St. Galler Klostergeschichten 3534260333, 9783534260331

Ekkehard IV. schildert die Geschichte des Klosters St. Gallen aus der Zeit von ca. 883 bis 972. Er verfasste dieses Werk

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German Pages [325] Year 2017

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. St. Gallens Vergangenheit
2. Ekkehards Leben und Werk
3. Überlieferung, Textgestaltung, Übersetzung
Abbildung Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. 176
Text und Übersetzung
Namenverzeichnis
Nachtrag von Steffen Patzold
Literatur
Informationen Zum Buch
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St. Galler Klostergeschichten
 3534260333, 9783534260331

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AUSGEWÄHLTE QUELLEN ZUR DEUTSCHEN GESCHICHTE DES MITTELALTERS FREIHERR-VOM-STEIN-GEDÄCHTNISAUSGABE

Begründet von Rudolf Buchner, fortgeführt von Franz-Josef Schmale und Hans-Werner Goetz

Band X

EKKEHARD IV.

CASUS SANCTI GALLI

Editionis textum paravit HANS F. HAEFELE

EKKEHARD IV.

ST. GALLER KLOSTERGESCHICHTEN

Übersetzt von HANS F. HAEFELE mit einem Nachtrag von STEFFEN PATZOLD

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2013 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt 5., bibliographisch aktualisierte und um einen Nachtrag erweiterte Aufl age 2013 1. Aufl age 1980 Covergestaltung: Neil McBeath Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-26033-1

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73757-4 eBook (epub): 978-3-534-73758-1

INHALTSVERZEICHNIS Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. St. Gallens Vergangenheit . . . . . . . . . . . . 2. Ekkehards Leben und Werk . . . . . . . . . . 3. Überlieferung, Textgestaltung, Übersetzung

. . . .

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Abbildung Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. 176 . . . . . . . . . .

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Text und Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Namenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Nachtrag von Steffen Patzold . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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EINLEITUNG 1. St. Gallens Vergangenheit

Unter all den bedeutenden und bedeutenderen Köpfen, die das mittel­ alterliche St. Gallen hervorgebracht hat, erscheint keiner so tief vom Geiste seines Klosters geprägt wie gerade Ekkehard IV. Nun war er freilich der Letzte in einer ganzen Reihe von Koryphäen, und so, gleich­ sam in die Tradition hineingeboren , wurde er wohl unwillkürlich und fast notwendigerweise zu ihrem Erben. A ndererseits wurde er dies aber auch nicht ohne sein eigenes Zutun. Mit wachem Bewußtsein und vor allem mit wacher Liebe pflegte er das Gedächtnis an St. Gallens Vergan­ genheit. Immer wieder versenkte er sich in die Gründungsgeschichte , i n d i e karolingische Epoche , in d i e große Z eit d e r Ottonen. U n d immer wie­ der vergegenwärtigte er sich aufs neue die Personen und Persönlichkei­ ten von damals , die Stifter und Gründer, die Äbte, die Lehrer, Schreiber und Dichter. Für Ekkehard IV. wurde die Geschichte seines Klosters augenscheinlich zum Maßstab der eigenen Existenz, ein Umstand, der es nahelegt, eben diese Geschichte hier kurz zu skizzieren. Nach der hagiographischen Tradition wäre St. Gallen um 612 im Z uge der iroschottischen Mission entstanden, eine kleine Z elle in der Einöde, erbaut von Gallus, der seinem weiter nach Italien ziehenden Lehrer Ko­ lumban nicht mehr folgen mochte. Zunächst war diese Zelle gewiß nur die Stätte eines Einzelgängers und nach dem Tode des Heiligen dann wohl auch in G efahr, dem Zerfall und der Vergessenheit anheimzufallen. Die eigentliche Klostergründung erfolgte gut ein Jahrhundert später, als der Priester Otmar dort am Gallusgrab ein richtiggehendes Z öno­ bium einrichtete. Otmar selbst wurde der erste Abt des Ortes (um 720) und führte einige zwanzig Jahre danach die Benediktinerregel ein. Unter ihm begann in St. Gallen auch jene Schreibertätigkeit, die dem Kloster dereinst zum besonderen Ru hme gereichen sollte . Die ersten Urkunden wurden geschrieben, die ersten Bücherexemplare verfertigt. Ob man dabei auf ein schon bestehendes irisches Scriptori um aufbauen konnte, scheint einigermaßen zweifelhaft. Die systematische Organisation des

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S chreibbetriebes geht jedenfalls allein auf Otmar zurück, der damit für die weitere kulturelle E ntwicklung seines Klosters den Grund gelegt hat. Mit Otmar setzt aber auch die politische Geschichte St. Gallens e i n . D e r heilige Gallus hatte seine Zelle in d i e Wildnis gebaut. Sie stand d a ­ zumal u n d noch geraume Zeit danach in einem sozusagen geschichtslosen Bezirk. Z umindest lag der abgeschiedene Winkel einstweilen noch außerhalb stärkerer Machtinteressen. Bedeutung und A nreiz gewann das Gebiet erst, seitdem es die Mönche zu erschließen begannen und das M onasterium selbst dank Pilgerspenden und ersten Schenkunge n zu wachsendem Besitz gelangte. Zum Spannungsfeld jedoch wurde der S t . Galler Raum in d e m M oment, da die karolingischen Hausmeier, i m B e ­ streben, ihren Einfluß a u f Alemannien auszudehnen , d a s Bistum Kon­ stanz zu einem Hauptstützpunkt ihrer Politik ausbauten . Denn dadurch geriet St. Gallen unmittelbar zwischen die Einflußsphären von Konstanz und C hur. Otmar selbst war gebürtiger Alemanne, kam aber aus Chur, wo er seine Ausbildung erhalten hatte. Von dort brachte er auch eine S char von Confratres mit, die dem rätischen Element in St. Gallen erheblichen Auftrieb verlieh. Die ersten uns bekannten Schreiber sind Räter, und es steht ja wohl fest, daß sie an der Ausbildung der charakte­ ristischen St. Galler Minuskel maßgeblich beteiligt waren. Soviel aber ihr E influß im Kulturellen bedeutete , sowenig kam er politisch zur Gel­ tung. Nie hat man in Otmars Abtei daran gedacht, sich an C hurrätien an­ zuschließen oder auch nur anzulehnen. Das politische Ziel, das Otmar verfolgte, lag offenbar darin, die Unabhängigkeit seines Klosters mit allen Mitteln zu behaupten oder zu erringen. Z u behaupten oder zu erringen : damit berühren wir die vieldis­ kutierte Streitfrage , ob St. Gallen zu Anfang tatsächlich frei und eigen­ ständig gewesen sei. Die ältere Forschung hat die Frage noch entschie­ den verneint und eine ursprünglich direkte Abhängi gkeit vom Bistum Konstanz postuliert. Heute neigt man eher dazu, der hauseigenen S t . Galler Tradition, d i e v o n ursprünglicher Freiheit spricht, grundsätzlich beizupflichten. Sicher sind die Dinge in den St. Galler Quellen einseitig und zum Teil verzerrt dargestellt; aber im Kern dürften sie doch das Richtige enthalten. Otmar seinerseits scheint sich im vollsten Recht ge­ fühlt zu haben, als er sich sowohl gegen den Praeses von Rätien als auch gegen den Bischof von Konstanz zur Wehr setzte. Während er aber jenem zu widerstehen vermochte, hatte er im Kampf gegen diesen kein Glück. Auf dem Wege zu König Pippin wurde er von den Verbündeten des Bischofs , den Grafen Warin und Ruthard (in denen Ekkehard IV. später Welfen sah), überfalle n , entführt und eingekerkert. Durch eine

Einleitung

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Verleumdungsaktion gegen Otmar ließ man den flagranten Rechtsbruch im nachhinein kaschieren , und da der Sieg des Bistums im Interesse der Reichspolitik lag, blieb die Tat ungeahndet. Otmar starb als Gefangener

(759). Z u seinem Nachfolger wurde Johannes bestimmt, Mönch der Rei­ chenau und Favorit des Konstanzer Bischofs Sidonius. Als Sidonius im folgenden Jahr starb, übernahm Johannes auch die Führung des Bis­ tums. Mit dieser Personalunion war die Unterwerfung St. Gallens vor­ erst, für an die sechzig Jahre, besiegelt. Der inneren Entfaltung des Klo­ sters konnte sie freilich keinen Abbruch tun. So wuchs in der Bibliothek der Schatz an Texten und Büchern, wobei die Schrift ihren rätischen C harakter allmählich verlor, um sich u nter Einmischung oberdeutscher u nd westfränkischer Elemente zu einer eleganten Minuskel eigenen Ge­ präges zu entwickeln. In ebendiese Zeit, da St. Gallen so wenig äußeres Ansehen genießt, fällt auch der erste größere literarische Versuch: eine G allus"Biographie 1 , aus teilweise schon älteren Berichten im späteren achten Jahrhundert zusammengestellt. Obgleich nur in Bruchstücken erhalten, ist diese anonym überlieferte >Vita vetustissima< bedeutsam als das erste greifbare Glied in der Kette der Gallus-Hagiographie, die nach Wetti und Walahfrid, nach Ratpert und Notker Balbulus der vierte Ekkehard selber weiter verlängert hat2 • Die Wiederherstellung der Freiheit erlebten die St. Galler erst zur Z eit Ludwigs des Frommen unter ihrem 816 neu ernannten Abt Goz­ bert. Bereits zwei Jahre nach dessen Wahl erfolgte mit dem kaiserlichen Immunitätserlaß die Loslösung des Klosters aus der bischöflichen Ober­ h errschaft . Und damit begann auch schon die erste Phase seines Auf­ s chwungs . Unter Gozberts Ägide kamen die Verhältnisse innen und au­ ßen wieder ins Lot. Unter seiner A nleitung vollzog sich der Ausbau der berühmten Bibliothek. Unter seiner Aufsicht entstand der prachtvolle N eubau der Gallusbasilika. Mit diesem N eubau wiederum hängt ein ein­ zigartiges Dokument zusammen. Es ist dies der uns erhaltene Bauplan , d e r a u f d e r Reichenau verfertigt wurde u n d d i e Adresse Gozberts trägt3• Dem gleichen G ozbert ist auch die >Vita s . Galli< des Wetti ge­ widmet. Und auf sein Betreiben hat schließlich Walahfrid Strabo die 1 Neu ediert von I. Müller, Zs. f. Schweiz. Kirchengesch. 66 (1972) 212-221; neueste Untersuchung v o n W . Berschin, HJb 95 (1975) 257 ff.

2 M it dem Gedichtzyklus >Ad picturas claustri s. Galli< , M G . Poet. 5, 541-546, dem Gallusfest-Gedicht >In natale s. Galli confessoris< , ed. J. Egli,

und

s. 192-203. 3 Studien z u m St. Galler Klosterplan, hrsg. v o n J . Duft, Mitt. z. Vater!. Gesch.

42 (1962).

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Einleitung

dritte Gallus-Biographie in Angriff genommen. Seine N eufassung, ge­ schrieben um 833/34, bezeichnet in der Literaturgeschichte St. Gallens einen entscheidenden A nsatzpunkt. Bildet sie doch gleichsam den Vor­ spann zu den Werken, die wenige Dezennien später ein N otker, ein Rat­ pert, ein Hartmann und andere entworfen haben. Für die heranwachsen­ d e S t. Galler Dichterschule , wie man sie genannt hat4, ist Walahfrid weg­ weisend geworden. An seinem Muster übte man sich , schulte man sich , bildete man S prache und Stil - ein Phänomen , worüber sich zu seiner Z e it Ekkehard IV. eigene Gedanken machen wird5• Den steilen Aufstieg im mittleren Drittel des neunten Jahrhunderts verdankt St. Gallen den vielseitigen A ktivitäten des G ozbert. Mit seiner baulichen Tätigkeit, mit seinem bücherliebenden Interesse, mit den lite­ rarischen A nregungen, die er zu geben wußte, hat dieser Abt das Funda­ ment geschaffen, worauf die Kultur der folgenden Generationen beruht. 837legte er die Abtswürde nieder. Nun brachen einige schwierige Jahre an, da das Kloster in die Kämpfe geriet, die unter den Söhnen L udwigs des Frommen ausgetragen wurden. Es kam zu willkürlichen Einsetzun­ gen und Absetzungen. 841ließ Ludwig der Deutsche, das Wahlprivileg der M önche abermals beiseite schiebend, seinen Erzkaplan Grimald zum Abt erheben . Die selbstherrliche Verfügung, der man in St. Gallen mit einem M ißtrauen begegnete, das noch bei E kkehard nachklingt , schlug zuletzt zum Besten des Klosters aus. Nie hätte das Los einer freien Wahl s o glücklich fallen können , wie das Los des Königs fiel. Denn in Grimald erhielt St. Gallen einen hochherzigen Freund und Förderer. Mit ihm ge­ wann es einen G önner, der es dank seines großen Einflusses zuwege brachte, daß die St. Galler auch die letzte formelle, in einer symbo­ lischen Zinsleistung bestehende Abhängigkeit von Konstanz abschütteln durften. Der von ihm angestrebte und e ingefädelte, vom König e ndlich gutgeheißene Ulmer Vertrag von 854 verhalf ihnen zur endgültigen Freiheit. Also wurde Grimald zum V ollender des von Otmar begonnenen W er­ kes. Wobei es ihm über die rein politisch-juristische Lösung hinaus gelang, das Kloster an der fernen S teinach in den eigentliche n Bereich karolingischer Kultur hineinzuziehen und zu integrieren. Lag die Zelle des G allus ursprünglich noch in einer Einöde, lag Otmars Z önobium in einem bloße n alemannisch-rätischen Zwischenbezirk und lag Gozberts Kon­ vent lediglich in einer fränkischen Randzone, so begann jetzt Grimalds 4 P. v. Winterfeld, Neue Jahrbücher 1.5 (1900) 341ff. 5 In der Einleitung zu Notkers >Vita s. Galli C asus< zeigen, Ekke­ h ard recht eigentlich schwelgt. Den denkbar schärfsten Kontrast dazu bilden die Katastrophen des Ungarneinfalls (zur Z eit des Abtes Engil­ bert, 926) und der verheerenden Feuersbrunst von 937 (unter Abt Thie­ to), die das Kloster in Asche legte. E s bedurfte langwieriger und müh­ seliger Arbeit, St. Gallen aus dem Elend herauszubringe n , geschweige es wieder neuem Glanz e ntgegenzuführen . Wenn dies - seit etwa der M itte des Jahrhunderts - gelang, so lag das Verdienst hieran zum einen bei den Äbten: bei Purchard I. (958-971), Notker (97 1 -975) und Ymmo (975-984). Zum andern und wohl zum erheblicheren Teil lag es bei den hervorragenden Patres , über die man verfügte: bei Gerald, Ekkehard I., Ekkehard li., N otker M edicus und andern, die der Schule 6 Ratperti Casus s. Galli, ed. G. Meyer von Knonau, Mitt. z. Vaterl. Gesch. 1 3

(1872).

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von S t . Gallen von neuem E hre und Ansehen verschafften. An dieser zweiten ruhmvollen Epoche hatte Ekkehard IV., wie uns sein Werk spüren läßt, womöglich noch die hellere Freude, noch den größeren Stolz. U nmittelbar miterlebt hat er sie freilich nicht mehr, aber nach seiner Bildung und Geistigkeit wurzelt er ganz in ihr.

2. Ekkehards Leben und Werk

Über die Person E kkehards IV. liegen uns nur spärliche und undeut­ liche N achrichten vor. Schon sein Geburtsjahr läßt sich höchstens an­ nähernd bestimmen. Daß es noch vor das Jahr 1000 fallen muß, geht aus Kap. 2 1 der > Casus< hervor, wo der Tod des Welfen Heinrich mit einer persönlichen Erinnerung des C hronisten verknüpft erscheint. Rechnet man danach weiter zurück, wird man auf ein Datum etwa aus den frühen achtziger Jahren des zehnten Jahrhunderts geführt. Ekkehard war also rund eine G eneration jünger als Notker der Deutsche, der nachmals sein Lehrer wurde und dessen er selber stets mit Verehrung gedenkt (z. B. Casus, Kap. 80). Nach Notkers Tod (im Pestjahr 1022) finden wir E kke­ hard ziemlich u nvermittelt in Mainz, in der Umgebung von Erzbischof Aribo. Die Chronologie dieses Aufenthaltes ist durchaus unsicher; einen festeren A nhaltspunkt bietet lediglich die bekannte Ingelheimer Szene von Ostern 1030, dargestellt in Kap. 66 der > Casus< und mit deutlich auto­ biographischen Reflexen erfüllt. Ekkehards Rückkehr nach St. Gallen , w o e r wieder wie zuvor als Magister wirkte, dürfte ein oder zwei Jahre später, jedenfalls nach Aribos Tod (1031 ) erfolgt sein. Zu seinem ferneren Leben besitzen wir außer der A ngabe seines Sterbetages (21 . Oktober7) keine direkten Daten mehr. Doch läßt sich einem Hinweis auf Wiboradas Kanonisation (1047) in den >Casus< und einer Anspielung auf den Tod

Papst Victors II. (1057) in einer seiner Orosius-Glossen entnehmen8 , daß E kkehard noch nach der Jahrhundertmitte mit Schreiben befaßt war und allem A nschein nach ein beträchtliches Alter erreichte.

S ucht man diesen biographischen A briß mit einem Werkkatalog zu er­ gänzen , so sind auch hier genauere chronologische Angaben nicht mög­ lich . Immerhin lassen sich drei verschiedene Schaffensperioden einiger­ maßen klar voneinander abgrenzen. Zu E kkehards ersten, noch vor 1025 zu datierenden Versuchen zählen, neben einer Reihe von S chulübungen 7 MG. Necrol. 1, 483. 8 Vgl. Dümmler, Zs. f. dt. Altert. 14, 1 f.

Einleitung

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und Gelegenheitsgedichten, vor allem die Tituli zum Gallus-Bilder­ zyklus9 sowie die Umsetzung von Ratperts deutschem Galluslied ins Lateinische 10 • Bereits den Mainzer Jahren gehören seine bedeutendsten Versdichtungen an, nämlich die

Tituli zu G emälden der Mainzer

Domkirche 1 1 , die poetischen Tischsegnungen1 2 und die Verssegen zu den Lesungen während des Kirchenjahres13 • Einem dritten und letzten Abschnitt endlich entstammen die >Casus sancti Galli< . Das Werk Alterswerk wie es scheint - entstand im Anschluß an Ratpert und sollte dessen Chronik bis in die Zeiten N orperts (1034 -1072) heraufführen . Aber s o weit ist die Fortsetzung E kkehards nicht mehr gediehen. Mitten im Bericht über das Regiment Abt Notkers (971-975) bricht sie ab warum, ist nicht überliefert 1 4; doch wird man am ehesten an Krankheit und Tod denken müssen, die dem Autor die Feder aus der Hand genommen. Über 'seine schriftstellerischen A bsichten hat sich Ekkehard in einer Vorrede etwas näher ausgelassen. Wobei er nun freilich mit einer bei­ läufigen Bemerkung über Abt Norpert sich dem Mißverständnis aus­ setzte, als habe er seine Klostergeschichten mehr nur zum Protest wider die Reformideen seiner Zeit geschrieben . Indessen, weit entfernt von Tadel und Vorwurf, will jene Zwischenbemerkung, die formal an ein W ort des Terenz erinnert, nicht anders denn als Devise mönchischer Selbstbescheidung genommen werden 1 5• Das Praeloquium der >Casus< skizziert kein polemisches, wohl aber ein literarisches Programm. Wie er dort deutlich zu verstehen gibt 1 6 , suchte Ekkehard seinen Stoff über das Schema reiner Annalistik hinaus - nach einem besonderen er­ zählerischen Prinzip zu gestalten. E r wollte die Geschichte des Klosters unter dem Aspekt der fortunia et infortunia aufrollen und darstellen . G lück u n d Unglück sollten d i e beiden bestimmenden Pole sein, um die 9 V gl. oben S . 3 Anm. 2. 1° Carmen de laude s . Galli, MG. Poet. 5, 536 - 540. 11 Versus ad picturas domus Domini Moguntinae, ed. Egli, S . 316 - 368. 12 Benedictiones ad mensas, ed. Egli, S. 281 - 315. 13 Benedictiones super Ieetores per circulum anni, ed. Egli, S. 1 1 - 280. 1 4 Worüber sich schon der nächste (anonyme) Fortsetzer beklagte: Continuatio Casuum s . Galli, pro!., ed. G. Meyer von Knonau, Mitt. z. Vater!. Gesch. 17 (1879) 3. 1 5 V gl. Haefele, Festschrift J. Duft, S . 191 ff. Im übrigen ist auch der Passus über das ,Gewand der Kirche' (Kap. 87), oft als weiterer Beweis für jene angebliche Grundhaltung angeführt, lange nicht so tendenziös gestimmt, wie man glauben möchte. Das N ötige hierzu hat schon A lbert Hauck bemerkt, allerdings an ziem­ lich versteckter Stelle (s. unten S . 179 mit Anm. 60). 16 Z um folgenden vgl. Haefele, Festschrift M. Wehrli, S. 1 58 ff.

