Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt in den Niederlanden [1 ed.] 9783428539932, 9783428139934

Der Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt ist ein wesentliches Element des Rechtsstaates. In den westeuropäischen St

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German Pages 393 Year 2013

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Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt in den Niederlanden [1 ed.]
 9783428539932, 9783428139934

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Schriften zum Prozessrecht Band 228

Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt in den Niederlanden Von Barbara Ooms-Gnauck

Duncker & Humblot · Berlin

BARBARA OOMS-GNAUCK

Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt in den Niederlanden

Schriften zum Prozessrecht Band 228

Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt in den Niederlanden Von Barbara Ooms-Gnauck

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Konstanz hat diese Arbeit im Sommersemester 2012 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 978-3-428-13993-4 (Print) ISBN 978-3-428-53993-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-83993-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die Fertigstellung der vorliegenden Doktorarbeit hat einen Zeitraum von mehr als 5 Jahren in Anspruch genommen. Insbesondere die Recherche gestaltete sich aufwendig, da nur wenige Bibliotheken in Deutschland über niederländische Rechtsliteratur bzw. eine Sammlung der einschlägigen Rechtsprechung verfügen. So musste der größte Teil der verwendeten Quellen in den Niederlanden beschafft werden. Hier gilt mein besonderer Dank meiner Tochter Britta, die mich auf meinen Reisen (Forschungsaufenthalten) in die Niederlande stets begleitet und bei der Literatursuche tatkräftig unterstützt hat. Meine gesamte Familie hat mir während dieser schwierigen Zeit mit viel Geduld und Nachsicht zur Seite gestanden, wofür ich allen herzlich danke. Ebenso bin ich meinem Doktorvater, Herrn Professor Martin Ibler, zu besonderem Dank verpflichtet. Er hat mir nicht nur die Möglichkeit gegeben, diese Arbeit zu schreiben, er hat durch seine wertvollen Ratschläge auch zu deren Gelingen beigetragen. Ein herzliches Dankeschön möchte ich auch an Herrn Professor Dieter Lorenz richten, der das Zweitgutachten für diese Arbeit erstellt hat. Erfurt, im Januar 2013

Barbara Ooms-Gnauck

Inhaltsübersicht Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

1. Teil Grundlagen

31

A. Die öffentliche Gewalt in den Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

2. Teil

Zugang zum Rechtsschutz

96

A. Die Rechtsschutzgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 B. Die Befugnis, einen Rechtsbehelf einzulegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 C. Der Gegenstand der Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 D. Die Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 E. Der Rechtsschutz durch die Verwaltung – Das Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

3. Teil

Gerichtliche Verfahren

196

A. Das erstinstanzliche Klageverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 B. Die ordentlichen Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . 216 C. Die außerordentlichen Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 D. Der einstweilige Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

4. Teil Kontrolldichte

259

A. Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolltätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 B. Der Kontrollmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 C. Die Kontrollintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

8

Inhaltsübersicht 5. Teil

Schadensersatz

336

A. Der Schadensersatz durch die Verwaltungsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 B. Der Schadensersatz durch die Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 C. Der Schadensersatz durch die Zivilgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 D. Die Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 E. Die Qualität des Rechtsschutzes bei Schadensersatzansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . 370

6. Teil

Zusammenfassung und Ergebnis der Arbeit

372

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389

Inhaltsverzeichnis Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1. Teil Grundlagen

31

A. Die öffentliche Gewalt in den Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I. II.

Annäherung an den Begriff „Öffentliche Gewalt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Die öffentliche Verwaltung in den Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Rechtspersonen des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 a) Erwerb der Rechtspersönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 aa) Durch die Verfassung mit Befugnissen ausgestattete Rechtspersonen 33 bb) Rechtspersönlichkeit durch oder kraft eines Gesetzes . . . . . . . . . . . 34 b) Organisation der Körperschaften des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . 35 aa) Verwaltungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 bb) Aufbau der Körperschaften des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . 37 c) Erledigung öffentlicher Aufgaben durch Körperschaften des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 aa) Zentrale Staatsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 (1) Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 (2) Verwaltungsstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 bb) Dezentrale Staatsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 (1) Territoriale Dezentralisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 (a) Provinzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 (b) Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 (c) Zweckverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 (2) Funktionale Dezentralisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (3) Wasserverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (a) Aufgabenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 (b) Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Mit der Erledigung öffentlicher Aufgaben betraute Personen und Kollegien 50 a) Öffentlich-rechtlich ausgerichtete b-Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 b) Privatrechtlich ausgerichtete b-Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

10

Inhaltsverzeichnis

B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 I.

Die Entwicklung der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . 52 1. Anfänge des Rechtsschutzes gegen die öffentliche Gewalt in den Nieder­ landen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 a) Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt im 16. Jahrhundert . . . . . . . 53 b) Rechtsschutz gegen die Öffentliche Gewalt während der Bataafsen ­Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 c) Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt während der französischen Annexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 aa) Das Napoleonische System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 bb) Die niederländische Reaktion auf das napoleonische System . . . . . 56 2. Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt im Königreich Niederlande von 1815 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) Rechtsschutz durch die ordentlichen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 b) „Confliktenbesluit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 c) Neuerungen nach 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 aa) Einflussnahme durch Thorbecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 bb) Staatsratsgesetz von 1861 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 (1) Entwicklung des Staatsrates in den Niederlanden . . . . . . . . . . . 60 (2) Französische Einflüsse auf das Staatsratsgesetz von 1861 . . . . 61 (3) Auswirkungen des Staatsratsgesetzes von 1861 . . . . . . . . . . . . 62 (a) Stärkung der ordentlichen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . 62 (b) Kroonberoep . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3. Liberale Bestrebungen in der Zeit zwischen 1872 und dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 a) Vorstellungen von einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . 66 aa) Vorschläge zur Einführung einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 bb) Verfassungsrevision von 1887 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 b) Staatskommission Kappeyne van de Copello . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 c) Konzept zur Schaffung einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit nach Loeff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 d) Untersuchungen zur sinnvollen Ergänzung des Rechtsschutzsystems durch die Kommission Koolen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4. Neuerungen nach dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Gesetz zur Anfechtung von Verwaltungsverfügungen . . . . . . . . . . . . . . . 71 aa) Anwendungsbereich des Wet BAB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 bb) Rechtswidrigkeitsgründe nach dem Wet BAB . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 cc) Mängel des Wet BAB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 b) Gesetze zur allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . 74

Inhaltsverzeichnis

11

aa) Gesetzentwurf 11280 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 bb) Gesetzentwurf 11279 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 5. Das Ende des Kroonberoep . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 a) Der Fall Benthem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 bb) Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte . 77 (1) Eröffnung des Anwendungsbereichs des Art. 6 EMRK . . . . . . . 78 (2) Vereinbarkeit des angewendeten Verfahrens mit Art. 6 EMRK . 79 (a) Die Abteilung für Verwaltungsstreitigkeiten beim Staatsrat 79 (b) Die Krone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 cc) Erkenntnisse der Benthem-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Folgen der Benthem-Entscheidung für den Rechtsschutz in den Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 II.

Besondere Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1. Sozialgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2. Finanzgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3. Beamtengerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

III. Das allgemeine Verwaltungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Grundlagen in der niederländischen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Die Entstehung des Allgemeinen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3. Die Bedeutung des Allgemeinen Verwaltungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 4. Struktur des Awb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 a) Äußere Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 b) Innere Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 c) Verweisungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 5. Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 6. Verhältnis zu anderen Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 a) Verhältnis zu Gesetzen im formellen Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 b) Verhältnis zu untergesetzlichen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

2. Teil

Zugang zum Rechtsschutz

96

A. Die Rechtsschutzgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 I.

Innerstaatliche Grundlagen der Rechtsschutzgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Die Verankerung der Rechtsschutzgarantie in der niederländischen Ver­ fassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

12

Inhaltsverzeichnis 2. Die Rechtsschutzgarantie als Ausdruck der Rechtsstaatlichkeit . . . . . . . . . . 99 a) Rechtsstaatliche Garantien für den Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Ausgestaltung der rechtsstaatlichen Garantien in der niederländischen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 aa) Die Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 bb) Die Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 cc) Gesetzesbindung der Verwaltung und der Rechtsschutz des Bürgers 102 (1) Vorrang des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (2) Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 dd) Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . 105 c) Die Niederlande als Rechtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 II.

Europäische Grundlagen der Rechtsschutzgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 1. Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 a) Die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 EMRK auf hoheitliche Maßnahmen 107 aa) Auswirkungsjudikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 bb) Abwägungsjudikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 cc) Vermögensjudikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 b) Die Bedeutung des Art. 6 Abs. 1 EMRK für die Rechtsschutzgarantie in den Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Die Rechte aus Art. 6 Abs. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 a) Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 aa) Besetzung und Gliederung der niederländischen Verwaltungsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 bb) Die niederländischen Verwaltungsgerichte und ihre gesetzlichen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (1) Die ordentliche Gerichtsbarkeit (rechterlijke macht) . . . . . . . . . 110 (a) Rechtbanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (b) Gerichtshöfe (gerechtshoven) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 (c) Der Hohe Rat (Hoge Raad) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (2) Besondere Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (a) Die Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung beim Staatsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (b) Der zentrale Berufungsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 (c) Das Kollegium für Klagen aus dem Wirtschaftsleben . . . . . 115 cc) Unabhängigkeit der Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (1) Ordentliche Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (2) Besondere Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 dd) Unparteilichkeit der Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

Inhaltsverzeichnis

13

ee) Die niederländischen Verwaltungsgerichte in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschrechte . . . . . . . . . . . . . . 120 (1) Die Abteilung für Verwaltungsstreitigkeiten des Staatsrates . . . 120 (2) Das Kollegium für Klagen aus dem Wirtschaftsleben . . . . . . . . 121 b) Zugang zu den Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 aa) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 bb) Beschränkungen des Rechts auf Zugang zu den Gerichten . . . . . . . 122 c) Effektives Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 aa) Entscheidung in angemessener Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (1) Maßgeblicher Zeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (2) Angemessene Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 bb) Faires Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 cc) Durchsetzung der gerichtlichen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 III. Die Güte der Rechtsschutzgarantie in den Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 B. Die Befugnis, einen Rechtsbehelf einzulegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 I.

Geschützter Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 1. Rechtssubjekte mit Betroffenenqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2. Verwaltungsorgane als Betroffene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3. Besondere Rechtspersonen als Betroffene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

II.

Geschützte Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 1. Eigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Persönlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 3. Objektiv bestimmbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 4. Unmittelbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 b) Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 c) Konkurrenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 d) Umweltverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 e) Actio Popularis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

III. Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1. Gesetzliche Grundlagen des Rechtsschutzbedürfnisses . . . . . . . . . . . . . . . . 137 2. Voraussetzungen des Rechtsschutzbedürfnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 3. Fehlen oder Entfallen des Rechtsschutzbedürfnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 a) Durch den Rechtsschutzsuchenden hervorgerufene Veränderungen . . . . 139 b) Durch die Verwaltung hervorgerufene Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . 139 aa) Abänderung der angefochtenen Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 bb) Aufheben der angefochtenen Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

14

Inhaltsverzeichnis IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

C. Der Gegenstand der Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 I.

Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Schriftformerfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3. Verwaltungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 4. Rechtshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 5. Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Erfüllung öffentlicher Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 c) Selbständiger Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 d) Zurückforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

II.

Der „Besluit“ als administratives Handlungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Einzelfallregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Hoheitliche Maßnahmen von allgemeiner Gültigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a) Allgemeinverbindliche Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 aa) Akte der Zentralverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 bb) Ministerielle Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 cc) Rechtsetzungsakte der dezentralen Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 148 dd) Selbständige Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 b) Beleidsregels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 3. Bedeutung des „Besluit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

III. Besondere Zuweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1. Erweiterungen gemäß art. 6:2 Awb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Erweiterungen gemäß art. 8:1 Awb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 IV. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Beschränkungen gemäß art. 8:2 Awb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Beschränkungen gemäß art. 8:3 Awb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 3. Beschränkungen gemäß art. 8:4 Awb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 4. Beschränkungen gemäß art. 8:5 Awb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 V.

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

D. Die Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 I.

Zuständigkeit des allgemeinen Verwaltungsgerichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

II.

Zuständigkeit des besonderen Verwaltungsgerichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

E. Der Rechtsschutz durch die Verwaltung – Das Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 I.

Das allgemeine Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

Inhaltsverzeichnis

15

1. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 a) Maßnahme der Verwaltung (besluit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 b) Zuständigkeit der Ausgangsbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 c) Durch Gesetz verliehene Befugnis zur Erhebung eines Rechtsbehelfs . . 163 aa) Grundregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 bb) Ausnahmeregelungen im Awb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 cc) Spezialgesetzliche Ausnahmeregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 dd) Abweichen von der Grundregel – die sofortige Klage . . . . . . . . . . . 166 (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (2) Bericht der Evaluierungskommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (3) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (a) Antrag des Rechtsbehelfsführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (b) Bearbeitung des Antrags auf sofortige Einleitung des Klageverfahrens durch die Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (c) Beteiligung mehrerer Betroffener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2. Die Funktionen des Vorverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 a) Rechtsschutz des Bürgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 b) Aufdecken fehlerhafter Abläufe im innerbehördlichen Verfahren . . . . . . 172 c) Entlastung der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 d) Aufbereitung des Prozessstoffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 3. Gang des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 a) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 aa) Anforderungen an die Rechtsbehelfsschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 (1) Eigenhändige Unterschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (2) Name und Anschrift des Antragstellers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (3) Datum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (4) Umschreibung der angefochtenen Verwaltungsmaßnahme . . . . 176 (5) Begründung des Rechtsbehelfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 bb) Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (1) Grundregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (2) Unverschuldetes Versäumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 cc) Heilung von Mängeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 b) Die Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 aa) Funktionen der Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 bb) Gelegenheit zur Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 cc) Ausnahmen von der Anhörungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (1) Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (2) Unbegründetheit des Rechtsbehelfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

16

Inhaltsverzeichnis (3) Verzicht des Rechtsbehelfsführers auf die Anhörung . . . . . . . . 182 (4) Begründetheit des Rechtsbehelfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 dd) Erneute Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 ee) Anhörungsprotokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 ff) Der unabhängige Beratungsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (1) Die Besetzung des unabhängigen Beratungsausschusses . . . . . 184 (2) Voraussetzungen der Mitgliedschaft im unabhängigen Beratungsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (3) Weitere gesetzliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 (4) Aufgaben des Ausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 c) Erneutes Erwägen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 aa) Grundlage der Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 bb) Umfang der Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 cc) Maßstab für die Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 dd) Verbot der reformatio in peius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 ee) Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (1) Grundregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (2) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 4. Die Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 a) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 aa) Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids . . . . . . . . . . . . . . . . 190 bb) Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Entscheidungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 II.

Das besondere Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 1. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 2. Die Funktionen des besonderen Vorverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 3. Der Gang des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 4. Die Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

III. Zusammenfassung: Die Bedeutung des Vorverfahrens für den Rechtsschutz . . 194

3. Teil

Gerichtliche Verfahren

196

A. Das erstinstanzliche Klageverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 I. II.

Die Gesetzlichen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Die Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Die Rechte der Parteien im Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Die Pflichten der Parteien im Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

Inhaltsverzeichnis

17

III. Die statthaften Klagebegehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 1. Anfechtungsbegehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2. Verpflichtungsbegehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 3. Untätigkeit der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 IV. Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 1. Beginn des Fristenlaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2. Fristen bei Untätigkeit der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 3. Wahrung der Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 4. Unverschuldete Säumnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 5. Wahrung der Frist durch Einlegen eines Rechtsbehelfs „pro forma“ . . . . . . 204 V.

Die Entscheidungsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 1. Klageschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2. Die vorgelegten Beweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 3. Die Voruntersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 4. Die Erkenntnisse der mündlichen Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

VI. Die Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 1. Urteilsformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 aa) Absolute Unzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 bb) Relative Unzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 b) Unzulässigkeit der Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 c) Unbegründetheit der Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 d) Begründetheit der Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 aa) Beseitigung der angefochtenen Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 bb) Folgen der Beseitigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 cc) Erhalten der Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 dd) Abhilfe durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 2. Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 B. Die ordentlichen Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . 216 I.

Die Berufung (Hoger Beroep) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 1. Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 2. Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 3. Kontrolle durch das Berufungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 a) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 aa) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

18

Inhaltsverzeichnis (1) Allgemeine Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (2) Besondere Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (a) Der Zentrale Berufungsrat (CRvB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (b) Das Kollegium für Klagen aus dem Wirtschaftsleben (CBB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 (c) Die Gerichtshöfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 bb) Statthaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 cc) Berufungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 dd) Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (1) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (2) Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 ee) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Begründetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 aa) Umfang des Rechtsstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 (1) Die Bedeutung des Berufungsbegehrens in der Rechtsprechung der ABRvS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 (2) Die Bedeutung des Berufungsbegehrens in der Rechtsprechung des CRvB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 bb) Das Objekt der Überprüfung im Berufungsverfahren . . . . . . . . . . . . 227 (1) Die Auffassung der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (2) Die Auffassung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (a) Die Auffassung der ABRvS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 (b) Die Auffassung des CRvB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 cc) Das Vorbringen neuer Gründe im Berufungsverfahren . . . . . . . . . . . 229 (1) Die Darstellung der Vereinigung für Verwaltungsrecht . . . . . . . 229 (2) Das Vorgehen der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 (a) Das Vorgehen der ABRvS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 (b) Das Vorgehen des CRvB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 (c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 4. Die Entscheidung im Berufungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 a) Bestätigung des angefochtenen Urteils (Zurückweisung der Berufung) . 231 b) Aufheben des angefochtenen Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 c) Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 5. Bedeutung für den Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 II.

Der Einspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

III. Die Rechtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

Inhaltsverzeichnis

19

C. Die außerordentlichen Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 I. II.

Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 1. Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 a) Antragsteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 b) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 c) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 2. Statthaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 3. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 4. Besondere Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 a) Neue Tatsachen und Umstände, die bereits im Zeitpunkt der Urteils­ verkündung vorlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 b) Von denen Antragsteller erst nach der Urteilsverkündung Kenntnis erlangt hat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 c) Die bei Kenntnis des Gerichts zu einer anderen Entscheidung geführt hätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 5. Verfahren und Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

III. Bedeutung für den Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 D. Der einstweilige Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 I.

Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240

II.

Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

III. Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 IV. Kontrolle durch den Richter im einstweiligen Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . 241 1. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 a) Verknüpfungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 b) Zuständiges Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 c) Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 aa) Anforderungen an den Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 bb) Antragsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 (1) Antragsbefugnis im Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 (2) Antragsbefugnis im Klageverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 2. Begründetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 a) Betroffene Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 aa) Abwägung der betroffenen Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 bb) Vorläufige Beurteilung der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 cc) Bedeutung der Begründung des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 b) Unverzügliche Eile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

20

Inhaltsverzeichnis V.

Prozessuale Besonderheiten des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz . . . 249 1. Ladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 2. Aktenvorlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 3. Mündliche Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 4. Entbehrlichkeit der mündlichen Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

VI. Die Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 1. Inhalt der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 a) Unzuständigkeit des Richters im einstweiligen Rechtsschutz . . . . . . . . . 252 b) Unzulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 c) Ablehnung des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 d) Stattgabe des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 2. Die stattgebende Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 a) Rechtswirkung der Stattgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 b) Dauer des vorläufigen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 3. Unmittelbare Entscheidung in der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 VII. Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 VIII. Qualität des Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

4. Teil Kontrolldichte

259

A. Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolltätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 I.

Umfang der Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

II.

Kontrolle von Amts wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Rechtsnatur des Klagegegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 2. Zuständigkeit der Ausgangsbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 3. Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 4. Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 5. Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 6. Verfahrensvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

III. Untersuchung der rechtlichen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 IV. Sachverhaltsfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 1. Ergänzende Tatsachenermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 a) Funktionen der richterlichen Tatsachenermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 aa) Auffinden der materiellen Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 bb) Herstellen von Waffengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

Inhaltsverzeichnis

21

b) Instrumente der richterlichen Tatsachenuntersuchung . . . . . . . . . . . . . . 269 c) Richterliche Tatsachenermittlung und Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . 270 d) Maßgebliche Sach- und Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 e) Ergänzende Tatsachenermittlung im Berufungsverfahren . . . . . . . . . . . . 273 aa) Ergänzende Tatsachenermittlung durch die ABRvS . . . . . . . . . . . . . 273 bb) Ergänzende Tatsachenermittlung durch den CRvB . . . . . . . . . . . . . 275 2. Beweisrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 a) Gesetzliche Grundlagen des Beweisrechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 b) Vorbringen neuer Tatsachen im Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 aa) ABRvS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 bb) CRvB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 c) Verteidigungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 d) Umfang der Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 e) Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 f) Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 V.

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

B. Der Kontrollmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 I.

Entwicklung des verwaltungsrechtlichen Prüfungsmaßstabes . . . . . . . . . . . . . . 282

II.

Derzeit angewendeter Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 1. Verstoß gegen geschriebene Rechtsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 a) Gebot der sorgfältigen Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 aa) Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen durch die Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (1) Maßnahme auf Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (2) Maßnahme von Amtswegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 bb) Ermittlung der abzuwägenden Belange durch die Verwaltung . . . . . 288 cc) Intensität der Ermittlung durch die Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 289 b) Begründungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 aa) Materielle Begründungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 (1) Zureichende tatsächliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 (2) Tauglichkeit der tatsächlichen Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 bb) Formelle Begründungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 (1) Einsicht in die Erwägungen der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . 292 (2) Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Begründung . . . . 292 c) Zweckverfehlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 d) Willkürverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294

22

Inhaltsverzeichnis aa) Zu berücksichtigende Belange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 (1) Allgemeine Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 (2) Besondere Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 (3) Qualität der zu berücksichtigenden Belange . . . . . . . . . . . . . . . 295 bb) Gewichtung der zu berücksichtigenden Belange . . . . . . . . . . . . . . . 297 e) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 aa) Reichweite der Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 bb) Nachteilsausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 f) Unvoreingenommenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 aa) Unvoreingenommene Ausführung der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . 301 bb) Vorsorge gegen mögliche Einflussnahme auf den Erlass einer Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 cc) Persönliches Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 g) Verschwiegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 aa) Grundregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 bb) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 2. Verstoß gegen ungeschriebenes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 a) Vertrauensprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 aa) Selbstbindung der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 (1) Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 (a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 (b) Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 (c) Rechtswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 (2) Außergesetzliche Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 (a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 (b) Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 bb) Zusagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 b) Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 c) Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 d) Fair play . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 3. Verstoß gegen allgemeine Rechtsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

C. Die Kontrollintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 I.

Durch den Gesetzgeber eröffnete Entscheidungsfreiräume . . . . . . . . . . . . . . . . 314 1. Entscheidungsfreiräume auf Tatbestandsseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 a) Beurteilungsspielraum (Beoordelingsruimte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316

Inhaltsverzeichnis

23

aa) Kontrollintensität des Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 bb) Beurteilungsspielräume in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . 317 b) Beurteilungsfreiheit (Beoordelingsvrijheid) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 aa) Explizite Beurteilungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 bb) Implizite Beurteilungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 cc) Beurteilungsfreiheit und Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 dd) Kontrollintensität bei bestehender Beurteilungsfreiheit . . . . . . . . . . 324 2. Entscheidungsfreiräume auf Rechtsfolgenseite (Beleidsvrijheid) . . . . . . . . 324 a) Unechte Entscheidungsfreiräume auf Rechtsfolgenseite . . . . . . . . . . . . 325 b) Echte Entscheidungsfreiräume auf Rechtsfolgenseite . . . . . . . . . . . . . . . 325 II.

Von der Rechtsprechung anerkannte Entscheidungsfreiräume der Verwaltung . 326 1. Entscheidungsfreiräume durch Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . 326 a) Inzidente Kontrolle von Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 aa) Kontrolle der Verwaltungsvorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 bb) Kontrolle an der Verwaltungsvorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 b) Anwendung von Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 aa) Anwendung und Auslegung des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 bb) Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen . . . . . . . . . . . . 332 2. Entscheidungsfreiräume auf Grund der besseren Sachkenntnis der Ver­ waltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334

III. Bedeutung für den Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

5. Teil Schadensersatz

336

A. Der Schadensersatz durch die Verwaltungsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 I.

Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 1. Anwendungsbereich des art. 8:73 lid1 Awb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 2. Voraussetzungen der Entscheidung über den Schadensersatz . . . . . . . . . . . 337 a) Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 aa) Antragsteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 bb) Antragsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 cc) Form des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 dd) Zeitpunkt der Antragstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 b) Begründetheit der Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 c) Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340

24

Inhaltsverzeichnis aa) Konkreter Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 bb) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 cc) „Relativität“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 dd) Mitverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 ee) Schadensminderungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 d) Vorliegen besonderer Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 3. Entscheidung über den Antrag auf Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 a) Stattgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 b) Zurückweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 4. Verfahren gem. art. 8:73 lid 2 Awb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 5. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 II.

Bedeutung für den Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344

B. Der Schadensersatz durch die Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 I.

Schadensmaßnahmen auf gesetzlicher Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345

II.

Schadensmaßnahmen auf Grund einer Verwaltungsvorschrift . . . . . . . . . . . . . . 346

III. Selbständige Schadensmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 1. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 3. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 4. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 5. Bedeutung für den Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 IV. Unselbständige Schadensmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 C. Der Schadensersatz durch die Zivilgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 I.

Die Zuständigkeit der Zivilgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 1. Die Grundregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 2. Ausnahmen von der Grundregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 3. Anwendbarkeit der Grundregel auf Handlungen der öffentlichen Gewalt . . 352 a) Die besondere Stellung der öffentlichen Gewalt und die Zuständigkeit des Zivilgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 b) Die Bedeutung der Bestandskraft einer Maßnahme für die Zuständigkeit des Zivilgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 c) Alleinige Zuständigkeit des Zivilrichters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 d) Die Entscheidung über die Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 4. Die zivilgerichtliche Zuständigkeit für Schadensersatzansprüche aus rechtswidrigem Verhalten der öffentlichen Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

II.

Die rechtswidrige Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

Inhaltsverzeichnis

25

1. Der Anspruchsteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 2. Der Anspruchsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 3. Die gesetzlichen Grundlagen des Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 a) Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 aa) Verletzung einer gesetzlich normierten Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 bb) Eingriff in ein persönliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 cc) Verstoß gegen ungeschriebene Grundsätze des gesellschaftlichen Verkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 dd) Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 b) Zurechnung (des rechtswidrigen hoheitlichen Handelns) . . . . . . . . . . . . 361 aa) Zurechnung auf Grund der im Verkehr geltenden Auffassung . . . . . 361 bb) Im Grundsatz gegebene Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 c) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 aa) Primäre und sekundäre Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 bb) Beweislast für die Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 d) Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 e) „Relativität“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 4. Die zivilgerichtliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 a) Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 aa) Vor den Verwaltungsgerichten angreifbare Maßnahmen . . . . . . . . . 364 bb) Rechtmäßigkeit der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 cc) Rechtswidrigkeit der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 dd) Dem Verwaltungsrechtsschutz nicht zugängliche Maßnahmen und Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 b) Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 aa) Ermessensgebrauch/Ermessensausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 bb) Prinzipien einer ordnungsgemäßen Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 366 5. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 6. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 7. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 D. Die Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 I.

Der Antrag gem. art. 8:73 Awb und die unabhängige Schadensersatzmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368

II.

Die unabhängige Schadensmaßnahme und die Zivilgerichte . . . . . . . . . . . . . . . 369

III. Der Antrag nach art. 8:73 Awb und die Zivilgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 E. Die Qualität des Rechtsschutzes bei Schadensersatzansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . 370

26

Inhaltsverzeichnis 6. Teil



Zusammenfassung und Ergebnis der Arbeit

372

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389

Abkürzungsverzeichnis AA Ars Aequi. Juridisch studentenblad AB AB Rechtspraak Bestuursrecht algemene beginselen van behoorlijk bestuur a.b.b.b Administratiefrechtelijke Beslissingen kurz ABkort ABRvS Afdeling bestuursrechspraak van de Raad van State Adv.bl. Advocatenblad AMvB algemene maatregel van bestuur AROB administratieve rechtspraak overheidsbeschikkingen Afdeling rechtspraak van de Raad van state ARRvS Artikel der Niederländischen Verfassung Art. art. artikel – einfachgesetzlicher Regelungen Ambtenarenwet (Beamtengesetz) AW Awb Algemene wet bestuursrecht AWR Algemene wet inzake rijksbelastingen (Steuergesetze) College van burgermeester en wethouders (Bürgermeister und Beigeordnete) B & W (Wet) beroep administratieve beschikkingen BAB Beroepswet (Berufungsgesetz) Berw bijl. bijlage(n) blz. bladzijde (Seite) BNB Beslissingen in Belastingzaken – Nederlandse Belastingrechtspraak Burgerlije Wetboek BW CBB College van Beroep voor het bedrijfsleven Centrale Raad van Beroep CRvB diss. Dissertatie DÖV Die öffentliche Verwaltung Europees Hof voor de rechten van de mens (der europäische Gerichtshof EHRM für Menschenrechte) EVRM Europees Verdrag tot bescherming van de rechten van de mens en de fundamentele vrijheden De Gemeentestem Gst. Grondwet (die niederländische Verfassung) GW Hoge Raad der Nederlanden (der Hohe Rat) HR Huisvw Huisvestingswet Jurisprudentie – Bestuursrecht JB JBplus Jurisprudentie – Bestuursrecht Plus jo. of juncto/junctis (in Verbindung mit) Kammerstukken I Bijlagen bij de Handelingen van de Eerste Kamer Kammerstukken II Bijlagen bij de Handelingen van de Tweede Kamer Koninklijke besluit (königlicher Beschluss) KB KG Kort Geding LJN Landelijk Jurisprudentie Nummer (Aktenzeichen)

28

Abkürzungsverzeichnis

losbl. Losbladige uitgave (Loseblattsammlung) M en R Milieu en Recht (Umwelt und Recht) m. nt. met noot van (mit Anmerkungen von) Monw 1988 Monumentenwet 1988 (Denkmalschutzgesetz) MR MigrantenRecht (Einwanderungsrecht) mr. meester in de rechten (Dr.jur.) MvA I memorie van antwoord (Eerste Kamer) MvA II memorie van antwoord (Tweede Kamer) MvT I memorie van toelichting (Eerste Kamer) (Begründung des Gesetzentwurfes) MvT II memorie van toelichting (Tweede Kamer) NJ Nederlandse Jurisprudentie Nederlands Juristenblad NJB NJCM-Bulletin – Nederlands Tijdschrift voor de Mensenrechten NJCM-Bulletin NJkort NJkort NJV Nederlandse Juristen-Vereniging NJW Neue Juristische Wochenschrift No Nationale Ombusman Nederlands Tijdschrift voor Bestuursrecht NTB NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht ÖJZ Österreichische Juristen-Zeitung pagina (Seite) p. Parl.Gesch. parlementaire geschiedenis PBO publiekrechtelijke bedrijfsorganisatie Polw 1993 Politiewet 1993 (Polizeigesetz) Provw Provinciewet (Landkreisordnung) PVK Pensioen-& Verzekeringskamer (entspricht der Deutschen Rentenversicherung Bund) RAwb Rechtspraak Algemene wet bestuursrecht Rechtbank (Gericht) Rb. Rechtsgeleerd Magazijn Themis RMThemis RvdW Rechtspraak van de Week RW Rechtskundig Weekblad SER Sociaal-Economische Raad Stb. Staatsblaad TAR Tijdschrift voor Ambtenarenrecht tB/S ten Berge/Stroink, De Wet Arob VAR Vereniging voor Administratief Recht vgl. vergelijk Vz. Voorzitter (Vorsitzender) Wbbo Wet bestuursrechtspraak bedrijfsorganisatie Wet RO Wet op de rechterlijke organisatie (Gerichtsverfassungsgesetz) Wet RvS Wet op de Raad van State WMB Wet milieubeheer (Umweltgesetz) WRB Wet ob de rechtsbijstand WRO Wet op de Ruimtelijke Ordening Wschw Waterschapswet ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht z.j. zonder jaar van uitgave (ohne Erscheinungsjahr)

Ziel der Arbeit Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt bedeutet, dass der Bürger die Möglichkeit hat, hoheitliche Akte von einer unabhängigen Instanz, deren Entscheidung auch für die öffentliche Gewalt bindend ist, überprüfen zu lassen.1 Dahinter steht der Gedanke, dass jeder für sein Handeln verantwortlich ist und es deshalb möglich sein muss, ihn für dieses Handeln zur Verantwortung zu ziehen. Das gilt für die öffentliche Gewalt wie den Bürger gleichermaßen.2 Der Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt ist ein wesentliches Element des Rechtsstaates.3 In Westeuropa begegnet man drei verschiedenen Formen des Verwaltungsrechtsschutzes. Die älteste Form stammt aus Großbritannien. Dort entscheiden die ordentlichen Gerichte über die Streitigkeiten zwischen Bürger und Verwaltung. In Frankreich ist die Entscheidung über Verwaltungsstreitigkeiten den ordentlichen Gerichten entzogen und einem der Exekutive angehörenden Rechtsprechungsorgan, dem Staatsrat (Conseil d’Etat) anvertraut. In Deutschland obliegt der Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt Gerichten, die der Judikative angehören und auf verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten spezialisiert sind.4 Dabei verfolgen die verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedliche Ziele. Während in Deutschland der Rechtsschutz des Einzelnen im Vordergrund steht, legt das französische System besonderen Wert auf die objektive Kontrolle der Verwaltung.5 Die Niederlande verfügen erst seit dem Jahr 1994 über einen durch Gerichte gewährten Verwaltungsrechtsschutz, der den Anforderungen der EMRK genügt. Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, durch Untersuchung der Ausgestaltung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und seiner Handhabung, die Effektivität des Verwaltungsrechtsschutzes in den Niederlanden zu ermitteln. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren wird durch die niederländischen Obergerichte maßgeblich beeinflusst. In ständiger Rechtsprechung entwickelte Grundsätze wirken sich nicht nur entscheidend auf die Gesetzgebung zum Verfahrensrecht, sondern auch auf die Qualität des Rechtsschutzes aus. Dadurch sorgt die 1

VAR, De toekomst van de rechtsbescherming tegen de overheid, Rapport van de Commissie Rechtsbescherming van de Vereniging voor Bestuursrecht, 2004, S. 14; ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 6 f. 2 Belinfante/de Reede, Beginselen van het Nederlands Staatsrecht, 2002, S. 25. 3 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 2008, S. 8. 4 Fromont, Der Rechtsschutz des Einzelnen im niederländischen Verwaltungsrecht, DÖV 1972, S. 405. 5 Schwarze, Grundlinien und neuere Entwicklungen des Verwaltungsrechtschutzes in Frankreich und Deutschland, NVwZ 1996, S. 23.

30

Ziel der Arbeit

Rechtsprechung für eine stetige Weiterentwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes, der in Folge dessen einem ständigen Wandel unterliegt. Die Untersuchung beschäftigt sich daher nicht nur mit den gegenwärtigen Verhältnissen, sondern auch mit der Entwicklung der letzten 15 Jahre sowie den aktuellen Veränderungsbestrebungen. Die Arbeit gliedert sich in sechs Teile. Sie enthält, neben einem allgemeinen Teil, zu den Grundlagen der öffentlichen Gewalt und zur geschichtlichen Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes in den Niederlanden, Untersuchungen zu den Voraussetzungen des Zugangs zum Rechtsschutz, den einschlägigen Rechtsschutzverfahren sowie der Kontrolldichte während der gerichtlichen Verfahren. Daran schließt sich eine Erörterung zur Verfolgung von dem Rechtsschutz dienenden Schadensersatzansprüchen gegen die öffentliche Gewalt, über die in den Niederlanden sowohl durch Verwaltung als auch Gerichte entschieden werden kann, an. Neben dem Rechtsschutz durch die Gerichte kennt die niederländische Rechtsordnung außergerichtliche Formen des Rechtsschutzes wie das Beschwerderecht6 oder die Mediation. Das Beschwerderecht ist nur teilweise gesetzlich geregelt. Es erfreut sich in den letzten Jahren zunehmender Popularität. Im Rahmen des Beschwerderechts kann der Bürger wegen des Verhaltens einer Behörde eine Beschwerde (klacht) einreichen. Zurzeit gibt es Bestrebungen, die Durchführung eines externen Beschwerdeverfahrens vor dem nationalen Ombutsmann immer und gegen alle Behörden zu ermöglichen. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass dieser künftig zu einer bedeutenden außergerichtlichen Rechtsschutzinstanz wird.7 Bei der Mediation handelt es sich um eine Form der alternativen Streitbeilegung. Sie strebt eine eigenständige Klärung der Streitigkeit durch die Parteien unter Aufsicht eines Mediators an. Die Entscheidung hat den Nachteil, dass sie nicht rechtsverbindlich ist.8 Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf den gericht­ lichen Rechtsschutz einschließlich des von der Verwaltung durchgeführten Vorverfahrens. Die Formen des außergerichtlichen Rechtsschutzes werden nicht näher untersucht.

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Kapitel 9 Awb enthält alle Vorschriften zum Beschwerderecht. VAR, De toekomst van de rechtsbescherming tegen de overheid, Rapport van de Commissie Rechtsbescherming van de Vereniging voor Bestuursrecht, 2004, S. 15; Wetsvoorstel extern Klachtrecht Awb, Kammerstukken II 2002/03, 28747, nr. 1–3. 8 VAR, De toekomst van de rechtsbescherming tegen de overheid, Rapport van de Commissie Rechtsbescherming van de Vereniging voor Bestuursrecht, 2004, S. 15. 7

1. Teil

Grundlagen Das Verständnis des niederländischen Verwaltungsrechtschutzes, seines Systems, seiner Ziele und Methoden setzt die Kenntnis des Verwaltungsaufbaus, der historischen Entwicklung des Rechtsschutzes gegen die öffentliche Gewalt und der wichtigsten Quellen des Verwaltungsrechts voraus. Der allgemeine Teil der Arbeit vermittelt diese Grundlagen.

A. Die öffentliche Gewalt in den Niederlanden Um überhaupt eine Aussage zu Aufbau und Qualität des Rechtsschutzes machen zu können, muss zunächst geklärt werden, was die Niederländische Rechtsordnung unter öffentlicher Gewalt versteht.

I. Annäherung an den Begriff „Öffentliche Gewalt“ Das deutsche Grundgesetz (GG) verwendet den Begriff „öffentliche Gewalt“ im Zusammenhang mit dem Rechtsschutz in Art. 19 IV. Im Sinne dieser Vorschrift ist vor allem die Exekutive Träger der öffentlichen Gewalt. Erfasst wird die vollziehende Tätigkeit von Verwaltung und Regierung durch Behörden und sonstige Verwaltungsstellen im weitesten Sinne.1 Darunter fallen alle hoheitlichen Akte der Exekutive. Das sind neben Verwaltungsakten, auch sonstige Verwaltungsmaßnahmen administrative Rechtsnormen, Regierungsakte, Gnadenakte usw. Ob „öffentliche Gewalt“ i. S. v. Art. 19 IV GG auch formelle Gesetze betrifft, ist dagegen umstritten.2 Die Niederländische Rechtssprache kennt den Begriff „öffentliche Gewalt“ als solchen nicht. Hoheitliche Macht wird durch die „overheid“ (Obrigkeit) ausgeübt. Der Terminus steht zum einen für Staatsgewalt, die sich nach dem Vorbild der von Montesquieu begründeten „trias politica“ die Legislative, die Judikative und die Exekutive, teilen.3 Zum anderen verwendet Art. 110 der niederländischen Ver 1

Ibler, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, 2002, Art. 19 IV Rdn. 63. Maurer, Staatsrecht I, 2007, § 8 Rdn. 29 m. w. N. 3 Burkens/Kummeling/Vermeulen/Widdershoven, Beginselen van de democratische rechtsstaat, 1997, S. 102 f.; Belinfante/de Reede, Beginselen van het Nederlands staatsrecht, 2002, S. 20. 2

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1. Teil: Grundlagen

fassung4 den Begriff als Umschreibung für die Exekutive. Die Regelung spricht von öffentlicher Verwaltung, definiert diese jedoch nicht abschließend, so dass deren Grenzen offen bleiben. Nach Koekoek muss zwischen „Overheid“ im formellen und im materiellen Sinne unterschieden werden. Formell gesehen erfasst „Overheid“ einen Komplex von Organen, Einrichtungen, Diensten und Betrieben mit öffentlich-rechtlicher Organisationsform. Aus materieller Sicht gehören zur „Overheid“ alle Stellen, die hoheitliche Aufgaben wahrnehmen, also auch privatrechtliche Organisationen, denen hoheitliche Macht zur Wahrnehmung öffent­ licher Aufgaben übertragen wurde.5 Die vorliegende Arbeit geht von einem materiellen Overheidsbegriff aus. Sie beschäftigt sich mit dem Rechtsschutz gegen hoheitliche Akte im Allgemeinen, unabhängig von der Stelle, die sie erlassen hat. Formelle Gesetze sind gem. Art. 120 der niederländischen Verfassung6 der Überprüfung durch den Richter allerdings entzogen.7

II. Die öffentliche Verwaltung in den Niederlanden Aus art. 1:1 lid 1 Allgemeines Verwaltungsgesetz der Niederlande (Algemene wet bestuursrecht – Awb)8 folgt, dass die öffentliche Verwaltung in den Niederlanden in zwei Organisationsformen, den Rechtspersonen des öffentlichen Rechts 4 Art. 110 der niederländischen Verfassung lautet: De overheid betracht bij de uitvoering van haar taak openbaarheid volgens regels bij de wet te stellen. – Die öffentlichen Verwaltungen stellen bei der Durchführung ihrer Aufgaben Öffentlichkeit gemäß durch Gesetz zu erlassender Vorschriften her. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, Stand: 1. Juni 2000.) 5 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 512. 6 Art. 120 der niederländischen Verfassung lautet: De rechter treedt niet in de beoordeling van de grondwettigheid van wetten en verdragen. – Der Richter beurteilt nicht die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Verträgen. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, Stand: 1. Juni 2000.) 7 Nach niederländischem Rechtsverständnis ist die richterliche Kontrolle formeller Gesetze ein Verstoß gegen die Gewaltenteilung; allerdings äußerte der Hoge Raad in einer Entscheidung aus dem Jahr 2006 (HR 31.03.2006, NJ 2006, S. 320) die Auffassung, dass der Zivilrichter prüfen düfte, ob ein innerstaatliches formelles Gesetz gegen eine europäische Regelung oder andere völkerrechtliche Verträge verstoße. Sei das der Fall, dürfe das Gesetz nicht angewendet (buiten van toepassing) werden. 8 Art. 1:1 lid 1 Awb lautet: Onder bestuursorgaan wordt verstaan: a. een orgaan van een rechtspersoon die krachtens publiekrecht is ingesteld, of b. een ander persoon of college, met enig openbaar gezag bekleed. Unter Verwaltungsorgan versteht man: a. ein Organ/einen Teil einer Rechtsperson, die kraft öffentlichen Rechts gegründet wurde (es handelt sich hier um Körperschaften des öffentlichen Rechts), oder b. eine andere natürliche Person oder juristische Person, die zur Ausübung hoheitlicher Gewalt ermächtigt ist.

A. Die öffentliche Gewalt in den Niederlanden

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und den Personen des Privatrechts, die zur Ausübung hoheitlicher Macht ermächtigt wurden, vorkommt.9 1. Rechtspersonen des öffentlichen Rechts Innerhalb der niederländischen Verwaltung gibt es ca. 800 juristische Personen des öffentlichen Rechts. Maßgeblich für die Einordnung als solche und damit als Verwaltungsträger ist, dass sie keine eigenen sondern öffentlichen Aufgaben wahrnehmen und auch nur zu diesem Zweck auftreten.10 a) Erwerb der Rechtspersönlichkeit Art. 2 : 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches der Niederlande (BW)11 verleiht Rechtspersonen des öffentlichen Rechts Rechtspersönlichkeit. Die Vorschrift unterscheidet zwischen Rechtspersonen, die die Verfassung mit Rechtspersönlichkeit ausstattet und solchen, denen diese durch oder kraft eines Gesetzes verliehen wird. aa) Durch die Verfassung mit Befugnissen ausgestattete Rechtspersonen Gem. art. 2:1 lid 1 BW12 besitzen der Staat, die Provinzen (12), die Gemeinden (ca. 500), die Wasserverbände (57), sowie alle übrigen Körperschaften, die das Grundgesetz mit der Wahrnehmung von Aufgaben betraut, Rechtspersönlichkeit. Zu letzteren zählen z. B. öffentlich-rechtliche Wirtschaftsvereinigungen wie Berufs- und Gewerbeverbände (ca. 40),13 unter anderem die niederländische Rechtsanwaltsvereinigung und die niederländische Richtervereinigung,14 und weitere öffentlich-rechtliche Körperschaften, die aufgrund von Art. 134 der Niederlän­

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ten Berge/Michiels, Besturen door de overheid, 2001, S. 81. ten Berge/Michiels, Besturen door de overheid, 2001, S. 86. 11 Art. 2:1 BW steht für den 1. Artikel des zweiten Bandes des Bürgerlichen Gesetzbuches. Der 2. Band beschäftigt sich ausschließlich mit juristischen Personen. 12 Art. 2:1 lid 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BW) lautet: De Staat, de provincies, de gemeenten, de waterschappen, alsmede alle lichamen waaraan krachtens de Grondwet verordenende bevoegdheid is verleend, bezitten rechtspersoonlijkheid. – Der Staat, die Provinzen, die Gemeinden, die Wasserverbände sowie alle Körperschaften, denen durch das Grundgesetz die Befugnis zum Erlass von Satzungen und Verordnungen verliehen wird, besitzen Rechtspersönlichkeit. (Übersetzung: Nieper/Westerdijk, Niederländisches Bürgerliches Gesetzbuch, Buch 2 – Juristische Personen, S. 5.) 13 ten Berge/Michiels, Besturen door de overheid, 2001, S. 87. 14 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 598. 10

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1. Teil: Grundlagen

dischen Verfassung15 durch oder kraft eines Gesetzes gegründet werden können.16 Die dieser Gruppe angehörenden Verwaltungsträger werden auch als Körperschaften des öffentlichen Rechts (openbaar lichaam) bezeichnet.17 bb) Rechtspersönlichkeit durch oder kraft eines Gesetzes Nach art. 2:1 lid 2 BW18 besitzen andere Körperschaften, die hoheitliche Aufgaben wahrnehmen, ebenfalls Rechtspersönlichkeit, soweit ihnen diese durch oder aufgrund eines Gesetzes verliehen wird. Dabei bedarf es zur Verleihung von Rechtspersönlichkeit entweder eines formellen Gesetzes oder der Verleihung durch die Verwaltung, die in bestimmten Fällen befugt ist, juristische Personen des öffentlichen Rechts zu gründen. Beispiel für die erste Möglichkeit sind art. 21 lid 4 Polizeigesetz (politiewet)19, wonach Polizeiinspektionen Rechtspersönlichkeit besitzen, und art. 1.8 lid 2 Hochschulgesetz (Wet op het hoger onderwijs en wetenschappelijk onderzoek)20, das den in der Beilage zum Hochschul-

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Art. 134 der niederländischen Verfassung lautet: 1. Bij of krachtens de wet kunnen openbare lichamen voor beroep en bedrijf en andere openbare lichamen worden ingesteld en opgeheven. 2. De wet regelt de taken en de inrichting van deze openbare lichamen, de samenstelling en bevoegdheid van hun besturen, alsmede de openbaarheid van hun vergaderingen. Bij of krachtens de wet kan aan hun besturen verordenende bevoegdheid worden verleend. 3. De wet regelt het toezicht op deze besturen. Vernietiging van besluiten van deze besturen kan alleen geschieden wegens strijd met het recht of het algemeen belang. 1. Durch Gesetz oder kraft eines Gesetzes können öffentliche Berufs- und Gewerbeverbände und andere öffentliche Körperschaften gegründet und aufgelöst werden. 2. Die Aufgaben und die Organisation dieser öffentlichen Körperschaften, die Zusammensetzung und Zuständigkeit ihrer Verwaltungen sowie die Öffentlichkeit ihrer Sitzungen regelt das Gesetz. Durch Gesetz oder kraft eines Gesetzes können ihren Verwaltungen Verordnungsbefugnisse übertragen werden. 3. Das Gesetz regelt die Aufsicht über diese Verwaltungen. Beschlüsse dieser Verwaltungen können nur aufgehoben werden, wenn sie im Widerspruch zum geltenden Recht oder zum Allgemeininteresse stehen. 16 ten Berge/Michiels, Besturen door de overheid, 2001, S. 85; nähere Ausführungen dazu unter b), Rechtspersönlichkeit durch oder kraft eines Gesetzes. 17 Belinfante/de Reede, Beginselen van het Nederlands staatsrecht, 2002, S. 252. 18 Art. 2:1 lid 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BW) lautet: Andere lichamen, waaraan een deel van de overheidstaak is opgedragen, bezitten slechts rechtspersoonlijkheid, indien dit uit het bij of krachtens de wet bepaalde volgt. – Andere Körperschaften, die öffentliche Aufgaben erfüllen, besitzen nur Rechtspersönlichkeit, wenn sich dies aufgrund oder durch Gesetz ergibt. 19 Art. 2 lid 4 des Polizeigesetzes lautet: De politieregio is rechtspersoon. – Die Polizeiinspektion ist eine Rechtsperson. 20 Art. 1.8 lid 2 Hochschulgesetz lautet: De in de bijlage van deze wet onder a, c en h op­ genomenen instellingen bezitten rechtspersoonlijkheid. – Die in der Beilage zu diesem Gesetz unter a, c, und h aufgenommenen Institutionen besitzen Rechtspersönlichkeit.

A. Die öffentliche Gewalt in den Niederlanden

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gesetz aufgezählten Universitäten Rechtspersönlichkeit verleiht.21 Die 2. Variante bezieht sich auf öffentlich-rechtliche Körperschaften nach Art. 134 der Niederländischen Verfassung, der die Gründung von Körperschaften durch oder kraft Gesetzes erlaubt. Ein Gesetz in diesem Sinne ist das Gesetz zur Gemeinschaftsarbeit (Wet gemeenschappelijke regelingen – WGR)22. Es ermöglicht den Gemeinden durch seinen art. 8 lid 123 i. V. m. art. 124 sich zum Zweck der gemeinsamen Wahrnehmung bestimmter Aufgaben zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, mit Rechtspersönlichkeit, zusammenzuschließen.25 Das dabei entstehende Gebilde ähnelt den Zweckverbänden in Deutschland. b) Organisation der Körperschaften des öffentlichen Rechts Körperschaften des öffentlichen Rechts bestehen jeweils aus mehreren Verwaltungsorganen (bestuursorgaan). aa) Verwaltungsorgane Verwaltungsorgane sind die kleinsten Funktionseinheiten einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Art. 1:1 lid 1 a. Awb definiert sie als Teil einer juristischen Person des öffentlichen Rechts. Das formelle Kriterium der Zugehörigkeit zu dieser Rechtsperson ist also für die Einordnung als Verwaltungsorgan und damit auch für die Anwendbarkeit des Awb entscheidend.26 Verwaltungsorgane verfügen, sofern die Voraussetzungen der jeweils einschlägigen Ermächtigungsgrundlage vorliegen, über die öffentlich-rechtliche Befugnis zum Eingriff in die Rechtspositionen anderer Rechtssubjekte.27 Sie können auf 21 Nach der Beilage a. sind öffentliche Universitäten der Niederlande: Leiden, Groningen, Amsterdam, Utrecht, Delft, Wageningen, Eindhoven, Enschede, Rotterdam und Maastricht. 22 ten Berge/Michiels, Besturen door de overheid, 2001, S. 85. 23 Art. 8 lid 1 des Gesetzes zur Gemeinschaftsarbeit lautet: Bij de regeling kan een openbaar lichaam worden ingesteld. Het openbaar lichaam is rechtspersoon. – Durch diese Regelung kann eine öffentlich-rechtliche Körperschaft gegründet werden. Die öffentlich-rechtliche Körperschaft ist Rechtsperson. 24 Art. 1 lid 1 des Gesetzes zur Gemeinschaftsarbeit lautet: De raden, de colleges van burgemeester en wethouders en de burgemeesters von twee of meer gemeenten kunnen afzonderlijk of te zamen, ieder voor zover zij voor de eigen gemeente bevoegd zijn, een gemeenschappelijke regling treffen ter behartiging van een of meer bepaalde belangen van die gemeenten. – Die Räte, der Magistrat und die Bürgermeister von mindestens zwei Gemeinden können einzeln oder gemeinsam, soweit sie dazu befugt sind, eine Regelung zur gemeinschaftlichen Wahrnehmung einer oder mehrerer Interessen der Gemeinden treffen. 25 ten Berge/Michiels, Besturen door de overheid, 2001, S. 85. 26 Daalder/de Groot, De parlementaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvA II, S. 136. 27 Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, deel I, 2002, S. 380.

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1. Teil: Grundlagen

unterschiedliche Art für ihren Träger tätig werden. Ihr Handlungsbereich beschränkt sich nicht auf den Erlass von untergesetzlichen Regelungen oder Verwaltungsakten, sie können auch privatrechtliche28 oder Handlungen ohne Regelungswirkung vornehmen. Auf das Ausüben hoheitlicher Macht kommt es somit nicht an.29 Dementsprechend entschied die Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung des Staatsrates (ABRvS) im Jahr 2000,30 dass ein Beratungsausschuss, der z. B. die Anhörung im Vorverfahren durchführt und die Behörde bei ihrer Entscheidung berät,31 aber keine Bescheide erlässt, als Verwaltungsorgan anzusehen sei. Art. 1:1 lid 2 Awb32 enthält eine Aufzählung von Gremien, die keine Verwaltungsorgane sind. Dazu zählen die Legislative (wetgevende macht), erste und zweite Kammer des Parlaments, die Gerichte, der Staatsrat und seine Abteilungen, der Rechnungshof, der nationale Ombutsmann, sowie alle Mitglieder der genann-

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Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 41. van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 1:1 Awb, 2.a). 30 ABRvS 10.08.2000, JB 2000, S. 252. 31 Siehe dazu die Ausführungen im Kapitel zum Vorverfahren, 2. Teil, E.; ABRvS 19.03. 2003, NJB 2003, afl. 20, nr. 23. 32 Art. 1:1 lid 2 Awb lautet: De volgende organen, personen en colleges worden niet als bestuursorgaan aangemerkt: a. de wetgevende macht; b. de kamers en de verenigde vergadering der Staten-Generaal; c. onafhankelijke, bij de wet ingestelde organen die met rechtspraak zijn belast, alsmede de Raad voor de rechtspraak en het College van afgevaardigden; d. de Raad van State en zijn afdelingen; e. de Algemene Rekenkamer; f. de Nationale ombudsman en de substituut-ombudsmannen als bedoeld in artikel 9, eerste lid, van de Wet Nationale ombudsman, en ombudsmannen en ombudscommissies als bedoeld in artikel 9:17, onderdeel b; g. de voorzitters, leden, griffiers en secretarissen van de in de onderdelen b tot en met f bedoelde organen, de procureur-generaal, de plaatsvervangend procureur-generaal en de advocaten-generaal bij de Hoge Raad, de besturen van de in onderdeel c bedoelde organen alsmede de voorzitters van die besturen, alsmede de commissies uit het midden van de in de onderdelen b tot en met f bedoelde organen; h. de commissie van toezicht betreffende de inlichtingen- en veiligheidsdiensten, bedoeld in artikel 64 van de Wet op de inlichtingen- en veiligheidsdiensten 2002. Die folgenden Organe, Personen und Gremien fallen nicht unter den Begriff Verwaltungsorgan: a. die Legislative; b. die Kammern und der gesamte Staten-Generaal; c. die gesamte Judikative; d. der Staatsrat und seine Abteilungen; e. der Rechnungshof ; f. der nationale Ombutsmann und sein Vertreter; g. alle Mitglieder der vorgenannten Gremien; h. die Kommission für die Aufsicht der Einrichtungen und Sicherheitsdienste, nach Artikel 64 des Gesetzes über die Einrichtungen- und Sicherheitsdienste 2002. 29

A. Die öffentliche Gewalt in den Niederlanden

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ten Gremien, womit die Vorschrift gleichzeitig die Reichweite des Allgemeinen Verwaltungsgesetzes der Niederlande bestimmt.33 bb) Aufbau der Körperschaften des öffentlichen Rechts Alle Körperschaften des öffentlichen Rechts weisen nahezu die gleiche innere Struktur auf. Sie verfügen jeweils über ein gewähltes Organ, das die Interessen der Bürger vertritt, ein Organ, das die Geschäfte der laufenden Verwaltung tätigt, ein Oberhaupt (monokraktisches Organ) und einen hierarchisch untergliederten Beamtenapparat, dem bestimmte Befugnisse zugewiesen sind. Daneben können sie ein externes Beratungskollegium wie z. B. den Beratungsausschuss im Vorverfahren einsetzen.34 c) Erledigung öffentlicher Aufgaben durch Körperschaften des öffentlichen Rechts In den Niederlanden erledigen Körperschaften des öffentlichen Rechts den überwiegenden Teil der öffentlichen Aufgaben. Die Zuweisung der einzelnen Aufgaben an bestimmte Verwaltungsträger wird maßgeblich durch die Staatsform beeinflusst. Die Niederlande sind ein dezentralisierter Einheitsstaat.35 Sie werden teilweise zentral, teilweise dezentral verwaltet.36 D. h., den einen Teil der Staatsaufgaben erledigen staatliche Behörden unmittelbar, der andere Teil ist selbständigen Verwaltungsträgern zur eigenverantwortlichen Bearbeitung übertragen. Mit Blick auf die Erledigung öffentlicher Aufgaben muss also zwischen zentraler und dezentraler Staatsverwaltung unterschieden werden. Die Aufgabenzuweisung erfolgt immer an die niedrigste der möglichen Stufen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine höhere Ebene im Verwaltungsgefüge mit der Wahrnehmung einer Aufgabe nicht belastet werden muss, wenn eine niedrigere Ebene in der Lage ist, diese Aufgabe zu erledigen.37 aa) Zentrale Staatsverwaltung Die zentrale Staatsverwaltung bildet mit dem Reich (Rijk) die oberste der drei Verwaltungsebenen in den Niederlanden. Sie regelt alle Angelegenheiten von 33 Daalder/de Groot, De parlementaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvA II, Parl.Gesch. Awb I, S. 136. 34 ten Berge/Michiels, Besturen door de overheid, 2001, S. 91. 35 van Ballegooij/Bruil/Kleijn/Schilder, Bestuursrecht in het Awb-tijdperk, 2004, S. 19. 36 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 77. 37 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 36; Belinfante/de Reede, Beginselen van het Nederlands staaatsrecht, 2002, S. 222.

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1. Teil: Grundlagen

natio­nalem Interesse und beaufsichtigt gleichzeitig die nachgeordneten Verwaltungsebenen.38 Nicht alle Organe des Reiches nehmen Verwaltungsaufgaben wahr. Deshalb werden Organe und Verwaltungsstellen nachfolgend getrennt behandelt. (1) Organe Organe des Staates sind der König (Koning), das Parlament (Staten-Generaal), die Krone (Kroon), die aus König und Ministern besteht, und der Ministerrat. Die Zuständigkeiten regelt die Niederländische Verfassung. Der König tritt immer als Teil der Regierung auf. Er ist das Staatsoberhaupt und gem. Art. 42 lid 2 der Niederländischen Verfassung39 unantastbar.40 Die Königswürde geht durch Erbfolge über, Art. 24 der Niederländischen Verfassung41. Art. 82 lid 1 der Niederländischen Verfassung42 billigt dem König ein Gesetzesinitiativrecht zu.43 Weiterhin ist er für die Ernennung und die Entlassung von Ministern und Staatssekretären zuständig, Art. 43 der Niederländischen Ver­ fassung44.45 Das niederländische Parlament (Staten-Generaal) besteht aus zwei Kammern, Art. 51 der Niederländischen Verfassung46. Die zweite Kammer umfasst 150 Mitglieder, die vom Volk gewählt sind. Sie entspricht dem deutschen Bundestag. Ihre 38

Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 95 f. Art. 42 lid 2 der Niederländischen Verfassung lautet: De Koning is onschendbaar; de ministers zijn verantwoordelijk. – Der König ist unverletzlich (unantastbar); die Minister sind verantwortlich. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 40 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 309 ff. 41 Art. 24 der Niederländischen Verfassung lautet: Het koningschap wordt erfelijk vervuld door de wettige opvolgers van Koning Willem I, Prins van Oranje-Nassau. – Die ­Königswürde geht durch Erbfolge auf die gesetzlichen Nachfolger König Wilhelms I., Prinz von Oranien-Nassau, über. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 42 Art. 82 lid 1 der Niederländischen Verfassung lautet: Voorstellen van wet kunnen worden ingediend door of vanwege de Koning en door de Tweede Kamer der Staten-Generaal. – Gesetzesvorlagen können vom König oder in seinem Auftrag und von der Zweiten Kammer der Generalstaaten eingebracht werden. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 43 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 426. 44 Art. 43 der Niederländischen Verfassung lautet: De minister-president en de overige ministers worden bij koninklijk besluit benoemd en ontslagen. – Der Ministerpräsident und die übrigen Minister werden mit Königlichem Erlass ernannt und entlassen. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 45 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 316. 46 Art 51 der Niederländischen Verfassung lautet: 1. De Staten-Generaal bestaan uit de Tweede Kamer en de Eerste Kamer. 2. De Tweede Kamer bestaat uit honderdvijftig leden. 3. De Eerste Kamer bestaat uit vijfenzeventig leden. 4. Bij een verenigde vergadering worden de kamers als één beschouwd. 39

A. Die öffentliche Gewalt in den Niederlanden

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Mitglieder haben ein Gesetzesinitiativrecht und das Recht, Vorschläge zu Veränderungen von Gesetzentwürfen der Regierung zu machen. Die erste Kammer hat 75 Mitglieder, die von den Mitgliedern der Provinzialstaaten gewählt werden. Beide Kammern sind an der Verabschiedung der Gesetze beteiligt.47 Die niederländische Regierung (de Kroon) tritt immer als Doppelspitze auf. Gem. Art. 42 lid 1 der Niederländischen Verfassung48 wird sie durch König und Minister gebildet.49 Die Minister formen gemeinsam den Ministerrat, dessen Vorsitzender der Ministerpräsident ist, Art. 45 der Niederländischen Verfassung50. Der Ministerrat ist für die allgemeine Regierungspolitik zuständig. Seine Arbeit ist in der Geschäftsordnung des Ministerrates geregelt.51 Die Regierung handelt offi­ziell durch königlichen Beschluss. Dementsprechend werden ihre Beschlüsse außer von den zuständigen Ministern auch vom König unterzeichnet.52 (2) Verwaltungsstellen Von den oben genannten Organen des Reiches nehmen nur der König und die Regierung bzw. die Ministerien Verwaltungsaufgaben wahr.53 Sie sind z. B. zum Erlass von untergesetzlichen Regelungen in Form von Rechts- und Ausführungsverordnungen, die bestimmte Gesetze konkretisieren, berechtigt. Daneben sind einzelne Ministerien für spezielle Verwaltungsmaßnahmen zuständig. Die Ertei-

1. Die Generalstaaten bestehen aus der Zweiten Kammer und der Ersten Kammer. 2. Die Zweite Kammer hat einhundertfünfzig Mitglieder. 3. Die Erste Kammer hat fünfundsiebzig Mitglieder. 4. Bei einer gemeinsamen Sitzung werden die Kammern als Einheit betrachtet. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 47 Belinfante/de Reede, Beginselen van het Nederlands staatsrecht, 2002, S. 71. 48 Art. 42 lid 1 der Niederländischen Verfassung lautet: De regering wordt gevormd door de Koning en de ministers. – Die Regierung besteht aus dem König und den Ministern. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 49 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 309. 50 Art. 45 der Niederländischen Verfassung lautet: 1. De ministers vormen te zamen de ministerraad. 2. De minister-president is voorzitter van de ministerraad. 3. De ministerraad beraadslaagt en besluit over het algemeen regeringsbeleid en bevordert de eenheid van 1. Die Minister bilden gemeinsam den Ministerrat. 2. Der Ministerpräsident ist Vorsitzender des Ministerrats. 3. Der Ministerrat berät und beschließt über die allgemeine Regierungspolitik und sorgt für die Einheitlichkeit dieser Politik. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 51 Belinfante/de Reede, Beginselen van het Nederlands staatsrecht, 2002, S. 65 ff.; Bellekom/ Heringa/van der Velde/Verhey, Compendium van het staatsrecht, 2002, S. 126. 52 Belinfante/de Reede, Beginselen van het Nederlands staatsrecht, 2002, S. 58. 53 van Ballegooij/Bruil/Kleijn/Schilder, Bestuursrecht in het Awb-tijdperk, 2004, S. 24.

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1. Teil: Grundlagen

lung einer Aufenthaltserlaubnis erfolgt z. B. gem. art. 14 Ausländergesetz (Vreemdelingenwet 2000)54 durch das Justizministerium, die Vergabe von Subventionen durch das Wirtschaftsministerium, die Berufung in den Schuldienst durch den Kultusminister.55 Die Organe der Staatsaufsicht wie der Generaldirektor für das Wettbewerbsrecht und der Steuerinspektor gehören juristisch-organisatorisch ebenfalls zur obersten Verwaltungsebene.56 bb) Dezentrale Staatsverwaltung Die der dezentralen Staatsverwaltung angehörenden Verwaltungsträger erfüllen die auf die unteren Verwaltungsebenen entfallenden öffentlichen Aufgaben. Dabei handelt es sich sowohl um eigene als auch übertragene Pflichten. Art. 124 lid 1 der niederländischen Verfassung57 gewährt z. B. den Provinzen und Gemeinden das Recht auf Selbstverwaltung. Aufgrund dieses Rechts können sie Angelegenheiten, die nur sie betreffen, autonom ohne Mitwirkung der Zentralregierung entscheiden. Im Rahmen der Auftragsverwaltung, Art. 124 lid 2 der niederländischen Verfassung58, sind Provinzen und Gemeinden verpflichtet, die ihnen vom Reich durch 54 Art. 14 lid 1 Ausländergesetz lautet: Onze Minister is bevoegd: a. de aanvraag tot het verlenen van een verblijfsvergunning voor bepaalde tijd in te willigen, af te wijzen dan wel niet in behandeling te nehmen; b. … Unser Minister (der Niederländische Justizminister) ist befugt: a. den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung für einen bestimmten Zeitraum zu bewilligen, abzuändern oder nicht zu bearbeiten; b. … 55 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 81. 56 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 82. 57 Art. 124 lid 1 der Niederländischen Verfassung lautet: Voor provincies en gemeenten wordt de bevoegdheid tot regeling en bestuur inzake hun huishouding aan hun besturen overgelaten. – Die Befugnis zur Regelung und Verwaltung des Haushalts der Provinzen und Gemeinden wird deren Verwaltung überlassen. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) Es geht hier nicht um den Gemeindehaushalt, sondern um die Freiheit eigene Angelegenheiten selbständig zu regeln. Bei dem Ausdruck „huishouding“ handelt es sich um einen Begriff aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts, der für eine von außen nicht reglementierte Amtsführung, soweit die Gemeindegrenzen nicht überschritten werden, steht. Bovend’eert/Bunschoten/ Fleuren/Kortmann/van der Nat, Grondwet voor het Koninkrijk der Nederlanden, Tekst & Commentaar, 2004, S. 170. 58 Art. 124 lid 2 der Niederländischen Verfassung lautet: Regeling en bestuur kunnen van de besturen van provincies en gemeenten worden gevorderd bij of krachtens de wet. – Die Regelung und Verwaltung kann den Provinzial- und Gemeindeverwaltungen durch Gesetz oder kraft Gesetzes abverlangt werden. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.)

A. Die öffentliche Gewalt in den Niederlanden

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oder kraft Gesetzes zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen.59 Sie haben beispielsweise neben Regierung und Parlament eigene Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen, soweit das Interesse ihrer Bürger dies erfordert.60 Diese Kompetenzen unterliegen zwei Einschränkungen. Zum einen dürfen sie keine Vorschriften erlassen, wenn die Materie für den Gesamtstaat bereits abschließend geregelt ist. Die staatliche Gesetzgebung beauftragt aber in der Regel die Provinzen und Gemeinden, Durchführungsvorschriften zu erlassen oder bei der Anwendung der staatlichen Gesetzgebung mitzuwirken. Zum anderen dürfen einzelne Maßnahmen der Provinzen und Gemeinden nicht den staatlichen Gesetzen oder der Politik der Regierung widersprechen. Andernfalls können die zentralen Staatsorgane die Maßnahmen unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen aufheben.61 Das Wahrnehmen übertragener Aufgaben wird als sogenannte Mitverwaltung (medebewind) bezeichnet.62 Auftragsverwaltung ist bei allen Formen von Dezentralisierung möglich, also nicht nur bei Provinzen und Gemeinden, sondern auch bei Wasserverbänden und PBO- Körperschaften (Publiekrechtelijke Bedrijfsorganisatie = öffentlich-rechtliche Wirtschaftsverbände).63 Ausgehend von den zu erfüllenden Aufgaben unterscheidet die niederländische Rechtsliteratur zwischen territorialer und funktionaler Dezentralisation sowie einer Mischform, den Wasserverbänden, die Merkmale beider Arten aufweisen.64 (1) Territoriale Dezentralisation Territoriale Dezentralisation bedeutet, dass bestimmte Verwaltungsträger in einem räumlich begrenzten Gebiet allgemeine Verwaltungsaufgaben wahrnehmen.65 Bei diesen Verwaltungsträgern handelt es sich um Provinzen, Gemeinden und die von ihnen gegründeten Zweckverbände.

59 Bovend’eert/Bunschoten/Fleuren/Kortmann/van der Nat, Grondwet voor het Koninkrijk der Nederlanden, Tekst & Commentaar, 2004, S. 170; Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2003, S. 79. 60 van Ballegooij/Bruil/Kleijn/Schilder, Bestuursrecht in het Awb-tijdperk, 2004, S. 20. 61 Bongers, Die Organisation des niederländischen Agrarrechts, S. 8. 62 Härtel, Düngung im Agrar- und Umweltrecht: EG-Recht, deutsches, niederländisches und flämisches Recht, 2002, S. 265; van der Pot-Donner, Handboek van het Nederlandse staatsrecht, 1977, S. 612, 629. 63 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 79. 64 van Ballegooij/Bruil/Kleijn/Schilder, Bestuursrecht in het Awb-tijdperk, 2004, S. 21; ­Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 77. 65 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 77.

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1. Teil: Grundlagen

(a) Provinzen Die Provinzen bilden die mittlere territoriale Verwaltungsebene. Es handelt sich um Verwaltungsbezirke, deren Organisation die Provinzialordnung (Provinciewet) regelt. Die drei Hauptorgane der Provinz, das Provinzialparlament (provinciale staten), Art. 125 lid 1 der Niederländischen Verfassung66, der Provinzialausschuss (gedeputeerde staten) und der königlichen Kommissar (commissaris van de Koningin) bilden gemeinsam die Provinzialverwaltung, Art. 125 lid 2 der Niederländischen Verfassung67.68 Das Provinzialparlament steht an der Spitze der Provinz, Art. 125 Abs. 1 der Niederländischen Verfassung. Es wird von den Einwohnern der Provinz für vier Jahre gewählt. Die Anzahl seiner Mitglieder richtet sich nach der Einwohnerzahl. Die zahlenmäßige Besetzung des Provinzialparlaments variiert nach der Provinzialordnung zwischen 39 und 83.69 Seit der Novellierung der Provinzialordnung 2003 schließen sich Mitgliedschaft im Provinzparlament und Mitgliedschaft im Provinzialausschuss gegenseitig aus.70 Art. 143 lid 1, 145 Provinzialordnung71,72 enthal 66 Art. 125 lid 1 der Niederländischen Verfassung lautet: Aan het hoofd van de provincie en de gemeente staan provinciale staten onderscheidenlijk de gemeenteraad. Hun vergaderingen zijn openbaar, behoudens bij de wet te regelen uitzonderingen. – An der Spitze der Provinz stehen die Provinzialstaaten, an der Spitze der Gemeinde der Gemeinderat. Ihre Sitzungen sind außer in den durch Gesetz geregelten Fällen öffentlich. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 67 Art. 125 lid 2 der Niederländischen Verfassung lautet: Van het bestuur van de provincie maken ook deel uit gedeputeerde staten en de commissaris van de Koning, van het bestuur van de gemeente het college van burgemeester en wethouders en de burgemeester. – Zur Provinzialverwaltung gehören auch die Deputiertenstaaten und der Kommissar des Königs, zur Gemeindeverwaltung der Gemeindevorstand und der Bürgermeister. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 68 Bovend’eert/Bunschoten/Fleuren/Kortmann/van der Nat, Grondwet voor het Koninkrijk der Nederlanden, Tekst & Commentaar, 2004, S. 171, Nr. 1; Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 577. 69 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2003, S. 87. 70 Seit der Reform der Provinzialordnung im Jahr 2003 sind Provinzialparlament und Provinzialausschuss streng getrennt. 71 Art. 143 lid 1 der Provinzialordnung lautet: Provinciale verordeningen worden door provinciale staten vastgesteld voor zover de bevoegdheid daartoe nit bij de wet of door provinciale staten krachtens de wet aan gedeputeerde staten of de commissaris von de Koning is toegekend. Provinciale staten stellen geen verordening vast waarin algemeen verbindende voorschriften zijn opgenomen dan nadat zij gedeputeerde staten in de gelegenheid hebben gesteld hun wensen en bedenkingen ter kennis van provinciale staten te brengen. – Provinzielle Verordnungen werden durch das Provinzparlament erlassen, sofern die Ermächtigung nicht dem Gesetz­geber oder durch das Provinzparlament dem Provinzausschuss oder dem Kommissar der Königin übertragen wurde. Das Provinzparlament erlässt keine Verordnungen, die allgemeinverbindliche Vorschriften enthalten, bevor es nicht dem Provinzialausschuss die Gelegenheit gegeben hat, seine Wünsche und Bedenken gegenüber dem Provinzparlament zu äußern. 72 Art. 145 der Provinzialordnung lautet: Provinciale staten maken de verordeningen die zij in het belang van de provincie nodig oordelen. – Das Provinzparlament erlässt die Verordnungen, die es im Interesse der Provinz für notwendig erachtet.

A. Die öffentliche Gewalt in den Niederlanden

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ten eine Verordnungsermächtigung zugunsten des Provinzialparlaments. Danach darf das Provinzialparlament gesetzgeberisch tätig werden, sofern die Belange der Provinz dies erfordern. Besondere Befugnisse betreffen die Einrichtung und Reglementierung von Wasserverbänden.73 Der Provinzialausschuss ist für die laufende Verwaltung zuständig. Er hat mindestens 3, höchstens 9 Mitglieder, art. 35 a lid 1 Provinzialordnung74. Sie werden durch das Provinzialparlament benannt, art. 35 lid 1 Provinzialordnung75 und haben gegenüber diesem Rechenschaft abzulegen, art. 167 lid 1 Provinzial­ ordnung76.77 Der Provinzialausschuss bereitet die Entscheidungen des Provinzialparlaments vor und führt dessen Beschlüsse aus.78 Der königliche Kommissar fungiert zum einen als Organ der Provinz, zum anderen als Funktionär des Staates. Als Provinzialorgan ist er Vorsitzender des Provinzparlaments mit dem Recht, an dessen Beratungen teilzunehmen, jedoch ohne eigenes Stimmrecht. Gleichzeitig ist er vorsitzendes Mitglied des Provinzialausschusses mit eigenem Stimmrecht.79 Er muss gegenüber dem Provinzparlament Rechenschaft ablegen, kann von diesem aber nicht entlassen werden. Er wird durch königliche Verfügung für einen Zeitraum von 6 Jahren ernannt, Art. 131 der Niederländischen Verfassung80, art. 61 lid 1 Provinzialordnung81. Eine weitere Amtsperiode ist möglich.82 Er vertritt die Provinz nach außen. Im Innenbereich kommen ihm Kontrollfunktionen zu. So kann er vorschlagen, Verfügungen anderer Provinzialorgane aufzuheben. In seiner Eigenschaft als Funktionär des Staates hat er, soweit ein Gesetz dies bestimmt, Weisungen der Regierung auszu­führen, 73 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 88; siehe dazu in diesem Kapitel die Ausführungen zu den Wasserverbänden unter II. 1. c) bb) (3). 74 Art. 35 a lid Provinzialordnung lautet: Het aantal gedeputeerden bedraagt ten minste drie en ten hoogste zeven. – Die Anzahl der Mitglieder des Provinzialausschusses beträgt mindestens 3 und höchstens 7. 75 Art. 35 lid 1 Provinzialordnung lautet: Provinciale staten benoemen de gedeputeerden. – Das Provinzialparlament benennt die Mitglieder des Provinzialausschusses. 76 Art. 167 lid 1 der Provinzialordnung lautet: Gedeputeerde staten en elk van hun leden afzonderlijk zijn aan provinciale staten verantwoording schuldig over het door hen gevoerde bestuur. – Der Provinzialausschuss und jedes einzelne seiner Mitglieder müssen sich gegenüber dem Provinzparlament hinsichtlich der von ihnen geführten Verwaltung verantworten. 77 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 87. 78 Belinfante/de Reede, Beginselen van het Nederlands staatsrecht, 2002, S. 230. 79 Belinfante/de Reede, Beginselen van het Nederlands staatsrecht, 2002, S. 232. 80 Art. 131 der Niederländischen Verfassung lautet: De commissaris van de Koning en de burgemeester worden bij koninklijk besluit benoemd. – Der Kommissar des Königs und der Bürgermeister werden mit Königlichem Erlass ernannt. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000). 81 Art. 61 lid 1 Provinzialordnung lautet: De commissaris van de Koning wordt bij koninklijk besluit op voordracht van Onze Minister benoemd voor de tijd van zes jaar. – Der Kommissar des Königs wird auf Vorschlag des Ministers durch königlichen Beschluss für den Zeitraum von 6 Jahren ernannt. 82 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 87.

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1. Teil: Grundlagen

Art. 126 der Niederländischen Verfassung83. Derartige gesetzliche Grundlagen finden sich in art. 182 lid 1 Provinzialordnung84 und art. 61 f. Gemeindeordnung (Gemeentewet).85 Danach vertritt er die Krone (Regierung) bei der Ernennung von Bürgermeistern in seiner Provinz und übt die Kontrolle über sie aus. (b) Gemeinden Die Gemeinden bilden die unterste territoriale Verwaltungsebene der dezentralen Staatsverwaltung. Ihre Organisation ist in der Gemeindeordnung (gemeentewet) geregelt und der der Provinzen vergleichbar. Gemeinderat (gemeenteraad), Magistrat (college van burgermeester en wethouders – Kollegium aus Bürgermeister und Beigeordneten) und Bürgermeister (burgermeester) bilden gemeinsam die Gemeindeverwaltung.86 83 Art. 126 der Niederländischen Verfassung lautet: Bij de wet kann worden bepaald, dat de commissaris van de Koning voorts woordt belast met de uitvoering van een door de regering te geven ambtsinstrucie. – Durch Gesetz kann bestimmt werden, dass dem Kommissar des Königs ferner die Ausführung von Weisungen der Regierung obliegt. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 84 Art. 182 lid 1 Provinzialordnung lautet: De commissaris is, volgens regels te stellen bij een door de regering gegeven ambtsinstructie, belast met. a. Het bevorderen van de samenwerking tussen de in de provincie werkzame rijksamtenaren onderling en met het provinciebestuur, de gemeentebesturen en de waterschapsbesturen; b. Het regelmatig bezoeken van de gemeenten in de provincie; c. Het inbrengen van adviezen aan de regering of aan Onze Ministers over andere onderwerpen dan die bedoeld in artikel 116 eerste lid; d. De coördinatie van de voorbereiding van de civiele verdediging door de in de provincie werkzame rijksambtenaren, het provinciebestuur, de gemeentebesturen en de waterschapsbesturen; e. De bewaring en registratie van aan hem gerichte stukken, verband houdende met zijn ambtsinstructie. Der Kommissar nimmt nach den von der Regierung aufgestellten Leitlinien zur Amtsführung folgende Aufgaben wahr: a. Die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den in der Provinz tätigen Reichsbeamten und der Provinz- und Gemeindeverwaltung sowie der Verwaltung der Wasserverbände; b. Der regelmäßige Besuch der Gemeinden in der Provinz; c. Die Vorlage von Gutachten bei Regierung und Innenministerium zu Gegenständen, die nicht art. 116 lid 1 betreffen; (Der Provinzausschuss hat Regierung und Innenministerium über alles was die Provinz betrifft auf dem Laufenden zu halten.) d. Koordination der Vorbereitung; e. Aufbewahrung und Archivierung aller ihn betreffenden Urkunden, die Anweisungen ent­ halten. 85 Belinfante/de Reede, Beginselen van het Nederlands staatsrecht, 2002, S. 232; Bovend’eert/ Bunschoten/Fleuren/Kortmann/van der Nat, Grondwet voor het koninkrijk der nederlanden, Tekst & Commentar, 2004, S. 172. 86 Bovend’eert/Bunschoten/Fleuren/Kortmann/van der Nat, Grondwet voor het Koninkrijk der Nederlanden, Tekst & Commentaar, 2004, S. 171, Nr. 1.

A. Die öffentliche Gewalt in den Niederlanden

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Der von den Einwohnern gewählte Gemeinderat steht an der Spitze der Gemeinde, Art. 125 Abs. 1 der Niederländischen Verfassung. Die Anzahl der Ratsmitglieder richtet sich nach der Anzahl der Einwohner der betreffenden Gemeinde. Die zahlenmäßige Besetzung des Gemeinderates variiert je nach Einwohnerzahl zwischen 9 und 45.87 Er ist der gemeindliche Gesetzgeber. Er erlässt Verordnungen im eigenen Wirkungskreis gem. art. 149 Gemeindeordnung88 und gem. art. 147 lid 1 Gemeindeordnung89 im Rahmen der Mitverwaltung, sofern diese Befugnis nicht einem anderen Organ zukommt. Die Verordnungsermächtigung des Gemeinderates gilt allerdings nur eingeschränkt. Sie ist zum einen örtlich begrenzt. Das heißt, Verordnungen können sich lediglich auf das eigene Gemeindegebiet beziehen. Zum anderen darf die Verordnungsermächtigung gem. art. 121 Gemeindeordnung90 nicht im Widerspruch zu ranghöheren Normen stehen.91 Gem. art. 122 Gemeindeordnung92 entfällt eine durch den Rat erlassenen Verordnung, wenn eine später erlassene ranghöhere Norm den gleichen Gegenstand regelt. Das gilt auch für den Fall, dass alte und neue Regelung nicht im Widerspruch zueinander stehen.93 Der Magistrat nimmt die Geschäfte der laufenden Verwaltung wahr, art. 160 lid 1 Gemeindeordnung94. Er bereitet die Beschlüsse des Gemeinderates, der die 87

Belinfante/de Reede, Beginselen van het Nederlands staaatsrecht, 2002, S. 237. Art. 149 Gemeindeordnung lautet: De raad maakt de verordeningen die hij in het belang van de gemeente nodig oordeelt. – Der Gemeinderat erlässt die Verordnungen, die er im Interesse der Gemeinde für notwendig erachtet. 89 Art. 147 lid 1 Gemeindeordnung lautet: Gemeentelijke verordeningen worden door de raad vastgesteld voor zover de bevoegdheid daartoe niet bij de wet of door de raad krachtens de wet aan het college of de burgermeester is toegekend. – Gemeindliche Verordnungen werden durch den Gemeinderat erlassen sofern dazu nicht durch oder kraft Gesetzes der Gemeinde­ vorstand oder der Bürgermeister ermächtigt sind. 90 Art. 121 Gemeindeordnung lautet: De bevoegdheid tot het maken van gemeentelijke verordeningen blijft ten aanzien van het onderwerp waarin door wetten, algemene maatregelen van bestuur of provinciale verordeningen is voorzien, gehandhaafd, voor zover de verordeningen met die wetten, algemene maatregelen van bestuur en provinciale verordeningen niet in strijd zijn. – Die Ermächtigung zum Erlass gemeindlicher Verordnungen besteht nur, wenn die Regelung angesichts von Gesetzen, allgemeinen Verwaltungsanordnungen und provinzialen Verordnungen, nicht gegen diese Gesetze, allgemeine Verwaltungsanordnungen und provinziale Verordnungen verstößt. 91 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 84. 92 Art. 122 Gemeindeordnung lautet: De bepalingen van gemeentelijke verordeningen in wier onderwerp door een wet, een algemene maatregel van bestuur of een provinciale ver­ ordening wordt voorzien, zijn van rechtswege vervallen. – Die gemeindliche Verordnung verfällt von Rechtswegen, wenn der Gegenstand durch ein Gesetz, eine allgemeine Verwaltungs­ anordnung oder eine provinziale Verordnung geregelt wird. 93 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 84. 94 Art. 160 lid 1 Gemeindeordnung lautet: Het college is in ieder geval bevoegd: a. Het dagelijks bestuur van de gemeente te voeren, voor zover niet bij of krachtens de wet de raad of de burgermeester hiermee is belast; b. beslissingen van de raad voor te bereiden en uit te voeren, tenzij bij of krachtens de wet de burgermeester hiermee is belast; 88

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1. Teil: Grundlagen

Entwürfe zwar zurückweisen kann, diesen aber gewöhnlich zustimmt, vor. Anschließend setzt der Magistrat die Beschlüsse durch Erlass der entsprechenden Verwaltungsakte um und ist im Weiteren für die Durchführung des Rechtsbehelfsverfahrens zuständig. Gleichzeitig regelt er die Verwaltungsorganisation.95 Der Bürgermeister ist Vorsitzender des Gemeinderates (raad) und Mitglied des Magistrates, art. 9 Gemeindeordnung96. Als Vorsitzender hat er die wichtige Aufgabe, die Gemeinderatssitzungen und Beschlussfassungen vorzubereiten, art. 170 lid 1 a. Gemeindeordnung97. Weiterhin vertritt er die Gemeinde bei allen nach außen gerichteten Rechtshandlungen und vor Gericht, art. 171 lid 1 Gemein-

c. regels vast te stellen over de ambtelijke organisatie van de gemeente, met uitzondering van de organisatie van de griffie; d. ambtenaren, niet zijnde de griffier en de op de griffie werkzame ambtenaren, te benoemen, te schorsen ent te ontslaan; e. tot privaatrechtelijke rechtshandelingen van de gemeente te besluiten; f. te besluiten namens de gemeente, het college of de raad rechtsgedingen, bezwaarprocedures of administratief beroepsprocedures te voeren of handelingen ter voorbereiding daarop te verrichten, tenzij de raad, voor zover het de raad aangaat, in voorkomende gevallen anderes beslisst; g. ten aanzien van de voorbereiding van de civiele verdediging; h. jaarmarkten of gewone marktdagen in te stellen, af te schaffen en te veranderen. Der Magistrat ist zuständig für: a. die Geschäfte der laufenden Verwaltung, soweit diese nicht durch oder kraft Gesetzes dem Bürgermeister obliegen; b. die Vorbereitung der Beschlüsse des Gemeinderates, soweit dies nicht durch oder kraft Gesetzes dem Bürgermeister obliegt; c. Regelungen zur die Organisation des Beamtenapparats der Gemeinde, mit Ausnahme der Organisation der Geschäftsstelle, zu erlassen; d. die Ernennung Suspendierung oder Künidung von Beamten, die nicht leitende Verwaltungsbeamten oder Beamte, die in der Geschäftsstelle tätig sind; e. privatrechtliche Rechtshandlungen der Gemeinde zu beschließen; f. Verfügungen namens der Gemeinde, Vertretung des Kollegiums oder des Rates in Rechtsangelegenheiten, im allgemeinem oder speziellen Vorverfahren oder die Vornahme von Handlungen zu deren Vorbereitung, es sei denn der Gemeinderat hat zuvor, sofern er dazu berechtigt ist, in diesem Fall ein anderes Vorgehen beschlossen; g. Vorbereitung der zivilen Verteidigung; h. Planung, Abschaffung oder Veränderung von Jahr- oder Wochenmärkten. 95 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 86. 96 Art. 9 der Gemeindeordnung lautet: De burgemeester is voorzitter van de raad. – Der Bürger­meister ist Vorsitzender des Gemeinderates. 97 Art. 170 lid 1 Gemeindeordnung lautet: De burgemeester ziet toe op: a. een tijdige voorbereiding, vaststelling en uitvoering van het gemeentelijk beleid en van de daaruit voortvloeiende besluiten, alsmede op een goede afstemming tussen degenen die bij die voorbereiding, vaststelling en uitvoering zijn betrokken. Der Bürgermeister achtet auf: a. eine rechtzeitige Vorbereitung, Feststellung und Ausführung der gemeindlichen Aufgaben und der sich daraus ergebenden Maßnahmen, sowie auf eine ordnungsgemäße Abstimmung mit denen die von der Vorbereitung, Feststellung und Ausführung betroffen sind.

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deordnung98. Er tritt dabei im Namen der Gemeinde auf, z. B. bei der Unterzeichnung eines Vertrages. Dem Bürgermeister ist die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung übertragen. Dazu ist er mit umfangreichen Befugnissen ausgestattet. Er kann Störungen der öffentlichen Ordnung mit Mitteln der Polizei unterbinden, wobei allerdings die Gesetze zu beachten sind. Die Polizei steht bei diesen Handlungen des Bürgermeisters unter dessen Befehl, art. 12 lid 1 Polizeigesetz99 i. V. m. art. 172 lid 1 Gemeindeordnung100. In akuten Notsituationen kann der Bürgermeister Notbefehle und Notverordnungen erlassen. In diesem Fall darf er von gesetzlichen Vorschriften abweichen. Das gilt vor allem für Fußballspiele und für den Besuch ausländischer Staatsgäste.101 Mit dem Erhalt der öffentlichen Ordnung hängen weitere Aufgaben und Befugnisse zusammen. So hat der Bürgermeister die Oberaufsicht über die Feuerwehr und ist Ordnungsbehörde. Daneben obliegt ihm die Aufsicht über öffentliche Versammlungen und Belustigungen wie Jahrmärkte und Ähnliches. Im Rahmen der Wahrnehmung seiner Aufgaben darf er auch zu Zwangsmaßnahmen greifen.102 (c) Zweckverbände Auf der Grundlage des Gesetzes für Gemeinschaftsarbeit haben öffentlich-rechtliche Körperschaften die Möglichkeit, rechtlich verbindliche Absprachen über eine Zusammenarbeit zu treffen. Derartige Vereinbarungen können zwischen zwei oder mehr Gemeinden, Provinzen oder Wasserverbänden untereinander erfolgen, aber auch zwischen Gemeinden, Provinzen und Wasserverbänden im Allgemeinen. Alle denkbaren Kombinationen sind rechtlich möglich.103 Da die Gründung eines Zweckverbandes zur gemeinschaftlichen Ausübung bestimmter Aufgaben erfolgt, entscheiden nur die beteiligten Rechtspersonen über die Zusammensetzung seiner Organe. Deshalb verfügt ein Zweckverband nicht über ein von den Bürgern gewähltes Gremium. Die Mitglieder des Vorstands, der Verwaltung und den Vorsitzenden bestimmen die beteiligten Rechtspersonen aus ihrer Mitte.104 98 Art. 171 lid 1 Gemeindeordnung lautet: De burgemeester vertegenwoordigt de gemeente in en buiten rechte. – Der Bürgermeister vertritt die Gemeinde nach außen. 99 Art. 12 lid 1 des Polizeigesetzes lautet: Indien de politie in een gemeente optreedt ter handhaving van de openbare orde en ter uitvoering van de hulpverleningstaak, staat zij onder gezag van de burgermeester. – Schreitet die Polizei in einer Gemeinde zur Erhaltung der öffentlichen Ordnung als Beistand ein, steht sie unter dem Befehl des Bürgermeisters. 100 Art. 172 lid 1 der Gemeindeordnung lautet: De burgemeester is belast met de handhaving van de openbare orde. – Die Erhaltung der öffentlichen Ordnung obliegt dem Bürgermeister. 101 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 86. 102 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 86. 103 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 90. 104 Belinfante/de Reede, Beginselen van het Nederlands staatsrecht, 2002, S. 236.

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1. Teil: Grundlagen

(2) Funktionale Dezentralisation Funktionale Dezentralisation liegt vor, wenn ein Verwaltungsträger landesweit bestimmte Verwaltungsaufgaben wahrnimmt. Das ist der Fall bei den öffent­ lich-rechtlichen Wirtschaftsorganisationen (Publiekrechtelijke Bedrijfsorganisatie – PBO). Sie finden ihre Grundlage in Art. 134 lid 1 der Niederländischen Verfassung105, wonach durch oder kraft Gesetzes öffentliche Berufs- und Gewerbeverbände gegründet werden können. Einschlägiges Spezialgesetz in diesem Sinn ist das Wirtschaftsorganisationsgesetz (wet op de bedrijfsorganisatie).106 Die Aufgabe der Wirtschaftsverbände besteht im Wesentlichen in der Regulierung und Unterstützung des Wirtschaftslebens. An ihrer Spitze steht der SozialÖkonomische-Rat, der als Verwaltungsorgan selbst Rechtspersönlichkeit besitzt, art. 1 Wirtschaftsorganisationsgesetz107. Neben seiner gesetzgeberischen Tätigkeit berät er die Regierung in Wirtschaftsfragen. Außer dem Sozial-ÖkonomischenRat sind vor allem die Produktgemeinschaften wie „Fleisch und Eier“, „Vieh“ oder „Landwirtschaft“ als wichtige Wirtschaftsverbände zu nennen. Alle diese Körperschaften weisen die gleiche innere Struktur auf. Sie bestehen aus einem aus dem Kreis ihrer Mitglieder gewählten Vorstand, einer Verwaltung, die die laufenden Geschäfte regelt und einem Vorsitzenden, der die Organisation nach außen vertritt.108 (3) Wasserverbände Einen weiteren Teil der dezentralen Verwaltung bilden die Wasserverbände. Sie nehmen spezielle Aufgaben in einem räumlich begrenzten Gebiet wahr. Die Wasserverbände gehören zu den ältesten Formen demokratischer Verwaltung in den Niederlanden. Ihr hoher Stellenwert erklärt sich daraus, dass ca. ein

105 Art. 134 lid 1 der Niederländischen Verfassung lautet: Bij of krachtens de wet kunnen openbare lichamen voor beroep en bedrijf en andere openbare lichamen worden ingesteld en opgeheven. – Durch Gesetz oder kraft eines Gesetzes können öffentliche Berufs- und Gewerbe­ verbände und andere öffentliche Körperschaften gegründet und aufgelöst werden. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 106 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 91. 107 Art. 1 des Wirtschaftsorganisationsgesetzes lautet: 1. Er is een Sociaal-Economische Raad, hierna genoemd Raad. 2. De Raad heeft zijn zetel te ’s-Gravenhage. 3. De Raad is rechtspersoon.

1. Es gibt einen Sozial-ökonomischen Rat, im weiteren Rat genannt. 2. Der Rat hat seinen Sitz in ’s-Gravenhage. 3. Der Rat hat Rechtspersönlichkeit. 108 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 91 f.

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Viertel des Landes unter dem Meeresspiegel liegt.109 Die Gründung bzw. Auflösung der Wasserverbände, sowie das Festlegen des Einzugsbereiches und der wahrzunehmenden Aufgaben erfolgt durch das Provinzialparlament, art. 2 lid 1 Wasserverbandsgesetz110, in Form einer Provinzialverordnung.111 (a) Aufgabenbereich Das Tätigkeitsfeld der Wasserverbände, der Bau und die Unterhaltung der Deiche, Dämme und Schleusen spielt eine wichtige Rolle im Kampf gegen das Wasser. Daneben kümmern sie sich um die Wasserqualität in öffentlichen Gewässern und regulieren den Zu- und Ablauf des Wassers.112 (b) Organe Die Verwaltungsorganisation der Wasserverbände regelt das Wasserverbandsgesetz (Waterschapswet). Sie ist dreigliedrig und besteht aus dem Vorstand (al­ gemeen bestuur), der Verwaltung (dagelijks bestuur) und dem Vorsitzenden (voorzitter), auch Deichgraf genannt. Die Bezeichnung der einzelnen Organe kann nach dem Willen des Provinzparlaments allerdings auch anders lauten.113 Der Vorstand vertritt die Mitglieder des Wasserverbandes und rekrutiert sich aus deren Mitte. Er wurde von altersher für die Dauer von vier Jahren von den Hausund Grundstückseigentümer des betreffenden Amtsbezirks gewählt. Mittlerweile haben die übrigen Bewohner des Einzugsgebiets auch ein Wahlrecht. Der Vorstand ist das gesetzgebende Organ des Verbandes.114 Die Mitglieder der Verwaltung stammen aus der Mitte des Vorstandes und werden, mit Ausnahme des Vorsitzenden, durch diesen ernannt und entlassen, art. 41 Was 109

Belinfante/de Reede, Beginselen van het Nederlands staatsrecht, 2002, S. 253. Art. 2 lid 1 des Wasserverbandsgesetzes lautet: De bevoegdheid tot het opheffen en het instellen van waterschappen, tot regeling van hun gebied, taken, inrichtig, samenstelling van hun bestuur en tot de verdere reglementering van waterschappen behoort aan provinciale staten, behoudens het bepaalde in de artikelen 7, 8 en 9. De uitoefening van deze bevoegdheid geschiedt bij provinciale verordening. – Vorbehaltlich der Bestimmungen der Artikel 7,8 und 9 ist das Provinzialparlament zur Auflösung und Gründung, zur Regelung ihres Amtsbezirks, ihres Aufgabenbereichs, ihrer Ausstattung und der Zusammensetzung ihrer Verwaltung und weiterer Angelegenheiten ermächtigt. Dieses macht durch Provinzialverordnung von seiner Befugnis Gebrauch. 111 Belinfante/de Reede, Beginselen van het Nederlands staatsrecht, 2002, S. 254. 112 Burkens/Kummeling/Vermeulen/Widdershoven, Beginselen van de democratische rechtsstaat, 1997, S. 277. 113 Belinfante/de Reede, Beginselen van het Nederlands staatsrecht, 2002, S. 254. 114 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 89; Belinfante/de Reede, Beginselen van het Nederlands staaatsrecht, 2002, S. 254. 110

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1. Teil: Grundlagen

serverbandsgesetz115. Sie erledigen die regelmäßig wiederkehrenden Geschäfte sowie die Vorbereitung und Ausführung von Maßnahmen.116 Die Ernennung des Deichgrafen erfolgt mit königlichem Beschluss durch die Regierung, art. 46 lid 1 Wasserverbandsgesetz117. Er vertritt den Verband nach außen.118 2. Mit der Erledigung öffentlicher Aufgaben betraute Personen und Kollegien Neben den Rechtspersonen des öffentlichen Rechts können gem. art. 1:1 lid 1 b. Awb auch andere Personen Verwaltungsaufgaben übernehmen. Nach ihrer Stellung im Gesetz werden sie b-Organe genannt. Dabei handelt es sich um natürliche Personen oder juristische Personen des Privatrechts, denen für einen bestimmten Teilbereich der öffentlichen Verwaltung die Durchführung hoheitlicher Aufgaben übertragen wird. D. h. sie sind innerhalb dieser Grenzen berechtigt, in die Rechtsposition anderer Rechtssubjekte einzugreifen119 und handeln insoweit als Verwaltungsorgan. Hier entscheidet das materielle Kriterium, des Erfüllens einer hoheitlichen Aufgabe, über die Einordnung als Verwaltungsorgan. Die Rechtsnatur der Handlungen entspricht der der Handlungen eines Verwaltungsorgans gem. art 1:1 lid 1 a. Awb.120 Nach dem mit ihrer Gründung verfolgten Zweck unterscheidet man zwischen öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ausgerichteten b-Organen. a) Öffentlich-rechtlich ausgerichtete b-Organe Öffentlich-rechtlich ausgerichtete b-Organe weisen die Besonderheit auf, dass sie ihrer Rechtsform nach zwar juristische Personen des Privatrechts sind, jedoch zur Ausführung hoheitlicher Aufgaben gegründet wurden. Ein Beispiel hierfür sind 115 Art. 41 des Wasserverbandsgesetzes lautet: 1. De leden van het dagelijks bestuur, met uitzondering van de voorzitter, worden door het algemeen bestuur benoemd. 2. De benoeming vindt plaats uit de leden van het algemeen bestuur.

1. Die Mitglieder der Verwaltung, mit Ausnahme des Vorsitzenden, werden durch den Vorstand ernannt. 2. Die Ernennung erfolgt aus der Mitte der Mitglieder des Vorstandes. 116 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 89. 117 Art. 46 lid 1 des Wasserverbandsgesetzes lautet: De vorzitter van het waterschap wordt benoemd en herbenoemd bij koninklijk besluit. Hij kan bij koninklijk besluit worden geschorst en ontslagen. – Der Vorsitzende wird durch königliche Verfügung ernannt und entlassen. Er kann durch königliche Verfügung auch suspendiert und gekündigt werden. 118 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 89. 119 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht 2008, S. 66. 120 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 41.

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Stiftungen (stichtingen). Sie besitzen Rechtspersönlichkeit gem. art. 2:3 des Bürgerlichen Gesetzbuches121, sofern ihre Gründung notariell beurkundet wurde,122 art. 2:4 lid 1 1. HS des Bürgerlichen Gesetzbuches123. Wichtiger Vertreter ist die Stiftung für Rechtsbeistand. b) Privatrechtlich ausgerichtete b-Organe Bei privatrechtlich ausgerichteten b-Organen handelt es sich um natürliche Personen oder juristische Personen des Privatrechts, die durch Gesetz die öffentlich-rechtliche Befugnis zum Eingriff in die Rechtsposition Dritter erlangen. Das betrifft z. B. die Notare, die gem. art. 2 lid 1 Notarordnung (Wet op het Notaris­ ambt)124 öffentliche Akten errichten oder die sogenannten besonderen Universi­ täten, die gem. art. 1.8 lid 1125 in den Anwendungsbereich des Hochschulgesetzes fallen und deshalb akademische Grade im Sinne dieses Gesetzes verleihen dürfen.126

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Art. 2:3 des Bürgerlichen Gesetzbuches lautet: Verenigingen, coöperaties, onderlinge waarborgmaatschappijen, naamloze vennootschappen, besloten vennootschappen met beperkte aansprakelijkheid en stichtigen bezitten rechtspersoonlijkheid. – Eingetragene Vereine, Genossenschaften, Versicherungsgesellschaften, Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Stiftungen besitzen Rechtspersönlichkeit. 122 Nieper/Westerdijk, Niederländisches Bürgerliches Gesetzbuch, Buch 2 – Juristische Personen, S. XX. 123 Art. 2:4 lid 1 eerste des Bürgerlichen Gesetzbuches lautet: Een rechtspersoon ontstaat niet bij het ontbreken van een door een notaris ondertekende akte of een verklaring van geen bezwaar, … – Fehlt es an einer notariellen Beurkundung oder einer Unbedenklichkeitsbescheinigung entsteht keine juristische Person, … 124 Art. 2 lid 1 der Notarordnung lautet: Het ambt van notaris houdt de bevoegdheid in om authentieke akten te verlijden in de gevallen waarin de wet dit aan ham opdraagt of een partij zulks van hem verlangt en andere in de wet aan hem opgedragen werkzaamheden te verrichten. – Das Amt des Notars enthält die Befugnis zur Errichtung öffentlicher Akten in den Fällen in denen das Gesetz oder die Parteien dies verlangen sowie die Verrichtung weiterer ihm durch Gesetz auferlegter Tätigkeiten. 125 Art. 1.8 lid 1 des Hochschulgesetzes lautet: De bekostigde instellingen voor hoger onderwijs zijn instellingen, opgenomen in de bijlage van deze wet onder a tot en met h. – Die geförderten Einrichtungen für Hochschulunterricht sind die in der Beilage unter a bis einschließlich h aufgeführten Einrichtungen. Die besonderen Universitäten sind in der Beilage zum Hochschulgesetz unter b aufgeführt. Es handelt sich dabei um die von der Vereinigung für christlich wissenschaftlichen Unterricht gegründete Universität Amsterdam, die von der Stiftung katholische Universität gegründete Universität Nijmegen und die von der Stiftung katholische Universität Brabant gegründete Universität Tilburg. Alle diese Universitäten sind nach art. 1.8 lid 2 Hochschulgesetz keine juristischen Personen des öffentlichen Rechts. 126 van Ballegooij/Bruil/Kleijn/Schilder, Bestuursrecht in het Awb-tijdperk, 2004, S. 25.

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1. Teil: Grundlagen

III. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die öffentliche Verwaltung in den Niederlanden durch juristische Personen des öffentlichen Rechts sowie durch natürliche und juristische Personen des Privatrechts, denen die Erledigung öffentlicher Aufgaben übertragen wurde, wahrgenommen wird. Verwaltungsträger bestehen aus mehreren Verwaltungsorganen. Sie besitzen die Befugnis, sofern die Voraussetzungen der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage vorliegen, in die Rechts­ position der Bürger einzugreifen.

B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes Das gegenwärtige niederländische Rechtsschutzsystem wird besser verständlich, wenn man die Geschichte des Verwaltungsrechtsschutzes in den Niederlanden kennt. Deshalb erfolgt zunächst eine Darstellung dessen historischer Entwicklung. Hierbei muss zwischen dem allgemeinen Verwaltungsrechtsschutz und der besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit unterschieden werden. Letztere entfaltete sich unabhängig von den allgemeinen Bestrebungen zur Schaffung eines effektiven Verwaltungsrechtsschutzes seit Beginn des 20. Jahrhunderts für besondere Teilgebiete des Verwaltungsrechts, wie z. B. das Beamtenrecht oder das Sozialrecht.127 1994 erhielt das gesamte Verwaltungsrecht mit dem Erlass des Allgemeinen Verwaltungsgesetzes (Algemene wet bestuursrecht – Awb) ein einheitliches Verfahrensrecht.

I. Die Entwicklung der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit Der Schutz des Einzelnen gegen den Staat und seine Verwaltungsorgane hat in den Niederlanden eine lange Tradition. Zu keinem Zeitpunkt stand seine Notwendigkeit in Zweifel. Gestritten wurde lediglich über seine Ausgestaltung. Sie gehört zu den meistdiskutierten juristischen Problemen der letzten beiden Jahrhunderte. Kernpunkt der Diskussion war die Frage, ob der Rechtsschutz von der Verwaltung selbst oder durch eine von der Verwaltung unabhängige Instanz, einen Richter, wahrgenommen werden sollte. Die Befürworter einer verwaltungsinternen Kontrolle begründeten ihre Position mit einer strikten Trennung von Justiz und Verwaltung. Wenn die Justiz die Verwaltung überprüfe, gewinne die Judikative die Oberhand über die Exekutive. 127 de Jong, Französische und deutsche Einflüsse auf die Ausgestaltung des niederländischen Verwaltungsrechtsschutzes im 19. Jahrhundert, Jahrbuch zur Europäischen Verwaltungsgeschichte, 1990, S. 181; Schreuder-Vlasblom, De macht der kritiek, 1987, S. 105 ff.

B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes 

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Das bedeute einen Eingriff in die Gewaltenteilung.128 Zudem sei ein verwaltungsinternes Verfahren sachgerechter. Sie befürchteten daneben eine Schwächung der königlichen Macht und eine Beeinträchtigung der Funktionstüchtigkeit der Verwaltung.129 Die Verfechter eines Rechtsschutzes durch Gerichte pochten darauf, dass ein effektiver Rechtsschutz nur durch einen unabhängigen Richter gewährleistet werden könne. Eine verwaltungsinterne Kontrolle vermöge das nicht. Sie problematisierten im Weiteren, welchem Gericht die Verantwortung für den Verwaltungsrechtsschutz zu übertragen sei. Sollte der Zivilrichter auch in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten entscheiden, oder sollte eine eigenständige Verwaltungsgerichtsbarkeit aufgebaut werden? War im letzteren Fall einem Verwaltungsrichter mit umfassender Kompetenz der Vorzug zu geben, oder sollte man die Verwaltungsgerichtsbarkeit besser in eine allgemeine und eine besondere (spezialisierte) aufteilen?130 Die Diskussion fand mit der Bentheim-Entscheidung131 des Europäischen Gerichtshofs (EGMR) für Menschenrechte im Jahr 1985 ihren Abschluss. Der EGMR entschied, dass das bis zu diesem Zeitpunkt in den Niederlanden angewandte Rechtsschutzsystem den Anforderungen des Art. 6 EMRK nicht genüge. 1. Anfänge des Rechtsschutzes gegen die öffentliche Gewalt in den Niederlanden Der Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt unterliegt häufig politischen Einflüssen. Politische Veränderungen ziehen meist einen Wandel des Rechtsschutzsystems nach sich. In den Niederlanden erfuhr der Verwaltungsrechtsschutz daher in den ersten beiden Jahrhunderten seines Daseins mehrere grundlegende Veränderungen. a) Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt im 16. Jahrhundert Bereits während der Herrschaft Philips des Zweiten im 16. Jahrhundert bildete sich ein Rechtsschutz gegen hoheitliches Handeln heraus. Er wurde durch die Zivilgerichte gewährt132 und beschränkte sich auf Verfügungen, Handlungen und Unterlassungen der Städte und Gemeinden sowie auf Schadensersatzforderungen aus Amtshaftung (onrechtmatige overheidsdat).133 Da man befürchtete, die 128

Drion, Administratie contra Rechter, Diss. Leiden 1950, S. 7. Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 309. 130 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 32; Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, Deel I, 2002, S. 34. 131 EHRM 23–10–1985, A-97, AB 1986, S. 1. 132 Rothenbücher, Verwaltungsrechtsschutz in den Niederlanden, Diss. 1978, S. 5. 133 Drion, Administratie contra Rechter, Diss. Leiden 1950, S. 28. 129

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1. Teil: Grundlagen

Gerichtsbarkeit könne die Verwaltung in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben hemmen, unterwarf man die Überprüfung von Verwaltungsmaßnahmen bestimmten Einschränkungen. So untersagte man durch Gesetz die gerichtliche Kontrolle von Verfügungen bestimmter Behörden. Dem Richter wurde die Auslegung von Kompetenzbestimmungen verboten. Die Klageerhebung gegen Behörden war genehmigungsbedürftig.134 Ein Ausspruch von Ge- und Verboten durch Gerichte gegenüber der Obrigkeit dürfte nur eingeschränkt und nach vorheriger Anhörung der betroffenen Verwaltungsstelle erfolgen.135 Die Entscheidung über Schadensersatzforderungen war den Zivilgerichten dagegen ohne Einschränkung übertragen. Da diese im Anschluss an eine Maßnahme der Verwaltung erging, sah man sie nicht als Beeinträchtigung derselben an.136 b) Rechtsschutz gegen die Öffentliche Gewalt während der Bataafsen Republik Während der Bataafsen Republik (1795–1806) wurde im Jahr 1798 in den Niederlanden erstmals eine durch den Staat organisierte Gerichtsbarkeit eingeführt. In den Gemeinden entschied der Friedensrichter (Vrederechter) in Zivilsachen, im überörtlichen Bezirk waren Gerichte (rechtbank) in Zivilsachen und Gerichtshöfe (Gerechtshoven) in Strafsachen zuständig. Der auf nationaler Ebene tätige Hohe Nationale Gerichtshof (Hoog Nationaal Gerechtshof) bearbeitete Amtsdelikte. Entscheidungen über Verwaltungsmaßnahmen zählten nicht zum Aufgabenbereich der Gerichtsbarkeit. Man ging davon aus, dass die Verwaltung sich selbst überprüfen könne, da sie lediglich Gesetze ausführe und sich an diese zu halten habe. Deshalb wurden Auseinandersetzungen in Verwaltungssachen nicht als Rechtstreitigkeiten angesehen. Man war der Auffassung, dass derartige Unstimmigkeiten am besten durch die Verwaltung selbst beigelegt werden könnten.137 Allerdings wandte man in den Niederlanden das Prinzip der Gewaltenteilung nicht so strikt an wie in Frankreich, das keine Überprüfung von Verwaltungsmaßnahmen durch die Justiz duldete, da es darin einen Eingriff in die Gewaltenteilung sah.138 Man lehnte das französische Vorgehen sogar ab. Der Schutz der bürgerlichen Rechte des Einzelnen gegen die Obrigkeit fiel in die Zuständigkeit der Zivilgerichte. Sie entschieden nach wie vor über Schadensersatzansprüche gegen die Verwaltung und Entschädigungsansprüche aus Enteignung.139

134

Drion, Administratie contra Rechter, Diss. Leiden 1950, S. 21. Drion, Administratie contra Rechter, Diss. Leiden 1950, S. 30. 136 Drion, Administratie contra Rechter, Diss. Leiden 1950, S. 28 ff. 137 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 33. 138 Drion, Administratie contra Rechter, Diss. Leiden 1950, S. 43. 139 Drion, Administratie contra Rechter, Diss. Leiden 1950, S. 42 f. 135

B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes 

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c) Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt während der französischen Annexion Von 1811 bis 1813 waren die Niederlande dem französischen Kaiserreich einverleibt. Mit der Annexion wurde das Napoleonische System in den Niederlanden geltendes Recht.140 aa) Das Napoleonische System Das Napoleonische System ließ die Einflüsse der französischen Revolution deutlich erkennen. Die Revolutionäre sahen in der gerichtlichen Kontrolle des Verwaltungshandelns einen Eingriff in das Prinzip der Gewaltenteilung. Nach ihrer Auffassung durften verwaltungsrechtliche Streitigkeiten nicht von Gerichten entschieden werden, da die rechtsprechende Gewalt sich sonst über die ausführende erhebe und selbst Verwaltungsaufgaben wahrnehme. Deshalb wiesen die Revolutionäre die Schlichtung dieser Streitigkeiten der aktiven Verwaltung selbst zu. Es gab also nur verwaltungsinterne Rechtsbehelfe.141 Die Zivilgerichte beschränkten sich auf Streitigkeiten zwischen Privatpersonen, die sich auf Grund des Zivilrechts ergaben.142 Napoleon nahm die Rechtsgedanken der Revolutionäre auf und führte sie weiter. Für den Verwaltungsrechtsschutz blieb die Verwaltung zuständig. Der von Napoleon neu geschaffene Conseil d’Etat trat als eine Art Berufungsinstanz hinzu.143 Eine Neuerung brachte auch das sogenannte Konfliktgesetz vom 4. November 1801. Darin wurde der Präfekt ermächtigt einen Konflikt aufzuwerfen. D. h. er durfte bei einer Streitigkeit eines Bürgers gegen die Obrigkeit, sofern diese vor Gericht ausgetragen wurde, das Verfahren aussetzen und die Ent­ scheidung über die Zuständigkeit des Gerichts dem Staatsoberhaupt zur Entscheidung vorlegen.144 Der Conseil d’Etat verfügte ab 1806 über eine Abteilung für Verwaltungsstreitigkeiten (commission du contentieux), der die Vorbereitung der Entscheidung in Verwaltungssachen oblag. Die Entscheidung selber war dem Staatsoberhaupt vorbehalten.145

140

Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 305. Schlette, Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Ermessensakten in Frankreich, 1991, S. 25. 142 Drion, Administratie contra Rechter, Diss. Leiden 1950, S. 33. 143 Schlette, Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Ermessensakten in Frankreich, 1991, S. 27. 144 Drion, Administratie contra Rechter, Diss. Leiden 1950, S. 55; Rothenbücher, Verwaltungsrechtsschutz in den Niederlanden, Diss. 1978, S. 6. 145 de Jong, Französische und deutsche Einflüsse auf die Ausgestaltung des niederländischen Verwaltungsrechtsschutzes im 19. Jahrhundert, Jahrbuch zur Europäischen Verwaltungsgeschichte, 1990, S. 174. 141

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1. Teil: Grundlagen

bb) Die niederländische Reaktion auf das napoleonische System Die oben beschriebene, den Niederlanden seit 1811 aufgezwungene,146 Art der Behandlung verwaltungsrechtlicher Streitigkeiten fand wenig Beifall, zumal auch über Schadensersatzansprüche aus Amtshaftung nun nicht mehr ein Gericht, sondern die Verwaltung entschied.147 Die rechtspolitischen Wünsche waren in den Niederlanden zu dieser Zeit auf ein unabhängiges Gericht, dem man Verwaltungsstreitigkeiten vorlegen konnte, gerichtet.148 Das Französische System wurde während der zwei Jahre der Annexion in den Niederlanden nur zögerlich angewendet. Eine der ersten Maßnahmen nach der Befreiung von der französischen Herrschaft im Jahr 1813 war dem entsprechend eine Verfügung, die bestimmte, dass die derzeit beim Conseil d’Etat anhängigen Angelegenheiten nunmehr von den Zivilkammern des Hooggerechtshof (Souv. Besl. 11 december 1813, nr. 6) entschieden werden sollten. 1814 wurde dem Gericht für Finanzen und Seeangelegenheiten die Entscheidungskompetenz in allen Angelegenheiten, in denen das Land oder seine Organe Beklagte waren, übertragen.149 2. Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt im Königreich Niederlande von 1815 Auch nach der Gründung des Königreichs der Niederlande im Jahr 1815 unterlag der Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt ständigen Veränderungen. Zunächst wurde die Zuständigkeit für Verwaltungsstreitigkeiten den ordentlichen Gerichten übertragen. 1822 wandten sich die Niederlande mit der Einführung des Confliktenbesluit den französischen Rechtsvorstellungen wieder zu. Mit dem Erlass der überarbeiteten Verfassung im Jahr 1848 und den Folgen des in deren Nachgang erlassenen Staatsratsgesetzes von 1861 kam die Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes zu einem vorläufigen Stillstand. a) Rechtsschutz durch die ordentlichen Gerichte 1815 erhielt die ordentliche Gerichtsbarkeit durch Art. 165150 der niederländischen Verfassung, Art. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (Wet op de rechterlijke organisatie), die Zuständigkeit in allen Verwaltungsstreitigkeiten. Nach überwiegender Auffassung umfasste Art. 165 der niederländischen Verfassung auch das 146

Drion, Administratie contra Rechter, Diss. Leiden 1950, S. 57. Thorbecke, Aanteekening op de Grondwet, Tweede Deel, 1843, S. 154 f. 148 Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 305. 149 Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 306. 150 Art. 165 der niederländischen Verfassung von 1815 lautete: Niemand kan tegen zijnen will worden afgetrokken van den regter, dien de wet hem toekent. – Niemandem darf gegen seinen Willen dem Richter, den das Gesetz ihm zuerkennt, entzogen werden. 147

B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes 

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Recht der ordentlichen Gerichte, über ihre Zuständigkeit zu befinden. König und Regierung vertraten die gegenteilige Auffassung.151 Ebenfalls 1815 erfolgte der Zusammenschluss mit Belgien. Belgien hatte seit 1795 unter französischer Herrschaft gestanden und verfügte daher über einen mit dem französischen Verwaltungssystem vertrauten Verwaltungskörper. Die belgischen Verwaltungsbeamten hielten nichts von einer Einmischung der Gerichte in Verwaltungsangelegenheiten. Es regte sich daher Unmut, wenn die Gerichte auf Grund der Gesetzeslage rechtswidrige Verwaltungsmaßnahmen aufhoben. Es sei untragbar, dass sich die Verwaltung den Richtersprüchen beugen müsse.152 Hinzu kam, dass in dem jungen Königreich häufig Unsicherheit herrschte, welches Recht anzuwenden sei. Sollte das frühere Recht wieder gelten oder wurde es verdrängt durch spätere französische oder niederländische Regelungen? Inwieweit galten letztere noch? Waren die französischen Normen durch die Neugründung des Reiches außer Kraft getreten? Als Folge dieser Schwierigkeiten wandten sich die Niederlande dem französischen System wieder zu.153 b) „Confliktenbesluit“ Im Jahr 1822 (k.b. 5. Oktober 1822, Stb. 44) wurde der sogenannte „Conflikten­ besluit“154 erlassen. Dieser räumte dem König das Recht ein, in Verwaltungsangelegenheiten selbst zu entscheiden.155 Er sollte die strikte Trennung der Gewalten gewährleisten, indem er ein Verwaltungsorgan, den Provinzgouverneur156, mit dem Recht ausstattete, im Gerichtsverfahren eines Bürgers gegen die Obrigkeit einen sogenannten „Konflikt“ aufzuwerfen. Der Prozess wurde unterbrochen, dem Gericht die Entscheidung über seine Zuständigkeit entzogen und die Frage dem

151 de Jong, Französische und deutsche Einflüsse auf die Ausgestaltung des niederländischen Verwaltungsrechtsschutzes im 19. Jahrhundert, Jahrbuch zur Europäischen Verwaltungsgeschichte, 1990, S. 174. 152 Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 306; Rothenbücher, Verwaltungsrechtsschutz in den Niederlanden, Diss. 1978, S. 8. 153 Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 307. 154 Das Konfliktverfahren auch als Kompetenzkonflikt bezeichnet, diente 1847 einer preußischen Regelung als Vorbild, die von der Erhebung eines Konflikts durch die Verwaltungsbehörden ausging. 1854 wurde in Preußen eine Vorschrift erlassen, die eine Zivil- oder Strafverfolgung gegen einen Beamten der Konfliktserhebung durch die Verwaltungsbehörden unterwarf. Diese führte eine Entscheidung des Kompetenzkonfliktsgerichtshofes herbei, ob der Beamte seine Amtsbefugnisse überschritten habe. Die Vorschrift wurde allgemein als „Konflikt“ bezeichnet. Scheuner, Der Einfluss des französischen Verwaltungsrechts auf die deutsche Rechtsentwicklung, DÖV 1963, S. 714 (717). 155 de Jong, Französische und deutsche Einflüsse auf die Ausgestaltung des niederländischen Verwaltungsrechtsschutzes im 19. Jahrhundert, Jahrbuch zur Europäischen Verwaltungsgeschichte, 1990, S. 174. 156 Das entspricht einem Landrat in Deutschland.

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1. Teil: Grundlagen

König vorgelegt.157 Als Souverän und Hüter der Verfassung hatte er die Kompetenz, richterlichen „Zuständigkeitsüberschreitungen“ Einhalt zu gebieten. Das heißt, er war befugt, die Unzuständigkeit des Gerichts in Verwaltungsangelegenheiten festzustellen. Im konkreten Fall geschah dies nach vorheriger Beratung mit dem Staatsrat (Raad van State).158 Ziel des „Confliktenbesluit“ war, die Durchsetzungsfähigkeit der Verwaltung nicht durch ein Gerichtsverfahren gegen ihre Beamten zu schwächen.159 Das Rechtsinstitut des „Confliktenbesluit“ war höchst umstritten. Der Wortlaut der Verfügung stand im Widerspruch zu Art. 165 der niederländischen Verfassung von 1815, der die Zuständigkeit des Zivilrichters vorsah.160 Deshalb wurde der Beschluss vom 05. Oktober 1822 insgesamt zurückhaltend angewendet, so dass etliche Verfahren gegen die Obrigkeit den ordentlichen Gerichten überlassen blieben. Nach 1830 wurde der „Confliktenbesluit“, nachdem der Versuch, ihm eine gesetzliche Grundlage zu geben, missglückt war, nur noch vereinzelt praktiziert.161 Der Zivilrichter prüfte seine Zuständigkeit in Verwaltungsstreitigkeiten wieder selbst. 1841 wurde die Verfügung endgültig aufgehoben.162 Die Erfahrungen mit dem „Confliktenbesluit“ wirken bis in die heutige Zeit nach. Noch heute befinden die Gerichte in den Niederlanden selbst über ihre Zuständigkeit.163 c) Neuerungen nach 1848 1848 erfolgte eine vollständige Überarbeitung der niederländischen Verfassung. Nachdem die Entwürfe der neuen Verfassung zunächst vorsahen, dem Staatsrat (Raad van State) die Rechtsprechung in Verwaltungsangelegenheiten zu übertragen, enthielt die Verfassung von 1848 aufgrund der Einflussnahme durch ihren Autor Thorbecke164 keine ausdrückliche Regelung des Verwaltungsrechtsschutzes.165 Stattdessen übertrug Art. 71 der Verfassung von 1848 die Ausgestaltung von Organisation und Zuständigkeit des Staatsrates dem Gesetzgeber. In Verwaltungs-

157

Langemeijer, Der gerichtliche Rechtsschutz des Einzelnen gegen die vollziehende Gewalt in den Niederlanden, in: Gerichtsschutz gegen die Exekutive, 1970, S. 794. 158 Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 307. 159 Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 305. 160 Rothenbücher, Verwaltungsrechtsschutz in den Niederlanden, Diss. 1978, S. 9; Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 34. 161 Statistik bei Drion, Administratie contra Rechter, Diss. Leiden 1950, S. 173; dazu auch Rothenbücher, Verwaltungsrechtsschutz in den Niederlanden, Diss. 1978, S. 9. 162 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 9; Langemeijer, Der gerichtliche Rechtsschutz des Einzelnen gegen die vollziehende Gewalt in den Niederlanden, in: Gerichtsschutz gegen die Exekutive, 1970, S. 794. 163 Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, deel I, 2002, S. 9. 164 Ausführungen zur Person Thorbeckes und seinen Rechtsauffassungen siehe unten. 165 Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 308.

B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes 

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streitangelegenheiten entschied zunächst der König.166 Seine Entscheidung bedurfte allerdings der Gegenzeichnung des zuständigen Ministers.167 aa) Einflussnahme durch Thorbecke Der Autor der Verfassungsrevision, Johan Rudolf Thorbecke (1798–1872), stand den französischen Vorstellungen von Verwaltungsrechtsschutz sehr nahe. Er hatte sich als Staatsrechtslehrer in den 30iger Jahren des 19. Jahrhunderts zwar zunächst für eine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit ausgesprochen,168 vollzog dann jedoch einen grundlegenden Meinungswandel. Er sprach sich in späteren Jahren nachdrücklich für eine verwaltungsinterne Überprüfung von Verwaltungsstreitigkeiten aus und begründete seine geänderte Auffassung damit, dass es sich bei Verwaltungsrecht um politisches Recht handele, das vom Privatrecht streng zu unterscheiden sei.169 Deshalb müsse man den Zivilrichter davon fern halten. Als weitere Argumente führte er an, Zivil- und Verwaltungsrecht seien grundverschieden. Der Zivilrichter sei nur unzureichend mit den verwaltungsrechtlichen Eigenarten vertraut. Er komme in Bedrängnis, wenn er dann in Verwaltungsangelegenheiten entscheiden solle. Die Entscheidung verwaltungsrechtlicher Streitigkeiten gehöre dem Wesen nach zur Aufgabe der Verwaltung selbst.170 Zudem sei das zivilrechtliche Verfahren für Verwaltungsangelegenheiten prozessrechtlich zu kompliziert. Mit Blick auf eine eigene Verwaltungsgerichtsbarkeit erklärte er, es gebe schon zu viele Gerichte. Eine zusätzliche Verwaltungsgerichtsbarkeit führe zu einer noch weitreichenderen Zersplitterung der Judikative. Darüber hinaus würde eine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit die Rechte und den Einfluss des Königs verkürzen, vor allem aber die Verantwortlichkeit der Minister für die Umsetzung der Gesetze.171 Ein Zitat Thorbeckes aus dem Jahr 1855 gibt seine Auffassung besonders anschaulich wieder. Es handelt sich um den Ausschnitt aus einer Rede im Parlament anlässlich der Verteidigung einer Gesetzesvorlage zur Wasserverwaltung. Auf den Einwand, es könne nicht sein, dass das beschlussfassende Verwaltungsorgan selber im Nachhinein die Rechtmäßigkeit seiner Maßnahme auch überprüfe, antwortete Thorbecke: „Das sind Vorstellungen, Herr Vorsitzender! Als ob wir uns hier im Zivilrecht befänden, wo derjenige, dem eine Anweisung erteilt wurde, ein eigen 166

de Jong, Französische und deutsche Einflüsse auf die Ausgestaltung des niederländischen Verwaltungsrechtsschutzes im 19. Jahrhundert, Jahrbuch zur Europäischen Verwaltungsgeschichte, 1990, S. 174. 167 Rothenbücher, Verwaltungsrechtsschutz in den Niederlanden, Diss. 1978, S. 13. 168 Thorbecke, Aantekening op de Grondwet, Tweede Deel, Tweede uitgave, Bij Johannes Müller Amsterdam 1843, S. 157 ff. 169 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 34. 170 Bijlagen Handelingen II, zitting 1860–1861, Nr. LXXXI, 1, 2, 3 und 5, S. 840 ff. 171 Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 309.

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1. Teil: Grundlagen

ständiges Recht hat, das er dem Gesetz entnimmt und das unter allen Umständen beachtet werden muss. Hier geht es um etwas anderes. Es geht um die Ausführung von Verordnungen und die Aufsicht darüber, ob die öffentlich-rechtlichen Körperschaften ihre Aufgaben im öffentlichen Interesse wahrnehmen. Werden die Rechte der Ausführung und Aufsicht nicht verkürzt, wenn die Überprüfung, ob die Maßnahme zu Recht erlassen worden ist, einer anderen Macht übertragen wird? Ich will den Aufgabenbereich des Zivilrichters nicht antasten, aber ebenso wenig den der Verwaltung.“172 bb) Staatsratsgesetz von 1861 Mit der Vorbereitung des neuen Gesetzes zur Organisation und Zuständigkeit des Staatsrates (Wet op de Raad van State), ließ sich die Regierung Zeit. 1856 wurde der erste Gesetzesentwurf vorgelegt, am 21. Dezember 1861 das Gesetz schließlich verabschiedet. (1) Entwicklung des Staatsrates in den Niederlanden Einen Staatsrat gab es in den Niederlanden bereits seit dem Jahr 1531. Er nahm die Funktionen einer obersten Verwaltungsbehörde wahr und diente gleichzeitig als Beratungsgremium der jeweiligen Landesfürsten in allen wichtigen Regierungsangelegenheiten.173 Nach 1581 änderte sich der Charakter des Staatsrates grundlegend. Unter dem alten Namen war nun eine Körperschaft tätig, die verschiedene Funktionen, wie z. B. den Oberbefehl im Krieg, die Verwaltung öffentlicher Gelder und eingeschränkt auch die Rechtsprechung, wahrnahm. Während der Zeit der alten Republik (Republik der Sieben Vereinigten Niederlande 1581 bis 1795) stritten Staatsrat und Parlament ununterbrochen um diese Kompetenzen. Mit dem Fall der alten Republik verlor der Staatsrat seine Daseinsberechtigung.174 Zwischen 1798 und 1804 zu Zeiten der Batavischen Republik (Bataafse Republiek 1795 bis 1806)175 gab es in den Niederlanden keinen Staatsrat. Unter Schimmelpenninck (1761–1825)176 kehrte er im Jahr 1805 kurzzeitig zurück. Er war nun für das Erstellen von Gutachten im Zuge von Gesetzesvorhaben zuständig.177 172

Onuitgegeven parl. Redevoeringen, Arnhem, z.j., deel IV, blz. 192. den Boer, Wet op de Raad van State, 2008, S. 11. 174 van der Pot, Handboek van het Nederlandsche Staatsrecht, 1977, S. 180. 175 Bataaf bedeutet Niederländer 176 Schimmelpennick war ein niederländischer Diplomat und Staatsmann und Mitglied der batavischen Nationalversammlung; 1803 ging er als niederländischer Gesandter nach Paris; dort gewann er das Vertrauen Napoleons I, daher wurde er im Jahr 1805 als französischer Statthalter in den Niederlanden eingesetzt, bevor Napoleon im Jahr 1806 seinen Bruder Ludwig zum König der Niederlande erhob, van der Pot, Handboek van het Nederlandse Staatsrecht, S. 103. 177 van der Pot, Handboek van het Nederlandse Staatsrecht, 1977, S. 180. 173

B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes 

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Während der Zeit der französischen Annexion (1810 – Nov. 1813)178 wurde der Staatsrat durch den französischen Conseil d’Etat ersetzt,179 der in Frankreich seit 1806 über eine eigene Abteilung für Verwaltungsstreitigkeiten (commission du contentieux) verfügte. Ihr oblag jedoch nur die Entscheidungsvorbereitung. Die Entscheidung selbst blieb dem Staatsoberhaupt vorbehalten.180 Nachdem die Niederlande ihre Unabhängigkeit 1814 wiedererlangt hatten, wurde erneut ein Staatsrat eingerichtet. Seine Organisation und Kompetenzen regelten die Art. 70 ff. der Verfassung von 1815. Der Staatsrat bestand aus dem König, einem Vizepräsidenten und weiteren 10 Mitgliedern181. Der König führte den Vorsitz, ernannte und entließ die übrigen Mitglieder. Die Funktion des Staatsrates beschränkte sich auf Beratungstätigkeiten. Gemäß Art. 73 des Staatsratsgesetzes musste der Staatsrat sowohl vor jedem Antrag, den der König im Parlament einbrachte als auch bei allen die Verwaltung betreffenden Regelungen gehört werden.182 Die Rechtsprechung war ihm ausdrücklich entzogen und durch Art. 165 der Verfassung von 1815 den ordentlichen Gerichten zugewiesen.183 Der Staatsrat hatte in den Niederlanden nicht nur Befürworter, sondern auch Gegner. Sie plädierten immer wieder für dessen Abschaffung, da er als rein beratendes Gremium nur wenig Nutzen habe und zudem eine große finanzielle Belastung darstelle.184 (2) Französische Einflüsse auf das Staatsratsgesetz von 1861 Das neue Gesetz orientierte sich stark an dem französischen Gesetz über den Conseil d’Etat vom 21. Juli 1845. Dieses legte die Zahl der Mitglieder und die Art und Weise ihrer Ernennung sowie die Präsidentschaft fest. Der Conseil d’Etat bestand aus verschiedenen comitès185, die meist den einzelnen Ministerien zu­ geordnet waren, teilweise, aber auch übergreifende Sonderaufgaben wahrnahmen. Das Comitè du contentieux war die Abteilung des Conseil d’Etat, die sich ausschließlich mit der Bearbeitung von Verwaltungsstreitigkeiten befasste.186 Das

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North, Geschichte der Niederlande, 2008, S. 81 f. den Boer, Wet op de Raad van State, 2008, S. 11. 180 Schlette, Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Ermessensakten in Frankreich, 1991, S. 29. 181 Die Anzahl der Mitglieder wurde im Laufe der Zeit mehrmals verändert. Sie schwankte zwischen 10 und 14. van der Pot, Handboek van het Nederlandsche Staatsrecht, 1977, S. 182. 182 van der Pot, Handboek van het Nederlandse Staatsrecht, 1977, S. 181. 183 de Jong, Französische und deutsche Einflüsse auf die Ausgestaltung des niederländischen Verwaltungsrechtsschutzes im 19. Jahrhundert, Jahrbuch zur Europäischen Verwaltungsgeschichte, 1990, S. 175. 184 van der Pot, Handboek van het Nederlandse Staatsrecht, 1977, S. 181. 185 Das entspricht Abteilungen. 186 Schlette, Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Ermessensakten in Frankreich, 1991, S. 29. 179

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1. Teil: Grundlagen

Verfahren vor dem Comitè du contentieux gliederte sich in ein schriftliches Vorverfahren, eine mündliche Hauptverhandlung und die Erarbeitung einer Stellungnahme, die dem Staatsoberhaupt vorgelegt wurde. Die Entscheidung erging durch Urteil. Das Staatsoberhaupt durfte den Entscheidungsvorschlag nur ablehnen, wenn die Streitsache zuvor dem Ministerrat zur Stellungnahme vorgelegt worden war.187 Wie sein französisches Vorbild war auch das niederländische Staatsratsgesetz im Wesentlichen ein Organisationsgesetz. Es legte die Zusammensetzung des Staatsrates und die Anzahl seiner Mitglieder fest. Im diesem Bereich erfolgten keine Veränderungen zu den bereits beschriebenen Regelungen von 1815. Weiterhin sah es die Bildung einer Sonderabteilung, entsprechend dem Comitè du contentieux, der Abteilung für Verwaltungsstreitigkeiten (Afdeling voor de geschillen van bestuur), innerhalb des Staatsrates unter Vorsitz des Vize-Präsidenten, vor. Ihr oblag die Untersuchung und Entscheidungsvorbereitung der anhängigen Verwaltungsstreitigkeiten.188 (3) Auswirkungen des Staatsratsgesetzes von 1861 Das neue Gesetz erteilte einer eigenständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit eine klare Absage. Zwar hatte man vor seiner Verabschiedung darüber nachgedacht, den Staatsrat als höchste gerichtliche Instanz in Verwaltungsangelegenheiten einzusetzen, diesen Gedanken jedoch wieder verworfen, da sich die Verfassung von 1848 in diesem Punkt ausschwieg.189 Das Staatsratsgesetz von 1861 führte jedoch zur Stärkung der ordentlichen Gerichtsbarkeit und zur Schaffung eines verwaltungsinternen Rechtsbehelfs, des Kroonberoep. (a) Stärkung der ordentlichen Gerichtsbarkeit Dem neuen Staatsratsgesetz fehlte eine abschließende Kompetenzzuweisung. Mit dem Verzicht auf eine Generalklausel für Verwaltungsstreitigkeiten, wie das französische Recht sie anbot,190 beabsichtigte die Regierung eine Stärkung der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Für diese galt die Generalklausel des Art. 148 der Nie-

187 de Jong, Französische und deutsche Einflüsse auf die Ausgestaltung des niederländischen Verwaltungsrechtsschutzes im 19. Jahrhundert, Jahrbuch zur Europäischen Verwaltungsgeschichte, S. 175. 188 de Jong, Französische und deutsche Einflüsse auf die Ausgestaltung des niederländischen Verwaltungsrechtsschutzes im 19. Jahrhundert, Jahrbuch zur Europäischen Verwaltungsgeschichte, S. 177. 189 van der Pot, Handboek van het Nederlandse Staatsrecht, 1977, S. 183. 190 In Frankreich kann der Bürger grundsätzlich gegen jeden acte administratief vorgehen.

