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German Pages 207 Year 2006
Schriften zum Völkerrecht Band 165
Staatliches Selbstverteidigungsrecht gegen terroristische Gewalt Von
Michael Scholz
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
MICHAEL SCHOLZ
Staatliches Selbstverteidigungsrecht gegen terroristische Gewalt
Schriften zum Völkerrecht Band 165
Staatliches Selbstverteidigungsrecht gegen terroristische Gewalt
Von
Michael Scholz
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2005 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 3-428-12180-5 978-3-428-12180-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Wintersemester 2005/2006 als Dissertation angenommen. Sie wurde für die Veröffentlichung auf den Stand von Januar 2006 gebracht. Danken möchte ich an dieser Stelle meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Christian Hillgruber für die intensive Betreuung der Arbeit und deren zügige Begutachtung. Er hat mich durch zahlreiche wertvolle Anregungen stets unterstützt und meine Arbeit vorangetrieben, ohne mich jemals in meiner wissenschaftlichen Freiheit zu beschränken. Mein Dank gilt ebenfalls Herrn Richter des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio für die zügige Erstellung des freundlichen Zweitgutachtens. Entstanden ist die Arbeit während und nach meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der rechtswissenschaftlichen Abteilung am Zentrum für Europäische Integrationsforschung in Bonn, dessen Leiter Herrn Prof. Dr. Christian Koenig LL.M. ich ebenfalls für die umfangreiche wissenschaftliche und persönliche Förderung danken möchte. Schließlich wurden das Entstehen und der Druck der Arbeit finanziell großzügig gefördert durch die Konrad-Redeker-Stiftung und die Karl-Theodor-Molinari-Stiftung, die die Veröffentlichung dieser Arbeit ermöglicht haben. Meine Eltern, denen ich so vieles verdanke, haben mir während der Entstehung dieser Arbeit stets Mut zugesprochen und mir viel Hilfe angedeihen lassen. Diese Arbeit widme ich meiner lieben Frau Kira. Sie hat mich mit viel Liebe und unermüdlicher Unterstützung durch die Promotionszeit begleitet und mir zahlreiche Denkanstöße gegeben. Hamburg, im März 2006
Michael Scholz
Inhaltsverzeichnis Einführung
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A. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das staatliche Selbstverteidigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Terroristische Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschränkung des Untersuchungsgegenstands auf nichtstaatliche Gewalt . 2. Umfassende Betrachtung aller Formen nichtstaatlicher Gewalt . . . . . . . . . . . . a) Zur möglichen Geltung von Sonderbefugnissen gegen den internationalen Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur möglichen Einschränkung der Verteidigungsbefugnisse gegen „legitime Gewalt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 1 Allgemeine Fragen der rechtlichen Zulässigkeit grenzüberschreitender Verteidigungseinsätze gegen Terroristen
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A. Die Geltung des Gewaltverbots zugunsten des Aufenthaltsstaats privater Angreifer . I. Zur möglichen Zulässigkeit einer teleologischen Reduktion des Gewaltverbots II. Die teleologische Reduktion des Gewaltverbots nach der Aussonderungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Die Zulässigkeit von Verteidigungsmaßnahmen nach Art. 51 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Ausschließlichkeit der satzungsrechtlichen Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Erfordernis der staatlichen Zurechenbarkeit der Gewaltakte . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bedeutung der Zurechnungskriterien für das staatliche Selbstverteidigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Darstellung der Zurechnungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Zurechnungsregeln nach den allgemeinen Resolutionen der Vereinten Nationen im Bereich des Gewaltverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die staatliche Zurechenbarkeit nach der „Friendly Relations Declaration“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die staatliche Zurechenbarkeit nach der Aggressionsdefinition . . . cc) Die staatliche Zurechenbarkeit nach der Sicherheitsresolution 1373 (2001) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis b) Die Bestimmung der Zurechnungsregeln anhand der Staatenpraxis und Organpraxis der Vereinten Nationen in einzelnen Konfliktfällen . . . . . . . . aa) Konflikt zwischen Frankreich und Tunesien im Jahr 1958 . . . . . . . . . bb) Konflikt zwischen den USA und Nicaragua in den 1980er Jahren . (1) Die Auffassungen der am Konflikt beteiligten Staaten . . . . . . . . . (2) Aussagen des IGH hinsichtlich der staatlichen Zurechenbarkeit cc) Rechtsprechung der Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien in der Sache Prosecutor v. Tadic . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Konflikt zwischen dem Iran und dem Irak im Juni 1999 . . . . . . . . . . . ee) Konflikt zwischen den USA und Afghanistan im Jahr 2001 . . . . . . . . ff) Konflikt zwischen Israel und Syrien im Oktober 2003 . . . . . . . . . . . . . gg) Konflikte ohne tatsächliche Inanspruchnahme des Selbstverteidigungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die staatliche Zurechenbarkeit nach dem Entwurf der International Law Commission über das Recht der Staatenverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . aa) Darstellung der Zurechnungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Problematik des failing und des failed state . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung der bestehenden Zurechnungsregeln im Bereich des Gewaltverbots und kritische Würdigung im Hinblick auf die schutzwürdigen Belange des angegriffenen Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 2 Völkerrechtstheoretische Überlegungen zur Modifizierung der Zurechnungsregeln A. Modifizierungsvorschläge in der völkerrechtlichen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zurechnung kraft rechtswidrigen Unterlassens der Erfolgsverhinderung . . . . . . . II. Zurechnung nach den Grundsätzen der staatlichen Gefährdungshaftung . . . . . . . III. Modifizierung des Zurechnungskriteriums „de facto-Organ“ für den Bereich des internationalen Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Zum grundsätzlichen Zusammenhang von Zurechnungskriterien und staatlichem Selbstverteidigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kritische Folgenbetrachtung bei einer Aufweichung der Zurechnungskriterien 1. Die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Selbstverteidigungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Folgen für das Ausmaß der Verteidigungsmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgen für die zeitliche Ausdehnung der Verteidigungsmaßnahme . . . . . . . . . II. Die rechtliche Funktion der Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis und Überleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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Kapitel 3 Die Zulässigkeit von Verteidigungsmaßnahmen gegen staatlich nicht zurechenbare Gewalt A. Textauslegung von Art. 51 SVN hinsichtlich des Erfordernisses der Staatlichkeit bewaffneter Angriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grammatikalische und systematische Auslegung des Art. 51 SVN . . . . . . . . . . . . . II. Teleologische Auslegung des Art. 51 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Frage der Notwendigkeit eines staatlichen Völkerrechtsverstoßes . . . . . 2. Zur Schutzfunktion des Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 SVN . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Historische und genetische Auslegung des Art. 51 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Entwicklung des Selbstverteidigungsrechts bis zur Gründung der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Inanspruchnahme eines Selbstverteidigungsrechts in der vorsatzungsrechtlichen Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Selbstverteidigungsrecht in ausgewählten Bündnisverträgen des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Begriff des „Angriffs“ in der „Litvinov-Definition“ . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Selbstverteidigungsrecht nach der Satzung des Völkerbundes und dem Briand-Kellogg-Pakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zusammenfassung der historischen Entwicklung des Selbstverteidigungsrechts der Staaten gegen private Angriffe und Rückschlüsse für die Auslegung des Art. 51 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Genese des Art. 51 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Auswirkungen des befürchteten und vorhergesehenen Effizienzdefizits des universellen Sicherheitssystems auf die Genese des Art. 51 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Auswirkungen der Regionalitätsbestrebungen auf die Genese des Art. 51 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis der Textauslegung zur Frage des Staatlichkeitserfordernisses in Art.51 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Textauslegung hinsichtlich der Befugnis, die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaates zu beeinträchtigen: Zur Frage der Duldungspflicht von Selbstverteidigungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die rechtsdogmatische Begründung von Duldungspflichten: Souveränitäts- und Rechtsbegrenzung durch Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abwägung und satzungsrechtliches Gewaltverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. These der Unabwägbarkeit im Bereich des Gewaltverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Satzungsimmanentes Abwägungsgebot in Art. 51 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begründung von Duldungspflichten nach der „geschriebenen Notstandskonzeption“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Begründung von Duldungspflichten nach der Notwehrkonzeption . . . . . c) Begründung von Duldungspflichten mit Hilfe des Telos von Art. 51 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis d) Begründung von Duldungspflichten nach dem durch Art. 51 SVN übernommenen Neutralitätsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Standpunkte in der völkerrechtlichen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Standpunkt der ILC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Grenzen der Duldungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis der Textauslegung hinsichtlich der Befugnis, die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaats zu beeinträchtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
C. Die Praxis der Staaten und Internationaler Organisationen hinsichtlich der Zulässigkeit grenzüberschreitender Selbstverteidigung gegen staatlich nicht zurechenbare Angriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeine Staaten- und Organpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Zulässigkeit grenzüberschreitender Selbstverteidigung nach der „Friendly Relations Declaration“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Zulässigkeit grenzüberschreitender Selbstverteidigung nach der Aggressionsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anhaltspunkte für eine Duldungspflicht aus den Konventionen und Resolutionen zur Bekämpfung des Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Gutachten des IGH vom 8. Juli 1996 über die Zulässigkeit eines Kernwaffeneinsatzes oder einer Drohung mit einem solchen Einsatz . . . . . . . . . . . . a) Aussagen des IGH zur Reichweite des Selbstverteidigungsrechts . . . . . . b) Rechtliche Würdigung der Aussagen des IGH für die Frage der Zulässigkeit grenzüberschreitender Selbstverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Darstellung und rechtliche Würdigung der Praxis in einzelnen Konflikten . . . . . 1. Resolution 241 (1967) des Sicherheitsrates vom 15. November 1967 und die Stellungnahmen der Staaten im Kongo-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gewalteinsatz der USA auf dem Territorium Kambodschas gegen Stützpunkte der Viet Cong im Frühjahr 1970 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Resolution 405 (1977) des Sicherheitsrates vom 14. April 1977 betreffend die Söldnerangriffe gegen Benin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gewalteinsätze Israels auf dem Territorium des Libanon in den 1970er und 1980er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gewalteinsatz Südafrikas auf dem Territorium Lesothos im Jahr 1982 . . . . . 6. Gewalteinsätze der Türkei auf dem Territorium des Irak gegen kurdische Stützpunkte in den Jahren 1983 und 1984 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Konflikt zwischen Nicaragua und den USA in den 1980er Jahren . . . . . . . . . . 8. Gewalteinsätze Israels auf dem Territorium des Libanon in den 1990er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Gewalteinsätze der Türkei im Nordirak im Zeitraum von 1991 bis 2003 . . . 10. Gewalteinsatz des Iran auf dem Territorium des Irak im Juli 1996 . . . . . . . . . 11. Gewalteinsatz des Iran auf dem Territorium des Irak im September 1997 . . 12. US-amerikanischer Gewalteinsatz im Sudan und in Afghanistan im August 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Konflikt zwischen Indien und Pakistan im Jahr 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Gewalteinsatz des Iran auf dem Territorium des Irak im Juni 1999 . . . . . . . . . 15. Gewalteinsätze des Iran auf dem Territorium des Irak in den Jahren 2000 und 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 16. Reaktionen auf die Anschläge in den USA vom 11. September 2001 . . . . . . a) Zeitraum unmittelbar nach den Anschlägen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zeitraum unmittelbar vor der Militäraktion in Afghanistan und der nachfolgende Zeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Israelischer Gewalteinsatz in Syrien im Oktober 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18. Das Gutachten des IGH vom 9. Juli 2004 über die rechtlichen Konsequenzen des israelischen Mauerbaus auf besetzten palästinensischen Gebieten . . . . . a) Aussagen des IGH zur Selbstverteidigungsbefugnis staatlich nicht zurechenbarer terroristischer Gewaltakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Staatenäußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtliche Würdigung der Aussagen des IGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19. Reaktion Russlands auf die terroristische Anschlagsserie in den Jahren 2003 und 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Methodische Probleme bei der rechtlichen Bewertung der Praxis und die Gewichtung der auslegungsrelevanten Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bewertungsprobleme bei der Untersuchung der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gewichtung divergierender Auslegungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ergebnis zur Frage der conditio-sine-qua-non Qualität staatlich zurechenbarer bewaffneter Angriffe für die Aktivierung des Selbstverteidigungsrechts . . . . . . . III. Ergebnis zur Frage der Befugnis, die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaates zu beeinträchtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ergebnis zur Frage einer Duldungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ergebnis zu den Befugnisgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 4 Die Zulässigkeit von Verteidigungseinsätzen in hoheitsfreien Räumen und auf eigenem Staatsgebiet
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Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Verzeichnis der Resolutionen und Internationalen Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
Abkürzungsverzeichnis A/ a. A. Abs. AC A/CN.4 AFDI AJIL Alt. Art. ASIL AVR BayVBl. Bd. BDGV BGB BGBl. BYIL CJTL bzw. ders. dies. Doc DÖV DVBl. EA EG EPIL etc. EU EuGRZ f.; ff. FLN FS Fußn. GAOR GG GYIL HbdStR HILJ HRQ
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Abkürzungsverzeichnis Hrsg. ICJ ICLQ IGH ILC ILM i. V. m. IYHR JStGH JZ KJ NATO Nr. NVwZ NWVBl. NZWehrr OAS ÖZöR ÖZöRV par. PLO RdC Res. RGDIP Rn. S. S/ SCOR StBG SVN SZIER u. a. UdSSR UN UNCIO UNO US USA VAR Verf. vgl. VN Vol. WVK YILC
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Herausgeber International Court of Justice International and Comparative Law Quarterly Internationaler Gerichtshof International Law Commission International Legal Materials in Verbindung mit Isreal Yearbook on Human Rights Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien Juristenzeitung Kritische Justiz North Atlantic Treaty Organization Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Wehrrecht Organization of American States Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht und Völkerrecht Paragraph Palestine Liberation Organization Recueil des Cours de l’Académie de Droit International des La Haye Resolution Revue Générale de Droit International Public Randnummer Seite(n) Securtity Council Securtity Council Official Records Strafgesetzbuch Satzung der Vereinten Nationen Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht und andere Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Nations United Nations Conference on International Organization United Nations Organization United States United States of America Vereinigte Arabische Liga Verfasser Vergleiche Vereinte Nationen Volume Wiener Vertragsrechtskonvention Yearbook of the International Law Commission
14 ZaöRV z. B. Ziff. zit. ZÖR ZRP
Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Ziffer zitiert Zeitschrift für Öffentliches Recht Zeitschrift für Rechtspolitik
Einführung Die Einschätzung, dass der internationale Terrorismus eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts darstellt, wird heute allgemein geteilt. Einmal mehr verdeutlichten die verheerenden Anschläge in den USA vom 11. September 2001, in welchem Maße Privatpersonen zu Akteuren in den internationalen Beziehungen geworden sind. Diese Anschläge bildeten den Höhepunkt einer schon seit einigen Jahren durch die Staatengemeinschaft und die Vereinten Nationen mit Besorgnis beobachteten Entwicklung eines terroristischen Bedrohungspotentials, das sogar die territoriale Integrität von Staaten in Frage stellen kann 1. Die zahlreichen völkerrechtlichen Abkommen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vermochten bislang nicht, effiziente Antworten auf derartige Anschläge zu bieten. Die Frage nach den rechtlichen Möglichkeiten staatlicher Selbstverteidigung stellt sich daher dringlicher denn je.
A. Ziel der Untersuchung Infolge der beschriebenen Entwicklung sind in der Staatenwelt und der Rechtswissenschaft völkerrechtliche Grundfragen nach der Reichweite des Selbstverteidigungsrechts der Staaten gegen terroristische Bedrohungen neu aufgeworfen worden. Es gibt Stimmen in der Politologie und Völkerrechtswissenschaft, die die Entwicklung einer neuen Kategorie des transnationalen Konflikts beobachten 2, in deren Folge sich die Friedensvölkerrechtsordnung dramatisch verändert und auch die Beziehungen zu Privaten regelt. In der Tat gelangen angesichts der zunehmenden Bedrohung des Staates durch nichtstaatliche Akteure die auf zwischenstaatliche Auseinandersetzungen angelegten Normen des Völkerrechts an ihre Grenzen. Es stellt sich daher die Frage, ob das Völkerrecht einer Entwicklung offen steht, nach der den Staaten bei terroristischen Angriffen dasselbe Reaktionsinstrumentarium zur Verfügung gestellt wird wie bei staatlichen Angriffen. Nach der herkömmlichen Sichtweise steht den von Terroristen angegriffenen Staaten ein Selbstverteidigungsrechts nur dann zu, wenn die ter1 Vgl. nur die Resolution der Generalversammlung 40/61 vom 9.12.1985. Zur Gefahr des „Atomterrorismus“ siehe den Brief des Generalsekretärs der UNO an den UN-Sicherheitsrat vom 7.12.2001, UN Doc. S/2001/1164, der im Annex den Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde enthält. 2 Sandoz, SZIER 2002, S. 319 (321 ff.); Hirschmann in: Führungsakademie der Bundeswehr, Internationales Clausewitz-Zentrum (Hrsg.), S. 4 (8 f.); Bruha in: Koch (Hrsg.), Terrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, S. 51 (54 ff.).
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Einführung
roristischen Aktivitäten einem anderen Staat zurechenbar sind3. Demgegenüber veranlassen die jüngsten Entwicklungen des privaten Gewaltpotentials dazu, völkerrechtliche Grundfragen zum Selbstverteidigungsrecht und der Zurechnungsdogmatik anderen Lösungen zuzuführen als dies bisher geschehen ist. Zu diesem Zweck werden im ersten Kapitel die zur staatlichen Zurechenbarkeit führenden Verwicklungsformen zunächst dargestellt und deren Defizite herausgearbeitet. Im Anschluss soll verschiedenen völkerrechtstheoretischen Überlegungen zur Modifizeriung der Zurechnungskriterien nachgegangen, diese jedoch verworfen werden (Kapitel 2). Schließlich wird in Übereinstimmung mit der Textauslegung der Satzung der Vereinten Nationen und der Staatenpraxis ein von der Zurechnungsdogmatik losgelöster Ansatz entwickelt, der dem durch Terroristen angegriffenen Staat ein wirksames Verteidigungsrecht an die Hand gibt und zugleich die territorialen Belange des zur Duldung der Verteidigungsmaßnahme verpflichteten Staates im Auge behält (Kapitel 3). Das vierte Kapitel der Arbeit behandelt die völkerrechtlichen Verteidigungsbefugnisse der Staaten in hoheitsfreien Räumen und im innerstaatlichen Bereich. Von besonderem Interesse ist dabei, ob die zu beobachtende Entwicklung neuer transnationaler und asymmetrischer bewaffneter Konflikte die Auslegung des satzungsrechtlichen Gewaltverbots und des Art. 51 SVN in dem Sinne beeinflussen, dass diese Normen nunmehr auch im innerstaatlichen Bereich Anwendung finden.
B. Gegenstand der Untersuchung I. Das staatliche Selbstverteidigungsrecht Das Völkerrecht anerkennt in Art. 51 SVN und der deckungsgleichen Regel des Völkergewohnheitsrechts ein Selbstverteidigungsrecht der Staaten jedenfalls gegen bewaffnete Angriffe anderer Staaten. Die Frage, ob Art. 51 SVN zu Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen Terroristen ermächtigt, bildet den Schwerpunkt der Arbeit. Dies beinhaltet eine Abgrenzung in vielerlei Hinsicht: Grenzüberschreitende staatliche Maßnahmen auf Einladung eines anderen Staates, humanitäre Interventionen 3 Dementsprechend existieren umfangreiche rechtsdogmatische Untersuchungen, die die staatliche Zurechenbarkeit privaten Verhaltens allgemein (vgl. Wolf, Die Haftung der Staaten für Privatpersonen nach Völkerrecht, 1997; Epiney, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten für rechtswidriges Verhalten im Zusammenhang mit Aktionen Privater, 1992; Kilian, NZWehrr 1982, S. 121 ff.; Condorelli, RdC 189 (1984 VI), S. 19 ff.) und im Bereich des Selbstverteidigungsrechts (vgl. Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht; Constantinou, The Right of Self-Defence under Costumary International Law and Article 51 of the United Nations Charter, S. 87 ff.) der Staaten behandeln und auf deren Erkenntnisse im Folgenden vielfach zurückgegriffen wird. Insbesondere die Arbeit von Kreß emanzipiert sich mit beachtlichen Argumenten von herkömmlichen Ansätzen und bereitet auch für die vorliegende Arbeit wertvolle theoretische Fundamente. Die aufgezeigten theoretischen Ansätze sind jedoch noch vorsichtig und sollen ausdrücklich nur bestimmte Konstellationen der staatlichen Verwicklung in private Gewaltakte betreffen. Eine grundlegende Auseinandersetzung mit zentralen Fragen des staatlichen Selbstverteidigungsrechts ist nach wie vor äußerst lohnend.
B. Gegenstand der Untersuchung
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zum Schutz eigener oder fremder Staatsangehöriger4 und Militäraktionen mit der Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat sind nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Hierfür gelten völkerrechtliche Spezialregeln.
II. Terroristische Gewalt Gegenstand der Untersuchung ist ferner ausschließlich terroristische Gewalt, wenngleich sich insoweit ein Eingrenzungsproblem stellt. Der Begriff des Terrorismus zählt nämlich zu den umstrittensten Rechtsfragen des Völkerrechts überhaupt, so dass die Definierbarkeit dieses Phänomens teilweise gänzlich bezweifelt wird 5. Wenn im Folgenden die Verteidigungsmöglichkeiten gegen terroristische Gewalt beleuchtet werden sollen, so beinhaltet dies einerseits eine Begrenzung des Untersuchungsgegenstands, zugleich aber eine umfassende Betrachtung aller Formen gegen einen Staat gerichteter privater Gewalt. 1. Beschränkung des Untersuchungsgegenstands auf nichtstaatliche Gewalt Die Begrenzung des terroristischen Täterkreises auf nichtstaatliche Akteure trifft auf heikle politische Hürden. Bei den Arbeiten des von der UNO-Generalversammlung gebildeten ad hoc-Ausschusses zum internationalen Terrorismus 6 vertraten insbesondere die afrikanischen und asiatischen Staaten die Ansicht, dass in erster Linie die Akte des „Staatsterrorismus“ zu bekämpfen seien7. Gemeint waren hiermit die 4 Teilweise werden Rettungsaktionen zugunsten eigener Staatsangehöriger als Verteidigungsmaßnahmen unter Art. 51 SVN subsumiert. Der Angriff auf Staatsangehörige im Ausland, so wird argumentiert, sei zugleich ein Angriff auf deren Heimatstaat, jedenfalls dann, wenn hiermit gerade ein Angriff auf den Heimatstaat bezweckt sei; vgl. Bowett, Self-Defense in International Law, S.92; Schröder, JZ 1977, S.420 (424 f.) Eine solche Ausdehnung des Selbstverteidigungsrechts stößt auf Bedenken, weil mangels Beeinträchtigung der territorialen Unversehrtheit des Heimatstaates das Angriffsobjekt nicht der Staat selbst ist. Anders als die Verletzung der beiden anderen Staatselemente bedroht ein Angriff auf einen Teil des Staatsvolks nicht den Staat als solchen. Von jeher wurde das Staatsvolk auf fremdem Hoheitsgebiet durch die Regelungen des Fremdenrechts und durch die menschenrechtlichen Standards geschützt. Schutzaktionen zugunsten eigener Staatsangehöriger wurden in der bisherigen Staatenpraxis dementsprechend auch nicht auf Art. 51 SVN gestützt, sondern unter Inanspruchnahme eines gewohnheitsrechtlich verankerten Interventionsrechts gerechtfertigt; vgl. zur Reaktion im Entebbe-Fall, UN-Yearbook 1976, S. 316 ff.; zum Eingreifen belgischer Fallschirmjäger im Kongo zum Schutz eigener Staatsangehöriger Hailbronner, BDGV 26 (1986), S. 49 (104); anders zur US-amerikanischen Befreiungsaktion der Botschaftsgeiseln im Iran die Stellungnahme von Präsident Carter, der sich ausdrücklich auf Art.51 SVN berief (US Departement State Bulletin 1980, Nr. 2039, S. 42 f.), was darauf schließen lässt, dass Botschaften zu Außenposten eines Staates zählen. Angriffe auf Staatsangehörige auf fremdem Staatsgebiet sollen daher nicht Gegenstand dieser Untersuchung sein. 5 Hierzu sogleich. 6 Resolution der Generalversammlung 30/34 vom 18.12.1972. 7 Umfassend Lacoste, Die Europäische Terrorismus-Konvention, S. 21 ff.
2 Scholz
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Methoden rassistischer und kolonialistischer Regime. Aus begriffsgeschichtlicher Sicht gibt es gute Argumente, auch die Gewaltherrschaft eines Staates unter den Terrorismusbegriff zu subsumieren. Der ursprüngliche Sinn des Wortes wurde unter dem Eindruck der Jakobinerherrschaft im ausgehenden 18. Jahrhundert als strafrechtlicher Begriff für ein Regierungsverhalten gedeutet, dessen Ahndung legitim erschien, welches jedoch bis dahin als den Ideen der Revolution zunächst förderlich anerkannt worden war 8. Terror („terreur“ im ursprünglichen Sprachgebrauch) und Terrorismus müssen aber begrifflich auseinander gehalten werden. Während die vom Staat angeordnete, nach innen gerichtete Gewalt im Allgemeinen als Terror bezeichnet wird 9, versteht der heutige Sprachgebrauch unter Terrorismus eine Form des privaten Angriffs gegen einen Staat 10. Auch die neueren Terrorismuskonventionen klammern bei näherer Betrachtung teils ausdrücklich, teils implizit staatliche Verhaltensweisen aus ihrem Anwendungsbereich aus 11. Sie unterscheiden vielmehr zwischen der terroristischen Handlung und der Verwicklung des Staates in diese Handlung; die Beteiligung des Staates in terroristische Taten wird begrifflich und rechtlich erschöpfend durch das Regime der Staatenverantwortlichkeit 12 erfasst 13. In der folgenden Unter8 Mit eingehender Begründung von Herzog, Terrorismus – Versuch einer Definition, S. 18 ff., herausgearbeitet. 9 Hoffman, Terrorismus – der unerklärte Krieg, S. 30. 10 Hoffman, Terrorismus – der unerklärte Krieg, S. 16. 11 So bestimmt die Elfte Präambelerwägung des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge, vgl. Anhang zur Resolution der Generalversammlung 52/164 vom 15.12.1997, dass die Tätigkeiten der Streitkräfte der Staaten nicht in den Rahmen dieses Übereinkommens fallen. In Art. 19 Nr. 2 des Übereinkommens werden all jene Handlungen aus dem Anwendungsbereich der Konvention herausgenommen, die erstens von Streitkräften während eines bewaffneten Konfliktes und zweitens von Personen begangen werden, die kraft innerstaatlichen Rechts die offizielle Befugnis zur Ausübung einer öffentlichen Funktion im Bereich der nationalen Sicherheit haben. Hieraus können insoweit Rückschlüsse auf den Terrorismusbegriff gezogen werden, als die zur Ausübung von Funktionen im Bereich der nationalen Sicherheit offiziell Befugten nicht dem Terrorismusbegriff unterfallen sollen. Zu Letzterem a. A. Schmalenbach, NZWehrr 2000, S. 15 (18). Ebenso wäre die überwiegend strafrechtliche Ausrichtung der Konventionen (Verpflichtung der Staaten, Straftatbestände zu normieren und eine Strafjurisdiktion sicherzustellen) bei Staaten als Straftäter nicht erklärbar. 12 Die Regelungen über die Verantwortlichkeit der Staaten der ILC – Articles on Responsibility of States for internationally wrongful acts, Report of the International Law Commission of its fifty-third session (2001), Supplement No. 10, UN Doc. A/56/10 – haben eine deutliche Anerkennung unter den Staaten, wenngleich nicht in Form einer völkerrechtlichen Konvention, durch die Resolution der Generalversammlung Resolution 56/83 vom 12.12.2001 erfahren. 13 Exemplarisch sei das Internationale Übereinkommen zur Finanzierung des Terrorismus (verabschiedet mit der Resolution der Generalversammlung 54/109 vom 9.12.1999 (als Anlage)) angeführt, das die Staaten verpflichtet, terroristische Handlungen nach innerstaatlichem Recht unter Strafe zu stellen (vgl. Art.4) und deren Finanzierung durch geeignete Mittel zu unterbinden (z. B. Beschlagnahme, Einfrieren von Konten, vgl. Art. 8). Die strafrechtliche Verantwortlichkeit trifft indes allein die Einzelperson, während die sonstigen Verantwortlichkeiten des Staates nach Art. 21 des Übereinkommens ausdrücklich unberührt bleiben.
B. Gegenstand der Untersuchung
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suchung werden als Terroristen daher nur Privatpersonen 14 nicht aber Staaten bezeichnet. 2. Umfassende Betrachtung aller Formen nichtstaatlicher Gewalt a) Zur möglichen Geltung von Sonderbefugnissen gegen den internationalen Terrorismus Ob die Verwendung des Begriffs „terroristisch“ eine Eingrenzung hinsichtlich des Täterkreises oder der Tatformen privater, gegen einen Staat gerichteter, politischer Gewalt impliziert, ist fraglich. Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus scheint – den Äußerungen einiger Staaten nach zu urteilen – offenbar weniger strengen Beschränkungen zu unterliegen als die Verteidigung gegen andere Formen internationaler nichtstaatlicher Gewalt. Bezeichnend ist insoweit die Äußerung des US-amerikanischen Vertreters im Sicherheitsrat anlässlich der israelischen Militäraktion in Syrien im Jahr 2003. Die USA begründeten ihr Veto gegen die Israel verurteilende Resolution damit, dass Syrien im Kampf gegen den Terrorismus „auf der falschen Seite“ stehe 15. In der völkerrechtlichen Literatur werden ebenfalls Versuche unternommen, Aufenthaltsstaaten von Terroristen im Wege einer stärkeren staatlichen Zurechenbarkeit terroristischer Gewaltakte besondere Pflichten aufzubürden 16. Auf der anderen Seite hat sich gezeigt, dass eine Einigung der Staaten über die Merkmale des Terrorismus in Abgrenzung zu anderen Gewaltformen und eine Kodifizierung des Terrorismusbegriffs – die eine Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes gerechtfertigt hätte – in naher Zukunft nicht zu erwarten sind 17. Die Staaten haben sich bemüht, einen Terrorismusbegriff wenigstens in bestimmten Normbereichen des Völkerrechts zu entwickeln: Rechtsfolgen wurden an terroristische Handlungen erstmals im Bereich des humanitären Völkerrechts geknüpft, wo sich der Begriff zu einem Sammelbecken verbotener Handlungsweisen in bewaff14 Unter den Begriff Privater werden im Folgenden diejenigen Personen gefasst, die nicht de-facto- oder de-iure-Organe eines Staates sind. 15 Security Council, 4836th meeting, UN Doc. SC/7887, S. 7. Ein Teil derjenigen Staaten, die das israelische Verhalten verurteilten, verneinte die Rechtmäßigkeit der Militäroperation mit der Begründung, dass die vorangegangenen Anschläge nicht dem internationalen Terrorismus zuzuordnen seien und lassen damit ebenfalls ihre Präferenz für eine Sonderbehandlung terroristischer Gewalt erkennen; vgl. etwa die Äußerungen Pakistans und des Libanon, Security Council, 4836th meeting, UN Doc. SC/7887, S. 5 f. 16 Hierzu siehe unten Kapitel 2 A. 17 Der erste allgemeine Definitionsversuch wurde mit der Genfer Konvention von 1937 zur Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus unternommen, die allerdings zu keiner Zeit in Kraft trat. Sie enthält in Art. 1 die erste und bisher einzige Definition von Terrorismus in einem völkerrechtlichen Dokument: „Criminal acts directed against a State and intended or calculated to create a state of terror in the minds of particular persons, or a group of a person or the general public.“ Umfassend zu Ursprüngen und Zielen des Terrorismus’ Langguth, Außenpolitik 1986, S. 162 ff.; Marauhn in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Bd. IV, S. 845 ff.
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neten Konflikten 18 entwickelte und das Phänomen tatbezogen erfasst wurde 19. Kennzeichnend ist dabei die Gewalt gegen Unbeteiligte. Nach dem humanitären Völkerrecht sind terroristische Handlungen solche, die außerhalb der erlaubten Kriegsführung mit dem Ziel des Schreckens und der Einschüchterung begangen werden. Demgegenüber ist im Bereich des Völkerstrafrechts die Normierung eines Verbrechenstatbestandes des Terrorismus trotz intensiver Bemühungen an der Definitionsfrage gescheitert 20. Ebenso verurteilt eine Vielzahl zur Bekämpfung des Terrorismus erlassenen Konventionen in pragmatischer, nur für die Zwecke des jeweiligen Abkommens bestimmter Weise lediglich ausgewählte terroristische Handlungsformen 21, ohne das Phänomen umfassend zu definieren 22. Angesichts dieser definitorischen Uneinigkeit erscheint es für die hier zu untersuchenden Fragen angezeigt, die Verteidigungsbefugnisse zunächst umfassend gegen alle nichtstaatlichen Akteure zu überprüfen und eventuelle Sonderbefugnisse erst anhand der Staatenpraxis herauszuarbeiten. Dies schließt unter anderem die Frage ein, ob die veränderten Charakteristika international operierender Terrornetz18 Unter einem bewaffneten Konflikt versteht man im Völkerrecht jeden Konflikt zwischen Staaten oder innerhalb eines Staates, der durch offene Gewalt und durch den Einsatz der Streitkräfte oder anderer bewaffneter Gruppierungen charakterisiert ist; vgl. Gasser in: FS Haug, S. 69 (69). 19 Art. 51 des ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte verbietet – auf einen Nenner gebracht – alle terroristischen Methoden der Kriegsführung. Das IV. Genfer Abkommen zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten verbietet in Art. 33 den Terrorismus sogar ausdrücklich: „Kollektivstrafen sowie jede Maßnahme der Einschüchterung oder Terrorisierung sind untersagt“ (vgl. Art.33 S.2). 20 Bassiouni, Statut of the International Criminal Court, S. 234 f. 21 Es handelt sich vor allem um das Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen von 1970 (BGBl. 1972 II, S. 1505); das Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt von 1971 (BGBl. 1977 II, S.1229); das Übereinkommen über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen einschließlich Diplomaten von 1973 (BGBl. 1985 II, S. 593); das Internationale Übereinkommen gegen Geiselnahme von 1979 (BGBl. 1980 II, S.1361) und das Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt von 1988 (BGBl. 1990 II, S. 494). 22 Zwar hat die Entwicklung zur Herausbildung eines allgemeinen Terrorismusrechts mit dem Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge, das zwar noch immer an das Anbringen einer Sprengstoffvorrichtung anknüpft, hinsichtlich der Objekte der Tatbegehung (z. B. „Infrastruktureinrichtung“) denkbar weit formuliert ist, begonnen. Das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus definiert den Straftatbestand erstmals abstrakt und gilt als entscheidende „Kodifizierung“ des „allgemeinen Terrorismusvölkerrechts“. Die Übernahme einer Vielzahl von dessen Bestimmungen durch die Resolution 1371 (2001) des Sicherheitsrates und die wiederholte Aufforderung der Generalversammlung, terroristische Handlungen zu verhüten, lässt den Konsens der überwältigenden Mehrheit der Staaten erkennen, das Phänomen insgesamt zu ächten und zu bekämpfen; vgl. die ohne förmliche Abstimmung angenommene Resolution der Generalversammlung 56/1 vom 12.9.2001 (Verurteilung der Terroranschläge in den USA). Ein solcher Konsens hat aber keinen begrifflichen Wert, wenn er nicht gleichzeitig das zu ächtende Phänomen definiert. Zum Ganzen siehe Oeter, AVR 40 (2002), S. 422 ff.
B. Gegenstand der Untersuchung
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werke (beispielsweise die Inkaufnahme von Massenmord an Unbeteiligten, der als Mittel der Effektsteigerung bezweckt wird, oder die Tatsache, dass terroristische Gruppen womöglich über komplexere konventionelle Waffen, biologische oder chemische Kampfstoffe verfügen bzw. deren Erwerb anstreben 23) bei der inhaltlichen Bestimmung der Reichweite der Verteidigungsbefugnisse Berücksichtigung finden. b) Zur möglichen Einschränkung der Verteidigungsbefugnisse gegen „legitime Gewalt“ Schließlich stellte sich bei der Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes die Frage, ob solche Formen der Gewaltanwendung auszuklammern sind, die in der völkerrechtlichen Praxis wenn nicht Sympathie, so doch mindestens stillschweigende Zustimmung und Duldung erfahren haben: Es handelt sich um Zusammenschlüsse zur „nationalen Befreiung“ (einschließlich der kolonialen Befreiung) – die Terminologie schwankt zwischen Befreiungsarmee, Partisanen, Guerilla usw. –, die durch ihre politische Motivation und tellurische 24 (landgebunde) Natur der Gewaltanwendung gekennzeichnet sind. Jüngst begründete etwa die Terrororganisation „Jihad“ die Legitimität ihrer Anschläge in Israel als Kampf gegen den Kolonialismus 25. In der Resolutionspraxis der Vereinten Nationen tritt eine deutliche Sympathie für den Kampf gegen koloniale Unterdrückung und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen zutage 26. Ebenso klingt in vielen noch später zu erörternden Staatenäußerungen 27 die Auffassung einer grundsätzlich erlaubten Gewalt im nationalen Befreiungskampf an. Nicht umsonst trifft man daher auf den allseits bekannten Allge23 Hirschmann in: Führungsakademie der Bundeswehr, Internationales Clausewitz-Zentrum (Hrsg.), S. 4 (8). 24 Schmitt, Theorie des Partisanen, S. 28. 25 Diese These findet bei einigen arabischen Staaten Unterstützung, siehe im Einzelnen unten Kapitel 3 C. II. 18. 26 So widmet sich das fünfte Prinzip der Resolution der Generalversammlung 26/25 vom 24.10.1970 (im Folgenden: „Friendly Relations Declaration“) dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und verpflichtet die Staaten, „dem Kolonialismus unter gebührender Berücksichtigung des frei geäußerten Willens der betroffenen Völker unverzüglich ein Ende zu bereiten“. Nach Art. 7 des Anhangs der Resolution der Generalversammlung 33/14 vom 14.12.1974 (im Folgenden: Aggressionsdefinition) stellt der Kampf eines Volkes gegen Kolonial- und Rassenherrschaft und andere Formen der Fremdherrschaft keine unerlaubte Aggression dar. Im Hinblick auf eine Legitimation bestimmter Motivationen von Gewalt stellen die beiden Resolutionen aber einen Formelkompromiss auf, wonach das Recht auf Selbstbestimmung allein im Rahmen der Prinzipien des Völkerrechts ausgeübt werden darf, vgl. Dohna, Die Grundprinzipien des Völkerrechts über die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten, S. 90 ff. für die „Friendly Relations Declaration“ und Bruha, Die Definition der Aggression, S. 125 ff. für die „Aggressionsdefinition“. Zu weitgehend daher Schmitz, Tibet und das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 208, der der „Friendly Relations Declaration“ Anhaltspunkte für ein Notwehrrecht unterdrückter Volksgruppen gegen den die Menschenrechte verletzenden Staat entnehmen will. 27 Siehe unten Kapitel 3 C. II. 4., 8. und 17.
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Einführung
meinplatz: „Des einen Terrorist ist des anderen Freiheitskämpfer“, der das aus politisch motivierten Staatenäußerungen hervorgegangene Begriffswirrwarr auf den Punkt zu bringen versucht. So befürchteten bis in die 1980er Jahre hinein viele Regierungen der Dritten Welt durch die Initiativen der westlichen Staaten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus die nachträgliche Kriminalisierung des gemeinhin als legitim empfundenen Befreiungskampfes gegen die koloniale Unterdrückung 28. In der völkerrechtlichen Praxis der letzten beiden Jahrzehnte setzte sich jedoch die Einsicht durch, dass auch ein in seinen Motiven noch so berechtigter Befreiungskampf in der Wahl seiner Mittel beschränkt sein muss. Dies verdeutlicht eindrucksvoll die einstimmig angenommene Resolution der Generalversammlung 49/ 61 vom 9. Dezember 1985, wonach unter gleichzeitiger Betonung der grundsätzlichen Legitimität des nationalen Befreiungskampfes „all acts, methods and practices of terrorism wherever and whenever committed“ verurteilt werden. Diese Resolution enthielt insoweit eine bemerkenswerte Neuerung, als auch die Verfolgung eines legitimen Ziels nicht den Einsatz terroristischer Praktiken rechtfertigt, sondern sich an die Regeln der Prinzipien der Satzung der Vereinten Nationen halten muss. Diese Praxis ist mittlerweile durch zahlreiche Sicherheitsratsresolutionen bestätigt worden 29. Nach dem derzeitigen Entwicklungsstand des Völkerrechts lassen sich private Gewaltakte demnach nicht mit der Legitimität eines nationalen Befreiungskampfes rechtfertigen und fallen somit nicht ipso iure aus dem Bereich privater (terroristischer Gewalt) heraus. 3. Zusammenfassung Gegenstand der Untersuchung ist die Bekämpfung terroristischer Gewalt. Unter terroristischer Gewalt sollen im Folgenden zunächst alle Formen nichtstaatlicher Gewalt verstanden werden, die sich gegen einen Staat richtet. Eine Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes auf bestimmte Formen nichtstaatlicher Gewalt ist nicht angezeigt. Zum einen lehnen es die Staaten in ihrer jüngeren Praxis ab, bestimmte Hillgruber in: Acham (Hrsg.), Faktizität der Macht, S. 133 (133 ff.). So verurteilte der UN-Sicherheitsrat zahlreiche Terroranschläge in Russland (Geiselnahme in der russischen Stadt Beslan, mehrere Anschlägen in Moskau und auf zwei russische Flugzeuge) in den Monaten August und September 2004, UN Doc. S/PRST/2004/31, ohne auf die Motivation der Anschläge – Befreiungskampf der Tschetschenen gegen russische „Besatzung“ – und deren Legitimität einzugehen: „The Security Council this evening condemned in the strongest terms the heinous terrorist act involving the taking of hostages at a secondary school in the town of Beslan, Russian Federation, and demanded the hostages’ immediate and unconditional release. In a related provision, the Council reaffirmed that terrorism in all its forms and manifestation constituted one of the most serious threats to international peace and security and that any acts of terrorism are criminal and unjustifiable, regardless of their motivation, whenever and by whomsoever committed.“ (Hervorhebung durch Verfasser) Siehe ferner die Sicherheitsratsresolutionen 1455 (2003) vom 17.1.2003, UN Doc. S/RES/1455 (2003); 1450 (2002) vom 13.12.2002, UN Doc. S/RES/1450 (2002); 1440 (2002) vom 24.10.2002, UN Doc. S/RES/1440 (2002); 1438 (2002) vom 14.10.2002, UN Doc. S/RES/1438 (2002) und 1390 (2002) vom 16.1.2002, UN Doc. S/RES/1390 (2002). 28 29
B. Gegenstand der Untersuchung
23
terroristische Handlungsweisen von vornherein als legitim zu bezeichnen, was die Unzulässigkeit jedweder Verteidigungsmaßnahme gegenüber diesen Handlungen zur Folge hätte. Zum anderen lässt sich erst anhand der im Folgenden zu untersuchenden Staatenpraxis erkennen, ob gegenüber bestimmten Gewaltgruppen – insbesondere gegenüber internationalen terroristischen Netzwerken – weiterreichende Verteidigungsbefugnisse bestehen.
Kapitel 1
Allgemeine Fragen der rechtlichen Zulässigkeit grenzüberschreitender Verteidigungseinsätze gegen Terroristen A. Die Geltung des Gewaltverbots zugunsten des Aufenthaltsstaats privater Angreifer Das satzungsrechtliche Gewaltverbot des Art. 2 Nr. 4 SVN und die Ermächtigung des Art. 51 SVN, die dem angegriffenen Staat Verteidigungsmaßnahmen erlaubt, stehen zueinander in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis 1. Der Einsatz von nach Art. 2 Ziff. 4 SVN grundsätzlich verbotener Gewalt ist unter den Voraussetzungen des Art. 51 SVN ausnahmsweise erlaubt 2. Ausgangspunkt der Überprüfung der rechtlichen Zulässigkeit grenzüberschreitender Verteidigungseinsätze ist demnach die Bestimmung der Reichweite und damit der sachlichen Voraussetzungen der Verbotsnorm. Diese verbietet neben Gebietsannexionen nach überwiegender Ansicht jeden nicht konsentierten Einfall in ein staatliches Territorium, auch ohne Annexionsabsicht 3.
I. Zur möglichen Zulässigkeit einer teleologischen Reduktion des Gewaltverbots Bei grenzüberschreitenden Militäreinsätzen gegen den internationalen Terrorismus soll nach einer beachtlichen Anzahl von Völkerrechtlern in bestimmten Konstellationen das Gewaltverbot schon tatbestandlich gar nicht einschlägig sein bzw. dessen Geltungsbereich teleologisch reduziert werden. Teilweise wird vertreten, 1 Allgemeine Meinung, vgl. nur IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports 1986, S.14 ff.; Dinstein, War, Aggression and Self Defense, S.161; Fischer in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 59 Rn. 10; Hailbronner, BDGV 26 (1986), S. 49 (56). 2 Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis wird durch eine konstante Staatenpraxis bestätigt, die ein gewaltsames Vorgehen als Maßnahme der Selbstverteidigung zu rechtfertigen bemüht ist; ausführlich zur Staatenpraxis siehe unten Kapitel 3 C.; zur Exklusivität des satzungsrechtlichen Selbstverteidigungsrechts sogleich unter Kapitel 1 B. I. 3 Randelzhofer in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 2 Ziff. 4 Rn. 35; Fischer in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 59 Rn. 11 ff.; Delbrück, Die Friedenswarte 74 (1999), S. 139 (143 ff.).
A. Gewaltverbot zugunsten des Aufenthaltsstaats privater Angreifer
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Art. 2 Ziff. 4 SVN verbiete nur die Gewaltanwendung „größeren Stils“ 4, so dass Maßnahmen short of war nicht erfasst würden, wobei die Grenzziehung offen bleibt. Andere Stimmen stellen darauf ab, dass die Anwendung nur vorübergehender und räumlich begrenzter Gewalt nicht gegen die „territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit“ eines Staates gerichtet und daher vom Wortlaut und vom Zweck des Art. 2 Ziff. 4 SVN gar nicht erfasst sei 5. Schließlich wird speziell für den Fall eines failing bzw. eines failed state vorgebracht, dass ein solches Gebilde nicht mehr dem Schutzbereich des Gewaltverbots unterfalle 6 bzw. der Tatbestand des grundsätzlich einschlägigen Gewaltverbots teleologisch zu reduzieren sei 7. Zur Begründung wird auch diesbezüglich an den Wortlaut anknüpfend die Auffassung vertreten, die Gewaltanwendung gegen einen failing bzw. einen failed state richte sich nicht gegen die territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit eines Staates 8. Die Auseinandersetzung mit den dargestellten Ansichten soll zunächst mit dem von allen Vertretern vorgebrachten Wortlautargument beginnen: Die Gültigkeit des zur Fundierung einer einschränkenden Auslegung von Art. 2 Ziff. 4 vorgetragenen Wortlautarguments ist häufig und überzeugend widerlegt worden 9. Insbesondere die Entstehungsgeschichte des Art. 2 Ziff. 4 SVN belegt eindeutig, dass die Formulierung „gegen die territoriale Integrität oder die politische Unabhängigkeit gerichtet“ keine inhaltliche Beschränkung des Gewaltverbots beabsichtigte, sondern aufgrund des Wunsches kleinerer Staaten in den Text aufgenommen wurde, um eine weite Geltung des Verbots unmissverständlich zu manifestieren 10. Zur Klarstellung wurde dann noch die Formulierung „oder in sonstiger Weise mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar“ eingefügt. Dahm, JIR 11 (1962), S. 48 (57 f.); Wengler, Das völkerrechtliche Gewaltverbot, S. 13. Bowett, Self-Defence in International Law, S. 142; Franzke, ÖZöR 16 (1966), S. 128 (147 ff.); Dahm JIR 11 (1962), S. 48 (54); Wengler, Das völkerrechtliche Gewaltverbot, S. 14. Auf Grundlage des Wortlauts hält auch Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 172 ff., diese Argumentation für gut begründbar. 6 Tomuschat, EA 36 (1981), S. 325 (332); Murswieck, BDGV 34 (1995), S. 150 (Diskussionsbeitrag) fragt sich, ob ein failed state Gegenstand des Gewaltverbots sein kann, denn „wenn ich in ein Territorium interveniere, in dem es keine effektive Staatsgewalt gibt, dann kann ich auch nicht fremde Staatsgewalt verletzen.“ 7 Herdegen, BDGV 34 (1995), S. 49 (58 ff.). 8 Herdegen, BDGV 34 (1995), S. 49 (61), der allerdings von der altruistischen Intervention zum Schutz der Zivilbevölkerung spricht. Die Argumente werden im Wesentlichen auf den Selbstverteidigungseinsatz gegen private Übergriffe übertragen, da auch in dieser Konstellation eine teleologische Reduktion des Gewaltverbots befürwortet wird, vgl. S. 63. 9 Brownlie, International Law and the Use of Force by States, S.265 ff.; Schindler, BDGV 26 (1986), S. 11 (14); Randelzhofer in: Simma (Hrsg.), Charter of United Nations, Art. 2 Ziff. 4 Rn. 4; Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 172 ff.; Derpa, Das Gewaltverbot der Satzung der Vereinten Nationen und die Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, S. 110 ff.; Genoni, Die Notwehr im Völkerrecht, S. 115 f.; Frowein in: Académie de droit international de la Haye (Hrsg.), Les Aspects juridiques du Terrorisme International, S. 55 (64); Kewenig in: Schaumann (Hrsg.), Völkerrechtliches Gewaltverbot und Friedenssicherung, S. 175 (184). 10 Tomuschat, EA 1981, S. 325 (329); Schröder, JZ 1977, S. 420 (422). 4 5
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Kap. 1: Allgemeine Fragen der Verteidigungseinsätze gegen Terroristen
Denkbar wäre nur, militärische Gewalt zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus wegen des diesbezüglich vielfach bekräftigten gemeinsamen Interesses der Staatengemeinschaft als mit den Zielen der Satzung vereinbar anzusehen. Mit dieser Argumentation ließe sich jedoch allenfalls die Gewaltanwendung gegen die Terroristen selbst (die ohnehin nicht dem Schutz des Gewaltverbots unterfallen 11) aus Art. 2 Ziff. 4 SVN ausklammern, nicht aber Gewaltmaßnahmen gegen die territoriale Unversehrtheit ihrer Aufenthaltsstaaten. Zudem findet eine Deutung, wonach der Verstoß gegen ein Ziel (Abstinenz von Gewalt in den internationalen Beziehungen) zur Erreichung eines anderen Ziels (Bekämpfung des Terrorismus) geopfert werden dürfte, in der Satzung keine Stütze; dies gilt umso mehr, als über die Merkmale des zu bekämpfenden Phänomens alles andere als Einigkeit besteht 12. Noch weniger lässt sich Art. 2 Ziff. 4 SVN die Befugnis zu unilateraler Gewalt entnehmen, die vorgeblich den Zielen der Satzung dient, da nach dieser Vorschrift jede Gebietsverletzung mit den Zielen der Satzung der Vereinten Nationen unvereinbar ist. Dies wird zwar gelegentlich mit dem Argument bestritten, der Begriff der territorialen „Unversehrtheit“ im Sinne des Art. 2 Ziff. 4 SVN sei nicht mit dem der territorialen Unverletzlichkeit gleichzusetzen, sondern Art. 2 Ziff. 4 verbiete nur die gesteigerte Form der Grenzverletzung: eine solche mit Aneignungsabsicht 13. Es ist jedoch nicht einzusehen, weshalb dem Begriff der territorialen Unversehrtheit (englisch: integrity) das Erfordernis einer besonderen Schwere der Gebietsbeeinträchtigung unterstellt und eine Aneignungsabsicht verlangt wird. Bei diesem Verständnis ließe sich selbst der Einsatz von Kernwaffen nicht mehr zweifelsfrei unter den Bereich verbotener Gewalt subsumieren, solange damit nicht die dauerhafte Annexion des betroffenen fremden Staatsgebiets verbunden ist. Nachdem festgestellt werden konnte, dass eine auf den Wortlaut gründende Einschränkung des Gewaltverbots nicht überzeugt, bedarf es noch der Auseinandersetzung der speziell für den failing bzw. den failed state vorgetragenen These, dass bei Schwund und Wegfall effektiver Herrschaftsgewalt und der damit verbundenen Unfähigkeit des Staates, private Übergriffe zu verhindern, das Gewaltverbot nur eingeschränkt gelte. Demnach stehe das Gewaltverbot unter einem Geltungsvorbehalt der vollständigen Staatsqualität und setze als Regelung der zwischenstaatlichen Beziehungen somit die fortdauernde Existenz des Staates voraus 14. Der Schwund effektiver Herrschaftsgewalt verlange nach einer wesentlichen Relativierung des Gewaltverbots, denn beim „völligen Zusammenbruch der Staatsgewalt schütze das Gewaltverbot nur noch bewaffnete Banden, Clanchefs und regionale warlords in ihrem ungehinderten Treiben vor bewaffneter Macht von außen“. 15 Die Argumentation zielt in Richtung des Schutzes humanitärer Belange der den wütenden Banden ausgesetzten Zivilbevölkerung und weniger auf die hier behandelten Fälle eines grenzüberschrei11 12 13 14 15
Hierzu siehe unten Kapitel 4. Siehe oben in der Einführung A. II. 2. a). Franzke, ÖZöR 16 (1966), S. 128 (148). Herdegen, BDGV 34 (1995), S. 49 (61). Herdegen, BDGV 34 (1995), S. 49 (60).
A. Gewaltverbot zugunsten des Aufenthaltsstaats privater Angreifer
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tenden Selbstverteidigungsrechts gegen private Angriffe, wenngleich auch für diese Konstellationen das Gewaltverbot teleologisch zu reduzieren sein soll 16. Die Zulässigkeit einer humanitären und „altruistisch“ motivierten Intervention lässt sich durch eine teleologische Reduktion des Gewaltverbots argumentativ begründen. Gleichwohl bestehen auch in dem hier behandelten Fall bewaffneter Übergriffe der in einem failing bzw. einem failed state agierenden nichtstaatlichen Elemente auf Nachbarstaaten gegen eine teleologische Reduktion des Gewaltverbots derzeit in der völkerrechtlichen Literatur und in der Staatenpraxis erhebliche Vorbehalte 17. Ohne der ausführlichen Darstellung der Staatenpraxis vorweggreifen zu wollen 18, sei schon hier angemerkt, dass die Staaten in ihrer Konfliktpraxis durchweg von der Geltung des Gewaltverbots zugunsten eines failing und eines failed state ausgehen und bestrebt sind, militärische Aktionen am Maßstab des Art.51 SVN zu rechtfertigen. So gingen die USA bei ihrem militärischen Vorgehen in Kambodscha im Jahr 1970 trotz fehlender effektiver Herrschaftsgewalt von der Geltung des Gewaltverbots aus 19. Ebenso ließen Israel 20, der Iran 21 und die Türkei 22 bei ihren Interventionen in den Libanon bzw. den Irak keinen Zweifel an der Achtung des Gewaltverbots und hielten ihr Vorgehen stets für rechtfertigungsbedürftig. Selten zeigen sich die Staaten so einig wie bei der extensiven Auslegung des Gewaltverbots. Im Folgenden soll daher davon ausgegangen werden, dass das Gewaltverbot auch zugunsten eines Staates ohne bzw. mit schwindender Staatsgewalt gilt. Daher kann festgehalten werden, dass sich anhand des Wortlauts von Art. 2 Ziff. 4 SVN eine beschränkte Anwendbarkeit des Gewaltverbots auf Gebietsannexionen oder auf zeitlich und räumlich ausgedehnte Maßnahmen nicht begründen lässt. Für den besonderen Fall der verminderten oder fehlenden effektiven Staatsgewalt ist eine teleologische Reduktion des Art. 2 Ziff. 4 SVN mit guten Gründen vertreten worden, hat sich aber weder in der Völkerrechtswissenschaft noch in der Staatenpraxis durchgesetzt.
Herdegen, BDGV 34 (1995), S. 49 (63). Soweit auf die These Herdegens eingegangen wurde, lehnten sie alle Teilnehmer der Leipziger Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht ab. Auch außerhalb Deutschlands ist der Vorschlag einer teleologischen Reduktion des Gewaltverbots im Schrifttum (soweit ersichtlich) auf wenig Resonanz gestoßen. 18 Hierzu unten Kapitel 3 C. 19 Brief der USA an den UN-Sicherheitsrat, UN Doc. S/1970/9781, S. 2; hierzu unten Kapitel 3 C. II. 2. 20 Vgl. das Statement Israels im UN-Sicherheitsrat, SCOR, 36th year, 2292nd meeting, Rn. 62; hierzu unten Kapitel 3 C. II. 4. 21 Brief des Iran an den UN-Generalsekretär, UN Doc. S/1996/602; hierzu unten Kapitel 3 C. II. 10. 22 Brief der Türkei an den UN-Generalsekretär und den UN-Sicherheitsrat, UN Doc. S/1996/479, S. 2; hierzu Kapitel 3 C. II. 9. 16 17
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Kap. 1: Allgemeine Fragen der Verteidigungseinsätze gegen Terroristen
II. Die teleologische Reduktion des Gewaltverbots nach der Aussonderungslösung In der Literatur wird unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11. September 2001 teilweise einem „transnationalen Konfliktbegriff“ das Wort geredet 23. Private (meistens Terroristen) seien, soweit sie Völkerrechtssubjektivität erlangt hätten, aus dem territorialen Hoheitsbereich des Aufenthaltsstaates ausgesondert. Der Schutz der territorialen Integrität solle es einem Staat ermöglichen, seine inneren Angelegenheiten frei von äußeren Einwirkungen zu bestimmen. Daher zählen bewaffnete Angriffe auf andere Staaten, die von insoweit partielle Völkerrechtssubjektivität besitzenden Privaten begangen werden, nicht mehr zu den inneren Angelegenheiten eines Staates 24. Diese Privaten hätten sich aus dem Souveränitätsschild des Aufenthaltsstaates gelöst und seien selbst zum Subjekt völkerrechtlicher Pflichten geworden. In diesem Umfang verlassen sie auch den Schutz, der ihnen durch den Aufenthaltsstaat unter Berufung auf seine territoriale Integrität gewährt werden könne. Soweit der Aufenthaltsstaat nicht gegen diese Privaten einschreite, billige er die Aussonderung der Privaten aus seinem territorialen Hoheitsbereich. Der Aufenthaltsstaat habe damit die Beachtung seiner Territorialhoheit in dem Umfang aufgegeben, in dem die Privaten sich aus diesem Hoheitsbereich aussondern25. Es mag dahinstehen, welcher Gewinn sich aus der Qualifizierung von privaten Terroristen oder anderen privaten Gewalttätern als Völkerrechtsubjekte erzielen lässt 26. Jedenfalls begegnet die Prämisse, gewalttätige Völkerrechtssubjekte seien vom territorialen Hoheitsbereich des Aufenthaltsstaates ausgeschlossen, erheblichen Bedenken. Schon an dem praktischen Nutzen einer solch umständlichen Konstruktion melden sich Zweifel an, würde doch auch das „ausgesonderte“ Gebiet denselben Schutz des Gewaltverbots genießen wie der Aufenthaltsstaat der Privaten. Zudem mutet diese Theorie lebensfremd an, wenn sie annimmt, ein Staat würde den Aufenthaltsort privater Aggressoren aus seiner Gebietshoheit entlassen. Die Möglichkeiten eines Staates, ein Gebiet zu verlieren, sind begrenzt: Die Zession setzt einen willentlichen Abtretungsakt des Staates voraus 27, der gewiss nicht bei einer durch friedensbedrohendes Verhalten verursachten „Selbstaussonderung“ der Privaten unterstellt werden kann. Der Rückzug gewalttätiger nichtstaatlicher Akteure in bestimmte Gebiete des Basenstaates, die Errichtung von Ausbildungscamps und Operationsbasen etc. hat nicht notwendigerweise die Herausbildung eines de facto23 Bruha, AVR 40 (2002), S. 383 (385 ff.); in Anlehnung an das militärische und in der Politologie verwendete Vokabular der asymmetrischen Kriegsführung, siehe Heintze in: Hirschmann (Hrsg.), Terrorismus als weltweites Phänomen, S. 217 ff.; Hirschmann in: Führungsakademie der Bundeswehr, Internationales Clausewitz-Zentrum (Hrsg.), S. 4 ff. 24 Krajewski, AVR 40 (2002), S. 183 (203). 25 Krajewski, AVR 40 (2002), S. 183 (204). 26 Hierzu unten Kapitel 3 A. II. 27 Epping/Gloria in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 23 Rn. 50; Lagoni in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Völkerrecht, S. 128; Jennings/Watts, International Law, Vol. I, Part. 2, S. 679 ff.
B. Zulässigkeit von Verteidigungsmaßnahmen nach Art. 51 SVN
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Regimes und damit verbunden eine Abspaltung vom Staatsgebiet zur Folge. Die Dereliktion setzt zumindest den Willen des Staates voraus, die Hoheit über ein Gebiet aufzugeben 28. Dieser Wille kann aber nicht deshalb vermutet werden, weil der Aufenthaltsstaat nicht gegen die Privaten einschreitet. Schließlich wäre eine „abgesonderte“ Gebietseinheit nicht lokalisierbar, wenn die nichtstaatliche Organisationen oder einzelne Private nicht gebietsgebunden agieren. Infolgedessen müsste immer der jeweilige Aufenthaltsort dieser Personen als „ausgesondert“ betrachtet werden. Die vorgeschlagene Einschränkung des Gewaltverbots vermag daher in keiner Weise zu überzeugen, sie entbehrt vor allem einer rechtlichen Grundlage und ist daher abzulehnen.
III. Ergebnis Da sich weder die speziell für den failing und den failed state entwickelte teleologische Reduktion, noch die so genannte Aussonderungslösung nach dem derzeitigen Stand des Völkerrechts als tragfähig erwiesen haben, die grundsätzliche Geltung des Gewaltverbots zugunsten des Aufenthaltsstaats terroristischer Angreifer in Frage zu stellen, ist mit der ganz überwiegenden Völkerrechtsliteratur 29 und der referierten Staatenpraxis die Bestimmung des Art. 2 Ziff. 4 SVN extensiv auszulegen. Grenzüberschreitende Verteidigungseinsätze gegen terroristische Bedrohungen bedürfen einer satzungsrechtlichen Ermächtigung.
B. Die Zulässigkeit von Verteidigungsmaßnahmen nach Art. 51 SVN I. Die Ausschließlichkeit der satzungsrechtlichen Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts Die Zulässigkeit grenzüberschreitender Gewaltmaßnahmen richtet sich ausschließlich nach den Voraussetzungen des Art. 51 SVN; die These von der Existenz zusätzlicher, an weniger strenge Voraussetzungen geknüpfter Gewaltbefugnisse konnte sich zu Recht nicht durchsetzen 30. Die vereinzelte Anerkennung eines völVerdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 1156. Randelzhofer in: Simma (Hrsg.), Charter of United Nations, Art.2 Ziff. 4 Rn. 1 f. und 13 f.; Hobe/Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 308; Fischer in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, §59 Rn.11 ff.; Schröder, JZ 1977, S.420 (422); Voigtländer, Notwehr und kollektive Verantwortung, S. 21 ff.; Tomuschat, EA 1981, S. 325 (329); Delbrück, Die Friedenswarte 74 (1999), S. 139 ff. 30 So die ganz herrschende Meinung, vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 470; Brownlie, International Law and the Use of Force by States, S. 270 f.; Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 169 ff.; Genoni, Die Notwehr im Völkerrecht, S. 153 f.; Rifaat, International Aggression, S. 125; Derpa, Das Gewaltverbot der Satzung der Vereinten Nationen und die Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, S. 115 f.; Randelzhofer in: Simma (Hrsg.), 28 29
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Kap. 1: Allgemeine Fragen der Verteidigungseinsätze gegen Terroristen
kergewohnheitsrechtlichen Selbstverteidigungsrechts in der gegenwärtigen Staatenpraxis 31 steht diesem Ergebnis nicht entgegen, denn auch dieses Recht ist in seiner heutigen Geltung mit den Voraussetzungen des Art. 51 SVN inhaltsgleich 32. Bereits die Gesamtsystematik des Art. 51 SVN ist nur auf der Grundlage dieses Ausschließlichkeitsanspruches plausibel: Bei der Existenz weiterer Verbotsausnahmen käme dem ersten Halbsatz des Art. 51 S. 1 SVN („Die Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs“) nur eine deklaratorische Wirkung zu. Dies erschiene widersprüchlich, weil Art. 51 SVN dann allein den Fall des Selbstverteidigungsrechts gegen einen bewaffneten Angriff klarstellte, dieser Fall aber der Klarstellung am wenigsten bedurft hätte. Geradezu unverständlich wäre die Regelung des Art. 51 S. 2 SVN, die ausgerechnet für den dringlichsten Fall der Selbstverteidigung prozedurale Hürden aufstellte, für die weniger schwerwiegenden Fälle hingegen nicht 33. Bei der Anerkennung ungeschriebener Ausnahmen vom Gewaltverbot würde zudem die dem UN-Sicherheitsrat zugewiesene Kompetenz zur Verhängung kollektiver Zwangsmaßnahmen ausgehöhlt, eine Konsequenz, die angesichts der in der Satzung angelegten Suprematie des Sicherheitsrates für die Wahrung des Weltfriedens nicht gewollt sein kann. Dieser Auslegungsbefund findet durch die Entstehungsgeschichte der Satzung eine Bestätigung. Die Fortgeltung weniger strenger Verbotsausnahmen, seien sie gewohnheitsrechtlicher oder naturrechtlicher Art, war von den Gründungsmitgliedern nicht vorgesehen: Zum einen belegt das viel zitierte Memorandum des amerikanischen Staatssekretärs Stettinius, dass die Gründungsmitglieder der Vereinten Nationen Gewaltausübung nur unter den in Art. 51 SVN normierten Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts legitimieren wollten 34. Zum anderen spricht das Art. 51 Rn. 9 ff.; Kunz, AJIL 41 (1947), S. 872 (877 f.); Malunczuk, ZaöRV 43 (1983), S. 705 (758 f.); Ader, Gewaltsame Rettungsaktionen zum Schutz eigener Staatsangehöriger, S. 68; Schindler, BDGV 26 (1986), S. 11 (16 f.); Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 1144; Fischer in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 59 Rn. 28; Bothe in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 8. Abschn. Rn. 19; Schröder, JZ 1977, S. 420 (425 f.). 31 Neben dem IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports 1986, S. 102 par. 192 f. finden sich Staatenäußerungen, die von der Geltung eines Notstandsrechts ausgehen, hierzu ausführlich unten Kapitel 3 C. II. 32 So der IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports 1986, S. 102 par. 192 f. Dogmatisch begründete der IGH die Identität von satzungsrechtlichem und völkergewohnheitsrechtlichem Selbstverteidigungsrecht damit, dass die Satzung im Bereich der Sicherung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit bereits einen völkergewohnheitsrechtlichen Status erlangt hat. 33 Genoni, Die Notwehr im Völkerrecht, S. 105 f.; Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 176. 34 Dort heißt es: „Dr. Koo asked whether it would be possible under the document for either member or non-member states to use force unilaterally under the claim that such action was not inconsistent with the purposes of the Organisation. He seemed satisfied with the explanation that, except of cases of self-defence, no unilateral use of force could be undertaken without the approval of the Council.“ Diplomatic Papers, 1944, Bd. I, S. 862; Russell, A History of The United Nations Charter, S. 465 f.
B. Zulässigkeit von Verteidigungsmaßnahmen nach Art. 51 SVN
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völkerrechtstheoretische Umfeld zur Zeit der Entstehungsgeschichte der Satzung gegen eine naturrechtliche Deutung des Selbstverteidigungsrechts, herrschten doch seit Langem die positivistischen Schulen vor und legten eher eine Abkehr naturrechtlicher Theorien nahe 35. Im Folgenden wird daher zur Begründung einer Verteidigungsbefugnis gegen terroristische Gewalt ausschließlich auf die Voraussetzungen des Art. 51 SVN eingegangen; ungeschriebene Notstands- oder sonstige Verteidigungsbefugnisse stehen nicht zur Debatte.
II. Das Erfordernis der staatlichen Zurechenbarkeit der Gewaltakte 1. Die Bedeutung der Zurechnungskriterien für das staatliche Selbstverteidigungsrecht Die Zulässigkeit von Verteidigungsmaßnahmen gegen Private auf dem Territorium eines anderen Staates (zumeist dem Aufenthaltsstaat der gewalttätigen Privaten) wird von einem Großteil des völkerrechtlichen Schrifttums davon abhängig gemacht, dass Gewaltakte der Privaten demjenigen Staat zurechenbar sind, in dessen territoriale Integrität im Zuge der Verteidigungsmaßnahme eingegriffen wird 36. Unter Zurechnung wird im Allgemeinen die rechtliche Fiktion verstanden, die die menschliche Handlung zu einem „Act of State“ werden lässt. Denn wie jede Kollektivkörperschaft handelt auch der Staat nicht selbst, sondern ist in seinen Handlungen und Unterlassungen auf Entscheidungen natürlicher Personen angewiesen. Ein bestimmtes Ausmaß staatlicher Verwicklung in die Gewaltakte führe demnach letztlich dazu, dass die Gewaltakte als Handlungen des Staates angesehen werden und der involvierte Staat selbst als bewaffneter Angreifer im Sinne des Art. 51 SVN gelte. Verwicklungen unterhalb dieser Zurechnungsschwelle könnten lediglich die völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Staates nach sich ziehen, führten aber nicht zur Umwandlung privaten Verhaltens in einen „Act of State“. Staatliche Verstrickungen in terroristische Handlungen führten daher bei Verletzung einer (beispielsweise durch eine Konvention oder Resolution zur Bekämpfung des Terrorismus sta-
Krisch, Selbstverteidigung und kollektive Sicherheit, S. 318. Bowett, Self-Defence in International Law, S. 9; Genoni, Die Notwehr im Völkerrecht, S. 45; Al Chalabi, Légitime Défense en droit international, S.83 ff.; Bericht des Sonderberichterstatters Ago, YILC 1980 II/1, S. 13 (15 und 55); Jennings/Watts, International Law, Vol. I/1, S. 418 (Fußn. 5 a. E.); Derpa, Das Gewaltverbot der Satzung der Vereinten Nationen und die Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, 1970, S. 94; Blumenwitz, ZRP 2002, S. 102 (104); Fischer in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 59 Rn. 28; Klein in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Völkerrecht, S. 371; Schröder, JZ 1977, S. 420 (423), der allerdings den Begriff des bewaffneten Angriffs dem Wandel der militärischen Strategien anpassen will und somit nach heutiger Sicht möglicherweise zu einem weiten Begriffsverständnis gelangte. Zanardi, in: Cassese (Hrsg.), The Current Legal Regulation of the Use of Force, S. 111 (112); Ruffert, ZRP 2002, S. 247 (247 f.). 35 36
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Kap. 1: Allgemeine Fragen der Verteidigungseinsätze gegen Terroristen
tuierten) staatlichen Verhaltenspflicht regelmäßig zu einer völkerrechtlichen Verantwortlichkeit des Staates, und zwar auch dann, wenn diese Verstrickung nicht ein solches Ausmaß erreicht, dass die terroristische Handlung dem verstrickten Staat als eigener bewaffneter Angriff zugerechnet werden kann. Im Falle bloßer völkerrechtlicher Verantwortlichkeit (unterhalb der Zurechnungsschwelle) dürfe der verwickelte Staat aber nicht Ziel der Selbstverteidigungsmaßnahme sein. Gegen diesen Ansatz formiert sich Widerstand mit dem Argument, dass der Schutz eines Staates vor Angriffen nicht vom Ausmaß der Verwicklung eines anderen Staates in diese Angriffe abhängig gemacht werden könne 37. Der angegriffene Staat sei zu grenzüberschreitenden Gegenmaßnahmen auf dem Territorium eines anderen Staates berechtigt, auch ohne dass die Angriffe letzterem zugerechnet werden könnten. Andere Stimmen halten am Erfordernis der staatlichen Zurechenbarkeit bewaffneter Angriffe für die Aktivierung des Selbstverteidigungsrechts fest. Indes seien die Zurechnungsregeln aufgrund der jüngsten Völkerrechtsentwicklung derart modifiziert, dass diese keine ernsthafte Beschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten für durch Terroristen bedrohte Staaten mehr darstellten. Zu beobachten sei nämlich eine Konvergenz der Zurechnungskriterien und der im Bezug auf terroristische Gewaltakte bestehenden Verhaltenspflichten der Staaten. Demnach führe die völkerrechtliche Verantwortlichkeit eines Staates für terroristische Angriffe regelmäßig zur staatlichen Zurechenbarkeit dieser Aktivitäten 38. Im Folgenden sollen zunächst die derzeit anerkannten Zurechnungsregeln dargestellt werden (unter 2.). Allein auf dieser Grundlage lässt sich beurteilen, ob die Zurechnungskriterien, weil zu restriktiv, dem angegriffenen Staat die Verteidigungsmöglichkeit erschweren. Dabei wird sich zeigen, dass sich sowohl die Staaten als auch die Vereinten Nationen in recht eindeutiger Weise für restriktive Zurechnungskriterien aussprechen und für deren Modifizierung wenig Spielraum eröffnen. Im Anschluss hieran soll gezeigt werden, dass die Modifizierung der Zurechnungskriterien de lege ferenda zwar möglich (Kapitel 2 A.) aber wenig wünschenswert ist (Kapitel 2 B.). Diese Ergebnisse werden zum Anlass genommen, das Erfordernis der staatlichen Zurechenbarkeit für die Aktivierung des Selbstverteidigungsrechts zu hinterfragen (Kapitel 2 B.) und es wird versucht, die Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts gegen terroristische Gewalt vor dem Hintergrund der neueren Praxis der Staaten und internationaler Organisationen neu zu formulieren (Kapitel 3). 37 Frowein, ZaöRV 62 (2002), S. 879 (887); Krajewski, AVR 40 (2002), S. 183 (197 f.); Bruha, AVR 40 (2002), S. 383 (393); Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 183 (213); Tomuschat, EuGRZ 2002, S. 535 (540); Dinstein, War, Aggression and Self-Defense, S. 192 ff.; Coll, ASIL 1987, S. 297 ff. Vorsichtig Hobe/Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 320 ff. nur für Völkerrechtssubjekte; Paasche, CJTL 25 (1987), S. 377 (394); nur für die individuelle Selbstverteidigung Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 206 ff. 38 Hierzu unten Kapitel 1 B. II. 1.
B. Zulässigkeit von Verteidigungsmaßnahmen nach Art. 51 SVN
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2. Darstellung der Zurechnungsregeln Weder die zentrale Bestimmung des Art.2 Ziff. 4 SVN, wonach jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt verboten ist, noch Art. 51 SVN geben Aufschluss über die Zurechenbarkeit der durch Private verübten Gewalthandlungen (bzw. -androhungen). Bei der Ermittlung der Zurechnungsregeln ist daher auf die allgemeinen Resolutionen der Vereinten Nationen im Bereich des Gewaltverbots 39 und auf die Staatenpraxis sowie hilfsweise auf die Arbeiten der Völkerrechtskommission (im Folgenden: ILC [International Law Commission]) und die (allerdings ebenfalls zerstrittene) Völkerrechtslehre 40 zurückzugreifen. a) Die Zurechnungsregeln nach den allgemeinen Resolutionen der Vereinten Nationen im Bereich des Gewaltverbots aa) Die staatliche Zurechenbarkeit nach der „Friendly Relations Declaration“ Nach der Resolution der Generalversammlung 26/25 vom 24. Oktober 1970 (im Folgenden: „Friendly Relations Declaration“) schließt das Gewaltverbot die Pflicht der Staaten ein, die Organisation, Anstiftung, Unterstützung von oder Teilnahme an Bürgerkriegen oder terroristischen Handlungen in einem anderen Staat oder die stillschweigende Duldung organisierter Aktivitäten auf seinem Hoheitsgebiet, die auf 39 Zur Bedeutung dieser Resolutionen für die Ermittlung der Zurechnungsregeln Wolf, Die Haftung der Staaten für Privatpersonen nach Völkerrecht, S. 388; Randelzhofer in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art.2 (4) Rn. 18; Fischer in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 59 Rn. 10. 40 Verfechter eines restriktiven Zurechnungsansatzes sind Zanardi in: Cassese (Hrsg.), The Current Legal Regulation of the Use of Force, S.111 (113), der insbesondere die Zurechnung bei der Duldung privater Angreifer mit dem zweifelhaften Argument verneint, dass die Privaten mit den staatlichen Organen eher in Konflikt stünden, als von ihnen unterstützt zu werden. Ähnlich Genoni, Die Notwehr im Völkerrecht, S.141 ff.; Randelzhofer in: Simma (Hrsg.), Charter of United Nations, Art. 51 Rn. 31; Hailbronner, BDGV 26 (1986), S. 49 (77 f.); Schindler, BDGV 26 (1986), S.11 (35); Wildhaber in: Schaumann (Hrsg.), Völkerrechtliches Gewaltverbot und Friedenssicherung, S. 147 (161); Ruffert, ZRP 2002, S. 247 (248), die übereinstimmend mit dem IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ. Reports 1986, S. 62 (par. 109 ff.) eine Zurechnung nur bei der Entsendung und der massiven Unterstützung annehmen wollen. Einen großzügigeren Zurechnungsansatz vertreten Frowein in: Académie de droit international de La Haye (Hrsg.), S.55 (66 ff.); Schachter, IYHR 19 (1989), S. 209 (225 ff.) und die neueren Ansätze zu einer Modifizierung der Zurechnungskriterien für den Bereich des Internationalen Terrorismus’: Tietje/Nowrot, NZWehrr 2002, S. 1 (9); Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 183 (226 ff.); Hillgruber/Hoffmann, NWVBl. 2004, S. 176 (177 Fußn. 4). Die staatliche Zurechenbarkeit im Falle einer Entsendung privater Verbände durch einen Staat wird im heutigen Schrifttum, soweit ersichtlich, nicht mehr angezweifelt; im älteren Schrifttum siehe aber Dupuy, AFDI 5 (1959), S. 431 (460 ff.). Instruktiv Kilian, NZWehrr 1982, S. 121 ff.
