 f.); Leisching, Kirche und Staat in den Rechtsordnungen Europas, S. 68 ff.; Pradel, Kirche ohne Kirchenbeitrag, S. 83 ff.; Robbers, JZ 1981, 516 (519); Sanchez, The financing of religious confessions in spanish law, in: European Consortium for Church-state Research, Church and State in Europe, p. 19 (20 ff.).

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften

45

Staat und dem Hl. Stuhl über wirtschaftliche Fragen vom 3.01. 1979 107 wird „nach Ablauf von drei Haushaltsjahren seit der Unterzeichnung dieses Vertrages der Staat der katholischen Kirche einen Prozentsatz 108 der Einkommens- oder Vermögensoder einer anderen Personalsteuer durch das technisch geeignetere Verfahren zuweisen ( . . . ) . Dazu wird es notwendig sein, dass jeder Steuerzahler in der jeweiligen Steuererklärung seinen Willen über die Zweckbestimmung des entsprechenden Prozentsatzes ausdrücklich kundtut. Bei Fehlen dieser Erklärung wird die entsprechende Summe für andere Zwecke bestimmt werden" 109 . Neben diesem zweckbestimmten Steueranteil enthält der Vertrag eine Status-quo-Garantie der vormals durch Dotationen erzielten Einnahmen der katholischen Kirche 110 , die durch Statuierung subsidiärer staatlicher Zuschusspflichten in Art. 2 § 4 des Vertrages erfüllt wird 1 1 1 . Das spanische Beispiel hat die Umstellung auf eine zweckbestimmte Steuerfinanzierung der katholischen Kirche, wie die umfassende Subsistenzgarantie der Einnahmen durch subsidiäre staatliche Zahlungspflichten zeigt, nicht vollständig verwirklicht 112 . Zudem scheint das spanische Modell auf Vorläufigkeit hin angelegt zu sein, heißt es doch in Art. 2 § 5 des oben genannten Vertrages 113, dass das vertraglich ausgestaltete Finanzierungssystem durch andere Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ersetzt werden soll, soweit die katholische Kirche durch eigene Anstrengung, sprich eine weitgehende Spendenfinanzierung bzw. ein kircheneigenes Beitragssystem, die Mittel zur Deckung ihrer Bedürfnisse erbringen kann 114 . Diesen Eindruck der Vorläufigkeit vermeidet das italienische Finanzierungssystem weitgehend. Vormals bestand auch in Italien hinsichtlich der Finanzierung des katholischen Klerus ein Benefizialsystem mit staatlichen Ergänzungszahlungen (Kongrua), so106 Corral, Essener Gespräche 18, 156 (176); Marré , Kirchenfinanzierung, S. 26; Robbers, JZ1981,516 (519); Sanchez, Thefinancing ofreligious confessions in spanishlaw,in: European Consortium for Church-state Research, Church and State in Europe, p. 19 (31 ff.). Neben diese direkte Finanzierung treten indirekte Finanzierungsweisen durch steuerliche Privilegierungen und Befreiungen, zu diesen: Sanchez, The financing of religious confessions in spanish law, in: European Consortium for Church-state Research, Church and State in Europe, p. 19 (34 ff.). 107 Acuerdo entre el estado espanol y la santa sede sobre asuntos economicos, in: ArchKathKR 148 (1979), S. 560, 561 ff. 108 Dieser Prozentsatz liegt bei: 0,5239% vgl. Iban, Staat und Kirche in Spanien, in: Robbers, Staat und Kirche in Europa, S. 99 (118 Fn. 65). »09 Zur Aufkommensentwicklung 1978 bis 1992: Petersen, KuR 1997, 140, S. 33 (44). 110

Marré, Kirchenfinanzierung, S. 118. Die dort genannten Ergänzungszahlungen sind über den vertraglich vorgesehenen Zeitraum von drei Jahren aufrecht erhalten worden, vgl. Iban, Staat und Kirche in Spanien, in: Robbers, Staat und Kirche in Europa, S. 99 (118 Fn. 66). Sie machen etwa ein Drittel des kirchlichen Haushalte aus (vgl. Petersen, KuR 1997, 140, S. 33 (44)). 112 Dies zeigt allein schon die Tatsache, dass im Jahr 1988, dem ersten Jahr der Anwendung der neuen Finanzierungsform, der Staat zu Zweidritteln den kirchlichen Haushalt durch ergänzende Zahlungen bestreiten musste, vgl. dazu: Marré, Kirchenfinanzierung, S. 28. 113 ArchKathKR 148 (1979), 560 (562). 114 Marré, Kirchenfinanzierung, S. 26 f.; Robbers, JZ 1981, 516 (519). 111

46

2. Teil: Staatsleistungen - Versuch einer Bestandsaufnahme

wie eine Vielzahl von staatlichen Subventionen, etwa i m Pfarrhaus- und Kirchenb a u 1 1 5 . Der katholische Klerus finanzierte sich aus den Erträgnissen von Benefizien, die j e nach Bedürftigkeit um staatliche Ergänzungszahlungen 116 zur Schaffung eines „standesgemäßen Lebensunterhalts" und darüber hinaus gehende Sonderzulagen 1 1 7 angereichert w u r d e n 1 1 8 . In Umsetzung des Vertrages des Hl. Stuhls mit dem italienischen Staat vom 18. 2. 1 9 8 4 1 1 9 und des Zusatzvertrages vom 15. 11. 1 9 8 4 1 2 0 wurden die Benefizien aufgehoben, und es wurde ihr Vermögen auf neu gegründete Körperschaften, den Diözesaninstituten für den Unterhalt des Klerus, übertragen 1 2 1 . Diese sollten für die Alimentierung des in der jeweiligen Diözese tätigen Klerus Sorge tragen und wurden subsidiär dabei vom römischen Zentralinstitut für den Unterhalt des Klerus unterstützt 1 2 2 . M i t dieser Umwandlung des italienischen Klerus in einen besoldeten und den Wegfall des Benefizialsystems entfielen die staatlichen „supplementi di congrua" sowie die staatlichen Subventionen für den Kirchenbau und die Kirchenunterhaltung 1 2 3 . Ihre Stelle nimmt ein aus zwei Säulen gebildetes System der staatlichen Finanzierung von Religionsgemeinschaften ein: Neben die erste Säule des steuermindernden Spendenabzugs 1 2 4 , 1 2 5 tritt - dem spanischen Vorbild folgend - die Mög115

Grundsätzlich zur Entwicklung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in Italien: Musseiii , Essener Gespräche 15, S. 148 ff. Zu den Kongrua daselbst, S. 168 f. 116 Quelle dieser war wiederum ein Kultusfonds, in den die im 19. Jahrhundert im Zuge der Säkularisation und der staatlichen Einigung Italiens aufgehobenen Benefizien eingeflossen waren. Vgl.: Michaeler, Kirchenfinanzierung in Italien, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 143 (148 f.); Musseiii , Essener Gespräche 15, 148 (169 Fn. 36). 117

Diese fielen im Übrigen oftmals umfänglicher aus als die Kongrua selbst, siehe dazu: Musseiii, Essener Gespräche 15, 148 (169 Fn. 37). 118 Michaeler, Kirchenfinanzierung in Italien, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 143 (148); Muselli, Essener Gespräche 15, 148 (168 f.); Schulz, Vermögensrechtliche Probleme, in: Festschrift Heinemann, S. 95 (99 f.); Pradel, Kirche ohne Kirchenbeitrag, S. 55 f.; Puza, Religionsrecht in Italien, in: ders., Staatliches Religionsrecht im europäischen Vergleich S. 59 (69). 119 Accordo ta la santa sede e la repubblica italiana che apporta modificazioni al concordato lateranese, in: ArchKathKR 154 (1985), 323 ff. 120 Dazu: Marré, Kirchenfinanzierung, S. 28; Schulz, Vermögensrechtliche Probleme im Anschluß an den Revisionsvertrag zum Laterankonkordat, in: Festschrift Heinemann, S. 95 (95 f.). 121 Ferrari, Staat und Kirche in Italien, in: Robbers, Staat und Kirche in der europäischen Union, S. 185 (199); Schulz, Vermögensrechtliche Probleme, in: Festschrift Heinemann, S. 95 (100). 122 Michaeler, Kirchenfinanzierung in Italien, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 143 (155). 123 Michaeler, Kirchenfinanzierung in Italien, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 143 (148 f.); Puza, Religionsrecht in Italien, in: ders., Staatliches Religionsrecht im europäischen Vergleich S. 59 (69); Schulz, Vermögensrechtliche Probleme, in: Festschrift Heinemann, S. 95 (100). 124 Ferrari, Staat und Kirche in Italien, in: Robbers, Staat und Kirche in der europäischen Union, S. 185 (200 f.); Michaeler, Kirchenfinanzierung in Italien, in: Rinderer, Finanzwissen-

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften

47

lichkeit der Zweckbestimmung eines Anteils (0,8 %) der staatlichen Einkommensteuer 126 . Der Steuerpflichtige hat dabei die Wahl, den Steueranteil dem italienischen Staat für kulturelle, soziale und humanitäre Zwecke, der katholischen Kirche oder einer der anderen Konfessionen, die eine diesbezügliche Vereinbarung mit dem italienischen Staat geschlossen haben, zuzuweisen127. Das gezeigte System der Kultussteuer als Form staatlicher Finanzierung von Religionsgemeinschaften 128 birgt zwar die Gefahr der Abhängigkeit der Kirchen von der staatlichen Steuergestaltung, 129 kann jedoch als für die weitere Entwicklung der Kirchenfinanzierung in Europa vorbildlich begriffen werden 130 . Dies zum einen, weil den Gefahren der Staatsabhängigkeit durch den parallelen Aufbau eines kircheneigenen Finanzierungssystems auf Spenden oder Beitragsebene begegnet werden kann 131 . Zum anderen aber, weil durch den zweckvariablen Steueranteil den einzelnen Steuerpflichtigen unabhängig von seiner Kirchenmitgliedschaft die Entscheidung, in welchem Umfang staatliche Mittel aus seinem Steueraufkommen den Religionsgemeinschaften zufließen, überlassen bleibt. Dies hat den unschätzbaren Vorteil autonomer Entscheidung für oder gegen die Religionsgemeinschaften seitens des Einzelnen und ein Höchstmaß an Transparenz der aus der Wahlentscheidung des Einzelnen resultierenden staatlichen Leistungen für sich.

schaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 143 (149 f.); Puza, Religionsrecht in Italien, in: ders., Staatliches Religionsrecht im europäischen Vergleich S. 59 (70); Schulz, Vermögensrechtliche Probleme, in: Festschrift Heinemann, S. 95 (101). 125 Zu dem Spendenaufkommen 1989 bis 1994: Petersen, KuR 1997, 140, S. 33 (41). 126

Michaeler, Kirchenfinanzierung in Italien, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 143 (151); Puza, Religionsrecht in Italien, in: ders., Staatliches Religionsrecht im europäischen Vergleich S. 59 (70). 121 Ferrari, Staat und Kirche in Italien, in: Robbers, Staat und Kirche in der europäischen Union, S. 185 (200), dort auch Zahlen zu ersten Erfahrungen mit diesem System. Vgl. auch: Michaeler, Kirchenfinanzierung in Italien, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 143 (151 f.); Schulz, Vermögensrechtliche Probleme, in: Festschrift Heinemann, S. 95 (100). 128 Zu dieser Klassifikation: Marré, ZevKR 42 (1997), 338 (351). 129 Kiderlen, Kirchenfinanzierung, in: Fahr, Kirchensteuer, S. 36 (50); Schulz, Vermögensrechtliche Probleme, in: Festschrift Heinemann, S. 95 (101). 1 30 Kiderlen, Kirchenfinanzierung, in: Fahr, Kirchensteuer, S. 36 (52); Puza, ÖArchKR 42 (1993), 178 ff. Ein Vorbildcharakter auch im Hinblick auf das deutsche Kirchensteuersystem wird jedoch nur als ergänzende neben die Steuerfinanzierung der Religionsgemeinschaften tretende Funktion gesehen, vgl. Meuthen, Die Kirchensteuer als Einnahmequelle von Religionsgemeinschaften, S. 195 ff. 131 Kiderlen, Kirchenfinanzierung, in: Fahr, Kirchensteuer, S. 36 (50 f.).