B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes 

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derländischen Verfassung von 1848191. Danach waren alle Streitigkeiten, die den Schutz des Eigentums oder sich daraus ergebender Rechte, die Geltendmachung von Schuldforderungen oder andere bürgerliche Rechte betrafen, der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen, die zur damaligen Zeit aus Zivil und Strafgerichten bestand.192 Diese Vorschrift wurde dahingehend ausgelegt, dass dies auch Verwaltungsstreitigkeiten, in denen der Kläger die Verletzung eines der in Art. 148 aufgeführten Rechte behauptete, einschloss. Eine konkurrierende Generalklausel für Verwaltungsstreitigkeiten hätte deshalb nach Auffassung der Regierung zu einer Schwächung der Position der ordentlichen Gerichtsbarkeit führen können. Statt einer einheitlichen Kompetenzregelung für Verwaltungsstreitigkeiten sollte in jedes einzelne Gesetz sowie in jede Rechtsverordnung eine eigene Beschwerderegelung, der Kroonberoep,193 aufgenommen werden.194 (b) Kroonberoep Da man eine selbständige Verwaltungsgerichtsbarkeit ablehnte, schuf man ein neues verwaltungsinternes Rechtsinstitut, den sogenannten Kroonberoep, der nach 1861 in insgesamt 120 Spezialgesetze als Rechtsbehelf aufgenommen wurde.195 Er gehörte zur Gruppe der administratief beroepe und richtete sich an die Verwaltung. Das Rechtsinstitut des administratief beroep existiert heute noch als besonders Vorverfahren. In den Fällen, in denen das Vorverfahren in dieser Form durchzuführen ist, enthalten die einschlägigen Spezialgesetze entsprechende Regelungen. Nach Abschaffung des Kroonberoep hat der administratief beroep allerdings wesentlich an Bedeutung verloren. Beim administratief beroep im Allgemeinen richtet sich die Beschwerde an die übergeordnete Behörde, beim Kroonberoep im Speziellen an die Krone,196 die Verwaltungsbehörde ist, und deshalb eine vollständige Überprüfung ex nunc vornehmen dürfte.197 Das im Zuge des Kroonberoep durchzuführende Verfahren hatte den Charakter eines Gerichtsprozesses. Sein Gang war im Staatsratsgesetz von 1861 nieder 191 Art. 148 der Niederländischen Verfassung von 1848 lautete: Alle twistgedingen over eigen­ dom of daaruit voortspruitende regten, over schuldvorderingen en andere burgelijke ­regten, behooren bij uitsluiting tot de kennis van de regterlijke magt. – Alle Streitigkeiten über Eigentum oder sich daraus ergebende Rechte, über Schuldforderungen und andere bürgerliche Rechte, gehören ausschließlich in die Zuständigkeit der richterlichen Macht. Die richterliche Macht bestand zur damaligen Zeit aus Zivil- und Strafgerichten. 192 Akkermans, de Grondwet, S. 906. 193 Siehe die nachfolgenden Ausführungen. 194 de Jong, Französische und deutsche Einflüsse auf die Ausgestaltung des niederländischen Verwaltungsrechtsschutzes im 19. Jahrhundert, Jahrbuch zur Europäischen Verwaltungsgeschichte, 1990, S. 177. 195 Stroink, Kern van de bestuursrechtspraak, 2004, S. 34. 196 Der Begriff „de Kroon“ ist veraltet. Heute würde man sagen die Regierung. Sie setzt sich aus dem König oder der Königin und einem oder mehreren Ministern zusammen. 197 Stroink, Kern van de bestuursrechtsspraak, 2004, S. 34.

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1. Teil: Grundlagen

gelegt, das auch eine Prozessordnung enthielt. Bevor die Krone entschied, fand in den Niederlanden gemäß Art. 13 des Staatsratsgesetzes ein Verfahren vor der Abteilung für Verwaltungsstreitigkeiten beim Staatsrat (Afdeling voor de geschillen van bestuur) statt,198 das an das französische Verfahren vor dem Conseil d’Etat erinnert. Der schriftlichen Vorbereitung, bestehend aus der Klageerhebung, dem Einreichen von Schriftsätzen und einem Bericht des verantwortlichen Ministers, folgte eine mündliche Hauptverhandlung. Darauf erarbeitete eine Kommission aus fünf Mitgliedern des Staatsrates unter Leitung des Vizepräsidenten des Staats­ rates den Entwurf für die Entscheidung der Krone.199 Der Entscheidungsvorschlag enthielt nicht nur den Spruch, sondern war wie ein Gerichtsurteil auch mit Gründen versehen. In den meisten Fällen übernahm der zuständige Minister den Entscheidungsentwurf, so dass diesem, materiell gesehen, der Charakter einer gerichtlichen Entscheidung zukam. Ein Abweichen wurde durch die gesetzlichen Regelungen erschwert. Zweifelte der Minister an der Richtigkeit des Vorschlages, so konnte er seine Bedenken dem Staatsrat mitteilen und versuchen, ihn dazu zu bewegen, seine Entscheidung noch einmal zu überarbeiten. Willigte der Staatsrat ein, so fand eine erneute Untersuchung der Angelegenheit vor der Abteilung für Verwaltungsstreitigkeiten beim Staatsrat statt. Prozessual waren bei der Überarbeitung die gleichen Vorschriften einschlägig wie im Ausgangsverfahren.200 Diese erneute Untersuchung war zwingende Voraussetzung für eine abweichende abschließende Entscheidung der Krone. Zudem hatte der zuständige Minister den Justizminister zu informieren.201 Handelte es sich bei dem zuständigen Minister um den Justizminister selbst, so musste er mit dem Ministerpräsidenten Rücksprache nehmen.202 Die Krone entschied durch Urteil. Wich ihre Entscheidung vom Vorschlag des Staatsrates ab (contrair gaan), so wurde die Entscheidung gemeinsam mit den Gründen und einem Gutachten des zuständigen Ministers im Staatsanzeiger (Staatsblad) veröffentlicht.203 Das Gutachten umfasste den Vorschlag der Abteilung für Verwaltungsstreitigkeiten beim Staatsrat und eine Zusammenfassung der Überlegungen des Justizministers beziehungsweise des Ministerpräsidenten.204

198

Stroink, Kern van de bestuursrechtsspraak, 2004, S. 35. Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 310; Rothenbücher, Verwaltungsrechtsschutz in den Niederlanden, Diss. 1978, S. 12; de Jong, Französische und deutsche Einflüsse auf die Ausgestaltung des niederländischen Verwaltungsrechtsschutzes im 19. Jahrhundert, Jahrbuch zur Europäischen Verwaltungsgeschichte, 1990, S. 177. 200 Stroink, Kern van de bestuursrechtsspraak, 2004, S. 35. 201 de Jong, Französische und deutsche Einflüsse auf die Ausgestaltung des niederländischen Verwaltungsrechtsschutzes im 19. Jahrhundert, Jahrbuch zur Europäischen Verwaltungsgeschichte, 1990, S. 177. 202 Stroink, Kern van de bestuursrechtsspraak, 2004, S. 35. 203 Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 310; Rothenbücher, Verwaltungsrechtsschutz in den Niederlanden, Diss. 1978, S. 13. 204 Stroink, Kern van de bestuursrechtsspraak, 2004, S. 35. 199

B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes 

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Anhand der in art. 35 bis 38 des Staatsratsgesetzes verbürgten Verfahrensgarantien, wie z. B. der Gewährung rechtlichen Gehörs, wird deutlich, dass die Abteilung für Verwaltungsstreitigkeiten nicht nur Beratungsorgan für den König war, sondern auch Gremium zum Schutz der Belange der Parteien.205 Eine zusätzliche Garantie des Rechtsstaates sah man in der Mitverantwortung des Ministers für die Entscheidung des Königs.206 Der Kroonberoep war in den Niederlanden wegen seiner Garantien ein sehr angesehenes Rechtsinstitut. Seinen Hauptvorteil sah man in der umfassenden Überprüfung und der endgültigen Entscheidung der Angelegenheit.207 Das bestätigte ein Gutachten aus dem Jahr 1981, das den Prüfungsumfang des Kroonberoep erläuterte. Es sah als Vorzug des Kroonberoep an, dass die umstrittene Maßnahme von zwei Seiten beleuchtet wurde. Dabei übernahm der Staatsrat den juristischen Part einer reinen Rechtmäßigkeitsprüfung und die Krone die Rolle der Verwaltung, indem sie bei ihrer Entscheidung zusätzlich den Entscheidungsfindungsprozess der Verwaltung berücksichtigte, also eine Recht- und Zweckmäßigkeitsprüfung durchführte.208 Mit der Einführung des Kroonberoep im Jahr 1861 fand die Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes in den Niederlanden einen vorläufigen Abschluss. Das bedeutete jedoch nicht das Ende der Diskussion. Diese entfachte sich nach dem Tod Thorbeckes im Jahr 1872 neu. 3. Liberale Bestrebungen in der Zeit zwischen 1872 und dem Zweiten Weltkrieg Nach dem Tod Thorbeckes formierte sich eine neue liberale Bewegung, die sich, durch die Entwicklung in Deutschland beeinflusst, für eine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Niederlanden einsetzte.209 Auch in Deutschland diskutierte man über einen effektiven Rechtsschutz gegen hoheitliche Akte. Hier waren die liberalen Verfechter einer möglichst weitgehenden Kontrolle der Verwaltung durch die ordentlichen Gerichte gegenüber den Befürwortern einer Adminstrativ-Justiz in der Mehrzahl. Man einigte sich schließlich auf die Einführung einer eigenständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Durch diesen Kompromiss wurde formal der Grundsatz der Gewaltenteilung gewahrt. Er vermied die Unterordnung der Verwaltung unter die ordentlichen Gerichte und ließ durch die zunächst überall 205 Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 309; Rothenbücher, Verwaltungsrechtsschutz in den Niederlanden, Diss. 1978, S. 13. 206 de Jong, Französische und deutsche Einflüsse auf die Ausgestaltung des niederländischen Verwaltungsrechtsschutzes im 19. Jahrhundert, Jahrbuch zur Europäischen Verwaltungsgeschichte, S. 177. 207 Stroink, Kern van de bestuursrechtsspraak, 2004, S. 36 m. w. N. 208 van Buuren/Bolt/Scheltema, Kroonberoep en AROB-beroep, Deventer 1981. 209 Langemeijer, Der gerichtliche Rechtsschutz des Einzelnen gegen die vollziehende Gewalt in den Niederlanden, in: Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Max-Planck-Institut für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht, 1970, S. 794.

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1. Teil: Grundlagen

verwirklichte Verbindung von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit letztere mehr als einen Teil der Verwaltung als der Justiz erscheinen.210 a) Vorstellungen von einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit Der Vorreiter der liberalen Bewegung in den Niederlanden, war Buijs (1828– 1893)211, ein Hochschullehrer der Universität Leiden, der liberalsten der niederländischen Universitäten. Sein wichtigstes Werk ist ein Kommentar zur niederländischen Verfassung von 1848, der die Verfassungsänderungen von 1887 berücksichtigt.212 Dieser Verfassungskommentar ist das bedeutendste Werk der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts auf dem Gebiet des niederländischen Staats- und Verwaltungsrechts.213 aa) Vorschläge zur Einführung einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit Buijs trat mit Nachdruck dafür ein, Streitigkeiten zwischen Bürger und Verwaltung durch ein unabhängiges Gericht klären zu lassen. Da es immer um Handlungen der Verwaltung gehe, sei sie betroffen und nicht in der Lage objektiv zu entscheiden.214 Seine Vorstellungen präzisierte er in einem Gutachten für die niederländische Juristenvereinigung215. Er schlug einen zweistufigen Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit vor. Als 1. Stufe sollten die provinziellen Verwaltungsbehörden fungieren. Dabei blieb aber unklar, wie Verwaltungs- und Gerichtstätigkeit voneinander zu trennen waren. Die 2. Stufe sollte die Abteilung für verwaltungsrechtliche Streitigkeiten beim Staatsrat übernehmen und damit die Aufgaben einer Berufungsinstanz erfüllen.216 Sie wäre aber zuvor von einem beratenden in ein

210

Rüfner, Die Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1984, S. 910 f. Teilweise auch Buys geschrieben. 212 Buijs, De Grondwet, Toelichting en Kritek, DI. 3: Van de wijzigingen in 1887 ingevoerd, Arnhem: Gouda Quint, 1888. 213 de Jong, Französische und deutsche Einflüsse auf die Ausgestaltung des niederländischen Verwaltungsrechtsschutzes im 19. Jahrhundert, Jahrbuch zur Europäischen Verwaltungsgeschichte, S. 178. 214 Buijs, De Grondwet, Toelichting en Kritek, Tweede deel, eerste stuk, Arnhem: Gouda Quint, 1884, S. 325 ff.; Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 311; Herman van der Brink, Geschichte der Verwaltungswissenschaften in Europa – Niederlande, 1982, S. 124. 215 Die niederländische Juristenverinigung war 1870 gegründet worden. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, einmal im Jahr zu Gesetzesvorhaben Stellung zu nehmen oder selbst eine Gesetzesreform anzuregen. 216 Buijs, De regeling der administratieve rechtspraak. Preadvies N. J. V. 1891, in: Handelingen N. J. V. 1891, S. 65 ff. 211

B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes 

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rechtsprechendes Kollegium umzuwandeln gewesen.217 Auch für die Frage, wofür die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig sein sollte, bot Buijs eine Lösung an. Nach seinen Vorstellungen sollte sich die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf Streitigkeiten aus bestimmten Rechtsgebieten beschränken. Um welche Rechtsgebiete es sich dabei handelte, sollte in einem Sondergesetz enumerativ festgelegt werden. Buijs teilte die Rechtsgebiete in insgesamt 12 Gruppen ein (Wahlrecht, Steuerrecht, Wehrdienstrecht, Staatsangehörigkeitsrecht, Wasser- und Wegerecht, Streitigkeiten der Provinzen untereinander, der Provinzen mit Gemeinden und den Gemeinden untereinander, Bildungswesen, Pensions- und Rentenansprüche, Verwaltungsvollstreckung, Verpflichtungen der Provinzen und Gemeinden, Sozialrecht, Einziehung von Genehmigungen für Anlagen mit schädlichen Umwelteinflüssen).218 Darüber hinaus wollte er eine weitere Klage zulassen, mit der die rechtswidrige Anwendung allgemeinverbindlicher Vorschriften gerügt werden konnte. Er versäumte es jedoch, diese Klagemöglichkeit näher zu erläutern, so dass sie weitgehend im Dunkeln blieb. bb) Verfassungsrevision von 1887 Im Jahr 1883 wurde Buijs in die Kommission zur Überarbeitung der Verfassung berufen. Er brachte seine Reformideen ein und fand unter den übrigen Mitgliedern der Kommission etliche Befürworter. So sah der Entwurf zur Verfassungsrevision in seinem Art. 154 vor, dass gegenüber jeder Rechtsverletzung durch Verwaltungsbehörden der Verwaltungsrechtsweg offen stehe,219 eine Auffassung, die von vielen Juristen der damaligen Zeit geteilt wurde.220 Das schloss die Verpflichtung zur Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit ein. Die konservative Regierung Heemskerk lehnte diese Verpflichtung jedoch strikt ab.221 Sie begründete ihre Ablehnung damit, dass die Rechtsprechung durch eine Überprüfung der Ermessensausübung der Verwaltung deren Autonomie antaste.222 Auf Grund seines großen Einflusses und seiner Überzeugungskraft gelang es Buijs jedoch, seine Reformgedanken wenigstens teilweise in der Verfassung von 1887 zu verankern. Art. 154 der Verfassung von 1887 eröffnete dem Gesetzgeber die Möglichkeit, die Entscheidung über andere als bürgerlich-rechtliche Rechtsstreitigkeiten einem nicht zur ordentlichen Gerichtsbarkeit gehörenden Gericht 217 Buijs, De regeling der administratieve rechtspraak. Preadvies N. J. V. 1891, in: Handelingen N. J. V. 1891, S. 81. 218 Buijs, De regeling der administratieve rechtspraak. Preadvies N. J. V. 1891, in: Handelingen N. J. V. 1891, S. 98. 219 de Jong, Französische und deutsche Einflüsse auf die Ausgestaltung des niederlän­dischen Verwaltungsrechtsschutzes im 19. Jahrhundert, Jahrbuch zur Europäischen Verwaltungsgeschichte, S. 180. 220 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 35. 221 Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 311. 222 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 35.

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1. Teil: Grundlagen

zu übertragen.223 Doch blieb es auf Veranlassung der Regierung lediglich bei der Möglichkeit der Schaffung von Verwaltungsgerichten. b) Staatskommission Kappeyne van de Copello Im Jahr 1891 wurde die Staatskommission Kappeyne van de Copello ins Leben gerufen, der auch Buijs angehörte. Die Staatskommission sollte zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen einer Verwaltungsgerichtsbarkeit Stellung nehmen und einen Vorschlag zur Umsetzung dieser Grundlagen erarbeiten. Buijs hatte nun die Möglichkeit, seine Ideen in ein Gesetz einzubringen. 1893 verstarb er jedoch, sodass der endgültige Vorschlag der Kommission von seinen Vorstellungen abwich. Dieser sah eine einstufige Verwaltungsgerichtsbarkeit vor, die von einem neu zu schaffenden Obersten Verwaltungsgerichtshof, dem administratief hooggerechtshof in Utrecht, ausgeübt werden224 und die Möglichkeit bieten sollte, die im administratieven Verfahren ergangenen Entscheidungen anzufechten.225 Die Kompetenz des Verwaltungsgerichts beschränkte sich auf eine Rechtmäßigkeits­ kontrolle.226 Dem gerichtlichen Verfahren sollte ein reines Verwaltungsverfahren vor einer unteren Verwaltungsbehörde vorangehen.227 Die Verwaltungsbehörde war be­rechtigt, neben der Recht- auch die Zweckmäßigkeit zu überprüfen.228 Die Kommission übernahm den Vorschlag von Buijs, die Kompetenzen des Verwaltungsgerichts durch ein Zuständigkeitsgesetz festzulegen229 und beschränkte die Klagemöglichkeit auf bestimmte Rechtsgebiete.230 Der den Kommissionsbericht begleitende Gesetzentwurf scheiterte an der konservativen Regierung, die ihn dem Parlament nicht vorlegte.231 223 de Jong, Französische und deutsche Einflüsse auf die Ausgestaltung des niederlän­dischen Verwaltungsrechtsschutzes im 19. Jahrhundert, Jahrbuch zur Europäischen Verwaltungsgeschichte, S. 180; van den Brink, Niederlande, in: Heyen, Geschichte der Verwaltungswissenschaften in Europa, 1982, S. 124. 224 de Jong, Französische und deutsche Einflüsse auf die Ausgestaltung des niederländischen Verwaltungsrechtsschutzes im 19. Jahrhundert, Jahrbuch zur Europäischen Verwaltungsgeschichte, S. 181. 225 Oostenbrink, J. J., in: Ule, C. H., Verwaltungsverfahrensgesetze des Auslands, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, S. 322. 226 Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 313. 227 de Jong, Französische und deutsche Einflüsse auf die Ausgestaltung des niederländischen Verwaltungsrechtsschutzes im 19. Jahrhundert, Jahrbuch zur Europäischen Verwaltungsgeschichte, S. 181. 228 Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 313. 229 de Jong, Französische und deutsche Einflüsse auf die Ausgestaltung des niederländischen Verwaltungsrechtsschutzes im 19. Jahrhundert, Jahrbuch zur Europäischen Verwaltungsgeschichte, S. 181. 230 Siehe oben unter (1). 231 Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 314.

B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes 

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c) Konzept zur Schaffung einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit nach Loeff Im Februar 1905 brachte der damalige Justizminister Loeff (1858–1921) mehrere Gesetzesentwürfe ein, die sogenannten Entwürfe-Loeff (ontwerpen-­Loeff). Darunter befand sich ein Konzept zur Schaffung einer Verwaltungsgerichts­ barkeit und der dazugehörigen Verwaltungsprozessordnung (Wet administratieve rechtsvordering).232 Loeff schlug vor, die Verwaltungsgerichtsbarkeit den drei Instanzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit anzugliedern. Aus diesem Grund sollten die Landgerichte, die Oberlandesgerichte und der Hohe Rat jeweils eine eigene verwaltungsgerichtliche Kammer erhalten.233 Im Weiteren sahen die EntwürfeLoeff als zwingende Voraussetzung des gerichtlichen Verfahrens ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren vor. Das galt auch für Verwaltungsmaßnahmen, gegen die ein besonderes Verwaltungsverfahren (administratiev beroep) wie z. B. der Kroonberoep zur Verfügung stand.234 Die auf Buijs zurückgehende Enumerationsmethode wurde verworfen. Klagebefugt war jeder, der dartun konnte, durch eine Verwaltungsmaßnahme, Handlung oder Weigerung der Verwaltungsorgane in seinen persönlichen Interessen be­ einträchtigt zu sein. Dabei war entscheidend, dass das Vorgehen der Verwaltung unter Missachtung öffentlich-rechtlicher Regelungen oder anderer Gesetze erfolgt war.235 Hieraus ergibt sich bereits die Intention Loeffs. Er war nicht an der Verteidigung subjektiver Rechte des Einzelnen gegenüber dem Staat interessiert, ihm ging es vielmehr um eine korrekte Anwendung der Gesetze durch die Verwaltung. Loeff vertrat die Auffassung, dass gesetzliche Regelungen, da es sich um Normen handle, immer objektiv überprüfbar seien. Das gelte auch für Normen, die der Verwaltung ein Ermessen einräumen.236 In diesem Fall müsse der Richter den Spielraum, den das Gesetz der Verwaltung einräume, allerdings akzeptieren. Damit war gemeint, dass der Richter eine Ermessensentscheidung der Verwaltung nur einer oberflächlichen Überprüfung unterziehen durfte, die sich auf die Beantwortung der Frage, ob die gesetzlichen Grenzen beachtet worden seien, beschränkte.237 Vor allem bei der Verwaltung stießen die Entwürfe-Loeff auf erheblichen Widerstand. Diese befürchtete Einbußen ihrer Macht und ihres Einflusses durch die neue Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die akademische Welt nahm Loeffs Ideen mit unterschiedlicher Resonanz auf. Sie war in der Frage, welche Organisationsform der Verwaltungsrechtsprechung die beste sei, unterschiedlicher Auffassung.238 232

Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, Deel I, 2002, S. 34. Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 36; Donner, Nederlands bestuursrecht, 1987, S. 314. 234 Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 314. 235 Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 315. 236 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 36. 237 Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 315. 238 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de Overheid, 2001, S. 10. 233

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1. Teil: Grundlagen

Der Amsterdamer Hochschullehrer Struycken (1875–1923) übte in seiner 1910 erschienen Schrift „Verwaltung oder Richter“ (Administratie of Rechter) scharfe Kritik an den Entwürfen-Loeff. Er lehnte jede Einmischung der Gerichtsbarkeit in Verwaltungsangelegenheiten ab. In diesem Punkt erinnern seine Ausführungen an die Vorstellungen der französischen Revolutionäre. Er begründete seine Auffassung dahingehend, dass in einer modernen Demokratie eine Gegenüberstellung von Staat und Bürger überholt sei. Den Streit um die Macht habe das Parlament gewonnen. Die Verwaltung sei dem Willen des Volkes und der parlamentarischen Kontrolle unterworfen. Furcht vor der Verwaltung sei unnötig. Sie sei ein Instrument des Volkeswillens und Überschreitungen ihrer Befugnisse könnten durch das Parlament rückgängig gemacht werden.239 Dafür sei ein Richter nicht notwendig. Verwaltungsgerichtsbarkeit sei sogar kontraproduktiv. Rechtsprechung könne nur dort effektiv sein, wo der Gesetzgeber zwingendes Recht, an das die Verwaltung gebunden sei, vorgesehen habe. Denn dieses sei objektiv überprüfbar. Im Falle der Anwendung von Ermessensvorschriften seien dem Richter die Hände gebunden. Er habe den der Verwaltung eingeräumten Entscheidungsspielraum zu respektieren. Hier sei das Verwaltungsverfahren sachgerechter.240 Loeff konnte sich mit seinen Ideen nicht durchsetzen. Man warf ihm vor allem vor, dass er sich nicht mit dem derzeit praktizierten System auseinander gesetzt habe, seine Entwürfe abstrakt und nicht in die Praxis umsetzbar seien.241 Die Entwürfe-Loeff gerieten zunächst in Vergessenheit und wurden 1937 durch den damaligen Justizminister Goseling, einen Schüler Struyckens, endgültig verworfen.242 Sie stellten einen Höhepunkt im Streit um die Einführung einer Verwaltungs­ gerichtsbarkeit dar.243 d) Untersuchungen zur sinnvollen Ergänzung des Rechtsschutzsystems durch die Kommission Koolen Im Jahr 1931 wurde unter dem damaligen Justizminister Donner erneut eine Kommission zum Verwaltungsrechtsschutz einberufen. Das nach seinem Vorsitzenden Koolen benannte Gremium sollte untersuchen, ob der bis dahin gegen 239 Struycken, Administratie of Rechter, Arnheim 1910; Verzamelde werken I; Struycken, Grondwetsherziening, Theorie en Praktiek, 1913, S. 208 ff.; Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 316. 240 Struycken, Grondwetsherziening, Theorie en Praktiek, 1913, S. 210; Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 37; ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de Overheid, 2001, S. 10; van der Brink, Geschichte der Verwaltungswissenschaften in Europa – Niederlande, S. 124. 241 Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 316. 242 Donner geht davon aus, dass es sich hier um die Ehrerbietung des Schülers an seinen Lehrer handelt, siehe Fn. 38 – Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 317. 243 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 37; ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de Overheid, 2001, S. 10; Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 317.

B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes 

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hoheitliches Handeln gewährte Rechtsschutz ausreiche oder einer Erweiterung bedürfe. Die Untersuchungen konzentrierten sich auf die Bereiche des Rechtsschutzes, die nicht einer Entscheidung durch Gerichte zugänglich waren, wie z. B. die Maßnahmen für die Rechtsschutz durch den Kroonberoep gewährt wurde. Die Kommission unterbreitete das Ergebnis ihrer Untersuchung unter dem Schlagwort „Ergänzung“. Nach ihrer Auffassung wies das Rechtsschutzsystem deutliche Lücken in den Bereichen auf, in denen Rechtsschutz ausschließlich durch die Verwaltung gewährt wurde. Sie schlug vor, die Lücken durch eine Umwandlung des Zentralen Raad van Beroep in ein höheres Verwaltungsgericht zu schließen. Dieses sollte für die Bearbeitung aller Verwaltungsmaßnahmen, gegen die keine Klage vor einem unabhängigen Richter möglich war, zuständig sein. Das betraf vor allem Maßnahmen, gegen die der Rechtsbehelf des Kroonberoep ge­ geben war. Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Klage vor dem Zentralen Raad van Beroep war in diesem Fall allerdings, dass die Krone bei ihrer Entscheidung von dem Votum des Staatsrates abgewichen war.244 In den Wirren der dreißiger Jahre fanden die Ergebnisse der Untersuchung kaum Beachtung. 4. Neuerungen nach dem Zweiten Weltkrieg Die Aufbruchstimmung der Nachkriegszeit fachte die Diskussion um den Verwaltungsrechtsschutz wieder an. Erneut wurden Kommissionen mit der Suche nach einer sinnvollen Ergänzung des bereits bestehenden Rechtsschutzsystems beauftragt. Ihre Tätigkeit führte zum Erlass des Gesetzes über die Anfechtung von Verwaltungsverfügungen (Wet beroep administratieve beschikkingen – Wet BAB) und später der Gesetze über allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit (Wet administratieve rechtspraak overheidsbeschikkingen – Wet AROB und Wet ob de Raad van State). a) Gesetz zur Anfechtung von Verwaltungsverfügungen Das Gesetz zur Anfechtung von Verwaltungsverfügungen geht auf die Untersuchungen der Kommission De Monchy zurück. Die im Jahr 1946 eingesetzte Kommission richtete ihr Hauptaugenmerk auf den durch den Kroonbereop gewährten Rechtsschutz. Sie befasste sich eingehend mit dem Entscheidungsvorschlag des Staatsrates und dessen Einfluss auf das Urteil der Krone. Ihre im Jahr 1950 ver 244 Koolen, Overzicht van de administratieve rechtspraak hier te lande in opdracht van de Commissie van Advies, ingesteld bij besluit van den minister van justitie van 13 februari 1931, inzake verhoogde rechtsbescherming tegenover de overheid/samengest. door de sub-commissie bestaande uit D. A. P. N. Koolen, J. van Gelein Vitringa en J. H. Scholten, ’s-Gravenhage: Algemeene Landsdrukkerij, 1932; Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S.  317 f.

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1. Teil: Grundlagen

öffentlichten Vorschläge blieben zunächst unbeachtet. Sie enthielten unter anderem den Entwurf für ein Gesetz über die Anfechtung von Verwaltungsverfügungen (Wet BAB) und für ein Gesetz über unrechtmäßige Handlungen der behördlichen Körperschaften (Wet onrechtmatige daden overheidslichamen – ODOL). Der erste Vorschlag führte zu dem Gesetz vom 20. Juni 1963 (Stb. 268) über die Anfechtung von Verwaltungsverfügungen vor der Krone (Wet BAB). Der zweite der beiden Vorschläge wurde von der Regierung verworfen. Zur Begründung führte sie aus, dass in diesem Bereich der bis dahin auf der Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuches durch die Zivilgerichte gewährte Rechtsschutz völlig ausreichend sei.245 aa) Anwendungsbereich des Wet BAB Das Gesetz über die Anfechtung von Verwaltungsverfügungen246 eröffnete eine Rechtsschutzmöglichkeit gegen Verfügungen der Zentralverwaltung, die sogenannte BAB-Beschwerde. Es handelte sich dabei um eine neue Form von Rechtsbehelfen an die Krone. Der Kroonberoep wurde auf alle Maßnahmen der Zentralverwaltung, die als „Beschikking“ erfolgt waren, ausgedehnt,247 nachdem er zunächst nur eingeriffen hatte, wenn das einschlägige Spezialgesetz eine entsprechende Regelung enthielt.248 Der Begriff Beschikking war in art. 2 des neuen Gesetzes249 legal definiert. Als Beschikking galt „die einseitige, nach außen gerichtete schriftliche Willenserklärung eines Verwaltungsorgans der Zentralverwaltung, die kraft einer auf einer staats- oder verwaltungsrechtlichen Norm beruhenden Befugnis oder Pflicht ergangen und auf die Feststellung, Änderung oder Aufhebung eines bestehenden Rechtsverhältnisses oder auf die Begründung eines neuen Rechtsverhältnisses oder auch auf die Weigerung einer solchen Feststellung, Änderung, Aufhebung oder Begründung eines Rechtsverhältnisses gerichtet ist“. Als Weigerung betrachtete man auch das Ausbleiben einer Verfügung entweder bis zum Ende des gesetzlichen Termins oder bis zum Ende eines vernünftigen Zeit-

245

Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 319. Gesetz vom 20. Juni 1963 über die Anfechtung von Verwaltungsverfügungen, Staatsblad Nr. 268. 247 Stroink, Kern van de bestuursrechtspraak, 2004, S. 51; Le Roy, Das niederländische Gesetz über die Anfechtung von Verwaltungsverfügungen vom 20. Juni 1963, ZaöRV 1965, S. 354. 248 Siehe oben die Ausführungen zum Kroonberoep unter 1. Teil, B. I. 2. c) bb) (3) (b). 249 Art. 2 lid 1 des BAB lautete: Unter Verfügung versteht dieses Gesetz die einseitige, nach außen gerichtete, schriftliche Willenserklärung eines Verwaltungsorgans einer Zentralbehörde, die aufgrund eienr staatsrechtlichen oder verwaltungsrechtlichen Vorschrift abgegeben worden und auf die Feststellung, Änderung oder Aufhebung eines bestehenden oder die Begründung eines neuen Rechtsverhältnisses oder auf die Verweigerung einer solchen Feststellung, Änderung oder Aufhebung oder Begründung gerichtet ist. 246

B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes 

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ablaufs, art. 3 Wet BAB250. Ein auf allgemeine Wirkung gerichteter Beschluss war keine Verfügung in diesem Sinne.251 bb) Rechtswidrigkeitsgründe nach dem Wet BAB Im Gegensatz zu der bisher praktizierten Form des Kroonberoep, durfte die Krone im Rahmen der BAB-Beschwerde lediglich eine Rechtmäßigkeitskontrolle durchführen. Das Gesetz enthielt hierzu in seinem art. 4 lid 1252 die zu prüfenden Rechtswidrigkeitsgründe.253 Den ersten Rechtswidrigkeitsgrund bildete die Verletzung des geschriebenen Rechts, das die Zuständigkeit der Behörde, das Verfahren und die Form der Verwaltungsentscheidung, sowie die Tatbestandsvoraussetzungen und den Inhalt der Maßnahme regelte. Der zweite Fall war französischen Ursprungs, das „detournement de pourvoir“. Dieser Rechtswidrigkeitsgrund war dann gegeben, wenn der von der Verwaltungsbehörde mit dem Verwaltungsakt verfolgte Zweck nicht mit dem von der Ermächtigungsgrundlage vorgesehenen Zweck übereinstimmte. Der dritte Rechtswidrigkeitsgrund lag vor, wenn das Verwaltungsorgan bei vernünftiger Abwägung der betroffenen Interessen die angefochtene Verfügung nicht hätte erlassen dürfen. Der vierte Rechtswidrigkeitsgrund behandelte eine Verletzung der Grundsätze der „guten Verwaltung“. Das betraf die Verletzung aller ungeschriebenen Rechtsregeln.254 Als weitere Neuerung blieb es der Krone überlassen, ob sie der Stellungnahme des Staatsrates folgen wollte oder nicht.255

250 Art. 3 des BAB lautete: Einer ablehnenden Verfügung steht die Weigerung, eine Verfügung zu erlassen gleich. Der Erlass einer Verfügung durch ein Verwaltungsorgan gilt als verweigert, wenn die für den Erlass einer Verfügung gesetzlich bestimmte Frist ergebnislos abgelaufen ist oder, falls das Gesetz eine Frist nicht vorsieht, innerhalb eines angemessenen Zeitraums eine Verfügung nicht erlassen wurde. 251 Langemeijer, Der gerichtliche Rechtsschutz des Einzelnen gegenüber der vollziehenden Gewalt in den Niederlanden, in: Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Max-Planck-Institut für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht, S. 799; Le Roy, Das niederländische Gesetz über die Anfechtung von Verwaltungsverfügungen vom 20. Juni 1963, ZaöRV 1965, S. 352 (354). 252 Art. 4 des BAB lautete: Die natürliche oder juristische Person, die durch eine Verfügung unmittelbar in ihren Interessen betroffen ist, kann Anfechtung erheben, falls: a. die Verfügung einer allgemeinverbindlichen Vorschrift zuwiderläuft; b. das Verwaltungsorgan bei dem Erlass der Verfügung seine Befugnisse offensichtlich zu einem anderen als dem vom Gesetz verfolgten Zweck ausgeübt hat; c. das Verwaltungsorgan bei vernünftiger Abwägung der betroffenen Interessen diese Verfügung nicht hätte erlassen dürfen; d. das Verwaltungsorgan sonst eine Verfügung erlassen hat, die einem in allgemeinen Rechtsbewusstsein wurzelnden Grundsatz ordnungsgemäßer Verwaltung zuwiderläuft. 253 Stroink, Kern van de bestuursrechtspraak, 2004, S. 51. 254 Fromont, Rechtsschutz im niederländischen Verwaltungsrecht, DÖV 1972, S. 405 (408 f.). 255 Fromont, Rechtsschutz im niederländischen Verwaltungsrecht, DÖV 1972, S. 405 (406).

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1. Teil: Grundlagen

cc) Mängel des Wet BAB Nach niederländischer Rechtsauffassung wies das Gesetz zwei wesentliche Mängel auf. Zum einen eröffnete es keinen Rechtsschutz gegen die Verfügungen der unteren administrativen Körperschaften, die den Bürger viel häufiger trafen, als die Verfügungen der zentralen Behörden. Zum anderen enthielt es keine Regelungen zu den Kompetenzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Die Regierung rechtfertigte dies dahingehend, dass die bisherige Erfahrung zeige, dass die ordentlichen Gerichte einen Antrag verwürfen, der in die Zuständigkeit eines besonderen Verwaltungsgerichts falle.256 b) Gesetze zur allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit Im Jahr 1968 wurde die Kommission Wiadra eingesetzt. Ihr Rapport bildete 1971 die Grundlage für das Nachfolgegesetz des BAB, das Gesetz zur Verwaltungsrechtsprechung über hoheitliche Verfügungen (Wet administratieve rechtspraak overheidsbeschikkingen – Wet AROB). Gleichzeitig mit dem Gesetz­ entwurf 11279 zum Wet AROB legte die Kommission den Gesetzentwurf 11280 zum Staatsratsgesetz (Wet op de Raad van State) vor. aa) Gesetzentwurf 11280 Der Gesetzentwurf 11280 enthielt die Änderungen des Staatsratsgesetzes, die zur Umsetzung des Wet AROB notwendig waren.257 Er sah zum einen die Einführung einer Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung beim Staatsrat mit dem Status eines unabhängigen Gerichts vor. Ihre einzige Aufgabe sollte in Verwaltungsrechtsprechung bestehen. Zum anderen war eine Verbesserung des Verfahrens vor der Krone geplant.258 Die Frist zur Entscheidung nach Abgabe des Vorschlags durch den Staatsrat wurde von 15 auf 9 Monate verkürzt. Bei Überschreitung dieser Frist wurde der Vorschlag des Staatsrates, von dem die Korne nach dem Wet BAB abweichen durfte, verbindlich.259 Das Gesetz wurde am 01. Mai 1975 (Stb. 284) verabschiedet.

256 Le Roy, Das niederländische Gesetz über die Anfechtung von Verwaltungsverfügungen vom 20. Juni 1963, ZaöRV 1965, S. 352 (363). 257 Punt, De wet AROB, enkele kanttekeningen, NJB 1976, S. 817 (819). 258 Punt, De wet AROB, enkele kanttekeningen, NJB 1976, S. 817. 259 van Kreveld, Arob: een fase in de ontwikkling van de rechtsbescherming, NJB 1975, S. 437 (445).

B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes 

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bb) Gesetzentwurf 11279 Beim Gesetzentwurf 11279 (Wet AROB) handelte es sich um eine Weiter­ entwicklung des Wet BAB. Die Überprüfung beschränkte sich auch weiterhin auf Verfügungen in Form einer Beschikking. Der Begriff Beschikking wurde allerdings neu definiert. Als Beschikking galt gem. art. 2 Wet AROB260 nun „die schriftliche Maßnahme einer Verwaltungsbehörde, die auf einen Rechtserfolg gerichtet ist“. Damit entspricht die Beschikking nach Wet AROB dem Verwaltungsakt im deutschen Verwaltungsrecht. Art. 3 Wet AROB261 stellte die Weigerung eine Ver­ fügung zu erlassen, einer Verfügung gleich, wobei auch die Untätigkeit der Verwaltung als Weigerung galt. Das neue Gesetz sollte subsidiären Charakter haben. Es war auf Ver­fügungen, gegen die aufgrund gesetzlicher Vorschrift ein anderer Rechtsbehelf offenstand oder dem Kläger offen gestanden hätte, nicht anwendbar.262 Als wesentliche Neuerung konnten nunmehr „beschikkingen“ der unteren Verwaltungsbehörden, wie Gemeinden, Provinzen und Wasserverbände, angegriffen werden. Sie mussten zunächst, ebenfalls eine Neuerung, ein verwaltungsinternes Vorverfahren mit einer Recht- und Zweckmäßigkeitsprüfung durchlaufen.263 Dem schloss sich das gerichtliche Verfahren vor dem Staatsrat mit einer Rechtmäßigkeitsprüfung an, wobei das Wet AROB die Prüfungskriterien des Wet BAB übernahm.264 Die Kompetenzen der Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung beim Staatsrat zur Entscheidung beschränkten sich auf die Klageabweisung, bei Stattgabe der Klage auf das Aufheben der Beschikking oder eine Zurückverweisung an das erlassende Verwaltungsorgan. Die Abteilung war nicht befugt z. B. eine zu Unrecht verweigerte Genehmigung selbst zu erteilen,265 wie das heute der Fall ist.266 Sie durfte 260 Art. 2 AROB lautete: 1. Unter Verfügung versteht dieses Gesetz den schriftlichen, auf irgendeine Rechtsfolge gerichteten Beschluss eines Verwaltungsorgans. 2. Keine Verfügung im Sinne dieses Gesetzes ist: a. ein Beschluss allgemeiner Art; b. eine Rechtshandlung nach bürgerlichem Recht. 261 Art. 3 AROB lautete: Die Weigerung eine Verfügung zu erlassen, steht einer Verfügung gleich. Der Erlass einer Verfügung durch ein Verwaltungsorgan gilt als verweigert, wenn die für den Erlass einer Verfügung gesetzlich festgelegte Frist abgelaufen ist, oder – mangels einer solchen Frist – wenn nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums eine Verfügung erlassen worden ist. (Übersetzung: Rothenbücher, Das niederländische Gesetz über die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 01. Mai 1975, ZaöRV 1977, S. 293.) 262 Rothenbücher, Das niederländische Gesetz über die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 01. Mai 1975, ZaöRV 1977, S. 281 (287); van Kreveld, Arob: een fase in de ont­ wikkling van de rechtsbescherming, NJB 1975, S. 437 (438). 263 Punt, De wet AROB, enkele kanttekeningen, NJB 1976, S. 817 (823). 264 van Kreveld, Arob: een fase in de ontwikkling van de rechtsbescherming, NJB 1975, S. 437 (439). 265 Punt, De wet AROB, enkele kanttekeningen, NJB 1976, S. 817 (819). 266 Siehe dazu die Ausführungen unter 3.Teil, A. VI. 1. d) dd).

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1. Teil: Grundlagen

das zuständige Verwaltungsorgan aber anweisen, innerhalb einer bestimmten Frist unter Beachtung des Ergebnisses der gerichtlichen Kontrolle neu zu entscheiden. Versäumte die Verwaltung die von der Abteilung vorgegebene Frist, führte dies zur Feststellung eines Anspruchs auf Schadensersatz durch die Abteilung.267 Das Wet AROB wurde am 01. Mai 1975 (Stb. 283) verabschiedet. Vor allem die nach wie vor uneinheitliche Regelung des Rechtsschutzes stieß auf Kritik.268 Aber auch der Umfang der Prüfungskompetenz der neuen Gerichtsbarkeit wurde bereits vor Erlass des neuen Gesetzes diskutiert. Es wurden Stimmen laut, die eine volle Überprüfung von Verwaltungsakten durch den Richter für nicht ausgeschlossen hielten. Man müsse zumindest darüber nachdenken. Bellin­ fante regte bereits im Jahr 1968 an, dem Richter die volle Prüfungskompetenz zu übertragen, ihm aber bei der Zweckmäßigkeitsprüfung Zurückhaltung aufzu­ erlegen.269 5. Das Ende des Kroonberoep Im Zuge der Verfassungsänderungen von 1983 erhielt der Kroonberoep in Art. 115 der niederländischen Verfassung270 eine verfassungsrechtliche Grundlage. Die Vorschrift ließ ein verwaltungsinternes Rechtsschutzverfahren ausdrücklich zu.271 Trotzdem verlor der Rechtsbehelf durch die Benthem-Entscheidung des EGMR, die im Jahr 1985 erging, seine Bedeutung. a) Der Fall Benthem Die Benthem-Entscheidung272 (Benthem-Arrest) beeinflusste die Entwicklung des niederländischen Verwaltungsrechtsschutzes nachhaltig. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erläuterte das Grundrecht auf Rechtsprechung in Verwaltungsangelegenheiten und untersuchte die Vereinbarkeit des Kroonberoep mit diesem Recht.

267

Punt, De wet AROB, enkele kanttekeningen, NJB 1976, S. 817 (819). Punt, De wet AROB, enkele kanttekeningen, NJB 1976, S. 817 (818). 269 Belinfante, Beleid beschouwd, 1969; so auch Timmermans, De administratieve rechter en beoordelingsvrijheden, Leuven 1973, S. 181 ff. 270 Art. 115 der Niederländischen Verfassung lautet: Ten aanzien van de in artikel 112, tweede lid, bedoelde geschillen kan administratief beroep worden opengesteld. – In Bezug auf die in Artikel 112, Absatz 2 bezeichneten Streitigkeiten ist Verwaltungsbeschwerde möglich. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 5. Aufl., 2000.) 271 Akkermans, de Grondwet, 1987, S. 925 ff. 272 Benthem-Arrest, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 23. Oktober 1985, AB 1986, 1; NJW 1987, S. 2141. 268

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aa) Sachverhalt Herr Benthem war Eigentümer eines Grundstücks, auf dem er eine Garage betrieb. Am 5. April 1976 beantragte er bei der für ihn zuständigen Gemeindeverwaltung die Genehmigung für den Betrieb einer Flüssig-Gas-Station zum Betanken von Motorrädern. Der Antrag wurde öffentlich ausgelegt, damit Bedenken vorgetragen werden könnten. Am 2. Juni 1976 erhoben drei Nachbarn Einwände wegen der möglichen Feuer- und Explosionsgefahr. Am 11. August 1976 erteilte die Verwaltung die Genehmigung verbunden mit einer Vielzahl von Auflagen. Gleichzeitig verwies sie auf einen Brief des Vorsitzenden der Arbeitsinspektion Groningen, aus dem hervorging, dass dieser mit dem Vorgehen einverstanden sei. Zuvor hatte der regionale Gesundheitsinspektor am 9. August 1976 die Behörde schriftlich angewiesen, die Genehmigung zu ver­ weigern, da nach seiner Ansicht die unmittelbare Nähe der Wohnhäuser ein zu großes Risiko berge. Am 17. September 1976 griff der regionale Gesundheitsinspektor die Genehmigung durch den Rechtsbehelf des Kroonberoep an. Hierüber informierten die Behörden Benthem am 6. Oktober 1976. Sie wiesen darauf hin, dass der Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung entfalte, Benthem seine Station also betreiben könne. Gleichzeitig erklärten sie, dass sie für eventuell entstehende finan­ zielle Einbußen nicht einstehen würden, falls die Genehmigung zurückgenommen werde. Am 8. Juni 1979 sprach die Abteilung für Verwaltungsrecht beim Staatsrat die Empfehlung aus, die Genehmigung einzuziehen. Ein Entscheidungsvorschlag war angefügt. Die Krone folgte dieser Empfehlung in ihrer Entscheidung vom 30. Juni 1979 und zog die Genehmigung ein. Als Begründung führte sie an, dass das von der Flüssiggasstation ausgehende Sicherheitsrisiko für die umliegenden Häuser zu hoch sei. Es könne durch Auflagen nicht eliminiert werden. Daraufhin forderten die örtlichen Behörden Benthem auf, seine Anlage zu schließen. Er legte gegen diese Maßnahme einen Rechtsbehelf ein, der am 13. Juni 1980 durch die Krone verworfen wurde. Durch einen weiteren Beschluss, der am 10. Oktober 1980 erging, sollten die örtlichen Behörden die Schließung der Station sicherstellen. Dieser wurde am 26. Juli 1982 auf Empfehlung der Abteilung für Verwaltungsrecht beim Staatsrat aus formellen Gründen aufgehoben. Benthem meldete im Februar 1984 Insolvenz an. bb) Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Nach Ausschöpfung des nationalen Rechtswegs wandte sich Benthem an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Er berief sich auf eine Verletzung der EMRK und forderte Schadensersatz. Die niederländische Regierung wider-

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1. Teil: Grundlagen

sprach dem. Sie sah im vorliegenden Fall keine Verletzung der Konvention gegeben. Der EGMR befasste sich im Zuge des Verfahrens mit zwei Problemkreisen. Er fragte zum einen, ob der Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK eröffnet sei und zum anderen, ob die niederländischen Rechtsbehelfe dessen Anforderungen genügten. (1) Eröffnung des Anwendungsbereichs des Art. 6 EMRK Bereits die Eröffnung des Anwendungsbereichs des Art. 6 EMRK273 war strittig. Die Vorschrift spricht in ihrem Abs. 1 von zivilen Rechten und Forderungen. Es bedürfte daher zunächst der Auslegung des Begriffs zivile Rechte. Benthem trug dazu vor, sowohl die ursprüngliche Genehmigung als auch deren Aufhebung durch die Krone hätten unmittelbar und entscheidend in seine beruf­ lichen Aktivitäten und vertraglichen Beziehungen eingegriffen und damit bürger­ liche Rechte i. S. d. Art. 6 EMRK beeinträchtigt. Die niederländische Regierung sah den Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK nicht eröffnet, da hier nur öffentliches Recht betroffen sei und kein Zivilrecht wie Art. 6 EMRK das fordere. Es ergäben sich keine Eingriffe in Berufs- und Eigentumsrechte, da es Benthem unbenommen sei, seine Garage zu betreiben und an einem anderen Ort Flüssiggas zu verkaufen, an dem keine Gefahr für die Nachbarschaft bestünde. Im Zuge der Benthem-Entscheidung entwickelte der EGMR Grundsätze zum Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK. Danach ergibt sich der zivile Charakter einer Streitigkeit nicht allein aus dem innerstaatlichen Recht des verantwortlichen Staates. Er muss aus einer Gesamtschau des geltenden Rechts innerhalb Europas hergeleitet werden. Art. 6 EMRK erfasst nicht nur privatrechtliche Streitigkeiten im überkommenen Sinn, d. h. Streitigkeiten zwischen 2 Individuen oder einem Individuum und dem Staat, wobei der Staat nicht in hoheitlicher Funktion auftritt. Entscheidend ist der Charakter des für die Streitfrage relevanten Rechts.274

273 Art. 6 Abs. 1 der EMRK lautet: Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muß öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privat­ lebens der Prozeßparteien es verlangen oder – soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält – wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde 274 Siehe dazu die Ausführungen im 2. Teil, A. II. 1. 

B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes 

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Diese Grundsätze wandte der EGMR auf den Fall Benthem an. Er entschied, ­ enthems dass die Genehmigung zum Betrieb der LPG Station eine Bedingung für B Betätigung als Geschäftsmann sei. Sie stehe in enger Verbindung mit dem Recht seinen Beruf im Einklang mit dem geltenden Recht auszuüben. Zudem habe eine derartige Genehmigung einen eigentumsähnlichen Charakter, da sie Dritten übertragen werden könne. Den Einwand der Regierung, Benthem habe kein Recht auf die Erteilung einer Genehmigung für den von ihm gewählten Ort, er könne die Lizenz für einen anderen Ort erhalten, ließ der EGMR nicht gelten. Eine derartige Veränderung, die eine neue Genehmigung erfordere, von der nicht sicher sei, dass sie erteilt werde, beeinflusse den Firmenwert und die Beziehung zu den Kunden. Sie wirke sich zudem negativ auf Benthem’s vertragliche Beziehungen zu Lieferanten aus. Das bestätige, dass eine direkte Beziehung zwischen der Genehmigung und allen kommerziellen Aktivitäten des Antragstellers bestehe. Daraus schloss der EGMR, dass vorliegend ein ziviles Recht betroffen und Art. 6 EMRK deshalb anwendbar sei. (2) Vereinbarkeit des angewendeten Verfahrens mit Art. 6 EMRK Im Weiteren überprüfte der EGMR die Vereinbarkeit des angewendeten Ver­ fahrens mit Art. 6 EMRK. Art. 6 EMRK fordert ein faires Verfahren vor einem unabhängigen, unparteilichen Gericht. Die Kontrolle konzentrierte sich dem zur Folge auf die beiden am Verfahren beteiligten Institutionen, die Abteilung für Verwaltungsstreitigkeiten beim Staatsrat und die Krone. (a) Die Abteilung für Verwaltungsstreitigkeiten beim Staatsrat Im Bezug auf die Abteilung für Verwaltungsstreitigkeiten beim Staatsrat war zu klären, ob diese die Voraussetzungen eines Tribunal im Sinne der EMRK erfüllte. Benthem trug vor, dass die Abteilung nur eine Empfehlung ausspreche. Es handle sich hier nicht um ein unabhängiges und unparteiliches Tribunal. In institu­ tioneller Hinsicht gehöre die Abteilung in den Zuständigkeitsbereich des Minis­ ters. Dieser könne sie bitten, den entworfenen Entscheidungsvorschlag noch einmal zu überdenken. Der Text der Empfehlung bleibe geheim. Er sei den Beteiligten nicht zugänglich. Es gebe auch keine Verpflichtung der Abteilung die Angelegenheit innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu bearbeiten. Die niederländische Regierung vertrat demgegenüber die Auffassung, dass die Abteilung die Anforderungen des Art. 6 EMRK erfülle. Dazu müsse man aller­ dings den Hintergrund des Verfahrens beleuchten. Die Abteilung erhalte, obwohl sie nicht entscheiden dürfe, nicht nur von den rechtlichen Fragen Kenntnis, sondern erfahre alle Details des Falls. Tatsächlich arbeite sie wie ein Gericht und der Minister übernehme nur in wenigen Fällen ihren Entscheidungsvorschlag nicht.

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1. Teil: Grundlagen

Diese Auffassung teilte der EGMR nicht. Er räumte ein, dass bei der Entscheidung, ob die Konvention verletzt sei, der Hintergrund der Abteilung Verwaltungsrecht beim Staatsrat zu berücksichtigen sei. Man müsse hier die Begrifflich­keiten genauso wie die tatsächliche Situation beachten. Doch habe die Entscheidung der Abteilung nicht den gleichen Stellenwert, wie die Entscheidung eines Tribunals. Denn die Abteilung unterbreite lediglich einen Vorschlag. Obwohl die Krone in der Mehrzahl ihrer Entscheidungen dem Vorschlag der Abteilung folge, sei dieser doch unverbindlich. Die Krone könne jederzeit davon abweichen. Deshalb erfülle das Verfahren vor der Abteilung nicht die Voraussetzungen, die Art. 6 Abs. 1 EMRK an ein Tribunal stelle. (b) Die Krone Im Bezug auf den Rechtsschutz durch die Krone war zu klären, ob der Kroonberoep die Anforderungen eines gerichtlichen Verfahrens erfüllt. Benthem vertrag die Auffassung, dass es sich nicht um ein gerichtliches sondern um ein Verwaltungsverfahren handle, da sowohl eine Recht- als auch eine Zweckmäßigkeitsprüfung erfolge. Zudem entscheide eine Verwaltungsbehörde. Denn die übergeordnete Behörde des regionalen Gesundheitsinspektors, der im Kroonbereop als Rechtsbehelfsführers aufgetreten sei, sei die Generalinspektion für Umweltschutz. Sie sei für die Bearbeitung von Beschwerden an die Krone, die diesen Bereich betreffen, zuständig. Damit obliege erneut die Entscheidung dem Minister und nicht unabhängigen und unparteilichen Experten. Die Regierung entgegnete, die Krone übe eine Funktion aus, die im Wesentlichen gerichtlicher Natur sei. Sie halte sich zu meist an die Vorschläge des Staatsrates. Das habe sie auch in diesem Fall getan. Zudem seien der Regionale Inspektor und der Minister, der für die Bearbeitung der Beschwerden zuständig sei, nicht voneinander abhängig. Der EGMR entschied, es treffe zwar zu, dass die Krone gewöhnlich den Vorschlägen des Staatsrates folge, aber die EMRK fordere mehr als das. Der Begriff Tribunal bezeichne Spruchkörper, die über grundlegende gemeinsame Merkmale verfügen, von denen die wichtigsten Unabhängigkeit und Unparteilichkeit sowie die Garantie eines gerichtlichen Verfahrens seien. Der Kroonberoep, bei dem die Krone als Oberhaupt der Exekutive eine Entscheidung treffe, sei formal gesehen ein Akt der Verwaltung, der von einem Minister ausgehe, der dem Parlament verantwortlich sei. Darüber hinaus sei der Minister oberster Dienstherr des Gesundheitsinspektors und des Inspektors, der das technische Gutachten für den Staatsrat angefertigt habe. Dem zur Folge sei der Kroonberoep kein Verfahren vor einem unabhängigen Gericht i. S. d. Art. 6 Abs. 1 EMRK

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cc) Erkenntnisse der Benthem-Entscheidung Die Benthem-Entscheidung enthielt zwei wichtige Erkenntnisse für den Verwaltungsrechtsschutz in den Niederlanden. Der EGMR äußerte sich zum einen zum Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK. Er machte deutlich, dass Art. 6 EMRK nicht nur zivile Rechte im überkommenen Sinn erfasst, sondern dass unter bestimmten Voraussetzungen auch Maßnahmen der Verwaltung in den Schutzbereich des Art. 6 EMRK einzubeziehen sind. Diese Grundsätze sind maßgeblich für die Rechtsweggarantie in den Niederlanden.275 Zum anderen stellte der EGMR fest, dass der in den Niederlanden bis dahin gegen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt gewährte Rechtsschutz nicht ausreichte. Er öffnete damit endgültig die Tür für eine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Niederlanden. b) Folgen der Benthem-Entscheidung für den Rechtsschutz in den Niederlanden Der Rechtsbehelf des Kroonberoep blieb zunächst bestehen. Zusätzlich wurde die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung eröffnet. Bis zum Jahr 1986 hatte die Zivilgerichtsbarkeit die Auffassung vertreten, ihrer Zuständigkeit ende dort, wo es um Handlungen der Verwaltung gehe, für die der Kroonbereop offenstehe. Nach 1986 konnte sich jeder Bürger, der mit dem Ergebnis eines ihn betreffenden Kroonberoep unzufrieden war, anschließend an die Zivilgerichte wenden.276 Im Jahr 1987 wurde das „Tijdelijke Wet Kroongeschillen“ (Stb, 317; einmal verlängert bis zum 01.01.1994, Stb 192, 390) eingeführt. Es machte den Staatsrat zum administrativrichterlichen Kollegium, soweit es sich um „beschikkingen“ handelte. Diese Regelung galt bis zum Erlass des Allgemeinen Verwaltungsgesetzes (Algemene wet bestuursrecht – Awb) im Jahr 1994, dessen Einführung mit einer grundlegenden Überarbeitung der Funktionen des Staatsrates verbunden war. Aus der Abteilung für Verwaltungsstreitigkeiten beim Staatsrat und der Abteilung Rechtsprechung wurde die Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung beim Staatsrat (ABRvS).277

275

Siehe dazu die Ausführungen im 2. Teil, A. II. 1. a). van Ballegooij/Bruil/Kleijn/Schilder, Bestuursrecht in het Awb-Tijdperk, 1997, S. 177. 277 den Boer, Wet op de Raad van State, 2008, S. 12. 276

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1. Teil: Grundlagen

II. Besondere Verwaltungsgerichtsbarkeit Zu Beginn des 20. Jahrhunderts standen dem Bürger zwei Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung. Eine Reihe von Gesetzen wies den Kroonberoep als Rechtsschutzmöglichkeit aus. Dort wo kein Kroonberoep vorgesehen war, blieb dem Bürger nur der Gang zu den Zivilgerichten, um dort seine Rechte im Rahmen eines Amtshaftungsprozesses geltend zu machen.278 Die besondere Verwaltungsgerichtsbarkeit entwickelte sich unbeeindruckt von der Diskussion über die Ausgestaltung des Verwaltungsrechtsschutzes zwischen 1900 und 1940. Es handelte sich dabei um eine eigenständige Gerichtsbarkeit für die Sachgebiete Sozialrecht, Beamtenrecht und Steuerrecht. Die besonderen Verwaltungsgerichte, sogenannte administratiefrechterlijke colleges, zeichneten sich durch die Beteiligung von Laien aus, die über keine juristische Kenntnisse verfügten. Die Laienrichter wurden nicht wie Berufsrichter auf Lebenszeit ernannt, sondern nur für einen bestimmten Zeitraum. Ziel der Besetzung mit Laien war ein effektiver Rechtsschutz für einen bestimmten Sachbereich durch besondere Sachkenntnisse der Richter in diesem Sachbereich. Als weiteres Auswahlkriterium diente die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengruppe, wie z. B. Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei Entscheidungen im Sozialrecht.279 Auf diese Weise sollten die Besonderheiten des jeweiligen Fachbereichs bei Art und Umfang der gerichtlichen Prüfung ausreichend berücksichtigt werden.280 1. Sozialgerichtsbarkeit Das erste Gesetz, das Rechtsschutz durch ein „administratiefrechtlijk college“, den Berufungsrat (Raad van Beroep), gewährte, war das Berufungsgesetz (be­ roepswet)281 von 1902.282 Den äußeren Anstoß zum Erlass des Gesetzes gab die Verabschiedung des Unfallversicherungsgesetzes (Ongevallenwet) 1901, einem Pflichtversicherungsgesetz zur sozialversicherungsrechtlichen Abwicklung von Arbeitsunfällen.283 Es handelte sich dabei um eine Unfallversicherung für Lohnarbeiter.284 Die Ausführung des Gesetzes wurde der Reichsversicherungsbank über-

278

Stroink, Kern van de bestuursrechtspraak, 2004, S. 45. Siehe in diesem Kapitel unter II. 1. 280 Schreuder-Vlasblom, De macht der kritiek, 1987, S. 105. 281 08.12.1902, Stb. 208; das Gesetz wurde abgelöst durch das Gesetz vom 02.02.1955, Stb. 47. 282 Das Berufungsgesetz von 1902 wurde durch das Berufungsgesetz von 1955 abgelöst. Donner, Nederlands bestuursrecht, 1987, S. 325. 283 Rothenbücher, Verwaltungsrechtsschutz in den Niederlanden, 1978, S. 22. 284 Langemeijer, Der gerichtliche Rechtsschutz des Einzelnen gegen die vollziehende Gewalt in den Niederlanden, in: Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Max-Planck-Institut für Aus­ ländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht, 1970, S. 796. 279

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tragen. Die Reichsversicherungsbank legte sowohl die Höhe der zu zahlenden Versicherungsprämie als auch die Höhe einer Abfindung oder Entschädigung fest. Als Rechtsschutzmöglichkeit gegen die Entscheidung dieser Behörde hatte man im Gesetzentwurf den Kroonberoep vorgesehen. Dieser bot jedoch nach Ansicht des Parlaments keine ausreichende Garantie für eine sachgerechte Entscheidung, da das die Krone beratende Organ, die Abteilung für Verwaltungs­ angelegenheiten beim Staatsrat, ausschließlich aus Juristen bestand. Eine sachgerechte Entscheidung sei nur von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu erwarten. Deshalb schuf man ein besonderes Verwaltungsgericht, den Raad van Beroep, dessen Besetzung zunächst umstritten war.285 Die Vorschläge im Parlament reichten von einer Besetzung durch Laien bis hin zu einer rein juristischen Besetzung. Gegen die ausschließliche Besetzung mit Laien sprach deren Mangel an juristischen Kenntnissen. Sie konnten lediglich eine Billigkeitsentscheidung treffen. Einem ausschließlich mit Juristen besetzten Gericht fehlte die Sachkunde. Deshalb entschied man sich für den Mittelweg. Vorsitzender des Colleges sollte ein von der Krone ausgewählter Berufsrichter sein, der die Einhaltung der Gesetze überwachte. Der Rest der Kammer sollte sich im Falle der Betriebsunfallversicherung je aus einem Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammensetzen. Die jeweilige Besetzung der Kammer wurde aus einem Pool von Laienrichtern mit der not­ wendigen Qualifikation ausgelost. Als Berufungskammer fungierte der Zentrale Berufungsrat (Centrale Raad von Beroep,) ein ausschließlich mit Richtern auf Lebenszeit besetztes Gremium.286 2. Finanzgerichtsbarkeit Durch Gesetz vom 19. Dezember 1914 (Stb. 564) wurde die Finanzgerichts­ barkeit, durch Einrichtung von insgesamt 19 nur für die direkten Steuern zuständigen Berufungsräten, eingeführt.287 Auch bei diesen Berufungsräten handelte es sich um unabhängige Gerichte. Sie bestanden aus drei Mitgliedern. Je ein Mitglied wurde vom Provinzialausschuss, dem örtlich zuständigen Landgericht und dem Finanz­minister ernannt.288 Die Aufgaben der zweiten Instanz übernahm das höchste Gericht der Niederlande, der Hoge Raad. Ihm wurde zu diesem Zweck ein dritter Senat angegliedert. Durch das Gesetz vom 17. Mai 1956 (Stb. 323) wurde das Gesetz von 1914 aufgehoben.289 Seitdem bilden besondere Kammern (belas 285 Schreuder-Vlasblom, De macht der kritiek, 1987, S. 108 f.; Widdershoven, ­Gespecialiseerde rechtsgangen in het administratieve recht, 1989, S. 65. 286 Schreuder-Vlasblom, De macht der kritiek, 1987, S. 113. 287 Rothenbücher, Verwaltungsrechtsschutz in den Niederlanden, 1978, S. 23. 288 Rothenbücher, Verwaltungsrechtsschutz in den Niederlanden, 1978, S. 23. 289 Langemeijer, Der gerichtliche Rechtsschutz des Einzelnen gegen die vollziehende Gewalt in den Niederlanden, in: Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Max-Planck-Institut für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht, 1970, S. 797.

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tingskamer) der Gerichtshöfe (Oberlandesgerichte) die erste Instanz in Steuer­ sachen. Gegen ihre Entscheidung kann beim Hohen Raad Revision eingelegt werden. 3. Beamtengerichtsbarkeit Im Zuge des Beamtengesetzes vom 12. Dezember 1929 (Stb. 530) erhielten die Niederlande eine Beamtengerichtsbarkeit, die aus zwei Instanzen bestand.290 Hinsichtlich der Organisation dieser Gerichte knüpfte der Gesetzgeber an die Sozial­ gerichtsbarkeit an. Die Vorsitzenden des Berufungsrates fungierten gleichzeitig als Vorsitzende des Beamtengerichtes. Ihnen standen zwei Beisitzer zur Seiten, die von den Beamtenorganisationen empfohlen und auf 6 Jahre bestellt wurden. Als Berufungsinstanz trat der Zentrale Berufungsrat auf. Seit der großen Gesetzes­ revision im Jahr 1984 gelten die im AROB kodifizierten Klagegründe auch für das Beamtenrecht. Disziplinarmaßnahmen können zudem wegen Unverhältnismäßigkeit angefochten werden.291

III. Das allgemeine Verwaltungsgesetz Wie in Deutschland unterscheidet man in den Niederlanden zwischen allgemeinem und besonderem Verwaltungsrecht. Das besondere Verwaltungsrecht enthält spezielle Regelungen für einzelne Tätigkeiten der Verwaltung, z. B. Baurecht (Woning­wet), das allgemeine Verwaltungsrecht demgegenüber Normen und Grundsätze, die in allen Bereichen des Verwaltungshandelns gleichermaßen Geltung beanspruchen. Das wichtigste Gesetz des allgemeinen Verwaltungsrechts in den Niederlanden ist das Allgemeine Verwaltungsgesetz (Algemene wet bestuursrecht, Awb). Es enthält alle Regelungen zum allgemeinen Verwaltungs-, Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht. Damit entspricht es VwVfG und VwGO in der deutschen Rechtsordnung.

290

Widdershoven, Gespecialiseerde rechtsgangen in het administratieve recht, 1989, S. 80. Donner, Nederlands bestuursrecht, algemeen deel, 1987, S. 327.

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B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes 

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1. Grundlagen in der niederländischen Verfassung Art. 107 lid 2 der niederländischen Verfassung292 fordert den Gesetzgeber auf, allgemeine verwaltungsrechtliche Vorschriften zu erlassen. Man bezeichnet die Norm deshalb auch als den Kodifikationsartikel.293 Er wurde im Rahmen der Überarbeitung von 1983 in die niederländische Verfassung aufgenommen. Im Gegensatz zu Zivil- und Strafrecht, für die die Verfassung die Ausfertigung allgemeiner Gesetzbücher vorgibt, beschränkt sie sich im Verwaltungsrecht auf den Erlass allgemeiner Vorschriften. Allgemein bedeutet, dass in diesem Gesetzbuch Defini­ tionen, Grundsätze und Regelungen kodifiziert werden sollten, die grundsätzlich für alle Bereiche des Verwaltungsrechts maßgebend sind.294 Durch die Verwendung des Begriffs Vorschriften wollte der Gesetzgeber ausdrücken, dass in diesem Rechtsgebiet Raum für Gesetzgebungsakte der Exekutive verbleiben muss.295 Die Exekutive soll die Möglichkeit haben, ihre Angelegenheiten durch rechtsetzende Tätigkeit in ihrem Sinne zu regeln.296 Dementsprechend enthält das Allgemeine Verwaltungsgesetz nur allgemeine Vorschriften. Es ist formelles Gesetz und Rahmenvorschrift. Die Befugnis zur Gesetzgebung leitet der Gesetzgeber aus. Art. 81 der Niederländischen Verfassung297 ab. Dadurch, dass die Vorschriften des All­ gemeinen Verwaltungsgesetzes allgemein gehalten sind, können sie den Rahmen für die konkretisierende Rechtsetzung der Exekutive bilden. Die Exekutive füllt durch eigene Rechtsetzung diesen Rahmen aus.298 Mit der Einbeziehung des Prozessrechts in das Allgemeine Verwaltungs­gesetz ging der Gesetzgeber über den Auftrag der Verfassung in Art. 107 Abs. 2 hinaus. Diese sieht lediglich das Aufstellen allgemeiner Regeln, nicht das Aufstellen pro 292 Art. 107 der Niederländischen Verfassung lautet: 1. De wet regelt het burgerlijk recht, het strafrecht en het burgerlijk en strafprocesrecht in al­ gemene wetboeken, behoudens de bevoegdheid tot regeling van bepaalde onderwerpen in afzonderlijke wetten. 2. De wet stelt algemene regels van bestuursrecht vast.

1. Das Bürgerliche Recht, das Strafrecht, das Zivilprozessrecht und das Strafprozessrecht sind in allgemeinen Gesetzbüchern geregelt; bestimmte Gegenstände können in gesonderten Gesetzen geregelt werden. 2. Das Gesetz enthält allgemeine verwaltungsrechtliche Vorschriften. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 5. Aufl., 2000, S. 308.) 293 Koekkoek, de Grondwet, een systematisch en artikelsgewijs commentaar, 2000, S. 508. 294 van Kreveld/van der Veen, Systeem en algemene begrippen van de Algemene wet bestuurs­ recht, S. 4. 295 Kammerstukken II 1978/79, 15 046, nr. 3, p. 6–7. 296 van Kreveld/van der Veen, Systeem en algemene begrippen van de Algemene wet bestuurs­ recht, S. 12. 297 Art. 81 der Niederländischen Verfassung lautet: De vaststelling van wetten geschiedt door de regering en de Staten-Generaal gezamenlijk. – Gesetze werden von der Regierung und den Generalstaaten gemeinsam erlassen. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 5. Aufl., 2000.) 298 van Kreveld/van der Veen, Systeem en algemene begrippen van de Algemene wet bestuurs­ recht, S. 12.

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1. Teil: Grundlagen

zessualer Regeln, wie das in Art. 107 Abs. 1 für Zivil- und Strafrecht der Fall ist, vor. Die Einbeziehung des Prozessrechts erfolgte aus Zweckmäßigkeitsgründen. Im allgemeinen (bezwaar) und besonderen Vorverfahren (administratief beroep) stehen materielles Recht und Verfahrensrecht häufig in einem engen Zusammenhang. Eine Zuordnung zum einen oder anderen Bereich ist oft schwierig, da die Exekutive bei ihrer Entscheidung im Verwaltungsverfahren eigene Aufgaben und Befugnisse wahrnimmt.299 Das Klageverfahren vor den Verwaltungsgerichten weist zudem häufig Parallelen zu den verwaltungsinternen Verfahren auf. Deshalb erschien es dem Gesetzgeber angebracht, auch dieses in das neue Gesetzbuch aufzunehmen.300 2. Die Entstehung des Allgemeinen Verwaltungsrechts Im Jahr 1983 wurde die „Kommission Scheltema“ eingesetzt und mit der Erarbeitung eines Gesetzentwurfes auf der Grundlage des Art. 107 Abs. 2 der niederländischen Verfassung beauftragt. Die Kommission schlug vor, das Gesetz nach und nach in sogenannten Tranchen zu erlassen.301 Das ermöglichte dem Gesetzgeber, für einige Teilgebiete des Verwaltungsrechts zügig Vorschriften zu schaffen, andere später zu regeln. Gleichzeitig bleibt die Möglichkeit, auf neue Entwicklungen zu reagieren. So entstand ein Ergänzungsgesetz (aanbouwwet), das seine endgültige Form auch im Jahr 2010 noch nicht erreicht hat. Die Kommission legte den Entwurf für die erste Tranche 1987, für die dritte Tranche 1991 und für die vierte Tranche 1999 vor. Die zweite Tranche entstand unter Federführung des Justiz-und des Innenministeriums.302 Die ersten beiden Tranchen traten am 1. Januar 1994 in Kraft. Sie enthielten die Kapitel 1, 2 (teilweise), 3, 4 (teilweise), 6, 7, 8, 9. Man beschränkte sich zunächst auf die Definitionen der wichtigsten Begriffe303, wie den Klagebefugten (belanghebbende) oder die Verwaltungsmaßnahme (besluit) in Kapitel 1 und 2 und auf die Regelung von Handlungen der Behörden in Kapitel 3 und 4, wie die Vorbereitung einer Verwaltungsmaßnahme, sowie auf den Rechtsschutz in Kapitel 6, 7 und 8. In Kapitel 9 waren Übergangs – und Schlussbestimmungen niedergelegt. Am 1. Januar 1998 trat die dritte Tranche des Awb in Kraft. Durch sie wurden bereits bestehende Regelungen weiter verfeinert und vervollständigt und die Kapitel 5 und 10, die jedoch beide ihre endgültige Form aber immer noch nicht er 299

van Kreveld/van der Veen, Systeem en algemene begrippen van de Algemene wet bestuurs­ recht, S. 12. 300 van Kreveld/van der Veen, Systeem en algemene begrippen van de Algemene wet bestuurs­ recht, S. 13. 301 van Kreveld/van der Veen, Systeem en algemene begrippen van de Algemene wet bestuurs­ recht, S. 20. 302 van Kreveld/van der Veen, Systeem en algemene begrippen van de Algemene wet bestuurs­ recht, S. 20. 303 Diese Definitionen gelten im gesamten Verwaltungsrecht, nicht nur im Awb.

B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes 

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langt haben, neu eingefügt. Das Allgemeine Verwaltungsgesetz wurde erweitert um Regelungen zu Verwaltungsvorschriften und Subventionen in Kapitel 4, deren Handhabung in Kapitel 5, sowie um Regeln zur behördlichen „Aufsicht“, Auftrag (mandat) und Übertragung (delegatie) hoheitlicher Befugnisse304 in Kapitel 10.305 Zwischen den einzelnen Tranchen gab es kleinere Änderungen und Einfügungen in das Awb. So trat z. B. zum 1. Juli 1999 das Kapitel 9 zur Verfahrensweise bei Klagen in Kraft, am 12. März 2002 das Gesetz über die Kosten des verwaltungsrechtlichen Vorverfahrens, was zu Änderungen in den art. 7:15306 und 7:28 Awb307 führte.308 Der Gesetzentwurf zur vierten Tranche des Allgemeinen Verwaltungsgesetzes wurde der 2. Kammer im Juli 2004 zugeleitet. Er umfasste im Wesentlichen drei Projekte, verwaltungsrechtliche Geldschulden (Subventionen) (Titel 4.4), Zwangsmaßnahmen der Verwaltung, insbesondere das Bußgeldverfahren (Titel 5.1 und 5.4) und die Zuweisung hoheitlicher Aufgaben an Beamte (10.1.3). Die Umsetzung dieser Vorhaben zog Änderungen bereits bestehender Vorschriften nach sich.309 Die vierte Tranche trat am 1. Oktober 2009 in Kraft treten.310 Auf lange Sicht ist eine fünfte Tranche geplant.311 304

Siehe dazu die Ausführungen im 4. Teil unter A. I. 2. b). Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 18. 306 Art. 7:15 Awb lautet: 1. Voor de behandeling van het bezwaar is geen recht verschuldigd. 2. 2. De kosten, die de belanghebbende in verband met de behandeling van het bezwaar redelijkerwijs heeft moeten maken, worden door het bestuursorgaan uitsluitend vergoed op verzoek van de belanghebbende voorzover het bestreden besluit wordt herroepen wegens aan het bestuursorgaan te wijten onrechtmatigheid. Art. 243, tweede lid, van het Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering is van overeenkomstige toepassing. 3. Het verzoek wordt gedaan voordat het bestuursorgaan op het bezwaar heeft beslist. Het bestuursorgaan beslist op het verzoek bij de beslissing op het bezwaar. 4. Bij algemene maatregel van bestuur worden nadere regels gesteld over de kosten waarop de vergoeding uitsluitend betrekking kan hebben en over de wijze waarop het bedrag van de kosten wordt vastgesteld. 305

1. Die Bearbeitung des Rechtsbehelfs im Vorverfahren erfolgt kostenfrei. 2. Die Kosten, die dem Betroffenen im Zusammenhang mit der Bearbeitung des Rechtsbehelfs im Vorverfahren billigerweise entstanden sind, werden von dem Verwaltungsorgan auf Antrag des Betroffenen nur erstattet, wenn die angegriffene Maßnahme zu Lasten der Ver­ waltung wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben wird. Art. 243 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches findet übereinstimmende Anwendung. 3. Der Antrag ist zu stellen, bevor das Verwaltungsorgan abschließend entscheidet. Die Entscheidung über den Antrag ergeht gemeinsam mit der Entscheidung über den Rechtsbehelf. 4. Durch für die Verwaltung allgemeinverbindliche Vorschriften werden nähre Regelungen über die ausschließlich zu erstattenden Kosten und über die Art der Kostentragung getroffen. 307 Der Wortlaut des art. 7:28 Awb stimmt mit dem des art. 7:15 Awb überein. Art. 7:15 betrifft das allgemeine Vorverfahren, art. 7:28 Awb das besondere. 308 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 18. 309 www.ibr.nl/wetgevingvervolg.asp?DID=79&Dname=Vierde%20tranche%20. 310 www.justitie.nl/awb; auf der Homepage des Niederländischen Justizministeriums kann man sich stets über den aktuellen Stand der Gesetzgebung informieren. 311 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 9.

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1. Teil: Grundlagen

3. Die Bedeutung des Allgemeinen Verwaltungsgesetzes Mit dem Erlass des Allgemeinen Verwaltungsgesetzes verfolgte der Gesetz­ geber mehrere Ziele.312 In erster Linie sollte es der Vereinheitlichung des Verwaltungsrechts dienen. Es gab in den verschiedenen Gesetzen des besonderen Verwaltungsrechts eine Vielzahl von Spezialvorschriften. Diese wurden durch eine einheitliche Regelung im Allgemeinen Verwaltungsgesetz ersetzt. Ein Beispiel bildet das Vorverfahren. Nahezu jedes Gesetz des besonderen Verwaltungsrechts enthielt eigene Vorschriften zum Verwaltungsverfahren. Im Allgemeinen Verwaltungsgesetz schuf der Gesetzgeber einen einheitlichen Rechtsbehelf, das allgemeine Vorverfahren (bezwaar). Das führte, mit wenigen Ausnahmen,313 zur Aufhebung der bis dahin in den Gesetzen des besonderen Verwaltungsrechts verstreuten Regelungen zum Vorverfahren. Die Bedeutung des allgemeinen Vorverfahrens ist der des deutschen Widerspruchsverfahrens vergleichbar. Seine Durchführung ist grundsätzlich Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage.314 Ebenso verfuhr man mit den Vorschriften zum Verwaltungszwang.315 Das Allgemeine Verwaltungsgesetz sollte zu Systematisierung und Vereinfachung der verwaltungsrechtlichen Gesetzgebung beitragen und dadurch Bürger und Rechtsanwender das Verständnis des Verwaltungsrechts erleichtern. Diesem Ziel trägt es zum einen durch seinen streng systematischen und übersichtlichen Aufbau Rechnung. Zum anderen stellt es Zusammenhänge innerhalb der verwaltungsrechtlichen Gesetze her.316 Ein Teil der bisher ungeschriebenen Rechtsregeln,317 wie z. B. die allgemeinen Grundsätze einer ordnungsgemäßen Verwaltung (algemene beginselen van behoor­ lijk bestuur),318 wurde inhaltlich unverändert als gesetzliche Vorschriften in das Allgemeine Verwaltungsgesetz aufgenommen. Der Gesetzgeber sah es im Interesse der Rechtssicherheit als notwendig an, einzelne dieser Regeln zu kodifizieren.319

312 Daalder/de Groot, Parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Erste tranche (wet van 4 juni 1992, Stb.315), 1993, S. 18 -23. 313 Die Gesetze, die als Rechtsbehelf im Verwaltungsverfahren eine Verwaltungsklage (ad­ ministratief beroep) vorsahen, behielten ihre Regelungen bei. Siehe dazu die Ausführungen im 2. Teil, E. II. 314 Zu den Ausnahmen siehe 2. Teil, E. I. 1. c) bb), cc) und dd). 315 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 19. 316 van Kreveld/van der Veen, Systeem en algemene begrippen van de Algemene wet bestuurs­ recht, S. 14. 317 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 19. 318 Nähere Ausführungen dazu unter Teil 4, A. II. 1.; die allgemeinen Grundsätze rechtmäßiger Verwaltung wurden durch die Rechtsprechung entwickelt bzw. durch die Kommission De Monchy eingeführt und waren zunächst ungeschriebenes Recht. 319 van Kreveld/van der Veen, Systeem en algemene begrippen van de Algemene wet bestuurs­ recht, S. 14.

B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes 

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Im Rahmen der Kodifikation arbeitete der Gesetzgeber allgemeine Grundsätze des Verwaltungsrechts heraus und regelte sie einheitlich, so die in art. 2:3 Awb320 niedergelegte Pflicht der Verwaltung, Dokumente wie z. B. die zu einem Beschwerdeverfahren gehörende Beschwerdeschrift,321 die bei einer unzuständigen Behörde eingegangen sind, an die zuständige weiterzuleiten.322 Darüber hinaus hatte der Gesetzgeber auch gesellschaftspolitische Gesichtspunkte, wie z. B. die Veränderung des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger, zu berücksichtigen. Während das Staat-Bürgerverhältnis früher durch strenge Überund Unterordnung geprägt war, trägt es seit einigen Jahren Züge eines partnerschaftlichen Verhältnisses. So darf der Bürger heute bei den Vorbereitungen zum Erlass einer Einzelfallmaßnahme, die ihn betrifft, mitwirken, indem er seine durch die Maßnahme betroffenen Belange anmeldet. Sofern er auf Verlangen der Behörde die von ihm vorgetragenen Tatsachen nachweisen kann, hat die Verwaltung diese in den dem Erlass der Verwaltungsmaßnahme vorausgehenden Abwägungsprozess einzustellen und entsprechend zu berücksichtigen. Kommt der Bürger seiner Nachweispflicht jedoch nicht nach, so darf die Behörde den Belang des Bürgers bei ihrer Entscheidung außer acht lassen, art. 4:5 lid 1 a. Awb323.324 Durch die Berücksichtigung seiner Belange wird die Rechtsposition des Bürgers gestärkt und gleichzeitig werden die Zweckmäßigkeitserwägungen der Verwaltung durch die zusätzlich gewonnenen Informationen aufgewertet.325

320

Art. 2:3 Awb lautet: 1. Het bestuursorgaan zendt geschriften tot behandeling waarvan kennelijk een ander bestuurs­ orgaan bevoegd is, onverwijld door naar dat orgaan, onder gelijktijdige mededeling daarvan aan de afzender. 2. Het bestuursorgaan zendt geschriften die niet voor hem bestemd zijn en die ook niet worden doorgezonden, zo spoedig mogelijk terug aan de afzender. 1. Das Verwaltungsorgan leitet Schriftsätze für deren Bearbeitung, erkennbar ein anders Verwaltungsorgan zuständig ist, unverzüglich an das zuständige Organ unter Bekanntgabe an den Absender weiter. 2. Das Verwaltungsorgan schickt Schriftsätze die weder für es selbst bestimmt noch weiter zu leiten sind, unverzüglich an den Absender zurück. 321 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 19. 322 van Kreveld/van der Veen, Systeem en algemene begrippen van de Algemene wet bestuurs­ recht, S. 15. 323 Art. 4:5 lid 1 a. Awb lautet: Het bestuursorgaan kan besluiten de aanvraag niet te behandelen, indien: de aanvrager niet heeft voldaan aan enig wettelijk voorschrift voor het in behandeling nemen van de aanvraag, … – Das Verwaltungsorgan kann verfügen, den Antrag nicht zu be­arbeiten, wenn: der Antragsteller den gesetzlichen Anforderungen zur Bearbeitung der Anfrage nicht erfüllt hat, … 324 van Kreveld/van der Veen, Systeem en algemene begrippen van de Algemene wet bestuurs­ recht, S. 16. 325 van Kreveld/van der Veen, Systeem en algemene begrippen van de Algemene wet bestuurs­ recht, S. 17.

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1. Teil: Grundlagen

4. Struktur des Awb Das Awb verfügt über eine ausgefeilte Systematik, die in äußerer und innerer Struktur sowie in den Verweisungsvorschriften zum Ausdruck kommt. a) Äußere Struktur Das Awb ist in 11 Kapitel untergliedert. Die Kapitel sind in Titel unterteilt, die Titel in Abteilungen, die Abteilungen in Paragraphen. Nicht jedes Kapitel weist alle vier Stufen auf. Kapitel 1 besteht z. B. aus nur 2 Titeln, Kapitel 3 dagegen setzt sich lediglich aus Abteilungen, die in Paragraphen untergliedert sind, z­ usammen.326 b) Innere Struktur Der innere Aufbau des Allgemeinen Verwaltungsgesetzes geht vom allgemeinen zum besonderen. Die Kapitel 1 und 2 enthalten vornehmlich Definitionen und Bestimmungen zum Rechtsverkehr zwischen Bürger und Behörde. Dabei umfasst der Begriff Rechtsverkehr sowohl Rechtshandlungen als auch sonstige Handlungen. Die gängigste Form des Rechtsverkehrs ist der Erlass von Besluiten (Verwaltungsmaßnahmen) gegenüber dem Bürger. Kapitel 3 enthält Vorschriften zu deren Vorbereitung, Inhalt und Erlass. Kapitel 4 befasst sich mit den Formen des Besluit (Verwaltungsmaßnahme) – beschikking (Verwaltungsakt), subsidiebes­luiten (Subventionen) und beleidsregels (Verwaltungsvorschriften) – ebenso die Ka­pitel 5 und 10.327 Der gleiche trichterförmige Aufbau findet sich in den Kapiteln 6, 7 und 8. Kapitel 6 enthält allgemeine Bestimmungen zu Vorverfahren und Klage, während in Kapitel 7 Vorschriften normiert sind, die sich speziell auf das Vorverfahren beziehen. In Kapitel 8 sind Bestimmungen niedergelegt, die nur das gerichtliche Klageverfahren betreffen. Bei jeder der speziellen Formen des Rechtsschutzes bezwaar (Vorverfahren), administratiev beroep (besonderes Vorverfahren), bestuursrechtspraak (Rechtsprechung in Verwaltungsangelegenheiten) gelten jedoch auch die Bestimmungen des Kapitel 6.328 Kapitel 9 regelt eine spezielle Form des Rechtsschutzes, die Beanstandung (Klacht) und ist lediglich ergänzend zu den Bestimmungen der vorangegangenen Kapitel heranzuziehen. In Kapitel 10 sind Bestimmungen über die öffentliche Verwaltung kodifiziert, in Kapitel 11 die Übergangs- und Schlussbestimmungen niedergelegt.329 326 van Kreveld/van der Veen, Systeem en algemene begrippen van de Algemene wet bestuurs­ recht, S. 30. 327 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het AwbTijdperk, S.14. 328 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het AwbTijdperk, S.14. 329 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 20.

B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes 

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c) Verweisungsvorschriften Die Verweisungsvorschriften (schakelbepalingen) spielen eine besondere Rolle im Awb. Durch sie wird eine Reihe von Bestimmungen, die einen bestimmten Fall regeln, für auf andere Fälle anwendbar erklärt, ohne dass dies im Detail beschrieben werden muss.330 Die Kapitel 6 und 7 gelten z. B. für Besluiten (Verwaltungsmaßnahmen). Durch die Klausel in art. 6:1 Awb331 wird ihr Anwendungsbereich auf andere Handlungen der Verwaltung ausgedehnt.332 5. Geltungsbereich Das Allgemeine Verwaltungsgesetz gilt mit Ausnahme der in art. 1:6 Awb333genannten Gegenstände für das gesamte Verwaltungsrecht.334 Gem. Art. 1:6 Awb sind Handlungen der Verwaltung auf strafrechtlichem Gebiet, freiheitsbeschränkenden Maßnahmen im Rahmen des Ausländerrechts, Maßnahmen zur Aus­führung des militärischen Zuchtrechts und Maßnahmen auf der Grundlage des Gesetzes zur 330 van Kreveld/van der Veen, Systeem en algemene begrippen van de Algemene wet bestuurs­ recht, S. 38. 331 Art. 6:1 Awb lautet: De hoofdstukken 6 en 7 zijn van overeenkomstige toepassing indien is voorzien in de mogelijkheid van bezwaar of beroep tegen andere handelingen van bestuurs­ organen dan besluiten. – Die Kapitel 6 und 7 sind übereinstimmend anzuwenden, wenn die Möglichkeit eröffnet ist Handlungen der Verwaltung, die keine Maßnahmen sind, durch Vorverfahren oder Klage anzugreifen. 332 van Kreveld/van der Veen, Systeem en algemene begrippen van de Algemene wet bestuurs­ recht, S. 39. 333 Art. 1:6 Awb lautet: De hoofdstukken 2 tot en met 8 en 10 van deze wet zijn niet van toepassing op: a. de opsporing en vervolging van strafbare feiten, alsmede de tenuitvoerlegging van strafrechtelijke beslissingen; b. de tenuitvoerlegging van vrijheidsbenemende maatregelen op grond van de Vreemdelingenwet 2000; c. de tenuitvoerlegging van andere vrijheidsbenemende maatregelen in een inrichting die in hoofdzaak bestemd is voor de tenuitvoerlegging van strafrechtelijke beslissingen; d. besluiten en handelingen ter uitvoering van de Wet militair tuchtrecht; e. besluiten en handelingen ter uitvoering van de Wet toetsing levensbeëindiging op verzoek en en hulp bij zelfdoding. Die Kapitel 2 bis 8 und 10 dieses Gesetzes sind nicht anzuwenden auf: a. das Aufspüren und Verfolgen strafbarer Tatsachen, sowie die Ausführung strafrechtlicher Maßnahmen; b. die Ausführung freiheitsbeschränkender Maßnahmen aufgrund des Ausländergesetzes 2000; c. die Ausführung anderer freiheitsbeschränkender Maßnahmen in eine Einrichtung die hauptsächlich für die Ausführung strafrechtlicher Verfügungen bestimmt ist; d. Maßnahmen und Handlungen zur Ausführung des Militärischen Disziplinarrechts; e. Maßnahmen und Handlungen zur Ausführung des Gesetzes zur Prüfung der Beendigung des Lebens auf Antrag und Hilfe bei Selbsttötung. 334 van Kreveld/van der Veen, Systeem en algemene begrippen van de Algemene wet bestuurs­ recht, S. 49.

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1. Teil: Grundlagen

Überprüfungen der Beendigung des Lebens oder des Ersuchens auf Hilfe zur Selbsttötung der Anwendung des Allgemeinen Verwaltungsgesetzes nicht zugänglich. Diese Aufzählung ist abschließend.335 6. Verhältnis zu anderen Gesetzen Durch die Umsetzung der oben genannten Ziele ist das Verwaltungsrecht einfacher und übersichtlicher geworden. Viele formelle Gesetze und untergesetzliche Regelungen wurden in das Allgemeine Verwaltungsgesetz aufgenommen. Gleichzeitig besteht die verwaltungsrechtliche Gesetzgebung aber immer noch aus weit mehr als nur dem Allgemeinen Verwaltungsgesetz. Zur Klärung vieler verwaltungsrechtlicher Einzelfragen müssen deshalb neben dem Allgemeinen Verwaltungsgesetz andere Reglungen herangezogen werden.336 Daher stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen Allgemeinem Verwaltungsgesetz und anderen verwaltungsrechtlichen Regelungen. a) Verhältnis zu Gesetzen im formellen Sinn Im Verhältnis zu anderen formellen Gesetzen greift die bereits erwähnte Vorrangregelung, wonach das speziellere Gesetz dem allgemeineren Verwaltungsgesetz vorgeht, ein. Der Gesetzgeber hat sich allerdings bemüht, Widersprüche zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderem Verwaltungsrecht zu vermeiden. Trotzdem existieren für bestimmte Fälle abweichende Regelungen in Spezialgesetzen.337 So ist im Wettbewerbsrecht aus Gründen der Vereinfachung und wegen der Besonderheiten der Handhabung eine Klage, gem. art 93 lid 1 Wettbewerbsrecht, abweichend von Art. 8:7 Awb, beim Landgericht (rechtbank) Rotterdam einzureichen.338 Weicht ein Spezialgesetz von den allgemeinen Regeln ab, so ist diese Abweichung durch die Einleitung „abweichend vom Awb“ gekennzeichnet; so z.B Art. 69 lid 1 Ausländergesetz, der die Frist für das Einreichen eines Rechtsbehelfs zunächst auf 4 Wochen verkürzte. Nach einer Gesetzesänderung im Jahr 2000 findet gem. Art. 75, 80 Ausländergesetz gar kein Vorverfahren mehr statt.339 Zudem kann eine Vorschrift aus dem besonderen Verwaltungsrecht festlegen, dass be 335 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 1:6 Nr.  1 ff. 336 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 21. 337 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het AwbTijdperk, 2004, S. 15. 338 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 20. 339 Diese Regelung entspricht der in Deutschland. § 11 AsylVfG schließt ebenfalls ein Widerspruchsverfahren aus.

B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes 

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stimmte Artikel des Allgemeinen Verwaltungsgesetzes außer acht bleiben, wie z. B. art. 44 lid 2 Unterbringungsgesetz, der bestimmt, dass art. 7:1 Awb, der bestimmt, dass vor Klageerhebung ein Vorverfahren durchzuführen ist, und Titel 8.3 Awb340 nicht zur Anwendung kommen. b) Verhältnis zu untergesetzlichen Regelungen Im Verhältnis zwischen Allgemeinem Verwaltungsgesetz und untergesetzlichen Normen sind vier Arten von Vorschriften zu unterscheiden: zwingende Regeln, Hauptregeln, ergänzende Regeln und fakultative Standardregeln. Von zwingenden Regelungen (dwingend recht) darf nicht abgewichen werden. Art. 6:7 Awb341 sieht z. B. für das Einlegen von Rechtsmitteln in Verwaltungs- und Klageverfahren eine Frist von 6 Wochen vor. Diese Frist ist unbedingt einzuhalten.342 Das entspricht den Notfristen in der deutschen Rechtsordnung. Hauptregel (regelnd recht) bedeutet, dass das Allgemeine Verwaltungsgesetz zwar eine Regelung enthält, ein Abweichen von dieser Regelung aber ausdrücklich zugelassen wird. So schreibt z. B. art. 4:1 Awb für Anträge jeglicher Art die Schriftform vor, es sei denn, eine gesetzliche Vorschrift bestimmt etwas anderes (Tenzij bij wettelike voorschrift anders is bepaald, word de aanvraag…).343 Es handelt sich also um Öffnungsklauseln, wie man sie im deutschen Recht z. B. in § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO antrifft. Bei einer ergänzenden Regelung (aanvullend recht) ist das Allgemeine Verwaltungsgesetz nur ergänzend anzuwenden. Das heißt, grundsätzlich gilt die Regelung in der untergesetzlichen Norm. Findet sich dort keine Regelung, so ist auf die Vorschrift im Allgemeinen Verwaltungsgesetz zurückzugreifen. Art. 3:6 lid 1 Awb344 geht z. B. davon aus, dass die einem Gutachter für seine Tätigkeit zur Verfügung stehende Zeit spezialgesetzlich geregelt ist. Ist das nicht der Fall, greift art. 3:6 Awb ein, der besagt, dass die Behörde einen Termin zur Abgabe des Gut 340

Titel 8.3 Awb enthält die Bestimmungen zum einstweiligen Rechtsschutz. Art. 6:7 Awb lautet: De termijn voor het indienen van een bezwaar- of beroepschrift bedraagt zes weken. – Die Frist für die Einreichung einer Rechtsbehelfsschrift im Vorverfahren oder einer Klageschrift beträgt 6 Wochen. 342 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 21; van Ballegooij/Barkhuysen/ Brenninkmeijer/den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awb-Tijdperk, 2004, S. 16. 343 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 21. 344 Art. 3:6 lid 1 Awb lautet: Indien aan de adviseur niet reeds bij wettelijk voorschrift een termijn is gesteld, kan het bestuursorgaan aangeven binnen welke termijn een advies wordt verwacht. Deze termijn mag niet zodanig kort zijn, dat de adviseur zijn taak niet naar behoren kan vervullen. – Wird einem Gutachter nicht durch eine gesetzliche Vorschrift eine Frist vorgegeben, kann das Verwaltungsorgan bestimmen bis zu welchem Termin das Gutachten zu erstellen ist. Die Frist darf nicht so kurz gewählt sein, dass der Guchter seine Aufgabe nicht ordnungsgemäß erfüllen kann. 341

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1. Teil: Grundlagen

achtens bestimmen kann. Hat die Behörde dies versäumt, gilt gem. art. 4:13 Awb345 eine Frist von acht Wochen.346 Darüber hinaus enthält das Allgemeine Verwaltungsgesetz Regelungen, die angewendet werden können, bei denen es aber soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist, im Ermessen des Anwenders steht, ob er von diesen Gebrauch macht. Hierbei handelt es sich um sogenannte fakultative Standardregeln (falultatief recht).347 Art. 3:10 lid 1 Awb348 bestimmt, dass die Vorschriften der Abteilung 3.4 (openbare vorbereidingsprocedure – transparentes Vorbereitungsverfahren) bei der Vorbereitung von Verwaltungsmaßnahmen nur anzuwenden sind, wenn dies durch eine gesetzliche Regelung oder durch eine Maßnahme der Behörde349 fest­gelegt ist. Demnach ist den Behörden erlaubt, bei der Vorbereitung bestimmter Verwaltungsmaßnahmen Abteilung 3.4 Awb außer Acht zu lassen. Sie könnten dem nachkommen, müssen es aber nicht.350

IV. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es bereits seit dem 17. Jahrhundert Formen des Verwaltungsrechtsschutzes in den Niederlanden gab, dieser aber im Wesentlichen durch die Verwaltung gewährt wurde. Ausgenommen waren Streitig­ keiten über Eigentum. Sie wurden seit jeher vor dem Zivilrichter geklärt. Man streubte sich vor allem gegen eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für alle 345

Art. 4:13 Awb lautet: 1. Een beschikking dient te worden gegeven binnen de bij wettelijk voorschrift bepaalde termijn of, bij het ontbreken van zulk een termijn, binnen een redelijke termijn na ontvangst van de aanvraag. 2. De in het eerste lid bedoelde redelijke termijn is in ieder geval verstreken wanneer het bestuursorgaan binnen acht weken na ontvangst van de aanvraag geen beschikking heeft gegeven, noch een mededeling als bedoeld in artikel 4:14, derde lid, heeft gedaan. 1. Ein Verwaltungsakt muss binnen der im Gesetz vorgesehenen Frist erlassen werden, oder falls eine derartige Frist fehlt, binnen eines vertretbaren Zeitraums nach Zugang des Antrags. 2. Der in Abs. 1 bezeichnete vertretbare Zeitraum ist in jedem Fall verstrichen, wenn das Verwaltungsorgan nicht binnen 8 Wochen nach Zugang des Antrags den Verwaltungsakt er­ lassen hat, oder eine Mitteilung gem. art. 4:14 lid 3 abgegeben hat. 346 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het AwbTijdperk, 2004, S. 17. 347 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 22. 348 Art. 3:10 lid 1 Awb lautet: Deze afdeling is van toepassing op de voorbereiding van besluiten indien dat bij wettelijk voorschrift of bij besluit van het bestuursorgaan is bepaald. – Diese Abteilung ist anzuwenden auf die Vorbereitung von Maßnahmen wenn dies durch gesetzliche Vorschrift oder durch Maßnahme des Verwaltungsorgans bestimmt ist. 349 Mit Maßnahme der Behörde ist in diesem Fall eine Verwaltungsvorschrift gemeint. 350 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het AwbTijdperk, 2004, S. 17.

B. Die historische Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes 

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öffentlichrechtlichen Streitigkeiten, weil man in einer Kontrolle der Exekutive durch die Judikative einen Eingriff in die Gewaltenteilung sah. Erst die BenthemEntscheidung des EGMR brachte im Jahr 1985 eine Wende. Der EGMR stellte fest, dass der Verwaltungsrechtsschutz in den Niederlanden nicht ausreichend sei, da nicht für jeden Fall die Möglichkeit bestehe, bei Verwaltungsstreitigkeiten ein unabhängiges Gericht i. S. eines Tribunals anzurufen. Nach dieser Entscheidung überarbeitete man die Gerichtsordnung in den Niederlanden grundlegend und schuf das Allgemeine Verwaltungsgesetz, das alle allgemeinen Regeln zur Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsgerichtsordnung enthält.

2. Teil

Zugang zum Rechtsschutz Rechtsschutz wäre ohne den Staat nicht möglich. Er garantiert die Existenz der notwendigen Einrichtungen und schuf gleichzeitig die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang.

A. Die Rechtsschutzgarantie Im Rahmen der Rechtsweggarantie gewährleistet der Staat, dass jeder die Möglichkeit hat, eine streitige Angelegenheit durch ein unabhängiges Gericht klären zu lassen. Die Niederländer nennen diesen Anspruch „Das Recht auf Zugang zu den Gerichten“ (recht op toegang tot de rechter).1 Er verpflichtet den Staat, unab­ hängige Gerichte einzurichten, ihnen Regelungen zum Ablauf des Verfahrens an die Hand zu geben und sicher zu stellen, dass ihre Entscheidungen als verbindlich anerkannt werden.2 Das Recht auf Zugang zu den Gerichten umfasste in den Niederlanden lange Zeit nur Zivil- und Strafverfahren. Seit der Benthem-Entscheidung3 kann auch hoheitliches Handeln durch die Gerichte überprüft werden.

I. Innerstaatliche Grundlagen der Rechtsschutzgarantie Das Recht auf Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt kann innerstaatlich durch eine entsprechende Vorschrift in der Verfassung, aber auch einfach-gesetzlich verbürgt werden. Fehlen derartige Bestimmungen, ist auf allgemeine Rechtsgrundsätze in der Verfassung zurückzugreifen.

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Simons, De rechterlijke organisatie in Nederland, 1996, S. 35. Barkhzysen/van Emmerik/Loof, Viftig jaar EVRM en het nederlandse staats- en bestuursrecht, in: Lawson/Myjer, Vijftig jaar EVRM, NJCM-bulletin 25/1, Leiden 2000, S. 382. 3 EHRM, Benthem, 23.10.1985, AB 1986, 1; Series A no. 97; NJW 1987, S. 2141; siehe unter 1. Teil, C. I. 5. a). 2

A. Die Rechtsschutzgarantie

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1. Die Verankerung der Rechtsschutzgarantie in der niederländischen Verfassung Der 6. Abschnitt der niederländischen Verfassung trägt die Überschrift „Rechtsprechung“. Er umfasst die Art. 112 bis 122. Art. 112 lid 14 weist die Judikatur in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Schuldverhältnissen den ordentlichen Gerichten (rechterlijke macht) zu. Gem. Art. 1135 obliegt diesen auch die Rechtsprechung in Strafsachen. Gem. Art. 112 lid 26 entscheidet der Gesetzgeber darüber, vor welchem Gericht die übrigen Streitigkeiten zu verhandeln sind. Nach dem Wortlaut der Vorschrift hat er die Wahl zwischen den ordentlichen Gerichten und Gerichten, die nicht der ordentlichen Gerichtsbarkeit angehören.7 Damit garantiert die niederländische Verfassung die Existenz einer Gerichtsbarkeit für Verwaltungsstreitigkeiten.8 Deren Zuordnung bleibt jedoch offen. Es wird dem Gesetzgeber überlassen, sie den ordentlichen Gerichten anzugliedern oder nach deutschem Vorbild eine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit zu schaffen. Der Wortlaut des Gesetzes lässt beide Varianten zu.9 Es bleibt auch unklar, vor welchem Gericht Streitigkeiten über Schuldverhältnisse, die nicht dem Zivilrecht entstammen, zu verhandeln sind.10 Wegen dieser Unbestimmtheit11 wird die Vorschrift als wenig geglückt angesehen.12 Sie stößt vor allem in der Literatur auf heftige Kritik. 4

Art. 112 lid 1 der niederländischen Verfassung lautet: Aan de rechterlijke macht is op­ gedragen de berechting van geschillen over burgerlijke rechten en over schuldvorderingen. – Der richterlichen Gewalt obliegt die Rechtsprechung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und in Bezug auf Schuldforderungen. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 5 Art. 113 lid 1 der niederländischen Verfassung lautet: Aan de rechterlijke macht is voorts opgedragen de berechting van strafbare feiten. – Der richterlichen Gewalt obliegt des Weiteren die Rechtsprechung in Strafsachen. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 6 Art. 112 lid 2 der niederländischen Verfassung lautet: De wet kan de berechting van geschillen die niet uit burgerlijke rechtsbetrekkingen zijn ontstaan, opdragen hetzij aan de rechterlijke macht, hetzij aan gerechten die niet tot de rechterlijke macht behoren. De wet regelt de wijze van behandeling en de gevolgen van de beslissingen. – Das Gesetz kann die Entscheidung in Streitigkeiten, die nicht aufgrund bürgerlicher Rechtsverhältnisse entstanden sind, entweder der richterlichen Gewalt oder Gerichten überlassen, die nicht der richterlichen Gewalt angehören. Das Verfahren und die Folgen der Entscheidung regelt das Gesetz. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 7 Die Gerichte der besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit gehören nicht der ordentlichen Gerichtsbarkeit an. Sie dazu im 1. Teil, C. II. und in diesem Kapitel unter 2. Teil, A. II. 2. a) bb) (2). 8 VAR, De toekomst van de rechtsbescherming tegen de overheid, Rapport van de Commissie Rechtsbescherming van de Vereniging voor Bestuursrecht, 2004, S. 48. 9 Akkermans, de Grondwet, 1987, S. 909. 10 Koekkoek, de Grondwet, 3. druk 2000, S. 523. 11 VAR, De toekomst van de rechtsbescherming tegen de overheid, Rapport van de Commissie Rechtsbescherming van de Vereniging voor Bestuursrecht, 2004, S. 48. 12 Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1997, S. 108.

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

Man erachtet sie als ungeeignet, dem Bürger ein Recht auf Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt zu sichern.13 Neben Art. 112 enthält die niederländische Verfassung in den Vorschriften Art. 17, 18, 117 und 121 eine sogenannte indirekte Rechtsschutzgarantie.14 Gem. Art. 1715 darf niemand gegen seinen Willen dem gesetzlichen Richter entzogen werden. Die Vorschrift geht auf das „ius de non evocando“ aus der Zeit der Lehnsherrschaft zurück. Im niederländischen Einheitsstaat veränderte sich die Bedeutung dieses Rechts. Es garantiert dem Bürger, dass die Errichtung von Gerichten einer gesetzlichen Grundlage bedarf und verhindert die darüberhinausgehende Gründung außerordentlicher Gerichte. Diese Regelung wird scharf kritisiert. Sie bürge, verpflichte aber den Gesetzgeber nicht.16 In Art. 18 der niederländischen Verfassung17 ist das Recht auf einen Rechtsbeistand verbrieft. Die Vorschrift wird allgemein dahin ausgelegt, dass sie nur auf Strafsachen anzuwenden ist.18 Gem. Art. 117 lid 119 werden die Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit auf Lebenszeit berufen und dürfen nur im Ausnahmefall ihres Amtes enthoben werden. Daraus leitet man in den Niederlanden die richterliche Unabhängigkeit ab.20 Gem. Art. 12121 sind Gerichtsverhandlungen öffentlich. Ein Urteil ist mit Gründen zu versehen. 13 Akkermans, de Grondwet, 2000, S. 909; Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 524; VAR, De toekomst van de rechtsbescherming tegen de overheid, Rapport van de Commissie Rechtsbescherming van de Vereniging voor Bestuursrecht, 2004, S. 48; Michiels schreibt Art. 112 Abs. 2 dagegen die gleiche Funktion zu, die Art. 19 Abs. 4 im deutschen Grundgesetz innehat; ­Michiels, Staats- en bestuursrecht, 2004, S. 371. 14 Barkhzysen/van Emmerik/Loof, Viftig jaar EVRM en het nederlandse staats- en bestuursrecht, in: Lawson/Myjer, Vijftig jaar EVRM, NJCM-bulletin 25/1, Leiden 2000, S. 382. 15 Art. 17 der niederländischen Verfassung lautet: Niemand kan tegen zijn wil worden afgehouden van de rechter die de wet hem toekent. – Niemand darf gegen seinen Willen dem gesetzlichen Richter entzogen werden. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 16 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 214. 17 Art. 18 lid 1 der niederländischen Verfassung lautet: Ieder kan zich in rechte en in administratief beroep doen bijstaan. – Jeder kann sich in Rechts- und Verwaltungssachen beistehen lassen. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) Art. 18 lid 2 der niederländischen Verfassung lautet: De wet stelt regels omtrent het verlenen van rechtsbijstand aan minderdraagkrachtigen. – Für die Beiordnung eines Rechtsbeistandes an Unbemittelte gelten gesetzliche Vorschriften. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 18 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 223; Simons, De rechterlijke organisatie in Nederland, 1996, S. 37. 19 Art. 117 lid 1 der niederländischen Verfassung lautet: De leden van de rechterlijke macht met rechtspraak belast en de procureur-generaal bij de Hoge Raad worden bij koninklijk besluit voor het leven benoemd. – Die mit der Rechtsprechung betrauten Mitglieder der richterlichen Gewalt und der Generalstaatsanwalt beim hohen Rat werden durch Königlichen Erlass auf Lebenszeit ernannt. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 20 Nähere Ausführungen dazu folgen in diesem Kapitel unter „Die Unabhängigkeit der ­Richter“. 21 Art. 121 der niederländischen Verfassung lautet: Met uitzondering van de gevallen bij de wet bepaald vinden de terechtzittingen in het openbaar plaats en houden de vonnissen de gron-

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In der niederländischen Verfassung existiert also keine Vorschrift, die den Rechtsschutz gegen hoheitliche Akte ausdrücklich zusichert. Das Recht ergibt sich lediglich aus einer Zusammenschau der oben genannten Vorschriften.22 Die innerstaatlichen Garantien zum Rechtsschutz in den Niederlanden bleiben damit nach Ansicht der Kommission Rechtsschutz der Vereinigung für Verwaltungsrecht deutlich hinter denen der deutschen Verfassung in Art. 19 IV Grundgesetz zurück.23 Außerdem enthält die niederländische Verfassung nur wenige Regelungen zur Güte des gerichtlichen Verfahrens. Sie garantiert weder ausdrücklich ein effektives Verfahren noch ein zweckgerichtetes Rechtsmittel. Diesen Zustand kritisiert die Kommission Rechtsschutz der Vereinigung für Verwaltungsrecht in ihrem Rapport über die Zukunft des Verwaltungsrechtsschutzes und regt an, das Recht auf effektiven Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt ausdrücklich in die Verfassung aufzunehmen.24 2. Die Rechtsschutzgarantie als Ausdruck der Rechtsstaatlichkeit Die Herleitung einer Garantie aus einem allgemeinen Rechtsgrundsatz setzt voraus, dass dieser Rechtsgrundsatz einen festen Platz im Staatsverständnis einnimmt. Ausgangspunkt für die Rechtsschutzgarantie ist in den Niederlanden die Rechtsstaatlichkeit.25 a) Rechtsstaatliche Garantien für den Bürger Grundlage des Rechtsstaates ist der Rechtsstaatsgedanke. Dieser entwickelte sich während der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert und statuiert eine Reihe von Garantien zugunsten der Bürger gegenüber dem Staat.26 Danach sind die wichtigsten Elemente eines Rechtsstaates:27 –– die Grundrechte und deren Schutz – grundlegende Rechte und Freiheiten werden anerkannt und durch den Staat garantiert; den in waarop zij rusten. De uitspraak geschiedt in het openbaar. – Mit Ausnahme der durch Gesetz bezeichneten Fälle sind die Gerichtsverhandlungen öffentlich und werden die Urteile begründet. Die Urteilsverkündung ist öffentlich. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 22 Simons, De rechterlijke organisatie in Nederland, 1996, S. 35. 23 VAR, De toekomst van de rechtsbescherming tegen de overheid, Rapport van de Com­ missie Rechtsbescherming van de Vereniging voor Bestuursrecht, 2004, S. 48. 24 VAR, De toekomst van de rechtsbescherming tegen de overheid, Rapport van de Com­ missie Rechtsbescherming van de Vereniging voor Bestuursrecht, 2004, S. 48. 25 Michiels, Staats- en bestuursrecht, Tekst en materiaal, 2004, S. 371. 26 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/van Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awbtijdperk, 2004, S. 32 f. 27 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 395; van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 36.

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

–– die Gewaltenteilung; –– die Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt, – jedes hoheitliche Auftreten, das den Bürger einseitig verpflichtet, bedarf einer rechtlichen Grundlage;28 –– die Kontrolle durch Gerichte,29 – Handlungen der Eingriffs- und Leistungsverwaltung sind der gerichtlichen Kontrolle zugänglich,30 gleichzeitig hat der Bürger das Recht auf einen unabhängigen Richter. b) Ausgestaltung der rechtsstaatlichen Garantien in der niederländischen Verfassung Allgemeine Rechtsgrundsätze wie die Rechtsstaatlichkeit finden gewöhnlich ihren Niederschlag in der Verfassung eines Landes. Die Niederländische Verfassung stammt aus dem Jahr 1815. Sie ist mit vielen, teilweise grundlegenden, Über­ arbeitungen bis heute in Kraft. aa) Die Grundrechte Seit 1815 enthält die niederländische Verfassung Grundrechte, die bereits damals vom Staat zu beachten waren. Sie wurden im Laufe der letzten beiden Jahrhunderte lediglich weiter ausgeformt und verfeinert.31 bb) Die Gewaltenteilung Die Aufteilung der Staatsgewalt32 in Legislative, Exekutive und Judikative kristallisierte sich dagegen erst mit der Zeit heraus. Die Verfassung von 1815 legte zunächst alle Zuständigkeiten, die nicht ausdrücklich dem Parlament zuerkannt waren, in die Hände des Königs. Die Aufgabe des Parlaments bestand einzig darin, neben dem König an der Gesetzgebung mitzuwirken, Art. 105 der Verfassung von 1815. Außerdem hatte es dem Haushalt zuzustimmen, Art. 121 der Verfassung von 1815. Nach Ansicht des Königs beschränkten sich die Mitwirkungspflichten des Parlaments bei der Gesetzgebung auf die in der Verfassung vorgegebenen Ge 28

Siehe dazu die Ausführungen im Kapitel „Voraussetzungen für die Kontrolle der öffent­ lichen Gewalt in den Niederlanden“. 29 Dieses Element wird erst seit Einführung der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1994, konsequent umgesetzt; siehe dazu die Ausführung im 1. Teil, C. „Die historische Entwicklung des Rechtsschutzes“. 30 Siehe dazu die Ausführungen im 2. Teil, A. I. 2. b). 31 Burkens/Kummeling/Vermeulen/Widdershoven, Beginseln van de democratische rechtsstaat, 1997, S. 19. 32 Siehe dazu die Ausführungen im 1. Teil, B. I.

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genstände. Alles „Übrige“ konnte nach seiner Meinung nur durch königliche Ver­ fügung (koninklijk besluit) geregelt werden. Die Exekutive oblag ebenfalls dem König. Die Minister führten nur seine Befehle aus. Mit der Verfassungsrevision von 1840 erhielten die Minister erstmals eine eigene Aufgabe. Sie hatten fortan die Pflicht, die ihr Ressort betreffenden Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen und gemeinsam mit dem König zu unterzeichnen. Minister, die wissentlich verfassungswidrige Gesetze unterzeichneten, konnten strafrechtlich belangt werden.33 Im Jahr 1848 wurde die politische Verantwortlichkeit der Minister in die Verfassung aufgenommen. König und Minister bildeten nun gemeinsam die Regierung. Während sich die Minister jedoch gegenüber dem Parlament für ihre Amtsführung zu verantworten hatten und folglich von diesem auch abgewählt werden konnten, war der König unantastbar.34 Diese Grundsätze gelten bis heute, Art. 42 der niederländischen Verfassung35 Die Regierung ist für die Umsetzung der Gesetze verantwortlich. König und Minister müssen Hand in Hand arbeiten. Das ergibt sich aus einer Reihe von Vorschriften, die festlegen, dass bestimmte Handlungen nur von dem zuständigen Minister und dem König gemeinsam ausgeführt werden können, so z. B. Art. 47 der niederländischen Verfassung36, der bei der Ausfertigung von Gesetzen die gemeinsame Unterschrift des Königs und des zuständigen Fachministers vorsieht.37 In der aktuellen Verfassung ergibt sich die Gewaltenteilung aus der Zuweisung bestimmter Aufgaben an einzelne Teile des Staatsapparates. Sie wird in der niederländischen Verfassung allerdings nicht streng durchgeführt. Die Regierung wirkt einerseits bei der Gesetzgebung mit und nimmt andererseits auch Aufgaben der Verwaltung wahr. Nach niederländischer Rechtsauffassung wird das Gleichgewicht der Gewalten im Staat durch die Dezentralisierung38 aufrechterhalten.39 33

Belinfante/de Reede, Beginselen van het Nederlands staatsrecht, 2002, S. 102. Akkermans, de Grondwet, 1987, S.487. 35 Art. 42 der niederländischen Verfassung lautet: 1. De regering wordt gevormt door de Koning en de ministers. 2. De Koning is onschendbaar; de ministers zijn verantwoordelijk. 34

1. Die Regierung besteht aus dem König und den Ministern. 2. Der König ist unverletzlich; die Minister sind verantwortlich. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 36 Art. 47 der niederländischen Verfassung lautet: Alle wetten en koninklijke besluiten worden door de Koning en door een of meer ministers of staatssecretarissen ondertekend. – Alle Gesetze und Königlichen Erlasse werden vom König und von einem oder mehreren Ministern oder Staatssekretären unterzeichnet. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 37 Belinfante/de Reede, Beginselen van het Nederlands staatsrecht, 2002, S. 10. 38 Siehe dazu die Staatsorganisation in den Niederlanden 1. Teil, B. II. „Die öffentliche Gewalt“. 39 Burkens/Kummeling/Vermeulen/Widdershoven, Beginseln van de democratische rechtsstaat, 1997, S. 17.

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Status und Aufgaben des Parlaments (Staaten-General) regeln die Art. 50 ff. Es wurde 1848 erstmalig frei gewählt, wobei die Wahlrechte erkauft werden mussten. Seit 1917 gibt es das allgemeine Männerwahlrecht. Das allgemeine Frauenwahlrecht folgte 1919.40 Das Parlament ist als demokratisch gewählte Volksvertretung an der Gesetzgebung maßgeblich beteiligt. Die Art. 112 ff. übertragen die Rechtsprechung unabhängigen Gerichten. cc) Gesetzesbindung der Verwaltung und der Rechtsschutz des Bürgers Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung geht auf die Vorstellungen zum liberalen Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts zurück.41 Der klassische Rechtsstaatgedanke ist eine Reaktion auf hoheitliches Handeln gegenüber den Bürgern. Es war häufig von Willkür und Ungleichbehandlung geprägt. Zum Schutz der Bürger unterwarf man es deshalb Gesetzen. Dadurch wurde willkürliches Vorgehen der Verwaltung ausgeschlossen, Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit garantiert. Das galt zunächst nur für Eingriffe in Freiheit und Eigentum des Bürgers,42 heute gilt es umfassend. Schöpfer der Gesetze ist gem. Art. 81 der niederländischen Verfassung43 der Gesetzgeber. Er setzt sich seit der Gründung des Königreichs der Niederlande aus Generalstaaten und Regierung zusammen.44 Der Staten-Generaal ist als Parlament für die Verabschiedung der Gesetze zuständig, während die Regierung die Ge­setzesvorlagen erarbeitet. Nach der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung begrenzen die Gesetze einerseits die Verwaltungstätigkeit, andererseits ermöglichen sie sie, indem sie der Verwaltung die Befugnis für ihre Tätigkeit verleihen.45 Die Exekutive darf in einem Rechtsstaat nur innerhalb der gesetzlichen Grenzen und aufgrund von Gesetzen tätig werden. Daher wird in den Niederlanden wie in Deutschland46 zwischen dem Vorrang und dem Vorbehalt des Gesetzes unterschieden.47 40 Burkens/Kummeling/Vermeulen/Widdershoven, Beginseln van de democratische rechtsstaat, 1997, S. 23. 41 van Ommeren, Het legaliteitsbeginsel in het staats- en bestuursrecht: opkomst en ondergang van de geimpliceerde bevoegdheden, RM Themis 2002, S. 123 (124). 42 Burkens/Kummeling/Vermeulen/Widdershoven, Beginselen van de democratische rechtsstaat, 1997, S. 43. 43 Art 81 der Niederländischen Verfassung lautet: De vaststelling van wetten geschiedt door de regering en de Staten-Generaal gezamenlijk. – Gesetze werden von der Regierung und den Generalstaaten gemeinsam erlassen.(Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, Beck-Texte im dtv, 5. Aufl., 2000). 44 Burkens/Kummeling/Vermeulen/Widdershoven, Beginselen van de democratische rechtsstaat, 1997, S. 34. 45 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 397 f. 46 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2009, § 6 Rdn.1. 47 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 10.

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(1) Vorrang des Gesetzes Vorrang des Gesetzes besagt, dass die Verwaltung ihre Aufgaben zum einen so wahrnehmen muss, wie die Gesetze es vorschreiben, zum anderen darf sie durch ihr Handeln nicht gegen bestehende Gesetze verstoßen.48 Parlaments­gesetze nach art. 81 der niederländischen Verfassung haben dabei Priorität gegenüber allen abgeleiteten Rechtsquellen. Dieser Grundsatz wird durch Art. 94 der niederländischen Verfassung49 eingeschränkt,50 wonach die allgemeinverbindlichen Bestimmungen aus Verträgen und Beschlüssen völkerrechtlicher Organisationen den Vorrang haben, wenn die innerstaatlichen Regelungen mit diesen nicht vereinbar sind.51 (2) Vorbehalt des Gesetzes Der Vorbehalt des Gesetzes bindet die Verwaltung an die Vorgaben des Gesetzgebers. Einseitig auferlegte Verpflichtungen, wie Gebote und Verbote, bedürfen danach einer gesetzlichen Grundlage.52 D. h. die Verwaltung darf nur dann in die Rechte des Bürgers eingreifen, wenn sie dazu ausdrücklich ermächtigt ist. Nach einhelliger Auffassung ergibt sich das aus der niederländischen Verfassung. Sie erkennt die strafrechtliche Gesetzgebungsbefugnis allein dem Gesetzgeber und den Organen der Gemeinden und Provinzen zu. Nachdrücklich fordert Art. 89 lid 2 der niederländischen Verfassung53, dass die Verwaltung Regelungen mit strafendem Charakter nur erlassen darf, wenn sie durch ein formelles Gesetz ausdrücklich dazu ermächtigt wird.54 Daneben kommt der Grundsatz in weiteren Bestimmungen der Verfassung zum Ausdruck, in denen die Einschränkung eines Grund-

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Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 399 f. Art. 94 der Niederländischen Verfassung lautet: Binnen het Koninkrijk geldende wettelijke voorschriften vinden geen toepassing indien deze toepassing niet verenigbaar is met een ieder verbindende bepalingen van verdragen en van besluiten van volkenrechtelijke organisaties. – Innerhalb des Königreichs geltende gesetzliche Vorschriften werden nicht angewandt, wenn die Anwendung mit allgemeinverbindlichen Bestimmungen von Verträgen und Beschlüssen völkerrechtlicher Organisationen nicht vereinbar ist. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 50 Schwarz, Europäisches Verwaltungsrecht: Entstehung und Entwicklung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, Bd.1, 1988, S. 214. 51 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 465 ff. 52 van Ommeren, Het legaliteitsbeginsel in het staats- en bestuursrecht: opkomst en ondergang van de geimpliceerde bevoegdheden, RM Themis 2002, S. 123 (124). 53 Art. 89 lid 2 der Niederländischen Verfassung lautet: Voorschriften, door straffen te handhaven, worden daarin alleen gegeven krachtens de wet. De wet bepaalt de op te leggen straffen. – Vorschriften in Allgemeinen Verwaltungsverordnungen, deren Nichtbefolgung unter Strafe gestellt ist, können nur kraft Gesetzes erlassen werden. Die Strafen werden durch Gesetz bestimmt. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 54 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 440. 49

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rechts unter einen Gesetzesvorbehalt gestellt wird. Gleichzeitig erhält der Gesetzgeber den Auftrag, Grundrechtseingriffe durch die entsprechende Gesetzgebung zu regeln.55 Art. 6 lid 1 der niederländischen Verfassung56 schützt z. B. die Reli­ gions- und Weltanschauungsfreiheit, bestimmt aber in seinem lid 257, dass die Ausübung des Rechtes außerhalb von Gebäuden aus Gründen der Volksgesundheit, der Verkehrssicherheit und für den Fall von Unruhen durch ein Gesetz geregelt werden kann.58 Lange Zeit diskutierte man darüber, ob der Vorbehalt des Gesetzes ausschließlich auf die Eingriffsverwaltung anzuwenden sei oder für jedes hoheitliche Handeln gelten müsse.59 Die Befürworter einer umfassenden Gültigkeit begründeten ihre Meinung aus der Verfassung heraus. Sie verwiesen auf grundrechtliche Bestimmungen im Bereich der Leistungsverwaltung, die einen Gesetzesvorbehalt enthalten. Als Beispiel wurde häufig Art. 18 der niederländischen Verfassung60 genannt. Dieser bestimmt in lid 1, dass sich jeder in Rechts- und Verwaltungssachen beistehen lassen kann. Gem. lid 2 hat der Gesetzgeber Regelungen zu erlassen, die sozial Schwachen, das Recht auf einen Rechtsbeistand garantieren.61 Nach Auffassung der Gegner bedurfte es eines umfassenden Gesetzesvorbehaltes nicht, da die Verwaltung bei einem begünstigenden Verwaltungsakt nicht in Rechte des Bürgers eingreife, sondern ihm etwas zukommen lasse. Teilweise wurde auch vertreten, dass die Subventionsvergabe, da es sich um begünstigende Verwaltungs-

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Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 11. Art. 6 lid 1 der Niederländischen Verfassung lautet: Ieder heeft het recht zijn godsdienst of levensovertuiging, individueel of in gemeenschap met anderen, vrij te belijden, behoudens ieders verantwoordelijkheid volgens de wet. – Jeder hat das Recht, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft von anderen frei zu bekennen, unbeschadet der Verantwortung jedes einzelnen vor dem Gesetz. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 57 Art. 6 lid 2 der Niederländischen Verfassung lautet: De wet kan ter zake van de uitoefening van dit recht buiten gebouwen en besloten plaatsen regels stellen ter bescherming van de gezondheid, in het belang van het verkeer en ter bestrijding of voorkoming van wanordelijkheden. – Hinsichtlich der Ausübung dieses Rechts außerhalb von Gebäuden und geschlossenen Räumen können zum Schutz der Gesundheit, im Interesse des Verkehrs und zur Beseitigung oder Abwehr von Störungen gesetzliche Vorschriften erlassen werden. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 58 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 99 f. 59 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het AwbTijdperk, 2004, S. 34. 60 Art. 18 der niederländischen Verfassung lautet: 1. Ieder kan zich in rechte en in administratief beroep doen bijstaan. 2. De wet stelt regels omtrent het verlenen van rechtsbijstand aan minderdraagkrachtigen. 56

1. Jeder kann sich in Rechts- und Verwaltungssachen beistehen lassen. 2. Für die Beiordnung eines Rechtsbeistands an Unbemittelte gelten gesetzliche Vorschriften. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 61 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het AwbTijdperk, 2004, S. 35; Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 221 f.

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maßnahmen handle, keiner gesetzlichen Grundlage bedürfe. Es sei zwar zu bedenken, dass die Vergabe von Subventionen oft mit Nebenbestimmungen versehen sei, die einen verpflichtenden Charakter hätten. Die Verpflichtung sei notwendig, da es um die Vergabe von öffentlichen Geldern gehe, deren Einsatz entsprechend dem Vergabezweck erfolgen müsse. Die mit Auflagen verbundenen Subventionen seien dem zur Folge ein Gemenge aus Begünstigung und Belastung und damit einschränkend. Da der Subventionsempfänger die Subvention aber freiwillig entgegen nehme, seien sie nicht als Eingriff zu bewerten. Die Gegenmeinung wies darauf hin, dass viele Stiftungen, Gründungen usw. nicht ohne Subventionen arbeiten könnten. Da diese Organisationen auf staatliche Mittel angewiesen seien, müsse bei den Auflagen von einem echten Eingriff gesprochen werden. Deshalb bedürften auch begünstigende Verwaltungsakte in Form von Subventionen einer gesetzlichen Grundlage.62 Die Diskussion hat seit der Einführung Awb in weiten Teilen ihre Bedeutung verloren. Das Awb stellt für nahezu jede einseitig begünstigende Maßnahme der Verwaltung gegenüber dem Bürger eine gesetzliche Grundlage bereit, so z. B. für die Vergabe von Subventionen art. 4:23 lid 1 Awb63, für die Erteilung von Genehmigungen art. 10:26 Awb64.65 dd) Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Rechtsschutz Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung garantiert, indem er die Verwaltung an die Vorgaben des Gesetzgebers bindet, die Möglichkeit der Kontrolle des Verwaltungshandelns durch die Gerichte.66 Die gerichtliche Kontrolle bezieht sich auf die korrekte Anwendung der Ermächtigungsnorm.67

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Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 11. Art. 4:23 lid 1 Awb lautet: Een bestuursorgaan verstrekt slechts subsidie op grond van een wettelijk voorschrift dat regelt voor welke activiteiten subsidie kann worden verstrekt. – Ein Verwaltungorgan vergibt Subventionen lediglich auf Grund einer gesetzlichen Vorschrift, die regelt für welche Aktivitäten Subventionen vergeben werden. 64 Art. 10:26 Awb lautet: Besluiten kunnen slechts aan goedkeuring worden onderworpen in bij of krachtens de wet bepaalde gevallen. – Maßnahmen können nur in den durch das oder kraft des Gesetzes bestimmten Fällen einer Genehmigung unterworfen werden. 65 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 399. 66 van Ommeren, Het legaliteitsbeginsel in het staats- en bestuursrecht: opkomst en ondergang van de geimpliceerde bevoegdheden, RM Themis 2002, 123 (124); Schuurmans/Willemsen, Bestuurlijke en rechterlijke feitenvaststelling, in: van Ommeren/Zijlstra, De rechtsstaat als teotsingskader, 2003, S. 284. 67 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 116. 63

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c) Die Niederlande als Rechtsstaat Die Niederländische Verfassung hat demnach den Rechtsstaatsgedanken aufgenommen und umgesetzt. Sie enthält Grundrechte, die der Staat im Umgang mit dem Bürger zu beachten hat. Die horizontale und vertikale Staatsorganisation spiegelt die Gewaltenteilung wieder. Dass die Verfassung die Rechtsstaatlichkeit nicht ausdrücklich anspricht, liegt wohl daran, dass das Konzept „Rechtsstaat“ erst nach und nach antizipiert wurde.68 In einem demokratischen Rechtsstaat wird Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt auch im niederländischen Recht heute als selbstverständlich angesehen.69

II. Europäische Grundlagen der Rechtsschutzgarantie Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), niederländisch Europees Hof voor de Rechten van de Mens (EHRM)70, garantiert Art. 6 Abs. 1 EMRK auf europäischer Ebene das Recht auf Zugang zu den Gerichten. In den Niederlanden gilt die EMRK unmittelbar. Über Art. 94 der niederländischen Verfassung werden die Völkerrechtlichen Verträge in nationales Recht transformiert und erhalten Vorrang gegenüber den innerstaatlichen Normen.71 Durch diese Wirkung bindet die EMRK die drei Gewalten im Staat.72 Deshalb ist Art. 6 Abs. 1 EMRK für das Recht auf Rechtsschutz in den Niederlanden von großer Bedeutung. 1. Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK Art. 6 Abs. 1 EMRK garantiert den Zugang zu einer unabhängigen und unparteilichen, durch Gesetz berufenen gerichtlichen Einrichtung bei Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche73 und Verpflichtungen. Der EGMR legt den Begriff zivile Rechte extensiv aus. In seiner Rechtsprechung zu Art. 6 EMRK hat er klar­ gestellt, dass unter zivilen Rechten nicht nur bürgerliche Rechte im überkommenen Sinn zu verstehen sind, sondern auch jene Rechte, die für den Einzelnen in 68

Michiels, Staats- en bestuursrecht, 2004, S.12. So auch Michiels, Staats- en bestuursrecht, 2004, S. 371. 70 EHRM (EGMR), Golder, 21.02.1975, NJ 1975, nr 462. 71 Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1997, S. 108. 72 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/van Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awbtijdperk, 2004, S. 281; Barkhuysen/van Emmerik, Het EVRM en het Nederlandse bestuursrecht, 2011, S. 32. 73 Der Ausdruck zivilrechtliche Ansprüche ist in diesem Zusammenhang unglücklich. Die englische Übersetzung des Art. 6 EMRK spricht von „civil rights“. Civil rights sind Bürgerrechte. 69

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seiner Eigenschaft als Staatsbürger bestehen und die sich auf das Wesen des öffentlichen Rechts beziehen. Gemeint sind die Fälle, in denen ein besonderer Status oder spezifische Beziehungen auf dem Spiel stehen.74 a) Die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 EMRK auf hoheitliche Maßnahmen Die Anwendbarkeit des Art. 6 EMRK auf hoheitliche Maßnahmen ergründete der EGMR im Rahmen seiner Rechtsprechung. Er prägte zum Begriff zivile Rechte drei sogenannte „Judikaturlinien“: die „Auswirkungsjudikatur“, die „Abwägungsjudikatur“ und die „Vermögensjudikatur“.75 aa) Auswirkungsjudikatur Für das Verwaltungsrecht ist die „Auswirkungsjudikatur“ die Bedeutsamste. Beginnend mit dem Fall Ringeisen76 hat der EGMR verschiedene verwaltungsrechtliche Streitigkeiten unter den Begriff der „civil rights“ subsumiert.77 Entscheidendes Merkmal dieser Verfahren ist, dass ihr Ausgang Auswirkungen auf Rechtspositionen hat, die nach kontinentaleuropäischem Rechtsverständnis dem Zivilrecht zuzuzählen sind.78 In verschiedenen Zusammenhängen waren in den vom EGMR entschiedenen Fällen das Eigentum und vertragliche Rechtsbeziehungen im Schutzbereich der Berufs- und Erwerbsfreiheit und in der Freiheit des Liegenschaftsverkehrs betroffen.79 Die Art des anzuwendenden Gesetzes und die Art der zuständigen Behörde sind dabei nicht erheblich. bb) Abwägungsjudikatur Die „Abwägungsjudikatur“ betrifft Entscheidungen, in denen der EGMR öffentlich-rechtliche und zivilrechtliche Elemente eines Rechtsstreits gegenein­ander abwog. Die Entscheidungen ergingen im Sozialversicherungsrecht und zu finanziellen Ansprüchen von Beamten. Beim Sozialversicherungsrecht kam der EGMR zu dem Ergebnis, dass die privatrechtlichen Elemente eines sozialversicherungs 74

EHRM (EGMR) Benthem-Arrest 23. Oktober 1985, AB 1986, 1; NJW 1987, S. 2141; vgl. auch Grabenwarter, Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1997, S. 45. 75 Grabenwarter, Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1997, S. 41 ff. 76 EHRM (EGMR) Ringeisen, 16.07.1971, serie A, vol. 13. 77 Smits, Artikel 6 EVRM en de civiele procedure, 2008, S. 40. 78 Für die Niederlande siehe dazu den Fall Benthem im 1. Teil, C. I. 5. 79 EHRM (EGMR) Benthem-Arrest 23. Oktober 1985, AB 1986, 1; NJW 1987, S. 2141; EHRM (EGMR), Ringeisen, 16.07.1971, serie A, vol. 13; Grabenwarter, Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1997, S. 42.

