Staat und Gesellschaft: Studien über Lorenz von Stein. Mit einer Bibliographie von Max Munding [1 ed.] 9783428441624, 9783428041626


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German Pages 629 Year 1978

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Staat und Gesellschaft: Studien über Lorenz von Stein. Mit einer Bibliographie von Max Munding [1 ed.]
 9783428441624, 9783428041626

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STAAT UND GESELLSCHAFT

Staat und Gesellschaft Studien über Lorenz von Stein

Herausgegeben und eingeleitet von

Roman Schnur

mit einer Bibliographie von

Max Munding

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1978 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany

© 1978 Duncker

ISBN 3 428 04162 3

Vorwort Seit etlichen Jahren ist eine Intensivierung des Interesses an Lorenz v. Steins Werk unverkennbar. Diese Entwicklung scheint mehr zu be· deuten als die routinemäßige Fortführung des Interesses, das seit Gottfried Salomons "Wieqerentdeckung" Steins im Jahre 1921 seinen Ausdruck in zahlreichen Monographien und Aufsätzen .fand .. Dieses Interesse entwickelte sich nicht losgelöst vom politischen Geschehen. Das gilt zunächst für die Weimarer Republik, aber auch für die Zeit des nationalsozialistischen Regimes. Nach 1945 wurden wieder andere Akzente gesetzt. Es ist wohl kein wissenschaftsgeschichtlicher Zufall, daß man sich damals vor allem der Verwaltungslehre Steins zuwandte. Doch anfangs der 60er Jahre kamen auch die anderen Teile im Werk Steins wieder deutlicher in den Blick, nicht zuletzt deshalb, weil sich die Ver· waltungslehre Steins schwerlich isoliert ("technokratisch") betrachten und würdigen läßt. Unter diesen Aspekten erschien es sinnvoll, in einem wissenschaftlichen Kolloquium einerseits die neuerenForschungen. in größeren Zusammenhängen auszuwerten, andererseits gleichzeitig diese Forschungen weiter voranzubringen. So entstand die Idee,.in einer interdisziplinären Veranstaltung, zu welcher jeder Teilnehmer eine Vorlage einreichen sollte, ohne Anspruch auf Vollständigkeit Zwischenbilanz zu ziehen. In der Anlage sollte dieses Kolloquium bewährten Mustern folgen (vgl. etwa: Staatsräson. Studien zur Geschichte eines politischen Begriffs, Berlin 1975, Duncker & Humblot). Allerdings konnte es sich hier nicht um eine eigentlich "internationale" Veranstaltung handeln, weil das Werk Steins aus Gründen, die hernach zu .erörtern sind, im Ausland nicht bekannt genug ist. Es dürfte daher auch kein Zufall sein, daß neben den österreichischenTeilnehmern, die. insoweit keine "Ausländer" sind, zu Themen Steins der in Straßburg lehrende Julien Freund und· zwei italienische Wissenschaftler Stellung nehmen, die als hervorragende Kenner der deutschen. Ideengeschichte bekannt sind. Hingegen berichten die anderen Ausländer über Wirkungen von Steins Werk, und zwar in einem geographischeii Rahmen, der sich von selbst versteht. Daß Beiträge z. B. aus der DDR und aus der Tschechoslowakei fehlen, beruht auf Gründen, die nicht im Bereich der Wissenschaft liegen, während Czernowitz heute russisch ist. Zur Durchführung des 1975 für Anfang April 1977 in Tübingen geplanten Kolloquiums ist es leider nicht gekommen. Beim allerletzten

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Vorwort

möglichen Termin für die Einsendung der Vorlagen fehlten zu viele der in Aussicht gestellten Beiträge, vor allem solche von deutschen Rechtswissenschaftlern. (Einige der damals fehlenden Beiträge konnten später doch noch fertiggestellt werden, für den Druck dieses Bandes.) Für eine intensive Diskussion, die sich über mehrere Tage erstrecken und ebenfalls gedruckt werden sollte, blieben wichtige Themenkreise in Steins Werk ohne schriftliche Referate. Das waren weitaus mehr "Ausfälle", als man bei solchen Veranstaltungen einzukalkulieren pflegt. Deshalb mußte vom Kolloquium, so bitter das für alle Beteiligten war, abgesehen werden. Aber allen Autoren ist herzlich dafür zu danken, daß sie ihre Texte für die Veröffentlichung dieses Bandes zur Verfügung gestellt haben. Die Befürchtungen, die im Vorwort zum Band über "Staatsräson" ausgesprochen wurden, haben sich also rasch bestätigt: "Aber es ist nicht auszuschließen, daß das Unorganisierte immer ungünstigere Bedingungen für wissenschaftliche Arbeit vorfindet" (S. 6). Wenn erfahrene deutsche Rechtswissenschaftler derart in Terminnot geraten, so dürfte das daran liegen, daß unsere Rechtsfakultäten zu den ersten Opfern der sog. Bildungsreform gehören, indem gerade sie mit Studenten nahezu überschwemmt wurden. Da verdrängt die Administration der Lehre und der Prüfungen jedenfalls die zweckfreie Forschung, wie dies auch im Sinne fast aller maßgeblichen Politiker ist. So ist es nur folgerichtig, daß man in Bonn ein kostspieliges "Programm für die Förderung synoptischer Bücher" entwirft, deren Autoren ein Jahr lang vom sonstigen Betrieb freigestellt werden sollen. Und da man in Österreich manche bundesdeutschen Vorgänge mit zeitlicher Verschiebung wiederholt, konnten die entsprechenden Folgen für einige österreichische Teilnehmer nicht ausbleiben. (So konnte Peter Oberndorfer/Linz nicht über Steins Einfluß auf die Wiener Ministerialbürokratie berichten.) So mag dieser Band nicht nur Zeugnis ablegen davon, was heute der For$chung möglich ist, sondern auch davon, was nicht mehr möglich ist: Die Verwirklichung des ursprünglichen Plans hätte mit Sicherheit noch interessantere Ergebnisse gebracht. Dem Band ist eine Bibliographie beigefügt, welche die verdienstvolle bibliographische Arbeit vor allem von Werner Schmidt fortführen soll. Sie kann keinen Anspruch auf auch nur annähernde Vollständigkeit erheben, dürfte aber gleichwohl beträchtliche Fortschritte zeigen. Dies ist der Arbeit von Max Munding zu verdanken, der gleichzeitig die Rollen als Hilfsassistent sowie als Rechtsreferendar spielen mußte und auch noch die Magisterprüfung in Politikwissenschaft vor sich hat. Auch erschien es sinnvoll, im Anhang alle Briefe Steins an Mohl abzudrucken, die sich in der Tübinger Universitätsbibliothek befinden.

Vorwort

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Sie werden ohne kritischen Apparat wiedergegeben - eine kritische Ausgabe von Briefen Steins wird hoffentlich nicht mehr lange auf sich warten lassen. Dem Kultusministerium Baden-Württemberg einerseits und der Robert-Bosch-Stiftung in Stuttgart andererseits ist dafür zu danken, daß sie dem Herausgeber zunächst die für die Veranstaltung des Kolloquiums nötigen Mittel zur Verfügung stellten und ihm dann jene Mittel überließen, die für die Vorbereitung dieses Bandes unentbehrlich waren. Die Landesregierung Schleswig-Holstein hingegen mußte sich auf geistige Hilfe beschränken. Wiederum ist dem Inhaber des Verlages Duncker & Humblot, Herrn Prof. Dr. Johannes Broermann, Berlin, dafür zu danken, daß er ohne Zögern die Veröffentlichung eines derart umfangreichen Bandes übernommenhat. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Lehrstuhls Öffentliches Recht V danke ich ebenfalls herzlich - wir kamen uns bisweilen vor wie die Insassen eines Bootes, das im Reformsturm rascher volläuft, als man es lenzen kann. Schließlich soll noch mitgeteilt werden, daß alle Autoren dieses Bandes nicht nur zur Forschung über Lorenz v. Stein beitragen, sondern auch die Universität Tübingen aus Anlaß ihres 500jährigen Bestehens ehren möchten, also jene Universität, die beinahe auch Lorenz v. Stein zu ihren Mitgliedern hätte zählen können. Tübingen, im November 1977

Roman Schnur

Inhalt Roman SchnuT:

Einleitung

13 I. Grundfragen

WeTneT Schmidt:

Der junge Lorenz von Stein zwischen Nationalität und Europa

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Adolf Theis:

Lorenz von Stein und die deutsche Gesellschaftslehre in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ........................................ 47 J{laus HaTtmann:

Reiner Begriff und tätiges Leben. Lorenz von Steins Grundkonzeption zum Verhältnis von Staat und Gesellschaft und von Rechtsphilosophie und Recht ..........................• . . . . . . . . . . . . . . . .. 65 BernaTd Willms:

Lorenz von Steins politische Dialektik

97

Julien FTeund:

Politique et economie selon Lorenz von Stein. Commentaires a l'introduction "Der Begriff der Gesellschaft" de l'ouvrage "Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage" .. 125

Hans-Joachim ATndt:

Gesellschaftlicher Bedingungsrahmen und staatlicher Handlungsspielraum. Zu Lorenz von Steins Bedeutung für das VerständniS der "politischen Ökonomie" im 20. Jahrhundert .............................. 149 Raimund HÖTbuTgeT:

Steins Sozialismusverständnis von 1842 ......................... . .. 185

D. Der soziale Staat PieTangelo SchieTa:

Zwischen Polizeiwissenschaft und Rechtsstaatlichkeit. Lorenz von Stein und der deutsche Konservatismus ............................ 207

Inhalt

10 Günther Matuschke:

Lorenz von Steins Staatsformenlehre .............................. 223 Rotf Grawert:

Staats amt und Volksvertretung. Institutionelle Gegenkräfte im politischen Ordnungssystem Lorenz von Steins ........................ 245 Utrich Scheuner:

Zur Rolle der Verbände im Rahmen der sozialen Verwaltung nach der Lehre von Lorenz von Stein. Die Stellung Lorenz von Steins in der neueren Staats- und Gesellschaftslehre ........................ 273 Francesco de Sanctis:

Eigentum und Arbeit in der Steinschen Wissenschaft der Gesellschaft 305 Rainer Waht:

Der übergang von der feudal-ständischen Gesellschaft zur staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung als Rechtsproblem: Die Entwährungslehre Lorenz von Steins ...................................... 337 Franz Ronneberger:

Die Bedeutung der Öffentlichkeit bei Lorenz von Stein .............. 373 Kart-Hermann Kästner:

Von der sozialen Frage über den sozialen Staat zum Sozialstaat. Zu Lorenz von Steins Sozialtheorie in ihrer Relevanz für die sozialen Probleme des 19. Jahrhunderts und für den sozialen Rechtsstaat der Gegenwart ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 381 111. Die Verwaltung Eckart Pankoke:

Soziale Politik als Problem öffentlicher Verwaltung. Zu Lorenz von Steins gesellschaftswissenschaftlicher Programmierung des "arbeitenden Staates" ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 405 Dirk Btasius:

Zeitbezug und Zeitkritik in Lorenz von Steins Verwaltungslehre .... 419 Franz Mayer t:

Die Verwaltungslehre des Lorenz von Stein - Verwaltungslehre heute .............................................................. 435 Georg-Christoph von Unruh:

Rechtsstaat und Verwaltungsrechtspflege bei Lorenz von Stein ...... 451

Inhalt

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IV. Wirkungen Steins Georges Langrod:

L'reuvre de Lorenz von Stein vue par ses successeurs .............. 465 Karl Wenger:

Lorenz von Stein und die Entwicklung der Verwaltungswissenschaft in Österreich ...................................................... 479 Otto Bihari:

Lorenz von Stein in Ungarn ........................................ 503 Eugeniusz Ochendowski:

Die Zusammenhänge der Lehre Lorenz von Steins mit der polnischen Verwaltungswissenschaft und Verwaltungsrechtswissenschaft ........ 515 Eugen Pusit:

Lorenz von Stein im zeitgenössischen jugoslawischen Schrifttum .... 535 Anhang

Briefe Steins an Mohl .............................................. 545 Max Munding:

Bibliographie der Werke Lorenz von Steins und der Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 561 Verzeichnis der Autoren ............................................ 627

Einleitung Von Roman Schnur I. Die Würdigung von Steins wissenschaftlichen Leistungen dürfte, wie auch und vielleicht sogar vor allem die Beiträge dieses Bandes zeigen, die Phase der Apologie einerseits und der entschiedenen Ablehnung andererseits endgültig verlassen haben. Es war verständlich, daß im Zuge der "Wiederentdeckung" Steins eine "positive" Polemik zugunsten Steins einsetzte, wie dies in solchen Fällen stets vor sich zu gehen pflegt. Hierbei kam ein Anti-Positivismus zum Zuge, der bekanntermaßen, jedenfalls teilweise, auch von massiven politischen überlegungen forciert wurde. In einer solchen Situation muß es dazu kommen, daß die Vorzüge eines wissenschaftlichen Werkes in den Vordergrund gerückt werden, wohingegen die Schwächen bzw. die schwachen Stellen wenn nicht schon bewußt verschwiegen, so doch im Hintergrund bleiben. Dadurch wurden der Kritik leicht zugängliche Ansatzpunkte geboten: Die wissenschaftstheoretische Kritik vom Standpunkt des Rechtspositivismus z. B. hatte bisweilen leichtes Spiel, weil die Apologeten Steins glaubten, Aussagen Steins auf eine andere positive Rechtslage unvermittelt übertragen zu können. Hierbei zeigte sich auch - z. B. im Hinblick auf die Institutionalisierung der Verwaltungslehre -, daß Steins organisatorische Vorschläge in Deutschland auf eine Situation des Wissenschaftsbetriebs trafen, die die Verwirklichung dieser Vorschläge illusorisch machen mußte. Hier hatte es dann die Kritik leicht, das Illusorische der organisatorischen Vorstellungen Steins von der Verwaltungslehre sogleich dazu zu verwenden, Steins inhaltliche Vorstellungen von Verwaltungslehre ebenfalls abzulehnen. Der Wissenschaftsgeschichte ist solche Argumentation geläufig: Wenn die Kraft der Argumentation hie et nune nicht ausreicht, wird mit der Einsichtigkeit von renommierten "Vorgängern" argumentiert. Scheitert jedoch diese Argumentation, so ist die Reputation des herangezogenen Vorgängers leicht gänzlich verbraucht, konkret gesprochen: ist Steins Konzeption als Ganze "erledigt", nur noch Gegenstand der Wissen-

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Roman Schnur

schaftsgeschichte, aber nicht mehr Beitrag zur gegenwärtig laufenden Diskussion. Dieses Stadium der Beschäftigung mit Steins Werk dürfte nun endgültig beendet sein. Der Blick auf die geschichtliche Position Steins ist freier geworden1• Er kann zeigen, welche Aussagen Steins an eine bestimmte Situation so sehr gebunden sind, daß sie mit dem Wegfall dieser Situation ihrerseits ebenfalls zum Teil der Geschichte werden. Bei einem Autor, der so sehr ins Konkrete gegangen ist, machen diese Teile seines Werkes nicht wenig aus. Das sollte jedoch nicht als überraschung breit diskutiert, sondern als Selbstverständlichkeit behandelt werden. Jedes genüßliche Beharren auf diesem Punkt der Kritik ist wissenschaftlich unergiebig. Viel wichtiger ist die Frage, wie sie in den Beiträgen dieses Bandes vor allem Hans-Joachim Arndt besonders scharf gefaßt hat, nämlich welche Themen Steins noch heute unmittelbare Bedeutung haben und wie insoweit die Aussagen Steins zu werten sind. An dieser Stelle nun scheiden sich die Geister grundsätzlich; denn hier kommt es darauf an, welchen Standpunkt man gegenwärtig zu den seit Steins Zeit anhaltenden Sachverhalten einnimmt. Hier geht es um Prämissen der kritischen Würdigung von Steins Ideen, die offen zu legen sind, wenn kritische Diskussion möglich sein soll. Dieser Forderung jedoch wird in der heutigen, vornehmlich der deutschen (genauer: der in der Bundesrepublik Deutschland stattfindenden), Diskussion nicht immer entsprochen. Zu diesen Prämissen gehört vor allem die Feststellung, daß Steins Antwort auf die "soziale Frage" nicht diejenige ist, die Marx und seine Anhänger gefunden haben, welche Spielarten der Ausdeutung von Marx auch immer in Betracht kommen mögen. Eine solche Prämisse liegt aber auch in der Tatsache, daß Stein den Klassencharakter aller Gesellschaften, erst recht denjenigen der sich damals entfaltenden industriell-kapitalistischen, gleichzeitig, wenn nicht noch vor Marx, in einer Weise beschrieben hat, die man auch heute als vollendet bezeichnen darf. (Wobei zu bemerken ist, daß Stein keineswegs der einzige deutsche Autor war, der die "soziale Frage" sehr deutlich sah.) In der 1 Ernst Forsthoff stellt in der Einführung zu der von ihm veranstalteten Ausgabe (siehe unten die Bibliographie I, Nr. 224) eingangs geradezu lapidar fest: "Die staatstheoretische Forschung der letzten Jahrzehnte hat dem Schrifttum des frühen deutschen Konstitutionalismus, für das Namen wie Robert von Mohl, Lorenz von Stein und Rudolf Gneist stehen, ein nachhaltiges Interesse zugewandt." Für Gneist gilt das leider nicht im gleichen Maße wie für Stein und Mohl (jedoch: G. Schmidt-Eichstedt, Staatsverwaltung und Selbstverwaltung bei Rudolf von Gneist, Die Verwaltung, 8, 1975, S. 345 ff.). Über Mohl neuestens U. Scheuner, Robert von Mohl. Die Begründung einer Verwaltungslehre und einer staatswissenschaftlichen Politik, in: Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen 1477 - 1977, Tübingen 1977, S. 514 ff.

Einleitung

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Analyse der "sozialen Frage" also ließ sich Stein von keinem anderen zeitgenössischen Autor übertreffen. Schon diese Feststellung dürfte genügen, um in Stein einen der größten politischen Denker des 19. Jahrhunderts zu sehen. Deshalb ist es geradezu absurd, Stein als einen bürgerlich-konservativen oder gar retrospektiven Denker anzusehenhier muß die Diskussion abgebrochen werden, weil sie unergiebig wird. Steins Antwort auf die "soziale Frage" unterscheidet sich grundsätzlich von derjenigen des "Marxismus"!. Diese Unterscheidung beruht vor allem darauf, daß Stein, worauf in diesem Band vor allem Bernard Willms und Arndt eingehen, bei den unabdingbaren "sozialen Reformen" am Begriff der freien Persönlichkeit festhalten will. Er war mithin auch der Ansicht, daß der Marxismus zu Lösungen führen müsse, die dieses Ziel nicht erreichen können. Hier muß nun mit aller Deutlichkeit bemerkt werden, daß der "organisierte Marxismus" (gemäß den Mustern "Moskau" oder "Peking") nicht anders kann, denn diese Meinung Steins zu bestreiten. Es gehört nicht nur zur Theorie, sondern zur Praxis des "organisierten Marxismus", daß dort jede diesbezügliche kritische Diskussion am eigenen Grunddogma unmöglich ist. Infolgedessen ist Kritik an Stein, die von dort her erfolgt, als Faktum schlechterdings hinzunehmen: Mit ihr zu diskutieren ist bei so eng gehaltenem institutionalisiertem Grunddogma unmöglich, sogar mit nicht rechtsstaatlichen Repressionen bedroht. Anders steht es mit jenen marxistischen Denkpositionen, die man außerhalb des gewissermaßen bereits verstaatlichten Marxismus antrifft. Hierbei geht es vor allem um Ansichten, wonach gewisse Verbindungen zwischen weiterentwickeltem bürgerlichem Begriff von freier Persönlichkeit und genuin marxistischen Grundpositionen möglich seien. Allerdings befinden sich diese Denkpositionen gegenüber Stein in einer argen Beweisnot: Wenn die Weiterentwicklung des Systems, dessen Grunddogma insoweit auch Stein teilte, nicht zum gänzlichen Verschwinden der freien Persönlichkeit geführt hat, wird Steins "reformerischer" Ansatz von der Wirklichkeit nicht widerlegt. Hingegen sieht sich die Gegenposition vor dem Dilemma, für das Gelingen der angestrebten Verbindung von freier Persönlichkeit und marxistischen Grundpositionen auf keinen auch annähernden Erfolg in der Wirklichkeit verweisen zu können. Einstweilen jedenfalls kann diese Gegen! Treffend Friedrich Jonas, Geschichte der Soziologie, Bd. 11, Reinbek 1968, S. 133: "Marx sieht die soziale Frage im Lichte einer Theorie, die sich der künftigen Wahrheit der Geschichte gewiß ist. Stein sieht die soziale Frage im Licht der Erfahrung. Bei ihm handelt es sich um das Problem, wie ein gesellschaftlicher Zusammenhang stabilisiert werden kann, der weder in sich selbst stabil ist, wie es die liberale Theorie vorausgesetzt hatte, noch aus sich selbst zu einer höheren Stabilisierung hintreibt, wie es Hegel und nach ihm die sozialistische Theorie behauptet hatte."

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RomanSdlfiur

position nur Wechsel auf die Zukunft ausstellen, von der nicht.. gewill ist, ob sie sie einlösen wird. Das ist doch wohl eine sehr ungünstige Situation für eine Argumentation aus der Anti-Position zu Stein heraus. Diese Antiposition, welche die Machtstrukturen des "organisierten Marxismus" weithin ablehnt, steht vor allem vor dem Dilemma der Macht. Ihre Schwäche besteht, wie hier insbesondere Julien Freund darlegt, darin, daß sie infolge der Konzentration auf die. Eigentumsfrage leicht geneigt ist anzunehmen, daß die "Vergesellschaftung" der Produktionsmittel, also die Abschaffung des individuellen Eigentums an denselben, bereits die Lösung der Machtfrage im neuen System bedeute. Die bloße Negation einer bestimmten Machtstruktur aber kann diese zwar beseitigen; doch besagt dies noch nichts darüber, wie die neuen Machtstrukturen aussehen sollen bzw. wie sie mit den eigenen Prämissen in Einklang gebracht werden. Darauf geht hier auch Ulrich Scheuner in seiner Studie ein. An dieser entscheidenden Stelle erhält das Denken der hier gemeinten Antiposition zu Stein notwendigerweise etwas Schwarmgeisterhaftes, und man versteht, weshalb man diese Denkweise besonders stark im nicht-marxistisch regierten Teil Deutschlands antrifft. Im Hinblick auf die staatliche Macht als solche war Stein als Rechtslehrer bereits in der Analyse der Bedeutung des Rechts für die "soziale Frage" Marx überlegen', und hier konnte er für seine eigenen "Reformvor.. schläge" präziser argumentieren als die hier gemeinte Antiposition, was immer auch kritisch zu Steins diesbezüglichen Vorstellungen zu sagen ist (und in diesem Band auch gesagt wird). Demgegenüber muß der Versuch, mehr oder weniger alles an der Eigentumsproblematik festzumachen (ein dialektisch produzierter "Eigentumsfetischismus"), etwas Nadelöhrhaftes bekommen, mit dem eine ironische Antikritik das Kamelhafte verbunden sehen würde·. Es wird also wohl dabei bleiS Gerade an diesem wichtigen Punkt im Denken Steins zeigt sich, wie flach-positivistisch der Vorwurf ist, Stein sei "unjuristisch". Es zeigt sich aber auch, daß der juristisch nichtgeschulten soziologischen Denkweise wesentliche Elemente im Werk Steins entgehen müssen. , Das Verhältnis Stein-Marx ist hier nicht zu thematisieren. Doch sei auf eine oft übersehene Äußerung Steins hingewiesen, in:. Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaft Deutschlands, Stuttgart 1876, S. 269: "... Wenn wir in den schönen Arbeiten eines Brentano, Schönberg und anderen etwas vermissen, so ist es eben die Beleuchtung der Lohnfrage nicht vom socialen, sondern vom privatrechtlichen Standpunkt und seinem Verhältniß zum ,Handelsrecht', den man mit der geschickten Operation eines Marx wohl bei Seite schieben, aber nicht beseitigen kann. Selbst Proudon hat zwar das Eigenthums- aber nicht das Arbeitsrecht in Frage gestellt." In der Praxis mußte der Marxismus folgerichtig dann auch di.e freien Gewerkschaften beiseitesteIlen. Hingegen darf in einer noch zu schreibenden Gesamtdarstellung der Geschichte des Arbeitsrechts Lorenz von Stein nicht fehlen. Zwar ist der Bedeutung Steins für das werdende Arbeitsrecht in diesem Band kein eigener Beitrag

Einleitung

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ben müssen: daß diese Antiposition zu Stein in einer schlechten Argumentationsbasis im Konkreten und damit auch im kritisch Überprüfbaren gegenüber Stein schwach ist. Sie vermag zwar Steins Schwächen darzutun (was sich freilich auch, wie etliche Studien dieses Bandes erneut zeigen, von einem immanenten Standpunkt aus bewerkstelligen läßt), aber nicht plausibel zu machen, weshalb man, um eine Wendung ArnoZd GehZens zu gebrauchen, Einrichtungen mit bekannten Fehlern eiligst durch Einrichtungen mit noch unbekannten ersetzen so115 • (Noch unbekannten, weil die hier gemeinte Antiposition die bekannten Fehler des etablierten Marxismus nicht will.) Es erschien angebracht, diese Skizzierung von Grundpositionen zu versuchen, um anzuzeigen, in welchen Bezügen eine Auseinandersetzung mit Stein denkbar ist, angebracht eben auch deshalb, weil nur zu oft auch insoweit die eigenen "Prämissen nicht offen gelegt werden". II.

Die in diesem Band vereinigten Studien dürften - nicht zuletzt wegen des "interdisziplinären Ansatzes" - noch deutlicher als bisher klargestellt haben, welche Bedeutung Steins Werk für die heute bestehenden nicht-marxistischen Systeme hat. Gerade wegen der Kritik an wichtigen Positionen Steins werden die positiven Feststellungen über Stein überzeugender. Wegen des Fehlens mancher wichtigen Themen in diesem Band soll nun versucht werden, auf einige kritische Stellen im Werk Steins einzugehen. Die systemimmanente Kritik weist u. a. darauf hin, daß wichtige Ziele Steins entgegen seiner Annahme, nur das Königtum der sozialen Reform sei imstande, diesen Prozeß in Gang zu setzen, auch, ja sogar nur durch Demokratien erreicht werden. Nun wäre dazu vorab zu bemerken, daß erste wichtige Schritte zur sozialen Reform auch von Monarchien unternommen worden sind. Gleichwohl ist der Kritik zu konzedieren, daß, wie die Geschichte nach Stein gezeigt hat, die hauptsächlichen Schritte nur in der demokratischenStaatsform möglich waren. Man könnte gegen diese Kritik an Stein auch einwenden, erst recht nach 1848 habe Stein in der Wirklichkeit keine andere Möglichkeit gewidmet, doch darf vor allem auf H.-J. Arndts diesbezüglichen Ausführungen hingewiesen werden. Die Aussage Arndts, die Prägnanz von Steins Formulierung, mit der das Problem der "Tarüpartner" umrissen werde, könne auch heute nur schwer übertroffen werden, ist sehr anspruchsvoll, doch wohl kaum zu bestreiten. Für früher siehe Fritz Werner, Lorenz von stein und die Anfänge der deutschen Arbeitsrechtswissenschaft, Deutsches Arbeitsrecht, 1939, S. 102 ff. 5 Arnold Gehlen, Einblicke, Frankfurt 1975, S. 103. 2 Staat und Gesellschaft

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Roman Schnur

ausmachen können, als auf das Königtum der sozialen Reform zu setzen. Das wäre zwar im Hinblick auf die Praxis plausibel, doch wird damit eine theoretisch ansetzende Kritik an Steins Konzeption nicht hinreichend widerlegt. Man muß also auf diese Kritik eingehen. Die empirisch belegte Schwäche der Argumentation Steins dürfte vor allem darauf beruhen, daß Stein der Verfassung als solche nicht die Rolle einer neutralen Größe zuerkennen und sie, wie es earl Schmitt formulierte, als Symbol den pouvoir neutre eines Monarchen oder eines Staatshauptes ergänzen oder gar ersetzen kann6 • Wenn Stein jedoch von dieser Überlegung ausging, so blieb ihm für die Verwirklichung der Politik der sozialen Reform keine andere Konstruktion als die der sozialen Monarchie 7 • Immerhin hatte Stein 1850 in seinen überaus eindrucksvollen, allerdings noch immer nicht genügend beachteten Ausführungen über die Republik des gegenseitigen Interesses (von Kapital und Arbeit) die Voraussetzungen für eine Lösung ohne Monarchie angegeben. Stein selbst hat diesen Überlegungen besondere Bedeutung beigelegt: "Das wenige, was wir jetzt zu sagen haben, ist vielleicht das Wichtigste in unserer ganzen Arbeit. Denn indem es die höhere Stufe der Entwicklung enthält, zeigt es uns das Ziel, nach welchem wir streben sollen. Es lehrt uns, mitten in den scheinbar verzweifelten Zuständen die endlich Lösung hoffen und den Mut im Kampfe für das Bessere durch den Glauben an seine Zukunft festhalten. Es zeigt uns endlich, welchen Weg auch wir schon jetzt einzuschlagen haben, und läßt uns unter den Trümmern der zusammenstürzenden Verhältnisse die schon emporsprossenden Keime besserer Dinge erkennen und begrüßen8 ." Die Einsicht Steins in die Notwendigkeit der Republik des gegenseitigen Interesses wird jedoch nicht in eine verfassungsrechtliche Konstruktion umgesetzt 9 • Stein schildert zwar klar die Voraussetzungen ("Fundamentalkonsens"); aber er zieht keine Konsequenzen für die Verfassungskonstruktion: "Der Übergang der Demokratie zu jener neuen Gestalt ist bereits angedeutet in dem Losungswort der sozialen Demokratie. Noch ist der Inhalt dieser Idee unklar. Wenn sie nicht aus ihrer Unklarheit heraustritt, wird sie verschwinden. Wenn sie aus derselben e Siehe earl Schmitt, Hugo Preuss. Sein Staatsbegriff und seine Stellung in der deutschen Staatslehre, Tübingen 1930, S. 29 (Anm. 10 betr. S. 14). 7 Damit soll nicht wogegen sich E.- W. Böckenförde zu recht wendet gesagt werden, das Königtum sei bei Stein Teil einer systematischen Staatstheorie (vgl. Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, Frankfurt 1976, S. 162). Es soll vielmehr eine konstruktive Schwäche Steins erörtert werden, und zwar im Hinblick auf die Republik des gegenseitigen Interesses. 8 Geschichte der socialen Bewegung, Ausgabe München 1921, Bd. 11, S. 195. 9 Das wird von Eckart Pankoke, in: Blasius / Pankoke, Lorenz von Stein, Darmstadt 1977, S. 122 f., nicht deutlich genug gesehen.

Einleitung

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heraustreten will, muß sie zur Lehre von der Gesellschaft werden10 ." Das ist in gewissem Sinne sicherlich richtig, aber hier ist Stein wohl doch seiner überzeugung, die Deutschen seien das Volk der Wissens,chaft, zum Opfer gefallenl l ; denn hier war positivrechtlich die soziale Demokratie auszugestalten. Wie das später geschehen ist, bedarf keiner weiteren Darlegungen: Demokratie mit allgemeinem Wahlrecht einerseits, Freiheitsgrundrechten in der Verfassung andererseits; diese aber ist so konzipiert, daß eine nicht-kapitalistische Mehrheit ihre Politik durchsetzen kann, jedoch den "Wesensgehalt" der Freiheitsgrundrechte respektierend. Ein hohes Hindernis für Stein auf dem Wege zu einer adäquaten Verfassungskonstruktion bestand auch darin, daß Stein den Bereich des Gesetzes offensichtlich auf die "allgemeinen" Gesetze (Justizgesetze, law and order usw.) begrenzte und in jeder gestaltenden Tätigkeit des Staates nur "Verwaltung" sah, von einer irgendwie gearteten Verfassungsgerichtsbarkeit, d. h. der Kontrolle der gesetzgeberischen Bindung an die Verfassung ganz zu schweigen. Diese Sicht Steins ist alles andere als verfassungsrechtlich belanglos, denn sie betrifft u. a. die Rechte des Parlamentes: Stein muß so zu der Ansicht kommen, daß die große Aufgabe der sozialen Reform mehr oder weniger ausschließlich in den Bereich der Verwaltung falle, anders gesagt, daß die Prämie auf legalen Machtbesitz für eine bürgerliche Mehrheit in der Volksvertretung viel größer ausfallen muß als dort, wo das gesetzgebende Organ nicht auf den Erlaß "allgemeiner" Gesetze beschränkt ist. Kommt jedoch auf die erwähnte Weise die Idee der Republik des gegenseitigen Interesses, die soziale Demokratie, in der Verfassung zum Ausdruck, dann ist die Grundlage für die Gegenseitigkeit geschaffen, auf welcher und in deren Rahmen die Ausübung der je politisch, d. h. durch den Wähler bestimmten Staatsgewalt stattfindet. Klaus Hartmann weist in seinem Beitrag darauf hin, daß die tatsächliche Entwicklung der sozialen Demokratie im Sinne Steins dazu geführt habe, die auch von Stein angenommene einfache (d. h. zweifache) Klassenschichtung durch vielfältigere Schichtungen (oder auch: Klassenbildungen) zu ergänzen, wohl genauer: zu ersetzen. Das ist im einzelnen durch die moderne Soziologie zur Genüge dargetan worden, als daß darauf hier näher einzugehen wäre: Eben dieser Sachverhalt ist mit der Bezeichnung von der komplexen hochentwickelten Gesellschaft gemeint. Dadurch werden, jedenfalls teilweise, die Voraussetzungen für die Republik des gegenseitigen Interesses noch günstiger - zum Leidwesen der Untergangsvorhersager. Stein hat diese Entwicklung der für seine Geschichte der socialen Bewegung, Bd. II, a.a.O., S. 207. Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaft Deutschlands, a.a.O., S. 319/320. 10

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Roman Schnur

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Konzeption günstigen Konstellation nicht vorhergesehen (bzw. nicht vorhersehen können). Das hat ihn - erst recht nach der weiteren Entwicklung seit 1850 - veranlaßt, die Verwirklichung der sozialen Reform an der Monarchie festzumachen. Dieser "Fehler" Steins kann jedoch nicht dazu benützt werden, die Konzeption der sozialen Demokratie zu diskreditieren. Es verhält sich hier - an einem noch wichtigeren Punkte - doch wohl so wie bei dem eingangs erwähnten Versuch Steins, die Verwaltungslehre zu institutionalisieren: Die Umsetzung der Idee unter den bestehenden Verhältnissen ist mißlungen, doch war sie später, nach Stein, möglich, wozu jedoch zu bemerken wäre, daß die Monarchien (z. B. die Bismarcksche Sozialgesetzgebung) einige Bausteine für die neue Gestalt der sozialen Demokratie bereitgestellt hatten. Die marxistische Kritik an Steins Position außerhalb des etablierten Marxismus gerät gerade an diesem wichtigen Punkt in das vorhin erwähnte Dilemma: Die Idee der sozialen Demokratie, deren konstruktive Umsetzung Stein mißlang, ist später besser umgesetzt worden, wohingegen ein solches Gelingen von den Anhängern dieser Antiposition zu Stein noch nicht vorgezeigt werden kann. Deshalb wird man Friedrich J onas zustimmen müssen, wenn er von Steins Ideen sagt: "Es war das Programm der gesellschaftlichen Entwicklung im nächsten halben Jahrhundert1!."

m. Wenn dermaßen die Bedeutung Steins heute - nicht zuletzt nach dem Studium der Beiträge dieses Bandes - deutlicher als früher gesehen wird, so bleibt die (hier nicht in einem eigenen Beitrag erörterte) Frage, weshalb Stein in Deutschland für gewisse Zeit "vergessen" war. Dafür hat man etliche plausible Erklärungen gegeben. Da war sein wissenschaftlicher Stil (es soll bewußt nicht von "Methode" gesprochen werden), der einer wissenschaftlich "positivistischer" werdenden Zeit nicht zusagte. Da ist der Umstand, daß Stein sich seit dem Weggang nach Wien nicht mehr direkt an ein deutsches Publikum wandte, ein Umstand, der allerdings durch den Hinweis relativiert werden muß, daß Stein das besonders wichtige Buch "Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaft Deutschlands" im Jahre 1876 doch direkt, und zwar mit sehr kritischen Tönen, an deutsche Leser richtete. So plausibel solche Erklärungen auch sind, so dürften sie doch nicht ausreichen, das zeitweilige "Vergessen" Steins in Deutschland befriedigend zu erklären. Dafür muß man politisch tiefer ansetzen und von 11

Jonas, Geschichte der Soziologie, a.a.O., S. 133.

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der Bedeutung des Jahres 1871 ausgehen: Hier fand für Deutschland jene bürgerliche Positivierung statt, die Frankreich bereits zu Beginn des Jahrhunderts unter Napoleon erlebt hatte13 • In gewisser Parallele dazu schloß das deutsche Bürgertum den politischen Frieden mit der Monarchie, die im dominierenden Bundesland Preußen das Dreiklassenwahlrecht nicht aufgab und später zur Sozialistengesetzgebung statt zur weiteren sozialen Gesetzgebung überging. Stein selbst hatte bereits 1852 wie kein anderer klar gesagt, worin die preußische Verfassungsfrage bestand14, und er hat den "Modernisierungsrückstand" Preußens, wie hier Rainer Wahl darlegt, deutlich beschrieben. Deshalb muß heute sein letzter Appell an Deutschland im Jahre 1876 wie der Ausdruck geradezu verzweifelter Hoffnung erscheinen. Stein hatte auch gesagt, daß im Jahre 1848 der Versuch, einen deutschen Staat zu schaffen und gleichzeitig das anstehende Verfassungsproblem zu lösen, scheitern mußte. Im Jahre 1871 wurde das politisch Erreichte "positiviert", auch in Gestalt der großen Kodifikationen. Das war, trotz einiger wichtiger Anläufe, nicht das von Stein gemeinte soziale Königtum. Unter diesen Umständen mußte die Position Steins in Deutschland dem "Vergessen" anheimgegeben werden. Jetzt hatten die Positivierer, die Entfalter der neuen Rechtsdogmatik, das Wort, und von ihrem Standpunkt aus war es leicht (konnte es auch gar nicht anders sein), Stein als auch wissenschaftlich überholt abzutun15 • Dieses spezifisch Deutsche des Bruchs mit Stein kann man als einen Grund dafür ansehen, weshalb der Bruch mit Stein in Österreich, wie unten die Beiträge von Langrod (früher Krakau) und Wenger zeigen, weniger scharf war. Andererseits gilt: Wo Politik im Sinne der sozialen Reform verwirklicht wurde, wo spätere Wissenschaftler für diese Richtung eintraten vor allem die sog. Kathedersozialisten -, hatte Stein doch "Erfolg". Man sollte hierbei die freilich diffuse Wirkung Steins nicht unterschätzen, denn Werke, an denen nur wenig Interesse besteht, erleben nicht jene Auflagen, die etliche Bücher Steins erreichten. Der Erfolg hat bekanntlich viele Väter, und der Jüngere pflegt hier stets vor den Älteren zu rücken, zumal er über neueres Tatsachenwissen verfügt, also die Theorie besser "anwenden" kann. Zudem sprach 1867 schon 13 Dazu ausführlicher R. Schnur, "La Revolution est finie." Zu einem Dilemma des positiven Rechts am Beispiel des bürgerlichen Rechtspositivismus, in: Standorte im Zeitstrom. Festschrift für Arnold Gehlen, Frankfurt 1974, S. 331 ff. 14 Zur preußischen Verfassungsfrage (hier zitiert nach der von Carl Schmitt, Berlin 1940, besorgten Ausgabe). Es ist in diesem Zusammenhang zu bemerken, daß Preußen im 19. Jahrhundert nach Clausewitz kaum einen politischen Denker von hohem Rang hervorbrachte - von Gneist abgesehen. U Siehe auch das Nachwort von Carl Schmitt zu der eben zitierten Ausgabe.

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der junge Schmoll er von Stein als einem Schriftsteller, "den außer Gelehrten niemand liest, den man daher auch um so ungestrafter plündern und ausschreiben kann, ohne sich nebenher ein Gewissen daraus zu machen, ihn tot zu schweigen oder über ihn loszuziehen 16." Diese Feststellung ändert freilich nichts an der Tatsache, daß Stein für die im Deutschen Reich herrschende Meinung (vornehmlich der Jurisprudenz) ein nicht mehr passender Autor war. Dieses "Vergessen" Steins in Deutschland hat also in erster Linie spezifisch deutsche politische Gründe, nicht solche allgemein-geschichtlicher Art. Anders wäre auch kaum zu erklären, weshalb z. B. in Italien Stein zu jener Zeit interessant wurde, als in Deutschland das "Vergessen" begann17• Dies mit der "Rückständigkeit" Italiens erklären zu wollen, wäre wissenschaftlich nicht haltbar, aber für deutsche Eigenarten sehr aufschlußreich. Auch wird man bemerken müssen, daß Japan bei der Auswahl der deutschen Berater für die Modernisierung des Landes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen sehr sicheren Blick für Qualitäten zeigte, nicht nur bei Hermann Roesler, sondern auch bei etlichen anderen Wissenschaftlern und Praktikern in diesem Kreis von Beratern war Stein mithin kein Fremdkörper18 • Deshalb wird man keinen Zufall darin sehen können, daß das Ansteigen des Interesses an Steins Werk in Deutschland mit der inzwischen berühmt gewordenen Ausgabe der "Geschichte der socialen Bewegung" im Jahre 1921 durch Gottfried Salomon begann. Jetzt nämlich war wieder eine politische Situation gegeben, in welcher Stein an Aktualität gewinnen mußte. Seitdem hält das Interesse an Stein, wenn auch mit gewissen, wiederum zeitbedingten Schwankungen an. Das jüngste Zeugnis davon geben die hier vereinigten Studien. IV.

Gleichwohl bleibt die Frage, weshalb Stein in vielen anderen Staaten wenig oder gar keine Aufmerksamkeit gefunden hat. Man denke nur an Frankreich und an England, vergesse dabei jedoch nicht die größere Wirkung Steins in Italien. Was Frankreich betrifft, so will es insoweit nicht viel besagen, daß Stein zum Mitglied des Institut de France gewählt wurde. Diese Ehrung galt wohl vornehmlich dem FinanzwissenGustav Schmoller, Lorenz Stein, Preußische Jahrbücher, 19, 1867, S. 245. Auch insoweit besteht in diesem Band eine Lücke. Herr Dr. Maurizio Fioravanti von der Universität Florenz bereitet eine größere Arbeit vor, in welcher auch diese Zusammenhänge dargestellt werden. 18 Siehe dazu jetzt vor allem Johannes Siemes, Die Gründung des modernen japanischen Staates und das deutsche Staatsrecht: Der Beitrag Hermann Roeslers, Berlin 1975. Es ist zu bemerken, daß die Reichsregierung Berater auch von sich aus auswählte. 16

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schaftIer und Eisenbahnexperten Stein, viel weniger dem großen "Theoretiker" der sozialen Bewegung. Bevor man zu riskanten tiefreichenden Erklärungen für dieses auffallende Phänomen, vor allem im Hinblick auf Frankreich und England, ausholt, sollte man sehr prosaisch auf eine wichtige, auch schon damals bestehende Hürde für jeden deutschsprachigen Autor in jenen Ländern hinweisen, nämlich auf die sog. Sprachbarriere. Nicht nur heute ist es so, daß dort außerhalb der "Literatur", der Naturwissenschaften und der Technik ein Buch deutscher Sprache nur von Wenigen gelesen werden kann - in Frankreich sind es meist Elsässer, in Großbritannien seit einigen Jahrzehnten Emigranten bzw. deren Kinder19• Freilich bedarf es, um übersetzungen auszulösen, des Interesses daran. Weshalb es bezüglich Steins in Frankreich daran fehlte, hat Stein selbst angedeutet, als er 1876 schrieb: " ... der specifische Mangel der Rechtsbildung in Frankreich ist die gerade durch die Codification begründete Entfremdung des Verständnisses der rechtsbildenden Kräfte von dem Verständnis des Rechts. Wenn England uns zeigen soll, was eine Rechtsbildung ohne Wissenschaft überhaupt vermag, so soll Frankreich zeigen, ob eine Rechtswissenschaft ohne Staatswissenschaft fortschreiten kann2o•" Die in Frankreich sich neben der Rechtswissenschaft entwickelnde Soziologie war weitgehend "unpolitisch". Versuchen von Staatsrechtlern, größere Theorien zu entfalten, wie z. B. von Leon Duguit, blieb die nachhaltige Wirkung versagt, während Maurice Hauriou mit seiner Theorie der Institution einen ganz anderen Ansatz nahm, einen Ansatz nämlich, der nicht auf die Erklärung jener Phänomene abzielte, mit denen sich Stein befaßte. Die marxistischen Strömungen in Frankreich hingegen, ohnehin von internationalen Bewegungen getragen, sahen kaum Anlaß, sich mit Steins Werk auseinanderzusetzen - einer der Gründe dafür, weshalb der Idee von der sozialen Demokratie dort die feste Grundlage fehlt. So mußten denn auch vereinzelte verdienstvolle Versuche, für Steins Werk in Frankreich Aufmerksamkeit auszulösen, notwendigerweise scheitern. Gleichwohl ist es schwer zu verstehen, weshalb nicht wenigstens der vielleicht bedeutsamste Historiker der Geschichte Frankreichs seit 1789 dort kaum bekannt ist. Auf einen tieferen Grund für das mehr oder weniger vollständige englische Desinteresse an Stein hat dieser selbst hingewiesen: "Es war und ist die große Aufgabe dieser angelsächsischen Race, der Ge19 Am Beispiel Max Webers läßt sich das gut nachweisen: Erst als deutsche Emigranten in den USA Werke Webers übersetzten, begann dort die intensivere Beschäftigung mit Webers Werk, und an den übersetzungen der Werke Webers in Frankreich hat neben Raymond Aron der in Straßburg lehrende Julien Freund maßgeblichen Anteil. 20 Gegenwart und Zukunft usw., a.a.O., S. 319.

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schichte zu zeigen was im Rechtsleben eines Volkes das individuelle Rechtsbewußtsein und die individuelle Rechtspflege ohne Wissenschaft, Begriff und Doctrin und Gesetzbuch vermag; und England hat das gezeigt!1." Auch, so kann man Stein wohl ergänzen, auf dem Weg zur sozialen Demokratie. Aber es mag scheinen, als ob Stein im Hinblick auf gewisse "Kontinentalisierungen" in England an Interesse gewinnen könnte. Hingegen will die Erklärung (sowohl im Hinblick auf Frankreich als auch auf Großbritannien), Stein sei eben als spezifisch deutscher Denker ("spekulativ") dort schwer zu verstehen, nicht überzeugen. Es dürfte nämlich zulässig sein, Hegel in diesem Sinne als mindestens ebenso "deutsch" anzusehen. Hegel aber ist in den genannten Ländern ein sozusagen internationaler Denker geworden. Man muß jedoch einschränken, daß dies in erster Linie nicht für den politischen Philosophen Hegel gilt. Gleichwohl ist der Unterschied zwischen Hegel und Stein nicht derart, daß er die unterschiedliche Aufmerksamkeit für beide Denker in jenen Ländern hinreichend erklären könnte. Immerhin ist bezüglich Hegels in Frankreich daran zu erinnern, daß das wirklich folgenreiche Interesse an Hegel in Frankreich durch den russischen Emigranten Alexandre Kojeve ausgelöst wurde, der vorher in Deutschland studiert hatte. Seine berühmten Pariser Vorlesungen über Hegel in den 30er Jahren waren folgenreich; dann kam der deutsche Emigrant Eric Weil nach Paris, und auch in diesem Zusammenhang ist Raymond Aron zu erwähnen. Man wird also insgesamt bezüglich Frankreichs und Großbritanniens feststellen müssen, daß Staaten dieser Größenordnung (auch der geistigen) an den eigenen Leistungen eher Genüge finden als Staaten ähnlicher Entwicklung und kleineren Zuschnitts, erst recht, wenn es um die Übernahme solcher fremder Denker geht, die in politischer Hinsicht sehr konkret werden. 21 Gegenwart und Zukunft usw., a.a.O., S. 318. Man muß mit der Kritik an Stein, wonach er das nationale Element vernachlässigt habe, vorsichtig sein. Im Spätwerk "Gegenwart und Zukunft usw.", S. 298 ff., gibt Stein hochinteressante Einsichten in nationale Eigenarten. Eine wichtige Stelle bezüglich Rußlands soll hier wörtlich wiedergegeben werden: "Der Kern der russisch-slavischen Welt ist die Allgewalt des persönlichen Staats. Sie läßt alles zu, nur nicht das, was dieser Mittelpunkt ihres Lebens in Frage stellt. Sie bricht daher durch ihren Staat ihre Volkswirtschaft, ihre Gesellschaft; sie bricht auch die freie individuelle Persönlichkeit, wo diese jenem Prinzip ihre Unterwerfung weigert ... Die Quelle des Rechts und der Rechtsbildung ist daher dieser höchste persönliche Wille des Staates; die Wissenschaft hat nur Berechtigung so weit ihr Inhalt diesem Willen nicht entgegentritt. Ihre theoretische Funktion ist daher die der Interpretation und der Ordnung des Stoffes, aber ihre historische Mission ist die, dem höchsten Willen die wahre Rechtsbildung zum Inhalt zu geben. Sie muß deshalb der Form nach sich aus sich selber bilden; dem Wesen nach ist sie Europa gegenüber empfangend; darum ist Rußland uns weit fremder als wir ihm; die Zeit wird kommen, wo dieB eine neue verjüngte Gestalt annehmen wird." (S. 317).

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Allerdings ist noch auf eine Eigenart von Steins Werk hinzuweisen, die sogar dem deutschen Leser den Zugang erschweren kann: Es läßt sich kaum ein Werk Steins nennen, das man als "exemplarisch" für sein Denken ansehen kann. Die Eigenart seines Denkens steht dem im Wege: Selbst wenn Stein in vieler Hinsicht systematisch dachte, so hat er die einzelnen großen Themen nicht auch formal "systematisiert". Das mag auf mancherlei Gründen beruhen, von denen insbesondere Klaus Hartmann in diesem Band einige erörtert und dabei wichtige Unterschiede zu Hegel herausstellt. Erst recht bei Übersetzungen wirft das schwierige Fragen auf: Übersetzt man nur die "Geschichte der socialen Bewegung", so entgehen dem Leser nicht nur wichtige Aspekte im Werk des späteren Stein, sondern es kann auch der Eindruck entstehen, als stehe bei Stein die rein geschichtliche Darstellung im Vordergrund!!. Will man noch einen anderen wichtigen Zugang zu Stein finden, so dürfte sich vornehmlich das bereits mehrfach erwähnte Werk "Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaft Deutschlands" von 1876 empfehlen (bis heute wohl die schärfste Kritik an der herkömmlichen deutschen Juristenausbildung, deren politischen Implikationen auf der Hand liegen, aber von den Maßgeblichen nicht gesehen werden).

V. Wir haben die Bemerkungen im vorhergehenden Abschnitt gebracht, um uns zu vergewissern, weshalb Stein nicht wie andere bedeutende deutsche Denker über Staat und Gesellschaft mit internationalem Rang akzeptiert ist. Wenn unsere Überlegungen richtig waren, dann liegt das nicht in Steins Ideen begründet, sondern in Umständen, die man "soziologisch" erklären kann. Jedenfalls theoretisch besteht die Chance, daß Stein auch als international bedeutsamer Autor vollends akzeptiert wird. Das soll nicht die Bahn freimachen für die Überlegung, man könne Steins Werk als Schatzkammer betrachten, aus welcher man wertvolle Teile für die Lösung heutiger konkreter Probleme, sei es der Theorie, sei es der Praxis, nach Belieben entnehmen könnte. Es ist bereits eingangs gesagt worden, daß frühere Vorhaben dieser Art gescheitert H In seiner Besprechung von Kaethe Mengetbergs amerikanischer Ausgabe meint E.- W. Böckenförde (Der Staat, 4, 1965, S. 491), man dürfe gespannt sein, wieweit die gegenwärtige amerikanische Soziologie und political science über die Voraussetzungen verfüge, in eine fruchtbare Auseinandersetzung mit L. v. Stein einzutreten. Wenn man heute darauf in Böckenfördes Wendung antworten will, muß man feststellen: Sie verfügt nicht. Gleiches gilt für die allerdings wieder etwas abflauende Woge der Sozialgeschichtsschreibung (nicht nur in den USA), deren vulgarisierende Spielart - die dominierende, d. h. in den höheren Schulen vermittelte - meistens über Ellsbergoder Watergate-Effekte nicht hinauskommt.

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sind, weil sie scheitern mußten. Mit einem solchen Ansatz verschüttet man eher den Zugang zu Steins Werk, als daß man ihn erschließen könnte. Vielmehr möchten wir es hier, den Zweck dieser Veröffentlichung erläuternd, mit überlegungen halten, mit denen der Soziologe Friedrich Jonas seine großartige "Geschichte der Soziologie" beschließt23 • Er bemerkt dort im Hinblick auf den Reduktionismus in der Soziologie, er sei nicht zuletzt stets die Gegenbewegung auf jene Verkleinerung und Aufsplitterung der Fragestellungen, wie sie sich dort ergeben, wo alte Theorien die Wirklichkeit nicht mehr greifen. Der Reduktionismus stelle den Versuch dar, den Menschen, der sich nicht mehr in den alten Theorien verstehe und sich demzufolge ganz ins Konkrete und Empirische zu verlieren drohe, wieder als allgemeines Wesen zu begreifen. Daß er in diesem Sinne, so fährt Jonas fort, einem wichtigen Bedürfnis der Gegenwart entspreche, daran scheine wenig Zweifel zu bestehen. In dieser Perspektive wird auch der Geschichte der Soziologie der angemessene Platz zuteil (wobei wir hier nicht mit Jonas über den Begriff der "Soziologie" rechten wollen). Man wird Jonas zustimmen müssen, wenn er ausführt, nur durch ihre Offenheit gegenüber neuen Fragestellungen und Ideen könne die Wissenschaft in einer Zeit stürmischer Veränderungen ihren Erkenntnisanspruch legitimieren, und insofern gehöre zu ihr immer das Wissen um ihre eigene Geschichtlichkeit. Aber Jonas sagt auch, daß die Reife einer Wissenschaft allein davon abhänge, ob sie sich in ihren Voraussetzungen, Fragestellungen und Methoden auf sich selbst beziehe, oder ob sie sich von äußeren Mächten abhängig macht. Wissenschaftliche Reife in diesem Sinne sei eine Frage der inneren Autonomie der Wissenschaft gegenüber ihrer Zeit. Hier in dieser Autonomie, die den einzelnen Forscher verpflichte, liege die Kraft, die die Wissenschaft vorantreibe. Der Herausgeber dieses Buches mit neuen Studien über Lorenz v. Stein hat sich auch die letzten Sätze von Friedrich J onas zu eigen gemacht, weil sie im Sinne Steins wären: "Die Geschichte der Soziologie hört nicht auf, wenn das jeweils letzte Kapitel zu Ende geschrieben ist. Nur ihrem äußeren, dogmatischen Gehalt nach gehört diese Geschichte der Vergangenheit an; als begriffene Geschichte ist sie die Quelle der Erneuerung und Lebendigkeit, ohne die die Wissenschaft nur ein kraftloser und irrelevanter Schatten ihrer selbst wäre."

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Geschichte der Soziologie, Bd. IV, a.a.O., S. 196/197.

I. Grundfragen

Der junge Lorenz Stein zwischen Nationalität und Europa Von Werner Schmidt Lorenz v. Stein und sein Werk sind - schon zu seinen Lebzeiten von hypostasierenden Wertungen nicht verschont worden. Sein Erlebnis Frankreichs, die Revolution und später der Wechsel nach Wien sollen jeweils einen fundamental anderen Stein erzeugt haben. So steht in solchen Urteilen der Wissenschaftler dem opportunistischen Polititiker, der Reserviertheit erzeugende Sozialrevolutionär dem Konservativen, der nationalistische Dialektiker dem Romantiker, dem Deutschen der Däne, dem Norddeutschen der Österreicher und schließlich auch der nationalistische Imperialist dem Europäer gegenüber1• earl Schmitt hat mit dem ihm eigenen Spürsinn für die Signalwirkung von scheinbar singulären und abseitigen Ereignissen bei seiner Wiederentdeckung der preußischen Verfassungsschrüt die vom deutschen und europäischen Standpunkt aus als tragisch zu wertende Position Steins in der Mitte des 19. Jahrhunderts beschrieben!. Danach gehörte der Grenz- und Auslandsdeutsche Stein zu den Trägern der "aus unermeßlichen Tiefen kommenden europäischen Bewegung", die später in Frankreich wie in Deutschland in der legitimistischen, legalistischen und cäsaristischen Restauration steckenblieb. Die Vereinsamung des reüen Stein, die ihn gleichsam nach Japan emigrieren ließs, offenbart eine innere Kontinuität der Entwicklung, die schon den jungen Stein vielen seiner Weggenossen als verdächtig, unbequem, einzelgängerisch und störend vorkommen ließ. 1 Solche Urteile liegen zahlreich bereits aus der Kieler Zeit, vor allem aus der Zeit der nationalen Erhebung, vor. Aus der Presse sind etwa heftige Vorwürfe Müllenhoffs bekannt. Auch Dr.oysen hat sich nach dem Zusammenbruch kritisch über den "Österreicher", den "Lumpenkorrespondenten" geäußert. Sein Vetter Samwer ordnet ihn bei der äußersten Linken ein und meint, er habe in Osterrei'ch allen Überzeugungen seiner besseren Jugend abgeschworen. Die Dänen haben damals Stein in die "germanische Professorenpartei" eingeordnet. ! earl Schmitt, in: L. v. Stein, Zur Preußischen Verfassungsfrage, Berlin 1940, S. 61 ff. s Seit 1883 hat Stein intensive Verbindungen mit Japan gepflegt. Auch heute noch findet seine Mitwirkung an der Verfassungs- und Verwaltungsentwicklung jenes fernöstlichen "Entwicklungslandes" großes Interesse in Japan. Siehe dazu die Hinweise unten in der Bibliographie von Max

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Will man die Repräsentanten des 19. Jahrhunderts zutreffend beurteilen, kommt es auf die Kenntnis ihrer jeweiligen Individualität wohl noch mehr an als bei den Menschen des voraufgegangenen und jedenfalls der 2. Hälfte unseres Säkulums. Dabei sei auch hier unter Individualität jener menschliche Komplex verstanden, der aus Herkommen, Sprache, Heimat, Erlebnissen und Erfahrungen persönlicher, beruflicher, sozialer und politischer Natur gebildet wird und der zusammen mit den anlagebestimmten Elementen den Menschen und sein Werk erst eigentlich verstehbar und unverwechselbar macht. Hinsichtlich der Persönlichkeit Lorenz v. Stein hat man sich lange im undeutlichen Ungefähr der biographischen Daten bewegen müssen. Dieser Sachverhalt ist auch von Stein selbst verursacht und gewollt, gab es doch Elemente aus Herkunft und jungen Jahren, die später, nach Vollendung einer glanzvollen Karriere und in einer bürgerlichen Welt, besser dem Vergessen und jenem "Ungefähr" überlassen wurden; dem Zeitgenossen unserer oft ähnlich wirren Jahrzehnte sind solche Verdrängungsvorgänge individueller Natur nicht unbekannt. Aber auch politische Systeme können ihrerseits solche Akzentverschiebungen begünstigen: die Vorgänge und bestimmenden Persönlichkeiten im Norden Deutschlands zwischen 1840 und 1850 wurden nach 1864 von den Siegern gern in den Hintergrund gedrängt; Düppel verdrängte Idstedt, der Reichstag die Paulskirche. Der Entwicklungsgang Steins bis zu seinem Übergang nach Wien ist durch meine Biographie' weitgehend aufgeklärt. Einige weitere Dokumente wurden seither aufgefunden und publiziert. Sorgfältige Recherchen von Hans Staackll haben die Ahnen Steins bis in die 10. Generation zurückverfolgt. Dabei hat sich die These bestätigt, daß Stein vom Vater her Holsteiner (Niedersachse), von der Mutter her Schleswiger war. Unter den väterlichen Ahnen direkter Linie findet sich ein Offizier; die weiteren acht Ahnen bis zum 14. Jahrhundert zurück waren alle leitende Verwaltungsbeamte in den Herzogtümern. In der 10. Generation findet sich dann tatsächlich - was Stein gelegentlich mit Stolz erzählte - jener Kaufmann Johannes Wasmer, der 1430 als Bürgermeister in Bremen (unschuldig) hingerichtet wurde. Zu Steins Vorfahren gehört auch jener sagenumwobene Wulf Isebrand, der Anführer der Bauern in der Schlacht bei Hemmingstedt in Dithmarschen (1500). Die so schwierige Quellenlage für die persönliche Entwicklung Steins hat sich etwas gebessert, seit der Verfasser dieser Studie vor einigen Jahren die Bibliothek und den persönlichen Nachlaß Steins (darunter , Lorenz von Stein, Eckernförde 1956. 5 Hans Staack, Die Ahnen des Staatswissenschaftlers und Soziologen Lorenz von Stein, Jahrbuch der Heimatgemeinschaft des Kreises Eckernförde, 1965, S. 39 ff.

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auch zahlreiche Briefe und Manuskripte) aus Wien in die nordische Heimat zurückführen konnte; das Material wird in absehbarer Zeit der Forschung zur Verfügung stehen können. Die Bibliothek mit Kostbarkeiten aus dem 18. und 19. Jahrhundert gibt recht gute Auskunft über die wissenschaftlichen Wurzeln und persönlichen Verbindungen Steins. So ergibt sich zum Beispiel, daß Stein mit frühen Sozialisten - wie etwa WeitUng - in loser Verbindung stand, offenbar aber nicht mit Marx.

I. Die Jugend im Gesamtstaat Als die französische Julirevolution von 1830 die erste leichte Bewegung der politischen Atmosphäre auch in das ferne Schleswig-Holstein brachte, war Lorenz Stein fünfzehnjährig, noch Zögling einer Militäranstalt für Waisenkinder. Von der bald erstickten politischen Aktion, die Uwe Jens Lornsen im November mit seiner Verfassungsschrift unternahm, wird man in Steins Umgebung wenig bemerkt haben6• Seine Heimatstadt selbst nahm an der Petitionsbewegung keinen Anteil; von nationalen Bewegungen war man hier, 15 Jahre vor dem Sängerfest, das die Kampfparole "Up ewig ungedeelt" in die Massen brachte, noch weit entfernt. Steins unmittelbare Umgebung war stramm königstreu und gesamtstaatlich gesinnt. Man zog vom Internat aus immer noch alljährlich nach Sehestedt zum Gedenken an jene Schlacht am 10. Dezember 1813, in der dänisch - schleswigholsteinische Truppen die deutschen und russischen Alliierten geschlagen hatten. Der Vater, 1829 gestorben, hatte als dänischer Oberstleutnant an diesem Feldzug teilgenommen, ebenso wie der "väterliche Wohltäter seiner Kindheit", der Oberstleutnant Krohn. Dieser Holsteiner, 1848 im Gefecht bei Bau als Führer schleswig-holsteinischer Freiwilliger eingesetzt, wird dem jungen Stein eher von seinen Waffentaten in Stralsund gegen Schill und von Sehestedt erzählt haben. Friedrich VI. ist für die deutschen Untertanen der "gute König", der "Herzensherzog" und für die Dänen der "Folkekonge". Er hat den jungen Stein ein Jahr später besonders verpflichtet, als er ihm ein Stipendium für die Schule in Flensburg bewilligte. Flensburg war die größte Stadt im Herzogtum Schleswig, von Seefahrt und Handel stark bestimmt, lange eine Metropole im skandinavi8 Ober diese und die folgenden Phasen der schleswig-holsteinischen Geschichte geben die zahlreichen Arbeiten von AZexander Scharf! die beste Auskunft. Besonders über Steins Rolle in der Erhebungszeit: Lorenz v. Stein und die schleswig-holsteinische Bewegung, in: Schleswig-Holstein in der deutschen nordeuropäischen Geschichte, Stuttgart 1969, S. 111 ff. Ober die Grundlagen für die im 19. Jahrhundert eingetretene Entwicklung und über den dänischen Gesamtstaat unterrichtet atto Brandt, Geistesleben und Politik in Schleswig-Holstein um die Wende des 18. Jahrhunderts, Berlin 1925.

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schen Raum. Das dänische Bündnis mit Napoleon und der Verlust Norwegens hatten allerdings der Stadt schwer geschadet. Der Platz war geeignet, dem jungen Stein das friedliche Nebeneinander von Sprachen und Nationalitäten im Gesamtstaat besonders nahe zu bringen und hat ihm vielleicht eine erste Ahnung gesellschaftlicher Bedingungen vermittelt. Das gehobene Bürgertum und die Kaufmannschaft in Flensburg waren deutsch gesinnt, wenn auch mit merkantiler Zurückhaltung; diese hatte Lornsen 1830 kennen lernen müssen. Kleinbürgerliche und Unterschichten in Flensburg waren sprachlich stark dänisch durchsetzt, wobei die südjütische Mundart, die Stein gelegentlich ein "patois" nennt, jedenfalls in den Landgebieten vorwaltete. Stein, der selbst dänisch sprach, hat hier in Flensburg am Vorabend des bald darauf einsetzenden Sprachenkonflikts die Problematik volkstumsmäßig gemischter Gebiete kennenlernen können. Seine Darstellung, etwa in der französischen Streitschrift von 1848, daß der Norden Schleswigs deutsch sei und nur einige Hundert Leute einen dänischen Dialekt sprechen, wird sich nur aus dem propagandistischen Zweck erklären können7 • Ostern 1835 bezieht Stein die Universität. Kiel ist nicht etwa förmlich die Hauptstadt der Herzogtümer. Diese waren vielmehr durch Gesetzgebung von 1831 und 1834 politisch dadurch getrennt, daß je für sich tagende Ständeversammlungen eingerichtet wurden. Auch die Obergerichte waren getrennt, während die Verwaltung gemeinsam durch eine Regierung in Schleswig ausgeübt wurde. Auch ein Oberappellationsgericht in Kiel war gemeinsam. Im übrigen blieb die Verwaltung des Landes im Zustand der bunten Unmodernität8 • Die Kieler Universität war von jeher "Ausgangs- und Durchgangspunkt für viele der namhaften Universitätslehrer Deutschlands'" und verband das ferne Grenzland unter fremder Krone mit dem größeren Bereich, zu dem seit Jahrhunderten die kulturellen Bindungen nicht gehemmt wurden. Schon vor der Gründung der Kieler Universität (1665) besuchten die Studenten aus dem ganzen Lande die deutschen Hochschulen bis nach Königsberg, nur selten aber Kopenhagen. Dieser Geist kultureller Libertät wurde auch in den Zeiten des Gesamtstaates aufrechterhalten. Noch 1843 ging Otto Fock wegen der "frömmelnd7 In der Kampfschrift von 1848: La Question du Schleswig-Holstein, Paris 1848. Hier wird vom dänischen Joch und von langer Feindschaft gesprochen. Die dänische Kriegspropaganda in Frankreich war natürlich nicht feinfühliger. 8 Es sollte aber auch nicht übersehen werden, daß Kiel bereits zwischen 1775 und 1832 über eine bedeutende Schule des Spätkameralismus verfügte, die sicher auf den späteren Verwaltungswissenschaftler Stein gewirkt hat. s. Bärbet Pusback, Kameralwissenschaft und liberale Reformbestrebungen, Zeitschr. f. schleswig-holsteinische Geschichte 101 (1976), S. 259 ff. , Nach Otto Fock, Schleswig-Holsteinische Erinnerungen, Leipzig 1863.

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orthodoxen" Richtung in Preußen nach Kiel. Die 30er Jahre waren hier noch durch den Geist des 18. Jahrhunderts bestimmt. Dahlmann und Welcker hatten die Universität schon wieder verlassen, aber auch ihr Wirken hatte dazu beigetragen, daß sie - so William Carr 10 - "remained essentially eosmopolitan in outlook" . Die Position des dänischen Königs als deutscher Bundesfürst "provided a basis for a true European union free from that narrow-minded, xenophobie nationalism". Aus diesem Geist heraus konnte Wilh. Hartwig Beseler, später einer der Führer der Erhebung, vom Nachbarn sagen: "Wir achten und lieben die Dänen als ein Brudervolk, wollen mit ihnen die Wechselfälle des Schicksals ertragen." In dieser Atmosphäre loyaler Toleranz hat Stein seine ersten Universitätsjahre verbracht, und es gibt keine Zeugnisse aus dieser Zeit, die über das offiziell geduldete sprachliche und kulturelle Bekenntnis zu Deutschland hinausgehen. Der Tod Friedrichs VI., des "Herzensherzogs", am 3.12.1839, den Stein in Kopenhagen erlebte, signalisierte dann das Ende dieser Phase der Landesgeschichte. Im 3. Semester gründete Lorenz v. Stein eine neue Burschenschaft, die "Albertina"; bedeutende Söhne des Landes haben ihr in jenen Jahren angehört: Theodor Mommsen, Friedrich Esmarch, Karl Müllenhoff, Friedrich Harms, Karl Samwer und viele andere Männer der späteren Bewegung. Die neue Verbindung setzt sich deutlich von der alten und "urdeutschen" Burschenschaftsbewegung ab. Zwar tritt die Politik in den folgenden Jahren immer mehr in den Mittelpunkt, aber Politik heißt jetzt nicht mehr Verschwörung und Emotion, sondern sachliche Detailarbeit, ausgeführt in Arbeitskreisen oder "Kränzchen". Der "Neuholsteinismus" Olshausens, der Versuch also eines rein nationalstaatlich motivierten Kompromisses, wird abgelehnt, aber die Trennung der vereinigten Herzogtümer von der dänischen Krone wird noch nicht in Kauf genommen. Von den "Alt-Schleswig-Holsteinern", für die ihr Lehrer Nikolaus Falck Programm ist, setzen sie sich deutlich ab: historisches Recht ist für sie nur verbindlich, soweit es noch Gegenwartsbedeutung hat; diese aber enthält Einheit der Herzogtümer und freie Verfassung. Im Frühjahr 1837 geht Stein für ein Jahr ins "Ausland", nach Jena, versehen mit öffentlicher Förderung. Gewiß öffnet sich sein Blick hier noch mehr für das größere Vaterland, besonders auch durch die aktive Verbindung mit der burschenschaftlichen Bewegung. Die Studien sind auf Philosophie und Historie gerichtet. Der Traum von der Einheit 10 WilZiam Carr, Schleswig-Holstein 1815 - 1848, a Study in National Conflict, Manchester 1963, gibt als neutraler Beobachter eine interessante Genealogie der Ereignisse. Steins Rolle bei der Brechung der dänischen Majorität in der deutschen Publizistik wird dabei erkannt.

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des Vaterlandes gewinnt Konturen, führt aber doch nicht zu einem engen Nationalismus. In diese Zeit fällt die Begegnung mit dem Problem deutscher Wirtschaftseinheit, für die sich Stein später - unter Zurücksetzung der staatlichen Komponente - so sehr eingesetzt hat. Erst ein Jahr später wurden in der Heimat die Binnenzölle abgeschafft und die Zolleinheit bis vor die Tore der zweitgrößten "dänischen" Stadt Altona hergestellt. In diesem Lehrjahr nun lernt Stein die Bedeutung eines Zollgebietes kennen, das damals nur Hannover, Oldenburg, Mecklenburg, die Hansestädte und seine eigene Heimat ausschloß. In Jena hatten sich zwei Jahrzehnte zuvor der Friese Uwe Jens Lornsen und der Nassauer Heinrich von Gagern für die Sache Deutschlands und der Freiheit verbunden. Im Herbst 1837 schrieb Lornsen kurz vor seinem Ende an Gagern sein politisches Testament. Stein hat es natürlich erst später in Form der "Unionsverfassung"l1 kennengelernt. Jedoch dürfen wir sicher sein, daß die in jenem Brief ausgesprochenen politischen Visionen mit denen Steins übereinstimmen. Lornsen spricht hier von seinen heimischen Mitbürgern, die es sich "in Gemeinschaft mit der jungen Generation" zum Ziel gesetzt haben, Schleswig-Holstein "jene ehrenvolle Stellung in der dänischen Monarchie zu erstreiten, derzufolge es dem Königreiche Dänemark als ein unauflösliches und unabhängiges Staatsganzes mit selbständiger Staatsverwaltung an die Seite zu stellen ist, in der Weise, wie Norwegen in der skandinavischen Monarchie Schweden zur Seite steht" 12. Lornsen sieht keinen Grund, daß seine Heimat sich "der Verbindung mit Dänemark" entziehen sollte, glaubt aber auch, daß er auf diese Weise das ungeteilte Land am besten für Deutschland retten kann; sicher mit Stein und seinen Gesinnungsfreunden wendet er sich gegen die "Partei unserer kleinmütigen Liberalen", repräsentiert in der alt-schleswig-holsteinischen Richtung. Wenn er schließlich von der "öffentlichen Meinung von ganz Deutschland" spricht, so hat sich gerade in Stein ein Landsmann gefunden, der begriffen hatte, daß das Zeitalter der Massen angebrochen war. Bevor Stein Europa erlebt und die Gesellschaft neu entdeckt, lohnt ein Blick auf die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte seines Landesl '. Gewiß war es noch ein Agrarland mit nur kleinen Städten. Es ist jedoch nicht richtig, daß es für die Entstehung der modernen Gesellschaft kein Anschauungsmaterial bereit hielt. In Flensburg stand dem jungen Stein die Rolle des Handels und der Seefahrt offen, schon 1819 fuhr das erste Dampfschiff zwischen Kiel und Kopenhagen. Eine Wasserverbindung 11 U. J. Lornsen, Die Unions-Verfassung Dänemarks und Schleswigholsteins, 1841 von Georg Beseler herausgegeben. 12 Der Brief ist veröffentlicht von Alexander Scharff in: Zeitschr. d. Ges. f. schlesw.-holst. Geschichte 79 (1955), S. 288 ff.

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zwischen Nord- und Ostsee war schon seit 1784 vorhanden, die jährlich von mehr als 2000 Schiffen befahren wurde. 1832 war Kiel mit Hamburg durch eine feste Chaussee, 1844 auch durch die Eisenbahn verbunden. Auch Industrie im modernen Sinne hatte sich im Lande angesiedelt - allerdings immer in Relation zur geringen Einwohnerzahl (800 OOO) und zur agrarischen Basis, die allerdings durch ein wirtschaftlich starkes und politisch emanzipiertes Bauerntum geprägt war. 1813 war in Altona die erste Baumwollspinnerei eröffnet, 1826 wurde das Privileg für das Eisenwerk "Carlshütte" in Rendsburg erteilt, immerhin das größte Werk dieser Art in Dänemark und Norddeutschland. Seit 1816 entwickelte sich schnell ein Sparkassennetz als Ausdruck bürgerschaftlicher Selbsthilfe. Auch in der Struktur der Gesellschaft bot sich ein farbiges Bild. Der Großgrundbesitz im Osten des Landes mit gutsabhängigen "Insten" repräsentierte eine wichtige politische Gruppe des Landes. Die Bauern stellten eine zahlenmäßig bedeutende Schicht, die auch in der Lage war, politisch wirksame Sprecher hervorzubringen. Das Bürgertum der Städte war in der politischen Bewußtseinsbildung recht fortgeschritten. Ohne solche sozialpsychologischen Vorbedingungen wären die Vereinsbildungen und die großen Volksversammlungen der 40er Jahre vor der Revolution mit der Teilnahme von Tausenden von Menschen kaum möglich gewesen. Sicher ist jedenfalls daß die Revolution in SchleswigHolstein nicht erst durch die französischen Ereignisse im Februar 1848 eingeleitet wurde. Die Ständeversammlungen der 30er und 40er Jahre spiegeln natürlich nicht die Zusammensetzung der Bevölkerung, zeigen aber doch, wie weit der Gesetzgeber auf die vorhandenen politischen Potenzen des Landes Rücksicht nehmen mußte, die ihre Gesellschaft hervorgebracht hatte. In den beiden Ständeversammlungen befanden sich unter den gewählten Vertretern 14 Großgrundbesitzer, 34 Bauern und 28 Vertreter der Städte. Ein Vergleich mit der Zusammensetzung der preußischen Landtage zeigt ein relativ hohes Maß demokratischer Repräsentanz in den Ständeparlamenten Schleswig-Holsteins. So verworren sich die Verwaltung des Landes darbot, so stabil zeigten sich in der Revolution die gesellschaftlichen Strukturen, ein Bild, das sicher auch durch die kriegerischen Ereignisse geformt wurde. Dennoch war der Vormärz nicht frei von sozialen Spannungen. Arbeiterunruhen waren schon aus dem Ende des 18. Jahrhunderts bekannt. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es Streiks von Arbeitern, vor allem aber Unruhen unter den Insten, die teilweise vom Militär unterdrückt werden mußten.

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Werner Schmidt ß. Das Erlebnis Europas

Vom Herbst 1839 bis zum Frühjahr 1843 erlebte Lorenz Stein Europa. Bevor er nach Kopenhagen geht, eröffnet er seinen Briefwechsel mit ArnoZd Ruge. Darin spricht er von seinem König mit Ehrerbietung und berührt die nationalen Fragen nicht. Er bietet zwar seine Rezensionen aus Geldnot an; sie ist sicher wie immer groß, aber im Hintergrund seiner Zeilen spürt man den wissenschaftlichen Ehrgeiz. Dieser veranIaßt ihn denn auch schon im Frühjahr 1840 aus der Beamtenlaufbahn mit der Begründung auszuscheiden, sich ganz der Wissenschaft zu widmen. Das Spannungsverhältnis zwischen der Neigung zur wissenschaftlichen Distanz und dem Willen zur praktischen Gestaltung hält bis weit in die Wiener Zeit an und verhindert wohl sichtbare politische Erfolge. Die kurze Episode in der Hauptstadt des Gesamtstaats gibt ihm einen guten Einblick in die dänischen politischen Verhältnisse, von denen später der Journalist Stein zehrt. Er muß hier auch ein gutes "gesamtstaatliches" Stilgefühl entwickelt haben, sind ihm doch nationalistische Übersteigerungen in den folgenden Auseinandersetzungen fremd geblieben, die hin und wieder deutschen und dänischen Liberalen unterlaufen sind. Aus dieser Zeit stammen die Bekanntschaften, zum Teil in Paris erneuert, mit OrZa Lehmann, dem späteren Führer der dänischen Liberalen, und mit Andreas Friedrich Krieger, dem späteren Finanzminister und unglücklichen Unterhändler der Dänen von 1864. Die Verbindung mit diesen Männern hat durch das ganze Leben angehalten und wurde durch die zweimaligen kriegerischen Auseinandersetzungen nicht beeinträchtigt. Die Ereignisse aus Steins Berliner Zeit (Herbst 1840 bis Mitte Oktober 1841) sind spärlich. Sein Blutsverwandter Karl Samwer ging zur gleichen Zeit mit ihm nach dort. In BerUn hatte sich gerade ein Thronwechsel vollzogen, der dem in Kopenhagen erlebten durchaus vergleichbar ist. Die liberalen Bemühungen des neuen Königs, die im Widerstreit mit seinen orthodoxen Gesinnungen standen, konnten Stein zeitgeschichtliche Anschauungen vermitteln, die ihm aus der Heimat nicht unbekannt waren. Es scheint aber zutreffend zu sein, daß das Berliner Jahr Steins durch die Auseinandersetzung mit Regel und seinen Schülern erfüllt war, die Manfred Rahn 13 so präzise geschildert hat. In der Bücherei Steins findet sich von Hegel nur die Rechtsphilosophie in der Ausgabe von 1840, mit deutlichen Zeichen der intensiven Durcharbeitung versehen. Mit den Waffen Hegels hat sich Stein gegen die Historische Schule gewandt; darin 13 Manfred Hahn führt in seiner gründlichen Studie (Bürgerlicher Optimismus im Niedergang, München 1969) eine tatsächlich farbige Schilderung des Landes in den "Hallischen Jahrbüchern" von 1838 an. Von einem "germanischen Stilleben", so Karl Grün, konnte man Ende der 30er Jahre nicht mehr schlechthin sprechen.

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steckte auch eine Kritik an der historischen Schule der Alt-SchleswigHolsteiner Partei unter seinem Lehrer Nikolaus Falck. Für den Aufenthalt in Paris entbehrt die Zurüstung mit den Denkkategorien Hegels nicht einer inneren Logik. Dies gilt natürlich für das Phänomen der Gesellschaft, das Hegel als ein historisches Novum entdeckt und in die Staatsphilosophie hineingenommen hat. Gegen die "Apologie der Gegenwart" im Sinne Hegels setzt Stein aber auch "systematische Gefahren-Analyse" bestehender Zustände als das von der Wissenschaft gebotene Mittel der Zukunftssicherung und -gestaltung. Es ist durchaus zu vermuten, daß der administrative Quietismus seiner überschaubaren engeren Heimat, der in Widerspruch zu der Entwicklung der Gesellschaft geraten war, den Anstoß, jedenfalls den Hintergrund für seine Forschungsrichtung in Frankreich gegeben hat.

Joist Grolle 14 hat Wichtiges beigetragen, um die Pariser Episode Steins aufzuklären. Die Tatsache, daß er eine kurze Zeit dem liberaler gewordenen preußischen Innenministerium seine Lageberichte aus Frankreich geliefert hat, ist weniger erregend, der Inhalt der Berichte - gewissermaßen als Begleitkommentar zu dem wissenschaftlichen Ertrag seiner Arbeiten - aber wichtig. Man könnte angesichts mancher Äußerungen von dem Opportunisten Stein sprechen, und einige Zeitgenossen haben solchen Vorwurf gemacht. Es darf aber nicht übersehen werden, daß der junge Stein sich eigentlich bis zu seiner Etablierung in Wien fast immer in einer verzweifelten materiellen Lage befand und keine familiären Rückzugsmöglichkeiten bestanden. Trotz der an ihm gerühmten "Wasmerschen Liebenswürdigkeit und Eleganz" hat man zuweilen am jungen Stein Mangel an Zurückhaltung und Takt, fehlenden Fraktionsgeist, Eitelkeit, Besserwisserei, doktrinäres Draufgängerturn und Einzelgängerei getadelt. Von gewissen genialischen Zügen sind sicher seine frühe Produktion und wohl auch sein politisches Auftreten nicht freP5. Aus den ersten Berichten Steins aus Paris führt Grolle Äußerungen Steins über die deutsche und die französische Nationalität an, die deutlich von Klischeevorstellungen bestimmt waren, die die orienta-

l' Joist Grolle, Lorenz Stein als preußischer Geheimagent, Archiv für Kulturgeschichte 50 (1968), S. 82 ff. 15 otto Fock, Schleswig-holsteinische Erinnerungen, Leipzig 1863, S. 68, 69, 228 f., "Parteifreund" Steins während der Erhebungszeit, übt herbe Kritik an seinem Fraktionsgenossen auf der Linken der Landesversammlung ("Phraseologie", "hätte bei seinen Anlagen viel mehr wirken können, wenn er sich hätte gewöhnen mögen, seine Gedanken in eine straffe Zucht zu nehmen", "ziemlich isolierte Stellung"). Lotte Hegewisch, Erinnerungen, Kiel 1902, Tochter eines "alt-schleswig-holsteinischen" Hauses, bringt Stein und seine Freunde in die Nähe zu den revolutionären Freischärlern, die aussahen wie "Freunde und Helfer des bösen Prinzips" ("wichen ab von den klaren Grundsätzen, brachten manch' böse Saat ins Land").

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lische und die Rheinkrise hervorriefen, die Stein gerade in Berlin erlebt hatte. Sehr bald aber wird dieser nationalistische Anflug von einer "Reduktion des Politischen auf das Gesellschaftliche" (Golo Mann) abgelöst. Daß Stein hierbei nicht soweit geht wie nach ihm Marx, und daß ihn hiervor auch neue Erlebnisse hochpolitischer Natur, die in der Heimat auf ihn warten, bewahrt haben, sei hier nur vermerkt. Der junge Stein, aus der Heimat bereits an die Begegnung von Nationalitäten in den kleinen Verhältnissen des dänischen Gesamtstaats gewöhnt, erlebt nun immer deutlicher Europa. Gelegentliche Äußerungen nationalen Stolzes, übersteigerungen angesichts der desolaten nationalpolitischen Zustände im großen Deutschland und in der engeren Heimat werden immer mehr von oft enthusiatischen und visionären Anrufen Europas verdrängt. So schreibt er Ende 1845, noch ganz unter dem Eindruck der französischen Erlebnisse: "Erst im Gegensatz zur anderen Individualität wird die eigene klar, und indem wir sie am meisten zu verlassen scheinen, gewinnen wir sie am entschiedensten wieder." Diese Erkenntnis eigener nationaler Individualität führt aber auch dazu, die Einheit in der Vielfalt zu erkennen; er nimmt damit auf, was er bei seinen Untersuchungen über die dänische Rechtsgeschichte 1840 begonnen hatte: "Wir müssen auf sie (die deutsche Rechtsgeschichte) übertragen, was andere Zweige der Wissenschaft lange schon besitzen, den freien Blick, der das Leben Europas als Eins, als einen Gedanken der Gottheit zu erfassen weiß und die äußeren Grenzen der Nationalitäten aufhebt, um in ihrer Einheit den Einzelnen ihre höhere Gestalt zurückzugeben16 ." Das sind HegeIsche Kategorien, angewandt auf die neue farbige Umwelt, die Stein erlebt. Hier entsteht auch der Gedanke an die Kooperationsfähigkeit der Wissenschaft und ihre integrierende Kraft17• Die reale Umwelt der Jugendjahre, das Studium der entstehenden europäischen Industriegesellschaft und die Erkenntnis der Interdependenz der Wissenschaften hat so schon vor den Erfahrungen der verbleibenden 40er Jahre zu einem Europabild geführt, das Stein, um wirtschaftliche und politische Elemente bereichert, bis zu seinem Ende erhalten hat. earl Schmitt spricht mit Recht von einem "gesamteuropäischen Optimismus", verfrüht und oft den politischen Realitäten fern. Geschichte des französis'chen Strafrechts und Prozesses, Basel 1846, S. IX. Statt vieler Zeugnisse: System der Staatswissenschaft I, 1852; Ein!. S. VII: "Ein Volk ist garnicht im Stande, eine Wissenschaft in Darstellung, Anwendung und Verständnis zu erschöpfen. Erst die verschiedenen Völker bilden das Ganze der wissenschaftlichen Betrachtung". Es gibt aber auch Gegenstücke, in denen der deutschen Wissenschaft eine "beherrschende" Rolle zugewiesen wird. Solche Zeugnisse finden sich allerdings vorwiegend in journalistischen Beiträgen und in solchen, die s'chnell und unter dem Druck des Tages und der Tagespolitik niedergeschrieben wurden, so Anhang 1848, S.4. 18

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Gegen Ende seines Lebens hat Stein vielleicht geahnt, welchen Gefahren sein europäischer Optimismus ausgesetzt sein konnte: "Ein Krieg gegen Deutschland wäre immer ein Weltkrieg."

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Das Erlebnis der nationalen Revolution

Als Lorenz Stein 1843, jetzt in der wissenschaftlichen Welt kein Unbekannter mehr, nach Kiel zurückkehrt, ist auch hier das Zeitalter der Massen aufgebrochen. "Die großen Dinge liegen nicht mehr in den Händen einzelner Persönlichkeiten18 ." Die These, daß die nächste Revolution eine soziale sein würde, scheint sich hier aber nicht zu bestätigen; es sind nationale Fragen, allenfalls solche dynastischer oder staatsrechtlicher Natur. Am 18. Mai versammeln sich Tausende dänisch gesinnter N ordschleswiger auf Skamlingsbanke. Gewissermaßen als Echo lädt Georg Waitz für den 10. August zur Feier des tausendjährigen Bestehens des Deutschen Reiches ein. Gustav Droysen hält die Festrede19, und Stein spricht in der anschließenden Volksversammlung. Ein Jahr später singen in Schleswig 12000 Deutsche ihre neue Landeshymne. Schleswig-Holstein, so oft Objekt der großen Politik, schickt sich an, selbst handelnd die Signale für eine Bewegung zu setzen, die in Europa erst geahnt wird. Stein begibt sich sogleich an diese Arbeit zur Mobilisierung der Massen. In Paris hat er die Bedeutung der Tagespresse erkannt; am 27. Juli 1843 erscheint sein erster Korrespondenzbericht in der Allgemeinen Zeitung. In einem Brief an Colb zeigt er offen, worum es ihm geht: "Unsere Sache zu einer allgemeinen Angelegenheit des deutschen Bewußtseins zu machen, bevor es in die Hände der Diplomatie gerät." Auch Karl Samwer und Theodor Mommsen haben sich an dieser Pressearbeit beteiligt; die Wirkung der kontinuierlichen Arbeit Steins - bis zum Ausbruch der Erhebung 226 Beiträge allein in der Allgemeinen Zeitung - für die Orientierung der deutschen Öffentlichkeit auf die schleswig-holsteinische Frage kann kaum überschätzt werden. Bodo Richter hat es übernommen, alle Beiträge in der Allgemeinen Zeitung zu registrieren und aus ihnen die politischen Vorstellungen Steins zur deutschen Einheit und zu den europäischen Fragen abzuleiten. Dieser Beitrag kann sich auf diese gründlichen Arbeiten beziehen. Der These Richters, daß Stein "im Gegensatz zu den meisten Zeitgenossen die Spannung zwischen der nationalen Idee und dem Bedürfnis nach internationaler Ordnung und Organisation zeitlebens ertragen hat und weFundstelle wie vor. Sie liegt im Druck, Kiel 1843, vor und zeigt, wie frei man sich im schleswig-holsteinischen Vormärz äußern konnte. Die Rede Steins war nach. Presseberichten humorvoll und behandelte das "Prinzip der Vergesellschaftung". 18

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der zum lebensfremden Kosmopoliten noch zum einseitigen Nationalisten geworden ist", vermögen wir uns voll anzuschließen20• Das Werk Steins ist ohne seine journalistische Neigung kaum zu verstehen. Seine große Arbeit von 1842 war schon als "Beitrag zur Zeitgeschichte" gekennzeichnet. In mancher Arbeit tritt der Wissenschaftler hinter dem Journalisten zurück. Das zeigt sich auch im Arbeitsstil Steins. Er verweist nur selten und dann auch ungenau auf frühere eigene Arbeiten; auf Indices und wissenschaftlichen Apparat verzichtet er gern. Der Nachlaß zeigt, daß Arbeiten mit dem Erscheinen meist eine abgetane Sache waren. Es finden sich dort eigene Arbeiten, die später kaum mehr angesehen wurden. Neuauflagen sind oft völlig neue Werke. Es ging Stein also weniger um die Kontinuität im eigenen Werk und um dogmatische Entwicklung seiner Begriffe, sondern mehr um die Leuchtkraft seiner Gedanken für die Situation, vor der er sich jeweils befand. Von hier aus sind die Schwierigkeiten mit Steinschen Texten wie auch die Tatsache zu verstehen, daß er keine Schule bilden konnte. Ein solcher Arbeitsstil macht es möglich, daß bei aller "Wut zum Systematisieren" oft genug Widersprüchlichkeiten aufgedeckt werden können. Andererseits konnte seine Feder auf diese Weise blendende Signalwirkungen und eine oft bewunderte anregende Kraft produzieren. Die Universität Kiel war in der Zwischenzeit noch mehr zum Zentrum der nationalen Arbeit geworden. Droysen und Otto Jahn waren 1840 dort eingetreten, Georg Waitz 1842. Der Kreis junger Kräfte, so Samwer, Ahlmann, Mommsen, schmiedet die juristischen Waffen für die nationale Auseinandersetzung; sicher aber ist, daß man auch jetzt noch nicht an eine Lösung der Personalunion mit Dänemark denkt2!; Verfassungsfragen, politische Liberalität und Anschluß an die deutsche Kulturnation stehen im Vordergrund. Das Verhältnis von Staat und Gesellschaft und die moderne Industriegesellschaft, die Entdeckungen Steins, mußten bei Waitz, aber auch im Droysenkreis, auf Unverständnis stoßen22 , umgekehrt waren dynastische Fragen für Stein zwar Inzo Bodo Richter, Lorenz von Stein über die deutsche Einheit und die internationalen Aspekte des Schleswig-Holstein-Problems (1843 -1890), Zeitschr. d. Ges. f. schl.-holst. Geschichte 95 (1970), S. 9 ff. Eine intensive Auswertung hat Richter in seiner Arbeit: Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, Hamburg 1973, unternommen. Sie kommt zu wichtigen Ergebnissen für das hier behandelte Problem. Z1 Das ergibt sich auch aus den Beiträgen in der Allgemeinen Zeitung, angeführt bei Richter, a.a.O. (Zeitschr. d. Ges. f. schl.-holst. Geschichte, S. 44). Erst ab Mitte 1846, also nach dem "Offenen Brief" des dänischen Königs, faßt Stein eine völlige Trennung ins Auge. zz Daß Waitz noch 1862 für diese Problematik kein Verständnis hatte (im Gegensatz etwa zu Mohl), s. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert, Berlin 1961, S. 96 f. Hegel hatte die deutsche staatswissenschaftliche Forschung hier also schon verlassen.

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strument der Kampfführung, in der Sache aber zweitrangig. Dafür hat Stein, hier aUch früher als andere, die Bedeutung wirtschaftlicher Fragen für die künftige deutsche Einheit erkannt. Er propagiert den Einschluß der Herzogtümer und der Hansestädte in den Zollverein und sucht hier eine bewegende Kraft für die politische Zukunft. In diesem Zusammenhang taucht früh der Gedanke einer deutschen Flotte und damit ein eigener Beitrag seiner Heimat für das größere Deutschland auf. Diese Gedanken sind aber nicht nationalistisch eingefärbt; er erkennt durchaus die Interessen Dänemarks, glaubt, daß diese kleine Macht in einem größeren Skandinavien einen gesicherten Platz finden wird und auf diesem Wege zu einer Interessengemeinschaft und sogar Freundschaft mit Deutschland gelangen könnte 23 . Stein hat dieser Art des Ausgleichs immer den Vorzug gegeben vor den massiven nationalen oder totaldemokratischen Thesen seiner zeitweiligen Parteigänger24 . Vor der einen bewahrte ihn die Erkenntnis europäischer Bedingtheiten, vor der anderen die Einsicht in die gesellschaftlichen Vorbedingungen der Verfassungsentwicklung. Die nationale Frage erzwingt jedoch frühzeitig einen Komprorniß der politischen Kräfte des Landes. Stein hat die verschiedenen Gruppen recht präzise beschrieben25. Er selbst ordnet sich dabei recht eigenständig ein als der Angehörige einer kleinen Gruppe von deutschen Schleswig-Holsteinern; dazu rechnet er Samwer, Ahlmann, vielleicht auch Mommsen. Jedoch bestehen auch innerhalb dieser Gruppe deutliche Unterschiede: Samwer findet sich bald in der Augustenburgischen Richtung, Ahlmann und Mommsen neigen zu einem ausgeprägten Nationalismus. Sogar auf dem Höhepunkt der bewaffneten Auseinandersetzung kann Stein einen nach seinen europäischen Erfahrungen unverständlichen Nationalismus dahin definieren, daß dort "die Zukunft des einen auf der Besiegung der anderen basieren werde"28. Abwertende Urteile über den nationalen Gegner sind bei Stein kaum zu finden, wie etwa bei seinem prominenteren und älteren Weggenossen Olshausen. Vor der Erhebung mag Zurückhaltung wegen der Bemühungen um eine Professur geraten gewesen sein, aber auch im Sturm der Revolution bewahrt er eine überlegene und oft kritische Distanz. Seine umfangreiche Geschichte der schleswig-holsteinischen n Dazu eingehend Richter, a.a.O. U So Ahlmann, der notfalls "die Dänen in das deutsche Wesen hineinziehen wollte", oder Th. Olshausen: "Auf das deutsche Volk ist nicht zu rechnen, und bis das wach wird, kann man nicht auf die Freiheit warten". Hermann Hagenah, Wilhelm Ahlmann, 1930, Privatdruck. !S In der sachlich und stilistisch großartigen Artikelfolge in der "Gegenwart", Bd. 2, S. 404 ff., Bd. 3, S. 41 ff., Bd. 5, S. 294 ff., Bd. 6, S. 448 ff. !I Die soziale Bewegung und der Sozialismus in England, in: Die Gegenwart, 1849, Bd. 2, S. 404.

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Erhebung - geschrieben im Höhepunkt der Ereignisse - vermeidet Selbstdarstellungen und erstaunt durch die über den Tag hinaus gültigen Urteile. Seine Kritik an der Durchführung der Erhebung begann bereits am Abend des 23. März 1848. Man hatte sich nicht daran gewöhnt, "die schleswig-holsteinische Sache als deutsche und europäische aufzufassen" - das ist der Kern s€iner Kritik. Er wird mit seinen immer in blendenden Formulierungen wiederholten Einwänden seinen verantwortlich handelnden Zeitgenossen sicher nicht voll gerecht, und seine eigenen Vorschläge bleiben in ein€r von ihm selbst tragisch empfundenen Situation unklar. Natürlich hat er mit aller Kraft der Erhebung gedient - publizistisch, in Fragen der Volksbewaffnung und der Bildung einer deutschen Flotte. Aber die Erkenntnis vom Fehlschlag der deutschen und der schleswig-holsteinischen Revolution war für ihn schon Anfang 1849 klar. Ein€n Anstoß für diese pessimistische Beurteilung der Lage hat offenbar der kurze Aufenthalt in Paris im Sommer 1848 gegeben, ebenso wie zwei Tage Aufenthalt bei der Nationalversammlung in Frankfurt. Seine kritische Haltung hat ihn nach eigenem Urteil zur "bete noire" im Lande gemacht und verzögert seine kurze politische Laufbahn bis 1850. Im Januar 1849 schreibt er Droysen voll Verzweiflung, hält die Sache seines Landes für verloren und fragt bereits nach einer anderen Verwendung im Reich. Eckart Pankoke hat fünf Schriften Steins, zwischen 1844 und 1854 in zweijährigem Rhythmus und zum Teil anonym erschienen, neu herausgegeben27• In ihnen rückt Stein seine französischen Arbeitsergebnisse noch näher an die deutsche Situation vor und nach der Revolution heran. Natürlich steht das "Grundth€ma der Spannungsfelder von Staat und Gesellschaft" im Vordergrund dieser Studien. 1848 und danach tritt aber deutlich die nationale neben die soziale Frage. Stein sieht das Scheitern der Bewegung von 1848 in der Fremdheit, mit der sich "die neu€ soziale Idee und die Reichsidee" gegenüberstanden und von beiden Teilen jeweils als "Agitationsmittel" gegeneinander benutzt wurden. In Parteien formiert standen sich die "Nationaldeutschen" mit der "vagen Idee der Freiheit des Volk€s" und die "Konstitutionellen" gegenüber, die "die Idee der Herrschaft der industriellen Gesellschaft" 27 Lorenz von Stein, Blicke auf den Sozialismus und Communismus in Deutschland und ihre Zukunft (1844). Der Begriff der Arbeit usw. (1846), Darmstadt 1974. Lorenz von Stein, Schriften zum Sozialismus 1848, 1852, 1854. Darmstadt 1974. Beide herausgegeben und mit Vorwort versehen von

Eckart Pankoke.

In diese Reihe gehört die ebenfalls anonym erschienene Studie Steins "Ein Blick auf Rußland" (1850), behandelt von Joist GroUe, in: Festschrift für Percy Ernst Schramm, Wiesbaden 1964. GroUe leistet hier einen Beitrag zur Erhellung von Steins Europaverständnis, das mit der späteren Machtstaatsideologie nicht zu vereinbaren ist.

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vertraten. Stein hatte aus der selbst erlebten Revolution erfahren, daß der Sieg der nationalen Idee zeitweise diese Unterschiede vergessen läßt, aber "der gesellschaftliche Spalt (hatte) die Reichsidee bereits gründlich zerrissen". Gewiß sieht Stein, daß die staatliche Einheit "der werdenden Gesellschaft des deutschen Volkes" gefehlt hat, ebenso aber, daß eine unklare Reichsidee allein für diese Einheit nicht genügen kann. Zu den gesellschaftlichen treten die wirtschaftlichen Fragen, die Einheit des Zolls, des gewerblichen und Handelslebens. Hierin sieht er auch nach dem Scheitern die Bedeutung Schleswig-Holsteins für die deutsche Einheit, daß es nämlich "die Idee der Einheit der praktischen Interessen nach dem Norden, vorzüglich an die EIbe brachte", ein Element, das der jungen Reichsidee fehlte. Pankoke hat sicher recht, daß Stein hinter der Analyse der Lage um 1850 als Ziel "einen parlamentarischen Sozialstaat Deutscher Nation"28 sah. Die preußische Politik sah er allerdings kaum als dessen Sachwalter. Preußen, dieses großartige Produkt der Geschichte29, hält Stein für verfassungsunfähig. Die "Heimat der alten Reichsidee" ist für ihn Süddeutschland. Von hier aus erhofft er neue Anstöße für integrierende Wirkung der Wissenschaft und der Publizistik. Von dieser Vorstellung her sind seine Bemühungen in dieser Zeit verständlich, seine Notlage durch den Eintritt in die "Allgemeine Zeitung" oder durch den übergang nach Wien zu beenden. Schon 1845 hatte sich Ahlmann vergeblich bemüht, ihn als Mohls Nachfolger in Tübingen zu vermitteln. Für den Sommer 1850 zeigt der Nachlaß nun bereits intensive Bemühungen, nach Wien zu kommen. Im Lande war die Schlacht bei Idstedt geschlagen und das Ende durch den Druck der Großmächte abzusehen. Stein bediente sich der Verbindung über Höfken zu Bruck, der seit November 1848 Handelsminister unter Schwarzenberg war. Auch andere, so Colb, waren in diese Versuche eingeschaltet. Bruck hat sich sogleich für Stein verwandt. Die Versuche, Stein in Würzburg oder München unterzubringen, sind von Colb erst nach diesem Wiener Versuch eingeleitet worden. Aber auch die Wiener Bemühungen führten nicht zum Erfolg, wohl weil Bruck im Mai 1851 aus seinem Ministerium ausschied. Erst als er 1855 das Finanzministerium übernahm, eröffneten sich neue und diesmal erfolgreiche Chancen für Stein. Die Feststellung scheint wichtig, daß Stein aus einer noch unangefochtenen Professur sich von sich aus um den Weg nach Wien be28

Pankoke, S. XIV, in den oben zitierten Schriften zum Sozialismus.

Später, in Rechtsstaat und Verwaltungsrechtspflege (1879) war Preußen für Stein gerade kein Erzeugnis der Geschichte, sondern Ergebnis der "Arbeit der Staatskräfte": "Preußen ist ein administrativer Staatsbegriff". Österreich ist dagegen "eine große, wunderbare historische TatsaChe". 29

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mühte. Die übrigen Versuche (Würzburg, München, Tübingen) wurden erst später von Freunden in einer nach der Niederlage eingetretenen wirklichen Notlage unternommen. Stein hatte sehr wichtige Gründe, sich gerade um Wien zu bemühen; sie entsprachen nämlich seinen politischen Grundüberzeugungen, die sich aus den europäischen und heimatlichen Erfahrungen gebildet hatten. Einmal hielt er eine preußische Lösung der schleswig-holsteinischen Frage - im Gegensatz auch zu Droysen und Mommsen - aus groß-politischen Gründen für unmöglich. Die Frage der Zukunft seines Landes als eine deutsche und europäische Angelegenheit aufzufassen, mußte die österreichische Groß- und deutsche Führungsrnacht ohne Sonderinteressen an Nord- und Ostsee als Vermittler besonders empfehlen. Eine persönliche Verbindung Steins zum Freiherrn von Bruck zwischen 1848 und 1850 ist bisher nicht zu ermitteln. Bruck wird aber die überzeugungen Steins gekannt haben, als er sich bereits im Sommer 1850 bei seinem Kollegen von Thun, dem konservativen Kultusminister, für jenen eingesetzt hat. Fünf Jahre später kam es dann zu einer intensiven und recht freundschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den bei den in Wien. Im Herbst 1855 kann Stein an Cotta berichten, daß der "emminente Finanzminister" ihn mit der Ausarbeitung einer "Staatsschrift" beauftragt habeso. Dieses schnelle Einander-Finden hat sicher auch Gründe, die in der vergleichbaren Herkunft dieser beiden rezipierten Österreicher liegen, vor allem aber sind es die gemeinsamen Vorstellungen von der Lösung der deutschen und der europäischen Fragen. Bruck dachte sicher mehr deutsch als sein Chef Fürst Schwarzenberg, beide aber dachten ebenso wie Stein mehr in räumlichen als in staatlichen Kategorien; "Reich" ist etwas anderes als nur "Staat". Gerade Stein hat in seinen Schriften seit 1845 gern regionale Gliederungen des europäischen Raumes unternommen; er liebt es, in seinen Betrachtungen geographische Aspekte einzuführen (gelegentlich spricht er von "Geoplastik"). So propagierte er in den Auseinandersetzungen um seine Heimat einen norddeutschen Bundesstaat, der die Elbmündung und die Hansestäde einschließen sollte; die Konstruktion diente natürlich dazu, die preußische Hegemonie und damit den Einspruch der Großmächte zu vermeiden. Schon 1851 und 1852 wollte Stein den Zollverein um das ganze Östereich, die fehlenden deutschen Staaten und vielleicht auch Dänemark und Holland zu einem "mitteleuropäischen Handelsbund" erweitert sehen. Seine Konzeptionen gingen mit Friedrich List also schon vor seinem 30 Es handelt sich um "Die neue Gestaltung des Geld- und Creditwesens in Österreich", Wien 1856. über Bruck und seine Ideenwelt s. H. Ritter von Srbik, Deutsche Einheit, Nachdruck Darmstadt 1963, Bd. 11, S. 92 ff.

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übergang nach Wien in eine Richtung, in der er sich später mit Bruck treffen mußte. Es zeigt sich hier erneut, daß Stein durch seinen übergang nach Wien kein "anderer" wurde; er war vielmehr für seine neue Wirkungsstätte durch seine Erlebnisse in einem "Gesamtstaat" und einer konkreten europäischen Konfliktsituation prädisponiert, in die kleine Gruppe der Träger der Mitteleuropaidee Brucks einzutreten. Die Kieler Koalition von 1848 war nun endgültig zerbrochen. Die Schleswig-Holsteiner von Geburt und Wahl gingen je ihre eigenen Wege: Samwer und Francke, die Augustenburger, gingen nach Gotha, um mit Gustav Freytag auf die Stunde für ihren Herzog zu warten; Dahlmann, Droysen, Beseler, Mommsen, Müllenhoff und Waitz besetzten preußische Lehrstühle und hofften wie Haym, SybeZ und Treitschke auf die norddeutsche Großmacht. Stein wußte, daß er auf preußischen Universitäten nichts zu erwarten habe, war glücklich, als er nach Notjahren in der Heimat 1855 seinen früheren Wunsch, nach Wien - auf jeden Fall nach Süddeutschland - zu kommen, erfüllt sah. Er war der einzige der schleswig-holsteinischen Revolutionäre, der diesen Weg ging; der unpolitische Landsmann HebbeZ, den er in Wien fand, konnte nicht dazu gezählt werden. In der kleinen und nicht sehr homogenen Gruppe der österreichisch-großdeutsch Gesinnten aus dem "Reich", zu der Lagarde und Konstantin Frantz gehörten, fand er seine neue politische Heimat. In den fünf Jahren der Zusammenarbeit mit Bruck hat er als Schriftsteller und Journalist die gemeinsame Mitteleuropaidee vertreten, die Vorstellung eines föderal organisierten einheitlichen Zoll-, Verkehrsund Wirtschaftsgebietes von der Nordsee bis ans Mittelmeer, vom Rhein bis an die Tore des Orients. Diese Konzeption enthält bereits eine imperiale Note, die in die kommenden Jahrzehnte des Jahrhunderts gehörte; allerdings waren in ihr wirtschaftliche Motive wirksamer als solche der Machtpolitik des vollendeten Imperialismuss1 . Die Tatsache, daß die Großmächte einer solchen Idee einen noch stärkeren Widerstand entgegensetzen mußten als einer deutschen Lösung der transalbingischen Frage, hat man an der Donau lange unter der Wirkung der faszinierenden Vision ebenso unterschätzt wie die Sprengkraft völkischer Bewegungen: die Zeit der "Gesamtstaaten" war vorbei. Gewiß war t'lsterreich ein "Europa im Kleinen", aber auch die Tage dieses Systems waren schon gezählt. Aus ihm meinte er in seinem Glauben an universale Lösungen ablesen zu können, daß für die Zukunft "die 31 Steins späteres Europabild hat Bodo Richter in seiner Arbeit über das Völkerrecht (s. Anm. 20), S. 155 ff., dargestellt. Auch hier wird deutlich, daß Stein vor die politische Einigung die gesellschaftliche und wirtschaftliche Einheitlichkeit gesetzt hat. Eine staatliche europäische Einheit erwartet er erst in Jahrhunderten.

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bekannten Formen und Formeln, die auf streng ausgeprägter nationaler Individualität ruhen, nicht ausreichen". Die Geschichte bewies ihm das Gegenteil; er mußte in Wien den Sieg des kleindeutschen Zollvereins, die Ausschaltung Österreichs 1866, die preußische Lösung der Frage seiner Heimat, schließlich Bismarcks Lösung der deutschen Frage erleben. Hatte er noch bis 1864 regelmäßig die Allgemeine Zeitung mit Beiträgen beliefert, schweigt der Journalist Stein für viele Jahre; erst in seinem letzten Lebensjahrzehnt werden die Beiträge wieder häufiger, haben aber meist Vorgänge des fernen Japan zum Gegenstand. Rastlose Arbeit, gelegentliche "Apologie der Gegenwart", dargestellt in der scheinbar stabilisierten Pentarchie, oft pathetische Bekenntnisse zu Europa als Einheit in der Vielheit und zur integrierenden Rolle der Wissenschaft, überdecken die innere Ahnung, ausgesprochen schon 1849: "Es wird vielleicht Abend in Europa für längere Zeit."

Lorenz von Stein und die deutsche Gesellschaftslehre in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Von Adolf Theis I. Noch bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts suchte man die Frage nach dem Staat im Rahmen einer philosophischen Gesamtkonzeption des menschlichen Lebens zu beantworten. Seit dem Aufkommen des Naturrechtsdenkens wurde der Staat nicht mehr als reines Moment der Herrschaft von göttlicher Einsetzung und Inpflichtnahme, sondern als Konsequenz des natürlichen Bedürfnisses der Menschen zur Vergemeinschaftung angesehen. Die heute noch außerhalb der jüngeren soziologischen Forschung gebräuchliche Trennung von Staat und Gesellschaft und der Inhalt dieser Begriffe sind das Ergebnis eines etwa um die Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzenden Trennungsprozesses, "in dem der Staat schließlich als juristische Person der Gesellschaft als Trägerin der geistigen und materiellen Werte gegenübergestellt worden ist"1. Im Gegensatz zur kontinental-europäischen Entwicklung war der Staat im angelsächsischen Denken auch im 19. Jahrhundert noch das Gemeinwesen der Bürger, gegründet auf dem Konsens aller und begrenzt durch diesen, in dem Macht nur im Auftrage des Volkes und als Amt (trust) ausgeübt wurde, gebunden an die überlieferte Idee des Gemeinwohls. Der Trennung von Staat und Gesellschaft, wie sie sich im kontinental-europäischen Raum vollzog, schloß sich das angelsächsische Staatsdenken nicht an. Die Gesellschaft als "reziproker Begriff zum Staat" (Heller) fand erst in dem Moment Beachtung, als sich das kapitalistische Wirtschaftssystem entfaltete und die ständische Gesellschaftsordnung aufgelöst wurde. Ausdruck dieser Entwicklung ist sowohl die eigenartige Verbindung der idealistischen Philosophie und der Nationalökonomie in der 1 O. Brunner, Neue Wege der Sozialgeschichte, Göttingen 1956, S. 27. Dagegen als Beispiel der jüngeren soziologischen Forschung, die den Staat eher als ein Subsystem der Gesells'chaft betrachtet: N. Luhmann, Grundrechte als Institution, 2. Aufl., Berlin 1974, S. 36 ff. Vgl. hierzu auch die Äußerungen von U. Scheuner in der Festgabe für R. Smend, 1962, S. 237 ff.

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HegeIschen Rechtsphilosophie als auch die Darstellung der "Gesellschaft" als Basis der Entfaltung von Freiheit, Gleichheit und Persönlichkeit bei LOTenz von Stein. Diese spezifische Verquickung von Philosophie und Nationalökonomie war der Ausgangspunkt einer eigenständigen deutschen Soziologie, die von der Kombination dieser beiden Komponenten bestimmt bleiben sollte. Steins wissenschaftliche Bedeutung basiert auf seiner systematischen Darstellung der gesellschaftlichen und politischen Strömungen des 19. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt seines Forschungsinteresses stand die soziale Bedingtheit politischer Veränderungen, die er vor allem durch sein Studium der französischen Revolutionen und durch seine persönliche Begegnung mit dem französischen Sozialismus erkannt zu haben glaubte. Seine sozialgeschichtlichen wie auch seine geschichtsphilosophischen Ausführungen in der ersten Epoche seines Schaffens, die bis in die sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts reicht, dienten - in Fortsetzung der Gesellschaftslehre Hegels und über diese hinausführend dem Aufbau einer eigenständigen Gesellschaftslehre. In ihr wollte Stein die soziale Verflechtung des menschlichen Seins und Bewußtseins herausarbeiten und die gesellschaftliche Abhängigkeit des Staates aufzeigen. Die rastlose Suche nach dem "Grund des Grundes"!, nach dem Allgemeinen im Besonderen, dem Wesenhaften in der sozialen Einzelerscheinung und der Glaube an die Möglichkeit, die sozialen Bewegungen nicht nur rechtzeitig erkennen, sondern auch lenken zu können, waren die Kraftquelle für Steins Untersuchung und Kommentierung der sozialen Evolution und Revolutionen des 19. Jahrhunderts. Erst durch seine Arbeiten wurden der frühe Sozialismus und der Kommunismus in das allgemeine Bewußtsein der damaligen Wissenschaft gerückt. In seinen Forschungen wurde die Abhängigkeit des Staates von den gesellschaftlichen Strukturen erstmals erkennbar. Stein war es, der als erster eine soziologische Charakteristik des Prolerariats gab und in dem historisch bedingten Aufkommen und Auftreten des klassenbewußten Proletariats die Kraft erkannt hat, welche die moderne Gesellschaft umzuformen bestimmt war. In seiner "Geschichte der sozialen Bewegung" definierte Stein seine Aufgabe dahingehend, daß er den Begriff der Gesellschaft mit dem des Staates in Beziehung zu setzen habe, die gesellschaftliche Ordnung und Bewegung als den Hauptfaktor allen Staatslebens und den Gegensatz zwischen der Idee der Freiheit und der Unfreiheit als den wahren Inhalt der Gesellschaft und ihrer Bewegung nachzuweisen habe, um die Frage nach dem gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustand, nach dem !

Stein, Lehrbuch der Nationalökonomie, Leipzig, 1887, S. VII.

Lorenz von Stein und die deutsche Gesellschaftslehre

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Wesen der Gesellschaft und nach den Mitteln zur Beseitigung der jeweiligen gesellschaftlichen Spannungen beantworten zu können3• In seiner Gesellschaftslehre suchte Stein "die sittliche Frage nach der höchsten Berechtigung des persönlichen Eigentums" mit den unabweisbaren Forderungen der industriellen Gesellschaft und ihrer Zivilisation zu vereinen. So kam er auf dem Wege über die Gesellschaft zur Erforschung der Persönlichkeit, deren "wesensgrößter" Bestandteil seiner Ansicht nach das persönliche Eigentum war4 • Die persönlichkeitsbindende Funktion des Eigentums erfuhr bei Stein insofern eine überbewertung, als er die Meinung vertrat, erst durch Eigentum werde menschliche Persönlichkeit möglich, da es unabhängig mache und die freie Entfaltung der Individualität erst ermögliche5• Als Korrektur für das Zusammenleben in dieser Eigentumsordnung sah er allein die sittliche Verpflichtung des Kapitals gegenüber dem Nichtbesitzenden.

n. Stein hat sich mit Hegel am deutlichsten in seinem 1844 erschienenen Aufsatz "Sozialismus und Communismus in Deutschland" auseinandergesetzt. Dort bemängelt er an der Hegeischen Philosophie, sie habe keinen Begriff von der einzelnen Persönlichkeit, sondern nur von der Persönlichkeit an sich. Die Freiheit der Entwicklung des Individuums und damit die Entwicklung zur Persönlichkeit ist aber für Stein der Sinngehalt des dialektischen Prozesses der Entwicklung des Staates und der Gesellschaft zur Freiheit, ganz im Gegensatz zu Hegel, der das Individuum schlechthin als Wirklichkeit nicht anerkennt, sondern nur das Allgemeine in seiner individuellen Gestalt. Für Hegel konkretisiert sich der Geist des Ganzen im einzelnen aber nicht zur Entfaltung der individuellen Persönlichkeit, sondern als Ausfluß des im Besonderen vorhandenen Allgemeinen6 • Die Erkenntnis des Allgemeinen ist für Hegel alleiniger Sinn der individuellen Spekulation. "Das Prinzip der Besonderheit geht eben damit, daß es sich für sich zur Totalität entwickelt, in die Allgemeinheit über und hat allein in dieser seine Wahrheit und das Recht seiner positiven Wirklichkeit7." In diesem Satz kommt das Grundmotiv des dialektischen Prozesses Familie - Gesellschaft - Staat und der Entwicklung der 3 Vgl. Stein, Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage, Bd. 1: Der Begriff der Gesellschaft, 1921 (1850), S. 12 ff. , Vgl. ebd., S. 14. 5 Vgl. Stein, in: Nord und Süd, Jg. 1880, S. 94. • Vgl. Hotstein / LaTenz, Staatsphilosophie, München 1933, S. 168. 1 Heget, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Sämtl. Werke, hrsg. von Johannes Hoffmeister, Bd. 12,4. Auf!., Hamburg 1955, S. 167.

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Freiheit des Staates in der HegeIschen Philosophie zum Ausdruck, der jedoch nicht der Leitsatz der die Theorie tragenden Anthropologie Steins ist. Für Stein ist nicht wie für Hegel das Dasein, welches die Person ihrer Freiheit gibt, nur das EigentumS, sondern die Person hat für Stein nur Freiheit, ja sogar Existenz, wenn sie im Besitz von Eigentum ihre eigene Persönlichkeit in der Gemeinschaft entfaltet und vollzieht. Stein und Hegel sind zwar beide der Auffassung, daß dem Besonderen das Allgemeine inhärent ist, und insoweit ist Stein Hegel-Schüler - wie dieser bei Rousseau in die Lehre gegangen war. Bei Stein führt dies aber nicht wie bei Hegelletztlich zu einer völligen Unterordnung des Besonderen unter das Allgemeine9 - im Staatsbereich etwa wird dies nur noch gemildert durch die Mitwirkung in den Ständen oder später bei der Willensbildung in den Korporationenlo . Stein betont im Gegensatz zu Hegel die Entfaltung des Besonderen in der Gemeinschaft, das nicht erst in der Erkenntnis des Allgemeinen substantielle Existenz erhält. Für Stein beschränkt sich das Recht des subjektiven Willens nicht darauf, "daß das, was er als gültig anerkennen soll, von ihm als gut eingesehen werde"ll. Während für Hegel die Entwicklung zur Freiheit mit seinem System abgeschlossen war, sah Stein in der von ihm über das "Bürgerliche" hinaus entwickelten Gesellschaft erst den Beginn einer neuen Entfaltung der Freiheit der Person. Hegel glaubte, die Spannung zwischen Sein und Sollen überwunden zu haben, Stein hat sie mit seiner Unterscheidung zwischen idealem und realem Staat wieder aufgerissen. Das Sollen wurde Modell zur Erkenntnis und Beeinflussung des Seins. Die Freiheit des Staates und damit der Person hatte sich für ihn jedenfalls noch nicht verwirklicht. Wenn Vogel die Ansicht vertrittl2 , die HegeIsche überwindung des Individualismus mißlinge Stein, weil er seinen unbestimmten "Lebensbegriff" nicht in den Bereich objektiver Werte im Sinne von Hegels objektivem Geist zu erheben vermöge, so wird diese Kritik Stein nicht gerecht, weil dieser das Individuum in dem von der Gesellschaft bestimmten realen Staat nicht auflösen konnte. Der Unterschied in der Bewertung des subjektiv Persönlichen zwischen Stein und Hegel wird bei der Festlegung des Gemeinschaftsbegriffes noch deutlicher: Hegel, der am Ende der neuen naturrechtlichen 8 Vgl. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen WissensChaften im Grundriß. (1830), neu hrsg. von F. Nicolin und O. Pöggeler, 6. Aufl., Hamburg 1959, S.391. , Vgl. Hegel, Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 10l. 10 Vgl. Hegel, Enzyklopädie, a.a.O., S. 423. 11 Vgl. Hegel, Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 117. 12 Vgl. Paul Vogel, Hegels Gesellschaftsbegriff und seine geschichtliche Fortbildung durch L. Stein, Marx, Engels und Lassalle, Berlin 1925, S. 133.