48

2. Teil: Staatsleistungen - Versuch einer Bestandsaufnahme

III. Kirchensteuersysteme am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland Das in Deutschland seit über 100 Jahren praktizierte System der Kirchenfinanzierung, das sich daneben vornehmlich in der S c h w e i z 1 3 2 und in den erodierend e n 1 3 3 skandinavischen Volks- bzw. Staatskirchensystemen 134 findet, beruht hauptsächlich auf dem Instrument der Kirchensteuer 1 3 5 . Damit werden, wie Friedrich Giese schon 1910 definierte, „die an kirchliche Verbände von ihren Verbandsangehörigen kraft der Verbandsangehörigkeit für kirchliche Zwecke unentgeltlich zu entrichtenden unständigen geldlichen Zwangsbeiträge" 1 3 6 zum Kernstück der Finanzierung von Religionsgemeinschaften und bilden deren wichtigste Einnahmequelle 1 3 7 . 132 Dazu: Buschor, Kirchenfinanzen in der Schweiz, in: Rinderer, Finanzwissenschaftliche Aspekte von Religionsgemeinschaften, S. 157 ff.; Hungerbühler/Féraud, EuGRZ 1999, 536 (541); Marré, Kirchenfinanzierung, S. 25; Fuchs, Theolog. Quartalsschrift 156 (1976), 216 ff.). 133 Zur Bewertung des Prozesses in Skandinavien vgl. auch: Kotiranta, ZevKR 45 (2000), 233 (235 ff.). Prominentes Beispiel der Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirchen durch Entflechtung von Staat und Staatskirche ist Schweden. In Schweden hat die lutherische Kirche in Folge des Trennungsbeschlusses des Reichstages aus dem Jahr 1996 ihre Stellung als Staatskirche verloren. Zum 1. Januar 2000 wirkte sich die Trennung auch auf das Finanzierungssystem aus. Die Schwedische Kirche verlor ihren Anspruch auf Kirchensteuer. An deren Stelle trat ein, allerdings weiterhin von den Steuerbehörden eingezogener Kirchenbeitrag. Außerdem wird ein Kirchenstiftungsfonds nunmehr statt vom Staat von der Synode verwaltet. Weiterhin wird es direkte staatliche Zuschüsse geben, die unter anderem dem Unterhalt der Kirchenbauten dienen sollen. Die staatlichen Unterstützungsleistungen in der Übergangsphase werden dabei mit 1,9 Mrd. Kronen bis zum Jahr 2009 beziffert (Vgl. etwa: Robbers, Kirche und Staat in Schweden, in: Festschrift Hollerbach, S. 907 (914 ff., 919 (hinsichtlich anderer Religionsgemeinschaften) sowie Delander, ZevKR 45 (2000), 293 (309 ff.). 134 Vgl. hinsichtlich der Rechtslage in Dänemark, Finnland und zumindest bis Ende 1999 in Schweden (Marré, Kirchenfinanzierung, S. 24 f.; Branahl, Kirchenfinanzierung, in Ockenfels/Kettern, Kirchensteuer, S. 95 (102 f.); Dübeck, Staat und Kirche in Dänemark, in: Robbers, Staat und Kirche in Europa, S. 39 (56); Stenbaek, ZevKR 45 (2000), 221 (230 f.); Heikkilä/Knuutila/Scheinin, Staat und Kirche in Finnland, in: Robbers, Staat und Kirche in Europa, S. 303 (314); Kotiranta, ZevKR 45 (2000), 233 (248 ff., m. w. Nw. auf S. 254 ff.); Schott, Staat und Kirche in Schweden, in: Robbers, Staat und Kirche in Europa, S. 319 (327 f.); Göransson, Theolog. Quartalsschrift 156 (1976), 214 ff. 135 Die folgenden Ausführungen dienen nur dazu, strukturelle Unterschiede und Interpedenzen zwischen der Kirchensteuer in ihrer derzeitigen Ausgestaltung und Staatsleistungen aufzuzeigen. Zu den darüber hinausgehenden verfassungsrechtlichen Fragestellungen des Kirchensteuerrechts nunmehr erschöpfend: Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, 2002. 136 Zu dieser unvermindert aktuellen Definition der Kirchensteuer: Giese, Deutsches Kirchensteuerrecht, S. 576. Inhaltsgleich: Maunz/Dürig/Herzog/Maunz, Art. 140 Rdn. 42: „Kirchensteuern sind öffentlich-rechtliche Zwangsabgaben, die zur Finanzierung kirchlicher Zwecke von Kirchenmitgliedern erhoben werden."; ähnlich: Link, Kirchensteuer, in: EvStL, 1695 (1695). Vgl. auch: Engelhardt, Kirchensteuerrecht, S. 9 ff. 137

Vgl. die im Anhang abgedruckte Tabelle über das Kirchensteueraufkommen in Deutschland sowie: Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, S. 78 ff.

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften 1. Finanzierungsform in der Kritik Kirchensteuer in der Krise

49

-

Ungeachtet oder gerade wegen dieser Bedeutung ist die Kirchensteuer seit Ende der 60er Jahre immer wieder heftig kritisiert w o r d e n 1 3 8 . Nachdem die Diskussion nach ihrer ersten Blüte bis Mitte der 70er Jahre zum Erliegen gekommen war, erlebte sie eine Renaissance zu Beginn der 90er Jahre, als i m Zuge des Vereinigungsprozesses die Übertragung des Kirchensteuersystems auf die neuen Länder anstand 1 3 9 . Die Kritik nährte und nährt sich aus den unterschiedlichsten Quellen, ist politischer, innerkirchlicher 1 4 0 , theologischer 1 4 1 aber auch juristischer Qualität 1 4 2 . I m politischen Spektrum findet sich ein breiter Konsens der Zustimmung zur Kirchensteuer 143 . Jedoch gibt es zunehmend 1 4 4 auch Strömungen, namentlich die F.D.P. sowie B Ü N D N I S 9 0 / D I E GRÜNEN, die für eine Ersetzung des Kirchensteuersystems durch ein reines Beitragssystem plädieren. Diese Forderung stellt die F.D.P seit 1 9 7 4 1 4 5 . I m Zuge der Wiedervereinigung forderten auch die B Ü N D 138 Zusammenfassend: v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 270 ff.; Feldhoff, Kirchensteuer in der Diskussion, S. 9 ff., 20 ff., 49 ff.; Lienemann-Perrin, Legitimation des kirchlichen Finanzsystems durch Begriff und Tradition der Volkskirche im Lichte publizistischer Meinungsbildung, in: Lienemann, Finanzen der Kirche, S. 413 (425 ff.). 139 Wiss. Dienste des Deutschen Bundestages, Kirchensteuern, Materialien 121, S. 6; Branahl/Fuest, Kirchensteuer in der Diskussion, S. 5 ff.; Lohmann, Reizthema Kirchensteuer, in: Ockenfels /Kettern, Streitfall Kirchensteuer, S. 61 ff.; Lienemann-Perrin, Legitimation des kirchlichen Finanzsystems durch Begriff und Tradition der Volkskirche im Lichte publizistischer Meinungsbildung, in: Lienemann, Finanzen der Kirche, S. 413 ff.; Fahr, Kirchensteuer; Spiegel der Kritik ist das Bemühen der Kirchen und ihnen Nahestehender, das Kirchensteuersystem durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit zu verteidigen. Als Beispiele seien angeführt: Feldhoff, Kirchensteuer - umstritten aber bewährt, Zeitfragen 47; Branahl, Kirchensteuer zwischen Annahme und Ablehnung, Beiträge zur Gesellschafts- und Bildungspolitik IDW, Heft 177; ders./Fuest, Kirchensteuer in der Diskussion, Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialpolitik IDW, Heft 224; Arbeitskreis evangelischer Unternehmer, Kirchensteuer und ihre Verwendung, S. 5 f. 140 Dazu auch: Feldhoff, Kirchensteuer in der Diskussion, S. 49 ff.; Marré, Kirchenfinanzierung, S. 51 m. w. N. 141 Nell-Breuning, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 15 (1970), 63 (69). 1 42 Als Beispiel einer Fundamentalkritik siehe: Herrmann, Die Kirche und unser Geld, 3. Kapitel: „Ein ausgekochtes System, eine bundesdeutsche Spezialität: Die Kirchensteuer", S. 105 ff. 1 43 Näher: Feldhoff, Kirchensteuer in der Diskussion, S. 20 ff.; Branahl, Kirchensteuer, S. 34 ff. 1 44 Branahl/Fuest, Kirchensteuer in der Diskussion, S. 32. Zu den politischen Grundeinstellungen informativ: Siegle-Weschkewitz/Weber, Religionspolitik in der Bundesrepublik Deutschland: Konzepte der im Bundestag vertretenen politischen Parteien, der evangelischen und katholischen Kirche, S. 40 ff. 1 45 Vgl. Die Thesen „Freie Kirche im freien Staat", insbes. These 5: „Die bisherige Kirchensteuer ist durch ein kircheneigenes Beitragssystem zu ersetzen.", die schon 1974 Anlaß zu heftiger Diskussion gaben (Beschluß des 25. Bundesparteitages der F.D.P. in Hamburg

4 Droege

2. Teil: Staatsleistungen - Versuch einer Bestandsaufnahme

50

NIS 9 0 / D I E G R Ü N E N mit der Streichung des Art. 140 GG den Wegfall des Kirchensteuerrechts, konnten sich damit aber weder in der Gemeinsamen Verfassungsk o m m i s s i o n 1 4 6 noch i m Bundestag 1 4 7 durchsetzen. Juristische Kritik entzündete sich vor allem an der verfassungsrechtlichen Legitimität des Art. 137 Abs. 6 W R V i. V. m. Art. 140 GG. Barion qualifizierte schon 1968 die Kirchensteuer „als einen Rest mittelalterlicher Corpus-Christianum-Lehre, der soziologisch, stilistisch, rechtslogisch und verfassungsrechtlich nicht zu dem modernen pluralistischen Staat passt" 1 4 8 . Er fand damit Gefolgschaft bei denjenigen, denen das kirchliche Besteuerungsrecht als unzeitgemäßes Privileg und Durchbrechung des verfassungsrechtlichen Neutralitätsprinzips erscheint 1 4 9 und Widerspruch bei denjenigen, denen das Kirchensteuerrecht als Paradigma für eine sachangemessene Kooperation von Staat und Kirche d i e n t 1 5 0 . Trotz allem wird von Seiten der Großkirchen am Kirchensteuersystem festgehalt e n 1 5 1 . In neuester Zeit ist denn auch eine anders geartete Gefahr für den ungeänderten Fortbestand der Kirchensteuer als Einnahmequelle der Religionsgemeinschaften festzustellen. Zwar ist die Kirchensteuer volkswirtschaftlich eine sehr vom 30. September bis 2. Oktober 1974, S. 13, abgedruckt auch bei: Verheugen (Hrsg.), Das Programm der Liberalen, S. 200 ff., vgl. dazu auch: Lienemann-Perrin, Legitimation des kirchlichen Finanzsystems durch Begriff und Tradition der Volkskirche im Lichte publizistischer Meinungsbildung, in: Lienemann, Finanzen der Kirche, S. 413 (444 ff.)), fanden Bestätigung in einem Beschluß des 45. Parteitages der F.D.P. vom 3. Bis 5. Juni 1994 in Rostock, vgl.: Feldhoff, Kirchensteuer in der Diskussion, S. 22; so auch der damalige FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt, zit. nach: „Gerhardt: Kirchen brauchen eigenes Beitragssystem, FAZ vom 15. 9. 1999, S. 7. Die FDP knüpfte 1974 an programmatische Aussagen aus dem Bundestagswahlkampf 1969 an, vgl.: Weber, Grundprobleme des Staatskirchenrechts, S. 17. Kritisch zu den „Kirchenthesen 1974": Wöste, Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche unter besonderer Berücksichtigung der Kirchenthesen der FDP, in: Festschrift Willi Geiger, S. 471 ff. 146 Die Gemeinsame Verfassungskommission sah von einer Empfehlung im Bereich des Staatskirchenrechts ab und lehnte damit einen auf Streichung des Art. 140 GG gerichteten Antrag des Abg. Ulimann ab, vgl. Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT/ Drs. 12/6000, S. 106 f. 147 Vgl. Gesetzentwurf des Abgeordneten DE Wolf gang Ulimann und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT/Drs. 12/6686, S. 2, 5, 14 f. i 4 » Barion, DÖV 1968, 532 (534). Vgl. auch die Erwiderung von Nell-Breuning, DÖV 1970, 148 ff. Ähnlich qualifiziert Heinze die Kirchensteuer als „ein spätes Relikt des Grundsatzes Thron und Altar" (ZRP 1969, 97 (97)). Dagegen: Scheuner, ZRP 1969, 195 ff. 149 Vgl. nur.: Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 49; Fischer, Volkskirche ade!, Trennung von Staat und Kirche, S. 151 ff. !50 Marré, Entwicklung des Kirchensteuerrechts im Land Nordrhein- Westfalen, in: Festschrift Geiger, S. 655 (661 f.). Vgl. auch die als rechtspolitische Fragen zur Kirchensteuer firmierenden Äußerungen bei: v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 270 ff. 151

Vgl. nur: EKD, Kirche & Geld, S. 20 ff.; Gemeinsame Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland, Aufgaben der Kirche in Staat und Gesellschaft, Teil D, Finanzierung der kirchlichen Aufgaben, S. 206 (211): „Die Abschaffung des gegenwärtigen Kirchensteuersystems würde die Kirche eines Finanzsystems berauben, das mehr Vorzüge hat als jedes andere System und das wesentlich zur Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche beiträgt."