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

rechtlichen Anspruchs, wie Krankengeld oder Hinterbliebenenrente, die öffentlichrechtlichen Elemente überwiegen. Er qualifizierte die Leistungen aus der Sozialversicherung als Verlängerung bzw. Ersatz des vertraglichen Arbeitsentgeltes. Deshalb teilen sie den Charakter des zivilrechtlichen Vertrages. Der EGMR entschied, dass man im Beamtenrecht den Staat mit einem Arbeitgeber vergleichen könne, der Vertragspartner eines privatrechtlichen Vertrages sei.80 cc) Vermögensjudikatur Die „Vermögensjudikatur“ erfasst nicht nur die Auswirkungen auf ein vermögenswertes Recht, sondern auch das verfahrensgegenständliche Recht selbst. Das Kriterium des Vermögenswertes tritt vielfach zu den beiden oben genannten Ansätzen hinzu, kann aber auch alleine stehen.81 b) Die Bedeutung des Art. 6 Abs. 1 EMRK für die Rechtsschutzgarantie in den Niederlanden Nach der Rechtsprechung des EGMR eignet sich Art. 6 Abs. 1 EMRK daher als Rechtsschutzgarantie gegen hoheitliche Maßnahmen, sofern sie die oben genannten Rechte beeinträchtigen. Da Art. 6 EMRK durch Art. 94 der niederlän­ dischen Verfassung in nationales Recht transformiert wird, bedeutet das, dass der niederländische Gesetzgeber und die Verwaltungsgerichtsbarkeit die Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 EMRK gebunden sind. 2. Die Rechte aus Art. 6 Abs. 1 EMRK Ist der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK eröffnet, vermittelt Art. 6 Abs. 1 EMRK im Wesentlichen drei in einander greifende Garantien: die Existenz unabhängiger, unparteiischer auf Gesetz beruhender Gerichte, den Zugang zu diesen Gerichten und ein effektives Verfahren.82

80 Vgl. EHRM (EGMR) Fall Neigel, 103/1995/609/697, Z 43; so auch Grabenwarter, Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1997, S. 43. 81 So auch im Fall Benthem, erläutert im 1. Teil, C. I. 5.; zum ganzen Grabenwarter, Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1997, S. 44. 82 Dörr/Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, S. 187.

A. Die Rechtsschutzgarantie

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a) Gerichte Nach der Rechtsprechung des EGMR ist ein Gericht83 ein unabhängiger, unparteiischer Spruchkörper, der auf Gesetz beruht und die in seine Zuständigkeit fallenden Angelegenheiten auf der Grundlage von Rechtsvorschriften und nach einem geregelten Verfahren mit verbindlicher Wirkung entscheidet.84 Damit enthält die EMRK einen organisationsrechtlichen Gesetzesvorbehalt, der sich auf die Zusammensetzung des Gerichts, seine Organisation sowie auf seine Zuständigkeit erstreckt.85 aa) Besetzung und Gliederung der niederländischen Verwaltungsgerichte In der niederländischen Gerichtsorganisation bilden die verschiedenen Verwaltungsgerichte Spruchkörper in Form von Kammern.86 Art. 8:10 Awb87 unterscheidet zwischen einfachen (enkelvoudige) und mehrfachen (meervoudige) Kammern (Kamers). Einfache Kammern sind mit nur einem Berufsrichter besetzt. Das entspricht dem Einzelrichter in der deutschen Gerichtsorganisation. Mehr­ fache Kammern werden durch drei bzw. fünf Richter gebildet. Ob es sich dabei um Berufsrichter handeln muss, schreibt das für das jeweilige Gericht einschlägige Spezialgesetz vor.88 Gem. art. 8:10 Awb entscheidet in der Regel der Einzelrichter. Eignet sich die Sache nicht für eine Entscheidung durch den Einzelrichter, wird sie an eine mit drei Richtern besetzte Kammer verwiesen.

83 In diesem Zusammenhang spricht man auch von einem Tribunal. Tribunal ist der latei­ nische Ausdruck für Gerichtshof. 84 EHRM (EHRM) Benthem, 23.10.1985, AB 1986, 1; Series A no. 97; NJW 1987, S. 2141. 85 Dörr/Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, S. 188. 86 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, 2009, Abt. 8.1.2 Awb; Simons, De rechterlijke organisatie in Nederland, 1996, S. 81. 87 Art. 8:10 Awb lautet: 1. De zaken die bij de rechtbank aanhangig worden gemaakt, worden in behandeling genomen door een enkelvoudige kamer. 2. Indien een zaak naar het oordeel van de enkelvoudige kamer ongeschikt ist voor behandeling door een rechter, verwijst zij deze naar een meervoudige kamer. De enkelvoudige kamer kan ook in andere gevallen een zaak naar een meervoudige kamer verwijzen.

1. Die Rechtsstreitigkeiten, die bei Gericht anhängig gemacht werden, werden durch den Einzelrichter bearbeitet. 2. Ist der Einzelrichter der Auffassung, dass sich ein Rechtsstreit nicht für die Bearbeitung durch den Einzelrichter eignet, verweist er sie in eine Kamer. Der Einzelrichter kann auch in anderen Fällen den Rechtsstreit an eine Kammer verweisen. 88 Loof-Donker, De wetgeving voor de modernisering van de rechterlijke organisatie, 2002, S. 160.

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bb) Die niederländischen Verwaltungsgerichte und ihre gesetzlichen Grundlagen Art. 112 lid 2 der niederländischen Verfassung unterscheidet zwischen Gerichten, die der ordentlichen Gerichtsbarkeit (rechterlijke macht) angehören, und solchen, die ihr nicht angehören. Zivil- und Strafgerichte zählen zur ordentlichen Gerichtsbarkeit. Sie verfügen über jeweils höchstens maximal drei Instanzen. Den ersten Rechtszug bilden die „Rechtbanken“, den zweiten die „Gerechtshoven“. In der dritten Instanz entscheidet der Hoge Raad. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist weniger übersichtlich. Sie wird in der ersten Instanz durch die „Rechtbanken“ besetzt. Die zweite Instanz nehmen je nach Rechtsgebiet insgesamt vier Berufungsgerichte wahr. In bestimmten Fällen ist danach die Kassation durch den Hogen Raad möglich.89 (1) Die ordentliche Gerichtsbarkeit (rechterlijke macht) Gem. Art. 112 lid 1 und Art. 113 der niederländischen Verfassung gehören die Zivil- und die Strafgerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit an. Im Einklang mit Art. 116 lid 190, der dem Gesetzgeber die Gestaltung der ordentlichen Gerichtsbarkeit überträgt, entscheidet er gem. Art. 112 lid 2 auch über die Zuordnung der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Es ergeben sich zwei Varianten, zum einen die Angliederung an die ordentliche Gerichtsbarkeit, zum anderen die Errichtung einer eigenständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Man entschied sich in den Niederlanden für die 1. Alternative des Art. 112 lid 2 und ordnete die Verwaltungsgerichtsbarkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu.91 Gem. art. 1:4 lid 2 Awb92 fungiert ein der ordentlichen Gerichtsbarkeit angehörender Richter als Verwaltungsrichter, wenn er die Vorschriften des Kapitels 8 des Awb93 oder das niederländische Straßenverkehrsgesetz (Wet administratiefrechtelijke handhaving verkeersvoorschriften94) anwendet.95

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Naves/van Mourin, Vaardig met bestruursrecht, het procesrecht, 2009, S. 129. Art. 116 der niederländischen Verfassung lautet: De wet wijst de gerechten aan die behoren tot de rechterlijke macht. – Das Gesetz bezeichnet die Gerichte, die zur richterlichen Gewalt gehören. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 91 Koekoek, de Grondwet, 2000, S. 523 f. 92 Art. 1:4 lid 2 Awb lautet: Een tot de rechterlijke macht behorend gerecht wordt als administratieve rechter aangemerkt voor zover hoofdstuk 8 of de Wet administratiefrechtelijke handhaving verkeersvoorschriften – met uitzondering van hoofdstuk VIII – van toepassing of van overeenkomstige toepassing is. – Ein zur ordentlichen Gerichtsbarkeit gehörendes Gericht wird als Verwaltungsgericht bezeichnet, soweit es Kapitel 8 oder das Straßenverkehrsgesetz mit Ausnahme des Kapitels VIII direkt oder analog anwendet. 93 Bei den Vorschriften des Kapitels 8 handelt es sich um die Verfahrensvorschriften zur Klage. 94 Das Wet administratiefrechtelijke handhaving verkeersvoorschriften ist eine Kombination aus Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung. 95 Damen, Bestuursrecht Deel 2, 2006, S. 42. 90

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Gem. art. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (Wet Rechterlijke Organisatie, Wet RO)96 besteht die Ordentliche Gerichtsbarkeit aus 3 Instanzen97, den Land­ gerichten (rechtbanken), den Gerichtshöfen (gerechtshoven) und dem Hohen Rat (Hoge Raad). (a) Rechtbanken Seit 1994 setzt sich die ordentliche Gerichtsbarkeit im ersten Rechtzug98 aus Zivil-,99 Straf-, und Verwaltungsabteilung (sector bestuursrecht), art. 43 Gerichtsverfassungsgesetz100 (Wet op de rechterlijke organisatie) zusammen. Grundsätzlich findet das Verfahren vor dem Einzelrichter (enkelvoudige kamer) statt,101 art. 8:10 lid 1 Awb. Je nach Schwierigkeitsgrad der zu verhandelnden Sache, aber auch auf Antrag der Parteien, kann an eine mit drei Richtern besetzte Kammer (meervoudige kamer), art. 6 lid 2 Gerichtsverfassungsgesetz102 verwiesen werden.103 Die Mitglieder der Kammern müssen die Befähigung zum Richteramt besitzen. Sie sind meist Berufsrichter. Ihre Vertretung können Juristen wahrnehmen, die keine Berufsrichter sind.104 Berufungsinstanz für die Entscheidungen des ver 96 Art. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes lautet: De tot de rechterlijke macht behorende gerechten zijn: a. de rechtbanken; b. de gerechtshoven; c. en de Hoge Raad. Zur richterlichen Macht gehörende Gerichte sind: a. die Gerichte; b. die Gerichtshöfe; c. der Hohe Rat. 97 Bis zum Jahr 2000 gab es vier Instanzen. Die unterste Instanz bildeten die Kantongerichte, die im Jahr 2000 in die Landgerichte eingegliedert wurden. – van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/van Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awb-tijdperk, 2004, S. 170. 98 Es gibt in den Niederlanden 19 arondissementrechtbanken; die rechtbanken sind zwischen den Amts- und Landgerichten in Deutschland einzuordnen. 99 die Zivilkammern sind für die Bearbeitung von Amtshaftungsansprüchen (onrechtimatige overheidsdat) zuständig; ausführlich dazu das Kapitel zur „ Zuständigkeit des Zivilrichters“. 100 art. 43 WRO lautet: De rechtbanken nemen in eerste aanleg kennis van de bestuursrechtelijke zaken waarvan de kennisneming bij de wet aan hen is opgedragen. – Die Landgerichte bearbeiten die ihnen durch Gesetz übertragenen Verwaltungsstreitigkeiten in der 1. Instanz. 101 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, 2007, Vorbemerkung Abt. 8.1.2. 102 Art. 6 lid 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes lautet: Tenzij in deze wet anders is bepaald, bestaan de meervoudige kamers uit drie rechterlijke ambtenaren met rechtspraak belast, van wie een als voorzitter optreedt. Indien ook anderen dan rechterlijke ambtenaren deel uitmaken van een meervoudige kamer, treedt een rechterlijk ambtenaar met rechtspraak belast op als voorzitter. – Sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt, setzen sich Kamern aus 3 Berufsrichtern zusammen, von denen einer den Vorsitz führt. Ist eine Kammer auch mit Richtern besetzt, die keine Berufsrichter sind, führt der Berufsrichter den Vorsitz. 103 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, 2009, art. 8:10, Nr. 3. 104 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 190.

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waltungsrechtlichen Bereichs der Amtsgerichte ist die Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung beim Staatsrat,105 art. 37 lid 1 Staatsratsgesetz (wet op de raad van state)106. (b) Gerichtshöfe (gerechtshoven) Die Gerichtshöfe erfüllen in den Niederlanden teilweise Aufgaben, die denen der Landgerichte in Deutschland entsprechen. Sie behandeln zivil- und strafrechtliche Angelegenheiten in 1. bzw. 2. Instanz. Im Rahmen des Verwaltungsrechtsschutzes sind sie von Interesse, weil ihnen eine Abteilung für Steuersachen angegliedert ist, die lange Zeit die 1. Instanz der Finanzgerichtsbarkeit bildete. Heute sind die Gerichtshöfe Berufungsinstanz in Steuerangelegenheiten, art. 60 Gerichtsverfassungsgesetz107. Die frühere Aufteilung war sehr umstritten, weil die Finanzgerichtsbarkeit dadurch aus nur einer Tatsacheninstanz bestand.108 Nunmehr bilden die Gerichtshöfe die 2. Instanz der Finanzgerichtsbarkeit, art. 60 Gerichtsverfassungsgesetz. Den Kammern der Gerichtshöfe können neben Berufsrichtern auch sachkundige Laien angehören.109 Ihre zahlenmäßige Besetzung richtet sich nach der Art des Streitgegenstandes. Sie variiert zwischen einem und fünf Mitgliedern. Revisionsinstanz für ihre Entscheidungen ist der Hohe Rat (Hoge Raad).110

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ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 192. Art. 37 lid 1 des Staatsratsgesetzes lautet: Een belanghebbende en het bestuursorgaan ­kunnen bij de Afdeling hoger beroep instellen tegen een uitspraak van de rechtbank als be­doeld in afdeling 8.2.6 van de Algemene wet bestuursrecht en tegen een uitspraak van de voorzieningenrechter van de rechtbank als bedoeld in artikel 8:86 van die wet, tenzij tegen de uitspraak hoger beroep kan worden ingesteld bij de Centrale Raad van Beroep, het College van Beroep voor het bedrijfsleven of het gerechtshof. – Ein Betroffener und ein Verwaltungs­organ können bei der Abteilung Berufung gegen eine Entscheidung des Gerichts i. S. d. Abteilung 8.2.6 des Awb und gegen eine Entscheidung des erstinstanzlichen Richters im Eilverfahren gem. Art. 8:86 des Awb einlegen, es sei denn die Berufung vor dem zentralen Berufungsrat, dem Kollegium für Klagen aus dem Wirtschaftsleben oder dem Gerichtshof ist eröffnet. 107 Art. 60 lid 1 Gerichtsverfassungsgesetz lautet: De gerechtshoven oordelen in hoger beroep over de daarvoor vatbare vonnissen, beschikkingen en uitspraken in burgerlijke zaken, straf­ zaken en belastingzaken van de rechtbanken in hun ressort. – Die Gerichtshöfe urteilen über der Berufung zugängliche Endurteile, Verwaltungsakte und Urteile in bürgerlichrechtlichen Streitigkeiten, Strafsachen und Steuerstreitigkeiten der Landgerichte in ihrem Einzugsgebiet. 108 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/van Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awbtijdperk, 2004, S. 170. 109 Das betrifft die Strafkammern des Gerichtshofs von Arnheim, denen gem. art. 67 Gerichtsverfassungsgesetz (WRO) 2 sachkundige Laien angehören. 110 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 192. 106

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(c) Der Hohe Rat (Hoge Raad) Die Niederlande haben kein Verfassungsgericht. Der Hohe Rat ist das höchste Gericht, art. 72 ff. Gerichtsverfassungsgesetz. Sein Aufgaben- und Tätigkeitsbereich entspricht dem des Bundesgerichtshofes in Deutschland. Er ist reine Revi­ sionsinstanz und beschäftigt sich daher nicht mit der Ermittlung von Tatsachen.111 Er überprüft die Entscheidungen der unteren Gerichte und hebt sie, wenn notwendig, wegen Rechtsverletzung auf,112 art. 79 Gerichtsverfassungsgesetz. Der Hohe Rat (Hoge Raad, HR) bildet die 3. Instanz der Finanzgerichtsbarkeit durch eine eigens mit der Rechtsprechung in Steuerangelegenheiten beauftragte Kammer.113 Der Hohe Rat besteht aus maximal 53 Mitgliedern. Sie bilden Kammern, die sowohl mit einem Einzelrichter als auch mit drei Richtern besetzt sein können. Er darf seine Mitglieder selbst aussuchen und sie der 2. Kammer des Parlaments vorschlagen, die sie bestätigt. Die Berufung der Mitglieder erfolgt durch die Regierung.114 (2) Besondere Verwaltungsgerichtsbarkeit Gem. Art. 112 lid 2, 2. Alternative der niederländischen Verfassung darf der Gesetzgeber auch Gerichte einsetzen, die nicht der ordentlichen Gerichtsbarkeit angehören. Die Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung beim Staatsrat, der zentrale Berufungsrat und das Kollegium für Klagen aus dem Wirtschaftsleben sind derartige Gerichte. Sie bilden die besondere Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Niederlanden.115 (a) Die Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung beim Staatsrat In art. 26 des Staatsratsgesetzes (Wet op de Raad van State)116 beauftragt der Gesetzgeber eine Abteilung des Staatsrates, in den durch Gesetz festgelegten Angelegenheiten Recht zu sprechen. Die Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung (Afdeling bestuursrechtspraak Raad van State, ABRvS) ist in der Hauptsache Berufungsinstanz für Entscheidungen der verwaltungsrechtlichen Abteilungen der

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Stroink, Kern van de bestuursrechtspraak, 2004, S. 123. Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 540. 113 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/van Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awbtijdperk, 2004, S. 170. 114 Belifante, de Grondwet, 2000, S.180 f. 115 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 518. 116 Art. 26 des Staatsratsgesetzes lautet: Een afdeling van de Raad, genaamd Afdeling bestuursrechtspraak, is belast met de behandeling van de bij de wet aan haar opgedragen geschillen. – Eine Abteilung des Staatsrates, genannt die Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung, bearbeitete die ihr durch Gesetz übertragenen Streitigkeiten. 112

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

Gerichte,117 art. 37 Staatsratsgesetz. Sofern das einschlägige Spezialgesetz dies bestimmt, wird die Abteilung auch erstinstanzlich tätig. Art. 8.2 lid 1 des Raumordnungsgesetzes (Wet op de ruimtelijke ordening) nimmt eine derartige Verkürzung des Rechtsweges vor, indem er bestimmt, dass z. B. für Klagen gegen Flächennutzungspläne die ABRvS erstinstanzlich zuständig ist.118 Die Abteilung besteht gem. art. 27 lid 1 Staatsratsgesetz119 aus Staatsräten und außerordentlichen Staatsräten. Staatsräte und außerordentliche Staatsräte bilden Kammern, die entweder aus einem oder drei Mitgliedern bestehen, art. 29 lid 1 Staatsratsgesetz120. Der Vorsitzende einer Kammer und einer seiner Beisitzer müssen die Befähigung zum Richteramt aufweisen. Staatsräte, die keine juristische Ausbildung absolviert haben, können nur als Beisitzer tätig sein. (b) Der zentrale Berufungsrat Der zentrale Berufungsrat (Centrale Raad van Beroep, CRvB) mit Sitz in ­ trecht bildet die 2. Instanz in sozial- und beamtenrechtlichen Angelegenheiten, U art. 18 Berufungsgesetz (Beroepswet)121 i. V. m. dem Anhang zum Berufungsge 117

Stroink, Kern van de bestuursrechtspraak, 2004, S. 123. Art. 8.2 lid 1des Raumordnungsgesetzes lautet: Een belanghebbende kan bij de Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State beroep instellen tegen: … – Der Betroffene kann bei der Abteilung Verwaltungsrechtsprechung beim Staatsrat klagen gegen: … 119 Art. 27 des Staatsratsgesetzes lautet: De Afdeling bestaat uit de staatsraden en de staats­ raden in buitengewone dienst. – Die Abteilung setzt sich aus Staatsräten und außerordentlichen Staatsräten zusammen. 120 Art. 29 lid 1 des Staatsratsgesetzes lautet: De Afdeling vormt en bezet op voorstel van de voorzitter enkelvoudige en meervoudige kamers. De meervoudige kamers bestaan uit drie leden, van wie een als voorzitter optreedt. – Die Abteilung bildet die Besetzung der Kammern auf Vorschlag des Vorsitzenden. 121 Art. 18 lid 1 Berufungsgesetz lautet: Een belanghebbende en het bestuursorgaan kunnen bij de Centrale Raad van Beroep hoger beroep instellen tegen een uitspraak van de rechtbank als bedoeld in afdeling 8.2.6 van de Algemene wet bestuursrecht en tegen een uitspraak van de voorzieningenrechter van de rechtbank als bedoeld in artikel 8:86 van die wet, inzake: a. een besluit of een andere handeling van een bestuursorgaan waarbij een ambtenaar als bedoeld in artikel 1 van de Ambtenarenwet als zodanig of een dienstplichtige als bedoeld in hoofdstuk 2 van de Kaderwet dienstplicht als zodanig, hun nagelaten betrekkingen of hun rechtverkrijgenden belanghebbende zijn, en b. een besluit, genomen op grond van een wettelijk voorschrift dat is opgenomen in de bijlage die bij deze wet behoort. Ein Betroffener und ein Verwaltungsorgan können beim zentralen Berufungsrat Berufung gegen eine Entscheidung des Gerichts i. S. d. Abteilung 8.2.6 des Awb und gegen eine Entscheidung des erstinstanzlichen Richters im Eilverfahren gem. Art. 8:86 des Awb einlegen, sofern es sich: a. um eine Maßnahme oder eine andere Handlung handelt von der ein Beamter i. S. d. art. 1 des Beamtengesetzes oder ein Dienstpflichtiger i. S. d. Kapitel 1 des Rahmengesetzes Dienstpflicht oder seiner Nachkommen, b. eine Maßnahme, die aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift, die in der Beilage dieses Gesetzes aufgeführt ist, handelt. 118

A. Die Rechtsschutzgarantie

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setz (Bijlage bij de Beroepswet). Auf Grund spezialgesetzlicher Zuweisung wird er auch erstinstanzlich tätig. Das gilt z. B. für das Gesetz für Leistungen an Opfer der Verfolgungen von 1940 bis 1945.122 Er setzt sich aus einem Präsidenten, einem Vizepräsidenten, Ratsherren und deren Vertretern zusammen. Alle Mitglieder sind Berufsrichter. Grundsätzlich entscheidet eine aus drei Richtern bestehende Kammer, art. 17 lid 4 Berufungsgesetz123. In Ausnahmefällen, sofern sich die Angelegenheit dazu eignet, kann sie dem Einzelrichter übertragen werden, art. 17 lid 3 Berufungsgesetz124.125 (c) Das Kollegium für Klagen aus dem Wirtschaftsleben Das Kollegium für Klagen aus dem Wirtschaftsleben (College van Beroep voor het bedrijfsleven, CBB) gewährt Rechtsschutz gegen Maßnahmen der öffentlichen­ rechtlichen Wirtschaftsorganisationen in erster und einziger Instanz, gem. art. 18 lid 1 des Gesetzes zur Verwaltungsrechtsprechung der Wirtschaftsorganisationen (wet bestuursrechtspraak bedrijfsorganisatie)126.127 Daneben überprüft es, gem. art. 20 lid 1128, Entscheidungen des Amtsgerichts Rotterdam als Berufungsins 122

Siehe dazu die Ausführungen im 2. Teil, D. Art. 17 lid 4 des Berufungsgesetzes lautet: Indien een zaak naar het oordeel van de enkel­ voudige kamer ongeschikt is voor behandeling door één rechter, verwijst zij deze naar een meervoudige kamer. – Soweit sich eine Streitigkeit für die Bearbeitung durch den Einzelrichter nicht eignet, verweist dieser die Angelegenheit an eine Kammer. 124 Art. 17 lid 3 des Berufungsgesetzes lautes: Indien een zaak naar het oordeel van de meervoudige kamer geschikt is voor verdere behandeling door één rechter, kan zij deze verwijzen naar een enkelvoudige kamer. – Soweit sich eine Streitigkeit nach Urteil der Kammer für die weitere Bearbeitung durch einen Richter eignet, kann sie diese an den Einzelrichter verweisen. 125 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 193. 126 Art. 18 lid 1 des Gesetzes zur Verwaltungsrechtsprechung der Wirtschaftsorganisationen lautet: Het College oordeelt, bij uitsluiting, in eerste aanleg tevens in hoogste ressort over het beroep, door een belanghebbende ingesteld tegen: a. een besluit van een lichaam, met uitzondering van een besluit op grond van de Wet openbaarheid van bestuur, en b. een andere handeling, door een lichaam ten aanzien van hem ter uitvoering van zijn bestuurs­ taak verricht, met uitzondering van een privaatrechtelijke rechtshandeling. Das Kollegium entscheidet in erster und einziger Instanz über durch einen Betroffenen eingereichte Klage gegen: a. die Maßnahme einer Körperschaft, mit Ausnahme einer Maßnahme auf der Grundlage des Gesetzes zur Transparenz der Verwaltung, und b. eine andere Handlung, die eine Körperschaft angesichts der ihr zugewiesenen Verwaltungsaufgabe vorgenommen hat, mit Ausnahme einer privatrechtlichen Rechtshandlung. 127 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 192; van Ballegooij/ Barkhuysen/Brenninkmeijer/van Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awb-tijdperk, 2004, S. 166. 128 Art. 20 lid 1 des Gesetzes zur Verwaltungsrechtsprechung der Wirtschaftsorganisationen lautet: Een belanghebbende en het bestuursorgaan kunnen bij het College hoger beroep instellen tegen een uitspraak van de rechtbank als bedoeld in afdeling 8.2.6 van de Algemene wet bestuursrecht en tegen een uitspraak van de voorzieningenrechter van de rechtbank als bedoeld in 123

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

tanz. Die betroffenen Rechtsbereiche sind im Anhang des Gesetzes zur Verwaltungsrechtsprechung Wirtschaftsorganisationen aufgeführt. Es handelt sich dabei unter anderem um das Postgesetz, das Telekommunikationsgesetz und die Erteilung einer Genehmigung zur Verlegung von Kabeln für die Telekommunikationsinfrastruktur.129 Das Kollegium hat seinen Sitz in ’s Gravenhage. Seine Kammern bestehen entweder aus einem einzelnen oder aus drei Richtern. Im Gegensatz zu den verwaltungsrechtlichen Spruchkörpern der Gerichte, die meist ihre Entscheidung durch den Einzelrichter treffen, ist eine Kammer aus drei Mitgliedern die Regel. In einfach gelagerten Fällen kann der Vorsitzende die Sache einem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Präsident, Vizepräsident und Vorsitzende sowie deren Vertreter müssen die Befähigung zum Richteramt besitzen.130 cc) Unabhängigkeit der Richter Die richterliche Unabhängigkeit betrifft Rechtsposition und Befugnisse des Richters. Sie versetzt den Richter in die Lage, auf der Grundlage geltenden Rechts, ohne Beeinflussung von außen, in einer ihm vorgelegten Streitigkeit eine verbindliche Entscheidung zu treffen, die nur durch ein anderes Gericht überprüft werden kann.131 Der Spruchkörper muss insbesondere unabhängig von der Exekutive sein. Daneben problematisiert der EGMR im Fall Procola132 die Unabhängigkeit der Gerichte von Regierung und Parlament. Weisungsgebundenheit und Rechenschaftspflicht stehen der Unabhängigkeit entgegen.133

artikel 8:86 van die wet, inzake een besluit, genomen op grond van een wettelijk voorschrift dat is opgenomen in de bijlage die bij deze wet behoort. – Ein Betroffener und ein Verwaltungsorgan können bei dem College Berufung gegen eine Entscheidung des Gerichts i. S. d. Abteilung 8.2.6 des Awb und gegen eine Entscheidung des erstinstanzlichen Richters im Eilverfahren gem. Art. 8:86 des Awb einlegen, soweit die Maßnahme aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift, die in die Beilage zu diesem Gesetz genannt ist, erlassen wurde. 129 www.Rechtspraak.nl/Gerechten/CBb/Over+het+CBb. 130 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 192. 131 Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht, 2001, S. 146 f.; de Werd, Tobben met de rechtsstaat. Rechterlijke onafhankelijheid en onpartijdigkeid na „Procola“, NJB 1996, S. 233. 132 EHRM (EGMR), Procola, 31.08.1995, AB 1995, 588; Serie A Bd. 326; ausführlich dazu in diesem Kapitel unter „Die niederländischen Verwaltungsgerichte in der Rechtsprechung des EGMR“. 133 Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, 2006, Art. 6 EMRK Rdn. 29; de Werd, Tobben met de rechtsstaat. Rechterlijke onafhankelijheid en onpartijdigkeid na „Procola“, NJB 1996, S. 233 (234).

A. Die Rechtsschutzgarantie

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(1) Ordentliche Gerichtsbarkeit Art. 117 der niederländischen Verfassung134 regelt die richterliche Unabhängigkeit. Er bestimmt, dass der ordentlichen Gerichtsbarkeit angehörende Richter auf Lebenszeit ernannt werden. Die Lebenszeitstellung soll die Richter gegen Einflußnahme von außen schützen und ihnen eine Entscheidung auf der Grundlage einer freien Beweiswürdigung ermöglichen.135 Richter scheiden mit Erreichen der Altersgrenze von 70 Jahren oder auf eigenen Wunsch aus.136 Daneben eröffnet Art. 117 lid 3 die Möglichkeit des außerordentlichen Ausscheidens. Richter können suspendiert oder entlassen werden, wenn ihr Amt aus Krankheitsgründen nicht mehr ausüben können; sie eine Straftat begangen haben und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sind; sie ihr Richteramt missbraucht haben; sie unter Betreuung gestellt werden müssen oder ihre Amtspflichten verletzt haben.137 Art. 117 lid 4 bestimmt, dass die weitere Rechtsposition durch den Gesetzgeber geregelt wird. Das geschah in Form des niederländischen Gerichtsverfassungsgesetzes (Wet op de rechterlijke organisatie, WRO). (2) Besondere Verwaltungsgerichtsbarkeit Die Regelung der Unabhängigkeit der Verwaltungsrichter, die nicht der ordentlichen Gerichtsbarkeit angehören, oblag dem Gesetzgeber. In art. 1:4 lid 1 Awb138 definiert er den Verwaltungsrichter als ein unabhängiges, durch Gesetz einge 134

Art. 117 der niederländischen Verfassung lautet: 1. de leden van de rechtlijke macht met rechtspraak belast en de procureur-general bij de Hoge Raad worden bij koninklijk besluit voor het leven benoemd. 2. Op eigen verzoek en wegens het bereiken van een bij de wet te bepalen leeftijd worden zij ontslagen. 3. In de gevallen bij de wet bepaald kunnen zij door een bij de wet aangewezen tot de rechlijke macht behorend gerecht worden geschorst of ontslagen. 4. De wet regelt overigens hun rechtspositie. 1. Die mit Rechtsprechung betrauten Mitglieder der richterlichen Gewalt und der Generalstaatsanwalt beim hohen Rat werden durch Königlichen Erlass auf Lebenszeit ernannt. 2. Sie werden auf eigenen Wunsch oder bei Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze entlassen. 3. In den durch Gesetz vorgeschriebenen Fällen können sie von einem durch Gesetz bezeichneten, zur richterlichen Gewalt gehörenden Gericht suspendiert oder entlassen werden. 4. Ihre Rechtsstellung ist im übrigen durch Gesetz geregelt. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 135 de Werd, Tobben met de rechtsstaat. Rechterlijke onafhankelijheid en onpartijdigkeid na „Procola“, NJB 1996, S. 233 (235). 136 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 535. 137 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 537. 138 Art. 1:4 lid 1 Awb lautet: Onder administratieve rechter wordt verstaan: en onafhankelijk, bij de wet ingesteld orgaan dat met administratieve rechtspraak ist belast. – Der Verwaltungsrichter ist ein unabhängiges aufgrund eines Gesetzes eingesetztes Organ, das zur Verwaltungsrechtsprechung beauftragt ist.

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

setztes, zur Verwaltungsrechtsprechung befugtes Organ. Danach erfolgt die Berufung der Richter auf Grund des für das jeweilige Gericht einschlägigen Spezialgesetzes. Dieses verweist wiederum auf ein allgemeines Gesetz, das Gesetz zur Rechtsposition von Richtern im Beamtendienst (Wet rechtspositie rechterlijke amtenaren). Dieses regelt die Rechtsposition der besonderen Verwaltungsrichter. Im Fall des zentralen Berufungsrates erklärt z. B. art. 4 lid 1 Berufungsgesetz das Gesetz zur Rechtsposition von Richtern im Beamtendienst für anwendbar. Dessen Bestimmungen entsprechen den Vorgaben zur ordentlichen Gerichtsbarkeit in Art. 117 der niederländischen Verfassung. Gem. art. 1 a lid 1 des Richtergesetzes139 werden auch die besonderen Verwaltungsrichter auf Lebenszeit ernannt. Gem. art. 46 h lid 1140 scheiden sie auf eigenen Wunsch oder mit Erreichen der Altersgrenze von 70 Jahren aus. Die art. 46 i ff. enthalten Entlassungsgründe bei Krankheit und Fehlverhalten. Die entsprechenden Regelungen für die Mitglieder des Staatsrat ergeben sich aus Art. 74 lid 2 der niederländischen Verfassung141 i. V. m. art. 3 lid 1 Staatsratsgesetz142 (Wet ob de Raad van State, Wet RvS).

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Art. 1 a des Richtergesetzes lautet: De rechterlijke ambtenaren met rechtspraak belast, bedoeld in artikel 1, onderdeel c, van de Wet op de rechterlijke organisatie, en de rechterlijke ambtenaren deel uitmakend van het parket bij de Hoge Raad, bedoeld in artikel 1, onderdeel b, onder 3°, van de Wet op de rechterlijke organisatie, worden bij koninklijk besluit voor het leven benoemd, met inachtneming van het bepaalde in deze wet. – Die mit Rechtsprechung beauftragten verbeamteten Richter, gem. art. 1 c. des Gerichtsverfassungsgesetzes und die verbeamteten Richter des Hohen Rates, gem art. 1 b. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes werden durch Königlichen Erlass auf Lebenszeit ernannt unter Berücksichtigung des in diesem Gesetz Bestimmten. 140 Art. 46 h lid 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes lautet: De rechterlijk ambtenaar wordt op eigen verzoek bij koninklijk besluit ontslagen. – Verbeamtete Richter werden auf eigenen Wunsch durch Königlichen Erlass entlassen. 141 Art. 74 lid 2 der niederländischen Verfassung lautet: De leden van de Raad worden bij koninklijk besluit voor het leven benoemd. – Die Mitglieder des Staatsrates werden durch Königlichen Erlass auf Lebenszeit ernannt. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) Art. 74 lid 3 der niederländischen Verfassung lautet: Op eigen verzoek en wegens het bereiken van een bij de wet te bepalen leeftijd worden zij ontslagen. – Sie werden auf eigenen Wunsch oder bei Erreichen einer durch Gesetz festzulegenden Altersgrenze entlassen. (Über­ setzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 142 Art. 3 lid 1 des Staatsratsgesetzes lautet: De vice-president en de staatsraden worden bij koninklijk besluit op voordracht van Onze Minister van Binnenlandse Zaken in overeenstemming met Onze Minister van Justitie voor het leven benoemd. Voor de benoeming van de vice-president wordt de Raad gehoord; voor de benoeming van de staatsraden doet de Raad een aanbeveling. – Der Vize-Präsident und die Staatsräte werden auf Vorschlag des Innenministers in Abstimmung mit dem Justizminister durch Königlichen Erlass ernannt. Vor der Ernennung des Vize-Präsidenten wird der Staatsrat gehört, vor der Ernennung der Ratsmitglieder gibt er eine Empfehlung ab.

A. Die Rechtsschutzgarantie

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dd) Unparteilichkeit der Richter Unparteilichkeit bedeutet, dass der Richter den Parteien unvoreingenommen gegenübertritt.143 Ein Gericht hat fair und objektiv zu entscheiden, wobei die Grenzen zwischen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verschwimmen.144 Die niederländische Verfassung schweigt zur Unparteilichkeit der Richter.145 Allerdings ist eine innerstaatliche Regelung, die diese gewährleistet, unverzichtbar.146 Deshalb wurde sie mit art. 8:15147 in das Awb aufgenommen. Der Artikel gilt für alle mit Verwaltungsrechtsprechung betrauten Personen.148 Danach besteht die Möglichkeit, den Ausschluss eines Richters von der Verhandlung zu beantragen, wenn Tatsachen vorliegen, die Anlass zu Zweifeln an dessen Unparteilichkeit geben. Die Vorschrift formt die Vorgabe des Art. 6 Abs. 1 EMRK aus. Das wird auch in der nationalen Rechtsprechung deutlich. Der Hohe Rat sah einen Rechtsanwalt, der in derselben Angelegenheit zunächst erstinstanzlich vertreten hatte und anschließend zweitinstanzlich als beisitzender Richter tätig wurde, als befangen an.149 Die Anforderungen des art. 8:15 Awb orientieren sich an den Ausführungen des EGMR zur richterlichen Unparteilichkeit. Der EGMR unterscheidet in seiner Rechtsprechung zwischen subjektiver und objektiver Parteilichkeit. Dabei bezieht sich der Begriff Parteilichkeit sowohl auf den einzelnen Richter als auch auf den gesamten Spruchkörper.150 Subjektive Parteilichkeit bedeutet, dass der Richter sich bei der Entscheidungsfindung von persönlichen Motiven leiten lässt. Ein Beweis ist meist schwer zu führen. Die Vermutung muss objektiv gerechtfertigt sein, d. h. es muss tatsächliche Anzeichen für die Parteilichkeit geben.151 Bei der Prüfung nach objektiven Gesichtspunkten kommt es darauf an, ob nachweisbare Umstände

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Schreuder-Vlasblom, de awb, het bestuursprocesrecht, 2001, S. 147. de Werd, Tobben met de rechtsstaat. Rechterlijke onafhankelijheid en onpartijdigkeid na „Procola“, NJB 1996, S. 233 (236). 145 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 519. 146 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, i­ nleidende opmerking Afdeling 8.1.4 Awb; Daalder/deGroot, Parlementaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede tranche, 1994, S. 409 f. 147 Art. 8:15 Awb lautet: Op verzoek van een partij kann elk van de rechters, die een zaak behandelen, worden gewraakt op grond van feiten of omstandigheiden waardoor de rechterlijke onpartijdigheid schade zou kunnen lijden. – Auf Antrag einer Partei kann jeder der Richter, die die Streitigkeit verhandeln, abgelehnt werden auf Grund von Tatsachen und Umständen, die der richterlichen Unparteilichkeit schaden können. 148 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, inleidende opmerking Afdeling 8.1.4 Awb. 149 HR 30.06.2000, Rechtspraak van de week 2000, 170. 150 de Werd, Tobben met de rechtsstaat. Rechterlijke onafhankelijheid en onpartijdigkeid na „Procola“, NJB 1996, S. 233 (236). 151 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:15 Awb Nr. 2; so auch die Rechtsprechung des EHMR (EGMR) 26.10.1984, NJ 1988, 744. 144

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

objektiv berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters begründen.152 Die Anforderungen an die Beweisbarkeit liegen deutlich unter denen der subjektiven Parteilichkeit.153 Bereits der Anschein eines Zweifels reicht aus.154 ee) Die niederländischen Verwaltungsgerichte in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschrechte Der EGMR befasste sich in der Vergangenheit mehrmals mit der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der niederländischen Verwaltungsgerichte. Er entschied wegen Verletzung dieser Grundsätze mehrmals gegen die Niederlande. Daraufhin veränderten die Niederlanden ihren Verwaltungsrechtsschutz grundlegend. (1) Die Abteilung für Verwaltungsstreitigkeiten des Staatsrates Die erste einer Reihe von Entscheidungen war der Benthem-Arrest155, der zur Abschaffung des Kroonberoep und zur Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit führte. Im Fall Benthem stellte der EGMR fest, dass der Rechtsbehelf des Kroonberoep den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht genüge. Am Kroonberoep wirkten die Abteilung für Verwaltungsstreitigkeiten des Staatsrates und die Krone mit. Nach der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte war keines der beiden Gremien unabhängig und unparteiisch. Die Abteilung für Verwaltungsstreitigkeiten des Staatsrates unterbreite lediglich einen Entscheidungsvorschlag, der nicht verbindlich sei. Bei der Krone handle es sich um ein Verwaltungsorgan.156 Die Entscheidung des EGMR in der Sache Procola157, die den luxemburgischen Staatsrat betraf, entfachte eine lebhafte Diskussion über den Staatsrat der Niederlande und seine Qualitäten als unabhängiges und unparteiisches Gericht. Der EGMR entschied, dass der luxemburgische Staatsrat nicht als unparteiisches richterliches Gremium i. S. d. Art. 6 EMRK angesehen werden könne. Vier der fünf mit der Angelegenheit als Richter betrauten Staatsräte hatten bereits beratend beim Erlass gesetzlicher Regelungen mitgewirkt, über die sie anschließend zu Gericht saßen. Deshalb fürchtete der Kläger, dass sich diese Staatsräte gegenüber dem

152 EHRM 07.08.1996, NJ 1998, 185; Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, 2006, Art. 6 EMRK Rdn. 30. 153 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:15 Awb Nr. 2. 154 Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, 2006, Art. 6 EMRK Rdn. 30. 155 EHRM, Benthem, 23.10.1985, AB 1986, 1; Series A no. 97; NJW 1987, S. 2141. 156 Siehe dazu im 1. Teil, B. I. 5. a). 157 EHRM (EGMR), Procola, 31.08.1995, AB 1995, 588; Serie A Bd. 326.

A. Die Rechtsschutzgarantie

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luxemburgischen Gesetzgeber an ihre ursprüngliche Stellungnahme gebunden fühlen könnten und deshalb in ihrer Entscheidung nicht frei seien.158 Auch in den Niederlanden ist der Staatsrat sowohl an der Gesetzgebung159 als auch an der Rechtsprechung beteiligt. Nach der Entscheidung Procola diskutierte man, ob das länger hingenommen werden könne. In der Entscheidung Kleym160 äußerte sich der EGMR zu dieser Frage. Im konkreten Fall stellte er keinen Verstoß gegen das Gebot der Unparteilichkeit des Art. 6 Abs. 1 EMRK fest. Die Mitwirkung des Staatsrates bezog sich im Gesetzgebungsprozess auf andere Fragen als die, die seine Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung im anschließenden gerichtlichen Verfahren zu klären hatte. Gleichzeitig gab der EGMR aber zu bedenken, dass in einem anderen Fall, in dem der Staatsrat im Gesetzgebungs- und im gerichtlichen Verfahren dieselben Fragen vorgelegt bekomme, die Kombination der Funktionen problematisch sein könne. Vor diesem Hintergrund erscheint eine strikte Abgrenzung zwischen Staatsräten, die im Gesetzgebungsprozess mitwirken und denen, die Recht sprechen, unausweichlich.161 (2) Das Kollegium für Klagen aus dem Wirtschaftsleben Auch das Kollegium für Klagen aus dem Wirtschaftsleben (CBB) wurde durch den EGMR auf seine Qualität als unabhängiges und unparteiliches Gericht überprüft. In der Entscheidung van de Hurk162 stellte der EGMR fest, dass das Kollegium kein unabhängiges Gericht im Sinne der EMRK sei. Art. 74 lid 1 alte Fassung wet administrative rechtsspraak bedrijfsorganisatie sah vor, dass die Krone ihre eigenen Beschlüsse an die Stelle der Entscheidung des Kollegiums setzen durfte, wenn die Möglichkeit bestehe, dass die Folgen der Entscheidung dem öffentlichen Interesse

158 Dazu Michiels, Staats- en bestuursrecht, 2004, S. 379; van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 518 f. 159 Der Staatsrat (Raad van State) ist das bedeutendste der hohen Staatskollegien. Die hohen Staatskollegien sind eine niederländische Besonderheit. Sie haben allesamt beratende Funktion. In gesetzlich geregelten Fällen ist ihre Stellungnahme einzuholen, von der nicht ohne Begründung abgewichen werden darf. Unterbleibt die Mitwirkung, so wird der Akt wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers aufgehoben. Im Staatsrat führt der König den Vorsitz. Die Funktionen des Staatsrates sind in einem eigenen Gesetz geregelt. Er wirkt beratend bei der Gesetzgebung, beim Erlaß von Verwaltungsverordnungen und beim Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen, Art. 73 lid 1 GW. Eine seiner Abteilungen ist mit Verwaltungsrechtssprechung betraut, Art. 73 lid 3 GW. Sie bildet die zweite und gleichzeitig letzte Instanz des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. 160 EHRM (EGMR), Kleym, 16.05.2003, Jur. S. 563; van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, inleidende opmerking Afdeling 8.1.4 Awb. HR 30.06.2000, Rechtspraak van de week 2000, 170. 161 Michiels, Staats- en bestuursrecht, 2004, S. 379; Brenninkmeijer, Onafhankelijke bestuurs­ rechtspraak, NJB 1995, S. 1364. 162 EHRM (EGMR), van de Hurk, 19.04.1994, NJCM-Bulletin 1994, S. 389; Series A no. 288.

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

zuwider liefen, z. B. im Falle tiefgreifender finanzieller Auswirkungen (grote financiele repercussies). Obwohl die Regierung von diesem Recht noch nie Gebrauch gemacht hatte, stellte der EGMR einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK fest. Die umstrittene Bestimmung wurde daraufhin aufgehoben, so dass das Kollegium nun die Voraussetzungen eines unabhängigen und unparteilichen Tribunals erfüllt.163 b) Zugang zu den Gerichten aa) Grundlagen Das Recht auf Zugang zu einem Gericht ist Ausfluss des Rechts auf ein Gericht. Es umfasst sowohl die Befugnis, einen Rechtsstreit anhängig zu machen als auch das Recht auf eine abschließende gerichtliche Entscheidung. Für den Bereich des öffentlichen Rechts bedeutet das, dass der Betroffene die Möglichkeit hat, Maßnahmen der Verwaltung, die in seine Rechte eingreifen, durch ein Gericht über­ prüfen zu lassen.164 Zudem fordert Art. 6 Abs. 1 EMRK, dass das Gericht die Befugnis hat, alle für den Rechtsstreit wichtigen rechtlichen und tatsächlichen Fragen abschließend zu untersuchen.165 Z. B. bemängelte der EGMR in der Sache Terra Wohnungen (Terra Woningen)166, dass sich der Amtsrichter kein eigenes Urteil über mögliche Bodenverschmutzungen hatte bilden können, sondern an die Feststellungen der Behörde gebunden war. Dieses Vorgehen stehe zu dem Recht auf Zugang zu einem Gericht im Widerspruch. bb) Beschränkungen des Rechts auf Zugang zu den Gerichten Das Recht auf Zugang zu einem Gericht muss allerdings nicht unbeschränkt gewährt werden. Zum einen kommen Beschränkungen durch Verfahrensvorschriften in Betracht, zum anderen besteht die Möglichkeit, die Kontrolle durch den Richter nur innerhalb bestimmter Grenzen zuzulassen.167 Die wichtigsten prozessualen Beschränkungen ergeben sich aus den Gebührentatbeständen des art. 8:41 lid 3 Awb168 (Griffierecht). In der Praxis bewegen sich 163

Michiels, Staats- en bestuursrecht, 2004, S. 379. Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, 2006, Art. 6 EMRK Rdn. 18a. 165 Michiels, Staats- en bestuursrecht, 2004, S. 375. 166 EHRM (EGMR), Terra-Woningen, 17.12.1996, ÖJZ 1998, S. 69. 167 Siehe dazu im 5. Teil, C. 168 Art. 8:41 Awb lautet: Het griffierecht bedraagt: a. € 41 indien door een natuurlijke persoon beroep is ingesteld tegen: … b. € 150 indien door een natuurlijke persoon beroep is ingesteld tegen een ander besluit dan een besluit als bedoeld in onderdeel a, tenzij bij wet anders is bepaald, en c. € 297 indien anders dan door een natuurlijke persoon beroep is ingesteld. 164

A. Die Rechtsschutzgarantie

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die Gerichtsgebühren zwischen 39 € und 143 €. Für juristische Personen liegen sie bei 285 €. Nach dem Einreichen der Klage fordert der zuständige Justizangestellte (griffier) den Kläger auf, binnen vier Wochen die Gerichtsgebühren einzuzahlen. Gehen die Gerichtsgebühren nicht bis zum Ende dieser Frist ein, wird die Klage als unzulässig abgewiesen.169 Art. 8:41 Awb sieht keine Möglichkeit der Kürzung oder des Verzichts auf Gerichtsgebühren vor, obwohl das Recht auf Zugang zu den Gerichten durch den Gebührenzwang vereitelt werden kann. Die nationalen Gerichte sind sich dessen bewusst und berücksichtigen diesen Umstand deshalb in ihrer Rechtsprechung.170 Der zentrale Berufungsrat entschied, es müsse Zahlungsaufschub gewährt werden, wenn der Kläger sich auf Zahlungsunfähigkeit berufe.171 Eine weitere Beschränkung ergibt daraus, dass das niederländische Verfahrensrecht für die Bereiche des Zivilrechts und des öffentlichen Rechts keine Prozesskostenhilfe kennt. Häufig werden die Rechte von sozial schwachen Bürgern in rechtlich schwierigen Angelegenheiten nicht angemessen wahrgenommen, weil diese nicht in der Lage sind, die Rechtsanwaltsgebühren zu bezahlen, zumal kein Anwaltszwang herrscht.172 Im Strafverfahren gibt es die Möglichkeit des Rechtsbeistandes für Mittellose gem. art. 1 f. i. V. m. art. 12 des Gesetzes zum Rechts­ beistand (Wet op de Rechtsbijstand).173 c) Effektives Verfahren Art. 6 Abs. 1 EMRK garantiert dem Bürger nicht nur Rechtsschutz in vielen öffentlichrechtlichen Angelegenheiten. Er garantiert auch eine angemessene Verwaltungsrechtsprechung (behoorlijke bestuursrechtspraak).174 Die Ansprüche auf eine Entscheidung in angemessener Zeit, auf ein faires Verfahren und auf die Vollstreckbarkeit der gerichtlichen Entscheidung bringen dieses Recht zum Ausdruck.175

Die Gerichtsgebühr beträgt: a. € 41 wenn eine natürliche Person Klage erhebt gegen: … b. € 150 wenn eine natürliche Peron Klage erhebt gegen eine Maßnahme, die nicht in Unterteil a aufgeführt ist, es sei denn das Gesetz bestimmt etwas anderes, und c. € 297 wenn anders als durch eine natürliche Person Klage erhoben wird. 169 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:41 Nr. 4. 170 Michiels, Staats- en bestuursrecht, 2004, S. 376. 171 CRvB 17.04.2002, JB 2002, 174; so zuvor auch schon der Hoge Raad, HR 17.06.1992, BNB 1992/277; Simons, De rechterlijke organisatie in Nederland, 1996, S. 37. 172 Michiels, Staats- en bestuursrecht, 2004, S. 376. 173 Simons, De rechterlijke organisatie in Nederland, 1996, S. 37. 174 Widdershoven/Verhoeven/Prechal/Duikersloot/van de Gronden/Hessel/Ortlep, De Euro­ pese agenda van de Awb, Derde Evaluatie van de Algemene wet bestuursrecht 2006, 2007, 35 f. 175 Michiels, Staats- en bestuursrecht, 2004, S. 378.

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

aa) Entscheidung in angemessener Zeit Eine überlange Prozessdauer kann dazu führen, dass die Rechte des Klägers vereitelt werden. Deshalb muss das Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums verhandelt und entschieden haben. Ob ein Verfahren in angemessener Zeit durchgeführt wurde, ist anhand von zwei Kriterien zu ermitteln: dem maßgeb­ lichen Zeitraum und der angemessenen Frist.176 (1) Maßgeblicher Zeitraum Im Verwaltungsrechtsstreit ist dem gerichtlichen Verfahren häufig zwingend ein Verwaltungsverfahren vorgelagert.177 Im Fall Meldrum/Schouten178 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass das Vorverfahren in die Beurteilung über die Länge des Verfahrens mit einzubeziehen sei. Das entfachte eine heftige Diskussion zur Länge des Vorverfahrens in den Niederlanden.179 Im Awb ist die Frist für eine Entscheidung der Verwaltung im Vorverfahren zwar vorgegeben. Bei einer Überschreitung der Frist drohen der Verwaltung jedoch keine Sanktionen. Dem Bürger bleibt lediglich der Rechtsbehelf der Untätigkeitsklage,180 von dem selten Gebrauch gemacht wird. Das führt dazu, dass die gesetzliche Frist in den seltensten Fällen eingehalten wird.181 Die Literatur schlägt deshalb vor, eine Überschreitung der Entscheidungsfristen zu sanktionieren.182 (2) Angemessene Frist In der Rechtsprechung des EGMR ist keine feste zeitliche Grenze zu erkennen. Der Gerichtshof entscheidet von Fall zu Fall und berücksichtigt dabei die jeweiligen Besonderheiten der Angelegenheit. Er stellt auf die Schwierigkeiten der Sache ab, das Verhalten des Beschwerdeführers, die Verhaltensweise der Gerichte und die Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer.183 Bei den niederländischen Verwaltungsgerichten war das Verfahren vor der Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung beim Staatsrat durch eine extrem lange Prozessdauer gekennzeichnet. Sie betrug bis zu 4 Jahren. In der Sache van Nus184 176

Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, 2006, S. 139. Siehe dazu die Ausführungen im 3. Teil, A. I. 178 EHRM (EGMR), Meldrum/Schouten, 09.12.1994, AB 1995, 599; Vorentscheidung CRvB 22.06.1994, AB 1995, 63. 179 Michiels, Staats- en bestuursrecht, 2004, S. 380. 180 Die Untätigkeitsklage ist in art. 6:12 Awb geregelt. 181 Siehe dazu 2. Teil, E. I. 4. b). 182 Michiels, Staats- en bestuursrecht, 2004, S. 380. 183 Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, 2006, S. 142. 184 EHRM (EGMR), 28.09.1999, van Nus t. Nederland (ontv.besl. nr. 37538/97). 177

A. Die Rechtsschutzgarantie

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entschied der EGMR, dass eine derartig lange Verfahrensdauer gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoße. Daraufhin wurde angeregt in die Spezialgesetze, die der Abteilung eine erstinstanzliche Zuständigkeit, wie z. B. art. 7 i lid 1 Deichgesetz (Wet op de waterkering)185, zuweisen, Bestimmungen über die Prozessdauer einzufügen.186 bb) Faires Verfahren Art. 6 Abs. 1 EMRK fordert ein faires Verfahren (eerlijke behandeling). Darüber, was unter einem fairen Verfahren zu verstehen ist, schweigt die Vorschrift. Der EGMR fasst in seiner Rechtsprechung mehrere Grundsätze darunter zusammen. Dazu zählen das Recht auf rechtliches Gehör, angemessene Mitwirkungsrechte der Beteiligten, die Waffengleichheit der Parteien, eine öffentliche Verhandlung und Urteilsverkündung sowie eine eingehende Begründung der Entscheidung.187 Das Recht auf rechtliches Gehör setzt voraus, dass der Betroffene Kenntnis von einem gegen ihn gerichteten Verfahren erlangt und die Möglichkeit hat, sich in angemessener Weise zu verteidigen.188 Im Fall Van den Hurk189 entschied der EGMR, dass das staatliche Gericht den Vortrag zur Kenntnis nehmen und bei seiner Entscheidung berücksichtigen müsse. Nach dem Gebot der Waffengleichheit der Parteien müssen alle Parteien im Verfahren gleich behandelt werden. Sie müssen insbesondere im gleichen Umfang unterrichtet werden und unter denselben Bedingungen die Möglichkeit haben, ihren Standpunkt vorzutragen und ihre Rechte geltend zu machen.190 Die art. 8:37 bis 8:40 Awb enthalten dem entsprechend Vorschriften zur Gewährung von Akteneinsicht. Als eine weitere Ausprägung des Gebotes der Waffengleichheit verbietet art. 12 des Gerichtsverfassungsgesetzes (WRO) den Richtern den Kontakt mit den Parteien außerhalb der Sitzung.191 Art. 6 EMRK garantiert die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung, es sei denn einer der in Art. 6 EMRK genannten Gründe greift ein und führt dazu, dass die 185 Art. 7i lid 1 Deichgesetz lautet: Tegen een besluit als bedoeld in de artikelen 6a, eerste lid, 7b, tweede lid, en 7d, eerste lid, kan beroep worden ingesteld bij de Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State. – Gegen eine Maßnahme im Sinne der art. 6a lid 1, 7b lid 2 und 7d lid 1 kann bei der Abteilung Verwaltungsrechtsprechung beim Staatsrat Klage eingereicht werden. 186 Michiels, Staats- en bestuursrecht, 2004, S. 381. 187 Michiels, Staats- en bestuursrecht, 2004, S. 382. 188 EHRM (EGMR), Van den Hurk, 19.04.1994, NJCM-Bulletin 1994, S. 389; Series A no. 288; Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, 2006, S. 142; Rdn. 38. 189 EHRM (EGMR), Van den Hurk, 19.04.1994, NJCM-Bulletin 1994, S. 389; Series A no. 288. 190 Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, 2006, S. 127. 191 Simons, De rechterlijke organisatie in Nederland, 1996, S. 43.

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

Sitzung ganz oder teilweise nicht öffentlich stattfinden darf. Art. 8:62 Awb setzt diese Vorgabe übereinstimmend mit Art. 121 der niederländischen Verfassung um.192 Danach sind gem. art. 8:62 lid 1 Awb193 Gerichtsverhandlungen grundsätzlich öffentlich.194 Die in art. 8:62 lid 2 Awb195 genannten Gründe für einen Ausschluss der Öffentlichkeit korrespondieren mit denen des Art. 6 EMRK. Danach findet eine Verhandlung in nicht öffentlicher Sitzung statt, sofern Belange der öffentlichen Ordnung, der guten Sitten oder der Staatssicherheit betroffen sind, oder die Belange Minderjähriger oder die Achtung der Intimsphäre der Parteien dies fordern. Außerdem ist ein Ausschluss der Öffentlichkeit angezeigt, wenn durch eine öffentliche Sitzung das Vertrauen in die Justiz ernsthaft Schaden nehmen könnte.196 Die Urteilsverkündung erfolgt immer öffentlich, art. 8:67 lid 5 Awb197. Sie ist immer mit Gründen zu versehen und enthält einen Hinweis auf die Rechtsmittel.198

192 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:62 Nr. 1. 193 Art. 8:62 lid 1 Awb lautet: De zitting is openbaar. – Die Sitzung ist öffentlich. 194 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:62 Nr. 2. 195 Art. 8:62 lid 2 Awb lautet: De rechtbank kan bepalen dat het onderzoek ter zitting geheel of gedeeltelijk zal plaatshebben met gesloten deuren: a. in het belang van de openbare orde of de goede zeden, b. in het belang van de veiligheid van de Staat, c. indien de belangen van minderjarigen of de eerbiediging van de persoonlijke levenssfeer van partijen dit eisen, of d. indien openbaarheid het belang van een goede rechtspleging ernstig zou schaden. Das Gericht kann bestimmen, dass die Beweisaufnahme während der mündlichen Verhandlung teilweise und im ganzen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet: a. im Interesse der öffentlichen Ordnung und der guten Sitten/des Anstandes, b. aus Gründen der Staatssicherheit, c. zum Schutz von Minderjährigen oder der Privatsphäre, wenn die Parteien dies fordern, oder d. wenn die Öffentlichkeit der ordnungsgemäßen Rechtspflege ernsthaft schadet. 196 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:62 Nr. 3. 197 Art. 6:67 lid 5 Awb lautet: De rechtbank spreekt de beslissing, bedoeld in het tweede lid, in het openbaar uit, in tegenwoordigheid van de griffier. Daarbij wordt vermeld door wie, binnen welke termijn en bij welke administratieve rechter welk rechtsmiddel kan worden aangewend. – Das Gericht verkündtet eine Entscheidung i. S. d. 2. Absatzes immer öffentlich in Anwesenheit des Protokollführers. Dabei wird gleichzeitig angegenben wer bei welchem Verwaltungsgericht welches Rechtsmittel einlegen kann. 198 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:67 Nr. 5.

A. Die Rechtsschutzgarantie

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cc) Durchsetzung der gerichtlichen Entscheidung Im Fall Hornsby199 entschied der EGMR, das Recht auf Rechtsschutz laufe leer, wenn nicht gleichzeitig die Befolgung und Durchsetzung der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung garantiert werde. Deshalb gewährleiste Art. 6 Abs. 1 EMRK auch die Vollstreckung (Tenuitvoerlegging). Da in den Niederlanden Schadensersatzansprüche gegen die öffentliche Gewalt meistens durch den Zivilrichter entschieden werden, erfolgt die Vollstreckung nach den Vorschriften der niederländischen Zivilprozessordnung (Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering).200 Die Regelungen zur Vollstreckung von Urteilen und Beschlüssen finden sich dort in den art. 430 bis 620.

III. Die Güte der Rechtsschutzgarantie in den Niederlanden Innerstaatlich wird die Rechtsschutzgarantie allein aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet. Die Verfassung enthält keine ausdrückliche Bestimmung, die dem Bürger das Recht auf Rechtsschutz garantiert. Dieser Mangel wird jedoch dadurch ausgeglichen, dass die Völkerrechtlichen Verträge in den Niederlanden in nationales Recht transformiert werden. Dadurch ist Art. 6 Abs. 1 EMRK wie innerstaatliches Recht zu behandeln. Er ist allerdings nicht uneingeschränkt auf öffentlichrechtliche Maßnahmen anwendbar. Dort wo seine Anwendung nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte möglich ist, entsprechen seine Rechtsschutzgarantien denen des Art. 19 IV des deutschen Grundgesetzes. Daher erreicht die Rechtsschutzgarantie in den Niederlanden in diesem Bereich die gleiche Güte wie die in Deutschland. Hinsichtlich der durch Art. 6 Abs. 1 EMRK verbrieften Rechte gab es eine umfangreiche Rechtsprechung des EGMR. Das Ergebnis der jeweiligen Entscheidungen wurde von den Niederlanden aufgenommen und entsprechend umgesetzt. Deshalb verfügen die Niederlande heute einfachgesetzlich über detaillierte Ver­ fahrensgarantien. Sie gewährleisten dem Bürger ein faires Verfahren vor einem unabhängigen, unparteilichen Verwaltungsgericht in angemessener Zeit.

199

EHRM (EGMR), Hornsby, 19.03.1997, NJ 1998, 434; Urteils- und Entscheidungssammlung 1997 – II. 200 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/van Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awbtijdperk, 2004, S. 237.

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

B. Die Befugnis, einen Rechtsbehelf einzulegen Gem. art. 8:1 lid 1 Awb201 gewähren die Gerichte dem Betroffenen (belang­ hebbende) Rechtsschutz. Art. 7:1 Awb202, der auf art. 8:1 lid 1 Awb verweist, verleiht dem Betroffenen die Antragsbefugnis im Vorverfahren.

I. Geschützter Personenkreis Art. 1:2 lid 1 Awb203 definiert den Betroffenen als denjenigen, dessen Interessen unmittelbar durch Handlungen der Verwaltung beeinträchtigt werden, und bestimmt damit den geschützten Personenkreis im Allgemeinen. Die Absätze 2 und 3 regeln die Klagebefugnis von Verwaltungsorganen und besonderen Rechtspersonen. 1. Rechtssubjekte mit Betroffenenqualität Betroffene können sowohl natürliche als auch juristische Personen204 und Personengruppen, wie Vereine und Verbände, sein.205 Letzteres ergibt sich aus dem Umstand, dass Vereine z. B. Genehmigungen beantragen können. Nach niederländischem Rechtsverständnis muss im Falle einer Ablehnung des Antrags ein Recht existieren, das es den Antragstellern ermöglicht, gegen diese Ablehnung gerichtlich vorzugehen.206 Daneben kommen Vereinigungen in Betracht, die in einer besonderen Beziehung zu der Maßnahme stehen.207 Da das Gesetz sich nicht auf natürliche und Rechtspersonen festlegt, sondern nur von demjenigen spricht, dessen Belange betroffen sind, geht man in den Niederlanden davon aus, dass der Status des „Betroffenen“ keine Rechtspersönlichkeit voraussetzt. Als Beispiel werden Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit (vennootschap), wie offene Handelsgesellschaften, angeführt. Soweit deren Mitglieder in ihren persönlichen Belangen betroffen sind, ist die Gesellschaft klagebefugt.208 201

Art. 8:1 lid 1 Awb lautet: Een belanghebbende kan tegen een besluit beroep instellen bij de rechtbank. – Ein Betroffener kann gegen eine Verwaltungsmaßnahme bei Gericht klagen. 202 Art. 7:1 lid 1 Awb lautet: Degene aan wie het recht is toegekend beroep bij een administratieve rechter in te stellen, dient alvorens beroep in te stellen bezwaar te maken, tenzij: … – Derjenige, der das Recht hat, vor einem Verwaltungsgericht zu klagen, muss bevor er klagt, ein Vorverfahren durchlaufen, es sei denn: … 203 Art. 1:2 lid 1 Awb lautet: Onder belanghebbende wordt verstaan: degene wiens belang rechtstreeks bij een besluit is betrokken. – Betroffener ist derjenige, dessen Belange durch eine Maßnahme unmittelbar beeinträchtigt sind. 204 CRvB 18.11.2003, RSV 2004, 28; CRvB 12.12.2003, RSV 2004, 34. 205 ABRvS 23.05.2000, AB 2000, 326. 206 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 85. 207 Schlössels, De Belanghebbende, 2004, S. 1. 208 ABRvS 13.05.1996, Ab 1996, 312; van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 1:2 Nr. 2 b); Michiels (red.) Staats- en bestuursrecht, Tekst en materiaal, 2004, S. 46.

B. Die Befugnis, einen Rechtsbehelf einzulegen

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2. Verwaltungsorgane als Betroffene Art. 1:2 lid 2 Awb209 räumt Verwaltungsbehörden, soweit in die ihnen zugewiesenen Befugnisse eingegriffen wird,210 ein Recht zur Klage ein. Dadurch soll sicher­ gestellt werden, dass Verwaltungsorgane, die bestimmte Interessen von Amts wegen zu vertreten haben und durch eine Maßnahme eines anderen Verwaltungsorgans betroffen sind, dieselben Rechte erhalten, wie diejenigen, die in den Anwendungsbereich des lid 1 fallen.211 3. Besondere Rechtspersonen als Betroffene Während art. 1:2 lid 1 Awb garantieren soll, dass nur der Betroffene rechtsbehelfsbefugt ist, erhalten privatrechtlichen Organisationen unter der Voraussetzung, dass ihre Gründung zu einem durch Satzung bestimmten Zweck erfolgte und sie in diesem Sinne tätig sind, soweit ihre kollektiven und allgemeinen Interessen betroffen sind, durch lid 3212 ebenfalls Betroffenenqualität. Kollektive Interessen sind alle individuellen Ziele der Rechtsperson im Rahmen ihres satzungsmäßig bestimmten Zwecks. Die allgemeinen Interessen sind dagegen im Sinne von öffentlichem Interesse zu verstehen, wie z. B. der Schutz einer bestimmten Landschaft oder Tierart. Sie dienen der Allgemeinheit.213 Diese Möglichkeit wird allerdings nur Vereinigungen und Stiftungen eröffnet, die Rechtspersönlichkeit besitzen.214 Ein Verein in Gründung oder eine Stiftung in Gründung erfüllt diese Voraussetzungen nicht.215 In Vor- und Klageverfahren kann nur die Rechtsperson als solche auftreten. Eine Arbeitsgruppe, die Teil einer größeren Vereinigung ist, besitzt z. B. keine Klagebefugnis. Auch einzelne Mitglieder können Belange des Vereins aus der Satzung nicht geltend machen.216

209 Art. 1:2 lid 2 Awb lautet: Ten aanzien van bestuursorganen worden de hun toevertrouwde belangen als hun belangen beschouwd. – Bei Verwaltungsorganen werden die ihnen zugewiesenen Befugnisse als ihre Belange betrachtet. 210 ABRvS 20.03.2002, AB 2002, 8; ABRvS 21.07.2004, AB 2005, 204; van Ballegooij/ Bruil/Kleijn/Schilder, Bestuursrecht in het Awb-Tijdperk, 2004, S. 28; es geht hier vor allem um Streitigkeiten zwischen den einzelnen Verwaltungsträgern. 211 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 1:2 Nr. 5. 212 Art. 1:2 lid 3 Awb lautet: Ten aanzien van rechtspersonen worden als hun belangen mede beschouwd de algemene en collectieve belangen die zij krachtens hun doelstellingen en blijkens hun feitelijke werkzaamheden in het bijzonder behartigen. – Bei Rechtspersonen werden die allgemeinen und kollektiven Belange, die sie kraft ihrer Zielsetzung und der sich daraus ergebenden Betätigung vertreten, als ihre Belange angesehen. 213 de Meij/van der Vlies, Inleiding tot het staatsrecht en het besturrsrecht, 2004, S. 156. 214 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 1:2 Nr. 6 a). 215 ABRvS 01.02.2006, nr. 200505618/1. 216 ABRvS 17.05.2006, JB 2006/195.

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

II. Geschützte Interessen Die Befugnis, einen Rechtsbehelf einzulegen, setzt den Nachweis eines Interesses an der als unrechtmäßig gerügten Maßnahme voraus. Der Gesetzgeber entschied sich damit für einen Mittelweg zwischen der Popularklage, die jedermann ein Klagerecht einräumt, und der Forderung nach der Verletzung eines subjektiven Rechts nach deutschem Vorbild.217 In den Niederlanden ist es nicht entscheidend, dass die betroffenen Belange zu den Belangen gehören, die die angewandte gesetzliche Vorschrift zu schützen bezweckt. Entscheidend ist allein die Beeinträchtigung privater Interessen.218 Diese führt automatisch zur Klagebefugnis und setzt, soweit der Rechtsbehelf zulässig ist, eine Rechtmäßigkeitsprüfung in Gang, die bei Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Maßnahme zu deren Aufhebung führt. Es geht dabei um eine objektive Prüfung, die durch den Rechtsbehelf des Betroffenen eingeleitet wird.219 Damit lehnt sich die niederländische Regelung an die französische an.220 Diese lässt ebenfalls ein direktes persönliches Interesse an der Aufhebung der Verfügung, das dem Kläger nicht ausschließlich zustehen muss, ausreichen.221 Allerdings erfolgt die objektive Prüfung in den Niederlanden in den Grenzen des Vortrags des Betroffenen. Das Gericht nimmt keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle von Amts wegen vor,222 wie das in Frankreich der Fall ist.223 Deshalb werden in den Niederlanden immer mehr Stimmen laut, die sich für die Einführung der Schutznormtheorie nach deutschem Vorbild aussprechen. Sie sind der Auffassung, dass diese besser zu dem vorrangigen Ziel der verwaltungsgerichtlichem Kontrolle, dem Rechtsschutz des Bürgers, passe,224 als die rein objektive Kontrolle, bei der die Kontrolle der Verwaltung im Vordergrund steht.225 Der Begriff Interesse ist nicht gesetzlich definiert. Es besteht aber Einigkeit darüber, dass es sich um ein objektives, tatsächlich vorhandenes Interesse handeln muss. Die Literatur versteht darunter jeden Vor- oder Nachteil, der ökonomisch messbar ist.226 Hinsichtlich der Voraussetzungen, die ein die Klagebefugnis begründendes Interesse erfüllen muss, entwickelte die Rechtsprechung allgemeine 217

Stroink, Kern van de bestuursrechtspraak, 2004, S. 93. van Ballegooij/Bruil/Kleijn/Schilder, Bestuursrecht in het Awb-Tijdperk, 2004, S. 27. 219 Schlössels, De Belanghebbende, 2004, S. 21 ff. 220 Frowein (Hrsg.), Die Kontrolldichte bei der gerichtlichen Überprüfung von Handlungen der Verwaltung, 1993, Lerche, Landesbericht Frankreich, S. 4. 221 Woehrling, Die französische Gerichtsbarkeit im Vergleich mit der Deutschen, NVwZ 1985, 21 (23). 222 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 568. 223 Schneider, Verwaltungsrecht in Europa, Bd. 2, 2008, S. 160; Schwarze, Grundlinien und neuere Entwicklungen des Verwaltungsrechtschutzes in Frankreich und Deutschland, NVwZ 1996, S. 22 (23 f.). 224 Rogier/de Lange (Hrsg.), Toegang tot de rechter in het bestuursrecht, 2008, S. 95. 225 Schwarze, Grundlinien und neuere Entwicklungen des Verwaltungsrechtschutzes in Frankreich und Deutschland, NVwZ 1996, 22 (24). 226 Pront-van Bommel, Bestuursrechtspraak, 2002, S. 122; ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 86. 218

B. Die Befugnis, einen Rechtsbehelf einzulegen

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Kriterien. Es muss sich um ein eigenes, persönliches, objektiv bestimmbares, unmittelbares Interesse handeln.227 1. Eigen Klagebefugt ist nur, wer selbst betroffen ist. Dadurch sollen sowohl Popularklagen, als auch Klagen im eigenen Namen für andere, wie z. B. die Eltern, die eine Ausbildungsbeihilfe für ihr volljähriges Kind verlangen, ausgeschlossen werden.228 Auch kann eine einzelne natürliche Person nicht die Belange einer ganzen Gruppe geltend machen. So verneinte der Staatsrat die Betroffenheit eines einzelnen Gemeinderatsmitglieds, das sich gegen eine gegen die Gemeinde gerichtete Verwaltungsmaßnahme wandte, da es der Auffassung war, dass diese der Gemeinde schade.229 Möglich ist aber eine Bevollmächtigung durch Erteilen einer schriftlichen Vollmacht.230 2. Persönlich Ein persönliches Interesse ist verletzt, wenn die Rechtsfolgen der Verwaltungsmaßnahme den Betroffenen objektiv anders treffen als andere Personen.231 Es geht um Belange, die er nicht mit einer Vielzahl anderer Personen teilt, sondern die hauptsächlich ihn betreffen.232 Persönliches Interesse drückt die besondere Beziehung, die zwischen der Person und dem verletzten Belang besteht, aus. Es ist demnach individualisierbar.233 3. Objektiv bestimmbar Objektiv bestimmbare Interessen sind tatsächliche, gegenwärtig vorhandene Belange.234 Zukünftige Ereignisse, deren Eintritt ungewiss ist, oder subjektive Wahrnehmungen235 zählen nicht zu den objektiv bestimmbaren Interessen.236 Die 227

ABRvS 26.09.2000, AB 2000, 478; ABRvS 20.04.2000, AB 2000, 479. de Poorter, De Belanghebbende, Een onderzoek naar de betekenis van het belanghebbende- begrip in het bestuurs(proces)recht, 2003, S. 139. 229 ABRvS 22–2-1979, tB/SIV, p.108. 230 Michiels (red.) Staats- en bestuursrecht, Tekst en materiaal, 2004, S. 47. 231 ABRvS 18.02.2004, AB 2004, 113; ABRvS 17.09.2003, AB 2004, 229; van Ballegooij/ Bruil/Kleijn/Schilder, Bestuursrecht in het Awb-Tijdperk, 2004, S. 27. 232 ABRvS 06.07.2005, AB 2005, 397; ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 87. 233 ARRS (Afdeling rechtspraak Raad van State) 24.11.1977, tB/S IV 33. 234 Stroink, Kern van de bestuursrechtspraak, 2004, S. 97. 235 Michiels (red.), Staats- en bestuursrecht, Tekst en materiaal, 2004, S. 48. 236 ARRS 02.02.1977, tB/S, S. 26. 228

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

Beeinträchtigung muss feststellbar und für den Betroffenen gravierend sein. Eine Beeinträchtigung sehr geringwertiger Interessen ist nach dem lateinischen Grundsatz „De minimis non curat praetor“ nicht klagbar.237 4. Unmittelbar Der Betroffene muss durch die Verwaltungsmaßnahme unmittelbar (rechtstreeks) beeinträchtigt sein. Dem Merkmal der Unmittelbarkeit kommt besondere Bedeutung zu. Es wird zum einen im Gegensatz zu den anderen Voraussetzungen im Gesetz genannt. Zum anderen handelt es sich nicht um eine Charakterisierung der betroffenen Interessen. Unmittelbarkeit bezeichnet vielmehr die Art der Verbindung zwischen dem Belang und der angefochtenen Maßnahme. Sie muss kausal sein.238 Das Erfordernis der Unmittelbarkeit legt damit die Grenzen der Betroffenheit fest.239 a) Adressat Unmittelbar betroffen i. S. d. art. 1:2 lid 1 Awb ist der Adressat einer Verwaltungsmaßnahme (besluit240).241 Er wird in den Niederlanden als der primär Betroffene (primair belanghebbende) bezeichnet.242 Allerdings muss auch er eine Beeinträchtigung seiner Interessen dartun.243 b) Dritte Klagebefugt ist auch ein Dritter, sofern die Auswirkungen der Verwaltungsmaßnahme seine Interessen direkt treffen, d. h., ohne dass weitere Umstände, deren Eintritt ungewiss ist, hinzutreten.244 In Betracht kommen z. B. die Nachbarn eines Bauvorhabens. Sie sind als direkt betroffene Dritte klagebefugt.245 Es muss ein Kausalzusammenhang zwischen Verwaltungsmaßnahme und Beeinträchtigung 237

ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 87. de Poorter, De Belanghebbende, Een onderzoek naar de betekenis van het belanghebbende- begrip in het bestuurs(proces)recht, 2003, S. 135 f.; Pront-van Bommel, Bestuursrechtspraak, 2002, S. 123. 239 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 1:2 Nr. 2 a). 240 Siehe im 2. Teil, C. I. 241 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Trache, 1993, S. 148. 242 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 1:2 Nr. 2. 243 Schlössels, De Belanghebbende, 2004, S. 44. 244 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 69. 245 ABRvS, 10.06.1999, AB 2000, 19; ABRvS 27.03.2002, AB 2002, 189; Ballegooij/Bruil/ Kleijn/Schilder, Bestuursrecht in het Awb-Tijdperk, 2004, S. 28. 238

B. Die Befugnis, einen Rechtsbehelf einzulegen

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der Interessen bestehen.246 Kein Interesse in diesem Sinn hat jemand, der sein Interesse vom Interesse einer anderen Person ableitet (afgeleid belang), die durch die Verfügung direkt betroffen ist.247 c) Konkurrenten Die Konkurrentenklage bezieht sich in den Niederlanden in erster Linie auf Konkurrenten am Markt. Demjenigen, der sich gegen die Zulassung eines Mitbewerbers, der das gleiche Marktsegment belegt, wendet, wird Betroffenenqualität zuerkannt.248 Die beamtenrechtliche Konkurrentenklage ist ebenfalls ein anerkannter Rechtsbehelf. Nach ständiger Rechtsprechung des CRvB ist ein Beamter in dem Augenblick klagebefugt, in dem ein Konkurrent auf die Stelle berufen wird, auf die auch er sich beworben hat. Das setze allerdings voraus, dass er für die angestrebte Position qualifiziert sei und diese in seine Laufbahn passe. In der Übergabe der Urkunde an einen Mitbewerber sei die Weigerung zu sehen, die Stelle nicht durch ihn zu besetzen.249 Ab dem Zeitpunkt der Übergabe beginnt die Rechtsbehelfsfrist für den nicht berücksichtigten Konkurrenten zu laufen. Erst nach Ablauf dieser Frist kann sich der berücksichtigte Mitbewerber seines neuen Arbeitsplatzes sicher sein.250 Damit unterscheidet sich der Rechtsschutz in beamtenrechtlichen Konkurrentenklagen von dem in Deutschland; der deutsche ist (wegen des sogenannten Grundsatzes der Ämterstabilität) auf Rechtsbehelfe vor der Ernennung beschränkt (im einstweiligen Rechtsschutz); nach der Ernennung bleiben dem übergangenen Bewerber in Deutschland nur Schadensersatzansprüche. Die Klagebefugnis setzt Beamtenstatus voraus. Der Gesetzgeber sieht dann in einem verwaltungsinternen Wechsel des Arbeitsplatzes eine Beförderung.251 Außen­stehende können sich gem. art. 8:4 d. Awb252, der eine Klage auf Ernennung 246

ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S.88. Gerritzen-Rode/van der Vlies, Beginselen van bestuursrecht, 1994, S. 200; Embregts, ­Toegang voor de afgeleid-belanghebbende; is dat nodig?, NTB 2005, 10 (10 ff.). 248 de Poorter/de Waard/Marseille/Zomer, Herijking van het belanghebbendebegrip, 2004, S.  40 f. 249 CRvB 25.02 1999, AB 1999, 270; CRvB 22.05.2008, TAR 2008, 173; zur Konkurrentenklage allgemein – siehe ABRvS 18.02.2004, AB 2004, 113. 250 Schreuder-Vlasblom, Rechtsbescherming en bestuurlijke voorprocedure, 2008, S. 153. 251 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Trache, 1993, S. 393. 252 Art. 8:4 d. Awb lautet: Geen beroep kan worden ingesteld tegen een besluit: … d. tot benoeming of aanstelling, tenzij beroep wordt ingesteld door een ambtenaar als bedoeld in artikel 1 van de Ambtenarenwet als zodanig of een dienstplichtige als bedoeld in hoofdstuk 2 van de Kaderwet dienstplicht als zodanig, hun nagelaten betrekkingen of hun rechtverkrijgenden, 247

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

oder Einstellung ausschließt, nicht in den Beamtenapparat einklagen.253 Der Gesetzgeber begründet den Ausschluss, dass es bei einer beamtenrecht­lichen Konkurrentenklage ausschließlich um die Beförderung gehe, damit, dass dabei der Gleichbehandlungsgrundsatz in besonderem Maße berücksichtigt werden müsse. Dies sei gerichtlich überprüfbar. Eine Neueinstellung sei dies demgegenüber nicht.254 d) Umweltverbände Die im Jahr 2001 in Kraft getretenen Verträge von Aarhus räumen in Artikel 9 Abs. 2255 den Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit eine Rechtsbehelfsbefugnis ein, soweit sie ein ausreichendes Interesse haben oder eine Rechtsverletzung geltend machen können. Bei Umweltverbänden wird unterstellt, dass sie über ein den Voraussetzungen des Artikels 2 Absatz 5 der Konvention256 genügendes ausreichendes Interesse verfügen,257 so dass sie aus europarechtlicher Sicht immer klagebefugt sind, wenn es um Umweltangelegenheiten geht. Diese Anforderungen galt es im Anschluss an Aarhus in nationales Recht zu transformieren.

Keine Klage kann erhoben werden gegen eine Maßnahme … d. die eine Benennung oder Anstellung vornimmt, es sei denn die Klage richte sich gegen einen Beamten i. S. d. art. 1 Beamtengesetz oder einen Dienstpflichtigen i. S. d. art. 2 des Rahmengesetzes Dienstpflicht oder gegen deren Nachkommen oder Rechtsnachfolger, 253 Schreuder-Vlasblom, Rechtsbescherming en bestuurlijke voorprocedure, 2008, S. 153. 254 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Trache, 1994, S. 393. 255 Art. 9 Abs. 2 der Aarhus-Konvention lautet: Jede Vertragspartei stellt im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit a. die ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ b. eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsprozessrecht einer Vertragspartei dies als Voraussetzung fordert, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht und/oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteilichen Stelle haben, um die mate­ riell-rechtliche oder verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen und Unterlassungen anzufechten, … 256 Art. 2 der Aarhus-Konvention lautet: Im Sinne dieses Übereinkommens … 5. bedeutet „ betroffene Öffentlichkeit“ die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit Interesse daran; im Sinne dieser Begriffsbestimmung haben nicht staatliche Organisationen, die sich für die Umwelt einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltende Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse. 257 Mesters/Oldenziel, Openbaarheid van milieu-informatie na Aarhus, NTB 2003, S. 221 (229).

B. Die Befugnis, einen Rechtsbehelf einzulegen

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Das stellte in den Niederlanden zunächst kein Problem dar.258 Bis ins Jahr 2005 akzeptierte die niederländische Rechtsordnung im Umweltrecht die actio popularis. Sie räumte einem unbestimmten Kreis von Personen ohne Rücksicht auf deren Betroffenheit ein Klagerecht ein. Das damalige System sah für umwelt-rechtliche Genehmigungen das erweiterte öffentliche Vorbereitungsverfahren (uitgebreide openbare voorbereidingsprocedure) gem. Abteilung 3.5 Awb vor. In Folge dieses Verfahrens wurde nach Eingang eines Antrags auf Erteilung einer umweltrechtlichen Genehmigung zunächst der Entwurf eines Bescheids erstellt und vier Wochen zur Einsicht ausgelegt. Während dieser vier Wochen konnte jeder schriftlich Bedenken oder Fragen einbringen. Im Anschluss daran wurde der Bescheid erlassen, und art. 20.6 des Umweltgesetzes bestimmte, dass jeder, der sich im Vorbereitungsverfahren geäußert hatte, nun klagen konnte.259 Allerdings musste die Klagebegründung auf den bereits angemeldeten Bedenken beruhen.260 Man nannte dieses Verfahren, das als Voraussetzung für eine spätere Klagebefugnis eine Äußerung im Vorverfahren vorsah, die gestufte actio popularis (getrapte actio popularis).261 Es wurde auch im Raumordnungsrecht angewendet.262 Die actio popularis war in den Niederlanden sehr umstritten. Man warf ihr vor, sie vertrage sich nicht mit der Rechtsschutzfunktion der Klage.263 Obwohl wissenschaftliche Untersuchungen ergaben, dass die actio popularis nicht zwingend zum Missbrauch der Klagebefugnis führte,264 nahm man an, dass die große Anzahl der Klagebefugten die Arbeit der Verwaltungsgerichte behindere.265 Ihre Befürworter gaben dagegen zu bedenken, dass man sie mit Blick auf die Aarhus-Konvention schwerlich abschaffen könne.266 Dennoch verschwand die actio popularis zum 01. Juli 2005 im Zuge der Einführung des einheitlichen transparenten Vorbereitungsverfahrens (uniforme openbare voorbereidingsprocedure, Stb. 2002, 54) weitgehend aus dem niederländischen Verwaltungsprozessrecht. In dem neuen Verfahren wurden die bisherigen Regelungen der Abteilungen 3.4 – transparentes Vorbereitungsverfahren (openbare voorbereidingsprocedure) – und

258

Widdershoven, Rechtsbescherming in het milieurecht in Europees perspectief, M & R 2004, S. 530 (533). 259 Walraven, Afschaffing van de actio popularis, geen fuiken meer!?, NJb 2005, S. 1289 ff. 260 ABRvS 09.05.1995, AB 1995, 529. 261 Walraven, Afschaffing van de actio popularis, geen fuiken meer!?, NJb 2005, S. 1289 (1290). 262 de Gier/Robbe, De actio popularis in het ruimtelijke ordeningsrecht en het milieurecht, Gst 7110, S. 639 ff. 263 Teunissen, De algemeen belangorganisatie als bestuursrechtlijk (pseudo-)Openbaar Ministerie? Gest. No. 7179, S. 61 (63). 264 de Gier/Robbe, De actio popularis in het ruimtelijke ordeningsrecht en het milieurecht (I), Gst 7110, S. 639 (640 f.). 265 van Buuren/Borman/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Kommentaar, 2009, art. 8:1 Nr.2. 266 de Poorter, Belanghebbenden in het milieurecht, M & R 2005, S. 9 (13); Verschuuren, Kronik van het omgevingsrecht, NJb 2004, S. 1672 (1674).

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

3.5 – er­weitertes öffentliches Vorbereitungsverfahren (uitgebreide openbare voorbereidingsprocedure) – des Awb zusammengefasst.267 Der Entwurf eines im Anschluss an die Beantragung einer umweltrechtlichen Genehmigung zu erlassenden Bescheides ist nunmehr sechs Wochen auszulegen. Während dieser Frist können sich die Betroffenen schriftlich oder mündlich äußern. Abweichend davon kann auch anderen die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Gegen Maßnahmen, die diesem Verfahren unterliegen, kann sofort Klage eingereicht werden. Es ist kein Vorverfahren durchzuführen.268 Die einschlägigen Spezialgesetze, wie das Umweltgesetz und das Raumordnungsgesetz, die auf eines der beiden oben genannten Verfahren verwiesen, wurden im Sinne der neuen Regelung ebenfalls geändert.269 Das bedeutete, dass nun auch im Umweltrecht eine unmittelbare Betroffenheit dargelegt werden musste. Da diese für die Umweltverbände meist nicht darstellbar war, ihnen nach den Aarhus- Verträgen jedoch ein Klagerecht zustand, ging man dazu über, auf sie art. 1:2 lid 3 Awb anzuwenden. Ihre Belange werden als allgemeine und kollektive Belange eigestuft, sofern sie dem in der Satzung verbrieften Vereinszweck entsprechen und die Organisation auf diesem Gebiet tatsächlich tätig ist.270 Da die Vorschrift Rechtspersönlichkeit voraussetzt,271 ist die Klagebefugnis örtlicher Unterabteilungen einer landesweit operierenden Umweltorganisation allerdings problematisch. Sie laufen Gefahr, nicht als selbständig tätige Vereinigung anerkannt zu werden.272 e) Actio Popularis Ein Gesetz, das nachwievor die Möglichkeit der Klage unabhängig von einer unmittelbaren Betroffenheit einräumt, ist das Gesetz zur Transparenz der Verwaltung (Wet Openbaarheid van Bestuur – WOB)273. Aufgrund dieses Gesetzes ist die Verwaltung grundsätzlich verpflichtet, über ihr Vorgehen Auskunft zu erteilen. Das Gesetz unterscheidet zwischen der aktiven und der passiven Transparenz der Verwaltung. Aktive Transparenz bezeichnet die öffentliche Aufklärung, die ein Verwaltungsorgan über seine Amtsführung vornimmt. Unter passiver Transparenz

267 Walraven, Afschaffing van de actio popularis, geen fuiken meer!?, NJb 2005, S. 1289 (1291); van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Af­ deling 3.4, Inleidende opmerking. 268 Walraven, Afschaffing van de actio popularis, geen fuiken meer!?, NJb 2005, S. 1289 (1291); ausführlich zum Verfahren Damen, Bestuursrecht, Deel 1, 2005, S. 386 ff. 269 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Afdeling 3.4, Inleidende opmerking. 270 Backes/Gilhuis/Koeman, Milieurecht, 2006, S. 323. 271 Widdershoven, Rechtsbescherming in het milieurecht in Europees perspectief, M & R 2004, 530 (536). 272 Backes/Gilhuis/Koeman, Milieurecht, 2006, S. 323. 273 Das Gesetz zur Transparenz der Verwaltung entspricht dem Informationsfreiheitsgesetz in Deutschland.

B. Die Befugnis, einen Rechtsbehelf einzulegen

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versteht man die auf ein Auskunftsbegehren hin erteilte Information. Art. 3 lid 2 Gesetz zur Transparenz der Verwaltung274 bestimmt ausdrücklich, dass der Informationsanspruch sich nicht auf den Betroffenen beschränkt.275 Die Entbehrlichkeit des persönlichen Interesses ergibt sich bereits aus der Wortwahl. Das Gesetz spricht von verzoek. Ein verzoek ist im Gegensatz zur aanvraag ein Begehren, das kein persönliches Interesse im Sinne eines „belang“ benötigt. Eine aanvraag (Antrag) kann dagegen nur durch den Betroffenen gestellt werden, art. 1:3 lid 3 Awb. Z. B. ein Bauantrag ist eine aanvrag.276

III. Rechtsschutzbedürfnis Neben der unmittelbaren Beeinträchtigung der Interessen muss der Betroffene gem. art. 1:2 lid 1 Awb nach niederländischer Rechtsauffassung ein Rechtsschutzbedürfnis (procesbelang) vorweisen.277 1. Gesetzliche Grundlagen des Rechtsschutzbedürfnisses Die Gesetzlichen Grundlagen des Rechtsschutzbedürfnisses sind unklar. Ein Teil der Literatur sieht es als ungeschriebene Regel des Verwaltungsprozessrechts an.278 Teilweise wird es unter rein rechtsökonomischen Gesichtspunkten aus der Klagebefugnis abgeleitet. Da ein Prozess erhebliche Kosten verursache, dürfe nur derjenige klagen, der durch die Klage einen Vorteil habe.279 Schreuder-Vlasblom vertrat zunächst die Auffassung, Art. 3:303 des Bürgerlichen Gesetzbuches der Niederlande280, wonach niemandem ohne Rechtsschutzbedürfnis eine Rechts­ forderung zukommt, sei allgemeingültig.281 Nunmehr sieht sie das Rechtsschutzbedürfnis im Wortlaut des art. 1:2 lid 1 Awb angelegt. Diese Vorschrift gelte sowohl für den Erlass von Maßnahmen als auch für den Zugang zum Rechtsschutz. Sie fordere, dass das Interesse unmittelbar durch die Maßnahme betroffen sei. 274

Art. 3 lid 2 Gesetz zur Transparenz der Verwaltung lautet: De verzoeker behoeft bij zijn verzoek geen belang te stellen. – Der Anfragend/Begehrende muss im Rahmen seines Begehrens kein betroffenes Interesse deutlich machen. 275 ten Berge/Michiels, Bestuuren door de overheid, vierde druk, 2001, S. 267 ff. 276 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/van Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awbtijdperk, 2004, S. 29. 277 Das betrifft auch das Gesetz zur Transparenz der Verwaltung. Hier liegt ein Rechtsschutzbedürfnis vor, wenn ein verzoek zurückgewiesen wurde. 278 Stam/Walraven, Instellen beroep en bezwaar, 2007, S. 56. 279 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 88. 280 Art. 3:303 Bürgerliches Gesetzbuch lautet: Zonder voldoende belang komt niemand een rechtsvordering toe. – Ohne hinlänglichen Belang, kommt niemandem eine Rechtsforderung zu. 281 Schreuder-Vlasblom, de awb, het bestuurs-procesrecht, 2001, S. 94 f.

138

2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

Deshalb sei das Rechtsschutzbedürfnis im Verwaltungsrecht seit Inkrafttreten des Awb als selbständige, doch ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung anerkannt.282 2. Voraussetzungen des Rechtsschutzbedürfnisses Die niederländische Rechtsordnung bejaht das Rechtsschutzbedürfnis grundsätzlich unter zwei Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen. Zum einen muss ein konkreter Anlass zur Klage bestehen. Sie muss sich immer gegen eine bestimmte Maßnahme der Verwaltung richten. Im Falle der abstrakten Klärung einer Rechtsfrage fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Die ABRvS führt dazu aus: „Wo es keinen Konflikt gibt, kann das Verwaltungsgericht nicht zur grundsätzlichen Klärung einer Rechtsfrage angerufen werden.“283 Zum anderen muss der Zweck, den der Kläger mit seiner Klage verfolgt, erreichbar sein und zu einer Verbesserung seiner Rechtsstellung führen.284 Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn die Klage den Kläger im Erfolgsfalle seinem Ziel nicht näher bringt.285 Er muss sein Ziel tatsächlich erreichen können.286 Es darf nicht rein hypothetisch sein.287 Die Anforderung der deutschen Rechtsordnung, dass der Kläger sein Ziel nicht auf andere Art leichter erreichen kann, wobei die „leichtere“ Alternative gleichwertig sein und die Rechtsfrage wirklich klären muss,288 kennt das niederländische Recht nur eingeschränkt. So darf der Kläger die Klage nicht vorzeitig einreichen. Er muss z. B. bei einer Untätigkeitsklage den Ablauf einer Frist von 8 Wochen abwarten.289 Reicht er die Klage dennoch vorher ein, ist diese mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.290 Für weitergehende derartige Voraussetzungen bietet die niederländische Rechtsordnung keinen Raum, da sie nur Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen291 kennt.

282

Schreuder-Vlasblom, Rechtsbescherming en bestuurlijke voorprocedure, 2008, S. 210. ABRvS 10.02.1997, AB 1997, 397. 284 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 140. 285 ABRvS 15.08.1997, AB 1997, 400; ABRvS 18.05.2001, JB 2001, 188; Langbroek/Spelt, Bestuursprocessrcht in vogelvlucht, 1993, S. 38. 286 ABRvS 15.12.2006, BNB 2007,133; CRvB 04.01.2006, JB 2006, 83. 287 CBB 21.12.2006, AB 2006, 132. 288 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 2008, § 23 Rdn. 12. 289 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Kommentaar, 2009, art. 4:14 Nr.1. 290 ABRvS 01.05.2002, 200102535/1. 291 Nähere Ausführungen dazu im 3. Teil, A. III. 2. 283

B. Die Befugnis, einen Rechtsbehelf einzulegen

139

3. Fehlen oder Entfallen des Rechtsschutzbedürfnisses Das Verwaltungsgericht prüft das Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses auch für die Zeit des Vorverfahrens von Amts wegen.292 Dabei muss unterschieden werden zwischen dem Fall, dass das Rechtsschutzbedürfnis von Anfang an nicht bestand und dem Fall, dass es während Vorverfahren oder Klage untergeht.293 Fehlt jegliches prozessuales Interesse, sind Vorverfahren und Klage unzulässig.294 Verändert sich die Situation nachdem ein Rechtsbehelf eingelegt wurde, kommt es zum einen darauf an, wer für die Veränderung verantwortlich ist und zum anderen zu welchem Zeitpunkt welche Veränderung erfolgt. Beide Parteien des Verfahrens können Veränderungen bewirken. a) Durch den Rechtsschutzsuchenden hervorgerufene Veränderungen Geht das Rechtsschutzbedürfnis durch das Verhalten des Rechtsschutzsuchende während des laufenden Verfahrens unter, hat er die Konsequenzen hieraus zu tragen.295 Die ABRS verwarf die Klage einer Marokkanerin gegen die Weigerung, ihr eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen, wegen des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses, nachdem die Klägerin während des laufenden Prozesses in ihr Heimatland zurückgekehrt war. Gleichzeitig erlegte sie ihr die Prozesskosten auf.296 b) Durch die Verwaltung hervorgerufene Veränderungen Die Verwaltung kann gem. art. 6:18 lid 1 Awb297 die angegriffene Maßnahme jederzeit während des laufenden Rechtsbehelfsverfahrens ändern oder aufheben und die Situation dadurch grundlegend verändern. In diesem Fall hat die Verwaltung mindestens die Prozesskosten zu tragen.

292

CRvB 21.01.2002, RSV 2002, 101; ABRvS 06.11.2002, JB 2003, 7. Stam/Walraven, Instellen beroep en bezwaar, 2007, S. 56. 294 ABRvS 31.05.1999, JB 1999, 166. 295 Langbroek/Spelt, Bestuursprocessrcht in vogelvlucht, 1993, S. 39. 296 ABRS 27.07.1989, tB/s 1989, nr.112. 297 Art. 6:18 lid 1 Awb lautet: Het aanhangig zijn van bezwaar of beroep tegen een besluit brengt geen verandering in een los van het bezwaar of beroep reeds bestaande bevoegdheid tot intrekking of wijziging van dat besluit. – Die Anhängigkeit von Vorverfahren oder Klage gegen eine Maßnahme verändert die Befugnis, die Maßnahme unabhängig von den eingelegten Rechtsbehelfen aufzuheben oder abzuändern, nicht. 293

140

2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

aa) Abänderung der angefochtenen Maßnahme Eine Abänderung der angefochtenen Maßnahme, lässt das Rechtsschutzbedürfnis nicht zwingend entfallen. Auch die geänderte Maßnahme kann den Kläger beschweren, wie im Fall eines Eisverkäufers, der eine Standplatzgenehmigung für einen bestimmten Ort beantragt hatte. Diese wurde ihm verweigert. Der Eisverkäufer ging gegen die Weigerung vor. Im laufenden Verfahren erteilte die Verwaltung ihm die Genehmigung für den Eisverkauf an einen anderen als den beantragten Ort und äußerte die Auffassung, das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers sei nun entfallen. Die ABRS sah das anders. Sie entschied, dass der Kläger nach wie vor beschwert sei, da er die Genehmigung nicht für den von ihm beantragten Ort erhalten habe.298 bb) Aufheben der angefochtenen Maßnahme Auch das Aufheben der angefochtenen Maßnahme führt nicht zwangsläufig zum Entfallen des Rechtsschutzbedürfnisses, da möglicherweise Schadensersatzansprüche bestehen.299 Falls die Rechtmäßigkeit der aufgehobenen Maßnahme noch strittig ist, gebietet sich eine voll umfängliche Kontrolle durch das Gericht.300 In diesem Fall ergeht eine Entscheidung dem Grunde nach.301 Das Gericht prüft zur Vorbereitung des Schadensersatzprozesses, ob die Klage im Zeitpunkt ihrer Rechtshängigkeit begründet war.302 Voraussetzung des Schadensersatzanspruches ist allerdings, dass dem Kläger ein Schaden entstanden ist und er diesen Schaden dartut. Hebt die Verwaltung die angefochtene Maßnahme während des Vorverfahrens auf und erstattet dem Rechtsbehelfsführer die ihm entstandenen Verfahrenskosten, impliziert das das Erkennen der Rechtswidrigkeit der Maßnahme gem. art 7:15 Awb. Nach der Rechtsprechung der ABRvS reicht das für eine nachfolgende Schadensersatzklage aus.303

298

ABRS 28.04.1992, AB 1992, 565. ABRvS 04.12.2002, JV 2003, 42. 300 Schreuder-Vlasblom, Rechtsbescherming en bestuurlijke voorprocedure, 2008, S. 218. 301 CRvB 19.10.1999, RSV 2000, 2; CRvB 03.07.2001, RSV 2001, 214; ABRvS 23.07.2003, JB 2003, 260; ABRvS 08.12.2004, AB 2006, 139. 302 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 88; Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 245. 303 ABRvS 20.06.2007, 200700560 (www.raadvanstate.nl). 299

C. Der Gegenstand der Klage

141

IV. Zusammenfassung Klagebefugt ist derjenige, dessen Interessen durch eine Maßnahme der Ver­ waltung beeinträchtigt werden und der gleichzeitig ein Rechtsschutzbedürfnis aufweisen kann. Dabei reicht die Verletzung jedes wie auch immer gearteten persönlichen Interesses aus. Entscheidend ist lediglich, dass es sich um eine unmittelbare Beeinträchtigung handelt. Das Rechtsschutzinteresse wird angenommen, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich die Situation des Betroffenen durch das Einlegen des Rechtsbehelfs verbessert. Das Rechtsschutzinteresse entfällt nicht zwangs­ läufig, wenn das erlassende Verwaltungsorgan die angefochtene Maßnahme während des laufenden Verfahrens zu Gunsten des Klägers abändert oder aufhebt. Häufig gebietet es sich, den Prozess wegen möglicher Schadensersatzansprüche zu Ende zu führen. Im Ganzen sind die Zugangsvoraussetzungen zum Verwaltungsrechtsschutz in den Niederlanden niedrig. Diese geringen Anforderungen eröffnen einem breiten Personenkreis den Zugang zu den Verwaltungsgerichten und damit die Möglichkeit eines Rechtsschutzverfahrens. Damit harmoniert, dass außer vor dem Hohen Rat, dem höchsten niederländischen Gericht, kein Anwaltszwang besteht. Diese großzügige Handhabung berechtigt jedoch nicht zu Rückschlüssen auf die Qualität des Rechtsschutzes.

C. Der Gegenstand der Klage Im Unterschied zu § 40 der deutschen VwGO, der eine Generalklausel enthält, durch die im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit Rechtsschutz gegenüber allen Formen hoheitlichen Verwaltungshandelns gewährt wird,304 lässt der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz in den Niederlanden als Klagegegenstand nur den „Besluit“ zu.305 Der „Besluit“ eröffnet und begrenzt den Zugang zu den Verwaltungsgerichten. Man spricht daher von einem geschlossenen System.306 Der „Besluit“ ist das wichtigste Handlungsinstrument der Verwaltung in den Niederlanden. Ähnlich wie der Verwaltungsakt im deutschen Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) steht er im Mittelpunkt des Niederländischen Allgemeinen Verwaltungsrechts; er hat aber einen breiteren Anwendungsbereich als der deutsche Verwaltungsakt.307 Die Kapitel 3, 4 und 5 des Awb beschäftigen sich mit dem Zustandekommen und dem Inhalt eines besluit. Die in den Kapiteln 6, 7 und 8 des Awb normierten Rechtsschutzverfahren richten sich mit wenigen Ausnahmen gegen ihn.308 304

Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 2004, Rdn. 86. Brenninkmeijer/Verburg, Awb Extract, 2002, S. 4. 306 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/van Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awbtijdperk, 2004, S. 172. 307 Vgl. dazu in diesem Kapitel unter II. 3. 308 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 23. 305

142

2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

I. Begriffsbestimmung Art. 1:3 lid 1 Awb309 definiert den besluit als eine schriftliche Verfügung einer Behörde, die eine öffentlich-rechtliche Rechtshandlung enthält. 1. Schriftformerfordernis Bereits lange vor In-Kraft-Treten des Awb entschied die Abteilung für Verwaltungsstreitigkeiten (Afdeling geschillen van bestuur)310 des Staatsrates, dass ein Verwaltungsakt (beschikking), die damals gebräuchliche Form des Verwaltungshandelns, sofern er sich dazu eigne, schriftlich niederzulegen sei. Das ergebe sich aus den Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Handeln der Verwaltung.311 Das Schriftformerfordernis dient der Rechtssicherheit und dem Rechtsschutz. Der Nachweis dessen, was verfügt wurde, gestaltet sich ohne das entsprechende Schriftstück deutlich schwieriger.312 Das bedeutet jedoch nicht, dass die Behörden immer nur schriftlich verfügen müssen, wenn sie einen Rechtserfolg herbeiführen wollen. Mündliche Äußerungen, die sich auf einen Rechtserfolg richten, wie z. B. die Anweisungen, die ein Polizist im Straßenverkehr gibt, sind zwar keine besluiten im Sinne der oben genannten Definition, müssen aber über die Verweisung des art. 3:1 lid 2 Awb313 wie besluiten behandelt werden.314 Häufig wird eine Verfügung der Behörden auch im Nachhinein schriftlich niedergelegt. Sie erfüllt dann nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die Voraussetzungen eines besluit und ist dem Verwaltungsrechtsschutz zugänglich.315

309

Art. 1:3 lid 1 Awb lautet: Onder besluit wordt verstaan: een schriftelijke beslissing van een bestuursorgaan, inhoudende een publiekrechtelijke rechtshandeling. – Unter Besluit versteht man eine schriftliche Verfügung einer Behörde, die eine öffentlich rechtliche Rechtshandlung beinhaltet. 310 Aus dieser Abteilung wurde später die Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung beim Staatsrat. 311 ARRS 14.08.1978, tB/sv, 341. 312 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 24. 313 Art. 3:1 lid 2 Awb lautet: Op andere handelingen van bestuursorganen dan besluiten zijn de afdelingen 3.2 tot en met 3.4 van overeenkomstige toepassing, voor zover de aard van de handelingen zich daartegen niet verzet. – Auf andere Verwaltungshandlungen (also keine ­besluiten) sind die Abteilungen 3.2 bis einschließlich 3.5 übereinstimmend anzuwenden, wenn nach der Beschaffenheit der Handlungen nichts dagegenspricht. Die genannten Abteilungen regeln den Erlass von besluiten. 314 ten Berge/Michiels, Bestuuren door de overheid, 2001, S. 140. 315 ABRvS 17.05.1999, BR 1999, S. 683.

C. Der Gegenstand der Klage

143

2. Verfügung Nach niederländischer wie deutscher Rechtsauffassung316 ist eine Verfügung (beslissing) eine Willenserklärung mit endgültigem Charakter. Gleichzeitig lässt das niederländische Wort „beslissing“ (auch Entscheidung) erkennen, dass dem Erlass der Verfügung ein Abwägungsprozess vorangegangen ist.317 Die Verfügung soll eine Rechtsänderung bewirken. Mitteilungen über Meinungen der Behörde oder Einlassungen über Tatsachen rufen keine Rechtsfolgen hervor. Sie sind deshalb keine Verfügungen.318 3. Verwaltungsorgan Nur Verfügungen von Verwaltungsorganen (bestuursorgaan) können besluiten sein. Der Begriff des Verwaltungsorgans ist in art. 1:1 Awb legaldefiniert.319 Er umfasst sowohl die Organe der Körperschaften des öffentlichen Rechts als auch Privat­personen und juristische Personen des Privatrechts, die mit der Erledigung öffentlicher Aufgaben betraut sind.320 4. Rechtshandlung Nach niederländischem Rechtsverständnis ist eine Rechtshandlung (rechshandeling) eine Handlung, die auf einen Rechtserfolg nach außen gerichtet ist. Ob dieser tatsächlich eintritt, ist für die Einordnung als besluit unwichtig.321 Eine Rechtshandlung soll zu einer Änderung der bestehenden Rechtslage führen.322 Durch Rechtshandlungen können z. B. Befugnisse verliehen oder Pflichten auferlegt werden.323 Der Sinngehalt der Rechtshandlung ähnelt dem der Regelung in § 35 S. 1 des deutschen VwVfG. Allerdings ist die Regelung in § 35 des deutschen VwVfG auf eine unmittelbar für den Betroffenen verbindliche Festlegung von Rechten und Pflichten gerichtet.324 Das kann bei einem besluit der Fall sein,325 muss aber nicht. 316

Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 2004, § 5 Rdn. 13; – eine Verfügung ist ein Rechts­geschäft, das unmittelbar auf ein bestehendes Recht einwirkt, sei es durch Übertragung, Aufhebung, Inhaltsänderung oder Belastung. 317 van Ballegooij/Barhuysen/Brenninkmeijer/den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awbtijdperk, 2004, S. 49. 318 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 24. 319 Siehe die Ausführungen zum Begriff Verwaltungsorgan in den Niederlanden im 1. Teil, B. II. 320 Siehe dazu im 1. Teil, A. II. 2. 321 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 1:3 Nr. 2 b. 322 ten Berge/Michiels, Bestuuren door de overheid, 2001, S. 146. 323 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 25. 324 Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2005, § 35 Rdn. 47. 325 Siehe unten die Ausführungen zur beschikking, 3. Teil, C. II. 1.

144

2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

Von der Rechtshandlung ist die Rechtstatsache zu unterscheiden. Bei einer Rechtstatsache tritt ein Rechtserfolg, unabhängig davon ob er bezweckt ist, ein.326 Eine Handlung, die unbeabsichtigt Rechtsfolgen hervorruft, ist keine Rechtshandlung und demzufolge auch kein besluit.327 Sie kann aber zur Schadensersatzpflicht der Behörde führen. Hier eröffnet die niederländische Rechtsordnung ein Rechtsbehelfsverfahren, das der Amtshaftung im deutschen Recht ähnelt.328 5. Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts Besluiten basieren auf öffentlich-rechtlichen Rechtshandlungen. Eine privatrechtliche Rechtshandlung kann nie ein besluit sein.329 Von einer öffentlich-rechtlichen Rechtshandlung spricht man, wenn die Verwaltung von einer ihr durch eine öffentlich-rechtliche Norm ausdrücklich ver­liehenen Ermächtigung Gebrauch macht.330 Typisch für diese Befugnis ist ihre Einseitigkeit. Verwaltungsorgane begründen auf diese Weise Rechte und Pflichten.331 Z. B. bestimmt art. 8.2 lid 1 Umweltgesetz (Wet milieubeheer)332, dass der Gemeindevorstand (college van burgemeester en wethouders) für das Erteilen umweltrechtlicher Genehmigungen zuständig ist. Die Befugnis ergibt sich hier aus dem Spezialgesetz und verleiht der Rechtshandlung dadurch ihre öffentlich-rechtliche Natur.333 Daneben kennt die niederländische Rechtsordnung besluite, die auf einer aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen abgeleiteten Berechtigung beruhen:334 –– Besluite, die sich auf eine Verwaltungsvorschrift stützen; –– Besluite, die sich auf eine (gesetzliche) öffentliche Aufgabe stützen;

326

ten Berge/Michiels, Bestuuren door de overheid, 2001, S. 146. ten Berge/Michiels, Bestuuren door de overheid, 2001, S. 147. 328 Schlössels/Stroink, Kern van het bestuursrecht, 2003, S. 129; siehe dazu die Ausführungen im 5. Teil. 329 van Ballegooij/Barhuysen/Brenninkmeijer/den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awbtijdperk, 2004, S. 50; ten Berge/Michiels, Bestuuren door de overheid, 2001, S. 143. 330 Schlössels/Stroink, Kern van het bestuursrecht, 2003, S. 131. 331 van Ballegooij/Barhuysen/Brenninkmeijer/den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awbtijdperk, 2004, S. 50. 332 Art. 8.2 lid 1 Umweltgesetz lautet: Burgemeester en wethouders van de gemeente waarin de inrichting geheel of in hoofdzaak zal zijn of is gelegen, zijn bevoegd te beslissen op de aanvraag om een vergunning, behoudens in gevallen als bedoeld in het tweede, het derde en het vierde lid. – Der Magistrat der Gemeinde, in der die Anlage ganz oder zum größten Teil angesiedelt ist, darf über den Genehmigungsantrag entscheiden, vorbehaltlich der in Absatz 2, 3 und 4 bezeichneten Fälle. 333 Schlössels/Stroink, Kern van het bestuursrecht, 2003, S. 131. 334 Schlössels/Stroink, Kern van het bestuursrecht, 2003, S. 131. 327

C. Der Gegenstand der Klage

145

–– Besluite, die sich auf allgemeine Rechtsgrundsätze stützen; –– Besluite, die auf einer anfechtbaren/appelabeln Entscheidung der Verwaltung beruhen.335 a) Verwaltungsvorschriften Verwaltungsvorschriften (beleitsregels) sind Regelungen, die die Behörde sich selbst zur Behandlung bestimmter Angelegenheiten auferlegt hat. Sie sind keine Rechtsgrundlage im Sinne des Legalitätsprinzips, können aber nach niederlän­ dischem Rechtsverständnis als Grundlage für begünstigende Akte der Behörden herangezogen werden. Eine Verwaltungsvorschrift kann z. B. die Grundlage für eine Schadensersatzzahlung sein.336 b) Erfüllung öffentlicher Aufgaben Gelegentlich erlassen die Behörden im Zuge der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben (publieke taak) Verfügungen. Diese Verfügungen werden teilweise, aber nicht immer,337 obwohl ihnen die Merkmale des art. 1:3 Awb fehlen, als besluit bezeichnet. Die Zuordnung als besluit erfolgt, um dem Bürger ein Rechtsschutz­ verfahren vor den Verwaltungsgerichten zu ermöglichen.338 c) Selbständiger Schadensersatz Selbständiger Schadensersatz (Zelfstandig schadebesluit), auch zuiver schadebesluit genannt, ist die Verfügung eines Verwaltungsorgans bezüglich der Haftung für einen Schaden, der dem Betroffenen angeblich durch das Verwaltungsorgan in Ausübung seiner öffentlich-rechtlichen Aufgaben entstanden ist.339 Es handelt sich dabei um die Möglichkeit, einen Schadensersatz außerhalb von art. 8:73 Awb zu gewähren und diese Verfügung durch einen Rechtsbehelf anzugreifen. Das Rechtsinstitut des selbständigen Schadensersatzes ist nicht gesetzlich geregelt. Es beruht allein auf Richterrecht (jurisprudentierecht).340 335

Schlössels/Stroink, Kern van het bestuursrecht, 2003, S. 132. van Ballegooij/Barhuysen/Brenninkmeijer/den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awbtijdperk, 2004, S. 53. 337 ABRvS 13.03.1997, JB 1997, 88; ABRvS 6 mei 1997, AB 1997, 229, JB 1997, 118; CRvB 26 juli 1994, AB 1995, 113. 338 van Ballegooij/Barhuysen/Brenninkmeijer/den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awbtijdperk, 2004, S. 52; Schlössels/Stroink, Kern van het bestuursrecht, 2003, S. 133. 339 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:1 Nr. 7. 340 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Vorbemer­ kungen zu Abteilung 8.2.6. Awb. 336

146

2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

Daneben ordnet die Rechtsprechung341 Schadensersatzleistungen, die gewährt werden, weil ein Verwaltungsorgan in Ausübung seiner öffentlich-rechtlichen Aufgaben einen Schaden verursacht hat, den besluiten zu. Sie sieht in der schriftlichen Verfügung zur Zahlung von Schadensersatz die Erfordernisse des art. 1:3 Awb erfüllt, auch wenn es an einer öffentlich-rechtlichen Gesetzesgrundlage fehlt.342 d) Zurückforderung In der Frage, welcher Rechtsnatur die Rückforderung (Terugvordering) zu viel gezahlter staatlicher Leistungen sei, entschied die ABRvS, dass es sich um einen besluit handle. Die Rückforderung basiere zwar nicht auf einer ausdrück­lichen durch Gesetz zuerkannten Befugnis, doch sei das Vorgehen der Behörde eine Rechtshandlung, die auf einen Rechtserfolg nach außen gerichtet sei. Sie sei auch öffentlichrechtlicher Natur, da das allgemeine Rechtsprinzip, dass zurückgefordert werden könne, was unverschuldet zu viel gezahlt worden sei, auf das öffentliche Recht übertragbar sei.343 Dieses Vorgehen erinnert an den öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruch im deutschen Verwaltungsrecht.344

II. Der „Besluit“ als administratives Handlungsinstrument Das Awb unterscheidet zwischen Einzelfallregelungen (beschikkingen) und hoheitlichen Maßnahmen von allgemeiner Gültigkeit (besluiten van algemene strekking).345 1. Einzelfallregelungen Einzelfallregelungen (beschikkingen) waren vor Einführung des Awb die wichtigste Form des Verwaltungshandelns. Sie sind noch heute die gebräuchlichste. Gem. art. 1:3 lid 2 Awb346 handelt es sich um eine hoheitliche Maßnahme, die nicht allgemeingültig ist. Das schließt die Zurückweisung eines Antrags mit ein. 341 ABRvS 06.05.1997, AB 1997, 229; ABRvS 29.11.1996, JB 1996, 253; Simon/Schlössels, Het zelfstandige Schadebesluit: nieuwe kansen, JB 1996, 255; ABRvS 18.02.1997, JB 1997, 47, AB 1997, 143. 342 van Ballegooij/Barhuysen/Brenninkmeijer/den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awbtijdperk, 2004, S. 53; Schlössels/Stroink, Kern van het bestuursrecht, 2003, S. 133. 343 ABRvS 21.10.1996, JB 1996, 232; siehe auch van Ballegooij/Barhuysen/Brenninkmeijer/ den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awb-tijdperk, 2004, S. 55. 344 Vgl. z. B. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2009, § 29 Rdn. 20 ff. 345 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, awb Art. 1:3 Nr. 2 f). 346 Art. 1:3 lid 2 Awb lautet: Onder beschikking wordt verstaan: een besluit dat niet van algemene strekking is, met inbegrip van de afwijzing van een aanvraag daarvan. – Unter Verfügung

C. Der Gegenstand der Klage

147

Einzelfallregelungen sind konkret-individuell und entsprechen damit dem Verwaltungsakt i. S. d. § 35 VwVfG. Das niederländische Recht unterscheidet zwischen personen- und sachbezogenen Einzelfallregelungen. Die personenbezogene Einzelfallregelung zieht nur Rechtsfolgen für den Adressaten nach sich, die sachbezogene befasst sich mit dem Rechtsstatus der betroffenen Sache.347 Gem. art. 1:3 Nr. 2 2. HS Awb ist auch die Zurückweisung des Antrags auf Erlass eines Verwaltungsaktes ein Verwaltungsakt, obwohl es an einer Rechtshandlung fehlt.348 2. Hoheitliche Maßnahmen von allgemeiner Gültigkeit Hoheitliche Maßnahmen von allgemeiner Gültigkeit (besluiten van algemene strekking) sind Verfügungen, die sich an einen unbestimmten Adressatenkreis richten.349 Die wichtigsten Untergruppen sind die allgemeinverbindlichen Vorschriften (algemeen verbindende voorschriften) und Beleidsregels. a) Allgemeinverbindliche Vorschriften Unter Allgemeinverbindlichen Vorschriften versteht man von der Exekutive kraft gesetzlicher Ermächtigung erlassene Regelungen mit Außenwirkung.350 Sie ähneln den Rechtsverordnungen im deutschen Recht.351 Aber auch Allgemein­ verfügungen wie Verkehrszeichen werden dieser Gruppe von Verwaltungsmaßnahmen zugeordnet.352 Die niederländische Rechtsordnung unterscheidet, nach dem erlassenden Organ, verschiedene Arten von untergesetzlichen Normen. Zum einen sind die zentrale und dezentrale Verwaltung befugt Regelungen zu erlassen.353 Zum anderen können auch Minister Recht setzend tätig werden. Daneben gibt es so genannte zelfstandige algemene maatregels van bestuur. versteht man eine Maßnahme, die nicht allgemeingültig ist. Das umfasst auch die Zurückweisung eines Antrags. 347 van Ballegooij/Barhuysen/Brenninkmeijer/den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awbtijdperk, 2004, S. 65. 348 van Ballegooij/Barhuysen/Brenninkmeijer/den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awbtijdperk, 2004, S. 65. 349 Mincke, Einführung in das niederländische Recht, 2002, § 5 Rdn. 61. 350 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 1:3 Nr. 5 b); siehe Ausführungen zu den Voraussetzungen für die Kontrolle der Verwaltung. 351 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 3:1 Nr. 2. 352 van Ballegooij/Barhuysen/Brenninkmeijer/den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awbtijdperk, 2004, S. 73; Kammerstukken II 1991/92, 22 495, nr. 3, S. 92 (MvT); verkeersborden. 353 Belinfante/Reede, Beginselen van het Nederlands staatsrecht, 2002, S. 137.

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

aa) Akte der Zentralverwaltung Art. 89 Abs. 1 der niederländischen Verfassung schreibt für Rechtsetzungsakte der Zentralverwaltung die Form des königlichen Erlasses (koninklijk besluit) zwingend vor. Der königliche Erlass wird auch als Allgemeine Verwaltungsmaßregeln (algemene maatregelen van bestuur – Amvb) bezeichnet. Nach deutschem Rechtsverständnis handelt es sich um eine Rechtsverordnung. Sie dient der Konkretisierung bestimmter gesetzlicher Vorgaben. Die zu regelnde Materie bestimmt der Gesetzgeber bzw. ein formelles Gesetz. Der Erlass unterliegt einem streng einzuhaltenden Verfahren. Allgemeine Verwaltungsmaßregeln werden von König und Minister erarbeitet. Sie sind dem Staatsrat zur Stellungnahme vorzulegen, dem Ministerrat zuleiten und im Staatsanzeiger (staatsblad) zu veröffentlichen.354 Neben dem königlichen Erlass gibt es den kleinen königlichen Erlass, der keine allgemeinverbindliche Vorschrift darstellt. Er bedarf weder einer Stellungnahme durch den Staatsrat, noch einer Veröffentlichung im Staatsanzeiger355 und wird zur Regelung bestimmter interner Vorgänge verwendet, wie z. B. der Geschäfts­ ordnung des Ministerrates (reglement van orde voor de ministerraad).356 bb) Ministerielle Verordnungen Ministerielle Verordnungen sind von internen ministeriellen Anordnungen zu unterscheiden. Interne ministerielle Anordnungen betreffen die Organisation des Ministeriums, während es sich bei ministeriellen Verordnungen um Außenrecht handelt.357 Der Minister wird auf Grund einer ihm durch eine Rechtsverordnung (amvb) übertragenen Zuständigkeit tätig. Die Tätigkeit des Ministers besteht darin, die betreffende Rechtsverordnung durch eine ministerielle Verordnung zu kon­ kretisieren.358 cc) Rechtsetzungsakte der dezentralen Verwaltung In den Niederlanden können Körperschaften des öffentlichen Rechts zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten Recht setzend tätig werden.359 Die niederländische Verfassung überträgt z. B. in Art. 127 Landkreisen und Gemeinden grund 354 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 410; Belinfante/Reede, Beginselen van het Nederlands staatsrecht, 2002, S. 137; Bovend’eert/Bunschoten/Fleuren/Kortman/van der Nat, Grondwet voor hat Koninkrijk der Nederlanden, 2004, S. 124. 355 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 410. 356 ten Berge/Michiels, Besturen door de overheid, 2001, S. 151. 357 ten Berge/Michiels, Besturen door de overheid, 2001, S. 151. 358 Schössels/Stroink, Kern van het bestuursrecht, 2003, S. 69. 359 Koekkoek, de Grondwet, derde druk 2000, S. 411.

C. Der Gegenstand der Klage

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sätzlich die Befugnis zum Erlass von Landkreis- und Gemeindeverordnungen und damit die Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten.360 Das entspricht dem aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz folgenden Recht der Gemeinden ihre Angelegenheiten durch Satzung zu regeln. Rechtsetzungsakte der dezentralen Verwaltung sind also den Satzungen im deutschen Recht vergleichbar. dd) Selbständige Rechtsverordnungen Selbständige Rechtsverordnungen (zelfstandige algememe maatregelen van bestuur) sind Rechtsetzungsakte der Exekutive, die diese selbständig ohne aus der Verfassung oder einem formellen Gesetz abgeleitete Befugnis vornimmt. Diese Rechtsfigur rührt aus der Zeit, in der lediglich mit Strafe verbundenes hoheit­liches Handeln einer gesetzlichen Grundlage bedurfte. Da sie im Widerspruch zum Legalitätsprinzip stehen und die darauf beruhende Gesetzgebungsbefugnis des Gesetzgebers missachten, sind sie sehr umstritten und deshalb selten. Nach heutiger Rechtsauffassung darf auf dieses Rechtsinstitut nur in Ausnahmefällen in Form einer Übergangsregelung zurückgegriffen werden.361 In Deutschland sind un­abgeleitete, selbständige Rechtsverordnungen der Exekutive und Rechtsverordnungen mit Gesetzesrang (sog. Gesetzesvertretende Verordnungen) seit 1949 nicht mehr lässig.362 b) Beleidsregels Der Begriff „Beleidsregels“ ist in art. 1:3 lid 4 Awb363 legal definiert. Danach handelt es sich um allgemeinverbindliche Regelungen, die keine allgemein verbindlichen Vorschriften sind. Sie umfassen die Abwägung von Belangen, die Feststellung von Tatsachen und die Auslegung gesetzlicher Vorschriften zum Gebrauch bestimmter Befugnisse der Verwaltung. Beleidsregels entfalten wie allgemein verbindliche Vorschriften Außenwirkung. Sie gründen sich im Gegensatz zu diesen aber nicht auf einer dem Verwaltungsorgan kraft Gesetzes verliehenen Ermäch­ 360 Kimmel, Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000, S. 310: Art. 127. Die Provinzialstaaten und der Gemeinderat erlassen außer in durch Gesetz oder von ihnen Kraft eines Gesetzes zu bezeichnenden Ausnahmefällen die Provinzial- beziehnungsweise Gemeindeverordnungen. 361 Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 411. 362 Jarass/Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, 2009, Art. 129 Rdn. 2, Art 80 Rdn. 14. 363 Art. 1:3 lid 4 Awb lautet: Onder beleidsregel wordt verstaan: een bij besluit vastgestelde algemene regel, niet zijnde een algemeen verbindend voorschrift, omtrent de afweging van belangen, de vaststelling van feiten of de uitleg van wettelijke voorschriften bij het gebruik van een bevoegdheid van een bestuursorgaan. – Unter „Beleidsregels“ versteht man: eine durch Verwaltungsmaßnahme festgestellte allgemeine Regel, die keine allgemein verbindliche Vorschrift ist, und die die Abwägung von Interessen, die Feststellung von Tatsachen und die Aus­ legung einer gesetzlichen Vorschrift zum Gebrauch einer Befugnis durch ein Verwaltungsorgan umfaßt.

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

tigung. Sie dienen diesem lediglich als Richtlinie für dessen Vorgehen in bestimmten Fällen. Deshalb bleibt Ihre Anwendung auch auf dieses Verwaltungsorgan beschränkt.364 Obwohl „Beleidsregels“ Außenwirkung entfalten, ähneln sie den Verwaltungsvorschriften im deutschen Recht.365 Eine Besonderheit ist, dass sich die Verwaltung nicht nur durch tatsächliche Handhabung, sondern auch im Voraus binden kann. Die Verwaltung ist nicht verpflichtet, Beleidsregels zu erlassen. Verfasst sie jedoch derartige Regelungen, so hat sie diese zu veröffentlichen und ihre Handlungen daran auszurichten. Weicht sie im konkreten Fall davon ab, muss sie diese Entscheidung eingehend begründen. Die Regelungen sind also bindend und haben demzufolge gesetzesähnlichen Charakter.366 Durch Beleidsregels legt die Verwaltung fest, wie sie von einer Ermächtigung Gebrauch machen will. Daher be­treffen Beleidsregels den Kernbereich der Verwaltung,367 den die Gerichte zu respektieren haben.368 3. Bedeutung des „Besluit“ Der Begriff „Besluit“ deckt damit alle öffentlich-rechtlichen Rechtshandlungen der Verwaltung ab. Er greift daher weiter als der Verwaltungsakt im deutschen Recht, der sich auf Einzelfallmaßnahmen beschränkt. Bis zum Erlass des Awb bezogen sich die gesetzlichen Regelungen in den Niederlanden auf den Verwaltungsakt (beschikking) als das gängigste Handlungsinstrument der Verwaltung. Der Gesetzgeber wollte mit dem Awb ein allgemeines Gesetz schaffen, das für den gesamten Bereich des Allgemeinen Verwaltungsrechts gilt. Deshalb erschienen ihm Regelungen, die nur den Verwaltungsakt erfassen, als zu eng.369 Mit dem besluit schuf er ein umfassendes Rechtsinstitut. Wegen der umfassenden Bedeutung des Begriffs besluit erscheint es angezeigt, den besluit im Weiteren als Verwaltungsmaßnahme zu bezeichnen.

364 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 1:3 Nr. 5 b). 365 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 1:3 Nr. 5. 366 van Ballegooij/Bruil/Kleijn/Schilder, Bestuursrecht in het Awb-tijdperk, 2004, S. 124; Schlössels/Stroink, Kern van het bestuursrecht, 2003, S. 141. 367 de Groot/van der Meulen/van Rossum, Subsidies, beleidsregels, bestuursorganen, NJB 1994, S. 1196. 368 Siehe dazu im 4. Teil, A. II. 369 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiendenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvT, S. 153.

C. Der Gegenstand der Klage

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III. Besondere Zuweisungen Neben art. 8:1 lid 1 Awb enthält das Awb weitere Tatbestände, die unabhängig vom Vorliegen einer Verwaltungsmaßnahme (besluit) den Verwaltungsrechtsweg eröffnen. Man nennt sie in den Niederlanden Erweiterungen (verruimingen). Die Erweiterungstatbestände sind in den art. 6:2 und 8:1 Awb normiert. Teilweise bestimmt das Gesetz sie ausdrücklich, teilweise müssen sie aus dem Gesetz abge­ leitet werden. 1. Erweiterungen gemäß art. 6:2 Awb Art. 6:2 Awb370 eröffnet den Rechtsweg für Handlungen der Verwaltung, die zwar nicht die Tatbestandsmerkmale einer Verwaltungsmaßnahme aufweisen, zur Wahrung der Rechte des Betroffenen aber dem Rechtschutz zugänglich sind.371 Art. 6:2 a. Awb nennt zunächst die schriftliche Weigerung, eine Verwaltungsmaßnahme zu erlassen. Die Vorschrift bezieht sich auf eine Weigerung aus formellen Gründen, wenn die Behörde es beispielsweise ablehnt, einen Verwaltungsakt zu erlassen, weil sie sich für nicht zuständig hält. Gem. art. 1:3 lid 1 Awb liegt kein besluit vor, da die Rechtshandlung fehlt. Der Betroffene benötigt gerade in dieser Situation Rechtsschutz. Deshalb ist es notwendig, ihm den Rechtsweg zu eröffnen.372 Wird dagegen aus materiellen Gründen der Erlass z. B. einer Baugenehmigung verweigert, so handelt es sich gem. art. 1:3 lid 2 2. HS Awb um einen Verwaltungsmaßnahme, die gem. art. 8:1 lid 1 Awb angefochten werden kann. Art. 6:2 a. Awb ermöglicht den Zugang zu den Verwaltungsgerichten, wenn der Erlass einer hoheitlichen Maßnahme von allgemeiner Gültigkeit (Besluit van algemeene strekking) verweigert wird. Hierunter fällt die Ablehnung, ein bestimmtes Verkehrszeichen, wie z. B. ein Halteverbotschild, aufzustellen.373 Der Fall einer schriftlichen Ablehnung eines durch einen nicht Betroffenen eingereich-

370

Art. 6:2 Awb lautet: Voor de toepassing van wettelijke voorschriften over bezwaar en beroep worden met een b­ esluit gelijkgesteld: a. de schriftelijke weigering een besluit te nemen, en b. het niet tijdig nemen van een besluit. Hinsichtlich der Anwendung der gesetzlichen Vorschriften zu Vorverfahren und Klage werden mit einer Verwaltungsmaßnahme gleichgestellt: a. die schriftliche Weigerung eine Maßnahme zu erlassen, und b. die Verspätung beim Erlass einer Maßnahme. 371 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 113. 372 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 113; van Buuren/Borman, Algemene wet bestuurs­ recht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 6:2 Nr. 2. 373 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S.114; van Buuren/Borman, Algemene wet bestuurs­ recht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 6:2 Nr. 2.