3 Scholz
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Kap. 1: Allgemeine Fragen der Verteidigungseinsätze gegen Terroristen
die Begehung solcher Handlungen gerichtet sind, zu unterlassen. Die entscheidende Bestimmung findet sich in den Absätzen 8 und 9 des ersten Prinzips und lautet 41: „Jeder Staat hat die Pflicht, die Gründung oder die Unterstützung der Gründung irregulärer Streitkräfte oder bewaffneter Banden einschließlich Söldnerbanden zu unterlassen, deren Ziel es ist, in das Hoheitsgebiet eines anderen Staates einzufallen. Jeder Staat hat die Pflicht, die Organisierung, Anstiftung oder Unterstützung von Bürgerkriegs- oder Terrorakten in einem anderen Staat oder die Teilnahme daran oder die Duldung organisierter Aktivitäten, die auf die Begehung solcher Akte gerichtet sind, in seinem Hoheitsgebiet zu unterlassen, wenn die in diesem Absatz erwähnten Akte die Androhung oder Anwendung von Gewalt einschließen.“ 42
Demnach ist einem Staat die Gründung bzw. Gründungsunterstützung privater gewaltbereiter Gruppen und deren Entsendung untersagt. Weiter ist ihm die Unterstützung und Duldung privater Angriffe untersagt, wobei das für die staatliche Zurechnung notwendige Ausmaß der Unterstützung allerdings unklar bleibt. Es ist zweifelhaft, ob der Resolution überhaupt eine Bedeutung für die Zurechnungsproblematik zukommt. Schon die Ansiedelung der indirekten Gewalt (die staatliche Verwicklung in private Gewalt) in das Gewaltverbot war unter den Delegierten höchst umstritten 43. So sprachen sich die Vertreter der sozialistischen Länder für deren Einordnung unter das Prinzip der Nichtintervention aus 44. Die letztlich getroffene Zuordnung der indirekten Gewalt sowohl zum Prinzip der Nichtintervention als auch zum Gewaltverbot verkörpert einen Formelkompromiss 45, der weder hinsichtlich der Zurechnungskriterien noch über die Aktivierung des Selbstverteidigungsrechts bei staatlicher Beteiligung an bewaffneter Gewalt sichere Aussagen zulässt. bb) Die staatliche Zurechenbarkeit nach der Aggressionsdefinition Die für die staatliche Zurechnung privater bewaffneter Angriffe maßgebliche Bestimmung des Art. 3 lit. g des Anhangs der Resolution der Generalversamm41 Im Original: „Every State has the duty to refrain from organizing or encouraging the organization of irregular forces or armed bands, including mercenaries, for incursion into the territory of another State. Every State has the duty to refrain from organizing, instigating, assisting or participating in acts of civil strife or terrorist acts in another State or acquiescing in organized acticvities within its territory directed towards the commission of such acts, when the acts referred to in the present paragraph involved a threat or use of force.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 42 Hervorhebung durch Verfasser. 43 Dohna, Die Grundprinzipien des Völkerrechts über die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten, S. 59 f.; Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 105. 44 Vgl. nur Jugoslawien, UN Doc. A/AC.125/SR.65, S. 14. 45 Dieser Kompromiss geht auf den Vorschlag Frankreichs zurück, UN Doc. A/AC.125/SR.87, S. 54.
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lung 33/14 vom 14. Dezember 1974 (im Folgenden: Aggressionsdefinition) lautet 46: „Jede der folgenden Handlungen gilt (...) als Angriffshandlung: (...) Das Entsenden bewaffneter Banden, Gruppen, Freischärler oder Söldner durch einen Staat oder für ihn, wenn sie mit Waffengewalt Handlungen gegen einen anderen Staat von so schwerer Art ausführen, dass sie den oben angeführten Handlungen gleichkommen, oder die wesentliche Beteiligung an einer solchen Entsendung.“ 47
Nach dem Wortlaut der Bestimmung begründen die Entsendung privater Angreifer und die wesentliche Beteiligung an der Entsendung die staatliche Zurechenbarkeit der bewaffneten Aktivitäten. Aus dem eindeutigen Wortlaut darf aber nicht geschlossen werden, dass unter den Staaten selbst bei Vorliegen derart schwerwiegender Verwicklungsformen hinsichtlich der Zurechnungsfrage Einigkeit bestand. Vielmehr war diese Problematik Gegenstand einer politisch und ideologisch höchst kontrovers geführten Diskussion zwischen den Weststaaten einerseits und den blockfreien und sozialistischen Staaten andererseits48. Die Blockfreien neigten mehrheitlich dazu, die staatliche Zurechenbarkeit indirekter Aggressionen generell zu verneinen 49, während die Weststaaten im Laufe des Konsensbildungsprozesses deutlich dazu übergingen, einen möglichst weit gefächerten Rahmen von Verwicklungsformen – der von der Leitung der Operation, über deren Organisation bis hin zur bloßen Unterstützung reichte – als zurechnungsbegründend anzusehen 50. Der sowjetische Vorschlag erkannte allein die Entsendung bewaffneter Gruppen als indirekte Aggression an 51. Diese gegensätzlichen Positionen wurden im Laufe der Erarbeitung der Aggressionsdefinition nicht überwunden, sondern lediglich in einem Formelkompromiss überdeckt. Selbst unmittelbar nach Abschluss des Konsensbildungsprozesses gingen einige Staaten wieder dazu über, indirekte Aggressionen generell aus dem Tatbestand des Art. 51 SVN auszuklammern 52. Andere Staaten erachteten allein die Entsendung bewaffneter nichtstaatlicher Verbände als zurechnungsbegründend 53. Demnach lässt sich Art. 3 lit. g der Aggressionsdefinition nicht einmal mit letzter Gewissheit hinsichtlich der Verwicklung in Form der Entsendung und massiven Unterstützung als Zurechnungsnorm interpretieren. Keinesfalls füh46 Im Original: „(...) the sending by or on behalf of a State of armed bands, irregulars or mercenaries, which carry out act of armed force against another State of such gravity as to amount to the acts of armed force listed above, or its substantial involvement therein.“ (Einklammerung und Hervorhebung durch Verfasser). 47 Hervorhebung durch Verfasser. 48 Bruha, Die Definition der Aggression, S. 169 ff. und S. 228 ff. 49 Syrien, UN Doc. A/C.6/SR.1475, par. 20; Uruguay, UN Doc. A/AC.134/SR.74, S. 112. 50 Norwegen, UN Doc. A/AC.134/SR.66, S. 167; Australien, UN Doc. A/AC.134/SR.32, S. 32; Großbritannien, UN Doc. A/AC.134/SR.85, S. 50; zur Staatenpraxis Bruha, Die Definition der Aggression, S. 228. 51 UN Doc.A/AC.134/SR.27, S. 11 f. 52 Mexiko, GAOR, XXIX, Supplement 19, S. 35; Syrien, UN Doc. A/C.6/SR.1475, par. 20. 53 Kuba, GAOR, XXIX, Supplement 19, S. 22; umfassend Bruha, Die Definition der Aggression, S. 238.
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ren nach der Aggressionsdefinition darüber hinaus auch weniger starke staatliche Verwicklungsformen zur staatlichen Zurechenbarkeit. cc) Die staatliche Zurechenbarkeit nach der Sicherheitsresolution 1373 (2001) Die Deutung der Sicherheitsratsresolution 1373 (2001)54 als allgemeines Zurechnungsregime für den Bereich des Art.51 SVN ist erklärungsbedürftig, handelt es sich bei dieser Resolution doch auf den ersten Blick um eine „Konfliktresolution“, die unter dem Eindruck der Anschläge auf die USA am 11. September 2001 verabschiedet wurde. Die Resolution selbst stellt diesen Konfliktbezug unmissverständlich her, wenn sie in der zweiten Präambelerwägung die Verurteilung der am 11. September 2001 in den USA verübten Anschläge wiederholt. Bereits in der dritten Erwägung der Präambel geht sie jedoch über diesen Konfliktfall hinaus und statuiert – einmalig in der Geschichte der Vereinten Nationen – in ihrem operativen Teil abstrakt-generelle Pflichten der Terrorismusbekämpfung. Sie gleicht insoweit einem echten legislativen Akt. Ungeachtet der rechtlich problematischen Zulässigkeit eines solchen Vorgehens 55 ist es daher angezeigt, die Resolution 1373 als eine relevante und über den Konfliktfall hinausgehende Resolution des Sicherheitsrates aufzufassen. Die für die Zurechnungsfrage interessierende Passage der Resolution 1373 (2001) lautet: „(...) in Bekräftigung des naturgegebenen Rechts zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, das in der Charta anerkannt (...) wird, (...) beschließt (der Sicherheitsrat) (...), dass alle Staaten (...) 2. a) es unterlassen werden, (...) Personen, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind, in irgendeiner Form aktiv oder passiv zu unterstützen, (...) c) denjenigen, die terroristische Handlungen finanzieren, planen, unterstützen oder begehen oder die den Tätern Unterschlupf gewähren, einen sicheren Zufluchtsort verweigern werden (und ihnen verbieten werden) (...) ihr Hoheitsgebiet für diese Zwecke zu nutzen; (...)“. 56
Die Zusammenschau der aufgeführten Verwicklungsformen und der Bekräftigung des Selbstverteidigungsrechts legen die Vermutung nahe, dass die Resolution die Anforderungen an die staatliche Zurechenbarkeit deutlich gelockert hat und eine solche bereits bei der passiven Unterstützung oder Duldung der Gewaltaktivitäten durch einen Staat annimmt 57. Einen Anhaltspunkt für zurechnungsrelevante 54 Einen Überblick über Inhalt und Vorgeschichte der Resolution bei Wüstenhagen in: von Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, S. 101 (135 ff.). 55 Zur rechtlichen Zulässigkeit eines solchen Vorgehens Condorelli, RGDIP 105 (2001), S. 829 (835); Aston, ZaöRV 62 (2002), S. 257 (257 ff.); Finke/Wandscher, VN 2001, S. 168 (171 f.); Sandoz, SZIER 2002, S. 319 (329). 56 Einklammerung und Hervorhebung durch Verfasser. 57 Hillgenberg in: Frowein/Scharioth/Winkelmann/Wolfrum, Verhandeln für den Frieden, S. 141 (156); Schmahl/Haratsch, WeltTrends 32 (2001), S. 111 (115); Hillgruber/Hoffmann,
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Aussagen der Resolution enthält ferner der Redebeitrag des britischen Vertreters Greenstock bei der Diskussion über den Bericht des durch die Resolution 1373 eingesetzten Counter-Terrorism Committee vom Januar 2002 58, in dem er die weitreichende Bedeutung der Resolution für die Bekämpfung des Terrorismus betonte und unterstrich: „The Councils aim was to raise the average level of government performance against terrorism across the globe. That had meant upgrading the capacity of each nation’s legislation and executive machinery to fight terrorism. Every government, therefore, (is) responsible for ensuring that there (is) no weak part of the chain.“ 59
Im Übrigen sind die Debatten im Sicherheitsrat im Vorfeld der Resolutionen 1368 und 1373 von Emotionen geprägt und für die Frage der staatlichen Zurechenbarkeit nur selten aufschlussreich. Die meisten Staaten bekundeten, den Terroristen jeden Zufluchtsort zu verweigern und diejenigen, die einen solchen gewähren, bekämpfen zu wollen 60. Bekundungen des Schocks über die Anschläge, des Beileids für das US-amerikanische Volk und des Willens, gegen terroristische Akte vorzugehen, dominierten die Beratungen 61. Die Anschläge wurden allseits scharf verurteilt, ohne die hieraus zu ziehenden rechtlichen Konsequenzen zu benennen. Rechtlich bedeutsam ist Folgendes: Durchweg werden die terroristischen Gewaltakte in Anlehnung an die Wortwahl in Art. 51 SVN als „attack“ bezeichnet, ohne dass ein staatlicher Angreifer erkennbar war 62 und auffallend deutlich und einhellig wird die Notwendigkeit 63, teilweise sogar die Pflicht 64 betont, bei der Bekämpfung des Terrorismus zu kooperieren. Dass Verstöße gegen die Kooperationspflicht die Folge hätten, den Staat selbst als Angreifer zu betrachten, wurde von den Staatenvertretern hingegen nicht erwogen, so dass die Bedeutung der Äußerungen für die Zurechnungsfrage nicht eindeutig ist. NWVBl. 2004, S. 176 (177 Fußn. 4); Tietje/Nowrot, NZWehrr 2002, S. 1 (9); Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 183 (226 ff.). 58 Die Diskussion fand in der 4453. Sitzung des Sicherheitsrates statt, abgedruckt in Press Release SC/7276. Aufgabe des Counter-Terrorism Committee war die Überwachung der Implementierung des operativen Teils der Resolution 1373 (2001). 59 Einklammerung und Hervorhebung durch Verfasser. 60 Belgien, UN Doc. S/2001/864 Annex II: „There will be no safe haven for terrorists and their sponsors“. 61 Siehe die Äußerungen vor der Annahme der Sicherheitsratsresolution 1368 (2001) im 4370th meeting, UN Doc. S/PV.4370. 62 Belgien im Namen des Rates der Europäischen Union, UN Doc. S/2001/864 Annex II; Brasilien, UN Doc. S/2001/864 Annex III.; Kuba, UN Doc. S/2001/864 Annex IV; Japan, UN Doc. S/2001/864 Annex VI; Israel, UN Doc. S/2001/864 Annex V; Neuseeland, UN Doc. S/2001/864 Annex VII; Rumänien, UN Doc. S/2001/864 Annex VIII; Slowenien, UN Doc. S/2001/864 Annex IX. 63 Dabei wird der Terrorismus als Angriff gegen die Menschlichkeit, als Geisel der Menschheit und Schlag gegen die Demokratie bezeichnet, vgl. die Redebeiträge Frankreichs, Tunesiens und Norwegens; allesamt in UN Doc. S/PV.4370. 64 Singapur, Irland und Bangladesch. Vorsichtiger dagegen China, das die führende Rolle des Sicherheitsrates betont; allesamt in UN Doc. S/PV.4370.
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Zudem sprechen gewichtige Indizien dagegen, der Resolution 1373 (2001) einen Aussagewert für die Etablierung eines Zurechnungsregimes beizumessen: Im operativen Teil der Resolution findet sich kein Erfordernis tatsächlich durchgeführter Gewaltakte, so dass nicht zwingend davon ausgegangen werden kann, die Resolution treffe eine abstrakt-generelle Regelung im Bereich des Gewaltverbots. Dies gilt umso mehr, als die besagte, vermeintlich zurechnungsrelevante Bestimmung in Beschlüsse eingekleidet ist (Punkte 1. b; 2. e; 3. a und b), die sich ausschließlich mit Fragen der Strafverfolgung und der Kooperation der Geheimdienste beschäftigen. Der Gesamtduktus der Resolution weist vielmehr eine große Ähnlichkeit mit den Regeln über die Staatenverantwortlichkeit auf. So wendet sich die oben zitierte Bestimmung des Punktes 2. der Resolution direkt an die Staaten und wiederholt zum Teil wörtlich Bestimmungen aus dem Internationalen Abkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus 65, geht zum Teil sogar darüber hinaus. Es erscheint daher wesentlich plausibler, die Resolution als eine Verschärfung der Regeln über die Staatenverantwortlichkeit zu deuten und nicht als ein Zurechnungsregime. Demnach sollten durch die Resolution die Verhaltenspflichten der Staaten in Bezug auf terroristische Handlungen zwar verschärft, zuwiderhandelnde Staaten aber nicht selbst als bewaffnete Angreifer stigmatisiert werden. Schließlich ist die Resolution (soweit ersichtlich) in der nachfolgenden Staatenpraxis nicht für die Begründung einer staatlichen Zurechenbarkeit herangezogen worden – wohl aber als Stütze für ein Selbstverteidigungsrecht gegen Private ohne den Nachweis der staatlichen Zurechenbarkeit 66. Dem steht nicht entgegen, dass die Staaten zukünftig anders verfahren und die in der Resolution aufgestellten Verbote als Zurechnungsregeln anerkennen könnten. Die derzeitige Staatenpraxis legt dies allerdings (noch) nicht nahe. Ohne weiteres kann der Resolution 1373 (2001) daher entnommen werden, dass die Duldung von Terrorgruppen, die Angriffe militärischen Ausmaßes unternehmen, deren Finanzierung usw. eine Verantwortlichkeit des Staates begründen. Nach dem derzeitigen Stand der Staatenpraxis ist der verwickelte Staat bei Begehung der genannten Verwicklungsformen jedoch nicht als Angreifer im Sinne des Art. 51 SVN anzusehen. b) Die Bestimmung der Zurechnungsregeln anhand der Staatenpraxis und Organpraxis der Vereinten Nationen in einzelnen Konfliktfällen Im Folgenden soll anhand der Praxis der Staaten und der Organe der Vereinten Nationen in einzelnen Konfliktfällen bestimmt werden, in welchen Fällen einem Staat terroristische Aktivitäten als eigene zuzurechnen sind.
65 66
Anlage zur Resolution der Generalversammlung 54/109 vom 9.12.1999. Siehe unten Kapitel 3 C. II. 16. und 18.
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aa) Konflikt zwischen Frankreich und Tunesien im Jahr 1958 Im Mai 1958 begannen französische Truppen, Stellungen der National Liberation Front (oder Front de libération nationale, im Folgenden: FLN) militärisch anzugreifen 67. Damit reagierte Frankreich auf bewaffnete Übergriffe der Rebellen, die von tunesischem Territorium aus durchgeführt wurden. Nach französischer Rechtsauffassung reichte die Unterstützung Tunesiens und der Umstand, dass die Übergriffe von tunesischem Territorium aus verübt wurden, für die staatliche Zurechenbarkeit aus: „There can be no doubt that the support given to the FLN by Tunesia constitutes aggression. (...) In an international conflict the State shall be declared the attacker which supports armed bands organized in its territory which invade the territory of another State, or refuses, on being requested by the invaded State, to take in its own territory any action within its power to deny such bands any aid or protection.“ 68
Frankreich bezeichnete Tunesien als bewaffneten Angreifer, woraus auf die Annahme der staatlichen Zurechenbarkeit aufgrund der Duldung und Unterstützung der Angreifer durch Tunesien geschlossen werden kann. Aufgrund der durch die USA und Großbritannien angebotenen Vermittlungsdienste konzentrierte sich die Debatte im Sicherheitsrat nicht mehr auf den von Frankreich aufgestellten Zurechnungsvorwurf; zu dieser Frage liegen daher keine Stellungnahmen anderer Staaten vor. bb) Konflikt zwischen den USA und Nicaragua in den 1980er Jahren (1) Die Auffassungen der am Konflikt beteiligten Staaten Als prominentester Konflikt im Zusammenhang mit der Zurechnungsfrage gilt die Auseinandersetzung zwischen den USA und Nicaragua in den 1980er Jahren. Die USA unterstützten zum einen die gegen die nicaraguanische Regierung operierenden Contras und wandten zum anderen selbst auf nicaraguanischem Territorium mittels eigener Streitkräfte Gewalt an. In rechtlicher Hinsicht nahmen die USA für sich das Recht zur kollektiven Selbstverteidigung in Anspruch und bezichtigten Nicaragua der Unterstützung der in El Salvador operierenden Rebellen. Nach Ansicht der USA stellte das Verhalten Nicaraguas – die Waffenlieferungen an die Rebellen, deren finanzielle und logistische Unterstützung sowie deren Entsendung und Kontrolle – einen bewaffneten Angriff auf El Salvador dar 69. Nicaragua stimmte der Rechtsauffassung der USA insoweit zu, als die substantielle Verwicklung in hinreichend schwere Gewaltakte privater Rebellen einen bewaffneten Angriff des verwickelten Staates darstelle. In tatsächlicher Hinsicht wurde das Vorliegen einer substantiellen Verwicklung hingegen bestritten. Siehe die ausführliche Sachverhaltsdarstellung in SCOR, 13th year, 811th meeting, S.1 ff. SCOR, 13th year, 819th meeting, S. 14 par. 74. Einklammerung und Hervorhebung durch Verfasser. 69 Stellungnahme der USA im Sicherheitsrat, SCOR, 38th year, 2431th meeting, S. 11 f. 67 68
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(2) Aussagen des IGH hinsichtlich der staatlichen Zurechenbarkeit Nicaragua wandte sich an den IGH, der mit seinem Sachurteil vom 27. Juni 1986 einen bedeutenden Beitrag für die Frage der staatlichen Zurechnung privaten Verhaltens leistete 70. Bezüglich einer staatlichen Zurechnung privater Gewaltakte hatte sich das Gericht mit zwei Fragen zu beschäftigen. Zunächst musste es untersuchen, ob die bewaffneten Aktivitäten der Contras den USA zurechenbar waren. Nach Ansicht des IGH wurden die Contras in unterschiedlichster Form massiv durch die USA unterstützt 71: Sie erhielten unter anderem finanzielle Zuwendungen, logistische Unterstützung und Informationen über sandinistische Truppenbewegungen. Gleichwohl wurde vom IGH die Zurechenbarkeit der Akte an die USA mit der Begründung verneint, dass eine Kontrolle der USA über alle Aktivitäten der Contras nicht bewiesen werden könne 72. Der IGH macht eine Zurechnung also davon abhängig, ob ein Staat ein solch hohes Maß an Kontrolle über jeden begangenen Gewaltakt ausübt und die Privaten in einer solchen Abhängigkeit stehen, dass die Privaten einem staatlichen Organ gleichgestellt werden könnten. Hierfür sei nach Ansicht des Gerichts eine nachweisbare Kontrolle über die jeweiligen Einzeloperationen der Privaten erforderlich 73: „(...) despite the heavy subsidies and other support provided to them by the United States, there is no clear evidence of the United States having actually exercised such a degree of control in all fields as to justify treating the contras on its behalf. (...) adequat direct proof that all or the great majority of contra activities during that period received this support has not been (...) advanced in every respect.“ 74
(Von der staatlichen Zurechenbarkeit der durch US-amerikanisches Personal durchgeführten Gewaltakte ging der IGH hingegen ohne Weiteres aus 75.) Weiter musste sich der IGH mit dem Einwand der USA auseinandersetzen, in Ausübung kollektiver Selbstverteidigung 76 zugunsten El Salvadors, Honduras’ und 70 IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports 1986, S. 14 ff. Ausführlich hierzu Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 122 ff. 71 IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports 1986, S. 61 par. 106. 72 IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports 1986, S. 62 par. 109 und S. 148, par. 292 (neunter Entscheidungsgrund). 73 IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports 1986, S. 62 par. 109 ff. 74 Hervorhebung und Eingeklammertes durch Verfasser. 75 IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports 1986, S. 50 ff. par. 85 ff. 76 Der IGH prüfte die Voraussetzungen eines Selbstverteidigungsrechts nicht am Maßstab der Satzung der Vereinten Nationen, sondern anhand des Völkergewohnheitsrechts, da der nach Art. 36 Abs. 3 IGH-Statut durch die USA eingelegte Vandenberg-Vorbehalt die Zuständigkeit des Gerichts hinderte, über Fragen der Auslegung der Satzung zu entscheiden; vgl. IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports 1986, S.32 ff. par. 44 ff.
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Costa Ricas gegen bewaffnete Angriffe oppositioneller und von Nicaragua aus unterstützter Gruppen gehandelt zu haben. Entscheidend war in diesem Zusammenhang, ob die genannten privaten Gewaltakte Nicaragua wegen etwaiger Waffenlieferungen zurechenbar waren und ein Selbstverteidigungsrecht aktivierten. Nachdem das Gericht bereits in tatsächlicher Hinsicht eine Zurechenbarkeit mangels erwiesener staatlicher Beteiligung an dem Waffenfluss verneint hatte 77, setzte es sich im Rahmen eines obiter dictum mit der rechtlichen Problematik der Zurechenbarkeit der staatlichen Unterstützung außerhalb des eigenen Territoriums agierender bewaffneter Gruppen auseinander. Unter wörtlicher Wiedergabe der in Art. 3 lit. g der Aggressionsdefinition enthaltenen Formulierung hat der IGH festgestellt, dass nur „the sending by or on behalf of a State of armed bands, groups, irregulars or mercenaries, which carry out acts of armed force against another State of such gravity as to amount to (...) or its substantial involvement therein“
den Tatbestand eines bewaffneten Angriffs erfülle 78. Hingegen haben bloße Unterstützungsleistungen nicht die Zurechnung der privaten Gewaltakte an den unterstützenden Staat zur Folge. Damit verlangte der IGH eine besonders hohe Kontrolldichte der staatlichen Organe über die Privaten.
cc) Rechtsprechung der Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien in der Sache Prosecutor v. Tadic Als für die Frage der staatlichen Zurechenbarkeit ebenso bedeutsam gilt das Urteil der Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien in der Sache Prosecutor v. Tadic 79. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der Angeklagte Tadic als Mitglied der Armee der serbischen Republik in Bosnien Herzegowina verschiedene Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht begangen. Rechtlich ging es unter anderem um die Frage der Anwendbarkeit des Art. 2 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (JStGH-Statut). In dieser Vorschrift heißt es: „The International Tribunal shall have the power to prosecute persons committing or ordering to be committed grave breaches of the Geneva Conventions of 12 August 1949, namely 77 IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports 1986, S. 86 par. 160 (bezüglich der Waffenlieferungen an oppositionelle Einheiten in El Salvador) und S. 87 par. 163 (bezüglich militärischer Übergriffe nicaraguanischer Einheiten auf das Gebiet von Honduras und Costa Rica), wobei der Gerichtshof bei letzteren teilweise von einer staatlichen Zurechenbarkeit ausgeht. 78 IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports 1986, S. 103 par. 195. 79 JStGH, Berufungskammer, Prosecutor v. Tadic, ILM 38 (1999), S.1518. Siehe zum Urteil De Hoogh, BYIL 72 (2001), S. 255 (274 ff.).
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Kap. 1: Allgemeine Fragen der Verteidigungseinsätze gegen Terroristen following acts against persons or property protected under the provisions of the relevant Geneva Convention (...)“ 80
Entscheidend kam es für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift darauf an, ob ein internationaler Konflikt im Sinne der Genfer Konventionen („grave breach of the Geneva Conventions“) vorlag. Nach Ansicht des Anklägers wurden die fraglichen Verbrechen im Rahmen eines internationalen Konfliktes zwischen Jugoslawien und Bosnien Herzegowina begangen. Dies setzte allerdings den Nachweis der staatlichen Zurechenbarkeit der Gewalthandlungen des Angeklagten Tadic an Jugoslawien voraus. Die Trial Chamber verneinte eine staatliche Zurechnung mit Hinweis auf das Urteil des IGH im Nicaragua-Fall 81, wurde aber insoweit von der Berufungskammer revidiert 82. Die Berufungskammer schloss sich der IGH-Rechtsprechung nicht an, sondern unterschied vielmehr zwischen der staatlichen Zurechnung von Handlungen einzelner Individuen oder einer nicht militärisch organisierten Gruppe einerseits und einer militärischen oder paramilitärischen Einheit mit hierarchischen Strukturen andererseits. Bei letzteren reiche nach Auffassung der Berufungskammer im Gegensatz zur IGH-Rechtsprechung für die staatliche Zurechenbarkeit bewaffneter Gewaltakte eine allgemeine Kontrolle des Staates über diese Gruppe aus. Entgegen einigen Stimmen lässt sich diese Rechtsprechung für die Frage der Zurechnungsanforderungen im Bereich des Art. 51 SVN nicht ohne weiteres fruchtbar machen. Zwar ist der Berufungskammer insoweit zuzustimmen, dass die Zurechnungsfrage bezogen auf die staatliche und die individuelle völkerrechtliche Verantwortlichkeit nicht notwendigerweise unterschiedlich beantwortet werden muss: „What is at issue is not the distinction between the two classes of responsibility. What is at issue is a preliminary question: that of the conditions on which under international law an individual may be held to act as a de facto organ of a State.“ 83
Wie noch zu zeigen sein wird, ist eine Einigung auf einheitliche Zurechnungsnormen für alle Bereiche des Völkerrechts jedoch alles andere als in greifbarer Nähe84. Demnach erscheint eine unterschiedliche Entwicklung der Zurechnungsregime in den verschiedenen Primärnormbereichen des Völkerrechts, etwa im Völkerstrafrecht und im Bereich des Selbstverteidigungsrechts nicht nur denkbar, sondern an80 In der deutschen Übersetzung: „Der Internationale Gerichtshof ist befugt, Personen zu verfolgen, die schwere Verletzungen der Genfer Abkommen vom 12. August 1949 begehen oder anordnen, nämlich die folgenden Handlungen gegen Personen oder Sachen, die aufgrund des entsprechenden Genfer Abkommens geschützt sind (...)“. 81 JStGH, Trial Chamber, Prosecutor v. Tadic, Opinion and Judgement v. 7.5.1999 par. 607, im Internet abrufbar unter: www.un.org/icty/tadic2/judgement/tad-tsj70507JT2-e.pdf. 82 JStGH, Berufungskammer, Prosecutor v. Tadic, ILM 38 (1999), S. 1518 (1535 ff.) par. 80 ff. 83 JStGH, Berufungskammer, Prosecutor v. Tadic, ILM 38 (1999), S. 1518 (1538) par. 104. Hervorhebungen im Original. 84 Siehe unten Kapitel 1 B. II. 2. c).
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gesichts der unterschiedlichen Regelungsziele sogar nahe liegend. Während es im Falle des Art. 2 JStGH-Statut darum geht, durch die Zurechnungsoperation die individuelle Strafbarkeit zu eröffnen, verbindet sich mit der Zurechnungsfrage im anderen Fall die Reichweite der Selbstverteidigungsbefugnis. Überdies räumt die Berufungskammer selbst die Notwendigkeit einer flexiblen Handhabung der Zurechnungskriterien in verschiendenen Fallkonstellationen ein und relativiert damit gleichzeitig ihren Vorstoß gegenüber dem IGH: „Of course, if, as in Nicaragua, the controlling State is not the territorial State where the armed clashes occur or where at any rate the armed units perform their acts, more extensive and compelling evidence is required to show that the State is genuinely in control of the units or groups not merely by financing and equipping them, but also by generally directing or helping plan their actions.“ 85
Zur Frage der staatlichen Zurechenbarkeit grenzüberschreitender terroristischer Gewaltakte äußert sich die Berufungskammer demnach keineswegs so eindeutig wie häufig angenommen. dd) Konflikt zwischen dem Iran und dem Irak im Juni 1999 Im Juni 1999 wandte der Iran auf irakischem Territorium Gewalt gegen terrorstische Stützpunkte an 86. Der Konfliktfall weist insoweit eine Besonderheit auf, als der Iran die staatliche Zurechenbarkeit offenbar mit der Verletzung einer zur Bekämpfung des Terrorismus verabschiedeten Resolution der Generalversammlung begründete und damit Anlass zu Spekulationen über ein Sonderzurechnungsregime gab 87: „Moreover, the Government of Iraq, by nurturing, financing and instigating terrorists against the Islamic Republic of Iran, defies several General Assembly resolutions, in particular paragraph 5 (a) of the Declaration on Measures to Eliminate International Terrorism (annexed to the General Assembly resolution 49/60), which, inter alia, calls up the States Members of the United Nations: To refrain from organizing, instigating, facilitating, financing, encouraging or tolerating terrorist activities and to take appropriate practical measures to ensure that their respective territories are not used for terrorist installations or training camps, or for the preparation or organization of terrorist acts intended to be committed against other States or their citizens.“
In seiner weiteren rechtlichen Begründung lehnte sich der Iran aber an die Ausführungen des IGH im Nicaragua-Urteil an, präzisierte sogar das Merkmal eines „substantial involvement“ durch die Wendung „substantial support“. Er ging wegen 85 JStGH, Berufungskammer, Prosecutor v. Tadic, ILM 38 (1999), S. 1518 (1545) par. 138. Hervorhebungen im Original. 86 Zu diesem Konfliktfall siehe auch unten Kapitel 3 C. II. 14. 87 Der Iran stellt hierbei auf die Resolution der Generalversammlung 49/60 vom 9.12.1994 ab, in deren Anlage („Erklärung über Maßnahmen zur Beseitigung des internationalen Terrorismus“) die Staaten aufgefordert werden, „es zu unterlassen, terroristische Aktivitäten zu organisieren, zu erleichtern, zu finanzieren, zu begünstigen oder zu dulden (...)“.
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Kap. 1: Allgemeine Fragen der Verteidigungseinsätze gegen Terroristen
der finanziellen, militärischen und logistischen Unterstützung der Terroristen durch den Irak sowie dessen Duldung von der staatlichen Zurechenbarkeit aus. „The (...) Iraq (...) admits that a well-known and internationally recognized terrorist organization maintains its camps in the territory of Iraq, where it receives substantial material, military, political and logistical support from the Government of Iraq.“ 88
ee) Konflikt zwischen den USA und Afghanistan im Jahr 2001 Als Reaktion auf die Anschläge der Al Quaida gegen die USA am 11. September 2001 wandten die USA militärische Gewalt in Afghanistan an und leiteten umfassende politische Veränderungen in diesem Land ein. In der Zeitspanne bis zum endgültigen Angriff auf Afghanistan am 7. Oktober 2001 89 hat sich die US-amerikanische Rechtsauffassung hinsichtlich der staatlichen Zurechenbarkeit gewandelt. Konnten die USA zunächst nicht einmal von einer staatlichen Verwicklung Afghanistans ausgehen 90, änderte sich ihre Auffassung durch die beharrliche Weigerung der Taliban, den USA Zutritt zu den Stellungen der Al-Quaida zu gewähren. In ihrem auf den 7. Oktober 2001 datierten Schreiben an den UN-Sicherheitsrat führen die USA aus 91: „The attacks (...) have been made possible by the decision of the Taliban regime to allow the parts of Afghanistan that it controls to be used by this organization as a base of operation. (...) Despite every effort by the United States and the international community, the Taliban regime has refused to change its policy. (...) In response to these attacks, and in accordance with the inherent right of individual and collective self-defence, United States armed forces have initiated actions designed to prevent and deter further attacks on the United States. These actions include measures against Al-Quaida terrorist camps and military installations of the Taliban regime.“ 92
Da die Taliban-Regierung als Ziel der Selbstverteidigungsmaßnahme genannt wird, kommt implizit ein Zurechnungsvorwurf gegenüber den Taliban (der de facto-Regierung Afghanistans) zum Ausdruck. Zur staatlichen Zurechenbarkeit führten die Tatsache, dass Al Quaida-Trainingslager auf eigenem Staatsgebiet geduldet wurden und die anschließende Weigerung, dem Verteidigerstaat Zutritt zu gewähren. Ob die USA von einer massiven Unterstützung durch Afghanistan im Sinne eines „substantial involvements“ ausgingen oder aber auf dieses Kriterium Brief des Iran an den UN-Generalsekretär, UN Doc. S/1999/781. Zum Ablauf der Ereignisse siehe die ausführliche Darstellung bei Murphy, HILJ 43 (2002), S. 41 (41 ff.). 90 Dies hinderte die USA indessen nicht, auch insoweit für sich ein Selbstverteidigungsrecht in Anspruch zu nehmen. Siehe ausführlich unten Kapitel 3 C. II. 16. a). Zu Unrecht Fischer in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 59 Rn. 28, der behauptet, dass die Unterstützung der Al Quaida durch die Taliban belegt und die beharrliche Weigerung der Taliban nur ein weiteres Indiz für die Zurechenbarkeit gewesen sei. 91 Brief der USA an den UN-Sicherheitsrat, UN Doc. S/2001/946. 92 Einklammerung und Hervorhebung durch Verfasser. 88 89
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verzichteten, bleibt undeutlich. Möglich ist, dass nach Auffassung der USA diese Anforderungen ohne weiteres vorlagen, da die Unterstützung des internationalen Terrorismus durch die Taliban seit langem bekannt war 93. Ebenso möglich ist auch, dass nach Ansicht der USA bereits die Duldung in Kumulation mit der Unterstützung und anschließenden Zutrittsverweigerung den Vorwurf der staatlichen Zurechenbarkeit begründet haben. Das Vorgehen der USA fand ganz überwiegende Unterstützung in der Staatenwelt 94. ff) Konflikt zwischen Israel und Syrien im Oktober 2003 Am 5. Oktober 2003 nahm das israelische Militär Stellungen der Gewaltorganisation „Islamischer Jihad“ auf syrischem Territorium unter Beschuss 95. Israel führte zur Begründung seiner Aktionen mehr als 40 derartige Anschläge an, die der Islamische Jihad innerhalb der letzten Jahre von palästinensischem Territorium aus verübt haben soll und bezichtigte Syrien der Gewährung eines „safe harbour“, finanzieller und logistischer Unterstützung bis hin zur Entsendung terroristischer Kommandos 96. Syrien wurde als eigentlicher Drahtzieher und Angreifer bezeichnet, womit deutlich der Vorwurf der staatlichen Zurechenbarkeit zum Ausdruck gebracht wurde. Die sich in der Sicherheitsratsdebatte äußernden Staaten lehnten die staatliche Zurechnung der Gewaltakte an Syrien durchweg ab. Da die staatliche Verwicklung Syriens in die Aktivitäten des Jihad von keinem Staat (mit Ausnahme Syriens 97) bestritten 98 und Syrien gleichwohl nicht selbst als Angreifer bezeichnet wurde (die Staaten verurteilten überwiegend den Jihad selbst 99), führte die syrische Verwicklung somit nicht zu einer staatlichen Zurechnung. Dies lässt nur den Schluss zu, dass an der restriktiven Handhabe der Zurechnungskriterien im Sinne der Rechtsprechung des IGH im Nicaragua-Urteil festgehalten wurde. Siehe nur die Resolution des Sicherheitsrates 1333 (2000) vom 19.12.2000. Siehe hierzu ausführlich unten Kapitel 3 C. II. 16. 95 Siehe die Sachverhaltsdarstellung Security Council, 4836th meeting, UN Doc. SC/7887. 96 Security Council, 4836th meeting, UN Doc. SC/7887, S. 4. 97 Syrien verurteilte die israelische Militäraktion aufs Schärfste und bezeichnete sie als Manifestation israelischer Kolonialpolitik, vgl. Security Council, 4836th meeting, UN Doc. SC/7887, S. 3 f. 98 Die USA bezichtigten Syrien sogar explizit der Verwicklung, vgl. Security Council, 4836th meeting, UN Doc. SC/7887, S. 7. Zurückhaltend auch Spanien, China, Großbritannien, Russland, Deutschland, Frankreich, Bulgarien und Chile, vgl. Security Council, 4836th meeting, UN Doc. SC/7887, S. 5 f. Nicht einmal die arabischen Staaten, die das israelische Verhalten durchweg aufs Schärfste verurteilten, bestritten eine Verwicklung Syriens, vgl. die Stellungnahmen Algeriens, Marokkos, Ägyptens, Tunesiens, Kuwaits und Saudi Arabiens, vgl. Security Council, 4836th meeting, UN Doc. SC/7887, S. 8 ff. 99 Die Vertreter Spaniens, Chinas, Großbritanniens, Russland, Deutschlands, Frankreichs, Bulgariens und Chiles verurteilten die Anschläge des Islamischen Jihad in Haifa und verneinten die Zulässigkeit der israelischen Militärmaßnahme gegen Syrien, vgl. Security Council, 4836th meeting am 5.1.2003, UN Doc. SC/7887, S. 5 f. 93 94
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gg) Konflikte ohne tatsächliche Inanspruchnahme des Selbstverteidigungsrechts In weiteren Konflikten wurde von einer staatlichen Zurechenbarkeit der Angriffe ausgegangen, ohne dass ein Selbstverteidigungsrecht gegen den verwickelten Staat tatsächlich in Anspruch genommen wurde. So behauptete Griechenland im Jahr 1946, durch Waffenlieferungen Albaniens und Bulgariens an in Griechenland operierende Private und deren Duldung auf eigenem Staatsgebiet angegriffen worden zu sein 100. Wegen infiltrierender Handlungen der Vereinigten Arabischen Republik hat sich im Jahr 1958 der Libanon an den Sicherheitsrat gewandt 101. Seiner Ansicht nach habe die Vereinigte Arabische Republik durch das Einsickernlassen bewaffneter Banden, deren Training auf eigenem Hoheitsgebiet und deren Bewaffnung einen bewaffneten Angriff verübt 102. Im Folgejahr bezichtigte Laos Nordvietnam der Verübung bewaffneter Angriffe, indem es den in Laos operierenden Privaten Zugang zu seinem Territorium gewähre, die Rebellen trainiere, sie logistisch und mit Waffenlieferungen unterstütze und teils selbst mit eigenen Truppen an den Grenzübertritten teilnehme 103. 100 Stellungnahme Griechenlands vor der UN-Generalversammlung, GAOR, 2nd session, plenary meetings, S. 146 f.; hierzu Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 42 und Thomas/Thomas/Salas, The International Law of Indirect Aggression and Subversion, S.229 ff. 101 Sachverhaltsdarstellung im Brief des Libanon an den UN-Sicherheitsrat, UN Doc. S/4007. Hierzu Genoni, Die Notwehr im Völkerrecht, S. 141 f.; Thomas/Thomas/Salas, The International Law of Indirect Aggression and Subversion, S. 236 ff. 102 Stellungnahme des Libanon vor dem UN-Sicherheitsrat, SCOR, 13th year, 833th meeting, S. 3 f. In seiner Rechtsansicht wurde der Libanon insbesondere durch die USA unterstützt, vgl. deren Stellungnahme vor dem UN-Sicherheitsrat, SCOR, 13th year, 827th meeting, S.6 ff. Ähnlich auch Schweden, SCOR, 13th year, 824th meeting, S.30 ff. Zum Ganzen Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 52. 103 Brief der Regierung von Laos an den UN-Sicherheitsrat vom 8.9.1959, abgedruckt in SCOR, 14th year, Supplement October – December 1959, S.35 ff. Der durch Laos vorgebrachte Zurechnungsvorwurf ergibt sich erst bei der Lektüre des Berichts des vom UN-Sicherheitsrat eingesetzten Sub-Committees: „(...) in opinion of the Laotian Government, this aid and support includes the granting to the Pathet Lao to access to the territory of North Viet-Nam, the training of Pathet Lao forces by North Vietnamese instructors (...) and the use of North Vietnamese territory as a source of supply to the Pathet Lao forces. (...) These are considered by the Laotian Government to constitute an invitation to rebellion against the Government, interference in the internal affairs of Laos and an attack against the members of the Government and the armed forces.“ (Einklammerung und Hervorhebung durch Verfasser); vgl. Bericht des Sub-Committee, SCOR, 14th year, Supplement October–December 1959, S. 19 Ziff. 31 f. Hierzu Thomas/Thomas/Salas, The International Law of Indirect Aggression and Subversion, S. 241 ff. Neben der massiven Unterstützung der Angreifer durch Nordvietnam wird der Zurechnungsvorwurf auch auf den Umstand gestützt, dass nordvietnamesische Streitkräfte an den Grenzübertritten beteiligt waren, wobei das Sub-Committee vorsichtig formuliert: „Generally speaking, the SubCommittee considers that although there were actions of different scope and magnitude, all of them (...) were of a guerrilla character.“ Vgl. Bericht des Sub-Committee, SCOR, 14th year, Supplement October–December 1959, S. 34 Ziff. 95 ff. Insgesamt zeigt sich, dass die Zurechnungsschwelle hoch angesetzt wird.
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hh) Zusammenfassung Die Staaten- und Resolutionspraxis spricht sich recht eindeutig für eine restriktive Handhabe der Zurechnungskriterien aus. Die Konfliktpraxis der 1940er und 1950er Jahre schien zwar noch von weniger strengen Zurechnungsschwellen auszugehen, wenn Frankreich die staatliche Zurechenbarkeit an Tunesien mit der Duldung und Unterstützung der Angreifer begründet, Griechenland Albanien wegen dessen Duldung terroristischer Aktivitäten als bewaffneten Angreifer bezeichnet und nach Ansicht des Libanon die Vereinigte Arabische Republik durch die Infiltrierung bewaffneter Banden, deren Training auf eigenem Hoheitsgebiet und deren Bewaffnung selbst einen bewaffneten Angriff verübt haben sollte. Sichere Aussagen über eine einhellige oder mehrheitliche Staatenauffassung lassen sich aus diesen Konflikten jedoch nicht ableiten: Im Falle Frankreichs liegen der französischen Auffassung zustimmende Staatenäußerungen nicht vor. Die Aussagekraft der im Griechenland- und im Libanonkonflikt abgegebenen Äußerungen ist zu relativieren, weil weder Griechenland noch der Libanon von ihrem Selbstverteidigungsrecht Gebrauch gemacht haben. In den späten 1950er Jahren wurden jedenfalls die Zurechnungskriterien verschärft, was sich anhand des im Jahr 1959 geführten bewaffneten Konfliktes zwischen Laos und Nordvietnam und dessen ausführlicher Behandlung durch die Vereinten Nationen belegen lässt. Neben der Duldung werden Nordvietnam die logistische Unterstützung und die staatliche Teilnahme vorgeworfen. Die Tendenz erhöhter Anforderungen an die staatliche Zurechenbarkeit wurde durch den Kompromiss des Art. 3 lit. g der Aggressionsdefinition eindeutig bestätigt, wonach nur bei der Entsendung privater Angreifer und allenfalls noch bei einer massiven Unterstützung die staatliche Zurechenbarkeit anzunehmen ist. Bei letzterer Verwicklungsform erschließt sich die Zurechenbarkeit letztlich erst durch die spätere Staatenpraxis und durch das Nicaragua-Urteil des IGH. Es hat sich schließlich gezeigt, dass nicht zweifelsfrei von einer durch das Tadic-Urteil des JStGH oder die Sicherheitsresolution 1373 (2001) angestoßenen Entwicklung in der Staatenwelt in Richtung Absenkung der Zurechnungsschwelle ausgegangen werden kann. Zum einen ist ein diesbezüglicher Aussagegehalt weder dem TadicUrteil noch der Resolution sicher zu entnehmen, da sich weder im Urteil noch im operativen Teil der Resolution Bezüge zum Gewaltverbot finden. Zum anderen lässt sich eine Rezeption des Urteils und der Resolution in der Staatenwelt im Sinne der Absenkung der Zurechnungsschwelle derzeit noch nicht beobachten. Nicht einmal in dem der Resolution 1373 (2001) zugrunde liegenden bewaffneten Konflikt kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die USA von der Absenkung der Zurechnungsschwelle ausgegangen sind. Die ablehnende Haltung der überwältigenden Mehrheit der Staaten zur israelischen Rechtsauffassung im Konflikt mit Syrien spricht sogar deutlich gegen die Annahme einer Modifizierung der Zurechnungsanforderungen in der Staatenpraxis.
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c) Die staatliche Zurechenbarkeit nach dem Entwurf der International Law Commission über das Recht der Staatenverantwortlichkeit Die Arbeiten der ILC 104 gelten als die wichtigste Grundlage für das Recht der Staatenverantwortlichkeit und ihr Einfluss auf die völkerrechtliche Praxis ist unbestreitbar 105. Eine gewisse Anerkennung unter den Staaten, wenngleich nicht in Form einer völkerrechtlichen Konvention, erfuhren die Arbeiten durch die Resolution der UNO-Generalversammlung 56/83 vom 12. Dezember 2001. In dieser Resolution hat die Generalversammlung den Entwurf „zur Kenntnis“ genommen und empfahl ihn der Aufmerksamkeit der Regierungen der Mitgliedstaaten, ohne „dass davon die Frage ihrer künftigen Annahme oder sonstiger geeigneter Maßnahmen berührt würde“ 106. Indessen enthält auch der ILC-Entwurf zur Staatenverantwortlichkeit keine weniger strengen Zurechnungsnormen als sie bisher in der Staatenpraxis anerkannt sind. Hauptanliegen des Entwurfs sind zwei Gesichtspunkte: Nach dem Ansatz der ILC wird die völkerrechtliche Verantwortlichkeit durch eine Handlung herbeigeführt, die dem Staat zurechenbar ist und die gegen eine völkerrechtliche Verpflichtung dieses Staates verstößt. Diese wesentliche Weichenstellung kommt ganz zu Beginn des Entwurfs in den Art. 1 107 und 2 108 zum Ausdruck: Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit setzt einen völkerrechtswidrigen Akt eines Staates voraus. Ein völkerrechtswidriger Akt wiederum liegt nur dann vor, wenn die (menschliche) Handlung dem Staat zurechenbar ist und eine völkerrechtliche Pflicht des Staates verletzt. Damit ist die theoretische Möglichkeit einer Erfolgszurechnung bzw. einer Zurechnung allein aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Aufenthalts verworfen. Dementsprechend heißt es in der Kommentierung: 104 Draft articles on Responsibility of States for internationally wrongful acts, Report of the International Law Commission of its fifty-third session (2001), Supplement No. 10, UN Doc. A/56/10, chapter IV.E.1., S. 43 ff., im Internet abrufbar unter: www.un.org/law/itc/texts/ State-responsibility; einführend Czaplinski, AVR 41 (2003), S. 62 ff.; Stern, AFDI 2001, S. 3 ff. Eine ausführliche Kommentierung des ILC-Entwurfs findet sich bei Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 74 ff. 105 Insbesondere der IGH greift auf die Arbeiten der ILC zurück: IGH, Legal consequences of the construction of a wall in the Occupied Palestinian Territory, par. 139 (im Internet abrufbar unter: http://www.icj-cij.org/cijwww/cdocket/cmwp/cmwpframe.htm) und Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports 1986, S. 14 ff.; siehe auch Epiney, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten für rechtswidriges Verhalten im Zusammenhang mit Aktionen Privater, 1992, S. 21; Tams, ZaöRV 62 (2002), S. 759 (760). 106 So die Formulierung unter Ziffer 3 des Resolutionstextes. 107 Art. 1 lautet: „Every international wrongful act of a State entails the international responsibility of that State.“. 108 Art. 2 lautet. „There is an internationally wrongful act of a State when conduct consisting of an action or omission: (a) is attributable to the State under international law and (b) constitutes a breach of an international obligation.“.
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„In theory the conduct of all human beings, corporations or collectivities linked to the State by nationality, habitual residence or incorporation might be attributed to the State, whether or not they have any connection to the government. In international law, such an approach is avoided, both with a view to limiting responsibility to conduct which engages the State as an organization, and also so as to recognize the autonomy of persons acting on their own account (...)“ 109.
Welche völkerrechtlichen Pflichten dem Staat obliegen, bestimmt sich nach den Regeln des Völkerrechts (Primärnormbereich); der Entwurf beschränkt sich darauf, die generellen Voraussetzungen zu formulieren, die eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Staates nach sich ziehen und bestimmt deren Konsequenzen (Sekundärnormbereich) 110. Diese grundsätzliche Struktur war bereits im Entwurf der ILC aus dem Jahr 1980 angelegt und wurde auch im Entwurf von 2001 beibehalten. Die zweite Kernaussage des Entwurfs ist der Grundsatz, dass einem Staat Handlungen Privater grundsätzlich nicht zurechenbar sind, es sei denn, diese Personen handeln als Organe des Staates oder unter den engen Voraussetzungen der aufgeführten Ausnahmebestimmungen 111. Obwohl sich die ILC durchaus der immensen Bedrohung durch nichtstaatliche Gewalt bewusst gewesen sein muss – der Entwurf wurde von der ILC im November 2001, zwei Monate nach den Anschlägen auf die USA angenommen –, sah sie sich nicht veranlasst, die äußerst strengen Zurechnungsanforderungen aufzulockern. Dies alles spricht für einen weit verbreiteten Konsens darüber, dass Handlungen Privater einem Staat nur unter engen Voraussetzungen zugerechnet werden sollen. aa) Darstellung der Zurechnungsregeln Die hier relevante Frage der Zurechnung privaten Verhaltens an einen Staat wird in den Art. 4 ff. des Entwurfs geregelt. Demnach führt das Verhalten eines de jureOrgans zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit des Staates (Art. 4). Weiter ist der Staat verantwortlich für das Verhalten von so genannten de facto-Organen, also von „person(s) or groups of persons (...) if the person or the group of persons is in fact acting on the instructions of, or under the direction or control of, that State carrying out the conduct.“ Zurechenbar sind dem Staat weiter Handlungen solcher Personen, die zwar keine Organe sind, aber aufgrund innerstaatlicher Befugnisse „elements of the governmental authority“ ausüben (Art. 5). Hiermit sollen vor allem Fälle der „Verwaltungsprivatisierung“ erfasst werden, etwa private Sicherheitsdienste, die gleich einer Polizei Menschen in Gewahrsam nehmen können 112. Irrelevant ist dabei 109 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, Chapter II, par. 2. 110 Kritisch hierzu Wolf, Die Haftung der Staaten für Privatpersonen, S. 144 ff. 111 Dies erschließt sich e contrario aus den engen Zurechnungsvoraussetzungen der Art. 4 bis 11. 112 ILC-Kommentierung, Art. 5, par. 2, S. 92.
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die staatliche Kontrolle; allein die staatlich verliehene Befugnis, Bestandteile staatlicher Gewalt ausüben zu können, ist maßgeblich. Art. 8 behandelt Handlungen von Personen, die unter Anweisung oder Kontrolle eines Staates tätig werden. Die entscheidende Frage, welche Verwicklungsformen mit „under the direction or control of a State“ gemeint sind, beantwortet die ILC nur unzureichend. Angesichts der unterschiedlichen Tendenzen in der internationalen Rechtsprechung 113 wäre diese Frage jedoch am meisten klärungsbedürftig gewesen. Wichtig sei, so die ILC-Kommentierung, dass sich die staatliche Anweisung oder Kontrolle auf die jeweils spezifische Handlung beziehe und die staatliche Verwicklung sich nicht auf Nebenhandlungen beschränke 114. Letztlich begnügt sich die ILC mit dem Hinweis auf die unterschiedliche Handhabe dieses Kriteriums durch die internationalen Gerichte 115. Es erscheint daher eher fern liegend, dass die ILC mit der Formulierung des Art. 8 neue Wege in Richtung weniger strenger Zurechnungserfordernisse beschreiten wollte. Das strikte Festhalten an der Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärnormbereich 116 lässt vielmehr auf eine restriktive Handhabe der allgemeinen Zurechnungskriterien im Entwurf schließen, die erst einer satzungsrechtlichen Modifizierung zugänglich ist 117. In der völkerrechtlichen Literatur wird Art. 8 in Anlehnung an das Nicaragua-Urteil des IGH ebenfalls restriktiv ausgelegt und eine Vergleichbarkeit der Privaten mit Staatsorganen gefordert. Demnach müssen die Handelnden in die Staatsorganisation eingebunden sein 118. Enge Bezie113 Vgl. einerseits den strengen Zurechnungsansatz des IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports 1986, S. 103 (par. 195); andererseits die Ausführungen der Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, Prosecutor v. Tadic, abgedruckt in ILM 38 (1999), S. 1518: „The requirement of international law for the attribution to States of acts performed by private individuals is that the State exercises control over the individuals. The degree of control may, however, vary according to the factual circumstances of each case.“. 114 ILC-Kommentierung, Art. 8, par. 3, S. 104: „The principle does not extend to conduct which was only incidentally or peripherally associated with an operation and which escaped from the State’s direction or control.“ 115 ILC-Kommentierung, Art. 8, par. 4 ff. S. 105 ff., hierzu ausführlich oben Kapitel 1 B. II. 2. b) bb) (2); Hoogh, BYIL 72 (2001), S. 255 (277 ff.). 116 Hierzu instruktiv Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 14 ff. 117 Art. 59 lässt die Bestimmungen der Satzung der Vereinten Nationen ausdrücklich unberührt und versperrt somit keinesfalls den Weg für ein satzungsrechtliches Sonderzurechnungsregime. Damit versucht die Vorschrift dem Gesichtspunkt gerecht zu werden, dass es im Recht der Staatenverantwortlichkeit angesichts der Ausdifferenzierung der völkerrechtlichen Regelungen unmöglich ist, ein einheitliches Regime anzuerkennen, vgl. Simma in: Frowein/Scharioth/Winkelmann/Wolfrum (Hrsg.), Verhandeln für den Frieden, 2003, S. 423 (426). 118 Czaplinski, AVR 41 (2003), S. 63 (65); Bodansky/Crook, AJIL 96 (2002), S. 773 (783); Bruha, AVR 40 (2002), S.383 (401); ferner (bezüglich Art.8 des Vorgängerentwurfs von 1980) Tietje/Nowrot, NZWehrr 2002, S. 1 (6 f.); Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 183 (222), zu weitgehend aber insoweit, als er einen vollständigen Gleichlauf mit den Zurechnungsanforderungen des Nicaragua-Urteils annimmt; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 183 (190); missverständlich Heintschel v. Heinegg/Gries AVR 40 (2002), S. 145 (160), wenn sie (ohne Bezug auf den ILC-Ent-
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hungen reichen für sich genommen nicht aus, solange die nichtstaatliche Gruppe institutionell und organisatorisch vom Staat getrennt ist 119. Schließlich rechnet Art. 11 dem Staat Handlungen zu, die ihm zwar zum Zeitpunkt der Begehung nicht zurechenbar waren, der Staat die Handlungen aber kennt und sich diese im Nachhinein zu eigen macht. Eine solche Konstellation lag etwa dem Teheraner Geiselfall zugrunde, bei dem die Geiselnahme des Botschaftspersonals durch iranische Studenten der Islamischen Republik als solcher nicht zurechenbar war. Erst die nachträgliche Tatenlosigkeit der iranischen Regierung und die ausdrückliche Zustimmung zu diesem Verhalten führten zur Verantwortlichkeit des Iran selbst 120. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die in Art. 11 des Entwurfs genannten Voraussetzungen zu nicht unerheblichen praktischen Anwendungsschwierigkeiten führen. Nur in den seltensten Fällen werden einem Staat die Mitwisserschaft nachzuweisen und von ihm Äußerungen einer „adoption“ im Sinne des Art. 11 vernehmbar sein, gehört doch die Verurteilung terroristischer Aktivitäten in der Staatenpraxis mittlerweile zum guten Ton. Die Zurechnungsschwierigkeiten vergrößern sich zudem dadurch, dass die ILC offenbar einen strengeren Maßstab anlegen will als der IGH. In Abweichung zum Urteil im Teheraner Geiselfall fordert sie, dass sich der betreffende Staat mit den Handlungen der Privaten im Nachhinein identifizieren müsse und die bloße Zustimmung des Staates zu der privaten Gewalthandlung nicht ausreiche 121. Neben diesen Anwendungsschwierigkeiten zeigt sich bei näherer Bertachtung, dass Art. 11 des Entwurfs als Zurechnungsnorm im Rahmen des Art. 51 SVN unbrauchbar ist. Die in dieser Norm statuierte ex-tunc-Zurechnung führt den Verteidigerstaat in eine geradezu paradoxe Situation: Im Zeitpunkt des Angriffs sind ihm mangels staatlicher Zurechenbarkeit die Hände gebunden; im Zeitpunkt, in dem sich die Zurechenbarkeit herausstellt, scheitert die Selbstverteidigungsbefugnis nach Art. 51 SVN mangels Gegenwärtigkeit des Angriffs. Die Selbstverteidigungsbefugnis von der nachträglichen Zurechenbarkeit abhängig zu machen, bedeutete im Ergebnis, den Staat zu unzulässigen Strafaktionen zu provozieren. Es ginge zu weit, das US-amerikanische Vorgehen gegen die Taliban im Jahr 2001 als Beispiel für eine ex-tunc-Zurechnung im Sinne des ILC-Entwurfs in Anspruch zu nehmen. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass die Verweigerung der Taliban, in eine USwurf) davon ausgehen, dass eine Zurechnung nur erfolgt, wenn der Staat die Terroristen unterstützt oder sich ihrer bedient, andererseits auch bei einer bloßen Duldung „möglicherweise“ eine Zurechnung zu bejahen scheinen. 119 Krajewski, AVR 40 (2002), S. 183 (190). 120 IGH, United States Diplomatic and Consular Staff in Teheran, ICJ Reports 1980, S. 3. 121 ILC-Kommentierung, Art. 11, par. 6: „The Court in the Diplomatic and Consular Staff case used phrases such as ‚approval‘ (...), but as a general matter, conduct will not be attributable to a State under article 11 where a State merely acknowledges the factual existence of conduct or expresses its verbal approval of it. (..) Art. 11 makes clear that what is required is something more than a general acknowledgement of a factual situation, but rather that a State identifies the conduct in question and makes it its own.“ 4*
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amerikanische Selbstverteidigungsoperation einzuwilligen, zu einer nachträglichen staatliche Zurechnung geführt hat. Wegen der Besonderheiten des Falles (die terroristischen Aktivitäten auf afghanischem Hoheitsgebiet waren seit langem offensichtlich und Gegenstand mehrerer UN-Resolutionen 122) haben aber zumindest auch andere Faktoren, wie eine offensichtliche Unterstützung und Duldung der Al Quaida durch die Taliban, eine gewichtige Rolle gespielt, so dass eine nachträgliche Zurechnung im Bereich des Gewaltverbots keinesfalls typisch und verallgemeinerungsfähig ist. Es würde zu weit gehen, die Verhinderung der Ausübung des Selbstverteidigungsrechts für sich allein genommen mit der Teilnahme an einer bewaffneten Auseinandersetzung gleichzusetzen und auf diesem Weg die staatliche Zurechenbarkeit zu begründen. Für andere Konflikte kann dieser Fall, der immerhin den Sturz der Taliban und die vollständige Umwälzung des politischen Systems zur Folge hatte, jedenfalls kein Präzedens sein 123. bb) Die Problematik des failing und des failed state Einer gesonderten Betrachtung bedarf die als failing bzw. failed state bezeichnete Konstellation, in der sich ein Staat aufgrund schwindender bzw. gänzlich fehlender effektiver Herrschaftsgewalt über sein Territorium nicht mehr in der Lage befindet, private Gewaltaktivitäten zu unterbinden. Staatsgebiete ohne effektive Herrschaftsgewalt scheiden jedenfalls nach dem ILC-Entwurf als Zurechnungsobjekte mangels Deliktsfähigkeit grundsätzlich aus 124. Die Problematik der Verteidigungsmöglichkeiten gegen einen failing bzw. failed state hat auch Art. 9 des ILC-Entwurfs nur unzureichend gelöst, wenn er Handlungen von Personen oder Personengruppen als Handeln des Staates ansieht, die: „in fact exercising elements of the governmental authority in the absence or default of the official authorities and in circumstances such as to call for the exercise of those elements of authority.“ 122 Siehe nur Resolution des Sicherheitsrates 1333 (2000) vom 19.12.2000 sowie die Resolution des Sicherheitsrates 1267 (1999) vom 15.10.1999. 123 Im Fall der Taliban hing die Radikalität der Verteidigungsmaßnahme gewiss mit den langjährigen erfolglosen Bemühungen der ganzen Staatengemeinschaft um die Beendigung dortiger terroristischer Aktivitäten zusammen. Siehe etwa Resolutionen des Sicherheitsrates 1267 (1999) vom 15.10.1999, die die Verhängung eines Luftverkehrs- und Finanzembargos gegen die afghanischen Taliban zum Gegenstand hatte. 124 Dies ergibt sich zum einen aus der in Art.1 und Art. 2 verworfenen Möglichkeit einer Erfolgszurechnung (siehe oben), zum anderen aus Art.30 des ILC-Entwurfs, der dem verantwortlichen Staat aufgibt, den völkerrechtswidrigen Akt zu unterlassen und geeignete Maßnahmen zur künftigen Verhinderung zu ergreifen. Dieses Gebot liefe, wäre es an einen failed bzw. failing state adressiert, von vornherein ins Leere. Der genaue Wortlaut von Art. 30: „The State responsible for the internationally wrongful act is under an obligation: (a) to cease the act, if it is continuing, (b) to offer appropriate assurances and guarantees of non-repetition, if circumstances so require.“ Zustimmend Klein, BDGV 37 (1998), S.39 (53) und Thürer, BDGV 34 (1995), S. 9 (31 f.).
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Erfasst werden damit vor allem Situationen innerer Unruhen oder auch ausländischer Okkupation, in denen die Herrschaftsgewalt behelfsmäßig ausgeübt wird 125. Die Formulierung des Art. 9 ist auf den failing bzw. den failed state nicht ohne Weiteres anwendbar, weil im Falle des Wegfalls der Staatsgewalt streng genommen gerade keine behelfsmäßige Staatsgewalt ausgeübt wird. Offenbar wird die faktische Herrschaftsgewalt nicht als Ausübung einer den Staat konstituierenden Gewalt angesehen, und dementsprechend normiert die Vorschrift eine ex-tunc-Zurechnung privater Handlungen für den Fall der Rückgewinnung der staatlichen Herrschaftsgewalt. Die Zurechnungsvoraussetzungen sind bewusst eng gehalten: Erstens muss die Handlung in einem Zusammenhang mit der Ausübung von Regierungsgewalt stehen; zweitens muss die Handlung gerade infolge der Abwesenheit effektiver Herrschaftsstrukturen verübt worden sein und schließlich müssen die gesamten Umstände die Ausübung dieser Maßnahme erfordert haben 126. Um privates Handeln ausnahmsweise einem Staat zurechnen zu können, müssen die tatsächlichen Umstände die Ausübung von staatlicher Gewalt gerechtfertigt haben. Der ILC schwebte bei der Einführung des Art. 9 eine Art spontaner Bürgerwehr vor, die sich zum Selbstschutz mangels effektiver Polizeigewalt bildet 127. Für die hier behandelte Frage der Zurechenbarkeit bewaffneter Angriffe Privater ergibt sich aus Art. 9 des Entwurfs Folgendes: Bereits dessen erste Voraussetzung verhindert die Zurechnung terroristischer grenzüberschreitender Gewaltakte an einen Staat ohne effektive Herrschaftsgewalt. Art. 9 hat den Fall vor Augen, dass Private gleichsam treuhänderisch und vorübergehend die Geschäfte der Regierung ausüben, nicht aber private Gruppen, die auf eigene Faust bestimmte Gebietsteile unter ihre Kontrolle bringen und diese als Basis für bewaffnete Übergriffe auf Nachbarstaaten nutzen. Gerade das problematische Zwischenstadium ist durch Art. 9 nicht geregelt, in dem eine effektive Herrschaftsgewalt und damit ein Zurechnungssubjekt nicht alsbald zurückkehrt und das moribunde Staatsgebilde 128 auf absehbare Zeit private Gewaltakte nicht zu unterbinden vermag, es andererseits den nichtstaatlichen Akteuren noch nicht gelungen ist, eine stabilisierte de facto-Regierungsgewalt zu etablieren 129. Mangels Zurechnungssubjekts läge in derartigen Situationen kein staatlicher bewaffneter Angriff vor und dem angegriffenen Staat bliebe die Berufung auf ein Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 SVN verschlossen 130. Halten sich die nichtstaatlichen An125 Die ILC-Kommentierung nennt in Art.9 par. 2 als Beispiel die Situation im Iran während und unmittelbar nach den Umbrüchen der Islamischen Revolution. 126 ILC-Kommentierung, Art. 9 par. 3. 127 ILC-Kommentierung, Art. 9 par. 2. 128 Der Staat geht erst dann unter, wenn die Rückkehr effektiver Staatsgewalt nicht mehr zu erwarten ist, wobei die Staatenpraxis zugunsten der Staatskontinuität äußerst großzügig verfährt, vgl. Herdegen, BDGV 34 (1995), S. 157 (Diskussionsbeitrag). 129 Daher vermag auch der Hinweis in der ILC-Kommentierung, Art. 9 par. 4 nicht zu beruhigen, dass Handlungen der de facto-Regierungsgewalt dem de-facto-Regime nach Art. 4 des Entwurfs zuzurechnen wären. 130 Auf ein ähnliches Verteidigungsdefizit trifft der angegriffene Staat gegenüber Angriffen, die auf von ihm okkupierten Territorien verübt werden. Einerseits genießen diese den Schutz
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Kap. 1: Allgemeine Fragen der Verteidigungseinsätze gegen Terroristen
greifer in Gebieten eines failing oder eines failed state auf, wäre der angegriffene Staat nach dem ILC-Entwurf nur dann zu grenzüberschreitenden Selbstverteidigungsmaßnahmen berechtigt, wenn die Angreifer auf dem Gebietsteil ein stabilisiertes de-facto-Regime errichtet haben, die Herrschaftsgewalt im gesamten Staatsgebiet übernehmen oder einen neuen Staat gründen. Die engen Voraussetzungen des Art. 9 verschließen dem Verteidigerstaat jegliche Möglichkeit, Maßnahmen auf dem Territorium eines failing oder eines failed state zu treffen. Gerade jene Gebilde erweisen sich aber als besonders anfällig für terroristische Aktivitäten. Daher bewirkt die schwindende Staatsqualität einen Schutz für die frei operierenden terroristischen Gruppen, während sich der Verteidigerstaat den Angriffen ohne Verteidigungsmöglichkeiten ausgesetzt sieht. Das Verteidigungsdefizit verschärft sich zusätzlich, wenn es sich bei dem failing state um einen okkupierten Gebietsteil des angegriffenen Staates handelt. Eine solche Sachverhaltskonstellation lag dem Gutachten des IGH vom 9. Juli 2004 zugrunde, in dem sich der IGH mit der rechtlichen Zulässigkeit des israelischen Mauerbaus auf besetzten palästinensischen Autonomiegebieten beschäftigte 131. In dieser Konstellation genießt das okkupierte Gebiet zwar den Schutz des Gewaltverbots auch gegenüber dem Okkupanten, die auf diesem Territorium gegen den Okkupanten verübten bewaffneten Angriffe sollen nach dem äußerst formalen Ansatz des IGH mangels grenzüberschreitenden Sachverhalts aber keine Angriffe im Sinne des Art. 51 SVN darstellen 132. Damit stellt das Gericht okkupierte Territorien unter den Schutz des Völkerrechts und verneint gleichzeitig deren völkerrechtliche Bindung 133. Die durch Art. 9 offen gelassenen „Zurechnungslücken“ vermag auch Art. 10 des Entwurfs nicht zu schließen. Dieser bekräftigt nur erneut den Grundsatz der Unzurechenbarkeit privaten Verhaltens und sieht in Absatz 1 allein Handlungen von solchen Rebellen oder Bewegungen als act of state an, die später die Regierungsgewalt übernehmen. Gelingt es den Rebellen, die Regierungsgewalt zu erlangen, werden dem Staat alle Handlungen der Rebellen, die diese in ihrer Eigenschaft als Rebellen verübt haben, zugerechnet 134. Es findet insoweit ähnlich wie in Art. 11 eine (für die Aktivierung des Selbstverteidigungsrechts unbrauchbare) exdes Gewaltverbots, andererseits scheiden diese als Zurechnungssubjekte aus; vgl. IGH, Legal consequences of the construction of a wall in the Occupied Palestinian Territory, par. 139 ff. (Gutachten vom 9.7.2004, im Internet abrufbar unter: http://www.icj-cij.org/cijwww/cdocket/ cmwp/cmwpframe.htm) bezüglich eines israelischen Selbstverteidigungsrechts gegen terroristische Übergriffe, die von den besetzten Gebieten in der West Bank ausgehen. 131 IGH, Legal consequences of the construction of a wall in the Occupied Palestinian Territory, im Internet abrufbar unter: http://www.icj-cij.org/cijwww/cdocket/cmwp/cmwpframe. htm. 132 IGH, Legal consequences of the construction of a wall in the Occupied Palestinian Territory, par. 79 ff., abrufbar unter: http://www.icj-cij.org/cijwww/cdocket/cmwp/cmwpframe. htm. 133 Hierzu eingehend unten Kapitel 3 C. II. 18. a). 134 ILC-Kommentierung, Art. 10 par. 4. Begründet wird dies mit der Kontinuität von Rebellenbewegung und Regierung.
B. Zulässigkeit von Verteidigungsmaßnahmen nach Art. 51 SVN
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tunc-Zurechnung statt. Art. 10 Abs. 2 rechnet Handlungen oppositioneller Rebellenbewegungen, die auf einem bestimmten Staatsgebiet einen neuen Staat errichten, dem neu gegründeten Staat zu. Schließlich führt Art. 10 des ILC-Entwurfs zu dem befremdlichen Ergebnis, dass ein Staat gegen eine später erfolgreiche Oppositionsbewegung in einem anderen Staat militärische Maßnahmen durchführen kann (und damit letztlich deren Erfolgschancen wiederum mindert), gegen die später unterliegende Rebellengruppe hingegen nicht. Das Selbstverteidigungsrecht wäre damit abhängig von Zufälligkeiten und späteren Ereignissen und es fiele zunehmend schwer, den Staaten Art. 51 SVN als effektives Schutzrecht glaubhaft zu vermitteln. Der tröstende Hinweis der Kommentierung auf eine gegebenenfalls bestehende individuelle Verantwortlichkeit der Rebellenbewegung 135 vermag in der hier behandelten Frage nach einer Selbstverteidigungsbefugnis keine Wirkung zu entfalten, wenn Voraussetzung für die Aktivierung des Rechts nach Art. 51 SVN die staatliche Zurechenbarkeit sein soll. d) Zusammenfassung der bestehenden Zurechnungsregeln im Bereich des Gewaltverbots und kritische Würdigung im Hinblick auf die schutzwürdigen Belange des angegriffenen Staates Nach alledem wird deutlich, dass die Verteidigungsmöglichkeiten des durch Terroristen angegriffenen Staates nach den derzeit in der Staatenpraxis geltenden Zurechnungskriterien eingeschränkt sind, wenn die staatliche Zurechenbarkeit der Angriffe conditio sine qua non für die Aktivierung der Verteidigungsbefugnis sein soll. Die Untersuchung der ILC-Zurechnungsnormen hat nichts Abweichendes ergeben. Soweit der Entwurf über die in der Staatenpraxis geltenden Zurechnungsregeln hinausgeht und weitere Zurechnungstatbestände normiert, lassen sich diese im Bereich des Gewaltverbots nicht fruchtbar machen. Denn die allermeisten der von der ILC entwickelten Zurechnungsnormen sind nicht auf den Fall der Selbstverteidigung gegen privat verübte bewaffnete Angriffe zugeschnitten.
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ILC-Kommentierung, Art. 10 par. 16.
Kapitel 2
Völkerrechtstheoretische Überlegungen zur Modifizierung der Zurechnungsregeln A. Modifizierungsvorschläge in der völkerrechtlichen Literatur Angesichts der zunehmenden Bedrohung der Staaten durch private Gewalt ist es kein Wunder, wenn in der völkerrechtlichen Literatur vermehrt und immer lauter der Ruf nach einer Absenkung der im Nicaragua-Urteil aufgestellten Zurechnungshürden zu vernehmen ist. Es sind verschiedene Ansätze entwickelt worden, die Verteidigungsmöglichkeiten eines angegriffenen Staates zu verbessern. Diese sollen im Folgenden kurz dargestellt, jedoch verworfen werden.
I. Zurechnung kraft rechtswidrigen Unterlassens der Erfolgsverhinderung Nach dem Ansatz der rechtswidrig unterlassenen Erfolgsverhinderung (Erfolgshaftungslehre) 1 haftet ein Staat für grenzübergreifende Gewaltakte Privater immer dann, wenn er seiner Pflicht zur Verhinderung des Schadens nicht nachgekommen ist. Ist dies zu bejahen, so kann der jeweilige Staat (regelmäßig der Aufenthaltsstaat) als Angreifer angesehen werden. Das Vorliegen der Pflichtverletzung des Staates wird dabei wiederum aus dem Schadenseintritt geschlossen. Die staatliche Zurechenbarkeit wird also nicht auf Grundlage der staatlichen Verwicklung in die privaten Gewaltakte bestimmt, sondern auf Grundlage der staatlichen Verantwortung hinsichtlich der Verhinderung und Nichtverfolgung der Angriffe. Diese Theorie wurzelt in der von Grotius entwickelten Konstruktion einer staatlichen Komplizenschaft, 2 und es kann davon ausgegangen werden, dass dieser Zurechnungsansatz über eine lange 1 Überwiegend wurde diese Lehre vor Gründung der Vereinten Nationen vertreten, so lassen sich etwa die Ausführungen Steinleins, Der Begriff des nicht herausgeforderten Angriffs, S. 8 ff. für eine Erfolgshaftung in Anspruch nehmen. Dies gilt ferner für den sowjetischen Entwurf einer Aggressionsdefinition; hierzu unten Kapitel 3 A. III. 1. c). Aus dem neueren Schrifttum Blum, IYHR 19 (1976), S. 223 (236); tendenziell Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 242 und S. 274 ff. bei einem failing state oder einem failed state. 2 Hierzu Garcia-Mora, International Responsibility for Hostile Acts of Private Persons, S. 15 ff.; Wolf, Die Haftung der Staaten für Privatpersonen nach Völkerrecht, S. 82 ff.; Ziegler, Fluchtverursachung als völkerrechtliches Delikt, S. 114.