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Bewegung stand, versuchte, das Werden der Gemeinschaft nicht aus den losgelösten Einzelmenschen zu konstruieren13, deren Triebe selbst dort, wo sie etwa die Gemeinschaft zum Gegenstand haben, bewußt nur auf die eigene Befriedigung hinsteuern, sondern aus einem bewußten zugleich substantiellen Willen zur Gemeinschaft14. Der Steinsche Gemeinschaftsbegriff lehnt sich zwar stark an die Definition Hegels an, doch sind die Akzente verschieden, schon weil Stein die in der Gesellschaft organisierte Arbeitsteilung in den Dienst der Entwicklung der individuellen Persönlichkeit stellt. Die Meinung Vogels, Stein sei ganz Hegel-Schüler, wenn er das Individuum erst durch die Gemeinschaft zur Persönlichkeit werden lasse15, ist zutreffend, in dieser allgemeinen Formulierung aber mißverständlich, da bei Stein das Wesen der Persönlichkeit nicht ihre Eingliederung in das Allgemeine ausmacht. Die Gemeinschaft ist zwar der Ort der Persönlichkeitsbildung, aber nicht als deren Glied. Die Gemeinschaft ist für beide, Stein und Hegel, keine rationalistische Veranstaltung, sondern "Lebensphänomen"16. Für Hegel steht sie jedoch höher als das Individuum17, für Stein ist sie nur gleichwertig. Steins Gesellschaftstheorie ist maßgeblich von Hegels "bürgerlicher Gesellschaft" geprägt worden. Die theoretische Fundierung der Trennung von Staat und Gesellschaft bei Hegel hat ihrerseits wesentliche Impulse aus den Arbeiten von Smith, Say und Ricardo erfahren. Die Gesellschaft als Ort der Verwirklichung "des subjektiven Moments der allgemeinen Freiheit" tritt bei Hegel an die Stelle des Standes und der Standesgesinnung. Während bis Hegel der Begriff "Gesellschaft" hauptsächlich im Bereich des Geselligen beheimatet war, bezeichnete er als Gesellschaft das menschliche Gemeinleben in den größeren Verbänden und selbst im Staat und über den Staat hinaus, insofern es nicht Leben des Staates selber war, sondern nur in mehr oder weniger umfassender Beziehung zum Staate stand. Auf diese Art gelang es ihm, den naturrechtlichen Begriff des Verhältnisses von Individuum und Gemeinschaft in sein System aufzunehmen, ohne ihn herrschend werden zu lassen18. "Hegels zeitlich begrenzte(r) Begriff der bürgerlichen Gesellschaft" wird von Stein "zu dem viel umfassenderen Begriff der menschlichen Gesellschaft (erweitert) "19. Während die "bürgerliche Gesellschaft" Vgl. F. Rosenzweig, Hegel und der Staat, Neudruck: Aalen 1962, S. 129. Vgl. ebd., S. 107. 15 Vgl. Vogel, a.a.O., S. 168. 18 Holstein I LaTenz, a.a.O., S. 148. 17 Vgl. ebd., S. 173. 18 Hierauf weist Rosenzweig (a.a.O., S. 119) hin. 11 Vogel, a.a.O., S. 127. la

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Hegels durch einen "Differenzierungsprozeß"2o aus dem Staat entstand, ist der reale Staat Steins das Produkt der dialektischen Entwicklung der menschlichen Gesellschaft. Steins Gesellschaftslehre setzt im Unterschied zu Hegel an die Stelle der metaphysischen die anthropologische Grundlegung. Stein fragt nicht nach dem Existentiellen des Menschen. Er zeichnet ihn nicht philosophisch, sondern empirisch-anthropologisch. Er begreift den Menschen aus seinem Verhalten zur Umwelt, wenn er schreibt: "Zwischen Sein und Haben liegt der übergang vom Natürlichen zum Persönlichen, vom Tier zum Menschen und dieses durch sich selbst vermöge seiner Arbeit sich ewig neu mit allem natürlichen Sein erhaltende Persönliche faßt sich selbst in dem entscheidenden Satze zusammen, daß ich bin, was ich durch Arbeit errungen habe21 ." Mit dieser Aussage glaubt Stein die Frage beantwortet zu haben, warum das sich selbst setzende Ich Fichtes dazukommt, "sich selbst zum Gegenstand zu werden und ob es im Wesen jedes Ichs liegt, absolut etwas anderes sein zu müssen als es selber". Gleichzeitig glaube er Hegel widerlegen zu können, dessen Lehre "vom Wesen des Lebens als Erfüllung der höchsten göttlichen Bestimmung desselben durch das Werden des göttlichen Geistes in dem Wechsel des irdischen mit seinem Wandel vom Sein zum Nichtsein und umgekehrt den Unterschied zwischen Natur und Persönlichkeit verwischt und sie beide nur noch als Moment jeden Werdens erscheinen läßt"22. Die Gesellschaft ist für Stein wie für Hegel Verwirklichung der subjektiven Freiheit, für Stein aber nicht als eine Besonderung des Allgemeinen. Wenn Hegel behauptet, die Besonderheit der Person begreife zunächst ihre Bedürfnisse in sich und die Gesellschaft biete die Möglichkeit ihrer Befriedigung23, so ist der Ausgangspunkt auch für Stein der gleiche. Auch darin, daß der gesellschaftliche Zusammenhang das "allgemeine Vermögen" ist, stimmen beide überein. Stein geht aber weiter. Im Gegensatz zu Hegel sieht er den dialektischen Prozeß zur Freiheit sich nicht von der Despotie über die Polis zum Staat des frühen 19. Jahrhunderts entwickeln, sondern vom Feudalismus über die volkswirtschaftliche zur industriellen Gesellschaft; denn Freiheit und Unfreiheit im Staat bestimmen sich für ihn allein nach der Freiheit und Unfreiheit in der Gesellschaft. Für Stein verliert sich nicht - wie für Hegel - die Substanz als Geist in "Familie oder Einzelne besondernd"24, weil für ihn die Entwicklung des Individuums zur Persön20

21 22

2S U

Ebd., S. 9. Stein, Nationalökonomie, 1887, a.a.O., S. 56. Ebd., S. 41 u. 42. Vgl. Hegel, Enzyklopädie, a.a.O., S. 406. Ebd., S. 405.

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lichkeit das Substantielle ist, während das Allgemeine (Staat) nur korrigierend in den gesellschaftlichen Prozeß eingreifen darf. Damit ist aber für Stein die Aufgabe der Gesellschaft nicht nur die Befriedigung von Bedürfnissen25 , sondern auch die Ermöglichung der Persönlichkeitsentfaltung. Die Rechtsverfassung ist für beide ein Mittel zur Sicherung von Person und Eigentum. Stein hebt jedoch - über Hegel hinausführend die gesellschaftliche Bedingtheit des Rechts hervor. Die Rechtsverfassung und äußerliche Ordnung, der "äußerliche Staat" im Sinne Hegels, ist für ihn der reale Staat in seiner ganzen gesellschaftlichen Prägung, der sich aber nicht wie bei Hegel generell in die Wirklichkeit des substantiellen Allgemeinen und des demselben gewidmeten öffentlichen Lebens in die Staatsverfassung zurück- und zusammennimmt28 , sondern als von den gesellschaftlichen Interessen beherrschter realer Staat dem idealen Staat gegenübertritt. Bei Steins Darstellung des Stancl.!s und der Klasse lassen sich kaum Vergleiche zu Hegel ziehen. Die Definition des Proletariats klingt bei Hegel zwar an, allerdings ohne daß er, worauf Vogel hinweist, "dieses das Gesellschaftsganze ergreifende Proletariat geschichtlich versteht und als den Sinn der kommenden Geschichte prophetisch schaut"27. Der Begriff der gesellschaftlichen Arbeit als ausgleichender sozialer Tätigkeit und als Voraussetzung der Harmonie im gesellschaftlichen Bereich ist Hegels System ebenso fremd wie der Begriff der sozialen Reform. Dagegen findet sich Hegels "Korporation"28 in abgewandelter Form in der Theorie der gesellschaftlichen Selbstverwaltung bei Stein wieder. Für Hegel ist der Staat "gegen die Sphären des Privatrechts und des Privatwohls, der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft eine äußerliche Notwendigkeit und gleichzeitig ihre höhere Macht, deren Natur ihre Interessen untergeordnet sind"29. Er ist ihr immanenter Zweck und findet seine Einheit und Stärke in seinem allgemeinen Endzweck. Hegel erkennt durchaus, daß die privatrechtlichen Gesetze von dem "bestimmten Charakter des Staates" abhängig sind. Er übersieht aber im Gegensatz zu Stein, daß der Charakter des Staates selbst wiederum maßgeblich vom Zustand der Gesellschaft beeinflußt ist. Die Familie ist für Stein nicht wie für Hegel "zuvörderst Station der sittlichen Entwicklung", sondern Institution der gesellschaftlichen Herrschaft. Vgl. ebd., S. 411. Vgl. Hegel, Rechtsphilosophie, a.a.O., S. 149. 27 Vogel, a.a.O., S. 154. 28 Hegel, Re'chtsphilosophie, a.a.O., S. 270. zu Ebd., S. 215. Z5

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Stein hat im Gegensatz zu Hegel einen umfassenden Begriff des Rechts entwickelt. In der Gesellschaft ist für ihn nicht allein das Privatrecht ordnend wirksam, sondern das umfassende gesellschaftliche Recht ist als wirkliches Recht Rahmen der staatlichen Tätigkeit. Deshalb kann nach seiner Theorie der Staat aus sich heraus die Gesellschaft nicht verändern, weil der Staat nicht unabhängiger Träger der Rechtsetzung ist. Der Staat ist für Stein wie für Hegel eine Erscheinungsform des Willens, ja er ist für beide die Wirklichkeit des "substantiellen Willens"30. Das Individuum hat aber für Stein - im Gegensatz zu Hegel Objektivität, Wahrheit und Sittlichkeit nicht nur als Glied des Staates, und es ist auch nicht seine einzige Bestimmung, "ein allgemeines Leben" zu führen. Der Staat ist vielmehr der Ort, wo die Unendlichkeit der Bestimmung des einzelnen und der Allgemeinheit erreicht ist, der Ort also, an dem die Allgemeinheit vorhanden und doch zugleich der Selbstbestimmung der einzelnen unterworfen ist. Im Staat kommt für Hegel die Freiheit zu ihrem höchsten Recht, indem der einzelne Glied des Staates sein kann, ja "die Vereinigung als solche ist selbst der wahrhafte Inhalt und Zweck und Bestimmung des Individuums"31. Demgegenüber ist für Stein das Prinzip des Staates die Ermöglichung der Teilnahme der einzelnen an seiner Willensbildung. Diese Teilnahme bezeichnet er als Freiheit. Der Staat ist "die zur persönlichen Einheit erhobene Gemeinschaft aller einzelnen, die als Tat erscheint". Stein hat damit dem "Prinzip der Subjektivität"32 nicht nur in der Sphäre unterhalb des Staates, nämlich der Gesellschaft, Raum gewährt, er hat vielmehr bewußt die Subjektivität in die Staatswillensbildung einbezogen. Die Freiheit der Subjektivität beschränkte sich bei ihm nicht wie bei Hegel auf die Freiheit der Berufswahl, die Gleichheit vor dem Gesetz und in einem allgemeinen Patriotismus. Er mußte in seiner Konstruktion daher nicht die Korporation als Filter der Willensbildung zwischen Staat und Gesellschaft einschieben. Gerade der Freiheit der Berufswahl hat Hegel überragende Bedeutung zugemessen33 , war sie für ihn doch der entscheidende Unterschied zwischen dem antiken und dem modernen Staat. Auf den HegeIschen Begriff des Patriotismus als Integrationselement, der, wie es Larenz treffend formuliert hat34, nicht im herkömmlichen Sinne zu verstehen ist, sondern bedeutet, nach den Sitten und sittlichen Anschauungen des Volkes ein Leben in 80 31

31

33 34

Ebd., S. 208, 209. Ebd., S. 208. Ebd., S. 215.

Vgl. Rosenzweig, a.a.O., S. 141. Vgl. Larenz, a.a.O., S. 152.

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der Gemeinschaft zu führen, kann Stein durch seine Verknüpfung von Staat und Gesellschaft verzichten. Er braucht deshalb auch nicht, um den Sozialkörper nicht erstarren zu lassen, diesen von Zeit zu Zeit von der Regierung durch Kriege erschüttern zu lassen85 • Stein war wie Hegel der Monarchie des 19. Jahrhunderts verhaftet. Beide sahen die Persönlichkeit des Staates nur in der Person des Monarchen wirklich werden. Beide waren sich in der Ablehnung der Volkssouveränität einig. Hegel und Stein haben, worauf oben bereits hingewiesen wurde, Gesellschaft und Recht als zwei sich bedingende Begriffe dargestellt. Die Ansicht Vogels 38 , heide hätten die Gesellschaft als ein Rechtsgebilde verstanden, trifft nicht zu. Bei aller übereinstimmung in der Erkenntnis der gesellschaftlichen Bedingtheit des Rechts darf nicht übersehen werden, daß das gesellschaftliche Recht für Hegel nur das Privatrecht im Sinne des römischen Rechts war. Zum gesellschaftsbedingten öffentlichen Recht ist Hegel nicht durchgedrungen. Vogel ist darin zuzustimmen, daß letztlich sowohl bei Hegel als auch bei Stein ein Beweis für die Notwendigkeit des Staates als eines in sich ruhenden Vernunftgebildes neben der Gesellschaft fehlt 37 • Mit der Feststellung, Hegel und Stein hätten den Staat "vergottet"38, sollte man jedoch zurückhaltend sein. Für beide war der Staat, wenn auch mit wesentlich verschiedenen Akzenten, zwar Endpunkt der Entwicklung der Freiheit und notwendige Voraussetzung der Existenz der Person; die Vergottung des Staates haben beide aber ihren Nachfahren überlassen. So weit wie Fichte, der die Zwangs anstalt "Staat" nur insofern legitimiert sah, als sie darauf ausgeht, sich selbst überflüssig zu machen, sind beide nicht gegangen. Sie haben auch nicht dessen utopischen Traum von dem Wegfall aller Ungleichheit durch die Einsicht aller in die Entbehrlichkeit des Zwanges geteilt. III.

Stein nähert sich in der Darstellung des Verhältnisses IndividuumGemeinschaft der im Unterschied zu Hegel mehr individualistischen Betrachtungsweise Fichtes und Rousseaus. Für Stein ist der Staat jedoch nicht wie für Fichte ein bloßes Vertragsgebilde. Schutzbedürfnis oder Not sind ihm nur Teil der historischen Entwicklung, nicht aber Substanz des Staates. 35

Vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes, hrsg. v. Georg Lasson, Leipzig

1907, S. 294. 36 37

38

Vgl. Vogel, a.a.O., S. 173. Vgl. ebd., S. 197. Ebd., S. 190.

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Die Vorstellung Fichtes, der Staat beruhe auf einem Eigentums-, Schutz- und Vereinigungsvertrag39, ist Stein fremd, da er ein entschiedener Gegner der Vertragstheorie ist. Mit Fichte verbindet ihn aber ein tiefes Empfinden für die sozialen Gestaltungen. Der Gedanke, "daß jedermann von seiner Arbeit soll leben können", und "daß die Arbeit wirklich das Mittel zur Erreichung dieses Zweckes sein und der Staat hierfür Anstalten treffen soll "40, findet sich auch bei Stein, ebenso die Forderung Fichtes, der Staat solle korrigierend in das Wirtschaftsleben eingreifen 41 • Der Behauptung Fichtes, es lasse sich als letztes Ziel allen Wirkens einer Gesellschaft eine allgemeine übereinstimmung erzielen, die den Staat als gesetzgebende und zwingende Macht überflüssig mache, weil der Wille eines jeden wirklich allgemein sei42 , ist Stein nicht gefolgt. Für ihn ist der soziale Gegensatz in der Gesellschaft nie zu beseitigen, sondern nur zu mildern, weil er das Korrelat der Arbeitsteilung in der Gesellschaft ist. Stein sieht nur in der Entfaltung des einzelnen und der Steigerung seiner Leistung in der arbeitsteiligen Gesellschaft die Möglichkeit einer harmonischen Zusammenarbeit der Klassen als erreichbares Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung. IV.

Lorenz von Stein und Robert von Mohl gemeinsam ist die Forderung nach Ausgleich der gesellschaftlichen Interessengegensätze durch die Intervention des Staates. Jedoch gehen beide von verschiedenen Denkschulen aus: Stein der der Hegeischen Staatsphilosophie verpflichteten, dem Idealismus und Neuhumanismus entstammenden, Mohl mehr der am westeuropäischen liberalen Staats denken orientierten Schule. So ist Stein auch eindeutiger Exponent der spezifisch deutschen Soziologie, wohingegen sich Mohl bereits von der ökonomistischen Sozialphilosophie Steins distanziert. Obwohl er sich intensiv mit Steins Ideen auseinandersetzt, bleibt die Steinsche - und damit die Hegeische - Staatsidee ohne Einfluß auf seine Staatsauffassung. In seinem Gesellschaftsbegriff ist Mohl neben Stein vor allem von den sozialwissenschaftlichen Anschauungen des Krause-Schülers Heinrich Ahrens43 inspiriert worden. SI Vgl. Joh. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts, Ausgewählte Werke, Bd. 2, hrsg. von F. Medicus, Leipzig 1912, S. 170 fi. 40 Ebd., S. 216. 41 Vgl. Fichte, Der geschlossene Handelsstaat, Ausgew. Werke, Bd. 3, a.a.O.,

S.483. 42

Vgl. Fichte, Das System der Sittenlehre, Ausgew. Werke, Bd. 2, a.a.O.,

S.647.

43 Vgl. hierzu Erich Angermann, Zwei Typen des Ausgleichs gesellschaftli'cher Interessen durch die Staatsgewalt, in: Staat und Gesellschaft im deut-

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Bei seinen überlegungen hinsichtlich eines Ausgleichs der gesellschaftlichen Interessengegensätze durch den Staat geht Mohl von der Konzeption des Rechtsstaates aus, die er zuerst im "Staatsrecht des Königreichs Württemberg" und dann ausführlicher in der "Polizeiwissenschaft"" erläutert hat. Diese basiert noch ganz auf der atomistischen Staatsauffassung der westeuropäischen Naturrechtslehre, die er allerdings mit dem Persönlichkeitsbegriff des deutschen Idealismus verquickt. Der Zweck des Staates kann folglich "kein anderer sein ..., als der Zweck des Lebens nach der herrschenden Volks ansicht, denn er ist ja bloß ein Mittel zur Beförderung des letzteren ... Das, was jeder im Volke will und erstrebt, muß natürlich auch der Wille der ganzen Gesellschaft sein, und die Ordnung ihres Zusammenlebens, d. h. der Staat, muß diesen Zweck nicht nur nicht hindern, sondern im Gegenteil fördern. Ein Rechtsstaat kann also keinen anderen Zweck haben als den: das Zusammenleben des Volkes so zu ordnen, daß jedes Mitglied desselben in der möglichst freien und allseitigen übung und Benutzung seiner sämtlichen Kräfte unterstützt und gefördert werde"45. Mohl hebt zwar die Gesellschaft als eigenständigen Bereich des menschlichen Lebens deutlich vom Staat ab. Sie ist für ihn aber der "Inbegriff aller in einem bestimmten Umkreise, zum Beispiel Staaten, Weltteilen tatsächlich bestehenden gesellschaftlichen Gestaltungen"48. Sie basiert auf gesellschaftlichen Zuständen, die ihrerseits wieder Ausfluß "gesellschaftlicher Lebenskreise" sind. Dieses sind Interessenverbände, die eigentümliche, weder mit den "Persönlichkeitszuständen" noch mit der staatlichen Einheit zu verwechselnde und zu verbindende menschliche Beziehungskategorien darstellen. Die so strukturierte Gesellschaft bildet, wie Mohl es ausdrückt, eine vom Staat als einem "Organismus von Einrichtungen" zu trennnende Erscheinung. Nur als "Machtmittel zur Verbesserung und Änderung der Gesellschaft" ist der Staat von Bedeutung. Seine Aufgabe ist es also, in konsequenter Fortbildung seines Rechtsstaatsgedankens, den Ausgleich der gesellschaftlichen Interessengegensätze herbeizuführen47 • schen Vormärz 1815 - 1848, hrsg. v. W. Conze (Industrielle Welt, Bd. 1), Stuttgart 11970, S. 193 u. passim. Vgl. auch ders., Robert von Mohl 1799 -1875. Leben und Werk eines altliberalen Staatsgelehrten, Neuwied 1962. Zu Mohl neuestens Ulrich Scheuner, Robert von Mohl. Die Begründung einer Verwaltungslehre und einer staatswissenschaftlichen Politik, in: 500 Jahre Eberhard-Karls-Universität Tübingen: Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen 1477 - 1977, Tübingen 1977, S. 514 ff. 44 Mohl, Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg, 2 Bde, T\ibingen 1829 -1831; ders., Die Polizei-Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates, 3 Bde, Tübingen 1832 - 1834. 45 Polizei-Wissenschaft, Bd. 1, S. 5 und 7. " Mohl, Gesellschafts-Wissenschaften und Staats-Wissenschaften, Zs. f. d. ges. Staatswiss. 7 (1851), S. 22 ff.; ders., Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, 3 Bde, Tübingen 1862 - 1869, Bd. 3, S. 475 ff. .

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Mohls Gesellschaftslehre ist stark empirisch-pragmatisch bestimmt. Ihr fehlt im Gegensatz zu Hegel und Stein der geschichtsphilosophische Hintergrund. Mohl lehnt den Gesellschaftsbegriff Hegels deshalb ab, da er ihm zu wirklichkeitsfremd und reinem dialektischem Systemzwang entsprungen erscheint. An den Frühschriften Steins moniert Mohl eine Verengung des Gesellschaftsbegriffs auf "eine beinahe ausschließlich ökonomische Sphäre", ein Vorwurf, den Stein 1852 auch anerkannt hat48 . Allerdings wird man Stein nicht gerecht, wenn man postuliert, Mohl gehe über Stein hinaus, indem er nicht wie jener ausschließlich den Interessengegensatz von Besitzenden und Besitzlosen als das gesellschaftliche Leben beherrschend betrachte, sondern eine "infinite Vielzahl von Interessen"49 im gesellschaftlichen Leben aufzeige. Angermann, der hierin den entscheidenden Kern des Gesellschaftsbegriffs Mohls sieht, übersieht dabei, daß alle Interessen, die er bei Mohl über den Interessengegensatz von Besitzenden und Besitzlosen hinaus aufzählt, auch im Werk Steins als das gesellschaftliche Leben mittragend dargestellt werden. Stein räumt nämlich im "System der Staatswissenschaften"SO neben der Gesellschaft dem "geistigen Leben", soweit es Religion, Kunst und Wissenschaft betrifft, einen besonderen Bereich ein, der dauernd auf die Gesellschaft wirke, aber eigenständig bleibe. Vor allem in der Verwaltungslehre entwickelt sich bei Stein die Gesellschaftsanalyse über den ursprünglich mit Absicht besonders betonten Interessenkonflikt von Besitzenden und Besitzlosen weit hinaus. Stein und Mohl unterscheiden sich auch perspektivisch in ihrer Betrachtungsweise des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft: Stein beschäftigt sich mehr mit der gesellschaftlichen Bedingtheit staatlichen Handeins, Mohl umgekehrt mehr mit dem Hineinwirken des Staates in die Gesellschaft. Stein untersucht die gesellschaftliche Entwicklung vom Feudalismus bis zur industriellen Gesellschaft, um das wissenschaftliche Material für eine zeitgerechte Staats- und Verwaltungslehre zu gewinnen. Mohl widmet sich dagegen vornehmlich dem Staat der industriellen Gesellschaft, dessen Vertrauensschwund er durch staatliche Reformen wiedergutzumachen trachtet und den er aufruft, mit staatlichen Mitteln den Gesellschaftskörper durch sach- und situationsgerechte Verwaltung zu heilen. Der Staat und die Gesellschaft werden bei Mohl nicht als Ort Vgl. Angermann, Zwei Typen des Ausgleichs, a.a.O., S. 192. Vgl. ebd., S. 193, Anm. 39. 49 Ebd., S. 194. Dieser Ansicht schließt sich U. Scheuner an, in: Zur Rolle der Verbände im Rahmen der sozialen Verwaltung nach der Lehre von Lorenz von Stein, in diesem Band unten S. 273 f. 50 Stein, System der Staatswissens'chaften, a.a.O., S. 205. f7

48

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der Entfaltung des Individuums zur Persönlichkeit, sondern rein als Mechanismen und Institutionen behandelt. Besonders intensiv beschäftigt sich Mohl mit der parlamentarischen Monarchie als der dem "gegenwärtigen Gesellschaftszustand" allein entsprechenden Staatsform. "Das Unheil der Gegenwart" liegt seines Erachtens weniger in der gesellschaftlichen Entwicklung als im konstitutionellen System51 • Das Heil sieht er in der parlamentarischen Monarchie. Das allgemeine Wahlrecht lehnt Mohl jedoch - wie die meisten Liberalen dieser Zeit - ab. Die Vertretung des Volkes soll nach seinen Vorstellungen ähnlich wie bei den Hegeischen Korporationen aus den "wahren gesellschaftlichen Gliederungen" hervorgehen und alle Gattungen von Rechten und Interessen der Gesellschaft repräsentieren52 • Die Teilnahme an der Staatswillensbildung ist für Mohl keine Frage der Verwirklichung der Sittlichkeit oder wie bei Stein der Entwicklung zur Freiheit, sondern wesentlich der Zweckmäßigkeit der Staatsorganisation. Mohl geht vom Staat als Institution aus; er ist ein vorgegebenes Faktum, das zweckmäßiger Organisation fähig ist. Der handelnde Staat und seine Probleme werden zum zentralen Forschungsgegenstand bei Mohl. Das spekulative Staatsverständnis wird zurückgedrängt. Mohl ist beinahe von angelsächsischem Pragmatismus; die Metaphysik des Staates ist seines Erachtens durch Hegel und Stein bereits ausreichend dargestellt und bedarf keiner weiteren Hinwendung. Bei seiner Befürwortung der parlamentarischen Monarchie nach englischem Vorbild bewegt Mohl nicht die Frage der Weiterentwicklung der individuellen Freiheit und Selbstbestimmung, sondern das Problem der zweckmäßigen Staatsorganisation. Der Fürst soll als Inhaber der Staatsgewalt und als Verkörperung des Staates im Gegensatz zur konstitutionellen Monarchie aus den gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen herausgelöst sein, damit der Staat als solcher nicht Schaden nehmen kann 53 • Ziel der Angriffe soll die vom Parlament bestimmte und ihm verantwortliche Regierung sein. Weder Hegel noch Stein ist es gelungen, den Staat institutionell so unabhängig von den in ihm wirkenden gesellschaftlichen Kräften zu machen wie in Mohls parlamentarischer Monarchie, in der die Regierung als halb staatliches, halb gesellschaftliches Element zwischen das Parlament, als Ort des gesellschaftlichen Interessenausgleiches, und den Staat, vertreten durch den Monarchen, zwischengeschaltet wird. In der Verwaltungslehre stimmen Stein und Mohl weitgehend überein. Beide betonen sie die Verpflichtung der Verwaltung, ausgleichend 51 52

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Vgl. Mahl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. 1, a.a.O., S. 380. Vgl. ebd., S. 416. Vgl. ebd., S. 400 ff.

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in die gesellschaftlichen Bewegungen einzugreifen. Während Stein den Wunsch nach Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert gesellschaftlich erklärt, sieht Mohl aus seiner Überbetonung des Institutionellen und der Staatsgewalt die Selbstverwaltung nur als ein verliehenes Recht und als Beweis des Vertrauens des Gesetzgebers in die Befähigung des Beliehenen54 . Mohls Hinweis, es sei "wahr, was bekanntlich sehr einsichtsvolle Männer annehmen, daß überhaupt die Zukunft der Gesellschaft in der immer weiteren Ausbildung des Vereinsgeistes zu suchen ist"55, bezieht sich höchstwahrscheinlich auf Stein und nähert sich dessen Theorie der erweiterten Selbstverwaltung. Die in der kommunalen, aber auch in der gesellschaftlichen Verwaltung liegende Gewaltenteilung innerhalb der Exekutive haben sowohl Mohl als auch Stein erkannt. Für den Eingriff des Staates in die Gesellschaft haben Stein und Mohl in ihrer Verwaltungslehre ein umfassendes sozialpolitisches Instrumentarium dargelegt und aufgezeichnet. Beiden geht es darum, eine "Sozialpolitik in dem Sinne zu denken, daß in einem System geordnet alle Grundsätze und Maßregeln entwickelt wären, welche zusammen das zweckgemäßeste Verhalten des Staates zur Gesellschaft bildeten"58. Mohls Untersuchung der Arbeiterfrage ist von Stein stark beeinflußt. Die Ausführungen über das Entstehen der Arbeiterschaft und seine Bewußtseinsbildung als Klasse57 stimmen mit den Darstellungen Steins sehr weit überein. Mohls Stellungnahme zur Forderung größerer politischer Rechte für die Arbeiterschaft ist nüchtern: "die Masse der Arbeiter (würde)" - so Mohl - "die politischen Forderungen leicht daran geben ... , wenn sie durch Verlassen derselben die wirtschaftlichen erreichen könnte"58; und bei der Behandlung der Frage des allgemeinen Wahlrechts fügt er hinzu: wenn "vollständig nachgegeben werden (müsse), dann ... durch möglichste Bildung der gesam.. ten Volksrnasse auch der Arbeiter ... im übrigen aber die Folgen über sich ergehen lassen bis ein Übermaß der Übel einen Wiederumschlag der Ansichten herbeiführen wird"59. Mohl lehnt ebenso wie Stein die kommunistischen und sozialistischen Theorien scharf ab. Seine Vorschläge zur Überwindung der Spannungen der industriellen Gesellschaft gehen allerdings mehr ins einzelne als diejenigen Steins. Gleich Stein geht es Mohl nicht darum, Almosen zu gewähren, sondern um das Recht einer anerkannten Stellung in der Vgl. Mohl, Staatsrecht, a.a.O., Bd. 3, S. 17. Ebd., Bd. 2, Tübingen 1862, S. 125. S8 Mohl, Staatsrecht, a.a.O., Bd. 3, S. 479/480. 57 Vgl. ebd., S. 509 ff. 58 Ebd., S. 512. S8 Ebd., S. 589. S4

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Gesellschaft8o • Mohl ringt sich - wenn auch mit großen Vorbehaltenschließlich zu einer Mitbeteiligung des Arbeiters am Unternehmensgewinn durch und geht damit über Stein hinaus. Sein am Schluß der Abhandlung über die Arbeiterfrage stehender Katalog zur Verbesserung der Situation des Arbeiterstandes entspricht heute noch dem Rahmen staatlicher Sozialpolitik und trifft sich in vielem mit den Darstellungen in der Steinschen Verwaltungslehre. Die besondere Bedeutung der Arbeiten Steins und Mohls für die Gesellschaftswissenschaften wird erst deutlich, wenn man berücksichtigt, daß Rotteck noch im sechsten Band des von ihm und Welcker herausgegebenen Staatslexikons die Gesellschaft "als eine, insbesondere auf Vertrag beruhende rechtskräftige Verbindung mehrerer Personen zur Erstrebung eines gemeinschaftlichen Zweckes" definierte, und fortfuhr, die Gesellschaft müsse ein "Rechtsverhältnis sein, wonach mehrere ,Eins' geworden sind, d. h. eine Anzahl von Personen mit Hingabe ihrer gesonderten Persönlichkeit in jener bestimmten Sphäre zu einer Gesamtpersönlichkeit geworden sind. Die Gesellschaft untersteht der reinen Vernunft oder natürlichem Rechte. Dieses Recht gilt auch für den Staat, der selbst eine Gesellschaft ist, und zwar die größte und wichtigste und heiligste"61. Die Gesellschaft ist hier nur eine rechtliche Institution, über deren Inhalt ausgesagt wird, sie sei das Gegenstück zum absoluten Staat und Hort der bürgerlichen Freiheit. Der die Gesellschaft bestimmende soziale Hintergrund wurde von diesen Altliberalen noch nicht erkannt. V.

Die Steinsche Gesellschaftslehre sollte nicht isoliert von den Entwicklungen in England und Frankreich betrachtet werden. In der Anfangsphase seines wissenschaftlichen Schaffens sind es vor allem die Schriften Tocquevilles, bei seinem Alterswerk vor allem diejenigen J. St. Mills, ohne die seine Arbeiten nicht gewürdigt werden könnten. Tocqueville kommt dem jungen Stein in seiner Betrachtungsweise sehr nahe, wenn er ausführt: "Wer glaubt, die vollständige Gleichheit auf die Dauer im politischen Bereich herstellen zu können, ohne zugleich auch eine Art von Gleichheit in die bürgerliche Gesellschaft einzuführen, scheint mir einen gefährlichen Irrtum zu begehen"82, oder wenn er bei der Betrachtung über das Eigentum feststellt, "als das Eigentumsrecht noch Grundlage und Ursprung vieler anderer Rechte Vgl. ebd., S. 537. Rotteck, Staatslexikon, 15 Bde, Altona 1834 - 1843, Bd. 6, S. 704 ff. 8! A. de Tocqueville, Das Zeitalter der Gleichheit, Auswahl aus Werken und Briefen, hrsg. v. S. Landshut, 2. Aufl., KölnJOpladen 1967, S. 130. 80 81

Adolf Theis

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war, ließ es sich unschwer verteidigen - oder vielmehr gar nicht angreifen. Es bildete eine Art Umfassungsmauer der Gesellschaft, für die alle anderen Rechte nur vorgeschobene Verteidigungsposten waren. Alle Vorstöße reichten nicht bis zu ihm hin ... Aber heute, wo das Eigentum, so heilig es ist, nur noch als letzter Rest einer zerstörten Welt erscheint, als ein isoliertes Vorrecht inmitten einer nivellierten Gesellschaft, wo es nicht mehr gleichsam gedeckt und gesichert ist durch die Existenz anderer Rechte, die noch mehr bestritten und gehaßt werden, hat es zumindest für eine Weile die Stellung verloren, die es unbezwinglich machte .... Es ist kein Zweifel, daß sich der Kampf der politischen Parteien bald zwischen den Besitzenden und Nichtbesitzenden abspielen wird. Das große Schlachtfeld wird das Eigentum sein, und die politischen Hauptfragen werden sich um die mehr oder weniger tiefgreifenden Abänderungen des Eigentumsrechtes drehen"83. Zu ähnlichen Ergebnissen wie Stein kommt Mill in seiner Abhandlung über den "Socialismus", wenn er sagt, daß "es nicht nothwendigerweise ein Verbrechen der Gesellschaft, so doch pro tanto ein Mißerfolg ihrer Einrichtungen" sei, falls es nicht gelinge, die Bedürfnisse aller in angemessener Weise zu befriedigen. Es heiße "zum Unglück nur den Hohn hinzufügen, wenn man eine Verkleinerung des übels darin erblicken will, daß die also Leidenden, die in moralischer oder physischer Hinsicht schwächeren Mitglieder des Gemeinwesens sind"". In seiner Abhandlung über die Arbeiterfrage geht Mill so weit, es "für dringend" zu erklären, daß "die Arbeiter den Sieg davontragen" und daß "die höchste Grenze des Arbeitslohnes, wo immer sie auch liegen mag, erreicht werde", und zwar "mit Rücksicht darauf, daß die überwiegende Mehrzahl aller Menschen Arbeiter sind und ferner in Anbetracht der unvermeidlichen Kärglichkeit der Vergütung, welche diesen selbst aus dem höchsten Lohnsatze erwächst ... "65. Im Jahre 1879 vertritt Gneist die Ansicht, daß "der dürftige Begriff der bürgerlichen Gesellschaft" in Hegels Rechtsphilosophie als Zeugnis dafür dienen könne, wie wenig die gebildeten Klassen an die Wechselbeziehungen von Staat und Gesellschaft überhaupt dachten". In dieser Kritik der Zeit zeigt sich am deutlichsten das Bahnbrechende der Steinschen Arbeiten. Stein hat schon 1842 in seiner Analyse über den Sozialismus und Kommunismus, der ersten grundlegenden Untersu~ chung gesellschaftlicher Bewegungen im deutschen Sprachkreis, darauf 83 M

TocquevilZe, a.a.O.

J. St. MilZ,

S.171.

Der Socialismus, in: Gesammelte Werke, Bd. 12, Leipzig 1880,

Mill, Die Arbeiterfrage, in: Gesammelte Werke, a.a.O., S. 145. Robert von Gneist, Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte in Deutschland, Neudruck Darmstadt 1958, S. 259. 85

18

Lorenz von Stein und die deutsche Gesellschaftslehre

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hingewiesen, daß die politische Freiheit ohne gesellschaftliche Freiheit dem Bereich der Utopie angehört und damit eine Erklärung dafür gegeben, warum 1848 statt der erwarteten Verwirklichung des Freiheitsideals ein verworrener Widerstreit gesellschaftlicher Forderungen und Ziele eintrat.

Reiner Begriff und tätiges Lehen Lorenz von Steins Grundkonzeption zum Verhältnis von Staat und Gesellschaft und von Rechtsphilosophie und Recht Von Klaus Hartmann Es wird wohl nicht kontrovers sein, wenn man sagt, Lorenz von Steins Denken kreise sowohl sozialphilosophisch wie rechtsphilosophisch und juristisch um das Verhältnis von Staat und Gesellschaft. Er gehört durchaus noch der Tradition an, die die Gesellschaft im Staat geeinigt denkt, den Staat als Zusammenfassung der Gesellschaft im Allgemeinen faßt, so sehr Gesellschaft auch etwas Eigenes ist. Hierin ist Stein Erbe Hegels. Die Steinsche Deutung dieses Verhältnisses weicht aber auf eigentümliche Weise von Hegels Bestimmung dieses Verhältnisses ab. Betrachten wir zunächst die Hegeische Bestimmung. I. Das Verhältnis von Staat und Gesellschaft bei Hegel Hegel denkt Staat und Gesellschaft im Rahmen einer Kategorienlehrel, in der der Geist maßgebendes Prinzip ist. Staat und Gesellschaft erscheinen als Gestalten des objektiven (plural auftretenden) Geistes. Gehören auch die Gestalten des abstrakten Rechts, der Moralität zum objektiven Geist, so zählen nur Familie, Gesellschaft und Staat als Gestalten der "Sittlichkeit", als "zur vorhandenen Welt gewordene Freiheit". Die Gesellschaft ist ,Düferenzstufe' der Sittlichkeit, in der jeder für sich wirtschaftet und gerade dadurch das Allgemeine betreibt, nämlich gemeinsame Regelungen für den Zusammenhang Aller herstellt (Markt, Rechtspflege und Polizei). Der Staat ist gelingende, abschließende Stufe, auf der Alle ein gemeinsam und bewußt affirmiertes Allgemeines - als "Wirklichkeit der sittlichen Idee" - haben und damit auch einander als Glieder desselben Ganzen bejahen, ein Verhältnis, das in der Gesellschaft noch antagonistisch geblieben war!. 1 Für eine Auslegung der Hegeischen Philosophie als Kategorienlehre vgl. K. Hartmann, Hegel: A Non-Metaphysical View, in: Hegel, A Collection of Critical Essays, New York 1972, S. 101-124, und ders., Die ontologische Option, in: deTs., Die ontologische Option, Berlin 1976, S. 1 - 30. ! Für die nur angedeutete Charakterisierung von Sittlichkeit, Gesellschaft und Staat vgl. G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (= Rechtsphilosophie), §§ 142, 182, 186, 189 und 257.

5 staat und Gesellschaft

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Eine Schwierigkeit dieser HegeIschen Konzeption ist, daß der Staat, indem er als Lösung der Unvollkommenheiten der Gesellschaft erscheint, die auf die Exposition der Gesellschaft folgt, nicht mehr daraufhin betrachtet werden kann, wie er mit der Gesellschaft koexistiert. Bei Hegel ist der Staat das (objektiv) Konkreteste, denn er ist Berücksichtigung alles Objektiven und darin etwas Reiches und Wahres. Die HegeIsche Theorie als kategorial-dialektische rekonstruiert die einzelnen Kategorien so, daß das jeweils Höhere, Spätere, die begriffliche Aufhebung des Antecedens in seiner Unvollkommenheit ist. Dann ist der Staat das wahre Fazit aus der Gesellschaft; in ihm scheint kein Mangel zu sein in dem Sinne, daß die Gesellschaft rivalisierend, unaufgehoben, aus Gründen eigener Vollkommenheit, neben ihm existieren muß. Auf die Einzelnen bezogen heißt es, "die Bestimmung der Individuen ist, ein allgemeines Leben zu führen"3. Aber ist die Frage, wie der Staat zur koexistierenden Gesellschaft steht, durch das lineare kategoriale Arrangement Hegels auch beiseitegestellt - das Oppositum ist ja begrifflich aufgehoben -, so bleibt eine Antwort doch aufgegeben. Als Fazit aus den Unvollkommenheiten der Gesellschaft ist der Staat ja nicht Beseitigung der Gesellschaft, sondern gegebenenfalls ihr Korrektiv. Hegel hat dies Verhältnis denn auch durchaus in seiner Rechtsphilosophie mitbedacht'. Grundsätzlich entspricht es der Idee, daß die unvollkommenen Sphären der Familie und der Gesellschaft von der höheren Sphäre, der des Staates als eines Allgemeinen, beherrscht werden: sie sind MomenteS, sind des Staates "Mittel zu seinem Zweck"6; er "führt sie zu seinem Interesse herüber", "regulirt" sie7 • Weiter ist es Hegels Meinung, daß die Individuen im Staat als gesellschaftliche, gemäß ihren besonderen Interessen, ihre Befriedigung finden; gerade der äußerste Gegensatz der subjektiven Befriedigung und des Allgemeinen gilt als durch das Allgemeine ermöglichte Harmonie oder Entelechie8 ; die private und gesellschaftliche Befriedigung erscheint als Ziel, das im Ziel des Staates bewahrt sein muß, eine These, die in Konflikt steht zur vorgenannten Idee. Elemente der Rechtsphilosophie, § 258. Vgl. bes. Rechtsphilosophie, §§ 261, 278, 289; Rechtsphilosophie, Edition Ilting III, S. 717 - 722, IV, S. 635, und die Belege in den folgenden Anmerkungen. Vgl. auch E. R. Huber, Vorsorge für das Dasein, in: ders., Bewahrung und Wandlung. Studien zur deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Berlin 1975, S. 319 - 342. Der Autor neigt allerdings dazu, auch innergesellschaftli'che Regelungen schon für staatliche in Anspruch zu nehmen. 5 Rechtsphilosophie, Edition Ilting IV, S. 634. Vgl. Rechtsphilosophie, § 301. • Rechtsphilosophie, Edition Ilting III, S. 723. 7 Rechtsphilosophie, Edition Ilting IV, S. 635. 8 Rechtsphilosophie, §§ 185, 261, Rechtsphilosophie, Edition Ilting III, S. 721, IV, 639. S

4

Reiner Begriff und. tätiges Leben

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Vorstellung9, wie die Gesellschaft innerhalb des Staates beschaffen ist, verbinden sich mit Gedanken zu ihrer dialektischen Einordnung. Der Staat wird für die Beseitigung von gesellschaftlichen Exzessen der Ausschweifung sorgen, wird der Gesellschaft Auflagen machen, besonders in Kriegszeiten; vom Einzelnen wird gelten, daß er zugleich Staatsbürger und Privatperson ist 'O , die sich im Kriege aufzuopfern habe ll • Aber die kategorialanalytische Fassung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft reicht nicht, um auch das Koexistenzverhältnis beider zu bestimmen. Vielmehr wird methodologisch die Tendenz bekräftigt, den Staat ·als Substanz und die Individuen als Akzidenzen zu denken l !. Hegel bemüht sich auch etwa vorstellend beides, Staat und Gesellschaft, zusammenzubringen, wenn er die gesellschaftlichen Stände in politische übergehen läßt oder die letzteren an die ersteren anknüpft13, oder wenn er das Volk, nachdem er auf der kategorialen Ebene des Staates angelangt ist, einerseits zwar als die Vielen (in politischer Bedeutung als Bürger), andererseits aber als die gesellschaftlich Vielen oder Privatpersonen auffaßt1 4 , womit er einen Kategorienfehler begeht, da ja nach seiner eigenen Methode die politische Ebene als eigene kategoriale Ebene entfaltet werden müßte15•

11. Steins Ansatz zu Staat und Gesellschaft Ergibt sich aus dem Vorstehenden ein Desiderat, so ist es das des Steinschen Ansatzes, Staat und Gesellschaft in einer Gestalt, die Stein "Gemeinschaft" nenntl8, zu fassen, aber doch auch als dialektisch verschieden anzusetzen. Stein sieht den Staat als Persönlichkeit im Sinne eines allgemeinen Willens Aller, und die Gesellschaft als Leben der Gemeinschaft oder auch als Leben des Staates, als ein Leben, in dem sich die Persönlichkeiten als Viele in Differenz geltend machen17 • 9 Vorstellung im Sinne von Hegels Enzyklopädie (1830), §§ 1, 3, 20 u. Ö. VgI. Rechtsphilosophie, § 2 Zusatz, Enzyklopädie (1830), § 539. 10 Rechtsphilosophie, §§ 260, 264. 11 Rechtsphilosophie, §§ 324, 325. 12 Re'chtsphilosophie, § 145. Die Rede ist vom Sittlichen und von den sittlichen Mächten, zu denen der Staat gehört, welche "das Leben der Individuen regieren und in diesen als ihren Accidenzen, ihre Vorstellung, erscheinende Gestalt und Wirklichkeit haben." 13 Rechtsphilosophie, §§ 201, 301 ff. 14 Rechtsphilosophie, §§ 303, 308; vgI. § 279. 15 Eine nähere Analyse des Problems, das mit dem der Volkssouveränität verknüpft ist, findet sich bei K. HaTtmann, Ideen zu einem neuen systematischen Verständnis der HegeIschen Rechtsphilosophie, in: Perspektiven der Philosophie, Bd. 2, Amsterdam 1976. 18 LOTenz von Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich, Leipzig 1850, = Soziale Bewegung, I, S. XIII ff.

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Ein Verhältnis von Staat und Gesellschaft als eines von Geist und Leben kann auch bei Hegel belegt werden, eben wenn dort die Differenzstufe der Gesellschaft als Dasein, als seinslogische Komponente des Geistes, als dessen subjektives Moment erscheint18, aber wir geraten 17 Ebd. Die vorstehende vereinfachende Kennzeichnung verzichtet auf die Problematisierung der Tatsache, daß Stein die Gesellschaft einerseits als "Leben des Staats", andrerseits als "Leben der Gemeinschaft" faßt. Als "Leben des Staats" (ebd., S. XVI, L. von Stein, Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaft Deutschlands, in: Gesellschaft - Staat Recht, Hrsg. E. Forsthoff (Frankfurt 1972) (= Staatswissenschaft, S. 269) steht die Gesellschaft dem Staat gegenüber, der sich als Persönliches mit dem Objekt, dem Unpersönlichen - der Gesellschaft als Leben - auseinandersetzt, in Analogie mit der Auseinandersetzung einer Persönlichkeit mit dem Natürlichen. Hier ist Leben einmal "Leben des Objekts" (a.a.O., S. XVI), "doppeltes Leben", das der Einheit des Ganzen gehorcht und sich wieder nach seinen eigenen Gesetzen bewegt (ebd.) (Leben ist also Sein und Sein im Wesen, dialektisches Relat), und auch die "Bewegung zwischen Persönlichem und Unpersönlichem" (a.a.O., S. XVI), "die Bewegung jenes Gegensatzes" (a.a.O., S. XXX) (Leben ist also Relation). In der analogischen Zuordnung ist Leben dann die Bewegung des Gegensatzes von Staat und Gesellschaft. Die Opposita dieser Bewegung werden jedoch wieder vermittelt gedacht, insofern ja die Gesellschaft ihrerseits Persönliches enthält und entwickeln soll (a.a.O., S. XXXIII). Weiter erscheinen Staat und Gesellschaft als "die beiden Lebenselemente aller menschlichen Gemeinschaft" (a.a.O., S. XXXI), also als zwei Relate innerhalb eines Ganzen. Dann aber ist Gemeinschaft und Einzelleben je "eine selbständige Form des Lebens überhaupt" (a.a.O., S. XXXI), als ob Gemeinschaft, wie der Staat, Gegenpol zum Einzelleben wäre. Diese Gleichsetzung ist aber wiederum nicht gemeint, denn aus der Gemeinschaft leitet Stein den Staat als persönliches Element eben der Gemeinschaft her. Gesellschaft ist somit ein zweites Element der Gemeinschaft, das "selbständige Leben aller Einzelnen" (a.a.O., S. XVII), also Sein und Sein im Wesen, dialektisches Relat, neben einem anderen solchen Relat, dem Staat. Es gibt damit ein "Leben der Gemeinschaft" (a.a.O., S. XXIX, XXXI, XLIV), das nach seinen Gesetzen befragt werden soll (a.a.O., S. XLIV). Dies Leben der Gemeinschaft ist schließlich auch wieder die Bewegung des Gegensatzes seiner Elemente, "Stoß und Gegenstoß des Persönlichen und Unpersönlichen" (a.a.O., S. XXX), also Relation. Wenn der Staat Element der Gemeinschaft neben dem Element der Gesellschaft ist, so wird ihm ein Leben als verschieden von der Gesellschaft zuzusprechen sein, ganz wie der Persönlichkeit allgemein, insofern sie die "Bewegung zwischen Persönlichem und Unpersönlichem" zu tätigen hat. Hierfür wird Stein die Begriffe "Wille" und "Tat" vorsehen. Die dialektisch nicht voll geklärte Beziehung von Relat und Relation, und von Sein (Element) und dialektischem Relat (Moment), verweist auf die Aufgabe einer strengeren dialektischen Interpretation. Von einer solchen Interpretation müßte man sich auch eine Aufklärung der Denkfigur Gemeinschaft, Staat, Gesellschaft als verschieden von der Denkfigur Staat, Gesellschaft erwarten. Es zeigt sich übrigens, daß auch der Begriff der Gemeinschaft schillert: es rivalisiert Gemeinschaft als unmittelbarer Begriff, der sich ausdifferenziert zu Gesellschaft und Staat (wo dann die Gesellschaft Leben des Staates ist), und Gemeinschaft als übergreifender Begriff für Gesellschaft und Staat. Im einen Fall kann man sagen, "sie", die Gesellschaft, "muß zum Staate werden" (Staatswissenschaft, S. 295), wenn die Formulierung auch unvorsichtig ist, im anderen Fall nicht. Wir verweisen auf das Spätere. 18 Rechtsphilosophie, § 301 u. Ö.

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dabei in durch die Linearität der Kategorienlehre bedingte Schwierigkeiten19 • Bei Stein ist das genannte Verhältnis, das für uns allerdings noch schwankt zwischen Zweierfigur (Staat, Gesellschaft) und Dreierfigur (Gemeinschaft, Staat, Gesellschaft), Ansatz. Die Gesellschaft ist, wenn wir vorerst der Interpretation nach einer Zweierfigur folgen, Dasein, Leben, des Staates; der Staat ist, wenn nicht Geist der Gesellschaft, so die allgemeine Persönlichkeit der Einzelpersönlichkeiten2o • Das Verhältnis von Staat und Gesellschaft ist damit ausgesprochen als ,wesenslogisches' Verhältnis von Negativität (Persönlichkeit) und Sein. Der Staat reflektiert auf das Sein (Leben) der vielen Einzelnen als auf seine Objekte21 ; er ist der Reflexionspunkt, für den das so ist. Gleichzeitig ist das Verhältnis aber ein ,seinslogisches': die Gesellschaft ist etwas Eigenes neben dem Staat, so daß es etwa einen Kampf zwischen beiden geben kann oder, allgemeiner, daß das Sein der Gesellschaft einen Unterschied für den Staat ausmachen kann. Subordiniert das wesenslogische Verhältnis, so koordiniert das seinslogische. Die Gesellschaft hat ein doppeltes - seinslogisches und wesenslogisches Leben. Sie ist realistisch und in dialektischer Immanenz zu betrachten. Die bezeichnete Fassung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft läßt beide als eine Gestalt und nicht nur als zwei aufeinander folgende Gestalten begreifen. Koordinations- und Subordinationsaspekt 11 Wie schon angedeutet, bedeutet der Rückgriff vom Staat aus zurück auf die Gesellschaft bei Hegel eine Schwierigkeit, da ja auf der kategorialen Ebene des Staates die Gesellschaft zurückgelassen, aufgehoben ist. Es ist ein vorstellendes (zweierlei nebeneinander betrachtendes) Verständnis, wenn Gesellschaft im Staat wieder auflebt. Nun kann man allerdings sagen, es gebe bei Hegel neben einer thematischen Dialektik auf der gegebenen kategorialen Stufe, etwa des Staates - wo die Vielen Staatsbürger sind - auch eine stufenübergreifende Dialektik, wonach eine vorangegangene Stufe Sein der nächsten Stufe (als Begriff, Geist usw.) ist. Wir haben in dem in Anmerkung (15) genannten Aufsatz hierfür die Unterscheidung in stratifikatorisches und integratives Verständnis der Dialektik geprägt. Diese Doppelheit der Hegelsehen Dialektikverständnisses kann anerkannt werden (etwa Staat-Bürger gegenüber Staat-Gesellschaft), es gilt jedoch, falsche Schlüsse, wie Hegel sie etwa in der Frage der Volkssouveränität zieht, abzuwehren. Bei Stein ist der genannte Ansatz so lapidar integrativ (Staat-Gesellschaft), daß die bezeichnete Schwierigkeit gar nicht sichtbar ist. Auch er wird aber die politisch Vielen von den gesellschaftlich Vielen unterscheiden müssen. In Soziale Bewegung III, S.121 ff., ist Volkssouveränität als Souveränität der Gesellschaft bezeichnet, es heißt dann aber auch, daß "die Identität des Interesses aller Einzelnen" die Bedingung für die Volkssouveränität sei (ebd., S. l45). 20 Die Familie, die bei Hegel in eine Dreierfigur Familie, Gesells'chaft, Staat eintritt, und zwar als unmittelbarer, natürlicher Fall von objektiv-geistiger Allgemeinheit, ist bei Stein meist nicht in derselben Weise einbezogen. Sie ist Ausgangspunkt für die Geschlechterordnung (Staatswissenschaft, S. 304) und die Ständeordnung (Soziale Bewegung III' S. 147), ferner die Instanz, die das Verharren in einem bestimmten Beruf bedingt und für die Kontinuität von Besitz und Nichtbesitz sorgt (Soziale Bewegung III, S.147; vgl. ebd. I, S. LVII, und Staatswissenschaft, S. 265). n Soziale Bewegung I, S. XVII.

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zwingen nun zwar beide, Staat und Gesellschaft, zusammen zu einer Gestalt, aber der Koordinationsaspekt gestattet es doch, auch von Gesellschaft abgesehen von Staatlichkeit zu sprechen, wie es auch Hegel in seinem linearen Denkscherna, wo die Gesellschaft Durchgangsstation zum Staat ist, tut. Stein gibt denn auch Bestimmungen der Gesellschaft als solcher: hierher gehören das Güterleben und seine näheren Bestimmungen22• Hier ist der Ort, die Entstehung der Ungleichheit innerhalb der Gesellschaft aufzuzeigen. Schon bei Hegel allgemein gekennzeichnet - sie folgt aus der Kontingenz der Gesellschaft, dergemäß eine Unterscheidung in "allgemeine Massen" stattfindet, die sich zu einem "Unterschiede der Stände" ausbildet, und zwar nach qualitativen Gesichtspunkten wie substantiell, reflektierend und allgemein -, wird sie bei Stein deutlicher ökonomisch als quantitative Ungleichheit von Klassen aufgefaßt23 • Entscheidend ist nun aber gegenüber Hegel der Steinsche Gedanke, daß eine bestimmte Klasse ihre Herrschaft auf dem Wege über den Staat über die andere, abhängige Klasse ausüben wird24 • Damit ist ein Weiteres gesetzt: Der genannte Koordinationsaspekt Steins gestattet es nunmehr zu zeigen, wie der Staat betroffen ist, gegebenenfalls variiert, wenn die Gesellschaft Klassengesellschaft ist und in diesem Punkt gegebenenfalls variiert. Dies ist eine Frage, die sich Hegel zwar in der Geschichtsphilosophie gestellt hatte (etwa wenn er die großen geschichtlichen Epochen mit Stationen in der freiheitlichen Struktur des Staates - Einer frei, einige frei, alle frei 25 - zusammensieht), die aber in seiner systematischen Sozialphilosophie, der Rechtsphilosophie, die ja den entelechetischen Fall darstellt, abgeblendet ist. Hier faßt er Gesellschaft kategorial als Differenzstufe des objektiven Geistes, die im Staat kategorial überwunden ist, nicht aber behandelt er Gesellschaft in Koordination mit dem Staat, was ja die Frage aufwürfe, was für ein Gegenüber der Staat hat und wie er anders ist auf Grund seines Gegenübers. Hegel impliziert das in der Rechtsphilosophie nur noch, wenn er von modernen gegenüber antiken Staaten spricht, in denen die Partikularität "noch nicht losgebunden und freigelassen" war26 ; genau dies fordert er für den modernen Staat gleichSoziale Bewegung I, S. XXIV, XXVII ff., XXXVIII. Soziale Bewegung I, S. XLV ff., Staatswissenschaft, S. 267 f., Rechtsphilosophie, § 202. Vgl. zum Mittelstand ebd., Edition Ilting IV, S. 694 f., zur Bejahung der Ungleichheit Enzyklopädie (1830), § 539. Der ökonomisch-quantitative Aspekt tritt auch bei Hegel hervor: Rechtsphilosophie, §§ 243 - 245; § 245 ist auch von der "reicheren Klasse" die Rede. Umgekehrt beachtet auch Stein die qualitativ, vom Beruf her zu verstehenden Stände (etwa Staatswissenschaft, S. 334 ff.). !4 Soziale Bewegung I, S. LXIV ff. 25 Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, hrsg. T. Litt, Stuttgart 1961, S. 61. ft

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sam als Höhepunkt der Dialektik von Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem. Auch exemplifiziert er die Notwendigkeit des übergangs zum Staat an einer zeitgenössisch modernen Gesellschaft, deren Orientierung an Partikularität der moderne Staat berücksichtigen muß. Explizit stellt sich Stein diese Frage, indem er der Soziologie und Geschichtsschreibung einen Ort innerhalb der Staatswissenschaft anweist. Je nach der Struktur der Gesellschaft (als Gesellschaft in einer Geschlechterordnung, als ständische oder als industrielle und staatsbürgerliche Gesellschaft) muß der Staat ein anderer sein. Die Gesellschaft ist dabei immer dialektisch auf ihren Staat bezogen zu betrachten (es sei denn, es läge ein primitiver, defizienter Fall vor, oder eine anfängliche Unverschiedenheit von Staat und Gesellschaft wie bei der Geschlechterordnung), aber doch ist sie das Seinsmoment, das auch an ihm selbst, als Element, prozediert und so eine jeweils andere staatliche und rechtliche Ordnung kausal bedingt. Diese Auffassung ermöglicht es Stein also, eine Gesellschaftslehre zu entwerfen, die in soziologischer und geschichtlicher Betrachtung Wandlungen der Gesellschaft maßgebend sein läßt für Wandlungen des Staates; das große Werk Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich führt einen solchen Entwurf im Ausschnitt explizit vor, die Schrift Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaft Deutschlands erreicht sogar, in knapperer Form und unter anderem, und zwar rechtspolitischem Akzent, einen Gesamtüberblick. Die konkrete Wissenschaft von der Gesellschaft ist dabei integriert in einen Hegeischen kategorialen Entwurf. Wir können, so scheint es, das tun, was Marx etwa in der Deutschen Ideologie fordert, nämlich eine wirkliche Geschichte verfolgen, ohne den Hegeischen Rahmen verlassen, also den Staat von seiner kategorialen Spitzenposition ablösen zu müssen; nicht sind wir deshalb genötigt, eine bloße Staatsidee-Geschichte zu schreiben.

III. Steins Ansatz zu Rechtsphilosophie und Recht Die Denkfigur von allgemeiner Persönlichkeit und Leben kehrt bei Stein wieder im Zusammenhang von Recht und Wirklichkeit. Wir haben bisher angesetzt, ,Staat' und ,Gesellschaft' seien normativ-ontologische Begriffe wie bei Hegel, und zwar normativ unter der Ägide des Geist- oder Persönlichkeitsbegriffs, der in ihnen je verschiedene Entfaltungen erfährt. In dieser Sicht ist das Recht ideelle Parallele oder Formulierung normativ-ontologischer Wirklichkeit. Aber das Recht kann für sich thematisiert werden, und für Stein wird, so unterstellen 28 Rechtsphilosophie, § 260 Zusatz. Entsprechend Rechtsphilosophie, Edition Ilting IH, S. 717 - 722, IV, S. 635.

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wir ihm, dies wichtiger als für Hegel sein, insofern ja Gesellschaft sich nicht im Momentsein im Ganzen erschöpft und daher das Normative auch als Ideelles, der Wirklichkeit gegenüber Anderes, hervortreten muß. Man kann unter dem Motto ,Leben' Gesellschaft als noch nicht rechtlich verfaßt ansetzen und die Frage stellen, wie Gesellschaft im Unterschied zu einem reinen Rechtsbegriff einen Rechtsbegriff darstellen kann. Diese Fragestellung, die beim späteren Stein an Gewicht gewinnt27, knüpft sich bei Stein argumentativ an die überlegung an, daß das Recht wechselt, was ein Widerspruch wäre, wenn nicht eine Sphärentrennung in Recht und Leben, in reinen Rechtsbegriff und Lebensbegriff, der aber doch irgendwie Rechtsnatur annimmt, gelingt28 . Stein denkt zunächst an einen kantianisierenden reinen Rechtsbegriff, der die Anerkennung der Persönlichkeit durch eine andere (oder: die Vereinbarkeit der Willen) beinhaltet. Diesem reinen Rechtsbegriff steht das Leben gegenüber, das in Lebensbegriffen, d. h. in verschiedenen sozialen Gestaltungen bestimmbar ist. Während der reine Rechtsbegriff konstant ist, sind die Lebensbegriffe variabel, erreichen die Qualität von Rechtsbegriffen, der reine Rechtsbegriff paßt sich ihnen an, "folgt nur wie die Grenze dem Körper, der sich bildet und gestaltet"29. Das Recht "ist seinem Prinzip nach auch ganz gleichgültig gegen seinen Inhalt"30; oder man hat im Recht "einen doppelten Inhalt" zu erkennen31 • Das Recht steht zwischen einem reinen Rechtsbegriff (oder dem Prinzip des Rechts) und einem Lebensbegriff; es umfaßt ,verrechtlichte' Lebensbegriffe, die "Rechtsbegriffe" heißen!2. Der reine Rechtsbegriff ist von der Rechtsphilosophie aufgestellt, die Lebensbegriffe ergeben sich in der Gesellschaftslehre; die Rechtswissenschaft verfolgt die Abfolge der verrechtlichten Lebensbegriffe. Die Gesellschaftslehre, so scheint es, bringt die Tat herbei, von der beim reinen Rechtsbegriff abgesehen worden war33 • Aber andrerseits wird gesagt, daß die Rechts!7 Sie ist aber auch etwa in Soziale Bewegung ständig präsent. Vgl. etwa a.a.O., S. LXXXV ff. !8 Staatswissenschaft, S. 243. 19 Staatswissenschaft, S. 25l. 30 Staatswissenschaft, S. 247. 31 Staatswissenschaft, S. 243. 31 Staatswissenschaft, S. 250. Stein selbst durchbri'cht seine Terminologie oft, was ein Indiz für die Fragwürdigkeit der Position sein mag. Im Grunde gelingt die beabsichtigte Lösung nicht; Stein tut nur dar, daß das Prinzip des Rechts als "ewig gleich" angesehen werden kann, nicht aber das Recht. Die mögliche Kritik am Widerspruch eines we'chselnden Rechts bleibt. Man fragt sich, ob nicht eine kategoriale Position wie die Hegeische einen weiteren Bereich inhaltlich und normativ sichern könnte. Vgl. Anmerkung 34. 33 Stein verhaspelt sich, wenn er Recht und Tat in Beziehung setzen will: einerseits sieht er, daß das Recht Tat unterstellt (Untat, Verkehr und Gemeinschaft, Staatswissenschaft, S.265), andrerseits meint er, "Ich bedarf kei-

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philosophie schon Rechtsbegriffe wie Familie, Gesellschaft und Staat aufstellen könnea" also einschließlich der darin liegenden ,Taten', nicht aber schon die Variation der Gesellschaft; es handele sich um eine "ruhende Gleichheit"35. Worauf es uns hier ankommt: Auf dieser Ebene von reinem Rechtsbegriff, Lebensbegriff und verrechtlichtem Lebensbegriff als (konkretem) Rechtsbegriff ergibt sich am sinnfälligsten die Unterscheidung von reinem Begriff und tätigem Leben. Erinnern wir uns, daß auch verrechtlichte Lebensbegriffe Rechtsbegriffe sind, so ergibt sich eine Anwendung dieses Begriffspaars auf einen weiteren Bereich: Wir könnten von bürgerlichem und öffentlichem Recht oder von einer Verfassung als reinem Begriff sprechen, dem ein tätiges Leben, eine Gesellschaft mit Klassengegensätzen, gegenübersteht36• So gibt es einen reinen Begriff der Republik oder der Demokratie, der alle Herzen zufliegen, weil sie philosophisch, eben dem reinen Begriff nach, bejaht wird, und eine Wirklichkeit der Republik oder Demokratie, in die gesellschaftlichen Unterschiede eingehen, und in der etwa davon die Rede sein muß, daß eine herrschende Klasse den Staat okkupiert und somit den reinen Begriff von Republik oder Demokratie korrumpiert37 • Das ganze Steinsche Darstellungsverfahren entspricht dieser Unterscheidung: Stein bringt jeweils zuerst eine prinzipielle überlegung zum reinen Begriff, dann einen systematisierenden überblick über dessen gesellschaftliche Verwirklichung und dann eine ausführliche geschichtliche Darstellung dieser Verwirklichung. Der Zusammenhang von gesellschaftlicher Ungleichheit, die zu herrschender und abhängiger Klasse und zur Klassendynamik im Staat führt, kann in Rechtsperspektive aufgefaßt werden als Bildung von "Rechtsklassen"38: Die herrschende Klasse hat andere Rechte als die abhängige. Die Rechtsperspektive verknüpft sich also mit der sozialen, ist Ausdruck einer Dialektik zwischen gesellschaftlicher Ungleichheit und staatlicher Allgemeinheit. ner Tat, um jene Rechtskategorien zu entwickeln" (ebd.), da es sich nicht um eine konkrete Tat handle, eine Tat, die Ungleichheit setzt. Was wäre dann die Tat, die im Rechtsbegriff unterstellt ist? eine prinzipielle Tat, eine Tat der Möglichkeit nach, eine kontrafaktische Tat? 3' Staatswissenschaft, S. 265. 36 Staatswissenschaft, S. 270. 38 Daß auch die Verfassung, diese ideell-rechtliche Parallele zum Staat (in der Position des Begriffs), hier auftreten kann und nicht nur bürgerliches und gesellschaitliches Recht (in der Position des Lebens), bedeutet für Stein keine Schwierigkeit: Der Staat unterliegt derselben Doppelheit von Begriff und Leben wie die Gesellschaft. Allerdings erscheint dann das Leben des Staates verwechselbar als gesellschaftlicher Faktor im Staat. 37 Soziale Bewegung III, "Die Idee der reinen Republik", S. 133 ff., "Die Verfassungen der wirklichen Republiken", S. 158 ff. Vgl. ebd., S. 181 ff. 38 Der Ausdruck etwa in Staatswissenschaft, S. 367.

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Der Zusammenhang von Rechtsperspektive und Sozialperspektive kann theoretisch vielleicht so bestimmt werden: Die Rechtsperspektive ist zunächst die des reinen Begriffs (also die von Verfassung, bürgerlichem Recht usw.), während die Sozialperspektive das Leben der Gemeinschaft als konkretes Allgemeines betrachtet (den Staat als Verfassungsorganisation, die Gesellschaft als Klassengesellschaft). Die Rechtsperspektive ist aber gehalten, im reinen Begriff den unreinen Begriff, das tätige Leben in Einheit mit dem reinen Begriff - oder die verrechtlichten Lebensbegriffe - zu fassen, also etwa Rechtsklassen, klassenbestimmte Verfassungsorganisation usw. als solche in den Blick zu nehmen. Damit ist in beiden Perspektiven derselbe Konflikt, dieselbe Entwicklung und Lösung ausdrückbar; in beiden könnte man von einer Dialektik von Partikularität und Allgemeinheit sprechen, beide sind kongruent. Sie sind aber auch verschieden, insofern der Konflikt zwischen Staat und Gesellschaft auch einer zwischen reinem Rechtsbegriff einerseits und Staat und Gesellschaft andererseits (also zwischen Rechts- und Sozialperspektive) ist, so, daß der Staat sich (entgegen dem HegeIschen vollkommenen Staat) erst zur wahren Rechtsinstanz machen und den gesellschaftlichen Klasseneinfluß auf sich erst beseitigen oder doch mildern müßte. Hegel mit seinem vollkommenen Staat einerseits und seinen ,Vorstellungen' zum Verhältnis von Staat und Gesellschaft andererseits hat dies Niveau der Fragestellung nicht erreicht. Für ihn muß die Lösung für die Frage des gesellschaftlichen Einflusses auf den Staat sein, aus der Gesellschaft solche Elemente für den Staat (für Ämter, aber auch für Wahlen) heranzuziehen, die schon ,relativ allgemein' sind, d. h. schon etwas von Gemeingeist in den Korporationen gelernt haben39 ; dann, so scheint es, könnte man leichter ganz allgemein werden. Hegel gerät damit, ohne es zu wollen, in die Lage, den Interessenstandpunkt einer Klasse zum Träger des Staates zu machen. Von dem Problem der Partikularität im Staat unbelastet schreitet er weiter in der Theoretisierung des vollkommenen Staates.

IV. Reiner Begriff und tätiges Leben als Verfassung und Verwaltung Die willkommenen Folgen des Steinschen Ansatzes, insofern er Geschichtsschreibung und Soziologie für ein konkretes Verständnis von Staat, Gesellschaft und Recht ins Spiel bringt, dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Ansatz noch nicht zureichend entfaltet und geklärt ist. Weitere Themen und auch dialektische Verwicklungen stehen an. Wir setzen daher noch einmal neu ein. 39

RechtsphiIosophie, §§ 289, 301, 309, 310, 311. RechtsphiIosophie, Edition

Ilting IV, S. 715 - 721.

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Der Steinsche Ansatz verknüpft Staat und Gesellschaft dialektisch und gleichzeitig realistisch in einer Gestalt; Gesellschaft als Leben des Staates bleibt unterscheidbar vom Staat als etwas Eigenes und ist doch unlösbar von ihm. Sie ist Moment und Element. Unterscheidet man sie vom Staat, entweder im Rahmen einer linearen Denkbewegung wie bei Hegel oder einfach durch Abstraktion, so erscheint sie als Inbegriff der Einzelwillen, als Sphäre des Güterlebens, als Sphäre des Klassengegensatzes. Damit hat man allerdings keinen konkreten Begriff von ihr, denn ihre Verwiesenheit auf den Staat erschiene dann nicht. Beim Staat gilt Entsprechendes, nur ist bei ihm seine Verwiesenheit auf Anderes, seine Inklusion der Gesellschaft, nicht wegzudenken. Aber ein konkreter Begriff von Staat braucht darin noch nicht zu liegen: Konkret ist der Staat für Stein erst gefaßt, wenn er auf eine bestimmte koexistierende, mit ihm gleichumfängliche Gesellschaft bezogen in einer Gestalt mit dieser gedacht ist (nicht, wie bei Hegel, wenn er als Fazit der Gesellschaft über sie hinaus in den Begriff erhoben ist). Er ist zwar auch für sich begrifflich faßbar im reinen Begriff (oder als "ruhendes Dasein")40. Dann ist allerdings zugestanden, daß er Staat einer Gesellschaft ist, aber es ist davon abgesehen, daß er der Staat einer bestimmten (ihn besondernden) Gesellschaft ist. Der Staat wäre nach Art der Rechtsphilosophie rein verfassungsmäßig dargetan, etwa als Republik, bei der nicht berücksichtigt ist, daß in ihr eine bestimmte Gesellschaft den Staat okkupiert. Die Konkretheitsbedingung für den Begriff ist nun bei Stein mit dem Tätigsein, dem tätigen Leben, der Tat verknüpft: Die Gesellschaft ist der Bereich der Einzelwillen, der Einzelpersönlichkeiten, die etwas tun und zwar, insofern jeder irgendwie verschieden ist vom Anderen, etwas Verschiedenes tun und so zusammen einen Bereich der Ungleichheit ausmachen. Sie besondern so den Begriff von sich, den sie sich im Staat geben. Der Staat ist konkret durch die Gesellschaft als Sphäre der Ungleichheit. Hier ist der Herd der Dynamik für Veränderungen4 t, für die Stein Gesetze geltend macht. Bei den gesellschaftlichen Gesetzen handelt es sich, wenn dies auch wenig klar wird, um eine geschichtlich verschieden relevante Ordnung nach Geburt, Beruf und freier Selbstbestimmung42 und um eine auf der jeweiligen Ebene spielende Klassendynamik: Die herrschende Klasse, für Stein ein unabdingbares Phänomen, provoziert eine Ablösung ihrer Der Ausdruck etwa Soziale Bewegung III, S. 144. Bei diesem Gedanken einer Kausalität der Gesellschaft, die wir oben aus der Selbständigkeit des Seinsmomentes im Wesen herleiteten, spielt, besonders in seiner späteren Fassung in Staatswissens'chaft, wo der Begriff der Tat mit dem der Kraft assoziiert wird (a.a.O., S. 255 f., 263), ein Schopenhauersches Motiv mit. 42 Staatswissenschaft, S. 367. 40

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selbst durch eine abhängige Klasse. Dieser übergang ist ökonomisch und rechtlich vermittelt und beruht je nach geschichtlicher Epoche auf dem Ausschluß der abhängigen Klasse vom nicht-erwerbenden Besitz oder vom erwerbenden Besitz, d. h. vom produktiven Kapital, so daß der abhängigen Klasse nach dem herrschenden Gesellschaftsrecht nur die Lohnarbeit übrig bleibt43 • Der Staat nun ist der allgemein gesetzte Klassenwille, verfestigt in Verfassung und sonstigem (etwa bürgerlichem und gesellschaftlichem) Recht; die Gesellschaft wird als klassenverhaftetes Leben die Verfassung und das sonstige Recht teils bewahren wollen (insofern beides der herrschenden Klasse dient), teils zu ändern streben, insofern beides der abhängigen Klasse schadet. Der moderne und für Stein zeitgenössisch äußerste Fall wäre der der Industriegesellschaft, in der die ökonomische Struktur den Ausschluß einer Klasse von Kapitalbildung und so vom gesellschaftlichen Aufstieg mitbeinhaltet, wenn auch Rechtsklassen schon aufgehoben sind. Eine Selbsthilfe der Gesellschaft erscheint insofern ausgeschlossen; sozialistische und kommunistische Konzepte werden in ihren Chancen skeptisch beurteilt, soziale Revolutionen führen nur zur Reproduktion der Mißstände. Gerade im entwickelten modernen Fall ist also Gesellschaft mit dem Staat verklammert: Sie kann sich einen korrigierenden Einfluß nur von ihm erhoffen. Aber der Staat als Verfassungsorganisation ist ja auch Reflex der gesellschaftlichen Ungleichheit. Auch im Fall einer schon rechtsstaatlichen Situation, wo nur ein faktischer, durch das ökonomische System bedingter, kein rechtlicher Ausschluß von der Kapitalbildung vorliegt, ist doch noch nicht der Mißstand, die mangelnde Selbstbestimmung der gesellschaftlichen Einzelpersönlichkeiten und die mangelnde Kongruenz von Staat und Gesellschaft, behoben. Wenn nun die Gesellschaft nicht selbst die überwindung der Differenz ist, in der sie sich innerhalb ihrer selbst und gegenüber dem Staat 41 Steins Idee von einem faktischen, wenn nicht rechtlichen Ausschluß der abhängigen Klasse von der Kapitalbildung in industriell-kapitalistischen Verhältnissen ist mitbedingt von einer Ökonomieanalyse, wonach es unweigerUch einen ontologischen Unterschied von "freier" und "mechanischer" Arbeit gibt, der für die Lohnhöhe relevant ist ("Der Begriff der Arbeit und die Principien des Arbeitslohnes in ihrem Verhältnisse zum Socialismus und Communismus", Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft 3 [1846], S. 233 - 290, Nachdruck bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt 1974, Schriften zum Socialismus, S. 63 -120, bes. 97 ff., 107 ff.). Freie Arbeit ist höherwertig, mechanische Arbeit, als den natürlichen Lebensbedürfnissen zugeordnet, ist minderwertig, und die Käufer von deren Produkten werden nicht bereit sein, mehr zu zahlen, als ontologisch gerechtfertigt wäre. Hier ist die Konkretheitsbedingung von Angebot und Nachfrage (und auch von ausgleichenden staatlichen Maßnahmen) übersehen. Stein urteilt nach dem ,reinen Begriff' von ontologischen ,Sorten' von Arbeit und knüpft eine irrige Lohntheorie daran. Wohlstand ist, so folgt, viel indirekter mit Bildung verbunden, als Stein dachte.

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als Verfassungsorganisation befindet, so muß die Vollbringung der Korrektur - als geschichtliche Entelechie - letztlich das Werk eines andersgearteten Staates, oder des Staates in allgemeiner, ideell- im Sinn von normativ-rechtlicher Funktion sein. Im Schema von Begriff und Leben: es reicht nicht, oder ist sogar falsch, das tätige Leben als nur gesellschaftliches Leben zu fassen. Der Staat ist selbst tätig; die Tat ist eine Auszeichnung des Staates, soweit über seinen Begriff als Verfassung hinausgegangen wird, also insofern er als "arbeitend", als Verwaltung, verstanden wird44 • Man kann - mit Stein - meinen, daß die Tat des Staates gesellschaftlich verwechselbar sei, daß also Gesellschaft für Leben und Tat steht und daß auf nicht-letzter Stufe der teleologischen Entwicklung gesellschaftliche Elemente den Staat okkupieren und in ihrem eigenen Sinne Verwaltung treiben. Aber es muß - ebenfalls mit Stein -, um die beabsichtigte Teleologie möglich zu machen, eine Tat des Staates geben, die sich nicht im gesellschaftlichen Leben und in gesellschaftlicher (partikulärer) Tat innerhalb seiner erschöpft: die Tat des Staates, die die Gesellschaft durch Verwaltung zurechtrückt und den gesellschaftlichen Interessen steuert. Die Verwaltung wäre dann die lebendige Einflußnahme des Staates auf die Gesellschaft, therapeutische Verwaltung, und zwar so, daß Ungleichheiten der Gesellschaft nicht mehr Staat und Recht sprengen, also so, daß innergesellschaftliche Harmonie, aber ebenso Harmonie von Gesellschaft, Staat und Recht zustandekommen46 • 44 L. von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, Stuttgart 1888 (= Verwaltungslehre) I, S. 22 ff., bes. 25. 46 Verwaltungslehre I, S.34: Die Verwaltung unterwirft die Individualität in allen Verhältnissen derselben soweit, "als diese Unterwerfung und Beschränkung ihm selber [dem Staat] als eine nothwendige Bedingung der Entwicklung des gesammten Lebens der Persönlichkeit erscheint". Ebd., S. 407 f.: "Insofern aber das Leben der Gemeinschaft solche Bedingungen der individuellen Entwicklung enthält, welche ... dem thätigen Willen des Einzelnen entzogen sind, kann nur diese Gemeinschaft selber, als Staat, diejenigen Bedingungen herstellen, welche vermöge des gemeinsamen Lebens zu Voraussetzung der persönlichen individuellen Entwicklung werden . . . Das formale Princip der Inneren Verwaltung ist daher ausgedrückt in der, durch dieselbe in allen einzelnen Lebensverhältnissen der Einzelnen verwirklichten Idee der Identität der höchsten Bestimmung der allgemeinen und der Einzelpersönlichkeit." Diese Allgemeinheiten wären zu verfolgen auf die Konkretion der Verwaltung. Ihre Hauptaufgaben sind einmal die der ,inneren Verwaltung', die am ehesten den Reformgedanken der Bildung und der Kapitalbildung der nichtbesitzenden Klasse entspricht, aber in ihrer Entfaltung zum System die soziale Note vermissen läßt (Verwaltungslehre II), dann aber auch die bei Stein sehr weit gefaßte sonstige Verwaltung: Staatsverwaltung, Selbstverwaltung, Regierung, Verordnungswesen, Statistik, Polizei, auswärtige Angelegenheiten, Heerwesen, Finanzverwaltung (wo man sich soziale Aufgaben in puncto Kapital- oder Vermögensbildung am ehesten untergebracht denken könnte) und Re'chtsleben.

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Begriff und Leben können nicht so einfach, wie es anfänglich den Anschein hatte, einerseits dem Staat, andererseits der Gesellschaft zugeordnet werden. Der Staat - gemeint ist jetzt der politische Staat im Unterschied zu einem mit der Gesellschaft gleichumfänglichen Staat - hat wiederum in sich die Doppelung in Verfassung als reinen Begriff und Tat, oder Verfassung und Leben durch seine nicht nur gesellschaftlich zu sehenden "Beamteten". Diese Tat wäre ideell Tat des Allgemeinen, Ins-Werk-Setzen des allgemeinen Willens in der Gesellschaft. (Wir stellen die Frage noch zurück, wie man eine solche Tat, eine solche Verwaltung und einen solchen, dem ideellen oder normativen Recht entsprechenden Staat sicherstellen kann.) Hegel hatte ein solches Leben, eine solche Tat des Staates, noch unter ,innere Verfassung für sich' gefaßt46 • Bei ihm erscheint die höhere Konkretion des Staates gemäß des für ihn geltenden Konkretheitsbegriffs als Ausdifferenzierung des Begriffs in seine Unterschiede im politischen Staat47, aber auch als ,Anknüpfung' des politischen Staates an Unterschiede der Gesellschaft (Ressorts der Ministerien oder der Verwaltung innerhalb der Regierungsgewalt)48. Diese letztere Anknüpfung entspricht Steins Konkretheitsbegriff im Fall des arbeitenden Staates im Unterschied zum Staat als Verfassung. Die Anknüpfung ist bei Hegel eine Lizenz, ein zusätzliches vorstellendes Element in seiner Theorie, insofern hier die Gesellschaft als nicht in den Begriff des Staates aufgehobene genommen wird. Bei Stein dagegen ist sie eine prinzipielle Fassung der einen Gestalt Staat / Gesellschaft. Denn die Anknüpfung des Staates an die Gesellschaft, richtiger: seine dialektische Identität mit ihr, ist ja die Konkretheitsbedingung des Staates, innerhalb derer die Verwaltung als "dritter Faktor"49 nunmehr explizit an das Leben einer bestimmten Gesellschaft anknüpft. Hegel kann den Staat als auf die Gesellschaft zielend, als tätig, schon im Staat seinem Begriff nach (= Verfassung) unterbringen, wenn auch als Lizenz, als eine ,Vermittlung' von Staat und Gesellschaft, während Stein das Tätigwerden dem Begriff gegenüberstellt, also Gesellschaft dem Staat und Verwaltung der Verfassung. Die Verwaltung ist, was Hegel eine ,Mitte' genannt hätte (wie er dies für jede Gewalt des politischen Staates behauptet), sie ist, wenn man will, ,tätiger Begriff'. Aus der Zweierfigur Staat / Gesellschaft (von der Familie, wie Hegel sie faßt,. einmal abgesehen) wird die Dreierfigur Staat als Verfassung, Staat als Ver46 Rechtsphilosophie, § 272. ,Innere Verfassung für sich' ist ein Obertitel, der auch die Ausführungen über die Regierungsgewalt §§ 287 ff. umfaßt. 47 Rechtsphilosophie, §§ 267, 269, 272, 273. - Zum Verhältnis von §§ 267 und 269 vgl. demnächst R. Atbrecht, Hegel und die Demokratie (Bonn Diss.

1978). 48 48

Rechtsphilosophie, §§ 287, 290. Verwaltungslehre I, S. 34.

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waltung - die ,Mitte' - und Gesellschaft. Diese Figur ist offensichtlich noch wieder verschieden von der Dreierfigur Gemeinschaft, Staat, Gesellschaft, Soll man sagen, die erstere Dreierfigur mit der Verwaltung als ,Mitte' soll die letztere, die die Gemeinschaft expliziert, möglich machen? Der Staat ist in Steins Denkfiguren zwar ideell-rechtlich, aber nicht sozial (ontologisch) ein Telos, in dem der Ausgang von der Gesellschaft als Sphäre der Differenz wie bei Hegel seinen Abschluß fände. Man fühlt sich zwar erinnert an Hegels Wechsel der Perspektive, dergemäß der Staat, auf dem Weg über die Gesellschaft angebahnt, neuer Standort, neue und wahrere Perspektive zur Beurteilung der Gesellschaft ist50 • Aber bei Stein muß die Herstellung eines nicht nur rechtsstaatlichen, sondern mit seiner Gesellschaft kongruenten Staates trotz aller Partikularität der Konstituenten dargetan werden. Die Vielen müssen über ihre ,Verfassungsschiene' wollen, daß der Staat verwaltend tätig sei und immer weniger partikulär tätig sei. Die Volkssouveränität ist in die Konzeption miteingebaut, allerdings nicht als abstrakte Volkssouveränität, nicht als eine Volkssouveränität ohne Einsicht in die mitbedingenden gesellschaftlichen Faktoren wie die herrschende Klasse und deren politische Tendenz, kurz als eine Volkssouveränität ohne eine diese Faktoren berücksichtigende Verwaltung51. Erst eine rektifizierte Gesellschaft könnte politisch die Volkssouveränität erfüllen; dies allerdings entgegen Steinschen Äußerungen zur Volkssouveränität, wonach sie ein abstraktes Stadium der Gesellschaftsherrschaft ist51a• Die hier umkreiste Konzeption Steins beinhaltet eine eigene Systematisierung der Geschichte als staatlicher und gesellschaftlicher Geschichte: nicht wie bei Hegel - auf Grund seines Insistierens auf der höchsten kategorialen Stufe - eine Geschichte der Staatsidee der führenden Völker, zentriert um den Weltgeist als Fluchtpunkt52, sondern Rechtsphilosophie, §§ 258 ff., bes. 262. Soziale Bewegung !II, S. 194 ff. Vgl. ebd., S. 150 f. Man kann die Verwaltung auch als Bestandteil einer abstrakten Demokratie auffassen, als Verwaltung· der Demokratie ihrem Begriff nach. Dann wäre die gesellschaftli'che Konkretion übersehen, die erst die staatsbürgerliche Gesellschaft mit ihrer Verwaltung möglich macht. Vgl. "Demokratie und Aristokratie", in: Die Gegenwart 9 (1854), Nachdruck bei der Wissenschaftlichen Buchgesells'chaft Darmstadt 1974, in: Schriften zum Sozialismus, S. 72 f. Rudimentäre Verwaltungsbegriffe sind übrigens auch für andere Gesellschaftsstadien in Rechnung zu stellen. Verwaltungslehre I, S. 38 - 44 (zum ,Amt'). 61a Vgl. System der Staatswissens'chaft, 1856, Nachdruck Osnabrück 1964, !I, S. 57 f. Vgl. andrerseits "Demokratie und Aristokratie", Gegenwart 9 (1854), Nachdruck in: L. von Stein, Schriften zum Sozialismus (Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1974), S. 90, 96 f. - Ich danke Herrn Dr. G. Maluschke für Anregungen zum Thema ,Volkssouveränität'. 52 Rechtsphilosophie, § 340. 60

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eine Geschichte des Verhältnisses von Staat, Verwaltung und Gesellschaft, also eine uns sehr viel näher liegende Geschichte, die Stein weitgehend der nachzeitgenössischen Wirklichkeit entsprechend entworfen hat. Nun bestehen Schwierigkeiten für die Festlegung eines geschichtlichen Realprozesses als teleologischen Prozesses durch die Theorie. Angesichts der von Stein gerade so betonten herrschenden Klasse ist es ein Problem, wie es zu Maßnahmen des von eben dieser Klasse beherrschten Staates kommen soll, die die abhängige, nichtbesitzende Klasse fördern und die herrschende, besitzende Klasse benachteiligen. Stein denkt für die abgelaufene Geschichte an die französische Revolution als zentrales Ereignis der politischen Revolution, der aber angesichts der Industrialisierung mit ihrem ökonomisch bedingtem Ausschluß der abhängigen Klasse von der Kapitalbildung eine soziale Reform nachfolgen muß53. Ihre Hauptpunkte sind Eröffnung von Bildung und Kapitalbildung für die nichtbesitzende Klasse. Kann nun die soziale Reform nur folgen, oder muß sie es? Das Problem stellt sich wieder für die von Stein aus teilweise noch ausstehende Tat des Staates: kann die Theorie den geschichtlichen Realprozeß festlegen? Stein macht alle möglichen Vorschläge, wie es zum gewünschten Ergebnis kommt: entweder durch die Existenz eines ,sozialen Königtums', das nicht klassenverhaftet ist, aber doch genügend Exekutivbefugnis besitzt54 , oder durch die Einsicht der herrschenden Klasse, daß sie durch soziale Reformen gar nicht leiden würde, da durch zunehmende Bildung und Kapitalbildung der nichtbesitzenden Klasse die Arbeitsleistung besser würde 55 • Sicher ist, daß keine Determination der Entwicklung vorliegt, daß vielmehr Einsicht notwendig ist, daß die besitzende Klasse erst durch Schaden klug werden muß usw. Auch wie 53 Es ist interessant, wie Stein in seiner systematisierenden Einleitung zu Soziale Bewegung den Stoff so ordnet, daß unter dem Motto "Das Princip und die Bewegung zur Freiheit" zuerst eine soziale Besserung betrachtet wird (solange der Stoff zum Erwerb nicht knapp ist), dann eine politische Bewegung folgt, die über eine (nur der vollständigen Klassifikation wegen aufgeführte) politische Reform zur politischen Revolution führt, während dann, angesichts des knapp gewordenen ,Stoffs', nämlich des Andere vom Besitz ausschließenden Kapitals in der Industriegesellschaft, die soziale Bewegung folgt, die, da eine soziale Revolution aussichtslos ist, als Abschluß nur die soziale Reform übrigläßt. Soziale Bewegung I, S. LXIX ff., S. XCIX ff. In diesem Kontrapunkt von politischer und sozialer Bewegung, in ihrer umgekehrten Anordnung von Reform und Revolution, zeigt sich wieder Steins Doppelperspektive von Gesellschaft als Leben, das die Verfassung, und Staat als Tat, der die Gesellschaft ändert. 54 Vgl. Soziale Bewegung IH, S. 45 ff.; Staatswissenschaft, S. 447 f. 55 Soziale Bewegung IH, S. 206 - 219. Zum Aufstieg des Arbeiters durch Bildung und Kapitalbildung: Soziale Bewegung I, S. CXXIV ff., IH, S. 205, 206ff.

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ein soziales Königtum, das ohne Klassenloyalität günstig wirken könnte, zu installieren wäre, ist nicht Gegenstand eines geschichtlichen Automatismus, den Stein etwa nachwiese66 • Und in der Republik wäre diese deus-ex-machina-Lösung ja ohnehin nicht gegeben. Hier zeigt sich denn auch Steins Resignation: Er erwartet anscheinend gar nicht, daß in der Republik als Demokratie eine soziale Verwaltung, geübt von einem dem ideellen Recht entsprechenden Staat, durch Kongruenz von Staat und Gesellschaft, durch Volkssouveränität, zu erreichen wäre67 • Das Problem ist zum Teil ein terminologisches: der Zustand, der anzustreben wäre und "sociale Demokratie" heißt, ist einfach nicht mehr Demokratie in ihrem reinen Begriff68 . Es bleibt die konkrete Interaktion von Staat und Gesellschaft über die ,Verfassungsschiene' und über die Verwaltung. Steins Resignation im Jahre 1850 ist darin begründet, daß er sich diese Interaktion, als Entelechie, nicht einmal als asymptotisch gelingend vorstellen konnte und das allgemeine Wahlrecht, da der Klassengegensatz bleibt, als Mittel zur Herrschaft der besitzenden und gebildeten Klasse ansah. Der Tenor in den späteren Jahren ist jedoch ein anderer. In Staatswissenschaft (1875) vertritt Stein "die gleiche Berechtigung aller einzelnen, an dem Willen des Staates, der Gesetzgebung, teilzunehmen"6u. Allerdings will er dann die Krone beibehalten, die "ihre Sanktion verweigern kann"60. Aber die asymptotische Annäherung an die Entelechie ist in jedem Fall nähergerückt. V. Die Parallele im Recht Die Parallele zu dem über Steins Verständnis von Staat und Gesellschaft Gesagtem im Recht - soweit von Parallele, rechtlicher Formulierung von Sozialem, und nicht von Dialektik von Recht einerseits Trotz der Ausführungen: Soziale Bewegung IH, S. 39 ff. Entweder dringt die nichtbesitzende Klasse auf das allgemeine Wahlrecht, macht sich die besitzende Klasse zum Feind und provoziert damit die Gewalt, oder die besitzende Klasse übt die Verwaltung im Interesse der Nichtbesitzer aus, so daß die nichtbesitzende Klasse "in dem Maße mehr gleichgültig gegen die Form der Verfassung sein [wird], in welchem die Interessen derselben mehr gefördert werden". Soziale Bewegung HI, S. 218 f. Das allgemeine Wahlrecht kann und soll also durch Einsicht auf Seiten der nichtbesitzenden Klasse vermieden werden. 58 Soziale Bewegung HI, S.219. Steins Darstellung in: Soziale Bewegung IH, ist zum Teil dadurch gestört, daß er von zwei wirklichen Republiken, der des industriellen Besitzes (179 ff.) und der des industriellen Nichtbesitzes (188 ff.) spricht und sie für sich abhandelt, während er do'ch gerade ihr Zusammenbestehen behandeln müßte. Er holt dies aber in Abschnitt "Republik des gegenseitigen Interesses" (206 ff.) nach. 5V Staatswissenschaft, S.449. Vgl. auch "Demokratie und Aristokratie", a.a.O., S. 90. 80 Ebd. 68

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und Staat und Gesellschaft andererseits zu reden ist - ist wesentlich die Ausarbeitung von Rechtsbereichen: Neben dem von Stein in der Vergangenheit als bevorzugt angesehenen Rechtsbereichen des bürgerlichen Rechts und des öffentlichen Rechts als Verfassungsrechts fordert und realisiert er eine Verwaltungslehre, in der Verwaltung nach ihren Ressorts entworfen und rechtlich gefaßt wird. Die Kontroverse zwischen Rechtsphilosophie und Recht, zwischen reinem Rechtsbegriff und verrechtlichtem Lebensbegriff, wäre in der konkreten Ausgestaltung der neuen Rechtsbereiche wohl so zu bescheiden, daß doch schon die Rechtsphilosophie - eben die Steinsche - den Begriff der Verwaltung aufstellen kann, so daß die Frage nur wäre, wie weit sie auch die verschiedenen Gebiete oder Ressorts der Verwaltung noch grundlegen kanns!, oder wie sich ein solches rechtsphilosophisches Element im jeweils allgemeinen Teil eines Verwaltungsgebiets äußert usw. Wir verzichten hier auf eine Diskussion dieser Fragen.

VI. Reflexion auf Steins Grundkonzeption Die Steinsche Position erscheint zunächst als ein ,zweiter Teil' der HegeIschen Rechtsphilosophie. Sie stellt die Frage, wie Staat und Gesellschaft zusammenbestehen, wie der Staat durch Gesellschaft bestimmt ist, wie er variiert, wenn Gesellschaft variiert (hierfür werden gesellschaftliche ,Gesetze' proponiert), und wie eine Kongruenz von Staat und Gesellschaft erreicht werden kann. Sie nimmt also die Koordination oder Parataxe ebenso wie die Subordination oder Hypotaxe von Staat und Gesellschaft im Verhältnis zueinander ernst und kann so eine normative Sachtheorie aufstellen. Sie handelt davon, wie der Staat bei gegebener Gesellschaft tätig werden muß, wie Gesellschaft geändert werden muß, um rechtsstaatliche Wirklichkeit zu sein usw., gibt also Staatswissenschaft und Verwaltungslehre. Solche normative Sachtheorie hatte Hegel nur als Lizenz mitunter beansprucht, aber nicht legitim - als Resultat seiner Kategorienlehre, wo die Gesellschaft nur Durchgangsstation ist - geben können. Daneben findet sich bei Stein Sachtheorie im Sinne einer Gesellschaftswissenschaft (umfassend Soziologie und Geschichte), die - nicht-normativ - Gesetze der Entwicklung der Gesellschaft aufstellt. Und diese ist wiederum verknüpft mit der normativen Sachtheorie, insofern sich ihre Feststellungen normativ-teleologisch einordnen lassen. In äußerster Abstraktion gefaßt reduziert sich die philosophische Frage nach der Legitimität der Steinschen Position auf die in ihr vollzogene Begegnung von Faktizität und Dialektik. 81 VgI. Anmerkung (45). N. Luhmann hat Zweifel angemeldet, daß Stein ein ,System', eine Systematisierung der Verwaltungslehre gelungen sei.

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Es versteht sich, daß im Steinschen Denken keine kategoriale Genealogie der Bestimmungen Staat, Gesellschaft und Verwaltung gegeben wird. Diese Begriffe werden von Hegel hergenommen, der für. sie eine Genealogie bereithält. Stein neigt zu einer anschaulichen Einführung der genannten Begriffe und deutet sie von Prinzipien wie Persönlichkeit, Leben und Tat, Einzelnes und Allgemeines her, bedient sich also abstrakterer Kategorien der Hegeischen Dialektik. Diese Denkmittel gestatten eine begriffsgeleitete Interpretation der Gesellschaft an ihr selbst und im Verhältnis zum Staat, die einerseits systematisch ist, andererseits geschichtlich-teleologisch artikuliert werden kann. Das Telos ist dabei von Hegels Telos, wie wir schon sahen, unterschieden, insofern als Abschluß in sozialer (ontologischer) Perspektive eine Gestalt der Kongruenz von Staat und Gesellschaft - wir sagen jetzt: des Gemeinwohls - steht. Die Konzeption des Gemeinwohls bereitet Schwierigseiten, bedenken wir nur, daß es auf der Ebene der Gesellschaft nicht erreichbar ist, da hier ja immer störende Partikularität im Spiel ist, aber auch nicht auf der Ebene des Staates, denn diese Ebene ist ja nur der Bereich der Vielen als Bürger, nicht qua politisch und qua gesellschaftlich gleichermaßen verstanden. Schließlich ist das Gemeinwohl auch nicht durch die Proklamation einer unmittelbaren Einheit beider Seiten erreichbar, da nach Steinscher Einsicht eine solche Einheit von einem partikulär gesteuerten Staat beherrscht würde. Hegel proklamiert zwar die Einheit von subjektiver Befriedigung und politischem Telos im modernen Staat der Rechtsphilosophie, aber wie diese aussieht, vermag Hegel bei allem Detail nicht befriedigend zu sagen, da der Staat kategorial die Aufhebung der Gesellschaft ist. Ein vorstellender Kompromiß zwischen staatlichen und gesellschaftlich-ökonomischen Forderungen (den er meint) widerspricht einer Affirmation beider Extreme (die er auch meint), einmal ganz abgesehen vom Problem eines vollkommenen Staates, in dem die Klassenverhaftetheit des Staates ignoriert ist. Hier bietet sich die Steinsche Idee von Persönlichkeit und Leben, näher die Einheit von wesenslogischem Staatsbegriff und seinslogischem Gesellschaftsbegriff an, vermittelt durch die Verwaltung, alles drei noch wieder bezogen auf ein Telos im Sinne der Rechtsperspektive, einen Staat mit wahrhaft allgemein tätiger Verwaltung. In dieser Idee ist darstellbar, was Gemeinwohl ist, nämlich innergesellschaftlicher, quantitierender Kompromiß zwischen den Ungleichheiten bei Tendenz zu Maximierung des Wohls eines jeden, unter Leitung des Staates. Die kategoriale Unterscheidung von staatlich und gesellschaftlich, wie Hegel sie aufstellt, bleibt beibehalten, und doch wird beides im Rechtsstaat, der mit einer befriedigten Gesellschaft eine Einheit bildet, zusammengebracht62•

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Steins Theorie entspricht bei aller Abwandlung auf Grund ihres Ansatzes der HegeIschen Einsicht, daß eine ontologisch-dialektische Fassung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft, und nur sie, ein affirmatives Verhältnis von Einzelperson und Staat, oder von Gesellschaft und Staat, darstellen kann. Sie kann zeigen, daß ein Partikuläres im Allgemeinen seine Wahrheit hat, es affirmiert und damit sich im Allgemeinen affirmiert. Die Steinsche Fassung dieses Grundgedankens kann aber besser darauf Rücksicht nehmen, daß in der Wirklichkeit dies immer nur wieder partikulär verwirklicht werden kann (innerhalb einer Klassengesellschaft, in der sich die Verwaltung geltend macht, in der der Staat immer wieder kritisiert werden wird, insofern er nicht die gesellschaftliche Gleichstellung Aller herbeigeführt hat), und das heißt, daß wir die Verwirklichung des Gemeinwohls immer auf ein ideell-rechtliches Telos beziehen. Im Prinzip der Persönlichkeit, das als Prinzip für den Staat wie auch für die Gesellschaft gilt, glaubt Stein, den Zusammenhalt der Konzeption, die Affirmation des Staates, die Gemeinwohlgemäßheit der Tätigseit des Staates und seine rechtliche Teleologie gesichert zu haben. Näher betrachtet würde sich hier - in der Einheit des Prinzips der Persönlichkeit gegenüber dem HegeIschen Prinzip des Geistes - eine Verschiedenheit zu Hegel zeigen. Ist die allgemeine Persönlichkeit im selben Sinne wie bei Hegel ,konkretes Allgemeines' (wenn auch rechtlich auf ein normatives Telos bezogen), so ist die Einzelpersönlichkeit bei Stein irreduzibel, gleichsam ,existierendes Prinzip', nicht durch ein Aufgehen im Allgemeinen erst legitimiert8s • So ist auch die Kongruenz von Staat und Einzelnem nicht HegeIsche Aufhebung, sondern dies und realer Gegensatz von allgemeiner Persönlichkeit und Einzelpersönlichkeit. Von hier aus ergeben sich Reflexionen zu Steins Realismus oder - wie wir auch sagen können, wenn wir den Gegenbegriff zum konkreten Allgemeinen nehmen wollen - Nominalismus84, zur Frage 62 Es stellt sich die Frage, wie Stein das Problem der Subsidiarität faßt, kann Subsidiarität doch als wichtiges Denkmittel für das Gemeinwohl gelten. Hierzu ist zu sagen, daß Stein zwar die Selbstverwaltung als Gegenstück zur Staatsverwaltung näher behandelt (Verwaltungslehre I, S. 61- 93), aber eher als ,Sorte' von Verwaltung, nicht als Freiraum im Verhältnis zur Staatsverwaltung; Klassifikation, nicht eine Dialektik von Gesellschaft und Staat scheinen maßgebend. Hier geht es doch nur wieder um einen ,reinen Begriff'. 63 Vgl. "Blicke auf den Socialismus und Communismus in Deutschland, und ihre Zukunft", a.a.O., S. 59: " ... denn - man erlaube uns beiläufig eine Bemerkung, die einen umfassenden Beweis fordert - die Hegel'sche Philosophie hat keinen Begriff der einzelnen Persönlichkeit, sondern nur den der Persönlichkeit überhaupt; und gerade der Mangel des ersteren macht Communismus und Socialismus möglich." Vgl. auch ebd., S. 37. 64 Im sozialphilosophischen Bereich hat Sartre den Begriff eines ,dialektischen Nominalismus' geprägt. Critique de la raison dialectique I, S. 132. Vgl. K. Hartmann, Sartres Sozialphilosophie, Berlin 1966, S. 51 und passim.

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eines instrumentalen Staatsverständnisses usw., Reflexionen, denen wir hier nicht näher nachgehen können. Nur eine Reflexion sei hier angestellt, in der sich die übrigen resümieren mögen. Wir sahen oben einen Unterschied zwischen einer Zweierfigur (Staat / Gesellschaft) und einer Dreierfigur (Gemeinschaft, Staat, Gesellschaft). Wir hatten auch erwogen, inwiefern die Dreierfigur Staat oder Verfassung, Verwaltung, Gesellschaft die Dreierfigur Gemeinschaft, Staat, Gesellschaft ermöglichen soll. Läßt sich dies Schwanken zwischen zwei Deutungen jetzt beheben? Gemeinschaft ließe sich sehen als Konzeption, die der Berücksichtigung der Einzelpersönlichkeit entspricht. Die Einzelpersönlichkeiten sind als irreduzibel betrachtet eine Menge oder, geeinigt durch gesellschaftliche Strukturen und staatliche Organisation, eine Gemeinschaft. Der Ausdruck besagt ein ,Schweben' des Standpunkts zwischen Einzelnem und Allgemeinem, nicht wie wir zunächst fanden, ein Schwanken zwischen Standpunkten oder Ansätzen66 • Und genau dies Schweben im Begriff von sozialer Ganzheit erfaßt Gemeinschaft; nicht ist dies der Fall beim Begriff des Staates als ,innerer Verfassung für sich'. Der Gemeinschaft entspricht das Gemeinwohl als optimale (quantitative, nicht kategorial-qualitative) Struktur, innerhalb eines kategorialen Rahmens. Dessen Pendant ist, auf den politischen Staat bezogen, die Verwaltung. Sie ermöglicht Gemeinschaft - so können wir jetzt die frühere Frage beantworten - in der Entelechie sich annähernder Form. Damit ist dann auch die HegeIsche Affirmativitätsstruktur von Einzelnen und Allgemeinem miteinbezogen: der Einzelne affirmiert den Staat, der das Gemeinwohl bringt, er affirmiert letztlich die staatlich rektifizierte Gemeinschaft. Die Entelechiekonzeption des Gemeinwohls und der Gemeinschaft ist Ziel einer geschichtlichen Entwicklung, und man kann die Frage stellen, wie die Dignität der Steinschen Theorie zur Geschichte des Staates, der Gesellschaft und ihres Zusamenklangs zu beurteilen ist. Die Konzeption ist statthaft, wenn Diskrepanzen, Bewegungen und Übergänge der Gesellschaft deutbar sind innerhalb der Grundkonzeption. Hierzu dient eine Artikulation der Gesellschaft nach Partikularität und Allgemeinheit (Klassengegensätze der Gesellschaft und Setzung des Allgemeinen im Staat; die kontingente Ansetzung ökonomischer Bedingungen - In85 J. G. Fichte hat ein Schweben der Einbildungskraft zwischen Anschauung und Begriff oder zwischen Unbestimmtheit und Bestimmtheit vertreten (Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, PhiI. BibI. 1956, S. 135 ff.). Dieser Gedanke kann als ein Modell gelten für den Mangel, der in einer Position rein-begrifflicher Immanenz liegt. Die Steinsche Position ist nun jedo'ch nicht eine Rückkehr zur Transzendentalphilosophie Fichtes, sondern die einer Wiedereröffnung von Faktizität innerhalb eines Hegeischen Rahmens. So sprechen wir denn auch von ,Lizenz', von ,zweitem Teil' der Hegeischen

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dustrialisierung, Kapitalismus - ergibt sich aus der Geschichte; die kontingente Annahme einer Klassendynamik folgt aus dem ,Leben' der Persönlichkeiten). Dann ergibt sich ein Ausblick auf eine Adäquation oder Kongruenz von Partikulärem und Allgemeinem einmal innergesellschaftlich als asymptotische Homogeneisierung der Gesellschaft, zum anderen als Kongruenz von Staat und Gesellschaft auf Grund des Einflusses der Verwaltung auf die Gesellschaft. Auf diese Weise ist die Subsumierbarkeit der gesellschaftlichen ,Gesetze' unter eine dialektische Gesamtkonzeption gegeben. Die Dignität einer solchen dialektischen und dabei auch geschichtlichen Konzeption ist anders als die einer kategorialen Dialektik, wie wir sie in Hegels Rechtsphilosophie finden. Wo Hegel Geschichte dialek~ tisch theoretisiert, läßt sich sein Vorgehen unter dem Gesichtspunkt kritisieren, daß die Dialektisierung der Zeit nicht streng darzutun ist, liegt hier doch - entgegen einer Kategorienlehre - Existenzsetzung vor, die Kontingenz involviert. Entsprechendes gilt für Stein, so sehr seine geschichtliche Dialektik eine andere ist, indem sie zwischen Gesellschaft und Staat spielt (und nur insofern auch den Staat geschichtlich verwandelt denkt) und nicht eine von Staatsideen ist. Steins geschichtliche Dialektik ist an Kontingenz geknüpft: Leben wird sich äußern, sich verändern; wenn, dann allerdings in deutbarer Form, nach Klassendynamik und ökonomischen Faktoren, nach Partikularität und Allgemeinheit. Die Wirklichkeit ist, soweit ihre kategoriale Fassung nicht gelingt, nicht, wie bei Hegel, ,äußerliche Zufälligkeit'66, sondern einordenbar in die teleologische Gesamtkonzeption. Ein weiterer Unterschied zu Hegels Rechtsphilosophie liegt darin, daß die Entelechie der Theorie nicht in der Gegenwart liegt, sondern in der (allerdings für Stein unmittelbaren) Zukunft, in der "socialen Demokratie" als Überwindung der Dysteleologien der industriellen Gesellschaft. Sie hat - für die damalige Zeit - prognostischen Charakter darin verwandt mit Gedanken der Junghegelianer, insbesondere A. Ruges. Man wird die Prognose als eingetroffen betrachten müssen der Sozialstaat hat sich in den entwickelten Ländern weitgehend etabliert -, aber weiter fragen, ob es nun bei dem Prognostizierten als einer Entelechie bleiben kann. Hierzu könnte von moderner Warte Skepsis geäußert werden. Wir kommen noch darauf zurück. Steins Theorie im Grundsätzlichen abwägend läßt sich sagen, daß ihre Legitimität, anders als bei Hegel, an einer Lizenz im Ansatz hängt, Faktizität in eine Dialektik einzubringen, also eine soziale Gestalt seinslogisch und wesenslogisch (als "doppeltes Leben") so zu denken, daß das seinslogische Moment realistisch interpretierbar wird, dann aber nach 00

Rechtsphilosophie, § 1.

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diesem Ansatz konsequent zu verfahren, anstatt wie Hegel von einem kategorialen Ansatz aus sich einer Lizenz im gegebenen Fall zu bedienen. Die Dialektik ist eine, die HegeIsche Kategorien auf Faktisches anwendet. Sie unterliegt damit der Eigengesetzlichkeit dessen, auf das sie angewendet wird, nimmt also ein hypothetisches und ein empirisches Moment auf. Wir sind jedoch zu einer solchen Anwendung genötigt, wenn wir die nicht mehr nur kategoriale Frage stellen, wie Staat und Gesellschaft in affirmativem Verhältnis zueinander stehen und dennoch auch als koexistierend gefaßt werden können. Es ergibt sich quantitierende Optimierung durch den tätigen Begriff, nicht kategoriale Aufhebung im reinen Begriff. VII. Reflexion auf Steins Theorie der sozialen Konkretion Nur am Rande kann es unsere Aufgabe sein, die Bewährung des Ansatzes, oder der Grundkonzeption Steins, in der Konkretion kritisch zu erörtern. Ein Problem in diesem Zusammenhang wäre etwa, was als eine gelingende Verwaltung gelten kann und wie sie möglich ist (auch wenn nicht gezeigt werden kann, daß sie sich geschichtlich herstellen muß). Man versteht, daß Verwaltung (als tätiger Begriff oder als tätiges Leben des Staates) ins Feld geführt wird. Man versteht auch die Schwierigkeit, die Allgemeinheitsverpflichtung der Verwaltung angesichts der Klassenverhältnisse als erfüllbar darzutun. Der Ausweg, für ein soziales Königtum oder für ein Veto der Krone zu plädieren, also der platonische Ausweg der Philosophenkönige, zeigt, daß die Leistung der Verwaltung nicht schon rein institutionell gesichert werden kann. Die Verwaltung ist nicht schon durch ihre Existenz derjenige Einfluß auf die Gesellschaft, den Stein, in der Systemtendenz zumindest, wünscht, sie ist nur der Inbegriff der Möglichkeiten und Machtmittel dafür. Wir sahen schon, daß die Steinsche Verwaltungsidee weite Lebensbereiche regelt, aber die Regelungen sind durchaus nicht schon solche des sozialen Ausgleichs, wie Stein sie etwa in Soziale Bewegung erwogen hatte (Kreditgewährung, Staatsbetriebe u. ä.; heute würden wir hinzufügen: Steuerprogression, Eigenheimförderung, berufliche Umschulung, Rentenversicherung und den ganzen Komplex der ,sozialen Marktwirtschaft'). Solche Regelungen fallen nicht eo ipso, institutionell, unter die Verwaltung - oder unter ihren ,reinen Begriff' -, sondern unter Sozialpolitik bei Vorhandensein eines leistungsstarken Verwaltungsapparats87• Damit die Verwaltung auch real im teleologisch 17 Zur Frage, wie weit Stein schon eine Leistungsverwaltung im Sinne von E. Forsthoff gemeint hat, vgl. E. R. Huber, a.a.O., Vermutlich ist ein zurückhaltenderes Urteil am Platze.

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gewünschten Sinne wirksam ist, bedarf es einer Politik, die nicht Verwaltung ist, und ihrerseits aus dem durch die Verfassung geordneten Bereich (Parlament, Regierung) hervorgeht. Konkret gesehen verlagert sich die Frage nach der Dignität der Theorie auf die Frage, wie Politik bei Stein zu stehen kommt. Eine teleologische Politik wäre - und damit gehen wir über zu einem nächsten Problem - für Stein eröffnet durch die Einsicht der besitzenden Klasse, daß ihr Verhältnis zur nichtbesitzenden Klasse eines des gegenseitigen Interesses, ja der Solidarität sein müsse, so sehr sie herrschend bleibt. Sie wäre klug, wenn sie in Dingen der Verwaltung nachgäbe. Stein hat also die Auffassung, daß die Gemeinschaft ein sich selbst in seinem Sinne teleologisch regulierendes System sein könnte - daß also die Vernunft der Verwaltungs- oder Sozialpolitik aus dem durch die Verfassung geordneten Bereich hervorgeht - nicht voll bejaht. Es bedarf des Wohlwollens der besitzenden Klasse. Will man eine solche Auffassung dennoch bejahen, wie man wohl im Fall einer Demokratie (ob konstitutionelle Monarchie oder Republik) muß, so hätten weitere überlegungen darüber angestellt werden müssen, wie ein selbstregulierendes System der Gemeinschaft, das mehr ist als eine Selbstregulation von Verfassungschiene und Verwaltungsschiene in bloß formalem Zusammenspiel, möglich ist. Die Vermeidung des allgemeinen Wahlrechts, die Stein 1850 empfiehlt, kann nicht die Lösung sein, wie er 1875 selbst sieht. Es bedarf einer Theorie der Demokratie, die zeigt, daß der Staat nicht einer Klasse ausgeliefert ist, wenn er Volkssouveränität und allgemeines Wahlrecht verwirklicht und ohne einen Philosophenkönig auskommen muß. Wir wissen heute aus politischer Erfahrung, daß die ,Gefahr' des allgemeinen Wahlrechts nicht so offensichtlich ist, nicht so selbstverständlich zum Konflikt einer besitzenden mit einer nichtbesitzenden Klasse führt, wie Stein meinte (1850, aber auch noch 1875, wo er ein Veto der Krone fordert), sondern daß das allgemeine Wahlrecht meist - wenn wir von der Komplikation einer Verflechtung der politischen Willensbildung mit den Gewerkschaften absehen - doch nur gemäßigte Optionen eröffnet, und zwar für relativ sozialistischere oder freisinnigere Sozialkonzepte. Es gilt dabei, die Bedeutung der Bildung zu sehen, wie Stein sagen würde, in dem Sinne, daß ein Sachverstand sich geltend macht, auch ohne klassenmäßiges Besitzinteresse, gleichsam als Beitrag einer ,Funktionsklasse', die zwar durch ihre Funktion in Staat, Verwaltung, Wirtschaft und kulturellem Leben aufsteigt, aber nicht deshalb schon sich in eine Klasse des Besitzes einreiht und Politik für diese Klasse machen wird (denken wir etwa an den gewerkschaftlich organisierten Parlamentarier, der ein Haus besitzt). Steins Junktim von Bildung und exklusivem Besitzstreben ist kritisch zu beurteilen.

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Auch gilt es, weitere klassenkompensatorische Faktoren zu berücksichtigen, so besonders Resultate des staatswissenschaftlichen .Sachverstandes (etwa betreffend die Rolle, die der Opposition im Parlament zuerkannt wird, die qualifizierten Mehrheitserfordernisse in Grundgesetz- oder Minderheitsfragen, die Eigenständigkeit der dritten Gewalt, die nicht wie bei Stein unter Verwaltung subsumiert werden kann, die Pressefreiheit u. a. m.). Solche Resultate können auch in einer Demokratie mit allgemeinem Wahlrecht beherzigt werden, ja sich möglicherweise sogar dem (von Stein in seiner Bedeutung unterschätzten) außerparlamentarischen Faktor der Gewerkschaften gegenüber behaupten. Die Theorie braucht einer solchen Demokratie keine Bestandsgarantie zu liefern, aber sie müßte über ein temperiertes Konfliktmodell hinaus zur Idee der Selbstregulierung der Gemeinschaft unter Berücksichtigung der politischen Dimension (also über den formalen Zirkel von Verfassung und Verwaltung hinaus) gelangen und fragen, wie sie am ehesten zu sichern sei. Dies ist bei Stein nicht, oder nicht befriedigend, gelungen. Die reflektiertere Frage wäre, inwieweit die genannten Mängel oder Desiderate Folgen des Steinschen Ansatzes sind, so daß sie auf der Basis der Steinschen Theorie nicht zu beheben oder zu erfüllen sind. Könnte es an der Idee eines ,ontologischen Systems' liegen, die auch Stein mit Abwandlungen von Hegel her teilt, daß Verwaltung institutionell schon für das Gewünschte steht (wie es die Verwaltungslehre suggeriert) oder nur der Einsicht der besitzenden Klasse in die Gegenseitigkeit der Interessen beider Klassen oder der Einsicht eines Philosophenkönigs wegen gelingt (wie es die Soziale Bewegung suggeriert), während es doch eine Sache der Politik zu sein scheint, die nicht nur Reflex der Besitzverhältnisse ist, sondern auch Sache des Sachverstands einer Funktionsklasse, daß das Gemeinwesen gelingt? Steins Verknüpfung von Staat und Gesellschaft läßt sich grundsätzlich bejahen, doch muß das Junktim von Besitz und Bildung aufgesprengt werden im angedeuteten Sinne. Damit ist allerdings Steins Idee von ,Gesetzen' der Gesellschaft ebenfalls relativiert, insofern diese ja die von der Dialektik nahegelegte Dualität von Klassen implizieren. Die seitherige faktische Entwicklung zum Sozialstaat läßt denken, daß die Theorie Steins so falsch nicht sein kann, wenn sie prognostisch so zutreffend war. Ich überblicke die theoretische Literatur nach Stein nicht genügend, könnte mir aber denken, daß sie sich die Steinsche Basis mit Modifikationen der genannten Art immer noch zueignen könnte 68 • es Vgl. E.-W. Böckenförde, Lorenz von Stein als Theoretiker der Bewegung von Staat und Gesellschaft zum Sozialstaat, in: Gesellschaft - Staat - Recht, hrsg. von E. Forsthoff, S. 513 - 547.

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VIII. Anhang: Zwei Einwände Haben wir uns bisher weitgehend immanent an Stein oder auch an Hegel gehalten, so sollen doch noch zwei Einwände ab extra kurz erwähnt werden, und zwar zunächst der von N. Luhmann. Wir haben uns diesem Einwand schon genähert, wenn wir oben meinten, daß die Steinsche Konzeption von Verwaltung nicht gewährleiste, daß die Verwaltung im Sinne des Gemeinwohls tätig sei, sondern daß es dazu einer Politik bedarf, von der sich fragen läßt, ob sie angemessen theoretisiert sei. Die Kritik Luhmanns in Theorie der Verwaltungswissenschaft (Köln 1966) sucht nun gar nicht, ein solches Problem noch der Steinschen Theorie - gleichsam als kontingenten Spielraum - zu integrieren, sondern kritisiert diese Theorie als ontologische Theorie des Staates, in der der Staat einem Wesen - und zwar seinem eigenen - unterworfen, als "sein eigenes Wesen verwaltend" begriffen seile. Dies Wesen könne jedoch nicht als Funktion "im Sinne einer spezifischen Leistungserwartung" interpretiert werden70• Vielmehr, so scheint es, muß, um Entscheidung und Funktion zu erfassen, die Theorie aufgegeben werden zugunsten eines systemtheoretischen Funktionalismus. Nicht kann Entscheidung und Leistung noch "Wahrheit" sein, eben die Wahrheit des Wesens ,Staat', sondern nur noch "positive Geltung und Verbindlichkeit". Dies hänge damit zusammen, daß mit der "Heraustrennung des Staates aus der Gesellschaft" der Staat als relativ autonome Entscheidungsorganisation stabilisiert sePl, welche Differenzierung wiederum zusammenhänge mit der Trennung zweier Wissensrichtungen, des normativ-wertbezogenen und des empirisch-kausalen Wissens 72 • Eine Vereinbarkeit beider Wissensarten, wie sie bei Stein versucht ist, wird bestritten. Vielmehr entwirft Luhmann eine eigene Auffassung von Normativität, die hier wohl nicht referiert zu werden braucht. Die Schwierigkeit der Luhmannschen Position - einmal abgesehen von systeminternen Problemen des Funktionalismus esoterischer Art7 3 - ist, daß sie Effizienz an die Stelle von Wahrheit setzt. Erklärung, Normierung oder rationale Beurteilung von Entscheidungen - wenn auch nicht einer ersten, so dann doch von weiteren in einem dann schon vorhandenen Kontext7' - läßt sich sicherlich auch wie bei Luh6' a.a.O., S. 112. Ähnlich S. 19 ff. 70 71

72

a.a.O., S. 19. a.a.O., S. 20.

Ebd.