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

ten Gesuchs ist von nur geringer praktischer Bedeutung. Mangels Klagebefugnis ist der Rechtsbehelf nicht zulässig.374 Art. 6:2 b. Awb bietet Rechtsschutz bei Untätigkeit der Verwaltung. Hierbei geht es vor allem um den Erlass termingebundener Maßnahmen, wie z. B. die Vergabe einer Genehmigung, die ein Schausteller für die Teilnahme an einem Jahrmarkt benötigt. Die Genehmigung muss vor Eröffnung des Jahrmarktes erteilt werden, da sie später für den Schausteller nutzlos ist. Bleibt die verantwortliche Behörde untätig, so kann der Betroffene um Rechtsschutz ersuchen. Das Vorverfahren wird übersprungen. Der Richter stellt der Verwaltung eine Frist, binnen derer sie zu entscheiden hat.375 Folgt einer mündlich ergangenen Ablehnung eines Antrags kein schriftlicher Bescheid, so ist gem. art. 6:2 b. Awb die mündliche Ablehnung dem Rechtsschutz zugänglich.376 2. Erweiterungen gem. art. 8:1 Awb Art. 8:1 lid 2 Awb377 enthält die wichtigsten Erweiterungen des art. 8:1 Awb. Erfasst werden die Fälle, in denen ein Beamter in seiner Stellung als Beamter durch eine hoheitliche Handlung unmittelbar beeinträchtigt wird.378 Die Vorschrift ähnelt dem deutschen § 126 BRRG, der den Verwaltungsrechtsweg in allen beamtenrechtlichen Streitigkeiten eröffnet. Beispiel für eine beamtenrechtliche Streitigkeit in diesem Sinn im niederländischen Recht ist das Einstellen von Gehaltszahlungen an einen Beamten ohne Vorankündigung.379 Gem. art. 8:1 lid 3 Awb380 wird auch die schriftliche Weigerung, die Genehmigung zum Erlass eines Besluit, der eine allgemeinverbindliche Vorschrift oder eine 374

Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 115. ABRvS 13.06.2001, AB 2001, 295; Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 116. 376 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 118. 377 Art. 8:1 lid 2 Awb lautet: Met een besluit wordt gelijkgesteld een andere handeling van een bestuursorgaan waarbij een ambtenaar als bedoeld in artikel 1 van de Ambtenarenwet als zodanig of een dienstplichtige als bedoeld in hoofdstuk 2 van de Kaderwet dienstplicht als zodanig, hun nagelaten betrekkingen of hun rechtverkrijgenden belanghebbende zijn. – Einer Verwaltungsmaßnahme wird eine andere Handlung einer Behörde, durch die ein Beamter nach art. 1 Beamtengesetz als solcher oder ein Dienstpflichtiger nach Kapitel 2 des Rahmengesetzes Dienstpflicht als solcher, ihre Nachkommen oder Rechtsnachfolgender, betroffen sind, gleichgestellt. 378 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 119; ten Berge/Michiels, Bestuuren door de overheid, 2001, S. 78. 379 CRvB 07.09.2000, Rawb 2001, 19. 380 Art. 8:1 lid 3 Awb lautet: Met een besluit worden gelijkgesteld: a. de schriftelijke beslissing, inhoudende de weigering van de goedkeuring van een besluit, inhoudende een algemeen verbindend voorschrift of een beleidsregel of de intrekking of de vaststelling van de inwerkingtreding van een algemeen verbindend voorschrift of een beleidsregel, en 375

C. Der Gegenstand der Klage

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Verwaltungsvorschrift oder das Außerkrafttreten oder die Feststellung des Inkrafttretens allgemeinverbindlicher Vorschriften oder Verwaltungsvorschriften zu erteilen, mit einer Verwaltungsmaßnahme gleichgestellt. Das Gleiche gilt für die schriftliche Weigerung, die Genehmigung für eine Maßnahme zur Vorbereitung einer privatrechtlichen Rechtshandlung zu erteilen.

IV. Ausnahmen Die Artikel 8:2 bis 8:5 Awb zählen Maßnahmen auf, für die keine Klagemöglich­ keit besteht, die sogenannten Ausnahmen (uitzonderingen). 1. Beschränkungen gemäß art. 8:2 Awb Die wichtigsten Ausnahmen enthält art. 8:2 Awb381. Er schließt die gerichtliche Überprüfung aller untergesetzlichen Regelungen sowie die damit verbundenen Genehmigungshandlungen aus. Das heißt, dass nach dem Awb ein Normenkontrollverfahren für Rechtsverordnungen, Satzungen und Verwaltungsvorschriften nicht möglich ist. Die Regelung des art. 8:2 sollte auf fünf Jahre begrenzt sein. Das Überleitungsgesetz zur Vollendung der 1. Phase der Erneuerung des Gerichtsb. de schriftelijke beslissing, inhoudende de weigering van de goedkeuring van een besluit ter voorbereiding van een privaatrechtelijke rechtshandeling. Mit einer Verwaltungsmaßnahme wird gleichgestellt: a. die schriftliche Verfügung, die die Verweigerung einer Genehmigung einer Maßnahme, die eine allgemeinverbindliche Vorschrift oder eine Verwaltungsvorschrift enthält oder das Außer­krafttreten oder die Feststellung des Inkrafttretens einer allgemeinverbindlichen Vorschrift oder einer Verwaltungsvorschrift, und b. die schriftliche Verfügung, die die Verweigerung der Genehmigung einer Maßnahme zur Vorbereitung einer privatrechtlichen Rechtshandlung enthält. 381 Art. 8:2 Awb lautet: Geen beroep kan worden ingesteld tegen: a. een besluit, inhoudende een algemeen verbindend voorschrift of een beleidsregel, b. een besluit, inhoudende de intrekking of de vaststelling van de inwerkingtreding van een algemeen verbindend voorschrift of een beleidsregel, en c. een besluit, inhoudende de goedkeuring van een besluit, inhoudende een algemeen verbindend voorschrift of een beleidsregel of de intrekking of de vaststelling van de inwerkingtreding van een algemeen verbindend voorschrift of een beleidsregel. Keine Klage kann erhoben werden gegen: a. eine Verwaltungsmaßnahme, die eine allgemein verbindliche Vorschrift oder eine Verwaltungsvorschrift enthält, b. eine Verwaltungsmaßnahme, die die Rücknahme oder die Feststellung des Erlasses einer allgemein verbindlichen Vorschrift oder einer Verwaltungsvorschrift enthält, c. eine Verwaltungsmaßnahme, die die Genehmigung einer Verwaltungsmaßnahme, die eine allgemeinverbindliche Vorschrift oder eine Verwaltungsvorschrift oder die Rücknahme oder die Feststellung des Inkrafttretens einer allgemein verbindlichen Vorschrift oder Verwaltungsvorschrift enthält, beinhaltet.

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

verfassungsgesetzes legte fest, dass sie am 1. Januar 1999 ihre Gültigkeit verlieren sollte.382 Man wollte den Gerichten dadurch die Möglichkeit geben, sich zunächst mit der Überprüfung von Verwaltungsakten vertraut zu machen.383 Als jedoch der Zeitpunkt des Verfalls des art. 8:2 Awb nahte, gelangte die Regierung zu der Auffassung, dass es noch nicht an der Zeit sei, die Kontrolle untergesetzlicher Vorschriften zu ermöglichen. Daher wurde am 24. Dezember 1998 durch Gesetz die Überleitungsbestimmung auf unbestimmte Zeit ausgesetzt.384 Von dem Ausschluss nicht erfasst ist die inzidente Kontrolle untergesetzlicher Vorschriften. Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Vorschrift rechtswidrig ist, erklärt es diese für im konkreten Fall nicht anwendbar. Das Ergebnis ist nicht allgemeingültig, sondern wirkt nur zwischen den Parteien.385 Darüberhinaus ist es nach der Rechtsprechung des Hohen Rates möglich, gegen eine untergesetzliche Regelung Schadensersatz vor den Zivilgerichten geltend zu machen.386 2. Beschränkungen gemäß art. 8:3 Awb Gem. art. 8:3 Awb387 kann gegen Maßnahmen zur Vorbereitung einer privatrechtlichen Rechtshandlung keine Klage erhoben werden. Gem. art. 1:3 Awb fallen privatrechtliche Rechtshandlungen nicht in den Anwendungsbereich des Awb. Deshalb ist auch deren Vorbereitung der Zuständigkeit des Verwaltungsrichters entzogen. Zwar sind die Vorschriften der Kapitel 1, 2, 3 und 4 zum Erlass von Verwaltungsmaßnahmen anwendbar, doch hat der Gesetzgeber die Anwendung des Kapitels 8 ausgeschlossen. Dadurch wollte er verhindern, dass Verwaltungsund Zivilgerichte in derselben Angelegenheit angerufen werden.388 Kompetenzkonflikte sollten ausgeschlossen werden. Dem Zivilrichter wurde der Vorrang eingeräumt.389

382

Onderdeel 6, art. IVA, van Stb. 1993, 650 jo. 690. Polak, Rechtstreeks beroep tegen algemeem verbindende voorschriften en beleidsregels bij de bestuursrechter: voorlopig van de baan? TREMA 1997, 269. 384 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:2, Nr. 5. 385 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:2, Nr. 4. 386 HR 22.03.1960, NJ 1960, S. 274, Pocketbooks I; HR 24.01.1969, NJ 1969, S. 316, Pocketbooks II. 387 Art. 8:3 Awb lautet: Geen beroep kan worden ingesteld tegen een besluit ter voorbereiding van een privaatrechtelijke rechtshandeling. – Gegen eine Maßnahme zur Vorbereitung einer privatrechtlichen Rechtshandlung kann keine Klage erhoben werden. 388 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiendenis van de Algemene wet bestuurs­recht, Tweede Tranche, 1994, MvT, S. 390. 389 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Awb art. 8:3 Nr. 1. 383

C. Der Gegenstand der Klage

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3. Beschränkungen gemäß art. 8:4 Awb Art. 8:4 Awb390 zählt eine Reihe von Maßnahmen auf, die nicht verwaltungsgerichtlich angegriffen werden können. Es handelt sich dabei um Maßnahmen, 390 Art. 8:4 Awb lautet: Geen beroep kan worden ingesteld tegen een besluit: a. inhoudende schorsing of vernietiging van een besluit van een ander bestuursorgaan, b. op grond van een in enig wettelijk voorschrift voor het geval van buitengewone omstandigheden toegekende bevoegdheid of opgelegde verplichting in deze omstandigheden ­genomen, c. genomen op grond van een wettelijk voorschrift ter beveiliging van de militaire belangen van het Koninkrijk of zijn bondgenoten, d. tot benoeming of aanstelling, tenzij beroep wordt ingesteld door een ambtenaar als bedoeld in artikel 1 van de Ambtenarenwet als zodanig of een dienstplichtige als bedoeld in hoofdstuk 2 van de Kaderwet dienstplicht als zodanig, hun nagelaten betrekkingen of hun rechtverkrijgenden, e. inhoudende een beoordeling van het kennen of kunnen van een kandidaat of leerling die ter zake is geëxamineerd of op enigerlei andere wijze is getoetst, dan wel inhoudende de vaststelling van opgaven, beoordelingsnormen of nadere regels voor die examinering of ­toetsing, f. inhoudende een technische beoordeling van een voertuig of een luchtvaartuig, dan wel een meetmiddel, een onderdeel daarvan of een hulpinrichting daarvoor, g. inzake de nummering van kandidatenlijsten, de geldigheid van lijstverbindingen, het verloop van de stemming, de stemopneming, de vaststelling van de stemwaarden en de vaststelling van de uitslag bij verkiezingen van de leden van vertegenwoordigende organen, de benoemdverklaring in opengevallen plaatsen, de toelating van nieuwe leden van provinciale staten, van de gemeenteraad en van het algemeen bestuur van een waterschap, alsmede de verlening van tijdelijk ontslag wegens zwangerschap en bevalling of ziekte, h. genomen op grond van een wettelijk voorschrift inzake de verplichte krijgsdienst, voor ­zover het keuring, herkeuring, werkelijke dienst, groot verlof of diensteindiging betreft, ­tenzij het besluit betrekking heeft op verlenging van werkelijke dienst of kostwinnersvergoeding, of het besluit is genomen op grond van de Wet voor het reservepersoneel der krijgs­macht 1985, i. houdende een ambtshandeling van een gerechtsdeurwaarder of notaris, j. als bedoeld in artikel 7:1a, vierde lid, 7:10, tweede, derde of vierde lid, 7:24, derde tot en met zesde lid, of … Keine Klage kann gegen eine Verwaltungsmaßnahme erhoben werden: a. die die aufschiebende Wirkung oder die Aufhebung einer Maßnahme anordnen, b. die aufgrund einer durch eine gesetzliche Vorschrift für den Fall des Eintritts außergewöhnlicher Umstände verliehenen Ermächtigung oder auferlegten Verpflichtung aufgrund dieser Umstände erlassen wurde, c. die aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift zum Schutz militärischer Belange des Königreichs oder seiner Verbündeten erlassen wurde, d. die eine Benennung oder Anstellung vornimmt, es sei denn die Klage wird durch einen Beamten i. S. d. art. 1 Beamtengesetz oder einen Dienstpflichtigen i. S. d. art. 2 des Rahmengesetzes Dienstpflicht oder gegen deren Nachkommen oder Rechtsnachfolger eingereicht, e. die eine Beurteilung über die Kenntnisse eines Kandidaten oder Lehrlings enthält, der auf diesem Gebiet ein Examen abgelegt hat oder auf andere Weise geprüft wurde, außer es handelt sich um Aufgabenstellung, Beurteilungsnormen oder andere Regelungen für das Examen oder die Prüfung, f. die die technische Beurteilung eines Fuhrwerks oder eines Flugzeugs enthalten, ebenso Meßverfahren einen Teil davon oder eine Hilfseinrichtung dafür,

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

die sich als Klagegenstand nicht eignen.391 Buchstabe a betrifft die Anordnung der aufschiebenden Wirkung oder die Aufhebung von Maßnahmen eines anderen Verwaltungsorgans durch ein Verwaltungsorgan.392 Buchstabe b bezieht sich auf Maßnahmen, die aufgrund einer Notgesetzgebung durch königlichen Besluit auf Veranlassung des Ministerpräsidenten erlassen wurden.393 Bei c. geht es um Maßnahmen, die speziell dem Schutz militärischer Belange dienen.394 Aufgrund von d. ist es einem potentiellen Beamten verwehrt, gegen die Ernennung eines Mitbewerbers zu klagen.395 Nach e. ist die gerichtliche Kontrolle von Examina und Prüfungen ausgeschlossen.396 Die Überprüfung der formellen Anforderungen, die im Rahmen einer Prüfung gestellt werden, ist dagegen zulässig.397 Unter f. fallen technische Gutachten wie z. B. Abgaskontrollen.398 Buchstabe g behandelt die Erhebung von Steuern und Beiträgen399 und Buchstabe h beschäftigt sich mit Wahlangelegenheiten sowie der Zulassung neuer Kreistags- und Ratsmitglieder.400 Buchstabe i schließt eine verwaltungsgerichtliche Klage gegen eine Maßnahme,

g. die aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift über Steuern oder die Erhebung von Beiträgen, sowie eine den Beitrag ersetzende Steuer nach dem Gesetz zur Finanzierung der Volksgesundheit erlassen wurde, h. die in Sachen Aufstellung von Kandidatenlisten, die Gültigkeit der Verbindungen von Listen, den Verlauf der Abstimmung, die Mitschrift und Feststellung des Ergebnisses von Wahlen der Mitgliedern der vertretenden Organe, die Erklärung der Berufung auf freigewordene Sitze, sowie die Zulassung neuer Mitglieder des Provinzialparlaments und des Gemeinde­ rates, erlassen wurde i. die aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung zum Kriegsdienst erlassen wurde, soweit sie die Musterung, die erneute Musterung, den Wehrdienst, Urlaub oder die Beendigung des aktiven Dienstes betrifft, es sei denn die Maßnahme betrifft die Verlängerung des Wehrdienstes oder die Vergütung oder beruht auf dem Gesetz für Reservisten 1985, oder j. die eine Amtshandlung eines Gerichtsvollziehers oder Notars beinhaltet. … 391 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiendenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Tranche, 1994, MvT, S. 392. 392 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:4 Nr. 2. 393 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:4 Nr. 3. 394 MvT, Kammerstukken II 1988/89, 16 495, nr. 3. 395 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:4 Nr. 5. 396 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:4 Nr. 6. 397 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:4 Nr. 7. 398 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:4 Nr. 8. 399 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:4 Nr. 9. 400 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:4 Nr. 10.

C. Der Gegenstand der Klage

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die aufgrund des Rahmengesetzes zur Dienstpflicht erging, aus.401 Nach j. besteht keine Möglichkeit der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung von Amtshandlungen von Gerichtsvollziehern und Notaren.402 Sie sind nur auf der Sekundärebene durch Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen angreifbar. 4. Beschränkungen gemäß art. 8:5 Awb Art. 8:5 Awb403 enthält die sogenannte Negativliste (negatieve lijst). Es handelt sich dabei um eine Reihe von in der Beilage zum Awb aufgezählten Maßnahmen, die einer Klage vor dem Verwaltungsgericht nicht zugänglich sind. Für diese Maßnahmen ist aufgrund der Rechtsweggarantie der Zivilrechtsweg eröffnet. Der Ausschluss vom Verwaltungsrechtsweg erfolgte z. B., weil die betreffenden Maßnahmen sich nicht für eine verwaltungsgerichtliche Klage eignen, sie aufgrund einer Regelung erlassen wurden, für die ein anderer Rechtsweg eröffnet ist, sie hauptsächlich der Bekanntmachung dienen, im Zusammenhang mit ihr andere Verfügungen getroffen wurden, die in die Rechtsposition des Adressaten eingreifen und vor dem Verwaltungsgericht klagbar sind.404 Die Beilage zum Awb zählt einzelne gesetzliche Regelungen auf, die dem jeweils zuständigen Ministerien zugeordnet sind. Die Umsetzung des Gesetzes zur Volksgesundheit (Wet publieke gezondheid)405 fällt z. B. in die Zuständigkeit des Gesundheitsministers. Laut der Beilage zum Awb ist art. 8:5 auf die Maßnahmen nach art. 31406 und 35407 dieses Gesetzes anzuwenden. Liegt eine der dort niedergelegten Voraussetzungen vor, kann der Bürgermeister die Aufnahme auf die Isolierstation eines Krankenhauses bzw. Quarantänemaßnahmen anordnen. 401

van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:4 Nr. 12. 402 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:4 Nr. 13. 403 Art. 8:5 lid 1 Awb lautet: Geen beroep kan worden ingesteld tegen een besluit, genomen op grond van een wettelijk voorschrift dat is opgenomen in de bijlage die bij deze wet behoort. – Gegen Maßnahmen, die auf der Grundlage einer gesetzlichen Vorschrift, die in die Beilage zu diesem Gesetz aufgenommen ist, erlassen wurden, kann keine Klage eingereicht werden. 404 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiendenis van de Algemene wet bestuurs­recht, Tweede Tranche, 1994, MvT, S. 395. 405 Im Oktober 2008 gingen die Bestimmungen des Seuchengesetzes in dieses Gesetz ein. Das Seuchengesetz entfiel. 406 Art. 31 Gesetz zur Volksgesundheit lautet: De burgemeester kan een persoon onverwijld ter isolatie in een ziekenhuis doen opnemen, indien: … – Der Bürgermeister kann eine Person unverzüglich zur Isolation in ein Krankenhaus einweisen, wenn: … 407 Art. 35 Gesetz zur Volksgesundheit lautet: De burgemeester kan een persoon onver­wijld doen onderwerpen aan de maatregel van quarantaine om de verspreiding van infectieziekten behorend tot groep A tegen te gaan, indien: … – Der Bürgermeister kann eine Person unverzüglich Quarantänemaßnahmen unterwerfen, um die Verbreitung von Infektionskrankheiten der Gruppe A zu vermeiden, wenn: …

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

V. Zusammenfassung Art. 8:1 Awb beschränkt den Zugang zu den Verwaltungsgerichten auf einen bestimmten Klagegegenstand, den „besluit“. Vergleicht man diese Zugangsvoraussetzung mit § 40 VwGO, der den Verwaltungsrechtsweg für alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art eröffnet, so erscheinen die Zugangsvoraussetzungen zu den Verwaltungsgerichten in den Niederlanden auf den ersten Blick deutlich eingeschränkt. Berücksichtigt man jedoch, dass der Begriff „besluit“ alle Rechtshandlungen der Verwaltung umfasst und auch die Ablehnung einer beantragten Leistung ein „besluit“ ist, kommt man zu dem Ergebnis, dass diese Grundvoraussetzungen für den Zugang zum Verwaltungsrechtsschutz in beiden Ländern näher beieinander liegen als zunächst vermutet, da auch in den Niederlanden grundsätzlich jedes Handeln der Verwaltung, das sich auf die Rechtsposition des Bürgers auswirkt, einer gerichtlichen Überprüfung unter­zogen werden kann.

D. Die Zuständigkeiten I. Zuständigkeit des allgemeinen Verwaltungsgerichtes Gem. art. 8:1 lid 1 Awb ist die Klage bei der „rechtbank“, dem erstinstanz­lichen Gericht, einzureichen. Grundsätzlich ist hier die verwaltungsgerichtliche Abteilung für die Klage gegen eine Verwaltungsmaßnahme in erster Instanz sachlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus art. 8:7 Awb408. Wendet sich eine Klage gegen eine Maßnahme einer Provinz, einer Gemeinde, eines Wasserverban 408 Art. 8:7 Awb lautet: 1. Indien beroep wordt ingesteld tegen een besluit van een bestuursorgaan van een provincie, een gemeente, een waterschap of een regio als bedoeld in artikel 21 van de Politiewet 1993 dan wel tegen een besluit van een gemeenschappelijk orgaan of en bestuursorgaan van een openbaar lichaam dat is ingesteld met toepassing van de Wet gemeenschappelijke regelingen, is de rechtbank binnen het rechtsgebied waarvan het bestuursorgaan zijn zetel heeft bevoegd. 2. Indien beroep wordt ingesteld tegen een besluit van een ander bestuursorgaan, is de rechtbank binnen het rechtsgebied waarvan de indiener van het beroepschrift zijn woonplaats in Nederland heeft bevoegd. Indien de indiener van het bereopschrift geen woonplaats in nederland heeft, is de rechtbank binnen het rechtsgebied waarvan het bestuursorgaan zijn zetel heeft bevoegd.

1. Wird gegen eine Maßnahme eines Verwaltungsorgans einer Provinz, einer Gemeinde eines Wasserverbandes oder einer Polizeiinspektion gem. art. 21 Polizeigesetz 1993 oder einer Maßnahme eines Gemeinschaftsorgans oder eines Verwaltungsorgans einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Maßgabe des Gesetzes für Gemeinschaftsarbeit Klage erhoben, so ist das Gericht, in dessen Bezirk das Verwaltungsorgan seinen Sitz hat, zuständig.

D. Die Zuständigkeiten

159

des oder einer aufgrund des Gesetzes für Gemeinschaftsarbeit409 gegründeten öffentlich-rechtlichen Körperschaft, ist das Landgericht zuständig, in dessen Gebiet die Körperschaft ansässig ist. Bei allen übrigen Maßnahmen bestimmt der Wohnsitz des Klägers das zuständige Gericht410

II. Zuständigkeit des besonderen Verwaltungsgerichtes Art. 8:6 Awb411 normiert eine von art. 8:1 lid 1 Awb412 abweichende Vorrang­ regelung (voorrangsregeling). Danach ist eine spezialgesetzliche Zuweisung zu einem der besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit angehörenden Gericht vorrangig. Zur besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit zählen die Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung beim Staatsrat (ABRvS), der Berufungsrat (Centrale Raad van Beroep, CRvB), das Kollegium für Klagen aus dem Wirtschaftsleben (­College van Beroep voor het bedrijfsleven, CBB), sowie die Gerichthöfe und der Hoge Raad.413 Ob ein Gericht der besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig ist, regelt das jeweils einschlägige Spezialgesetz. So sieht z. B. art. 8.2 lid 1 des Raumordnungsgesetzes414 eine Verkürzung des Rechtsweges vor. Er bestimmt, dass eine Klage gegen die Feststellung eines Flächennutzungsplans (bestemmingsplan) direkt (im 1. Rechtszug) vor der Abteilung für Verwaltungsrechtssprechung des

2. Wird gegen eine Verwaltungsmaßnahme eines anderen Verwaltungsorgans Klage erhoben, so ist das Landgericht zuständig, in dessen Bezirk der Kläger in den Niederland seinen Wohnsitz hat. Hat der Kläger keinen Wohnsitz in den Niederlanden so ist das Gericht, in dessen Bezirk das Verwaltungsorgan seinen Sitz hat, zuständig. 409 Das entspricht den Landesgesetzen über die kommunale Gemeinschaftsarbeit in Deutschland, z. B. in Thüringen. 410 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 190 f.; van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/van Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awb-tijdperk, 2004, S. 209. 411 Art. 8:7 Awb lautet: Kan of kon beroep tegen een besluit worden ingesteld bij een andere administratieve rechter, dan is de rechtbank niet bevoegd. De bevoegdheid van deze bijzondere bestuursrechters is in bijzondere formele wetgeving neergelegd. – Kann oder konnte gegen eine Maßnahme der Verwaltung bei einem anderen Verwaltungsgericht Klage eingereicht werden, so ist das allgemeine Verwaltungsgericht nicht zuständig. Die Zuständigkeit des besonderen Verwaltungsgerichts ist in einem formellen Gesetz normiert. 412 Art. 8:6 lid 1 Awb lautet: Geen beroep kan worden ingesteld tegen een besluit waartegen beroep bij een andere administratieve rechter kann of kon worden ingesteld. – Gegen eine Maßnahme kann nicht geklagt werden, wenn gegen sie vor einem anderen Verwaltungsgericht geklagt werden kann oder konnte. 413 Siehe dazu die Ausführungen im Kapitel zur Rechtsweggarantie. 414 Art.8.2 lid 1 Raumordnungsgesetz lautet: Een belanghebbende kann bij de Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State beroep instellen tegen: … – Ein Betroffener kann bei der Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung des Staatsrates klagen gegen: …

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

Staatsrates zu verhandeln ist. Eine ähnliche Regelung findet sich in art. 20.1 lid 1 Umweltgesetz415.416

E. Der Rechtsschutz durch die Verwaltung – Das Vorverfahren Das Verwaltungsverfahren geht grundsätzlich einem gerichtlichen Verfahren voraus. Es war nach der Einführung des Awb zunächst verpflichtend. Die Niederländer nennen es deshalb verpflichtendes Vorverfahren (verplichte voorproc­ dure).417 Es bietet dem Bürger die Gelegenheit, eine gegen ihn gerichtete hoheitliche Maßnahme ohne großen Aufwand überprüfen zu lassen. Gleichzeitig gibt es der handelnden Behörde die Möglichkeit, ihren Bescheid noch einmal zu überdenken und entlastet die Gerichte.418 Nach der neueren Gesetzgebung419 ist die Durchführung des Vorverfahrens bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen nicht mehr zwingend. Die Verfahrensvorschriften finden sich in den Kapitel 6 und 7 des Awb. Die niederländische Rechtsordnung unterscheidet zwei Formen des Vorver­ fahrens, die bezwaar und den administratief beroep. Die Durchführung des administrafief beroep gibt das jeweils einschlägige Spezialgesetz vor. Findet sich dort keine Regelung zum Vorverfahren, kommt die bezwaar zur Anwendung.420 Dem entsprechend wird die bezwaar im Folgenden als allgemeines und der administratief beroep als besonderes Vorverfahren bezeichnet. Allgemeines und besonderes Vorverfahren weisen viele Gemeinsamkeiten auf. Deshalb wird zunächst das allgemeine Vorverfahren ausführlich dargestellt und im Anschluss daran auf die Abweichungen des besonderen Vorverfahrens ein­ gegangen.

415 Art. 20.1 lid 1 Umweltgesetz lautet: Tegen een besluit op grond van deze wet – met uitzondering van een besluit ten aanzien waarvan op grond van deze wet een andere beroepsgang is opengesteld – of een van de in het derde lid bedoelde wetten of wettelijke bepalingen kan een belanghebbende beroep instellen bij de Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State. – Gegen eine Maßnahme auf Grund dieses Gesetzes – ausgenommen eine Maßnahme, für die in diesem Gesetz an anderer Klageweg eröffnet ist – oder eines der im 3. Absatz bezeichneten Gesetze oder gesetzlichen Bestimmungen kann ein Betroffener bei der Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung des Staatsrates klagen. 416 ten Berge/Michiels, Bestuuren door de overheid, 2001, S. 82. 417 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 17. 418 Sanders, De heroverweging getoetst, 1999, S. 88. 419 Wet rechtstreeks beroep, art. 7:1 a Awb (Stb. 2004); wet uniforme openbare vorbereidingsprocedure, Afd. 3.4 Awb (Stb. 2002, 54). 420 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, S. 277.

E. Der Rechtsschutz durch die Verwaltung – Das Vorverfahren

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I. Das allgemeine Vorverfahren Das allgemeine Vorverfahren (bezwaar) erhielt mit Einführung des Awb 1994 seine heutige Form. Bereits das Vorgängergesetz des Awb das Wet AROB sah für bestimmte Fälle ein Vorverfahren vor.421 Da es sich um ein einfaches Verfahren handelte, das zudem dem Rechtsschutz des Bürgers diente, nahm der Gesetz­geber es mit einigen Veränderungen als grundsätzlich verpflichtendes Verfahren in das Awb auf.422 1. Begriffsbestimmung Art. 1:5 lid 1 Awb423 definiert das allgemeine Vorverfahren. Danach wendet es sich gegen eine Maßnahme der Verwaltung (besluit) und darf nur aufgrund einer durch Gesetz zugewiesenen Befugnis eingeleitet werden. Zuständig für seine Durchführung ist die Ausgangsbehörde. a) Maßnahme der Verwaltung (besluit) Der Begriff besluit424 erfasst nicht nur den Bürger begünstigende und belastende Bescheide, sondern gem. art. 1:3 lid 2 2. HS Awb auch die Weigerung der Behörde, auf Antrag eines Bürgers eine Maßnahme zu erlassen, z. B. eine Genehmigung zu erteilen.425 Handlungen der Verwaltung, die keine Maßnahmenqualität haben, wie eine Abmahnung zur Beendigung eines rechtswidrigen Zustandes, Entscheidungen zur Vornahme bestimmter Handlungen oder verwaltungsinterne Anweisungen, können nicht im Vorverfahren überprüft werden.426 In den Niederlanden werden wie in Deutschland ausschließlich bereits erlassene Maßnahmen im Vorverfahren überprüft.427 Hoheitliche Handlungen, die den Erlass einer Verwaltungsmaßnahme vorbereiten, können gem. art. 6:3 1. HS Awb428 nicht 421

Siehe dazu im 1.Teil, C. I. 4. b) bb). Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 13. 423 Art. 1:5 lid 1 Awb lautet: Onder het maken van bezwaar wordt verstaan: het gebruik maken van de ingevolge een wettelijk voorschrift bestaande bevoegdheid, voorziening tegen een besluit te vragen bij het bestuursorgaan dat het besluit heeft genomen. – Das allgemeine Vorverfahren ist der Gebrauch einer kraft Gesetzes zustehenden Befugnis, eine Behörde um Abhilfe gegen eine von ihr erlassene Maßnahme zu bitten. 424 Siehe dazu im 2. Teil, C. I. 425 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 6:2 Nr. 1. 426 Winter, De Awb-bezwaarschriftprocedure: een praktische handleiding, 2003, S. 60. 427 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvT, S. 161. 428 art. 6:3 Awb lautet: Een beslissing inzake de procedure ter voorbereiding van een besluit is niet vatbaar voor bezwaar of beroep, tenzij deze beslissing de belanghebbende los van het voor te bereiden besluit rechtstreeks in zijn belang treft. – Eine Entscheidung im Rahmen der Vorbe 422

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

angegriffen werden. Rechtsschutz kann nur gleichzeitig mit dem gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelf begehrt werden.429 Art. 6:3 Awb ähnelt also § 44a VwGO. Abweichend von art. 6:3 1. HS Awb kann gem. art. 6:3 2. HS Awb die vorbereitende Entscheidung angegriffen werden, wenn diese den Antragsteller direkt in seinen Belangen beeinträchtigt. Das ist der Fall, wenn sie bereits für einen oder mehrere Betroffene einen Rechtserfolg herbeiführt.430 Die Rechtsprechung hat das für die sogenannten Briefmarkenpläne (postzegelplannen) bejaht.431 Bei einem Briefmarkenplan handelt es sich um einen Flächennutzungsplan für ein räumlich eng begrenztes Gebiet. Er ermöglicht es, den bereits bestehenden Flächennutzungsplan kurzfristig abzuändern. Bereits die Vorbereitung eines Brief­ markenplanes ist einem vollständigen Rechtsschutzverfahren bestehend aus Vorverfahren und gerichtlichem Verfahren zugänglich. Über art. 6:2 a. Awb432 kann auch die schriftliche Weigerung der Behörde, eine beantragte Maßnahme zu erlassen, Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens sein. Dabei geht es nicht um die Weigerung aus materiellen Gründen. Eine solche wird durch art. 1:3 lid 2 2. HS Awb433 erfasst. Art. 6:2 a. Awb geht vielmehr von einer Weigerung aus formellen Gründen aus, z. B. weil Gebühren nicht eingezahlt wurden434 oder weil die angerufene Behörde sich als nicht zuständig erachtet. reitung einer Maßnahme kann durch Vorverfahren oder Klage nicht angegriffen werden, es sei denn diese Entscheidung berührt den Betroffenen unabhängig von der vorzubereitenden Maßnahme direkt in seinen Belangen. 429 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 6:3 Nr. 1; Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvT, S. 283. 430 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvT, S. 284. 431 Vz. Afd. Rechtspraak 29.04.1985 AB 1985, 519; Vz. Afd. Rechtspraak 25.11.1985 AB 1986, 424. Es handelt sich um Rechtsprechung aus der Zeit, in der das AROB galt. Sie wurde bei Erlass des Awb berücksichtigt (Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvT, S. 284). 432 Art. 6:2 Awb lautet: Voor de toepassing van wettelijke voorschriften over bezwaar en beroep worden met een besluit gelijkgesteld: a. de schriftelijke weigering een besluit te nemen, en b. het niet tijdig nemen van een besluit. Zur Anwendung der gesetzlichen Vorschriften über Vorverfahren und Klage werden mit einer Maßnahme gleichgestellt: a. die schriftliche Weigerung eine Maßnahme zu erlassen; b. wenn eine Maßnahme nicht innerhalb einer angemessenen Frist erlassen wird. 433 Art. 1:3 lid 2 Awb lautet: Onder beschikking wordt verstaan: een besluit dat niet van algemene strekking is, met inbegrip van de afwijzing van een aanvraag daarvan. – Unter Verwaltungsakt versteht man: eine Maßnahme, die nicht allgemein verbindlich ist, einschließlich der Zurückweisung eines Antrags auf Erlass derselben. 434 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, S. 281.

E. Der Rechtsschutz durch die Verwaltung – Das Vorverfahren

163

Art. 6:2 b. Awb sieht weiterhin ein Rechtsbehelfsverfahren vor, für den Fall, dass die Behörde ohne zureichenden Grund nicht binnen einer angemessenen Frist entschieden hat. Dabei wurde bisher nicht abschließend geklärt, wann eine angemessene Frist verstrichen ist. Die Literatur geht von einem Zeitraum von 8 Wochen aus.435 Die Rechtsprechung hat lediglich klargestellt, dass es sich bei der angemessen Frist nicht um eine gesetzlich bestimmte Frist handeln muss.436 b) Zuständigkeit der Ausgangsbehörde Zuständig für die Durchführung des allgemeinen Vorverfahrens ist, wie sich aus art. 1:5 lid 1 Awb ergibt, die Behörde, die für den Erlass der Maßnahme verantwortlich war. In den Niederlanden hat diese Behörde keinen eigenen Namen. Nach deutschem Sprachgebrauch handelt es sich um die Ausgangsbehörde. c) Durch Gesetz verliehene Befugnis zur Erhebung eines Rechtsbehelfs aa) Grundregel Die Befugnis, ein Vorverfahren einzuleiten, ergibt sich aus art. 7:1 lid 1 Awb437 i. V. m. art. 8:1 Awb und art. 1:2 Awb.438 Gem. art. 1:2 lid 1 Awb ist derjenige, dessen Belange durch eine hoheitliche Maßnahme beeinträchtigt sind, Betroffener. Gem. art. 8:1 lid 1 Awb439 hat der Betroffene das Recht zu klagen. Gem. art. 7: 435

Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 134. CRvB 4. Juni 2002, JB 2002, 281. 437 Art. 7:1 lid 1 Awb lautet: Degene aan wie het recht is toegekend beroep bij een administratieve rechter in te stellen, dient alvorens beroep in te stellen bezwaar te maken, tenzij: a. het besluit in bezwaar of in administratief beroep is genomen, b. het besluit aan goedkeuring is onderworpen, c. het besluit een goedkeuring of een weigering daarvan inhoudt, d. het besluit is voorbereid met toepassing van afdeling 3.4, of e. het beroep zich richt tegen het niet tijdig nemen van een besluit. Derjenige, dem das Recht zuerkannt ist, gegen eine hoheitliche Maßnahme vor dem Verwaltungsgericht zu klagen, muss zuvor ein allgemeines Vorverfahren durchführen, es sei denn die Maßnahme: a. ist aufgrund eines allgemeinen oder speziellen Vorverfahrens erlassen worden, b. bedarf einer Genehmigung, c. beinhaltet die Genehmigung einer anderen Maßnahme oder die Weigerung der Genehmigung, oder d. bei der Vorbereitung wurde Abteilung 3.4 angewendet, e. richtet sich gegen den verspäteten Erlass einer Maßnahme. 438 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 7:1 Nr. 3. 439 Art. 8:1 lid 1 Awb lautet: Een belanghebbende kan tegen een besluit beroep instellen bij de rechtbank. – Ein Betroffener kann gegen eine Verwaltungsmaßnahme bei Gericht klagen. 436

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

1 lid 1 1. HS Awb hat der Betroffene, bevor er vor dem Verwaltungsgericht klagt, ein allgemeines Vorverfahren zu durchlaufen. bb) Ausnahmeregelungen im Awb Keine Befugnis zur Einleitung eines allgemeinen Vorverfahrens besteht in den Fällen des art. 7:1 lid 1 a. bis e. Awb. Gem. art. 7:1 lid 1 a. Awb ist ein im Vorverfahren ergangener Bescheid nicht durch ein erneutes Vorverfahren anfechtbar. Hier ist der Sinn des Vorverfahrens, ein nochmaliges Erwägen des Ausgangsbescheids, bereits erfüllt. Ein weiteres Vorverfahren würde nicht zu einem neuen Ergebnis führen.440 Die in art. 7:1 lid 1 b. und c. Awb bezeichneten Maßnahmen unterliegen wegen ihrer Genehmigungsbedürftigkeit einem gestreckten Verwaltungsverfahren. Das betrifft z. B. Flächennutzungspläne. Gestrecktes Verfahren bedeutet, dass an diesem Verfahren mehrere Verwaltungsorgane, neben der Ausgangsbehörde zumindest eine weitere Behörde, die die Maßnahme genehmigt, beteiligt ist.441 Deshalb hielt der Gesetzgeber ein weiteres verwaltungsbehördliches Verfahren für un­nötig. Nach seiner Auffassung erfüllt das gestreckte Verwaltungsverfahren denselben Zweck wie das Vorverfahren: Die Verwaltung soll den Erlass einer Maßnahme sorgfältig bedenken.442 Die Vorbereitung der in Art. 7:1 lid 1 d. Awb erfassten Bescheide orientiert sich an den Vorschriften der Abt. 3.4 Awb – uniforme openbare Vorbeitungsprocedure (einheitliches öffentliches Vorbereitungsverfahren). Die Abt. 3.4 Awb erhielt im Jahr 2005 ihre heutige Form. Das dort normierte Verfahren ähnelt dem Planfeststellungsverfahren der §§ 72 ff. VwVfG. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass während der Vorbereitungsphase eine Beteiligung der Öffentlichkeit stattfindet, z. B. durch Auslegen von Plänen. Der niederländische Gesetzgeber hielt die zusätzliche Durchführung eines individuellen Vorverfahrens deshalb für unnötig. Jeder habe während der Vorbereitungsphase die Möglichkeit, seine Einwände vorzutragen.443 Die Gesetzesänderung von 2005 war vor allem mit Blick auf den Rechtsschutz des Einzelnen sehr umstritten. Ihre Gegner führten an, dass die Belange des Einzelnen in einem derart allgemeinen Verfahren nicht ausreichend gewürdigt würden.444 440 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 7:1 Nr. 4 a.). 441 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 7:1 Nr. 4 c.). 442 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvT, S. 318. 443 Tweede Kammer, vergaderjaar 2000–2001, 27 563 nr. 3, 3. 444 Eerste Kammer (Staaten General), vergaderjaar 2000–2001, 27 023, nr, 177 c, 16–817.

E. Der Rechtsschutz durch die Verwaltung – Das Vorverfahren

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Art. 7:1 e. Awb richtet sich gegen den verspäteten Erlass einer Maßnahme. Die Vorschrift wurde nachträglich eingefügt. Man wollte dem Bürger einen Rechtsbehelf für den Fall der Untätigkeit der Verwaltung, z. B. bei einem Antrag auf Erteilung einer Genehmigung, an die Hand geben. Der Richter soll in einem einfachen Verfahren lediglich feststellen, ob der Verwaltung vorzuwerfen ist, dass sie bisher nicht entschieden hat.445 Dabei verzichtete man allerdings unter Verweis auf die einschlägige Rechtsprechung auf eine konkrete Zeitangabe dazu, wann eine Untätigkeit vorliegt.446 Die von den Gerichten als nicht mehr vertretbar angenommenen Zeiträume (onredelijk laat) bewegten sich zwischen 5 Monaten und 15 1/2 Jahren.447 Die zweite Kammer des Staten-Generaal zog aus dieser Rechtsprechung den Schluss, dass anhand der Umstände des Einzelfalls jeweils ermittelt werden müsse, welcher Zeitraum nicht mehr vertretbar sei. Entscheidend sei, ob die Verwaltung davon habe ausgehen können, dass der Antragsteller kein Interesse mehr an der beantragten Maßnahme habe.448 cc) Spezialgesetzliche Ausnahmeregelungen Neben den Ausnahmen, die das Awb vorsieht, ordnen einige Spezialgesetze an, dass kein Vorverfahren durchzuführen ist.449 Diese Beschneidung des Rechtsschutzes des Einzelnen ist nach niederländischem Rechtsverständnis grundsätzlich zulässig, sofern das öffentliche Interesse es gebietet. Das ist der Fall, wenn eine Gefahr für die nationale Sicherheit besteht. Daher bestimmt z. B. art. 75 a. des niederländischen Ausländergesetzes (vreemdelingen wet)450, dass abweichend von art. 7:1 Awb kein Vorverfahren gegen eine Verfügung gem. art. 54 lid 2451, 445

Kamerstukken II 2005/06 29 934 nr.12; Daalder/van der Jagt, Over formalisme en traagheid, NJB 2006, S. 1759. 446 Kamerstukken II 2004/05 29 934 nr. 1–6. 447 CRvB 04.10.2005, JB 2006/21 (4 Jahre); ABRvS 15.01.2003, AB 2003, 221 (15 1/2 Jahre); ABRvS 20.02.2002, JB 2002/113 (5 Monate); ABRvS 16.03.1999, AB 1999, 214 (16 Monate). 448 Kamerstukken II 2004/05 29 934 nr. 1–6. 449 Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, Deel II, 2002, S. 27. 450 Art. 75 des Ausländergesetzes lautet: In afwijking van artikel 7:1 van de Algemene wet bestuursrecht kan geen bezwaar worden gemaakt tegen een beschikking die: a. is gegeven op grond van de artikelen 54, tweede lid, 56 of 59. Abweichend von Art. 7:1 des Awb kann kein Vorverfahren eingeleitet werden gegen einen Verwaltungsakt, der: a. auf Grund der Art. 54 Abs.2, 56 oder 59 ergangen ist. 451 Art. 54 lid 2 des Ausländergesetzes lautet: In gevallen waarin Onze Minister zulks in het belang van de openbare orde of de nationale veiligheid nodig oordeelt, kan hij aan een vreemdeling een individuele verplichting tot periodieke aanmelding bij de korpschef opleggen. – In den Fällen, in denen der Minister es im Interesse der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit für notwendig hält, kann er einem Ausländer die individuelle Verpflichtung aufer­ legen, sich in regelmäßigen Abständen bei der Polizei zu melden.

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

art. 56452 oder art. 59453 Ausländergesetz stattfindet. Bei den in Rede stehenden Verfügungen handelt es sich um Maßnahmen, die die Bewegungsfreiheit eines Ausländers einschränken, wie z. B. eine Meldepflicht bei der Polizei in bestimmten zeitlichen Abständen, art. 54 lid 2 Ausländergesetz. Das Vorverfahren im Ausländergesetz wurde 2000 abgeschafft.454 Die vergleichbaren deutschen Regelungen455 lassen die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage entfallen. dd) Abweichen von der Grundregel – die sofortige Klage Art. 7:1 a. lid 1 Awb456 erlaubt abweichend von art. 7:1 Awb, das Vorverfahren zu überspringen und sofort eine Klage anhängig zu machen. 452 Art. 56 des Ausländergesetzes lautet: 1. Overeenkomstig bij algemene maatregel van bestuur te geven regels kan, indien het belang van de openbare orde of de nationale veiligheid zulks vordert, door Onze Minister de vrij­ heid van beweging worden beperkt van de vreemdeling die: a. geen rechtmatig verblijf heeft; b. rechtmatig verblijf heeft op grond van artikel 8, met uitzondering van de onderdelen b, d en e 2. Toepassing van het eerste lid blijft achterwege wanneer en wordt beëindigd zodra de vreemdeling te kennen geeft Nederland te willen verlaten en hiertoe voor hem ook gelegenheid bestaat.

1. Übereinstimmend mit den allgemeinen Verordnungen kann, wenn die Belange der öffentlichen Ordnung und nationalen Sicherheit dies fordern, die Bewegungsfreiheit des Ausländers durch den Minister eingeschränkt werden, wenn dieser a. keine gültige Aufenthaltsgenehmigung hat; b. eine gültige Aufenthaltsgenehmigung auf Grund von Art. 8 mit Ausnahme der Unterteile b, d und e hat. 2. Von der Anwendung des Absatzes 1 wird abgesehen, wenn der Aufenthalt beendet wird, weil der Ausländer zu erkennen gibt, dass er die Niederlande verlassen will und dazu auch die Gelegenheit besteht. 453 Art. 59 des Ausländergesetzes lautet: 1. Indien het belang van de openbare orde of de nationale veiligheid zulks vordert kan, met het oog op de uitzetting, door Onze Minister in bewaring worden gesteld de vreemdeling die: a. geen rechtmatig verblijf heeft; b. die rechtmatig verblijf heeft op grond van artikel 8, onder f, g en h. 2. … 1. Wenn die Belange der öffentlichen Ordnung und der nationalen Sicherheit es fordern, kann der Minister ausnahmsweise einen Ausländer in Gewahrsam nehmen lassen, der a. keine gültige Aufenthaltsgenehmigung hat; b. eine gültige Aufenthaltsgenehmigung auf Grund von Art. 8 mit Ausnahme der Unterteile b, d und e hat. 2. … 454 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/van Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awbtijdperk, 5. druk 2004, S. 170. 455 Siehe § 84 Aufenthaltsgesetz. 456 Art. 7:1 a Awb lautet: In het bezwaarschrift kan de indiener het bestuursorgaan verzoeken in te stemmen met rechtstreeks beroep bij de administratieve rechter, zulks in afwijking van ar-

E. Der Rechtsschutz durch die Verwaltung – Das Vorverfahren

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(1) Meinungsstand Das allgemeine Vorverfahren ist seit seiner Einführung im Zuge des Awb umstritten. Kritikpunkte sind der aufgrund einer nochmaligen Bearbeitung durch die Ausgangsbehörde eintretende Zeitverlust sowie der Umstand des ausschließlichen Tätigwerdens der Ausgangsbehörde, der zu Zweifeln an der Objektivität des Vorverfahrens führte.457 Mit dieser Begründung wurde teilweise die vollständige Abschaffung des Vorverfahrens gefordert,458 teilweise seine Verbesserung angeregt.459 Die Befürworter führten an, dass eine Abschaffung des Vorverfahrens zu einer deutlichen Mehrbelastung der Gerichte führe. Zum einen könne keine Filterwirkung eintreten, zum anderen sei der Prozessstoff nicht mehr so gut aufbereitet, da die Parteien ihre Argumente erstmalig bei Gericht vortragen könnten.460 Zudem komme es zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes. Es fehle eine Instanz, außerdem dürfe der Richter nur die Rechtmäßigkeit der Maßnahme überprüfen. Die Verwaltung erwäge aber für den Bereich der Ermessensausübung auch deren Zweckmäßigkeit.461 (2) Bericht der Evaluierungskommission Ausgangspunkt für die Einführung des art. 7:1 a. Awb war die zwischen 1994 und 1996 durchgeführte Evaluierung zu Anwendung und Erfolg des Awb. Sie befasste sich unter anderem auch mit dem Vorverfahren. Die Evaluierungskommission kam zu dem Ergebnis, dass das Vorverfahren grundsätzlich nützlich sei, weil die Behörde im Bereich der Ermessensausübung eine umfassende Prüfung vornehme. Sie räumte aber ein, dass das Vorverfahren Zeitverlust bedeutet, wenn alle wichtigen Tatsachen festgestellt sind. Deshalb sprach sie sich für eine flexible Handhabung des Vorverfahrens aus.462 Daraufhin wurde art. 7:1 a. zum 1. September 2004 in das Awb eingefügt. Er normiert die Voraussetzungen für eine sofortige Klage.

tikel 7:1. – Abweichend von Art. 7:1 kann der Rechtsbehelfsführer in der Rechtsbehelfsschrift im allgemeinen Vorverfahren das Verwaltungsorgan ersuchen einer direkten Klage beim Verwaltungsgericht zuzustimmen. 457 Koenraad/Brouwer, de bezwaarschriftprocedure heroverwogen, De Gemeentestem 2002, S. 501 (506). 458 Biesheuvel, Weg met de bezwaarschriftenprocedure, NJB 1996, S. 930. 459 Polak, Bestuur en rechter: Ralationele problemen, NJB 1996, S. 892. 460 MvT, Nr.3, Algemeen, 2.Voorbereiding van het wetsvoorstel, www.st-ab.nl/1-04220ks03. htm; Tweede Kamer der Staten-General, vergaderjaar 2000–2001, 27 563, nr. 3, 1 f. 461 MvT, Nr.3, Algemeen, 3. Bevindingen naar aanleiding van de evaluatie van de Awb, www. st-ab.nl/1–04220ks03.htm; Tweede Kamer der Staten-General, vergaderjaar 2000–2001, 27 563, nr. 3, 2. 462 Aalders e.a., De burger en de Awb, 2001, S. 118 ff.

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

(3) Verfahren Gem. art. 7:1 a. lid 1 Awb kann der Rechtsbehelfsführer die Behörde im Rahmen seiner Rechtsbehelfsschrift im Vorverfahren um Zustimmung zur sofortigen Einleitung eines verwaltungsgerichtlichen Klageverfahrens ersuchen. (a) Antrag des Rechtsbehelfsführers Der Betroffene muss den Antrag stellen, das Vorverfahren zu überspringen. Da er auf einen Teil des ihm zustehenden Rechtsschutzes verzichtet, darf nur er die Initiative ergreifen. Der Antrag ist schriftlich einzureichen und eingehend zu begründen. Denn der Betroffene muss sich des Verzichts bewusst sein. Gleichzeitig erfüllt das Schriftformerfordernis Beweisfunktion.463 Man will dadurch auch einen Missbrauch dieses Instruments durch die Verwaltung verhindern. Aus dem gleichen Grund ist es nicht üblich, im Rahmen der Rechtsbehelfsbelehrung auf die Möglichkeit der sofortigen Klage hinzuweisen.464 Der Antrag auf sofortige Klage darf nur in Verbindung mit der Rechtsbehelfsschrift (so genannte bezwaarschrift-plus) gestellt werden. Dieser Regelung liegt der Gedanke zu Grunde, dass sich das Verfahren durch den Antrag nicht unnötig verzögern soll.465 Deshalb hat die Behörde gem. art. 7:1 a. lid 4 Awb466 so zügig wie möglich zu entscheiden. Frühester Entscheidungstermin ist der, zu dem spätestens alle Rechtsbehelfsschriften vorliegen müssen.467 Das ist gewöhnlich der Fall, wenn die Rechtsbehelfsfrist von 6 Wochen abgelaufen ist.468

463

Tweede Kamer der Staten-General, vergaderjaar 2000–2001, 27 563, nr. 3, 4. Tweede Kamer der Staten-General, verjaaderjaar 2000–2001, 27563 nr. 3, 4. 465 Tweede Kamer der Staten-General, vergaderjaar 2000–2001, 27 563, nr. 3, 8. 466 Art. 7:1a lid 4 Awb lautet: Het bestuursorgaan beslist zo spoedig mogelijk op het verzoek. Een beslissing tot instemming wordt genomen zodra redelijkerwijs kan worden aangenomen dat geen nieuwe bezwaarschriften zullen worden ingediend. De artikelen 4:7 en 4:8 zijn niet van toepassing. – Das Verwaltungsorgan beschließt so schnell wie möglich über das Gesuch. Eine zustimmende Verfügung ergeht, wenn billigerweise angenommen werden kann, dass keine neuen Rechtsbehelfsschriften im Vorverfahren mehr eingereicht werden. Die Art. 4:7 und 4:8 finden keine Anwendung. 467 Tweede Kamer der Staten-General, vergaderjaar 2000–2001, 27 563, nr. 3, 9/10. 468 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 7:1 a, Nr. 5. 464

E. Der Rechtsschutz durch die Verwaltung – Das Vorverfahren

169

(b) Bearbeitung des Antrags auf sofortige Einleitung des Klageverfahrens durch die Behörde Gem. art. 7:1 a. lid 2 a. Awb469 muss die Behörde den Antrag zurückweisen und das Vorverfahren durchführen, wenn sich der Rechtsbehelf gegen eine Verzögerung beim Erlass eines Bescheides richtet. Hintergrund der Regelung art. 7:1 a. lid 2 a. Awb ist, dass die Gerichte nicht mit Angelegenheiten belastet werden sollen, die die Behörde materiell noch nicht entschieden hat. Die richterliche Tätigkeit würde sich auf eine Verurteilung der Behörde auf Erlass einer Maßnahme beschränken. Nach Erlass der Maßnahme bestünde für den Betroffenen die Möglichkeit, die Gerichte noch einmal zu bemühen. Die Richter hätten sie dann inhaltlich zu überprüfen. Deshalb soll die Entscheidung der Behörde im Ausgangs- oder Vorverfahren grundsätzlich abge­wartet werden.470 Bei einer Ablehnung des Antrags tritt die Behörde unverzüglich in das Vorverfahren ein. Es gelten dann die gesetzlichen Zeitvorgaben des art. 7:10 lid 1 Awb471 von 6 Wochen bzw. 10 Wochen bei Beteiligung einer unabhängigen Beratungskommission.472 Die Behörde kann dem Antrag zustimmen, wenn sich die Angelegenheit zur Durchführung eines sofortigen gerichtlichen Verfahrens eignet. Das ist z. B. der Fall, wenn die Parteien ausschließlich über Rechtsfragen streiten, die noch nicht höchstrichterlich entschieden wurden.473 Ebenfalls erfasst werden Streitigkeiten, bei denen die Parteien sich über das Vorliegen bestimmter Tatsachen einig sind.474 Das schließt die Fälle, in denen die Tatsachen bisher unzureichend erforscht wurden, aus. Hier ist ein Vorverfahren durchzuführen.475

469 Art. 7:1 a. lid 2 a. Awb lautet: Het bestuursorgaan wijst het verzoek in ieder geval af, indien tegen het besluit een ander bezwaarschrift is ingediend waarin eenzelfde verzoek ontbreekt, tenzij dat andere bezwaarschrift kennelijk niet-ontvankelijk is. – Das Verwaltungsorgan weist das Gesuch in jedem Fall ab, wenn gegen die Maßnahme eine andere Rechtsbehelfsschrift eingereicht wurde, in der das Gesuch fehlt, es sei denn, die andere Rechtsbehelfsschrift ist offensichtlich unzulässig. 470 Tweede Kamer der Staten-General, vergaderjaar 2000–2001, 27 563, nr. 3, 8; vgl. ABRvS 3.12.1998, JB 1999, 13. 471 Art. 7:10 lid 1 Awb lautet: Het bestuursorgaan beslist binnen zes weken of – indien een commissie als bedoeld in artikel 7:13 is ingesteld – binnen twaalf weken, gerekend vanaf de dag na die waarop de termijn voor het indienen van het bezwaarschrift is verstreken. – Das Verwaltungsorgan entscheidet binnen 6 Wochen oder – wenn eine Ausschuss i. S. d. Art. 7:13 eingeschaltet ist – binnen 10 Wochen nach Eingang der Rechtsbehelfsschrift. 472 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, staats- en bestuursrecht deel 11, 2004, S. 21. 473 Konijnenbelt, De voorzitter van de bezwaarschriftcommissie, de Gemeentestem 2002, S. 432. 474 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 20. 475 Tweede Kamer der Staten-General, vergaderjaar 2000–2001, 27 563, nr. 3, 4.

170

2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

Entscheidet die Behörde zu Gunsten des Antrags für die sofortige Einleitung des Klageverfahrens, so wird die für das Vorverfahren angefertigte Rechtsbehelfsschrift wie eine Klageschrift, einschließlich der damit verbundenen Folgen, behandelt. Die Gerichtsgebühren werden z. B. fällig.476 Die Behörde versieht die Rechtsbehelfsschrift mit dem Datum des Zugangs und leitet sie an das zuständige Gericht weiter, art. 7:1 a. lid 5477. Stellt der Richter fest, dass der Rechtsbehelf im Zeitpunkt des Zugangs bereits verfristet war, erklärt er ihn für unzulässig.478 (c) Beteiligung mehrerer Betroffener Die Norm darf grundsätzlich auch bei Beteiligung mehrerer Parteien angewendet werden. Sie unterliegt dann aber besonderen Regeln. Gem. art. 7:1 a. lid 2 b Awb muss jede zu einer bestimmten Maßnahme eingereichte Rechtsbehelfsschrift den Antrag auf sofortige Klage enthalten. Ist das bei einer der Rechtsbehelfsschriften nicht der Fall, so ist der Antrag zurückzuweisen. Auch diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Antragsteller auf einen Teil ihres Rechtsschutzes verzichten. Der Beteiligte, der den Antrag nicht gestellt hat, soll nicht zum Verzicht gezwungen werden.479 Von dieser Regel darf nur abgewichen werden, wenn die Rechtsbehelfsschrift, die ein derartiges Gesuch nicht enthält, offensichtlich unzulässig ist, z. B. der Rechtmittelführer nicht Betroffener ist. In diesem Fall wird der Antrag des Betroffenen positiv beschieden, der Rechtsbehelf des Nicht­betroffenen im Ganzen zurückgewiesen.480 Das bedeutet, dass bei Beteiligung mehrer immer zuerst die Zulässigkeit zu prüfen ist.481 Ein einmal positiv beschiedener Antrag kann nicht mehr zurückgezogen werden.482 Gem. art. 7: 1 a. lid 6 Awb483 wird eine unverschuldet zu spät eingereichte 476

Tweede Kamer der Staten-General, vergaderjaar 2000–2001, 27 563, nr. 3, 10. Art. 7:1 a lid 5 Awb lautet: Indien het bestuursorgaan instemt met het verzoek zendt het het bezwaarschrift, nadat daarop de datum van ontvangst is aangetekend, onverwijld door aan de bevoegde rechter. – Stimmt das Verwaltungsorgan dem Gesuch zu, sendet es die Rechts­ behelfsschrift, nachdem es das Datum des Zugangs darauf vermerkt hat, unverzüglich an das zuständige Gericht. 478 Tweede Kamer der Staten-General, vergaderjaar 2000–2001, 27 563, nr. 3, 10; Die Gerichte prüfen die Einhaltung der Fristen von amtswegen,; siehe dazu die Ausführungen im 4. Teil, A. I. 2. e). 479 Tweede Kamer der Staten-General, vergaderjaar 2000–2001, 27 563, nr. 3, 8. 480 Tweede Kamer der Staten-General, vergaderjaar 2000–2001, 27 563, nr. 3, 8. 481 Tweede Kamer der Staten-General, vergaderjaar 2000–2001, 27 563, nr. 3, 9. 482 Tweede Kamer der Staten-General, vergaderjaar 2000–2001, 27 563, nr. 3, 8. 483 Art. 7:1 a lid 6 Awb lautet: Een na de instemming ontvangen bezwaarschrift wordt eveneens onverwijld doorgezonden aan de bevoegde rechter. Indien dit bezwaarschrift geen verzoek als bedoeld in het eerste lid bevat, wordt, in afwijking van artikel 8:41, eerste lid, geen griffierecht geheven. – Eine nach Zustimmung eingegangene Rechtsbehelfsschrift wird unverzüglich an das zuständige Gericht versandt. Enthält diese Rechtsbehelfsschrift keinen Antrag i. S. d. Abs. 1, wird abweichend von Art. 8:41 Abs. 1 keine Gerichtsgebühr erhoben. 477

E. Der Rechtsschutz durch die Verwaltung – Das Vorverfahren

171

Rechtsbehelfsschrift bei bereits ergangener positiver Bescheidung des Antrags auf sofortige Klage direkt an das zuständige Gericht weitergeleitet. In diesem Fall ist es gleichgültig, ob die Rechtsbehelfsschrift einen Antrag auf sofortige Klage enthält. Hier ist die Rechtssicherheit der übrigen Beteiligten vorrangig.484 2. Die Funktionen des Vorverfahrens Der Rechtsbehelf des Vorverfahrens basiert auf der Erkenntnis, dass Behörden beim Erlass von Verwaltungsmaßnahmen Fehler unterlaufen können. Das soll zum einen nicht zu Lasten des Bürgers gehen. Zum anderen soll die Verwaltung die Möglichkeit haben, ihre Maßnahmen zu überprüfen und eventuelle Fehler zu korrigieren, bevor sich ein Gericht mit der Angelegenheit befasst. Daraus ergeben sich die wesentlichen Funktionen des Vorverfahrens. a) Rechtsschutz des Bürgers Nach dem Willen des Gesetzgebers soll das Vorverfahren in erster Linie dem Rechtsschutz des Bürgers dienen.485 Im Zuge des Vorverfahrens erfolgt eine Überarbeitung der angefochtenen Maßnahme. Dabei ist der Umfang der von der Verwaltung vorgenommenen Kontrolle für den Rechtsschutz bedeutsam. Wie in Deutschland prüft die Behörde neben der Recht- auch die Zweckmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme.486 Die Kontrolle im Vorverfahren ist damit weitreichender als die der Gerichte, die sich auf die Rechtmäßigkeitsprüfung beschränkt.487 Im Gegensatz zum deutschen Widerspruchsverfahren ist das allgemeine Vorverfahren in den Niederlanden ein reines Abhilfeverfahren.488 Es läuft ausschließlich vor der Ausgangsbehörde ab. Einen Devolutiveffekt wie im deutschen Widerspruchsverfahren489 gibt es nicht. Der niederländische Gesetzgeber hat seine Entscheidung für eine einstufige Lösung dahingehend begründet, dass nur die Ausgangsbehörde eine effektive Zweckmäßigkeitsprüfung vornehmen könne, da nur sie wisse, welche Beweggründe die Entscheidung beeinflusst hätten.490 Der Umstand, dass der für den Ausgangsbe-

484

Tweede Kamer der Staten-General, vergaderjaar 2000–2001, 27 563, nr. 3, 11. Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, S. 318 ff. 486 Sanders, De heroverweging getoetst, 1999, S. 74. 487 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 45. 488 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 172; van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 1:5 Nr. 2. 489 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 9. Aufl., 2004, Rdn. 667 ff. 490 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvT, S. 279. 485

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

scheid verantwortliche Beamte bei der Bearbeitung des Rechtsbehelfs nicht mitwirken darf,491 relativiert diese Begründung allerdings. Ebensoweinig wie einen Devolutiveffekt gibt es im allgemeinen Verwaltungsverfahren einen Suspensiveffekt.492 Rechtsbehelfe entfalten in den Niederlanden keine aufschiebende Wirkung, art. 6:16 Awb.493 Der Gesetzgeber begründet dies mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit. Wer eine aufschiebende Wirkung seines Rechtsbehelfs wünscht, soll von der Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes Gebrauch machen.494 Dem Rechtsschutzbedürfnis des Bürgers wird auch durch eine zügige Kontrolle der angefochtenen Maßnahme Rechnung getragen.495 Gemäß art. 7:10 lid 1 Awb muss die angerufene Behörde innerhalb von 6 Wochen nach Eingang über den Rechtsbehelf entscheiden. In der Praxis wird die gesetzliche Vorgabe nur eingeschränkt erfüllt. Lediglich 14 % aller allgemeinen Vorverfahren werden binnen von 6 Wochen ordnungsgemäß erledigt.496 Ähnlich verhält es sich mit der Rechtmäßigkeit der Entscheidungen im Vorverfahren. Ca. 25 % halten einer Über­prüfung durch die Gerichte nicht stand.497 b) Aufdecken fehlerhafter Abläufe im innerbehördlichen Verfahren Die Verwaltung soll sich im Rahmen des Vorverfahrens nicht nur selbst kontrollieren, sondern auch eine Fehleranalyse betreiben. Das allgemeine Vorverfahren dient nach niederländischer Auffassung auch dem Auffinden von allgemeinen Fehlern innerhalb der behördlichen Abläufe.498 So kann z. B. eine große Anzahl von Einwänden gegen eine bestimmte Art von Verwaltungsmaßnahmen darauf hindeuten, dass eine Behörde eine gesetzliche Vorschrift nicht zutreffend angewendet hat. Dies kann wiederum zum Erlass von Verwaltungsvorschriften führen.499

491

Siehe dazu 2. Teil, E. I. 3. Siehe dazu die Ausführungen im 3. Teil, D. 493 Art. 6:16 Awb lautet: Het bezwaar of beroep schorst niet de werking van het besluit waartegen het ist gericht, tenzij bij of krachtens wettelijk voorschrift anders is bepaald.  – Vor­ verfahren und Klage hemmen die Wirksamkeit der angefochtenen Maßnahme nicht, es sei denn es ist durch Gesetz etwas anderes bestimmt. 494 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 6:16 Nr. 1. 495 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 172. 496 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 14; van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 7:10 Nr. 1. 497 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 14. 498 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvT, S. 277. 499 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 14. 492

E. Der Rechtsschutz durch die Verwaltung – Das Vorverfahren

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c) Entlastung der Gerichte Daneben dient das allgemeine Vorverfahren der Entlastung der Gerichte. Es bietet die Möglichkeit Streitigkeiten beizulegen und dadurch eine gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden. In den Niederlanden wird dies auch als Filterwirkung bezeichnet.500 90 % aller Meinungsverschiedenheiten über Verwaltungs­ maßnahmen werden während des Vorverfahrens ausgeräumt. Lediglich 10 % aller Vorverfahren führen zu einer Klage.501 d) Aufbereitung des Prozessstoffes Während des Vorverfahrens haben die Beteiligten die Gelegenheit, ihre Meinungen ausführlich darzulegen und zu begründen. Dadurch wird der Prozessstoff bereits zu diesem Zeitpunkt aufbereitet. Das führt zu einer Verkürzung des sich anschließenden gerichtlichen Verfahrens und zu einer Entlastung der Gerichte.502 3. Gang des Verfahrens Für die Durchführung des allgemeinen Vorverfahrens ist die Ausgangsbehörde zuständig. Allerdings ist der für den Ausgangsbescheid verantwortliche Beamte von der Mitwirkung ausgeschlossen. Die Bearbeitung wird gem. art. 10:1 Awb (mandaat)503 einem anderen Mitarbeiter der Behörde übertragen.504 Das Verfahren vollzieht sich in drei Schritten: (1) der Überprüfung der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs anhand der Rechtsbehelfsschrift; (2) der Anhörung des Antragstellers; (3) dem erneuten Erwägen der angefochtenen Maßnahme.

500 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 12; Koenraad/Brouwer, de bezwaarschriftprocedure heroverwogen, De Gemeentestem 2002, S. 501 (502). 501 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 15. 502 Sanders, De heroverweging getoetst,, 1999, S. 84; dazu ausführlich im 4. Teil, A. I. 4. 503 Art. 10:1 Awb lautet: Onder mandaat wordt verstaan: de bevoegdheid om in naam van een bestuursorgaan besluiten te nemen. – Mandaat ist: die Befugnis im Namen einer Behörde Verwaltungsmaßnahmen zu erlassen. 504 Sanders, De heroverweging getoetst, 1999, S. 51.

174

2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

a) Zulässigkeit Das allgemeine Vorverfahren wird durch das Einreichen der Rechtsbehelfsschrift eingeleitet, art. 6:4 lid 1 Awb505. Mit ihrem Zugang entsteht für die Behörde die Verpflichtung, über den Rechtsbehelf zu entscheiden.506 Der Zugang kann durch seit Inkrafttreten des Gesetzes zum Elektronischen Verkehr mit der Verwaltung (Wet elektronisch bestuurlijk verkeer) (Stb. 2004, 214) am 01. Juli 2004 per e-mail erfolgen, soweit das zuständige Verwaltungsorgan diesen Zugang eröffnet hat.507 Anhand der Rechtsbehelfsschrift prüft das angerufene Verwaltungsorgan zunächst die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs. Diese liegt vor, wenn die Rechtsbehelfsschrift sich gegen eine Verwaltungsmaßnahme des angerufenen Verwaltungsorgans508 richtet, sie von einem durch diese Maßnahme Betroffenen509 eingereicht wurde und die in art. 6:5 Awb normierten Merkmale aufweist. Zudem muss sie innerhalb von sechs Wochen nach Zugang des Ausgangsbescheids bei dem zuständigen Verwaltungsorgan eingehen, art. 6:7 Awb. aa) Anforderungen an die Rechtsbehelfsschrift Den Begriff Rechtsbehelfsschrift legt die Rechtssprechung weit aus. Es muss sich nicht um ein förmliches Schreiben handeln. Das Einlegen eines Rechtsbehelfs kann z. B. auch durch einen Brief erfolgen, in dem der Verfasser unmissverständlich kund tut, dass er mit einer ihn betreffenden hoheitlichen Maßnahme nicht einverstanden ist.510 Die Mindestanforderungen an eine Rechtsbehelfsschrift nennt art. 6:5 lid 1 Awb511 Danach muss sie durch den Antragsteller eigenhändig unter 505 Art. 6:4 lid 1 Awb lautet: Het maken van bezwaar geschiedt door het indienen van een bezwaarschrift bij het bestuursorgan dat het besluit heeft genomen. – Das Vorverfahren wird durch das Einreichen einer Rechtsbehelfsschrift bei dem Verwaltungsorgan, das die Maßnahme erlassen hat, eingeleitet. 506 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 103 f. 507 Bongma/Valkenburg, Bezwaar en administratief beroep, 2005, S. 19. 508 Siehe Ausführungen in diesem Kapitel unter I. 1. b). 509 Siehe Ausführungen zur Klagebefugnis in diesem Teil unter B. 510 CRvB 18.08.2005, 04/1817, AB 2006, Nr. 28; ebenso ABRvS 19.01.2005, 200 403924/1, AB 2005, 130. 511 Art. 6:5 Awb lautet: Het bezwaar- of beroepsschrift woordt ondertekend en bevat ten minste: a. de naam en het adres van de indiener; b. de dagtekening; c. een omschrijving van het besluit waartegen het bezwaar of beroep ist gericht; d. de gronden van het bezwaar of beroep. Rechtsbehelfs- und Klageschrift werden unterzeichnet und enthalten wenigstens: a. den Namen und die Adresse des Einreichenden; b. das Datum;

E. Der Rechtsschutz durch die Verwaltung – Das Vorverfahren

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zeichnet sein, seinen Namen und seine Adresse enthalten, ein Datum aufweisen, die Maßnahme, gegen die sich die Einwände richten, bezeichnen und den eingelegten Rechtsbehelf begründen. (1) Eigenhändige Unterschrift Die eigenhändige Unterschrift des Antragstellers garantiert, dass der Rechts­ behelf tatsächlich durch ihn eingelegt wurde. Art. 6:5 lid 1 Awb steht jedoch einer Unterzeichnung durch einen Bevollmächtigten nicht entgegen. In diesem Fall ist eine entsprechende Vollmacht vorzulegen, die durch den Antragsteller eigenhändig unterzeichnet wurde.512 (2) Name und Anschrift des Antragstellers Name und Anschrift des Antragstellers sind nicht nur zur geordneten Abwicklung des Schriftverkehrs notwendig. Die Behörde muss aus Gründen der Rechts­ sicherheit erkennen können, wer den Rechtsbehelf eingelegt hat. Deshalb muss der Name des Antragstellers vor Ablauf der Rechtsbehelfsfrist bekannt sein.513 Bei der Adresse ist eine Postanschrift anzugeben, eine Fax Nr. reicht nicht aus.514 (3) Datum Gemäß art 6:5 lid 1 b. Awb muss die Rechtsbehelfsschrift mit einem Datum versehen sein. Ob dieses Erfordernis sinnvoll ist, wird angezweifelt. Denn für das Einhalten der Rechtsbehelfsfrist ist allein das Datum des Eingangsstempels der Behörde ausschlaggebend.515 Dennoch ist der Gesetzgeber der Auffassung, es sei nützlich.516

c. eine Beschreibung der Maßnahme, gegen die sich der Rechtsbehelf im Vorverfahren oder die Klage richtet; d. die Gründe für den Rechtsbehelf im Vorverfahren oder der Klage. 512 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 24. 513 ABRvS 29.08.2000, JB 2000, 295. 514 CRvB 22.06.2001, JB 2001, 220. 515 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 24. 516 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 6:5 Nr. 2 b); Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, S. 286.

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

(4) Umschreibung der angefochtenen Verwaltungsmaßnahme Der Antragsteller muss in seiner Rechtsbehelfsschrift angeben, gegen welche Maßnahme er Einwände erhebt. Andernfalls würde es schwer fallen, festzustellen, ob die Interessen des Antragstellers durch die angefochtene Maßnahme überhaupt betroffen sind und er somit antragsberechtigt ist. An die Angaben zu dem umstrittenen Bescheid werden keine hohen Anforderungen gestellt. Die Beurteilung, ob die im Rahmen einer Rechtsbehelfsschrift zu art. 6:5 lid 1 c. Awb erteilten Informationen ausreichend sind, hat großzügig zu erfolgen. So hat der Centrale Raad van Beroep die Aussage „es werden Einwände gegen die durch Dr. S’ erlassene Maßnahme erhoben“ als zunächst ausreichend angesehen.517 Allerdings muss bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens aus Gründen der Rechtssicherheit klargestellt sein, wer gegen welche Verwaltungsmaßnahme Rechtsschutz begehrt.518 (5) Begründung des Rechtsbehelfs Im Unterschied zum deutschen Widerspruchsverfahren519 ist der Antrag auf Durchführung eines allgemeinen Vorverfahrens zu begründen. An die Begründung der Rechts­behelfsschrift sind grundsätzlich keine hohen Anforderungen zu stellen. Allerdings muss sie die grundlegenden Informationen enthalten, da sie die Grundlage für das erneute Erwägen der Verwaltung bildet.520 Deshalb ist entscheidend, dass der Rechtsbehelfsführer angibt, mit welchen Erwägungen des Ausgangs­bescheides er nicht einverstanden ist.521 Maßstab ist die Begründung des Ausgangsbescheids. So entschied der Hoge Raad, dass man bei Fehlen einer Begründung im Ausgangsbescheid auch vom Rechtsbehelfsführer keine Begründung seines Rechtsbehelfs erwarten könne.522 Grundsätzlich reicht es aus, die Gründe summarisch anzugeben. Allerdings ist es ratsam, sie durch den Vortrag geeigneter Tatsachen zu belegen. Allgemeine Ausführungen wie, die Maßnahme verstoße gegen eine oder mehrere der Prinzipien einer ordnungsgemäßen Verwaltung, reicht nicht aus.523 Auch der alleinige Verweis auf eine gesetzliche Vorschrift genügt nicht.524 Der Rechtsbehelfsführer hat gewöhnlich die Gelegenheit, seine Einwände in einem Anhörungsverfahren noch einmal ausführlich darzulegen. Die Rechtsprechung dringt allerdings darauf, dass alle im Zeitpunkt des Einreichens der Rechtsbehelfsschrift vorhandenen Einwände angesprochen werden, da diese nach Be­

517

CRvB 09.06.2002, JB 2002, 284. Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 24. 519 Kopp/Schenke, VwGO Kommentar, 2009, § 69 Rdn. 6. 520 Smit, Bezwaar in belastingszaken, 2007, S. 68. 521 CRvB 14.02.2007, RSV 2007, 149. 522 HR 08.03.2002, AB 2002, Nr. 352. 523 CRvB 09.01.2003, TAR 2003, 94; ABRvS 28.10.1997, NA 1997, 511. 524 Bongma/Valkenburg, Bezwaar en administratief beroep, 2005, S. 24. 518

E. Der Rechtsschutz durch die Verwaltung – Das Vorverfahren

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endigung des Vorverfahrens ohne weitere Ergänzungen als Klageschrift verwendet wird.525 Ein Nachschieben von Gründen, wie es im deutschen Recht bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen möglich ist,526 ist in den Niederlanden nur eingeschränkt möglich.527 Die angeführten Einwände müssen stichhaltig sein. Es ist jedoch nicht notwendig, dass der Antragsteller abschließend darlegt, weshalb er den angefochtenen Bescheid für rechtswidrig hält. Weitere Ausführungen sind im Rahmen der An­ hörung möglich.528 bb) Fristen (1) Grundregel Gem. art. 6:7 Awb529 ist die Rechtsbehelfsschrift innerhalb von 6 Wochen bei der Ausgangsbehörde, art. 6:4 lid 1 Awb, einzureichen. Ein Versäumen dieser Frist führt zur Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs. Die Frist darf nicht umgangen werden. Die Behörde hat kein Ermessen über einen verfristeten Widerspruch zu entscheiden, wie es in Deutschland möglich ist.530 Entscheidet sie dennoch über einen verfristeten Widerspruch, so wird eine spätere Klage als unzulässig zurückgewiesen, da der Richter im Rahmen der Kontrolle der Zulässigkeitsvoraussetzungen auch das Einhalten der Widerspruchsfrist überprüft.531 Das entspricht dem Verfahren bei Notfristen in der deutschen Zivilprozessordnung. In den Niederlanden gibt es keinen speziellen Begriff für eine absolut bindende Frist. Die strenge Handhabung der Fristen532 wird mit dem Erfordernis der Rechts­ sicherheit begründet. Während eines Rechtsbehelfsverfahrens entstehe eine Phase der Unsicherheit für alle Beteiligten. Die Behörde wisse nicht, ob ihre Maßnahme Bestand, der Beschwerdeführer nicht, ob sein Rechtsbehelf Erfolg habe. Diese Phase solle möglichst kurz gehalten werden.533

525 ABRS 11.04.2000, AB 2000, 244; CRvB 19.04.2001, RSV 2001/172; zustimmend S­ chreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocessrecht, zevende druk, 2001, S. 124 ff.; Stam/ Walraven, Instellen beroep en bezwaar, 2007, S. 69. 526 Kopp/Schenke, VwGO Kommentar, 2009, § 113 Rdn. 63, 231. 527 Dazu ausführlich im 4. Teil, A. I. 4. 528 CBvR 25.05.2005, 04/3449 WW; CRvB 03.02.2004, 02/4107 WW. 529 Art. 6:7 Awb lautet: De termijn voor het indienen van een bezwaar- of beroepschrift bedraagt zes weken. – Die Frist für das Einreichen einer Rechtsbehelfsschrift im Vorverfahren oder einer Klageschrift beträgt 6 Wochen. 530 Kopp/Schenke, VwGO Kommentar, 2009, § 70 Rdn. 9. 531 Damen, Bestuursrecht Deel 2, 2006, S. 144 f. 532 In den Niederlanden wird auf das Einhalten der Fristen für Rechtsbehelfe streng geachtet. 533 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001; S. 95 ff.

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

(2) Unverschuldetes Versäumen Hat der Rechtsbehelfsführer die Frist jedoch unverschuldet versäumt, so führt dies nicht zur Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs. Art. 6:11 Awb534 spricht in diesem Fall von einem entschuldbaren Fristversäumnis. Voraussetzung ist allerdings, dass der Rechtsbehelfsführer nachweist, dass er den Rechtsbehelf so schnell wie möglich eingereicht hat. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Hinderungsgründen, die den Rechtsbehelfsführer persönlich betreffen und Hinderungsgründen, die die Behörde verursacht hat, wie z. B. das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung. Letztere führen immer zu einer Zulässigkeit des verfristeten Rechtsbehelfs.535 Nicht entschuldbar ist dagegen die verspätete Kenntnisnahme eines Bescheids in Folge eines Urlaubs.536 Das Gleiche gilt, wenn ein beteiligter Dritter die Rechts­ behelfsbelehrung auf dem ihm zugestellten Ausgangsbescheid, z. B. die Bau­ genehmigung des Nachbarn, nicht beachtet hat.537 cc) Heilung von Mängeln Erfüllt eine fristgerecht eingereichte Rechtsbehelfsschrift die Voraussetzungen des art. 6:5 lid 1 Awb nicht, so ergibt sich daraus nicht zwingend die Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs. Art. 6:6 Awb538 eröffnet die Möglichkeit, etwaige Mängel zu heilen. Gemäß art. 6:6 Awb muss die Behörde den Rechtsschutzsuchenden auf 534 Art. 6:11 Awb lautete: Ten aanzien van een na afloop van de termijn ingediend bezwaarof beroepschrift blijft niet-ontvankelijkverklaring op grond daarvan achterwege indien redelijkerwijs niet kan worden geoordeld dat de indiener in verzuim is geweest. – Bei einer verfristet eingereichten Rechtsbehelfsschrift im Vorverfahren oder Klageschrift wird von der Abweisung wegen Unzulässigkeit abgesehen, wenn im Nachhinein billigerweise nicht unterstellt werden kann, dass der Einreichende im Verzug war. 535 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 6:11 Nr. 1. 536 ABRS 14. april 2000, AB 2000, 323. 537 ABRS 31 oktober 1996, AB 1997, 107. 538 Art.6:6 Awb lautet: Het bezwaar of beroep kan niet-ontvankelijk worden verklaard, indien: a. niet is voldaan aan artikel 6:5 of aan einig ander bij de wet gesteld vereiste voor het in behandeling nemen van het bezwaar of beroep, of b. het bezwaar- of beroepschrift geheel of gedeeltelijk is geweigerd op grond van artikel 2:15, mits de indiener de gelegenheid heeft gehad het verzuim te herstellen binnen een hem daartoe gestelde termijn. Die Rechtsbehelfsschrift im Vorverfahren oder die Klageschrift können als unzulässig abgewiesen werden, wenn: a. die Voraussetzungen des Art. 6:5 oder andere gesetzliche Anforderungen für die Bearbeitung des Vorverfahrens oder der Klage nicht erfüllt sind, oder b. die Rechtsbehelfsschrift im Vorverfahren oder die Klageschrift die Voraussetzungen des Art. 2:15 (elektronisches Verfahren) nicht erfüllt, und dem Rechtsbehelfsführer die Gelegenheit gegeben wurde, das Versäumte binnen einer angemessenen Frist nachzuholen.

E. Der Rechtsschutz durch die Verwaltung – Das Vorverfahren

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Defizite hinweisen und ihm die Möglichkeit geben, diese innerhalb einer durch die Behörde zu bestimmenden Frist zu beheben. Das gilt auch für die zur Wahrung der Frist eingelegte „pro forma bezwaar“.539 Die Frist beträgt meist 4 Wochen, in Ausländerangelegenheiten 2 Wochen.540 Reagiert der Antragsteller nicht entsprechend, steht es im Ermessen der Behörde, ob dies zur Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs führt.541 Allerdings fordert das Sorgfaltsprinzip (zorgvuldigheidsbeginsel) nach höchstrichterlicher Rechtsprechung542 im Rahmen der Fristsetzung einen ausdrücklichen Hinweis auf die Konsequenzen eines Fristversäumnisses. Art. 6:6 Awb ist sehr umstritten. Grundsätzlich fallen alle Voraussetzungen des art. 6:5 lid 1 Awb in seinen Anwendungsbereich. Verwaltung und Rechtsprechung sowie Teile der Literatur weisen aber immer wieder daraufhin, dass allein ein Nachreichen der Begründung sinnvoll sei.543 Es könne nicht sein, dass bei Fehlen von Namen und Adresse des Antragstellers dieser anhand der beschriebenen Maßnahme durch die Behörden ausfindig gemacht werden müsse. Deshalb sei art. 6:6 Awb auf art 6:5 lid 1 a. Awb nicht anwendbar.544 Die Vorschrift wirkt auch der strengen Handhabung der Frist entgegen, indem sie dem Antragsteller die Möglichkeit eröffnet, seinen Rechtsbehelf später zu begründen. In der Praxis führt art. 6:6 Awb dazu, dass häufig zur Wahrung der Frist ein Rechtsbehelf pro forma eingelegt wird.545 b) Die Anhörung In Deutschland soll gem. § 71 VwGO eine Anhörung des Betroffenen im Widerspruchsverfahren nur durchgeführt werden, wenn die Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsaktes im Widerspruchsverfahren erstmalig mit einer Beschwer verbunden ist. In den Niederlanden ist die Anhörung dagegen ein fester Verfahrensbestandteil. Sie ist das Kernstück des Vorverfahrens.546 Die Alternative 539

ABRvS 19.07.1999, JM 2000,20; CRvB 08.01.2002, LJN AE0169. Stam/Walraven, Instellen beroep en bezwaar, 2007, S. 69. 541 So wies der CRvB die Berufung eines Klägers zurück, dessen Widerspruch für unzulässig erklärt worden war. Der Kläger sei selbst verantwortlich, wenn er die Nachfrist ungenutzt verstreichen lasse. Der Kläger hatte am 13. Dezember 2000 gegen einen Bescheid vom 3. November 2000 fristgerecht Widerspruch eingelegt. Da dem Widerspruch die Begründung fehlte, setzte die Ausgangsbehörde dem Kläger am 7. Februar 2001 eine Nachfrist von vier Wochen. Der Kläger reichte seine Begründung am 9. März 2001 ein. Die Ausgangsbehörde verwarf den Widerspruch wegen Überschreitens der Nachfrist. CBvR 26.07.2005, 03/6350 NABW. 542 ABRvS 16.03.2005, Ab 2005, 427. 543 CRvB 04.05.2000, 98/1573 AW, AB 2000, Nr. 486 mit Anmerkungen zu diesem Problem. 544 ABRvS 29.08.2000, JB 2000, 296. 545 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 6:6 Nr. 2. 546 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, S. 329. 540

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

einer Anhörung im schriftlichen Verfahren, wie das in Deutschland möglich ist547, besteht in den Niederlanden nicht. Das mündliche Verfahren ist in den Niederlanden obligatorisch. Es gestaltet sich wie ein Gespräch, nicht wie eine Befragung.548 aa) Funktionen der Anhörung Die Verpflichtung, ein mündliches Verfahren durchzuführen, wird als der logische Schluss aus den Aufgaben angesehen, die die Anhörung nach dem Willen des Gesetzgebers549 erfüllen soll. Zunächst dient die Anhörung der Verbesserung des Rechtsschutzes. Man will dem Bürger, der sich gegen eine Maßnahme der Verwaltung wendet, noch einmal die Gelegenheit geben, seine Einwände ausführlich darzulegen, da nicht jeder in der Lage ist, seine Argumente in ausreichendem Maße schriftlich vorzubringen. Zudem hilft sie beim Sammeln weiterer Informationen und dient dem Austausch von Argumenten. Dadurch ermöglicht sie die Lösung von Problemen und stärkt das Vertrauen des Bürgers in die Verwaltung. Nicht selten führt die Anhörung zu einem Kompromiss zwischen Bürger und Verwaltung.550 Angesichts dieser wichtigen Funktionen verwundert es, dass die Gerichte die ordnungsgemäße Durchführung einer Anhörung nicht von Amts wegen prüfen. Sie dürfen lediglich darauf eingehen, wenn der Antragsteller eine Verletzung des art. 7:2 lid 1 Awb551 rügt. Begründet wird dies damit, dass art. 7:2 lid 1 Awb nicht dem öffentlichen Interesse, sondern dem Schutz des Einzelnen diene.552 bb) Gelegenheit zur Anhörung Art. 7:2 lid 1 Awb bestimmt, dass die Behörde, bevor sie eine Entscheidung im Vorverfahren trifft, dem Antragsteller die Gelegenheit geben muss, angehört zu werden. In welcher Form die Gelegenheit zur Anhörung geboten werden muss, ist umstritten. Das Gesetz äußert sich hierzu nicht. Demzufolge oblag es der Rechtsprechung, „das Bieten der Gelegenheit“ näher zu präzisieren. So entschied der CRvB, 547

Kopp/Schenke, VwGO Kommentar, 2009, § 71 Rdn. 5. Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 29. 549 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, S. 329. 550 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 29; Konijnenbelt, De voorzitter van de bezwaarschriftcommissie, de Gemeentestem 2002, S. 432. 551 Art. 7:2 lid. 1 Awb lautet: Voordat een bestuursorgaan op het bezwaar beslist, stelt het belanghebbenden in de gelegenheit te worden gehoord. – Bevor ein Verwaltungsorgan über den Rechtsbehelf im Vorverfahren entscheidet, gibt es dem betroffenen Gelegenheit angehört zu werden. 552 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 7:2 Nr. 4; Damen, Bestuursrecht Deel 2, 2006, S. 171. 548

E. Der Rechtsschutz durch die Verwaltung – Das Vorverfahren

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es reiche nicht aus, wenn die Behörde den Antragsteller über sein Recht auf eine Anhörung informiere und davon ausgehe, dass dieser von seinem Recht keinen Gebrauch machen wolle, wenn er sich nicht melde. Der CRvB führt hierzu weiter aus, das Bieten einer Gelegenheit dürfe nicht von einer durch das Gesetz nicht vorgesehenen Formalität, wie der Kontaktaufnahme des Antragstellers mit dem Antragsgegner innerhalb einer bestimmten Frist, abhängig gemacht werden.553 Da­ gegen kommt die Verwaltung ihrer Pflicht zum Bieten einer Gelegenheit nach, wenn sie einem Schreiben, in dem sie den Antragsteller auf sein Recht hinweist, eine frankierte Antwortkarte mit der Bitte um Antwort, ob dieser von seinem Recht auf Anhörung Gebrauch machen wolle, beilegt. Allerdings darf die Behörde bei Ausbleiben einer Reaktion des Rechtsbehelfsführers nicht davon ausgehen, dass er auf sein Recht verzichtet. Vielmehr hat sie ihm dann einen konkreten Termin zur Durchführung der Anhörung anzubieten. Soweit der Rechtsbehelfsführer diesen nicht wahrnehmen kann, gebietet es das Sorgfaltsprinzip, den Termin zu verlegen.554 cc) Ausnahmen von der Anhörungspflicht Art. 7:3 Awb555 normiert einige Fälle, in denen von der Anhörung abgesehen werden kann. (1) Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs Die Behörde ist von der Pflicht, den Rechtsbehelfsführer anzuhören entbunden, wenn keine Zweifel daran bestehen, dass der Rechtsbehelf unzulässig ist. Ein Überschreiten der Fristen führt nicht automatisch zu einer Unzulässigkeit des 553

CRvB 27.05.1998, AB 1998, 367. NO 31.03.2000, AB 2000, 321. 555 Art. 7:3 Awb lautet: Van het horen van belanghebbenden kann worden afgezien indien: a. het bezwaar kennelijk niet-ontvankelijk is, b. het bezwaar kennelijk ongegrond is, c. de belanghebbenden hebben verklaard geen gebruik te willen maken van het recht te worden gehoord, of d. aan de bezwaar volledig tegemoet wordt gekomen en andere belanghebbenden daardoor niet in hun belangen kunnen worden geschad. Von der Anhörung der Betroffenen kann abgesehen werden: a. der Rechtsbehelf offensichtlich unzulässig ist; b. der Rechtsbehelf offensichtlich unbegründet ist; c. die Betroffenen erklärt haben, dass sie keinen Gebrauch von ihrem Recht auf Anhörung machen wollen, oder d. dem Rechtsbehelf in vollem Umfang stattgegeben wird und andere Betroffene dadurch nicht in ihren Interessen beeinträchtigt sind. 554

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

Rechtsbehelfs. Denn es besteht die Möglichkeit, dass die Fristversäumnis entschuldigt ist. Bei Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs ist eine Anhörung überflüssig, da sie nicht geeignet ist, die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs herbeizuführen.556 (2) Unbegründetheit des Rechtsbehelfs Auch hier dürfen keinerlei Zweifel an der Unbegründetheit des Rechtsbehelfs bestehen. Das ist einzig dann der Fall, wenn der Ausgangsbescheid auf einer gebundenen Entscheidung der Ausgangsbehörde beruht und keine andere Entscheidung möglich ist.557 (3) Verzicht des Rechtsbehelfsführers auf die Anhörung Erklärt der Betroffene ausdrücklich, er wolle auf sein Recht auf Anhörung verzichten, so erübrigt sich diese. Der Verzicht kann bereits in der Rechtsbehelfsschrift bekannt gegeben werden. Allerdings darf die Behörde nicht voreilig einen Verzicht annehmen. Besteht auch nur der geringste Zweifel, so muss eine An­ hörung stattfinden.558 (4) Begründetheit des Rechtsbehelfs Ist der Rechtsbehelf ohne Zweifel begründet und werden Dritte durch ein Absehen von der Anhörung nicht in ihren Rechten beeinträchtigt, so kann die An­ hörung entfallen.559 dd) Erneute Anhörung Erlangt die Behörde nach Durchführung der Anhörung von neuen Tatsachen Kenntnis, die für die Entscheidung im Rechtsbehelfsverfahren von Bedeutung sein können, so muss dem Rechtsbehelfsführer die Gelegenheit gegeben werden, sich hierzu zu äußern, art. 7:9 Awb. Es muss eine erneute Anhörung erfolgen. Dieser Fall liegt z. B. vor, wenn die Behörde im Anschluss an eine Anhörung eine Untersuchung durchführt, die neue Tatsachen hervorbringt.560 556

Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 31. van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 7:3 Nr. 3. 558 CRvB 25.01.1996, AB 1996, 126. 559 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 32. 560 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 7:9, betekenis. 557

E. Der Rechtsschutz durch die Verwaltung – Das Vorverfahren

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Hebt das Gericht eine hoheitliche Maßnahme auf und verurteilt die Behörde, neu zu entscheiden, so wird keine erneute Anhörung notwendig.561 ee) Anhörungsprotokoll Der Verlauf der Anhörung ist in einem Bericht festzuhalten, art. 7:7 Awb562. In welcher Form der Bericht erstellt wird, steht zur Disposition der Behörde. Er dient vor allem dazu, dem Richter bei einem sich möglicherweise anschließenden gerichtlichen Verfahren die Urteilsfindung zu erleichtern.563 ff) Der unabhängige Beratungsausschuss Grundsätzlich erfolgt die Anhörung durch die Ausgangsbehörde. Dabei darf der damit befasste Beamte nicht am Erlass des Ausgangsbescheids beteiligt gewesen sein, art. 7:5 lid 1 a. Awb564.565 Die Ausgangsbehörde kann aber auch einen un­abhängigen Beratungssausschuss (onafhankelijke adviescommissie) einsetzen, der die Anhörung durchführt und die Behörde bei ihrer Entscheidung berät.566 Der Ausschuss trifft keine Entscheidungen.567 Der Gesetzgeber hält ihn dennoch für sinnvoll. Er verspricht sich davon eine bessere Würdigung der vorgetragenen Einwände.568 In welchen Fällen ein Beratungsausschuss eingesetzt wird, hängt von der jeweils einschlägigen Materie ab und ergibt sich aus den dazugehörigen spezial­

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Vgl. ABRvS 15.05.1997, AB 1997,263; Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 33. 562 Art. 7:7 Awb lautet: Van het horen wordt een verslag gemaakt. – Es wird ein Protokoll von der Anhörung angefertigt. 563 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 33. 564 Art. 7:5 lid 1 Awb lautet: Tenzij het horen geschiedt door of mede door het bestuursorgaan zelf dan wel de voorzitter of een lid ervan, geschiedt het door: a. een person die niet bij de voorbereiding von het bestreden besluit betrokken is geweest, of b. … Wenn die Anhörung durch oder in Anwesenheit des Verwaltungsorgans selbst, den Vorsitzenden oder ein Mitglied durchgeführt wird, erfolgt dies: a. durch ein Person die nicht an der Vorbereitung der angefochtenen Maßnahme beteiligt war, oder b. … 565 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 7:5 Nr. 2. 566 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 34. 567 CRvB 11. Juni 1999, RZA 1999, 194. 568 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, S. 353.

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gesetzlichen Regelungen.569 Z. B. Gemeinden, Provinzen und Wasserwirtschaftsverbände (waterschappen) machen häufig von dem Angebot Gebrauch.570 (1) Die Besetzung des unabhängigen Beratungsausschusses Art. 7:13 lid 1 Awb571 legt die Besetzung der Kommission fest. Vorgesehen sind ein Vorsitzender und mindestens zwei Beisitzer. Die Mindestzahl von drei Mit­ gliedern ist bindend. Wird sie nicht eingehalten, so führt das zur Aufhebung des in dem Vorverfahren ergangenen Bescheids.572 Das gilt selbst für den Fall, dass der Ausschuss aus zwei Mitgliedern bestand, die derselben Meinung waren.573 (2) Voraussetzungen der Mitgliedschaft im unabhängigen Beratungsausschuss Gemäß art. 7:13 lid 1 b. Awb darf der Ausschussvorsitzende nicht der Ausgangsbehörde angehören oder in anderer Weise an dem Erlass der angefochtenen Maßnahme beteiligt gewesen sein. Durch dieses Erfordernis will der Gesetzgeber die Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden garantieren. Eine wie auch immer ge­ artete Beteiligung des Vorsitzenden am Erlass des Ausgangsbescheids führt in einem späteren verwaltungsgerichtlichen Verfahren zur Aufhebung des im Vorverfahren ergangenen Bescheids.574 Die Beisitzer müssen dagegen keine besonderen Voraussetzungen erfüllen. Sie können der Ausgangsbehörde angehören, häufig handelt es sich aber um sachkundige Laien.575 569

van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 7:13 Nr. 1. 570 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 34. 571 Art. 7:13 lid 1 Awb lautet: Die artikel is van toepassing indien ten behoeve van de beslissing op het bezwaar een adviescommissie is ingesteld: a. die bestaat uit een voorzitter en ten minste twee leden, b. waarvan de voorzitter geen deel uitmaakt van en niet werkzaam is onder verantwoordelijkheid van het bestuursorgaan en c. die voldoet aan eventueel bij wettelijk voorschrift gestelde andere eisen. Dieser Artikel wird angewendet wenn im Zuge einer Entscheidung über einen Rechtsbehelf im Vorverfahren ein Beratungsausschuss eingesetzt wird: a. er besteht aus einem Vorsitzenden und mindestens zwei Mitgliedern, b. der Vorsitzende dar nicht bei dem erlassenden Verwaltungsorgan beschäftigt sein, c. zudem muss er weitere möglicherweise durch Gesetz gestellte Anforderungen erfüllen. 572 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 34. 573 CRvB 21. Oktober 1999, AB 2000, 42. 574 Rb. Leuwarden 8. Februar 1996, JB 1996, 100; Notten, De Algemene wet bestuursrecht en het maken van bezwaar, 1998, S. 301. 575 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 7:13, Nr. 2.

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(3) Weitere gesetzliche Voraussetzungen Die einschlägigen spezialgesetzlichen Vorschriften können weitere Anforderungen an den Ausschuss stellen. Zu denken ist z. B. an eine untergesetzliche Vorschrift, die festlegt, dass eines der Mitglieder des Ausschusses über eine besondere Sachkunde auf einem bestimmten Gebiet verfügen muss.576 (4) Aufgaben des Ausschusses Der Ausschuss führt gem. art. 7:13 lid 3 Awb577 die Anhörung durch. Aus Gründen der Kostenersparnis kann die Anhörung von dem Vorsitzenden der Kommission allein durchgeführt werden.578 Möglich ist auch, dass einer der Beisitzer sie vornimmt. In diesem Fall muss er die an die Stellung des Vorsitzenden geknüpften Voraussetzungen der Unvoreingenommenheit erfüllen.579 Soweit die Anhörung vor dem Ausschuss stattfindet, ähnelt sie einem kontradiktorischen Verfahren. Neben dem Antragsteller wird auch ein Vertreter der Ausgangsbehörde geladen, der die Gelegenheit erhält, für den Antragsgegner eine Stellungnahme abzugeben, art. 7:13 lid 5 Awb580. Die Einhaltung dieser Vorschrift ist unumgänglich, auch wenn es um eine größere Anzahl vergleichbarer Verfahren geht, die Auffassung der Behörde bekannt ist und sie zu erkennen gegeben hat, dass sie die Anwesenheit eines Vertreters ihrer Dienststelle deshalb für nicht sinnvoll erachtet.581 Die Beratung der Ausgangsbehörde erfolgt durch alle Kommissionsmitglieder gemeinsam. Der Entscheidungsvorschlag wird schriftlich niedergelegt und eingehend begründet. Sofern die Ausgangsbehörde in ihrer Entscheidung im Rechtsbehelfsverfahren davon abweicht, hat sie die Abweichung gesondert zu begründen und den Entscheidungsvorschlag des Beratungsausschusses ihrem eigenen 576

Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 35. Art. 7:13 lid 3 Awb lautet: Het horen geschiedt door de commissie. De commissie kan het horen opdragen aan de voorzitter of een lid dat geen deel uitmaakt van en niet werkzaam is onder verantwoordelijkheid van het bestuursorgaan. – Die Anhörung erfolgt durch die Kommission. Die Kommission kan die Anhörung dem Vorsitzenden oder einem Mitglied, dass nicht dem erlassenden Verwaltungsorgan angehört, übertragen. 578 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, Nederlands algemeen bestuursrecht 2, 2001, S. 175. 579 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 7:13 Nr. 3. 580 Art. 7:13 lid 5 Awb lautet: Een vertegenwoordiger van het bestuursorgaan wordt voor het horen uitgenodigd en wordt in de gelegenheid gesteld een toelichting op het standpunt van het bestuursorgaan te geven. – Ein Vertreter des Verwaltungsorgans wird zur Anhörung geladen und es wird ihm die Gelegenheit gegeben, eine Stellungnahme hinsichtlich der Auffassung des Verwaltungsorgans abzugeben. 581 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, Ars Aequi Libri Nijmegen 2004, S. 35. 577

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

Bescheid beizufügen. Der Antragsteller erhält in diesem Fall beide Schriftstücke, art. 7:13 lid 7 Awb582. Dadurch soll ein leichtfertiges Abweichen des Verwaltungsorgans von der Empfehlung der Kommission verhindert werden.583 c) Erneutes Erwägen Das Vorverfahren eröffnet der Behörde die Möglichkeit, ihre Maßnahme noch einmal zu überdenken. Man geht in den Niederlanden davon aus, dass das ursprüngliche Verfahren, das zum Erlass der angefochtenen Maßnahme geführt hat, wieder aufgegriffen wird, weiterläuft und zu einer Entscheidung über den Rechtsbehelf führt. Deshalb bezeichnen die Niederländer das Vorverfahren auch als erweiterten Entscheidungsfindungsprozess.584 aa) Grundlage der Erwägungen Die maßgebliche Vorschrift für diesen Verfahrensabschnitt ist art. 7:11 Awb585. Sie ist unter den das Vorverfahren betreffenden Normen die einzige materiellrechtliche.586 Die Vorschrift bestimmt, dass, vorausgesetzt der Rechtsbehelf ist zulässig, der Vortrag des Rechtsbehelfsführers die Grundlage für die Überarbeitung des Ausgangsbescheids bildet. Das bedeutet, dass bei den erneuten Erwägungen der Behörde nur die durch den Rechtsbehelfsführer vorgetragenen Einwände berücksichtigt werden dürfen. Alle nicht angegriffenen Teile der Maßnahme sind nicht Gegenstand des Vorverfahrens.587 bb) Umfang der Erwägungen Den Umfang der Überarbeitung bestimmt damit der Rechtsbehelfsführer. Grundlage des erneuten Erwägens ist der Ausgangsbescheid. Er bildet die äußere Grenze der innerhalb des Vorverfahrens zu berücksichtigenden Materie. Ob aber die ge 582 Art. 7:13 lid 7 Awb lautet: Indien de beslissing op het bezwaar afwijkt van het advies van de commissie, wordt in de beslissing de reden voor die afwijking vermeld en wordt het advies met de beslissing meegezonden. – Wenn die Entscheidung über den Rechtsbehelf im Vorverfahren von der Empfehlung des Beratungsausschusses abweicht, werden in der Entscheidung die Gründe für die Abweichung mitgeteilt und die Empfehlung mit der Entscheidung verschickt. 583 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 7:13 Nr. 5. 584 Notten, De Algemene wet bestuursrecht en het maken van bezwaar, 1998, S. 13. 585 Art. 7:11 lid 1 Awb lautet: Indien het bezwaar ontvankelijk is, vindt op grondslag daarvan een heroverweging van het bestreden besluit plaats. – Wenn der Rechtsbehelf im Vorverfahren zulässig ist, wird auf dessen Grundlage die angefochtene Maßnahme erneut erwogen. 586 Notten, De Algemene wet bestuursrecht en het maken van bezwaar, 1998, S. 16. 587 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 40.

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samte Maßnahme überdacht werden muss oder nur ein Teil, entscheidet der Rechtsbehelfsführer durch seinen Vortrag in der Rechtsbehelfsschrift. Lediglich der mit der Rechtsbehelfsschrift angegriffene Abschnitt der Maßnahme ist im Rahmen des Vorverfahrens zu berücksichtigen.588 Die Behörde ist jedoch nur an die durch den Rechtsbehelfsführer in dieser Hinsicht vorgenommenen Einschränkungen gebunden, nicht an seine Argumentation. Wird ein Bescheid oder ein Teil eines Bescheids angegriffen, so darf die Behörde nur den umstrittenen Abschnitt in ihre Überlegungen einbeziehen. Sie hat aber die Pflicht, in diesem Rahmen umfassend zu prüfen.589 Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist es deshalb legitim, dass der Entscheidungsspruch aufrechterhalten bleibt, der Bescheid aber nach Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens eine von dem Ausgangsbescheid verschiedene Begründung enthält.590 cc) Maßstab für die Erwägungen Durch die Formulierung „erneutes Erwägen“ hat der Gesetzgeber den Kontrollmaßstab vorgegeben. Die Behörde hat bei ihren Erwägungen Recht- und Zweckmäßigkeit des angefochtenen Bescheids, sofern dieser Zweckmäßigkeitserwägungen zugänglich ist, zu berücksichtigen. Auf eine Überarbeitung im vollen Umgang legte der Gesetzgeber besonderen Wert. In den Materialien heißt es dazu, es sei nicht wünschenswert, dass die Behörde nur prüfe, ob die angefochtene Maßnahme einer gerichtlichen Kontrolle standhalte,591 also lediglich einer Rechtmäßigkeitsprüfung unterzogen werde. Hier zeigt sich die spezielle Ausprägung des Rechtsschutzes im Vorverfahren. Die Ausgangsbehörde kann im Rahmen des Vorverfahrens eine rechtmäßige Maßnahme, die sie für unzweckmäßig hält, aufheben. Das entspricht den Vorgaben des § 68 Abs. 1 VwGO. Auch in Deutschland unterliegt der angefochtene Verwaltungsakt im Vorverfahren einer Recht- und Zweckmäßigkeitskontrolle. Etwas anderes gilt im Falle der Beteiligung eines unabhängigen Beratungsausschusses. Er war am Entscheidungsfindungsprozess der Behörde nicht beteiligt. Deshalb prüft er vorrangig die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme. Die Zweckmäßigkeit tritt in den Hintergrund. Deshalb ist die durch den Beratungsausschuss vorgelegte Entscheidung für die Ausgangsbehörde auch nicht verbindlich.592

588 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, S. 347. 589 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 41. 590 CRvB 31.03.1998, RSV 1998, 189. 591 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, S. 347. 592 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 40.

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dd) Verbot der reformatio in peius Im Gegensatz zur deutschen Rechtsordnung gilt in den Niederlanden für das Vorverfahren als besonderen Ausdruck des Rechtsschutzes das Verbot der reformatio in peius.593 Das bedeutet, die Behörde darf den Entscheidungsspruch des Ausgangsbescheids im Vorverfahren nicht zu Ungunsten des Rechtsbehelfsführers abändern. Eine Abweichung in der materiellrechtlichen Begründung der im Entscheidungssatz bestätigten Entscheidung ist durch das Verbot der reformatio in peius nicht betroffen.594 Der Gesetzgeber begründet das Verbot dahingehend, dass es nicht sein könne, dass der Rechtsbehelfsführer, dadurch dass er von seinem Recht auf Rechtsschutz Gebrauch mache, in eine schlechtere Position gebracht werde.595 Wie in Deutschland fallen erfolgreich durchgeführte Vorverfahren belasteter Dritter nicht unter das Verbot der reformatio in peius. Kommt es hier zu einem Widerruf oder einer Änderung der Maßnahme zu Lasten des Adressaten, so ist das lediglich die Folge, die sich zwangsläufig aus dem legitimen Rechtsschutzbegehren des Dritten ergibt.596 ee) Maßgeblicher Zeitpunkt (1) Grundregel Basis für die Entscheidung der Behörde im Vorverfahren ist die im Zeitpunkt ihrer Entscheidung aktuelle Sach- und Rechtslage. Sie prüft also ex nunc. Die Rechtslage im Zeitpunkt des Ausgangsbescheides ist grundsätzlich unbeachtlich.597 Diese Handhabung entspricht dem niederländischen Verständnis des Vorverfahrens als einem verlängerten Entscheidungsprozess. Da die Behörde ihre Entscheidung noch einmal überdenkt, muss sie die Möglichkeit haben, auf Veränderungen der Sach- und Rechtslage zu reagieren und ihren Bescheid im Vorverfahren darauf abzustimmen. Der Richter dagegen überprüft den angefochtenen Bescheid und hat deshalb von der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung auszugehen. Das entspricht der Behandlung von Anfechtungswidersprüchen im deutschen Recht. In den Niederlanden bildet es die Grundregel im Vorverfahren.598 593 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, S. 347. 594 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 43. 595 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, S. 347. 596 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 43. 597 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 172. 598 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 45.

E. Der Rechtsschutz durch die Verwaltung – Das Vorverfahren

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(2) Ausnahmen Die Grundregel ist in bestimmten Rechtsgebieten nicht anwendbar. In ständiger Rechtsprechung entschied der Centrale raad van beroep, dass die Grundregel im Sozialrecht bei einer Änderung der Sachlage nicht anzuwenden sei. Hier sei, bei einem Bescheid, der eine Zuwendung des Staates versage, die Sachlage im Zeitpunkt des Erlasses des Ausgangsbescheids ausschlaggebend. Eine Änderung der Sachlage während der Durchführung des Vorverfahrens sei unbeachtlich. Sie führe nicht zu einer Aufhebung des Ausgangsbescheids.599 Die Grundregel ist bei Versagung eines durch den Bürger beantragten Bescheids, wie z. B. einer Baugenehmigung, nur eingeschränkt anwendbar. Nach Auffassung der Rechtsprechung ist in diesem Fall, sofern ein Rechtsbehelfsverfahren bereits anhängig ist, auf die Rechtslage im Zeitpunkt des Ausgangsbescheids abzustellen. Es könne nicht sein, dass die ursprünglich rechtswidrige Versagung eines begünstigenden Bescheids durch eine Gesetzesänderung rechtmäßig werde und der Betroffene dadurch des ihm im Zeitpunkt des Ausgangsbescheids zustehenden Anspruchs beraubt werde.600 Dieses Vorgehen erinnert an die Handhabung von Verpflichtungswidersprüchen im deutschen Recht. Die Regelung gilt nicht, wenn der Gesetzgeber ausdrücklich die Anwendung des neuen Rechts bestimmt hat.601 4. Die Entscheidung Mit dem Zugang der Rechtsbehelfsschrift entsteht für die Behörde die Verpflichtung, über den Rechtsbehelf zu entscheiden.602 Die Entscheidung im Vorverfahren ergeht als Verwaltungsmaßnahme (besluit). Sie hat schriftlich zu erfolgen und ist gem. art. 7:12 Awb zu begründen. Wurde von einer Anhörung abgesehen, sind die Gründe für den Verzicht darzulegen. Die Bekanntgabe erfolgt durch Übergabe oder Übersendung des Bescheids an den Betroffenen.

599

CRvB 03.06.1997, JB 1997, 194. Rb ’s-Hertogenbosch 19.07.2000, RZA 2000, 146. 601 Sanders, De bezwaarschriftprocedure, 2004, S. 47. 602 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 103 f. 600

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

a) Inhalt aa) Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids Den Inhalt des Bescheids regelt art. 7:11 lid 2 Awb603. Danach hebt die Behörde den Ausgangsbescheid auf, wenn sie im Vorverfahren erkennt, dass dieser rechtswidrig ist. Aufheben heißt, sie nimmt ihn ausdrücklich zurück.604 Gleichzeitig hat sie ihre Entscheidung eingehend zu begründen. Entscheidend ist, dass der Bürger anhand der Ausführungen seine Rechtsposition eindeutig erkennen kann.605 Soweit notwendig, erlässt sie an Stelle der aufgehobenen eine neue Maßnahme. Der neue Bescheid tritt ex nunc in Kraft. Er muss neue Tatsachen und Umstände berücksichtigen.606 Wäre das Verwaltungsorgan außerhalb des Vorverfahrens berechtigt, die angefochtene Maßnahme aufzuheben und eine neue Maßnahme mit einer höheren Belastung für den Rechtsbehelfsführer zu erlassen, darf sie das auch im Rahmen der Entscheidung im Vorverfahren. Insoweit bildet diese Situation eine Ausnahme vom Verbot der reformatio in peius.607 Nach Auffassung der Rechtsprechung darf im Vorverfahren nur eine einheitliche Entscheidung ergehen. Es sind also auch ein möglicher Schadensersatz­anspruch und dessen Höhe in den Bescheid aufzunehmen. Es widerspreche art. 7:11 Awb, eine Entschädigung im Rahmen eines weiteren Bescheides festzulegen.608 bb) Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids Kommt die Behörde während ihrer erneuten Erwägungen zu dem Schluss, dass der Ausgangsbescheid rechtmäßig war, bleibt er bestehen. Der Bescheid im Vorverfahren steht selbständig daneben. Da der Ausgangsbescheid bereits begründet wurde, bedarf es keiner weiteren eingehenden Ausführungen. Beide Maßnahmen werden gemeinsam vor Gericht angefochten.609

603 Art. 7:11 lid 2 Awb lautet: Voor zover de heroverweging daartoe aanleiding geeft, herroept het bestuursorgaan het bestreden besluit en neemt het voor zover nodig in de plaats daarvan een nieuw besluit. – Die Behörde hebt die angefochtene Maßnahme sofern die Erwägungen dazu Anlass geben auf und erlässt sofern notwendig an dessen Stelle eine neue Maßnahme. 604 Vgl. ABRvS 07.07.1997, JB 1997, 192. 605 CRvB 19.07.2001, AB 2001, 405. 606 Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, Deel I, 2002, S. 61. 607 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 563. 608 ABRvS 08.02.2003, JB 2003, 78. 609 Sanders, De heroverweging getoetst, 1999, S. 52.

E. Der Rechtsschutz durch die Verwaltung – Das Vorverfahren

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b) Entscheidungszeitraum Mit Zugang der Rechtsbehelfsschrift entsteht die Verpflichtung der Verwaltung, sich mit den Einwänden des Betroffenen gegen die Verwaltungsmaßnahme zu befassen. Art. 7:10 lid 1 Awb sieht für die Entscheidung der Behörde ein Frist von 6 Wochen vor. Ist eine unabhängige Beratungskommission beteiligt, beträgt der Bearbeitungszeitraum 10 Wochen. Gem. art. 7:10 lid 3 Awb kann die Behörde die Frist einmal um 4 Wochen verlängern. Sie muss dies dem Betroffenen in einem Bescheid ohne Begründung mitteilen.610 Eine weitere Verzögerung bedarf der Zustimmung des Betroffenen, art. 7:10 lid 4 Awb. Die Fristen des art. 7:10 Awb sind keine Notfristen. Allerdings führt ein Überschreiten zu einem Klagerecht des Betroffenen. Die Klage soll die Behörde dazu bewegen, ihren Verpflichtungen nachzukommen.611 Das Gericht verurteilt sie deshalb auch nur zum Erlass eines Bescheides. Nach neuerer Rechtsprechung darf die Untätigkeit der Behörde nicht mehr gedeutet werden, da es sich um ein rein prozessuales Mittel handle. Insbesondere darf sie nicht zur Fiktion eines ablehnenden Bescheides führen,612 wie es früher üblich war. Das Gericht überprüfte früher anhand des fingierten ablehnenden Bescheids die Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheids.613 Von dieser Praxis sind spezialgesetzliche Regelungen, die eine positive Fiktion vorsehen, ausgenommen. Als Beispiel sei art. 46 lid 4 Woningwet genannt. Entscheidet die Behörde nicht innerhalb von 3 Monaten über einen Bauantrag, so gilt die Baugenehmigung als erteilt.614

II. Das besondere Vorverfahren Rechtsschutz gegen hoheitliche Maßnahmen wurde ursprünglich in der Form des administratief beroep gewährt. Der Rechtsbehelf stammt aus der Zeit, als es noch keine Verwaltungsgerichte in den Niederlanden gab. Der lange praktizierte kroon beroep615 war eine Form des administratief beroep. Mit der Grundrechtsrevision 1983 erhielt der administratief beroep Verfassungsrang. Art. 115 der niederländischen Verfassung616 sollte die Stellung des kroon be 610

ABRS 05.06.2002, JB 2002, 220. ABRS 03.12.1998, AB 1999, 13. 612 ABRS 03.12.1998, AB 1999, S. 13. 613 Sanders, De heroverweging getoetst, 1999, S. 54. 614 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 6:2 Nr. 3 a). 615 Siehe dazu im 1. Teil, C. I. 2. c) bb) (3) (b). 616 Art. 115 der niederländischen Verfassung lautet: Ten aanzien van de in artikel 112, tweede lid, bedoelde geschillenkan administratief beroep worden opengesteld. – In Bezug auf die in Artikel 112, Absatz 2 bezeichneten Streitigkeiten ist Verwaltungsbeschwerde möglich. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 611

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

roep stärken. Die Bestimmung garantiert Rechtsschutz in Form des besonderen Vorverfahrens für öffentlichrechtliche Streitigkeiten. 1985 wurde der kroon beroep als Folge der Bentheim-Entscheidung617 abgeschafft. Dadurch verlor das besondere Vorverfahen an Bedeutung. Diese verringerte sich weiter durch das 1994 mit dem Awb eingeführte allgemeine Vorverfahren.618 In vielen Gesetzen des besonderen Verwaltungsrechts hob man die Regelungen zum besonderen Vorverfahren sofort auf, in anderen wie z. B. der Kommunalordnung (Gemeentewet)619, erst später. Heute ist das besondere Vorverfahren nur noch in wenigen Spezialgesetzen, wie dem Waterschapswet und dem Woning wet, vertreten. 1. Begriffsbestimmung Nach der Legaldefinition des art. 1:5 lid 2 Awb620 richtet sich auch das besondere Vorverfahrens gegen eine Verwaltungsmaßnahme (besluit)621. Das Einleiten des Verfahrens setzt eine durch Gesetz verliehene Befugnis voraus. Es entscheidet jedoch nicht, wie im allgemeinen Vorverfahren, die Ausgangsbehörde, sondern eine Behörde, die die Maßnahme nicht erlassen hat. Wie der Name sagt, handelt es sich beim besonderen Vorverfahren um einen Rechtsbehelf, der nur vereinzelt angewendet wird. Die entsprechende Information enthält das jeweils einschlägige Spezialgesetz. Es verleiht dem Betroffenen auch die Befugnis, von dem Rechtsbehelf Gebrauch zu machen.622 So kann gem. art. 153 des Gesetzes der Wasserwirtschaftsverbände (Waterschapswet)623 der Betroffene gegen bestimmte behördliche Maßnahmen ein besonderes Vorverfahren beim Provinzalausschuss einleiten. Das Awb bestimmt, dass das besondere Vorverfahren nicht vor der Ausgangsbehörde stattfindet. Welche Behörde im konkreten Fall über den Rechtsbehelf zu entscheiden hat, legt es nicht fest. 617

EHRM 23.10.1985, NJ 1986, 102; NJW 1987, 2141. Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 530. 619 Hier wurden die Regelungen zum besonderen Vorverfahren erst im Jahr 2002 aufgehoben. 620 Art. 1:5 lid. 2 Awb lautet: Onder het instellen van administratief beroep wordt verstaan: het gebruik maken van de ingevolge een wettelijk voorschrift bestaande bevoegdheid, voor­ ziening tegen een besluit te vragen bij een ander bestuursorgaan dan hetwelk het besluit heeft genomen. – Das besondere Vorverfahren ist der Gebrauch einer kraft Gesetzes zustehenden Befugnis, ein von dem Verwaltungsorgan, das die Maßnahme erlassen hat, verschiedenes Verwaltungsorgan um Abhilfe gegen eine Maßnahme zu bitten. 621 Siehe dazu I. 1. a) und die Ausführungen zum Klagegenstand. 622 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 184 f. 623 Art. 153 lid 1 des Wasserwirtschaftsgesetzes lautet: 1. Belanghebbenden kunnen administratief beroep instellen bij gedeputeerde staten enkel ­tegen: a. …; b. …; c. … 2. … 618

1. Betroffene können beim Provinzialausschuss administrativ beroep einlegen gegen: …

E. Der Rechtsschutz durch die Verwaltung – Das Vorverfahren

193

Hier ergeben sich zwei Möglichkeiten. Zum einen kann einem Verwaltungs­organ, das der gleichen öffentlichrechtlichen Körperschaft wie die Ausgangs­behörde angehört, tätig werden, zum anderen kann die Bearbeitung einem Verwaltungsorgan übertragen werden, das einer auf einer höheren Verwaltungsebene tätigen öffentlich-rechtlichen Körperschaft angehört. Welche der Alternativen eingreift und welche Behörde das Verfahren durchführt, bestimmt das einschlägige Spezialgesetz.624 Im oben aufgeführten Beispiel ist der Provinzialausschuss für die Durchführung des besonderen Vorverfahrens im Bereich des Wasserwirtschaftsrechts zuständig. 2. Die Funktionen des besonderen Vorverfahrens Die Funktionen des besonderen Vorverfahrens beschränken sich auf den Rechtsschutz des betroffenen Bürgers und die Durchsicht (toezicht), im Sinne einer Überprüfung, der angefochtenen Maßnahme,625 die aber vor allem bei Ermessensentscheidungen nur oberflächlich durchgeführt wird.626 Aus der Geschichte des administratief beroep ergibt sich, dass weder eine vorgeschaltete Selbstkontrolle der Verwaltung, wie beim allgemeinen Vorverfahren, noch die Entlastung der Gerichte zu seinen vorrangigen Aufgaben zählt.627 3. Der Gang des Verfahrens Wie das allgemeine vollzieht sich das besondere Vorverfahren in drei Schritten, dem Einreichen einer Rechtsbehelfsschrift, der Anhörung und der Entscheidungsfindung. Es beginnt mit dem Einreichen einer Rechtsbehelfsschrift, an die die gleichen Anforderungen wie im allgemeinen Vorverfahren zu stellen sind. Allerdings ist der Rechtsbehelfsschrift soweit möglich eine Abschrift des Ausgangsbescheids beizufügen. Zudem ist die Ausgangsbehörde so schnell wie möglich über den Eingang des Rechtsbehelfs zu informieren. Sie muss wissen, dass die von ihr erlassene Maßnahme unter Umständen keinen Bestand hat.628 Auch im besonderen Vorverfahren ist die Behörde verpflichtet, eine Anhörung durchzuführen, art. 7:16 lid 1 Awb629. Die sie betreffenden gesetzlichen Vorschrif 624

Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, 2002, S. 61. Versteden, De plaats van bezwaar en administratief beroep in het stelsel van rechtsbescherming, NTB 1995, S. 286 (288). 626 ABRvS 27.06.2007, AB 2007, 234. 627 Siehe dazu 1. Teil, C. I. 628 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 184. 629 Art. 7:16 lid 1 Awb lautet: Voordat een beroepsorgaan op het beroep beslist, stelt het belanghebbenden in de gelegenheid te worden gehoord. – Bevor das zuständige Organ über den Rechtsbehelf im besonderen Vorverfahren entscheidet, räumt es dem Betroffen die Möglichkeit einer Anhörung ein. 625

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2. Teil: Zugang zum Rechtsschutz

ten gleichen denen des allgemeinen Vorverfahrens. In der Rechtsprechung zur Anhörungspflicht, dem Verzicht auf die Anhörung und dem Bieten einer Gelegenheit zur Anhörung werden die Parallelen ebenfalls deutlich.630 Im Rahmen der Entscheidungsfindung ergeben sich zwei Abweichungen des besonderen Vorverfahrens vom allgemeinen. Zum einen richtet sich der Umfang der Überprüfung nicht nach dem Vortrag des Rechtsbehelfsführers. Bei Zulässigkeit des Rechtsbehelfs erfolgt eine umfassende Rechtmäßigkeitsprüfung.631 Zum anderen lässt Art. 7:25 Awb632 offen, ob eine Recht- und Zweckmäßigkeitsprüfung oder nur eine Rechtmäßigkeitsprüfung durchzuführen ist. Im letzteren Fall findet also kein erneutes Erwägen, sondern nur eine Kontrolle statt.633 Nach Auffassung der Rechtsprechung ist die den Rechtsbehelf bearbeitende Behörde grundsätzlich befugt, auch die Zweckmäßigkeit einer Maßnahme zu überprüfen. Sie hat dabei jedoch zurückhaltend vorzugehen. Im Bereich des Prüfungsrechts ist die Tätigkeit der überprüfenden Behörde nach Auffassung des ABRvS stark eingeschränkt. Die Behörde darf lediglich die Frage klären, ob der Prüfer redlicherweise zu dem angefochtenen Ergebnis kommen konnte.634 4. Die Entscheidung Die Entscheidung ergeht in der Form einer Verwaltungsmaßnahme (besluit). Die maßgeblichen Vorschriften entsprechen denen des allgemeinen Vorverfahrens.

III. Zusammenfassung: Die Bedeutung des Vorverfahrens für den Rechtsschutz Die Niederländische Rechtsordnung kennt zwei Arten des Vorverfahrens, das allgemeine und das besondere Vorverfahren. Das Allgemeine verdrängt das Besondere zunehmend.

630 Hof Leeuwarden 26.03.2003, AB 2003, 257; Hof Leeuwarden 26.03.2003, AB 2003, 259; Hof Leeuwarden 23.04.2003, AB 2003, 260. 631 Versteden, De plaats van bezwaar en administratief beroep in het stelsel van rechts­ bescherming, NTB 1995, S. 286 (288). 632 Art. 7:25 Awb lautet: Voor zover het beroepsorgaan het beroep ontvankelijk en gegrond acht, vernietigt het het bestreden besluit en neemt het voor zover nodig in de plaats daarvan een nieuw besluit.  – Soweit das zuständige Organ den Rechtsbehelf als zulässig und begründet erachtet, hebt es die angefochtene Maßnahme auf und erlässt, falls nötig an deren Stelle eine neue Maßnahme. 633 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 7:25 betekenis; Versteden, De plaats van bezwaar en administratief beroep in het stelsel van rechtsbescherming, NTB 1995, S. 286 (287), Fn. 4. 634 ABRvS 25.07.2001, AB 2002, 347.

E. Der Rechtsschutz durch die Verwaltung – Das Vorverfahren

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Im Unterschied zum deutschen Widerspruchsverfahren ist das allgemeine Vorverfahren in den Niederlanden ein einstufiges Verfahren. Es findet ausschließlich vor der Ausgangsbehörde statt. Trotz seiner Einstufigkeit gewährt es dem Bürger intensiven Rechtsschutz. Die im Awb niedergelegten Verfahrensregeln garantieren ein objektives ­Verfahren. Dabei wird dem Anspruch auf rechtliches Gehör große Bedeutung beigemessen. Das Streben nach Objektivität kommt vor allem bei der Verteilung der Aufgaben innerhalb des Vorverfahrens zum Ausdruck. So darf der für den Erlass des angefochtenen Bescheids verantwortliche Beamte nicht den Rechtsbehelf bearbeiten. Auch bei der Besetzung der unabhängigen Beratungskommission wird streng darauf geachtet, dass die Mitglieder der Kommission nicht am Erlass des Ausgangsbescheids beteiligt waren. Der Kommissionsvorsitzende darf nicht einmal der Ausgangsbehörde angehören. In der Praxis wird großer Wert darauf gelegt, dass diese gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Eine Missachtung führt zur Rechtswidrigkeit des Bescheids im Rechtsbehelfsverfahren und zu einer Zurückverweisung im sich daran anschließenden Klageverfahren. Dem Anspruch des Bürgers auf rechtliches Gehör wird in zweifacher Hinsicht genügt. Der Bürger hat sowohl in der Rechtsbehelfsschrift, als auch während einer obligatorischen mündlichen Anhörung die Möglichkeit, seine Einwände gegen die angefochtene Maßnahme vorzutragen. Vielfach steht der Ausgangsbehörde eine unabhängige Beratungskommission zur Seite. Die Kommission darf zwar nur einen Entscheidungsvorschlag unterbreiten. Weicht das Verwaltungsorgan hiervon aber ab, muss es das im Einzelnen begründen. Dieses Verfahren zwingt die Behörde, ihre Entscheidung genau zu überdenken. Wie im deutschen Widerspruchsverfahren nimmt die Behörde eine Recht- und Zweckmäßigkeitsprüfung vor. Der Gedanke des Gesetzgebers, dass die Ausgangsbehörde am besten wisse, welche Erwägungen zum Erlass der Maßnahme geführt haben, ist nachvollziehbar. Er erklärt die Entscheidung für die Einstufigkeit des Verfahrens in den Niederlanden. Die sich daraus ergebende geringere Intensität des Rechtsschutzes wird durch die Vielzahl der oben genannten Regelungen aufgefangen. Durch das Verbot der reformatio in peius wird der Bürger ermutigt, von seinem Recht auf Rechtsschutz Gebrauch zu machen. Denn er kann durch das Einlegen eines Rechtsbehelfs seine Rechtsposition nicht verschlechtern. Das allgemeine Vorverfahren in den Niederlanden weist eine hohe Regelungsdichte auf. Das Einhalten dieser Regeln unterliegt der Kontrolle durch die Gerichte. Daraus ergibt sich ein für den Bürger effektives Rechtsschutzinstrument.

3. Teil

Gerichtliche Verfahren Die Verwaltungsgerichte gewähren Rechtsschutz durch das erstinstanzliche Verfahren und die dagegen gerichteten ordentlichen und außerordentlichen Rechtsmittel. Da Rechtsbehelfe in den Niederlanden keine aufschiebende Wirkung entfalten,1 muss man, will man diese herstellen, ein Eilverfahren2 einleiten. Voraussetzung für dessen Zulässigkeit ist die Anhängigkeit des Hauptsacheverfahrens.

A. Das erstinstanzliche Klageverfahren Gem. art. 1:5 lid 3 Awb3 versteht man in den Niederlanden unter dem Einreichen einer Klage (beroep) sowohl den Antrag auf Durchführung eines besonderen Vorverfahrens4 als auch ein an das Verwaltungsgericht gerichtetes Rechtsschutzbegehren. Klagen darf derjenige, dessen Rechte durch eine Maßnahme der Verwaltung verletzt sind.5 Es findet ein kontradiktorisches Verfahren statt, in dem sich Bürger und Verwaltung gegenüber stehen.