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften

51

effiziente 1 5 2 Einnahmeform, die sich in der Vergangenheit durch Aufkommenskont i n u i t ä t 1 5 3 , trotz aller Abhängigkeit von diversen volkswirtschaftlichen Indikator e n 1 5 4 , ausgezeichnet h a t 1 5 5 ; dennoch aber ist das Ideal Kirchensteuer 1 5 6 seit Mitte der 90er Jahre durch zunehmenden Rückgang des Aufkommens in die Krise gerat e n 1 5 7 . Gründe hierfür liegen zum einen in nicht zuletzt finanziell bedingtem Ansteigen der Kirchenaustrittszahlen 158 und zum anderen in der Gestaltung der Steuerpolitik des Staates. In deren Folge rechnen die Kirchen mit Einbußen i. H. v. 15 bis 25 % bzw. 30 % bis 2 0 0 5 1 5 9 des Gesamtkirchensteueraufkommens 160 . Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der drohenden finanziellen Krise werden in der Politik in Verhandlungen mit den Kirchen vielfältige Versuche zur Neuordnung des Kirchensteuersystems unternommen, 1 6 1 dies i m Hinblick auf eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage oder aber die Erhebung einer Kirchensteuer vom Einkommen auf Grund eines kircheneigenen, und damit von den Fährnissen staatlicher Steuerpolitik abgelösten Tarifs 1 6 2 . 152 Meuthen, Kirchensteuer, S. 77 ff., 179 ff. 153 Für den Zeitraum 1970 bis 1980 vgl. Friebe, DStZ 1980, 465 (467 f.) sowie Bareis, Entwicklung und Bestimmungsfaktoren der Kirchensteuer-Einnahmen der Gliedkirchen der EKD, in: Lienemann, Finanzen der Kirche, S. 33 (37 ff.). 154 Zu deren Qualität und Quantität: Bareis, Entwicklung und Bestimmungsfaktoren der Kirchensteuereinnahmen der Gliedkirchen der EKD, in: Lienemann, Finanzen der Kirche, S. 33 (insbes. 75 ff.); Diefenbacher, Finanzen der Kirche in längerfristiger Perspektive, in: Lienemann, Finanzen der Kirche, S. 859 (867 ff.). 155 Bareis, Entwicklung und Bestimmungsfaktoren der Kirchensteuer-Einnahmen der Gliedkirchen der EKD, in: Lienemann, Finanzen der Kirche, S. 33 ff.; Meuthen, Kirchensteuer, S. 77 ff. 156 So: P. Kirchhof, Die Kirchensteuer im System des deutschen Staatsrechts, in: Fahr, Kirchensteuer, S. 53 (57). 157 Vgl. dazu auch die Statistik zum Kirchensteuergesamtaufkommen, die einen Rückgang in den Jahren 1995 bis 1997 ausweist, siehe unten Anlage. 158 Zu den Motivationen des Kirchenaustritts vgl.: Köcher, Kirchenaustritte und Kirchensteuer, in: Ockenfels/ Kettem, Streitfall Kirchensteuer, S. 13 ff.; v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 273. Nach List, BB 1997, 17 (17), ist für 72% der Ausgetretenen die Kirchensteuerbelastung maßgebliche Motivation zum Austritt gewesen. 159 Giloy, DStZ 1999,472 (472). 160

„Risse im bewährten System", Süddeutsche Zeitung v. 7. Mai 1999, S. 14; „Gefährdete Partnerschaft", FAZ v. 4. 5. 1999, S. 16. Demgegenüber geht das BMF von Kirchensteuerverlusten im Jahr 2002 von 1,5 Milliarden für beide Kirchen aus, was bei Zugrundelegung des heutigen Gesamtaufkommens von ca. 16 Milliarden Mark Verluste von lediglich bis zu 10% des Gesamtaufkommens bedeutete, vgl.: „Kirchen suchen nach ergiebigeren Einnahmequellen", Süddeutsche Zeitung vom 17./18. Juli 1999, S. 1; „Keine Einigung über Kirchensteuer", FAZ vom 17. 7. 1999, S. 2. Dazu auch: Giloy, DStZ 1999,472 (472). 161 „Die Gespräche über die Zukunft der Kirchenfinanzierung beginnen, FAZ vom 15. 4. 1999, S. 1; „Kirchen sollen Konzepte selbst entwickeln", FAZ v. 20. 4. 1999, S. 2; „Keine Einigung über Kirchensteuer", FAZ v. 17. 07. 1999, S. 2; Giloy, DStZ 1999,472 (472). 162 Näher zu den möglichen Reformmodellen: Giloy, DStZ 1999, 472 (475 f., 476 ff.) und schon: Kleinmann, Probleme und Möglichkeiten bei der Ausgestaltung eines Kirchensteuersystems, in: Lienemann, Finanzen der Kirche, S. 919 (929 ff.). 4*

52

2. Teil: Staatsleistungen - Versuch einer Bestandsaufnahme

Die Krisis der Kirchensteuer lenkt den Blick notwendig auf mögliche alternative Finanzierungsformen religionsgemeinschaftlicher Arbeit und damit fast unausweichlich auf Formen direkter staatlicher Finanzierung.

2. Historische Bezüge der Kirchensteuer zur staatlichen Finanzierung Schon die Entstehungsgeschichte weist in Richtung eines engen Zusammenhangs zwischen staatlicher Finanzierung der Religionsgemeinschaften und dem kirchlichen Besteuerungsrecht: Die Einräumung des Kirchensteuerrechts diente nicht zuletzt der Entlastung der Staatshaushalte von direkten Leistungen an die Kirchen. Das moderne Kirchensteuersystem als kircheneigene Finanzierungsquelle ist nämlich, von den Wurzeln im mittelalterlichen Zehntrecht einmal abgesehen163, ein Kind des 19. Jahrhunderts 164 und Ausdruck der zunehmenden gegenseitigen Emanzipation von Staat und Kirche 165 . Die Herausbildung der Kirchensteuer im 19. Jahrhundert war bedingt durch einen radikalen Bruch im kirchlichen Finanzierungssystem. Der kirchliche Finanzbedarf wurde ursprünglich durch die Erträge kirchlichen Grundvermögens gesichert. Diese Basis der kirchlichen Einnahmen wurde den Kirchen jedoch durch umfängliche Säkularisationen entzogen. Im Bereich der evangelischen Kirchen galt dies schon auf Grund der Säkularisationen durch den Augsburger Religionsfrieden und den Westfälischen Frieden, die sie weitgehend zu „Rentnerinnen des Staates"166 gemacht hatten 167 , und erfasste in Gestalt der umfassenden Säkularisa163 Vgl. nur: Lette, Zehnt, in: v.Rotteck/Welcker, Staatslexikon, Bd. 14, S. 713 ff.; Müller, Entwicklung des Kirchensteuerrechts in Bayern, S. 7; Giese, Kirchensteuerrecht, S. 9; Marré /Hoffacker, Kirchensteuerrecht, S. 17; Kastenbauer, Grundlagen des Besteuerungsrechts der Kirchen, S. 2 ff.; Reinhardt, Verwaltung der Kirche, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1, § 6, S. 143 (169 f.); Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, S. 14 f. m. w. Nw. 164 Näher: Huber, Staat und Kirche im 19. und 20 Jahrhundert, Band III, S. 36; Huber, Kirchensteuer als „wirtschaftliches Grundrecht", in: Lienemann, Finanzen der Kirche, S. 130 (132 ff.); Marré /Hoffacker, Kirchensteuerrecht, S. 15; Kastenbauer, Grundlagen des Besteuerungsrechts der Kirchen, S. 7 ff. Abgesehen wird hier von den Vorläufern im pALR, vgl. dazu: Marré /Hoffacker, Kirchensteuerrecht, S. 33; Giese, Kirchensteuerrecht, S. 29 ff.; sowie von der kurfürstlich-sächsischen Instruktion aus dem Jahr 1554, dazu: Neumann, Theolog. Quartalsschrift 156 (1976), 198 (198 f.). 165 Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, S. 3 ff.; Marx, KuR 1995,410, S. 1 (4); Neumann, Theolog. Quartalsschrift 156 (1976), 198 (199); v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 256; ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 GG Art 137 WRV Rdn. 182; Hollerbach, Der verfassungsrechtliche Schutz kirchlicher Organisation, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band 6, § 139 Rdn. 49. 166 Marré /Hoffacker, Kirchensteuerrecht, S. 28; Marré, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Listl / Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 37, S. 1101 (1101). 167

Marré /Hoffacker, Kirchensteuerrecht, S. 28; Marré, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 37, S. 1101 (1101).

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften

53

tion auf Grund des Reichsdeputationshauptschlusses 1803 durch Aufhebung der geistlichen Territorien und Einziehung kirchlichen Grundvermögens zur Saturierung weltlicher Territorien auch die katholische Kirche 168 . In Folge der Säkularisation haben die von der Vermögenseinziehung profitierenden Staaten, sei es aus rechtlicher Pflicht oder in Wahrnehmung einer als verbindlich empfundenen Staatsaufgabe, die Verantwortung für die finanzielle Ausstattung der Kirchen in Gestalt von Staatsleistungen übernommen 169. Dieses Finanzierungssystem wurde jedoch im Laufe des 19. Jahrhunderts vor vielfältige Herausforderungen gestellt: Der Finanzbedarf der Kirchen wuchs in Folge der industriellen Revolution und der mit dieser einhergehenden Bevölkerungsvermehrung, sowie durch die zunehmende Urbanisierung erheblich 170 . Zudem traf die allgemeine Geldentwertung die Pfarrdotationen empfindlich 171 . Auch war mit der konfessionellen Zersplitterung der Territorialstaaten, die auch Folge der gewachsenen gesellschaftlichen Mobilität war, das eine staatliche Kirchenalimentation legitimierende Fundament verloren gegangen172. In dieser Situation wälzten die deutschen Territorien ihre Verpflichtung zur Kirchenfinanzierung in Gestalt der Kirchensteuer auf die Kirchenmitglieder ab 1 7 3 . Die Entwicklung in den Einzelstaaten vollzieht sich über einen längeren Zeitraum, der in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts beginnt und im wesentlichen abgeschlossen wird mit der Einführung der Kirchensteuer in Preußen 1905 / 06 1 7 4 . 168 Zu den Folgen und der Vorgeschichte des Reichsdeputationshauptschlusses: Hömig, Der Reichsdeputationshauptschluß, S. 23 ff., 30 ff., 78 ff., 100 ff.; Marré /Hoffacker, Kirchensteuerrecht, S. 30 f.; Huber, Kirchensteuer als „wirtschaftliches Grundrecht", in: Lienemann, Finanzen der Kirche, S. 130 (132 f.); v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 GG Art 137 WRV Rdn. 183. 169 Huber, Kirchensteuer als „wirtschaftliches Grundrecht", in: Lienemann, Finanzen der Kirche, S. 130 (132 f.). Zur strittigen Frage, ob aus § 35 RDHS eine Rechtspflicht der Länder zur Kirchenfinanzierung abzuleiten ist, vgl.: Oberthür, Die Säkularisation im Urteil der deutschen Kirchenrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, S. 226 ff.; Hömig, Der Reichsdeputationshauptschluß, S. 105 ff. 170

Marx, KuR 1995, 410, S. 1 (3); Giese, Kirchensteuerrecht, S. 16; v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 GG Art 137 WRV Rdn. 183. 171

Dies veranschaulicht die zeitgenössische Denkschrift von Fabri, Die materiellen Nothstände der protestantischen Kirche Bayerns und deren mögliche Abhilfe, 1848, S. 25 ff.; v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 257; ders., in: v. Mangoldt/ Klein/ Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 GG Art 137 WRV Rdn. 183. 172 Dazu schon: Giese, Kirchensteuerrecht, S. 15; v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 257; Kastenbauer, Grundlagen des Besteuerungsrechts der Kirchen, S. 8. 173 Und trafen damit auf den Widerstand besonders der katholischen Kirche, die die Staaten an ihren genuinen Zahlungspflichten festhalten wollte, vgl. Marx, KuR 1995, 410, S. 1 (3 f.); Gehm, StuW 1999, 243 (244); Marré, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 37, S. 1101 (1101 f.). 174 Die ersten Staaten waren Lippe (1827), Oldenburg (1831), Sachsen-Altenburg und Königreich Sachsen (1837,1838), vgl.: Giese, Deutsches Kirchensteuerrecht, S. 21, 81. Die Entwicklung am Beispiel des Königreiches Bayern schildert anschaulich: Müller, Entwicklung