Vgl. K. Hartmann, Systemtheoretische Soziologie und kategoriale Sozialphilosophie, Philosophische Perspektiven V (1973), S. 130 -161, und F. Schneider, Systemtheoretische Soziologie und dialektische Sozialphilosophie, Meisenheim 1976, (beides zu Luhmann / Hegel). 74 a.a.O., S. 114. 73

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mann geben, doch ist die Frage, ob daraus derjenige Staats- und Verwaltungsbegriff entsteht, der nach Theoriegesichtspunkten, wenn schon nicht nach material-normativen (Wert-)Gesichtspunkten haltbar ist. Man kann nun zeigen, daß Luhmanns Gegenkonzept in einer entscheidenden Frage nicht haltbar ist: sie verlangt die Ansetzung der Gesellschaft als "größtes System"76, das Subsysteme ausbildet, an die sie Aufgaben - etwa die Verwaltung - delegiert. Dies Konzept setzt Gesellschaft als Subjekt der Delegation voraus, eine Rolle, die die Gesellschaft nicht spielen kann; zur Subjektrolle bedarf sie ja gerade des Staates. Dieser, wie Luhmann sagt, "alteuropäische" Gedanke ist also unverzichtbar. Damit bleibt eine Theorie, die auch Entscheidung behandeln will, gebunden an eine Staat und Gesellschaft legitim verbindende Theorie. Der einzige Theorietyp, der in der Lage ist, beide legitim, in einem affirmativen Verhältnis, zu theoretisieren, ist der ontologische. (Höchstens rivalisiert mit ihm ein kantianisierender Theorietyp, der an einem Verständnis des Rechts als Regel orientiert ist.) Nur unüberwindliche Schwierigkeiten des ontologischen Theorietyps sollten uns bewegen können, ihn aufzugeben. Nun sind bei Stein sicherlich mehrerlei Schwierigkeiten aufgetreten, und ihre Lösung kann hier nicht zuendediskutiert werden. Luhmann aber gibt Stein nicht einmal so viel Kredit, wie er ihm geben könnte. Er diskutiert seine Theorie als eine Theorie des Staates (eine Theorie, die er später unter dem Motto der "anomalen Menge", als die sich die politische Gesellschaft darstelle, kritisiert hat)16 statt, wie wir urgiert haben, als eine Theorie der Gemeinschaft, mit einem subtilen Verständnis des Staates als Begriff und als Leben, d. h. als ideell-rechtliche und konkret-allgemeine Instanz, die im Verhältnis zur Gesellschaft immer noch auf dem Wege zu sich und damit zur Gemeinschaft ist, insofern sie ja noch von der Gesellschaft partikulär bestimmt wird. Luhmann sieht also nicht die wichtigen Unterschiede zwischen Stein und Hegel. Weiter: was als Mangel der Steinschen Theorie aufgefaßt werden kann, nämlich daß sie Politik oder Entscheidung doch nicht institutionell vom Wesen bestimmt verstehen kann, könnte gerade von Luhmann als Vorzug gesehen werden; hier ist ein Spielraum der Theorie für Faktizität. Andrerseits gelingt es nur Stein (oder dem ontologischen Theorietyp), auch diesen Spielraum noch in einen normativen Horizont einzustellen. Die Devise wird also richtig sein, Mängel des ontologischen Theorietyps aufzuspüren (in der Konkretion, aber auch in der Grundlegungs11 J. Habermas I N. Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung? Frankfurt 1971, S. 14. 78 N. Luhmann, Soziologische Aufklärung, Opladen 1971, S. 138.

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dimension) und zu korrigieren, aber innerhalb seiner Intention zu verbleiben. Noch ein anderer Einwand ab extra wäre zu berücksichtigen, der sich daraus ergibt, daß wir eine Staatskritik von J. Habermas auf Stein anwenden (Habermas hat sich meines Wissens nicht auf Stein bezogen). Habermas meint in: Legitimationsprobleme des Spätkapitalismus (Frankfurt 1973), daß im Zeitalter des "organisierten Kapitalismus"77 der Staat weitgehend mit der Wirtschaft verflochten sei: er habe "marktsubstituierende und marktkompensierende Aufgaben"78. Davon nun soll seine Legitimation betroffen sein. Das "legitimatorische System" des Staates (das Institut allgemeiner Wahlen) ist verknüpft mit der Stützung eines kapitalistischen Wirtschaftssystems; der Legitimationsbedarf des Staatsapparats steigt, da - so fassen wir zusammen der Staat nicht als unabhängig von der Wirtschaft, also vorkapitalistisch, als Gesamtwille jenseits der Gesellschaft legitimiert werden kann, so sehr andererseits das allgemeine Wahlrecht herrscht. Es kommt nach Habermas zu einer "formalen Demokratie" und zu einer "autonomen Verwaltung"79. Der Legitimationsbedarf beschränkt sich jetzt auf die nicht enttäuschte "Erwartung auf angemessene systemkonforme Entschädigungen"80 - es handelt sich um eine "wohlfahrtsstaatliche Ersatzprogrammatik"81 - und auf eine Rechtfertigung der "strukturellen Entpolitisierung", und zwar in "Elitetheorien"82. Es kommt zu einer "überforderung der öffentlichen Haushalte "83, das sozio-kulturelle System macht nicht mehr mit, ist nicht mehr motiviert durch Sinn84 ; es resultiert zusätzlich zur Legitimationskrise eine Motivationskrise 85 . Habermas sieht den Ausweg in "Partizipation" oder "materialer Demokratie" und in einer "Umformung der latenten Klassenstrukturen" (für die Legitimation) und in "kommunikativer Ehtik" (für Sinn und Motivation)86. Um zu Stein zu kommen, eine Vorfrage: ist Stein auf den Kapitalismus, oder richtiger: auf die freie Wirtschaft festgelegt? Dies scheint in 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86

J. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 50. a.a.O., S. 97. a.a.O., S. 54 f. a.a.O., S.55. a.a.O., S. 55 f. a.a.O., S. 56. a.a.O., S. 98. a.a.O., S. 99. a.a.O., S. 106 ff., 125. a.a.O., S. 54, 55, 125, 130. - Zur Habermas'schen Legitimationsauffassung vgl. neuerdings J. Habermas, Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, Frankfurt 1976, Abschnitt IV, ,Legitimation', S. 271 - 346.

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der Tat der Fall, weil er der Einzelpersönlichkeit freie Entfaltungsmöglichkeiten geben will und er diese im Besitz sieht, der für ihn mit Bildung und Glück verknüpft ist. Er ist weit entfernt davon, in der proletarischen Existenz als fortdauernder etwas Wünschenswertes zu sehen, und eine gehobene kollektive Existenz gilt ihm als unmöglich. Das ontologische System Steins rechtfertigt entsprechend die freie Wirtschaft im Rahmen einer therapeutischen Verwaltung, also kontrollierte freie Wirtschaft. Die Frage wäre, könnten Umstände eintreten - gleichsam in einer neuen geschichtlichen Epoche -, in denen das ontologische System deshalb falsch wird, weil die implizierte kontrollierte freie Wirtschaft den Staat desavouiert, oder weil der Staat, mit ihr liiert, das ganze System desavouiert, nämlich weil das Gemeinwohl nicht mehr zu sichern ist? Nun ist die Frage nach dem ontologischen System nicht Habermas' Frage, aber die Beziehung läßt sich herstellen, bei allem Kontrast von moderner Auffassung und älterer Theorie. Nach Habermas identifiziert sich der Staat - und es ist durchaus der Staat der Steinschen Theorie, der ,ontologische' Staat - mit einem ungleichen Verteilungsmodus der Produkte, und wie auch immer er diese Ungleichheit wohlfahrtsstaatlich zu kompensieren sucht, seine Legitimation ist gefährdet. Die nun notwendige "Legitimationsbeschaffung" stößt sozio-kulturell und fiskalisch auf Schwierigkeiten. Wird dieser geschichtlichen Eventualität Gewicht beigemessen, so führt die Argumentation zu einer Negation des Staates: Verwaltung wird autonom, d. h. unkontrolliert repressiv, und Demokratie formal. Dagegen sollen materiale Demokratie, allseitige Partizipation an Entscheidungen die neue Form sein, die nur in einem gewaltfreien Kommunikationsmodell gewährleistet scheint. Auffallend ist Habermas' Argumentation, daß das Impliziertsein des Staates in die Wirtschaft ihn mit einem Stigma belaste und daher ein Legitimationsdefizit entstehen lasse, während doch umgekehrt argumentiert werden müßte: wenn der Staat die Wirtschaft steuert - wobei es zu "Rationalitätskrisen"87 kommen kann, wenn der Staat der ökonomischen Entwicklung nicht Herr wird, aber das ist ja nicht das Thema der Legitimationskrise -, so kann das nur heißen, daß Mängel des liberalen Kapitalismus verringert werden. Der Wohlfahrtsstaat ist ja nicht eine Entschädigungserwartung für politische Enthaltsamkeit, sondern eine Affirmation derjenigen Wirtschaft, die ihn tragen kann. Das Argument ist also abzulehnen. Entsprechend ist die Steinsche Idee der (von uns so genannten) therapeutischen Verwaltung nach wie vor akzeptabel, ausgedehnt gedacht 87

a.a.O., S. 68, 87 ff.

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allerdings auf Wirtschaftssteuerung, die bei Stein nicht so recht deutlich wird. Davon unberührt ist, daß Überforderungen des Staates eintreten können und daß der politische Mechanismus (Konkurrenzdemokratie mit sich überbietenden Angeboten der Parteien oder der Regierung zum Zweck einer Wiederwahl der Partei) zur Desillusionierung der Bevölkerung führen kann. Dann entstünde ein Vertrauensdefizit, im allgemeinen gegenüber der Regierung, oder auch gegenüber den Parteien, unter Umständen auch gegenüber dem politischen System. Innerhalb des vorliegenden politischen Systems wird man in Wahlenthaltung oder in extremes Wahlverhalten fliehen. Aber ist ein Vertrauensdefizit auch ein Legitimationsdefizit? Habermas verwechselt offensichtlich ein psychisches Mißvergnügen, eine enttäuschte individuelle Erwartung (was bei entsprechender Massenhaftigkeit sehr drastische Folgen haben mag, wie Stein zugeben würde) mit einer Frage der Legitimität, die von den Bürgern dem Staat entzogen werde. Die Legitimation des Staates - für die Habermas ein "legitimatorisches System" vorsieht, etwa das, was wir Verfassung, Verfassungsorganisation oder Verfassungssch.iene genannt haben - erscheint bei Habermas abgewertet als "formale Demokratie". Ihr steht gegenüber eine "Massenloyalität", die in einer Vertrauenskrise auch entfallen könnte. Eine solche Massenloyalität mag es sein, die nur anhält, wenn "Entschädigungen", wenn auch nicht für mangelnde Partizipation, so doch vielleicht für die freiwillige Begrenzung von Kampfmaßnahmen zur Durchsetzung von Ansprüchen gegeben werden. Das legitimatorische System ist nun nicht so schlecht wie es scheint, da ja gerade, wie Habermas selbst sieht, diese Legitimationsbeschaffung "nur unter außerordentlichen Umständen und vorübergehend vom Mechanismus allgemeiner Wahlen unabhängig gemacht" werden könne88 • Man fordert es also, um über das repräsentative System ein System von Staat, Gesellschaft und Verwaltung mitzubestimmen (so fern der einzelne Abgeordnete und die Verwaltung im gegebenen Fall auch sein mögen und so wenig Änderungspotential der Einzelne auch haben mag). Das Verfahren innerhalb der Verfassungsdimension legitimiert also, mögen auch weitergehende Wünsche nicht-Iegitimatorischer Art (materiale Demokratie, Basisdemokratie usw.) vorhanden sein. (Es ist hier wohl nicht nötig, auf die viel verhandelte Frage einzugehen, ob das Repräsentativsystem einen ernsthaften Rivalen hat. Habermas' Gedanke der Legitimation hat viel gemeinsam mit der Idee des ständigen Plebiszits, der abwegig ist.) Die Habermassche Position verstößt in dieser Frage - so sehr sie entgegen Luhmann einen "Wahrheitsbezug von Legitimation" bejaht811 - wie die Luhmannsche gegen 88

88

a.a.O., S. 54. a.a.O., S. 133.

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eine ontologische Einsicht: daß Gesellschaft sich nicht selbst verwalten kann, ohne staatlich organisiert zu sein. Mit dem Gesagten ist denn auch der suggestive Ausdruck der Legitimationsbeschaffung jenseits der Verfassung (oder der angeblich ,formalen' Demokratie) abgewehrt. Der Staat braucht sich Legitimation nicht zu beschaffen, es sei denn im Augenblick der Gründung; aber es wird immer wieder so sein, daß eine Partei oder eine Regierung oder ein politisches System favorisiert wird. Die ontologische Theorie kann fortfahren, Staat und Gesellschaft als normatives Ganzes zu sehen und ein Gemeinwohlkonzept, das durch Verwaltung ermöglicht wird, in dieses Konzept des Ganzen aufzunehmen. Dies, weit entfernt, eine Legitimationskrise heraufzubeschwören, ist eine Chance, die psychologische oder Motivationskrise, die in der Empirie eine ernste Gefahr ist, abzuhalten. Von einer solchen Rechtfertigung unberührt bleibt, daß die Steinsche (oder allgemein die ontologische Theorie zu Staat und Gesellschaft) nicht in sich selbst für jede moderne soziologische oder sozialpsychologische oder planungstheoretische Fragestellung selbst die Denkmittel bietet und Probleme der Operationalisierung von Planungszielen nicht aufwirft. Aber sie ist für Anschlußuntersuchungen, wie wir schon gesehen haben, durchaus offen.

Lorenz von Steins politische Dialektik Von Bernard Willms

Einleitung: Stein als Theoretiker der bürgerlichen Selbstbehauptung "Ich glaube, daß die Zeit der sozialen Theoreme vorbei ist; ich glaube es, weil es in dem Gange der Entwicklung liegt, die ich zu erklären unternommen habe. - Es ist möglich und wahrscheinlich, daß noch allerlei Systeme entstehen; allein sie werden weder größere innere Originalität noch auch eine Bedeutung haben, die der, welche die bisherigen Systeme hatten, auch nur annähernd gleichkommt. Diese Zeit ist vorüber. Die Frage liegt jetzt auf einem anderen Gebietl." Diese Sätze, die Stein 1849 schrieb, sind keineswegs der Ausdruck einer theoretischen Resignation. Hier wendet sich kein vor der Größe der Vergangenheit mutlos gewordener Epigone von politischer Theorie ab. Es geht, wie aus den Sätzen selbst hervorgeht, immer noch darum, Antwort auf die Herausforderung der Zeit - ,die Frage' - zu finden, und es geht immer noch darum, eine ,Entwicklung' zu ,erklären'; es geht also immer noch um ein umfassendes Erkenntnisprogramm. Wenn in dieser Auffassung unter dem Gesichtspunkt der philosophischen Tradition eine Reduktion gesehen wird, dann nur, wenn deren Bestimmung im wesentlichen in den metaphysischen Abstraktionen und den wirklichkeitentleerten Spekulationen der Schule liegen würde. Steins Auffassung dürfte aber dem Kern auch klassischer philosophischer Arbeit näher kommen als das meiste, was uns die Entwicklung der Philosophie seit dem Ausgehen des 19. Jahrhunderts an ,Neukantianismus', ,Phänomenologie' und ,Existenzialismus' beschert hat. Daß Stein bereitwillig als einer der Väter der modernen Sozialwissenschaft anerkannt worden ist2 , hat nicht dazu geführt, daß er einen 1 Lorenz von Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage, Nachdruck 1959 der Ausgabe München 1921 (im folgenden G.d.s.B.), Band I, S. 2. 2 Vgl. die Zusammenstellung entsprechender Zitate bei M. Hahn, Bürgerlicher Optimismus im Niedergang. Studien zu Lorenz von Stein und Hegel, München 1969, S. 113. Zum Verhältnis von Steins ,sozialwissenschaftlichem' Selbstverständnis und philosophischer Orientierung vgl. vor allem Eckart Pankoke, Sociale Bewegung - Sociale Frage - Sociale Politik; Grundfrage

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entsprechenden Einfluß auch wirklich ausgeübt hätte. Steins Theorie ist in ihrem Kern das Geltendmachen eines umfassenden Erklärungsd. h. Wahrheits anspruchs unter den erkannten Bedingungen einer Entwicklung, die es erforderte, daß von der Sozialspekulation zur Gesellschaftswissenschaft übergegangen werden mußte. Die Entwicklung der Philosophie als der herkömmlichen Bewahrerin des Bewußtseins dieses Anspruchs konnte das bürgerliche Denken nicht gerade ermutigen, diesen Anspruch in der sich entwickelnden Sozialwissenschaft durchzuhalten. Vielmehr lieferte sich diese dem Scientismus aus und wurde zunehmend bewußtloser. Die Tatsache, daß man Stein Qualitäten sowohl als Philosoph wie als Soziologe, wie als Jurist zuerkennen mußte3 , hat seiner Wirkung eher im Wege gestanden. Diese pauschale Anerkennung der Vielseitigkeit entlastete jede Einzelwissenschaft davon, den Anspruch Steins für sich konsequent ernst zu nehmen. Aber liest man heute Steins ,Begriff der Gesellschaft', so wirkt das meiste, was heute als Sozialtheorie - etwa über ,Die neue Freiheit' angeboten wird, im Vergleich dazu wie ein Spielkartenkönig neben dem ,Claudius Civilis'. Und das liegt nicht nur an der Patina; es liegt vor allem am Anspruch. Dieser Anspruch Steins hält an der philosophischen Einsicht fest, daß Wahrheit nur in der Demonstration eines Ganzen geltend gemacht werden kann, und er besteht außerdem auf der sehr alten philosophischen Erkenntnis, daß dies Ganze als der Gesamtzusammenhang gesellschaftlich-politischer Allgemeinheit anzusehen ist. Zu diesem bei Stein lebendigen philosophischen Anspruch gehört die Reflexion auf die Gegenwartsbedingungen, unter denen das Geltendmachen des Anspruchs möglich ist. Diese Reflexion hat unter Umständen eben auch die Einsicht in eine neue Richtung der Fragestellung als solcher zum Inhalt. Und die Analyse der Umstände, die diese Richtungsänderung der theoretischen Fragestellung bedingen, gehört freilich dann zu der theoretischen Arbeit dazu. Dieser Problemstand deutet sich in dem Eingangszitat an. Die Zeit ist nicht mehr die Zeit der großen philosophisch-sozialen Entwürfe oder ,Theoreme'; ,die Frage liegt jetzt auf einem anderen Gebiet'. Die Richtungsänderung der Fragestellung bei durchgehaltenem philosophischen Anspruch wird klar, wenn man sich außer diesem Anspruch auch die zentralen Inhalte dieser Theorie ansieht, in denen eine der deutschen "Socialwissenschaft' im 19. Jahrhundert. Stuttgart 1970, S. 126 ff. 3 So schon earl MengeT, Lorenz von Stein, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Dritte Folge, Erster Band, 1891, S. 194.

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Kontinuität zum Bisherigen zur Sprache kommt. Diese Inhalte sind bei Stein eindeutig die des Denkens der neuzeitlichen individuellen Freiheit und ihrer gesellschaftlich-politischen Verwirklichung, d. h. ihrer Verwirklichung in Produktion, Eigentum und Verfassung. In dieser Kontinuität ist das Denken Steins bürgerlich. Diese Bezeichnung kann nur als Einschränkung eines philosophischen Anspruchs aufgefaßt werden, wenn nicht gesehen wird, daß dieses neuzeitliche bürgerliche Denken eben das Erbe der Tradition des philosophischen Weltverhältnisses darstellt. überall, wo Philosophie sich nicht als ,Parteilichkeit' prostituiert, sondern wo sie auf die Konstruktion von Wahrheit in Freiheit geht, ist sie ,bürgerlich' in diesem emphatischen, d. h. immer auch kritischen Sinne. Besteht so auch für Stein die Kontinuität bürgerlicher Inhalte, so ergibt sich ihm jene Änderung der Fragerichtung aus der konkreten Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft selbst. Sehen wir hier einmal von der Ungleichzeitigkeit der bürgerlichen Entwicklung in England, Frankreich und Deutschland ab, die Stein ja immer wieder beschäftigt hat und aus der er wesentliche Ansätze bezog, so ist für ihn diese Entwicklung eindeutig die einer zunehmenden Realisierung bürgerlicher Verhältnisse, sowohl im Produktions- wie im Verfassungsbereich. Die bürgerliche Revolution - nicht so sehr als einmaligpunktuelles Ereignis, sondern eher als protrahierter Vorgang seit 1789 - bleibt das Orientierungsdatum dieser Entwicklung. Vor dem Einsatz der bürgerlich-revolutionären Entwicklung konnte neuzeitliches Freiheitsdenken nur in der Form der ,Aufklärung', des philosophischen Entwurfs oder des ,sozialen Theorems' gegenwärtig sein. Nach der revolutionär initiierten relativen Entwickeltheit neuer politisch-gesellschaftlicher Verhältnisse kann es nicht mehr darum gehen, diese Gegenwart mit ständig zu erneuernden sozial-revolutionären Theoremen zu konfrontieren, sondern an der Realisierung dieser bürgerlichen Freiheit unter den Bedingungen der Industriegesellschaft, der zum Teil noch überständigen Verfassungswirklichkeit" und unter den Bedingungen der von ihr selbst produzierten gesellschaftlichen Wiedersprüche zu arbeiten. Diese Wendung der Steinschen Fragestellung für die Theorie hat nur oberflächlich mit ,Junghegelianismus' zu tun, eine vordergründige Ähnlichkeit, die sich bei Stein ja entsprechend biographisch aufweisen läßt4a.. Der ,Junghegelianismus' lief (übrigens bis heute) darauf hinaus, nachrevolutionäre bürgerliche Wirklichkeit mit den alten ,Theoremen' t Zu diesem Problem vgl. den Beitrag von Dirk BZasius in diesem Band, insbes. S. 429 ff. ta Zum Verhältnis Steins zu den Junghegelianern vgl. M. Hahn, a.a.O., S. 29 ff., dazu auch Pankoke, a.a.O., S. 128 ff.



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zu konfrontieren, also die aufklärerischen und revolutionären Konfrontationen zu wiederholen, eine Wiederholung, die in ihrer Abstraktion notwendigerweise immer ,radikaler' werden mußte. Stein realisiert die Einsicht, daß eine allgemeine Revolution nur einmal zu machen ist, und diese Einsicht stützt er vor allem auf die fortschreitenden Realitäten bürgerlich-nachrevolutionärer Gesellschaftsentwicklung. Die Kontinuität des bürgerlichen Denkens läßt ihn diese Entwicklung eindeutig als historische Errungenschaft festhalten. Eben diese Kontinuität des bürgerlich-freiheitlichen Anspruchs läßt ihn aber auch diese Wirklichkeit nicht einfach unkritisch verteidigen: Er sieht ihre Widersprüche und die absolute Notwendigkeit von permanenter Reformarbeit. Die Einsicht in die konkrete Entwicklung läßt ihn jedoch erkennen, daß die Zeit vorbei ist, in der man einer heillos überständigen Wirklichkeit die Freiheitsidee bloß konfrontieren konnte. Das bedeutet, daß ,soziale Theoreme', die nach wie vor auf dieser absoluten Konfrontationsstruktur bestehen - d. h. vor allem kommunistische Revolutionstheoreme -, einen Abstraktionsgrad aufweisen müssen, der sie als Theorietyp nicht mehr zeitgemäß macht. Das Bestehen auf neuzeitlicher Freiheit in Eigentum und Verfassung macht Stein bürgerlich und kritisch, die Einsicht in die entwickelten Verhältnisse macht ihn politisch-realistisch und die Erkenntnis der Abstraktheit von Theorien, die einen revolutionären Anspruch von gestern als einen von morgen ausgeben, macht ihn militant. In dieser Dreiheit wird Stein im 19. Jahrhundert zum wichtigsten Theoretiker der bürgerlichen Selbstbehauptung, und darin liegt zweifellos seine Aktualität. In dieser Dreiheit liegen auch seine Qualitäten als Vertreter eines bestimmten Theorietyps - eines Typs, dem in der Tat heute nur interdisziplinär beizukommen ist - das ist die Logik dieses Kolloquiums. Der vorliegende Beitrag versteht sich als einer aus dem Blickwinkel der politischen Philosophie 5, eine Perspektive, die dem Denken Steins nicht nur nicht unangemessen ist, sondern die notwendig ist, wenn man zum theoretischen Kern dieses Denkens durchzudringen versucht. Nach einer kurzen Behandlung der Frage von Steins Verhältnis zu Hegel (1) wird, hinter diese Frage, in der sich die Überlegungen bezüglich Steins Verhältnis zur Tradition gewöhnlich verfangen, zurückgehend, eben dieses Problem des Stellenwerts Steins in der Tradition bürgerlichen Denkens untersucht, eine Tradition, für die lange Zeit die 5 In der Konzentration der Darstellung auf die G.d.s.B. wäre in diesem Aufsatz also ein Beitrag zum ,jungen Stein' zu sehen. Allerdings dürfte si'eh zeigen lassen, daß die politikphilosophisehe Grundlegung, die in der G.d.s.B. geleistet ist, aueh für die späteren Werke gültig bleibt.

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Theorie des ,Vertrags' zentral war (2). Mit Erkenntnis der Rolle der Dialektik bei Stein wird die generelle Frage des Verhältnisses der Dialektik zur Vertragstradition des älteren bürgerlichen Denkens gestellt (3). Anschließend werden die wichtigsten formalen Bestimmungen der Dialektik bei Stein aufgezeigt (4) und danach wird diese Dialektik als Theorie der ,Persönlichkeit' - des politischen Subjekts entfaltet. (5) Danach kann diese Dialektik als Theorie der bürgerlichen Gesellschaft in Entwicklung aufgezeigt werden (6) und nach einem kurzen Eingehen auf die Frage der ,überführung der Dialektik in Soziologie' - Marcuse - (7) soll am Schluß noch einmal auf die Aktualität des Steinschen Theorietyps hingewiesen werden. (8)

I. Der Schatten Hegels Man kann Lorenz von Stein als ,Hegelianer' bezeichnen. Freilich ist damit, wie in den meisten Fällen, nicht viel gewonnen. Eine solche Bezeichnung dient fast immer nur dazu, dem Bezeichneten ein oberflächliches Merkmal anzuheften, das dann der intensiven Befassung mit dem Denken des Betreffenden selbst im Wege steht. Im Falle Steins hat die erkannte Hegel-Nähe immer wieder dazu geführt, daraus entweder eine kritische Abqualifizierung herzuleiten, oder ihn einfach geistesgeschichtlich zu ,verorten'ß. In den ersteren Fällen wird die wissenschaftliche Auseinandersetzung dadurch umgangen, daß man sich auf einen verbreiteten Abschreckungseffekt verläßt, im zweiten Fall kommt der Autor und sein Denken selbst, wie das bei mehr oder weniger völliger ,Verortung' zu gehen pflegt, ebenfalls aus dem Blick. Dabei besteht kein Zweifel daran, daß der Gegenstand ,Stein und Hegel' wichtig genug ist. Nur müßte man sich dann auf beider Denken je von diesem Denken selbst her einlassen und nicht das eine bloß am anderen festmachen. Denn dabei muß, wie die Dinge liegen, Stein stets zu kurz kommen. Für denjenigen, der von Hegel nichts hält, ist Stein dann bloß ein schlechterer Hegel, und für denjenigen, der von Hegel etwas hält, ist dieser sowieso der bessere Hegel. Wenn anders denn aber Hegel schon erst genommen wird, dann muß Stein zumindest unter dem Gesichtspunkt wichtig werden, ein ,Hegelianer' mit wachsender Geschichtserfahrung zu sein, d. h. ein Hegelianer, dessen Denken von bestimmten historischen Entwicklungen ausging, deren Erfahrung Hegel selbst nicht mehr machen konnte 7 • Freilich mußte es dann auch um mehr gehen als um die Charakterisierung, Stein ,wende' HegeIsche Begriffe auf diese Entwicklung ,an"S. Vgl. die Sammlung entsprechender Äußerungen bei Hahn, a.a.O., S. 17 ff. Das ist im wesentlichen das Argument von Hahn, der daneben freilich Steins schöpferische Reduktion der Dialektik auf das politische Grundverhältnis zu wenig beachtet. S T

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Diese Auffassung mag entschuldbar sein, wo szientistische Einstellung Abgrenzung von philosophischer ,Spekulation' erfordert; das Problem ist aber generell darin zu sehen, daß die Philosophen selbst es mehr und mehr verlernt haben, sich ihren eigentlichen Aufgaben zu widmen - die Wahrheit eines konkreten Ganzen systematisch zur Sprache zu bringen -, sondern sich statt dessen meist mit historischen Philosophien befassen. Dabei geht das Bewußtsein der Kontinuität jener philosophischen Arbeit ebenso verloren wie die Erkenntnis systematischer Fortschritte in der Philosophie. Es wird dann wichtiger, zu wissen, was für ein ,-aner' einer ist, als zu erkennen, was er gedacht hat, warum, und was damit anzufangen ist. Und falls man den ,Hegelianismus' immerhin für interessant genug hält, wendet man sich dann dem ,besseren Hegel' im oben angeführten Sinne zu - und geht allzuleicht an Stein vorbei -, zumal es schwierig ist, ihn im Ganzen in einer der Kategorien unterzubringen, auf die man sich nun schon einmal geeinigt hat: der des Linksbzw. des Rechtshegelianismus. Das parasitäre und philologisch-museale Verhältnis der Philosophie zu sich selbst hat auf diese Weise im Falle Steins daran gearbeitet, eine Wirkungsgeschichte zu verhindern, deren Abwesenheit dann wieder dazu dient, die Befassung mit diesem Denken zu umgehen. Daß diese Faktoren die Wirkung Steins negativ beeinflußt haben, ist ebensowenig Zufall, wie das in unserer Gegenwart neu erwachende Interesse an Stein - das allerdings kaum Hoffnung auf eine entsprechende Besinnung der Philosophie macht - von dieser gehen die Anstöße zur erneuerten Befassung mit Stein ja auch nicht aus. Abgesehen von dem nun wirklich wichtigen Problem des Verhältnisses von Stein zu Marx unter dem Gesichtspunkt von beider ,Hegelianismus' - ein Verhältnis, dessen Befassung bisher kaum mehr war als ein vordergründiges Gerangel im Sinne ,Marx hat alles von Stein' - ,Marx hat nichts von Stein'9 - läßt sich in Bezug auf das Verhältnis Steins zu Hegel folgendes sagen: Stein hat ein genuin philosophisches Verhältnis zu den Problemen der Entwicklung seiner eigenen Gegenwart. Zu diesem genuinen Verhältnis gehört unter anderem die Einsicht, daß auf eben diese Herausforderung der Probleme der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaften nicht mehr mit philosophischen ,Systemen' oder großen ,sozialen Theoremen' wie in der Vergangenheit zu antworten sei. Zu eben diesem genuin philosophischen Verhältnis gehört aber auch die Einsicht in die historische Kontinuität der so aufgefaßten philosophischen Arbeit, 8

Diese Formulierung von der ,Anwendung' findet sieh sogar no'eh bei

Hartmann, K. Hartmann, Reiner Begriff und tätiges Leben, in diesem Band s. 65 ff. t Vgl. Hahn, a.a.O., S. 161 ff.

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und zu dieser Einsicht gehört es, daß die Ergebnisse dieser Arbeit solange ernst genommen werden, wie die Kontinuität der realen Entwicldung einsichtig ist. Stein war kein Scholastiker, und es konnte ihm durchaus nichts daran gelegen sein, einen mehr oder weniger kompletten ,Hegelianismus' zu reproduzieren. Aber jene Einsicht in die Kontinuität der objektiven Entwicklung und die Erkenntnis der weiteren Tragfähigkeit der Kategorien gab ihm allerdings eine gemeinsame Basis mit Hegel - ebenso wie Marx - diese Gemeinsamkeit ist die Theorie der bürgerlichen Entwicklung als Dialektik. Mit Hegel hat also Stein das Problem des Bürgerlichen und seiner theoretischen Erklärung gemeinsam sowie das Problem der theoretischen Erfassung einer konkreten gesellschaftlichen Entwicklung. Wichtig werden infolgedessen die Dialektik des Politischen im bürgerlichen Sinne und die Dialektik der Geschichte als der konkreten Entwicklung. 11. Die Kontinuität bürgerlichen Denkens Daß man vom Denken Steins her auf den großen, klotzigen Komplex Hegel stößt, ist unvermeidlich. Daß die Klotzigkeit Hegels dann dem weiteren Fragen durchweg ein Ende setzt, verhindert auch fast unausweichlich eine weitere Klärung eben dieses Verhältnisses Steins zu Hegel. Findet man keine dritte Beziehungsgrundlage, so bleibt zwangsläufig nur diese Zweierbeziehung in sich übrig, und die Dominanz des Großdenkers Hegel läßt Stein folglich eben bloß als ,Hegelianer' erscheinen. So kommt man nicht weiter. Der gemeinsame Bezug ist aber die Tradition bürgerlichen Denkens, der beide angehören. Nun pflegt ein Marxist bei der Charakterisierung eines Denkens als ,bürgerlich' diese Charakterisierung meist nur dazu zu benutzen, sich vom Weiterdenken zu dispensieren. Diese denkerische Selbstkastration ist Teil eines zwar stabilisierenden, aber natürlich auch sterilisierenden Bewußtseins. Der bürgerliche Defätist, also jener, der überzeugt ist, daß es in der bürgerlichen Welt ohnehin nichts mehr zu verteidigen gibt, und der folglich angesichts dieser Charakterisierung höchstens ein schlechtes Gewissen bekommt, pflegt dagegen in eine Denklähmung zu verfallen, die natürlich ebenso steril ist - wobei dann häufig nichts anderes mehr erfolgen kann als die Absurdität -, daß sich das Karnickel den Gesichtspunkt der Schlange zu eigen macht. Faßt man jedoch ,bürgerlich' zunächst einmal einem historisch-objektiven Selbstverständnis entsprechend auf, so kann die gemeinsame Charakterisierung Steins und Hegels als ,bürgerliche Denker' durchaus erschließend wirken. Die Kontinuität des neuzeitlichen bürgerlichen Denkens ist seit Hobbes die Kontinuität eines Problems. Das Problem ist mit der Heraus-

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forderung der Neuzeit gegeben, und diese Herausforderung der Neuzeit ist dreifach: Konzentration auf die Immanenz, auf Autonomie des Individuums und auf ein herstellendes Weltverhältnis1o• Das politische Problem, das unter dieser dreifachen Herausforderung einen neuen Stellenwert bekommen mußte - daher denn politische Philosophie zur eigentlich ,Ersten Philosophie' des spezifisch bürgerlichen Weltverhältnisses werden muß -, läßt sich wie folgt formulieren: Wie können die Individuen, deren jedes als ein autonomes Subjekt, also als ein grundsätzlich gegen alle anderen negatives Zentrum von Handlungsimpulsen verstanden wird, konkret gesellschaftlich existieren, d. h. in einer Weise, die einerseits gemeinschaftliches Handeln ermöglicht, die aber andererseits Freiheit verwirklicht? Eine aktueller formulierte Fassung des Problems könnte so fragen: Wie kann unter der Voraussetzung, daß jedes Individuum seine Interessen selbst und von sich her definiert, und unter der Forderung, daß alle Interessen prinzipiell gleichberechtigt sind, eine gesellschaftliche Organisation eingerichtet und legitimiert werden, die in der Lage ist, die notwendigen allgemeinen Interessen, die sich aus der Organisation des Zusammenlebens ergeben, den bestimmten einzelnen Interessen gegenüber geltend zu machen und durchzusetzen? Wieder anders formuliert: Wie ist eine Gesellschaft von Wesen möglich, mit deren Natur weder eine über- und Unterordnung noch eine von vornherein verträgliche Ausrichtung von Interessen gegeben ist? Oder wieder anders: Wie kann man die bestehenden Verhältnisse so verändern, daß ihr Organisationsprinzip die Freiheit der Einzelnen ist? An der letzten Formulierung wird besonders der revolutionäre Charakter des frühbürgerlichen Denkens deutlich; diese Fragen, die sich als Grund allen neuzeitlichen Denkens seit Hobbes nachweisen lassen, zeigen, worauf es bei dem Bemühen, die bürgerliche Politiktheorie zu verstehen, ankommt. Die Freiheit ist in diesem Verständnis keine fraglose Tatsache, kein anthropologischer Grundtatbestand, sondern ein Anspruch. Die historische Kernfrage ist: Wie muß die bisherige Gesellschaftsstruktur verändert und wie müssen Institutionen gedacht und organisiert werden, wenn gegenüber den bisher privilegierten Interessen bestimmter Gruppen jetzt Freiheitsinteressen, also die ökonomische Bewegungs- und Durchsetzungsfreiheit, aber auch Glaubens-, Meinungs-, Denkfreiheit, in einem allgemeinen Sinne geltend gemacht, durchgesetzt und in stabilen Institutionen auf Dauer gestellt werden sollen? Wie in keiner Politik, so sind auch in der bürgerlichen Politik diese Grundaufgaben nicht ein für allemal lösbar - deshalb bedeuten diese Formulierungen auch das Problem aller Politik, solange sie sich 10 Vgl. dazu B. Willms, Revolution und Protest oder Glanz und Elend des bürgerlichen Subjekts, Stuttgart 1969.

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an Freiheit orientiert. Freilich muß erkannt werden, daß sich die Antworten auf diese Fragen stets nur konkret auf Grund jener Wirklichkeitsbedingungen geben lassen, die durch vorhergehende Lösungsversuche entstanden sind. Wird dies nicht realisiert, bleibt die Frage ebenso abstrakt, wie die Antworten dann zu bloß ausgedachten werden müssen. Die entscheidende historische Qualitätsänderung ist die bürgerliche Revolution, wobei diese natürlich im protrahierten Sinne aufgefaßt werden muß. Das bürgerliche Denken von Thomas Hobbes über Rousseau bis hin zu Kant und (dem frühen) Fichte beantwortet das oben angeführte bürgerliche Grundproblem mit dem Gedanken des Vertrages. Die Idee des Gesellschaftsvertrages vereinigt in sich den Gedanken der Bindung ebenso wie den der Selbstbindung, entspricht also sowohl den Notwendigkeiten der Ordnungsleistung wie den Postulaten der Autonomie. Daß diese Idee ,abstrakt' ist, haben die konservativen Kritiker stets richtig gesehen, aber die Abstraktheit machte eben ihre revolutionäre Qualität aus. Die bestand in der Konfrontation jeder vorgefundenen Wirklichkeit mit der Idee, daß sich alle Verhältnisse schließlich so darstellen sollten, als hätten sich die Individuen freiwillig in sie hineinbegeben: Diese revolutionäre Qualität hatte das Vertragsdenken sogar bei Hobbes, was dessen wirklich konservative Kritiker, von seinen Zeitgenossen bis heute, übrigens immer schon gemerkt haben. UI. Vertrag und Dialektik Der Kontraktualismus beherrscht als revolutionäres Denkmoment ebenso eindeutig das Denken Hobbes' und Kants, wie das von Locke, Rousseau und dem jungen Fichte, wie er nach der bürgerlichen Revolution als allgemeine Frage verschwindet und ins Privatrecht zurückkehrt. Der Gedanke des Vertrages, notwendig zur Neulegitimierung politischer Herrschaft, also revolutionär, wird notwendigerweise dann unzureichend, wenn die konkrete Entwicklung zu Institutionen geführt hat, die bereits prinzipiell auf die neue Weise legitimiert sind, das heißt vor allem zu ,Konstitutionen' im neuzeitlichen bürgerlichen Sinne. Damit hört weder das bürgerliche Grundproblem auf zu bestehen noch die Arbeit der Politik. Aber das Denken muß notwendigerweise von der abstrakten Konfrontation einer rationalistisch entwickelten Idee mit einer von Grund auf zu verwerfenden Wirklichkeit, zu dem konkreten Ineinanderarbeiten verschiedener Wirklichkeiten - der Bürger und ihrer allgemeinen Organisation, dem Staat - übergehen. Das allgemeine Problem der bürgerlichen Politik entwickelt sich von der vorrevolutionären Form der Konfrontation zu der nachrevolutionären der Vermittlung. Der Kontraktualismus wird in der Philosophie abgelöst

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von der Dialektik, deren allgemeinste Aufgabenformulierung, die Vermittlung des Besonderen mit dem Allgemeinen, eine präzise Reproduktion der zentralen bürgerlichen Problemstellung ist. Es bedarf zugegebenermaßen einiger Mühe, um in Hegels Denken dieses zentralen politischen Kerns der Dialektik ansichtig zu werden, namentlich aber ist es schwierig, unter dem, was der Marxismus aus der Dialektik gemacht hat, diesen harten politischen Kern zu entdecken. Auf- und weggeräumt werden müssen zunächst alle noch aus der theologischen Tradition ererbten Probleme dialektischer Teleologie, also alles Denken - bei Hegel und Marx -, das auf Abschließbarkeit und Vollendung der Geschichte geht ebenso wie die Stilisierung der Dialektik zu einer allgemeinen Ontologie inklusive der marxistischen ,Dialektik der Natur', dann vor allem deren Perversionen zur ,Parteilichkeit' und damit die Erniedrigung einer entwickelten Gestalt der Philosophie zur ideologischen Hure selbstgerechter und selbsternannter Fortschrittlichkeit 11 • Alle diese Auswucherungen haben das bürgerliche Denken zwar nicht mit Recht, aber doch verständlicherweise gegen Dialektik allergisch gemacht. Die gegenwärtigen theoretischen Niederlagen sich dialektisch dünkender Neomarxisten, die sich eindeutig übernommen hatten, haben ein übriges getan. Zur Rechtfertigung der dialektischen Zumutung kann hier nur auf dreierlei verwiesen werden: Erstens auf die Tatsache der Entwicklung der Dialektik als der nachrevolutionären Form der Kontinuität des bürgerlichen Denkens überhaupt. Zweitens darauf, daß ohne diese Konzentration auf den politischen Kern seiner Dialektik Steins Denken nicht erschlossen werden kann, drittens darauf, daß auch Steins Verhältnis zu Hegel und damit seine Stelle im Zusammenhang des bürgerlichen Denkens ohne klare Fassung des Dialektikproblems nicht erkannt werden kann. IV. Das politische Grundproblem als Dialektik bei Stein Die Kontinuität des bürgerlichen Denkens ist die Kontinuität eines Problems. Der Ausgangspunkt für diese zentrale Problemstellung ist die individuelle Autonomie oder die bürgerliche Freiheit. Bürgerliche Freiheit war nie ein bloß abstraktes Ideal innerer oder geistiger Selbstbestimmung, sondern verstand sich stets auch als ,possessiver Individualismus'12. Der einzelne wurde in seiner Autonomie wesent11 Ausführlicher bin ich auf das Problem der Suche nach dem eigentlichen politischen Kern der Dialektik eingegangen in meinem Buch: Selbstbehauptung und Anerkennung. Grundriß der politischen Dialektik, Wiesbaden 1977. 12 Der glückUche Ausdruck stammt bekanntlich von Macpherson (C. B. Macpherson, The Political Theory of Possessive Individualism. Hobbes to Locke, Oxford 1962). Den Aufweis des ,possessiven Individualismus' als durch-

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lich von den Möglichkeiten der Verfügung über materielle Güter, also vom Besitz her, verstanden. Das ist bei Stein aufs Klarste ausgesprochen: "Die Freiheit ist die, in der geistigen wie in der materiellen Welt gesetzte Selbstbestimmung der Persönlichkeit. Sie setzt mithin für die einzelne Person die Herrschaft über die Sphären des geistigen wie des materiellen Gutes13." Wesentlich ist nun vor allem festzuhalten, daß es sich bei dieser Freiheit um eine Idee handelt, die als Motor der historischen Entwicklung identifiziert wird. Die Geschichte der neuzeitlich-bürgerlichen Gesellschaft ist die Geschichte der ,Bewegung der Freiheit'14. Insofern es sich um die Selbstbestimmung ,der materiellen Welt' handelt, hat die reale Bewegung der Freiheit die Form der Auseinandersetzung zwischen besitzenden und nichtbesitzenden Klassen. Geschichte wäre also auch nach Stein - jedenfalls für die Neuzeit - eine ,Geschichte von Klassenkämpfen'. Daß aber eine derartige Bewegung in Gang kommt, ist nicht nur eine Folge des materiellen Besitzgefälles oder einer Entwicklung der ,Produktivkräfte', sondern vor allem die Folge der Allgemeinheit jener Autonomie, d. h. die Folge der Möglichkeit des gebildeten Selbstbewußtseins für den Menschen schlechthin. "Dieses Prinzip der gleichen Bildungsfähigkeit ist das der Gleichheit der Menschen15 ." Alle Klassenverhältnisse geraten in Bewegung, wenn auf Grund der allgemeinen Möglichkeiten der Selbstbestimmung in der ,geistigen Welt', d. h. der Entwicklung des Selbstbewußtseins, die faktische Ungleichheit der politisch-gesellschaftlichen Realität nicht mehr als selbstverständlich angesehen werden kann. Das Bewußtsein, das heißt jene autonome Bestimmung der ,Idee', zum Beispiel hier der Gleichheit, ist für Stein die Voraussetzung für die tatsächliche Bewegung der Geschichte bzw. eine erste Phase dieser Bewegung, und diese Voraussetzung macht die Entwicklung um so dynamisch-notwendiger, je unausweichlicher sie ist. Die materiellen Verhältnisse und die entsprechenden politischen Strukturen können verhärten und mit Gewalt aufrechterhalten werden, aber die Ausbreitung eines Selbstbewußtseins, das, nachdem es über die Idee verfügt, nunmehr auch die Selbstbestimmung in der materiellen Welt durchsetzen will, ist durchaus unausweichlich. Es sei nur beiläufig bemerkt, daß sich in der Steinschen Darstellung der Dynamik von ungleichen Besitzverhältnissen und dem Bewußtsein gehendes Moment bürgerlichen Denkens versucht B. Willms, Revolution und Protest ... , a.a.O. 13 G.d.s.B., I, S. 84/85. U Ebd., S. 84. 15 Ebd., S. 86.

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der allgemeinen Autonomie in jener zweifachen Bestimmung das von marxistischer Seite so hochgespielte Problem eines Gegensatzes zwischen ,Idealismus' und ,Materialismus' gleichsam von selbst erledigt. Wichtig in unserem Zusammenhang ist es, daß Stein sich in der Darstellung dieser Entwicklung des allgemeinen Problems der bürgerlichen Neuzeit auch jener Kontinuität des bürgerlichen Denkens, d. h. des Zusammenhangs zwischen Kontraktualismus und Hegel - Steinscher Dialektik, genau bewußt ist. Als die politische Idee, die dem relativ frühen Stadium der Entwicklung der Konfrontation eines Staates, der ,nichts war als Monarchie'18, mit jenem sich bildenden Bewußtsein, das über die Idee der Gleichheit bereits verfügte, entspricht, wird von ihm aufs genaueste die des Vertrages bezeichnet. "Es mußte eine andere Idee der Staatsgewalt auftreten, um die Berechtigung der Freiheit im Staate zu begründen; und diese Idee war es, welche die zweite Richtung vertrat. Ihre Grundlage war nicht die historische Tatsache, sondern der Begriff des freien Menschen; ihr Prinzip war der Staatsvertrag 17 ." Die Idee des Staatsvertrages war eine revolutionäre Idee, genauer gesagt, sie war die revolutionäre Fassung des allgemeinen Problems der bürgerlichen Entwicklung. Die Formulierung des Prinzips des Staatsvertrages wurde praktisch mit der bürgerlichen Revolution erledigt; nicht mit einem Schlage und nicht überall gleichzeitig, so wie es eben der protrahierten Form der bürgerlichen Revolution entsprach. Aber eben mit dem Obsoletwerden dieser Fassung des Problems wurde Stein klar, daß es sich um ein weit grundsätzlicheres Problem handelte, das weder mit einem historisch entwickelten Prinzip wie dem des Vertrags noch mit dessen revolutionärer Verwirklichung als ,gelöst' angesehen werden konnte. Diese Einsicht bedeutete für Stein die Notwendigkeit, vom Kontraktualismus zur Dialektik überzugehen. Seine wesentliche Einsicht war die, daß das Problem, das mit der Existenz des Menschen im neuzeitlichen Verstande überhaupt gegeben ist, auch keine ,endgültige' Lösung finden kann. Sein historischer Sinn erkannte jedoch18, daß die Dynamik dieses zentralen Problems zu ständigen Entwicklungen führt, und daß diese Entwicklungen je von der Ebd., S. 183. Ebd., S. 183/84. 18 Das hier liegende Problem ist weder das einer ,Anwendung' Hegelscher Kategorien auf ,Faktisches' noch das einer Abwendung von der Philosophie zu Gunsten von ,Gesellschaftswissenschaft'. Vielmehr teilt Stein mit Marx ebenso wie mit Nietzsehe die überzeugung davon, daß so Philosophie wie ,Wissenschaft' von jetzt an historis'ch zu sein haben, es handelt sich also nicht um eine Abwendung von Hegelscher Philosophie, sondern im Kern um die Erstellung eines neuen Typus von Philosophie in antimetaphysischer, historisch-pragmatischer Darstellung. 18 17

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Basis des bis dahin Erreichten aus vor sich gehen. Im Gegensatz zu allem Endzeitdenken, den Phantasien von ,letzten Gefechten' und den Utopien endgültig aufzuhebender ,Entfremdungen', macht die Einsicht in die Permanenz der Problemsituation als conditio humana Stein als Dialektiker auch zum überlegenen politischen Realisten. Zwei Formulierungen dieses allgemeinen Problembewußtseins sollen hier wiedergegeben werden, eine, die das Problem in allgemeinerer Form darstellt, und eine, die zu einer historischen Konkretion übergeht. "Der größte Widerspruch, den die irdischen Dinge enthalten, ist der zwischen dem einzelnen Menschen und seiner Bestimmung ... nur liegt die Lösung nicht in der Sphäre des Einzellebens u1." Die politische Konsequenz, die sich hier anbahnt, wird im nächsten Abschnitt noch zur Sprache kommen; hier geht es zunächst darum, die Kontinuität des bürgerlichen Denkens in Steins Dialektik aufzuzeigen. Das wird vor allem überall dort deutlich, wo Stein diesen Widerspruch auch in den materiellen Verhältnissen diagnostiziert. "Es ist der Gegensatz zwischen der Idee der freien und gleichen Persönlichkeit und der Verteilung der Güter; der Gegensatz, der den Inhalt unseres ganzen Jahrhunderts zu bilden bestimmt war ... der Widerspruch, der zwischen der Verteilung des Besitzes und der freien Persönlichkeit liegt,ist keineswegs ein zeitlicher. Es ist ein absoluter, gegeben durch die innere Unendlichkeit und die äußere Endlichkeit der Sterblichen überhaupt20 • " In der systematischen Ausarbeitung dieser zentralen Einsicht wird Steins Denken zur Dialektik. Damit werden die folgenden Merkmale für dies Denken wesentlich: Steins Dialektik geht von der Annahme aus, daß die wirkliche Entwicklung aller menschlichen Existenz in bestimmbaren Entgegensetzungen - Widersprüchen - verläuft. Der Voraussetzungscharakter dieser Grundannahme wird wissenschaftlich durch die systematische Darstellung der Wirklichkeit als Widerspruch eingeholt21 • Die Darstellung der Widersprüche und Entgegensetzungen, die alle menschliche Existenz zu ,Entwicklung' machen, erhält ihre Plausibilität von der Erklärung aus einem allgemeinen Prinzip, dessen Annahme sich wieder durch seine Leistungsfähigkeit in der Erklärung von Wirklichkeit legitimiert22 • Die allgemeinste Fassung des Widerspruchs ist die des Widerspruchs des Besonderen und des Allgemeinen, in dem sich für Stein vor allem die politische Grundherausforderung des neuzeitlichen Den11

20 21 2!

G.d.s.B., S. 13/14. Ebd., S. 244. Vgl. ebd., S. 31. Vgl. ebd., S. 13/14, 244.

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kens formulieren läßt23 . Wenn aber der Widerspruch die Grundverfassung der menschlichen Existenz ist, dann heißt dies, daß er als wirklicher existiert. Das bedeutet, daß die beiden Seiten eines Widerspruchs je für sich reale Existenz haben müssen, bzw. daß alle Momente, d. h. Einzelheiten der Wirklichkeit als Teile einer Entgegensetzung, einer widersprüchlichen Beziehung aufweisbar sein müssen24 . Das bedeutet dann aber schließlich, daß die einzelnen Momente oder Bestände der Wirklichkeit sowohl in ihrer aktuellen Entgegensetzung wie in den Formen ihrer historischen Entwicklung einerseits eine selbständige Existenz haben und als diese mit Notwendigkeit existieren; andererseits ist ihre Wahrheit doch nur innerhalb eines Ganzen oder als das Ganze zu bestimmen. Der "Beweis für die Richtigkeit des Einzelnen" liegt im Verweis "auf die Richtigkeit des Ganzen"25. Vor allem mit letzterem ist das Problem der dialektischen Methode angesprochen, die man generell als das Zur-Sprache-bringen der sich entwickelnden Widerspruchstruktur der Wirklichkeit charakterisieren kann. Daß die Dialektik damit auf grundlegende Weise ,kritisch' ist, insofern sie die Wirklichkeit - als Moment - mit sich selbst - als Ganzem - konfrontierbar macht, ergibt sich dann eher beiläufig und muß nicht so in den Vordergrund gezogen werden, wie dies die ,revolutionäre' Dialektik für notwendig hält. Die Instrumente der kritischen Methode sind im wesentlichen der Aufweis der Partikularität des Partikularen und die Konfrontation der Einzelheit als dieser mit ihrem Begriff. "Allein hier wie immer geht die Unwahrheit aus der einseitigen Entwicklung des an sich Wahren hervor26." - "Es ist daher ein absolutes Mißverständnis, in dem unfreien Staate den Staat als solchen zu verklagen oder anzugreifen27 ." Klaus Hartmann hat herausgestellt, daß bei Stein "keine kategoriale Genealogie der (dialektischen, B. W.) Bestimmungen gegeben wird"28. Wenn Steins Dialektik hier - in der Intention des Aufweises der Kontinuität bürgerlichen Denkens - verhältnismäßig systematisch zu23 Vgl. ebd. die S. 14, 424, sowie S. 500: " ... wir behaupten aber, daß dieser Widerspruch nicht in dieser Verfassung liegt, sondern daß jede Verfassung ihn in sich trägt, weil er der Widerspruch der allgemeinen und der einzelnen Persönlichkeit überhaupt ist". 24 "Da nun das Einzelleben ohne diese Gemeinschaft ein unlösbarer Widerspruch ist, und da demnach diese Gemeinschaft, die jenen Widerspruch lösen soll, nicht durch den Einzelnen hergestellt werden kann, sondern unabhängig von seiner Willkür durch das Wesen der persönlichen Bestimmung als ein absolut Notwendiges gegeben ist, so muß man dieselbe ebensowohl wie den Einzelnen, als eine selbständige Form überhaupt anerkennen." (ebd., S. 14). 25 G.d.s.B., Ir, S. 17. 2G Ebd., I, S. 71. 27 Ebd. 28 Hartmann, a.a.O., S. 83.

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sammengefaßt ist, dann ergibt sich dies allerdings nicht aus einer systematischen ,Genealogie', aber auch nicht durchaus aus einer Sammlung verstreuter Einzelbelege, sondern aus dem abstrahierten Resultat der Darstellung vor allem der ,Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich'29.

v.

Die Dialektik des politischen Subjekts

Wenn hier gezeigt wurde, daß das zentrale Problem der Steinschen Politik das des Verhältnisses des Besonderen zum Allgemeinen war, so ist richtig, daß dies Problem, das dem Kontraktualismus und der Dialektik ebenso gemeinsam ist, wie es auch für jede freiheitliche Politik seine Aktualität behält, Stein nicht im Sinne einer allgemeinen Erkenntnistheorie interessiert. Er dachte nicht über den Widerspruch des Begriffenen und des Begriffs nach, und man mag ihm das als philosophisches Defizit anlasten. Aber alle echten philosophischen Ideen und Probleme, im Unterschied zu den bloß ausgedachten, scholastischen, sind im Kern politische Ideen und Probleme, und deshalb interessierte Stein die Dialektik in der Frage nach der Verwirklichung der autonomen individuellen Existenz des Menschen oder die nach einer Wirklichkeit der Freiheit. In Steins Sprache ist es die Frage nach der Verwirklichung von ,Persönlichkeit'. Es hat nicht viel Sinn, den Ausgang von der Persönlichkeit als ,idealistisch' zu bezeichnen. Es kommt vielmehr darauf an, ihn als den Kern bürgerlichen Denkens zu erkennen. Natürlich ist die Formulierung ,Persönlichkeit' selbst, wie auch die, sie sei die ,Bestimmung des Menschen' vom Idealismus30 übernommen. Aber erstens hat die ,Persönlichkeit' bei Stein auch eine materialistische Komponente, wovon weiter unten, und zweitens ist das, was gemeint ist, jedenfalls älter als der ,Idealismus'. Es ist nichts anderes als das Prinzip des bürgerlichen Subjekts, das, vorbereitet in Renaissance und Reformation, seit Thomas Hobbes das Denken beherrscht. Es ist die Erkenntnis des notwendig gewordenen Ausgangs allen Denkens vom auf sich selbst verwiesenen, auf sich selbst bezogenen Einzelnen, der von sich aus ein herstellendes Verhältnis zur Welt entwickelt. Insofern der Annahme des individualisierten Selbstbezuges nichts mehr vorgegeben war - Transzendenz, Tradition, Institution, alles mußte vom Einzelnen her neu be29 Vgl. dazu Hartmann, a.a.O., S. 82, die gelungene Formulierung von der ,Begegnung von Faktizität und Dialektik', zu der allerdings die abschwächende von der ,Anwendung' Hegelscher Kategorien auf ,Faktisches' (ebd., S. 87) nicht so recht zu passen scheint. so VgI. etwa Goethe, Diwan, Buch Suleika und Fichtes Vorlesungen von 1794. Zur Frage des Stein'schen ,Idealismus' vgl. auch Karl-Hermann Kästner, Von der sozialen Frage über den sozialen Staat zum Sozialstaat, in diesem Band S. 391 ff.

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gründet und aufgebaut werden -, war mit dem Prinzip des bürgerlichen Subjekts das Problem abstrakt-unendlicher Möglichkeiten vorgegeben. Das faßte ein Denker des Bürgerkriegs wie Thomas Hobbes als die unendliche, gefährliche Dynamik der individuellen Selbstbehauptung, die als ,Naturzustand' - also abstrakt gesehen - zum ,Krieg eines jeden gegen jeden' führen müsse. Die Dynamik des abstrakten Selbstbezugs wurde dann bei Locke zur Theorie des Kapitalismus als der Theorie der unbeschränkten Eigentumsakkumulation. Eine typisch idealistische Fassung des Problems ist die Fichtes, der einerseits aus dem abstrakten Selbstbezug unendlicher Möglichkeiten in durchaus Hobbesscher Art einen ,Krieg aller gegen alle' ableitete, gegen den er den ,Zwangstaat' mobilisierte, der aber, in der Radikalisierung des Kantschen Sittengesetzes, jene unendliche Möglichkeit des Menschen als Prinzip unendlicher Vervollkommnung des Einzelnen ansetzte, in dessen Konsequenz er schließlich die ausgedachte Perspektive einer menschlichen Gemeinschaft ohne Zwang, ohne Politik, ohne Recht und Richter ansetzte - eine idealistische Konsequenz, die bekanntlich im Marxismus die Zeiten überdauert hat. In der nachrevolutionären Theorie, zu der schon Hegels Rechtsphilosophie zu rechnen ist, wurde das frühbürgerliche Denken, das bei allen hier genannten mit der Figur des Vertrages operierte, in der Dialektik aufgehoben. In diesem Zusammenhang ist der Ausgangspunkt von Steins politischem Denken zu sehen. Er setzt das Prinzip der Autonomie der Einzelnen in seiner ganzen, abstrakten Konsequenz reiner Möglichkeit an. "In jedem einzelnen lebt ein unbesiegbarer Drang nach einer vollendeten Herrschaft über das äußere Dasein, nach dem höchsten Besitz aller geistigen und sachlichen Güter; es mag gleichgültig sein, wie man diesen Drang nennt31 ." Diese Annahme einer Autonomie absoluter Möglichkeiten oder des abstrakten ,Reichtums' stößt sich aber mit der Wirklichkeit des Einzelnen als dieser, die konkret von Beschränktheit, von ,Armut'32 geprägt ist. Menschliche Existenz ist also ein fundamentaler Widerspruch und die erste Konsequenz daraus ist die kompensatorische Einsicht in die Abstraktheit des doch festgehaltenen Ausgangs der Autonomie des Einzelnen: menschliche Existenz kann nur gesellschaftlich, in der ,Vielheit' verwirklicht werden. Die gesellschaftliche Existenz muß den Widerspruch ,lösen', d. h. ihn lebbar machen. Der Widerspruch war der zwischen der allgemeinen ,Bestimmung' des Menschen und der konkreten individuellen Beschränktheit. Es ist aber auch der zwischen jener allgemeinen Bestimmung und der persönlichen ,Willkür' des Einzelnen. Wenn die Lösung wirklich allgemein sein soll, so kann sie nicht von der 31 12

G.d.s.B., I, S. 13. vgl. dazu auch Kästner, a.a.O., S. 390. Ebd., S. 67.

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Willkür der Einzelnen abhängen, sie muß diesen gegenüber als selbständige Existenz verwirklicht sein. Hier zeigt sich das eigentliche politische Zentrum jeder Dialektik, die in dem Prinzip der konkreten Realisierung von Widersprüchen alle Momente eines Widerspruchs als wirkliche erkennt und anerkennt: hier die ,Bestimmung', die Beschränktheit, die Willkür und die verwirklichte Lebbarkeit dieses Widerspruchs, das selbständige Allgemeine. "Das ist schwierig für den Verstand" sagt Stein "aber es ist durchaus notwendig"33. Diese Allgemeinheit als ,selbständige Form des Lebens' ist der Staat. Er hat als bürgerlicher notwendigerweise folgende Merkmale. Sein Prinzip ist die Autonomie der Einzelnen, seine Wirklichkeit die Bedingung der Möglichkeit für die Verwirklichung individueller Existenz. Der Einzelne muß also einerseits mit dieser individuellen Existenz - zu der auch Willkür gehört - in ihm leben können, wie er sich andererseits in seiner allgemeinen Existenz - Autonomie - in ihm wiederfinden können muß. Da die Allgemeinheit der Willkür des Einzelnen als diesem entzogen sein muß, muß sie selber eine selbständige Existenz haben. Die Selbständigkeit bedeutet vor allem auch Selbstbestimmung oder Autonomie. Der Staat ist also für Stein ,Persönlichkeit'. Er ist die Reproduktion des Prinzips der Persönlichkeit auf der Ebene allgemeiner Realisierung, der Staat ist das bürgerliche Subjekt, also das freie Individuum in seiner konkreten Verwirklichung, er ist das politische Subjekt. Die weitere Entfaltung von Steins Dialektik des Politischen braucht hier nicht dargestellt zu werden. Bekanntlich entwickelt sie einerseits einen umfassenden Bürgerbegriff, der vor allem einen sehr substantiellen Begriff von der Partizipation enthält8t, sowie die daraus resultierende Bestimmung von Verfassung, als auch andererseits jenen nicht minder berühmten Begriff von Verwaltung, den Stein dann zum Gegenstand einer selbständigen Wissenschaft erhob. Wichtig war hier die Analyse des politischen Subjekts bei Stein in der Tradition eines bürgerlichen Denkens, als dessen wichtigste Maxime in unbezweifelbarer Aktualität der Satz festzuhalten ist: Wer von der Freiheit reden will, darf nicht vom Staat schweigen. Namentlich unter dem Gesichtspunkt von Stein als dem Theoretiker bürgerlicher Selbstbehauptung muß noch ein Aspekt erwähnt werden. Neben, besser, gleichzeitig mit Bürgerbegriff und Staatstheorie - der sa Vgl. Anm. 24.

14 "Die lebendige Teilnahme der Bürger des Staates am Willen des Staates erhebt unter allen Dingen am meisten den Einzelnen über den engen, und deshalb ihn selber beengenden Kreis seines Einzellebens; sie ist die Bedingung der vollen Entfaltung persönlicher Würde, persönlicher Kraft." (G.d.s.B.,

I, S. 36).

8 Staat und Gesellschaft

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die so viel berufene Lehre von ,Königtum' durchaus beiläufig ist35 entwickelt Stein auch eine Theorie von Gesellschaft, die ihn zusammen mit jenen beiden Elementen als bürgerlichen Materialisten dem politisch defizitären und deshalb theoretisch-überfrachteten marxistischen Materialismus überlegen macht. Die Frage der ,Bestimmung des Menschen', d.h. die nach seiner Allgemeinheit wird von Stein nicht nur im hier dargestellten Bereich der Staatstheorie gestellt. Politik als Partizipation der Bürger und als Arbeit des Staates ist nur die eine, begründende Seite des herstellenden Weltverhältnisses. Die politische Arbeit als permanente Ermöglichung menschlicher Allgemeinheit bedeutet aber vor allem auch die Ermöglichung des ebenso fundamentalen Bereichs der Selbstbehauptung der Menschen in und gegenüber der Natur oder des Bereichs der Arbeit, der Produktion. "Die äußere (!) Bestimmung des Menschen ist die vollendete Herrschaft der Persönlichkeit über die natürliche Welt. Diese Herrschaft hat die höchste Form ihrer Verwirklichung in der Arbeit und ihren Erzeugnissen38 ." In diesem Bereich des Naturverhältnisses wiederholt sich die dialektische Argumentation, die uns als nachrevolutionäre Gestalt des bürgerlichen Freiheitsdenkens bereits bekannt ist. Die abstrakte Unendlichkeit der individuellen Bedürfnisse verwirklicht sich nur gesellschaftlich, d. h. in einer "organisch ineinander greifenden Erwerbstätigkeit des ganzen Volkes"37, d. h. in einer geordneten Arbeitsteilung. Der Notwendigkeit einer solchen Ordnung steht die Willkür der individuellen Bereicherungstendenz gegenüber, ein Widerspruch, der, wenn man ihn nicht dadurch beseitigen will, daß man die eine Seite, die individuelle Freiheit etwa, beseitigt, nur lebbar gemacht werden kann, indem eine unabhängige Garantie dieser Ordnung eingerichtet und anerkannt wird. Diese ist nun wiederum notwendigerweise in einem politischen Subjekt, d. h. in einer unabhängigen Staatspersönlichkeit zu sehen. Staat als praktische Verwirklichung und als theoretische Notwendigkeit der Produktions- und Erwerbsgesellschaft macht diese, wie Stein sagt, zur ersten "wirklichen Gestalt der Gesellschaft"38. Ihr erstes Verfassungsprinzip ist: "Sie muß, mit Zurücksetzung aller anderen Fragen, notwendig die Unabhängigkeit und Sicherheit der höchsten Staatsgewalt fordern 39 ." Auch der materialistische Ansatz bei der Arbeit oder der Produktion fordert also, wenn er konsequent durchgehalten wird, den Staat als politisches Subjekt. a6

Das hat Hahn, a.a.O., S. 97 ff., sehr deutlich herausgestellt.

a. G.d.s.B., I, S. 465. 37 Ebd., S. 466. 38 Ebd., S. 468. av Ebd., S. 470.

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Daß die bürgerliche Erwerbs- und Besitzgesellschaft auch das Verhältnis von Gesellschaft und Staat unter ihre Klassengesichtspunkte zu subsumieren sucht, ist Stein klar, er war ja nicht nur Materialist, sondern auch politischer Realist, was mehr ist. Aber man kann ihm nicht bloßen ,Idealismus' vorwerfen, weil er gesehen hat, daß ein Staat, auch wenn er in die ,Hand einer herrschenden Klasse' gerät, doch auch immer noch etwas anderes ist als deren Instrument, nämlich die fundamentale Bedingung der Gesellschaftlichkeit überhaupt. Hier zeigt sich die große inhaltliche Bedeutung jenes dialektischen Arguments, das oben unter bloß methodischem Aspekt zitiert wurde: "Es ist daher ein absolutes Mißverständnis, dem unfreien Staate den Staate als solchen zu verklagen oder anzugreifen ...40." Der bürgerliche Staat ist immer nur als dieser, nicht als solcher zu kritisieren. Politik kann von jetzt ab nur Reform, nicht Revolution sein.

VI. Die Dialektik der konkreten Entwicklung Politische Dialektik ist die Darstellung des Verhältnisses des Besonderen zum Allgemeinen vom Ausgangspunkt der Freiheit, die als zentraler Widerspruch demonstriert wird. Ihr formales Ergebnis ist die Notwendigkeit des Staates als des selbständig-allgemeinen, als ,Persönlichkeit', als Voraussetzung für die Verwirklichung jener Freiheit. Die eigentliche Stärke der politischen Dialektik liegt aber nicht in einer formalen Deduktion. Als Dialektik hat sie auch retrospektiven Entwurfscharakter, ihr Wahrheitsgehalt - bei Stein ihre Wissenschaftlichkeit - liegt in der Plausibilität einer geschlossenen Demonstration der historischen Entwicklung, die sich von ihrem Prinzip her ordnet, die sie einsehbar macht, die sie durchschaut, die sie, wie Hegel gesagt haben würde, ,auf den Begriff bringt' und die als so erfaßte als komplexer Bedingungszusammenhang ihr schließliches Resultat, die gegenwärtige gesellschaftlich-politische Wirklichkeit, erklärbar macht. Die politische Dialektik hat also ihr Materiales an der sich entwickelnden Wirklichkeit, d. h. am ,Gang der höchsten Elemente der Geschichte'41. Die Elemente der Geschichte, die Stein auch als wirkliche Entwicklung das ,Leben'42 nennt, werden in deren Bewegen erst wirksam, "wenn sie als persönliche auftreten"43 d. h. wenn sie zu selbstbewußten, mitbestimmenden Kräften der geschichtlichen Bewegung geworden sind. Das bedeutet, daß man sie jedenfalls in deren Ablauf nicht bloß als diese identifizieren, sondern auch, daß man ihren Stellenwert vom Ganzen 40

41 42 43

8*

Ebd., S. 67. Zum Problem vgl. auch Kästner, a.a.O., S. 389. Ebd., S. 1. Vgl. etwa ebd., S. 193. Ebd.

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der historischen Bewegung her bestimmen können muß. Was damit gemeint ist, erläutert Stein sehr eindringlich im Vorwort zur ,Geschichte der sozialen Bewegung'. Er vergleicht dort diese neue Fassung mit der des älteren Buches "Sozialismus und Kommunismus im heutigen Frankreich". Der Unterschied liegt in nichts weniger als dem der bloß historischen Beschreibung wichtiger Erscheinungen in dem alten Werk und deren "sich selbst genügender wissenschaftlicher Erkenntnis" in dem Neuen44 • Was dort bloß beschrieben war, ist jetzt begriffen. Die Wissenschaftlichkeit der neuen Darstellung beruht darauf, daß die Erscheinungen des Sozialismus und Kommunismus als Momente einer historischen Bewegung erkennbar geworden sind, deren Resultate die Gegenwart bestimmen, deren ,Gang' als gesetzmäßiger aufweisbar ist und in dem die Einzelerscheinungen, insofern sie wirksam wurden, als notwendige demonstriert werden können. Über diese ,Gesetzmäßigkeit' und über den Begriff der ,Notwendigkeit' sollen noch einige Bemerkungen gemacht werden. Wie alle bedeutenden konstruktiven Denker hatte Stein ein genaues Bewußtsein vom Anspruch seiner Sache. Es ging ihm um nichts Geringeres als um die Erkenntnis des ,Allgemeinen Gesetzes' historischer Entwicklung. "Allein die allgemeinen Gesetze können die Dinge beherrschen, ohne daß sie gekannt oder verstanden werden. Der wahre Fortschritt menschlicher Erkenntnis beruht nie auf einzelnen Erkenntnissen, er geschieht immer nur durch die Entdeckung der großen allgemeinen Gesetze ...46." Steins Selbstbewußtsein ist kein geringeres als das, ein solches allgemeines Gesetz, ja das allgemeine Gesetz der historischen Entwicklung, erkannt und zur Darstellung gebracht zu haben; dies individuelle Selbstbewußtsein verbirgt er hinter der objektiveren Formulierung, dies zu erkennen, sei "die geistige Stufe unserer Zeit", eine Formulierung, hinter der sich übrigens ein unaufgelöstes Problem seiner Dialektik verbirgt46 • Dies Selbstbewußtsein, oben als das offensive Denken bürgerlicher Selbstbehauptung bezeichnet, ermangelt im übrigen nicht einer nationalen Note, die Heutigen vielleicht pathetisch klingen mag 47, die aber U "So ist denn diese Schrift nicht eigentUch eine Fortsetzung der früheren Darstellung des Socialismus und Communismus; sie soll vielmehr der Versuch sein, die noch unklare Anschauung, aus der der Geist jener Schrift und aus der auch die Beachtung hervorgegangen ist, deren man sie gewürdigt hat, zu einer bewußten, wenigstens sich selbst genügenden wissenschaftli'chen Erkenntnis zu erheben." (G.d.s.B., I, S. 6). 45 Ebd., S. 3. 48 Das Problem liegt darin, daß die These von der ,geistigen Stufe unserer Zeit' in der Darstellung Steins nicht hinreichend eingelöst wird. 47 "Und jetzt, wo die großen Wogen der gesellschaftlichen Bewegung Staat und Volk durchbrausen und mit Allgewalt an dem Bestehenden rütteln, jetzt

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im Kern vor allem der Ausdruck der Tatsache ist, daß Stein auf die Leistung des deutschen bürgerlichen Denkens, sprich: vor allem Hegels zurückgreifen konnte, wobei wiederum vor allem die Selbständigkeit beeindruckt, mit der er von jenem Denken das aufnimmt, was er in eigene Leistung umsetzen kann48 • Der Anspruch, der in dem Bewußtsein der Erkenntnis eines ,allgemeinen Gesetzes' liegt, bewährt sich in der Demonstration und im Begreifen von Elementen der geschichtlichen Bewegung als Notwendigkeiten im Sinne eines Gesetzes. In dieser Entschlossenheit, historische Notwendigkeiten zu identifizieren, wird der wissenschaftliche Anspruch des Ganzen aufrechterhalten. Daß solcher Entschlossenheit so etwas wie eine strukturelle Timidität des menschlichen Denkens entgegensteht, ist Stein klar: "Der menschliche Gedanke scheut sich immer, im Bewußtsein seiner Schwäche der Zukunft gegenüber, die Notwendigkeit vergangener Ereignisse als eine durch das begriffene Wesen der Dinge gebotene nachträglich auszusprechen49 ." Um so eindrucksvoller ist es, daß Stein - ganz in der Logik seines Ansatzes - die in der Darstellung schließlich aufgewiesenen Phasen der begriffenen Entwicklung stets als Notwendigkeiten erkannte und an dieser Erkenntnis und Erkenntnisweise festhielt50 • Das eigentlich Materiale dieser auf diese Weise wissenschaftlich erkennbar gemachten Entwicklung oder des ,Lebens' selbst sind die GeseIlschaftsklassen einerseits, der Staat als selbständige Existenz im hier bereits bestimmten Sinne und der Kampf der Klassen in diesem ist es wahrlich hohe Zeit, daß wir Deutsche uns unserer Mission und unseres Namens auch hier würdig bezeigen! Wollen wir aber Großes leisten neben dem Großen, was die Na'chbarn schon gedacht und getan haben, so müssen wir nunmehr in den tiefsten Kern jener menschlichen Ordnung hineingreifen; wir müssen das alte Verhältnis umkehren, und während die Franzosen auf dem Gebiete socialer Theorien stehen bleiben, allen Gefahren und Schwächen einer rein subjektiven Auffassung unterworfen, müssen wir uns zur Wissenschaft der Gesellschaft, zur objektiven, an sich wahren Erkenntnis der gesellschaftlichen Elemente und Erscheinungen erheben. Denn wahrUch, es gibt keinen zweiten Weg, nicht bloß um eine eigene deutsche Epoche in dieser Frage zu beginnen, sondern auch um zu einer wirklichen Lösung jener Frage zu gelangen. Darum ist das unser Wort, daß wir Deutschen nunmehr mit der ganzen Tiefe unseres geistigen Ernstes dieser Lebensfrage ergreifen, daß wir die Herrschaft von uns werfen, welche der französische Gedanke bisher über den Deutschen gehabt, daß wir endlich die Arbeit des menschlichen Gedankens da aufnehmen, wo Frankreich sie hat fallen lassen." (G.d.s.B., S. 140/(1). 48 "Der Philosoph glaubt, der Wert seiner Philosophie liege im Ganzen, im Bau: Die Nachwelt findet ihn im Stein, mit dem er baute und mit dem, von da an, noch oft und besser gebaut wird: Also darin, daß jener Bau zerstört werden kann und doch noch als Material Wert hat." Diese Sentenz (Nr. 201) aus dem zweiten Band von Nietzsches ,Menschliches-Allzumenschliches' beleuchtet das produktive Verhältnis Steins zu Hegel ebenso wie das mögliche produktive Verhältnis einer Nachwelt zu Stein. 49 G.d.s.B., I, S. 430. 50 Vgl. dazu vor allem ebd., S. 147,364.

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andererseits. Die Basis des gesellschaftlichen Verhältnisses ist das Naturverhältnis oder das Verhältnis der ,Persönlichkeit' zu den ,Gütern'51 - Kern jedes denkbaren Verhältnisses von Subjekt und Objekt. Motor des Naturverhältnisses ist das Interesse der Einzelnen52 • Das Interesse geht auf optimale Befriedigung und Sicherung der Bedürfnisse. Bedürfnisse der Menschen können aber nur gesellschaftlich befriedigt werden, der Natur ist nur kollektiv beizukommen, deshalb muß das gesellschaftliche Bestreben dahin gehen, sich die Natur mittels der Herrschaft über andere Menschen zu unterwerfen53 • Die Gesellschaft auf der Grundlage des Naturverhältnisses ist der Ort des Interesses, also der Herrschaft, sie existiert immer in den Konfrontationen einer herrschenden, besitzenden Klasse und der besitzlosen, abhängigen Klasse. Ein grundsätzlicher Klassengegensatz stellt für Stein die notwendige Form menschlich-gesellschaftlicher Existenz dar. Dies muß recht verstanden werden. Erstens besteht der Unterschied zwischen einem Klassengegensatz als diesem und einem als solchen; die Dialektik dieses Verhältnisses macht die fortwährende dynamische Bewegung der Gesellschaft aus. Für Stein als dem dialektischen Realisten kann die Bewegung der Klassengesellschaft nicht durch deren Konfrontation mit der notwendigerweise abstrakten Idee einer ,klassenlosen Gesellschaft' bestimmt sein. Der Ausgang von der individuellen ,Persönlichkeit' oder der Autonomie des Menschen hat gerade in der Materialität des N aturverhältnisses, des Verhältnisses zu den ,Gütern' oder des Verhältnisses der Produktion, jene Ungleichheit notwendigerweise zur Folge, aber damit gerät dies ,Prinzip der Gesellschaft' in einen Widerspruch zu der Allgemeinheit der autonomen Existenz überhaupt. Diese ist aber der Staat im oben bestimmten Sinne der selbständigen Persönlichkeit. Gesellschaft und Staat sind so einerseits in fundamentalem Sinne aufeinander bezogen, andererseits einander entgegengesetzt. Das Prinzip der Gesellschaft ist Ungleichheit, Klassenherrschaft und materiale Abhängigkeit, das des Staates ist prinzipiell Allgemeinheit, d. h. Rechtsgleichheit und Ermöglichung eines entwickelten Daseins aller. Es wird für alle Zeiten das Verdienst und die Überlegenheit Steins über das marxistische Denken bleiben, daß er den Problemen der frühkapitalistischen Klassengesellschaft nicht mit der ausgedachten Idee einer ,klassenlosen Gesellschaft', also einer bloßen Verallgemeinerung von Freiheits- und Gleichheitsideen im Sinne aufklärerischen Wunschdenkens begegnete, sondern daß er den Widerspruch zur Klassengesellschaft in einem existierenden Allgemeinen, nämlich im Staat, sah. Eine klassenlose Ge51

5! 53

Vgl. dazu ebd., S. 20 ff. Vgl. dazu ebd., S. 42 H. Vgl. dazu ebd., S. 40 ff.

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sellschaft ist nichts anderes als ein Ausgedachtes; für Stein ist, etwas überzogen formuliert, der allgemeine Staat stets die konkrete Utopie der ungleichen Gesellschaft, konkret deshalb, weil die Existenz der Gesellschaft als das Naturverhältnis oder als ,System der Bedürfnisse' die Konkretion des allgemeinen Interesses als Ermöglichung auch eines lebbaren Naturverhältnisses erfordert. Auf diese Weise konnte Stein das politische Defizit des Marxismus in dreifacher Weise kompensieren: Erstens konnte er den Kampf der Klassen um den Staat viel fundamentaler bestimmen, als es der marxistischen Instrumentalisierung des Staates zu einem bloßen ,Mittel in der Hand der herrschenden Klasse' möglich war. Zweitens brauchte er keine Klasse utopisch zu überhöhen, auch die beherrschte Klasse konnte menschlich bleiben, sie mußte nicht das messianische Kreuz der Menschheitserlösung auf sich nehmen, sondern konnte für ihre Interessen kämpfen. Drittens war für Stein im Prinzip der Selbständigkeit des Staates ein Ausgangspunkt für Politik gewonnen, die noch etwas anderes war als Klassenkampf. Indem die Wirklichkeit des Staates als die Logik des allgemeinen Bewußtseins - für Hegel und Stein als ,Idee' - und nicht nur als Instrument begriffen wurde, wurde es möglich, den Staat als diesen mit dem Staat als solchen zu konfrontieren, d. h. auch eine kritische Politiktheorie aufzustellen, die etwas anderes sein konnte als ,Parteilichkeit'. Geschichte als Bewegung ist für Stein also die rein immanent bestimmte und deshalb wissenschaftlich bestimmbare Bewegung der entwickelten Produktionsgesellschaft mit ihren Klassengegensätzen und ihrer permanenten Auseinandersetzung mit dem Staat als der jeweiligen Realisierung der im Prinzip selbständigen allgemeinen Persönlichkeit oder des Allgemeinen.

VD. Dialektik und Soziologie (Marcuse) Stein hatte ,Sozialismus und Kommunismus' als notwendige Momente im Bewußtseinsbildungsprozeß gesellschaftlicher Entwicklung bezeichnet, und zwar als die der partikularen Situation der beherrschten Klasse entsprechenden Denkweisen abstrakter Radikalismen und absoluter Konfrontationen54 • Insofern der Staat als dieser in der Hand der herrschenden Klasse war, blieb der beherrschten Klasse nichts übrig, als Allgemeinheit und Gleichheit abstrakt geltend zu machen. Dabei sah Stein sehr deutlich, daß eine versuchte Machtergreifung des Proletariats einfach auf Grund der Tatsache, daß es als die sowohl von Besitz wie von Bildung her schwächere Klasse zu verstehen ist, notwendigerweise, wie die Durchsetzung aller Abstraktionen, zur aufs &C Zur Frage der Wandlungen vom ,Socialismus und Communismus' zur G.d.s.B. vgl. Hahn, a.a.O., Kap. IV.

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Höchste gesteigerten Gewaltanwendung und entweder zu einer Herrschaft von Funktionären oder zu einer Gegendiktatur der herrschenden Klasse führen müßte, einer Diktatur, die vor allem zur Diktatur über den Staat werden würde. So würde das Ende der durchgeführten proletarischen Revolution das Ende der Freiheit sein müssen55 • Das ist der Punkt, an dem Herbert Marcuse Stein ,Abkehr von der kritischen Analyse' und Neutralisierung der ,Kritischen Elemente der Dialektik' vorwirft56 • Der Abschnitt über Stein gehört sicher nicht zu den stärksten von Marcuses ,Vernunft und Revolution', und es ist nicht schwer, seine Inkonsistenzen aufzuweisen. Da er aber für die marxistische Auffassung Steins repräsentativ sein dürfte, soll hier etwas näher darauf eingegangen werden. Der Kern des Marxismus als bewußter Klassentheorie ist darin zu sehen, daß aus der ,Parteilichkeit', der Partikularität, die Tugend des Allgemeinen, des Ganzen gemacht wurde. Das Proletariat war praktisch die beherrschte, also die schwächere Klasse, infolgedessen gebot der ,Klassenstandpunkt' es, diese praktische Schwäche ideologisch zu kompensieren und diese Klasse zur eigentlichen, wenigstens zukünftigen Menschheit zu machen. Dabei mußte die Theorie sich unausweichlich mit all jenen, klassenmäßig uminterpretierten Elementen anreichern, die die Größe des vorrevolutionären bürgerlichen Theorems ausgemacht hatten. Stein ging allerdings davon aus und konnte zeigen, daß diese Zeit ,vorbei' sei, daß deshalb dieser festgehaltene Theoriecharakter nur die Partikularität erkennen ließ, die der Marxismus als Klassentheorie ja auch in der Tat hatte und hat. Als oppositionelle Doktrin konnten Sozialismus und Kommunismus für Stein durchaus notwendigen Charakter haben, als allgemeine Theorien waren sie für ihn überholte Bewußtseinsformen und deshalb abstrakt-terroristisch. Dagegen mußte die entwickelte politische Dialektik notwendigerweise Front machen und zur realen Tagespolitik übergehen. Es hat für Stein keinen Sinn, die praktisch Schwächeren zu den eigentlichen Menschen, den Vorbereitern des neuen Menschen und in Wiederholung alter theologischer Muster zu solchen zu erklären, die ,das Land besitzen' werden. Es kommt für Stein darauf an, im selbständigen Staat ein Subjekt zu behalten, das allgemeine Politik ins Werk setzt, d. h. also auch Politik im Sinne jener Schwachen, eine Politik, in der alle Mitglieder der Gemeinschaft auch Bürger sein können, eine Politik, die die Mobilität der Klassen gegeneinander auf friedliche Weise ermöglicht und in der das Proletariat weder ein ,Stand' absoluter Hoffnungslosigkeit sein müßte noch ein Stand absoluter, utopischer Menschheitshoffnung. Vgl. G.d.s.B., I, S. 338. H. Marcuse, Vernunft und Revolution. Hegel und die Entstehung der Gesellschaftstheorie, Neuwied 1962, 3. Auflage 1970, S. 339. U

GI

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Stein weigerte sich, die Zumutung zu akzeptieren; daß ,der Klassenstandpunkt' der höhere sei, widersprach seiner dialektischen Kompetenz. Eben dies gilt dem Marxisten dann natürlich notwendigerweise als Kastration der Dialektik, aber was von daher als sacrificium der ,kritischen Elemente der Dialektik' bezeichnet wird, ist im Grunde nur der Ausdruck des radikaleren ,sacrificium intellectus' jener Doktrin. Die Argumentation Marcuses läßt deutlich erkennen, daß es für ihn wichtig ist, Stein möglichst weit aus der Nachbarschaft des Marxismus zu entfernen. Es gehört freilich zur Sache, daß dieser Versuch nicht überzeugend ausfallen kann. Steins Denken wird einerseits als ,Soziologie' bezeichnet57• Dabei wird eine moderne Definition von Soziologie herangezogen58, die nun allerdings nirgendwo auf Stein zutrifft - höchstens in der Bestimmung der ,Wissenschaftlichkeit', aber genau das verbindet Stein nicht mit Positivismus, sondern mit Marx, und zwar aus demselben Ursprung, nämlich der HegeIschen Dialektik. Soziologie in jener modernen, von Marcuse herangezogenen Definition hält sich allerdings bewußt von der Philosophie fern, aber die Bezeichnung Steins als ,Soziologe' in diesem Sinne reicht nicht aus, seinen umfassenden Erkenntnis- und Erklärungsanspruch wegzuinterpretieren. In der Tat widerlegt Marcuses eigene Wiedergabe von Steins ,Soziologie' sowohl dessen Verortung in der Tradition positivistischen Soziologismus wie seine Entfernung von Philosophie59 • Die Erkenntnis, daß der Kern der Dialektik die zentrale politische Problematik der Neuzeit und der Gegenwart ist, stellt für Marcuse eine Ablösung vom ,philosophischen Boden'60 dar; hier zeigt sich aber nichts anderes als eine erstaunlich herkömmliche Auffassung von Philosophie bei dem Marxisten Marcuse. Der Vorwurf: "Im Werke Steins erscheint die dialektische Bewegung der bürgerlichen Gesellschaft mehr als die Bewegung von Dingen (Kapital, Eigentum, Arbeit) denn als die von Menschen"'1, ist durchaus unsinnig angesichts der Bedeutung, die bei Stein die individuelle Autonomie, die ,Persönlichkeit' behält, und entlarvend im umgekehrten Sinne ist schließlich der Satz Marcuses: "Die Dialektik wird zum Bestandteil eines objektiven und unparteilichen Studiums der Gesellschaft62 ." - Allerdings.

Ebd., S. 327. Ebd., S. 328. " Vgl. ebd. die S. 333 ff. 80 Ebd., S. 331. 81 Ebd. 51 58

82

Ebd.

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VIII. Schlußbemerkung Marcuse hat Stein im Grunde genommen drei Dinge vorgeworfen: Erstens das Nichteinnehmen des Klassenstandpunktes, zweitens das Aufgeben des Ökonomismus, also das Abweichen von der Ansicht, allein die ,Politische Ökonomie' im marxistischen Sinne könne Wissenschaft von der Gesellschaft sein, und drittens die Ablösung der Dialektik ,von ihrem philosophischen Boden'63. Unter objektivem Gesichtspunkt verwandeln sich alle diese Fehler in Tugenden. Indem er den partikularen Klassenstandpunkt vermied, vermied Stein auch das generelle politische Defizit des Marxismus, er konnte so den Standpunkt des Staates als des politischen Subjekts geltend machen. Indem er die Alleinherrschaft der ,Politischen Ökonomie' bestritt, überwand er die Einseitigkeiten der ideologischen Alternative ,Idealismus oder Materialismus'. Mit dem politisch-pragmatischen Gebrauch von Dialektik vermied er die Labyrinthe Hegelscher Scholastik ebenso wie das Breittreten der Dialektik im theologisch-eschatologischen und im Weltanschauungssinne von Engels' "Dialektik der Natur". Der Marxismus machte viel Aufhebens von der Frage der ,Aufhebung der Philosophie'; aber im wirklichen Verlauf seiner Entwicklung duplizierte und zementierte er nur die Formen bürgerlichen Philosophierens im doktrinär dogmatischen Sinne: er machte marxistische Erkenntnistheorie, marxistische Logik, marxistische Ethik usw. Es ist richtig, daß Stein von der Dialektik nur das nahm, was er brauchen konnte, aber diese Art der eigentlichen Aneignung zeichnet jeden genuinen Denker aus~übri­ gens Marx selbst auch. Es ist richtig, daß Stein mit Sicherheit nur die ,Rechtsphilosophie' von Hegel gekannt hat8'. Aber es ging ihm eben nie um Hegelianismus, er war nicht primär Hegelianer, er war Stein. Wenn darin, ob von marxistischer oder von bürgerlicher Seite, eine Reduktion gesehen wird, dann darf nicht übersehen werden, daß Stein theoretisch und in der Durchführung seiner Analyse von der Überzeugung ausging, daß ,die Zeit der großen Theoreme vorbei' sei. Stein verkörperte damit einen modernen Typ des Theoretikers, den die bürgerliche Wissenschaft, vom Marxismus zu schweigen, wie hier in der Einleitung gezeigt, nie voll rezipieren, geschweige denn systematisch produzieren konnte - zu ihrem Schaden, versteht sich. Dieser Schaden ist nicht zuletzt im Mangel an bürgerlicher Selbstbehauptungskapazität in der welthistorischen Konfrontation mit dem Marxismus zu sehen. Klaus Hartmann hat Steins Theorie als einen ,zweiten Teil' in einem Zusammenhang bezeichnet, in dem Hegels ,Rechtsphilosophie' den ersten Teil darstelle65 . Das ist eine gelungene Formulierung, aber Ebd., S. 331/32. Vgl. Hahn, a.a.O., S. 20 ff. es Hartmann, a.a.O., S. 82. 83 84

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sie muß recht verstanden werden, wenn sie nicht verschließend, sondern erschließend wirken solL Verschließend würde sie wirken, wenn man sie nur in jenem Sinne auffaßt, der oben im Abschnitt ,Im Schatten Hegels' dargelegt wurde. Erschließend wirkt sie, wenn gesehen wird, daß Steins politische Dialektik in einem neuen Theorietyp, der vor allem durch Interdisziplinarität ausgezeichnet ist, sich dem alten Problem der Philosophie gewidmet hat - zu begreifen, was ist, eigene historische Wirklichkeit zu erklären, die Wahrheit eines historischgesellschaftlichen Ganzen auf den Begriff zu bringen "und in dem, was substanziell ist, ebenso die subjektive Freiheit zu erhalten, wie mit der subjektiven Freiheit nicht in einem Besonderen und Zufälligen, sondern in dem, was an und für sich ist, zu stehen". (Hegel, Vorrede zur Rechtsphilosophie.)

Politique et economie selon Lorenz von Stein Commentaires a l'introduction "Der Begriff der Gesellschaft", de l'ouvrage "Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage" Par J ulien Freund

L Comme la plupart des penseurs de son epoque, von Stein s'est preoccupe de la constitution d'une science de la sociHe, que d'autres appelleront sociologie.1 Il ne s'agit pas a proprement parler d'une decouverte, car, ainsi que von Stein le reconnait, la reflexion sur la societe est aussi vieille que la reflexion sur la nature. Platon et Aristote en sont les temoins. La question posee est celle d'une analyse scientifique de la societe qui serait le pendant des sciences de la nature, dont le developpement a ete continu depuis plusieurs siecles. Le revelateur de ce nouvel ordre scientifique a He la Revolution franan~aise. Elle a bouleverse les esprit et deregle a ce point les relations sociales seculaires qu'elle ne pouvait que susciter une nostalgie de l'ordre perdu. Les penseurs du XIXe siecle ont cru que la science etait en mesure de definir I'ordre nouveau selon des modalites qui different suivant les auteurs. Les uns comme de Maistre ou de Bonald croyaient que la science etait du cöte de la restauration des structures anciennes, les autres, en particulier les premiers socialistes comme Leroux ou Buchez, pensaient a une conciliation de la science et de l'esprit evangelique, d'autres encore, par exemple Marx, estimaient que la revolution n'Hait pas achevee et qu'il fallait la parfaire par une nouvelle revolution, sous la forme du socialisme scientifique qui determinerait l'ordre nouveau, d'autres enfin, tels Saint-Simon, A. Comte et von Stein faisaient confiance a la science comme teIle. Autrernent dit, tout le monde fondait ses espoirs sur la science a des degres, divers en association avec la religion, avec la tradition ou la revolution, pour surmonter les troubles que la Revolution fran~aise avait suscite dans les esprits et dans la societe. De ce point de vue A. Comte n'a fait que baptiser la nouvelle discipline 1 Les citations qui suivent se referent au torne I de la reedition de la Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich, Hildesheirn 1959, Georg Olms.

Julien Freund

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scientifique de la societe dont tous les auteurs de 1'epoque avaient 1'idee. Il faut replacer v. Stein dans ce courant d'idees pour comprendre historiquement la signification de son intention de creer ce qu'il appelle Wissenschaft der Gesellschaft. A cette science v. Stein assigne le but d'etudier « die Gesellschaft, ihr Begriff, ihre Elemente und ihre Bewegungen ».2 Cette definition n'a rien d'original, meme si 1'on se refere a 1'hegelianisme dont v. Stein fut 1'un des heritiers, a sa maniere. On peut en dire autant de la distinction entre Staat und Gesellschaft, traditionnelle dans la litterature sociologique allemande, mais peu connue en dehors des frontieres de l' Allemagne, encore que v. Stein ait largement contribue a etablir cette tradition. Mon propos est d'un autre ordre. Je voudrais montrer que 1'opposition entre Staat et Gesellschaft est pour v. Stein le moyen qui lui permet de definir indirectement sa conception du politique et de 1'economique. D'emblee je voudrais couper court a certaines mesinterpretations possibles. Jene pense pas que les categories de Staat et de Gesellschaft recouvrent exactement celles de politique et d'economie, au sens ou 1'opposition entre les deux premieres serait une parfaite image de la rivalite entre les secondes. Par consequent on ne saurait identifier purement et simplement le concept d'Etat et celui de politique ou le concept de societe et celui d'economie. Une teIle assimilation serait abusive. Par contre, la lecture du texte d'introduction sur Der Begriff der Gesellschaft constitue 1'un des passages-cle dans l'reuvre de v. Stein pour se faire une idee de la conception qu'il se faisait de l'essence de la politique et de 1'essence de 1'economie. En plus cette introduction nous aide a mieux saisir, justement parce que v. Stein utilisait la dialectique, ce qu'il entendait par la notion de social, dans la mesure Oll 1'etude du socialisme originaire lui apparaissait comme une doctrine a depasser pour mieux comprendre la complexite de ce que nous appelons la question sociale. II.

Les presuppositions de la theorie de v. Stein sont assez voisines de celles de Hobbes, a savoir 1'autonomie concurrente de 1'individu et de la communaute (Gemeinschaft), qui constituent tous deux des personnalites. On sait que Hobbes oppose egalement 1'individu et la collectivite etatique et qu'illes designe tous deux comme des « personnes ». Toutefois, en homme de son epoque, qui connait les economistes anglais comme A. Smith, v. Stein donne a la formation de la communaute un autre mobile que Hobbes: ce n'est plus la peur, mais le besoin de solidarite de l'homme pour 1'autre. I

Op. cit., p. 12.

Politique et economieselon Lorenz von Stein

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Von Stein propose d'ailleurs une belle definition de l'individu: un etre infiniment limite (ein unendlich beschränktes Wesen).s 11 faut entendre par la qu'il est une personnalite qui possede la capacite infinie interne de se determiner lui-meme (innere unendliche Bestimmung)," qui s'exprime dans une volonte capable d'agir. Mais en meme temps il est limite a la fois par la clöture que lui impose le monde exterieur6 et par une pauvrete interne (Armut), 6 qui vient de son impuissance a realiser toutes les aspirations dont il a l'idee. C'est cette double limitation qui fait entrer l'individu en eommerce avec les autres pour constituer une communaute. Cependant la communaute ne lui serait d'aucun secours si elle n'etait qu'une simple juxtaposition des etres (einfaches Nebeneinanderstehen der einzelnen),7 car cette situation ne serait qu'une repetition infinie de la pauvrete individuelle (unendliche Wiederholung der individuellen Armut).8 La eommunaute n'a de sens que si elle constitue elle aussi une personnalite, c'est-a-diresi, comme l'individu, elle a une vie personnelle, qu'elle manifeste une volonte autonome susceptible de donner lieu a une action et qu'elle obeit a une loi propre (eigenes Gesetz.)9 Les deux presuppositions de v. Stein concernent done d'une part l'autonomie de la personnalite individuelle, de l'autre celle d'une personnalite colleetive. Dans les deux eas la volonte est de nature organique,t° et elle est l'expression d'une « unite en soi ».11 De plus toute vie autonome se earacterise par un mouvement sous la forme d'une action et d'une reaction entre le personnel et l'impersonnel. 12 Par impersonnel il faut entendre ce qui n'a pas de volonte, ce qui est naturel et qui de ce fait ne saurait se determiner lui-meme,13 11 n'est pas dUfieile de determiner l'impersonnel dans le cas de la personnalite individuelle: il consiste en la resistance que le monde exterieur offre a la volonte de l'etre. Par contre il est plus delicat de definir l'impersonnel qui correspond a la personnalite eommunautaire. C'est a ce propos que v. Stein montre son originalite en faisant la distinction entre l'Etat et la societe. L'Etat se rapporte a l'element personnel de la communaute puisque v. Stein le definit comme « la communaute des hommes qui s'affirme dans sa personnalite comme volonte et acte ».14 Aussi eomporte-t-il tous les aspects que v. Stein attribue ä la personnalite: l'autonomie de la volonte, l'organisation selon une loi propre et la constitution d'une unite en soi. La soeiete par contre est l'element impersonnel et naturel P.13. P.17. 5 P. 17. • P.13.

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P.14. P. 14. 9 P.17. 10 P.36. 7

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P.15. P.31. P.15. P. 16 et 31.

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de la communaute: «Le non-personnel, c'est-a-dire ce que son organisme et son mouvement ne re!;oit pas par consequent de la volonte generale et qui de ce fait instaure un ordre general et solide de la communaute des hommes sur la base des elements natureIs de la vie, ce n'est rien d'autre que la societe ».15 Ainsi compris, l'Etat et la societe sont non seulement deux formes de l'existence humaine, mais aussi les deux composantes de toute communaute humaine. Et puisque le mouvement qui anime toute vie consiste dans les actions et reactions de l'impersonnel et du personneI, la vie communautaire se traduit par une lutte incessante entre I'Etat et la societe, avec la tendance de chacune de ces deux formes a chercher a dissoudre l'autre. Il n'existe aucun espoir de paix entre les deux, sinon la communaute meurt. En effet, v. Stein precise qu'il «est certain que la complete dissolution du personnel dans l'impersonnel, donc la decheance de l'idee de I'Etat autonome dans la societe et son ordre, signifie la mort de la communaute... Il n'existe pas de peuples parfaits, mais il y a des peuples morts. Ce sont ceux qui ne comportent plus d'Etat, c'est-adire ceux ou le pouvoir se trouve entre les mains de la societe. Le caractere de la vie d'un peuple consiste dans la lutte perpetuelle entre l'Etat et la societe ».16 Ce qu'il y a lieu de noter, c'est que I'Etat et la societe s'opposent comme le personnel et le natureI, la volonte et la chose (Ding),11I'actif et le passif. Du meme coup on saisit le dissentiment entre Marx et v. Stein. Le premier pensait que la dissolution de l'Etat dans la societe constituerait le salut du genre humain; v. Stein affirme au contraire que le deperissement de I'Etat signifierait la mort de la communaute humaine, de sorte qu'll faut sauvegarder atout prix les droits de la politique. La contradiction est totale. En effet, alors que Marx croit que la mort de l'Etat permettra a l'individu de se retrouver comme homme, v. Stein estime que cette solution serait la pire de toutes parce qu'elle conduirait a la negation de I'humanite. Cette contradiction devient encore plus evidente si 1'0n considere avec v. Stein que la societe constitue l'espace de l'activite economique. Dans ce cas la reduction du social a l'economique, en derniere analyse ou de toute autre maniere, ne saurait prefiguer rien d'autre que la decadence d'une communaute. Ce qu'il s'agit donc de demontrer c'est que dans l'idee de v. Stein 1'0pposition entre Etat et societe couvre au moins en grande partie 1'0pposition entre politique et economie et que la lutte entre ces deux activites est fondamentale pour la survie de toute communaute humaine. Toute reduction au seul economique serait mortelle. En posant ainsi le probleme nous pouvons nous dispenser de faire une analyse 15

P. 31 et 34.

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P.32.

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P.15.

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plus detaillee de l'opposition entre Etat et societe, l'essentiel etant de definir ce que chacun de ces deux concepts abstraits determine concretement au plan de l'activite pratique des hommes.

III. La conception que v. Stein se fait de l'Etat associe certains aspects de la doctrine hegelienne et divers elements de la pensee politique liberale. A Hegel il emprunte la notion de pur concept de I'Etat, qui, comme tel represente «die Wirklichkeit der sittlichen Idee ».18 Ce caractere moral de l'Etat fait qu'il contribue a elever(Erhebung)lU les individus, parce qu'en participant a la constitution de I'Etat autonome ils realisent en meme temps leur propre personnalite. Cette particularite de I'Etat decoule du fait qu'il est lui-meme une volonte qui se determine de fa!;on autonome. Les fonctions qu'il remplit sont celles que lui assigne en generalle liberalisme classique: constitution (Verfassung) et administration (Verwaltung).20 La constitution consiste en 1'« organisme» ou la «forme» de l'Etat, dans laquelle sa volonte unitaire se forge a partir des volontes multiples du peuple.21 L'administration constitue l'organisme « grace auquel I'Etat apprehende la diversite de la vie exterieure et l'ordonne selon sa propre determination ».22 Cette gestion a pour röle de perenniser I'Etat, en le dotant d'organes durables qui portent « tout le pouvoir et l'autorite de l'Etat ».23 On peut s'etonner que v. Stein ne fasse que simplement mention de concepts politiques aussi fondamentaux que ceux de pouvoir et d'autorite et que dans le paragraphe sur le principe de l'Etat il se contente de faire une allusion rapide au fait essentiel que « pour l'execution de sa volonte, il dispose dans la puissance armee de la force capable de contraindre la volonte personnelle a l'obeissance ».24 Pour le reste il remarque simplement que l'Etat est condamne a mourir s'll developpe «la constitution et l'administration sans egards pour les individus et leur determination et par consequent s'il vit uniquement pour luimeme et sa personnalite ».25 Quoi qu'il en soit, ces quelques evocations suffisent pour reconnaitre que l'Etat est le porteur de la vie politique. Toutefois notre etonnement grandit encore davantage quand il dit que l'Etat rassemble les individus dans une unite « sans difference », de sorte que par rapport a l'Etat, les hommes «sont egaux et libres ».26 n precise meme que « suivant son essence la plus intime, l'Etat comme tel est !ibre. La liberte, ce qui veut dire la capacite de chaque individu a 18 P. 47 et 67.

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P. 37. P. 52.

9 Staat und Gesellschaft

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P.52. P.54. P.54.

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P.36. P.38. P.47.

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se determiner lui-meme, constitue le principe de l'Etat; l'Etat ne peut donc pas ne pas etre libre ».27 Il en resulte qu'« il n'est pas capable de produire une constitution et une administration qui ne seraient pas libres ».28 Po ur les memes raisons il est egalement le lieu de l'egalite, sans que v. Stein se pose la question de savoir s'il ne pourrait y avoir contradiction entre egalite et liberte, pour peu qu'on fasse une analyse conceptuelle de leurs presuppositions. A son avis, l'Etat est par nature institutrice de la liberte et de l'egalite entre les hommes. Ce qu'il faut retenir, c'est que l'activite politique, qui se developpe dans et par l'Etat, est l'activite de liberte, donc il est le lieu de l'activite liberatrice possible, et non point l'economie comme le pensaient un grand nombre de ses contemporains. La politique ne peut etre autre chose qu'une activite de liberte puisque son support organique, a savoir l'Etat, manifeste une volonte libre et autonome comme toute autre personnalite. La societe au contraire est, comme nous l'avons vu, une manifestation de l'impersonnel, ce qui signifie pour v. Stein qu'elle est de l'ordre de la chose et de l'involontaire. Elle est dans la communaute le lieu de ce qui est simplement« naturel », c'est-a-dire elle s'impose a l'homme de l'exterieur et elle limite sa libre determination. Elle est l'instance de la non-liberte et de l'inegalite. En effet, son principe est celui de la dependance (Abhängigkeit),29 de la subordination (Unterordnung).30 Il declare meme qu'elle determine « l'asservissement (Unterwerfung) d'un individu a l'autre, qu'elle constitue l'accomplissement de l'individu par sa dependance a l'egard d'autrui ».31 Bref, elle est le moyen d'« utiliser l'autre a ses propres fins ».32 Ce qu'il y a de remarquable, c'est que v. Stein fait constamment appel au vocabulaire economique pour caracteriser la societe. En effet, elle a pour fondement le besoin (Bedürfnis), c'est-a-dire un appetit qui est donne naturellement a l'etre, independamment de sa volonte. 33 Ailleurs il dit: «De cette maniere l'acquisition par le travail, la possession et la dependance, qui font de la communaute une societe, se sont e!eves a leur veritable signification »,34 en determinant la societe. Ce qui meut celle-ci, c'est l'interet: « Cette conscience qui commande toute l'activite humaine orientee vers l'exterieur, qui est presente partout, qui est vivante en chaque individu et qui conditionne toute sa position sociale, je l'appelle interet. En tant que l'interet constitue le centre de l'activite vitale de chaque individu dans ses rapports a l'autre, par consequent tout le mouvement social, il est Ze principe de Za societe ».35 Il 27 28 28

P.66. P. 66 - 67. P. 41.

80 31 82

P.41. P.45. P.40.

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P.41. P.42. P.43.

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n'est pas non plus inutile de souligner que c'est dans le chapitre qu'il consacre au «principe» de la societe que v. Stein fait la distinction entre la propriete terrienne, la propriete monetaire et la propriete industrielle. 31 Il serait trop long de citer d'autres passages qui vont tous dans le meme sens. Ce qu'il y a lieu de retenir, c'est cette constante correlation que v. Stein etablit entre societe et economie. Sans doute, toute l'activite economique ne se reduit pas, a ses yeux, au concept de societe, mais il semble bien que celle-ci en constitue le cceur. Il faut retenir en plus que l'economie devient ainsi le lieu de la non-liberte et que, par consequent, on ne saurait la faire passer pour une instance emancipatrice et moins encore pour l'instance liberatrice par excellence, comme le preconisait K. Marx. Enfin, il apparait a l'evidence que pour v. Stein il ne saurait y avoir d'economie sans dependance, c'est-a-dire l'activite economique produit necessairement une sujetion, cette derniere lui etant inherente comme elle l'est a la societe. Sur ce point il s'ecarte donc de la doctrine liberale, dont il etait proche du point de vue de la politique. La transformation de l'homme, si elle est possible, n'est pas a chercher dans les progres ou les bouleversements economiques. Il traduit cette idee de plusieurs manieres, en particulier par l'affirmation de la superiorite des biens spirituels, qui sont infinies, sur les biens materiels qui sont limites. 37 Il s'agit la d'une evaluation essentiellement philosophique, propre a v. Stein. C'est pourquoi nous n'insisterons pas plus longuement. Pour les besoins de la clarte et pour bien rendre compte des implications de l'opposition entre Etat et societe, nous avons neglige volontairement un point du raisonnement de v. Stein, qu'il faut maintenant examiner. L'opposition entre ces deux notions est purement theorique et abstraite, car, comme le souligne v. Stein, il ne considere dans le cas de l'Etat que son pur concept (der reine Begriff des Staates).38 C'est donc uniquement comme categories de la pensee qu'Etat et societe s'opposent aussi radicalement, mais non dans la realite empirique. Par exemple, c'est parce que l'idee pure de l'Etat n'est pas concretement realisable que l'Etat historique peut devenir non-libre (unfrei) et qu'il n'existe pas de constitution ni d'administration ideales.39 Cette idealite ne pourrait se realiser que si l'Etat se developpait exclusivement suivant la logique de son pur concept. Dans la realite empirique il se trouve confronte avec la societe, son contraire. Il en resulte que l'Etat « garantit ainsi par sa nouvelle forme un element qui le contredit, ainsi que son idee superieure; il justifie et protege avec sa force la 3ft

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9"

P.43. P.85.

as P. 47 et 49. P.39.

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dependance, alors que sa veritable nature exigerait de lui qu'il la combatte. L'Etat devient ainsi le serviteur d'une puissance qui s'oppose directement ä. lui, par son principe et par son but; sa nature propre est comme inversee, car il entre en contradiction avec lui-meme; sa volonte n'est plus sa vraie volonte, il s'est perdu et il a perdu son essence dans le principe de la dependance, et il a sanctifie par son droit ce que son idee condamne, ä. savoir la domination d'une partie sur une autre partie, la domination de I'interet sur le developpement illimite de la libre personnalite - il a cesse d'etre libre ».40 Cette contradiction, au niveau des principes, entre I'Etat et la societe nous permet de mieux saisir la conception que Stein se fait de la politique et de I'economie, s'i! est vrai, comme nous avons essaye de le montrer, que si I'on ne peut identifier absolument Etat et politique ou societe et economie, il y a neanmoins des correlations entre ces couples respectifs. Il apparait que I'economie est I'activite corruptice de la politique, et cette corruption est historiquement insurmontable. En effet, « cette opposition, qui embrasse le passe, dominera egalement I'avenir ».41 Il est donc vain d'esperer qu'on pourrait retablir I'Etat dans son pur concept, comme il est vain de croire qu'il sera possible de purifier I'economie ou, comme on dit de nos jours, la desaliener. La raison en est que I'on ne remontera plus ä. l'orgine des choses. « C'est une erreur habituelle, ecrit v. Stein, de penser que, malgre la transformation decisive par une autre chose, une relation ou une chose preserverait sa nature dans son ancienne force et qu'elle pourrait revenir de soi-meme ä. sa purete originelle. On I'entend dire et penser des hommes, des choses et des institutions; beaucoup de choses necessaires ne se sont pas produites dans le monde, parce qu'on presumait que le corrompu devrait s'aider lui-meme. Seulement, cette alteration exterieure est en meme temps un assujettissement de la nature originelle, donc la preuve qu'elle n'a plus la force de resister ä. ce qui lui est etranger. Sinon, comment une alteration aurait-elle etait possible? ».42 Par consequent, si l'idee pure de I'Etat est aujourd'hui corrompue historiquement par la societe, il serait illusoire de chercher le salut de la politique dans I'economie, puisqu'elle est I'element corrupteur de I'Etat. Mais I'Etat lui-meme n'est pas plus capable de retrouver par sa propre force la purete perdue. Il en resulte un certain nombre de consequences. Tout d'abord I'Etat n'est pas en mesure de resister ä. certaines exigences de la societe, ce qui veut dire aux revendications economiques. D'autre part, il est utopique (v. Stein utilise la notion d'utopie, p. 81) de rever, dans les conditions historiques, d'une liberte ou emancipation totale tout comme 40

P. 67 - 68.

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P.46.

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P. 72 -73.

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d'une egalite totale. En effet, du fait qu'il ne saurait plus exister d'Etat pur, support de la liberte totalement autonome, la liberte comme l'egalite ne peuvent s'affirmer que dans le contexte de la societe, support de la dependance et de l'inegalite. 43 Du meme coup se trouve exc1ue la possibilite d'une revolution radicale qui restituerait I'humanite a sa purete originelle. Ce dont il faut prendre conscience, c'est que, bien que l'Etat et la societe soient deux concepts contradictoires en principe, ils animent necessairement tous deux la communaute, a la maniere de deux pöles. 44 Si 1'0n ne peut plus concevoir la societe sans I'Etat, I'Etat non plus « n'a pas d'existence reelle en dehors de la societe ».45 L'histoire constitue le jeu reciproque de ces deux elements de la communaute. 48 Neanmoins, en vertu du caractere contradictoire de leur principe respectif, ils entrent en lutte l'un contre l'autre, soit que I'Etat essaie d'assujettir la societe et etablir I'Etat absolu, soit qu'inversement la societe essaie de soumettre I'Etat, ce qui conduit a la societe absolue (absolute Gesellschaft).47 En realite, comme il s'agit de deux elements indispensables a la communaute, le mouvement de la vie consiste a trouver une relative conciliation entre les deux, c'est-a-dire un accomodement entre l'aspiration a la liberte suivant le concept pur de I'Etat et l'inevitable dependance et inegalite qui caracterisent l'economie. C'est en ce sens que, en bon hegeIien, v. Stein developpe une dialectique entre l'Etat et la societe, entre la politique et l'economie. A la verite, il y a chez lui une double dialectique qu'il ne distingue pas toujours clairement: d'une part celle qui concerne les relations reciproques d'hostilite ou de cooperation par lesquelles l'Etat impregne la societe et inversement, d'autre part celle qui permet de depasser l'un et l'autre de ces deux termes antagonistes dans une troisieme idee.

IV. Si 1'0n considere la premiere de ces dialectiques on constate egalement que v. Stein tend a confondre deux aspects, suivant les deux significations du concept de socia!. Dans le premier cas il prend la notion de social dans le sens sociologiquement neutre de la Wissenschaft der Gesellschaft qu'il veut creer, et qui releve du jeu reciproque de I'Etat et de la societe en tant qu'ils suscitent le tissu communautaire forme des deux elements. Dans le second cas il prend la notion de social dans le sens evaluatif de question sociale, en correspondance avec le titre de son livre «Die soziale Bewegung », qui se caracterise plutöt par le jeu reciproque de la politique et de l'economie. C'est pour 43

4C

P. 73 -74. P.45.

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P.73. P.33.

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P. 38 et 62.

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cette raison que nous avons appele plus haut ä. une certaine prudence, en insistant sur le fait qu'on ne saurait assimiler purement et simplement la politique et l'Etat ou l'economie et la societe. Examinons d'abord la conception que v. Stein se fait du social, en tant qu'il constitue l'objet de la science que nous appelons de nos jours la sociologie. Il est le tissu des relations dialectiques entre le mouvement d'elevation (Erhebung) propre ä. l'Etat et celui de la sujetion (Unterwerfung) caracteristique de la societe. La lutte entre l'idee de liberte que represente le premier et celle de non-liberte que represente la seconde fait que non seulement la communaute, mais aussi l'Etat, sont ineluctablement affectes par la non-liberte introduite par la societe. 48 Du meme coup aussi, parce que dans l'Etat les hommes sont en principe egaux, la societe introduit egalement la hierarchie et l'inegalite, en ce sens que les individus auront dans l'ordre communautaire des statuts differents.,g Comme etre social l'homme est donc sans cesse ecartele entre les aspirations libertaires de l'Etat et l'inevitable asservissement ä. la societe, c'est-ä.-dire entre ses potentialites et ses limites. Si l'Etat a pour fonction d'inspirer une constitution et une administration, c'est des lors la societe qui donne un contenu concret ä. ces deux notions: «Il en resulte comme consequence necessaire la verite grave que la non-liberte est necessaiTe et inevitable dans la vie de la communaute humaine. C'est sur elle que repose la societe et sur la societe la constitution. Tout comme il n'existe aucun rudiment de non-liberte dans la constitution qui repond au concept pur et absolu de l'Etat, de meme ... il n'y a pas de constitution Teelle pensable qui ne contienne d'une maniere ou d'une autre, ä. un degre ou ä. un autre, la non-liberte, du moment que l'Etat reconnait la dependance ».50 L'idee d'une emancipation totale est donc chimerique. Une communaute sera plus ou moins libre suivant le jeu dialectique qui donnera la preponderance tantöt au principe de l'Etat, tantöt ä. celui de la societe. De toute fa!;on, en effet, toute communaute historique concrete contiendra toujours ces deux elements. Il apparait que le social, entendu comme dialectique entre l'Etat et la societe constitue, au meme titre que la nature, une limite pour l'homme, ä. cause du principe meme de la societe. Les raisons que v. Stein donne de cette limitation sont presque exc1usivement economiques. La lutte de l'individu contre la nature exterieure po ur pourvoir ä. ses besoins le conduit ä. produire du travail (Arbeit),51 et ä. constituer ainsi un ensemble de biens (Güter) ou une propriete (Eigentum). C'est precisement ä. propos de «la production des biens que se manifeste de 48

49

P. 51 et 68.

P.42.

60 51

P.69.

P.17.

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la fa~on la plus distincte la grande limitation de l'individu. Aucun individu n'est capable de se proeurer seul les biens qui lui suffiraient; c'est a peine s'il peut repondre a ses besoins par ses propres fore es ».52 Aussi a-t-il tendance aregarder vers les biens et le travail d'autrui, suivant que l'un possede davantage qu'un autre ou que l'un a besoin du travail de l'autre. C'est la base de l'economie ou de la Volkswirtschaft, dont le but est l'acquisition de richesses par la maitrise de la nature. La maniere differente dont les individus realisent cette acquisition donne lieu a la constitution de c1asses possedantes et de c1asses non possedantes. 53 Or, nous le savons, le rapport de dependance, c'est-a-dire l'inegalite dans le travail et la possession, constitue le principe de la societe. Celle-ci apparait des lors comme definissant «la difference de niveau dans le developpement parmi les hommes ».54 Ainsi donc, l'inevitable dependance economique conduit a la constitution d'une c1asse dominante et d'une c1asse dependante (eine herrschende und eine abhängige Klasse).55 Il est c1air qu'avec l'apparition du phenomene de c1asse sociale la contradiction entre le principe de l'Etat et celui de la societe ne peut que se durcir. Tout le jeu social depend de ce fait de la manie re dont les elements de la societe se comportent vis-a-vis de l'Etat et inversement l'Etat vis-a-vis de la societe. 56 Ce qui est· determinant, c'est qu'avec la division de la communaute en c1asses, la societe fait irruption dans la sphere de l'Etat, qu'elle le contraint a compter avec elle. D'ailIeurs, dans la mesure ou la c1asse superieure a pour but de proteger les personnes et de maintenir l'Etat, celui-ci «doit souhaiter qu'une telle c1asse existe ».57 Ainsi, comme d'autres theoriciens qui furent ses contemporains, v. Stein raisonne en termes de c1asse, mais sans privilegier la mission d'une c1asse determinee et sans donner a croire qu'une c1asse pourrait mettre fin a la division des classes. Du moment que toute communaute comprend les deux fondements que sont l'Etat et la societe et que la distinction des c1asses est essentielle pour la constitution de la societe, on ne peut penser la disparition des c1asses sans penser en meme temps la disparition de la societe. Des lors la contradiction entre l'Etat et la societe prend une nouvelle forme: «ce n'est pas l'existence de la societe, mais uniquement l'existence d'une c1asse dependante et non-libre qui est en contradiction avec les exigences de l'idee d'Etat ».58 Comment v. Stein con~oit-il la c1asse sociale? «Dans toute societe, ecrit-il, la naissance est le fait qui lie les membres d'une familIe a la c1asse ».59 Il veut dire par la que l'on appartient a l'une ou l'autre classe P. 17 - 18. n P.24. 54 P.42.

51

55 51 57

P.47. P.47. P.47.

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P.48. P.59.