I. Die Gesetzlichen Grundlagen Die Vorschriften zum verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren sind in den Kapiteln 6 und 8 des Awb normiert. Kapitel 6 bezieht sich dabei auf allgemeine Regelungen, die auch das Vorverfahren betreffen, während sich Kapitel 8 ausschließlich mit dem Klageverfahren befasst.6 1

Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht 2001, S. 237. Siehe dazu 3. Teil, E. 3 Art. 1:5 lid 3 Awb lautet: Onder het instellen van beroep wordt verstaan: het instellen van administratief beroep, dan wel van beroep bij een administratieve rechter.  – Unter dem Einreichen einer Klage versteht man: sowohl das Einleiten eines besonderen Vorverfahrens als auch das Einleiten eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. (Es handelt sich hierbei um zwei vollkommen verschiedene Rechtsschutzverfahren, die aber gleich bezeichnet werden. Der administratief beroep ist das besondere Vorverfahren, also ein Verwaltungsverfahren, während der beroep bij een administratieve rechter das verwaltungsgerichtliche Klageverfahren darstellt. Laut Kommentierung verwendet das Awb den Begriff „beroep“ als Sammelbegriff, van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 1:5 Nr. 4.) 4 Siehe im 2. Teil, E. II. 5 Siehe dazu die Ausführungen unter 2. Teil, B. 6 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Einleitung zu Kapitel 6 des Awb. 2

A. Das erstinstanzliche Klageverfahren

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II. Die Parteien Jeder Betroffene kann im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Partei sein. Der Kläger (appellant) und das Verwaltungsorgan (verweerder), das die angefochtene Maßnahme erlassen hat, sind in jedem Fall Partei.7 Häufig bleibt es aber nicht bei 2 Parteien. Gem. art. 8:26 lid 1 Awb8 kann der Richter andere Betroffene von Amts wegen laden oder auf Antrag als Partei zulassen.9 Die Vertretung des Klägers durch einen Rechtsanwalt oder Bevollmächtigten ist möglich aber nicht obligatorisch. Für die Verwaltung tritt, gem. art. 8:23 lid 1 Awb10, immer einer ihrer Beamten auf. Sie hat daneben, wie der Betroffene, die Möglichkeit einen Bevollmächtigten zu benennen.11 1. Die Rechte der Parteien im Prozess Die Parteien verfügen über umfangreiche Rechte im Prozess. Sie sind zur wirksamen Vornahme von Prozesshandlungen, wie dem Stellen von Anträgen und dem Vorlegen von Beweismitteln, berechtigt und dürfen an der mündlichen Verhandlung teilnehmen. Sie dürfen Zeugen und Sachverständige nach vorheriger Ankündigung auf eigene Initiative zum Termin mitnehmen, art. 8:60 lid 4 Awb12, haben jedoch keinen Anspruch darauf, dass der Richter diese tatsächlich anhört.13 Bevor der Richter die Sitzung schließt, haben sie das Recht eines letzten Wortes. Sie erhalten binnen 2 Wochen nach Urteilsverkündung eine kostenlose Abschrift des Urteils.14 7

Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 195. Art. 8:26 lid 1 Awb lautet: De rechtbank kan tot de sluiting van het onderzoek ter ­zitting ambtshalve, op verzoek van een partij of op hun eigen verzoek, belanghebbenden in de gelegen­ heid stellen als partij aan het geding deel te nemen. – Bis zum Schluss der Untersuchung in der mündlichen Verhandlung kann das Gericht von amtswegen auf Antrag einer Partei oder auf eigenen Antrag Betroffenen die Gelegenheit bieten, als Partei an dem Rechtsstreit teilzunehmen. (Nach deutschem Recht – eine Beiladung.) 9 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 196. 10 Art. 8:23 lid 1 Awb lautet: Een bestuursorgaan dat een college is, wordt in het geding vertegenwoordigd door een of meer door het bestuursorgaan aangewezen leden. – Das Verwaltungsorgan, das ein Kollegium ist, wird im Prozess durch eines oder mehrere durch das Verwaltungsorgan angewiesene Mitglieder vertreten. 11 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 196. 12 Art. 8:60 lid 4 Awb lautet: Partijen kunnen getuigen en deskundigen meebrengen of bij aangetekende brief of deurwaardersexploit oproepen, mits daarvan uiterlijk een week voor de dag van de zitting aan de rechtbank en aan de andere partijen mededeling is gedaan, met vermelding van namen en woonplaatsen. Op deze bevoegdheid worden partijen in de uitnodiging, bedoeld in artikel 8:56, gewezen. – Parteien können Zeugen und Sachverständige mitbringen oder durch eingeschriebenen Brief oder den Gerichtsvollzieher laden, vorausgesetzt sie haben dies eine Woche vor dem Tag der mündlichen Verhandlung dem Gericht und den anderen Parteien einschließlich des Namens und der Adresse mitgeteilt. Auf diese Berechtigung werden die Parteien in der Ladung gem. art. 8:56 hingewiesen 13 Marseille, De zitting bij de bestuursrechter, 2009, S. 12. 14 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 196. 8

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

2. Die Pflichten der Parteien im Prozess Die Parteien haben prozessuale Verpflichtungen, wie das Mitwirken an der Aufklärung des Sachverhalts, bei Aufruf vor Gericht zu erscheinen, oder einem Sachverständigen zuzuarbeiten.15 Die Einsicht in bestimmte Akten muss nur in den Grenzen des art. 8:29 Awb16 gewährt werden. Der Betroffene kann die Einsichtnahme verweigern oder sie ausschließlich dem Gericht zugestehen, wenn im konkreten Fall wichtige Gründe, die die Geheimhaltung des Akteninhaltes erfordern, vorliegen.17 Das Nichteinhalten prozessualer Verpflichtungen ist mit nachteiligen Folgen verbunden. Kommt eine Partei, ohne wichtigen Grund, der Aufforderung persönlich zu erscheinen, Akten vorzulegen oder an der Aufklärung der Tatsachen mitzuarbeiten, nicht nach, darf der Richter gem. art. 8:31 Awb18 daraus seine Schlüsse ziehen.19 Er kann bestimmte Umstände zum Nachteil der säumigen Partei auslegen.20 Nach den Gesetzesmaterialen besteht sogar die Möglichkeit, bei Missachtung der Weisungen des Gerichts durch die Ausgangsbehörde, der Klage stattzugeben. Gleichzeitig ergeht eine Kostenentscheidung zu deren Lasten.21 Im Fall des Klägers kann es zur Abweisung der Klage, einschließlich der entsprechenden Kostenentscheidung, kommen.22 Bevor das Gericht in diesem Sinne entscheidet, muss es der betroffenen Partei allerdings die Gelegenheit geben, das Versäumte nachzuholen oder den Grund für das Versäumnis darzulegen.23

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Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 197. Art. 8:29 lid 1 Awb lautet: Partijen die verplicht zijn inlichtingen te geven dan wel ­stukken over te leggen, kunnen, indien daarvoor gewichtige redenen zijn, het geven van inlichtingen dan wel het overleggen van stukken weigeren of de rechtbank mededelen dat uitsluitend zij kennis zal mogen nemen van de inlichtingen onderscheidenlijk de stukken. – Parteien, die verpflichtet sind, Auskünfte zu erteilen und Akten vorzulegen, können bei Vorliegen wichtiger Gründe, Auskunftserteilung und Aktenvorlage verweigern oder dem Gericht mitteilen, dass ausschließlich ihm die Auskünfte und Akten zur Kenntnis gebracht werden. 17 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Trache, 1994, MvT, S. 417. 18 Art. 8:31 Awb lautet: Indien een partij niet voldoet aan de verplichting te verschijnen, inlichtingen te geven, stukken over te leggen of mee te werken aan een onderzoek als bedoeld in artikel 8:47, eerste lid, kan de rechtbank daaruit de gevolgtrekkingen maken die haar geraden voorkomen. – Kommt eine Partei der Verpflichtung, zu erscheinen, Auskünfte zu erteilen, Akten vorzulegen oder an einer Untersuchung nach Artikel 8:47 lid 1 mitzuwirken, nicht nach, kann das Gericht daraus seine Schlüsse ziehen. 19 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:31 Nr. 3. 20 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 197. 21 ABRvS 09.10.1997, JB 1997, 270; Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Trache, 1994, MvT, S. 418. 22 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Trache, 1994, MvT, S. 419. 23 CRvB 27.07.2001, ABkort 2001, 543. 16

A. Das erstinstanzliche Klageverfahren

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III. Die statthaften Klagebegehren Das Niederländische Verwaltungsprozessrecht kennt den Begriff der statthaften Klageart nicht. Die Verwaltungsgerichte gewähren Rechtsschutz gegen Verwaltungsmaßnahmen (besluit), die art. 1:3 lid 1 Awb als schriftliche Verfügung einer Behörde, die eine öffentlich-rechtliche Rechtshandlung enthält, definiert. Das bedeutet, dass tatsächliche Handlungen, soweit sie nicht durch art. 8:1 lid 2 und 3 Awb den Verwaltungsmaßnahmen gleichgestellt sind,24 nicht in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte fallen. Das gleiche gilt, wenn die Verwaltung privatrechtlich tätig wird.25 Das statthafte Klagebegehren richtete sich nach dem Ziel der Klage. Ziel kann zum einen ausschließlich die Aufhebung der angefochtenen Maßnahme sein, zum anderen kommt die Aufhebung der angefochtenen und Verpflichtung zum Erlass der begehrten Maßnahme in Betracht sowie der Rechtsschutz bei Untätigkeit der Verwaltung. 1. Anfechtungsbegehren Alle Klagebegehren richten sich zunächst auf die Beseitigung der angefochtenen Maßnahme. Soweit ein Vorverfahren durchzuführen war, ist der dort erlassenen Bescheid Gegenstand des Klageverfahrens.26 Beim Anfechtungsbegehren geht es ausschließlich um die Beseitigung der angegriffenen Maßnahme. 2. Verpflichtungsbegehren Das Niederländische Verwaltungsprozessrecht erkennt neben dem Anfechtungsauch ein Verpflichtungsbegehren an. Art. 6:2 a. Awb27 erklärt die Vorschriften für Vor- und Klageverfahren auf die schriftliche Weigerung, eine Maßnahme zu erlassen, für anwendbar. Stellt das Gericht fest, dass auf einen Antrag zu Unrecht ein ablehnender Bescheid ergangen ist, hebt es diesen auf und entscheidet gem.

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Siehe dazu im 2. Teil, C. van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:1 Nr. 2 b). 26 ABRvS 24.01.1995, JB 1995, 101. 27 Art. 6:2 Awb lautet: Voor de toepassing van wettelijke voorschriften over bezwaar en beroep worden met een b­ esluit gelijkgesteld: a. de schriftelijke weigering een besluit te nemen, en b. … Mit Blick auf die Anwendbarkeit der gesetzlichen Vorschriften für das allgemeine Vorverfahren und die Klage werden mit einer Verwaltungsmaßnahme gleichgestellt: a. die schriftliche Weigerung eine Verwaltungsmaßnahme zu erlassen, und b. … 25

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

art. 8:72 lid 4 Awb28 entweder, dass die Behörde eine Maßnahme, die dem Antrag entspricht zu erlassen hat, oder dass die gerichtliche Entscheidung an die Stelle des angefochtenen Verwaltungsaktes tritt. Letzteres kann sowohl von Amts wegen als auch auf Antrag einer Partei erfolgen.29 3. Untätigkeit der Verwaltung Die Untätigkeit eines Verwaltungsorgans hinsichtlich einer vom Amts wegen zu erlassenden Maßnahme wird gem. art. 6:2 b. Awb30 im Wege der Fiktion einem ablehnenden Bescheid gleichgestellt, der einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist,31 so dass m. E. auch hier ein Anfechtungsbegehren vorliegt. Eine Untätigkeit kann frühestens nach Ablauf einer Frist von 8 Wochen nach Einreichen des Antrages angenommen werden. Maßgeblich ist art. 4:13 Awb32, der der Verwaltung diesen Zeitraum zur Bearbeitung eines Antrags einräumt.33

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Art. 8:72 lid 4 Awb lautet: Indien de rechtbank het beroep gegrond verklaart, kan zij het bestuursorgaan opdragen een nieuw besluit te nemen of een andere handeling te verrichten met inachtneming van haar uitspraak, dan wel kan zij bepalen dat haar uitspraak in de plaats treedt van het vernietigde besluit of het vernietigde gedeelte daarvan. – Erklärt das Gericht die Klage für begründet, kann es dem Verwaltungsorgan aufgeben, eine neue Maßnahme zu erlassen oder eine andere Handlung unter Berücksichtigung der Entscheidung des Gerichts vorzunehmen, oder es kann bestimmen, dass seine Entscheidung an die Stelle der aufgehobenen Maßnahme oder des aufgehobenen Teils der Maßnahme tritt. 29 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:72 Nr. 6 b); Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Trache, 1994, MvT, S. 175. 30 Art. 6:2 Awb lautet: … b. het niet tijdig nemen van een besluit. – … b. eine unangemessene Verzögerung beim Erlass einer Verwaltungsmaßnahme. 31 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 6:2 Nr. 3; Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Trache, 1993, MvT, S. 283. 32 Art. 4:13 Awb lautet: 1. Een beschikking dient te worden gegeven binnen de bij wettelijk voorschrift bepaalde termijn of, bij het ontbreken van zulk een termijn, binnen een redelijke termijn na ontvangst van de aanvraag. 2. De in het eerste lid bedoelde redelijke termijn is in ieder geval verstreken wanneer het bestuursorgaan binnen acht weken na ontvangst van de aanvraag geen beschikking heeft gegeven, noch een mededeling als bedoeld in artikel 4:14, derde lid, heeft gedaan. 1. Eine Verfügung hat binnen des gesetzlich bestimmten Termins zu ergehen oder falls ein derartiger Termin fehlt binnen einer angemessenen Zeit nach Zugang des Antrags. 2. Der in Absatz 1 bezeichnete angemessene Zeitraum ist in jedem Fall verstrichen, wenn die Behörde innerhalb von 8 Wochen nach Zugang des Antrags weder eine Verfügung erlassen hat noch eine Mitteilung i. S. d. Artikels 4:14 Abs. 3gemacht hat. 33 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Trache, 1993, MvT, S. 286.

A. Das erstinstanzliche Klageverfahren

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Nach der am 01. Oktober 2009 in Kraft getretenen Gesetzesänderung muss der Betroffene die Verwaltung nunmehr gem. art. 6:12 lid 2 Awb34 schriftlich in Verzug setzen, bevor er eine Untätigkeitsklage anhängig machen kann.

IV. Fristen Die Rechtsbehelfsfrist im Vor- wie im Klageverfahren beträgt gem. art. 6:7 Awb35 jeweils 6 Wochen. Sie ist zwingend einzuhalten.36 Es handelt sich nach deutschem Rechtsverständnis also um Notfristen. Ausnahmen werden nur aufgrund eines formellen Gesetzes, wie z. B. des Ausländergesetzes (Vreemdelingen­ wet 2000), das in seinem art. 69 lid 137 die Frist auf vier Wochen verkürzt, zugelassen.38 Fällt der letzte Tag der Frist auf einen Samstag, Sonn- oder allgemein anerkannten Feiertag endet diese an dem nächsten darauf folgenden Werktag.39 1. Beginn des Fristenlaufs Der Fristenlauf beginnt am Tag nach der Bekanntgabe der Verwaltungsmaßnahme, art. 6:8 lid 1 Awb.40 Gem. art. 3:41 Awb41 gilt die Bekanntgabe als vollzogen, wenn die Maßnahme die Einflusssphäre der Verwaltung verlassen hat.42 Der 34

Art. 6:12 lid 2 Awb lautet: Het beroepschrift kan worden ingediend zodra: a. het bestuursorgaan in gebreke is tijdig een besluit te nemen, en b. twee weken zijn verstreken na de dag waarop belanghebbende het bestuursorgaan schriftelijk heeft medegedeeld dat het in gebreke is. Die Klageschrift kann eingereicht werden sobald a. das Verwaltungsorgan mit dem Erlass einer Maßnahme im Verzug ist, und b. zwei Wochen vergangen sind seit dem Tag, an dem der Betroffene dem Verwaltungsorgan mitgeteilt hat, dass es im Verzug ist. 35 Siehe dazu 2. Teil, E. I. 3. a). 36 Helder/Kuipers, Beroep bij de bestuursrechter, 2002, S. 22. 37 Art. 69 lid 1 Ausländergesetz lautet: In afwijking van artikel 6:7 van de Algemene wet bestuursrecht bedraagt de termijn voor het indienen van een bezwaar- of beroepschrift vier weken. – Abweichend von Artikel 6:7 des Allgemeinen Verwaltungsrechts sind Rechtsbehelfsschriften im Vor- und Klageverfahren binnen einer Frist von 4 Wochen einzureichen. 38 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 6:7 Nr. 1. 39 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 146. 40 Art. 6:8 lid 1 Awb lautet: De termijn vangt aan met ingang van de dag na die waarop het besluit op de voorgeschreven wijze is bekendgemaakt. – Die Frist beginnt mit Beginn des Tages an, dem die Maßnahme auf die vorgeschriebene Weise bekannt gemacht wurde. 41 Art. 3:41 lid 1 Awb lautet: De bekendmaking van besluiten die tot een of meer belang­ hebbenden zijn gericht, geschiedt door toezending of uitreiking aan hen, onder wie begrepen de aanvrager. – Die Bekanntgabe von Maßnahmen, die sich an einen oder mehrere Betroffene richten, erfolgt durch Zusendung oder Übergabe an dieselben, ebenso wie an den Antragsteller. 42 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 6:7 Nr. 1.

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

ordnungsgemäße Zugang wird einen Tag nach dem Versand, der gewöhnlich per Post erfolgt, unterstellt, ungeachtet dessen, ob und wann die Maßnahme den Adressaten tatsächlich erreicht.43 Art. 6:8 lid 3 Awb44 enthält eine Ausnahme von dieser Regelung. Die Vorschrift bezieht sich auf genehmigungsbedürftige Maßnahmen. Sie verlegt den Beginn der Frist auf den Tag, der dem, an dem die Genehmigung erteilt wurde, folgt. 2. Fristen bei Untätigkeit der Verwaltung Bei Untätigkeit der Verwaltung gem. art. 6:2 b. Awb ist das Ergreifen eines Rechtsbehelfs nicht an eine Frist gebunden. Allerdings dürfen die Rechtsbehelfsschrift in Vorverfahren oder Klage nicht unangemessen spät eingereicht werden, art. 6:12 Awb45.46 Eine unangemessene Verspätung bejahte die ABRvS47 in einer 43

ABRvS 14.03.1996, AB 1997, 54. Art. 6:8 lid 3 Awb lautet: De termijn voor het indienen van een beroepschrift tegen een besluit dat aan goedkeuring is onderworpen, vangt aan met ingang van de dag na die waarop het besluit, inhoudende de goedkeuring van dat besluit, op de voorgeschreven wijze is bekendgemaakt. – Die Frist für die Abgabe einer Klageschrift gegen eine genehmigungsbedürftige Maßnahme, beginnt mit dem Tag, der dem Tag, an dem die Genehmigung der Maßnahme in der vorgeschriebenen Weise bekannt gegeben worden ist, folgt. 45 Art. 6:12 Awb lautet: 1. Indien het beroep is gericht tegen het niet tijdig nemen van een besluit dan wel het niet tijdig bekendmaken van een van rechtswege verleende beschikking, is het niet aan een termijn gebonden. 2. Het beroepschrift kan worden ingediend zodra: a. het bestuursorgaan in gebreke is tijdig een besluit te nemen of een van rechtswege verleende beschikking bekend te maken, en b. twee weken zijn verstreken na de dag waarop belanghebbende het bestuursorgaan schriftelijk heeft medegedeeld dat het in gebreke is. 3. Indien redelijkerwijs niet van de belanghebbende kan worden gevergd dat hij het bestuurs­ orgaan in gebreke stelt, kan het beroepschrift worden ingediend zodra het bestuursorgaan in gebreke is tijdig een besluit te nemen. 4. Het beroep is niet-ontvankelijk indien het beroepschrift onredelijk laat is ingediend. 44

1. Richten sich die Rechtsbehelfe dagegen, dass eine Maßnahme nicht innerhalb einer angemessenen Frist erlassen wurde, sind sie nicht an eine Frist gebunden. 2. Die Klageschrift kann eingereicht werden sobald a. das Verwaltungsorgan mit dem Erlass einer Maßnahme im Verzug ist, und b. zwei Wochen vergangen sind seit dem Tag, an dem der Betroffene dem Verwaltungsorgan mitgeteilt hat, dass es im Verzug ist. 3. Wenn von dem Betroffenen billigerweise nicht verlangt werden kann, dass er das Verwaltungsorgan in Verzug setzt, kann die Klageschrift eingereicht werden, ohne dass das Verwaltungsorgan zuvor in Verzug gesetzt wurde. 4. Die Klage ist unzulässig, wenn die Klageschrift mit unangemessener Verzögerung eingereicht wird. 46 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 6:12 Nr. 1. 47 ABRvS 15.01.2003, AB 2003, 221.

A. Das erstinstanzliche Klageverfahren

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Entscheidung aus dem Jahr 2003. Im Jahr 1996 beantragte der Kläger bei der zuständigen Behörde die Zuweisung eines Liegeplatzes oder Standplatzes. Er hörte darauf lange Zeit nichts. Im Jahr 2001 konnte er aus den Zuweisungen an andere ersehen, dass sein Antrag abgelehnt werden würde. Die Ablehnung erhielt er im August 2001. Er leitete ein allgemeines Vorverfahren ein. Die zuständige Behörde meinte, er habe in Anbetracht der Vorgeschichte – er hatte fünf Jahre nichts gehört – früher von seinen Rechtsschutzmöglichkeiten Gebrauch machen müssen, bereits nachdem ihm deutlich geworden war, dass er keine Zuweisung erhalten würde. Ein Zuwarten bis August 2001 sei unangemessen gewesen. Deshalb verwarf die Behörde den Rechtsbehelf als unzulässig. Die ABRvS stimmte dem zu. 3. Wahrung der Frist Für den Rechtsschutz, insbesondere für die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs, ist die Wahrung der Frist entscheidend. Das heißt, dass der Betroffene dafür zu sorgen hat, dass der Rechtsbehelf vor deren Ablauf bei der zuständigen Behörde oder dem zuständigen Gericht eingeht.48 Wird er auf dem Postweg eingelegt, so ist nach der sogenannten Versandtheorie ausreichend, das der Brief rechtzeitig abgeschickt wurde, art. 6:9 lid 2 Awb49. Als Beweis dient der Poststempel.50 Wer seinen Rechtsbehelf nach Schalterschluss in den Briefkasten wirft oder ihn am Abend des letzten Tages der Frist in den Briefkasten des Rathauses wirft, kann nicht beweisen, dass er den Rechtsbehelf rechtzeitig eingelegt hat.51 Daneben besteht die Möglichkeit, einen Rechtsbehelf per Telefax einzureichen. Zur Wahrung der Frist muss dieses nach der Versandtheorie vor 24.00 Uhr abgeschickt werden.52

48 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 6:9 Nr. 1. 49 Art. 6:9 Awb lautet: 1. Een bezwaar- of beroepschrift is tijdig ingedient indien het voor het einde van de termijn is ontvangen. 2. Bij verzending per post is een bezwaar- of beroepschrift tijdig ingediend indien het voor het einde van de termijn ter post is bezorgd, mits het niet later dan een week na afloop van de termijn is ontvangen.

1. Eine Rechtsbehelfsschrift im Vor- oder Klageverfahren ist rechtzeitig eingereicht, wenn sie vor Ablauf der Frist eingegangen ist. 2. Wird eine Rechtsbehelfsschrift im Vor- oder Klageverfahren mit der Post verschickt, gilt er als rechtzeitig eingelegt, wenn der Versandt vor Ablauf der Frist erfolgte und nicht später als eine Woche nach Fristende eingeht. 50 ABRvS 20.03.1979, AB 1979, 340; ABRvS 01.07.1985, AB 1986, 241; HR 29.05.1996, JB 1996, 171. 51 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 146. 52 ABRvS 16.05.2000, AB 2000, 325

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

4. Unverschuldete Säumnis Nach art. 6:11 Awb53 darf die Rechtsbehelfsfrist ausnahmsweise überschritten werden, wenn der Rechtsbehelfsführer nachweisen kann, dass ihn kein Verschulden an dem Versäumnis trifft. Das ist z. B. der Fall, wenn die Maßnahme nur dem Adressaten, nicht aber Dritten, deren Interessen ebenfalls berührt sind, bekannt gegeben wurde. Erfährt der Dritte erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist von der Maßnahme, kann ihm dies nicht entgegengehalten werden. Allerdings muss er den Rechtsbehelf dann zügig einlegen. Er hat nach Kenntnisnahme von der Maßnahme keine sechs Wochen Zeit.54 Urlaub und selbst ein Krankenhausaufenthalt werden im Allgemeinen nicht als Gründe für eine unverschuldete Säumnis anerkannt.55 5. Wahrung der Frist durch Einlegen eines Rechtsbehelfs „pro forma“ In schwierigen Angelegenheiten reicht die Frist von sechs Wochen unter Umständen zur Begründung eines Rechtsbehelfs nicht aus. Um Zeit zu gewinnen kann eine sogenannte Pro-forma-Beschwerde- oder Klageschrift eingereicht werden, in der man sich gegen eine bestimmte Maßnahme der Verwaltung wendet, dies kurz summarisch begründet und angibt, dass weitere Einlassungen folgen. Das Verwaltungsorgan (im Vorverfahren) oder der Richter (im Klageverfahren) bestimmt dann einen Termin, bis zu dem die weitere Begründung nachzureichen ist.56

V. Die Entscheidungsfindung Gem. art. 8:69 lid 1 Awb57 soll die Entscheidung auf der Grundlage des Vorbringens in der Klageschrift, den vorgelegten Urkunden und Beweismitteln, den Erkenntnissen der Voruntersuchung und der mündlichen Verhandlung ergehen.

53 Art. 6:11 Awb lautet: Ten aanzien van een na afloop van de termijn ingediend bezwaar- of beroepschrift blijft niet-ontvankelijkverklaring op grond daarvan achterwege indien redelijkerwijs niet kan worden geoordeeld dat de indiener in verzuim is geweest. – Angesichts eines nach Ablauf der Frist eingelegten Rechtsbehelfs ist davon abzusehen, diesen für unzulässig zu erklären, wenn es unbillig wäre, zu entscheiden, dass der Antragsteller säumig war. 54 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 151. 55 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 181. 56 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 181; Daalder/van Dun/de Waard, Bestuursprocesrecht, 2006, S. 69. 57 Art. 8:69 lid 1 Awb lautet: De rechtbank doet uitspraak op de grondslag van het beroepschrift, de overgelegde stukken, het verhandelde tijdens het vooronderzoek en het onderzoek ter zitting. – Das Gericht urteilt auf der Grundlage der Klageschrift, der vorgelegten Beweise, des Ergebnisses der Voruntersuchung und der mündlichen Verhandlung.

A. Das erstinstanzliche Klageverfahren

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1. Klageschrift Aus der Benennung der Klageschrift als Grundlage der Entscheidung folgt die Verpflichtung des Gerichts, die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme im Lichte der angeführten Klagegründe zu betrachten. Teile der Maßnahme, die in der Klageschrift nicht zur Diskussion gestellt werden, dürfen bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt werden.58 Gem. art. 6:5 lid 1 a. bis c. muss die Klageschrift (beroepschrift) als Mindestvoraussetzungen den Namen und die Adresse des Klägers, das Datum und eine Beschreibung der angefochtenen Maßnahme enthalten.59 Daneben fordert art. 6:5 lid 1 d. Awb eine Begründung des Rechtsbehelfs. Es ist jedoch unklar welcher Art und welchen Umfangs diese sein soll. Selbst die Materialien zum Awb enthalten keine näheren Informationen.60 Nach einhelliger Meinung dient sie der Entlastung des Gerichts. Sie soll dem Richter eine vollständige Überprüfung des Verwaltungshandelns ersparen. Daher ist nicht jeder Grund zugelassen.61 Vielmehr muss der Kläger genau angeben, welche tatsächlichen Angaben und rechtlichen Bewertungen der angefochtenen Maßnahme er nicht nachvollziehen kann. Dadurch soll das leichtfertige Einreichen einer Klage verhindert werden. Dennoch lässt sich hinsichtlich der Art und des Umfangs der angeführten Gründe nur eine grobe Linie festlegen. Sie müssen als Anknüpfungspunkte für eine gerichtliche Prüfung tauglich sein.62 2. Die vorgelegten Beweise Bei den vorgelegten Beweisen handelt es sich um die Akten der Parteien. Da­ neben können auch andere Schriftstücke wie z. B. Sachverständigengutachten oder schriftliche Ausführungen eines Arztes als Grundlage der Entscheidung dienen.63

58 Marseille, De bestuursrechter en diens vrijheid van actief naar lijdelijk,(en weer terug), Trema 2007, 423–431. 59 Siehe dazu im 2. Teil, E. I. 3. a) aa). 60 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Trache, 1993, MvT, S.286. 61 Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, deel I, 2002, S. 404. 62 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 654. 63 Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, deel I, 2002, S. 405.

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

3. Die Voruntersuchung Die Voruntersuchung ist in den Artikeln 8:42 bis 8:51 Awb normiert. Sie dient der Ermittlung der relevanten Tatsachen.64 Dabei kommt dem Verwaltungsrichter eine aktive Rolle zu. Er beherrscht das Verfahren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Deshalb nennt man ihn in den Niederlanden auch den dominus litis, den Herrn des Verfahrens.65 Er bestimmt dessen Ablauf und passt die vorzunehmenden Untersuchungen dem konkreten Fall an.66 Er entscheidet, dass z. B. Sachverständigengutachten einzuholen oder Zeugen zu befragen sind. Die Parteien können lediglich ihren Interessen entsprechende Anträge stellen, denen der Richter jedoch nicht folgen muss.67 Die Voruntersuchung umfasst den Austausch von Akten, das Einreichen von Stellungnahmen, die Einvernahme von Zeugen und das Benennen von Sachverständigen.68 Gem. art. 8:42 lid 1 Awb69 muss das beklagte Verwaltungsorgan binnen 4 Wochen eine Klageerwiderung einreichen und die Verwaltungsakten vorlegen. Teilweise werden die Parteien zur Anhörung vorgeladen oder gebeten eine Stellungnahme abzugeben. Die nicht geladene Partei darf der Anhörung beiwohnen und anschließend eine Stellungnahme abgeben, art. 8:44 lid 1 Awb70. Teilweise beschränkt sich der Richter auch auf das Einholen schriftlicher Stellungnahmen der Parteien und anderer, art. 8:45 lid 1 Awb71. Die Benennung eines Sachverständigen erfolgt unter Angabe des Themas des zu erstellenden Gut­achtens und einer 64 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Afdeling 8.2.2, inleidende opmeringen, Nr. 1; Daalder/van Dun/de Waard, Bestuursprocesrecht, 2006, S. 87. 65 Boon/Reijntjes/Rinkes, Inleiding tot de studie van het Nederlands recht, 2003, S. 382. 66 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 627; Helder/Kuipers, Beroep bij de bestuursrechter, 2002, S. 24. 67 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 198. 68 Siehe dazu die Ausführungen im 4. Teil, A. I. 4. a) bb). 69 Art. 8:42 lid 1 Awb lautet: Binnen vier weken na de dag van verzending van het beroep­ schrift aan het bestuursorgaan zendt dit de op de zaak betrekking hebbende stukken aan de rechtbank en dient het een verweerschrift in. – Binnen einer Frist von 4 Wochen nach Versand der Klageschrift an das Verwaltungsorgan sendet dieses die die Angelegenheit betreffenden Verwaltungsakten an das Gericht und reicht eine Klageerwiderung ein. 70 Art. 8:44 lid 1 Awb lautet: De rechtbank kan partijen oproepen om in persoon dan wel in persoon of bij gemachtigde te verschijnen om te worden gehoord, al dan niet voor het geven van inlichtingen. Indien niet alle partijen worden opgeroepen, worden de niet opgeroepen partijen in de gelegenheid gesteld het horen bij te wonen en een uiteenzetting over de zaak te geven. – Das Gericht kann Parteien persönlich aber auch ihren Vertreter zu einer Anhörung jedoch nicht zu einer Befragung laden. Sind nicht alle Parteien geladen, wird den nicht geladenen Parteien die Gelegenheit gegeben, der Anhörung beizuwohnen und eine Einlassung zur Sache abzu­ geben. 71 Art. 8:45 lid 1 Awb lautet: De rechtbank kan partijen en anderen verzoeken binnen een door haar te bepalen termijn schriftelijk inlichtingen te geven en onder hen berustende stukken in te zenden. – Das Gericht kann Parteien und andere ersuchen, binnen einer von ihm zu bestimmenden Frist schriftlich Auskunft zu erteilen und ihm bei ihnen verwahrte Akten zuzuleiten.

A. Das erstinstanzliche Klageverfahren

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Frist binnen derer dieses schriftlich vorzulegen ist, art. 8:47 lid 1 Awb72. Der Sachverständige ist zur Neutralität verpflichtet, art. 8:34 lid 1 Awb73, die Parteien zur Mitwirkung, art. 8:30 Awb74, soweit dies notwendig ist. Eine Untersuchung von Marseille im Jahr 2004 ergab, dass sich die Verwaltungsrichter derzeit relativ passiv verhalten. Während bis zur Mitte der 90iger Jahre vor allem bei sozialrechtlichen Klagen automatisch ein Sachverständiger eingeschaltet wurde, kommt das heute nur noch in 2 bis 3 % der Fälle vor.75 Von der Möglichkeit, bestimmte Akten anzufordern wird in 15 % der Fälle Gebrauch gemacht, das Fragerecht in 12 % der Fälle genutzt,76 sodass es heute weitgehend den Parteien obliegt, alle relevanten Fakten vorzutragen. 4. Die Erkenntnisse der mündlichen Verhandlung An die Voruntersuchung schließt sich die mündliche Verhandlung an. Sie soll den Parteien die Gelegenheit bieten, ihren Standpunkt noch einmal zu verdeutlichen.77 Die Ladungsfrist beträgt mindestens 3 Woche, art. 8:56 Awb78. Sofern die Parteien zustimmen, kann der Richter auf die mündliche Verhandlung verzichten. Soll diese stattfinden, können die Parteien bis zu 10 Tagen vorher weitere Akten und Schriftstücke vorlegen, art. 8:58 Awb79. In der Ladung wird auf diese Möglich-

72 Art. 8:47 lid 1 Awb lautet: De rechtbank kan een deskundige benoemen voor het instellen van een onderzoek. – Das Gericht kann einen Sachverständigen zur Durchführung einer Unter­ suchung benennen. 73 Art. 8:34 lid 1 Awb lautet: De deskundige die zijn benoeming heeft aanvaard, is verplicht zijn opdracht onpartijdig en naar beste weten te vervullen. – Der Sachverständige, der seine Benennung annimmt, ist verpflichtet seinen Auftrag unparteilich und nach bestem Wissen zu er­ füllen. 74 Art. 8:30 Awb lautet: Partijen zijn verplicht mee te werken aan een onderzoek als bedoeld in artikel 8:47, eerste lid. Partijen worden hierop gewezen, alsmede op artikel 8:31. – Die Parteien sind zur Mitwirkung an einer Untersuchung i. S. d. Artikel 8:47 lid 1 verpflichtet. Parteien werden hierauf hingewiesen, gem. Artikel 8:31. 75 Marseille, Effectiviteit van bestuursrechtspraak, 2004, S. 78. 76 Marseille, De bestuursrechter en diens vrijheid, TREMA 2007, S. 423 (425). 77 Marseille, De zitting bij de bestuursrechter, 2009, S. 23. 78 Art. 8:56 Awb lautet: Na afloop van het vooronderzoek worden partijen ten minste drie weken tevoren uitgenodigd om op een in de uitnodiging te vermelden plaats en tijdstip op een zitting van de rechtbank te verschijnen. – Nach Beendigung der Voruntersuchung werden die Parteien zu einem in der Ladung anzugebenden Termin zur mündlichen Verhandlung bei Gericht geladen. Die Ladungsfrist beträgt mindestens 3 Wochen. 79 Art. 8:58 Awb lautet: 1. Tot tien dagen voor de zitting kunnen partijen nadere stukken indienen. 2. Op deze bevoegdheid worden partijen in de uitnodiging, bedoeld in artikel 8:56, gewezen.

1. Bis 10 Tage vor der mündlichen Verhandlung dürfen die Parteien weitere Schriftstücke einreichen. 2. Auf diese Befugnis werden die Parteien in der Ladung gemäß Artikels 8:56 hingewiesen.

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

keit hingewiesen.80 Nach der Rechtsprechung muss es sich dabei um Schriftstücke handeln, die geeignet sind, die vorgetragenen Klagegründe zu erhärten.81 Die Teilnahme an der Sitzung ist für die Parteien nicht obligatorisch. Der Richter kann das persönliche Erscheinen allerdings anordnen. Er kann weiterhin Zeugen, Sachverständige und Dolmetscher laden. Die Parteien dürfen selbst Zeugen oder Sachverständige benennen. Dies muss dem Gericht allerdings bis spätestens eine Woche vor der mündlichen Verhandlung mitgeteilt werden.82 Die Sitzung ist aus Gründen der Kontrolle des Gerichts grundsätzlich öffentlich. Gem. art. 8:62 Awb kann der Richter jedoch bestimmen, dass die Untersuchung ganz oder teilweise hinter geschlossenen Türen stattfindet, wenn dies im Interesse der öffentlichen Ordnung und der guten Sitten oder im Interesse der Staatssicherheit notwendig erscheint. Auch die Interessen Minderjähriger und die Privatsphäre der Parteien gelten als besonders schutzwürdig. Die Öffentlichkeit wird weiterhin die Teilnahme versagt, wenn dies nach Auffassung des Richters dem Interesse einer ordnungsgemäßen Rechtspflege ernsthaft schadet. Die letztgenannte Möglichkeit dient als Auffangtatbestand. Entscheidend ist, dass ein schwerwiegender Schaden droht.83 Die Gerichte nehmen das z. B. an, wenn medizinische Fakten, die eine Partei betreffen, in der Sitzung besprochen werden. Allerdings obliegt auch in diesem Fall die Beurteilung darüber, ob die Öffentlichkeit zugelassen wird, dem Richter.84 Auch die mündliche Verhandlung liefert meist keine umfassende Untersuchung der Tatsachen, obwohl das nach der Gesetzeslage möglich wäre.85 Nur in 5 % aller Fälle ist das persönliche Erscheinen der Parteien angeordnet. Die Sitzung beginnt mit einer Erörterung des Sach- und Streitstandes, so wie die Parteien ihn vorgetragen haben. Teilweise stellt der Richter im Anschluss noch einige Fragen. Im Großen und Ganzen entscheidet er aber anhand der in der Voruntersuchung gewonnen Erkenntnisse.86 Falls notwendig, kann der Richter nach Abschluss der mündlichen Verhandlung noch einmal in die Untersuchung eintreten, art. 8:68 Awb87. Daneben kann er in 80

ABRvS, 14.03.2005, nr. 200409003/1;van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Co mmentaar, 2009, art. 8:58 Nr. 3; Daalder/van Dun/de Waard, Bestuursprocesrecht, 2006, S. 90. 81 ABRvS 22.11.2005, AB 2006, 14. 82 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 637. 83 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 638. 84 CRvB 28.01.1998, AB 1998, 168. 85 Dazu im 4. Teil, A. I. 4. 86 Marseille, De bestuursrechter en diens vrijheid, TREMA 2007, S. 423 (426). 87 Art. 8:68 lid 1 Awb lautet: Indien de rechtbank von oordeel ist dat het onderzoek niet volledig is geweest, kann zij het heropenen. De rechtbank bepaalt daarbij op welke wijze het onderzoek wordt vorrtgezet. – Ist das Gericht der Auffassung die Untersuchung sei unzureichend gewesen, kann es diese wieder öffnen. Das Gericht bestimmt dabei auf welche Weise die Untersuchung fortgesetzt wird.

A. Das erstinstanzliche Klageverfahren

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seinem Urteil bestimmen, dass die Untersuchung für eine Entscheidung über den Schadensersatz noch einmal eröffnet wird, art. 8:73 Awb88.

VI. Die Entscheidung Die Urteilsverkündung kann mündlich oder schriftlich erfolgen, art. 8:66 lid 1 Awb89. Eine mündliche Urteilsverkündung kann sich unmittelbar an die mündliche Verhandlung anschließen, muss aber spätestens eine Woche nach deren Abschluss ergehen, art. 8:67 lid 1 Awb90, die schriftliche spätestens sechs Wochen nach Abschluss der Untersuchung. Das Urteil besteht immer aus der Urteilsformel und den Gründen.91 1. Urteilsformel Je nach Ergebnis der richterlichen Überprüfung stehen dem Gericht gem. art. 8:70 Awb92 vier Urteilsformeln zur Verfügung. Das Gericht kann sich für unzuständig erklären, die Klage als unzulässig oder unbegründet abweisen oder ihr als begründet stattgeben.

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Art. 8:73 lid 2 Awb lautet: Indien de rechtbank de omvang van de schadevergoeding bij haar uitspraak niet of niet volledig kann vaststellen, bepaalt zij in haar uitspraak dat ter voorbereiding van een nadere uitspraak daarover het onderzoek wordt heropend. De rechtbank bepaalt daarbij op welke wijze het onderzoek wordt voortgezet. – Kann das Gericht den Umfang des Schadens zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung nicht oder nicht vollständig feststellen, bestimmen es in seinem Urteil dass zur Vorbereitung eines weiteren Urteils die Untersuchung wieder eröffnet werden kann. Das Gericht bestimmt dabei auf welche Weise die Untersuchung fort­ gesetzt wird. 89 Art. 8:66 lid 1 Awb lautet: Tenzij mondeling uitspraak wordt gedaan, doet de rechtbank binnen zes weken na de sluiting van het onderzoek schriftelijk uitspraak. – Sofern die Urteilsverkündung nicht mündlich erfolgt, ergeht binnen sechs Wochen nach Abschluss der Unter­ suchung ein schriftliches Urteil durch das Gericht. 90 Art. 8:67 lid 1 Awb lautet: De rechtbank kan na de sluiting van het onderzoek ter zitting onmiddellijk mondeling uitspraak doen. De uitspraak kan voor ten hoogste een week worden verdaagd onder aanzegging aan partijen van het tijdstip van de uitspraak. – Das Gericht kann unmittelbar im Anschluss an die mündliche Verhandlung das Urteil verkünden. Das Urteil kann höstens eine Woche vertagt werden. Hierbei bedarf es einer Mittelung an die Parteien hinsichtlich des Zeitpunktes der Verkündung. 91 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:67 Nr. 3, art. 8:77 Nr. 2. 92 Art. 8:70 Awb lautet: De uitspraak strekt tot: a. onbevoegdverklaring van de rechtbank, b. niet-ontvankelijkverklaring van het beroep, c. ongegrondverklaring van het beroep, of d. gegrondverklaring van het beroep.

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

a) Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts Das angerufene Gericht klärt die Frage seiner Zuständigkeit anhand der Vorschriften der Abteilung 8.1.1 des Awb93. Stellt es seine Unzuständigkeit fest, hängt das weitere Verfahren davon ab, ob es sich um eine absolute oder eine re­lative Unzuständigkeit handelt. aa) Absolute Unzuständigkeit Eine absolute Unzuständigkeit liegt vor, wenn der Verwaltungsrechtsweg für den Klagegegenstand nicht eröffnet ist. Auf Grund der Vorschriften der Ab­teilung 8.1.1 Awb kann vor den Verwaltungsgerichten grundsätzlich nur gegen Verwaltungsmaßnahmen und ihnen gleichgestellte Handlungen geklagt werden. Wendet sich der Kläger gegen ein anderweitiges Verhalten der Verwaltung oder eine nicht klagbare Maßnahme, wie z. B. eine allgemein verbindliche Vorschrift nach art. 8:2 a. Awb, erklärt das Gericht seine Unzuständigkeit. Kommt es im Zuge seiner Untersuchung zu der Erkenntnis, dass das Zivilgericht angerufen werden muss, führt es dies in seinem Urteil aus. Gem. art. 8:71 Awb94 ist die Entscheidung für das Zivilgericht bindend. Dadurch wollte man einer erneuten Verweisung vorbeugen und verhindern, dass sich das Verfahren weiter in die Länge zieht.95 bb) Relative Unzuständigkeit Ansatzpunkt für eine relative Unzuständigkeit ist das durch das angerufene Gericht bearbeitete Rechtsgebiet. Fällt die angegriffene Maßnahme in den Zuständigkeitsbereich eines besonderen Verwaltungsgerichts, ist die verwaltungsrechtliche Abteilung der „rechtbank“96 nicht zuständig. Die relative UnzustänAls Urteilsformel kommt in Betracht: a. Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts, b. Unzulässigkeit der Klage, c. Unbegründetheit der Klage, d. Begründetheit der Klage. 93 Abteilung 8.1.1 Awb trägt den Titel „Zuständigkeit“. Sie enthält die Vorschriften zu den allgemeinen und besonderen Zuständigkeiten. 94 Art. 8:71 Awb lautet: Voor zover uitsluitend een vordering bij de burgerlijke rechter kann worden ingesteld, wordt dit in de uitspraak vermeld. De burgerlijke rechter is aan die beslissing gebonden. – Soweit ausschließlich Klage vor dem Zivilgericht erhoben werden kann, erwähnt die Entscheidung dies. Das Zivilgericht ist an diesen Beschluss gebunden. 95 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 145; Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Trache, 1994, MvT, S. 465. 96 Erstinstanzliches Gericht – zuständig für Zivil-, Straf- und allgemeine Verwaltungsangelegenheiten.

A. Das erstinstanzliche Klageverfahren

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digkeit führt gem. art. 6:15 Awb immer zu einer Verweisung an das zuständige Gericht.97 b) Unzulässigkeit der Klage Eine Klage ist unzulässig, wenn die Sachurteilsvoraussetzungen nicht vorliegen. Ein derartiger Mangel wäre z. B. die mangelnde Klagebefugnis des Klägers, wenn die Gerichtsgebühren nicht eingezahlt wurden oder die Klagefrist abgelaufen ist. Auch das Fehlen einer Begründung der Klageschrift oder das unberechtigte Absehen von einem Vorverfahren führt zur Unzulässigkeit der Klage. In diesen Fällen darf das Gericht keine Sachentscheidung treffen.98 c) Unbegründetheit der Klage Das Gericht entscheidet auf Unbegründetheit der Klage, wenn weder tatsäch­liche noch rechtliche Gründe für eine Rechtswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen.99 Dabei ist laut den Materialien zum Awb nicht allein auf den Vortrag des Klägers abzustellen, sondern auch von Amts wegen zu prüfen.100 Der Vortrag des Klägers bestimmt allerdings grundsätzlich den Umfang der Kontrolle.101 d) Begründetheit der Klage Erachtet das Gericht die angefochtene Maßnahme aus einem oder mehreren Gründen als rechtswidrig und die Klage damit für begründet, hebt es den im Vorverfahren ergangenen Bescheid auf.102 Ein rein deklaratorischer Richterspruch ist 97 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:70 Nr. 3. 98 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:70 Nr. 4. 99 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 145. Siehe dazu im 4. Teil, A. I. und II. 100 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Trache, 1994, MvT, S. 465. 101 Siehe dazu die Ausführungen im 4. Teil, A. I. 102 Die Obergerichte heben die erstinstanzliche Entscheidung auf, z. B.: De Afdeling bestuursrchtspraak van de Raad van State; Recht doende in naam der Koningin: I. vernietigt de uitspraak van de arrondissementrechtbank te R… van …, reg no. …; II. … Die Abteilung Verwaltungsrechtsprechung beim Staatsrat; Recht sprechend im Namen der Königin: I. hebt die Entscheidung des Arrondissementgerichts zu R… vom … Az. …, auf; II. …

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

nicht zulässig. Er würde der Verwaltung die Entscheidung über die Rechtsfolgen überlassen.103 Deshalb enthält die Urteilsformel immer sogenannte Nebendicta, in denen das Gericht das weitere Vorgehen festlegt.104 Laut art. 8:72 lid 1 bis 5 Awb105 entscheidet es über das weitere Schicksal der Maßnahme und deren Rechtsfolgen, kann der Ausgangsbehörde den Auftrag zum Erlass einer neuen Maßnahme erteilen und Zwangsmittel androhen, falls sie die Vorgaben des Urteils nicht befolgt. Zudem hat es die Möglichkeit, seine eigene Entscheidung an die Stelle des Ausgangsbescheids zu setzen (zelf in de zaak voorzien)106. aa) Beseitigung der angefochtenen Maßnahme Das Gericht setzt zunächst die angefochtene Maßnahme rückwirkend ganz oder teilweise außer Kraft. Aufgehoben wird der im Vorverfahren ergangene Bescheid. Anders als im deutschen Recht bleibt der Ausgangsbescheid ebenso wie der ge 103 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:70 Nr. 2 a. 104 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 144. 105 Art. 8:72 Awb lautet: 1. Indien de rechtbank het beroep gegrond verklaart, vernietigt zij het bestreden besluit geheel of gedeeltelijk. 2. Vernietiging van een besluit of een gedeelte van een besluit brengt vernietiging van de rechtsgevolgen van dat besluit of van het vernietigde gedeelte daarvan mee. 3. De rechtbank kan bepalen dat de rechtsgevolgen van het vernietigde besluit of het vernietigde gedeelte daarvan geheel of gedeeltelijk in stand blijven. 4. Indien de rechtbank het beroep gegrond verklaart, kan zij het bestuursorgaan opdragen een nieuw besluit te nemen of een andere handeling te verrichten met inachtneming van haar uitspraak, dan wel kan zij bepalen dat haar uitspraak in de plaats treedt van het vernietigde besluit of het vernietigde gedeelte daarvan. 5. De rechtbank kan het bestuursorgaan een termijn stellen voor het nemen van een nieuw besluit of het verrichten van een andere handeling, alsmede zo nodig een voorlopige voorziening treffen. In het laatste geval bepaalt de rechtbank het tijdstip waarop de voorlopige voorziening vervalt.

1. Erklärt das Gericht die Klage für begründet, hebt es die angefochtene Maßnahme im Ganzen oder teilweise auf. 2. Die Beseitigung einer Maßnahme oder eines Teils davon zieht die Beseitigung der Rechtsfolgen der Maßnahme oder des aufgehobenen Teils nach sich. 3. Das Gericht kann bestimmen, dass die Rechtsfolgen der aufgehobenen Maßnahme oder des aufgehobenen Teils der Maßnahme im Ganzen oder teilweise erhalten bleiben. 4. Erklärt das Gericht die Maßnahme für begründet, kann es dem Verwaltungsorgan aufgeben, eine neue Maßnahme zu erlassen oder eine andere Handlung vorzunehmen und Beachtung des Urteils des Gerichtes, oder bestimmen, dass seine Entscheidung an die Stelle der aufgehobenen Maßnahme oder des aufgehobenen Teils davon tritt. 5. Das Gericht kann dem Verwaltungsorgan eine Frist für den Erlass der neuen Maßnahme oder die Vornahme einer anderen Handlung setzen oder eine einstweilige Anordnung treffen. In letzterem Fall bestimmt das Gericht den Zeitpunkt, an dem die einstweilige Anordnung außer Kraft tritt. 106 Siehe dazu nachfolgend unter dd) „Abhilfe durch das Gericht“.

A. Das erstinstanzliche Klageverfahren

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gen ihn gerichtete Rechtsbehelf bestehen.107 Eine gleichzeitige Beseitigung beider Maßnahmen ist nach der Rechtsprechung der ABRvS nicht möglich,108 so dass das Rechtsschutzverfahren nicht abgeschlossen ist, sondern lediglich auf den Stand des Vorverfahrens zurückfällt. Daraus schließt der Gesetzgeber, dass sich die Verwaltung dem Risiko einer Untätigkeitsklage aussetzt, wenn sie nicht so schnell wie möglich einen neuen Bescheid im Vorverfahren erlässt.109 Die Rechtsprechung teilt diese Auffassung.110 bb) Folgen der Beseitigung Mit der Beseitigung einer Maßnahme sind auch die mit ihr verbunden Rechtsfolgen rückwirkend außer Kraft zu setzen. Der Kläger ist so zu stellen, als habe es den Bescheid nie gegeben. Eine Ausnahme gilt im Baurecht. Nach ständiger Rechtsprechung der ABRvS kann die vorläufig erteilte Genehmigung für einen Flächennutzungsplan nicht rückwirkend widerrufen werden, wenn sie einer Baugenehmigung, die Gegenstand eines Rechtsstreits ist, als Grundlage diente. Das Außerkrafttreten des Flächennutzungsplans darf nach Auffassung der ABRvS keine Auswirkungen auf die noch nicht bestandskräftige Baugenehmigung haben.111 Ist die Baugenehmigung im Zeitpunkt des Außerkrafttretens des Flächennutzungsplans bereits bestandskräftig, bleibt sie automatisch unberührt.112 Die Aufhebung einer Maßnahme beseitigt deren tatsächlichen Folgen nicht. Nach der Rechtsprechung des Hohen Rates beeinflusst das Außerkraftsetzen lediglich die Rechtsfolgen.113 Eine Kompensation der tatsächlichen Folgen kann jedoch im Rahmen eines Schadensersatzes vorgenommen werden.114 cc) Erhalten der Rechtsfolgen Art. 8:72 lid 3 Awb ermöglicht dem Gericht zu entscheiden, dass die Rechtsfolgen der aufgehobenen Maßnahme erhalten bleiben. Dadurch können die Auswirkungen der Beseitigung der Maßnahme abgemildert werden.115 Das Gericht macht 107

ABRvS 23.03.1995, JB 1995, 104. ABRvS 04.06.1996, JB 1996, 172. 109 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Trache, 1994, MvT, S. 471. 110 ABRvS 13.08.1998, RAwb 1999, 23; ABRvS 26.06.2002, AB 2002, 397. 111 ABRvS 21.12.1999, AB 2000, 78; ABRvS 11.12.2002, JB 2002, 38. 112 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 146. 113 HR 28.02.1975, AB 1975, 128. 114 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Trache, 1994, MvT, S. 470; Siehe dazu auch die Ausführungen im Abschnitt zum Schadensersatz, 5. Teil. 115 ABRvS 11.05.2000, AB 2000, 480; van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:72 Nr. 4. 108

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

in erster Linie aus prozessökonomischen Gründen von dieser Möglichkeit Gebrauch, wenn es einer weiteren Entscheidung nicht bedarf. Das ist z. B. der Fall, wenn die Verwaltung einen Rechtsbehelf im Vorverfahren zu Unrecht als unzulässig und deshalb auch als unbegründet abgewiesen hat. Ferner kommt ein Erhalt der Rechtsfolgen aus tatsächlichen Gründen in Betracht, wenn z. B. eine angefochtene Baugenehmigung bereits zur Herstellung eines Bauwerks geführt hat, die Beseitigung also unmittelbar mit tatsächlichen Folgen verbunden wäre.116 Die Entscheidung über den Erhalt der Rechtsfolgen erfolgt ex nunc. Es muss von den Tatsachen und rechtlichen Vorschriften ausgegangen werden, die im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.117 dd) Abhilfe durch das Gericht Im Rahmen der Abhilfe durch das Gericht kann der Richter bestimmen, dass seine eigene Entscheidung an die Stelle der angefochtenen Entscheidung tritt. Durch dieses Rechtsinstitut soll er die Möglichkeit erhalten, zielgerichtet zu arbeiten. Dadurch, dass die Angelegenheit nicht an die Verwaltung zurückverwiesen werden muss, verkürzt sich die gesamte Verfahrensdauer beträchtlich. Die gerichtliche Entscheidung beendet die Diskussion darüber, wie der Bescheid geartet sein muss, der an die Stelle der aufgehobenen Maßnahme tritt.118 Zudem darf der Richter im Falle der Abhilfe durch das Gericht ausnahmsweise in Anwendung des art. 7:11 lid 2 Awb den Ausgangsbescheid aufheben. Abweichend von der grundsätzlich ex tunc vorgenommenen Kontrolle, prüft er in diesem Fall ex nunc. Da er eine eigene Maßnahme erlässt, muss er alle im Zeitpunkt des Erlasses vorliegenden Tatsachen und Umstände bei seiner Entscheidung berücksichtigen.119 Ein derartiges Vorgehen stellt einen Eingriff in die Gewaltenteilung dar. Deshalb darf das Gericht von dieser Befugnis nur eingeschränkt Gebrauch machen, nämlich dann, wenn nach der Annullierung nur noch eine Möglichkeit der Entscheidung verbleibt.120 Das ist der Fall wenn bei einer Ermessensentscheidung aufgrund der vorliegenden Tatsachen kein Entscheidungsspielraum verbleibt121 oder die streitentscheidende Norm keinen Entscheidungsspielraum vorsieht, es sich also um eine gebundene Entscheidung handelt.122 116

ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 147. ABRvS 09.06.1997, AB 1997, 324; Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Trache, 1994, MvT, S. 470. 118 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 254. 119 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Trache, 1994, MvT, S. 175. 120 Daalder/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Trache, 1994, MvT, S. 175. 121 ABRvS 23.02.1994, AB 1994, 477. 122 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:72 Nr. 6 b). 117

A. Das erstinstanzliche Klageverfahren

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Eine Abhilfe durch das Gericht kommt nicht in Betracht, wenn die Verwaltung den Rechtsbehelf im Vorverfahren als unzulässig zurückgewiesen und sich deshalb nicht mit dem Inhalt der Maßnahme beschäftigt hat.123 Auch bei einer Aufhebung des Bescheides wegen mangelhafter Begründung kann das Gericht eine Entscheidung nicht an die Stelle der angefochtenen Maßnahme setzen.124 Dasselbe gilt bei einer Aufhebung wegen unvollständiger Ermittlung der zugrunde liegenden Tatsachen.125 2. Gründe Die Gründe enthalten die Begründung der Urteilsformel. Deren Ausarbeitung ist weitgehend dem Richter überlassen. Gem. art. 8:77 lid 2 Awb126 macht jedoch eine Einschränkung. Ein schriftliches stattgebendes Urteil muss die verletzten geschriebenen und ungeschriebenen Rechtsregeln sowie die verletzten allgemeinen Rechtsprinzipien angeben.127 Für eine mündliche Urteilsverkündung ist dies bei einer stattgebenden Entscheidung nicht ausdrücklich vorgeschrieben.128 Die Begründung soll die Erwägungen des Gerichts widerspiegeln. Es muss allerdings nicht jedes Argument im Einzelnen aufgeführt und behandelt werden.129

VII. Zusammenfassung Der Verwaltungsprozess ist ein kontradiktorisches Verfahren. Jeder Betroffene darf klagen. Parteien sind in jedem Fall Kläger und Ausgangsbehörde. Die Beiladung weiterer Betroffener ist möglich. Als statthaftes Klagebegehren kommen Anfechtung und Verpflichtung in Betracht. Daneben berechtigt die Untätigkeit der Verwaltung zur Klage, wobei in diesem Fall ein ablehnender Bescheid fingiert wird. Die Rechtsmittelfrist beträgt 6 Wochen. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist sie zwingend einzuhalten. Die Entscheidung ergeht auf der Grundlage der Klageschrift, den vorgelegten Akten, den Erkenntnissen der Voruntersuchung und der mündlichen Verhandlung. Der Verwaltungsrichter ist mit umfangreichen Befugnis 123

ABRvS 04.06.1999, JB 1999, 169. ABRvS 24.03.1997, AB 1997, 401. 125 ABRvS 21.10.1996, JB 1996, 259. 126 Art. 8:77 lid 2 Awb lautet: Indien de uitspraak strekt tot gegrondverklaring van het beroep, wordt in de uitspraak vermeld welke geschreven of ongeschreven rechtsregel of welk algemeen rechtsbeginsel geschonden wordt geoordeeld. – Bei einer stattgebenden Entscheidung wird im Urteil angegeben, welche geschriebenen oder ungeschriebenen Rechtsregeln oder allgemeinen Rechtsprinzipien als verletzt erachtet werden. 127 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:77 Nr. 2. 128 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:67 Nr. 3 129 ABRvS 27.07.2005, LJN AU0104. 124

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

sen ausgestattet. Er bestimmt sowohl den Ablauf des Verfahrens als auch die Beweismittel. Im Rahmen des Urteils und seiner Tenorierung ist auf eine niederländische Besonderheit hinzuweisen. Der Richter kann seine eigene Entscheidung an die Stelle der angefochtenen Verwaltungsmaßnahme setzen. Diese Befugnis besteht allerdings nur bei gebundenen Entscheidungen und Ermessensreduzierung. Sie bedeutet einen Eingriff in die Gewaltenteilung, wird aber nach niederländischer Rechtsauffassung durch eine Reduzierung der Verfahrensdauer gerechtfertigt.

B. Die ordentlichen Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen Ordentliche Rechtsmittel müssen innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist eingelegt werden, die mit Bekanntgabe der Entscheidung beginnt. Während dieses Zeitraums tritt keine formelle Rechtskraft ein. Durch das Einlegen eines Rechtsmittels wird deren Eintritt gehemmt. Ordentliche Rechtsmittel sind die Berufung (hoger beroep), der Einspruch (verzet) und die Rechtsbeschwerde (beroep in cassatie).

I. Die Berufung (Hoger Beroep) Die Berufung (hoger beroep) ist das wichtigste der verwaltungsgerichtlichen Rechtsmittel. Sie begründet die Entscheidungsbefugnis einer höheren Instanz (Devolutiveffekt) und führt zu einer neuen Beurteilung der streitigen Angelegenheit durch den Berufungsrichter.130 Das verwaltungsrechtliche Rechtsschutzsystem in den Niederlanden sieht nicht gegen jedes Urteil eine Berufung vor. Zwar hat der Gesetzgeber im Rahmen der Erarbeitung des neuen Verwaltungsprozessrechts eine grundsätzliche Entscheidung zu Gunsten einer Berufungsinstanz getroffen.131 Doch enthalten die einschlägigen Spezialgesetze nach wie vor Ausnahmen, die bestimmen, dass die jeweils zuständigen besonderen Verwaltungsgerichte in erster und einziger Instanz tätig werden. Für die ABRvS ist das z. B. in art. 7i lid 1 Deichgesetz (Wet op de waterkering)132 vorgesehen. Eine derartige Verkürzung des Rechtsweges wird mit einer möglichen Gefahr für die öffentliche Ordnung oder nationale Sicherheit gerechtfertigt.133 130

Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 241. Kamerstukken II 1991/92, 22495, S. 11–16. 132 Art. 7i lid 1 Deichgesetz lautet: Tegen een besluit als bedoeld in de artikelen 6a, eerste lid, 7b, tweede lid, en 7d, eerste lid, kan beroep worden ingesteld bij de Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State. – Gegen eine Maßnahme im Sinne der Artikel 6a lid 1, 7b lid 2 und 7d lid 1 kann bei der Abteilung Verwaltungsrechtsprechung beim Staatsrat Klage eingereicht werden. 133 ten Berge/Widdershoven, Bestuuren door de overheid, 2001, S. 82. 131

B. Die ordentlichen Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen

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1. Funktionen Das Berufungsverfahren führt im Rahmen des durch den Rechtsmittelführer gestellten Antrags zu einer umfassenden Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch eines der Obergerichte. Dadurch verbessert sich nicht nur der Rechtsschutz als solcher, sondern auch dessen Qualität.134 Die zweite Instanz kann die Erkenntnisse der ersten nutzen und ausbauen und kommt so zu einer intensiveren Behandlung der Angelegenheit. Fehler des Gerichts und der Parteien können erkannt und korrigiert werden.135 Gleichzeitig wird das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rechtspflege gestärkt und der Rechtsschutz optimiert.136 Da der Verwaltungsrechtsweg in den Niederlanden gewöhnlich nur zwei Instanzen umfasst, dient die Berufung auch der Rechtsfortbildung sowie der Herstellung der Rechtseinheit.137 2. Gesetzliche Grundlagen Die gesetzlichen Grundlagen des Berufungsverfahrens sind in den für das jeweilige Berufungsgericht einschlägigen Spezialgesetzen normiert. Das sind für –– die Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung (ABRvS) die art. 37 bis art. 46 des Staatsratsgesetzes (Wet op de Raad van State, Wet RvS); –– den zentralen Berufungsrat (CRvB) die art. 18 bis 28 Berufungsgesetz (Beroepswet); –– das Kollegium für Klagen aus dem Wirtschaftsleben (CBB) die art. 20 bis art. 30 des Gesetzes zur Verwaltungsrechtsprechung der Wirtschaftsorganisationen (Wet bestuursrechtspraak bedrifsorganisatie); –– die Gerichtshöfe in Steuerangelegenheiten art. 60 des Gerichtsverfassungsgesetzes (Wet Rechterlijke Organisatie, Wet RO) i. V. m. art. 27 h bis art. 27 s des Allgemeinen Steuergesetz (Algemene wet inzake rijksbelastingen). Neben diesen speziellen Regelungen gelten die allgemeinen Vorschriften des Awb zur Klage. Art. 6:24 lid 1 Awb138 bestimmt, dass die Abteilung 6.2 Awb, die die allgemeinen Regelungen zu Vor- und Klageverfahren enthält, auf die Berufung anwendbar ist. Art. 6:12 Awb bildet hiervon eine Ausnahme. Die Vorschrift be 134

Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht, 2001, S. 239. Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht, 2001, S. 234. 136 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 243. 137 Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht, 2001, S. 239. 138 Art. 6:24 lid 1 Awb lautet: Deze afdeling ist met uitzondering van art. 6:12 van overeenkomstige toepassing indien hoger beroep of beroep in cassatie kann worden ingesteld. – Diese Abteilung ist mit Ausnahme von Artikel 6:12 entsprechend anwendbar, wenn Berufung oder Revision eingelegt werden können. 135

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

trifft die Untätigkeitsklage in den Niederlanden.139 Gem. art. 39 Staatsratsgesetz,140 art. 21 Berufungsgesetz, art. 22 des Gesetzes zur Verwaltungsrechtsprechung Wirtschaftsorganisationen, art. 27j Steuergesetz sind die Vorschriften des 8. Kapitels des Awb, mit Ausnahme der Abteilung 8.1.1, die den Gerichten bestimmte Befugnisse zuweist, und der art. 8:10, 8:13, 8:41, 8:74 und 8:82, ebenfalls anwendbar. Demnach stimmen das erstinstanzliche und das zweitinstanzliche Verfahren weitgehend überein.141 3. Kontrolle durch das Berufungsgericht Wie im erstinstanzlichen Klageverfahren gliedert sich die Prüfung im Berufungsverfahren in Zulässigkeit und Begründetheit durch das zuständige Gericht. a) Zulässigkeit Die wichtigste Vorschrift für das Berufungsverfahren ist art. 37 Staatsrats­ gesetz142. Er enthält die Informationen zur Zuständigkeit und nennt als weitere Zugangsvoraussetzungen die Statthaftigkeit, das Einreichen eines Antrags und die Berufungsbefugnis. Die Berufungsfrist ist den allgemeinen Vorschriften zu entnehmen.

139

ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 246. Art. 39 lid 1 Staatsratsgesetz lautet: Op het hoger beroep ist hoofstuk 8 van de Algemene wet bestuursrecht, mit uitzondering van afdeling 8.1.1 en de artikelen 8:10, 8:13, 8:41, 8:74 en 8:82 van overeenkomstige toepassing, voor zover in deze paragraaf niet anders is bepaald. Artikel 8:86, eerste lid, kann slechts worden toegepast indien een enkelvoudige kamer van de rechtbank uitspraak op he beroep heeft gedaan. – Die Vorschriften des Kapitels 8 des Allgemeinen Verwaltungsrechts sind mit Ausnahme der Abteilung 8.1 und der Artikel 8:10, 8:13, 8:41, 8:74 und 8:82 auf die Berufung anwendbar, soweit diese Vorschrift nicht etwas anderes bestimmt. Artikel 8:86 lid 1 kann nur angewendet werden, wenn ein Einzelrichter in der Klage ent­schieden hat. Der Wortlaut der art. 21 Berufungsgestz, art. 22 des Gesetzes zur Verwaltungsrechtsprechung der Wirtschaftsorganisationen und art. 27 j des Allgemeinen Steuergesetzes stimmen weitgehend mit diesem überein. 141 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 246. 142 Art. 37 lid 1 Staatsratsgesetz lautet: Een belanghebbende en het bestuursorgaan k­ unnen bij de Afdeling hoger beroep instellen tegen een uitspraak van de rechtbank als bedoeld in afdeling 8.2.6. van de Algemene wet bestuursrecht en tegen een uitspraak van de voorzieningenrechter van de rechtbank als bedoeld in artikel 8:86 van de wet, tenzij tegen de uitspraak hoger beroep kann worden ingesteld bij de Centrale Raad van Beroep, het College van Beroep voor het bedrijfsleven of het gerechtshof. – Ein Betroffener und die Behörde können bei der Abteilung Berufung gegen Entscheidungen des Landgerichts, die nach Abteilung 8.2.6 des Awb oder im einstweiligen Rechtsschutz nach Artikel 8:86 Awb ergangen sind, einlegen, es sei denn der CRvB, der CBB oder der Gerichtshof sind zuständig. 140

B. Die ordentlichen Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen

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aa) Zuständigkeit Die Berufung findet ausschließlich vor den besonderen Verwaltungsgerichten statt. Die gesetzlichen Vorgaben unterscheiden zwischen der allgemeinen und der besonderen Zuständigkeit. (1) Allgemeine Zuständigkeit Gem. Art. 37 lid 1 Staatsratsgesetz können ein Betroffener und die Behörde bei der Abteilung gegen eine nach Abt. 8.2.6 des Awb oder art. 8:86 Awb143 ergangene Entscheidung Berufung einlegen, sofern nicht der CRvB, CBB oder der Gerichthof zuständig sind. Damit liegt die allgemeine Zuständigkeit für die verwaltungsgerichtlichen Berufung bei der Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung des Staatsrates.144 (2) Besondere Zuständigkeit Art. 37 lid 1 Staatsratsgesetz weist auf die besondere Zuständigkeit des CRvB, CBB und der Gerichtshöfe hin. Die jeweils einschlägigen Spezialgesetze regeln diese für die einzelnen Bereiche des besonderen Verwaltungsrechts. (a) Der Zentrale Berufungsrat (CRvB) Die Zuständigkeit des CRvB ergibt sich aus art. 18 lid 1 Berufungsgesetz145. Danach führt dieser das Berufungsverfahren für Endurteile in Beamten- und Dienst 143 Art. 8:86 Awb lautet: Indien het verzoek wordt gedaan indien beroep bij de rechtbank is ingesteld en de president van oordeel is dat na de zitting, bedoeld in artikel 8:83, eerste lid, nader onderzoek redelijkerwijs niet kann bijdragen aan de beoordeling van de zaak, kann hij onmiddellijk uitspraak doen in de hoofdzaak. – Wenn der Präsident nach der mündlichen Verhandlung der Auffassung ist, dass eine weitere Untersuchung für die Beurteilung der Angelegenheit nicht notwendig ist, kann er unmittelbar ein Urteil in der Hauptsache fällen. 144 Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht, 2001, S. 240. 145 Art. 18 lid 1Berufungsgesetz lautet: Een belanghebbende en het bstuursorgaan kunnen bij de Centrale Raad van Beroep hoger ­beroep instellen tegen een utispraak van de rechtbank als bedoeld in afdeling 8.2.6 van de Algemene wet bstuursrecht en tegen een uitspraak van de voorzieningenrechter van de rechtbank als bedoeld in artikel 8:86 van de wet, inzake: a. een besluit of een andere handeling van een bestruursorgaan waarbij een amtenaar als bedoeld in artikel 1 van de Amtenarenwet als zodanig of een dienstplichtige als bedoeld in hooftstuk 2 van de Kaderwet dienstpflicht als zodanig, hun nagelaten betrekkingen of hun rechtverkrijgenden belanghebbende zijn, en b. een beluit, genomen op grond van een wettelijk voorschrift dat is opgenomen in de bijlage die bij deze wet behoort.

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

pflichtigenangelegenheiten, sowie die Überprüfung von Verwaltungsmaßnahmen, deren gesetzliche Grundlage im Anhang zum Berufungsgesetz aufgeführt ist, durch. Bei den im Anhang genannten Gesetzen handelt es sich vorwiegend um Normen aus dem Sozialrecht wie z. B. das Sozialversicherungs- oder das Rentengesetz. (b) Das Kollegium für Klagen aus dem Wirtschaftsleben (CBB) Gem. art. 20 lid 1 des Gesetzes zur Verwaltungsrechtsprechung der Wirtschaftsorganisationen146 fallen Berufungsverfahren für die im Anhang zu diesem Gesetz erwähnten Rechtsbereiche in die Zuständigkeit des CBB. Der Anhang umfasst 15 Gesetze u. a. das Postgesetz, das Telekommunikationsgesetz und das Gesetz zur Aufsicht über das Kreditwesen.147 (c) Die Gerichtshöfe Gem. art. 60 lid 1 Gerichtsverfassungsgesetz148 i. V. m. art. 27h lid 1 des Allgemeinen Steuergesetzes149 entscheiden die Gerichtshöfe über die Berufung in Steuer­angelegenheiten. Ein Betroffener und die Behörde können beim Zentralen Berufungsrat Berufung gegen Entscheidungen des Landgerichts, die nach Abteilung 8.2.6 des Awb oder im einstweiligen Rechtsschutz nach Artikel 8:86 Awb ergangen sind, einlegen, a. soweit es um eine Maßnahme oder eine andere Handlung einer Behörde geht, durch die ein Beamter gem. Artikel 1 des Beamtengesetzes oder ein Dienstpflichtiger gem. Kapitel 2 des Kadergesetzes Dienstpflicht oder deren Hinterbliebene oder Rechtsnachfolger betroffen sind, b. soweit es sich um eine Maßnahme handelt, die aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift, die in den Anhang zu diesem Gesetz aufgenommen ist, erlassen wurde. 146 Art. 20 lid 1 des Gesetzes zur Verwaltungsrechtsprechung der Wirtschaftsorganisationen lautet: Een belanghebbende en het bestuursorgaan kunnen bij het College hoger beroep instellen tegen een utispraak van de rechtbank als bedoeld in afdeling 8.2.6 van de Algemene wet bestuursrecht en tegen een uitspraak van de voorzieningenrechter van de rechtbank als be­doeld in artikel 8:86 van de wet, inzake een besluit, genommen op grond van een wettelijke voorschrift dat is opgenommen in de bijlage die bij deze wet behoort. – Ein Betroffener und die Behörde können bei dem Kolligium Berufung gegen Entscheidungen des Landgerichts, die nach Abteilung 8.2.6 des Awb oder im einstweiligen Rechtsschutz nach Artikel 8:86 Awb ergangen sind, einlegen, soweit es sich um eine Maßnahme handelt, die aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift, die in den Anhang zu diesem Gesetz aufgenommen ist, erlassen wurde. 147 Siehe dazu 2. Teil, A. II. 2. a) bb) (2) (c). 148 Art. 60 lid 1 Gerichtsverfassungsgesetz lautet: De gerechtshoven oordelen in hoger beroep over de daarvoor vatbare vonnissen, beschikkingen en uitspraaken in burgerlijke zaken, straf­ zaken en belastingzaken van de rechtbanken in hun ressort. – Die Gerichtshöfe entscheiden im 2. Rechtszug über der Berufung zugängliche Urteile, Verfügungen und Entscheidungen in zivilrechtlichen Angelegenheiten, Strafsachen und Steuerangelegenheiten der Landgerichte, die in ihrem örtlichen Zuständigkeitsbereich liegen. 149 Art. 27h lid 1 Algemene wet inzake rijksbelastingen lautet: De belanghebbende die ­bevoegd was beroep bij de rechtbank in te stellen en de inspecteur kunnen bij het gerechtshof

B. Die ordentlichen Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen

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bb) Statthaftigkeit Gem. art. 37 lid 1 Staatsratsgesetz, art. 20 lid 1 des Gesetzes zur Verwaltungsrechtsprechung der Wirtschaftsorganisationen, art. 18 lid 1 Berufungsgesetz, art. 27h lid 1 des Allgemeinen Steuergesetzes, darf die Berufung nur gegen gerichtliche Entscheidungen, die nach den Vorschriften der Abteilung 8.2.6 Awb oder gem. art. 8:86 Awb ergangen sind, eingelegt werden. Die Abteilung 8.2.6 trägt die Überschrift Ausspruch (uitspraak) und enthält Verfahrensvorschriften über abschließende gerichtliche Entscheidungen, die den Prozessstoff ganz oder zum Teil durch Sach- oder Prozessurteil für die Instanz erledigen.150 Diese Voraussetzungen erfüllen auch die Entscheidungen gem. art. 8:86 Awb. Nach deutschem Rechtsverständnis handelt es sich um Endurteile. Entscheidungen die nach dem vereinfachten Verfahren gem. art. 8:54 lid 1, art. 8:54 a., art. 8:55 lid 5 Awb oder im einstweiligen Rechtsschutz gem. art. 8:84 lid 2 Awb oder nach art. 8:75 a. lid1 i. V. m. art. 8:84 lid 4 Awb ergangen sind, schließen art. 37 lid 2 Staatsratsgesetz151, art. 18 lid 2 Berufungsgesetz, art. 20 lid 3 Gesetz zur Verwaltungsrechtsprechung Wirtschaftsorganisationen, art. 27h lid 2 Steuergesetz, von der Berufung aus.152 Daneben ist die Berufung in einigen Spezialgesetzen wie z. B im Raumordnungsrecht, art. 8.2 lid 1 Raumordnungsgesetz

hoger beroep instellen tegen een uitspraak van de rechtbank als bedoeld in afdeling 8.2.6 van de Algemene wet bestuursrecht en tegen een uitspraak van de voorzieningenrechter van de rechtbank als bedoeld in artikel 8:86 van de wet. – Der Betroffene, der zur Klage beim Landgericht berechtigt war und der Inspektor können beim Gerichtshof gegen eine Entscheidung des Landgerichts nach Abteilung 8.2.6 des Allgemeinen Verwaltungsrechts und gegen eine Entscheidung des Richters im einstweiligen Rechtsschutz nach Artikel 8:86 Berufung einlegen. 150 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Afdeling 8.2.6 inleidende opmerkingen (Vorbemerkung). 151 Art. 37 lid 2 Wet RvS lautet: Geen hoger beroep kann worden ingesteld tegen: a. een uitspraak van de rechtbank na toepassing van artikel 8:54, eerste lid, van de Algemene wet bestuursrecht, b. een uitspraak van de rechtbank als bedoeld in artikel 8:54 a van die wet, c. een uitspraak van de rechtbank als bedoeld in artikel 8:55, vijfde lid, van die wet, d. een uitspraak van de voorzieningenrechter als bedoeld in artikel 8:84, tweende lid, van die wet, en e. een uitspraak van de voorzieningenrechter als bedoeld in artikel 8:75a, eerste lid, in verband met artikel 8:84 vierde lid, van die wet. 152 Die Berufung ist ausgeschlossen gegen: a. eine Entscheidung gem. Artikel 8:54 lid 1 des Allgemeinen Verwaltungsrechts, b. eine Entscheidung gem. Artikel 8:54 a dieses Gesetzes, c. eine Entscheidung gem. Artikel 8:55 lid 5 dieses Gersetzes, d. eine Entscheidung des Richters im einstweiligen Rechtsschutz gem. Artikel 8:84 lid 2 dieses Gesetzes, e. eine Entscheidung des Richters im einstweiligen Rechtsschutz gem. Artikel 8:75 a lid 1 in Verbindung mit Artikel 8:84 lid 2 dieses Gesetzes.

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

(Wet ruimtelijke ordening – Wro)153 und im Umweltrecht, art. 20 1 lid 1 Umweltgesetz (Wet milieubeheer – Wm)154 ausgeschlossen. Hier entscheidet das besondere Verwaltungsgericht in erster und einziger Instanz.155 cc) Berufungsbefugnis Die Berufung ist grundsätzlich den Parteien der 1. Instanz, dem Betroffenen und der beklagten Behörde, eröffnet. Daneben besteht die Möglichkeit, dass Dritte, die durch die angefochtene Maßnahme zunächst nicht betroffen waren, nun durch das Urteil beschwert sind. Der Gesetzgeber hat bewusst den weiten Begriff des Betroffenen (Beschwerten) gewählt, weil er auch Dritten eine Klage- bzw. Berufungs­befugnis einräumen wollte.156 Gem. art. 8:24 lid 1 Awb157 herrscht in den Niederlanden weder vor den Allgemeinen noch vor den Besonderen Verwaltungsgerichten Anwaltszwang.158 Es steht den Parteien jedoch frei, sich beistehen oder durch einen Bevollmächtigten vertreten zu lassen. Die Berufungsbefugnis setzt eine gegenwärtige Beschwer voraus. Es darf nicht ausgeschlossen sein, dass der Berufungskläger durch das Berufungsurteil eine günstigere Position erlangt. Wie in Deutschland klärt das Berufungsgericht in den Niederlanden keine abstrakten Rechtsfragen.159

153 Art. 8.2 lid 1 Raumordnungsgesetz lautet: Een belanghebbende kan bij de Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State beroep instellen tegen: a. een besluit omtrent vaststelling van een … Ein Betroffener kann bei der Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung des Staatsrates Klage einreichen gegen: a. eine Maßnahme die die Feststellung eines … 154 Art. 20.1 lid 1 Umweltgesetz lautet: Tegen een besluit op grond van deze wet – met ­uitzondering van een besluit ten aanzien waarvan op grond van deze wet een andere beroepsgang is opengesteld – of een van de in het derde lid bedoelde wetten of wettelijke bepalingen kan een belanghebbende beroep instellen bij de Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State. – Gegen eine Maßnahme, die auf der Grundlage dieses Gesetzes erlassen wurde – mit Ausnahme einer Maßnahme, für die dieses Gesetz einen besonderen Klageweg eröffnet – oder ein Gesetz oder eine gesetzliche Bestimmung i. S. d. Absatzes 3 kann ein Betroffener bei der Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung des Staatsrates Klage erheben. 155 Pront-van Bommel, Bestuursrechtspraak, 2002, S. 16. 156 Daalder/de Groot, Parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, tweede tranche, 1994, S. 541. 157 Art. 8:24 lid 1 Awb lautet: Partijen kunnen zich laten bijstaan of door een gemachtigde laten vertegenwoordigen. – Die Parteien können sich beistehen oder durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. 158 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:24 Nr. 6. 159 Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht, 2001, S. 248.

B. Die ordentlichen Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen

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dd) Antrag Die Berufung ist nur auf Antrag möglich. Dieser muss den Mindestvoraus­ setzungen des art. 6:5 Awb genügen und ist zu begründen.160 (1) Form Wie die Rechtsbehelfsschrift im Vor- und Klageverfahren muss der Antrag den Namen und die Adresse des Antragstellers, das Datum und eine genaue Bezeichnung der angegriffenen Maßnahme bzw. des angegriffenen Urteils enthalten. (2) Begründung In der Begründung ist genau darzustellen, weshalb von dem Rechtsmittel Gebrauch gemacht wird.161 Allgemeine Ausführungen, wie der Verweis auf einen Verstoß gegen die Prinzipien einer ordnungsgemäßen Verwaltung reichen nicht aus.162 Das Berufungsbegehren kann sich auf unterschiedliche Gründe stützen: –– Die Fehlerhaftigkeit des erstinstanzlichen Urteils Die Berufung kann sowohl die Feststellung und Würdigung von Tatsachen als auch die rechtlichen Erwägungen betreffen.163 Aber auch eine mit Mängeln behaftete Urteilsbegründung liefert einen zulässigen Berufungsgrund.164 –– Die Fehlerhaftigkeit des Ausgangsbescheides Hier kommt z. B eine mangelhafte Recherche der für den Erlass der Maßnahme maßgeblichen Fakten, die im 1. Rechtszug nicht nachgeholt wurde, in Betracht. In der Berufung soll diesem Mangel abgeholfen werden. Das hat oftmals Einfluss auf die entscheidungserheblichen Fakten und damit auf das Ergebnis der Entscheidung.165 –– Verfahrensfehler Fehlerhafte Prozesshandlungen bzw. die fehlerhafte Prozessführung des erstinstanzlichen Richters können nur im Zusammenhang mit dem erstinstanzlichen Endurteil angegriffen und überprüft werden.166

160

Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht, 2001, S. 247. van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 6:5 Nr. 2 d). 162 CRvB 27.12.2001, JB 2002, 75. 163 CRvB 19.03.1998, 96/3072 WUV, 96/10216 WUV. 164 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 244. 165 CRvB 03.04.2007, 06/2573 WWB + 07/1001 WWB. 166 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 244. 161

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

–– Überraschende Entscheidungen Die Berufungsbegründung kann ausführen, dass die Parteien von den Erwägungen des Richters im Urteil überrascht worden sind. Z. B. seine Beweiswürdigung kommt für die Parteien unerwartet. In der Berufung müssen diese Aspekte noch einmal beleuchtet werden.167 ee) Frist Die Berufung ist gem. art. 6:7 Awb168 innerhalb von 6 Wochen nach Bekanntgabe des Urteils, das angegriffenen werden soll, einzulegen. Der Antrag ist gem. art. 6:24 lid 2 Awb169 bei dem Gericht des 1. Rechtszuges einzureichen. b) Begründetheit Die Begründetheitsprüfung im Berufungsverfahren ähnelt der des 1. Rechtszuges. Das Berufungsgericht behandelt die Angelegenheit erneut in vollem Umfang. Da sich das Verfahren auf einer der 1. Instanz übergeordneten Stufe befindet, können sich Abweichungen hinsichtlich des Umfangs des Rechtsstreits (omvang van het geschil) und des Objekts der Überprüfung ergeben. Es kommen sowohl Erweiterungen als auch Einschränkungen in Betracht. So hat das Berufungs­gericht zu beurteilen, ob die Verfahrensvorschriften durch das erstinstanzliche Gericht ordnungsgemäß angewendet wurden und ob es alle erhobenen Einwände berücksichtigt und entsprechend gewürdigt hat. Werden in Berufungsverfahren neue Einwände vorgetragen, so hat sich das Berufungsgericht auch damit auseinander zu setzen. Gleichzeitig ist der Prüfungsumfang verringert, weil bestimmte Untersuchungen im Berufungsverfahren nicht mehr durchgeführt und bestimmte Einwände nicht mehr gehört werden.

167

ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 244. Art. 6:7 Awb lautet: De termijn voor het indienen von een bezwaar- of beroepschrift bedraagt zes weken. – Die Frist, innerhalb der die Durchführung eines Vor- oder Klageverfahrens beantragt werden muss, beträgt 6 Wochen. 169 art. 6:24 lid 2 Awb lautet: In afwijking van artikel 6:4 geschiedt het instellen van beroep in cassatie door het indienen van een beroepschrift bij de rechter tegen wiens uitspraak het bereop is gericht. – Abweichend von Artikel 6:4 wird die Berufung durch einen Antrag, der bei dem Gericht gegen dessen Urteil sie sich richtet, eingereicht. 168

B. Die ordentlichen Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen

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aa) Umfang des Rechtsstreits Gem. art. 39 lid 1 Staatsratsgesetz i. V. m. art. 8:69 lid 1 Awb170 ergeht die Entscheidung der Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung beim Staatsrat (ABRvS) auf der Grundlage der Berufungsschrift.171 Dasselbe gilt gem. art. 21 lid 1 Berufungsgesetz i. V. m. art. 8:69 lid 1 Awb für den Zentralen Berufungsrat (CRvB) und für das Kollegium für Klagen aus dem Wirtschaftsleben gem. art. 22 lid 1 des Gesetzes zur Verwaltungsrechtsprechung Wirtschaftsorganisationen i. V. m. art. 8:69 lid 1 Awb. Demnach ist das Berufungsgericht wie in Deutschland an das Begehren des Berufungsklägers gebunden.172 Er bestimmt den Umfang des Rechtsstreites. Gem. art. 6:5 lid 1 sub d. Awb173, der im Berufungsverfahren entsprechend anzuwenden ist, sind die Gründe für die Berufung in der Berufungsschrift aufzuführen. Es ist anzugeben, welche Teile der erstinstanzlichen Entscheidung angefochten werden. Der Berufungskläger kann sich in seinem Antrag z. B. nur auf einen bestimmten Teil des Urteils beziehen. Er kann seine Berufung aber auch auf das Urteil über einen bestimmten Teil der Ausgangsmaßnahme beschränken, sofern dieser Teil selbständig angreifbar ist. In beiden Fällen ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Beschränkungen gebunden. Binnen der hierdurch gesetzten Grenzen muss der Richter von Amtswegen die rechtliche Würdigung vornehmen und überprüfen, ob der Richter im 1. Rechtszug dieser Verpflichtung auch ordnungsgemäß nachgekommen ist.174

170 Art. 8:69 lid 1Awb lautet: De rechtbank doet uitspraak op de grondslag van het bereopschrift, de overgelegde stukken, het verhandelde tijdens het vooronderzoek en het onderzoek ter zitting. – Das Gericht entscheidet auf der Grundlage der Klageschrift, den vorgelegten Akten, den Ergebnissen der Voruntersuchung und der mündlichen Verhandlung. 171 Daalder/de Groot, Parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, tweede tranche, 1994, S. 545 f. 172 van Kampen, De positie van het hoger beroep in het bestuursrecht, juridisch studentenblad 2000, S. 512 (515). 173 Art. 6:5 lid 1 Awb lautet: Het bezwaar- of bereopschrift wordt ondertekend en bevat ten minste: a. de naam en het adres van de indiener; b. de dagtekening; c. een omschrijving van het besluit waartegen het bezwaar of beroep is gericht; d. de gronden van het bezwaar of bereoep. Die Rechtsbehelfsschrift im Vorverfahren oder die Klageschrift ist zu unterzeichnen und enthält mindestens: a. den Namen und die Adresse des Einreichenden; b. das Datum; c. die Beschreibung der angegriffenen Maßnahme; d. die Gründe für Vorverfahren oder Klage. 174 van Kampen, De positie van het hoger beroep in het bestuursrecht, juridisch studentenblad 2000, S. 512 (515); VAR, De toekomst van de rechtsbescherming tegen de overheid, van toetsing naar geschillbeslechting, Rapport van de Vereniging voor Bestuursrecht, 2004, S. 117.

226

3. Teil: Gerichtliche Verfahren

Die Entscheidungen der ABRvS und des CRvB zeigen den Umgang der Rechtsprechung mit dem Berufungsbegehren. (1) Die Bedeutung des Berufungsbegehrens in der Rechtsprechung der ABRvS Eine Entscheidung der ABRvS aus dem Jahr 1996 zeigt, dass sie zur Über­ prüfung eines bestimmten Punktes nur bereit ist, wenn dieser in der Berufungs­ begründung angesprochen wird. „Es kann dahinstehen, ob Bürgermeister und Beigeordnete zu Recht den Standpunkt vertreten haben, dass der Bebauungsplan nicht gegen den neuen Flächennutzungsplan verstößt. Zu diesem Punkt haben sie keine Bedenken geäußert. Die Übereinstimmung des Bebauungsplans mit dem Flächennutzungsplan kann deshalb unterstellt werden.“175 Eine weitere Entscheidung aus dem Jahr 1996 bestätigt diese Vorgehensweise. Hier führte der Berufungskläger an, dass dem Bauherrn Kosten entstehen, wenn er mit dem Bau beginnt, bevor die Baugenehmigung bestandskräftig ist. Im Rahmen der Berufung beschäftigte sich die ABRvS nur mit der Frage der Kosten.176 Damit bildet die Berufungsbegründung die äußere Grenze der Überprüfung durch die ABRvS. (2) Die Bedeutung des Berufungsbegehrens in der Rechtsprechung des CRvB Eine Zusammenschau der Entscheidungen des CRvB zeigt, dass die durch den Berufungskläger dargetanen Berufungsgründe eine Richtung weisende Rolle bei der materiellen Prüfung spielen. Beispielsweise führte das Gericht in einer beamtenrechtlichen Entscheidung im Jahr 1997 aus: „Die Berufung des Berufungs­ klägers beschränkt sich auf den aufgeführten Teil der angegriffenen Entscheidung. Hierdurch ist der Umfang des Rechtsstreits in der Berufung bestimmt.“177 Auch einer anderen Entscheidung aus dem Jahr 1997 ist zu entnehmen, welche Bedeutung das Gericht den aufgeführten Gründen beimisst. Hier heißt es: „Der Vortrag des Berufungsklägers gegen die angegriffene Entscheidung richtet sich gegen das Aufrechterhalten der Rechtsfolgen der teilweise aufgehobenen Maßnahme durch das erstinstanzliche Gericht sowie gegen die Entscheidung des Gerichts über die der angegriffenen Maßnahme zugrunde liegende Begründung.“178 Demnach begrenzen aus der Sicht des CRvB die durch den Berufungskläger angeführten Gründe den Streitgegenstand.

175

ABRvS 16.12.1996, JB 1997, 22. ABRvS 09.12.1996, AB 1998 70. 177 CRvB 20.03.1997, TAR 1997, 124. 178 CRvB 20.05.1997, RSV 1997, 230. 176

B. Die ordentlichen Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen

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(3) Stellungnahme CRvB und ABRvS richten den Gegenstand ihrer Kontrolle demnach so weit als möglich an dem Vortrag des Berufungsklägers aus.179 bb) Das Objekt der Überprüfung im Berufungsverfahren Im erstinstanzlichen Klageverfahren ist Gegenstand des Rechtsstreits gem. art. 8:1 lid 1 Awb immer eine Verwaltungsmaßnahme. Für das Berufungsver­ fahren kann keine derartig eindeutige Aussage getroffen werden. Das jeweils einschlägige Gesetz180 bestimmt, dass die erstinstanzliche Entscheidung Objekt der Überprüfung sein soll. Laut den Gesetzesmaterialien ist diese Vorgabe weit auszulegen. Sie lässt Raum für geringfügige Abweichungen.181 So kann neben dem ange­fochtenen Urteil auch die angegriffene Maßnahme im Mittelpunkt des Verfahrens stehen.182 (1) Die Auffassung der Literatur Die Literatur favorisiert die vorrangige Überprüfung des Ausgangsbescheids. Die Anwendung dieser Variante hat zur Folge, dass der Berufungsrichter ungeachtet der erstinstanzlichen Entscheidung zunächst die angefochtene Maßnahme in Augenschein nimmt. Er befindet sich dadurch in derselben Situation wie zuvor der Richter im ersten Rechtszug. Das hat zur Folge, dass dessen Fehler fürs Erste unberücksichtigt bleiben. Nach Auffassung der Literatur entspricht das dem eigent­ lichen Sinn der Berufung.183 (2) Die Auffassung der Rechtsprechung Die Rechtsprechung zeigt dagegen kein einheitliches Bild. Die Auffassungen der ABRvS und des CRvB unterscheiden sich grundlegend. 179 Weitere Rechtsprechung hierzu – ABRvS 08.07.1996, AB 1996, 344; ABRvS 18.11.1996, JB 1997, 6; ABRvS 12.02.1998 RAwb 1998, 101. 180 Siehe art. 37 lid 1 Wet RvS, art. 18 lid 1 Beroepswet, art. 20 lid 1 Wet bestuursrechtspraak bedrifsorganisatie. 181 Daalder/de Groot, Parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, tweede tranche, 1994, S. 545 f. 182 van Kampen, De positie van het hoger beroep in het bestuursrecht, juridisch studentenblad 2000, S. 512 (513). 183 Hoogenboom, De Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State als appèlrechter, NTB 1998, S. 126 (132); van Kampen, De positie van het hoger beroep in het bestuursrecht, juridisch studentenblad 2000, S. 512 (514).

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

(a) Die Auffassung der ABRvS Die ABRvS betrachtet das angefochtene Urteil als Gegenstand des Verfahrens. Vor allem bei einer Zurückweisung der Berufung begnügt sich die ABRvS häufig mit einer nur kurzen Begründung, aus der nicht eindeutig hervorgeht, inwieweit der Ausgangsbescheid überprüft wurde.184 Etwas anders gilt für die Begründung eines stattgebenden Berufungsurteils. Hier finden sich meist Angaben über die Kontrolle der angefochtenen Maßnahme.185 (b) Die Auffassung des CRvB Der CRvB sieht in der Berufung primär eine neue Chance für die Parteien. Deshalb neigt er dazu, zunächst den Ausgangsbescheid zu überprüfen.186 Im Fall des fehlerhaften Ausgangsbescheids geht aus der Begründung des Berufungsurteils hervor, dass die Maßnahme vorrangig geprüft wurde.187 Diese Linie lässt sich jedoch nicht immer verfolgen. Die in der Berufungsschrift angeführten Gründe spielen dabei eine wesentliche Rolle.188 Werden nur Verfahrensfehler oder fehlerhafte Erwägungen in der Urteilsbegründung gerügt, erübrigt sich eine vollständige Überprüfung des Ausgangsbescheides. Die Begründung des Berufungsurteils geht dann meistens auch nicht darauf ein.189 (3) Stellungnahme Es stehen sich hier 3 unterschiedliche Auffassungen zum Vorgehen in der Berufung gegenüber, die vorrangige Überprüfung der Ausgangsmaßnahme, die vorrangige Überprüfung des angefochtenen Urteils und eine Kontrolle, die sich am Vortrag des Klägers orientiert, aber die Ausgangsmaßnahme als vorrangiges Prüfungsobjekt sieht. Es gibt eine Vielzahl von möglichen Fehlerquellen im Verwaltungs- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Das Vorgehen der 3. Auffassung wird diesem Umstand am ehesten gerecht.

184

ABRvS 20.11.2002, AB 2003, 104. ABRvS 19.03.1998, AB 1998, 254. 186 CRvB 04.10.2000, RSV 2001, 2; CRvB 31.05.2007, AB 2007, 285. 187 CRvB 08.11.2000, AB 2001, 41. 188 Anmerkungen zu CRvB 31.05.2007, AB 2007, 285. 189 CRvB 24.06.1999, 97/9813 AW. 185

B. Die ordentlichen Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen

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cc) Das Vorbringen neuer Gründe im Berufungsverfahren Das Zulassen neuer Gründe im Berufungsverfahren steht in enger Beziehung zu den Funktionen der Berufung. (1) Die Darstellung der Vereinigung für Verwaltungsrecht Die Vereinigung für Verwaltungsrecht in den Niederlanden beschäftigt sich im Jahr 2004 in ihrer Studie zur Zukunft des Rechtsschutzes gegen die öffentliche Gewalt190 ausführlich mit diesem Problem. Sie argumentiert anhand der oben aufgeführten Funktionen.191 Nach ihrer Auffassung ist entscheidend, welche der Funktionen im Vordergrund steht. Im Zusammenhang mit der Kontrollfunktion wird angeführt, dass diese bei neuen Gründen nicht greife. Da der 1. Instanz diese Gründe nicht bekannt gewesen seien, habe sie sie in ihre Erwägungen nicht mit einbeziehen und bei ihrer Entscheidung berücksichtigen können. Auch sei es für die Rechtseinheit vorteilhaft, wenn sich der Berufungsrichter bei seiner Bearbeitung nur auf das erstinstanzliche Urteil konzentrieren könne. Geht man dagegen davon aus, dass die Parteien eine Chance haben müssen, die Fehler zu korrigieren, die ihnen im Verfahren vor dem erstinstanzlichen Gericht unterlaufen sind, muss jeder neue Vortrag zugelassen werden. Bei der Abwägung dieser Argumente spielt die Prozessdauer eine wesentliche Rolle. Art. 6 Abs. 1 EMRK sieht den Abschluss des Verfahrens in angemessener Zeit vor. Lässt man einen neuen Vortrag zu, verlängert sich die Verfahrensdauer, weil die neuen Gründe in die Überprüfung mit einbezogen werden müssen. Andererseits ist es unter Rechtsschutzgesichtspunkten bzw. mit Blick auf die Gesetz­ mäßigkeit der Verwaltung problematisch, dass durch den Berufungskläger neu vorgebrachte Tatsachen und Beweise vollkommen außen vor bleiben. Deshalb schlägt die Vereinigung für Verwaltungsrecht in den Niederlanden vor, neuen Parteivortrag grundsätzlich zuzulassen. Sie macht allerdings zur Bedingung, dass dies frühzeitig im Prozess geschieht, damit Gegner und Richter sich darauf einstellen können. (2) Das Vorgehen der Rechtsprechung Die ABRvS und der CRvB verfolgen in ihrer Rechtsprechung ihre eigene Linie.

190 VAR, De toekomst van de rechtsbescherming tegen de overheid, van toetsing naar geschillbeslechting, Rapport van de Vereniging voor Bestuursrecht, 2004, S. 115. 191 Vgl. oben unter bb) (2) (a) und (b).

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

(a) Das Vorgehen der ABRvS Die ABRvS lässt das Vorbringen neuer Gründe, Argumente oder Beweise in der Berufung nur eingeschränkt zu. Gründe, die in der ersten Instanz nicht vorgetragen wurden, obwohl es möglich gewesen wäre, sind präkludiert.192 Hintergrund dieses Vorgehens ist, dass die ABRvS die erstinstanzliche Entscheidung ex tunc prüft und die Untersuchung auf der Grundlage der dort vorgetragenen Argumente und erbrachten Beweise durchführt. Demzufolge sind Beweise, die erst im Berufungsverfahren eingebracht werden, aber zu Zeiten des 1. Rechtszuges bereits vorhanden waren, für sein Urteil nicht beachtlich.193 (b) Das Vorgehen des CRvB Der CRvB lässt einen neuen Parteivortrag sowie neue Gründe und Beweis­mittel nahezu uneingeschränkt zu, auch wenn diese bereits in der 1. Phase des Rechtsstreits hätten vorgebracht werden können. Allerdings müssen neue Gründe und Argumente frühzeitig im Berufungsverfahren eingeführt werden, damit sich die Gegenseite darauf einstellen und entgegnen kann.194 (c) Stellungnahme Damit lassen beide Obergerichte einen neuen Parteivortrag grundsätzlich zu, wobei die ABRvS strenger mit den Parteien verfährt als der CRvB. Beide Auffassungen sind im Sinne eines optimalen Rechtsschutzes für den Bürger vertretbar. Da die ABRvS nicht jeden Vortrag zulässt, wird sie in der Regel schneller zu einer Entscheidung kommen als der CRvB. Der CRvB räumt den Parteien dagegen die Chance ein, ihre Fehler aus der 1. Instanz zu beheben. 4. Die Entscheidung im Berufungsverfahren Abhängig von dem Ergebnis der Überprüfung bestätigt das Berufungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung, hebt sie auf oder verweist die Angelegenheit an das Gericht des 1. Rechtszuges zurück.

192

ABRvS 16.01.1997, RAwb 1997, 113. ABRvS 02.04.2000, AB 2000, 222. 194 van Kampen, De positie van het hoger beroep in het bestuursrecht, juridisch studentenblad 2000, S. 512 (516); ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 245; siehe dazu 4. Teil, A. IV. 1. e) bb). 193

B. Die ordentlichen Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen

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a) Bestätigung des angefochtenen Urteils (Zurückweisung der Berufung) Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass das erstinstanzliche Gericht richtig entschieden hat, bestätigt (bevestigt) es dessen Urteil.195 Dabei übernimmt es gem. art. 42 Staatsratsgesetz196, art. 24 Berufungsgesetz, art. 26 Gesetz zur Verwaltungsrechtsprechung Wirtschaftsorganisationen, art. 27o Steuergesetz entweder die Urteilsgründe der angefochtenen Entscheidung oder ergänzt sie. Nach deutschem Rechtsverständnis handelt es sich um eine Zurückweisung der Berufung. b) Aufheben des angefochtenen Urteils Gem. art. 42 Staatsratsgesetz, art. 24 Berufungsgesetz, art. 26 Gesetz zur Verwaltungsrechtsprechung Wirtschaftsorganisationen, art. 27o Steuergesetz, hebt das Berufungsgericht das angefochtene Urteil ganz oder teilweise auf und erlässt eine neues geändertes, wenn das Berufungsverfahren zu einem anderen Ergebnis als das Verfahren vor dem erstinstanzlichen Gericht führt. Gleichzeitig kann auch der Ausgangsbescheid aufgehoben werden.197 c) Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht Das Berufungsgericht verweist gem. art. 44 lid 1 a. Staatsratsgesetz198, art. 26 lid 1 a. Berufungsgesetz, art. 28 lid 1 a. des Gesetzes zur Verwaltungsrecht­ sprechung Wirtschaftsorganisationen zurück, art. 27q lid 1 a. Steuergesetz, wenn

195 Die Entscheidung lautet in diesem Fall: De Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State; recht doende: bevestigt de aangevallen uitspraak. – Die Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung des Staatsrates bestätigt das angegriffene Urteil. 196 Art. 42 des Staatsratsgesetzes lautet: De Afdeling bevestigt de uitspraak van de rechtbank, hetzij met overneming, hetzij met verbetering van gronden, of doet, met gehele of gedeeltelijke vernietiging van de uitspraak, hetgeen de rechtbank zou behoren te doen. – Die Abteilung bestätigt das Urteil des Gerichts entweder durch Übernahme oder Ergänzung der Gründe oder tut, durch teilweises oder vollständiges Aufheben des Urteils, das was das Gerichts hätte tun müssen. 197 Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht, 2001, S. 275. 198 Art. 44 lid 1 Wet RvS lautet: De Afdeling wijst de zaak terug naar de rechtbank die deze in eerste aanleg heeft behandeld, indien: a. de rechtbank haar onbevoegdheid of niet-ontvankelijkheid van het beroep heeft uit­gesproken en de Afdeling deze uitspraak vernietigt met bevoegdverklaring van de rechtbank onderscheidenlijk ontvanklijkverklaring van het beroep, of b. de Afdeling om andere redenen dan bedoeld in onderdeel a van oordeel is dat de zaak ­opnieuw door de rechtbank moet worden behandeld.

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

das erstinstanzliche Gericht die Klage zu Unrecht wegen Unzuständigkeit oder Unzulässigkeit zurückgewiesen hat. In diesem Fall hebt es das angefochtene Urteil auf und erklärt das Landgericht für zuständig bzw. die Klage für zulässig. Hat die 1. Instanz trotz Unzuständigkeit oder Unzulässigkeit in der Sache Stellung genommen, kann der Berufungsrichter gem. art. 45 Staatsratsgesetz, art. 27 Berufungsgesetz, art. 29 des Gesetzes zur Verwaltungsrechtsprechung Wirtschaftsorganisa­ tionen, art. 27r Steuergesetz selbst entscheiden.199 Gem. art. 44 lid 1 b. Staatsratsgesetz, art. 26 lid 1 b. Berufungsgesetz, art. 28 lid 1 b. des Gesetzes zur Verwaltungsrechtsprechung Wirtschaftsorganisationen, art. 27q lid 1 b. Steuergesetz ist eine Zurückverweisung, wenn das Berufungsgericht dies für notwendig erachtet, auch aus anderen Gründen möglich. 5. Bedeutung für den Rechtsschutz Die Berufung spielt als Kontrollverfahren für Entscheidungen des erstinstanzlichen Gerichts eine wichtige Rolle für den Rechtsschutz. Als 2. Tatsacheninstanz erfolgt, sofern der Berufungskläger dies wünscht, eine erneute vollumfängliche Kontrolle, die zu einer deutlichen Verbesserung und zu einer Steigerung der Effektivität des Rechtsschutzes führt. Das gelingt auch durch die umfangreiche Rechtsprechung der ABRvS und des CRvB.200 Da die gesetzlichen Regelungen Raum für eine unterschiedliche Auslegung der maßgeblichen Vorschriften lassen, greifen die beiden Obergerichte die sich daraus ergebenden Probleme immer wieder auf und bemühen sich um deren Lösung im Sinne eines optimalen Rechtsschutzes.

Die Abteilung verweist die Angelegenheit zurück an das Gericht, das in erster Instanz tätig war, wenn: a. das Gericht auf Unzuständigkeit oder Unzulässigkeit der Klage entschieden hat, und die Abteilung dieses Urteil aufhebt mit der Erklärung, dass das Gericht zuständig oder die Klage zulässig sei, oder b. die Abteilung wegen anderer Gründe als der in a bezeichneten der Auffassung ist, dass das erstinstanzliche Gericht erneut entscheiden soll. Art. 26 lid 1 Beroepswet, art. 28 lid 1 des Gesetzes zur Verwaltungsrechtsprechung Wirtschaftsorganisationen, art. 27 q Steuergesetz sind gleichlautend. 199 ABRvS 12.02.1999, AB 1999, 248; 19.12.2000, Abkort 2001, 9; CRvB 02.11.1999, RSV 2000, 3; Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht, 2001, S. 275. 200 CBB und Gerichthöfe spielen bei der Rechtsfortbildung keine Rolle.

B. Die ordentlichen Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen

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II. Der Einspruch Unter den Voraussetzungen des art. 8:54 Awb201 kann eine Entscheidung im vereinfachten Verfahren ohne mündliche Verhandlung ergehen. Voraussetzung ist, dass noch keine Ladung zur mündlichen Verhandlung erfolgt ist und das ange­ rufene Gericht offensichtlich unzuständig, die Klage offensichtlich unzulässig, offensichtlich unbegründet oder begründet ist. Ein derartiges Verfahren genügt den Anforderungen der EMRK jedoch nur, wenn durch das Einlegen eines Rechts­ mittels in der Folge ein vollwertiges gerichtliches Verfahren möglich ist. Deshalb eröffnet art. 8:55 Awb202 einen Rechtsbehelf, der diesem Anspruch genügt, den Einspruch (verzet).203 Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Einspruchs sind identisch mit denen der Berufung. Allerdings fehlt der Devolutiveffekt. Das Verfahren bleibt im selben Rechtszug.204 Zuständig ist das Gericht, dessen Entscheidung angegriffen wird,205 wobei der Richter, der für die angefochtene Entscheidung verantwortlich war,

201

Art. 8:54 Awb lautet: 1. Totdat partijen zijn uitgenodigd om op een zitting van de rechtbank te verschijnen, kan de rechtbank het onderzoek sluiten, indien voortzetting van het onderzoek niet nodig is, ­omdat: a. zij kennelijk onbevoegd is, b. het beroep kennelijk niet-ontvankelijk is, c. het beroep kennelijk ongegrond is, of d. het beroep kennelijk gegrond is. 2. In de uitspraak na toepassing van het eerste lid worden partijen gewezen op artikel 8:55, eerste lid. 1. Bis die Parteien zur mündlichen Verhandlung geladen sind, kann das Gericht die Unter­ suchung schließen, wenn die Fortsetzung der Untersuchung nicht notwendig ist, weil: a. es offensichtlich unzuständig ist, b. die Klage offensichtlich unzulässig ist, c. die Klage offensichtlich unbegründet ist, oder d. die Klage offensichtlich begründet ist. 2. In der Entscheidung nach Anwendung des Absatzes 1 werden die Parteien auf Artikel 8:55 lid 1 hingewiesen. 202 Art. 8:55 lid 1 Awb lautet: Tegen de uitspraak, bedoeld in artikel 8:54, tweede lid, kunnen een belanghebbende en het bestuursorgaan verzet doen bij de rechtbank. De indiener van het verzetschrift kan daarbij vragen in de gelegenheid te worden gesteld over het verzet te worden gehoord. De artikelen 6:4, derde lid, 6:5 tot en met 6:9, 6:11, 6:14, 6:15, 6:17 en 6:21 zijn van overeenkomstige toepassing. – Gegen ein Urteil i. S. d. Art. 8:54 lid 2 Awb können der Betroffene und das Verwaltungsorgan bei Gericht Einspruch einlegen. Derjenige, der die Einspruchsschrift einreicht, kann dabei darum bitten, über den Einspruch gehört zu werden. Die Artikel 6:4 lid 3, 6:5 bis einschließlich 6:9, 6:11, 6:14, 6:15, 6:17 und 6:21 finden übereinstimmende Anwendung. 203 Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht, 2001, S. 281. 204 Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht, 2001, S. 284. 205 Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht, 2001, S. 281.

234

3. Teil: Gerichtliche Verfahren

gem. art. 8:55 lid 4, tweede volzin (Satz 2) Awb206 nicht am Rechtsmittelverfahren beteiligt werden darf. Der Einspruch ist gem. art. 6:7 Awb innerhalb von 6 Wochen nach Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung einzulegen. Der Einspruch richtet sich ausschließlich gegen die Behandlung im vereinfachten Verfahren nach art. 8:54 Awb. Es findet keine materielle Überprüfung der Hauptsache statt.207 Ist der Einspruch begründet, wird die angegriffene Entscheidung aufgehoben und das Verfahren auf dem Stand fortgesetzt, auf dem es sich im Zeitpunkt der Entscheidung befunden hat, art. 8:55 lid 7 Awb208. Das ist in aller Regel das Stadium der Voruntersuchung.209 Das im Anschluss an die mündliche Verhandlung ergehende Urteil ist der Berufung zugänglich.210 Ist der Einspruch dagegen unzulässig oder unbegründet, bleibt die angegriffene Entscheidung bestehen. Es stehen grundsätzlich keine weiteren Rechtsmittel zur Verfügung.211 Auch der Hohe Rat kann nicht mehr angerufen werden.212 Dieser Grundsatz darf nur für den Fall, dass das Recht auf rechtliches Gehör verletzt wurde, durchbrochen werden.213

206 Art. 8:55 lid 4, tweede volzin Awb lautet: Indien de uitspraak waartegen verzet is gedaan, is gedaan door een meervoudige kamer, wordt uitspraak op het verzet gedaan door een meervoudige kamer. Van de kamer die uitspraak doet op het verzet maakt geen deel uit degene die zitting heeft gehad in de kamer die de uitspraak heeft gedaan waartegen verzet is gedaan. – Wenn die Entscheidung, gegen die Einspruch eingelegt wurde, durch eine Kammer erging, ergeht die Entscheidung über den Einspruch ebenfalls durch eine Kammer. Die Kammer, die die Entscheidung über den Einspruch trifft, und die Kammer, die zuvor die Entscheidung getroffen hat, gegen die Einspruch eingelegt wurde, dürfen nicht übereinstimmen. 207 Daalder/de Groot, Parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, tweede tranche, 1994, S. 452. 208 Art. 8:55 lid 7 Awb lautet: Indien de rechtbank het verzet gegrond verklaart, vervalt de uitpraak waartegen verzet was gedaan en wordt het onderzoek voortgezet in de stand waarin het sich bevond. – Hält das Gericht den Einspruch für begründet, ist die Entscheidung gegen, die sich der Einspruch richtet, hinfällig, das Verfahren wird auf dem Stand, auf dem es sich befunden hat, fortgesetzt. 209 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:55 nr. 9. 210 Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht, 2001, S. 282. 211 Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht, 2001, S. 281 f. 212 HR 22.09.1995, NJ 1996, 54. 213 CRvB 01.09.1998, JB 1998, 211; CRvB 16.05.2002, JB 2002, 191; ABRvS 05.10.1999, JB 1999, 285.

C. Die außerordentlichen Rechtsmittel

235

III. Die Rechtsbeschwerde Die Rechtsbeschwerde (beroep in cassatie) richtet sich an den Hohen Rat. Sie ist gem. art. 28 lid 1 Steuergesetz214 gegen Endurteile der Gerichtshöfe in Steuerangelegenheiten möglich. Im Sozialrecht spielt sie nur eine eingeschränkte Rolle. Gem. art. 18 a lid 1 Coördinatiewet soziale verzekering entscheidet der Hohe Rat über die Auslegung einzelner zivilrechtlicher Begriffe, die auch im Sozial- und Volksversicherungsgesetz verwendet werden.215 Das Verfahren unterscheidet sich nur durch den Umfang der Untersuchung von der Berufung. Der Hohe Rat befasst sich ausschließlich mit Rechtsfragen. Er ist grundsätzlich an die durch die untere Instanz getroffenen Tatsachenfeststellungen gebunden.216

C. Die außerordentlichen Rechtsmittel Außerordentliche Rechtsmittel sind nicht an eine Rechtsbehelfsfrist gebunden. Sie richten sich gegen rechtskräftige Urteile. Als außerordentliches Rechtsmittel kennt das niederländische Verwaltungsprozessrecht nur die in art. 8:88 Awb217 ge 214 Art. 28 lid 1 Algemene wet inzake rijksbelastingen lautet: De belanghebbende die bevoegd was om hoger beroep bij het gerechtshof in te stellen en Onze Minister kunnen bij de Hoge Raad beroep in cassatie instellen tegen: a. een uitspraak van het gerechtshof die overeenkomstig afdeling 8.2.6 van de Algemene wet bstuursrecht is gedaan, en b. een uitspraak van de voorzieningenrechter van het gerechtshof die overenkomstig artikel 8:86 van de wet is gedaan. Ein Betroffener, der zur Berufung beim Gerichtshof berechtigt war und der Minister können beim Hohen Raad Rechtsbeschwerde einlegen, gegen: a. eine Entscheidung des Gerichtshofes, die aufgrund von Abteilung 8.2.6 Awb ergangen ist, b. eine Entscheidung, die durch den Richter im einstweiligen Rechtsschutz am Gerichtshof nach Artikel 8:86 dieses Gesetzes ergangen ist. 215 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 250. 216 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 242; ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 250. 217 Art. 8:88 Awb lautet: De rechtbank kann op verzoek van een partij een onherroepelijk geworden uitspraak herzien op grond van feiten of omstandigheden die: a. hebben plaatsgevonden vóór de uietspraak, b. bij de indiender van het verzoekschrift vóór de uitspraak niet bekend waren en redelijkerwijs niet bekend konden zijn, en c. waren zij bij de rechtbank eerder bekend geweest, tot een andere uitspraak zouden hebben kunnen leiden. Hoofstuk 6 en de titels 8.2 en 8.3 zijn voor zover nodig van overeenkomstige toepassing. Das Gericht kann auf Antrag einer Partei eine rechtskräftige Entscheidung auf Grund von Tatsachen und Umständen, a. die sich vor der Entscheidung ereignet haben, b. die dem Antragsteller vor der Entscheidung nicht bekannt waren und redlicherweise auch nicht bekannt sein konnten

236

3. Teil: Gerichtliche Verfahren

regelte erneute Prüfung (herziening). Dabei handelt es sich um eine Wiederaufnahme eines bereits abgeschlossenen Gerichtsverfahrens.218

I. Funktion Werden nach Abschluss des Verfahrens neue Tatsachen bekannt, so ist das erstinstanzliche Urteil unter Umständen nicht mehr haltbar. Das Verfahren ermöglicht die Korrektur einer bereits rechtskräftigen Entscheidung219 und ist daher nur in engen Grenzen möglich.220

II. Gesetzliche Grundlagen Art. 8:88 lid 1 Awb nennt als Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme den Antrag einer Partei an das Gericht, das für die zu überprüfende Entscheidung verantwortlich war. Eine Veranlassung, die Entscheidung erneut zu prüfen, besteht nur, wenn der Antragsteller neue Tatsachen und Umstände vorträgt, die sich vor Verkündung der Entscheidung ereignet haben, die ihm aber zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt waren und die er auch nicht kennen konnte und die, wären sie dem Gericht bekannt gewesen, zu einer anderen Entscheidung geführt hätten. 1. Antrag Die Überarbeitung einer rechtskräftigen Entscheidung ist nur auf Antrag möglich. Dieser muss bestimmten Erfordernissen genügen. a) Antragsteller Als Antragsteller kommen nur die Parteien des Verfahrens in Betracht. Dritte, deren Interessen zwar beeinträchtigt sind, die aber nicht am Verfahren beteiligt waren, dürfen keinen Antrag stellen.221

c. und die wären sie dem Gericht eher bekannt gewesen, zu einer anderen Entscheidung geführt hätte, erneut prüfen. Sofern notwendig sind Kapitel 6 und die Titel 8.2 und 8.3 entsprechend anwendbar. 218 Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht, 2001, S. 287. 219 ABRvS 20.01.1995, JB 1995, 142. 220 Daalder/de Groot, Parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, tweede tranche, 1994, S. 515. 221 CBB 22.06.1999, AB 1999, 375.

C. Die außerordentlichen Rechtsmittel

237

b) Form Der Antrag muss den Formerfordernissen des Kapitels 6 genügen. Damit hat er die gleichen Informationen wie die Rechtsbehelfsschrift im Vorverfahren und die Klageschrift zu enthalten. c) Frist Das Gesetz sieht keine Frist vor, binnen derer der Antrag einzureichen ist. Nach der Rechtsprechung muss er jedoch binnen eines angemessenen Zeitraums nach Bekanntwerden der neuen Tatsachen gestellt werden. Die ABRvS entschied, dass ein Zeitraum von 16 Monaten nicht mehr angemessen sei.222 2. Statthaftigkeit Die erneute Prüfung ist statthaft gegen rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen. Solange die Berufungsfrist gegen ein Endurteil noch läuft, kann kein Antrag auf erneute Prüfung gestellt werden;223 diese ist auch gegen einen Einspruch (verzet) und gegen eine Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz möglich, soweit sie als unzulässig oder unbegründet abgewiesen wurden.224 3. Zuständigkeit Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist das Gericht des ersten Rechtszuges, das bereits im Ausgangsverfahren tätig war, zuständig. Da die Wiederaufnahme auf neu bekannt gewordenen Umständen und Tatsachen beruht, wird die richterliche Unpartei­lichkeit nicht berührt. Deshalb darf das Verfahren vor demselben Richter stattfinden.225 Die Vorschrift ist auch auf die besonderen Verwaltungsgerichte anwendbar.226

222

ABRvS 16.03.1999, AB 1999, 214. ABRvS 26.03.1998, JB 1998, 97. 224 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:88 Nr. 2 c). 225 Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht, 2001, S. 288. 226 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:88 Nr. 7. 223

238

3. Teil: Gerichtliche Verfahren

4. Besondere Gründe Die Wiederaufnahme eines rechtskräftig entschiedenen Verfahrens erfolgt nur, wenn besondere Gründe vorliegen. Art. 8:88 lid 1 Awb nennt die Bedingungen unter a. bis c. abschließend. Sie müssen kumulativ vorliegen. a) Neue Tatsachen und Umstände, die bereits im Zeitpunkt der Urteilsverkündung vorlagen Die neu vorgetragenen Tatsachen und Umstände müssen bereits im Zeitpunkt der Urteilsverkündung vorgelegen haben. Ereignisse, die danach stattgefunden haben begründen keine Wiederaufnahme.227 Neue wissenschaftliche Methoden und Erkenntnisse, die die Angelegenheit in einem anderen Licht erscheinen lassen, spielen ebenfalls keine Rolle. In diesem Fall kann nur die Behörde tätig werden.228 b) Von denen Antragsteller erst nach der Urteilsverkündung Kenntnis erlangt hat Es muss sich um Tatsachen und Umstände handeln, die dem Antragsteller erst nach der Urteilsverkündung bekannt geworden sind und die ihm, objektiv betrachtet, auch nicht bekannt gewesen sein konnten.229 c) Die bei Kenntnis des Gerichts zu einer anderen Entscheidung geführt hätten Die neuen Tatsachen und Umstände müssen mit Sicherheit zu einer anderen als der ursprünglichen Entscheidung führen.230

227 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:88 Nr. 3 a). 228 Daalder/de Groot, Parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, tweede tranche, 1994, S. 515. 229 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:88 Nr. 3 b). 230 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:88 Nr. 3 c).

D. Der einstweilige Rechtsschutz

239

5. Verfahren und Entscheidung Das Verfahren lehnt sich an Klage und Berufung an. Die entsprechenden Vorschriften sind einschlägig. Das Gesetz sieht auch keine eigene Tenorierung vor. Daher richtet sich der Tenor der Entscheidung nach den art. 8:70 und 8:84 Awb.

III. Bedeutung für den Rechtsschutz In der Praxis sind die Erfolgsaussichten einer Wiederaufnahme gering. Selbst wenn Neues i. S. des art. 8:88 Awb vorgetragen wird, ist fraglich ob die Überarbeitung des ursprünglichen Urteils zu einer anderen Entscheidung führt.231 Daher ist sie von untergeordneter Bedeutung für den Rechtsschutz.

D. Der einstweilige Rechtsschutz Die niederländische Rechtsordnung geht davon aus, dass die Abwägung zwischen den individuellen Belangen des Bürgers und dem durch die Verwaltung repräsentierten öffentlichen Interesse im Vorfeld einer Verwaltungsmaßnahme ordnungsgemäß durchgeführt wurde.232 Deshalb wird die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsmaßnahmen grundsätzlich unterstellt. Vor diesem Hintergrund normiert art. 6:16 Awb233 die Regel, dass Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung entfalten. Ausgenommen sind die Fälle, in denen ein Gesetz deren Eintritt anordnet, wie z. B. art. 16 lid 6 Monumentenwet (Denkmalgesetz)234. Allerdings ist man sich in den Niederlanden des Umstandes bewusst, dass in der Zeit bis zu einer Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer angefochtenen Maßnahme ein beträcht 231

Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht, 2001, S. 292. van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awb-Tijdperk, 2004, S. 238. 233 Art. 6:16 Awb lautet: Het bezwaar of beroep schorst niet de werking van het besluit waarte­gen het is gericht, tenzij bij of krachtens wettelijk voorschrift anders is bepaald. – Vorverfahren oder Klage setzen die Wirkung der Maßnahme, gegen die sie sich richten nicht aus, es sei denn durch oder kraft einer gesetzlichen Vorschrift wird anderes bestimmt. 234 Art. 16 lid 6 Monumentenwet lautet: De werking van de vergunning wordt opgeschort ­totdat de beroepstermijn is verstreken of, indien bereop is ingestellt, op het beroep is beslist. De vergunninghouder kann de voorzieningenrechter van de rechtbank, onderscheidenlijk de voorzitter van de Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State verzoeken de opschorting op te heffen. Titel 8.3 van de Algemene wet bestuursrecht is van overeenkomstige toepassing. – Eine Genehmigung wird erst wirksam, wenn die Rechtsmittelfrist verstrichen, oder sofern Klage eingereicht wurde über diese entschieden worden ist. Der Inhaber der Genehmigung kann bei dem für den einstweiligen Rechtsschutz zuständigen Richter am Landgericht oder bei dem Vorsitzenden der Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung beim Staatsrat beantragen, die aufschiebende Wirkung aufzuheben. Aus den dem art. 16 vorangehenden Vorschriften ergibt sich, dass es sich vorliegend um eine Abrissgenehmigung handelt. 232

240

3. Teil: Gerichtliche Verfahren

licher Schaden entstehen kann, der durch eine Aussetzung der Vollziehung verhindert werden könnte.235 Deshalb enthält das Awb ein Verfahren zum Eilrechtsschutz, die einstweilige Verfügung (voorlopige voorziening).236 Es ist dem vorläufigen Rechtsschutz in Deutschland vergleichbar.

I. Anwendungsbereich Die einstweilige Verfügung ist in den Niederlanden die einzige Möglichkeit des vorläufigen Rechtsschutzes. Sie richtet sich gegen die zwangsweise Durchsetzung der angefochtenen Maßnahme bzw. der angefochtenen Entscheidung. Meistens begehrt der Rechtsschutzsuchende die teilweise oder vollständige Herstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs,237 z. B. die Aussetzung der Vollziehung des erstinstanzlichen Urteils für die Zeit des Berufungsverfahrens.238 Wird die aufschiebende Wirkung, abweichend von der Grundregel, durch Gesetz angeordnet wie in art. 16 lid 6 Denkmalgesetz239 oder in art. 73 lid 1 Ausländergesetz240, kann der vorläufige Rechtsschutz die sofortige Vollziehbarkeit zum Ziel haben.241 Daneben besteht die Möglichkeit, im Eilverfahren eine vorläufige Re­gelung, wie den Erlass einer Maßnahme oder die Sicherung des gegenwärtigen Zustands, zu erwirken.242

235 Daalder/Heinrich, De bestuursrechtlijke voorlopige voorziening! Overzicht en einige ontwikkeling, JBplus 2005, S. 43. 236 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awb-Tijdperk, 2004, S. 238. 237 Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, Deel II, 2002, S. 305. 238 ABRvS 20.09.2006, 200606185/2. 239 Siehe Fn. 234. 240 Art. 73 lid 1 Ausländergesetz lautet: De werking van het besluit tot afwijzing van de aanvraag of de intrekking van de verblijfsvergunning wordt opgeschort totdat de termijn voor het maken van bezwaar of het instellen van administratief beroep is verstreken of, indien bezwaar is gemaakt of administratief beroep is ingesteld, totdat op het bezwaar of administratief beroep is beslist. – Die Wirkung des auf den Antrag oder die Einziehung einer Aufenthaltsgenehmigung ergangenen abweisenden Bescheids tritt erst ein, wenn die Rechtsbehelfsfrist für das allgemeine oder besondere Vorverfahren abgelaufen oder wenn eine Rechtsbehelf eingelegt wurde, wenn über diesen entschieden worden ist. 241 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 261. 242 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awb-Tijdperk, 2004, S. 240.

D. Der einstweilige Rechtsschutz

241

II. Funktionen Der einstweilige Rechtsschutz soll verhindern, dass durch die Umsetzung der angefochtenen Maßnahme ein Zustand entsteht, der das Hauptsacheverfahren überflüssig macht oder, dass der Vollzug zu einem nicht wieder gut zu machenden Schaden führt.243 Teilweise spielt die Beantragung einer einstweiligen Verfügung in einem sich anschließenden Schadensersatzprozess als eine den Schaden begrenzende Maßnahme eine Rolle. Im Zuge dieses Verfahrens muss derjenige, der den Schadensersatz fordert, nachweisen, dass er alles ihm Mögliche unternommen hat, um den Eintritt des Schadens zu verhindern oder ihn so gering wie möglich zu halten.244

III. Gesetzliche Grundlagen Die für das Eilverfahren maßgeblichen Vorschriften finden sich in Titel 8.3 des Awb, der die Überschrift „Vorläufiger Rechtsschutz und unmittelbare Entscheidung in der Hauptsache“ trägt. Der Abschnitt behandelt in sieben Artikeln (art. 8:81 bis 8:87) den Eilrechtsschutz (kort geding) im Verwaltungsrecht. Die Regelungen knüpfen an die im Jahr 1994 aufgehobenen art. 107 bis 116 des Staatsratsgesetzes (Wet op de Raad van State) an, die bereits Regelungen zum vorläufigen Rechtsschutz enthielten und sich in der Praxis bewährt haben.245 Daneben sind die Vorschriften des Titels 8.1 Awb246 (algemene bepalingen) direkt anwendbar. Von den Artikeln des Titels 8.2 Awb darf nur, wenn dies ausdrücklich bestimmt ist, Gebrauch gemacht werden.247

IV. Kontrolle durch den Richter im einstweiligen Rechtsschutz Wie im Klageverfahren gliedert sich die Prüfung im Eilverfahren in Zulässigkeit und Begründetheit. Die für den vorläufigen Rechtsschutz maßgeblichen Voraussetzungen sind art. 8:81 Awb zu entnehmen.

243 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 233; Stroink, Kern van de bestuursrechtspraak, 2004, S. 153. 244 ABRvS 15.06.1998, AB 1999, 334. 245 Daalder/de Groot, Parlementaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede tranche, 1994, MvT, S. 505. 246 Dieser Abschnitt enthält die allgemeinen Bestimmungen zum Klageverfahren. 247 Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, Deel II, 2002, S. 289.

242

3. Teil: Gerichtliche Verfahren

1. Zulässigkeit Gem. art. 8:81 lid 1 Awb248 ist der Rechtsbehelf zulässig, wenn in der Haupt­ sache bereits ein Verfahren anhängig ist (Verknüpfungserfordernis) und der Rechtsbehelfsführer bei dem zuständigen Gericht einen ordnungsgemäßen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt hat. a) Verknüpfungserfordernis Den Umstand, dass einstweiliger Rechtsschutz nur möglich ist, wenn bereits ein Vor- oder Klageverfahren eingeleitet ist, bezeichnet man in den Niederlanden als das Verknüpfungserfordernis (Connexiteitsvereiste). Vorläufiger Rechtsschutz kann demnach nur während eines anhängigen Verfahrens erlangt werden. Das setzt gleichzeitig voraus, dass der Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren zulässig ist.249 Gewöhnlich wird der einstweilige Rechtsschutz gemeinsam mit dem Rechtsbehelf in der Hauptsache beantragt.250 Macht der Betroffene sein Begehren auf Durchführung eines Eilverfahrens vor Einleitung des Vor- oder Klageverfahrens geltend, ist es unzulässig.251 Hiervon normiert Art 8:81 lid 5 Awb252 eine Ausnahme. Wurde der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes während eines laufenden Vorverfahrens eingereicht und dieses entschieden, bevor eine mündliche Verhandlung im Eil­

248 Art. 8:81 lid 1 Awb lautet: Indien tegen een besluit bij de rechtbank beroep is ingesteld dan wel, voorafgaand aan een mogelijk beroep bij de rechtbank, bezwaar is gemaakt of administratief beroep is ingesteld, kann de voorzieningenrechter van de rechtbank die bevoegd is of kan worden in de hoofdzaak, op verzoek een voorlopige voorziening treffen indien overwijlde spoed, gelet op de betrokken belangen, dat vereist. – Ist gegen eine Maßnahme bei Gericht Klage eingereicht, oder einer möglichen Klage vorausgehend von einem Rechtsbehelf im allgemeinen oder besonderen Vorverfahren Gebrauch gemacht, kann der für den vorläufigen Rechtsschutz zuständige Richter des Hauptsachegerichts, auf Antrag vorläufigen Rechtsschutz gewähren, sofern in Bezug auf die betroffenen Interessen Eile geboten ist. 249 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 235. 250 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:81 Nr. 2. 251 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 263. 252 Art. 8:81 lid 5 Awb lautet: Indien een verzoek om voorlopige voorziening is gedaan nadat bezwaar is gemaakt of administratief beroep is ingesteld en op dit bezwaar of beroep wordt beslist voordat de zitting heeft plaatsgevonden, wordt de verzoeker in de gelegenheid gesteld beroep bij de rechtbank in te stellen. Het verzoek om voorlopige voorziening wordt gelijkgesteld met een verzoek dat wordt gedaan hangende het beroep bij de rechtbank. – Wurde ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz eingereicht nachdem ein Vorverfahren eingeleitet wurde und wird dieses entschieden bevor die mündliche Verhandlung im Eilverfahren stattgefunden hat, wird dem Antragssteller die Gelegenheit gegeben, bei Gericht zu klagen. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird dann einem Antrag gleichgestellt, der während eines laufenden Klageverfahrens eingereicht wird.

D. Der einstweilige Rechtsschutz

243

verfahren stattgefunden hat, so wird der Antrag im Falle einer Klage als Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Klageverfahren behandelt.253 b) Zuständiges Gericht Für das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz ist gem. art. 8:81 lid 1 Awb das Gericht des Hauptsacheverfahrens zuständig oder, falls sich die Streitigkeit noch im Stadium des Vorverfahrens befindet, das Gericht, das im Klageverfahren zuständig wäre. Die örtlichen Zuständigkeit (relative competentie) richtet sich nach art. 8:7 Awb.254 Gem. art. 50 Gerichtsverfassungsgesetz (Wet Rechterlijke Organisatie, Wet RO)255 findet das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz immer vor dem Einzelrichter statt. Gerichtsintern liegt die Verantwortlichkeit grundsätzlich bei dem Vorsitzenden der Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung des örtlich zuständigen Landgerichts. Bis 2002 sprach das Awb von der Zuständigkeit des Präsidenten.256 Heute trägt der für die Bearbeitung des Eilverfahren verantwortliche Richter gem. art. 50 lid 2 Gerichtsverfassungsgesetz257 den Titel Richter im einstweiligen Rechtsschutz (Voorzieningenrechter). Ausnahmsweise darf die Kompetenz einem anderen Richter der Abteilung übertragen werden.258 c) Antrag Ein Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz findet nur auf Antrag statt. Dieser kann jederzeit während des laufenden Verfahrens gestellt werden, wird aber zweckmäßig bereits mit der Rechtsbehelfsschrift im Vor- oder Klageverfahren ein-

253

Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 263. van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:81 Nr. 2 b). 255 Art. 50 lid 1 Gerichtsverfassungsgesetz lautet: Het bestuur vormt voor het behandelen en beslissen van zaken waarvoor in verband met onverwijlde spoed een voorziening wordt gevraagd enkelvoudige kamers en bepaalt de bezetting daarvan. Deze kamers kunnen ook andere bij de wet aan hen toebedeelde zaken behandelen en beslissen. – Die Verwaltung (des Gerichts) formt für das Handeln und Entscheiden in Angelegenheiten, in denen Eilrechtsschutz beantragt wird, mit einem Richter besetzte Kammern und bestimmt deren Besetzung. Diese Kammern können auch andere ihnen durch Gesetz auferlegte Angelegenheiten behandeln und entscheiden. 256 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 259. 257 Art. 50 lid 2 Gerichtsverfassungsgesetz lautet: Degene die zitting heeft in een enkelvoudige kamer als bedoeld in het eerste lid draagt de titel van voorzieningenrechter. – Derjenige, der die Verhandlung nach Abs. 1 als Einzelrichter führt, trägt den Titel Richter im einstweiligen Rechtsschutz („Voorzieningenrechter“). 258 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:81 Nr. 2 b); Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, Deel II, 2002, S. 285. 254

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

gereicht.259 Der Antrag ist zulässig, wenn er den gesetzlichen Voraussetzungen entspricht und der Antragsteller antragsbefugt ist. aa) Anforderungen an den Antrag Art. 8:81 lid 4 Awb260 normiert die Anforderungen, die an einen ordnungsgemäßen Antrag gestellt werden. Er verweist auf die Vorschriften, art. 6:4 lid 3, 6:5, 6:14, 6:15, 6:17 und 6:21 Awb, die auch für die Rechtsbehelfsschriften im Vorund Klageverfahren gelten. Gem. art. 6:4 lid 3 Awb muss der Antrag bei dem für den vorläufigen Rechtsschutz zuständigen Richter des Landgerichts eingereicht werden. Er muss gem. art. 6:5 Awb die gleichen Voraussetzungen wie die Klageschrift und die Antragsschrift im Vorverfahren261 erfüllen.262 Zudem besteht gem. art. 6:14 Awb die Verpflichtung, die Ausgangsbehörde über den Eingang des Antrags in Kenntnis zusetzen. Bei Unzuständigkeit der angerufenen Stelle ist er gem. art. 6:15 Awb an die zuständige Behörde weiterzuleiten. Art. 6:17 Awb verbrieft das Recht des Rechtsbeistandes auf Akteneinsicht. Der Antrag kann gem. art. 6:21 Awb schriftlich, aber auch mündlich in der Hauptverhandlung erfolgen.263 Als Ausfluss des Verknüpfungserfordernisses fordert art. 8:81 lid 4 Awb zusätzlich eine Kopie der Antragsschrift im Hauptsacheverfahren als Anlage zum Antrag im vorläufigen Rechtsschutz.264 Eine Kombination aus Klageschrift und Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird als zulässig erachtet. Es bedarf jedoch eines ausdrücklichen Hinweises, dass der Antragsteller die Durchführung beider Verfahren beabsichtigt.265 Sind die Mindestanforderungen nicht erfüllt, muss dem Antragsteller die Möglichkeit eingeräumt werden, das Versäumte binnen einer bestimmten Frist nach­ zuholen, bevor der Antrag abgewiesen wird.266

259

van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:81 Nr. 2 c). 260 Art. 8:81 lid 4 Awb lautet: De artikelen 6:4 derde lid, 6:5, 6:6, 6:14, 6:15, 6:17 en 6:21 zijn van overeenkomstige toepassing. De indiener van het verzoekschrift die bezwaar heeft gemakt dan wel beroep heeft ingesteld, legt daarbij een afschrift von het bezwaar- of beroepschrift over. – Die Artikel 6:4 lid 3, 6:5, 6:6, 6:14, 6:15, 6:17 und 6:21 sind übereinstimmend anzuwenden. Der Antragsteller, der ein Vor- oder Klageverfahren eingeleitet hat, fügt eine Abschrift der Rechtsbehelfsschrift bei. 261 Siehe hierzu 3. Teil, A. I. 1. a) aa). 262 Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, Deel II, 2002, S. 291. 263 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:81 Nr. 5 a). 264 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:81 Nr. 5 b). 265 ABRS 17.11.1997, nr. E 03.96 0779. 266 Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, Deel II, 2002, S. 291.