54

2. Teil: Staatsleistungen - Versuch einer Bestandsaufnahme

Anknüpfend an eine bis dahin allenfalls subsidiär bestehende Leistungspflicht der Konfessionsgenossen zur Erfüllung örtlicher Baulasten175 wurde die Kirchensteuer zunächst als Kirchenbausteuer entwickelt, die dann auf die sachlichen Kosten der Unterhaltung des Gottesdienstes erstreckt wurde 176 . Ihren grundsätzlich subsidiären Charakter 177 verlor die Kirchensteuer erst in Folge der Inflation 1923 178 . Nach der Novemberrevolution drängten die Kirchen wegen der in Zuge dieser auftretenden Gefährdungen der finanziellen Grundlagen der bisherigen kirchlichen Arbeit 1 7 9 auf eine verfassungsrechtliche Garantie des Kirchensteuerrechts 180. Diesem Bedürfnis ist der Weimarer Verfassungsgeber in Gestalt von Art. 137 Abs. 6 WRV, demzufolge die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, berechtigt sind, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben, nachgekommen 1 8 1 . In der Weimarer Zeit verfestigte sich das Besteuerungsrecht durch die Anknüpfung an die Reichseinkommensteuer als Maßstabssteuer in Folge der Unitarisierung der staatlichen Finanzverfassung 182 sowie durch die staatskirchenvertragliche Befassung als „vereinbartes Recht" 183 . Nach den Versuchen der Mediatisierung des religionsgemeinschaftlichen Besteuerungsrechts unter der nationalsozialistischen Herrschaft 184 gingen die zwei Deutschen Staaten nach dem Krieg hinsichtlich der Kirchensteuer unterschiedliche des Kirchensteuerrechts in Bayern, S. 17 ff.. Speziell zu Preußen: Marré /Hoffacker, Kirchensteuerrecht, S. 37 ff.; Huber, Kirchensteuer als „wirtschaftliches Grundrecht", in: Lienemann, Finanzen der Kirche, S. 130 (137 ff.) Umfassend zur einzelstaatlichen Entwicklung im 19. Jahrhundert: Giese, Kirchensteuerrecht, S. 25 ff., im Überblick: Marré, ZRG, kan. Abt. 116 (1999), 448 (457 ff.). Umfassende Quellendarstellung bei: Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert, Band III, S. 36 ff. 175 Dazu: Giese, Kirchensteuerrecht, S. 17; v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 257. ™ Marx, KuR 1995,410, S. 1 (4); v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 257. 1 77 Engelhardt, Kirchensteuerrecht, S. 167 f. "8 Gefaeller, ZevKR 1 (1951), 80 (80); Engelhardt, Kirchensteuerrecht, S. 168 f. 179

Durch die Forderungen nach strikter Trennung von Staat und Kirche in Folge der Novemberrevolution, vgl.: Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert, Band IV, S. 3 ff.; ders., Kirchensteuer als „wirtschaftliches Grundrecht", in: Lienemann, Finanzen der Kirche, S. 130 (146 f.). !80 Vgl. BVerfGE 19, 253 (257); Engelhardt, Kirchensteuer in den neuen Bundesländern, S. 1; v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 258. 181 v. Münch-Hemmrich, Art. 140 Rdn. 26. 182 Engelhardt, Kirchensteuerrecht, S. 135; Huber, Kirchensteuer als „wirtschaftliches Grundrecht", in: Lienemann, Finanzen der Kirche, S. 130 (149). 183 Marré /Hoffacker, Kirchensteuerrecht, S. 42 f. Umfassend zur auch einzelstaatlichen Entwicklung des Kirchensteuerrechts zur Weimarer Zeit: Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert, Band IV, S. 174 ff. 184 Vgl. a u c h dazu die obigen Ausführungen zur Entstehung des österreichischen KBG, sowie: Huber, Kirchensteuer als „wirtschaftliches Grundrecht", in: Lienemann, Finanzen der Kirche, S. 130 (153 f.); Marré, ZRG, kan. Abt. 116 (1999), 448 (464).

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften

55

W e g e 1 8 5 . Während i m Westen das Kirchensteuerrecht durch Inkorporation des Art. 137 Abs. 6 W R V in das Grundgesetz in ungebrochener Kontinuität fortgeführt und durch staatskirchenvertragliche Regelungen bestätigt sowie durch die Verfassungsrechtsprechung näher konturiert w u r d e , 1 8 6 wurde es in der Deutschen Demokratischen Republik zum Opfer sozialistischer Kirchen- und K u l t u r p o l i t i k 1 8 7 . Rechtseinheit i m Bereich der Kirchensteuer wurde i m Zuge der Deutschen Einheit zum einen durch den Beitritt der D D R zum Geltungsbereich des Grundgesetzes und damit auch des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 6 W R V 1 8 8 hergestellt. Z u m anderen trat mit dem Einigungsvertrag auch das Gesetz zur Regelung des Kirchensteuerwesens der D D R in K r a f t 1 8 9 , das als Legislativakt der Volkskammer nach Maßgabe des Art. 9 Abs. 5 EinigungsV als Landesrecht f o r t g i l t 1 9 0 . Damit gilt das bundesdeutsche Kirchensteuerrecht seit 1990 auch für das vereinigte Deutschl a n d 1 9 1 . Es hat in den neuen Ländern mittlerweile landesrechtliche Modifizierung e n 1 9 2 sowie staatskirchenvertragliche Bestätigung 1 9 3 erfahren 1 9 4 .

185 Zur Entwicklung in der unmittelbaren Nachkriegszeit vgl.: Gefaeller, ZevKR 1 (1951), 80 (83 ff. (für die SBZ) und 88 ff. (für die westlichen Kirchen)). 186 Zur Nachzeichnung der Entwicklung in den einzelnen Ländern nur: Schlief, ZRG Kanon. Abt. 116 (1999), 465 (475 ff.). Am Beispiel des Kirchensteuerrechts in NordrheinWestfalen: Marré, Die Entwicklung des Kirchensteuerrechts im Land Nordrhein- Westfalen, in: Festschrift Geiger, S. 655 (656 ff.) zur Rolle der BVerfG-Rspr.: daselbst, S. 666 ff. Einen informativen Überblick über das Kirchensteuerrecht als Gegenstand bundesrepublikanischer Rechtsprechung liefert: Niemeier, Die Rechtsprechung staatlicher Gerichte in Kirchensteuersachen, in: Lienemann, Finanzen der Kirche, S. 211 ff. ist Näher: Schlief ZRG Kanon. Abt. 116 (1999), 465 (467 ff.); Jacobi, Die Zwangsbeitreibung der Kirchensteuern, in: Festschrift Joh. Heckel, S. 56 ff.; Spließgart, NVwZ 1992, 1156 (1157); Engelhardt, Kirchensteuer in den neuen Bundesländern, S. 1 f.; Wiss. Dienste des Dt. Bundestages, Kirchensteuern, Materialien 121, S. 8 ff. Vgl. auch: Tillmanns, Grundzüge des Staatskirchenrechts in den neuen Bundesländern, in: Neumann / ders. (Hrsg.), Verfassungsrechtliche Probleme bei der Konstituierung der neuen Bundesländer, S. 161 (163 ff.). 188 Vgl. Art. 3 des Einigungsvertrages.

iss Einigungsvertrag vom 31. 08. 1990, Anl. II Kap. IV Abschnitt I Nr. 5. Dazu: Marré, Kirchenfinanzierung, S. 16. 190 Wegen der Nichterwähnung Ostberlins in Art. 1 Abs. 1 EinigV war für Berlin eine Sonderregelung erforderlich: Durch das Gesetz über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts vom 28. 09. 1990 (GVB1. S. 2119) wurde mit Wirkung vom 1. 1. 1991 das Westberliner Kirchensteuerrecht auch in Ostberlin eingeführt. Vgl. umfassend: Engelhardt, Kirchensteuer in den neuen Bundesländern, S. 6 ff.; Marré, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 37, S. 1101 (1103 f.); Giloy/ König, Kirchensteuerrecht, S. 5. 191 Spließgart, NVwZ 1992, 1156 (1158 ff.); Marré, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 10 Rdn. 4; Wiss. Dienste des Dt. Bundestages, Kirchensteuern, Materialien 121, S. 10 f.; Marré, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 37, S. 1101 (1103). Eine umfassende Kommentierung des Kirchensteuerrechts liefert: Engelhardt, Kirchensteuer in den neuen Bundesländern, S. 6 ff. 192 Zu den Rechtsgrundlagen im einzelnen vgl.: Engelhardt, Kirchensteuer in den neuen Bundesländern, S. 16 ff.

56

2. Teil: Staatsleistungen - Versuch einer Bestandsaufnahme

3. Qualifikation

der religionsverfassungsrechtlichen

Grundlagen

Ihre religionsverfassungsrechtlichen Grundlagen zeichnen die Kirchensteuer als in gemeinsamer Wahrnehmungszuständigkeit von Staat und Religionsgemeinschaften liegende, gemeinsame Angelegenheit aus 195 . Die Gemeinsamkeit liegt schon in dem das Kirchensteuerrecht konstituierenden Grundverhältnis zwischen Delegat und Mandatar: Das Besteuerungsrecht der Religionsgemeinschaften basiert auf einer Hoheitsrechtsdelegation, zu der Art. 137 Abs. 6 WRV den Staat berechtigt und verpflichtet. Art. 137 Abs. 6 WRV garantiert den korporierten Religionsgemeinschaften das Recht, Steuern „auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen" zu erheben. Bundes verfassungsrechtlich durch Art. 140 GG als vollgültiges Verfassungsrecht in das Grundgesetz inkorporiert 196 , ist das Besteuerungsrecht nach Art. 137 Abs. 6 WRV in den Worten des Bundesverfassungsgerichts als eine hoheitliche Befugnis des Staates gegenüber den Bürgern, die dieser in dem gesetzlich bestimmten Umfang den Religionsgesellschaften verleiht, zu qualifizieren 197 . Gegenstand dieser Rechtsmacht ist die Kirchensteuer und damit eine kraft hoheitlicher Zwangsgewalt auferlegte Geldleistung, der keine Gegenleistung des Steuergläubigers korrespondiert 198. Zum allgemeinen Steuerbegriff kommt im Falle der Kirchensteuer noch das spezifische Merkmal, dass die Steuerhoheit einer Religionsgesellschaft zusteht, hinzu 199 . Dies macht die Kirchensteuer zu einem „finanzverfassungsrechtlichen Unikum", 2 0 0 insofern als sie den einzigen Fall bildet, in 193 Sachsen-Anhalt: Art. 14, 15 ev. KV (GVB1. 1994, 173, 175), Art. 19 kath. KV (GVB1. 1998, 160, 168); Sachsen: Art. 16, 17 ev. KV (GVB1. 1994, 1252, 1254 f.), Art. 21, 22 kath. KV (GVB1. 1997, 17, 38 f.); Mecklenburg-Vorpommern: Art. 17 ev. KV (GVB1. 1994, 560, 562), Art. 18 kath. KV (GVB1. 1998, 2, 7 f.); Thüringen: Art. 14, 15 ev. KV (GVB1. 1994, 509, 511 f.), Art. 25, 26 kath. KV (GVB1. 1997, 266, 274 f.); Brandenburg: Art. 14, 15 ev. KV (GVB1. 1997,4, 7). 194 Näher: Gehm, LKV 2001,173 (174 ff.). 195 Dazu: BVerfGE 19, 206 (217); Maunz, in: ders./Dürig/Herzog (Hrsg.), Art. 140 Rdn. 42; Rüfner, NJW 1971, 15 (17 f.); Listl, Das kirchliche Besteuerungsrecht in der neueren Rechtsprechung, in: Festschrift Mikat, S. 579 (579 f.); Ehlers, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 Rdn. 21; Engelhardt, Kirchensteuerrecht, S. 16; v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 260; Marré, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 37, S. 1101 (1110 f.); Schlief, Die Steuerreformen und die Kirchen, in: Festschrift Listl, S. 679 (681). Zur vorherigen Einordnung als genuin staatliche Angelegenheit: Schwytz, Rechtsprechung zum Staatskirchenrecht, S. 18 ff. 196 BVerfGE 19, 206 (219); Hemmrich, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Kommentar, Art. 140 Rdn. 7. 197 BVerfGE 19,206(218). 198 Isensee, JuS 1980, 94 (98); Marx, KuR 1995, 410, S. 1 (3); Hollerbach, Der verfassungsrechtliche Schutz kirchlicher Organisation, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band 6, § 139 Rdn. 50. 199 Engelhardt, Kirchensteuerrecht, S. 14; ders., Kirchensteuerrecht in den neuen Bundesländern, S. 4.

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften

57

dem Steuerhoheit von i m Prinzip außerstaatlichen, gesellschaftlichen Korporationen ausgeübt wird. Damit liefert schon der Begriff der Kirchensteuer zwei wesentliche strukturelle Unterschiede zur Staatsleistung: Diese speist sich aus den öffentlichen Haushalten und damit letztlich aus Mitteln, die der Staat von jedermann erhält. Jene knüpft an die Verbandszugehörigkeit an und ist damit mitgliedschaftsakzessorisch. Diese gewährt der Staat, jene gewinnen die Religionsgemeinschaften selbst, wenn auch mit staatlicher Mitwirkung. Das notwendige Zusammenwirken von Staat und Religionsgemeinschaften, das durch Art. 137 Abs. 6 W R V i. V. m. Art. 140 GG angelegt ist, bildet sich auch in den Rechtsgrundlagen des Kirchensteuerrechts ab. Dieses zeichnet sich durch ein Zusammenspiel von staatlichen und kirchlichen Rechtsquellen a u s 2 0 1 . Neben der bundesverfassungsrechtlichen Garantie in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 6 W R V und entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Verbürgungen 2 0 2 finden sich ausfüllende Regelungen in den Kirchensteuergesetzen der Länder. Diese wiederum sind regelmäßig Rahmenordnungen 203 und der Ausfüllung durch kirchenrechtliche Regelungen in Gestalt der Steuerordnungen und Hebesatzbeschlüsse der Kirchen bedürftig 2 0 4 . Besonders deutlich wird das Zusammenspiel von Staat und Kirchen in den staatskirchenvertraglichen Regelungen i m Hinblick auf das kirchliche Besteuerungsrecht 205 .