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sich die casus varii historischen Geschehens und Geschicks in mehr oder weniger scharfer Kontrastierung gruppieren ließen. Dieser sein L eitge­ danke stempelt Ekkehard geradezu zu einem Kronzeugen für die von Pickering so angelege ntlich vertretene These, daß alle Geschichts­ schreibung des M ittelalters , wofern sie nicht der heilsgeschichtlichen Konzeption Augustins anhange , der Fortuna-Ideologie des Boethius ver­ pflichtet sei17 - und tatsächlich gehörte , wie wir wissen, die >Consolatio

p hilosophiae< zu der in St. Gallen gepflegten Schullektüre18•

Auf alle Fälle aber hat Ekkehard IV. seine Aufgabe anders verstan­ den und anders ange packt als sein Vorgänger Ratpert, auch wenn er sel­ ber vielleicht wähnen mochte, durchaus im gleichen Sinn und im glei­ chen Stil weiterzufahren. Allein, die Unterschiede sind spürbar groß. Bei Ratpert steht die juristisch-politische Entwicklung des Monaste­ riums entschieden im Vordergrund, wobei er als tüchtiger Chronist, der er ist, sich von Mal zu Mal die Mühe macht, seine Darstellung dokumen­ tarisch zu u ntermauern. Gewiß, auch Ekkehard läßt zum Beispiel verfas­ sungsgeschichtliche Momente nicht gänzlich außer acht: wo es, wie in der Auseinandersetzung mit den Ottonen (Kap. 128ff.), um Rechte u nd Freiheiten des Klosters ging, war er schließlich gezwunge n , darau f ein­ zugehen. Doch tut er dies nie mit fachmännischer Einläßlichkeit. Er be­ rührt die betreffenden Punkte und berührt sie summarisch genug, aber e ntsprecher.de Akten und Urkunden heranzuziehen, fällt ihm kaum j e ­ m a l s ein. D i e Perspektive d e s Archivars sagt ihm nichts; w i e fremd sie ihm ist, zeigt er unverstellt und in schönster Treuherzigkeit in Kap. 25, wo er auf die Aufzählung bestimmter Güter und Orte nur deshalb ver­ zichtete , weil er ihre Namen hätte in den Papieren des Archivs suchen müssen. Auch sonst ist Ekkehard mit Ausflüchten rasch bei der Hand, wenn es sich darum handelt, schriftliche Quellen um der Bequemlichkeit willen zu übergehen und auszuklammern (z. B. Kap. 109). Für ihn gründet Geschichte zuvorderst in der mündlichen Überlieferung. Worauf er sich am liebsten und bedenkenlos stützt , das sind die Aussagen der V äter und Lehrer, die M itteilungen der im Kloster alt gewordenen Insassen, über deren Gedächtnis und Erinnerung sich zweifellos weit zurück in die Vergangenheit greifen ließ - ob freilich mit hinreichender Zuverlässig­ keit, scheint Ekkehard nicht sehr gekümmert zu haben. Wie es ihm denn überhaupt nicht liegt, sein Material lange zu prüfen, sorgsam zu sichten 17 Frederik P. Pickering, Augustin oder Boethius? 2 Bde. (1969/76). 18 Die Boethius-Schrift ist zusammen mit Notkers deutscher Übersetzung er­ halten in Cod. 825 der Stiftsbibliothek.

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und gründlich zu ordnen. Systematik ist nicht sein Fach . Geschichte lebt für ihn im Einzelzug, im A nekdotischen , und darum auch ist sein Interes­ se viel weniger sach- als personenbezoge n . Damit wieder hängt zusam­ men, daß ganze Kapitelfolgen der > Casus< sich wie Romanpartien lesen, indem der Z uschnitt auf das Biographische immer wieder eindeutig dominiert. Kein Wunder, daß Josef Victor von Scheffel daraus so leicht seinen eigenen >Ekkehard< (1854) destillieren konnte. Anders auch als Ratpert, der sich auf die Figuren allein der Äbte kon­ zentrierte , ging Ekkehard darauf aus, die Geschichte aller irgend bedeu­ tenderen Brüder miteinzubauen1 9, womit er seine C hronik von vorne­ herein auf eine viel breitere Grundlage stellte. In der Tat ist die Spann­ weite der Darstellung überraschend groß. Ekkehards Blick umfaßt vieles , u n d vieles zugleich. Dieser Blick geht auch mühelos über d e n engeren lokalen Bereich hinaus. Ekkehard bleibt nicht wie Ratpert starr an St. G allen gebunden. Er vermag Blickpunkt und Blickwinkel ohne weiteres z u wechseln und läßt so eine gewisse Weltläufigkeit erkennen, wie man sie bei einem einfachen Mönch aus der Provinz nicht eben vermuten würde . Aber hier kamen ihm die in Mainz und am Rhein verbrachten Jahre offensichtlich zugute. Ohne sie hätte er die Szenen am Königshof und in den rheinischen Bischofs städten , hätte er Tuotilos auswärtige Fahrten und Abenteuer wahrscheinlich nicht derart überzeugend kolo­ rieren können. Aus manchem Detail spricht eigenes Erleben , und mit einer Gestalt wie Ekkehard dem Höfling, welcher zugleich in zwei Welten heimisch war, mochte der vierte Ekkehard am Ende, wer weiß, sich selber identifizieren. Z u dem reichen und bewegten Inhalt des Werkes gesellt sich eine überaus lebendige Erzählform. So sorglos und unkritisch Ekkehard den S toff gesammelt hat, so bewußt arrangiert er ihn und so überlegt bringt er ihn zu künstlerischer Wirkung. Natürlich darf man diese Kunst nicht an modernen Stilidealen messen. Was uns heute vielleicht ein Mangel, eine Schwäche dünkt , konnte damals durchaus als Vorzug, ja als beson­ dere Finesse empfunden werden . Ein klarer, geradliniger Aufbau war so wenig gefordert wie eine exakte zeitliche Abfolge. Im Gegenteil fanden das Uneinheitliche und das Sprunghafte mehr Anklang, und eine S chil­ derung, die sich nicht in Exkursen und Digressionen erging, vermochte 1 9 Vgl. die diesbezügliche, immer noch gültige C harakteristik der >Casus< bei Dümmler, Zs. f. dt. Altert. 1 4 ,9: .,Nicht Geschichte des Klosters schreibt er, son­ dern Geschichten von den berühmtesten Klosterbrüdern, die in dem engen Ringe einer geschlossenen Gemeinschaft sich mit treuer Verehrung fortgeerbt hatten."

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Einleitung

höheren A nsprüchen ohnehin nicht Genüge zu tun. E s ist daher ganz u n­ begründet, von Nachlässigkeit zu reden20 , wenn Ekkehard beispiels­ weise die Beschreibung der Ungarnnot (Kap . 5 1 -56 sowie 62-65) mit einer S erie von Ulrich-Geschichten unterbricht: hierin liegt vielmehr bewußte literarische Absicht, indem so, dem Grundprinzip der fortunia et infortunia gemäß, auch die dunkelste Zeit St. Gallens ihr tröstliches Licht erhält21• Ekkehards G estaltungskunst wird allgemein und mit Recht gerühmt. Sie ist vielseitig, wandlungsfähig, nuancenreich. Am meisten besticht sie mit ihren Dialogen , deren ausgefeilte Technik nicht minder fasziniert als die psychologisierende Funktion, die ihnen eignet und eignen soll. Nach Gregor von Tours ist Ekkehard von St. Gallen wohl der erste Ge­ schichtsschreiber, der wieder so intensiv Gebrauch macht von diesem Mittel, M e nschen und Taten in unmittelbarer Dramatik vorzuführen. Woher er e s bezogen haben könnte, ob aus christlichem, ob aus römi­ schem Stilerbe, ist nicht auszumachen. In seinem Werk treffen und ver­ einen sich ja beide Traditionen22 • Was die klassischen Muster betrifft , so spielen sie wohl eine größere Rolle, als man bisher vermutete . Z itate aus antiken. Autore n , namentlich aus Vergil und Terenz, finden sich gar nicht so selten eingestreut , wenngleich sie meist mehr wie unverbind­ lich rhetorische Z u gaben wirken. Bei aller gelehrsamen Freude, die Ek­ ke hard an ihnen bezeigt, wiegen sie letztlich doch leichter als die Para­ beln, die aus dem christlichen Schrifttum geschöpft sind. Nicht umsonst kehrt E kke hard neben dem Erzähler und neben dem Dichter so oft den Theologen hervor. Wirklich ist seine theologische Bildung fundiert und umfassend: umfasse nder vermutlich als seine (im übrigen nicht geringe) klassische Bildung. Persönlich jedenfalls hat er sie höhergestellt und stets auch nachdrücklicher ausgespielt23 • Dieses Verhältnis möchte für Ekkehards Einstellung kennzeichnend sein. Es ist genau das Verhältnis , das die Bildungssphäre seines Klosters bestimmt. Es verkörpert sich darin der traditionelle Geist der St. Galler Schule, in der die alten heid­ nischen Autoren zwar nicht geächtet, aber eben doch nur mit Vorsicht empfohlen und nur mit Vorsicht studiert worden sind24 • 20 Wie es Meyer von Knonau in der Einleitung zu seiner Ausgabe, S . XV, tut. 21 Vgl. Haefele, Festschrift M . Wehrli, S . 162. Hier sei auch an Widukinds zwei­ geteilten Bericht von der Lechfeldschlacht erinnert (Res gestae Saxonicae 3, 44 - 46).

22 V gl. Haefele, Festschrift J. Duft, S . 187 ff. 23 So insbesondere in seiner >Confutatio Grammaticae< , ed. Egli, S . 2 1 1 - 2 1 7 . 24 Vgl. d i e hierauf zielende Kritik in Gunzos >Epistola ad Augienses< . .

Einleitung

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Als Teilstück einer spezifischen Hauschronik haben Ekkehards Klo­ stergeschichten verständlicherweise kein weittragendes Echo ausge­ löst. So beschränkt sich ihr Nachleben auf die anonyme (früher einem fünften Ekkehard zugeschriebene)

>Vita Notkeri Balbuli< , die ihren

Grundstoff weitgehend und streckenweise sogar wörtlich bestimmten >Casus < -Partien (bes . der Kap. 33 ff.) entnommen hat.

3.

Überlieferung, Textgestaltung, Übersetzung

Während Ekkehards poetisches �uvre noch im Autograph greifbar ist, existieren von seinem historischen Erzählwerk nurmehr Kopien . Sie liegen alle in St. Gallen und bilden in den fraglichen Bänden stets die Fortsetzung zu Ratperts C hronik. Als Haupt- und Leithandschrift gilt seit Ildefons von Arx Cod. 615 der Stiftsbibliothek (B), aus der Zeit gegen oder um 1200 stammend. Die übrigen fünf Handschriften sind wesentlich jüngeren Datums (14.-16 . Jahrhundert) und gehen ohne Aus­ nahme auf B zurück, sei es direkt wie Cod. 612 der Stiftsbibliothek (C) und Cod. 70 der Stadtbibliothek (D), sei es indirekt wie Cod. 611 und 610 der Stiftsbibliothek ( C l b z w . Dl) sowie C o d . 69 d e r Stadtbibliothek (D2)25• Das Abhängigkeitsverhältnis der Manuskripte ist soweit eindeu­ tig, und an sich wäre ein Rückgriff auf die jüngere Überlieferung auch kaum vonnöten, wäre bloß B intakt erhalten geblieben. Die Handschrift wurde aber irgendwann nach dem 1 5 . Jahrhundert auf ein handlicheres F ormat zurechtgeschnitten, wobei vom Text selbst da und dort am Rand kleine Stücke verlorengingen: Verluste und Einbußen, die wenigstens teilweise nur mit Hilfe der Abschriften C und D (deren Schreiber offen­ bar noch das unversehrte Exemplar B vor sich hatten) wieder wettzuma­ chen sind. Nicht ganz unerheblich ist auch die textkritische Bedeutung der >Vita Notkeri Balbuli< (Cod. 556 der S tiftsbibliothek, aus dem begin­ nenden 13. Jahrhundert), die sich, wie oben festgestellt, zu einem guten T eil aus >Casus< -Exzerpten zusammensetzt. Die erwähnten Schäden abgerechnet, besitzt der Text, wie ihn die Handschrift B, S. 51 bis 307 (mit Sprung in der Paginierung von S. 100 zu S. 1 1 1 ) bietet, unbestrittenen Vorrang. Ihm folgt die vorliegende Neu­ ausgabe soweit wie möglich, und zwar auch und gerade hinsichtlich Ortho­ graphie, Interpunktion und Textorganisation26 • Die von Meyer von 25 Z ur Handschriften-Lage vgl. Haefele, DA 17, 145 ff. 26 Z u diesen Punkten Haefele, DA 1 7 , 184 ff. bzw. DA 18, 121 ff., u. 131 ff.

12

Einleitung

Knonau eingeführte Kapiteleinteilung wurde aus praktischen Gründen beibehalten. Im Vergleich mit der Vorlage ist sie allerdings nicht ganz stimmig. Denn B gliederte den G esamttext mittels roter Initiale n in rund doppelt so viele Abschnitte , was der Dynamik der Ekkehardschen Erzählweise im Grunde viel besser entspricht. Um hier eine gewis s e Modifizierung i m Sinne d e r Überlieferung zu erreichen, sind d i e in B markierten Zäsuren, soweit sie sich nicht schon mit den Kapitel­ Einschnitten decken, jeweils durch Absatz eigens kenntlich gemacht. Der Variantenapparat beschränkt sich auf das Allerwichtigste. Verse­ hen der früheren E ditoren sind stillschweigend berichtigt, notwendige Ergänzungen nach C und D ohne speziellen Hinweis vorgenommen worden27• Der S achkommentar ist ebenfalls ganz knapp gefaßt; nur der Zitatennachweis wurde erweitert. Wie der zugrundeliegende lateinische Text erscheint schließlich auch die deutsche Übersetzung in neuer Gestalt.

27 Näheres dazu in DA 17, 159ff., u. 165ff.

St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 176, p. 298

Die vorhergehende Abbildung zeigt eine Seite aus einem Werk des Eugippius, der im ersten Drittel des 6. Jahrhunderts als Abt des Klosters Castellum Lucullanum bei Neapel amtierte. Bei dem Werk handelt es sich um eine – im Mittelalter recht beliebte und häufig überlieferte – Sammlung von Exzerpten, die Eugippius aus Werken des Kirchenvaters Augustinus zusammengestellt hatte. Die hier abgebildete Kopie des Werks gehört zu jenen Büchern, die die aufblühende Sankt Galler Bibliothek im 9. Jahrhundert dem Wirken des Abtes Grimalt verdankte. Der Codex liegt noch heute in der Stiftsbibliothek Sankt Gallen; er trägt die Signatur 176. Ekkehard IV. hat diesen Codex im 11. Jahrhundert durchgearbeitet und mit Glossen versehen. Auf der hier gezeigten Seite 298 der Sammlung von Exzerpten fand der gealterte Klosterlehrer den Satz: Ubi u[er]o sanus conectabat[ur], n[on] curat[ur], sed agnoscit[ur]; ne cu[m] sana curare uolum[us] potius uulneremus. „Wo aber ein Gesunder [sc. der Kirche] hinzugereiht wurde, wird er nicht geheilt, sondern anerkannt – damit wir ihn nicht, da wir Gesundes heilen wollen, eher noch verletzen.“ Am Rand kommentierte Ekkehard diese Aussage wie folgt: Nota . quod huiuscemodi et in alii(s) rebus . p[er]turbatio grassat[ur] . Sicut nouitas popponis. s[an]c[t]i galli cella[m] . in plerisq[ue] nobilit[er] sanam uulnerabat . scismatis sui uulnere se˛ uo et dolendo. (Zusätzlich vergrößert dargestellt.) „Merke, daß eine solche Wirrnis auch in anderen Dingen wütet – so wie die Neuheit des Poppo mit der heftigen und schmerzlich zu beklagenden Wunde seines Schismas die Zelle des heiligen Gallus verletzt hat, die doch meistenteils auf edle Weise gesund gewesen war.“ Poppo von Stablo war ein bedeutender Klosterreformer des 11. Jahrhunderts und der Lehrer des St. Galler Abtes Nortpert. Ekkehards klagende Randnotiz erklärt Poppo (und damit indirekt auch seinen Schüler Nortpert) zum Schismatiker, dessen neuartige Lehren das Kloster St. Gallen zugrunde richteten. Die kleine Randglosse zeigt demnach, wie skeptisch und kritisch Ekkehard jener neuen monastischen Lebensform gegenüberstand, die Nortpert in St. Gallen eingeführt hatte.

T E X T U N D Ü B E R SETZU N G

PRELOQUIUM EKKE HARDI IUNIORIS DE CASIBUS Moniti a loci nostri fratribus id opere precium putantibus , qu�dam cenobii sanctorum Galli et Othmari cum infortuniis tra­ dere fortunia, rem arduam aggressi sumus. Enimvero obloquiis patere non dubitamus: quoniam, ut nunc morum et temporum est, si quicquam asperum, et maxime quod disciplin� sit , tetige­ ris , si malorum libertates et impunitates non laudare videberi s , velud impostor et calumniator apud e o s , 1qui in levitate ambulant1 , habeberis . At vero quoniam rerum loco nostro gesta­ rum �tiam alii veritati nihil parcentes fortunia et infortunia, quo­ modolibet erant, edixerant, temptantes quidem et nos ea, qu� a patribus audivimus, ea aviditate qua illi, quam verissime datum est stilo et atramento veritatem perstringere, fortunia et infor­ tunia loci nostri veritati nihil parcentes edisserere. De S alomone etenim abbate nostro, post episcopo, ingressi su­ mus. Quem per ordinem secuti rebus nostris potiti sunt Hart­ mannus , Engilpertus , Thieto, Cralo, cui interstitium regiminis frater suus fecerat Anno. Sequuntur Purchardus, Notkerus, Ym­ mo, Uodalricus , Kerhardu s , Purchardus alter, Thiepaldus, Nor­ pertus , cuius hodie sub regimine quidem non prout ipse et nos, ut inquiunt, volumus, sed prout possumus2, vivimus. S cripserat ante nos Radpertus, homo doctissimus, et ipse codicellum similis materi� a sancto Gallo et Othmaro usque ad se ipsum, a quo nos inc�pisse videmur, Salomonern episcopum. Cuius nominis tarnen �quivocati� sit, ut bene cerneret, praemonemus. Nam tres eius nominis cum Constanti� praefuerint, secundum Rathpertus cen­ sum a loco nostro exegisse scripsit3• De tercio nos, prout Deo dante potuimus , sie incipiemus.