A. Modifizierungsvorschläge in der völkerrechtlichen Literatur
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Zeit in der Staatenpraxis großen Anklang gefunden hat3. Ebenso deutet die Entstehungsgeschichte der Aggressionsdefinition in diese Richtung. Vorläufer der heute geltenden Aggressionsdefinition war die auf der Londoner Konvention vom 3. Juli 1933 insbesondere auf Anregung der Sowjetunion getroffene Formulierung: „(...) the aggressor in an international conflict shall (...) be considered to be that State which is the first to commit any of the following actions: (...) Provision of support to armed bands formed on its territory which have invaded the territory of another State, or refusal, notwithstanding the request of the invaded State, to take, in its own territory all the measures in its power to deprive those bands of all assistance or protection.“4
Zugegebenermaßen vereinfacht die griffige Formel der Erfolgsunrechtsthese die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts, begründet sie doch die Rechtswidrigkeit des Angriffs mit dem rechtswidrigen staatlichen Unterlassen der Verhinderung des unerlaubten Erfolgs. Allerdings lässt sich, wie bereits an anderer Stelle dargelegt 5, anhand der derzeitigen Staatenpraxis keine Entwicklung hin zu einer Erfolgsunrechtshaftung beobachten. Es darf zudem nicht übersehen werden, dass diese in Bezug auf die Absenkung der Zurechnungsschwelle zurückhaltende Staatenpraxis durch die Arbeiten der ILC eine gewichtige dogmatische Bestätigung erfährt. Die ILC verfolgt mit ihrem Entwurf zum Recht der Staatenverantwortlichkeit in erster Linie gerade, die Zurechnungskonstruktion nach dem Ansatz der rechtswidrig unterlassenen Erfolgsverhinderung zurückzuweisen 6. In denselben Bahnen bewegt sich die Rechtsprechung des IGH im allgemeinen Völkerdeliktsrecht, etwa im Korfu-Kanal-Fall 7. In dem Streit zwischen Großbritannien und Albanien verlangte Großbritannien den Nachweis, dass das beklagte Albanien versäumt hatte, die internationale Schifffahrt zu warnen, obwohl ihm die Existenz von Minen im Korfu-Kanal – was Albanien allerdings bestritt – bekannt war. Der Gerichtshof nahm zwar zulasten Albaniens eine Beweislastumkehr vor und ging daher von der Kenntnis albanischer Behörden vom Vorhandensein der Minen aus. Er ging aber nicht so weit zu sagen, dass selbst bei erwiesener Unkenntnis Albanien eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit getroffen hätte, und erteilte einer reinen Erfolgsunrechtszurechnung eine Absage. Überdies versagt dieser Ansatz in Konstellationen, in denen ein Staat mit schwindender oder nicht mehr vorhandener Staatsgewalt von gewaltbereiten Angreifern als „save haven“ benutzt wird 8. Einem Staat ohne oder mit nur räumlich partiell vorhan3 Steinlein, Der Begriff des nicht herausgeforderten Angriffs, S. 7 f.; weitere Nachweise zu älteren Schiedssprüchen Epiney, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten für rechtswidriges Verhalten im Zusammenhang mit Aktionen Privater, S. 108. 4 Text zitiert nach Rifaat, International Aggression, S. 92. 5 Siehe oben Kapitel 1 B. II. 2. a) cc). Anders aber für den Fall des failing state die Interpretation der Staatenpraxis durch Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 274 ff. 6 Siehe oben Kapitel 1 B. II. 2. c). 7 IGH, Korfu-Kanal-Fall, ICJ Rep. 1949, S. 17 f. par 22 f. 8 Obwohl sich die Arbeit von Liebach, Die unilaterale humanitäre Intervention im „zerfallenen Staat“, S. 161 ff. ausführlich mit der Möglichkeit einer auf Art.51 SVN gestützten Recht-
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Kap. 2: Überlegungen zur Modifizierung der Zurechnungsregeln
dener effektiver Staatsgewalt kann der Vorwurf der Vernachlässigung von „due diligence“ nicht gemacht werden. Denn handlungsfähige Organe, die terroristiche Handlungen hätten verhindern können, fehlen ihm gerade. Dies ist allerdings insofern problematisch, als sich Staaten dann ihrer völkerrechtlichen Verantwortung entziehen können. Aus diesem Grund erschiene es sachgerechter, eine staatliche Zurechenbarkeit mit dem Argument zu begründen, ein Staat habe handlungsfähig zu sein. Zurechnungsbegründend wäre dann die völkerrechtswidrige Vernachlässigung seiner Pflicht, effektive Herrschaftsgewalt zu haben und beizubehalten. Ob die Staaten in ihrer Konfliktpraxis mit terroristischen, von einem failing oder failed state ausgehenden bewaffneten Übergriffen einen solchen Weg beschreiten, wird an anderer Stelle zu untersuchen sein 9. Der Entwurf der ILC zur Staatenverantwortlichkeit – die in dogmatischer Hinsicht und wegen ihrer beeindruckenden Verarbeitung einer umfangreichen Staatenpraxis ausgereifteste Arbeit zu diesem Thema – lehnt diesen Weg jedenfalls ab 10. Ebenfalls existieren staatliche Äußerungen (allerdings ohne unmittelbaren Bezug zum staatlichen Selbstverteidigungsrecht), die sich gegen die völkerrechtliche Verantwortlichkeit eines failed state ins Feld führen lassen. So erklärte im Jahr 1991 der Special Representative für Afghanistan: „The fact that substantial portions of the territory are not controlled by the Government accounts for a lack of international legal responsibility“ 11.
Selbst im Tadic-Urteil, in welchem die Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien grundsätzlich für eine Abkehr von den strengen Zurechnungskriterien des IGH im Nicaragua-Urteil eintrat, wurde für die staatliche Zurechenbarkeit an einen failing state die Beibehaltung höherer Anforderungen an das Ausmaß staatlicher Verwicklung gefordert: „Of course, if, as in Nicaragua, the controlling State is not the territorial State where the armed clashes occur or where at any rate the armed units perform their acts, more extensive and compelling evidence is required to show that the State is genuinely in control of the units or groups (...) The same substantial evidence is required when, although the State in question is the territorial State where armed clashes occur, the general situation is one of turmoil, civil strife and weakened State authority.“ 12
Dies muss für einen failed state erst recht gelten, mit der Folge der Unzurechenbarkeit privater Handlungen. Denn wenn im Falle schwindender Staatsgewalt an den fertigung militärischer Interventionen im failed state beschäftigt, lässt sie eine Auseinandersetzung mit der Zurechnungsproblematik vermissen. 9 Siehe unten Kapitel 3 C. 10 Siehe hierzu oben Kapitel 1 B. II. 2. c). 11 Bericht vom 5.11.1991, A/46/606 para. 25. Für den Fall Afghanistan (das aufgrund der Talibanherrschaft nicht als failed state bezeichnet werden konnte) stellte er sodann (par. 28) klar: „Legally speaking, so long as there is no other central Afghan Government recognized by the United Nations, the current one is to be held internationally responsible for the aforementioned situation“. 12 JStGH, Berufungskammer, Prosecutor v. Tadic, ILM 38 (1999), S. 1518 (1545) par. 138 f. Hervorhebungen im Original.
A. Modifizierungsvorschläge in der völkerrechtlichen Literatur
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Nachweis staatlicher Zurechenbarkeit besondere hohe Anforderungen zu stellen sein sollen, ist nicht einzusehen, im Falle des failed state auf den Nachweis staatlicher Verwicklung gänzlich zu verzichten. Daher spricht sich auch der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien implizit gegen eine Erfolgszurechnung aus und müsste in letzter Konsequenz mangels Nachweises einer staatlichen Kontrolle über die Terroristen („substantial evidence (that) the State is genuinely in control of the units or groups“) auch die staatliche Zurechenbarkeit privater Handlungen an einen failed state verneinen. Schließlich erscheint die vorgeschlagene Zurechnungsoperation einer Erfolgsunrechtshaftung im Falle eines failed state auch aus folgendem Grund nicht unproblematisch: Eine staatliche Zurechenbarkeit ließe sich allein durch eine Vorverlagerung des Verantwortlichkeitsvorwurfs, nämlich durch die Anknüpfung an den völkerrechtswidrigen Verlust der Handlungsmacht, herleiten. Voraussetzung hierfür wäre, dass sich im Völkerrecht eine Pflicht des Staates zur Handlungsfähigkeit nachweisen ließe. Bereits dieser Nachweis ist nicht ohne Weiteres zu erbringen. Zwar korrespondiert dem staatlichen Schutzanspruch aus dem Gewaltverbot die Pflicht, vom eigenen Territorium ausgehende bewaffnete Aktivitäten zu verhindern. Es gibt aber keinen Rechtssatz, wonach ein Staat, von dessen Territorium bewaffnete Aktivitäten ausgehen, den Schutz des Gewaltverbots verliert 13 oder dieser für diese Aktivitäten völkerrechtlich verantwortlich ist. Der vertretene Ansatz hätte ferner zur Konsequenz, dass ein Staat bereits im Zeitpunkt des Zerfalls seiner effektiven Herrschaftsmacht als bewaffneter Angreifer gilt, wenn während der Dauer seines Zerfalls bewaffnete Angriffe durch Private verübt werden. Dies führte jedoch zu einer inkongruenten Bestimmung der Zurechnungsobjekte: Die bewaffneten terroristischen Angriffe wären dem „alten“, handlungsunfähigen Staat zurechenbar, während nach den allgemeinen Regeln der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit allenfalls der „neue“ Staat als Zurechnungsobjekt in Frage käme. Denn nach dem Entwurf der ILC ist einzig eine Zurechnung (unter den Voraussetzungen der Art. 9 und 10) an den „neuen“ Staat (mit wiedererlangter Herrschaftsgewalt) durchführbar und aus haftungsrechtlichen Gründen sinnvoll. Man gelangte daher zu dem befremdlichen Ergebnis, dass dem alten (handlungsunfähig gewordenen) Staat die privaten Gewaltakte zurechenbar wären und der neue (nunmehr handlungsfähige) Staat für diese haftet.
II. Zurechnung nach den Grundsätzen der staatlichen Gefährdungshaftung In der neueren Völkerrechtsentwicklung gibt es Beispiele, bei besonders risikoreichen Unternehmungen eines Staates, wie etwa bei Kernwaffenversuchen, in der Weltraumfahrt oder im Internationalen Umweltrecht, dem Staat eine verschuldensunabhängige Haftung für alle negativen Folgen derartiger Unternehmungen aufzu13
Hierzu bereits oben Kapitel 1 A.
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Kap. 2: Überlegungen zur Modifizierung der Zurechnungsregeln
bürden 14. Das Paradebeispiel einer originär völkerrechtlichen Gefährdungshaftung des Staates ist in Art. II des Weltraumhaftungsübereinkommens (WHÜ) festgelegt, wo es heißt: „Ein Startstaat haftet unbedingt für die Leistung von Schadensersatz wegen eines von seinem Weltraumgegenstand auf der Erdoberfläche oder an Luftfahrzeugen im Flug verursachten Schadens.“
Die Zurechnung privaten Verhaltens (etwa privater Weltraumunternehmen) erfolgt allein über das Kriterium des Startstaates. Art. I lit. c (ii) WHÜ bestimmt als Startstaat unter anderem den Staat, „von dessen Hoheitsgebiet oder Anlagen ein Weltraumgegenstand gestartet wird“.
Dieser Fall umfasst alle Weltraumaktivitäten des Staates und privater Unternehmen auf staatlichem Hoheitsgebiet 15. Hieran anknüpfend ließe sich argumentieren, dass auch der Aufenthalt terroristischer Gruppen auf dem Staatsgebiet eine in ihrer Gefährlichkeit vergleichbare Gefahrenquelle darstellt und der Aufenthaltsstaat für sämtliche Aktivitäten dieser Personen gegenüber Drittstaaten zu haften habe. Übertrüge man die Zurechnungsregel des Art. I lit. c WHÜ auf private Gewaltakte, wäre die gesamte „safe haven“-Problematik, also sowohl die Duldung als auch die Unfähigkeit der Verhinderung der Gewaltakte, von der Haftung erfasst. Gegen die Übertragung einer Gefährdungshaftung auf die Fälle privater Gewaltaktivitäten wird demgegenüber vorgebracht, dass der Staat bei der Bekämpfung des Terrorismus nicht dieselben Kontrollmöglichkeiten habe, die er etwa durch Genehmigungsverfahren und Aufsicht über die Raumfahrt ausüben könne 16. Dem kann nicht ohne Weiteres gefolgt werden. Art. I lit. c WHÜ statuiert eine Gefährdungshaftung gerade ohne Rücksicht auf eine vorherige Registrierung der Startanlage. Die Raumfahrt hat sich ebenso gewandelt wie die Charakteristika der bewaffneten Konflikte. War bei der Unterzeichnung des WHÜ die Weltraumaktivität noch eine ausschließlich staatliche Domäne 17, gewann seit den 1970er Jahren die wirtschaftliche Nutzung des Weltraums durch Private an Bedeutung 18. Es kann daher nicht argumentiert werden, dass der technische Aufwand, den der Bau einer Startrampe erfordert, nur von einem Staat geleistet werden kann. Diesbezügliche Prognosen ha14 Vgl. ansatzweise das Montréaler Protokoll über ozonschichtgefährdende Substanzen, abgedruckt in: ILM 26 (1987), S.1550. Jedoch fehlt es auch im Umweltvölkerrecht an einem umfassenden Ansatz zur Lösung der Haftungsproblematik, vgl. Heintschel v. Heinegg in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 57 Rn. 87; allgemein zur Zurechnungserweiterung Kilian, NZWehrr 1982, S. 121 (123); Condorelli, RdC 189 (1984 VI), S. 19 (121 ff.). 15 Wins, Weltraumhaftung im Völkerrecht, S. 84 f. 16 Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 238. 17 Goldschmidt, Das Problem einer völkerrechtlichen Gefährdungshaftung unter Berücksichtigung des Atom- und Weltraumrechtes, S. 162. 18 Wins, Weltraumhaftung im Völkerrecht, S. 339 ff.: Mittlerweile bieten private Unternehmen eigene Startdienste an oder es werden Raketen auf Hoher See von umgebauten (privaten) Plattformen aus gestartet, wie beim Sealaunch-Projekt.
A. Modifizierungsvorschläge in der völkerrechtlichen Literatur
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ben sich gerade auch beim Ausmaß bewaffneter Angriffe als irrtümlich erwiesen. Schließlich verstoßen private terroristische Aktivitäten anders als die Raumfahrt per se gegen Völkerrecht. Daher ließe sich im Erst-recht-Schluss folgern: Wenn der Staat für eine private Aktivität, die der Menschheit regelmäßig nützlich ist, einer so strengen Haftung unterliegt, dann müsste dies für terroristische Handlungen umso mehr gelten. Andererseits überwiegen die Unterschiede zwischen beiden Lebenssachverhalten deutlich: Im Weltraumhaftungsrecht ist es dem Staat möglich, durch nationale Rechtsetzung Regress bei den Privaten zu nehmen. Diese Regressmöglichkeit fehlt in den hier behandelten Fällen aus tatsächlichen Gründen, da die Verletzung der territorialen Integrität als solche finanziell nicht aufwiegbar ist 19. Zudem kann aus den wenigen Verträgen rechtsdogmatisch nicht die Existenz einer völkergewohnheitsrechtlichen Gefährdungshaftung für alle Bereiche schädlicher Aktivitäten von Privaten begründet werden 20. Ein derartiger Haftungsansatz fußte auf der unrichtigen Prämisse, dass sich die im Völkerrecht anerkannten Fälle einer Gefährdungshaftung auf ein gemeinsames – mithin analogiefähiges – Prinzip besonders risikoreicher Unternehmungen zurückführen lassen. Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht wurde eine Gefährdungshaftung für Staaten jedoch erstmalig nicht im Bereich der durch Technik bedingten Gefahren statuiert, sondern im Seerecht 21. Nach Art. 22 des Genfer Übereinkommens über die Hohe See vom 29. April 1958 darf ein Kriegsschiff ein anderes Schiff anhalten, wenn ein ernstlicher Grund zu der Annahme besteht, dass das Schiff Seeräuberei oder Sklavenhandel betreibt. Erweist sich der Verdacht als unbegründet und hat das Schiff keine den Verdacht rechtfertigenden Handlungen begangen, so ist ihm jeder Schaden zu ersetzen. Auch ist der Grund einer Gefährdungshaftung im Völkerrecht dogmatisch keinesfalls erklärbar: Liegt er in der Schwere der möglichen Folgen, wäre eine verschuldensunabhängige Haftung im Bereich des Weltraumrechts nicht zu erklären, denn die zu erwartenden Schäden sind keinesfalls gravierender als etwa bei einem Flugzeugabsturz. Führt man den Haftungsgrund auf die Unbeherrschbarkeit des Risikos zurück, ließe sich die Gefährdungshaftung im Atomrecht nicht begründen, das eine Haftung bei unbeherrschbaren Geschehnissen gerade ausschließt22. Schließlich spricht die minutiöse Aufzählung der staatlichen Pflichten in den Terrorismuskonventionen eher gegen die Annahme einer Gefährdungshaftung, wäre es doch überflüssig, in mühsamen Kompromissen einen Pflichtenkatalog aufzustellen, wenn die Haftung des Staates unabhängig von der Befolgung dieser Pflichten einsetzen sollte. 19 Kompensations- und entschädigungsfähig sind allein materielle Schäden und Verletzungen an Leib und Leben in der Zivilbevölkerung. 20 Gegen die Annahme der Herausbildung „terrorismusrechtlicher“ Grundsätze auch Fischer in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 59 Rn. 13. 21 Randelzhofer, BDGV 24 (1984), S. 35 (49 f.). 22 Gattini, Zufall und force majeure im System der Staatenverantwortlichkeit anhand der ILC-Kodifikationsarbeit, S. 243.
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Kap. 2: Überlegungen zur Modifizierung der Zurechnungsregeln
Nach alledem überwiegen die Bedenken gegen ein Zurechnungsregime im Sinne einer verschuldensunabhängigen Haftung des Staates für bewaffnete grenzüberschreitende Aktivitäten Privater auf seinem Territorium.
III. Modifizierung des Zurechnungskriteriums „de facto-Organ“ für den Bereich des internationalen Terrorismus Abweichend von den herkömmlichen Zurechnungskriterien finden sich in der völkerrechtlichen Literatur Stimmen, die für den Bereich des internationalen Terrorismus das für die Zurechenbarkeit erforderliche Kriterium der effektiven Kontrolle („effective control“) modifizieren wollen und eine extensive Auslegung des Begriffes de facto-Organ befürworten 23. Die Zurechnungsvoraussetzung der „effective control“, wie sie das Nicaragua-Urteil noch forderte, wird als zu streng empfunden, um dem Phänomen des internationalen Terrorismus gerecht zu werden. Dogmatisch werden verschiedene Wege beschritten: Den zur Bekämpfung des Terrorismus ergangenen Resolutionen wird zum Teil eine Rechtsentwicklung entnommen, wonach für die Zurechnung der bewaffneten Angriffe auf das Merkmal der effektiven staatlichen Kontrolle verzichtet werden und bereits jedes staatliche Verhalten einschließlich der Gewährung des Aufenthaltsortes genügen soll, welches objektiv vorhersehbar zu einer Unterstützung terroristischer Aktivitäten führt 24. Andere begründen die Modifizierung der Zurechnungskriterien damit, dass die Verwicklung in bewaffnete terroristische Angriffe der Verwicklung in die Angriffshandlungen eines anderen Staates ähnele 25. In solchen Fällen würden dann die geringeren Zurechnungsanforderungen des Art. 3 lit. f der Aggressionsdefinition („das willentliche Überlassen des eigenen Staatsgebiets für Angriffshandlungen eines anderen Staates“) gelten 26. Die vorgeschlagenen Modifizierungslösungen stoßen jedoch wegen ihrer dogmatischen Begründung auf Bedenken. Soweit sich die Argumente auf die zur Bekämpfung des Terrorismus ergangenen Resolutionen stützen, treffen sie auf den bereits an anderer Stelle dargelegten Einwand 27, dass sich eine Einflussnahme der besagten Resolutionen auf die Zurechnungsanforderungen des Art. 51 SVN nicht sicher nachweisen lässt. Außerdem ist unklar, für welche privaten Gewaltakte die Modifizierungslösung gelten soll, weil der Primärnormbereich des „Terrorismusrechts“ seinen eigenen Regelungsgegenstand nicht definiert 28. 23 Tietje/Nowrot, NZWehrr 2002, S. 1 (9); zurückhaltend Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 183 (226 ff.). 24 Tietje/Nowrot, NZWehrr 2002, S. 1 (9); Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 183 (226 ff.). 25 Bruha, AVR 40 (2002), S. 383 (404). 26 Das Pendant findet sich in Art. 16 des ILC-Entwurfs, wonach für die Zurechnung die bloße Hilfeleistung ausreicht, wenn der hilfeleistende Staat von den Umständen des Angriffs Kenntnis hat. 27 Siehe oben Kapitel 1 B. II. 2. a) cc). 28 Ausdrücklich gegen ein Sonderregime für den Bereich der Terrorismusbekämpfung Fischer in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 59 Rn. 13, nach dessen Ansicht trotz der zahlreichen Ter-
B. Zusammenhang von Zurechnungskriterien und Selbstverteidigungsrecht
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Der zweite Vorschlag einer analogen Anwendung der Zurechnungsregeln des Art. 3 f der Aggressionsdefinition gründet stark auf Spekulationen, da nicht angenommen werden kann, dass den mit der Erarbeitung der Zurechnungsregeln betrauten Institutionen die Phänomene eines transnationalen Terrorismus unbekannt waren. Die Staaten- und Resolutionspraxis zur staatlichen Verwicklung in private bewaffnete Angriffe lässt zudem wenig Neigung erkennen, auch bei noch so schwerwiegenden Anschlägen die staatliche Zurechenbarkeit über eine entsprechende Anwendung der Regelungen über das staatliche Zusammenwirken zu begründen 29.
B. Zum grundsätzlichen Zusammenhang von Zurechnungskriterien und staatlichem Selbstverteidigungsrecht Es konnte gezeigt werden, dass nur besonders schwerwiegende Verwicklungformen die staatliche Zurechenbarkeit der privaten Handlungen herbeiführen und sich in der Völkerrechtspraxis Tendenzen zur Herabsetzung dieser Kriterien nicht durchgesetzt haben. Auf dem Boden der oben dargestellten Zurechnungslösungen, wonach die staatliche Zurechenbarkeit der bewaffneten Angriffe conditio sine qua non für die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts ist, wären den durch Terroristen bedrohten Staaten bei ihrer Verteidigung enge Grenzen gezogen. Im Folgenden soll nunmehr der Frage nachgegangen werden, ob trotz der Beschränkung staatlicher Selbstverteidigung durch die geltenden strengen Zurechnungskriterien eine Absenkung der Zurechnungsschwelle rechtspolitisch wünschenswert und dem Selbstverteidigungsbedürfnis der Staaten dienlich ist. Dabei werden die Folgen der Modifizierungslösungen hinsichtlich der Intensität sowie der räumlichen und zeitlichen Ausdehnung der Selbstverteidigungsmaßnahme aufgezeigt und dargelegt, dass die hohen Anforderungen, die die derzeitige Staatenpraxis an den Nachweis der staatlichen Zurechenbarkeit stellt, nach wie vor gerechtfertigt sind (unter I.). Dieses Dilemma – einerseits das durch die Zurechnungskriterien nicht bewältigte staatliche Verteidigungsbedürfnis; andererseits die sowohl rechtsdogmatischen als auch rechtspolitischen Bedenken gegen die Modifizierungslösungen – veranlasst zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang von Zurechnungskriterien und Selbstverteidigungsrecht. Dabei steht unter Zugrundelegung der eigentlichen Funktion der Zurechnungskriterien die Eignung des Zurechnungsansatzes auf dem Prüfstand, die Voraussetzungen eines staatlichen Selbstverteidigungsrechts gegen terroristische Gewalt festzulegen (unter II.).
rorismuskonventionen nicht von einem Terrorismusrecht gesprochen werden kann; ebenso Frowein ZaöRV 62 (2002), S. 879 (879 ff.). 29 Hierzu siehe unten Kapitel 3 C.
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Kap. 2: Überlegungen zur Modifizierung der Zurechnungsregeln
I. Kritische Folgenbetrachtung bei einer Aufweichung der Zurechnungskriterien So entschieden den Bestrebungen der Modifizierungslösungen auch darin zuzustimmen ist, dass sich die herkömmlichen Zurechnungsregeln im Hinblick auf die Schutzbelange des angegriffenen Staates als inadäquat erweisen und folgerichtig diese Regeln an die besonderen Umstände der Selbstverteidigungssituation anzupassen sind, so deutlich treten auch die gegen diese Lösungen angebrachten Bedenken hervor. Jede Herabsetzung der Zurechnungsschwelle im Bereich der staatlichen Selbstverteidigung gegen Terroristen begegnet wegen der damit verbundenen Ausweitung des staatlichen Selbstverteidigungsrechts Bedenken. Zwar vermag die Absenkung der Zurechnungskriterien den Belangen des angegriffenen Staates Genüge leisten, indem sie seine Verteidigungsbefugnisse erweitert. Eine solche Lösung berücksichtigt aber nicht ausreichend die schutzwürdigen Belange der territorialen Integrität und politischen Unabhängigkeit des Zielstaates der Selbstverteidigungsmaßnahme: Verteidigungsziel wären nicht die Angreifer, sondern der Aufenthaltsstaat. Dies führte dazu, dass ein Aufenthaltsstaat von Terroristen bereits bei jedweder Sorgfaltswidrigkeit als bewaffneter Angreifer gelten würde und mit entsprechenden Sanktionen rechnen müsste. In letzter Konsequenz könnte auch Deutschland wegen seiner Versäumnisse bei der Prävention und Strafverfolgung der Al Quaida-Terroristen als bewaffneter Angreifer der Anschläge vom 11. September 2001 bezeichnet werden 30. Denkbar ist auch, dass ein Staat in seiner Rolle als Angreifer Selbstverteidigungsmaßnahmen zu dulden hätte, obwohl sich die Terroristen nicht einmal mehr auf dessen Hoheitsgebiet aufhalten. Viel schwerer wiegt aber die Tatsache, dass die Verteidigungshandlung in ihrer Intensität und in ihrem räumlichen Umfang allein durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt wäre – ein Regulativ, dessen Geltung im Bereich des Art. 51 SVN, anders als vielfach angenommen, keine Selbstverständlichkeit, sondern im Gegenteil höchst zweifelhaft ist.
1. Die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Selbstverteidigungsmaßnahmen Der IGH geht in seinen Urteilen durchweg und ohne nähere Begründung davon aus, dass die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts durch den Grundsatz der Ver30 So absurd solche Visionen auch klingen mögen, ist es nur eine Frage des politischen Klimas, ob sie in die Tat umgesetzt werden. Die am 31.8.2004 gehaltenen Ansprachen und gegen Deutschland gerichteten Attacken auf dem Nominierungsparteitag für die Präsidentenwahlen 2004 der US-amerikanischen Republikaner ließen sich teilweise wie Sorgfaltswidrigkeits- und Duldungsvorwürfe vernehmen. Insbesondere Parteiredner Guiliani warf Deutschland einen zu laschen Umgang mit Terroristen vor. Vollständige Rede unter www.tagesschau.de (Internetzitat Stand vom 1.9.2004).
B. Zusammenhang von Zurechnungskriterien und Selbstverteidigungsrecht
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hältnismäßigkeit 31 beschränkt wird. So führte der IGH in seinem Gutachten über die Zulässigkeit der Drohung und des Einsatzes von Kernwaffen unter Bezugnahme auf sein Nicaragua-Urteil 32 aus: „(...) there is a specific rule whereby self-defence would warrant only measures which are proportional to the armed attack and necessary to respond to it, a rule well established in costumary international law.“ 33
Diese Ausführungen wörtlich genommen, beschränkte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verteidigungshandlung gegenüber dem Angreifer und entfaltet diesem gegenüber wiederum eine Schutzwirkung. Die nähere Untersuchung der Staatenpraxis und beachtliche Gegenstimmen in der Literatur 34 verbieten indes, die Geltung dieses Grundsatzes für Art. 51 SVN als eine Selbstverständlichkeit zu proklamieren. Unbestritten ist das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der zur Verteidigung eingesetzten Mittel aus dem ius in bello bekannt. Im Rahmen des Individualschutzes ergibt sich ein Abwägungsgebot zwischen der schädigenden Wirkung der eingesetzten Verteidigungsmittel und dem zu erwartenden Verteidigungserfolg aus dem Gedanken des humanitären Völkerrechts 35. Hingegen kann im zwischenstaatlichen Verhältnis zwischen Angreifer und Verteidiger ein völkerrechtliches Abwägungsgebot nicht nachgewiesen werden 36. Die Staaten lassen wenig Neigung erkennen, dem angegriffenen Staat langwierige Abwägungen zwischen den Schadensfolgen der Angriffshandlung und denen der Selbstverteidigungsmaßnahme abzuverlangen und 31 Der IGH spricht insoweit von „proportionality“, im Folgenden ist damit die im deutschen Recht als „Angemessenheitsprüfung“ bekannte dritte Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung gemeint. Die Begrifflichkeiten schwanken in der völkerrechtlichen Literatur: wie hier Kimminich/Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 282; Schröder, JZ 1977, S. 420 (425); Schachter, AJIL 85 (1991), S. 452 (459); dagegen Randelzhofer in: Simma (Hrsg.), Charter of United Nations, Art.51 Rn.36 f., der Proportionalität als Oberbegriff der Prüfung verwendet, und Genoni, Die Notwehr im Völkerrecht, S. 132, der Angemessenheit und Erforderlichkeit gleichsetzt. 32 Im Nicaragua-Urteil setzte sich der IGH mit den Grenzen des gewohnheitsrechtlichen Selbstverteidigungsrechts auseinander und bekräftigte insoweit die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, vgl. ICJ Reports 1986, S. 103 par. 194. 33 Hervorhebung durch Verfasser. 34 Kunz, AJIL 41 (1947), S.872 (877 f.); Dahm, JIR 11 (1962), S.48 (58); zweifelnd und einschränkend hinsichtlich größerer zwischenstaatlicher Auseinandersetzungen auch Dinstein, War Aggression and Self-Defence, S. 208 ff.; zweifelnd auch Schindler in: FS Haug, S. 251 (254 f.); Combacau in: Cassese (Hrsg.), The current legal Regulation of the use of Force, S. 9 (21 f.); Randelzhofer, EA 38 (1983), S. 685 (687). 35 Krugmann, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Völkerrecht, S. 68. 36 Zu diesem Ergebnis gelangt die Untersuchung von Krugmann, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Völkerrecht, S. 83 f. und S. 123 ff., die sich zu einem Großteil mit der Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen der Selbstverteidigung befasst. Auch Horn, Die Anwendung militärischer Gewalt auf zivile Passagierflugzeuge, S. 81 ff. nimmt für den Fall des Abschusses eines Passagierflugzeugs zur Abwendung einer Gefährdung der Sicherheit des Staates allein eine Abwägung zwischen den individuellen Rechtsgütern der betroffenen Passagiere und den gefährdeten individuellen Rechtsgütern der Bevölkerung des Staates und gerade nicht zwischen den beteiligten Staaten vor. Ebenso den menschenrechtlichen Gesichtspunkt in den Vordergrund stellend Shaw, International Law, S. 1031 f.
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Kap. 2: Überlegungen zur Modifizierung der Zurechnungsregeln
damit dem in der Regel gut vorbereiteten Angreifer einen zusätzlichen Vorteil gegenüber dem Verteidiger zu verschaffen, indem der angegriffene Staat durch die Abwägung bei der Wahl seiner Mittel weiter Zeit verliert. Aufschlussreiches Material zu dieser Frage liefern die Staatenäußerungen im Verlauf der Erarbeitung der Aggressionsdefinition 37: So hielt etwa die UdSSR das Prinzip für nicht anwendbar, weil es die Reaktionsmöglichkeiten des Opfers eines bewaffneten Angriffs zu stark einschränke 38. Ghana betrachtete das Recht auf Selbstverteidigung als „unlimited“ 39. In dieselbe Richtung gehen die Äußerungen Italiens 40 und Israels 41. Für die Geltung eines Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes machten sich hingegen vor allem Großbritannien 42 und die USA 43 stark, die allerdings vorwiegend auf eine Begrenzung der Waffenintensität abzielten, weniger auf eine räumliche Begrenzung der Selbstverteidigungshandlung. Auch wenn die USA und Großbritannien in ihrer Konfliktpraxis dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz das Wort reden, ist doch zweifelhaft, ob damit eine über die „reasonable necessity“ hinausgehende Anforderung gemeint ist. Der massive US-amerikanische und britische, als Selbstverteidigung bezeichnete 44 Militäreinsatz im Irak im Jahr 2003 oder das von nahezu allen Staaten gebilligte Vorgehen in Afghanistan, sprechen eher für ein großzügiges Proportionalitätsverständnis 45. Bruha, Die Definition der Aggression, S. 173 ff. UN Doc. A/AC.134/SR.72, S. 85 ff. 39 UN Doc. A/AC.134/SR.72, S. 86. 40 UN Doc. A/AC.134/SR.72, S. 89. 41 UN Doc. A/C.6/SR.1274, par. 58. 42 UN Doc. A/AC.134/SR.72, S. 84. 43 UN Doc. A/AC.134/SR.63, S. 116. 44 Kritisch zur völkerrechtlichen Zulässigkeit des Militäreinsatzes unter dem Blickwinkel des Art. 51 SVN, vgl. Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rn. 19, der zwar die National Security Strategy der USA nicht grundsätzlich ablehnt, jedoch jegliche Rechtfertigungsversuche des Gewalteinsatzes im Irak im Jahr 2003 nicht anerkennt. 45 Instruktiv Gardam, AJIL 87 (1993), S. 391 (403 ff.); zur US-amerikanischen Intervention in Afghanistan als Antwort auf die Anschläge 2001 Tomuschat, EuGRZ 2001, S.535 (543), der darauf hinweist, dass das ursprüngliche Verteidigungsziel der Vernichtung des Netzwerks der Al Quaida durch das Ziel der Beseitigung der Taliban ersetzt wurde und deshalb an der Angemessenheit der Maßnahmen gezweifelt werden kann; ähnlich Sandoz, SZIER 2002, S. 319 (336) und Ruffert, ZRP 2002, S. 247 (249). Die in der Erarbeitungsphase des ILC-Entwurfs über die Staatenverantwortlichkeit zutage getretene Auffassung der USA lässt sogar darauf schließen, dass mit Proportionalität allenfalls die Geeignetheit und Zweckmäßigkeit („appropriateness“) gemeint ist, vgl. United States Department of State, Washington D.C. 20520, Comments of the Government of the United States, 22.10.1997. Dort heißt es zunächst: „The United States agrees with the Commission that under customary international law a rule of proportionality applies to the exercise of countermeasures.“ Wenig später erscheint dieses jedoch in einem anderen Licht, wenn betont wird: „Proportionality (...) requires neither identity nor exact equivalency in judging the lawfulness of a countermeasure. Customary law recognizes that, in some cirumstances, a degree of response greater than the precipitating wrong may be appropriate to bring the wrongdoing State into compliance with its obligations.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 37 38
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Bei genauerer Betrachtung der Begründungen des IGH finden die Zweifel an der Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gegenüber dem Angreifer sogar eine vorsichtige Bestätigung: Die knappen Ausführungen in der Begründung zur Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gegenüber dem angreifenden Staat deuten auf das Fehlen normativer Maßstäbe bei der Abwägung hin 46. Die im Vergleich dazu äußerst umfangreichen Ausführungen zum umweltrechtlichen Schädigungsverbot und zu den Anforderungen des menschenrechtlichen Proportionalitätsgedankens lassen die überwiegend drittschützende Funktion dieses Grundsatzes deutlich in den Vordergrund treten. Es liegt die Vermutung nahe, dass es sich beim Festhalten am Verhältnismäßigkeitsprinzip im Bereich der Notwehr eher um ein Lippenbekenntnis handelt und der IGH vor allem in Fällen der Drittbetroffenheit (hinsichtlich der Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, auf die Umwelt und auf andere Staaten) von dessen Existenz überzeugt ist. Als ebenso nebulös erweisen sich vielfach die Äußerungen in der völkerrechtlichen Literatur: Einerseits zeigen sich die Autoren überzeugt von der Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, gelangen dann aber zu Ergebnissen, die allein auf die Existenz eines Notwendigkeits- bzw. Erforderlichkeitskriteriums schließen lassen 47. In den wenigsten Fällen wird dieser Grundsatz inhaltlich konturiert 48. Zum Teil wird versucht, über die Verbindung des letzten Halbsatzes von Art. 51 S. 1 SVN zu Art. 42 SVN das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit der Abwehrhandlung zu konstruieren 49. Dem kann nicht gefolgt werden: Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass der in Selbstverteidigung handelnde Staat wegen der Subsidiaritätsklausel des Art. 51 SVN dieses Recht gleichsam als Treuhänder des Sicherheitsrates aus46 In extremen Selbstverteidigungssituationen hält der IGH den Kernwaffeneinsatz für zulässig und begnügt sich mit folgender Formel: „(...) the Court could not conclude definitively whether the threat or use of nuclear weapons would be lawful or unlawful in an extreme circumstance in self-defence, in which the very survival of a State would be at stake (...)“, ICJ Reports 1996, S. 266 par. 105. Eine Abwägung findet nicht statt, ebenso wenig trifft der IGH Aussagen über Abwägungsvorgaben. 47 Dinstein, War Aggression and Self-Defence, S. 208 ff.; Genoni, Die Notwehr im Völkerrecht, S. 132, demzufolge die Verhältnismäßigkeit erfordere, dass die Maßnahme „nicht über das hinausschießen soll, was zur Erreichung des Zwecks notwendig ist, andererseits natürlich auch das Ausmaß und die Intensität der Defensivhandlungen im Verhältnis zur Angriffshandlung“; Krajeweski, AVR 40 (2002), S. 183 (208 ff.) und KJ 2001, S. 363 (378 ff.), der zunächst betont, dass die militärischen Mittel in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehen müssen, sich aber anschließend ausschließlich mit Fragen des humanitären Völkerrechts beschäftigt und in die Abwägung die Versorgungssituation der Bevölkerung, mögliche Fluchtbewegungen und damit verbundene humanitäre Folgen etc. mit einbezieht; ebenso Kotzur AVR 40 (2002), S. 454 (476). Schachter, IYHR 1989, S. 209 (222 ff.) zweifelt an der Definierbarkeit dieses Kriteriums und hält ebenfalls den relevanten Anwendungsbereich im humanitären Völkerrecht. Jennings/Watts, International Law, Vol. I/1, S. 421 f. gehen offenbar nur bei der präventiven Selbstverteidigung von der Geltung des Angemessenheitskriteriums aus. 48 Eine Ausnahme bilden vor allem jene Autoren, die die Geltung eines engen Angemessenheitserfordernisses verneinen, namentlich Dinstein, War Aggression and Self-Defence, S.208 ff. 49 Dies klingt bei Schneider, Das Selbstverteidigungsrecht nach der Satzung der Vereinten Nationen und seine Verbindung mit den defensiven Regionalpakten, S. 58 an.
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übt, dann ließe sich hieraus jedoch kein Angemessenheits-, sondern allenfalls ein Notwendigkeitserfordernis herleiten. Denn Art. 42 SVN verleiht dem Sicherheitsrat die Befugnis, zur Wahrung des Weltfriedens alle Maßnahmen zu treffen, die hierfür notwendig (nicht verhältnismäßig) sind. Zusammenfassend sprechen die besseren Gründe dafür, dass sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf eine individual- und drittschützende Funktion beschränkt, im Verhältnis zwischen Verteidiger und Angreifer indes keine Wirkungen entfaltet. Der Staatenpraxis lässt sich nicht entnehmen, dass die Wirksamkeit der Selbstverteidigung durch langwierige Abwägungsprozesse geschmälert werden soll. Insgesamt scheint die Auffassung vorzuherrschen, wonach der Angreiferstaat nicht des Schutzes von Angemessenheitserwägungen bedarf. Die Sorge des IGH, formuliert in seinem Gutachten über die Zulässigkeit der Drohung mit und des Einsatz von Kernwaffen, galt vornehmlich dem Drittschutz, nicht den Belangen des Angreiferstaates selbst. 2. Folgen für das Ausmaß der Verteidigungsmaßnahme Ist schon die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht unumstritten, müssen die aus diesem Grundsatz abgeleiteten Aussagen über die räumlichen Grenzen der Verteidigungsmaßnahmen erst recht relativiert werden 50. In der Literatur werden – soweit überhaupt eine Auseinandersetzung mit der Problematik stattfindet – hierzu verschiedene Positionen vertreten: Teilweise wird ein militärischer Gegenangriff auch dann für erlaubt gehalten, wenn er eine ablenkende Strategie verfolgt und an einem anderen Ort einsetzt als am Operationsgebiet des Angreifers51. Keineswegs ist der sich verteidigende Staat auf die Abwehr auf seinem eigenen Territorium beschränkt 52. Auch der IGH stellt in seinem Nicaragua-Urteil nicht allzu hohe Anforderungen, wenn er ausführt, dass die Zerstörung von Eigentum einen engen Zusammenhang mit der Gewaltquelle haben müsse und eine lediglich „reasonable connection“ nicht genüge 53. Daher wäre es rechtmäßig, Eisenbahnlinien, Kommunikationsinfrastrukturen und andere Einrichtungen zu zerstören, die die nichtstaatlichen Gewaltakteure unterstützen und die letztlich zur staatlichen Zurechenbarkeit der Gewaltakte geführt haben. Schließlich ergeben sich aus den konfliktvölkerrechtlichen Kampfführungsbestimmungen Grenzen insoweit, als auch der Beschuss militärischer Ziele zu einem militärischen Vorteil des Verteidigers führen muss 54: Nicht 50 Die Arbeit von Krugmann, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Völkerrecht, zählt zu den gründlichsten Untersuchungen zu dieser Problematik und enthält gleichwohl zur räumlichen Begrenzungsfunktion des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes keine Aussagen. 51 Wengler, Das völkerrechtliche Gewaltverbot, S. 12. 52 Gray, International Law and the Use of Force, S. 106. 53 IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports, S. 112 par. 237. 54 Constantinou, The Right of Self-Defence under Costumary International Law and Article 51 of the United Nations Charter, S. 162.
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zulässig sind nach überwiegender Ansicht dauerhafte Gebietsokkupationen55, wobei der US-amerikanische Verteidigungsschlag gegen Afghanistan und die Billigung der überwältigenden Mehrheit der Staaten Zweifel an einer räumlichen Grenze des Selbstverteidigungsrechts aufkommen lassen. Auch das US-amerikanische Bombardement auf irakische Infrastrukturen im Jahr 1991 als Antwort der kollektiven Selbstverteidigung 56 geben Anlass zu Bedenken, ob nach heutiger Staatenpraxis das Recht auf Selbstverteidigung in räumlicher Hinsicht feststehenden Grenzen unterworfen ist und sinnvollerweise unterworfen werden kann. Die dargestellten „Modifizierungslösungen“, die für eine Absenkung der Zurechnungsschwelle plädieren, vermögen diese Unsicherheit nicht auszuräumen, denn im Falle eines bewaffneten Angriffs Privater wäre die durch Art.51 SVN (mit veränderten Zurechnungskriterien) vermittelte Befugnis zur Gewaltanwendung nicht einmal ansatzweise auf die Bekämpfung der Positionen der Privaten begrenzt 57. Es handelte sich vielmehr um einen konstruierten zwischenstaatlichen Konflikt mit der Folge, dass der räumliche Umfang der Selbstverteidigung nur unzureichend beschränkt wäre. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass auch der Verzicht auf die staatliche Zurechenbarkeit der bewaffneten Angriffe als conditio sine qua non für die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts die Gefahr einer räumlichen Ausweitung der Selbstverteidigungsmaßnahme nicht gänzlich eindämmen würde. Privaten Akteuren ist vielmehr der räumliche Wechsel ihrer Aktionsbasen geradezu eigen, weshalb sich die Verteidigungsmaßnahme sinnvollerweise räumlich gar nicht strikt eingrenzen lässt. Darüber hinaus senkt der mit dem Verzicht auf das Erfordernis der staatlichen Zurechenbarkeit verbundene Wechsel des Verteidigungsziels womöglich die Hemmschwelle, grenzüberschreitende Gewalt zur Abwehr terroristischer Gefahren einzusetzen. Denn Ziel der Gegengewalt ist nicht der verwickelte Staat, sondern sind die Terroristen. Neben der verbleibenden Unsicherheit über die räumliche Ausdehnung der Verteidigungsoperation vermag der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch keine abschließende Antwort auf die Frage zu geben, inwieweit die Abwehr des Angriffs auch Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahrenquelle enthält. Unstreitig legitimiert Art. 51 SVN die Zerstörung der militärischen Basen, von denen der Angriff ausging. Wenn der IGH im Nicaragua-Urteil die Zerstörung derjenigen Infrastrukturen für zulässig erachtet, die eine enge Konnexität zur Angriffsbasis aufweisen, ist damit bereits in die Richtung einer Befugnis zur Beseitigung aller den Angriff verursachenden Gefahrenquellen gewiesen. Auf dem Boden dieser Rechtsprechung lässt sich sogar vertreten, dass gerade in Situationen, in denen sich ein Staat unfähig oder unwillig zeigt, von seinem Territorium ausgehende terroristische Aktivitäten zu unterbinden, die 55 Gray, International Law and the Use of Force, S. 108 mit Verweis auf die zahlreichen Verurteilungen Israels. 56 Zur Einordnung des Einsatzes als Maßnahme der kollektiven Selbstverteidigung Voigtländer, Notwehr und kollektive Verantwortung, S. 89 ff. mit weiteren Nachweisen auch zur Gegenansicht. 57 So aber ohne jede Auseinandersetzung Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 292.
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Verhältnismäßigkeit auch dann gewahrt bliebe, wenn die ineffektive bzw. unwillige durch eine effektive bzw. willige Staatsgewalt ersetzt würde 58. Allein dadurch könnten weitere Angriffe endgültig verhindert werden. Daher würde die Anwendung modifizierter Zurechnungskriterien Art. 51 SVN gerade auch zur Abwehr derjenigen Umstände berechtigen, die zur Zurechenbarkeit der Gewaltakte führten. Ob sich diese Konsequenzen und damit verbundenen Eskalationsrisken mit dem Charakter eines Selbstverteidigungsrechts vereinbaren lassen, erscheint jedenfalls in den allermeisten Fallkonstellationen zweifelhaft – mag eine derart weitreichende Befugnis gegenüber Staaten, die Terrornetzwerken als Aktionsbasis und sicherer Zufluchtsort dienen, auch auf den ersten Blick Sympathie hervorrufen. Die in der Staatenpraxis mehrheitlich unterstützte Beseitigung des Talibanregimes in Afghanistan darf nicht als Präzedenz für ein solches Vorgehen angeführt werden. Wie bereits dargelegt 59, war eine massive (über die bloße Duldung hinausgehende) Verflechtung zwischen den Taliban und Al Quaida seit langem bekannt und mehrfach Gegenstand von Resolutionen der Vereinten Nationen. Eine Modifizierung der Zurechnungskriterien beträfe aber nicht nur die als „Schurkenstaaten“ stigmatisierten „save havens“ terroristischer Gruppen, sondern jeden Staat, der sich durch noch so geringfügige Pflichtwidrigkeiten völkerrechtlich verantwortlich macht. Die Auswechslung von Regierungen solcher Staaten ist hingegen vom Schutzzweck des Art.51 SVN nicht mehr gedeckt. Das Selbstverteidigungsrecht gibt angegriffenen Staaten ein Mittel an die Hand, sich gegen bewaffnete Angriffe zur Wehr zu setzen; beschränkt den Verteidigerstaat aber gleichzeitig strikt auf die Abwehr des Angriffs. Die Auswechslung der Staatsgewalt zur Beseitigung der Quelle künftiger Angriffe ist nur dann gerechtfertigt, wenn diese Staatsgewalt in einem besonders hohen Maß an den bewaffneten Angriffen beteiligt und aufgrund dieser Beteiligung – nicht allein aufgrund einer juristischen Zurechnungsoperation – als bewaffneter Angreifer anzusehen ist. Gegenüber weniger verwickelten Staaten ist eine solche Vorgehensweise nicht erforderlich. Schließlich sieht sich die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Wahl der Verteidigungsmittel der grundsätzlichen Schwierigkeit ausgesetzt, die zueinander ins Verhältnis zu setzenden Bezugsobjekte nicht definieren zu können: Oftmals beansprucht die Abwehr eines Angriffs ein höheres Maß an militärischen Mitteln als der Angriff selbst. Daher besteht Einigkeit darin, dass sich die Intensität der Abwehr nicht in jedem Fall an der Intensität des Angriffs messen lassen muss. Wenn aber die zueinander ins Verhältnis zu setzenden Größen nicht Angriffs- und Abwehrintensität sind, stehen keine weiteren Vergleichsgrößen zur Verfügung. Die vielfach erhobene Forderung, die Beeinträchtigung des Angreifers durch die Abwehrmaßnahme möge im Vergleich zur wirksamen Verteidigung angemessenen sein, wird bereits durch das Kriterium der Erforderlichkeit erfüllt 60. Denn eine MaßGrundsätzlich zustimmend Hobe/Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 315. Siehe oben Kapitel 1 B. II. 2. c) aa). 60 Wie hier Randelzhofer, EA 38 (1983), S. 685 (687); Donner, AVR 33 (1995), S. 168 (198) unter Berufung auf Ago, YILC 1980 II, S. 13 (69). 58 59
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nahme, die nicht der Abwehr des Angriffs dient, kann nicht einmal als geeignete Verteidigungsmaßnahme bezeichnet werden. Eines darüber hinausgehenden Verhältnismäßigkeitserfordernisses bedarf es nicht. 3. Folgen für die zeitliche Ausdehnung der Verteidigungsmaßnahme Der Verzicht auf das Erfordernis der staatlichen Zurechenbarkeit für die Aktivierung der Verteidigungsbefugnis führt bei Verteidigungsschlägen gegen Terroristen allerdings nicht notwendig zu einer zeitlichen Eindämmung des Konflikts. Dies gilt wegen der Eigenart asymmetrischer Kriegsführung vor allem bei Maßnahmen gegen ein gesamtes Terrornetzwerk. In diesen Fällen kann eine zeitliche Eindämmung gegenüber zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen allenfalls für die einzelne Verteidigungshandlung angenommen werden. Hinsichtlich der Verteidigung gegen terroristische Einzelakte ist das Verteidigungsziel mit der Abwehr des Angriffs und gegebenenfalls mit der Zerstörung des Stützpunkts erreicht. Der Sicherheitsrat wird dann in der Regel erst nach Beendigung der Verteidigungsmaßnahme mit der Angelegenheit befasst sein, so dass die Subsidiaritätsklausel des Art. 51 S. 1 SVN aus tatsächlichen Gründen in den wenigsten Fällen zur Anwendung kommt. Die Anerkennung privater Angriffe als bewaffnete Angriffe im Sinne des Art.51 SVN beschränkte in diesen Fällen die Verteidigungshandlung auf die Zerstörung der privaten Stützpunkte. Demgegenüber hätte bei der Modifizierung der Kriterien für die staatliche Zurechenbarkeit der angegriffene Staat solange die Befugnis, Verteidigungshandlungen gegen staatliche Infrastruktureinrichtungen zu verüben, bis der Sicherheitsrat sich mit der Problematik befasst und erforderliche Maßnahmen ergreift. Die Staaten 61, die Vereinten Nationen 62 und die Völkerrechtswissenschaft 63 zeigen bislang ei61 Im Falklandkonflikt 1982 berief sich Großbritannien ungeachtet der Befassung durch den Sicherheitsrat (vgl. Resolution 502 (1982) vom 3.4.1982) auf sein Selbstverteidigungsrecht „until the occupying forces leave the islands“, vgl. Statement der damaligen britischen Premierministerin Thatcher vom 14.4.1982, zitiert nach Voigtländer, Notwehrrecht und kollektive Verantwortung, S. 84 (Fußn. 32). Damit kommt sogar die Rechtsauffassung zum Ausdruck, dass dieses Recht auch dann bestehen soll, wenn der Sicherheitsrat Zwangsmaßnahmen ergriffen hat. Vorsichtiger formulierte der Brief Großbritanniens an den Präsidenten des Sicherheitsrates vom 30.4.1982, UN Doc. S/15016: „Although Article 51 preserves the inherent right to self-defence until the Security Council has taken measures necessary to maintain international peace and security, this can only be taken to refer to measures which are actually effective (...).“ Zum Falklandkonflikt umfassend Marston, BYIL 53 (1982), S. 337 ff. 62 Im Konfliktfall zwischen dem Irak und Kuwait im Jahr 1991 setzte sich nach heftigen Kontroversen der US-amerikanische Standpunkt durch, wonach Art. 51 SVN die rechtliche Grundlage für das Vorgehen der Koalitionstruppen am Golf bildete. So ließ der damalige UNGeneralsekretär verlautbaren, dass es sich um eine multilaterale Aktion gehandelt habe, die von den Vereinten Nationen gebilligt und gerechtfertigt wurde, vgl. Voigtländer, Notwehrrecht und kollektive Verantwortung, S. 99; Schachter, AJIL 85 (1991), S. 452 (457 ff.). 63 Randelzhofer, EA 38 (1981), S. 685 (685 ff.); Genoni, Die Notwehr im Völkerrecht, S. 226 f.; zu den verschiedenen Ansichten, ab welchem Zeitpunkt das Selbstverteidigungsrecht erlischt Voigtländer, Notwehr und kollektive Verantwortung, S. 99 ff.; Hobe/Kimminich, Ein-
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nen recht großzügigen Umgang mit der Subsidiaritätsklausel zugunsten des Verteidigerstaates. Die Verteidigungsbefugnis endet nach überwältigender Ansicht erst dann, wenn der Sicherheitsrat Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII beschließt, so dass diese Regelung in zwischenstaatlichen Konflikten keine wirksame Möglichkeit darstellt, militärische Maßnahmen in zeitlicher Hinsicht zu begrenzen.
II. Die rechtliche Funktion der Zurechnungskriterien Neben ihren wenig wünschenswerten Folgen für die Reichweite der Verteidigungsbefugnis erweisen sich die Zurechnungslösungen auch als ungeeignet, die Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts abschließend zu formulieren. Unabhängig von ihrer etwaigen conditio sine qua non-Qualität für die Aktivierung der Selbstverteidigungsbefugnis entscheiden die Zurechnungskriterien nämlich allein über die Identität des Angreifers: Der verwickelte Staat gilt bei Feststellung der staatlichen Zurechenbarkeit selbst als bewaffneter Angreifer im Sinne des Art. 51 SVN und ist Ziel der Selbstverteidigungsmaßnahme. Ohne den Nachweis staatlicher Zurechenbarkeit handeln allein die privaten Terroristen als bewaffneter Angreifer. Zurechnungskriterien sind daher Zuordnungskriterien, welche den bewaffneten Angreifer identifizieren und dem angegriffenen Staat das Verteidigungsziel zuweisen. Diese Zuordnung hat erhebliche Folgen für die Reichweite der Verteidigungsbefugnis, die sich besonders drastisch zeigen, wenn (wie im Konfliktfall zwischen den USA und Afghanistan im Jahr 2001) der Verteidigerstaat die Staatsgewalt im Aufenthaltsstaat der Terroristen auswechselt. Die mit der Zurechnung verbundene Zuordnung des Staates als „bewaffneter Angreifer“ ist schon wegen der damit verbundenen Folgen nur dann gerechtfertigt, wenn sich der Staat über das Maß einer bloßen Sorgfaltswidrigkeit hinaus an den bewaffneten Angriffen beteiligt. Die in der derzeitigen Staatenpraxis anerkannten Zurechnungskriterien fordern daher richtigerweise einen hohen Grad staatlicher Verwicklung in terroristische Gewaltakte. Mit der Zuordnung des Verteidgungsziels ist jedoch allein eine für die Grenzen der Selbstverteidigung bedeutsame Aussage verbunden. Einen darüber hinausgehenden Zusammenhang von staatlicher Zurechnung und Selbstverteidigungsrecht kann der Zuordnungsfunktion der Zurechnungskriterien nicht entnommen werden. Daher eignen sich die Zurechnungskriterien – seien sie streng oder modifiziert – auch nicht, eine Entscheidung über das „Ob“ der Selbstverteidigung zu treffen, sondern lediglich über die Frage des Verteidigungsgegners und der damit verbundenen Reichweite der Befugnis. Insbesondere der Entwurf der ILC verdeutlicht, wie stark der Zurechnungsansatz auf einem deliktsrechtlichen Zurechnungs- und Verantwortlichkeitsverständnis basiert und gerade deshalb keine Anforderungen für die Aktivierung einer Befugnis zu stellen vermag, die anders als das Deliktsrecht auf Schadensabwenführung in das Völkerrecht, S. 316 räumen ein, dass hinsichtlich der zeitlichen Grenzen des Selbstverteidigungsrechts „vieles im Fluss ist“ und klare Konturen nur schwer erkennbar sind. Kritisch demgegenüber Schachter, AJIL 85 (1991), S. 452 (457 ff.).
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dung und nicht auf pekuniäre Kompensation zielt. Zurechnung ist demnach eine Voraussetzung, die die Verantwortlichkeit des Staates begründet und zu haftungsrechtlichen Konsequenzen führt 64 (z. B. müssen Wiedergutmachungen geleistet werden). Der Zurechnungsbegriff eignet sich demgegenüber nicht, die Voraussetzungen für eine Selbstverteidigungsbefugnis zu formulieren, denn die Beeinträchtigung durch eine Selbstverteidigungsmaßnahme ist keine Haftung des verwickelten Staates. Dieser strukturelle Unterschied zwischen Haftung und Selbstverteidigungsbefugnis kommt auch in den einzelnen Zurechnungsnormen selbst, insbesondere den ex-tuncZurechnungsnormen zum Ausdruck. Diese mögen haftungsrechtlich für den Wiedergutmachung begehrenden Staat bedeutsam sein, der seine Ansprüche gegen einen zusätzlichen und solventen Schuldner (den verwickelten Staat) geltend machen kann. In einer Selbstverteidigungssituation ist eine nachträgliche Zurechnung für den angegriffenen Staat nicht hilfreich.
III. Ergebnis und Überleitung Ergeben sich aufgrund der engen Zurechnungsvoraussetzungen Zweifel an der conditio sine qua non-Qualität der staatlichen Zurechenbarkeit für die Aktivierung des Art. 51 SVN, können diese gleichwohl durch eine Modifizierung der Kriterien nicht aufgehoben werden. Es ist nicht auszuschließen, dass die künftige Staatenpraxis die Anforderungen an die staatliche Zurechenbarkeit absenken wird. Eine solche Entwicklung bedarf allerdings angesichts der damit verbundenen Folgen für die Reichweite der Verteidigungsbefugnis sorgfältiger und kritischer Beobachtung. An dieser Stelle soll aber eingeräumt werden, dass ein Verzicht auf das Erfordernis der Staatlichkeit bewaffneter Angriffe aus völkerrechtsdogmatischer Warte zwar den Konflikt in seinem Ausmaß begrenzen könnte, sich der hieraus gezogene (theoretische) Gewinn an Deeskalation angesichts der Realität asymmetrischer Kriegsführung in der Praxis jedoch nicht ohne Weiteres umsetzen lässt. Es konnte weiter herausgestellt werden, dass die dargestellten Modifizierungslösungen, indem sie zu stark am vermeintlichen Staatlichkeitserfordernis in Art. 51 SVN verhaften, den Blick für die eigentliche Funktion der Zurechnungsdogmatik verschließen. Zurechnungskriterien sind lediglich Zuordnungskriterien, welche den bewaffneten Angreifer identifizieren und dem angegriffenen Staat das Verteidigungsziel und den Restitutionsschuldner zuweisen. Eine darüber hinausgehende Aussage hinsichtlich des „Ob“ einer Selbstverteidigungsmaßnahme lässt sich anhand der staatlichen Zurechenbarkeit nicht treffen. Ausgehend von diesen Erkenntnissen wird im Folgenden die Zulässigkeit von Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen staatlich nicht zurechenbare terroristische Gewalt untersucht.
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Zur Funktion der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit Stern, AFDI 2001, S. 3 (12 f.).
Kapitel 3
Die Zulässigkeit von Verteidigungsmaßnahmen gegen staatlich nicht zurechenbare Gewalt Da nach der hier vertretenen Position grenzüberschreitende Selbstverteidigungsmaßnahmen (ohne Einwilligung des betroffenen Staates) ausschließlich unter den Voraussetzungen des Art. 51 SVN gerechtfertigt werden können, lässt sich die Reichweite der Verteidigungsbefugnis gegen private Angreifer nur durch Auslegung dieser Vorschrift ermitteln. Die dafür anzuwendende Methode ist in der WVK niedergelegt 1: Der Vertragstext ist zunächst die Grundlage jeder Vertragsinterpretation. Ein satzungsrechtlicher Begriff ist demgemäß nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, ihm in seinem Zusammenhang zukommenden Wortbedeutung und im Licht des Zieles und Zweckes der Satzung insgesamt auszulegen (vgl. Art. 31 Abs. 1 WVK) 2. Nach überwiegender Ansicht in der Völkerrechtswissenschaft und nach der Regelung des Art. 31 Abs. 3 WVK erlangt die Praxis der Staaten und der Organe der Vereinten Nationen bei der Auslegung der Satzung eine eigenständige Bedeutung 3. Bei den Staaten folgt dies aus ihrer gleichzeitigen Stellung als Rechtssetzer und Rechtsadressaten der Satzung. Die Auslegung durch die Organe der Vereinten Nationen ist insofern berücksichtigungsfähig, als hierdurch einer übereinstimmenden Staatenpraxis Ausdruck verliehen wird oder die Staaten dem jeweiligen Organ eine Auslegungsbefugnis übertragen haben. Ergänzend sind gemäß Art. 32 WVK die travaux préparatoires heranzuziehen, wenn die vorangegangene Auslegung die Bedeutung des Wortlauts mehrdeutig oder im Dunkeln lässt oder wenn die Auslegung zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt. Die Untersuchung beginnt daher getreu der in der WVK normierten Methode damit, zunächst den Text des Art. 51 SVN (einschließlich seiner Ziel- und Zweckrichtung) einer genaueren Betrachtung zu unterziehen, wobei historische und genetische Gesichtspunkte ebenfalls im Rahmen der Textauslegung Berücksichtigung fin1 Der Anwendung der WVK steht nicht entgegen, dass diese erst Jahre nach der Unterzeichnung der Satzung der Vereinten Nationen in Kraft trat. Nach Art. 4 WVK entfalten die Regelungen jenes Übereinkommens zwar keine rückwirkende Geltung. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass in der WVK die allgemein anerkannten Auslegungsregeln kodifiziert sind, vgl. Graf Vitzthum in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschnitt Rn. 124. 2 Speziell für die Satzung Ress in: Simma (Hrsg.), Charter of United Nations, Interpretation, Rn. 14. 3 Ress in: Simma (Hrsg.), Charter of United Nations, Interpretation, Rn. 27.
A. Art. 51 SVN hinsichtlich der Staatlichkeit bewaffneter Angriffe
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den. Dabei wird nicht verkannt, dass die historische und genetische Auslegung gemäß Art. 32 WVK nur ergänzend herangezogen werden darf. Indessen erleichtert die Darlegung der historischen Entwicklung des Selbstverteidigungsrechts und der Genese des Art. 51 SVN nicht nur das Textverständnis, sondern ist für eine umfassende rechtliche Würdigung der Staatenpraxis unabdingbar. Dies hat keineswegs die Außerachtlassung der Anordnung des Art. 32 WVK zur Folge, vielmehr wird die Nachrangigkeit der historischen und genetischen Auslegung bei der Gewichtung der einzelnen Auslegungsregeln umfassend berücksichtigt 4. Innerhalb der Textauslegung wird zwischen der Auslegung des Tatbestandes – genauer: ob der Begriff „bewaffneter Angriff“ auch private Handlungen umfasst – und der damit verbundenen Rechtsfolgen gegenüber Drittstaaten unterschieden. Im Anschluss hieran folgt die Darstellung der Praxis der Staaten und internationaler Organisationen bezüglich der im Rahmen der Textauslegung aufgeworfenen Rechtsfragen, um abschließend etwaige Auslegungsdivergenzen der verschiedenen Methoden durch deren Gewichtung zu beseitigen und zu abschließenden Ergebnissen zu gelangen.
A. Textauslegung von Art. 51 SVN hinsichtlich des Erfordernisses der Staatlichkeit bewaffneter Angriffe I. Grammatikalische und systematische Auslegung des Art. 51 SVN Dem Wortlaut zufolge ist der Begriff des bewaffneten Angriffs nicht auf staatliches Handeln beschränkt 5. Dies ergibt sich sowohl aus der englischen (armed attack) als auch aus der spanischen Sprachfassung (ataque armado). Zum Teil wird angenommen, dass die französische Sprachfassung (aggression armée) und deren teilweise Begriffskongruenz zu aggression in Art. 39 SVN auf eine enge Fassung des Art. 51 SVN schließen lasse 6. Die Prämisse, Art. 39 verwende den Begriff der Aggression – wie sich unter Hinzuziehung der Aggressionsdefinition der Generalversammlung erschließen soll 7 – im Sinne eines (direkten oder indirekten) Einsatzes von Waffengewalt durch Staaten, erscheint jedoch zweifelhaft. Zum einen lässt die Zur Gewichtung siehe unten Kapitel 3 D. I. 2. Bruha in: Koch (Hrsg.), Terrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, S. 51 (65); Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 207 ff.; Frowein, ZaöRV 62 (2002), S. 879 (887). 6 So offenbar David, Mercenaires et volontaires internationaux en droit des gens, S.205 und S. 358. Entgegen Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 211 kann es jedoch keine Rolle spielen, dass Art.51 SVN auf eine englischsprachige Entwurfsfassung zurückgeht, da eine solche Sprachpräferenz die in Art. 111 SVN angeordnete Gleichwertigkeit aller verbindlichen Sprachfassungen überspielte. 7 Frowein in: Simma (Hrsg.), Charter of United Nations, Art. 39 Rn. 12. 4 5
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
Praxis des Sicherheitsrates eine inhaltliche Konturierung des Aggressionsmerkmals nicht einmal im Ansatz erkennen, zum anderen erscheint der Rekurs auf das restriktive Merkmal der Aggression beliebig 8: Selbst in Fällen offensichtlicher Aggression, wie beim Überfall des Irak auf Kuwait, begnügte sich der Sicherheitsrat damit, einen Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit festzustellen9. Daher erscheinen die in Art. 39 SVN verwendeten Begriffe austauschbar und eine auf staatliche Gewalt beschränkende Auslegung des Aggressionsbegriffs selbst im Rahmen dieser Vorschrift alles andere als zwingend. Es verbietet sich deshalb, vom Begriffsverständnis des Art. 39 SVN auf die Auslegung anderer Normen zu schließen. Dies gilt gleichermaßen für die Aggressionsdefinition, die ausweislich ihrer fünften Präambelerwägung nur die schwerwiegendsten Gewalthandlungen und gerade nicht sämtliche Fälle des Art. 51 SVN regeln wollte 10. Der Wortlaut des Art. 51 SVN spricht daher dagegen, das Selbstverteidigungsrecht auf die Abwehr staatlichen Handelns zu beschränken. Vielfach sind Versuche unternommen worden, anhand der Binnensystematik des Art. 51 SVN und anhand der rechtssystematischen Stellung des Selbstverteidigungsrechts innerhalb der Satzung den Begriff des bewaffneten Angriffs inhaltlich zu bestimmen. Gestritten wird einmal über die Rolle der so genannten Subsidiaritätsklausel am Ende des ersten Satzes von Art. 51 SVN, wonach das Selbstverteidigungsrecht nur solange besteht, „bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat“. Einige Stimmen 11 erblicken in der Verknüpfung des Selbstverteidigungsrechts mit dem System der kollektiven Sicherheit den Beleg einer auf staatliches Handeln beschränkten Auslegung des Begriffs „bewaffneter Angriff“. Diese Argumentation beruht indes auf der überholten Vorstellung, das System der kollektiven Sicherheit komme nur bei staatlicher Gewaltanwendung zum Zug. Das heute anerkannte Verständnis von Frieden und internationaler Sicherheit schließt demgegenüber das Ausbleiben privater Gewalt mit ein. So heißt es in neueren Resolutionen des Sicherheitsrates 12: „(...) dass jede Handlung des internationalen Terrorismus eine Bedrohung des Weltfriedens (darstellt)“. Ebenso wurde das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus „eingedenk der Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen betreffend die Wahrung des Weltfrie8 Herdegen, Völkerrecht, § 41 Rn. 8. Auch der Sicherheitsrat selbst begnügt sich vielfach schlicht mit dem Verweis auf das VII. Kapitel als Ermächtigungsgrundlage. 9 Resolution des Sicherheitsrates 660 (1990) vom 2.8.1990, abgedruckt in: VN 1990, S.146. Siehe auch Resolution 502 (1982) vom 3. April 1982 zum Falkland-Konflikt und Resolution 598 (1987) vom 20. Juli 1987 zum Iran-Irak-Konflikt. 10 Bruha, Die Definition der Aggression, S. 110, S. 136 ff.; als nicht abschließende Interpretationshilfe sehen die Aggressionsdefinition Zanardi in: Cassese (Hrsg.), The Current Legal Regulation of the Use of Force, S. 111 (114) und Schindler, BDGV 26 (1986), S. 11 (16) an. 11 Al Chalabi, Légitime Défense en droit international, S. 83 ff. 12 Resolution des Sicherheitsrats 1373 (2001) vom 28.9.2001, 3. Präambelerwägung; Resolution 1368 (2001) vom 12.9.2001, 1. Präambelerwägung; Resolution 748 vom 31.3.1992, 4. Präambelerwägung. Einklammerung im Zitat durch Verfasser.
A. Art. 51 SVN hinsichtlich der Staatlichkeit bewaffneter Angriffe
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dens“ geschlossen 13. Gewalthandlungen Privater können demnach eine Friedensbedrohung darstellen. Ebenso ist bei privaten grenzüberschreitenden Gewaltakten die internationale Sicherheit betroffen 14. Da sich der Friedensbegriff nicht in Gegenüberstellung zu „Krieg“ im technischen (also zwischenstaatlichen) Sinne definiert, kann die Gewaltanwendung Privater nicht mit dem Argument, es handele sich dabei nicht um Friedensbrüche und Bedrohungen der internationalen Sicherheit, aus dem Anwendungsbereich des Art. 51 SVN ausgeklammert werden. Es ginge allerdings auch zu weit anzunehmen, dass gerade der Verweis auf den Weltfrieden und die internationale Sicherheit eine weite, auch private Angriffe einbeziehende Auslegung des satzungsrechtlichen Selbstverteidigungsrechts impliziere 15. Da nach heutigem Verständnis auch Handlungen Privater eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellen können, so die Argumentation, erscheine es inkonsequent, private Handlungen aus dem Anwendungsbereich des Art. 51 SVN auszuklammern. Hierbei wird allerdings die allein in zeitlicher Hinsicht beschränkte Aussagekraft der Subsidiaritätsklausel übersehen: Das Recht auf Selbstverteidigung besteht demnach ab dem Zeitpunkt nicht mehr, in dem der Sicherheitsrat Maßnahmen der kollektiven Sicherheit ergreift. Der Formulierung kann insoweit nur entnommen werden, dass bewaffnete Angriffe eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellen, nicht aber, dass umgekehrt alle Handlungen, die das System kollektiver Sicherheit aktivieren, auch bewaffnete Angriffe sind. Daher lassen sich aus der Formulierung der Subsidiaritätsklausel des Art. 51 S. 1 weder Argumente für noch gegen eine Einbeziehung privater Angriffe in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift finden. Jedenfalls kann der Binnensystematik des Art. 51 SVN keine Beschränkung des Selbstverteidigungsrechts auf Angriffe staatlicher Herkunft entnommen werden. Zum zweiten ist der rechtssystematische Einwand zu untersuchen, das Staatlichkeitserfordernis in Art. 51 SVN lasse sich aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis von Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht herleiten 16. Da das Gewaltverbot des Art. 2 Ziff. 4 SVN nur im Verhältnis zwischen Staaten gelte, könne auch die Verbotsausnahme nur bei staatlichen Angriffen zum Tragen kommen. Die Aussagekraft des Regel-Ausnahme-Verhältnisses von Art. 2 Ziff. 4 und Art. 51 SVN für die hier in Rede stehende Frage ist jedoch keineswegs so bedeutsam wie die eben dargestellte Argumentation vermuten lässt. Richtig ist, dass Art. 51 SVN eine Ausnahme vom grundsätzlichen Gewaltverbot zulässt und der durch einen bewaffneten Angriff betroffene Staat also bei der Ausübung der Selbstverteidigung selbst Gewalt im Sinne des Art. 2 Ziff. 4 SVN anwenden darf. Damit ist aber nicht verbun13 1. Präambelerwägung des Abkommens, Anlage zur Resolution der Generalversammlung 54/109 vom 9.12.1999. 14 Vgl. nur die Resolutionen unten Kapitel 4. 15 So aber Krajewski, AVR 40 (2002), S. 183 (197 f.); zustimmend Bruha, AVR 40 (2002), S. 383 (393). 16 Derpa, Das Gewaltverbot der Satzung der Vereinten Nationen und die Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, S. 94; Blumenwitz, ZRP 2002, S. 102 (104).
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
den, dass auch der bewaffnete Angriff selbst gegen das satzungsrechtliche Gewaltverbot verstoßen muss 17. Aus der Tatsache, dass Art. 2 Ziff. 4 SVN allein Staaten verpflichtet (genauer: die Unterzeichnerstaaten der Satzung der Vereinten Nationen 18), kann demnach nichts über die Provinienz des bewaffneten Angriffs entnommen werden. Das rechtssystematische Zusammenspiel von Gewaltverbot und dem Recht auf Selbstverteidigung besagt nur Folgendes: Der durch einen bewaffneten Angriff betroffene Staat darf zur Verteidigung ausnahmsweise ansonsten grundsätzlich verbotene Gewalt anwenden. Mit anderen Worten: Art. 51 SVN ermächtigt zu einem Verstoß gegen das satzungsrechtliche Gewaltverbot, setzt einen solchen Verstoß aber nicht voraus. Daher muss jeder Versuch scheitern, aus dem Verhältnis zwischen Art. 2 Ziff. 4 und Art. 51 SVN auf ein enges Verständnis des Begriffs „bewaffneter Angriff“ schließen zu wollen. Schließlich wird vereinzelt versucht, die Einbeziehung privater Handlungen in den Tatbestand des Art. 51 SVN mit dem weiten Verständnis von „Frieden“ in Art. 1 und Art. 39 SVN rechtssystematisch zu begründen 19. Es wird argumentiert, zwischen der weiten Auslegung des Friedensbegriffs, die auf ein Zwischenstaatlichkeitserfordernis verzichtet, und der engen, an diesem Erfordernis festhaltenden Auslegung des Art. 51 SVN bestehe ein Wertungswiderspruch. Wenn im Gefolge neuer Bedrohungslagen der Tatbestand des Art. 39 SVN angepasst und geöffnet werde, so müsse dies auch für den Tatbestand des Art. 51 SVN gelten. Ob eine den veränderten Sicherheitsstrukturen angepasste Auslegung des Selbstverteidigungsrechts teleologisch begrüßenswert ist, soll an dieser Stelle nicht erörtert werden. Jedenfalls kann ein Gleichlauf von Art. 39 und Art. 51 SVN im Wege einer systematischen Auslegung nicht begründet werden: Die Funktion des Art. 39 SVN besteht darin, das System kollektiver Sicherheit zu aktivieren; Art. 51 SVN erhält dem angegriffenen Staat das Recht auf Selbstverteidigung. Der beklagte Wertungswiderspruch löst sich auf, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass wegen dieser Verschiedenheit die im VII. Kapitel der SVN geregelten Befugnisse des Sicherheitsrates naturgemäß weiter sind als die Ermächtigung zu unilateraler Gewaltanwendung. So können auch rein innerstaatliche Konflikte zur Aktivierung kollektiver Zwangsmaßnahmen fruchtbar gemacht werden. Bei einer strengen Verknüpfung von Art. 39 und Art. 51 SVN müsste man konsequenterweise Art. 51 SVN auch als 17 So verurteilte der UN-Sicherheitsrat ausdrücklich die bewaffneten Angriffe („attacks“) der in der sudanesischen Provinz Dafur operierenden Janjaweed-Kämpfer und stellte gleichwohl (in dem Fall wegen des rein internen Sachverhalts) keinen Verstoß gegen das Gewaltverbot fest, Resolution 1556 (2004), Bericht des Generalsekretärs, UN Doc. S/2004/703 und 5027th meeting des Sicherheitsrates, Press Release SC/81/80, im Internet abrufbar unter www.un.org/. 18 Damit ist nicht ausgeschlossen, dass andere Staaten durch ein gewohnheitsrechtlich verankertes Gewaltverbot geschützt werden, vgl. IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports 1986, S. 96 f. par. 181: „(...) the Charter and the costumary international law flow from a common fundamental prinicple outlawing the use of force in international relations.“ 19 Bruha, AVR 40 (2002), S. 383 (393); Krajewski, AVR 40 (2002), S. 183 (197 f.).
A. Art. 51 SVN hinsichtlich der Staatlichkeit bewaffneter Angriffe
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Befugnisnorm bei rein internen Konflikten heranziehen – eine Konsequenz, die wiederum zu einer von der Kongruenzlösung ungewollten Einschränkung der Schutzmöglichkeiten des Staates führte und de lege lata nicht vertreten wird 20. Als Zwischenergebnis kann Folgendes festgehalten werden: Der Text der Satzung spricht dagegen, den Begriff des bewaffneten Angriffs in Art. 51 SVN allein auf staatliches Verhalten anzuwenden. Weder lassen sich aus dem Wortlaut noch aus der Systematik Argumente finden, private Handlungen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift auszuklammern, vielmehr spricht die Offenheit des Wortlauts für deren Einbeziehung.
II. Teleologische Auslegung des Art. 51 SVN 1. Zur Frage der Notwendigkeit eines staatlichen Völkerrechtsverstoßes Gegen eine Einbeziehung privater Gewalt in den Anwendungsbereich des Art. 51 SVN wird im Völkerrechtsschrifttum regelmäßig vorgebracht, Private könnten deshalb keine bewaffneten Angriffe ausüben, weil sie mangels Völkerrechtsfähigkeit nicht in der Lage seien, völkerrechtliches Unrecht zu begehen 21. Diesem Argument ist schon deshalb die Gefolgschaft zu verweigern, weil Art. 51 SVN nicht zwingend völkerrechtswidriges Handeln voraussetzt. Dem Wortlaut nach verzichtet Art. 51 SVN gerade in Abweichung zu vielen nationalen Notwehrvorschriften darauf, den die Notwehrlage herbeiführenden Angriff als rechtswidrig zu bezeichnen. Der Begriff der „Selbstverteidigung“ ist nicht gleichzusetzen mit dem Begriff der „Notwehr gegen einen rechtswidrigen Angriff“ durch ein anderes Subjekt. Begrifflich möglich ist ebenso die Deutung, wonach mit „bewaffneter Angriff“ eine bewaffnete Gefahr gemeint ist 22. Es bedarf an dieser Stelle keiner abschließenden Erörterung darüber, ob der Verzicht auf das Erfordernis des rechtswidrig verübten Angriffs in Art. 51 SVN die Konsequenz hat, diese Bestimmung im Sinne einer Notstandsnorm zu lesen. Diese Frage erlangt Bedeutung bei der Bestimmung der Befugnisse zur Vornahme grenzüberschreitender Gegengewaltmaßnahmen und ist Gegenstand des folgenden Kapitels 23. 20 Zu den Vorschlägen einer Ausweitung des Schutzbereichs von Art. 51 SVN de lege ferenda siehe unten Kapitel 4. 21 Delbrück, Die Friedenswarte 74 (1999), S. 139 (156); Klein in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Völkerrecht, S. 371; Genoni, Die Notwehr im Völkerrecht, S. 45; Ago, YILC 1980 II/1, S. 13 (15 und 55); Jennings/Watts, International Law, Vol. I/1, S. 418 (Fußn. 5 a. E.); Derpa, Das Gewaltverbot der Satzung der Vereinten Nationen und die Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, 1970, S. 94; Ruffert, ZRP 2002, S. 247 (247 f.). 22 Vgl. auch Schmidt, Selbstverteidigungsrecht nach der Satzung der Vereinten Nationen und seine Verbindung mit den defensiven Regionalpakten, S. 44, der allerdings nur den insoweit zweideutigen Wortlaut des Art.51 SVN – jedenfalls in der englischen und spanischen Fassung – kritisiert und für die Einfügung des Wortes „widerrechtlich“ plädiert. 23 Siehe unten Kapitel 3 B.