200 Isensee, JuS 1980, 94 (98). 201

Auf eine Darstellung des bunten Teppichs der Rechtsgrundlagen wird verzichtet. Verwiesen sei lediglich auf die erschöpfende Zusammenstellung des jeweils in den einzelnen Ländern geltenden Normmaterials von Meyer, Kirchensteuerübersicht 1994, Teil B, NWB Fach 12, S. 1405 ff., sowie hinsichtlich der landesgesetzlichen Grundlagen auf Giloy/König, Kirchensteuerrecht, S. 183 ff., und hinsichtlich der Kirchensteuerordnungen und Kirchensteuerbeschlüsse auf Giloy/König, Kirchensteuerrecht, S. 190 ff.; vgl. auch die Nachweise bei: Marré, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 37, S. 1101 (1109). 202 Die z. T. Art. 137 Abs. 6 WRV inkorporieren, z. T. eigenständige Regelungen enthalten. Vgl.: v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 GG Art 137 WRV Rdn. 194. 203 Mit Ausnahme der bayerischen Regelung vgl.: Marré, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 37, S. 1101 (1113). 2 04 Gehm, StuW 1999, 243 (246); v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 GG Art 137 WRV Rdn. 198; Marré, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 37, S. 1101 (1114). 205 Regelungsmaterie der Staatskirchenverträge bzw. Konkordate ist im wesentlichen die Kirchensteuerberechtigung, die Genehmigungsbedürftigkeit der Kirchensteuer und der Kirchensteuerbeschlüsse, die Verwaltung der Kirchensteuer durch die Finanzämter gegen Aufwendungsersatz sowie das Abzugsverfahren der Kirchensteuer, vgl.: Meyer, Kirchensteuerübersicht, NWB Fach 12, S. 1383 (1384); Gehm, StuW 1999, 243 (246). Vgl.: Hinsichtlich der ev. Kirchen in den jeweiligen Staatskirchenverträgen: Baden: Art. I I Abs. 5, Bayern: Art. 20; Niedersachsen: Art. 12, 13; Hessen: Art. 18, Rheinland-Pfalz: Art. 22, Schleswig-Holstein: Art. 14, 15; sowie die o.g. vertraglichen Regelungen in den neuen Ländern, und hinsichtlich der Konkordate mit dem Hl. Stuhl: Reichskonkordat Schlußprotokoll zu Art. 13; Baden:

58

2. Teil: Staatsleistungen - Versuch einer Bestandsaufnahme

Die Gemeinsamkeit ergreift vor allem auch den Gegenstand der durch Art. 137 Abs. 6 WRV i. V. m. Art. 140 GG eingeräumten Rechtsmacht. Dies geschieht in Gestalt der Trennung und des Zusammenwirkens von Substrat und Form. Die Verleihung des Besteuerungsrechts bezieht sich nämlich nicht auf das Recht der Religionsgesellschaften, Beiträge von ihren Mitgliedern zu fordern 206 . Letzteres ist ein originäres Recht der Kirchen und berührt das Besteuerungsrecht aus Art. 137 Abs. 6 WRV nur insoweit, als es Entstehungsgrund des Kirchensteuerrechtsverhältnisses ist 2 0 7 . Dieses kircheneigene Recht der Beitragserhebung können die Religionsgemeinschaften als eigene Angelegenheit nach Maßgabe des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV ohne Einmischung des Staates ordnen und verwalten 208 . Es ist damit streng vom staatlich verliehenen Hoheitsrecht aus Art. 137 Abs. 6 WRV zu unterscheiden209. Verliehen ist den Religionsgesellschaften also nicht das kirchliche Beitragsrecht, sondern die Verfassung garantiert den korporierten Religionsgemeinschaften mit dem Kirchensteuerrecht, dass der Staat die von den Religionsgemeinschaften festgesetzten Beiträge durch seine Organe als Steuern im Wege des Verwaltungszwangs notfalls beitreibt 210 . Auf Grund des mit der Möglichkeit der Zwangsbeitreibung notwendig verbundenen hoheitlichen Charakters der Kirchensteuererhebung ist die staatliche Normierung konstitutiv 211 . Staatlicher Normierung bedürfen somit die Voraussetzungen, Grundlagen, die möglichen Kirchensteuerarten und die Formen, unter denen der Staat seinen Apparat zur Durchsetzung der kirchlichen Steuerforderungen bereitstellt, 212 sowie das Rechtsmittel verfahren 213. Das „materielle Substrat" 214 der Kirchensteuer in Gestalt der Forderung der Religionsgemeinschaften gegen ihr Art. IV Abs. 4, Bayern: Art. 10 § 5; Niedersachsen: Art. 14; sowie der Verträge mit einzelnen Bistümern: Hessen: Art. 7, Rheinland-Pfalz: Art. 7; Saarland: Art. 6, 7, sämtlich abgedruckt bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge; vgl. auch Giloy/König, Kirchensteuerrecht, S. 12 f. 206 Vgl. dazu für die evangelische Kirche: § 4 Abs. 2 des Kirchengesetzes der EKD über die Kirchenmitgliedschaft (ABl. 1976, 389), sowie für die kath. Kirche: Can. 222 § 1, 1260, 163 CIC. Näher: Reinhardt, in: Lüdicke, Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, Can. 222 Anm. 1 bis 3; Schulz, in: Lüdicke, Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, Can. 1260 Anm. 1 ff., insbes. 3 ff. 207 P. Kirchhof, Die Kirchensteuer im System des deutschen Staatsrechts, in: Fahr, Kirchensteuer, S. 53 (66); R Kirchhof, DStZ 1986, 25 (26). 208 Vgl. nur: BVerfGE 19, 206 (217).

209 BVerfGE 19, 206 (217); v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 GG Art 137 WRV Rdn. 189. 210 BVerfGE 19,206 (217); v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 260. 211 BVerfGE 19, 206 (217). 212 Vgl. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 260; ders., in: v. Mangoldt/Klein/ Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 GG Art 137 WRV Rdn. 190. 213 BVerfGE 19, 206 (218). 214 v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 260.

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften

59

Mitglied wird aber durch das kirchliche Recht gebildet 215 . Als eigene Angelegenheit der steuerberechtigten Religionsgemeinschaften sind somit die Frage, ob eine solche Forderung erhoben wird, die Festsetzung der Kirchensteuerarten, Beginn und Ende der Kirchensteuerpflicht - mit dem Vorbehalt des staatlichen Austrittsrechts - sowie die Kirchensteuerverwaltung anzusehen216. Die Reichweite der staatlichen Garantie erscheint demgegenüber zunächst als außerordentlich begrenzt: Dem Wortlaut des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 6 WRV ist lediglich zu entnehmen, dass die Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, berechtigt sind, „auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben". Bürgerliche Steuerlisten i. S. d. Art. 137 Abs. 6 WRV sind die amtlichen Zusammenstellungen der Ergebnisse der Veranlagung zu den Reichs-, Landes und Gemeindesteuern 217. Diese sind den Religionsgesellschaften zwecks Ausübung ihres Besteuerungsrechts zugänglich zu machen. Da sie jedoch schon lange nicht mehr erstellt werden, war der Staat verpflichtet, entsprechend geeignete Leistungen zur Realisierung des Besteuerungsrechts zu erbringen 218 . Insofern statuiert Art. 137 Abs. 6 WRV i. V. m. Art. 140 GG jedenfalls ein subjektivöffentliches Recht der Kirchen auf staatliche Informationshilfe 219. Darüber hinausgehend verpflichtet Art. 137 Abs. 6 WRV nach ständiger verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung 220 den Staat, die Voraussetzungen für die Steuererhebung durch den Erlass von Landesgesetzen zu schaffen und dabei die Möglichkeit einer zwangsweisen Beitreibung vorzusehen. Zusammenfassend wird ihm aufgegeben, insgesamt die Möglichkeit geordneter Verwaltung der Kirchensteuern sicherzustellen 221 . Dem hierbei dem Staat - kompetenziell den Ländern 222 - verblei215 Engelhardt, Kirchensteuerrecht, S. 18 f.; v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 GG Art 137 WRV Rdn. 190. 216 Zu dieser Aufzählung: v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 260. 217 Anschütz, WRV, Kommentar, Art. 137 Anm. 11, S. 649. Zum entstehungsgeschichtlichen Hintergrund: Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 442 ff. 218 v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 GG Art. 137 WRV Rdn. 187; Nell-Breuning, HambgJb 15 (1970), 63 (65); v. Campenhausen, Münchener Gutachten, S. 158; Rüfner, NJW 1971, 15 (18 f.). 21 9 Marré, Besteuerungsrecht, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 37 S. 1101 (1112); Meyer-Teschendorf, Essener Gespräche 15 (1981), S. 9 (22 ff.), das der Staat u. a. durch die Zurverfügungstellung von Meldedaten erfüllt. Vgl. auch: Starck, Das deutsche Kirchensteuerrecht und die Europäische Integration, in: Festschrift Everling, S. 1427 (1428). 22 0 BVerfGE 19, 206 (217); BVerfGE 73, 388 (399). 22

1 BVerfGE 44, 37 (57); Jarras /Pieioth- Jarras, Art. 140 Rdn. 10; Schmidt-Bleibtreu/ Klein, Art. 140 Rdn. 7; v. Münch-Hemmrich, Art. 140 Rdn. 27; Sachs-Ehlers, Art. 140 Rdn. 21; Marré, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 37, S. 1101 (1111). 222 Nell-Breuning, HambgJb 15 (1970), 63 (65); Wagner, FR 1996,10 (10); v. Campenhausen, in: v. Mangoldt /Klein /Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Art. 140

60

2. Teil: Staatsleistungen - Versuch einer Bestandsaufnahme

benden Gestaltungsspielraum 223 sind jedoch zwei Grenzen gesetzt. Eine Grenze staatlicher Gestaltung ergibt sich aus Art. 137 Abs. 6 WRV selbst, der es dem Staat verwehrt, das Besteuerungsrecht abzuschaffen oder auszuhöhlen224. Eine zweite Grenze wird dem Gesetzgeber durch den Gedanken der Einheit der Verfassung gezogen. Durch den Inkorporationsvorgang sind die Art. 136-139 und 141 WRV Bestandteil des Grundgesetzes geworden, d. h. sie bilden mit diesem zusammen ein organisches Ganzes und sind daher „nach dem Sinn und dem Geist der grundgesetzlichen Werteordnung" 225 auszulegen. Dies heißt, dass die auf Grund des Art. 137 Abs. 6 WRV erlassenen landesrechtlichen Normen in Einklang mit den Verfassungsrechtssätzen, namentlich den Grundrechten des Grundgesetzes stehen müssen226. Neben der Beachtung insbesondere des Grundrechts aus Art. 4 GG sowie des Gebotes der staatlichen Neutralität, sowie des korporativen Selbstbestimmungsrechts der Kirchen aus Art. 4 Abs. 2 und Art. 137 Abs. 3 WRV, behält der Staat, der an die steuerberechtigten Religionsgemeinschaften seine Hoheitsbefugnisse delegiert, die verfassungsrechtliche Verantwortung dafür, dass diese Hoheitsrechte entsprechend den verfassungsrechtlichen Geboten ausgeübt, dass insbesondere die Grundrechte gewahrt werden 227 .

4. Die Exklusivität des Besteuerungsrechts als Recht der korporierten Religionsgemeinschaften Während der Kreis möglicher Empfänger von Staatsleistungen im ersten Zugriff verfassungsrechtlich nicht eingeschränkt ist, steht das Recht der Kirchensteuererhebung indes nur den Religionsgemeinschaften zu, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts innehaben228. Ihre formale Steuergläubigerschaft GG Art 137 WRV Rdn. 195; Marré , Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 37, S. 1101 (1111). A.A.: Maunz, in: ders./Dürig/Herzog (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 Rdn. 44, der eine konkurierrende Bundesgesetzgebungskompetenz annehmen will. 223 BVerfGE 19, 253 (258); BVerfGE 73, 388 (399); Jarras /Pieroth-Zamw, Art. 140 Rdn. 10; Sachs- Ehlers, Art. 140 Rdn. 21. 224 BVerfGE 19, 206 (218); v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 GG Art 137 WRV Rdn. 192. 225 BVerfGE 19, 226 (236). 226 BVerfGE 19, 206 (229); BVerfGE 19, 226 (236). Vgl. auch: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 140 Rdn. 8; v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 GG Art 137 WRV Rdn. 189. 227 Isensee, JuS 1980, 94 (98); List, BB 1997, 17 (19). 228 Zum ersten Überblick: Kirchhof, Die Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 22, S. 651 ff. Eine Aufstellung der steuererhebungsberechtigten Religionsgemeinschaften in den einzelnen Bundesländern findet sich bei Giloy/König, Kirchensteuerrecht, S. 16 ff.