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suivant que l'on est ne possedant ou non. Mais il y a quelque chose de plus important dans son analyse, justement du point de vue de la dialectique de l'economie et du politique, c'est que le pouvoir politique est un pouvoir de classe. V. Stein n'avait fait qu'effleurer cette question lors la distinction theorique qu'il a etablie entre Etat et societe. TI est pour le moins significatif qu'il aborde le phenomeme de la puissance politique apropos de ses explications sur la classe sociale. Nous l'avons vu, il est normal a ses yeux qu'une classe occupe le pouvoir politique, et il est tout aussi normal que toute classe aspire a participer a ce pouvoir. Aussi, contrairement a Marx, il rejette l'idee qu'une classe pourrait supprimer un jour la division en classes et faire deperir la politique. En effet, quelle que soit la classe, une fois qu'elle detient le pouvoir, elle obeit inevitablement a la loi de toute politique. Le veritable probleme est donc celui de l'usage qu'une classe fait de sa puissance. Pour bien comprendre la pensee de Stein sur ce point, il faut d'abord mettre en lumiere les divers presupposes qui determinent son analyse: a) La constitution et l'administration de l'Etat dependent de la politique que fait la classe dominante, c'est-a-dire « la difference dans la possession des biens constitue le vrai contenu de la difference entre les constitutions ».10 b) Si la possession forme un acquis, d'autres peuvent vouloir l'acquerir egalement.61 c) La classe dominante essaie de justifier sa domination en construisant un systeme juridique determine, de sorte que «le systeme juridique social est l'echelle qui permet de mesurer la domination qu'une classe particuliere exerce sur l'Etat ».82 d) En accord conscient ou non avec Tocqueville, v. Stein estime que « si une classe inferieure n'est pas deja libre en soi, aucune loi ni aucune force ne lui rendra la liberte ni ne la lui conservera ».13 Deux solutions sont possibles dans les conditions de ces presupposes: - Ou bien la classe dominante occupe le pouvoir politique uniquement dans son interet propre et utilise sa puissance pour exclure les classes inferieures de toute acquisition des biens. Du meme coup elle condamne l'Etat a etre une institution non-libre, c'est-a-dire il entre en contradiction avec lui-meme. C'est ce qui se produit par exemple dans le regime des castes, qui signifie le triomphe de la societe sur l'Etat, par la constitution d'une «societe absolue ».64 On arrive a un resultat analogue quand une classe inferieure s'empare revolutionnairement du pouvoir pour se rendre maHre uniquement de la propriete. «Dans 80

GI

P. 53 et 56. P.57.

8!

83

P.59.

P.81.

G4

P.62.

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le cas le plus favorable elle ne change meme pas les classes, mais uniquement les personnes, en tant que, par l'occupation violente de la propriete, elle fait des anciens dependants des maitres et des maitres des dependants »." La contradiction subsiste, puisque l'Etat continue a demeurer une institution de non-liberte, du fait que la societe continue a dominer l'Etat. On ne saurait donc parler de liberte dans ce cas. - Ou bien la classe dominante occupe le pouvoir politique dans l'interet de l'Etat et non point dans le sien exclusivement, ce qui veut dire que la liberte en tant qu'idee de l'Etat predomine sur la societe, tout en tenant compte des necessites de celle-ci. Dans ce cas l'Etat reste fidele a son idee, car il traite les membres des classes inferieures comme des personnalites. D'ou cette explication de v. Stein: « Nous avons vu que la realisation du principe de l'Etat se fait en general par la constitution et par l'administration, Aussi, pour lever la dependance des classes inferieures, l'Etat etablira d'abord dans la constitution l'egalite dans le droit public comme fondement juridique supreme; dans l'administration il fera de l'elevation des classes inferieures l'objet essentiel de son activite ».G6 Certes, l'Etat ne repondra jamais a la purete de son idee, mais il sera en mesure d'integrer la societe, grace a un consensus general, dans sa recherche de la liberte. En effet, de cette maniere « la vie de la societe sera necessairement et inevitablement integree dans la vie de l'Etat; car, les individus, en tant qu'ils se convertissent a une participation a la vie de l'Etat, mettront leurs revendications, leurs espoirs et leurs vues dans la constitution et dans l'administration. C'est ce qui explique que l'idee de l'Etat n'apparait jamais pure dans l'Etat reel, parce que tout son esprit et toute sa vie sont d'emblee penetres par les elements sociaux ».67 Ainsi pourra s'operer la compensation necessaire entre la liberte que l'Etat veut promouvoir et la non-liberte propre a la societe. Sans doute la contradiction entre l'Etat et la societe ne sera jamais surmontee, mais la vie a l'interieur de la communaute devient possible, dans la mesure ou justement toute communaute comporte les deux elements, sans sacrifier l'un a l'autre. Ce que l'on appelle question sociale ou mouvement social trouve sa nourriture dans cette double maniere de resoudre pratiquement la contradiction entre l'Etat et la societe. Ce qui ressort de ces considerations sur le fait social comme relation entre les individus, c'est que tout pouvoir politique a une base economique, c'est-a-dire que la capacite politique depend de la capacite economique. « Ce n'est pas la possession qui est dominee par le pouvoir, mais le pouvoir par la possession ».68 Par possession v. Stein entend aussi bien les biens spirituels que es P.80. 88 P.48.

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les biens materiels. Il n'est pas possible d'entrer dans le detail de cette distinction. Il suffit de retenir que pour lui la liberte exige l'acces a ces deux sortes de biens pour pouvoir regler avec quelque chance la question sociale. Ce qui preoccupe v. Stein, c'est l'etendue des pouvoirs de l'Etat, parce que seul il peut briser la pression qu'exerce la societe: «Attendu que l'ordre social regne sur la liberte et la conditionne et que tout mouvement dans la sphere de la liberte etatique a necessairement pour presupposition un mouvement dans la societe; - en outre, attendu que ce mouvement de la societe ne saurait etre durable et avantageux que grace a l'acquisition des biens sociaux, il en resulte que la vraie histoire de Ia societe, ainsi que celle de la liberte et de l'ordre etatique, consiste essentiellement dans Ia distribution et Ie developpement de ces biens sociaux dans Ia classe interieure ».69 Cette conc1usion concernant l'analyse du phenomene social en tant qu'il est objet de science - au sens ou v. Stein entend cette derniere notion - prefigure la maniere dont il traitera le probleme social au sens evaluatif du terme. Comme tous ses contemporains, il pense que la science de la societe doit etre au service d'une refonte progressive de la communaute humaine. Il a ete lui aussi ebranle par les consequences de la Revolution fran~aise et par le desarroi qu'elle a suscite dans les esprits et dans la societe.

v. Ce que l'on appelle question sociale, au sens des mouvements revendicatifs qui se produisent dans une communaute en vue de modifier ou d'ameliorer les conditions de vie pour les rendre plus justes, ne peut etre resolu par une revolution, surtout si elle pretend faire revenir la communaute a son origine. Du moment que du point de vue sociologique toute communaute comporte inevitablement les deux elements que sont l'Etat et la societe, et par consequent une contradiction insurmontable entre la liberte et la non-liberte, il est vain d'esperer que l'on pourra instaurer un jour une liberte totale sans dependance economique ou une non-liberte totale ou la dependance serait absolue. La solution de la question sociale doit au contraire tenir compte des aspirations a la liberte et de l'ineluctable dependance. Autrement dit, cette solution doit compter avec ces deux forces contraires, ce qui veut dire que la question sociale implique une dialectique entre la politique et l'economie. Pas plus que la politique a elle seule ne peut resoudre le probleme, l'economie a elle seule ne le peut non plus. En effet, la solution exc1usivement economique entretient l'illusion de la possibilite de ce que v. Stein appelle «le revenu sans travail» (arbeitsloses Einkom18

P. 83 - 84.

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men),1° et la solution exclusivement politique donne a croire qu'il suffit de transformer le droit ou la constitution, par voie reformatrice ou revolutionnaire, pour abolir la distinction de classe gräce a une redistribution des biens selon le principe de l'egalite de tous. D'Oll la longue critique que v. Stein fait de la « reforme politique » et de la « revolution politique ». Les nouvelles revendications de justice sociale, presentees par les doctrinaires du communisme, du socialisme et de la democratie sociale, tournent toutes autour de la notion d'egalite, en ce sens que l'on demande une autre distribution des biens economiques gräce a une action politique. Pour mieux comprendre la critique que v. Stein fait de ces nouvelles theories sociales, il faut d'abord analyser la conception qu'il se fait de l'egalite. Il ne met pas en cause l'egalite juridique des personnes, mais la possibilite d'une repartition egalitaire des biens materiels et economiques. L'ideal de la communaute « ne reside pas dans la realisation de l'idee d'egalite », et quelques lignes plus loin il poursuit: « On peut tout aussi peu penser cette egalite entre les hommes qu'elle n'a existe reellement ou qu'elle existera un jour. Sans doute les hommes sont egaux suivant leur concept, mais l'existence conceptuelle n'est qu'un moment chez tout homme; tout homme est, certes, la manifestation de ce concept, mais en meme temps il est quelque chose de plus, il est une manifestation autonome, une individuaIite. Je puis me representer de diverses manieres la formation de l'individualite, mais toujours subsistera le fait de la difference ».71 D'ailleurs la vie ne produit jamais deux reaIites, si petites soient-elles, qui seraient egales. A plus forte raison est-il vain d'esperer que l'on pourra instaurer l'egaIite a partir de la seule base economique, car l'economie obeit elle aussi a la loi de la difference, aussi bien en raison de la disparite des besoins que de la pluraIite des modes de travail et donc des moyens d'acquisition. On ne portera pas remede par exemple a la condition du proletariat en essayant de supprimer la pauvrete. En effet, « la pauvrete apparait la Oll la capacite de travail a disparu ou bien la Oll le travail effectif n'est plus en mesure de satisfaire les besoins natureIs et generaux de l'homme; le proletariat apparait la Oll le travail ne peut plus produire de capital, bien que le travailleur y aspire. On peut venir en aide a la pauvrete par l'assistance, au proletariat en creant la possibilite d'acquisition. Il peut y avoir de la pauvrete dans un peuple sans proletariat comme il peut y avoir un proletariat sans pauvrete ».72 Les solutions proposees par les doctrines sociales trichent avec les lois de l'economie. En effet, en reduisant celle-ci a la seule distribution egalitaire on meconnait les mecanismes pourtant fondamentaux de 70

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l'acquisition du capital. Bien avant Pareto v. Stein a compris que la repartition egalitaire des biens conduit a la ruine d'une communaute, car seule une croissance economique peut ameIiorer les conditions du proletariat. Il pose meme le probleme dans les memes termes que Pareto: «En effet, on prend le capital a ceux qui l'ont acquis; il en resulte que la classe superieure devient plus pauvre, sans que la classe inferieure devienne plus riche. " Il est clair que la revolution sociale est en soi une contradiction absolue et dans sa realisation un total nonsens ».73 L'economie ne peut regler la question sociale qu'en produisant davantage, car la repartition egalitaire conduit a ce que «le capital cesse d'etre un capital pour devenir un cadeau (Geschenk) ».74 Atout prendre, «la force agissante dans la revolution n'est pas l'idee d'egalite, mais seulement le bien social inegalement reparti ».75 L'erreur est de croire que par ce moyen elle supprimera la difference entre possedants et non-possedants. En effet, elle se heurte a un obstacle majeur qui reside dans le fait que «toute propriete acquise est necessairement une propriete a acquerir ».78 Aussi l'erreur consiste-telle dans le fait que les non-possedants n'acquierent rien, puisqu'on leur fait un cadeau. Selon v. Stein une acquisition ne peut se faire que par le travail. Cela veut dire que si le changement dans le titre de propriete se fait uniquement par un decret politique de distribution, sans travail, c'est la propril~te, et le capital qu'elle constitue, qui sont condamnes a pericliter: «l'accroissement du capital comme sa constitution repose sur le travail ».77 Le drame vient de ce que l'on diminue souvent les salaires des ouvriers alors que la masse du capital des possedants augmente. La solution de la question sociale consiste plutöt a faire participer les ouvriers au capital, a leur permettre d'acceder a la propriete, car « celui qui ne possede pas de capital ne peut acceder au capital ».78 Cela s'explique par la conception que v. Stein se fait de la propriete: elle est une condition materielle de la liberte de la personnalite. Or, comme « seulle travail donne une valeur a la propriete »,79 la situation funeste du point de vue social est celle Oll les uns possedent sans travailler et les autres travaillent sans posseder. C'est de cette contradiction que naissent les revolutions: «Des que dans une societe les possedants cessent de travailler et que seuls les non-possedants produisent ... et si la classe possedante, qui ne produit plus ne repond pas aux revendications de la classe inferieure mieux eduquee, on se trouve devant la raison materielle principale de la revolution ».80 Dans ce cas la classe superieure dispose du politique sans assise dans la societe, et l'Etat devient non-libre. Il en resulte que les classes inferieures exige73

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ront le pouvoir politique sous pretexte qu'il donnera alors satisfaction aleurs revendications. Mais il s'agit d'une revolution de non-possedants, vouee a l'echec, du fait qu'elle falsifie les rapports entre la politique et l'economie, etant donnee qu'elle ne vise que le pouvoir politique sans tenir compte des donnees propres a la societe. C'est ce que v. Stein appelle la « revolution fausse ».81 Il s'explique plus longuement sur cette falsification dans sa critique des theories sociales de son temps. Le communisme est a rejeter parce qu'il est « la negation de la proprieteindividuelle »,82 condition de la liberte de la personnalite. Il croit resoudre le probleme social en transferant toute la propriete a la collectivite, par consequent en constituant une propriete commune, ce qui veut dire que l'individu n'en dispose pas a son titre. Aussi l'egalite se traduit-elle « par la privation absolue de propriete de la part des individus et la formation d'une communaute de biens pour la totalite ».83 La consequence en est que la minorite qui dispose du pouvoir gerant le bien commun reduit a une dependance extreme les travailleurs, exclus de toute proprit'!te: « Puisque la communaute est representee par des individus particuliers, qui agissent en son nom en disposant du pouvoir, ceux-ci deviennent les maitres du travail, et tous les producteurs, partant toute la communaute, deviennent leurs dependants ».84 Le socialisme a sur le communisme l'avantage de reconnaitre le travail individuel, en ce sens que, suivant ses propositions, « le travail doit rendre l'individu riche et heureux, dans le respect de son individualite ».85 Cependant il a tort de vouloir instituer « la domination du travail sur le capital. Or, le capital se distingue essentiellement de la simple propriete du fait qu'il est un surplus accumule d'un travail anterieur ».86 Son erreur est de ne considerer le travail que dans son immediatete et non dans sa duree; par consequent il fait obstacle a la constitution d'un capital qui ne peut se constituer que dans le temps. Enfin la democratie sociale veut, sous une premiere version, faire de l'Etat un entrepreneur economique, donc attribuer la capacite economique au politique, et dans sa seconde version etre le dispensateur d'un credit au service des producteurs. Toutes ces theories dissolvent la dialectique entre l'economie et la politique en confondant sous une forme ou une autre les deux termes. Cela apparalt encore avec plus d'evidence quand on considere la revolution sociale que ,preconisent toutes ces theories. En croyant trouver la solution uniquement dans une reorganisation de la distribution economique les theories sociales commettent une tripIe meprise: d'une part elles meconnaissent la signification de l'Etat comme force organisatrice de la collectivite, en ce sens qu'elles consi81

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derent l'ensemble des travailleurs comme formant purement une « masse» et non pas un tout integre, capable d'une volonte commune; d'autre part la meconnaissance de l'Etat les conduit a mesestimer son röle, en donnant la priorite a la seule violence (Gewalt) ;87 enfin elles exigent des classes superieures ce qu'elles ne veulent ni ne peuvent donner, sans compromettre l'idee de l'Etat et la liberte.88 La revolution sociale part de l'idee que les proletaires forment la majorite - ce que v. Stein contes te - ils ne forment peut-etre meme pas la couche la plus energique et la plus vaillante de la population. 8a Il y a plus grave aux yeux de v. Stein: la revolution sociale est en contradiction a la fois avec l'Etat et avec la societe. 90 S'il est contraire a la possible « harmonie» sociale que les possedants qui ne travaillent pas detiennent le pouvoir, il est tout aussi absurde de donner le pouvoir a la classe travailleuse qui ne possede rien. On aboutit dans les deux cas a un resultat analogue, a savoir la non-liberte de l'Etat. C'est toujours une classe qui se substitue a l'Etat: « Le triomphe du proletariat est le triomphe de la non-liberte, alors qu'il devrait signifier le triomphe de la liberte »,90& car illui manque les conditions de la veritable domination, la jouissance d'une certaine propriete. Il est absolument faux de croire qu'une fois qu'on a realise la meilleure distribution egalitaire possible le probleme serait regle, car que peut signifier cette distribution quand elle n'est pas realimentee par le travail, source d'inegalites? Cette illusion n'est pas productrice de travail dans la duree, travail sans lequel il n'y a plus de capital, indispensable a toute economie. Aussi, en cherchant aregier la question sociale sur une base pretendue economique, la revolution sociale tombe dans l'orniere de la pire des politiques, celle qui essaie de s'imposer par la violence, sans reculer devant «le terrorisme et la domination par la peur ».91 La consequence en est que, une fois que cette revolution a organise son pouvoir, elle finit dans la violence pour la violence « au nom de l'idee sociale ». Cela veut dire que «la revolution sociale qui est effectivement parvenue a son but conduit toujours a la dictature ».92 L'economie s'efface devant la politique, avec la consequence que l'Etat et la societe deviennent non-libres en meme temps. Il n'y a plus de dialectique entre l'economie car en cherchant la solution dans la seule economie on chute dans la politique la plus terrible, au detriment des exigences de l'Etat et de la societe. Dans la mesure Oll l'Etat et la societe ont pour fondement des principes contradictoires - ainsi que v. Stein ne cesse de le repeter - et que cependant ils sont tous deux indispensables a la relative harmonie de toute communaute, il a y lieu de respecter l'autonomie de la politi87 88 88

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que et de l'economie, puisqu'elles participent par leur dialectique ä. cette contradiction. C'est le fond meme du paragraphe que v. Stein a consacre ä. la reforme sociale qui constitue, ä. son avis, la solution la meilleure de la question sociale: «La question sociale, dont la solution est preparee par la reforme sociale, ne reside nulle part ailleurs que dans les lois qui commandent la relation entre le capital et le travail, et par consequent la societe, la constitution et le developpement de chaque personnalite. On gagne beaucoup lorsque, dans de tels mouvements, on delimite rigoureusement le domaine ou la contradiction, que forme la vie, doit lutter jusqu'au bout ».93 S'il y a opposition entre Etat et societe, c'est parce que politique et economie ne se confondent pas et qu'elles constituent des spheres independantes dans la societe. «11 ne s'agit pas, declare-t-il, de faire d'un coup des hommes rien que des capitalistes, mais de leur donner la possibilite d'acquerir un capital ».94 Etant donne qu'instinctivement l'etre humain cherche ä. devenir proprietaire, les partisans de l'economie du marche et les partisans du communisme ou socialisme tombent dans la meme erreur, s'ils le privent de toute possession au nom du statu quo existant de la propriete privee ou celui de l'exclusivite de la propriete collective. On commet de part et d'autre la meme meprise avec des raisons opposees. Puisqu'il faut deja etre libre po ur avoir interet a conserver la liberte et qu'il faut deja disposer d'une propriete pour savoir ce qu'est une acquisition, la reforme sociale est la meilleure solution, puisqu'elle se donne pour täche de faire acceder la classe non-possedante ä. la propriete materielle afin qu'elle puisse s'eduquer spirituellement a l'exercice de la liberte. 9S 11 s'ensuit que, dans ces conditions, la revolution sociale ne fait que fausser les problemes, car, en promettant en principe la propriete et la liberte ades etres qui n'en jouissent pas, elle les precipite davantage dans la dependance, puisqu'ils n'ont aucun sens des avantages qu'on leur promet. Elle ne fait que substituer une dependance ä. une autre, souvent plus impitoyable. De ce point de vue elle est meme un malheur (Unglück).96 On se meprendrait sur l'eloge de l'interet que fait v. Stein si on oubliait que pour lui la reforme sociale ne porte pas seulement sur les conditions materielles, mais aussi sur les biens spirituels qu'on acquiert 93

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95 L. von Stein a lu les classiques anglais, car il voit dans l'interet le stimulant indispensable de toute activite: «L'interet, dit-il p. 137, est l'amour conscient de soi; cet amour se repete en tout homme. C'est pourquoi il constitue la puissance generale et irresistible de l'humanite ». Au fond, il n'y a que celui qui ne s'aime pas soi-meme qui est incapable d'aimer les autres, puisqu'il ignore ce qu'est l'amour. 96 P. 127.

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par la Bildung. «Aussi longtemps, remarque-t-il, qu'il subsiste dans une nation des biens spirituels, elle ne saurait demeurer dans la nonliberte ».97 Autrement dit, l'erreur des economistes et des theoriciens sociaux de son temps consiste, a son avis, de ne raisonner qu'en termes de biens purement materiels et economiques. «On ne saurait, ecrit-il, assez insister sur ce point. Il y a beaucoup degens qui se trompent sur l'importance considerable des biens spirituels dans la societe, parce qu'ils estiment que seuls les biens materiels dominent apparemment. Et pourtant, ce sont ces biens spirituels qui de tout temps ont ete le grain qui a fait fructifier, qui a rechauffe et eduque la liberte humaine ».98 Il oppose ainsi un refus categorique a l'interpretation purement materialiste de l'histoire. Je me contente de signaler cet aspect de la pensee de v. Stein, sans entrer dans le detail. Il fallait cependant le souligner pour comprendre sa theorie de la personnalite, dont il faut dire quelques mots.

VI. Nous avons dit qu'il y avait une double dialectique chez v. Stein. Jusqu'a present nous n'avons aborde que la premiere, sous le double aspect de l'opposition complementaire de l'Etat et de la societe ainsi que de la politique et de l'economie, qui forment ensemble le complexe communautaire. Il s'agit la de la dialectique interne a une communaute que v. Stein a essaye de depasser, en hegelien, dans un troisieme terme plus englobant. C'est la personnalite. Il faut entendre par la qu'il refusait la maniere dont les theoriciens de son epoque envisageaient la question sociale, car ils ne la consideraient que pour elle-meme, independamment des autres dimensions de l'existence humaine. En realite, la question sociale n'est qu'une figure particuliere d'un probleme philosophique plus general. On ne res out rien en montrant la contradiction de principe entre l'Etat et la societe ou les inconsequences des relations entre la politique et l'economie. Selon v. Stein il existe un probleme philosophique qui deborde toutes ces questions particu1ieres et toutes celles que peuvent soulever les diverses activites humaines, qu'elles soient artistiques, juridiques, religieuses ou autres. De son point de vue, il n'y a qu'une notion englobante, celle de la personnalite. Il le repete dans toute SOn reuvre, comme en temoigne par exemple SOn etude sur Der Rechtsbegrijj und sein doppelter Inhalt. 99 La notion de personnalite est au centre de son reuvre. Etant donne le theme que j'ai choisi de traiter, ce n'est pas le lieu d'entrer dans les details de sa 87 IS

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99 Voir l'ouvrage peu lu de nos jours de v. Stein, Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaft Deutschlands, Stuttgart 1876, p. 88.

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philosophie globale, mais de limiter les observations a la maniere dont v. Stein fait de la personnalite le lieu dialectique entre I'Etat et la societe dans le texte que nous commentons. Nous avons vu que I'Etat n'est libre que dans son concept, dans son idealite, et qu'il est SanS cesse agresse par la societe qui est le lieu de la non-liberte. 100 L'Etat perd sa liberte lorsqu'une classe sociale l'accapare totalement, en ce sens qu'elle exclut les classes inferieures de toute possibilite d'acquerir une propriete et de toute participation au pouvoir. 101 C'est le fondement de ce que v. Stein appelle I'etat de violence: «Tel est le principe ineluctable de la violence dans tout Etat, quand une classe de la societe s'empare exclusivement du pouvoir etatique ».102 Ce n'est donc pas l'existence des classes qu'il faut combattre, mais uniquement I'hegemonie exclusive d'une seule classe, qu'il s'agisse de la classe bourgeoise ou de la classe proletarienne. En effet, le regne exclusif de la classe proletarienne sera aussi dictatorial que celui de la classe bourgeoise, car elle fera de I'Etat son prisonnier. Il faut au contraire reconnaitre que toute communaute est composee d'un element libre qui est I'Etat et d'un element non-libre qui est la societe, la structuration de la communaute en classes etant la consequence de la presence inevitable de la societe. S'il en est ainsi, il y a une double erreur a eviter. D'une part on aurait tort de chercher la solution de 1'« harmonie» sociale dans la seule societe, car, dans ce cas on aboutit a la domination exclusive d'une classe qui rendrait l'Etat non-libre. D'autre part on commettrait une meprise analogue en cherchant la solution uniquement dans I'Etat comme le suggerent tous ceux qui pensent que la reforme politique suffirait a elle-meme. «Cette revendication, ecrit v. Stein, repose sur la grande erreur qui consiste a croire que I'Etat pourrait avoir en general comme tel la capacite de resister a la violence et aux exigences de la societe ».108 L'Etat ne peut rien par lui-meme, puisqu'il n'a aucune realite en dehors de la societe. Par consequent, considere en lui-meme, il est impuissant et «cette impuissance est celle de tout ce qui est abstrait et ideal ».104 Ce que nie v. Stein, c'est la possibilite de trouver une solution a I'interieur de la communaute, dans une de ses deux composantes necessaires. La condition permettant d'instaurer une relative harmonie, et plus specialement de resoudre la question sociale, n'est a chercher ni dans I'Etat exclusivement, ni dans la societe exclusivement, ni meme dans la dialectique interne et immanente a l'Etat et a la societe. Il faut la chercher ailleurs, dans un troisieme terme qui les depasse tous. C'est le röle de la personnalite. 100 101

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Sur ce point la pensee de v. Stein ne souffre pas d'equivoques: « Si l'Etat ne peut pas s'aider lui-meme et si la societe ne saurait etre libre a cause de son principe, la possibilite d'un veritable progres doit necessairement se trouver dans un moment qui, les depassant tous deux, est plus puissant qu'eux. 11 ne peut y avoir de doute sur cet element superieur qui englobe les deux phenomenes. Tous deux sont nes pour la connaissance conceptuelle de l'essence de la personnaZite. Cette exigence, la determination superieure de la personnalite, a suscite la multiplicite et l'unite de cette multiplicite dans l'Etat ainsi que son organisation dans la societe... La personnalite et sa determination est par consequent ce qui, parce qu'elle est plus puissante que l'Etat et la societe, met tout deux au service de la liberte ».106 Il en resulte que ni la politique ni l'economie n'ont de signification pour elles-memes, c'est-a-dire il est aussi deraisonnable de rechercher le pouvoir pour lui-meme ou la propriete pour elle-meme. En effet, « La liberte consiste dans la determination autonome de la personnalite dans le monde spirituel comme dans le monde materie!. Elle ac corde de ce fait a la personne individuelle la domination sur la sphere du spirituel et sur celle du materie!. Cette liberte ne peut etre pensee et elle ne peut devenir reelle sans ces deux spheres et l'on ne saurait parvenir a l'une d'elles sans une interpenetration intime des deux ».108 Encore faut-il eclaircir l'idee que v. Stein se fait de la personnalite. C'est a ce propos que surgit la principale difficulte de cette longue introduction. Il apporte seulement quelques relatives precisions, quand il declare: « La determination de l'individu a ete notre point de depart. L'individu ne saurait cependant y acceder tant qu'il demeure un isole. Cette determination contient donc, en vertu de son concept, la necessite et en meme temps l'essence de la communaute. Celle-ci est quelque chose d'autonome, d'independant de l'individu ».107 En un certain sens la demarche de v. Stein est tout a fait logique: partant de l'individu il le retrouve a la fin comme personnalite, dans la mesure OU il est integre dans une communaute. Comme individu il n'est qu'un pur etre de besoins et, grace a la communaute, il devient un etre a la fois politique et economique. Ce qui fait difficulte, c'est que si l'individu devient personnalite dans la communaute, la communaute devient elle aussi personnalite grace a l'Etat. RappeIons sa definition de l'Etat: il « est la communaute des hommes s'affirmant dans sa personnalite comme volonte et comme acte ».1°8 Le probleme vient de ce que la communaute est une personnalite po ur soi et independante de la personnalite individuelle. Cela signifie que l'homme n'est pas le createur de la communaute et que sa capacite se limite a l'organiser, po ur harmoniser la 105 108

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liberte qui caracterise l'Etat et sa dependance propre a la societe. En faisant de la communaute une personnalite independante, un organisme en soi, il peut fonder la Wissenschaft der Gesellschaft. 11 n'y aurait aucune difficulte si la communaute n'etait qu'une dialectique entre l'Etat et la societe et la question sociale une dialectique particuliere entre la politique et l'economie au sein de la dialectique precedente. C'est la un aspect de la pensee de v. Stein que nous avons essaye de mettre en evidence. Son analyse devient plus incomprehensible quand il fait de la communaute une personnalite au meme titre que la personnalite individuelle. Qu'arrive-t-il en cas de conflit entre ces deux personnalites egalement independantes? Comment resoudre ce conflit? Qui le resoudra? C'est un probleme que v. Stein n'aborde pas. En tout cas il n'est pas possible de lever la difficulte en se contentant de la seule explication que v. Stein donne a ce sujet: «La communaute, disponible pour les personnalites, englobant des personnalites et saisie a partir de l'essence de la personnalite, ne saurait etre quelque chose de dissemblable de la personnalite dans son existence autonome. Elle doit au contraire constituer elle-meme une vie personnelle po ur trouver sa täche et l'accomplir dans la vie personnelle ».109 11 est certain que si la communaute n'est pas autre chose qu'une personnalite, elle est egalement une autre personnalite de nature collective, dont l'harmonie avec la personnalite individuelle n'est pas preetablie. A cette difficulte s'ajoute une confusion. Dans le passage deja cite de la page 75 Oll la personnalite est con!;ue comme le troisieme terme superieur a l'Etat et ä la societe, l'Etat semble devenir une sous-categorie englobee dans la dialectique. Or, ä la page 15, dans un autre passage egalement cite, c'est l'Etat qui au contraire forme la personnalite de la communaute. Il s'agit lä d'une difficulte capitale, car elle met en jeu la notion de liberte: depend-elle uniquement de l'Etat ou est-elle aussi une puissance de l'individu? Autrement dit, l'individu deviendrait-il uniquement libre et, comme tel une personnalite, uniquement par la communaute organisee en Etat qui combat la non-liberte de la societe? 11 me semble que la pensee de v. Stein devient plus c1aire lorsqu'on interprete, comme nous l'avons fait sur la foi de certains textes, les rapports entre Etat et societe dans les termes de relations entre l'autonomie (Selbstbestimmung) politique et la dependance (Abhängigkeit) economique, plutöt que d'opposer formellement Etat et Societe comme deux entites dont l'une serait seule la raison de la liberte et l'autre celle de la non-liberte.

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Gesellschaftlicher Bedingungsrahmen und staatlicher Handlungsspielraum Zu Lorenz von Steins Bedeutung für das Verständnis der "politischen Ökonomie" im 20. Jahrhundert Von Hans-Joachim Arndt I. Steins Ansatz und seine Vberprüfung im Lichte späterer praktischer Erfahrung Lorenz von Stein gilt als einer der großen Diagnostiker und auch Prognostiker des 19. Jahrhunderts. Er wird, und dies nicht nur von seinen enthusiastischen Befürwortern, in gleichem Zuge mit einem Hegel, Tocqueville, einem Marx genannt. Aber seine prognostische Kraft ist besonderer Art. Obwohl er Hegel tief verpflichtet bleibt, entbehren seine Analysen und Diagnosen der idealistisch-spekulativen Note; und andererseits: obwohl er früher als Marx den Finger auf die Wunde der Industrie-Erwerbs-Gesellschaft legte, nämlich den "Widerspruch" zwischen Kapital und Arbeit, verfällt er nicht in hybrid-eschaFür die am häufigsten zitierten Werke Lorenz von Steins wurden folgende Ausgaben verwendet (Zitierweise in Klammern): Lehrbuch der Finanzwissenschaft. Als Grundlage für Vorlesungen und zum Selbststudium, Leipzig 1860 (FiW) Die Verwaltungslehre. Siebenter Teil. Innere Verwaltungslehre. Drittes Hauptgebiet. Die wirtschaftliche Verwaltung (Volkswirtschaftspflege), Stuttgart 1868. Neudruck Aalen 1962 (Vwl) Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts. Als Grundlage für Vorlesungen, Stuttgart 1870 (Hb) Von der Geschichte der Sozialen Bewegung Frankreichs wird die Einleitung zitiert in der Ausgabe von Ernst Forsthojj: Lorenz von Stein, Gesellschaft - Staat - Recht, Frankfurt/ Main 1972 (GSR); darin auch: Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaft Deutschlands, Stuttgart 1876 (GZ); unter derselben Abkürzung werden zitiert die in der gleichen Ausgabe mit zusammengefaßten Aufsätze von Ernst Rudolph Huber, Lorenz von Stein und die Grundlegung der Idee des Sozialstaats (GSR). Ernst-Waljgang Böckenjörde, Lorenz von Stein als Theoretiker der Bewegung von Staat und Gesellschaft zum Sozialstaat (GSR). Dirk Blasius, Lorenz von Steins Lehre vom Königtum der sozialen Reform und ihre verfassungspolitischen Grundlagen (GSR).

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tologischen Revolutionarismus. Aber seine Ableitungen auf Zukünftiges hin verbleiben auch nicht in der Zufälligkeit intuitiver Trouvaillen; sie suchen den Zusammenhang einerseits eines rationalen Systems, andererseits historischer Empirie 1 . Damit hängt zusammen, daß Lorenz von Steins Werk unmittelbar starke Elemente der Brauchbarkeit enthält, und damit der Überprüfbarkeit im Lichte späterer Erfahrung. Unmittelbar einsichtig ist dies für die Lehr- und Handbücher aus seiner späteren Arbeitsepoche, wie die Finanzwissenschaft von 1860, das Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts von 1870, die große Verwaltungslehre zwischen 1866 und 1884, für Abhandlungen wie "Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaft Deutschlands" von 1876. Aber auch die Frühschriften, die ihn berühmt machten, enthalten trotz ihres mehr "theoretischen" Charakters bereits viele der Leitlinien, aus denen das spätere Hauptwerk, nach der Wendung zur Verwaltungswissenschaft hin, seine Praxisbrauchbarkeit und seinen Praxisanspruch zieht. Wir teilen nicht die Auffassung mancher Autoren, die zwischen der historisch-theoretischen Frühphase und der verwaltungswissenschaftlichen Detailarbeit einen resignativen Bruch entdecken zu können glauben und diesen gar noch biographisch durch den Lebensweg Steins untermauern wollen2 • Vielmehr ist es gerade die Treffsicherheit seines historisch-theoretischen Konzeptes, erarbeitet bis zur "Geschichte der sozialen Bewegung Frankreichs", die es ihm erlaubte, diese Basis, ohne von ihr abzuweichen, einzelwissenschaftlich auszubauen. Im folgenden Teil soll der Versuch gemacht werden, Steins Zugriff, wie er sich in den detaillierten einzelwissenschaftlichen Forschungen des Spätwerks darstellt, im Lichte späterer Erfahrungen oder Problemstände zu überprüfen3 . Es kann sich hierbei nicht darum handeln, sich auf Lorenz von Steins Wirkung beim Begreifen und Lösen praktischer Probleme zu berufen; seine Wirkung war bis zum 1. Weltkrieg minimal und ist es im Grunde sogar bis zum Ende des 2. Weltkrieges geblieben. 1 Vgl. dazu Böckenförde, in GSR, S. 514/15: "Indessen wäre eine gelungene Prognose als solche noch kein Grund zu besonderer Aufmerksamkeit ... Die Prognose Lorenz von Steins ist demgegenüber eine systematis'che, aus Gründen entwickelte Prognose". - Derselbe einschränkend zur Verbindung von Systematik und Historie: "Diese verfassungsgeschichtliche Seite von Steins wissenschaftlichem Werk ... wird bei Stein selbst dadurch in etwa verdeckt, daß er, aus den Fragestellungen seiner Zeit heraus, seine verfassungsgeschichtlichen Erkenntnisse zuglei'ch als allgemein-theoretische versteht" (ebd., S. 519, Anm. 21). ! Auch Böckenjörde hält diese Ansicht nur für "bedingt zutreffend" (ebd. S.542). a Vgl. dazu auch Huber (GSR S. 497): "Reizvoll wäre es insbesondere nachzuweisen, wie die in der Frühzeit des Sozialismus-Buchs gewonnenen Einsichten in den späteren ökonomischen und juristis'c hen Werken, so in der Verwaltungslehre, abgewandelt und doch festgehalten sind."

Gesellschaftlicher Bedingungsrahmen und staatl. Handlungsspielraum 151 Auch kann nicht etwa eine Überprüfung auch nur des Großteils seiner Lehrsätze aus Verwaltungswissenschaft, Verwaltungsrecht, Finanzwissenschaft, in ihrer ganzen Fülle, in Angriff genommen werden. Worum es uns hier geht, ist, festzustellen, inwieweit Steins Ansatz aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in Theorie und in "Technik", sich geeignet zeigt, auch die Entwicklung zu erfassen, die der Wissenschaft und Praxis erst mit dem 20. Jahrhundert sichtbar wurde, einsetzend etwa mit dem Ersten Weltkrieg. Hierbei beschränken wir uns im wesentlichen auf zwei Problemgebiete: einmal auf die etwa seit dem Ende des Ersten Weltkrieges notwendig werdende Steuerung, Lenkung, Planung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Makrosystems, zum anderen - damit zusammenhängend - auf die Ausweitung der klassischen "Sozialpolitik" des 19. Jahrhunderts zu einer globalen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik mit den Kernelementen Vollbeschäftigung, Wirtschaftswachstum, "soziale Sicherung". Befragt und "getestet" wird also hier Lorenz von Steins Erfassungskraft für Entwicklungen und Problemstände, die zu seiner Zeit entweder überhaupt noch nicht oder nur sehr verdeckt vorhanden waren oder, wenn vorhanden, gar nicht oder nur sehr unvollkommen gesehen wurden. Es sind jene Entwicklungen und Probleme, an deren Bewältigung im 20. Jahrhundert sich dann Namen wie John Maynard Keynes, Joseph Schumpeter, Walter Eucken, Oskar Lange und Ota Sik knüpften. Es sind schließlich jene Probleme, die in den Sechzig er Jahren des 20. Jahrhunderts das Wiederaufleben des alten Begriffes der "Politischen Ökonomie" mit sich brachten, ob nun marxistisch eingefärbt oder nicht, und die gipfeln in der Fragestellung nach der Autonomie staatlichen Handelns innerhalb gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Bedingtheiten4 • 11. Steins Grundansatz und die Problematik der Makro-Steuerung im 20. Jahrhundert Unser Vorgehen ist nur sinnvoll bei Anerkennung einer historischsoziologischen Prämisse. Lorenz von Stein ist auf eine Kernproblematik des 20. Jahrhunderts hin nur dann zu befragen, wenn die Grundstruktur der Entwicklung, wie sie sich im 20. Jahrhundert dann entfaltete, , Vgl. für die nicht-marxistische Wortbedeutung die übersicht von Bruno S. Frey, Die ökonomische Theorie der Politik oder die neue politische Ökonomie, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 126 (1970), S. 1 ff.; für eine überwiegend marxistis'che Interpretation Beiträge und Verlauf der Hamburger Tagung 1973 der Deutschen Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik, abgedruckt im Sonderheft Nr. 6 der Politischen Vierteljahresschrift: Politik und Ökonomie - Autonome Handlungsmöglichkeiten des politischen Systems, Hrsg. Wolf-Dieter Narr, 1975. Die Fragestellung dieser Tagung ging genau in der hier von uns erwähnten Richtung.

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zu Steins Wirkungszeiten zwischen 1840 und 1880 bereits - mindestens in der Anlage - vorlag. Es wäre unvernünftig und ungerecht, in einem Werk aus der Mitte des 19. Jahrhunderts nach Diagnose und Therapie für eine ein Jahrhundert später auftauchende Lage zu suchen, wenn dazwischen ein epochaler Bruch liegt, etwas grundsätzlich Anderes, Neues aufgetreten ist, eine Art "dialektischer Umschlag" stattgefunden hat. In der Tat gehen wir, ähnlich wie Hegelianer und Marxisten des 20. Jahrhunderts, wenn auch mit nur heuristischem Anspruch, davon aus, daß die Grundproblematik der "Industriegesellschaft", "Klassengesellschaft", oder "post-industriellen Gesellschaft" der Gegenwart nicht grundsätzlich verschieden ist von ihren Anfängen in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, sondern nur die Entfaltung und Ausfaltung der damaligen Lage darstellt. Dann wird es sinnvoll, Lorenz von Stein danach zu befragen, ob er die noch unentfaltete Grundstruktur so zutreffend begriff, daß er auch für die nunmehr ausgefalteten Probleme des 20. Jahrhunderts noch etwas zu sagen hat. Hierbei wäre es offenbar verfehlt, das Hauptaugenmerk auf bloß Akzidentielles zu richten; das Wesentliche muß im Griff bleiben; doch hat Lorenz von Stein ja gerade versucht, auch im Wesentlichen konkret zu bleiben, hat versucht, Handlungsanweisungen für reale Lagen auch der Zukunft zu entwickeln und diese Handlungsanweisungen in ein System der Verwaltungslehre zu bringen. Hier liegt seine spezifische Differenz etwa zu Karl Marx. Dieser bedurfte erst eines Lenin, der das noch abstrakte Marxsche Postulat der Sozialen Revolution mit einer soliden Strategielehre versah, und der trotzdem nicht verhindern konnte, daß später die erfolgreiche Revolution in Rußland ohne jede konkrete "Verwaltungslehre" dastand, - und, wenn der Augenschein nicht trügt, bis heute noch dasteht. Sehen wir zu, ob Lorenz von Stein die "Regierungsprobleme" des 20. Jahrhunderts mit einem größeren Maß an Treffsicherheit ergriff, inwieweit er also die noch unentfaltete Struktur der Lage richtig erfaßte. A. Grundkategorien des Ansatzes Lorenz von Steins

Es ist methodisch weder möglich noch notwendig, die - hier als durchhaltend unterstellte - epochale Grundstruktur der Industrieoder Klassengesellschaft in toto mit dem Anspruch auf schlechthinnige Objektivität darzustellen, - also unabhängig von den (bloß "subjektiven") Auffassungen eines Lorenz von Stein, Karl Marx oder des Verfassers dieser Abhandlung selbst. Wie zutreffend Stein das "Objekt Lage" einst erfaßte, soll sich ja gerade erst am Ende einer Untersuchung herausstellen, welche die Anwendbarkeit seines Zugriffs auch

Gesellschaftlicher Bedingungsrahmen und staatl. Handlungsspielraum 153 für die entfalteten Zustände des 20. Jahrhunderts überprüft, und auch eine solche überprüfung kann immer nur annäherungsweise den Beweis für objektive Richtigkeit des Zugriffs erbringen. Die Möglichkeit muß offen gelassen werden, daß wir heute - oder daß der Verfasser dieser Abhandlung heute - die Probleme ebenso falsch sieht wie einst Lorenz von Stein, daß also auch ein positives Ergebnis nur die Positivität eines konsensualen Irrtums darstellt. Ist nun zwar eine "objektive" Schilderung der historisch-soziologischen Grundstruktur weder möglich noch notwendig, so erfordert eine Überprüfung des Steinschen Ansatzes im Lichte der gegenwärtigen Problematik doch eine Schilderung eben dieses Ansatzes selbst, - im groben Umriß, noch bevor die einzelwissenschaftlichen Aussagen Steins hinzugezogen werden. Diese Schilderung vollziehen wir hier in kategorialer Kürze, weil wir erwarten dürfen, daß die Kenntnis des Steinschen "Systems" im Kreise von Fachleuten vorausgesetzt werden kann. Wir benutzen bei der Aufzählung bewußt Klischeeworte der politischen Kampfsprache der letzten hundert Jahre, um dann in der Analyse um so präziser abgrenzen zu können. 1. Steins System enthält liberale Elemente:

a) Wirtschaft (Gesellschaft) werden vom Staat getrennt; die Ökonomie kennt eigene "Gesetze", die der Staat achten muß, b) es geschieht "Fortschritt" in Richtung auf "persönliche Freiheit", c) diese persönliche Freiheit hat das über Privateigentum verfügende Individuum zur Voraussetzung; sie beinhaltet notwendig Ungleichheit und Wettbewerb, d) Arbeit und Kapital bleiben je in ihrem eigenen Recht und ihrer eigenen Notwendigkeit bestehen, e) Staatseingriffe in Wirtschaft und Gesellschaft sind notwendig, doch nur als "Bedingungen zur Ermöglichung individueller Erwerbsfähigkeit", f) im Bereich der Staatsverfassung . übersteigt Stein diese liberale Basis in Richtung auf ein "demokratisches" Element: Hier erfordert die Freiheit aller Staatsbürger ihre rechtliche Gleichheit bei der Mitbestimmung über Gesetze und bei der Einsetzung und . Kontrolle der Regierung. 2. Steins System enthält soziale oder zumindest sozialliberale Elemente: a) Die grundlegende Problematik des Klassenwiderspruchs wird in Form der "sozialen Frage" als Eigentumslosigkeit des Proletariers klar erkannt,

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Hans-Joachim Arndt b) Kommunismus (private Eigentumslosigkeit an den Produktionsmitteln) wird als der Freiheit widersprechend abgelehnt, c) Sozialismus (Herrschaft der Arbeit über das Kapital) wird als der Natur des Erwerbes widerstreitend abgelehnt, d) die Natur der Erwerbsgesellschaft, des Interesses als dominierenden Faktors, des Warencharakters sogar der Arbeit werden klar erkannt, e) die Lösung wird in der Ermöglichung des Erwerbs von Kapital für den Proletarier gesehen, f) das Vehikel der Lösung liegt in "sozialer Demokratie", wobei "Demokratie" das Verfassungselement beschreibt, "sozial" dagegen die Verwaltung, womit die Lösung nicht in "sozialer Revolution", sondern in "sozialer Reform" gesehen wird, g) eine wesentliche Rolle bei der überwindung der Sozialen Frage spielt der (Verwaltungs-)Staat, doch richtet sich die Lösung nicht gegen das Interesse, selbst nicht der "herrschenden Klasse", vielmehr gebietet sie auch deren wohlverstandenes Interesse.

3. Steins System enthält aber auch "etatistische" Elemente, die man als "konservativ" bezeichnen kann, mit einem bedeutsamen Stellenwert für Monarchie. a) "Staat" ist eine essentielle Bedingung für die Freiheit des Individuums, nicht nur - im liberalistischen Sinne - ein nützliches Werkzeug, dem Grundrechte der Individuen prinzipielle Grenzen setzen, b) die Verfassungsentwicklung ist mit dem Erreichen von "Demokratie" abgeschlossen; die Verwaltung - als Tätigwerden des Staates - tritt als Aufgabe in den Vordergrund; sie umfaßt weit mehr als bloße Ausführung von Gesetzen, c) Der Staat kann zwar die ökonomischen Gesetze (der Gesellschaft) nicht umstoßen, doch greift er auf ihrer Basis in die Wirtschaftsabläufe mit "Volkswirtschaftspflege" (heute: Wirtschaftspolitik) nach ganz anderen, nämlich "freiheitlichen" Prinzipien ein, leistet insbesondere die Grundlegung der Möglichkeiten für den individuellen Erwerb da, wo dieser nach ökonomischen Prinzipien versagt oder behindert wird, d) zur Erbringung dieser Leistungen verfügt der Staat (als MikroSubjekt der "Staatswirtschaft") über ein "absolutes wirtschaftliches Recht" gegenüber den Individuen; behandelt wird dies zum Beispiel in der Finanzwissenschaft (dem Einnahmewesen) und dem Ausgabewesen (Teil davon: Haushaltswesen); aber "Staatswirtschaft" umfaßt als Mikroproblem weniger als "Volks-

Gesellschaftlicher Bedingungsrahmen und staatl. Handlungsspielraum 155 wirtschaftspflege", - Wirtschaftspolitik kann z. B. betrieben werden, ohne daß Ausgaben für Aufgaben anfallen, e) trotz des zugrunde liegenden "soziologischen Realismus" wird dem Staat als historischer Institution, nicht nur als gesellschaftlichem Instrument, prinzipiell Autonomie zum Eingriff zuerkannt; hier liegt auch der besondere Stellenwert der Monarchie-Konstruktion, f) Soziologische Grundlage bleibt aber die "Gesellschaft"; Nation und Volk - als grundsätzlich anders legitimierte Einheiten spielen bei der Konstituierung von Staatlichkeit keine essentielle, sondern höchstens eine akzidentielle Rolle. B. Kernprobleme der Gescllscbaftsund Wirtsrhaftssteuerung im 20. Jahrhundert

Wie oben erwähnt, beschränken wir uns in dieser zweiten kategorialen Aufstellung auf Probleme, die als typische und neue für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg gelten können, und die vornehmlich aus dem Bereich der Makrosteuerung gegriffen sind. Wir klammern also unter anderem alle jene Politiken aus, die als Fortsetzung der klassischen "Sozialpolitik" des 19. Jahrhunderts gelten können, also etwa Einkommens-Umverteilungs-Maßnahmen, so groß auch ihr quantitatives Gewicht heute geworden sein mag.

1. Notwendigkeit der Makro-Steuerung von Gesellschaft und Wirtschaft Hierunter fällt insbesondere die monetäre Steuerung, wie sie seit der Keynes-Schule und dem Post-Keynesianismus entwickelt wurde. Als Gliederungs-Mittelpunkt wurden die Zielpunkte des sogenannten "magischen Vielecks" genommen. a) Harmonisches und stetiges Wachstum, b) Vollbeschäftigung, c) Preisniveau-Stabilität, d) Stabilität der Außenwirtschafts beziehungen, e) Freiheit (Autonomie) der Subjekte, z. B. der Tarifpartner, aber auch Aufrechterhaltung des parlamentarischen Systems ("Pluralismus" der Parteien und Verbände).

2. Notwendigkeit von Rahmenregelungen der Wirtschaftsprozesse Während man die oben unter 1. genannten Punkte eher einer "technokratischen" oder "etatistischen" Lenkung zuordnen könnte, treten

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hier die "neoliberalistischen" Lenkungselemente etwa der Schule um Walter Eucken in den Vordergrund; ein Angehöriger dieser Schule, Müller-Armack, spricht von der "Sozialen Marktwirtschaft" ausdrücklich als von einer "gesteuerten" Marktwirtschaft6 • a) Setzung und Aufrechterhaltung eines Währungssystems, b) Schaffung und Durchsetzung von Wettbewerbsregeln, einschließlich Aufrechterhaltung des nötigen Maßes von Wettbewerb, zwischen Wirtschaftssubjekten, Unternehmen wie Verbänden, c) globale Konjunktursteuerung, d) gezielte, aber transitorische Politiken zur Erleichterung der Anpassung an Strukturveränderungen, e) globale Einkommens- und Vermögenspolitik mit dem Schwergewicht auf letzterer (Ermöglichung zur individuellen Vermögensschaffung), f) "Naturpolitik" und Raumpolitik, hierunter z. B. Umweltschutz, globale Raum-, Regionalplanung usw. 3. Lösung des "Grundwiderspruchs" zwischen Kapital und Arbeit Hier liegt das Schwergewicht der sozialistischen und marxistischen Schulen, Parteien und Bewegungen, vom Fabianismus über Labour und Sozialdemokratie bis zu klassenkämpferischen Sozialismen. a) Sozialisierung von Grundstoffindustrien, Banken usw., b) Ersatz des Wettbewerbssystems durch Elemente zentraler Planung, etwa Investitionskontrollen usw., c) Umorientierung des Antriebsmotivs von Profitorientierung auf andere Elemente, etwa gemeinwirtschaftliche, d) Mitwirkung der Arbeitnehmer auf Mikro- und auf Makro-Ebene durch besondere Institutionen, etwa "Mitbestimmung", e) übernahme der Staatsapparate durch Organisationen der "Lohnabhängigen" , f) Internationalisierung des Problems oder von Einzelproblemen, etwa der multinationalen Unternehmen, " Sozialisierung " statt "Nationalisierung" , g) Berücksichtigung der spezifischen Interessenlagen von Einzelstaaten je nach deren Entwicklungslage, Entwicklungspolitik.

5 Alfred Müller-Armack, Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft, Hamburg 1948, S. 90 ff.: Prinzipien einer gesteuerten Marktwirtschaft.

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c. Ziehen erster grober Verbindungslinien zwischen Steins Ansatz und den Grundproblemen der Gegenwart Auf den ersten Blick erscheint in Steins System ein scheinbarer Widerspruch zwischen den liberalen und sozialen Elementen einerseits und den etatistisch-konservativen andererseits. Das liberalistisch gezeichnete Gesellschaftsbild mit der Dominanz von Interesse, "Wertgesetz" und Besitz scheint auffällig mit einem Absolutheitsanspruch des Staates Hegelscher Provenienz zu kontrastieren, dieser Kontrast wird noch durch die monarchische Komponente verschärft. Dem wiederum scheint zu widersprechen, daß die Staatlichkeit keineswegs nationalstaatlich, ja noch nicht einmal "einzelstaatlich" begrüfen wird8 ; "Staat" ist bei Lorenz von Stein vorwiegend eine "gesellschaftliche" Einrichtung, und das bedeutet hier: nicht primär eine nationale, volksgebundene, sondern eben eine "ubiquitäre", ja geradezu internationale, jedenfalls die Gesamtheit der europäischen Industrienationen umgreifende Einrichtung. Nicht die Individualität der jeweils weiter bestehenden Einzelstaaten, sondern ihr "Seriencharakter" als spezifische Leistungseinheit stellte für Stein das Legitimierende dar. Auf den zweiten Blick erscheinen bereits bei der ersten groben Beziehungsbildung auffallende Deckungsgleichheiten zwischen einzelnen Punkten von Steins Grundkatalog (A) und vielen Elementen des Problemkatalogs der Gegenwart (B). Mindestens sind solche Beziehungen extrapolierbar, so z. B. enthält die Steinsche Scheidung zwischen Staatswirtschaft und Volkswirtschaft bereits im Kern das Doppelgesicht der modernen Staatsfigur als Mikroeinheit des Haushaltssubjekts und Makro-Einheit der Gesamtvolkswirtschaftlichen Steuerung7 • - Andererseits fällt aber auch recht früh ein Hauptmangel auf: die hartnäkkige Weigerung Steins, den Einzelstaaten im Sinne des Historismus des 19. Jahrhunderts konkrete Individualität als Legitimationsgrundlage zuzuerkennen und sofort auf "überstaatliche" Gesellschaftsprobleme durchzugreifen, entzieht den modernen Globalpolitiken einen guten • Böckenjörde unterstreicht dies (a.a.O., S. 516, 544), er erklärt damit einerseits die Wirkungsschwäche Steins im 19. Jh., sieht aber andererseits darin einen Beweis für die Richtigkeit der Steinschen Analyse: "Heute ist das Nationale in Europa vom Schauplatz der Geschichte abgetreten; ... Die Einigung des westlichen Europas, deren Zeitgenossen wir sind, vollzieht sich nicht mehr als Bund der Völker und Nationalitäten, sondern als die Konstituierung einer europäischen Erwerbs- und Industriegesellschaft, die das Metaökonomische und -gesellschaftliche außer sich setzt und in den Bereich vielleicht zu konservierender Substrukturen verweist." (ebd. S. 518) 7 Typis'ch für diese Sichtweise etwa Friedrich von Dungern: Die drei Theorien vom Staatshaushalt, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 108 (1952) S. 460: "Die Wirtschaft ohne Subjekt heißt heute Makro-Ökonomik, das Wirtschaften der einzelnen Subjekte aber MikrO-Ökonomik. Die Staatswirtschaft und der Öffentliche Haushalt gehören dem letzteren Bereich an. Es handelt sich um das Wirtschaften eines Subjektes."

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Teil ihrer Grundlage, denn sie sind allesamt - trotz weltwirtschaftlicher Verflechtung, trotz regionaler Wirtschaftsgemeinschaften, trotz Weltwährungsproblemen, trotz Weltwirtschaftskrisen - einzelstaatliehe Globalsteuerungen, von gezielten Auf- und Abwertungen mit Dumping- oder nationalem Vollbeschäftigungs-Effekt bis zu "Sozialismus in einem Land". Ein weiteres Moment fällt beim ersten Herstellen von Beziehungen zwischen Katalog A und Katalog B auf: Die Katalog-Elemente von Steins Grundansatz sind nicht etwa schwerpunktmäßig einem der von uns mit politischen Klischeewörtern bezeichneten Katalogpunkte B 1 bis 3 zuzuordnen, nicht dem liberalistischen B 2, nicht dem marxistischsozialistischen B 3, auch nicht dem etatistisch-technokratischen B 1. Aber auch das umgekehrte trifft nicht zu: Steins Ansatz blockt keine wesentlichen Elemente der drei politischen Grundströmungen ab; das marxistisch-sozialistische "Programm" B 3 wird von ihm als Problem ebenso abgedeckt wie das Keynesianische Bloder das der "Sozialen Marktwirtschaft" B 2. Man mag hieraus einen gewissen Eklektizismus Steins ableiten, die Konsequenz oder gar den Preis für den scheinbaren Widerspruch, soziale, liberale, demokratische, konservative, etatistische und sogar monarchische Elemente gleichzeitig in sich beherbergen zu wollen. Man kann daraus aber auch eine andere Hypothese ableiten. Steins Ansatz ging und geht eben von vornherein auf "das Ganze", - das bei ihm in den Frühwerken noch als "Gemeinschaft" (nicht im Tönniesschen Sinne) auftritt und Staat wie Gesellschaft gleichermaßen umgreift. Er zielte auf die "historische Totalität" insgesamt, wobei ihm die europäischen Einzelstaaten natur- oder vielmehr geschichtsgemäß als Partikularitäten auftreten mußten, aber ebenso sehr auch die (partei-) politischen Programme und Maßnahmenbündel sowie die wissenschaftlichen "Schulen". Betrachten wir, wie sich sein Zugriff im Einzelnen bewährt. 111. Steins "tätiger Staat" als Gesellschaftsund Wirtschaftsverwaltung gegenüber den Anforderungen des 20. Jahrhunderts im einzelnen Für eine Untersuchung der monetären Gesamtwirtschaftssteuerung und einer Gesellschaftspolitik zur Lösung der "Sozialen Frage" bieten sich bestimmte Teile aus Steins einzelwissenschaftlichem Werk vorzüglich an. Von der Sache her kann, aber auch aus Zeitgründen muß eine Behandlung seiner "Allgemeinen Inneren Verwaltung" ebenso ausgeklammert bleiben wie die Berücksichtigung aller speziellen Wirtschaftspolitiken, - letztere bei Stein als "Besonderer Teil" der Volkswirtschaftspflege. Von seiner "Allgemeinen Wirtschaftspolitik" (Volks-

Gesellschaftlicher Bedingungsrahmen und staat!. Handlungsspielraum 159 wirtschaftspflege) lassen wir beiseite den ersten Abschnitt über. "Entwährung", vornehmlich, weil er von anderer Seite bereits behandelt wird. Der zweite Abschnitt über "die Verwaltung und die Elemente" bleibt ebenfalls unberücksichtigt, weil Feuerpolizei, Wasserrecht und Schadenversicherungswesen wenig Bezugspunkte zur Globalsteuerung bieten. Dasselbe trifft zu auf denjenigen Teil des Verkehrswesens, der Verkehrsmittel und Verkehrs anstalten behandelt, also vieles von dem, was heute unter "Infrastruktur" läuft. Hier hat sich die Problematik seit dem Wege-, Wasserstraßen- und Eisenbahnwesen des 19. Jahrhunderts nicht im Grundsätzlichen gewandelt. Aus anderen Gründen müssen wir auf die Behandlung des Bildungs- und Ausbildungswesens hier verzichten, obwohl es heute über die "Bildungsökonomik" eng mit der ökonomischen Globalsteuerung verbunden ist und von Stein auch bereits so gesehen wurde. Wir beschränken uns im Folgenden auf den Dritten und Vierten Teil des von Stein "Verkehrswesen" innerhalb des wirtschaftlichen Lebens genannten Bereichs, nämlich das Umlaufswesen und das Kreditwesen. In diesem Zusammenhang ziehen wir hinzu die damit zusammenhängenden Teile seiner Finanzwissenschaft, und schließlich die relevanten Kapitel aus dem Dritten Teil seiner Verwaltungslehre über "die Verwaltung und das gesellschaftliche Leben". Für die verwaltungswissenschaftlichen und -rechtlichen Aussagen legen wir die Große Verwaltungslehre zugrunde, soweit sie führt (sie ist für die Wirtschaftsverwaltung nicht voll ausgeführt worden), sonst die entsprechenden Teile des Handbuches der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts. Von Bedeutung ist - außer den Grundaussagen der "Sozialen Bewegung Frankreichs" - vornehmlich die "Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaft Deutschlands", in der die Aussagen über den Stellenwert des "Handelsrechts" (besser: Wirtschafts recht), des Arbeits- und Gesellschaftsrechts von hohem Wert sind. A. Monetäre Gesamtwirtschafts-Steuerung

Stein schrieb in einem praktisch-politischen und wissenschaftlichen Umfeld, das in Währungs- und Gelddingen so aussah: Wenig erschütterter Glaube an die grundsätzliche und gesicherte Gültigkeit einer Metall-Umlaufs-Währung, bei fortgeführtem Streit zwischen Silber, Gold oder Bimetallismus als Grundlage, dazu eine wenig begriffene "Kreditgeldetage" durch Banknoten, deren Umlaufmenge gegenüber den Münzen sich in geringem Rahmen hielt, dazu dann ein noch weniger begriffener geringfügiger Umlauf von nicht-bankmäßigem Staatspapiergeld (Kassenscheine), mit Vorsicht betrachtet angesichts der historischen Erfahrungen mit "Papiergeldschwindel" (Law, Assignaten, amerikanische "Greenbacks")8. An keiner Stelle sehe ich in der wissen-

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schaftJichen Literatur oder dem praktischen Verhalten zu Lebenszeiten Steins irgendeinen Ansatz dazu, die Bedeutung des gesamten Geldwesens für so etwas wie eine globale Makro-Steuerung der Wirtschaft zu begreifen, geschweige denn zu thematisieren. Preisniveau-, Konjunktur-, Vollbeschäftigungs-, Außenwirtschafts-Politik mit globalen monetären Mitteln, gar für einzelstaatliche oder einzel-volkswirtschaftliche Ziele, lagen außerhalb des Denkbaren, weil außerhalb des Erfahrungshorizontes. In modernen Begriffen ausgedrückt: die gesamte Volkswirtschaft war durch Münzgesetz und klassisches Notenbankverhalten auf einen "Automatismus" des Zahlungsbilanz-Ausgleichs hin angelegt, unter den heute möglichen Options-Zielen also unverrückbar auf "Stabilität des Wechselkurses" zulasten aller anderen Optionsziele verankert. Dies wurde jedoch in seiner makro-systemischen Konsequenz keinesfalls so wie heute gesehen, eher herrschte noch die Auffassung eines "natürlichen Systems" vor, bei dem als wesentlicher und festzuhaltender politischer Eingriff die staatliche Münzfußbestimmung galt, als Setzung eines fixen Maßstabes, dessen beliebige Veränderung durch Münzverschlechterungen eben gerade auf die Dauer gebannt erschien, nämlich durch die von den Parlamenten (zusammengesetzt oder dominiert von Wirtschaftsbürgern) den Fürsten abgetrotzte Münz- und Notenbank-Gesetzgebung. Eine Konsequenz dieses Metallwährungs-Systems war die als grundsätzlich angesehene Trennung zwischen Währungs- und Geldwesen einerseits, Finanz- und Haushaltswesen des Staates andererseits. Daß man mit dem Besteuerungswesen Geldpolitik treiben kann, oder mit geld- und kreditpolitischen Maßnahmen besteuerungsähnliche Effekte erzielen kann, so wie es Keynes und an ihn anknüpfend die "Functional Finance" später darstellten und forderten', blieb dem Begreifen ebenso entzogen wie die heutige Selbstverständlichkeit, daß Geldpolitik mit Kreditpolitik betrieben wird. Diesen Grundansichten zollt Lorenz von Stein scheinbar auch Tribut. So lesen wir noch in der Einleitung zum Teil 7 seiner großen Verwal8 Zum rechtlichen und faktischen Verhältnis zwischen Metallgeld und Papiergeld im 19. Jahrhundert vgl. Hans-Joachim Arndt, Politik und Sachverstand im Kreditwährungswesen, Die verfassungsstaatlichen Gewalten und die Funktion von Zentralbanken, Berlin 1963, S. 51 - 66. a Typisch dafür Abba P. Lerner, auf den die Prägung des Begriffs "functional finance" zurückgeht: "Wenn die Geldbeschaffung das einzige Problem ist, so kann der Staat alles Geld, das er braucht, durch Notendruck beschaffen '" Steuern sind nicht als Geldbeschaffungsmittel wichtig, sondern als Mittel zum Beschneiden des privaten Verbrauchs ... Der Umfang der Staatsschuld ist (solange sie sich in den Händen von Staatsbürgern befindet) fast völlig bedeutungslos außer für die Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung." (The Economics of Control. Principles of Welfare Economics, New York 1947, S. 307, 302).

Gesellschaftlicher Bedingungsrahmen und staat!. Handlungsspielraum 161 tungslehre zum Thema "wirtschaftliche Verwaltung", daß "die Zahlung ... eine Lösung einer Verbindlichkeit durch Münze" ist10 ; in der Finanzwissenschaft von 1860 heißt es: "Die Errichtung einer Bank, welche Noten ausgibt, ist kein Regal, sondern eine volkswirtschaftliche Aufgabe der Regierung und gehört daher der Finanzwissenschaft gar nicht an. Das Banknotenwesen untersteht daher auch nicht den Finanzen, sondern der inneren Verwaltungll ." Die Festsetzung des Münzfußes erscheint zwar unter den vornehmsten Regalien, aber noch in dichtestem Zusammenhang mit dem allgemeinen Maß- und Gewichtswesen, mit dem zusammen sie auch im Teil "Umlaufswesen" abgehandelt wird12. Für die Lösung des Metallstreits gibt Stein 1870 die schlichte Empfehlung: "Die Goldwährung erscheint daher als natürliche Währung des Völkerverkehrs, die Silberwährung als die des inneren Verkehrs, so zwar, daß dem entsprechend die Münzung des Goldes Sache der Völkerverträge, die Münzung des Silbers Sache der einheimischen Gesetzgebung bleibt13." Der oberflächliche Blick trügt aber. Der - zumindest potentielle Geldcharakter der Banknote und des Staatspapiergeldes (Kassenscheine) wird von Stein bereits sehr klar erkannt, sogar der des Giralgeldes; dabei fordert er nachdrücklich die Trennung von Bankgeld und Staatspapiergeld nicht nur wegen ihrer verschiedenartigen Herkunft, sondern vor allem wegen ihrer verschiedenartigen "Fundierung"14. Zwar scheint es so, als ob Stein ein "Wertzeichen" (Banknote, Kassenschein) erst dann als Geld anerkannt wissen will, wenn es die "gesetzliche Währung" hat15, er rückt damit in die Nähe einer "Staatlichen Theorie des Geldes" wie Georg Friedrich K napp 16, wenn auch nicht als Münz-, so doch als Papier-Nominalist. Aber dies ist, wie sich gleich zeigt, nur die Folge einer von ihm aufrecht erhaltenen, gar nicht unklugen Unterscheidung zwischen Staats- und Verkehrswährung (letztere auch als "halbe Währung" bezeichnet)17, und die Forderung, der Staat müsse einer Banknote mindestens diese "halbe Währung" als Verkehrswährung zuerkennen, was mehr bedeutet als die bloße Akzeptation bei den staatlichen Kassen, entpuppt sich als gar nicht so weit entfernt vom geltenden Währungsrecht: das Giralgeld der heutigen Privatbanken z. B. ist in diesem Sinne tatsächlich nur "halbes Geld". 10 Vwl. S. 56. FiW S. 149. 12 Hb. S. 224 ff., bes. S. 232. 18 Hb. S. 237.

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Hb. S. 239, 241. Hb. S. 239. 18 Georg-Friedrich Knapp, Staatliche Theorie des Geldes, Leipzig 1905, vgl. dazu die Analyse der Knapps'chen Theorie in Arndt, Politik und Sachverstand im Kreditwährungswesen, a.a.O., Kap. A 1. 17 Hb. S. 236. 14 11

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Im Grunde fußt Steins Währungs- und Geldauffassung auf einer "Gesellschaftlichen Geldtheorie"18. "Die Geschichte des Münzwesens ist bis auf die neueste Zeit fast nur die Geschichte dieses merkwürdigen Kampfes zwischen Staat und Nationalökonomie, in welchem die Letztere den entschiedenen Sieg davonträgt1o ." "Das ganze Gebiet des Papiergeldwesens ist ... so verwirrt, daß die volkswirtschaftliche Definition ... unabweisbar vorausgehen muß, um zu einem bestimmten Resultat zu gelangen2o ." Von daher gelangt Stein denn auch zu einer höchst "modern" anmutenden praktischen Konsequenz für die Administration des Papiergeld-, vor allem des Notenbankwesens. "Sowie dagegen die Noten einer Bank als gültiges Zahlungsmittel vom Staate anerkannt werden, so wird die Sicherheit dieser Noten, die eben durch jene Anerkennung zu Papiergeld werden, eine Angelegenheit auch der Finanzverwaltung, insofern diese sich zu erklären hat, ob auch die Staatskassen die Noten als Geld annehmen sollen oder nicht. Da nun diese Erklärung einen großen Wert für eine jede Bank hat, indem dieselbe der Bank die Steuerfundation ihrer Noten der Bankfundation hinzufügt, so wird diese Erklärung der Finanzen der Regel nach als Mittel gebraucht, um vermöge derselben die betreffende Bank zu einem Darlehen in Silber oder Papier zu bewegen. So entsteht die Zettelschuld des Staats. Durch diese Zettelschuld wird nun das Interesse der Finanzen so eng mit dem der Bank verflochten, daß das ganze Papiergeldwesen zu einem wesentlichen Teile der Finanzverwaltung gehört. Da aber das Medium dieser Verschmelzung die Staatsschuld ist, so fällt das Papiergeldwesen und seine Verwaltung praktisch unter die Lehre vom Staatskredit, obgleich es theoretisch dem Münzregal angehört21 ." Die Annäherung an das Functional-Finance-Modell von Lerner (s. o. Anm. 9) ist mit Händen zu greifen. Für Stein ist es klar, "daß die Papiergeldfrage nichts anderes ist, als die Frage, unter welchen Bedingungen der Staat einer Note diese Währung verleihen soll"22. Stein erkennt, daß sich "der Verkehr selbst ein 18 Repräsentativ dafür W. GeTlojj, Geld und Gesellschaft, Versuch zu einer gesellschaftlichen Theorie des Geldes, Frankfurt a. M. 1952. 18 Hb. S. 232. 20 Hb. S. 239. 21 FiW S. 149/150. Ganz deutlich ebd. S. 502: "Da nun die einzelnen Noten der Bank äußerlich nicht unterschieden sind und daher niemand sagen kann, welche Note in der zirkulierenden Notenmasse die eigentliche Banknote und welche die Staatsschuldennote ist, so verschmilzt durch die Banknotenschuld der Kredit des Staats und der der Bank auf das innigste zu einem ununterscheidbaren Ganzen." 22 Hb. S. 240.

Gesellschaftlicher Bedingungsrahmen und staatl. Handlungsspielraum 163 seinem Bedarf entsprechendes Verkehrszahlungsmittel" schafft23 , und daß es Aufgabe des Staates ist, innerhalb dieser "Vermehrung ... der Zahlungsmittel überhaupt, welche der Selbsthilfe des Kreditwesens zu überlassen ist", Sorge zu tragen für die "Vermehrung der mit Währung versehenen Geldmasse des Staats für diejenigen Zahlungen, welche der Währung bedürfen"24. Bei der Suche nach Maßstäben für die Begrenzung der richtigen Quantität dieses Papiergeldes (ob Banknoten oder Kassenscheine) konnte Stein auf die damals noch geltende unterste "Metallgeld-Etage" zurückgreifen und bringt denn auch die üblichen "Deckungsregeln", sei es als Bankfundation für das Notengeld oder als Steuerfundation für die Kassenscheine. Die Bankfundation war ihm, als Kenner des Bankwesens, kein Problem, hier ergab sich die nötige Liquiditätshaltung in Metall aus dem guten Geschäftsgebaren; für die Steuerfundation gibt er zwischen der Hälfte bis zu einem Drittel der Staatseinnahmen an, für die Papiergeld in Umlauf gesetzt werden kann, gekoppelt bereits mit einer Optimalhöhe des Zinsfußes für Tagesgeld25 • In diesem Zusammenhang kritisiert er die Deckungsregeln der britischen PeelAkte, da sie "die Sicherheit der Note zu teuer kauft"26. Stein ist klar, daß das reine Staatspapiergeld (nicht die Banknote) gar keiner Einlösung bedarf, sondern eben nur der Steuerfundation27 • über die Steuerfundation ist das Papiergeldwesen aber mit den Staatseinnahmen und, wie oben schon angedeutet, mit den Staatsschulden verkoppelt, und hier fallen dann Einsichten und Bemerkungen ab, die Stein zum Schöpfer einer monetären Wirtschaftsankurbelungs-Theorie machen können avant la lettre de Keynes, Föhl, Nöll von der Nahmer und Schacht 28• "Nicht die Schuld, sondern ihre Verwendung durch die Staatsverwaltung macht sie in der Regel vorteilhaft oder nachteilig; mithin sollte man ein für alle Mal aufhören, von Staatsschulden im allgemeinen zu reden, sondern nur von ihrer Verwaltung und dann von ihrer Höhe." - "Die Steuerkraft des Volks ist daher die Basis alles Staatskredits, und die wahre Aufgabe der Verwaltung des Staatskredits beruht immer und unbedingt in dem Verhältnisse, in welchem dieselbe zur Verwaltung der wirtschaftlichen und geistigen Elemente des 23 Ebd. Ebd. 25 Ebd.; ebenso FiW S. 511. 28 FiW S. 511. 27 FiW S. 506, 510.

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28 Robert NöH von der Nahmer, Der volkswirtschaftliche Kreditfonds, Versuch einer Lösung des Kreditproblems, Berlin 1934; John Maynard Keynes, Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, dt. Berlin 1955 (erste englische Auflage 1936); earl Föhl, Geldschöpfung und Wirtschaftskreislauf, München 1937.

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Volkslebens steht ... Die Benutzung des wirklich vorhandenen und in Anwendung gebrachten Staatskredits muß in der Weise geschehen, daß diese Verwendung, sei es direkt oder indirekt, die Quelle einer Vermehrung der Steuerkraft werde, welche groß genug ist, um Zinsen und Abzahlung der Benutzung des Kredits zu decken. Dadurch entsteht die wirtschaftliche Berechnung des Staatskredits, die einen wesentlich anderen Charakter als die des Einzelkredits hat." - "Es ergibt sich nun daraus, daß die Produktivität einer Staatsanleihe und ihrer Verwendung überhaupt nur beurteilt werden kann, indem man die Entwicklung der Gesamtheit des Staatslebens ins Auge faßt!'." - Und ein ganz moderner Satz aus dem Repertoire moderner Makro-Ökonomie: "Während daher das Vertrauen beim Privatkredit sich auf das Vermögen und den guten Willen des Kreditnehmers bezieht, ist beim Staatskredit die Grundlage des Vertrauens die Gewißheit, daß das dargeliehene Kapital durch seine Verwendung in irgendeiner Zeit die Mittel seiner Deckung selbst erzeugen wird30 ." - Stein geht sogar schließlich so weit, unausgenutzte, aber durch "Wirtschaftsfundation" gedeckte Geldschöpfung als potentiellen "Staatsschatz" zu bezeichnen: "Der Staatsschatz ist zunächst vorhanden in dem Kassenbestand aller Kassen der Finanzen. Der Staatsschatz im weiteren Sinne besteht dagegen in der Fähigkeit des Staats, Kassenscheine oder Staatspapiergeld mit bloßer Steuerfundation auszugeben31 ." - "Man kann daher sagen, daß der Staatskredit keine andere Grenze hat als die Zunahme des Staatseinkommens", ... , "während die Rückzahlung, die durch Einziehung (des ausgegebenen Papiergeldes) geschieht, die in unserer Zeit einzig mögliche Form der Bildung eines beständig disponiblen Staatsschatzes enthält"32. Hier sind zumindest die technischen Grundlagen für eine moderne antizyklische Konjunkturpolitik gelegt, und wenn wir nun die Binnenwirtschaft übersteigen und feststellen, daß Stein für die zwischenstaatliche Wirtschaft immer noch als Regelfall am Goldtransfer festhielt, so war er damit nicht "altmodischer" als etwa die Währungsstabilisierungen Englands und Frankreichs nach dem Ersten Weltkrieg, als das System von Bretton Woods oder die französische Außenwährungspolitik unter de Gaulle. Aber selbst dabei blieb Stein nicht stehen. "Dieses gegenwärtige Metallwährungswesen muß nun als ein historischer übergangspunkt zu dem definitiven Währungswesen angesehen werden, dem wir unzweifelhaft entgegen gehen"33, - dies steht zwar noch !t

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FiW S. 469, 470, 471. Ebd., S. 473. Ebd., S. 475/76. Ebd., S. 482, 487. Hb. S. 236.

Gesellschaftlicher Bedingungsrahmen und staatl. Handlungsspielraum 165 unmittelbar bevor er die Goldwährung als die "natürliche Währung des Völkerverkehrs" bezeichnet; doch spricht er später, unter namentlicher Anknüpfung an "den alten Gedanken Laws" von einem System, "dem die Zukunft gehört. Das ist der Grundsatz, überhaupt an die Stelle des Metallgeldes das Papiergeldsystem zu setzen. Mit ihm wird eine ganz neue Verwaltung und ein neues Recht des Bankwesens eintreten. Die leitenden Grundsätze dieses Rechts, viel bestritten, aber siegreich vordringend, sind erstlich, daß es nur Eine Note und nur Eine Notenbank geben dürfe, zweitens daß die Note die volle Währung habe und drittens, daß die Bank an die Stelle der finanziellen Kassenverwaltung trete. Diese Grundsätze beginnen bereits sich Bahn zu brechen" 34. Darüber hinaus entwarf er weitere konkrete Leitlinien für die Organisation der zu erwartenden Geld- und Währungsverwaltung, fußend auf tiefen Einsichten in das Wesen des Kredits: "Der Kredit ist jetzt das geworden, was er zu werden bestimmt ist, er ist aus einer rein volkswirtschaftlichen Erscheinung eine soziale Potenz geworden. . ,. Die Organisation des Kredits bedeutet in der Tat den Kredit als Gegenstand der inneren Verwaltung, und zwar wesentlich als eine der großen sozialen Aufgaben der nächsten Zukunft. Nur muß man dabei natürlich die enge Auffassung der Verwaltung fallen lassen, welche dieselbe als eine rein staatliche bezeichnet. Die Organisation des Kredits ist vielmehr dasjenige Gebiet der Verwaltung, in welchem das Vereinswesen als Organismus der letzteren wesentlich zu wirken berufen ist36 ." Formulierungen, die man in neuesten Monographien über das Kreditgeldwesen wiederfinden kann. Stein forderte eine klare Trennung zwischen Zahlmittelbanken und Banken für andere Aufgaben36 , Trennung, die übrigens in Deutschland bisher nicht verwirklicht wurde. - Solange es noch eine Metall(kern)währung gab, stellt er fest: " ... wird die Frage nach dem Verhältnis beider Geldsysteme zu einander eine entscheidende für Europa; sie ist natürlich zugleich die Frage nach dem Verhältnis der Bank als Organ des Papiergeldwesens zu der Regierung als Organ des Metallgeldwesens"87; und der letzte Schritt bis zur Gegenwart deutet sich dann an: "Die (Noten-)Emission ist daher jetzt das Analogon des Münzregals, und es ergibt sich daher, daß die Verwaltung der Banken dauernd aus einem Gegenstande der Vereinsverwaltung zu einem Objekt der Gesetzgebungen und Regierungen wird, die zwar in verschiedener Weise, immer aber grundsätzlich über die Banken entscheiden38." " Ebd., S. 296/297. - An anderer Stelle (Vwl. S. 33) spricht Stein von den "übrigens hochbedeutenden Arbeiten Laws über Münzen und Banken". 35

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Vwl. S. 53. Hb. S. 297, 300. Ebd., S. 295.

Ebd.

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Stein schreckte vor der Empfehlung, Geldschöpfung zu Investitionszwecken bei Unterbeschäftigung zu betreiben, noch zurück, auch kam ihm dieser Gedanke mit der ausdrücklichen Zielsetzung der Vollbeschäftigung nicht in den Sinn, da er globale Arbeitsbeschaffungspolitik als Staatsaufgabe denn doch noch nicht aufzufassen wagte; aber die Verbindung zwischen Geldpolitik und Konjunkturpolitik begriff er bereits im Ansatz, wenn auch nur, angesichts des in Deutschland noch weniger entwickelten industriellen Sektors, als "Handelskrisen"39. Die Steinsche Verwaltungswissenschaft antizipiert sogar im Detail Wesentliches von der später entwickelten monetären Makro-Steuerung, anderes kann aus ihr ohne Beugung des Sinngehalts extrapoliert werden. Die spätere Entwicklung einer globalen Wachstums-, Konjunktur- und Vollbeschäftigungspolitik mit monetären Mitteln hätte Stein an keinem ihrer Punkte überraschen können, seine prinzipielle Einsicht war vorhanden, und zwar nicht auf Grund intuitiver Schau, sondern auf Grund harter Bewältigung der gesellschaftlichen und staatlichen Wirklichkeit. Wir werden weiter unten versuchen, diejenigen theoretischen Elemente seines Grundansatzes zu bezeichnen, die ihn besonders befähigten, diese so dauerhafte Analyse zu leisten. Hier, bei der Behandlung der monetären Globalsteuerungstechniken, sei aber bereits angeführt, was Stein im besonderen befähigte, so präzise die Vorgänge im "Geldschleier" der Wirtschaft zu untersuchen: es ist seine Werttheorie, die Marxens Warentheorie in nichts nachsteht. "Das Privatrecht, dessen Objekt das Einzelgut als Sache ist, ist gegen den Gedanken einer wirtschaftlichen Entwicklung vollkommen gleichgültig. Soll daher ein Fortschritt des Lebens durch den des Besitzes gewonnen werden, so muß ein ganz neuer Faktor auftreten, der sich selbst wieder sein neues Recht erzeugt. Dieser Faktor ist der Wert40 ." - "Damit aber der Wert diese seine große Funktion, die Schöpfung des durch keine Substanz begrenzten Güterlebens und die Herstellung der Möglichkeit des Reichtums und der wirtschaftlichen Freiheit für alle vollziehen könne, muß er sich von der begrenzten einzelnen Sache ablösen und ihr gegenüber selbständig werden. Sowie er das wird, wird er zugleich Gegenstand der auf ihn in dieser seiner Selbständigkeit gerichteten erwerbenden Arbeit. Damit wird dann natürlich nicht mehr die Sache, sondern ihr Wert das herrschende Element des Güterlebens 41 ." - "Diese Selbständigkeit des Wertes ist aber nur möglich, wenn derselbe in Dasein und Maß sowohl von einem subjektiven Willen, als auch von der Sache unabEbd., S. 296. GZ S. 407. 41 Ebd., S. 407/408. Über den von Stein ebenfalls erkannten WarenCharakter der Arbeit siehe unten den Text zu Anm. 71. 31 40

Gesellschaftlicher Bedingungsrahmen und staatl. Handlungsspielraum 167 hängig wird ... , so wird jene Unabhängigkeit da entstehen, wo dieser Wert ein Verhältnis zum Absoluten, das ist, zum Gesamtbedürfnis der Menschen wird. Der Prozeß nun, der die Güter diesem Gesamtbedürfnis gegenüberstellt und daher den Wert des Gutes als einen selbständigen, vom Einzelnen unabhängigen, durch die ganze menschliche Gemeinschaft gegebenen setzt, nennen wir Verkehr (Handel); derjenige einzelne Verkehrs akt, der dem Gute in weitestem Sinne durch seine Beziehung zum Gesamtbedürfnis diesen Verkehrswert gibt, ist das Geschäft42 • " Stein erkennt völlig zutreffend, daß "Handelsrecht" eine bloß hinkende, schlechte Adaptions-übersetzung aus dem Französischen ist; dieses "Wirtschaftsrecht" (Stein: "Rechtssystem des Verkehrswertes") ist der Kern eben jener entwickelten Wirtschaftsform, die Marx "Kapitalismus" nannte. Für Stein blieb, anders als für Marx, die Aufrechterhaltung der Verkehrswirtschaft, und damit einer durch Geld gesteuerten Wirtschaft, eine Grundbedingung für die Ermöglichung der Freiheit des Einzelnen im Staate. "Das, was wir das Handelsrecht nennen, beruht, ... darauf, daß der Prozeß der freien Kapitalbildung in die Erzeugung des durch das Gesamtbedürfnis gesetzten Verkehrswertes durch ein Kapital verlegt wird. Es ist ferner gezeigt, daß eben diese Wertkapitalbildung die absolute Vora ussetzung der wirtschaftlichen Freiheit ist43 • " Von dieser Grundlage und Grundeinsicht aus war es ihm möglich, die Bedeutung der monetären Mechanismen für die Gesamtsteuerung der Wirtschaft, welche er "Volkswirtschaftspflege" nannte, zu ermessen und zu beschreiben. Die spätere Entwicklung konnte auf ihm aufbauen, oder besser: sie hätte es können. B. Gesellschaftspolitik als soziale Reform innerhalb der sozialen Demokratie

Lorenz von Stein hat die "Soziale Frage" als Klassenwiderspruch zwischen Arbeit und Kapital in der Erwerbsgesellschaft nicht minder scharf gesehen als Karl Marx und sie als das Kernproblem der Epoche herausgearbeitet. Dies geschah deutlich, wenn auch der Entwirrung bedürftig, in der "Geschichte der Sozialen Bewegung Frankreichs", also in dem noch mehr historisch-theoretischen, programmatischen Werk. Die konkrete Ausarbeitung dieser programmatischen Ansätze im späteren einzelwissenschaftlichen Werk Steins ist schwieriger aufzufinden als es die Detailanweisungen zur makroökonomischen Steuerung sind, welche wir eben behandelten und welche aus der klaren Er42 GZ in GSR, S. 410. Heute wird hier überwiegend der Begriff "Markt" gebraucht. 43 GZ, a.a.O., S. 412/413.

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kenntnis des einheitlichen Grundwesens der Erwerbsgesellschaft fließen. Für die Auflösung der "Diremption", welche eben diese Erwerbsgesellschaft auch produziert, bringen die verwaltungswissenschaftlichen Schriften anscheinend weniger ergiebige, konkrete Ansätze. Wir wollen unser bisheriges Vorgehen trotzdem auch bei dieser Frage fortsetzen; doch erscheint es geboten, hier zuerst eine Skizze der Diagnose und der globalen Therapie-Empfehlungen Steins vorauszuschikken, wie sie sich vornehmlich in der Einleitung zur Geschichte der sozialen Bewegung Frankreichs finden. Nur so wird es möglich sein zu erfahren, wo und nach was man denn in den verwaltungswissenschaftlichen Schriften suchen muß, um eine Antwort zu erhalten. 1. Globale Diagnose und Therapieempfehlungen Der "Klassenwiderspruch" ist für Stein wie für Marx ein die ganze bisherige Geschichte durchziehendes Phänomen. Für Stein ist diese "Unfreiheit der Abhängigen" eine "durch die Begrenzung der einzelnen Persönlichkeit und das Wesen der Güter unvermeidlich gegebene Tatsache"". Stein sieht auch den Schritt, der von dieser an sich unvermeidlichen wirtschaftlichen Abhängigkeit zur politischen Unfreiheit führt: "Diese Abhängigkeit, an sich ein Natürliches, wird zur Unfreiheit, sowie der Staat sie als Prinzip der Verfassung anerkennt"; "Dieser Widerspruch, der, als geltendes Recht ausgedrückt, eben die Unfreiheit ist, entsteht erst dann, wenn die höhere Klasse ihre Macht gebraucht, um die niedere vom Erwerb der Güter auszuschließen". An anderer Stelle nennt er dies den übergang vom Klassen- zum Kastenwesen und bezeichnet diesen Zustand als "die absolute Gesellschaft"45. Stein erkennt über diese allgemein-historische Klassenlage hinaus die spezifische Besonderheit der Klassenstruktur der Erwerbsgesellschaft gegenüber ihrem Vorgänger, den Marx "Feudalismus" nannte: "Standesbesitz" war noch "arbeitsloser Besitz" - und berechtigte eben deshalb den besitzerwerbenden Bürger zur revolutionären Angleichung der Rechte -; für Kapitalbesitz jedoch gilt: "Das durch Arbeit erworbene Besitztum, in dem es durch den Erwerb entstanden ist, kann sich dem Erwerb anderer gegenüber nur durch die eigene Arbeit wiederum erhalten", und ganz deutlich: "Es ist klar, worin der Unterschied dieser auf den Erwerb gebauten Gesellschaft von der auf den Besitz gebauten, welche ihr voraufgeht und die politische Revolution erzeugt, liegt. Während in dieser die besitzende Klasse nicht arbeitete und dadurch den Erwerb der gesellschaftlichen Güter für die Nichtbesitzenden möglich machte, arbeitet sie in dieser, und gerade diese Arbeit U Geschichte der Sozialen Bewegung Frankreichs, in GSR, S. 65, Hervorhebung von Stein selbst. 45 Ebd., S. 62, 64, 58.

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des Besitzenden, die als Konkurrenz erscheint, ist es, die den Erwerb jener Güter den Nichtbesitzenden unmöglich macht. - Es ist ferner klar, daß der übergang aus der Unfreiheit der ersteren viel einfacher ist als der aus der letzteren, weil in jener bloß Stoff und Arbeit, in dieser aber der arbeitende Besitz und die besitzlose Arbeit einander gegenüberstehen". " Hier liegt bereits die erste entscheidende Abweichung gegenüber dem Marxismus vor. Für Marx war auch Kapitaleinkommen, das aus "geleisteter Konkurrenz" erzielt wurde, arbeitsloses Einkommen (im Unterschied zu Einkommen aus Unternehmerleistung). Stein macht eben die "antikapitalistische Wendung" von Sozialismus und Kommunismus nicht mit; für ihn geht der "Kampf" gerade nicht um die InBesitz-Nahme von Staat und Kapital durch die bislang abhängige Klasse, sondern um die Verteilung der Gewinne einerseits, die Höhe der Löhne andererseits47 , schließlich in der Aufhebung der Abhängigkeit durch Vermögenserwerb: "So liegt das einzige Mittel, diese Erhebung dauernd und friedlich zu bewerkstelligen darin, daß man der niederen Klasse den Erwerb jener Güter möglich mache48." Und dieser Unterschied zum Marxismus setzt sich geradlinig fort. Für Stein liegen das Prinzip von Staat und das von Gesellschaft miteinander ständig im Widerspruch49 , nicht - wie bei Kar! Marx - die Produktivkräfte und die Produktionsverhältnisse jeweils am Ende einer Epoche. Das Interesse als Prinzip der Gesellschaft steht dem "reinen Begriff des Staates, in dem Sinne, in welchem er als die Wirklichkeit der sittlichen Idee bezeichnet ist", entgegen. "Die Freiheit, das ist die vollste Selbstbestimmung jedes Einzelnen, ist das Prinzip des Staates; der Staat kann gar nicht unfrei sein. Kein Punkt ist in der reinen Staatsidee, von welchem die Unfreiheit entstehen könnte; der Begriff des Staates ist gar nicht imstande, eine Verfassung oder eine Verwaltung zu erzeugen, die unfrei wäre5o•" Diese Entgegensetzung eines scheinbar "idealistischen" Staatsprinzips zu einem "materialistischen" Gesellschaftsprinzip hat unmittelbare Konsequenzen. Einmal ist, im Bereiche des Gesellschaftlichen, das "Interesse" der abhängigen Klasse wesentlich kein anderes als das der "herrschenden" Klasse: Auch sie will ein höheres Maß an Freiheit erwerben durch Verfügung über Kapital, - welches nicht arbeitsloses Einkommen bedeutet, sondern "Riskierung" des Einsatzes, also Leistung im Wettbewerb. Stein wird nicht müde zu betonen, daß die "Kau Ebd., S. 79, 89, 92. - Hervorhebung vom Verf., H. J. A. Ebd., S. 44, 91, 92. 48 Ebd., S. 72. 48 Ebd., S. 45. so Ebd., S. 46, 61. - Hervorhebung von Stein selbst. 41

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pitalisten" im Recht seien, wenn sie ihre Kapitalverfügung zu behaupten versuchten. "Denn wirklich ist das, was die herrschende Klasse zur herrschenden macht, nicht etwa ihr Widerspruch mit dem Wesen der Persönlichkeit, sondern jener Besitz der Güter ist eben selber für den Besitzenden die Vollendung seiner eigenen Idee, die Erreichung seiner persönlichen Bestimmung." - "Denn (die höhere Klasse) verteidigt in sich das Gebiet, auf welchem die Menschheit wirklich für einige erreicht hat, was das Ziel aller ist." - Die gesellschaftliche Herrschaft ist nicht eine für die Persönlichkeit äußere Gewalt, sondern hat zugleich eine "innere Berechtigung ... Niemals wird man die volle Wahrheit der durch die gesellschaftliche Ordnung und Bewegung beherrschten Staatsverfassung verstehen, solange die abhängige Klasse nicht den Mut hat, die Wahrheit dieser inneren Berechtigung, und die herrschende die Kraft besitzt, das Maß derselben anzuerkennen". - Stein geht sogar so weit: "Nie wird die niedere Klasse darüber klagen, daß die Leitung der öffentlichen Dinge in den Händen der Besseren aus den besseren Ständen liegt; und wenn sie wirklich klagte, würde sie gegen jene Natur der Sache machtlos bleiben61 ." Und die zweite Konsequenz: daß der Staat als bloß "reine Idee" machtlos ist, wird bis zur letzten Folgerichtigkeit durchgedacht: "So folgt, daß der Staat unvermögend ist, eine Stellung außerhalb der Gesellschaft einzunehmen und daß er daher nicht minder unvermögend ist, den Elementen, welche in dieser Gesellschaft die Ordnung der Gemeinschaft entscheiden, sich zu entziehen ... Seinem Begriffe nach der Herrschende, ist er in der Wirklichkeit der Gehorchende." - "Es ist nur zu gewiß, daß der reine Staat diese Fähigkeit (nämlich: der Gewalt und den Forderungen der Gesellschaft zu widerstehen, H.-J. A.) nicht hat; seine Ohnmacht ist die Ohnmacht alles Abstrakten und Idealen, das im einzelnen konkreten Falle der Wirklichkeit gegenübersteht. Der Staat hat keine wirkliche Existenz außer der Gesellschaft; jeder seiner Bürger wie seiner Diener gehört, und zwar ehe er noch in den eigentlichen Staatsdienst eintritt, schon durch Geburt, Erziehung und gesellschaftliche Aussichten einer bestimmten Abteilung der Gesellschaft an; wer und was soll denn die reine Idee des Staates vertreten&2?" - Die Staatsidee erscheint im wirklichen Staat niemals rein; die Unfreiheit im Leben der menschlichen Gemeinschaft ist notwendig und unvermeidlich53 . Die herrschende Klasse bemächtigt sich also des Staates, "sie ist daher ihrer Natur nach die wahre Gegnerin der reinen Staatsidee"; und: "in der Tat also fordert (die unterworfene) Klasse von ... der Ebd., S. 63, 64, 69, 70. Ebd., S. 50, 66. - Bis in die Formulierung hinein entspricht dies übrigens der später von Max Scheler entwickelten Wissenssoziologie (Realfaktoren Idealfaktoren) . 53 Ebd., S. 50, 63. 51

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Gesellschaftlicher Bedingungsrahmen und staatl. Handlungsspielraum 171 herrschenden, welche die Gewalt besitzt, daß sie diese Gewalt gebrauchen soll, um sich selber derselben zu entäußern; daß sie also mit ihrer eigenen Macht ihr eigenes Interesse dem ihrer Gegner opfern soll "54. Was tun? Und wer tut was? - Es finden sich postulatorische Forderungen, welche die Einsicht von der Ohnmacht alles Idealen fast vergessen machen: "Der Staat aber als ein lebendiges und seiner Aufgabe sich bewußtes Wesen, hat den Willen und die Kraft, an der Lösung dieses Widerspruches zu arbeiten ... Der Staat wird daher, um die Abhängigkeit der niederen Klasse zu heben, zuerst in der Verfassung die Gleichheit des öffentlichen Rechts als obersten Rechtsgrundsatz aufstellen; in der Verwaltung wird er die Hebung der niederen Klassen zum wesentlichen Gegenstand seiner Tätigkeit machen." Im Frühwerk heißt es dann unmittelbar weiter noch unverbindlich: "Es ist nicht nötig, die einzelnen Maßregeln, durch welche dies erreicht wird, hier darzulegen; die Aufstellung des Prinzips wird genügen55 ." Kurz darauf aber eskamotiert Stein das Problem mit einer fast dialektischen Kunstfertigkeit. Er knüpft an den oben bereits zitierten Satz an, daß der Staat seinem Begriffe nach der Herrschende, in der Wirklichkeit jedoch der Gehorchende sei, und fährt fort: "Dies nun ist ein Satz von der größen Wichtigkeit für alle Betrachtung des Staatslebens. Ist er nämlich wahr, so fällt damit zugleich die oft gehörte Forderung hinweg, daß der Staat allein den Kampf mit der Gesellschaft beginnen, daß der Staat allein die Gesellschaft ändern solle. Er ist es, der die ganze Bewegung der Freiheit und Unfreiheit dem Staate nimmt und sie in die Gesellschaft hinein trägt. Die Gesellschaft wird durch ihn der wahre Quell aller Freiheit und Unfreiheit; und das Folgende ist von allen Seiten nur die weitere Entwicklung dieses Satzes." Und später heißt es: "So folgt, daß, wie die Entwicklung der Unfreiheit und Abhängigkeit, so auch die Bewegung der Freiheit nicht im Gebiete des Staatslebens, sondern in dem Gebiete der gesellschaftlichen Ordnung beginnen und verlaufen muß. Dies ist das erste Prinzip für die freie Geschichte der Gesellschaft56 •" Der Kernsatz nun, welcher die Auflösung bringt, lautet: "Wenn nämlich der Staat aus sich selber heraus sich nicht helfen und die Gesellschaft ihrem Prinzip nach nicht frei sein kann, so wird die Möglichkeit des wahren Fortschrittes notwendig in einem Moment liegen müssen, das über beiden stehend mächtiger als beide ist. - Es kann nicht zweifelhaft sein, welches das höhere, beide Erscheinungen umfassende Element ist. Beide sind für das begriffliche Erkennen entstanden aus 54 55 58

Ebd., S. 48, 83. Ebd., S. 48. Ebd., S. 50, 68. Hervorhebung von Stein selbst.

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dem Wesen der Persönlichkeit ... Die Persönlichkeit und ihre Bestimmung ist es daher, welche mächtiger als Staat und Gesellschaft, beide der Freiheit wieder dienstbar macht57• " - Nicht durch den Staat, aber auch nicht gegen ihn, nicht durch die Gesellschaft, aber auch nicht gegen sie. "Es fragt sich, ob es in der Erwerbsgesellschaft überhaupt möglich ist, die Arbeit so einzurichten und sie mit solchen Einrichtungen zu umgeben, daß sie allein zu einem ihrem Maße und ihrer Art entsprechendem Besitze führt. Die Arbeit, die Tätigkeit, die Vorschläge, die Versuche, die Gesetze, die Anstalten, welche der Arbeit dies möglich machen wollen, bilden den Inhalt der sozialen Reform58 ." Das Interesse, "die bewußte Liebe zum eigenen Ich", "die allgemeine unwiderstehliche Macht in der Menschheit", kann nicht umgangen werden. "Wenn daher die Gesellschaft an ihrer eigenen Reform arbeiten soll, so muß diese Reform in ihrem eigenen Interesse liegen. Täuschen wir uns nicht, niemals würde und könnte die Reform geschehen, wenn sie nicht durch dieses Interesse geboten wäre. - Ist nun dies der Fall? Ganz unzweifelhaft. Die Harmonie der ewigen Gesetze, welche die Menschheit bewegen, wäre absolut aufgehoben, wenn das Prinzip, welches die Gesellschaftsordnung entstehen läßt, die Freiheit in dieser Ordnung vernichtete. Das Interesse muß die Freiheit fordern können, und es muß sie auch erzeugen können. - Diesen Beweis zu geben, liegt jenseits der Grenzen dieser Arbeit; es würde eine ganz neue Reihe von Untersuchungen fordern. Allein das ist nun klar, wo das Prinzip aller wahren sozialen Reformen liegt5V ." In der Tat, das Prinzip dürfte klar geworden sein; es beruht - gegen Marx - im wesentlichen darauf, daß das Interesse nicht grundsätzlich freiheitsfeindlich ist. Aber zu welchen einzelnen Maßnahmen führt das Prinzip?

2. Konkrete Ansätze zur sozialen Reform in der Verwaltungslehre und im Verwaltungsrecht Vermögensbildung ist zu allererst eine Frage des Verhältnisses zwischen Einkommen und Preisen, für die "Lohnabhängigen": zwischen Löhnen und Preisen. Was die Politik des allgemeinen Preisniveaus betrifft, so haben wir oben bei den makro-ökonomischen Steuerungselementen zwar bereits entwickelte technische Einsichten bei Stein gefunden, aber noch nicht die entsprechenden Zielvorstellungen, welche sich erst nach der völligen Ablösung von der Goldwährung ergeben können. Im einzelnen behandelt Stein dies in der Verwaltungslehre noch unter dem Oberbegriff "die Verwaltung und die gesellschaftliche 67

&8

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Ebd., S. 67. Ebd., S. 112. Ebd., S. 112; Hervorhebung von Stein selbst.

Gesellschaftlicher Bedingungsrahmen und staatl. Handlungsspielraum 173 Not", "die gesellschaftliche Polizei der Not", "die Teuerungspolizei". Hier ist - gut wirtschaftsliberalistisch - davon die Rede, daß die Verwaltung in die Preisordnung weder eingreifen kann noch soll. "Eine Tätigkeit der Verwaltung ... kann daher nur da denkbar sein, wo ganz bestimmte örtliche Gründe ganz bestimmte Teuerungszustände hervorrufen80• " Doch geht dieser sehr spezifischen, einschränkenden Bemerkung eine allgemeine Einsicht von hoher Bedeutung auch für die moderne Inflationsbekämpfung voraus: "Der Begriff der Teuerung ist zunächst ein nationalökonomischer und wird meist ausschließlich als die Höhe der Preise der notwendigen Lebensbedürfnisse aufgefaßt. Das ist richtig. Allein seine höhere Bedeutung ist die gesellschaftliche. Im Sinne der Gesellschaftslehre ist die Höhe der Preise für den Begriff der Teuerung ganz gleichgültig; die Teuerung ist für sie diejenige Höhe der Preise, welche gegenüber der regelmäßigen Einnahme aus der kapitallosen Arbeit die Kapitalbildung, und damit das Aufsteigen vom Nicht-Besitz zum Besitze hindert oder unmöglich macht61 ." Aufschlußreich ist weiter, wenn Stein, nun ins einzelne gehend, das Problem "Preisregulierung" - in ausgesprochener Wendung gegen das Laissez-Faire-Prinzip des Adam Smith - an der Notwendigkeit der "Versorgung der großen Städte" aufrollt82 . Er erwähnt "öffentliche Marktanstalten, Markthallen, Fleischschränke usw.", die ihrer Natur nach der Selbstverwaltung zugehören und städtische Anstalten sind; er erwähnt aber als zweiten, dringlichst noch zu entwickelnden Bereich "die Herstellung der Versorgung der Städte durch große Versorgungsunternehmen als Aktiengesellschaften" und "die Herstellung von Arbeiterwohnungen durch Aktienunternehmungen". Heute würden wir sagen: kommunale Energie- und sonstige Versorgungswirtschaft nach dem Prinzip der Gemeinwirtschaft, genossenschaftlicher und gewerkschaftlicher Wohnungsbau, Konsumgenossenschaftswesen. Stein weist darauf hin, daß solche Einrichtungen "vielleicht unter allen derartigen Unternehmungen am deutlichsten beweisen, daß die Harmonie der Interessen auch zwischen Kapital und Arbeit nur einer praktischen Lösung harrt, um zur vollen Geltung zu gelangen"83. In der klassifikatorischen Einordnung - so wie hier bei "Teuerungspolizei" - bleibt Stein durchaus noch im Hergebrachten. Aber der Gesamtansatz auch der Verwaltungslehre überschreitet doch dieses Hergebrachte entschieden. In der Einleitung zum Dritten Teil des Handbuches, "Die Verwaltung und die gesellschaftliche Entwicklung", stellt er wieder die "Soziale Frage" in den Vordergrund und schreibt: "Das 10

'1

'1 81

Hb. S. 415.

Hb. S. 414/415. Ebd., S. 416. Ebd., S. 416, Hervorhebung von Stein selbst.

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Wesen der sozialen Verwaltung besteht darin, daß nicht etwa ein einzelnes bestimmtes Gebiet, sondern daß die ganze Verwaltung auf allen Punkten von dem Prinzip durchdrungen und durchgeistigt sei, den arbeitenden Klassen alle diejenigen Bedingungen der Entwicklung zu bieten, welche sie sich durch den Mangel an Kapital sowohl für ihre physische wie für ihre geistige Erwerbsfähigkeit nicht selbst schaffen können, dagegen den wirklichen Erwerb des Kapitals derselben selbst zu überlassen." - "Die wichtigste Tatsache im Leben der Verwaltung unseres Jahrhunderts, die Scheidung der sozialen Idee der Verwaltung von dem Armenwesen und das Bewußtsein von dem wesentlich verschiedenen Prinzip beider ist das Dauernde, was wir dem Auftreten der kommunistischen und sozialistischen Lehre zu verdanken haben. Damit ist die Armut von Nicht-Besitz geschieden84 ." Einsichten, die zu Steins Lebzeiten im Grundsätzlichen zwar auch bereits von anderen ausgesprochen wurden, deren Übertragung in die Staatsverwaltung doch aber noch zu den Seltenheiten gehörte. Immer wieder verblüfft die Treffsicherheit, mit welcher Stein bei Einzelfragen innerhalb seines "Systems" verbleibt und von daher zu großer Ausgewogenheit gelangt. Er definiert als "berechtigtes Interesse" das, was eine "Bedingung für die Gesamtentwicklung enthält"85; er verwirft ein "Recht auf Arbeit", das nicht gleichzeitig das "Recht am Kapital" bestehen läßt88 ; er erkennt: "Das System der gesellschaftlichen Verwaltung wird daher, und das ist seine große Bedeutung, identisch mit den Systemen der gesellschaftlichen Vereine, in denen . .. Selbsttätigkeit sich organisiert81 ." Er geht einen Mittelweg beim "gesellschaftlichen Versicherungswesen", bei dem er - vor der reichsdeutschen Gesetzgebung zur Sozialversicherung - "den Fehler Englands in der Ausscheidung der kleinen Beträge, und den Fehler Frankreichs in der gouvernementalen Versicherung vermieden" sehen will 88 . Beim Thema "Arbeiterverbindungen" sieht er zwar die Gefahr, daß "nicht bloß Not und Armut vieler Einzelner, sondern auch eine systematische Ausbeutung des Kapitals durch die Arbeit dadurch entsteht", schließt aber: "die wahre Lösung ... liegt auch hier in der Idee der Harmonie der Interessen, welche nicht bloß örtlich, sondern volkswirtschaftlich nachweist, daß, wenn die eine Bedingung des wirtschaftlichen Fortschrittes allerdings die Funktion des großen Kapitals ist, die zweite in der Fähigkeit der Arbeit liegt, durch sich selbst zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Unabhängigkeit zu gelangen"89. Für das Gewerk.. 64 65 66 67

88

Ebd., S. 440, 441, Hervorhebung von Stein selbst. Ebd., S. 444. Ebd., S. 443/44. Ebd., S. 445. Ebd., S. 451.

Gesellschaftlicher Bedingungsrahmen und staat!. Handlungsspielraum 175 schaftsproblem empfahl er früh die Koalitionsfreiheit, aber mit dem Hinweis, die "politischen Verbindungen" sollten sich von den eigentlich gewerkschaftlichen scheiden, in diesem Zusammenhang spricht er von "Socialdemokratie" als einem "unklaren Begriff" - wohl weil der Inhalt dieser Parteibezeichnung von seiner Auffassung der "sozialen Demokratie" abwich70 • Wir erwähnten bereits, welche präzise Auffassung Stein von Rolle und Stellenwert des "Handelsrechts" hatte, dieser Fehlbezeichnung für ein zentrales Rechtsgebiet der Erwerbsgesellschaft. Ebenso sicher und präzise war aber auch seine Kritik an der Einordnung des Arbeitsrechts, die mißverständlich erfolgt, wenn sie nicht von dem Grundsatz der Erwerbsgesellschaft ausgeht: "Die Arbeit nimmt die Natur ihres eigenen Erzeugnisses an und wird wie dieses zur Ware, deren Verkehrswert sich durch Angebot und Nachfrage bestimmt." - "Für das Privatrecht gibt es daher kein besonderes Arbeitsrecht und nicht mal eine Arbeiterfrage. Hat doch auch das ,heutige' Römische Recht weder ein Wort für den ,Wert' noch für die ,Arbeit'! Und da wir nun auf unseren Rechtsfakultäten fast nichts als Privatrecht lehren und begreüen, so ist es leider ganz natürlich, daß jene Frage, welche die Welt bewegt, die Lohnfrage und ihr Recht, zwar allenthalben, in jeder Werkstatt, in jeder Fabrik, in jedem Verein, in jeder Volksvertretung, in jeder Literatur - nur nicht an den Hochschulen unseres Rechtslebens eine Heimat haben71 !" Aber wiederum warnt er vor einer Verdrängung des "Handelsrechts" (der rechtlichen Anerkennung des Prinzips der Erwerbsgesellschaft) durch ein "Arbeitsrecht" (der rechtlichen Hegung der Sozialen Frage) durch Kathedersozialisten und Sozialisten: "Wenn wir in den schönen Arbeiten eines Brentano, Schönberg und anderen etwas vermissen, so ist es eben die Beleuchtung der Lohnfrage nicht vom sozialen, sondern vom privatrechtlichen Standpunkt und seinem Verhältnis zum ,Handelsrecht', den man mit der geschickten Operation eines Marx wohl beiseite schieben, aber nicht beseitigen kann72 ." Die Prägnanz der Formulierung, mit der das Problem der "Tarifpartner" umrissen wird, kann auch heute nur schwer übertroffen werden: "Denn steht es fest, daß das Kapital nicht ein Geschlechter- und ständischer, sondern daß es ein staatsbürgerlicher Eigentumsbegriff ist, weil es selber wie der Lohn durch Arbeit produziert, erhalten und entwickelt wird und daß es, selbst Produkt der Arbeit, mithin dasselbe Recht hat wie der Lohn, aus dem es entsteht, so folgt, daß die gesamte Rechtsbildung der gewerblichen Arbeit unbedingt erst da rechtlich 68 70 71

72

Ebd., S. 457. Ebd., S. 458, 441. GZ, in GSR, S. 422, 423. Ebd., S. 424.

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möglich ist, wo das Recht des Eigentums ihm seine feste Grenze zieht. Demgemäß steht es im Rechtsbewußtsein der gewerblichen Arbeit fest, daß das Gebiet dieses Arbeitsrechts nur das Verhältnis zum Gewinne, nicht zum gewonnenen Kapitale sein könne. ... Der Kampf zwischen dem Lohne der Arbeit und dem Gewinne des Kapitals ist daher ein Kampf der Interessen und nicht der Rechtsbegriffe, und das rechtliche Verhältnis, welches aus diesem Kampf hervorgeht, kann eben deshalb kein allgemeingültiges sein. Es bestimmt sich formell von Fall zu Fall, und jeder dieser Fälle ist ein Kampf zwischen dem einfachen Privatrecht, das als letzte rechtliche Basis übrig bleibt, und dem Arbeiterinteresse, das ein neues Recht bilden will. Wir stehen, wie Sie alle wissen, am Anfange dieser Bewegung; auch von ihr gilt wie von jeder anderen, daß sie erst dann zur festen Gestalt gelangen wird, wenn sich das Verhältnis nicht mehr je nach dem Klassen- und Interessenstandpunkt hin und her bewegt, sondern sich juristisch formulieren läßt73 ." Solche Äußerungen sind heute noch aktuell, z. B. beim Begreifen der Mitbestimmungsproblematik. Stein zählt in diesem Zusammenhang bereits fast erschöpfend alle diejenigen Rechtsgebiete und Rechtstatbestände auf, die erst im späteren Arbeitsrecht ihre Regelung gefunden haben, und er sondert hier sorgfältig diejenigen Problemgebiete aus, die nach seiner Auffassung in ein ganz neues "Gesellschaftsrecht" gehören, das zu seiner Zeit noch fälschlich als Teil des Handelsrecht behandelt wurde74 • In diesem Gesellschaftsrecht faßte Stein - sehr vorausschauend - nicht nur das Recht der Kapitalgesellschaften, sondern auch das der Verbände, der "Klassenvereine", die "in unserem Jahrhundert die Form des gesellschaftlichen Krieges" austragen. "Wir besitzen über dieselben schon treffliche Werke - wir erinnern uns nur an Brentano, Bamberger, Schönberg, Gierke -, wir werden dereinst über sie auch eine Jurisprudenz besitzen75 ." Die große Bedeutung der Selbstorganisation als Element der gesellschaftlichen "Verwaltung" und die Rolle der dafür notwendigen Autonomie werden von Stein klar erkannt, so wie für das Gewerkschaftswesen auch für das Kammerwesen, das Kredit- und Sparkassenwesen USW. 76 • Es nimmt nicht wunder, daß Sozialisierungen und Nationalisierungen im System seiner Verwaltungslehre keinen Platz erhalten; sie bedeuteten für ihn die Unterwerfung eines Faktors unter den anderen und deshalb keine Lösung. Aber für einen Kernstreitpunkt nicht-sozialistischer Gesellschaftsordnung hat er Hinweise parat: für die Mitbe71 74 76

71

Ebd., S. 424/25. Ebd., S. 425. Ebd., S. 434.

Dazu etwa Hb. S. 447.

Gesellschaftlicher Bedingungsrahmen und staatl. Handlungsspielraum 177 stimmung. Es unterliegt keinem Zweifel, daß Stein eine innerbetriebliche wirtschaftliche (mit-unternehmerische) Mitbestimmung ablehnte. Für das Innere des Unternehmens gilt: "Die Arbeit muß sich daher hier den Forderungen des werbenden Kapitals unterwerfen"77, - was keinesfalls heißt, daß sie "schutzlos der Profitgier ausgeliefert ist", sondern nur: sie muß einerseits die Eigentumsrechte des "arbeitenden Kapitals" respektieren, andererseits die Ordnung der Produktion. Denn: "Das nun ist im großen und ganzen das Bild des bürgerlichen Rechts, wie dasselbe aus dem Lebensprinzip der staatsbürgerlichen Gesellschaft, der freien kapitalbildenden Persönlichkeit hervorgeht. Man kann und wird über vieles, vielleicht über alles einzelne, was hier gesagt wurde, verschiedener Ansicht sein; aber das eine scheint mir doch als Gesamtresultat festzustehen: Dieses Rechtsbild mit seinem Privat-, Handels- und Gesellschaftsrecht ist das Bild der freien kapitalbildenden Nationalökonomie, soweit dieselbe das Recht in sich aufnimmt; jeder Rechtsbegriff ist ein wirtschaftlicher Begriff, jedes Rechtsgesetz ein Gesetz durch und für wirtschaftliche Lebensverhältnisse; die Nationalökonomie ist wirklich zum ausschließlich rechtsbildenden Faktor geworden, und das Studium dieses Teiles der Staatswissenschaft ist die lebendige Quelle und der wahre Inhalt des Studiums des bürgerlichen Rechts78." 3. Schluß: Stärken und Schwächen im Zugriff Lorenz von Steins Das unbeirrte Festhalten an der Grundstruktur einer Erwerbsgesellschaft, das im letzten zitierten Satz zum Ausdruck kommt, wird Sozialisten und Marxisten nur eine Bestätigung dafür bieten, daß Stein irrte, weil er Partei war. Alle seine in dieser Untersuchung aufgeführten, treffenden oder durch Extrapolation treffend zu machenden Handlungsanweisungen, so konkret sie auch sein mögen, beziehen sich ausdrücklich und allein auf die Erwerbsgesellschaft, den nach Auffassung eines Marxisten zum Untergang verurteilten Kapitalismus. Die entscheidende politökonomische Frage nach der Autonomie "des" Staates inmitten der kämpfenden Interessen sei, so wird der Sozialist feststellen, von Stein zumindest unklar beantwortet, und diese Unklarheit habe ihre Wurzel in einem "irrealen" Staatsbegriff. "Das höchste leitende Prinzip des öffentlichen Rechts, die erste Basis der freien Entwicklung, welche der Geschlechter- und ständischen Ordnung fehlte, war die Stellung des Staats außerhalb der Gesellschaft ... Darum ist die erste und absolute Bedingung aller staatsbürgerlichen Gesellschaft eben dieser Staat außerhalb und über Wirtschaft und GesellschafF9." 77 78

7V

GZ in GSR, S. 420. Ebd., S. 445. Ebd., S. 446/47.

12 Staat und Gesellschaft

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Unmittelbar darauf folgt die Benennung desjenigen "Prognose"-Elementes, mit dem Stein offenbar am weitesten fehlte: "Daher denn auch der Kampf um den Thron, der keineswegs immer sich von der Macht der herrschenden Klasse freihält; ... daher die unwiderstehliche Gewalt, mit welcher die Geschichte und die Völker zum Königtum zurückkehren. Denn irgendwo muß ich die höchste Bedingung der Freiheit verkörpert finden, wenn ich sie außer mir suche; ist jene mir heilig und göttlich, so muß ihre letzte Grundlage es auch sein; und indem ich das formuliere, entsteht mir jener Rechtsbegriff der Legitimität, gegenüber welcher die Wahl eine beständige Gefahr der Unterwerfung einer Klasse unter die andere, die Volkssouveränität die Legitimierung des gesellschaftlichen Kampfes und die Diktatur nur das Ende des Bürgerkriegs ist, der unvermeidlich aus dem gesellschaftlichen Gegensatze entspringt. ... Der Gegenwart gegenüber muß ich mich bescheiden zu sagen, daß die Geschichte das, was sie durch alle Jahrhunderte bestätigt hat, auch wohl künftig bestätigen wird. Uns muß hier der Satz genügen, daß wenigstens für die staatsbürgerliche Gesellschaft das Königtum der Anfang und der feste Mittelpunkt des öffentlichen Rechts ist, das nicht mehr von der Gesellschaft abhängig sein willso ." Das "Königtum der sozialen Reform" hat es nicht geschafft, in keinem der Staaten EuropasS1 • Mithin scheint die eine der wesentlichen Bedingungen zu fallen, von der Lorenz von Stein die Meisterung der Sozialen Frage abhängig machte, und selbst die realistischsten und präzisesten Voraussichten im instrumentalen Detail oder in den Zielprojektionen dürften nichts nützen. Es hilft demgegenüber wenig, wenn geltend gemacht wird, der geschichtliche und der systematische Ausgangspunkt der Theorie Lorenz von Steins sei erstens materiell identisch, und zweitens sei er treffend; er träfe diejenige geschichtliche Wirklichkeit, die mit der französischen Revolution auch tatsächlich seiner und unserer Zeit zugrunde läge s2• Böckenförde - der diese Auffassung vertritt - lobt Stein gleichzeitig, weil er rechtzeitig die Unterordnung der "Nationalen Frage" unter die "Soziale Frage" gesehen habe, sogar die überordnung des Ubiquitär-Gesellschaftlichen über das Einzelstaatliches8 • Ebd., S. 447. Zur Auseinandersetzung über die Rolle des Königtums bei Stein siehe Blasius in GSR, S. 569. 81 Böckenjörde, in GSR, S. 543; ebd., S. 537: "Das ,soziale Königtum' ist nicht ein abstraktes Postulat, nicht Erfordernis des theoretis'chen Systems, nicht Flucht aus dem Antagonismus der Gesellschaft: Es ist die einzige, aber auch echte Chance des geschichtlichen Königtums, wenn es überleben will. Eben dies ist die, Theorie' Lorenz von Steins." 83 Siehe dazu oben Anm. 6; "Ganz konsequent im Sinne dieser Bewegung spri'cht Lorenz von Stein in seiner Gesellschaftslehre von 1856 vom Volk als einer ,individuellen Gesellschaft'" (Böckenjörde, a.a.O., S. 544). 80

81

Gesellschaftlicher Bedingungsrahmen und staatl. Handlungsspielraum 179 Hier, wie beim Königtum, kann aber auch der Vorteil der Steinschen Position in einen Nachteil umschlagen. Das Einzelstaatliche, ob nun im Mantel des Nationalen oder nicht, spielt bei Stein doch wohl eine zu geringe Rolle. Die Völker und ihre Staaten sind reduziert auf Akzidenz, auf einen geschichtsphilosophisch drapierten Farbbeitrag zur Weltoder europäischen Gesellschaft in Meineckescher Maniers4 • Das führt dazu, daß der zwischenstaatliche Verkehr in Steins einzelwissenschaftlichen Untersuchungen überhaupt keine Rolle mehr spielt, obwohl Außenpolitik und Außenwirtschaftspolitkk doch ganz zweifellos zu seiner Zeit, und später nicht minder, die "überstaatlichen" Wirtschafts.,. und Gesellschaftsabläufe entscheidend bestimmten, oft durchkreuzten. - In der Gliederung seines Handbuches der Verwaltungslehre wird neben der Inneren Verwaltung zwar noch eine Äußere erwähnt, unterteilt in friedlichen Verkehr (auswärtige Angelegenheiten und Konsulatwesen) und Verwaltung der bewaffneten Macht; wie bekannt, beschäftigte Stein sich jedoch ausschließlich mit der Inneren Verwaltung. Innerhalb dieser findet sich dann ein ganz kleiner Abschnitt über "Handelsverträge" und "Zollwesen" - wo FTiedTich List einmal erwähnt wird s5 - , aber Stein weigert sich offenbar entschieden, die große Bedeutung der Außenwirtschaftsbeziehungen für "Volkswirtschaftspflege" zu erkennen; - von der bis heute zu bemerkenden außeTWirtschaftlichen Bedeutung einzelstaatlicher Subjektivität und Identität ganz zu schweigen. Statt einzelne Teile aus seinem Systemgebäude herauszubrechen, die Stein selbst für tragend und unverzichtbar hielt, statt sie für unwesentlich zu erklären, um das Gebäude als solches zu retten, scheint uns ein anderes Verfahren angebracht, das Lorenz von Steins Stärken bewahrt, ohne seine Schwächen zu leugnen oder zu mindern. Was an Steins Vorgehen methodologisch beispielhaft ist und bleibt, ist seine Geschichtsbezogenheit, genauer: die sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Komponente. "So ergibt sich, daß die wahre Geschichte der Gesellschaft und mit ihr die der Freiheit und die der staatlichen Ordnung wesentlich in der Verteilung und der Entwicklung dieser gesellschaftlichen Güter bei der niederen Klasse bestehtS8 ." Zu recht wird er als Soziologe gerühmt: "Es wird fürderhin als Mangel an elementarer Rechtsbildung gelten, das positive Recht und seine Geschichte aus der einfachen Tatsache seiner Geltung als Gesetz oder aus dem einfachen Begriffe des Rechts an sich verstehen und die Rechtswissenschaft in Gesetz oder Philosophie suchen zu wollen.... (Es) muß die Gesellsc 83 88

12·

GZ in GSR, S. 472173. Hb. S. 8, 370171. Geschichte der Sozialen Bewegung, in GSR, S. 74.