VORREDE EKKEHARDS DE S J ÜNGEREN ZU DEN G E S CHICHTEN Von den Brüdern unseres Klosters , die das der Mühe wert fanden, lie­ ßen wir uns dazu bewegen, etwas von dem Glück und dem Unglück im Hause der H eiligen Gallus und Otmar zu erzählen , womit wir uns auf eine höchst schwierige Sache eingelassen haben. Tatsächlich zweifeln wir nicht , angeprangert zu werden; denn wie ja jetzt Sitten und Zeiten sind : berührst du irgendeinen und zumal die Z ucht betreffenden Mißstand, und du gibst dir nicht den Anschein, das freie Schalten und Walten der Bösen zu loben, dann wirst du bei denen, 1 die da im Leichtsinn wandeln!, für einen Lügner und Lästerer gelten. Indessen haben auch andere über G lück und Unglück in unserer Geschichte berichtet, je wie es war und ohne dabei die Wahrheit zu vertuschen; und so nun versuchen wir gleich­ falls - mit demselben E ifer wie sie und so getreulich als e s überhaupt möglich ist, mit Feder und Tinte die Wahrheit zu streifen - , das was wir von den Vätern gehört haben , Glück und Unglück unseres Klosters , ausführlich und ohne Beschönigung der Wahrheit darzulege n . A l s o haben w i r d e n n b e i Salomo, unserem A b t , nachmals Bischof, ein­ gesetzt. Und auf ihn folgten in der Herrschaft über uns der Reihe nach: H artmann, E n gilbert, Thieto, Craloh, dessen Regierung sein Bruder An­ no durch ein Zwischenspiel unterbrach. Dann weiter: Purchard, Notker, Ymmo, Ulrich, Gerhard, Purchard der Zweite, Thiepald, Norpert, unter dessen Leitung wir ja noch heute leben, nicht so wie er und wir - wie der Spruch geht - wollen, sondern so wie wir können2• Vor uns schrieb Ratpert, der große Gelehrte , seinerseits einen schmalen Band zu dem e ntsprechenden Thema von den Zeiten des heiligen Gallus und Otmar bis eben auf ihn, Bischof Salomo , mit dem wir den A nfang machen. Doch raten wir , wohl zu beachten, daß sein Name mehrdeutig ist. Denn drei dieses Namens waren Bischof zu Konstanz, und von dem zweiten schrieb Ratpert, er habe Zins von unserem Kloster erhopen3• Wir nun wollen gemäß dem Können, wie es Gott uns verlieh, von dem dritten wie folgt beginnen. 1 - 1 Tob. 3, 17. 2 Vgl. Terent. A ndr. 805 f. 3 Ratpert, Kap. 2 1 ; doch bezieht sich die Notiz auf Salomo I.

INCIPIUNT LIBRI DE CAS IBUS MONASTERII 1. Salomonis tertii parentes cum essent clari et inlustres, ip­ sum Isoni sancti Galli monacho, tune temporis doctori nominatis­ simo, tradunt erudiendum et clericatui initiandum. Quem adpri­ me, ut aiunt, ipse erudierat; sed et Nokeri, Tuotilonis, Ratperti, Harthmanni commonachorum statui praetulerat et delicatius quasi canonicum educaverat. Creverant tarnen inde clandestine inter summ� indolis condiscipulos invidi� ; et cum conliberales genere essent et ingenio, ut ea �tas solet, �quanimiter non fere­ bant alienum sibi, qui fratres essent, praeferri, et qui natalibu s quidem essent pares , doctrinarum provectibus ab illo praeiri. Defunguntur S alomonis adhuc pueri parentes, tandem autem et frater, et ipse rerum heres effectus ad maximas res animum intenderat. S colisque ablatus4 Grimaldo abbate nostro, archica­ p ellano eius, iuvante capellanus fit Ludowici5 regis , cuius singu­ lari gratia in brevi potitus Elewangis adhuc canonicus primo praeficitur; post etiam Campidonensibus variis suimet et loci dampnis illum detrectantibus praeponitur. In processu autem Hattone archiepiscopo Magontino, sibi propter animi acutissi­ mam sollertiam amicissimo, opitulante plurimis locis praeficitur , tandem et nobis. Postremo vero et Constanti� pastor et episco­ pus efficitur. His partim per transgressum praelibatis6 ad ordi­ nem inc�pti operis revertamur. 2 . Grimaldi temporibus canonici abbatis , Hartmuoto eius quasi p roabbate, Marcus quidam Scotigena episcopus Gallum tam­ quam compatriotam suum Roma rediens visitat. Comitatur eum s ororis filius Moengal, postea a nostris Marcellus diminutive a

E S BEGINNEN DIE B Ü CHER VON DEN KLOSTERGES CHICHTEN 1. Die Eltern S alomos des Dritten standen in Glanz und Ansehen, und darum übergaben sie den Sohn dem Sankt Galler Mönch Iso als dem da­ mals berühmtesten Lehrer zur Ausbildung und zur Vorbereitung auf ein geistliches Amt. Und Iso u nterrichtete ihn, wie es heißt , selber ganz vor­ trefflich; zugleich aber stellte er ihn rangmäßig über die Mitmönche N otker, Tuotilo, Ratpert und Hartmann und erzog ihn feiner, gleichwie einen Weltgeistlichen. Daraus jedoch erwuchs geheime Mißgunst unter den hochtalentierten M itschülern; und da sie gemäß Geburt und C harak­ ter gleich adelig waren , konnten sie es, wie es typisch ist für dieses Alter, nicht mit Gleichmut ertragen, daß ihnen, den Fratres , ein Aus­ w ärtiger vorgezogen wurde und sie, die ihm ja nach S tand ebenbürtig waren, mit seinen Fortschritten in der Wissenschaft überholte. Es starben die E ltern S alomos , als er noch ein Knabe war, dann aber auch sein Bruder, und nun selber zum Erben des Vermögens geworden, richtete er seinen Sinn auf die höchsten Ziele. Und nachdem er von der S chule gegangen war\ wurde er Kaplan bei König Ludwig5, wozu ihm dessen Erzkaplan , unser Abt Grimald, verhalf. In kurzer Zeit erlangte S alomo des Königs besondere Gunst, und noch als Weltgeistlicher wur­ de er zuerst in E llwangen eingesetzt, dann auch bei denen in Kempten , d i e i h n ablehnten zu ihrem und ihres Klosters vielfältigem Schaden . Im weitern aber übernahm er dank des Erzbischofs Hatto von Mainz, der ihm wegen seiner Verstandesschärfe und geistigen Beweglichkeit sehr zugetan war, das Regiment noch in vielen anderen Klöstern, schließlich auch bei uns. Z uletzt aber wurde er gar Hirte und Bischof in Konstanz. N achdem wir dies zum Teil schon vorgreifend berührt haben 6 , wollen wir zur Ordnung des begonnenen Werkes zurückkehren .

2. Z u d e n Zeiten, da Grimald a l s Weltgeistlicher Abt war, indes Hart­ mut sozusagen als Abtstellvertreter fungierte, besuchte Marcu s , ein Bi­ s chof aus irischem Land, auf der Rückreise von Rom Gallus gleichsam als seinen Landsmann. Ihn begleitete sein S chwestersohn Moengal,

4 Ca.

878/79. Vgl. Carm. Cantabrig. 7 Str. sa, 9 - 1 0 .

5 Vielmehr Notar b e i Kar! I I I . , während Grimald schon 872 gestorben war. 6 Vgl. Kap. 3 und 1 1 .

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Casus s. Galli 2/3

Mareo avuneulo sie nominatus. Hie erat in divinis et humanis eruditissimus . Rogatur episeopus loeo nostro aliquandiu stare alleeto nepote. Diu seeum deliberantes vix tandem eonsenserant. Dieque eondieto partitur Mareellus nummos avuneuli sui multos per fenestram, 7timens, ne diseerperetur ab eis7• 8Fremebant enim in illum8, quasi ipsius suasu episeopus restaret. Equos au­ tem et mulos , quibus ipse voluit, nominatim episeopus tradidit. Libros vero, aurum et pallia sibi et saneto Gallo retinuit. S tola tandem indutus abeuntes benedixit. Multis autem laerimis utrimque diseessum est. Remanserat episeopus eum nepote et paueis su� lingu� appa­ ritoribus. Traduntur post tempus Mareello seol� claustri eum Nokero, postea eognomine Balbulo, et e�teris monaehiei habitus pueris ; exteriores autem, id est eanonie�, Ysoni eum Salomone et eius eomparibus . Ioeundum est memorari, quantum eella saneti G alli his auspitiis ereseere eeperit tandemque floruerit Hartmuoto eam, Crimaldi quidem vieario tandemque abbate , omnimodis augmentante. 3. Petiit tandem Salomon iam adoleseens bene edueatu s , ut frater eonseriptus nobis fieri mereretur. Quod Crimaldo iubente et Hartmoto iuvante a patribus est eonseeutus . Tradidit autem de praediis , quibus abundaverat, saneto Gallo loeum, qui Colda dicitur, eoneambium sibi faciens, ut annonam monaehi et loeum hospitis in refeetorio haberet , dum viveret , et eollem quendam, qui ultra Iram am�nior sibi videbatur, eum pratis sibi et agellis adiaeentibus possideret , ut mansione ibi parata erebro velud frater adveniens abbati non esset onerosus neque famili� ineom­ modus. Talibus homini velud iam turn eum fortuna ludenti9 ad votum eedentibus , aulam regis Luodowiei, ut diximus , adiit; eapellanus faetus eius fit intimus et praelibatis abbatiis10 proclive est prae­ latu s . Loeum autem nostrum sibi prae omnibus habitum subinde adiit. Claustrumque ille, quia potens erat, absque duee et, quod magn� eonfusionis tune erat et est, lineus diatim introiit. Sur7�7 Vgl. Act. 23, 10. 8 8 Vgl. Mare. 14, 5. �

Marcus und M arcellus - Salomo als Frater conscriptus

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nachmals von den Unsrigen Marcellus - so in Verkleinerungsform nach seinem Oheim Marcus - genannt. Dieser Marcellus war hochgebildet in göttlicher und menschlicher Wissenschaft . Der Bischof wurde eingela­ d e n , eine Z eitlang in unserem Kloster Station zu machen, zusammen mit s einem Neffen. Lange berieten sie untereinander; mit Mühe kamen sie e ndlich zur Einigung. Und am verabredeten Tage verteilte Marcellus viele Geldmünzen seines Onkels durchs Fenster, 7in der Furcht, er möch­ te von ihnen zerrissen werden7• 8Sie murrten nämlich über ihn8, weil der Bischof angeblich auf seinen Rat hin zurückblieb. Pferde und M aultiere aber schenkte der Bischof unter namentlicher Bezeichnung, wem er ge­ rade wollte . Bücher jedoch, Gold und Gewänder behielt er für sich und den heiligen Gallus zurück. E ndlich gab er, mit der Stola angetan, den Fortziehenden seinen Segen. Unter vielen Tränen aber auf beiden Sei­ t e n schied man voneinander. Der Bischof blieb, und mit ihm der Neffe und etliche Diener von seiner S prach e . Später dann übertrug man dem Marcellus die Schule der Klau­ " sur mitsamt Notker, der nachher mit Beinamen "der Stammler hieß, und den übrigen Knaben mönchischer Tracht; die äußere aber, das heißt die Weltgeistlichen-Schule mit Salomo und seinen Gefährten, übergab man an Iso. Erhebend ist die Erinnerung daran , wie die Z elle des heili­ gen Gallus unter diesen Vorbildern anfing zu gedeihen und wie sie am E nde zum Blühen kam, indes Hartmut ja als Stellvertreter Grimalds und zuletzt als Abt sie auf jede Weise förderte . 3. Da er bereits ein junger Mann mit guter Bildung war, bat Salomo schließlich, daß er sich das Recht erwerbe , unser eingetragener Mitbru­ der zu werden. Was er auch auf Grimalds Weisung hin und mit Hilfe H artmuts von den Vätern erlangt e . Er übergab aber aus der Fülle sei­ ner Güter dem heiligen Gallus den Ort, der Goldach heißt; dafür bedang er sich im Tausch den Jahresunterhalt eines Mönches aus und einen G ästeplatz auf Lebenszeit im Refektorium und einen Hügel jenseits der Ira, der ihm besonders lieblich schien, nebst den angrenzenden Wiesen und A ckerstücken ; dort sollte eine A bsteige eingerichtet werden, damit e r bei seinen häufigen Besuchen als Bruder dem Abt nicht lästig und dem Gesinde nicht beschwerlich würde . Während ihm, der schon damals gleichsam mit Fortuna spielte9, sol­ cherlei nach Wunsch geriet, ging er, wie gesagt, an den Hof König Lud­ wigs; zum Kaplan erhoben , wurde er des Königs enger Vertrauter, und rasch gelangte er an die S pitze der vorgenannten A bteien 10 • Unser K lo­ ster aber galt ihm mehr als alle , und immer wieder kam er zu Besuch. Und weil er ein hoher Herr war , betrat er die Klausur ohne Führer und - was damals wie heute große Verwirrung stiftete - Tag für Tag im 9 V gl. Kap. 21 und 28. 10 Ellwangen und Kempten ; ob sie Salomo unterstanden, ist zweifelhaft.

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Casus s. Galli 3/4

gunt inde ab emulis illius murmuria ipso ignaro; comitantur, ut assolent, in absentem obloquia. Plurima fratribus velud dives opum commoda fecit. Quorum cum uni reverendo quidem, ut erant tune plurimi, pelliceum traderet et sui eum apud Deu m memorem fore rogaret: "Pellitium", ait ille, "tuum, si volueri s , tibi optime repretiabor. N a m duas cucullas ab abbate habeo, qua­ rum unam tibi, ut claustrum decentius nobiscum in ea introeas, induendam contrado." Et ille: "Eia" , inquit, "h�c utique Tuotilo et Ratpert vel alii invidi mei in ore tuo posuerant. Nonne, ques o , et abbas vester11 lineus claustrum tot annis ingreditur?" "Claustra" , ait ille , "tuorum, qui te eius habitus abbatem susce­ perant aut pro peccatis aut aliquo Dei nutu, et tu quidem, etsi non Iicenter, intras tarnen potenter. Sed nos in fraternitatem in­ terdum et laicos recipimus, quibus tarnen in laico habitu nequa­ quam", inquit, "in claustro abutimur." 4 . Recessit homo artificiosus ratione simplicis quasi devictus. Ibat autem secum reputans hominem tanti meriti non nisi in spi­ ritu Dei sibi talia prolocutum. Abstinuit tandem absque aliquo patrum, ut moris est, praeduce claustrum introire. Sepius ta­ rnen, ut diximus, loco sancti Galli, quantum a regibus et c�nobiis suis Iicuit, immoratus, fratribus, qu� potuit, hilariter dedit, ma­ xime Ysoni magistro. Caute �tiam Crimaldus iam senescens et Hartmotus cum illo egerant, ne animum et per se divitis et in regno potentis in aliquo lederent. Incipit igitur tandem in colle concambii sui �cclesiam in honorem et modum sanct� crucis edi­ ficare , in quam ad unguem perductarn sancti Magni brachium, Adalberone12 episcopo dante et prosequente, de Faucibus sump­ tum magnis hinc inde velud triumphi tripudiis intulit, et in hono­ re eam sanct� crucis et eiusdem privati patroni nostri dedicavit et praediis suis, id est Tegerinowa, Bernhardicella , Sitiruntorf, Coldaham �tiam, quam, ut diximus, concambians iam loco tradi­ derat, et aliis quibusdam eam dotaverat13• Hartmuoti, tune qui-

Salomos Besuche - Seine Schenkungen

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Leinenhabit. Daher erhob sich denn Murren von seinen Rivalen , ohne daß er e s merkte; dazu gesellten sich die üblichen Lästerreden gegen d e n Abwesenden. Als reicher Mann, der er war, schuf Salomo den Brü­ dern gar manche Annehmlichkeit . S o überreichte er einem unter ihnen, einem fraglos ehrwürdigen Mann, wie damals die meisten waren, einen P elzrock und bat den Bruder, für ihn bei Gott Fürbitte zu tun; und jener sprach: "Wenn du magst, werde ich dir deinen Pelz bestens vergüten . Ich besitze nämlich vom A b t zwei Kutten, u n d eine davon will i c h dir zum Anziehen geben, damit du in ihr die Klausur anständiger, zusam­ men mit uns, betreten kannst." Und Salomo rief: "Ha, das legten dir be­ stimmt Tuotilo und Ratpert oder meine anderen Neider in den Mund! G e ht denn, ich bitte dich, nicht auch euer Abt11 seit Jahr und Tag leinen­ gekleidet in die Klausur?" Jener erwiderte: "Die Klausurräume der Dei­ nige n , die dich als Abt von seiner Tracht empfingen - entweder um ihrer Sünden willen oder auf Gottes Weisung hin - , die betrittst du wohl ebenso, und wenn nicht nach Willkür, so doch aufgrund deiner Macht. Wir indessen nehmen in die Bruderschaft zuweilen auch Laien auf, las­ sen uns aber", so betonte er, "wenn sie im Laiengewand sind, doch nie in der Klausur mit ihnen ein."

4 . Da wich der gewitzte Mann und gab sich durch die Beweisführung des einfachen Bruders geschlagen. Er ging aber und bedachte bei sich, daß ein so hochwürdiger Mann ihm solches nur aus dem Geiste Gottes heraus habe sagen können. Am Ende stand er davon ab, in die Klausur zu trete n, ohne sich von einem der V äter führen zu lassen, wie es Brauch ist. Dessenungeachtet verweilte er, wie gesagt, sehr oft in St. Gallen, soweit es eben seiner Könige und Klöster wegen anging, und gab was er konnte , fröhlich an die Brüder, am meisten an seinen Lehrer Iso. Behut­ sam auch verfuhren Grimald, der nun schon alterte, und Hartmut mit ihm, um den Mann, der einerseits so reich und andererseits im Reich so mächtig war, in nichts zu kränken. So begann er denn schließlich auf dem Hügel, den er sich eingetauscht , eine Kirche zu Ehren und nach Ge­ stalt des heiligen Kreuzes zu baue n, und ließ nach ihrer gänzlichen Voll­ endung einen Arm des heiligen Magnus dahin überführen; während Bi­ schof Adalbero1 2 die Reliquie übergab und geleitete , holte er sie unter großem Frohlocken von hier und von dort gleichwie im Siegesjubel von Füssen ein; und er weihte die Kirche zum Ruhme des heiligen Kreuzes und eben dieses unseres besonderen Schutzpatrons und stattete sie aus mit seinen Gütern, das heißt mit Degenau, Bernhardzell, Sitterdorf, fer­ ner Goldach, das er dem Kloster, wie gesagt, bereits durch Tauschver­ trag vermacht hatte, und mit einigen anderen13• Hartmut, nunmehr ja 1 1 N ämlich Grimald als Weltgeistlicher. 12 von Augsburg. 1 3 Bestätigung der Gründung in Dip!. Arnulf. nr. 165 (a. 898).