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
Der Versuch, Private mangels Völkerrechtssubjektivität aus dem Anwendungsbereich des Art. 51 SVN auszuklammern, begegnet auch aus einem anderen Grund Bedenken. Bereits der Begriff des Völkerrechtssubjekts ist höchst umstritten 24: Auf Grundlage der allgemeinen Rechtslehre wird unter einem Völkerrechtssubjekt ein Träger völkerrechtlicher Pflichten und Rechte verstanden 25. Dabei werden die Rechte und Pflichten jedoch nicht aus der Eigenschaft als Völkerrechtssubjekt deduziert, sondern umgekehrt die Völkerrechtssubjektivität aus den Rechten und Pflichten induziert. Das bedeutet für die behandelte Streitfrage, dass die Völkerrechtswidrigkeit bewaffneter nichtstaatlicher Angriffe anhand völkerrechtlicher Normen zu begründen ist, nicht aber aufgrund der (unterstellten) fehlenden Eigenschaft der Privaten als Völkerrechtssubjekte verneint werden kann. Sind private Aggressionen völkerrechtlich nicht erlaubt, kommt den privaten Aggressoren insoweit auch eine Völkerrechtssubjektivität zu 26, ohne dass es einer formellen Anerkennung bedarf 27. Dass Individuen durch das Völkerrecht zur Verantwortung gezogen werden können, bedarf heute keiner besonderen Erwähnung, zeigt aber, dass sich das Völkerrecht seine Subjekte selbst schafft. So ist seit dem Ende des 18. Jahrhunderts das Phänomen der Piraterie 28 völkergewohnheitsrechtlich als internationales Verbrechen anerkannt. Bemerkenswert ist, dass entgegen einem schon damals vorherrschenden Souveränitätsdenken, welches dem Staat die alleinige Rolle eines Völkerrechtssubjekts zuwies, Piraten unmittelbar aufgrund der von den Völkern als Gewohnheitsrecht anerkannten Regeln sanktioniert wurden 29. Allein das Jurisdiktionsrecht gebührte dem aufbringenden Staat 30. Die auf Grotius zurückgehende „hostis humanis generis“-These 31, wonach Piraten „vogelfrei“ gewesen seien, darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass Piraten außerhalb jeder Rechtsordnung gestellt wer24 In dieser Arbeit soll auf eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Methoden der Begriffsbestimmung verzichtet werden, siehe hierzu Hempel, Die Völkerrechtssubjektivität internationaler nichtstaatlicher Organisationen, S. 56 ff.; zur Frage der Völkerrechtssubjektivität Privater Mosler, BDGV 4 (1961), S. 39 ff. und ZaöRV 22 (1962), S. 1 ff.; Wedgwood in: Hofmann (Hrsg.), Non-State Actors as New Subjects of International Law, S. 21 ff. 25 Epping in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 4 Rn. 6 ff., Hailbronner in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschnitt Rn. 1 ff.; Doehring, Völkerrecht, § 2. 26 Anders, wenn man für die Zuerkennung der Völkerrechtssubjektivität eine Vielzahl von Rechten und Pflichten voraussetzt, vgl. Zemanek, ÖZöR 1956, S.335 (349). Jedoch bliebe auch dann die Verneinung der Völkerrechtsfähigkeit ohne Folgen, da bei Nichterfüllung der einen bestehenden Pflicht die Rechtswidrigkeit nicht geleugnet wird. 27 Anders Blindschedler, BDGV 4 (1961), S. 1 (14 und 26 These 8). 28 Das klassische Völkerrecht verstand unter Piraten Privatpersonen, die ohne durch einen Souverän ermächtigt zu sein, in staatsfreien Räumen von einem Nichtkriegsschiff gegen ein anderes Schiff Gewaltakte in Bereicherungsabsicht begehen; vgl. Rubin in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Bd. III, S. 1036; Abendroth in: Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. II, S. 768; Hailbronner, Luftpiraterie in rechtlicher Sicht, S. 64 ff.; Faller, Gewaltsame Flugzeugentführungen aus völkerrechtlicher Sicht, S. 117; zum Kontext des Piratenrechts und der Terrorismusbekämpfung Paasche, CJTL 25 (1987), S. 377 (379 ff.). 29 Rubin in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Bd. III, S. 1036 ff. 30 Abendroth in: Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. II, S. 769. 31 Grotius, De iure belli ac pacis, Liber III, cap. III, 2.
A. Art. 51 SVN hinsichtlich der Staatlichkeit bewaffneter Angriffe
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den sollten. Die Etikettierung „hostis humanis generis“ enthielt vielmehr selbst die völkerrechtliche Sanktion, überließ nur die Ausgestaltung der Rechtsfolgen dem aufbringenden Staat 32. Auch wenn der sanktionierende Staat in den meisten Fällen nationales Strafrecht angewendet hat 33, darf der Sanktionswert der völkerrechtlichen Missbilligung (man bezeichnete Piraten durchweg als „Feinde aller Nationen“) gegenüber Piraten nicht übersehen werden. Denn hierdurch wurde der nationale Gestaltungsraum sowohl für die Bestimmung des Strafmaßes als auch für das Verfolgungsrecht erst eröffnet. Somit gingen die Regelungen zur Piratenbekämpfung immer davon aus, dass der Pirat auch gegen Völkerrecht und nicht nur gegen nationales Recht verstoßen hat 34. Ebenso werden Private völkerrechtlich durch die Kodifikationen des Genfer humanitären Rechts, die Europäische Menschenrechtskonvention und das im Statut des IStGH festgeschriebene Völkerstrafrecht 35 berechtigt und verpflichtet. Nichtstaatliche Gruppen sind ebenfalls Adressat verschiedener Sicherheitsratsresolutionen geworden 36 und gerade das Gewaltverbot statuiert eine erga omnes Verpflichtung, deren Nichtbefolgung die individuelle Verantwortlichkeit nach sich ziehen kann 37. Die formelle Anerkennung privater Einheiten als Träger völkerrechtlicher Pflichten (unter Umständen verbunden mit Rechten des humanitären Völkerrechts) bleibt 32 Zu Unrecht daher Faller, Gewaltsame Flugzeugentführungen aus völkerrechtlicher Sicht, S. 102 f., der eine völkerrechtliche Individualpflicht von Piraten damit widerlegen will, dass die Sanktionierung nach nationalem Recht erfolgte. 33 Vgl. die umfassende Darstellung in: Harvard Research on International Law, Draft Convention on Piracy, AJIL 26 (1932), Supplement. 34 Doehring, Völkerrecht, Rn. 251. 35 Hierzu Hobe/Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 259 ff. 36 Etwa die UNITA in Angola, die durch die Sicherheitsratsresolution 1045 (1996) vom 8.2.1996, UN Doc. S/RES/1045 aufgefordert wurde, die Gefechte mit der Regierung einzustellen und Gespräche fortzuführen; ebenso die FMLN in El Salvador durch die Sicherheitsratsresolution 888 (1993) vom 30.11.1993, UN Doc. S/RES/888 oder die PDK in Kambodscha durch die Sicherheitsratsresolution 792 (1992) vom 30.11.1992, UN Doc. S/RES/792. 37 Die völkergewohnheitsrechtlichen und vom Anwendungsbereich ratione persone der Satzung losgelöste Geltungskraft des Gewaltverbots betonte bereits der IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports, 1986, S. 96 f. par. 181. Zur völkerstrafrechtlichen Verantwortlichkeit von Aggressoren siehe Art.5 Abs.1 lit. d i.V.m. Art.5 Abs.2 des IStGH-Statuts: „The jurisdiction of the Court shall be limited to the most serious crimes of concern to the international community as a whole. The Court has jurisdiction in accordance with the Statute with respect to the following crimes: (...) (d) The crime of aggression“. In Art.25 Abs. 2 des IStGH-Statuts heißt es sodann: „A person who commits a crime within the jurisdiction of the Court shall be individually responsible and liable for punishment in accordance with this Statute“. Es soll nicht verschwiegen werden, dass die Kriminalisierung der Aggression in einem bislang noch ungelösten Spannungsverhältnis zum satzungsrechtlichen Gewaltverbot (welches strictu senso nur an die Staaten gerichtet ist) und zur Rolle des UN-Sicherheitsrates bei der Verfolgung dieses Verbrechens steht. Zu den diesbezüglichen fortlaufenden Verhandlungen Werle, Völkerstrafrecht, S.445 ff. Jedenfalls ist nach dem derzeitigen Stand des Völkergewohnheitsrechts aber das Verbrechen des Angriffskrieges (als spezieller Fall der Aggression) kriminalisiert und führt zur individuellen völkerrechtlichen Verantwortlichkeit.
6 Scholz
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
möglich und sollte de lege lata nicht als illusorisch abgetan werden 38. Ob die im Folgenden noch ausführlich zu analysierende Staatenpraxis Hinweise für eine derartige Anerkennung liefert, mag offen bleiben. Jedenfalls stellt es eine Verwechslung von Ursache und Wirkung dar, die Völkerrechtswidrigkeit privater bewaffneter Angriffe mit dem Argument verneinen zu wollen, Privaten komme grundsätzlich keine Völkerrechtssubjektivität zu. Denn die Anerkennung nichtstaatlicher Akteure als (partielle) Völkerrechtssubjekte ist nicht Voraussetzung für eine weite Auslegung des Art. 51 SVN, sondern deren unmittelbare Folge. Bezeichnenderweise scheint Ago – der wohl prominenteste Vertreter der auf zwischenstaatliches Handeln beschränkten Konzeption des Selbstverteidigungsrechts – von einem zwingenden Staatlichkeitserfordernis selbst nicht restlos überzeugt und definiert Selbstverteidigung sybillinisch als „defence against an attack by another subject in breach of prohibition. (...) The State finds itself in self-defence when it is confronted by an armed attack against itself in breach of international law.“ 39
Beachtung verdient die Verwendung des offenen Begriffs „subject“, als ob Ago Selbstverteidigung gegen Private lediglich als fern liegend betrachtete, eine dahin gehende Entwicklung aber ermöglichen wollte. Daher scheitert die extensive Auslegung des Begriffs „bewaffneter Angriff“ nicht an der grundsätzlich fehlenden Völkerrechtssubjektivität Privater. 2. Zur Schutzfunktion des Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 SVN Die überragende Funktion des Art. 51 SVN – die Sicherung der schutzwürdigen Territorialinteressen der Staaten – gebietet sogar die Einbeziehung privater Gewalt, die einen Staat ebenso ernstlich bedrohen kann wie ein staatlicher Angriff. Die Schutzfunktion des Art. 51 SVN als zentraler Telos der Bestimmung hat insbesondere der IGH in seinem Gutachten über die Zulässigkeit der Drohung mit und des Einsatzes von Kernwaffen 40 herausgestellt: „Furthermore, the Court cannot lose sight of the fundamental right of every State to survival, and thus its right to resort to self-defence, in accordance with Article 51 of the Charter, when its survival is at stake.“
Mit dieser Position hat der Gerichtshof gewiss nicht die Rückkehr zu einem längst überwundenen Selbsterhaltungsrecht der Staaten eingeläutet. Der Ursprung des Selbstverteidigungsrechts in den Schutzinteressen des Staates hat jedoch auch 38 Hobe/Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 162; Zumbansen, KJ 2001, S. 46 (58 ff.) spricht sogar von einer Privatisierung der Kriegsführung und schlägt eine völkerrechtliche Anerkennung Privater unter dem Stichwort „Gesellschaftswelt als Gegensatz zu Staatenwelt“ vor; ähnlich Mégret, KJ 2001, S. 157 ff. 39 Ago, YILC 1980 II, S. 13 (52 f.); Hervorhebung im Zitat durch Verfasser. 40 IGH, Legality of the Thraet or Use of Nuclear Weapons, ICJ Rep. 1996, S. 226 par. 96.
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im Wortlaut des Art. 51 SVN seinen Ausdruck gefunden, der jenes Recht als „inherent“ bezeichnet. Wenngleich dem Verweis auf das Naturrecht insoweit eine Bedeutung abgesprochen wurde, als hierin ein Beleg für die Weitergeltung eines gewohnheitsrechtlichen Notwehrrechts gesehen werden könnte 41, erschiene es ebenso befremdlich, diesem Begriff jeglichen Sinngehalt abzusprechen. „Naturgegeben“ ist das Selbstverteidigungsrecht deshalb, weil, wie der IGH klargestellt hat, es seinen Ursprung in dem als jedem Staat inhärenten Schutzinteresse hat. Wenn die Bedrohung der Staaten durch private Handlungen (ebenso wie durch andere Gefahren) dieselbe Qualität erreicht wie Angriffe eines anderen Staates 42, relativiert die Betonung der schützenswerten Interessen des angegriffenen Staates durch den IGH in hohem Maße die These von der Notwendigkeit rechtswidrigen Handelns. 3. Zusammenfassung Der dem satzungsrechtlichen Selbstverteidigungsrecht zugrunde liegende Schutzgedanke gebietet eine weite, auch private Gewalthandlungen einbeziehende Auslegung des Terminus „bewaffneter Angriff“. Ob diese Auslegung des Art.51 SVN eine (Notstands)Befugnis nach sich zieht, grenzüberschreitende Gegengewalt gegen die Privaten anzuwenden, wird an anderer Stelle behandelt. Schließlich hat sich gezeigt, dass die grundsätzlich fehlende Völkerrechtssubjektivität von Privatpersonen nicht gegen diese Auslegung ins Feld geführt werden kann, da die Bestimmung der völkerrechtlichen Pflichten aus den völkerrechtlichen Normen deduziert wird.
III. Historische und genetische Auslegung des Art. 51 SVN Im Folgenden soll untersucht werden, ob sich aus der historischen Entwicklung des Selbstverteidigungsrechts und der Genese der Satzung der Vereinten Nationen Erkenntnisse über die Auslegung von Art. 51 SVN gewinnen lassen. 1. Historische Entwicklung des Selbstverteidigungsrechts bis zur Gründung der Vereinten Nationen Aus der historischen Entwicklung des Selbstverteidigungsrechts auf den Inhalt des Begriffs „bewaffneter Angriff“ Schlüsse zu ziehen, wird durch die Tatsache erschwert, dass die Staaten erst nach dem Ersten Weltkrieg bereit waren, sich neben der Art und Weise der Kriegsführung auch in der Frage des ius ad bellum selbst zu beschränken. Daher galten gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Staaten bis Siehe oben Kapitel 1 B. I. Der Schmuggel und die Inbesitznahme von Kernmaterial, biologischen und chemischen Waffen durch private Gruppen wird von der Generalversammlung als eine reale Gefahr angesehen, vgl. Resolution der Generalversammlung 49/60 vom 9.12.1994, Anlage 6. Gedankenstrich; Resolution der Generalversammlung 51/210 vom 17.12.1996. 41 42
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dahin als nicht rechtfertigungsbedürftig. Die Untersuchung der historischen Entwicklung des Selbstverteidigungsrechts trifft darüber hinaus auf die Schwierigkeit, dass allein die so genannten Kulturvölker Rechtsansichten zu gewaltsamen Konflikten äußerten und diese archivierten. Daher existiert nur ein äußerst schmaler Fundus an rechtlich aufbereiteten und kommentierten gewaltsamen Zwischenfällen unter Beteiligung Privater. Gleichwohl soll der Versuch unternommen werden, anhand des vorhandenen Materials die Entwicklung des Selbstverteidigungsrechts bis zu den Vorarbeiten der Satzung der Vereinten Nationen nachzuzeichnen und gegebenenfalls Schlussfolgerungen für die Auslegung des Art. 51 SVN zu ziehen.
a) Die Inanspruchnahme eines Selbstverteidigungsrechts in der vorsatzungsrechtlichen Staatenpraxis Der Begriff des Selbstverteidigungsrechts war bis in das 19. Jahrhundert hinein geprägt vom Gedanken eines Selbsterhaltungsrechts der Staaten. Das Recht zum Krieg war daher ein Recht der Staaten, dessen Anwendung einer Rechtfertigung nicht bedurfte. Grenzüberschreitende Maßnahmen galten lediglich in Friedenszeiten als rechtfertigungsbedürftig, wie die folgenden viel zitierten Beispielfälle zeigen. Zunächst handelt es sich um den berühmten Caroline-Fall 43: Kanadische Rebellen gewannen amerikanische Bürger als freiwillige Kämpfer gegen die britische Kolonialmacht. Diese Kämpfer versorgten von US-amerikanischem Territorium aus die Rebellen mit Waffenlieferungen, unter anderem mit dem Schiff „Caroline“. Daraufhin stürmten in der Nacht vom 29. auf den 30. Dezember 1837 britische Truppen das Schiff (welches sich noch in US-amerikanischem Hoheitsgebiet befand) und zerstörten es. In einem Brief vom 6. Februar 1838 führte der britische Botschafter noch folgende Rechtfertigung aus: „The piratical character of the steamboat Caroline and the necessity of self defence and selfpreservation, under which Her Majesty’s subjects acted in destroying that vessel, would seem to be sufficiently established.“ 44
Die gleichzeitige Inanspruchnahme eines staatlichen Selbsterhaltungs- und Selbstverteidigungsrechts lässt noch nicht eindeutig erkennen, ob die gegen die Privaten gerichteten Gewalthandlungen als rechtfertigungsbedürftige Selbstverteidigungsmaßnahmen eingestuft wurden. Erhellend ist insoweit der spätere Notenwechsel, in dem der amerikanische Staatssekretär Daniel Webster am 27. Juli 1842 einen Beweis verlangte für das Vorliegen einer „necessity of self defence, instant, overwhelming, leaving no choice of means, and no moment of deliberation. It will for it to show, also, that the local authorities of Canada, even 43 44
Texte bei Harris, Cases and Materials on International Law, S. 894 ff. Texte bei Harris, Cases and Materials on International Law, S. 895.
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supposing the necessity of the moment, authorised them to enter the territories of the United States at all, did nothing unreasonable or excessive; since the act justified by the necessity of self-defence, must be limited by that necessity, and kept clearly within it.“ 45
Der britische Sonderbeauftragte in Washington erklärte sich mit dieser Darlegung der allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätze einverstanden und entschuldigte sich für den Vorfall. Dieser Notenwechsel liefert einen Beleg dafür, dass die Selbstverteidigung in der Staatenpraxis unter engen Voraussetzungen auch bei grenzüberschreitenden Übergriffen Privater (ohne deren staatliche Zurechenbarkeit) anerkannt war. Allerdings lässt sich dem Notenwechsel nicht entnehmen, welche Voraussetzungen der private Angriff erfüllen muss, um das Recht auf Selbstverteidigung zu aktivieren. Vielmehr werden die Anforderungen an die Selbstverteidigungssitutation aus der „Opferperspektive“ des angegriffenen Staates heraus definiert. Dies lässt auf die überragende Bedeutung des Schutzgesichtspunkts bei der Ausübung des Selbstverteidigungsrechts schließen. Mit denselben rechtlichen Argumenten wurde der Grenzzwischenfall zwischen Mexiko und den USA im Jahr 1836 ausgetragen. Indianergruppen verübten von mexikanischem Territorium aus wiederholt Gewalttaten (Plünderungen, Brandstiftungen, Morde usw.) auf US-amerikanischem Territorium. Im Mai 1836 setzten die USA militärische Mittel gegen die auf mexikanischem Territorium lebenden Indianer ein. Der amerikanische Staatssekretär Forsyth rechtfertigte das US-amerikanische Vorgehen in seinem an den mexikanischen Minister Ellis adressierten Brief vom 10. Dezember 1836 wie folgt: „You will find no difficulty in showing to the Mexican government that it rests upon the principles of the law of nations, entirely distinct from those on which war is justified – upon the immutable principles of self-defence – upon the principles which justify decisive measures of precaution to prevent irreparable evil to our own or to a neighbouring people.“ 46
Bemerkenswert ist, dass bei der eindeutigen Inanspruchnahme des Selbstverteidigungsrechts vorwiegend auf die Gefahren eingegangen wurde, die der (US-amerikanischen) Zivilbevölkerung drohen. Insofern betonen auch diese Ausführungen in hohem Maße die schutzwürdigen Interessen des angegriffenen Staates. Den Versuch, ein Selbstverteidigungsrecht mit dem Vorliegen eines bewaffneten Angriffs und mithin anhand von Anforderungen an das Angreiferverhalten zu begründen, unternahmen die USA im Jahr 1916 wiederum im Zusammenhang mit einem amerikanischen Gewalteinsatz auf mexikanischem Territorium. So heißt es in einer Erklärung des amerikanischen Präsidenten:
45 Texte bei Harris, Cases and Materials on International Law, S. 895; Hervorhebung im Zitat durch Verfasser. 46 Hervorhebung durch Verfasser.
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Mit Bezug auf die Auslegung des Art. 51 SVN lassen sich aus der dargestellten Staatenpraxis folgende Erkenntnisse ableiten: In der frühen Staatenpraxis baute der Begriff der Selbstverteidigung auf dem defensiven Element und dem Nichteintritt in den Kriegszustand auf. Folglich gehörten gerade die hier besprochenen Fälle der grenzüberschreitenden Gegengewalt zur Abwehr privater Angriffe zum genuinen Anwendungsbereich des Selbstverteidigungsrechts. Soweit die Gewaltmaßnahmen mit einer akuten Gefahr für die Zivilbevölkerung gerechtfertigt wurden, verdeutlicht dies die überragende Bedeutung des Schutzgedankens im damaligen Verständnis des Selbstverteidigungsrechts. Zunehmend wurde zur Aktivierung des Selbstverteidigungsrechts auf das Vorliegen eines Angriffs abgestellt. Dabei wurden private Angriffe bereits zur damaligen Zeit mit dem auch von Art. 51 SVN verwendeten Begriff „attack“ bezeichnet. b) Das Selbstverteidigungsrecht in ausgewählten Bündnisverträgen des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Der Begriff des bewaffneten Angriffs fand schließlich Eingang in eine Vielzahl historischer Bündnisverträge, wobei die Terminologie „Angriff“ („attack“) nicht durchgehalten wurde. Zuweilen ergeben sich Abweichungen in den verschiedenen Vertragssprachen, teils werden die Begriffe „Angriff“, „Aggression“, „nicht herausgeforderter Angriff“ und ähnliche Wendungen synonym, teils nebeneinander verwendet, ohne dass inhaltliche Unterschiede klar ersichtlich sind48. Häufig wird zur Begründung der restriktiven Auslegung des Angriffsbegriffs auf diese Bündnisverträge verwiesen, die die Inanspruchnahme des kollektiven Selbstverteidigungsrechts vom Vorliegen eines bewaffneten staatlichen Angriffs abhängig machten 49. Bei näherer Betrachtung beweisen jene Bündnisverträge jedoch genau das Gegenteil: Richtig ist zunächst, dass nach dem eindeutigen Wortlaut der untersuchten Verträge der Angriff von einem Staat ausgehen muss 50. Der Begriff des staatlichen Angriffs wurde zur damaligen Zeit allerdings in einem anderen, weiteren Sinne verstanden als unter der Geltung der Satzung der Vereinten Natio47 Zitiert nach Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 222; Hervorhebung im Zitat durch Verfasser. 48 Wittig, in: Schaumann (Hrsg.), Völkerrechtliches Gewaltverbot und Friedenssicherung, S. 33 (40 f.); Reichhelm, Der Angriff, S. 2 ff.; Steinlein, Der Begriff des nicht herausgeforderten Angriffs, S. 74 ff.; Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 2 ff. 49 Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 215; Ader, Gewaltsame Rettungsaktionen zum Schutz eigener Staatsangehöriger im Ausland, S. 57. 50 Vgl. das Bündnis zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich vom 7.10.1879 in Art. II: „Würde einer der hohen kontrahierenden Teile von einer anderen Macht angegriffen werden, (...)“; vgl. weitere Bündnisse bei Steinlein, Der Begriff des nicht herausgeforderten Angriffs, S. 89 ff.
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nen. Nicht erst militärische Gewalt selbst, sondern bereits die Unterstützung des Angreifers und die militärische Bedrohung lösten den Verteidigungsfall aus. Krieg im damaligen Sinne (also zwischenstaatliche Auseinandersetzung, die formell erklärt wurde) war demnach für die Aktivierung der kollektiven Selbstverteidigung nicht erforderlich 51. Von einem Verteidigungsfall waren auch solche bewaffneten („faktisch kriegerischen“) Situationen erfasst, die ihren Ursprung in privater Gewalt haben. In der damaligen völkerrechtlichen Literatur wird explizit als Beispiel eines den casus foerderis auslösenden Ereignisses die kriegerische Betätigung einer (nichtstaatlichen) Volksgruppe genannt: „Und selbst dann, wenn ein Teil der Bevölkerung über die Grenzen seines Landes hinaus das Nachbarland bekriegen sollte, so liegt es dennoch an der Leitung des betreffenden Staates, ob sie dieses Verhalten billigt oder nicht.“ 52
Keinesfalls war also der Angriffsbegriff auf staatliches Verhalten im heutigen Sinne beschränkt. Lediglich gingen die Bündnisverträge von einer stärkeren staatlichen (im Sinne einer Garantenhaftung bestehenden) Verantwortlichkeit und Zurechenbarkeit aus. Von seinem materiellen Gehalt regelte der Begriff des Bündnisfalls jedoch auch Konstellationen nichtstaatlicher Gewaltanwendung, die nach der heutigen Praxis 53 einem Staat nicht zwingend zurechenbar ist. Es kam ausschließlich darauf an, dass die Intensität des Angriffs „einem Krieg gleichkam“ 54. Die gegenteilige Annahme erscheint darüber hinaus deshalb fern liegend, weil die Bündnisverträge gerade den Schutz der Partner zu erhöhen beabsichtigten. Da das Selbstverteidigungsrecht nach damaligem Verständnis aus Schutzgesichtspunkten unbestritten auch gegenüber privaten Gewaltakten zum Tragen kam, erscheint es lebensfremd, den Bündnisverträgen eine diesbezügliche Schutzfunktion absprechen zu wollen. Schließlich können die inhaltlichen Voraussetzungen des zur damaligen Zeit bestehenden Selbstverteidigungsrechts nicht den zu dieser Zeit geschlossenen Bündnisverträgen entnommen werden. Jene Verträge stellen allesamt eine Beistandsverpflichtung der Vertragspartner füreinander auf 55 und regeln gerade nicht das Recht 51 Steinlein, Der Begriff des nicht herausgeforderten Angriffs, S. 8; Reichhelm, Der Angriff, S. 16. 52 Steinlein, Der Begriff des nicht herausgeforderten Angriffs, S. 8; Hervorhebung im Zitat durch Verfasser. 53 Hierzu siehe unten Kapitel 3 C. 54 Vgl. Steinlein, Der Begriff des nicht herausgeforderten Angriffs, S. 15 ff. 55 Vgl. etwa Art. II des Dreibundvertrags vom 20.5.1882: „Dans le cas où l’Italie (...) serait attaquée (...), les autres Parties Contractantes seront tenues à preter à la partie attaquée secours st assistance avec toutes leurs forces. Cette meme obligation incombera à l’Italie (...).“; ferner Art.I des Bündnisses zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich vom 7.10.1879: „Sollte (...) eines der beiden Reiche (...) angegriffen werden, so sind die hohen Kontrahenten verpflichtet, einander (...) beizustehen (...).“; ferner Art. 1 der Russisch-bulgarischen Militärkonvention vom Dezember 1909: „Im Falle eines gleichzeitigen bewaffneten Zusammenstoßes (...) verpflichtet sich Bulgarien, auf Verlangen der russischen Regierung seine gesamten Streitkräfte sofort zu mobilisieren.“; schließlich Art. 4 Abs. 2 des Vertrags von Locarno vom 16.10.1925: „(...) und jede von ihnen (Signatarmächte, Verfasser) verpflichtet sich, (...) der Macht, gegen die
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des angegriffenen Staates, sich in Ausübung der Selbstverteidigung Beistand zu erbitten. Ein solches Recht zur kollektiven Selbstverteidigung hätte schon deshalb nicht der vertraglichen Konstituierung bedurft, weil es den Staaten unbenommen war, eine Partei in kriegerischen Auseinandersetzungen zu unterstützen. Ein kollektives Selbstverteidigungsrecht bestand vielmehr völkergewohnheitsrechtlich 56 und konnte durch die Bündnisse nur deklariert und als Verpflichtung ausgestaltet werden. Daher lässt sich – unterstellt, den genannten Verträgen liegt ein auf staatliches Handeln beschränktes Begriffsverständnis eines Angriffs zugrunde – den untersuchten Bündnisverträgen allenfalls entnehmen, dass nach damaliger Staatenpraxis eine Pflicht zur kollektiven Selbstverteidigung ausschließlich in Fällen eines staatlichen bewaffneten Angriffs vereinbart wurde. Indes können aus den Verträgen keine Schlüsse über ein enges Begriffsverständnis eines bewaffneten Angriffs und über die Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts gezogen werden. c) Der Begriff des „Angriffs“ in der „Litvinov-Definition“ Für ein sehr weites Begriffsverständnis von „Angriff“ 57 spricht auch der unter dem Namen „Litvinov-Definition“ bekannt gewordene Vorschlag der Sowjetunion von 1933 58, der Inhalt der „London Convention for the Definition of Aggression“ zwischen der Sowjetunion und sieben weiteren Staaten wurde 59. In Art. II des Vertrages wird unter einem Angriff unter anderem die Unterstützung von bewaffneten Banden verstanden, die auf dem Staatsgebiet zusammengestellt werden, um das Gebiet des anderen Staates zu überfallen oder die Weigerung des erstgenannten Staates, trotz Ersuchens des angegriffenen Staates, alle Maßnahmen auf seinem Staatsgebiet zu ergreifen, um jene Banden jeglicher Hilfe und jeglichen Schutzes zu berauben 60. Dieser Definition liegt zweifellos ein Staatlichkeitsverständnis im Sinne einer umfassenden Erfolgsverantwortung des Staates für Gewalthandlungen Privater zugrunde, welches heute überwiegend abgelehnt wird 61. Ähnlich wie bei den oben besprochenen Bündnisverträgen tritt hierbei jedoch die Auffassung zutage, dass aus Sicht des angegriffenen Staates auch bei privaten Angriffen eine Selbstversich die beanstandete Handlung richtet, sofort ihren Beistand zu gewähren.“ (Übersetzung von Strupp, Das Werk von Locarno, S. 131.). 56 Bowett, Self-Defence in International Law, S. 200; IGH, Military and Paramilitary activities in and against Nicaragua, ICJ Reports 1986, S. 94 par. 176 und S. 102 f. par. 193. 57 Die Begriffe „Angriff“ und „Aggression“ wurden erst nach Erlass der Satzung der Vereinten Nationen voneinander unterschieden. Für den Bereich der Selbstverteidigung galt dies wohl sogar erst mit der Verabschiedung der Aggressionsdefinition der Generalversammlung. Zur Bedeutung dieser Definition für die Erarbeitung der Aggressionsdefinition von 1974 Bruha, Die Definition der Aggression, S. 53. 58 Näher, Rifaat, International Aggression, S. 88 ff. 59 Afghanistan, Estland, Lettland, Persien, Polen, Rumänien und Türkei, später unterzeichneten Finnland, Jugoslawien und die Tschechoslowakei. 60 Reichhelm, Der Angriff, S. 17. 61 Siehe ausführlich oben Kapitel 2 A.
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teidigungssituation vorliegt. Wenngleich der in der Litvinov-Definition statuierte Weg einer Erfolgshaftung in der heutigen Staatenpraxis nicht gegangen wird und mithin damals als staatliche Angriffe bezeichnete Privathandlungen heute nicht mehr als staatliche Angriffe gelten, lösten nach damaligem Verständnis derartige Handlungen ein Recht auf Selbstverteidigung aus. d) Das Selbstverteidigungsrecht nach der Satzung des Völkerbundes und dem Briand-Kellogg-Pakt Einen bedeutenden Schritt, den Krieg in den internationalen Beziehungen der Staaten zurückzudrängen, stellt die Völkerbundsatzung dar. Diese ächtete zwar den Krieg, stellte indes nur geringe Hürden gegen die Kriegsführung auf. So enthielt Art. 12 lediglich prozedurale Beschränkungen, wonach die Staaten zunächst Bemühungen einer friedlichen Streitbeilegung zu unternehmen hatten und erst nach deren Scheitern und dem Ablauf einer dreimonatigen Frist Gewalt anwenden durften 62. Das Kriegsverbot blieb indes auf den Krieg im technischen Sinn beschränkt und selbst dieser war nur bei Missachtung der prozeduralen Hürden verboten. Vor diesem Hintergrund mutet die in Art. 10 aufgestellte Pflicht der Staaten, die territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit aller Mitglieder zu achten und vor Angriffen von außen zu schützen, eher wie ein Programmsatz an. Daher war es auch nicht erforderlich, ein auf bestimmte Ausnahmen vom Gewaltverbot beschränktes Notwehrrecht einzuführen. Insoweit kann festgehalten werden, dass durch die Satzung des Völkerbundes das bis dahin anerkannte Selbstverteidigungsrecht eines Staates gegen grenzüberschreitende Übergriffe Privater nicht beschnitten werden sollte. Der entscheidende Wendepunkt von der unbeschränkten Freiheit der Staaten, Kriege zu führen hin zu einem Kriegsverbot ist der am 17. August 1928 unterzeichnete Briand-Kellogg-Pakt. Der Pakt ächtete den Krieg als Instrument in den internationalen Beziehungen. Dort heißt es: Art. I: „Die hohen vertragschließenden Parteien erklären (...), dass sie den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten. Art. II: Die (...) Parteien vereinbaren, dass sie die Regelung und Entscheidung aller Streitigkeiten oder Konflikte, die zwischen ihnen entstehen könnten, welcher Art oder welchen Ursprungs sie auch sein mögen, niemals anders als durch friedliche Mittel anstreben werden.“ 63
62 Zum Ganzen Miller, The Drafting of the Covenant, passim; Berber, Völkerrecht, S. 332; Kunz, ZöR 4 (1924), S.223 ff.; Genoni, Die Notwehr im Völkerrecht, S.66; Roscher, Der BriandKellogg-Pakt von 1928, S. 36 ff.; Neuhold, Internationale Konflikte – verbotene und erlaubte Mittel ihrer Austragung, S. 63 ff. 63 Hervorhebung durch Verfasser.
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Die weite Formulierung in Art. II („welcher Art oder welchen Ursprungs sie auch sein mögen“) und deren deutliche Abweichung zu Art. I („Krieg“) deuten darauf hin, dass mit diesen Bestimmungen der Gegensatz zwischen Krieg im technischen Sinne und anderen bewaffneten Auseinandersetzungen tatsächlich überwunden ist und ein generelles Gewaltverbot ausgesprochen wird. Aus den Äußerungen der Unterzeichnerstaaten, ein Selbstverteidigungsrecht – obwohl nicht ausdrücklich genannt – als Bestandteil des Vertrages anzuerkennen, lassen sich für die hier aufgeworfene Frage nur wenige Erkenntnisse gewinnen. Aufschlussreich ist allein die amerikanische Note vom 23. Juni 1928, in der es heißt: „Every nation is free at all times and regardless of treaty provisions to defend its territory from attack and invasion and it alone is competent to decide whether circumstances require recourse to war in self-defence.“ 64
Der Umstand, dass der Begriff „attack“ auch in der bisherigen Staatenpraxis – insbesondere in der Praxis der USA – für Abwehrhandlungen gegen Private gebraucht wurde, lässt auf ein auch gegen private Gewaltakte gerichtetes Verteidigungsrecht im Briand-Kellogg-Pakt schließen. Dies gilt umso mehr, als kein Grund ersichtlich ist, bisher rechtfertigungsbedürftige Gewaltmaßnahmen im Friedenszustand (Abwehr gegen Angriffe Privater) nur deshalb zu verbieten, weil darüber hinaus nunmehr auch Kriegshandlungen im technischen Sinne (rein zwischenstaatliche Auseinandersetzungen) einem grundsätzlichen Gewaltverbot unterfielen 65. Der letzte Halbsatz der US-amerikanischen Note belegt sogar das Gegenteil, wenn die Staaten die Entscheidung über die Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts selbst treffen sollten und die USA sich hinsichtlich der Verteidigungsbefugnis gegen private Angriffe – wie oben gezeigt wurde – bereits dezidiert geäußert hatten 66. e) Zusammenfassung der historischen Entwicklung des Selbstverteidigungsrechts der Staaten gegen private Angriffe und Rückschlüsse für die Auslegung des Art. 51 SVN Der rechtlichen Konturierung eines Selbstverteidigungsrechts widmete sich die (nur zu einem geringen Ausmaß aufgezeichnete) Staatenpraxis bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts vornehmlich Konstellationen nichtkriegerischer grenzüberschreiText bei Genoni, Die Notwehr im Völkerrecht, S. 73. Roscher, Der Briand-Kellogg-Pakt von 1928, S. 80 ff. und S. 88 ff. Nach Ansicht von Alexandrov, Self-Defence Against the Use of Force in International Law, S. 34 waren grenzüberschreitende Gewaltmaßnahmen gegen Private vom Gewaltverbot gar nicht erfasst. Dies scheint angesichts der vorangegangenen Staatenpraxis (etwa im Caroline-Fall) allerdings zu weitgehend. 66 Siehe Kapitel 3 A. III. 1. a). Begründet wurde dies damit, dass andernfalls der Skrupellose Vorteile erlange, wenn er Ereignisse nur verdrehen müsste, um im Rahmen der Definition zu bleiben. Die Gefahr des Missbrauchs war nach Ansicht der Staaten also geringer, wenn die inhaltlichen Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts offen blieben, vgl. Roscher, Der Briand-Kellogg-Pakt von 1928, S. 80 ff. 64 65
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tender Auseinandersetzungen. Daher erfassten die damaligen Überlegungen über die Reichweite eines Selbstverteidigungsrechts gerade die hier behandelten Konstellationen grenzüberschreitender Gewaltmaßnahmen gegen Private (vgl. Caroline-Fall und die Auseinandersetzung zwischen den USA und Mexiko wegen bewaffneter Übergriffe durch Indianer). Es konnte gezeigt werden, dass bei der Bestimmung der Verteidigungsvoraussetzungen den Schutzinteressen des angegriffenen Staates eine überragende Stellung eingeräumt wurde. Erst in der ersten Hälfe des 20. Jahrhunderts wurde die Befugnis zur Vornahme von grenzüberschreitenden Gewalthandlungen vom Vorliegen eines „Angriffs“ bzw. einer „Aggression“ abhängig gemacht (vgl. Briand-Kellogg-Pakt und den Versuch der „Litvinov-Definition“). Diese Begriffe erfassten auch private Handlungen: Den untersuchten Bündnisverträgen kann schon deshalb eine Beschränkung des Selbstverteidigungsrechts auf die Abwehr staatlichen Verhaltens nicht entnommen werden, weil diese ein Selbstverteidigungsrecht nicht statuieren, sondern Beistandspflichten auferlegen wollten. Im Übrigen verwendeten diese Verträge den Begriff der Staatlichkeit in einem weiten, auch private Gewaltakte einschließenden Sinne, der letztlich zu einer staatlichen Garantiehaftung führte. Schließlich beschränkten die Anfänge eines umfassenden Gewaltverbots in der Völkerbundsatzung und im Briand-Kellogg-Pakt das Selbstverteidigungsrecht nicht auf staatliche Angriffe. Mit der zunehmenden Ächtung des Krieges und der Ausweitung des Gewaltverbotstatbestandes ging keineswegs die Beschneidung der bislang ohnehin nur in begrenztem Umfang zum Tragen kommenden Ausnahmebestimmung einher, denn weil nunmehr auch kriegerische Handlungen zunehmend grundsätzlich verboten wurden, kann von einer Beschneidung des Selbstverteidigungsrechts keine Rede sein. Da sich die Begrifflichkeit „Angriff“ bzw. „attack“ in der Satzung der Vereinten Nationen wieder findet, kommt dem historisch gewachsenen Verständnis des Begriffs „bewaffneter Angriff“ für die Auslegung des Art. 51 SVN Bedeutung zu. Nach alledem spricht die historische Entwicklung des Selbstverteidigungsrechts für eine extensive Auslegung von Art. 51 SVN, die private Handlungen in den Anwendungsbereich bewaffneter Angriffe einschließt. 2. Die Genese des Art. 51 SVN Die Genese der Satzung der Vereinten Nationen kann – anders als vielfach angenommen 67 – nicht als Begründung für den Ausschluss privater Handlungen aus dem Anwendungsbereich des Art. 51 SVN in Anspruch genommen werden. In diesem Zusammenhang muss zunächst hervorgehoben werden, dass es die Staaten (ebenso 67 So etwa Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 183 (213), der ohne Argumente davon ausgeht, dass der historische Kontext für eine restriktive Handhabe des Art. 51 SVN spreche. Seiner Ansicht nach könne es aber als sicher gelten, dass den Beteiligten auf der Konferenz von San Francisco nicht bewusst war, wie ähnlich terroristische Anschläge und bewaffnete Angriffe von Staaten in ihrem Ausmaß sein können.
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wie bei der Erarbeitung der Völkerbundsatzung und des Briand-Kellogg-Pakts) lange Zeit für nicht notwendig erachteten, expressis verbis ein Recht auf Selbstverteidigung in die Satzung aufzunehmen. Erst im späteren Verlauf der Vorarbeiten entschied man sich, das als evident bestehend angesehene Selbstverteidigungsrecht zu formulieren. Seine Existenz verdankt Art. 51 SVN zwei Gründen: Erstens verlangte das bereits festgelegte Abstimmungsverfahren 68 im Sicherheitsrat nach einer eindeutig geregelten Befugnis zu unilateraler Gewaltanwendung, um im Falle einer Blockade des Sicherheitsrates bewaffneten Aggressionen nicht schutzlos gegenüberzustehen. Damit verband sich die Sorge verschiedener Staaten vor einer erneuten Aggression Deutschlands. Dieses im Folgenden als Effizienzdefizit des universellen Sicherheitssystems zu bezeichnende Phänomen war nicht nur mitursächlich für die ausdrückliche Regelung des Selbstverteidigungsrechts, sondern verdeutlicht zudem die überragende Bedeutung des der Vorschrift des Art. 51 SVN zugrunde liegenden Schutzprinzips. Zweitens konzentrierte sich die Diskussion auf das Verhältnis regionaler Verteidigungsbündnisse zu den Befugnissen des Sicherheitsrates. Dabei bestand der Wunsch der lateinamerikanischen Staaten, die Autonomie des interamerikanischen Verteidigungssystems zu sichern, dem ein ähnliches Bestreben der arabischen Staaten bezüglich der Arabischen Liga folgte und schließlich die Zustimmung der UdSSR insoweit fand, als diese ihre bilateralen Sicherheitsabkommen nicht der Kontrolle des Sicherheitsrates unterwerfen wollte (Regionalitätsbestrebungen). Beide Aspekte liefern, wie im Folgenden zu zeigen ist, Anhaltspunkte für die Bestimmung der Reichweite des Art. 51 SVN. a) Die Auswirkungen des befürchteten und vorhergesehenen Effizienzdefizits des universellen Sicherheitssystems auf die Genese des Art. 51 SVN Entscheidende Vorarbeiten für den Aufbau der Organisation der Vereinten Nationen wurden in den Verhandlungen von Dumbarton Oaks geleistet. Die DumbartonOaks-Proposals nehmen nicht ausdrücklich Stellung zu den Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts. Auf Anregung Chinas hin wurde die Frage erörtert, wie zu entscheiden wäre, wenn ein Staat Gewalt anwendet, die nicht den Prinzipien und Zielen der Organisation zuwiderläuft, insbesondere wenn er in Selbstverteidigung handelt. Es herrschte Übereinstimmung, dass die Charta diesem Staat nicht das naturgegebene Recht auf Selbstverteidigung in Abrede stellen soll 69. In diesem Stadi68 Auf der Konferenz von Jalta, die vom 4. bis zum 11. Februar 1945 stattfand, einigten sich die Großmächte auf die so genannte „Yalta Voting Formula“, wonach alle Entscheidungen des Sicherheitsrates der Zustimmung aller fünf ständigen Mitglieder bedurften, hierzu Körbs, Die Friedenssicherung durch die Vereinten Nationen und Regionalorganisationen nach dem VIII. Kapitel der Satzung der Vereinten Nationen, S. 56. 69 Siehe hierzu das Memorandum des amerikanischen Staatssekretärs Stettinius: „Dr. Koo asked whether it would be possible under the document for either member or non-member states to
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um der Vorarbeiten befanden es die Gründerstaaten nicht einmal für notwendig, das Selbstverteidigungsrecht überhaupt zu regeln, geschweige denn das bislang anerkannte Recht auf Selbstverteidigung inhaltlich zu modifizieren oder einzuschränken 70. Es ist daher davon auszugehen, dass das bislang anerkannte Selbstverteidigungsrecht zu diesem Zeitpunkt nicht verändert werden und auch bei grenzüberschreitenden Angriffen Privater Bestand haben sollte. Auf der der Dumbarton Oaks Konferenz zeitlich folgenden Gründungskonferenz von San Francisco entschlossen sich die Staaten, ein Recht auf Selbstverteidigung in den Text der Satzung aufzunehmen. Der türkische Vertreter merkte an: „(...) il serait utile d’insérer dans la Charte une disposition justifiant la légitime défense pour répondre à une attaque par surprise par un autre Etat.“ 71
Die zitierte Äußerung und der daraufhin erarbeitete amerikanische Vorschlag werden für die hier behandelte Frage oftmals als Beweis dafür ins Feld geführt, dass die Staaten bei der Ausarbeitung der Satzung von einem auf staatliches Handeln beschränkten Begriffsverständnis eines bewaffneten Angriffs ausgingen 72: „Should the Security Council not succeed in preventing aggression, and should aggression occur by any state against any member state, such member state possesses the inherent right to take necessary mesures for self-defence. The right to take such measures for self-defence against armed attack shall also apply to understandings or arrangements (...).“ 73
Dem amerikanischen Vorschlag ist für unsere Problematik jedoch allein zu entnehmen, dass bei staatlichen Gewalthandlungen von einer „aggression“ gesprochen wird, während den Staaten das Recht auf Selbstverteidigung beim Vorliegen eines „armed attack“ zugebilligt werden soll. Ob diese begriffliche Unterscheidung beabsichtigt war (mit der Folge, dass nur Aggressionen staatliches Handeln darstellen sollten und bewaffnete Angriffe auch privates Handeln erfassen) oder ob es sich hierbei lediglich um eine begriffliche Ungenauigkeit handelt oder aber ob die beiden Begriffe synonym verwendet werden sollten, lässt sich anhand des vorhandenen Materials nicht belegen. Jedenfalls kann dem amerikanischen Vorschlag nicht zwingend ein auf staatliches Handeln beschränktes Begriffsverständnis entnommen werden. Eine solche Kehrtwende in der US-amerikanischen Rechtspraxis wäre angesichts der bislang konstant extensiven (private Handlungen einschließenden) Beuse force unilaterally under the claim that such action was not inconsistent with the purposes of the Organisation. He seemed satisfied with the explanation that, except of cases of self-defence, no unilateral use of force could be undertaken without the approval of the Council.“ Diplomatic Papers, 1944, Bd. I, S. 862; Russell, A History of The United Nations Charter, S. 465 f. 70 Vgl. die Ansicht Großbritanniens: „It was considered at the Dumbarton Oaks Conference that the right of self-defence was inherent in the proposals and did not need explicit mention in the Charter.“ Zitiert nach Schmidt, Das Selbstverteidigungsrecht nach der Satzung der Vereinten Nationen und seine Verbindung mit den defensiven Regionalpakten, S. 23 Fußn. 2. 71 UNCIO IV, S. 675; Hervorhebung im Zitat durch Verfasser. 72 So insbesondere Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 180. 73 Foreign Relations of the United States, Diplomatic Papers, 1945, I, S. 685 ff.
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griffsverwendung von „attack“ äußerst überraschend und bedürfte eindeutigerer Belege. Vollends entkräftet wird der Aussagewert sowohl der türkischen Wortmeldung als auch des besagten amerikanischen Vorschlags letztlich durch die mehrfachen und umfassenden Formulierungsänderungen der geplanten Selbstverteidigungsbestimmung, insbesondere durch die Erarbeitung eines neuen britisch-amerikanischen Kompromissvorschlags (der amerikanische Vorschlag stieß, wenn auch aus einem anderen Grund 74, auf Ablehnung), der das Staatlichkeitserfordernis in auffallender Abweichung zum ursprünglichen Vorschlag nicht mehr enthält: „Nothing in this Charter should invalidate the right of self-defense against armed attack, either individual or collective, in the event of Security Council failing to take the necessary steps to maintain or restore international peace and security.“ 75
Der fehlende Hinweis auf die Staatlichkeit des bewaffneten Angriffs bis in die heute geltende Fassung des Art. 51 SVN legt nahe, dass im Verlauf der San Francisco-Konferenz an dem ursprünglichen Gehalt des Selbstverteidigungsrechts nicht gerüttelt werden sollte. Die Einbeziehung privater Gewalt in den Anwendungsbereich des Art. 51 SVN wird zudem durch die in der Genese zutage getretene herausragende Bedeutung des Schutzzwecks der Selbstverteidigung bestätigt. Der letzte Halbsatz des amerikanisch-britischen Kompromissvorschlags („in the event of Security Council failing to take the necessary steps to maintain or restore international peace and security“) hebt den Aspekt des Effizienzdefizits des universellen Sicherheitssystems hervor, der die bereits im Rahmen der teleologischen Auslegung getroffene Annahme erhärtet, dass Art. 51 SVN im Wesentlichen den Schutz des Staates zu regeln bezweckt. Der Einfluss des Schutzgesichtspunktes auf die Genese des Art. 51 SVN spiegelt sich – wie bereits angedeutet – ebenfalls in dem Drängen Frankreichs wider, das Selbstverteidigungsrecht explizit zu regeln. Frankreich fürchtete wegen seiner direkten Nachbarschaft zu Deutschland die aus den schwerfälligen Entscheidungsmechanismen des Sicherheitsrates folgende Unfähigkeit, sich selbst zu verteidigen 76 und wurde dabei von Neuseeland, Großbritannien und Belgien unterstützt77. Mit Blick auf das damals bereits beschlossene Vetorecht bestimmter Staaten im Sicherheitsrat sollte verhindert werden, dass durch die Lähmung der zu gründenden Organisation der einzelne Staat bewaffneten Angriffen völlig schutzlos gegenüberstünde. Dieselben Schutzerwägungen greifen bei bewaffneten Angriffen Privater. Daher wurde der auch schon zu diesem Zeitpunkt anerkannte grundsätzlich provisorische Charakter des Selbstverteidigungsrechts in einer Weise formuliert, die an der Autorität des Sicherheitsrates eher Zweifel aufkommen lässt. In der endgültigen 74 75 76 77
Vgl. hierzu Russell, A History of the United Nations Charter, S. 698. Zitiert nach Russell, A History of the United Nations Charter, S. 699. UNCIO XII, S. 777. UNCIO IV, S. 461.
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Fassung wurde dieser Eindruck insofern korrigiert, als das Provisorium in eine zeitliche Subsidiaritätsklausel eingekleidet wurde. Der fehlende Hinweis auf das Staatlichkeitserfordernis bis in die endgültige Fassung und die in der Genese zutage getretene Betonung der Schutzkomponente des Selbstverteidigungsrechts legen nahe, dass der Begriff des bewaffneten Angriffs in seiner bis dahin geltenden Bedeutung belassen und nicht auf staatliche Gewaltakte beschränkt werden sollte. b) Die Auswirkungen der Regionalitätsbestrebungen auf die Genese des Art. 51 SVN Darüber hinaus ist in der Literatur der Versuch unternommen worden, aus der Statuierung eines kollektiven Selbstverteidigungsrechts in Art. 51 SVN zwingende Schlüsse auf eine restriktive Auslegung dieser Vorschrift zu ziehen. Hierzu werden zwei Begründungsvarianten 78 vertreten: Teilweise wird gesagt, der Begriff des „bewaffneten Angriffs“ sei in einem auf staatliche Gewalt beschränkten Sinn zu verstehen, soweit es um die kollektive Komponente des Art. 51 SVN gehe 79. Ziel der Statuierung eines kollektiven Selbstverteidigungsrechts sei es gewesen, die Satzungs78 Überdies existiert noch ein dritter Ansatz, der allerdings auf einem Missverständnis über den Begriff „Selbstverteidigung“ und nicht auf genetischen Erwägungen beruht. Er soll deshalb nicht Gegenstand vertiefter Auseinandersetzung sein. Demnach wird eine kollektive Verteidigungsbefugnis nur dann anerkannt, wenn der Drittstaat selbst einem bewaffneten Angriff ausgesetzt ist. Begründet wird dies insbesondere mit dem Wortlaut, der lediglich die gemeinsame Ausübung des individuellen Selbstverteidigungsrechts erlaube; vgl. Bowett, Self-Defence in International Law, S. 216; Dinstein, War, Agression and Self-Defence, S.222 ff. Daher wird von einigen Stimmen, die im Falle der individuellen Selbstverteidigung Art. 51 SVN auch gegenüber Angriffen nichtstaatlicher Akteure für einschlägig halten, dies im Falle der kollektiven Selbstverteidigung verneint. Anders als staatliche Angriffe, so argumentiert Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, S. 223 f., seien Angriffe nichtstaatlicher Akteure räumlich eng begrenzt, so dass der zu Hilfe eilende Drittstaat nicht behaupten könne, der bewaffnete Angriff richte sich gegen ihn selbst. Bereits die pauschale Unterstellung, private Gewaltakte seien weniger intensiv und räumlich ausgedehnt, ist überaus angreifbar. So räumt selbst Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 311 f. – entschiedener Befürworter einer differenzierten Behandlung von individueller und kollektiver Selbstverteidigung – ein, „dass im Hinblick auf einen Kernwaffeneinsatz die Annahme problematisch (ist), bewaffnete Aktionen Privater stellten typischerweise nicht die intensive Bedrohung dar, die den mit dem Rekurs auf das kollektive Selbstverteidigungsrecht verbundenen Ausbruch aus dem bilateralen Verhältnis unentbehrlich machen können“. Für den nicht weniger fern liegenden Einsatz chemischer und biologischer Kampfstoffe durch Private dürfte Gleiches gelten. Viel schwerer wiegt aber, dass der von Dinstein geäußerten Auffassung eine irrtümliche Vorstellung von kollektiver Selbstverteidigung zugrunde liegt. Kollektive Selbstverteidigung bedeutet Nothilfe. Selbst zu verteidigen hat sich also allein der einem bewaffneten Angriff zum Opfer gefallene Staat, nicht der in Nothilfe Handelnde. Kollektive Selbstverteidigung dient weniger der Verteidigung eigener Interessen als vielmehr der Wiederherstellung des Weltfriedens und der nationalen Sicherheit insgesamt (vgl. Goodrich/Hambro/Simons, Charter of the United Nations, S. 348). Letztere können aber gerade auch durch Private bedroht werden. 79 Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 179 ff.
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
konformität der ausschließlich auf den staatlichen Angriff bezogenen Befugnisse nach dem Akt von Chapultepec abzusichern, nicht hingegen eine kollektive Verteidigungsbefugnis gegen Angriffe Privater 80. Eine andere These geht noch weiter und behauptet, Art. 51 SVN habe insgesamt nur Angriffe durch Staaten im Auge, weil das kollektive Selbstverteidigungsrecht „schwerlich gegen Angriffe von Privatpersonen gedacht“ sein könne 81. Beide Varianten dieser Argumentation zielen darauf ab, aus der Genese des kollektiven Selbstverteidigungsrechts (genauer: aus den Regionalitätsbestrebungen) Schlüsse auf die Reichweite des Tatbestands von Art. 51 SVN ziehen zu können. Soweit letztere These nicht bereits durch das Ergebnis der historischen Auslegung – das historisch auch auf private Angriffe zugeschnittene Selbstverteidigungsrecht beinhaltete stets das Recht, sich Beistand Dritter zu erbitten – widerlegt ist, soll im Folgenden untersucht werden, inwieweit die in der Genese zutage getretenen Regionalitätsbeschränkungen die Reichweite des Selbstverteidigungsrechts beeinflusst haben. Zunächst kann anhand der Entstehungsgeschichte der Satzung die erstgenannte These insofern widerlegt werden, als der Begriff des „bewaffneten Angriffs“ nicht allein im Zusammenhang mit der kollektiven Selbstverteidigung gebraucht wurde, sondern auch für die individuelle Selbstverteidigung gilt. So heißt es im Summary Report des vierten Treffens des Kommitees III/4: „And the right of defence is not limited to the country which is the direct victim of aggression but extends to those countries which have established solidarity, through regional arrangements, with the country directly attacked.“ 82
Im Übrigen führte die partielle Geltung des Angriffserfordernisses nur für das kollektive Selbstverteidigungsrecht zu dem befremdlichen Ergebnis, dass die Ausübung des individuellen Selbstverteidigungsrechts an keine Voraussetzungen geknüpft wäre. Nicht einmal Gewalt müsste verübt worden sein, um das individuelle Selbstverteidigungsrecht zu aktivieren, da Art. 51 SVN zwar die Anwendung grundsätzlich verbotener Gewalt legitimiert, diese aber gerade nicht voraussetzt. So könnten die Staaten jede beliebige Bedrohung ihrer Sicherheit, etwa eine bevorstehende Flüchtlingsbewegung, zum Anlass für grenzüberschreitende Gegengewalt nehmen. Ein derartiger Aussagegehalt kann Art. 51 SVN jedoch schlechterdings nicht entnommen werden. Dieser Gesichtspunkt widerlegt zwar nicht die These, dass der Begriff „bewaffneter Angriff“ nur staatliches Handeln meint. Er verbietet aber, individuelle und kollektive Selbstverteidigung unterschiedlichen Anforderungen zu unterstellen. Des Weiteren lässt sich aus den Regionalitätsbestrebungen auch nicht die Beschränkung des Begriffs „bewaffneter Angriff“ auf staatliches Handeln ableiten: Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 216. Ader, Gewaltsame Rettungsaktionen zum Schutz eigener Staatsangehöriger im Ausland, S. 57. 82 UNCOIO XII, S. 681; Hervorhebung im Zitat durch Verfasser. 80 81
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Die hierfür bemühte Argumentation, mit der Einführung des kollektiven Selbstverteidigungsrechts sei allein die Absicherung der auf einen staatlichen Angriff bezogenen Verteidigungsbündnisse, insbesondere der Befugnisse des Pakts von Chapultepec, beabsichtigt gewesen, vermag eine restriktive Auslegung des Begriffs „bewaffneter Angriff“ nicht zu stützen. Hiergegen sprechen im Wesentlichen drei Gesichtspunkte: Erstens war die Absicherung der regionalen Verteidigungsbündnisse nicht alleiniger Grund, nicht einmal das Hauptanliegen für die Statuierung eines kollektiven Selbstverteidigungsrechts. Richtig ist zwar, dass die Erörterungen über ein Selbstverteidigungsrecht im Zusammenhang mit dem Problem der Unabhängigkeit regionaler Sicherheitssysteme standen 83. Das Recht auf kollektive Selbstverteidigung wurde hingegen aus den oben beschriebenen Befürchtungen über Effizienzdefizite des universellen Sicherheitssystems heraus und deshalb in die Satzung aufgenommen, um neben den Rechten des Pakts von Chapultepec 84 auch die Rechte anderer Militärbündnisse und bilateraler Beistandsabkommen zu sichern. In Zusammenschau mit der oben dargelegten Effizienzproblematik des universellen Sicherheitssystems ergibt sich somit, dass die Einführung des Selbstverteidigungsrechts nicht allein der Absicherung regionaler Verteidigungsbündnisse diente, sondern auf eine Vielzahl von Ursachen (Effizienzdefizit des Sicherheitsrates, Schutzbedürfnis vor erneuter deutscher Aggression, Sicherung verschiedener bilateraler Sicherheitsabkommen) zurückzuführen ist. Bestätigt wird dieser Befund durch die systematische Stellung des Art. 51 SVN: Hätte Art. 51 SVN den alleinigen Sinn, die Befugnis regionaler Abkommen abzusichern und zu beschränken, hätte eine Platzierung in dem den regionalen Organisationen gewidmeten VIII. Kapitel näher gelegen. In seiner Schlussfassung wurde das kollektive Selbstverteidigungsrecht demgegenüber – anders als zunächst erwogen 85 – gerade nicht dem VIII. Kapitel zugeordnet, sondern dem (heutigen) VII. Kapitel, in dem die Kompetenzen des Sicherheitsrates bei einer Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit geregelt sind. Die Stellung des Art. 51 SVN verrät somit, dass nicht die Bündnisverträge die Reichweite der Satzung bestimmen, sondern im Gegenteil vornehmlich Bestrebungen Einhalt 83 Instruktiv Meng, Gewalt für den Frieden, S. 71 ff.; ausführlich zur Geschichte Russell, A History of the United Nations Charter, S. 688 ff.; Schmidt, Das Selbstverteidigungsrecht nach der Satzung der Vereinten Nationen und seine Verbindung mit den defensiven Regionalpakten, S. 23 ff.; Körbs, Friedenssicherung durch die Vereinten Nationen und Regionalorganisationen nach Kapitel VIII der Satzung der Vereinten Nationen, S. 52 ff. 84 Der Akt von Chapultepec (Text in AJIL 39 (1945) Supplement, S. 108 ff.) ist auf der Interamerikanischen Konferenz über Probleme des Krieges und des Friedens als Resolution VIII betreffend den gegenseitigen Beistand und die amerikanische Solidarität als unmittelbare Reaktion auf die Dumbarton Oaks Vorschläge verabschiedet worden. Hierbei sollte den universalistischen Bestrebungen ein Riegel vorgeschoben und die panamerikanische Idee gestärkt werden. Siehe hierzu Körbs, Die Friedenssicherung durch die Vereinten Nationen und Regionalorganisationen nach Kapitel VIII der Satzung der Vereinten Nationen, S. 56 f. 85 Das Subkomitee III/4/A empfahl eine Eingliederung der Vorschrift in das VIII. Kapitel mit dem Argument, dass das kollektive Selbstverteidigungsrecht weitestmöglich der Kontrolle des Sicherheitsrates zu entziehen sei, UNCIO XII, S. 849.
7 Scholz
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
geboten werden sollte, das kollektive Selbstverteidigungsrecht zu regionalisieren und von der Kontrolle des Sicherheitsrates zu emanzipieren. Die Auslegung des Pakts von Chapultepec ist folglich nicht maßgeblich für die Reichweite des kollektiven Selbstverteidigungsrechts. Des Weiteren ging es bei der Einführung eines kollektiven Selbstverteidigungsrechts nicht um die Absicherung einer solchen Befugnis, da diese bereits völkerrechtlich anerkannt war 86. Es bedurfte keines Verteidigungsbündnisses als konstitutives Element für die Nothilfebefugnis gegenüber dem Angreiferstaat. Die Verteidigungsverträge begründeten vielmehr eine Beistandspflicht gegenüber dem angegriffenen Vertragspartner, nicht aber eine (im Sinne eines Vertrags zulasten Dritter!) Befugnis gegenüber dem Angreifer. Die Regelung des Art. 51 SVN brachte insoweit keine Neuerung. Im Vordergrund stand vielmehr Folgendes: Vor allem die lateinamerikanischen Staaten wollten die Monopolstellung des Sicherheitsrates nicht anerkennen und den im VIII. Kapitel festgeschriebenen Vertretungscharakter der regionalen Verteidigungsbündnisse umwandeln in eine dem Sicherheitsrat auf regionaler Ebene gleichwertige Stellung 87. Die Bestimmungen des Pakts von Chapultepec intendierten eine autonome Entscheidungskompetenz über die Anwendung von Waffengewalt. Die Großmächte waren sich jedoch über die Suprematie des Sicherheitsrates einig und versuchten die lateinamerikanischen Staaten mit dem Verweis auf ein kollektives Sicherheitsrecht zu beschwichtigen, obwohl der durch Art. 51 SVN eröffnete Handlungsspielraum freilich wesentlich geringer sein musste als der des Sicherheitsrates 88. Hiermit waren Einschränkungen gegenüber der individuellen 86 Ausführlich hierzu oben Kapitel 3 A. III. 1. b); Bowett, Self-Defence in International Law, S. 200. Auch der IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicargua, ICJ Reports 1986, S.94 par. 176 hält das Recht zur kollektiven Selbstverteidigung völkergewohnheitsrechtlich verankert. 87 So forderte der kolumbianische Vertreter: „(...) that the origin of the term ‚self defence‘ is identified with the neccessity of preserving regional systems like the Inter-American one.“, vgl. die instruktiven Ausführungen von Meng, Gewalt für den Frieden, S. 77. 88 So unterbreiteten die USA einen bereits an anderer Stelle besprochenen Vorschlag (siehe oben Kapitel 3 A. III. 2. a), wonach die regionalen Organisationen immer dann autonom handeln durften, wenn eine Aggression verübt wurde und sich der Sicherheitsrat als nicht fähig erwiesen hat, diese zu unterbinden: „The right to take (...) measures for self-defence against armed attack shall also apply to understandings or arrangements like those embodied in the Act of Chapultepec, under which all members or a group of states agree to consider an attack against any one of them as an attack against all of them. The taking of such measures shall be immediately reported to the Security Council and shall not in any way affect the authority and responsibility of the Security Council under this Charter to take at any time such action as it may deem necessary in order to maintain or restore international peace and security.“; vgl. Foreign Relations of the United States, Diplomatic Papers, 1945, Bd. I, S. 685 ff., zitiert bei Russell, A History of the United Nations Charter, S. 698; Hervorhebung und Einklammerung im Zitat durch Verfasser. Es ging in dem Vorschlag darum, eine Privilegierung regionaler Abkommen zu verhindern und deren Gleichlauf mit der Selbstverteidigungsbefugnis zu erreichen. Bestrebungen, Verteidigungshandlungen aufgrund regionaler Abkommen der Kontrolle des Sicherheitsrates zu entziehen, wurde entgegengetreten. Die Selbstverteidigungsbefugnis richtete sich also nicht nach dem Inhalt der regionalen Abkommen, sondern umgekehrt war die Unterwerfung letzterer unter die Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts beabsichtigt. Der
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Selbstverteidigung jedoch schon deshalb nicht verbunden, weil es Bestandteil einer jeden individuellen Selbstverteidigung ist, Hilfe Dritter zu erbitten und kollektive Maßnahmen in Anspruch zu nehmen. Dem Einwand, dass der kollektiven Selbstverteidigung ein erhöhtes Gefährdungs- oder Missbrauchspotential innewohnt, ist entgegenzuhalten, dass auch diese Form der Verteidigung denselben Schranken (insbesondere der Erforderlichkeit der Abwehrhandlung) unterworfen ist wie die individuelle Selbstverteidigung. Mit anderen Worten: Die kollektive Verteidigung darf nicht zur unverhältnismäßigen Gegengewalt führen; jedoch stellt die gemeinschaftliche Selbstverteidigung keineswegs notwendig eine unverhältnismäßige Verteidigung dar oder birgt die erhöhte Gefahr einer solchen in sich. Nach alledem erscheint die Vermutung nahe liegend, dass der Zusicherung eines ohnehin bestehenden kollektiven Selbstverteidigungsrechts eine Beschwichtigungstaktik zugrunde lag. Im Kern musste den Verteidigungsbündnissen verdeutlicht werden, dass ihnen nicht die Rolle eines regionalen Sicherheitsrates zukommen sollte. Hingegen wurde das ohnehin anerkannte Selbstverteidigungsrecht weder in seiner individuellen noch in seiner kollektiven Komponente durch die Anerkennung regionaler Verteidigungsbündnisse begrenzt. Schließlich spricht drittens gegen die Annahme, der Genese lasse sich eine Beschränkung des Begriffs „bewaffneter Angriff“ auf staatliches Verhalten entnehmen, die Tatsache, dass die Beistandsverpflichtungen der genannten Verteidigungsbündnisse gleichermaßen gegen private Angriffe ausgerichtet sind. Der Pakt von Chapultepec 89 enthielt bereits im Zeitpunkt der Erarbeitung der Satzung Pflichten zur Beistandsleistung bei nichtstaatlichen Gewalttaten. In seiner Beistands-Deklaration verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten zwar ausdrücklich zu Beistandsleistungen bei staatlichen Aggressionen 90, jedoch geht aus der „Declaration on reciprocal assistance and American solidarity by the governments represented at the inter-American conference on war and peace“ und aus den so genannten „Recommendations“ hervor, dass sich die Beistandspflichten nicht auf diesen Fall der als am schwerwiegendsten empfundenen Bedrohung beschränken. So heißt es unter Bezugnahme auf die Deklaration von Lima von 1938 unter 5. (I): „The American States have been incorporating in their international law (...) the follwoing principles: (...) That in case the peace, security or territorial integrity of any American reUS-amerikanische Vorschlag stieß zudem auf Ablehnung Großbritanniens und der UdSSR, die immer noch eine zu starke Abkopplung der regionalen Bündnisse von der universellen Sicherheitskonzeption befürchteten, so dass ein darauf folgender britischer Vorschlag die Bezugnahme auf den Pakt von Chapultepec ersatzlos strich und die Zustimmung der UdSSR unter der Bedingung fand, dass der provisorische Charakter des Selbstverteidigungsrechts unterstrichen werde. 89 Text in AJIL 39 (1945) Supplement, S. 108 ff. 90 So heißt es unter Third: „That every attack of a state against the integrity or the inviolability of territory, or against the sovereignity or political independence of an American state, shall (...) be considered as an act of aggression against the other states which sign this declaration. In any case, invasion by armed forces of one state into the territory of another (...) shall constitute an act of aggression.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 7*
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
public is threatened by acts of any nature that may impair them, they proclaim their common concern and their determination to make effective their solidarity (...).“
Zusammenfassend heißt es unter Punkt 6 sodann, dass die Befolgung aller dieser Prinzipien der Friedenswahrung dient 91. Damit wird bereits im Pakt von Chapultepec ein Zusammenhang von Friedenswahrung und Solidarität bei Bedrohungen gleich welcher Natur hergestellt, so dass sich die Beistandspflicht keineswegs auf den Fall staatlicher Aggression beschränkt. Zu demselben Ergebnis gelangt man durch eine genauere Analyse des Vertrags über die Gründung der Arabischen Liga 92: Auch in diesem Abkommen wird zunächst eine Beistandsverpflichtung für den Fall einer staatlichen Aggression ausgesprochen 93. Hierin erschöpft sich der Pakt aber nicht, sondern statuiert in Art. 5 eine Beistandspflicht des Rates in Situationen, die möglicherweise zu einem Krieg zwischen den Mitgliedern oder mit einem Drittstaat führen können 94. Zu solchen nichtkriegerischen Situationen zählten – wie oben dargelegt – klassischerweise private grenzüberschreitende Übergriffe. Damit greift das kollektive Beistandssystem, wenn auch in abgemilderter Form („good offices for the settlement of all differences“), ebenfalls bei Vorliegen privater Angriffe. Nicht zufällig weisen die Bündnisverträge einen Mangel an Präzision auf, sollen sie doch im Kern nur den Rahmen koordinierter Verteidigung schaffen. Eine inhaltliche Festlegung der Unterzeichnerstaaten auf kollektive Verteidigung gegen nur bestimmte Formen bewaffneter Bedrohungen war gerade nicht intendiert, sondern im Gegenteil die Offenheit für eine dynamische, am Bündniszweck orientierte Vertragsentwicklung. Selbst bei der Annahme, die Satzung hätte sich bei der Statuierung des kollektiven Selbstverteidigungsrechts inhaltlich an die Reichweite der regionalen Verteidigungsbündnisses angelehnt, und selbst wenn diese Verträge auf die Abwehr staatlichen Handelns beschränkt gewesen wären (beides konnte widerlegt werden), müsste bei der Auslegung der Satzung die veränderte Praxis der Bündnisstaaten Berücksichtigung finden. Ohne auf methodische Feinheiten und die Staatenpraxis näher eingehen zu wollen (beides ist einem gesonderten Abschnitt dieser Untersuchung vorbehalten 95), hat sich nach den Anschlägen auf die USA am 11. September 2001 die deutliche Bereitschaft der NATO-Staaten und der OAS-Staaten gezeigt, ihr Bei91 „The furtherance of these principles, which the American States have practiced in order to secure peace and solidarity between the nations of the continents, constitutes an effective means of contributing to the general system of world security and of facilitating its establishment.“. 92 Abgedruckt in AJIL 39 (1945) Supplement, S. 266. 93 In Art. 6 heißt es: „In case of aggression or threat of aggression by a state against a member state, the state which has been attacked or threatened with aggression may demand the immediate convocation of the Council.“. 94 In Art. 5 S. 4 heißt es: „The Council may lend its good offices for the settlement of all differences which threaten to lead to war between two member states, or a member state and a third state, with a view to bringing about their reconciliation.“. 95 Ausführlich unter Kapitel 3 C. und D.
A. Art. 51 SVN hinsichtlich der Staatlichkeit bewaffneter Angriffe
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standssystem auch bei Angriffen nichtstaatlicher Subjekte zu aktivieren 96. Eine derartige Staatenpraxis wäre für die Auslegung der Satzung von entscheidender Bedeutung, hätte sich die Satzung inhaltlich an den regionalen Bündnisverpflichtungen orientieren wollen. Ein derartiges dynamisches und bündnisvertragsakzessorisches Satzungsverständnis drängte sich insbesondere auch deshalb auf, weil durch das kollektive Selbstverteidigungsrecht „any regional arrangement which might be established in the future“ anerkannt werden sollte 97. Demnach müsste – unterstellt, die Satzung wollte sich tatsächlich an den Beistandsverpflichtungen der Bündnisverträge orientieren – bei dem heutigen Entwicklungsstand der Bündnisverpflichtungen der Begriff des bewaffneten Angriffs in einem auch private Handlungen einbeziehenden Sinn verstanden werden.
IV. Ergebnis der Textauslegung zur Frage des Staatlichkeitserfordernisses in Art. 51 SVN Zweck der vorangegangenen Ausführungen war es zu zeigen, dass nach der Untersuchung aller nach der Regelung des Art. 31 WVK für die Textauslegung relevanten Gesichtspunkte der Begriff „bewaffneter Angriff“ in Art. 51 SVN auch private Handlungen umfasst und nicht die Staatlichkeit oder die staatliche Zurechenbarkeit der Handlungen voraussetzt. Weder lassen sich aus dem Wortlaut noch aus der Systematik Argumente finden, private Handlungen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift auszuklammern, vielmehr spricht die Offenheit des Wortlauts für deren Einbeziehung. Ebenso wie der Wortlaut legen die Ziele und der Zweck des in Art.51 SVN verankerten Selbstverteidigungsrechts eine auch private Handlungen einbeziehende Auslegung der Vorschrift nahe. Die gemäß Art. 32 WVK ergänzend herangezogenen historischen und teleologischen Auslegungsgesichtspunkte vermögen diesen Befund nicht zu erschüttern, die historische Auslegung bestätigt ihn sogar. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein beriefen sich die Staaten vornehmlich in Friedenszeiten auf ein Recht zur Selbstverteidigung, wohingegen der Eintritt in den Krieg keiner Rechtfertigung bedurfte. Deshalb gehörte gerade die hier besprochene Abwehr privater Gewalt zum genuinen Anwendungsbereich des Selbstverteidigungsrechts. Durch die Illegalisierung des Krieges (im technischen Sinne) zunächst durch die Völkerbundsatzung, später durch den Briand-Kellogg-Pakt wurden der Bestand und der Umfang dieses Rechts nicht tangiert.
96 Vgl. die Erklärung der OAS-Staaten vom 21.9.2001, OEA/Ser.F/II.24,RC.24/RES.1/01, und die Erklärung des NATO-Rates vom 12.9.2001, abgedruckt in ILM 40 (2001), S. 1267. 97 So neben anderen Wortmeldungen der kubanische Vertreter im Komitee III/4, UNCOIO XII, S. 681.