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schaftslehre sich als die Grundlage der europäischen Rechtsgeschichte beweisen87 • " Es verhält sich nun aber so, daß Stein zwar die Zustände von Gesellschaft und Wirtschaft historisch und soziologisch ableitet, die Staatsfigur jedoch in aller ihrer Idealität unhistorisch, in geradezu aristotelischer Manier, einbringt. Er spricht, wie oben erwähnt, nicht ohne Grund von der notwendigen "Heiligkeit" des Legitimitätsprinzips. Es stecken in dem folgenden Satz also zwei Elemente, ein rationalistischhobbesianisches und ein konkret historisch-soziologisches: "Jedes geltende Recht hat zwei Momente in sich. Zuerst ist es der erklärte Wille des Staats, dann ist es die Konsequenz der Verhältnisse88 ." Da Stein aber den wirklichen Staat - nicht seinen idealen Begriff - doch wieder auf die soziologischen Bedingungen zurückführt, muß "der erklärte Wille des Staats" wiederum nur als "die Konsequenz der Verhältnisse" gelten. Aus diesem Zirkel gibt es keinen naturrechtlichen, geschichtstheoretischen oder personalistischen Ausweg. Es gibt nur eine konkret historische Antwort. Stein selbst hat hier den Weg gewiesen, aber er ist ihn nicht zu Ende gegangen. Seine Einleitung in den Teil "Die wirtschaftliche Verwaltung (Volkswirtschaftspflege)" der Großen Verwaltungslehre enthält eine faszinierende Entwicklung der Nationalökonomie aus der historischen Praxis der Staatsverwaltung heraus. Ein Unterkapitel hat geradezu den Titel: "Die drei ,Schulen' oder ,Systeme' der Nationalökonomie sind als Systeme der wirtschaftlichen Verwaltung aufzufassen8'." Er beklagt sich lebhaft darüber, daß zu seiner Zeit noch in der Volkswirtschaftslehre statt eines wissenschaftlichen Systems vielmehr Parteien und Parteiinteressen entstehen, "jede mit ihrer Volkswirtschaftslehre als Troß und Dienerin des bestimmten administrativen Zweckes, den man ins Auge faßt". Er beschimpft sie - so wörtlich - als "eine ordnungs- und vor allen Dingen charakterlose Sammlung von Einzelheiten, die für und gegen alles Gründe und Zitate hat, ein Nachschlagebuch für jedes Interesse, eine bereite Dienerin, die niemandem absolut widerspricht, allen in etwas nützt, dafür aber auch selbständig weder Mühe noch Gefahr, weder tiefen Ernst noch ernste Tiefe hat, und zu einer Berieselungs-Anstalt für alle möglichen Ansichten des sog. ,praktischen Lebens' wird"90. Sogar die Kontroverse über Freihandel und Schutzzoll rechnet er dazu, "die durchaus volkswirtschaftliche Begriffe sein sollten, während sie verwaltungsrechtliche Prinzipien sind"91. Und 87 88 8g 90 g!

GZ in GSR, S. 299/300. Geschichte der Sozialen Bewegung, in GSR, S. 83. Vwl. S. 17 ff.

Ebd., S. 16. Ebd., S. 17.

Gesellschaftlicher Bedingungsrahmen und staatl. Handlungsspielraum 181 dann folgt die schlagende Ankündigung, er werde jetzt den Nachweis liefern, "daß das, was man auch historisch die nationalökonomischen Schulen nennt, in der Tat nichts anderes ist als eine Reihe von Prinzipien der wirtschaftlichen Verwaltung auf Grundlage nationalökonomischer Begriffe und Interessen"92. Die dann folgende Entwicklung des Merkantilismus (Kameralismus) der physiokratischen Schule und des Adam Smithschen Systems als Zusammenfassungen jeweiliger staatlicher Verwaltungspraxis ist fürwahr ein Kabinettsstück und überzeugt. Stein weist nach, daß die Erkenntnisse der eigentlichen, der vor- oder überstaatlichen Wirtschaftswissenschaft, der "reinen Güterlehre", wie er sie wohl auch nennt, historisch nur gleichsam als Abfallprodukte von Wirtschaftslehren abfielen, die in Wirklichkeit Verwaltungslehren waren, also vom Subjekt "Staat" her gedacht waren. Denn nur die staatliche "Volkswirtschaftspflege", wie rudimentär auch immer, war gehalten, "das Ganze" der Wirtschaft zu bedenken, aber das tat sie eben VOn dem ihr eigenen Gesichtspunkt her. Stein findet dies selbst noch für Adam Smith gültig, obwohl "hier ... die Scheidung zwischen Nationalökonomie und Verwaltungslehre im Prinzipe vollbracht (ist); ... aber sie wird in der Wirklichkeit nicht durchgeführt"93. Durchgeführt wird die Scheidung insbesondere deshalb nicht, weil die ersten entdeckten "reinen Prinzipien" einer Wirtschaftswissenschaft sich bei Smith gegen Staat und Verwaltung aufwerfen in Verlängerung einer alten britischen Übung -, und dies "nicht so sehr wegen ihrer Wahrheit, als wegen ihrer Harmonie mit dem ganzen Entwicklungsgange der staatlichen und gesellschaftlichen Ideen jener Epoche"94. - "Und die nächste natürliche Folge war die, daß diejenige Nationalökonomie, welche die Wahrheit dieses Prinzips (die entschiedene Verurteilung der polizeilichen Bevormundung auch in wirtschaftlicher Hinsicht, H.-J. A.) durch die absoluten Grundsätze der Güterlehre bewies, an und für sich als die wahre Nationalökonomie begrüßt wurde ... Nun ließ sich aber trotz aller Macht dieser Lehre denn doch nicht so einfach das Dasein, die Notwendigkeit, ja die Funktion des Staats und seiner Verwaltung nicht bloß in Recht und Verfassung, sondern auch in der Volkswirtschaft abweisen95 ." Stein steht selbst wohl noch etwas unter dem Banne des Smithschen Liberalismus, wenn er, trotz des Nachweises der Genesis auch dieses nationalökonomischen Systems aus einer staatlichen Verwaltungslage, anDt

9a 94

95

Ebd., S. 17. Ebd., S. 20. Ebd., S. 38. Ebd., S. 39.

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nimmt, immerhin sei dabei so etwas wie die "reine Wirtschaftswissenschaft" entdeckt worden, und nur noch die Frage 'Zuläßt, "wie sich nunmehr jene neue selbständige Nationalökonomie zu der Staatslehre, die man in England gar nicht kannte, verhalten werde"D6. Richtiger scheint es uns, zu fragen, ob nicht jeder Zustand von "reiner Wirtschaftslehre" immer die Spuren seiner Entstehung aus staatlich-administrativer Fragestellung in sich trägt, und ob somit eine völlig staats-unbezogene "reine Nationalökonomie" überhaupt denkbar ist. Eine Frage, die Friedrich Jonas in etwas anderer Gestalt bereits gestellt und abgehandelt hat97 • Fragt man so, dann könnte sich das Keynessche System am Ende gar als die Antwort auf die Probleme der Wirtschaftsverwaltung der Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts herausstellen, das Euckensche und Erhardsche der "Sozialen Marktwirtschaft" als die Antwort der entstehenden Bundesrepublik und ihrer Wirtschaftspolitik auf die ihr eigene Lage, - und was sich in der Sowjetunion an "Wirtschaftswissenschaft" entwickelt, kann gar nichts anderes sein als die Antwort auf die konkreten wirtschaftspolitischen Probleme dieses "ersten sozialistischen Staates". Stein konnte die Brisanz solcher Fragestellungen nicht so recht begreifen, oder vielmehr: für ihn lag keine Brisanz darin, denn er begriff auch die Nationalökonomie immer noch als Teil einer "Gesamten Staatswissenschaft", und wenn auch nur aus Konvention. Recht besehen aber tendiert Steins Ableitung der "staatsfernen" Gesellschaftswissenschaften, insbesondere der Nationalökonomie, aus der konkreten Problemlage von historischen Staaten zu einer hypothetischen Beantwortung der unklar gebliebenen historischen Ableitung der Staatsfigur. Sobald und solange eine "Kommandohöhe" besteht, die, und wenn bloß im erhobenen Anspruch, gefordert ist, Handlungen "auf das Ganze hin" zu erwägen und zu begehen, kann (nicht muß) sich daraus eine Sichtweise entwickeln, zu der kein partikuläres Interesse der Gesellschaft fähig, aber auch nicht aufgerufen ist. Diese Kommandohöhe wird jeweils für historische Lagen vorhanden sein eider nicht; für ihr Vorhandensein ist es zweitrangig, von wem sie jeweils besetzt ist, etwa von einer "herrschenden Klasse". Auch diese wird niemals Politik unter vollständiger Negierung der "unterdrückten Klasse" treiben können; und um richtig reagieren zu können, wird sie die möglichen, etwa: die "wirtschaftsgesetz-mäßigen" Reaktionen dieser ihrer "Gegner" und H

Ebd., S. 40.

Friedrich Jonas, Das Selbstverständnis der ökonomischen Theorie, Berlin 1964, dort S. 225: "Seit der Entstehung der industriellen Zivilisation kann •7

das, was Wirtschaft ist, nicht mehr aus dem Willen eines einzelnen erklärt werden, wie es etwa im Oikos der Fall war, der einen Herrn hatte."

Gesellschaftlicher Bedingungsrahmen und staatl. Handlungsspielraum 183 Unterworfenen so richtig wie möglich zu kalkulieren versuchen. Solche Kalkulationen mögen dann auch dazu verwendet werden, in propagandistischer Wendung das Verhalten der Betreffenden "systemkonform" zu gestalten, - das ändert nichts an der Notwendigkeit, daß die Kommandohöhen sich zutreffende Informationen beschaffen. Lorenz von Stein verbrämte die historische Kommandohöhe "Staat", die er vorfand, mit dem "idealistischen Mantel"98 der legitimistischen Monarchie und dem gegen Kant gemünzten Hegel-Wort von der "Wirklichkeit der sittlichen Idee". Das hinderte ihn nicht, von dieser Höhe eben diejenige soziale Landschaft zu sehen und zu beschreiben, die wir auch heute noch im wesentlichen um uns herum vorfinden. Und wenn die ökonomischen Landschaften von Hauptstädten Osteuropas aus sich so merkwürdig anders anschauen als von Hauptstädten Mittel- oder Westeuropas aus, so mag dies weniger an dem Objekt selbst, den historischen Grundverhältnissen der Wirtschaft, liegen als vielmehr an der Optik, mit der sie jeweils hüben und drüben betrachtet, in der sie dargestellt und mit der sie behandelt werden. Allerdings ist dies kein kleiner Unterschied, und Lorenz von Stein unterschätzte ihn wohl, so wie er die autonome Wirkmacht einzelner - nicht aller - Staaten-Individuen unterschätzte.

98 Böckenforde (a.a.O., S. 546) bringt ein apokryphes - Zitat von Marx über Stein als "Realist, der im weiten idealistischen Mantel einherschreitet."

Steins Sozialismusverständnis von 1842 Von Raimund Hörburger Im vorliegenden Beitrag wird versucht, eine zusammenfassende Darstellung zu geben über den Begriff Sozialismus, wie er im Erstlingswerk von LOTenz von Stein "Der Socialismus und Communismus des heutigen Frankreichs" verstreut enthalten ist. Die Bedeutung dieser kurzen Untersuchung besteht darin, die gesellschaftspolitische Einstellung Steins in jener Zeit eindeutiger zu bestimmen und so dem Autor dieser bedeutenden Schrift mehr Gerechtigkeit als bisher widerfahren zu lassen. Schon in der Vorrede zu seinem Werk nimmt Stein kritisch Stellung zu Louis Reybauds "Etudes sur le reformateurs contemporains ou Socialistes modernes, Saint-Simon, Charles Fourier, Robert Owen" (2. Ausgabe 1841, 3. Ausgabe 1842). Diese Arbeit dient Stein zwar als wichtige Informationsquelle für den zweiten Teil seines Buches mit dem Titel "Die Sozialisten", er distanziert sich aber von den Ansichten Louis Reybauds, der "Saint-Simons Theorie ... wie die Fouriers nur als zwei neue Utopien"l betrachtet. Nach dem Urteil Steins kommt Reybaud "nicht zu dem Gedanken der Gesellschaft und ihrer Geschichte, ja nicht einmal zu dem des Proletariats"2. Bei der Behandlung des Sozialismus läßt dieser "die allgemeinere Grundlage desselben, die gegenwärtigen Klassen der Gesellschaft und ihre Ansprüche weg"3. Mit dieser Kritik an Reybaud deutet Stein auf seine eigene Methode hin, nämlich die "sozialistischen und kommunistischen Doktrinen" im gesellschaftlichen Zusammenhang zu sehen und zu erklären. Unter dem Einfluß von Louis Blancs "Histoire de dix ans" charakterisiert Stein die französische Gesellschaft folgendermaßen: "Die ganze Masse des Volkes teilt sich in Besitzer und Nichtbesitzer, oder in solche, die mit ihrer Arbeitskraft das Kapital verbinden, und solche, die nichts sind wie Arbeiter", hier die "Bourgeoisie" und dort das "Proletariat". Die gegenseitige Abhängigkeit dieser beiden Klassen erklärt sich aus dem "Zusammenwirken von Kapital und Arbeit" in der Pro1 LOTenz Stein, Der Socialismus und Communismus des heutigen Frankreichs, Leipzig 1842, S. VII. I a.a.O., S. VII. 3 a.a.O., S. VIII.

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duktion. In Wirklichkeit hat aber der Besitzende durch sein Kapital "einen absoluten Vorzug vor dem Nichtbesitzenden, sodaß der Besitzer den Nichtbesitzenden überwinden, d. h. sich den Erwerb aneignen muß, nach dem beide gemeinsam streben". Stein ist sich somit bewußt, "das Gesetz gefunden" zu haben, "nach dem sich das Verhältnis der beiden Klassen ... gestalten muß". Der Klassenkampf oder, wie Stein sagt, der "Kampf zwischen Kapital und Arbeit" resultiert aus dieser tatsächlich einseitigen Abhängigkeit des Proletariats, wodurch der "Sieg des Kapitals über die bloße Arbeitskraft" zum Ausdruck kommt, der "eine absolut unterworfene Klasse im Staate" zurückläß( Wo aber "Klassen sich feindlich gegenüberstehen", da sind nach Stein "entgegengesetzte Prinzipien vertreten"'. Diese Prinzipien sind für das Bürgertum "die Idee des Rechts des Besitzes" und für das Proletariat "die Idee der Gleichheit"5. Stein beginnt nun aufzuzeigen, wie die Ideen des Sozialismus (und auch des Kommunismus) aus den sozio-ökonomischen Verhältnissen dieser unterworfenen Klasse zu erklären sind. In einer Gesellschaft, deren Industrie auf der "freien Konkurrenz" beruht, ist "derjenige, der von vornherein nichts hat als seine Arbeitskraft durch diese eben nicht imstande, zu einem Besitz ... zu gelangen"'. Politisch wirkt sich dies so aus, daß "die Wahlgesetze ihn von allem Recht an der Staatsgewalt ... ausschließen"7. Daher besitzt der Proletarier auch keine "Geltung im gesellschaftlichen Leben"8. Dadurch entwickelt sich ein "opponierendes Prinzip ... im Volke", das die Forderung nach "Gleichheit aller Persönlichkeit in jedem Gebiet des menschlichen Lebens'" enthält. Stein erklärt diese Forderung genauer und sagt, daß "der gemeinsame Grundsatz für alles, was Kommunismus und Sozialismus heißt", dahingeht, daß die "ihrer Idee nach allgemeinen Güter, de!'l Besitzes und der Intelligenz (d. h. der Bildung; vom Autor) an diejenigen" angemessen verteilt werden, "denen sie in der gegenwärtigen Lage der Dinge versagt worden sind"IO. Für Stein stimmen Sozialismus und Kommunismus nur in diesen Forderungen überein, "in allen übrigen" trennen sie sich voneinander. Wenn Stein also den Sozialismus zur Ideologie des Proletariats macht, so erhebt sich die Frage, woher er den Raster zu diesem sozio-ökonomischen Erklärungsversuch nimmt. Stein verdankt, wie er selbst sagt, , a.a.O., S. 72 - 74. 5 a.a.O., S. 86. I a.a.O., S. 83. 7 a.a.O., S. 9. e a.a.O., S. 7. , a.a.O., S. 76. 10 a.a.O., S. 7.

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"vielfache Nachweisungen und Eröffnungen . . . Herrn Victor Considerant, Louis Blanc und Cabet. Es wäre dem Fremden schwer möglich gewesen", meint Stein, "ohne dieselben zu einer festen und zugleich ins einzelne gehenden Ansicht des ganzen. Gebietes dieser Arbeit zu gelangen ... "11. Stein schweigt sich jedoch aus, was er methodisch und inhaltlich nun tatsächlich diesen Informanten verdankt. Wir erfahren also auch nicht, ob die sozio-ökonomische Interpretation des Sozialismus und Kommunismus von diesen Herren stammt. Aufschlußreicher ist diesbezüglich Steins Verständnis von Saint-Simon. Nach seiner Ansicht hat Saint-Simon schon in seinen "Lettres d'un habitant de Geneve a ses contemporains" erkannt, daß "die proprietaires und tout le monde auseinandertreten". Das war noch "die Zeit der Kindheit für die beiden Klassen", von denen sich die letztere "bei dem Worte Gleichheit versammelt" 12. Schließlich sah Saint-Simon "auf dem tieferen Boden seiner Zeit jenen furchtbaren Gegensatz von Bourgeoisie und Peuple oder von Besitzern und Arbeitern; er fühlte, daß der Widerspruch zwischen beiden auf dem Prinzip der Egalität beruhte und sagte den Kampf derselben voraus"ll. Dies ist nun genau das Schema, nach dem Stein die französische Sozialgeschichte von 1789 bis 1840 darstellt. Die nicht besitzende Klasse vertritt für ihn das Prinzip der Egalität oder die Idee der Persönlichkeit, dessen wahrer Gegner im Besitz zu finden ist. Nach dieser Methode entwickelt er die Geschichte des Egalitätsprinzips oder des Proletariats "als notwendige Basis für das vollkommene Verständnis der sozialistischen und kommunistischen Bewegungen"14. Nach Stein ist es "des tiefsten Interesses wert, ... mit Saint-Simon durch die Geschichte oder mit Fourier durch die Gesetze der produktiven Kräfte zu folgen"15. Steins Rückführung des Sozialismus auf die ökonomische Lage des Proletariats ist bekanntlich bei den sog. "wahren Sozialisten" in Deutschland auf heftige Kritik gestoßen. Daher verspotteten sie Stein und behaupteten, dieser mache den Sozialismus zu einer "Magenfrage"18. Im Jahre 1844 soll sich Moses Heß dahin geäußert haben, daß die Verknüpfung von Sozialismus und Proletariat durch den Einfluß Steins jetzt in reaktionären Kreisen vertreten werde11 • Marx verteidigt diese realistische Sicht Steins und hebt dessen Verdienst hervor, "die Bea.a.O., S. X. a.a.O., S. 154. 11 a.a.O., S. 176. U a.a.O., S. 301/51. 15 a.a.O., S. 134. 11 K. Grün, Neue Anekdota, Darmstadt 1845. 17 E. Meyer, Lorenz v. Stein und die Anfänge des deutschen Sozialismus, Diss., Frankfurt 1965. 11

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ziehung zwischen der sozialistischen Literatur und der wirklichen Entwicklung der französischen Gesellschaft" dargestellt zu haben18 • Durch diese Verbindung von Sozialismus und Proletariat kommt Stein eine wichtige Rolle in zweifacher Hinsicht zu: Indem er die sozialistische Ideologie aus der Interessenlage einer Gesellschaftsklasse erklärt, wird er zum Vorläufer der Wissenssoziologie und indem er das Proletariat zum Träger des Sozialismus macht, verleiht er diesem erst seinen eigentlichen revolutionären Charakter. Gerade aus der Tatsache, daß Sozialismus und Kommunismus im Proletariat entstehen, ergibt sich für Stein die Notwendigkeit, die Gesellschaft als solche zum Objekt des Studiums zu machen. Da auch in Deutschland die wachsende Industrialisierung ein Proletariat erzeugen wird, fordert Stein eine neue Wissenschaft: die Wissenschaft der Gesellschaft, deren Aufgabe in der "Lenkung" der gesellschaftlichen "Elemente" besteht. Die "Wissenschaft der Gesellschaft" muß also eine Lösung für das soziale Problem anbieten, d. h. "Wesen und Gestalt der gesellschaftlichen Aufgabe" definieren. Pathetisch erklärt Stein, daß "Deutschland ... die hohe Aufgabe" hat, "alle Widersprüche der europäischen Welt in seiner Wissenschaft zu versöhnen". Gerade der erste Teil seines Buches mit der überschrift "Das Prinzip der Egalität" soll den Anstoß geben, den "Begriff (nämlich der Gesellschaft; vom Autor) und seine innere Vollendung wie das Erkennen der äußeren Ereignisse zu einem Besitztum der Wissenschaft zu machen" 19. Was versteht nun Stein im Jahre 1842 unter "Wissenschaft der Gesellschaft"? Es ist hier nicht der Ort, näher auf die Ursprünge dieses Begriffes bei Stein einzugehen. Wissenschaft der Gesellschaft und Sozialismus hängen offenbar zusammen; denn im Kapitel über "die Sozialisten" lautet der erste Untertitel "der allgemeine wissenschaftliche Charakter des Sozialismus". Für Stein ist der Sozialismus zunächst eine, wir würden heute sagen, empirisch-'historische Wissenschaft, d. h. eine Wissenschaft, die wie die Naturwissenschaft von der Beobachtung ausgeht. Das Objekt dieser Beobachtung ist die Gesellschaft und deren Geschichte. So zeigt Stein im ersten Teil seines Buches, wie sich seit der Französischen Revolution der Besitz im Staat, d. h. in der Verfassung durch die Einführung und Aufrechterhaltung des Wahlzensus und in der Gesellschaft durch die totale Abhängigkeit des Proletariats von der Bourgeoisie durchgesetzt hat. Daraus schließt er, daß "vom Besitz ... Stellung und Geltung jedes Einzelnen abhängig geworden" sind. In einer 18 Vgl. die Kritik von K. MaTx an K. GTüns Buch "Die soziale Bewegung in Frankreich und Belgien", Darmstadt 1845, in: MEGA I, 5, S. 471- 496. 19 Stein, a.a.O., S. IV - VI.

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Gesellschaft aber, die auf der absoluten wirtschaftlichen Konkurrenz beruht, verteilen sich die Güter auch nach diesem Gesetz, d. h. sie bilden, wie Stein sagt, "die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse". Es ergibt sich daher die Möglichkeit, Gesellschaft und Staat vom Besitz und dessen Auswirkungen her zu analysieren. So findet man die die ganze Gesellschaft umfassenden Gesetze, wie sie sich in allen sozialen Beziehungen äußern. Die Kenntnis dieser Gesetze ist nach Stein die Wissenschaft der Gesellschaft, der Sozialismus. "Wir haben gezeigt" sagt Stein, "wie sich die Arbeit der Zeit auf die Industrie geworfen und wie von ihren Resultaten oder kurz vom Besitz die Stellung und Geltung jedes einzelnen abhängig geworden ist ... ". "Dieselben Gesetze, die das Ergebnis der Industrie an diese Einzelnen verteilen, bilden daher die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Ein System, was bei der bloßen Industrie stehen bleibt, hat mithin nicht das ganze Gebiet erfaßt, in welchem sie wirkt; es muß weiter, und sich über alle Beziehungen ausbreiten, in denen der Besitz überhaupt seine Bedeutung äußert. Auf diese Weise wird die tiefergehende Lehre von der Industrie die Gesetze finden müssen, die die ganze Gesellschaft umfassen, und das Wissen derselben ist damit nicht allein die Wissenschaft der Arbeit, sondern die der Gesellschaft, der Sozialismus 20 ." Bei der Lektüre der Kapitel über Saint-Simon entdeckt man wiederum dessen Einfluß auf den so verstandenen Sozialismusbegriff. Nach Ansicht Steins zeigt Saint-Simon in den "Lettres d'un habitant de Geneve ä ses contemporains" "zum ersten Male, wenn auch nur von ferne ... , was ihm eigentlich unter seiner ,physico-politischen Richtung' oder seiner ,allgemeinen Wissenschaft' vorgeschwebt hat. Es ist kein philosophisches System, kein neues Prinzip im Gebiet des Staatsrechts, sondern es ist nichts anderes als die Idee, die Zustände der Gesellschaft wissenschaftlich zu erfassen und ihre Verhältnisse nach absoluten Grundsätzen zu ordnen"21. Im Gegensatz zu Jean Baptiste Say erklärt Saint-Simon, daß Politik und Wirtschaft nicht voneinander zu trennen sind. Daraus ergibt sich eine neue Methode für die Wissenschaft der Gesellschaft, nämlich die Beobachtung des Einflusses der Wirtschaft auf das soziale und politische Leben. Saint-Simons "Systeme industriei" resultiert aus der Tatsache, daß "das übergewicht der Besitzer in der Verwaltung des Staates immer entschiedener dem Adel und der Geistlichkeit gegenüber hervortritt". Saint-Simon erfaßt das Verhältnis "des Handels und der Industrie ... zum Staatsrecht und der Bildung des Lebens der Gesell20

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a.a.O., S. 130. a.a.O., S. 150.

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schaft" und behauptet "die allumfassende Bedeutung der Industrie und des Kapitals in Gesellschaft und Staat"22. Man kann ohne übertreibung sagen, daß Stein mit di~s~m Sozialismusbegriff einen bis dahin in Deutschland kaum beachteten Aspekt der Lehre Saint-Simons übermittelt, nämlich Gesellschaft und Staat von d~r Bedeutung des Eigentums und des Besitzes aus zu analysieren. Für Stein hat das Wort Sozialismus anfangs der vierzig~r Jahre noch "keine feste technische Bedeutung". Nach seiner Ansicht "wird es bald für alle Bestrebungen, materielle wie intellektuelle genommen, die auf die Verbesserung der gesellschaftlichen Umstände hinzielen, bald ist es allein die Schule der Fourieristen, die ihre Theorie, die science sociale nennen. Wir haben den Vorteil", sagt Stein, "für den neuzuschaffenden Begriff jenen Ausdruck noch als einen freien ... in Anspruch nehmen zu können"23. Stein versucht nun, den Sozialismus nicht bloß von der gesellschaftskritischen Seite, sondern auch von dessen Ordnungsprinzip her zu erfassen. Der Sozialismus wird zu einer "Wissenschaft der Gesellschaft", weil er ein Modell zur Versöhnung von Bourgeoisie und Proletariat anbieten kann. Stein entwickelt dieses Modell im Gegensatz zu seinem Zivilisationsbegrijj. Unter Zivilisation versteht er zunächst Bildung, dann "staatsrechtliche und persönliche Freiheit; beides wiederum nicht als das ausschließliche Gut Einzelner sondern als ein faktisch Gemeinsames für alle"24. Stein geht aber noch weiter. Grundlage und Voraussetzung der persönlichen Freiheit und der Rechte im Staat bildet der Besitz. Der "Besitz ist die Basis für die Erreichung aller Güter, die die Zivilisation ihr~m Begriff nach als allgemein setzt"25. Daher gehört auch Besitz zum Begriff der Zivilisation. In einer sich an die HegeIsche Logik anlehnenden Deduktion will Stein demonstrieren, daß der Begriff Zivilisation Allgemeinbesitz bedeutet. "Der Begriff der Zivilisation enthält zuerst den der allgemeinen Güter, wie des Besitzes, der Ehre, der Bildung und andere. Der Begriff des Gutes setzt d~n des Besitzenden. Enthält dieser Besitzende wiederum das Allgemeine, so erscheint die Menschheit und ihr Besitztum. ... Allein der Begriff des Allgemeinen enthält den des Einzelnen, der Person. Dieser ist es, den die Zivilisation dem Allgemeinen gegenüberstellt, und zwar, indem sie das allgemeine als allgemeines Gut bestimmt, a.a.O., S. 162/163. a.a.O., S. 130. U a.a.O., S. 16. n a.a.O., S. 24. !!

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zugleich als den Besitzenden ... ". Zivilisation ist also "die Einheit des einzelnen Besitzers und des allgemeinen Guts". Dies ist so zu verstehen, daß der "Einzelne in seinem Besitz das allen anderen zugleich gemeinsame Gut wiederfindet"28. Diese logische Beweisführung findet ihre Bestätigung in der Geschichte; denn "der sich selbst entwickelnde Begriff macht die Bewegung, die die Geschichte ihm nachzeichnet". In einem kurzen historischen Überblick zeigt Stein, wie sich der Besitz in der Geschichte von der unbestimmten Gütergemeinschaft über Adel und Königtum in den Ständen konzentriert und unter Einfluß der Philosophie durch den Begriff der Persönlichkeit Allgemeingut wird. Denn "an die Stelle der absoluten Souveränität tritt die Selbstherrschaft des Volkes"27, verwirklicht in der Französischen Revolution von 1789, die für Stein nicht politischer sondern sozialer Natur war und sich im Kampf um die "Berechtigung aller Person zu gleichem Besitz des allgemeinen Gutes"28 zeigte. Im Zentrum dieses Zivilisations begriffs steht der Begriff der absoluten Persönlichkeit. Schon weiter oben wurde dargestellt, wie Stein die Entstehung der sozialistischen Ideen aus der Dialektik von Besitzenden und Nichtbesitzenden erklärt. Das Prinzip der Gleichheit des Besitzes bildet sich dort, wo durch die faktischen Verhältnisse der ungleichen Besitzverteilung, hervorgerufen durch eine schrankenlose freie Konkurrenz, der größte Teil des Volkes vom Eigentum und damit auch von den politischen Rechten ausgeschlossen ist. Ähnlich argumentiert Stein bei der Entwicklung des Begriffs der absoluten Persönlichkeit. Vor der Französischen Revolution gab es Stände und Zünfte in der Gesellschaft, die es unmöglich machten, "durch persönlichen Wert und persönliche Arbeit zu der höheren persönlichen Geltung zu gelangen"2'. Dieser Ausschließlichkeitscharakter der Stände und Zünfte führte zur "Opposition gegen das althergebrachte Recht", denn "sowohl das Lastende als das Schimpfliche der öffentlichen Verhältnisse (war) unerträglich geworden. Eine Änderung war notwendig ... ". Diese vollzieht sich aber zunächst nicht in Gesellschaft und Staat, sondern in der Philosophie. Dem Konflikt zwischen geschichtlichem Denken und ungeschichtlichem Denken entspringt die "Idee der absoluten Persönlichkeit", nach der "die Verfassung von Staat und Gesellschaft" gestaltet werden soll. a.a.O., S. 19. a.a.O., S. 19/20. 28 a.a.O., S. 22. f' a.a.O., S. 35.

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Wo aber die "absolute Persönlichkeit" zur Mitte der philosophischen und später auch politischen Gedankenwelt wird, kann der unauflösliche Widerspruch zum Bestehenden nur durch eine entschiedene Negation eben dieses Bestehenden gelöst werdenso. Dies ist nach Stein die Revolution von 1789. Die "Idee der Berechtigung aller Persönlichkeit" bleibt aber nicht rein negativ, sondern formt sich im Volk um zu den Menschenrechten, vertreten von den Mitgliedern des Tiers-Etat. Die eigentlichen Verfechter dieser Rechte sind aber "die Proletarier, die furchtbare Klasse, die Nichtbesitzer, die Arbeiter, die den Kampf gegen das Königtum" führen und schon in der Verfassung von 1791, die den Wahlzensus einführt, von der politischen Verantwortung ausgeschlossen werdens1 . Die Konstitution von 1793 schafft den Wahlzensus ab, so daß die "Idee der Berechtigung aller Persönlichkeit" unabhängig vom Eigentum im Staat zur Geltung kommen kann, die Verfassung von 1795 aber basiert wieder auf dem Besitz und die Juli-Revolution von 1830 verstärkt noch die politische Position der besitzenden Klasse 32 . Die Revolution von 1789 ist also nicht vollendet und strebt einer zweiten großen Sozialrevolution entgegen, getragen vom Proletariat. Dieses identifiziert sich mit der Idee der Persönlichkeit und dem Gesetz der Zivilisation3s, dem sich der Ausschließlichkeitscharakter des persönlichen Eigentums entgegenstellt. "Der Begriff des persönlichen Eigentums tritt in Widerspruch mit dem der Zivilisation und die Möglichkeit der Erreichung der höchsten Idee der menschlichen Gesellschaft findet in den faktischen Verhältnissen der zufälligen Verteilung materieller Besitztümer ihre entschiedene Aufhebung. Wenn dem aber so ist", fragt Stein, "welches von beiden, das Recht des Eigentums oder das der absoluten Persönlichkeit, wird als das höhere und damit als das höher Berechtigte erscheinen"33a? Aus dem Begriff und der Geschichte der Zivilisation wie aus dem Begriff der absoluten Persönlichkeit entsteht für Stein also eine Gesellschaft, in der das Eigentum Allgemeingut geworden ist und seine primär soziale Funktion insofern erfüllt, als jede Person daran teilhaben kann. Diese logisch-historische Beweisführung offenbart ein in der Geschichte waltendes Gesetz, das nun endlich begriffen und daher bewußt befolgt werden kann. In junghegelianischer Diktion sagt Stein: "Wir fangen an, das Gesetz zu begreifen, dem wir folgen und ahnen es, daß die ewige Notwendigkeit zu unserer eigenen werden kann. Langa.a.O., S. 39. a.a.O., S. 43 - 49. 32 a.a.O., S. 50 - 104. 33 a.a.O., S. 30/31/336. 3Sa a.a.O., S. 25. 30 31

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sam, unsicher noch, aber doch mit entschiedener Richtung, beginnen wir, einen Willen zu haben, zu wollen, was wir zu leugnen nicht vermögen, und so wird uns aus dem Erkennen des Ganzen der Geschichte das Gesetz unseres eigenen Wollens 34 ." Da sich "durch die Juli-Revolution ... die Klasse der Besitzenden ... die höchste Gewalt des Staats angeeignet hat", will das Proletariat die "absolute Demokratie" verwirklichen, in einer "wahren Volksherrschaft". Dies bedeutet "nicht bloß ... Gleichheit aller im Staatsrecht, sondern zugleich der gleiche Besitz"35. Das ist Inhalt und Ziel der unmittelbar bevorstehenden sozialen Revolution für Stein: absolute Demokratie, Vergesellschaftung des Eigentums und Herrschaft des Proletariats und damit die Möglichkeit, daß sich die "Persönlichkeit" unabhängig vom Besitz verwirklichen kann. Es wäre hier nicht schwer, auf die Einflüsse Saint-Simons hinzuweisen. In seinem Werk "L'industrie" liest man: "Seit 1793 ist die Französische Nation in einen Zustand der Desorganisation geraten, der in meinen Augen noch nicht aufgehört hat", so daß die "große Europäische Revolution" noch aussteht38. Stein resümiert die Bedeutung Saint-Simons und Fouriers in der Erkenntnis des Widerspruchs "zwischen dem Beruf aller zur gleichen Teilnahme an den gemeinsamen Gütern und der Trennung der Besitzenden und der Nichtbesitzenden ... "37. Schließlich sagt Stein, daß für Saint-Simon "die wahre Zivilisation" im gegenwärtigen Zustand noch nicht erreicht sei und daß "eine Organisation der Gesellschaft" gebildet werden müsse, "in welcher die Klasse der Besitzer und der Rechtskundigen sowohl, wie die militärische Macht dem arbeitenden Teile untergeordnet werde und allein ihm diene, sodaß sich aus der altgeschichtlichen feudalen Ordnung des Staats eine durchaus industrielle als Höhepunkt der Zivilisation entwickle"38. Sosehr Stein diese radikalen soziopolitischen und sozioökonomischen Konsequenzen des Egalitätsprinzips auch verfolgt, so wenig stimmt er ihnen zu. Auch wenn sich aus seinem Zivilisationsbegriff eine Gesellschaft ergibt, in der das Eigentum seine individuelle Funktion nur aus der sozialen Funktion ableitet, so kann Stein doch die totale Vergesellschaftung des persönlichen Eigentums nicht akzeptieren. "Es ist unmöglich, die Persönlichkeit des Eigentums zu leugnen39." Denn nach Regel ist "erst im Eigentum ... die Person als Vernunft"40. a.a.O., S. 21. a.a.O., S. 101/136/138. 31 Saint-Simon, L'industrie, Ausgabe Anthropos Bd. I., S.174, zitiert in: P. Ansart, Sociologie de Saint-Simon, Paris 1970, S. 99. 17 Stein, op. cit., S. 95. 38 a.a.O., S. 167. 31 a.a.O., S.26. 34

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13 staat und Gesellschaft

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Andererseits haben ihm die französischen Philosophen und Sozialreformer gezeigt, daß Eigentum nicht die "absolute Bedingung für die Vollendung der Persönlichkeit" ist u . Stein meint, daß "dieser erste Zweifel an der absoluten Berechtigung des individuellen Eigentums ... das wahre Resultat der Schule Saint-Simons"42 sei und sieht darin einen Fortschritt, den er aus der Geschichte begründet. "Der Grundirrtum unserer Zeit in Beziehung auf das Eigentum ist der, das gegenwärtige Recht desselben als ein absolutes, ein durchaus notwendiges und unveränderliches anzusehen. Wie sehr eine solche Auffassung einseitig genannt werden kann, zeigt schon ein einfacher Blick auf die Geschichte. Sie lehrt uns, wie jede große Reform zugleich eine Reform des Eigentums ist und wie sich schrittweise von den Gegenständen überhaupt das Eigentumsrecht 10strennt43 ." Da also Stein weder den radikalen revolutionären Ideen der Vergesellschaftung des Eigentums zustimmen kann, noch den Ideen des Liberalismus - man muß diesbezüglich nur den Schluß seines Werkes lesen - findet er in der Auseinandersetzung zwischen absoluter Freiheit und absoluter Gleichheit gedanklich ein Versöhnungsmodell, das sich als "realistische" Lösung aus diesem Konflikt herauskristallisieren könnte. Stein sagt: "Es muß eine Form des gesellschaftlichen Lebens sich dem Denkenden ergeben können, in der der persönliche Besitz erhalten und dennoch der vollkommenen Entwicklung der Persönlichkeit durch ihn kein absolutes Hindernis gegeben wird. Dieses ist die allgemeine Idee, die der Sozialismus verfolgt und das ist für die innere Geschichte der Zivilisation seine tiefere Bedeutung44 ." War der Sozialismus, wie wir oben gesehen hatten, eine "Wissenschaft der Gesellschaft", weil er die sozialen Verhältnisse vom Eigentum aus analysierte, so wird jetzt der Sozialismus eine "Wissenschaft der Gesellschaft ... (und) zu einer wahrhaft europäischen Aufgabe", weil er "die höchste Berechtigung des persönlichen Eigentums ... mit der unabweisbaren Forderung der Zivilisation"45 versöhnt. Nach Ansicht Steins besteht aber gerade darin die Bedeutung des Saint-Simonismus. Er ist "der erste Versuch der Versöhnung ... von Bourgeoisie und Peuple"46. Der Sozialismus als Versöhnungsmodell zwischen Bourgeoisie und Peuple stellt aber für Stein nicht bloß eine ideelle Lösung dar, der Hegel, Grundlinien Stein, op. cit., S. 26. 42 a.a.O., S. 193. 43 a.a.O., S. 193 f. ce a.a.O., S. 26 f. '5 a.a.O., S. 28. 4G a.a.O., S. 183. 40

41

der Philosophie des Rechts, Reclam, § 41 Zus.

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sich "das Leben der Gesellschaft ... völlig anschließen" würde47 , sondern ergibt sich auch aus dem Kampf der gesellschaftlichen Kräfte, nämlich "auf dem Punkte, wo die innere Zerrrissenheit des ganzen Lebens ihren höchsten Gipfel erreicht hat". Der Sozialismus ist also nicht ein Gedankenprodukt, sondern das Produkt der Geschichte selbst. Idee und Geschichte sind nicht zu trennen; die Idee wird in der Geschichte wirksam und die Geschichte offenbart die Idee, "das Gesetz des Geschehens". Mit einem aus der Dialektik von Freiheit und Gleichheit entsprungenen Gesellschaftsmodell hat also Stein, wie er selbst sagt, den "logischen Schlußbau ... über die Geschichte" hingelegt48 und ist über das rein egalitäre Gesellschaftsmodell hinausgegangen. Indem aber Stein dieses Entwicklungsziel aus der Geschichte ableitet, ist er alles eher als ein Verfechter des Bestehenden. Die Ablehnung des proletarischen Gesellschaftsziels resultiert bei ihm nicht in erster Linie aus der Verteidigung des persönlichen Eigentums, sondern aus der Logik des Geschichtsablaufs. In bezug auf die Frage, wie der Sozialismus die Gesellschaft bestimmen will, gibt Stein eine weitere Begriffsbestimmung desselben. Er definiert den Sozialismus als den "Inbegriff der intellektuellen und materiellen Arbeiten, die ein System der Organisation der Industrie als Organisation der Gesellschaft suchen und realisieren wollen"49. Unter dem Begriff Industrie versteht Stein nicht das, was wir heute damit bezeichnen, etwa einen von Maschinen und Arbeitsteilung bestimmten Produktionsprozeß. Er beginnt zwar einmal die Industrie als das "Formgeben des Materials" zu definieren und nähert sich so einer handwerklichen Vorstellung von Industrie, versteht aber schließlich unter Industrie die "Arbeit der Masse"50. Damit übernimmt er die Idee Saint-Simons, der den Industriellen als den definiert, "der arbeitet, um der Gesellschaft die Mittel zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse oder Wünsche zu verschaffen"51. Das aber ist die "arbeitende Klasse", der "Peuple" oder das Proletariat. Bei Stein wie bei Saint-Simon ist diese Klasse die nützlichste von allen, denn "die ganze Masse des arbeitenden Volkes hat nur eine Aufgabe, die, durch den erworbenen Besitz die materielle Unabhängigkeit jedem einzelnen zu sichern"52. "Organisation der Industrie" bedeutet also Organisation der Produktionskräfte. 47 48 48

so 51 S2

13·

a.a.O., S. 26/122/123. a.a.O., S. 124. a.a.O., S. 130. a.a.O., S. 79/80. a.a.O., S. 165. a.a.O., S. 77/78.

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Wie bei der Entwicklung des Begriffs der absoluten Persönlichkeit und der Entstehung der sozialistischen Ideen aus der sozioökonomischen Abhängigkeit einer Klasse denkt Stein auch hier dialektisch. Der Zusammenschluß der Industriellen ist "nicht etwa ein Ergebnis, das auch anders hätte sein können, sondern der notwendige, durch das Wesen jenes Rechts der Industrie selbst bedingte Erfolg"63. Daher beginnt das Volk zu begreifen, "was die Männer wollen, die sich gegen die freie Konkurrenz erklären". Im Peuple entsteht "zum erstenmal die Idee einer Einheit der Persönlichkeiten. Er will eine Assoziation aller Einzelnen, das Zusammentreten zu einer einheitlichen Gesellschaftung"64. Das sich in der Industrie verwirklichende Prinzip der absoluten Freiheit in der Form der absolut freien Konkurrenz hebt sich selbst auf in der Organisation der Arbeit. Stein versucht nun im Gegensatz zu dieser abstrakten Freiheit etwas negativ diese Form der freien Assoziation genauer zu bestimmen. "Soll die einzelne Person ihre wahre Selbständigkeit, ihre höchste Unabhängigkeit finden, so muß sie aus dem rein subjektiven Rechtsprinzip heraus; sie muß mit dem ihr gleichen ein Ganzes bilden, das als Einheit ein eigenes Leben zu entwickeln vermag. Dieses eigene Leben aber greift in die Sphäre und den Willen des Einzelnen selbstbestimmend hinein; Es fordert eine Unterwerfung des Einzelwillens, der Willkür, unter den Willen der Einheit, das Gesetz. Damit hebt es das abstrakte Freisein von fremder Bestimmung auf und das Prinzip des Lebens der Einzelnen gestaltet sich zum bewußten Gehorsam56 • " Stein ist hier von der Hegeischen Auffassung abgerückt, wonach der Staat die Gesellschaft bestimmt. Diese organisiert sich vielmehr selbst nach einer in den sozialen Beziehungen begründeten Dialektik. Wichtig ist hier, daß Stein diesem Sozialgebilde eine Einheit zuschreibt, die durch den Zusammenschluß der Einzelnen entsteht und nicht durch den Staat und die aus sich selbst ein alle regelndes und von allen anerkanntes Gesetz entwickelt, das dem Einzelnen und allen wahre Selbständigkeit und Entfaltung garantiert. Die Organisation der Produktivkräfte wird also zum Prototyp der Organisation der Gesellschaft, d. h. vom Proletariat, von der Arbeiterschaft aus entwickeln sich gesamtgesellschaftliche Organisationsformen, die der der Assoziation der Arbeiter ähnlich sind. Stein hütet sich "bestimmter (zu) reden". Er beschreibt nur das, was sich gegenwärtig in der französischen Gesellschaft bildet. Entsprechend seiner antagonistischen Geschichtsbetrachtung, die der Form nach von 53 54

55

a.a.O., S. 120.

a.a.O., S. 122. a.a.O., S. 121.

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Hegel, dem Inhalt nach aber von Bazard stammt, löst sich "eine neue Periode ... von der alten Zeit ab", beginnt wirklich "eine neue Zeit", entsteht eine "neue Gesellschaft"58. Stein ist überzeugt, daß durch die "Idee einer Organisation" "der Fortschritt zu einer höheren Anschauung des Lebens der Menschheit ... gewährt" ist und daß "der erste dämmernde Beginn einer wahrhaft neuen Epoche, ... bei der Industrie beginnend ... sich über das staatliche und selbst das religiöse Bewußtsein" ausbreiten wird57 . Das Neue besteht eben darin, daß in dieser in der Industrie oder in der arbeitenden Klasse sich bildenden Assoziation alle ihre volle persönliche Entfaltung finden werden, oder, wie Stein sagt, "die Vollendung aller Persönlichkeit gewährleistet ist".

Stein bewegt sich mit diesen Vorstellungen einer neuen Gesellschaft wiederum in den Gedankengängen Saint-Simons. Wenn die "Industriels" die besten Mitglieder der Gesellschaft sind, so werden sie nach der Eroberung der Macht im Staat zum Besten aller die Gesellschaft organisieren und den Grundsatz des "Nouveau Christianisme", daß alle Menschen Brüder sind, realisieren.

Wir sind hier im Sozialismusverständnis Steins an einem Punkt angelangt, wo fast blitzartig die Wurzel des syndikalistischen Sozialismus sichtbar, von Stein aber sofort wieder überdeckt wird durch den HegeIschen Staatsgedanken. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich von Stein Proudhons Werk "Qu'est-ce que la propriete" erklären läßt: Der Begriff der "Sociabilite" bei Proudhon umfaßt drei Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung: die Gütergemeinschaft oder die "Unpersönlichkeit des Eigentums", wie Stein sagt, das Eigentum oder "die Persönlichkeit des Eigentums" und schließlich die Synthese beider, die "wahre Gestaltung der menschlichen Gesellschaftung"58. Wir haben oben bereits gesehen, daß Stein ein ähnliches Sozialismuskonzept im Gegensatz zur egalitären Ideologie des Proletariats entwickelt. Während er dort aber den Assoziationen eine Selbstregelung zugesteht, führt Stein hier die Notwendigkeit der staatlichen Intervention ein. Er nennt die Lösung Proudhons einen "unversöhnlichen Widerspruch", weil er "den Staat (außer acht läßt), den Organismus der Gesellschaft, dessen Wesen und Leben es ist, das persönliche Eigentum zugleich zu setzen - d. h., das Recht der Unverletzlichkeit auszusprechen - und es aufzuheben, d. h. es dem Einzelnen abzufordern .... Es ist das begriffliche, absolute Wesen des Staats, das hier allein bestimmend ist"59. se a.a.O., S. 123/13l. 67 a.a.O., S. 123. 58 a.a.O., S. 327. a.a.O., S. 328.

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Gerade die einerseits so überzeugt vorgebrachte Meinung von einem die ganze Gesellschaft reformierenden und auf Vereinigungen beruhenden Sozialismus, der den Staat überflüssig macht, worin sich eben die neue Epoche von der alten unterscheidet, und andererseits der Rückgriff auf den Hegeischen Staat, der zur Lösung der sozialen Probleme eingreifen muß, verrät einen unsicheren, wenn nicht widersprüchlichen Stein. Dies zeigt sich noch einmal bei der Behandlung der Ideen Louis Blancs: Stein mißt dem Gedanken, "durch den Staat selber '" dem Arbeiter in der industriellen Welt eine materiell glücklichere und unabhängige Lage zu sichern", allergrößte Bedeutung bei. Denn die Idee der "Organisation der Arbeit" bietet "die Möglichkeit, das Bestehende zu erhalten und (weist den) Weg, den großen Widerspruch beider Klassen zu versöhnen". Gerade die Tatsache aber, daß "Staat und Gesellschaft bestehen ... (bleiben) wie sie sind", unterscheidet nach Stein das Organisationskonzept Louis Blancs vom "eigentlichen Sozialismus"8o. Die soziopolitischen Ziele des "eigentlichen Sozialismus", für den Stein seine ganze Sympathie zeigt, besteht also in der Organisation der Gesellschaft nach Assoziationen, die von sich aus das Eigentumsproblem in der Weise lösen, daß sowohl die gesellschaftliche als auch individuelle Funktion des Eigentums berücksichtigt und allen die Entfaltung ihrer Persönlichkeit ermöglicht wird. Dieser auf der Selbstverwaltung beruhenden Form des Sozialismus stellt Stein die autoritäre Lösung Louis Blancs gegenüber, für die er übrigens nicht weniger sympathisiert und die darin besteht, die Eigentumsverhältnisse von oben herab zu regeln und eine verstaatlichte Wirtschaft der Privatwirtschaft entgegenzustellen, ohne zu radikaleren Reformen zu schreiten. Somit erhebt sich für Stein noch die tiefere Frage nach der Weltanschauung oder Philosophie des französischen Sozialismus. Er versucht, dessen philosophische Richtung mit der deutschen Philosophie, im besonderen mit der Rechtsphilosophie Hegels zu vergleichen. Die Philosophen des französischen Sozialismus sind für Stein vor allem Fourier und Pierre Leroux. Den letzteren nennt er "einen hochwichtigen Mann ... in der philosophischen wie in der sozialen Bewegung, der sich der bisher in der Philosophie üblichen Trennung von Geist und Leib widersetzt und die Einheit beider hervorhebt". Dadurch "langt er bei der Idee der Gesellschaft an, in der die Persönlichkeiten ihre Vollendung finden sollen"61. Auch bei Fourier ist der eigentliche Mittelpunkt der Theorie "die Idee der Vollendung des Menschen". Auf diesem Grundgedanken baut Fourier sein ganzes System auf, "die so80

81

a.a.O., S. 339/40. a.a.O., S. 312.

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ziale Wissenschaft", die durch "eine neue Ordnung der Arbeit jedem sein Minimum an Erwerb und Genuß zu sichern imstande ist"62. In Deutschland dagegen hat sich das Denken von Kant bis Hegel, von "der Welt" abgewandt und ist bis an die Grenze des Nichts gelangt. Die deutsche Philosophie hat die "alte Trilogie des Erkenntnisvermögens, Begehrensvermögens und Gefühlsvermögens" aufgegeben, nur die "abstrakte Persönlichkeit" betrachtet und ist so zu einer "Philosophie des Wissens" geworden63 . Stein beklagt diese Einseitigkeit der deutschen Philosophie: "Was ist und wird, weiß sie, nicht aber was wir schaffen sollen." Sie ist keine "Philosophie der Tat", wenn sie uns auch "die Gestalten des Ganzen hinzeichnet, nach deren Verwirklichung wir zu streben haben"64. Die deutsche Philosophie findet also nicht die Brücke von der abstrakten Welt der Ideen zum praktischen Leben. Sie löst den "Inhalt (unseres) Tuns" nicht auf. Wie die klassische Volkswirtschaft weiß sie nichts von den "Hoffnungen und Ansprüche(n)" des Einzelnen65 • Wenn nun also in Deutschland die Welt vom Gedanken aus konstruiert wird, so wird in Frankreich "in den Trieben selbst und in ihrem Verhältnis zueinander und zu der Welt das Gesetz des Seins und des Tuns" gesucht 66 • Die "Idee der einzelnen Persönlichkeit", "das individuelle Leben im allgemeinen" wird zur "Wissenschaft der Gesellschaft", die die Industrie auf "die Vollendung jeder einzelnen Persönlichkeit" hinordnen soll, wodurch der Einzelne nicht bloß zu Besitz, sondern überhaupt zum Genuß als Ergebnis seiner Arbeit gelangen kann. Diese höchste Bestimmung des Menschen wird zur Weltanschauung, weil sie "als die den Menschen anerschaffene, mithin als der Wille des Schöpfers, das Gesetz Gottes" betrachtet wird; hier vermag nach Ansicht Steins "der Sozialismus ... einen Platz unter den mächtigsten Philosophien in Anspruch (zu) nehmen"67. Stein will zwar immer wieder den deutschen Lesern erklären, daß man diese Philosophie nur vom Volks geist her verstehen kann, daß sie also der französischen Mentalität entspringe und keineswegs an die Systeme der deutschen Philosophie heranreichen könne. Er hebt aber dann doch den Widerspruch hervor, daß in Deutschland der Materialismus "mit Worten befeindet, mit der Tat aber" aufrecht erhalten wird, während man in Frankreich den Materialismus "als eine innere Wahrheit zu verstehen sucht"68. 82 83 84 85 88

87

a.a.O., S. 227/216. a.a.O., S. 310/220. a.a.O., S. 220. a.a.O., S. 139. a.a.O., S. 221. a.a.O., S. 139/132 - 134.

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Diesem "praktischen Systeme" in Frankreich entspricht in etwa in Deutschland die "Rechtsphilosophie"69. "Als die höchste Aufgabe aller erscheint der Staat", der "Organismus der Gesellschaft", der seinem Wesen nach absolut ist und seine Bestimmung aus sich selbst hat70 . Für Stein ist der französische Sozialismus geradezu das "Analogon der deutschen Philosophie des Rechts "71. Er meint hier natürlich nicht bloß das Organisationssystem Fouriers, sondern auch das der Saint-Simonisten. Während Saint-Simon "die Wichtigkeit und das Recht der industriellen Klasse" aufzeigt, führt Bazard "jene Forderung auf dem Gebiete der staatlichen Gestaltung des Volkslebens aus"72. Das heißt, daß das erbliche Eigentum aufgehoben und "zur Disposition des Gemeinwillens gestellt" wird, so daß der "Staat Erbe" wird73 . Er verteilt die Kapitalien über eine staatliche Zentralbank nach dem Grundsatz: "Jedem nach seiner Fähigkeit und jeder Fähigkeit nach ihrer Arbeit". Nach Stein ist dadurch "dem Individuum seine Ausbildung und seine Arbeit für das Allgemeine möglich gemacht. Denn es hat dasselbe allen Genuß und allen Nutzen seines Erwerbs, solange es lebt ... Was es aber erwirbt, erwirbt es dennoch dem Allgemeinen, dem es bei seinem Tode wieder zufällt". Dadurch werden die Interessen der Individuen gewahrt und gleichzeitig diese für das Allgemeine geöffnet. Die "Kollision zwischen interet und devoir, zwischen Individualisme und Association, kurz der moralische Widerspruch (ist) für immer aufgehoben"74. Warum ist also der Sozialismus das Analogon der deutschen Rechtsphilosophie? Weil sowohl in der "Phalanstere" Fouriers wie in der "Synthese sociale" Bazards, ähnlich wie im Staate Hegels, die Einheit zwischen Allgemeinheit und Besonderheit gewahrt bleibt. Stein nennt das System Bazards einen Gedanken, "der zugleich tief erfaßt und konsequent durchgeführt" ist 76. Durch den Einfluß Enjantins ist nach Ansicht Steins daraus allerdings eine wahre religiöse Diktatur entstanden. "Alle Individualität (wird) in der einheitlichen Kirche aufgelöst ... , keiner (hat) mehr persönliches Vermögen, ... das Haupt der Kirche (ist) Alleinherrscher über den ganzen unendlichen Reichtum des Besitzes ... " Der Saint-Simonismus führt so zur "Nivellierung der Unterschiede", der Fourierismus zum "Gleichgewicht des bestehenden Verschiedenen"78. IS a.a.O., S. 256. ev a.a.O., S. 136. 70 a.a.O., S. 136/328. 71 a.a.O., S. 136. 71 a.a.O., S. 202. 71 a.a.O., S. 194. 75 a.a.O., S. 196. 71 a.a.O., S. 290.

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Gegenüber der Rechtsphilosophie aber, die weder Industrie noch Handel, weder Stände noch Klassen kennt, gegenüber dem Staat Hegels, der die Einheit in der Gesellschaft nicht schaffen kann77, sind für Stein die "beiden großen sozialistischen Systeme" sowohl wissenschaftliche, als auch praktische Lehrgebäude. Sie sind praktische Systeme, weil sie ein Bedürfnis der Gegenwart ausdrücken, philosphische Systeme, die das Recht haben, den "Namen einer gesellschaftlichen Wissenschaft" zu tragen, weil sie von einem Grundprinzip ausgehen. Bedürfnis und Grundprinzip finden sich "in der Gestalt der Assoziation", welche nach Stein sich als organisches Prinzip "in dämmernder Ferne aus dem Ruin aller Grundlagen der Gesellschaft . .. erhebt" und nach dem "das menschliche Geschlecht in staat- und volksloser Einheit ... , geordnet und dienend und dennoch seine Subjektivität dem Einzelnen erhaltend und erhebend" zusammenlebF8. Mit diesen Worten Steins ist dessen Sozialismusverständnis klar zum Ausdruck gekommen, ja sogar eine gewisse Bejahung der bevorstehenden sozialen Revolution, aber auch dessen Urteil über die deutsche Rechtsphilosophie und den abstrakten Staat Hegels. Trotz dieser ausgesprochen positiven Einstellung zum Sozialismus verfällt Stein in seinen kritischen Bemerkungen wiederum der Staatsphilosophie Hegels: Im Sozialismus findet die "Hauptfrage der Gegenwart Frankreichs nach dem Verhältnis des Einzelnen zum allgemeinen Willen nicht ihre Lösung", sagt Stein. Der Staat, "diese Erscheinung der Einheit des menschlichen Geschlechts ... hat keine Bestimmung an und für sich", sondern wird im Sozialismus "zum bloßen Mittel", weil er die Bedürfnisse der einzelnen Staatsbürger zu befriedigen hat. Der Staat wird also zum Diener, ja zum Gefangenen der Gesellschaft, er ist nicht mehr, wie bei Hegel, der Souverän der Gesellschaft. Aber nicht bloß der Staat, auch die Nationalität löst sich im Sozialismus auf. Denn durch die "Zurückführung des Allgemeinen auf die Persönlichkeit verschwindet das Volk, sodaß es unmöglich ist, ... zu einem Begreifen der Nationalität zu gelangen"79. Wichtig scheint Stein das Verhältnis zwischen Sozialismus und Volkswirtschaft zu sein. Er stellt sich zwar die Frage, "ob die Wissenschaft der Volkswirtschaft wirklich einer Wissenschaft der Gesellschaft nachstehen und sich unterordnen müsse". Später, d. h. schon in der Ausgabe 1848 des "Socialismus und Communismus des heutigen Frankreich", also nach der Revolution von 1848 hat sich Stein im Sinne der Volkswirtschaft und gegen "Utopien" des Sozialismus entschieden. Anfangs der vierziger Jahre kritisiert er jedoch an der Volkswirtschaft 77 78 78

a.a.O., S. V. a.a.O., S. 295/296. a.a.O., S. 137/138.

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die abstrakte Vorstellung vom Menschen. Sie beschäftigt sich nach Stein mit der Idee der industriellen Kraft und "ihres Gesetzes", kennt aber nicht den "Begriff der Persönlichkeit" und die ganze "Bedeutung des Besitzes für den Menschen". Zwischen Sozialismus und Volkswirtschaft ist derselbe Unterschied wie "zwischen Persönlichkeit und Begriff". Der Sozialismus ist daher "auch unendlich reicher als die Volkswirtschaftslehre; denn, alle Persönlichkeiten umfassend, erscheint die letztere in ihm nur als ein Teil seines Ganzen und als abhängig von seinem Prinzip", die Volkswirtschaft berücksichtigt dagegen nicht den Einzelnen, dessen "Hoffnungen und Ansprüche"80. Die Kritik, die Stein also an die Wissenschaften richtet, trifft deren abstrakte Behandlung des Menschen. Im Gegensatz dazu ist der Sozialismus eine wirklich "praktische Wissenschaft". Schließlich nimmt Stein den Sozialismus in Schutz gegen den Vorwurf der Utopie. Schon Louis Reybaud in seinen "Etudes sur les reformateurs contemporains ou Socialistes modernes, Saint-Simon, Fourier, Robert Owen", sieht in der Theorie Saint-Simons und Fouriers "nur ... zwei neue Utopien". Für Stein dagegen "existiert nirgends die geringste Spur, daß Saint-Simon oder Fourier jene Schriften auch nur gekannt hätten". (Gemeint sind die "Utopia" von Thomas Morus, die "Civitas Solis" und die "Monarchia Messiae" von Campanella, die "Oceana" von Harrington, die "Nova Atlantis" von Bacon, die "Salente" und die "Voyage dans l'Isle du Plaisirs" von Fenelon.) Für Stein sind diese Utopien gesellschaftspolitisch deshalb unbedeutend, weil sie "nicht aus dem wahren Bedürfnis ihrer Zeit hervorgegangen" sind. Der Sozialismus dagegen spricht ein" wirkliches und gegenwärtiges" Bedürfnis an, er will eine "Veränderung ... der Industrie" und des Verhältnisses "zwischen Besitzern und Nichtbesitzern". Er bleibt nicht "bei bloßen Wünschen und Hoffnungen stehen", sondern beweist, "daß es (so) werden muß"81. Die Verteidigung des Sozialismus gegen die Utopie basiert einerseits auf der Logik der Geschichtsphilosophie Hegels, andererseits auf einem Wissenschaftsbegriff, der von einem Grundgedanken aus ein System errichtet, liegt aber auch ganz in der Linie der Argumentation SaintSimons. Auch dieser verteidigt sein Projekt der sozialen Organisation gegen den Vorwurf der Utopie, indem er sagt: "Man schafft keineswegs ein System der sozialen Organisation; man stellt die neu gebildete Verkettung von Ideen und Interessen fest und zeigt sie auf. Das ist alles. Ein soziales System ist eine Tatsache oder es ist Nichts." Was Sicherheit in den historischen Deduktionen gibt, ist "die große Reihe geschicht80

81

a.a.O., S. 139/140. a.a.O., S. VII/141.

Steins Sozialismusverständnis von 1842

203

licher Fakten in Bezug auf den Gang der Zivilisation"82. Diese Verquickung von "Ideen und Interessen" oder besser, deren Vertauschbarkeit und schließlich deren Identität verrät eindeutig den erkenntnistheoretischen Hintergrund des Steinschen Werkes und zeigt den übergang von der Philosophie zur Soziologie. Zusammenfassend kann man also sagen, daß für Stein, der von Hegel herkommt, der Sozialismus die vernünftigste "Lösung" der gesellschaftlichen Gegensätze Frankreichs bedeutet; denn die absolute Freiheit der Revolution von 1789 erzeugte die Forderung nach absoluter Gleichheit in Gesellschaft und Staat. Aus dieser Dialektik entsteht der syndikalistische Sozialismus als neue Gesellschaftsform. Dieser Logik schließt sich die Entwicklung der französischen Geschichte seit 1789 an. Da Denken und Sein, Ideen und Interesse nicht voneinander zu trennen sind, ist an dieser Geschichtslogik auch nicht zu zweifeln, woraus sich die junghegelianische Forderung ergibt, von der Erkenntnis zur Tat zu schreiten. Diese Lösung wird aber gleichzeitig zum Lehrbeispiel für Deutschland, wo der industrielle Liberalismus schon ein Proletariat erzeugt, der politische Liberalismus aber, ähnlich wie im Frankreich des 18. Jhs., sein Ziel nur in der Beseitigung der absoluten Monarchie sieht. "Was ist es denn, was in uns die Volksvertretung hoffen läßt"? fragt Stein. Wenn man nicht "zu der Idee (kommt), daß in jedem höchsten, seinem Wesen nach gemeinsamen Gut die Persönlichkeit als solche unendlich berechtigt ist", - denn dieser Gedanke bestimmt die Geschichte -, dann wird auch Deutschland, nach der Auffassung Steins, das Schicksal Frankreichs ereilen, wo die Freiheitsideen der Julirevolution "die höchste Gewalt der erhaltenden Macht", nämlich die absolute Herrschaft einer konservativen Bourgeoisie hervorgebracht haben83 .

82

83

Saint-Simon, L'Organisateur, Ausg. Anthropos Bd. 11., S. 179. Stein, op. cit., S. 445.

11. Der soziale Staat

Zwischen Polizeiwissenschaft und Rechtsstaatlichkeit Lorenz von Stein und der deutsche Konservatismus Von Pierangelo Schiera I.

Trotz des großen Fleißes der Stein-Gelehrten, die innere und durchgehende Kohärenz seines Denkens in einem sehr stark von materiellen Auseinandersetzungen, ideologischen Konflikten und Wandlungen sowie verfassungsgeschichtlichen Erschütterungen gezeichneten Zeitalter zu beweisen, bleibt die Frage nach dem "roten Faden" des Steinschen Wirkens in der sozialen Analyse noch immer offen und ist präliminar zu jedem Versuch einer Gesamtinterpretation seines Werkes.

Stein kann nur als Theoretiker "zwischen zwei Welten" erscheinen, die zugleich verschieden und fast unmeßbar sind, aber beide in einem Kontext wurzeln, wo aus Widersprüchen eine Einheit entstand, im Zuge des wachsenden Bewußtseins der Planungsfähigkeiten der neuen sozialen Kräfte, die "wissenschaftlich" zum Rang der "Gesellschaft" erhoben worden waren. Gerade um die Stellung Steins als Theoretiker dieser Gesellschaft! zu verstehen, muß man die verschiedenen Elemente seines begrifflichen und ideologischen Universums auseinandernehmen, da er als prinzipielles Thema seiner Forschung das "Labyrinth der Bewegung" wählte2 • Den Komplex des letzteren von Grund auf zu begreifen ist ebenso wichtig, wie seine innere Einheit auf sozialem und gesellschaftswissenschaftlichem Niveau zu erklären. Die zwei Welten Steins sind zugleich die alte und die neue Welt. Der Staat und die Gesellschaft. Die Monarchie und die Republik, die Aristokratie und die Demokratie, die Bourgeoisie und das Proletariat, die Gleichheit und die Freiheit. Aber auch Deutschland und Frankreich, Preußen und Österreich. Und auch Geschichte und Soziologie, Hegel und Historische Schule, Gesamtwissenschaft und Fachwissenschaft, Verfassung und Verwaltung. E. W. Böckenförde, in: Der Staat 4 (1965), S. 489. R. Koselteck, Geschichtliche Prognose in Lorenz von Steins Schrift zur preußischen Verfassung, in: Der Staat 4 (1965), S. 471. 1

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Pierangelo Schiera

Um diesem Labyrinth zu entkommen, benutzte Stein alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel und zeichnete sich fast immer durch den wissenschaftlichen Nonkonformismus aus, mit welchem er den großen Problemen seiner Zeit gegenüberstand. Er fügte sich in die große ideologische Debatte der Revolution mit einer Intervention von außen ein, den beiden Werken über die sozialen und konstitutionellen Verhältnisse in Frankreich. Von außen, weil sie von Frankreich bestimmt und vom neuen Stil der Zeitgeschichte geprägt waren. Ebenso beteiligte er sich an der großen Gründungsbewegung der sozialen Wissenschaften mit dem majestätischen Entwurf seiner Verwaltungslehre, die er als einheitliche und Gesamt-Wissenschaft der Gesellschaft den Spezialisierungsrichtungen der meisten Sozialwissenschaftler entgegenstellte. Das Labyrinth von Steins von neuem zu durchlaufen heißt, wieder in die Mäander der sozialen Bewegung des 19. Jahrhunderts einzudringen, da dieses Jahrhundert den Höhepunkt des "Zeitalters der Ideologien" darstellt3, und gerade durch seine Auseinandersetzungen - zwischen Nationalismus und europäischen Zusammenhang der sozialen Lehren und Bewegungen, zwischen neuen Staatsbildungen und dem bevorstehenden Ende des jus publicum europaeum und des europäischen Staatensystems' - bildet es das "enjeu" der historischen (sozial- und verfassungsgeschichtlichen) Wandlung vom Alten zum Neuen. Die menschliche, akademische und wissenschaftliche Biographie Steins ist für sich schon ein Beweis der Globalität des Politischen in diesem Zeitalter. Während seines langen und fruchtbaren Wiener Aufenthalts kam er in direkte Berührung mit jenem "habsburgischen Mythos"6, der paradoxerweise ein ganzes Zeitalter prägt. Das Zeitalter der Konstitution auch, aber im Sinne der Worte NapoZeons: "La Constitution est fondee ... sur les droits sacres de la propriete, de l'egalite, de la liberte ... Citoyens, la Revolution est fixee aux principes qui l'ont commencee. Elle est finie'." Darum das Zeitalter der Positivierung, der Materialisierung, der Verfassung/Konstitution: und Stein konnte sein ganzes Leben lang Verfassungshistoriker bleiben nicht nur durch seine echten historischen Werke, sondern auch durch die hohe Leistung der theoretischen Systematisierung, die den letzten Teil seines Schrifttums kennzeichneF. I O. Brunner, in: Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, Göttingen 1968, S. 45 - 80. t C. Schmitt, Vorwort zu Le categorie deI politico, a cura di G. Miglio e P. Schiera, Bologna 1973. 6 C. Magris, Il mito asburgico nella letteratura austriaca moderna, Torino 1963; A. Agnelli, La genesi dell'idea di Mitteleuropa, Milano 1971. 8 R. Schnur, "La revolution est finie", Zu einem Dilemma des positiven Rechts am Beispiel des bürgerlichen Rechtspositivismus, in: E. Forsthoff / R. Hörstel (Hrsg.), Standorte im Zeitstrom. Festschrift für Arnold Gehlen, Frankfurt 1974, S. 331 - 350.

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Natürlich waren die roten Fäden "in den 73 Jahren meines der Wissenschaft geweihten Lebens"8 mehrere, wovon viele Stein selbst abwickelte und spannte: Diese letzteren sind die stärksten und auffälligsten, die am leichtesten verständlichen, aber auch die den "zeitgebundenen Fragestellungen und Leitbildern" am nächsten stehenden9 • Weitere Fäden kann man vielleicht diesseits und jenseits der bewußten Forschungsentwicklung Steins feststellen: Unter Bezugnahme, erstens, auf die beständige Kraft der deutschen politischen (als Theorie sowie als Praxis) Tradition10, von der Stein abstammt und von der er ein entscheidender Erstarrungspunkt ist, und zweitens auf das Streben nach der Verfassungsmäßigkeit der deutschen politischen und sozialen Welt gegenüber den immer zwingender werdenden (sozialen und politischen) Organisationsbedürfnissen der industriellen Entwicklung und der daraus erfolgenden sozialen Umbildung, im Namen der "socialen Frage"l1. Die Beziehung zwischen Polizei und Rechtsstaat scheint diesen Merkmalen zu entsprechen: Sie rief sicherlich großes Aufsehen in der Vormärzdebatte über die neue Staatswissenschaft12 hervor; sie war doch als solche niemals unmittelbar von Stein behandelt worden, als eine vielleicht zu einfache Form, um den Wandel von der alten zur neuen Welt zu definieren. Sie ist trotzdem vielfach an verschiedenen Stellen der Steinschen Spekulation anzutreffen, insbesondere dort, wo er die prinzipiellen Eigenschaften der "Verwaltung" der neueren Zeit gegenüber der alten Regierungsweise schildert, im Zusammenhang mit dem 7 Vgl. F. Tönnies, Entwicklung der SoziOlogie in Deutsdlland im 19. Jahrhundert, in: Die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaftslehre im neunzehnten Jahrhundert. Gustav Schmoller zur siebenzigsten Wiederkehr seines Geburtstages, 24. Juni 1908, Leipzig 1908, Erster Teil, XIV S. 21; F. GilbeTt, Lorenz Stein und die Revolution von 1848. Ein Beitrag zur Entwicklung Steins und zur Entstehung der deutschen Gesellschaftswissenschaft, Mitteilungen des Österreichischen Instituts für Geschichtsfors'chung, L (1936), S. 381. 8 Brief Steins an den Rektor der Universität Bologna zur Akzeptierung der Ehrendoktorwürde am 20. Juli 1888. t E. W. BöckenföTde, Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert. Zeitgebundene Fragestellungen und Leitbilder, Berlin 1961, der sidl aber in diesem Werk nicht direkt mit LOTenz von Stein beschäftigt (vgl. meine Einführung zur italienischen übersetzung, Mailand 1970, S. 21). 10 H. MaieT, Die Lehre der Politik an den deutschen Universitäten, vornehmlich vom 16. -18. Jahrhundert, in: Wissenschaftliche Politik, hrsg. von D. Obemdörfer, Freiburg 1962. 11 Vgl. Ludwig Stein, Die sociale Frage im Lichte der Philosophie. Vorlesungen über Socialphilosophie und ihre Geschichte, Stuttgart 1897, der aber die Bedeutung LOTenz von Steins sehr stark unterschätzt; G. SchmolleT, Die soziale Frage. Klassenbildung, Arbeiterfrage, Klassenkampf, Mündlen 1918. 12 E. AngeTmann, Die Verbindung des polizeistaatlichen Wohlfahrtsideals mit dem Rechtsstaatsdenken im deutschen Frühliberalismus, Historisches Jahrbuch LXXIV (1954), S. 462 ff.; Robert von Mohl 1799 -1975. Leben und Werk eines altliberalen Staatsgelehrten, Neuwied 1962.

14 Staat und Gesellschaft

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Hervortreten der neuen "Verfassung", durch die neue verfassungsmäßige Antwort auf die Frage "Organisation". Polizeiwissenschaft und Rechtsstaat, Polizeiwissenschaft und Rechtswissenschaft, Polizeistaat und Rechtswissenschaft, Polizeistaat und Rechtsstaat: das sind vier Variationen über ein Thema, durch die man eine Gesamteinordnung einiger wichtiger Aspekte der deutschen Verfassungsgeschichte und ihrer Kontinuität zwischen Altem und Neuem herausbilden könnte. Das Grundinteresse meiner Betrachtung Steins betrifft also seine objektive Einstellung und, meiner Meinung nach, seine subjektive Neigung zu einer Modernisierungsfunktion auf der Linie des eigentlichen historischen Charakters des deutschen Konservatismus und meistens der deutschen Verfassungsgeschichte der späten Neuzeit13 • Es soll jedoch nicht meine Aufgabe sein, hier die vier "Variationen" zu untersuchen, um die Stellung Steins zu jeder von ihnen und zum Gesamtproblem der Modernisierungskontuinuität der deutschen Verfassungsgeschichte vom Westfälischen Frieden zur Paix de Versailles zu definieren. Ich werde nur versuchen, einige Anmerkungen zu erarbeiten, nicht nur, um die Persönlichkeit Steins besser zu verstehen, sondern auch und vor allem, um seine Rolle im deutschen verfassungsgeschichtlichen Verlauf hervorzuheben. Denn man muß die außerordentlich große verfassungs analytische Kompetenz Steins und den hervorragenden verfassungsmäßigen Charakter seiner Analysen unterstreichen, mit seiner ständigen Vorsorge für die materiellen Grundlagen des historischen Verlaufs, von denen die Diagnosen und Prognosen um die Richtung dieses letzteren notwendigerweise abhängig gemacht werden müssen14• Gerade diese methodische Eigenschaft der Steinschen Forschung kann meinen Interpretationsversuch festigen, denn das Bewußtsein der Materialität der Verfassung und die Fähigkeit, ihre Variationsweisen festzustellen, bilden eine der eingehendsten Konstanten der deutschen Gesellschafts-Wissenschaft und -Politik der Neuzeit. II.

Was die Rechtsstaatlichkeit betrifft, so wird meine Betrachtung keine technisch-juristische, sondern vor allem eine dogmengeschichtliche sein. 13 P. Schiera, La Prussia fra polizia e "lumi": alle origini deI "Modell Deutschland", Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento I (1975), S. 51 - 84. Für den "modernisierenden" Aspekt LaTenz von Steins und der ganzen verwaltungsmäßigen Richtung der modernen deutschen Geschichte vgl. G. Miglio, Le origini della scienza dell'amministrazione, in: La scienza dell'amministrazione, Milano 1957, der erste, der das Interesse für das Werk Steins ,in Italien wiedererweckte. 14 R. Kaselleck, Geschichtliche Prognose, S. 479.

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Ich werde Steins Haltung beurteilen mit Bezug auf die große nachmärzliche Bewegung um die verfassungsmäßige Anpassung des Staatsaufbaus an die neuen Interessen und vor allem an das neue Bewußtsein, welches das neugestaltete Verhältnis Bourgeoisie - Monarchie widerspiegelt. In diesem Sinne enthält der Gesamtbegriff Rechtsstaatlichkeit sehr verschiedene Verfassungsformen, zum Teil als solche wirklich selbständige, zum Teil nur Übergangsphasen von der einen zur anderen und schließlich von der Monarchie zur Republik15 • Im besonderen sind die Momente, in denen ich die Haltung Steins beurteilen will, folgende: Der echte revolutionäre Inhalt der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte; die restaurativ-modernisierende Konsistenz des monarchischen Prinzips des 19. Jahrhunderts; die Prinzipien der konstitutionellen Monarchie mit besonderer Rücksicht auf Preußen; der Rechtsstaat im eigentlichen Sinne des Wortes, in der juristisch-bismarckschen Version. Mein Zweck kann nicht der sein, neue Ergebnisse in der Feststellung der Haltung Steins in den einzelnen Punkten zu erreichen, sondern, wenn möglich, diese Haltungen miteinander zu verbinden aufgrund der Entwicklung des Steinschen Denkens, um eine Gesamtinterpretation seines Ablaufs zu versuchen. Die erste Betrachtung in dieser einheitlichen Perspektive ist, daß, mit Bezug zu jedem dieser Themen Stein an seiner eigentümlichen methodischen Annäherung festhielt und die Analyse der Verfassungsprobleme seiner Zeit immer in "realer" und nicht abstrakter, in "materieller" und nicht formeller, in "empirischer" und nicht ideeller Weise durchführte. Dies stellt sicherlich die praktische Anwendung des berühmten verfassungsgeschichtlichen Gefühls Steins dar, aber bedeutet auch seine Fähigkeit, die Tragachse seiner wissenschaftlichen Beobachtung nach den Eigenschaften der einzelnen Themen oder zumindest nach den Erfordernissen der großen Konstanten, die diese Themen bestimmten, zu wechseln. Es kann kein Zufall sein, daß neben den revolutionären Perspektiven einerseits und den Versuchen der monarchischen Restauration andererseits die Steinsche Analyse eine gründlich historische ist (wenn auch im Rahmen der Zeitgeschichte, also mit größeren ideologischen Implikationen und auch mit eingehenderer soziologisierender Vorsorge). Gleichzeitig ist sie auch besonders im ideengeschichtlichen Sinn orientiert aufgrund ihres großen Interesses an der ideellen oder geistigen Seite der historischen Verläufe und den entsprechenden Lehren, Theorien oder Ideologien. Ebenso ist seine Aufmerksamkeit für die typisch 15 Vgl. die Polemik zwischen E. HubeT, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1879, Bd. 3, Stuttgart 1963, S. 13 - 20, und E. W. Böcken!öTde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. .Jahrhundert, in: deTs., Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt 1976, S. 130 ff.

14·

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nachmärzlichen Themen der konstitutionellen Monarchie und des Rechtsstaates nach den Aspekten der Arbeitsweise (oder der Funktionsfähigkeit) der verschiedenen Verfassungslösungen orientiert, auf der Linie eines Kreisverhältnisses zwischen Verfassung und Verwaltung. Als Scharnier dieser verschiedenen Positionen Steins finden wir schließlich das Thema - Probleme - Lösung der "sozialen Monarchie", die schon im Nachtrag zu Sozialismus und Kommunismus von 1848 vorhanden ist, in der Geschichte von 1850 völlig theoretisiert wird und weiterhin ein Grundbegriff der Steinschen Forschung bleiben wird: aber auch hier mit der fortschreitenden Abweichung der Aufmerksamkeit von den ideengeschichtlichen Hinweisen des deutschen monarchischen Prinzips auf die konkreten interventistischen des Sozialstaats der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auf diese Weise kann man verstehen, daß Stein in die Frage der Rechtsstaatlichkeit verwickelt ist, obwohl er eigentlich nie an der Debatte teilgenommen hatte, die sich im Vormärz und unmittelbar danach um die theoretischen Grundlagen des neuen Staates entfachte. Auch hat er keine Mitarbeit zur formalisierten Evolution der Bildung des Rechtsstaatsmodells geleistet, das die Juristen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und besonders die Vertreter des Verwaltungsrechts herausbildeten. Gerade diese jedoch sahen in Lorenz von Stein und in seinen "unreinen" Vorschlägen eines Sozialstaates die deutlichste Antithese (methodisch, aber auch dem Inhalt nach) zum "reinen" Modell ihres Rechtsstaats16• Doch ist Stein einer der Protagonisten jener Historie gewesen, solange er mit großer Einfachheit und noch größerer Heftigkeit vom Beginn seiner Staatsspekulation zwei Grundbegrüfe der gegenwärtigen Staatstheorie feststellte: Einerseits das Erfordernis, im Recht (als Verkündigungsquelle und als Interventionsmittel) die demokratische Eigentümlichkeit des nachrevolutionären Staates zu begründen, andererseits die Überzeugung, daß Recht historisch bestimmt ist, also materiell zu den jeweils bestehenden sozialen Lebensverhältnissen zurückgeführt werden muß. Dies ist meines Erachtens nach das gleiche Thema, das schon auf einem mehr kategorischen und metahistorischen Niveau in der Steinschen Intuition des Verhältnisses Staat - Gesellschaft vorhanden ist, mit der wirklichen Bevorzugung der letzteren gegenüber dem 16 Vgl. zum Ganzen E. W. Böckenförde, Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, in: Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 70 - 76. Vgl. auch W. Sombart, Deutscher Sozialismus, Berlin 1934, S. 207 - 208, der in Steins materieller Anschauung des Rechts und des Staats (die neue Theorie "muß die staatsgeschichtliche mit der Rechtsgeschichte nicht bloß verbinden, sie muß beide der Idee und den Gesetzen der menschlichen Beziehungen unterordnen") "gar nichts anderes als eine sehr berechtigte Reaktion gegen eine allzu formalistisch gewordene Staats- und Verfassungslehre" sieht.

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ersteren, also der Bewegung gegenüber der formellen Kristallisierung, der Geschichte gegenüber dem Recht. Dies ist eine Konsequenz der materiellen Anschauung der Gesellschaft, die Stein hatte, der eine ebenso materielle Konzeption des Staates entsprechen mußte. Einer in Klassen organisierten Gesellschaft, die sich in einem latenten Konflikt im Namen der Eroberung und der Verteidigung der zum Besitz notwendigen Verhältnisse bewegt, muß ein Staat entsprechen, der fähig ist, jene Konflikte zu lösen und jene Verhältnisse zu erreichen und zu erhalten, und zwar mit Hilfe juristischer Mittel, die nicht um ihrer eigenen Gültigkeit, ihrer formellen Absolutheit wegen notwendig sind, sondern weil sie geschichtsmäßig dem Charakter und dem Niveau jener Klassen und ihrer Verhältnisse dienen. Wenn dies der traurige Punkt der ganzen Darstellung Steins ist und - als ihr Mittelpunkt - vielleicht auch der geheime Fehler seines Systems, so kann man nicht leugnen, daß Lorenz von Stein stark in die verfassungsgeschichtliche Wirklichkeit seiner Zeit verwickelt war, die konkret eine rechtsstaatliche war oder sein wollte. II!. Was die polizeiwissenschaftliche Komponente des Denkens Steins betrifft, so ist die Frage nicht mehr so einfach. Auch hier will ich betonen, daß es nicht mein Ziel ist, in Steins Werken bestimmte Nachprüfungen von Thematiken, Vorschlägen und Lösungen anzustellen, die jenem Zweig der Kameralistik eigen waren, der im 18. Jahrhundert die Polizeiwissenschaft war17 • Noch weniger ist Lorenz von Stein in eine Geschichte der Polizeiwissenschaft einzuordnen, die man schon geschrieben hat und deren geringe Glaubwürdigkeit in Bezug auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts bekannt istt8 • Es wäre auch zu banal, eine Verbindung der Steinschen Schöpfung zu der großen Tradition des deutschen politischen Denkens zu suchen, welches in der Polizei wissenschaft des 18. Jahrhunderts und im allgemeinen in der Kameralistik eine der Etappen seiner Geschichte gefunden hatte19 • So wie es schließlich und endlich nicht befriedigend wäre, sich darauf zu beschränken, mit einer Unterstreichung des Vorhandenseins (oder der Dominanz) von Verwaltungsthemen im Steinschen System die Wiederaufnahme 17 W. Lexis, Systematisierung, Richtungen und Methoden der Volkswirtschaftslehre, in: Die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaftslehre, Erster

Teil, I, S. 7. 18 H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre (Polizeiwis-

senschaft). Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Wissenschaft in Deutschland, Neuwied 1966, S. 230 ff. 18 W. Hennis, Zum Problem der deutschen Staatsanschauung, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte VII (1959), S. 16 ff.

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oder auch den Gipfel von Motiven zu betonen, die den alten Kameralwissenschaften eigen waren, im Sinne einer inneren (und als solchen meistens falschen) Geschichte der Verwaltungswissenschaft20• Aus dieser letzten Perspektive möchte ich jedoch herausgehen, um eine Verbindung zwischen der sozialen Theorie Lorenz von Steins und der - äußerst unbefangenen, gröberen und ungefähreren - Substanz der Polizeiwissenschaft des 18. Jahrhunderts herzustellen, als sie ihre mehr umfassende und kennzeichnende Formulierung als Staatswissenschaft erreichte. Nämlich durch die Ausarbeitung z. B. von Zinke, in einer besonderen Stufe der Verfassungsentwicklung des preußischen absoluten Staates, in der sehr kurzen Passage von dem technischen Aufbau der frühen Kameralistik zur raschen und zunehmenden Spezialisierungsentwicklung des Kameralismus in immer mehr unterschiedlichen Forschungs- und Anwendungsrichtungen. Auf jener Stufe fand wahrscheinlich das gemischte Modell von "Polizei und Aufklärung" seine beste Darstellung, im Versuch, die ganze Staatstätigkeit zu einigenden und alles umfassenden Rechtfertigungs- und Interventionsprinzipien zurückzuführen im Sinne einer Polizei, die als "zuerst die ganze innere Ordnung und dann den diese garantierenden Herrschafts apparat" bezeichnet werden kann21 • Dies entspricht andererseits der Rolle, die die Polizei mehr in Preußen als in Frankreich im Entstehungsprozeß des modernen Staates im 17. und 18. Jahrhundert gespielt hatte. Im Vergleich zur französischen ,police', die sich sehr bald durch die Schemen der frühreifen staatsrechtlichen Orientierung formalisierte und sich damit in einer Anzahl von vorausbestimmten Eingriffen kristallisierte, auf mehr und mehr gefestigten, die Sicherheit und Bequemlichkeit der Untertanen (und des Fürsten) betreffenden Gebieten, lebte die deutsche ,Policey' eine andere Geschichte. Sie war kein Verteidigungsmittel des Fürsten (seiner schon in Theorie und Praxis durchgesetzten Souveränität, die aber bald von den ständischen Kräften, die auf die Erhaltung oder Rückgewinnung ihrer alten Privilegien zielten, in Frage gestellt wurde), sondern ein Angriffsmittel gegen die traditionellen Kräfte der kaiserlichen Gesellschaft (der Kaiser oben und die Stände unten) zur Herausbildung seiner Souveränität, zur Eroberung seines Tätigkeitsraumes und der Behauptung seiner Hoheitlichkeit. Die Gesamtheit der Eingriffe und der Behauptungen des Fürsten in den neuen Gebieten des sozialen und politischen Lebens bildete die Polizei, die damit das erste Mittel, durch welches der Fürst sein Zentralisierungsprojekt verwirklichte und gleichzeitig historisch rechtfertigte, darstellte. 20 P. Schiera, Dalla scienza dell'amministrazione aHa storia dell'amministrazione (es wird in Kürze in der Zeitschrift "Amministrare" erscheinen). !1 O. Brunner, Das Zeitalter der Ideologien, S. 53.

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Polizei und Monarchie also auf der Entstehungslinie des modernen deutschen Territorialstaates. Aber auch Polizei und Ordnung in einem Endyadis, wo die erste als Mittel zur Ordnung angesehen werden muß und die letzte kein vorbestimmtes und unwandelbares Bild, sondern das immer neue Resultat genauer politischer Eingriffe ist. Und auch durch die Ordnung, die eine "gute" sein muß - Polizei und Wohlfahrt, die nicht mehr das einfache "bonum commune" sondern die "materielle Glückseligkeit" ist, die aus menschlichen Handlungen, politischen Aktionen, bewußten und arbeitsamen Wahlen hervorgeht. Sie ist nicht nur der Zweck eines ideellen Staates, sondern vielmehr eines der wichtigsten Mittel des Funktionierens des historisch konkreten Staates, wie der engste Zusammenhang beweist, der zwischen der Wohlfahrt der Untertanen und dem Vermögen des Staates in der Theorie und in der Praxis der deutschen Staaten im 17. und 18. Jahrhundert existierte. Die Polizei faßt die Gesamtheit der fürstlichen Einrichtungen zugunsten der Wohlfahrt der Untertanen zusammen und diese Einrichtungen nehmen die Gebiete der Steuer-, Wirtschafts- und Verwaltungspolitik vorweg: es kann nicht ohne Bedeutung sein, in der hier benützten Perspektive die Forschung Steins durch die Polizeierfahrung zu beleuchten. Andererseits sind auch die zahlreichen historischen Exkurse, mit denen Stein seine systematische Handlung der, verschiedenen Teile der Verwaltung begleitet, ein Beweis dafür, daß er immer eine sehr enge Verbindung zur deutschen Polizeitradition unterhielt. Dies bedeutet viel mehr als die selbstverständliche, unvermeidliche Berufung auf die historische Tradition des modernen abendländischen Staates: Dieser Staat wird von Stein als ein in sich historisches Ereignis, eine bestimmte Einzelaufführung des Verhältnisses zwischen Individuum und Gemeinschaft dargestellt. Das ist der ,arbeitende Staat', der Staat der konkreterweise arbeitet, um die tendenzhaft "gleichen" Persönlichkeiten der Individuen und die tendenzhaft "ungleichen" Verhältnisse des sozialen Lebens miteinander zu versöhnen. Auf diese Weise findet dieser Staat historisch seine erste Charakterisierung durch den Kampf gegen die ständische Welt und durch die Gründung einer Verfassung, bzw. einer Lebensordnung "vermöge deren es möglich wird, daß der Einzelwille zugleich Gesamtwille sei und dadurch in demselben sich selber bestimmt"22. Dieser Prozeß stimmt mit der Geschichte der Polizei überein, die nicht anders als "die organisierte Gewalt der königlichen Regierung" ist23 : "nur der Staat mit seiner Polizei vertrat noch das Gesamtinteresse ... gegenüber den ständischen Gewalten"24. Die daraus ern L. von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. Erster Teil: Der Begriff der Verwaltung und das System der positiven Staatswissenschaften. Dritte, vollständig neu bearbeitete Auflage, Stuttgart 1887, Vorrede, S. XIV. 23 Ibidem, S. 209. 24 Ibidem, S. 208.

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wachsende Lehre war die "Lehre von dem, was dieser Staat in seiner neuen Gestalt zu tun habe" ... "und damit ward die Polizei zum Anfang aller Verwaltungslehren"25. Man muß nun prüfen, ob die historische Aufmerksamkeit Steins für die polizeiliche Erfahrung auch für die logischen und theoretischen Prämissen und Implikationen seiner Verwaltungslehre galt. Stein hatte ohne Zweifel ein präzises Bewußtsein des großen Unterschieds zwischen der Gegenwart des 19. Jahrhunderts und der vorhergehenden Epoche. Diese letztere war "die Epoche des vormundschaftlichen Eudämonismus der Polizei", des staatlichen Monopols jeder Eingriffsform in jeden Aspekt des sozialen Lebens, der "Obervormundschaft der Staatsgewalt über alle und alles", und die Polizei wissenschaft reflektiert, auf dem theoretischen Niveau, diese aufsaugende und gesamte Bestrebung. Mit dem 19. Jahrhundert jedoch kann man sagen, daß "eine neue Epoche beginnt. Wir kennen ihre Geschichte. Ihr Kern ist der Gedanke, daß die vollziehende Gewalt sich von der gesetzgebenden, die Verordnung sich vom Gesetz scheidet und daher auch die Polizei, statt Gesetzgebung für ihr Gebiet zu sein, nur noch ein Theil der Vollzugsgewalt wird. Die Verwaltung tritt selbstständig neben die Verfassung; aus der letzteren scheidet die Polizei aus, und jetzt entsteht die Aufgabe, die Stellung der Polizei in dem neu sich entwickelnden System der Verwaltung zu finden und zu definieren. Das ist der Inhalt der dritten, der gegenwärtigen Epoche der Polizei und der Polizeiwissenschaft und ihrer Stellung und Bedeutung in der Staatswissenschaft überhaupt, in der Verwaltungslehre im Besondern"2G. Doch wenn die Polizei in dieser letzten Phase zu "dieser organisierten Kraft, welche somit den Kampf gegen die Gefahren des persönlichen Lebens selbstthätig übernimmt und damit für alle wie für jeden einzelnen die Sicherheit als eine allgemeine und prinzipielle Bedingung aller Entwicklung verwirklicht"27 geworden ist, so ist jene Verwaltung, in der sie ihre Einordnung findet, doch nur die Fortsetzung der alten Polizei gemäß den historischen Verhältnissen der neuen Epoche, die aus jener neuen sozialen Wirklichkeit - der Verfassung -, die horizontal die ganze Welt durchschnitt, entstehen. Um dies nachzuprüfen, wird es von Nutzen sein, an das zu erinnern, was Stein in der Einführung der letzten Auflage seines Handbuchs schreibt: "Dialektik und Ethik, Gotteslehre und Naturwissenschaft haben alle Zeitalter besessen; die sociale Analyse des Staatslebens haben uns schon Platon und Aristoteles gelehrt; was die Arbeit, und vor allem was die Arbeit des Staats ist, welche die Weltgeschichte auf ihren Schildern trägt, dafür finden wir 25 !8

27

Ibidem. Ibidem, S. 210. Ibidem, S. 205.

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noch keine Philosophie28 ." Stein hat sein ganzes Leben nicht der Bildung einer solchgearteten Philosophie, sondern der Bildung einer Wissenschaft, die diese Probleme lösen möge, geweiht. Und dies durch eine dreifache Handlung: 1. Die geschichtliche Bestimmung des spezifischen Charakters (Interventionscharakters) des modernen Staates; 2. die zeitgeschichtliche Forschung der großen sozialen Wandlungen seiner Zeit; 3. die theoretische systematische Ausarbeitung der Weise, durch welche beide vorangestellten Richtungen eine gesamte und den Bedürfnissen der neueren Gesellschaft gemäßen Wissenschaft des Staatslebens bildeten. Es ist kein Zufall, daß Stein die ganze Modernität solcher Bedürfnisse durch die Berufung auf die heiden Hauptaspekte der neuen bürgerlichen Seinswürde unterstreicht, der ökonomischen und der juristischen: "Wir bezeichnen jene, noch durchaus unfertige Bewegung als den Prozeß, der es in seiner Weise, wenn auch fast unbewußt versucht hat, die staatswissenschaftliche Bildung zu einem Theil der juristischen zu machen, und der sich damit erfüllen wird, die Einheit aller formalen Gebiete der Rechtsfächer und damit des Rechtsbewußtseins in der Wissenschaft des Staatslebens zu finden29." Es kann nicht meine Aufgabe sein, die komplexe und zeitweise widersprechende Mechanik wiederherzustellen, auf welche Stein diese Wissenschaft gründet30• Es kann genügen, ihre historisch-philosophische Grundlage aufzuzeigen, die in der Trennung/Verschmelzung der beiden wesentlichen Merkmale der Verfassung und der Verwaltung liegt. Denn die erstere bildet den Rahmen zur Lösung des Konflikts zwischen Gesellschaft und Staat, zur Verbindung der sozialen Gleichheiten, um die "individuelle Entwicklung in der Gemeinschaft" (also nicht durch die staatliche Vormundschaft) zu bewahren; während die letztere zum Mittel dieser Verbindung wird, d. h. der konkreten Arbeit des Staates in der Gesellschaft zugunsten des Individuums und seiner wesentlichen Gleichheit. Und "die Verwaltungslehre ist die Gesamtheit der im Wesen der persönlichen Entwicklung liegenden Gesetze, denen diese Arbeit zu folgen hat"81. Ibidem, Vorrede, S. IV. Ibidem, S.12. Vgl. auch E. von Philippovich, Das Eindringen der sozialpolitischen Ideen in die Literatur, in: Die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaftslehre, Zweiter Teil, XXXI, S. 8. ao Vgl. zusammenfassend die Anmerkungen von F. Tönnies, Entwicklung der Soziologie, a.a.O.; E. von Philippovich, Das Eindringen der sozialpolitischen Ideen, a.a.O.; O. Gerlach, Geschichte der Finanzwissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Lehre vom Verhältnis zwischen Volkswirtschaft, Staat und Finanzen, in: Die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaftslehre, Zweiter Teil, XXXVIII. 31 L. von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, I, Vorrede, S. XV. 28

11

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Wenn Stein oftmals in seiner Wissenschaft das Moment der Verwaltung dem der Verfassung vorzieht, so bleibt dieses letztere der hauptsächliche Anhaltspunkt des ersteren, in seinem historischen sowie ideologischen Inhalt, der wesentlich der der Bewahrung des individuellen Vollbesitzes war. Doch neben diesem prinzipiellen Punkt, der schon allein nicht wenig den begrifflichen Rahmen des Rechtsstaates erfüllt, gibt es einen zweiten verfassungsmäßigen Aspekt, in dem man die rechtsstaatliche Umwelt der großen Steinschen Verwaltungsbildung erblicken kann. Es ist das organisatorische Moment. Stein benützt es, um dem konstitutiven Teil seiner Verwaltung eine echte Autonomie zu geben, d. h. sie als was er "innere Verwaltung" nennt, zu kennzeichnen. Auch hier gilt die Berufung auf "dies europäische Gefühl, das den Charakter des öffentlichen Geistes des 18. Jahrhunderts bildet ... deren Protoplasmen nicht bloß die Obrigkeiten jener Zeit sondern auch persönlich die beiden größten Fürsten Deutschlands bildeten"32; sowie die verfassungsmäßige Gründung der ganzen Entwicklung wesentlich bleibt, so es im Sinne, daß das Volk, dessen geschichtliche Verwirklichung der moderne Staat bildete, "bedeutete von Anfang an die Summe der Entwicklung aller einzelnen, verwirklicht durch die Vertretung der allgemeinen Interessen gegenüber der Herrschaft der Sonderinteressen"33, sei es im Sinne, daß "die alte ideale Vorstellung, daß der Staat der lebendige Träger der individuellen Entwicklung sein müsse. verschwand vor dem Prinzip, daß er das nur soweit sein dürfe und solle, als dafür besondere Gesetze bestehen, und so ward aus der Idee dieser Verwaltung der Gedanke des Rechts der Administration"34. Eine solche war im besonderen die französische Entwicklung, die auf dem formalen Begriff einer nur durch das Gesetz geregelten und dadurch von jeglicher Eigentümlichkeit entblößten Verwaltung begründet war und somit nicht mehr Objekt einer Verwaltungslehre, sondern eines droit administratif, das Teil keiner Staatswissenschaft sondern der Rechtswissenschaft wurde. Nicht so in Deutschland, "in welchem die Idee gerade der Inneren Verwaltung lebendig, wenn auch nicht fertig ist"35. Was sie in der gegenwärtigen Epoche - die dritte Stufe einer Entwicklung, die wiederum ihre Wurzeln in der frühen Neuzeit Deutschlands hat - lebendig macht, ist nicht nur der Grundbegriff der "Wohlfahrt des Volkes" (der beherrschend in der ersten Stufe war), noch die Entstehung einer "Staatsgewalt", die jene Idee in "einheitlichen Organismus" umbilden konnte (wie es in der zweiten Stufe geIbidem, S. 420. 33Ibidem. sc Ibidem, S. 421. 35 Ibidem, S. 422.

32

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schah), sondern gerade die Verbindung des organisatorischen mit dem verfassungsmäßigen Gegebenen, die die Gründung einer angemessenen Lebensstruktur für die Verwaltung erlaubte. "Nicht daher eines neuen Princips, sondern einer neuen Gestaltung des öffentlichen Lebens bedurfte es, um zum Ministerium im allgemeinen, zu der Inneren Verwaltung insbesondere zu gelangen36 ." Das Auftreten der Verfassungsepoche erlaubt, durch die Festigung der beiden Kriterien der Verantwortlichkeit und des Budgets, die Entstehung der Ministerien, im besonderen des Ministeriums des Inneren: "das schien dann der praktische Abschluß der theoretischen Bewegung zu sein, die, vor hundert Jahren begonnen, jetzt ihre Verwirklichung suchte ... allein gerade hier war es nun, wo sich die unterdessen gewaltige fortschreitende Entwicklung des Volkes und seiner Wohlfahrt geltend machte und der neuentstehenden Organisation ihren Charakter gleichsam aufzwang"37. Neben den auswärtigen und den militärischen Angelegenheiten, neben den Finanzen und der Justiz stellt Stein das Gebiet des Innern auf. Die später aus organisatorischen Gründen sich erklärende Zersplitterung dieses letzteren zwischen nur aus Gründen der Zweckmäßigkeit unterschiedlichen Ministerien ändert das Gesamtbild nicht. Für Stein handelt es sich hier um ein "System von Ministerien" (Unterrichtsund Kultusministerien, Ackerbauministerien, Handelsministerien, Ministerien der öffentlichen Arbeiten, Kommunikationsministerien; eine zeitlang sogar Polizeiministerien, dann gewisse große Direktionen, deren Zusammenhang mit anderen Ministerien vielfach zufällig scheint und wechselt, wie die Direktionen der Post und Telegraphen, der Münzen, in einigen Ländern Kolonialministerien). "Der tiefe Grund dafür ist wiederum doch nur durch die Idee der Inneren Verwaltung verständlich. Das Ministerium des Innern ist der Organismus der Verwaltung, der für alle Verhältnisse der Gemeinschaft gleichen Interessen; die anderen Ministerien entspringen dagegen aus den Forderungen ganz bestimmter, besonderer Interessen ... [Daß] das eigentliche Ministerium des Innern diejenigen Funktionen in der Verwaltung des Innern behält, welche ihrem Wesen und ihrem letzten Erfolg nach den Gesamtinteressen des ganzen Volkslebens angehören38 ." Es ist nun unmöglich, in spezifischer Weise die wirklich zentralen Kompetenzen zu verfolgen, die Stein dem Ministerium des Innern und dadurch dem ganzen System des Innern zuschreibt. Doch will ich zum Schluß meine überzeugung bestätigen, daß alles dies zur vollen Durchsetzung der Autonomie der Inneren Verwaltung (aufgrund der Organi38 37

38

Ibidem, S. 423. Ibidem, S. 424. Ibidem, S. 425 - 426.

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sation und der Verfassung, also der tätigen Prinzipien des Rechtsstaats) als hervorragender Stelle der Arbeit des Staates (des gleichen organisierten und verfassungsmäßigen Rechtsstaates von oben) führt. IV. Die zweifache Kreuzung, die zwischen dem historisch bestimmenden Moment der Verwaltung und dem theoretisch rechtfertigenden der Verfassung entsteht, erlaubt vielleicht, einige Schlüsse zu ziehen. Sie betreffen natürlich nicht das Thema, das kein Objekt der vorliegenden Anmerkungen war, der Verhältnisse im Steinschen System zwischen Verwaltung und Verfassung, sondern vielmehr die Frage des Vorhandenseins von Interessen in ihm, die zugleich polizeiwissenschaftlich und rechtsstaatlich sind. Außerdem waren diese Schlüsse schon durch den Fadenlauf der vollzogenen Handlung vorweggenommen; ich werde sie nun kurz zusammenfassen. 1. Die Innere Verwaltung Steins zeigt viel mehr als eine nur unbestimmte Analogie mit der absolutistischen Polizei. Von dieser ist sie kategorisch die historische Übersetzung nach den neuen Verhältnissen des menschlichen Daseins: davon kann man sich leicht überzeugen, sowohl auf Grund des eigentlichen inneren Bewußtseins Steins, als auch, in äußerlicher Weise, aus dem Inhalt der beiden Begriffe und Erfahrungen im 18. und 19. Jahrhundert. 2. Jene neuen Verhältnisse können, ihrem Wesen nach, auf den Begriff der Verfassung zurückgeführt werden, wenn man diese als die Weise bezeichnet, nach der das Volk sich bei der Rücksicht, noch mehr bei der Konkretisierung der individuellen Bedürfnisse und Bestrebungen verwirklicht. Das kann historisch geschehen, dank eines nicht mehr den Regeln und Kontrollen entzogenen, sondern dem Gesetz untergeordneten und in einer bestimmten Weise organisierten Staates. 3. Beide Kriterien des Gesetzes (erstens zur Verteidigung der individuellen Interessen, jedenfalls im materiellen Sinne des Wortes) und der Organisation (nicht nur als reine technische Gegebenheit, sondern vielmehr als Kompetenzbestimmung: also im rechtsstaatlichen Sinne des Wortes) bilden meines Erachtens nach die Grundelemente des Rechtsstaatsbildes des 19. Jahrhunderts, mit dem doch auch Stein sich am tiefsten beschäftigt. 4. Im Besonderen und zum Schluß gilt die Eindringlichkeit, die Stein auf die Konkretheit des Arbeitsablaufs jener verfassungsmäßigen Verwaltung legte, der Nachprüfung des Rechtsstaatsbildes, das ich vorher darzustellen versucht habe. Nur in diesem materiellen Sinn kann man hauptsächlich, trotz der großen theoretischen Beschäftigung der deut-

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schen Gelehrten des 19. Jahrhunderts, von einem deutschen Rechtsstaat sprechen. An der Bildung dieses Rechtsstaats hat auch Stein mitgearbeitet. Gerade seine fortwährende Sorge um die "neu"-polizeiliche Bestimmung des Staates kann die besonderen deutschen Merkmale des verfassungsgeschichtlichen Prozesses im späten 19. Jahrhundert erklären und ebenso die ständig konservativ-modernisierenden Bestrebungen des modernen deutschen staatlichen Denkens bis heute39• "Dem zur Seite steht der dritte Grundsatz, daß gerade das Ministerium des Innern das höchste Verwaltungsorgan der gesellschaftlichen Verwaltung, also speciell die Verwaltung der socialen Frage zu sein bestimmt ist. Die Unklarheit der letzteren, so groß sie sein mag, hat die Klarheit jenes Princips für die Organisation der Inneren Verwaltung nie bestreiten lassen. Bis zu unserer Zeit blieb freilich die formale Consequenz davon nur noch die, daß alles Hülfs- und Armenwesen nur dem Ministerium des Innern gehöre. In unserer Gegenwart aber wird jene Funktion des letzteren das ganze Leben des Volkes ebenso gut und ebenso notwendig umfassen, wie die sociale Frage selber. Hier liegt die Aufgabe des Ministerium des Innern schon für die nächste Zukunft, und hier wird es nie mit der Administration ausreichen, sondern der socialen Staatsmänner bedürfen40 !"

se Vgl. den Exkurs über das Verhältnis Biologie-Soziologie: Ibidem, S. 409413. 40 Ibidem, S. 427.

Loren(vonjSteins Staatsformenlehre Von Günther Maluschke Bislang scheint über Steins Staatsformenlehre keine monographische Abhandlung vorzuliegen. Selbst in dem großen zweibändigen Werk von Erich Küchenhoff "Möglichkeiten und Grenzen begrifflicher Klarheit in der Staatsformenlehre", dessen 1. Halbband ganz der Darstellung und Analyse der bisherigen Staatsformenlehre gewidmet ist, wie sie jeweils in den Systemen der auf dem Gebiet der Staatstheorie renommierten Autoren entfaltet worden ist, und wo die einschlägigen theoretischen Entwürfe von mehr als siebzig Autoren behandelt werden, bleibt Lorenz von Steins Staatsformenlehre unberücksichtigt. Im 2. Halbband dieses Werkes wird Lorenz von Stein nur beiläufig erwähnt, dies allerdings auch nur im Zusammenhang eines Zitats aus einem Aufsatz von Franz Ronneberger1 • Auch in dem Artikel "Herrschaftsform" von Günther Bien2 ist der Beitrag Steins zu dieser Thematik nicht berücksichtigt worden. - Gleichwohl ist in der staatsrechtlichen Literatur das Staatsformenproblem bei Stein nicht gänzlich übersehen worden, sind doch gerade die zentralen Steinschen Konzeptionen des ,sozialen Königtums' und der ,sozialen Demokratie' in jüngster Zeit mehrfach beleuchtet worden3 • Es fehlt jedoch, soweit uns bekannt, eine Untersuchung der Steinschen Staatsformenlehre als ganzer, eine Analyse, in welcher dargetan wird, wie Stein die einzelnen Staatsformen in ihrer Bestimmtheit durch gesellschaftliche Faktoren identüiziert, und welche Bedeutung er ihnen in der Wechselwirkung von Staat und Gesellschaft beilegt. Vielleicht kann diese Abhandlung dazu beitragen, die angedeutete Lücke zu schließen. Bei der Herausarbeitung der Steinschen Begriffe der Demokratie und Aristokratie stützen wir uns zunächst auf die stär1 Erich Küchenhoff, Möglichkeiten und Grenzen begrifflicher Klarheit in der Staatsformenlehre, Berlin 1967, Bd. 112, S. 751, Anm. 12. 2 Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. von Joachim Ritter, Bd. III, Sp. 1096 - 1099. 3 Dazu beispielsweise Ernst-Wolfgang BöckenföTde, Lorenz von Stein als Theoretiker der Bewegung von Staat und Gesellschaft zum Sozialstaat, und DiTk Blasius, Lorenz von Steins Lehre vom Königtum der sozialen Reform und ihre verfassungspolitischen Grundlagen, in: Lorenz von Stein, Gesellschaft - Staat - Recht, hrsg. von Ernst Forsthoff, Frankfurt 1972, S. 513 bis 547, S. 549 - 570.

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ker systematisch orientierten Ausführungen Steins im 2. Band des "System(s) der Staatswissenschaft" aus dem Jahre 1856 sowie den Artikel "Demokratie und Aristokratie" von 1854. Für die Darlegung von Steins Konzeption des Königtums und der Republik werden wir zusätzlich noch auf das 1850 abgeschlossene berühmte Werk "Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage" zurückgreifen.

I. Die Eigenart der 8teinschen Theorie Lorenz von Stein hat seine Staatsformenlehre in einer Theorie entwickelt, die man kennzeichnen kann als ein Junktim einerseits einer apriorischen sowie normativen, von HegeZ inspirierten Sozialphilosophie, in welcher der reine Begriff des Staates sowie der Gesellschaft also ihre jeweilige Natur, ihr unwandelbares Wesen - exponiert werden, und andererseits einer historisch bzw. empirisch orientierten Soziologie, in der die wirkliche Gesellschaft und der wirkliche Staat, d. h. die Gesellschaft und der Staat in ihrer konkreten, mannigfaltigen Einflüssen und Veränderungen unterliegenden Erscheinungsweise analysiert werden. Indem die Gesellschaft und der Staat je für sich zunächst als Inhalte nicht der Beobachtung, sondern des reinen Denkens, und damit in ihrer rein begrifflichen Gestalt, erfaßt werden, werden zugleich die Prinzipien dargetan, aufgrund deren sich der Staat und die Gesellschaft als getrennte Sphären erweisen, nämlich das die Gesellschaft charakterisierende Prinzip des Interesses auf der einen und das dem Staat eigene Prinzip der Freiheit auf der anderen Seite. Der Begriff der Gesellschaft als einer auf materiellen und geistigen Interessen beruhenden Gemeinschaft4 impliziert eine Dysteleologie; denn wird die Gesellschaft sich selbst und den in ihr waltenden Interessenkonflikten überlassen, so muß sie in der Anarchie enden. Genau an diesem Punkt führt Stein den Staat ein, und zwar als subsidiäres Komplement eben dieses mangelhaften gesellschaftlichen Zustandes5 , 4 Im "System der Staatswissenschaft" (im folgenden zitiert als: System) behandelt Stein im 1. Band, der der Volkswirtschaftslehre gewidmet ist, das System derjenigen Tätigkeiten und Institutionen, die aus der - aufgrund der natürli'chen Bedürfnisse der Individuen notwendig werdenden - Bearbeitung der äußeren Natur erwachsen. Die Gesellschaftslehre, die im 2. Band zur Darstellung kommt, setzt diesen Teil der Staatswissenschaft insofern voraus, als die Gesellschaft die materielle Ordnung der Güterwelt als integralen Bestandteil enthält, darüber hinaus aber, im Wechselspiel mit den materiellen Interessen, die mit dem Streben eines jeden nach Persönlichkeitsentwicklung verbundenen geistigen Interesses inkludiert. (Vgl. System H, S. 16 ff., S. 27 u. a.) 5 Stein sagt ausdrücklich, daß dem Staat seine Aufgabe "durch die Natur der Gesellschaft und ihres Lebens gegeben wird" (System, H, S. 30). Damit vollzieht Stein einen Vorgriff von der rein kategorialen Theorie, welche die

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also letztlich als Notstaat. Schon in dieser Konstellation wird der Staat als ein reales Gebilde gedacht, das eine Funktion wahrzunehmen hat, und erst die Reflexion auf die Voraussetzungen und die Art dieser Funktion führt in die rein begriffliche Theorie zurück. Der reale Staat steht, sofern er seinem eigenen Prinzip entspricht, im Dienst der Erhaltung der menschlichen Gemeinschaft, und der Staat ist somit erstens Gegenmittel gegen die ohne sein Hinzukommen unabwendbare Selbstauflösung der Gesellschaft, und zweitens muß der Staat, da er anders seiner Funktion als Stabilisierungselement der von der Anarchie bedrohten Gesellschaft nicht entsprechen kann - und hier setzt wieder die rein begriffliche Diagnose ein - als aus den gesellschaftlichen Partikularinteressen unableitbar, ja als absolut in sich gegründeter Organismus begriffen werden. Einen solchen selbstzweckhaften Organismus nennt Stein Persönlichkeit6 • Der in sich als Selbstzweck gedachte Staat ist für den jeweils realen Staat eine normative Vorgabe, die nur dadurch eingelöst werden kann, daß der Staat in Relation auf die Gesellschaft als deren Optimierungsmittel fungiert. Selbstzweckhaftigkeit und Funktionalität werden hier durch einen das Individuelle und das Allgemeine umgreifenden Persönlichkeitsbegriff unmittelbar ineinsgesetzt, ohne daß die Möglichkeit einer solchen Ineinssetzung theoretisch gerechtfertigt würde. Mit der Auffassung eines zugleich selbstzweckhaften und funktionalen Staates wird unterstellt, daß der in der Persönlichkeitsstruktur des Staates liegende Zweck der Selbsterhaltung sowie die Anerkennung und der Schutz der Persönlichkeitsrechte aller in der Gesellschaft inkludierten und den Staat konstituierenden Individuen miteinander koinzidieren. Wie man sieht, wird schon im rein begrifflichen Teil der Steinschen Theorie der Staat als ein mit Bezug auf die gesellschaftliche Dynamik potentiell tätiger Staat verstanden, ohne daß seine Tätigkeit schon an dieser Stelle entfaltet werden könnte. Die kategorialen Theorieelemente haben bei Stein im Grunde eine heuristische Funktion im Hinblick auf die Erfassung der wirklichen Gesellschaft und des wirklichen Staates, die Gegenstand nicht des reinen Denkens sind, sondern entweder der rekonstruierenden historischen Analyse oder aber der direkten empirischen Beobachtung, die jeweils eine Fülle kontingenter Faktoren apperzipieren, die einen bestimmten Staat und eine bestimmte Gesellschaft zu dem machen, was sie jeweils sind. Da in der kategorialen Erfassung des Staates sowie der Gesellschaft die reine Gestalt und die unwandelbare Natur beider Sphären auf den Begriff gebracht werden, kann es nach Stein auf dieser Ebene der Natur der Gesellschaft und des Staates auf den Begriff bringt, auf die Empirie, in welcher das Leben von Gesellschaft und Staat zum Thema wird. G Vgl. System, II, S. 30 ff. 15 Staat und Gesellschaft

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Theorie eine Staatsformenlehre ebenwowenig geben wie eine Lehre verschiedener Cksellschaftsformen. Aus dem Begriff des Staates, der nur einer sein kann 7, lassen sich unterschiedliche Formen des Staates nicht deduzieren8 • Dasselbe gilt natürlich auch hinsichtlich des Begriffs der Gesellschaft und des Problems möglicher Gesellschaftsformen bzw. möglicher Unterschiede der gesellschaftlichen Ordnung. Aus dem Theorieansatz Steins folgt, daß der Ort derartiger Differenzierungen nicht die Sozialphilosophie, d. h. die reine Theorie von Staat und Gesellschaft, sondern nur die empirisch ausgerichtete Gesellschaftslehre sein kann, jener Teil seiner Theorie, in welchem die Gesellschaft sowie der Staat als empirische Gebilde in Betracht gezogen werden, die, von vielen Faktoren beeinflußt, selbst in einem Verhältnis wechselseitiger Einwirkung stehen. In dem Projekt der Vermittlung der beiden verschiedenartigen Theoriekomponenten erweisen sich aber, wie wir im folgenden verdeutlichen werden, Vermittlungsbegriffe als notwendig, d. h. Begriffe, die nicht eigentlich reine Denkbegriffe sind, sondern eher die Struktur der idealtypischen Begriffskonstruktionen im Sinne Max Webers aufweisen; es sind dies Begriffe, durch die ein Mixtum aus einem apriorischen Formelement und einer materialen Mannigfaltigkeit aposteriori vorstellig gemacht wird, Begriffe, durch die einerseits aufgegriffenes Erfahrungsmaterial perspektivisch vereinheitlicht und andererseits ein Vorgriff auf die Welt des historisch und soziologisch Erfahrbaren geleistet werden soll. 11. Die Gesellschaftsordnung als Kriterium der Unterscheidung von Demokratie und Aristokratie Nach Lorenz von Stein haben die traditionellen philosophischen Theorien den Fehler begangen, eine konkrete Verfassungsform, wie sie jeweils in einer der unterschiedlichen Staatsformen zum Ausdruck kommt - Stein erwähnt Monarchie, Despotie, Demokratie, Oligarchie, Ochlokratie9 - als "einen inwohnenden Theil des Staatsbegriffs"lo anzusehen. In Wahrheit läßt sich nach Stein die Verschiedenheit der wirklichen Staatsformen jedoch nur auf eine "vom Staate wesentlich verschiedene Kraft" zurückführen, "welche diese Verschiedenheit (der 7 Nach Stein ist es nicht möglich, "die Verschiedenheit der wirklichen Staatsformen aus dem ewig sich selbst gleichen Begriff des Staats" herzuleiten (ebd. S. 24). 8 Vgl. ebd., S. 24. 9 Vgl. ebd., S. 24. 10 Ebd. S. 25. Ähnlich heißt es in "Demokratie und Aristokratie", S. 67: "Diese Unterscheidung ruht in keiner Weise in dem Begriff des Staats", in: LOTenz von Stein, Schriften zum Sozialismus 1848, 1852, 1854, hrsg. von Eckart Pankoke, Darmstadt 1974.