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Casus s. Galli 4/5

dem abbatis14, concessione, ut in die sancti ipsius fratres convi­ v arent, constituerat ; se �tiam, si Deo placeret, ibi sepeliri v elle aiebat. 5. Accidit autem post aliquantum temporis , ut a palatio ve­ niens quadragesimam loco nostro ei tempori aptissimo viso age­ re eligeret. Ingrediturque clam penetralia claustri nostri bonus 1 5fur noctibus15, nudipes , cappa quidem , uti fratrum unus putare­ tur, indutus. Senserat illum Notker , Ratpreth , Tuotilo, et ali­ quandiu sanctam fraudem texerant. Nimis tarnen, ut iam dixi­ mus, insolens semper erat et est praeter monachici nostri habi­ tus quemquam introire intima nostra, maxime noctibus. Initur consilium, ut, quoniam moris est duos nobis fratres claustri vigi­ lias agere , intranti illi ipsi vigiles cum lumine , quia solis loqui licuit, occurrerent et, quis esset, silentio quererent. Verebantur e nim hominem palatinum, qui iam quasdam abbatias canonicu s habebat, ne aliquid irregulare, u t forte fit , videns sibi viam apud regem occasione hac �tiam ad nostram aperire temptaret, qui­ bus nunc post canonicos abbates monachus pater domesticus praeerat Hartmuotus, homo amantissimus. 16Ingreditur iterum ut heri et nudius tercius16 fur ille vitabun­ dus; Ratpert et Tuotilo sunt vigiles : unus illorum circuibat, alter ad introitum clandestini illius servabat. Progreditur interea 17praeventor maturitatis17 ad sepulchra cimiterii oraturus pater, eius temporis nostrorum apud Deum potentissimus , Ruodkerus. Cuius gravitatem reveriti vigiles loco paulisper cedunt. Sense­ rat ille pater post modicum pedetemptivum nesciens quem. Sig­ no vocis et strepitu pedum notat quasi furem. Vigiles cum lumi­ ne confestim approperant. Agnitus est. Atque ilico pater ille : "Per sancti Galli" , inquid, "meritum" - sie enim patres iurabant - "hunc in claustro eius his horis non patimur habitum." Vigiles illi pro tempore siluerunt, qui tantum interpretem rupto habue­ re silentio. Tremefactus autem ille ab non ignari hominis verbis tali tempore sibi inusitatis: "Patere me", ait, "pater reverende, vel oratorium sancti Petri, quod proximum est, ingredi! Ibi post-

Salomos heimliches Eindringen

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Abt 1 4 , erlaubte ihm zu verfügen, daß am Tage eben dieses Heiligen die Brüder ein Gastmahl haben sollten; auch wolle er, wenn es Gott gefalle , da begraben werden, sagte er. 5 . E s geschah aber, daß er, von Hofe kommend , sich dafür entschied, die Fasten in unserem Kloster abzuhalten, da es ihm für diese Z eit der passendste Ort schien. Und er betrat heimlicherweise unsere innersten Räume , ein guter 1 5Dieb in der Nacht 1 5, barfuß , aber mit der Kapuze an­ getan, um als einer der Brüder zu gelten. Notker, Ratpert und Tuotilo wurden seiner gewahr, und geraume Zeit deckten sie den frommen Be­ trug. Nun war e s jedoch, wie schon gesagt, immer ganz wider die Ge­ wohnheit und ist es noch, daß jemand, der nicht von unserer mönchi­ schen Tracht ist, unser Innerstes betritt , zumal bei Nacht. Da es üblich ist, zwei Brüder über unsere Klausur wachen zu lassen, faßte man den Plan, daß eben diese Wächter, da nur sie sprechen durften , ihm bei seinem E intreten mit dem Licht entgegentreten und ihn leise fragen sollten , wer er sei. Sie fürchteten nämlich, der Hofmann [Salomo], der bereits einige A bteien als Weltgeistlicher besaß, könne, wie das etwa geschieht, irgendeine Unregelmäßigkeit sehen und versuchen, dies beim König auszunutzen und sich den Weg auch zu uns freizulegen: zu uns, denen jetzt nach we ltgeistliehen Ä bten ein Mönch als Hausvater vor­ stand, Hartmut, der hochgeliebte Mann. 1 6 Und wiederum kam, wie gestern und vorgestern16, jener Dieb her­ eingeschliche n ; Ratpert und Tuotilo waren auf Wache : einer von ihnen ging auf und ab, der andere lauerte auf den E intritt jenes Verstohlenen. Derweilen schritt Vater Ruodker weit 17vor der gesetzten Stunde 17 zu den Gräbern im Kirchhof hinaus, um zu bete n ; er galt seinerzeit unter den U nsrigen als der mächtigste bei Gott. Aus Scheu vor seiner würdi­ gen Person zogen sich die Wächter ein wenig zurück. Nicht lange , und Vater Ruodker hatte den behutsam Schreitenden bemerkt, ohne zu ah­ nen, wer e s sei. Mit Rufen und Stampfen tat er ihn kund als einen Dieb. Unverzüglich stürzten die Wächter mit dem Licht herbei. Da war er er­ k annt. Und sogleich sagte jener Vater: "Bei des heiligen Gallus Ver­ dienst" - so nämlich schworen die Väter - , "solche Kleidung lassen wir uns in seiner Klausur zu diesen Stunden nicht gefallen ! " Jene Wäch­ ter blieben stumm, den Umständen gemäß , da sie nun nach Bruch des Stillschweigens einen so bedeutenden Wortführer hatten. Salomo aber erschrak vor den Worten, die der wohlbekannte Mann zu so ungewohn­ ter Stunde sprach , und entgegnete : "Ehrwürdiger Vater, laß mich we­ nigstens hier nebenan in die Kapelle von St. Peter gehen! Habe ich dort 14 Z urückgetreten 883. 1 5 - 1 5 V gl. 1. Thess. 5, 2.

16 - 16

V gl. Dan. 13, 15. 17 - 1 7 Vgl. Ps. l 18, 147.

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Casus s. Galli 5/6

quam oravero, nunquam isto habitu nisi ductu alicuius primo­ rum, ut lex loci habet, claustrum intrabo. Te autem iuvante et fratribus ad hoc idoneis , cras abbatem precari est animo, ut mo­ nachico habitu mihi liceat claustrum ingredi, vobiscum in eo ver­ sari ut monachum et egredi; deforis autem coram militibus meis et c�teris canonico, ut soleo, vestimento versari." "lmmo", ait ille, "sanctus Gallus tibi in cor mittat, ut, si semel eo induari s , nunquam, quoad vixeris, nisi solito monachis tempore exuaris ! " 6. Panditur abbati animus hominis et peticio Ruodkero astipu­ lante et c�teris aliquibus, enimvero non omnibus. Erat senatus reipublic� nostr� tune quidem sanctissimus. Consuluntur Hart­ mannus consilio magnus , ille18 quidem qui "Humili prece" melo­ diam fecerat, Notkerus qui sequentias, Ratpert qui "Ardua spes mundi" , Tuotilo qui "Hodie cantandus est" , et pleraque alia dic­ taverant. Qui denique, ut diximus, in condiscipulatu animum eius didicerant et in rebus, quas vellet, patrandis artificia. Loquique iussi sunt: "Regula nostra" , Hartmannus ait, "non si­ militudinem monachi, sed monachum ipsum querit ." Notker: "Mihi pretexta hec, qua superindui ," inquit , "desiderat , si togam praetenderet, non utique displiceret." Ratpert: "19 Aut h�c in no­ stros fabricata est machina muros , aut aliquis latet hic error19" , ait. Tuotilo: "Fraternitatem illi", inquit, "integre ante conces­ simus. Hanc ei, quantum in me est, abba mi, ego non denego. Si autem lupum ovino vellere querit induere , per alius quam mei consensum perficiat." Audiens abbas , quod suspicarentur in homine , videlicet ne hoc scemate indutus proximior esset dominatui abbati� , cuius per ip­ sum tune tercio20 quidem recepimus privilegium: "Scio", inquit, "fratres et filii, quid ab illo vereamini; sed hoc et mihi quoque quiddam subolet. Existimo tarnen melius nobiscum actum fore, si sie apud nos initiatus monachum se aliquando nostrum faciat , ne iterum canonico s ubdarnur ut antea. Placet igitur, ut agamus cum illo, quo re vera habitum sumat a sancto Gallo, ut, si arte sua acciderit, quod veremur, noster tarnen sit frater et monachus." 18 Vielmehr der spätere Abt. 19 - 19 Verg. Aen. 2, 46. 48.

Salomos Bitte - Rat der Mönche

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mein Gebet verrichtet, werde ich nachher niemals wieder in dieser Tracht die Klausur betreten, es sei denn unter Führung eines der Oberen , so w i e es die Klostersatzung bestimmt. Mit deiner Hilfe aber u n d d e r Hilfe der hierzu geeigneten Brüder will ich morgen den Abt bitten, daß es mir erlaubt sei, im Mönchsgewand in die Klausur einzutreten, mit euch wie ein Mönch in ihr zu leben und sie wieder zu verlassen, draußen aber vor meinen Rittern und den anderen wie sonst im Kleide des Weltgeistlichen mich zu bewegen." "Möge dir vielmehr", sagte der andere , "der heilige Gal­ lus eingeben, daß du das Mönchskleid, ziehst du es einmal an, deiner Leb­ tage nicht wieder ablegst, außer zu der den Mönchen gewohnten Stunde!"

6 . Salomos A nsinnen und Bitte wurden dem Abt kundgetan ; Ruodker und einige andere gaben ihre Z ustimmung, aber freilich nicht alle. Der S e nat unseres Gemeinwesens war damals ja von unvergleichlicher E hr­ würdigkeit . Befragt wurden als Se natoren: Hartmann, groß von Rat, der nämliche18, der das Lied >Humili prece< schuf, Notker, der die Sequenzen, Ratpert, der >Ardua spes mundi< , Tuotilo, der >Hodie cantandus est< , und die manches andere gedichtet haben. Sie nun kannten ja, wie wir ge­ sagt haben, aufgrund ihrer Erfahrung als Mitschüler Salomos seine Gesin­ nung und die Kniffe, die er zur Verwirklichung seiner Ziele gebrauchte . A l s o wurden s i e geheißen, sich zu äußern, u n d Hartmann sagte : "Un­ sere Regel fragt nicht nach Ähnlichkeit mit dem Mönch, sondern nach dem Mönch selbst . " Notker sprach : "Mir würde diese Praetexta , die er sich überziehen möchte, nicht unbedingt mißfallen, wenn sie die echte T oga erkennen ließe . " Ratpert sagte: "19E ntweder ward dies Werk ge­ gen unsere Mauern ersonnen , oder e s steckt hier irgendein Trug 1 9." Tuo­ tilo sprach: "Die Bruderschaft haben wir ihm ungeschmälert schon frü­ her eingeräumt . Diese, mein Vater, verweigere ich ihm nicht, soviel an mir liegt . Sucht er aber den Wolf ins Schaffell zu hüllen, dann mag er das mit eines anderen als mit meiner Zustimmung tun." Der Abt vernahm, was sie an Salomo beargwöhnten, nämlich daß er in diese Tracht gekleidet der Herrschaft über die A btei noch näher sei für die wir ja durch Hartmut selber, nunmehr zum dritten Male20 , ein S onderrecht erlangten - ; da sprach er: "Ich weiß , Brüder und Söhne, was ihr von jenem befürchtet; aber auch mir schwant etwas dergleichen. Trotzdem wird e s meines Erachtens besser mit uns stehen, wenn er auf diese Weise bei uns eingeführt wird und sich dann irgendeinmal zu unse­ rem Mönch erklärt: nicht daß wir wieder, wie früher, einem Weltgeist­ lichen untertan werden. Ich meine also, wir sollten mit ihm übereinkom­ men, daß er sein Kleid vom heiligen Gallus zum echten Gebrauch emp­ fange, damit er doch unser Bruder und unser Mönch sei, wenn zufolge seiner Geschicklichkeit jener Fall eintritt, den wir befürchten müssen." 20 Der Wortlaut läßt nicht eindeutig erkennen, ob Ekkehard unter "privile­ gium" hier eine "Urkunde" versteht.

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Casus s. Galli 6/7

Mittitur ad illum Ruotkerus cum aliis quibusdam rem suasu­ rus. In processu temporis Deo dante pollicetur facere, quod peti­ tur; tantum interim propter claustri reverentiam talis habitus sibimet, rogat, sit licitus . Variis fratrum hinc inde tractatibus vix tandem conceditur. Designaturque ei locus , quem hodie qua­ dris lapidibus notaturn videmus, quibus intrans habitum indue­ ret, exiens exueret. Ingrediturque claustrum noster praemona­ chus nocte et die, de talis consortii permisso l�iJtissimus. Parat autem pro hoc beneficio insignem crucem sancto Gallo, quam argento partim deaurato vestitam analogio nocturnali super­ posuit. Hanc nostris temporibus Norpertus noster columnliJ d eargentat� infixam confessionis superposuit altario. 7. Convivia fratribus duodecim diebus in anno, id est in Kaien­ dis , praetextatus noster, quamdiu seculariter vixit, hilariter facere suevit. In quibus et ipse, si aderat, minister procedebat. S olebant id ipsum autem �tiam quidam alii fratres conscripti nostratibus caritatis signum exhibere: pr� omnibus quidem Karo­ lus rex ipse, qui sancti Otmari epdomada ipse propositor et pin­ cerna per triduum de vico Stamhem servivit21 volatiliaque nos edere fecit ; sed et Adalbero, qui supra22, Augustensis multo tem­ pore antistes. Qui signa et virtutes sancti Galli a plurimis au­ diens, locum in die sancti Galli orandi gratia adiit et praesens plura conspiciens: ,,ZSMaior est23" , inquit, "23gratia loci huius quam rumor, quem audivi23." Devovit autem benedictione fratri­ bus data, anno altero vita comite se rediturum et uti tune qui­ dem nequaquam venire nudimanum. Domum rediit. Interroga­ tusque inter c�tera aliquando a suis, essetne nobiscum, ut fama vulgavit, religio cum doctrina, severitas cum disciplina: "Quid c�teri" , inquit, "sentiant, nescio; quod mihi animo est, pronuntio. Unum egomet sanctum et hunc defunctum qu�sivi; vivos autem sanctissimos , ut vere fatear, fratres inveni. Doctrinam autem illorum et disciplinam in virtutum eorum operibus videre est. Delectat enim me talium memorari, quos quidem ut iterum videam, vix exspecto. Oportet autem, ut omnibus meis me iuvantibus me

Salomos Dank - Adalbero von Augsburg

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Sie schickten Ruodker mit einigen anderen zu ihm, um ihn für die Sa­ che zu gewinnen. Da versprach er, in abse hbarer Zeit mit Gottes Willen zu tun, worum man ihn ersuchte; bloß sollte ihm aus E hrfurcht vor der Klausur eine solche Tracht unterdessen schon erlaubt sein, so bat er. Nach verschiedenem Hin- und Herberaten ließen sich die Brüder e ndlich mit Mühe zu dem Z u geständnis herbei. Und man bezeichnete ihm eine S telle , die wir noch heute mit Quadersteinen markiert finden , und bei ihnen sollte er das Mönchskleid anziehen, wenn er eintrat, und wieder ausziehen, wenn er hinausging. Und so trat unser Praemonachus in die Klausur bei Tag und bei Nacht, und der Zulaß zu solcher Gemeinschaft erfüllte ihn mit größter Freude. Er ließ aber für diese Begünstigung dem heiligen Gallus ein besonders schönes Kreuz anfertigen , ließ e s zum T e il mit vergoldetem Silber auslegen und auf dem Lesepult für die Nacht aufstellen . In unseren Tagen dann hat es unser Norpert auf eine silberne Säule montiert und auf den Hochaltar gestellt.

7 . An zwölf Tagen im Jahr, das heißt an den Monatsersten , richtete u nser Praetextatus regelmäßig, solange er in der Welt lebte, den Brü­ dern fröhlich Gastmahle aus. Wobei er sogar selbst als Diener auftrat, wenn er zugegen war. Dass e lbe Liebeszeichen aber pflegten auch ande­ re eingetragene Mitbrüder den Unsrigen zu erweisen, allen voran nun ja wohl König Karl, der uns in der Woche des heiligen Otmar, in eigener Person als Vorleger und Mundschenk waltend, während drei Tagen aus dem Dorf Stammheim verköstigte 21 und uns Geflügel essen ließ; desglei­ chen tat aber auch Adalbero, der oben erwähnt wurde22 und der wäh­ rend langer Zeit Bischof von Augsburg war. Weil er von gar vielen die Z eichen und Wunder des heiligen Gallus rühmen hörte , kam er an einem G allustage zum Gebet zu uns; und da er nun vieles mit eigenen Augen schauen konnte , sagte er: }3Die G nade dieses Klosters übertrifft das G erücht, das ich gehört habe23 ." Nachdem er aber den Brüdern den Se­ gen erteilt hatte, gelobte er, im andern Jahr, wenn er noch am Leben sei, wiederzukommen und dann auf alle Fälle nicht mit leeren Händen. So ke hrte er nach Hause zurück. Und eines Tages von seinen Leuten unter anderem danach befragt, ob bei uns, wie die Sage melde , die Frömmig­ keit wohne und die Gelehrsamkeit , die Strenge und die Zucht, gab er zur A ntwort: .,Was andere denken, weiß ich nicht ; wie es mir um den Sinn ist, tu ich offen kund . Einen einzigen Heiligen, einen toten Heiligen habe ich gesucht, und fand dabei, um die Wahrheit zu gestehen, lebendige hei­ ligste Brüder. Ihre Wissenschaft aber und ihre Zucht kann man in ihren Tugendwerken erke nnen. Ja, der G edanke an sie tut mir wohl, und kaum kann ich es erwarten, sie wiederzusehen. Es ist aber vonnöten, daß ich 21 Vgl. Ratpert, Kap. 32 ff. 22 Kap. 4. 23 - 23 V gl. 3. Reg. 10, 7.

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Casus s. Galli 7/8

praeparem, quatinus, uti me et meos decet, ad proximum sancti Galli diem viros Dei visitem, frater illorum conscriptus fiam e t , quantum mihi copi� e s t , caritatem illorum regratier." Venerat Dei electus die dicto, ut spoponderat. Quantus autem venerit24 et qualis in donis sancto Gallo, fratribus et famili� fuerit, capitu­ lum, quod in memoriam eius regul� nostr� codici ascriptum est, plenius pandit25• 8. Post non multum quoque temporis forte accidit Petrum �tiam Veronensem26 episcopum a palatio redeuntern simili loci gratia inopinatum venire . Fratres autem suscipientes illum , quod melius quidem habebant , ewangelium e i offerebant . Ille autem arbitratus se despici , quoniam famam loci magnam audi­ verat, de vilitate libri secum fluctuabat. Ad missas argenti calix �tiam, qui melior habetur, proponitur . Quibus peractis �tiam de calice sinistrum quiddam secum trutinat. Prandium ei exhibetur sumptuosum. Surgens a mensa fratrum postulat alloquium. Qui­ bus collectis - nam abbas loco deerat - : "Bene", ait, "mecum , domini mei, abbate vestro absente egistis; sed pro ewangelio et calice vilioribus mihi propositis aliquid subolet. Quamvis enim ipse sim vilis et indignus, non tarnen vilis loci nominor episcopus." Quibus constanter meliora non esse sancto Gallo pro­ testantibus, spiritus hominis paulisper quieverat. Sumensque tandem quosdam fratrum in partem, secreto eis locutus: "Mitti­ te", inquit , "post me Veronam sex, quos habetis , fidissimos viato­ res! Quique bini et bini per tres vias, qu� hinc illo ducunt, mihi adveniant et peregrinos se habitu et verbis simulent; singillatim tarnen se mihi bini et bini ostendant et pollice sie in manum re­ curvo elemosinam petant. Quos ego, ut alios soleo, in penetral meum quoddam solus solos coram meis inducam et vestiam. Au­ rum autem, cuius equipondium nunc vobis do, cruribus eorum fasciolis circumligabo et dimittam eos , ut ad vos eodem, quo ve­ nerant, fortuna comite artificio redeant." Factum est, ut largitor acutus docuit. AHaturn est sancto Gallo grave pondus auri Vero­ nensis . Concordat pondus equipondio. Fit de auro Petri cavea

Petrus von Verona

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mich rüste und alle meine Leute mir beistehen, damit ich, wie e s mir und den M einigen ziemt, zum nächsten Gallustag die Gottesmänner besuche, ihr eingetragener Mitbruder werde und ihre Liebe wiedervergelte , so­ weit e s in meiner Macht liegt . " E s kam der Erwählte Gottes am genann­ ten Tag, wie er gelobt hatte. Wie großartig er aber gekommen ist24 und wie reich er den heiligen Gallus , die Brüder und das Gesinde mit Ge­ schenken bedacht hat, davon gibt der Abschnitt, der zu seinem Gedächt­ nis in den Band unserer Regel eingetragen ist, ausführlicher Bericht25•

8. Und nicht viel später begab e s sich zufällig, daß auf seiner Rückrei­

s e vom Hof überraschend auch Bischof Petrus von Verona26 eintraf, der für St. Gallen eine ähnliche Liebe hegte . Bei seinem Empfang nun boten ihm die Brüder ein Evangelium dar, das sie wohl für ein besseres Exem­ plar hielten . Jener aber war des Glaubens, man verachte ihn; denn da er Großes und Rühmliches von dem Kloster gehört hatte, nahm er an dem billigen Band im stillen Anstoß. Für die Messe stellte man ebenfalls einen an sich besseren Silberkelch auf. Und als sie zu Ende war , machte er sich auch über den Kelch seine argen Gedanken. Ein verschwenderi­ sches Mahl ward ihm geboten. Als er aufstand vom Tisch, verlangte er mit den Brüdern zu rede n . Und als sie versammelt waren - denn der Abt war nicht in St. Gallen - , sprach er: "Ihr habt mich, meine Herre n , freundlich behandelt, trotz Abwesenheit eures Abtes; allein, d a ß Evan­ gelium und Kelch, die man mir vorgesetzt, so überaus gering gewesen sind, das macht mich stutzig. Wiewohl ich selber ja gering und unwürdig bin, so heiße ich doch Bischof von einem nicht geringen Ort." Da beteuer­ ten sie fest, der heilige Gallus habe nichts Besseres, bis sich der Unmut des Bischofs ein wenig legte. Und zuletzt nahm er einige der Brüder zur Seite und sprach insgeheim zu ihnen: "S chickt hinter mir drein nach Ve­ rona die sechs zuverlässigsten Boten, die ihr habt ! Und sie sollen in Paa­ ren

je zu zweit auf drei Wegen, die von hier nach dahin führen, zu mir

kommen und sich durch Kleidung und Rede für Pilger ausgeben; doch mögen sie sich mir einzeln, Paar für Paar, zeigen und mit so in die Hand­ fläche gebogenem Daumen um ein Almosen bitten. Ich werde sie dann, wie ich es mit anderen halte, vor den Augen meiner Leute in ein Innen­ gemach bei mir führen und sie mit Kleidern versehen. Das Gold aber, wovon ich euch hier das genaue Gegengewicht übergebe, werde ich mit den Schenkelbinden um ihre Beine befestigen, und ich werde sie von mir schicken, damit sie mit der gleichen Taktik wie auf dem Herweg und mit dem Glück zur Seite zu euch zurückkehren." Wie der kluge Spender es dartat, so geschah es. Ein schweres Gewicht veronesischen Goldes wur­ de nach St. Gallen geliefert . Das G ewicht entsprach dem Gegengewicht. 24 15. Oktober 908. 25 Cod. 915 p . 6 f. (MG. Libri confrat. S. 137 f.). 26 Nicht nachweisbare Persönlichkeit.