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
B. Textauslegung hinsichtlich der Befugnis, die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaates zu beeinträchtigen: Zur Frage der Duldungspflicht von Selbstverteidigungsmaßnahmen Nachdem festgestellt werden konnte, dass Art. 51 SVN zur Aktivierung des Selbstverteidigungsrechts keinen staatlichen bewaffneten Angriff voraussetzt, ist nunmehr die Folgefrage zu klären, ob und gegebenenfalls unter welchen zusätzlichen Voraussetzungen hiermit gleichzeitig die Befugnis zu grenzüberschreitenden Verteidigungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Aufenthaltsstaats der privaten Angreifer verbunden ist. Das Meinungsbild in der völkerrechtlichen Literatur zu dieser Frage ist vielfältig. Von denjenigen, die eine solche Befugnis nicht von vornherein mangels staatlicher Zurechenbarkeit der privaten Angriffe ablehnen 98, verlangen einige Stimmen zumindest den Nachweis einer staatlichen Verantwortlichkeit in Bezug auf die Angriffe 99. Die überwiegende Anzahl derjenigen Autoren, die auch private Angriffe unter Art. 51 SVN subsumieren, gesteht dem Verteidigerstaat die Befugnis zu grenzüberschreitender Gegengewalt hingegen ohne Weiteres zu 100. Ob im Sinne der letztgenannten Extremposition aus dem Fehlen des Staatlichkeitserfordernisses in Art. 51 SVN zwingend die Befugnis folgt, in die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaates der Privaten (oder eines anderen Drittstaates) eingreifen zu dürfen, erscheint fraglich, wenngleich eine Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe Privater ohne Eingriffe in die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaates kaum durchführbar ist. Zwangsläufig führt Gewaltanwendung gegen die privaten Angreifer zu „kollateralen“ Beeinträchtigungen der Gebietshoheit des Aufenthaltsstaates. Insoweit wird in dessen territoriale Rechte eingegriffen, ohne dass dieser selbst Angreifer ist. Die Interessenkollision kann indes nicht durch den einseitigen Vorrang des Selbstverteidigungsrechts aufgelöst werden, denn der Drittstaat ist mangels Zurechenbarkeit an der bewaffneten Auseinandersetzung unbeteiligt. Ihm wird insoweit eine Pflicht abverlangt, die Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen die Angreifer auf seinem Hoheitsgebiet zu dulden. Die gegen die terroristischen Angreifer gerichtete Notwehrmaßnahme stellt gleichzeitig eine Notstandshandlung gegenüber dem Aufenthaltsstaat dar. Die dem Aufenthaltsstaat auferlegte Duldungspflicht bedarf einer gesonderten normativen Begründung. Im folgenden Abschnitt wird der Versuch unternommen, die Duldungspflicht rechtsdogmatisch als Korrelat der staatlichen Souveränität herzuleiten und darzulegen, dass Art. 51 SVN selbst die Befugnis zu Notstandsmaßnahmen enthält. Ob dabei der GesichtsHierzu siehe oben die ausführliche Auseinandersetzung in Kapitel 2. B. und Kapitel 3. A. Combacau in: Cassese, The Current Legal Regulation of the Use of Force, S. 9 (26); Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 268 ff. 100 Frowein, ZaöRV 62 (2002), S.879 (887); Krajewski, AVR 40 (2002), S.183 (197 f.); Bruha, AVR 40 (2002), S. 383 (393); Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 183 (213); Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, S. 192 ff. 98 99
B. Zur Frage der Duldungspflicht von Selbstverteidigungsmaßnahmen
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punkt eine Rolle spielt, in welchem Maß den Aufenthaltsstaat eine Verantwortlichkeit trifft, wird ebenfalls zu untersuchen sein.
I. Die rechtsdogmatische Begründung von Duldungspflichten: Souveränitäts- und Rechtsbegrenzung durch Abwägung In verschiedenen Bereichen des Völkerrechts ist anerkannt, dass die Herrschaftsmacht der Staaten nicht schrankenlos ist und der Ausübung ihrer Souveränitätsrechte Grenzen gesetzt sind: Die Souveränität des einen Staates findet ihre Schranke an der Souveränität des anderen 101. Die Souveränitätsbegrenzung ist auf den koordinationsrechtlichen Charakter des Völkerrechts und die vergleichbare Kollisionslage bei den Rechten Privater zurückzuführen. Aufgabe der Kooperationsvölkerrechtsordnung ist daher, die bestehenden Rechtskollisionen in Einklang zu bringen. Dass die Ausübung eines Rechts nicht zwangsläufig rechtmäßig ist, hat die völkerrechtliche Praxis in verschiedenen Bereichen erkannt und rechtlichen Regelungen zugeführt. So gilt im Umweltvölkerrecht das Prinzip „sic utere tuo ut alienum non laedas“ 102. Im Internationalen Wasserrecht ist anerkannt, dass die Befugnis des Oberliegers, das auf seinem Gebiet befindliche Wasser zu nutzen, am Interesse des Unterliegers an der Integrität des Wasserlaufs eine Grenze findet 103. Im Internationalen Wirtschaftsrecht finden sich Ansätze zur Lösung einer Rechtskollision, die auf zwischenstaatliche Kooperation durch formalisierte Verfahren setzen 104. Die aus vielen nationalen Rechtsordnungen bekannte Theorie des Rechtsmissbrauchs, das Schädigungsverbot und das Abwägungsgebot sind ebenfalls Mechanismen, die widerstreitenden Souveränitätsinteressen in Einklang zu bringen 105. In der Konstellation grenzübergreifender privater Gewaltakte trifft man ebenfalls auf die Problematik widerstreitender Rechte. Der Anspruch des angegriffenen Staates auf Abwehr (Ausübung der äußeren Souveränität) kollidiert mit dem Anspruch des die Abwehrmaßnahme duldenden Staates auf die Regelung seiner inneren Angelegenheiten (Ausübung der inneren Souveränität); beide können sich zudem auf die Unverletzlichkeit ihrer Gebietshoheit berufen. Notwendiges Korrelat des Unver101 Doehring, Völkerrecht, Rn. 122; Dicke, Die Intervention mit wirtschaftlichen Mitteln im Völkerrecht, S. 53; Bleckmann, AVR 23 (1985), S. 450 (466 f.). 102 Dieser Grundsatz, der zu den meistzitierten des internationalen Umweltrechts gehört, besagt, dass kein Staat seine Rechte so gebrauchen soll, dass einem anderen Staat Schaden entsteht. Ausführlich Hinds, AVR 30 (1992), S. 298 ff. Kritisch Heintschel v. Heinegg in: Ipsen (Hsrg.), Völkerrecht, § 58 Rn. 28. 103 Der soweit ersichtlich erste Fall, in dem dieses Gebot Eingang in das Völkerrecht fand, war der Rio Grande Fall: US-amerikanische Farmer leiteten aus dem Grenzfluss Rio Grande Wasser zu Lasten Mexikos ab. Hierzu Bleckmann, AVR 23 (1985), S. 450 (467); Graf Vitzthum in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Abschn. Rn. 103 ff. 104 Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsverbot, S. 33. 105 Instruktiv Kokott in: FS Bernhardt, S. 135 ff.
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
sehrtheitsanspruchs der Staaten ist die Pflicht, die Souveränität in dem Maße auszuüben, dass Schädigungen anderer Staaten ausgeschlossen sind. Mit anderen Worten folgt aus dem Anspruch auf territoriale Unversehrtheit die Pflicht des Dulderstaates, von seinem Gebiet ausgehende Gefahren zu verhindern 106. Verstärkt wird diese Pflicht durch die zunehmende internationale Vernetzung privater Gewaltgruppen und die daraus folgende gegenseitige Abhängigkeit der Staaten bei der Bekämpfung dieser Phänomene. Die Pflicht, vom eigenen Territorium ausgehende bewaffnete Angriffe zu verhindern, wirkt daher modifizierend auf den eigenen Souveränitätsanspruch (in Form des Anspruches auf territoriale Unverletzlichkeit) zurück. Ob sich die in anderen Bereichen des Völkerrechts bekannten Mechanismen der Interessenauflösung auf die hier behandelten Konstellationen übertragen lassen, bedarf näherer Untersuchung. Bevor die Tragfähigkeit dieser Mechanismen, beispielsweise die im Internationalen Wirtschaftsrecht angewandte Interessenauflösung im Wege eines Kooperationsverfahrens, für den Bereich des Gewaltverbots untersucht wird 107, muss dargelegt werden, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Interessenabwägung im Bereich des Gewaltverbots zulässig ist und Art. 51 SVN Notstandsbefugnisse verleiht.
II. Abwägung und satzungsrechtliches Gewaltverbot 1. These der Unabwägbarkeit im Bereich des Gewaltverbots Nach der unmissverständlichen Anordnung des Art. 2 Ziff. 4 SVN steht die Unverletzlichkeit der territorialen Integrität selbst dann nicht zur Disposition, wenn noch so wichtige Interessen eines anderen Staates auf dem Spiel stehen. Vielfach wird zur Untermauerung der jus cogens-Charakter des Gewaltverbots beschworen 108, der eine Durchbrechung außerhalb der in der Satzung genannten Ausnahmebestimmung schlechterdings delegitimiere. An Versuchen, die strenge Anordnung des Art. 2 Ziff. 4 SVN durch die Kreierung ungeschriebener Verbotsausnahmen zu umgehen, hat es nicht gefehlt. Den Gedanken einer Güterabwägung im Rahmen eines ungeschriebenen Notstandsrechts verfolgt eine heute überwiegend noch im anglo-amerikanischen Schrifttum anzutreffende und im Folgenden als „ungeschriebene Notstandskonzeption“ zu bezeichnende These, wonach durch die Regelung des Art. 51 SVN („das naturgegebene Recht“) der gewohnheitsrechtliche Gehalt des Selbstverteidigungsrechts in die Satzung 106 Zur dogmatischen Ableitung des Abwägungsgebots aus dem Souveränitätsprinzip Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsgebot, S. 155 ff. 107 Für den Bereich des internationalen Wirtschaftsrechts Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsgebot, S. 35. 108 Voigtländer, Notwehrrecht und kollektive Verantwortung, S. 20.
B. Zur Frage der Duldungspflicht von Selbstverteidigungsmaßnahmen
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übernommen und durch diese nicht angetastet werden sollte109. Hiernach ließen sich staatliche Duldungspflichten bequem anhand eines gewohnheitsrechtlich vage begründeten Notstandsrechts herleiten. Dass sich dieser Ansatz nicht durchgesetzt hat, verwundert nicht, birgt doch eine nur vagen und zudem ungeschriebenen Regeln folgende Güterabwägung das Risiko unberechenbarer Aufweichung des ohnehin schwerlich vollstreckbaren Gewaltverbots. Ihm steht zurecht das Verständnis der ganz herrschenden Völkerrechtswissenschaft und der Staatenpraxis entgegen, wonach Art. 51 SVN mit dem Ziel, die Gewaltanwendung in den internationalen Beziehungen umfassend zu unterbinden, als einzige Ausnahme nur im Falle eines bewaffneten Angriffs das Gewaltverbot durchbricht 110. Gleichwohl darf von der zutreffenden Zurückweisung einer „ungeschriebenen Notstandskonzeption“ nicht auf ein generelles Abwägungsverbot im Rahmen des Art. 2 Ziff. 4 SVN geschlossen werden. Der zwingende Charakter einer Norm vermag nicht die Unabwägbarkeit der durch sie geschützten Rechtspositionen zu begründen 111. Die Zulässigkeit der Abwägung konfligierender Territorialitätsbelange im Rahmen des Gewaltverbots hängt vielmehr davon ab, ob Art. 51 SVN eine solche Abwägung ermöglicht. 2. Satzungsimmanentes Abwägungsgebot in Art. 51 SVN Die Möglichkeit der Interessenabwägung wäre auf jeden Fall eröffnet, wenn Art. 51 SVN im Sinne einer „geschriebenen Notstandskonzeption“ ausgelegt werden könnte, also bereits das Vorliegen einer bewaffneten, vom Territorium des beeinträchtigten Staates ausgehenden Gefahr für die Aktivierung des Selbstverteidigungsrechts genügte, ohne dass es insoweit auf das Handeln dieses unbeteiligten Drittstaates ankäme (unter a.). Jedoch lässt der Wortlaut des Art. 51 SVN selbst auf dem Boden der „Notwehrkonzeption“ eine Abwägung der Interessen des Drittstaates zu (unter b.). Schließlich werden die für eine „geschriebene Notstands-“ und „Notwehrkonzeption“ gleichermaßen geltenden teleologischen (unter c.) und historischen (unter d.) Gesichtspunkte zugunsten einer Abwägungslösung dargestellt. 109 Bowett, Self-Defence in International Law, S. 182 ff.; Franzke ÖZÖR 16 (1966), S. 146 ff.; Schachter, IYHR 1989, S. 209 (225); Doehring, Völkerrecht, Rn. 322 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rn. 23 f.; Epiney, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten für rechtswidriges Verhalten im Zusammenhang mit Aktionen Privater, S. 263. 110 Siehe bereits oben Kapitel 1 B. I. 111 So setzte sich beispielsweise zunehmend die Einsicht durch, dass aufgrund der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit das Recht auf Selbstbestimmung der Völker nicht grundsätzlich hinter den territorialen Belangen des Staates zurücktritt. In rechtspolitischer Sicht Boutros-Ghali, An Agenda for Peace, S. 10 (§ 19), der dazu auffordert, territoriale Integrität und Selbstbestimmungsrecht in einen schonenden Ausgleich zu bringen. Vgl. weiter die rechtlichen Untersuchungen von Brunner, Nationalitätenprobleme und Minderheitenkonflikte in Osteuropa, S. 152 f.; Hönig, Der Kaschmirkonflikt und das Recht auf Selbstbestimmung, S. 215. Das Dogma von der generellen Unabwägbarkeit der territorialen Unversehrtheit ist also auch in anderen Bereichen des Völkerrechts längst überwunden.
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
a) Begründung von Duldungspflichten nach der „geschriebenen Notstandskonzeption“ Die Bestimmung der normativen Zielrichtung von Art. 51 SVN bereitet noch immer große Schwierigkeiten und umso stärker verwundert die Selbstverständlichkeit, mit der große Teile der völkerrechtlichen Literatur das satzungsrechtliche Selbstverteidigungsrecht inhaltlich dem aus den nationalen Rechtsordnungen bekannten Notwehrrecht gleichsetzen und dem Notstandsrecht gegenüberstellen. So wird gegen eine auch private Handlungen einbeziehende Auslegung des Art. 51 SVN vorgebracht, dass diese Vorschrift nur die Abwehr eines Angriffs erlaube, der durch das Opfer der Abwehrmaßnahme selbst verursacht worden ist 112. Zur Aktivierung des Selbstverteidigungsrechts genüge nicht das Vorliegen einer bewaffneten Gefahr, sondern: „Hinzukommen muss – im Unterschied zum Notstand – die aus dem Unrechtscharakter des eigenen Verhaltens resultierende Schwächung der Rechtsposition des zur Duldung der auf seinem Territorium durchgeführten Selbstverteidigungsmaßnahme verpflichteten Staates.“ 113
Eine derart strenge Dichotomie von Notwehr und Notstand, wie sie dem deutschen Recht 114 zugrunde liegt, ist dem Völkerrecht jedoch nicht bekannt 115. Bereits an anderer Stelle wurde die Möglichkeit angedeutet, ein geschriebenes Notstandsrecht auf dem Boden des Art. 51 SVN zu begründen 116. Wenngleich nicht auf Art. 51 SVN gegründet, wird die Existenz eines Notstandsrechts bezeichnenderweise im jüngsten Entwurfs der ILC zur Staatenverantwortlichkeit (dort in Art. 25 Abs. 1) grundsätzlich anerkannt 117. Hinsichtlich der Zulässigkeit nicht in Konfor112 Ago, YILC 1980 II/1, S. 13 (15 und 55); Bowett, Self-Defence in International Law, S. 9; Genoni, Die Notwehr im Völkerrecht, S. 45. 113 So formuliert Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 213 prägnant die als herrschende Meinung wiedergegebene Position, mit Verweis auf Ago, YILC 1980 II 1, S. 13 (53 f. par. 83). Ähnlich auch Genoni, Die Notwehr im Völkerrecht, S. 83; Blumenwitz, ZRP 2002, S. 102 (104). 114 Zum Beispiel rechtfertigt § 32 StGB eine Handlung, die begangen wurde, um einen rechtswidrigen, gegenwärtigen und unmittelbaren Angriff abzuwehren. Wird in Rechte unbeteiligter Dritter eingegriffen, so richtet sich die Rechtmäßigkeit dieser Handlung nach den Vorschriften der §§ 34 StGB, 228 und 906 BGB und zwar unabhängig davon, ob im Zuge einer Notwehrhandlung in diese Rechte eingegriffen wird. 115 Dinstein, War Aggression, Self-Defence, 2001, S.217 bezeichnet die Unterscheidung als gekünstelt; Coll, ASIL 1987, S. 297 (302). 116 Siehe hierzu ausführlich oben Kapitel 3 A. II. 117 In Art. 25 des ILC-Entwurfs heißt es: „Necessity may not be invoked by a State as a ground for precluding the wrongfulness of an act not in conformity with an international obligation of that State unless the act (a) is the only way for the State to safeguard an essential interest against a grave and imminent peril; and (b) does not seriously impair an essential interest of the State or States towards which the obligation exists, or of the international community as whole.“ Andererseits schließt Art.25 Abs. 2 des Entwurfs die Berufung auf Notstand aus, wenn „(a) the international obligation in question excludes the possibility of invoking necessity; or (b) the State has contributed to the situation of necessity.“ Diese Vorschrift ist in Anlehnung an
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mität mit dem VII. und dem VIII. Kapitel der Satzung durchgeführter militärischer Maßnahmen heißt es dann aber in der Kommentierung nur lapidar, dass diese Frage nicht Gegenstand von Art. 25 des Entwurfs sei 118. Diese Aussage verwundert, da die Kommentierung zu Art. 25 umfangreiche Ausführungen zur Staatspraxis und zu Gerichtsentscheidungen enthält, bei denen das Gewaltverbot verletzt wurde und die handelnden Staaten sich zur Rechtfertigung auf Notstand beriefen119. Die Vorsicht, mit der sich die ILC zu einem Notstandsrecht bekennt, lässt sich gewiss auf die Absicht zurückführen, unter allen Umständen eine Aufwertung ungeschriebener Ausnahmen vom Gewaltverbot zu vermeiden. Unverkennbar tritt aber eine deutliche Präferenz für ein geschriebenes Notstandskonzept zutage, betrüblicherweise ohne dabei die möglichen Konsequenzen für den satzungsrechtlichen Bereich zu erörtern. Freilich regt sich auch im völkerrechtlichen Schrifttum Widerstand gegen die propagierte Notwehrkonzeption, allerdings ohne dabei den Notwehrcharakter des Art. 51 SVN als solchen in Frage zu stellen 120. Die Befürworter einer weiten, auch private Gewaltakte einbeziehenden Auslegung des Art. 51 SVN berufen sich im Wesentlichen auf das der Selbstverteidigungsbefugnis zugrunde liegende Schutzprinzip, wonach der Schutz des Staates die Gewaltanwendung gegen Private rechtfertige, gleichgültig inwieweit diese mit einem anderen Staat vernetzt sind 121. Teilweise differenzieren die notstandsfreundlichen Autoren nach der Art der Gefahrenquelle: Eine grenzüberschreitende Verteidigungsbefugnis solle zur Abwehr nicht militäriIGH, Gabcikovo Nagymaros, ICJ Reports 1997, S. 7 par. 51 formuliert worden. Kritisch zur Geltung eines allgemeinen Notstandsgedankens Gattini, Zufall und force majeure im System der Staatenverantwortlichkeit anhand der ILC-Kodifikationsarbeit, S. 110. 118 ILC-Kommentierung, Art. 25 par. 20. 119 ILC-Kommentierung, Art. 25 par. 2 ff. In ihrem Report von 1986 ließ sich die ILC noch wie folgt ein: „It remained to consider the problem of the existence of conduct which, although infringing the territorial sovereignty of a State, need not necessarily be considered as an act of aggression“, vgl. ILC, YILC 1980 II/2, S. 43 par. 23. Die Situation gewaltbereiter nichtstaatlicher bewaffneter Gruppen vor Augen, fragte sich die ILC weiter, ob die Satzung der Vereinten Nationen die Berufung auf Notstand ausschließen wollte, fühlte sich aber nicht berufen, zu dieser Frage Stellung zu beziehen, vgl. YILC 1980 II/2, S. 45 par. 24 (am Ende). 120 Bruha, AVR 40 (2002), S. 383 (390 ff.); Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 183 (213); Tomuschat, EuGRZ 2002, S. 535 (540). Einige Stimmen in der Völkerrechtslehre vertreten einen dem Schutzprinzip ähnlichen Ansatz der „menschenrechtlichen Konkordanz“ des Selbstverteidigungsrechts. Kern des Selbstverteidigungsrechts sei demnach die menschenrechtlich begründete Gewährleistungsverantwortung des Staates für Leib, Leben und Sicherheit seiner Bürger; vgl. Kotzur, AVR 40 (2002), S. 454 (472); ähnlich auch Bruha, AVR 40 (2002), S. 383 (394), der das Notwehrrecht des Staates „genuin aus den Schutzpflichten des Staates für die ihm verantworteten Menschen“ ableitet. 121 Hierzu bereits oben Kapitel 1 B. II. 1.; vgl. Bruha, AVR 40 (2002), S. 383 (390 ff.); Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 183 (213); Tomuschat, EuGRZ 2002, S. 535 (540); Wengler, Das völkerrechtliche Gewaltverbot, S. 13. Wengler stellt allein auf die Quantität der Gewaltanwendung ab, um diese als einen bewaffneten Angriff i.S. d. Art.51 SVN zu qualifizieren und differenziert zwischen einzelnen bewaffneten Operationen und größeren militärischen Operationen. Letzteres solle dann angenommen werden, wenn die Akteure das Ausmaß einer Befreiungsbewegung im Sinne der Genfer Konvention annehmen.
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scher Gefahrenquellen gegeben sein, zur Abwehr bewaffneter hingegen nicht. So wird als notstandsbegründendes Ereignis vielfach ein Großbrand oder eine Naturkatastrophe genannt 122, die den Staat vom Gebiet des Nachbarstaats aus bedroht. In solchen Fällen sollen anders als bei nichtstaatlichen bewaffneten Angriffen grenzüberschreitende Maßnahmen möglich sein 123. Die Unterscheidung zwischen „militärischen“ und „friedlichen“ Gefahrenquellen weist vor dem Hintergrund der conditio sine qua non-Qualität eines bewaffneten Angriffs für die Rechtmäßigkeit grenzüberschreitender Gewaltgegenmaßnahmen durchaus in die richtige Richtung, legt aber gerade die gegenteilige Konsequenz nahe: Unerklärlich bleibt, aus welchen Gründen die Berufung auf Notstand bei „militärischen“ Gefahren ausgeschlossen sein soll, legitimiert doch Art. 51 SVN Abwehrmaßnahmen ausschließlich beim Vorliegen einer solchen Bedrohung. Daher lässt sich eine Notstandsbefugnis allein beim Vorliegen bewaffneter („militärischer“) Gefahren begründen 124, bei andersartigen Gefahren – zumindest auf Grundlage der Satzung der Vereinten Nationen – eindeutig nicht. Für die Auslegung des Begriffs „Selbstverteidigung“ im Sinne einer Notstandsbefugnis sprechen weitere gewichtige Gründe: So gewährt Art. 51 SVN nach allgemeiner Ansicht dem angegriffenen Staat auch in andauernden Konfliktsituationen ein Verteidigungsrecht und setzt – anders als bei einer reinen Notwehrkonzeption zwingend erforderlich – keinen zeitlich unmittelbar vorangegangenen, individuell nachweisbaren Angriff voraus. Andernfalls stünde der Verteidigerstaat innerhalb langwieriger bewaffneter Konflikte schutzlos. Länger andauernde Konflikte gegenseitigen Schlagabtauschs sind in der Konfliktpraxis sogar der Regelfall: Exemplarisch sei der Konflikt zwischen Großbritannien und Argentinien um die Falklandinseln genannt. Nach dem Standpunkt der britischen Regierung bestand das Recht auf Selbstverteidigung gegen Argentinien während der gesamten Verteidigungssituation, so dass Abwehrmaßnahmen auch ohne den Nachweis eines zeitlich unmittelbar vorangegangenen Einzelangriffs auf Art. 51 SVN gestützt wurden 125. Diese Auf122 Brownlie, International Law and the Use of Force by States, S. 376; Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rn. 23 nennt als Beispiel einen unsicheren Kernreaktor; Gattini, Zufall und force majeure im System der Staatenverantwortlichkeit anhand der ILC-Kodifikationsarbeit, S. 101. Ushakov nannte als Beispiel eine Feuerbrunst, die ein Kernkraftwerk auf dem Gebiet des Nachbarstaates bedroht. Bei Untätigkeit oder Verweigerung gemeinsamer Aktionen dürfe nach Ansicht Ushakovs der bedrohte Staat allein handeln, YILC 1980 I, S. 165 par. 34. 123 Nach Ansicht von Gattini, Zufall und force majeure im System der Staatenverantwortlichkeit anhand der ILC-Kodifikationsarbeit, S. 101 stellt sich bei der Bekämpfung einer ökologischen Gefahr auf fremdem Staatsgebiet kein Problem mit der Verträglichkeit solcher Maßnahmen mit dem Gewaltverbot. 124 Siehe die beachtlichen Ausführungen Quentin Baxters, der das Beispiel von Ushakov (Fußn. 122) aufgreift, die rechtliche Legitimation aber in Art. 51 SVN sucht, YILC 1980 I, S. 167 f. Damit weist er in die richtige Richtung, dass Art. 51 SVN auch zu Notstandsmaßnahmen legitimiert. 125 Vgl. folgende Maßnahmen, die allesamt auf Art.51 SVN gestützt werden: Verhängung einer Maritime Exclusion Zone (Begründung Großbritanniens, UN Doc. S/14963), militärische Offensiven (UN Doc. S/15002 und UN Doc. S/15006).
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fassung und die damit verbundene großzügige Auslegung des Begriffs „bewaffneter Angriff“ haben in der völkerrechtlichen Literatur Zustimmung gefunden126. Die Einbeziehung dauerhafter Konfliktsituationen in den Anwendungsbereich des Selbstverteidigungsrechts lässt sich mit einer strengen Notwehrkonzeption nur unter Aufgabe des Erfordernisses eines unmittelbaren Angriffs erklären. Bei einer solchen Konstruktion bleibt vom Charakter des Selbstverteidigungsrechts als unmittelbares Abwehrrecht im Sinne der Notwehrkonzeption allerdings nichts mehr übrig. Die im Ergebnis richtige Zuordnung zeitlich langwieriger Abwehrmaßnahmen unter den Ausnahmetatbestand des Art. 51 SVN lässt sich ohne die Inkaufnahme rechtsdogmatischer Brüche allein anhand der „geschriebenen Notstandskonzeption“ erklären. Mit dem Charakter des Art. 51 SVN als Notwehrnorm wäre zudem die in der Staatenpraxis zu beobachtende Erosion 127 des Unmittelbarkeits- und Gegenwärtigkeitskriteriums nicht vereinbar 128. Die in der Staatengemeinschaft weitgehend kritiklos aufgenommene Militäroperation in Afghanistan im Jahr 2001, bei der die USA und ihre Verbündeten erst einige Wochen nach den Anschlägen zum Gegenschlag ausholten 129, ist nur ein Konfliktbeispiel, welches gegen die Annahme eines strikt (im Sinne einer Notwehrnorm) verstandenen Unmittelbarkeits- und Gegenwärtigkeitserfordernisses in der Staatenpraxis spricht. Noch offensichtlicher treten die dogmatischen Ungereimtheiten eines reinen Notwehrverständnisses von Art. 51 SVN in Situationen zutage, in denen ein Staat einer Mehrzahl von derselben Quelle herrührender Gewaltakte (so genannte accumulation of events oder auch „Nadelstichen“) ausgesetzt ist und sich verteidigen will. Die Grenzziehung zwischen erlaubter Selbstverteidigung und verbotener Vergeltung ist auf dem Boden der „Notwehrkonzeption“ geradezu unmöglich. Zahlreiche Autoren versuchen (unter Hinweis auf die Staatenpraxis im Caroline-Fall) dem angegriffenen Staat durch die Gewährung eines präventiven bzw. präemptiven Notwehrrechts abzuhelfen 130. Hiergegen spricht sich jedoch unzweideutig sowohl die weite französische Sprachfassung („dans le cas où un Membre des Nations Unies est l’object d’une aggression armée“) als auch die insoweit engere englischsprachige Fassung („if an armed attack occurs“) aus, wonach ein bewaffneter Angriff zur 126 Zusammenfassend Randelzhofer, EA 38 (1983), S. 685 ff.; Donner, AVR 33 (1995), S. 168 (203 f.); Voigtländer, Notwehrrecht und kollektive Verantwortung, S. 84. 127 So plastisch Hobe/Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 313. 128 Schindler, BDGV 26 (1986), S. 11 (16); Malanczuk, ZaöRV 43 (1983), S. 705 (759 ff.). Schachter, AJIL 85 (1991), S. 452 (459) weist darauf hin, dass die zeitliche Dauer zwischen dem irakischen Überfall auf Kuwait im Jahr 1990 und der anschließenden kollektiven Verteidigungsoperation in der Geschichte der Vereinten Nationen ohne Beispiel ist. 129 Zu diesem Konfliktfall ausführlich unten Kapitel 3 C. II. 16. 130 Bowett, Self-Defence in International Law, S. 188 ff.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 471, S. 288; Malunczuk, ZaöRV 43 (1983), S. 705 (761); Hailbronner, BDGV 26 (1986), S. 49 (80 f.); Wildhaber in: Schaumann (Hrsg.), Völkerrechtliches Gewaltverbot und Friedenssicherung, S. 147 (153).
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
Aktivierung des Abwehrrechts gegenwärtig stattfinden muss. Da das Recht auf Selbstverteidigung jedoch keinesfalls als Vergeltungswaffe missbraucht werden darf, sondern allein der Verteidigung dient, befindet sich ein durch Private angegriffener Staat in der ausweglosen Situation, bevorstehende Gewalthandlungen aus rechtlichen Gründen nicht abwehren zu dürfen und begangene Gewaltakte aus tatsächlichen Gründen nicht mehr unterbinden zu können. Dem angegriffenen Staat ist die Gewaltquelle oftmals bekannt, nicht aber der Zeitpunkt des Angriffs. Seine Verteidigungsmöglichkeiten wären bei rein formaler Betrachtung erheblich beschnitten, ein Ergebnis, das mit der Schutzrichtung des Art. 51 SVN schlechterdings nicht in Einklang steht. Es verwundert daher nicht, wenn die Staaten für sich ein auf Art. 51 SVN gestütztes Verteidigungsrecht zur Beseitigung der Gefahrenquelle auch dann in Anspruch nehmen, wenn dieses der Verhinderung weiterer bewaffneter Angriffe dient. In diesem Sinne rechtfertigten beispielsweise die USA ihre Verteidigungsschläge in Afghanistan und im Sudan nach den Anschlägen auf die Botschaften im Jahr 1998 131: „These attacks were carried out only after repeated efforts to convince the Government of the Sudan and the Taliban regime in Afghanistan to shut these terrorist activities down and to cease their cooperation with the Bin Laden organization. (...) The United States, therefore, had no choice but to use armed force to prevent these attacks from continuing. In doing so, the United States has acted persuant to the right of self-defence confirmed by Article 51 of the Charter of the United Nations.“ 132
Pakistan rechtfertigte sein militärisches Vorgehen im Kaschmir im Jahr 1948 mit derselben Argumentation und traf dabei in der Sicherheitsratsdebatte allein auf den Protest Indiens 133. Die im Zusammenhang mit der „Kubakrise“ im Jahr 1962 zu Tage getretene Rechtsauffassung der OAS-Staaten lässt sich ebenfalls nur auf dem Boden eines Notstandsverständnisses von Art. 51 SVN erklären, wenn bereits die militärische Bedrohung durch Kuba den Bündnisfall ausgelöst haben soll 134. Dieser Fall ist insoweit bemerkenswert, als weder die OAS-Staaten noch die USA ihre militärische Blockade als Notwehrhandlung bezeichneten, diese aber gleichwohl auf 131 Siehe den Brief der USA an den UN-Sicherheitsrat, UN Doc. S/1998/780; ausführlich zu diesem Konfliktfall siehe unten Kapitel 3 C. II. 12. 132 Einklammerung durch Verfasser. Bemerkenswert ist auch insoweit die Nähe zu der im Caroline-Fall verwendeten Webster-Formel: „leaving no choice of means“. Es spricht daher Einiges dafür, dass die USA bei der Auslegung des Selbstverteidigungsrechts auch insoweit an ihre Praxis im Caroline-Fall anknüpfen. 133 Siehe Konfliktdarstellung bei Harris, Cases and Materials on International Law, S. 914. 134 Rat der OAS, Resolution vom 23.10.1962: „Member states, in accordance with Articles 6 and 8 of the Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance take all measures, individually and collectively, including the use of armed force, which they may deem necessary to ensure that the Government of Cuba cannot continue to receive from the Sino-Soviet powers military material and related supplies which may threaten the peace and security of the Continent and to prevent the missiles in Cuba with offensive capability from ever becoming an active threat to the peace and security of the Continent.“, abgedruckt bei Harris, Cases and Materials on International Law, S. 900.
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Art. 51 SVN stützten 135. In dieselbe Richtung weisen eine beträchtliche Anzahl der im Entstehungsprozess der Aggressionsdefinition und der „Friendly Relations Declaration“ zutage getretenen Ansichten nicht nur westlicher Staaten136, die einschneidende Beschränkungen des Selbstverteidigungsrechts jedenfalls dann nicht hinnehmen wollten, wenn ihnen dadurch die Möglichkeit der Selbstverteidigung gänzlich beschnitten würde 137. Die deutsche Bundesregierung hat sich in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag ebenfalls insoweit zu einem Verständnis des Art. 51 SVN bekannt, wonach das Selbstverteidigungsrecht ihrer Ansicht nach Abwehrmaßnahmen gegen einen unmittelbar bevorstehenden Angriff einschließe, und kann sich dabei auf die von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union erarbeiteten Verteidigungsstrategie stützen 138. Da sowohl antizipatorische Abwehrmaßnahmen als auch Vergeltungsmaßnahmen nach der Satzung der Vereinten Nationen unzulässig sind, ließe sich die Rechtmäßigkeit derartiger Verteidigungshandlungen bei der Deutung des Art. 51 SVN als reine Notwehrvorschrift nicht begründen 139. Auch in so genannten „Nadelstichkonstellationen“ stellt sich die Selbstverteidigungssituation in Wahrheit als eine Dauergefahr dar, die klassischerweise eine Notstands-, keine Notwehrlage herbeiführt. Daher sprechen gewichtige Gründe dafür, dass mit Selbstverteidigung im Sinne des Art. 51 SVN die Abwehr einer bewaffneten Gefahrenquelle gemeint ist und Art. 51 SVN zu Gewaltmaßnahmen auf dem Territorium der Gefahrenquelle (bewaffnete Angreifer) autorisiert 140. b) Begründung von Duldungspflichten nach der Notwehrkonzeption Versteht man das in Art. 51 SVN verbürgte Selbstverteidigungsrecht als ein Notwehrrecht (im Sinne der Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs, wie sie im deutschen Recht bekannt ist), eröffnet Art. 51 SVN gleichwohl Raum für eine InteresSiehe die Ausführungen der USA, abgedruckt in AJIL 57 (1963), S.515. Bruha, Die Definition der Aggression, S. 168; Malanczuk, ZaöRV 43 (1983), S. 705 (762). 137 Vgl. nur die Stellungnahme Ghanas, UN Doc. A/AC.125/SR.88, S. 75 und Australiens, UN Doc. A/AC.125/SR.96, S. 175. 138 BT-Drucks. 15/3181, S. 25. 139 Nach Radke, Der Staatsnotstand im modernen Friedensvölkerrecht, S. 44 kann es sich bei einem unmittelbar bevorstehenden Angriff zwar nur um einen Notstandsfall handeln; die nahe liegende Konsequenz, dass solche Notstandsfälle von Art. 51 SVN miterfasst sein könnten, zieht er indes nicht. 140 Eine gewisse Sympathie für diese Sichtweise lässt auch Kreß, ZaöRV 57 (1997), S. 329 (340 f.) zumindest bei der Unfähigkeit des Aufenthaltsstaats erkennen und begründet diese mit der Relativität des Rechtsbegriffs „Rechtswidrigkeit“, der von Erfolgsunrecht bis Handlungsunrecht reichen könne. Die grundsätzlich gegen eine Notstandslösung vorgebrachten Argumente können indes nicht verfangen, da Kreß von der von ihm nicht begründeten Annahme ausgeht, dass Art. 51 SVN als Notwehrnorm zu verstehen sei. 135 136
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senabwägung zwischen den Schutzbelangen des angegriffenen Staates und den Territorialitätsinteressen des Aufenthaltsstaates. In Art. 51 S. 2 SVN heißt es: „Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen.“ 141
Wenngleich der Wortlaut dies auf den ersten Blick nicht unbedingt nahezulegen scheint, setzt diese Bestimmung eine Befugnis für Maßnahmen „in Ausübung des Selbstverteidigungsrechts“ voraus. Die im Gegensatz zu Art. 51 S. 1 SVN weite Formulierung „in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts“ eröffnet die Möglichkeit, alle untrennbar mit der Selbstverteidigung begangenen Handlungen (in Ausübung der Gewalt gegen den bewaffneten Angreifer) dem Anwendungsbereich des Art. 51 SNV zuzuordnen. Hierunter fällt nicht nur die Selbstverteidigung gegen den Angreifer selbst, sondern darüber hinausgehend die für die Ausübung dieser Maßnahme unabdingbar notwendige Gewalt gegenüber Dritten. Diese Deutung erscheint angesichts der historischen Auslegung des Art. 51 SVN sogar am naheliegendsten: An anderer Stelle wurde ausführlich dargelegt, dass mit der Unterzeichnung der Satzung der Vereinten Nationen zwar das Gewaltverbot umfassend geregelt, an dem historisch gewachsenen Bestand des Selbstverteidigungsrechts (welches das Recht der Staaten, zum Krieg zu schreiten, nicht erfasste, sondern das hauptsächlich in Friedenszeiten zur Anwendung gelangte) hingegen nichts geändert werden sollte. Eine Dreieckskonstellation unter Beteiligung des angegriffenen Staates, der angreifenden Privaten und des die Gegengewaltmaßnahme duldenden Staates gehörte zum genuinen Anwendungsbereich des Selbstverteidigungsrechts und eine solche lag auch dem berühmten Caroline-Fall zugrunde. Nochmals sei an die berühmte Webster-Formel erinnert 142: Diese verlangte einen Beweis für das Vorliegen einer „necessity of self-defence, instant, overwhelming, leaving no choice of means, and no moment of deliberation. It will for it to show, also, that the local authorities of Canada, even supposing the necessity of the moment, authorised them to enter the territories of the United States at all, did nothing unreasonable or execcive; since the act justified by the necessity of self-defence, must be limited by that necessity, and kept clearly within it.“ 143
Zu Unrecht wird der den Konflikt letztlich beendenden Webster-Formel von mancher Seite vorgeworfen, sie lasse eine scharfe begriffliche Trennung zwischen „selfdefence“ und „necessity“ vermissen 144. Das Gegenteil ist der Fall: Die Formel unterscheidet feinsinnig zwischen der Selbstverteidigungshandlung gegenüber den 141 In der englischen Sprachfassung: „Measures taken by Members in the exercise of this right of self-defence shall be immediatly reported to the Security Council (...).“ (Hervorhebung durch Verfasser). 142 Ausführlich zum Caroline-Fall siehe oben Kapitel 3 A. III. 1. a). 143 Hervorhebung durch Verfasser. 144 Genoni, Die Notwehr im Völkerrecht, S. 50; auch Ago ordnet den Caroline-Fall – allerdings ohne Argumente – dem völkerrechtlichen Notstand zu; Steger, Notwehr und Notstand im Völkerrecht, S. 115 ordnet den Caroline-Fall wiederum allein dem Notwehrrecht zu.
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Privaten im ersten Satz („necessity of self-defence“) und der Notstandssituation in Bezug auf die Verletzung der territorialen Integrität der Vereinigten Staaten im dritten Satz („necessity of the moment, authorised them to enter the territories“). Wenn derartige Dreieckskonstellationen den genuinen Anwendungsbereich des Selbstverteidigungsrechts darstellten und dieser Bereich durch die Satzung nicht angetastet werden sollte, veranlasst dies zur Annahme der Existenz einer durch Notstand legitimierten Duldungspflicht des Aufenthaltsstaates selbst unter der Prämisse einer „Notwehrkonzeption“ des Art. 51 SVN. c) Begründung von Duldungspflichten mit Hilfe des Telos von Art. 51 SVN Unabhängig davon, welcher der möglichen Auslegungsvarianten der Vorzug eingeräumt wird, lässt sich die Pflicht von Drittstaaten, nach Abwägung der konfligierenden Interessen Beeinträchtigungen ihrer Territorialhoheit zu dulden, anhand der Zielsetzung des Art. 51 SVN begründen. Daher kann der im Rahmen der Auslegung des Art. 51 SVN aufgezeigte Schutzgedanke des Selbstverteidigungsrechts gleichfalls für die Begründung einer Duldungspflicht des die Privaten „beherbergenden“ Aufenthaltsstaates fruchtbar gemacht werden. Mit dem Schutzgedanken unvereinbar wäre es, den durch Terroristen angegriffenen Staat seiner Verteidigungsmittel vollends zu berauben 145. Eine solche – das Effizienzdefizit des universellen Sicherheitssystems ignorierende – Konsequenz löste die Kollision der widerstreitenden Schutzinteressen einseitig zulasten des angegriffenen Staates auf. Mit der überragenden, ebenso in der historischen und genetischen Entwicklung zutage getretenen als auch durch den IGH hervorgehobenen Schutzfunktion des Art. 51 SVN wäre es unvereinbar, stünden einem Staat gegen Angriffe, die von Territorien nicht deliktsfähiger Entitäten aus verübt werden (etwa vom Gebiet eines failed state), keine Abwehrmöglichkeiten zur Verfügung 146. Neben diesen teleologischen Überlegungen ergibt sich ein weiteres Argument für eine Pflicht zur Duldung grenzüberschreitender Gegengewaltmaßnahmen aus den Beschränkungen des Selbstverteidigungsrechts – dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – selbst. Die Existenz des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 147, seine ius-in-bello-Dimension und seine drittschützende Funktion gegenüber unbeteiligten Staaten wären nicht erklärbar, schlösse Art. 51 SVN von vornherein die Beeinträchtigung Unbeteiligter aus. Doehring, AVR 31 (1993), S. 193 (195 ff.). Diese Problematik wurde bereits oben in Kapitel 3 A. II. erörtert und führte zur Subsumtion privater Handlungen unter den Begriff „bewaffneter Angriff“. 147 Zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, dass, wie oben ausführlich dargelegt, Kapitel 2 B. I. 1., der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach der hier vertretenen Konzeption eine ius ad bellum-Funktion ausschließlich zugunsten unbeteiligter Staaten entfaltet, nicht aber gegenüber dem Angreifer. 145 146
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d) Begründung von Duldungspflichten nach dem durch Art. 51 SVN übernommenen Neutralitätsrecht Ein gewichtiger Teil der völkerrechtlichen Literatur zieht zur Begründung von Duldungspflichten in den hier erörterten Konstellationen die auf den Notstandsgedanken zurückgehenden 148 Kollisionsregeln des tradierten Kriegsvölker- und Neutralitätsrechts in entsprechender Anwendung heran149. Nach dem so genannten Haager Neutralitätsrecht ist ein neutraler Staat verpflichtet, Verletzungen seiner Territorialhoheit zu dulden, wenn er seine Neutralitätspflichten verletzt hat. Das Prinzip der Neutralität hat zum Zweck, Übergriffe von bewaffneten Auseinandersetzungen auf unbeteiligte Territorien zu verhindern, wobei dem Neutralen (etwa im XIII. Haager Abkommen von 1907 über die Rechte und Pflichten der Neutralen im Seekrieg 150 und dem V. Haager Abkommen von 1907 über die Rechte und Pflichten neutraler Mächte und Personen im Falle eines Landkriegs 151) die Pflicht auferlegt wird, sich in bewaffneten Auseinandersetzungen unparteiisch zu verhalten. Insbesondere hat der Neutrale nach Art. 10 des V. Haager Abkommens seine Neutralität vor Verletzungen durch die Konfliktparteien zu verteidigen. Dies beinhaltet zum einen die Pflicht, das eigene Hoheitsgebiet keiner der Parteien eines bewaffneten Kon148 Vgl. nur Gattini, Zufall und force majeure im System der Staatenverantwortlichkeit anhand der ILC-Kodifikationsarbeit, S. 110. 149 Immer wieder genannt werden das völkergewohnheitsrechtlich verankerte Angarienrecht, das in seinem Kern das Recht der kriegsführenden Staaten beinhaltet, im Falle der Kriegsnotwendigkeit neutrale Schiffe in ihrem Hoheitsbereich zu beschlagnahmen und gegen Entschädigung für sich zu verwenden, siehe Harndt, Völkerrechtliche Haftung für die schädlichen Folgen nicht verbotenen Verhaltens, S. 699. Weitere Notstandstatbestände finden sich in der Haager Landkriegsordnung (HLKO), Anlage zum IV. Haager Abkommen, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18.10.1907, RGBl. 1910, S. 107. So wird beispielsweise das Privateigentum der Bevölkerung eines okkupierten Staates durch die Regelung des Art. 46 S. 2 HLKO geschützt, darf aber nach Art.52 HLKO bei Vorliegen einer höheren militärischen Notwendigkeit gegen Entschädigung entzogen werden. In Art. 52 HLKO heißt es: „Naturalleistungen und Dienstleistungen können von Gemeinden oder Einwohnern nur für die Bedürfnisse des Besetzungsheers gefordert werden. Sie müssen im Verhältnis zu den Hilfsquellen des Landes stehen und solcher Art sein, dass sie nicht für die Bevölkerung die Verpflichtung enthalten, an Kriegsunternehmen gegen ihr Vaterland teilzunehmen.“ Umfassend hierzu Harndt, Völkerrechtliche Haftung für die schädlichen Folgen nicht verbotenen Verhaltens, S. 692. Schließlich statuiert Art. 19 des V. Haager Abkommens (Abkommen betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Fall eines Landkriegs), RGBl. 1910, S. 151, eine Duldungspflicht, wonach das aus dem Gebiet eines neutralen Landes herrührende Eisenbahnmaterial von einem Kriegführenden im Rahmen der „gebieterischen Notwendigkeit“ angefordert und benutzt werden darf. In der Vorschrift heißt es: „Das aus dem Gebiet einer neutralen Macht herrührende Eisenbahnmaterial, das entweder dieser Macht oder Gesellschaften oder Privatpersonen gehört und als solches erkennbar ist, darf von einem Kriegführenden nur in dem Fall und in dem Maße, in dem eine gebieterische Notwendigkeit es verlangt, angefordert und benutzt werden. Es muss möglichst bald in das Herkunftsland zurückgesandt werden.“. 150 Abkommen vom 18.10.1907, RGBl. 1910, S. 343. 151 Abkommen vom 18.10.1907, RGBl. 1910, S. 151.
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flikts zur Verfügung zu stellen. Zum anderen darf der Neutrale keine militärische Unterstützung leisten 152. Die Fortgeltung dieser Grundsätze unter der Satzung der Vereinten Nationen wird indessen kontrovers diskutiert. Wegen der Ausschließlichkeit des in Art. 51 SVN niedergelegten Selbstverteidigungsrechts ist die Befugnis für militärische Maßnahmen auf neutralem Territorium richtigerweise nicht im Neutralitätsrecht selbst, sondern in Art. 51 SVN zu finden 153. Die Frage nach der Geltung des Neutralitätsrechts unter der Satzung lässt sich daher allein anhand der Vorschrift des Art. 51 SVN beantworten. aa) Standpunkte in der völkerrechtlichen Literatur Bei der Auseinandersetzung mit den im Schrifttum vertretenen Ansichten verdient das im Juni 1994 in Livorno angenommene Handbuch von San Remo wegen seines Umfangs, der Dauer seiner Ausarbeitung und der Anzahl der daran beteiligten Wissenschaftler und Sachverständigen besondere Beachtung 154. Dieses Handbuch stellt neben einigen Weiterentwicklungen im Wesentlichen das heute geltende Recht der Neutralität in bewaffneten Auseinandersetzungen auf Hoher See dar. Die Pflichten der Neutralen formuliert Ziff. 15 Satz 2 in Teil II Abschnitt I generalklauselartig: „Ein neutraler Staat muss Maßnahmen ergreifen (...), einschließlich der Durchführung von Überwachungsmaßnahmen, soweit ihm die zur Verfügung stehenden Mittel dies gestatten, um die Verletzung seiner Neutralität durch kriegführende Streitkräfte zu unterbinden.“
Die Regelung in Ziffer 17 konkretisiert diese Bestimmung und untersagt „kriegführenden“ Streitkräften, neutrale Gewässer als Zufluchtsort zu benutzen; verbietet demnach neutralen Staaten, kriegführenden Streitkräften neutrales Territorium als Zufluchtsort zur Verfügung zu stellen. Explizit wird eine Duldungspflicht schließlich in Ziffer 22 für den Fall formuliert, dass der neutrale Staat die Verletzung seiner neutralen Gewässer nicht beendet 155. Ipsen in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 72 Rn. 17. Rotter, Die dauernde Neutralität, S. 143 ff.; Moore in: Falk (Hrsg.), Vietnam War and International Law, S. 58 (71 ff.) mit zahlreichen Nachweisen; Pieper, Neutralität von Staaten, S. 19. 154 Abgedruckt in: International Review of the Red Cross 1995, S.595 ff. Das Handbuch von San Remo wurde von einer Gruppe von Rechts- und Marinesachverständigen in den Jahren 1988 bis 1994 nach einer Reihe von Runden Tischen, zu denen das Internationale Institut für Humanitäres Völkerrecht eingeladen hatte, verfasst. Nach den Angaben der Verfasser (vgl. die Einleitung) besteht der Zweck des Handbuchs darin, eine moderne Neuformulierung des in bewaffneten Konflikten auf See anwendbaren Völkerrechts zu liefern. Für die meisten seiner Bestimmungen gilt, dass sie das derzeit geltende Recht formulieren. 155 In der genannten Formulierung des Handbuchs heißt es: „Sollte ein kriegführender Staat die (...) Rechtsordnung für neutrale Gewässer verletzen, ist der neutrale Staat verpflichtet, die 152 153
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Die Anwendung neutralitätsrechtlicher Abwägungsgrundsätze im Rahmen des Art. 51 SVN hat bei zahlreichen Völkerrechtlern Zustimmung gefunden 156. Demgegenüber ist die neutralitätsrechtliche Begründung von Duldungspflichten in anderen Teilen der völkerrechtlichen Literatur sowohl in Konstellationen zwischenstaatlicher Auseinandersetzungen 157 als auch in den hier erörterten Konstellationen auf heftigen Widerstand gestoßen. Bei Anerkennung einer Pflicht des Neutralen, militärische Einsätze des in Selbstverteidigung handelnden Staates auf seinem Territorium zu dulden, so wird vorgebracht, würde dem Neutralen eine Hilfeleistungspflicht gegenüber dem Angegriffenen abverlangt, die wiederum mit seiner Neutralität unvereinbar sei. Dies führte unweigerlich dazu, dass auch der andere Kriegführende unter Hinweis auf die Neutralitätsverletzung die Neutralität nicht mehr zu respektieren brauche und der Unbeteiligte ohne Zutun in die bewaffnete Auseinandersetzung verwickelt werde 158. Diese Argumentation übersieht, dass der Neutrale bereits insoweit in die bewaffneten Auseinandersetzungen verwickelt ist, als sich die nichtstaatlichen Angreifer auf seinem Territorium aufhalten und die Angriffe von dessen Territorium aus verüben. In diesem Augenblick werden die Neutralitätspflichten verletzt, weswegen nicht die Duldungspflicht das Privileg der Neutralität beendet, sondern die zeitlich vorangegangene Verletzung der Neutralität. Die Pflicht, Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen einen Angreifer auf neutralem Territorium zu dulden, wird weiter mit dem Argument abgelehnt, der Aggressor sei mangels eindeutiger Begriffsdefinition und aufgrund tatsächlicher Beweisschwierigkeit nicht oder nur mühsam zu bestimmen 159. Art.51 SVN übertrage allein dem Sicherheitsrat die Zuständigkeit, darüber zu entscheiden, welche Konfliktpartei einen
zur Beendigung der Verletzung notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Beendet der neutrale Staat die Verletzung seiner neutralen Gewässer durch einen kriegführenden Staat nicht, muss der gegnerische kriegführende Staat den neutralen Staat davon in Kenntnis setzen und diesem neutralen Staat eine angemessene Frist setzen, um die Verletzung durch den kriegführenden Staat zu beenden. Stellt die Verletzung der Neutralität des neutralen Staates durch den kriegführenden Staat eine ernste und unmittelbare Bedrohung der Sicherheit des gegnerischen kriegführenden Staates dar und wird die Verletzung nicht beendet, dann darf dieser kriegführende Staat – sofern es keine realistische und rechtzeitige Alternative gibt – die Gewalt anwenden, die unbedingt erforderlich ist, um der durch die Verletzung gegebenen Bedrohung zu begegnen.“ 156 Befürwortend Schindler in: FS Miaja de la Muela, 1979, S. 847 ff.; ders., BDGV 26 (1986), S. 11 (38); Krajewski, AVR 40 (2002), S. 183 (198); Bruha, AVR 40 (2002) S. 383 (408); tendenziell auch Bowett, Self-Defence in International Law, S. 56. 157 Gemeint ist die Frage des klassischen Neutralitätsrechts, ob ein neutraler Staat bei bewaffneten Konflikten zwischen zwei Staaten Verletzungen seiner Gebietshoheit hinnehmen muss. 158 Köpfer, Die Neutralität im Wandel der Erscheinungsformen militärischer Auseinandersetzungen, S. 137 ff.; Pieper, Neutralität von Staaten, S. 403 ff. 159 Köpfer, Die Neutralität im Wandel der Erscheinungsformen militärischer Auseinandersetzungen, S. 137 ff.; Gundermann, Die parteiliche Änderung von Neutralitätsgesetzen nach Kriegsausbruch, S. 256; Pieper, Neutralität von Staaten, S. 306 und S. 403 ff.
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bewaffneten Angriff verübt habe und welche Partei in Selbstverteidigung handele. Da die Staaten in den allermeisten Fällen unterschiedlicher Ansicht darüber seien, welche Partei als Aggressor zu bezeichnen ist, kann von einem Neutralen nicht verlangt werden, einer der beiden Parteien (wenn auch nur passiv) Hilfe zu leisten. Allenfalls lasse sich „theoretisch vertreten“, dass eine Nothilfepflicht dann vorliegen könnte, „wenn allgemeine Übereinstimmung über den Aggressor herrscht.“160 Jedoch wird dieses Szenario für unrealistisch gehalten, weil in einem solchen Fall der Sicherheitsrat ohnehin einen Beschluss herbeiführen werde und es der Anwendung des Art. 51 SVN nicht mehr bedürfe. Es mag dahinstehen, ob diese Argumentation bei zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen überzeugt, unterschätzt sie doch die praktische Relevanz des Art. 51 SVN als Notwehrrecht gerade im Zeitraum bis zur Beschlussfassung durch den Sicherheitsrat. Jedenfalls verfängt die Argumentation nicht in Konstellationen privater bewaffneter Angriffe. Da Private unter keinen Umständen befugt sind, fremdes Staatsterritorium zu verletzen, auch dann nicht, wenn sie vorgeblich in Selbstverteidigung handeln 161, steht in Fällen nichtstaatlicher bewaffneter Angriffe der Angreifer in jedem Fall fest. Insofern bestehen keine Schwierigkeiten, den Urheber eines bewaffneten Angriffs auszumachen. bb) Standpunkt der ILC Eine gewisse Aufwertung hat die Neutralitätslösung durch den ILC-Entwurf erfahren, indem die ILC eine an das Neutralitätsrecht angelehnte Duldungspflicht Unbeteiligter (bei gleichzeitigem Anspruch auf Kompensation) vorsichtig zu bejahen scheint 162. In ihrer Kommentierung zu den Art. 21 f. ihres Entwurfs 163 erkennt sie die Möglichkeit einer Beeinträchtigung unbeteiligter Staaten durch Selbstverteidigungsmaßnahmen. Mit Hinweis auf das Neutralitätsrecht führt die ILC aus: „But there may be affects vis-à-vis third States in certain circumstances. (...) The law of neutrality distinguishes between conduct as against a belligerent and conduct as against a neutral. But neutral States are not unaffected by the existence of a state of war. Article 21 leaves open all issues of the effect of action in self-defence vis-à-vis third States.“
Zunächst enthält der zweite Satz die Aussage, dass das in Art. 21 des Entwurfs verbürgte Recht auf Selbstverteidigung weder schädliche Folgen für Dritte legiti160 Gundermann, Die parteiliche Änderung von Neutralitätsgesetzen nach Kriegsausbruch, S. 258. 161 Zur Unhaltbarkeit der Legitimitätsthese siehe bereits oben Einleitung A. 2. b). 162 ILC-Kommentierung, Art. 21 par. 5 und Art. 22 par. 5. 163 Art. 21 des Entwurfs lautet: „The wrongfulness of an act of a State is precluded if an act constitutes a lawful measure of self-defence taken in conformity with the Charter of the United Nations.“ Art. 22 lautet: „The wrongfulness of an act of a State not in conformity with an international obligation towards another State is precluded if and to the extent that the act constitutes a countermeasure taken against the latter State in accordance with chapter II of Part Three.“ (Hervorhebung durch Verfasser).
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miere, noch solche verbiete. Aus dem Grundsatz, dass sich Abwehrmaßnahmen nur gegen den Angreifer selbst richten dürfen, kann also kein generelles Verbot der Beeinträchtigung Dritter geschlossen werden. Ob die ILC mit „affects vis-à-vis third States“ auch Beeinträchtigungen der Gebietshoheit meint und derartige Kollateralschäden unter bestimmten Voraussetzungen als gerechtfertigt ansieht, ist an dieser Stelle der Kommentierung nicht ganz eindeutig, kann aber aufgrund der Ausführungen zu Art. 22 des Entwurfs vermutet werden. Dort werden sowohl der Grundsatz (dass sich Gegenmaßnahmen nur gegen den Angreifer selbst richten dürfen) als auch die Ausnahme der Rechtmäßigkeit von Kollateralbeeinträchtigungen als allgemeines Prinzip bei der Ausübung von Gegenmaßnahmen anerkannt. Die Kommentierung führt unter wörtlicher Zitierung des Schiedsspruchs im Fall „Cysne“ aus 164: „Only reprisals taken against the provoking State are permissible. Admittedly, it can happen that legitimate reprisals taken against an offending State may affect the nationals of an innocent State. But that would be an indirect and unintentional consequence which, in practice, the injured State will always endeavour to avoid or to limit as far as possible. (...) Since it involved the use of armed force, this decision concerned belligerent reprisals rather than countermeasures (...). But the same principle applies to countermeasures (...).“
Die einzelnen Voraussetzungen der Zulässigkeit von Beeinträchtigungen Dritter sind nach Ansicht der ILC im Primärrecht, also in der Satzung und den darin übernommenen neutralitätsrechtlichen Grundsätzen zu suchen165. Die Kommentierung lässt erkennen, dass auch die ILC Kollateralbeeinträchtigungen grundsätzlich billigt, wenngleich nur unter Beachtung der zwingenden Normen des Völkerrechts und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. cc) Zwischenergebnis Die Geltung notstandsverwandter Abwägungsvorschriften ist dem Friedensvölkerrecht seit langem bekannt. Die Konstellationen des klassischen Neutralitätsrechts, in denen eine kriegführende Partei auf das Territorium eines neutralen Staates eindringen durfte, sind den hier behandelten Fällen ähnlich. In beiden Fällen gilt das Territorium des Drittstaates als unverletzlich. Gerade weil die prinzipielle Unverletzlichkeit neutralen Territoriums auch im klassischen Neutralitätsrecht anerkannt war, kann das satzungsrechtliche Gewaltverbot diese Grundsätze nicht vollständig derogiert haben. Die Befugnis zu grenzüberschreitenden Verteidigungsmaßnahmen ist freilich in Art. 51 SVN zu suchen; hinsichtlich der Zulässigkeit von Drittbeeinträchtigungen vermögen die neutralitätsrechtlichen Abwägungsgrundsätze den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu konkretisieren. Eine ungeschriebene Befugnis liefern sie indes nicht. Weite Teile der Literatur und die ILC gehen davon aus, dass Art. 51 SVN Regeln des Neutralitätsrechts übernommen hat und diese im Rah164 165
ILC-Kommentierung, Art. 22 par. 5. ILC-Kommentierung, Art. 21 par. 4.
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men der Interessenabwägung herangezogen werden können. Ob sich die Neutralitätslösung als rechtliche Grundlage für Duldungspflichten etablieren kann, hängt allerdings von deren Akzeptanz in der Staatenpraxis ab 166.
III. Die Grenzen der Duldungspflicht Schließlich stellt sich die Frage nach den räumlichen und zeitlichen Grenzen einer Notstandsmaßnahme sowie nach Einschränkungen von deren Intensität. Im Laufe der Untersuchung ist mehrfach dargelegt worden, welche Bedeutung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zur Beschränkung der Beeinträchtigung Dritter zukommt und dass ihm diese Bedeutung für die Begrenzung der Verteidigungshandlung gegenüber dem Angreifer fehlt. Da in der Konstellation von Verteidigungsmaßnahmen gegen private Angreifer bei gleichzeitiger Inanspruchnahme fremden Hoheitsgebietes in Rechte Unbeteiligter eingegriffen wird, ist eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit somit unerlässlich. Unabhängig von der rechtsdogmatischen Begründung einer Duldungspflicht des Drittstaates auf dem Boden der „geschriebenen Notstandskonzeption“ oder einer „Notwehrkonzeption“ mit konnexer Notstandsbefugnis ergeben sich weitere wichtige Grenzen der Verteidigungskompetenz aus Art. 51 SVN selbst. Bei der Suche nach den notstandsrechtsimmanenten Beschränkungen der Rechtsausübung stößt man jedoch auf die Schwierigkeit, dass der Abwägungsmaßstab je nach Fallgruppe des Notstands – aggressiver oder defensiver Notstand – variiert. Während etwa im deutschen Zivilrecht beim defensiven Notstand der Schaden lediglich nicht außer Verhältnis zu der Gefahr stehen darf, verlangt der aggressive Notstand, dass der drohende Schaden gegenüber dem durch die Notstandshandlung entstehenden Schaden unverhältnismäßig groß sein muss 167. Ob das Völkerrecht eine derartige Differenzierung kennt, ist unklar. Der ILC-Entwurf nimmt eine solche jedenfalls nicht vor 168 und auch aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Völkerrechts lassen sich keine sicheren Abwägungsmaßstäbe herleiten: Zwar kann es als ein allgemeiner Rechtsgrundsatz angesehen werden, dass ein Subjekt Eingriffe in seine Rechtsgüter dulden muss, wenn eine Gefahr für andere (überwiegende) Güter nicht anders abzuwenden ist 169. Jedoch fehlen in einigen Rechtsordnungen Abwägungsregeln gänzlich 170. Im Hierzu sogleich unter Kapitel 3 C. Vgl. §§ 228 S. 1 und 904 S. 1 BGB. 168 Die Kommentierung zu Art. 25 des ILC-Entwurfs nennt allerdings nur Fälle des defensiven Notstands. 169 ILC, YILC 1980 II/2, S.49; Krisch, Selbstverteidigung und kollektive Sicherheit, S.326 f. 170 So im französischen Zivilrecht; das US-amerikanische (Bundes-)Zivilrecht kennt zwar den Notstand als Unrechtsausschlussgrund, stellt indessen keine festen Abwägungsgrundsätze auf. Oftmals fließen rein pragmatische Erwägungen ein. Der Beklagte muss demnach so gehandelt haben, wie ein vernünftiger Mensch in der gleichen Situation gehandelt hätte, vgl. Hay, 166 167
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Übrigen unterscheiden sich die Abwägungsmaßstäbe in den einzelnen Rechtsordnungen erheblich 171 und nur wenige Rechtsordnungen differenzieren zwischen defensivem und aggressivem Notstand 172. Die Begrenzung notstandsrechtlicher Eingriffsbefugnisse ist von zahlreichen weiteren Fragestellungen überlagert. So ist nicht einwandfrei zu bestimmen, in welchen Fällen ein defensiver Notstand vorliegt, von welchem Staatsgebiet also die Gefahr ausgeht 173. Handelt es sich dabei um den Staat, von dessen Territorium die Angriffe ausgegangen sind oder um denjenigen, von dessen Territorium die Angriffe künftig drohen? Ist der gefahrbegründende Umstand die Planungsphase der Angriffe oder geht die Gefahr von dem Ort aus, von dem aus die Angriffe unmittelbar verübt werden? Im erstgenannten Fall ginge von dem Staat die Gefahr aus, der die Kommandozentrale der privaten Aggressoren beherbergt; im zweiten Fall vom unmittelbaren Aktionsgebiet der Terroristen. Da sich sowohl die Auflösung der Planungszentrale als auch die Bekämpfung der privaten Angreifer selbst unmittelbar gefahrvermindernd auswirkt, müsste die Notstandsbefugnis nach Textauslegungsgesichtspunkten gegenüber beiden Territorien eingreifen 174. Die Abwägung wird zudem durch die von normativen Elementen überladenen 175 Notstandsdefinitionen der ILC und des IGH alles andere als erleichtert. Nach AnUS-Amerikanisches Recht, Rn. 322 ff. Das italienische Recht bestimmt in Art. 2045 Code civile nur, dass derjenige, der zur Abwendung eines schweren Personenschadens, den er nicht verursacht hat und auch nicht anderweitig abwenden konnte, nach billigem richterlichen Ermessen ersatzpflichtig ist. 171 So ist nach österreichischem Recht gemäß § 1306 a ABGB eine Notstandshandlung rechtmäßig, wenn das geschützte Interesse wertvoller ist als das verletzte. Nach schweizerischem Zivilrecht ist demgegenüber der Eingriff in fremdes Vermögen nur zulässig, wenn er dazu dient, drohenden Schaden von sich oder einem anderen abzuwenden, wobei die gefährdeten Interessen aber ungleich wichtiger sein müssen als die beeinträchtigten, vgl. Koller in: Guhl (Hrsg.), Das schweizerische Obligationenrecht, § 24 Rn. 31 ff. Im französischen Recht ist der Notstand in Art. 122 § 7 Code pénal geregelt, wonach nur vorausgesetzt wird, dass das geschützte Gut nicht im Missverhältnis zum geschädigten steht und die Gefahr nicht anders abgewendet werden konnte. Das Recht einzelner US-Bundesstaaten kennt eine Notstandsbefugnis, wenn das geschützte Rechtsgut das geschädigte überwiegt und die Gefahr nicht anders abzuwenden ist, vgl. Krisch, Selbstverteidigung und kollektive Sicherheit, S. 324. 172 Für das schweizerische Recht Koller in: Guhl (Hrsg.), Das schweizerische Obligationenrecht, § 24 Rn. 31 ff., der zugleich auf die begriffliche Unterscheidung und auf das Fehlen unterschiedlicher Abwägungsmechanismen hinweist. 173 So stellt sich die Frage, welcher Staat Adressat der Notstandsmaßnahme ist, wenn beispielsweise ein terroristischer Anschlag im Staat A geplant und von dort aus verübt wurde, die Terroristen danach aber in den Staat B abtauchen. 174 Einer ähnlichen Problematik widmet sich Schindler, BDGV 26 (1986), S. 11 (40). Er stellt sich die Frage, ob gegen Unterstützerstaaten privater Aggressoren Selbstverteidigungsmaßnahmen durchgeführt werden könnten, und bejaht dies für den Fall, dass sich auf dem Hoheitsgebiet Ziele befinden, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Angriff stehen. Eine weite räumliche Entfernung sei Indiz gegen einen solchen Zusammenhang. 175 Gattini, Zufall und force majeure im System der Staatenverantwortlichkeit anhand der ILC-Kodifikationsarbeit, S. 95.
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sicht des IGH – dieser hat in seinem Urteil zur Rechtssache Gabcikovo Nagymaros den Notstand erstmals als einen völkergewohnheitsrechtlichen Rechtfertigungsgrund grundsätzlich anerkannt 176 – ist die Berufung auf Notstand unter folgenden Voraussetzungen zulässig: Erstens muss ein wesentliches staatliches Interesse unmittelbar gefährdet sein, um eine Notstandslage herbeizuführen. Die Notstandsmaßnahme muss zweitens das einzige Mittel darstellen, dieses Interesse zu schützen, wobei auf Seiten des Maßnahmeadressaten kein wesentliches Interesse ernsthaft beeinträchtigt sein darf. Drittens ist die Berufung auf Notstand versagt, wenn der in Notstand handelnde Staat zum Entstehen der Notstandslage selbst beigetragen hat 177. So schwierig diese Definition schon im Vertragsrecht zu handhaben ist, im Bereich des Gewaltverbots gewinnt die Konturenlosigkeit des Notstands wegen der Missbrauchsgefahr noch mehr an Schärfe: Für die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts hat das Völkerrecht mit Ausnahme der Webster-Formel im CarolineFall 178 bislang keine Abwägungsmechanismen entwickelt und die Abwägung wird durch die grundsätzliche Gleichwertigkeit der konfligierenden Güter (die territoriale Unversehrtheit beider Staaten) weiter verkompliziert. Wenngleich der IGH mit seinem Verbot einer „ernsthaften“ Beeinträchtigung der Interessen des Dulderstaates in Richtung grundsätzlicher Zulässigkeit einer Abwägung gleichwertiger Interessen weist 179, bleibt unklar, welche Fälle eine solche „ernsthafte Beeinträchti176 IGH, Gabcikovo Nagymaros, ICJ Reports 1997, S. 7 p. 51. In dem zu entscheidenden Sachverhalt stritten Ungarn und die Slowakei um das Schicksal eines Staudammprojekts in der Donau. 1977 war dieses Projekt in einem Rahmenvertrag zwischen Ungarn und der Tschechoslowakei vereinbart worden, jedoch stellte Ungarn 1989 die Arbeiten ein und erklärte 1992 den Rücktritt von dem Vertrag unter Hinweis auf die veränderten technischen Rahmenbedingungen und die Umweltrisiken des Projekts. Ungarn berief sich dabei unter anderem auf Notstand. 177 Art. 25 ILC Entwurf lehnt sich an diese Formulierung an. Nach Art. 25 Abs. 1 ILC ist die Berufung auf Notstand möglich, wenn die Pflichtverletzung die einzige Möglichkeit darstellt, sich gegen eine schlimme und große Gefahr („grave and imminent peril“) zu schützen und kein wesentliches Interesse des anderen Staates ernsthaft gefährdet wird („not seriously impair an essentiell interest“). 178 Die Webster-Formel formulierte folgenden Abwägungsmaßstab: „necessity of self defence, instant, overwhelming, leaving no choice of means, and no moment of deliberation. It will for it to show, also, that the local authorities of Canada, even supposing the necessity of the moment, authorised them to enter the territories of the United States at all, did nothing unreasonable or execcessive; since the act justified by the necessity of self-defence, must be limited by that necessity, and kept clearly within it.“ (siehe oben Kapitel 3 A. III. 1.) Wenngleich diese Formel gerade für die behandelte Konstellation grenzübergreifender Verteidigungsmaßnahmen gegen Private entwickelt wurde und somit Beachtung verdient, ist sie durchsetzt von unbestimmten Begrifflichkeiten, die die grundsätzliche Problematik fehlender Abwägungsmaßstäbe nicht entschärfen. 179 Für diese Sichtweise sprechen auch die Kommentierungen der ILC zu Art.25. Zutreffend daher Gattini, Zufall und force majeure im System der Staatenverantwortlichkeit anhand der ILC-Kodifikationsarbeit, S. 97, der wegen einer fehlenden gemeinsamen Wertehierarchie im Völkerrecht die Berufung auf Notstand auch dann zulassen will, wenn durch die Nottat ein ebenso wesentliches Interesse eines anderen Staates beeinträchtigt wird.
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gung“ darstellen sollen. Selbst die Rechtmäßigkeit des Defensivnotstandes wäre auf dem Boden dieser Definition fraglich, da zum Schutz der territorialen Integrität des eigenen Staates – ein „wesentliches staatliches Interesse“ im Sinne der IGH-Formel – die territoriale Integrität des anderen Staates ebenso „ernsthaft“ beeinträchtigt würde. In die Abwägung müssen daher neben der Gefahr für die territoriale Integrität auch die Gefahren für andere notstandsrelevante Rechtsgüter einfließen, insbesondere die Unversehrtheit seines Personalbestandes (Geht von den privaten Angriffen eine Lebensgefahr für eine Vielzahl von Menschen aus? Kann bei einer Gegenmaßnahme die Gefahr für Unbeteiligte hingegen minimiert werden?) und der Bestand vermögenswerter Positionen (Drohen durch die Gefahren hohe materielle Verluste, bei der Selbstverteidigungsmaßnahme hingegen nicht?). Die „ernsthafte Beeinträchtigung“ der Gebietshoheit des Dulderstaates kann allein bei einer räumlich und zeitlich eng begrenzten Verteidigungsoperation beseitigt werden. Erleichtert wird die Abwägung im Bereich des Gewaltverbots allein insoweit, als durch Art. 51 SVN zumindest der Kreis notstandsbegründender Gefahren („bewaffneter Angriff“) eindeutig festgelegt ist. Die Feststellung der für den Notstand relevanten Interessen war von je her umstritten und öffnete Tür und Tor für staatlichen Missbrauch 180. Die im vertraglichen Bereich immer noch bedeutsame Eingrenzung der notstandsbegründenden Interessen ist aufgrund der Ausschließlichkeit des Art. 51 SVN im Bereich des Gewaltverbots bereits gewährleistet. Schließlich findet sich in der Formel des IGH das ultima ratio-Erfordernis der Notstandshandlung 181. Dieser Gedanke hat in zahlreiche völkerrechtliche Notstandsnormen Eingang gefunden und gehört zum notstandsrechtlichen Kernbestand 182. Zumeist erfährt das Subsidiaritätserfordernis durch die Verpflichtung, Konsultationen durchzuführen, eine verfahrensrechtliche Konkretisierung 183. Gleichwohl lässt es im 180 Hierunter fällt beispielsweise der Einmarsch deutscher Truppen in Belgien und Luxemburg 1914: Deutschland rechtfertigt die Verletzung der territorialen Integrität der Staaten mit einer Notstandssituation, es sollte einer Deutschland angeblich drohenden, aber nicht von Belgien (sondern von Frankreich) ausgehenden Gefahr begegnet werden; vgl. die deutsche Note an den belgischen Außenminister; sie ist abgedruckt bei Niemeyer/Strupp (Hrsg.), Urkunden des Ersten Weltkriegs, Bd. I, S. 590 f. 181 Hierzu allgemein mit Hinweis auf die Staatenpraxis Radke, Der Staatsnotstand im modernen Friedensvölkerrecht, S. 90. 182 ILC-Kommentierung Art. 25 par. 20; Radke, Der Staatsnotstand im modernen Friedensvölkerrecht, S. 90; Gattini, Zufall und force majeure im Recht der Staatenverantwortlichkeit anhand der ILC-Kodifikationsarbeit, S. 98. 183 Abkommen über Maßnahmen auf hoher See bei Ölverschmutzungsfällen, BGBl. 1975 II, S. 137: Nach Art. 1 ist jeder Vertragsstaat berechtigt, alle erforderlichen Maßnahmen auf hoher See zu treffen, um ernste und unmittelbare Gefahren einer Ölverschmutzung von seiner Küste abzuwenden. In Art. III Abs. 1 sieht das Abkommen eine Konsultationspflicht aller betroffenen Staaten und ein obligatorisches Vergleichsverfahren für die Beilegung von Streitigkeit vor. Im Handbuch von San Remo, das überwiegend Völkergewohnheitsrecht auf Hoher See wiedergibt, heißt es im Teil II, Abschnitt I, Ziff. 22: „Beendet der neutrale Staat die Verletzung seiner neutralen Gewässer durch einen kriegführenden Staat nicht, muss der gegnerische kriegführende Staat den neutralen Staat davon in Kenntnis setzen und diesem neutralen Staat eine ange-
B. Zur Frage der Duldungspflicht von Selbstverteidigungsmaßnahmen
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Bereich des Gewaltverbots viele Fragen offen: Im Regelfall impliziert die Subsidiarität des Notstands eine Kooperationspflicht mit dem Aufenthaltsstaat der privaten Angreifer, um diesen zu einer Einwilligung zu grenzüberschreitenden Maßnahmen oder zu eigenem Handeln zu bewegen. Dem Aufenthaltsstaat muss die Möglichkeit gegeben werden, seine innerstaatlichen Aktionsmöglichkeiten auszuschöpfen. Derartige Kooperationspflichten sind in zahlreichen Konventionen zur Bekämpfung des Terrorismus statuiert, wenn etwa der Aufenthaltsstaat zur Auslieferung, Strafverfolgung und Verhinderung bewaffneter Angriffe mit all seinen Mitteln verpflichtet wird 184. Der Umstand, dass die Staaten in ihrer Konventionspraxis bei der Terrorismusbekämpfung gerade die verfahrensrechtlichen Kooperationspflichten aufgreifen, belegt deren Relevanz für die Regulierung staatlicher Befugnisse. Dies deutet darauf hin, dass weniger die materiellrechtliche Konturierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als vielmehr die Etablierung von (gegebenenfalls sanktionsbewehrten) Verfahrensregeln die Staaten bei der Ausübung ihrer Selbstverteidigungsbefugnisse zu begrenzen vermag. Die Erfüllung des Subsidiaritätserfordernisses erschwert dem angegriffenen Staat allerdings die unmittelbare Verteidigung. Daneben zeigen sich mannigfaltige praktische Probleme. So ist nicht eindeutig, ob der angegriffene Staat zur Selbstverteidigung erst schreiten darf, wenn er alle rechtlichen Schritte schon vergeblich unternommen hat oder bereits dann, wenn die Tauglichkeit dieser Schritte ex ante zweifelhaft erscheint. Diese Frage wird in Fällen dringlich, in denen dem Verteidigerstaat für Verhandlungen keine Zeit bleibt oder der Aufenthaltsstaat Verhandlungen verweigert 185. In solchen Konstellationen wäre die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts schlechterdings unmöglich und der Verteidigerstaat wäre seinerseits zur Duldung bewaffneter Angriffe verpflichtet. Ein Kooperationserfordernis verkümmert schließlich zur bloßen Förmelei, wenn ein failed state über gar keine handlungs- und einwilligungsfähigen Organe verfügt oder diese ohnehin nicht in der Lage wären, geeignete Maßnahmen zur Unterbindung bewaffneter Angriffe zu treffen. Gegenüber einem failing state reduziert sich die Kooperationspflicht daher regelmäßig auf eine Informationspflicht; gegenüber einem failed state besteht nicht einmal diese. Als nicht minder problematisch erweist sich ein Konsultationsverfahren gegenüber mutmaßlich verwickelten oder mit Terroristen sympathisierenden Staaten, wenn hiermit die Gefahr verbunden ist, dass der Dulderstaat die Wirksamkeit der Verteidigungsmaßnahme durch vorherige Warnung der Terroristen und Ähnliches vereitelt. Von einer staatlichen Zurechenbarkeit kann mangels „Identifikation“ nicht ausmessene Frist setzen, um die Verletzung durch den kriegführenden Staat zu beenden.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 184 Siehe nur Art. 7 f. des Internationalen Abkommens zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge, Anlage zur Resolution der Generalversammlung 52/164 vom 15.12.1997; Ziff.4 der Resolution des Sicherheitsrates 1269 (1999) vom 19.10.1999. 185 Bei der israelischen Militäraktion in Uganda im Jahr 1976 (Geiselbefreiung in Entebbe) betonte der französische Vertreter in der Sicherheitsratsdebatte, dass die Aktion nicht gegen den ultima-ratio-Grundsatz verstoßen habe, nur weil Israel noch weiter mit den Geiselnehmern und Uganda hätte verhandeln können; hierzu Schröder, JZ 1977, S. 420 (425).