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften

61

wird in der einfachgesetzlichen Konkretisierung der Kirchensteuergesetze zunehmend nicht mehr auf ortskirchlicher, sondern auf der Ebene der Bistümer und Landeskirchen angesiedelt229. Hinsichtlich des Erwerbs des Körperschaftsstatus fordert Art. 137 Abs. 5 WRV lediglich die Qualität einer Religionsgemeinschaft, die nach ihrer Verfassung und der Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauerhaftigkeit bieten muss 230 . Ob über die genannten geschriebenen Verleihungsvoraussetzungen zum Schutz vor missbräuchlicher Innehabung und Ausübung der mit dem Körperschaftsstatus verbundenen Rechte weitere, ungeschriebene Tatbestandsmerkmale zu fordern sind, war Gegenstand einer lebhaften Auseinandersetzung 231 in Folge einer Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung zur Frage der Verleihung der Körperschaftsrechte an die Zeugen Jehova 232 . Das Bundesverwaltungsgericht macht in dieser Entscheidung die Verleihung der Körperschaftsrechte, die es als Ausdruck eines Kooperationsverhältnisses zwischen Staat und korporierter Religionsgemeinschaften begreift, 233 neben dem aus dem Gedanken der Einheit der Verfassung abzuleitenden Kriterium der Rechtstreue der Religionsgemeinschaft 234 von ihrer Staatsloyalität abhängig 235 . Dass das Bundesverwaltungsgericht mit der Qualifikation des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts als Kooperationsverhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaft den Zweck des Körperschaftsstatus nicht zutref229 Vgl. nur § 2 Abs. 1 KiStG NW.; Marre, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Listl/ Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 37, S. 1101 (1117); ders., in: Tipke/ Lang, Steuerrecht, § 10 Rdn. 6. 230 Zum Begriff der Religionsgemeinschaft: Pieroth/Görisch, JuS 2002, 937 ff. Zur Verleihung grundsätzlich: Engelhardt, Kirchensteuerrecht, S. 40 ff., sowie: BVerfGE 102, 370 (384 ff.). 231 Zusammenfassend: Wilms, NJW 2003, 1083 ff.; Tillmanns, DÖV 1999, 441 ff.. Dem Bundesverwaltungsgerichtsverfahren liegt die Frage der Anerkennung der Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts zugrunde. Vgl. hierzu auch die veröffentlichten Gutachten auf Seiten der Antragsteller von Weber, ZevKR 41 (1996), 172 ff., sowie auf Seiten des Berliner Senats von Link, ZevKR 43 (1998), 1 ff. Vgl. auch die Nachweise in der folgenden Fußnote. 232 BVerwGE 105, 117 ff. - Körperschaftsstatus der Zeugen Jehovas. Dazu in der Literatur zust.: Hollerbach, JZ 1997, 1117 ff.; v. Campenhausen, BayVBl. 1999, 65 (70); Tillmanns, DÖV 1999, 441 ff.; Thüsing, DÖV 1998, 25 ff.; Abel, NJW 1997, 2370 ff. und auf Grund hauptsächlich historischer Interpretation der Bedeutung des Körperschaftsstatus: Muckel, Der Staat 38 (1999), 569 (571 ff.); Janssen, Staatskirchenrecht als Kollisionsrecht, in: Bohnert u. a. (Hrsg.), Verfassung - Philosophie - Kirche, Festschrift Hollerbach, S. 707 (709 ff.). Krit.: Huster, JuS 1998, 117 ff.; Morlok/Heinig, NVwZ 1999, 697 ff.; Robbers, Sinn und Zweck des Körperschaftsstatus, in: Festschrift Heckel, S. 411 ff.; Müller-Volbehr, NJW 1997, 3358 ff.; Janssen, Staatskirchenrecht als Kollisionsrecht, in: Bohnert u. a. (Hrsg.), Verfassung - Philosophie - Kirche, Festschrift Hollerbach, S. 707 (709 ff.). 233 BVerwGE 105, 117 (118 f., 124 ff.). 234 BVerwGE 105, 117 (119). Vgl. auch: Robbers, Sinn und Zweck des Körperschaftsstatus, in: Festschrift Heckel, S. 411 (413 m. w. N.). 235 BVerwGE 105, 117 (125 f.). In diese Richtung tendierte vor dem BVerwG auch schon Muckel, DÖV 1995, 331 (316).

62

2. Teil: Staatsleistungen - Versuch einer Bestandsaufnahme

fend erfasst hat 2 3 6 und dass es sich mit der Statuierung des Erfordernisses der Staatstreue nicht in den durch das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften aus Art. 137 Abs. 3 WRV und Art. 4 GG sowie durch das Neutralitätsprinzip 2 3 7 gesteckten Grenzen seines Interpretationsspielraumes bewegt, hat das Bundesverfassungsgericht mittelbar durch seine konsequente Bezugnahme des Art. 137 Abs. 5 WRV i. V. m. Art. 140 GG auf das Grundrecht der Religionsfreiheit zwischenzeitlich deutlich aufgezeigt 238. Indem es die ungeschriebenen Verleihensvoraussetzungen auf die Wahrung der fundamentalen Verfassungsprinzipien des Art. 79 Abs. 3 GG sowie die Achtung der Grundrechte Dritter beschränkte, hat das Gericht in gebotener Weise verhindert, dass das Verleihungsverfahren des Art. 137 Abs. 5 WRV zu einer umfassenden präventiven Staatsaufsicht mutierte. Alles andere würde auch dem Normzweck des Art. 137 Abs. 5 WRV nicht gerecht. Denn auch im Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nehmen Religionsgemeinschaften keine Staatsaufgaben wahr, sind nicht in die Staatsorganisation eingebunden und unterliegen folglich keiner staatlichen Aufsicht 239 . Indes: Diese Frage der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen und Grenzen des Anspruchs auf Verleihung der Körperschaftsrechte, wie auch der Einzelfragen des Verleihungsverfahrens, 240 können hier nicht weiterverfolgt werden, und sind für das Kirchensteuerrecht auch insoweit unerheblich, als es lediglich an das Ergebnis der Verleihung notwendig anknüpft.

5. Das Strukturmerkmal der Mitgliedschaftsakzessorietät und seine Probleme Der wesentliche Unterschied der Kirchensteuer zu Staatsleistungen ist ihre strenge Mitgliedschaftsakzessorietät 241. Diese hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung hervorgehoben 242. Die strenge Akzessorietät der Steuerschuldnerschaft zur Mitgliedschaft ist Ausfluss des Gebotes der weltanschaulichen Neutralität des Staates, das das Bundesverfassungsgericht aus einer Zusammenschau der Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 GG sowie der Art. 136 Abs. 1 und 4, Art 137 Abs. 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG dem Staat 236 Verneinend: Robbers, Sinn und Zweck des Körperschaftsstatus, in: Festschrift Heckel, S. 411 (415 ff.). 237 Verneinend: Huster, JuS 1998, 117 (120). 238 BVerfGE 102, 370 (387), nunmehr: BVerwG, Urt. v. 17. 5. 2001, NVwZ 2001, 924 ff. 239 BVerfGE 102, 370 (388); BVerfGE 66, 1 (19); BVerfGE 42, 312 (332); BVerfGE 30, 415 (428); BVerfGE 19, 1 (5); BVerfGE 18, 385 (386). Aus der Lit. statt vieler: v. Campenhausen, ZevKR 46 (2001), 165 (166 f.). 240 Dazu: Weber, ZevKR 34 (1989), 337 (361 ff.). 241 So grundsätzlich schon: Giese, Kirchensteuerrecht, S. 536 f., der die Ausnahmen von diesem Grundsatz schon als schwerwiegend, als prinzipienwidrig qualifiziert (daselbst, S. 538). 242 BVerfGE 19, 206 (216 f.); BVerfGE 19, 227 (237); BVerfGE 30,415 (421 ff.).

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften

63

als „Heimstatt aller Staatsbürger" 243 auferlegt 244 . Aus dieser Verpflichtung zur weltanschaulich-religiösen Neutralität ist abzuleiten, dass der Staat einer Religionsgemeinschaft keine Hoheitsbefugnisse gegenüber Personen verleihen darf, die dieser nicht angehören 245, und sie es also verbietet, dass Personen durch Besteuerung von Staats wegen zur finanziellen Unterstützung von Religionsgesellschaften herangezogen werden, denen sie nicht angehören 246. Dem Einzelnen erwächst eine grundrechtliche Position in Gestalt einer „negativen religiösen Finanzierungsfreiheit" 247. Diese grundrechtliche Position wird teilweise in Art. 4 Abs. 1 GG 2 4 8 , teilweise aber auch, zurückgehend auf die Verfassungsgerichtsentscheidung zur badischen Ortskirchensteuer, in Art. 2 Abs. 1 verortet 249 . Der eigenständige Anwendungsbereich des grundsätzlich subsidiären Art. 2 Abs. 1 GG wird damit begründet, dass dessen Anwendung nur ausgeschlossen ist, soweit eine Verletzung dieses Grundrechts und einer besonderen Grundrechtsnorm unter demselben sachlichen Gesichtspunkt in Betracht kommt 2 5 0 . Die Besteuerung eines Nichtmitgliedes sei als Eingriff in die individuelle Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG zu trennen von dem staatlichen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit, verstanden als Verbürgung eines Grundrechtes, nur auf Grund von Rechtsvorschriften zu Steuern herangezogen zu werden, die formell und materiell verfassungsgemäß sind 251 . Ein Eingriff hierin liege dann vor, wenn ein staatlicher Akt mit der durch das Grundgesetz festgelegten Ordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche unvereinbar 243 BVerfGE 19, 206 (216). 244 BVerfGE 19, 206 (216); Link, Kirchensteuer, in: EvStL, S. 1695 (1700); Marré, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 10 Rdn. 7; ders., Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 37, S. 1101 (1118 f.); Meyer, Kirchensteuerübersicht, NWB Fach 12, S. 1383 (1385). Für den hier vorliegenden Zusammenhang ist es unerheblich, ob es der Normzusammenschau wirklich bedarf, oder ob nicht der Rückgriff auf eine in Art. 4 Abs. 1 GG verortete negative Bekenntnisfreiheit zur Begründung der Mitgliedschaftsakzessorietät des Besteuerungsrechts hinreichend ist, so: Wagner, FR 1996, 10 (10, 17); Gehm, StuW 1999, 243 (248). 245 BVerfGE 19, 206 (216); Hemmrich, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Kommentar, Art. 140 Rdn. 17. 246 BVerfGE 30, 415 (421 f.); Schmidt-Bleibtreu/Klein, Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 Rdn. 8; Hofmann, Mitwirkung der Arbeitgeber, S. 14; v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 262; ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 GG Art 137 WRV Rdn. 201. 247 Bäcker, Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuerpflicht, S. 17; Haß, Kirchenmitgliedschaft, S. 67 ff.; Listl, Das kirchliche Besteuerungsrecht in der neueren Rechtsprechung, in: Festschrift Mikat, S. 579 (581); v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 GG Art 137 WRV Rdn. 193. 248 BVerfGE 44, 37; 73, 388; v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Art. 44 Rdn. 22. 249 BVerfGE 19, 206, 215 f.; 19, 226, 237; 19, 253, 257; 19, 268, 273. 250 BVerfGE 19, 206. 251 BVerfGE 19, 206 (216).

64

2. Teil: Staatsleistungen - Versuch einer Bestandsaufnahme

sei 2 5 2 . Diese Verortung der negativen Finanzierungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG führt über das Schrankenverständnis der verfassungsmäßigen Ordnung konsequent zur Versubjektivierung des objektiv-rechtlichen Verfassungsgrundsatzes der Trennung von Staat und Kirche aus Art. 140 i. V. m. Art. 137 Abs. 1 WRV und damit zur Rügbarkeit desselben im Wege des Verfassungsbeschwerde Verfahrens 253. Vermittelnde Auffassungen unterstellen die Freiheit, nicht zur Finanzierung einer fremden Religionsgemeinschaft herangezogen zu werden, demgegenüber dann Art. 4 Abs. 1 bzw. 2 GG, wenn die finanzielle Leistungspflicht in einem konkreten Zusammenhang mit einem Glaubens-, Gewissens- oder Bekenntnisakt steht, und ziehen in den übrigen Fällen Art. 2 Abs. 1 GG heran 254 . Der Weg der Verbürgung der negativen Finanzierungsfreiheit einzig in Art. 4 Abs. 1 GG ist indes vorzugswürdig. Diese normative Anbindung in Art. 4 Abs. 1 GG ist die notwendige Folge der Überführung der staatlichen Neutralität als Ausdruck eines bestimmten Staats-Kirchen-Verhältnisses in Art. 4 Abs. 1 GG in Form der Freiheit, fremde Glaubensüberzeugungen nicht teilen bzw. unterstützen zu müssen. Sie nimmt damit an dem subjektiv-rechtlichen Gehalt des Art. 4 Abs. 1 GG teil, ohne dass es des Umwegs über Art. 2 Abs. 1 GG bedürfte. Das Abstellen auf Art. 2 Abs. 1 GG bedingt die Eröffnung eines eigenständigen Anwendungsbereiches desselben neben Art. 4 Abs. 1 GG und verkennt dabei den in allen Fällen der negativen Finanzierungsfreiheit vorliegenden, sachlichen Bezug zwischen dem Grundrecht und den Grenzen der Verleihung des Besteuerungsrechts aus Art. 137 Abs. 6 WRV, die dem Staat aus seiner Neutralitätspflicht gezogen sind. Auch die differenzierende Betrachtungsweise, die einen engen Bezug zu einem spezifischen Bekenntnisakt fordert, verkennt, dass die negative Finanzierungsfreiheit immer Formen der Besteuerung Mitgliedsfremder qua staatlich verliehenem Besteuerungsrechts der Religionsgemeinschaften zum Gegenstand hat, dessen materielles Substrat gerade aus den den Religionsgemeinschaften nach eigenem Selbstverständnis zukommenden Finanzierungspflichten der Religionsgenossen fließt und damit notwendig immer einen unmittelbaren Bezug zu eben diesem Ausdruck der kollektiven Religionsfreiheit aufweist.

a) Mitgliedschaftserwerb Konstitutives Element der Schuldnerschaft ist mithin die formelle Mitgliedschaft in einer steuererhebungsberechtigten Religionsgemeinschaft 255. Hinsichtlich deren Tatbestandsmerkmale knüpft der Gesetzgeber an den jeweiligen Mitglied252 BVerfGE 19, 206 (225). 253 Vgl. auch Haß, Kirchenmitgliedschaft, S. 69. 254 So: AK-Preuß, Art. 4 Rdn. 21. 255 Maunz, in: ders./Dürig/Herzog (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 Rdn. 49; Wagner, FR 1996, 10 (10); Marré, Kirchenfinanzierung, S. 43; Giloy/König, Kirchensteuerrecht, S. 8.