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Casus s. Galli 8 - 10

e wangelii , fit calix, fit capsa. Qu� omnia Salomon, primo frater conscriptus noster, ut praemisimus, deinde et monachus, tan­ dem abbas , gemmis et arte Gallo paravit. 9. Hartmotus autem pro Crimaldo, ut et Rapertus scribit27 , rempublicam nostram strenue gubernans, per semet ipsum quo­ que non mediocriter amplificans , iamque senescens Berinhardo monacho nostro abbatiam suam fratrum conmuni electione per regem Karolum tradit. lpse autem Herginisowam cum Waltchin­ cha et Puera Minore sibi et posteris abbatibus a potestate forte cedentibus imperiali auctoritate ipsius Karoli retinuit . Obiens autem post multas, quas per se statuit et per Berinhardum obti­ nuit fratribus et famili�. benivolenti� constitutiones, circa Lan­ daloum episcopum , in titulo apostolorum conditum, cognatum et amicum suum, extra parietem tarnen, sepeliri se petiit . De quo ipso Landaloho, sancto Darviensi quidem archiepi­ scopo28, pauca scribere necessarium puto. Suevus hic et nobilis erat, apud sanctum Gallum quidem educatus et doctus, cuius Win­ dinissa cum multis aliis h ereditas erat . Igitur episcopus factus Romam pergere solebat ; per lovis itaque montem transiens ibat, per Septimum autem rediens Gallum et Hartmotum suum salu­ tabat . Devoverat �tiam sancto Gallo LoHngarn villam dare ; sed cognatis renitentibus conquisitionis su� loca quedam cuidam Uo­ dalrico comiti, ut Gallo Ahadorf cum eisdem locis disponeret, concanbiens tradidit . Rediit autem tandem aliquando Roma, et ad Gallum suum tendens, Italici aeris vitio febre correptus, vix ad Rorscanchin pervenire praevalens Hartmuoto cum fratribus ad se advocato nobiliter diem obiit. Disposuit igitur adhuc vi­ vens ad titulum sancti Petri, cui iam ibat, qui est in cimiterio sancti Galli, capellam, qua itinerans utebatur, cum reliquiis et libris et omnibus utensilibus sacris; in quo et corpus illius cum omni honore humatum est. Freneticus, ut aiunt, in septimo eius super illius corruens tumbam sanus surrexit. Tradunt et alias infirmitates sepe illic meritis eius curatas. 10. Sed ut ad ea, unde digressi sumus, redeamus: Salamon praemonachus noster idem semper loco nostro et fratribus apud

Rücktritt Abt Hartmuts - Landaloh von Treviso

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A u s dem Gold des Petrus ward der Schrein für ein Evangelium, ward ein Kelch , ward eine Kapsel. Und all dies hat Salomo, unser eingetragener M itbruder erst, wie vorausgeschickt , dann auch Mönch, endlich Abt, mit E d elstein und mit Zierarbeit für Gallus anfertigen lassen. 9 . Hartmut aber lenkte an Grimalds Statt, wie auch Ratpert s chreibt27, rüstig unser Gemeinwesen, mehrte es auch nicht wenig aus eigener Kraft, und da er schon alt wurde , ließ er, aufgrund gemeinsamer Wahl der Brüder, seine A btwürde durch König Karl dem Mönch Bern­ hard übertragen . Für sich selber aber und für spätere Äbte , die sich ein­ mal von der Herrschaft zurückziehen würden, behielt er mit Karls eige­ ner Ermächtigung Herisau zusammen mit Waldkirch und Minderbüren . A l s er n u n nach vielen huldvollen E rlassen für Brüder u n d Gesinde, die er von sich aus verfügte und durch Bernhard bestätigt erhielt, zu ster­ ben kam, bat er, nahe bei Bischof Landaloh, seinem Verwandten und Freund, der in der Apostelkirche beigesetzt war, begraben zu werden, allerdings außerhalb der Wand. Einiges über diesen Landaloh, den frommen Erzbischof von Treviso28, zu schreiben , halte ich für unentbehrlich . Er war ein Schwabe und von Adel, in St. Gallen aber erzogen und unterrichtet, indes Windisch nebst vielem anderen sein Eigenbesitz war. Nun also Bischof geworden, pfleg­ te er regelmäßig nach Rom zu ziehen; da nahm er denn den Hinweg über den Großen St. Bernhard, über den Septimer aber kehrte er zurück , um jeweils seinen Gallus und Hartmut zu begrüßen. Er tat auch das Gelöb­ nis, dem heiligen Gallus das Dorf Lolingen zu schenken; allein, seine Sip­ p e widersetzte sich, und so übertrug er aus erworbenem Besitz einige Güter an einen Grafen Ulrich, der im Tausch dafür Aadorf zusammen mit eben diesen Gütern für St. Gallen aussetzen sollte. E ndlich aber kam Landaloh einmal wieder von Rom, und da er den Weg zu seinem Gallus nahm, wurde er zufolge des schlechten italienischen Klimas vom Fieber ergriffen; mit letzter Not vermochte er nach Rorschach zu gelange n , wo er Hartmut und die Brüder zu sich rief und in rühmlicher Weise ver­ schied. Er vermachte also, wie er noch lebte , der auf dem St. Galler Friedhof befindlichen Kirche St. Peter , wohin er schon unterwegs war, den Tragaltar , den er auf seinen Reisen gebrauchte , mit Reliquien und Büchern und allen heiligen Geräten; und in dieser Kirche ist dann auch sein Leib mit aller E hre beerdigt worden. An seinem siebenten Tage , h eißt e s , stand ein Gehirnkranker, der auf sein Grab niedersank, gesund wieder auf. Auch andere Krankheiten sollen dort oft durch seine Ver­ dienste geheilt worden sein. 10. Aber um dahin zurückzukehren, wovon wir abgeschweift sind : Sa­ lomo, unser Praemonachus, blieb für unser Kloster und die Brüder bei 27 Ratpert, Kap. 26 ff. 28 N icht einzuordnen.

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Casus s. Galli 10/11

Deum et homines permanebat. Ruodkerum autem semper prae oculis habebat, quem sibi in his, qu� ad Deum fuerant, ducem et custodem elegerat. A quo dum quadam die ab aula veniens psal­ mo benedictionis susciperetur, surgens ad osculum patris glorie­ batur• inter c�tera de muneribus regis Arnoldi, qu� se sancto Gallo daturum ait. Nam, ut id genus hominum est, laudis avidis­ simus per quedam erat; de quo in periculum, uti post liquebit , ali­ quando venit. Erat munus illud capsa solide aurea, gemmis rega­ liter inclita, reliquiis summis referta, in formam capell� creata, cui simile quidem nihil unquam vidimus. Superscriptio eius est: E n crucis atque pi� cum sanctis capsa Mari�. Hanc Karolus29 summam delegit habere capellam. Suadet Ruodkerus homini non aurum, sed se ipsum, ut sepe polli­ citus est, Gallo suo offerre et monachum se eius verum iam tan­ dem perficere . Factum est, ut 30magni consilii angelus30 hortatus est. Regi tandem datori suo postquam votum suum aperuit, cap­ sam ille ipsam quadam die suspendens collo, tunica monachi et cuculla indutus aram sancti Galli Berhardo annuente nudipes adiit, peccata deflevit s eculoque abrenuntians sancti Galli fit mo­ nachus . Abbas illum tanquam de palatio monachum delicatius tractavit et omnibus , qui sub se militabant, praehabuit. Post non multum vero temporis, consiliis hominis carere non posse republica tota personante, abbatis sui permisso rex eum iterum in aulam assumsit et priorum honorum statibus restituit , tandem quoque et adauxit. Nam Augense ei tune c�nobium tradidit31• Aiunt autem hominem fortunaturn tandem duodecim abbatias rexisse. 11. Berhardo itaque abbate, ut alias relatum est, deposito32, per Hattonern archiepiscopum nobis oblatus et nostrum locum suscepit regendum. Quem prae omnibus postea, qu� gubernavit , locis apud Deum et homines amplificare curavit. Cum autem an­ num et dimidium33 nobis praeesset, Constanti� tandem praelatus Dei factus est pastor et episcopus. Sie quoque ipse et Hatto ille

a st. gloriabatur.

Salomo wird Mönch, Abt, Bischof

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G ott und den Menschen stets derselbe . Beständig jedoch hielt er sich den Ruodker vor Augen, den er sich zum Führer und Wächter in allem, was Gott betraf, erwählt hatte. Eines schönen Tages nun kam er vom Hof und wurde von Ruodker mit dem Segensvers empfangen, und da er sich zum Kuß des Vaters aufrichtete , begann er unter anderem mit Ge­ schenken König Arnulfs zu prahlen, die er, wie er sagte, dem heiligen Gallus geben wolle . Denn wie diese Sorte Mensch ist, war er in gewisser Beziehung äußerst ruhmsüchtig, und deshalb ist er einmal arg in Be­ drängnis geraten, wie sich nachher zeigen wird. Jenes Geschenk bestand in einer Kapsel aus reinem Gold ; sie war eines Königs würdig mit Edel­ steinen ausgeziert, voll der kostbarsten Reliquien, in Form einer Kapelle gestaltet, dergleichen wir wohl nie gesehen haben. Ihre Aufschrift lautet: "Siehe, die Kapsel des Kreuzes, der Heil'gen, der frommen Maria Kari29 erkor sie für sich zu seiner höchsten Kapelle ." Da redete ihm Ruodker zu, seinem Gallus nicht Gold, sondern, wie er oft versprochen, sich selber zu weihen und sich nun endlich und endgül­ tig zu seinem wahren Mönch zu machen . Wie 30der Botschafter großen

Rates30 ermahnte , geschah es. Nachdem Salomo dem König, seinem Gön­ ner, sein Gelübde offenbart hatte, legte er sich eines Tages eben jene Kapsel um den Hals, kleidete sich in Mönchsrock und Kutte und trat mit Bernhards Zustimmung an den Altar des heiligen Gallus , beweinte seine S ünden und ward, der Welt entsagend, Mönch des heiligen Gallus . Der Abt behandelte ihn milder als Mönch gleichsam von Hof und bevorzugte ihn vor allen, die unter ihm ihren Dienst taten. Doch nicht lange danach tönte es laut durch den ganzen Staat, Salo­ mos Rat sei unentbehrlich, und mit Erlaubnis seines Abtes zog ihn der König erneut an den Hof und setzte ihn in seine früheren Ehren wieder ein und vermehrte sie gar am Ende. Denn damals übertrug er ihm noch das Kloster Reichenau31 • Es heißt aber, der Günstling des Glücks habe schließlich zwölf Abteien regiert . 1 1 . Als nun Abt Bernhard, wie anderswo überliefert ist, abgesetzt war32, übernahm Salomo, uns durch Erzbischof Hatto anempfohlen, die H errschaft auch über unser Kloster. Und dieses suchte er nachher vor allen anderen Orten, die er leitete, bei Gott und den Menschen zu ver­ h errlichen. Wie er aber anderthalb33 Jahre bei uns Abt war, wurde er endlich in Konstanz eingesetzt und zum Gotteshirten und Bischof erho­ ben. Und auf diese Weise hatten er und jener Mainzer Erzbischof Hatto, 29 Wohl Kar I III. 30 - 30 Ausdruck aus dem Introitus zur 3. Weihnachtsmesse. 31 Es war vielmehr Hatto verliehen worden (888). 32 Sommer 890; die Quelle, auf die Ekkehard verweist, scheint verloren . 3 3 D i e Erhebung z u m Bischof erfolgte i m seihen J a h r (890).

Casus s. Galli 1 1/12

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Magontinus archiepiscopus sibi semper amicissimus , quem cor regis nominabant, cum et ipse, ut aiunt , duodecim abbatiis prae­ fuerit, post regem imperium tenuerant. Fultensis enim et ille erat monachus et abbas. Qui Magontiam ipsam a loco suo antiquo motam propius Rheno statuerat, et in hoc et in aliis multis animi sui magnitudinem ostenderat. Nondum adhuc illo tempore Suevia in ducaturn erat redacta ; sed fisco regio peculialiter parebat, sicut hodie et Francia. Pro­ curabant ambas camer� . quos sie vocabant, nuntii: Franciam Adalpert cum Werinhere, Sueviam autem Pertolt et Erchinger fratres. Quorum utrorumque multa dicioni subtracta sunt per munificentias regias in utrosque episcopos. S urgunt inde invidi� et odia utrorumque in ambos . Preter scelera, qu� in reges ipsos machinati sunt, Hattonern Franci illi sepe perdere moliti sunt. Sed astutia hominis in falsam regis gratiam suasi, qualiter Adal­ pert, fraude eius de urbe Pabinberch detractu s , capite sit plexus34 - alter enim morbo obierat - , quoniam vulgo concinna­ tur et canitur35, scribere supersedeo. 12. Ad S alamonem redeo. Huic, sicut diximus , cum aliquae Po­ tamum , camer� nuntiorum iuris oppidum , pertinentia a regibus darentur, sicut Werinhere et Ruodhart domnum Otmarum36, sie ipsi insequi conati sunt et ipsum. Sed episcopio et abbatiis ille multiplex variorumque militum manu fortior casu aliquando viris occursaverat, pacem salutando prior, si forte resalutare v elint , incassum exspectat ; nuntiis post eos missis, qui rem agerent, pacificari nolebant. Ille autem cum prae omnibus sancti Galli claustro semper maneret, quadam nocte praemonitus vim sibi ab illis, nisi fugeret, inferendam, secessit securus in silvam Vallis Turbat�. ea tempestate quidem vastissimam. At illi sancto Gallo invaso episcopum capere volebant, si adesset. Ille vero, ca­ pellula in ea solitudine in nomine sancti Galli fabricata, plurimis suorum, ubi esset, ad tempus ignaris , ad aulam nuntiis directis , latuit. Iubentur a rege, tune quidem Arnoldo, episcopus et ipsi •sup panno• pacis ad aulam Magonti� venire. Ubi causa publice

• - • st.

sub banno.

Anschläge der Kammerboten

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der ihm stets sehr gewogen war und den man des Königs Herz nannte , i ndes er angeblich ebenfalls zwölf Abteien regierte, nächst dem König die Reichsgewalt inne. Hatto nun war auch Mönch und Abt von Fulda. M ainz selbst aber verlegte er von seinem alten Platz näher zum Rhein hin, und hierin sowohl wie in vielem anderen offenbarte er seine Seelen­ größe . Schwaben war zu jener Zeit noch nicht in e i n Herzogtum verwandelt; vielmehr unterlag es dem königlichen Fiskus als Eigen, so wie heute auch Franken . Sogenannte Kammerboten hatten in beiden Ländern die Verwaltung inne: Adalpert und W erinher in Franken , die Brüder Perch­ tolt u nd Erchinger aber in Schwaben . Ihrer Verfügungsgewalt wurde dabei durch königliche Vergabungen an die beiden Bischöfe vieles entzo­ gen . Gegen diese erhob sich daher Neid und Haß von seiten der Grafen. A bgesehen von Anschlägen gegen die Könige selbst versuchten jene Franken oft , Hatto ins Verderben zu stürzen. Doch wie sie sich durch die List Hattos von der vorgeblichen Gnade des Königs überzeugen ließen und wie durch seinen Trug Adalpert aus der Burg Habenberg herausge­ holt und dann enthauptet wurde34 - der andere nämlich war an Krank­ heit gestorben - , das zu erzählen darf ich mir ersparen , weil man ja allenthalben davon sagt und singt35•

12. Ich kehre zu S alomo zurück. Ihm wurde, wie gesagt , von den Köni­ g en einiges übereignet, was zu Bodman gehörte, einem Ort im Machtbe­ reich der Kammerboten, die ihn daraufhin zu verfolgen suchten , genauso wie W erinher und Ruodhart den Herrn Otmar verfolgten36 • S alomo aber, der vielfachen Rückhalt im Bistum und in den Abteien genoß und dank einer bunten Schar von Kriegern stark überlegen war, stieß einmal von ungefähr auf die Grafe n ; da grüßte er sie als erster und hoffte, wenn sie etwa wieder grüßen möchten , auf eine Versöhnung - aber vergeb­ lich; und obwohl er ihnen Boten nachschickte, die den Fall regeln sollten , waren s i e nicht willen s , Frieden zu machen . Währepd n u n Salomo immer

am liebsten im Kloster St. Gallen weilte , wurde er eines Nachts ge­ warnt, daß ihm von jenen Gewalt droh e , wenn er nicht fliehe; da zog er sich unbehelligt in den Wald von Turbental zurück, der ja zu dieser Zeit wüst und öde war. Jene indessen drangen in St. Gallen ein und wollten den Bischof ergreifen , wäre er dagewesen . Er jedoch errichtete dort in der Einöde eine kleine Kapelle auf den Namen des heiligen Gallus; wäh­

rend er Boten an den Hof sandte , ließ er die meisten von seinen Leuten zunächst im ungewissen darüber, wo er war, und hielt sich verborgen. Vom König - das war damals Arnulf - erging das Gebot an Bischof und K ammerboten, unter dem Banne des Friedens in Mainz bei Hofe zu er34 9. September 906. 35

Vgl. die Erzählungen bei Widukind 1 , 22 und Liutprand, Antapod. 2. 6.

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Walahfrid, Vita

s.

Otm. 4 ff.