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gegangen werden 186. An ihre Grenzen stößt die IGH-Formel schließlich in Fällen, in denen der Staat rein tatsächlich – etwa durch die Erfüllung bestimmter Forderungen der terroristischen Gruppe (man denke an das Ultimatum der Al Quaida gegenüber den Europäern vom April 2004 187) die Möglichkeit gehabt hätte, bewaffnete Angriffe abzuwenden. Es erschiene absurd, dem angegriffenen Staat in solchen Fällen sein Notstandsrecht zu verwehren, weil er terroristischen Erpressungsversuchen nicht nachgibt. Demnach sollte ein Verstoß der Notstandsmaßnahme gegen das Subsidiaritätserfordernis nur dann angenommen werden, wenn der Aufenthaltsstaat die deutliche Bereitschaft und Fähigkeit zeigt, bei der Gefahrbekämpfung zu kooperieren. Schließlich darf der sich auf Selbstverteidigung berufende Staat nicht durch eigenes Verhalten zur Selbstverteidigungssituation beigetragen haben. An praktischer Relevanz gewinnt die Frage beispielsweise in Konstellationen, in denen der Verteidigerstaat auf das Territorium eines failing state mit der Begründung einrückt, der Aufenthaltsstaat sei nicht in der Lage, die Angriffe zu unterbinden und dabei selbst etwa durch Wirtschaftsembargo, Seeblockade, Flugverbotszone zum Schwund der Herrschaftsgewalt beigetragen hat. Richtigerweise darf die Selbstverteidigungsbefugnis nicht durch vorangegangene rechtmäßige Handlungen eingeschränkt werden. Demnach muss sich ein Verteidigerstaat den Einwand des Mitverschuldens nur entgegenhalten lassen, wenn er durch nicht gerechtfertigte oder unverhältnismäßige Mittel die Notstandslage mit herbeigeführt hat.
IV. Ergebnis der Textauslegung hinsichtlich der Befugnis, die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaats zu beeinträchtigen Gegenstand des vorangegangenen Abschnitts war die Frage, ob ein Staat zur Duldung von gegen terroristische Angreifer gerichteten Verteidigungsmaßnahmen verpflichtet ist. Duldungspflichten und Begrenzungen der eigenen Rechtsausübung werden in einigen Bereichen des Völkerrechts aus einem Abwägungsgebot hergeleitet, welches die Staaten zur Auflösung konfligierender Interessen anhält. Dieses Gebot entspringt dem Souveränitätsanspruch der Staaten und bildet dessen Korrelat. Auf der Grundlage dieser allgemeinen völkerrechtsdogmatischen Überlegung wurde aus Art. 51 SVN eine Pflicht des Aufenthaltsstaates von Terroristen hergeleitet, die gegen die Terroristen gerichteten Selbstverteidigungsmaßnahmen zu dulden. Nach der Textauslegung des Art. 51 SVN sind drei verschiedene Wege gangbar: Nach der „geschriebenen Notstandskonzeption“ handelt es sich bei der Vorschrift des Art. 51 SVN um eine Notstandsnorm, deren Aktivierung allein das Vorliegen einer bewaffneten Gefahr voraussetzt. Bei der Auslegung des Art. 51 SVN Siehe hierzu oben Kapitel 1 B. II. 2. c) aa). Die Al Quaida unterbreitete den europäischen Staaten das Angebot, künftig keine Anschläge in Europa zu verüben, wenn diese ihre Truppen aus dem Irak und Afghanistan abzögen. Siehe www.tagesschau.de (im Archiv). 186 187
C. Die Praxis der Staaten und Internationaler Organisationen
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als Notwehrnorm eröffnet sich die gegenüber dem Aufenthaltsstaat bestehende konnexe Notstandsbefugnis aus der Regelung des Art. 51 S. 2 SVN. Auf die Verantwortlichkeit des Aufenthaltsstaates kommt es für die Aktivierung der Befugnis nach beiden Lösungen nicht an. Schließlich lassen sich Duldungspflichten aus dem durch Art. 51 SVN übernommenen tradierten Neutralitätsrecht herleiten, wenn der Aufenthaltsstaat seine Neutralitätspflicht verletzt hat. Die Aktivierung des grenzüberschreitenden Selbstverteidigungsrechts gegen Private setzt demnach die Verantwortlichkeit des Aufenthaltsstaates voraus, die bereits bei der Duldung der Terroristen gegeben sein soll. Unabhängig von der völkerrechtsdogmatischen Begründung der Duldungspflicht, beschränkt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (der wegen der drittschützenden Wirkung zugunsten unbeteiligter Staaten, die nicht selbst Angreifer sind, auch nach der hier vertretenen Ansicht Anwendung findet) die Ausübung der Selbstverteidigungsbefugnis. Nach der „geschriebenen Notstands“- und nach der Notwehrkonzeption finden daneben die speziellen Schranken des Notstandsrechts Anwendung. Anhand des Textes der Satzung lässt sich nicht ermitteln, ob sich Notstandsmaßnahmen nur gegen den Aufenthaltsstaat selbst (defensiver Notstand) oder auch gegen andere Drittstaaten (aggressiver Notstand) richten dürfen. Die inhaltliche Konturierung der im Völkerrecht anerkannten Notstandsbefugnis stieß zudem auf praktische Schwierigkeiten. Festgehalten werden konnte aber, dass dem Aufenthaltsstaat durch die Selbstverteidigungsmaßnahme keine nennenswerten Verluste in der Zivilbevölkerung und vermögenswerter Güter drohen dürfen bzw. diese im Verhältnis zur abgewendeten, von den Terroristen ausgehenden Gefahr mini mal erscheinen müssen. Der Notstandsmaßnahme müssen zwingend Versuche der Kooperation mit dem Aufenthaltsstaat vorausgehen, damit diesem die Möglichkeit gegeben wird, durch Ausübung seiner inneren Souveränität die Gefahrenquelle zu beseitigen. Diese Pflicht besteht nur nicht gegenüber einem failed state. Der Verteidigerstaat hat seine Notstandsbefugnis verwirkt, wenn er durch vorangegangenes rechtswidriges Verhalten die Notstandslage selbst herbeigeführt hat.
C. Die Praxis der Staaten und Internationaler Organisationen hinsichtlich der Zulässigkeit grenzüberschreitender Selbstverteidigung gegen staatlich nicht zurechenbare Angriffe Gemäß dem methodischen Ansatz dieser Untersuchung soll im Folgenden anhand der Praxis der Staaten und der Organe der Vereinten Nationen gezeigt werden, dass Art. 51 SVN keinen staatlichen bewaffneten Angriff zur Aktivierung des Selbstverteidigungsrechts voraussetzt. Die Praxis ist ferner daraufhin zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen ein durch Private angegriffener Staat zur Anwendung grenzüberschreitender Gegengewalt befugt ist. Zunächst wird die allge-
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meine, konfliktunabhängige Praxis und im Anschluss daran werden die einzelnen Konflikte dargestellt und rechtlich gewürdigt.
I. Allgemeine Staaten- und Organpraxis 1. Die Zulässigkeit grenzüberschreitender Selbstverteidigung nach der „Friendly Relations Declaration“ An anderer Stelle konnte schon gezeigt werden, dass die Absätze 8 und 9 im ersten Prinzip der „Friendly Relations Declaration“ der Generalversammlung für die Bestimmung der Zurechnungskriterien nicht abschließend und für die Frage einer etwaigen Selbstverteidigungsbefugnis gegen nicht staatlich zurechenbare Angriffe unergiebig sind 188. Die Deklaration liefert daher keine Anhaltspunkte für die Richtigkeit der These von der conditio sine qua non der staatlichen Zurechenbarkeit für die Aktivierung des Art. 51 SVN. Gleichwohl gibt das vierte Prinzip der „Friendly Relations Declaration“ – von manchen gar als „Richtschnur der praktischen Konkordanz“ bezeichnet 189 – wichtige Anhaltspunkte für eine Pflicht der Staaten, Selbstverteidigungsmaßnahmen auf eigenem Territorium zu dulden bzw. in solche einzuwilligen. Dieses normiert die „Pflicht der Staaten zur gegenseitigen Zusammenarbeit im Einklang mit der Charta“. Dort heißt es: „Die Staaten haben die Pflicht, (...) in den verschiedenen Bereichen der internationalen Beziehungen zusammenzuarbeiten, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren (...). Zu diesem Zweck arbeiten die Staaten mit den anderen Staaten bei der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zusammen.“
Bereits die imperative Sprachfassung („Legislativfassung“ 190) des Kooperationsprinzips weist in die Richtung einer rechtlichen Verpflichtung und eines korrespondierenden Rechtsanspruchs der Adressaten. In den der Verabschiedung vorangegangenen Verhandlungen der Unterzeichnerstaaten bestand Einigkeit darüber, dass sich der normative Gehalt der Kooperationspflicht nicht in einem moralischen Programmsatz erschöpft, sondern (auch) eine Rechtspflicht darstellt 191. Einige Staaten favorisierten als Rechtsquelle der Pflicht das Völkergewohnheitsrecht 192, andere leiteten den Rechtscharakter aus der universellen Verbindlichkeit der Satzung der VerSiehe oben Kapitel 1 B. II. 2. a) aa). Hönig, Der Kaschmirkonflikt und das Recht der Völker auf Selbstbestimmung, S. 194. 190 Bruha, Die Definition der Aggression, S. 96. 191 Streit bestand lediglich darüber, ob auch Nichtunterzeichner der Satzung der Vereinten Nationen eine Zusammenarbeit schulden. Dies wurde von den westlichen Vertretern abgelehnt, während vor allem die Blockfreien eine solche Einschränkung nicht vorsahen, vgl. hierzu Dohna, Die Grundprinzipien des Völkerrechts über die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten, S. 182. 192 Sowjetunion, UN Doc. A/AC.125/SR.37, S. 7. 188 189
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einten Nationen und der damit verbundenen Notwendigkeit ab, zur Verwirklichung der in der Satzung niedergelegten Prinzipien zusammenzuarbeiten 193. Manche Staaten haben sogar ausdrücklich den aus der Kooperationspflicht im Interesse der Erhaltung des Weltfriedens entspringenden und korrespondierenden Kooperationsanspruch hervorgehoben 194. Die Debatte zeigt deutlich die Einigkeit der Staaten, die Zusammenarbeit in Fragen der internationalen Sicherheit und des Weltfriedens zu einer Rechtspflicht erheben zu wollen, der notwendig – auch wenn dies ausdrücklich nur bei einigen Staatenäußerungen zum Vorschein kommt – ein Anspruch auf die Zusammenarbeit korrespondiert. Die in der „Friendly Relations Declaration“ statuierte Kooperationspflicht geht auf den Gedanken zurück, dass kein Staat seine Rechte auf Kosten eines anderen Staates ausüben darf 195. Nach Ansicht des polnischen Vertreters besteht der Sinn dieses Kooperationsprinzips darin, die Staaten an ihre Pflicht zu erinnern, bei der Ausübung ihrer Souveränitätsrechte die Interessen anderer Staaten zu berücksichtigen. Als Korrelat zum grundsätzlichen Gewaltverbot beinhalte die Kooperationspflicht eine „aktive Funktion“ des Schutzes der internationalen Sicherheit und des Weltfriedens, so die Vertreter Polens, der CSSR und der Ukraine 196. Dies ziehe eine Pflicht zur aktiven Beteiligung an gemeinsamen Aktionen zur Verwirklichung gemeinsamer Ziele nach sich 197. Damit gemeint ist eine Kooperationspflicht hinsichtlich der in der Satzung niedergelegten Grundsätze, ohne an die institutionellen Zuständigkeiten der Organisation der Vereinten Nationen anzuknüpfen. Mit anderen Worten besteht eine Kooperationspflicht auch dann, wenn keine diesbezüglichen Beschlüsse des Sicherheitsrates oder Resolutionen der Generalversammlung ergangen sind 198. Es bleibt zu fragen, ob sich dieser Kooperationspflicht eine Pflicht zur Duldung bzw. zur Einwilligung in eine militärische Intervention entnehmen lässt. Zur Klarstellung sei angemerkt, dass die Duldungspflicht keineswegs als (zweifellos durch die „Friendly Relations Declaration“ nicht gedeckte) Sanktion einer unterlassenen Kooperation zu begreifen ist, sondern als besondere Form der Kooperation. Der vierte Grundsatz lässt von seinem Wortlaut her die Mittel und den Umfang offen, die ein Staat bei der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit beizutragen hat. Es bleibt also dem Staat überlassen, seiner Kooperationspflicht dadurch nachzukommen, dass er die von seinem Territorium ausgehenden 193 CSSR, UN Doc. A/AC.125/SR.56, S. 3; in diese Richtung weisen auch die Beiträge Madagaskars, UN Doc. A/AC.125/SR.38, S. 3 und Algeriens, UN Doc. A/AC.125/SR.37, S. 15. 194 So etwa Rumänien, UN Doc. A/AC.125/SR.58, S. 4. 195 Mani, Basic Principles of Modern International Law, S. 170. 196 UN Doc. A/AC.125/SR.35, S. 6 f. (CSSR und Polen); GAOR, 21st Session, 6th Committee, 928th meeting (Ukraine). 197 So etwa die USA, GAOR, 20st Session, 6th Committee, 893th meeting, S. 329. 198 Doehring, AVR 1993, S. 193 ff.; für eine Pflicht zur Einwilligung in humanitäre Interventionen zum Schutz eigener Staatsangehöriger, wenn auch äußerst vorsichtig Frowein, BDGV 26 (1986), S. 147 (Diskussionsbeitrag).
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Angriffe beendet, bevorstehende Angriffe verhindert oder in eine militärische Intervention einwilligt. Aus der Kooperationspflicht der „Friendly-Relations-Declaration“ lässt sich somit keine Pflicht entnehmen, eine bestimmte Form der Kooperation zu leisten und militärische Interventionen zu dulden. Daher ist es richtig, dem Aufenthaltsstaat eine Entscheidungsprärogative zuzuerkennen, wie in einer konkreten Gefährdungssituation zu handeln ist 199. Es muss also dem Aufenthaltsstaat überlassen bleiben, welche Maßnahmen er ergreift, um die bewaffneten Angriffe zu verhindern. Diese Befugnis kann nicht durch eine eigenmächtige Vornahme durch den angegriffenen Staat ersetzt werden. Sollte die Einwilligung in den Eingriff in die Gebietshoheit durch den in Selbstverteidigung handelnden Staat mangels eigener Verhinderungsmöglichkeiten indes die einzige Möglichkeit darstellen, die legitime Selbstverteidigung überhaupt zu ermöglichen, stellt sich die Frage nach dem Bestehen einer Einwilligungspflicht. Erblickt man mit der Mehrzahl der Staaten den Zweck des Kooperationsgebots darin, die Ausübung der Souveränitätsrechte zu Lasten anderer Staaten zu unterbinden, könnte dieses Ziel allein durch die Statuierung einer Einwilligungspflicht erreicht werden. So wünschenswert die Statuierung einer Einwilligungspflicht möglicherweise wäre, so wenig lässt sich den Willensäußerungen der an der Erarbeitung der Resolution beteiligten Staaten entnehmen, die grundsätzliche Freiheit der Staaten bei der Wahl der Kooperationsform zu beschneiden. Daher besteht zwar eine Pflicht des Aufenthaltsstaates, mit dem angegriffenen Staat zu kooperieren; Rechtsfolgen mangelnder Kooperation oder bestimmte Kooperationsformen oktroyiert die „Friendly Relations Declaration“ hingegen nicht. 2. Die Zulässigkeit grenzüberschreitender Selbstverteidigung nach der Aggressionsdefinition Im Schrifttum ist heftig umstritten, ob der Aggressionsdefinition ein Konsens entnommen werden kann, wonach grenzüberschreitende Selbstverteidigungsmaßnahmen nur in den dort aufgeführten Formen der indirekten Aggression zulässig sein sollen, ob also die Verteidigungsbefugnis vom Vorliegen der in Art. 3 lit. g genannten Zurechnungsvarianten („Entsenden bewaffneter Banden, Gruppen, Freischärler oder Söldner durch einen Staat oder für ihn“ bzw. „wesentliche Beteiligung an einer solchen Entsendung“ 200) abhängt 201. Richtigerweise darf der Resolution für die Frage 199
Ader, Gewaltsame Rettungsaktionen zum Schutz eigener Staatsangehöriger im Ausland,
S. 50. 200 Im Original: „the sending by or on behalf of a State of armed bands, irregulars or mercenaries“ bzw. „its substantial involvement therein“. 201 Zanardi in: Cassese (Hrsg.), The Current Legal Regulation of the Use of Force, S. 111 (114); Schindler, BDGV 26 (1986), S. 11 (16), der die Aggressionsdefinition aber als Interpretationshilfe heranzieht. Einen Mittelweg gehen Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 113 und Bruha, Die Definition der Aggression, S. 136 ff., die alle von der Aggressionsdefinition erfassten Gewaltformen als bewaffnete Angriffe bezeichnen, diese Aufzählung aber für nicht abschließend halten. Anders Bruha, AVR 40 (2002), S. 383 (401 f.), der bei der Suche nach Zurechnungskriterien allein auf die Aggressionsdefinition zurückgreifen will.
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der Verteidigungsbefugnis gegen Private keine Bedeutung beigemessen werden. Bereits der abweichende Wortlaut in der Aggressionsdefinition („Angiffshandlung“, im Original „aggression“) und in Art. 51 SVN („armed attack“) verbietet eine Gleichsetzung beider Begriffe, zumal die Aggressionsdefinition ausdrücklich den Begriff der Angriffshandlung, wie er in Art.39 SVN gebraucht wird, definiert. Ihre Relevanz für die Auslegung des Art.51 SVN beschränkt sich darauf, einen Formelkompromiss hinsichtlich der staatlichen Zurechenbarkeit bei bestimmten staatlichen Verwicklungsformen erzielt zu haben 202. Die Beratungen bei der Ausarbeitung des Textes offenbaren zwar, dass einige Staatenvertreter die Frage der Zurechenbarkeit privater Aggressionen mit der Befugnis zu grenzüberschreitenden Selbstverteidigungsmaßnahmen verknüpften 203; hierüber konnte aber keine Einigung erzielt werden: Während die westlichen Staaten gegen vielfältige Formen der indirekten Aggression das Selbstverteidigungsrecht aktivieren wollten 204, sollte nach dem Entwurf der blockfreien Staaten das Selbstverteidigungsrecht gegen derartige Akte grundsätzlich versperrt sein 205. Der Entwurf der UdSSR enthielt detaillierte Regelungen indirekter Aggressionen, schloss ihnen gegenüber das Selbstverteidigungsrecht jedoch ebenfalls aus 206. Im Verlauf des Konsensbildungsprozesses 207 kamen die blockfreien Staaten den westlichen Staaten insoweit entgegen, als sie gegen indirekte Aggressionen, die dieselbe Unmittelbarkeit und Intensität aufweisen wie direkte Aggressionen, das Selbstverteidigungsrecht nach Art.51 SVN eröffnen wollten 208. Die westlichen Staaten lehnten diesen Vorschlag jedoch als unzureichend ab und legten ihrerseits Kompromissvorschläge vor, die indessen kein wirkliches Entgegenkommen signalisierten 209. Letztlich einigten sich die Staaten auf den Formelkompromiss des Art. 3 lit. g der Aggressionsdefinition, um die Meinungsverschiedenheiten über die Zulässigkeit Siehe hierzu oben Kapitel 1 B. II. 2. a) bb). Siehe den Entwurf Zyperns, UN Doc. A/AC.134/SR.81, S. 12; ausführlich Bruha, Die Definition der Aggression, S. 169 ff. und S. 228 ff. 204 Siehe etwa den Entwurf der USA, UN Doc. A/AC.134/SR.19, S. 197. Der italienische Vertreter fasst die Position der Weststaaten zusammen: „The limits of the right of self-defence were not derived from the means employed by the aggressor, but from the basic objective of self-defence, which was to safeguard the State“, UN Doc. A/AC.134/SR.85, S. 43. 205 Etwa der Entwurf Ägyptens, UN Doc. A/AC.134/SR.22, S. 248. 206 UN Doc. A/AC.134/SR.84, S. 35: „(...) the difference between direct and indirect aggression was the same as that existing between armed attack and a breach of peace. It should be noted, however, that under Article 51 of the Charter, it was only armed attack, and no other breaches of the peace, that gave rise to the right of self-defence. (...) Some delegations (...) were arguing that indirect aggression gave rise to right of self-defence. That was a subjective interpretation of the Charter, which was devoid of substance and which put two totally different notions on the same footing.“ 207 Ausführlich hierzu Bruha, Die Definition der Aggression, S. 228 ff. 208 Vorschlag Zyperns, UN Doc. A/AC.134/SR.81, S. 13: „Admittedly, however, there were marginal cases in which the infiltration was so substantial and the danger so great that they were tantamount to an armed attack and justified the exercice of self-defence.“. 209 Vgl. etwa die Stellungnahmen Großbritanniens, UN Doc. A/AC.134/SR.96, S. 52 und der USA, UN Doc. A/AC.134/SR.98, S. 74; hierzu Bruha, Die Definition der Aggression, S. 233. 202 203
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des Selbstverteidigungsrechts gegen indirekte Aggressionen zu überdecken: Die Formulierung des Art. 3 lit. g lässt bewusst jeglichen Bezug auf Art. 51 SVN vermissen, der noch in einem Vorgängervorschlag der Blockfreien ausdrücklich enthalten war. Die Schwereklausel in Art. 3 lit. g („The sending (...) of armed bands, groups, irregulars or mercenaries, which carry out acts of armed force (...) of such gravity as to amount to the acts listed above“) erhebt nicht die Intensität eines bewaffneten Angriffs, sondern die sonstigen Fälle des Katalogs des Art.3 zum Maßstab und bleibt somit in Bezug auf das Verhältnis indirekter Aggression und Selbstverteidigungsrecht neutral. Damit kann der Formulierung des Art. 3 lit. g der Aggressionsdefinition nicht entnommen werden, dass das Selbstverteidigungsrecht außerhalb der dort genannten Formen der indirekten Aggression nicht aktiviert sein soll. Die Bedeutung der Aggressionsdefinition beschränkt sich auf die Einigung der Staaten über die staatliche Zurechenbarkeit privater Gewaltanwendung bei der Entsendung und substantiellen Unterstützung. Über die Zulässigkeit von grenzüberschreitender Gegengewalt gegen nicht zurechenbare Handlungen wurde keine Einigung erzielt.
3. Anhaltspunkte für eine Duldungspflicht aus den Konventionen und Resolutionen zur Bekämpfung des Terrorismus Zahlreiche Terrorismuskonventionen und Sicherheitsratsresolutionen statuieren Kooperationspflichten der Staaten bei bewaffneten Auseinandersetzungen mit Privaten. Deutlich werden solche Kooperationspflichten bei der Verteidigung gegen terroristische Gewaltakte in zahlreichen Sicherheitsresolutionen zur Bekämpfung des Terrorismus ausgesprochen. So heißt es in der Resolution 1456 (2003) vom 20. Januar 2003 unter Ziffer 2 (b) 210: „The Security Council calls upon States to assist each other, to the maximum extent possible, in the prevention, investigation, prosecution and punishment of acts of terrorism, wherever they occur.“ 211
Allen Resolutionen ist gemeinsam, dass sie die nichtstaatlichen Gewalttaten als solche, unabhängig von einer staatlichen Verwicklung, verurteilen und die Staaten zu einer Kooperation bei der Ergreifung der Terroristen verpflichten: „Urges all States (...) to cooperate in efforts to find and bring to justice the perpetrators, organizers and sponsers of these terrorist attacks.“212 210 UN Doc. S/RES/1456 (2003); siehe ferner die Resolutionen 1455 (2003) vom 17.1.2003, UN Doc. S/RES/1455 (2003); 1450 (2002) vom 13.12.2002, UN Doc. S/RES/1450 (2002); 1440 (2002) vom 24.10.2002, UN Doc. S/RES/1440 (2002); 1438 (2002) vom 14.10.2002, UN Doc. S/RES/1438 (2002) und 1390 (2002) vom 16.1.2002, UN Doc. S/RES/1390 (2002). 211 Hervorhebung durch Verfasser. 212 So Ziffer 3 der Sicherheitsratsresolution 1450 (2002) vom 13.12.2002, UN Doc. S/RES/1450 (2002); Einklammerung im Zitat durch Verfasser.
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Die Texte lassen indessen nicht erkennen, dass die Staaten eine Pflicht trifft, Selbstverteidigungsmaßnahmen auf ihrem Hoheitsgebiet zu dulden213, da sie sowohl hinsichtlich der Kooperationsform als auch hinsichtlich der Rechtsfolgen einer Kooperationsverweigerung, ähnlich wie die „Friendly Relations Declaration“, offen sind. Den genannten Resolutionen lässt sich lediglich entnehmen, dass ein Verstoß gegen die darin aufgestellten Pflichten die staatliche Verantwortlichkeit herbeiführt und gegebenenfalls Sanktionen des kollektiven Sicherheitssystems nach sich ziehen kann. 4. Das Gutachten des IGH vom 8. Juli 1996 über die Zulässigkeit eines Kernwaffeneinsatzes oder einer Drohung mit einem solchen Einsatz Grundsätzliche Aussagen zur Reichweite des Art. 51 SVN enthält das Gutachten des IGH vom 8. Juli 1996 über die Zulässigkeit eines Kernwaffeneinsatzes oder der Drohung mit einem solchen Einsatz. Antragsteller waren die Weltgesundheitsorganisation und die UN-Generalversammlung. Gemäß der weit gefassten Fragestellung der Generalversammlung 214: „Is the threat or use of nuclear weapons in any circumstances permitted under international law?“
hatte sich der IGH unter anderem mit der Vereinbarkeit eines Kernwaffeneinsatzes und der Drohung mit der Satzung der Vereinten Nationen zu befassen. a) Aussagen des IGH zur Reichweite des Selbstverteidigungsrechts Der IGH stellte fest, dass Art. 2 Ziff. 4 SVN tatbestandlich einschlägig sei 215 und ein Kernwaffeneinsatz ebenso wie eine Drohung mit Kernwaffen demgemäß unter den Voraussetzungen des Art. 51 SVN gerechtfertigt werden müsse: „the Court cannot conclude definitively whether the threat or use of force of nuclear weapons would be lawful or unlawful in an extreme circumstance of self-defence, in which the very survival of a State would be at stake.“ 216
Der IGH befasste sich weiter mit der Frage, ob die Entfaltung negativer Folgen eines Kernwaffeneinsatzes, beispielsweise radioaktive Strahlung, auf neutrales Territorium einen Verstoß gegen das Neutralitätsprinzip darstellt. Das Gericht ging dabei 213 So aber offenbar Frowein in: Académie de droit international de la Haye (Hrsg.), Les Aspects juridiques du Terrorisme International, S. 55 (62) und ZaöRV 62 (2002), S. 879 (884). 214 Resolution der Generalversammlung 49/75K vom 15.12.1994. Der Antrag der WHO wurde durch den IGH mit Entscheidung vom 8.6.1996 abgelehnt, vgl. IGH, Legality of Threat or Use of Nuclear Weapons, ICJ Rep. 1996, S. 66 ff. 215 IGH, Legality of Threat or Use of Nuclear Weapons, ICJ Rep. 1996, S. 244 ff. par. 37 ff. 216 IGH, Legality of Threat or Use of Nuclear Weapons, ICJ Rep. 1996, S. 265 f. par. 105.
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zunächst von der grundsätzlichen, völkergewohnheitsrechtlich verankerten Anwendbarkeit neutralitätsrechtlicher Grundsätze auf alle bewaffneten Konflikte, einschließlich derer mit nichtstaatlicher Beteiligung aus und sagte217: „(...) that the principle of neutrality, whatever its content (...) is applicable (...) to all international armed conflicts“ 218.
Die im Gutachten behandelte Problematik ist mit der hier behandelten insofern verwandt, als bei einem Kernwaffeneinsatz ebenfalls Verletzungen der territorialen Integrität unbeteiligter Staaten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Der IGH setzte sich mit der Argumentation 219 auseinander, dass das Prinzip der Neutralität gerade solche Maßnahmen verbiete, die sich von vornherein nicht auf den Maßnahmeadressaten beschränken 220. Das Gericht lehnte es ab 221, schädliche Auswirkungen einer Selbstverteidigungsmaßnahme gegenüber Unbeteiligten grundsätzlich mit dem Verdikt der Unzulässigkeit zu versehen. Das Recht der Neutralität setze ähnlich wie das humanitäre Völkerrecht der Anwendung von Waffengewalt zwar strikte Grenzen, so der IGH, jedoch sei dem Völkerrecht kein ausdrückliches Verbot eines Kernwaffeneinsatzes „in an extreme circumstance of self-defence“ zu entnehmen: „Nor can the Court make a determination on the validity of the view that the recourse to nuclear weapons would be illegal in any circumstances owing to their inherent and total incompatibility with the law applicable in armed conflict. (...) In view of the unique characteristics of nuclear weapons, to which the Court has referred above, the use of such weapons in fact seems scarely reconcilable with respect for such requirements. Nevertheless, the Court considers that it does not have sufficent elements to enable it to conclude with certainty that the use of nuclear weapons would necessarily be at variance with the principles and rules of law applicable in armed conflict in any circumstances. Furthermore, the Court cannot lose the fundamental right of every State to survival, and thus its right to resort to self-defence, in accordance with Article 51 of the Charter, when its survival is at stake.“ 222 IGH, Legality of Threat or Use of Nuclear Weapons, ICJ Rep. 1996, S. 261 par. 89. Hervorhebung durch Verfasser. 219 Vgl. die Nachweise IGH, Legality of Threat or Use of Nuclear Weapons, ICJ Rep. 1996, S. 226 par. 88 ff. insbesondere hinsichtlich des humanitären Völkerrechts. 220 Siehe die wörtliche Wiedergabe der Argumentation in IGH, Legality of Threat or Use of Nuclear Weapons, ICJ Rep. 1996, S. 226 par. 92 f.: „In the event of their use, nuclear weapons would in all circumstances be unable to draw any distinction between the civilian population and combattants, or between civilian objects and military objectives, and their effects, largely uncontrollable, could not be restricted, either in time or in space, to lawfull military targets. (...) A similiar view has been expressed with respect to the effects of the principle of neutrality. Like the principles and rules of humanitarian law, that principle has therefore been considered by some to rule out the use of a weapon the effects of which simply cannot be contained within the territories of the contending States.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 221 IGH, Legality of Threat or Use of Nuclear Weapons, ICJ Rep. 1996, S. 226 par. 95. 222 IGH, Legality of Threat or Use of Nuclear Weapons, ICJ Rep. 1996, S. 226 par. 95 f. Einklammerung im Zitat durch Verfasser. 217 218
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Die Ausführungen sind hinsichtlich der Selbstverteidigungsbefugnis gegenüber unbeteiligten Staaten nicht eindeutig: Die ersten Sätze der Gutachtenpassage lesen sich wie eine generelle Anwendung des Verbots der Beeinträchtigung neutraler Staaten. Demnach hat der IGH den Einsatz von Kernwaffen (bei Zurückstellung erheblicher Zweifel) nicht deshalb als generell unrechtmäßig verworfen, weil ein präziser Einsatz solcher Waffen, der eine unterschiedliche Behandlung von Zivilisten und Kombattanten ermöglichte, nicht auszuschließen ist. Der letzte Satz lässt in der Zusammenschau mit den vorangegangenen Ausführungen vielmehr die Deutung zu, dass das Verbot der Beeinträchtigung neutraler Staaten im Fall einer „extremen“ Selbstverteidigungssituation nicht gilt 223. So bestünde aber in letzterem Fall als Korrelat des Selbstverteidigungsrechts eine Pflicht neutraler Staaten, die Auswirkungen des Kernwaffeneinsatzes in einem für den Verteidigerstaat „extreme circumstance of self-defence“ zu dulden. Eine solche Duldungspflicht wird indessen nicht mit Hilfe von Neutralitätsverletzungen begründet.
b) Rechtliche Würdigung der Aussagen des IGH für die Frage der Zulässigkeit grenzüberschreitender Selbstverteidigung Der IGH anerkennt zwar in seinem Gutachten über die Zulässigkeit eines Kernwaffeneinsatzes die Geltung neutralitätsrechtlicher Grundsätze224, bemüht diese jedoch nicht als Befugnisnorm für Gebietsbeeinträchtigungen Unbeteiligter, sondern als Befugnisgrenze. Unklar bleibt letztlich, ob diese Befugnisgrenze im Fall einer „extremen“ Selbstverteidigungssituation entfällt. Bejahendenfalls träfe den Neutralen eine Pflicht, schädliche Auswirkungen der Selbstverteidigungsmaßnahme zu dulden. Dann stellt sich die Folgefrage, ob sich die IGH-Ausführungen auf die hier behandelten Konstellationen übertragen lassen, mit der Konsequenz, dass den Aufenthaltsstaat bewaffneter Angreifer oder einen anderen Drittstaat dieselbe Pflicht trifft. Dies wäre angesichts der Allgemeingültigkeit neutralitätsrechtlicher Grundsätze in bewaffneten Konflikten zu bejahen: Die Problematik eines Kernwaffeneinsatzes unterscheidet sich von der hier behandelten jedoch in zwei Punkten: Zum einen wird – anders als bei einer militärischen Operation gegen Private auf fremdem Staatsgebiet – bei einem Kernwaffeneinsatz das Gebiet des neutralen Staates nicht gezielt verletzt. Wenngleich sich in beiden Fällen die Beeinträchtigung neutralen Territoriums als Nebenfolge der Verteidigungshandlung darstellt, rührt sie bei einem Kernwaffeneinsatz aus der Natur der Waffe her und kann durch präzisen Einsatz der Waffen unter Umständen vermieden werden. Dieser tatsächliche Unterschied ist aber untergeordnet, weil das die Beeinträchtigung legitimierende Selbstverteidigungsrecht allein einen Verteidigerwillen voraussetzt, nicht aber die 223 IGH, Legality of Threat or Use of Nuclear Weapons, ICJ Rep. 1996, S. 226 par. 95 ff.; kritisch zur Doppeldeutigkeit des IGH Tischler, Der Internationale Gerichtshof zwischen Recht und Politik, S. 164 ff. 224 IGH, Legality of Threat or Use of Nuclear Weapons, ICJ Rep. 1996, S. 226 ff.
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Kenntnis von der Beeinträchtigung anderer Rechte verbietet. Aus humanitärvölkerrechtlichen Gründen sind derartige Beeinträchtigungen jedoch zu minimieren. Der andere Unterschied bekräftigt sogar die Übertragbarkeit der Ausführungen des IGH gerade auf die hier behandelten Konstellationen: Die schädlichen Folgen sind für den Neutralen in der im Gutachten beleuchteten Konstellation wesentlich gravierender, und neben der besonderen Gefährlichkeit atomarer Waffen ist Folgendes zu bedenken: Bei einem Kernwaffeneinsatz ist die Verletzung der territorialen Integrität von Staaten zu befürchten, die an den bewaffneten Auseinandersetzungen vollkommen unbeteiligt sind, während in der hier besprochenen Konstellation die bewaffneten Angriffe zumindest vom Territorium des Staates ausgingen oder auszugehen drohen, dem eine Duldungspflicht abverlangt wird. Wenn nach den Ausführungen des IGH jedoch zwangsläufige (nicht zu verhindernde) Beeinträchtigungen der territorialen Integrität völlig unbeteiligter Staaten hingenommen werden müssen, dann kann im Wege eines Erst-recht-Schlusses von insoweit nicht ganz unbeteiligten Staaten eine Pflicht zur Duldung in Territorialitätsbeeinträchtigungen angenommen werden, als von deren Territorium bewaffnete Angriffe verübt wurden oder verübt zu werden drohen. Ferner erfährt das Selbstverteidigungsrecht durch die Beifügung einer über das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs hinausgehenden Voraussetzung („extreme circumstances“ und „survival of a State“) eine Abstufung in eine Verteidigung gegen bewaffnete Angriffe und in eine dem Notstand ähnliche Verteidigung zur Existenzerhaltung. Insoweit scheint der IGH von der Existenz eines in Art. 51 SVN anzusiedelnden Notstandsrechts auszugehen.
II. Darstellung und rechtliche Würdigung der Praxis in einzelnen Konflikten 1. Resolution 241 (1967) des Sicherheitsrates vom 15. November 1967 und die Stellungnahmen der Staaten im Kongo-Konflikt Im Laufe des Jahres 1966 wurde der Kongo wiederholt durch Söldnerverbände von portugiesischem Territorium in Angola aus angegriffen 225. Ob der Kongo eine Selbstverteidigungsbefugnis beanspruchte, lässt sich der Beschwerde und der Sicherheitsratsdebatte nicht zweifelsfrei entnehmen. Jedenfalls bezeichnete er die Söldnerangriffe als „aggressive attacks on our country“ 226, was darauf schließen lässt, dass nach kongolesischer Rechtsauffassung die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 51 SVN erfüllt waren. Portugal selbst wurde indessen nicht als bewaffneter Angreifer bezeichnet, sondern (lediglich) der Verwicklung, insbesondere der Duldung bezichtigt. Die überwiegende Anzahl der in der Sicherheitsratsdebatte 225 Zur Sachverhaltsdarstellung siehe die Beschwerde des Kongo, SCOR, 22th year, 1372th meeting, S. 2 ff. 226 SCOR, 22th year, 1372th meeting, S. 2.
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vertretenen Staaten bezeichnete die Angriffe der Söldner ebenfalls als „attacks“ und verurteilte Portugal wegen der Unterstützung und Duldung der söldnerischen Aktivitäten in Angola, nicht aber wegen der Verübung der Angriffe selbst 227. Die im Anschluss an die Debatten erlassene Resolution des Sicherheitsrates unterschied trennscharf zwischen der Verantwortlichkeit Portugals hinsichtlich der privaten Angriffshandlungen und der staatlichen Zurechenbarkeit dieser Angriffe. Portugal wurde nicht wegen der Vornahme bewaffneter Angriffe verurteilt, sondern lediglich wegen der Verantwortlichkeit, die aus dem Versäumnis resultiert, derartige Angriffe zu verhindern 228: „The Security Council, Concerned by the serious situation created in the Democratic Republic of the Congo following the armed attacks committed against that country by foreign forces of mercenaries, (...) Condemns, in particular, the failure of Portugal, in violation of the above-mentioned resolution of the Security Council, to prevent the mercenaries from using the territory of Angola under its administration as a base of operations for armed attacks against the Democratic Republic of Congo.“ 229
2. Gewalteinsatz der USA auf dem Territorium Kambodschas gegen Stützpunkte der Viet Cong im Frühjahr 1970 Im Frühjahr 1970 setzten die USA militärische Gewalt auf dem Territorium Kambodschas gegen Stützpunkte nordvietnamesischer Truppen und Truppen des Viet Cong ein, von denen aus gezielte Angriffe auf Ziele in Südvietnam gerichtet wurden 230. Zur Begründung führten die USA an: 227 Deutlich tritt dies etwa in der Äußerung Äthiopiens hervor: „(...) condemned the aggression of mercenaries against the Democratic Republic of the Congo, (...) and appealed urgently to all States of the world to enact laws declaring the recruitment and training of mercenaries in their territories as a punishable crime and deterring their citizens from enlisting as mercenaries. (...) I (...) condemn the activities of Portugal (...) of opression in Africa.“, SCOR, 22th year, 1372th meeting, S. 10; Großbritannien: „And all those who had made such a mercenary attack possible would carry a very responsibility indeed.“, SCOR, 22th year, 1372th meeting, S. 8; USA: „The implications of Portugals responsibility, even if only tacit, would therefore appear to be serious.“, SCOR, 22th year, 1372th meeting, S. 11; Kanada, SCOR, 22th year, 1374th meeting, S. 9; Japan, SCOR, 22th year, 1374th meeting, S. 9; anders offenbar nur die Sowjetunion, die die Angriffe als „imperialistische Aggression“ bezeichnet, ohne zwischen privaten Angreifern und verwickeltem Staat zu differenzieren: „We feel that he (gemeint ist der Vertreter des Kongo, Verfasser) showed (...) the criminal role played by the Lisbon régime, which is carrying out a policy of colonialism, racial oppression and aggressive interference in the internal affairs of the Congo.“, SCOR, 22th year, 1372th meeting, S. 11. 228 Resolution des Sicherheitsrates 241 (1967) vom 15.11.1967. 229 Hervorhebung und Einklammerung durch Verfasser. 230 Siehe hierzu die umfassende Sachverhaltsdarstellung mit Erläuterungen zu den geschichtlichen Hintergründen des Konflikts von Moore in: Falk (Hrsg.), The Vietnam War and International Law, S. 58 ff.; Alexandrov, Self-Defence Against the Use of Force in International Law, S. 209.
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„Under international law we had every right to strike the enemy in areas put to such uses. The inability of Combodia over a period of years to live up to its legal obligations as a neutral state freed us from the obligation to stay out of these areas. They were not under Cambodian control. They were not neutral.“ 231
Bei grundsätzlicher Anerkennung des Gewaltverbots auch für solche Territorien, in denen eine effektive Herrschaftsgewalt nicht ausgeübt wird, rekurrierten die USA zudem auf das in Art. 51 verbriefte Recht, sich selbst verteidigen zu dürfen 232. Dieses Recht findet demnach auch bei Angriffen nichtstaatlicher 233 Kampfverbände Anwendung. Kambodscha wird aufgrund fehlender effektiver Herrschaftsgewalt für die Aktivitäten der Viet Cong Verbände weder verantwortlich gemacht, noch wird aufgrund der Unfähigkeit Kambodschas, diese Aktivitäten zu unterbinden, die staatliche Zurechenbarkeit begründet. Die US-amerikanische Position stieß in der Völkerrechtsliteratur und in der Staatenpraxis vor allem aus Gründen der Unverhältnismäßigkeit und deshalb auf Kritik, weil das Vorliegen eines vom Territorium Kambodschas ausgehenden bewaffneten Angriffs bezweifelt wurde 234. Gegen die grundsätzliche Zulässigkeit, bewaffnete Angriffe Privater auch auf neutralem Territorium abzuwehren, wurden hingegen keine Einwände erhoben. 3. Resolution 405 (1977) des Sicherheitsrates vom 14. April 1977 betreffend die Söldnerangriffe gegen Benin Im Januar 1977 wandte sich Benin an den Sicherheitsrat, weil es Opfer grenzüberschreitender Söldnerangriffe geworden sei, wobei der Aufenthaltsstaat der Söldner nicht ermittelt werden konnte 235. Benin verurteilte die Angriffe, kündigte indessen nicht an, von einem etwa bestehenden Selbstverteidigungsrecht Gebrauch zu machen. „Benin (...) is asking of the Council (...) vigorous condemnation of the act of armed imperialist aggression (...)“
Die Bezeichnung „armed aggression“ deutet auf die Rechtsauffassung hin, wonach die Tatbestandsvoraussetzungen des Art.51 SVN vorgelegen haben sollen. Die meis231 Department of Defense News Release, May 15 1970, S. 5; ähnlich lautend der Brief der USA an den UN-Sicherheitsrat vom 16.12.1970, UN Doc. S/1970/9781, S. 2; Hervorhebung im Zitat durch Verfasser. 232 Brief der USA an den UN-Sicherheitsrat vom 16.12.1970, UN Doc. S/1970/9781, S. 2. 233 Die staatliche Verwicklung Nordvietnams, Chinas und der Sowjetunion in die Aktivitäten der Viet Cong variierte, vgl. Moore in: Falk (Hrsg.), The Vietnam War and International Law, S. 58 ff. Von der staatlichen Zurechenbarkeit an Kambodscha sind die USA nicht ausgegangen. Ob die Verwicklung Chinas und der Sowjetunion eine staatliche Zurechnung begründeten, bleibt ungewiss. Jedenfalls nahmen die USA diese Verwicklungen nicht zum Anlass, gegen die genannten Staaten Selbstverteidigungsmaßnahmen durchzuführen. 234 Falk in: Falk (Hrsg.), The Vietnam War and International Law, S. 32 ff. 235 Die Sicherheitsratsdebatte war bestimmt von den Auseinandersetzungen um die Urheberschaft und Verwicklung in die Angriffe, vgl. SCOR, 32th year, 2000–2005th meeting.
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ten der an der Sicherheitsratedebatte beteiligten Staaten bezeichneten die Söldneraktivitäten als „armed aggression“ 236, teils sogar als „armed attack“ 237, ohne dass die Verwicklung eines Staates nachgewiesen werden konnte. Die Resolution des Sicherheitsrates unterschied – wie die Resolution 241 (1967) 238 im Kongokonflikt – zwischen den nicht staatlich zurechenbaren bewaffneten Angriffen und der Verantwortlichkeit des Staates in Bezug auf die Angriffe. So verurteilte die Resolution in Ziffer 2 einerseits die gegen Benin gerichteten Söldnerangriffe als „act of armed aggression“: „Strongly condemns the act of armed aggression perpetrated against the People’s Republic of Benin on 16 January 1977“
und in Ziffer 3 etwaig verwickelte Staaten: „it condemns any State which persists in permitting or tolerating the recruitment of mercenaries and the provision of facilities to them, with the objective of overthrowing the Governments of Member States.“
4. Gewalteinsätze Israels auf dem Territorium des Libanon in den 1970er und 1980er Jahren Seit den 1970er Jahren setzte Israel auf dem Territorium des Libanon militärische Gewalt ein, um grenzübergreifenden Gewaltakten verschiedener nichtstaatlicher Gruppen zu begegnen. Bei einem am 10. Juli 1981 geflogenen Angriff auf Stützpunkte von PLO-Gruppen im Süd-Libanon wurde von israelischer Seite her unter Bekräftigung der territorialen Souveränität Libanons 239 betont, dass sich der Einsatz nicht gegen den Libanon selbst, sondern gegen das Hauptquartier der so genannten Demokratischen Front in Damour, die Arabische Befreiungsfront in Ain Al-Hilwe und die Fatah-Organisation richte. Israel berief sich zur Rechtfertigung auf „the inherent right of self-defense enjoyed by every sovereign State, a right also preserved under Article 51 of the Charter of the United Nations. Israel’s response to PLO terror is what any self-respecting sovereign State would do in similar circumstances.“ 240
236 Senegal, SCOR, 32th year, 2001st meeting, S. 4 par. 34; Marokko, SCOR, 32th year, 2001st meeting, S. 8 par. 81; Algerien, SCOR, 32th year, 2001st meeting, S. 14 par. 145: „the aggression (...) was perpetrated by mercenaries“; Libyen, SCOR, 32th year, 2002nd meeting, S. 3 par. 19: „It is clear, that Benin was subjected to aggression“; Rumänien, SCOR, 32th year, 2002nd meeting, S. 6 par. 46; Togo, SCOR, 32th year, 2002nd meeting, S. 8 par. 63; Madagaskar, SCOR, 32th year, 2002nd meeting, S. 11 par. 96: „armed aggression“; Mali, SCOR, 32th year, 2005th meeting, S. 7 par. 57: „armed aggression“. 237 Ausdrücklich der Vertreter der UdSSR: „In our view, the report of the Special Mission leaves no choice about the main point, namely that, (...) the People’s Republic of Benin became the victim of an armed attack by a band of mercenaries“, SCOR, 32th year, 2001st meeting, S.2 par. 8; Rumänien, SCOR, 32th year, 2002nd meeting, S. 7 par. 51: „the Security Council should condemn the armed attack perpetrated (...) by a group of mercenaries“. 238 Resolution des Sicherheitsrates 241 (1967)vom 15.11.1967. 239 SCOR, 36th year, 2292nd meeting, Rn. 62. 240 Israel, SCOR, 36th year, 2292nd meeting, Rn. 55.
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Die Selbstverteidigungssituation wurde nach israelischer Auffassung allein durch das Verhalten jener Gruppen ausgelöst. Einen expliziten Verwicklungsvorwurf hat Israel gegen den Libanon weder erhoben noch als Rechtfertigung für Gebietsverletzungen bemüht. Die meisten Staaten verurteilten das israelische Vorgehen vor allem aufgrund der Unverhältnismäßigkeit der Mittel und der daraus folgenden hohen Verluste in der Zivilbevölkerung. Bei der Zurückweisung des israelischen Anspruchs auf Selbstverteidigung bildete die Darlegung der Rechtmäßigkeit des palästinensischen Befreiungskampfes oftmals den argumentativen Schwerpunkt 241. Hiermit kommt die Rechtsauffassung zum Ausdruck, wonach Art. 51 SVN einen rechtswidrigen Angriff voraussetzt. Soweit allerdings von der generellen Legitimität der palästinensischen Gewaltanwendung ausgegangen wurde, kann die Ansicht als nunmehr überholt gelten 242. Die grundsätzliche Anwendbarkeit des Art. 51 SVN gegen nichtstaatliche Angriffe wurde durch keinen Staat in Abrede gestellt. 5. Gewalteinsatz Südafrikas auf dem Territorium Lesothos im Jahr 1982 Im Jahr 1982 wandte Südafrika wiederholt Gewalt gegen Stützpunkte des ANC auf dem Territorium Lesothos an 243. Südafrika rechtfertigte sein Vorgehen als Selbstverteidigung gegen terroristische Aktivitäten des ANC, der subversive Aktivitäten in Südafrika geplant haben soll und von dessen terroristischen Aktivitäten in Lesotho eine immense Gefahr für Südafrika ausgegangen sei. „These targets served as a planning and control headquarters as well as bases for launching acts of violence against South Africa, Transkei and Ciskei. The South African action was aimed exlusively at ANC terrorists and their bases and can in no sense be construed as hostile to the people of Lesotho 244.“
Nach Ansicht Südafrikas traf Lesotho die Verantwortlichkeit für die Gewaltakte des ANC 245. Die überwiegende Mehrheit der Staaten verurteilte das Vorgehen Südafrikas überwiegend wegen dessen Apartheidpolitik, ohne den behaupteten Selbstverteidigungsanspruch explizit zurückzuweisen 246. Demnach scheiterte der AnSo etwa der jordanische Vertreter, SCOR, 36th year, 2292nd meeting, Rn. 65 ff. Siehe oben Einleitung A. II. 2. b). 243 Zur Sachverhaltsdarstellung die Ausführungen Lesothos, SCOR, 37th year, 2406th meeting, S. 2 par. 14 ff. 244 SCOR, 37th year, 2409th meeting, S. 14 par. 137. 245 SCOR, 37th year, 2409th meeting, S. 14 par. 134. 246 Libyen, SCOR, 37th year, 2407th meeting, S. 2 par. 8 ff.; Togo, SCOR, 37th year, 2407th meeting, S. 4 f. Par. 37 ff.; Togo weist überdies einen Rechtsanspruch auf Nacheile zurück, SCOR, 37th year, 2407th meeting, S. 4 par. 36; China, SCOR, 37th year, 2407th meeting, S. 12 par. 131; Jugoslawien, SCOR, 37th year, 2408th meeting, S. 6 par. 64; Panama, SCOR, 37th year, 2409th meeting, S. 2 par. 9; Kenia, SCOR, 37th year, 2409th meeting, S. 4 par. 33 ff.; Benin, SCOR, 37th year, 2409th meeting, S. 5 f. Par. 50 ff. 241 242
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spruch offensichtlich an der Rechtmäßigkeit der bewaffneten Aktivitäten des ANC, nicht aber an der fehlenden Staatlichkeit der Angriffe. Nur wenige Staaten befassten sich mit dem von Südafrika behaupteten Selbstverteidigungsrecht: Teilweise wurde ein solcher Anspruch wegen des präventiven Charakters der Maßnahme zurückgewiesen 247, andere Staaten hegten Zweifel, ob tatsächlich Gewaltakte durch den ANC vom Territorium Lesothos aus verübt worden seien 248. Vereinzelt wurde der Anspruch Südafrikas ausdrücklich dem Grunde nach als legitim bezeichnet, in seiner Ausführung aber als unverhältnismäßig 249. 6. Gewalteinsätze der Türkei auf dem Territorium des Irak gegen kurdische Stützpunkte in den Jahren 1983 und 1984 In den Jahren 1983 und 1984 setzte die Türkei Gewalt gegen bewaffnete kurdische Einheiten auf dem Territorium des Irak ein 250. Die Türkei berief sich unter anderem auf Notstand 251. Der Irak akzeptierte das Vorgehen der Türkei unter dem Gesichtpunkt eines außergewöhnlichen Notstandes und mit dem Hinweis auf den zeitlich begrenzten Charakter der Gewaltaktion 252. 7. Konflikt zwischen Nicaragua und den USA in den 1980er Jahren Das bereits an anderer Stelle besprochene Nicaragua-Urteil des IGH 253 enthält neben den Ausführungen im Hinblick auf die staatliche Zurechenbarkeit privater Gewaltakte 254 auch Aussagen zur Zulässigkeit staatlicher Gewaltmaßnahmen gegen nicht zurechenbare bewaffnete Angriffe. In diesem Fall ging es um die Rechtmäßigkeit der US-amerikanischen Gewaltmaßnahmen auf nicaraguanischem Territorium, die die USA als Selbstverteidigungsmaßnahme zugunsten El Salvadors gegen private Angreifer verstanden wissen wollten. Der IGH knüpfte die Zulässigkeit der Maßnahme an das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs Nicaraguas gegen El Salvador 255. Mangels Zurechenbarkeit der Angriffe 256 konnte nach Ansicht des GeJapan, SCOR, 37th year, 2407th meeting, S. 10. Irland, SCOR, 37th year, 2407th meeting, S. 8 par. 89. 249 USA, SCOR, 37th year, 2408th meeting, S. 2 par. 24. 250 Hierzu Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 89. 251 Siehe die zusammengefasste Stellungnahme in RGDIP 87 (1983), S. 455 f. und 884 ff. 252 Vgl. die Stellungnahme in RGDIP 87 (1983), S. 884 ff. 253 ICJ Reports 1986, S. 14 ff. 254 Zur Zurechnungsproblematik ausführlich oben Kapitel 1 B. II. 255 Dabei hat er nicht Art. 51 SVN zugrunde gelegt, sondern das völkergewohnheitsrechtliche kollektive Selbstverteidigungsrecht, weil er sich aus prozeduralen Gründen gehindert sah, die Satzung der Vereinten Nationen heranzuziehen. Siehe hierzu bereits oben Fußn. 76. 256 Die Zurechenbarkeit scheiterte in tatsächlicher Hinsicht daran, dass die aktive Unterstützung Nicaraguas in die Aktivitäten der oppositionellen Verbände in El Salvador nicht nachge247 248
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richts Nicaragua nicht als bewaffneter Angreifer angesehen werden, weshalb Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen Nicaragua unzulässig seien. Das Gericht erwog ein Recht zur Gegenmaßnahme und leitete dieses aus Art. 30 ILC-Entwurf (in der Fassung 1986) ab 257: „When dealing with the rule of the prohibition of the use of force, the Court considered the exception constituted by the exercice of the right of collective self-defence in the event of armed attack. Similary, it must now consider the following question: if one State acts towards another State in breach of the principle of non-intervention, may a third State lawfully take such action by way of counter-measures against the first State as would otherwise constitute an intervention in its internal affairs? A right to act in this way would be analogous to the right of collective self-defence in the case of an armed attack, but both the act which gives rise to the reaction, and that reaction itself, would in principle be less grave.“
Dieses Recht schließt nach Ansicht des IGH die Befugnis zur Anwendung verhältnismäßiger Gewalt ein, wenn die Intervention ihrerseits Gewalt beinhaltet. Die Ausführungen des Gerichts führen zu einem gewissen Auseinanderklaffen der Anwendungsbereiche von Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht 258: Während auch die Unterstützung, ja offenbar jede zur staatlichen Verantwortlichkeit führende Verwicklung eines Staates in terroristische Aktivitäten das Gewaltverbot verletzt, steht dem angegriffenen Staat das Selbstverteidigungsrecht nur gegen staatlich zurechenbare bewaffnete Angriffe offen. In der völkerrechtlichen Literatur stieß dieses zu einem offensichtlichen Verteidigungsdefizit führende Ergebnis auf heftige Kritik 259. Auch der IGH will den angegriffenen Staat letztlich nicht auf bloße gewaltlose Gegenmaßnahmen und Schadensersatzansprüche verweisen und flüchtet sich zur Abwendung untragbarer Rechtsfolgen in ein von ihm im Rahmen eines obiter dictum erfundenes Gegenmaßnahmerecht. Dieser gefährlich in Richtung bewaffneter reprisal weisende Weg vermag bereits in methodischer Sicht nicht zu überzeugen, verbietet sich doch angesichts der Ausschließlichkeit des Art. 51 SVN als wiesen werden konnte und dem Gericht selbst bei Erbringung eines solchen Nachweises die von den USA vorgeworfenen Unterstützungsleistungen (Waffenlieferungen und logistische Hilfe) für einen Zurechnungsvorwurf nicht ausreichten. Ausführlich oben Kapitel 1 B. II. 2. b) bb) (2). 257 IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports 1986, S. 110 f. par. 210 f. In der heutigen Fassung des ILC-Entwurfs heißt es in Art. 22: „The wrongfulness of an act of a State not in conformity with an international obligation of that State is precluded if and to the extent that the act constitutes a countermeasure taken against the latter State in accordance with chapter II of Part Three.“. 258 Zur Inkongruenz der Anwendungsbereiche von Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht Doehring, Völkerrecht, Rn. 760 f.; speziell zur hier besprochenen Konstellation privater Angriffe Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 195 f. 259 Derpa, Das Gewaltverbot der Satzung der Vereinten Nationen und die Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, S. 120; Hargroves, AJIL 81 (1987), S. 135 (137). Zum Teil wird die aus dem Urteil folgende Begrenzung des Selbstverteidigungsrechts schlicht mit dem Hinweis auf die bloße inter partes-Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen des IGH zu übergehen versucht, vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 760 f.
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Rechtfertigung für Gewalthandlungen 260 der Rekurs auf ungeschriebene Legitimationstatbestände. Die Lösung des IGH kann daher nur dann überzeugen, wenn die rechtliche Grundlage für das von ihm erwogene Recht zur Vornahme gewaltsamer „countermeasures“ ebenfalls in Art. 51 SVN (bzw. dem inhaltsgleichen völkergewohnheitsrechtlich verankerten Selbstverteidigungsrecht) angesiedelt wird. Auf diesem Weg gelangt man zu dem ohnehin nahe liegenden Ergebnis, dass Gewaltverbot und Selbstverteidigung in einem Kongruenzverhältnis stehen und sich die Rechtmäßigkeit der Gegengewalt nach Eignung und Erforderlichkeit richtet. Bei näherer Betrachtung ermöglicht der Wortlaut der vom IGH gewählten Formulierung einen solchen Weg, wenn das Gericht von „countermeasures“ spricht und damit einen allgemeinen Begriff wählt, der Selbstverteidigungsmaßnahmen mit umfasst. So heißt es in dem ILC-Entwurf (auf den sich der IGH in seinem Urteil bezieht) in dem den „countermeasures“ gewidmeten Artikel 22 (Art. 30 damaliger Fassung): „The wrongfulness of an act of a State not in conformity with an international obligation of that State is precluded if and to the extent that the act constitutes a countermeasure taken against the latter State in accordance with chapter II of Part Three.“ 261
Die Ausübung der „countermeasures“ wird hauptsächlich durch Vorschriften reguliert, die eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verkörpern 262. Ihnen müssen etwa nach Art. 52 des ILC-Entwurfs Konsultationen vorausgehen. Im Ergebnis bedeuten die Ausführungen des IGH zur Befugnis grenzüberschreitender Gewaltmaßnahmen Folgendes: Das Selbstverteidigungsrecht soll nur im Fall zurechenbarer und schwerer bewaffneter Angriffe offen stehen; gegen staatliche Gewalt unterhalb der Schwelle eines bewaffneten Angriffs dagegen gilt das in Art. 22 des ILC-Entwurfs statuierte Recht auf Vornahme von „countermeasures“, Hierzu Kapitel 1 B. I. Nach der Konzeption des ILC-Entwurfs handelt es sich bei den „countermeasures“ im Sinne des Art.22 um gewaltlose Maßnahmen, vgl. Kommentierung zu Art.22 par. 1. Allerdings beschränkt der ILC-Entwurf in Art. 21 die Vornahme von Selbstverteidigung anders als der IGH nicht auf die Abwehr schwerer Angriffe. Da Art. 22 als Auffangtatbestand gegenüber Art. 21 gedacht ist, fallen demnach bei einer restriktiven Lesart des Art. 21 im Sinne der IGHRechtsprechung auch gewaltsame Gegenmaßnahmen gegen Angriffe unterhalb der Schwelle eines bewaffneten Angriffs unter den Anwendungsbereich des Art. 22. Der Einführung eines Rechts auf Vornahme von „countermeasures“ in den ILC-Entwurf gingen kontroverse Debatten voraus; letztlich setzte sich aber die Einsicht durch, dass derartige Maßnahmen besser durch deren rechtliche Begrenzung kontrolliert werden können. So lehnten Kuba, UN Doc. A/C.6/55/SR.18, par. 61; Indien, UN Doc. A/C.6/55/SR.15, par. 29 und Mexiko, UN Doc. A/C.6/55/SR.20, par. 37 f. die Einführung des Art. 22 in den Entwurf strikt ab; hiergegen die überwiegende Mehrheit der Staaten: Italien, UN Doc. A/C.6/55/SR.16, par. 26; Jordanien, UN Doc. A/C.6/55/SR.18, par. 15 f.; Spanien, UN Doc. A/C.6/55/SR.16, par. 16; USA, UN Doc. A/C.6/55/SR.18, par. 68 ff.; Großbritannien, UN Doc. A/C.6/55/SR.14, par. 33; Brasilien, UN Doc. A/C.6/55/SR.18, par. 64 f. Zur Genese umfassend Crawford, Fourth Report on State Responsibility, UN Doc. A/CN.4/517. 262 Nach Art.49 des ILC-Entwurfs dürfen die Maßnahmen nur darauf gerichtet sein, den verantwortlichen Staat zur Erfüllung seiner Verpflichtungen zu bewegen, sie müssen zeitlich begrenzt und in ihrer Intensität angemessen sein (vgl. Art. 51). 260 261
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welches an deutlich strengere Voraussetzungen geknüpft ist. Richtigerweise sollte die rechtliche Grundlage für eine derartige Befugnis aber nicht in einer analogen Anwendung des Selbstverteidigungsrechts, sondern in Art. 51 SVN selbst gesucht werden. Die Ausübung der gewaltsamen Gegenmaßnahmen setzt einen vorangegangenen staatlichen Verstoß („if one State acts towards another State in breach of the principle of non-intervention“) voraus, weshalb nach der Konzeption des IGH das Recht auf gewaltsame Gegenintervention von der Verantwortlichkeit des Staates in Bezug auf die verübten privaten Gewaltakte abhängt. Insoweit weist die vom IGH erwogene Befugnisnorm eine deutliche Nähe zu der oben dargestellten Literaturmeinung auf, die grenzüberschreitende Selbstverteidigungsmaßnahmen zwar auch ohne staatliche Zurechenbarkeit zulassen will, zumindest aber eine staatliche Verantwortlichkeit des zur Duldung der Gewaltmaßnahme verpflichteten Staates fordert 263. Schließlich sei zur Einordnung des Urteils für die Bedeutung der Auslegung der Satzung 264 angemerkt, dass sich Ausführungen des IGH erstens ausschließlich auf die Auslegung völkergewohnheitsrechtlicher Normen bezogen, zweitens die Zuständigkeit des IGH zur Entscheidung des Rechtsstreits innerhalb des Gerichts umstritten war 265 und die USA die Anerkennung des Urteils unter Berufung auf die Unzuständigkeit des Gerichts verweigerten 266. 8. Gewalteinsätze Israels auf dem Territorium des Libanon in den 1990er Jahren Die Konflikte zwischen Israel und verschiedenen palästinensischen Organisationen dauerten auch in den 1990er Jahren weiter an. Einen Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung im Dezember 1996 267, in der Stellungen der Hizbollah im Libanon vermehrt Ziel israelischen Artilleriebeschusses wurden268. Israel führte in rechtlicher Hinsicht Folgendes aus: „Any action by Israel in response to (...) terrorism has thus been taken solely in self-defence and has regretfully been made necesarry precisely because the Government of Lebanon has been, and unfortunately remains, ineffectual, unable or unwilling to carry out its basic duty under international law and the Charter of the United Nations of preventing its territory from Siehe oben Kapitel 3 B. Hierzu ausführlich unten Kapitel 3 D. I und II. 265 Siehe das Sondervotum des Richters Schwebel, ICJ Reports 1984, S. 558 ff. 266 Siehe die US-amerikanische Stellungnahme, abgedruckt in ILM 24 (1985), S.246 ff. 267 Die von der überwiegenden Staatenmehrheit verurteilten israelischen Militäreinsätze im März 1996 sind nicht Gegenstand der Untersuchung, hierzu Brief des Libanon an den UN-Generalsekretär vom 3.4.1996, UN Doc. S/1996/243 und die Reaktionen der EU im Brief Italiens an den UN-Generalsekretär vom 23.4.1996, UN Doc. S/1996/314 und vom 19.4.1996, UN Doc. S/1996/308. 268 Siehe die Sachverhaltsdarstellung im Brief des Libanon an die Vereinten Nationen vom 17.1.1997, UN Doc. S/1997/46. Zu weiteren Auseinandersetzungen, vgl. Brief Israels vom 9.2.2000 an den UN Generalsekretär, UN Doc. S/2000/98, S. 2. 263 264
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being used as a base for Hizbollah and other terrorist group’s attacks against Israel and its citizens.“ 269
Die Maßnahmen wurden somit als Verteidigungsmaßnahmen gegen die Hizbollah bezeichnet („response to terrorism“). In der Argumentation Israels rückte in Abweichung zur Konfliktpraxis der 1970er und 1980er Jahre die Unfähigkeit oder Unwilligkeit des Libanon, derartige Maßnahmen zu verhindern, zunehmend in den Mittelpunkt. Der Libanon sei daher zur Duldung der Selbstverteidigungsmaßnahmen verpflichtet gewesen. Ein Verantwortlichkeits- oder Zurechnungsvorwurf wurde gegen den Libanon gleichwohl nicht erhoben, ebenso unterblieben Schadensersatzforderungen wegen der durch die Terrorakte entstandenen Verluste. Hilfsweise wies Israel den vom Libanon erhobenen Anspruch auf einen legitimen Befreiungskampf zurück 270, womit Israel im Grundsatz offenbar anerkennt, dass die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts einen rechtswidrigen Angriff voraussetzt. Auch in den Auseinandersetzungen der Folgejahre rechtfertigte Israel sein Vorgehen ausschließlich mit seinem Recht auf Selbstverteidigung gegen die besagten terroristischen Organisationen 271. Teils werden die Übergriffe der Hizbollah als „attacks“ bzw. „act of aggression“ bezeichnet 272. Eine staatliche Zurechenbarkeit an den Libanon wird nicht behauptet. Lediglich die fehlende effektive Staatsgewalt wird dem Libanon vorgeworfen: „These targets were chosen in border of both to strike at Hizbullah and to make clear to the Lebanese Government that its failure to restrain the Hizbullah carries with a heavy price.“ 273
Bemerkenswert ist, dass anders als in den 1970er und 1980er Jahren in den meisten Fällen Syrien, zum Teil auch der Iran für die Angriffe der nichtstaatlichen Gruppen verantwortlich gemacht wurde 274, ohne dass dies zur Inanspruchnahme eines 269 Israelischer Brief an die Vereinten Nationen vom 3.2.1997, UN Doc. S/1997/108, S. 1; Hervorhebung und Einklammerung im Zitat durch Verfasser. 270 Israelischer Brief an die Vereinten Nationen vom 3.2.1997, UN Doc. S/1997/108, S. 2. 271 So heißt es in dem israelischen Brief vom 9.2.2000 an den UN-Generalsekretär, UN Doc. S/2000/98, S.2.: „Israel will retain its freedom to act in self-defence and will take forceful action against those who harm the security and well-being of its citizens and soldiers. Hizbullah has been clearly warned that artillery fire into Israeli territory will result in an even severe Israeli response.“. 272 Brief Israels vom 7.10.2000 an den UN-Sicherheitsrat, UN Doc. S/2000/969. 273 Brief Israels vom 9.2. 2000 an den UN Generalsekretär, UN Doc. S/2000/98, S. 2 und Brief Israels vom 7.10.2000 an den UN-Sicherheitsrat, UN Doc. S/2000/969. 274 So etwa in den Briefen des ständigen Vertreters Israels bei den Vereinten Nationen vom 29.2.2000, UN Doc. S/2000/163 und vom 7.10.2000, UN Doc. S/2000/969. Soweit ebenfalls eine „direct responsibility“ des Libanon angenommen wird, bezieht sich dieser Vorwurf eher auf dessen aktive Unterstützung gegenüber Syrien und dem Iran, vgl. Brief Israels vom 7.10.2000 an den UN-Sicherheitsrat, UN Doc. S/2000/969. So wird die Frage der Verantwortung des Libanon immer nur im Zusammenhang mit der Verantwortung Syriens aufgeworfen. Die staatliche Zurechenbarkeit wird daraus nicht gefolgert. Aufgrund der Unfähigkeit als solcher wird kein Verantwortlichkeitsvorwurf erhoben und erst recht keine Zurechnung abgeleitet, vgl. insbesondere den israelischen Brief an den UN-Sicherheitsrat vom 18.4.2001, UN Doc. S/2001/835, S. 1 f.
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Verteidigungsrechts gegenüber diesen Staaten führte. Die territoriale Integrität des Libanon wurde also ohne dessen Verwicklung, die territoriale Integrität der verwickelten Staaten demgegenüber gar nicht beeinträchtigt. Offenbar reichte es aus, dass die Angriffe von libanesischem Territorium ausgingen. Da sich die Ausführungen Israels hinsichtlich der Rechtfertigung nach Art. 51 SVN überwiegend mit dem Verhalten der Hizbollah befassten, stellte Israel bei der Inanspruchnahme des Selbstverteidigungsrechts auch im Konfliktzeitraum der 1990er Jahre nicht auf eine staatliche Verwicklung ab. Bei einer behaupteten Zurechnung (etwa aufgrund einer Duldung) hätte überdies die Geltendmachung von Kompensationsforderungen durch Israel nahe gelegen, was jedoch durchweg unterblieb. Die Staaten der Arabischen Liga verurteilten das Verhalten Israels auf Schärfste, ohne auf das von Israel behauptete Selbstverteidigungsrecht einzugehen 275. Die zahlreichen Verurteilungen rügten überwiegend die Unverhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel; die Inanspruchnahme des Selbstverteidigungsrechts gegen private Angreifer stellten sie jedoch nicht grundsätzlich in Abrede. Die Europäische Union276 lehnte die israelischen Militäraktionen zurückhaltend und ebenfalls allein wegen der zivilen Opfer ab. Die Inanspruchnahme des Selbstverteidigungsrechts durch Israel wurde in der europäischen Stellungnahme nicht gewürdigt, jedenfalls wurde ein solcher Anspruch nicht mangels Staatlichkeit der Angriffe verwehrt. Andere Stellungnahmen 277 wiesen das von Israel beanspruchte Recht auf Selbstverteidigung mit der unzutreffenden 278 Begründung zurück, die vorangegangenen Gewaltakte der „Lebanese national resistance“ (Hizbollah) stellten die Ausübung des legitimen Befreiungsrechts gegen eine unrechtmäßige Unterdrückung und Gebietsokkupation dar. Jedenfalls sollte die Aktivierung des Selbstverteidigungsrechts demnach offenbar einen rechtswidrigen bewaffneten Angriff voraussetzen. 9. Gewalteinsätze der Türkei im Nordirak im Zeitraum von 1991 bis 2003 Seit 1991 kam es in regelmäßigen Abständen zu Grenzübertritten türkischer Streitkräfte in das Territorium des Irak, um gegen bewaffnete Stützpunkte der PKK vorzugehen 279. Unbestritten war der Irak zum damaligen Zeitpunkt (unter anderem 275 Briefe Kuwaits (in der Funktion als Vorsitzender der Arabischen Liga) an den UN-Generalsekretär und an den UN-Sicherheitsrat vom 16.4.1997, UN Doc. S/1997/327 und UN Doc. S/1997/328. 276 Statement on Lebanon issued on 9 February 2000 by the Presidency of the European Union on behalf of the European Union, an den UN-Generalsekretär übersandt durch einen Brief Portugals 10.2.2000, UN Doc. S/2000/114. 277 Zum Beispiel der Brief Syriens bei den Vereinten Nationen an den UN-Generalsekretär vom 14.2.2000, UN Doc. S/2000/121. 278 Siehe Einleitung A. II. 2. b). 279 Siehe im Einzelnen zur Sachverhaltsdarstellung die unbestrittenen Ausführungen des Irak im Brief an den UN-Generalsekretär und den UN-Sicherheitsrat vom 31.5.1996, UN Doc. S/1996/401, S. 2; Brief vom 31.5.1998, UN Doc. S/1998/455, S. 2; Brief vom 31.5.1998, UN
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wegen des Flugverbotes und einschneidender Wirtschaftssanktionen 280) nicht in der Lage, effektive Staatsgewalt über sein Territorium im Nordirak auszuüben und somit grenzüberschreitende Übergriffe vor allem der PKK zu verhindern. Die Türkei betonte gleichwohl die Geltung der territorialen Unversehrtheit des Irak, leitete hieraus aber gleichzeitig die Pflicht des Irak ab, terroristische Angriffe zu unterbinden. „However, if respect for Iraq’s territiorial integrity is an obligation for Turkey as well as other members of the international community, Iraq is no less obliged to prevent the use of its territory for the staging of terrorist acts against Turkey.“ 281
Insoweit sollte nach türkischer Ansicht der Schutz des Art. 2 Ziff. 4 SVN auch für diejenigen Gebiete des Irak gelten, auf denen der Irak eine effektive Herrschaftsgewalt nicht auzuüben vermochte. Die im Zusammenhang mit den Grenzübertritten im Jahr 1996 angeführte rechtliche Erwägung, dass „Turkey’s resort to measures imperative to its own security originating from the principle of self-preservation and necessity, cannot be regarded as a violation of Iraq’s souvereignty“. 282
mag zu der Annahme verleiten, die Türkei habe ihre Grenzübertritte nicht als Verletzung der politischen Unabhängigkeit im Sinne des Art. 2 Ziff. 4 SVN betrachtet und daher das satzungsrechtliche Gewaltverbot bereits tatbestandlich für nicht einschlägig erachtet. Bei einem derartigen Verständnis wäre allerdings nicht zu erklären, wieso die Türkei ihre Grenzübertritte durch „self-preservation and necessity“ zu rechtfertigen versuchte, wenn sie gleichzeitig die einschlägige Verbotsnorm für nicht anwendbar hielte: „This being the situation, Turkey cannot be expected to stand idle when not only its territorial integrity but also the lives of its citizens are incessantly threatened by the blatant crossborder attacks of a terrorist organization, based and operating in northern Iraq (...). Under these circumstances, Turkey’s resort to measures imperative to its own security originating from the principle of self-preservation and necessity, cannot be regarded as a violation of Iraq’s souvereignty.“ 283 Doc. S/1998/456, S.2; Brief vom 9.11.1998, UN Doc. S/1998/1049, S.2; Brief vom 21.2.1999, UN Doc. S/1999/196, S. 2; Brief vom 12.5.1999, UN Doc. S/1999/560, S. 2; Brief vom 26.5.1999, UN Doc. S/1999/610; Brief vom 8.6.1999, UN Doc. S/1999/778, S. 2; Brief vom 5.10.1999, UN Doc. S/1999/1028, S. 2; Brief vom 27.4.2000, UN Doc. S/2000/353, S.2; Brief vom 7.6.2000, UN Doc. S/2000/546, S.2 und Brief vom 30.7.2000, UN Doc. S/2000/750, S.2. 280 Resolutionen des Sicherheitsrates 661 (1990) vom 6.8.1990 und 678 (1990) vom 29.11.1990. Durch letztere Resolution genehmigte der Sicherheitsrat alle zur Durchführung seiner bis dahin gefassten Resolutionen „notwendigen Maßnahmen“ der Staaten, die mit der Regierung von Kuwait zusammenarbeiten. 281 Brief der Türkei an den UN-Generalsekretär und den UN-Sicherheitsrat vom 21.6.1996, UN Doc. S/1996/479, S. 2; in die gleiche Richtung zielt der türkische Brief an den UN-Sicherheitsrat vom 14.7.1997, UN Doc. S/1997/552, S. 2. 282 Brief der Türkei an den UN-Generalsekretär und den UN-Sicherheitsrat vom 21.6.1996, UN Doc. S/1996/479, S. 2; Hervorhebung im Zitat durch Verfasser. 283 Brief der Türkei an den UN-Generalsekretär und den UN-Sicherheitsrat vom 21.6.1996, UN Doc. S/1996/479, S. 2. Wiederholend in einer umfassenden rechtlichen Stellungnahme der Türkei in UN Doc. S/1996/872, S. 2; Einklammerung im Zitat durch Verfasser. 10 Scholz
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Als Verteidigungsziele wurden durchweg die Stellungen der terroristischen Organisation bezeichnet, nicht der Irak selbst. Ohne ausdrücklich auf Art.51 SVN als Ermächtigungsgrundlage zu rekurrieren, rechtfertigte die Türkei ihre Einsätze mit einem Recht auf Selbstverteidigung (bzw. vereinzelt Selbsterhaltung) 284 und einem Notstandsrecht. Die gleichzeitige Bezugnahme sowohl auf Notwehr als auch auf Notstand deutet auf eine rechtliche Differenzierung zwischen der Abwehr gegen die PKK und der hierfür notwendigen Übergriffe auf irakisches Territorium hin. Hinsichtlich der territorialen Inanspruchnahme des Irak weisen die Ausführungen deutliche Bezüge zu einem notstandsrechtlichen Abwägungsvorgang auf 285. Die Notstandslage wurde insbesondere mit der unmittelbaren Gefährdung der eigenen Zivilbevölkerung begründet: „not only its territorial integrity but also the lives of its citizens are incessantly threatened“ 286. Die Türkei betonte den rein defensiven Charakter der als notwendig und angemessen bezeichneten Gegengewalt und legte das Fehlen alternativer Lösungen dar. Teilweise wurde der zeitlich und räumlich begrenzte Charakter der militärischen Aktion und die Tatsache zur Rechtfertigung angeführt, dass der Irak von den besagten Maßnahmen informiert wurde 287. Letzterer Gesichtspunkt impliziert, dass nach türkischer Auffassung den schutzwürdigen Interessen des Irak durch die strenge Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der damit verbundenen Konsultationspflichten (in diesem Fall: vorzeitige Information auf diplomatischem Weg) Genüge getan ist, womit ebenfalls in Richtung einer Notstandsbefugnis nach Abwägung gewiesen ist. Die Türkei unternahm ihre grenzüberschreitenden Verteidigungsmaßnahmen schließlich unabhängig von der staatlichen Zurechenbarkeit der Angriffe. Selbst eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Irak wurde ausdrücklich abgelehnt 288. „Turkey (...) can at present neither ask the Government of Iraq to fulfil its obligation nor find any legitimate authority in the north of Iraq to hold responsible under international law for terrorist acts commited or originated there. (...) (U)ntil Iraq is in a position to resume its responsibilities (...), Turkey has to take necessary measures (...).“ 289 284 Im Brief des türkischen Außenministers an den Generalsekretär der Vereinten Nationen vom 21. Juni 1996, UN Doc. S/1996/479 heißt es zwar noch: „Turkey’s resort to measures imperative to its own security originating from the principle of self-preservation und necessity (...)“, in der folgenden Debatte werden jedoch ausschließlich die Begriffe self-defence und necessity verwendet, vgl. nur UN Doc. S/1996/561; UN Doc. S/1996/836; UN Doc. S/1996/872. 285 Exemplarisch die umfassende rechtliche Stellungnahme der Türkei in UN Doc. S/1996/871, S. 2: „I would only mention in this context that the approach we have taken (...) reflects Turkey’s appreciation of the difficulties faced by the people of Iraq as well as our own.“ 286 Stellungnahme der Türkei in UN Doc. S/1996/871, S. 2. 287 Brief der Türkei an den UN-Sicherheitsrat vom 14.7.1997, UN Doc. S/1997/552, S. 2. 288 Teilweise wird eine solche bei Syrien gesucht, wegen dessen angeblicher massiver Unterstützung der PKK, vgl. ausführlich hierzu den Brief der Türkei an den UN-Generalsekretär und den UN-Sicherheitsrat vom 21.6.1996, UN Doc. S/1996/479, S. 3. Ein Verantwortlichkeitsvorwurf klingt auch im türkischen Schreiben an den UN-Sicherheitsrat vom 14.7.1997, UN Doc. S/1997/552, S. 3 an, wenngleich Syrien nicht ausdrücklich erwähnt wird.