D. Der einstweilige Rechtsschutz

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bb) Antragsbefugnis Der Kreis der Antragsbefugten richtet sich nach dem Stadium, in dem sich das Verfahren in der Hauptsache befindet. Das Awb unterscheidet zwischen der Antragsbefugnis im Vorverfahren und der im Klageverfahren. (1) Antragsbefugnis im Vorverfahren Während des allgemeinen oder besonderen Vorverfahrens ist gem. art. 8:81 lid 3 Awb267 derjenige, der den Antrag auf Durchführung des Vorverfahrens gestellt hat, auch im Eilverfahren antragsberechtigt. Im Falle des besonderen Vorver­fahrens (administratief beroep) kann zudem ein Drittbetroffener, der im Hauptverfahren nicht antragsberechtigt ist, um vorläufigen Rechtsschutz ersuchen. Die Erweiterung wird damit begründet, dass der Kreis der Antragsbefugten im besonderen Vorverfahren stark eingeschränkt ist. Es soll verhindert werden, dass der Gruppe der Drittbetroffenen nur die Möglichkeit des vorläufigen Rechtsschutzes durch die Zivilgerichte (kort geding) bleibt.268 (2) Antragsbefugnis im Klageverfahren Befindet sich die Hauptsache bereits im Klageverfahren, ist gem. art. 8:81 lid 2 Awb269 jede Partei i. S. d. Abteilung 8.1.5. Awb antragsbefugt. Das bedeutet, nicht nur der Kläger kann um vorläufigen Rechtsschutz ersuchen, sondern alle, die gem. art. 8:26 Awb als Partei am Prozess beteiligt sind.270 Ihrem Wortlaut nach schließt die Vorschrift nicht aus, dass die Ausgangsbehörde gegen die eigene Maßnahme vorläufigen Rechtsschutz beantragt,271 was der ratio des Gesetzes wider 267 Art. 8:81 lid 3 Awb lautet: Indien voorafgaand aan een mogelijk beroep bij de rechtbank bezaar is gemaakt of administratief beroep is ingesteld, kan een verzoek om voorlopige voorziening worden gedaan door de indiener van het bezwaarschrift, onderscheidenlijk door de indiener van het beroepschrift of door de belanghebbende die geen recht heeft tot het instellen van administratief beroep. – Wenn vor einer möglichen Klage ein allgemeines oder besonderes Vorverfahren eingeleitet worden ist, können der Antragsteller im allgemeinen oder besonderen Vorverfahren oder ein Drittbetroffener, der im besonderen Vorverfahren nicht antragsbefugt ist, einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stellen. 268 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:81 Nr. 4. 269 Art. 8:81 lid 2 Awb lautet: Indien bij de rechtbank beroep is ingesteld, kann een verzoek om voorlopige vorziening worden gedaan door een partij in de hoofdzaak. – Wenn bei Gericht Klage eingereicht ist, kann vorläufiger Rechtsschutz durch eine der Parteien des Hauptsacheverfahrens beantragt werden. 270 Daalder/de Groot, Parlementaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede tranche, 1994, MvT, S. 507. 271 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:81 Nr. 3.

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

spricht.272 Es kommt allerdings vor, dass die Ausgangsbehörde im 1. Rechtszug verliert und verurteilt wird, z. B. die beantragte Genehmigung zu erteilen. Legt sie hiergegen Berufung ein, beantragt sie meist gleichzeitig die Verpflichtung, das Urteil zu vollziehen bzw. auszusetzen, bis in der 2. Instanz entschieden ist.273 2. Begründetheit Die Bindung an die Anhängigkeit eines Hauptsachverfahrens bedeutet, dass der Richter bei seiner Kontrolle an die Grenzen des Hauptsacheverfahrens ge­bunden ist.274 Er genießt insgesamt bei der Prüfung der Begründetheit im einstweiligen Rechtsschutz allerdings größere Freiheit als in anderen Verfahren.275 Die Entscheidung im Eilverfahren kann nicht angefochten werden. Deshalb entfällt eine Kontrolle durch die 2. Instanz.276 Zudem sind die gesetzlichen Vorgaben durch unbestimmte Rechtsbegriffe geprägt, die es auszufüllen gilt. Gem. art. 8:81 lid 1 Awb hat der Antrag Aussicht auf Erfolg, wenn die betroffenen Interessen unverzüg­liche Eile fordern. a) Betroffene Interessen Ob die betroffenen Interessen eine Entscheidung zu Gunsten des Eilrechtsschutzes erfordern, ist anhand einer Interessenabwägung zu ermitteln. Es stehen sich das Interesse am Erfolg des Antrags und das Interesse am sofortigen Vollzug der Maßnahme gegenüber. Dabei bezieht der Richter häufig die Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheids in seine Erwägungen mit ein. Auch der Vortrag des Antrag­ stellers spielt eine wichtige Rolle.277 aa) Abwägung der betroffenen Interessen In die Abwägung sind die für den Antragsteller mit der Durchsetzung verbundenen Nachteile einzustellen. Das zu erwartende Ausmaß der Beeinträchtigung und 272

CRvB 23.04.1998, AB 1998, 250; ABRS 10.01.2000, ABkort 2000, 217. ABRvS 20.09.2006, 200606185/2. 274 Daalder/Heinrich, De bestuursrechtlijke voorlopige voorziening! Overzicht en einige ontwikkeling, JBplus 2005, S. 4. 275 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 264. 276 Diese Regelung ist sehr umstritten. Deshalb gibt es derzeit Bestrebungen, eine Berufung gegen Entscheidungen im Eilverfahren einzuführen. Siehe dazu de Poorter, de voorlopige voozieningsprocedure: is een herbezinning vereist op de wettelijke regeling van de voorlopige rechtsbescherming?, NTB 2006, S. 12–20; Bots, Voorlopige voorziening en onmiddelijki uitspraak in de hoofdzaak, TAR 2006, S. 307–317. 277 Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht, 2001, S. 225. 273

D. Der einstweilige Rechtsschutz

247

die Bedeutung der betroffenen Interessen für den Antragsteller bilden den durch das Gericht anzulegenden Maßstab.278 Nach der Rechtsprechung muss der Nachteil den Antragsteller entweder unverhältnismäßig schwer oder so entscheidend treffen, dass dies einstweiligen Rechtsschutz fordert.279 Kriterium für einen derartig ernsthaften Nachteil kann sein, dass durch die angefochtene Maßnahme ein Zustand entsteht, der nicht mehr rückgängig zu machen ist280 oder dass ihre Vollziehung einen beträchtlichen Schaden beim Antragsteller hervorruft.281 Im Jahr 2005 bewertete die ABRvS282 z. B. das Interesse der Öffentlichkeit, vertreten durch den Minister für Ausländerangelegenheiten als Antragsteller, an der Inhaftierung eines unter Terrorismusverdacht stehenden Ausländers höher, als dessen Recht, sich frei bewegen zu können. Obwohl die 1. Instanz den Freiheitsentzug für rechtswidrig befunden hatte, entschied die ABRvS, dass der Eingriff in die Freiheitsrechte des Häftlings geringer wiege als die Folgen, die sich für die Öffentlichkeit durch eine Freilassung ergeben könnten. bb) Vorläufige Beurteilung der Hauptsache Anders als bei der Begründetheit in deutschen Eilverfahren, steht die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme des Hauptsacheverfahrens nicht im Vordergrund, sondern der dem Antragsteller durch deren Vollziehung entstehende Nachteil. Nach Niederländischer Rechtsauffassung handelt es sich bei der Ge­ währung einstweiligen Rechtsschutzes um eine rein prozessuale Maßnahme (orde­ maatregel).283 Die ABRvS und der CRvB betonen in ihrer Rechtsprechung zum einstwei­ligen Rechtsschutz, dass eine definitive Entscheidung zur Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme nur im Hauptsacheverfahren getroffen werden könne.284 Deshalb sei deren Beurteilung nicht Sache des Eilverfahrens und lediglich die unter a. beschriebene Abwägung durchzuführen.285 Führt der Antragsteller aber eine Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheids aus bestimmten Gründen an, so darf dessen mögliche Fehlerhaftigkeit nicht unbeachtet bleiben.286 Die ABRvS prüft dann, ob die vorgetragenen Einwände geeignet sind, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in 278

Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, Deel II, 2002, S. 299. Vgl. ABRvS 22.03.2002, AB 2002, 202. 280 ABRvS 03.06.2005, AB 2005, 402. 281 ABRvS 01.12.2004, 2000407361/2. 282 ABRvS 03.06.2005, AB 205, 402. 283 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awb-Tijdperk, 2004, S 239. 284 CRvB 22.03.2007,07/104 AWBZ-VV; CRvB 19.12.2007, 07/5903 WVG;CRvB 09.05. 2005, 05/2107 WVG. 285 ABRvS 03.06.2005, AB 2005, 402; ABRvS 01.12.2004, 2000407361/2. 286 Rb.Leeuwarden 03.02.1994, Awb-katern 1994, 7; Awb-katern = tweewekelijkse bijlage bij Aministratiefrechtelijke Beslissingen; ABRvS 06.04.2006, 200507407/02. 279

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

Zweifel zu ziehen.287 Das heißt, es findet keine summarische Prüfung, wie z. B. im Verfahren nach § 80 V VwGO statt, sondern ein punktuelle, die sich auf den Vortrag des Antragstellers bezieht. Spricht das Ergebnis der Kontrolle für eine Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheids, weist der Richter den Antrag zurück.288 Vermutet er dagegen eine Rechtswidrigkeit, gibt er, sofern auch die Eilbedürftigkeit bejaht wird, dem Antrag statt.289 Allerdings muss es sich um eine Rechtswidrigkeit aus materiellen Gründen handeln. Formelle Gründe wie eine fehlerhafte Form des Ausgangsbescheids reichen nicht aus.290 cc) Bedeutung der Begründung des Antrags Aus den Ausführungen unter b. folgt, dass der Begründung des Antrags eine wichtige Funktion zukommt. Der Antragsteller muss genau darlegen, inwieweit seine Interessen beeinträchtigt sind, welche Nachteile ihm durch die Umsetzung der angefochtenen Maßnahme entstehen und warum er sie für rechtswidrig hält.291 Wegen des Zeitdrucks, unter dem das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz steht, ist das Gericht darauf angewiesen, dass die Parteien aktiv an der Feststellung der anspruchsbegründenden Tatsachen mitarbeiten. Meist führt es seine Kontrolle anhand der vorgetragenen Einwände durch. Ist der Antrag unklar oder schlecht begründet, hat er keine Aussicht auf Erfolg. Viele Anträge scheitern bereits an einer mangelhaften Begründung.292 Die Ausgangsbehörde hat alle dem Ausgangsbescheid betreffenden Akten vorzulegen. Obwohl grundsätzlich keine Anwesenheitspflicht für die mündliche Verhandlung im Eilverfahren besteht, kann sich Abwesenheit negativ auswirken.293 b) Unverzügliche Eile Für die Beurteilung der unverzüglichen Eile ist die zeitliche Komponente entscheidend. Das Gericht muss feststellen, ob es dem Antragsteller zuzumuten ist, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.294 Deshalb lässt der 287 ABRvS 17.11.2006, 200607368/02; ABRvS 12.10.2007, 200705475/02; ABRvS 05.01. 2007, 200608192/1. 288 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:81 Nr. 2 e); Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, Deel II, 2002, S. 302. 289 ABRvS 06.04.2006, 200507407/02. 290 ABRvS 30.03.2001, 200100807/02. 291 Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, Deel II, 2002, S. 297. 292 Rb. Den Haag 02.08.1994, KG 1994, 309; Rb. Den Haag 15.08.1994, KG 1994, 342. 293 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 6.druk 2001, S. 238. 294 Widdershoven/Verhoeven/Prechal/Duikersloot/van de Gronden/Hessel/Ortlep, De Euro­ pese agenda van de Awb, Derde Evaluatie van de Algemene wet bestuursrecht 2006, Universiteit Utrecht 2007, S. 151.

D. Der einstweilige Rechtsschutz

249

Richter zunächst bei der Ausgangsbehörde anfragen, für welchen Zeitpunkt sie die Vollziehung der angefochtenen Maßnahme plant.295 Steht die Vollziehung unmittelbar bevor und ist sie mit einer unverhältnismäßig hohen Belastung für den Antragsteller verbunden, wird eine Interessenabwägung sinnlos. Der Richter pflegt, wenn das Verwaltungsorgan nicht bereit ist, bis zu seiner Entscheidung von der Vollziehung abzusehen, dem Antrag ohne weiteres stattzugeben.296 In Anwendung des art. 8:83 lid 4 Awb297 findet keine mündliche Verhandlung statt.298 Umgekehrt führt dessen Bereitschaft, die Vollziehung bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren auszusetzen, dazu, dass der Antrag abgelehnt wird.299 Das gleiche gilt, wenn die für den Antragsteller mit der Vollziehung verbundenen Nachteile kaum ins Gewicht fallen.300 Die unverzügliche Eile kann zu verneinen sein, wenn der Antragsteller seinen Antrag erst in einer späten Phase des Hauptsacheverfahrens stellt. Entscheidend ist dann, dass kein unmittelbarer Nachteil droht, der es dem Antragsteller unzumutbar macht, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.301 Nach Abweisung des Antrags wird das Hauptverfahren meist besonders zügig weiter­ bearbeitet.302

V. Prozessuale Besonderheiten des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz Das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz orientiert sich am Klageverfahren. Teilweise gelten die gleichen Regelungen. Die wesentlichen Unterschiede zum Klageverfahren bestehen in der Verkürzung der Fristen und dem größeren Freiraum des Richters.303 Art. 8:83 Awb normiert die speziell im Eilverfahren geltenden Regelungen.

295

ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 237. Rb. Roermond 22.03.1994, Awb-katern 1994, 53; Rb. Breda 30.06 1994, Awb-katern 1994, 164. 297 Art. 8:83 lid 4 Awb lautet: Indien onverwijlde spoed dat vereist en partijen daardoor niet in hun belangen worden geschaad, kan de voorzieningenrechter ook in andere gevallen uitspraak doen zonder toepassing van het eerste lid. – Sofern unverzügliche Eile dies erfordert und die Parteien dadurch nicht in ihren Interessen beeinträchtigt werden, kann der Richter im einstweiligen Rechtsschutz auch in anderen Fällen ohne Anwendung des Absatzes 1 eine Entscheidung treffen. 298 Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, Deel II, 2002, S. 301. 299 Rb. Arnhem 25.08.1994, Awb-katern 188. 300 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 237. 301 Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, Deel II, 2002, S. 301. 302 ABRvS, 19.09.2001, AB 2001, 321. 303 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 264. 296

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

1. Ladung Es findet grundsätzlich keine Voruntersuchung statt. Nach Eingang des Antrags, werden die Parteien so schnell wie möglich zu einer mündlichen Verhandlung geladen, art. 8:83 lid 1 eerste volzin (Satz 1) Awb304. Im Weiteren gelten die Regelungen für das Klageverfahren (art. 8:59–8:65), mit Ausnahme der Pflicht zu erscheinen. In der Ladung befindet sich ein Hinweis darauf, dass der Richter auch ohne mündliche Verhandlung entscheiden darf und dass die Möglichkeit besteht, Akten einzureichen.305 2. Aktenvorlage Gem. art. 8:83 lid 1 tweede volzin Awb306 setzt der Richter einen Termin fest, bis zu dem die Ausgangsbehörde alle den Fall betreffenden Akten vorlegen muss. Einer Verteidigungsschrift bedarf es nicht.307 Gem. art. 8:83 lid 1 derde volzin Awb308 können Akten abweichend von den Regelungen für das Hauptsacheverfahren bis einen Tag vor der mündlichen Verhandlung vorgelegt werden. In besonderen Fällen ist dies sogar noch während der mündlichen Verhandlung möglich.309 3. Mündliche Verhandlung Gem. art. 8:83 lid 1 vierde volzin Awb310 gelten dieselben Regeln wie für eine mündliche Verhandlung im Klageverfahren. Das betrifft besonders die Möglichkeit, das persönliche Erscheinen der Parteien anzuordnen, sowie das Einschalten 304

Art. 8:83 lid 1 eerste volzin Awb lautet: Partijen worden zu spoedig mogelijk uitgenodigd om op een in de uitnodiging te vermelden plaats en tijdstip op een zitting te verschijnen. – Die Parteien werden so schnell wie möglich zu einer mündlichen Verhandlung, deren Ort und Zeit in der Ladung bekannt zu geben ist, geladen. 305 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:83 Nr. 2 a). 306 Art. 8:83 lid 1 tweede volzin Awb lautet: Binnen een door de voorzieningenrechter te bepalen termijn zendt het bestuursorgaaan de op de zaak betrekking hebbende stukken aan hem. – Binnen eines durch den Richter im einstweiligen Rechtsschutz zu bestimmenden Termins muss die Behörde dem Gericht die die Angelegenheit betreffenden Akten zusenden. 307 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:81 Nr. 2 b). 308 Art. 8:83 lid 1 derde volzin Awb lautet: Artikel 8:58 is van overeenkomstige toepassing, met dien verstande dat tot een dag voor de zitting nadere stukken kunnen worden ingediend. – Artikel 8:58 ist insoweit von übereinstimmender Anwendbarkeit, dass bis einen Tag vor der mündliche Verhandlung weitere Akten eingereicht werden können. 309 Daalder/de Groot, Parlementaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede tranche, 1994, MvT, S. 509. 310 Art. 8:83 lid 1 derde volzin Awb lautet: De artikelen 8:59 tot en met 8:65 zijn van overeenkomstige toepassing, met dien verstande dat getuigen en deskundigen kunnen worden meegebracht of opgeroepen zonder dat de in artikel 8:60, vierde lid, eerste volzin, bedoelde me-

D. Der einstweilige Rechtsschutz

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von Zeugen und Sachverständigen, aber auch den Gang der mündlichen Verhandlung, die Öffentlichkeit der Sitzung und deren Ende. Eine Ausnahme bildet der Umstand, dass die Parteien Zeugen und Sachverständige mitbringen dürfen, ohne dies zuvor dem Richter oder der anderen Partei angekündigt zu haben.311 4. Entbehrlichkeit der mündlichen Verhandlung Ist das im Eilrechtsschutz angerufene Gericht offensichtlich unzuständig oder der eingereichte Antrag offensichtlich unzulässig, unbegründet oder begründet, kann der Richter seine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen, art. 8:83 lid 3 Awb.312 Über einen Fall der offensichtlichen Unzuständigkeit hatte die ABRvS313 im Jahr 2009 zu befinden. Die Antragsteller begehrten die Berufung gegen eine im Eilverfahren ergangene Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts. Die Prozessordnung sieht jedoch keine Berufung für das Eilverfahren vor. Ebenfalls ohne mündliche Verhandlung darf in Fällen entschieden werden, in denen größte Eile geboten ist. Voraussetzung ist allerdings, dass dadurch die Interessen der Parteien nicht geschädigt werden, art. 8:83 lid 4 Awb. In den Fällen des art. 8:83 lid 3314 oder lid 4 Awb muss eine Voruntersuchung315 durchgeführt werden.316

VI. Die Entscheidung Gem. art. 8:84 lid 1 Awb317 ergeht die Entscheidung durch den für den einstweiligen Rechtsschutz zuständigen Richter so schnell wie möglich schriftlich oder mündlich. Einen konkreten Termin nennt das Gesetz nicht.318 Nach deutschem dedeling is gedaan. – Die Artikel 8:59 bis 8:65 sind übereinstimmend anzuwenden, mit der Ausnahme, dass Zeugen und Sachverständige mitgebracht oder aufgerufen werden können ohne dass eine Mitteilung i. S. d. Artikel 8:60, Abs. 4, Satz 1 ergangen ist. 311 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:83 Nr. 2 d). 312 Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, Deel II, 2002, S. 293. 313 ABRvS 08.04.2009, AB 2009, 234. 314 Art. 8:83 lid 3 Awb lautet: Indien de voorzieningenrechter kennelijk onbevoegd ist of het verzoek kennelijk niet-ontvankelijk, kennelijk ongegrond of kennelijk gegrond is, kann de voorzieningenrechter uitspraak doen zonder toepassing van het eerste lid. – Wenn der Richter im einstweiligen Rechtsschutz offensichtlich unzuständig, der Antrag offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet oder offensichtlich begründet ist, kann der Richter im einst­ weiligen Rechtsschutz seine Entscheidung ohne Anwendung des 1. Absatzes treffen. 315 Siehe dazu 3. Teil, B. V. 1. 316 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:83 Nr. 1. 317 Art. 8:84 lid 1 Awb lautet: De voorzieningenrechter doet zo spoedig mogelijk schriftelijk of mondeling uitspraak. – Der Richter im einstweiligen Rechtsschutz verkündet seine Entscheidung so schnell wie möglich schriftlich oder mündlich. 318 Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht, 2001, S. 227.

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

Rechtsverständnis handelt es sich bei der Entscheidung um einen Beschluss. Die Niederländische Rechtssprache kennt keine Beschlüsse. Sie bezeichnet gericht­ lichen Entscheidungen als uitspraak, wörtlich übersetzt Ausspruch319. Die Entscheidung im Eilverfahren hat vorläufigen Charakter und ist für das Hauptverfahren nicht bindend.320 Antragsschrift, vorgelegte Akten und der Vortrag der Parteien dienen als Grundlage. Das Begehren des Antragstellers bildet die Grenze.321 1. Inhalt der Entscheidung Die möglichen Urteilsformeln im einstweiligen Rechtsschutz korrespondieren mit denen im Klageverfahren.322 Gem. art. 8:84 lid 2 Awb323 kommen ausschließlich Unzuständigkeit des Richters im einstweiligen Rechtsschutz, Unzulässigkeit, Ablehnung des Antrags, Zuweisung des Antrags oder teilweise Zuweisung, unter Ablehnung des Antrags im Übrigen, als Tenor in Betracht.324 a) Unzuständigkeit des Richters im einstweiligen Rechtsschutz Unzuständigkeit des Richters im einstweiligen Rechtsschutz liegt vor, wenn das falsche Gericht angerufen wurde. Die Zuständigkeit ist anhand der art. 8:1 Awb bzw. art. 8:7 Awb zu ermitteln. Da gem. art. 6:15 Awb die Pflicht besteht, den Antrag an die zuständige Stelle zu verweisen, wird dieser Tenor äußerst selten gebraucht.325 319 Es handelt sich um einen Oberbegriff, den man eher mit gerichtlicher Entscheidung übersetzen sollte. Davon abzugrenzen sind die „uitspraken“ nach Abteilung 8.2.6 Awb und art. 8:86 Awb. Hierbei handelt es sich um Endurteile. Das niederländische Prozessrecht unterscheidet nicht zwischen Beschluss und Urteil. 320 ABRvS, 19.09.2001, AB 2001, 321; ABRvS 01.12.2004, 200407361/2. 321 Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, Deel II, 2002, S. 304. 322 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:84 Nr. 3. 323 Art. 8:84 lid 2 Awb lautet: De uitspraak strekt tot: a. onbevoegdverklaring van de voorzieningenrechter, b. niet-ontvankelijkverklaring van het verzoek, c. afwijzing van het verzoek, of d. gehele of gedeeltelijke toewijzing van het verzoek. Als Tenor einer Entscheidung kommt in Betracht: a. Unzuständigkeit des Richters im einstweiligen Rechtsschutz, b. Unzulässigkeit des Antrags, c. Zurückweisung des Antrags oder d. teilweise oder vollständiges Bewilligen des Antrags. 324 Schreuder-Vlasblom, de awb; het bestuursprocesrecht, 2001, S. 227. 325 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:84 Nr. 3 b).

D. Der einstweilige Rechtsschutz

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b) Unzulässigkeit Der Rechtsbehelf ist unzulässig, wenn die in diesem Kapitel unter VI. 1. a. bis c. beschriebenen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. c) Ablehnung des Antrags Geht der Richter aufgrund seiner vorläufigen Beurteilung von einer Rechtmäßigkeit der umstrittenen Maßnahme aus, lehnt er den Antrag ab. Bestehen Zweifel an der Rechtmäßigkeit oder wurde diese nicht geprüft, kann sich die Ablehnung auf der Grundlage der Abwägung der betroffenen Belange ergeben. Das gleiche gilt, wenn die Eilbedürftigkeit verneint wird.326 d) Stattgabe des Antrags Der Antrag hat Erfolg, wenn die umstrittene Maßnahme nach der vorläufigen Beurteilung des Richters rechtswidrig ist oder, falls Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen, die Abwägung zu Gunsten des Antragstellers ausgefallen ist und die Eilbedürftigkeit bejaht wird.327 Der vorläufige Rechtsschutz kann die aufschiebende Wirkung teilweise oder vollständig herstellen, daneben aber auch andere Begehren, wie z. B. die sofortige Vollziehung oder die vorläufige Erteilung einer Genehmigung betreffen.328 Denkbar sind Anordnungen, wie z. B.: –– die Anordnung, dass ein Antragsteller so behandelt wird, als sei ihm die durch die Behörde verweigerte Genehmigung erteilt worden; –– die Anordnung, einem Antragsteller einen Vorschuss auf die ihm verweigerte Subvention zu zahlen;329 –– die Anordnung, dass eine Behörde zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Verwaltungsmaßnahme erlassen muss, deren Erlass sie verweigert hat; –– die Anordnung, die mit einer Maßnahme verbundenen Auflagen aufzuheben oder zu erweitern.330 326

van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:84 Nr. 3 d). 327 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:81 Nr. 3 e). 328 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awb-Tijdperk, 2004, S. 239. 329 Damen, Bestuursrecht Deel 2 Rechtsbescherming tegen de overheid, 2006, S. 268. 330 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awb-Tijdperk, 2004, S. 240.

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

Die Anordnung kann auch aus einer Kombination von aufschiebender Wirkung und einem anderen Begehren bestehen.331 2. Die stattgebende Entscheidung Die Stattgabe des Antrags entfaltet Rechtswirkungen zugunsten des Antragstellers, die zeitlich begrenzt sind. a) Rechtswirkung der Stattgabe Vorläufiger Rechtsschutz für den Antragsteller bedeutet, dass die angefochtene Maßnahme oder das angefochtene Urteil nicht mehr vollzogen werden darf. Die einstweilige Verfügung wirkt unmittelbar hemmend auf die angefochtene Maßnahme. Das betrifft z. B. die Androhung von Zwangsmaßnahmen. Die Behörden haben dann keine Möglichkeit der Durchsetzung mehr. Richtet sich der vorläufige Rechtsschutz gegen eine erteilte Genehmigung, darf der Begünstigte keinen Gebrauch mehr von dieser machen.332 Handelt er dem zuwider, drohen strafrecht­ liche Konsequenzen. Zivilrechtlich ist der Tatbestand einer unerlaubten Handlung erfüllt.333 Stellt das Gericht im Hauptsacheverfahren fest, dass eine Maßnahme, für die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung angeordnet wurde, rechtmäßig ist, so wird die Maßnahme behandelt, als sei sie mit ihrem Erlass wirksam geworden.334 b) Dauer des vorläufigen Rechtsschutzes Die aufschiebende Wirkung beginnt grundsätzlich erst mit Verkündung der Entscheidung. Sie tritt nicht rückwirkend ein.335 Der Richter im einstweiligen Rechtsschutz hat sogar die Möglichkeit, einen Zeitpunkt in der Zukunft zu bestimmen, ab dem der einstweilige Rechtsschutz wirksam werden soll.336 331 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awb-Tijdperk, 2004, S. 239. 332 Michiels, Hoofdzaken van het bestuursrecht, 2009, S. 197. 333 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/Ouden/Polak, Bestuursrecht in het Awb-Tijdperk, 2004, S. 239 f. 334 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:81 Nr. 2 d). 335 Daalder/de Groot, Parlementaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede tranche, 1994, MvT, S. 511. 336 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:84 Nr. 3 e).

D. Der einstweilige Rechtsschutz

255

Art. 8:85 Awb enthält die Bestimmungen zum Ende des vorläufigen Rechtsschutzes. Gem. art. 8:85 lid 1 Awb337 kann der Richter einen Zeitpunkt, an dem der vorläufige Rechtsschutz enden soll, bestimmen. Es ist z. B. möglich, die Wirkung einer Maßnahme auszusetzen, bis in einer ähnlichen Angelegenheit über die entscheidende Rechtsfrage ein Urteil ergangen ist.338 Gem. art. 8:85 lid 2 Awb339 endet der vorläufige Rechtsschutz in zwei Fällen zwingend von Rechts wegen, zum einen, wenn gegen den im Vorverfahren ergangenen Bescheid keine Klage erhoben wurde, mit Verstreichen der Klagefrist, zum anderen durch die Rücknahme des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren. Auch die Entscheidung in der Hauptsache führt zu einem Ende des vorläufigen Rechtsschutzes. Hier besteht allerdings die Möglichkeit, dass das Urteil einen späteren Zeitpunkt bestimmt.340 Wird bereits im Vorverfahren vorläufiger Rechtsschutz gewährt, so erstreckt sich dessen Wirkung auch auf ein anschließendes Klageverfahren.341 3. Unmittelbare Entscheidung in der Hauptsache Die Entscheidung im Eilverfahren ergeht grundsätzlich nur vorläufig. Unter den Voraussetzungen des art. 8:86 Awb342 kann der Richter im einstweiligen Rechtsschutz jedoch eine unmittelbare Entscheidung in der Hauptsache treffen. Diese Befugnis kommt ihm alleine zu. 337 Art. 8:85 lid 1 Awb lautet: De voorzieningenrechter kan in zijn uitspraak bepalen wanneer de voorlopige voorziening vervalt. – Der für den vorläufigen Rechtsschutz zuständige Richter kann in seiner Entscheidung bestimmen, wann der vorläufige Rechtsschutz endet. 338 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:85 Nr. 2. 339 Art. 8:85 lid 2 Awb lautet: De voorlopige voorziening vervalt in ieder geval zodra: a. de termijn voor het instellen van beroep bij de rechtbank tegen het besluit dat op bezwaar of in administratief beroep is genomen, ongebruikt is verstreken, b. het bezwaar of het beroep is ingetrokken, of c. de rechtbank uitspraak heeft gedaan, tenzij bij de uitspraak een later tijdstrip is bepaald. Der vorläufige Rechtsschutz endet auf jeden Fall: a. wenn die Frist zur Einreichung einer Klage gegen die Maßnahme, gegen die ein allgemeines oder besonderes Vorverfahren stattgefunden hat, fruchtlos verstrichen ist, b. Vorverfahren oder Klage zurückgenommen werden oder c. das Hauptverfahren beendet ist, es sei denn das Gericht bestimmt einen späteren Zeitpunkt. 340 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:85 Nr. 4 b). 341 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:85 Nr. 4 a). 342 Art. 8:86 Awb lautet: Indien het verzoek wordt gedaan indien beroep bij de rechtbank is ingesteld en de president van oordeel is dat na de zitting, bedoeld in artikel 8:83, eerste lid, nader onderzoek redelijkerwijs niet kann bijdragen aan de beoordeling van de zaak, kann hij

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3. Teil: Gerichtliche Verfahren

Eine unmittelbare Entscheidung in der Hauptsache kommt nur in Betracht, wenn der Richter der Ansicht ist, dass es zu deren Beurteilung keiner weiteren Untersuchung bedarf.343 Das setzt voraus, dass die Hauptsache bei Gericht anhängig ist und eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat. Außerdem müssen die Parteien bereits in der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden sein, dass der Richter für den einstweiligen Rechtsschutz unmittelbar in der Hauptsache entscheiden darf.344 Eine Zustimmung der Parteien zu einem derartigen Verfahren ist nicht notwendig. Die Vorschrift wird wegen des geringen Rechtsschutzes, den das Verfahren bietet, in der Literatur scharf kritisiert. Zur Begründung wird angeführt, der Richter im einstweiligen Rechtsschutz übe eine andere Funktion aus als der im Hauptsacheverfahren. Er richte (prüfe nicht materiell) nicht, sondern befinde über eine prozessuale Maßnahme. Deshalb bestünden Zweifel, ob das Verfahren mit den Anforderungen des Art. 6 EMRK im Einklang stehe.345 Der Gesetzgeber ist dagegen der Auffassung, er habe den Minimalanforderungen der Verfassung und des EG-Vertrages genügt, weil auf jeden Fall eine mündliche Verhandlung stattfinden müsse. Zudem sei sowohl dem Rechtsschutz als auch der Prozessökonomie gedient.346

VII. Rechtsweg Das Awb lässt gegen eine Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz kein Rechtsmittel zu.347 Lediglich Aufhebung, Abänderung oder Ergänzung sind auf Antrag bei derselben Instanz möglich.348 Der Gesetzgeber wollte die Berufungsgerichte nicht auch noch mit der Bearbeitung dieser Angelegenheiten belasten. Es ist allerdings möglich, in der zweiten Instanz erneut einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu stellen. Die Verfahrensschriften beziehen sich zwar auf das Verfahren vor der ersten Instanz. Es besteht jedoch Einigkeit darüber, dass sie auf die besondere Verwaltungsgerichtsbarkeit übertragbar sind.349 Grundlage für die Kontrolle im Eilverfahren vor den Berufungsgerichten ist dann die im Hauptverfahren ergangene erstinstanzliche Entscheidung.350 onmiddellijk uitspraak doen in de hoofdzaak. – Wenn der Präsident nach der mündlichen Verhandlung der Auffassung ist, dass eine weitere Untersuchung für die Beurteilung der Angelegenheit nicht notwendig ist, kann er unmittelbar ein Urteil in der Hauptsache fällen. 343 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 688. 344 Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, Deel II, 2002, S. 312 f. 345 Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, Deel II, 2002, S. 314. 346 Daalder/de Groot, Parlementaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede tranche, 1994, MvT, S. 512. 347 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, 2009, art. 8:81 Nr. 8. 348 Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, Deel II, 2002, S. 287. 349 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, vor art. 8:81 Awb. 350 Besselink, Beoordeling van verzoeken om voorlopige voorziening in appèl, JBplus 2005, S. 87.

D. Der einstweilige Rechtsschutz

257

Soweit der Richter eine unmittelbare Entscheidung in der Hauptsache gem. art. 8:86 Awb trifft, ist diese berufungsfähig. Hier geht es nicht um den einstweiligen Rechtsschutz sondern um das Urteil in der Hauptsache.351 Soweit in der Literatur die Frage diskutiert wird, ob in derselben Angelegenheit Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz vor dem Zivil- und dem Verwaltungsgericht gleichzeitig eingeleitet werden können,352 hat der Hohe Rat sich ablehnend geäußert. Das Verfahren zum einstweiligen Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten sei völlig ausreichend. Deshalb sei es nicht möglich, ein derartiges Begehren zivilgerichtlich geltend zu machen, solange der Weg zu den Verwaltungsgerichten offen stehe.353

VIII. Qualität des Rechtsschutzes Die Rechtslage in den Niederlanden unterscheidet sich grundlegend von der in Deutschland. Rechtsbehelfe entfalten grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, weil man der Auffassung ist, die Verwaltung verhalte sich beim Erlass einer Maßnahme ordnungsgemäß. Dementsprechend kommt dem vorläufigen Rechtsschutz in den Niederlanden eine besondere Bedeutung zu. Diese Auffassung geht zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden. Denn er muss nicht nur Prozessrisiko und Kostenrisiko für das Hauptverfahren, sondern auch das für das Eilverfahren tragen. Würden Rechtsbehelfe grundsätzlich aufschiebende Wirkung entfalten, entfielen die Risiken des Eilverfahrens. Wegen der Bedeutung der Begründung in der Antragsschrift wird er in den seltensten Fällen ohne Rechtsbeistand auskommen, wodurch weitere Kosten entstehen. Gleichzeitig ist der Antrag aber notwendig zur Wahrung der Erfolgsaussichten in einem möglichen Schadensersatzprozess. Deshalb kann der Rechtsschutzsuchende nicht auf das Eilverfahren verzichten, ohne sich selbst dadurch möglicherweise zu schaden. Vor diesem Hintergrund ist es bedenklich, dass die Rechtsbehelfsbelehrung (rechtsmiddelenvermelding) in art. 6:23 Awb354 nicht auf den einstweiligen Rechtsschutz hinweist. 351

Anmerkungen zu ABRvS 12.02.2003, AB 2003, 213. Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, Deel II, 2002, S. 289 353 HR 25.11.1997, AB 1998, 193, AB Klassiek 4e druk nr. 13; (Loosdrechtse Plassenschap). 354 Art. 6:23Awb lautet: 1. Indien beroep kan worden ingesteld tegen de beslissing op het bezwaar of beroep, wordt daarvan bij de bekendmaking van de beslissing melding gemaakt. 2. Hierbij wordt vermeld door wie, binnen welke termijn en bij welk orgaan beroep kan worden ingesteld. 352

1. Wenn gegen eine Entscheidung im Vor- oder Klageverfahren ein Rechtsbehelfsverfahren möglich ist, wird dies mit der Veröffentlicheung der Entscheidung bekannt gegeben. 2. Hierbei wird mitgeteilt, wer, binnen welcher Frist, bei welchem Organ ein Rechtsbehelfs­ verfahren einleiten kann.

258

3. Teil: Gerichtliche Verfahren

Alles in allem handelt es sich um ein Verfahren, das für den Rechtsschutz­ suchenden mit hohen Risiken verbunden ist. Problematisch sind vor allem die Rolle der Berufungsbegründung, die allein die Grundlage der Beurteilung bildet, und das Fehlen eines Rechtsmittels, was dem Richter einen großen Freiraum gewährt.

4. Teil

Kontrolldichte Bei der Kontrolle hoheitlicher Akte wird von jeher zwischen Recht- und Zweckmäßigkeitsprüfung unterschieden. Die Rechtmäßigkeitsprüfung soll klären, ob die Verwaltung beim Gebrauch ihrer Befugnisse das geltende Recht beachtet hat. Die Zweckmäßigkeitsprüfung befasst sich dagegen mit der Effizienz der Maßnahme. Während die Verwaltung eine Recht- und Zweckmäßigkeitsprüfung durchführt,1 beschränken sich die Gerichte ausschließlich auf die Untersuchung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme. Deren Ausmaß und Intensität bilden gemeinsam die Kontrolldichte. Sie entscheidet über die Effektivität des Rechtsschutzes und findet ihre Grenzen in der Letztentscheidungskompetenz und Eigenständigkeit der Exekutive.2

A. Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolltätigkeit Art. 8:69 Awb3 regelt die Grundlagen der gerichtlichen Kontrolle in drei Absätzen. Absatz 1 nennt mit der Klageschrift, den vorgelegten Akten sowie den während der Voruntersuchung und der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnissen die Grundlagen der Entscheidung. Art. 8:69 lid 2 Awb verpflichtet das Gericht, die rechtlichen Grundlagen der Maßnahme zu überprüfen, art. 8:69 lid 3 Awb ermächtigt es zur Sachverhaltsfeststellung. 1

van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 525. Vgl. Schuppert, Self-restraints der Rechtsprechung, DVBl. 1988, S, 1191 (1198). Den Begriff der Kontrolldichte gibt es in den Niederlanden nicht. Wie im Folgenden dargestellt, erfolgt die Kontrolle anhand der Vorgaben des Awb. Unbestimmter Rechtsbegriff und Ermessen sind dabei grundsätzlich nur sehr eingeschränkt überprüfbar. In bestimmten Fallkonstellationen weicht die Rechtsprechung von diesem Grundsatz jedoch ab. Siehe dazu unter C. in diesem Kapitel. 3 Art. 8:69 Awb lautet: 1. De rechtbank doet uitspraak op de grondslag van het beroepschrift, de overgelegde stukken, het verhandelde tijdens het vooronderzoek en het onderzoek ter zitting. 2. De rechtbank vult ambtshalve de rechtsgronden aan. 3. De rechtbank kan ambtshalve de feiten aanvullen. 2

1. Die Entscheidung des Gerichts ergeht auf der Grundlage der Klageschrift, der vorgelegten Urkunden, des während der Voruntersuchung Behandelten und der Untersuchung während der mündlichen Verhandlung. 2. Das Gericht ergänzt die Rechtsgründe vom Amtswegen. 3. Das Gericht kann die Tatsachen von Amtswegen ergänzen.

260

4. Teil: Kontrolldichte

I. Umfang der Kontrolle Der Verwaltungsprozess in den Niederlanden steht unter dem Einfluss des Verfügungsgrundsatzes, das heißt die Parteien bestimmen Gang und Inhalt des Verfahrens (de omvang van het geding).4 Den Klagegegenstand hat der Gesetzgeber allerdings vorgegeben. Gem. art. 8:1 Awb kann nur eine Maßnahme i. S. d. art. 1:3 Awb oder ein ihr gleichgestelltes Verwaltungshandeln angegriffen werden. Der Inhalt dieser Maßnahme bildet die äußere Grenze dessen, was das Gericht zu überprüfen befugt ist.5 Angefochten wird grundsätzlich der im Vorverfahren ergangene Bescheid, soweit ein Vorverfahren durchzuführen war, andernfalls die ursprüngliche Maßnahme. Gem. art. 6:4 lid 3 Awb6 leitet der Kläger mit dem Einreichen seiner Klageschrift das verwaltungsgerichtliche Verfahren ein. Sie bildet den Ausgangspunkt der richterlichen Tätigkeit. Da der verwaltungsgerichtliche Prozess zwar (auch) ein objektives Verfahren ist, in erster Linie aber nicht die Kontrolle der Verwaltung bezweckt, sondern vornehmlich dem Rechtsschutz des Bürgers dient, richtet das Gericht seine Prüfung am Vortrag der Parteien aus.7 Sie legen den Streitgegenstand fest, indem sie die streitigen Punkte benennen. Dementsprechend beschränkt sich die Kontrolle auf die angegriffenen Teile der Maßnahme.8 Der Kläger bestimmt also durch seine Klageschrift den Umfang der gerichtlichen Untersuchung im konkreten Fall. Die Rügen können sich sowohl auf Fehler im Verwaltungsverfahren als auch auf materielle Mängel beziehen. Obwohl diese in der Klageschrift ausführlich darzustellen sind und sich gegen den zuletzt ergangenen Bescheid9 richten, werden der Inhalt des Ausgangsbescheides und die darauf eingereichte Rechtsbehelfsschrift in die Kontrolle miteinbezogen.10 Der Grundsatz, dass die nicht angefochtenen Teile der Maßnahme außerhalb der Betrachtungen des Gerichts bleiben,11 gilt mit zwei Einschränkungen. Zum einen darf der Richter nicht voreilig schlussfolgern, dass die nicht angegriffenen Teile tatsächlich nicht überprüft werden sollen. Es entspricht seiner aktiven Rolle im Verwaltungsprozess, dem Kläger noch einmal Gelegenheit zu geben, sich dazu

4

Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 206. de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 17; Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 205. 6 Art. 6:4 lid 3 Awb lautet: Het instellen van beroep op een administratieve rechter geschiedt door het indienen van een beroepschrift bij die rechter. – Die Klage vor dem Verwaltungsrichter wird durch das Einreichen einer Klageschrift bei diesem Richter eingelegt. 7 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Tranche, 1994, MvT, S. 172–174. 8 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 206. 9 Das ist meist der auf das Vorverfahren ergangene Bescheid. 10 de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 18. 11 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 206. 5

A. Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolltätigkeit

261

ausführlich zu erklären.12 Bleibt der Kläger bei seinen ursprünglichen Einlas­ sungen, ist dem Richter eine weitergehende Prüfung verwehrt.13 Sollte aber aus einem späteren Vortrag des Klägers hervorgehen, dass er darüberhinaus noch weitere Teile der Maßnahme anfechten möchte, muss der Richter nach neuerer Rechtsprechung des CRvB dies berücksichtigen. Der CRvB begründet seine Auffassung aus dem Gesetz heraus. Art. 8:69 lid 1 Awb nenne als Grundlage der Entscheidung neben der Klageschrift, die vorgelegten Urkunden, die Ergebnisse der Vorunter­ suchung und die Erkenntnisse der mündlichen Verhandlung. Daher sei eine Erweiterung der Klage auch in späteren Phasen des Prozesses erlaubt.14 Zum anderen muss das Gericht den gesamten Bescheid überprüfen, wenn die angefochtenen Teile untrennbarer Bestandteil der Gesamtmaßnahme sind und sich damit einer isolierten Betrachtung entziehen.15 In der Praxis wendet der CRvB das Kriterium des Zusammenhangs häufig bei einer unzureichenden Begründung der Klage an.16 Gem. art. 6:5 lid 1 d. Awb müssen in der Klageschrift die Gründe für die Klage dargelegt werden. Bei der Analyse der Klageschrift ist jedoch genau zwischen Gründen (gronden) und Argumenten (grieven) zu unterscheiden. Die Gründe bezeichnen die Vorbehalte des Klägers gegen die Maßnahme. Die Summe aller vorgetragenen Gründe ergibt den Streitgegenstand. Die Argumente dienen ihrer Untermauerung.17 Zu den Argumenten zählen z. B. die Beweise.18

II. Kontrolle von Amts wegen Abweichend vom Dispositionsgrundsatz werden die „Rechtsgronden van openbare orde“19 von Amts wegen geprüft.20 Nach Einführung des Awb war zunächst nicht klar, welche Vorschriften im Einzelnen von diesem Begriff erfasst werden.21 Die Materialien zum Awb führen dazu lediglich aus: „Die Anwendung der Regeln zur Zu 12 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Tranche, 1994, MvT, S. 463. 13 de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 32. 14 CRvB 14.11.2000, JABW 2001, 47; dagegen CRvB 16.04.1998, TAR 1998, 116; ARBvS 03.07.2003, AB Kort 2003, 476. 15 CRvB 04.07.2003, ABkort 2003,557; CRvB 29.04.2003, JB 2003, 191; de Bock, De omvang van het geding, 2004, S.41. 16 CRvB 18.12.1998, JB 1999,18; de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 42. 17 Allewijn, Een nieuw denkmodel voor de bestuursrechter, RM Themis 1998, S. 296. 18 de Bock, De omvang van het geding, 2004, S.38. 19 Es gibt keinen den „Rechtsgronden van openbare orde“ vergleichbaren Begriff im deutschen Verwaltungsprozessrecht. Daher kann zur Erklärung nur auf die nachfolgenden Ausführungen verwiesen werden. 20 de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 63; Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 207; Schlössels, Ongelijkheidscompensatie in het bestuursproces – Mythe of vergeten rechtsbeginsel, in: Bovend’Eert/de Groot-van Leeuwen/Mertens, De rechter bewaakt: over toezicht en rechters, 2003, S. 153. 21 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 207.

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4. Teil: Kontrolldichte

ständigkeit und Zulässigkeit sind für die öffentliche Ordnung unerlässlich und stehen deshalb nicht zur freien Verfügung der Parteien“.22 Damit zählen auf jeden Fall die Vorschriften, die den Zugang des Bürgers zu den Gerichten beschränken, zu den „Rechtsgronden van openbare orde“.23 Sie betreffen die Rechtsnatur des Klagegegenstandes, die Zuständigkeit der Ausgangsbehörde, die Klagebefugnis, die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes, die Wahrung der Fristen und die ordnungsgemäße Anwendung der Regelungen, die die Struktur des Verwaltungsprozesses bestimmen. 1. Rechtsnatur des Klagegegenstandes Da als Klagegegenstand nur Maßnahmen i. S. d. art. 1:3 Awb oder ihnen gleichgestellte hoheitliche Handlungen in Betracht kommen,24 gehören sowohl alle Elemente einer Maßnahme als auch die Vorschriften, die deren Bekanntgabe regeln, zu den „Rechtsgronden van openbare orde“.25 Teilweise zählen auch die den Erlass betreffenden Regelungen dazu. Ausgenommen sind die Bestimmungen zur Anhörung, art 4:726 und art. 4:8 Awb27. Sie fallen unter die Formvorschriften. 22 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Tranche, 1994, MvA II, S. 464. 23 de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 64; Schlössels, Ongelijkheidscompensatie in het bestuursproces – Mythe of vergeten rechtsbeginsel, in: Bovend’Eert/de Groot-van Leeuwen/Mertens, De rechter bewaakt: over toezicht en rechters, 2003, S. 153. 24 Siehe dazu im 2. Teil, C. I. sowie in diesem Teil unter A. I. 25 ABRvS 23.12.1997, JB 1998, 33. 26 Art. 4:7 Awb lautet: 1. Voordat een bestuursorgaan een aanvraag tot het geven van een beschikking geheel of gedeeltelijk afwijst, stelt het de aanvrager in de gelegenheid zijn zienswijze naar voren te brengen indien: a. de afwijzing zou steunen op gegevens over feiten en belangen die de aanvrager betreffen, en b. die gegevens afwijken van gegevens die de aanvrager ter zake zelf heeft verstrekt. 2. Het eerste lid geldt niet indien sprake is van een afwijking van de aanvraag die slechts van geringe betekenis voor de aanvrager kan zijn.

1. Bevor ein Verwaltungsorgan einen Antrag auf Erlass einer Verfügung ganz oder teilweise abweist, gibt es dem Antragsteller die Gelegenheit seine Sicht darzulegen, wenn: a. sich die Zurückweisung auf Angaben über Tatsachen und Belange, die den Antragsteller betreffen, stützt und b. die Angaben von den eigenen Angaben des Antragstellers in der Angelegenheit abweichen. 2. Absatz 1 gilt nicht wenn die Abweichungen im Antrag für den Antragsteller von geringer Bedeutung sind. 27 Art. 4:8 Awb lautet: 1. Voordat een bestuursorgaan een beschikking geeft waartegen een belanghebbende die de beschikking niet heeft aangevraagd naar verwachting bedenkingen zal hebben, stelt het die belanghebbende in de gelegenheid zijn zienswijze naar voren te brengen indien: a. de beschikking zou steunen op gegevens over feiten en belangen die de belanghebbende betreffen, en b. die gegevens niet door de belanghebbende zelf ter zake zijn verstrekt. 2. Het eerste lid geldt niet indien de belanghebbende niet heeft voldaan aan een wettelijke verplichting gegevens te verstrekken.

A. Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolltätigkeit

263

Ein Verstoß muss gerügt werden, kann aber als Reaktion auf diese Rüge geheilt werden.28 2. Zuständigkeit der Ausgangsbehörde Die Unzuständigkeit der Ausgangsbehörde führt stets zur Rechtswidrigkeit der Ausgangsmaßnahme.29 Deshalb findet eine Überprüfung der Zuständigkeit immer von Amts wegen statt.30 Teilweise verleiht der Gesetzgeber die Zuständigkeit unmittelbar im Rahmen der Ermächtigungsgrundlage (attributie) wie z. B. in art. 8.13 lid 1 f. Umweltgesetz (Wet milieubeheer)31, der die Verwaltung ermächtigt, eine von ihr erteilte umweltrechtlicher Genehmigungen mit Auflagen zu versehen.32 Daneben kann die ermächtigte Verwaltungsstelle ihre Befugnis durch eine Übertragungsmaßnahme auf ein anderes Organ, das dann im eigenen Namen handelt, übertragen (delegatie, art. 10:13 Awb33).34 Sie kann aber auch ein anderes Or-

1. Bevor ein Verwaltungsorgan eine Verfügung erlässt, gegen die ein Betroffener, der die Ver­ fügung nicht beantragt hat, wahrscheinlich Bedenken haben wird, gibt es dem Betroffenen die Gelegenheit seine Ansicht zu erläutern, wenn a. sich die Verfügung auf Angaben über Tatsachen und Belange, die den Betroffenen betreffen, stützt und b. die Angaben nicht von dem Betroffenen selbst erteilt wurden. 2. Absatz 1 gilt nicht wenn der Betroffene der gesetzlichen Verpflichtung zum Erteilen von Auskünften nicht nachgekommen ist. 28 ABRvS 20.11.2002, JB 2003, 17. 29 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 526; van Wijk spricht von einem Zuständigkeitsmangel – bevoegdheisgebreken. 30 CBB 24.09.2002, JB 2002, 375; CRvB 18.12.1997, TAR 1998, 40; CRvB 15.01.2001, JB 2001, 66; CRvB 13.04.2000, AB 2000, 277; ABRvS 23.09.1999, AB 1999, 450; ABRvS 01.09.1997, AB kort 1997, 605; ABRvS 02.04.1998, JB 1998, 143. 31 Art. 8.13 lid 1 f Umweltgesetz lautet: 1. Aan en vergunning kunnen in het belang van de bescherming van het milieu andere voorschriften worden gebonden. Die voorschriften kunnen in ieder geval inhouden: (…) f. dat met betrekking tot in het voorschrift geregelde, daarbij aangegeven onderwerpen moet worden voldaan aan nadere eisen die door een bij het voorschrift aangewezen bestuurs­orgaan worden gesteld. 1. An eine Genehmigung können zum Schutz der Umwelt andere Auflagen geknüpft werden. Die Auflagen können in jedem Fall beinhalten: (…) f. dass in Bezug auf die Vorschrift geregelte dabei angegebene Gegenstände weitere Voraussetzungen, die durch das durch die Vorschrift ermächtigte Verwaltungsorgan gestellt werden, erfüllen müssen. 32 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 120. 33 Art. 10:13 Awb lautet: Onder delegatie wordt verstaan: het overdragen door een bestuurs­ orgaan van zijn bevoegdheid tot het nemen van besluiten aan een ander die deze onder eigen verantwoordelijkheid uitoefent. – Delegatie bedeutet, dass ein Verwaltungsorgan seine Ermächtigung zum Erlass einer Verwaltungsmaßnahme auf eine andere Verwaltungsstelle überträgt, die diese im eigenen Namen ausübt. 34 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 122.

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4. Teil: Kontrolldichte

gan beauftragen, unter ihrem Namen tätig zu werden (mandaat, art. 10:1 Awb35). Dabei lässt das Gesetz offen, ob die Beauftragung an bestimmte personelle oder funktionelle Voraussetzungen gebunden ist.36 Fehlt eine gesetzliche Ermächtigung oder eine gültige Verfügung zur Übertragung der Ermächtigung, führt das zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme. Das Gleiche gilt bei örtlicher oder temporärer Unzuständigkeit der erlassenden Verwaltungsstelle.37 3. Klagebefugnis Die Klagebefugnis wird im erstinstanzlichen wie im Berufungsverfahren in jedem Fall kontrolliert, unabhängig davon, welche Partei von dem Rechtsbehelf Gebrauch gemacht hat.38 4. Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes Zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes zählt neben der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit auch die Regelung,39 dass dem gerichtlichen Verfahren grundsätzlich eine verwaltungsinterne Kontrolle in Form eines Vorverfahrens gem. art. 7:1 Awb vorausgegangen sein muss.40 Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich anhand der art. 8:1 lid 1 und art. 8:6 Awb. Danach führen die verwaltungsgerichtlichen Abteilungen der Landgerichte, soweit art. 8:6 Awb in Verbindung mit dem einschlägigen Spezialgesetz nichts anderes bestimmt, das erstinstanzliche Ver­ fahren durch. 5. Fristen Besonders eingehend beschäftigen sich die Gerichte mit der Frage, ob alle Fristen eingehalten wurden.41 Diese Kontrolle erstreckt sich auch auf das Vorverfahren. Der Richter verwirft eine Klage z. B. wenn er feststellt, dass die Verwaltung eine verfristet eingereichte Rechtsbehelfsschrift als zulässig erachtet und das Vor 35 Art. 10:1 Awb lautet: Onder mandaat wordt verstaan: de bevoegdheid om in naam van een bestuursorgaan besluiten te nemen. – Mandaat bedeute, die Ermächtigung im Namen einer Verwaltungsstelle Verwaltungsmaßnahmen zu erlassen. 36 MvT, Kammerstukken II 1993/94, 23700, nr. 3, S. 168; van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, unter Betekenis; van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 128 . 37 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 526 f. 38 ABRvS 22.05.1997, JB 1997, 170; de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 68. 39 ABRvS 02.04.1998, AB kort 1998, 272. 40 de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 68. 41 CRvB 04.03.1997, AB 1997, 268.

A. Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolltätigkeit

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verfahren durchgeführt hat. Insoweit steht die Durchführung des Vorverfahrens nicht zur Disposition der Verwaltung.42 Ebenfalls von Amts wegen überprüft der Richter, ob Terminüberschreitungen entschuldbar waren und nimmt dementsprechend eine Wiedereinsetzung vor.43 6. Verfahrensvorschriften Zur Gewährleistung des ordnungsgemäßen Ablaufs des Prozesses prüft das Gericht von Amts wegen, ob alle Verfahrensvorschriften, die das gerichtliche Verfahren betreffen, beachtet wurden. Die Rechtsprechung zeigt, dass der Berufungsrichter streng darauf achtet, dass die erstinstanzlichen Gerichte die Prozessvorschriften einhalten. Sie gelten gleichermaßen für die zweite Instanz. Das betrifft z. B. die Geheimhaltung des Inhalts der Akten44 gem. art. 8:29 lid 1 Awb45 oder die ordnungsgemäße Ladung zur mündlichen Verhandlung46 gem. art. 8:37 lid 1 Awb47.

III. Untersuchung der rechtlichen Grundlagen Gem. art. 8:69 lid 2 Awb ergänzt der Richter die Rechtsgründe von Amts wegen. Bei Inkrafttreten des Awb sorgte diese Vorschrift zunächst für Verwirrung, weil aus ihr nach damaliger Auffassung nicht eindeutig hervorging, ob sie eine Befugnis oder eine Verpflichtung zum Ausdruck bringen sollte.48 Heute interpretiert man sie dahingehend, dass das materielle Verwaltungsrecht in jedem Fall angewendet werden muss, soweit der Rechtsstreit dazu Veranlassung gibt, und der Richter grundsätzlich verpflichtet ist, das Klagebegehren unter allen in Betracht kommen 42

CRvB 19.11.1996, JB 1997, 11; ABRvS 19.03.1999, AB 1999, 205. CRvB 30.07.1997, JB 1998, 210. 44 ABRvS 11.05.2000, JB 2000, 165. 45 Art. 8:29 lid 1 Awb lautet: Partijen die verplicht zijn inlichtingen te geven dan wel stukken over te leggen, kunnen, indien daarvoor gewichtige redenen zijn, het geven van inlich­ tingen dan wel het overleggen van stukken weigeren of de rechtbank mededelen dat uitsluitend zij kennis zal mogen nemen van de inlichtingen onderscheidenlijk de stukken. – Parteien, die verspflichtet sind Auskünfte zu erteilen oder Akten vorzulegen, können, bei Vorliegen wichtiger Gründe die Auskunft oder die Vorlage der Akten verweigern oder dem Gericht mitteilen, dass die Bekanntgabe der Auskünfte im Unterschied zu den Akten ausschließlich gerichtsintern erfolgen soll. 46 CRvB 14.09.2000, AB 2001, 133. 47 Art. 8:37 lid 1 Awb lautet: Oproepingen, de uitnodiging om op een zitting van de rechtbank te verschijnen, alsmede de verzending van een afschrift van de uitspraak en van het proces-verbaal van de mondelinge uitspraak geschieden door de griffier bij aangetekende brief of bij brief met ontvangstbevestiging, tenzij de rechtbank anders bepaalt. – Sowohl die Ladung zur mündlichen Verhandlung als auch der Versand der Niederschrift der im Laufe des Prozesses erfolgten mündlichen Aussprache werden durch den Urkundsbeamten per Einschreiben oder gegen Empfangsbekenntnis vorgenommen, es sei denn das Gericht bestimmt etwas anderes. 48 Crommelin, Het aanvullen van de rechtsgronden, 2007, S. 335 f. 43

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4. Teil: Kontrolldichte

den rechtlichen Gesichtspunkten zu untersuchen.49 Das ergebe sich schon aus dem Grundsatz „ius curia novit“ (das Gericht kennt das Recht).50 Vor allem unter Rechtsschutzgesichtspunkten wird dieser Verpflichtung große Bedeutung beigemessen, da in den Niederlanden viele Bürger vor den Verwaltungsgerichten ohne Rechtsbeistand prozessieren. Aus art. 8:69 lid 1 Awb folgt, dass der Kläger durch seinen Vortrag in der Klageschrift die Grenzen der gerichtlichen Tätigkeit festlegt. In diesem Rahmen bewegt sich auch die Verpflichtung zur Berücksichtigung aller rechtlichen Grundlagen.51 Sie bezieht sich nur auf materielle Bestimmungen,52 während Formfehler, wie die Verletzung der Vorschriften zur Anhörung, gerügt werden müssen.53 Art. 8:69 lid 2 Awb wird nur auf den Vortrag des Klägers und zu dessen Gunsten angewendet. Es zählt nicht zu den Aufgaben des Gerichts, der Verwaltung im Nachhinein die korrekte gesetzliche Grundlage für ihre Maßnahme zu liefern.54 Zudem muss der Richter das Verbot der reformatio in peius, die auch im gerichtlichen Verfahren ausgeschlossen ist, respektieren.55 Obwohl das Awb eindeutig festlegt, dass der Kläger den Umfang der gericht­ lichen Verpflichtung bestimmt, ergänzen die Obergerichte die Rechtsgrundlagen in unterschiedlichem Umfang. Der CRvB prüft häufig die gesamte Maßnahme unter Verweis auf das Zusammenhangskriterium. Er beruft sich dabei darauf, dass er verpflichtet sei, effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Da kein Anwaltszwang bestehe, sei der Bürger häufig mit der Anfertigung einer Klageschrift überfordert und schöpfe seine Möglichkeiten nicht aus. Die Kontrolle der gesamten Maßnahme sei daher unter Rechtsschutzgesichtspunkten angezeigt und komme dem Bürger zu Gute.56 Die ABRvS vertritt demgegenüber eine deutlich engere Auffassung. Sie beschränkt sich bei ihrer Kontrolle ausschließlich auf die vom Kläger angefochtenen Teile der Maßnahme sowie die von ihm aufgeführten Argumente. Zur Begründung zieht sie das Gesetz heran. Danach bestimme die Klageschrift den Gegenstand der gerichtlichen Aktivitäten.57

49 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, 211; Brugman, Hoe komt de bestuursrechter tot zijn recht, 2011, S. 63. 50 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 211. 51 de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 49; van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:69 Nr. 3. 52 de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 53. 53 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, 186. 54 de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 46; Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 211. 55 Rb.’s-Gravenhage 03.07.2002, LJN AE6973; CRvB 0 7.02.2001, AB 2001, 178; Crommelin, Het aanvullen van de rechtsgronden, 2007, S. 337. Zum Verbot der reformatio in peius im Vorverfahren siehe im 2. Teil, E. I. 3. c) ee). 56 CRvB 22.03.2001, TAR 2001, 72; vor allem bei der Zurückforderung von Zuwendungen z. B. CRvS 19.06.2001, RSV 2001, 207, CRvB 30.07.1999, RSV 1999, 286. 57 ABRvS 12.11.2003, JB 2004, 15; ABRvS 12.03.2003, JB 2003, 214.

A. Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolltätigkeit

267

IV. Sachverhaltsfeststellung Im Verwaltungsprozess liegt der Ablauf des Verfahrens in den Händen des Richters. Er gibt vor, auf welche Art der Sachverhalt ermittelt wird. Das Gesetz er­ öffnet ihm dazu die Möglichkeit, selbst tätig zu werden und von Amts wegen zu ermitteln. Er kann die Beweislast aber auch den Parteien auferlegen,58 indem er bestimmt, welche Partei welche Beweise zu erbringen hat. Tatsachenermittlung durch das Gericht und Beweiserbringung durch die Parteien verhalten sich dabei wie kommunizierende Röhren. Je höher die Ansprüche an die Beweiserbringung durch die Parteien sind, desto geringer sind die Anforderungen an die ergänzende Ermittlung durch das Gericht.59 Die Parteien sind allerdings berechtigt, ihren Vortrag durch Beweise zu untermauern. Sie können insoweit Beweise anbieten, was in der Regel bereits im Vorverfahren geschehen ist.60 Einen Anknüpfungspunkt für die Beurteilung dessen, was welche Partei nachweisen muss und an welcher Stelle das Gericht von Amts wegen tätig wird, liefern die Verwaltungsakten. Sie sind gem. art. 8:42 lid 1 Awb61 binnen vier Wochen nach dem Tag, an dem die Klageschrift an die Verwaltung versandt wurde, bei Gericht vorzulegen. Anhand dieser Akten stellt der Richter fest, ob er über ausreichende Informationen zum Sachverhalt verfügt, welche Beweisangebote er annimmt, wo er Beweise für notwendig erachtet und inwieweit er von Amts wegen ermitteln muss.62 Da im Awb eine eindeutige Regelung zum Umfang der zu er­bringenden Beweise fehlt und auch die Rechtsprechung keine festen Regeln dazu entwickelt hat,63 bestimmt der jeweils zuständige Richter Art und Umfang der Sachverhaltsfeststellung. 1. Ergänzende Tatsachenermittlung Art. 8:69 lid 3 Awb erlaubt dem Richter eine Tatsachenermittlung von Amts wegen. Die Vorschrift enthält keine Einschränkungen, so dass es im Ermessen des Richters steht, in welchem Umfang er eine ergänzende Sachverhaltsfeststellung vornimmt. Er ist insoweit nicht an den Vortrag der Parteien gebunden, sondern darf in den Grenzen des Streitgegenstandes eigenständig ermitteln.64 58

Helder/Kuipers, Beroep bij de bestuursrechter, 2002, S. 24. Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 226. 60 Schuurmanns, Bewijslastverdeling in het bestuursrecht, 2005, S. 226. 61 Art. 8:42 lid 1 Awb lautet: Binnen vier weken na de dag van verzending van het beroep­ schrift aan het bestuursorgaan zendt dit de op de zaak betrekking hebbende stukken aan de rechtbank en dient het een verweerschrift in. – Binnen vier Wochen nach dem Tag, an dem die Klageschrift dem Verwaltungsorgan zugesandt wurde, legt dieses die die Angelegenheit betreffenden Akten bei Gericht vor und reicht eine Verteidigungsschrift ein. 62 Schuurmanns, Bewijslastverdeling in het bestuursrecht, 2005, S. 226. 63 de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 79. 64 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 214. 59

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4. Teil: Kontrolldichte

a) Funktionen der richterlichen Tatsachenermittlung Die aktive Rolle des Verwaltungsrichters, die sich wesentlich von der des Zivilrichters, der ausschließlich den Tatsachenvortrag der Parteien zu Grunde legt, unterscheidet, wird mit der Notwendigkeit des Erforschens der materiellen Wahrheit und dem Herstellen von Waffengleichheit zwischen den Parteien begründet.65 aa) Auffinden der materiellen Wahrheit Das Auffinden der materiellen Wahrheit gehört zum Wesen des Verwaltungsprozesses.66 Im Gegensatz zum Zivilprozess sind im Rahmen öffentlich-recht­ licher Streitigkeiten neben den Belangen des Bürgers immer öffentliche Belange und häufig auch die Interessen Dritter betroffen. Sie verlangen, dass das Gericht sich vergewissert, dass das Verwaltungsorgan beim Erlass der Maßnahme von zutreffenden Tatsachen ausgegangen ist. Anders als im Zivilprozess muss der Richter deshalb die Möglichkeit haben, nach der Wahrheit zu suchen.67 Dadurch soll verhindert werden, dass er gezwungen ist, unzutreffende Tatsachen zu berücksichtigen. Diese Gefahr bestünde, würde sich die Sachverhaltsdarstellung wie im Zivilprozess auf den Vortrag der Parteien beschränken. bb) Herstellen von Waffengleichheit Die aktive Rolle des Verwaltungsrichters erklärt sich auch aus der Rechtsschutzfunktion des Verwaltungsprozesses. Sie dient der Kompensation eines Ungleichgewichts zwischen den Parteien. Meist hat die Verwaltung, weil sie die Maßnahme erlassen hat, einen deutlichen Wissensvorsprung.68 Sie verfügt über die besseren Kenntnisse und über Befugnisse, die ein Bürger nicht hat. Daneben ist ihre prozessuale Position häufig stärker als die des Bürgers. Sie hält mit dem Erlass der angefochtenen Maßnahme den Ablauf des Verfahrens in Händen. Dies gilt auch gegenüber Dritten, die sich z. B. gegen die Erteilung einer Genehmigung wenden. Hier haben Antragsteller und Verwaltung zuvor gemeinsam die relevanten Tatsachen ermittelt. Durch die Nachforschungen des Richters im Prozess sollen alle Beteiligten den gleichen Kenntnisstand erlangen.69 65

Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Tranche, 1994, MvT, S. 175. 66 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Tranche, 1994, MvT, S. 175. 67 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Tranche, 1994, MvT, S. 176. 68 de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 76. 69 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:69 Nr. 4; Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 227.

A. Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolltätigkeit

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Demnach entscheidet der Richter von Fall zu Fall anhand der konkreten Umstände und im Sinne eines optimalen Rechtsschutzes für den Bürger.70 Die Untersuchungsbefugnis bezieht sich sowohl auf die Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachen als auch auf deren Zutreffen.71 Offensichtlich machen die Gerichte von ihrer Befugnis zur Amtsermittlung aber nur sehr eingeschränkt Gebrauch, wie die Literatur kritsch anmerkt72 und Marseille anhand einer Studie im Jahr 2007 nachwies.73 Die Erklärung hierfür sah er darin, dass Richter und Bürger erst in der mündlichen Verhandlung also zu einem Zeitpunkt, an dem das Verfahren bereits kurz vor dem Abschluss stehe und der Richter zügig zu einer Entscheidung kommen wolle, aufeinanderträfen. In dieser Phase des Verfahrens habe der Richter kein Interesse mehr daran, dem Bürger die Möglichkeit einzuräumen, noch Beweise beizubringen.74 In den Jahren 2008 und 2009 wurde daraufhin an einigen ausgewählten Gerichten erneut eine Studie durchgeführt. Im Rahmen dieser Studie veranlasste Marseille, dass Bürger und Gericht in einer frühen Phase des Verfahrens aufeinander trafen. Der Richter teilte dem Bürger in den meisten Fällen die von ihm als beweiserheblich erachteten Tatsachen mit. Es zeigte sich, dass in ca. 60 % aller Fälle der Bürger seine Position für die mündliche Verhandlung verbessern konnte, da er die geforderten Beweise erbrachte.75 b) Instrumente der richterlichen Tatsachenuntersuchung Der Gesetzgeber hat dem Richter verschiedene Instrumente zur Erforschung der materiellen Wahrheit an die Hand gegeben. Während der Voruntersuchung kann der Richter das persönliche Erscheinen anordnen, art. 8:44 lid 1 Awb76; die Parteien um Einlassungen ersuchen, art. 8:45 Awb77; Zeugen laden und anhören, 70

de Bock, De omvang van het geding, S.78. Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Tranche, 1994, MvA II S. 464. 72 Schuurmans, Bewijslastverdeling in het bestuursrecht, 2005, S. 235. 73 Marseille, De bestuursrechter en diens vrijheid, TREMA 2007, 423–430. 74 Marseille, De bestuursrechter en diens vrijheid, TREMA 2007, 423, 429. 75 Marseille, De spanningen tussen waarborgen en efficiency bij de toegang tot de bestuursrechter, Marseille, A. T./Reiling, A. D./Tonkelaar, J. D. A. den, Toegang tot de rechter, Spanningen tussen waarborgen en efficiency, 2010, S. 30 f. 76 Art. 8:44 lid 1 Awb lautet: De rechtbank kan partijen oproepen om in persoon dan wel in persoon of bij gemachtigde te verschijnen om te worden gehoord, al dan niet voor het geven van inlichtingen. Indien niet alle partijen worden opgeroepen, worden de niet opgeroepen partijen in de gelegenheid gesteld het horen bij te wonen en een uiteenzetting over de zaak te geven. – Das Gericht kann Parteien persönlich aber auch ihren Vertreter zu einer Anhörung jedoch nicht zu einer Befragung laden. Sind nicht alle Parteien geladen, wird den nicht geladenen Parteien die Gelegenheit gegeben, der Anhörung beizuwohnen und eine Einlassung zur Sache abzugeben. 77 Art. 8:45 lid 1 Awb lautet: De rechtbank kan partijen en anderen verzoeken binnen een door haar te bepalen termijn schriftelijk inlichtingen te geven en onder hen berustende stukken in te zenden. – Das Gericht kann Parteien und andere ersuchen, binnen einer von ihm zu bestimmenden Frist schriftlich Auskunft zu erteilen und ihm bei ihnen verwahrte Akten zuzuleiten. 71

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4. Teil: Kontrolldichte

art. 8:46 Awb78; ein Sachverständigengutachten einholen, art. 8:47 Awb79; oder einen Ortstermin anordnen, art. 8:50 Awb80. Macht der Richter von einer dieser Möglichkeiten Gebrauch, geht damit immer ein Ergänzen von Tatsachen einher.81 Desweiteren dient die mündliche Verhandlung der Wahrheitsfindung. Sie kann vor allem einen wichtigen Beitrag zum Herstellen der Waffengleichheit zwischen den Parteien liefern, weil diese noch einmal angehört werden.82 Zudem kann eine Befragung von Zeugen oder Sachverständigen stattfinden, art. 8:63 lid 1 Awb83. Alle vorgenannten Vorschriften gelten sowohl für die erste als auch die zweite Instanz.84 c) Richterliche Tatsachenermittlung und Streitgegenstand Das Awb bietet keinen Anknüpfungspunkt für den Gebrauch der Befugnisse aus art. 8:69 lid 3 Awb (Das Gericht kann die Tatsachen von Amts wegen ergänzen). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten die Verwaltungsgerichte selbständig Regeln für den Umgang mit dieser Befugnis entwickeln.85 Er lässt allerdings keinen Zweifel daran, dass die Ermittlung von Tatsachen durch die Gerichte ausschließlich in den Grenzen des Streitgegenstandes erfolgen darf86 und sich eine ergänzende Ermittlung nur gebietet, wenn es sich um Tatsachen handelt, deren Kenntnis für die von Amts wegen vorzunehmende Untersuchung der rechtlichen Grundlagen im Interesse des Klägers unerlässlich ist.87 Trotz dieser beiden Einschränkungen bleibt ausreichend Raum für Interpretationen. 78 Art. 8:46 lid 1 Awb lautet: De rechtbank kann getuigen oproepen. – Das Gericht kann Zeugen laden. 79 Art. 8:47 lid 1 Awb lautet: De rechtbank kan een deskundige benoemen voor het instellen van een onderzoek. – Das Gericht kann einen Sachverständigen zur Durchführung einer Untersuchung benennen. 80 Art. 8:50 lid 1 Awb lautet: De rechtbank kan een onderzoek ter plaatse instellen. Zij heeft daarbij toegang tot elke plaats voor zover dat redelijkerwijs voor de vervulling van haar taak nodig is. – Das Gericht kann eine Untersuchung vor Ort durchführen. Es hat dabei zu jedem Ort Zugang, sofern dies für die berechtigte Erfüllung seiner Aufgaben notwendig ist. 81 de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 77. 82 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Tranche, 1994, MvT, S. 174. 83 Art. 8:63 lid 1 Awb lautet: Op het horen van getuigen en deskundigen is artikel 179, tweede en derde lid, eerste volzin, van het Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering van overeenkomstige toepassing. Op het horen van getuigen is artikel 179, eerste lid, van het Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering van overeenkomstige toepassing. – Auf die Anhörung von Zeugen und Sachverständigen finden die art. 179 lid 2 und 3, S. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches übereinstimmende Anwendung. Auf die Anhörung von Zeugen findet art. 179 lid 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches übereinstimmende Anwendung. 84 de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 78. 85 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Tranche, 1994, MvT, S. 175 f. 86 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Tranche, 1994, MvT, S. 175. 87 de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 80.

A. Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolltätigkeit

271

d) Maßgebliche Sach- und Rechtslage Innerhalb der innerstaatlichen Verwaltungsorganisation sind die Verwaltungs­ organe für die Konkretisierung der Rechtsbeziehungen zum Bürger verantwortlich. Dies geschieht durch Erlass einer Maßnahme (Besluit)88. Der Inhalt dieser Maßnahme und die Art und Weise ihres Zustandekommens sind Gegenstand der Rechtmäßigkeitsprüfung. Daher muss das Gericht von den Tatsachen und Um­ ständen ausgehen, die im Zeitpunkt des Erlasses vorlagen. Die richterliche Überprüfung erfolgt somit zurückgewandt (ex tunc).89 Grundlage der „Ex-tunc-Lehre“ ist das Recht der Verwaltung auf Erstentscheidung.90 Dürfte der Richter auch aktuelle Tatsachen und Umstände in seine Er­ wägungen einbeziehen, so würde er über Umstände entscheiden, mit denen die Verwaltung sich noch nicht auseinandersetzen konnte91 und die auch nicht Teil des Rechtsstreites sind. Er würde damit den Streitgegenstand verlassen.92 Es ist jedoch anerkannt, dass der Richter von diesem Grundsatz abweichen muss, wenn er in der Sache selbst abhilft, also an die Stelle der hoheitlichen Maßnahme eine eigene Entscheidung setzt,93 die Folgen einer aufgehobenen Maßnahme bestätigt oder über Schadensersatz urteilt. In diesen Fällen muss er Umstände und Tatsachen, die seit Erlass der Maßnahme eingetreten sind bzw. sich verändert haben, berücksichtigen.94 Ansonsten wird der Gedanke der Überprüfung ex tunc, der einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage entbehrt, weitgehend konsequent verfolgt.95 Er gilt auch für die Versagung von Umwelt- und Baugenehmigungen. Eine Ausnahme normiert lediglich das Ausländergesetz (Vreemdelingenwet) in seinem art. 83 lid 196. Die Vorschrift erlaubt es dem Richter, mit Blick auf die dem Rechtsschutzsuchen 88

Siehe dazu im 2. Teil, C. II. van Wijk, Hoofdstukken van bestuursrecht, 2002, S. 526; VAR, De toekomst van de rechtsbescherming tegen de overheid, Rapport van de Commissie Rechtsbescherming van de Ver­ eniging voor Bestuursrecht, 2004, S. 121. 90 VAR, De toekomst van de rechtsbescherming tegen de overheid, Rapport van de Commissie Rechtsbescherming van de Vereniging voor Bestuursrecht, 2004, S. 122. 91 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 138. 92 de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 80. 93 Vgl. dazu im 3. Teil, A. VI. 1. d) dd). 94 Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, deel I, 2002, S. 62. 95 VAR, De toekomst van de rechtsbescherming tegen de overheid, Rapport van de Commissie Rechtsbescherming van de Vereniging voor Bestuursrecht, 2004, S. 121; Verheij, Tussen toen en nu, JBplus 2003, S. 26, 36. 96 Art. 83 lid 1 Ausländergesetz lautet: De rechtbank houdt bij de beoordeling van het beroep rekening met feiten en omstandigheden die na het nehmen van het bestreden besluit zijn op­gekomen, tenzij de goede procesorde zich daartegen verzet of de afdoening van de zaak daardoor ontoelaatbaar wordt vertraagd. – Das Gericht berücksichtigt bei der Beurteilung der Klage Tatsachen und Umstände, die nach Erlass der angefochtenen Maßnahme eingetreten sind, soweit eine ordnungsgemäße Prozessführung dem nicht entgegensteht oder sich die An­ gelegenheit dadurch unzumutbar in die Länge zieht. 89

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4. Teil: Kontrolldichte

den möglicherweise drohenden Gefahren, die aktuellen Tatsachen und Umstände zu berücksichtigen.97 Allerdings muss die Verwaltung die Gelegenheit erhalten, sich zu den neu eingetretenen Fakten zu äußern,98 art. 83 lid 3 Ausländergesetz99. Die Überprüfung ex tunc ist in der Literatur nicht unumstritten. Pront-van Bommel spricht sich je nach Art der Maßnahme für ein Wahlrecht des Gerichts aus.100 Polak ergriff im Jahr 2000 noch Partei für eine uneingeschränkte Kontrolle ex tunc. Eine Abkehr von diesem System mache eine Überarbeitung des gesamten Rechtsschutzsystems notwendig. Verwaltungsmaßnamen kämen in diesem Fall nicht mehr als Klagegegenstand in Betracht.101 Die Commissie Rechts­bescherming van de Vereniging voor Bestuursrecht, VAR, deren Vorsitz Polak führte, erklärte dagegen im Jahr 2004, sie halte eine Überprüfung ex nunc bei gebundenen Maßnahmen, sofern veränderte tatsächliche Umstände die Rechtsposition des Betroffenen positiv beeinflussen könnten, für durchaus vertretbar. Bei Ermessensentscheidungen sei dagegen zwischen einem Zwei- und einem Mehrparteienstreit zu unterscheiden. Einen Zweiparteienstreit könne man unproblematisch einer Kontrolle ex nunc unterziehen, eine Mehrparteienstreit dagegen wegen möglicher prozes­ sualer Nachteile für eine Partei nicht.102 Auch Verheij steht der Grundregel kritisch gegenüber. Er sieht vor allem einen schweren Nachteil für den Bürger, wenn sich während des Prozesses die Gesetzeslage103 oder die tatsächlichen Umstände zu seinen Gunsten verändern,104 z .B. im Falle einer Baugenehmigung.

97 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 6.druk 2001, S. 140; Verheij, Tussen toen en nu, JBplus 2003, S. 26 (37). 98 VAR, De toekomst van de rechtsbescherming tegen de overheid, Rapport van de Com­ missie Rechtsbescherming van de Vereniging voor Bestuursrecht, 2004, S. 123. 99 Art. 83 lid 3 Ausländergesetz lautet: De rechtbank verzoekt Onze Minister om zo spoedig mogelijk schriftelijk aan de wederpartij en de rechtbank te laten weten of de ingeroepen feiten en omstandigheden aanleiding zijn voor handhaving, wijziging of intrekking an het bestreden besluit. – Das Gericht bittet den Innenminister so schnell als möglich, die Gegenpartei und das Gericht schriftlich davon in Kenntnis zu setzen, ob die angeführten Tatsachen und Umstände zu einer Bestätigung, Abänderung oder Aufhebung der angegriffenen Maßnahme führen. 100 Pront-van Bommel, Bestuursrechtspraak, 2002, S. 287. 101 Polak, Effektieve bestuursrechtspraak, Enkele beschouwingen over het vermogen van de bestuursrechtspraak geschillen materieel te beslechten, Leiden 2000, S. 14–15. 102 VAR, De toekomst van de rechtsbescherming tegen de overheid, Rapport van de Com­ missie Rechtsbescherming van de Vereniging voor Bestuursrecht, 2004, S. 125; Ausführliche Gegenüberstellung aller Vor- und Nachteile siehe Bolt, Het rechterlijke toetsingsmoment in het bestuursprocesrecht, 2005, S. 17. 103 Verheij, Tussen toen en nu, JBplus 2003, S. 26 (40). 104 Verheij, Tussen toen en nu, JBplus 2003, S. 26 (47).

A. Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolltätigkeit

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e) Ergänzende Tatsachenermittlung im Berufungsverfahren Die ergänzende Ermittlung von Tatsachen ist nicht nur in der ersten Instanz, sondern auch im Berufungsverfahren möglich. Über ihr notwendiges Ausmaß vertreten die Berufungsgerichte allerdings sehr unterschiedliche Auffassungen. Dementsprechend gestaltet sich das jeweilige Verfahren. aa) Ergänzende Tatsachenermittlung durch die ABRvS Die Auffassung der ABRvS ist durch eine rückgewandte Betrachtungsweise (retrospectieve) gekennzeichnet, die keinen Raum für eine ergänzende Tatsachen­ ermittlung lässt. Sie macht daher grundsätzlich keinen Gebrauch von ihren Untersuchungsbefugnissen.105 Nach ihrer Auffassung obliegt das Feststellen von Tat­ sachen grundsätzlich der Verwaltung, deren Kontrolle dem Gericht. Das führt dazu, dass alle entscheidungserheblichen Tatsachen bereits im Vorverfahren an­ geführt werden müssen. Zu einem späteren Zeitpunkt werden sie häufig als präkludiert zurückgewiesen.106 Wirft der Kläger der Verwaltung eine unzureichende Tatsachenermittlung vor, beschränkt die ABRvS ihre Kontrolle auf die Beantwortung der Frage, ob die Verwaltung sorgfältig recherchiert hat und so auf vertretbare Weise zu den festgestellten Tatsachen gelangen konnte. Wird dies bejaht, liegt kein Verstoß der Verwaltung gegen die Pflicht zur sorgfältigen Ermittlung der Tatsachen vor. Die gerichtliche Untersuchung konzentriert sich damit auf eine Kontrolle der durch die Verwaltung vorgenommenen Sachverhaltsermittlung, die in der Prüfung einer möglichen Verletzung der Sorgfaltspflicht107 aufgeht.108 Teilweise schließt sich der CBB dieser Auffassung an.109 Eine Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht, damit dieses eventuelle Unklarheiten ausräume, spricht die ABRvS nur selten aus.110 Die erweiterte Überprüfung des Sorgfaltsgebotes erschwert es dem Kläger, Tatsachen erstmals im Berufungsverfahren zu bestreiten. Er muss versuchen, den Tatsachenvortrag der Verwaltung bereits im Vorverfahren zu erschüttern, z. B. durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens. Nur so wahrt er die Chance, mit seinen Einwänden im späteren Berufungsverfahren gehört zu werden. Das gilt vor allem 105 Marseille, De dagelijkse praktijk van het hoger beroep bij de Afdeling bestuursrechtspraak, NJb 2003, S. 1062 (1066 f.). 106 ABRvS 28.06.1999, JB 1999, 197; ABRvS 08.09.1999, H01.98.1554; ABRvS 23.08.1999, H01.98.1793; dazu eingehend Daalder/Schreider-Vlasblom, Balanceren boven nul, NTB 2000, S. 215; Marseille, Feitenvaststelling in bestuursrecht en vreemdlingenrecht, migrantenrecht 2009, S. 4 f. 107 Siehe dazu 4. Teil, B. II. 1. a). 108 de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 87. 109 CBB 14.11.2002, AB 2003, 63. 110 ABRvS 05,10.1999, AB 2001, 21; ABRvS 30.11.1998, AB 1999, 90.

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4. Teil: Kontrolldichte

dann, wenn die Verwaltung selbst auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens entschieden hat. Legt der Kläger im Vorverfahren ein Gegengutachten vor, muss sich die Verwaltung eingehend damit auseinandersetzen. Tut sie das nicht, verstößt sie nach Auffassung der ABRvS gegen ihre Sorgfaltspflichten,111 wie eine Entscheidung aus dem Jahr 2002 zeigt. Die Betroffene hatte beim Magistrat eine Parkkarte für Schwerbehinderte beantragt. Der Magistrat stellte auf der Grundlage eines medizinischen Gutachtens fest, dass die Betroffene in der Lage sei, mehr als 100 m zu Fuß zurückzulegen und verweigerte ihr deshalb die Parkkarte. Im Vorverfahren legte die Betroffene daraufhin ein Gutachten ihres Rehabilitationsarztes vor, das bestätigte, dass sie nicht in der Lage war, 100 m zu gehen. Die ABRvS entschied, dass der Magistrat durch seine ablehnende Entscheidung gegen das Sorgfaltsprinzip verstoßen habe, da er nach Vorlage des Gutachtens des Rehabilita­ tionsarztes kein weiteres medizinisches Gutachten eingeholt habe.112 Die ABRvS begründet ihr Vorgehen in keiner ihrer Entscheidungen. Daher stellt die Literatur über dessen Hintergründe Vermutungen an. Einleuchtend ist die Argumentation von de Bock. Sie hält den Umstand, dass im Falle eigenständiger Ermittlungen des Gerichts erstmalig Tatsachen bekannt werden könnten, die der Verwaltung zuvor unbekannt waren und mit denen sie sich daher nicht auseinandergesetzt hat, für eine mögliche Begründung. Ein weiteres Argument ergebe sich aus der Kontrolle ex tunc, wonach die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme grundsätzlich anhand der Tatsachen, die im Zeitpunkt ihres Erlasses vorlagen, untersucht werde.113 Die ABRvS macht von der oben beschriebenen Auffassung eine Ausnahme bei Maßnahmen mit strafendem Charakter und in Umwelt- und Raumordnungsangelegenheiten. Wegen des belastenden Charakters der strafenden Maßnahmen und der damit verbundenen Folgen für den Betroffenen führt die ABRvS eine ergänzende Tatsachenermittlung durch.114 In Umwelt- und Raumordnungsangelegenheiten schaltet sie regelmäßig die Anstalt für Beratung der Verwaltungsrechtsprechung in Umwelt- und Raumordnungsangelegenheiten als Sachverständige ein.115 Kriterium für die Hinzuziehung eines Sachverständigen ist, die mangelnde eigene Sachkunde der ABRvS.116 Warum die ABRvS gerade im Umwelt- und Raumordnungsrecht in so fundamentaler Weise von ihrer üblichen Praxis abweicht, lässt sie allerdings offen.

111

ABRvS 11.06.2003, AB kort 2003, 429; ABRvS 12.12.2001, AB 2002, 126. ABRvS 12.12.2001, AB 2002, 126. 113 de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 86. siehe dazu die Silikose-Entscheidung der ABRvS (ABRvS 28.06.1999, Ab 1999, 360); siehe dazu 4. Teil, C. II. 1. b) bb). 114 ABRvS 16.10.2002, AB 2003, 194. 115 Barkhuysen/Damen/de Graaf/Marseille/den Ouden/Schuurmans/Tollenaar, Feitenvaststel­ ling in beroep, 2007, S. 220. 116 Leemans, De rol van de deskundige in milieugeschillen, in: De beoordeling van milieu­ geschillen door de bestuursrechter, Vereniging voor Milieurecht 2002, S. 113. 112

A. Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolltätigkeit

275

bb) Ergänzende Tatsachenermittlung durch den CRvB Der CRvB überprüft, als Vertreter der weiten oder klassischen Auffassung, die Tatsachen, die die Grundlage der angegriffenen Maßnahme bilden, auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit. Das heißt, dass er losgelöst von der Frage, ob der Sorgfaltsgrundsatz bei Erlass der Maßnahme beachtet wurde, untersucht, ob diese auf einer zutreffenden tatsächlichen Grundlage beruht.117 Deshalb berücksichtigt der CRvB während des laufenden Prozesses alle ihm zugänglichen Informationen. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1996 formulierte er: „… nun steht es den Parteien frei, ihre Ansichten in Bezug auf die Korrektheit der Tatsachen, wovon bei Erlass einer Verfügung wie der vorliegenden ausgegangen werden muss, während des erstoder zweitinstanzlichen Verfahrens zu belegen, indem sie Beweise beibringen.“118 Dem entspricht, dass der Richter bei Zweifeln an der Richtigkeit der tatsäch­ lichen Grundlage einer Maßnahme selbst nachforscht. Aus der Rechtsprechung wird deutlich, dass der CRvB regelmäßig von der Befugnis zur ergänzenden Tatsachenermittlung Gebrauch macht. Der Prozessverlauf einer Vielzahl seiner Entscheidungen zeigt, dass Fragen an Kläger und Beklagten gerichtet, Sach­ verständige gehört oder ein Ortstermin durchgeführt wurde. In allen diesen Fällen verfolgte der CRvB das Ziel, die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Tatsachen so weit und so korrekt wie möglich festzustellen. Nach seiner Auffassung ist es nicht Sinn der gerichtlichen Kontrolle, eine Maßnahme allein wegen des Verstoßes gegen den Sorgfaltsgrundsatz aufzuheben,119 es sei denn dieser Verstoß wird tatsächlich nachgewiesen.120 2. Beweisrecht Es entspricht der Tradition des Verwaltungsprozessrechts in den Niederlanden, dass das Awb das Beweisrecht nur eingeschränkt regelt. Von jeher hat das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des Sachverhalt einen großen Freiraum.121 Ein zusammenhängendes System fehlt ebenso wie eine bestimmte Ordnung.122 Das Zulassen neuer Tatsachen im Prozess, der Umfang der Beweiserhebung, die Beweislastverteilung, die Art der Beweismittel und die Beweiswürdigung stehen im Ermessen des Verwaltungsgerichts.123 Der Richter verteilt die Beweislast unter Billigkeitsgesichtspunkten auf die Parteien.124 Den Umstand, dass das Beweisrecht 117

de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 83. CRvB 23.07.1996, RSV 1997, 17. 119 CRvB 12.01.1999, RVS 1999, 86. 120 CRvB 30.09.1997, AB 1998, 67. 121 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 199. 122 Nijhuis, Bewijsvoering in het bestuursrecht, Gst. 1998, 7077, S. 314 (315). 123 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 200. 124 Helder/Kuipers, Beroep bij de bestuursrechter, 2002, S. 24. 118

276

4. Teil: Kontrolldichte

keiner festen Ordnung folgt, bezeichnet man in den Niederlanden als „Freie Beweislehre“ („vrij bewijs“- leer)125 oder richterliches Ermessen.126 a) Gesetzliche Grundlagen des Beweisrechtes Dennoch enthält das Awb eine Reihe von Vorschriften, die das formelle Beweisrecht regeln. Sie decken sich mit den Instrumenten der ergänzenden Tatsachen­ ermittlung von Amts wegen. Das Gericht kann das persönliche Erscheinen der Parteien anordnen, art. 8:27 lid1 Awb127, schriftliche Einlassungen der Parteien anfordern, art. 8:28,128 art. 8:45 Awb, Zeugen, art. 8:33 lid 1,129 art 8:46 Awb und Sachverständige, art. 8:34 lid 1,130 art. 8:47, 8:48 Awb laden sowie einen Orts­ termin, art. 8:50, art. 8:51 Awb durchführen.131 Das materielle Beweisrecht blieb bei der Kodifikation des Awb ungeregelt. Allerdings leitet man heute aus bestimmten Vorschriften des Awb Grundsätze zur Verteilung der Beweislast ab. Art. 3:2 Awb132 und 7:11 Awb leitet sich ­beispielsweise die Verantwortlichkeit der Verwaltung für die vorzutragenden Tatsachen ab.133 125 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 226; ABRvS 23.09.1983, AB 1984, 467; CRvB 23.04.1986, RSV 1986/230; CRvB 15.12.1989, AB 1990, 246; ABRvS 21.01.1988, AB 1989, 36. 126 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, 2009, art. 8:69 Nr. 4. 127 Art, 8:27 lid 1 Awb lautet: Partijen die door de rechtbank zijn opgeroepen om in persoon dan wel in persoon of bij gemachtigde te verschijnen, al dan niet voor het geven van inlichtingen, zijn verplicht te verschijnen en de verlangde inlichtingen te geven. Partijen worden hierop gewezen, alsmede op artikel 8:31. – Parteien, die das Gericht auffordert, persönlich oder vertreten durch einen Bevollmächtigten, ob zur Abgabe einer Stellungnahme oder nicht, zu erscheinen, sind verpflichtet, zu erscheinen und die verlangte Stellungnahme abzugeben. Die Parteien werden hierauf sowie auf art. 8:31 hingewiesen. (Gem. art. 8:31 kann das Gericht ­sofern eine Partei ihren Verpflichtungen nicht nachkommt, daraus die entsprechenden Schlüsse ziehen.) 128 Art. 8:28 Awb lautet: Partijen aan wie door de rechtbank is verzocht schriftelijk inlichtingen te geven, zijn verplicht de verlangde inlichtingen te geven. Partijen worden hierop gewezen, alsmede op artikel 8:31. – Parteien, die das Gericht auffordert schriftlich Stellung zu nehmen, sind verpflichtet die verlangte Stellungnahme abzugeben. Die Parteien werden hierauf sowie auf art. 8:31 hingewiesen. 129 Art. 8:33 lid 1 Awb lautet: Ieder die door de rechtbank als getuige wordt opgeroepen, is verplicht aan de oproeping gevolg te geven en getuigenis af te leggen. – Jeder den das Gericht als Zeugen lädt, ist verpflichtet der Ladung Folge zu leisten und Zeugnis abzulegen. 130 Art. 8:34 lid 1 Awb lautet: De deskundige die zijn benoeming heeft aanvaard, is verplicht zijn opdracht onpartijdig en naar beste weten te vervullen. – Jeder Sachverständige, der seine Benennung angenommen hat, ist verpflichtet, seinen Auftrag unparteilich nach besten Wissen zu erfüllen. 131 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 226. 132 Art. 3:2 Awb lautet: Bij de voorbereiding van een besluit vergaart het bestuursorgaan de nodige kennis omtrent de relevante feiten en de aftewegen belangen. – In Vorbereitung einer Maßnahme sammelt das Verwaltungsorgan die notwendigen Kenntnisse hinsichtlich der wichtigen Tatsachen und der abzuwägenden Belange. 133 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 227.

A. Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolltätigkeit

277

b) Vorbringen neuer Tatsachen im Prozess Ausgangspunkt des Beweisrechts ist die Phase des Erlasses der Verwaltungsentscheidung. Während dieses Zeitraums hat die Verwaltung gem. art. 3:2 Awb die tatsächliche Grundlage des Ausgangsbescheides zu ermitteln. Im Vorverfahren haben Bürger und Verwaltung noch einmal die Möglichkeit die Tatsachen eingehend zu erörtern. Der Bürger hat beispielsweise die Pflicht, Umstände, die die Verwaltung beweisen muss, substantiiert zu bestreiten.134 Vor dem Eintritt in das gerichtliche Verfahren sollte damit bereits eine umfassende Sachverhaltsaufklärung stattgefunden haben. Die Gerichte sind an diese Tatsachenfeststellungen im Vorverfahren nicht gebunden, messen ihr teilweise aber große Bedeutung bei.135 aa) ABRvS Die ABRvS steht für die zurückgewandte Vorgehensweise (retrospective process). Sie ist der Auffassung, dass alle erheblichen Tatsachen und Beweise bereits im Vorverfahren vorzutragen sind. Deshalb berücksichtigt sie Tatsachenvortrag und Beweise in späteren Phasen des Verfahrens nur noch eingeschränkt. Da der Verwaltung an erster Stelle die Sachverhaltsaufklärung obliegt, führt eine unvollständige Tatsachenermittlung zur Beseitigung der angefochtenen Maßnahme wegen eines Verstoßes gegen das Sorgfaltsgebot.136 Auf Seiten des Bürgers führt die von der ABRvS vertretene Auffassung zu einer Verkürzung der prozessualen Möglichkeiten, der sogenannten argumentativen Falle (argumentative fuik).137 Ein Beispiel stellt die viel diskutierte Silicose-Entscheidung dar. Das erstinstanzliche Gericht in Maastricht hatte aufgrund eines im gerichtlichen Verfahren angefertigten medizinischen Gutachtens eine Silicose-Erkrankung der Kläger angenommen und ihnen daher die bei der Silicose Stiftung für ehemalige Minenarbeiter beantragte einmalige Zuwendung zugesprochen. Die ABRvS hielt die dagegen durch die Stiftung eingelegte Berufung in zweifacher Hinsicht für begründet. Zum einen sei zum Nachweis der Erkrankung nicht die in der einschlägigen Verwaltungsrichtlinie vorgeschriebene Methode angewendet worden. Zum anderen sei der Vortrag bzw. Beweis präkludiert, da er erst nach Abschluss des Vorverfahrens erbracht worden sei.138 Diesem Vorgehen entspricht, dass die ABRvS in der Vergangenheit nur selten gegen die Verwaltung entschieden hat.139

134

Simon, Bewijzen in het bestuursrecht, JBplus 2005, S. 25 (27). Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 229. 136 Siehe dazu 4. Teil, B. II. 1. a). 137 Damen, De Bewijsfuik, 2000, S. 61 (65). 138 ABRvS 28.06.1999, AB 1999, 360. 139 Marseille, De dagelijkse praktijk van het hoger beroep bij de Afdeling bestuursrechtspraak, NJb 2003, S. 1062 (1065). 135

278

4. Teil: Kontrolldichte

Die dargestellte Strategie stieß in der Literatur auf heftige Kritik. Damen be­ anstandete im Jahr 2000 das Fehlen einer Rechtsgrundlage für dieses Vorgehen.140 De Bock sah darin eine unzulässige Einengung des Rechtsschutzes, weil der Bürger im gerichtlichen Verfahren nicht mehr die Möglichkeit habe, seinen Vortrag zu erweitern.141 In den letzten Jahren ist deshalb, auch vor dem Hintergrund einer möglichen Unvereinbarkeit mit der EMRK, in der Rechtsprechung der ABRvS eine vorsichtige Abkehr von der oben beschriebenen Auffassung erkennbar.142 Sie lässt nunmehr einen ergänzenden Vortrag zu, soweit er in direktem Zusammenhang mit dem steht, was der Kläger bereits im Vorverfahren vorgetragen hat.143 bb) CRvB In sozial- und beamtenrechtlichen Angelegenheiten, die vor dem CRvB verhandelt werden, ist während des gesamten Berufungsverfahrens das Einbringen neuer Tatsachen und Beweise möglich (volledige beoordeling),144 unabhängig davon, ob sie im Vorverfahren bereits erwähnt wurden.145 Das entspricht der weiten Auffassung, die der CRvB auch bei der Anwendung des art. 8:69 lid 3 Awb vertritt.146 Damit können allerdings auch nachteilige Folgen verbunden sein. Kommt eine Partei vorwerfbar ihrer Beweispflicht nicht nach, darf der Richter ihr die Erstattung der Prozesskosten vorenthalten oder ihr die Kosten der Gegenpartei auferlegen.147 c) Verteidigungsgebot Gem. art. 8:58 Awb148 können die Parteien bis 10 Tage vor der mündlichen Verhandlung weitere Akten und Beweismittel einreichen. Diese Frist soll es der Gegenpartei ermöglichen, sich mit den neuen Beweisen auseinander zu setzen.149 Es handelt sich dabei um eine Art Notfrist, die der Richter jedoch verkürzen darf, sofern der Gegenpartei ausreichend Zeit für die Vorbereitung ihrer Verteidigung bleibt. Es ist die Aufgabe des Richters dafür zu sorgen, dass die Gegenpartei nicht 140

Damen, De Bewijsfuik, 2000, S. 61 (68). de Bock, De omvang van het geding, 2004, S. 100. 142 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 215 f. 143 ABRvS 10.09.2003, AB 2004, 4; ABRvS 12.01.2005, AB 2005, 75. 144 de Bock, De toetsing van feiten door de bestuursrechter en het virespunt van de afdeling bestuursrechtspraak, JBplus 2000, S. 66 (72). 145 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 232. 146 Siehe dazu in diesem Kapitel unter IV. 1. e) bb). 147 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 230. 148 Art. 8:58 Awb lautet: Tot tien dagen voor de zitting kunnen partijen nadere stukken indienen. – Bis zehn Tage vor der mündlichen Verhandlungen können die Parteien weitere Schriftstücke einreichen. 149 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 233. 141

A. Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolltätigkeit

279

in unvertretbarer Weise in ihrer Prozessführung behindert wird.150 Das gilt auch für den Fall, dass das Gericht gem. art. 8:69 lid 3 Awb von Amts wegen ermittelt. Entscheidend ist, dass die Partei, die mit neuen Tatsachen und Beweisen konfrontiert wird, die Möglichkeit hat, sich auf diese einzustellen und entsprechend darauf zu reagieren.151 d) Umfang der Beweiserhebung Welche Tatsachen bewiesen werden müssen, bestimmt ausschließlich der Richter. Dabei ist nicht entscheidend, ob sie bestritten oder zugestanden sind. Die Suche nach der materiellen Wahrheit berechtigt ihn, anders als den Zivilrichter, unabhängig vom Tatsachenvortrag der Parteien, Beweis zu erheben.152 Den notwendigen Umfang der Beweiserhebung ermittelt er in drei Schritten. Er bestimmt zunächst die entscheidungserheblichen Tatsachen. Stellt dann fest, welche im konkreten Fall noch nachgewiesen und welche im Allgemeinen nicht bewiesen werden müssen.153 Dabei steht eine Tatsache fest, wenn der Richter zu der Über­zeugung gelangt ist, dass er vertreten kann, dass diese Tatsache als wahr unterstellt wird. Auch hier stößt man auf einen großen Freiraum des Gerichts. Nicht zu beweisen sind Tatsachen, die jedermann zugänglich sind sowie allgemein anerkannte Erfahrungsregeln.154 e) Beweislastverteilung Beweislast ist Beweisrisiko. Bei der Verteilung der Beweislast geht es darum, welche Partei den Nachteil trägt, wenn eine bestimmte Tatsache nicht vollständig bewiesen werden kann. Man spricht daher von Beweislastverteilung, wenn der Richter beschließt, dass er bestimmte Tatsachen als erwiesen ansieht, sofern eine Partei sie plausibel macht.155 Allerdings deckt sich das Beweisrisiko im Verwaltungsrecht nicht vollständig mit dem des Zivilrechts. Da der Verwaltungsrichter unabhängig von den Beiträgen der Parteien handeln darf, muss er das Misslingen eines Beweisauftrages nicht zu Lasten der betroffenen Partei zu werten.156

150 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Tranche, 1994, MvT, S. 455–456. 151 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 233. 152 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Tweede Tranche, 1994, MvT, S. 463. 153 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 234. 154 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 236. 155 Pieters, De bewijspositie van partijen in het bestuursprocesrecht, NTB 1996, S. 41 (43). 156 Simon, Bewijzen in het bestuursrecht, JBplus 1999, S. 25, 27; Pieters, De bewijspositie van partijen in het bestuursprocesrecht, NTB 1996, S. 41, 44.

280

4. Teil: Kontrolldichte

Im Vergleich zum deutschen Recht ist die Verantwortung des niederländischen Verwaltungsrichters für den Nachweis der zugrundeliegenden Tatsachen deutlich geringer. Die Beweislast liegt im Wesentlichen bei den Parteien.157 Der Anknüpfungspunkt für die Beweislastverteilung vor Gericht ist das dem Erlass der Maßnahme vorangehende Verwaltungsverfahren. Gem. art. 3:2 Awb hat die Verwaltung grundsätzlich von Amts wegen alle entscheidungserheblichen Tatsachen zu er­mitteln. Eine Ausnahme bilden Bescheide, die aufgrund eines Antrags ergehen. Hier muss der Antragsteller gem. art. 4:2 Awb alle zur Sachverhaltsfeststellung notwendigen Tatsachen beibringen.158 Diese Regelungen sind für die gerichtliche Beweisaufnahme nicht zwingend. Sie zeigen jedoch die Tendenz an. Die Beweislastverteilung wird durch Vortrag und Verhalten der Parteien stark beeinflusst. Wesentliche Kriterien sind das Handeln oder Unterlassen der Parteien, die mögliche Beweisvereitelung durch eine Partei, die Beweisnähe und das Vorliegen einer Ausnahmesituation zugunsten einer Partei. Die Beweislast kann z. B. einer Partei auferlegt werden, weil sie ihre prozessua­ len Möglichkeiten unzureichend genutzt hat. Erscheint sie nicht zur mündlichen Verhandlung, bleiben die Einlassungen der Gegenpartei unwidersprochen.159 Dasselbe gilt bei Untätigkeit. Lässt ein Betroffener beispielsweise zu viel Zeit verstreichen bis er seine Belange geltend macht, kann das ebenfalls dazu führen, dass ihm die Beweislast auferlegt wird. In einer im Jahr 1996 ergangenen Entscheidung hatte der CRvB die Ansprüche eines Beamten auf Invalidenrente aus einem Dienstunfall zu prüfen. Der Unfall hatte sich während seines geraume Zeit zurückliegenden Militärdienstes ereignet. Es war nicht mehr eindeutig nachweisbar, dass es sich dabei tatsächlich um einen Dienstunfall gehandelt hatte. Diese Unsicherheit wertete das Gericht zu Lasten des Beamten und wies deshalb die von ihm geltend gemachten Ansprüche zurück.160 Die Partei, die den alleinigen Zugriff auf ein bestimmtes Beweismittel hatte und dieses nicht sicherte, hat im Prozess die Konsequenzen aus ihrem Unter­lassen zu tragen. Die Verschlechterung der Beweissituation wirkt sich nachteilig für sie aus.161 Häufig trägt derjenige die Beweislast, der wegen seiner Nähe zum Beweis­ gegenstand die besseren Aufklärungs- oder Beweismöglichkeiten hat. Das ist z. B.

157 Schuurmans/Willemsen, Bestuurlijke en rechterlijke feitenvaststelling, in: van Ommeren/ Zijlstra, De rechtsstaat als teotsingskader, 2003, S. 284. 158 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2.druk 2006, S. 237; Schuurmans/Willemsen, Bestuurlijke en rechterlijke feitenvaststelling, in: van Ommeren/Zijlstra, De rechtsstaat als teotsingskader, 2003, S. 285 ff. 159 CRvB 07.01.1988, AB 1988, 192. 160 CRvB 18.01.1996, AB 1996, 123. 161 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 238.

A. Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolltätigkeit

281

der Fall wenn nur eine Partei über die benötigte Information verfügen kann.162 Der Beweis für das Vorliegen einer Tatsache ist meist leichter zu erbringen, als der Nachweis für ihr Fehlen. Trägt der Bürger vor, dass die Verwaltung ihm ein bestimmtes Vorgehen zugesichert hat, muss er als derjenige, der sich darauf beruft, den Beweis erbringen.163 Ebenso verhält es sich bei Ausnahmen. Derjenige, der vorträgt er erfülle die Voraussetzungen einer Ausnahmeregelung, wie einer Befreiung oder eines Härtefalls, hat diese zu beweisen.164 Das betrifft auch Umstände, die dazu führen, dass eine an sich einschlägige Verwaltungsvorschrift nicht anzuwenden ist.165 Die zuständige Verwaltungsstelle hat allerdings die Pflicht, dem Betroffenen mitzuteilen, welche Informationen sie zusätzlich benötigt, um über die Ausnahme entscheiden zu können.166 f) Beweiswürdigung Auch in den Niederlanden gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung.167 Danach wird eine Tatsache als bewiesen erachtet, wenn der Richter auf Grund des Gesamtergebnisses des Prozesses zu der Überzeugung gelangt ist, dass die zu beweisende Tatsache wahr ist. Bei der Beweiswürdigung hat das Gericht allerdings zu berücksichtigen, dass nicht alle Beweismittel die gleiche Beweiskraft haben. Obwohl das Gesetz keine Hierarchie enthält, ist anerkannt, dass die Beweiskraft einer offiziellen Urkunde stärker ist, als die privater Schriftstücke. Die Beweiskraft von Berichten, Protokollen und Gutachten richtet sich nach der bei ihrer Erarbeitung angewandten Sorgfalt. Bei deren Beurteilung orientieren sich die niederländischen Verwaltungsgerichte an der Entscheidung Mantovanelli des europäischen Gerichts­hofes für Menschenrechte. Danach müssen die Parteien am Beweisverfahren angemessen beteiligt werden, indem man ihnen die echte Möglichkeit einer wirksamen Stellungnahme einräumt.168 Im Falle eines durch das Gericht in Auftrag ge­gebenen Sachverständigengutachtens bedeutet das, dass der Kläger vor dessen Fertigstellung angehört werden muss.169 Ein ordnungsgemäß erstelltes Sachverständigengutachten kann dann nur noch durch ein Gegengutachten wirksam angegriffen werden.170

162

ABRvS 21.02.1885, AB 1985, 506. ABRvS 30.06.1994, AB 1995, 101. 164 ABRvS 26.03.1999, ABkort 1999, 246. 165 Simon, Bewijzen in het bestuursrecht, JBplus 1999, S. 22 (29). 166 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 239. 167 Helder/Kuipers, Beroep bij de bestuursrechter, 2002, S. 24. 168 EGMR 18.03.1997 Mantovanelli ./. Frankreich, Slg. 1997 – II Nr. 32, § 34; JB 1997, 112. 169 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 242. 170 ABRvS 21.10.1996, AB 1997, 6. 163

282

4. Teil: Kontrolldichte

Weiterhin gilt, je belastender eine Maßnahme, desto höher sind die an die Beweise zu stellenden Anforderungen.171

V. Zusammenfassung Art. 8:69 Awb normiert mit dem Dispositions- und der Inquisitionsmaxime die wichtigsten Verfahrensgrundsätze des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in den Niederlanden. Gem. Abs. 1 bestimmen die Beteiligten selbst die Art und den Umfang des ihnen zu gewährenden Rechtsschutzes. Gem. Abs. 3 ist das Gericht berechtigt und verpflichtet, den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, ohne an das Vorbringen oder die Beweisanträge der Beteiligten gebunden zu sein. Dadurch verfügt der Verwaltungsrichter in den Niederlanden über einen relativ großen Freiraum. Er bestimmt, was er in welchem Umfang prüft. Allein die Zulässigkeitsvoraussetzung und die Einhaltung der Verfahrensvorschriften sind von Amts wegen zu kontrollieren.

B. Der Kontrollmaßstab Der Prüfungsmaßstab gibt an, anhand welcher Kriterien die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme festzustellen ist. Der heute in den Niederlanden angewendete Prüfungsmaßstab ist das Ergebnis einer langen Entwicklung. Er gilt, unabhängig von der befassten Instanz, nicht nur für die verwaltungsgerichtliche, sondern auch für die zivilgerichtliche Kontrolle im Rahmen des Schadensersatzes gegen Ver­ waltungsmaßnahmen sowie für die verwaltungsinterne Kontrolle im Vorverfahren und ist für alle Arten von Maßnahmen einheitlich.172

I. Entwicklung des verwaltungsrechtlichen Prüfungsmaßstabes Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte die Rechtsprechung eine Reihe von Prüfungskriterien, die in die älteren prozessrechtlichen Bestimmungen als Klagegründe eingingen. Das Gesetz über die Anfechtung von Verwaltungsverfügungen (Wet beroep administratieve beschikkingen – Wet BAB) und das Gesetz zur Verwaltungsrechtsprechung über hoheitliche Verfügungen (wet administratieve rechtspraak overheidsbeschikkingen – Wet AROB), die Vorgängergesetze des heute geltenden Awb, enthielten eine Aufzählung von Rechtswidrigkeitsgründen, die eine Kodifikation der bestehenden Rechtsprechung darstellte.173 Sie umfasste vier Fälle: 171

CRvB 13.08.1996, RSV 1997, 59. ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 111. 173 Fromont, Der Rechtsschutz des Einzelnen im niederländischen Verwaltungsrecht, DÖV 1972, S. 405 (408). 172

B. Der Kontrollmaßstab

283

Den ersten Rechtswidrigkeitsgrund bildete der Verstoß gegen eine allgemein verbindliche Vorschrift, die entweder die Zuständigkeit der Behörde, das Verfahren und die Form der Verwaltungsentscheidung oder Tatsachenvoraussetzungen und Inhalt des Verwaltungsaktes regelt.174 Der zweite Rechtswidrigkeitsgrund war französischen Ursprungs und betraf die Überschreitung der Befugnisse durch die erlassende Behörde, die Zweckverfehlung (Détournement de pouvoir). Er wurde wie in Frankreich einschränkend ausgelegt und nur angenommen, wenn der von der Verwaltungsbehörde mit dem Verwaltungsakt verfolgte Zweck nicht mit dem der zugrundeliegenden Norm übereinstimmte.175 Bei dem dritten Rechtswidrigkeitsgrund handelte es sich um eine Eigenheit des niederländischen Rechts, die „offensichtlich unbillige Würdigung“ des Interesses der Verwaltung und der verschiedenen Privatinteressen. Dieser Rechtswidrigkeitsgrund wird heute auch als Verstoß gegen das Willkürverbot oder offensichtliche Unbilligkeit bezeichnet.176 Er hat seinen Ursprung in der Nachkriegsrechtsprechung des Hohen Rates zur Wohnungsbeschlagnahme, die mit einer Ermessensausübung verbunden war.177 Der Hohe Rat entschied damals, dass der zuständige Zivilrichter nicht nur am Maßstab des geschriebenen Rechts prüfen dürfe, sondern auch freies Handeln der Verwaltung der (allerdings nur eingeschränkten) gerichtlichen Kontrolle zugänglich sei.178 Rechtswidrigkeit lag danach vor, wenn die Verwaltungsbehörde – hätte sie die einander gegenüber stehenden Interessen berücksichtigt – eine solche Entscheidung vernünftigerweise nicht hätte treffen dürfen. Das heißt, dass davon ausgegangen werden musste, dass sie die vorliegenden Interessen nicht in Erwägung gezogen hat. Es handelte sich also um eine Interessenabwägung. Dieser Rechtswidrigkeitsgrund wurde angewendet, um Verwaltungsentscheidungen aufzuheben, die den Verwaltungsvorschriften und der herrschenden Verwaltungspraxis entgegenstanden. Gegen einen feststehenden Verwaltungsbrauch ohne ernsthafte Gründe zu verstoßen, erschien unbillig.179 Der vierte Rechtswidrigkeitsgrund war die Verletzung der Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung, zur damaligen Zeit ungeschriebener Rechtsregeln.180 Die Grundsätze gehen auf die von den Gerichten an das Verhalten von Beamten

174

Tak, Het Nederlands Bestuursrecht in Theorie en Praktijk, Deel I, 2002, S. 415. Fromont, Der Rechtsschutz des Einzelnen im niederländischen Verwaltungsrecht, DÖV 1972, S. 405 (408). 176 Tak, Het Nederlands Bestuursrecht in Theorie en Praktijk, Deel I, 2002, S. 415. 177 HR 25.02.1949, NJ 1949, 558; Fromont, Der Rechtsschutz des Einzelnen im niederlän­ dischen Verwaltungsrecht, DÖV 1972, S. 405 (408). 178 Tak, Het Nederlands Bestuursrecht in Theorie en Praktijk, Deel I, 2002, S. 423. 179 Fromont, Der Rechtsschutz des Einzelnen im niederländischen Verwaltungsrecht, DÖV 1972, S. 405 (408 f.). 180 Fromont, Der Rechtsschutz des Einzelnen im niederländischen Verwaltungsrecht, DÖV 1972, S. 405 (409). 175

284

4. Teil: Kontrolldichte

gestellten Anforderungen zurück. Es handelt sich um auf das Auftreten der Verwaltung zugeschnittene Varianten der allgemeinen Rechtsprinzipien.181 Verschiedene Spezialgesetze sahen weiter Prüfungspunkte vor, wie z. B. das Verhältnismäßigkeitsprinzip, Verstoß gegen die Angemessenheit, Verstoß gegen allgemeine Rechtsgrundsätze. Wurde eine Verfügung aufgehoben, war der verletzte Grundsatz zu nennen.182 Mit Inkrafttreten des Awb kam es zu einer tiefgreifenden Veränderung. Man verzichtete auf eine ausdrückliche Kodifikation der Klagegründe. Stattdessen legte die Regierung größten Wert auf eine angemessene Berücksichtigung der bis dahin ungeschriebenen Rechtssätze.183 Die Zweckverfehlung und das Willkür­ verbot sind nunmehr geschriebenes Recht ebenso der Sorgfaltsgrundsatz und die Begründungspflicht,184 die die Kommission-De Monchy 1950 als Grundsätze einer ordnungsgemäßen Verwaltung eingeführt hatte.185 Diese Artikel sind heute anstelle der vorgenannten Klagegründe zu prüfen. Sie bilden die Grundlage rechtmäßigen Verwaltungshandelns und sind Ausdruck der Bindung der Verwaltung an das Gesetz.186 Weitere als weniger wichtig erachtete Grundsätze einer ordnungsgemäßen Verwaltung, wie das Vertrauensprinzip, die Rechtssicherheit, das Prinzip der geweckten Erwartungen, der Gleichheitssatz und fair play sind weiterhin als ungeschriebene Grundsätze zu prüfen.187

II. Derzeit angewendeter Prüfungsmaßstab Der derzeit anzuwendende/aktuelle Prüfungsmaßstab ergibt sich aus art. 8:77 lid 2 Awb188. Danach muss bei Begründetheit der Klage, in der Urteilsbegründung angeben werden, welche geschriebenen oder ungeschriebenen Rechtsregeln oder allgemeinen Rechtsprinzipien verletzt wurden. Diese drei Gruppen bilden gemeinsam den Prüfungsmaßstab.189 181

Tak, Het Nederlands Bestuursrecht in Theorie en Praktijk, Deel I, 2002, S. 431. ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 115. 183 Tak, Het Nederlands Bestuursrecht in Theorie en Praktijk, Deel I, 2002, S. 431. 184 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 115. 185 Tak, Het Nederlands Bestuursrecht in Theorie en Praktijk, Deel I, 2002, S. 431. 186 Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht: Entstehung und Entwicklung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, Bd.1, 1988, S. 213 f. 187 ABRvS 30.03.1999, AB 1999, 310; Tak, Het Nederlands Bestuursrecht in Theorie en Praktijk, Deel I, 2002, S. 432. 188 Art. 8:77 lid 2 Awb lautet: Indien de uitspraak strekt tot gegrondverklaring van het beroep, wordt in de uitspraak vermeld welke geschreven of ongeschreven rechtsregel of welk algemeen rechtsbeginsel geschonden wordt geoordeeld. – Ist die Klage begründet, so ist in der Entscheidung aufzuführen welche geschriebenen oder ungeschriebenen Rechtsregeln oder allgemeinen Rechtsgrundsätze verletzt wurden. 189 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:77 Nr. 3; ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 116. 182

B. Der Kontrollmaßstab

285

1. Verstoß gegen geschriebene Rechtsregeln Der Begriff geschriebene Rechtsregeln bezeichnet gesetzliche Vorschriften. Gemeint sind damit die im Awb normierten Grundsätze zur sorgfältigen Vorbereitung und ordnungsgemäßen Begründung einer Maßnahme, zur Zweckverfehlung, zum Willkürverbot, zur Verhältnismäßigkeit, Unvoreingenommenheit und Verschwiegenheit der erlassenden Behörde. Die Regelungen richten sich in erster Linie an die Verwaltung und bilden erst in zweiter Linie den Prüfungsmaßstab für die Gerichte. In dieser Aufzählung nimmt das Willkürverbot eine Sonderstellung ein. Es stellt in erster Linie eine Vorgabe für die (eingeschränkte) Kontrolle durch die Gerichte dar.190 Eine Mißachtung der vorgenannten Grundsätze führt in jedem Fall zur Kassation der Maßnahme.191 a) Gebot der sorgfältigen Vorbereitung Gem. art. 3:2 Awb192 muss das Verwaltungsorgan zur Vorbereitung einer Maßnahme alle notwendigen Tatsachen sowie alle in die Abwägung einzustellenden Belange ermitteln. Die Vorschrift entfaltet damit in zwei Abschnitten des Verwaltungsverfahrens Wirkung.193 Sie ist Ausprägung des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Denn die ordnungsgemäße Anwendung des Gesetzes setzt die sorgfältige Feststellung für die Ermächtigungsgrundlage erheblichen Tatsachen voraus.194 Die Notwendigkeit neben den entscheidungserheblichen Tatsachen und Ge­ gebenheiten auch die betroffenen Belange auszuforschen, ergibt sich dann, wenn im Zuge der Entscheidungsfindung vor Erlass einer Maßnahme eine Abwägung aller betroffenen Belange erfolgt.195 Die Abwägung selbst wird durch art. 3:4 lid 1 Awb196 geregelt. Der Sorgfaltsgrundsatz verpflichtet die Verwaltung die Voraus 190

van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 346. ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 116. 192 Art. 3:2 Awb lautet: Bij de voorbereiding van een belsuit vergaart het bestuursorgaan de nodige kennis omtrent de relevante feiten en de aftewegen belangen. – In Vorbereitung einer Maßnahme sammelt das Verwaltungsorgan die notwendigen Kenntnisse hinsichtlich der wichtigen Tatsachen und der abzuwägenden Belange. 193 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 3:2 Nr. 1. 194 Schuurmans/Willemsen, Bestuurlijke en rechterlijke feitenvaststelling, in: van Ommeren/ Zijlstra, De rechtsstaat als teotsingskader, 2003, S. 283. 195 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 3:2 Nr. 1. 196 Art. 3:4 lid 1 Awb lautet: Het bestuursorgaan weegt de rechtstreeks bij het besluit be­ trokken belangen af, voor zover niet uit een wettelijk voorschrift of uit de aard van de uit te oefenen bevoegdheid een beperking voortvloeit. – Das Verwaltungsorgan wägt die durch eine Maßnahme direkt betroffenen Belange ab, soweit sich nicht aus einer gesetzlichen Vorschrift oder aus der Art der Ermächtigung eine Beschränkung ergibt. 191

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4. Teil: Kontrolldichte

setzungen für einen geordneten Ablauf dieser Abwägung zu schaffen. Allerdings muss sie auch wenn keine Abwägung stattfindet, z. B. bei einer gebundenen Entscheidung, alle relevanten Fakten kennen, um einen rechtmäßigen Bescheid er­ lassen zu können. Der Sorgfaltsgrundsatz gilt daher für alle Rechtshandlungen der Verwaltung,197 fordert aber nicht für alle Arten von Maßnahmen die gleiche Tatsachendichte. aa) Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen durch die Verwaltung Art. 3:2 Awb beauftragt die Verwaltung zur Erforschung der tatsächlichen Gegebenheiten. Die Umstände des konkreten Falles bestimmen im Wesentlichen Genauigkeit und Tiefe der Untersuchung. Die Therme „notwendige Kenntnis“ und „entscheidungserhebliche Tatsachen und abzuwägende Belange“ bieten hierfür den Anknüpfungspunkt. Tatsachen und Belange, die aufgrund der Ermächtigungsgrundlage nicht betroffen sind, spielen keine Rolle. Die Verantwortlichkeit für die Ermittlung der Tatsachen liegt primär in den Händen der Verwaltung. Art. 4:2 lid 2 Awb198 schränkt diese Verpflichtung jedoch ein, in dem er dem Antragsteller die Beweisführung für die seinen Antrag begründenden Tatsachen auferlegt.199 Bei der Verteilung der Beweislast unterscheidet das Awb also zwischen dem Erlass einer Maßnahme auf Antrag und dem Erlass einer Maßnahme von Amts wegen. (1) Maßnahme auf Antrag Bei einer Einzelfallentscheidung auf Antrag obliegt es dem Antragsteller, die entscheidungserheblichen Tatsachen und Umstände vorzutragen und die entsprechenden Dokumente beizubringen.200 Welche Tatsachen und Beweise vorgelegt werden müssen, hängt von den Besonderheiten des konkreten Falls ab. Die Verwaltung gibt im Allgemeinen an, welche Tatsachen der Antragsteller nachzuweisen hat. Die Grenzen des tatsächlichen Vortrages ergeben sich aus der Notwendigkeit, dass bestimmte Umstände für eine positive Entscheidung vorliegen müssen

197

van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 298. Art. 4:2 lid 2 Awb lautet: De aanvrager verschaft voort de gegevens en bescheiden die voor de beslissing op de aanvraag nodig zijn en waarover hij redelijkerweijs de beschikking kan krijgen. – Der Antragsteller beschafft die Umstände und Bescheide, die für die Entscheidung über die Anfrage notwendig sind und worüber er vernünftigerweise verfügen kann. 199 Schuurmans/Willemsen, Bestuurlijke en rechterlijke feitenvaststelling, in: van Ommeren/ Zijlstra, De rechtsstaat als teotsingskader, 2003, S. 285. 200 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvT, S. 204. 198

B. Der Kontrollmaßstab

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und der Möglichkeit des Antragstellers diese nachzuweisen.201 Versäumt er es die benötigten Voraussetzungen vorzutragen, gehört es nicht zu den Pflichten der Verwaltung aus art. 3:2 Awb, diese selbst zu ermitteln.202 Der Sorgfaltsgrundsatz greift hier zu Lasten des Antragstellers ein. Allerdings muss das Verwaltungsorgan ihm die Gelegenheit geben, seinen Antrag nachzubessern bzw. fehlende Unterlagen nachzureichen, art. 4:5 lid 3 Awb203. Dabei ist genau anzugeben, welcher Teil des Antrags der ergänzenden Substantiierung bedarf.204 Versäumt der Antragsteller dies, braucht die Verwaltung den Antrag gem. art. 4:5 lid 1 Awb205 nicht zu be­ arbeiten. Treffen die Informationen verspätete ein, kann die Verwaltung beschließen, die Bescheidung zu verweigern.206 Terminüberschreitungen und Formfehler hat grundsätzlich der Antragsteller zu verantworten.207

201

Schuurmans/Willemsen, Bestuurlijke en rechterlijke feitenvaststelling, in: van Ommeren/ Zijlstra, De rechtsstaat als teotsingskader, 2003, S. 286; van Boetzelaer-Gulyas/Kampstra, Bestuursprocesrecht, 2011, S. 31. 202 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvT, S. 205. 203 Art. 4:5 lid 3 Awb lautet: Indien de aanvrager niet heeft voldaan aan enig wettelijk voorschrift voor het in behandeling nehmen van de aanvraag of indien de verstrekte gegebens en bescheiden onvoldoende zijn voor de beoordeling van de aanvraag of voor de voorbereiding van de beschikking, kann het bestuursorgaan besluiten de aanvraag niet te behandelen, mits de aanvrager de gelegenheid heefd gehad binnen een door het bestuursorgaan gestelde termijn de aanvraag aan te vullen. – Falls der Antragsteller den gesetzlichen Vorschriften für die Bearbeitung eines Antrags oder falls die vorgetragenen Umstände unzureichend für die Beurteilung des Antrags oder die Vorbereitung der Maßnahme sind, kann das Verwaltungsorgan beschließen, den Antrag zurückzustellen bis der Antragsteller die Gelegenheit hatte, innerhalb einer von der Verwaltung bestimmten Frist den Antrag zu ergänzen. 204 Pres. Rb. Arnheim 21.09.1995, RAwb 1996, 33; CRvB 09.09.1997, RAwb 1998, 48. 205 Art. 4:5 lid 1 Awb lautet: 1. Het bestuursorgaan kan besluiten de aanvraag niet te behandelen, indien: a. de aanvrager niet heeft voldaan aan enig wettelijk voorschrift voor het in behandeling nemen van de aanvraag, of b. de aanvraag geheel of gedeeltelijk is geweigerd op grond van artikel 2:15, of c. de verstrekte gegevens en bescheiden onvoldoende zijn voor de beoordeling van de aanvraag of voor de voorbereiding van de beschikking, mits de aanvrager de gelegenheid heeft gehad de aanvraag binnen een door het bestuursorgaan gestelde termijn aan te vullen. 1. Die Verwaltung kann beschließen, dass sie den Antrag nicht bearbeitet, wenn: a. der Antragsteller bei der Antragstellung eine gesetzliche Vorschrift nicht erfüllt hat, b. der Antrag vollständig oder teilweise gemäß Artikel 2:15 ausgeschlossen ist, oder c. der vorgetragene Sachverhalt nicht ausreichend für die Bescheidung des Antrages oder die Vorbereitung einer Verfügung ist, vorausgesetzt, dass der Antragsteller die Gelegenheit hatte, den Antrag binnen einer von der Verwaltung zu bestimmenden Frist, nachzubessern. 206 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvT, S. 244. 207 Vgl. ABRvS 21.12.1999, RAwb 2000, 78.

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4. Teil: Kontrolldichte

(2) Maßnahme von Amtswegen Für den Erlass einer Maßnahme von Amtswegen existieren keine besonderen Regelungen zur Tatsachenermittlung. Die Aktivitäten der Verwaltung beschränken sich weitgehend auf eigene Untersuchungen. Erhärtet sich im Zuge dieser Untersuchungen die Vermutung bestimmter Tatsachen, kann sie bei den Betroffenen anfragen, ob sie in der Lage sind, die Vermutung zu entkräften.208 bb) Ermittlung der abzuwägenden Belange durch die Verwaltung Die Ermittlungstätigkeit der Verwaltung erlangt im Zuge von Maßnahmen, bei denen widerstreitende Interessen gegeneinander abzuwägen sind und die Verwaltung deshalb über eine gewisse Entscheidungsfreiheit verfügt, besondere Bedeutung. Die unbestimmten Rechtsbegriffe „die notwendige Kenntnis“, „die wichtigen Tatsachen“ und „die abzuwägenden Belange“ implizieren, dass die Intensität der Ermittlungen von Maßnahme zu Maßnahme variieren kann. Belange, die nach den gesetzlichen Vorgaben z. B. bei einer bestimmten Genehmigung nicht betroffen sind, müssen nicht dargelegt werden. Die Ermittlungspflicht geht nur so weit wie für den speziellen Belang notwendig. Bei von Amts wegen zu erlassenden Einzelfallmaßnahmen, beschränken sich die Ermittlungspflichten auf die Belange der betroffenen Person.209 Den Kreis der Betroffenen grenzt art. 3:4 Awb ein. Nur unmittelbar durch die Maßnahme betroffene Belange nehmen an der Abwägung teil, es sei denn, es ergibt sich eine Beschränkung der abzuwägenden Belange aus einer gesetzlichen Vorschrift, oder aus dem Zweck, zu dem von der Befugnis Gebrauch gemacht wird. Wurde ein Belang zu Unrecht vernachlässigt, führt das zur Annullierung der Maßnahme.210 Das Gericht begründet seine Entscheidung dann dahingehend, dass bestimmte Tatsachen nicht berücksichtigt worden seien oder dass man bestimmte Tatsachen nicht ausreichend untersucht habe, obwohl sie für die Einstufung eines Belangs entscheidend gewesen wären.211

208 Schuurmans,/Willemsen, Bestuurlijke en rechterlijke feitenvaststelling, in: van Ommeren/ Zijlstra, De rechtsstaat als teotsingskader, 2003, S. 289. 209 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvT, S. 209. 210 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentar, 2009, art. 3:2 Nr.  1 f. 211 Klap, Vage normen in het bestuursrecht, 1994, S. 55.

B. Der Kontrollmaßstab

289

cc) Intensität der Ermittlung durch die Verwaltung Die Intensität der Untersuchungen, die das Verwaltungsorgan durchzuführen hat, hängt im Wesentlichen von der Art der zu erlassenden Maßnahme ab. Je nach Adressaten und Inhalt der Maßnahme reicht es teilweise aus, lediglich ein paar allgemeine Tatsachen anzuführen. Es gilt aber, je stärker die Beeinträchtigung des einzelnen Individuums durch die Maßnahme, desto detaillierter ist zu ermitteln.212 Deshalb ist bei Einzelfallmaßnahmen gem. art. 4:8 Awb213 zwingend eine Anhörung des Betroffenen durchzuführen.214 Wird der Betroffene obwohl es zu erwarten war, nicht angehört, besteht Grund die Maßnahme aufzuheben.215 Von der Pflicht zur Anhörung kann nur abgesehen werden, im Falle gebotener Eile, wenn der Betroffene bereits die Möglichkeit hatte, seine Sicht der Dinge darzustellen und sich seitdem keine neuen Tatsachen und Umstände ergeben haben oder der Zweck der Maßnahme nur erreicht werden kann, wenn der Betroffene davon zuvor keine Kenntnis erlangt, art. 4:11 Awb216. 212 Schuurmans/Willemsen, Bestuurlijke en rechterlijke feitenvaststelling, in: van Ommeren/ Zijlstra, De rechtsstaat als teotsingskader, 2003, S. 289. 213 Art. 4:8 Awb lautet: Voordat een bestuursorgaan een beschikking geeft waartegen een belanghebbende die de beschikking niet heeft aangevraagd naar verwachting bedenkingen zal hebben, stelt het die belanghebbende in de gelegenheid zijn zienswijze naar voren te brengen indien: a. de beschikking zou steunen op gegebens over feiten en belangen die de belanghebbende betreffen, en b. die gegebens niet door de belanghebbende zelf ter zake zijn vertrekt. Bevor ein Verwaltungsorgan eine Einzelfallmaßnahme, gegen die ein Betroffener, der den Erlass der Maßnahme nicht beantragt hat, der Erwartung nach Bedenken vorbringen wird, erlässt, bietet es dem Betroffenen die Gelegenheit seine Sicht in der Angelegenheit darzustellen, falls: a. sich die Einzelfallmaßnahme auf Gegebenheiten zu Tatsachen und Belangen, die den Betroffenen angehen, und b. diese Gegebenheiten in der Angelegenheit nicht bereits durch den Betroffenen dargestellt worden sind. 214 Tak, Het Nederlands bestuursprocesrecht in theorie en Praktijk, Deel I, 2002, S. 433. 215 Pres. Rb. Den Haag 09.02.1994, RAwb, 1994, 6. 216 Art. 4:11 Awb lautet: Het bestuursorgaan kann toepassing van de artikelen 4:7 en 4:8 achterwege laten voor zover: a. de vereiste spoed zich daartegen verzet; b. de belanghebbende reeds eerder in de gelegenheid ist gesteld zijn zienswijze naar voren te brengen en zich sindsdien geen nieuwe feiten of omstandigheden hebben voorgedaan, of c. het met de beschikkng beoogde doel slechts kann worden bereikt indien de belanghebbende daarvan niet reeds tevoren in kennis is gesteld. Das Verwaltungsorgan kann die Anwendung der Artikel 4:7 und 4:8 hinten anstellen, soweit a. die Eilbedürftigkeit der Maßnahme dagegen spricht; b. der Betroffene bereits die Möglichkeit hatte seine Sichtweise darzustellen und sich seitdem keine neuen Tatsachen und Umstände ergeben haben, oder c. der mit der Einzelfallmaßnahme verfolgt Zweck nur erreicht werden kann, wenn der Betroffene zuvor davon keine Kenntnis erlangt.