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Casus s. Galli 12/13

peracta, rei maiestatis lege pronuntiati ipsi illi in Ingilinheim truduntur, usque dum exilio aut morte punirentur. E git tandem S alomon cum Hattone episcopo, anxius, ne cedis illorum ipse qui­ dem causa foret, ut eos liberaret . Adeunt suplices ambo secreto imperium . Cor regis molliunt, hostes illos in gratiam reducunt; coram omnibus Salamoni suplices facti pacificantur, potestati pristin� ipso iuvante restituuntur . Redeunt tandem domum tan­ quam amicissimi iuramento coram rege dato, ne unquam episco­ pum lederent, nunquam episcopum in rebus fiscalibus sibi dono traditis se esse lesuros . 13. Invitantur post h�c viri ab episcopo Constantiam ad convi­ vium et munera . S edetur ad mensam. Et, ut fit, inter delicias potationum cum mirarentur artificia vasorum auri argentiqu e , maxime autem vitreorum, episcopus Iaudis quidem quiddam , u t diximus, avidior, quedam inter ceteras divitias , quas a regibus haberet, extollens , hospitibus arte tacitis Iaudis verba �tiam d e sancti Galli rebus magnis , quibus animos dudum vulneratos offenderat, intulit. Que tarnen, cum essent levia, mala confla­ bant gravia. Dixerat enim illis ipse utique indiscrete ludens, habere se apud sanctum Gallum clibanum, qui uno calore am­ bobus illis panes coqueret in annum; nam mille coqui posse aiunt. Simile �tiam quiddam de lebete eneo grandi et de tarra avenis centum maltrarum commoda cum proiectasset, pastores gregum se habere adiunxit , quibus fiJtiam ipsi, si viros vide­ rent, pilleis capitibus inclinarent detractis. Patienter tulerunt homines fraudolenti episcopi gloriam usque ad capitum pasto­ ribus inclinationes; id enim nunquam fieri posse refellentes loquuntur . Afferuntur tarnen viris animosis cara munera tandem recessu­ ris. Inter qu� erant vascula duo vitrea nimis insignia, qufiJ ipsi pridem in convivio prae c�teris mirabantur. Qu� illi in manus su­ mentes, consilio latenti uterque suum decidere sinens, frustata ridebant. Ceteris omnibus, milia gratiarum episcopo remitten­ tes , callide abstinebant. Missione tandem data cum eos praesul osculo peteret : "Vestra " , inquid, "erant; ideo vos tanti precii po­ cula confringere non piguit. Sed multa animabus vestris , si ea pro nummis dantes pauperibus dedissetis, remedia facere pote-

Erzwungener Friede - Schwelende Feindschaft

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scheinen. Dort kam es zur öffentlichen Verhandlung, und nachdem man jene zwei des Majestätsverbrechens für schuldig erklärt hatte, wurden sie in Ingelheim eingekerkert, bis sie mit Verbannung oder Tod bestraft würden. In der Besorgnis, nun selber Ursache ihres blutigen Todes zu sein, bemühte sich Salomo zusammen mit Bischof Hatto um ihre Befrei­ ung. Bittflehend gingen beide im geheimen den Herrscher an. Sie er­ weichten des Königs Herz und versöhnten ihn mit jenen Feinden; diese mußten sich öffentlich vor Salomo demütig( n und Frieden schließen, und mit seiner Hilfe wurden sie in ihre frühere Macht wieder eingesetzt. Gleichsam in freundlichster Gesinnung gingen sie schließlich nach Hause, nachdem sie - damit sie den Bischof niemals schädigen könnten - vor dem König den Eid getan, daß sie den Bischof in den Fiskalgütern, die ihm zum Geschenk übermacht seien, nie beeinträchtigen wollten. 1 3 . Danach wurden die Grafen vom Bischof zum Gastmahl und zu Ge­ s c henken nach Konstanz eingeladen . Man setzte sich zu Tisch. Und wie e s zu gehen pflegt , bewunderten sie unter den Freuden des Gelages die kunstvolle Arbeit goldenen und silbernen, vor allem aber gläsernen Ge­ schirrs ; da strich denn der Bischof, des Ruhmes , wie gesagt, wohl allzu b e gierig, unter anderen Reichtümern, die er von den Königen habe, eini­ ges besonders herau s , und da die Gäste klüglich dazu schwiegen, begann e r auch auf die fabelhaften Schätze St. Gallens sein Loblied anzustim­ men, womit er Gemüter reizte, die längst verletzt waren. Und wie leicht­ hin diese Worte auch gesprochen waren, stifteten sie doch schweres Un­ heil. Er sagte ihnen nämlich , in durchaus unbesonnenem Spott, er habe in St. Gallen einen Ofen, der ihnen beiden Brote für ein ganzes Jahr in einem einzigen Backgang backen würde ; denn tausend könne man angeb­ lich backen. Als er etwas Ähnliches auch über einen großen ehernen Kessel und über eine Darre, die bequem hundert Malter Hafer fasse, ge­ faselt hatte , fügte er noch bei, er habe Hirten, vor denen würden sogar sie die Hüte vom Kopf ziehen und sich verneigen, wenn sie die Männer sähen. Geduldig ließen die tückischen Gäste die Ruhmreden des Bischofs über sich ergehen, bis auf die Verbeugungen vor den Hirten; denn das könne niemals geschehen, empörten sie sich. Gleichwohl brachte man den erbosten Männern , als sie dann gehen wollte n, teure Geschenke. Darunter befanden sich zwei wunderschöne Gefäße aus Glas, die sie selber zuvor beim Mahl vor allem übrigen be­ wundert hatten . Die nahmen sie nun in die Hände, und auf geheime Ab­ sprache hin ließ jeder das seine zur Erde fallen, und über die S cherben­ stücke lachten sie. Alles andere rührten sie listigerweise nicht an und sagten dem Bischof tausend Dank. E ndlich beim Abschied dann sagte der Bischof, als er ihnen seinen Kuß bot: "Sie waren euer E igentum; dar­ u m blieb es euch unbenommen, so kostbare Pokale zu zerbrechen. Al­ lein, für euer Seelenheil hättet ihr viel tun können, wenn ihr sie, statt

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Casus

s.

Galli 13/14

ratis." 37"Vitrei37", inquiunt, "37amici vitro sunt donandi37; sed nos , qui vitrei esse nolumus, vitrum confregimus." Amoreque , ut moris est, osculato et epoto h;�tabundi discedunt. 1 4 . Non multo post tempore Chuonradus tune rex natale Domi­ ni C onstantifil egit. lpsa die post mensam cum episcopus ei pro­ cessiones vespertinas tridui illius apud sanctum Gallum lauda­ ret: "Rex " , inquit , "o utinam ibi essemus !" "Et quare illuc , anime mi, matutini non ibimus?" Parantur continuo nave s . Quibus ma­ ne conscensis cum episcopis et CfiJtero comitatu rex litus nostrum meridianus attigit et sancto Gallo cum tripudiis appropians no­ vis laudibus dictatis in loco gloriose susceptus est38• Tribusque noctibus in omni hilaritate loco immoratus , qu ar to die Arbonam tandem nocturnus venit. Longum est dicere, quibus iocunditatibus d ies exegerit et noc­ tes, maxime in processione infantum. Quibus poma in medio aecclesifiJ pavimento antesterni iubens, cum nec unum parvissi­ morum moveri nec ad ea adtendere vidisset, miratus est discipli­ nam. Refectorium quoque fratrum hora mensfiJ cum duobus epi­ scopis cum intrasset in infantum die , plura sibi assurgentibus lfiJta locutus: "Nobiscum," ait, "velitis nolitis , partiri habebitis ." Decanum autem, qui mensa abbatis sui causa cedere parabat, amplexatum retinens assedit. Et ei a pp os ita ad se sumens, om­ nes circumspectans et arridens: "His interim", inquit, "participe­ mur." Misit autem quantotius ad Salamonem, ne sibi superveniret , s e d uterque pro altero mensas teneret. PrfiJposito dein cum nihil sibi, nisi quod fratribus paraturn esset, iuberet apponi: "0 rex", inquit, "nostra infortunia, quod superventurum diem non ex­ spectabas ! Cras enim panem et fabas nudas forsitan habebimus, sed hodie non sie." "Enimvero" , ait ille, "et cras vobis Deus mise­ reri poterit." Infantulis deinde per or d inem lectitantibus et ana­ logio descendentibus aureos in ora ad se elevatis misit. Quorum unus pusillior cum damitans aurum exspueret: "lste", inquit, "si

König Konrad in St. Gallen

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Geld zu geben, an die Armen gesche nkt hättet." "37Mit Glas37" , sagten sie, "37soll man gläserne Freunde beschenken37 • Wir aber haben das Glas zerbrochen, weil wir nicht gläsern sein wollen." Und nachdem sie Minne geküßt und getrunken , wie e s Brauch ist, zogen sie frohgelaunt ab. 1 4 . Nicht lange danach feierte Konrad, der damalige König, in Kon­ stanz das Geburtsfest des Herrn. A m Weihnachtstag nach Tisch rühmte

ihm der Bischof die abendlichen Prozessionen, die man an jenen drei Ta­ gen im Galluskloster hielt, und seufzte: "Ach, König, wenn wir uns doch dort befänd e n ! " "Und warum, mein Lieber, sollten wir nicht morgen früh dahin gehen?" U nverzüglich wurden die Schiffe flottgemacht. Früh­ morge ns bestieg man sie, und gegen Mittag erreichte der König mit Bi­ schöfen und allem Gefolge unser Gestade; und wie er sich St. Gallen mit Frohlocken nahte, wurde er im Kloster mit neuverfaßten Lobgedichten

glorreich empfangen38 • Und da er hier drei Nächte in aller Fröhlichkeit verbrachte , gelangte er am vierten Tag gegen Nacht endlich nach Ar­ bon. Z u langwierig wäre es zu schildern, unter was für Ergötzlichkeiten er diese Tage und Nächte verlebte, und zumal bei der Prozession der Kin­ der. So ließ er für sie mitten auf dem Boden der Kirche Äpfel hinschüt­ ten und staunte über ihre Z ucht, als er sah, daß selbst von den Kleinsten nicht eines sich rührte oder auch nur danach schielte. Auch trat er am Tage der Kindlein zur Essenszeit mit zwei Bischöfen ins Refektorium ein, und während er den Brüdern, die sich vor ihm erhoben, manches fro­ he Wort gab, sagte er: "Nun werdet ihr wohl oder übel mit uns teilen müsse n ! " Wie sich aber der Dekan anschickte, seinetwegen den Tisch des Abtes zu verlassen, umarmte er ihn, um ihn zurückzuhalten , und setzte sich dazu . Und indem er das, was dem Dekan vorgesetzt war, zu sich nahm, blickte er sich im Kreise um und lachte sie alle an und sprach: "Laßt uns vorderhand damit vorlieb nehmen!" Er ließ aber Salomo schleunigst ausrichten , er möge ihm nicht dazwi­ schenkommen , sondern jeder solle anstelle des andern Tafel halten. Als­ dann hieß er den Propst, ihm nichts anderes aufzutragen, als was für die Brüder gerichtet sei; worauf der Propst erwidert e : "Ach, König, unser U nglück , daß du nicht den nächstfolgenden Tag abwarten wolltest! M or­ gen nämlich werden wir vielleicht Brot und enthülste Bohnen haben, doch heute nicht." "Ja, wahrhaftig" , sagte der König, "auch morgen wird sich Gott euer erbarmen können." Weiterhin durften die kleinen Knaben der Reihe nach den Vorleser machen, und immer wenn sie vom Lesepult herunterstiegen, hob man sie zum König auf, und er legte ihnen Gold­ stücke in den M und. Und einer von ihnen, noch ein ganz kleiner, schrie 37 Sprichwörtlich ; vgl. H. Walther, Lat. Sprichwörter und Sentenzen des M A , N r . 1 1 94 . 38 2 6 . Dezember 9 1 1 .

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Casus s . Galli 1 4 - 16

vixerit, bonus quandoque monaehus erit." Surgens tandem a mensa, hilariter fratribus multa loeutus, optime spei esse mone­ bat , quoniam, si adviveret, tales eonvivas laetifiearet. Rediit igi­ tur ad suos, Salamoni et omnibus nunquam se l�tius eonvivatum gloriatus. 1 5. Inter h�e autem Perhtoldum et Erehingerum tristes inve­ nit et exasperatos. Causam qu�sivit hilariter. Qu� quidem h � e erat. Magistri pastorum duo, 39homines utique silvestres39, hirsuti et prolixis barbis, ut id genus multum videri solet, quasi vene­ randi, eum tales pridie pro ferina iuberentur die noeteque !abo­ rare , ursum de lustro unus, alter eervum reeens oeeisos attule­ rat. Quod Salamoni eum ministri super mensam silentio intima­ rent, iubet homines feras fratribus illis , qui per se quidem tune mensa utebantur ut primates, oblatione propria offerre . Finge­ bantur autem vieini esse et liberi. Quibus talibus aspeetis assur­ gunt germani, pilleis detraetis regratiant venatores reverenter inclinati. Quod videns episeopus ante dietorum memor seeum gaudebat . At illi seioli quidem faeti feras eoram episeopo poni feeerant a dieentibus: "Sint tua tibi; nobis satis est haberi derisui." Timore tarnen imperii animum prementes iram frege­ rant . Quod rex sapiens prudenti leniit eonsilio: "Quoniam ad gaudia quidem eonvenimus , mei iuris est", inquit, "omnia nullius perieu­ li ludiera defendere et, si in rixas venerint, imperiali deereto ad­ nullare. Quapropter sedato animo, iudiees mei, ambos vos esse volo et in gratiam redire eum episeopo." Reeoneiliantur enim umbratili paee tune seeundo. 16. At rex vesperum et noetem eum egisset hilariter , dilueulo eonventum fratrum petens, omnium votis faventibus fit frater eonseriptus. Tribuit euique fratrum argenti libram, ut habeat ad vestitum. Puerolis edixit tres dies ad ludendum, et tune quidem et in posterum. Ingressusque saneti Galli basilieam palliis vesti­ vit altaria. Immunitatem �tiam loci a Crimaldo ineeptam, sed adhue non firmam , episeopo admittente ipse manu sua et sigillo solidam fecit et perpetuam 40•

Gefoppte Kammerboten - Konrads Verbrüderung

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h e ftig und spie das Gold wieder aus, worauf der König bemerkte : "Der da wird mal ein guter Mönch sein, wenn er am Leben bleibt." S chließlich stand er auf von der Tafel, plauderte heiter mit den Brüdern und hieß sie, guter Dinge zu sein, da er solchen Tischgenossen zeitlebens Freude bereiten wolle . So ging er denn zu den Seinigen zurück, indes er vor Salomo und allen rühmte , niemals fröhlicher geschmaust zu haben. 15. Derweilen aber fand er Perchtolt und Erchinger finster und voller E rbitterung. Fröhlich fragte er nach dem Grund. Und der war nun der folge nde. Zwei Oberhirten, 39durch und durch Waldmenschen39, struppig und mit wallenden Bärten - wie Leute dieses Schlages oft zu erschei­ nen pflegen - fast ehrwürdig anzusehen, hatten tags zuvor den Auftrag bekommen, sich Tag und Nacht nach Wildpret umzutun; und nun hatte der erste einen Bären , der zweite einen Hirsch frisch erlegt aus der W ildnis herbeigeschafft . Diener meldeten es Salomo leise beim Essen, u n d er befahl, daß die Männer das Wild jenen Brüdern, die ja als Fürsten einen Tisch für sich hatten, persönlich präsentieren sollten . Man gab aber vor, es seien Nachbarn und freie Leute. Wie sie nun erschienen, standen die beiden Brüder vor ihnen auf; sie zogen die H üte , verneigten sich ehrerbietig und dankten den J ägern. Der Bischof sah's und hatte sein stilles Vergnüge n , da er der früheren Reden gedachte. Jene dage­ gen, sobald sie sich des Irrtums bewußt wurden , ließen das Wild vor dem Bischof niederlegen und ihm bestellen: "Behalte dein Eigentum! U n s reicht es, dem Gespött zu dienen." Aus Furcht jedoch vor dem Kö­ nig beherrschten sie sich und unterdrückten ihren Zorn. Und hier nun wußte der König Linderung und klugen Rat: "Wir sind ja doch zur Fröhlichkeit zusammengekommen", sagte er, "und so ist es meine Befugnis, alle harmlosen Späße zu decken und, sofern sie zu Ha­ der führen, durch königlichen E ntscheid für null und nichtig zu erklären. Deshalb will ich, daß ihr beide, meine Richter, ruhiges Blut bewahrt und euch mit dem Bischof wieder vertragt." Da versöhnten sie sich denn zum zweiten Male in einem trügerischen Frieden.

16. Nachdem er aber den Abend und die Nacht in Heiterkeit zuge­ bracht hatte, eilte der König frühmorgens zur Versammlung der Brüder, und hier wurde er mit aller Gunst und Stimmen zum eingeschriebenen M itbruder gewählt. Jedem der Brüder teilte er ein Pfund Silber zu, sich damit auszustaffiere n. Den Knaben verordnete er für jetzt und in alle Z ukunft drei Tage zum Spielen. Und er trat in die Gallus-Basilika und be­ kleidete die Altäre mit feinen Decken. Auch befe stigte und sicherte er die Klosterimmunität, die seit Grimald in Kraft , aber noch nicht dauer­ haft war, mit Billigung des Bischofs durch sein Handmal und Siegel4 0 • 39 - 39 Horat. ars. poet. 391. 4 0 Dip!. Konr. I . nr. 5 (14. März 912).

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Casus s. Galli 1 6

Ingreditur tandem oratorium beati Otmari auctoritate Romana41 in sanctum levati - nam parentes eius erant42, qui eum vexaverant - seque reum, quasi ipse interfuerit factis, ad eius aram reddidit; palliis quoque , auro et argento sanctum pla­ cavit. Sed et circa Stamhem villam sancto Otmaro a Karolo da­ tarn qu�dam loca regii iuris adhuc erant. Ille vero, quicquid inibi regii fisci erat, totum in manum advocati super aram eius tradi­ derat et sigillo suo roboraverat. Et conversus ad Salamonem: "Eo", inquit, "pacto, ut fratres nostri conscripti pro convivio nostro hesterno habundantius a Karolo statutam ebdomadam natalis domini mei huius43 �tiam in memoriam mei debeant convi­ vari." Et subridens: "Nam et ego hodie frater conscriptus volo prandere cum fratribus et fabas nostras de meo piperare." Aguntur44 celeres regi miss� a fratribus super id ipsum altare. Pr�maturatur prandium; impletur refectorium; vix unum Ieetor recitaverat periodum. 45Caritas, QUfil non agit perperam45, licen­ ter sprevit disciplinam. Nemo ait hoc aut illud esse insolitum, quamvis ante nunquam sit visum vel auditum. Nunquam ea do­ mo saporatum monachum• odorem ferin't hauriunt et carnium. Saltant satirici; psallunt symphoniaci. Nunquam tale per se tri­ pudium Galli habuit refectorium. Graviores fratrum rex spectat inter strepitum, ridet quorundam vultus contractos propter rerum talium insolentiam. C arpuntur iterum cordibus fratres il l i sepe dicti pro damno regii fisci. Nam castellum quoddam super Stamhem iam dudum struxerant, quod conquisitionis su� proprietate coram rege sibi vendicabant. Quibus rex: "Castellum", inquit, "sine oppidano­ rum dampno habere nequibitis; quibus si iniuriosi quidem fueri­ tis , mei gratia carebitis . " Discedit rex vespertinus fratrum suo­ rum laudibus lacrimosis prosecutus. Quibus, si vivere liceret, non semel benefacturum promiserat.

• wohl st. monachi.

Konrads Gunst und festliches Mahl

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E ndlich s chritt er in das Bethaus des selige n , durch Roms Ermächti­

gung4 1 zum Heiligen erhobenen Otmar - waren es doch Konrads

V orfahren42 , die ihn verfolgt hatten - , und an seinem Altar gab er sich ganz als Schuldigen, als hätte er an den bösen Taten selber teilgehabt; auch mit Stoffe n , Gold und Silber versöhnte er den Heiligen . Ferner aber standen nahe bei dem Dorf Stammheim , das dem heiligen Otmar von Karl geschenkt worden war , noch einige Güter unter königlicher Ge­ walt. Alles nun, was dort zum königlichen Fiskus gehört e , übertrug er insge samt auf dem Otmars-Altar in die Hand des Vogtes und bekräftigte die Vergabung mit seinem Siegel. Und zwar, wie er zu Salomo gewandt s a gt e : "Mit dieser Auflage, daß unsere eingeschriebenen Brüder zum Entgelt für unser gestriges Mahl während der Festwoche dieses meines H errn Otmar43 , die schon Karl festgesetzt hat, auch zu meinem Gedächt­ nis üppiger schmausen sollen . " Und lächelnd fügte er bei: "Denn auch ich will als eingetragener Mitbruder heute mit den Brüdern speisen und unsere Bohnen aus meinem Sacke pfeffern ." E s44 brachten über dem selbigen Altar die Brüder für den König rasch die Messe dar. Vorzeitig begann das Mahl; es füllte sich der Saal; kaum brachte der Lektor einen einzigen Satz vor. 45Die Liebe, die kein U nrecht kann begehen45, sie durfte die Zucht mit Fug verschmähen. Niemand sprach , dies oder das sei eigentlich verwehrt, obzwar man's früher nie gesehen und nie gehört . Nie atmeten sie dort in der Kloster­ luft von Wild und Fleisch den gewürzten Duft . Gaukler tanzten und sprange n ; Musikanten spielten und sangen. Niemals erlebte der S aal des Gall von sich aus solchen JubelschalL Der König, unter dem Klang der Lieder, schaute auf die gesetzteren Brüder und lachte über einige von ihnen, denn da ihnen alles neu war, verzogen sich ihre Mienen. Und abermals grämten sich jene beiden Brüder über einen Verlust, der den königlichen Fiskus betraf. Denn über Stammheim hatten sie schon lange eine Burg errichtet, die sie kraft ihrer Eigenerwerbung vor dem König für sich beanspruchten. Ihnen entgegnete der König: "Die Burg werdet ihr nicht halten können, ohne den Einwohnern dort S chaden zu tun; fügt ihr ihnen aber Unrecht zu, dann werdet ihr meine Gnade verwirkt haben." Am Abend schied der König, begleitet von,den tränenvollen Lobgesängen seiner Brüder. Und er versprach, ihnen noch öfter Wohltaten zu erweisen, wenn ihm ein Weiterleben vergönnt sei. 4 1 Vielmehr durch Bischof Salomo I . (864). 42 Ekkehard hält W arin und Ruodhard für Welfen; vgl. Kap. 2 1 . 4 3 Fest am 16. November. 44 Der folgende A bschnitt in Reimprosa. 45 - 45 V gl. 1. Kor. 13, 4.