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Soweit ersichtlich, wurde im besagten Konfliktzeitraum von türkischer Seite nur ein einziges Mal– im Jahr 1997– die Geltendmachung von Kompensationsansprü289 290 chen vorbehalten 290: „Turkey reserves the right to seek compensation for the aforementioned loss of life and property.“
Es wäre allerdings voreilig, hieraus die Annahme einer staatlichen Zurechenbarkeit der PKK-Aktivitäten abzuleiten. Unklar bleibt zum einen, gegen wen sich die „Kompensationsforderungen“ richten und aufgrund welcher tatsächlichen und rechtlichen Grundlage sie gefordert werden sollen. Soll es sich dabei um einen gegen den Irak gerichteten Ersatzanspruch für die durch die terroristischen Angriffe erlittenen Schäden handeln (ein solcher Anspruch käme nur im Falle staatlicher Zurechenbarkeit in Betracht)? Oder wird Ersatz für die Schäden gefordert, die sich ursächlich auf die irakische Unfähigkeit der Verhinderung der Angriffe zurückführen lassen? In diesem Fall müsste ein besonderer Kausalitätsnachweis geführt werden, weshalb unter Umständen nicht alle Schäden kompensationspflichtig wären; in jedem Fall kämen derartige Ansprüche nur bei einer völkerrechtlichen Verantwortlichkeit des Irak in Betracht, eine staatliche Zurechenbarkeit der Angriffe setzte die Geltendmachung dieser Ansprüche nicht voraus. Schließlich kann der Verweis auf den „aforementioned loss of life and property“ ebenso als Rekurs auf Ersatzansprüche für die im Rahmen der Gegengewalt entstandenen Verluste nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag gedeutet werden, wenn es im vorangegangenen Satz heißt: „The Government of Turkey is determined to take all appropriate measures with a view to safeguarding its legitimate security interests“. Die Geltendmachung derartiger Ersatzansprüche setzte weder die staatliche Verantwortlichkeit des Irak noch die staatliche Zurechenbarkeit der Gewaltakte voraus, sondern verdeutlichte nur, dass die Abwehr besagter Terrorakte in den Aufgabenkreis des Irak gehöre. Demnach lassen sich der Androhung von „Kompensationsansprüchen“ keine eindeutigen Aussagen über die türkische Sicht hinsichtlich der staatlichen Zurechenbarkeit der Gewaltakte entnehmen. Der Irak verurteilte das türkische Verhalten 291. Er bezichtigte die Türkei, die „abnormale Situation“ im Irak auszunutzen und verneint ausdrücklich eine Berufung auf jedwede Rechtfertigungsgründe regelmäßig mit folgender Begründung: „Indeed, the Turkish Government bears a significant part of the responsibility for the absence of any legitimate authority in northern Iraq (...). Consequently, the Turkish Government cannot invoke the principle of necessity or the legitimate right of self-defence in refe289 Brief der Türkei an den UN-Generalsekretär und den UN-Sicherheitsrat vom 21.6.1996, UN Doc. S/1996/479, S. 2; Einklammerung durch Verfasser. 290 Brief der Türkei an den UN-Generalsekretär und den UN-Sicherheitsrat vom 3.1.1997, UN Doc. S/1997/7, S. 3. 291 Brief des Irak an den UN-Generalsekretär und den UN-Sicherheitsrat vom 30.5.1996, UN Doc. S/1996/401, S. 2.
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rence to an anomalous situation that it has itself actively and directly participated in creating.“ 292
Hiermit bestritt der Irak nicht den türkischen Verteidigungsanspruch als solchen, sondern wies eine Inanspruchnahme von Notstands- und Notwehrrechten allein aufgrund der Tatsache zurück, dass die Türkei selbst die Verantwortung für das Vorliegen dieser Situation mit zu tragen hatte. Damit wurde von irakischer Seite im Umkehrschluss ein Selbstverteidigungsrecht auch in Fällen fehlender staatlicher Zurechenbarkeit anerkannt. In der übrigen Staatenwelt finden sich nur wenige Äußerungen zu den genannten Vorfällen. Die Arabische Liga verurteilte das türkische Vorgehen im Irak insbesondere wegen der damit verbundenen Leiden für die irakische Bevölkerung. Eine Auseinandersetzung mit den von türkischer Seite vorgebrachten Rechtfertigungsgründen fand nicht statt 293. 10. Gewalteinsatz des Iran auf dem Territorium des Irak im Juli 1996 In der Zeit zwischen dem 26. und dem 28. Juli 1996 überschritten iranische Kampfeinheiten die Grenze zum Irak und beschossen terroristische Trainingscamps auf irakischem Territorium. Die Militäraktion wurde durch den Iran als legitime Ausübung des Selbstverteidigungsrechts gegen vorangegangene terroristische Angriffe auf iranische Dörfer bezeichnet. „In response to these encroachments by terrorist armed groups and in accordance with its inherent right of self defence enshrined in Article 51 of the Charter, the Islamic Republic took immediat and proportional measures, which were necessary for curbing and suppressing such aggressive activities.“ 294
Die Terroristen wurden als alleinige Angreifer bezeichnet, gegen die sich die Verteidigungsmaßnahmen richteten. Der Iran erhob gegen den Irak weder einen Verwicklungsvorwurf, noch stellte er den irakischen Anspruch auf territoriale Unversehrtheit in Frage. Einzig der Umstand, dass dem Irak die effektive Herrschaftsgewalt fehlte, terroristische Aktivitäten auf seinem Territorium zu unterbinden, wurde 292 Brief des Irak an den UN-Sicherheitsrat vom 15.6.1996, UN Doc. S/1996/561, S.2, Hervorhebung und Einklammerung durch Verfasser; vgl. ferner die entsprechenden Begründungen im Brief vom 8.2.1998, UN Doc. S/1998/126, S.2; Brief vom 12.6.1998, UN Doc. S/1998/509, S. 2; Brief vom 9.11.1998, UN Doc. S/1998/1047, S. 2; Brief vom 19.5.1999, UN Doc. S/1999/580, S. 2; Brief vom 2.12.1999, UN Doc. S/1999/1225, S. 2; Brief vom 2.3.2000, UN Doc. S/2000/182, S.2; Brief vom 11.4.2000, UN Doc. S/2000/306, S.2. Teilweise wird von irakischer Seite die Notstandssituation der Türkei in Anlehnung an Art.24 des ILC-Entwurfs auch „distress“ genannt, womit eine besondere Gefahr für die in der Türkei lebende Zivilbevölkerung und weniger eine Gefahr für den türkischen Staat selbst bezeichnet werden soll. 293 Stellungnahme des Rates der Arabischen Liga betreffend die Situation im Nordirak vom 14.9.1996, UN Doc. S/1996/796, S. 2; Brief der Arabischen Liga an den UN-Sicherheitsrat vom 30.5.1997, UN Doc. S/1997/416, S. 2; Brief der Arabischen Liga an den UN-Sicherheitsrat vom 2.6.1997, UN Doc. S/1997/429, S. 3. 294 Brief des Iran an den UN-Generalsekretär UN Doc. S/1996/602.
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hervorgehoben, ohne dass der Iran insoweit einen rechtlichen Zusammenhang mit dem Recht auf Selbstverteidigung hergestellt oder Ersatzansprüche erhoben hat. Der Irak verurteilte den iranischen Militäreinsatz als ungerechtfertigte Aggression und als Verletzung des Völkerrechts 295 und behielt sich das Recht auf Schadensersatz vor 296. Auf Letzteres ging der Iran im Folgenden nicht ein 297. 11. Gewalteinsatz des Iran auf dem Territorium des Irak im September 1997 Am 29. September 1997 überschritten terroristische Kampfverbände die irakischiranische Grenze und starteten eine bewaffnete Offensive gegen iranische Ortschaften. Daraufhin bombardierte die iranische Luftwaffe Camps und Stellungen der Terroristen auf dem Gebiet des Irak. Zur Rechtfertigung führte der Iran aus: „In an immediat response to these attacks by heaviliy-armed terrorist groups against Iranian territory, and in exercice of the inherent right of self-defence recognized in Article 51 of the Charter, the air force of the Islamic Republic of Iran took a limited and proportionate measure against the invading terrorists and the two bases in Iraq from which they had planned, mobilized and initiated their armed cross-border attack against the Islamic Republic of Iran.“ 298
Dieser rechtlichen Begründung folgt der Hinweis auf frühere Angriffe und die großen Schäden dieser Aktivitäten: „The cross-border attacks (...) are not incidental or infrequent, and have recently increased significantly.“ 299
Erneut werden die terroristischen Gruppen, nicht der Irak selbst als Angreifer bezeichnet. Eine Verwicklung des Irak in die terroristischen Angriffe wird zwar vermutet, jedoch nicht näher dargelegt. Ebenso wenig werden aus der vermuteten Verwicklung Rechtsfolgen hergeleitet: Weder stützt sich die Verteidigungsaktion auf eine etwaige Verwicklung, noch werden Schadensersatzforderungen gegen den Irak Brief des Irak an den UN-Generalsekretär UN Doc. S/1996/617, S. 2. Brief des Irak an den UN-Generalsekretär UN Doc. S/1996/707, S. 2 und UN Doc. S/1996/761, S. 2. 297 Angesichts irakischer Kompensationsforderungen (nach dem Gewalteinsatz im Jahr 1996) erlangt sodann der vom Iran vorgetragene Hinweis auf die irakische Verantwortlichkeit insofern Bedeutung, als sich der Iran möglicherweise insoweit von eigenen Entschädigungspflichten freizeichnen bzw. irakische Forderungen gegen eigene Kompensationsforderungen aufrechnen wollte. Eine solche Vorgehensweise wäre insbesondere dann angezeigt, wenn der Iran in Notstand gehandelt hätte und daher zu Kompensationszahlungen verpflichtet wäre. Diese Regel findet sich in Art. 27 (b) des ILC-Entwurfs: „The invocation of a circumstance precluding wrongfullness in accordance with this chapter is without prejudice to the question of compensation for any material loss caused by the act in question“. 298 Brief des Iran an den UN-Generalsekretär, UN Doc. S/1997/768. 299 Brief des Iran an den UN-Generalsekretär, UN Doc. S/1997/768. 295 296
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erhoben. Der letztgenannte Hinweis auf frühere terroristische Angriffe deutet auf eine beanspruchte Rechtfertigung angesichts einer notstandsbegründenden Dauergefahr hin, die von irakischem Territorium ausgegangen sei. 12. US-amerikanischer Gewalteinsatz im Sudan und in Afghanistan im August 1998 Am 8. August 1998 explodierten in den US-amerikanischen Botschaften in Nairobi und in Daressalam Sprengsätze, die mehrere hundert Menschen töteten. Als Reaktion auf diese Anschläge bombardierte das US-amerikanische Militär paramilitärische Trainingscamps in Afghanistan und eine pharmazeutische Fabrik im Sudan, von der die USA vermuteten, dass sie als Produktionsstätte für chemische Waffen benutzt wurde 300. Die USA rechtfertigten ihr Vorgehen mit ihrem Recht auf Selbstverteidigung, wobei allein die terroristischen Angriffe, nicht das Verhalten des Sudan oder Afghanistans, als Auslöser des beanspruchten Rechts definiert wurden 301. Die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts wird somit nicht von einer staatlichen Verwicklung dieser Staaten in die terroristischen Aktivitäten abhängig gemacht, sondern vom Vorliegen terroristischer Angriffe als solchen: „Our target was terror. (...) I ordered this action for four reasons: First, because we have convinced evidence these groups played the key role in the Embassy bombings in Kenya and Tanzania; second, because these groups have executed terrorist attacks against Americans in the past; third, because we have compelling information that they were planning additional terrorist attacks against our citizens and others with the inevitable collateral casualities we saw so tragically in Africa, and fourth, because they are seeking to aquire chemical weapons and other dangerous weapons.“ 302
Die Erklärung befasste sich ausschließlich mit dem Verhalten der terroristischen Gruppen und ging mit keinem Wort auf eine etwaige Verwicklung anderer Staaten ein. Eine grenzüberschreitende Selbstverteidigungsbefugnis wurde somit ohne den Nachweis der staatlichen Zurechenbarkeit in Anspruch genommen. Der zweite und dritte Rechtsfertigungsgrund lesen sich zusammen wie eine Notstandsargumentation: Die zahlreichen Anschläge der Vergangenheit und die in Zukunft zu erwartende Siehe die Sachverhaltsdarstellung bei Murphy, AJIL 93 (1999), S. 161. Letter to Congressional Leaders Reporting on Military Action Against Terrorist Sites in Afghanistan and Sudan, Weekly Comp. Pres. 1998, Doc. 1650, zitiert nach Murphy, AJIL 93 (1999), S.161 (162 f. Fußn.3): „The United States acted in exercice of our inherent right of selfdefence consistent with Article 51 of the United Nations Charter. These strikes were a necessary and proportionate response to the threat of further terrorist attacks against U.S. personnel and facilities. (...) The targets were selected because they served to facilitate directly the efforts of terrorist specifically identified with attacks on U.S. personnel and facilities and posed a continuing threat to U.S. lives.“ (Einklammerung durch Verfasser) Der Hinweis auf die terroristische Dauerbedrohung lässt sogar auf eine reine Notstandsargumentation schließen. 302 Erklärung des damals amtierenden US-Präsidenten Clinton unmittelbar nach den Selbstverteidigungsmaßnahmen, Weekly Comp. Pres. 1998, Doc. 1642, zitiert nach Murphy, AJIL 93 (1999), S. 161; Einklammerung im Zitat durch Verfasser. 300 301
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Bedrohung begründeten aus US-amerikanischer Sicht eine notstandsähnliche Dauergefahr. Weder handelte es sich bei dem Bombardement um eine unmittelbare Reaktion auf die Anschläge in Nairobi und Daressalam (die Reaktion erfolgte erst in der Nacht vom 19. auf den 20. August 2001), noch ließe sich auf dem Boden einer strengen Notwehrkonzeption erklären, weshalb die USA (insoweit unwidersprochen) künftig zu erwartende terroristische Aktivitäten zur Legitimation ihres Vorgehens heranzogen. Deutlich vorsichtiger drückte sich der US-amerikanische Bericht gegenüber dem UN-Sicherheitsrat aus, in dem zumindest der Versuch unternommen wurde, ein dem Sudan und Afghanistan vorwerfbares Verhalten in Bezug auf die Gewaltakte nachzuweisen: „These attacks were carried out only after repeated efforts to convince the Government of the Sudan and the Taliban regime in Afghanistan to shut these terrorist activities down and to cease their cooperation with the Bin Laden organization. (...) The United States, therefore, had no choice but to use armed force to prevent these attacks from continuing. In doing so, the United States has acted persuant to the right of self-defence confirmed by Article 51 of the Charter of the United Nations.“ 303
Gleichwohl gingen die USA nicht so weit, eine staatliche Zurechenbarkeit der Anschläge zu behaupten. Die beiden letzten Sätze der Begründung weisen vielmehr erneut in Richtung einer Notstandsargumentation, indem sie den ultima ratio-Charakter ihrer gewaltsamen Handlungen („after repeated efforts to convince the Government of Sudan and the Taliban regime“) darlegen und ihr militärisches Vorgehen mit dem Vorliegen einer notstandsähnlichen Dauergefahr begründen. Andererseits hoben die USA hervor, dass allein durch die Gebietsbeeinträchtigungen im Sudan und in Afghanistan („The United States, therefore, had no choice ...“) dieser terroristischen Gefahr zu begegnen gewesen sei. Insoweit wurde eine Notstandsbefugnis gerade gegenüber diesen beiden Staaten begründet; auf die staatliche Zurechenbarkeit der konkreten Handlungen kam es nicht an. Der Sudan und die Taliban-Regierung in Afghanistan verurteilten die US-Militärschläge 304. Die Liga der Arabischen Staaten verurteilte lediglich das Vorgehen der USA im Sudan, äußerte sich indessen nicht zu den Anschlägen in Afghanistan305. In der westlichen Staatenwelt fand das Vorgehen der USA überwiegend Unterstützung 306. 303 Brief der USA an den UN-Sicherheitsrat vom 20.8.1998, UN Doc. S/1998/780; Einklammerung im Zitat durch Verfasser. 304 Brief des Sudan an den UN-Sicherheitsrat vom 21.8.1998, UN Doc. S/1998/786, S. 2. Ebenso verurteilten der Iran, der Irak, Russland, Pakistan und der Jemen die Gewaltmaßnahmen der USA, vgl. Murphy, AJIL 93 (1999), S. 161 (164). 305 Brief Kuwaits in seiner damaligen Funktion als Sprecher der Arabischen Liga an den UN-Sicherheitsrat vom 21.8.1998, UN Doc. S/1998/789. 306 So die Äußerungen Australiens, Frankreichs, Deutschlands, Japans, Spaniens und Großbritanniens, vgl. Murphy, AJIL 93 (1999), S. 161 (165).
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
13. Konflikt zwischen Indien und Pakistan im Jahr 1999 Am 27. Mai 1999 haben indische Kampfeinheiten Stellungen der Kashmiri freedom fighters auf pakistanischem Territorium angegriffen, um sich ständiger Übergriffe und Anschläge dieser Gruppen zu erwehren307. Indien berief sich in inoffiziellen Stellungnahmen auf sein Recht zur Selbstverteidigung und begründete dies insbesondere mit der Häufigkeit der vorangegangenen terroristischen Angriffe 308. Pakistan hingegen beharrte auf der Unverletzlichkeit seiner Grenzen und wies jeden Rechtsanspruch Indiens zurück, auf pakistanischem Territorium Kampfeinsätze zu fliegen 309. Die Europäische Union forderte beide Seiten auf, ihre gemeinsame Grenze zu respektieren, ohne auf den Selbstverteidigungsanspruch in rechtlicher Hinsicht einzugehen 310. In der übrigen Staatenwelt hat dieser Vorfall wenig Beachtung gefunden. 14. Gewalteinsatz des Iran auf dem Territorium des Irak im Juni 1999 Bei einem Gewalteinsatz im Juni 1999 ging der Iran (soweit ersichtlich) erstmals sicher von einer irakischen Verwicklung in terroristische Aktivitäten aus 311. „The (...) Iraq (...) admits that a well-known and internationally recognized terrorist organiszation maintains its camps in the territory of Iraq, where it receives substantial material, military, political and logistical support from the Government of Iraq.“ 312
Der Iran stützt seine Gegengewaltmaßnahmen auf Art. 51 SVN und betont deren defensiven Charakter. Die staatliche Verantwortlichkeit und womöglich Zurechenbarkeit wird mit der Verletzung einer Terrorismusresolution begründet 313. Den Ausführungen ist allerdings nicht zu entnehmen, ob die staatliche Zurechenbarkeit der Gewaltakte ursächlich für die Aktivierung der grenzüberschreitenden Selbstverteidigungsbefugnis sein sollte. Der Umstand, dass in diesem Konfliktbeispiel allein die terroristischen Stellungen als Ziele der Gegengewalt genannt werden, lässt eher auf das Gegenteil schließen: „It needs to be clarified that the proportionate actions by Iran, against terrorist bases and targets in Iraq which have been used to train terrorists and generate terrorism against Iran, Siehe die umfassende Chronik in RGDIP 104 (2000), S. 491 f. Dies geht implizit aus dem Brief Pakistans vom 27.5.1999 hervor, UN Doc. S/1999/633. 309 UN Doc.S/1999/633. 310 Anhang des Briefes des ständigen Vertreters von Deutschland bei den Vereinten Nationen vom 28.6.1999, UN Doc. S/1999/732. 311 Zu diesem Konfliktfall bereits oben Kapitel 1 B. II. 2. b) cc). 312 Brief des Iran an den UN-Generalsekretär, UN Doc. UN Doc. S/1999/781. 313 Der Iran stellt hierbei auf die Resolution der Generalversammlung 49/60 vom 9.12.1994 ab, in deren Anlage („Erklärung über Maßnahmen zur Beseitigung des internationalen Terrorismus“) die Staaten aufgefordert werden, „es zu unterlassen, terroristische Aktivitäten zu organisieren, zu erleichtern, zu finanzieren, zu begünstigen oder zu dulden (...)“. 307 308
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have been taken (...) in exercice of the inherent right of self-defence as set out in Article 51 of the Charter of the United Nations.“
15. Gewalteinsätze des Iran auf dem Territorium des Irak in den Jahren 2000 und 2001 Auch in den Jahren 2000 und 2001 kam es zu bewaffneten Einsätzen iranischer Streitkräfte auf dem Territorium des Irak, um gegen terroristische Stellungen vorzugehen. Der Iran rechtfertigte sein Vorgehen als „response to numerous operations by the MKO terrorist organization from its bases inside the territory of Iraq“,
die durch das Recht auf Selbstverteidigung legitimiert sei 314. Der Irak wurde schließlich aufgefordert, geeignete Maßnahmen zur Unterbindung der terroristischen Aktivitäten zu treffen. Einen Verwicklungsvorwurf erhob der Iran im Gegensatz zum Konfliktfall im Jahr 1999 allerdings nicht, ebenso wenig wie er die völkerrechtliche Verantwortlichkeit und die Kompensationspflicht des Irak geltend machte. Schließlich sind die Ausführungen des Iran zu seinem Gewalteinsatz insoweit bemerkenswert, als er dort seine Gegengewalt ausführlich mit dem Verweis auf frühere Angriffe und deren immense Schäden begründet. Damit qualifiziert er die terroristischen Angriffe als schwerwiegende Dauergefahr und lenkt die rechtliche Begründung zunehmend in Richtung einer Notstandsbefugnis. Die iranische Haltung hinsichtlich der Kompensationsansprüche deutet ebenfalls in Richtung der Inanspruchnahme eines Notstandsrechts. Zunächst wurden von iranischer Seite keine Forderungen für erlittene Schäden durch die terroristischen Angriffe erhoben. 16. Reaktionen auf die Anschläge in den USA vom 11. September 2001 Am 11. September 2001 brachten Terroristen drei Flugzeuge in ihre Gewalt und benutzten diese für Anschläge an verschiedenen Orten in den USA, unter anderem gegen das World Trade Center in New York 315. Nachdem die USA erfolglos das Taliban-Regime in Afghanistan aufgefordert hatten, den USA freien Zutritt zu den terroristischen Stellungen zu gewähren, informierten sie den UN-Sicherheitsrat, gegen die Stellungen der Al Quaida militärisch vorzugehen. Bei der rechtlichen Analyse der Staatenäußerungen sind zwei Zeiträume zu unterscheiden: 314 Briefe des Iran an den Sicherheitsrat, UN Doc. S/2000/78; UN Doc. S/2000/127; UN Doc. S/2001/271 und UN Doc. S/2001/381. 315 Das Schrifttum zu diesen Ereignissen und die rechtlichen Interpretationen der infolge dieser Anschläge ergangenen Sicherheitsratsresolutionen sind unüberschaubar. Aus dem deutschen Schrifttum vgl. nur Tomuschat, EuGRZ 2002, S. 535 (540); Ruffert, ZRP 2002, S. 247 ff.; Frowein, ZaöRV 62 (2002), S. 879 ff.; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 183 ff.; Bruha, AVR 40 (2002), S. 383 ff.; Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 183 ff.; Tietje/Nowrot, NZWehrr 2002, S. 1 ff.; aus dem US-amerikanischen Schrifttum siehe insbesondere Murphy, HILJ 43 (2002), S. 41 ff.; Franck, AJIL 95 (2001), S. 839 ff.
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
a) Zeitraum unmittelbar nach den Anschlägen Die zeitlich unmittelbar nach den Anschlägen abgegebenen Äußerungen sind für die hier behandelte Problematik deshalb besonders aufschlussreich, weil die Urheberschaft der Al-Quaida und eine mögliche Verwicklung der Taliban in die Anschläge nicht feststanden 316, so dass die Staatenwelt und die Vereinten Nationen zunächst nicht von der staatlichen Zurechenbarkeit der Gewaltakte ausgehen konnten. Gleichwohl anerkannten sowohl der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als auch zahlreiche Staaten und andere Internationale Organisationen ein auf Art. 51 SVN gestütztes Selbstverteidigungsrecht gegen terroristische Handlungen. So verabschiedete der UN-Sicherheitsrat zeitnah nach den Anschlägen die Resolutionen 1368 und 1373 (2001), in denen er das Selbstverteidigungsrecht der USA zunächst anerkannte (Resolution 1368) und später bekräftigte (Resolution 1373). Eine Identifizierung der Angreifer erfolgte dabei ebenso wenig wie die Nennung etwaig verwickelter Staaten. Die relevante Textpassage der vierten Präambelerwägung lautet: „The Security Council, reaffirming the inherent right of individual or collective self-defence as recognized by the Charter of the United Nations as reiterated in resolution 1368 (2001) (...).“ 317
Über die Auslegung dieser Passage herrscht Streit. Während ein Teil der völkerrechtlichen Literatur hierin die Anerkennung nichtstaatlicher Angriffe als bewaffnete Angriffe im Sinne des Art. 51 SVN erblickt, deuten andere die Resolution als eine Entwicklung hin zu einer Modifizierung der Zurechnungskriterien und schließen ein Selbstverteidigungsrecht ohne staatliche Zurechnung aus318. Beiden Positionen kann nur zum Teil gefolgt werden. Der erstgenannten Position ist entgegenzuhalten, dass die Resolution 1373 (2001) keine ausdrückliche Feststellung einer Selbstverteidigungssituation enthält, ein solches Recht ohne erkennbare staatliche Verwicklung lediglich bekräftigt. In ihrem operativen Teil gibt die Resolution gleichwohl Hinweise, die auf ein Selbstverteidigungsrecht bei nichtstaatlicher Gewalt schließen lassen: So mahnt die Resolution in Ziff. 4. des operativen Teils angesichts der sich verschärfenden terroristischen Bedrohung eine stärkere zwischenstaatliche Kooperation an 319. Hierin kann zum einen die Betonung des Schutzgedankens des Selbstverteidigungsrechts gesehen werden und zum anderen die Forderung nach einer ho-
Ebenso Murphy, HILJ 43 (2002), S. 41 (46). Abgedruckt in ILM 40 (2001), S. 1278; auf deutsch: „in Bekräftigung des naturgegebenen Rechts zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, das in der Charta der Vereinten Nationen anerkannt und in der Resolution 1368 (2001) bekräftigt wird“. 318 Siehe hierzu bereits oben Kapitel 1 B. II. 2. a) cc). 319 In Punkt 4 des operativen Teils heißt es: „nimmt mit Besorgnis Kenntnis von der engen Verbindung zwischen dem internationalen Terrorismus und (...) der unerlaubten Verbringung nuklearer, chemischer, biologischer und anderer potenziell tödlicher Materialien und betont in diesem Zusammenhang, dass die Anstrengungen auf einzelstaatlicher, subregionaler, regionaler und internationaler Ebene besser koordiniert werden müssen (...)“. 316 317
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hen Kooperationsbereitschaft, die unter Umständen die Einwilligung in eine militärische Intervention einschließt. Eindeutig ist die Resolution in diesem Punkt jedoch nicht. Schließlich erklärt Punkt 5. in einem Atemzug sowohl die terroristischen Aktivitäten als auch die Verwicklung in solche als Widerspruch zu den Zielen der Vereinten Nationen 320. Da insoweit auch private Gewalt als völkerrechtswidrig anerkannt wird, wäre es nicht einsichtig, sie aus dem Anwendungsbereich bewaffneter Angriffe im Sinne des Art. 51 SVN herauszunehmen. Der Gegenposition ist zuzugeben, dass – wie an anderer Stelle dargelegt 321 – mit guten Gründen vertreten werden kann, der Resolution Regeln über die Zurechnung nichtstaatlicher Gewaltakte zu entnehmen. Damit muss indes nicht notwendigerweise der Ausschluss des Selbstverteidigungsrechts gegen nichtzurechenbare Angriffe einhergehen. Es erscheint ebenso möglich, dass in der neueren Resolutionspraxis des Sicherheitsrates sowohl die Regeln über die Zurechnung privater Gewaltakte aufgelockert werden als auch von einem Selbstverteidigungsrecht gegen die privaten Akteure selbst ausgegangen wird. Eine solche Deutung legt auch die Praxis anderer Internationaler Organisationen nahe: So kündigte der NATO-Rat (vorbehaltlich eingehender Prüfung hinsichtlich der aggressiven Zielsetzung des Anschlags) in seiner Erklärung vom 12. September 2001 322 die Feststellung des Bündnisfalls unabhängig von dem Beweis der staatlichen Zurechenbarkeit an: „The Council agreed that if it is determined that this attack was directed from abroad against the United States, it shall be regarded as an action covered by Article 5 of the Washington Treaty (...). The commitment to collective self-defence embodied in the Washington Treaty was first entered into circumstances very different from those that exist now, but it remains no less valid and no less essential today, in a world subject to (...) terrorism.“ 323
Demnach sollte der Bündnisfall unabhängig von einer staatlichen Zurechenbarkeit ausgerufen werden; allein der grenzüberschreitende Charakter der Gewaltakte („from abroad“) sollte genügen. Der letzte Satz der Erklärung bestätigt dies, indem er hervorhebt, dass der Bündnisvertrag auch gegen neuartige Bedrohungen gewappnet sein müsse. In der wenig später von NATO-Generalsekretär Lord Robertson abgegebenen Erklärung vom 2. Oktober 2001 324 galt die Urheberschaft der Al Quaida für die Anschläge als erwiesen und der Bündnisfall wurde ausgerufen. „The facts are clear and compelling. The information presented points conclusively to an AlQuaida role in the 11 September attacks. We know that the individuals who carried out these 320 In Punkt 5 heißt es: „(...) erklärt, dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus in Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen und dass die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls in Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen“. 321 Siehe oben Kapitel 1 B. II. 2. a) cc). 322 Abgedruckt in ILM 40 (2001), S. 1267. 323 Einklammerung und Hervorhebung durch Verfasser. 324 Abgedruckt in ILM 40 (2001), S. 1268.
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
attacks were part of the world-wide terrorist network. (...) On the basis of this briefing, it has now been determined that the attack against the United States (...) shall be regarded as an action covered by Article 5 of the Washington Treaty. (...)“
Auch in dieser Erklärung wurde zwischen der staatlichen Verwicklung der Taliban (der de facto-Regierung Afghanistans) und der Ausrufung des Bündnisfalls kein Zurechnungszusammenhang hergestellt. In der Praxis der NATO wurden demnach auch private Aktivitäten unter den Begriff des bewaffneten Angriffs im Sinne des NATO-Vertrags gefasst. Ebenso zeigte die Organisation der amerikanischen Staaten in ihrer Erklärung vom 21. September die Bereitschaft, die Anschläge unabhängig von ihrer staatlichen Zurechenbarkeit unter den Beistandspakt von Rio zu subsumieren 325. b) Zeitraum unmittelbar vor der Militäraktion in Afghanistan und der nachfolgende Zeitraum In der Zeitspanne bis zum endgültigen Angriff auf Afghanistan am 7. Oktober 2001 326 hat sich die US-amerikanische Rechtsauffassung hinsichtlich der staatlichen Zurechenbarkeit (offenbar wegen der Weigerung der Taliban, den USA Zutritt zu den Stellungen der Al-Quaida zu gewähren) geändert 327. In ihrem Schreiben an den UN-Sicherheitsrat führen die USA aus 328: „The attacks (...) have been made possible by the decision of the Taliban regime to allow the parts of Afghanistan that it controls to be used by this organization as a base of operation. (...) In response to these attacks, and in accordance with the inherent right of individual and collective self-defence, United States armed forces have initiated actions designed to prevent and deter further attacks on the United States. These actions include measures against Al-Quaida terrorist camps and military installations of the Taliban regime.“ 329
Nunmehr gingen die USA von einer staatlichen Zurechenbarkeit der Anschläge aus. In Abweichung zu den bisherigen Äußerungen wurden ausdrücklich die Taliban selbst als Ziel der Gegengewalt definiert und der Zurechnungsvorwurf offen325 So heißt es in der Erklärung: „That these terrorist attacks against the United States of America are attacks against all American states and that in accordance with all the relevant provisions of the Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance (Rio Treaty) and the principle of continental solidarity, all States Parties to the Rio Treaty shall provide effective reciprocal assistance to adress such attacks and the threat of any similar attacks against any American state, and to maintain the peace and security of the continent“, vgl. OEA/Ser.F/ II.24, RC.24/RES.1/01. 326 Zum Ablauf der Ereignisse siehe die ausführliche Darstellung bei Murphy, HILJ 43 (2002), S. 41 (41 ff.); zur internen US-amerikanischen Meinungsbildung Abramowitz, HILJ 43 (2002), S. 71 ff. 327 Siehe hierzu oben Kapitel 1 B. II. 2. b) dd). 328 Brief der USA an den UN-Sicherheitsrat vom 7.10.2001, UN Doc. S/2001/946. 329 Einklammerung und Hervorhebung durch Verfasser.
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sichtlich mit deren aktiver Unterstützung („The attacks ... have been made possible by the ... Taliban regime“) begründet. Infolgedessen haben sich die Selbstverteidigungsmaßnahmen nicht – wie bei der Abwehr privater Handlungen sonst üblich – auf die Abwehr der Handlungen beschränkt, sondern zielten darauf, das Tailban-Regime vollständig zu beseitigen. An der militärischen Aktion beteiligten sich unter anderem Großbritannien330, Australien 331, die Niederlande 332, die sich auf ihr kollektives Selbstverteidigungsrecht beriefen. Das US-amerikanische Vorgehen fand ebenfalls Unterstützung durch die überwältigende Mehrheit der Staaten 333. c) Zusammenfassung Die Praxis des UN-Sicherheitsrates, der NATO, der OAS und der überwältigenden Mehrheit der Staaten im Vorfeld der US-amerikanischen Militäraktion in Afghanistan ließ in bislang ungewohnter Einigkeit und Eindeutigkeit die Rechtsauffassung erkennen, wonach private bewaffnete Angriffe unter den satzungsrechtlichen Begriff „bewaffneter Angriff“ (bzw. den deckungsgleichen Begriff in den jeweiligen Bündnisverträgen) subsumiert werden und das Selbstverteidigungsrecht des angegriffenen Staates aktivieren. Hinsichtlich der Befugnis zu grenzüberschreitenden Maßnahmen lässt sich die Praxis weniger eindeutig verwerten, da zunächst ein Selbstverteidigungsziel nicht feststand und später von der staatlichen Zurechenbarkeit der Angriffe an Afghanistan ausgegangen wurde. Den zahlreichen Versuchen der USA, die Taliban zur Auslieferung der Terroristen zu bewegen und den USA Zugang zu gewähren, kann mit gewisser Zurückhaltung die Rechtsauffassung entnommen werden, dass der Ausübung von Selbstverteidigungsmaßnahmen (ohne den Nachweis staatlicher Zurechenbarkeit) Konsultationen voranzugehen haben. Jedenfalls beanspruchten die USA von den Taliban die Duldung von Beeinträchtigungen der Gebietshoheit. Für die Beseitigung des Taliban-Regimes bedurfte es jedoch darüber hinaus des Nachweises der staatlichen Zurechenbarkeit der Anschläge. Da die Selbstverteidigungsbefugnis gegen die Al Quaida derartig tief greifende Maßnahmen nicht getragen hätte, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Suche nach Zurechnungstatbeständen politisch motiviert war und zur Legitimation eines Regimewechsels unternommen wurde.
Brief Großbritanniens an den UN-Sicherheitsrat vom 7.11.2001, UN Doc. S/2001/947. Brief Australiens an den UN-Sicherheitsrat vom 23.11.2001, UN Doc. S/2001/1104. 332 Brief der Niederlande an UN-Sicherheitsrat vom 29.11.2001, UN Doc. S/2001/1171. 333 Hierunter etwa Deutschland im Brief an UN-Sicherheitsrat vom 29.11.2001, UN Doc. S/2001/1127; Georgien, Pakistan, Oman, Saudi Arabien und Usbekistan siehe die Zitate bei Murphy, HILJ 43 (2002), S. 41 (49 Fußn. 48). 330 331
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17. Israelischer Gewalteinsatz in Syrien im Oktober 2003 Am 5. Oktober 2003 nahm das israelische Militär Stellungen des Islamischen Jihad in der Ortschaft Ain Al Sahib nördlich von Damaskus unter Beschuss 334. Der Einsatz folgte unmittelbar einem Anschlag jener terroristischen Organisation in Haifa, bei dem 19 Israelis starben. Der Vorfall ist insoweit bemerkenswert, als die beschossene Stellung in Syrien nicht unmittelbarer Ausgangspunkt der vorangegangenen Angriffe des Jihad war. Wie Israel selbst einräumte, wurden sämtliche Anschläge vom Territorium der autonomen palästinensischen Gebiete aus verübt. Aufenthaltsort der gewaltbereiten Angreifer und Verteidigungsziel waren somit verschieden. Israel führte zur Begründung seiner Aktionen mehr als 40 derartiger Anschläge an, die der Islamische Jihad innerhalb der letzten Jahre von palästinensischem Territorium aus verübt haben soll und bezichtigte Syrien der Gewährung eines „safe harbour“, finanzieller und logistischer Unterstützung bis hin zur Entsendung terroristischer Kommandos 335. Hierin kommt implizit der Vorwurf der staatlichen Zurechenbarkeit zum Ausdruck. Der Verweis auf die vorangegangene Anschlagsserie und die daraus begründete Dauergefahr rückt die Ausführungen deutlich in die Nähe einer Notstandsargumentation. Syrien verurteilte die israelische Militäraktion aufs Schärfste und bezeichnete sie als Manifestation israelischer Kolonialpolitik 336. Die übrigen im Sicherheitsrat vertretenen Staaten hielten sich mit rechtlichen Ausführungen zurück. In den Äußerungen Pakistans und des Libanon klang sogar ein gewisses Verständnis für die gegen Israel gerichteten Anschläge an: „State power must distinguish between acts of terrorism and the legitimate struggle of peoples under foreign occupation for self-determination and liberation.“337
Israel habe hingegen den Kampf gegen den internationalen Terrorismus für seine Zwecke ausgenutzt und die strikten Beschränkungen der Satzung gegenüber militärischer Gewalt nicht beachtet 338. Diese Rechtsauffassung bewegt sich zum einen in den Bahnen der bereits abgelehnten 339 Legitimitätsthese für „legitime Befreiungskämpfe“, zum anderen kommt hierdurch erneut ein Rechtswidrigkeitserfordernis in Art. 51 SVN zum Ausdruck, wobei die Rechtmäßigkeit der irsraelischen Maßnahmen im vorliegenden Fall offenbar am fehlenden terroristischen Charakter der Anschläge scheitern soll 340. Die Vertreter Spaniens, Chinas, Großbritanniens, Russland, 334 Zu diesem Vorfall bereits oben Kapitel 1 B. II. 2. b) ee); zum Sachverhalt Security Council, 4836th meeting, UN Doc. SC/7887. 335 Security Council, 4836th meeting, UN Doc. SC/7887, S. 4. 336 Security Council, 4836th meeting, UN Doc. SC/7887, S. 3 f. 337 Security Council, 4836th meeting, UN Doc. SC/7887, S. 5. 338 Security Council, 4836th meeting, UN Doc. SC/7887, S. 5. 339 Siehe Einleitung A. II. 2. b). 340 Security Council, 4836th meeting, UN Doc. SC/7887, S.5 (Pakistan) und S. 8 (Libanon).
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Deutschlands, Frankreichs, Bulgariens und Chiles verurteilten die Anschläge des Islamischen Jihad in Haifa, verneinten aber gleichwohl die Zulässigkeit der israelischen Militärmaßnahme gegen Syrien 341. Teils klangen Zweifel an der Geeignetheit der Maßnahme an, terroristische Handlungen zu unterbinden (Großbritannien, Deutschland), teils wurde sie wegen ihres Vergeltungscharakters zurückgewiesen (Spanien). Die arabischen Staaten verurteilten das Verhalten Israels durchweg 342. Die USA vermieden eine Verurteilung und riefen beide Seiten zur friedlichen Streitbeilegung auf. In recht allgemein gehaltenen Ausführungen bezichtigten die USA Syrien, terroristische Handlungen zu unterstützen und im Kampf gegen den Terrorismus „auf der falschen Seite“ zu stehen. Indirekt wurde Syrien für die Anschläge in Haifa mitverantwortlich gemacht 343. Da eine Verurteilung Israels am Veto der USA scheiterte, kann auf eine zumindest nicht ablehnende Haltung der USA gegenüber einer Berufung Israels auf Art. 51 SVN geschlossen werden. Angola bezeichnete sowohl die terroristischen Anschläge als auch die Vergeltungsmaßnahme als kriegerische Handlungen („act of war“), begnügte sich zur Begründung der Verurteilung Israels aber mit allgemeinen Ermahnungen zur Suche nach friedlichen Lösungen344. Demnach handelte es sich nach der Auffassung Angolas bei terroristischen Anschlägen nichtstaatlicher Herkunft zumindest dem Grundsatz nach um Angriffe („acts of war“), die ein Selbstverteidigungsrecht des angegriffenen Staates auslösen. In dieselbe Richtung weisen die Ausführungen Guineas, die die israelische Aktion wegen deren Unverhältnismäßigkeit und der Vermutung wegen verurteilten, Israel wolle den Friedensprozess torpedieren 345. Im Grundsatz wurde somit ebenfalls eine gegen terroristische Akte gerichtete Selbstverteidigung nicht ausgeschlossen. Schließlich setzte sich Jordanien mit einer möglichen Rechtfertigung der israelischen Vorgehensweise durch Art. 51 SVN auseinander und verneinte diese, da es sich bei der terroristischen Aktion nicht um eine „advanced military aggression against that State“ gehandelt habe. Nach jordanischer Rechtsauffassung kann somit jedenfalls im Falle einer schwerwiegenderen Gewaltaktion durch nichtstaatliche Gruppen das Selbstverteidigungsrecht aktiviert sein. Nach alledem ergibt sich in rechtlicher Hinsicht Folgendes: Von keinem der im Sicherheitsrat vertretenen Staaten wurde ein israelisches Recht auf Selbstverteidigung gegen die Angriffe des Jihad grundsätzlich in Abrede gestellt, lediglich wegen der fehlenden Unmittelbarkeit der Angriffe (Spanien), wegen unzureichender Intensität der Angriffe (Jordanien) oder mangels Eignung (Großbritannien, Deutschland) bzw. Verhältnismäßigkeit der Abwehrmaßnahme (Guinea, unklar Angola, China, Russland und Frankreich) im konkreten Fall abgelehnt. Die Reaktionen der StaatenSecurity Council, 4836th meeting, UN Doc. SC/7887, S. 5 f. Vgl. die Stellungnahmen Algeriens, Marokkos, Ägyptens, Tunesiens, Kuwaits und Saudi Arabiens, Security Council, 4836th meeting, UN Doc. SC/7887, S. 8 ff. 343 Security Council, 4836th meeting, UN Doc. SC/7887, S. 7. 344 Security Council, 4836th meeting, UN Doc. SC/7887, S. 6 f. 345 Security Council, 4836th meeting, UN Doc. SC/7887, S. 7. 341 342
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welt auf die israelischen Übergriffe stehen zu den Reaktionen auf die israelischen Maßnahmen gegen den Libanon in einem gewissen Widerspruch: Während die Verteidigungsmaßnahmen wegen der Unfähigkeit und wegen mangelnder Anstrengung des Libanon, terroristische Angriffe zu verhindern, nicht auf einhelligen und deutlichen Protest stießen, zeigten im vorliegenden Konflikt nicht einmal die westlichen Staaten (mit Ausnahme der USA) Verständnis für das israelische Vorgehen. Gewiss spielte dabei auch die zentrale Position Syriens für den Friedensprozess im Nahen Osten eine Rolle, weshalb eine Billigung der israelischen Maßnahme politisch nicht opportun erschien. Zum anderen war Syrien im Gegensatz zum Libanon nicht der Aufenthaltsort der Angreifer. Insofern ist nach Auffassung der Staaten bei der Zuerkennung einer Befugnis zu grenzüberschreitenden Verteidigungsmaßnahmen womöglich bedeutsam, ob der zur Duldung verpflichtete Drittstaat auch Aufenthaltsstaat im Zeitpunkt der Angriffe war.
18. Das Gutachten des IGH vom 9. Juli 2004 über die rechtlichen Konsequenzen des israelischen Mauerbaus auf besetzten palästinensischen Gebieten a) Aussagen des IGH zur Selbstverteidigungsbefugnis staatlich nicht zurechenbarer terroristischer Gewaltakte Der am 9. Juli 2004 abgegebenen Stellungnahme des IGH zur Vereinbarkeit des israelischen Mauerbaus auf den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten lag folgender Sachverhalt zugrunde 346: Seit 1996 stellte Israel Überlegungen an, wie den vermehrten und an Intensität zunehmenden terroristischen Übergriffen aus den Gebieten der West Bank begegnet werden könne. In den Jahren 2001 und 2002 verabschiedete das israelische Kabinett mehrere Beschlüsse, die den Mauerbau an der Grenze zur West Bank, zum Teil auf palästinensischem Territorium selbst, anordneten. Entsprechend der umfassenden Fragestellung 347 hatte sich der Gerichtshof auch mit der Frage der Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem Gewaltverbot zu befassen. Nach Ansicht des IGH verstieß die Errichtung einer Mauer auf den besetzten Ge346 IGH, Legal consequences of the construction of a wall in the Occupied Palestinian Territory, par. 79 ff., abrufbar unter: http://www.icj-cij.org/cijwww/cdocket/cmwp/cmwpframe.htm. 347 Die Generalversammlung der Vereinten Nationen formulierte in ihrer Resolution 10/14 vom 8.12.2003 folgende Fragestellung: „What are the legal consequences arising from the construction of the wall being built by Israel, the occupying Power, in the Occupied Palestinian Territory, including in and around East Jerusalem, as desribed in the report of the Secretary General, considering the rules and principles of international law, including the Fourth Geneva Convention of 1949, and relevant Security Council and General Assembly resolutions?“.
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bieten sowohl gegen das Gewaltverbot als auch gegen das Verbot gewaltsamer Gebietsannexion, wie es sich in der „Friendly Relations Declaration“ findet 348. Israel berief sich demgegenüber auf Art. 51 SVN und die Resolution 1373 (2001) und bezeichnete den Bau der Mauer als eine Maßnahme der Selbstverteidigung gegen terroristische Angriffe, die von palästinensischem Territorium aus verübt worden seien 349. Nach Auffassung Israels wurden durch die Al Aqsa, die Hamas, den Jihad und die PFLP über 20.000 bewaffnete Angriffe verübt. Bezüglich der Al Aqsa machte Israel geltend, dass diese enge Verbindungen zur Autonomiebehörde und Arafat unterhalte. Die PFPL und der Jihad erhielten nach israelischen Angaben massive Unterstützung durch Syrien 350. Sodann befasste sich Israel explizit mit der quasi-staatlichen Zurechenbarkeit der Handlungen und gelangte zu dem Ergebnis, dass jedenfalls die Handlungen der Al Aqsa Brigaden der palästinensischen Autonomiebehörde wegen der engen organisatorischen Vernetzung zurechenbar seien 351. Die Berufung Israels auf ein Recht zur Selbstverteidigung verwarf das Gericht zum einen damit, dass Art. 51 SVN mangels grenzüberschreitenden Sachverhalts nicht anwendbar sei, zum anderen, weil Art. 51 SVN einen staatlichen Angriff voraussetze und Israel die staatliche Zurechenbarkeit nicht geltend gemacht habe 352: „Article 51 of the Charter thus recognizes the existence of an inherent right of self-defence in the case of armed attack by one State against another State. Howewer, Israel does not claim that the attacks against it are imputable to a foreign State. The Court also notes that Israel exercices control in the Occupied Palestinian Territory and that, as Israel itself states, the threat which it regards as justifying the construction of the wall originates within, and not outside, that territory. The situation is thus different from that contemplated by Security Council Resolutions 1368 (2001) and 1373 (2001), and therefore Israel could not in any event invoke those resolutions in support of its claim to be exercising a right of self-defence.“ 353
Anschließend befasste sich das Gericht mit einem möglichen Notstandsrecht zugunsten Israels. Ohne explizit auf die Frage einzugehen, ob Notstand die Anwen348 Der IGH sprach insoweit von einer de facto-Annexion und begegnete damit dem israelischen Einwand, dass es sich bei der Mauer nur um eine vorübergehende Maßnahme handeln soll. Vgl. IGH, Legal consequences of the construction of a wall in the Occupied Palestinian Territory, par. 121. 349 Siehe die Stellungnahme Israels, par. 2; im Internet abrufbar unter: http://www.icjcij.org/cijwww/cdocket/cmwp/cmwpframe.htm (Stichwort „Written Statements“). 350 Vgl. par. 3.61 der Stellungnahme: „It receives support, sponsorship and save haven from Syria.“. 351 Siehe par. 3.76 ff. in der Stellungnahme: „The evidence of attribution, of commission and omission, is great. (...) the Palestinian leadership knows its responsibilities. (...) Little, if anything, by way of effective measures have ever been undertaken towards this end.“ (Einklammerung durch Verfasser). 352 IGH, Legal consequences of the construction of a wall in the Occupied Palestinian Territory, par. 139. 353 Hervorhebung durch Verfasser.
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
dung von satzungsrechtlich verbotener Gewalt zu rechtfertigen vermag, verneinte der IGH das Vorliegen einer Notstandshandlung, da er bezweifelt, dass „(...) the construction of the wall along the route chosen was the only means to safeguard the interests of Israel against the peril which it has inoked as justification for that construction.“
Demnach konnte sich Israel mangels eines staatlichen und grenzüberschreitenden Angriffs nicht auf das in Art. 51 SVN festgeschriebene Selbstverteidigungsrecht berufen. Ebenso wenig gestattete der IGH einen Rekurs auf Notstand, wobei er den Bestand eines solchen Rechts als Rechtfertigung für grenzüberschreitende Gewaltmaßnahmen offen ließ. Eine bedeutsame Relativierung erfährt der Stellenwert des Gutachtens für die Auslegung der Satzung dadurch, dass die Zuständigkeit des IGH zur Abgabe eines Gutachtens sowohl innerhalb des Gerichts umstritten war als auch durch 74 in der Generalversammlung vertretene Staaten bezweifelt wurde 354. Israel verweigerte von Beginn an die Anerkennung des Gutachtens unter Hinweis auf die fehlende Zuständigkeit des IGH 355. Auch die inhaltlichen Ausführungen des Gerichts zum Selbstverteidigungsrecht stießen innerhalb des Spruchkörpers auf Bedenken, wie die zahlreichen Sondervoten belegen. Nach Ansicht der abweichenden Richtervoten setzt Art. 51 SVN keinen staatlichen Angriff voraus 356, wenngleich das von Israel behauptete Selbstverteidigungsrecht aus anderen Gründen zurückgewiesen wurde 357. b) Staatenäußerungen Insgesamt 49 Staaten und Internationale Organisationen haben von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, vor dem IGH eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Die Staaten lehnen das Verhalten Israels mit überwältigender Mehrheit ab 358, erge354 Die Resolution der Generalversammlung 19/14 vom 8.12.2003, UN Doc. A/RES/ ES-10/14 wurde mit insgesamt 74 Gegenstimmen (darunter auch Mitglieder des Sicherheitsrates wie Russland, Großbritannien und die USA) angenommen. Sieben Richter haben ein Sondervotum zum Urteil abgegeben. Es handelt sich um die Richter Koroma, Higgins, Kooijmans, Al-Khasawneh, Buergenthal, Elaraby und Owada. 355 Siehe die Stellungnahme Israels, im Internet abrufbar unter: http://www.icj-cij.org/ cijwww/cdocket/cmwp/cmwpframe.htm (Stichwort: „Written Statements“). 356 Sondervotum der Richterin Higgins, par.33; Sondervotum des Richters Burgenthal, par.6 und Sondervotum des Richters Kooijmans, par. 35. Alle im Internet abrufbar unter http://www.icj-cij.org/cijwww/cdocket/cmwp/cmwpframe.htm. 357 Richterin Higgins hegt Zweifel an der Notwendigkeit der konkreten Streckenführung und lehnt die Maßnahme aus diesem Grund ab, siehe par. 35. Richter Kooijmans stimmt dem IGH insoweit zu, als dieser einen grenzüberschreitenden Angriff der Terroristen verneint, siehe par. 36. Nur das Sondervotum von Richter Buergenthal stimmte der israelischen Rechtsauffassung zu und stimmte auch im Ergebnis gegen den Richterspruch. 358 Soweit ersichtlich hat außer Israel kein anderer Staat den Mauerbau befürwortet. Die Stellungnahmen sind im Internet abrufbar unter: http://www.icj-cij.org/cijwww/cdocket/ cmwp/cmwpframe.htm (Stichwort: „Written Statements“).
C. Die Praxis der Staaten und Internationaler Organisationen
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ben aber hinsichtlich der rechtlichen Würdigung des von Israel behaupteten Verteidigungsanspruchs gegen terroristische Angriffe kein einheitliches Bild. Allein die Stellungnahme der palästinensischen Autonomiebehörde bewegt sich auf derselben argumentativen Linie wie der IGH und weist das von Israel behauptete Selbstverteidigungsrecht mangels Staatlichkeit der Angriffe zurück 359. Ein Großteil der Staaten lehnte eine Rechtfertigung des Mauerbaus sowohl auf Grundlage von Art. 51 SVN als auch auf Grundlage eines Notstandsrechts wegen der damit verbundenen unverhältnismäßigen Beeinträchtigungen für die palästinensische Bevölkerung ab und anerkannte somit die grundsätzliche Existenz eines Selbstverteidigungs- und Notstandsrechts bei terroristischen Angriffen Privater 360. Bemerkenswert ist die Stellungnahme Südafrikas, die unter Berufung auf das Gutachten des IGH über die Zulässigkeit eines Kernwaffeneinsatzes die Vorschrift des Art. 51 SVN auch als Notstandsnorm zu deuten scheint 361. Südafrika verneinte deren Anwendbarkeit aber im 359 In par. 529 ff. der Stellungnahme heißt es: „The violence in the Occupied Palestinian Territory is not on a scale or of a nature equivalent to an armed attack against Israel in the sense required for the exercice of a right of self-defence. Self-defence in international law cannot be triggered by individual criminal acts which call for policy and prosecutorial action, and not military action.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 360 Explizit bejahte Indonesien die grundsätzliche Rechtmäßigkeit der Selbstverteidigung gegen Private und berief sich hierbei auf die Sicherheitsratsresolution 1373 (2001), gelangte gleichwohl zur Unzulässigkeit der Mauer, vgl. Par. 5: „(...) the construction of the wall could only be justified, if it meets the requirements of necessity and proportionality. The Government of the Republic of Indonesia asserts that the measures of constructing the Wall clearly and without any doubt fails to meet requirement of necessity.“ Ferner die Stellungnahme von Frankreich, in der es in par. 48 heißt: „France recognizes Israel’s (...) right to self-defence and its right to combat terrorist attacks“, in par. 50 heißt es weiter: „These acts have no doubt created a situation entitling Israel to take measures to ensure its security, whether this situation is to be characterized as one of self-defence, distress or necessity“ (Hervorhebung durch Verfasser). Frankreich lehnt die konkrete Maßnahme Israels mangels Verhältnismäßigkeit ab, siehe par. 55 ff. Siehe ferner die Stellungnahme der Schweiz, wonach ein Selbstverteidigungsrecht gegen Private dem Grunde nach besteht, jedoch die Regelungen des humanitären Völkerrechts beachtet werden müssen, was im konkreten Fall nicht geschehen sei, par. 27: „its (gemeint ist: Israels, Verfasser) actions on the grounds of self-defence or national security must respect international humanitarian and human rights law.“ (Hervorhebung durch Verfasser). Unklar drückt sich Saudi Arabien aus, das in par. 26 seiner Stellungnahme einerseits betonte: „Terrorism is a scourge of international life which creates legitimate security concerns. However, limits exist on what may be done in the name of security at the expense of human rights and other international obligations“ und unter Berufung auf Art. 25 ILC-Entwurf in par. 28 fortfährt: „The Wall does not meet the test of necessity in international law, whether it is viewed generally or in terms of military requirements“, also eine Berufung auf Notstand und Selbstverteidigung ablehnt, weil die Mauer nicht der einzige Weg zur Beseitigung der Bedrohung sei und Israel durch die Okkupation selbst zur Selbstverteidigungs- und Notstandslage beigetragen habe. Anderseits bezweifelt es in par. 31 die grundsätzliche Anwendbarkeit des Selbstverteidigungsrechts auf terroristische Akte: „Individual acts of terrorism cannot be equated to an armed attack that justifies measures of self-defence beyond national borders.“ Offen bleibt, ob die Gleichsetzung terroristischer Angriffe mit bewaffneten Angriffen an der unterschiedlichen Intensität oder an der fehlenden Staatlichkeit der ersteren scheitern soll. 361 Par. 33 der Stellungnahme: „It is clear (...) that the inherent right of self-defence in terms of Article 51 only becomes available to a Member State in extreme circumstances, and there-
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
vorliegenden Fall mangels Notwendigkeit der Maßnahme 362. Unter Berufung auf das Nicargua-Urteil des IGH lehnt es das Vorliegen eines gegen Israel gerichteten bewaffneten Angriffs ab 363, wobei offen bleibt, ob der Tatbestand des „bewaffneten Angriffs“ an der fehlenden Staatlichkeit scheitern sollte oder mangels hinreichender Intensität der Übergriffe 364. Schließlich setzte sich Südafrika ausführlich mit dem Aussagegehalt der Resolution 1373 auseinander und bezweifelte deren Legitimationskraft für die israelischen Maßnahmen 365. Diese Resolution lasse nach Ansicht Südafrikas keine Maßnahmen zu, die ihrerseits gegen Völkerrecht verstießen 366. Ähnlich äußerte sich Japan, welches sich zwar mit der rechtlichen Bewertung des von Israel behaupteten Rechtfertigungsanspruchs zurückhielt, der palästinensischen Autonomiebehörde aber eine teilweise völkerrechtliche Verantwortlichkeit für die terroristischen Angriffe vorwarf 367. Der Selbstverteidigungsanspruch Israels wird nicht dabei grundsätzlich zurückgewiesen; im Gegenteil bezeichnete Japan die Angriffe in Anlehnung an den Wortlaut des Art. 51 SVN stets als „attacks“. Eine größere Gruppe von Staaten begnügte sich damit, Israel zu verurteilen, ohne auf ein etfore it has been authoritatively stated that Article 51 permits self-defence solely when an armed attack occurs.“. 362 Vgl. par. 10 ff. der Stellungnahme: Wenngleich nicht explizit auf Art. 51 SVN abstellend, setzt sich Südafrika mit den vitalen Sicherheitsbedürfnissen Israels auseinander: „A state which has been a victim of attack may be recognized as having a legitimate claim to border adjustments on grounds of military security“. 363 Par. 33 der Stellungnahme: „As regards the question of whether cross-border attacks by irregular forces can be interpreted as an armed attack justifying a claim of self-defence, the ICJ found in Nicaragua case that acts by armed bands, groups, irregulars or mercenaries which carry out acts of armed force, may amount to armed attacks by regular forces, and that such forces must be sent by or act on behalf of a state. This is not the case in the Palestine conflict.“. 364 Konsequenterweise prüfte Südafrika somit die Anwendung der so genannten accumulation of events-Theorie, bestritt aber deren rechtliche Existenz. So heißt es in par. 34: „With regard to the present case, the construction of the wall (...) and the consequences for Palestinian civilian population (...) are totally disproportionate and unnecessary bearing in mind that the focus of Israeli defence against attack is occasional and irregular attacks by lone operators“ und in par. 38 sodann: „Some commentators have, within the context of necessity and proportionality, attempted to advance a so called accumulation of events theory of armed attack. This is done in cases such as the present in order to justify an otherwise disproportionate response to a series of attacks. It is submitted, however, that this theory does not enjoy any widespread support either in the practice or in the opinio iuris of states. Also, necessity and proportionality remain to be assessed on the basis of the facts of the specific case, and as indicated, in the case the impact of the construction of the wall remains out of all proportion to its objective, a factor the cannot be discounted by means of the invocation of this theory.“ 365 Par. 42 ff. der Stellungnahme. 366 Insoweit stellt die Argumentation freilich einen Zirkelschluss dar, da gerade geprüft werden muss, inwieweit die Resolution die Auslegung des Art. 51 SVN beeinflusst. Letztlich scheitert die Zulässigkeit der israelischen Maßnahmen auch am Maßstab der Resolution am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. 367 So heißt es in der Stellungnahme: „(...) it must be noted that a large number of innocent Israeli lives have been lost because of the failure of the Palestinian side to prevent terrorist attacks“ (Hervorhebung durch Verfasser).
C. Die Praxis der Staaten und Internationaler Organisationen
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waig bestehendes Selbstverteidigungsrecht überhaupt einzugehen 368. Die überwiegende Anzahl der EU-Staaten bezeichnete die terroristischen Übergriffe durchweg als „attack“ und bekräftigte das Recht Israels, sich gegen terroristische Übergriffe zu verteidigen, hält die Mauer aber für ungeeignet, ohne auf die Voraussetzungen des Art. 51 SVN im Einzelnen einzugehen 369. Nach Ansicht dieser Staaten besteht somit dem Grundsatz nach ein gegen private Angriffe gerichtetes Selbstverteidigungsrecht. Jordanien bezweifelte ganz im Gegensatz zu seiner im israelisch-syrischen Konflikt im Jahr 2003 geäußerten Rechtsauffassung 370 die Anwendbarkeit von Art. 51 SVN, gesteht in seiner umfangreichen Stellungnahme Israel gleichwohl ein völkergewohnheitsrechtlich begründetes Selbstverteidigungsrecht zu 371. Dieses wurde jedoch wegen der Unverhältnismäßigkeit des Mauerbaus zurückgewiesen. Aus demselben Grund wies Jordanien auch eine Berufung auf Notstand zurück. Sogar der Libanon, selbst mehrfach Opfer israelischer Übergriffe gegen Stellungen der Hizbollah 372, wies ein Recht Israels auf Selbstverteidigung nicht in seinem Anspruchskern zurück, sondern lehnte eine Berufung auf Art. 51 SVN wegen der Dauerhaftigkeit der mit dem Mauerbau verbundenen Beeinträchtigungen der Palästinenser ab 373. Nach der Auffassung Malaysias war das von Israel behauptete Selbstverteidigungsrecht aufgrund des Präventivcharakters der Maßnahme zurückzuweisen, nicht aber mangels Staatlichkeit der Angriffe 374.
368 Siehe die Stellungnahmen von Guinea, Kuba, Namibia, Pakistan (wenn auch in gemäßigter Form), Marokko, Jemen, Syrien und Kuwait, alle im Internet abrufbar unter http://www.icj-cij.org/cijwww/cdocket/cmwp/cmwpframe.htm. (Stichwort: „Written Statements“). 369 Der üblichen Formel „I recognize Israel’s right and duty to protect its people against terrorist attacks“ bedienten sich Deutschland (in der Stellungnahme unter III.); Tschechien (das die Zuständigkeit des Gerichts aber bestreitet); Schweden, Spanien, Belgien, Irland (im Namen der EU in seiner Funktion als Ratsvorsitzender) und die Niederlande. Auch Staaten außerhalb der EU bewegen sich auf dieser zurückhaltenden Linie, vgl. die Stellungnahmen Brasiliens, Australiens, Japans und Zyperns, alle im Internet abrufbar unter http://www.icj-cij.org/ cijwww/cdocket/cmwp/cmwpframe.htm. (Stichwort: „Written Statements“). 370 Siehe oben Kapitel 3 C. II. 17. 371 In par. 5.266 ff. der jordanischen Stellungnahme heißt es: „(...) it is doubtful if Article 51, stricto sensu, has any application. There has been no armed attack against Israel of the kind contemplated in that Article; and in any event Israel has not reported to the Security Council its construction of the wall as a measure taken by it in exercice of its right of self-defence. That does not, however, exhaust the possible relevance of the right of self-defence, since there is also the parallel right of self-defence in customary international law to be considered.“. 372 Hierzu Kapitel 3 C. II. 4. und 8. 373 Siehe Par. 44 der Stellungnahme: „However, in spirit of Article 51, the exercice of that right may only consist of immediate and instantaneous measures pending the exercice by the Security Council (...)“. 374 Siehe Par. 148 der Stellungnahme: „(...) the argument advanced by Israel according to which the construction of the Wall constitutes a measure of self-defence is not tenable. (...) To adopt preventive measures against further terror attacks concerns security, but not self-defence.“.
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
c) Rechtliche Würdigung der Aussagen des IGH Nach dieser ausführlichen Analyse des IGH-Urteils und der Staatenäußerungen kann festgehalten werden, dass die Ansicht des Gerichts, Art. 51 SVN setze einen staatlichen Angriff voraus, in der Staatenpraxis keine Stütze findet. Unerklärlich bleibt weiter, aus welchen Gründen der IGH entgegen seiner Rechtsprechung im Nicaragua-Urteil ein mögliches Recht Israels zur Vornahme von „countermeasures“ unbehandelt ließ. Die Tatsache, dass das Gericht eine etwaige staatliche Verwicklung in die terroristischen Angriffe mit einem Satz verwarf – und dies, obwohl Israel eine derartige Verwicklung eingewendet hat – gibt freilich denjenigen Stimmen Auftrieb, die die Gutachtenkompetenz des Gerichts insgesamt in Frage gestellt hatten 375. In bedenklicher Weise führt die Rechtsprechung des IGH zudem zu einer weiteren Inkongruenz zwischen den Anwendungsbereichen des Art. 2 Ziff. 4 SVN und Art. 51 SVN, wenn besetzte Gebiete zwar den Schutz vor Gewalt „in den internationalen Beziehungen“ genießen, andererseits die von ihrem Territorium ausgehenden bewaffneten Angriffe auf den Okkupanten keinen internationalen (grenzüberschreitenden) Bezug aufweisen sollen. Ein solcher Formalismus ist mit dem Schutzgedanken des Selbstverteidigungsrechts schlechterdings nicht vereinbar. Angesichts der Äußerungen der ganz überwiegenden Mehrheit der Staaten darf vermutet werden, dass mit dem Gutachten nicht das letzte Wort zur Auslegung von Art. 51 SVN gesprochen ist. Bemerkenswert ist schließlich, dass der IGH in Übereinstimmung mit einer Vielzahl der staatlichen Stellungnahmen von der Existenz eines Notstandsrechts auch im Bereich des Gewaltverbots ausgeht. Richtigerweise sollte diese Befugnisnorm, wie dies in der Stellungnahme Südafrikas anklingt, in Art. 51 SVN angesiedelt werden und nicht neben Art. 51 SVN als ungeschriebene Rechtfertigung bestehen. 19. Reaktion Russlands auf die terroristische Anschlagsserie in den Jahren 2003 und 2004 In den Jahren 2003 und 2004 wurde Russland Opfer einer Serie massiver Terroranschläge, die in der Entführung zweier russischer Flugzeuge und deren Absturz im August 2004 sowie der Geiselnahme mehrerer hundert Menschen in einer Schule in der russischen Stadt Beslan am 1. September 2004 ihren bisherigen Höhepunkt fand. Der russische Präsident Putin zog am 13. September politische Konsequenzen und kündigte tiefgreifende Reformen in der Verwaltung an. Gleichzeitig forderte 375 Neben Israel waren dies die USA, Großbritannien, Tschechien, Italien (mit dem überzeugenden Hinweis, dass sich 74 Staaten aus unterschiedlichen Rechtskreisen bei der über die Vorlage entscheidenden Abstimmung in der Generalversammlung enthalten haben) und Kanada. Die Zuständigkeit des IGH wurde unter anderem damit bezweifelt, dass das Gericht die staatliche Verwicklung im Tatsächlichen gar nicht nachprüfen könne, vgl. die Stellungnahme Großbritanniens, im Internet abrufbar unter: http://www.icj-cij.org/cijwww/cdocket/cmwp/ cmwpframe.htm (Stichwort: „Written Statements“).
D. Ergebnisse
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Putin eine Verfolgung von Terroristen auch im Ausland: „Terroristen müssen direkt in ihren Lagern vernichtet werden. Wenn es nötig ist, muss man sie auch im Ausland erwischen“ 376. Es bleibt unklar, auf welche völkerrechtliche Grundlage diese Verteidigungsdoktrin gestützt wird. Jedenfalls nimmt Russland für sich ein Recht zur grenzüberschreitenden Selbstverteidigung gegen Terroristen in Anspruch.
D. Ergebnisse I. Methodische Probleme bei der rechtlichen Bewertung der Praxis und die Gewichtung der auslegungsrelevanten Gesichtspunkte Die Bedeutung der Praxis der Vertragsstaaten und der Organe der Vereinten Nationen für die Auslegung der Satzung ist unbestritten 377. Bei der Vertragsauslegung ist demnach jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags zu berücksichtigen, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht 378; denn durch die dem Vertragsschluss nachfolgende Praxis der Vertragsanwender kommt ein dynamischer, am Verbandszweck orientierter Auslegungskonsens zum Ausdruck. Gleichwohl stößt die Berücksichtigung der Satzungspraxis auf Schwierigkeiten, die einerseits das Verhältnis von Textauslegung und Praxis, zum anderen die Deutung der Praxis selbst betreffen. 1. Bewertungsprobleme bei der Untersuchung der Praxis Zunächst muss bei der Bewertung der Praxis zwischen Organ- und Staatenpraxis unterschieden werden. Deshalb ist es unzulässig, von einer einhelligen Staatenpraxis auszugehen, wenn eine Sicherheitsratsresolution einstimmig verabschiedet wird, da in diesem Organ nicht alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen vertreten sind. Die Besonderheit der Satzung besteht weiter darin, dass sie sich nicht darauf beschränkt, die vertraglichen Beziehungen zwischen mehreren Parteien zu regeln, sondern die Gründungsurkunde einer internationalen Organisation enthält, die sich Die Rede ist aufgezeichnet und übersetzt im Internet abrufbar unter www.tagesschau.de. Der IGH hat die Bedeutung der nachfolgenden Praxis im Gutachten zu den Schadensersatzansprüchen der Vereinten Nationen erstmals betont, vgl. ICJ Reports 1949, S. 174 (180); Hailbronner, BDGV 26 (1986), S. 49 (65); Combacau in: Cassese (Hrsg.), The Current Legal Regulation of the Use of Force, S. 9 (11); Ress in: Simma (Hrsg.), Charter of United Nations, Interpretation, Rn. 27 ff. 378 Dieser völkergewohnheitsrechtliche Grundsatz wurde durch Art. 31 Ziff. 3 lit. b) in das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.5.1969, BGBl. 1985 II, S. 926 übernommen und findet nach dessen Art. 5 auch auf Gründungsverträge von Internationalen Organisationen Anwendung. Ausführlich zum gewohnheitsrechtlichen Charakter der WVK Ress in: Simma (Hrsg.), Charter of United Nations, Interpretation, Rn. 8. 376 377
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
die Aufgabe gestellt hat, die verschiedenen Kräfteverhältnisse in der jeweiligen weltpolitischen Interessenlage in Einklang zu bringen. Die Konsensfindung und die Feststellung einer einhelligen Praxis ist hierdurch erheblich verkompliziert und durch die steigende Zahl der Mitglieder und die unterschiedlichen Wertvorstellungen und Interessen der Mitglieder zusätzlich immer schwieriger geworden. Die Entwicklung einer einhelligen Praxis im Bereich des Gewaltverbots erweist sich daher als besonders schwierig. Die Schwierigkeiten bei der Feststellung einer einhelligen Praxis vergrößern sich, da sich die Staaten gerade bei Stellungnahmen zu militärischen Auseinandersetzungen nicht selten von rein politischen Motiven leiten lassen und sich zu ähnlich gelagerten Sachverhalten oftmals widersprüchlich äußern. So lassen sich gerade bei gewaltsamen Auseinandersetzungen nicht selten Divergenzen zwischen Äußerungen desselben Staates in der Rolle als Betroffener und in der Rolle als Unbeteiligter nachweisen. Unweigerlich stellt sich daher die Frage, welches Gewicht dem Protest eines unbeteiligten Staates zukommt, wenn er die von ihm angezweifelte Selbstverteidigungsbefugnis in einem rechtlich gleich gelagerten Konflikt für sich selbst in Anspruch nimmt. Überdies kann bei Protestäußerungen nur schwer beurteilt werden, ob der protestierende Staat das Bestehen des behaupteten Rechtssatzes insgesamt in Frage stellt oder lediglich dessen Anwendbarkeit im aktuellen Fall. Da sich Staaten nur selten auf rechtliche Detailfragen einlassen379, ist ferner nicht erkennbar, aufgrund welches rechtlichen Aspekts die Anwendung einer bestimmten Norm bezweifelt wird. Die Äußerungen der Staaten sind insofern auch von propagandawirksamen Motiven geleitet. So lässt sich beispielsweise die Verurteilung eines bewaffneten Angriffs wesentlich öffentlichkeitswirksamer mit Verlusten in der Zivilbevölkerung begründen, als damit, in juristischer Begriffsgenauigkeit das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs mangels staatlicher Zurechnung ins Feld zu führen. Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten bewaffneten Übergriffe unter Beteiligung Privater von der Mehrzahl der Staaten unbeachtet bleiben und deshalb nur der Schriftwechsel der unmittelbar beteiligten Staaten dokumentiert ist. Die Ermittlung der Staatenpraxis steht daher immer unter dem Vorbehalt, dass nichtverfügbare Materialen nicht in eine andere Richtung weisen.
2. Gewichtung divergierender Auslegungsergebnisse Aufgrund der eben beschriebenen, mit der Bewertung der späteren Praxis untrennbar verbundenen Schwierigkeiten im Bereich des Gewaltverbots kann der Staatenpraxis in der Regel keine gegenüber der Textauslegung hervorgehobene Rolle zukommen. Dies gilt auch deshalb, weil mit Verabschiedung der Satzung eine autoritative Äußerung der Staaten vorgegeben ist. Eine erhöhte Bedeutung kommt der Organpraxis der Vereinten Nationen zu. Im Konsens angenommene Resolutionen der Generalversammlung können eine über379
Zu dieser Problematik Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 194.