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Staatsformen, G. M.) dadurch hervorbringt, daß sie mit dem Staate in Verbindung tritt"l1. Diese Kraft ist, wie Stein dartut, die "Ordnung der Gesellschaft"12. Das Betroffensein des Staates durch die konkrete Gesellschaft charakterisiert Stein dahingehend, daß er die Gesellschaftsordnung als "Ursache" und die ihr entsprechende Staatsform als "Wirkung" bezeichnet13. Danach ist also als das Primäre eine gegebene Gesellschaftsordnung zu unterstellen, die sich die ihr gemäße Staatsform schafft. Wenn Stein in diesem Zusammenhang "jede wirkliche Rechtsordnung eines Staats", d. h. jede konkrete Verfassungs- und Staatsform, als "eine bereits vorhandene und vollzogene, ja schon in Wirksamkeit getretene Verschmelzung zwischen dem Staate und der Gesellschaft"14 versteht, so heißt das, daß die je konkrete Staatsform als das Resultat der wechselseitigen Einwirkung einer wirklichen Gesellschaft und eines wirklichen Staates anzusehen ist - und zwar als der Effekt eines Kausalzusammenhangs, in welchem die Wirksamkeit der Gesellschaft auf den Staat gegenüber der des Staates auf die Gesellschaft dominiert. Stein unterstellt hier ein wesenslogisches Subordinationsverhältnis von Gesellschaftsordnung und Staatsform, und zwar derart, daß er die konkrete Staatsform als Moment einer bestimmten Gesellschaftsordnung begreift15. Die verschiedenen Gesellschaftsformen bzw. Gesellschaftsordnungen werden von Stein dargetan als konkrete Organisationsformen der Besitzverhältnisse, wobei nicht die Größe, sondern die "Art des Besitzes", nämlich Grundbesitz und gewerblicher bzw. beweglicher Besitz, maßgeblich ist. Die Verwandtschaftsbeziehungen bzw. die Familienzugehörigkeit als weitere Differenzierungsmomente bezüglich der Spezifizierung der sich auf Tradition und Gewohnheit stützenden Besitzrechtsverhältnisse berücksichtigend, unterscheidet Stein in idealtypischer überakzentuierung von Einzelmomenten die Stammesordnung, die Geschlechterordnung, die Ständeordnung und - wiederum von allen Verwandtschaftsbeziehungen abstrahierend - die gewerbliche Gesellschaftsordnung 18. Von einer realen Gesellschaft auf hoher EntwickEbd., S. 24. Stein unters'cheidet vier gesellschaftliche Ordnungsformen: die ,Stammesordnung', die ,Geschlechterordnung', die ,Ständeordnung' und die ,gewerbliche Ordnung' (vgl. System, H, S. 41 ff.). 13 Vgl. ebd., S. 25. 14 Ebd., S. 25. 15 Auf die ,seinslogische' und ,wesenslogische' Si'chtweise des Verhältnisses von Gesellschaft und Staat ist Klaus Hartmann in seiner Abhandlung "Reiner Begriff und tätiges Leben" (in diesem Band) näher eingegangen. Hartmann hat allerdings stärker die normativen Aspekte der Steinschen Theorie herausgearbeitet und dabei den Staat als die der Gesellschaft übergeordnete Kategorie herausgestellt. 18 Vgl. System, H, S. 40 ff. 11

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lungsstufe nimmt Stein an, daß sie nicht einen einzigen Formtyp repräsentiert, sondern daß in ihr jene ideell rekonstruierten Gesellschaftsformen koexistieren und in einer variationsreichen Wechselbeziehung zueinander stehen17 • Es ist durchaus der dargelegten Auffassung Steins gemäß, wenn man zu den jeweiligen Typen von Gesellschaftsordnungen die gleichfalls idealtypisch gedachten Staatsformkorrelate aufstellt, die wirklichen Staatsformen aber - ebenso wie die wirklichen Gesellschaftsordnungen - als Mischformen versteht. Sollen aber die Entstehungsursachen der realen, derartige Mischformen darstellenden gesellschaftlichen Ordnungsgefüge erforscht werden, dann muß die idealtypische Betrachtungsweise noch zugunsten einer anderen Untersuchungsperspektive verlassen werden. Entsprechend fragt nun Stein, die idealtypischen Erörterungen überschreitend, nach den die wirkliche Gesellschaftsordnung bedingenden Kräften; und diese identifiziert er als die partikularen Interessen der nach Maßgabe der je konkreten Besitz- und Arbeitsverhältnisse sich bildenden verschiedenen gesellschaftlichen Klassen. In dieser soziologischen Blickrichtung begreift Stein die ,Demokratie' und die ,Aristokratie' als jeweils klassenspezifische und somit parteiliche Formation der Interessenurgierung innerhalb einer durch den Klassenantagonismus bestimmten Gesellschaftsordnung. Diese im Rahmen der je konkreten gesellschaftlichen Konstellation des Verhältnisses von Besitz und Arbeit festgemachten Phänomene von ,Demokratie' und ,Aristokratie' werden darüber hinaus von Stein auf ein Urphänomen des Lebens der Menschheit überhaupt zurückgeführt, ein Phänomen vorpolitischer Art, nämlich auf das Streben eines jeden Einzelnen nach Besitz als Mittel zur Selbstverwirklichung18 • Da diesem Streben normalerweise unterschiedlicher Erfolg beschieden ist, entwickeln sich in der Regel Klassenunterschiede, die sich ihrerseits idealtypisch auf den Unterschied zweier Klassen reduzieren lassen, die niedere (Demos) und die höhere Klasse (Aristoi), die danach streben, Besitz entweder zu erlangen oder zu behalten - und im Rahmen dieser überlegungen bezeichnet Stein Demokratie und Aristokratie als "Grundtatsachen" des menschlichen Lebens überhauptt v• Mit dem Streben nach Erlangung bzw. Erhaltung materiellen und geistigen Besitzes geht ein Streben beider Klassen nach der Verfügung über die Staatsgewalt einher, mit dem Ziel, die jeweiligen Besitzansprüche sowohl staatsrechtlich als auch machtpolitisch abzusichern. Vgl. ebd., S. 47. Entsprechend kann Stein die Unterscheidung von Demos und Aristoi "für eine Erscheinung eines dauernden Begriffs" erklären (Demokratie und Aristokratie, S. 67). 11 Vgl. ebd., S. 48 ff., sowie "Demokratie und Aristokratie", S. 67 f. 17

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Den in dit!ser Auseinandersetzung von beiden Seiten geltend gemachten Optionen wird jeweils der Sinn von staatsrechtlichen Prinzipien beigelegt: so werden einerseits die demokratischen Grundsätze von Freiheit und Gleichheit mit dem Postulat der gleichmäßigen Partizipation aller Einzelnt!n an der Staatsgewalt verknüpft, und es wird andererseits aus dem aristokratischen Prinzip des Vorrechts des Wissens und der Leistung das Anrecht der Leistungselite auf die Regie des Staates hergeleitet2o• Der Sache nach sind beide Prinzipit!n nach Lorenz von Stein auf eine und dieselbe Grundlage zurückführbar, und zwar auf die Idee der Persönlichkeit. Dabei ist eine Affinität der demokratischen Prinzipien zu der staatlichen Gt!meinwohlidee sowie zu der Idee einer allgemeinen, alle Einzelnen als Persönlichkeiten mit gleichen Rechten inkludierenden Staatspersönlichkeit feststellbar, während demgt!genüber durch das aristokratische Prinzip einerseits die Idee der Selbstverwirklichung der individuellen Persönlichkeit und andererseits der Gedankt! der Selbstvollendung des Staates - sofern dieser nicht nur als ein Individuum, sondern gleichfalls als Persönlichkeit verstanden wird - zum Ausdruck gebracht wird. Von jenen Vt!rfassungsprinzipien von Demokratie und Aristokratie unterscheidet Stein noch die entsprechenden Verwaltungsprinzipien, d. h. die Prinzipien des Staates als eines tätigen Organismus21 • Während die Demokraten die Durchst!tzung von Gleichheit und Freiheit in Staat und Gesellschaft zum Staatszweck erheben und sowohl die Verwendung der Staatseinnahmen als auch die Verteilung der Staatsämter diesem Zweck unterordnen, gehen die Aristokraten von dem Grundsatz der "ungleichen Verteilung der Staatsmittt!l (und der Staatsämter, G. M.) je nach dem Grade der gesellschaftlichen Fähigkeiten" aus 22 • Bei sich bietender Gelegenheit werden schließlich beide Parteien das Finanzwesen und das Gerichtswesen als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele benutzen23 • Den Widerstreit zwischen Demokratie und Aristokratie, der sich als ein gesellschaftspolitischer Antagonismus manifestiert, d. h. als ein Antagonismus, der von gesellschaftlichen Besitzverhältnissen seinen Ausgang nimmt und in einen Kampf um die Okkupation dt!r Staatsgewalt übergeht, sieht Stein letztlich prinzipiiert in einem für alle Gesellschaften, ja für die Menschheit schlechthin kennzeichnenden Unterschied bzw. Gegensatz, nämlich in dem Gegensatz "zwischen dem einzelnen Individuum und der Einheit der Einzelnen"2'. Die Vermittlung Vgl. Demokratie und Aristokratie, S. 70 f. Vgl. ebd., S. 71 ff. 22 Ebd., S. 72 f. Z3 Vgl. ebd., S. 73 f. 24 System, 11, S. 26. Dieser Gegensatz wird von Stein auch als die "absolute Thatsache, das Axiom alles geistigen Lebens unter den Menschen" bezeichnet (ebd.). 20 21

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dieses Gegensatzes sieht Stein als die eigentliche Aufgabe des Staates an, so daß der Staat nicht entweder Demokratie oder Aristokratie als Herrschaftsformen zu verwirklichen, sondern beide als Momente in sich zu integrieren hat. Daher kann Stein sagen, daß die Prinzipien der Aristokratie und Demokratie "die Grundlage des lebendigen Daseins in der Gemeinschaft" bilden, wobei die Demokratie das Prinzip der Bewegung und die Aristokratie das Prinzip der Erhaltung darstellt und "erst die Durchdringung beider" "das wahre Leben der Gemeinschaft" ist25 • Die faktische staatsrechtliche Institutionalisierung der Demokratie bzw. Aristokratie unter Ausschluß ihres jeweiligen Gegenprinzips ist im Kontext der Steinschen Theorie nur als ein Sieg der einen Seite über die andere zu verstehen, ein Vorgang, der seinerseits wiederum durch gesellschaftliche Faktoren erklärbar wird. In ihrer jeweils reinen Verwirklichung rechnet Stein aber weder die Aristokratie noch die Demokratie - die konsequenten Realisierungen der letzteren hält er übrigens für selten Ausnahmeerscheinungen28 - zu den guten Verfassungsformen; vielmehr betrachtet er sie in ihrer jeweils strengen Ausgestaltung als Verfallsformen. "Aus den letzten Consequenzen der beiden Auffassungen" würde, wie Stein ausführt, "die ausschließliche Herrschaft des einen Elements über das andere" resultieren27• Die Absolutsetzung des aristokratischen Prinzips würde zu einem Privilegiensystem führen, in welchem die staatliche Ohnmacht der niederen Klasse mit ihrer völligen Entbehrung öffentlicher Ehren, ja im Extremfall mit ihrer Verachtung und Mißhandlung durch die höhere Klasse, einhergingen28 • Die Demokratie in ihrer reinen Ausprägung - Stein denkt hier, wie die meisten seiner Zeitgenossen an die direkte bzw. plebiszitäre Demokratie - wird sogar als eine Zersetzung des Staates überhaupt charakterisiert. So sieht Stein in dem Begriff der Volkssouveränität einen Ausdruck, der die Beseitigung der staatlichen Organisation, und damit die Aufhebung des Unterschiedes zwischen Gesellschaftsordnung und Staatsordnung, anzeigt und die "staatslose Souveränität der Gesellschaft" proklamiert29 • Eine solche der staatlichen Persönlichkeit beraubte Gesellschaft ist aber "nur noch eine Individualität"30; sie ist in Interessen gespalten und der Anarchie preisgegeben. Realisierbar ist eine die Volkssouveränität etablierende DeDemokratie und Aristokratie, S. 76. Als die einzigen Beispiele annähernder Verwirklichung der Volkssouveränität nennt Stein die Blütezeit Athens und Roms und das zeitgenössische Nordamerika (System, 11, S. 57). 27 Demokratie und Aristokratie, S. 77. 28 Vgl. ebd., S. 74. 28 System, 11, S. 57. 30 Ebd., S. 56. !5 28

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mokratie nach Stein allenfalls in archaischen Gesellschaftsformen, in denen "der Unterschied der Klassen in der Gesellschaft noch nicht ausgeprägt ist"31. Hat sich der Klassenantagonismus, den Stein als eine natürliche Folge der Persönlichkeitsverwirklichung aller Einzelnen im Rahmen ihrer Gemeinschaftsbeziehungen zueinander betrachtet, erst einmal manifestiert, so kann der Gedanke der Volkssouveränität nur noch die Funktion einer regulativen Idee haben, durch die der Ausgleich der gesellschaftlichen Interessen als eine unendliche Aufgabe vorgestellt wird. Der Versuch jedoch, diese Idee unmittelbar in die Wirklichkeit umzusetzen, müßte, wie Stein sagt, "zur Vernichtung jedes wirklichen Staatslebens" führen 32 . Nun hat Stein der Demokratie die Demagogie und der Aristokratie die Reaktion als Extreme bzw. Verfallsformen zugeordnet, wobei die Demagogie an die Stelle des aristotelischen Begriffs der Ochlokratie und die Reaktion an die des Begriffs der Oligarchie treten sollen33 . Für den übergang von Demokratie in Demagogie bzw. von Aristokratie in Reaktion macht Stein den Einfluß unedler Elemente in diesen Bewegungen verantwortlich, welche die "beiden höhern Principien"34 - das demokratische und das aristokratische - zu rein partikularen Zwekken mißbrauchen. Zugleich weist Stein jedoch darauf hin, daß dieser übergang zur jeweiligen Verfallsform in jenen beiden Prinzipien und ihrem wechselseitigen Gegensatz selbst schon angelegt ist. Stein führt zunächst den Verfall der Demokratie näher aus, wobei er annimmt, die Zerrüttung eines Staatswesens beginne "in der Regel" mit der Pervertierung der Demokratie, d. h. dem Sieg der Demagogie die eine "arbeitslose Vertheilung des Besitzes"35 fordere -, worauf dann gewöhnlich die Reaktion einsetze36 . Stein versucht plausibel zu machen, daß das auf den Widerstand der Aristokraten stoßende Unternehmen, die Demokratie zu verwirklichen, mit Notwendigkeit zur "Massenherrschaft" führt, also zu jener Verfallsform der Staatsverfassung, die Aristoteles als ,Ochlokratie' bezeichnet hat. An dieser Stelle bringt Stein mit Massenherrschaft und Demagogie nun auch das "Princip der sogenannten Volkssouveränität" unmittelbar in Verbindung, dessen Gehalt er dann näher kennzeichnet als "Herrschaft der Zahl über die bessern Elemente des Volks"37 und, daraus hervorgehend, als Herrschaft der Menge bzw. des "unförmlichen" Volks beschlusses (Plebiszit) Ebd., S. 57 f. Ebd., S. 58. 33 Vgl. Demokratie und Aristokratie, S. 87. 34 Ebd., S. 86. 35 Vgl. ebd., S. 86. 3S Vgl. ebd., S. 87. 37 Ebd., S. 89. 31

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über das Gesetz, wobei in Wahrheit "die Führer der Menge herrschen"38. Daß dieser Verfall die Konsequenz der Realisierung der Demokratie selbst, unter Ausschluß des aristokratischen Prinzips, ist, macht vollends die Steinsche Reflexion auf die mögliche überwindung dieser Verfallserscheinung deutlich: danach kann man von der Regel ausgehen, "daß zuerst fast immer die Demagogie den Sieg davonträgt, dann aber die Reaction eintritt, und erst nach dem Verlauf der Reaction die Demokratie und die Aristokratie in ihr organisches Verhältniß wieder eintreten"39. Stein nimmt also an, daß zwei Verfallsformen einander ablösen, und erst, nachdem sich ein gewisser Normalzustand wieder eingestellt hat, das "organische Verhältnis" von Demokratie und Aristokratie wieder auflebt. Gute Prinzipien sind Demokratie und Aristokratie somit gerade nicht als eigenständige Verfassungsformen, sondern nur, um einen anderen Terminus Steins wieder aufzugreifen, in ihrer wechselseitigen "Durchdringung".

m.

Republik und Monarchie als Gattungsbegriffe, Demokratie und Aristokratie als Artbegriffe

In der Behandlung der noch ausstehenden Staatsformen, wie sie in der klassischen Staatsformenlehre überliefert sind, beschränkt sich Stein auf die gemeinsam mit der Aristokratie und der Demokratie traditionell noch zu den guten Staatsformen gerechneten Typen: es sind dies die Republik und die Monarchie. Stein vermag allerdings diese beiden Staatsformen weder durch den Rekurs auf die Gesellschaftsordnung noch durch das Faktum gesellschaftlicher Klassengegensätze zu erklären; vielmehr versteht er heide Staatsformen als unterschiedliche Gestaltungen der Staatsspitze. Entsprechend bestimmt Lorenz von Stein die gemeinsame Ebene von Republik und Königtum als "die Form und das Recht der Staatsoberhäupter"4o. Da sich die Differenzierung zwischen Republik und Königtum in einer ganz anderen Dimension vollzieht als diejenige zwischen Demokratie und Aristokratie, gibt es zwischen jenen Ebenen keine Gegensätze, sondern nur ein Subordinationsverhältnis. Es kann nämlich sowohl eine Republik als auch eine Monarchie entweder demokratisch oder aristokratisch sein 41 . Re38 Ebd., S. 90. Diesen Gegensatz verdeutlicht Stein auch durch das griechische und das lateinische Gegensatzpaar von v6llo~ und ""ftQtOlla sowie lex und plebiscitum (ebd.). ae Ebd., S. 87 (gesperrt vom Vf.). 40 Ebd., S. 67. 41 Vgl. ebd., S. 66 f.: "So ergibt sich, daß man mit dem Namen der Republik keineswegs blos die Demokratie, sondern vielmehr auch ihr scheinbar directes Gegentheil, die entschiedenste Aristokratie bezeichnen kann. Und Dem entspricht auch die gemeine Auffassung. Denn man kann nicht zugleich ein Demokrat und ein Aristokrat sein; wol aber kann ein Demokrat republi-

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publik und Monarchie sind - in idealtypischer Betrachtungsweise als Gattungsbegriffe, Demokratie und Aristokratie als Artbegriffe faßbar, wobei sich allerdings die Besonderheit einstellt, daß dieselben Artbegriffe unter verschiedene Gattungsbegriffe subsumiert werden können, die sich ihrerseits wechselseitig ausschließen. - Die wirklichen Republiken und die wirklichen Monarchien entsprechen jedoch kaum je einem ihrer heiden möglichen Idealtypen, d. h. sie sind weder rein demokratisch noch rein aristokratisch geprägt; vielmehr sind sie als Mischformen aus dem demokratischen und dem aristokratischen Element zu verstehen, so daß in ihnen jeweils entweder die demokratische oder die aristokratische Komponente in unterschiedlicher Gradabstufung überwiegt. Nicht anders als in seiner gesamten Staatstheorie so beschränkt sich Stein - worauf wir bereits hingewiesen haben - auch in dem speziellen Sektor seiner Theorie, die seine Staatsformenlehre repräsentiert, nicht auf eine idealtypische Begriffstheorie, sondern er geht dazu über, sie durch eine empirische Analyse zu konkretisieren. Der Gedankengang der Steinschen Staatsformenlehre zeigt, daß es im Grunde allein die Republik und das Königtum sind, die als Staatsformen im strengen Wortsinn gelten können, während Demokratie und Aristokratie als historisch-reale Erscheinungsformen - teils gesellschaftliche Phänomene verkörpernd, teils auf die Staatssphäre zielend - auf einer Zwischenstufe'2 zwischen Gesellschaft und Staat angesiedelt sind und im günstigen Fall bloße Elemente einer konkreten Staatsverfassung und Gesellschaftsordnung darstellen. Hier tut sich jedoch in der Steinschen Theorie ein Dilemma auf: Wenn nämlich die bereits erwähnte These Steins gelten soll, daß sich die unterschiedlichen Staatsformen nicht aus dem Begriff des Staates deduzieren lassen43, und wenn die Republik und das Königtum auch von der Gesellschaft her nicht explizierbar sind, dann vermag Stein für diese beiden Staatsformen keine theoretische Erklärung anzubieten, sondern er kann auf sie nur als auf historische Fakten hinweisen". kanisch und andererseits monarchisch gesinnt sein, und ein Aristokrat kann ebenso wol eine Monarchie als eine Republik wünschen." 42 Stein sieht "das Volk als Mittelglied zwischen Gesellschaft und Staat" (System, 11, S. 49) an, und mit den Begriffen ,Demokratie' und ,Aristokratie' bezeichnet er, wie hinreichend verdeutlicht worden ist, die grundlegende Klasseneinteilung des Volkes. 43 Vgl. oben S. 226. " Wir werden im folgenden noch sehen, daß Stein gleichwohl für die Republik eine sehr starke theoretische Erklärung anbietet, und zwar eine, die aus dem Begriff des Staates selbst hervorgeht. Allerdings scheint si'ch Stein selbst den besonderen Theoriestatus dieser seiner Erklärung nicht verdeutlicht zu haben, zumal er sich dagegen verwahrt, irgendeine Staatsform aus dem Begriff des Staates zu deduzieren. Gänzlich offen bleibt, wie sich zeigen wird, eine theoretische Erklärung der Monarchie. (Diese und eine

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Jede "wirkliche Gesellschaft" ist nach Stein durch den Gegensatz von Demokratie und Aristokratie gekennzeichnet45 • Dieser Antagonismus, in welchem eine Kraft der Beharrung und eine Kraft der Veränderung sich in einer ständigen Wechselwirkung befinden -, wobei, wenn nicht Stillstand eintreten soll, einmal die eine, und ein anderes Mal die andere Seite an Stärke überwiegen muß - ist das Lebenselement nicht nur der Gesellschaft, sondern auch des davon mitbetroffenen Staates, der entweder eine Republik oder eine Monarchie ist. Für Republik und Monarchie als unterschiedliche Gestaltungsformen der Staatsspitze erscheint in diesem Zusammenhang weder der Begriff des Staates noch die jeweilige Gesellschaftsordnung als Erklärungsbasis maßgeblich.

IV. Die Staatsformen als transitorische Momente der geschichtlichen Bewegung der Gesellschaft Der fundamentalphilosophisch-begriffliche Teil der Steinschen Staatstheorie und Staatsformenlehre ist, wie wir zu zeigen versucht haben, nicht in sich selbst systematisch abgeschlossen, sondern er steht im Dienst einer geschichtlich-hermeneutischen Diagnose gesellschaftlicher Konstellationen und Entwicklungen. Die Prävalenz von Steins soziologischem und historischen Erkenntnisinteresse hat zur Folge, daß für ihn die Staatsverfassung "niemals etwas Ursprüngliches", sondern etwas Abgeleitetes, d. h. "Consequenz" bzw. "ganz bestimmter Ausdruck einer bestimmten gesellschaftlichen Ordnung des Volks"46 ist. Diese negative Allaussage ("niemals") ist jedoch im Kontext der Steinschen Theorie nicht gerechtfertigt, ist doch die Gültigkeit jener These, wie wir bereits gesehen haben, nur für die Demokratie und die Aristokratie, nicht jedoch für die Republik und die Monarchie dargetan worden. - Das Ordnungsgefüge der durch Klassenkämpfe gekennzeichneten Gesellschaft ist von Stein durch die Begriffe ,Demokratie' und ,Aristokratie' zum Ausdruck gebracht worden, wobei diese beiden aus der traditionellen Staatsformenlehre übernommenen Rubrizierungen als idealtypische Pointierungen bestimmter politisch-sozialer Prinzipien fungieren, die ihrerseits in den Wirkungszusammenhang des politischen Lebens eingehen und dort in Partei- und Kampfparolen transformiert werden. In Bezug auf reale politische Phänomene gilt daher, wie Stein hervorhebt, daß durch die Begriffe ,Demokratie' und ,Aristokratie' nicht "etwas Festes, scharf Abgegrenztes" und in sich BeReihe der folgenden, die begriffliche Explikation der Staatsformen betreffenden überlegungen sind durch einen Hinweis von Professor Klaus Hartmann angeregt worden.) 45 Vgl. System, II, S. 49. 48 Der Socialismus in Deutschland, S. 35 und S. 61, in: Schriften zum Socialismus (hrsg. Pankoke).

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stimmtes zum Ausdruck gebracht wird47 • Indem diese Begriffe als Instrumente der Deutung gegebener Zustände oder Geschehnisse fungieren, müssen sie nicht nur den jeweiligen konkreten Zusammenhängen entsprechend in ihrer Bedeutung variieren, sondern sie werden, da sie nun als Bezeichnungen von miteinander in Wechselbeziehungen stehenden Zuständen oder Ereignissen vorgestellt werden, verflüssigt zu transitorischen Momenten der geschichtlichen Bewegung der Gesellschaft, welche ihrerseits als "selbständiges, mächtiges, ja vielleicht das mächtigste Element des menschlichen Gesamtlebens" gedeutet wird48 • Fast unmerklich vollzieht sich so in Steins politologischen Ausführungen der übergang von der begrifflich-theoretischen Grundlegung zur Vorstellung von empirischen Abläufen: die zunächst abstrakten Begriffsbestimmungen von Demokratie und Aristokratie werden schließlich beide, wie wir gesehen haben, in Einbeziehung ihrer Verfallsformen, zu denen sie sich jeweils steigern, als bloße Bewegungsphasen einer sozialen Gesamtbewegung verstanden. Für den durch das soziale Geschehen weitgehend determinierten und durch den gesellschaftlichen Klassenantagonismus herausgeforderten Staat tritt die soziale Tätigkeit dermaßen ins Zentrum, daß im Vergleich dazu - wie schon Böckenförde gezeigt hat 49 - das Problem der konkreten Verfassungsform relativ gleichgültig wird. Gegenüber dem Verfassungsprinzip erlangt das Verwaltungsprinzip des Staates Priorität5o . Allerdings ist, wie wir gesehen haben, das Verwaltungsprinzip des Staates nicht völlig ablösbar vom Verfassungsprinzip; zumindest gibt es zwei Verwaltungsprinzipien, die als bloße Konkretisierungen von Verfassungsprinzipien deutbar sind, nämlich das demokratische und das aristokratische Prinzip. Aber gerade hierbei handelt es sich um Demokratie und Aristokratie, S. 75. Der Socialismus in Deutschland, S. 60. 49 Vgl. den in Anm. 3 angegebenen Artikel. 50 Diese Akzentverlagerung vom Verfassungsprinzip auf das Verwaltungshandeln des Staates scheint sich anzukündigen in Kants Unterscheidung zwischen Herrschaftsform (forma imperii) - wo die numerischen Kriterien des Aristoteles, nach denen ,einer', ,einige' oder ,alle' die Staatsgewalt innehaben können, maßgeblich sind - und der Regierungsform (forma regiminis) des Staates (1. Kant, Zum ewigen Frieden, Akad. Ausg. 8, S. 351 ff.). Die Staatsformen sind nach Kant "nur der Buchstabe (littera) der ursprünglichen Gesetzgebung im bürgerlichen Zustande"; dagegen enthält "der Geist jenes ursprünglichen Vertrages (anima pacti originarii)" "die Verbindlichkeit der constituirenden Gewalt", die Regierungsart in Entsprechung zur Idee der reinen Republik zu konzipieren (1. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Akad. Ausg. 6, S. 340). Während jedoch für Stein im Verwaltungsbereich das inhaltlich-politische Kriterium der sozialen Verwaltung der entscheidende Gesi'chtspunkt ist, macht Kant formale Kriterien einer der Idee der reinen Republik gemäßen Regierungsart geltend, nämlich die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, der Gewaltenteilung und der Repräsentation (Akad. Ausg. 6, S. 340 ff.); das heißt, er ersetzt im Grunde nur die alten aristotelischen Verfassungsprinzipien durch ein neues Verfassungsprinzip. 47

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Prinzipien, die ursprünglich auf die Gesellschaft, und nur derivativ auf den Staat bezogen sind, und die - soweit sie als Staatsformprinzipien verstanden werden - gerade zwei unaufgebbare Richtungen seiner auf die Gesellschaft zielenden Verwaltungstätigkeit indizieren. Wenn angesichts der dominierenden sozialstaatlichen Aufgaben von einer relativen Gleichgültigkeit der Verfassungsformen die Rede ist, so bedeutet dies nach Stein für die Abwägung zwischen Demokratie und Aristokratie, daß keine Seite für sich allein, unter Ausschluß der Gegenseite, Gültigkeit beanspruchen kann, sondern daß sowohl die eine als auch die andere Seite partiell gültige Prinzipien repräsentieren, die beide miteinander vermittelt werden müssen, eine Vermittlung, die entweder durch den monarchischen oder den republikanischen Staat zu leisten ist. Indem Stein seine Theorie an die vorgegebene politische, d. h. monarchische Ordnung der damaligen deutschen Staaten anknüpft51 , entwickelt er das Konzept des ,Königtums der sozialen Reform', d. h. eines Königtums, das aufgrund seiner übergesellschaftlichen und überparteilichen Stellung angesichts der Klassenkonflikte als ausgleichende Instanz und als Garant des allgemeinen Willens des Volkes auftritt52, wobei es konsequenterweise "zum natürlichen Schutzherrn und Helfer" der armen und mittellosen Klasse wird, die "Arbeit und Kraft seiner hohen Stellung wesentlich der Wohlfahrt dieser Klassen zuwendet"53, und sich gerade nicht als Instrument im Dienst der besonderen Interessen der herrschenden Klassen (Aristokratie und Bourgeoisie) mißbrauchen läßt. Das soziale Königtum ist für Stein eine Verfassungsund Verwaltungsform des Sozialstaats, d. h. eines Staates, der in der Lage ist, die mit dem Industriewesen auftretenden gesellschaftlichen Probleme zu lösen, und in Anbetracht der demokratischen Bewegungen seiner Zeit sieht Stein in der Wandlung der bestehenden Monarchien zum sozialen Königtum die einzige Überlebenschance des monarchischen Prinzips, eines Prinzips, in welchem das allgemeine Staatsinteresse und das partikulare Interesse der Herrscherfamilie eine Verbindung eingehen54, und zwar derart, daß dem allgemeinen Prinzip durch ein Partikularinteresse praktische Wirksamkeit verliehen wird. Die Staatsform der Republik wird von Lorenz von Stein im Kontext seiner historisch-soziologischen Analysen im wesentlichen als eine AI51 Vgl. Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich, III, S. 11: "In der That, es ist Zeit, daß wir den Muth fassen, die große Frage nach dem Königthum offen und tief zu erforschen. Denn in Deutschland wenigstens ist das Königthum noch eine gewaltige Macht, und wenn es in Frankreich verschwinden konnte, ohne Europa in allgemeinen Krieg zu stürzen, so kann es das in Deutschland nicht mehr." 52 Vgl. ebd., S. 23. 53 Ebd., S. 46. 54 Vgl. ebd., S. 23.

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ternativkonzeption zum Königtum im Sinne einer ebenfalls moderierten und sozialstaatlichen Verfassungs- und Verwaltungsform entworfen, wobei Stein das mögliche Versagen oder Scheitern der Monarchie angesichts der gesellschaftlichen Probleme in Rechnung stellt. - In gewohnter Weise bahnt jedoch Stein auch diesen Teil seiner Staatsformenlehre rein theoretisch an, indem er zunächst den Begriff der Republik aufstellt. Im Sinne der Tradition versteht er die Republik ihrer ,Idee' nach als die "freieste Staatsform" und als den "wahrhaft vollendeten Ausdruck der Staatsidee", als das "staatliche Ideal" schlechthin55, wonach der staatliche Wille allein "durch den lebendigen Willen aller Einzelnen gesetzt werde"66. In diesem Zusammenhang unterstreicht Stein die Verwandtschaft zwischen Republik und Demokratie, und er erörtert die Möglichkeit ihrer beiderseitigen Zuordnung. Das ureigene Prinzip der Republik ist die Freiheit, während dasjenige der Demokratie die Gleichheit ist67 . Aus der Kombination beider Prinzipien resultiert jene ideale Staatsform, in der die politische Freiheit in der politischen Teilhabe eines jeden Einzelnen an der Volkssouveränität zum Ausdruck kommt, jene Staatsform also, die als Konvergenz von reiner Demokratie und reiner Republik definiert werden kann. Stein unterscheidet die reine Demokratie und die reine Republik nur noch insofern, als er die reine Republik als die Verwirklichung der in der reinen Demokratie geforderten Volkssouveränität bezeichnet68, wobei allerdings mit ,Verwirklichung' nichts anderes als die ideell-politische Ausgestaltung jenes demokratischen Prinzips gemeint ist59• Stein hat dabei offensichtlich die institutionelle Regelung dessen im Auge, was er an anderer Stelle die "Form und das Recht der Staatsoberhäupter" genannt hat 60, so daß in der reinen Republik nunmehr das Volk nach dem Prinzip der Volkssouveränität als sein eigenes Oberhaupt zu gelten hätte. Stein führt dies in der Weise aus, daß er die reine Republik, durch welche die demokratische Forderung der Volkssouveränität verwirklicht wird, mit der Idee des aus der Gesamtheit seiner Mitglieder bestehenden Staates gleichsetzt, wodurch allerdings, wie Stein verdeutlicht, nichts weiter als bloß "das ruhende Dasein des Staats" im Volksganzen zum Ausdruck kommt61 • Ebd., S. 134 ff. Ebd., S. 139. 57 Vgl. ebd., S. 142. 58 Vgl. ebd., S. 144. 59 Stein begreift die reine Republik in diesem Zusammenhang als eine vor allem in den Einzelnen lebendige Idee, und er kann daher sagen: "Die Demokratie ist gleichsam die in den Einzelnen lebendige reine Republik, als Verwirklichung des Begriffs der Volkssouveränität" (ebd., S. 144), wobei sich der mit "als" beginnende Na'chsatz, wie der Kontext deutlich macht, auf "reine Republik" bezieht. 80 Vgl. Demokratie und Aristokratie, S. 67. U Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich, III, S. 144. 55

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Auffällig ist hier die positive Charakterisierung der Volkssouveränität. Im System der Staatswissenschaft und in Demokratie und Aristokratie gilt sie, wie wir dargelegt haben 62 , aufgrund des gesellschaftlichen Klassengegensatzes als unrealisierbar, und sie wird dort lediglich als teleologisches Prinzip anerkannt, durch das die beständige Aufgabe der Überwindung des Klassengegensatzes zur Geltung kommt. Auch in dem frühen Werk Steins bleibt die ganz und gar affirmative Deutung der Volkssouveränität jedoch eingegrenzt auf die Dimension der rein begrifflichen Darlegung der Republik. Dabei erscheint dann allerdings - im Gegensatz zur Steinschen These, daß aus dem Begriff des Staates sich keine der verschiedenen Staatsformen deduzieren lasse - die Staatsform der Republik als Prinzipiat des Staatsbegriffs selber, der ja auch ohne jede Formbestimmung ein unbestimmtes X wäre. Der Rückgriff auf die traditionelle Idealstaatskonzeption der Republik68 läßt Stein keine andere Möglichkeit als diejenige, die reine Republik als Explikation des Staatsbegriffs selber zu fassen, da anders der ideale Staat nicht gedacht werden kann. Eine weitere Konsequenz der Rezeption des alten Idealstaatsbegriffs durch Stein ist, daß der Gedanke der Parallelität einer idealtypisch entworfenen Gesellschaftsordnung und einer gleichfalls idealtypisch konzipierten Staatsform in dieser rein begrifflichen Erörterung der Republik aufgegeben ist zugunsten einer Betrachtung, in der nicht nur von der Reflexion des Staates auf die Gesellschaft abstrahiert wird, sondern in der Staat und Gesellschaft sogar ineinsgesetzt werden. So ist es nicht verwunderlich, daß Stein die Idee einer allgemeinen republikanischen Verfassung, die sich die Verwirklichung der Volkssouveränität zum Ziel setzt, eine "unpraktische und körperlose Abstraction" nennt64 • Nach dem Kriterium der Praktikabilität wäre eine derartige Verfassung in der Tat abstrakt. Gleichwohl ist das Prinzip der republikanischen Verfassung als solcher durchaus konkret, und dies ließe sich sogar an Steins eigener, rein kategorialer Bestimmung der Republik zeigen. Eine Differenzierung aber muß im Begriff der reinen Republik unberücksichtigt bleiben, und zwar diejenige, die aus dem gesellschaftlichen Klassengegensatz für die republikanische Verfassung resultieren würde, und in dieser Hinsicht könnte daher auch bezüglich des Begriffs der reinen Republik der Hinweis auf dessen Abstraktheit erfolgen. Vgl. oben S. 8. In seinem Republikbegriff rekapituliert Stein die aristotelische Konzeption der Republik, die als Idealstaatskonzeption einmal Prinzip und Maßstab für jede Verfassung und zum andern eine Verfassung unter allen übrigen ist. Vgl. AristoteZes, Politik VII/VIII, und dazu Günther Bien, Die Grundlegung der politischen Philosophie bei Aristoteles, Freiburg 1973, S. 320 ff. 64 Geschichte der sodalen Bewegung in Frankreich, 111, S. 156. 62

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Im Unterschied zur reinen Republik. sind für Stein die wirklichen Republiken Mischformen aus dem demokratischen und dem aristokratischen Element. In der hier wieder einsetzenden soziologisch-historischen Sichtweise kommt die Vielfalt republikanischer Staatsgestaltungen in den Blick, die in bestimmten historischen Zusammenhängen als auf bestimmte Ziele ausgerichtete handelnde Einheiten analysierbar und damit selber als historische Einheiten faßbar sind. Seinem Begriff gemäß ist die aus der Gesamtheit ihrer Mitglieder bestehende Republik als ein etwas Bestimmtes wollender und zugleich die Freiheit aller Einzelnen respektierender Staat nur zu denken als ein Gemeinwesen, in welchem der Wille aller Einzelnen konvergiert. In der empirischen Betrachtungsweise muß jedoch konstatiert werden, daß die Identität der Interessen aller Einzelnen nicht realisierbar ist; denn der Wille eines jeden Einzelnen ist durch dessen individuelles Interesse begründet; dieses wiederum ist notwendigerweise auf Besitz als das Mittel der Persönlichkeitsentfaltung gerichtet, und aufgrund des unterschiedlichen Erfolges der Interessendurchsetzung von seiten der verschiedenen Individuen stellt sich der Gegensatz von Besitz und Nichtbesitz naturwüchsig her65 . Daher erweist sich der Staatswille der wirklichen Republik als vom Klassengegensatz beherrschter, in sich entzweiter Wille. Die wirkliche Republik ist somit gekennzeichnet durch das bereits behandelte Schisma zwischen dem aristokratischen und dem demokratischen Prinzip, so daß der Begriff der Republik selbst problematisch wird und Stein konsequenterweise zwei Ideen der Republik entwickelt, ,die Republik des industriellen Besitzes' und ,die Republik des industriellen Nichtbesitzes'66. Die Richtung der Überwindung dieser Entzweiung, d. h. der Aufhebung des absoluten Gegensatzes der gesellschaftlichen Klassen, wird von Stein nur noch durch das Postulat der Ermöglichung von Eigentumserwerb durch die niedere Klasse angedeutet67. Nicht operational darstellbar ist im Rahmen der Steinschen Konzepts der Republik - im Unterschied zum Königtum -, durch welche Instanz die Ausschließung jener Klasse vom Erwerb verhindert werden kann. Steins Orientierung an der Republik im Sinne einer Idealstaatskonzeption steht offenbar im Bereich seiner Analyse der wirklichen Republik einer genaueren Ausarbeitung der politischen Strukturen einer republikanischen Repräsentativverfassung im Wege. In Steins soziologisch-historischer Betrachtung der wirklichen, durch den gesellschaftlichen Klassengegensatz bestimmten Republik erfährt die Volkssouveränität eine doppelte Wertung, eine negative und eine positive. Die negative Seite der Volkssouveränität besteht nach Stein ebd., S. 144 ff. Vgl. ebd., S. 179 und 188. Vgl. ebd., S. 154 f.

ss Vgl. S8 87

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darin, daß sie aufgrund des sich naturnotwendig einstellenden Antagonismus der Interessen "die Möglichkeit eines Widerspruchs in sich zu entwickeln" beginnt68 , welcher "der Keim der Entzweiung des Staatswillens" ist 69 , und so stellt sich ihm die Volkssouveränität im realen politischen Leben als ein Prinzip dar, das der Usurpation der Staatsgewalt durch die Gesellschaft Vorschub leistet. Die wirklichen Republiken sind in Steins Sicht Staatsformen, die - vollständig von der dem Volkssouveränitätsprinzip gemäß als souverän geltenden Gesellschaft bestimmt - je nach den in ihnen vorhandenen Besitzverhältnissen variieren70 • Geht man mit Stein davon aus, daß in den Republiken "die Gesellschaft souverän ist", und daß die Verfassung sich deshalb in allen republikanischen Staaten "als eine verschiedene" bilden muß 71 , dann eröffnen sich zugleich mit der Möglichkeit verschiedenartiger Gestaltungen der Besitzverhältnisse auch affirmative Verwirklichungsmöglichkeiten der republikanischen Verfassung. Stein stellt daher die Behauptung auf - die aber wohl eher als eine Hoffnung bzw. Erwartung zu verstehen ist: "Und da endlich nichts in der Welt vereinzelt dasteht, so sind die einzelnen republikanischen Verfassungen selber unter einander stufenweise Annäherungen an das wahre Verhältniß zwischen Arbeit und Eigenthum, und erst dadurch Glieder der höheren Entwicklung aller Volksherrlichkeit72 ." Verbindlich bleibt nach Stein für die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten der republikanischen Verfassung jedenfalls das normative Modell der ,socialen Demokratie', die in ihrer Verfassung das "demokratische" und in ihrer Administration das "sociale Element" zur Geltung bringt73 • Der Fall der im Sinne einer sozialen Demokratie verfaßten und verwalteten Republik, in welcher einem jeden Einzelnen der Erwerb von Besitz als Mittel der eigenen Persönlichkeitsentwicklung offen steht, erscheint im Rahmen der Steinschen Theorie als ein Glücksfall, für dessen Gelingen keine institutionellen Vorkehrungen angebbar sind, der allerdings dann, wenn er sich einstellt, dem ,sozialen Königtum' als unter normativen Gesichtspunkten gleichrangig zur Seite gestellt werden kann. In seiner realistisch-empirischen Einstellung entwickelt Stein seine normativen Konzepte, auf die Bedingungen ihrer Realisierungschancen reflektierend, beständig mit skeptischen Vorbehalten. Was die Lösung der im neuzeitlichen Staatswesen im Vordergrund stehenden sozialpolitischen Aufgaben betrifft, so ist nach Stein der Staat - gleich18

se 70 71 71 73

Ebd., S. 145. Ebd., S. 147. Vgl. ebd., S. 156. Ebd., S. 156. Ebd., S. 156 f. Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich, I, S. CXVII.

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gültig, wie er verfaßt ist - letztlich von dem Florieren einer Mittelklasse abhängig, die dadurch, daß sie ein Auffangreservoir für soziale Aufsteiger aus der Unterklasse und für Absteiger aus der Oberklasse darstellt, den Klassengegensatz mildert und eine prinzipielle Offenheit der Erwerbsgesellschaft garantiert74 • Diese Konstellation kann der Staat nicht herbeiführen, wenngleich er durch seine Verwaltungsmaßnahmen für sie günstige Voraussetzungen zu schaffen vermag.

V. Stein und die neuzeitliche Tendenz der Relativierung der überlieferten Staatsformenbegrüfe Die traditionelle aristotelische Staatsformenlehre, deren Gültigkeit bis zum Beginn der Neuzeit unangefochten geblieben ist, kombiniert in ihrer Aufstellung eines Oppositionsschemas von guten und schlechten Verfassungsformen bekanntlich ein quantitatives Kriterium - nämlich den Aspekt der Anzahl der über die Staatsgewalt verfügenden Personen nach den Hinsichten ,einer', ,einige', ,alle' - und ein qualitatives Kriterium - und zwar den Gesichtspunkt des Einsatzes der Staatsgewalt entweder zugunsten des allgemeinen Wohls des Gemeinwesens oder zugunsten von partikularen Interessen. Dieser Staatsformenlehre hat Kant ein neues, durch Repräsentation und Gewaltenteilung gekennzeichnetes Verfassungsprinzip - durch die für den Staat eine der Idee der reinen Republik gemäße Regierungsart verbindlich gemacht wird - entgegengesetzt75 • In Lorenz von Steins Staatsformenlehre ist bezüglich der traditionellen statuarischen Staatsformenbegriffe eine noch über Kant hinausgehende Akzentverschiebung erfolgt: zwei der überlieferten Staatsformentypen, nämlich Demokratie und Aristokratie, werden nun einerseits als Kennzeichnungen rein gesellschaftlicher Klassenformationen und andererseits, in ihrer wechselseitigen Einwirkung, als Charakterisierungen von Phasen einer geschichtlichen Bewegung verstanden, während Republik und Königtum, unterschiedliche Gestaltungen der Staatsspitze bezeichnend, als ,gute' Staatsformen nur unter der einen Bedingung begriffen werden, daß sie sich - unter dem Motto entweder der ,sozialen Demokratie' oder des ,sozialen Königtums' - die soziale Verwaltung zum Zweck setzen, wobei die eine oder die andere der beiden letztgenannten Staatsformen sich je nach der Gunst der historischen Stunde als die adäquatere Verfassungsform erweisen kann. über die durch Kant erfolgende Verabschiedung der alten Staatsformenbegriffe76 in gewisser Weise noch hinausgehend, begreift Stein die Legitimität bzw. Illegitimität von Herrschaft Vgl. u. a. Demokratie und Aristokratie, S. 68 f. Vgl. Anm. 50. 7. Vgl. dazu G. Bien, Herrschaftsform, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. von Joachim Ritter, Bd. III, Sp. 1097. 74

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letztlich nach den Kriterien des Erfolges bzw. Mißerfolges des Tätigwerdens der Staatsgewalt angesichts der in sich selbst dysteleologischen Dynamik der Gesellschaft. Dieser Ansatz eines sozialtechnologischen Denkens in der Steinschen Theorie kann als zumindest partielle Antizipation der gegenwärtigen systemtheoretisch-soziologischen Politiktheorie gedeutet werden, wie sie von Talcott Parsons entwickelt und von Niklas Luhmann weitergeführt worden ist, und deren Denkmittel sich Jürgen Habermas neuerdings teilweise angeeignet hat77 • Nicht unähnlich der Konzeption Steins begreift die neuere soziologische Systemtheorie den Staat als ein durch die gesellschaftliche Dynamik weitgehend determiniertes reaktives Steuerungssystem. In der sozialkybernetischen Sichtweise der Systemtheorie ist jedoch der technologische Aspekt, dem bei Stein noch ein ontologischer Staatsbegrüf korrelierte, zum zentralen Thema geworden, so daß der Staat nur noch als Steuerungsinstanz des auf Selbsterhaltung fixierten gesellschaftlichen Gesamtsystems in den Blick kommt, und die verschiedenen möglichen Staatsformen gänzlich irrelevant werden gegenüber dem nun allein vorherrschenden Interesse an der Kapazität und Flexibilität des Steuerungssystems. Diese Vereinseitigung eines auch in der Steinschen Theorie vorhandenen Aspektes ließe sich in der Sprache Steins dahingehend deuten, daß in den erwähnten neueren Theorien der Staat nur mehr noch als Individualität, nicht aber als Persönlichkeit begriffen wird. Wenngleich Steins Theorie die neuere sozialtechnologische Betrachtungsweise des Staates teilweise antizipiert hat, so spielt doch der in seiner Theorie noch präsente ontologisch begründete Staatszweckbegriff die Rolle eines Korrektivs bezüglich eben jener Art der Betrachtung. Aufgrund des in der Steinschen Theorie noch aufrecht erhaltenen ontologisch-begrifflichen Denkens ist das Problem der Verfassungsform des Staates hier - im Unterschied zur soziologischen Systemtheorie - noch nicht endgültig verabschiedet worden; dieses Problem bleibt vielmehr, trotz der Akzentverlagerung auf die soziale Verwaltungstätigkeit des Staates, im Rahmen der Deutung des Staates als sichselbst-bestimmende allgemeine Persönlichkeit virulent. Wird der Zweck des als allgemeine Persönlichkeit bestimmten Staates korreliert mit der Reflexion des Staates auf das Streben nach Persönlichkeitsentfaltung aller seiner Mitglieder, so kann die Frage nach der Verfassungsform des Staates nicht grundsätzlich suspendiert werden; denn allein aus der Explikation des affirmativen Inhalts des Staatsbegriffs resultiert, wie wir zu zeigen versucht haben, der Begriff der Republik als ideale Staatsform. Die begriffliche Betrachtung des Staates wird nun 77

So vor allem in: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt

1973.

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aber dadurch relativiert, daß Stein noch eine alternative Sozialstaatsform anvisiert, die sich nicht so ohne weiteres aus dem Begriff des Staates herleiten läßt, nämlich das ,soziale Königtum'. Wenn beide Staatsformen, die Republik in der Gestalt der ,sozialen Demokratie' und die Monarchie in der Gestalt des ,sozialen Königtums', gleichermaßen geeignet sind, auf die Belange der Gesellschaft zu reflektieren, und wenn die sozialstaatliche Pragmatik zur dominierenden Fragestellung wird, dann verliert die Staatsformenlehre ihre Relevanz. Stein bleibt in dieser Frage schwankend, und diese Unentschiedenheit beruht vermutlich auf der Doppelgleisigkeit seiner teils philosophisch-begrifflichen, teils soziologisch-historischen Theorie. Eine neue theoretische Fundierung der Staatsformenlehre, welche die Unklarheiten überwindet, die sich nicht nur in der Theorie Steins, sondern in teilweise noch krasserer Weise in der neueren Politologie manifestieren, wäre wohl am ehesten von einer philosophischen Staats- und Verfassungstheorie zu erhoffen, einer Theorie, welche die begriffliche Betrachtung des Staates und der Staatsformen, die in Steins Theorie durch soziologische und historische Analysen überlagert ist, wieder stärker zur Geltung brächte.

Staatsamt und Volksvertretung Institutionelle Gegenkräfte im politischen Ordnungssystem Lorenz von Steins Von Rolf Grawert I. Das Problem der Zuordnung von Amt und Mandat Im demokratischen Staat der Gegenwart sind Amt wie Mandat dem gemeinen Wohl, dem ganzen Volk gewidmeti und dem organisierten Wirkbereich des Staates zugeordnet. Was die Beamten seit jeher ausgezeichnet hat, umgreift auch die Mandatsträger: die Abgeordneten haben heute ein öffentliches Amt2 • Wie jene handeln sie nicht als Personen3 oder Gruppenvertreter, sondern nehmen die Aufgaben der durch sie besetzten Institutionen wahr. Beamter und Abgeordneter vollziehen damit in getrennten, aber aufeinander bezogenen Funktionsbereichen des Staates die Abstraktionsleistungen moderner Staatlichkeit nach. Amtsauftrag, Amtsmacht, Amtspflicht, so verschieden sie inhaltlich ausgestaltet sind4, stimmen in der grundlegenden institutionellen Zuordnung sowie in den Legitimitätsbedingungen beider Funktionsträger überein. Staatsamt und Volksmandat sind gleichermaßen Erscheinungsformen staatlicher Ordnung. Beamtentreue und Abgeordnetengewissen sind gleichgerichtete Statusanforderungen5 • Staatsinteresse und Volks4 1 Vgl. u. a. § 35 Abs.l S.1 Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG) in der Fassung vom 31. 1. 1977 (BGBl. I 22); Art. 38 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG). ! Wörtlich, do'ch ohne Begründung so: Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluß vom 21. 10. 1971 - 2 BvR 367/69 -, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 32, 157 (166); ferner BVerfG, Schluß urteil vom 5.11.1975 - 2 BvR 193/74 -, BVerfGE 40,296 (315); ebenso Hans J. Wolff in: Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht II, 4. Auflage, München 1976, § 73 I a) 3 (S.30), I d) 1 (S. 31), II b) 3 (S. 33); v. Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Auflage, Band II, Berlin - Frankfurt a. M. 1966, Art. 38 Er!. IV 2 (S. 888) mit weiteren Nachweisen; vgl. dagegen unten FN 9. 3 Verstanden als Rollenerwartung "Rolle" als auf einem Menschen bezogener Komplex institutionierter Verhaltensmuster. Selbstverständlich handeln sie - für die Körperschaft - "in Person". H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, Stuttgart 1964, 252, berichtet den Begriff "öffentliche Person". ( Vgl. im überblick Wotfj (FN 2) und grundsätzlich Krüger (FN 3), 243 ff., 253 ff. S Neben der Sache Maunz in: Maunz / Dürig / Herzog, 'Grundgesetz. Kommentar, Band II, München (Stand 1976), Randnummer 17 zu Art.38: "Entscheidung am Maßstab allgemein anerkannter sittlicher Grundsätze" (?); kon-

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RoH Grawert

interesse werden auf diesem Wege in den untersten Organisationseinheiten des politischen Gemeinwesens zusammengestimmt, nachdem sie im öffentlichen Amt Abstand von privaten und gesellschaftlichen Verstrickungen gewonnen haben. Ganz im Gegensatz zu diesem Ordnungsmodell stellt Lorenz von Staatsamt und Volksvertretung - als unvergleichbare und unverträgliche Institutionen7 im Verhältnis von Staat und Gesellschaft dar. Für den Fall ihrer Konvergenz deutete er das Ende der Staatlichkeit an 8• Der Amtsstatus des Volksvertreters im demokratischen Staat - eine Fehlspekulation? Daß Theorie und Praxis in der Gegenwart dieser Fragestellung keineswegs entwachsen sind, läßt sich rundum erkennen. Sie äußert sich nicht allein in fortgeschriebenen terminologischen Unterscheidungen zwischen Amt und Mandat9 • Staatslehre, Rechtsetzung und Rechtsprechung haben vielmehr in der Sache außerordentliche Mühe, den Abgeordneten zwischen Staatsräson, Wählerwillen, Verbandseinfluß und Parteiauftrag einzupassen, ihm die Balancierung der vielfältigen Sonderinteressen im Gemeinwohlauftrag zu ermöglichen oder aufzuzwingen und seine besoldungsrechtliche Verbeamtung lO als Stütze amtlicher Unabhängigkeit mit den Konsequenzen einer radikal-egalitären parteienstaatlichen Demokratie11 in Einklang zu bringen.

SteinS Amt und Mandat -

kreter amtsbezogen schon Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Auflage 1933, Nachdruck Darmstadt 1960, Erläuterung 2. zu Art.21 (S. 181 f.). • Folgende Werke werden benutzt: - Der Sozialismus und Kommunismus des heutigen Frankreichs, Text der 2. Auflage 1848 von M. Hahn herausgegeben unter dem Titel: Proletariat und Gesellschaft, München 1971 (Proletariat). - Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage, 3 Bände, Leipzig 1850, Nachdruck der von G. Salomon besorgten Ausgabe München 1921, Darmstadt 1959 (Geschichte I, II, III). - Zur preußischen Verfassungsfrage, 1852, Sonderausgabe Darmstadt 1961 (Verfassungsfrage). - System der Staatswissenschaft, 1. Band 1852, 2. Band 1856, Nachdruck Osnabrück 1964 (System I, II). - Die Verwaltungslehre, Teil 1, Abteilungen 1, 2 und 3, Neudruck der 1. = 2. Auflage 1866 = 1884, Aalen 1962 (Verwaltungslehre I, II, IU). - Geschichte des französischen Strafrechts und des Prozesses, Neudruck der 2. Ausgabe Basel 1875, Aalen 1968 (Strafrecht). - Lehrbuch der Finanzwissenschaft, 1. Teil, 5. Auflage Leipzig 1885 (Finanzwissenschaft I). 7 Verstanden als abgegrenzter nominativer Zuständigkeitskomplex. 8 Vgl. u. a. Proletariat, S. 76; Geschichte IU, S. 128 ff., 137 ff. • Achterberg, Grundzüge des Parlamentsrechts, München 1971, S. 31. 10 Dazu BVerfGE 40, S. 314; E 32, S.166. 11 So BVerfGE 32, S.164, mit bedenklichen Vorbehalten gegenüber dem "repräsentativen Status" des Abgeordneten.

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Dieser Befund begründet ein aktuelles Interesse an real- und dogmengeschichtlichen Ausgangslagen und Entwicklungslinien jener Institutionen. Die Aufmerksamkeit fällt damit in besonderem Maße auf Lorenz von Steins bislang vernachlässigte Analysen der Funktionsbedingungen von Staatsamt und Volksvertretung im 19. Jahrhundert. Ausgehend von Grundgegebenheiten auch der gegenwärtigen Lage, den Interessenschichtungen in der mobilen Industriegesellschaft, konkretisieren sie das Thema dieses Schriftstellers12 - das politische Thema seit der Auflösung der Ständeordnung überhaupt -, die Bewegung zwischen Staat und Gesellschaft, hinsichtlich institutionell verfestigter Wirkeinheiten jener Ordnungsbereiche. Amt und Volksvertretung sind nicht ohne den modernen Staat zu denken. Das ist von Steins Ausgangsthese. Dem Begriff nach abstrakte Einrichtungen, in ihrer rechtlichen Existenz unabhängig von Menschen und sozial-ökonomischen Lagen, sind sie gleichwohl wie der Staat abhängig von den in der Geschichte ablaufenden Prozessen der Einflußnahme "der" Gesellschaft auf den Staat und der staatlichen Unabhängigkeitsbestrebungen. Amt und Volksvertretung erscheinen in der Staatslehre Lorenz von Steins als diejenigen rechtlich begründeten, der naturwüchsigen Gesellschaftsbewegung enthobenen Einrichtungen, in denen sich einerseits das "Prinzip" des Staates, anderereits dessen Infragestellung durch den Machtdrang der Gesellschaft äußert. Sie bilden den Rahmen für den Kampf um den Staat: um die Besetzung staatlicher Stellen durch Parteigänger der herrschenden oder zur Herrschaft drängenden Sonderinteressen und um die Durchsetzung solcher Interessen in Gesetzgebung und Verwaltung. Das Amt ist dabei die Stelle, die "die wahre und reine Staatsidee innerhalb des Staats gegen diejenigen Elemente zu vertreten" hat, "welche gleichfalls innerhalb des Staats die Gewalt und das Recht desselben ausbeuten wollen"13. Damit wird auf die Volksvertretung verwiesen, mit der "die herrschende Klasse der industriellen Gesellschaft die Staatsgewalt in ihren Händen" häJt14 und die Entwicklung des Güterlebens zum Maßstab parteiischer Staatswillensbildung machtts • Die institutionelle Betrachtungsweise bleibt daher nicht im Vordergrund beliebiger Organisationsstrukturen. Durch die abstrakten Insti1Z Vgl. die Darstellung von E.-W. Böckenförde, Lorenz von Stein als Theoretiker der Bewegung von Staat und Gesellschaft zum Sozialstaat, in: Alteuropa und die moderne Gesellschaft, Festschrift für otto Brunner, Göttingen 1963, S. 24B ff., auf die für die nachfolgenden überlegungen grundsätzlich verwiesen wird. 13 Verwaltungslehre I, S. 20B. 14 Geschichte IH, S. 5B. 15 System I, S.563; hier steht die Volksvertretung als Willensbildungsorgan des Volkes - zu diesem als Klassenbegriff vgl. unten.

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tutionen hindurch richtet sie sich vielmehr unmittelbar auf das von Lorenz von Stein und von zahlreichen anderen in der Hegeischen Nachfolge stehenden Zeitgenossen erkannte "wirkliche Leben". Die historisch erfaßbaren und im theoretischen Konzept von Steins erfaßten Bewegungsabläufe des weltgesellschaftlichen Entwicklungsgangs, die politisch-sozial-ökonomischen Ereignisse der modernen Welt, sie lassen Abstraktionen zu und fügen sich in Ordnungsmodelle ein. Statt Geschichte System: "das Systematische ist charakteristisch für diese Epoche, denn es geht aus der an sich ewig organischen Einheit des wirklichen Lebens hervor, an das es sich anschließt"16. So gesehen, ist es sachlich und theoretisch angemessen, wenn der "formale Begriff des Amts", den von Stein systematisch in der "Verwaltungslehre"17 entfaltet, zum Einstieg in das vielschichtige Thema dient. D. Das Amt im Gefüge des Staats Das Amt vom Beamten abzusetzen, um die Ordnung der Staatsorganisation für sich beurteilen zu können, ist Mitte des 19. Jahrhunderts kein neuer Einfall. Die Unterscheidung war längst geläufig. Das abstrakte Amt wird im Schrifttum der Zeit vielfach erörtert und den "gebildeten Ständen" im von Rotteck-Welckerschen "Staats-Lexicon" nahegebracht. Unter dem Titel "Der formalen Politik" bietet von Rotteck sogar eine "Organisationslehre"18. Andererseits wird das sogenannte Amtswesen in den vierziger Jahren unter dem programmatisch verfremdeten Begriff "Bureaukratie" bereits Gegenstand verwaltungspraktischer und personalpolitischer Kritiken von erstaunlicher Aktualität. Ihr staatspolitischer Kern liegt in dem Vorwurf, das "aus der Verfassung des Staats hervorgegangene Verwaltungssystem" schließe die "Selbstregierung des Volks" aus19, ein Vorwurf, der die Forderung nach 11 Verwaltungslehre I, S. 215 mit S. 1. Zur ungesdli'chtlich-systematischen Methode Steins vgl. auch E. W. Böckenjörde, Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert, Berlin 1961, S. 187 f. 17 Verwaltungslehre I, S. 204: "Der formale Begriff des Amts". 18 C. v. Rotteck, Lehrbuch des Vernunftsrechts und der Staatswissens'chaften, Band 2, Neudruck der 2. Auflage Stuttgart 1840, Aalen 1964, S. 296 ff. 18 H. v. Gagern, Artikel "Bureaukratie" in: K. v. Rotteck I K. Welcker, Das Staats-Lexikon, 3. Auflage, 3. Band, Leipzig 1859, S.178 (217); der Artikel erscheint erst in der 3. Auflage, doch hatte bereits Welcker im 3. Band der 1. Auflage (Altena 1836, S. 516 - 517) das "autokratisch-büreaukratische" Verwaltungssystem dem bei "freien Nationen" (I) üblichen "repräsentativ-collegialischen System" entgegengesetzt. Die kritische "Bureaukratie"-Diskussion wurde, soweit ersichtli'ch, ausgelöst durch die - von v. Gagem zitierte Schrift eines K. Heinzen, Die preußische Bureaukratie, Darmstadt 1845, sowie durch R. v. Mohl, über Bureaukratie, zuerst in: Tübinger Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Band 3, Jahrgang 1846, S.330 = R. v. Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, 2. Band, Nachdruck der Ausgabe Tübingen 1862, Graz 1962, S. 99.

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einer "politischen", soll heißen: parlamentarisch bestimmten Ausrichtung des B€amtentums trägt20 . In dieses Umfeld stellt sich Lorenz von Steins auf Staat und König zugerichtete Lehre vom Amt. Zieht man die systematisch auf wenigen Seiten skizzierten Charakteristika des Amtes zusammen, so gilt es formalbegrifflich als ein durch Leitungsorgane des Staats gebildetes, auf Dauer eingericht€tes, durch bestimmte Aufgaben und Befugnisse definiertes, zur Verwirklichung der Staatszwecke ermächtigtes, insoweit "selbständiges Glied des Staats"2!. Die Begriffsformel €rfaßt den organisationsrechtlichen, von Geschichte, Zeitumständen, politischen Lagen und Personal losgelösten Charakter des Amts als einer abstrakten Systemeinheit in einem komplexen Organisationszusammenhang. Man könnte sie ohne Schwierigkeiten üb€r von Stein hinaus zu einem allgemeinen organisationssoziologischen Begriff weiter abstrahieren22 . Aber von Stein zieht diesen Schluß nicht. Er liegt nicht nur außerhalb seines Erkenntnisinteresses, sondern vor allem außerhalb der sachlichen Grundgegebenheiten, di€ er dem formalen Begriff unterstellt. Das Amt ist - nur - dem Staat verbunden. Mit diesem ist die sachliche und historische Grenze des Amtsbegriffs vorgegeben. Ein Selbstverwaltungs-"amt" liegt außerhalb dieses Begriffsfeldes. So ungeschichtlich von Stein an sich den Staat begreift23, so versteht €r ihn doch - und mit ihm das Amt, den Amtsorganismus, die bürokratische Organisation!4 - als Ergebnis bestimmter, allerdings systematisch aufbereiteter geschichtlicher Lagen. Er läßt das Amtswesen erst im Anschluß an das Lehnswesen entstehen25 und durch die vorausgesagte total€ Gesellschaft vergehen2'. Allein der Staat kann demnach amtsbürokratisch organisiert sein. Das Amt "vertritt" den Staat bereichsweise als unpersönliche Organisationseinheit. Der staatliche Organisationszusammenhang sichert dem Amt andererseits seine überl€genheit. Denn Lorenz von Stein sieht den Staat in einer außerordentlichen Stellung. Für ihn gilt der Staat als überindividuelle "Persönlichkeit", als organisiertes Über-Ich der Gesellschaft, zwar ohne diese nicht denkbar, ihren Einwirkungen ausgesetzt, Staatsrecht II (FN 19), S. 124 f. Verwaltungslehre I, S. 205 f.; ebenso - verkürzt - in: System II, S.54, 59, mit der bezeidmenden überschrift "Der reine Staatsbegriff und der Organismus des Staats an sich". 22 R. Mayntz, Soziologie der Organisation, Hamburg 1963, S. 14 und S. B6f.; N. Luhmann, Rechtssoziologie 1, Hamburg 1972, S. 170. 23 Vgl. u. a. Finanzwissenschaft I, S. 6: "Der Staat an sich hat keine Geschichte". 24 Verwaltungslehre I, S. 206. 25 Strafrecht, S. 10 ff., 351, 410: "... Wesen des Beamtenthums dem Lehnswesen gegenüber ... ". 21 Geschichte III, S. 207. 20 21

v. Mohl,

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aber doch als Inkarnation des Allgemeinen für sich verselbständigt. Er steht damit in der Nachfolge Hegels. Gleichwohl hält er allen Deutungen des Staats von Hobbes bis Hegel - denen er insgesamt Sachunkenntnis bescheinigt27 - die Eigenarten der Persönlichkeitsstruktur des Staates entgegen. Sie erst sichert seiner Ansicht nach dem Staat die funktionsnotwendige " Einheit", die ihn zur Vertretung des Allgemeinen instandsetzt. Als personalisierte, insoweit verselbständigte Einheit ist der Staat einerseits dem Maschinen- und Anstaltsdasein entrückt - und damit selbst wirkfähig. Er besitzt andererseits die überlegenheit sowohl über die Vielzahl der einzelnen Staatsangehörigen, als auch über die Gesellschaft insgesamt und über deren Herrschaftsträger. Lorenz von Stein wendet sich ausdrücklich gegen die Theorie vom Staatsvertrag; er führt die staatsbegründende SubjektsteIlung des einzelnen ad absurdum28 und ordnet organisierte Sonderinteressen dem Staat nach. Dessen Stellung ist zugleich die seiner Ämter. Aber das ist nur die eine Seite der Sache. Das Amt gilt auch als "lebendiges" Glied des Staats, das diesen zu konkreter Wirksamkeit befähigt: der Amtsorganismus nicht nur als im Staat isoliertes, statisch-starres Organisationsgefüge wie bei von Rotteck und anderen, sondern als funktionierender, funktionsbestimmter Wirkungszusammenhang. Für das einzelne Amt folgt daraus, daß sein Aufgabenbereich außerstaatlich, nämlich "durch ein dauerndes, seinem Wesen nach gleichartiges Lebensverhältnis in der menschlichen Gemeinschaft gegeben ist"29. Damit kommt das Bezugsfeld von Staat und Amt in den Blick: die durch die Staatsordnung konkretisierte Gesellschaft30• Amtsgefüge und Amtsauftrag erweisen sich als Verhältnisgrößen, die sich notwendiger-, nicht nur normalwerweise an den Verhältnissen in der Gesellschaft ausrichten. Sie erhalten ihre sachliche Berechtigung nicht aus sich heraus oder aus der Willkür des Organisationsherrn - wie der liberale Vorwurf lautet -, sondern aus Vorgegebenheiten. Von Stein bestätigt dies, noch im Rahmen des formalen Begriffs, hinsichtlich der Amtsgewalt: Zwar wird sie an sich aus der Staatsgewalt abgeleitet und nur aufgrund dessen aus der Verordnungs-, Organisations- sowie Polizeigewalt zusammengesetzt; doch sind es außerstaatliche Lebensverhältnisse, die jeweils "Maß und Art" der Gewaltenermächtigungen bedingen. Diese funktionale Ausrichtung des Amtes auf die Gesellschaft systematisch entwickelt zu haben, ist Lorenz von Steins Leistung. Die Funktionalität nimmt dem Amt nichts von seiner Staatlichkeit und beab!7 28

29 30

Verwaltungslehre I, S. 5 ff. Proletariat, S. 111 f., 133. Geschichte I, S. 186 fi. Verwaltungslehre I, S. 205; System 11, S. 53. Zu "Gemeinschaft" vgl. System 11, S. 28 f.; Verwaltungslehre I, S. 4.

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sichtigt keineswegs seine Abhängigkeit von gesellschaftlichen Forderungen bei der Erfüllung sachlicher Aufgaben. Sie ergibt sich vielmehr aus dem dialektisch bestimmten Staats- und Amtszweck, auf die Ordnung und Gestaltung der Gesellschaft sachgerecht, das heißt: den gesamtgesellschaftlichen Bedürfnissen entsprechend, einzuwirken31 • Durch diese Funktionsbestimmung stattet Lorenz von Stein Staat und Amt mit einer unausweichlichen Legitimation aus, die charismatische und traditionale Herrschaftsrechtfertigungen32 überholt und legale - das heißt in der Situation der Zeit: durch Volk und Volksvertretung aktiv 33 mitbestimmte - Absicherungen überflüssig erscheinen läßt. Denn es ist der" tätige" Staat, dessen die Gesellschaft zum Ausgleich ihrer Interessen bedarf, und es ist das Amt, dessen sich der Staat zur Durchsetzung seiner gemeinwohlorientierten Politik bedienen muß. Da diese Politik nicht bei den Aufgaben konservierender Gefahrenabwehr stehenbleibt - von Steins Staat ist kein Nachtwächterstaat34 - , erhält das Amt einen neuartigen Zugewinn an Ansehen, Ethos und Macht. Während Zeitgenossen die Ausweitung der Staatsaufgaben und den damit verbundenen Bürokratismus beklagen35 , bietet ihm Lorenz von Stein eine zukunftsorientierte Grundlage gesteigerter Wirksamkeit, indem er die Amtstätigkeit an die Dynamik gesellschaftlicher Problementwicklungen anschließt und ihr im Rahmen seiner vitalistischen Gewaltenteilungslehre36 einen hervorragenden Rang einräumt. Seine Staats-Persönlichkeit äußert sich nämlich in Willen und Tat: "der Staat die als Wille und Tat in ihrer Persönlichkeit auftretende Gemeinschaft der Menschen"37. Entgegen Montesquieu und der nachrevo31 Verwaltungslehre I, S. 204: "Der formale Begriff des Amts entsteht, indem die Regierung ... den einzelnen concreten Lebensaufgaben gegenübertritt. " 3! Zu diesen Kategorien vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Studienausgabe von J. Winckelmann, Köln 1964, 1. Halbband S. 161 ff., 2. Halbband S. 832 ff. sa Vgl. dazu unten zu IV. 34 Den auch W. v. Humboldt (Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des staates zu bestimmen, Ausgabe von D. Spitta, Stuttgart 1962 - einschlägig S. 44, 99 -) nicht meinte. Das Schlagwort von F. Lassalle - 1862 - in: Gesammelte Reden und Schriften, hrsg. von E. Bernstein, 2. Band, Berlin 1919, S. 195 f. 35 v. Gagern, "Bureaukratie" (FN 19), S. 219; ders., Artikel "Centralisation und Selbstregierung des Volks", a.a.O., S. 427 (428, 431 ff.). v. Mohl, Bureaukratie (FN 19), S. 111 f. as Dazu näherhin Verwaltungslehre I, S. 5 ff., 14 ff.; Finanzwissenschaft I, S.5ff. 37 Geschichte I, S. 16. Vgl. dazu die knappe Erklärung für die Persönlichkeitsstruktur in: Finanzwissenschaft I, S. 5: Die Gemeinschaft sei eine wesensmäßige (I) Bedingung menschlicher Entwicklung und habe daher auch "die Natur des Menschen" - der Staat ist dann nur "die zur hö'chsten persönlichen Einheit erhobene" Gemeinschaft. - Zum Ganzen auch E.- W. Bökkenjörde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, Berlin 1958, S. 145 ff.

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lutionären Verfassunggebung weist er nur zwei tragende Funktionen auf, nämlich Gesetzgebung und Verwaltung. Während Montesquieu der Judikative immerhin eine eigenständige sachliche, wenn auch nicht politische Bedeutung zumaß 38, spielt diese Funktion hier keine Rolle mehr 39 . Daß nur die Zweiteilung den wirklichen Gegebenheiten des Staats entspricht, daß alle anders strukturierten Funktionsgliederungen beliebig-unverbindlich bleiben, ergibt sich für Lorenz von Stein nicht aus Traditionen oder Funktionseigenheiten, sondern - unter der Formel von "Wille und Tat" - aus der vorbefindlichen Struktur der Staatsorganisation. Daher "gibt es überhaupt keine Entheilung der ,Staatsgewalt', sondern Organe, welche sie besitzen"4o. So treten sich nicht Gesetzgebung und Verwaltung, hingegen Volksvertretung und Verwaltungsorganisation gegenüber. Sie stehen im Ordnungssystem Lorenz von Steins letztlich für Gesellschaft und monarchischen Staat. In der Unterscheidung dieser repräsentativen Institutionen lassen sich durch die persönlichkeitstheoretischen Kategorien hindurch die realen politischen Kräfte der Zeit erkennen: Bürgertum und Dynastien. So gesehen, schließt Lorenz von Steins Gewaltenteilungslehre im Prinzip an die Montesquieus an: als politisch-soziales Ordnungsmodell41 . Dieses Modell verfolgt allerdings kein System des Gleichgewichts der Gewalten, sondern legt den Schwerpunkt staatlicher Wirksamkeit in die "Tat". Zwar anerkennt Lorenz von Stein durchaus die - dem "Willen" entsprechende - maßgebende Bedeutung der Gesetzgebung 42 . Doch relativiert er diese wieder aus mehreren Gründen. Zum einen rechnet er aus praktischer Erfahrung nur mit einer beschränkten Gesetzesproduktion, nicht zuletzt im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Beschränkungen. Zum anderen räumt er der Verwaltung - einschließlich der Regierung 43 - einen eigenständigen Gestaltungsspielraum ein und läßt ein über die Vollzugsfunktion hinausgehendes, die De l'esprit des lois, 1. XI ch. VI. Ganz im Gegensatz zur "germanischen" Tradition, auf die v. Stein seine historischen Begründungen stützt: vg1. etwa H. Conrad, Deutsche Rechtsgeschi'chte, Band I, 2. Auflage Karlsruhe 1962; vg1. auch v. Stein, Strafrecht, 38

39

S. 594 f.

Verwaltungslehre I, S. 20. Dazu Verwaltungslehre I, S. 156: "Daher denn die Eintheilung Montesquieu's, der die richterliche Gewalt neben der gesetzgebenden und vollziehenden als gleichberechtigte aufstellen wollte; sein System des Gleich_ gewichts der Gewalten beruht nicht auf einem Begriffe des Staats, sondern auf der politischen Lage Frankreichs, in welcher der König persönlich zugleich die gesetzgebende und vollziehende Gewalt ausübte, und die richterliche Gewalt, nicht eben ihrem Begriffe nach, sondern vermöge jenes Rechts der Parlamente, das einzige Gegengewicht gegen die aus jener Identität hervorgehende absolute Gewalt bildete." 42 Verwaltungslehre I, S. 73 ff.; dazu Böckenjörde, Gesetz (FN 37), S. 145 ff. 43 Zur Unterscheidung von König, Regierung, Amtsorganismus vg1. Verwaltungslehre I, S. 135 ff., 204 ff. 40

41

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eigene Willensbildung ermöglichendes, selbständiges Verordnungsrecht zu". Zum dritten betont er den erheblichen Mitwirkungsanteil des Königs an der Gesetzgebungszuständigkeit. Gerade in dieser Zusammenordnung von "Wille und Tat" im König kommt nicht nur die Regel des zeitgenössischen Verfassungsrechts, sondern vor allem ein tiefes Mißtrauen gegenüber der Volksvertretung und den in ihr wirksamen politischen Kräften zum Ausdruck. Das Beispiel des preußischen Reformbeamtentums vor Augen'5, verlagert Lorenz von Stein das reformpolitische Gestaltungspotential des Staats der Industriegesellschaft in den staatlichen Verwaltungsorganismus. Nach einer Gewaltenbalance zu fragen, erübrigt sich schon deshalb, weil die im staatlichen Amtsorganismus institutionalisierte Unabhängigkeit, Sachlichkeit und Interessenneutralität derartige Vorkehrungen ersetzt. Darin unterscheidet er sich auch von der körperschaftlichen Selbstverwaltung und der sogenannten freien Verwaltung durch - besonders gewürdigte48 - Vereine, die bestimmte und auf "die Gesammtheit der Staatsangehörigen" bezogene Zwecke verfolgen47 • Während in diesen Bereichen die - materielle - Verwaltung jedoch dem gesellschaftlichen Einfluß durch die Mitwirkung von Staatsbürgern gerade geöffnet oder überantwortet ist, soll der Amtsorganismus die Distanz zur Gesellschaft gewährleisten. Das zeichnet typischerweise seine Staatlichkeit aus. Der hohe Rang, den Lorenz von Stein dem Amt anträgt, gründet nämlich entscheidend auf der "Selbständigkeit der persönlichen Staatsidee", die als Kernpunkt des Staatlichen überhaupt vorgestellt wird. Im Hinblick auf sie wird das "ethische Wesen des Amts" zu einem zwingenden Programm'8 für die Abgrenzung des Staats von der Gesellschaft, genauer: von deren Interessengegensätzen, Klassenbildungen und von deren Machtdrang. Denn allein der Staat - darin ist sich Lorenz von Stein mit Hobbes und Hegel einig - ist in der Lage, die individuellen Widersprüche und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu regeln und zu befrieden. Wenn der Staat "die höhere Harmonie dieser Gegensätze bilden" können49 , wenn er über den vielen die repräsentative Einheit darstellen soll, so nur unter der Voraussetzung ei44 Verwaltungslehre I, S. 82 ff., 137,217: Verordnung ebenfalls als selbständige "Willensbestimmung". - Zur grundsätzlichen Bedeutung der "Tat": System I, S. 7. 46 Vgl. dazu D. Blasius, Lorenz von Stein und Preußen, Historische Zeitschrift, Band 212 (1971), S. 339 ff. 40 Verwaltungslehre 11, S. 11 ff. und 111, pass. 47 Zitat: Verwaltungslehre 11, S. 28. v. Stein meint u. a. - vgl. Verwaltungslehre 111, S. 109 ff. - politische, Bildungs-, Versicherungs-, Kredit(Volksbanken!), Arbeitervereine. 48 Verwaltungslehre I, S. 207. 49 Verwaltungslehre I, S. 199.

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genständiger Initiativ- und Entscheidungsfähigkeit gegenüber den Bewegungen in und aus der Gesellschaft heraus. Daß damit kein Theorem verfolgt und weder Staat noch Monarchie um ihrer selbst willen gerechtfertigt werden sollen, wird von Lorenz von Stein häufig genug gesagt. Allemal geht es um den Staat als Form, in der sich die "Idee der Freiheit" zu verwirklichen hat50• Mitte des 19. Jahrhunderts, nach der Französischen Revolution, nach Hegels Entdeckung der gesellschaftlichen Kräfte und angesichts der Folgen von Industrialisierung und Bevölkerungsanstieg ist dieses Programm schwieriger zu begründen als zu Hobbes' Zeiten. Auf ihn über zweihundert Jahre hinweg zurückzuweisen, ist nicht willkürlich, da Lorenz von Stein selbst ihn als Zeugen für die Personalität des Staates anführt51 und der Sache nach an die von den Vertragslehren begründete Ausrichtung des Staates auf seine individuellen Angehörigen anschließt. Der Rückgriff ergibt bemerkenswerte Problemverbindungen, da beide Staatstheoretiker nach einem Ordnungsmodell für eine aus dem Lot geratene Gesellschaft suchen. Hobbes gab dem Staat das zu seiner Zeit neugeschmiedete Schwert des Gesetzesbefehls52 zur Hand, denn sein "sterblicher Gott" hatte es mit dem wechselseitigen Existenzkampf der einzelnen Menschen als Untertanen zu tun, den zu steuern Aufgabe des autoritären, schrankensetzenden und freiheitsbegrenzenden Gesetzes sein sollte: "Wie man zur Wahrung von Frieden und Sicherheit einen künstlichen Menschen schuf, nämlich den Staat, so hat man auch künstliche Ketten geschaffen, welche man die bürgerlichen Gesetze nennt53• " Hobbes' Gesetzgeber war zu diesem Zweck aus der Gesellschaft herausgesetzt, unbedingt souveränM • Lorenz von Steins Staat besteht jedoch bereits, und zwar aus Staatsbürgern, die gesetzgeberische Mitwirkungsrechte besitzen und zugleich am Gesetzesinhalt interessiert sind. Dieser Staat ist der sozial-ökonomischen Entwicklung der Erwerbsgesellschaft mit seinem politischen Schicksal verhaftet und daher darauf angewiesen, "für sich" zu sorgen, "indem er für alle sorgt"55. Er hat es nicht allein mit Einzelsubjekten, sondern mit Massen und mit gesellschaftlichen Kräften zu tun, die - das weiß man seit den Physiokraten 60 Strafrecht, S. 348; besonders Verwaltungslehre I, S. 87 ff.: "freie Verwaltung". 61 Verwaltungslehre I, S. 6. 52 Zur Übersicht vgl. R. Grawert, Artikel "Gesetz" in: Geschichtliche Grundbegriffe, hrsg. von O. Brunner, W. Conze, R. Koselleck:, Band 2, Stuttgart 1975, S. 863 (880 f.). Ga Th. Hobbes, Leviathan (1651), Teil II Kap. 21, hier in der Übersetzung von D. Tidow, hrsg. von C. Mayer-Tasch, Hamburg 1965. U Th. Hobbes, Vom Bürger (1642), 12. Kap. Abs. 9, 10. 55 Geschichte I, S. 35. Vgl. dagegen Treitschkes These von 1861: "Der Staat ist sich selbst Zweck: wie alles Lebendige" (zitiert: Gagel, Die Wahlrechtsfragen in der Geschichte der deutschen liberalen Parteien 1848 - 1918, Düsseldorf 1958, S. 130).

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eine Eigenbewegung besitzen. Armut kann in diesem Zusammenhang nicht mehr als Individualschuld und punktueller Aufstandsgrund gelten, sondern stellt sich als strukturelles Problem der politischen Ordnung überhaupt dar. Infolgedessen schiebt sich unter dem Hobbes mit von Stein verbindenden Thema der staatlichen Friedenseinheit die Staatsaufgabe der Sozialbefriedung in den Vordergrund, für die nicht die freiheitsregulierende Gesetzgebung, sondern die soziale Staatsverwaltung verantwortlich zeichnen soll. Lorenz von Stein leitet deshalb die zweihundert Jahre zuvor dem monarchischen Gesetzgeber zugeeigneteS6 Unabhängigkeit auf die Verwaltung um.

m.

Das Königtum als Amtsgrund

Unabhängigkeit der Verwaltung ist eine Funktionsbedingung für den Ausgleich gesellschaftlicher Interessen, die dem Staat seiner Zwecke wegen ungeachtet seiner Form aufgegeben ist: "Wenn die höchste Staatsgewalt nur unparteilich und selbständig ist, so ist ihre Form der volkswirtschaftlichen Gesellschaft gleichgültig57 ." Gleichwohl sorgt sich Stein nicht sonderlich um dementsprechende materielle Zielvorgaben oder Verfahrensvorkehrungen, wie Montesquieu sie für die Ständeordnung, Tocqueville für die Demokratie aufgezeigt hatten 58• Er verläßt sich vielmehr auf die institutionellen Absicherungen im historischen Königtum und dessen Amtsapparat. Amt und Königtum werden dabei in einen ebenso notwendigen Zusammenhang gesetzt wie Königtum und Staat. In der "Geschichte der sozialen Bewegung" erscheinen Amt und Königtum zwar noch als traditionell bewährte politische Formkräfte, mit denen realgeschichtlich zu rechnen ist. Systematisch betrachtet erhalten sie jedoch eine fast apriorische Bedeutung für Staatlichkeit überhaupt. Von Grund auf erledigen sich damit Fragen nach spezifischen Amtsfunktionen in nicht-monarchisch geprägten Ordnungen. Wie die Volkssouveränität in der Demokratie als nichts anderes gelten kann als "die staatlose Souveränität der Gesellschaft"59, so erscheint auch die Real Hobbes, Leviathan, Teil H Kap. 17 a. E. und 26. L. v. Stein's Verwaltung muß "die Selbständigkeit ... gegenüber der Gesetzgebung fordern" und sich "gegenüber der Ma'cht und den Interessen der herrschenden gesellschaftlichen Classen" behaupten; sie ist andererseits eine "freie", d. h. staatsbürgerlich geformte, insoweit der Gesetzesvorrang und die Ministerverantwortlichkeit reichen: Verwaltungslehre I, S. 217/219 mit S. 87; Geschichte I, S. 66 ff., dazu Geschichte 111, S. 204 ff. 51 Geschichte I, S. 471; Geschichte 111, S. 207. 58 Montesquieu, De l'esprit des lois, 1. XI ch. VI; T.ocqueville, Über die Demokratie in Amerika (1835/1840), deutsche Übersetzung von H. Zbinden, hrsg. von J. P. Mayer, Stuttgart 1959, 1. Buch 2. Teil VIII. Kapitel, auch: 2. Buch 4. Teil VII. Kapitel. &8 System H, S. 57, oder a.a.O., S. 384 - : "gesellschaftliche Despotie", Allgemein für alle nicht-monarchischen "Staatsgrundformen": Proletariat, S.78.

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publik als unstaatlich, da sie unter dem Diktat der Gesellschaft kein "unverantwortliches Element" selbständiger Herrschaft besitzt60. Staatlichkeit kann ohne eine souveräne - unabgeleitete, unabhängige, unverantwortliche - Institution keine eigenständige Wirksamkeit entfalten. Mit dieser Verknappung der Staatsformen schließt Stein an Hobbes wie an Hegel an, der die "wirkliche Einheit des Staats" über dem "Kampfplatz des individuellen Privatinteresses aller gegen alle" einzig und allein in der Majestät des Monarchen gewährleistet sah6l . Wie bei Hobbes der Monarch als Träger der Staatsperson und Souverän hervortrat 62 und bei Hegel die "Persönlichkeit des Staates" wirklich machte63 , so gilt bei Stein der König als der "persönliche Staat"64, der seinem Wesen nach über der Gesellschaft als Vertreter der eigentlichen Staatsidee steht65 und insoweit souverän ist06 . Einzigkeit und Einheit von Staat und König schließen eine Staatsorganschaft des letzteren konsequenterweise aus 67 ; selbst als erster Diener wäre der König der Gesellschaft hörig: der Staat löste sich zur Republik hin auf08. Um eine solche Entwicklung aufzuhalten, steigert Lorenz von Stein die Bedeutung des Königtums und gibt ihm im Amtsorganismus ein zur Herrschaftsdurchsetzung geeignetes Instrument zur Hand. Der Strukturzusammenhang von Staatlichkeit und Königtum mündet sachnotwendig in das monarchische Prinzip. Schon in seiner 1842 zuerst erschienenen, 1848 wieder aufgelegten Schrift "Der Sozialismus und Kommunismus des heutigen Frankreichs" prophezeit Stein seinen - auch durch Hegel inzwischen eingestimmten - Zeitgenossen69 : "solange es Klassen, Gruppen, Stände und damit Gegensätze in der Gesellschaft geben wird, solange wird Gegenwart und Zukunft der Staaten auf dem monarchischen Prinzip ruhen" und solange wird die "Trefflichkeit der Republik" Utopie bleiben. Man hat zu Recht bemerkt70, daß Verwaltungslehre I, S. 141. G. W. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, hrsg. J. Hoffmeister, 4. Auflage Hamburg 1955, §§ 281, 289. Zum Vergleich mit v. Stein: D. Blasius, Lorenz v. Stein, phil. Diss. Köln 1970, S. 133 ff. e! Hobbes, Leviathan (FN 53), Teil 11 Kap. 17. 83 Rechtsphilosophie (FN 61), § 279. U So schon in: Proletariat, S. 75 f. 85 Geschichte I, S. 38 f., Geschichte 111, S. 104. 88 Geschichte 111, S. 31, 35 ff. 87 Geschichte I, S. 260 ff.; vgl. aber: Geschichte I, S. 228. 88 Verwaltungslehre I, S. 143. 89 Proletariat, S. 87. Zu Hegels politisch ambivalentem Verhältnis zur Monarchie vgl. Ilting, in: Hegel, Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818 -1831, herausgegeben von K.-H. Ilting, 1. Band, Stuttgart 1973, S. 28 ff., 105 ff. 70 D. Blasius, Lorenz von Steins Lehre vom Königtum der sozialen Reform und ihre verfassungspolitischen Grundlagen, Der Staat 10 (1971), S. 33 (45 f.). 80

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Stein damit keinesfalls den Weg zum absoluten Königtum zurückweisen, sondern das "freie monarchische Prinzip" vorschlagen will, das einem "freien Staatsbürgerthum" den Weg zur staatlichen Willensbildung öffnen soll. Allein, das sagt nichts anderes, als daß den ursprünglich mit Art. 57 der Wiener Schlußakte verfolgten Zielen, eine Volksrepräsentation einzurichten71 , statt der Metternichschen Ausdeutung in Landstände72 zu folgen ist. In der Sache wird dem Staatsbürger nicht mehr geboten als dem Untertan, da es dem König freistehen soll, von den Ratschlägen der Volksvertretung selbstherrlich Gebrauch zu machen73 . So der jüngere, von Revolution und Klassenansturm beeindruckte Lorenz von Stein, der das Königtum nur aus politischer Taktik auf das Bürgertum als natürlichen Verbündeten gegen das Proletariat hinweist7 4, einer gemischten Staatsform jedoch ablehnend begegnet. Nach Steins Ansicht bringt nämlich allein das Königtum die Voraussetzungen dafür mit, als "die natürlichste und einfachste Grundform des Staats für die industrielle Gesellschaft"76 legitimiert zu sein. Es läßt die Fähigkeit zur "neutralen Gewalt"76 im Interessenwiderstreit der Gesellschaft erwarten. Sein dynastischer Besitz enthebt es der Notwendigkeit, Sonderinteressen zu verfolgen und sich klassenspezifischen Interessen anzuschließen77 ; seine erbrechtlich gesicherte Existenz macht es auch der lebenslangen Präsidentschaft in der Republik überlegen. Nur vom König nimmt Lorenz von Stein daher an, daß er kein Mandatar des Volkes ist, sondern der autonome Repräsentant eines idealen Volkswillens: die Erbmonarchie als "absolutes Moment des Staats"78 - eine durchaus verbreitete Auffassung vom Vorzug politischer Stabilität79 . 71 Vgl. dazu E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. I, Stuttgart 1957, S. 640 ff. n Huber (FN 71), S. 643 f.; H. Reuß, Zur Geschichte der Repräsentativverfassung in Deutschland, in: H. Rausch (Hg.), Zur Theorie und Gesdlichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, Darmstadt 1968, S. 1 (6 ff.). 73 Proletariat, S. 87. Diese Einschränkung, die auch in anderen Zusammenhängen auftaucht - Volksvertretung nur zur Beratung - wird nicht hinreichend gewürdigt von Blasius, Preußen (FN (5), S. 354 ff. Zu '1). Steins "staatsbürgerlicher" Haltung vgl. hingegen: Verwaltungslehre I, S. 81 ff. 74 Proletariat, S. 176. 76 Geschichte 111, S. 120 mit S. 36 ff. 7S Geschichte 11, S. 51; dazu auch Blasius, Königtum (FN 70), S. 44, mit weiteren Hinweisen. 77 Geschichte 11, S. 48 ff.; Verwaltungslehre I, S. 209. 78 Proletariat, S. 80 f.; Verwaltungslehre I, S. 209; vgl. ferner: Geschichte 111, S. 48: "Das Königtum ist seinem innersten Wesen nach kein Mittel für irgendeinen Zweck, so wenig als der Staat selber." 78 Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, 2. Band, 2. Auflage, München 1857, S. 27 ff., und ders., Lehre vom modernen Staat, Band 2: Allgemeines Staatsrecht, 6. Auflage, Neudruck der Ausgabe Stuttgart 1885, Aalen 1965, S. 155; F. C. Dahlmann, Die Politik, 1. Band, 2. Auflage, Leipzig 1847, S. 85 ff.

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. Das Amt ist im Grunde nur ein Reflex dieser Lage, da es nach Entstehlj.ng, Legitimation und Aufgabe Bestandteil des Königtums ist. Lorenz von Stein nimmt auch in dieser Hinsicht an, daß das Amt am ehesten im erblichen Königtum fähig sein wird,. das Gesamtinteresse über Sonderinteressen zu stellen und die "sittliche Idee des Staates" zu verwirklichen: "Das Amt bedarf des Königthums nicht bloß organisch, sondern es bedarf desselben ethisch89." Beifällig weist er dazu auf MyZer von Ehrenbachs 1678 formulierten Amtsbegriff - ad utilitatem regendae Reipublicae - und auf den 10. Titel im 2. Teil des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten hin, der die Staatsdiener auf das Staatswohl verpflichtet. Die Hinweise sind bezeichnend, weil sie die. Besonderheiten des Amts mit der Entwicklung des Beamtenstands als eines die Ständegesellschaft überholenden Staatsstandes81 verbinden, die in strikter Abhängigkeit von der monarchischen Gewalt verlief. Ständegesellschaft und Klassengesellschaft stellen aber in Lorenz von Steins systematischer Geschichtsbetrachtung die gleichen Anforderungen an die Monarchie und ihre Ordnungsinstrumente. Warum der Beamte wie sein König nur im Staatsinteresse handeln wird, begründet Lorenz von Stein allerdings weniger mit Gehorsam, Aufsicht oder Interessenlage - die selbst Friedlich der Große für sich mit guter Besoldung klärte82 -, sondern vornehmlich mit der Ehre: ein höfisch geprägter Lohn in einer bürgerlichen Welt. Die organisatorisch, funktional und ethisch begründete Einheit von Königtum und Amt wird allerdings, wie Lorenz von Stein anerkennt, gelockert, wenn die Volksvertretung in die Gesetzgebung eintritt und Gesetzesvollziehung nicht mehr unbedingt übereinstimmung mit der monarchischen Staatswillensbildung bedeutet. Heißt das, daß der Beamte, "Mandatar der Gewalt, welche das Gesetz gibt", wird, also Vollzugsorgan "der herrschenden Interessen"83? Lorenz von Steins Antwort ist insoweit nicht einheitlich, da er - offenbar nach 1848 - die Rolle der Staatsbürger und ihrer Volksvertretung stärker bewertet. Diese Umorientierung wird unter anderem in der systematisch angelegten "Verwaltungslehre" sichtbar, in der die Gesetzgebung sowohl als Staatsfunktion als auch als Ausdruck "freisinniger" Willensbildung aus dem Volk heraus 84 gewürdigt wird. Mit dem "Auftreten" der Volksvertretung stellt sich das Problem der "Selbständigkeit" im Staat neu, indem die Reichweite von Gesetzesbindung und Staatskontrolle zu bestimmen 80 81

Verwaltungslehre I, S. 209, 215; System H, S. 59. Dazu R. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, Stuttgart

1967, S. 76. 82 FriedTich der Große, Die politischen Testamente, übersetzt von F. v. Oppeln-Bronikowski, 2. Auflage, München 1936, S. 42. 83 Verwaltungslehre I, S. 209. 84 Vgl. Verwaltungslehre I, S. 142 ff., 214 ff.

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ist. In diesem Zusammenhang entwickelt Lorenz von Stein das parlamentarische Regierungssystem als Mittel, um den König dem Zugriff der jeweils herrschenden Gesellschaftsklasse zu entziehen. Dazu stellt er die Regierung als Sonderfunktion heraus und setzt sie vom König als Haupt des Staates insgesamt ab. Der König bleibt so Herr der Verwaltung, maßgebender Faktor des Gesetzgebungsverfahrens und der Volksvertretung unverantwortlich. Er setzt nicht nur "das Punet auf das i", wie Hegel vor 1820 despektierlich formulierte 86, sondern ist das staatstragende und staatsbestimmende Element. Nur in den ihm staatlich, nicht persönlich zugeordneten Regierungs- und Verwaltungs ämtern wirkt sich die Gesetzesbindung und -abhängigkeit aus. Infolgedessen gewinnt das Amt in dem Maße, in dem diese Bindung eintritt, ein, wie Lorenz von Stein hervorhebt, "neues Element", das den Amtsbegriff für "das gegenwärtige Jahrhundert" prägt, nämlich eine "gewisse Selbständigkeit", hier allerdings gegenüber König und Königtum88. Es ist an sich dieselbe Selbständigkeit, die der "von dem Staatsoberhaupte geschiedene Organismus der Selbstbestimmung des Volks ... die Volksvertretung"87 genießt. Gleichwohl soll auch in dieser Situation das Amt keinesfalls der Volksvertretung ausgeliefert werden. Aus diesem Grunde betont Lorenz von Stein den beschränkten Umfang der Bindung und schwört das Amt nach preußischem Vorbild88 auf den "selbständigen" Amtszweck ein, der nicht mehr vom König selbst, sondern vom Königtum vorgeprägt wird. Für das Amt gilt insoweit dasselbe wie für die Regierung: daß es trotz Gesetzesbindung "innerlich eins sein" muß, "um in dem Kampf individueller Ansichten der Volksvertretung das wirkliche Leben des Staats als ein wesentliches und persönliches vertreten zu können"89. Darauf hinzuweisen besteht für Lorenz von Stein um so mehr Anlaß, als er das Königtum trotz unübersehbarer Vorlieben für die hergebrachte Monarchie in einer eher labilen, keineswegs der Gesellschaft unvorgreiflichen Stellung sieht. Hegel hatte bereits gewarnt, daß die zweckrationale Erörterung des monarchischen Erbrechts als Legitimitätsgrund die Monarchie dem Räsonnement ausliefere. Es war wohl nicht ironisch gemeint, wenn er die Monarchie auf die "grundlose Unmittelbarkeit und dies letzte In85 Vgl. die instruktive Darstellung von Itting in: Hegel, Vorlesungen über Rechtsphilosophie (FN 69), S. 28 ff., der dort den Umschwung Hegels von der Kritik zum Bekenntnis für die Monarchie schildert. 88 Verwaltungslehre I, S. 215. 87 Finanzwissenschaft I, S. 11. 88 Dazu Blasius, Preußen (FN 45), pass. 88 Verwaltungslehre I, S. 216; In der Sa'che ebenso die Klage von R. v. M.ohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, 3. Band, Neudruck der Ausgabe Tübingen 1869, Graz 1962, S. 396.

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sichsein" stellte90 • Lorenz von Steins Hinweise auf die Interessenlage des Königtums, die ambivalent als Bestandsaufnahme, als Feststellung wandelbarer Existenzbedingungen und als Anmahnung eines politischen Regierungsprogramms verstanden werden können, heben jedoch das Königtum nicht über die Bewegungsstruktur der Gesellschaft hinaus, sondern in sie hinein. Denn von Stein beläßt es nicht in einer passiv-neutralen Distanz zum "wirklichen Leben", sondern verpflichtet es zu aktiver Sozialgestaltung und Herrschaftsausübung. Die Interessenneutralität ermöglicht ihm die Gemeinwohlorientierung, steht aber einer ausgleichenden Parteinahme gegen vorherrschende Interessen von Gesellschaftsklassen nicht entgegenU1 • Dementsprechend wird die dem Königtum gegenüber der Gesellschaft obliegende Aufgabe des Interessenausgleichs im Gesamtinteresse zum eigentlichen, funktionalen Legitimationsgrund, indem sie auf die Anerkennung durch alle Klassen im jeweils eigenen Interesse abzielt. Diese moderne Legitimation kann ebenso erworben wie verspielt werden und damit zugleich die traditionale erledigen. Insoweit kann man aber auch "König" werden - wie Lorenz von Stein es Louis Philippe nachrühmt: "Wo jene historische Ursprünglichkeit der Legitimität dem Königtume fehlt, da kann es sich diese nur dadurch erwerben, daß es vermöge der ihm innewohnenden Elemente seiner Selbsttätigkeit sich als die allgemeine, soviel als möglich ausschließlich leitende und herrschende Gewalt im ganzen Staate darstellt, damit es, als die Spitze des ganzen persönlichen Staatslebens äußerlich erscheinend, endlich als die absolute Grundlage aller Tätigkeit des Staats angenommen werde92 ." So gesehen, steht und fällt das Königtum mit der Anerkennung durch die Klassengesellschaftu3 • Seine Politik muß die Harmonie der gegenseitigen Interessen bewirken und dadurch den Klassen den Anreiz zur Herrschaftsübernahme nehmen. Es muß sich der Klasse der Besitzenden als Instanz darstellen, die Bestandsschutz gewährleistet und die soziale Revolution verhindert, und der Klasse der Besitzlosen als die Instanz, die die soziale Unterdrückung begrenzt und den Aufschwung ermöglicht94 {allerdings nicht auf Kosten des Besitzes, sondern 90 Rechtsphilosophie (FN 61) § 281: "Deswegen darf auch nur die Philosophie diese Majestät denkend betrachten, denn jede andere Weise der Untersuchung als die spekulative der unendlichen, in sich selbst begründeten Idee, hebt an und für sich die Natur der Majestät auf." Dazu L. v. Stein, System rr, S. 32: "Persönlichkeit" als "ein Organismus, der sein eigener Grund ist". 91 Dazu au'ch Th. Würtenberger jun., Die Legitimität staatlicher Herrschaft, BerIin 1973, S. 191 f.; ferner Blasius, Königtum (FN 70), S. 44. 92 Geschichte UI, S. 56. ga Zur Legitimation von Herrschaft an sich gehören: sittliche (!) Berechtigung, deren Kausalität zur Herrschaftsausübung und Anerkennung samt Folgeleistung (!): vgl. System rr, S. 91. U Vgl. dazu u. a. Geschichte Irr, S. 65 ff.; System I, S. 425 ff., um die zusammenfassende Darstellung von Böckenförde, Stein (FN 12), S. 265 ff.

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nur aus den Steuervermehrungen, modern gesprochen: aus den Überschüssen des Bruttosozialprodukts96 - eine im 19. Jahrhundert schmale Grundlage). Infolgedessen ist jedes Königtum auf Bewährung eingerichtet. Diese Bewährung obliegt dem Amt in gesteigertem Maße, da es in vorderster Linie wirkt und über die Amtswalter den gesellschaftlichen Interessen direkt ausgesetzt ist96 • Im Amt hat sich Staatlichkeit daher in jeder Hinsicht zu beweisen. Sie bedarf hier besonderer Absicherungen. So wie Lorenz von Stein vor den gesellschaftlichen Einflüssen auf die Beamten warnt, so wendet er sich gegen die Einrichtung eines Wahlbeamtentums, wie man es aus den USA kannte 97 . Die Wahl erscheint von Stein als "Akt, durch welche die Staatsgewalt in ihren eigentlichen Sitz, das Volk, zurückströmt, und von ihm wieder ausgeht", die aber gerade dadurch "die persönlichkeitslose Idee der freien Verfassung" verfolgt: für Lorenz von Stein unstaatliche Ideologie statt staatlicher Herrschaftsordnung9s.

IV. Zur Vertretung des Volkes Die Doppelbindung an König und Gesetz stellt das Amt auf den Boden der "Verfassungsmäßigkeit"99. Mit diesem Begriff fängt Lorenz von Stein das Nebeneinander von Königtum und Volksvertretung ein. Denn als Verfassung gilt ihm nicht das Statut der Staatsorganisation und nicht die rechtliche Grundordnung des Gemeinwesens, die den Staat allererst in seiner konkreten Rechtsgestalt konstruiert100 , sondern "die Form ... in welcher die gegebene Gesellschaftsordnung den Willen des Staats sich unterordnet"101. Das Vorhandensein des - monFinanzwissenschaft, S. 150, 155. System II, S. 59. 97 Vgl. Tocqueville, Demokratie (FN 58), 1. Buch 2. Teil V. Kapitel; v. Mohl, Staatsrecht 111 (FN 89), S. 395 ff. 88 Geschichte I, S. 286 mit 290 f.; Geschichte III, S. 183. Dazu Hegel, Rechtsphilosophie (FN 61) § 303: " ... vom Volke, dieser unorganischen Gesamtheit ... ". Kritisch zur "Beherrschung der Staatsfunktionen durch Wahl" auch R. v. Gneist, Die nationale Rechtsidee von den Ständen und das preußische Dreiklassenwahlrecht, Nachdruck der 1. Auflage 1894, Hildesheim 1962, S. 116 f. - Die nachdrücklichen Hinweise von Blasius, Preußen (FN 45), S. 354 ff., und: Königtum (FN 70), S. 45 ff., auf v. Steins Stellungnahmen für demokratische Staatsstrukturen berücksichtigen nicht die erheblichen Begriffsvorbehalte. 89 Verwaltungslehre I, S. 215. 100 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deuts'chland, 9. Auflage, Karlsruhe 1976, S. 11. 101 Verwaltungslehre I, S. 208; ebenso Proletariat, S. 81; System II, S. 33; System I, S. 23. "Verfassung" auch im Sinne der durch die Gesellschaft geprägten (!) Staatsorganisationsordnung insgesamt: Finanzwissenschaft I, S. 9 f., 13. - Dagegen im Sinne eines positiven Verfassungsbegriffs Verwaltungslehre I, S. 24. - Zum Vorbild: Hegel, Rechtsphilosophie (FN 61), § 265. 95 98

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archisch geordneten - Staates wird dabei ebenso vorausgesetzt wie sein Gegensatz zur Gesellschaft. Die Verfassung modifiziert, aber sie konstituiert nicht den Staat. Sie regelt lediglich einen Teilbereich seiner Existenz und Wirksamkeit, nämlich den "Organismus der Teilnahme"102 der Staatsbürger, der sich institutionell in der Stimmberechtigung und so dann in der Volksvertretung, funktionell in der Einflußnahme auf die Staatswillensbildung in Gesetzgebung und Regierungskontrolle äußert. Da Staat und Gesellschaft grundsätzlich unterschieden werden, hat das Verfassungsverhältnis eine ambivalente Bedeutung. Es bietet eine Plattform sowohl für die Absicherung des Staates in der Gesellschaft als auch für die Gefährdung des Staates durch die Gesellschaft. Denn einerseits ermöglicht es, die Gesellschaft der vielen in die Staatsordnung zu integrieren und sie zur Anerkennung staatlicher Wirksamkeit zu führen, wenn nämlich freiheitssichernde Herrschaft nicht als absolute - von den einzelnen abgelöste -, sondern als "organisch" mit dem "vernünftigen Volkswillen" verbundene103 erscheint. Andererseits entrinnt die Verfassung nicht der Ordnung der Gesellschaft. Deren besitzorientierte Interessenstruktur wirkt sich auf die Staatsordnung als Herrschaftsanspruch der mächtigen Klasse mit ihren Sonderinteressen aus. So gesehen, bindet die Verfassung nicht nur den König bei der Ausübung seiner Herrschaftsbefugnisse; sie zielt vielmehr darauf, das durch diesen repräsentierte Allgemeine interessenspezifisch zu relativieren und die Unterwerfung des Amtes als Herrschaftsinstitution zu ermöglichen104. Dagegen richtet sich "die ernste Aufgabe" des Amtes, "die wahre und reine Staatsidee ... zu vertreten"105. Dieser neuartigelO8 , weil aus den gesellschaftlichen Grundbedingungen des Staates geschöpfte Verfassungsbegriff, ist ein politischer, insoweit er den realen Kräften einen Handlungsrahmen bietet. Er öffnet den Staat der Gesellschaft, ohne zugleich - wie Lassalle es begreift107 - ein gegenwärtiges Kräfteverhältnis festzuschreiben. Denn Lorenz von Stein sieht in der Volksvertretung das dynamische Organ innerhalb der Staatsordnung. Geschichte I, S. 37. Geschichte I, S. 472 und III, S. 129. 'V. Stein erklärt hier die Willensübereinstimmung von Staat und Volk als Grundlage der Freiheit im Sinne von "Selbstbeherrschung" - ganz wie Rousseau, den er zuvor kräftig widerlegt hat. 104 Ges'chichte I, S. 54. 105 Verwaltungslehre I, S. 208. 1ue Vgl. dazu C. Schmitt, Verfassungslehre, 4. Auflage BerUn 1965, S. 6. Zurn Vergleich mit vorausUegenden Verfassungsbegriffen vgl. E. SchmidtAßmann, Der Verfassungsbegriff in der deutschen Staatslehre der Aufklärung und des Historismus, BerUn 1967. 107 F. Lassalle, Über Verfassungsfragen (1862), Sonderausgabe Darmstadt 1958, S. 27 f., 34 = deTs., Gesammelte Reden 11 (FN 33) S. 31 f., 38. 10!

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Dem liegt allerdings ein besonderes Verständnis von "Volk" zugrunde. "Volk" im Sinne: Gesamtheit aller Staatsangehörigen - der "reine Begriff" - bezeichnet für Lorenz von Stein nur eine zur Herrschaft und zur Verwirklichung der Staatszwecke unfähige AbstraktionloB. Volk in diesem Sinne ist ein staatstheoretischer Systembegriff, der die Gliederung in sozial befindliche und politisch sich verhaltende Persönlichkeiten übergeht. Als Systembegriff - nicht als Handlungseinheit oder Handlungszusammenhang - bildet das "ganze" Volk das "Mittelglied" zwischen den Polen der politisch-sozialen Bewegung Staat und Gesellschaft109. Es bezeichnet die durch den Staat geordnete, bestimmte, individualisierte Gesellschaft. So gesehen, setzt "Volk" in der Tat "Staat" voraus. Lorenz von Stein spricht hier anschaulich vom "Gesetz des volksbildenden Staates"110 und bezieht sich damit ausdrücklich auf eine Drei-Elemente-Lehre, die Land und Volk neben den Staat stelltll1 . Dieses Volk besitzt keine "Persönlichkeit", das heißt vornehmlich: keine Willens- und Handlungsfähigkeit -, so daß Volkssouveränität und Demokratie als Utopien erscheinen müssenl12 - ; es kann nur durch eine Persönlichkeit repräsentiert werden. Das nun kann nach von Stein allein der König sein, weil nur er für das gesamte Wohl steht. Damit schließt sich der Argumentationskreis, der das Amt als Instrument zur Durchsetzung der Staatszwecke an die Monarchie zurückbindet. Lorenz von Stein stellt diese monarchische Gesamtrepräsentation des Staats einschließlich des ganzen Volks wiederholt dar: für die absolute, die konstitutionelle und die soziale Monarchie. Diese Repräsentation wurde von den Monarchen im Zuge der Herrschaftskonzentration und Staatswerdung errungen. Sie meint ein von Bestellung oder Auftrag unabhängiges Verhältnis ideeller Zuordnung. Der Repräsentant ist an sich legitimiert; er handelt von hoher Hand für den Repräsentierten: Herrschaftsrepräsentation. Auch Bluntschli denkt an sie zuerst, wenn er den "modernen Staat" als "Repräsentationsstaat" privater Herrschaft gegenüberstellt113• Mit der Zuordnung des "ganzen" Volkes allein an den Monarchen knüpft Lorenz von Stein an eine kontinuierlich bis in das HochmittellOB Verwaltungslehre I, S. 99; Geschichte IH, S. 125, 129. System H, S. 49. 110 System H, S. 33. m Verwaltungslehre I, S. 4; Geschichte IH, S. 128. 112 Vgl. u. a. System H, S. 57: Geschichte IH, S. 132 ff., 227; Geschichte I, S. 290 ff.; hier die wichtigste Unterscheidung von "prinzipieller" = nur normativer und "wirklicher" Verfassung, die "Boden unter den Füßen" hat. 113 Bluntschli, Artikel "Repräsentativverfassung" in: Bluntschli - Brat er, Deutsches Staats-Wörterbuch, 8. Band, Stuttgart 1864, S. 586 (586 f.); er nennt dieses "unmittelbare Vertretung" des Staats, als "organische Vertretung" von Ämtern und Behörden ausgeübt. 108

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alter zurückreichende Auffassung an. Otto von Gierke hat sie aufgezeichnet und die traditionelle Kritik an der Volkspersönlichkeit als Stärkung der Herrschaftssouveränität gedeutetl14 • Im gleichen Sinne setzt Lorenz von Stein den König in das Zentrum des Staates und monopolisiert bei ihm die repraesentatio in toto. Die Rolle der Volksvertretung ist damit systematisch vorgegeben. Wenn das Volk korporativ nicht repräsentierfähig ist, kann die konstitutionelle Monarchie nur Monarchie, keinesfalls gemischte Staatsform115 oder Übergangsform zur Demokratie hin118 sein. Die Volksvertretung wird dem Monarchen und seiner Regierung vermittelnd, aber nicht bestimmend beigegeben. Dieses Ergebnis bestätigt sich Lorenz von Stein, wenn "Volk" als politisch-soziale Kraft und damit als Erscheinung der Wirklichkeit117 verstanden wird. Dann tritt es nämlich nicht als ideelle Einheit - wie im theoretischen Begriff der Volkssouveränität -, sondern als lebendige Gesellschaft in ihren Interessengegensätzen und das heißt: als herrschende Klasse auf. Gesellschaftliche Interessenstruktur und verfassungsmäßige Volksvertretung erscheinen hierbei als störender, aber unvermeidbarer Widerspruch. Die Repräsentation des Volkes wird nämlich doppelt gebrochen. Sie bezieht sich einmal nur auf einen Teil des Volks - den besitzenden -, der die vielberufene Kammermajorität beherrscht118 • Sie ist zudem nur eine Repräsentation gegenüber dem Staat: eine Konflikt- und Interessenrepräsentation, die das Besondere dem Allgemeinen anträgt. Nicht erst Lorenz von Stein sieht die Situation der Volksvertretung so. Schon Hegel interpretierte sie ständisch; auch Robert von Mohl 11D sieht sie als Sonderinteressenvertretung. Mit der herrschenden Klasse und Kammermajorität meint Lorenz von Stein die "nation", die Klasse der zensusbegünstigten Staatsbürger mit aktivem Stimmrecht, die sich scharf vom "peuple", von der "Masse", also von den Gesellschaftsmitgliedern unterscheidet, die wegen Vermögenslosigkeit und Bildungsmangel zur Mitwirkung weder fähig noch würdig sind, die erst zur Nation entwickelt werden müssen - und soltU O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, besonders: 4. Band, Neudruck Graz 1954, S. 209 ff., 447 ff. 115 Vgl. z. B. die Verwendung des Begriffs bei v. Gierke, Genossenschaftsrecht IV (FN 110), S. 458, 472, 474 f. 118 G. F. Kalb, Artikel "Repräsentatives, constitutianelles und landständisches System", in: K. v. Ratteck I K. Welcker, Das Staats-Lexikon, 3. Auflage, 12. Band, Leipzig 1865, S. 488 (493), bezieht sich beifällig auf eine 1833 im "National" vertretene These, wonach die konstitutionelle Verfassung nur eine provisorische Erscheinung zwischen den an sich unvereinbaren (!) Prinzipien des Absolutismus und der Demokratie sei. 117 Geschi'chte III, S. 137. 118 Geschichte I, S. 472; Geschichte H, S. 42 f., 51 f.; Geschichte III, S. 59. 118 R. v. Mahl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik,!. Band, Nachdruck der Ausgabe Tübingen 1860, Graz 1962, S. 10 ff.

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len -, deren Anteilnahme am Staatsleben sich aber vorerst aufs Gehorchen beschränktl20 . Lorenz von Stein stützt sich hier durchweg auf die zu seiner Zeit anerkannte Einschätzung der "Masse" und auf das seit 1791 geltende Recht, das die wirtschaftliche Schichtung im politischen System nachvollzog. Die Einstellung zu den niederen Klassen entspricht insbesondere der Haltung der bürgerlichen Liberalen in der 1848 geführten Wahlrechtsdiskussion. Wie jene ist Lorenz von Stein "dagegen, die Masse hereindringen zu lassen"121 in den Herrschaftsapparat des Staates und begründet die politische Unvernunft eines allgemeinen Stimmrechts aus dem Wesen von Staat und Gesellschaft: theoretisch-systematische überlegungen, die von der Sorge um die Erhaltung der politischen Stabilität und deshalb auch des besitzbürgerlichen status quo getragen sind122. Anders als in den Thesen "Zur preußischen Verfassungsfrage"123 stellt er das Privileg staatsbürgerlicher Mitwirkungsberechtigung in den Dienst ökonomischer Ordnungspolitik. Dem allgemeinen Stimmrecht traut er keine gesellschaftspolitische Integrationswirkung über die sozialen Klassengegensätze hinweg zu. Das politische, reale Volk bleibt seiner Ansicht nach auch im Staat interessengespalten, egoistisch strukturiert, seinem "Prinzip" nach destruktiv und anarchisch124. Da Lorenz von Stein insbesondere bei Vertretern der niederen Klassen nur geringe Staatsbildung und keinen staatspolitischen Weitblick vermutet, hebt sich letztlich der sogenannte bürgerliche Mittelstand heraus 125 , der in der Beamtenschaft und im Staatsbürgertum zur Anerkennung des Königtums und zur Mitwirkung im Staat eingeladen wird. Lorenz von Stein setzt auf diesen Stand des mittleren Besitzes und des vermittelnden Interesses zwischen Besitz und Nichtbesitz - die Bourgeoisie, den Dritten Stand - seine ordnungspolitischen Hoffnungen für die Gleichgewichtslage in Gesellschaft und Staat, befürchtet aber zugleich, daß er zerrieben werden kann l26 . Ob die Hinweise auf die möglZO Zu "Volk" im Sinne von "Masse" bzw. Herrs'chaftsklasse: Geschichte I, S. 254, 275 f.; zur Anhebung der Masse: Geschichte I, S. 127, 136, 299, 303; zu "Gehorsam": Geschichte I, S. 254. In: Geschichte IH, S. 75, wird - ganz "modern" - die politische Apathie der niederen Klassen angeführt. 121 So Beseler, zitiert nach Gagel, Wahlrechtsfrage (FN 55) S. 10. 122 Geschichte IH, S. 204 ff. 123 von Stein, Verfassungsfrage S. 22. lZ4 System H, S. 29. 125 Vgl. besonders Geschichte I, S. 129. Vgl. das Zitat v. Gagern, in: Gagel, Wahlrechtsfrage (FN 55), S. 10: "Den Mittelklassen den überwiegenden Einfluß im Staat zu sichern, ist die Richtung unserer Zeit." H. W. Riehl, Die bürgerliche Gesellschaft (1851), 6. Auflage, Stuttgart 1961, S. 309 ff. Bei Hegel, Rechtsphilosophie (FN 61), § 297, ist der Mittelstand vornehmlich als Beamtenstand definiert: Verbindung von Staatsamt und GeselIs'chaftsangehörigkeit. 128 System I, S. 121 f.; System H, S. 331 ff., 390 ff., besonders S. 333: Mittel-

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liche Verbürgerlichung der niederen Klassen insoweit einen Ausweg aufzeigen sollen, erscheint zweifelhaft,auch aus der Sicht des Königtums. Denn einerseits wird die Sozialstaatsaufgabe an die Steuerüberschüsse gebunden127 ; andererseits bleibt die Aufforderung an den einzelnen, in die vom Staat bereitgestellte Rolle des Staatsbürgers durch "persönliche Entwicklung" - das heißt: von der Arbeit zum Besitz hineinzuwachsen. Der "konkrete Bürger" gilt als personalisierte Gestalt des "Erarbeiteten"128. Geht man von den in der "Geschichte der sozialen Bewegung" aufgezeichneten Bewegungsstufen aus, so kann dieser Begriff des Staatsbürgerstatus nur unter den Bedingungen der für Aufund Abstieg noch offenen staatsbürgerlichen Gesellschaft1 28 , zum durchgängig staatsbürgerlichen Staat führen. Es erscheint deshalb problematisch, mit welchem Begriffsverständnis man bei Lorenz von Stein zu einer Verbindung von Monarchie und Demokratie gelangen kann130. Die Demokratie, der "die Zukunft gehören wird"131, ist bei Lorenz von Stein die Utopie der allseitigen Harmonie mindestens des "solidarischen Interesses" 132, die als Paradies auf Erden zwar von anderen Zeitgenossen angestrebt, von ihm aber für unwirklich, mindestens für unstaatlich gehalten wird. Als Staatsform kann die Demokratie vor ihm unter keinem Gesichtspunkt bestehen. Das allgemeine Stimmrecht ohne Besitz erscheint ihm bodenlos. Zwar fordert Lorenz von Stein die staatsbürgerliche Freiheit ebenso wie die "Verfassung" und will den Staatswillen aus dem Volkswillen hervorgehen lassen, aber doch nur auf "organische" und "vernünftige" Weise. Daher kann das Stimmrecht nicht als Menschen-, sondern nur als staatsbildendes Recht gewertet werden. Fürchtete Hegel insoweit die Vermassung und Zersplitterung der Staatswillensbildung, so warnt Lorenz klasse als "Versöhnung des Gegensatzes zwischen den beiden anderen Klassen". Vgl. auch v. Gneist, Dreiklassenwahlrecht (FN 98), S. 108. 127 Finanzwissenschaft I, S. 150, 155: hier taucht, soweit ersichtlich, erstmals die Kontroverse Rechtsstaat I Sozialstaat in der Alternative Besitzschutz I steuerliche Umverteilung auf. 128 Zitiert nach: Proletariat, S. 47, dazu S. 44 ff. Beim Stimmrecht legt v. Stein - anders als beim Herrschaftsrecht des Königs - die Betonung auf den Erwerb statt auf die Erbschaft des Besitzes. UI Geschichte I, S. 472 ff.; zu den Begriffsvarianten vgl. Böckenjörde, Stein (FN 12), S. 254 ff. (besonders S. 254 Anm. 23). 130 Vgl. Blasius (FN 98). v. Stein erwähnt allerdings zuweilen die Verbindung von Monarchie und Demokratie, doch sind dabei ersichtlich nicht die Staatsformen gemeint; die "Demokratie" ist ni'cht die des allgemeinen, herrschaftslegitimierenden und -konstituierenden Stimmrechts. 131 Geschichte III, S. 207; dort zum nachfolgenden Text: "Wenn daher endlich das, was man die Demokratie nennt, die Verfassung zur Hauptsache macht, so ist sie unmächtig; wenn sie die Verwaltung zum Gegenstande macht, so ist sie keine Demokratie mehr" - weil unglei'ch handelnd; vgl. ferner Geschichte III, S. 490! Dazu Blasius, (FN 61), S. 126 f. ta! Geschichte III, S. 200 ff.