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1 7 . Invadit loca lege Almannica cum advocato episcopus, tri­ bus diebus , uti ius erat , homines fisci iuramentis sancto Otmaro vendicantes. Quibus custodes castelli, nisi sibi pareant, male h a ­ bituros minantur minasque factis exequuntur. N a m victimas et c�tera, qu� libebat, sponte nolentibus dare fiscalibus, vi quide m auferebant. Quod cum advocatus turn per s e turn verbis Salamo­ nis fratribus illis non semel quereretur, aut ficta verba aut iniu­ riosa passus recessit. Cumque hoc per annum pene pateretur , quadam die ipse viris obvius iniurias queritur episcopus. Et cum indigne quidem ipsius verba tulissent, episcopus subintulit: "E nimvero" , ait, "cum mei causa in eis aliquando angustiis co­ ram rege Arnolfo fueritis , unde egerrime ego ipse vos eripui, iam eius articuli semper liceat recordari." Ilico Luitfridus, soro­ ris amborum filius , iuvenis pertinacissimus: "Gloriaturne", in­ quit, "monachorum sceleratissimus iniuriarum pro se vobis inla­ tarum, o avunculi, et vivere eum patimini?" Extractoque gladio, nisi ab ambobus premeretur, episcopum occidisset . Ipse autem , ut iugulum declinaret, cum citius equo diverteret, a fratribus ambobus freno tentus comprehensus est46• Quidam autem suo­ rum cum gladium educentem iuvenem illum ipse econtra gladio stricto incurrere vellet, lanceis circumvallantium transfixus in­ teriit. Ducitur episcopus in diverticulum quoddam propinquum, ubi descendere iussus sedit , usque dum illi in partem cedentes, quid d e eo facturi sint, tractent. Ipse autem confisus in Domino suum dominum Gallum incessanter inclamitat. 18. Suadet Luifridus, ut ei aut oculos eruant aut dexteram abs­ cidant. Militum autem pars sanior, ne quid amplius in christum Domini insanirent, omnimodis flagitat; sed et incolomem relinqui optimum fore aiebant. Stat tandem fratribus consilium, ut in Thietpoldispurch47, ubi Perhta, uxor Erchingeri, tune agebat , du­ ceretur. Ipsam enim, cum esset quidem alias strenua, ad dolos acutissimam aiebant, et, quoniam ei amore mariti sepe ante male optabat, incunctanter eum quoquo modo apud illam periturum.

Stammheimer Konflikt. Salomos Gefangennahme

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17. Alemannischem Gesetz gemäß betrat der Bischof zusammen mit dem Vogt jene Örtlichkeiten, um während drei Tagen, wie e s Rechts­ brauch war, die Leute des Königsgutes durch Eide dem heiligen Otmar z u übereignen. Nun drohten aber die W ächter der Burg diesen Leuten , e s werde ihnen übel ergehen, wenn s i e nicht ihnen dienten; u n d die Dro­ h ungen setzten sie in die Tat um. Denn da die Leute des Fiskus nicht ge­ willt waren , Schlachtvieh und anderes , was jene mochten, einfach hinzu­ geben, entrissen sie es ihnen mit Gewalt. Hierüber führte der Vogt bei jenen Brüdern mehrmals Klage, teils in eigenem, teils in Salomos Na­ men, mußte aber trügerische oder verletzende Reden hinnehmen und wieder abziehen. Und als der Bischof dem fast ein Jahr lang zugesehen hatte, beklagte er sich, als er die Männer eines Tages traf, persönlich bei ihnen über die Freveltaten. Sie entrüsteten sich aber bei seinen Worten, worauf der Bischof hinzufügte: "Wahrhaftig, nachdem ihr einmal um meinetwillen vor König Arnulf in jener Klemme stecktet, woraus ich s elbst euch nur mit genauester Not zu reißen vermochte , dürftet ihr euch wohl allezeit an jenen Moment erinnern . " Augenblicklich rief Liut­ frid, der Grafen Schwestersohn, ein höchst aufsässiger junger Mann: "Brüstet sich der verruchteste unter den Mönchen noch der Unbill, die man euch seinetwegen zugefügt , ihr Oheime, und ihr laßt ihn am Leben?" Und er riß das Schwert heraus und hätte den Bischof niederge­ stoßen, wäre er nicht von den beiden aufgehalten worden. Da aber S alo­ mo mit dem Pferd rasch zur Seite wich , um dem Anschlag zu entgehen, fielen ihm die beiden Brüder in den Z ügel und nahmen ihn gefangen46 • E iner aber von seinen Leuten, im Begriff, auf jenen Jüngling, der das S chwert zog, seinerseits mit gezücktem Schwert einzudringen, wurde von den Lanzen der Männer ringsum durchbohrt und kam um. Der Bischof wurde in einen nahen Schlupfwinkel geführt; dort hieß man ihn absteige n , und er setzte sich, während jene beiseite gingen und sich berieten, was sie mit ihm beginnen wollten. Er aber war voller Gott­ vertrauen und rief ohne Unterlaß seinen Herrn Gallus an. 18. Liutfrid riet nun, daß sie ihm entweder die Augen ausreißen oder die Rechte abhauen sollten. Doch die Vernünftigeren unter den Rittern mahnten auf alle Weise, nicht weiter gegen den Gesalbten des Herrn zu rasen; vielmehr, sagten sie auch , werde es am besten sein, wenn er unverletzt bliebe. E ndlich e ntschieden die Brüder dahin, ihn auf die T hietpoldsburg47 zu bringen, wo sich damals gerade Erchingers Gattin Perchta aufhielt. Perchta nämlich , sagten sie, habe als auch sonst ge­ wiegte Frau ganz das Zeug für schlaue Ränke , und weil sie aus Liebe zu ihrem Gatten den Bischof oft verwünschte , werde er bei ihr unweiger­ lich auf irgendeine Weise zugrunde gehen. 46 Im Jahr 914; Ekkehards Erzählung im übrigen historisch kaum verbürgt. 47 Lage unbestimmt.

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Casus s. Galli 18/19

Sternitur viro Dei vilior interea equus . Porcarii autem cum vi­ derent turbam, ad spectandum accurrunt . Quibus visis Perhtolt : "Inclinare coram istis" , inquit, "Dei maledicte, et, u t tibi veniam precentur, pedes eis lambe !" Ille vero, quoniam vim sciebat, quod iussus est, fecerat. Commissus tandem satellitibus, qui e u m ducerent, Perth� q u i factum panderet, celer praemittitu r . At mulier facinore audito percutiens pectus ingemuit et: "H�c" , inquit, "est dies, qu� honoribus nostris apud Deum et homines finem datura est." Parat ilico basilicam et aram. Parat tapetiis et pallio dorsili caminatam. Ewangelio episcopum aliquos, qui ad­ erant , presbyteros reci p ire• iubet . Progreditur adventanti ipsa obviam ad portam. In manum illum sumens, si s e dignetur oscu­ lari, lacrimans rogat. At milites dolo h�c fieri sibimet silenter aiebant. Paratur citissime lavacrum, ut pulvere et lassitudinis tergeretur sudore . Verebatur et ipse, quamvis fortunatus , infor­ tunia. Clauditur caminata super episcopum et duos solos , qui ad­ erant, presbyteros . Nam, ut ipsum dixisse aiunt, quietam noc­ tem agere poterat, nisi quod tubarum clangores et vigilum egre passus est clamores . Ingreditur ad hospitem tantum illa cum una s ola pedissequa. Salutern homini et maturum ad suos pollicetur reditum. Reficit cum reficiente. Per puellam sibi, per presbyteros apponitur episcopo. 19. Postquam episcopum viri illi a se, ut dieturn est, dimise­ rant , Duellium montem, victualia convehentes, nocte die nitun­ tur munire; ipsi interim cum suis, quos haberent, fidissimis clan­ destini agere , in silvis pascuosis noctibus delitescere . Intiman­ tur tertia tanti facinoris nocte Sigefrido , episcopi patrui filio. Qui ilico propinquis et episcopi militibus , quantis hora concluso li­ cuit, coUectis in silva quadam matutinus eos aggreditur dormien­ tes . Experrecti vero pauci contra turmas Ioricis et galeis tutas arma rapiunt inutilia. Ipsos tres viros , quamvis animos� repug­ nantes , armis exuunt , vivos comprehendunt, vinctos abducunt . Currunt ilico celeres, qui Perth� et urbanis suis dicerent, nisi christum Domini citissime solverent, dominos suos machinis pensilibus impositos tribus partibus urbis in faciem sibi ad solem a

st. recipere.

Salomo und Perchta - Ergreifung der Grafen

Dem

G ottesmann

wurde

inzwischen ein

billiger

49

Gaul gesattelt.

S chweinehirten aber sahen die S char und liefen herbei, um zu gaffen. Als Perchtolt sie erblickte, sprach er: "Neige dich vor diesen da, Gott­ verfluchter, und lecke ihnen die Füß e , daß sie G nade für dich erflehen! " E r aber tat , w i e i hm befohlen w ar, w ei l er die Zwangslage erkannte. Schließlich wurde er Trabanten übergeben, die ihn hinführen sollten , während e i n Bote vorausritt, um Perchta d a s Geschehene zu melden. Al­ lein, wie die Frau von dem Frevel vernahm, schlug sie an ihre Brust, seufzte auf und sprach: "Dies ist der Tag, der unserem Ansehen bei Gott und den Menschen ein Ende setzen wird ." Auf der Stelle rüstete sie Kir­ che und Altar, rüstete mit Teppichen und Rückenpolster eine Kemena­ te. Einigen anwesenden Priestern befahl sie, den Bischof mit dem E van­ gelienbuch zu empfangen. Als er nahte, ging sie ihm persönlich bis zum Tor entgegen. Sie nahm ihn bei der Hand und fragte unter Tränen, ob er sie küssen wolle. Indessen flüsterten die Kriegsleute einander zu, das geschehe aus reiner List. Hurtig wurde ein Bad bereitet, damit er sich vom Staub und vom Schweiß der Erschöpfung reinigen könne. Obzwar ein Mann des Glücks, fürchtete auch er sich vor Unheil. Die Kemenate s chloß sich hinter dem Bischof und zwei Priestern , die als einzige dabei waren. Seinen eigenen Worten zufolge konnte er nämlich eine ruhige Nacht verbringen, nur daß er Trompetengeschmetter und Geschrei der Wächter über sich ergehen lassen mußte. Z u ihrem Gast trat Perchta allein mit einer einzigen Dienerin ein. Sie verhieß ihm Rettung und bal­ dige Rückkehr zu den Seinigen. Sie speiste zusammen mit ihm. Durch das Mädchen ward ihr, durch die Priester dem Bischof aufgetragen.

1 9 . N achdem die Grafe n , wie gesagt, den Bischof

von

sich wegge­

schickt hatten, bemühten sie sich Tag und Nacht, Proviant zusammenzu­ bringen und den Berg Hohentwiel zu befestigen; selber suchten sie unterdessen heimlich mit den getreuesten Leuten, die sie hatten, zu ope­ rieren und sich nachts in weidereichen Wäldern versteckt zu halten. In der dritten Nacht nach dem gemeinen Verbrechen erhielt Siegfried, Sohn von Salomos Oheim, Nachricht über sie. Und auf der Stelle sam­ melte er des Bischofs Verwandte und Ritter , so viele als die knappe Z eit erlaubte, und überfiel jene in einem Wald, während sie noch schliefen. Wach geworde n , rissen die paar Männer ihre Waffen an sich, die aber unnütz waren gegen die mit Panzer und Helm gewappneten Haufen. So heftig sich jene drei wehrten , man entwaffnete sie, ergriff sie lebendig und führte sie gebunden fort . S ogleich liefen Boten, um Perchta und ihren Burgsassen zu sagen, falls sie den Gesalbten des Herrn nicht sofort freiließen, würde man ihre Herren zu drei Seiten der Burg in Hängekörbe setzen, um sie vor ihren Augen an der Sonne zu rösten. Bei dieser Meldung glaubten die Wächter

50

Casus s. Galli 19/20

torrendos. Quo audito custodes falli se primo �stimantes, certio­ res facti omnes urbe viris vacuefacta dilapsi sunt. Relinquitur episcopus liber cum presbyteris et Pertha flens et eiulans cum pedissequis . Quam tarnen ipse pro tempore consolatus , manu te­ nens urbis portas obviam suis egreditur. Nam nocte proxima cum eo de furtiva dimissione per quoddam latens ostiolum condi­ xit, quoniam sibi per nuntium viri sui innotuit nocte alia illum aut Duellium aut, quod magis timebat, ad perdendum esse trans­ portandum. Fuga urbanorum comperta equis potentiores praevolant cur­ races . E piscopo pro portis conspecto, clamativo illum cantu salu­ tant: "Heil herro! Heil liebo! " et c�tera. Urbem tarnen intrare praeter nominatos propter mulieris res servandas episcopus no­ luit. Nam in itinere armatorum se suis adiungentium et prose­ quentium turba erat innumerabilis . Turn virum alloqui mulieri d esideranti solus ad horam adducitur . Quem complexa, cum prae fletu naribus cruor proflueret, vix ab ipso quoque plorante avel­ litur. Movebat et inimicos tarn repentina rerum mutatio. Episco­ po autem cum vinctus procidens sibi remitti supplicaret: "Quan­ tum in me est" , inquit, "remitto" et a custodibus iratis amotum benedictione prosequitur. E git tarnen cum nepote et militibus , ut mulier ad suos cum ho­ nore et rebus suis duceretur tutatis . Et cum ibi pernoctassent, ipse eius omnia bona fidelibus suis commendans ordinavit ave­ henda. Dimittens autem illam invitavit ad se, rebus in melius vergentibus, Constantiam, ut, si fidei memor sit, in laetiori expe­ riretur fortunio. Rediit cum comitatu famoso Petrus alter erep­ tus ab Herodibus48 Constantiam, tali omnium circumquaque con­ venientium quidem tripudio, quali nec, si ipse quondam Rom� tercius de caelo ceciderit49, receptus sit Cato. 20. Traduntur dampnosi tres illi in Duellium ad cognitionem publicam reservandi, plurimis suorum iam, si forte ad ereptio­ nem illorum in via occasio daretur, in arma collectis. Quod mili­ tes abbatiarum et episcopii cum cognatis christi Domini circum-

Salomos Befreiung. Sein Großmut

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zuerst an Täuschung; als sie genauer unterrichtet waren , liefen sie aus­ einander, und die Burg war ohne Besatzung. Frei mit den Priestern blieb der Bischof zurück, weinend und klagend Perchta mit ihren Dienerinnen. Doch tröstete er sie vorderhand, und als er aus den Toren der Burg den S einigen entgegenschritt, hielt er sie an der Hand. Denn in der letzten Nacht hatte sie mit ihm ausgemacht, ihn heimlich durch ein verschwie­ genes Pförtchen hinauszulassen, war ihr doch durch eine Botschaft ihres Mannes bekannt geworden, daß man ihn die andere Nacht entweder zum Hohentwiel oder, was sie noch mehr fürchtete , zu Tode bringen woll e . Auf die Nachricht von d e r Flucht d e r Burgleute sprengten d i e tüchti­ geren Reiter im Galopp voraus. Da sie den Bischof vor den Toren ge­ wahrten , grüßten sie ihn im Sprechgesang: "Heil Herro ! Heil Liebo ! " und so fort. Aber um d e n Besitz d e r Frau zu bewahren, wollte S alomo außer einer bestimmten Besatzung keinen in die Burg lassen. Denn das V olk von Bewaffneten, das sich seinen Leuten auf dem Marsch ange­ schlossen hatte und ihnen folgt e , war ohne Zahl. Dann, zur Stunde, führ­ te man E rchinger allein zu seiner Frau, die mit ihm zu reden wünschte . Sie umarmte ihn, und indes ihr vor lauter Weinen das Blut aus der Nase floß, ließ sie sich von ihm, der gleichfalls in Tränen war , kaum mehr los­ reiß e n . Sogar die Feinde rührte der so jähe Wechsel der Dinge . Als aber der G efesselte vor dem Bischof niederfiel und flehend um Vergebung bat, sagte dieser: "Soviel an mir liegt, so vergebe ich dir" und spendete ihm den Segen, während ihn die erzürnten Wächter schon hinweg­ zerrten. Mit dem Neffen jedoch und den Rittern handelte er aus , daß die Frau zu den Ihrigen geleitet werde, unter Sicherung ihrer E hre und Habe. Und nachdem sie da übernachtet hatten, gab er persönlich die A nord­ nungen zur Wegführung all ihrer Güter, indem er sie seinen Getreuen a nvertraute . Beim Abschied aber lud er Perchta zu sich nach Konstanz ein, sobald sich die Dinge zum Besseren wendeten ; ob er ihrer Treue ge­ denke, sollte sie unter glücklicheren Umständen erproben. Ein zweiter Petrus , aus Herodes-Gewalt gerissen48 , kehrte er in ruhmreichem Zuge nach Konstanz zurück , und zwar unter solchem Jubel von allen , die ringsumher zusammenströmte n , wie er auch einen dritten Cato, wäre der einst zu Rom vom Himmel gefallen49, nicht empfangen hätte.

20. Jene drei Übeltäter wurden nach dem Hohentwiel überführt, um dort bis zur öffentlichen Einvernahme verwahrt zu werden ; indessen war die Mehrzahl ihrer Leute schon unter Waffen versammelt für den Fall, daß sich unterwegs Gelegenheit biete, die drei herauszuhauen . Hiergegen trafen aber d i e Ritter a u s den Abteien u n d d e m Bistum i m 48 V g l . A c t . 1 2 . 4 9 Vgl. Juven. 2, 40.

Casus s . Galli 20/21

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vallando providebant. Innotuit res Chuonrado, in Frantia tune posito. Nam veredarii, et episcopo capto et recepto, dies et noc­ tes celeres ibant. Aiebant autem illum mane evigilantem, fama a prioribus audita, lecto exilisse et patientiam regiam nullo modo tenere potuisse; a sequentibus autem corde sibi reddito parum­ per quievisse. In se vero reversus de valitudine capti et rec�pti cum quesisset: "Constat", inquiunt, "o rex, dure tractatum adhuc male valere; et si, . quia mox venturus sit, nosset, per nos vobis profecto mandasset." Quo audito seorsum c�dens flevit; erumpebant enim lacrim� et non poterant se continere. C onsilio dehinc habito, primo colloquium publicum Magonti� , p ostea generale edixit concilium50• Ubi tribus illis lege abiuratis et proscriptis praediisque eorum in fiscum redactis , maiestatis reis capita dampnata sunt. C�teris omnibus , qui tanto facinori in­ tererant, tanquam reipublicae hostibus prosequi iussis, Suevi� principum assensu statuitur Alemannis dux primus Purchardus51 , gentis illius nobilissimus et virtutum dote probatissimus. Cui et praedia damnatorum confiscata in beneficium sunt tradita, exc�ptis dotibus Perht� , sibimet edicto, quoniam viro non asse­ rat•, stabilitis. Episcopo autem apud ducem inducias dampnatis rogante, ut, si fieri posset, exilium eis a rege intercederet, aliquot eos dies dux in custodia tenuit . Rex autem crebro ab eo fatigatus tandem eos iugulari praec�pit. Quibus tarnen episcopus multum eorum nece52 tristatus, indulgentia, quantum in se erat, �tiam vivis data, sepulturam concessit ad �cclesiam. 2 1 . Rex vero castellum illud odiosum sancto Otmaro, 53causab mali tanti53, tradidit diruendum. Omnique anno ille , dum vixit, censum capitis sui in cera ad sepulchrum eius, uti filius carnifi­ cum illorum54, pro reatu in eum quasi proprio misit. Quod et Ruo-

a

wohl st. assenserat.

b

viell. st. causam.