D. Ergebnisse
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einstimmende Ansicht der am Konsensbildungsprozess beteiligten Staaten verkörpern und dadurch die Auslegung der Satzung beeinflussen. So kommt dem Prinzipienkatalog der „Friendly Relations Declaration“ und der Aggressionsdefinition – trotz ihres rechtlich nur empfehlenden Charakters – bei der Feststellung bestehenden Rechts vor allem deshalb eine erhöhte normative Bedeutung zu, weil sie wegen der Widerspruchslosigkeit ihrer Verabschiedung eine einhellige Staatenpraxis widerspiegeln 380. Dies gilt erst recht bei Resolutionen des Sicherheitsrates. Die Unterzeichnerstaaten der Satzung haben dem Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit übertragen (vgl. Art. 24 Abs. 1 SVN) und ihm umfangreiche Befugnisse verliehen (vgl. Art. 24 Abs. 2 i. V. m. Kapitel VI, VII, VIII und XII SVN). Die im Rahmen dieser Befugnisse abgegebenen Beschlüsse sind nach Art. 25 SVN bindend. Wenn der Sicherheitsrat, wie die Resolution 1373 (2001) zeigt, gestützt auf Kapitel VIII der Satzung zunehmend sogar gesetzgeberische Kompetenzen für sich in Anspruch nimmt, so ist jedenfalls seine Interpretationkompetenz von Satzungsbestimmungen erheblich. Sicherheitsratsresolutionen geben einhellige Staatenpraxis wieder, wenn sie nicht auf Widerspruch von nicht im Sicherheitsrat vertretenen Staaten stoßen. Ob dies zur Folge hat, dass der Sicherheitsrat auf der Grundlage des VIII. Kapitels auch befähigt ist, Begriffe der Satzung, betreffend die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, authentisch auszulegen, ist zweifelhaft, kann hier aber offen bleiben 381. Gegen eine solche Befugnis spricht unter anderem der Redebeitrag des US-amerikanischen Vertreters auf dem dreizehnten Treffen des Komitee III/1: „Furthermore, the Charter had to be considered in its entirety and if the Security Council violated its principles and purposes it would be acting ultra vires.“ 382
Die Befürchtung einer Kompetenzüberschreitung durch den Sicherheitsrat ist in den hier zu behandelnden Fällen jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn dieser ein staatliches Selbstverteidigungsrecht ausdrücklich anerkennt. In diesen Fällen kommt seinen Resolutionen auch eine herausragende Bedeutung für die Auslegung der Satzung zu, da der Sicherheitsrat eigene Befugnisse begrenzt, indem er dem angegriffenen Staat bis zu dem in Art. 51 S. 1, letzter Halbsatz, genannten Zeitpunkt gleichermaßen die Verantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der inter380 Bruha, Die Definition der Aggression, S. 36 ff.; Arangio-Ruiz, The Declaration on Friendly Relations and the System of the Sources of International Law, S. 469 ff. Ein prominentes Beispiel der Staatenpraxis bildete die Bekundung Österreichs, sich bei der Regelung der nachbarschaftlichen Konflikte mit Jugoslawien von den Prinzipien der Deklaration leiten zu lassen. Vorausgegangen war ein Streit über die Aktivität kroatischer Terroristen unter angeblicher Benutzung österreichischen Territoriums, vgl. Neuhold, Internationale Konflikte – verbotene und erlaubte Mittel ihrer Austragung, S. 53. 381 Verneinend Fink, Kollektive Friedenssicherung, Teil 2, S. 858, der insbesondere den Widerspruch auch nicht im Sicherheitsrat vertretener Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen für beachtlich hält. 382 UNCIO XI, S. 379.
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nationalen Sicherheit zuerkennt. Daher besteht bei Anerkennung (anders als bei der Aberkennung) eines Selbstverteidigungsrechts nicht die Gefahr einer ultra viresHandlung. Schwieriger zu beurteilen ist die Einordnung der rechtlichen Bedeutung von Urteilen und Gutachten des IGH bei der Auslegung der Satzung. Sofern sich in einem Konfliktfall beide Streitparteien der richterlichen Entscheidung unterwerfen, können Urteile des IGH als Übereinkunft zwischen diesen beiden Vertragsparteien über die Auslegung der Satzung gewertet und gemäß Art. 31 Abs. 3 a) WVK bei der Auslegung der Satzung in derselben Weise wie die Staatenpraxis (dieser Vertragsparteien) berücksichtigt werden. Problematisch sind die Fälle, in denen die Zuständigkeit des IGH zur Entscheidung der Streitfrage innerhalb des Gerichts umstritten ist und eine der beteiligten Parteien das Urteil nicht anerkennt. Obwohl jeder Mitgliedstaat der Vereinten Nationen gemäß Art. 93 Abs. 1 SVN auch Vertragspartei des Statuts des Internationalen Gerichtshofs 383 (im Folgenden IGH-Statut) ist, entscheidet der IGH nur über diejenigen Streitfälle, für die nach dem IGH-Statut seine Zuständigkeit begründet ist und deren Streitparteien die Zuständigkeit des Gerichtshofs in dieser Rechtsstreitigkeit anerkennen 384. Sollte sich der IGH mehrheitlich und entgegen dem Willen einer Streitpartei für zuständig erklären, relativieren etwaige Sondervoten und eine hinsichtlich der Zuständigkeitsentscheidung abweichende Auffassung einer beträchtlichen Anzahl von Staaten das Gewicht der jeweiligen Entscheidung für die Auslegung der Satzung. In diesen Fällen kommt den Urteilen des IGH – ohnehin nur Rechtserkenntnisquelle – eine gegenüber der Staatenpraxis nachrangige Bedeutung im Sinne des Art. 32 WVK zu 385. Ebenso verhält es sich, wenn ein Urteil im Widerspruch zur mehrheitlichen Staatenpraxis steht und eine Änderung der Staatenpraxis im Sinne des Richterspruchs nicht nachweisbar ist. Neben der Streitentscheidung obliegt dem IGH ferner die juristische Beratung der Vereinten Nationen im Wege gutachterlicher Tätigkeit. Der Gerichtshof hat nur auf Anfrage des Sicherheitsrates, der Generalversammlung oder der anderen von der Generalversammlung ermächtigten Organe die Kompetenz, gutachterlich tätig zu werden. Derartige Gutachten erlangen bei der Auslegung der Satzung in zweierlei Hinsicht Bedeutung: Eine mittelbare Bedeutung erlangen sie insoweit, als sie die Praxis anderer UNO-Organe (zumeist die des zur Gutachtentätigkeit ermächtigenden Organs) beeinflussen. Zur Gewichtung der Organpraxis gilt das oben Gesagte. Das Gutachten als solches kann ferner unmittelbar als ergänzendes Auslegungsmittel herangezogen werden, welches gegenüber der Textauslegung und der Staatenpraxis nachrangig Berücksichtigung findet.
Siehe BGBl. 1973 II, S. 430 ff. Problematisch ist die in Art. 36 Abs. 3 IGH-Statut geschaffene Möglichkeit von Vorbehalten, die einer Entscheidung durch den IGH oftmals im Wege steht. 385 Wie hier Heintschel von Heinegg in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11 Rn. 3; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 1609. 383 384
D. Ergebnisse
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Für die Methode bei der Untersuchung der Praxis und der anschließenden Formulierung von Gesamtergebnissen ergibt sich hieraus Folgendes: Der Staatenpraxis kommt bei der Auslegung der Satzung eine eigenständige, aber keine herausgehobene Stellung zu. Textauslegung und Staatenpraxis sind gleichwertig, da auch der Text der Satzung ein gewichtiges Zeugnis des Staatenwillens darstellt. Der Notwendigkeit zeitlich bedingter Anpassungsbedürfnisse wird dabei bereits innerhalb der Textauslegung und durch die Berücksichtigung der nachfolgenden Staatenpraxis als Auslegungshilfe Rechnung getragen 386. Die Resolutionen und Erklärungen der Generalversammlung können Indizien für eine übereinstimmende Staatenpraxis liefern. Überragende Bedeutung kommt wegen ihrer rechtlichen Verbindlichkeit den Resolutionen des UN-Sicherheitsrates zu. Treten zwischen Textauslegung und Staatenpraxis Divergenzen auf, so wird wie folgt vorgegangen: Erweist sich der Text der Satzung als eindeutig (zwingendes Textauslegungsergebnis), kann dieser Textbefund nur in dem nach Art. 108 f. SVN vorgesehenen Verfahren oder durch eine einvernehmliche Staatenpraxis (wobei die Annahme einer Divergenz zwischen einhelliger Staatenpraxis und Textauslegung, bei der die Staatenpraxis als Auslegungshilfe ohnehin herangezogen wird, eher unwahrscheinlich ist) derogiert werden. Nach der Textauslegung mögliche Auslegungsergebnisse können durch eine überwiegende Staatenpraxis bestätigt bzw. verworfen werden. Hervorgehobene Bedeutung erlangen Resolutionen des Sicherheitsrates und der im Konsens angenommenen Resolutionen der Generalversammlung. Nachrangig finden die Urteile und Gutachten des IGH Berücksichtigung. Ist die Staatenpraxis nicht eindeutig, kann zu der betreffenden Frage nach dem derzeitigen Entwicklungsstand des Völkerrechts kein Auslegungsergebnis formuliert werden.
II. Ergebnis zur Frage der conditio-sine-qua-non-Qualität staatlich zurechenbarer bewaffneter Angriffe für die Aktivierung des Selbstverteidigungsrechts Mit ungewohnter Eindeutigkeit bezeichnet die überwältigende Mehrheit der Staaten in ihrer Konfliktpraxis terroristische Gewalttaten durchweg als bewaffnete Angriffe und gesteht dem angegriffenen Staat ein auf Art. 51 SVN gestütztes Selbstverteidigungsrecht grundsätzlich zu. Die Selbstverteidigungsbefugnis besteht unabhängig von der staatlichen Zurechenbarkeit der Gewaltakte. In der Staatenpraxis wurde in verschiedenen Fällen ein Selbstverteidigungsrecht trotz staatlicher Zurechenbarkeit der Angriffe entweder nicht in Anspruch genommen oder dessen Bestand verneint 387. Die Ansicht der Staaten findet eine Bestätigung in den SicherheitsratsresoRess in: Simma (Hrsg.), Charter of United Nations, Interpretation, Rn. 3. Siehe hierzu oben Kapitel 3 C. II. 8. und B. II. 2. b) aa). Im Konflikt zwischen Frankreich und Tunesien wurde Ägypten als eigentlicher Drahtzieher der Angriffe bezeichnet. 386 387
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
lutionen 241 (1967) 388, 405 (1977) 389, 1368 (2001) 390 und 1373 (2001) 391. Die allgemeinen Resolutionen der Generalversammlung treffen keine Aussagen über die Zulässigkeit von grenzüberschreitender Gegengewalt gegen nicht zurechenbare Handlungen, stehen einem extensiven Verständnis des Art. 51 SVN aber nicht entgegen. Die Ausführungen des IGH im Nicargua-Urteil 392 hinsichtlich eines Rechts auf Vornahme von countermeasures sind im Hinblick auf das Textauslegungsergebnis dahingehend zu deuten, dass auch dieses Recht seine Grundlage in Art. 51 SVN (bzw. dem inhaltsgleichen völkergewohnheitsrechtlich verankerten Selbstverteidigungsrecht) findet. Da nach Art. 2 Ziff. 4 SVN verbotene Gewalt ausschließlich unter den Voraussetzungen des Art. 51 SVN angewandt werden darf, bleibt für ungeschriebene Verbotsausnahmen, wie einem ungeschriebenen Recht auf Vornahme von countermeasures, kein Raum. In der dargestellten Konfliktpraxis haben allein der IGH und die palästinensische Autonomiebehörde (gegebenenfalls noch Südafrika) in der rechtlichen Auseinandersetzung um den israelischen Mauerbau 393 explizit die gegenteilige Ansicht vertreten. Angesichts der entgegenstehenden imperativen Auslegung durch den Sicherheitsrat und der nachrangigen Bedeutung der Aussagen des IGH-Gutachtens für die Auslegung der Satzung vermag die dargestellte Gegenansicht nichts an dem Ergebnis zu ändern, dass nach der Textauslegung und der Untersuchung der derzeitigen Praxis Art. 51 SVN zur Aktivierung eines grenzüberschreitenden Selbstverteidigungsrechts keinen staatlichen oder staatlich zurechenbaren bewaffneten Angriff voraussetzt.
III. Ergebnis zur Frage der Befugnis, die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaates zu beeinträchtigen 1. Ergebnis zur Frage einer Duldungspflicht Hinsichtlich der Befugnis des angegriffenen Staates zur Vornahme von grenzüberschreitenden Gegenmaßnahmen ist die Praxis der Staaten und der Internationalen Organisationen demgegenüber weniger eindeutig. Die überwältigende Mehrheit der Staaten gesteht dem angegriffenen Staat ein auf Art. 51 SVN gestütztes Recht zur grenzüberschreitenden Gegengewalt zu, wobei die rechtlichen Begründungen für die Zulässigkeit der Beeinträchtigung mehr oder weniger unbeteiligter Drittstaaten variieren: 388 389 390 391 392 393
Vgl. Konfliktpraxis oben unter Kapitel 3 C. II. 1. Kapitel 3 C. II. 3. Siehe oben Kapitel 3 C. II. 16. a). Siehe oben Kapitel 3 C. II. 3. und 16. a). Siehe oben Kapitel 3 C. II. 7. Siehe oben Kapitel 3 C. II. 18.
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Allein im Konfliktfall zwischen den USA und Kambodscha 394 wurde die Pflicht eines Staates zur Duldung von Selbstverteidigungsmaßnahmen neutralitätsrechtlich begründet. Kambodscha hatte nach Ansicht der USA die gegen die Viet-Cong-Verbände gerichteten Militäraktionen wegen der Verletzung seiner Neutralitätspflichten zu dulden. Diese Argumentationsfigur wurde in der nachfolgenden Staatenpraxis von keinem anderen Staat, auch nicht durch die USA in späteren Konflikten, bemüht. Der IGH hat zwar in seinem Gutachten über die Zulässigkeit eines Kernwaffeneinsatzes die Geltung neutralitätsrechtlicher Grundsätze in bewaffneten Konflikten anerkannt 395, zog diese jedoch nicht als Befugnisnorm für Gebietsbeeinträchtigungen heran, sondern ausschließlich als Befugnisgrenze. Daher kann mit guten Gründen angenommen werden, dass sich die nach der Textauslegung begründbare neutralitätsrechtliche Duldungspflicht in der Staatenpraxis (jedenfalls außerhalb von Konflikten auf Hoher See 396) nicht durchgesetzt hat. In der untersuchten Konfliktpraxis finden sich demgegenüber zahlreiche Belege, Aufenthaltsstaaten von Terroristen Duldungspflichten und anderen Drittstaaten Kooperationspflichten aufzuerlegen. Bereits der Entstehungsprozess der „Friendly Relations Declaration“ belegt die Existenz einer die Souveränität begrenzenden Abwägungspflicht im Rahmen des Gewaltverbots, wenngleich die Resolution noch keine Pflicht normiert, eine bestimmte Form der Kooperation zu leisten und militärische Interventionen zu dulden. Daher besteht zwar eine Pflicht des Aufenthaltsstaates, mit dem angegriffenen Staat zu kooperieren; Rechtsfolgen mangelnder Kooperation oder bestimmte Kooperationsformen oktroyiert die „Friendly Relations Declaration“ hingegen nicht. Auf einen der Gewaltanwendung vorangegangenen Abwägungsvorgang deuten weiter zahlreiche Staatenäußerungen in der neueren Konfliktpraxis hin. So rechtfertigte die Türkei ihr Vorgehen im Irak sowohl in den Konflikten der 1980er Jahre 397 als auch im Zeitraum von 1991 bis 2003 398 explizit als Notstand (wobei der Irak im erstgenannten Konfliktfall der türkischen Rechtsansicht vorbehaltlos zustimmte und im letzteren nur insoweit widersprach, als die Türkei die Notstandslage selbst herbeigeführt haben soll). Die rechtliche Argumentation der USA im Konflikt mit Afghanistan und dem Sudan im Jahr 1998399 sowie des Iran im Konflikt mit dem Irak im Zeitraum von 2000 bis 2001 vermögen die Rechtmäßigkeit ihrer Gewaltmaßnahmen nur auf dem Boden einer Notstandsbefugnis zu begründen, berufen sich beide Staaten doch auf die vom „gegnerischen“ Siehe oben unter Kapitel 3 C. II. 2. IGH, Legality of Threat or Use of Nuclear Weapons, ICJ Rep. 1996, S. 226 par. 95 f. 396 Daher steht die hier getroffenen Feststellung nicht im Widerspruch zur Geltung der im Handbuch von San Remo dargestellten völkergewohnheitsrechtlichen Duldungspflichten bei Neutralitätsverletzungen auf Hoher See, siehe hierzu oben Kapitel 3 B. II. 2. d). Lediglich lassen sich die in diesem Handbuch gesammelten Rechtssätze nicht auf bewaffnete Konflikte unter Beteiligung Privater außerhalb der Hohen See übertragen. 397 Siehe oben Kapitel 3 C. II. 6. 398 Siehe oben Kapitel 3 C. II. 9. 399 Siehe oben Kapitel 3 C. II. 12. 394 395
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
Territorium ausgehende Dauergefahr und führen ihre Gegengewalt nicht unmittelbar im Anschluss an die Anschläge aus. In den Bahnen einer Notstandsargumentation bewegen sich ebenfalls die Ausführungen Südafrikas im Konflikt mit Lesotho 400 und Indiens im Konflikt mit Pakistan 401, die ihren Gewaltschlag mit der immensen Dauergefahr begründen. Die im Vorfeld des IGH-Gutachtens über die rechtlichen Konsequenzen des israelischen Mauerbaus abgegebenen Stellungnahmen Südafrikas, Frankreichs, Indonesiens, der Schweiz und Saudi Arabiens402 erkennen ebenfalls ausdrücklich eine Notstandsbefugnis zu grenzüberschreitender Gegengewalt bei bewaffneten Angriffen Privater an. Schließlich bekannte sich der IGH in seinem Gutachten über die Zulässigkeit eines Kernwaffeneinsatzes und der Drohung mit einem solchen Einsatz 403 und in seinem Gutachten über die rechtlichen Konsequenzen des israelischen Mauerbaus 404 zur Existenz eines auf Art. 51 SVN gestützten Notstandsrechts und handelte sich dabei von vielen Seiten den Vorwurf der Rechtsschöpfung ein 405. Dieser Vorwurf ist insoweit unberechtigt, als ein an Art. 51 SVN gekoppeltes Notstandsrecht sowohl (wie dargelegt) in der Staatenpraxis als auch völkergewohnheitsrechtlich 406 anerkannt ist. Berechtigt ist der Vorwurf allerdings, wenn er den fehlenden Bezug der Befugnisvoraussetzungen „extreme circumstances“ und „survivial of a State“ zu Art. 51 SVN angreift. Die Existenz eines Rechtssatzes, wonach die Gefährdung der staatlichen Existenz anders zu beurteilen ist als die der staatlichen Integrität, ist nicht nachweisbar 407. Derart strenge Voraussetzungen an eine Notstandsbefugnis konnten weder durch die Textauslegung noch durch die Staatenpraxis festgestellt werden. Unter Berücksichtigung der Textauslegung und der Praxis kann demnach Folgendes Auslegungsergebnis festgehalten werden: Die in der Textauslegung aufgeworfene und letztlich als für die hier behandelte Frage unerheblich eingestufte Einordnung des Art. 51 SVN als Notstandsnorm oder Notwehrvorschrift mit konnexer Notstandsbefugnis wurde in der Staaten- und Organpraxis der Vereinten Nationen nicht thematisiert. Lediglich vereinzelte Äußerungen der Türkei und Israels könnten ein reines Notwehrverständnis des Art. 51 SVN nahe legen: Die Türkei rekurrierte geSiehe oben unter Kapitel 3 C. II. 5. Siehe oben unter Kapitel 3 C. II. 13. 402 Siehe oben unter Kapitel 3 C. II. 18. 403 Siehe oben unter Kapitel 3 C. II. 4. 404 Siehe oben unter Kapitel 3 C. II. 18. 405 Vgl. nur das Sondervotum des Richters Koroma zum Gutachten über die rechtliche Zulässigkeit eines Kernwaffeneinsatzes und einer Drohung mit einem solchen Einsatz, Dissenting opinion, ICJ Rep. 1996, S. 559 f.; Tischler, Der Internationale Gerichtshof zwischen Recht und Politik, S. 174. 406 Die völkergewohnheitsrechtliche Verankerung des Notstandsrechts wird seit dem Richterspruch des IGH in der Rechtssache Gabcikovo Nagymaros, ICJ Reports 1997, S.7 par. 51 allgemein anerkannt. 407 Mit eindrucksvollen Argumenten Krisch, Selbstverteidigung und kollektive Sicherheit, S. 355 ff. 400 401
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legentlich zur Rechtfertigung ihrer Gewalteinsätze im Zeitraum zwischen 1991 bis 2003 auf den Bestand eines gleichzeitigen Selbstverteidigungs- und Notstandsrechts 408; Israel betonte durchweg das Handlungsunrecht der terroristischen Aktivitäten 409. Im Übrigen haben sowohl die Praxis als auch die nach der Textauslegung möglichen Begründungskonzeptionen ergeben, dass sich die territoriale Beeinträchtigung von Aufenthaltsstaaten auf eine in Art. 51 SVN verankerte Notstandsbefugnis stützen lässt. Aufgrund des zwingenden Textauslegungsergebnisses, wonach unilaterale grenzüberschreitende Gewalt ausschließlich unter den Voraussetzungen des Art. 51 SVN zulässig ist, besteht eine Notstandsbefugnis nur unter den dort genannten Voraussetzungen. Kann demnach eine deutliche Bereitschaft der Praxis feststellt werden, dem angegriffenen Staat die Notstandsbefugnis zu verleihen, die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaats der privaten Angreifer zu beeinträchtigen, so zeigen sich jedoch die Staaten bei der Bestimmung der rechtlichen Voraussetzungen einer solchen Befugnis uneins. Im Nicaragua-Urteil 410 hat der IGH die Ausübung einer countermeasure von der staatlichen Verantwortlichkeit (genauer: von einem staatlichen Verstoß gegen das Gewaltverbot) unterhalb der Zurechnungsschwelle abhängig gemacht. Insoweit weist die vom IGH erwogene Befugnisnorm eine deutliche Nähe zu der oben dargestellten Literaturmeinung auf, die grenzüberschreitende Selbstverteidigungsmaßnahmen zwar auch ohne staatliche Zurechenbarkeit zulassen will, zumindest aber eine staatliche Verantwortlichkeit des zur Duldung der Gewaltmaßnahme verpflichteten Staates fordert 411. Diese Rechtsprechung findet in der Staatenpraxis bislang keine ausdrückliche Zustimmung. Die Resolutionen des Sicherheitsrates 241 (1967) 412, 405 (1977) 413, 1368 (2001) und 1373 (2001) 414 verurteilen zwar gleichzeitig die bewaffneten Angriffe und jeden in terroristische Aktivitäten verwickelten Staat. Hieraus kann indessen nicht geschlossen werden, dass nach Auffassung des UN-Sicherheitsrates die staatliche Verwicklung Voraussetzung für eine Duldungspflicht sei. Dasselbe gilt für die Konfliktpraxis der Staaten: Zwar lesen sich die Begründungen der USA im Konflikt mit Kambodscha 415 sowie im Konflikt mit dem Sudan und Afghanistan im Jahr 1998416 und die Begründungen Israels im Konflikt mit dem Libanon in den 1990er Jahren 417 zum Teil wie die Anerkennung eines Verantwortlichkeitserfordernisses, wenn die Duldungspflicht der betreffenSiehe oben unter Kapitel 3 C. II. 9. Siehe oben unter Kapitel 3 C. II. 4. und 8. 410 IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports 1986, S. 110 f. par. 210 f. 411 Siehe oben Kapitel 3 B. 412 Siehe oben Kapitel 3 C. II. 1. 413 Siehe oben Kapitel 3 C. II. 3. 414 Siehe oben Kapitel 3 C. II. 16. 415 Siehe oben Kapitel 3 C. II. 2. 416 Siehe oben Kapitel 3 C. II. 12. 417 Siehe oben Kapitel 3 C. II. 8. 408 409
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
den Staaten aus deren staatlicher Verwicklung in die terroristischen Gewaltakte hergeleitet wird. Hieraus lässt sich jedoch ebenso wenig wie aus den Sicherheitsratresolutionen auf eine Rechtsauffassung schließen, wonach die staatliche Verantwortlichkeit notwendige Voraussetzung für die Aktivierung des Selbstverteidigungsrechts sei. Im Gegenteil unternahmen Israel 418, die Türkei 419 und der Iran 420 grenzüberschreitende Selbstverteidigungsmaßnahmen ausdrücklich unabhängig von einer staatlichen Verwicklung des beeinträchtigten Drittstaates. Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit erlangte im iranisch-irakischen Konflikt allein Bedeutung für die Erhebung etwaiger Kompensationsforderungen 421. Die Staatenpraxis ist demnach uneinheitlich. Die Ausführungen des IGH im Nicaragua-Urteil können bei der Auslegung der Satzung nur nachrangig berücksichtigt werden, da die Zuständigkeit des IGH zur Entscheidung des Rechtsstreits sowohl innerhalb des Gerichts umstritten war 422 als auch die USA die Anerkennung des Urteils unter Berufung auf die Unzuständigkeit des Gerichts verweigerten 423. Da nach der Textauslegung die Ausübung des grenzüberschreitenden Verteidigungsrechts nicht zwingend von der staatlichen Verantwortlichkeit abhängt, kann als Gesamtauslegungsergebnis ein Erfordernis der staatlichen Verantwortlichkeit in Bezug auf die terroristischen Angriffe nicht angenommen werden.
2. Ergebnis zu den Befugnisgrenzen Die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in seiner drittschützenden Funktion ist in der Staatenpraxis weithin anerkannt, er bildet sogar häufig den argumentativen Schwerpunkt der Staatenäußerungen. Exakte Abwägungsmaßstäbe liefert die Praxis der Staaten und der Organe der Vereinten Nationen gleichwohl nicht. Einigkeit besteht insoweit, als von der Notstandsbefugnis bislang nur Fälle des defensiven Notstands erfasst wurden. Demnach muss die Gefahr unmittelbar vom Territorium des zur Duldung der Verteidigungsmaßnahme in Anspruch genommenen Staates ausgehen. Eine territoriale Beeinträchtigung von Staaten, die weder Aufenthaltsort der Terroristen noch in irgendeiner anderen Weise in die Gewaltakte verwickelt sind, ist unzulässig. Daher werden Beispiele wie der Einmarsch deutscher Truppen in Belgien und Luxemburg im Jahr 1914, den Deutschland mit einer Notstandssituation rechtfertigte (es sollte einer angeblich Deutschland drohenden, Siehe den Konfliktzeitraum der 1970er und 1980er Jahre oben unter Kapitel 3 C. II. 4. Siehe oben Kapitel 3 C. II. 6. im Konfliktzeitraum 1983 und 1984 sowie oben unter 9. im Konfliktzeitraum 1991 bis 2003. 420 Siehe oben Kapitel 3 C. II. 10. den Konflikt im Jahr 1996. 421 Brief des ständigen Vertreters der Islamischen Republik Iran bei den Vereinten Nationen an den Generalsekretär der Vereinten Nationen vom 29.7.1996, UN Doc. S/1996/602 und vom 19.4.2001, UN Doc. S/2001/381. 422 Siehe das Sondervotum des Richters Schwebel, ICJ Reports 1984, S. 558 ff. 423 Siehe die US-amerikanische Stellungnahme, abgedruckt in ILM 24 (1985), S.246 ff. 418 419
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aber nicht von Belgien, sondern von Frankreich ausgehenden Gefahr begegnet werden), durchweg zurückgewiesen 424. Anhand der Staatenpraxis ist allerdings schwierig zu beurteilen, in welchen Fällen von einem Staat eine notstandsbegründende Gefahr ausgeht. In der Mehrzahl der Fälle handelte es sich bei dem Dulderstaat zugleich um den Aufenthaltsstaat der unmittelbar handelnden Terroristen. Im Konflikt zwischen Israel und Syrien im Jahr 2003 425 waren die Staaten bei der Anerkennung eines Notstandsrechts äußerst zurückhaltend, obwohl Syrien Planungszentralen und andere logistische Einrichtungen terroristischer Gruppen beherbergt. Gegenüber der US-amerikanischen Militäraktion gegen Stellungen im Sudan und in Afghanistan im Jahr 1998 legten zwar vor allem die westlichen Staaten einen deutlich großzügigeren Maßstab an als im israelisch-syrischen Zwischenfall. Gleichwohl ist eine deutlich zwischen den Gebietsverletzungen im Sudan und in Afghanistan differenzierende rechtliche Betrachtung in der arabischen Welt zu verzeichnen. Die arabischen Staaten verurteilten allein die Aktionen im Sudan, wofür die Tatsache, dass Afghanistan als Aufenthaltsort terroristischer Gruppen bekannt war, eine Rolle gespielt haben könnte. Schließlich beanspruchten die USA infolge der Anschläge vom 11. September 2001 ein Zutrittsrecht zu den logistischen Stellungen der Al Quaida in Afghanistan, betrachteten offenbar aber nicht Deutschland (obwohl Ausgangspunkt und Standort einer nicht minder wichtigen Organisationszentrale der Anschläge) als notstandsbegründende Gefahrenquelle. Die Staatenäußerungen erweisen sich zu dieser Frage als ambivalent. Das nach der Textauslegung ermittelte Ergebnis, wonach grundsätzlich auch von denjenigen Territorien eine notstandsbegründende Gefahr ausgehen kann, die nur logistische Einrichtungen beherbergen, wird durch die Staatenpraxis jedenfalls nicht widerlegt. Einigkeit besteht weiter darüber, dass räumlich ausgedehnte und in ihrer Intensität unangemessene Gewaltaktionen in der Praxis nicht geduldet werden. So zeigten die Staaten anlässlich der israelischen Gewalteinsätze im Libanon in den 1970er, 1980er Jahren 426 und in den 1990er Jahren 427 sowie anlässlich türkischer Militärein424 Siehe hierzu bereits oben Kapitel 3 B. III. Hierzu steht das Urteil des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals keinesfalls in Widerspruch. Das Gericht verwarf den Einwand, die Annexion Norwegens sei als Selbstverteidigungsmaßnahme gerechtfertigt gewesen, da von norwegischem Territorium aus alliierte Angriffe geplant gewesen seien. Zur Begründung führte das Gericht unter Verweis auf die „Webster-Formel“ im Caroline-Fall aus: „Es muss daran erinnert werden, dass Präventivhandlungen auf fremdem Gebiet nur im Falle einer unaufschiebbaren und unabwendbaren Notwendigkeit der Selbstverteidigung, die keine Wahl der Mittel und keinen Augenblick Zeit der Überlegung lässt, gerechtfertigt sind.“, vgl. Der Nürnberger Prozess, 1946, Band 22, S. 508; hierzu Bender in: Falk (Hrsg.), The Vietnam War and International Law, S. 138 (140 f.). Damit wurde zwar das grundsätzliche Recht anerkannt, am Krieg unbeteiligtes Territorium in Ausübung der Selbstverteidigung zu verletzen, hingegen urteilte das Gericht nicht auf Grundlage der Satzung der Vereinten Nationen. Dieses Urteil ist daher für die Auslegung der Satzung nicht verwertbar. 425 Siehe oben Kapitel 3 C. II. 17. 426 Siehe oben unter Kapitel 3 C. II. 4. 427 Siehe oben unter Kapitel 3 C. II. 8.
12 Scholz
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Kap. 3: Verteidigungsmaßnahmen gegen nicht zurechenbare Gewalt
sätze im Nordirak im Zeitraum von 1991 bis 2003 428 eine deutlich ablehnende Haltung gegenüber Selbstverteidigungsmaßnahmen mit hohen Verlusten in der Zivilbevölkerung. Ebenso betonen die Staaten regelmäßig, die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaates nicht in Frage stellen, sondern ihre Militäraktionen auf die Stellungen der Terroristen beschränken zu wollen. Dies bestätigt die im Rahmen der Textauslegung getroffene Feststellung, dass sich die Notstandsmaßnahme strikt auf den Gefahrenherd begrenzen muss. Aus der türkisch-irakischen Konfliktpraxis im Zeitraum zwischen 1991 und 2003 lassen sich weitere Erkenntnisse für die Befugnisgrenzen einer Notstandsmaßnahme entnehmen 429. Die Notstandslage wurde nicht nur mit der Verletzung türkischen Hoheitsgebiets durch die PKK begründet, sondern zudem mit der Gefährdung für die türkische Zivilbevölkerung. Die Qualifikation der Gefährdung der Zivilbevölkerung als Notstandsgefahr hat durch den IGH und eine überwiegende Staatenpraxis Zustimmung gefunden 430. Demnach ist im Rahmen der Notstandsbefugnis eine Abwägung der grundsätzlich gleichwertigen Territorialitätsbelange des Verteidigerund des Dulderstaates zulässig, wenn auf Seiten des Verteidigerstaates eine Gefährdung für die Zivilbevölkerung droht und auf Seiten des Dulderstaates Schäden für die Zivilbevölkerung (weitestgehend) vermieden werden können. Weiter legte die Türkei das Fehlen alternativer Handlungsmöglichkeiten dar und hat den Irak im Vorfeld der Militäraktion informiert. Mit dem Fehlen alternativer Handlungsmöglichkeiten begründeten auch die USA ihre gegen Stellungen im Sudan und Afghanistan gerichteten Militäraktionen im Jahr 1998, ohne allerdings die betroffenen Staaten im Vorfeld zu informieren 431. Das im Rahmen der Textauslegung in bestimmten Konstellationen als notwendig erachtete Kooperationsverfahren wird in der Staatenpraxis – soweit ersichtlich (die diplomatischen Konsultationskanäle sind der Öffentlichkeit in der Regel nicht zugänglich) – recht großzügig gehandhabt. Angesichts fehlender veröffentlichter Informationen kann somit weder davon ausgegangen werden, dass die Staaten von einer Kooperations- und Konsultationspflicht ausgehen, noch dass sie den Bestand einer solchen Pflicht verneinen. Im Sinne der „Friendly Relations Declaration“ ist unter den in der Textauslegung genannten Voraussetzungen daher von einer Konsultationspflicht auszugehen; bei der Bestimmung der Ausnahmetatbestände (drohende Vereitelung der Selbstverteidigung, Konsultation mit failed state) verbleibt den Staaten ein Beurteilungsspielraum. Siehe oben unter Kapitel 3 C. II. 9. Siehe oben unter Kapitel 3 C. II. 9. 430 So führt der IGH, Legal consequences of the construction of a wall in the Occupied Palestinian Territory, Par. 141 aus: „The fact remains that Israel has to face numerous indiscriminate and deadly acts of violence against the civilian population. It has the right, and indeed the duty, to respond in order to protect the life of its citizens.“; vgl. zur Staatenpraxis oben unter Kapitel 3 C. II. 18. b). 431 Siehe oben unter Kapitel 3 C. II. 10. 428 429
D. Ergebnisse
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Der im Notstandsrecht geltende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vermag (anders als die Subsidiaritätsklausel des Art. 51 S. 1 a. E. SVN) die Gebietsbeeinträchtigung in zeitlicher Hinsicht effektiv zu beschränken, denn dauerhafte Maßnahmen werden von der in Art. 51 SVN enthaltenen Notstandsbefugnis generell nicht gedeckt. So akzeptierte etwa der Irak das türkische Vorgehen auf seinem Territorium in den Jahren 1983 und 1984 als Notstandsmaßnahme wegen des zeitlich begrenzten Charakters 432 und die überwiegende Mehrheit der Staaten lehnte den Bau der israelischen Mauer wegen der Dauerhaftigkeit der Gebietsbeeinträchtigung ab 433.
432 433
12*
Siehe hierzu oben unter Kapitel 3 C. II. 6. Nahezu einhellig die Praxis siehe oben unter Kapitel 3 C. II. 18.
Kapitel 4
Die Zulässigkeit von Verteidigungseinsätzen in hoheitsfreien Räumen und auf eigenem Staatsgebiet Nach dem Wortlaut des Art. 2 Ziff. 4 SVN ist die „mit den Zielen der Vereinten Nationen“ unvereinbare Gewalt in den „internationalen Beziehungen“ der Staaten verboten. Dieses Verbot bindet nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern gehört zu den allgemein verbindlichen Vorschriften des Völkerrechts 1. Die Verpflichtung Privater durch das Gewaltverbot wird durch die weite Fassung des sachlichen Schutzbereichs („mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Gewalt“) ermöglicht, der alle in Art. 1 SVN angesprochenen Rechtsgüter – die Erhaltung des Weltfriedens, die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten – erfasst 2. Die Bindung nichtstaatlicher Aggressoren an das Gewaltverbot ist durch die oben dargelegte Staatenpraxis 3 eindeutig belegbar: Die Verurteilungen der terroristischen Aktivitäten des Jihad, der Hizbollah oder der Al Quaida durch die überwältigende Mehrheit der Staaten zeigt, dass nicht nur staatliche Maßnahmen völkerrechtlich missbilligte Gewalt darstellen 4. Wenn unter Berufung auf das Hauptziel der Vereinten Nationen – die Erhaltung des Weltfriedens – der Geltungsbereich des Gewaltverbots auch auf befriedete de facto-Regime, Waffenstillstands- und Demarkationslinien und sogar auf die Parteien eines Bürgerkrieges ausgedehnt wird 5, drängt sich eine Einbeziehung grenzüberschreitender Angriffe Privater geradezu auf. Kontroverse Diskussionen entzünden sich an der Frage, ob das Gewaltverbot über seinen territorialen Schutz hinaus auch personalen Schutz gegenüber den privaten Angreifern entfaltet. Bedeutsam wird diese Frage, wenn Terroristen auf hoher See aufgegriffen, wenn Bürgerkriegsbewegungen in einem Staat niedergeschlagen oder wenn entführte Flugzeuge über eigenem Staatsgebiet abgeschossen werden sollen. Unter dem Eindruck der erschütternden Ereignisse der Anschläge im September 1 IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports 1986, S. 101 ff. p. 191 ff. 2 Diesem Ergebnis zugeneigt auch Schröder, JZ 1977, S. 420 (422). 3 Siehe oben Kapitel 3 C. 4 Kapitel 3 C. II. 16., 17. und 18.; hierzu Schmahl/Haratsch, WeltTrends 32 (2001), S. 111 (112); Krajewski, AVR 40 (2002), S. 183 (198); Delbrück, Die Friedens-Warte 74 (1999), S. 139 (156). 5 Frowein, Das de-facto-Regime im Völkerrecht, S. 35 ff.; Neuhold, Internationale Konflikte – verbotene und erlaubte Mittel ihrer Austragung, S. 75 f.
Kap. 4: Verteidigungseinsätze in hoheitsfreien Räumen
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2001 in den USA wurde mit einem gewissen Übereifer sogar vorgeschlagen, das Gewaltverbot als umfassendes Verbot der Gewaltanwendung zwischen Staaten und gegen Private zu interpretieren 6. Die Geltung des Gewaltverbots im innerstaatlichen Bereich hieße allerdings, den Schutzzweck des Gewaltverbots zu überspannen und in Bereiche des humanitären Völkerrechts, des Fremdenrechts und des Menschenrechtsschutzes einzudringen, die Privatpersonen vor staatlicher Gewalt umfassender schützen als es ein gewohnheitsrechtliches Gewaltverbot jemals könnte. Fern liegend und spekulativ ist auch die Hypothese, die generelle Geltung des Gewaltverbots für alle kriegsähnlichen Auseinandersetzungen sei zur Prävention drohender Gewalt-Eskalationen angezeigt 7. Wenn materiell eine Situation vorliege, so die Argumentation, die wegen ihrer Gefahr für den Frieden eine Anwendung des Instrumentariums der kollektiven Sicherheit erforderlich mache, entspreche es den Intentionen des Gewaltverbots und des Systems kollektiver Sicherheit, die Situation sobald als möglich in die Verantwortung des Sicherheitsrates zu überführen. Da es dem Sicherheitsrat unbenommen bleibt, auf Grundlage des VII. Kapitels auch in rein interne Konflikte einzuschreiten, erscheint die vorgeschlagene Ausdehnung des Gewaltverbots allerdings überflüssig. Eine extensive, sich über den Passus „Gewalt in den internationalen Beziehungen“ hinwegsetzende Auslegung führte überdies zu einer Privilegierung der Terroristen, die – gleichgültig, ob man eine solche um der pazifizierenden Wirkung des Gewaltverbots wegen hinnehmen wollte – von den Staaten und den auf die Verfolgung der Terroristen gerichteten Konventionen schlechterdings nicht beabsichtigt ist. Die in der Staatenpraxis zum Teil anerkannten Fälle der Geltung des Gewaltverbots in hoheitsfreien Räumen und im staatsinternen Bereich (der Abschuss ziviler Luftfahrzeuge und der Zugriff auf fremde Schiffe) bilden zu diesem Ergebnis keinen Widerspruch: Richtigerweise handelt es sich auch bei dem Abschuss eines zivilen Luftfahrzeugs über dem eigenen Staatsgebiet oder beim unerlaubten Zugriff auf fremde Schiffe in hoheitsfreien Gewässern um völkerrechtlich relevante Gewalt, soweit das Luftfahrzeug oder das Schiff die Flagge eines anderen Staates trägt 8. Das 6 Slaughter/Burke-White, HILR 43 (2002), S. 1 (2): „All states and individuals shall refrain from the deliberate targeting or killing of civilians in armed conflicts of any kind, for any purpose.“ Für den Bereich des Internationalen Terrorismus Schmahl/Haratsch, WeltTrends 32 (2001), S. 111 (112); Delbrück, Die Friedens-Warte 74 (1999), S. 139 (156). Unklar Folz in: FS Schlochauer, S. 271 (277), der im Zusammenhang mit der Geiselnahme amerikanischer Botschaftsangehöriger durch iranische Studenten einen gemäß Art. 2 Ziff. 4 verbotenen „Zwang als Element der Willensbeugung“ feststellt. Offenbar hält er entweder die Geiselnehmer für durch das Gewaltverbot Verpflichtete oder die Botschaftsangehörigen bzw. die Außenvertretung als solche für durch diese Norm geschützt oder sogar beides. Anders und wie hier Ruffert, ZRP 2002, S. 247 (247). 7 Bruha, AVR 40 (2002), S. 383 (398). 8 Die Auffassung der britischen Regierung vor dem IGH, Aerial Incident of 27 July 1955, ICJ Pleadings 1959, S. 358; Horn, Die Anwendung militärischer Gewalt auf zivile Passagierflugzeuge im Friedensvölkerrecht und ihre Rechtsfolgen, S. 56 ff.; Majid, GYIL 29 (1986), S. 190 (195); weitere Nachweise bei Bothe in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 8. Abschn. Rn. 12.
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Kap. 4: Verteidigungseinsätze in hoheitsfreien Räumen
Gewaltverbot erfasst rationae persone jedoch nur den Angriff auf die insoweit verletzte Territorialhoheit des Flaggenstaates, nicht die Privaten 9. Demnach bedarf es bei Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen nichtstaatliche Akteure einer satzungsrechtlichen Ermächtigung nur dann, wenn jene Privaten die Territorialhoheit eines Staates gleichsam als Schutzschild benutzen und sich auf einem Schiff bzw. in einem Flugzeug aufhalten, welches die Flagge eines (unbeteiligten) Staates trägt. Durch den Passus „in ihren internationalen Beziehungen“ wird ebenfalls die staatliche Gewaltanwendung in bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen aus dem Anwendungsbereich des Gewaltverbotes ausgeklammert, solange die Bürgerkriegspartei kein stabilisiertes de facto-Regime errichtet hat 10. An einer Gewaltanwendung in den internationalen Beziehungen fehlt es auch, wenn der Sachverhalt keine grenzüberschreitenden Bezüge aufweist, beispielsweise durch die Bundeswehr ein deutsches Flugzeug über deutschem Luftraum abgeschossen wird. Für die Fälle, in denen eine nichtstaatliche Terrororganisation eigene Schiffe und Flugzeuge benutzt, ohne die Flagge eines anderen Staates zu tragen, bieten die anerkannten menschenrechtlichen Standards und Regeln des ius in bello ausreichenden Schutz, ohne dass der Schutz des universellen Gewaltverbots bemüht werden müsste. In dieser Weise verfahren auch die Staatenpraxis und der Sicherheitsrat. Dabei soll nicht geleugnet werden, dass derzeit auf völkerrechtlicher Ebene eine Entwicklung zu beobachten ist, wonach terroristische Anschläge schweren Ausmaßes unabhängig von etwaigen grenzüberschreitenden Auswirkungen als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit angesehen werden. So verurteilte der Sicherheitsrat am 13. Februar 2003 einen schweren terroristischen Anschlag in der kolumbianischen Hauptstadt Bogota und am 1. September 2004 die Geiselnahme von mehreren hundert Menschen in einer Schule in der russischen Stadt Beslan und bekräftigte in beiden Fällen, dass der „Terrorismus in all seinen Formen eine der ernsthaftesten Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ sei 11. Diesem auch rein interne Sachverhalte erfassenden Verständnis von Weltfrieden und internationaler Sicherheit liegt offenbar die Einschätzung zugrunde, dass das terroristische Bedrohungspotential angesichts zunehmender Globalisierung immens gestiegen und daher grundsätzlich geeignet ist, die internationale Ordnung insgesamt zu destabilisieren. Der Sicherheitsrat geht ferner von der Vermutung aus, 9 Das Völkerrecht erlaubt den Zugriff auf fremde Schiffe oder Luftfahrzeuge in hoheitsfreien Räumen im Falle einer ausdrücklichen Ermächtigung in einem völkerrechtlichen Vertrag oder wenn sich der Flaggenstaat mit dem angreifenden Staat in einem internationalen Konflikt befindet. Es gilt also das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Gegen Schiffe und Luftfahrzeuge gerichtete Selbstverteidigungsmaßnahmen in hoheitsfreien Räumen sind demnach nur dann zulässig, wenn ein bewaffneter Angriff des Flaggenstaates abgewehrt wird. Vgl. Heintschel v. Heinegg/Gries, AVR 40 (2002), S. 145 (170); Schindler, BDGV 26 (1986), S. 11 (14 f.). 10 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 468; Frowein, Das de-facto-Regime im Völkerrecht, S. 37 f. 11 Resolution 1465 (2003) zum Anschlag in Bogota und Presidential Statement, 5026th meeting, Press Release, SC/8179 zur Geiselnahme in Beslan.
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dass Terrorgruppen regelmäßig international vernetzt sind, um sich auf diese Weise technisch anspruchsvollere und gefährlichere Waffen zu verschaffen 12. Insofern deutet sich eine Entwicklung an – für eine endgültige Bewertung ist es angesichts der schmalen Materialbasis noch zu früh –, wonach eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit auch bei solchen terroristischen Handlungen vorliegen kann, die in ihren Auswirkungen auf das Hoheitsgebiet eines Staates beschränkt sind. Gleichwohl unterblieb in den zahlreichen Resolutionen, in denen der Terrorismus auch bei rein internen Sachverhalten verurteilt wurde, jeglicher Verweis auf das Gewaltverbot und das Selbstverteidigungsrecht 13. Vielmehr begnügt sich der Sicherheitsrat, die Staaten zur Zusammenarbeit aufzurufen: „Urges all States (...) to cooperate in efforts to find and bring to justice the perpetrators, organizers and sponsers of these terrorist attacks.“14
Weder den Äußerungen der Staaten noch denen des Sicherheitsrats kann daher eine Tendenz entnommen werden, interne Konflikte mit terroristischer Beteiligung dem Regime des Gewaltverbots zu unterstellen. Für die Zulässigkeit eines Verteidigungseinsatzes folgt hieraus, dass Beeinträchtigungen der Terroristen keiner satzungsrechtlichen Rechtfertigung bedürfen. Mangels Einschlägigkeit des Verbotstatbestandes braucht die Vorschrift des Art. 51 SVN nicht bemüht zu werden.
Resolution des Sicherheitsrates 1456 (2003) vom 20.1.2003. Zu nennen ist beispielsweise das Statement des Sicherheitsrates zu mehreren terroristischen Anschlägen in Russland (zur Geiselnahme in der russischen Stadt Beslan, zu mehreren Anschlägen in Moskau und auf zwei russische Flugzeuge) in den Monaten August und September 2004, UN Doc. S/PRST/2004/31. Selbst die ausdrücklich durch den Sicherheitsrat festgestellten bewaffneten Angriffe („attacks“) der in der sudanesischen Provinz Dafur operierenden Janjaweed-Kämpfer stellten keinen Verstoß gegen das Gewaltverbot dar, Resolution 1556 (2004); vgl. weitere interne terroristische Konflikte UN Doc. S/RES/1456 (2003); siehe ferner die Resolutionen 1455 (2003) vom 17.1.2003, UN Doc. S/RES/1455 (2003); 1450 (2002) vom 13.12.2002, UN Doc. S/RES/1450 (2002); 1440 (2002) vom 24.10.2002, UN Doc. S/RES/1440 (2002); 1438 (2002) vom 14.10.2002, UN Doc. S/RES/1438 (2002) und 1390 (2002) vom 16.1.2002, UN Doc. S/RES/1390 (2002). 14 So Ziffer 3 der Sicherheitsratsresolution 1450 (2002) vom 13.12.2002, UN Doc. S/RES/1450 (2002); Einklammerung im Zitat durch Verfasser. 12 13
Zusammenfassung Gegenstand der Untersuchung war die Zulässigkeit staatlicher Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen terroristische Gewalt auf dem Hoheitsgebiet anderer Staaten sowie in hoheitsfreien Räumen und auf eigenem Staatsgebiet. Dabei wurden alle Formen nichtstaatlicher Gewalt beleuchtet, die sich in politischer Absicht gegen einen Staat richten, da in der derzeitigen Völkerrechtspraxis weder die grundsätzliche Legitimität noch Sonderregelungen für bestimmte schwerwiegende Gewaltformen anerkannt sind. Insbesondere haben die Staaten in ihrer Verteidigungspraxis nicht einmal ansatzweise zwischen terroristischen und sonstigen privaten grenzüberschreitenden Gewalthandlungen differenziert. Folgende Ergebnisse können festgehalten werden. 1. Das satzungsrechtliche und das inhaltsgleiche völkergewohnheitsrechtliche Gewaltverbot schützen auch die Aufenthaltsstaaten gewaltbereiter Privater. Dies gilt auch dann, wenn im Aufenthaltsstaat ein Schwund der Herrschaftsgewalt zu verzeichnen ist (failing oder failed state). 2. Ausgehend von der Prämisse, dass sich grenzüberschreitende Verteidigungseinsätze ausschließlich unter den Voraussetzungen des Art. 51 SVN rechtfertigen lassen, wurde untersucht, ob terroristische Gewaltakte einen bewaffneten Angriff im Sinne dieser Vorschrift darstellen und das Selbstverteidigungsrecht auslösen. Kern der Frage ist, ob die Verteidigungsbefugnis von der staatlichen Zurechenbarkeit der Angriffe abhängt. a) Anders als vielfach angenommen, kann die jüngere Staatenpraxis nicht für eine Modifizierung der Zurechnungskriterien in Anspruch genommen werden. Die Resolution 1373 (2001) des Sicherheitsrates legt eine derartige Vermutung nicht nahe. Schließlich spricht der erst im Jahr 2001 von der Generalversammlung den Staaten zur Kenntnisnahme empfohlene Entwurf der ILC zur Staatenverantwortlichkeit sogar deutlich gegen die Vermutung einer Absenkung der Zurechnungsschwellen: Obwohl sich die ILC durchaus der immensen Bedrohung durch nichtstaatliche Gewalt bewusst gewesen sein muss – der Entwurf wurde von der ILC im November 2001 zwei Monate nach den Anschlägen auf die USA angenommen und von der Generalversammlung im Dezember empfohlen –, sah sie sich nicht veranlasst, die äußerst strengen Zurechnungsanforderungen aufzulockern. Dies alles spricht für einen weit verbreiteten Konsens darüber, dass bewaffnete Angriffe Privater einem Staat nur unter engen Voraussetzungen (bei einer staatlichen Entsendung und einer massiven staatlichen Unterstützung) zugerechnet werden sollen. b) Die Textauslegung des Art. 51 SVN und die Staatenpraxis belegen, dass auf das Erfordernis der staatlichen Zurechenbarkeit für die Aktivierung des Selbstverteidi-
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gungsrechts gegen Private verzichtet werden kann. Die Zurechnungslehre verliert dadurch keineswegs an Bedeutung; die Unterscheidung zwischen zurechenbarer Gewalt und privater Gewalt bleibt für die Frage des Verteidigungsgegners, für Restitutionsansprüche und die Grenzen der Eingriffsbefugnisse relevant. c) Die mit dem Verteidigungseinsatz verbundene Beeinträchtigung von Hoheitsrechten anderer Staaten bedarf indessen einer gesonderten Befugnis. Duldungspflichten und Begrenzungen der eigenen Rechtsausübung werden in einigen Bereichen des Völkerrechts aus einem Abwägungsgebot hergeleitet, welches die Staaten zur Auflösung konfligierender Interessen anhält. Dieses Gebot entspringt dem Souveränitätsanspruch der Staaten und bildet dessen Korrelat. Auf der Grundlage dieser allgemeinen völkerrechtsdogmatischen Überlegung wurde aus Art. 51 SVN eine Pflicht des Aufenthaltsstaates von Terroristen hergeleitet, die gegen die Terroristen gerichteten Selbstverteidigungsmaßnahmen zu dulden. Nach der Textauslegung des Art. 51 SVN sind drei verschiedene Wege gangbar: Nach der „geschriebenen Notstandskonzeption“ handelt es sich bei der Vorschrift des Art. 51 SVN um eine Notstandsnorm, deren Aktivierung allein das Vorliegen einer bewaffneten Gefahr voraussetzt. Bei der nach dem Wortlaut näher liegenden Auslegung des Art. 51 SVN als Notwehrnorm eröffnet sich die gegenüber dem Aufenthaltsstaat bestehende konnexe Notstandsbefugnis aus der Regelung des Art. 51 S. 2 SVN. Auf die völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Aufenthaltsstaates kommt es für die Aktivierung der Befugnis nach beiden Lösungen nicht an. Schließlich lassen sich Duldungspflichten aus dem durch Art. 51 SVN übernommenen tradierten Neutralitätsrecht herleiten, wenn der Aufenthaltsstaat seine Neutralitätspflicht verletzt hat. Die Aktivierung des grenzüberschreitenden Selbstverteidigungsrechts gegen Private setzt demnach die Verantwortlichkeit des Aufenthaltsstaates voraus, die bereits bei der Duldung der Terroristen gegeben sein soll. Die neutralitätsrechtliche Analogie wurde in der Staatenpraxis bis auf eine Ausnahme (soweit ersichtlich) nicht bemüht. Der IGH hat zwar in seinem Gutachten über die Zulässigkeit eines Kernwaffeneinsatzes die Geltung neutralitätsrechtlicher Grundsätze in bewaffneten Konflikten unter Beteiligung Privater anerkannt, zog diese jedoch nicht als Befugnisnorm für Gebietsbeeinträchtigungen heran, sondern ausschließlich als Befugnisgrenze. Die Staaten- und Organpraxis der Vereinten Nationen bekennt sich weder eindeutig zur Notstandslösung noch zur Notwehrlösung. Jedenfalls lassen sich nach beiden Textauslegungsvarianten und der Staatenpraxis territoriale Beeinträchtigungen von Aufenthaltsstaaten auf eine in Art. 51 SVN verankerte Notstandsbefugnis stützen. 3. Unabhängig von der völkerrechtsdogmatischen Begründung der Duldungspflicht, beschränken der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die der Notstandsnorm immanenten Schranken die Ausübung der Selbstverteidigungsbefugnis. a) Einigkeit besteht insoweit, als von der Notstandsbefugnis bislang nur Fälle des defensiven Notstands erfasst wurden. Das nach der Textauslegung ermittelte Ergebnis, wonach grundsätzlich auch von denjenigen Territorien eine notstandsbegründende Gefahr ausgehen kann, die nur logistische Einrichtungen beherbergen, wird durch die Staatenpraxis weder bestätigt noch widerlegt.
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b) Einigkeit besteht weiter darüber, dass räumlich ausgedehnte und in ihrer Intensität unangemessene Gewaltaktionen in der Praxis nicht geduldet werden. Dem Aufenthaltsstaat dürfen durch die Selbstverteidigungsmaßnahme keine nennenswerten Verluste in der Zivilbevölkerung und vermögenswerter Güter drohen bzw. müssen diese im Verhältnis zur abgewendeten, von den Terroristen ausgehenden Gefahr minimal erscheinen. Im Rahmen der Notstandsbefugnis ist jedoch eine Abwägung der grundsätzlich gleichwertigen Territorialitätsbelange des Verteidiger- und des Dulderstaates zulässig, wenn auf Seiten des Verteidigerstaates eine Gefährdung für die Zivilbevölkerung droht und auf Seiten des Dulderstaates Schäden für die Zivilbevölkerung (weitestgehend) vermieden werden. c) Weiter dürfen Gewaltmaßnahmen nur dann angewendet werden, wenn alternative Handlungsmöglichkeiten nicht bestehen. Der Gewaltmaßnahme müssen (außer bei Maßnahmen gegen einen failed state) zwingend Versuche der Kooperation mit dem Aufenthaltsstaat vorausgehen, damit diesem die Möglichkeit gegeben wird, durch Ausübung seiner inneren Souveränität die Gefahrenquelle zu beseitigen. Dieses Erfordernis wird in der Staatenpraxis – soweit ersichtlich (die diplomatischen Konsultationskanäle sind der Öffentlichkeit in der Regel nicht zugänglich) – (noch) recht großzügig gehandhabt. Es ist allerdings anhand der Konventionspraxis der Staaten zu beobachten, dass nach Ansicht der Staaten weniger die materiellrechtliche Konturierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als vielmehr die Etablierung von (gegebenenfalls sanktionsbewehrten) Verfahrensregeln die Staaten bei der Ausübung ihrer Selbstverteidigungsbefugnisse begrenzen kann. Daher ist zu vermuten, dass die künftige Rechtsentwicklung bei der Bekämpfung des Terrorismus verstärkt auf die Entwicklung zwischenstaatlicher Kooperationsverfahren setzen wird. d) Zeitlich dauerhafte Maßnahmen werden von der in Art. 51 SVN enthaltenen Notstandsbefugnis generell nicht gedeckt. e) Der Verteidigerstaat hat seine Notstandsbefugnis verwirkt, wenn er durch vorangegangenes rechtswidriges Verhalten die Notstandslage selbst herbeigeführt hat. 4. In hoheitsfreien Räumen und im eigenen Staatsgebiet sind Verteidigungsmaßnahmen entgegen jüngerer Tendenzen in der Völkerrechtswissenschaft nicht nach Art. 51 SVN rechtfertigungsbedürftig.
Summary The subject of the study was the admissibility of state self-defence measures against terrorist violence on the territory of foreign states, on territories free of sovereign rights and on a state’s own territory. In this context all forms of non-state violence that are directed against a state in political intention were examined, as neither basic legitimacies nor special regulations for certain serious forms of violence are recognized in present international law. Particularly, the states do not even differentiate between terrorist and other private acts of violence across borders. The following results can be emphazised: 1. The prohibition of use of force is also applicable on the states of residence of terrorists, even if they are failing or failed states. 2. Based on the premise that cross-boarder measures of self-defence are only justified under the conditions of Article 51 of the UN-Charter, the study examines whether terrorist attacks are armed attacks in the sense of this article and thus cause the application of the right of self-defence. The most important question therefore was if the right of self-defence depends on whether the attacks can be attributed to a state. a) Against general assumption younger state practice can not claim responsibility for a modification of the attribution criteria. Especially the Resolution 1373 (2001) of the Security Council does not suggest such a supposition. The International Law Commission’s (ILC) draft of the articles on the „Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts,“ which the UN General Assembly „recommended to the attention of government without prejudice to the question of the future adoption or other appropriate action“ is an even more evident sign against the modification of attribution criteria. Although the ILC must have been aware of the immense menace by non-state violence – the draft was adopted in November 2001, two months after the attacks of September 11th – the ILC did not minimize the conditions of attribution. All these facts express a widespread consensus about the fact that terrorist attacks are imputable to a state only under restrictive conditions (i. e. in cases of sending and cases of massive support). b) An interpretation of Article 51 of the UN-Charter and state practice prove that activating the right of self-defence against privates can be done without attributing the violence to states. The doctrin of imputation, however, is still relevant; the differentiation between violence attributable to a state and private violence remains relevant for the question of the defensive opponent, for restitution claims, and for the restrictions of self-defence.
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c) The interfering with sovereign rights of other states caused by defensive actions, however, requires a separate authoriy. In some parts of the international law duties for tolerance and limitations of a state’s own legal exercise are derived according to considerations encouraging countries to solve conflicting interests. This order arises from the sovereignty claims of the states and forms its correlate. On the basis of these general international law-dogmatic considerations the duty of the state of residence of terrorists to tolerate measures of self-defence directed against terrorists was derived from Article 51 of the UN-Charter. Depending on the reading of Article 51 of the UN-Charter there are three possible interpretations: (1) According to the „written concept of necessity“ the regulations of Article 51 of the UN-Charter represent a norm of necessity that merely requires the presense of armed danger in order to get activated. (2) Interpreting Article 51 of the UN-Charter as norm of self-defence, which might literally be more correct, sentence two of Article 51 of the UN-Charter reveals an authority in a necessity against the state-of-residence. In neither of the two interpretations the activating of the right for self-defence depends on the international responsibility of the state-of-residence. (3) Finally, tolerance duties can be derived from the traditional right of neutrality adopted by Article 51 of the UN-Charter, if and to the extend the state-of-residence has violated its duty of neutrality. Activating the right of self-defence against privates across borders thus assumes the responsibility of the state of residence, which the state should already accept when tolerating terrorists on its territory. Despite one exception this legal construction has not been practiced by the states. Indeed, the International Court of Justice (ICJ) has recognized in its „Advisory Opinion on the Legality of the Use of Nuclear Weapons in Armed Conflicts“ the validity of principles of neutrality in armed conflicts with participation of privates. These principles, however, were not considered to be a norm for authorization concerning territorial violations, but exclusively as a restriction of authority. State practice and practice of the United Nations clearly acknowledge neither the „written concept of necessity“ nor the approach of self-defence in the above mentioned sense. In any case, according to both interpretations and state practice the authority in a state of necessity is anchored in Article 51 of the UN-Charter concerning territorial interference of states of residence. 3. Regardless of the international law-dogmatic explanations for the duty of tolerance, the principles of proportionality and the barriers immanent to the principles of necessity restrict the exercise of the right of self-defence. a) An agreement exists in this respect that until today only cases of „defensive necessity“ were justified. The result of the text interpretation that even those territories constitute a danger leading to a necessity that only accommodate logistic facilities can neither be confirmed nor disproved by state practice. b) Agreement further exists about the fact that territorially vast and in its intensity disproportionate violent actions are not recognized as legal. For the state of residence there must be no threat of serious casualties in the civil population and losses of valuable goods due to measures of self-defence and they have to be minimal in
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proportion to the avert danger caused by the terrorists, respectively. Within the scope of the authority of necessity it is permitted to consider the basic equivalent territorial interests of the defending state and the tolerating state, if there is a threat for the civil population of the defending state and if damages for the civil population of the tolerating state can be avoided (to the greatest possible extent). c) Furthermore, acts of violence may be applied only if no alternative possibilities for action exist. Before committing to acts of violence compelling attempts of cooperation with the state of residence have to be made (except when using measures against a failed state), so that the state of residence has the possibility to eliminate the danger by exercising its internal power. In state practice this requirement seems to be (still) conducted rather generously (as the diplomatic consultation channels are generally not accessible to the public). It can, however, be observed from the conventional practice of the states that in the states’ opinion less the substantive juridical concretisation of the principles of proportionality than rather the rules for the establishment of procedures (sanction-reinforced, if necessary) can restrict the countries exercising their right of self-defence. Hence it is to be assumed that the development of legal rights concerning the fight against terrorism will focus increasingly on developing co-operations between countries in the future. d) In general, temporally lasting measures are not covered under Article 51 of the UN-Charter. e) The defending state has forfeited its authority for necessity if it has caused the crisis itself by preceding illegal behavior. 4. Against younger trends in the international law doctrin, measures of self-defence do not have to be justified under Article 51 of the UN-Charter on territories free of sovereign rights and on a state’s own territory.
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Sachwortverzeichnis Abwägungsgebot, völkerrechtliches 65, 102–105, 124, 185 – und Duldungspflicht 102–115, 185 – und ius cogens 104 accumulation of events 109–111, 164, 185 Act of State (siehe staatliche Zurechenbarkeit) Aggression – Aggressionsdefinition (siehe Resolutionen der UN-Generalversammlung, 33/14) – armée (siehe bewaffneter Angriff) – Litvinov-Definition 88 f., 91 Aneignung (siehe Annexion) Angarienrecht 114 Angreifer (siehe bewaffneter Angreifer) Annexion 24–27, 161, 177 Anschläge vom 11. September 2001 15, 28, 36, 44 f., 64, 100, 153–157, 177, 185 Arabische Liga 148, 158 Armed attack (siehe bewaffneter Angriff) Attacker (siehe bewaffneter Angreifer) Auslegung der Satzung (siehe Satzung) Aussonderungslösung 28 f. Befreiungsarmee 21 Bewaffneter Angreifer 31, 59, 64, 70, 72, 133 f., 140, 185 Bewaffneter Angriff – Begriff 75–101, 109, 157 – gegenwärtiger 30, 51, 106, 109 f. – nicht herausgeforderter 56, 86 – unmittelbarer 106–109, 111, 129, 159 Bewaffneter Konflikt – asymmetrischer 16, 28, 71, 73 – dauerhafter 26, 109 – transnationaler 15, 16, 28, 63 – zwischen Frankreich und Tunesien 39, 47, 171
– zwischen Großbritannien und Argentinien 71, 76, 108 – zwischen Indien und Pakistan 110, 152 – zwischen Irak und Iran 1987 (erster Golfkrieg) 76 – zwischen Irak und Kuwait (zweiter Golfkrieg) 69, 71, 76, 109 – zwischen Iran und Irak 27, 43–45, 149 f., 152 f., 173, 176 – zwischen Israel und dem Libanon 27, 137 f., 142–144, 175 – zwischen Israel und Syrien 19, 45, 47, 158–160, 177 – zwischen Kongo und Portugal 134 f., 137 – zwischen Südafrika und Lesotho 164 – zwischen Türkei und Irak 27, 139, 144–148, 173 f., 176, 178 f. – zwischen USA und Afghanistan 44 f., 66, 69 f, 72, 109 f., 150 f., 153–157, 173, 175, 177 f. – zwischen USA und Irak (2003) 66 – zwischen USA und Kambodscha 27, 135 f,.173, 175 – zwischen USA und Kuba 110, 165 – zwischen USA und Sudan 110, 150 f., 173, 175, 177 f. Briand-Kellogg-Pakt (1928) 89–91, 101 Bündnisvertrag zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich (1879) 86 f. Caroline-Fall 84, 90 f., 109 f., 112, 121, 177 Carter, Jimmy 17 Clinton, Bill 150 Contras 39 f. Countermeasure (Gegenmaßnahme) – Abgrenzung zur Selbstverteidigung 140 f., 166, 172, 175
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Sachwortverzeichnis
Counter-Terrorism Comittee 37 Cysne Schiedsspruch 118 de facto-Organ 19, 28, 42, 44, 49, 62 de facto-Regime 53 f., 180, 182 de jure-Organ 19 Dereliktion 29 Distress 148, 163 Dreibundvertrag (1882) 87 Dumbarton Oaks, Konferenz von 92 f., 97 Entebbe-Fall 17, 123 Erfolgsunrechtsthese, Erfolgsunrechtshaftung 57, 59, 111 Europäische Verteidigungsstrategie 111 failed state 25–27, 29, 52–59., 64, 113, 123, 125, 178, 184, 186–189 failing state 52–59, 123 f. Falklandkonflikt (siehe bewaffneter Konflikt zwischen Großbritannien und Argentinien) Friedensbegriff 77 f. Friendly Relations Declaration (siehe Resolutionen der UN-Generalversammlung, 26/25) Gabcikovo Nagymaros (siehe IGH) Gefährdungshaftung 59–61 Genfer Abkommen über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte 19 f., 42, 81, 107 Genfer Übereinkommen über die Hohe See 61 Gewalt – legitime 18, 21 f., 96, 117, 138, 143 f., 158, 184 – unilaterale 26, 78, 92, 175 Gewaltverbot – Entstehungsgeschichte 83–91 – Geltung im innerstaatlichen Bereich 180–183 – persönlicher Schutzbereich 24–29, 54, 136, 180–183 – satzungsrechtrechtliches 16, 104–118 – systematisches Verhältnis zum Selbstverteidigungsrecht 77 f., 140 f. – völkergewohnheitsrechtliches 81
Golfkrieg – erster (siehe bewaffneter Konflikt zwischen Irak und Iran 1987) – zweiter (siehe bewaffneter Konflikt zwischen Irak und Kuwait) Guerilla 21 Handbuch von San Remo (siehe Neutralitätsrecht) Hizbullah, Hizbollah 142–144, 165, 180 Humanitäre Intervention 16, 27, 57, 127 IGH – Gabcikovo Nagymaros 107, 121, 174, – Korfu-Kanal-Fall 57 – Legal consequences of the construction of a wall in the Occupied Palestinian Territory 48, 54, 160–166 – Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons 67, 82, 131–133, 173, 188 – Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua 24, 30, 33, 40 f., 45, 47, 50, 56, 58, 62, 65, 68 f., 78, 80 f., 139–142., 164, 166, 175 f., 180 – Teheraner Geiselfall 51 ILC Articles on Responsibility of States for internationally wrongful acts 18, 33, 48–54, 57 f., 72, 106–108, 117 f., 119 f., 140 f., 148 f., 163, 184, 187, Internationale Sicherheit (siehe kollektive Sicherheit) Interventionsverbot 34, 140, 142 Ius in bello (siehe humanitäres Völkerrecht) Jakobinerherrschaft 18 JStGH – Prosecutor v. Tadic 41–43, 47, 50, 58 Kollektive Sicherheit 76–78, 98, 119 f., 126, 131, 181 Kollektive Zwangsmaßnahmen 30, 78 – und Effizienzdefizit 92–97, 113 Kolonialismus 18, 21 f., 84, 158 Kompensationsansprüche 60, 140, 143, 147,149, 167 Konsultationspflicht 122 f., 141, 146, 157, 178, 186
Sachwortverzeichnis Kooperation – bei Bekämpfung des Terrorismus 37 f., 76, 103, 123, 130, 154 f., 186 – Einwilligungspflicht in militärische Intervention 123, 127 f. – Entscheidungsprärogative bei Mittel der 28, 125- 128, 178 Kooperationspflicht 37, 123, 125–128, 130 f., 154, 173, 178, 186 Korfu-Kanal-Fall (siehe IGH) Kriegsbegriff 77, 84, 87, 89 f. Kubakrise (siehe bewaffneter Konflikt USA/Kuba) Legal consequences of the construction of a wall in the Occupied Palestinian Territory (siehe IGH) Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons (siehe IGH) Legitime Gewalt (siehe Gewalt, legitime) Legitimitätsthese (siehe Gewalt, legitime) Litvinov-Definition (siehe Aggression) Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (siehe IGH) Modifizierungslösung (siehe Zurechnungskriterien) Nadelstichsituation (siehe accumulation of events) NATO 100 f., 155–157 Neutralitätsrecht – Handbuch von San Remo 115 f., 122, 173 – ILC und 117 f. – Klassisches 116, 118 – Pflichten nach 114–117, 119, 125, 173, 185 – und Selbstverteidigungsrecht 114–117, 131–133 Nothilfe 95, 98, 117 Notstand – Abgrenzung zur Notwehr 106, 111–113, 146 – Definition der ILC 120 f. – Definition des IGH 120 f., 134 – geschriebene Notstandsbefugnis 79, 83, 102–105, 174–176, 185
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– Notstandsbegründende Gefahrenquelle 110 f., 125, 139, 149 f., 151, 153, 158, 173, 177 f. – ungeschriebene Notstandsbefugnis 31, 104–111, 141, 162, 166, 185 Notwehr – Abgrenzung zum Notstand (siehe Notstand) OAS 100 f., 110, 157 Pakt von Chapultepec 96–100 Partisan 21 Piraterie 80 f., 84 Primärnormen 42, 49 f., 62, 118 Prinzip der Nichtintervention (siehe Interventionsverbot) Prosecutor v. Tadic (siehe JStGH) Putin, Wladimir 166 f. Rechtsmissbrauch 90, 99, 103, 110, 121, 180 Regimewechsel 72, 96, 157 Regionale Verteidigungsbündnisse 92, 97–100 Regionalitätsbestrebung 92, 95–101 Russisch-bulgarische Militärkonvention (1909) 87 San Francisco, Konferenz von 91, 93 f. Satzung der Vereinten Nationen – Auslegungsdivergenzen 75, 168, 171 – Auslegungsmethode 74 f., 101, 142, 162, 167–171 Save haven (siehe Staatliche Verwicklung, Duldung) Schädigungsverbot 67, 103 Sekundärnormen 49 f. Selbstbestimmungsrecht 21, 105, 126 Selbsterhaltungsrecht, self preservation 82, 84, 145 f. Selbstverteidigungsrecht – Dauergefahr und 111, 150 f., 153, 158, 174 – historisches 83–91, 96, 112 – kollektives 39 f., 69, 86–88, 95–101, 157 – Konsultationspflicht (siehe dort)
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Sachwortverzeichnis
– – – –
naturrechtliches 30 f., 83, 92, 104, 154 präemptives 109 präventives 67, 109, 139, 165, 177 Subsidiarität 67, 71, 76 f., 94 f., 122–124, 179 – systematisches Verhältnis zum Gewaltverbot (siehe Gewaltverbot) – völkergewohnheitsrechtliches 16 f., 29 f., 40, 83, 88, 98, 104 f., 139, 141 f., 165, 172 Sic utere tuo ut alienum non laedas 103 Sicherheitsrat – Kompetenz 30, 67 f., 71 f., 76–78, 92, 94, 98, 112, 116 f., 127, 157, 169–172, 181 – Ultra vires Handlung 169 f. Söldner 34 f., 128, 134–137 Souveränität 80 – äußere 103 – Begrenzung der 102–104, 124, 127 f., 137, 173, 185 – innere 103, 125, 186 Staatenverantwortlichkeit (siehe völkerrechtliche Verantwortlichkeit) Staatliche Verwicklung – Anstiftung 33 f., 155 – Duldung 33–35, 38 f., 43–47, 51 f., 57, 60, 64, 70, 161 – Entsendung 33–35, 39, 45, 47, 128, 130, 158, 184 – Finanzierung 18, 20, 36, 38, 43, 76, 152, 155 – Planung 155, 177 – Unterstützung 33–37, 39 f., 44–47, 52, 57, 62, 68, 87 f., 115, 120, 130, 135, 139 f., 143, 146, 152, 157–159, 161, 184 Staatliche Zurechenbarkeit – ex tunc-Zurechnung 51, 53 f., 73 – Kriterien der (siehe Zurechnungskriterien) Stettinius-Memorandum 30, 92 Subsidiaritätsklausel (siehe Selbstverteidigungsrecht) 67, 71 f., 76 f., 95, 179 Taliban (siehe bewaffneter Konflikt zwischen den USA und Afghanistan) Teheraner Geiselfall (siehe IGH)
Territoriale Unverletzlichkeit 26, 103 f., 118, 152 Territoriale Unversehrtheit 17, 25 f., 33, 104, 121 f., 145, 148 Terror 18 Terrorismus – Atomterrorismus 15 – Begriff des 17–22 – Humanitäres Völkerrecht und 19, 26, 41, 65, 81, 163, 181 – Staatliche Verwicklung in den (siehe Staatliche Verwicklung) – Staatlicher 17, 130 – Völkerrechtssubjektivität und 28, 80, 82 f. – Völkerstrafrecht und 42, 81, Thatcher, Margaret 71 Tschetschenienkonflikt 21, 166 f. UNITA 81 Vandenberg-Vorbehalt 40 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – Funktion des 67 f., 113, 176 – Selbstverteidigung und 64–72, 99, 113–118, 119, 123–125, 136, 138, 141, 144, 146, 159, 163–165, 176, 179, 185 Vertrag von Locarno (1925) 87 Völkerbund, Satzung des 89, 91, 101 Völkerrechtliche Verantwortlichkeit – von Privaten 55, 81 – von Staaten 18, 31 f., 38, 42, 48 f., 57–59, 66, 70, 73, 87, 102 f., 106, 125, 131, 137, 152, 175 f., 184 f. Völkerrechtssubjektivität (siehe Terrorismus und) Webster-Formel 84, 110, 112, 121, 177 Weltfrieden (siehe Friedensbegriff) Zession 28 Zurechnung (siehe staatliche Zurechenbarkeit) Zurechnungskriterien (siehe auch Staatliche Verwicklung) – Funktion der 63, 72 f. – Modifizierung der 32 f., 47, 50, 56–70, 73, 154, 184
Verzeichnis der Resolutionen und Internationalen Abkommen Resolutionen der UN-Generalversammlung – Resolution 26/25 vom 24.10.1970 („Friendly Relations Declaration“) 21, 33, 111, 126–128, 131, 161, 169, 173, 178 – Resolution 30/34 vom 18.12.1972 17 – Resolution 33/14 vom 14.12.1974 („Aggressionsdefinition“) 21, 34–36, 41, 47, 56 f., 62 f., 66, 75 f., 88, 111, 128–130, 185 – Resolution 49/61 vom 9.12.1985 15, 22, – Resolution 52/164 vom 15.12.1997 (im Anhang: Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge) 18, 20, 123 – Resolution 54/109 vom 9.12.1999 (im Anhang: Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus) 18, 20, 38, 76, 77 – Resolution 56/1 vom 12.9.2001 20 – Resolution 56/83 vom 12.12.2001 18, 48 Resolutionen des UN-Sicherheitsrates – Resolution 241 (1967) vom 15.11.1967 172, 175, 134, 137 – Resolution 405 (1977) vom 14.4.1977 136, 172, 175 – Resolution 502 (1982) vom 3.4.1982 71, 76 – Resolution 598 (1987) vom 20.7.1987 76 – Resolution 661 (1990) vom 6.8.1990 145 – Resolution 678 (1990) vom 29.11.1990 145
– Resolution 748 (1992) vom 31.3.1992 76 – Resolution 792 (1992) vom 30.11.1992 81 – Resolution 888 (1993) vom 30.11.1993 81 – Resolution 1045 (1996) vom 8.2.1996 81 – Resolution 1269 (1999) vom 19.10.1999 123 – Resolution 1368 (2001) vom 12.9.2001 37, 76, 154, 161, 172, 175 – Resolution 1373 (2001) vom 28.9.2001 36–38, 47, 76, 154 f., 161, 163 f., 169, 172, 175, 184, 187 – Resolution 1390 (2002) vom 16.1.2002 22, 130, 183 – Resolution 1438 (2002) vom 14.10.2002 22, 130, 183 – Resolution 1440 (2002) vom 24.10.2002 22, 130, 183 – Resolution 1450 (2002) vom 13.12.2002 22, 130, 183 – Resolution 1455 (2003) vom 17.1.2003 22, 130, 183 – Resolution 1456 (2003) vom 20.1.2003 130, 183 Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen von 1970 20 Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt von 1971 20 Internationales Übereinkommen über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtliche
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Verzeichnis der Resolutionen
geschützte Personen einschließlich Diplomaten von 1973 20 Internationales Übereinkommen gegen Geiselnahmen von 1979 20 Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Seeschifffahrt von 1988 20
Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge (siehe Resolutionen der UN-Generalversammlung, 52/164) Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (siehe Resolutionen der UNGeneralversammlung, 54/109)