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von Stein vor dem Niveauverlust, wenn sich die Staatsbürger auf der niedrigsten Stufe gleicher Menschennatur treffen133 • Volksvertretung kann für ihn daher - auch in der sozialen Demokratie - nur heißen: Vertretung des Volkes gegenüber dem Staat durch die Besitzenden für sich und die Nichtbesitzenden134 • Das heißt: solidarische, aber nicht allgemeine Interessenvertretung. Im Widerspruch zu der andernorts vertretenen These, daß Freiheit politische Mitwirkungsfreiheit ist, soll die "soziale Verwaltung" das politische Interesse der Nichtbesitzenden dämpfen und ihnen die "Verfassung" aus dem Blick rücken. Eine solche Leistung der Volksvertretung hält Lorenz von Stein jedoch für eine ferne Zukunftsvision. Insoweit die Monarchie für den Staat konstitutiv ist, treten Volksvertretung und Mandat im Repräsentationswert hinter König und Amt zurück. Begrifflich wird das nochmals in der Entgegensetzung von "Amt" und "Mandat" deutlich. Ordnet Lorenz von Stein jenem die konkrete, im Rahmen des Amtsauftrages ermessensfreie Staatszweckverwirklichung zu, so begreift er dieses als einseitige Auftrags- beziehungsweise Interessenbindung. Sie läßt die Erwartung, daß ein Mandatsträger ausgleichend, gemeinwohlorientiert wirken könnte, gar nicht erst aufkommen. Daß ein mit einem freien Mandat versehener Volksvertreter das Gemeinwohl im Blick behalten, daß er sein besonderes mit dem allgemeinen Interesse in Einklang bringen und so Vertreter des ganzen Volkes werden kann, auf diese - für die Funktion des Amtes grundlegende - Annahme wird nicht gesetzt. Sie war im zeitgenössischen Schrifttum, das weniger auf - ökonomische - Bedürfnisse und mehr auf die Verantwortung des Abgeordneten abstellte, gleichwohl vorhanden135 • Die Republik des gegenseitigen Interesses u8 bestimmt das Bild der Volksvertretung bei Lorenz von Stein ebensowenig wie das Staatsethos. Günstigenfalls toleriert die Volksvertretung - soll heißen: die Kammermajorität der herrschenden Klasse - Politik und Verwaltung der monarchischen Regierung; regelmäßig aber trachtet sie danach, einen vom Interesse geprägten bestimmenden Herrschaftseinfluß zu gewinnen. Angesichts dessen muß das Amt die Stellung des Staates halten. Eine freundlichere Aussicht bietet das "Zur preußischen Verfassungsfrage" vorgetragene Modell. Der geschichtlich ausholende RückGeschichte I, S. 286, 290. Deutlich: Geschichte I, S. 204 ff. 136 Vgl. Z. B. v. Rotteck, Lehrbu'ch (FN 18), S. 238 ff.; besonders auch v. Mahl, Staatsrecht I (FN 119), S. 37, der das politische Ausgleichsinteresse aus dem Wechsel der Regierungsparteien ableitet. Weitere Nachweise bei Blasius. Stein (FN 61), S. 182 ff. 13B Vgl. Geschichte IH, S. 194 ff., besonders S. 203, 207, 486. lU

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verweis auf die staatsbildende Kraft hochmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Ständeversammlungen, deren Orientierung am Gesamtinteresse als Vorbild geschildert wird, trägt zur Rolle der modernen Volksvertretung allerdings wenig bei, da ihre Funktionsfähigkeit in der Hauptsache auf das Niveau des Güterlebens, mithin auf den Zustand der aktuellen Volkswirtschaft gestützt wird137 : "Die Möglichkeit einer Volksvertretung" beruht auf der "wirtschaftlichen Zusammengehörigkeit" eines Volkes138. Sie ist es, die die notwendige Interessenharmonie der Staatsbürger und ihrer Vertreter begünstigt und sie instandsetzt, die Rücksichtnahme auf das Interesse der einen als Vorteil der anderen zu erkennen. Je mehr eine Volkswirtschaft demnach - nach Preußens Vorbild: durch staatlich-bürokratische Anstrengungen, aber offenbar nicht aus Einsicht der am Wirtschaftsleben beteiligten Individuen und gesellschaftlichen Gruppen - zusammenwächst, um so mehr gewinnt die durch sie geprägte Volksvertretung - die "volkswirtschaftliche Volksvertretung"130 - die Fähigkeit zum Interessenausgleich und kann um so mehr in den staatlichen Entscheidungsprozeß, über die bloße Beratung und Kontrolle hinaus, maßgeblich und verantwortlich einbezogen werden. Erscheint die Integrationswirkung der Volksvertretung insoweit noch als Resultante wirtschaftlicher Integration, so trägt Lorenz von Stein der Volksvertretung in anderer Hinsicht sogar eine eigene Integrationsaufgabe an. Da "die wahre Kraft einer Volksvertretung in dem Zusammenfassen des Gesamtwillens und der Gesamtideen des Volkes beruht"UO, will Lorenz von Stein sie sogar für die Konsolidierung des Staates in Anspruch nehmen. Im doppelten Sinne: zum einen als Plattform "möglichster Verständigung über die Gemeinschaft der Interessen" bei der Staatswillensbildung, zum anderen als Integrationsorgan in die Gesellschaft hinein: Indem die Volksvertretung "aus den Vertretern der gesellschaftlichen Elemente besteht, indem sich in ihr die höchsten Spitzen der socialen Zustände und Gegensätze berühren, wird sie zugleich zu einem gesellschaftlichen Organ"141. So wächst ihr eine doppelseitig tragende Rolle zu: "Sie ist der Kern der Staatsordnung, wie sie der Kern der Gesellschaftsordnung ist. Was sie zu einer Gesellschaft gemacht hat, das wird von selbst ein Staat bleiben und werden142." Allerdings gilt auch eine solche Volksvertretung nicht als "selbsttätiges Princip", sondern nur als "eine Consequenz", nämlich letztlich der 137

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Verfassungsfrage, S. 6, 13 ff. Verfassungsfrage, S. 15. Verfassungsfrage, S. 17; ähnlich System I, S. 562. Verfassungsfrage, S. 8. Verfassungsfrage, S. 18 f. Verfassungsfrage, S. 22.

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wirtschaftlichen Verhältnisse. Lorenz von Stein setzt insoweit die nationale Einigung in der Volkswirtschaft voraus: die Einheitsnation in Form der Nationalwirtschaft. Wie verhält sich diese insgesamt positive Einschätzung der Volksvertretung zu dem andernorts begründeten Gemeinwohlmonopol der Ämter, der Regierung und insgesamt des Königs. Die rechtssystematische und staatstheoretische Verbindung dazu verbirgt sich hinter den historischen und politischen Befunden, auf denen die Schrift aufbaut. Sie ergeben die Ausgangsthese, daß Preußen bereits dank der Tätigkeit seiner Regierung und ohne Zutun einer Volksvertretung ein Staat ist. "Zur preußischen Verfassungsfrage" äußert sich Lorenz von Stein daraufhin nur hinsichtlich der "Verfassung", das heißt: des Wirkungsbereichs der Volksvertretung. Seine Schrift zielt darauf, Preußen eine dementsprechende Verfassungsreife jetzt und in Zukunft abzusprechen, um leidenschaftlich für eine deutsche Nationalrepräsentation zu plädieren: Frankfurt statt Berlin. Dafür, so scheint es, wird die gesellschaftsbildende und staatsbildende Kraft der Volksvertretung bemüht. Dies wirkt nicht als Widerspruch, da das erwünschte Deutschland noch nicht zur Staatlichkeit gefunden hat - die Monarchie ist gerade am König von Preußen gescheitert. Infolgedessen fehlt jeder Anlaß, die Rolle der Volksvertretung gegen die des Amtsorganismus zu gewichten und auf die jeweiligen Legitimationsgründe abwägend einzugehen. Wenn sich unter dem Blickwinkel der "Preußischen Verfassungsfrage" herausstellt, daß die Volksvertretung mehr als einseitige Interessendurchsetzung betreiben und unter Umständen sogar zur Gesamtrepräsentation beitragen kann, so kann dies gleichwohl nicht als Fähigkeit zur Herrschaftsführung ausgedeutet werden. Bei aller Betonung staatsbürgerlicher Freiheit besteht im System Lorenz von Steins kein Anlaß, in der Volksvertretung die politische Alternative von Königtum und Amtswesen zu erwarten. In die Herrschaft wird die Volksvertretung nicht eingewiesen143 • Eingegliedert in den Organismus des Staates, ist sie dennoch nicht "Element" der Staatlichkeit, sondern bleibt mehr oder minder - Gegenkraft im Staatsgefüge. Dies äußert sich auch im Gesetzesbegriff 144 • Zwar wird mit ihm die Öffnung des Staates zur Gesellschaft und die Anerkennung staatsbürgerlicher Freiheit ausgedrückt, aber zugleich auch in Grenzen gehalten. Die Gesetzgebung wird keineswegs der Volksvertretung überantwortet und damit - aus der Sicht Lorenz von Steins - vergesellschaftet. Dem steht - ganz im Sinne des geltenden Verfassungsrechts - die monarchische Sanktionskompetenz als Kern staatlicher Willensbildung entgegen. Vor allem aber gilt die Regel, daß die soziale Reform in erster Linie Verwaltungs148 144

In der Bewertung ebenso Blasius, Preußen (FN 45), S. 354 f. Dazu näherhin Böcken!örde, Gesetz (FN 37), S. 151 f.

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aufgabe ist und infolgedessen dem "Amtswesen" obliegt, dessen Handlungsmaximen "selbständig", also unabhängig von gesellschaftlichen Einflüssen formuliert werden. Die Mitwirkung der Volksvertretung ist nicht Mitherrschaft. Positiv betrachtet, erscheint die Volksvertretung als staatsmachthemmendes Moment und als Organ der Vermittlung. Lorenz von Stein schließt auch in diesem Punkt an Hegel an, argumentiert aber mehr auf den Staat hin. Hegel hatte die Stände zwischen der Regierung und dem "in die besonderen Sphären und Individuen aufgelösten Volke" angesiedelt, um die allgemeine Angelegenheit nicht nur "an sich, sondern auch für sich", das heißt: im allgemeinen Bewußtsein, zum Ausdruck kommen zu lassenl45 ; in diesem Sinne wollte er die Abgeordneten "organisch", nämlich als "Repräsentanten ihrer großen Interessen" betrachtet wissen statt als Vertreter der vielen einzelnen oder einer abstrakten Menge von Staatsangehörigen148 • Vermittlung bedeutet hier vor allem: Artikulation diffuser Interessen, repräsentative Zusammenfassung und Geltendmachung gegenüber beziehungsweise in dem Staat. Das ist die eine Vermittlungsfunktion. Sie entspricht dem Prinzip staatsbürgerlicher Freiheit. Die andere Vermittlungsfunktion verhält sich zu jener dialektisch. Ihr Zweck besteht darin, die staatlichen Instanzen durch übermittlung der gesellschaftlichen Interessen zu stärkerer Wirksamkeit instandzusetzen und ihnen Integrations- sowie Loyalitätshilfe zu leisten l47 • Lorenz von Stein macht daraus ein überlebensgebot des monarchischen Staates schlechthin. Er sieht in der Vermittlung nicht nur eine politisch vernünftige, sondern eine notwendige Einrichtung148 • Daß der Staat "Verfassungs"-Staat zu sein und die Vermittlung zur Gesellschaft - sowie umgekehrt - in Form der Volksvertretung und im Verfahren der Gesetzgebung herzustellen hat, ist eine Forderung, die den Bürger zum Staatsbürger befördern, den Staat aber nicht zum Bürger-Staat umgestalten, sondern zur souveränen Aufgabenerfüllung, zur Staatlichkeit auch unter den Bedingungen einer modernen Erwerbsgesellschaft instandhalten soll. Pointiert gesagt: in der Volksvertretung stellt und entlastet sich der Staat, um amtsmäßig wirken zu können. Diese Rollenverteilung hat sich im Zuge der Umbildung des Staates von der Monarchie zur Demokratie erledigt. Die Volksvertretung ist 145 Rechtsphilosophie (FN 61), §§ 302, 301. Dazu S. Avineri, Hegels Theorie des modernen Staates (1972), deutsche Ausgabe Frankfurt 1976, S. 194 ff. 148 Rechtsphilosophie (FN 61), § 311. 167 Die verschiedenen Zwecke der Repräsentation werden von R. v. Mahl, Staatsrecht I (FN 119), S. 22 f. systematisiert und erläutert. Darauf nimmt die nachfolgende Literatur im 19. Jahrhundert häufig Bezug. 148 Zu v. Stein und Hegel vgl. Böcken!örde, Gesetz (FN 37), S. 145 ff., 151 f.; dazu v. Mahl, Staatsrecht I (FN 119), S. 22 f.

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damit aus dem Randbereich der Vermittlung in das Zentrum der Staatsleitung gerückt und zur maßgebenden, die Gemeinwohlbestimmung tragenden Staatsinstitution geworden. Wenn sich gleichwohl das Problem klassenneutraler Staatlichkeit nicht verschärft hat, sondern nur in neuer Form stellt, so liegt das an Bedingungen, die Lorenz von Stein teilweise nicht vorhergesehen, teilweise, im Bestreben nach systematischer Geschlossenheit, übersehen hat. Zu ersteren gehört die für die Ausbreitung des Mittelstands und für eine soziale Verwaltung grundlegende Wirtschaftsentwicklung. In gewisser Weise gehört dazu auch die Ausbildung von Parteien und Verbänden als neuer Vermittlungseinrichtungen, die die von Lorenz von Stein hervorgehobene gesellschaftliche Unmittelbarkeit der Volksvertretung mediatisiert und ihr dadurch den Weg in die staatliche "Selbständigkeit" geebnet hat. Lorenz von Stein hat die in Frankreich und Deutschland spätestens seit der Mitte seines Jahrhunderts zu beobachtenden Parteibildungen wohl zur Kenntnis genommen, aber einseitig im Sinne eines am Besitz orientierten Interessendualismus interpretiert. Mit dem - auch seinerzeit vorhandenen - Pluralismus der Interessen sowie mit den damit zusammenhän~ genden Folgen gesellschaftlicher Machtaufteilung und -balance hat er hingegen weder beim einzelnen Staatsbürger noch bei der Volksvertretung insgesamt gerechnet. In seinem Ordnungssystem fehlt im Grunde die Dimension der auf vielfältige, wechselnde Gegenstandsbereiche gerichteten Politik, die die Volksvertretung über die Alternative von Besitz und Nichtbesitz hinaus zum Ort der Vermittlung und Integration machen kann. Andererseits ist die staatsständische In~ teressenneutralität der Beamtenschaft, die Lorenz von Stein der Volksvertretung hauptsächlich entgegensetzt, schon zu seiner Zeit nicht mehr selbstverständliche Gegebenheit149 • Der Beamte als Träger gesellschaftlicher Sonderinteressen, vor allem: der Beamte als Volksvertreter, spätestens seit 1848 eine geläufige Erscheinung150, relativiert das dichotomische System von Amt und Volksvertretung. Unter diesen gewandelten Voraussetzungen treffen sich beide Einrichtungen vor dem Anspruch gemeinwohlverpflichteten Verhaltens. Das Problem bleibt allerdings, wie dieser im Amtsauftrag ausgedrückte Anspruch gesichert werden kann.

ua Dazu Koselleck, Reform (FN 81), S. 392 ff.; W. Conze, Das Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft im Vormärz, in: ders. (Hrsg.), Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815 - 1848, Stuttgart 1962, S. 207 (228 f.). 150 Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte (FN 71), Bd. H, Stuttgart 1960, S. 610 ff.

Zur Rolle der Verbände im Rahmen der sozialen Verwaltung nach der Lehre von Lorenz von Stein Die Stellung Lorenz von Steins in der neueren Staats- und Gesellschaftslehre Von Ulrich Scheuner

I. Die gesellscltaftliche Entwicklung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und die Stellung der freien Vereinigungen Drei Gelehrte haben in der ersten Hälfte und in der Mitte des 19. Jahrhunderts es unternommen, den Gang der allgemeinen politisch-sozialen Entwicklung, die sich daraus ergebende Aufgabe und Richtung der staatlichen Tätigkeit und die Lage der gesellschaftlichen Kräfte in einem umfassenden Bilde zu schildern und zu bestimmen: RobeTt 'V. Mohl (1799 - 1875), LOTenz 'V. Stein (1815 -1890) und Otto 'V. GieTke (1841-1921)1. Für ihre ~danken bildete einen wesentlichen, bei Stein den entscheidenden, Ausgangspunkt die soziale Frage. Alle gingen aus von dem Gegensatz von Staat und Gesellschaft, sahen das soziale Problem vor allem in den Spannungen der aufsteigenden Industriegesellschaft begründet und erblickten in der reformerischen Bewältigung dieser Frage von Kapital und Arbeit eine entscheidende Aufgabe ihrer Zeit. Die beiden älteren Autoren, nur durch eine halbe Generation altersmäßig getrennt, hatten die Grundlage ihrer Anschauungen bereits in der Zeit vor 1848 gewonnen. Im Unterschied zu der liberalen Richtung, die vor allem auf die verfassungsrechtliche Fortbildung ausgerichtet war und die die Beantwortung sozialer Fragen von der Harmonie befreiter wirtschaftlicher Kräfte erwartete, und die mit der Herstellung einer Verfassungsordnung der freien, auf rechtliche Gleichheit gegründeten Gesellschaft ihr Ziel erreicht sah, gingen Mohl und Stein, der letztere namentlich in seiner späteren Entwicklung, von der überzeugung aus, daß diese politische Freiheit und Gleichheit nicht aus1 Alle drei, ebenso wie Gneist, kamen aus einem bürgerlichen Milieu und empfingen den Adel erst als Lohn für ihre Lebensleistung. Zur Biographie und Bibliographie siehe G. KleinheyeT / J. SchrödeT, Deutsche Juristen aus fünf Jahrhunderten, Karlsruhe 1976.

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reiche, um die sozialen Gegensätze innerhalb der Gesellschaft zu überwinden, daß der Staat angesichts dieser unausgeglichenen Lage die Freiheit und Gleichheit aller durch eine gestaltende aktive Rolle seiner Verwaltung verwirklichen müsse. Mohl, selbst einer liberalen Richtung entsprossen, wich darin entschieden von der liberalen Linie ab, die ihre Forderung auf Beschränkung der Staatstätigkeit, auf die volle Freigabe des ökonomischen Raumes an die höchstens einer sicherheitswahrenden Aufsicht unterstellten Kräfte der Gesellschaft richtete, indem er an einer umfassenderen Bestimmung der staatlichen Aufgaben festhielt. Sein Bild der Verwaltung gründete er zwar auf eine das subsidiäre helfende Element umschriebende Definition der rechtsstaatlichen Verwaltung (Polizei)2, aber er behielt in Wirklichkeit den weit ausgedehnteren Auftrag der älteren Verwaltung bei und erstreckte ihn auf die in die Prinzipien der Armutsbekämpfung eingefügte soziale Frage3 • Gierke, eine Generation jünger, entwickelte einen politischen Ansatz in seinem "Genossenschaftsrecht", das in seinem ersten Bande auf die freien Assoziationen und die in ihnen entfaltete tätige gegenseitige Hilfe und Selbstverwaltung verweist. In diesen Kräften, die er auf die germanische Rechtsgeschichte zurückführt, erblickt Gierke ein Mittel zur Herstellung einer Verbindung von Staat und Gesellschaft im Zeichen bürgerlicher Freiheit4, hat aber diesen bedeutenden Ausgangspunkt später nicht durchgehalten. In den weiteren Bänden des "Genossenschaftsrechts" überwiegt die geschichtliche Blickweise, so daß earl Schmitt sagen konnte, das Werk sei mit dem erst 1913 erschienenen 4. Band "in ungeheuren historischen Materialhaufen " ohne Bezug zur politischen Gegenwart stecken geblieben5• Dennoch hat Gierke, wie seine Kritik an der mangelnden sozialen Einstellung der Entwürfe zum BGB zeigte, seine Offenheit gegenüber sozialen Fragen bewahrt, und sein Interesse blieb auch der Sphäre des Verbandeswesens erhalten6 • Neben diesen Gelehrten ist Rudolj von Gneist (1816 - 1895) zu nennen, Mohl wie Stein freundschaftlich verbunden - Stein widmete ihm den ersten Band seiner "Verwaltungslehre" (1865). Er unterscheidet sich von ihnen dadurch, daß sein Augenmerk nicht den sozialen Problemen galt, 2 Vgl. Die Polizeiwissenschaft auf der Grundlage des Rechtsstaats, 1. Aufl. Tübingen 1832/33, Bd. 1, S. 6, 14. 3 Polizeiwissens'chaft, Bd. 1, S. 291 ff., und bes. 3. Aufl., 1966, Bd. 1, S. 464 bis 507. , Das Deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. 1 (1868), S. 382 ff. Eine gründliche Würdigung dieser sozialpolitischen Konzeptionen Gierkes jetzt bei Gerhard Dilcher, Genossenschaftstheorie und Sozialrecht: Ein Juristensozialismus Otto von Gierkes? Quaderni Fiorentini per la storia deI pensiero giuridico moderno 3 - 4 (1974 - 75), S. 319 ff. s earl Schmitt, Hugo Preuss, Tübingen 1930, S. 15. S Die Rede "Das Wesen der menschlichen Verbände (1902)" (Neudruck Darmstadt 1954) ist freilich nicht deren Funktionen, sondern dem Begriff der realen Verbandspersönlichkeit gewidmet.

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sondern sich auf Verfassung und Verwaltung konzentrierte. In der Selbstverwaltung, in der ehrenamtlichen Mitwirkung der Bürger an den staatlichen Geschäften, erblickte Gneist ein wesentliches Mittel der von ihm geforderten Verbindung zwischen Staat und Gesellschaft7 • Allen diesen Männern war gemeinsam, daß sie in den Auseinandersetzungen der Jahrhundertmitte die Bedeutung der gesellschaftlichen Kräfte und Probleme in ihre Betrachtung einbezogen, die Lösung der bestehenden Spannungen aber von einem durch gesellschaftliche Kräfte unterstützten Eingreifen des Staates erwarteten. Bei Mohl führte ein frühes Interesse an der Arbeiterfrage8 zur Befassung mit gesellschaftlichen Problemen, zu der Konzeption einer besonderen Gesellschaftslehre und zu einer Einbeziehung dieses Bereiches in den Kreis der staatlichen Verwaltung. Am Ausgang seines Lebens hat Mohl es als Mangel der Reichsverfassung von 1871 gerügt, daß sie die soziale Frage nicht berührte'. An Umfang und Tiefe aber steht in der Verfolgung der sozialen Probleme des 19. Jahrhunderts das Werk von Lorenz v. Stein weit voran. Suchte Mohl, von der Rechtswissenschaft herkommend, durch seinen Begriff der Staatswissenschaften noch eine innere Einheit zwischen Recht, Wirtschaftswissenschaft und sozialer (soziologischer) Forschung zu erhalten, die unter seinen Händen schon in die Richtung der Ausbildung getrennter Disziplinen drängten, so verstand es Lorenz v. Stein, von einer breiten philosophischen Grundlage hegelischer Provenienz her noch einmal im Zeichen der Verwaltungslehre eine der sozialen Bewegung wie der rechtlichen Ordnung zugleich zugewandte umfassende Betrachtung zu erhalten. Die Arbeit aller dieser genannten Gelehrten wie anderer Zeitgenossen (Riehl, Bluntschli) macht es jedenfalls in ihrer Zuwendung zu einem Modell des sozial aktiv handelnden Staates deutlich, daß in dieser bis in die 70er Jahre reichenden Epoche der Reichsgründung keineswegs die Diskussion um die verfassungsrechtliche und soziale Fortbildung des nationalen Staates beendet war. Das Bild, das eine Gruppe jüngerer Historiker vom Deutschen Reich nach 1871 als einem cäsaristisch-bonapartistischen Regime mit einseitiger starrer Begünstigung der herrschenden Schichten zeichnet10, wird nicht nur der subtileren und be7 Verwaltung, Justiz und Rechtsweg, Berlin 1869, S. VII; Die Eigenart des Preußischen Staates, Berlin 1873, S. 23 f. 8 Der erste Aufsatz zur Arbeiterfrage erschien 1835 im Archiv f. polit. Ökonomie von Rau, Bd. 2, S. 141 ff. Ihm folgt die grundlegende Arbeit über "Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der politischen Ökonomie", Dt. Vj.-Schrift, Heft 7 (1840), s. 1 ff. U Das Deutsche Reichsstaatsrecht, Tübingen 1873, S. 114. 10 H. U. Wehler, Das Deutsche Kaiserreich 1871 -1918, Göttingen 1973, S. 65 ff.; Michael Stürmer, Regierung und Reichstag im Bismarckstaat 1871 bis 1880, Düsseldorf 1974, S. 13 ff. Kritisch zu dem ausgeweiteten Begriff des Bonapartismus L. Gall HZ 223 (1976), S. 618 ff. An dieser Sicht des Reiches

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weglicheren Anlage der Politik des Reichsgründers, der neue Ideen aufzugreifen und in sein System einzufügen verstand, nicht gerecht, sondern unterschätzt auch die in den Diskussionen liegenden Möglichkeiten, die freilich nur teilweise und unvollkommen zum Zuge gelangten (z. B. in der preußischen Verwaltungsreform der 70er, der Sozialversicherung der 80er Jahre); Die große staatswissenschaftliche Diskussion der 50er und 60er Jahre ist gewiß in weitem Maße durch die politischen Entscheidungen und die auf diese sich gründende positivistische Richtung beiseitegerückt worden. Aber sie lebte doch in der wissenschaftlichen Erörterung begrenzt fort (Schäffle, Brentano) und hat in manchen ihrer Ideen eine Nachwirkung erzielt. Im Ganzen freilich stellen die 70er und 80er Jahre des 19. Jahrhunderts in Deutschland einen Zeitabschnitt dar, in dem die weitreichenden, noch vor offenen Lösungen geführten Debatten der früheren Jahre endeten und eine neue auf das Errungene und das Bestehende sich orientierende Richtung die Vorhand gewann. In der Ansicht Lorenz v. Steins rücken die Vorgänge innerhalb der Gesellschaft in den Mittelpunkt. Aus ihnen ergibt sich der eigentliche Anstoß der sozialen Bewegung. In seiner ersten Periode, vor 1848, sprach Stein die Erwartung aus, daß nicht mehr der Staat die Gesellschaft gestalten werde, sondern vielmehr der Staat durch das Leben der Gesellschaft bedingt sein werde11 • Ausgangspunkt des am Denken Hegels orientierten gesellschaftsphilosophischen Aufrisses der gesellschaftlichen Bewegung ist bei Stein die französische Revolution. Sie hat die ältere, in festen Ständen und Corporationen gegründete ständische Gesellschaft zerbrochen und verfassungsrechtlich die Herrschaft von Freiheit und Gleichheit herbeigeführt. Die neue Ordnung der staatsbürgerlichen Gesellschaft, gegründet auf die freie Persönlichkeit, hat aber nicht mit der politischen Freiheit und Gleichheit auch die Geltung dieser Grundsätze im gesellschaftlichen Leben bewirken können. Indem sie zwar den grundherrlichen arbeitslosen Besitz aufhob, stellte sie das gesellschaftliche Leben auf den Ertrag der Arbeit, dessen Verteilung die Ordnung der sozialen Klassen bestimmt. In der auf dem Besitz ruhenden Ordnung der Gesellschaft herrscht daher Ungleichheit; es bilden sich die Schichten der Besitzenden und der Nichtbesitist richtig die Herausarbeitung der immanenten Gegensätze zwischen der festgehaltenen Macht einer älteren politisch-sozialen Ordnung des Grundbesitzes und der bürokratisch-militärischen Elite und der fortschreitenden Ausbildung einer modernen Industriegesellschaft, verfehlt aber die - ideologisch bedingte - These, daß die soziale und politische Entwicklung damit unlösbar auf ihrem Wege erstarrt und festgelegt gewesen sei; das gilt nicht einmal für das reale Geschehen. 11 Socialismus und Communismus des heutigen Frankreichs, Leipzig 1842 (Soc. u. Co.) S. 446.

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zenden aus, und die nichtbesitzende Arbeit gerät in Abhängigkeit vom Eigentum, so daß das System einer Freiheit und Gleichheit im gesellschaftlichen Rahmen nicht erfüllt wird12 • Der hieraus sich ergebende Gegensatz von Kapital und Arbeit, das Absinken der Arbeiter in Abhängigkeit und Armut, begründet den Anstoß der sozialen Bewegung, die auf die Änderung dieses Zustandes im Wege der Revolution oder der Reform abzielt. Dabei richtete sich der Blick Steins in seinen jüngeren Jahren stärker auf die in den sozialistischen Lehren diskutierten Möglichkeiten neuer Formen der Güterproduktion und Güterverteilung, während er dem Kommunismus mit seiner Aufhebung des persönlichen Eigentums als Negation der Idee der Persönlichkeit stets ablehnend gegenüberstand13 • Die Revolution von 1848 bedeutete wie für so viele andere auch für Stein eine gewisse Cäsur ihres Denkens. Hatte Stein von der französischen Februarrevolution als sozialer Revolution14 einen entscheidenden Schritt zur politischen überwindung der Klassengesellschaft erwartet, so zeigte sich aber nun, daß über das allgemeine Wahlrecht und die Volkssouveränität die Verbindung von Besitz und politischer Macht erschüttert und damit am Ende die Rückwendung des Besitzes zur Befestigung seiner Herrschaft in der napoleonischen Diktatur erreicht wurde1s. Indem Stein seinen Standpunkt auf der bürgerlichen Seite behielt und bei der Erhaltung des Eigentums als der Grundlage des gesellschaftlichen Systems verblieb 16 , wendete sich nun sein Blick in Zukunft dem Wege der Reform ZU17, deren Ansätze nicht in der GesellI! Soc. U. C., S. 24 f. Blicke auf den Socialismus und Communismus in Deuts'chland und ihre Zukunft (1844), Neudruck hg. v. E. Pankoke, Darmstadt 1974 (Blicke), S. 13 f. Gesellschaft und soziale Bewegung in Frankreich (Leipzig 1850), neu hg. v. G. Salomon 1921, Neudruck Hildesheim 1959 (Soz. Bew.), Bd. 2, S. 55 ff. 13 Vgl. Blicke (N. 12), S. 14 f. Der Begriff der Arbeit und die Prinzipien des Arbeitslohnes in ihrem Verhältnis zum Socialismus und Communismus (1844), Neudruck hg. v. E. Pankoke, Darmstadt 1974 (Arbeit), S. 81 ff., Soz. Bew., Bd. 2, S. 379 ff. 14 Soz. Bew., I, S. 1. 15 Soz. Bew., IH, S. 128 ff., 393 ff., und dazu E. Pankoke, Sociale Bewegung - Sociale Frage - Sociale Politik, Stuttgart 1970, S. 84 ff. 18 Zum Festhalten an der Ordnung des Eigentums, siehe Soz. Bew., I, S. 114; Handbuch der Verwaltungslehre, 3. Auf!. Stuttgart 1887/88 (Handbuch), Bd. 3, S. 35: "Zuerst kann eine solche sociale Verwaltung niemals die gegebene Verteilung der Güter durch die Staatsgewalt ändern, da die erstere die Consequenz der freien Arbeit des Individuums ist, welche die letztere als die Grundlage aller Entwicklungen der Menschheit anerkennen muß." 17 Entscheidende Darlegungen Soz. Bew., I, S. 93 ff., wo auf S. 101 ausgeführt wird, daß die Revolution nicht die überwindung der Ungleichheit, sondern notwendig die Begründung neuer Gegensätze in der Gesellschaft sein muß. Vgl. auch Soz. Bew., IH, S. 206, über den Weg zur Freiheit durch Hebung der Arbeiterverhältnisse. Siehe hierzu Pankoke (N 15), S. 88, 128. Die Neigung zur Reform tritt in den späteren Jahren beherrschend hervor. Vgl. Handbuch, Bd. 3, S. 23 ff.

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schaft, sondern in dem über ihr stehenden durch seine Verwaltung handelnden Staat liegen sollten. Damit rückt für ihn in der zweiten Phase seiner Entwicklung die Verwaltungslehre in die Mitte und wird zum Ausdruck der Möglichkeiten einer Reform, die ohne die Grundlagen des Besitzes in der Gesellschaft zu verändern durch Hebung der arbeitenden Klasse dieser einen Anteil am Besitz und den Schutz zur Entfaltung ihrer Persönlichkit ermöglichtt8 . Diese Züge einer durch soziale Verwaltung bewirkten Entspannung des gesellschaftlichen Zustandst', die gerade im Spätwerk Steins bestimmend hervortreten2o, lassen die Grundlinien seines Denkens klar erkennen. Er bleibt auch jetzt dabei, die gesellschaftliche Situation im Zuge einer geschichtlichen Bewegung zu deuten, die sich im steten Ringen von Staat und Gesellschaft, vor allen in der Auswirkung der tätigen Verwaltung und der als Gesellschaft angesehenen Güterordnung vollzieht2t , aber er sieht nun den eigentlichen Fortgang der sozialen Frage auf der Seite der staatlichen Verwaltung, der es als sozialer Verwaltung gelingen kann, durch Unterstützung der Kapitalbildung im Bereiche der Arbeit und durch Schutz der Arbeitskraft zu einer Milderung der Spannungen und Gefahren zu gelangen22. Wenn die Gesellschaft bei Stein als das System der Güterordnung, der Verteilung des Besitzes erscheint23, in erkennbarer Anknüpfung an Hegels Konzeption der bürgerlichen Gesellschaft, so kann ihre Entwicklung verschiedene Formen annehmen. In der älteren ständischen Ordnung zeigte sie eine auf dem Prinzip der Verfestigung und rechtlichen Abgrenzung beruhende ständische Ordnung, die durch die französische Revolution zerbrochen und durch die Freisetzung der individuellen Kräfte in der staatsbürgerlichen Gesellschaft ersetzt wurde. Diese historische Veränderung erstreckt sich auch auf die Gliederungen der Gesellschaft. An Stelle der Geburtsstände, der Landstände, der Korporationen und Zünfte trat die freie Bildung vor allem der als solche nicht rechtlich verfaßten und durch den Besitz unterschiedenen Klassen. Handbuch, 3. Aufl., Bd. 3, S. 33 ff. Dazu Verwaltungslehre, Bd. I, 1, 2. Auf!. Stuttgart 1869, S. 31: "Die niedere, beherrschte Klasse der Gesellschaft kann nie durch sich allein zur rechtlichen Gleichheit mit der höheren gelangen; dies Ziel wird nur durch die Hilfe des Staates erreicht." 20 Es ist auffallend, daß die letzte Fassung der Gedanken Steins im Handbuch der Verwaltungslehre (3. Aufl. 1887/88) in der Literatur wenig Beachtung findet, die vielmehr vornehmli:ch das in seiner geschichtstheoretischen Art glänzendere Werk über die Soziale Bewegung in Frankreich von 1850 zum Gegenstand wählt. 21 Soz. Bew., I, S. 30 ff.; Verwaltungslehre, Bd. I, 1, 2. Aufl., S. 28 f. 22 Handbuch, 3. Auf!., Bd. 3, S. 65 ff., 213 ff. 23 Blicke (N. 12), S. 13; Der Socialismus in Deutschland (1852), Neudruck hg. v. E. Pankoke, Darmstadt 1974, S. 28 f. 18

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Auch darin weicht Steins Lehre von der liberalen Auffassung ab, daß sie Staat und Gesellschaft nicht allein aus den Individuen aufbaut, nicht allein in deren Position - insbesondere den Grundrechten, die nur die politische Verfassung bestimmen können - die maßgebenden Elemente erblickt, sondern in größeren überindividuellen Kräften und Richtungen des gesellschaftlichen Lebens. An dieser Stelle liegt der Ansatz für unsere Betrachtung, die sich auf Steins Auffassung von dieser Gliederung der Kräfte der Gesellschaft und ihre Rolle im staatlichen Gefüge erstreckt. Sie zeigt in markanter Weise, wie Stein Staat und Gesellschaft nicht als in sich geschlossene getrennte Systeme, sondern als sich gegenseitig beeinflussende und durchdringende Erscheinungen innerhalb der Gesamtheit des menschlichen Zusammenlebens versteht. Stein weist den Verbänden gerade im Bereich der Verwaltung und gerade der sozialen Verwaltung einen Platz an. Auch an diesem Punkt tritt in seinem Werk eine Entwicklungslinie zu Tage, die in erheblichem Maße einfach auch mit der allgemeinen Entwicklung der Vereinigungen im Laufe des 19. Jahrhunderts zusammenhängt, die erst nach der Revolution von 1848, im Grunde erst nach der Reaktionszeit der 50er Jahre, eine wirkliche Entfaltung des Verbandswesens bewirken konnte. Im Unterschied zu Stein hat Mohl seinen Begriff der Gesellschaft geradezu auf diesen Bereich des über den einzelnen hinausgehenden Verbandswesens abgestel1t24, und ebenso hat Gierke im Raum der genossenschaftlichen Vereinigung die Grundlage eines besonderen Sozialrechts gesehen25 • Ehe wir uns der Lehre Steins von der Gliederung der Gesellschaft und ihrer Rolle zuwenden, wird es notwendig sein, in Kürze einen Blick auf den rechtlichen und tatsächlichen Stand des Verbandswesens im Vormärz und um die Jahrhundertmitte zu werfen. Wenn Stein in seiner Untersuchung der gesellschaftlichen Situation den früheren Formen der ständischen Gesellschaft die durch die französische Revolution herbeigeführte staatsbürgerliche Gesellschaft der persönlichen Freiheit gegenüberstellt, so entspricht das gerade für das Gebiet der Verbandsbildung durchaus dem geschichtlichen Entwicklungsgang. Die Ordnung des ancien regime kannte zwar den Begriff 24 Mohl, Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, Erlangen 1855/58, Bd. 1, S. 88 f.; Encyklopädie der Staatswissenschaften, TÜbingen 1859, S. 18 ff. Auch den Inhalt der von Mohl geforderten Gesellschaftslehre sollte

die Ers'clleinung der menschlichen Verbindungen und Verbände bilden (GLStW, Bd. 1, S. 103 ff.; Encykl., S. 193 f.). 25 Auf die Entwicklung genossenschaftlicher Formen im Unterschied zur herrschaftlichen Organisation legt Gierke großes Gewicht. Vgl. Genosse!1schaftsrecht, I, S. 655 f., 900 f. Zum Gedanken eines öffentlichen Verbandsrechts siehe Gierke, Die Grundbegriffe des Staatsre'chts und die neuesten Staatsrechtstheorien, 1874, Neudruck Tübingen 1915, S. 94 ff. Dazu auch Dileher (N. 4), S. 355 ff.

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der freien menschlichen Vereinigung (societas, universitas, Gesellschaft)2', unterstellte ihm aber im wesentlichen nur die Familie, das Dienstverhältnis und die Handelsgesellschaften. Längst war die Zeit der freien Einigungen des späten Mittelalters abgelaufen. Der absolute Staat begegnete allen Vereinigungen der Bürger, die nicht von ihm eingerichtete Korporationen, Zünfte usw. darstellten, mit Mißtrauen. Er sah es nicht als Aufgabe seiner Einwohner an, sich um öffentliche Angelegenheiten zu kümmern21 • Daher nahmen solche Verbindungen, die allgemeine und politische Tendenzen verfolgten, im 18. Jahrhundert oftmal die Form geheimer Gesellschaften (Freimaurer, Illuminaten usw.) an, die der Staat untersagte und nicht selten sogar mit Strafe verfolgte28 • Das PrALR kennt neben den anerkannten Korporationen (Städten, Religionsgesellschaften, Zünften, vgl. ALR 11 8 § 191; 11 11 § 20) auch freie Gesellschaften (noch ohne klare Scheidung in ideelle und merkantile Vereinigungen), soweit sie nicht der gemeinen Ruhe, Sicherheit und Ordnung zuwiderliefen, unterstellte sie staatlicher Aufsicht und sah für unerlaubte oder verbotene Verbindungen Bestrafung vor, während es andererseits die vom Staate genehmigten privilegierten Korporationen anerkannte (ALR 11 6 §§ 1 - 25)29. Dem absoluten Staat entsprach mithin ein streng geregeltes, an staatliche Einrichtung oder !I Der Rechtslehre war seit dem Mittelalter die Figur des mit Rechtspersönlichkeit versehenen Personenverbandes (corpus, universitas, societas) bekannt. Vgl. Gierke, Genossenschaftsrecht, Bd. 3, S. 277 ff.; U. Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, Tübingen 1959, S. 11 f. Die ältere Lehre bezeichnete Städte, Provinzen, Zünfte usw. als universitates, s. Nicolaus Lossaeus, Jura Universitatum, Köln 1717. Die freien Vereinigungen wurden im 17.118. Jh. zuerst von Pufendorf als persona moralis composita bezeichnet (Jus Naturae et Gentium, 1672, I, 1 § 13), gern aber im 18. Jh. als societates benannt (G. Heineccius, Elementa Iuris Naturae et Gentium, Halle 1738, Lib. II, § 20, der sie auch als personae morales benennt). Zu ihnen rechnet man die Ehe, das Dienstverhältnis (Herr und Gesinde) und die zum Handel eingegangenen Gesellschaften. Vgl. G. AchenwaU, lus Naturale, 5. Aufl. Göttingen 1763, Bd. 2, S. 30 ff.; J. G. Daries, Institutiones Jurisprudentiae Naturalis, 3. Aufl. Jena 1748, §§ 570 ff. Dem Fürsten räumt Darles (§ 676) die Befugnis ein: "Ius efficiendi ut societates privatae, quae in civitate sunt, evadant iustae. Ergo et majestaticum est, ius societates iniustas, quae in civitate sunt, extinguendi." S. hierzu auch H. Denzer, Die Ursprunge der juristischen Person (persona moralis) in Deutschland und ihre Bedeutung für die Vorstellung von der Staatspersönlichkeit, Atti deI terzo congresso intemazionale della societä italiana di storia deI diritto, Florenz 1977, S. 1189 ff. 17 Zu der Lage im 18. Jh. vgl. Gierke. Genossenschaftsrecht, I, S. 865 ff., der hervorhebt, daß zwar ein allgemeines reichsrechtliches Verbot der Vereinigungen nicht bestand, diesen aber nur ein geringer Raum belassen blieb und die geheimen Gesellschaften bekämpft wurden. Vgl. auch Stein, Verwaltungslehre, 1. Aufl., Bd. 1, S. 537. 28 Siehe Gierke, Genossenschaftsrecht, I, S. 879 f., 882. Vgl. auch die Wahlkapitulation Franz ll., Kap. XV § 6, Corpus luris Publici Academicum v. S'chmauss, Ausg. 1794, Bd. 2, S. 1618. !D Auf die Genehmigungspflicht aller Gesellschaften als Grundsatz weist hin J. ehr. Leist, Lehrbuch des Teutschen Staatsrechts, Göttingen 1803, S. 501.

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jedenfalls Genehmigung gebundenes Verbandswesen. Auch in der Zeit des Vormärz änderte sich hieran nicht sehr viel. Keine der frühkonstitutionellen Verfassungen enthielt eine Anerkennung der Vereinsfreiheit. Zwar forderte die liberale Theorie Freiheit der Assoziation3o, aber die staatliche Gesetzgebung hielt im Ganzen an Genehmigung oder strenger Aufsicht über Vereinigungen fest und untersagte politische Verbindungen31 • Wenn sich trotzdem auf dem Gebiet der Bildung und der Wohltätigkeit Vereinigungen entfalten konnten, so blieb ihr Raum doch beschränkt. Erst in den Verfassungen nach 1848 wird mit Einschränkungen32, vor allem bei Vereinen, die politische oder öffentliche Angelegenheiten behandeln, die Vereinsfreiheit gewährt. So konnte sich in Deutschland tatsächlich erst seit diesem Zeitpunkt, vornehmlich seit den 60er Jahren, ein Vereinswesen entwickeln. Diese Lage macht es verständlich, daß das Werk Steins die weittragende Bedeutung noch nicht übersehen konnte, die wirtschaftliche und soziale Verbände gegen Ende des 19. Jahrhunderts gewinnen sollten33• Es bleibt dennoch bemerkenswert, daß Stein den Vereinen bis hin zu den Arbeitervereinen und den Anfängen der Gewerkschaften starke Beachtung geschenkt hat3' und die Vereine als wesentlichen Bestandteil des Verwaltungsorganismus, als freie Verwaltung würdig30 Siehe den Artikel von Welcker über "Assoziationen" in Rotteck I Welcker, Staats-Lexikon, 2. Aufl., Bd. 1 (1845), S. 732 ff. Zur Theorie der freiwilligen Vereinigungen in Deutschland s. auch Georg G. Iggers, The Political Theory of Voluntary Association in Early Nineteenth Century German Liberal Thought, in: Voluntary Associations, Essays in Honor of James Luther Adams, Richmond, Virginia 1966, S. 141 ff. 31 Der Bundesbeschluß v. 5. 7. 1832 (E. R. Huber, Dokumente zur Deuts'chen Verfassungsgeschichte, Stuttgart 1961, Bd. 1, S. 126 f.) verbot alle politischen Vereinigungen. Vgl. auch Gierke, Genossenschaftsrecht, I, S. 886 f. 32 Der Bundesbeschluß über das Vereinswesen v, 15.7,1854 schärfte no'chmals die Genehmigungspflicht für alle politischen Vereinigungen ein (E. R. Huber, Dokumente, Bd. 2, S. 6), wurde aber in wichtigen Staaten (Preußen, Bayern) gar nicht publiziert und durchgeführt. Vgl. Gierke, Genossens'chaftsrecht I, S. 889 f. 33 Hinsichtlich des öffentlichen Vereinsrechts hielt Stein in der 1. Aufl. der Verwaltungslehre noch an einem Genehmigungssystem fest. Das ergab sich für ihn aus der no'ch zu erörternden Einfügung der Vereine in den Gesamtorganismus der öffentlichen Verwaltung, die die Genehmigung als Anerkennung der Vereine als Organe der freien Verwaltung erscheinen ließ: Verwaltungslehre, 1. Aufl. (1865), S. 621. Die 2. Aufl., Bd. I, 3 (1869), S. 233 f., verknüpft die Bestätigung enger mit der Erhebung zur juristischen Person. Milder auch bereits 1. Aufl" Bd. 4, S, 107 ff. Ohne diesen Zusammenhang der Ansicht Steins mit seiner Einordnung des Vereinswesens in den Gesamtbau der Verwaltung zu erkennen, unterwirft Gierke, Genossenschaftsrecht, I, S. 888 Anm. I, diese Auffassung einer harten Kritik. M Bereits in der 2. Aufl. der Verwaltungslehre, Bd. I, 3 (1869), S. 1, S. 185 ff., erscheinen die zur Kapitalbildung gegründeten Arbeitervereine und im Handbuch (N. 16), 3, Aufl., Bd. 3, S. 196 ff" werden die Koalitionen der Arbeiter und die Arbeitsniederlegungen aufgeführt; die Zulassung der letzteren wird von Stein gebilligt.

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te35• In der Theorie der Vereinigungen der ersten Jahrunderthälfte blieb auch der Begriff des Vereins noch unbestimmt. Man wandte die Bezeichnung "Gesellschaft" oder "Assoziation" an und behandelte vielfach auch die Aktienvereine noch mit unter diesem Titel. Auf der anderen Seite ging Stein hier mit der liberalen Sicht einig, indem er in der Aufhebung der älteren ständischen Korporationen und Zünfte einen notwendigen Bestandteil der "Entwährung" der älteren Ordnung erblickte36, ohne dem scharfen Widerstand Beachtung zu schenken, der namentlich in Süd deutschland aus dem Handwerk noch bis 1848 gegen die Aufhebung der Zünfte sich geltend machte s7 • In das Geschichtsbild der freien staatsbürgerlichen Gesellschaft Steins konnten diese Reste der früheren gebundenen Ordnung nicht passen. Die Stellung, die Stein den freien Vereinigungen in seiner Konzeption der Verwaltung zuwies, war eine besondere und wich entscheidend von der übrigen Literatur ab, die im wesentlichen von der individuellen Assoziationsfreiheit ausging. Sie war zugleich ein Ausdruck der Verbindung, in die Stein in seiner späteren Entwicklung die gesellschaftlichen Verhältnisse mit der staatlichen Gestaltung brachte. Zugleich wurde damit auch den Verbänden eine bedeutsame Funktion in der Behandlung der sozialen Frage zugewiesen, da gerade hier sich ihnen eine wichtige Betätigung eröffnete. Es zeigt sich hier eine Seite des Systems von Stein, die sich einerseits in seine Vorstellung vom Gang der gesellschaftlichen Entwicklung und ihrer Gegensätze einfügt, andererseits aber - und dieser Gesichtspunkt verstärkt sich im Laufe von Steins späterem Denken - Wege des Ausgleichs der gesellschaftlichen Gegensätze im Rahmen einer sozialstaatlichen Verwaltung sucht. In einem ersten Abschnitt wollen wir uns nun Steins Konzeption der Gliederung der Gesellschaft und ihre Bedeutung für die Auseinandersetzungen der Gegenwart, in einem zweiten seine besondere Idee der Einfügung von Selbstverwaltung und Vereinswesen in den gesamten Verwaltungsorganismus vor Augen führen. 11. Die Gesellschaft, ihr Verhältnis zum Staat und ihre Gliederung In der Auffassung von Lorenz v. Stein nimmt die Gesellschaft in ihrer Entwicklungslage und mit dem in ihr auftretenden Gegensatz der Besitzenden und Nichtbesitzenden einen entscheidenden Platz ein. Ihre Gestalt und die in ihr lebenden Spannungen bestimmen den Lauf der Verwaltungslehre, 1. Aufl., Bd. 1, S. 534 f. Verwaltungslehre, 1. Auf!., Bd. 1, S. 530 f. 37 Zu diesem Kampf um die Erhaltung der Zünfte und gegen die Gewerbefreiheit, der auch noch in der 48er Revolution eine Rolle spielte, s. J. N. Frhr. v. Pelkoven, über die Gewerbe in Baiern, München 1818, S. 116 ff. 35 3B

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geschichtlichen Bewegung, sie wirkt auch in bestimmender Weise auf die politische Form des Staates ein, in dem der Besitz und die politische Herrschaft sich zu verbinden streben38• Die Gesellschaft wird bei Stein als die Ordnung des wirtschaftlichen Zusammenlebens, das System der Güterverteilung aufgefaßt, in dem die Freiheit der Persönlichkeit im Organismus der Güterbewegung bestimmt wird39• In der nachrevolutionären Epoche, auf die sich die historsiche Analyse Steins mit dem Ausgangspunkt in der großen Wende der französischen Revolution bezieht, gewährt der Staat und seine Verfassung einen Rahmen der politischen Freiheit und rechtlichen Gleichheit, doch wird die Stellung der einzelnen durch den in der Gesellschaft bestehenden Gegensatz des Besitzes und des Nichtbesitzes, von Kapital und Arbeit, bestimmt. Politische und gesellschaftliche Entwicklung treten damit in Widerspruch, indem die politische Freiheit die Abhängigkeit, die sich aus der Eigentumslosigkeit ergibt, nicht aufzuheben vermag. Den inneren Widerspruch der französischen Gesellschaft vor der Revolution erblickt Stein in der auschließlichen Herrschaft des Adels und eines Teiles der Geistlichkeit als des nicht aus Arbeit abgeleiteten Besitzes kraft staatlicher Einrichtung und in der Vorenthaltung der Teilnahme an der Macht für den dritten Stand. Wenn die französische Revolution diese Situation durch Beseitigung der festen Ordnungen des alten Regimes beendet hat, hat die von ihr bewirkte Proklamation der politischen Freiheit doch die wirtschaftliche Abhängigkeit der nichtbesitzenden Arbeit nicht überwunden. In dieser Hervorhebung der gesellschaftlichen Verhältnisse als der eigentlichen Struktur der gesellschaftlichen Bewegung und in der Herausarbeitung der durch die Besitzverteilung bewirkten inneren Widersprüche in der Gesellschaft begegnet sich Stein mit dem sozialistischen Strömungen des 19. Jahrhunderts, denen er in seinen jungen Jahren in Paris nahe getreten war und mit der auch die Ausrichtung auf eine Betrachtungsweise teilt, die im geschichtlichen Ablauf große objektive Strömungen aufsucht und ihnen die eigentliche Kraft der historischen Bewegung zuschreibt4°. Er steht damit, wie auch der deutsche Sozialismus, unter dem Einfluß der Geschichtsphilosophie Hegels, der in der Geschichte den Ausdruck der großen Bewegung des objektiven Geistes sah. Freilich trennen Stein von den sozialistischen Ideen, vor allem von der Lehre von Marx und Engels, grundlegende Unterschiede der Auffassung, die im Laufe der späteren Jahre in Steins Entwicklung deutSiehe Soc. u. C., S. 46/47; Soz. Bew., III, S. 5, 17. Soz. Bew., I, 22 f. 40 Auf die viel diskutierte Frage, inwieweit das zeitlich vorangehende Werk Steins auf Marx als Vorbild und Einfluß gewirkt hat, ist hier nicht einzugehen. S. hierzu Pankoke (N. 15), S. 27, 78. 38 39

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licher hervortreten. G€meinsam ist das Abstellen auf die gesellschaftliche Entwicklung, die Neigung zu geschichtstheoretischer Annahme objektiver historischer Bewegung, die Erkenntnis der weittragenden Bedeutung der industriellen Wirtschaftsweise, der Zusammenhang der Freiheit der Person mit ihrer wirtschaftlich-sozialen Position, auf der die These der inneren Entzweiung der Gesellschaft beruht. Aber bei Stein werden im Blick auf die Eigentumsordnung in der Gesellschaft, die Rolle des Staates und die Erwartung der Revoltuion entscheidende Differenzen zu der sozialistischen Strömung des 19. Jahrhunderts sichtbar. Stein hat niemals in der Aufhebung des persönlichen Eigentums den Weg der Lösung erblickt und hat sich früh von der kommunistischen Forderung der Gütergemeinschaft abgesetzt. Er erkennt mit prophetischem Blick, daß auch in einem System der Aufhebung des persönlichen Eigentums, daß er als das "erste roheste System der sozialen Idee der Gleichheit" bezeichnet, die Leitung der Arbeit durch einzelne Personen notwendig bleibt und diese daher zu "Herren der Arbeit" werden, die Abhängigkeit der Arbeiter mithin erhalten bleibt. Der Kommunismus würde daher nicht nur Armut erzeugen, sondern im Widerspruch mit der Gleichheit eine wahre Sklaverei errichten41 • Im Blick auf die modernen Erscheinungen des aus der Gemeinschaft des Produktionseigentums erwachsenen Staatskapitalismus stellt dieser Ausblick eine weit vorausblickende Einsicht dar. Stein bleibt damit in seiner Prognose der gesellschaftlichen Entwicklung auf dem Boden einer bürgerlichen Ordnungsvorstellung, die die Grundlage des persönlichen Eigentums bewahrt4!. Für Stein gibt es daher in seinem geschichtstheoretischen Ausblick keine definitiv zu erreichende Gestalt der Gesellschaft, wie für die revolutionäre Theorie von Marx, in der durch die gesellschaftliche Umwälzung und durch die Herrschaft der Arbeiterklase der Weg zu der definitiven Ordnung einer klassenlosen Lebensform geöffnet wird. In der dialektischen Bewegung der Gesellschaft, von der Stein ausgeht, werden vielmehr, das macht Steins Analyse der französischen Entwicklung deutlich, auf jeder neuen Stufe neue Elemente der Veränderung und des inneren Widerspruches ausgelöst, die zu neuer Bewegung und neuen zu lösenden Spannungen führen können. Das Geschichtsbild Steins ist mithin in der Richtung auf die Zukunft ein offenes. Diese Annahme, daß immer wieder innerhalb der gesellschaftlichen Entwicklung sich soziale Gegensätze ergeben können, scheidet Stein auf der anderen Seite von der liberalen Vorstellung, die in dem freien Spiel der gesellschaftlichen Kräfte die Herstellung Soz. Bew., I, S. 114 H. So mit Recht Pankoke (N. 15), S. 81. übereinstimmend auch die Beiträge von Bernard Willms und Francesco de Sanctis in diesem Bande. U

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einer wirtschaftlichen und sozialen Harmonie erwartet'3. Der übergang der Herrschaft auf die Nichtbesitzenden kann für Stein solange keine Aufhebung der Spannungen darstellen, als damit die Verbindung von Besitz und politischer Herrschaft nicht hergestellt wird, die auch das allgemeine Wahlrecht nicht zu bewirken vermag". Aus einem solchen Auseinanderfallen von Besitz und politischer Struktur würde sich für Stein, wie er am Beispiel der französischen Revolution von 1848 verfolgt, nur die Verbindung des Besitzes mit einer starken Regierung der Ordnung ergeben, die sich in Frankreich in der Person von Louis Napoleon anbot's. Es hängt mit dieser Grundeinstellung Steins zusammen, daß sich bei ihm in der Folge der Revolution von 1848 eine Wende von der Aussicht auf eine soziale Revolution zur Reform in Vermeidung einer sozialen Umwälzung vollzieht", und daß hierbei dem Staat als einer selbständigen höheren Macht - Stein spricht in dieser Hinsicht unter einem organizistischen Bilde von der Persönlichkeit des Staates'7 eine wesentliche Rolle zufällt. Das hebt Steins Auffassung von der marxistischen Erwartung der überwindung des Staates in einer neuen Gesellschaftsordnung ab. Während bei Marx der Staat zum Instrument der herrschenden Klasse wird und mit der überwindung der Klassengegensätze zum Absterben bestimmt ist'8, behält er für Stein den Charakter des die Gesellschaft überhöhenden Organismus einer "allgemeinen Persönlichkeit", deren Tätigkeit die Bedingungen der individuellen Einzelentfaltung setzt'9. Mit seiner Auffassung vom Verhältnis Staat und Gesellschaft, die in den Auseinandersetzungen und Gegensätzen in der letzteren und ihrer Bedeutung für die persönliche Freiheit ein entscheidendes Moment der geschichtlichen Bewegung erblickt, die aber zugleich die Selbständigkeit des Staates festhält und dessen Verwaltung eine gestaltende Einfluß4S Zur liberalen Vorstellung der Harmonie in Politik und Wirtgchaft s. earl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des Parlamentarismus, 2. Aufl. 1926, S. 45 f. Kritisch hierzu R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt 1971,

S.54ff. U Soz. Bew., HI, S. 403 ff. 45 Soz. Bew., IH, S. 400 f., und hierzu Pankoke (N. 15), S. 90 f. 40 Soz. Bew., I, S. 125 ff.; IH, S. 206 f. Näher dargelegt ist diese Einstellung in dem Beitrag von Karl-Hermann Kästner in diesem Bande. 47 Soz. Bew., I, S. 36; Verwaltungslehre, 1. Aufl. Bd. 1, S. 4 f.; 2. Aufl. Bd. I, S. 30 ("Persönlicher Staat"). Handbuch, 3. Aufl., HI, S. 22. Zur "selbständigen, über den Parteien stehenden Staatsgewalt" s. Soz. Bew., IH, S. 400. 48 Zu diesem Zug der marxistischen Theorie s. Hermann Heller, AöR 55 (1929), S. 333 f. 49 Dieser letzte Zug, die Herrschaft des Staates über den Einzelwillen als öffentliches Re'cht, die Begrenzung der Herrschaft des Gesetzes als bürgerliches Rechtsprinzip des Staates, tritt besonders im Spätwerk hervor: Handbuch, HI, S. 19 ff.

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nahme auf die gesellschaftlichen Probleme zuweist, ist die besondere Stellung Steins in der sozialtheoretischen Diskussion des 19. Jahrhunderts kennzeichnet. Seine Haltung unterscheidet sich von den sozialistischen Richtungen, denen eine solche ausgleichende Rolle des Staates fernliegt und die im 19. Jahrhundert ein revolutionäres Ziel der Veränderung anstreben. Ebenso weicht aber Steins Auffassung auch von der liberalen Vorstellung ab, für die die Gesellschaft der Raum freier Entfaltung des individuellen Lebens in Freiheit vom Staate ist, die sie als ein Gegenüber zum Staate ansieht und damit in diesem Begriffspaar nicht einen inneren Gegensatz innerhalb der Gesellschaft, die soziale Frage in den Vordergrund rückt, sondern vielmehr den politischen Gegensatz des aufsteigenden Bürgertums zu dem traditionellen Machtgefüge der militärisch-bürokratischen Führungsschicht im Auge hat. Eine deutliche Differenz besteht auch zu dem Begriff der Gesellschaft bei R. v. Mohl, der unter ihr den eigenen Lebenskreis der menschlichen Verbandsbildung zwischen dem Individuum auf der einen, den Einrichtungen des Staates auf der anderen Seite versteht60 • Die besondere Konzeption der Gesellschaft bei L. v. Stein, ihre enge Verknüpfung mit der sozialen Frage, wird auch in der Berücksichtigung ihrer innern Gliederung sichtbar. Sie interessiert Stein nur insoweit, als sich in ihr das wirtschaftliche und politische Ringen zwischen Besitz und Nichtbesitz verkörpert. Es ist der Begriff der Klasse, der hier bei Stein auftaucht, und der von ihm im Sinne einer sozialen Stratifizierung in eine höhere und niedere Klasse61 nach der Verteilung des Besitzes verstanden wird. Die Zugehörigkeit zu einer der beiden Klassen der Gesellschaft, derjenigen des Besitzes, der zugleich normalerweise den Zugang zur politischen Herrschaft eröffnet, und zu derjenigen der besitzlosen Arbeit, machen nach Stein das Merkmal der Situation in der auf Grund der französischen Revolution und ihrer Aufhebung der ständischen Ordnung hergestellten staatsbürgerlichen Gesellschaft aus 52 • Die Klasse, bei denen Stein die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Klassen unterscheidet, werden durch den Besitz gebildet. Während in der ständischen Ordnung die Mehrheit der Bevölkerung als 60 Mohl, ZgesStaatsW 7 (1851), S. 27 ff., 49 ff., 69 ff.; GLStW, Bd. 1, S. 88 ff. - Dort Bd. 1, S. 109, lehnt Mohl es scharf ab, den Staat als "Aggregat atomistischer Einzelner" aufzufassen. Die Gesellschaft ist für Mohl die Gesamtheit der entstehenden Verbandbildung zwischen Einzelperson und Staat. S. Encyclopädie, 1. Auf!. S. 27 ff. 51 So in: Demokratie und Aristokratie (1854) hg. v. Pankoke, Darmstadt 1974, S. 68 f., ferner Soz. Bew., I, S. 478, n, S. 57; Verwaltungslehre, 2. Auf!. I, 1, S. 31; Handbuch, 3. Aufl. Bd. 3, S. 68ff. In Verwaltungslehre,2. Auf!. Bd. n, 1, S. 183 f., erscheint vorübergehend eine Gliederung in drei Klassen, eine höhere, mittlere und niedere, die durch alle gesellschaftlichen Ordnungen, die Geschlechterordnung, die ständische wie die staatsbürgerliche Ordnung hindurchgehen. 52 Soz. Bew., I, S. 104 ff.

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Bauern und Bürger, als dritter Stand, der durch Geburt abgeschlossenen herrschenden Klasse des Grundbesitzes gegenüberstand und das Bürgertum durch Korporationen (Zünfte) in feste Gliederungen eingefügt war, formen sich die Klassen nach Herstellung der rechtlichen Freiheit und Gleichheit allein durch das wirtschaftliche Gefüge der Gesellschaft. Die soziale Frage, so lautet die letzte Darlegung Steins, führt dazu, daß die überwiegende Mehrheit des Volkes, die Nichtbesitzenden, sich ihrer Gemeinschaft bewußt werden. Dennoch, so meint Stein, würden sie auch nach dem allgemeinen Wahlrecht die Herrschaft nicht erringen, weil die Haltung der nichtbesitzenden Klasse hinsichtlich des Eigentums geteilt ist. Diejenigen, die zu Besitz zu kommen hoffen, werden nicht für die Aufhebung des persönlichen Eigentums eintreten; diejenigen aber, denen die industrielle Arbeit die Kapitalbildung durch Lohn unmöglich macht und die sich daher als "Arbeiter" gegen das Eigentum wenden, werden unter den Nichtbesitzenden in der Minorität bleiben53 • Hier setzt dann der Ansatz der sozialen Verwaltung ein. Sie muß, statt in verfehlter Weise die sozialistischen Ideen polizeilich zu bekämpfen - hier dürfte Stein sich gegen Bismarcks Kampf gegen die Sozialisten wenden - die Erwerbslosigkeit der Arbeit behebenu. Diese Sicht bleibt zeitgebunden. Das beherrschende Problem der gegenwärtigen Industriegesellschaften, das in dem Rückgang der Selbständigen (Bauern) und der kraft allgemeinen Wahlrechts eingetretenen Vormacht der einkommensabhängigen Schichten in der Politik besteht, die nun den Prozeß einer Umverteilung in breiterem Ausmaß einleitet, stand noch jenseits des Stein zugänglichen Prognosehorizontes. Es ist die innere Auseinandersetzung der Klassen innerhalb der Gesellschaft und die hieraus entstehende soziale Frage, die das Bild der sozialen Welt Steins prägt und auf die sich sein Blick konzentriert. In ihrem Ablauf sieht er den Gang der Geschichte beschlossen, in einer ausschließlichen Orientierung, die andere Faktoren und Strömungen des historischen Geschehens hinter dem beherrschenden Konflikt der sozialen Formationen zurücktreten läßt. Es entspricht daher dieser Grundeinstellung Steins, daß bei ihm andere Gliederungen und Kräfte des sozialen Lebens nicht in Erscheinung treten. Die Selbstverwaltung und das Vereinswesen finden in seinem System als Bestandteile der sozialen Verwaltung eine weitgehende Beachtung, aber in einer bestimmten Verbindung mit dem staatlichen Organismus. Andere gesellschaftliche Bildungen nationaler, religiöser, beruflicher Art, deren Existenz Stein sicherlich nicht verleugnet55, finden in seiner Theorie dagegen 63

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Handbuch, 3. Auf!. Bd. 3, S. 68 ff. Dort S. 75. Der österreichische Vielvölkerstaat wird in der Vorrede zur Verwal-

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keine weitere Beachtung, die allein auf die Güterverteilung und den Besitz abgestellt ist. R. v. Mohl hat diese Ausrichtung Steins als "überschätzung des wirtschaftlichen Gesichtspunktes" kritisiert58 • Mohls empirische Betrachtung der gesellschaftlichen Kräfte, die Stamm, Nation, Religion und Beruf einschließt, und die Gesellschaft als den Bereich solcher menschlicher Gemeinschaften in ihrer Differenziertheit versteht, ist sicherlich reicher58a• Sie weist in gewisser Hinsicht auf die moderne deutsche Lehre hin, die dem Raum der überindividuellen Gebilde als dem Bereich des öffentlichen Lebens, des "Öffentlichen" eine besondere Funktion zwischen dem individuellen Dasein und den Institutionen des Staates zuweist57• Auf der anderen Seite bleibt freilich bei Mohl die Gesellschaft in diesem empirischen Blickfeld trotz der Berücksichtigung der sozialen Gebilde näher an dem liberalen Bilde eines Nebeneinander zweier Sphären von Staat und Gesellschaft58• Steins Bedeutung für die Gesellschaftslehre liegt in der Herausarbeitung der sozialen Frage als einem Kernpunkt geschichtlicher Bewegung und Spannung. Darin bleibt er in naher Beziehung zu den sozialistischen Strömungen und damit erhält seine Theorie der Gesellschaft über den Ansatz zu einer wissenschaftlichen Disziplin hinaus ihre politische und geschichtsphilosophische Dimension, die ihn unter den verschiedenen Ansätzen gesellschaftswissenschaftlicher Natur im 19. Jahrhundert den besonderen Rang und das fortdauernde Interesse sichert. Es bleibt dabei unleugbar, daß seine Analyse der gesellschaftlichen Entwicklung, so glänzend ihre Gedanken sind, gewisse Einseitigkeiten aufweist. Die Verfassung, das Problem der Grundrechte und die parlamentarische Repräsentation rücken in den Hintergrund und in der sozialen Perspektive werden die gerade für die deutsche Situation nach 1815 noch so wesentlichen Momente der ständischen Restpositionen in Grundherrschaft und Zunftwesen zugunsten der großen Linie der sozialen Frage vernachlässigt. Dem heutigen geschichtlichen Ausblick bietet sich die gesellschaftliche Entwicklung Deutschland im Vormärz in einem reicher differenzierten Gesamtbilde dar, das in Bürgertum und tungslehre, 2. Aufl. Bd. 6 (1883), S. XI f., gewürdigt. Die nationale Frage der deutschen Einheit wird von ihm 1850 als die zuerst vordringliche Aufgabe erkannt und der sozialen Bewegung vorangestellt (Soz. Bew., I, S. 144): "Die nächste Revolution in Deutschland wird eine politische sein und die staatliche Gestalt Deutschlands bestimmen." 58 Encyclopädie, 1. Auf!. S. 28. 58a Auf diese Grundbedeutung der sozialen Frage für die Konzeption der "sozialen Bewegung", d. h. der Dynamik des sozialen Prozesses, weist auch der Beitrag von Julien Freund in diesem Bande hin. 67 Zu diesem Bereich des "Öffentlichen" s. R. Smend, Zum Problem des Öffentlichen und der Öffentlichkeit, Gedächtnisschrift für W. Jellinek, 1955, S. 18 ff.; W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, Homburg v. d. H. 1969; J. H. Kaiser, Festschrift Scheuner, 1973, S. 246 ff. 58 Siehe dazu Pankoke (N. 15), S. 159 ff.

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ländlicher Ordnung erhebliche Bestände ständischer Formen noch bewahrte und dessen untere Schichten sich nach der bäuerlichen und industriellen Seite sehr stark unterschieden59• Der Ausblick auf die Lehre Steins von der Gesellsfaft und ihren inneren Gegensätzen zeigt deutlich, daß ihr inmitten der für das deutsche 19. Jahrhundert und nicht für das Ausland, das an der Vorstellung einer einheitlichen politischen Gemeinschaftsbildung festhielt - kennzeichnenden Theorie des Unterschiedes don Staat und Gesellschaft eine ganz besondere Stellung zukommt. In der modernen Literatur zum Problem Staat und Gesellschaft wird immer noch zu wenig berücksichtigt, daß es gar keine einheitliche Lehre zu diesem Theorem im deutschen 19. Jahrhundert gegeben hat, sondern daß sich in den politischen und wissenschaftlichen Strömungen dieser Zeit sehr unterschiedliche Konzeptionen hierzu ausbildeten. Man muß die Position Steins in diesem so vielfältig variierenden Gedankenfelde genau ins Auge fassen, um seine Rolle in der Zeit wie seine Wirkung auf spätere Ideenbildungen zu erkennen: Im Vordergrund standen in der Mitte des vorigen Jahrhunderts in der Lehre von Staat und Gesellschaft die liberalen und die sozialistischen Anschauungen. Für die liberale Auffassung bezeichnete die Gesellschaft gegenüber den als selbständige Macht angesehenen staatlichen Institutionen den staatsfreien Raum individueller Entfaltung, in dem die freien Kräfte des sozialen Lebens untereinander zum Ausgleich gelangen. Dieses Bild der Gesellschaft, das vor allem Gneist maßgebend gezeichnet hat, richtete sich weitgehend an dem historischen Kontrast der aufsteigenden bürgerlichen Schichten zu der überkommenen auf Militär und Beamtenturn gestützten Monarchie aus und suchte diese beiden Bereiche durch eine aufgeschlossene Haltung der monarchischen Gewalt zu versöhnen60 • Es ging hierbei also, der zeitgenössischen Situation entsprechend, um den Ausgleich zwischen Herrschaft und Zwang auf der einen, bürgerlicher Freiheit auf der anderen Seite. Die sozialistische Konzeption dagegen legte - und hierin stand ihr Stein nahe - den Akzent auf die Gesellschaft allein und die sich in ihr vollziehende Bewegung sozialer Kräfte. Der in ihr aufbrechende Klassengegensatz bildete den beherrschenden Gesichtspunkt. Der Staat dagegen wurde instrumental als Besitz und Mittel der herrschenden Klasse angesehen und sollte in der die utopische Zukunftsaussicht bestimmenden klassenlosen Gesellschaft 59 Siehe zu der Struktur der Gesellschaft des Vormärz W. Conze, Staat und Gesellschaft in der frührevolutionären Epoche Deutschlands, HZ 186 (1958), S. 1 ff.; R. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, 2. Aufl., Stuttgart 1975, S. 78 ff., 116 ff. Der Fortbestand grundherrlich-ständischer Elemente in der ländlichen Gemeindeverfassung ist auch von Stein gesehen worden (Verwaltungslehre, 1. Aufl. Bd. 1, S. 496 ff.). 80 Unter Verweisung auf Gneist verfolgt eine solche Sicht auch J. C. Bluntschli, Allgemeine Staatslehre, 6. Auf!. Stuttgart 1886, Bd. 1, S. 118 ff. 19 Staat und Gesellschaft

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überwunden werden. Das Leben der Gesellschaft wurde - das haben schon zeitgenössische Kritiser vermerkt - einseitig in den ökonomischen Vorgängen gesehen, die politische Form erschien nur als deren Widerschein. In der überwiegenden Betonung des wirtschaftlichen Geschehens, im Gegensatz der Klassen, auch in der Verlegung des Schwerpunkts der geschichtlichen Entwicklung in die Gesellschaft wies die Lehre Steins wesentliche Berührungspunkte mit der sozialistischen Betrachtungsweise auf. Doch wich Stein von ihr ab, indem der Staat in der Nachfolge Hegels bei ihm als notwendige Ergänzung und Erhöhung des persönlichen Daseins erscheint und von einem regulierenden Eingriff in Gestalt der sozialen Verwaltung die Milderung, wo nicht der Ausgleich der sozialen Gegensätze erwartet wurde61 • Steins Lehre zielte mithin - hier sind Anklänge auch an liberale Ideen von der Aussöhnung der Unterschiede erkennbar - auf eine Lösung nicht durch äußerste Zuspitzung der Gegensätze und Revolution, wie es der marxistischen Sicht entsprach, sondern durch die Einwirkung des Staates zur Überwindung der aus den ökonomischen Verhältnissen entspringenden sozialen Unfreiheit. Neben diesen von politischen Entwicklungsgedanken getragenen politischen Denkmodellen zeichnete sich im 19. Jahrhundert eine mehr wissenschaftlich orientierte auf eine Gesellschaftslehre ausgehende Linie ab, die - namentlich von R. v. Mohl vertreten - die Gesellschaft. als den Bereich menschlicher Verbindung und Vereinigung zwischen dem einzelnen und dem Staat ansah. Auch sie wirkt auf die gegenwärtige Theorie noch ein und bildet hier die Grundlage der Herausarbeitung eines besonderen Gebietes des Lebens und des Rechts der sozialen Gebilde in der Sphäre des "Öffentlichen" 62. Der Ausblick zeigt also, daß Steins Lehre Verbindung hielt zur sozialistischen Auffassung und zu allen denjenigen gesellschaftswissenschaftlichen Richtungen, für die die ökonomischen Relationen im Gefüge der menschlichen Daseinsgestaltung als entscheidend angesehen werden. Auf der anderen Seite bestanden bei ihm Beziehungen zu derjenigen bürgerlichen und auch liberalen Strömung, die in der ausgleichenden Funktion des als höhere Einheit angenommenen Staates den Weg der Lösung der sozialen Konflikte suchten. Dieser letztere Zug stellt Stein auf die Seite der Theoretiker der sozialen Reform und der Versöhnung der Gegensätze und gibt die Berechtigung, ihn als Vorläufer des modernen Sozialstaats in Anspruch zu nehmen6s • 81 Verwaltungslehre, 2. Aufl. Bd. I, 1, S. 1 ff.; Handbuch, 3. Aufl. Bd. 1, S. 13 ff. Vgl. zu dieser bei Stein hervortretenden Rolle des Staates Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 5. Aufl., München 1975, S. 142. 81 Für die heutige Zeit in diesem Sinne R. Herzog (N.43), S. 68 ff. Ähnlich H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. Stuttgart 1966, S. 346 ff., der aber andererseits zu einer Vorstellung einer Art Selbstbestimmung der Gesellschaft neigt (dort S. 483 ff., 504 ff.).

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Die Verbindung Steins mit einer geschichtstheoretisch begründeten Sicht der gesellschaftlichen Entwicklung und seine im späteren Werk hervortretende Zuwendung zu sozialpolitischer Reform bilden zwei wesentliche Momente, in denen sein Bild der Gesellschaft und ihrer inneren Konfiguration fortgelebt hat64 • Im Ganzen ist diese Ausstrahlung seiner Gedanken wohl stärker in der sich nun ausbildenden Sozialwissenschaft zu Tage getreten als im politischen Felde. In der Sozialwissenschaft blieb die Idee eines Gegensatzes der Klassen, des innergesellschaftlichen Konfliktes und die überwiegende Ausrichtung auf wirtschaftliche Zusammenhänge lange Zeit wirksam und hat ihre Fragestellungen bis in die Gegenwart auch dort beeinflußt, wo nicht marxistische Lehren in Frage standen. Auf dem wissenschaftlichen Gebiet läßt sich daher eine Anknüpfung an die Lehren Steins und seine Auffassung der sozialen Verwaltung in der Lehre der Sozialreformer im Ausgang des Jahrhunderts erkennen. Im politischen Bereich dagegen dürfte die Sozialpolitik des Deutschen Reiches nur in dem allgemeinen Grundgedanken der notwendigen Hilfe für die schwächeren Schichten einen Zusammenhang mit den Auffassungen der Lehre über die Funktion des Staates für den inneren Ausgleich aufweisen. Auch die neuere Anschauung von der Natur der Gesellschaft und ihrem Verhältnis zum Staat ist andere Wege gegangen und weist neue Züge und Problemstellungen auf. In der Gegenwart besteht eine starke Neigung, die Sonderung von Staat und Gesellschaft, jedenfalls im Sinne einer grundsätzlichen Trennung verschiedener Erscheinungen und Gestaltungen des sozialen Lebens, aufzugeben und sie nur mehr als Bezeichnung der Differenz zwischen den aufeinander bezogenen Gebieten der staatlich organisierten Institutionen und den nichtstaatlichen sozialen Gebilden anzuerkennen65 • In der Tat erscheint es Siehe E. R. Huber, Nationalstaat und Verfassungsstaat, Stuttgart 1965, S. 127 ff., der hierzu auf die Lehre Steins vom sozialen Königtum verweist (Soz. Bew., III, S. 36 ff.). Ferner E. W. Böckenförde, L. v. Stein als Theoretiker der Bewegung von Staat und Gesellschaft zum Sozialstaat (1963), jetzt in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit. Frankfurt 1976, S. 185 ff. Siehe auch Pankoke (N. 15), S. 90, 93 und den Beitrag von Karl-Hermann Kästner in diesem Bande. " Die staatliche Sozialpolitik nimmt Stein in positivem Sinne auf (Handbuch, 3. Aufl. Bd. 3, S. 245 ff.), aber er sieht auch deren damalige Grenzen und lehnt (dort S. 74 f.) die sie begleitende polizeiliche Bekämpfung der sozialistischen Ideen ab. Siehe hierzu auch den Beitrag von Dirk Blasius in diesem Bande. 15 In diesem Sinne grundlegend H. Ehmke, Staat und "Gesellschaft" als verfassungstheoretisches Problem, in: Festschrift für R. Smend, Tübingen 1962, S. 23 ff. Übersicht der Literatur bei E. W. Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, in: Festschrift für Hefermehl, Stuttgart 1972, S. 11 ff., auch in Böckenförde (Hg.), Staat und Gesellschaft, Darmstadt 1976, S. 395 ff., und in: Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, Frankfurt 1976, S. 185 ff.; 19*

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die liberale Gegenüberstellung der bürgerlichen Gesellschaft und der als eigenständige Autorität gesehenen staatlichen Gewalt, so sehr ihr historisch eine reale Antithese zugrundelag, durch den Wandel der Verhältnisse überholt. Die sozialistische Theorie hält an dem Gegensatzpaar weitgehend fest und wird insbesondere im Zuge der Erneuerung des marxistischen Denkens dadurch immer wieder zu einer instrumentalen Auffassung des Staates gedrängt66 • Hier berührt sie sich eigentümlich mit von ganz anderer Seite kommenden politischen Theorien der Macht, die ihre Wurzeln in Hobbes und Bodin suchen, und die in erheblichem Maße die neuere soziologische Lehre durchdringen, die im Staate vor allem die Machtorganisation erblickt67 • In der modernen Soziologie besteht ferner eine Neigung, den Begriff der Gesellschaft in umfassendem Sinn als alle Sozialgebilde umfassend zu deuten und den Staat, in Verkennung seiner umgreifenden Dimension der politischen Zusammenfassung, Befriedung und Lenkung des menschlichen Lebens als eine Art gesellschaftliches Subsystem zu definieren68 • Diesen Anschauungen gegenüber, die die Einheit der politischen Herrschaft auch historisch für die ältere Zeit bestreiten, ist an dem Gedanken der politischen Gemeinschaft als der umfassenden, Frieden und Gerechtigkeit verbürgenden, Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens festzuhalten. Ohne hier auf die jedenfalls theoretische Erkenntnis dieser höheren Aufgabe der weltlichen Gewalt im Mittelalter näher einzugehen 69 , hat die neuere Geschichte der politischen Theorie insbesondere seit der Begründung der naturrechtlichen Lehre vom Staat die politische Gemeinschaft des Staates als die abschließende institutionell ausgestattete Erscheinung der menschlichen Vergesellschaftung angesehen70 • Dem politischen Gemeinwesen über eine gliedernde Unterders., Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, Rhein.-Westf. AKWiss., G 183, Opladen 1973, S. 1 ff. 66 Gegen eine Erneuerung einer instrumentalen Sicht des Staates in der Spätkapitalismustheorie, die in ihm nur eine Korrektur des kapitalistischen Wirtschaftssystems erblickt, wendet sich mit einer Theorie vom Staat als dem politischen Gemeinwesen H. Ehmke in: Politik als Herausforderung, Karlsruhe 1974, S. 191 ff. 67 Zur einseitigen Einstellung der modernen Soziologie auf eine Theorie des Politis'chen (und des Staates) als Vorgang der Machtbildung siehe meine kritische Darlegung in Festgabe R. Smend, 1972, S. 237 ff. 68 In diese Richtung geht die Ansicht von N. Luhmann, Grundrechte als Institution, 2. Aufl., Berlin 1974, S. 36 ff., die den Staat als Untersystem der Gesellschaft mit bestimmten Funktionen ansieht. 69 Vgl. zur Auffassung der weltlichen Gewalt im späteren Mittelalter Gaines Post, Studies in Medieval Legal Thought, Princeton 1964, S. 494 ff. W. Ullmann, Principles of Government and Politics in the Middle Ages, London 1961, S. 253 ff. 70 Als "umgreifende einheitsstiftende Synthese" bezeichnet den Staat J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, Berlin 1968, S. 154.

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scheidung der staatlichen Organisation von den außerhalb ihrer stehenden sozialen Kräften und Verbänden als des gesellschaftlichen Raumes hinaus eine als Ausdruck einer selbständigen Einheit und Bewegung ausgeprägte Gesellschaft gegenüberzustellen, besteht kein Grund mehr. Die ältere Theorie von Staat und Gesellschaft findet in der modernen Entwicklung, in der der Staat immer weiter alle Bereiche des sozialen Lebens, vor allem auch der wirtschaftlichen Verhältnisse durchdringt und lenkt, keine reale Grundlage. In neuerer Zeit hat namentlich E.- W. Böckenförde der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft eine neue Sinndeutung zu geben versucht. Er räumt ein, daß die Trennung bürgerlicher Freiheit vom Staat als Herrschaftsverband der Lage des vorigen Jahrhunderts entsprach, heute indes die reale Basis verloren hat und nicht fortzuführen ist. Er erblickt aber im Staat nur eine organisatorische Wirkungseinheit neben anderen, wenn auch mit Konzentration der Entscheidungsmacht. Um seine Macht zu begrenzen, erscheint ihm die organisatorisch-institutionelle Gegenkraft einer freien Gesellschaft notwendig, die seinen Funktionen eine Grenze setzt. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft wird also als Bedingung der individuellen Freiheit gerechtfertigt 71 • Dem kann entgegengehalten werden, daß die Anerkennung und die Sicherung der individuellen Freiheit im politischen System selber, in der Verfassung, angelegt sein muß und die Vorstellung einer Selbständigkeit des nichtstaatlichen Raumes hierzu keinen entscheidenden Beitrag leistet. Böckenförde lehnt sich in seiner Vorstellung an L. v. Stein an, indem er von einer Erhaltungs- und Gewährleistungsfunktion des Staates für eine freie Gesellschaft ausgeht7 2 • Aber sein Staatsbegriff entspricht nicht demjenigen Steins. Wenn Böckenförde den Staat auch nicht zu einem bloßen Untersystem der Gesellschaft macht, so sieht er in ihm doch nicht wie Stein die die Gesellschaft überhöhende, umfassende Gestalt des persönlichen Lebens, sondern eine auf bestimmte Teilfunktionen beschränkte Wirkungseinheit. Damit neigt er einer Idee der Gesellschaft als des allgemeinen und umfassenden Bereiches zu, indem der Staat nur eine partielle Rolle erfüllt. Kann eine solche Sicht genügen, um einen wirksamen Schutz der Freiheit vor den gesellschaftlichen Mächten zu begründen73 ? 71 Böckenförde, Unterscheidung (N. 65), S. 27 ff., 31 ff. Als Sicherung in der Scheidung der privaten Existenz vom öffentlichen Bereich erkennt auch K. Hesse (in: Böckenförde, Staat und Gesellschaft [N. 65], S. 484 ff., auch in DÖV 1975, S. 437 ff.) die Unterscheidung an, der er freilich nur eine geminderte Bedeutung zuspricht. 72 Böckenförde dort S. 37, 39. 73 Mit Recht weist Hesse (Staat und Gesellschaft, N. 65 S. 500) darauf hin, daß die Sicherung gegen aus dem gesellschaftlichen Bereich selbst kommende Machtbildungen und Gefahren für die individuelle Freiheit mit dem Begriff der Gesellschaft nicht gewonnen wird.

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Jedenfalls unterscheidet sich diese Wiederaufnahme der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft nicht nur von dem liberalen Glauben an die harmonische Funktionsweise eines staatsfreien Raumes, sondern auch von Steins Lehre, in der der Staat als die höhere Verwirklichung des sozialen Lebens angesehen und die politische Freiheit im staatlichen Bereich gesichert wird. Wenn in der Gegenwart die Diskussion um Staat und Gesellschaft wiederauflebt, so werden in ihr,. soweit nicht das sozialistische Erbe überwiegt und die These des Klassengegensatzes neu belebt wird, auch Gedanken Steins anklingen, die auf die Verwirklichung politischer und realer Freiheit der Person, auf eine helfende und schützende Rolle des Staates in den sozialen Konflikten und auf eine gegenseitige Einwirkung des Staates und der sozialen Kräfte aufeinander ausgehen. Die sehr viel differenziertere Ansicht der sozialen Gliederung und des Aufbaus der modernen außerstaatlichen Gebilde, die veränderte Bestimmung der heute weit in die Formung und Lenkung aller Bereiche des sozialen Lebens vorangeführten Staatsfunktionen und endlich die Einsicht in die Herausbildung wirtschaftlicher und verbandlicher Machtpositionen in der Gegenwart lassen aber den Abstand der heutigen Auseinandersetzung gegenüber der auf andere Verhältnisse gegründeten Anschauungen des 19. Jahrhunderts erkennen. Die Sicherung eines Freiraumes der Bewegung im pluralistischen Gemeinwesen wird heute in erster Linie auch durch die Theorie der pluralistischen Struktur des demokratischen Staates ausgedrückt. Auch wird die Steins Lehre zugrundeliegende Theorie einer objektiven geschichtlichen Bewegung der modernen wissenschaftlichen Grundhaltung außerhalb der sich von Marx ableitenden Lehren nicht mehr entsprechen. Wenn hier von der Erkenntnis einer stärkeren Differenzierung des sozialen Lebens namentlich durch Verbandsbildung gesprochen wurde, als sie die Unterscheidung zweier auf Besitz gegründeten Klassen darstellt, so muß freilich anerkannt werden, daß Stein sich im späteren Werk über den Klassengegensatz hinaus der aufsteigenden Verbandsbildung seiner Zeit nicht verschlossen hat. Er hat allerdings, abweichend von der liberalen Sicht, Selbstverwaltung und Vereinigungen in sein Konzept des Verwaltungsorganismus als des handelnden Staates eingefügt. Diese Seite seiner Lehre haben wir nun im letzten Abschnitt zu betrachten.

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Selbstverwaltung und Vereine im Bau der sozialen Verwaltung

Wir haben oben gesehen, daß sich ein freies Verbandswesen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegenüber den staatlichen Hemmnissen und dem Mißtrauen gegen politische Verbindungen erst unter Schwierigkeiten entfalten konnte. In den Schriften der frühen Periode

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Steins findet das gesellschaftliche Verbandswesen daher noch keine wesentliche Beachtung. Das wird mit dem Erscheinen der "Verwaltungslehre" anders. Nun richtet sich der Blick in aller Breite auf die Verwirklichung staatsbürgerlicher Freiheit in der Gestalt der Selbstverwaltung und des Vereinswesens. Das entspricht auch der tatsächlichen Veränderung, die seit den 50er und 60er Jahren mit der immer noch begrenzten grundrechtlichen Sicherung ein Aufblühen des Verbandswesens gerade auf sozialem Gebiete bringt. In seiner Betrachtung des Verbandswesens als Verwirklichung der staatsbürgerlichen Freiheit in der Form der Teilnahme der Bürger am Organismus der Verwaltung weicht aber Stein grundsätzlich von der üblichen Sicht ab. Auch der Liberalismus rückte natürlich die gemeindliche Selbstverwaltung in den Körper der Staatsverwaltung ein, wiewohl er an ihr mit Nachdruck das Moment der bürgerlichen Selbstverwirklichung gegenüber der Staatsbürokratie hervorhob, eine Auffassung, die in gewissem Umfang bis in die Gegenwart mit ihrer Garantie der Selbstverwaltung (Art. 28 GG) nachgewirkt hat74 • Das Vereinsrecht aber behandelt die liberale Lehre ganz unter dem Gedanken der individuellen Vereinsfreiheit und der grundrechtlichen Sicherung75 • Demgegenüber nimmt Stein eine andere Haltung ein, die seiner grundsätzlichen Auffassung von Aufgabe und Richtung der staatlichen Verwaltung entspringt. Er sieht gewiß Selbstverwaltung und Vereine auch unter dem Gesichtspunkt der Selbstbestimmung der Bürger, aber er fügt nicht nur die erstere, sondern auch die Vereinigungen in eine weitgespannte Konzeption der Verwaltung als "freie Verwaltung" ein. Ausgangspunkt dieser Konzeption Steins ist seine Auffassung von der Verwaltung und ihrer Stellung zu Gesetz und Regierung. Während in der Gesetzgebung und im System der Regierung die Selbstbestimmung des Staates - den Stein im Bilde einer Persönlichkeit sieht und die Bildung seines Willens vor sich geht (Bereich der Verfassung), bedeutet die Verwaltung das tätige Leben des Staates und die Verwirklichung der vom Gesetz gesetzten Aufgaben, den Teil des Staates, der in bestimmter Selbständigkeit die wirklichen Lebensverhältnisse gestaltet78 • Steins Auffassung vom Staat ist noch weit entfernt von der 74 Vg!. Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, 6. Aufl. Stuttgart 1885, S. 587 f. Zu dieser politischen Sicht der Selbstverwaltung, die vor allem bei Gneist hervortritt (in der spezifis'chen Färbung der ehrenamtlichen Führung von Verwaltungsgeschäften) und die dann später die Grundlage der Eigenständigkeit und Autonomie bildet, siehe Hans Peters, Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung in Preußen, Berlin 1926, S. 6 ff. 75 Siehe Bluntschli dort S. 666 ff.; R. v. Mohl, Encyclopädie, 1. Auf!. 1859, S.331. 7. Verwaltungslehre, 1. Auf!. Bd. 1 (1865), s. 8; 2. Auf!. Bd. I, 1 S. 10, 48, 60, 133 f. Handbuch, 3. Auf!. Bd. 1 S. 23, 34 (Wille und Tat). Neben der Gesetzgebung als dem Willen des Staates steht die Regierung als Vermittlung zwi-

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späteren positivistischen Einordnung in den Gegensatz abstrakter Normsetzung und konkreten Vollzuges. Er erblickt vielmehr in der Verwaltung einen Bereich, der an die Entscheidung des Gesetzes gebunden ist, aber in seinem Handeln eine selbständige Funktion ausübt, in der auch ein Element der Rechtsetzung, die Verordnung, enthalten ist77 • Verwaltung ist mithin für Stein ein Gesamtorganismus, eng mit der vollziehenden Gewalt verbunden, beruhend auf der zuerst von Gönner gemachten Unterscheidung von Verfassung und Verwaltung 78 , in dem der Staat seine Ziele in den wirklichen Lebensverhältnissen durchsetzt. Daher kommt auch der Verwaltung für die Lösung der sozialen Frage eine wichtige Rolle als soziale Verwaltung zu. Die Gesetzgebung (Verfassung) hat die Grundlagen der freien staatsbürgerlichen Gesellschaft geschaffen und in diesem Zuge das Recht der ständischen Ordnungen in Grundbesitz und Korporationen (Zünften) durch "Entwährung" aufgehoben79, die innerhalb dieser Gesellschaft aufgebrochene Ungleichheit des Besitzes aber, den Gegensatz der Klassen, vermag nur die Verwaltung zu lösen. Ihr Auftrag wird im Spätwerk umfassend gedeutet. Nicht die Veränderung der Ordnung des Eigentums ist ihr Ziel, aber die Ermöglichung einer Kapitalbildung der Arbeiter und deren Schutz vor der Auswirkung der Interessen des Kapitals 80 • In diesen Rahmen ordnet sich auch die Teilnahme der Bürger an der Verwaltung ein, die für Steins Deutung der Verwaltung einen wesentlichen Bestandteil bildet. Die Verwaltung der staatsbürgerlichen Epoche muß von dem Element der staatsbürgerlichen Teilnahme durchdrungen sein. Sie zeigt sich in dem eigentlichen Amtswesen des Staates, besonders aber in dem Bereich, den Stein als "freie" Verwaltung bezeichnet, in der Selbstverwaltung und in dem Vereinswesen81 • Neben dem staatlichen Behördenapparat steht das Gebiet der freien Verwaltung, das in besonderem Maße von der freien Mitwirkung der Bürger gekennzeichnet ist. Diese Auffassung Steins weist in der Würdigung der Selbstverwaltung eine Berührung mit der Ansicht von Gneist wie der liberalen Theorie auf, ohne freilich wie Gneist das Ehrenamt so stark zu betonen. Sie hebt sich andererseits ab von R. v. Mohl, der auch in seinen späteren Schriften das Gemeinderecht mehr am Rande behanschen dem Gesetz und der auf die eigentlichen Aufgaben des Staates abgestellten Verwaltung als der allgemeine Teil der Verwaltung (Verwaltungslehre, 1. Auß. Bd. 1, S. 42 f., 47). 77 Zu Begriff und Funktion der Verordnung siehe Verwaltungslehre, 1. Auß. Bd. 1, S. 62 ff.; 2. Auf!. Bd. I, 1, S. 73 ff., 101 ff. 78 Siehe Verwaltungslehre, 1. Auf!. Bd. 1, S. 230; 2. Auß. Bd. 1,1, S. 67 f. 7. Verwaltungslehre, Bd. 7 (1868), S. 77 ff. 80 Handbuch, 3. Auß. In, S. 10 f., 53 f. Siehe auch bereits Soz. Bew., I, S. 119, 136. 81

Verwaltungslehre, 1. Auf!., S. 226, 379; 2. Auf!. Bd. I, 1, S. 121, 126; Bd. I,

2, S. 7, 16,21.

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delt und es jedenfalls nicht in diesem Sinne zum Ausdruck bürgerlicher Teilnahme erhebt. Daß Stein die Selbstverwaltung in Gemeinden und Korporationen (Berufsverbänden und Kammern) in den weiteren Kreis der staatlichen Verwaltung einfügt, entspricht durchaus der Realität und der herrschenden Auffassung seiner Zeit. Vielleicht ist bei ihm, weil es ihm gerade auf die Verbindung gesellschaftlichen Handeins mit der staatlichen Tat ankommt, sogar die Selbstverwaltung weniger deutlich in Gegensatz zur staatlichen Behördenverwaltung gestellt als bei anderen. Stein verbindet allerdings die örtliche Selbstverwaltung eng mit der Entwicklung der staatsbürgerlichen Gesellschaft. Sie kann sich überhaupt nur auf dem Boden einer Beseitigung ständischer Bildungen und der Teilnahme des Staatsbürgers an der Verwaltung entwikkeIn und nur dort, wo ihre Grundlage der Besitz ist82 • Mit scharfem Blick erkennt Stein, daß in den deutschen Staaten, vor allem in Preußen, die Einrichtung einer wirklichen Selbstverwaltung in den Landgemeinden, wo noch der Einfluß des Großgrundbesitzes überwog, noch ausstand83• Im Ganzen ist das Bild der Selbstverwaltung in Gemeinden und Korporationen, das Stein entwirft, nicht wesentlich abweichend von der allgemeinen Lehre seiner Epoche, wie sie namentlich Gneist geprägt hat. Wir haben es hier mit einem Bestandteil seiner Lehre zu tun, der keine eigenen besonderen Züge aufweist. Bei denjenigen Einrichtungen der Selbstverwaltung, die sich auf berufliche Zusammenhänge gründen, zeigt sich Stein zurückhaltend. Hier sieht er noch in den Adelscorporationen (Ritterschaften) und den gewerblichen Korporationen (Zünften) Reste ständischer Elemente nachwirken. Für die Zukunft faßt er eine Mitwirkung solcher Körperschaften in der Form von Beiräten der Verwaltung oder von beruflichen Kammern ins Auge 84• Auch die bestimmten Verwaltungszwecken dienenden Verbände (Wasser-, Deich" Schul- und Steuerverbände) zählt Stein eher zum Bereich der öffentlichen Verwaltung, weil sie überwiegend dadurch bestimmt werden, daß in ihnen in erheblichen Teilen ältere ständische Prinzipien wirksam werden und Stein diese Körperschaften daher nur mit Vorbehalt in den Bereich der Selbstverwaltung einbezieht85 • 82 Zu den ständischen Einrichtungen der Selbstverwaltung, zu denen Stein auch die Lands'chaft (Stände) zählt, siehe Verwaltungslehre, 1. Aufl. Bd. 1, S. 405 ff., 489 f. Zur Lage nach der Revolution dort S. 427 ff.; 2. Aufl. Bd. I, 2, S. 148 ff., 224 ff. 83 Verwaltungslehre, 1. Aufl. Bd. I, S. 494 ff. Besonders für Preußen wird das überleben feudaler Einflüsse in den Landgemeinden hervorgehoben, Bd. I, 2, S. 29, 301 ff. Auf die Einsicht Steins in die Fortgeltung älterer Gesellschaftsformen im Rahmen der Selbstverwaltung macht auch der Beitrag von Dirk Blasius in diesem Bande aufmerksam. 84 Verwaltungslehre, 1. Aufl., S. 512 ff.; 2. Aufl. I, 2, S. 117 ff.

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Wenden wir uns nun dem Vereinswesen zu, dessen Behandlung uns in dem Zusammenhang dieser Betrachtung besonders beschäftigen muß, so wird diese bei Stein in weitem Maße von seiner grundlegenden Ausrichtung auf die Gesellschaft und ihre inneren Gegensätze bestimmt. Stein hat die Vielfalt menschlicher Verbandsbildung in seiner Zeit vor Augen, aber sie interessiert ihn in erster Linie nicht in ihrer sozialen Buntheit sondern in ihrem Bezuge zu der zentralen Frage des sozialen Widerspruchs in der Gesellschaft. Damit rückt aber für Stein auch das Vereinswesen in den Zusammenhang des Auftrags der sozialen Verwaltung zur Beschäftigung mit dem sozialen Problem. Der Verein ist für Stein nicht wie für die liberale Theorie vor allem ein Ausdruck individueller Freiheit, der Selbstbestimmung des Bürgers, sondern er wird in seiner öffentlichen Funktion innerhalb des Gesamtorganismus der Verwaltung gewürdigt. Zum Verein gehört für Stein der "staatliche Zweck", zu dem sich die Einzelnen verbinden. Er wird durch seinen Zweck ein Teil des Verwaltungsorganismus, stellt also ein Element der freien Verwaltung, der Teilnahme der Bürger an der Verwaltung dar, ja, er ist in dieser Hinsicht der Bereich, in dem die Idee der tätigen Gesellschaft, der Vereinigung der beiden Pole, des Staates wie der freien Persönlichkeit, ihren höchsten Ausdruck findet88 . Der Verein ist "organisches Element des Staates", er ist Teil der organischen freien Verwaltung neben der Selbstverwaltung, und seine Aufgabe ist es, "das große Prinzip des Vereinswesens in die freie Verwaltung des Staates hinaus zu tragen und hier zur Geltung zu bringen"87. Gerade der Verein, der gesellschaftliche Körper wird zum Mitarbeiter an der großen sozialen Aufgabe, sei es als berufliche oder wirtschaftliche Genossenschaft oder als sozialer Verein88 . In dieser Inanspruchnahme der gesellschaftlichen Verbände für eine öffentliche Funktion, ihrer Einfügung in den Gesamtrahmen der Verwaltung liegt die besondere Sicht der Verbandslehre Steins, die sie von der liberalen Theorie unterschied, die ihren Blick in der Hauptsache auf die im Vereinswesen sich ausdrückende Selbstbestimmung des Individuums gerichtet hielt. Diese Einstellung erklärt aber auch, weshalb Stein sich vornehmlich mit den Verbänden des wirtschaftlichen und sozialen Bereichs befaßte, weshalb ihm - vom Bildungsgebiet abgesehen - die menschlichen Verbindungen auf dem politischen Felde ebenso wie die nationalen, religiösen oder parteipolitischen Gruppierungen wenig beschäftigten. Verwaltungslehre, 2. Auf!. I, S. 346 ff. Verwaltungslehre, 1. Auf!. Bd. 1, S. 520 - 523, 535: Vereinswesen als die .,eigentlich freie und höchste Form der Verwaltung". 87 Verwaltungslehre, 2. Auf!. Bd. I, 3, S. 6. 88 Diese weiteste Deutung des sozialen Vereinswesens wird erreicht im Handbuch, 3. Auf!. Bd. 3, S. 40 ff. 85

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Die besondere Auffassung Steins wirkt sich auch auf seine Stellungnahme zu der Frage der Assoziationsfreiheit und der staatlichen Genehmigung und Aufsicht aus. Fordert die liberale Lehre hier mit Nachdruck die Vereinigungsfreiheit89, so gehört für Stein der Verein zum "Organismus des Staatslebens"90, und es liegt daher dem Staate ob, seine Bedingungen zu setzen, unter denen sich der Verein diesem höheren Ganzen einfügt. Daher erkennt Stein die Auferlegung einer Genehmigung für Vereine und die Gewährung der Anerkennung seiner juristischen Persönlichkeit an, so sehr er betont, daß seine Tätigkeit nicht von oben bestimmt werden kann sondern der eigenen freien Initiative entspringen muß. Aus der Zuordnung zum öffentlichen Bereich folgt mithin für Stein, der sich hier die liberale Forderung der vollen Vereinsfreiheit nicht zu eigen macht, daß der Staat gewisse Bedingungen im öffentlichen Recht der Vereinigungen stellen darf, soweit die Vereine im öffentlichen Bereich tätig sind und nicht nur - wie Erwerbsgesellschaften - eigene Zwecke verfolgen91 • Die Grundansicht Steins von der Stellung und Funktion der Vereine im öffentlichen Leben tritt auch in Erscheinung in seiner Einteilung des Verbandswesens und dem Maß der Beachtung, das einzelne Phänomene bei ihm finden. Wir haben früher gesehen, daß das unentwickelte Verbandsrecht des Vormärz noch keine klare Unterscheidung zwischen den später sich differenzierenden Formen der Erwerbsgesellschaften und Aktiengesellschaften (damals Aktienvereine genannt), und den öffentlichen Korporationen kannte. Bei Stein wird, obwohl er den Aktienverein in seine Behandlung vor allem des inneren Vereinsrechts einbezieht, der Unterschied zwischen dem für öffentliche Aufgaben tätigen Verband und der Handelsgesellschaft erkennbar92 . Sein Augense Vgl. Welcker in Rotteck - W., Das Staats-Lexikon, 2. Auf!. Art. "Gesells'chaft", Bd. 5, S. 735 ff., wo die Freiheit der Assoziation verlangt wird, da die Vereine keine Staatsgewalt usurpieren. 80 Verwaltungslehre, 1. Aufl. Bd. 1, S, 618 . • t Verwaltungslehre, 1. Aufl., Bd. 1, S, 631 ff, Abgeschwächt in 2. Auf!. Bd. I, 3, S. 230 ff., wobei die verfassungsrechtliche Freiheit der Vereine stärker betont wird, und die Genehmigung nur für solche Vereine anerkannt ist, die einen Zweck der öffentlichen Verwaltung verfolgen oder vom Staat Unterstützung erhalten, nicht aber für Aktienvereine, die keine öffentlichen Angelegenheiten wahrnehmen (dort. S. 235/37). Der Tadel, den Gierke (Genossenschaftsrecht, Bd. 1, S. 888 Anm. 15) Stein wegen seiner Einordnung des Vereinswesens in die Zwecke der Verwaltung und wegen seiner Anerkennung einer staatuchen Genehmigung macht, wird dem Grundzug der Gedanken Steins nicht gerecht, zeigt aber, daß die liberale Sicht vor allem im Blick auf den vereinsfeindlichen Beschluß des Bundes v, 13,7.1854 an diesem Punkt der Genehmigung und Aufsicht des Staates empfindlich war. In der Verwaltungslehre, Bd. 4 (1867), S. 113 ff., hat Stein dann ohne grundsätzliche Darlegung den neueren Stand der Gesetzgebung wiedergegeben . • ! Zum Unterschied zwischen der Gesellschaft im Privatrecht und dem Verein mit öffentlichem Auftrag siehe Verwaltungslehre, 1. Auf!. Bd. 1, S.

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merk ist aber entschieden auf die im öffentlichen Leben tätigen Vereinigungen gerichtet, die in seiner Konzeption einen Teil des Gesamtorganismus bilden. Unter diesen "Vereinen" behandelt Stein die Bildungsvereine des geistigen Lebens, die wirtschaftlichen Vereine (Aktienverein, Gegenseitigkeits-Kreditvereine), deren Tätigkeit zum Teil in der Epoche des 19. Jahrhunderts bei dem Streben nach Versicherung auf Gegenseitigkeit oder nach billigem Kredit noch deutliche sozialpolitische Züge trug93 , wirtschaftliche Interessenverbände und gesellschaftliche Vereine sozialer Bestimmung. In der Kategorie der wirtschaftlichen InteressenVereine erkennt Stein schon zutreffend den Ansatz der sich damals bildenden Wirtschaftsverbände zur Vertretung bestimmter Gruppeninteressen in Industrie, Handwerk und anderen Bereichen". Er stellt sie in Gegensatz zum öffentlichen Kammerwesen wie zu älteren ständischen Bildungen und spricht von ihrem Einfluß als Ratgeber auf Regierung und Volksvertretung. Freilich beklagt er das Fehlen von Übersichten und wissenschaftlicher Bearbeitung dieser wichtigen Erscheinung 95 • In besonderem Maße wendet sich das Interesse Steins den Vereinigungen mit sozialer Bestimmung zu, die die Lage der Arbeiter im Wege der Förderung oder auch der Selbsthilfe zu bessern suchen. Er unterscheidet hier Hilfsvereine (Arbeiterbildung, Arbeitsvermittlung, Sparkassen) von den Vereinigungen der Arbeiter zur Selbsthilfe in gemeinsamen Kreditvereinen, Produktionsgenossenschaften und Konsumvereinen. Dabei stellt Stein die von der höheren Klasse geschaffenen Verbände zur Unterstützung dem Moment der Selbsthilfe der Arbeiter gegenüber, so daß sich auch hier in den Verbänden die Scheidung der Klassen erneut bestätigt". Endlich aber richtet sich der Blick Steins auch auf die in den 60er Jahren noch weithin von Verboten getroffenen Arbeiterverbindungen (Koalitionen), deren Rolle als Vertretung der kapitallosen Arbeit und deren Forderungen im Gebiet der Wohnfragen er herausstellt97 • Im Spätwerk wird dann nicht nur die Ebene der so569 ff., 626, 632; 2. Aufl. Bd. I, 3, S. 24, 63 ff., 108. Doch erscheint dort S. 132 ff. der Aktienverein noch unter den Unternehmungsvereinen. vi Verwaltungslehre, 2. Aufl. Bd. I, 3, S. 139 ff. Vgl. auch R. v. Mohl, zu Sparkassen und Kreditvereinen in: Staatsrecht, Völkerrecht, Politik, 1868, Neudruck: Graz 1962, Bd. 1, S. 383 ff. 94 Zur Entstehung der Interessenverbände in dieser zeit siehe E. R. Huber, Deutsche Verfassungsges'chichte, Bd. 4 (1969), S. 988 ff.; Herbert M. Lessmann, Die öffentlichen Aufgaben und Funktionen privatrechtlicher Wirtschaftsverbände, Köln 1976, S. 26 ff . • 5 Verwaltungslehre, 2. Aufl. Bd. I, 3, S. 161 - 66. 98 Verwaltungslehre, 1. Aufl. Bd. 1, S. 545 ff.; 2. Aufl. Bd. I, 3, S. 171 ff.; Handbuch, 3. Aufl. Bd. 1, S. 87 f . • 7 Verwaltungslehre, 2. Aufl. Bd. I, 3, S. 194 - 196. Zur Ges'chichte der Ar-

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zialen Unterstützung, der Kapitalbildung der Arbeiter eingehend behandelt, es finden nun die als "Selbstverwaltung der Arbeit" definierten Arbeitervereine (Koalitionen)98 weitere Beachtung, wobei der Zusammenhang mit der sozialistischen Lehre erwähnt wird ou • In den Verbindungen der Arbeiterbewegung erblickt Stein, der ausgleichenden Tendenz seiner späteren Periode folgend, den Weg, das Interesse der Arbeiter auf gesetzlichem Wege zur Geltung zu bringen und die gesellschaftliche Gleichheit der Arbeit zu erringen. Er tritt für die rechtliche Zulassung dieser Koalitionen wie auch der Arbeitsniederlegung als Kampfmittel ein, die die soziale Verwaltung dulden solle 100 • An diesem Punkte zeigt sich bei Stein nicht nur der gesellschaftspolitische Weitblick, sondern auch die durchgehende Linie seines Denkens in der sozialen Frage, die vom Gegensatz der Klassen ausgeht, ihren Kampf für einen Ausdruck der gesellschaftlichen Lage annimmt, aber den Ausgleich durch die Einwirkung der sozialen Verwaltung erhofft. So mündet an diesem entscheidenden Punkte die Auffassung Steins vom Verbandswesen wieder in eine zentrale Linie seines Lebenswerkes, die Aufdeckung der gesellschaftlichen Gegensätze und die Hin~ wendung zur sozialen Frage ein. IV. Ausblick

Suchen wir zum Schluß zusammenfassend die Stellung der Verbandslehre Steins in der Entwicklung des 19. Jahrhunderts zu umreißen. Ihr Rang in dieser Epoche beruht auf zwei Momenten: Einmal auf der klaren Erfassung der öffentlichen Funktion der Vereine, ihrer Rolle in der Behandlung der öffentlichen Angelegenheiten, insbesondere der sozialen Frage, durch die sich Stein deutlich von der nur privatrechtlichen Behandlung des Vereins abhebt, und zweitens in der Einsicht in ihre besondere Rolle für die Lösung der sozialen Gegensätze. In beiden Punkten hängt Steins Auffassung eng mit der zentralen Partie seines Werkes, der Lehre von der Gesellschaft und ihren Gegensätzen als dem bewegenden Faktor der Geschichte, zusammen. In diesem Rahmen muß die Verbandslehre Steins gesehen werden, und erklärt es sich, daß sein erstes Interesse den gesellschaftlichen Klassen, nicht den sozialen Vereinigungen gilt. beitervereine und Koalitionen im 19. Jh. siehe E. R. Huber (N. 94), Bd. 4, S. 1134 ff.; G. A. Ritter, Arbeiterbewegung, Parteien und Parlamentarismus, Göttingen 1976, S. 55 ff. 18 Handbuch, 3. AufI. Bd. 3, S. 82 ff., 213 ff., und für die Koalitionen S. 192 ff. 99 Dort S. 32/33 finden Marx, Engels und Lassalle ihre Erwähnung. 100 Handbuch, 3. AufI. Bd. 3, S. 198/99. In der Anerkennung des Streiks berührt sich Stein mit R. v. Mohl, Staatsrecht (N. 93), Bd. 1, S. 571.

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Aber man kann dennoch von der Ausbildung einer geschlossenen Lehre von den Vereinigungen bei ihm sprechen, die über die Zeitgenössische Sicht der Vereinsfreiheit hinaus in die Zukunft wies. Für die Zeit der späten Aufklärung des Idealismus und des frühen Liberalismus ist ein individualistischer Zug kennzeichnend, der den Aufbau der sozialen und politischen Gemeinschaft aus den isolierten Individuen zusammenfügt. Demgegenüber hoben in der Mitte des 19. Jahrhunderts Mohl, Stein und Gierke die wichtige Rolle des Verbandslebens hervor. Mohl ist dabei so weitgegangen, daß er die Volksvertretung durch Sondervertretungen der Interessen ergänzen wollte 101 • Seine Idee einer den Raum der sozialen Gebilde erfassenden Gesellschaftslehre ist indes von ihm nicht näher ausgeführt worden. Bei Stein findet sich eine wesentlich breitere und kohärentere Theorie der sozialen Vereinigungen. Sie weist ihnen freilich im Gefüge von Gesellschaft und Staat eine ganz besondere Rolle zu. Stein würdigt die Vereinigungen vor allem als einen Weg der Teilnahme der Bürger am Staat und dessen Verwaltung und weist ihnen eine öffentliche Aufgabe im Rahmen der Verwaltung zu102 • Damit hebt er sie aus der privaten Sphäre heraus und gibt ihnen eine öffentliche Aufgabe im politischen Leben der Gemeinschaft. Unter diesem Gesichtspunkt faßt Stein auch Interessenverbände wie Koalitionen als wichtige Bestandteile der gesellschaftlichen Auseinandersetzung auf und nimmt zu ihnen eine positive Stellung ein. Die Verbandslehre Steins weist zwei schwächere Punkte auf: Einmal betrachtet er die Auseinandersetzung mit den älteren Formen beruflicher Organisation von seinem Konzept der mit der staatsbürgerlichen Freiheit verbundenen Gewerbefreiheit her nur negativ, ohne die Bedeutung dieses Ringens für die selbständigen Existenzen im Handwerk zu verstehen. Vor allem aber schenkt er den politischen Vereinen nur geringe Beachtung. Die Erklärung hierfür liegt wohl darin, daß für ihn deren Rolle im Bereich der Verfassung liegt und durch deren Ausbau überholt wird103, während das eigentliche Aktionsfeld des Vereinswesens die tätige Verwaltung darstellt. Daher wendet Stein auch den politischen Parteien seine Aufmerksamkeit nicht zu, deren Rolle andere Autoren bereits deutlicher hervorhoben. Die Position Steins in der Entwicklung der Verbandslehre wird auch durch den Blick in die Folgezeit und Gegenwart deutlich. Bei ihm liegt eine breit angelegte Theorie der Mitwirkung der Verbände im öffentlichen Leben vor, die im Grunde über die Aufteilung eines privaten Vereinsrechts mit öffentlichrechtlichem Rahmen hinauswies. Mit dem Staatsrecht (N. 93), Bd. 1, S. 417, 435. Darauf weist richtig hin Lessmann (N. 94), S. 216. 103 Siehe Verwaltungslehre, 2. Auf!. Bd. I, 3, S. 109: "Ihr Objekt ist dann nicht die Verwaltung, sondern der als Gesetz erscheinende Wille des Staates." 101

10!

Zur Rolle der Verbände im Rahmen der sozialen Verwaltung

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Aufkommen des Positivismus löste sich diese größere Sicht indes auf und machte einer Aufgliederung Platz. Das Vereinswesen wurde nun in das Privatrecht eingewiesen, zugleich aber in seiner öffentlichen Aufgabe beschränkt, indem noch im Bürgerlichen Gesetzbuch politische, sozialpolitische und religiöse Vereinigungen Rechtsfähigkeit nur erlan~ gen konnten, wenn die Verwaltungsbehörde keinen Einspruch erhob. Der Verein wurde damit in den Raum des privaten Rechts abgedrängt, und es war nur folgerichtig, daß wichtige Verbände mit öffentlicher Wirkung wie die Gewerkschaften nun angesichts der auferlegten Be~ schränkungen auf die Erlangung der Rechtsfähigkeit (bis heute) verzichteten104 • Der einzige, der sich dieser Ausgliederung aus dem öffentlichen Bereich widersetzte, war Gierke, der nachdrücklich auf die hohe soziale Bedeutung der verschiedenartigen Lebensgebilde hinwies und dessen Kritik sich gegen die alleinige Konzentration auf das staatliche Recht und die staatliche Macht richtete105 • An dieser Entwicklung hat die Erneuerung des öffentlichen Vereinsrechts durch das Vereinsgesetz von 1909 nichts mehr geändert, und auch die gegenüber der Gewerbeordnung von 1869, die Koalitionsabreden für rechtlich unwirksam erklärte, sich tatsächlich durchsetzende Ausbildung des Tarifwesens hat nur mehr zu einer Sonderentwicklung im Arbeitsrecht, nicht zu einer umfassenderen Sicht geführt. Die Parteien blieben bis zum Grundgesetz von 1949, die Interessenverbände bis heute formell auf dem Boden des Privatrechts verankert, ohne daß ihre politische Funktion eine klare Erfassung fand. Erst die Gegenwart ist sich der unübersehbaren Macht der Verbände und ihrer Bedeutung im öffentlichen Leben voll bewußt geworden. Nun freilich hat sich die Situation gegenüber dem 19. Jahrhundert grundlegend gewandelt. Die Wirksamkeit der Verbände richtet sich, soweit sie politischen Einfluß erstreben, in erster Linie auf Regierung und Parlament, sie sind zu einem freilich rechtlich nicht gefaßten Bestandteil des Verfassungslebens geworden. Man kann sogar heute für die Industriestaaten Westeuropas feststellen, daß die Macht einer Gruppe, der Gewerkschaften, ein solches Gewicht erlangt hat, daß sie grundlegende politische Entscheidungen in manchen Ländern neben der Volksvertretung entscheidend beeinflussen können. Damit ist ihre 104 Diese Verdrängung des Vereins aus einer öffentlichen Aufgabe und seine "Privatisierung" hebt zutreffend hervor Lessmann (N. 94), S. 215; ebenso Josef Baron, Das deutsche Vereinswesen und der Staat im 19. Jh., Diss. Göttingen 1962, S. 50 ff. 105 Die Grundbegriffe des Staatsrechts und die neuesten Staatstheorien (1874), Neudruck Tübingen 1915, S. 94 - 100. Im Genossenschaftsrecht, Bd. 1, S. 894 ff., zeichnet Gierke ein breites Bild des Verbandswesens mit Einschluß der Interessenverbände, ausgerichtet am Genossenschaftsgedanken. Stein hat hierzu kritisch bemerkt, daß dem fleißigen Gelehrten ein klares Konzept fehle, was Genossenschaft sei (Verwaltungslehre, 2. Aufl. Bd. I, 2, S. 17).

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Stellung zu einem Problem des Verfassungsrechts geworden. Die soziale Auseinandersetzung ferner hat sich von der gesellschaftlichen Ebene, auf der sie Stein sah, auf die zentrale politische Ebene, in die Gesetzgebung, verlagert, um so mehr, als nun das allgemeine Wahlrecht - was Stein noch nicht vorhersah - dem in seinem Einkommen abhängigen Personenkreis die Mehrheit in der Volksvertretung gegeben hat, und diese nunmehr in das soziale Leben durch wirtschaftliche Umverteilung und Egalisierung in Wirtschaft und Bildung eingreift. Der Sozialstaat ist mithin über die begrenzte Rolle, die ihm Stein zuweist, hinausgeschritten. Er übt nicht nur eine Lenkung des wirtschaftlichen Lebens aus, er greift immer tiefer in die soziale Struktur ein. Wie in dieser Lage das Gefüge eines pluralistischen Gemeinwesens gesichert und das Spannungsfeld zwischen persönlicher Freiheit auf der einen, Gruppenmacht und staatlicher Leitung auf der anderen erhalten bleiben kann, das ist ein Problem, das weit über das 19. Jahrhundert hinausführt und für das politische Lösungen erst zu finden sind106 • Was der Rückblick auf Lorenz von Stein beitragen kann, sind nicht Einzelheiten seiner Auffassung, sondern die grundlegende Sicht, die die Verbände in den großen Zusammenhang des öffentlichen Lebens und der staatlichen Wirksamkeit hineinstellt.

101 Zu diesen Problemen einer Neubestimmung der großen Verbände und ihrer politischen Macht siehe E. W. Böckenjörde, Die politische Funktion wirtschaftlich-sozialer Verbände und Interessenträger in der sozialstaatlichen Demokratie, Der Staat 15 (1976), S. 457 ff., in einer eindringlichen Bestandsaufnahme und überlegung.