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften

65

schaftsbegriff der Religionsgemeinschaft an, ohne ihn selbst zu definieren 256 . So unterwirft beispielsweise § 3 Abs. 1 KiStG NW „alle Angehörigen der Katholischen Kirche und der Evangelischen Kirche, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Sinn der §§ 8 und 9 der Abgabenordnung im Land NordrheinWestfalen haben" der Kirchensteuerpflicht 257. Unter welchen Voraussetzungen eine Person als „Angehöriger" der genannten Religionsgemeinschaften anzusehen ist, wird durch die Norm nicht geregelt. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, denn die Regelung des Mitgliedschaftsrechts einschließlich der Voraussetzungen und Formen für Eintritt, Austritt und Ausschluss sowie des Inhalts der Mitgliedschaftsrechte und -pflichten zählt zu den eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WRV i. V. m. Art. 140 GG, die diese nach ihrem jeweiligen theologischen Selbstverständnis innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze selbst ordnen 258 . Eine staatliche Anknüpfung an kirchenrechtlich, innerkirchlich definierte und konturierte Begriffe bedeutet keine neutralitätswidrige Identifizierung des Staates mit der Kirche, 259 sondern beweist vielmehr jene für gemeinsame Angelegenheiten typische Gemengelage staatlicher und kirchlicher Normsetzungs- und Interpretationsbefugnis in Gestalt der Verweisung des staatlichen Kirchensteuergesetzes auf den kirchlichen Tatbestand der Kirchenmitgliedschaft 260. Als Grenze der staatlichen Anerkennung einer innerkirchlichen Mitgliedschaftsregelung fungieren die Grundrechte, insbesondere Art. 4 Abs. 1 und 2 GG 2 6 1 . Vorbehaltlich näherer Konkretisierung des Gewährleistungsgehalts garantiert Art. 4 GG mit der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit und mit der ungestörten Religionsausübung einen von staatlicher Einflussnahme freien Raum, in dem jeder sich eine Lebensform geben kann, die seiner religiösen und weltanschaulichen Überzeugung entspricht 262 . Jeder darf danach über sein Bekenntnis und seine Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, die durch dieses Bekenntnis 256 Engelhardt, ZevKR 41 (1996), 142 (144); Bäcker, Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuerpflicht, S. 3 ff.; Engelhardt, Kirchensteuerrecht, S. 61 ff. 257 Eine Aufstellung der jeweiligen Anknüpfungsnormen in den Kirchensteuergesetzen der Länder findet sich bei Giloy/König, Kirchensteuerrecht, S. 26. 258 BVerfGE 30, 415 (422); Haß, Kirchenmitgliedschaft, S. 24 ff.; v. Campenhausen, Staatskirchenrechtliche Bedeutung des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 26, S. 756; Engelhardt, ZevKR 41 (1996), 142 (144). 259 BVerfGE 30, 415 (422); Schmidt-Bleibtreu/Klein (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 Rdn. 8. 260 Rausch, ZevKR 36 (1991), 337 (343); v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 GG Art 137 WRV Rdn. 201. 261 BVerfGE 19, 206 (217); BVerfGE 30,415 (422); Haß, Kirchenmitgliedschaft, S. 53 ff., 58 ff.; v. Campenhausen, Staatskirchenrechtliche Bedeutung des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 26, S. 757; Rausch, ZevKR 36(1991), 337 (343). 262 BVerfGE 30,415 (423). 5 Droege

66

2. Teil: Staatsleistungen - Versuch einer Bestandsaufnahme

bestimmt i s t 2 6 3 , selbst und frei von staatlichem Zwang entscheiden 2 6 4 . Da die steuererhebungsberechtigten Religionsgemeinschaften bei der Ausübung des ihnen vom Staat verliehenen Hoheitsrechtes der Besteuerung prinzipiell den gleichen Grenzen unterliegen, die auch dem Staat gezogen s i n d 2 6 5 , verbietet Art 4 Abs. 1 und 2 GG dem Staat als Grundlage für die Kirchensteuerpflicht eine kirchliche Mitgliedschaftsregelung heranzuziehen, die eine Person einseitig und ohne Rücksicht auf ihren Willen der Kirchengewalt unterwirft 2 6 6 . Verfassungswidrig ist daher die Anknüpfung einen Mitgliedschaftserwerb durch Geburt oder Abstammung 2 6 7 . Unabdingbare Voraussetzung der Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft ist somit, sofern der Mitgliedschaft Pflichten erwachsen sollen, die i m staatlichrechtlichen Bereich Wirkungen zeitigen sollen, ein freier Willensentschluss, eine Willenserklärung des jeweiligen Mitglieds. Christliche Religionsgemeinschaften knüpfen für die Entstehung der Mitgliedschaft 2 6 8 neben dem Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt an Bekenntnis 2 6 9 und die Taufe a n 2 7 0 , der die Taufbitte, d. h. eine auf den Erwerb der Mitgliedschaft in der Religionsgemeinschaft gerichtete Willenserklärung, des erwachsenen Taufwilligen bzw. die Erklärung der Eltern als Vertreter für das religionsunmündige K i n d vorausgeht 2 7 1 . 263 Heckel, Das Bekenntnis - ein Vexierbild des Staatskirchenrechts, in: Bohnert u. a. (Hrsg.), Verfassung - Philosophie - Kirche, Festschrift Hollerbach, S. 657 ff., zur heutigen Bedeutung des Begriffs: S. 682 ff. 264 BVerfGE 30, 415 (423); Marré, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 37, S. 1101 (1119). 2 65 Weber, ZevKR 17 (1972), 386 ff.; ders., ZevKR 42 (1997), 282 ff.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1, § 72IV, S. 1210 ff. 2 66 BVerfGE 19, 206 (217); BVerfGE 30, 415 (423); vgl. auch: Rausch, ZevKR 36 (1991), 337 (343 f.); Hemmrich, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Kommentar, Art. 140 Rdn. 32; Busse, Gemeinsame Angelegenheiten, S. 180; Engelhardt, Kirchensteuerrecht, S. 63.; Marré, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 37, S. 1101 (1119); Haß, Kirchenmitgliedschaft, S. 151 ff., 159. 2 67 BVerwGE 21, 330; v. Campenhausen, Staatskirchenrechtliche Bedeutung des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 26, S. 755 (771 ff., hinsichtlich der Mitgliedschaft in israelischen Kultusgemeinden); ders., Staatskirchenrecht, S. 171 f. A.A.: VG Frankfurt am Main, Urt. v. 12. 8. 1982, in: KirchE 20, 97, zust.: Listl, Das kirchliche Besteuerungsrecht in der neueren Rechtsprechung, in: Festschrift Mikat, S. 579 (584). 268

Grundlegend zur Mitgliedschaft in der katholischen Kirche: v. Campenhausen, Staatskirchenrechtliche Bedeutung des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 26, S. 755 (758 ff.); Haß, Kirchenmitgliedschaft, S. 239 ff. und zur Mitgliedschaft in den evangelischen Kirchen: ders., daselbst, S. 762 ff.; Engelhardt, Kirchensteuerrecht, S. 65 ff.; Haß, Kirchenmitgliedschaft, S. 78 ff. 269 Vgl. dazu nur: Heckel, Das Bekenntnis - ein Vexierbild des Staatskirchenrechts?, in: Bohnert (Hrsg.), Verfassung - Philosophie - Kirche, Festschrift für Alexander Hollerbach, S. 657 ff. 2 ?o Näher: Engelhardt, ZevKR 41 (1996), 142 (145 ff.); ders., Kirchensteuerrecht, S. 72 ff.; Haß, Kirchenmitgliedschaft, S. 123 ff.

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften

67

Da Gläubiger der Kirchensteuer die Diözesen bzw. Landeskirchen oder örtlichen Kirchengemeinden sind, tritt das Kriterium der örtlichen Beziehung des Steuerpflichtigen zu dem Kirchensteuergläubiger hinzu. Ein räumlicher Wechsel über das Gebiet der zuvor kirchensteuerberechtigten Diözese, Landeskirche oder Gemeinde kann durch Auswechselung des Steuergläubigers zu einer Einwirkung auf den Bestand des Kirchensteuerverhältnisses führen, nehmen doch die jeweiligen Kirchensteuergläubiger auf Grund ihres Parochialrechtes, d. h. die von einer weiteren Willenserklärung unabhängige Aufnahme Zugezogener in die jeweilige örtlich bestehende Gemeinde gleichen Bekenntnisses,272 das Recht für sich in Anspruch, Zugezogene ohne hinzutretenden Willensakt zur Kirchensteuer heranzuziehen 2 7 3 . Der Ortswechsel im Bereich der katholischen Kirche stellt insoweit kein Problem dar, als die katholische Kirche Weltkirche ist 2 7 4 und somit ein Ortswechsel die Kirchenmitgliedschaft völlig unberührt lässt, so dass zwar eine andere Organisationseinheit, in Form einer anderen Diözese, jedoch noch immer dieselbe Kirche Steuergläubiger ist 2 7 5 . Anders stellt sich die Situation bei den evangelischen Kirchen dar 2 7 6 . Die deutschen evangelischen Landeskirchen sind rechtlich organisierte, territorial umgrenzte in der Evangelischen Kirche in Deutschland zusammengeschlossene Teile (ecclesiae particulares) der Weltchristenheit (ecclesia universalis), die in ihrer Vielfalt jedoch keine rechtliche Einheit bildet 277 . Mangels der rechtlichen Existenz einer evangelischen Weltkirche tangiert der über das Territorium einer Partikularkirche vollzogene Ortswechsel somit das kirchliche Mitgliedschaftsrecht. Wenn also eine parochialrechtliche Erfassung Zugezogener ohne hinzutretende darauf gerichtete Willenserklärung des potentiellen Neumitgliedes stattfände, würde es an der unabdingbaren freien Willensentscheidung des Einzelnen zur Begründung der Mitgliedschaft fehlen, so dass eine Zwangsmitgliedschaft vorläge 278 . Diese kann der Staat als Anknüpfungspunkt der Steuerpflicht nicht heranziehen. 271 Obermeyer, NVwZ 1985, 77 (78); Wagner, FR 1996, 10 (13); Listl, Das kirchliche Besteuerungsrecht in der neueren Rechtsprechung, in: Festschrift Mikat, S. 579 (583); Marre, Kirchenfinanzierung, S. 44. Zu den Mitgliedschaftskriterien vgl. auch: Rausch, ZevKR 36 (1991), 337 (342 ff.). 272 So die Definition von v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 174. 273 Grundlegend: Rausch, ZevKR 36 (1991), 337 ff. 274 v. Campenhausen, Staatskirchenrechtliche Bedeutung des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 26, S. 755 (758 ff.); Engelhardt, Kirchensteuer in den neuen Bundesländern, S. 36. 275 v. Campenhausen, Staatskirchenrechtliche Bedeutung des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 26, S. 755 (758 ff., 773); Wagner, FR 1996, 10 (13). 276 Rausch, ZevKR 36 (1991), 337 (342 ff.); Bäcker, Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuerpflicht, S. 37 ff.; Haß, Kirchenmitgliedschaft, S. 100 ff. 277 v. Campenhausen, Staatskirchenrechtliche Bedeutung des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 26, S. 755 (765). 278 Engelhardt, NVwZ 1992, 239 (240); ders., ZevKR 41 (1996), 142 (155). 5*