290

4. Teil: Kontrolldichte

b) Begründungsgebot Nach niederländischer Rechtsauffassung bedürfen (belastende) Verwaltungsakte der Begründung. Das Awb enthält daher ein allgemeines Begründungs­gebot (motiveringsbeginsel), das auf einer materiellen und einer formellen Begründungs­ pflicht beruht. aa) Materielle Begründungspflicht Die Begründung einer Maßnahme muss deren Tenor in vollem Umfang tragen.217 Die materiellen Anforderungen an die Begründung ergeben sich aus art. 3:46 Awb218, wonach Verwaltungsmaßnahmen mit einer stichhaltigen Begründung zu versehen sind. Stichhaltigkeit bedeutet, dass sich die Maßnahme auf eine tatsächliche Grundlage stützt, die jederzeit überprüfbar ist219 und sich als Grundlage für die Maßnahme eignet.220 Eine Begründung muss dementsprechend logisch und konsequent sein. (1) Zureichende tatsächliche Grundlage Eine unzureichende tatsächliche Grundlage tritt meist in Verbindung mit der Verletzung anderer Grundsätze, die bei dem Erlass einer Maßnahme eine Rolle spielen, auf. Im Jahr 2000 hob die ABRvS z. B. eine Maßnahme wegen Verstoßes gegen die art. 3:2 und 3:46 Awb auf, weil die Verwaltung es versäumt hatte, nach einer anderen befriedigenden Lösung, die den Zielen des Naturschutzes Rechnung trug, zu suchen.221 Einen Verstoß gegen die gleichen Vorschriften nahm sie in einem anderen Fall an, weil die Verwaltung nicht geprüft hatte, ob sich die vorgesehene militärische Nutzung mit den Vorgaben des Art. 6 Abs. 2 der Flora- FaunaHabitat-Richtlinie vereinbaren ließ.222 Ein Verstoß gegen die materielle Begründungspflicht tritt häufig in Kombination mit einer mangelhaften Ermittlung der erheblichen Tatsachen, einer unzureichenden Abwägung der betroffenen Belange oder einem Verstoß gegen den Gleichheitssatz auf.223 Im Falle einer fehlerhaften 217

Schlössels, Beginselen van behoorlijk bestuur, NTB 2008, S. 92–106. Art. 3:46 Awb lautet: Een besluit dient te berusten op een deugdelijke motivering. – Eine Maßnahme muss auf einer ordnungsgemäßen Begründung beruhren. 219 CBB 12.11.1996, RAwb 1997, 50. 220 Zum Ganzen Tak, Het Nederlands bestuursprocesrecht in theorie en Praktijk, Deel I, 2002, S. 441. 221 ABRvS 27.04.2000, Ab 2000, 303. 222 ABR 31.03.2000, RAwb 132. 223 CRvB 01.04.2003, AB kort 2003, 386; Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, Rijn 1993, MvT, S. 269; Schlössels, Beginseln van behoorlijk bestuur, NTB 2003, S. 246 (256). 218

B. Der Kontrollmaßstab

291

Sachverhaltsfeststellung durch die Verwaltung, darf das Gericht zwar von Amts wegen ermitteln. Die Möglichkeiten des Richters enden jedoch dort, wo die Verletzung der art. 3:2 und 3:4 Awb beginnt. Das Eingreifen des Gerichts darf daher nicht zu einem Ausgleich der Versäumnisse der Verwaltung führen.224 (2) Tauglichkeit der tatsächlichen Grundlage Die angegebenen Tatsachen müssen geeignet sein, die Maßnahme zu tragen. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2001 verneinte die ABRvS das, weil die Ausgangsbehörde Schlussfolgerungen aus einem Gutachten gezogen hatte, die dieses tatsächlich so nicht hergab. Die Abteilung schloss sich dem Vortrag des Klägers an, dass nicht ersichtlich sei, welche Erwägungen zu diesem Ergebnis geführt hätten und hob die Maßnahme wegen der fehlerhaften Begründung auf.225 Hier wird deutlich, dass die Verwaltung die tragenden Gründe und Argumente für ihre Entscheidung in nachvollziehbarer Form darlegen muss. Weiterhin spielt die Begründungspflicht eine entscheidende Rolle, wenn die Verwaltung von den von ihr selbst aufgestellten Verwaltungsvorschriften abweicht. Auch aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes muss sie in allen Einzelheiten darlegen, warum diese im konkreten Fall unberück­sichtigt bleibt.226 Bei Anwendung einer Verwaltungsvorschrift reicht dagegen der Verweis auf deren Gebrauch zur Begründung aus. Voraussetzung ist allerdings deren Tauglichkeit.227 bb) Formelle Begründungspflicht Die formelle Begründungspflicht des art. 3:47 lid 1 Awb228 war lange Zeit umstritten. 1963 entschied der CBB, dass es keine Regelung gebe, nach der eine Maßnahme, wenn sie dem Betroffenen zur Kenntnis gebracht werde, auch zu begründen sei.229 Die Krone vertrat diesen Standpunkt ebenfalls.230 Die Abteilung ging erstmals 1977 von der ungeschriebenen Regel aus, dass hoheitliche Maßnahmen zu begründen seien.231 Zur Zeit der Kodifikation des Awb enthielten bereits viele 224

Tak, Het Nederlands bestuursprocesrecht in theorie en Praktijk, 2002, S. 443. ABRvS 15.01.2001, 200004163/1. 226 Schlössels, Beginselen van behoorlijk bestuur, NTB 2008, S. 92 (106); Beispiele für untaugliche Begründungen siehe ABRvS 17.10.2007, AB 2007, 353; ABRvS 30.05.2007, AB 2007, 206. 227 ABRvS 03.10.2007, JB 2007, 222. 228 Art. 3:47 lid 1 Awb lautet: De motivering wordt vermeld bij de bekandmaking van het besluit. – Die Begründung wird gleichzeitig mit der Maßnahme bekannt gegeben. 229 CBB 04.11.1963, SEW 1964, S. 358. 230 KB 03.03.1970, AB 1970, 202. 231 ARRS 26.05.1977, tB/S III, 29; 16.03.1978, AB 1978, 346. 225

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4. Teil: Kontrolldichte

Gesetze Regelungen zur Begründungspflicht, sodass es selbstverständlich war, diese auch in das Awb aufzunehmen. Die Begründung muss in jedem Fall immer die Ermächtigungsgrundlage enthalten, art. 3:47 lid 2 Awb232. Der weitere Inhalt hängt von den Umständen des jeweiligen Falls ab.233 Die Forderung nach der Bekanntgabe der Begründung umfasst zwei für den Rechtsschutz interessante Gesichtspunkte. Zum einen geht die Rechtsprechung davon aus, dass die Verwaltung Einsicht in die Erwägungen, die zum Erlass der Maßnahme geführt haben, geben muss. Zum anderen soll die Begründung verständlich und nachvollziehbar sein. Das erleichtert die Überprüfung der Maßnahme. (1) Einsicht in die Erwägungen der Verwaltung Einsicht in die Erwägungen der Verwaltung bedeutet, dass das Verwaltungs­ organ auf die besonderen Umstände des Falles eingehen muss. Allgemeine Er­ wägungen genügen nicht.234 Die Abteilung entschied dazu, dass genau darzulegen sei, welche spezifischen Tatsachen und Umstände dazu geführt hätten, dass eine gesetzliche Vorschrift nicht angewendet worden sei.235 Der CBB schloss sich dieser Argumentation an. Er führte aus, ein Verweis auf ein gesetzliches Verbot reiche nicht aus. Dadurch würden die Beweggründe, nach der Vorschrift zu entscheiden und eine Ausnahmeregelung zu verweigern, nicht deutlich.236 (2) Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Begründung Die Begründung muss verständlich und nachvollziehbar sein. Das zwingt die Verwaltung zu einer ausführlichen Darlegung. Besonders der Ermessensgebrauch ist eingehend zu erörtern. Vor allem aber dürfen keine Standardtexte verwendet werden.237 Verstöße gegen die formelle Begründungspflicht sind grundsätzlich heilbar. Da es sich um Verfahrensvorschriften handelt, kann eine ordnungsgemäße Begründung nachgeholt werden.238 Der CBB handhabte diese Möglichkeit in einer Entscheidung aus dem Jahr 1994 allerdings zu großzügig. Er akzeptierte eine während der mündlichen Verhandlung nachgeholte Begründung.239 Der CRvB

232 Art. 3:47 lid 2 Awb lautet: Daarbij wordt zo mogelijk vermeld krachtens welk wettelijk voorschrift het besluit wordt genomen. – Dabei wird so weit möglich die Ermächtigungsgrundlage bekannt gegeben. 233 de Haan/Drupsteen/Fernhout, Bestuursrecht in de sociale rechtsstaat, Deel 2, 1998, S. 103. 234 ARRS 10.10.1979, AB 1980, 411. 235 ARRS 17.05.1977, tB/s III, S 24 d. 236 CBB 01.05.1984, AB 1985, 529. 237 Rb. Assen 17.05.1994, JB 1994, 141; ABRvS 16.06.1994, NJB-katern 1994, S. 336. 238 CRvB 08.06.1997, RAwb 1998, 38. 239 CBB 25.02.1994, RAwb 1994, nr.10.

B. Der Kontrollmaßstab

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schloss diese Möglichkeit der Heilung für den Fall, dass in der während der Sitzung nachgeholten Begründung konkrete Fakten vorgetragen werden, mit denen sich der Gegner zuvor nicht auseinandersetzen konnte, aus. Die Verpflichtung der Verwaltung alle Tatsachen so auszuführen, dass der Gegner darauf angemessen reagieren könne, werde dadurch nicht erfüllt.240 Eine Maßnahme, deren Bekanntgabe sehr kurzfristig erfolgen mußte, kann im Nachhinein begründet werden. Der Lauf der Rechtsbehelfsfrist beginnt jedoch mit Bekanntgabe der Maßnahme auch wenn die Begründung noch fehlt.241 c) Zweckverfehlung Die Lehre von der Zweckverfehlung (Verbod van de’tournement de pouvoir) ist eines der ältesten Rechtmäßigkeitskriterien überhaupt. Sie wurde im 19. Jahr­ hundert in Frankreich entwickelt242 und ging als art. 3:3243 in das Awb ein. Sie verpflichtet die Verwaltung, eine Ermächtigung nur in Übereinstimmung mit dem gesetzgeberischen Ziel auszuüben und dabei mit lauteren Absichten und Motiven zu handeln.244 Zum Teil gibt die Regelung, die die Befugnis verleiht, explizit den Zweck an. Ist das nicht der Fall, muss der Zweck aus der Regelung abgeleitet werden. Teilweise ist die Zweckverfehlung auch speziell gesetzlich normiert. Art. 44 des Raumordnungsgesetz (Wet op de ruimtelijke ordening – Wet RO) von 1963, bestimmte z. B., dass eine Baugenehmigung nur mit Auflagen verbunden werden dürfte, die dem Schutz der Belange, zu deren Zweck die Genehmigung erteilt wurde, dienten. Die Auflagen mussten mit dem Gegenstand der Genehmigung im Zusammenhang stehen.245

240

CRvB 25.02.1999, RAwb 1999, 127. Tak, Het Nederlands bestuursprocesrecht in theorie en Praktijk, Deel I, 2002, S. 446 f. 242 Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht: Entstehung und Entwicklung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, Bd. 1, 1988, S. 277; Lerche in Frowein, Die Kontrolldichte bei der gerichtlichen Überprüfung von Handlungen der Verwaltung, Landesbericht Frankreich, S. 3; Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet be­stuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvT, S. 207. 243 Art. 3:3 Awb lautet: Het bestuursorgaan gebruikt de bevoegdheid tot het nemen van een besluit niet voor een ander doel dan waarvoor de bevoegdheid is verleend. – Das Verwaltungsorgan nutzt die Ermächtigung zum Erlass einer Maßnahme zu keinem anderen Zweck, als zu dem, zu dem sie verliehen wurde. 244 Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht: Entstehung und Entwicklung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, Bd. 1, 1988, S. 278 ; Tak, Het Nederlands bestuursprocesrecht in theorie en Praktijk, Deel I, 2002, S. 421. 245 Die Vorschrift wurde durch art. 3.6 des Raumordnungsgesetzes (wet ruimtelijke ordening) aus dem Jahr 2008 ersetzt, der diese Einschränkung nicht mehr vorsieht. Die Vorschrift lautet jetzt: De vergunning kann onder beperkingen worden verleend en aan de vergunning kunnen voorschriften worden verbonden. – Die Genehmigung kann unter Auflagen erteilt werden und an die Genehmigung können Vorschriften geknüpft werden. 241

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4. Teil: Kontrolldichte

Trotz ihrer großen praktischen Bedeutung wird die Zweckverfehlung nur selten als Begründung für die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme angeführt. Das hat im Wesentlichen zwei Gründe. Zum einen ist es häufig schwierig, sie eindeutig nachzuweisen. Zum anderen ist oftmals noch ein zweiter Rechtswidrigkeitsgrund einschlägig, der sich unproblematischer als Begründung für die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme anführen lässt.246 d) Willkürverbot Das Willkürverbot bezieht sich auf die Abwägung der beroffenen Belange (belangen­afweging), die die Verwaltung gem. Art. 3:4 lid 1 Awb247 vor Erlass einer Verfügung vorzunehmen hat. Das betrifft allerdings nur Maßnahmen, deren Ermächtigungsgrundlage eine Lockerung der Gesetzesbindung enthält und der Verwaltung dadurch einen Entscheidungsfreiraum248 eingeräumt. Eine derartige Lockerung der Gesetzesbindung findet sich in den sogenannten „vagen“ (nicht genau bestimmten) Normen. Das Gegenstück bilden „harte“ Normen, die eine strikte Gesetzesanwendung fordern. Entscheidungsfeiräume der Verwaltung sind auf Tatbestands- wie Rechtsfolgenseite anzutreffen. An der mit Hilfe einer Abwägung zu treffenden Entscheidung ist der Gesetzgeber nur insoweit beteiligt, als dass er häufig die zu schützenden Belange in der Norm vorgibt. Den Abwägungsvorgang selbst kann er nicht beeinflussen. Dieser erfolgt unter Berücksichtigung der konkreten Umstände. Nur so kann eine dem Einzelfall angemessene Entscheidung getroffen werden.249 Entscheidungsfreiraum bedeutet jedoch nicht, dass die Verwaltung vollkommen frei in ihrer Entscheidung ist. Sie hat bei der Abwägung bestimmte Grenzen zu beachten. Sie betreffen die zu berücksichtigenden Belange und deren Gewichtung.250 aa) Zu berücksichtigende Belange Die zu berücksichtigenden Belange sind anhand der allgemeinen Vorgaben des art. 3:4 lid 1 Awb sowie anhand des einschlägigen Spezialgesetzes zu ermitteln.251 246

Tak, Het Nederlands bestuursprocesrecht in theorie en Praktijk, Deel I, 2002, S. 421. Art. 3:4 lid 1 Awb lautet: Het bestuursorgaan weegt de rechtstreeks bij het besluit betrokken belangen af, voor zover niet uit een wettelijk voorschrift of uit de aard van de uit te oefenen bevoegdheid een beperking voortvloeit. – Das Verwaltungsorgan wägt die durch eine Maßnahme direkt betroffenen Belange ab, soweit sich nicht aus einer gesetzlichen Vorschrift oder aus der Art der Ermächtigung eine Beschränkung ergibt. 248 In den Niederlanden bezeichnet man das auch als offene Normstellung – open normstelling. 249 Klap, Vage normen in het bestuursrecht, 1994, S. 30. 250 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 307. 251 Gerards, Rechterlijke belangenafweging in het publiekrecht, RM Themis 2006, S. 147 (151). 247

B. Der Kontrollmaßstab

295

(1) Allgemeine Vorgaben Art. 3: 4 lid 1 Awb spricht von unmittelbar betroffenen Belange. Mittelbare, abgeleitete Belange nehmen nicht an der Abwägung teil.252 (2) Besondere Vorgaben Teilweise enthalten die jeweils einschlägigen Spezialgesetze weitere Einschränkungen, nach denen bestimmte Belange bei der Entscheidungsfindung keine Rolle spielen dürfen.253 Die Literatur spricht in diesem Zusammenhang von dem Spezialitätsprinzip (specialiteitsbeginsel). Danach darf die Verwaltung, wenn sie im Rahmen der ihr durch Gesetz verliehenen Befugnisse tätig wird, diese Befugnisse nur dem Zweck der Ermächtigungsgrundlage entsprechend ausüben. Dahinter steht der Gedanke, dass Gesetze zu einem bestimmten Zweck erlassen werden und auch nur zu diesem Zweck angewendet werden dürfen. Die Verwaltung darf sich ausschließlich in diesem Bereich bewegen.254 Für die Abwägung bedeutet das, dass die einzustellenden Belange in der Regel durch die Ermächtigungsgrundlage vorgegeben und begrenzt werden. Sind sie nicht ausdrücklich erwähnt, so ist der Tendenz des Gesetzes zu entnehmen, ob ein bestimmter Belang bei der Entscheidung eine Rolle spielt. Bestimmt eine Rechtsnorm z. B., dass eine wasserrechtliche Genehmigung je nach Qualität des Grundwassers verweigert werden kann, so stellt die Qualität des Grundwassers einen abwägungserheblichen Belang dar.255 Nach der Rechtsprechung der Abteilung256 bilden die Belange Dritter, sofern sie direkt betroffe sind, eine Ausnahme. Sie müssen z. B. bei der Vergabe von Genehmigungen mit berücksichtigt werden, auch wenn sie sich außerhalb der gesetz­ lichen Grenze bewegen. (3) Qualität der zu berücksichtigenden Belange Zur Qualität der bei der Abwägung zu berücksichtigenden Belange schweigt art. 3:4 lid 1 Awb. Bei Inkrafttreten des Awb ging der Gesetzgeber von einer Übereinstimmung der gem. art. 1:2 lid 1 Awb betroffenen und der gem. art. 3:4 lid 1 252 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Awb art. 3:4 Nr. 2. 253 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 307. 254 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het AwbTijdperk, 5. druk 2004, S. 36. 255 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Awb art. 3:4 Nr. 2. 256 ARRS 21.08.1984, AB 1984, 542; ARRS 27.05.1986, AB 1987, 267.

296

4. Teil: Kontrolldichte

Awb in die Abwägung einzustellenden Belange aus.257 Danach nähme jedes unmittelbar betroffene eigene Interesse an der Abwägung teil. Van Male äußerte sich zuvor bereits im Jahr 1992 in diesem Sinne. Er führte dazu aus, dass der Begriff des Betroffenen eine zentrale Stellung im Awb einnehmen werde und dementsprechend die betroffenen Interessen in diesem Sinne einheitlich zu interpretieren seien.258 Heute herrscht die Auffassung vor, dass die betroffenen Belange in art. 1:2 lid 1 Awb lediglich der Feststellung der Klagebefugnis, die keine Ver­ letzung eines subjektiven Rechts fordert, diene. Sie hätten damit rein prozessrechtliche Bedeutung. Die in die Abwägung einzustellenden Belange seien dagegen vor dem Hintergrund einer zweckgebundenen, konkretisierenden Rechtsentscheidung zu sehen. Auch mit Blick auf das Spezialitätsprinzip, das nur eine materiellrecht­ liche Funktion erfülle, könnten deshalb ausschließlich rechtlich geschützte Interessen (rechtsbelange)259 berücksichtigt werden.260 Die neuere Rechtsprechung geht ebenfalls davon aus, dass die Begriffe des betroffenen Belangs in art. 1:2 lid 1 und art. 3:4 lid 1 Awb nicht zwingend ­deckungsgleich sind. Sie vertritt die Auffassung, dass der Umstand, dass jemand durch eine Maßnahme betroffen sei, nicht zwingend dazu führe, dass die Belange die ihn zum Betroffenen machen, auch gleichzeitig an der Abwägung teilnähmen. Letzteres hänge von der gesetzlichen Regelung ab, die der angefochtenen Maßnahme zu Grunde liege.261 So wird der Hausbesitzer, der sein in der unmittelbaren Nachbarschaft eines Schweinemastbetriebes gelegenes Haus verkaufen möchte, erfolglos weitere Auflagen gegenüber diesem Betrieb beantragen. Er ist in einem gerichtlichen Verfahren zwar auf Grund der Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Interessen klagebefugt, doch dient das Umweltgesetz nicht dem Schutz wirtschaftlicher Interessen. Sie sind daher bei der Abwägung nicht zu berücksichtigen.262 Um derartigen Situationen zuvorzukommen wird in den Niederlanden seit einiger Zeit die Einführung der Schutznormtheorie diskutiert. Verheij263 sieht darin die Konsequenz der derzeitigen Entwicklung des Verwaltungsprozesses. Da der Bürger durch seine Klageschrift Gegenstand und Umfang der Überprüfung bestimme, erfahre das verwaltungsgerichtliche Ver 257

Daalder, de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Trache, 1993, S. 210. 258 van Male, Enkele aspecten van het begrip belanghebbende in de Algemene wet bestuursrecht, VAR-reeks 108, 1992, S. 76. 259 Rechtsbelang bezeichnet rechtlich geschützte Interessen im Sinne des Spezialitätsprinzips; dazu Stroink, Kern van bestuursrechtspraak, 2004, S. 94. 260 Schlössels, Het specialiteitsbeginsel, 1998, S. 195 ff.; Stroink, Kern van bestuursrechtspraak, 2004, S. 94. 261 CRvB 07.05.1998, AB 1998, 306; ABRvS 20.09.1999, Gst.7117.5; ABRvS 21.07.2004, AB 2005, 204. 262 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 78. 263 Verheij, Uit zuinigheid naar relativiteit. Naar een Schutznormvereiste in het bestuursrecht, in: Heriniga/Jansen/van der Linden/Verheij, Het bestuursrecht beschermd, Liber amicorum F. A. M. Stroink, 2006, S. 102.

B. Der Kontrollmaßstab

297

fahren ohnehin eine Subjektivierung. Die Einführung der Schutznormtheorie sei daher sachgerecht. Scheltema und Scheltema264 argumentieren ähnlich. Dafür spreche auch die sich dadurch ergebende Einheit der Rechtsordnung.265 Jemand der keinen Ersatz des durch eine rechtswidrige Maßnahme verursachten Schadens fordern könne, könne auch nicht berechtigt sein, diese Maßnahme anzufechten. bb) Gewichtung der zu berücksichtigenden Belange Die Gewichtung der zu berücksichtigenden Belange betrifft den Entscheidungsfreiraum der Verwaltung. Er ist zu respektieren, solange das Ergebnis der Ab­ wägung vertretbar erscheint. Dies wird unterstellt soweit zuvor alle betroffenen Interessen ordnungsgemäß ermittelt und erkennbar bei der Abwägung berücksichtigt wurden.266 Eine intensivere Kontrolle durch die Gerichte wird derzeit abgelehnt, weil man befürchtet, dass der Richter seine eigenen Anschauungen und Wertungen in die Abwägung mit einfließen lassen könnte. Das würde deren Ergebnis ver­fälschen.267 Es liege außerhalb der Zuständigkeit des Gerichts, die Gewichtung eingehend zu beurteilen.268 e) Verhältnismäßigkeit Auch das in art. 3:4 lid 2 Awb269 normierte Gebot der Verhältnismäßigkeit (evenredigheidsbeginsel) geht auf die Entscheidung des Hohen Rates vom 25. Februar 1949 (Doetinchemse woonruimtevordering)270 zurück. Der Hohe Rat entschied damals, dass das Ergebnis der Abwägung vertretbar sein müsse. Damit ­unterwarf er dieses den Grenzen der Verhältnismäßigkeit. Dementsprechend bildet die Verhältnismäßigkeit in der Gesetzessystematik einen Unterpunkt des Willkürverbotes. Das Gebot richtet sich im Gegensatz zum Willkürverbot jedoch d­ irekt

264

Scheltema/Scheltema, Gemeenschappelijk recht, 2003, S. 303. Art. 6:163 Burgerlijk Wetboek bestimmt, dass derjenige, der eine unerlaubte Handlung begeht, für den einem anderen dadurch entstandenen Schaden aufkommen muss. 266 Gerards, Belangenafweging bij rechterlijke toetsing aan fundamentele rechten, 2006, S. 23. 267 Gerards, Belangenafweging bij rechterlijke toetsing aan fundamentele rechten, 2006, S. 5. 268 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, S 1993, MvT, S. 211. 269 Art. 3:4 lid 2 Awb lautet: De voor een of meer belanghebbenden nadelige gevolgen van een besluit mogen niet onevenredig zijn in verhouding tot de met het besluit te dienen doelen. – Die für einen oder mehrere Betroffene mit einer Maßnahme verbundenen nachteiligen Folgen, dürfen nicht außer Verhältnis zu den mit der Maßnahme verfolgten Zielen stehen. 270 HR 25.02.1949, NJ 1949, 558. 265

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4. Teil: Kontrolldichte

an die Verwaltung.271 Sie hat dafür zu sorgen, dass beeinträchtigte Interessen und angestrebtes Ziel nicht außer Verhältnis zu einander stehen.272 Das bedeutet zum einen, dass die bei der Abwägung betroffenen Interessen ins richtige Verhältnis ­zueinander zu setzen sind. Keiner der im Streit stehenden Gesichtspunkte darf in seiner Bedeutung verkannt oder vernachlässigt, aber auch keiner der betroffenen Interessen eine zu große Bedeutung beigemessen werden. Zum anderen muss der durch den Erlass einer Maßnahme entstehende Schaden so gering wie möglich ­gehalten werden. Dabei ist zu beachten, dass der Einzelne nicht stärker als notwendig belastet werden darf (das Prinzip der geringsten Belastung – het beginsel van de minste pijn); dass die auferlegte Belastung nicht unverhältnismäßig zum verfolgten Zweck sein darf, Proportionalitätsprinzip (Proportionaliteitsbeginsel), und dass die im Interesse der Allgemeinheit erlassene Maßnahme alle Betroffenen gleich belasten muss (égalité davant les charges publiques).273 Zufällige Vorteile einer Maßnahme müssen bei der Bewertung außen vor bleiben.274 Hier wird das Zusammenspiel mit art. 3:4 lid 1 Awb deutlich, der bestimmt, welche Belange bei der Abwägung eine Rolle spielen.275 aa) Reichweite der Kontrolle Nach Erlass des Awb war art. 3:4 lid 2 zunächst umstritten, weil die Vorschrift die gerichtlichen Kontrollbefugnisse nicht eindeutig eingrenzte. Lediglich den Gesetzesmaterialien war zu entnehmen, dass der Gesetzgeber keine Intensivierung der Überprüfung des Willkürverbotes durch die Hintertür der Verhältnismäßigkeit beabsichtigte.276 Mit der Entscheidung Maxis und Praxis277 setzte die ABRvS der Diskussion ein Ende. Sie stellte ausdrücklich klar, dass die hoheitliche Abwägung nur einer eingeschränkten Kontrolle zugänglich sei und der Richter art. 3:4 lid 2 Awb nicht als Aufhänger für eine Intensivierung dieser Kontrolle nutzen dürfe. Unter Verweis auf den Gesetzgeber berief sie sich darauf, „… dass der unabhängige Richter und die für die Gestaltung des öffentlichen Lebens verantwortliche Verwaltung nach der Verfassung unterschiedliche Positionen inne hätten. Dem trage die nur eingeschränkte Überprüfbarkeit der Verhältnismäßigkeit 271 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Awb art. 3:4 Nr. 3 a). 272 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 220. 273 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 339. 274 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvT, S. 213. 275 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Awb art. 3:4 Nr. 3 c). 276 Daalder, de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Trache, 1993, VV II, S. 211. 277 ABRvS 09.05.1996, AB 1997, 93; In dieser Entscheidung rief die ABRvS das Verwaltungsgericht Roermond zur Ordnung, die das Verhältnismäßigkeitsprinzip dazu genutzt hatte, eine planologische Abwägung voll zu überprüfen.

B. Der Kontrollmaßstab

299

Rechnung.“278 Diese Auffassung wird in den Niederlanden noch heute von der herrschenden Meinung vertreten. Sie räumt dem Richter aber das Recht ein, die Intensität seiner Prüfung dem konkreten Fall anzupassen.279 Anregungen von Gerads anlässlich eines Symposiums im Jahr 2007, die Kontrolle der Verhältnismäßigkeit nach dem Vorbild des Europarechts intensiver und transparenter zu gestalten, stießen auf Ablehnung. Gerads sah Vorteile in der systematischen Beurteilung anhand der vorbestimmten Kriterien, Geeignetheit, Notwendigkeit, Subsidiarität.280 Dadurch sei eine wirklichkeitsnahe Bewertung der hoheitlichen Entscheidungsfindung möglich, ohne dass das Gericht in Richtung eines Werturteils über die durchgeführte Abwägung abgleite. Es bleibe trotzdem noch genügend Raum für eine nuancierte Prüfung. Dieses Vorgehen ermögliche es dem Bürger anhand der obengenannten Kriterien die getroffene Entscheidung leichter nachzuvollziehen.281 Die Gegner bezweifelten, dass dem Richter in diesem Fall ein ausreichender Spielraum für eine Einzelfallentscheidung verbleibe. Damit sei man aber bisher gut gefahren. Die Verständlichkeit einer Entscheidung ergebe sich aus einer eingehenden Begründung. An der mangele es zwar zuweilen, doch böten Entscheidungen, die auf eine nur eingeschränkte Überprüfung zurückgingen meist vollständige Einsicht in die politische Notwendigkeit einer Maßnahme.282 bb) Nachteilsausgleich Kommt es trotz Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu einer unverhältnismäßigen Belastung eines Bürgers, so hat der Staat die Rechtsgleichheit nicht beachtet und den Bürger zu entschädigen. In diesem Zusammenhang entwickelte die Literatur in Anlehnung an das französische Recht283 den Begriff des Nachteilsausgleichs (Nadelscompensatie).284 Dahinter steht der Ge-

278

Schlössels, Ongehoorzame Bestuursrechters?, in: de Groot-van Leeuwen/van den Bossche/ Buruma, De ongehoorzame rechter, Rechters versus andere rechters, de wetgever, die bevolking en het Europees recht, 2006, S. 147. 279 Schlössels, Beginselen van behoorlijk bestuur, NTB 2008, S. 92, 106. 280 Gerards, Het evenredigheidsbeginsel van art. 3:4 lid 2 Awb en het Europese recht, in: Barkhuysen/den Ouden/Steyger, Europees recht effectueren, 2007, 76 f. 281 Gerards, Het evenredigheidsbeginsel van art. 3:4 lid 2 Awb en het Europese recht, in: Barkhuysen/den Ouden/Steyger, Europees recht effectueren, 2007, 92 f. 282 Schlössels, Beginselen van behoorlijk bestuur, NTB 2008, S. 92 (95 f.). 283 der Nachteilsausgleich entspricht dem Entschädigungsanspruch im französischen Recht, der in Frankreich mit einer eigenen Entschädigungsklage geltend gemacht werden kann; vgl. Lerche in Frowein, Die Kontrolldichte bei der gerichtlichen Überprüfung von Handlungen der Verwaltung, Landesbericht Frankreich, S. 1. 284 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Awb Art. 3:4 lid 2 Nr.4. Ähnlichkeiten bestehen auch zum Aufopferungsanspruch im deutschen Recht.

300

4. Teil: Kontrolldichte

danke, dass eine Behörde, die Einzelne durch Maßnahmen besonders belastet, nicht mit der gebotenen Sorgfalt handelt, wenn sie nicht zugleich eine Entlastung anbietet.285 Nach ständiger Rechtsprechung286 besteht ein Anspruch auf Ausgleich, wenn eine rechtmäßige Verfügung der Verwaltung einen konkreten Schaden verursacht, der über das Maß der normalen gesellschaftlichen Belastung hinausgeht. Der Nachteilsausgleich setzt damit zunächst ein rechtmäßiges Handeln der Verwaltung voraus. In Betracht kommen neben klagbaren Maßnahmen auch tatsächliches Handeln und nicht klagbare Maßnahmen. Die Rechtmäßigkeit muss nicht explizit festgestellt werden. Es reicht aus, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht.287 Die Handlung muss ursächlich für den Eintritt eines konkreten Schaden sein, der für den Bürger eine Belastung darstellt, die im Ver­hältnis zu der Belastung anderer Bürger in vergleichbarer Lage über das normale Maß des gesellschaftlichen Risikos hinausgeht.288 Das normale Maß des gesellschaft­ lichen Risikos bildet dabei die Grundlage für die Berechnung des Schadens. Wird es nicht überschritten, bleibt analog art. 6:98 BW kein Raum für eine Ausgleichszahlung. Ob der Schaden das normale gesellschaftliche Risiko überschreitet, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei verfügt das handelnde Verwaltungsorgan über Ermessen. Allerdings ist nicht eindeutig feststellbar, wie weit dieses Er­messen reicht. Nach der Rechtsprechung des Hohen Rates darf die individuelle Vermögenslage es Betroffenen dabei jedoch keine Rolle spielen.289 Verweigert das Verwaltungsorgan die Zahlung einer Entschädigung, so stellt die Verweigerung eine eigenständige Maßnahme dar, die vor dem Verwaltungsgericht angreifbar ist.290 In diesem Fall sind die Regelungen zum Schadensersatz ins­ besondere die selbständige Schadensmaßnahme einschlägig.291

285

Tjepkema, Nadelscompensatie op basis van het égalitbeginsel, 2010, S. 115. ABRS 18.02.1997, AB 1997, 143; CBvB 25.06.1997, AB 1997, 406. 287 Hoitink/Koetser, Nadeelcompensatie: waarom, wanneer en hoevel, NTB 2007, S. 334 (339). 288 Hoitink/Koetser, Nadeelcompensatie: waarom, wanneer en hoevel, NTB 2007, S. 334 (341). 289 HR 03.04.1998, AB 1998, 256. 290 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Awb Art. 3:4 lid 2 Nr.4; zum Ganzen: Dekker, Nadeelscompensatie en het waterstaatsrecht, in: Barkhuysen/ den Ouden/Steyger, Europees recht effectueren, 2007, 291–303. 291 Dekker, Nadeelscompensatie en het waterstaatsrecht, in: Barkhuysen/den Ouden/Steyger, Europees recht effectueren, 2007, S. 292. 286

B. Der Kontrollmaßstab

301

f) Unvoreingenommenheit Gem. art. 2:4 lid 1 Awb292 muss das Verwaltungsorgan seine Aufgaben unvor­ eingenommen (onpartijdigheid) erfüllen. Das enthält das Gebot, den Bürger fair zu behandeln. Die Vorschrift spezifiziert damit eines der Elemente, die die sorgfältige Vorbereitung einer Maßnahme ausmachen. Lid 2293 führt diese Regel für den Fall, dass Personen, die eine Position inne haben, die es ihnen ermöglicht, Einfluss auf den Erlass der Maßnahme zu nehmen und zugleich ein persönliches Interesse haben, näher aus.294 aa) Unvoreingenommene Ausführung der Maßnahme Eine Grundvoraussetzung des hoheitlichen Auftretens ist, dass der Erlass der Maßnahme unabhängig vom Ansehen der Person erfolgt. Das ergibt sich aus Art. 1 der niederländischen Verfassung295, der fordert, dass gleiche Sachverhalte gleich behandelt werden müssen. Verwaltungsorgane haben demnach stets objektiv zu handeln. Ihre Entscheidungen sollen auf Sachkunde und Zweckmäßigkeitserwägungen basieren und dürfen einen Bürgen gegenüber einem anderen nicht bevorteilen.296 Dem Verbot der Voreingenommenheit stehen Entscheidungsfreiräume der Verwaltung grundsätzlich nicht entgegen.297 Eigene Interessen einer Gemeinde am Erlass einer bestimmten Maßnahme begründen nicht bereits den Vorwurf der Voreingenommenheit.298

292 Art. 2:4 lid 1 Awb lautet: Het bestuursorgan vervult zijn taak zonder vooringenomenheid. – Das Verwaltungsorgan erfüllt seine Aufgaben unvoreingenommen. 293 Art. 2:4 lid 2 Awb lautet: Het bestuursorgaan waakt ertegen dat tot het bestuursorgaan behorende of daarvoor werkzame personen die een persoonlijk belang bij een besluit hebben, de besluitvorming beinvloeden. – Das Verwaltungsorgan wacht darüber, dass seine Mitarbeiter oder für das Verwaltungsorgan tätige Personen, die an der Maßnahme ein persönliches Interesse haben, den Erlass der Maßnahme nicht beeinflussen. 294 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvT, S. 178 u. 180. 295 Art. 1 der niederländischen Verfassung lautet: Alle die zich in Nederland bevinden, worden in gelijke gevallen gelijk behandelt. Discriminatie wegens godsdienst, levensovertuiging, politieke gezindheid, ras, geslacht of op welke grond dan ook, is niet toegestaan. – Alle, die sich in den Niederlanden aufhalten, werden in gleichen Fällen gleich behandelt. Niemand darf wegen seiner religiösen, weltanschaulichen oder politischen Anschauung, seiner Rasse, seines Geschlechtes oder aus anderen Gründen diskriminiert werden. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 296 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvT, S. 179. 297 ABRvS 19.01.1999, AB 1999, 257. 298 Schlössels, Beginseln van behoorlijk bestuur, NTB 2002, S. 281 (282).

302

4. Teil: Kontrolldichte

bb) Vorsorge gegen mögliche Einflussnahme auf den Erlass einer Maßnahme Gem. art. 2:4 lid 2 Awb wacht das Verwaltungsorgan darüber, dass die Maßnahme nicht durch persönliche Interessen beeinflusst wird. Die Formulierung „wacht darüber“ deutet darauf hin, dass die Verwaltung Vorsorge zu treffen hat. Voreingenommenheit kann sich z. B. daraus ergeben, dass die Interessen der zuständigen Beamten oder Verwaltungsangestellten massiv betroffen sind.299 In einer Entscheidung aus dem Jahr 2002 führt die ABRvS dazu aus, dass lid 2 dazu diene, dem Bürger die Garantie zu vermitteln, dass lid 1 beachtet werde. Das betreffe nicht einzelne Personen individuell, sondern das für den Erlass der Maßnahme zuständige Verwaltungsorgan. Dieses habe für die Unparteilichkeit Sorge zu tragen, indem es einer Vermischung von persönlichen und hoheitlichen Interessen der betroffenen Personen zuvorkomme.300 Der Verwaltung stehen zu diesem Zweck verschiedene Mittel zur Verfügung. Eines davon ist der Ausschluss der betreffenden Person oder Personen von der Beteiligung am Erlass. Dadurch wird vermieden, dass die zuständigen Amtswalter ihre privaten Interessen in den Ent­ scheidungsprozess mit einbringen.301 cc) Persönliches Interesse Als „persönliches Interesse“ kommt jedes Interesse in Betracht, das nicht zu den Belangen gehört, die das Verwaltungsorgan aufgrund der von ihm auszu­führenden Aufgabe zu berücksichtigen hat. Dabei hatte der Gesetzgeber offenbar kein bestimmtes Interesse vor Augen.302 Obwohl die ABRvS bereits den Anschein einer Verstrickung der Interessen als ausreichend ansieht,303 zeigt eine Entscheidung aus dem Jahr 2007, dass sie die Messlatte für die Integrität nicht besonders hoch anlegt. Der Magistrat der Gemeinde Putten besuchte auf Kosten der örtlichen Nerzbrache eine Auktion von Nerzpelzen in Kopenhagen. Derselbe Magistrat entschied anschließend über den Antrag auf Erteilung einer erneuten Genehmigung für den Betrieb der örtlichen Pelztierfarm. Nach Auffassung der ABRvS im­plizierte der Umstand der Reise nicht ohne weiteres, dass der Magistrat bei seiner auf der Grundlage des Umweltgesetzes zu treffenden Entscheidung befangen war. Sie befand die dargelegten Zweckmäßigkeitserwägungen und die im Anschluss an diese

299 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvT, S.179; KB 21.12.1982, AB 1983, 298. 300 ABRvS 07.08.2002, 200200897/1. 301 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Awb art. 2:4 Nr. 3 b. 302 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvT, S. 180. 303 ABRvS 07.08.2002, 200200897/1.

B. Der Kontrollmaßstab

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erteilte Genehmigung als rechtmäßig.304 Auch in der Entscheidung zur Feststellung des Flächennutzungsplans „Oosterveld Norg“ vertrat die ABRvS die Auffassung, dass der Umstand, dass die Gemeinde Eigentümerin eines Teils der ausgewiesenen Flächen sei und daher ein finanzielles Interesse an der Umsetzung des Plans habe, noch kein Anhaltspunkt sei, eine Voreingenommenheit anzunehmen.305 Nach Schlössels kommt hier ein Teil der Problematik des art. 2:4 Awb zum Ausdruck. Einerseits müssen Maßnahmen durch die zuständigen Organe erlassen werden. Andererseits verfügen diese über einen gewissen Entscheidungsspielraum, den es auszufüllen gilt. Dabei kommt es vor, dass sie mit Blick auf Projekte, an denen sie verwaltungspolitisch beteiligt sind, Maßnahmen erlassen müssen.306 Der Grundsatz der Unvoreingenommenheit überschneidet sich teilweise mit dem Sorgfaltsprinzip. Erwächst dem Beamten aus dem Erlass einer Maßnahme ein persönlicher Vorteil, liegt der Verdacht der Parteilichkeit nahe. Gleichzeitig wird angenommen, dass aus diesem Grund keine sorgfältige Recherche stattgefunden hat. Allerdings machte die ABRvS in ihrer Rechtsprechung deutlich, dass es am Kläger sei, darzutun, wodurch der Anschein der Parteilichkeit erweckt werde.307 g) Verschwiegenheit Art. 2:5 lid 1 Awb308 verpflichtet die Verwaltung zur Verschwiegenheit (geheim­ houding). Die Vorschrift wendet sich an alle Mitarbeiter eines Verwaltungsorgans bzw. an alle die in irgendeiner Weise für die Verwaltung tätig sind. Es handelt sich um eine allgemeine Auffangvorschrift, die nur Anwendung findet, wenn keine besonderen Regelungen eingreifen.309

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ABRvS 21.02.2007, JB 2007, 120. ABRvS 26.09.2007, JB 2007, 219. 306 Schlössels, Beginselen van behoorlijk bestuur, NTB 2008, S. 92 (97). 307 ABRvS 01.10.1996, RAwb 1997, 27. 308 Art. 2:5 lid 1 Awb lautet: Een ieder die is betrokken bij de uitvoering van de taak van een bestuursorgaan en daarbij de beschikking krijgt over gegevens waarvan hij het vertrouwelijke karakter kent of redelijkerwijs moet vermoeden, en voor wie niet reeds uit hoofde van ambt, berep of wettelijk voorschrift ter zake van die gegevens een geheimhoudingsplicht geldt, is verplicht tot geheimhouding van die gegevens, behoudens voor zover enig wettelijk voorschrift hem tot mededeling verplicht of uit zijn taak de noodzaak tot mededeling voortvloeit. – Jeder, der an der Erfüllung der Aufgaben eines Verwaltungsorgans beteiligt ist und dabei die Weisung erhält über Angelegenheiten, deren Vertraulichkeit er kennt oder vernünftigerweise vermuten musste und für die ihm nicht bereits kraft Amtes, Klage oder gesetzlicher Vorschriften eine Geheimhaltungspflicht obliegt, ist zur Verschwiegenheit über diese Angelegenheiten verpflichtet, es sei denn eine gesetzliche Vorschrift verpflichtet ihn zur Mitteilung oder die Mitteilungspflicht ergibt sich zwangsläufig aus den von ihm zu erfüllenden Aufgaben. 309 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Awb art. 2:5 Nr. 1. 305

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4. Teil: Kontrolldichte

aa) Grundregel Grundsätzlich ist die Vorschrift auf jeden, der auf die eine oder andere Weise an der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben beteiligt ist und in dieser Funktion vertrauliche Informationen erhält, anwendbar.310 Die Pflicht zur Verschwiegenheit kommt z. B. zum Tragen, wenn Betroffene zur Begründung eines Antrags bestimmte Umstände aus ihrem Privatleben oder Betriebsgeheimnisse offenlegen müssen. Sie können verfügen, dass ihre Angaben vertraulich zu behandeln sind.311 Bei Zuwiderhandeln sieht art. 272 des niederländischen Strafgesetzbuches (­Wetboek op Strafrecht)312 eine Geld- bzw. Gefängnisstrafe vor.313 Lid 2314 erweitert den Kreis der verpflichteten Personen auf die Mitglieder von Beratungsorganen, die die öffentliche Verwaltung zwar beraten, ihr aber nicht angehören.315 bb) Ausnahmen Eine Ausnahme von der Verschwiegenheit besteht, soweit gesetzliche Vorschriften zur Veröffentlichung bestimmter Umstände verpflichten. Ein Mitarbeiter der Verwaltung, der kraft Gesetzes als Zeuge aussagen muss, kann z. B. eine Verweigerung der Aussage nicht auf art. 2:5 Awb stützen. Ein Verwaltungsorgan, das nach dem Gesetz zur Transparenz der Verwaltung bestimmte Informationen erteilen muss, kann sich ebenfalls nicht auf die Pflicht zur Verschwiegenheit berufen. Desweiteren greift die Vorschrift nicht, wenn die Geheimhaltung der ordnungs­ 310 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Awb art. 2:5 Nr. 2. 311 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvT, S.181. 312 Art. 272 lid 1 Strafgesetzbuch lautet: Hij die enig geheim waarvan hij weet of redelijkerwijs moet vermoeden dat hij uit hoofde van ambt, beroep of wettelijk voorschrift dan wel van vroeger ambt of beroep verplicht is het te bewaren, opzettelijk schendt, wordt gestraft met gevangenisstraf van ten hoogste een jaar of geldboete van de vierde categorie – Derjenige, der ein Geheimnis, von dem er Kenntnis hat und billigerweise annehmen muss, dass er von Amts wegen, berufsmäßig oder aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift zu dessen Geheimhaltung verpflichtet ist, vorsätzlich oder fahrlässig verletzt, wird mit einer Gefängnisstrafe von höchstens einem Jahr oder einer Geldstrafe der 4. Kategorie bestraft 313 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Awb art. 2:5 Nr. 2. 314 Art. 2:5 lid 2 Awb lautet: Het eerste lid is mede van toepassing op instellingen en daartoe behorende of daarvoor werkzame personen die door een bestruursorgaan worden betrokken bij de uitvoering van zijn taak, en op instellingen en daartoe behorende of daarvoor werkzame personen die een bij of krachtens de wet toegekende taak uitoefenen. – Lid 1 findet Anwendung auf Einrichtungen, die durch ein Verwaltungsorgan mit der Ausführung von dessen Aufgaben betraut werden sowie die der Einrichtung angehörenden oder für diese tätigen Personen, und auf Einrichtungen sowie die ihnen angehörenden oder für sie tätigen Personen, die öffentliche Aufgaben auf Grund eines Gesetzes wahrnehmen. 315 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Awb art. 2:5 Nr. 4.

B. Der Kontrollmaßstab

305

gemäßen Ausführung hoheitlicher Aufgaben im Wege steht. Die ordnungsgemäße Erfüllung hoheitlicher Aufgaben ist immer vorrangig.316 2. Verstoß gegen ungeschriebenes Recht Das Awb kodifizierte nur einen Teil der Prinzipien einer ordnungsgemäßen Verwaltung. Der andere Teil blieb außen vor. Gleichwohl nehmen auch diese Grundsätze einen festen Platz in Rechtsprechung und Literatur ein und sind daher zu beachten. Ungeschriebenen Prinzipien einer ordnungsgemäßen Verwaltung sind das Vertrauensprinzip (Vertrouwensbeginsel), der Gleichheitssatz (Gelijkheidsbeginsel), die Rechtssicherheit und das Fair play.317 a) Vertrauensprinzip Nach dem Vertrauensprinzip dürfen einmal geweckte Erwartungen, auf die der Betroffene zu Recht vertraut hat, nicht enttäuscht werden. Erwartungen können durch Selbstbindung der Verwaltung und Zusagen geweckt werden.318 aa) Selbstbindung der Verwaltung Eine Selbstbindung der Verwaltung erfolgt durch den Erlass von Verwaltungsvorschriften und die Anwendung von außergesetzlichen Richtlinien (buitenwette­ lijke richtlijnen). Beide Formen sollen zu einer einheitlichen Behandlung vergleichbarer Sachverhalte führen.319 (1) Verwaltungsvorschriften Die Rechtsfigur der Verwaltungsvorschrift gibt es bereits seit der Mitte des letzten Jahrhunderts. Es handelte sich zunächst um interne Dienstanweisungen des Vorgesetzten an seine Mitarbeiter. Da sie die Rechtsposition des Bürgers entscheidend beeinflussten, gab es immer häufiger Zweifel an ihrem verwaltungsinternen Charakter. Dieser widersprach auch dem mit ihnen verfolgten Zweck.320 Verwal 316 Daaler/de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Eerste Tranche, 1993, MvT, S. 181. 317 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/van Ouden/Polak, Bestuursrecht in het AwbTijdperk, 2004, S. 95. 318 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/van Ouden/Polak, Bestuursrecht in het AwbTijdperk, 2004, S. 96. 319 Bröring, Richtlijnen, 1993, S. 117. 320 Valenteijn/Bröring/van Montfort/Damen, Beleidsregels, 2001, S. 3.

306

4. Teil: Kontrolldichte

tungsvorschriften sollten der Rechtssicherheit, dem Gleichheitssatz und der Kontrollierbarkeit der Verwaltung dienen,321 indem sie ein einheitliches Auftreten der Verwaltung in gleichgelagerten Fällen garantierten. Zudem sollten sie dem Bürger Einblick über die in bestimmten Angelegenheiten durch das Verwaltungsorgan verfolgte Verwaltungspraxis verschaffen.322 Deshalb geht man seit geraumer Zeit von einer gerichtlich kontrollierbaren Bindung der Verwaltung an Verwaltungsvorschriften auf Grund der Prinzipien einer ordnungsgemäßen Verwaltung aus.323 (a) Anwendungsbereich Verwaltungsvorschriften sind Maßnahmen im Sinne des art. 1:3 Awb.324 Nach der Legaldefinition des art. 1:3 lid 4 Awb325 kann die Verwaltung ihr Verhalten bei der Abwägung von Belangen, der Ermittlung von Tatsachen und der Auslegung des Gesetzes durch Verwaltungsvorschriften festlegen.326 Verwaltungsvorschriften zur Abwägung von Belangen beziehen sich auf die Elemente der Ermächtigungsgrundlage, die der Verwaltung ein Ermessen (dis­ cretionaire bevoegdheid) einräumen. Derartige Elemente finden sich sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtsfolgenseite.327 Der Begriff Ermessen wird in den Niederlanden im umfassenden Sinne verwendet. Er bezieht sich nicht wie in Deutschland ausschließlich auf die Rechtsfolgenseite sondern bezeichnet einen Entscheidungsfreiraum der Verwaltung im Allgemeinen. Eine Verwaltungsvorschrift kann über die einzustellenden Belange instruieren, sich aber auch auf deren Gewichtung im Abwägungsvorgang beziehen.328 Dadurch legt sich die Behörde im Voraus fest, auf welche Weise sie in bestimmten Fällen die Abwägung vornehmen

321

Bröring, Beleidsregels revisited, NTB 2002, S. 165 (166). Valenteijn, Bröring, van Montfort, Damen, Beleidsregels, 2001, S. 5. 323 de Groot/van der Meulen/van Rossum, Subsidies, beleidsregels, bestuursorganen, NJB 1994, S. 1193 (1196); siehe dazu auch die Ausführungen im 4. Teil, C. II. 1. 324 Zur Rechtsnatur von Verwaltungsvorschriften siehe im 2. Teil, C. I. 5. a). 325 Art. 1:3 lid 4 Awb lautet: Onder beleidsregel wordt verstaan: een bij besluit vastgestelde algemene regel, niet zijnde een algemeen verbindend voorschrift, omtrent de afweging van belangen, de vaststelling van feiten of de uitleg van wettelijke voorschriften bij het gebruik van een bevoegdheid van een bestuursorgaan. – Unter „Beleidsregels“ versteht man: eine durch Verwaltungsmaßnahme festgestellte allgemeine Regel, die keine allgemein verbindliche Vorschrift ist, und die die Abwägung von Interessen, die Feststellung von Tatsachen und die Aus­ legung einer gesetzlichen Vorschrift zum Gebrauch einer Befugnis durch ein Verwaltungsorgan umfaßt. 326 Das ähnelt den ermessenslenkenden, norminterpretierenden und normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften im deutschen Verwaltungsrecht – siehe Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2009, § 24 Rdn. 9 f. 327 Valenteijn/Bröring/van Montfort/Damen, Beleidsregels, 2001, S. 26. 328 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 1:3 Nr. 5 c). 322

B. Der Kontrollmaßstab

307

wird. Man spricht auch in den Niederlanden von der Selbstbindung der Verwaltung (zelfbinding door het bestuursorgan).329 Verwaltungsvorschriften zur Tatsachenfeststellung bestimmen, auf welche Weise die Tatsachen, die einer Maßnahme zugrunde liegen, zu ermitteln sind. Nach den Gesetzesmaterialien dienen diese Regelungen dazu, die Methode mit der z. B. Lärmniveaus oder Schadstoffkonzentrationen gemessen werden, festzulegen. Da die Messmethode Einfluss auf das Ergebnis der Messung haben kann, ist es für die Betroffenen häufig wichtig, dass die Verwaltung in diesem Punkt vorhersehbar und beständig handelt.330 Mit der dritten Gruppe schreibt die Verwaltung vor, wie bestimmte gesetz­ liche Normen zu interpretieren sind.331 Gesetzesauslegende Verwaltungsvorschriften (wetsinterpreterende beleidsregels) geben die Auslegung und Anwendung des Gesetzes vor. Sie beziehen sich meist auf unbestimmte Rechtsbegriffe, die näher erläutert werden müssen, damit sie von der Verwaltung angewendet werden können.332 (b) Gesetzliche Grundlagen Mit Inkrafttreten der dritten Tranche erhielt das Awb durch Titel 4.3 einen e­ igenen Abschnitt zu den Verwaltungsvorschriften.333 Ihren Erlass regelt art. 4:81 Awb. Nach lid 1334 kann die Verwaltung zur Regelung ihr zugewiesener, unter ihrer Verantwortlichkeit ausgeführter oder ihr übertragener Zuständigkeiten Verwaltungsvorschriften erlassen. Im ersten Fall geht es um die Erfüllung bestimmter Aufgaben in eigener Zuständigkeit. Der zweite Fall betrifft die Übertragung bestimmter Aufgaben auf nachgeordnete Behörden und der dritte Fall eine durch die Behörde delegierte Zuständigkeit. Lid 2335 eröffnet dem Gesetzgeber die Möglichkeit, bestimmte Verwaltungsorgane zum Erlass von Verwaltungsvorschriften zur 329

Pront-van Bommel, Bestuursrechtspraak, 2002, S. 159. Daalder, de Groot, De parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, Derde Trache, 1998, S. 39. 331 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, 2009, art. 1:3, Nr. 5 c). 332 Valenteijn/Bröring/van Montfort/Damen, Beleidsregels, 2001, S. 5 (26). 333 Zur Diskussion im Vorfeld siehe: Heldeweg, Beleidsregels: naar een nieuwe catechismus voor ‚ambtelijke bijbels‘?, NTB 1995, 81–93. 334 Art. 4:81 lid 1 Awb lautet: Een bestuursorgaan kann beleidsregels vaststellen met betrekking tot een hem toekomende of onder zijn verantwoordelijkheid uitoefende, dan wel door hem gedelegeerde bevoegdheid. – Ein Verwaltungsorgan kann Verwaltungsvorschriften für eine ihm zukommende oder unter seiner Verantwortung ausgeführte sowie auf es übertragene Ermäch­ tigung erlassen. 335 Art. 4:81 lid 2 Awb lautet: In andere gevallen kann een bestuursorgaan slechts beleids­ regels vaststellen, voor zover dit bij wettelijk voorschrift is bepaald. – In anderen Fällen kann ein Verwaltungsorgan ebenfalls Verwaltungsvorschriften erlassen, soweit eine gesetzliche Vorschrift dies bestimmt. 330

308

4. Teil: Kontrolldichte

Handhabung von Materien, die nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, also einen fremden sachlichen oder räumlichen Zuständigkeitsbereich betreffen, zu ermächtigen.336 Diese „externe Befugnis zum Erlass von Verwaltungsvorschriften“ geht auf die Kommunalordnung zurück. Diese überträgt z. B. dem Gemeinderat den Erlass von Satzungen, die die Verwaltungstätigkeit anderer Organe der Gemeinde regeln.337 (c) Rechtswirkung Gem. art. 4:84 Awb338 sind Verwaltungsvorschriften verbindlich, wobei sich die Bindungswirkung auf den räumlichen Zuständigkeitsbereich der erlassenden Verwaltungsstelle beschränkt. Diese darf von den einschlägigen Verwaltungsvorschriften nur abweichen, wenn die Folgen für den Betroffenen wegen besonderer Umstände im Verhältnis zu den mit der Verwaltungsvorschrift verfolgten Zwecken unverhältnismäßig sind. Die Vorschrift geht auf zwei höchstrichterliche Entscheidungen zurück. Bereits im Jahr 1970 entschied der Hohe Rat, dass es zu den Prinzipien einer ordnungsgemäßen Verwaltung gehöre, vorhandene Verwaltungs­ vorschriften zu beachten. Der Bürger sei in seinem Vertrauen auf die Bearbeitung seiner Angelegenheiten unter Beachtung der vorhandenen Verfahrensanweisungen schutzwürdig. Deren Bekanntgabe hätten Erwartungen in ihm geweckt, die nicht enttäuscht werden dürften.339 Im Jahr 1977 griff die ARRS diesen Gedanken auf, sprach sich jedoch dafür aus, dass ausnahmsweise von Verwaltungsvorschriften abgewichen werden dürfe, wenn deren Anwendung zu einem Schaden für den Bürger führen würde.340 (2) Außergesetzliche Richtlinien Neben dem Begriff der Verwaltungsvorschrift kennt das niederländische Verwaltungsrecht den Begriff der Richtlinie. Eine Richtlinie verfolgt den Zweck dem ausführenden Organ für einen bestimmten Fall ein bestimmtes Vorgehen aufzu­ zeigen.341 Bröring definierte Richtlinien als „allgemeine, nicht aus einer Ermäch 336

van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 4:81. van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 234. 338 Art. 4:84 Awb lautet: Het bestuursorgaan handelt overeenkomstig de beleidsregel tenzij dat voor een of meer belanghebbenden gevolgen zou hebben die wegens bijzondere omstandigheden onevenredig zijn in verhouding tot de met de beleidsregel te dienen doelen. – Das Verwaltungsorgan handelt in Übereinstimmung mit den Verwaltungsvorschriften, es sei denn, die Folgen für einen oder mehrere Betroffene sind wegen besonderer Umstände unverhältnismäßig im Verhältnis zu den mit der Verwaltungsvorschrift verfolgten Zwecken. 339 HR 07.01.1970, A. R. B. 1970, S. 131. 340 ARRS 10.06.1977, AB 1977, 359. 341 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Awb art. 1:3 Nr. 5 e). 337

B. Der Kontrollmaßstab

309

tigung abgeleitete Regeln, die der Vereinheitlichung des Verwaltungshandelns dienen“.342 Es handelt sich um innerstaatliche Anweisungen, die nicht mit den EURichtlinien verwechselt werden dürfen.343 Der Erlass von Richtlinien ist vor allem im Umweltrecht gebräuchlich. Sie beziehen sich auf die Ausführung der Umweltgesetze und befassen sich mit Fragen wie dem Mindestabstand zwischen einem Schweinemastbetrieb und einem Wohngebiet, der maximal zulässigen Geruchsbeeinträchtigung344 oder Lärmbelästigung. Richtlinien werden nicht wie Verwaltungsvorschriften von einem Verwaltungsorgan zum Gebrauch einer bestimmten Ermächtigung in dessen räumlichen Zuständigkeitsbereich erlassen, sondern sind meist Vorgaben des zuständigen Ministeriums – im Falle des Umweltrechts des Ministeriums für Wohnen, Raumordnung und Umwelt –, die nicht rechtsverbindlich sind.345 Sie sind das Ergebnis der Zusammenarbeit des Ministeriums mit Sachverständigen sowie Umwelt-, Industrie- und Fachverbänden.346 (a) Anwendungsbereich Richtlinien können gesetzesinterpretierenden, technisch-wissenschaftlichen oder ermessenslenkenden Charakter haben. Gesetzesinterpretierende Richtlinien bezwecken die einheitliche Anwendung des Gesetzes durch die Verwaltung, sind praktisch jedoch von untergeordneter Bedeutung. Halten sie einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand, setzt der Richter seine eigene Gesetzesauslegung an ihre Stelle. Technischen Richtlinien kommt demgegenüber in der Praxis große Bedeutung zu. Sie basieren auf Spezialkenntnissen, über die gewöhnlich weder Verwaltung noch Richter verfügen.347 Sie beschäftigen sich mit den neusten technischen Standards, wie z. B. welche Arten von Filtern bei Prozessen, die zum Ausstoss bestimmter Stoffe in die Umwelt führen, verwendet werden müssen.348 Richt­linien zur Ermessensausübung sind nur Empfehlungen für die Verwaltung, für den Fall, dass sie über einen entsprechenden Entscheidungsfreiraum verfügt.349 Sie unterscheiden sich von Verwaltungsvorschriften dadurch, dass sie von einer obersten Landesbehörde wie einem Ministerium erlassen werden, mit ihrem Erlass aber keine Bindungswirkung entfalten.

342

Bröring, Richtlijnen, 1993, S. 28. van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 242. 344 Z. B. die Richlinie „Veehouderij en stankhinder (Viehhaltung und Geruchtsbelästigung)“, die durch das Ministerium für Wohnen, Raumordnung und Umwelt (VROM) erlassen wurde. 345 Siehe dazu sogleich unter (b) Verbindlichkeit. 346 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 243; Bröring, Richtlijnen, 1993, S. 114. 347 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 244. 348 Michiels, Buitenwettelijke richtlijem in het milieurecht, Ars aequi 2003, S. 454. 349 Siehe dazu sogleich unter (b) Verbindlichkeit. 343

310

4. Teil: Kontrolldichte

(b) Verbindlichkeit Richtlinien sind keine gesetzlichen, untergesetzlichen oder quasi gesetzlichen Regelungen. Sie entbehren jeder gesetzlichen Grundlage. Daher besteht auch keine direkte gesetzliche Verpflichtung für die Verwaltung, eine bestimmte Richtlinie anzuwenden.350 Verbindlichkeit kann jedoch zum einen dadurch hergestellt werden, dass die zuständige Verwaltungsstelle sie als Verwaltungsvorschrift übernimmt und dies ausdrücklich öffentlich bekannt macht.351 Zum anderen entfaltet die Richtlinie durch feste Verwaltungspraxis (vaste bestuurspraktijk) Bindungswirkung.352 Davon ist auszugehen, wenn die Verwaltung in vergleichbaren Fällen immer gleich verfahren ist. Der Bürger darf dann darauf vertrauen, dass die Behörde auch seine Angelegenheit auf diese Weise regelt.353 Die Verpflichtung zur Berücksichtigung einer Richtlinie ergibt sich in diesem Fall aus dem grundgesetzlich verbürgten Gleichbehandlungsgrundsatz354. Hat die Verwaltung sich einmal zur Anwendung der Richtlinie entschlossen, muss dies in allen gleichgearteten Fällen erfolgen.355 Michiels sieht eine gewisse Attraktivität der Richtlinien auch dadurch gegeben, dass diese z. B. im Umweltrecht die aktuellen allgemein akzeptierten umwelttechnischen Erkenntnisse (de meest recente, algemeen aanvaarde milieutechnische inzichten)356 enthalten. Diesen Einsichten darf sich die Verwaltung mit Blick auf ihre Pflicht zur Sorgfalt nicht verschließen.357 Das Abweichen von einer durchgehend angewendeten Richtlinie gebietet sich nur, wenn dazu ein konkreter Anlass besteht. Dieser wird immer dann bejaht, wenn die zuständige Verwaltungsstelle Verwaltungsvorschriften erlassen hat, die strengere Maßstäbe anlegen, z. B. besser geeignet sind, die Umwelt zu schützen.358 Im Übrigen zeigt die Rechtsprechung der ABRvS, dass die Verwaltung ihr Vorgehen mit einer stichhaltigen Begründung versehen muss. Im Jahr 1998 hob sie, auf die Klage der Anwohner der umliegenden Wohngebiete, die einem Landwirt zur Erweiterung seines Schweinemastbetriebes erteilte Genehmigung auf. Diese Genehmigung basierte auf der Berücksichtigung einer neu erlassenen Richtlinie des Umweltministeriums, die den Bewohnern ländlicher Gebiete eine höhere Geruchsbelästung als der bisher von der zuständigen Gemeinde angewendete Leitfaden zumutete. Die ABRvS hielt es für fraglich, ob die neue Richtlinie im vorliegenden 350

Michiels, Buitenwettelijke richtlijem in het milieurecht, Ars aequi 2003, S. 454. Michiels, Buitenwettelijke richtlijem in het milieurecht, Ars aequi 2003, S. 456. 352 Leemans, De toetsing door de bestuursrechter in milieugeschillen, 2008, S. 110. 353 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/van Ouden/Polak, Bestuursrecht in het AwbTijdperk, 2004, S. 96; Leemans, De toetsing door de bestuursrechter in milieugeschillen, 2008, S. 110. 354 Siehe dazu sogleich unter b. Gleichbehandlungsgrundsatz. 355 Bröring, Richtlijnen, 1993, S. 116 ff. 356 So die Standardformulierung der ABRvS. 357 Michiels, Buitenwettelijke richtlijem in het milieurecht, Ars aequi 2003, S. 454. 358 Michiels, Buitenwettelijke richtlijem in het milieurecht, Ars aequi 2003, S. 457. 351

B. Der Kontrollmaßstab

311

Fall aufgrund der besonderen örtlichen Gegebenheiten überhaupt einschlägig sei. In jedem Fall habe die erlassende Verwaltungsstelle deren Anwendung aber nicht ausreichend begründet.359 bb) Zusagen Zusagen (Toezegging) sind rechtsverbindliche Auskünfet, z. B. die Zusicherung einen bestimmten Verwaltungsakt zu erlassen.360 Zunächst stellt sich die Frage, ob derjenige, der die Zusage erteilt hat, dazu berechtigt war. Handelte es sich um das zum Erlass ermächtigte Verwaltungsorgan, darf der Bürger auf die Verbindlichkeit vertrauen.361 Das gilt vor allem dann, wenn der Bürger im Vertrauen auf die Zusage bereits Investitionen getätigt hat. Voraussetzung ist allerdings, dass der Bürger das Verwaltungsorgan über seine Investitionen eingehend und zutreffend informiert hat.362 Wurde die Zusage dagegen durch ein nicht zum Erlass befugtes Verwaltungsorgan erteilt, kann der Bürger sich nicht auf Vertrauensschutz be­rufen.363 Das gilt auch, wenn die aufgrund der Zusage zu erlassende Maßnahme im Widerspruch zum geltenden Recht stünde. Die ABRvS entschied im Falle der Zusage auf Erteilung einer Baugenehmigung, dass der Kläger sich nicht auf Vertrauensschutz berufen könne, da die Baugenehmigung mit den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften nicht vereinbar war.364 b) Gleichheitssatz Der Gleichheitssatz (gelijkheidsbeginsel) ist seit 1983 in Art. 1 der Niederländischen Verfassung365 niedergelegt. Er besagt, dass Gleiches gleich behandelt werden muss. Dazu zählt auch, Ungleiches nach dem Ausmaß der Ungleichheit ungleich zu behandeln.366 359

ABRvS 21.04.1998, AB 1998, 199. van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 330; sie ähnelt der Zusicherung gem. § 38 Abs. 1 VwVfG. Sie bedarf aber nicht der Schriftform. 361 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 326. 362 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/van Ouden/Polak, Bestuursrecht in het AwbTijdperk, 2004, S. 96. 363 ABRvS 29.09.2004, AB 2004, 375. 364 ABRvS 16.11.1995, AB 1996, 288. 365 Art. 1 der Niederländischen Verfassung lautet: Allen die zich in Nederland bevinden, worden in gelijke gevallen gelijk behandeld. Discriminatie wegens godsdienst, levensovertuiging, politieke gezindheid, ras, geslacht of op welke grond dan ook, is niet toegestan. – Alle, die sich in den Niederlanden aufhalten, werden in gleichen Fällen gleich behandelt. Niemand darf wegen seiner religiösen, weltanschaulichen oder politischen Anschauungen, seiner Rasse, seines Geschlechts oder aus anderen Gründen diskriminiert werden. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, Stand: 1. Juni 2000.) 366 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 333. 360

312

4. Teil: Kontrolldichte

Der Gleichheitssatz richtet sich mit Blick auf die Anwendung von Gesetzen vor allem an Verwaltung und Gerichte.367 Er ist eng mit der Selbstbindung der Verwaltung verknüpft. Insbesondere Duk wies bereits 1978 darauf hin, dass die Verwaltung planmäßig entscheiden müsse. Dies werde gefördert durch das Entwickeln einer festen Verwaltungspraxis und die Niederschrift der angewendeten Regelungen.368 Der Gesetzgeber ging bisher nicht so weit, die Verwaltung zum Erlass von Verwaltungsvorschriften zu verpflichten. Entschließt sie sich aber zu deren Erlass, darf sie nicht ohne triftigen Grund von ihnen abweichen.369 c) Rechtssicherheit Das Rechtssicherheitsprinzip ist eng mit dem Vertrauensprinzip verbunden. Es wird zwischen formeller und materieller Rechtssicherheit unterschieden. Formelle Rechtssicherheit bedeutet, der Bürger darf über die Folgen einer Verfügung nicht im Unklaren gelassen werden. Deshalb müssen Maßnahmen mit Blick auf die Rechtsfolgen deutlich formuliert sein.370 Materielle Rechtssicherheit bedeutet, dass das geltende Recht angewendet werden muss. Verfügungen zum Nachteil des Bürgers dürfen nicht rückwirkend erlassen werden.371 d) Fair play Die Entwicklung des aus dem angelsächsischen Recht stammenden Gebots des fair play wurde in den Niederlanden durch den Nationalen Ombutsmann nachhaltig gefördert,372 Er ist in diesem Punkt auch das wichtigste Kontrollorgan gegenüber der Verwaltung.373 Das Gebot des fair play verpflichtet die Verwaltung zur eingehenden Aufklärung des Bürgers über seine prozessualen Rechtsschutzmöglichkeiten.374 Diese darf sie z. B. nicht vereiteln, indem sie es unterlässt, den Rechtsbeistand über eine ergänzende Anhörung in Kenntnis zu setzen.375 Fair play bedeutet auch, die Information des Rechtsschutz suchenden Bürgers über die verschiedenen Formen des Rechtsschutzes.376 Daneben zählen das Diskriminierungs 367 Bovend’eert/Bunschoten/Fleuren/Kortmann/van der Nat, Grondwet voor het Koninkrijk der Nederlanden, Tekst & Commentar, 2004, S. 7. 368 Duk, De zachte kern van het bestuursrecht, RM Themis 1978, S. 564 (579). 369 ten Berge/Michiels, Bestuuren door de overheid, 2001, S. 44. 370 ARRS 24.07.1991, AB 1992, 180. 371 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/van Ouden/Polak, Bestuursrecht in het AwbTijdperk, 2004, S. 96. 372 Schlössels, Beginseln van behoorlijk bestuur, NTB 2006, S. 182 (186). 373 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 294. 374 Schlössels, Beginseln van behoorlijk bestuur, NTB 2005, S. 252 (255). 375 No 21.04.2005, JB 2005, 181. 376 No 30.12.2004, AB 2005, 57.

C. Die Kontrollintensität

313

verbot und die Aufklärung über die Möglichkeit der Heilung formeller Fehler zum fair play.377 3. Verstoß gegen allgemeine Rechtsregeln Als letzten Punkt prüft das Gericht einen Verstoß gegen allgemeine Rechtsprinzipien, die nicht ausschließlich im Verwaltungsrecht angewendet werden, aber auch in diesem Teil der Rechtsordnung zu beachten sind. Dazu gehören der Grundsatz „ne bis in idem“, die Verhältnismäßigkeit einer Strafe angesichts der ihr zugrunde liegenden Umstände sowie die Rückgewähr des zu Unrecht erlangten.378

III. Zusammenfassung Das niederländische Verwaltungsprozessrecht enthält keine Klagegründe. Prüfungsmaßstab sind das geschriebene und ungeschriebene Recht sowie allgemeine Rechtsregeln. Allerdings enhält das Awb eine Reihe von formellen Standards, die sich zwar in erster Linie an die Verwaltung richten und von dieser beim Erlass einer Maßnahme zu berücksichtigen sind. In zweiter Linie dienen sie jedoch den Gerichten als Kontrollmaßstab. Dieser Kontrollmaßstab wird durch alle Gerichte, bei der Kontrolle von Maßnahmen unabhängig davon, ob diese direkt oder inzident überprüft werden, angewendet. Er ist auch unabhängig von der Art der Ermächtigungsgrundlage. Eine Maßnahme muss den Prinzipien einer ordnungsgemäßen Verwaltung, wie die Prüfungskriterien allgemein genannt werden, genügen. Wie die einschlägige Rechtsprechung zeigt, prüfen die Gerichte streng, ob die Standards erfüllt wurden. Da diese nicht nur gebundene sondern auch Ermächtigungsgrundlagen mit Entscheidungsfreiräumen der Verwaltung erfassen, bieten sie dem Bürger einen qualitativ hochwertigen Rechtsschutz.

C. Die Kontrollintensität Im System der Gewaltenteilung erfüllen die drei Gewalten jeweils bestimmte, nur ihnen obliegende, Aufgaben. Im Zuge der Entscheidung über eine Streitigkeit zwischen Bürger und Exekutive beurteilt der Richter die Qualität der Aufgaben­ erfüllung durch die Verwaltung.379 Die Beantwortung der Frage, inwieweit er diese kontrollieren darf, hängt im Wesentlichen davon ab, ob die Verwaltung im konkreten Fall über einen Entscheidungsfreiraum verfügt. Die Anwesenheit eines Ent-

377

van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 294. Tak, Het Nederlands bestuursprocesrecht in theorie en Praktijk, Deel I, 2002, S. 455. 379 van den Ban, Wet waarderomg onroerende zaken, 2009, S. 236. 378

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4. Teil: Kontrolldichte

scheidungsfreiraums verbietet grundsätzlich eine uneingeschränkte Kontrolle der Exekutive durch die Judikative. Entscheidungsfreiräume können sich unmittelbar aus der Ermächtigungsgrundlage ergeben. Daneben lassen sich aus der Rechtsprechung Fallgruppen ableiten, innerhalb derer die Gerichte Entscheidungsfreiräume der Verwaltung anerkennen.

I. Durch den Gesetzgeber eröffnete Entscheidungsfreiräume In den Niederlanden unterscheidet man zwischen gebundener und freier Ermächtigung.380 Die gebundene Ermächtigung entspricht einer strikten Gesetzesbindung. Ermächtigungsgrundlage ist eine sogenannte harte Norm. Der Gesetzgeber hat entschieden, dass bei Vorliegen bestimmter Rechtstatsachen bestimmte Rechtfolgen eintreten. Er lässt der Verwaltung keine Wahl. Sie hat seine Vorgaben auszuführen. Jede davon abweichende Verwaltungsentscheidung ist rechtswidrig.381 Daher führen die Gerichte bei einer gebundenen Ermächtigung eine umfassende, sogenannte integrale, Kontrolle durch. Sie setzt immer dann ein, wenn nur ein zutreffendes Ergebnis möglich ist.382 Es wird untersucht, ob eine bestimmte Voraus­setzung im konkreten Fall erfüllt ist. Das Gericht entscheidet zwischen schwarz und weiß. Dazwischen gibt es nichts.383 Mit Ausnahme des Willkürverbots und der Verhältnismäßigkeit unterliegen alle Prinzipien der ordnungsgemäßen Verwaltung der vollen Kontrolle. Die freie Ermächtigung entspricht einer gelockerten Gesetzesbindung. Hier bildet eine sogenannte vage Norm die Ermächtigungsgrundlage. Die Verwaltung darf eigenständig bewerten, ob bestimmte Rechtstatsachen gegeben sind bzw. bei Vorliegen bestimmter Rechtstatsachen die Folgen anhand eigener Einschätzung auslösen. Sie verfügt über eine sogenannte discretionaire bevoegdheid384, die unterschiedliche Ergebnisse zulässt. Im Rahmen dieses Freiraums verfügt sie z. B. über ein Wahlrecht bei der Gewichtung der betroffenen Belange innerhalb des Ab­ wägungsprozesses.385 Der Freiraum und das sich daraus ergebende Wahlrecht gehören nach niederländischer Rechtsauffassung zum Kernbereich der Exekutive, in

380

van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 202. van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het AwbTijdperk, 2004, S. 79. 382 Klap, Rechter en bestuur: communicerende vaten of concurrerende machten?, NTB 2007, S. 183 (184); van Kreveld, Beleidsregels in het recht, 1983, S. 6. 383 de Waard, Marginale toetsing en evenredigheid, Getuigend staatsrecht, 2005, S. 368 f. 384 van Male übersetzt discretionaire bevoegdheid mit freiem Ermessen; van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 148; discretionaire bevoegdheid bezieht sich jedoch auf alle Entscheidungsfreiräume der Verwaltung. 385 Pront-van Bommel, Bestuursrechtspraak, 2002, S. 157. 381

C. Die Kontrollintensität

315

den keine andere Macht eingreifen darf.386 Demzufolge dürfen die Gerichte das Ergebnis des Abwägungsprozesses nur oberflächlich prüfen.387 Man spricht von einer marginalen Kontrolle, die immer dann angezeigt ist, wenn die Verwaltung über einen Entscheidungsfreiraum verfügt. Die Gerichte untersuchen lediglich, ob die Grenzen des Entscheidungsfreiraums überschritten wurden. Innerhalb dieser Grenzen gibt es mehrere vertretbare Lösungen. Für den Fall, dass nur eine vertretbare Lösung zur Diskussion steht, kann man unterschiedlicher Auffassung über deren Vertretbarkeit sein. Die Grenze zum Nichtvertretbaren befindet sich dort, wo Jedermann einleuchtet, dass dieses Ergebnis nicht zutreffend sein kann. Die marginale Kontrolle bezeichnet also nicht schwarz oder weiß, sondern die Grauzone dazwischen. Innerhalb dieser Grauzone erfolgt keine weitere Prüfung hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem geltenden Recht. Alles, was sich innerhalb dieses Be­ reiches bewegt, wird hingenommen.388 Discretionaire bevoegdheid bedeutet übersetzt Ermessen. Dieses kann sowohl die Tatbestands- als auch die Rechtsfolgenseite betreffen.389 Der Begriff „Ermessen“ beschränkt sich in den Niederlanden nicht auf die Rechtsfolgenseite. Er kennzeichnet vielmehr eine allgemeine Form der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit der Exekutive in den Grenzen des geltenden Rechts.390 1. Entscheidungsfreiräume auf Tatbestandsseite Die Unterscheidung zwischen Entscheidungsfreiräumen auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite geht auf einen Aufsatz von Duk aus dem Jahr 1978 zurück.391 Er verwendete als Erster auf Tatbestandsseite den Begriff „Beurteilungsfreiheit (beoordelingsvrijheid)“. Er definierte diese als die Freiheit der Verwaltung selbständig zu beurteilen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Ermächtigung im konkreten Fall vorliegen Van Kreveld nahm den Gedanken wenig später auf, sah aber neben der von Duk skizzierten Beurteilungsfreiheit, die er den subjektiven Beurteilungsspiel 386

Polak, Effective bestuursrechtspraak. Enkele beschouwingen over het vermogen van de bestuursrechtspraak geschillen materieel te beslechten, Leiden 2000, S. 12 (15 ff.); Leemans, De toetsing door de bestuursrechter in milieugeschillen, 2008, S. 42. 387 de Waard, Marginale toetsing en evenredigheid, Getuigend staatsrecht, 2005, S. 363 (364). 388 de Waard, Marginale toetsing en evenredigheid, Getuigend staatsrecht, 2005, S. 363 (369). 389 van Ballegooij/Barkhuysen/Brenninkmeijer/den Ouden/Polak, Bestuursrecht in het AwbTijdperk, 2004, S. 80. 390 Schneider, Verwaltungsrecht in Europa, Bd. 1, 2007, S. 459; das entspricht auch den Vorstellung von Ermessen im Europarecht, siehe dazu Pache, Die Kontrolldichte in der Recht­ sprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, DVBl. 1998, S. 380 (384). 391 Duk, De zachte kern van het bestuursrecht, RM Themis 1978, S. 564 (575); ebenso Duk, Beoordelingsvrijheid en beleidsvrijheid, RM Themis 1988, S. 156, 157 (160).

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4. Teil: Kontrolldichte

raum nannte, einen objektiven Beurteilungsspielraum (beoordelingsruimte). Dieser liege immer dann vor, wenn der Gesetzgeber mit einem „objektiv“ unbestimmten Kriterium hantiere. In diesem Fall seien zunächst die Merkmale der im Gesetz bezeichneten Umstände objektiv und abstrakt festzustellen. Anschließend müsse man untersuchen, ob sie im konkreten Fall vorlägen.392 Demnach ist auf Tatbestandsseite zwischen objektiven und subjektiven Beurteilungsspielräumen zu unterscheiden. In beiden Fällen handelt es sich um eine norminterpretierende Ermächtigung.393 Heute haben sich die Begriffe Beoordelingsruimte und Beoordelingsvrijheid durchgesetzt. Vielfach wird die Auffassung vertreten, dass bereits die Wortwahl den Grad der Freiheit der Verwaltung bezeichne. Ein Raum sei ein abgeschlossenes Gebilde. Er sei begrenzt. Daraus ergebe sich der eingeschränkte Entscheidungsspielraum der Verwaltung bei Vorliegen von Beoordelingsruimte. Beoordelingsvrijheid impliziere dagegen eine Entscheidung ohne Grenzen.394 Das entspricht zwar nicht den tatsächlichen Umständen, da es auch hier Grenzen gibt. Es zeigt aber die Tendenz an. Denn die Grenzen sind deutlich großzügiger gesteckt. a) Beurteilungsspielraum (Beoordelingsruimte) Im Rahmen eines Beurteilungsspielraums will der Gesetzgeber der Verwaltung keinen umfassenden Entscheidungsfreiraum zubilligen, musste aber aus gesetzestechnischen Gründen einen Entscheidungsfreiraum eröffnen, weil er die Ermäch­ tigung z. B. nicht anders formulieren konnte.395 Der Entscheidungsfreiraum besteht in diesem Fall lediglich darin, dass die Verwaltung die für die Anwendung der sogenannten objektiv gesetzlichen Norm maßgeblichen Kriterien bestimmt und prüft, ob sie im konkreten Fall erfüllt sind.396 Es gibt hierbei nur ein zutreffendes Er­ gebnis. Als Beispiele für einen objektiven Beurteilungsspielraum nennt Leemans den Begriff inrichting.397 Inrichting heißt Einrichtung bzw. Anlage, steht im Umweltrecht aber auch für Umweltgestaltung. Eine Umschreibung des Begriffs findet sich in art. 1.1 des Umweltgesetzes398. Die Anlage muss innerhalb ­bestimmter

392 van Kreveld, Beleidsregels in het recht, 1983, S. 6; ebenso Michiels, Beleidsvrijheid of beoordelingsvrijheid, Ars Aequi 1998, S. 898. 393 van den Ban, Wet waardering onroerende zaken, 2009, S. 237. 394 Jongma, De milieuvergunning, een onderzoek naar het beschermingsniveau, 2002, S. 188 f.; Michiels, Hoofdzaken van bestuursrecht, 2009, S. 104. 395 van den Ban, wet waardering onroerende zaken, 2009, S. 237. 396 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 150. 397 Leemans, De toetsing door de bestuursrechter in milieugeschillen, 2008, S. 35. 398 Art. 1.1 Umweltgesetz lautet: 1. In deze wet en de daarop berustende bepalingen wordt verstaan onder: … inrichting: elke door de mens bedrijfsmatig of in een omvang alsof zij bedrijfsmatig was, ondernomen bedrijvsheid die binnen een zekere begrenzing pleegt te worden verricht; …

C. Die Kontrollintensität

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räumlicher Grenzen betrieben werden und ihr Betrieb von einer gewissen Dauer sein.399 Die Rechsprechung geht von einem Zeitraum von mindestens 6 Monaten aus.400 aa) Kontrollintensität des Beurteilungsspielraums Da der Beurteilungsspielraum nur ein bestimmtes Ergebnis zulässt, unterliegt er der vollen Kontrolle durch die Gerichte.401 Probleme ergeben sich allerdings aus dem Umstand, dass objektiv gesetzliche Normen mit Beurteilungsspielraum und Normen mit implizierter Beurteilungsfreiheit402 oftmals nicht eindeutig vonein­ ander zu unterscheiden sind.403 Da Gerichte die Kontrollintensität häufig nicht explizit offen legen, ist es schwierig, ein repräsentatives Bild der einschlägigen Rechtsprechung zu erstellen. In den meisten Fällen ergeht ein Urteil, ohne dass der Richter in der Begründung auf die Entscheidungsfindung näher eingeht. Aus der Rechtsprechung kann jedoch abgeleitet werden, dass der Richter bei verwaltungsrechtlichen Sanktionen und bei Kriterien, von denen eine staatliche Zuwendung abhängig ist, einen Beurteilungsspielraum annimmt und deshalb zu einer umfassenden Kontrolle übergeht.404 bb) Beurteilungsspielräume in der Rechtsprechung Zu einer integralen Kontrolle im Zusammenhang mit Sanktionen kommt es z. B immer dann, wenn zu klären ist, ob sich ein Beamter eines Pflichtversäumnisses schuldig gemacht hat. Illustrativ ist die Entscheidung des CRvB aus dem Jahr 2005, worin das einem Fahnder vorgeworfene Verhalten, wohl als pflichtwidrig bezeichnet, aber nicht als Pflichtversäumnis eingestuft wurde, weil der Dienstherr ihn selbst, durch den ihm erteilten Auftrag, in die riskante Situation gebracht hatte.405 Eine Entscheidung des CRvB aus dem Jahr 2004 verdeutlicht die Praxis im Sozialrecht. Das Gericht nahm die Frage, ab welchem Zeitpunkt eine „häusliche 1. In diesem Gesetz und den darauf beruhenden Bestimmungen wird verstanden unter: … Einrichtung: jede durch den Menschen betriebsmäßig oder in einem Umfang als sei es betriebsmäßig, ausgeführte Beschäftigung, die innerhalb bestimmter Grenzen ausgeführt wird; … 399 Michiels, De Wet milieubeheer, 2003, S. 48. 400 ABRvS 21.12.1995, BR 1996, S. 401. 401 Michiels, Beleidsvrijheid of beoordelingsvrijheid, Ars aequi 1998, 893–900. 402 Siehe dazu sogleich. 403 van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 150. 404 Klap, Rechter en bestuur: communicerende vaten of concurrerende machten? NTB 2007, S. 183 (188). 405 CRvB 17.03.2005, TAR 2005, 82; CRvB 08.05.2003, TAR 2003,151.

318

4. Teil: Kontrolldichte

Gemeinschaft“ im Sinne des Hinterbliebenengesetzes (Algemene nabestaandenwet – Anw) vorlag, als Anlass für eine integrale Kontrolle. Gem. art. 3 lid 4 d Anw406 wird eine „häusliche Gemeinschaft“ angenommen, wenn zwei Personen in derselben Wohnung ihren Hauptwohnsitz haben und sie aufgrund einer Registrierung bzw. Anmeldung, die die Voraussetzungen des art. 3 lid 3 Anw407 erfüllt, als häusliche Gemeinschaft angesehen werden. Die Gründung einer häuslichen Gemeinschaft führt gem. art. 15 lid 1 d. Anw408 zu einem Erlöschen des Anspruchs auf Hinterbliebenenrente und gem. art. 53 Anw zu einer Rückforderung von Überzahlungen. Im vorliegenden Fall ging es um den genauen Zeitpunkt der Gründung der häuslichen Gemeinschaft. Die Klägerin erhielt seit 1977 eine Hinterbliebenenrente. Ihr Partner hatte im Rahmen eines Asylantrages erklärt, er lebe seit dem 11. September 1998 mit ihr in häuslicher Gemeinschaft. Daraufhin erhielt er am 01. April 1999 eine Aufenthaltserlaubnis. Das Paar heiratete im November 1999 kirchlich. Im Jahr 2000 forderte die Beklagte die der Klägerin seit Oktober 1998 gezahlte Hinterbliebenenrente zurück. Die Klägerin wandte dagegen ein, sie habe bis zu ihrer kirchlichen Trauung im November 1999 nicht mit ihrem Partner in häuslicher Gemeinschaft gelebt, da ihr Glaube ihr dies untersage. Sie bot für diesen Vortrag jedoch keinen Beweis an. Der CRvB untersuchte daraufhin eingehend, ab welchem Zeitpunkt von einer häuslichen Gemeinschaft ausgegangen werden könne. Er entschied, dass die Voraussetzungen art. 3 lid 4 d. Anw erst mit der Erteilung eine Aufenthaltsgenehmigung im April 1999 vorgelegen hätten, weil erst zu diesem Zeitpunkt eine Registrierung im Sinne dieser Vorschrift erfolgt sei. Erst dann könne man von einer tatsächlichen häuslichen Gemeinschaft ausgehen. Dementsprechend hob er den angefochtenen Bescheid, soweit er den Zeitraum zwi-

406

Art. 3 lid 4 d des Allgemeinen Hinterbliebenengesetzes lautet: Een gezamenlijke huishouding wordt in ieder geval aanwezig geacht, indien de betrokkenen hun hoofdverblijf hebben in dezelfde woning en: zij op grond van een registratie worden aangemerkt als een gezamen­ lijke huishouding die naar aard en strekking overeenkomt met de gezamenlijke huishouding bedoeld in het derde lid. – Von einem gemeinschaftlichen Haushalt wird ausgegangen, wenn die Betroffenen ihren Hauptwohnsitz in derselben Wohnung haben und sie auf Grund einer Registrierung als gemeinschaftlicher Haushalt, der dem in Abs. 3 beschriebenen gemeinschaftlichen Hausalt entspricht, betrachtet werden. 407 Art. 3 lid 3 des Allgemeinen Hinterbliebenengesetzes lautet: Van een gezamenlijke huis­ houding is sprake indien twee personen hun hoofdverblijf in dezelfde woning hebben en zij blijk geven zorg te dragen voor elkaar door middel van het leveren van een bijdrage in de kosten van de huishouding dan wel anderszins. – Eine häusliche Gemeinschaft liegt vor, wenn zwei Personen ihren Hauptwohnsitz in derselben Wohnung haben und sie für einander Sorge tragen, indem sie beide zu den Kosten der Lebensführung und weiterem beitragen. 408 Art. 15 lid 1 d. des Allgemeinen Hinterbliebenengesetzes lautet: Geen recht op nabestaandenuitkering heeft de nabestaande: – die een gezamenlijke huishouding voert, tenzij het betreft een gezamenlijke huishouding ten behoeve van de verzorging van een hulpbehoevende. Kein Recht auf eine Hinterbliebenenrente hat der Hinterbliebene: – der einen gemeinschaftlichen Haushalt führt, es sei denn, es handelt sich um einen gemeinschaftlichen Haushalt zum Zweck der Versorgung eines Hilfsbedürftigen.

C. Die Kontrollintensität

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schen Oktober 1998 und April 1999 betraf, auf.409 Ebenso verfuhr das Gericht bei der Klärung der Frage, ob ein Antragsteller „vorwerfbar arbeitslos“ sei410 oder die Annahme einer zumutbaren Tätigkeit verweigert habe.411 In allen diesen Fällen fand eine umfassende Kontrolle statt. Der CRvB rechtfertigt dies damit, dass der Entzug des Anspruchs auf staatliche Zuwendungen schwerwiegende Auswirkungen auf die Existenz des betroffenen Bürgers habe.412 Denn er sieht in dem Entzug der staatlichen Zuwendung eine Sanktion. b) Beurteilungsfreiheit (Beoordelingsvrijheid) Beurteilungsfreiheit tritt in zwei Varianten auf. Teilweise legt der Gesetzgeber sie ausdrücklich fest, teilweise muss sie aus der Wahl unbestimmter Begriffe ab­ geleitet werden.413 Dementsprechend wird zwischen expliziter und impliziter Beurteilungsfreiheit unterschieden. aa) Explizite Beurteilungsfreiheit Nach einhelliger Auffassung überträgt der niederländische Gesetzgeber durch die Formulierung „ nach Urteil von (naar het oordeel van)“ der Verwaltung ausdrücklich die Verantwortung für eine abschließende Bewertung der Tatsachen.414 Es ist grundsätzlich nur eine marginale Kontrolle durch die Gerichte zugelassen. Die Entscheidung der Verwaltung wird in den oben beschriebenen Grenzen415 weitgehend als gerichtsfest angesehen.416 Nach Ansicht des CRvB bedeutet das jedoch nicht, dass das Gericht seine Kontrolle in jedem Fall auf die Beantwortung der Frage, ob die Entscheidung der Verwaltung vertretbar sei, beschränken muss. In einem Verfahren aus dem Jahr 2005 behielt er sich ungeachtet der Klausel „nach Urteil von“ in art. 18 des Gesetzes Arbeit und Unterstützung (Wet werk en bijstand – WWB)417 eine umfassende Prüfung darüber vor, ob ein Handeln oder 409

CRvB 13.07.2004, LJN AQ2494. CRvB 21.06.2006, LJN AY3229. 411 CRvB 25.01.2006, LJN AV1983. 412 Klap, Rechter en bestuur: communicerende vaten of concurrerende machten? NTB 2007, S. 183 (188). 413 Klap, Rechter en bestuur: communicerende vaten of concurrerende machten? NTB 2007, S. 183 (187); van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 150. 414 Klap, Rechter en bestuur: communicerende vaten of concurrerende machten? NTB 2007, S. 183 (187). 415 de Waard, Marginale toetsing en evenredigheid, Getuigend staatsrecht, 2005, S. 364 f. 416 Klap, Rechter en bestuur: communicerende vaten of concurrerende machten? NTB 2007, S. 183 (187). 417 Art. 18 lid 2 des Gesetzes Arbeit und Unterstützung lautet: Indien de belanghebbende naar het oordel van het college tekortschietend besef van verantwoordelijkheid betoont voor de voor 410

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4. Teil: Kontrolldichte

Unterlassen des Betroffenen die auferlegte Sanktion rechtfertige. Er führte dazu aus, dass die entsprechende Norm des Vorgängergesetzes keinen Beurteilungsspielraum der Verwaltung hinsichtlich des sanktionsbewehrten Verhaltens vorgesehen habe und sich aus den Materialien zum Gesetz Arbeit und Unterstützung nicht ergebe, dass der Gesetzgeber nunmehr Beurteilungsfreiheit habe einräumen wollen. Deshalb sei eine volle Überprüfung der durch die Verwaltung vorgenommenen Gewichtung der entscheidungserheblichen Tatsachen angezeigt, zumal es sich vorliegend um eine durch die Verwaltung auferlegte Sanktion handele.418 bb) Implizite Beurteilungsfreiheit Implizite Beurteilungsfreiheit liegt vor, wenn die Antwort auf die Frage nach dem Vorliegen eines Tatbestandsmerkmales eine Wertung erfordert.419 Nach deutschem Rechtsverständnis handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum.420 Sie sind in den Niederlanden in den unterschiedlichsten Gesetzen anzutreffen. Gem. art. 8 lid 2 des Gaststättengesetzes (Drank- en Horecawet)421 ist z. B. die Lebensführung eines Antragstellers mit entscheidend ziening in het bestaan dan wel de uit deze wet dan wel artikel 30 c, tweede en derde lid, van de Wet strucuur uitvoeringsorganisatie werk en inkomen voortvloeiende verplichtingen niet of onvoldoende nakomt, waaronder begrepen het zich jegens het college zeer ernstig misdragen, verlaagt het college overeenkomstig de vorordening, bedoeld in artikel 8, eerste lid onderdeel b, de bijstand terug. Van een verlanging wordt afgezien, indien elke vorm van verwijtbaarheid ontbreekt. – Kommt der Betroffene nach dem Urteil des Kollegiums seiner Verantwortung und Vorsorge für die ihm aus diesem Gesetz sowie aus Artikels 30 c, lid 2 und 3 zur Ausführung des Gesetzes Organisation Arbeit und Einkommen erwachsenden Verpflichtungen nicht in ausreichendem Maße nach, worunter ein ernst zu nehmendes Fehlverhalten zu verstehe ist, fordert das Kollegium die Zuwendung in Übereinstimmung mit der Verordnung gem. Artikel 8 lid 1 b zurück. Von der Rückforderung wird abgesehen, wenn es an einem vorwerfbaren Ver­halten fehlt. 418 CRvB 06.12.2005, LJN AU7664. 419 Klap, Rechter en bestuur: communicerende vaten of concurrerende machten? NTB 2007, S. 183 (188 f.). 420 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2009, § 7 Rdn. 31 ff. 421 Art. 8 des Gaststättengesetzes lautet: 1. Voor het verkrijgen van een vergunning moet worden voldaan aan het bij en krachtens de volgende leden bepaalde. 2. Leidinggevenden dienen aan de volgende eisen te voldoen: a. zij mogen niet onder curatele staan dan wel uit het ouderlijk gezag of voogdij ontzet zijn; b. zij mogen niet in enig opzicht van slecht levensgedrag zijn; c. zij moeten de leeftijd van eenentwintig jaar hebben bereikt. 1. Das Erteilen einer Genehmigung ist durch und kraft Gesetzes gebunden an das in den folgenden Absätzen Bestimmte. 2. Die Geschäftsführer müssen folgende Anforderungen erfüllen: a. sie dürfen nicht entmündigt sein oder aus der elterlichen Gewalt oder Vormundschaft entfernt sein; b. sie dürfen nicht unter Verdacht stehen, eine schlechten Lebenswandel zu führen; c. sie müssen das einundzwanzigste Lebensjahr erreicht haben.

C. Die Kontrollintensität

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für die Vergabe einer Genehmigung zur Eröffnung eines Vergnügungsbetriebes. Die Genehmigung steht in direkter Verbindung mit der Sorge um die öffentliche Ordnung, für die der Bürgermeister zur Verantwortung gezogen werden kann. Er muss daher die Entscheidung in Ansehung der Verhältnisse vor Ort treffen. Ein Eingreifen des Gerichts erscheint nach niederländischer Rechtsauffassung deshalb nicht angebracht.422 Ähnlich verhält es sich bei der Beantwortung der Frage, ob ein Gebäude als Baudenkmal nach dem Denkmalschutzgesetz einzustufen ist. Mit der Einstufung als Baudenkmal ist der Schutz des Gebäudes und eine Eintragung in die Denkmalliste verbunden. Das bedeutet gleichzeitig für den Eigentümer, dass er nur noch eingeschränkt bauliche Veränderungen vornehmen darf. Die Einstufung als Denkmal erfolgt durch das zuständige örtliche Verwaltungsorgan, den Rat für Kultur. Da bei diesem die bessere Sachkunde unterstellt wird, unterziehen die Gerichte dessen Entscheidung einer nur marginalen Prüfung.423 Die implizierte Beurteilungsfreiheit ergibt sich damit aus der Art der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage. Häufig besteht ein direkter Zusammenhang zwischen den Tatbestandsvoraussetzungen und der Verantwortung der Verwaltung für einen bestimmten räumlichen Bereich. Der Bürgermeister verfügt z. B. über Beurteilungsfreiheit, wenn es um die Auslegung kommunalrechtlicher Vorschriften, deren Anwendung eine Einschätzung der besonderen örtlichen Verhältnisse erfordert, geht. Das betrifft beispielsweise seine Befugnisse aus art. 171, 174 Polizeigesetz,424 die im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der öffent­ lichen Ordnung stehen. Die Gerichte prüfen zurückhaltend, weil sie davon ausgehen, dass nur der Bürgermeister eine zutreffende Einschätzung der Verhältnisse vor Ort abgeben kann.425 Eine Entscheidung der ABRvS aus dem Jahr 2000 veranschaulicht diese Praxis. Die Ausführungsvorschriften der Stadt Eindhoven zu den Befugnissen nach dem Polizeigesetz sehen vor, dass der Bürgermeister Veranstaltungen wegen ­Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit oder wegen Sittenwidrigkeit ver­bieten darf. Im vorliegenden Fall untersagte der Bürgermeister der Stadt eine Veranstaltung, während der sogenannte Käfigkämpfe, Faustkämpfe mit bloßen Händen und ohne feste Regeln, stattfinden sollten. Er begründete seine Entscheidung dahingehend, dass diese sittenwidrig seien und geeignet, die zunehmende Gewalt in der Stadt noch zu fördern. Im Rahmen der dagegen erhobenen Klage der Veranstalter enthielt sich das Gericht einer eigenen Stellungnahme zur Sitten­

422 Klap, Rechter en bestuur: communicerende vaten of concurrerende machten? NTB 2007, S. 183 (189). 423 ABRvS 10.05.2006, LJN AX0729. 424 Siehe dazu 1. Teil, A. II. 1. c) bb) (1) (b). 425 Klap, Rechter en bestuur: communicerende vaten of concurrerende machten? NTB 2007, S. 183 (185).

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4. Teil: Kontrolldichte

widrigkeit der Veranstaltung und schloss sich der Auffassung des Bürgermeisters an. Es rechtfertigte sein Vorgehen damit, dass der Begriff Sittenwidrigkeit im engen Zusammenhang mit der ethischen und gesellschaftlichen Entwicklung der betroffenen Region stehe und nur der Bürgermeister vor Ort eine zutreffende Analyse derselben abgeben könne. Deshalb sei die Zurückhaltung des Gerichts hier angezeigt.426 Ebenso äußerte sie sich im Jahr 2005 zu dem Begriff „Notwendigkeit einer Betriebswohnung“. Eine Entscheidung könne nur anhand der Verhältnisse vor Ort getroffen werden. Diese kenne die zuständige Verwaltung am besten.427 Ein weiteres Beispiel für den Zusammenhang zwischen Beurteilungsfreiheit und spezieller Verantwortung der Verwaltung betrifft die Frage, zu welchem Zeitpunkt die derzeit genutzte Wohnung eine Gefahr für die Sicherheit oder die Gesundheit ihrer Bewohner darstellt und wann der Magistrat deshalb gefordert ist, die Wohnungssituation zu verbessern.428 cc) Beurteilungsfreiheit und Abwägung Die Frage, ob Beurteilungsfreiheit und Abwägung auf Tatbestandseite einander ausschließen, wird uneinheitlich beantwortet. Duk geht davon aus, dass im Rahmen von Beurteilungsfreiheit kein Raum für eine Abwägung bleibt.429 Schlössels und Stroink schließen sich dem an.430 Leemans hält eine Abwägung bei Risikoentscheidungen sowie in bestimmten Fällen im Umweltrecht für unumgänglich.431 Klap sieht eine Abwägung in Teilbereichen des besonderen Verwaltungsrechts ebenfalls als notwendig an. Er vertritt die Auffassung, dass eine Abwägung teilweise bereits in den Tatbestands­ voraussetzungen angelegt ist. Als Beispiel führt er art. 8.11 lid 3 Umweltgesetz432 an. Dieser besagt, dass im Interesse des größtmöglichen Schutzes der Umwelt

426

ABRvS 25.08.2000, JB 2000, 273. ABRvS 27.04.2005, Gst. 2005, 192. 428 ABRvS 15.12.1994, AB 1995, 264. 429 Duk, Beoordelingsvrijheid en beleidsvrijheid, RM Themis 1988, S.156 (160, 165). 430 Schlössels/Stroink, Kern van het bestuursrecht, 2006, S. 98. 431 Leemans, De toetsing door de bestuursrechter in milieugeschillen, 2008, S. 37 f. 432 Art. 8.11 lid 3 des Umweltgesetzes lautet: In hat belang van het bereiken van een hoog niveau van bescherming van het milieu worden aan de vergunnging voorschriften verbonden, die nodig zijn om de nadelige gevolgen die de inrichting voor het milieu kan veroorzaken, te voorkomen of, indien dat niet mogelijk is, zoveel mogelijk – bij voorkeur bij de bron – te bereiken en ongedaan te maken. Daarbij wordt ervan uitgegaan dat in de inrichting ten minste de voor de inrichting in aanmerking komende beste beschikbare technieken worden toegepast. – Im Interesse der Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt werden an Genehmigungen Bedingungen geknüpft, die notwendig sind, um die nachteiligen Auswirkungen, die die Anlagen auf die Umwelt haben, zu verhindern oder, falls dies nicht möglich ist, soweit als möglich – bereits an der Quelle – einzugrenzen und auszugleichen. Es wird davon ausgegangen, dass die Anlage mindestens die beste der verfügbaren Techniken aufweist. 427

C. Die Kontrollintensität

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eine Genehmigung mit Auflagen verbunden werden kann, wenn diese zur Vermeidung nachteiliger Auswirkungen der Einrichtung auf die Umwelt notwendig sind. Sofern Nachteile nicht vermieden werden können, sind diese soweit wie möglich einzuschränken oder auszugleichen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Einrichtung die bestmögliche der in Frage kommenden technischen Ausstattungen erhält. Klap ist der Auffassung, dass der Begriff notwendig hier eine Abwägung anzeigt. Er deute darauf hin, dass ein Gleichgewicht zwischen der Umwelt und den ihr gegenüberstehenden betriebsökonomischen Belangen gefunden werden müsse.433 Allerdings betrifft das nur allgemeine betriebsökonomische Belange wie die Schaffung von Arbeitsplätzen. Individuelle Belange werden nicht berück­sichtigt.434 Van Male geht ebenfalls davon aus, dass grundsätzlich eine Abwägung möglich ist, diese aber nicht individuelle Belange, sondern nur Belange einer Gruppe von Betroffenen berücksichtigt.435 Er bezieht sich dabei auf eine Entscheidung der ABRvS aus dem Jahr 1999, in der es um die Erteilung einer Genehmigung für den Bau eines Schweinemastbetriebes ging. Das Interesse am Betrieb der Anlage stand der durch sie verursachten Geruchsbelästigung für die umliegende Wohnbebauung gegenüber.436 Die Verwaltung hat in derartigen Fällen zu klären, welcher Grad der Geruchsbelästigung der Umwelt zugemutet werden kann. Die zu erwartende Geruchsemission wird anhand der Anzahl der in der geplanten Anlage gehaltenen Tiere mit Hilfe von in der entsprechenden Richtlinie aufgenommenen Umrechnungsfaktoren berechnet.437 Der Grad der zumutbaren Geruchsbelästigung richtet sich dann nach der Umgebung, die anhand ihrer Nutzung in bestimmte Kategorien eingeteilt wird. Befinden sich in der Nähe bereits vergleichbare Betriebe, ist eine höhere Geruchsbelästigung zumutbar. Die Genehmigung wird für die beantragte Anzahl von Tieren erteilt werden. Befindet sich dagegen in unmittelbarer Nähe vorwiegend Wohnbebauung, ist davon auszugehen, dass die Genehmigung nur für eine geringe Anzahl von Tieren oder gar nicht erteilt wird. Vereinzelte Wohnhäuser in einem überwiegend landwirtschaftlich genutzten Gebiet werden nicht berücksichtigt.438 Die Abwägung erfolgt zwischen den Interessen des Schweinemästers an einer Genehmigung für die Mast einer möglichst hohen Anzahl von Tieren und den Interessen der Bewohner der Umgebung an einer möglichst geringen Geruchsbelästigung. Ist die Umgebung nur gering besiedelt, fallen die Interessen der Bewohner geringer ins Gewicht als bei einer hohen Siedlungsdichte. 433

So auch Michiels, De Wet milieubeheer, 2003, S. 68; Klap, Rechter en bestuur: communicerende vaten of concurrerende machten? NTB 2007, S. 183 (184). 434 ABRvS 24.06.1999, AB 2000, 93. 435 van Male in van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 149. 436 ABRvS 21.04.1998, E03.97.0115, AB 1998, 199. 437 ABRvS 04.06.1999, LJN AA3626. 438 van Male in van Wijk/Konijnenbelt & van Male, Hoofdstukken van Bestuursrecht, 2008, S. 151.

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4. Teil: Kontrolldichte

dd) Kontrollintensität bei bestehender Beurteilungsfreiheit Beurteilungsfreiheit geht mit einer marginalen Kontrolle einher. Der Richter gibt kein eigenes Urteil zu den zur Diskussion stehenden Tatbestandsmerk­malen ab, sondern prüft lediglich, ob die Entscheidung der Verwaltung vertretbar ist. Grundsätzlich akzeptiert die Gerichtsbarkeit diese Grenze.439 Die marginale Kontrolle der Beurteilungsfreiheit bedeutet jedoch nicht, dass der Richter seine Untersuchung ausschließlich auf die Frage beschränkt, ob die Entscheidung der Verwaltung vertretbar ist. Er prüft die Maßnahme insgesamt auf ihre Rechtmäßigkeit, insbesondere auf die Beachtung der art. 3:2 und 3:46 Awb.440 Die Kontrolle der ordnungsgemäßen Berücksichtigung dieser Vorschriften kann einer integralen Kontrolle gleichkommen.441 Duk führt dazu aus: „ Kommt einem Verwaltungs­ organ Beurteilungsfreiheit zu, findet diese ihre Grenze nicht allein in dem – zu einer marginalen richterlichen Kontrolle führenden – Anspruch der Vertretbarkeit. Die Verwaltung muss auch die Prinzipien einer ordnungsgemäßen Verwaltung berücksichtigen. Eine aus sich selbst heraus nicht unvertretbare Entscheidung kann doch gegen die zwingende Forderung der Gleichbehandlung oder Rechtssicherheit verstoßen. Beurteilungsfreiheit verschafft also keinen Freibrief für eine nicht ordnungsgemäße Verwaltung.“442 Damit bringt er unmissverständlich zum Ausdruck, dass sich die marginale Kontrolle auf Tatbestandseite auf die der Verwaltung durch Gesetz zugestandenen Freiräume beschränkt. Alle anderen Prüfungskriterien sind einzuhalten und unterliegen einer integralen Kontrolle durch das Gericht.443 2. Entscheidungsfreiräume auf Rechtsfolgenseite (Beleidsvrijheid) Einen Entscheidungsfreiraum auf Rechtsfolgenseite definierte Duk als „die Freiheit der Verwaltung, vom Gebrauch einer Befugnis abzusehen, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen“.444 Die Verwaltung hat, sofern die Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, die Wahl, die Maßnahme zu erlassen oder von deren Erlass abzusehen.445 In der Literatur wird die Abwägung von Belangen meist unmittelbar mit beleidsvrijheid in Verbindung gebracht. Dahinter steht der Gedanke, dass ein 439 Klap, Rechter en bestuur: communicerende vaten of concurrerende machten? NTB 2007, S. 183 (191). 440 Rb. Rotterdam 20.09.2000, AB 2001, 93. 441 CBB 28.11.2006, LJN AZ3274. 442 Duk, Beoordelingsvrijheid en beleidsvrijheid, RM Themis 1988, S. 156 (158). 443 So auch de Waard, Marginale toetsing en evenredigheid, Getuigend staatsrecht, 2005, S.  364 f. 444 Duk, De zachte kern van het bestuursrecht, RM Themis 1978, S. 564 (575); ebenso Duk, Beoordelingsvrijheid en beleidsvrijheid, RM Themis 1988, S. 156 (157, 160). 445 Schlössels, Het specialiteitsbeginsel, Juridische Reeks Universiteit Maastricht, 1998, S. 175; Vermeer, Gedogen door bestuursorganen, 2010, S. 11.

C. Die Kontrollintensität

325

Verwaltungsorgan nur zur Abwägung von Belangen ermächtigt ist, wenn es über einen Entscheidungsfreiraum auf Rechtsfolgenseite verfügt.446 Es ergibt sich jedoch nicht immer Raum für eine Abwägung. Der Endscheidungsfreiraum wird in den Niederlanden wie in Deutschland zwar durch das Wort „kan“ angezeigt. Dieses „kan“ kann aber auch lediglich auf eine Handlungsbefugnis hindeuten. Daher unterscheidet man in den Niederlanden zwischen unechten (verklausulierten) und echten (unverklausulierten) Entscheidungsfreiräumen auf Rechtsfolgenseite. a) Unechte Entscheidungsfreiräume auf Rechtsfolgenseite Der Ausdruck „kan“ bedeutet nicht zwingend, dass die Verwaltung über einen Entscheidungsfreiraum auf Rechtsfolgenseite verfügt. Die Formulierung kann sich auf eine Berechtigung zum Handeln beziehen.447 Das ist der Fall, wenn der Verwaltung bei Vorliegen bestimmter Tatbestandsvoraussetzungen keine Wahlmöglichkeit bleibt, sondern der Eintritt der Rechtsfolge selbstverständlich ist. Als Beispiel nennt Klap den Bürgermeister, der soweit er Grund zu der Annahme hat, dass Krawalle bevorstehen, auf Grund seiner Ermächtigung aus art. 175 lid 1 der Gemeindeordnung448 geeignete Maßnahmen ergreifen muss, obwohl die Vorschrift ihm dies ihrem Wortlaut nach freistellt. Tatsächlich hat er jedoch keine Wahl. Klap sieht hier Parallelen zu der Ermessensreduzierung auf Null im deutschen Ver­ waltungsrecht.449 b) Echte Entscheidungsfreiräume auf Rechtsfolgenseite In den meisten Fällen zeigt der Begriff „kan“ einen Entscheidungsfreiraum der Verwaltung auf Rechtsfolgenseite an, der eine Abwägung einschließt. Für die Abwägung der betroffenen Belange gilt dasselbe wie für die Gewichtung der ent 446

Duk, Beoordelingsvrijheid en beleidsvrijheid, RM Themis 1988, S.156 (160, 165). Klap, Rechter en bestuur: communicerende vaten of concurrerende machten? NTB 2007, S. 183 (192); Klap verweist in diesem Zusammenhang auf Maurer, der zwischen einem Ermessens-Kann und einem Kompetenz-Kann unterscheidet (Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2009, § 7 Rdn. 9). 448 Art. 175 lid 1 der Gemeindeordnung lautet: In geval van oproerige beweging, van andere ernstige wanordelijkheden of van rampen of zware ongevallen, dan wel van ernstige vrees voor het ontstaan daarvan, is de burgemeester bevoegd alle bevelen te geven die hij ter handhaving van de openbare orde of ter beperking van gevaar nodig acht. Daarbij kan van andere dan bij de Grondwet gestelde voorschriften worden afgeweken. – Im Falle aufrührerischer Bewegungen, anderer ernsthafter Krawalle, Katastrophen oder schwerer Unfälle sowie der konkreten Befürchtung des Eintritts, darf der Bürgermeister alle Mittel ergreifen, die er zur Aufrecht­erhaltung der öffentlichen Ordnung oder zur Einschränkung der Gefahr für notwendig erachtet. Dabei kann er von Vorschriften, ausgenommen denen des Grundgesetzes, abweichen. 449 Klap, Rechter en bestuur: communicerende vaten of concurrerende machten?, NTB 2007, S. 183 (192); Leemans, De toetsing door de bestuursrechter in milieugeschillen, 2008, S. 37 f. 447

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4. Teil: Kontrolldichte

scheidungserheblichen Tatsachen. Lässt die einschlägige gesetzliche Vorschrift Raum für eine Abwägung, sind unterschiedliche Entscheidungen möglich. Ihr Resultat kann niemals vollständig aus der Rechtsnorm abgeleitet werden. Deshalb kann die Abwägung der zu berücksichtigenden Belange zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. In diesem Fall ist nach den Freiräumen der Verwaltung, die mit einer oberflächlichen Kontrolle durch den Richter gepaart sind, zu fragen.450 Diese werden soweit das Ergebnis der Abwägung vertretbar und ein Verstoß gegen das Spezialitätsprinzip nicht ersichtlich ist, akzeptiert.451

II. Von der Rechtsprechung anerkannte Entscheidungsfreiräume der Verwaltung Die durch die Rechtsprechung anerkannten Freiräume der Verwaltung beziehen sich auf die Verwaltungspraxis und die bessere Sachkenntnis der Verwaltung. Bei der Auslegung und Anwendung des Gesetzes und der Feststellung des Sach­verhalts kommt der Verwaltung kein Entscheidungsspielraum zu. Sowohl Gesetzesanwendung als auch Tatsachenfeststellung unterliegen daher der vollen Kontrolle durch die Gerichte. Allerdings berücksichtigen diese in ihrer Rechtsprechung, dass die Verwaltung z. B. ein Gesetz bereits eine geraume Zeit in einer bestimmten Art und Weise angewendet hat, bevor es zu einer gerichtlichen Kontrolle kommt.452 1. Entscheidungsfreiräume durch Verwaltungsvorschriften Der wichtigste Anwendungsfall der von der Rechtsprechung anerkannten Entscheidungsfreiräume sind Verwaltungsvorschriften. Durch Erlass von Verwaltungsvorschriften legt die Verwaltung ihr Verhalten in bestimmten Situationen im Voraus fest.453 Gem. art. 8:2 a Awb sind diese von einer direkten gerichtlichen Kontrolle ausgeschlossen. Da sie aber gem. art. 4:84 Awb grundsätzlich zu beachten sind, unterliegen sie einer inzidenten Kontrolle, sofern der konkrete Fall zu einer Anwendung Veranlassung gibt.

450 Klap, Rechter en bestuur: communicerende vaten of concurrerende machten?, NTB 2007, S. 183 (184). 451 Siehe dazu 4. Teil, B. II. 1. d). 452 Klap, Rechter en bestuur: communicerende vaten of concurrerende machten?, NTB 2007, S. 183 (184). 453 Siehe dazu 4.Teil, B. II. 2. a) aa) (1).

C. Die Kontrollintensität

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a) Inzidente Kontrolle von Verwaltungsvorschriften Gewöhnlich gliedert sich der die Verwaltungsvorschriften betreffende Teil der Untersuchung in eine Kontrolle der Verwaltungsvorschrift und eine Kontrolle an der Verwaltungsvorschrift.454 aa) Kontrolle der Verwaltungsvorschrift Die inzidente Kontrolle der Rechtmäßigkeit erfolgt im Rahmen der Klage gegen eine konkrete Maßnahme auf die Rüge des Klägers in seiner Klageschrift.455 Die Entscheidung des Gerichts gilt daher nur inter partes. Bei seiner Kontrolle berücksichtigt das Gericht zwei Punkte. Zum einen dürfen Verwaltungsvorschriften den gesetzlichen Rahmen der einschlägigen Ermächtigungsnorm nicht überschreiten.456 Da sie in den Niederlanden quasi gesetzlichen Charakter haben, müssen sie zudem mit höherrangigem Recht im Einklang stehen. Zum anderen sind Verwaltungsvorschriften Maßnahmen im Sinne des art. 1:3 Awb. Das heißt, sie unterliegen einer Rechtmäßigkeitskontrolle am Maßstab der Prinzipien einer ordnungsgemäßen Verwaltung.457 Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Begründungsgebot. Verwaltungsvorschriften bedürfen vor allem einer stichhaltigen Begründung.458 Das Vorgehen der Gerichte veranschaulichen zwei Entscheidungen aus dem Jahr 1997, in denen es um die Ablehnung von Einbürgerungsanträgen ging. Gem. art. 9 lid 1 a des Reichsgesetzes zur niederländischen Staatsbürgerschaft (Rijkswet op het Nederlanderschap)459 kann ein Antrag auf Einbürgerung abgewiesen werden, wenn das Verhalten des Antragstellers Anlass zu der berechtigen Annahme gibt, dass er eine Gefahr für die öffentliche 454 Pront-van Bommel, Bestuursrechtspraak, 2002, S. 158; Klap/Olivier, Beleidsregels, NJB 1998, S. 772 (777 ff.). 455 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Awb art. 4:84 Nr. 2. 456 ARRS 29.11.1991, AB 1992, 170; Klap, Rechterlijke toetsing van en aan beleidsregels, JBplus 2002, S. 20. 457 Pront-van Bommel, Bestuursrechtspraak, 2002, S. 158. 458 Klap/Olivier, Beleidsregels, NJB 1998, S. 772 (777); Eijlander, De discussie over het beroep tegen algemeen verbindende voorschiften en beleidsregels, NTB 1999, S. 146 f. 459 Art. 9 lid 1 a des Reichsgesetzes zur niederländischen Staatsbürgerschaft lautet: 1. Het verzoek van een vreemdeling die voldoet aan de artikelen 7 en 8 wordt niettemin afgewezen, indien a. op grond van het gedrag van de verzoeker ernstige vermoedens bestaan dat hij gevaar oplevert voor de openbare orde, de goede zeden, of de veiligheid van het Koninkrijk; (…)

1. Der Antrag eines Ausländers, der die Voraussetzungen der Artikel 7 und 8 erfüllt, wird trotzdem abgewiesen, wenn a. auf Grund des Verhaltens des Antragstellers ernsthaft zu vermuten ist, dass er eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die guten Sitten oder die Sicherheit des Königreichs darstellt; (…)

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4. Teil: Kontrolldichte

Sicherheit darstellt. Die Gesetzesmaterialien führen dazu aus, dass ausgehend von dem derzeitigen auf das künftige Verhalten des Antragstellers zu schließen sei, dass der Umstand, dass dieser in der Vergangenheit mit der Justiz in Berührung gekommen sei, allein jedoch keinen Grund für eine Ablehnung des Einbürgerungsantrages darstelle.460 Das Kriterium der Gefahr für die öffentliche Ordnung wird in der einschlägigen Verwaltungsvorschrift dem „Leitfaden für die Anwendung des Reichsgesetzes zur niederländischen Staatsbürgerschaft“ präzisiert. Danach kann der Umstand, dass jemand in der Vergangenheit rechtskräftig verurteilt wurde, Anlass für eine Ablehnung des Antrags sein.461 Unter Berücksichtigung des Leitfadens vertrat der Staatssekretär im Justizministerium in den konkreten Fällen die Auffassung, dass die Anträge wegen der vorangegangenen Verurteilung der Antragsteller abzulehnen seien. Das erstinstanzliche Gericht untersuchte in beiden Fällen die in den Leitfaden aufgenommenen Kriterien und kam zu dem Ergebnis, dass diese mit Text und Tendenz des Gesetzes nicht zu vereinbaren seien. Der Leitfaden hielte, soweit er die nähere Umschreibung des Kriteriums Gefahr für die öffentliche Ordnung betreffe, der Kontrolle am Maßstab des art. 3:3 Awb nicht Stand. Es hob die unter Berücksichtigung des Leitfadens erlassenen Maßnahmen wegen Verstoßes gegen das Sorgfaltsgebot (art. 3:2 Awb) und das Begründungsgebot (art. 3:46 Awb) auf.462 Das zeigt die gängige Praxis der Gerichte, wonach eine auf einer rechtswidrigen Verwaltungsvorschrift basierende Maßnahme meistens wegen nicht tragfähiger Begründung aufgehoben wird.463 Verwaltungsvorschriften können gem. art. 1:3 lid 4 Awb die Auslegung gesetzlicher Vorschriften, die Abwägung von Belangen und die Eignung von Tatsachen betreffen. Die Intensität ihrer Kontrolle entspricht der einer direkt klagbaren Maßnahme. Das bedeutet, dass Entscheidungsfreiräume der Verwaltung zu respektieren sind. Danach ist die Auslegung des Gesetzes grundsätzlich voll überprüfbar, die Abwägung von Belangen nur eingeschränkt. Die Kontrolle der Eignung von Tatsachen gestaltet sich dagegen häufig schwierig. Hier ist zunächst zu ermitteln, ob die Verwaltungsvorschrift tatsächlich Vorgaben zur Eignung von Tatsachen enthält oder der Auslegung des Gesetzes dienen soll.464 In den oben beschriebenen Entscheidungen war das erstinstanzliche Gericht davon ausgegangen, dass es sich bei der Leitlinie um eine gesetzesinterpretierende Regelung handelte. Die ABRvS nahm dagegen an, dass sie die Eignung von Tatsachen betraf. Sie führte dazu aus, dass es nicht vorrangig um die Auslegung des Begriffs Gefahr für die öffentliche Ordnung gehe, sondern darum, welche Tatsachen eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellten. In diesem Rahmen verfüge die erlassende Verwaltungsstelle

460

Avoort/de Groot, De Rijkswet op het Nederlanderschap, Migrantenrecht 1992, S. 30. Klap/Olivier, Beleidsregels, NJB 1998, S. 772 (778). 462 ABRvS 12. O6.1997, H01.96.0470/91; ABRvS 12.06.1997, H01.96.0477/91. 463 Klap, Rechterlijke toetsing van en aan beleidsregels, JBplus 2002, S. 17 (20). 464 Klap/Olivier, Beleidsregels, NJB 1998, S. 772 (778). 461

C. Die Kontrollintensität

329

über einen Entscheidungsfreiraum. Demnach halte die Leitlinie einer Überprüfung stand und sei grundsätzlich anwendbar.465 bb) Kontrolle an der Verwaltungsvorschrift Steht die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsvorschrift fest, untersucht das Gericht, ob sie im konkreten Fall anwendbar ist. Dazu zieht es deren Begründung heran. Diese gibt Einblick in die mit dem Erlass verfolgten Zwecke und Tendenzen, aus denen die Anwendbarkeit im konkreten Fall folgt.466 Die Kontrolle der korrekten Anwendung schließt sich daran an. Erweist sich diese als fehlerhaft mit nachteiligen Auswirkungen für den Kläger, liegt ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz vor.467 Allerdings räumt art. 4:84 Awb468 die Möglichkeit ein, von der Verwaltungsvorschrift abzuweichen, sofern besondere Umstände vorliegen und die Folgen für einen oder mehrere Betroffene unverhältnismäßig sind.469 Unverhältnismäßigkeit liegt vor, wenn die strikte Anwendung im konkreten Fall zu einer unverhältnismäßigen Benachteiligung des Betroffenen führt. Stellt sich heraus, dass die Folgen für mehrere Betroffene unverhältnismäßig sind, wird daraus geschlossen, dass die Verwaltungsvorschrift gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gem. art. 3:4 lid 2 Awb verstößt. Das Gericht erklärt sie für im vorliegenden Fall nicht anwendbar.470 Von besonderen Umständen geht die ABRvS aus, wenn es sich um Umstände handelt, die entweder durch die Verwaltungsvorschrift nicht erfasst werden oder deren Regelung die erlassende Verwaltungsstelle offensichtlich nicht beabsichtigt hat.471

465

ABRvS 12. O6.1997, H01.96.0470/91; ABRvS 12.06.1997, H01.96.0477/91. Klap/Olivier, Beleidsregels, NJB 1998, S. 772 (778); Klap, Rechterlijke toetsing van en aan beleidsregels, JBplus 2002, S. 17 (24). 467 Pront-van Bommel, Bestuursrechtspraak, 2002, S. 158. 468 Art. 4:84 Awb lautet: Het bestuursorgaan handelt overeenkomstig de beleidsregel tenzij dat voor een of meer belanghebbenden gevolgen zou hebben die wegens bijzondere omstandigheden onevenredig zijn in verhouding tot de met de beleidsregel te dienen doelen. – Das Verwaltungsorgan handelt in Übereinstimmung mit den Verwaltungsvorschriften, es sei denn, die Folgen für einen oder mehrere Betroffene sind wegen besonderer Umstände unverhältnismäßig im Verhältnis zu den mit der Verwaltungsvorschrift verfolgten Zwecken. 469 Klap, Rechterlijke toetsing van en aan beleidsregels, JBplus 2002, S. 17 (25). 470 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, Awb art. 4:84 Nr. 3. 471 ABRvS 16.02.2005, nr. 200403595/1. 466

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4. Teil: Kontrolldichte

b) Anwendung von Verwaltungsvorschriften Gem. art. 1:3 lid 4 Awb können Verwaltungsvorschriften die Abwägung von Belangen, die Auslegung des Gesetzes und die Feststellung von Tatsachen betreffen. Die Abwägung beruht ohnehin auf einem Entscheidungsfreiraum, der sich aus dem Gesetz ergibt und den die Gerichte respektieren,472 so dass es der Eröffnung eines zusätzlichen Entscheidungsfreiraums nicht bedarf. Darüber hinaus räumen die Gerichte der Verwaltung aber auch bei der Anwendung von Verwaltungsvorschriften zur Gesetzesauslegung und zur Tatsachenfeststellung Entscheidungs­ freiräume ein.473 Diese Praxis ist sehr umstritten, da sie sich nicht aus dem Gesetz ergibt.474 aa) Anwendung und Auslegung des Gesetzes Die Auslegung des Gesetzes (norminterpretatie) obliegt den Gerichten. Ihre Interpretation geht der der Verwaltung vor. Die Verwaltung ist nicht berechtigt, gesetzliche Vorschriften einzuschränken oder zu erweitern. Dementsprechend sind die Entscheidungen der Verwaltung in diesem Abschnitt des Verwaltungsver­ fahrens grundsätzlich einer umfassenden Überprüfung zugänglich.475 Die Ober­ gerichte berücksichtigen in ihrer Rechtsprechung jedoch, dass immer zunächst eine Auslegung des Gesetzestextes durch die Verwaltung erfolgt und der Richter auf diese lediglich reagiert. Das betrifft die Fälle, in denen unterschiedliche Auslegungen einer Vorschrift möglich sind, diese zu unterschiedlichen Ergebnissen führen und das Gesetz keinen Anknüpfungspunkt für die einzig richtige Interpretation bietet. Die Verwaltung hat in dieser Situation häufig Verwaltungsvorschriften, die gem. art. 1:3 lid 4 Awb476 die Auslegung der Vorschrift betreffen, erlassen und handelt bereits geraume Zeit dem entsprechend, bevor die Angelegenheit dem Richter zur Entscheidung vorliegt. In diesem Fall halten sich die Obergerichte bei ihrer Untersuchung mit Blick auf Rechtssicherheit und Vertrauensschutz des Bürgers zurück und

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Verburg, De bestuursrechterlijke uitspraak, Uitgeverij Kerckebosch, 2008, S. 85. Klap, Rechter en bestuur: communicerende vaten of concurrerende machten?, NTB 2007, S. 183 (185 f.). 474 Siehe dazu unten. 475 Leemans, De toetsing door de bestuursrechter in milieugeschillen, 2008, S. 46 f. 476 Art. 1:3 lid 4 Awb lautet: Onder beleidsregel wordt verstaan: een bij besluit vastgestelde algemene regel, niet zijnde een algemeen verbindend voorschrift, omtrent de afweging van belangen, de vaststelling van feiten of de uitleg van wettelijke voorschriften bij het gebruik van een bevoegdheid van een bestuursorgaan. – Unter Verwaltungsvorschriften versteht man: eine allgemeine Regel mit Maßnahmenqualität, die die Abwägung von Belangen, die Feststellung der Tatsachen und die Auslegung gesetzlicher Vorschriften für den Gebrauch einer Ermächtigung durch eine Verwaltungsorgan umfasst, jedoch keine allgemein verbindliche Vorschrift ist. 473

C. Die Kontrollintensität

331

prüfen lediglich, ob die Grenzen „einer vernünftigen Gesetzesauslegung“ nicht überschritten wurden.477 Im Jahr 2000 hatte der CBB zum Beispiel darüber zu befinden, ob die Ver­ sicherungskammer sich zu recht weigerte, eine einmalige Zuwendung der Gesellschaft Pensionsfond TNO, die in keinerlei Beziehung zur Rente stand, an Rentenberechtigte als Zulage im Sinne des art. 8 des Rentengesetzes anzuerkennen. Der Begriff Zulage ist nicht legal definiert und lässt daher eine weite Auslegung zu. Er wird in art. 8 lid 8 und 9 des Rentengesetzes im Sinne von Zuwendungen aus der staat­lichen Rentenkasse bzw. aus Zusatzversicherungen i. S. wiederkehrender monatlich Zahlungen, die auf Grund früher geleisteter Prämienzahlungen erfolgen, verwendet. Bereits im Jahr 1993 hatte die Versicherungskammer in einer Verwaltungsvorschrift festlegt, dass es sich nicht um Zulagen im Sinne des art. 8 des Rentengesetzes handle, wenn die Zuwendung unabhängig von der Höhe der Rente erfolge und nicht der Erhaltung der Wertbeständigkeit derselben diene. Der CBB entschied, die von der Rentenkammer formulierten Maßstäbe seinen rechtlich nicht unhaltbar. Zudem habe sie bei Erlass der Verwaltungsvorschrift im Rahmen ihrer Ermächtigung gehandelt. Deshalb wies er die gegen die Auslegung der Rentenkammer gerichtete Klage zurück.478 Ähnlich hatte sich der CRvB bereits im Jahr 1998 geäußert, als es um die Auslegung des Begriffs „überflüssig“ ging.479 Im Jahr 2006 sah die ABRvS dagegen die Grenzen einer vertretbaren Gesetzesauslegung als überschritten an. Sie entschied, dass der Magistrat der Insel Texel den Begriff ökonomische Bindung (economische binding) im Beherbergungs­ gesetz zu eng ausgelegt habe. Der Magistrat hatte in der dazu erlassenen Verwaltungsvorschrift festgelegt, dass eine ökonomische Bindung nur angenommen werden könne, wenn wenigstens der Mindestlohn in Höhe von € 12.279,24 pro Jahr erwirtschaftet werde. Der ABRvS führte dazu aus, dass sich für diese Auslegung aus dem Gesetz keinerlei Anhaltspunkte ergäben. Eine ökonomische Bindung könne bereits angenommen werden, wenn ein wesentlicher Teil des Einkommens erwirtschaftet werde. Der Mindestlohn sei aber ein vollwertiges Einkommen und damit mehr als ein wesentlicher Teil dessen. Die Auslegung des Begriffs sei deshalb unhaltbar, auch wenn die Verwaltung jahrelang danach verfahren sei. Zudem handle sich um eine landesweit angewendete Vorschrift. Deshalb müsse der Begriff landesweit gleich ausgelegt werden. Danach werde für das Vorliegen einer ökonomischen Bindung nur die Erwirtschaftung eines wesentlichen Teils des Einkommens verlangt.480

477 Klap, Rechter en bestuur: communicerende vaten of concurrerende machten?, NTB 2007, S. 183 (185). 478 CBB 04.07.2000, LJN AA7354. 479 CRvB 15.10.1998, AB 1999, 33. 480 ABRvS 24.05.2006, LJN AX4419.