Eigentum und Arbeit in der Steinschen Wissenschaft der Gesellschaft Von Francesco de Sanctis

I. Die Wissenschaft der Gesellschaft Lorenz von Steins entwickelte sich während des letzten jener "drei scheinbar ruhigen Dezennien" (18151848), die sich nach Burckhardts Meinung "zu erkennen gegeben haben als einen bloßen Zwischenakt in dem großen Drama" des Revolutionszeitalters, entwickelte sich aber weiter, im Bewußtsein, daß "das Feuer unter der Asche der großen Bewegung" glomm, die 1848 ganz Europa erschütterte, indem sie endgültig die Ordnung, auf der das ausgeglichene Gesellschaftsgebäude begründet war, auflöste. Diese Wissenschaft setzte sich ausdrücklich zum Ziel, das Wesen und die das mit der großen Revolution 1789 begonnene Revolutionszeitalter kennzeichnenden Kräfte eruieren zu können; sie stellte sich auch die Aufgabe, die Lösungen der neuentstandenen Probleme so zu beeinflussen, daß die Revolution, die sich am Horizont der europäischen Gesellschaft abzuzeichnen schien, vermieden würde. Das Hauptthema dieser Wissenschaft ist die Analyse der Ursachen der Revolution mit ihrem zweifachen Aspekt, dem politischen und dem sozialen1, und im Zusammenhang damit die Analyse der Kräfte, aus denen das "Labyrinth der Bewegung" (Stein) entsteht, die zwangsläufig vom einen zum anderen aufgrund der umfangreichen "sozialen Frage", die mit dem Aufkommen des Proletariats als Protagonist der "sozialen Bewegung" verbunden ist, zu führen scheint2 • Jenes repräsentiert "die ganze Classe derer, die weder Bildung noch Eigenthum als Basis ihrer Geltung im gesellschaftlichen Leben besitzen, und die sich dennoch berufen fühlen, nicht ganz ohne jene Güter zu bleiben, die der Persönlichkeit erst ihren Wert verleihen"3. Die soziale Frage, deren nichtrevolutionäre Lösung - von der Wissenschaft projektiert - der Zweck 1 Dazu umfassend A. Gurwitsch, Das Revolutionsproblem in der deutschen staatswissenschaftlichen Literatur, insbesondere des 19. Jahrhunderts, Berlin 1935, S. 111 - 125. I SB, S. 5 - 6; SuC, S. 9, 12, 24 - 31; PuG, S. 59 ff.; GdsB, I: Vorwort; BdA, S. 88,93 ff. a SuC, S. 7; PuG, S.l1.

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der die Civilisation kennzeichnenden Institutionen ist, wird von Stein als "die Frage nach der Verwirklichung der Gleichheit im Besitze'" definiert. Aber eine solche Verwirklichung ist auch die Aufgabe, die sich Emanzipationstheorien des Proletariats, der Sozialismus und Kommunismus, stellen, die glauben, um die Emanzipation zu erreichen, zur Aufhebung des Privateigentums entweder mittels Arbeit oder durch Gütergemeinschaft beitragen zu können; das bedeutet für Stein sofort die Verneinung der Persönlichkeit, der Freiheit5 und des Fortschritts des Abendlandes. Anders als Sozialismus und Kommunismus nimmt die Wissenschaft der Gesellschaft (wie die Wirtschaftslehre, die nicht zufälligerweise von jenen "Theorien" kritisiert wird) hingegen "das persönliche Eigenthum als das an und für sich nothwendige, durch die Idee der Persönlichkeit selbst gegebene. Sie geht daher von diesem Grundbegriffe aus; sie gelangt nicht zu der Frage von Eigenthum innerhalb des Kreises ihrer Untersuchung, sondern die ganze Untersuchung beruht auf dem persönlichen Eigenthum selber"6. 11. Inder Schrift "Der Begriff der Arbeit und die Principien des Arbeitslohnes" (1846) schildert Stein die geschichtliche Entwicklung der Nationalökonomie, die - seiner Meinung nach - in der Geschichte des Abendlandes bis damals drei große Phasen erlebt habe: die erste Phase war völlig vom (absoluten) Staat beherrscht, und die Produktion des Reichtums war ausschließlich der Macht des Staates dienlich; in der zweiten (theoretisch von Adam Smith dargestellten) Phase habe sich die Idee, daß der Staatsreichtum und der Reichtum des Volkes zusammenfallen, breit gemacht, und· der Beweis dafür sind Ausdrücke wie Commonwealth, Nationalreichtum, Nationalarbeit, Nationalhandel, oder Volksindustrie, Volksvermögen, Volksverkehr7 ; die durch die gesellschaftliche und politische Umgestaltung der neuen Epoche angekündigte, aber in ihrer ganzen Reichweite noch nicht begriffene dritte Phase wäre jene, in der das Individuum herrscht, das das Endprodukt dieser Geschichte ist. Von diesem Gesichtspunkt aus unterstreicht Stein die dringende Notwendigkeit, daß sich die Staatswissenschaft mit dem konkreten Individuum beschäftigt, um ihm einerseits das materielle , PuG, S. 189; "Diese Frage nun, die Aufgabe und die Macht der Staatsgewalt der Abhängigkeit der bloß arbeitenden, nichtbesitzenden Klasse gegenüber ist die eigentlich soziale Frage unserer Gegenwart": GdsB, I, S. 5. 5 "Eigentum ist Vollendung", "Eigentum und Freiheit sind identisch": SueiD, S. 8, passim. • BdA, S. 80. 7 BdA, S. 65 U.

Eigentum und Arbeit in derSteinschen Wissenschaft der Gesellschaft 307 Wohl zu sichern, und andererseits dieses Wohl auch gegen die Wohlfahrt des Ganzen zu schützen. Die Wissenschaft der Gesellschaft hat also, außer dem Zweck, das Einwirken des Staates in das sozio-ökonomische Gewebe zu rationalisieren, um die Revolution zu vermeiden, auch jene Aufgabe, sich als Lehre fähig zu erweisen, den dringenden Forderungen zu entsprechen, die aus einer Gemeinschaft entstehen, die nunmehr aus Individuen bestand, die beanspruchten, gleiche Rechte auf Freiheit, auf Beteiligung am Leben und auf Wohlfahrt des Ganzen zu haben. Um klarzustellen, in welchem Sinn die Wissenschaft der Gesellschaft sich notwendigerweise in die traditionelle "Staatswissenschaft" einfügen sollte, in dem sie sie befähigt, den Forderungen der Zeit entgegenzukommen, muß man präzisieren, daß es - nach Steins Meinung der Wirtschaftslehre (schon unentbehrlicher Teil der Staatswissenschaft), die im wesentlichen das Ziel hatte, die Totalität des Produktionsprozesses des Reichtums sowohl vom Standpunkt des Besitzen als auch von jenem der Arbeit aus zu begreifen, nicht gelingt und nicht gelingen kann, der Individualität, die mit ihrem Eintritt in die Geschichte die Epoche der Gesellschaft, letzte und endgültige Form des menschlichen Zusammenlebens, kennzeichnet, ganz Rechnung zu tragen. Diese Epoche, nach jener der Volksgestaltung und jener der Staatsgestal111Og8 zeichnet sich durch eine Art aus, die Menschen untereinander zu ordnen: "durch die verschiedene Vertheilung der menschlichen Güter"D. Unter dieser Perspektive, unter welcher man neben der totalisierenden Wissenschaft der politischen Ökonomie die individualisierende Wissenschaft der Gesellschaft rechtfertigen soll, ist die Gesellschaft die Ordnung, in welcher "wir statt des Allgemeinen ... den einzelnen Menschen in seinem Verhältnis zu allen übrigen beobachten"lO. Aufgrund der Untersuchung der notwendigen, unentbehrlichen Ungleichheit soll das Ziel der Wissenschaft der Gesellschaft darin bestehen, mittels Abfassung und Entwicklung genauer Regeln und Gesetze "die Erhebung und Veredlung der Gesellschaft zu einer selbständigen Aufgabe des Staats zu machen ... diese gleichsam praktische Wissenschaft der Gesellschaft ist in der That nichts anderes, als die Regierung des Staates im eigentlichen Sinne des Worts. Der Begriff der Regierung hat in der Staatswissenschaft bekanntlich noch gar keinen Platz ... es muß uns genügen, die Regierungswissenschaft als diejenige zu bezeichnen, welche die Grundsätze über die Förderung des gesellschaftlichen Lebens der Völker enthält"l1. 8 SB,S. 2. • SB, S. 3. 10 Ibidem. 11 BdA, S. 7'1

20·

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Aber was ist für Stein das Individuum, das diese Phase der abendländischen Geschichte beherrscht? Jenes ist - wie schon angedeutet ihr Endprodukt: "So nun entsteht durch die Arbeit, die sich an das Eigentum anschließt, aus der Persönlichkeit die Individualität, der Kern des wahren Reichtums alles persönlichen Lebens12 ;" in diesem Sinn - wenn Eigentum unbestreitbarer Ausgangspunkt der Wissenschaft der Gesellschaft ist - spielt die Arbeit in der Charakterisierung der Zeit als Element, das mehr als alle anderen einer wissenschaftlichen Betrachtung bedarf, eine grundlegende Rolle, um den Geist und die Tendenz der Civilisation zu begreifen; ein Element, das sie gleichzeitig begründet und bedroht. Von dieser Stellung aus, die ich als ambivalent bezeichnen möchte, versteht man den Pathos, der aus der folgenden Stelle spricht "es ist nicht zu leugnen, daß noch vor einem Jahre von der Arbeit verhältnismäßig wenig die Rede war. Jetzt ist sie es, welche das Räthsel und die fast allein bewegende Kraft des Kämpfens und Drängens unter den großen Gruppen der Menschen bildet. Bei ihr und ihren Forderungen beginnt die tiefere Bewegung in allen Kreisen; um sie und ihre Zukunft handelt es sich, wo es sich um das Höchste handelt; sie hat die Gottheit aus ihrem Himmel herabgerufen, und war der Herr einst der Gott und Vater der Besitzenden und Mächtigen, so ist er jetzt der Gott der Arbeit; sie hat die menschliche Gesellschaft ergriffen und sich zum Herrn derselben erklärt; sie greift nach dem Staate und will die Staatsgewalt zu ihrer Dienerin machen. Die Wissenschaft des Volkslebens wendet sich ihr zu; sie fordert von ihr die Lösung aller Fragen, um die seit Jahrtausenden Menschen und Verhältnisse ringen; sie hat Systeme und Versuche erzeugt, und der Kampf gegen sie und für sie ist der Inhalt des Kampfes unserer Zeit"13. Dieser innerlich zwiespältige Inhalt ist das wesentliche Merkmal der Neuzeit.

III. Die erste Ausgabe des "Socialismus und Communismus des heutigen Frankreich" (1842) beginnt mit der Analyse des tiefgreifenden Widerspruchs, der in der christlich-germanischen Welt in der Epoche der Zivilisation entstanden ist. In jener sieht Stein im wesentlichen eine Bewegung der Verallgemeinerung der Beteiligung an den generell benützbaren Gütern, die durch die Kultur der Zeit geschaffen werden. Die Grundlagen der Zivilisation, nunmehr in der europäischen Wirklichkeit wirksam, sind also einerseits die individuelle Persönlichkeit, 1! PuG, S. 31; "Das freie Ich, der Mittelpunkt der Bewegungen der neuen Geschichte, ist das Schwert, mit dem auch hier die Menschen aus dem Paradiese getrieben sind": BdA, S. 88. lS GdA, S. 355.

Eigentum und Arbeit in der Steinschen Wissenschaft der Gesellschaft 309 die fähig ist, kraft ihrer freien Arbeit materielle und geistige Güter zu erwerben, und andererseits das Aufscheinen einer neuen Gestalt des sozio-politischen Zusammenlebens: "Die innere Form des Staatslebens hat den einzelnen ein Bewußtsein von ihrem Leben und ihrer Bedeutung gegeben, das sie früher nie gehabt; es sind durch die Aufhebung der Standesunterschiede, durch die Gemeinsamkeit des Erwerbs, durch die Gleichheit im Staate, durch die Berührungen der Hohen und Niederen Bedürfnisse entstanden, die man den rein materiellen gegenüber die persönlichen Bedürfnisse nennen kann. Das alles hat den Blick der verschiedenen Classen auf das Moment hingelenkt, das vor allem geeignet ist, jenes Bewußtsein und jene Bedürfnisse zu befriedigen, den Besitz1'." Der Begriff der Zivilisation besteht aus einem dreiseitigen - wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und rechtspolitischen - Inhalt, der die Zeitgeschichte bestimmt. Deshalb ist diese die Form, die die Kultur der christlich-germanischen Welt durch die Verselbständigung des Einzelnen als (materielle und geistige) Güter besitzende Persönlichkeit erreicht hat, durch ihre Ober- und Unterordnung mittels der Größe des Besitzes und durch die Verbindung jener (abstrakt gleicher) Persönlichkeiten auf der politischen Ebene der Mitbestimmung des Staatslebens. In diesem harmonischen Zusammenhang ist das Proletariat die Dissonanz; das ist sicher eine Form und eine typische Erscheinung der Neuzeit16, aber sein Aufscheinen stellt die Grundlagen der Civilisation in Widerspruch zueinander. Der Widerspruch besteht vor allem in der Forderung nach Kommunikation und immer weiter ausgedehnter Gemeinsamkeit der Individuen und ihrer Produkte, und der Basis jeder gesellschaftlichen Ordnung, d. h. für Stein, der Besitz in der Form des ausschließlich individuellen Besitzes, das ist Privateigentum als konkrete Grundlage der individuellen Freiheit16 • Vom Blickwinkel des Proletariats aus, hingegen, scheint der Besitz, gerade in der Form des Privateigentums, sobald es ausschließlich wird, der "wahre Gegner der Civilisation" zu sein17 ; aber diese, insoweit sie sich aus diesem Element (Eigentum) entwickelt hat, kann es auf keinen Fall entbehren18 • Der Widerspruch verschärft sich gerade dann, als das Proletariat als soziale Macht in Bewegung - sich bewußt wird, daß das absolute Prinzip der Civilisation die Persönlichkeit ist, im Individuum verwirklicht, und das zufällige Prinzip das tatsächliche Eigentum ist (Verteilung der Güter), und daß dieses letztgenannte Element, der Zufall, das 14 16

18 17

18

BdA, S. 74.

SuC, S. 12. SuC, S. 30. SuC, S. 25. SuC, S. 26.

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absolute Prinzip beherrscht1'. "Der Begriff des persönlichen Eigentums tritt in Widerspruch mit dem der Civilisation, und die Möglichkeit der Erreichung der höchsten Idee der menschlichen Gesellschaft findet in den factischen Verhältnissen der zufälligen Vertheilung materieller Besitzthümer ihre entschiedene Aufhebung. Wenn der aber so ist" fragt sich Stein -, "welches von beiden, das Recht des Eigenthums oder das der absoluten Persönlichkeit, wird als das höhere, und damit als das höher berechtigte erscheinen?"!o. Das ist das Kernproblem der europäischen Kultur, verkörpert im Proletariat als Arbeitsklasse ohne Besitz, dessen Zustand daher "ein Widerspruch mit dem Gesetz der Civilisation ist"!!. Angesichts dieses, in der Neuzeit in seiner ganzen Grausamkeit entstandenen Problems scheint es für Stein die einzige Lösungsmöglichkeit zu sein, dazu zu kommen, wissenschaftlich "eine Form des gesellschaftlichen Lebens" zu konzipieren", in der der persönliche Besitz erhalten und dennoch der vollkommenen Entwicklung der Persönlichkeit durch ihn kein absolutes Hindernis gegeben wird22 • Wenn man dieses Ziel verfehlt, das im wesentlichen darin besteht, das Institut des Privateigentums, so wie es aus der politischen Revolution hervorgegangen ist, zu retten, stünde dem Proletariat, das durch die Revolution gelernt hat, revolutionäre Klasse zu sein, die Möglichkeit offen, seine zerstörerischen Pläne zu verwirklichen. " ... Alles, was der Proletarier will, kann am Ende doch nur durch Umstoßen zweier absoluter Grundpfeiler alles Zusammenlebens erreicht werden, durch die Vernichtung der Heiligkeit der Gesetze und der des Eigentums"; weil "was den Grundcharakter der bisherigen Geschichte der Gesellschaft bildet, die absolute und untrennbare Persönlichkeit des Besitzes, wird von ihm geleugnet"23. IV.

Aber was ist die Persönlichkeit, wovon das Individuum nur die Erscheinung ist, die die letzte Phase der WirtschaftsgesChichte kennzeichnet und überhaupt die Civilisationsepoche beherrscht? Ein Leitgedanke, der im gesamten Werk Steins widerkehrt, ist die Antithese von Persönlichkeit und Unpersönlichkeit. Diese beiden Begriffe haben eine vielseitige Anwendungsmöglichkeit nach dem Abstraktionsgrad des Steinschen Gebrauchs. Die einzige eindeutige BeSB, S. 4. SuC, S. 25. 21 SuC, S. 24. u SuC, S. 26. 23 SuC, S. 10. 18 20

Eigentum und Arbeit inder Steinschen Wissenschaft der Gesellschaft 311 deutung, die man der Antithese geben kann, ist: Persönlichkeit = Selbstbestimmung oder Freiheit; Unpersönlichkeit = Unbestimmtheit oder Notwendigkeit oder Unfreiheit Deshalb ist alles, was selbstbestimmt und frei ist, persönlich; alles Unbestimmte hingegen ist unfrei, d. h. das Natürliche. Zwischen diesen beiden abstrakt-gegensätzlichen Momenten entsteht ein Kampf (der zur Synthese strebt), der das Leben in allen seinen Ausdrucksformen ist. Daher überrascht der häufige Gebrauch nicht, den Stein von den zwei Termini des Widerspruchs an ~ystematisch sehr verschiedenen Stellen macht. Wenn man das Schema, mit dem Stein arbeitet, vereinfachen will, könnte man sagen, daß diese Antithese im wesentlichen auf drei Ebenen wirkt: Totalität, Individualität, metaindividuelle Einheit. Diese Ebenen erstrecken sich zwischen den Extremen Gott (absolute Persönlichkeit) und Materie (absolute Unpersönlichkeit). Das Medium zwischen diesen Extremen, das das Unbestimmte bestimmt, ist die Tätigkeit des Persönlichen als Synthese von Wille und Tat. Den Wirkungsbereich der oben erwähnten Ebenen mißt man immer von einer sich historisch strukturierten menschlichen Gemeinschaft aus. Je nach dem Moment, den man hervorhebt, ist diese Gemeinschaft entweder organische Totalität oder jeweils Ordnung der Individuen untereinander oder schließlich staatliche Einheit; es bleibt festzuhalten, daß der. Terminus Gemeinschaft .auch die Synthese solcher Ebenen·impliziert. Die Gemeinschaft als organische Totalität äußert . sich (und das ist auch eine historische Äußerung) in dem, was Stein Güterleben nennt: dieses drückt aus und begründet den allgemeinen und ursprünglichen, das persönliche Element kennzeichnenden Trieb, d. h. das Streben zur Bestimmung, zur Herrschaft über die äußere Umwelt, über das natürliche, unbestimmte, unfreie Element, das aber, in seinem radikalen Anderssein, in Bezug auf die Gemeinschaft, die ständige Funktion hat, sie zu begrenzen und sie durch den Kampf mit der Umwelt zu verstärken. Dieser Kampf ist eben das Leben der Gemeinschaft als tätige produktive Gemeinschaft, in derem Inneren die Unterschiede. zwischen den Menschen, die doch bestehen, nicht notwendigerweise Spannungen erzeugen24 und diese Spannungen, auch wenn sie auftreten, sind unwesentlich für die wissenschaftliche Untersuchung, die zum Verständnis dieser Ebenen des persönlichen Lebens führen soll. Die Gemeinschaft ist also Organismus sowohl in Bezug auf die bestimmende Tätigkeit (d. i. Organismus der Arbeit, der die Arbeitsteilung impliziert) als auch in Bezug auf die Produktionsgüter (d. i. Organismus des Güterlebens, der. die Verteilung der Güter in Privateigentum impliziert); auf jeden Fall gibt es .aber auf dieser totalisierenden Ebene - Gegenstand der U In diesem Sinn ist für Stein auch eine Gesellschaftsklasseeine Gemeinschaft: Vgl. LdVW, S. 166; GuZ, S. 291. .

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Volkswirtschaftslehre duellen Lebenssphäre.

Francesco de Sanctis keinen Raum für die Betrachtung der indivi-

Als die individuelle Persönlichkeit aus dieser Gemeinschaft (Inbegriff der unendlichen Bestimmung der Menschheit im allgemeinen, weltlicher Repräsentant des Personalprinzips als Herrschaft über die Natur als unpersonelles Prinzip) auftaucht - wie man gesehen hat, ist es auch ein historischer Vorgang -, das Problem der Bestimmung zur Herrschaft über die Umwelt, zur Freiheit, wird ein weiteres Mal von der Perspektive der Herrschaft des Einzelnen aus betrachtet nicht so sehr in Bezug auf die Güter als vielmehr in Bezug auf die anderen Individuen: das unbestimmte, unpersönliche und unfreie Element, das man in Bezug auf seine eigene Persönlichkeit bestimmen soll, bezieht sich hier besonders auf die Menschen. So löst sich die Totalität als solche auf - durch die Besonderheit des Interesses der in Klassen wiederzusammengefaßten Individuen, Klassen (von der Größe des Besitzes bestimmt), die im Kampf um Vorherrschaft und Freiheit des einen gegenüber dem anderen stehen - und wird wieder als ein Ganzes von ober- und untergeordneten Gliedern vorgeschlagen, was Stein - als Gegenstand der Wissenschaft der Gesellschaft - Gesellschaftsordnung nennt. Die personelle Einheit der Gemeinschaft ist schließlich der Staat, der als irgendeine Person mit Wille und Tat ausgestattet ist: "Er ist ... ein Ich im Staatsoberhaupt, ein Wille in der Verfassung, eine Arbeit in der Verwaltung 25 ." In der Steinschen Auffassung vertritt die Verfassung die gesellschaftliche Ordnung auf der politischen Ebene, fördert die Verwaltung das Güterleben, das den Nationalreichtum hervorbringt, und ist die Regierung im eigentlichen Sinn der Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft. Auf dieser Ebene ist nämlich das unpersönliche, unfreie Element - das man beherrschen und bestimmen soll, um eine unitarische Freiheit zu erreichen - gerade die Gesellschaft mit ihrem atomistischen Prinzip (Interesse), die beständig die Freiheit des Staates bedroht, und in diesem Sinne scheint Stein schließlich der Kampf zwischen Staat und Gesellschaft ein Merkmal zu sein, das die Epoche der Gesellschaft kennzeichnet. Ein solcher Kampf aber spielt sich im Inneren der Gemeinschaft ab: Diese ist schließlich auch die dialektische Synthese (und deshalb noch einmal Organismus) zwischen dem persönlichen Element Staat und dem unpersönlichen Element Gesellschaft, zwischen politischer Freiheit und notwendiger Abhängigkeit oder sozialer Unfreiheit. Zusammenfassend können wir sagen, daß im Bezug auf den Organismus der Freiheit der Gemeinschaft - vom Staat vertreten - die Ge25 GuZ, S. 447; aber fast in jeder Schrift Steins finden wir dort, wo er vom Staat spricht, eine ähnliche Definition.

Eigentum und Arbeit in der Steinschen Wissenschaft der Gesellschaft 313 seIlschaft also für Stein die Ordnung der Abhängigkeit der Menschen untereinander ist, die sich durch die Aufteilung der Güter in Eigentum gestaltet, d. h. Abhängigkeit der Nichteigentümer von den Eigentümern, oder, um es schärfer zu formulieren, die Abhängigkeit der Arbeit vom Besitz.

V. Nach dem klassischen Modell jener Linie des europäischen Liberalismus, die von Locke begonnen wurde, sieht auch Stein in der Arbeit den ursprünglichen Erwerbstitel jeglichen Eigentums. Bei Locke wurde der Ursprung des Eigentums von der Arbeit als ein Prozeß der Entäußerung - um mit Hegel zu sprechen - der persönlichen Eigenschaften, Qualitäten und Kräfte des Individuums beschrieben, die sich mit dem natürlichen Gegenstand, Teil einer allen gehörenden Welt, verschmelzten. Diese Entäußerung ist fähig, solch einen Gegenstand seiner N atürlichkeit und Unverfügbarkeit zu entheben, indem sie ihn gerade zum Objekt des Individuums macht (= Eigentum), das darauf einen unleugbar eigenen Teil von sich selbst projiziert hat. Wenn, wie Locke sagt, "every man has a property in his own peron: this nobody has any right to but hirnself", und d. h. wenn "The labour of his body, and the work of his hands, we may say, are properly his", das bedeutet notwendigerweise, daß "Whatsoever then he removes out of the state that nature hath provided, and left it in, he hath mixed his labour with, and thereby makes it his property ... it hath by this labour something annexed to it that excludes the common right of other men"28. Wie schon bemerkt wurde27 , ergibt sich aus der Tatsache, daß Locke die Arbeit als "unquestionable property of the labourer"28 im bürgerlichen Sinn des Eigentums (Recht es zu gebrauchen und zu veräußern) betrachtet, die Folge, daß der Arbeiter aufgrund des freien Verfügens über das Eigentum es anderen gegen Zahlung eines Gegenwertes (des Lohns) übertragen kann. So konnte die Arbeit Eigentum eines vom Arbeiter selbst unterschiedlichen Berechtigten werden. Durch die Einführung des Geldes und durch das Aufheben der Grenze der durch die natürliche Verderblichkeit der Sache begrenzten Aneignung tritt die Arbeit auf die Ebene des HandeIns und des Tausches wie eine Ware. Aber es ist bekannt, daß das bourgeoise Eigentum, schon bevor es in 28 Locke, Two Treatises on Government, Book 11, in: The Works of John Locke, in 10 volumes, London 1823, reprinted by Scientia Aalen, vol. V, 1963,

S. 353 - 354. 27 C. B. Macpherson, The political Theory of possessive Individualism, Oxford 1962 (dt.: Die politische Theorie des Besitzindividualismus, Frankfurt a. M. 1967). 28

Locke, op. cit., ibidem.

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Deutschland das Kerninstitut der bourgeoisen Ordnung wurde, sein gutes Gewissen verloren hatte. Diese bourgeoise Ordnung taucht hier - wie Stein erkennt - zusammen mit der sozialen Bewegung auf, die die Vorbedingungen dafür (= Eigentumsinstitut) selbst bedrohte. Die Verbindung von Eigentum und Freiheit, die mit Locke schon ihren klassischen Ausdruck gefunden hat - wie vor kurzem hervorgehoben wurde29 - , war schon von der technischen Entwicklung überholt, als in Deutschland ihre ökonomisch-institutionellen Vorbedingungen auftraten. Es stellt sich die Frage, bis zu welchem Grad Stein - als scharfer Beobachter der sozialen Bewegung - das Locke'sche Schema des Ursprungs von Privateigentum durch Arbeit bestätigt. Es gibt keinen Zweifel, daß auf der Ebene allgemeiner Formulierungen über den Bezug Arbeit / Eigentum die Ähnlichkeit mit der Locke'schen Auffassung unbestritten auftaucht. Zum Beispiel behauptet Stein in der "Geschichte der sozialen Bewegung": "Jedes Gut, von der einzelnen Persönlichkeit erarbeitet, gehört ihr und ihrem Leben, identifiziert sich mit derselben, und wird mithin unverletztlich wie sie selber. Diese Unver..; letzlichkeit des Gutes ist das Recht; das durch das Recht mit der Persönlichkeit zu einem unverletzlichen Körper zusammengefaßte Gut ist das Eigentum. Wer mithin Recht und Eigentum aufhebt, hebt die Persönlichkeit selber auf30 ." Dazu ist zu bemerken, daß Steins Vorsicht, die besonders im Schlußteil der Aussage auffällt, nicht mehr so sehr jener Lockes entspricht, einem neuen (freien) Eigentumstyp eine theoretische Grundlage zu geben - Eigentumstyp, der seine Befreiung aus der in..; dividuellen Arbeit ableitet -, sondern im wesentlichen die Vorsicht, das. Institut des Privateigentums, so wie es schon in der bourgeoisen Ordnung etabliert war, zu retten, vor allem da es als Fundament der individuellen Freiheit, und daher auch vor der Arbeit ohne Eigentum, bedrohen könnte. Die soziale Frag.e, die die Wissenschaft der Gesellschaft zu lösen berufen ist, ist aus einem in der Neuzeit verschärften Widerspruch· von zwei gegensätzlichen Prinzipien: a) das Prinzip, daß Eigentum nur Ergebnis von. Arbeit sein kann~ was auch Stein erkannt hat -, b) das Prinzip, daß die Produktion im allgemeinen, aber besonders die industrielle, notwendigerweise auf einer bestimmten Art von Arbeit beruht, die unfähig ist Eigentum zu erwerben. Gerade im volleIl Bewußtsein· solchen Widerspruchs, der das Klassenverhältnis in der industriellen Gesellschaft definiert, erscheint, imSteinschen Gedanken, die Am~, bivalenz (die in der Locke'schen Eigentumstheorie nur impIicit war) !8 H. Rittstieg, Eigentwn als Verfassungsproblem. Zur Geschichte und Gegenwart der bürgerlichen Verfassungsstaaten, Darmstadt 1975, S. 224. 30 GdsB, I, S. 18.

Eigentum und Arbeit in der Steinschen Wissenschaft der Gesellschaft 315

mit ihrer ganzen historischen Stärke. Das Wesen der industriellen Gesellschaft verrät sich durch ein neues Element, das Proletariat, daß die Abstraktheit der Industriearbeit in einer sozialen Klasse gestaltet vertritt, Klasse die sich ihrer historischen, als revolutionär vorbestimmen Rolle bewußt ist, um ihre Rechte zu verwirklichen. Die früher nur potentielle Ambivalenz wird aktuell und zwingt zu einer Entscheidung, die ohne jede Schwierigkeit - im Fall von Stein - als eine genaue, moderne Klassenwahl definiert werden kann. VI. Es ist aber notwendig, hier zu unterstreichen, daß Stein, neben dem, was er als die Heiligkeit des Eigentums definiert, in seinem ganzen Werk - wo er von der Arbeit spricht - deren konstitutiven Wert für die Persönlichkeit scharf hervorhebt. "Die Persönlichkeit muß in ihrer Wirklichkeit zu dem werden, was sie ihrer Idee nach ist, zur äußerlich freien und selbst bestimmten, zur Herrseherin der natürlichen Dinge; erst die Beherrschung des natürlichen Seins macht den Menschen zur Persönlichkeit" und die "Erscheinung der Selbstbestimmung der Persönlichkeit im Reiche der natürlichen Dinge, welche diese der Herrschaft der ersteren unterwirft und mithin die natürlichen Dinge zum Inhalt der Selbstbestimmung macht ist die Arbeit. Demnach ist die Arbeit nicht bloß eine Bewegung, nicht bloß eine Thätigkeit, sondern sie ist in der That dasjenige, was die Freiheit der Persönlichkeit und damit die Idee derselben vollzieht und verwirklicht; sie ist das eigentliche und wahre Werden, das freie Werden der Persönlichkeit 31 ." Angesichts des das Dasein der individuellen Freiheit seienden Eigentums, stellt die.Arbeit sein Werden dar. Und diese nicht zu Unrecht als sittlich verstandene Auffassung der Arbeit32 ist mit jenem Begriff der Arbeit ganz homogen, der im modernen Denken die biblische Verdammung ins Gegenteil verkehrt. Aber man soll festhalten, daß gerade dieses rettende Kennzeichen der Arbeit im allgemeinen dazu bestimmt ist, sich in der Wirklichkeit, in der das Proletariat lebt, aufzuheben. Also bleibt das Problem, bis zu welchem Punkt Stein gleichzeitig mit der Heiligung der Arbeit ihre wirkliche Unterordnung unter d.en Besitz oder unter das Kapital bestätigt, das sich· jeweils entweder "in der Geschichte als Ganzes" oder in jenem besonderen Abschnitt der abendBdA, S. 99 und S. 10I. P. Vogel, Hegels Gesellschaftsbegriff und seine geschichtliche Fortbildung durch Lorenz Stein, Marx, Engels und Lassalle, Berlin 1925, S. 133 - 137; A. Agnelli, Illavoro nella teoria della societa di Lorenz von Stein, in: Bolletino della scuola di spedalizzazione in diritto deI lavoro edella sicurezza sodale dell' Universita deglistudi di Trieste, 1964, S. 5 ff. (Sonderdruck). .31

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ländischen ökonomisch-sozialen Geschichte, die Stein als Industrie definiert, zeigt. Der Gesichtspunkt, von dem aus man die Ratio der Steinschen Arbeitstheorie verstehen kann, ist meiner Meinung nach nicht so sehr ihr generelles Merkmal, das sich auf die Freiheit des Menschen, die sich tatsächlich im Eigentum überall verwirklicht, bezieht, sondern vielmehr ihre Kritik des Sozialismus und Kommunismus, die einen wesentlichen Teil des soziologischen Werks Steins einnimmt und ihn mehr als zehn Jahre wissenschaftlich und publizistisch beschäftigt hat. In der sozialistischen Literatur ist für Stein die Vorgeschichte der Gesellschaftswissenschaft zu finden. Das muß man hervorheben, sowie man hervorheben muß, daß für die eine und die andere das Auftreten des Proletariats in der Geschichte wichtig ist, das nicht mehr vom alten Begriff der Armut, sondern vom neuen der Ausbeutung definiert wird. In diesem Sinn ruhen die sozialistische Literatur und die Wissenschaft der Gesellschaft auf der "Berechtigung der einzelnen Persönlichkeit", die seit dem philosophischen Begriff der Persönlichseit dazu neigt, gleiches Wohl für alle zu verwirklichen. Der Sozialismus (im Gegenteil zum Kommunismus in seinen vielfältigen Formen, der die gleiche Aufteilung der Güter auf die einfache Existenz des Einzelwesens als Vertreter eines gleichen Quantums an Persönlichkeit stützt) hat das besondere Merkmal, die Aufteilung der Güter, auf die Arbeit gerade als Tätigkeit, in der sich besonders die Persönlichkeit verwirklicht, zu stützen33 • Das individuelle Eigentum müßte also aufgehoben werden, entweder aufgrund der absoluten Gleichheit jeder Art von Arbeit (was man vom Postulat der Gleichheit der menschlichen Persönlichkeit ableitet) oder aufgrund einer Organisation der Arbeit, die die Gesellschaftung der Güter voraussetzen würde, mittels derer jedem gemäß seiner Arbeitsqualität und -kapazität zugeteilt würde. Stein stimmt mit dem Sozialismus in einigen Punkten, besonders in jenem überein, daß die einzelne menschliche Persönlichkeit und ihre Arbeit sehr wichtig für die Wissenschaft der Gesellschaft seien, und mit der Sorge der Verwirklichung des Wohls für alle Einzelwesen. Was Stein am Sozialismus angreift, ist das Unverständnis der grundlegenden Rolle des individuellen Eigentums: dessen Aufhebung scheint ihm deshalb die Aufhebung derselben Persönlichkeit zu sein. "Die Aufhebung des persönlichen Eigenthums widerspricht nicht bloß allen Grundsätzen der Erfahrung und allen principien der Wirtschaftslehre; sondern sie ist eine directe Aufhebung des Begriffs der einzelnen Per33 "Wenn die Volkswirthschaftslehre die Anatomie der Güterbewegung und Substanz eines Volkes ist, so ist die socialistische Idee der Arbeit der erste Versuch einer Physiologie derselben": in BdA, S. 87.

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sönlichkeit selber"." Daher betrachtet die Wissenschaft der Gesellschaft, anders als der Sozialismus und Kommunismus, das Privateigentum als etwas an und für sich Notwendiges. Daher müssen jene Wissenschaften von diesem grundlegenden Begriff ausgehen und die ganze Untersuchung darauf stützen. Daher schließlich: "Die Frage nach dem persönlichen Eigenthum ist die Frage nach der Berechtigung des Socialismus und Communismus auf der einen, der Volkswirtschaftslehre und Wissenschaft der Gesellschaft auf der anderen Seite; die Entscheidung über diese Frage wird praktisch und theoretisch die Entscheidung über alle einzelnen Gebiete jener Systeme enthalten müssen35 ." Zusammenfassend können wir sagen, daß es von der Perspektive aus, die Stein aufgrund einer präzisen Entscheidung, nach der die Freiheit des Subjektes Eigentum ist (Freiheit, die nur durch Arbeit werdend ist), einnimmt, fast unproblematisch scheint, zu behaupten: "Wenn die Freiheit der Persönlichkeit in dem Eigenthum derselben besteht, ... gibt es ... keine Freiheit, und damit keine Vollendung des Menschen ohne Unverletzlichkeit desselbenSG ."

VII. Um der Steinschen Auffassung gerecht zu werden, ist es angebracht, eine Präzisierung zu machen, die noch einmal zu einem kurzen Vergleich mit Locke auffordert. Sowohl bei Locke als auch bei Stein ist das Paradigma, das notwendigerweise die Aneignung durch die Arbeit fordert, nur eine prinzipielle Bestätigung, die Locke der natürlichen Gesellschaft, in der es noch kein Geld gab, zurechnet, und Stein einem hypothetischen Zustand, wo es jenes notwendige Mißverhältnis zwischen Stoff und Arbeit nicht gäbe, in Folge dessen immer einem begrenzten Stoff eine unendliche Arbeitskraft gegenüber steht. "Jeder einzelne hat Arbeitskraft; aber der Stoff ist ein begrenzter. Da nun der Stoff im Eigenthume ist, so folgt, daß seine Beschränktheit nur für einzelne einen bestimmten Anteil, und einen solchen auch nur für einen Teil der Gemeinschaft möglich macht. Diejenigen nun, welche ... den Stoff der Arbeit als Eigentum besitzen, besitzen damit die allgemeine Voraussetzung des Erwerbs für alle, welche kein Eigentum haben ... so ergibt sich, daß alle diejenigen, welche nichts als Arbeitskraft haben, von denjenigen abhängig sind, welche ein Eigenthum besitzen37 ." Das ist für Stein das wahre "Axiom, von welchem jene ganze Ordnung ihre eigentliche und wahre Gestalt bekommt"38, das im wesentlichen in 14 35

3' 37 18

BdA, S. 80 - 81. BdA, S. 80. SuCiD, S. 9. GdsB, I, S. 23. Ibidem.

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der unvermeidbaren Abhängigkeit jener besteht, die zufällig von der Verteilung der Güter in Eigentum des Stoffes der Arbeit ausgeschlossen sind. Zugleich aber soll man nicht vergessen, daß es neben der apodiktischen Aussage dieses Axioms bei Stein auch eine ernste Sorge gibt, die das Schicksal der Arbeit betrifft, das nunmehr mit dem des Proletariats gleichbedeutend ist. Das Problem, das Stein, wenn auch aufgrund der Aufrechterhaltung der absoluten Unantastbarkeit des Privateigentums lösen will, besteht darin, die Chancen herauszufinden, die der Arbeit übrig bleiben, wenn man einmal das Eigentum geheiligt hat. Die Frage, auf die Stein antworten will, ist also: welche Möglichkeiten stehen der Arbeit in einer Ordnung offen, die vollkommen von den Eigentümern des Stoffes beherrscht ist? Dies ist, meiner Meinung nach, der empfindlichste Punkt der Steinschen Auffassung von der Arbeit. Hier, wo jegliches naturrechtliche Gespenst aufgehoben ist, begibt sich die Analyse auf eine Ebene, die beginnt, die Unterschiede zwischen den verschiedenen Produktionsweisen ans Licht zu bringen, die die soziale und politische Geschichte mit ihrer Ausstattung juristischer Formen markieren. Zweifellos bleibt das oben herausgestellte Axiom ein paradigmatisches Charakteristikum jeder Ordnung von Abhängigkeit der Menschen untereinander, aber gleichzeitig scheint Stein seine Starre (auf deren Grad die Wissenschaft der Gesellschaft und auch die Regierung des Staates einwirken kann) historisch bedingt und, in ihrer starreren Form, verbunden mit der vorbourgeoisen Produktionsweise, auch wenn es - und dafür ist gerade die von Stein beschriebene industrielle Gesellschaft der Beweis immer möglich ist, daß sie in dieser starreren Form aus den archäologischen Schichten der Geschichte wiederauftauchen kann. Bei Stein finden wir den Entwurf einer Theorie der Produktionsweisen, in der sich die zwei grundlegenden Faktoren jeglicher sozialen Ordnung - oder wenn man will, jeglicher sozialen Schichtung - (Arbeit und Besitz) unter einer bestimmten Art zeigen, die die ganze Produktionsweise (oder, in der Steinschen Terminologie, das ganze Güterleben) auszeichnet. Solche Produktionsweisen verbinden sich strukturell mit einer größeren oder geringeren sozialen Beweglichkeit, aber die einzelne Produktionsweise, wenn auch an sich beweglich, kann durch die zunehmende Starre der Ausschließlichkeit der Herrschaft der besitzenden Klasse über die rechtlichen und politischen Strukturen der Gemeinschaft bis zur vollkommenen Blockierung der aufsteigenden Bewegung der Arbeiterklasse führen. Stein unterscheidet drei Stadien, die die Geschichte der europäischen ökonomischen Entwicklung durchlaufen hat: 1. Das Stadium der bloßen

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Wirtschaft, .indem im wesentlichen Gebrauchsgüter, jeweils im Rahmen geschlossener Produktionskreise, erzeugt wurde; dieses Stadium ist charakteristisch für die Gesinde-, Haus- und Landwirtschaft, in der der Austausch der Produkte außerhalb .dieser Kreise fehlt. 2. Das Stadium der Volkswirtschaft, in dem die Produktion der Güter "aus dem Kreise des individuellen Bedürfnisses des Stoffbesitzers und des Arbeiters hinausgeht, und für die Befriedigung der Bedürfnisse anderer bestimmt wird"39 - dieses Stadium, indem "der Wert einen neuen Charakter. annimmt 444o , bezeichnet das Aufkommen der· unternehtnerischen Produktion, die· sich durch Manufaktur, Fabrik- und Landwirtschaftsbetriebauszeichnet. 3. Das Stadium der Industrie, in dem durch die Zusammenlegung von. Unternehmungen, die füreinander zu arbeiten beginnen, "der bloße Verkehr sich zum Handel erweitert"; .,Das Geld wird das Medium des ganzen Güterlebens", und das Industrieprodukt, das die Ware ist "wird ... dem Produzenten entfremdet"41. Hier ist .die Arbeit des Produzenten gänzlich und endgültig von der unmittelbaren Befriedigung seiner individuellen Bedürfnisse, um "allgemeine Bedürfnisse", die die Industrie nicht nur befriedigt, sondern auch schafft, zu befriedigen, losgelöst. In diesem Stadium wird die Natur der Ware nicht nur das Produkt, sondern auch die zwei ursprünglichen Elemente jeglichen Güterlebens, Stoff und Arbeitskraft, bestimmen. Die Industrie ist das "System der Produktion", das mittels von "Ausbeutung der Arbeit zugunsten des Kapitals"42, d.i. die Besitzart, die über alle andere herrscht43, definiert wird. Angesichts dieser verschiedenen Produktionsweisen gibt es verschiedeneentsprechende Gestalten der Gesellschaftsordnung. In jeder Gestalt gibt es verschiedene. Arten des Herrschaftsverhältnisses der besitzenden zur nichtbesitzenden Klasse. Die Herrschaft bleibt das unveränderbare Element jeder gesellschaftlichen Geschichte. Das Stadium der bloßen Wirtschaft kennzeichnet in der europäischen Geschichte jene Gesellschaftsordnung, die unter der feudalen Gesellschaft bekannt ist und die ihrerseits wieder zwei Unterarten hat: die ursprüngliche lehnsherrliche Gesellschaft und die nachfolgende ständische Gesellschaft. Die Ordnung der erstgenannten drückt sich durch die Eroberung und überwindung der antiken Stadt- und Reichskultur aus, in der dem Grundbesitz, der die Grundherrlichkeit begründet, die Herrschaft über die Gesindearbeit entspricht. Stein sagt, daß in dieser Gesellschaft "der Staat in jedem freien Grundbesitz gleichsam· verkörpert war" und die 39 GdsB, H, S. 18. 40

41 41 4S

GdsB, GdsB, GdsB, GdsB,

H, H, H, H,

S. S. S. S.

19. 20. 34. 17.

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Herren, untereinander gleich (= Pari), kein anderes Recht anerkannten, das ihrem der Herrschaft gleichgestellten Recht übergeordnet sein könnte. Die ständische Gesellschaft hingegen ist die Ordnung, die sich seit dem Auferstehen der Städte in Europa behauptet; in dieser Ordnung verkörpern sich in den Ständen die drei Besitzarten: Grundbesitz (Adel), Besitz geistiger Güter (Klerus), Besitz am Kapital (Bourgeoisie). Jeder Stand ist in sich selbst ein Produktionskreis mit geringer Kommunikation nach außen44 • Die allgemeine Charakteristik, die die Epoche der feudalen Gesellschaft in ihrem ganzen Umfang definiert, besteht in der Tatsache, daß sie eine Ordnung darbietet, die man unmittelbar mit der Rechtsordnung identifiziert (in diesem Sinn nennt sie Stein "Rechtsgesellschaft"). Hier stellt die Rechtsungleichheit die direkte Ursache der die Gesellschaft auszeichnenden über- und Unterordnung dar'G. Um die Herrschaftsfähigkeit des Besitzes über die Arbeit in ihrer ganzen Unvermeidlichkeit auszudrücken, ist die Rechtsgleichheit notwendig, die die Menschen nur ,abstrakt' gleich macht. "So lange die Rechtsordnung eines Volkes die Gesellschaft allein beherrscht, ist der Besitz nur da als Befriedigung des Bedürfnisses. Sowie die Rechtsgleichheit eintritt, wird der Besitz als das einzige Gebiet, auf welchem sich die Ungleichheit und mit ihr die Ordnung der Gesellschaft entwickeln kann, das eigentlich positive, bildende Element in der Gesellschaft, und deshalb beginnt er hier zugleich ein ganz neues Leben48." Aber wenn "alles positive Recht" "die Konsequenz der materiellen Verhältnisse" ist47 , bedeutet das, daß man in jenen Verhältnissen die Erneuerung suchen muß, die das Leben der alteuropäischen Gesellschaftsordnung verändert hat, in dem sie eine Ordnung erstellt hat, die für Stein nicht nur eine neue Gesellschaftsordnung neben anderen ist, sondern der "Grundtypus der gegenwärtigen und der künftigen Gesellschaft"48. Die Gesellschaftsordnung ist das erste Mal und endgültig auf die Gemeinschaftlichkeit des Güterlebens und auf eine Gesellschaftsordnung gestützt, die auf dem Besitz als Herrschaft des freien Eigentums über die freie Arbeit beruht. "Die Gütererzeugung zeigt sich hier erst in ihrer ganzen Bedeutung. Sie breitet die Ordnung, welcher sie für die Tätigkeit der Menschen bedarf, über die Menschen sel4& "Der Stand im strengeren ... Sinne des Wesens ist die gesellschaftliche, in eine besondere Klasse vertretene Aufgabe, welche nicht mehr durch ihre innere Lebenskraft, sondern bereits durch ein äußeres Recht wesentlich in der Selbständigkeit geschützt ist": in WdaE, S. 158 -159. 45 GdsB, I, S. 445. 41 GdsB, I, S. 449. 47 GdsB, III, S. 165; aber darauf besteht Stein besonders in GuZ, S. 286,

336,375,376,406,409,445. 48 GdsB, II, S. 9.

Eigentum und Arbeit in der Steinschen Wissenschaft der Gesellschaft 321 ber aus; der Organismus der Produktion wird zum Organismus der Persönlichkeiten, und die Unterordnung der einzelnen untereinander, ohne welche die Menschheit nicht sein kann, bleibt dennoch eine freie, weil sie nur durch den freien Willen des einzelnen, den Vertrag, entsteht. Die wirklich erworbenen Güter oder der Besitz geben nach demselben Grundsatze dem einzelnen seine endliche Stellung in dieser Ordnung; er hat diese gesellschaftliche Stellung ohne sein Zutun durch die Güter selbst, und seine Arbeit kann alsdann noch diese Stellung erhalten, erhöhen oder vernichten"." In dieser Ordnung hat auch die Arbeit der Besitzenden eine in Bezug auf den eigenen Besitz untergeordnete Stellung, die wiederum unmittelbar die gesellschaftliche Stellung bestimmt. Wo bleibt also die emanzipatorische Funktion der Arbeit? Und welche Art von Arbeit ist vom historischen Gesichtspunkt aus emanzipativ?

VIII. Um auf diese Frage zu antworten, muß man die von Stein beschriebenen ,Bewegungen' in der Gesellschaftslehre als immer und überall gültige Doktrin der "Geschichte der sozialen Bewegung" berücksichtigen. In dieser Gesellschaftslehre werden drei Bewegungen als notwendig für jegliche gesellschaftliche Entwicklung in der Geschichte dargestellt: die Bewegung der Unfreiheit, die Bewegung der Freiheit und die soziale Bewegung. Die Bewegung der Unfreiheit ist die erste natürliche Bewegung, die in eine starre Gesellschaftsordnung mündet, in der die besitzende Klasse durch das gesellschaftliche Recht die Herrschaft über die Nichtbesitzenden auch für die Zukunft gesichert hat und deren Ausschluß von der die Herrschaft kennzeichnenden Besitzart. In dieser Situation braucht die Bewahrung oder die Ausweitung des Besitzes nicht mehr die Arbeit des Besitzenden, der sich immer mehr vom aktiven Moment des Güterlebens entfernt, während der Stand der Arbeit Platz finden kann für die eigene ökonomische, kulturelle und soziale Emanzipation nur durch eine Aneignung, die anfänglich die bestehende Herrschaft und also die bestehende Gesellschaftsordnung nicht bedroht, die aber eine Art konkreter Besitz wird, auch wenn er nicht unmittelbar materiell ist. Das, weil "der Besitz der Güte,r die absolute Voraussetzung aller Hebung der niederen Klasse, aller Bekämpfung der Unfreiheit in Staat und Gesellschaft ist"50; "Die materielle übermacht der Besitzenden", sagt Stein, "über die Nichtbesitzenden ist nicht der Grund, sondern nur die Folge der dem Besitze als solchem innewohnenden Ge4t ~o

GdsB, Ir, S, 4. GdsB, I, S. 82.

21 Staat und Gesellschaft

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walt"61. Die erste Form des Besitzes, die der niederen nichtbesitzenden Klasse zugänglich war, ist die :Bildung als Besitz geistiger Güter, Herrschaft über Güter, die aus einem unbegrenzten und prinzipiell allen zugänglichen Stoff (dem Geist) bestehen. Die Bildung als Vermögen von Kenntnis und Kapazität erzeugt einerseits das Prinzip der Gleichheit der individuellen Persönlichkeiten untereinander durch seine allgemeine Zugänglichkeit und andererseits die Verfeinerung und technische und daher erwerbende Potenzierung der Arbeit des ökonomisch noch abhängigen, gesellschaftlich beherrschten, politisch nicht freien Standes. Diesem Stand gelingt es aufgrund dieser Potenzierung der Produktivität der eigenen Arbeit, außer dem Unterhalt des von Besitz, Herrschaft und Freiheit gekennzeichneten Standes, in Form von Gewinn dem untätigen Besitz der herrschenden Klasse einen Teil seines Wertes in einer neuen Form des aktiven Besitzes (des Kapitals) zu entziehen. Diese neue Art des Besitzes, als Synthese von Arbeit und geistigem Besitz (Bildung), ist der einzige wahre Protagonist der Bewegung der Freiheit. Eine erste Konsequenz, die man an diesem Punkt ziehen soll (wenn man von den genauen historischen Merkmalen, die seit dem Beginn die Bewegung der Freiheit auszeichnen, abweichen will) ist, daß für Stein die Arbeit, um eine konkrete emanzipatorische Kraft zu sein, vom Besitz ausgehen und sich in ihm verwirklichen muß. Das kann sowohl durch die Aneignung jener selben Güter geschehen, die in einer gegebenen Gesellschaftsordnung schon die Herrschaft auszeichnen - aber das ist durch die Existenz der sozialen Beweglichkeit bedingt -, als auch (in einer Gesellschaft, in der jede Art von Beweglichkeit ausgeschlossen ist und in der also die totale Unfreiheit verwirklicht ist52 oder, was dasselbe ist, "die absolute Gesellschaft"58) durch die Veränderung dessen, was ich oben als Produktionsweise bezeichnet habe, durch die Herrschaft einer neuen Besitzart. Die Bewegung der Freiheit ist also die Bewegung, die im immer mehr ausschlaggebend werden des Kapitals als herrschender Besitz besteht, durch die Emanzipation des Standes der Arbeit durch eine besondere, kulturell qualifizierte Art der Arbeit: die Arbeit, die in der Lage ist, zu erwerben und Kapital zu bilden, worauf sich die Ordnung jener Gesellschaft stützen wird, die Stein volkswirtschaftliche Gesellschaft nennt. Die aus der (sich Güter GdsB, I, S. 79. "Die Unfreiheit entsteht, wenn die Staatsgewalt gezwungen wird, einem besonderen gesellschaftlichen Interesse zu dienen. Sie ist eine rechtliche Unfreiheit, wenn der Staat die Herrschaft eines solchen Sonderinteresses, die ohne ihn nur eine Tatsache ist und daher von jedem bekämpft werden kann, zu einem für jeden unantastbaren Recht macht. Sie ist eine politische Unfreiheit, wenn eine bestimmte Klasse der Gesellschaft die Herrschaft über die Staatsgewalt ausschließlich in Händen hat", in GdsB, I, S. 68. n GdsB, 11, S. 62. 51

52

Eigentum und Arbeit in der Steinschen Wissenschaft der Gesellschaft 323 anzueignen unfähigen) Gesindearbeit kommende Arbeit, die nunmehr in der Lage ist, Kapital zu erwerben, stellt praktisch das Problem der Freiheit, weil das Kapital als Grundlage einer neuen Art des Güterlebens seine Besitzer, denen also eine entsprechende rechtliche und politische Position zuerkannt werden soll, gesellschaftlich und ökonomisch emporhebt. Der Widerspruch, den die Bewegung der Freiheit - von der kapitalbildenden Arbeit entfesselt - auflösen soll, ist Widerspruch zwischen der versteinerten alten Gesellschaftsordnung und der noch ohne rechtliche und politische Anerkennung potentiellen neuen Ordnung. "Dieser Gegensatz zwischen der wirklichen und der bloß rechtlichen Gesellschaft ist der Beginn aller äußeren Bewegung der Freiheit54." Wenn man hier daran erinnert, daß das Kennzeichen der feudalen Gesellschaft gerade jenes war, eine Rechtsgesellschaft zu sein, und man auch daran erinnert, was Stein als totale gesellschaftliche Unfreiheit definiert55 , ist die historische Konkretheit des Stein'schen Begriffs der Freiheit eindeutig: Die Bewegung der Freiheit ist die Emanzipationsbewegung des dritten Standes, und die Freiheit, die das in der abendländischen Geschichte mittels der freien (kapitalerwerbenden) Arbeit behauptet, ist die Freiheit tout court. Mit der bourgeoisen Produktionsweise verwirklichen sich zum ersten Mal in der Geschichte auf individueller Ebene die Postulate, die die menschliche Persönlichkeit im allgemeinen ausmachen. Die Bourgeoisie ist das historische Subjekt der Zivilisation. Nur die Bourgeoisie ist in der Lage, durch das Kapital die emanzipative Kapazität der Arbeit auszudrücken und zu bestätigen. Die freie, kapitalerwerbende Arbeit ist die Arbeit par excellence, die die neue gesellschaftliche Herrschaft heiligt: die bourgeoise Freiheit ist die Freiheit par excellence, die die neue gesellschaftliche Unfreiheit heiligt. Wenn die Gesellschaft, der Definition nach, unfrei ist und wenn das Problem der Freiheit nur auf rechtlicher und politischer Ebene relevant ist, als diese Freiheit sich auf dieser Ebene verwirklicht hat, sind die übrigen Probleme Teil der sozialen Frage. Die heuristische Fähigkeit der Wissenschaft der Gesellschaft besteht allein darin, das System dafür zu finden, die Lösung solch einer Frage zu entwerfen, ohne weder das Problem der Freiheit noch jenes des Besitzes in der Form zu diskutieren, die die beiden mit dem Auftreten der Bourgeoisie angenommen haben; Bourgeoisie, die allein imstande ist, die einzige Arbeit auszuführen, die das Wesen der Freiheit vollendet. Wenn schließlich die Bewegung der Freiheit die Emanzipation des dritten Standes in ihrem ganzen Umfang darstellt, ist die Geschichte des vierten Standes Teil einer anderen, unterschiedlichen Bewegung: der sozialen Bewegung. 54 55

21'

GdsB, I, S. 93. Siehe Fußnote 52.

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IX. Als pars pro toto der Steinschen Arbeitstheorie (in der am bündigsten und klarsten das aufscheint, was ich bis jetzt gesagt habe) kann die wichtige Schrift von 1849 "Ideen zur Geschichte der Arbeit" beurteilt werden. Hier wird der historische Prozeß - sei es der Emanzipation der Arbeit, sei es deren moderne Gestaltung als bedrohende soziale Macht - beschrieben. Es ist die Synthese von Christentum und Germanismus, Träger jeweils der Freiheit durch die Arbeit (ora et labora) und der Gleichheit (abgesehen von spezifischen Unterschieden zwischen den verschiedenen Arbeitstätigkeiten) in der Ehre der Arbeit. Diese Synthese legt für Stein den Grund für den modernen Begriff der Arbeit, der während des Mittelalters seine selbständige Entwicklung in den freien Städten fand. "Die erste Scheidelinie zwischen der alten und neuen Gestalt der Dinge, zwischen der Epoche des Lehenswesens und der der bürgerlichen Freiheit war gezogen durch die Arbeit, die in den Städten ihre anfangs enge Heimat fand"56, und nicht so sehr auf der Ebene des aristocratischen Patriziates (das sich bald in jenen Städten durch die Institutionalisierung eines starren Erbrechts bildete, das das freie Kapital in Stammkapital umwandelte, in dem es die soziale Ungleichheit in der Stadt einführte, die unter dem Banner der Gleichheit wiederaufstand) als vielmehr dank dem Mittelstand. "Die Kraft des Mittelstandes beruhte nicht auf altem Kapital, sondern auf der unermüdlichen Arbeit der neu hinzukommenden, strebsamen Bürger", denn "in der Stadt ... konnten Arbeit, Sparsamkeit und Glück jeden Unterschied ausgleichen"57. Indem Stein das Aufkommen der Bourgeoisie in der mittelalterlichen Stadt mit seiner politischen Emanzipation vom Absolutismus vergleicht, behauptet er: "Die Arbeit ist das Kind des freien Staatsbürgertums in unserem Jahrhundert geworden, wie sie die Mutter desselben unter der Lehnsherrschaft gewesen58." Die welthistorische Bedeutung der Bourgeoisie - außer in den rechtlichen und politischen Errungenschaften - besteht vielmehr darin, den Wert der Arbeit für die Persönlichkeit erstellt und verallgemeinert zu haben: "Als das freie Staatsbürgerrecht die Menschen für rechtlich gleich erklärt und allen alle Laufbahnen der persönlichen Entwicklung eröffnet hatte, da trat die Arbeit in ihrer glanzvollsten Gestalt auf, als eine freie, auf sich selbst vertrauende, unermüdliche, weil jeder von der Arbeit die Erreichung seines individuellen Lebenszieles, Wohlstand und Geltung hoffte. "Diese Hoffnung aber" - faßt Stein signifikant zusammen 6B GdA, S. 368. 57 GdA, S. 370. 68 GdA, S. 374.

Eigentum und Arbeit in der Steinschen Wissenschaft der Gesellschaft 325 "konnte die unverrückbaren Gesetze des Güterlebens nicht umstoßen"69. Das ist der Punkt in der europäischen Geschichte, wo die Arbeit gefährlich und bedrohlich wird: als jene Hoffnung versucht, sich in der Wirklichkeit gegen die apodiktisch unverrückbaren Gesetze des Güterlebens zu verwirklichen. Jene sind die historischen Gesetze der Gestaltung der unternehmerischen Bourgeoisie und ihrer Produktionsweise, die Stein unveränderbar und nur in ihren extremen Folgen (Kapitalismus und Pauperismus, z. B.) korrigierbar scheint, um sie vor der Gefahr, die die Arbeit in der industriellen Gesellschaft darstellt, zu bewahren. "Die Arbeit erzeugte in den untersten Schichten der Industrie die Macht, die ihr grade in unserer Gegenwart ihre so eigenthümliche und zugleich doppelt wichtige Stellung gibt, das Proletariat 80• " Dessen Forderung auf ein Recht auf Arbeit verbirgt einen zerstörerischen Entwurf gegen das Kapital durch die Instrumentalisierung der Staatsmacht. "Die Arbeit will durch die Staatsgewalt die organisch und gesetzmäßig anerkannte Despotie über das Kapital, und das Recht auf Arbeit ist nichts anderes als das Recht der Arbeit zu dieser Despotie über das KapitaI61 ."

x. Die Bewegung, in der die Arbeit ihre esoterischen Kennzeichen verloren hat, ist jene, die beginnt, sobald die Emanzipation des dritten Standes beendet war. Dieser, als ganzes emanzipiert, hat die positive und fortschreitende Entwicklung der Arbeit in der Geschichte fast vollendet. Deshalb ist die Geschichte des vierten Standes, der die abstrakte Arbeitskraft ohne Kapital darstellt, Teil eines anderen - wie schon gesagt - unterschiedlichen Prozesses, der sozialen Bewegung. Es gibt zwei Mißverständnisse an der Basis dieser Bewegung. Das erste ist, daß die Freiheit, die sich auf rechtlicher und politischer Ebene mit dem Sieg der Bourgeoisie behauptet hat, sich auch auf die soziale Ebene entsprechend ausdehnen könnte. Das zweite Mißverständnis besteht darin, daß die Gleichheit konkret und positiv sein könnte. Auch im "System der Staatswissenschaft", in dem wir eine spezifische Abhandlung des Themas der gesellschaftlichen Freiheit (als eine unter den Komponenten, die eine harmonische Entwicklung der Gesellschaft bilden) finden, unterstreicht Stein: "Es gibt ... so viele Formen und Gebiete der Freiheit, als es Formen und Gebiete des persönlichen Lebens gibt. Jede wirkliche Freiheit ist eine besondere und begrenzte, und bestimmt sich nach ihrer Grundlage. Die gesellschaftliche Freiheit ist 59 80 81

GdA, S. 375. GdA, S. 376. GdA, S. 377.

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demnach die Möglichkeit für die einzelnen, aus der niederen gesellschaftlichen Stufe, auf der sie stehen, durch ihre Arbeit zu einer höheren emporsteigen zu können'2." Angesichts der viel pessimistischeren Auffassung der "Geschichte der sozialen Bewegung", nach der die Gesellschaft im Bezug auf den Staat als der Ort der notwendigen Unfreiheit definiert wurde, ist die gesellschaftliche Freiheit, die Stein im "System der Staatswissenschaft" theoretisiert, eine Freiheit, die sich nur, wenn die Phasen (aber auch die Theorien) der Freiheit des Naturzustandes und der Freiheit der Gütergleichheit überwunden sein werden, behauptet; die erste Freiheit wird als "Die Freiheit für jeden einzelnen, sich einen Besitz ganz nach Wunsch und Individualität zu erwerben" verstanden; und die zweite Freiheit wird richtigerweise als nichts anders, als der Grundtypus der bourgeoisen rechtlichen Freiheit verstanden. Diese Freiheit stellt folgendes dar, nämlich "das gleiche Recht aller Freien, mit ihrem Besitz und ihren Kräften in Verkehr zu treten; "der Verkehr aber" - fährt Stein fort - "erzeugt notwendig die Ungleichheit, mit ihr wieder den eigentlichen Begriff der Freiheit. Freiheit, mit absoluter Gleichheit verbunden, ist daher in Wahrheit und ganz unleugbar Unfreiheit; Freiheit und Gleichheit zusammen bilden einen absoluten Widerspruch" und in diesem Sinn, fügt Stein hinzu, daß "die höchste Gestalt der Gemeinschaft allein in Freiheit und Ungleichkeit ausgedrückt ist; die Freiheit als das ewige Prinzip der Entwicklung, die Ungleichheit als die ewige Grundlage derselben"63. Das ist das Wesen der gesellschaftlichen Freiheit. Wenn also "der Begriff der Freiheit ... ein abstrakter ist" und sich nur "in der freien Selbstbestimmung der Gemeinschaft"64 verwirklichen kann, ist die Gleichheit als Ziel der sozialen Bewegung "kein Begriff, sondern sie ist eine historische Tatsache. Sie lebt daher nicht das Leben einer Wahrheit, sondern das einer geschichtlichen Erscheinung; sie hat ihre als solche bestimmten Voraussetzungen, unter denen sie entsteht, ihre Zeit, die sie dauert, ihren Untergang"65. Die Forderung, die Gleichheit der Menschen untereinander zu verwirklichen, scheint Stein nur eine abstrakte Forderung philosophischer Art zu sein, die "ein(en) Widerspruch nicht bloß mit der Tatsächlichkeit, sondern mit dem Begriffe selber" begründet. Dieser Begriff ist genau die Individualität, die, wie man schon gesehen hat, das Element ist, das die Neuzeit bestimmt. "Ich kann mir das Entstehen der Individualität auf verschiedene Weise vorstellen; immer bleibt die Tatsache der Verschiedenheit" 61 SdS, II, S. 236; ,die aufsteigende Klassenbewegung' wird auch von Stein definiert als "das Zeichen eines gesunden und freien Volkes", in GuZ, S. 294. 63 SdS, II, S. 238 - 239. M GdsB, III, S. 104. 65 GdsB, I, S. 132.

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im Inneren der Gemeinschaft, die "durch sein allgemeines Leben die Individualität erzeugt"88. Aber von dieser durch eine lange Herrschaftsgeschichte des Menschen über den Menschen behaupteten Feststellung aus zieht Stein mit einem zynisch beschreibenden, aber deshalb nicht weniger vorschreibenden Realismus eine für viele Aspekte unproblematische Gleichung zwischen individueller Verschiedenheit und sozialer Ungleichheit. Aber wichtiger als eine Wertung jenes Aspektes der Steinschen Ideologie scheint es mir hier, die Schlußfolgerung seiner Rede zu unterstreichen, die nicht mehr sur l'origine de l'inegalite parmi les hommes sein will, sondern vielmehr über die Unentbehrlichkeit der Ungleichheit, um die Bestimmung der Persönlichkeit zu verwirklichen. Deshalb steht im Zeitalter der Industrie die Gesellschaftsordnung als Abhängigkeit der Arbeiter von den Kapitalisten "durchaus nicht im Widerspruch mit dem Begriff der Persönlichkeit, oder mit dem der persönlichen Freiheit, solange das Kapital das Resultat der Arbeit ist. Denn ... ist der Besitz des Kapitals selber nur die höhere Entwicklungsstufe des persönlichen Lebens, und keine Form der Anschauung wird es leugnen können, daß es das absolute Wesen jeder höheren Stufe ist, die niedere von sich abhängig zu machen"67. Von der kapitalisierten Arbeit muß also die Arbeitskraft abhängen: Die gesellschaftliche Herrschaft der besitzenden über die nichtbesitzende Klasse, im Tatbestand (d. h. in der Industrieepoche) der Herrschaft des Kapitals über die Arbeit, beruht auf der Heiligkeit des Wesens der Persönlichkeit; "denn wirklich ist das, was die herrschende Klasse zur herrschenden macht, nicht etwa im Widerspruche mit dem Wesen der Persönlichkeit, sondern jener Besitz der Güter ist eben selber für den Besitzenden die Vollendung seiner eigenen Idee, die Erreichung seiner persönlichen Bestimmung ... die Erfüllung dessen, was jedem Menschen als sein Ziel vorgesteckt ist". Deshalb hat das Individuum "die volle sittliche Berechtigung" auf die Herrschaft über die anderen. "Eben das ist das freie Element mitten in jener Unfreiheit; es ist die höhere Berechtigung, die Erklärung der Erscheinung der Unfreiheit im Leben der an sich zur Freiheit bestimmten Individuen88." Das Hobbessche in der Natur der modernen Gesellschaft wiederentstandene Individuum hat also bestimmt die Aufgabe, selbst zu verwirklichen, was anfänglich nur am totalisierenden Horizont der Gemeinschaft realisierbar schien. In dieser Gesellschaft ist die Bestimmung der Persönlichkeit Herrschaft über andere Menschen, die eindeutig als "Unterordnung des einzelnen persönlichen Lebens unter ein anderes" verstanden wird und die "auf dem Besitze der Mittel, durch welche sich der einzelne dem einzelnen unter8S 87 88

Ibidem. GdsB, I, S. 135. GdsB, I, S. 69 - 70; siehe auch GdsB, III, S. 135.

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ordent"89 beruht. In dieser Gesellschaft endlich, insoweit sie auf der Klassenabhängigkeit (d. h. auf der Arbeitsabhängigkeit) beruht, verwirklicht sich das Wesen der Persönlichkeit nur für eine - die besitzende - Klasse. Die andere Klasse bleibt notwendigerweise von der Bestimmung der Menschen ausgeschlossen, auch wenn sie jene ist, die die Arbeitsaktivität überhaupt darstellt, die also nur abstrakt die Grundlage eben dieser Bestimmung schien. XI. Hier muß man festhalten, daß die Arbeit in der Entwicklung der Persönlichkeit im allgemeinen und des Individuum im besonderen ohne Zweifel eine Kernposition einnimmt, aber - wie es immer klarer scheint - nicht jede Art von Arbeit, am allerwenigsten die abstrakte Banausie der modernen Indstriearbeit. Wenn man hier die minutiöse Typologie der Arbeit, die wir im "System der Staatswissenschaft" finden, beiseite lassen will, muß man sich vor Augen halten, daß die einzige Arbeitsart, die tatsächlich das persönliche Wesen des Menschen verwirklicht, jene ist, die sich historisch zwischen der feudalen Gesindearbeit und der Abstraktion der industriegesellschaftlichen Arbeitskraft befindet. Das ist die Arbeit der Bourgeoisie, die in der Geschichte in der Lage gewesen ist, Bildung und Besitz zu erwerben, indem sie täglich und mühsam ihre Emanzipation vollendet hat. Das ist für Stein das Ideal, das man als unüberbotenes Beispiel gerade dem Proletariat vorschlagen soll, um es von den zerstörerischen Plänen, die in den sozialistischen und kommunistischen Theorien enthalten sind, abzubringen, weil "in der Tat ... jene Aufhebung (des Kapitals) auch gar nicht der Wille des Proletariats ist ... Es will vielmehr das Kapital erwerben können"70. Aber das ist gleichzeitig das Ideal, das fortlaufend auch bei der herrschenden und besitzenden Klasse wiederbetont werden muß, damit sie sich nicht von der Arbeit entferne und, indem sie eine rein kapitalitische Klase wird, die Bewegung, die in der Lage ist, die soziale Revolution und die endgültige Vernichtung des Eigentums und der Persönlichkeit hervorzurufen, nicht zu verschärfen. In der Steinschen Auffassung der Gesellschaft ist der Kapitalismus nämlich ein pathologisches Stadium der industriellen Gesellschaft, weil in ihm jene aufsteigende Bewegung der niederen Klassen stehenbleibt und sich wieder eine ständische Ordnung behauptet, in der eine absolute Ausbeutung der Arbeit durch den Kapitalbesitzer aufscheint, der nicht mehr arbeitet und wie ein alter Herr in einer unbeweglichen Gesellschaft herrscht. 89

70

GdsB, I, S. 41. GdsB, I, S. 135.

Eigentum und Arbeit in der Steinschen Wissenschaft der Gesellschaft 329 Von dieser Perspektive aus kann man sagen, daß für Stein von einem historischen Gesichtspunkt aus das Aufkommen der von der tätigen Figur des Unternehmers gekennzeichneten volkswirtschaftlichen Gesellschaft der glücklichste Moment der Gesellschaftsgeschichte ist. Von einem systematischen Gesichtspunkt aus allerdings muß sich eine gesunde Gesellschaft aus einer niederen Klasse, die nur arbeitet, aus einer mittleren Klasse, die arbeitend Besitz und Kapital erwirbt, und aus einer hohen Klasse, die nur besitzt und nicht arbeitet (indem sie sich höheren gesellschaftlichen aber nicht wirtschaftlichen Aufgaben widmet), zusammensetzen. Zwischen diesen Klassen muß es eine Osmose, eine Möglichkeit des Auf- und Abstiegs geben. Die auf dem Kapitalismus beruhende Ordnung ist hingegen - wie Stein es auffaßt eine Gesellschaft, in der die Proletarisierung des Mittelstandes erfolgt ist und die hohe Klasse, anstatt sich aufgrund der Gesittung den sozialen Aufgaben, die ihr nach ihrer Superiorität zuteil werden, zu widmen, sich nur der Liebe zum Geld und zur Ausbeutung der Arbeit zuwendet, sobald sie sich einmal die ausschließliche Herrschaft durch das gesellschaftliche Recht über alle rechtlichen und politischen Einrichtungen der Gemeinschaft gesichert hat. Für Stein ist also eine Gesellschaft nur gesund, wenn sich zwischen die zwei grundlegenden Klassen - die ausschlißlich die beiden fundamentalen Elemente des Güterlebens (Besitz und Arbeit) jeweils ausdrücken - eine unternehmerische und berufständische Klasse einschiebt, als beständige Durchgangsstelle in der Auf- und Abstiegsbewegung, die für das Gesellschaftsleben physiologisch ist. Und das, weil es der Arbeit in einer solchen Klasse gelingt, das Ideal zu verwirklichen, den Besitzerwerbstitel par excellence zu bilden, ohne die Heiligkeit des Instituts des Privateigentums in Frage zu stellen. Die Mittelklasse ist gleichzeitig Bewahrer des bewegenden (typisch für die Arbeit) und des bewahrenden Prinzips (typisch für das Eigentum), die sich harmonisch in der Gemeinschaft 71 verschmelzen sollen; oder wie Stein sich in einer wichtigen Schrift von 1854 ausdrückt, ist die Mittelklasse der konkrete Ausdruck der Synthese des demokratischen und aristokratischen Prinzips. "Democratie und Aristocratie bezeichnen die beiden großen Principien, nach welchen sich die ganze Menschheit, ... geistig fortbewegt, das Princip der Gleichheit und das des Unterschieds als der Besonderheit, der Gemeinschaft und der einzelnen, selbständigen Entwicklung, der Freiheit und der Ordnung, und die sich gesellschaftlich als die höhere und niedere, staatlich als die beherrschte und herrschende Classe darstellen; sie bezeichnen aber nicht bloß jene Principien und nicht bloß ihre Zuständlichkeiten, sondern auch ihre Bewegung und ihren Kampf ... sie bilden die unab71

SdS, 11, S. 134 ff., S. 331 ff.

Francesco de Sanctis

330

änderlichen Pole der menschlichen Gemeinschaft, und die Grundlage aller Gesellschaftsordnung 72 ." Deshalb ist das Dasein der Mittelklasse Anzeiger der gesellschaftlichen Gesundheit73, aber auch die notwendige Vermittlung zwischen den gegensätzlichen Prinzipien, auf denen die Ordnung der Gesellschaft beruht; Prinzipien, die in ihrem unmittelbaren Widerspruch entweder die Gesellschaft zu einer vollkommen unfreien Ordnung degradieren oder sie in ihrer Grundlage zerstören. Die Mittelklasse ist schließlich die einzige, die in der Lage ist, gleichzeitig die Ehre der Arbeit (die sich so mit den Interessen der Arbeiterklasse verbindet) und die Achtung des Eigentums (die sich mit den Interessen der besitzenden Klasse verbindet) zu verwirklichen; diese beiden sind objektiv von ihrer Position bestimmt, die gerade im Gleichgewicht besteht, das sich konkret auf sein eigenes soziales Interesse begründet, die Arbeit, aus der sie sich gebildet hat, nicht zu entwerten und das Eigentum, zu dem sie mühsam gekommen ist, nicht aufzuheben. Die einzige gültige Möglichkeit, die die hohe Klasse vom sittlichen Gesichtspunkt aus hat, sich von der Arbeit, die das Wirtschaftsleben der Gemeinschaft kennzeichnet, zu entfernen, ohne sich daher von jenem Gesichtspunkt der Gesittung aus zu denaturieren, besteht für Stein überhaupt nicht in einer gesicherten Erwerbung einer ansehnlichen Rente - die, sobald sich der Kapitalist einmal von der Arbeit entfremdet hat, doch das Mittel seines Unterhalts darstellt, aber immer mit den Ergebnissen des Wirtschaftslebens verbunden ist - sondern vielmehr darin, sich jenen höheren Tätigkeiten zuzuwenden, die naturgemäß mit der gehobenen gesellschaftlichen Stellung verbunden sind. Diese Tätigkeiten beschreibt Stein in seiner Schrift über "Das Wesen des arbeitslosen Einkommens und sein besonderes Verhältniss zu Amt und Adel" (1852) als gesellschaftliche (Verteidigung, Unterricht, öffentliche Einrichtungen usw.) und als im allgemeinen menschliche Aufgaben (Wissenschaft und Kunst), die jeweils Amt und Adel zugewiesen sind. Jene Stände werden bei Stein als die einzigen bewertet, die in der Lage sind, fern vom Kampfplatz der wirtschaftlichen Interessen, solche Aufgaben zu lösen; und das aufgrund der ihnen innewohnenden Machtstellung, die sich nicht nur in der wirtschaftlichen Sicherheit, sondern auch in der Ehre (die das Sich-Zuwenden auf diese Aufgaben impliziert) ausdrückt, und die mit der Hilfe des Staates geachtet und gesichert werden muß. Der Wert des Beamtenturns (dessen Korruption die Bürokratie ist)1' und des Adels besteht gerade darin, jene Bereiche des Gesellschaftslebens, die prinzipiell der Logik des Güterlebens entwischen, zum Gegenstand ihrer eigenen, nicht wirt7Z

73

7'

DuA, S. 76. LdVW, S. 177. WdaE, S. 171.

Eigentum und Arbeit in der Steinschen Wissenschaft der Gesellschaft 331

schaftlichen Tätigkeit zu machen. "Für den Begriff des Güterlebens" meint Stein anderswo - "gibt es keine Begeisterung, kein abstraktes Höheres; es kennt nur das Streben nach Vermehrung der Güter, und das Höchste ist ihm der höhere Gewinn"75. Deshalb "bildet das arbeitslose Einkommen", das Amt und Adel angeht, "das wirtschaftliche Correlat der eigentlich gesellschaftlichen Aufgaben"76, das der Staat gerade im Interesse der Gesellschaft sichern (Amt) oder bewahren (Adel) muß. Der ganze Umfang von Aufgaben und Tätigkeiten, die über den bloß wirtschaftlichen Lebensbereich hinausgehen und zur Förderung des gesellschaftlichen Lebens im allgemeinen und zur Erhebung untergeordneter Klassen im besonderen neigen, wird von Stein im "System der Staatswissenschaft" als "gesellschaftliche Arbeit" im engeren Sinne definiert, als Tätigkeit, die im Hinblick auf eine harmonische Gesellschaftsentwicklung die obenbeschriebene "Verwirklichung des Begriffs der gesellschaftlichen Freiheit"77 hervorruft. Die gesellschaftliche Arbeit im engeren Sinn ist weder eine rein geistige Arbeit (Wissenschaft und Kunst) noch eine rein wirtschaftliche (als "Richtung der Kräfte auf den ausschließlichen Erwerb der materiellen Güter")18, sondern sie muß vielmehr den beiden oben erwähnten Arten von Arbeit im Hinblick auf das besondere Ziel der gesellschaftlichen Erhebung untergeordneter Klassen, oder besser im Hinblick auf das Ziel der Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Beweglichkeit, um im Rahmen der Gesellschaft die physiologische und gesunde Bewegung zu erhalten, die in der Lage ist, die Gesellschaft als solche zu bewahren und zu retten79 . Die gesellschaftliche Arbeit - insoweit sie allgemeine Erziehungswirkung auf die Intelligenz in der Arbeit (durch die möglichst homogene Verteilung der geistigen Güter unter den Individuen) und auf die wirtschaftlichen Tugenden (Ordnung, Sparsamkeit und Planmäßigkeit, für das sittliche Müssen, um den Besitz zu erhalten) erzielt -, bewährt sich in der Geselligkeit (als Förderung der Freude des Zusammenlebens), verwirklicht sie ihre Sittlichkeit in der Achtung der Ordnung der Arbeit, nach der "die Ordnung und der Fortschritt des Ganzen auf der Unterordnung des Einzelnen beruhe"80, vollendet sich endlich in der Fähigkeit, mittelbar auf die Rechtsordnung durch eine fortgesetzte friedliche Veränderung der Güterverteilung und des Klassenaufbaus einzuwirken. "Demnach ist die Umgestaltung der Gesellschaftsordnung 75 7S

77 78 7D

80

ZpVW, S. 127. WdaE, S. 181. SdS, H, S. 239. SdS, H, S. 240. SdS, H, S. 241. SdS, H, S. 246.

Francesco de Sanctis

332

als eine organische einzig durch die gesellschaftliche Arbeit zu denken"81. Daß auch diese Auffassung der gesellschaftlichen Arbeit, wenn auch im Hinblick auf die niedere Klasse entworfen, eine Würdigung der höheren verbirgt, scheint offensichtlich. Besonders wenn man die Bedeutung des "Systems der Staatswissenschaft" als Rechtfertigungsideologie der Herrschaft der höheren Klassen in jeder Gesellschaftsform, wie es am klarsten aus den Schlußseiten des "Systems der Staatswissenschaft, II" hervorgeht, versteht. XII. Wenn das, was ich bis jetzt gesagt und aus dem umfangreichen Werk Steins unterstrichen habe, nicht ganz falsch ist, kann man nicht leugnen, daß die Steinsche Theorie des Verhältnisses zwischen Eigentum und Arbeit im allgemeinen und zwischen Kapital und Arbeitskraft im besonderen ambivalent ist. Hinter seiner sowohl historischen als auch systematischen Bewertung der Arbeit steckt eine doppelte Perspektive, von der aus er das Objekt Arbeit betrachtet. Die eine ist die Perspektive der Emanzipation der Bourgeoisie, die andere ist jene der Emanzipation des Proletariats. Nur aus der ersten Perspektive scheint die Arbeit ganz positiv zu sein, weil sie von dem durch die Aneignung erreichten Erfolg bekräftigt ist. Demgemäß gliedert sich Stein einerseits in die bourgeoise und aufklärerische Tradition des Liberalismus ein, die auf das demiurgische Vermögen des homo faber vertraut, der fähig sei, Reichtum zu schaffen und ins Endlose zu vervielfältigen, indem er zwar die Natur (auch seine eigene) wenig achtet, doch beherrscht. Aber andererseits verbindet Stein sich mit jener Strömung des Protestantismus (die Max Weber nicht zufällig als wesentliche Komponente der Entwicklung und des Fortschrittes des Kapitalismus ansieht), der diesen, durch die Taten der Individuen geschaffenen Reichtum als Zeichen der göttlichen Gnade betrachtet. Von dem neuen Horizont aus, der sich mit dem Auftauchen des Proletariats erschließt (das nicht nur arm, sondern auch eine wahre soziale Macht ist - wie Stein mehrmals unterstrichen hat -, Macht, die durch das Bewußtsein seiner ausgebeuteten Lage und durch einen theoretisch und philosophisch begründeten, revolutionären Entwurf bewegt ist), erscheint die Emanzipation der Arbeit, die Verwirklichung ihrer Rechte als extreme Bedrohung für die europäische Kultur. Das ist also der Grund dafür, daß, im Gegenteil zur Bourgeoisie, die sich durch die Gestaltung eines neuen Güterlebens und durch die politische Revolution selbst emanzipiert hat, die Emanzipation des Proletariats, die in der geschichtlichen Lage Steins sich als nichts anderes denn als Emanzipation vom Privateigentum der Produktionsmittel 81

SdS, II, S. 247.

Eigentum und Arbeit in der Steinschen Wissenschaft der Gesellschaft 333 darbieten kann, nur von oben, einerseits durch den Staat als gesellschaftlich neutrale Macht, andererseits durch die besitzende und deshalb herrschende Klasse, durchgeführt werden muß. Das, weil in der Optik, in die sich Stein begibt (die jene ist, die die Gesetze des Güterlebens, sowie es im Zeitalter der Industrie geworden ist, als unveränderlich, absolut und unantastbar definiert), die Arbeit des Proletariats, als Unterart der Arbeit des Bürgertums - bloße Abstraktion und Abtrennung der vereinfachten Phasen des vom Kapital bewirtschafteten und bestimmten Produktionsprozesses -, als unfähig (ganz anders als die Bourgeoisie) beurteilt wird, ein neues Güterleben zu gestalten, von dem aus sich Staat, Recht und Gesellschaft erneuern. Für Stein also kann das Proletariat, das sich selbst emanzipiert, nur die Grundlagen der Zivilisation beschädigen oder zerstören. Es hat keine eigene Geschichte selbständig zu leben und zu bestimmen, und deshalb wird das Proletariat nicht sich selbst überlassen, sondern unterstützt, sich friedlich und zahm in eine Geschichte einzugliedern, die von seinem Gesichtspunkt aus wieder Natur geworden ist. Nicht zufällig ist die Kritik Steins am Kapitalismus (der in der "Geschichte der sozialen Bewegung" als "Materialismus der menschlichen Gesellschafts2 definiert wird) überhaupt keine Kritik des Produktionssystems der industriellen Gesellschaft, sondern nur eine Kritik der Vereisung der gesunden gesellschaftlichen Beweglichkeit, die sich durch die Konzentration des Kapitals in wenigen Händen und durch das Verschwinden der Mittelklasse, sowie durch die Verhinderung jeglicher Wiederverteilung der Güter verwirklicht. Der Kapitalismus stellt die Korruption der industriellen Gesellschaft, den Verfall der reinsten Bedürfnisse des Menschen, das Herabrücken der Werte der Geselligkeit als harmonisches Zusammenleben dar, aber nur für die Starre der gesellschaftlichen Ordnung als akzessorische Folge, mehr des Verteilungssystems als des Produktionssystems, welche in der Optik der damaligen herrschenden Wirtschaftsideologie als getrennt betrachtet wurden. Deshalb bleibt "das Kapital an sich" (als Produktionssystem-Bestimmendes) "die Bedingung aller konkreten Freiheit"83. Wenn man sich das vergegenwärtigt, versteht man den Sinn der folgenden Behauptung Steins besser: "Es ist das Bewußtsein in der besitzenden Klasse der Gesellschaft, daß ihr eigenes, höchstes und wohlverstandenes Interesse es fordert, mit aller Anstrengung ihrer gesellschaftlichen Kräfte und mit aller Hilfe des Staats und seiner Gewalt für die soziale Reform unermüdlich tätig zu wirken 84 ." Hier ist meines Erachtens der ganze reformistische Scharfblick der Botschaft 82 83

84

GdsB, II, S. 32. GdsB, II, S. 101. GdsB, I, S. 138.

334

Francesco de Sanctis

Lorenz Steins zusammengefaßt, die nicht zufällig sich an die herrschende, besitzende Klasse wendet, deren Interesse als das Interesse der Gesellschaft überhaupt85 dargestellt wird, aber tatsächlich das Interesse an der Aufrechterhaltung der Abhängigkeit der Arbeitskraft, des Proletariats ist. Eine Abhängigkeit, die von der Ausbeutung (als sozialpathologische Tatsache) meiner Meinung nach nur durch die Errichtung einer Vertrauensbeziehung des Proletariats .zum Staat und zum "wohlverstandenes Interesse" der besitzenden Klasse unterschieden ist. Die ganze von Stein über das Königtum der sozialen Reform verfaßte Abhandlung befreit sich von den Unzulänglichkeiten, die Angermann unterstrichen hat86 , und gewinnt einen großen, sowohl prognostischen als auch therapeutischen Wert, nur, wenn man sie mit dem Appell zum wohlverstandenen Interesse der herrschenden Klasse verbindet. Diese ist de facto dazu berufen, die Reform durchzuführen, weil Stein gezeigt hat, daß sie die Gewalt in der ganzen Spannweite der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklung innehat. Und gerade aus dieser Verbindung zwischen der sozialen Reform und dem wohlverstandenen Interesse der besitzenden Klasse kann man meines Erachtens die Tragweite Lorenz Steins entnehmen; Lorenz Stein, weitsichtiger Politologe der industriellen Gesellschaft, ,Realist', der trotz seiner scharfen Kritiken am Kapitalismus imstande war, ihm - und gerade am Anfang seiner Wachstumskrisen - wirklich auf theoretischer Ebene den dehnbaren Stahlkern der verfeinertsten Herrschaftswaffe zu schmieden, die dazu bestimmt war, sich fortzuentwickeln und eine ausschlaggebende Rolle in der sozialen und politischen Geschichte Europas, nicht nur im 19. Jahrhundert, zu spielen.

Zitierte Werke von Lorenz Stein Socialismus und Communismus des heutigen Frankreich. Ein Beitrag zur Zeitgeschichte, Leipzig 1842 = SuC. Blicke auf den Socialismus und Communismus in Deutschland, und ihre Zukunft, Deutsche Vierteljahrs Schrift, 1844, 2. Heft, S. 1 - 61, Nachdruck Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1974 = SuCiD. Der Begriff der Arbeit und die Principien des Arbeitslohnes in ihrem Verhältnis zum Socialismus und Communismus, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 3 (1846), 2. Heft, S. 233 - 290, Nachdruck Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1974 = BdA.

GdsB, I, S. 137. E. Angermann, Zwei Typen des Ausgleichs gesellschaftlicher Interessen durch die Staatsgewalt, in: Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815 - 1848, hrsg. von W. Conze, 2. Auflage, Stuttgart 1970, S. 188, 198. 85

88

Eigentum und Arbeit in der Steinschen Wissenschaft der Gesellschaft 335 Die socialen Bewegungen der Gegenwart, in: Die Gegenwart. Eine encyklopaedische Darstellung der neusten Zeitgeschichte für alle Stände, 61. Bd., Leipzig 1848, S. 79 - 93, Nachdruck Wissenschaftliche Buchgesellschaft: L. v. Stein, Schriften zum Sozialismus 1848, 1852, 1854, Darmstadt 1974 = SB. Proletariat und Gesellschaft, Text nach der 2. Auflage von "Der Socialismus und Communismus des heutigen Frankreich" (1848), herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Manfred Hahn, München 1971 = PuG. Ideen zur Geschichte der Arbeit, Deutsche Vierteljahrs Schrift, 1849, 1. Heft, S. 354 - 379 = GdA. Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage, Nachdruck der von G. Salomon herausgegebenen Ausgabe 1921, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1959, in drei Bänden: 1. Bd., Der Begriff der Gesellschaft und die soziale Geschichte der Französischen Revolution bis zum Jahre 1830 = GdsB, I. 2. Bd., Die industrielle Gesellschaft, der Sozialismus und Kommunismus Frankreichs von 1830 bis 1848 = GdsB, H. 3. Bd., Das Königtum, die Republik und die Souveränität der französischen Gesellschaft seit der Februarrevolution 1848 = GdsB, HI. Zur preussischen Verfassungsfrage, nach dem unveränderten Nachdruck (Berlin 1940), in: Deutsche Vierteljahrs Schrift, 1852, 1. Heft, in: L. v. Stein, Gesellschaft - Staat - Recht, herausgegeben und eingeleitet von E. Forsthoff mit Beiträgen von D. Blasius, E.-W. Böckenförde und E. R. Huber, Frankfurt 1972, S. 115 - 146 = ZpVF. Das Wesen des arbeitlosen Einkommens und sein besonderes Verhältnis zu Amt und Adel, Deutsche Vierteljahrs Schrift, 1852, 4. Heft, S. 139 - 190 = WdaE. Demokratie und Aristokratie, in: "Die Gegenwart. Eine encyc10paedische Darstellung der neusten Zeitgeschichte für alle Stände", 9. Bd., Leipzig 1854, S. 306 - 344, Nachdruck Wissenschaftliche Buchgesellschaft: L. v. Stein, Schriften zum Sozialismus, a.a.O., S. 63 - 101 = DuA. System der Staatswissenschaft, Neudruck der Ausgabe 1856, Osnabrück 1964: 2. Bd., Die Gesellschaftslehre. Erste Abtheilung. Der Begriff der Gesellschaft und die Lehre von den Gesellschaftsklassen = SdS, H. Lehrbuch der Volkswirtschaft. Zum Gebrauche für Vorlesungen und für Selbststudium. Wien 1858 = LdVW. Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaft Deutschlands, Neudruck der Ausgabe Stuttgart 1876 in: L. v. Stein, Gesellschaft Staat - Recht, a.a.O., S. 147 - 494 = GuZ.

Der übergang von der feudal-ständischen Gesellschaft zur staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung als Rechtsproblem : Die Entwährungslehre Lorenz von Steins Von Rainer Wahl

1. Unter dem damals wie heute ungebräuchlichen1 Ausdruck Entwährungslehre behandelt LOTenz von Stein im 7. Band seiner Verwaltungslehre zwei große Rechtsbereiche des 19. Jahrhunderts: die Grundentlastung, die Ablösungen und Gemeinheitsteilungen einerseits, das Enteignungs- und das Staatsnotrecht andererseits. Die klassische Darstellung der Enteignungsgrundsätze hat dabei bis in die Gegenwart hinein immer wieder Beachtung gefunden2 • Anders verhält es sich mit dem ZitieTweise: LOTenz von Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage, 3 Bde., Nachdruck der von G. Salomon 1921 heraus-

gegebenen Ausgabe, 1959, zit.: Geschichte der sozialen Bewegung I - IH. System der Staatswissenschaft. 2. Band: Die Gesellschaftslehre. 1. Abteilung: Der Begriff der Gesellschaft und die Lehre von den Gesellschaftsklassen, 1856, zit.: System der Staatswissenschaft H. - Die Verwaltungslehre. 8 Teile in 10 Bänden. Nachdruck der 1./2. Auflage 1866 - 1884, 1962. Teil 1,1. Die Vollziehende Gewalt, Allgemeiner Teil: Das verfassungsmäßige Verwaltungsrecht. Besonderer Teil, Gebiet 1: Die Regierung und das verfassungsmäßige Regierungsrecht, 2. Auflage 1869, zit.: VerwL 1, 1. Teil 1,2. Die Vollziehende Gewalt. 2. Teil: Die Selbstverwaltung und ihr Rechtssystem, 2. Auflage 1869, zit. VerwL 1, 2. Teil 2. Die Lehre von der Inneren Verwaltung. Einleitung. Erster Teil, 1866, zit.: VerwL 2. Teil 7. Innere Verwaltungslehre. Drittes Hauptgebiet: Die wirtschaftliche Verwaltung (Volkswirtschaftspflege). Erster Teil: Die Entwährung, 1868, zit.: VerwL 7. - Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaft Deutschland,1876. - Handbuch der Verwaltungslehre, 3. Auflage 1887, 3 Bde., zit.: HB VerwL 1- IH. -

1 Vgl. die Bemerkung von L. v. Stein, VerwL 7, S. 67. Zur Funktion der zusammenfassenden Begriffsbildung unten VI. 2 E. FOTsthoff, Zur Lage des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes, in: Festgabe für Th. Maunz, 1971, S. 92 f.; vgl. auch den Verweis auf Steins

22 Staat und Gesellschaft

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ersten Komplex, der Darstellung der grundlegenden Rechts- und Sozialreform des 19. Jahrhunderts mit ihrem Abbau des feudal-ständischen Rechts, der den Ausdruck ,Entwährungs'lehre eher rechtfertigt und plausibel macht. Dieser Teil erweckt, abgesehen von Arbeiten mit rechts- und verfassungshistorischem Interesse, seltener Aufmerksamkeit, dann aber zu bezeichnenden Zeiten: als erklärende Theorie und rechtliche Erfassung eines grundlegenden geschichtlichen und rechtlichen Vbergangs wird dieser erste und umfangreichere Teil der Entwährungslehre zu Zeiten herangezogen, die sich als übergangsperioden oder als Epochen struktureller Rechtsformen darstellen oder als solche interpretiert werdens. Und in der Tat liefert Lorenz von Stein in diesen Passagen nicht nur eine glänzende vergleichende Darstellung der europäischen Verfassungs- und Rechtsgeschichte des übergangs von der feudal-ständischen Gesellschaft zur modernen Welt, deren Erträge noch heute von der Rechts- und Verfassungsgeschichte nicht voll ausgeschöpft sind4, sondern zugleich eine Theorie dieser historischen Bewegung und eine rechtliche Theorie dieses übergangs. Von ihr und der Entwährungslehre insgesamt hat O. Kirchheimer zu Recht gesagt, daß sie das einzige Werk eines bürgerlichen Autors im 19. Jahrhundert sei, "das den Zusammenhang zwischen Ökonomie, Politik und juristischer Regelung erfaßt und im liberalen Sinn verarbeitet" hat5 • Die Auseinandersetzung mit dieser Lehre in späteren Zeiten des übergangs deutet zugleich darauf hin, daß die Entwährungslehre im Zusammenhang des gesamten Werkes in zwei unterschiedlichen historischen Entwicklungslinien zu sehen ist: zum einen in der vordergrünbegriffliche Bestimmung der Enteignung ders., Lehrbuch des Verwaltungsrechts, I, 10. Aufl. 1973, S. 334 f. 3 O. Kirchheimer, Die Grenzen der Enteignung, in: ders., Funktionen des Staates, 1972, S. 235 ff., 240 f. H. Ridder, Enteignung und Sozialisierung, VVDStRL 10 (1952), S. 138 f., versteht die rechtsaufhebende überführung von Gütern in Gemeineigentum unter Verweis und Abgrenzung zu Stein als ,Sozialentwährung' und greift damit eine im Begriff der Entwährung enthaltene, von Stein aber gerade nicht realisierte Bedeutungsvariante auf, vgl. unten VI. 4 Auf die Einzelheiten der vergleichenden Behandlung der Entwicklungen in Deutschland, England und Frankreich kann hier nicht eingegangen werden. Unter rechtsgeschichtlichem Aspekt immer noch unentbehrlich und sehr materialreich: J. W. Hedemann, Die Fortschritte des Privatrechts im XIX. Jahrhundert, 2. Teil, 1. Halbbd. 1930, §§ 1 und 3, insb. S. 2 ff., 29 ff. Daneben immer noch wichtig: A. Zycha, Deutsche Rechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1949, S. 286 - 312, z. T. abgedruckt auch in: E.-W. Böckenförde (Hrsg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte, 1972, S. 341 ff. Materialreich auch H. Roesler, Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, Bd. 1: Das Sociale Verwaltungsrecht, 1872, S. 314 ff., 364 ff. S Kirchheimer (Fn. 3), S. 235. Kirchheimer setzt dabei Stein ausdrücklich von den im rein Juristisch-Technisch bleibenden Arbeiten von G. Meyer, Das Recht der Expropriation, 1868, und von C. S. Grünhut, Das Enteignungsrecht, 1873, ab.

Die Entwährungslehre Lorenz von Steins

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dig allein behandelten Entwicklungsrichtung hin zur bürgerlichen Gesellschaft, zum anderen aber auch in der entgegengesetzten Richtung eines weiteren übergangs über die bürgerliche Gesellschaft hinaus, der negativ beantwortet wird. Das Problem des übergangs von der feudalen zur bürgerlichen Welt war sicherlich eines der großen Themen des 19. Jahrhunderts, da es die aktuelle Vergangenheit, zum Teil - selbst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts - noch Gegenwart war6 • Der übergang zur eigenen Gesellschaftsform, zur bürgerlichen Welt, mußte in einem Jahrhundert, dessen Denken so stark vom Interesse an historischen Entwicklungen und an geschichtsphilosophisch interpretierten Entwicklungsstufen geprägt war, besondere Aufmerksamkeit erwecken. In spezifischer Weise trifft dies für Lorenz von Stein mit seinem großen Engagement für eine europäische Rechtsgeschichte7 und seinem historisch-theoretischen Interesse für Entwicklungsgesetze der von ihm (mit) entdeckten ,Gesellschaft' zu. Darüber hinaus darf man bei L. VOn Stein, in dessen Werk im Mittelpunkt die Probleme auf der Grundlage der neuen Ordnung stehen, mehr als nur historisch-theoretisches Erkenntnisinteresse vermuten. Stein beschreibt und erklärt den übergang zur staatsbürgerlichen Gesellschaft in großer Ausführlichkeit im Jahr 1868. Zu dieser Zeit war die staatsbürgerliche Gesellschaft ihrerseits schon angefochten, wurde der übergang von dieser staatsbürgerlichen Gesellschaft weg zu einer neuen Gesellschaftsordnung, der sozialistischen oder kommunistischen Ordnung diskutiert und politisch gefordert. Stein ist sich der ZweifrontensteIlung der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Eigentumsverständnisses sehr wohl bewußt8 • In dieser Situation ist es nicht nur VOn historischem Interesse darzulegen, daß der vollzogene übergang theoretisch durchsichtig erklärt und legitimiert werden kann eben durch die Prinzipien, die als grundlegend und gesetzesartig für die neue Ordnung überhaupt nachgewiesen werden. In einer solchen e Die Grundentlastung und die Ablösung der feudalen Rechte zog sich weit über das Jahr 1848 hinaus in die 2. Hälfte des 19. Jh.s hinein. Zu der falschen Vorstellung, daß mit dem pr. Oktoberedikt von 1807 der Hauptanteil dieses Vorganges schon geleistet worden sei, hat viel das Pathos des bekannten Satzes: "Mit dem Martini-Tage 1810 hört alle Guts- Untertänigkeit in Unseren sämtlichen Staaten auf" beigetragen, während die ausführlichen übrigen Passagen des Edikts sehr deutlich machen, daß damit erst ein Anfang gesetzt war. Exemplarische Darstellungen der preußischen und bayerischen Gesetzgebung neuerdings in den Arbeiten von N. Habermann und M. Stolleis, in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. III, hrsg. v. H. Coing und W. Wilhelm, 1976, S. 3 ff. und 44 ff. 7 Dazu VerwL 7, S. VI. f., 78, 79, 89, und programmatisch: Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaft Deutschlands, 1876, S. 298 ff. 8 Vgl. dazu den bekannten Satz von Stein, VerwL 7, S. 218, vom Prinzip des Staatsbürgertums, das mit "seinem tödlichen Feinde, der Idee der sozialen Bewegung, zugleich groß geworden" ist.

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Situation erhalten diese Prinzipien, die sich als mächtig und historisch ,wahr' erwiesen haben, um eine ganze welthistorische Periode abzulösen, ein besonderes Gewicht in der neuen Problematik der auf dem Boden der staatsbürgerlichen Gesellschaft aufgebrochenen Klassengegensätze. Wenn diese neue Ordnung aus Notwendigkeit, aus in der Geschichte bewährten Gesetzen und aus letzten ,richtigen' Prinzipien hervorgegangen ist, wie Stein darzulegen versucht, dann legt es sich nahe, die Lösung der neuen Probleme auf der Grundlage und nach den Prinzipien zu suchen, unter denen diese Gesellschaft angetreten ist. Die Lösung der neuen Probleme im Verlassen der als gültig erwiesenen Prinzipien suchen zu wollen, einen übergang zur ,anderen Seite' überlegen zu wollen, hat dann das Gewicht dieses historischen Prozesses gegen sich. In der Entwährungslehre spiegelt sich deshalb der gesellschaftstheoretische Ansatz Lorenz von Steins besonders stark, nicht minder aber auch darin, daß mit diesem übergang zur staatsbürgerlichen Gesellschaft die Abfolge der Gesellschaftsordnungen als zu Ende gekommen dargestellt wird, daß also die Möglichkeit oder die Notwendigkeit einer Entwicklung weg von dieser staatsbürgerlichen Gesellschaft verneint wird9 • Im Gebot zum übergang zur staatsbürgerlichen Gesellschaft und im Verbot (bzw. der These von der theoretischen Unmöglichkeit) ihrer Weiterentwicklung oder überwindung, in den beiden ungleichen Seiten des übergangsproblems, wird die Staats- und Gesellschaftslehre Steins in ihrem Kern deutlich. In einem weiteren Sinne war die Bewältigung dieses übergangsproblems für die Steinsche Theorie selbst ein kritischer Prüfstein. In der Überwindung der feudal-ständischen alteuropäischen Ordnung, gerade auch in ihren ökonomisch relevanten Rechten und Vorrechten durch Entlastung und Ablösung trat für das Bürgertum das tiefe Dilemma auf, feudales Eigentum zerstören zu müssen und gleichzeitig die Unverletztlichkeit des Eigentums als entschiedenen Grundsatz der bürgerlichen Gesellschaft aufrecht erhalten zu wollen10 • Für eine bürgerDazu unten VI. Dieses Dilemma ist klar herausgearbeitet in der gehaltvollen Studie von Kirchheimer (Fn. 3), S. 227; vgl. auch D. Schwab, Art. ,Eigentum', in: Geschichtliche Grundbegriffe. Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. v. O. Brunner, W. Conze und R. Koselleck, Bd. 2., 1975, S. 99 ff., dort auch S. 101 die aufschlußreiche Bemerkung von Svarez, der die Aufhebung der droit feodaux durch die französische Nationalversammlung 1789 als Eingriff in das Eigentum kritisierte und anklagend fragte: "Mußte die Ordnung damit anfangen, daß man die Heiligkeit des Eigentums verletzte." Zur Diskussion um das Verhältnis von Reformwillen und tradierter Eigentumsverfassung in der deutschen Publizistik im Zeichen der französischen Revolution G. Birtsch, in: Eigentum und Verfassung. Zur Eigentumsdiskussion im ausgehenden 18. Jahrhundert, hrsg. v. R. Vierhaus, 1972, S. 179 ff. 9

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liche Interpretation dieses übergangs muß es eine zentrale Herausforderung gewesen sein, diesen historischen Vorgang auf der Basis der bürgerlichen Gesellschafts-, Rechts- und Eigentumsauffassung zu rechtfertigen und das erwähnte Dilemma als scheinbaren Widerspruch nachzuweisen und aufzudecken. Und in der Tat setzt Stein bei dem ,tiefen Widerspruch', der bei der Entwährung auftritt und ,dessen Existenz und dessen Härte mit keiner formalen Definition der Entwährung verdeckt werden kann', anl l . Ausdrücklich wird die Herausforderung an sein System umschrieben: "Kann dann überhaupt noch der Begriff und das Wesen der selbstbestimmten Persönlichkeit der Staatswissenschaft zu Grunde gelegt werden, wenn die erste Forderung der Volkswirtschaftspflege12 die ist, durch den Willen des Staates dasjenige aufheben zu dürfen, was die erste Forderung für den freien Staatsbürger ist: die Heiligkeit des bürgerlichen Rechts?" In dieser zugespitzten Frage klingt schon an, was sich auch aus dem theoretischen Gebäude der Steinschen Staats- und Gesellschaftslehre mit Notwendigkeit ergibt: Die Lösung des konstatierten Widerspruchs muß im Kontext des Begriffs und der Lehre von der Persönlichkeit gefunden werden; sie liegt in der Fundierung des Eigentums als des Ergebnisses und als der Basis der Persönlichkeits entwicklung. Diese Fundierung ist für das Denken Steins eine Bewährungsprobe jedoch nur dann, wenn sie zusätzlich auch erweist, daß die Aufhebung der feudalen Rechte ein nach Rechtssätzen und im Einklang mit Rechtsgrundsätzen verlaufender Prozeß ist. Nur dann ist dieser Vorgang kein Raub oder gewaltsamer Vorgang, kein Fanal für einen Kampf gegen das Eigentum überhaupt und kein Präzedenzfall für eine Depossedierung, der nach Wiederholung oder Fortsetzung, diesmal gegen das bürgerliche Eigentum, ruft. Es versteht sich und wird im einzelnen noch darzulegen sein, daß für dieses Verständnis die Entschädigungsfrage von zentraler Bedeutung für die theoretische Stimmigkeit der Entwährungslehre, darüber hinaus aber auch für die politischen Optionen Steins ist. Auch hier erweisen sich wiederum die beiden Aspekte, unter denen die Entwährungslehre von Interesse ist: als Legitimierung des übergangs zur bürgerlichen Gesellschaft, gleichzeitig aber auch als Widerlegung einer möglichen Bewegung über die bürgerliche Gesellschaft VerwL 7, S. 68 f.; zum folgenden ebd. S. 68 - 71,74 - 77. Die Entwährung versteht Stein als Aufgabe der Volkswirtschaftspflege (= wirtschaftliche Verwaltung). Zur Systembildung VerwL 7, S. 47 ff., 67 ff. Die Entwährung ist Teil der wirtschaftlichen Verwaltung, die erste "rein negative Arbeit des Staates" im Verhältnis zum wirtschaftlichen Leben insofern, als sie alle rechtlichen Bedingungen aufhebt, die der freien individuellen Entwicklung des einzelnen entgegenstehen, HB VerwL !II, S. 34, und VerwL 7, S. 68. 11

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und das bürgerliche Eigentum hinaus. Diesen beiden Hauptfragen wird im folgenden nachgegangen. Im einzelnen sind dabei die Grundgedanken der Steinschen Entwährungslehre (unter 11.) und speziell seine Auffassung zur Entschädigungsproblematik (unter !II.) dargestellt. Das theoretische Modell der allgemeinen Rechtsreform wird anschließend konfrontiert mit und überprüft an der tatsächlichen Entwicklung in Frankreich und Deutschland und ihrer Interpretation durch Stein (unter IV. und V.). Die sich dabei ergebende Positionsbestimmung Steins wird bestätigt durch seine Stellungnahme zur Möglichkeit einer gesellschaftlichen Entwicklung über die bürgerliche Gesellschaft hinaus (unter VI.) und durch die Konfrontation mit der abweichenden Konzeption von Lassalle (unter VII.). 11. 1. Der große Umwandlungsprozeß im Gefolge der politischen und industriellen Revolution hat das 19. Jahrhundert stark beschäftigt. In Deutschland rückten - infolge der zeitlichen Verzögerung der Ablösung der feudal-ständischen Welt im Verhältnis zu England und Frankreich - die überwindung der alten Ordnung sowie das Entstehen und das Problematischwerden der neuen Gesellschaftsordnung sehr nahe aneinander, fallen, sichtbar in den Ereignissen des Jahres 1848, zum Teil sogar zusammen13 • Gerade deshalb imponiert die Klarheit, mit der Stein, geschult an dem sozusagen idealtypischen Modell der französischen Geschichte, die Entwicklungslinien und -stadien einerseits auseinanderhält, andererseits die Zusammengehörigkeit von negativem Abbau und positiver Entfaltung der nachrevolutionären Gesellschaft und ihrer Klassengegensätze sieht. Stein faßt dabei das Modell und die Figur des Übergangs in einer denkbar scharfen Form, indem er den grundlegenden Wandel nicht nur als Überwindung ungerechtfertigter Vorrechte, nicht nur als Ausdruck neuer Ideen faßt, sondern ihn als einen prinzipiellen Wechsel von einer Gesellschaftsordnung zu einer anderen, also als Austausch des gesamten politischen und gesellschaftlichen Bezugssystems interpretiert14• Der Vorgang enthält dadurch eine europäische Dimension zugewiesen und wird in seiner Tiefenwirkung als Änderung aller gesellschaftlichen Verhältnisse erfaßt. Die Entwährung ist ein Teilprozeß des übergangs von den beiden bisher verwirklichten Gesellschaftsordnungen, der sog. Geschlechterord13 Die lange übergangsdauer und das etappenweise Verwirklichen der bürgerlichen Verkehrsgesellschaft in Deutschland hatte zur Folge, daß die Ablösung der feudalen Ordnung zeitlich nahe heranrückte und sich sogar für einige Zeit überschnitt nicht nur mit der Entstehung der bürgerlichkapitalistischen Verkehrswirtschaft, sondern auch schon mit ihren Folgeproblemen, insbesondere der sozialen Frage. 14 VerwL 7, S. 74.

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nung (patriarchalische Ordnung) und der ständischen Ordnung, zur modernen Gesellschaftsordnung, der staatsbürgerlichen Gesellschaftl6 , 16. Stein nimmt damit nicht nur eines der im 19. Jahrhundert beliebten, geschichtsphilosophisch ausgedeuteten Dreistadiengesetze auf l7 , er trifft in seiner Einschätzung der historischen Bedeutung dieses Vorgangs durchaus die Beurteilung der gegenwärtigen, sozial- und wirtschaftsgeschichtlich vertieften Geschichtswissenschaft, die in der industriellen Revolution und im Abbau der feudal-ständischen Ordnung der vorrevolutionären Zeit einen entscheidenden Epocheneinschnitt auf dem Weg zur ,modernen' Welt sieht18 • Die Ablösung einer Gesellschaftsordnung durch eine andere ist aber für Stein nicht nur ein faktischer Vorgang, sondern zugleich ein enormer Rechtsänderungsprozeß. Denn jede Gesellschaftsordnung schafft sich ihr eigenes Recht, und zwar in allen Einzelheiten. Stein wird nicht 16 Zu diesen 3 Gesellschaftsordnungen: VerwL 7, S. 71 ff., VerwL 1, 1, S. 26 ff.; System der Staatswissenschaft, I1, S. 207 ff.; Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaft, S. 147 ff. lS Das Organisationsprinzip der Geschlechterordnung ist nach Stein die ,natürliche Einheit' der Familie, während in der Ständeordnung der bewußte Wille der Berufsgenossen und in der staatsbürgerlichen Ordnung der freie Wille der selbständigen Individualität das Grundprinzip der Gesellschaftsordnung ausmacht, VerwL 7, S. 72. - Für das Verständnis der Steinschen Gesellschaftslehre und der Umschreibung der einzelnen Gesellschaftsordnungen ist der Hinweis wichtig, daß Stein die Begriffe "Staat" und "Gesellschaft" - im Gegensatz zu Hegel - als übergeschichtliche, zeitlose Kategorien benutzt, sie nicht historisch herleitet, sondern anthropologisch aus der allgemeinen Menschennatur begründet (dazu E.-W. Böcken!örde, VerfassungsgeschichtIiche Forschung, 1961, S. 187 f.). 17 An der Dreizahl von grundlegend unterschiedenen Wirtschaftsordnungen wird auch heute noch - wenn auch ohne die geschichtsphilosophische überhöhung - festgehalten, vgl. E. Schremmer, Die Wirtschaftsordnungen 18001970, in: Aubin I Zorn (Hrsg.), Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 2, 1976, S. 122 ff. Inhaltlich ist dabei die sozialistische Wirtschaftsordnung hinzugetreten, während die Steinsche Geschlechter- und Ständeordnung zur vorkapitalistisch-feudalen Wirtschaftsordnung zusammengezogen ist. 18 Besonders deutlich wird die große Bedeutung, die die moderne Geschichtswissenschaft der überwindung der feudal-ständischen Gesellschaftsordnung als entscheidendem Einschnitt auf dem Weg zur ,modernen Welt' beimißt, im Spiegel der Begriffsgeschichte, in deren Zusammenhang sich die Zeit zwischen 1750 und 1850 als ,Sattelzeit' darstellt, in der die Mehrzahl der heutigen politisch-sozialen Grundbegriffe die entscheidende Neuformulierung im Kontext der modernen WeIt gefunden haben, so die Konzeption des umfassend angelegten und die Begriffsgeschichte in eine neue Dimension hebenden Werkes: Geschichtliche Grundbegriffe (Fn. 10); dazu die programmatische Einleitung von R. KoseHeck, ebd., Bd. 1, 1972, S. XIII ff., XV. Unter strukturgeschichtlichen Aspekten und in einer weit über Europa hinausgreifenden Untersuchung analysiert Barrington Moore, Soziale Ursprünge von Dikatur und Demokratie, dt. (Taschenbuch)Ausgabe 1974, die Auflösung der feudalen Ordnung und dabei speziell die Rolle der grundbesitzenden Oberklassen und der Bauern in den (bürgerlichen) Revolutionen, deren Verhalten er für ausschlaggebend dafür hält, ob der Weg der Modernisierung zur Diktatur oder zur Demokratie führt.

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müde, diese grundlegende These von der gesellschaftlichen Relativität des Rechts, von seiner Abhängigkeit vom Prinzip und vom Bezugsrahmen einer spezifischen Gesellschaftsordnung zu betonen und zu wiederholen19 : "Jede Gesellschaftsordnung bildet sich daher ihr Rechtssystem, dessen Prinzip die Unterordnung des Lebens des einzelnen unter die bestimmte Ordnung der Gesellschaft und ihre Forderungen ist. So entsteht das gesellschaftliche Recht als diejenige Summe von Beschränkungen des Rechts der selbständigen Persönlichkeit, welche nicht mehr durch die Idee des persönlichen Staates, sondern durch das spezielle Prinzip der einzelnen Gesellschaftsordnungen gefordert, und als Bedingung seiner Verwirklichung angesehen wird20 ." Die spezifische rechtsbildende Kraft der Prinzipien der einzelnen Gesellschaftsordnungen schlägt sich maßgeblich in den für den Grundbesitz und den Erwerb geltenden Verhältnissen und Rechtssätzen nieder. 2. Der übergang von einer Gesellschaftsordnung zu einer anderen und speziell die Entwährung sind Rechtsvorgänge gerade deshalb, weil diejenigen Rechte und Rechtsinstitute der alten Ordnung, die den Prinzipien der neuen widersprechen, aufgehoben werden müssen 21 • Systematischer Mittel- und Angelpunkt der Lehre von den Gesellschaftsordnungen ist die staatsbürgerliche Gesellschaftsordnung. Der übergang zu ihr kann grundlegende rechtsändernde und rechts aufhebende Wirkungen haben, weil sie einen höheren Entwicklungsstand des menschlichen Lebens repräsentiert22 • Sie ermöglicht ihrem Prinzip nach die Entfaltung der freien, individuellen Persönlichkeit; im wirtschaftlichen Bereich schlägt sie sich als die volle Freiheit des inviduellen Besitzes und Erwerbes nieder. Mit der (rechts)philosophischen Ableitung der staatsbürgerlichen Gesellschaft aus der Theorie der Persönlichkeit ist für Stein die normative Basis gegeben, von der aus das vorhandene Recht als das Recht unfreier gesellschaftlicher Verhältnisse kritisiert werden und Änderungs- und Aufhebungsforderungen legitimiert werden können23• tu Grundlegende Ausführungen zur gesellschaftlichen Rechtsbildung, einer zentralen Kategorie der Steinschen Rechtslehre, in der und durch die Gesellschaftslehre und Rechtswissenschaft aufeinander bezogen werden, schon in: Geschichte der Sozialen Bewegung I, S. 56 ff.; dann: System der Staatswissenschaften H, S. 211 ff., 220 - 231; VerwL 1,1, S. 26 ff., VerwL 7, S. 71 ff. (S. 73: "Der Begriff der Gesellschaft ist die Grundlage aller Rechtsgeschichte."); HB VerwL HI, S. 12 ff., und besonders eindringlich - und aus dieser Einsicht Vorschläge für eine Theorie der juristischen Berufsausbildung ableitend - Gegenwart und Zukunft, S. 147 ff., auf dieses Werk greift ausdrücklich zurück St. Leibfried, Curriculum der Rechtswissenschaft, Ms 1973. 20 VerwL 7, S. 72. f1 Auf dem Kampf der Gesellschaftsordnungen untereinander beruht die Geschichte des Rechts; VerwL 7, S. 74. 22 Ebd., S. 74 f., 294.

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Antithetisch zur staatsbürgerlichen Gesellschaft werden die beiden davorliegenden Gesellschaftsordnungen gekennzeichnet24, wobei nicht nur der Gegensatz als solcher von Bedeutung ist, sondern noch wichtiger ist, in welcher Hinsicht der Gegensatz gesehen oder konstruiert wird: Die staatsbürgerliche Gesellschaft ist - wegen ihres Lebensprinzips, der ungehemmten freien Entwicklung der einzelnen Persönlichkeit - die "unversöhnliche Feindin sowohl des unfreien Besitzes, als auch der unfreien Person und der unfreien Arbeit"25. Gerade diese Merkmale zeichnen im negativen Sinne die Geschlechterund Ständeordnung aus. Der unfreie Besitz und die unfreie Person sind mit der Geschlechterordnung notwendig verbunden, weil in ihr Eigentum nur das Geschlecht hat und demzufolge jeder von Besitz ausgeschlossen und deshalb persönlich abhängig ist, der einem solchen nicht angehört. In dieser theoretischen Abbreviatur sind die feudalen Rechtsverhältnisse der Grundherrlichkeit, Leibeigenschaft und die sonstigen persönlichen und dinglichen Abhängigkeiten der alteuropäischen Welt auf den wesentlich antithetisch bestimmten Begriff gebracht. In derselben Weise wird die unfreie Arbeit als typisches Merkmal der Ständeordnung herausgearbeitet: in ihr gibt es zwar neben dem Korporations-Grundbesitz Einzeleigentum am erworbenen, am gewerblichen Besitz, insofern also einen Fortschritt, aber der Erwerb ist von der Zugehörigkeit zur Berufskörperschaft abhängig. Diese Verhältnisse der unfreien Arbeit, der unfreien Person und des unfreien Besitzes enthalten Widersprüche zum Prinzip der Persönlichkeit, sie sind Ausdruck der Unfreiheit als eines Zustandes, in welchem "Dasein, Kraft und Erwerb des Einen zu einem erworbenen Recht des Anderen geworden sind"26. Das Recht auf den Erwerb entspringt zwar dem Begriff der Persönlichkeit; sobald sich das Erwerben und das Erworbene auf 23 L. v. Stein gewinnt hier ganz in der Art der jahrhundertelangen vernunftrechtlichen Tradition den Maßstab für die Kritik der überkommenen Verhältnisse aus einer philosophisch-theoretischen Ableitung, der übergang wird von der anvisierten neuen Ordnung und von ihren Prinzipien aus begründet, nicht immanent aus der alten Ordnung entwickelt. Dies unterscheidet die ganze vernunftrechtliche Epoche (und ihre Ausläufer) von der Situation im Verfassungsstaat, in dem Rechtsänderungsprozesse unter Beachtung auch der inhaltlichen Bindungen der bestehenden Verfassungsordnung begründet werden müssen. Andererseits bestanden für die vernunftrechtliche Argumentation inhaltliche Bindungen insofern, als der Maßstab des Vernünftigen innerhalb eines bestimmten Zeitraums als objektiv vorgegeben verstanden wurde. Dazu unten VII. 24 Genauer: Geschlechter- und Ständeordnung bestehen während der betrachteten Periode noch nebeneinander. 25 VerwL 7, S. 74; hierzu und zum folgenden vgl. ebd., S. 73 f. 28 HB VerwL II, S. 593; ebd. S. 594 auch die prägnante Definition des Begriffs der Freiheit: Freiheit bedeutet das "Prinzip, daß die angeborenen Rechte nie Gegenstand des Erwerbes Anderer und damit nie Inhalt des erw