68

2. Teil: Staatsleistungen - Versuch einer Bestandsaufnahme

Allerdings ist ein Übergang der Mitgliedschaft ohne hinzutretenden Willensakt unproblematisch, sofern hierüber kirchenrechtliche Normierungen getroffen sind 279 . Abgebende und aufnehmende Kirche sind frei, Vereinbarungen darüber zu treffen, dass umziehende Mitglieder wechselseitig die Mitgliedschaft erwerben. Einer solchen Vereinbarung ist das umzugswillige Mitglied insoweit unterworfen, als es kirchenrechtlich an die Rechtsakte der Kirche, der es kraft freien Willensentschlusses angehört, gebunden ist 2 8 0 . Folgerichtig sind im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland die Probleme des Wohnsitzwechsels dahingehend entschärft, dass die EKD eine rechtlich verfasste Einheit über den Landeskirchen darstellt und durch Vereinbarung der Gliedkirchen die Frage der mitgliedschaftlichen Behandlung Zuziehender geklärt ist 2 8 1 . Diese Vereinbarung ist in das Kirchengesetz der EKD über die Kirchenmitgliedschaft, das kirchliche Meldewesen und den Schutz der Daten der Kirchenmitglieder vom 10. 11. 1976 überführt worden 282 . Gem. § 8 Abs. 1 KMitG setzt sich bei einem Wohnsitzwechsel in den Bereich einer anderen Gliedkirche die Kirchenmitgliedschaft in der Gliedkirche des neuen Wohnsitzes fort. Wobei als Ausdruck der Bekenntnisfreiheit der Zuziehende gem. § 8 Abs. 1 Satz 2 KMitG EKD berechtigt ist, seine Zugehörigkeit zu einer anderen evangelischen Kirche seines neuen Wohnortes zu erklären (sog. „votum negativum") 283 . Problematisch ist jedoch die parochialrechtliche, 284 automatische Erfassung solcher Zuziehender, die etwa im Ausland einer evangelischen Kirche angehörten, mit der jedoch keine der eben genannten Vereinbarung entsprechende Regelung besteht. Hier lässt das Bundesverwaltungsgericht 285 unter Zustimmung von Teilen der Literatur 286 den Akt des Zuzuges genügen, sofern das Kirchenmitglied qua Taufe einer ausländischen evangelischen Kirche angehörte und zwischen dieser und der Kirche des neuen Aufenthaltsortes Bekenntnisidentität287 besteht. Gefor279 Engelhardt, NVwZ 1992, 239 (241); Obermeyer, NVwZ 1985, 77 (78). 280 Engelhardt, NVwZ 1992, 239 (240). 281 „Vereinbarung über die Kirchenmitgliedschaft", ZevKR 16 (1971), 35 ff. dazu: Rausch, ZevKR 36 (1991), 337 (341 f.); v. Campenhausen, Staatskirchenrechtliche Bedeutung des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 26, S. 755 (766 ff.). 282 ABl. EKD 1976, S. 389; dazu auch: Engelhardt, NVwZ 1992, 239 (240). 283 Dazu: Rausch, ZevKR 36 (1991), 337 (379 ff.); v. Campenhausen, Staatskirchenrechtliche Bedeutung des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 26, S. 755 (767 f.). 284 v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 174 285 BVerwG, Urt. v. 12. 4. 1991, NVwZ 1992, 66 f.; vgl. auch: BFH, Urt. v. 18. 1. 1995, ZevKR 40 (1996), 354 ff. mit zust. Anm. Meyer. 286 v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 175 m. w. N.; Wagner, FR 1996,10 (15), der jedoch dem BVerwG nur im Ergebnis nicht aber in der Begründung folgen will. 287 Bzw. weitergehend gar nur Bekenntnisverwandtschaft besteht: Rausch, ZevKR 36 (1991), 337 (356). Das Bundesverwaltungsgericht spricht insoweit mißverständlich von einer „konfessionellen Beziehung" (BVerwG, NVwZ 1992, 66; dazu krit.: Wagner, FR 1996,10

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften

69

dert wird also insbesondere keine zwischenkirchliche normative Regelung und keine erneute Erklärung über die Kirchenmitgliedschaft 2 8 8 . Dieser Rechtsprechung ist jedoch entgegenzuhalten, dass sie die Reichweite des Erfordernisses eines freien Willenaktes zur Begründung einer Kirchenmitgliedschaft verkennt 2 8 9 . Die Zugehörigkeit zu einer ausländischen Religionsgemeinschaft kann den Willen zum M i t gliedschaftserwerb nicht schon dann ersetzen, wenn die Glaubensgrundsätze dieser Religionsgemeinschaft mit denen einer deutschen übereinstimmen 2 9 0 . Es ist vielmehr entweder eine rechtsverbindliche Regelung der ausländischen Kirche, durch die ihr wegziehendes Mitglied der bekenntnisgleichen 291 Kirche seines neuen Wohnsitzes eingegliedert w i r d , 2 9 2 oder eine erneute Willenserklärung des Zuziehenden zu fordern 2 9 3 . Neben dem durch Wohnortwechsel begründeten Wechsel der Kirchensteuergläubigerschaft führt auch der Kirchenübertritt zum bloßen Wechsel der Gläubigerstellung, sofern er mangels religionsgemeinschaftlicher Regelung nicht zwingend mit Aus- und erneutem Eintritt verbunden i s t 2 9 4 .

(15)). Zur Frage der Feststellung der Bekenntnisidentität bzw. -Verwandtschaft: Rausch, ZevKR 36 (1991), 337 (358 ff.); Haß, Kirchenmitgliedschaft, S. 181 ff. 288 BVerwG, Urt. vom 12.4. 1991, NVwZ 1992, 66 (67). 289 Vgl. auch: Ehlers, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 Rdn. 22 m. w. N. in Fn. 134. 290 Engelhardt, NVwZ 1992, 239 (240); Ehlers, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 Rdn. 22; Haß, Kirchenmitgliedschaft, S. 177 ff., 254. 291 Zur Bedeutung der Leuenburger Konkordie zur Feststellung der Bekenntnisidentität: BVerwG, Urt. vom 12. 04. 1991, NVwZ 1992, 66 (67); Rausch, ZevKR 36 (1991), 337 (374 ff.). Entgegen der Auffassung des BVerwG kommt der Leuenberger Konkordie eine rechtliche Qualität im Sinne einer interkirchlichen Vereinbarung nicht zu (so auch: Engelhardt, NVwZ 1992, 239 (241); Haß, Kirchenmitgliedschaft, S. 191). Die Leuenberger Konkordie ist primär die Formulierung eines Lehrkonsenses, dessen rechtliche Aussagen zur Statuierung einer Kirchengemeinschaft als Gemeinschaft aus gemeinsamen Zeugnis und Dienst weder theologisch noch rechtlich abschließend sind. Dazu: Lingner, ZevKR 25 (1980), 337 (349 f.). 292 So auch: Engelhardt, NVwZ 1992, 239 (240); Obermeyer, NVwZ 1985, 77 (79, 81). Eine solche Vereinbarung setzt auch der Mitgliedschaftserwerb nach § 9 Abs. 2 KMitG EKD voraus. 293 So jetzt auch § 9 Abs. 1 KMitG EKD. Fraglich ist jedoch, ob die gesetzliche Fiktion einer solchen Erklärung durch die Angabe der Konfessionszugehörigkeit gegenüber der staatlichen Meldebehörde gem. § 9 Abs. 3 KMitG EKD bedenkenfrei ist. Dazu: Obermeyer, NVwZ 1985, 77 (80); Engelhardt, ZevKR 41 (1996), 142 (156 f.); Haß, Kirchenmitgliedschaft, S. 193 ff., 197 und andererseits: Rausch, ZevKR 36 (1991), 337 (382 ff.). Eine Erklärung bei bloßer Bekenntnisähnlichkeit fordert auch: Wagner, FR 1996, 10 (15). 294 Wagner, FR 1996, 10 (16); Bäcker, Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuerpflicht, S. 104 ff. Grundlegend zum Übertritt: Robbers, ZevKR 32 (1987), 19 ff. (insbes. 28 ff., 39 ff.); Haß, Kirchenmitgliedschaft, S. 210 ff.

70

2. Teil: Staatsleistungen - Versuch einer Bestandsaufnahme

b) Mitgliedschaftsende: Kirchenaustritt Die Mitgliedschaftsakzessorietät der Kirchensteuer führt nicht nur bei der Begründung der Mitgliedschaft, sondern auch an ihrem Ende an die Grenzen der Vereinbarkeit des verfassungsrechtlich und des vom religionsgemeinschaftlichen Selbstverständnis Gebotenen. Hat der Staat die Frage des Erwerbes der Kirchenmitgliedschaft gänzlich den Religionsgemeinschaften überlassen, so findet sich bei der Frage der Umstände des Verlustes derselben durch Austritt eine teilweise staatliche Normierung 295 in Gestalt der Regelung des Austritts mit „bürgerlicher Wirkung" 296 . Diese teilweise staatliche Normierung entspricht der Forderung der Glaubens- und Gewissensfreiheit, die auch das Recht umfasst keinen Glauben zu bekennen und die Kirche zu verlassen 297. Der Grund für die staatliche Normierung liegt darin, dass einige Religionsgemeinschaften die Möglichkeit des Kirchenaustritts nicht kennen 298 . Die Kirchenmitgliedschaft wird nach innerreligionsgemeinschaftlichem Verständnis also unter Umständen auch aufrechterhalten, wenn das Mitglied seinen Willen, Mitglied in der entsprechenden Kirche zu sein, aufgegeben hat 2 9 9 . Wie gezeigt, verbietet Art. 4 GG dem Staat eine Anknüpfung an das Mitgliedschaftsrecht mit staatlichen Wirkungen, sobald dieses derart in eine Zwangsmitgliedschaft umschlägt 300 . Daher muss der Staat, wenn er wie mit dem Besteuerungsrecht, staatliche Zwangsmittel zur Durchsetzung der aus der Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft fließenden Pflichten bereitstellt, die Möglichkeit der Austritts aus derselben eröffnen 301 . Der Austritt auf Grund der entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen erfolgt mit Ausnahme Bremens durch formbedürftige Erklärung gegenüber staatlichen Stellen 302 und bewirkt, dass die betref295

Zu den einzelnen einfachgesetzlichen Grundlagen siehe die Zusammenstellung bei: v. Campenhausen, Austritt aus den Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 27, S. 777 (783 ff.). 296

v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 165; Bäcker, Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuerpflicht, S. 88 ff.; Engelhardt, Kirchensteuerrecht, S. 89 ff. 297 v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 165. 298 Marré, Kirchenfinanzierung, S. 45; v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 177; ders., Austritt aus den Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 27, S. I I I ( I I I ) . 299 Engelhardt, Kirchensteuer in den neuen Bundesländern, S. 39 f. 300 Vgl. BVerfGE 30,415 (423 ff.). 301

Marré, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 37, S. 1101 (1120). 302 Vgl.: Engelhardt, Kirchensteuerrecht, S. 90; v. Campenhausen, Austritt aus den Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 27, S. III (779 f.); ders., Staatskirchenrecht, S. 167 f. Diese Formalien unterliegen verfassungspolitischer Kritik, insofern als ihnen eine illegitime „Abschreckungswirkung" beigemessen wird, vgl. Renck, DÖV 1995, 373 (375). Dagegen: Häußler, DÖV 1995, 985 ff.; v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 177 f.

1. Abschn.: Finanzierung von Religionsgemeinschaften

71

fende Person - unbeschadet der Rechtslage nach kirchlichem Recht 303 - vom Staat und seinen Behörden nicht mehr länger als Angehöriger der betreffenden Religionsgemeinschaft angesehen und behandelt wird 3 0 4 . Eine Durchsetzung seiner Mitgliedschaftspflichten durch staatlichen Zwang ist damit ausgeschlossen305. Von dieser staatlichen Wirkung des Kirchenaustritts ist die kirchenrechtliche Ebene zu unterscheiden 306 und auch rechtslogisch unterscheidbar 307. Den Religionsgemeinschaften bleibt aber unbenommen ihrerseits den staatlichen Austritt als Beendigungsgrund der Kirchenmitgliedschaft anzusehen, so geschehen in § 10 Nr. 3 KMitG EKD. Für den staatlichen Bereich - und damit auch für den hier einzig interessierenden Bereich der Kirchensteuerschuldnerschaft - kommt es auf die Frage, ob durch das staatliche Kirchenaustrittsrecht ein eigenständiges Mitgliedschaftsverhältnis limitiert auf die Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts geschaffen wird, indes nicht an 3 0 8 . Auseinandersetzungen um den sogenannten „modifizierten" Kirchenaustritt, d. h. eine Austrittserklärung, die der Austrittswillige ausdrücklich auf die Religionsgemeinschaft in ihrer Eigenschaft als kirchensteuererhebungsberechtigte Körperschaft des öffentlichen Rechts beschränkt und damit ein unbeeinträchtigtes Fortbestehen seiner kirchenrechtlichen Mitgliedschaft zu erreichen sucht, 309 sind durch die Austrittsgesetze der Länder weitgehend entschärft worden. Diese sehen 303

Dazu vgl.: v. Campenhausen, Austritt aus den Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 27, S. I I I (783). 304 BVerfGE 30, 415 (426); v. Campenhausen, Der Austritt aus den Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts, § 27, S. 777 (780); ders., DÖV 1970, 801 (804); Wagner, FR 1996,10 (16); Häußler, DÖV 1995, 985 (986); Engelhardt, Kirchensteuer in den neuen Bundesländern, S. 40; Marré, Kirchenfinanzierung, S. 45; v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 168. 305 v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Art. 140 GG Art. 137 Abs. 6 WRV, Rdn. 65.; Wagner, FR 1996,10 (16); Strätz, NJW 1971, 2193 (2198). 3