332

4. Teil: Kontrolldichte

bb) Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen Der Eintritt einer bestimmten Rechtsfolge ist an das Vorliegen bestimmter Tatsachen gebunden. Deshalb kommt der sorgfältigen Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen besondere Bedeutung zu. Lassen sich diese nicht eindeutig ermitteln, stellt sich die Frage, wer welche Tatsachen vorzutragen und zu be­weisen hat und zu wessen Lasten Unsicherheiten gehen. Gem. art. 3:2 Awb hat sich das Verwaltungsorgan während der Vorbereitungsphase die zum Erlass der Maßnahme notwendige Tatsachenkenntnis zu verschaffen. Da die Verwaltung bei Erlass einer Maßnahme vom Vorliegen bestimmter Tatsachen ausgehen muss, führt das Gericht an dieser Stelle grundsätzlich eine integrale Kontrolle durch. Das gilt besonders dann, wenn die Tatsachen streitig sind.481 Probleme ergeben sich allerdings, wenn sich Tatsachen nicht voll umfänglich verifizieren oder objektivieren lassen, wie bestimmte technische Abläufe im Umweltrecht, deren Ergebnis nicht mit Sicherheit vorausgesagt oder festgestellt werden kann. Das kann auch bei Messungen der Fall sein, die mittels empfindlicher Apparaturen durchgeführt werden. Nicht selten herrscht unter den Sachverständigen Streit über das anzuwendende Verfahren.482 In dieser Situation ist eine umfassende Überprüfung durch das Gericht nahezu unmöglich, weil es dem Richter an den notwendigen Fachkenntnissen fehlt. Deshalb wählt die Verwaltung häufig auf der Grundlage von Sachverständigengutachten bestimmte Untersuchungsmethoden aus und legt diese gemeinsam mit den dazugehörigen Grenzwerten in Verwaltungsvorschriften nieder. Der Richter prüft dann nur noch, ob die Verwaltungsvorschriften ordnungsgemäß angewendet wurden und sich deren Inhalt in einem vertretbaren Rahmen bewegt. Es erfolgt also nur eine marginale Prüfung.483 Dadurch wird der Verwaltung ein Entscheidungsfreiraum bei der Ermittlung oder dem Nachweis bestimmter Tatsachen eingeräumt, der ihr so nicht zusteht. Schurmanns spricht in diesem Zusammenhang von einem „bewijsbeleid“ (Ermessen bei der Beweiserbringung).484 Die Frage, ob bei Vorliegen von Verwaltungsvorschriften nur oberflächlich zu prüfen ist, obwohl der Verwaltung eigentlich kein Entscheidungsfreiraum zusteht, wird kontrovers diskutiert. Bröring vertrat in seinen Anmerkungen zu einer Entscheidung des CRvB aus dem Jahr 1996 die Auffassung, dass der Richter auch bei Existenz von Verwaltungsvorschriften, die die Ermittlung von Tatsachen betreffen, die Tatsachenermittlung weitestgehend zu untersuchen hat.485 Schuurmanns 481

Leemans, De toetsing door de bestuursrechter in milieugeschillen, 2008, S. 46. Klap, Rechter en bestuur: communicerende vaten of concurrerende machten?, NTB 2007, S. 183 (18). 483 Pront-van Bommel, Bestuursrechtspraak, 2002, S. 158. 484 Schuurmans, Bewijslastverdeling in het bestuursrecht, 2005, S. 270; Für den Begriff „bewijs­beleid“ gibt es keine deutsche Übersetzung. Es handelt sich um eine Wortschöpfung von Schuurmans. 485 Bröring, Anmerkungen zu CRvB 09.01.1996, AB 1996, 476. 482

C. Die Kontrollintensität

333

schließt sich dieser Auffassung an mit dem Argument, man könne hier keinen Entscheidungsfreiraum gewähren, da Tatsachen entweder vorliegen oder nicht vorliegen könnten. Es gebe hier nicht das Recht zu wählen, Anhänger welcher Wahrheit man sein wolle.486 Ebenso äußert sich de Bock.487 Die ABRvS vertritt eine andere Auffassung. Sie begründete diese in der vielfach diskutierten „Silikose-Entscheidung“ aus dem Jahr 1999.488 In der Entscheidung ging es um eine einmalige Entschädigungszahlung für ehemalige Minen­ arbeiter, die auf Grund ihrer Tätigkeit an Staublunge (Silicose) erkrankt waren. Die ­Silicose-Stiftung, die für die Auszahlung verantwortlich war, verwendete in ständiger Verwaltungspraxis das sogenannte Thoraxfoto als Diagnosemethode zur Feststellung der Lungenerkrankung. Der Kläger wollte im Gerichtsverfahren die Krankheit mittels eines anderen Verfahrens, des HRCT-scan, nachweisen. Dieses Verfahrens reagierte zwar sensibler auf krankhafte Veränderungen der Lungen. Doch war nicht eindeutig nachweisbar, wie beim Thoraxfoto, dass diese auf einer Staublunge beruhten. Die Abteilung stellte fest, dass die von der Verwaltung im Rahmen der Ausübung ihrer Verwaltungspraxis gewählte Methode des Thorax­ fotos auf allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhe und deshalb nicht als „offensichtlich nicht vertretbar“ bezeichnet werden könne. Sie prüfte daher nur marginal. Schreuder-Vlasbloom verteidigte dieses Vorgehen in ihren Anmerkungen zu dem Urteil: „Die Art der Rechtsbildung impliziert, dass der Richter sich bei der Kontrolle der Beweisführung zunächst mit der Rechtsfrage, ob der Umgang der Verwaltung mit ihrem Entscheidungsfreiraum bei der Beweisführung einer richterlichen Kontrolle standhalte, befassen müsse. Diese Prüfung betrifft nicht die Frage, ob sich der Richter in der Wahl des Umgangs mit dem Entscheidungsfreiraum wiederfindet, sondern ob der Verwaltung bei ihrer Wahl objektive Rechtsgründe zur Seite stehen. Dass es neben dem Thoraxfoto noch andere Diagnosemethoden gibt, die im Vergleich zu diesem Vorteile haben, spielt dabei keine Rolle. Das wäre nur entscheidend, wenn diese Methoden nach herrschenden wissenschaftlichen Erkenntnissen so deutliche Vorteile hätten, dass man das Thoraxfoto als eine überholte Methode bezeichnen müsste.“ Damit spricht sich Schreuder-Vlasbloom für einen Entscheidungsfreiraum der Verwaltung hinsichtlich der Festlegung bestimmter Untersuchungsmethoden und eine eingeschränkte Überprüfbarkeit des Umgangs mit diesem Entscheidungsfreiraum aus.489

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Schuurmans, Bewijslastverdeling in het bestuursrecht, 2005, S. 271. de Bock, De toetsing van feiten door de bestuursrechter en het virespunt van de afdeling bestuursrechtspraak, JBplus 2000, S. 66 (74). 488 ABRvS 28.06.1999, AB 1999, 360. 489 Schreuder-Vlasblom, Anmerkungen zu ABRvS 28.06.1999, AB 1999, 360. 487

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4. Teil: Kontrolldichte

2. Entscheidungsfreiräume auf Grund der besseren Sachkenntnis der Verwaltung Eine weitere Gruppe von Entscheidungsfreiräumen rechtfertigt sich nach Auffassung der Obergerichte aus der besseren Sachkenntnis der Verwaltung. Sie ist im Kommunalrecht und im Ausländerrecht anerkannt. Es geht zum einen um die Auslegung kommunalrechtlicher Vorschriften, deren Anwendung eine Einschätzung der besonderen örtlichen Verhältnisse erfordert. Das betrifft beispielsweise die Befugnisse des Bürgermeisters, gem. art. 171, 174 Gemeindeordnung,490 die im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung stehen. Auch hier prüfen die Gerichte zurückhaltend, weil sie davon ausgehen, dass nur der Bürgermeister eine zutreffende Einschätzung der Verhältnisse vor Ort abgeben kann,491 zumal es häufig um ethische und gesellschaftliche Zusammenhänge geht, deren Beurteilung eine besondere Innenkenntnis voraussetzt.492 Ein ähnliches Problem stellt sich bei der Diskussion über die Glaubwürdigkeit eines Asylbewerbers. Nachdem die ABRvS bereits seit längerem die Auffassung vertrat, hier sei ein Entscheidungsspielraum gegeben, begründete sie dies in einer Entscheidung aus dem Jahr 2003.493 Der Minister beurteile die Glaubwürdigkeit anhand einer Anhörung des Antragstellers, aufgrund von amtlichen und objektiven Berichten über die Situation in dem jeweiligen Herkunftsland und früheren Er­wägungen und Untersuchungen in vergleichbaren Fällen anderer Asylbewerber. Die ABRvS führte aus, dass diese Praxis den Minister in die Lage versetze, eine vergleichende und objektive Bewertung abzugeben. Der Richter sei dagegen nicht in der Lage, die Glaubwürdigkeit in ähnlicher Weise zu beurteilen. Deshalb dürfe er keine eigene Einschätzung der Glaubwürdigkeit abgeben. Klap kritisierte diese Ausführungen. Er vertrat die Auffassung, die ABRvS schränke die Befugnisse des Richters zu Unrecht dahingehend ein, dass er nur noch prüfen dürfe, ob der Minister in vertretbarer Weise zu seiner Entscheidung über die Glaubwürdigkeit gelangen konnte. Die Formulierung suggeriere, dass es um einen Entscheidungs­ freiraum gehe. Das sei aber nicht der Fall.494

490

Siehe dazu 1. Teil, A. II. 1. c) bb) (1) (b). Klap, Rechter en bestuur: communicerende vaten of concurrerende machten?, NTB 2007, S. 183 (185). 492 ABRvS 27.04.2005, Gst. 2005, 192. 493 ABRvS 27.01.2003, JV 2003, 103. 494 Klap, Rechter en bestuur: communicerende vaten of concurrerende machten?, NTB 2007, S. 183 (186). 491

C. Die Kontrollintensität

335

III. Bedeutung für den Rechtsschutz Die Qualität des durch die Gerichte gewährten Rechtsschutzes hängt maßgeblich von der Intensität der gerichtlichen Kontrolle ab. Je eingehender das Gericht prüft, desto intensiver ist der Rechtsschutz. Die Kontrollintensität richtet sich weitgehend an der Anwesenheit von Entscheidungsfreiräumen der Verwaltung aus. Entscheidungsfreiräume ergeben sich in erster Linie aus der Ermächtigungsgrundlage aufgrund einer Lockerung der Gesetzesbindung. Sie können Tatbestands- wie Rechtsfolgenseite betreffen. Zusätzlich hat die Rechtsprechung Fallgruppen entwickelt, innerhalb derer sie weitere Entscheidungsfreiräume der Verwaltung an­ erkennt. Grundsätzlich respektieren die Gerichte Entscheidungsfreiräume der Verwaltung, da diese den Kernbereich der Verwaltungstätigkeit betreffen. Sie unter­ziehen sie einer lediglich oberflächlichen Kontrolle. Die obigen Ausführungen zeigen jedoch die allgemeine Tendenz, dass die Intensität der gerichtlichen Kontrolle sich am Maß des Eingriffs in die Rechte des Bürgers orientiert. Sie steigt mit der Zunahme des Rechtsschutzbedürfnisses. Klap beschrieb diese Tendenz bereits im Jahr 1994.495 Seither hat sich die Spruchpraxis der Obergerichte nicht verändert, so dass man davon ausgehen kann, dass bei schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Rechtsschutz des Bürgers den Interessen der Verwaltung vorgeht.

495 Vgl. dazu Klap, Vage normen in het bestuursrecht, 1994, S. 265 f., der diese Tendenz bereits in seiner Dissertation aus dem Jahr 1994 beschreibt.

5. Teil

Schadensersatz Ein effektiver Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt schließt ein, dass der Bürger die Möglichkeit hat, einen Ausgleich für den ihm durch rechtswidriges Verhalten der Verwaltung entstandenen Nachteil zu fordern.1 Der Anspruch auf Schadensersatz kann in den Niederlanden vor den Verwaltungsgerichten, bei der Verwaltung oder vor den Zivilgerichten geltend gemacht werden.2

A. Der Schadensersatz durch die Verwaltungsgerichte Viele Jahrzehnte konnten nur der Zivilrichter und die besonderen Verwaltungsgerichte, der CRvB und der CBB,3 über einen Anspruch auf Schadensersatz entscheiden. Das änderte sich mit der Einführung des Awb im Jahr 1994. Seitdem dürfen auch die allgemeinen Verwaltungsgerichte Schadensersatz zusprechen.4 Die Zuständigkeit der Zivilgerichte blieb daneben erhalten, da man auf deren Erfahrung auf diesem Gebiet nicht verzichten wollte.5 Aus Gründen der Verfahrensökonomie strebt der Gesetzgeber auf lange Sicht jedoch eine ausschließliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte an.6

I. Gesetzliche Grundlagen In art. 8:73 lid 1 Awb7 ist die Grundlage für eine Entscheidung über Schadensersatzansprüche durch den Verwaltungsrichter normiert. Danach kann das Verwaltungsgericht, wenn eine Klage begründet ist, auf Antrag einer Partei die angezeigte 1

van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S.10. van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 33 (38). 3 Michiels (red.), Staats- en bestuursrecht, Tekst en materiaal, 2004, S. 451. 4 Daalder/de Groot, Parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, tweede tranche, 1994, MvT, S. 474. 5 Michiels (red.), Staats- en bestuursrecht, Tekst en materiaal, 2004, S. 452. 6 Daalder/de Groot, Parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, tweede tranche, 1994, MvT, S. 476; dazu auch Huisman, De bestuursrechterlijke schadeverzoekschriftprocedure, NTB 2006, S. 76. 7 Art. 8:73 lid. 1 Awb lautet: Indien de rechtbank het beroep gegrond verklaart, kan zij, indien daarvoor gronden zijn, op verzoek van een partij het bestuursorgaan veroordelen tot vergoeding van de schade die die partij lijdt. – Entscheidet das Gericht, dass die Klage begrün 2

A. Der Schadensersatz durch die Verwaltungsgerichte

337

Rechtsperson zum Ersatz des der Partei entstandenen Schadens verurteilen, sofern dafür Gründe vorliegen. 1. Anwendungsbereich des art. 8:73 lid1 Awb Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist das Schadensersatzverlangen nur eine Nebenforderung. Die Hauptforderung richtet sich gegen die den Schaden verursachende Maßnahme. Der Bürger begehrt mit seiner Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme. Art. 8:73 lid 1 Awb bietet die Möglichkeit, während des Klageverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Schadensersatz mit Hilfe eines Annex zum Hauptantrag geltend zu machen. Dem entsprechend beschränkt sich der Anwendungsbereich des art. 8:73 lid 1 Awb auf Schadensersatzansprüche aus hoheitlichen Maßnahmen, die vor dem Verwaltungsgericht angefochten werden können.8 2. Voraussetzungen der Entscheidung über den Schadensersatz Art. 8:73 Awb nennt als Voraussetzungen für eine Entscheidung über den Schadensersatz durch das Verwaltungsgericht das Einreichen eines Antrags, die Begründetheit der Klage, einen dem Bürger entstandenen Schaden und das Vorliegen besonderer Gründe. a) Antrag Das Gericht darf nur auf Antrag entscheiden. Eine Entscheidung von amts­ wegen sieht das Gesetz nicht vor.9 aa) Antragsteller Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergibt sich, dass jede Partei, die von dem Prozess profitiert, die Behörde ausgenommen, einen Antrag gem. art. 8:73 lid 1 Awb stellen kann.10 Das betrifft nicht nur den Kläger und Adressaten det ist, kann es, sofern dafür Gründe vorliegen, auf Antrag einer Partei die von ihr angezeigte Rechtsperson zum Ersatz des Schadens, den die Partei erlitten hat, verurteilen. 8 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 3. Ausführungen zu klagbaren und nicht klagbaren Verwaltungsmaßnahmen 2. Teil, C. III. und IV. 9 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 3. 10 Daalder/de Groot, Parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, tweede tranche, 1994, MvA II, S. 476.

338

5. Teil: Schadensersatz

der angefochtenen Maßnahme, sondern auch betroffene Dritte i. S. d. art. 8:26 lid 1 Awb11.12 Der CRvB ist dagegen der Auffassung, nur der Kläger sei antragsberechtigt, da nur er das Risiko einer Klage auf sich genommen habe.13 bb) Antragsgegner Der Antrag richtet sich gegen die Körperschaft, der die Behörde, die die schadenverursachende Maßnahme erlassen hat, angehört. Sie muss auch für den entstandenen Schaden aufkommen. Die Behörde selbst kann nicht Prozesspartei sein, da sie nicht rechtsfähig ist.14 cc) Form des Antrags Der Antrag bedarf keiner besonderen Form. Er muss lediglich die einzelnen Schadenspositionen aufzeigen und genau bezeichnen.15 dd) Zeitpunkt der Antragstellung Der Antrag muss während des laufenden Verfahrens, spätestens bis zum Ende der mündlichen Verhandlung, gestellt werden. Den Zeitpunkt bestimmt der Kläger selbst.16 Er sollte aber, damit sich der Gegner darauf einstellen kann,17 bereits mit der Klageschrift eingereicht werden. So kann sich der Beklagte auf die geltend gemachten Ansprüche einstellen und angemessen reagieren.18 Kommt der Antrag mit oder nach Verkündung der Entscheidung, darf das Verwaltungsgericht nicht mehr darauf eingehen. Das bedeutet, dass der Antrag während des erstinstanz­lichen Ver 11 Art. 8:26 lid 1 Awb lautet: De rechtbank kan tot de sluiting van het onderzoek ter zitting ambtshalve, op verzoek van een partij of op hun eigen verzoek, belanghebbenden in de ge­ legenheid stellen als partij aan het geding deel te nemen. – Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung kann das Gericht von Amts wegen, auf Antrag einer Partei oder auf Antrag eines Betroffenen selbst, diesem die Gelegenheit bieten, dem Rechtsstreit als Partei beizuwohnen. 12 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:73 Nr. 2. 13 CRvB 28.07.1994, AB 1995, 133. 14 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:73 Nr. 2. 15 ABRS 10.07.1995, NA 1995, 255. 16 Daalder/de Groot, Parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, tweede tranche, 1994, MvT, S. 474. 17 Das ist ein Gebot der Fairness. Fairness ist eine ungeschriebene Rechtsregel, der in den Niederlanden relativ große Bedeutung beigemessen wird. 18 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuurs­ recht, 2004, S. 3.

A. Der Schadensersatz durch die Verwaltungsgerichte

339

fahrens gestellt werden muss. Ein erstmaliger Antrag in der Berufungsinstanz ist nicht möglich.19 Der Kläger muss sich wegen des Schadensersatzes dann an die Verwaltung oder den Zivilrichter wenden.20 b) Begründetheit der Klage Voraussetzung für die Entscheidung über den Schadensersatz ist die Begründetheit der Klage. Über den Antrag gem. art. 8:73 lid 1 Awb wird also nur entschieden, wenn das Gericht die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Maßnahme in seinem Urteil feststellt und sie deshalb aufhebt.21 Wird die Verwaltungsmaßnahme dagegen bereits während des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht von der Ausgangsbehörde aufgehoben und die Klage daraufhin zurückgenommen, bleibt kein Raum für eine direkte Anwendung des art. 8:73 lid 1 Awb, weil es nicht zu einer Entscheidung über die Begründetheit der Klage kommt.22 In diesem Fall kann das Gericht auf Antrag gem. art. 8:73a. Awb23 über den Schadensersatz urteilen. Die Regelung wurde 2002 in das Awb eingefügt, um dem Kläger einen zusätzlichen Schadensersatzprozess zu ersparen.24 Nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungs- wie der Zivilgerichte im­ pliziert die Rechtswidrigkeit der Maßnahme auch die Schuld, sodass es einer weiteren Überprüfung der Zurechenbarkeit nicht bedarf.25 In den Niederlanden spricht man deshalb von der Risikoverantwortlichkeit der Obrigkeit für die aufgehobene Maßnahme.26 19

ABRS 19.03.1999, AB 1999, 205; anders CRvB 21.09.1999, JB 1999, 288. van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:73 Nr. 2. 21 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:73 Nr. 1. 22 CRvB 28.07.1994, AB 1995, 133; CRvB 05.01.1996, AB 1996, 152. 23 Art. 8:73a lid 1 Awb lautet: Ingeval van intrekking van het beroep omdat het bestuurs­ orgaan geheel of gedeeltelijk aan de indiener van het beroepschrift is tegemoetgekomen, kan de rechtbank, op verzoek van de indiener het bestuursorgaan bij afzonderlijke uitspraak met toepassing van artikel 8:73 veroordelen tot vergoeding van de schade die de verzoeker lijdt. Het verzoek wordt gedaan tegelijk met de intrekking van het beroep. Indien aan dit vereiste niet is voldaan, wordt het verzoek niet-ontvankelijk verklaard. – Für den Fall der Rücknahme der Klage, weil die Ausgangsbehörde dem Kläger ganz oder teilweise entgegengekommen ist, kann das Gericht auf Antrag des Klägers die Körperschaft, der die Ausgangsbehörde angehört, in Anwendung des art. 8:73 dazu verurteilen, dem Kläger den erlittenen Schaden zu ersetzen. Der Antrag wird gleichzeitig mit der Rücknahme der Klage eingereicht. Ist dieses Erfordernis nicht erfüllt, wird der Antrag als unzulässig zurückgewiesen. 24 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:73a Nr. 1. 25 St. Oedenrode/Driessen, HR 24.02.1984, NJ 1984, 669; Hoffman-La Roche, HR 26.09. 1986, AB 19987, 70; van Gog/Nederweert, HR 31.05.1991, AB 1992, 290. 26 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuurs­ recht, 2004, S. 247. 20

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5. Teil: Schadensersatz

c) Schaden Im Rahmen des Schadensersatzes bleibt dem Richter nur noch zu prüfen, ob der Schaden tatsächlich entstanden ist, die rechtswidrige hoheitliche Maßnahme kausal für dessen Eintritt war und die verletzte Norm dem Schutz des Geschädigten dienen sollte. Daneben sind ein eigenes Verschulden des Geschädigten und seine Schadensminderungspflicht zu berücksichtigen. aa) Konkreter Schaden Ein Anspruch auf Schadensersatz setzt einen tatsächlichen Schaden voraus. Dessen Ermittlung erfolgt anhand der zivilrechtlichen Vorschriften art. 6:95 bis 6:126 Zivilgesetzbuches der Niederlande (Burgerlijk Wetboek, BW). Art. 6:95 BW27 nennt als mögliche Schäden Vermögensschäden und andere Nachteile in Form von immateriellen Schäden. Gem. art. 6:96 lid 1 BW28 umfasst der Vermögensschaden sowohl erlittene Verluste als auch entgangenen Gewinn.29 Der Betroffene muss den Eintritt des Schadens glaubhaft machen. Dabei ist dieser in ausreichendem Maße mit Fakten zu belegen ist. Sofern die Schadenshöhe im Zeitpunkt der Entscheidung nicht oder nicht vollständig festgestellt werden kann, bestimmt das Gericht, dass ein Folgeverfahren stattzufinden hat, art. 8:73 lid 2 Awb30. Zu diesem Zweck kann das Verfahren erneut eröffnet und fortgesetzt werden.31

27

Art. 6:95 BW lautet: De schade die op grond van een wettelijke verplichting tot schade­ vergoeding moet worden vergoed, bestaat in vermogensschade en ander nadeel, dit laatste voor zover de wet op vergoeding hiervan recht geeft. – Der Schaden, der aufgrund einer gesetz­lichen Verpflichtung durch Schadensersatz auszugleichen ist, besteht in Vermögensschaden und anderem Nachteil, letzterer sofern das Gesetz einen Ausgleich hierfür vorsieht. 28 Art. 6:96 lid 1 BW lautet: Vermogensschade omvat zowel geleden verlies als gederfde winst. – Vermögensschaden umfasst sowohl erlittenen Verlust als auch entgangenen Gewinn. 29 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:73 Nr. 2. 30 Art. 8:73 lid 2 Awb lautet: Indien de rechtbank de omvang van de schadevergoeding bij haar uitspraak niet of niet volledig kan vaststellen, bepaalt zij in haar uitspraak dat ter voorbereiding van een nadere uitspraak daarover het onderzoek wordt heropend. De rechtbank bepaalt daarbij op welke wijze het onderzoek wordt voortgezet. – Kann das Gericht den Umfang des Schadensersatzes bei seiner Entscheidung noch nicht genau beziffern, bestimmt es in seiner Entscheidung, dass das Verfahren zur Vorbereitung einer weiteren Entscheidung wieder eröffnet wird. Das Gericht bestimmt dabei in welcher Weise das Verfahren fortgesetzt wird. St. Oedenrode/Driessen, HR 24.02.1984, NJ 1984, 669; Hoffman-La Roche, HR 26.09.1986, AB 19987, 70; van Gog/Nederweert, HR 31.05.1991, AB 1992, 290. 31 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuurs­ recht, 2004, S. 277; zu den Einzelheiten des Verfahrens gem. art. 8:73 lid 2 Awb siehe unten in diesem Kapitel.

A. Der Schadensersatz durch die Verwaltungsgerichte

341

bb) Kausalität Nach der Rechtsprechung liegt Kausalität (causaal verband) vor, wenn der Schaden in direkter Verbindung mit dem Ereignis steht, für das der Verantwort­ liche haften soll. Das bedeutet für die Anwendung des art. 8:73 Awb, dass ein Antrag auf Schadensersatz nur erfolgreich ist, wenn sich der erlittene Schaden als direkte Folge der rechtswidrigen Maßnahme darstellt.32 Dabei muss nicht nur zwischen der Maßnahme und dem Schaden sondern auch zwischen dem Grund der Rechtswidrigkeit und dem Schaden ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen.33 Die Kausalität fehlt, wenn der Schaden auch ohne die rechtswidrige Maßnahme ein­getreten wäre.34 Die Beweislast für den Zusammenhang zwischen der Rechtswidrigkeit der Maßnahme und dem Schaden trägt der Geschädigte.35 cc) „Relativität“ Die Relativität (Relativiteit) ist für den zivilrechtlichen Bereich in art. 6:163 BW36 normiert. Die Verwaltungsgerichte greifen darauf zurück. Gem. art. 6:163 BW besteht keine Verpflichtung zum Schadensersatz, wenn die verletzte Norm nicht den Schutz des Betroffenen/Benachteiligten bezweckte. Die aufgehobene Maßnahme muss gegenüber dem, der den Schaden geltend macht, rechtswidrig gewesen sein37 und der erlittene Nachteil in den Schutzbereich der verletzten Norm fallen.38 Die Relativität im niederländischen Recht entspricht also dem Schutzzweck der Norm in der deutschen Rechtsordnung.39 dd) Mitverschulden Mitverschulden (eigen schuld) bedeutet, dass der Betroffene an dem Fehler, den die Behörde begangen hat, beteiligt war. Das ist bei der Entscheidung über Ent­ stehen und Umfang der Haftung der öffentlichen Gewalt zu berücksichtigen. Die 32

CRvB 14.03.2002, AB 2002, 238. CRvB 08.11.2000, ABkort 2001, 43; ARvB 06.11.2002, BR 2003, 608; ABRvS 02.05. 2003, zaak nr. 200105722/4. 34 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 295. 35 ABRvS 10.08.2000, ABkort 2000, 544. 36 Art. 6:163 BW lautet: Geen verplichting tot schadevergoeding bestaat, wanneer de geschonden norm niet strekt tot bescherming tegen de schade zoals de benadeelde die heeft geleden. – Dient die verletzte Norm nicht dem Schutz des Benachteiligten vor dem erlittenen Schaden, so besteht keine Verpflichtung zum Schadensersatz. 37 Kaveka-arrest, HR 19.06.1998, AB 1998, 416; ebenso ABRvS 24.03.2004, AB 2004, 165. 38 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 279. 39 Schutzzweck der Norm BGH 27,140; 35, 315; NJW 99, 3203. 33

342

5. Teil: Schadensersatz

Ersatzpflicht verringert sich oder entfällt ganz, wenn der Schaden die Folge von Umständen ist, die dem Benachteiligten zuzurechnen sind,40 wenn er z. B. versäumt, der Ausgangsbehörde wichtige Tatsachen mitzuteilen41 oder seine Informationen unvollständig sind.42 In Betracht kommt z. B. auch ein Baubeginn, obwohl die Baugenehmigung noch nicht bestandskräftig ist.43 In diesen Fällen entsteht nur eine anteilige Ersatzpflicht der Verwaltung. Deren Höhe wird durch das Maß des Mitverschuldens des Geschädigten bestimmt.44 ee) Schadensminderungspflicht Schadensminderungspflicht (schadebeperkingsplicht) bedeutet, dass man von dem Geschädigten erwarten kann, dass er alle ihm möglichen Maßnahmen ergreift, um den Schaden abzuwenden. Tut er das nicht, so führt das zu einer Verminderung der Ersatzpflicht der Verwaltung auch wenn der Geschädigte zu dem schadenverursachenden hoheitlichen Handeln nicht beigetragen hat. Die Schadensminderungspflicht ist an Hand der Maßnahmen zu beurteilen, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Abwendung des Schadens ergreifen würde.45 d) Vorliegen besonderer Gründe Eine Verurteilung zum Ersatz des Schadens erfolgt nur, wenn hierfür besondere Gründe vorliegen. Das ist der Fall, wenn die Rechtswidrigkeit der Maßnahme auf materiellen Gründen beruht. Formelle Gründe wie eine unzureichende Be­ gründung oder ein Verstoß gegen eine Sorgfaltspflicht beim Erlass der Maßnahme reichen nicht aus. An Gründen fehlt es auch, wenn die Ausgangsbehörde nicht zuständig war. In diesen Fällen kann erneut eine Maßnahme gleichen Inhalts erlassen werden. Das Verwaltungsgericht weist in seiner Entscheidung jedoch darauf hin, dass wenn die Maßnahme erneut erlassen wird, auf mögliche Schadensersatzansprüche zu achten ist.46

40 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 283. 41 CRvB 10.06.1998, JB 1998, 188. 42 CBB 17.05.2000, JB 2000, 170. 43 HR 29.04.1994, AB 1994, 530. 44 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 283. 45 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 288. 46 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 4.

A. Der Schadensersatz durch die Verwaltungsgerichte

343

3. Entscheidung über den Antrag auf Schadensersatz Das Gesetz räumt dem Richter bei seiner Entscheidung über den Antrag gem. art. 8:73 lid 1 Awb Ermessen ein. Er kann über den Schadensersatz entscheiden. Er ist jedoch nicht dazu verpflichtet. In der Regel macht er von seiner Befugnis Gebrauch, wenn der Antrag frühzeitig eingereicht wurde.47 a) Stattgabe Dem Antrag wird stattgegeben, wenn alle notwendigen Informationen zum Schaden und dessen Höhe vorliegen. Das ist immer dann der Fall, wenn der Richter weiß, wie die an die Stelle der aufgehobenen Maßnahme tretende neue Maßnahme lauten muss, wenn er z. B. befugt ist, die neue Maßnahme selbst zu erlassen (zelfs in de zaak voorzien, art. 8:72 lid 4 Awb)48.49 Der Richter spricht dann Schadensersatz dem Grunde und der Höhe nach zu. Wurde der Schaden nur glaubhaft gemacht und noch nicht genau beziffert, entscheidet er, dass ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach gegeben ist und verweist im Übrigen auf das Verfahren nach art. 8:73 lid 2 Awb. In seiner Entscheidung legt er gleichzeitig fest, in welcher Form die Untersuchung zur Höhe des Schadens fortgesetzt wird.50 b) Zurückweisung Der Antrag kann aus unterschiedlichen Gründen zurückgewiesen werden. Er hat z. B. keinen Erfolg, wenn das Gericht ihn für unbegründet hält.51 Daneben kann die Struktur des Schadens ausschlaggebend für eine Zurückweisung sein. Wurde der Schaden teilweise durch nicht vor dem Verwaltungsgericht angreifbares Handeln der Verwaltung, wie z. B. privatrechtliches Auftreten eines Verwaltungs­ organs, verursacht, sprechen gute Gründe dafür, die beantragende Partei auf den Zivilrechtsweg zu verweisen. Das Zivilgericht entscheidet dann über den Schadenskomplex insgesamt.52 Eine Zurückweisung des Antrags ist in jedem Fall eingehend zu begründen.53 47 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 4. 48 Siehe dazu die Ausführung 3. Teil, A. VI. 1. d) dd). 49 Michiels (red.), Staats- en bestuursrecht, Tekst en materiaal, 2004, S. 451. 50 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:73 Nr. 3. 51 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 4. 52 CRvB 09.09.2003, AB 2003, 418. 53 CRvB 25.08.1998, JB 1998, 263; van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:73 Nr. 1.

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5. Teil: Schadensersatz

4. Verfahren gem. art. 8:73 lid 2 Awb Gem. art. 8:73 lid 2 Awb bestimmt das Gericht in seiner Entscheidung, wenn es den Umfang des Schadensersatzes zu diesem Zeitpunkt noch nicht genau beziffern kann, dass das Verfahren zur Vorbereitung einer weiteren Entscheidung wieder eröffnet wird. Es regelt dabei auch, in welcher Weise das Verfahren fortgesetzt wird.54 Das Verfahren gem. art. 8:73 lid 2 Awb wird in den Niederlanden als Schadensstatusverfahren (schadestaatprocedure) bezeichnet. Entgegen dem Gesetzeswortlaut dient es nicht nur der Ermittlung der Schadenshöhe, sondern auch der Feststellung der Haftung. Das Verfahren ist nicht im Einzelnen gesetzlich geregelt. Die Art und Weise der Beweisführung legt der Richter fest.55 Er kann den Parteien z. B. aufgeben, bestimmte Beweise zu erbringen, aber auch einen Sachverständigen zum Umfang der Haftung einschalten.56 Das Verfahren endet mit einem Spruch zum Umfang des Schadensersatzes. 5. Rechtsmittel Sowohl die Entscheidung nach art. 8:73 lid 1 Awb als auch die Entscheidung nach art. 8:73 lid 2 Awb kann isoliert angefochten und in der zweiten Instanz überprüft werden.57 Dabei kontrolliert das Berufungsgericht unter anderem, ob die erste Instanz über ausreichende Informationen zur Beurteilung der Ersatzpflicht und deren Umfang verfügte.58

II. Bedeutung für den Rechtsschutz Durch einen Antrag nach art. 8:73 lid 1 Awb hat der Betroffene die Möglichkeit, auf unkomplizierte Art zügig Schadensersatz zu erlangen. Die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Maßnahme und den Schadensersatz erfolgen gleichzeitig.59 Es bedarf keines gesonderten Schadensersatzprozesses. Dadurch spart der Geschädigte zum einen Zeit, zum anderen muss er kein erneu 54 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:73 Nr. 3 b. 55 van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:73 Nr. 3 a. 56 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 5. 57 Daalder/de Groot/van Bruegel, Parlamentaire geschiedenis van de Algemene wet bestuursrecht, tweede tranche, 1994, MvT, S. 475; van Buuren/Borman, Algemene wet bestuursrecht, Tekst & Commentaar, 2009, art. 8:73 Nr. 4. 58 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 5. 59 In diesem Sinne auch Michiels (red.), Staats- en bestuursrecht, Tekst en materiaal, 2004, S. 452.

B. Der Schadensersatz durch die Verwaltung

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tes Prozessrisiko auf sich nehmen. Der Antrag gem. art. 8:73 Awb trägt daher zu einem effektiven Rechtsschutz bei.

B. Der Schadensersatz durch die Verwaltung Der Betroffene kann sich wegen des Schadensersatzes auch direkt an die Verwaltung wenden und dort eine Schadensmaßnahme (schadebesluit) erwirken. Sie bietet eine zusätzliche Möglichkeit ein verwaltungsgerichtliches Urteil über den Schadensersatz zu erlangen, da Schadensmaßnahmen als Rechtshandlungen der Verwaltung i. S. d. art. 1:3 lid 1 Awb der vollen gerichtlichen Überprüfung zugänglich sind. Man unterscheidet zwischen Maßnahmen über Schadensersatz oder Nachteilsausgleich auf gesetzlicher Grundlage, Schadensmaßnahmen aufgrund einer Verwaltungsvorschrift, selbständigen und unselbständigen Schadensmaßnahmen.60

I. Schadensmaßnahmen auf gesetzlicher Grundlage In einigen Fällen sieht das Gesetz ausdrücklich einen Anspruch auf Schadensersatz, meist in Form eines Nachteilsausgleichs, vor und stellt damit die Grundlage für die Entscheidung über den Schadensersatz. Art. 7 des Gesetzes zum Hoch­ wasserschutz im Einzugsgebiet großer Flüsse (Deltawet grote rivieren)61 enthält z. B. eine derartige Regelung. Danach haben die Betroffenen, die einen Schaden62 erleiden oder erlitten haben, ein Recht auf einen Nachteilsausgleich, der durch den Verwalter (hier die Deichgemeinschaft) vorzunehmen ist. Die Befugnis der Behörde zum Erlass der Schadensmaßnahme beruht hier auf der betreffenden gesetzlichen Bestimmung. Grundsätzlich steht gegen diese Maßnahmen der Rechtsweg vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten über zwei Instanzen offen. Dabei laufen die gesetz­ lichen Vorgaben zum Rechtsschutz gegen die Schadensmaßnahme und der Rechtsschutz gegen die den Schaden verursachende Maßnahme nicht immer parallel. Das Gesetz zum Hochwasserschutz im Einzugsgebiet großer Flüsse bestimmt z. B. in

60

Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 29. 61 Art. 7 Deltawet grote rivieren lautet: Belanghebbenden die schade lijden of zullen lijden hebben recht op een zogeheten „nadeelscompensatie“, uit te keren door de beheerder (in casu het waterschap). – Betroffene, die einen Schaden erleiden oder erlitten haben, haben ein Recht auf einen sogenannten Nachteilsausgleich, vorzunehmen durch den Verwalter (hier die Deichgemeinschaft). 62 Es handelt sich dabei um Schäden, die im Zusammenhang mit Hochwasserschutzmaß­ nahmen stehen.

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5. Teil: Schadensersatz

seinem art. 663, dass als einzige Rechtsschutzmöglichkeit gegen die den Schaden verursachende Maßnahme eine Klage vor der Afdeling Bestuursrechtspraak van de Raad van State (ABRvS) zur Verfügung steht, während die Schadensmaßnahme in zwei Instanzen angreifbar ist. Eine nach art. 15.20 und 15.21 Umweltgesetz ergangene Schadensmaßnahme ist gem. art. 20.1 Umweltgesetz64 dagegen nur vor der ABRvS angreifbar.65

II. Schadensmaßnahmen auf Grund einer Verwaltungsvorschrift Bereits in den achtziger Jahren entschied die Rechtsprechung, dass allgemein bekannt gemachte Verwaltungsvorschriften als rechtliche Grundlage für einen Verwaltungsakt, der Schadensersatz zuerkennt, in Betracht kommen.66 Diese Tendenz setzte sich nach Einführung des Awb fort. Entscheidend ist, dass die Re­gelung zum Ausgleich des Nachteils veröffentlicht wurde. Schadensmaßnahmen aufgrund von Verwaltungsvorschriften regeln häufig den Ausgleich von Schäden, die durch tatsächliches Handeln verursacht werden. Davon sind in großem Umfang Schäden betroffen, die während des Ausbaus der Infrastruktur entstehen. Hier liefern Verwaltungsvorschriften wie die Regelung zum Nachteilsausgleich Verkehr und Wasserwirtschaft (Nadeelscompensatie Verkeer en Waterstaat 1999, Stcrt. 1999,172) die Rechtsgrundlage für einen Schadens­ ersatzanspruch.67 Der Rechtsweg umfasst beide Instanzen der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit.

63 Art. 6 Deltawet grote rivieren lautet: Tegen een besluit van Gedeputeerde Staten tot vaststelling van een plan kunnen belanghebbenden rechtstreeks beroep instellen bij de Afdeling Bestuursrechtspraak van de Raad van State (ABRvS). Er is, in afwijking van de Algemene wet bestuursrecht, geen mogelijkheid tot het indienen van een bezwaar. – Gegen eine Maßnahme zur Planfeststellung des Provinzialausschusses können Betroffene die Klage direkt bei der Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung beim Staatsrat einreichen. Abweichend vom Awb besteht keine Möglichkeit zur Durchführung des Vorverfahrens. 64 Art. 20.1 Umweltgesetz lautet: Tegen een besluit op grond van deze wet – met uitzondering van een besluit ten aanzien waarvan op grond van deze wet een andere beroepsgang is opengesteld – of een van de in het derde lid bedoelde wetten of wettelijke bepalingen kann een belanghebbende beroep instellen bij de Afdeling bestuursrechtspraak van de Raad van State. – Der von einer auf Grund dieses Gesetzes oder der in Absatz 3 bezeichneten Gesetze ergangenen Maßnahme Betroffene kann bei der Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung des Staatsrates Klage einreichen. 65 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 29. 66 ARRS 14.05.1986, AB 1986, 568. 67 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 30.

B. Der Schadensersatz durch die Verwaltung

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III. Selbständige Schadensmaßnahme Die selbständige Schadensmaßnahme (ziuver schadebesluit) wurde 1997 durch die Rechtsprechung entwickelt.68 Sie ist nicht gesetzlich geregelt, gleichwohl aber die geläufigste Form des Schadensersatzes durch die Verwaltung. 1. Begriffsbestimmung In der van Vlodrop Entscheidung definiert die ABRvS die selbständige Schadenmaßnahme als die schriftliche Entscheidung einer Behörde, die den Ersatz des Schadens regelt, den die Behörde aus Anlass der Erfüllung ihrer hoheitlichen Aufgaben verursacht hat und die sich weder auf ein Gesetz noch auf eine Verwaltungsvorschrift stützt.69 Entscheidend ist dabei die öffentlich-rechtliche Grundlage des den Schaden verursachenden Verhaltens. In den Niederlanden spricht man von materiel­ler Konnexität (materieele connexiteit).70 2. Anwendungsbereich Nach der Definition der ABRvS sind alle vor den Verwaltungsgerichten klag­ baren Maßnahmen, alle nicht klagbaren Maßnahmen, wie Rechtsverordnungen, Satzungen und Verwaltungsvorschriften sowie tatsächliche Handlungen der Verwaltung mit öffentlichrechtlichem Hintergrund der selbständigen Schadenmaßnahme zugänglich.71 Demgegenüber fordert der CRvB, dass der Schaden durch eine hoheitliche Maßnahme, gegen die vor dem Verwaltungsgericht Klage erhoben werden kann, hervorgerufen wurde.72 3. Verfahren Die selbständige Schadenmaßnahme ergeht auf Antrag. Dieser muss das Er­ suchen auf Schadensersatz zum Ausdruck bringen. Ist der Antrag nicht eindeutig formuliert, liegt es im Ermessen der angerufenen Behörde, ob sie ihn als Antrag auf Erlass einer Schadensmaßnahme ansieht. Dabei haben nach der Rechtsprechung für die Bewertung neben dem Wortlaut des Antrages auch dessen Kontext

68 van Vlodrop, ABRvS 06.05.1997, AB 1997, 229; CRvB 24.09.1997, AB 1997, 416; ­Michiels (red.), Staats- en bestuursrecht, Tekst en materiaal, 2004, S. 451. 69 van Vlodrop, ABRvS 06.05.1997, AB 1997, 229. 70 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 37. 71 Michiels (red.), Staats- en bestuursrecht, Tekst en materiaal, 2004, S. 452. 72 CRvB 24.09.1997, AB 1997, 416.

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5. Teil: Schadensersatz

und der Umstand, dass die Parteien zunächst miteinander über den Schadensersatz verhandelt haben, Bedeutung.73 Der Antrag ist an die den Schaden verursachende Behörde zu richten. Ausschließlich sie darf über ihn entscheiden.74 Wird die Schadensersatzmaßnahme durch eine andere Behörde derselben Körperschaft erlassen, ist sie rechtswidrig und hält einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand.75 Hinsichtlich des Er­lasses ergeben sich keine weiteren Besonderheiten. Es gelten die allgemeinen Regelungen. 4. Rechtsmittel Da es sich bei der selbständigen Schadensmaßnahme um eine Verwaltungs­ maßnahme i. S. d. art. 1:3 lid 1 Awb handelt, ist zunächst ein Vorverfahren durchzuführen. Im Anschluss daran steht der Verwaltungsrechtsweg über zwei Instanzen offen.76 Daneben kann das Zivilgericht angerufen werden. Der Hohe Rat lässt hier eine Ausnahme von der Regel, dass, wenn ein verwaltungsrechtlicher Rechtsbehelf zur Verfügung steht, dieser vorrangig zu ergreifen ist, zu. In der Entscheidung Groningen/Raatgever sprach er sich für eine Wahlfreiheit des Geschädigten aus. Er begründete dies damit, dass es dem Bürger auch überlassen bleibe, ob er einen Antrag nach art. 8:73 Awb stelle oder ein Zivilgericht bemühe. Deshalb sei es folgerichtig, im Falle der selbständigen Schadensmaßnahme auch ein Wahlrecht zu gewähren.77 Die Literatur kritisiert dieses Vorgehen mit der Begründung, es sei unsinnig, die selbständige Schadensmaßnahme einerseits als Maßnahme im Sinne des art. 1:3 Awb anzusehen, anderseits den Verwaltungsrechtsweg aber ohne triftigen Grund nicht zwingend vorzuschreiben.78 Das Wahlrecht besteht jedoch nur eingeschränkt. Nach der Rechtsprechung der ABRvS sind nicht alle selbständigen Schadensmaßnahmen der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte zugänglich. Ausschließlich Schadensmaßnahmen, die auf Schäden zurückgehen, die durch klagbare Maßnahmen verursacht wurden, können vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden. Alle übrigen Schadensmaßnahmen wie z. B. solche, die aufgrund eines durch eine Verwaltungs­ vorschrift verursachten Schadens erlassen wurden, müssen weiterhin vor den Zivilgerichten angegriffen werden.79 Die ABRvS schränkt ihre weite Auslegung der selbständigen Schadensmaßnahme damit für den Bereich des Rechtsschutzes

73

ABRvS 31.05.1999, AB 1999, 281; ABRvS 25.02.2000, AB 2000, 189. ABRvS 10.04.1998, Gst. 1999, 7101, 2; ABRvS 23.07.1999, AB 1999, 414. 75 ABRvS 23.07.1999, AB 1999, 414; ABRvS 12.08.1999, AB 1999, 327. 76 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 36. 77 Gronigen/Raatgerver, HR 17.12.1999, AB 2000, 89. 78 Stroink, Kern van de bestuursrechtspraak, 2004, S. 222. 79 van Vlodrop, ABRvS 06.05.1997, AB 1997, 229. 74

B. Der Schadensersatz durch die Verwaltung

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ein. Auf den vorgenannten Unterschied zwischen der Rechtsprechung der ABRvS und des CBvB hinsichtlich der Verwaltungsmaßnahmen, die einer selbständigen Schadensmaßnahme zugänglich sind, kommt es daher für den Rechtsschutz nicht an. Nach beiden Auffassungen ist der Verwaltungsrechtsweg nur für auf klagbare Maßnahmen zurückgehende Schadensmaßnahmen eröffnet. Die ABRvS spricht in diesem Zusammenhang von prozessualer Konnexität. Sie ist Ausfluss des in Kapitel 8 Awb niedergelegten Rechtsschutzsystems, wonach bestimmte Arten von Verwaltungsmaßnahmen bestimmten Verwaltungsgerichten zuordnet werden. Der Rechtsschutz gegen Schadensmaßnahmen folgt derselben Systematik. Die Zuständigkeit für die den Schaden verursachende Maßnahme erstreckt sich auf die Schadensmaßnahme.80 5. Bedeutung für den Rechtsschutz Die selbständige Schadensmaßnahme stößt vor allem in der Literatur auf heftige Kritik. Man wirft den Gerichten vor, sie hätten hier ein Kunstgebilde geschaffen, um dem Richter eine weitere Möglichkeit zur Überprüfung des Schadens­ ersatzes zu eröffnen. Das Verfahren gem. art. 8:73 Awb erfülle denselben Zweck, sei für den Bürger leichter zu handhaben und auf Grund der Zeitersparnis viel effek­tiver. Die Literatur plädiert deshalb für einen weiteren Ausbau des Verfahrens gem. art. 8:73 Awb.81 Die Literatur kritisiert weiterhin, dass der Ersatz des Schadens von einer konstitutiven Handlung desjenigen abhängt, der ihn verursacht hat. Es sei in keiner Weise gerechtfertigt, dass die Verwaltung durch den Erlass einer Maßnahme ihrer Pflicht zur Zahlung zuvorkommen oder ihre Schuld dadurch einschränken könne.82 Die oben dargestellte Kritik ist berechtigt. Die selbständige Schadensmaßnahme zieht das Verfahren auf Schadensersatz in die Länge. Da die Verwaltung selbst über den Ausgleich des von ihr verursachten Schadens entscheidet, wird der Umfang des Schadensersatzes häufig hinter den Erwartungen des Bürgers zurückbleiben, so dass dieser zur Wahrung seiner Rechte die Gerichte anrufen muss. Es handelt sich bei der selbständigen Schadensmaßnahme also um eine Form des Rechtsschutzes, die erhebliche Mängel aufweist. Deshalb dient sie ihm nur eingeschränkt.

80

Michiels (red.), Staats- en bestuursrecht, Tekst en materiaal, 2004, S. 453. Huisman, De bestuursrechterlijke schadeverzoekschriftprocedure, NTB 2006, S. 77. 82 Schueler, Schadevergoeding en de Awb, Aansprakelijkheid voor appellabele besluiten, 2005, S. 47. 81

350

5. Teil: Schadensersatz

IV. Unselbständige Schadensmaßnahme Die unselbständige Schadensmaßnahme (onzuiver oder onzelfstandig schadebesluit) ist eine schriftliche Verfügung einer Behörde, die den Ausgleich eines Schadens regelt, der durch eine fehlerhafte Abwägung der Belange im Zuge einer hoheitlichen Maßnahme entstanden ist. Diese Maßnahme bildet die Grundlage für die unselbständige Schadensmaßnahme. Der Schaden ist nicht nur Ausfluss der rechtswidrigen Maßnahme, sondern liegt als Teil des fehlerhaften Entscheidungsvorgangs in deren Vorfeld. Die Besonderheit ist, dass die Entstehung des Schadens hier bereits zu einem frühen Zeitpunkt genau lokalisiert werden kann.83 Da die den Schaden verursachende Maßnahme und die unselbständige Schadensmaßnahme untrennbar miteinander verbunden sind, ist der Verwaltungsrechtsweg vorgegeben. Beide Maßnahmen können nur gemeinsam angegriffen werden.84 Eine Schadensersatzklage vor den Zivilgerichten ist nicht möglich.85

C. Der Schadensersatz durch die Zivilgerichte Auch vor den Zivilgerichten kann der Bürger Schadensersatzansprüche aus rechtswidrigem hoheitlichen Verhalten geltend machen. Lange Zeit war dies die einzige Möglichkeit, die Verwaltung für rechtswidriges Handeln zur Verantwortung zu ziehen.86 Bei bestimmten hoheitlichen Akten, wie z. B. dem Erlass von untergesetzlichen Regelungen, ist das heute noch der Fall.87 Anspruchsgrundlage für den Schadensersatz sind die art. 6:126 ff. des Zivilgesetzbuchs der Niederlande (Burgerlijk Wetboek, BW), die den §§ 823 ff. des deutschen BGB entsprechen. Wie die §§ 823 ff. BGB begründen sie ein gesetzliches Schuldverhältnis. Nach der niederländischen Verfassung entscheiden die Zivilgerichte über derartige Ansprüche.

I. Die Zuständigkeit der Zivilgerichte Die verfassungsrechtliche Regelung zur Zuständigkeit der Zivilgerichte ist weit gefasst, sodass sie zur Anwendung auf Handlungen der öffentlichen Gewalt geeignet ist. Dabei ist jedoch zu beachten, dass deren Status von dem einer betroffenen natürlichen oder juristischen Person (des Zivilrechts) abweicht.

83 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 39. 84 ABRvS 28.12.1995, AB 1996, 206. 85 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 39 f. 86 Hartkamp, Verbintenissenrecht, 1998, S. 267. 87 Hartkamp, Verbintenissenrecht, 1998, S. 251.

C. Der Schadensersatz durch die Zivilgerichte

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1. Die Grundregel Art. 112 der niederländischen Verfassung88 weist den ordentlichen Gerichten bestimmte Aufgaben zu. Darunter fällt auch das Aburteilen zivilrechtlicher Streitigkeiten. Das bedeutet, dass Ansprüche aus vertraglichen und gesetzlichen Schuldverhältnissen, sofern sie zivilrechtlicher Natur sind, vor den Zivilgerichten verhandelt werden.89 Die Frage, wann eine Streitigkeit zivilrechtlicher Natur ist, war lange umstritten. Als Abgrenzungskriterien schlug die niederländische Rechtsliteratur90 das fundamentum petendi und das objectum litis vor. Fundamentum petendi bedeutet, dass die Rechtsgrundlage über die gerichtliche Zuständigkeit entscheidet. Beim objectum litis richtet sich diese nach dem Streitgegenstand.91 Im Jahr 1915 entschied der Hoge Raad im Fall Guldemond/Noordwijkerhout92, der Zivilrichter sei immer dann zuständig, wenn der Bürger die Verletzung einer zivilrechtlichen Rechtsposition geltend mache. Das umfasse alle Rechtspositionen, die typischerweise dem Zivilrecht zuzurechnen seien, wie z. B. Eigentum und daraus abgeleitete Rechte.93 Hintergrund der Entscheidung war, dass es zu dieser Zeit in den Niederlanden noch keine Verwaltungsgerichte gab,94 man aber einen umfassenden Rechtsschutz sicherstellen wollte.95 Durch das objectum litis war es möglich, diesen Anspruch zu erfüllen. Daraus leitete man die Grundregel „Der Zivilrichter ist grundsätzlich zuständig“ ab.96 2. Ausnahmen von der Grundregel Art. 112 lid 2 der niederländischen Verfassung97 ermöglicht Ausnahmen von der grundsätzlichen Zuständigkeit des Zivilrichters. Danach darf die Aburteilung von Streitigkeiten, die nicht auf zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen basieren, Ge 88 Art. 112 lid 1 der niederländischen Verfassung lautet: Aan de rechterlijke macht is opgedragen de berechting van geschillen over burgerlijke rechten en over schuldvorderingen. – Der richterlichen Gewalt obliegt die Rechtsprechung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und in bezug auf Schuldforderunge. (Übersetzung: Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 2000.) 89 van Angeren, De gewone rechter en de administratieve rechtsgangen, 1968, S. 20 f. 90 Dazu Koekkoek, de Grondwet, 2000, S. 522 m. w. N. 91 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 281. 92 HR 31.12.1915, NJ 1916, 407. 93 Stroink, Kern van de bestuursrechtspraak, 2004, S. 216. 94 Siehe dazu 1. Teil, B. 95 Stroink, Kern van de bestuursrechtspraak, 2004, S. 216. 96 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 7. 97 Art. 112 lid 2 der niederländischen Verfassung lautet: De wet kann de berechting van geschillen die niet uit burgerlijke rechtsbetrekkingen zijn ontstaan, opdragen hetzij aan de rechterlijke macht, hetzij aan gerechten die niet tot de rechterlijke macht behoren. De wet regelt de wijze van behandeling en de gevolgen van de beslissingen. – Das Gesetz kann die Entschei-

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5. Teil: Schadensersatz

richten übertragen werden, die nicht der ordentlichen Gerichtsbarkeit angehören. Im Fall der besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit wurde von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Im Jahr 1942 entschied der Hoge Raad gegen eine Zuständigkeit des Zivilgerichts für Schadensersatzansprüche in Beamtenangelegenheiten, die das Dienstverhältnis des Beamten betreffen. Hier sei der durch den Beamtenrichter gewährte Rechtsschutz ausreichend. Das gelte auch dann, wenn der zuständige Verwaltungsrichter die Schadensersatzansprüche des Klägers zurückhaltender prüfe als der Zivilrichter.98 Im Fall Changoe99 wandte sich der Hoge Raad von dieser Rechtsprechung ab und führte aus, der Rechtsschutz des Bürgers müsse in einem Rechtsstaat so umfassend wie möglich gestaltet werden. Deshalb sei der Zivilrichter grundsätzlich immer zuständig, sofern der Bürger eine Verletzung ziviler Rechte rüge. Seitdem lassen die obersten Gerichte der Niederlande keine Ausnahmen von der Grundregel mehr zu.100 Davon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen das Verwaltungsgericht das Schadensersatzbegehren bereits als unbegründet zurückgewiesen hat. Mit dieser Entscheidung ist der Zugang zu den Zivilgerichten gesperrt, weil bereits inhaltlich über die Klage entschieden wurde.101 Es handelt sich damit nicht um eine Ausnahme von der Grundregel. 3. Anwendbarkeit der Grundregel auf Handlungen der öffentlichen Gewalt Da die Grundregel alle Ansprüche erfasst, die die Verletzung einer zivilrechtlichen Rechtsposition geltend machen, ist sie grundsätzlich auch auf Handlungen der öffentlichen Gewalt anwendbar.102 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Verwaltung auf Grund der ihr zugewiesenen Aufgaben eine andere Stellung einnimmt als der Bürger. Das führt teilweise dazu, dass die Zuständigkeit der Zivilgerichte in den Hintergrund tritt, soweit ein verwaltungsgerichtlicher Rechtsgang eröffnet ist.103

dung in Streitigkeiten, die nicht aufgrund bürgerlicher Rechtsverhältnisse entstanden sind, entweder der richterlichen Gewalt oder Gerichten überlassen, die nicht der richterlichen Gewalt an­gehören. Das Verfahren und die Folgen der Entscheidungen regelt das Gesetz. 98 HR 13.11.1941, NJ 1942, 172. 99 Changoe, HR 26.02.1992, AB 1992, 301. 100 HR 15.11.2002, Verkeersrecht 2002, 394. 101 Staat/Zevenbergen, HR 15.11.2002, AB 2003, 95. 102 Siehe Grundaussage des Falls Changoe. 103 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 35.

C. Der Schadensersatz durch die Zivilgerichte

353

a) Die besondere Stellung der öffentlichen Gewalt und die Zuständigkeit des Zivilgerichts Die öffentliche Gewalt vertritt die öffentlichen Interessen. Sie hat bei ihren Entscheidungen deshalb die betroffenen Belange gegeneinander abzuwägen, zu gewichten und dem entsprechend zu berücksichtigen. Der Erlass einer hoheitlichen Maßnahme unterliegt öffentliche-rechtlichen Regeln und verlangt deshalb eine Überprüfung durch den Verwaltungsrichter. Nur er kann adäquaten Rechtsschutz gewährleisten. Deshalb sind, sofern der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist, zunächst öffentlich-rechtliche Rechtsbehelfe zu ergreifen.104 Das bedeutet, dass die Zuständigkeit des Zivilrichters zwar grundsätzlich gegeben ist, gegenüber den öffentlich-rechtlichen Rechtsbehelfen aber zurücktritt. Daher übt der Zivilrichter bei Schäden, die durch hoheitliche Maßnahmen verursacht wurden, nur eine ergänzende Funktion aus. Grenze der ergänzenden Funktion ist der Begriff „Verwaltungsmaßnahme“ (besluit).105 Soweit es um klagbare Maßnahmen geht, hat der Verwaltungsrichter zunächst deren Rechtswidrigkeit festzustellen. b) Die Bedeutung der Bestandskraft einer Maßnahme für die Zuständigkeit des Zivilgerichts Die formelle Bestandskraft (formele rechtskracht)106 einer ­Verwaltungsmaßnahme hat deren Unanfechtbarkeit zur Folge. Bestandskraft tritt ein, wenn die zur Verfügung stehenden verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfe entweder nicht ergriffen oder ohne Erfolg voll ausgeschöpft wurden.107 Hat der Betroffene versäumt, von den ihm zur Verfügung stehenden verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfen Gebrauch zu machen, muss der Zivilrichter unterstellen, dass die Maßnahme sowohl formell als auch materiell ordnungsgemäß erlassen wurde.108 Einzige Ausnahme sind untergesetzliche Regelungen. Hier steht die formelle Rechtskraft einer Überprüfung ihrer Anwendbarkeit durch den Zivilrichter nicht entgegen.109 Hat der Betroffene einen verwaltungsrechtlichen Rechtsweg ohne Erfolg ausgeschöpft, ist ebenfalls von der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme auszugehen. Für einen Schadensersatzanspruch bleibt kein Raum.110 104 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 4; Spier, Onrechtmatige overheidsdaad, 1987, S. 33 f. 105 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 35; siehe Ausführungen zum Begriff Verwaltungsmaßnahme im 2.Teil, C. I. 106 Die niederländische Rechtsordnung unterscheidet nicht zwischen Rechts- und Bestandskraft; auch Verwaltungsmaßnahmen erlangen in den Niederlanden Rechtskraft. 107 Hartkamp, Verbintenissenrecht, 1998, S. 260. 108 Hartkamp, Verbintenissenrecht, 1998, S. 260. 109 HR 11.10.1996, NJ 1997, 165. 110 Hartkamp, Verbintenissenrecht, 1998, S. 262.

354

5. Teil: Schadensersatz

Hebt der Verwaltungsrichter die Maßnahme dagegen auf, weil er sie für rechtswidrig erachtet, hat eine Schadensersatzklage vor dem Zivilgericht Erfolg, wenn die weiteren Voraussetzungen des art. 6:162 Zivilgesetzbuch der Niederlande (Burgerlijk Wetboek, BW) vorliegen. In diesem Fall bezieht sich die formelle Rechtskraft nur auf die Rechtswidrigkeit der aufgehobenen Maßnahme.111 c) Alleinige Zuständigkeit des Zivilrichters Den Umfang der zivilgerichtlichen Zuständigkeit bestimmt der Gesetzgeber. Versagt er dem Verwaltungsrichter prozessuale Möglichkeiten, die dem Zivilrichter offen stehen, bedeutete das, dass dem Geschädigten in diesem Bereich der Zugang zu den Zivilgerichten eröffnet werden muss.112 Viele Jahrzehnte konnte nur der Zivilrichter Schadensersatz aufgrund rechtswidriger Handlungen der Verwaltung zusprechen.113 Mit der Einführung des Awb hat sich die Bedeutung des Zivilrichters verringert. Dennoch sind nach wie vor nicht alle Handlungen der Verwaltung dem verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz zugänglich.114 Das Awb nimmt die in den art. 8:2, 8:4 und 8:5 normierten hoheitlichen Maßnahmen vom Zugang zu den Verwaltungsgerichten115 aus.116 Hier kann der Benachteiligte, ohne zuvor den Verwaltungsrechtsweg auszuschöpfen, die Verletzung einer zivilrechtlichen Rechtsposition durch diese hoheitlichen Maßnahmen, im Rahmen einer Schadensersatzklage, vor dem Zivilgericht geltend machen. Auch tatsächliche Handlungen der Verwaltung können nicht vor den Verwaltungsgerichten angegriffen werden und fallen dem zur Folge ausschließlich in die Zuständigkeit der Zivilgerichte. Das Gleiche gilt für zivilrechtliche Handlungen der Verwaltung. Nach niederlän­discher Rechtsauffassung sind z. B. Verträge jeglicher Art zivilrechtlicher Natur. Das gilt auch für die Verträge, die man nach deutschem Recht als öffentlich-rechtliche Verträge einordnen würde.117

111

Hartkamp, Verbintenissenrecht, 1998, S. 262; HR 31.05.1991, NJ 1993, 112. ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 279; Spier, Onrechtmatige overheidsdaad, 1987, S. 25. 113 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S.15 ff. 114 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 304. 115 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 4. 116 Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 305. 117 Stroink, Kern van de bestuursrechtspraak, 2004, S. 212. 112

C. Der Schadensersatz durch die Zivilgerichte

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d) Die Entscheidung über die Zuständigkeit Die Entscheidung über seine Zuständigkeit trifft der Zivilrichter selbst im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung. Nach Eingang einer Klage mit hoheitlicher Beteiligung prüft er zunächst, ob der Verwaltungsrechtsweg eröffnet war und alle öffentlich-rechtlichen Rechtsbehelfe ausgeschöpft wurden. Ist das nicht der Fall, erklärt er sich für nicht zuständig und weist die Klage ab. Bejaht er seine Zuständigkeit, kontrolliert er im 2. Schritt anhand des bürgerlichen Gesetzbuches die Möglichkeit der Verletzung einer zivilrechtlichen Rechtsposition.118 4. Die zivilgerichtliche Zuständigkeit für Schadensersatzansprüche aus rechtswidrigem Verhalten der öffentlichen Gewalt Demnach besteht eine grundsätzliche Zuständigkeit des Zivilrichters für Schadensersatzansprüche auf Grund eines Fehlverhaltens der öffentlichen Gewalt. Wurde der Schaden allerdings durch eine klagbare Verwaltungsmaßnahme verursacht, sind zuerst die Verwaltungsgerichte anzurufen. Stellt der Verwaltungsrichter die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Maßnahme fest, spricht aber keinen Schadensersatz zu, darf der Zivilrichter anschließend darüber entscheiden.

II. Die rechtswidrige Tat Wie das deutsche BGB enthält das Zivilgesetzbuch der Niederlande (Burgerlijk Wetboek, BW) ein Kapitel zur unerlaubten Handlung (onrechmatige daad). Mit art. 6:162 BW gibt es nur eine Anspruchsgrundlage, die auf alle Arten von unerlaubten Handlungen angewendet wird.119 Eine besondere Norm für Handlungen der Verwaltung wie § 839 BGB enthält das BW der Niederlande nicht. Die rechtswidrigen Handlungen der Verwaltung werden anhand der oben genannten Vorschrift als rechtswidrige Handlungen der Obrigkeit (onrechmatige overheidsdaad) abgeurteilt,120 wobei die Besonderheiten, die sich aus ihrer Stellung als Exekutive ergeben, berücksichtigt werden. Es ist z. B. anerkannt, dass ein Hoheitsträger, der in Ausübung seiner öffentlichen Aufgaben rechtswidrig handelt, anders haftet als ein Bürger. Bei der Haftung des Hoheitsträgers ist zu beachten, dass er das öffentliche Interesse vertritt, während der Bürger nur seine eigenen Interessen im Auge hat.121

118

Damen, Bestuursrecht, Deel 2, 2006, S. 311. Nieuwenhuis/Stolker/Valk, Nieuw Burgerlijk Wetboek, 2007, Algemeine opmerkingen – onrechtmatige daad. 120 Knabbel en Babbel, HR, NJ 1980, 34. 121 Hartkamp, Verbintenissenrecht, 1998, S. 267. 119

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5. Teil: Schadensersatz

1. Der Anspruchsteller Als Anspruchsteller kommen betroffene natürliche und juristische Personen in Betracht. Ob auch Verbände als Anspruchsteller für ihre betroffenen Mitglieder auftreten dürfen, ist umstritten. Der Hohe Rat verneint dies. Nach seiner Auffassung kommt lediglich eine Sammelklage in Betracht.122 Die Literatur ist dagegen der Meinung, dass im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes den Verbänden die Möglichkeit einer Prozessstandschaft eingeräumt werden müsse. Derzeit wird nur die von der Rechtsprechung vorgeschlagene Lösung praktiziert.123 2. Der Anspruchsgegner Partei in einem Zivilprozess kann nur sein, wer Rechtspersönlichkeit besitzt. Juristischen Personen wird die Rechtspersönlichkeit durch das jeweils einschlägige Spezialgesetz verliehen. Im Falle von Polizeidirektionen ist z. B. art. 21 des Polizeigesetzes von 1993124 einschlägig.125 Gemeinden, Provinzen und andere Körperschaften des öffentlichen Rechts, denen die niederländische Verfassung in den Artikeln 123 bis 136 Aufgaben zuweist, erhalten Rechtspersönlichkeit durch art. 2:1 BW126. Demzufolge ist eine Klage nicht gegen das erlassende Verwaltungsorgan, sondern gegen die Körperschaft, der es angehört zu richten. In besonderen Fällen kann aber der ausführende Beamte verklagt werden. Er haftet wie ein Arbeitnehmer gem. art. 6:170 lid 3 BW127, wenn er den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat.128 Nach Auffassung des Gesetzgebers besteht in diesem Fall

122

HR 01.07.1983, NJ 1984, 360. van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 58. 124 Art. 21 lid 4 Politiewet 1993 lautet: De regio is rechtspersoon. – Die Polizeidirektion ist Rechtsperson. 125 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 55. 126 Art. 2:1 BW lautet: De Staat, de provincies, de gemeenten, de waterschappen, alsmede alle lichamen waaraan krachtens de Grondwet verordenende bevoegdheid is verleend, bezitten rechtspersoonlijkheid. – Der Staat, die Provinzen, die Gemeinden, die Wasserverbände/Deichgemeinschaften, sowie alle Körperschaften denen das Grundgesetz Aufgaben überträgt, besitzen Rechtspersönlichkeit. 127 Art. 6:170 lid 3 BW lautet: Zijn de ondergeschikte en degene in wiens dienst hij stond, beiden voor de schade aansprakelijk, dan behoeft de ondergeschikte in hun onderlinge verhouding niet in de schadevergoeding bij te dragen, tenzij de schade een gevolg is van zijn opzet of bewuste roekeloosheid. Uit de omstandigheden van het geval, mede gelet op de aard van hun verhouding, kan anders voortvloeien dan in de vorige zin is bepaald. – Sind der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber, beide für den Schaden verantwortlich, dann muss der Arbeinehmer im wechselseitigen Verhälnis nicht zum Schadensersatz beitragen, es sei denn der Schaden ist eine Folge seines Vorsatzes oder grober Fahrlässigkeit. Aus den Umständen des Falles sowie der Art seines Verhaltens kann sich etwas anderes als das Vorbestimmte ergeben. 128 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 57. 123

C. Der Schadensersatz durch die Zivilgerichte

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kein Unterschied zwischen dem Handeln eines Beamten und dem Handeln eines Arbeitnehmers.129 3. Die gesetzlichen Grundlagen des Anspruchs Art. 6:162 lid 1 BW130 ist die Anspruchsgrundlage für Schadensersatz aus unerlaubter Handlung. Danach hat derjenige, der gegen einen anderen eine ihm zu­rechenbare rechtswidrige Tat verübt, den dem anderen daraus entstandenen Schaden zu erstatten. Die Absätze 2 und 3 des art. 6:162 BW nennen die Anspruchsvoraussetzungen. Gem. art. 6:162 lid 2 BW131 gilt als rechtswidrige Tat die Verletzung eines Rechts sowie ein Tun oder Unterlassen, das gegen eine gesetz­ liche Pflicht oder die ungeschriebenen Grundsätze des gesellschaftlichen Verkehrs verstößt, sofern keine Rechtfertigungsgründe eingreifen. Gem. art. 6:162 lid 3 BW132 kann eine rechtswidrige Handlung dem Täter zugerechnet werden, wenn ihm die Schuld oder die Ursache kraft Gesetzes oder nach der im Verkehr geltenden Auffassung anzulasten sind. Der Tatbestand der unerlaubten Handlung nennt also die rechtswidrige Tat, deren Zurechenbarkeit, einen Schaden und die Kausa­ lität zwischen Tat und Schaden als Tatbestandsmerkmale. Art. 6:163 BW133 normiert als weitere Voraussetzung die Relativität.

129 van Zeben/Du Pon, Parlamentaire geschiedenis van het nieuwe Burgerlijke Wetboek, Boek 6: Vermogensrecht in het algemeen, 1981, S. 170. 130 Art. 6:162 lid 1 BW lautet: Hij die jegens een ander een onrechtmatige daad pleegt, welke hem kan worden toegerekend, is verplicht de schade die de ander dientengevolge lijdt, te vergoeden. – Derjenige, der gegen einen anderen eine rechtwidrige Tat verübt, die ihm zugerechnet werden kann, ist verpflichtet den dem anderen daraus entstandenen Schaden zu erstatten. 131 Art. 6:162 lid 2 BW lautet: Als onrechtmatige daad worden aangemerkt een inbreuk op een recht en een doen of nalaten in strijd met een wettelijke plicht of met hetgeen volgens ongeschreven recht in het maatschappelijk verkeer betaamt, een en ander behoudens de aanwezigheid van een rechtvaardigingsgrond. – Als rechtswidrige Tat bezeichnet man die Verletzung eines Rechts und ein Tun oder Unterlassen, das gegen eine gesetzliche Pflicht oder gegen ungeschriebene Grundsätze des gesellschaftlichen Verkehrs verstößt, sofern keine Rechtfertigungsgründe eingreifen. 132 Art. 6:162 lid 3 BW lautet: Een onrechtmatige daad kan aan de dader worden toegerekend, indien zij te wijten is aan zijn schuld of aan een oorzaak welke krachtens de wet of de in het verkeer geldende opvattingen voor zijn rekening komt. – Eine rechtswidrige Tat kann dem Täter zugerechnet werden, wenn ihm die Schuld oder die Ursache kraft Gesetzes oder nach der im Verkehr geltenden Auffassung angelastet werden können. 133 Art. 6:163 BW lautet: Geen verplichting tot schadevergoeding bestaat, wanneer de geschonden norm niet strekt tot bescherming tegen de schade zoals de benadeelde die heeft geleden. – Dient die verletzte Norm nicht dem Schutz des Benachteiligten vor dem erlittenen Schaden, so besteht keine Verpflichtung zum Schadensersatz.

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5. Teil: Schadensersatz

a) Rechtswidrigkeit Art. 6:162 lid 2 BW bezeichnet drei Möglichkeiten, die zur Rechtswidrigkeit führen können: –– ein Tun oder Unterlassen, das gegen eine gesetzlich normierte Pflicht verstößt, –– den Eingriff in ein persönliches Recht, –– die ungeschriebenen Grundsätze des gesellschaftlichen Verkehrs.134 Dabei lässt das Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes die Rechtswidrigkeit entfallen. aa) Verletzung einer gesetzlich normierten Pflicht Nach der Rechtsprechung des Hohen Rates führt die Missachtung einer gesetzlichen Vorschrift grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit.135 Gesetzliche Vorschriften in diesem Sinne sind sowohl formelle als auch materielle Gesetze mit drittschützendem Charakter. Diese Variante des rechtswidrigen hoheitlichen Handelns tritt deshalb häufig bei der Erteilung von Genehmigungen auf. Gerade sie erfordern die Berücksichtigung von Schutznormen zugunsten der unmittelbar Betroffenen.136 Eine Missachtung dieser Vorschriften hat die Rechtswidrigkeit gegenüber demjenigen, dessen Schutz die Norm bezweckt, zur Folge. Der Hohe Rat führt dazu aus, drittschützende Normen seien zwingend zu beachten. Der Gesetzgeber habe vor ihrem Erlass eine Abwägung vorgenommen, die zugunsten des Schutzes des Geschädigten ausgefallen sei.137 In einer neueren Entscheidung konkretisiert er seine frühere Rechtsprechung dahingehend, dass es der Charakter geschriebener Rechtsregeln sei, dass ihre Übertretung zu Lasten desjenigen, dessen Schutz sie dienen sollten, zur Rechtswidrigkeit führe.138 Diese Judikatur bezieht sich vor allem auf die Nichtbeachtung drittschützender Normen im Bau-139 und Naturschutzrecht140. Wird die Verletzung einer drittschützenden Norm festgestellt, geht man von der Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Beklagten aus. Das hat Auswirkungen auf die Beweislast. Der Beklagte muss beweisen, dass er rechtmäßig gehandelt hat. D. h. er kann sich entweder auf das Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes berufen 134 Nieuwenhuis/Stolker/Valk, Nieuw Burgerlijk Wetboek, Tekst & Commentaar, 1990, art. 6:162 Nr. 2. 135 van Dam/Beukeboom, HR 09.03.1981, NJ 1981, 227. 136 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 61. 137 van Dam/Beukeboom, HR 09.03.1981, NJ 1981, 227. 138 HR 30.09.1994, NJ 1996, 199. 139 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 61. 140 Kuunders, HR 18.12.1992, NJ 1994, 139.

C. Der Schadensersatz durch die Zivilgerichte

359

oder nachweisen, dass die nicht beachtete Norm hier nicht zum Schutz des Geschädigten eingreift.141 bb) Eingriff in ein persönliches Recht Persönliche Rechte i. S. des art. 6: 162 BW sind das Eigentumsrecht und ihm gleichgestellte sonstige Rechte, höchstpersönliche Rechtsgüter wie das Recht auf Unversehrtheit von Leib und Leben, allgemeine Persönlichkeitsrechte, wie das Recht auf einen guten Namen, sowie sogenannte besondere Rechte wie z. B. das Pachtrecht (Huurrecht).142 Im Gegensatz zur Übertretung einer gesetzlichen Vorschrift führt der Eingriff in ein persönliches Recht nicht automatisch zur Rechtswidrigkeit der Handlung. Es fehlt daran, wenn ein Rechtfertigungsgrund eingreift, der Verursacher nicht zurechenbar schuldhaft gehandelt hat oder der Eingriff angesichts der Umstände nicht ungebührlich war, die Umstände ihn also rechtfertigten. Die Tatsache, dass es sich um einen Eingriff in ein persönliches Recht des Benachteiligten handelt, liefert daher noch nicht den Beweis der Rechtswidrigkeit. Der Hohe Rat hat in seiner Rechtsprechung mehrmals daraufhingewiesen, dass dies von der Tragweite und den Umständen des Eingriffs abhänge.143 Deshalb muss derjenige, dessen Recht verletzt wurde, den Eingriff nachweisen. Die Rechtswidrigkeit wird zwar vermutet, liegt aber nicht zwangsläufig vor. Sie ist nur bei einem Verstoß gegen geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnormen und dem gleichzeitigem Fehlen eines Rechtfertigungsgrundes gegeben. Rechtswidrigkeit ist hier also ein relativer Begriff.144 Das wirkt sich auf das Eingriffskriterium aus, mit dem die Rechtswidrigkeit in engem Zusammenhang steht. Der Hohe Rat löst dieses Problem auf zwei unterschiedliche Arten. Teilweise bejaht er einen Eingriff bei unachtsamem Verhalten und sieht die Rechtswidrigkeit gleichzeitig als gegeben an.145 Teilweise stellt er zunächst fest, ob ein bestimmtes Verhalten Eingriffsqualität hat, und prüft anschließend das Vorliegen eines sorgfaltswidrigen Handelns. Die Eingriffsqualität des Verhaltens alleine begründet noch nicht die Rechtswidrigkeit. Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit müssen hinzukommen.146

141

van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 62. Nieuwenhuis/Stolker/Valk, Nieuw Burgerlijk Wetboek, Tekst & Commentaar, 1990, art. 6:162 Nr. 2. 143 Vermeulen/Lekkerkerker, HR 10.03.1972, NJ 1972,278; Breda/Nijs, HR 25.09.1981, NJ 1982 315. 144 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 65 f. 145 Breda/Nijs, HR 25.09.1981, NJ 1982 315. 146 Vermeulen/Lekkerkerker, HR 10.03.1972, NJ 1972,278. 142

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5. Teil: Schadensersatz

cc) Verstoß gegen ungeschriebene Grundsätze des gesellschaftlichen Verkehrs Ein Verstoß gegen ungeschriebene Grundsätze des gesellschaftlichen Verkehrs liegt vor, wenn gegen diejenige Sorgfalt verstoßen wurde, die im gesellschaft­ lichen Verkehr hinsichtlich der Person oder Güter anderer geboten ist. Der Begriff lässt Raum für unterschiedliche Fälle und Wertungen. Erfasst werden unter anderem sittenwidrige Handlungen, aber auch Verstöße gegen die Verkehrssicherungspflicht. Prüfungsmaßstab sind ungeschriebene Rechtsregeln. Die Rechtswidrigkeit des beanstandeten Verhaltens muss festgestellt werden.147 Stimmen in der Literatur bezweifeln, dass dieser Rechtswidrigkeitsgrund auf Handlungen der Verwaltung anwendbar ist. Sie tragen vor, die Verwaltung nehme nicht am gesellschaftlichen Verkehr teil. Die Regelung beziehe sich auf zwischenmenschliches Verhalten, nicht auf behördliches.148 Die Rechtsprechung sieht dagegen in der Anwendung der 3. Variante des art. 6: 162 lid 2 BW auf hoheitliches Verhalten keine Probleme. Das belegt eine Fülle von Entscheidungen zur Verkehrssicherungspflicht der Verwaltung. Im Fall Daalder149 sah der Hohe Rat z. B. einen Verstoß gegen die im gesellschaftlichen Verkehr gebotene Sorgfalt, weil die Behörden die Öffentlichkeit nicht auf Gefahren beim Betreten des Außendeichgebietes hingewiesen hatten. Ähnlich urteilte der Hohe Rat in mehreren Entscheidungen zur Verantwortlichkeit der Verwaltung für die Sicherheit öffentlicher Straßen und Wege150 und der Unterhaltung von Wasserwegen151. dd) Rechtfertigungsgründe Nicht jedes Verhalten, das ein Rechtswidrigkeitskriterium erfüllt, verpflichtet die Verwaltung zum Schadensersatz. Sofern sie sich auf einen Rechtfertigungsgrund berufen kann, entfällt die Rechtswidrigkeit und sie haftet nicht. Die Rechtfertigungsgründe sind dem Gesetz zu entnehmen. Es handelt sich um amtliche Befehle, Handeln auf Grund gesetzlicher Befugnisse oder nach gesetzlichen Vorschriften,152 z. B. bei der Vergabe von Genehmigungen, die entsprechend dem Gesetz zu erfolgen hat.153 Außerdem verfügt die Verwaltung zum Schutz besonderer öffentlicher Belange über eine Art Notwehrrecht bzw. kann sich auf höhere Gewalt berufen.154 147

van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S.66. Tak, Het Nederlands Bestuursprocesrecht in Theorie en Praktijk, deel II, 2002, S. 437. 149 Staat/Daalder, HR 27.05.1988, NJ 1989, 29. 150 Sicherheit öffentlicher Wege und Straßen: HR 20.03.1992, NJ 1993, 547; HR 06.09.1996, NJ 1998, 415;HR 26.09.2003, NJ 2003, 660. 151 Unterhaltung von Wasserwegen: HR 07.01.1955, NJ 1955, 92; HR 08.01.1999, NJ 1999, 319. 152 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 74. 153 HR 17.01.1997, NJ 1998,656. 154 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 75. 148

C. Der Schadensersatz durch die Zivilgerichte

361

Eine Mindermeinung in der Literatur diskutiert, ob die von der Exekutive zu berücksichtigenden öffentlichen Belange zur Rechtfertigung einer rechtswidrigen Maßnahme führen können.155 Der Hohe Rat verneinte diese Möglichkeit. Er entschied, dass, obwohl eine Gemeinde gemeindliche Belange beim Erlass einer Maßnahme zu berücksichtigen habe, eine ordnungsgemäße Abwägung aller Belange durchgeführt werden müsse. Die Berücksichtigung der öffentlichen Belange schließe ein rechtswidriges Verhalten der Gemeinde nicht aus.156 Auch eine Kosten­ ersparnis wird nicht als Rechtfertigungsgrund anerkannt.157 b) Zurechnung (des rechtswidrigen hoheitlichen Handelns) Art. 6:162 lid 3 BW nennt drei Gründe, anhand derer die Zurechnung erfolgen kann, Verschulden, Gesetz und die im Verkehr geltende Auffassung. Die ersten beiden Möglichkeiten, Verschulden und Gesetz, scheiden bei hoheitlichem Handeln aus. Verschulden setzt die Existenz von Psyche voraus, die bei juristischen Personen naturgemäß nicht vorhanden ist. Auch die Zurechnung durch Gesetz kommt bei hoheitlichem Handeln nicht in Betracht. Denn die Zurechnungsnorm art. 6:165 BW158 gilt nur für natürliche Personen.159 Auf rechtswidriges hoheitliches Handeln sind daher nur die 3. Variante des art. 6:162 lid 3 BW und das von der Rechtsprechung entwickelte Prinzip der „im Grundsatz gegebenen Schuld“ anwendbar.160 aa) Zurechnung auf Grund der im Verkehr geltenden Auffassung Die Zurechnung auf Grund der im Verkehr geltenden Auffassung wird angewendet, wenn eine eigentliche Verantwortlichkeit fehlt, eine Haftung aber erwünscht 155

van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 75. Jochems/Den Haag, HR 18.02.1944, NJ 1944, 226; HR 19.12.1952, NJ 1953, 642. 157 Rb. Groningen 10.10.1978, NJ 1979, 35. 158 Art. 6:165 lid 1 BW lautet: De omstandigheid dat een als een doen te beschouwen gedraging van een persoon van veertien jaren of ouder verricht is onder invloed van een geestelijke of lichamelijke tekortkoming, is geen beletsel haar als een onrechtmatige daad aan de dader toe te rekenen. – Der Umstand, dass ein als Tun zu wertendes Verhalten einer Person, die älter als 14 Jahre ist, unter dem Einfluss einer geistigen oder körperlichen Schwäche erfolgte, schließt nicht aus, dass dieses Verhalten dem Täter als unerlaubte Handlung zugerechnet wird. Is jegens de benadeelde tevens een derde wegens onvoldoende toezicht aansprakelijk, dan is deze derde jegens de dader verplicht tot bijdragen in de schadevergoeding voor het gehele bedrag van zijn aansprakelijkheid jegens de benadeelde. – Ist gleichzeitig ein Dritter wegen Verletzung der Aufsicht verantwortlich, so hat dieser gegenüber dem Täter die Pflicht sich in dem Maße, in dem er gegenüber dem Benachteiligten verantwortlich ist, am Ersatz des Schadens zu beteiligen. 159 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 76. 160 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 76. 156

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5. Teil: Schadensersatz

ist.161 Nach dieser Variante haften Körperschaften des öffentlichen Rechts für fehlerhaftes Verhalten ihrer Beamten, durch das einem Bürger ein Schaden entstanden ist. Der Hohe Rat rechnete z. B. in der Entscheidung Staat/van Hilten162 die Unsicherheit eines Beamten in der Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift dem Dienstherrn zu. bb) Im Grundsatz gegebene Schuld In einer Vielzahl seiner Entscheidungen geht der Hohe Rat davon aus, dass wenn eine Maßnahme wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben wird, die Schuld der Verwaltung gegeben ist. So entschied er im Fall Hoffmann-La Roche163, dass die Schuld bei der Körperschaft des öffentlichen Rechts liege, wenn durch einen Verwaltungsakt, den ein Gericht später wegen Verstoßes gegen ein Gesetz aufgehoben habe, eine unerlaubte Handlung begangen worden sei. Er legte weiter dar, dass es sich zwar um eine Ausnahmesituation handle, wenn der Richter eine Rechtsauffassung vertrete, die für die Ausgangsbehörde so nicht vorhersehbar gewesen sei. Doch stünden diese Umstände der Haftung des Rechtsträgers für die Folgen des rechtswidrigen Verwaltungsaktes nicht entgegen. In der Entscheidung van Gog/ Nederweert164 präzisierte er seine Rechtsprechung dahingehend, dass eine Zurechnung in diesem Sinne selbst dann erfolgen müsse, wenn die öffentlich-rechtliche Körperschaft keinerlei Vorwurf treffe. Hinter dieser Rechtsprechung steht die Verteilung der Kompetenzen zwischen Verwaltungs- und Zivilrichter. Die Entscheidung des Verwaltungsrichters über die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme bindet den Zivilrichter. Der Verwaltungsrichter stellt aber nicht nur die Rechtswidrigkeit fest, sondern rechnet das den Schaden verursachende Verhalten einem bestimmten Verwaltungsträger zu. Nach niederländischer Rechtsauffassung muss eine fehlerhafte Gesetzesauslegung immer zu Lasten der Verwaltung gehen, da sie in deren Zuständigkeitsbereich fällt.165 c) Kausalität Eine Entscheidung zugunsten eines Schadensersatzanspruchs des Bürgers setzt voraus, dass eine Verbindung zwischen der unerlaubten Handlung und dem Eintritt des Schadens besteht und diese nachgewiesen wird.

161

van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 76. Staat/van Hilten, HR 11.10.1991, NJ 1993, 165. 163 Hoffmann-La Roche, HR 26.09.1986, HJ 1986, 253; ebenso van Gelder-arrest, HR 09.05.1986, NJ 1987, 252. 164 van Gog/Nederweert, HR 31.05.1991, NJ 1993, 112. 165 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 78. 162

C. Der Schadensersatz durch die Zivilgerichte

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aa) Primäre und sekundäre Kausalität Nach niederländischer Rechtsauffassung ist zwischen primärer (primaire causal verband) und sekundärer (secundaire causal verband) Kausalität zu unterscheiden. Die primäre Kausalität bezeichnet den Zusammenhang zwischen der Tat und dem Eintritt des Schadens. Zudem muss es sich um ein rechtwidriges Verhalten handeln. Das heißt, die Entstehung eines Schadens begründet noch keine Haftung. Diese ergibt sich erst aus der Rechtswidrigkeit der schädigenden Handlung.166 Während die Verwaltungsgerichte die Kausalität nur dann bejahen, wenn sich der Schaden als direkte Folge der rechtswidrigen Handlung darstellt,167 sprechen die Zivilgerichte von einer Durchbrechung der Kausalität, wenn der Schaden zwar die Folge einer rechtswidrigen Handlung ist, es aber an seiner schuldhaften Verursachung fehlt.168 Die sekundäre Kausalität beschäftigt sich mit der Feststellung des Schadensumfangs.169 bb) Beweislast für die Kausalität Grundsätzlich trägt der Geschädigte die Beweislast für den Eintritt des Schadens. In bestimmten Fällen kann das Gericht aber eine Umkehr der Beweislast anordnen. In den Niederlanden spricht man von der Umkehrregel (omkeringsregel). Sie greift immer dann ein, wenn sich durch die rechtswidrige Tat ein spezielles Schadensrisiko verwirklicht hat. Hier vermutet man, dass zwischen der rechtswidrigen Tat und dem eingetretenen Schaden ein Kausalzusammenhang besteht. Der Schädiger muss dann beweisen, dass der Schaden auch ohne sein Fehlverhalten eingetreten wäre.170 d) Schaden Ein Schadensersatzanspruch setzt voraus, dass ein konkreter Schaden eingetreten ist. Dieser ist durch den Geschädigten nachzuweisen und genau zu ­beziffern.171

166

van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 82. ABRvS 10.08.2000, JB 2000, 271. 168 Rb.Breda 28.08.2000, JB 2000, 285. 169 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 82. 170 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 83 ff. 171 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 86; siehe dazu auch die Ausführungen zum Antrag gem. art. 8:73 Awb in diesem Kapitel. 167

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5. Teil: Schadensersatz

e) „Relativität“ Die „Relativität“ in der niederländischen Rechtsordnung entspricht dem Schutzzweck der Norm im deutschen Recht.172 Gem. art. 6:163 BW173 besteht keine Veranlassung, dem Geschädigten Schadensersatz zu leisten, wenn die verletzte Norm nicht seinem Schutz diente. Die Vorschrift bringt zwei Aspekte der rechtswidrigen hoheitlichen Handlung zum Ausdruck. Zum einen muss eine rechtswidrige Tat gegenüber einem anderen vorliegen. In diesem Punkt handelt es sich um eine Konkretisierung des art. 6:162 BW. Zum anderen muss der Schaden, den der Geschädigte erlitten hat, in den Schutzbereich der Norm fallen. Das geht aus art. 6:162 BW nicht hervor. Deshalb ist art. 6:163 BW eine wichtige Ergänzung zu art. 6:162 BW. Sie kann zu einer eingehenden Prüfung von Sinn und Zweck einer Norm führen.174 4. Die zivilgerichtliche Kontrolle Die Intensität des Rechtsschutzes durch die Zivilgerichte wird durch Umfang und Maßstab der Kontrolle bestimmt. a) Umfang Der Umfang der zivilgerichtlichen Kontrolle hängt von der Natur des schädigenden Verhaltens ab. Es ist zu unterscheiden zwischen hoheitlichen Maßnahmen, für die der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist und Verwaltungsmaßnahmen und Handlungen, für die kein derartiger Primärrechtsschutz besteht. aa) Vor den Verwaltungsgerichten angreifbare Maßnahmen Besteht das schädigende Verhalten im Erlass einer rechtswidrigen Verwaltungsmaßnahme, so ist diese zunächst vor den Verwaltungsgerichten anzugreifen. Diese kommen bei ihrer Überprüfung zu dem Ergebnis, dass die Maßnahme entweder rechtmäßig oder rechtswidrig war. Die jeweilige Entscheidung ist der Ausgangspunkt für die zivilgerichtliche Kontrolle.

172

Siehe die Ausführungen dazu 5. Teil, A. art. 6:163 BW lautet: Geen verplichting tot schadevergoeding bestaat, wanneer de geschonden norm niet strekt tot bescherming tegen de schade zoals de benadeelde die heeft geleden. – Es besteht keine Verpflichtung Schadensersatz zu leisten, wenn die verletzte Norm nicht dem Schutz gegen den Schaden in der Form, in der der Geschädigte ihn erlitten hat, diente. 174 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 62. 173

C. Der Schadensersatz durch die Zivilgerichte

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bb) Rechtmäßigkeit der Maßnahme Eine rechtmäßige Verwaltungsmaßnahme begründet keinen Schadensanspruch. Von der Rechtmäßigkeit ist auszugehen, wenn sich die verwaltungsgerichtliche Klage nach Ausschöpfung des Rechtsweges als unbegründet erwiesen hat. Die Maßnahme wird nach niederländischem Rechtsverständnis rechtskräftig (formele rechtskracht).175 Die Bestandskraft bindet die Zivilgerichte.176 Hat der Betroffene die ihm zur Verfügung stehenden verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfe nicht ergriffen, wird die Maßnahme ebenfalls bestandskräftig. Auch in diesem Fall muss der Zivilrichter von der Rechtmäßigkeit der Maßnahme ausgehen. Das gilt sowohl für deren Zustandekommen als auch für deren Inhalt.177 cc) Rechtswidrigkeit der Maßnahme Hat das Verwaltungsgericht eine Maßnahme wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben, so entwickelt diese Feststellung Bindungswirkung. Es kommt nicht zu einer erneuten Überprüfung durch den Zivilrichter.178 Damit steht auch die Schuld der öffentlich-rechtlichen Körperschaft fest.179 Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts wirkt ex tunc. Daraus ergibt sich auch die Kausalität der rechtswidrigen Maßnahme für den Schaden, der z. B. dadurch entstanden ist, dass eine zunächst erteilte Genehmigung später wieder aufgehoben wurde.180 dd) Dem Verwaltungsrechtsschutz nicht zugängliche Maßnahmen und Handlungen Dem Verwaltungsrechtsschutz nicht zugängliche Maßnahmen und Handlungen unterliegen in vollem Umfang der Kontrolle der Zivilgerichte.181 Dieses stellt im ersten Schritt die Rechtswidrigkeit der den Schaden verursachenden Maßnahme oder Handlung fest. Der zweite Schritt befasst sich mit der Frage, ob der Tat­ bestand des art. 6:162 BW erfüllt ist.182

175 Die deutsche Rechtsordnung spricht in diesem Fall von Rechtskraft. Die niederländische Rechtsordnung unterscheidet jedoch nicht zwischen Bestandskraft und Rechtskraft. Sie kennt lediglich die „formele rechtskracht“. 176 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 79. 177 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 79. 178 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 80. 179 van Gog/Nederweert, HR 31.05.1991, NJ 1993, 112. 180 HR 01.10.1999, NJ 1999, 756. 181 Siehe die Ausführungen im 2. Teil, C. II. 2. 182 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 313.

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5. Teil: Schadensersatz

b) Prüfungsmaßstab Der von den Zivilgerichten angelegte Prüfungsmaßstab entspricht dem der Verwaltungsgerichte. Beide respektieren die Ermessensgebrauch/Ermessensausübung der Verwaltung und nehmen die Überprüfung anhand der Prinzipien einer ordnungsgemäßen Verwaltung vor.183 aa) Ermessensgebrauch/Ermessensausübung Der Begriff Ermessensausübung (beleidsverantwoordlijkheid) umfasst Tatbestands- und Rechtsfolgenseite. Er entspricht damit unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessen im deutschen Rechtsgebrauch. Als Vertreter des öffentlichen Interesses hat die Verwaltung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben häufig die betroffenen Belange abzuwägen oder Zweckmäßigkeitsentscheidungen zu treffen. Nach niederländischem Rechtsverständnis verstößt eine volle gerichtliche Überprüfbarkeit dieser verwaltungsinternen Vorgänge, die zum Kernbereich der Verwaltungstätigkeit gehören, gegen das Gewaltenteilungsprinzip. Deshalb nimmt der Richter nur eine marginale Überprüfung vor. Er stellt fest, ob die rechtlichen Grenzen eingehalten wurden. Zudem ist die Art und Weise der Ermessensausübung dem richterlichen Urteil unterworfen. Sie hat sorgfältig und gewissenhaft zu erfolgen.184 bb) Prinzipien einer ordnungsgemäßen Verwaltung Die Prinzipien einer ordnungsgemäßen Verwaltung (beginselen van behoorlijk bestuur)185 bilden die Grenzen der Ermessensausübung. Sie sind zwingend zu beachten und daher gleichzeitig Prüfungsmaßstab für die Gerichte. Seit der IKONEntscheidung des Hohen Rates gilt das auch für zivilrechtliches Auftreten der Verwaltung.186 Diese Rechtsprechung setzte der Gesetzgeber in art. 3:1 Awb187 um. 183

ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 304. van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 45. 185 Geschriebene und ungeschriebene Rechtsregeln; siehe dazu die Ausführungen im 4. Teil, B. II. 1. und 2. 186 IKON-arrest, HR 27.03.1987, AB 1987, 273. 187 Art. 3:1 Awb lid 1 lautet: Op besluiten, inhoudende algemeen verbindende voorschriften: a. is afdeling 3.2 slechts van toepassing, voor zover de aard van de besluiten sich daartegen niet verzet; b. zijn de afdelingen 3.6 en 3.7 niet van toepassing. Art. 3:1 Awb lid 2 lautet: Op andere handelingen van bestuursorganen dan besluiten zijn de afdelingen 3.2 tot en met 3.5 van overeenkomstige toepassing, voor zover de aard van de handelingen zich daartegen niet verzet. 184

C. Der Schadensersatz durch die Zivilgerichte

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Danach sind die in Abteilung 3.2 Awb kodifizierten Prinzipien, wie die ordnungsgemäße Abwägung der betroffenen Belange und das Verhältnismäßigkeitsprinzip, auch bei untergesetzliche Regelungen und zivilrechtlichen Handlungen der Verwaltung, soweit die Art der Handlung dies nicht ausschließt, anzuwenden.188 5. Rechtsfolge Sind alle gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, hat der Bürger einen Anspruch auf Schadensersatz. Der Ausgleich des Schadens richtet sich nach den Vorschriften art. 6:95 bis 6:126 BW.189 Gem. art. 6:103 BW190 erfolgt die Entschädigung in Geld. Nur auf Antrag des Geschädigten kann der Richter ausnahmsweise eine andere Art des Ersatzes anordnen, wie die Vornahme einer tatsächlichen Handlung oder einer Rechtshandlung. Auch eine Kombination aus beidem ist möglich.191 Nach der Vorstellung des Gesetzgebers kann der Schadensersatz auch teilweise in Geld und teilweise als Naturalrestitution geleistet werden.192 Geschieht dies nicht in angemessener Zeit, so fällt der Anspruch auf eine Entschädigung in Geld zurück. Gem. art. 6:101 BW verringert sich die Höhe des Schadensersatzes, wenn dem Geschädigten ein Mitverschulden angelastet werden kann. Die Minderung richtet sich nach dem Grad des Mitverschuldens. Das kann im Extremfall dazu führen, dass die Schadensersatzpflicht entfällt.193

Auf Maßnahmen, die allgemein verbindliche Vorschriften zum Inhalt haben: a. ist die Abteilung 3.2 anwendbar, sofern die Art der Maßnahme dies nicht ausschließt; b. die Abteilungen 3.6 und 3.7 sind nicht anwendbar. Auf sonstige Handlungen der Verwaltung sind die Abteilungenn 3.2 bis 3.5 anwendbar, sofern die Art der Handlung dies nicht ausschließt. 188 ten Berge/Widdershoven, Bescherming tegen de overheid, 2001, S. 30. 189 Siehe dazu die Ausführungen unter 5. Teil, A. I. 2. c). 190 Art. 6:103 BW lautet: Schadevergoeding wordt voldaan in geld. Nochthans kan de rechter op vordering van de benadeelde schadevergoeding in andere vorm dan betaling van een geldsom toekennen. Wordt niet binnen redelijke termijn aan een zodanige uitspraak voldaan, dan herkrijgt de benadeelde zijn bevoegdheid om schadevergoeding in geld te verlangen. – Schadensersatz erfolgt in Geld. Ausnahmsweise kann der Richter auf Antrag des Geschädigten Schadensersatz in einer anderen Form zuerkennen. Erfolgt dies nicht in einer angemessenen Zeit, erhält der Geschädigte seinen Anspruch auf eine Geldentschädigung zurück. 191 Nieuwenhuis/Stolker/Valk, Burgerlijk Wetboek, Tekst & Commentaar, 2007, art. 6:103 Nr. 2. 192 van Zeben/Du Pon, Parlamentaire geschiedenis van het nieuwe Burgerlijke Wetboek, Boek 6: Vermogensrecht in het algemeen, 1981, S.364. 193 van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 86; siehe dazu die Ausführungenn unter 5. Teil, A.

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5. Teil: Schadensersatz

6. Verjährung Die Verjährung regelt art. 3:310 BW. Danach beträgt die regelmäßige Verjährung 5 Jahre ab Kenntnis von Tat und Täter. Die absolute Verjährung tritt 20 Jahre nach dem den Schaden verursachenden Ereignis ein. Darüber hinaus gibt es einige Sondertatbestände wie Umweltschäden, die erst nach 30 Jahren verjähren.194 7. Rechtsmittel Gegen zivilrechtliche Urteile kann beim Gerichtshof195 Berufung (hoger beroep) eingelegt werden. Die Berufungsfrist beträgt 3 Monate nach Erlass des Endurteils. Sie läuft unabhängig von einer Zustellung des Urteils. Das Berufungsverfahren ist eine Tatsacheninstanz, in der neue Tatsachen und Beweismittel vorgetragen werden können. Berufung kann zunächst ohne Begründung eingelegt werden. Gegen alle Entscheidungen im Berufungsverfahren ist eine Revision (beroep in cassatie) beim Hohen Rat möglich.196

D. Die Konkurrenzen Im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes ist zu klären, wie sich die drei Varianten untereinander verhalten und ob sie möglicherweise nebeneinander geltend gemacht werden können.

I. Der Antrag gem. art. 8:73 Awb und die unabhängige Schadensersatzmaßnahme Die Anwendungsbereiche des Antrags gem. art. 8:73 Awb und die unabhängige Schadensersatzmaßnahme sind deckungsgleich. Beide Varianten beschränken sich auf Schadensersatzansprüche aus vor dem Verwaltungsgericht klagbaren Verwaltungsmaßnahmen. Eine gesetzliche Vorrangregelung gibt es nicht. Der Bürger hat ein Wahlrecht.197 Der CRvB schloss ein Nebeneinader für dieselbe Schadensposition zunächst aus, ließ dabei aber eine Kombination in demselben Scha-

194

van Maanen/de Lange, Onrechtmatige overheidsdaad, 2005, S. 89. Es gibt in den Niederlanden insgesamt 5 Gerichtshöfe (gerechtshoven,) bei denen Berufung gegen Urteile der Arrondissementgerichte eingelegt werden kann; vgl. Mincke § 11 Rdn. 361, 379. 196 Siehe dazu im 2. Teil, A. II. 2. a) bb) (1). 197 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 112. 195

D. Die Konkurrenzen

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densfall für unterschiedliche Schadenspositionen ausdrücklich zu.198 Im Jahr 2002 gab er diese Rechtsprechung auf. Nunmehr ist es möglich, dieselbe Schadensposition durch beide Rechtsinstitute gleichzeitig geltend zu machen.199 Das kann dazu führen, dass eine Entscheidung aufgrund eines Antrages gem. art. 8:73 Awb ergeht, obwohl eine unabhängige Schadensersatzmaßnahme in der selben Angelegenheit bereits bestandskräftig ist. Dieses Vorgehen ist in der Literatur umstritten, da es zu einer Durchbrechung der Bestandskraft führt.200 Deshalb geht man davon aus, dass der Antrag gem. art. 8:73 Awb vor Bestandskraft der Schadensersatzmaßnahme vorliegen muss.201 Die Wahlfreiheit endet, sobald ein Verwaltungsgericht die Klage gegen die Schadensersatzmaßnahme als unbegründet abgewiesen hat. Dies gilt unabhängig von der Rechtskraft der Entscheidung.202

II. Die unabhängige Schadensmaßnahme und die Zivilgerichte Die Anwendungsmöglichkeiten der selbständigen Schadensmaßnahme und des Schadensersatzes aus rechtswidrigem hoheitlichem Verhalten überschneiden sich lediglich im Bereich der vor den Verwaltungsgerichten angreifbaren hoheitlichen Maßnahmen. Für tatsächliche und zivilrechtliche Handlungen der Verwaltung sowie für Verwaltungsmaßnahmen, die nicht durch die Verwaltungsgerichte kontrolliert werden dürfen, sind ausschließlich die Zivilgerichte zuständig.203 In dem Bereich, in dem sich die Zuständigkeiten überschneiden, stehen beide Rechtsinstitute gleichwertig nebeneinander. Der Bürger hat auch hier ein Wahlrecht, wobei er von beiden Möglichkeiten gleichzeitig Gebrauch machen kann.204 Nach Auffassung des Hohen Rates sperrt die Existenz einer selbständigen Schadens­ ersatzmaßnahme, gegen die ein Rechtsbehelf möglich ist, den Zugang zu den Zivilgerichten in derselben Angelegenheit nicht.205 Zivil- und Verwaltungsrichter sind gleichermaßen zuständig.206 Auch in diesem Fall steht die formelle Bestandskraft der Schadensersatzmaßnahme einem zivilgerichtlichen Verfahren nicht entgegen. Das Wahlrecht endet, sobald ein Verwaltungsgericht eine Klage gegen eine 198

CRvB 28.03.1996, Abkort 1996, 562. CRvB 26.02.2002, RSV 2002, 152. 200 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 112. 201 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 111. 202 Staat/Zevenbergen, HR 15.11.2002, AB 2003, 95. 203 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 112. 204 Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 113. 205 Groningen/Raatgever, HR 17.12.1999, NJ 2000, 87. 206 ABRvS 14.12.2000, AB 2001, 199. 199

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5. Teil: Schadensersatz

Schadensmaßnahme als unbegründet zurückweist.207 Hebt das Verwaltungsgericht die selbständige Schadensersatzmaßnahme dagegen auf, bleibt das Wahlrecht erhalten. Das Gleiche gilt bei Unzulässigkeit der Klage. Hier liegt noch keine inhaltliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts vor.208

III. Der Antrag nach art. 8:73 Awb und die Zivilgerichte Die Schnittmenge des Antrags gem. art. 8: 73 Awb und des Schadensersatzes vor dem Zivilgericht entspricht der unter II. dargestellten. Zunächst besteht ein Wahlrecht des Bürgers zwischen beiden Möglichkeiten. Hat der Verwaltungsrichter über den Schadensersatz entschieden, ist der Gang vor die Zivilgerichte gesperrt. Dabei ist allerdings zu beachten, dass der Antrag gem. art. 8:73 Awb gewöhnlich zu einem frühen Zeitpunkt im Verwaltungsprozess gestellt wird. Zu diesem Zeitpunkt weiß der Geschädigte noch nicht, ob die schadenstiftende Maßnahme tatsächlich rechtswidrig war. Der Gang vor die Zivilgerichte hat aber nur Aussicht auf Erfolg, wenn die Rechtswidrigkeit der Maßnahme feststeht. Deshalb kommt es kaum zu einem Nebeneinander der beiden Rechtsinstitute. Der Verwaltungsrichter kann die Entscheidung über den Schadensersatz verweigern und auf den Zivilrechtsweg verweisen, so dass der Betroffene gezwungen ist, sich an ein Zivilgericht zu wenden. Auf lange Sicht, wird die ausschließliche Entscheidung der Verwaltungsgerichte im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Maßnahme, die den Schaden verursacht hat, angestrebt.209

E. Die Qualität des Rechtsschutzes bei Schadensersatzansprüchen Die niederländische Rechtsordnung ist auch bei Schadensersatzansprüchen, die sich aufgrund rechtswidrigen hoheitlichen Verhaltens ergeben, um einen umfassenden Rechtsschutz bemüht. Vor allem durch den mit dem Awb neu eingeführten Antrag auf Entscheidung über den Schadensersatz durch das Verwaltungsgericht gelingt ihr das für den Bereich der klagbaren Verwaltungsmaßnahmen. Daneben steht die seit Jahrzehnten bewährte Tätigkeit des Zivilrichters, der über alle Schadensersatzansprüche aus rechtswidrigem Verhalten der öffentlichen Gewalt entscheiden darf. Beide Möglichkeiten bilden gemeinsam ein System, das lückenlos ineinandergreift. Der Verwaltungsrichter entscheidet zügig über die in seine Zu 207

Staat/Zevenbergen, HR 15.11.2002, AB 2003, 95. Ettekoven/Bakker/Hoogenboom, Tien jaar jurisprudentie schadevergoeding in het bestuursrecht, 2004, S. 115. 209 CRvB 28.03.1996, Abkort 1996, 562. 208

E. Die Qualität des Rechtsschutzes bei Schadensersatzansprüchen

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ständigkeit fallenden Ansprüche, während der Zivilrichter alle Klagen, über die der Verwaltungsrichter nicht entschieden hat oder entscheiden dürfte, bearbeitet. Dadurch ist ein effektiver Rechtsschutz gewährleistet. Die selbständige Schadensmaßnahme gewährleistet dagegen keinen effektiven Rechtsschutz. Sie zieht zum einen das Verfahren in die Länge, zum anderen wird die Verwaltung wohl in den seltensten Fällen objektiv über die Höhe des Schadensersatzes entscheiden.

6. Teil

Zusammenfassung und Ergebnis der Arbeit Die Niederlande sind ein dezentraler Einheitsstaat. Die öffentliche Verwaltung erstreckt sich auf drei Verwaltungsebenen, den Staat, die Provinzen und die Gemeinden. Daneben gibt es funktional verselbständigte Verwaltungseinheiten wie die Wasserverbände und die öffentlich-rechtlichen Wirtschaftsorganisationen. Die öffentliche Verwaltung erfolgt durch juristische Personen des öffentlichen Rechts sowie durch natürliche und juristische Personen des Privatrechts, denen die Erledigung öffentlicher Aufgaben übertragen wurde. Die jeweiligen Verwaltungsträger bestehen aus mehreren Verwaltungsorganen, die die Befugnis besitzen, sofern die Voraussetzungen der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage vorliegen, in die Rechtsposition der Bürger einzugreifen. Einen Rechtsschutz gegen diese Eingriffe gibt es in den Niederlanden bereits seit dem 17. Jahrhundert. Dieser wurde jedoch im Wesentlichen durch die Verwaltung selbst gewährt, da man in der Kontrolle der Exekutive durch die Judikative einen Eingriff in die Gewaltenteilung sah. Ausgenommen waren Streitigkeiten über Eigentum, für die seit jeher eine Zuständigkeit des Zivilrichters besteht. Erst die Benthem-Entscheidung brachte im Jahr 1985 eine Wende. Der EGMR stellte fest, dass der Verwaltungsrechtsschutz in den Niederlanden nicht ausreichend sei, da nicht in jedem Fall die Möglichkeit bestehe, bei Verwaltungsstreitigkeiten ein unabhängiges Gericht i. S. eines Tribunals anzurufen. Im Zuge dieser Entscheidung überarbeitete man die Gerichtsordnung in den Niederlanden grundlegend und schuf das Allgemeine Verwaltungsgesetz (Awb). Es enthält alle allgemeinen Bestimmungen zur Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsgerichtsordnung. Das niederländische Grundgesetz enthält keine Regelung, die Art. 19 Abs. 4 des deutschen Grundgesetzes vergleichbar ist. Die innerstaatliche Rechtsschutzgarantie wird aus dem Rechtsstaatprinzip hergeleitet. Dieser Mangel fällt jedoch nicht ins Gewicht, da die völkerrechtlichen Verträge in den Niederlanden in nationales Recht transformiert werden. Dadurch ist Art. 6 Abs. 1 EMRK wie innerstaatliches Recht zu behandeln. Er ist allerdings nicht uneingeschränkt auf öffentlich-rechtliche Maßnahmen anwendbar. Dort wo die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dessen Anwendung ermöglicht, entsprechen die Rechtsschutzgarantien denen des Art. 19 Abs. 4 des deutschen Grundgesetzes. Daher erreicht die Rechtsschutzgarantie in den Niederlanden in diesem Bereich die gleiche Güte wie die in Deutschland. Die Niederlande haben zudem die Rechtsprechung des EGMR zu den durch Art. 6 Abs. 1 EMRK verbrieften Rechten aufge-

6. Teil: Zusammenfassung und Ergebnis der Arbeit

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nommen und entsprechend umgesetzt. Deshalb verfügen sie heute einfachgesetzlich über detaillierte Verfahrensgarantien, die dem Bürger ein faires Verfahren vor einem unabhängigen, unparteilichen Verwaltungsgericht in angemessener Zeit gewährleisten. Die Klagebefugnis ergibt sich aus der unmittelbaren Beeinträchtigung eigener Interessen durch hoheitliches Handeln in der Form des „Besluit“. Eine mögliche Verletzung subjektiver Rechte ist nicht erforderlich. Der Vortrag der Verletzung individueller Interessen bildet den Anlass für eine Rechtmäßigkeitsprüfung durch die Gerichte. Dieses Verfahren erinnert an den „recours objectiv“ in Frankreich. Da sich der niederländische Gesetzgeber aber für den Vorrang des Rechtsschutzes und nicht für den Vorrang der Kontrolle der Verwaltung entschied, findet die gerichtliche Kontrolle in den Niederlanden, im Gegensatz zum französischen Verfahren, innerhalb der Grenzen des klägerischen Vortrags statt. Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle ist ein „Besluit“. Der Begriff umfasst alle öffentlich-rechtlichen Rechtshandlungen und reicht damit weiter als der des Verwaltungsaktes. Er entspricht einer Verwaltungsmaßnahme. Eine Besonderheit des Verwaltungsrechtsschutzes ist, dass untergesetzliche Regelungen nicht direkt vor einem Gericht angegriffen werden können. Sie können jedoch im Rahmen der Klage gegen eine Maßnahme auf ausdrückliche Rüge des Klägers einer inzidenten Kontrolle unterzogen werden. Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Regelung rechtswidrig ist, erklärt es sie im vorliegenden Verfahren für nicht anwendbar. Die Entscheidung gilt nur inter partes. Dem gerichtlichen Verfahren geht, abgesehen von den gesetzlich normierten Ausnahmen und den wenigen Fällen, in denen ein besonderes Vorverfahren stattfindet, ein allgemeines Vorverfahren voraus. Es ist einstufig ausgestaltet und findet vor der Ausgangsbehörde statt. Trotz seiner Einstufigkeit gewährt es dem Bürger intensiven Rechtsschutz aufgrund der strengen Verfahrensvorschriften, die dem Anspruch des Bürgers auf rechtliches Gehör in besonderer Weise Rechnung tragen. Das Streben nach einem effektiven Rechtsschutz für den Bürger und der damit einhergehenden Notwendigkeit eines objektiven Verfahrens kommt vor allem bei der Verteilung der Aufgaben innerhalb des Vorverfahrens zum Ausdruck. So darf der für den Erlass des angefochtenen Bescheids verantwortliche Beamte den Rechtsbehelf nicht bearbeiten. Auch bei der Besetzung der unabhängigen Beratungskommission, die der Ausgangsbehörde bei ihrer Entscheidung über den Rechtsbehelf zur Seite steht und vor der die obligatorische Anhörung stattfindet, wird streng darauf geachtet, dass die Mitglieder der Kommission nicht am Erlass des Ausgangsbescheids beteiligt waren. Der Kommissionsvorsitzende darf nicht einmal der Ausgangsbehörde angehören. In der Praxis wird großer Wert darauf gelegt, dass diese gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Eine Missachtung führt zur Rechtswidrigkeit des Bescheids im Rechtsbehelfsverfahren und zu einer Zurückverweisung im sich daran anschließenden Klageverfahren.

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6. Teil: Zusammenfassung und Ergebnis der Arbeit

Die Entscheidung des Gesetzgebers für ein einstufiges Verfahren erklärt sich aus der Annahme, dass die Ausgangsbehörde am besten wisse, welche Erwägungen zum Erlass der Maßnahme geführt haben. Die sich daraus ergebende geringere Intensität des Rechtsschutzes im Vergleich zum Widerspruchsverfahren in Deutschland wird durch die Vielzahl der oben genannten Regelungen aufgefangen. Einen weiteren Vorzug im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes bietet das Verbot der reformatio in peius in den Niederlanden. Der Bürger kann von seinen Rechten Gebrauch machen ohne befürchten zu müssen, dass sich seine Rechtsposition dadurch verschlechtert. Soweit im konkreten Fall keine Sonderzuweisung zu einem der besonderen Verwaltungsgerichte vorliegt, beginnt der Rechtsweg vor der ersten Instanz der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der „rechtbank“. Diese verfügt neben einer zivil- und einer strafgerichtlichen auch über eine verwaltungsgerichtliche Abteilung. Als statthaftes Klagebegehren kennt das niederländische Verwaltungsprozessrecht nur die Anfechtungs- und die Verpflichtungsklage. Das ergibt sich aus dem weitgefassten Begriff des „Besluit“. Daneben berechtigt die Untätigkeit der Verwaltung zur Klage, wobei in diesem Fall ein ablehnender Bescheid fingiert wird. Im Rahmen des Urteils ist auf eine niederländische Besonderheit hinzuweisen. Der Richter kann seine eigene Entscheidung an die Stelle der angefochtenen Verwaltungsmaßnahme setzen. Diese Befugnis besteht allerdings nur bei gebundenen Entscheidungen und Ermessensreduzierung. Sie bedeutet einen Eingriff in die Gewaltenteilung, wird aber nach niederländischer Rechtsauffassung durch eine Reduzierung der Verfahrensdauer gerechtfertigt und wirkt daher im Sinne des Rechtsschutzes. Das gerichtliche Verfahren ist, soweit nicht eine Sonderzuweisung den Verfahrensweg verkürzt, zweistufig ausgestaltet. Dabei spielt die Berufung als Kontrolle für die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts eine wichtige Rolle für den Rechtsschutz. Als 2. Tatsacheninstanz erfolgt, sofern der Berufungskläger dies wünscht, eine erneute vollumfängliche Kontrolle, die zu einer deutlichen Ver­ besserung und zu einer Steigerung der Effektivität des Rechtsschutzes führt. Das gelingt auch durch die umfangreiche Rechtsprechung der ABRvS und des CRvB. Da die gesetzlichen Regelungen Raum für eine unterschiedliche Auslegung der maßgeblichen Vorschriften lassen, greifen die beiden Obergerichte die sich daraus ergebenden Probleme immer wieder auf und bemühen sich um deren Lösung im Sinne eines optimalen Rechtsschutzes. Dem Eilverfahren kommt in den Niederlanden eine besondere Bedeutung zu. Rechtsbehelfe entfalten in den Niederlanden grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Man setzt voraus, dass die Verwaltung beim Erlass einer Maßnahme ordnungsgemäß vorgeht. Das entspricht der vorwiegend objektiven Ausgestaltung des Rechtsschutzes. Der Suspensiveffekt dient dem Schutz einer subjektiven Rechtsposition. Das Fehlen des Suspensiveffekts geht zu Lasten des Rechtsschutzes. Zum einen kann dem Rechtsschutzsuchenden in einem sich anschließenden

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Schadensersatzprozess negativ angelastet werden, dass er kein Eilverfahren einleitet hat. Zum anderen muss er zum Prozessrisiko des Hauptverfahrens auch das Prozessrisiko des Eilverfahrens tragen. Problematisch sind auch die Rolle der Antragsbegründung, die allein die Grundlage der Beurteilung bildet, und das Fehlen eines Rechtsmittels im Eilverfahren, was dem Richter einen großen Freiraum lässt. Wie in Deutschland überprüfen die niederländischen Verwaltungsgerichte nur die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme. Der Umfang der Kontrolle steht zur Disposition der Parteien. Sie bestimmen ihn durch ihren Vortrag in der Klageschrift. Dabei berücksichtigt die Rechtsprechung den Umstand, dass vor den niederländischen Verwaltungsgerichten kein Anwaltszwang herrscht, indem sie die Ausführungen in der Klageschrift immer zu Gunsten des Klägers auslegt. In den Grenzen der Klageschrift dürfen die Gerichte den Amtsermittlungsgrundsatz anwenden. Hierzu sind sie mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet. Sie bestimmen die beweiserheblichen Tatsachen und die Art und Weise des Nachweises. Von dieser Berechtigung machen die Verwaltungsrichter jedoch nur sehr eingeschränkt Gebrauch. Im Wesentlichen obliegt es den Parteien ihren Vortrag zu beweisen. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang auch die unterschiedliche Auffassung der Obergerichte zum Vorbringen neuer Tatsachen und Beweise. Während die ABRvS lange Zeit einen neuen Tatsachenvortrag im gerichtlichen Verfahren als präkludiert zurückwies, akzeptiert die CRvB in jeder Instanz jedes neue Vorbringen. Da die ABRvS offensichtlich erkannt hat, dass ihr Vorgehen mit Art. 6 EMRK nicht vereinbar ist, zeigen die Entscheidungen der letzten Jahre eine vorsichtige Abkehr von der oben beschriebenen Praxis. Als problematisch ist auch anzusehen, dass die gerichtliche Kontrolle grundsätzlich ex tunc erfolgt. Die Begründung, dass die Verwaltung ansonsten im Prozess möglicherweise mit neuen Umständen konfrontiert werde, mit denen sie sich zuvor nicht habe auseinandersetzen können, lässt die objektive Kontrolle der Verwaltung in den Vordergrund treten und deutet nicht auf den Rechtsschutz des Bürgers als vorrangiges Ziel des Verfahrens hin. Es besteht im Zuge der Kontrolle ex tunc z. B. die Möglichkeit, dass eine Gesetzesänderung, die zugunsten des Betroffenen eingreifen würde, unberücksichtigt bleibt. Den Prüfungsmaßstab bilden im Wesentlichen die Prinzipien einer ordnungsgemäßen Verwaltung. Sie wurden nach und nach von den Gerichten entwickelt und gingen 1994 zu einem großen Teil in das Awb ein. Es handelt sich dabei um formelle Kontrollstandards, deren Einhaltung von den Gerichten streng überprüft wird. Teilweise entsteht der Eindruck, dass durch diese strenge Überprüfung, die nur oberflächliche gerichtliche Kontrolle von Ermessensentscheidungen der Verwaltung überdeckt werden soll. Die Kontrollintensität bewegt sich in den Niederlanden zwischen einer vollen Überprüfung und einer nur oberflächlichen Untersuchung. Sie hängt weitgehend von der Anwesenheit von Entscheidungsfreiräumen der Verwaltung ab. Soweit

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diese durch den Gesetzgeber im Zuge einer Lockerung der Gesetzesbindung eröffnet werden, spricht man in den Niederlanden von Ermessen, das einen Handlungsfreiraum auf Tatbestands- wie auf Rechtsfolgenseite bezeichnet. Ermessen geht grundsätzlich mit einer zurückhaltenden Kontrolle einher. Die Gerichte prüfen, ob die Grenzen der Ermächtigungsgrundlage eingehalten wurden und ob die Entscheidung der Verwaltung vertretbar ist. Allerdings zeigt eine Analyse der einschlägigen Rechtsprechung, dass sich die Kontrollintensität am Maß des Eingriffs in die Rechte des Einzelnen orientiert. Je stärker die Rechte des Einzelnen durch eine Maßnahme betroffen sind, desto eingehender erfolgt die Kontrolle. Neben den in der Ermächtigungsgrundlage verbrieften Freiräumen hat die Rechtsprechung Fallgruppen entwickelt, in denen sie der Verwaltung ebenfalls Entscheidungsfreiräume zugesteht und diese nur eingeschränkt prüft. Das betrifft die Anwesenheit von Verwaltungsvorschriften zur Auslegung des Gesetzes und zur Art und Weise der Sachverhaltsermittlung, sowie eine Reihe von kommunalrechtlichen Vorschriften, die eine genaue Einschätzung der Situation vor Ort erfordern. Schadensersatzansprüche aufgrund rechtswidrigen hoheitlichen Verhaltens können in den Niederlanden vor den Verwaltungsgerichten, den Zivilgerichten und bei der Verwaltung selbst geltend gemacht werden. Vor allem der mit dem Awb neu eingeführte Antrag auf Entscheidung über den Schadensersatz durch das Verwaltungsgericht bürgt für einen effektiven Rechtsschutz im Bereich der klagbaren Verwaltungsmaßnahmen. Daneben steht die seit Jahrzehnten bewährte Tätigkeit des Zivilrichters, der über alle Schadensersatzansprüche aus rechtswidrigem Verhalten der öffentlichen Gewalt entscheiden darf. Beide Möglichkeiten bilden gemeinsam ein System, das lückenlos ineinander greift. Der Verwaltungsrichter entscheidet zügig über die in seine Zuständigkeit fallenden Ansprüche, während der Zivilrichter alle Klagen, über die der Verwaltungsrichter nicht entschieden hat oder entscheiden dürfte, bearbeitet. Die selbständige Schadensmaßnahme gewährleistet dagegen keinen effektiven Rechtsschutz. Sie zieht zum einen das Verfahren in die Länge, zum anderen wird die Verwaltung wohl in den seltensten Fällen objektiv über die Höhe des Schadensersatzes entscheiden. Als Ergebnis der Untersuchung ist festzuhalten: (1) Erklärtes Ziel des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in den Niederlanden ist der Rechtsschutz des Einzelnen. (2) Zu diesem Zweck hält das Awb eine Fülle von Verfahrensgarantien bereit. Dazu zählen der Verfügungsgrundsatz in art. 8:69 lid 1 Awb und der Untersuchungsgrundsatz in art. 8:69 lid 3 Awb. Auch die Bedeutung, die dem Vorverfahren beigemessen wird, und dessen Ausgestaltung als kontradiktorisches Verfahren, sowie das Verbot der reformatio in peius, dienen dem Rechtsschutz. Daneben ist die hohe Kontrolldichte im gerichtlichen Verfahren, die durch die im Awb normierten Prüfungskriterien gewährleistet wird, zu nennen.

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Gleichwohl sind deutliche Anklänge an das französische Verfahren, das in erster Linie die Kontrolle der Verwaltung zum Ziel hat, erkennbar. Dabei handelt es sich um die Klagebefugnis, die nicht die Verletzung eines subjektiven Rechts voraussetzt, das Fehlen des Suspensiveffektes eines Rechtsbehelfs und den für die gerichtliche Kontrolle maßgeblichen Zeitpunkt. (3) Trotz der oben aufgeführten Mängel erreicht der Rechtsschutz des Einzelnen in den Niederlanden eine hohe Qualität. Dafür bürgen unter anderem die umfangreichen einfachgesetzlich normierten Verfahrensgarantien sowie die Obergerichte, die bei der Kontrollintensität die Schwere des Eingriffs in die Rechte des Einzelnen berücksichtigen und die Kontrollstandards des Awb strikt anwenden. Das System, innerhalb dessen Schadensersatzansprüche verfolgt werden können, rundet dieses Bild ab.

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Sachverzeichnis Aarhus-Konvention 134 Abhilfeverfahren 171 Abteilung für Verwaltungsrechtsprechung beim Staatsrat  113 Abwägung  285 f., 294 Abwägungsjudikatur 107 actio popularis  135, 136, administratief beroep  63 allgemeine Rechtsregeln  313 allgemeinverbindliche Vorschriften  147 Allgemeinverfügung 147 Amtsermittlung 267 Amtsermittlungsgrundsatz 211 Amtsgericht 111 Amtshaftung  53, 355 Anfechtungsklage  138, 199 Anhörung  179, 193, 289 Antrag –– auf Erlass eines Verwaltungsaktes  94 –– Berufung 223 –– im einstweiligen Rechtsschutz  244 –– im Vorverfahren  174 –– Rechtsbeschwerde 237 Art. 6 EMRK  106 ff. Auftragsverwaltung  40, 41 Ausführungsverordnung 39 Außerordentliche Rechtsmittel  235 Auswirkungsjudikatur 107 B-Organe 50 –– öffentlich-rechtlich ausgerichtete  50 –– privatrechtlich ausgerichtete  51 Beamtengerichtsbarkeit 84 Begründungsgebot 290 Belanghebbende siehe Betroffener Beleidsregels siehe Verwaltunsvorschriften Benthem-Entscheidung  77 ff., 107, 120 Beratungsausschuss  36, 37, 183 Berufs- und Gewerbeverbände  48 Berufung 216 Berufungsrat, zentraler  114

Berufungsschrift 225 besluit  141 f., 146 besondere Verwaltungsgerichtsbarkeit  52 Betroffener  128, 132 Beurteilungsfreiheit 319 Beurteilungsspielraum 316 Beweisangebot 267 Beweise 205 Beweiserhebung 279 Beweislast  267, 279 Beweislastverteilung 279 Beweisrecht 275 Beweiswürdigung 281 Confliktenbesluit  56 ff. Conseil d’Etat  55 detournement de pourvoir siehe Zweckverfehlung Devolutiveffekt 172 Dispositionsgrundsatz 260 Drittbetroffener 245 effektives Verfahren  123 eigener Wirkungskreis  45 Eingriffsverwaltung 104 Einspruch 233 einstweiliger Rechtsschutz  239 Einzelfallregelung 147 Entscheidung im Berufungsverfahren  231 Entscheidung im Klageverfahren  209 Entscheidungsfreiräume  294, 314 –– auf Tatbestandsseite  315 –– auf Rechtsfolgenseite  324 ergänzende Tatsachenermittlung  267 Ermessen  306, 315 Ermittlungspflicht der Verwaltung  288 erneute Prüfung  236 erneutes Erwägen  186, 194 Exekutive  31, 100

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Sachverzeichnis

fair play  312 Finanzgerichtsbarkeit  83, 112 formelle Gesetze  32 Friedensrichter 54 Fristen –– Klageverfahren 201 –– Rechtsbeschwerde 237 –– Vorverfahren 177 fundamentum petendi  351 Gemeinden 44 –– Bürgermeister 46 –– Gemeindeordnung 44 –– Gemeinderat 45 –– Gemeindeverwaltung 44 –– Magistrat 45 Gerichte 109 –– Gerichtshöfe  54, 112 –– Hoher Rat  113 Gerichtsbarkeit, ordentliche  110 Gerichtsorganisation  109 ff. Gerichtsverfassungsgesetz 117 Gesetzesbindung der Verwaltung  102 Gesetzesinitiativrecht 38 Gesetzesvorbehalt 104 Gesetzgebung 29 Gesetzgebungskompetenzen 41 Gesetzmäßigkeit der Verwaltung  102 gestrecktes Verwaltungsverfahren  164 Gewaltenteilung  54, 55, 100, 313 Gleichheitssatz 311 Grenzen der Ermessensausübung 283, 315, 366 Grundrechte 100

Klagegegenstand 260 Klageschrift 205 Kollegium für Klagen aus dem Wirtschaftsleben  115, 220 Konfliktgesetz 55 König 38 Königlicher Erlass  148 Konkurrentenklage 133 Konnexität  347, 349 Kontrolldichte 259 Kontrolle von Amtswegen  261 Kontrollintensität 313 Kontrollmaßstab 282 Kontrolltätigkeit, gerichtliche  259 Körperschaften des öffentlichen Rechts 34, 193 –– Aufbau 35 –– Zweckverbände 35 Krone 38 Kroon siehe Krone Ladungsfrist 207 Landgericht 111 Legislative 100 Leistungsverwaltung 104 marginale Kontrolle  315, 324, 366 maßgebliche Sach- und Rechtslage  271 materielle Wahrheit  268 Medebewind siehe Mitverwaltung Ministerpräsident 39 Ministerrat 39 Mitverwaltung  41, 45 Mitwirkungspflicht der Parteien  207 mündliche Verhandlung  207

Hoher Rat  113 integrale Kontrolle  324, 332 Interessenabwägung 246 Judikative 100 Kassation 285 Kausalität  341, 363 Klagebefugnis  128, 264 Klagebegehren 199 Klageerhebung  54, 64, 93 Klagefrist 201

Nachteilsausgleich 299 Nebendicta 212 objectum litis  351 Öffentliche Gewalt  31 Öffentliche Verwaltung − Organisationsformen  37 ff. Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung  208 Ombutsmann, nationaler  30, 36, 312 overheid siehe öffentliche Gewalt

Sachverzeichnis Parlament 39 Parteien des Klageverfahrens  197 persönliches Erscheinen  208 Präklusion 230 Prinzipien einer ordnungsgemäßen Verwaltung  176, 366 Pro-forma-Rechtsbehelf  179, 204 Provinzen 42 –– königlicher Kommissar  43 –– Organe 42 –– Provinzialausschuss 43 –– Provinzialordnung 42 –– Provinzialparlament 42 –– Provinzialverwaltung 42 Prüfungsmaßstab  282, 366 rechtliches Gehör  125 Rechtmäßigkeitsprüfung  171, 259 Rechtsbehelfsbefugnis 128 Rechtsbehelfsfrist  177, 201 Rechtsbehelfsschrift im Vorverfahren 174, 193 Rechtsbeschwerde 235 Rechtshandlung 143 Rechtspersonen des öffentlichen Rechts  32 Rechtspersönlichkeit − Erwerb der  33 Rechtsregeln –– geschriebene 285 –– ungeschriebene  73, 88, 215, 283 Rechtsschutzbedürfnis 137 Rechtssicherheit 312 Rechtstatsache 144 Rechtsverordnung  39, 147 Rechtsweggarantie 97 reformatio in peius  188, 266 Relativität, 341  364 richterliche Unabhängigkeit  116 Richtlinien 308 Rückforderung 146 Sachentscheidungsvoraussetzungen 262 Sachverhaltsaufklärung 277 Sachverhaltsfeststellung 267 Schaden 363 Schadensersatz 145 –– durch die Verwaltung  345 –– durch Verwaltungsgerichte  336 –– durch Zivilgerichte  350

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Schadensersatzanspruch  140, 157, 190 Schadensersatzpflicht 144 Schadensmaßnahme 345 –– auf gesetzlicher Grundlage  345 –– auf Grund einer Verwaltungsvorschrift  346 –– selbständige Schadensmaßnahme  347 –– unselbständige Schadensmaßnahme  350 Schadensminderungspflicht  241, 342 Schadensstatusverfahren 344 Schriftformerfordernis 142 Schutznormtheorie 130 Schutzzweck der Norm  341, 364 Selbstbindung der Verwaltung  150, 305, 312 sofortige Klage  166 f. sofortige Vollziehbarkeit  240 Sorgfaltspflicht 273 Sorgfaltsprinzip  179, 181, 277, 285 Sozialgerichtsbarkeit 82 Spezialitätsprinzip 295 Staatsaufsicht − Organe  40 Staatsform 37 Staatsgewalt 100 Staatsrat 60 Staatsverwaltung –– dezentrale 40 –– funktionale Dezentralisation  48 –– territoriale Dezentralisation  41 –– zentrale 37 Staten-Generaal siehe Parlament Streitgegenstand 260 subjektives Recht  130 Suspensiveffekt 172 Tatsachenermittlung –– durch die Verwaltung  286 –– ergänzende 267 Transparenz der Verwaltung  136 f. Umkehr der Beweislast  363 Umweltverbände 134 Unabhängigkeit der Richter  116 unerlaubte Handlung  355 ungeschriebene Rechtsregeln  305 unmittelbare Entscheidung in der Hauptsache  255 Unparteilichkeit der Richter  119 Untätigkeitsklage  138, 200

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Sachverzeichnis

Unvoreingenommenheit 301 Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts  210 Verfügungsgrundsatz 260 Verhältnismäßigkeit 297 Verknüpfungserfordernis 242 Vermögensjudikatur 108 Verpflichtungsklage  138, 199 Verschwiegenheit 303 Verstoß gegen ungeschriebene Grundsätze des gesellschaftlichen Verkehrs  360 Verteidigungsgebot 278 Vertrauensprinzip 305 Vertrauensschutz 311 Verwaltungsakt 142, Verwaltungsebenen  37 f. Verwaltungsgericht 158 verwaltungsgerichtliches Verfahren  196 Verwaltungsgerichtsbarkeit –– allgemeine 158 –– besondere 159 Verwaltungsinterne Kontrolle  52 f., 59, 264, 282 Verwaltungskompetenzen 41 Verwaltungsmaßnahme siehe besluit Verwaltungsorgan  35, 143 Verwaltungspraxis 326 Verwaltungsrechtsschutz 142 –– historische Entwicklung  52 Verwaltungsrechtsweg  141, 151 Verwaltungsträger  34 f., 37, 40 Verwaltungsvorschriften = Beleidsregels  146, 149 f.,305, 327, 346 Vorbehalt des Gesetzes  103 Vorbereitungsverfahren –– erweitertes 136

–– transparentes 135 Vorrang des Gesetzes  103 Voruntersuchung  206, 261 Vorverfahren 160 –– besonderes  68, 191 ff. –– allgemeines 161 –– Fristen 177 –– Rechtsbehelfsschrift 174 Waffengleichheit  125, 268 Wasserverbände 48 –– Organe 49 –– Tätigkeitsfeld 49 –– Verwaltungsorganisation 49 –– Deichgraf siehe Vorsitzender  50 –– Verwaltung 49 –– Vorsitzender 50 –– Vorstand 49 Wetgevende macht siehe Legislative Wiederaufnahmeverfahren 236 Wiedereinsetzung 265 Willkürverbot 294 Wirtschaftsverbände 48 Zentraler Berufungsrat  219 Zugang zu den Gerichten  122 Zusage 311 Zusammenhangskriterium 266 Zusicherung 311 Zuständigkeit der Ausgangsbehörde 219, 263 Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes  264 Zweckmäßigkeitsprüfung  171, 187, 259 Zweckverbände  35, 41, 47 Zweckverfehlung 293