Des Königs Reaktion. Das Ende der Kammerboten

53

Verein mit den Verwandten des G esalbten des Herrn ihre Vorkehrun­ gen , indem sie sich ringsum postierten . Man meldete die Affäre König Konrad, der sich gerade in Franken befand. Denn Eilboten ritte n Tag und Nacht: so auf Salomos Gefangennahme hin und so wiederum nach seiner Befreiung. E s hieß aber, der König, von den ersten Boten früh­ morgens beim Erwachen benachrichtigt, sei aus dem Bett gesprungen und habe in keiner Weise vermocht, die Haltung eines Königs zu bewah­ ren ; von den nachfolgenden jedoch sei ihm wieder Mut gegeben worden, worauf er sich etwas beruhigt habe. Da er also wieder zu sich gekommen war, erkundigte er sich nach dem Befinden des Gefangenen und Wieder­ befreiten , und sie antworteten: "Fest steht, o König, daß man ihn übel traktiert hat und es ihm noch schlecht geht; und sicher hätte er e s euch durch uns bestellen lassen, wenn er wüßte, daß er bald kommen könne." Wie er das hörte , ging er beiseite und weinte , brachen ihm doch die Trä­ nen hervor und ließen sich nicht halten. Hierauf wurde Rat gehalten, und der König ordnete zunächst einen

Hoftag zu Mainz, sodann eine allgemeine Synode50 an. Und dort wurden jene drei nach dem Gesetz ausgestoßen und geächtet, ihre Güter zum Fiskus geschlagen; und schuldig des Majestätsverbrechens wurden sie

zum Tode verurteilt. Alle übrigen , die in das schwere V erbrechen ver­ wickelt ware n, ließ man wie S taatsfeinde verfolgen; über die Alemannen aber wurde mit Einwilligung der Fürsten von Schwaben zum ersten Herzog Purchard gesetzt5 1 , der Edelste und aufgrund seiner reichen Tu­ genden der Trefflichste jenes Stammes. Ihm wurden auch die eingezoge­ nen Güter der Verurteilten zu Lehen übertragen; davon ausgenommen blieb Perchtas Mitgift , die ihr auf besondere Weisung hin bestätigt wur­ de, da sie ihrem Mann nicht beigepflichtet hatte. Als aber der Bischof beim Herzog Aufschub für die Verurteilten erbat, um für sie vom König womöglich Verbannung zu erwirken, hielt sie der Herzog einige Tage in Haft . Der König aber wurde von ihm wiederholt bestürmt , bis er endlich befahl , sie hinzurichten. Voller Trauer über ihren gewalt­ samen Tod52 gewährte der Bischof ihnen doch die Bestattung bei der Kirche, nachdem er ihnen noch im Leben, soviel an ihm lag, verziehen hatte.

2 1 . Der König aber überließ jene verhaßte Burg - 53Ursache so gro­ ßen Übels53 - dem heiligen Otmar zur Z erstörung. Und in jedem Jahr, solange er lebte , schickte er, wie ein Sohn jener Mörder54 , für den gleich­ sam eigenhändigen Frevel gegen Otmar einen persönlichen Kopfzins in 50 Es dürfte d ie Synod e von Hohenaltheim (20. September 916) gemeint sein. 5 1 917; er war freilich Gegner des Königs. 52 21. Januar 917. 53 - 53 Vgl. Sap. 14, 27. 54 W arin und Ruodhard .

54

Casus s. Galli 21

dolfus postea, Welfhardi comitis pater, cum eiusdem quide m prosapi� fuerit, i n censu calibum d e metallo Faucium Iuliar u m fecit . Sed i d ipsum W elfhardus e t Henricus, filii eius, aliquot annis dum facerent, motus rubore Henricus, quasi homo sit censarius, fratre invito censum supersedit. Accidit autem, ut in vigiliarum sancti Otmari die fratres ambo capreum venantes , in cacumen quoddam rupis artissim� ducti, lassi cum consedissent, repente petra, super quam Henricus sedit, collapsa, adolescens ille magn� indolis, pro dolor, in profundissimas valles rueret et periret55• Vix spiritum habere poterat mater orbata . S cripturi nunc sumus , quod vidimus. Necdum luctu finito, cum filio et filia unicis ad pedes sancti cum muneribus et calibe supersesso venit; quod in censu non soluto peccatum est, tres56 pro se et defuncto peni­ tuerunt. S alamon autem videns fortunam, ut solet, ludicra rot� reciprocare57 , immo Deum in se non occultis indiciis potentiam suam ostendere , apud imperium severus accusator sui, permiss o dato Romam petiit58 flens e t eiulans atque dicens: "59Merito h� c passus sum59, quia 60peccavi coram Deo i n caelum60 • Veniam pete­ re habeo ab ipso, miserante me Petro." A papa vero benigne sus­ ceptus , cum ibi supplicans aliquandiu moraretur, indulgentiam sibi ab eo plorans petiit - maxime autem, quod sui causa tres illi quidem decapitati sint - : penitenti� quem vellet modum, sibi, rogavit, inponeret. Tandem autem ab apostolico indulgentiam adeptus, domum redire laetanter aggreditur. Reliquiisque sanc­ torum donatus quam plurimis, maxime animo toto reditu suo contenderat, quomodo illas , quam decentissime posset, domum veniens honorificaret: pr� caeteris autem corpus Pelagii marty­ ris, in cuius die61 inimicis suis subactis ipse liberatus est a vincu­ lis . Qui cum multorum miraculorum virtutibus insignis esset, cottidie rumor eius non solum proximas sed et exteras Constan­ tiam fecit orandi causa turmatim confluere regiones.

55 S e i n T o d fällt noch vor d a s Jahr 1000. 56 G räfin Ita mit ihren Kindern Welf und 57 V gl. Boeth. consol. 2, 1.

Richardis.

Tod des Welfen Heinrich. Salomo in Rom

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Wachs an sein Grab. Dies tat nun später auch Rudolf, der Vater des Gra­ fe n Welfhard, da er ja von derselbe n Sippschaft war, in einem Zins von S tahl aus dem Bergwerk von Füssen. Aber auch seine Söhne Welfhard u n d Heinrich taten während einigen Jahren desgleichen, bis Heinrich , gegen den Willen seines Bruders , die Abgabe unterließ, aus Scham, er möchte als zinspflichtiger Mann erscheine n. Es geschah aber, daß am Vortag von St. Otmar beide Brüder einen Steinbock jagten; dabei gerie­ ten sie auf die S pitze eines ganz schmalen Felsens, und wie sie sich er­ schöpft niedergelassen hatten, löste sich plötzlich der Stein, worauf Heinrich saß, und der befähigte Jü ngling stürzte - o Schmerz ! - zu­ tiefst ins Tal und kam um sein Leben55• Kaum vermochte die beraubte Mutter bei Sinnen zu bleibe n. Nun wollen wir schreiben, was wir selbst erlebt haben. Noch war die Trauerzeit nicht beendet, als die Mutter mit dem einzigen Sohn und der einzigen Tochter zu Füßen des Heiligen kam mit Geschenken und dem schuldig gebliebenen Stahl ; was durch Verwei­ gerung des Zinses gesündigt worden war, dafür taten die drei56 Buße für sich und den Toten. S alomo aber erkannte , daß Fortuna das Spiel des Rades nach ihrer A rt wieder zurückdrehe5 7 , ja vielmehr, daß Gott in sichtbaren Z eichen an ihm seine Macht offenbare ; und er ging vor dem König mit sich selber hart ins Gericht, und da er die Erlaubnis erhielt, zog er weinend und kla­ gend nach Rom58 , indem er erklärte : "59 Zu Recht habe ich das leiden

m ü ssen5 9 , 60 weil ich vor Gott gegen den Himmel gesündigt habe 60 • Mit Petri Erbarmen werde ich ihn um Vergebung bitte n." Der Papst nahm ihn aber gütig auf, und als er dort eine Z eitlang gnadenflehend verweil­ te , erbat er sich unter Tränen Ablaß von ihm - insbesondere deshalb , weil jene drei ja seinetwegen enthauptet worden seien - und bat, ihm jede Art von Buße, die er wolle , aufzuerlegen. Da er aber endlich die Ab­ solution beim Papst erlangte, machte er sich frohgemut daran, nach Hause zu kehren. Und mit gar vielen Heiligen-Reliquien beschenkt, be­ schäftigte ihn während der ganzen Reise vor allem der Gedanke , bei sei­ ner Heimkehr diese Reliquien möglichst geziemend zu Ehren zu brin­ gen: allen voran aber den Leib des Märtyrers Pelagius, an dessen Tag61 seine Feinde unterlagen und er selber aus der Gefangenschaft befreit wurde. Und da dieser Heilige sich durch die Kraft vieler Wunder aus­ zeichnete, ließ sein Ruhm Tag für Tag nicht nur die benachbarten, son­ dern auch entfernte Regionen scharenweise zum Gebet nach Konstanz zusammenströmen. 5 8 Urkundlich nachweisbar wäre Salomo einzig 904, also lange vor den hier erzählten Ereignissen, in Rom gewesen.

59 - 59 V gl. Genes. 42, 2 1 . 60 - 60 V gl. Luc. 15, 18.2 1 . 6 1 28. August.

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Casus s. Galli 21/22

O pinabile autem erat , in quantum se post reditum suum in virtutibus christus Dei exercuit: quam assiduus nocte dieque in precibus , quam largus in dando, maxime autem pauperibus , quam promptus e t assiduus i n pacificationibus . 2 2 . Accidit autem, u t , eo quidem domum reverso, Hatto archi­ episcopus , sodes utique, ut sibimet dicebant , suus, Italiam ius regium exacturus tendens , Constantiam deveniret . Aiebant autem illum Magontinis suis minus confisum totum, quod in thesauris haberet, sodali suo, dum rediret, commissurum secum tulis s e . Erat autem sodalitatis illorum, quoniam ambo acutissimi erant, ius mirabile . Nam uterque illorum, in quo alterum in verbis et in rebus per astuciam decipere posset, agere solebat. Ut in cantha­ ro quodam, quo Salomon utebatur, gemmato gravissimi ponderis aureo. Quo cum uterque, ut solebant, coram convivis ieiuni aquam quasi vinum potarent, Salamon autem in conclavi vase quodam fYneo mire figurato ad aquam inferendam uteretur, Hatto abiturus inter CfYtera viro ait : "Vas illud aqufY" , inquit, "quo in conclavi tuo uteris , mihi, sodes, tribu e ! " Quo hilariter annuente Hatto pincern'Y ait latenter: "Coppam auream domini tui, quon­ iam sie ego et sodes meus" , inquit, "condiximus, pincern'Y meo confestim offerto !" Quod mox, uti ille iussus est, fecerat. Ablata est coppa, fraude amica interim tecta. At Salamon mensa sequenti dum eam exegisset, deceptum se sentiens: "Enimvero si vixero, idem illi modius remetietur." T hesaurosque suos postea, uti praemisimus , sodali suo sodes eo pacto, ut, si defunctum audiret, pro animabus amborum, qui­ bus vellet, eos dilapidaret, abiens consignaverat. Vix mensis, ut aiunt, abiit , et mercatores ab Italia redeuntes defunctum Sala­ mon diffamare per nuntios praemonuit. Doloreque ad horam si­ mulato, scriniis reclusis multos denarios distribuit pauperibus . Fabrorum quoque copia contracta , chantharum quondam suum primo dispertiens, sarchofagum illud magnificum, quod hodie mi­ ramur , sancto Pelagio ex auro viri et gemmis electis compegit; martiris ossa solemniter intulit. Crucem �Ytiam illam honoran­ dam sanct'Y MarifY , Tuotilone nostro anaglifas parante, ex eodem auro et gemmis mirificavit. Altare vero sanct�Y Mari�Y et analo­ gium ewangelicum, eiusdem fratris nostri artificio in locis

Salomo und Hatto

57

Preiswürdig aber war es, wie sehr sich der Gesalbte des Herrn nach seiner Wiederkehr in Tugenden übte: wie eifrig war er Tag und Nacht beim Gebet, wie freigebig im Schenken, namentlich an die Armen , wie bereitwillig und unermüdlich im Friedenstiften. 22. Es geschah aber, daß nach Salomos Heimkehr Erzbischof Hatto nach Konstanz kam; der war durch dick und dünn sein Kumpan, wie sie sich selber nannte n , und wollte eben nach Italien , wo er des Königs Recht ausüben sollte. Man sagte aber, aus Mißtrauen gegen seine Main­ zer habe er alles, was er an Schätzen besaß , mit sich geführt, um es bis zu seiner Wiederkehr seinem Kumpan anzuvertrauen. Da nun beide sehr gewitzt ware n , so galt in ihrer Kumpanei eine wunderliche Sat­ zung. Nämlich: ein jeder pflegte es darauf anzulegen, den andern durch Listigkeit in Wort und Tat, wo er nur konnte, zu düpieren. Wie beispiels­ weise in dem Fall mit der Kanne, die Salomo in Gebrauch hatte; sie fun­ kelte von Edelsteinen und war aus schwergewichtigem Gold. Aus ihr tranken die beiden vor Gästen gewohnterweise nüchtern ihr Wasser, als wäre es Wein; indessen benützte Salomo in seinem Gemach zum Wasser­ holen ein wunderbar in Erz getriebenes Gefäß. Da sagte denn Hatto beim Aufbruch unter anderem zu ihm: "Jenes Wassergefäß , das du in deinem Gemach gebrauchst, Kumpan, schenk es doch mir ! " Und als S alo­ mo fröhlich nickend seine Einwilligung gab, wandte sich Hatto verstoh­ len an den Mundschenk: "Bring den goldenen Humpen deines Herrn un­ verzüglich zu meinem Schenken, denn so haben ich und mein Kumpan miteinander ausgemacht." Und alsbald tat der Schenk, wie er geheißen. Der Humpen kam fort, und vorerst blieb der Freundesbetrug noch un­ e ntdeckt . Doch als Salomo bei der nächsten Mahlzeit nach dem Gefäß verlangte , merkte er, daß er hintergangen war , und er schwor: "Bei meinem Leben, ihm wird mit gleichem Maß wiedergemessen!" Wie wir vorausgeschickt habe n , überließ der Kumpan, als er dann fortzog, seine S chätze seinem Kumpan, und zwar mit dieser Klausel, daß Salomo , sollte er hören , Hatto sei gestorben, sie zu ihrer beider Seelen­ heil verschenken könne, an wen er wolle. Kaum war, wie es heißt, ein Monat vergange n , und Salomo ließ Kaufleuten , die aus Italien zurück­ kamen, durch Boten einschärfen, sie sollten das Gerücht verbreiten, Hatto sei gestorben. Und nachdem er zur Stunde Schmerz geheuchelt, schloß er die S chreine auf und verteilte viel Geld unter die Armen. Er versam­

melte auch eine ganze Anzahl von Golds �,;p mieden und ließ als erstes sei­ ne einstige Kanne zerteilen und aus dem Golde Hattos und erlesenen Edelsteinen jenen prachtvollen Sarkop hag, den wir noch heutzutage be­

wundern, für den heiligen Pelagius zusammenfügen; dann legte er feier­ lich

die Gebeine des M ärtyrers hinein. Auch jenes e hrwürdige Kreuz der

heiligen Maria ließ er aus dem gleichen Gold und Geschmeide wunder­ bar herrichten , indes unser Tuotilo die Reliefarbeiten schuf. Den M arienaltar

und das Lesepult für das Evangelium, die an passenden

58

Casus s. Galli 22/23

congruis deaurata, Hattonis sui de scriniis vestivit argento et . dyptivit, ut videre est, ex auro electo. S ancto Gallo �tiam, in nullis fortuniis immemor eius, duas ta­ bulas eburneas de eisdem scriniis attulit, quibus alias magnitudi­ ne equipares rarissime videre est: quasi sie dentatus elephans aliorum fuerit gigas. Erant autem tabul� quondam quidem ad scribendum cerat� . quas latere lectuli soporantem ponere soli­ turn in vita sua scriptor eius Karolum dixit62 • Quarum una cum sculptura esset et sit insignissima, altera planiti� politissima, Tuotiloni nostro politam tradidit sculpendam. Quibus longioris et latioris moduli Sintrammum nostrum scribere iussit ewange­ lium, ut, quod tabulis habundaret, auro et gemmis Hattonis ornaret63• Hoc hodie est ewangelium et scriptura, cui nulla, ut opinamur, par erit ultra; quia, cum omnis orbis cisalpinus Sint­ rammi digitos miretur, in hoc uno, ut celebre est, triumphat. Mirari autem est hominem unum tanta scripsisse, quia in nomina­ tissimis locis plerisque harum regni partium Sintrammi caracteris libri, sancti Galli obsides, habentur. Sed et hoc in homine mirabile erat et singulare , quod, cum delicata eius scriptura iocunde sit directa, raro in pagina vel unius verbi mendacium invenias rasum. 23. Rediit dives ille ab Italia ditissimus, neque iam dampnum istud sentire habebat. Nam prius abiens cum Pelagii eum mira­ cula terrerent aspecta magnisque eum laudibus prosecutus ho­ norare eum disponeret , cum rediret ; dispendium tarnen gaz� cum C humo propians audiret, sodalern suum omnium hominum submurmurat versutissimum. Multaque in illum cum spiritu in­ fremeret, tristius agebat . Curi�que sibi cum multis occursantem cum alloqui nollet, ita conventus est a suis : "Hoc vos ludricum, pater, si semper decuit, si per hanc aleam semper alter alterum dec�pistis et tabulam, patere et te nunc dec�ptum, sicut et ille multotiens, ut bene scimus , dec�ptus est." Salamone autem iura­ tores ei praeponente , non aliter se, quam ut condixerant, egisse, vix tandem alloquio eius frui valuit. Comperto autem, quod maior 62 Einhard, Vita Karoli Magni, Kap. 25. 63 Cod. 53, das sog. Evangelium longum.

Nach J . Duft und R. Schnyder, Die

Elfenbein-Einbände der Stiftsbibliothek St. Gallen (1980), bildeten die duae

Das Evangelium longum - Hattos Zorn

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Stellen durch die Kunstfertigkeit desselben St. Galler Bruders vergol­ det waren , ließ er mit dem Silber aus den Schreinen seines Hatto aus­ kleiden und, wie man sehen kann, mit erlesenem Gold einfassen. Auch überließ er dem heiligen Gallus, den er in keinem Augenblick des G lücks v ergaß , aus den nämlichen Schätzen zwei Elfenbeintafeln von unvergleichlicher Größe, wie man sie sonst nur ganz selten zu sehen bekommt: als sei der mit solchen Z ähnen bewaffnete Elefant unter sei­ n e s gleichen ein Riese gewesen. E s waren aber ehemalige Wachstafeln zum Schreiben, wie sie, laut seinem Biographe n , Kaiser Karl beim S chla­

fe ngehen gewöhnlich neben sein Bett gelegt haben soll6 2• Die eine war und ist mit Bildwerk herrlich ausgeziert; die andere war von feinster Po­ litur, und eben diese polierte übergab Salomo unserem Tuotilo zum Schnitzen. Dazu dann hieß er unseren Bintram ein Evangelium von län­ geren und breiteren Maßen schreiben , um den mit seinen Tafeln prun­ kenden Band mit Hattos Gold und E delsteinen zu schmücken63 • E s ist dies heute ein E vangelienbuch und eine Schrift , dergleichen e s unseres E rachtens nicht mehr geben wird. Denn in diesem einen Werk erlebt die Kunst Sintrams, dessen Finger ja alle Welt diesseits der Alpen bewun­ dert, bekanntlich ihren höchsten Triumph. Erstaunlich bleibt jedoch, daß ein einziger Mensch so vieles geschrieben hat, besitzt man doch an den meisten bedeutenden Orten in diesem Teil des Reiches Bücher in B intrams Schrift als Bürgen des heiligen Gallus. Doch auch das war an ihm bewundernswürdig und einzigartig: indes seine elegante Schrift durch ihre Stetigkeit besticht, findest du auf einer Seite kaum je ein ein­ ziges falsches Häkchen radiert. 23. Jener reiche Mann kehrte aus Italien sehr reich zurück, und noch konnte er jenen seinen Schaden nicht ahnen. Denn als er damals auf­ brach, erfüllten ihn die geschauten Wunder des Pelagius mit Schrecken, u n d er pries den Heiligen hoch und nahm sich vor, ihn zu verherrlichen, wenn er wiederkehre ; wie er jetzt aber auf dem Anmarsch von Corno her von dem Verlust des Schatzes erfuhr, brummte er bei sich, sein K umpan sei der durchtriebenste aller Menschen. Und während er im Geiste hef­ tig wider ihn ergrimmte, war er gar finsterer Laune. Und da ihm Salomo zu Chur mit vielen entgegenkam und er nicht mit ihm reden wollte , muß­ te er sich von seinen Leuten dies sagen lassen: "Wenn euch, Vater, die­ ses Spiel allezeit schicklich war und wenn ihr mit diesem Würfel und Brett einander allezeit betrogen habt, so leide es jetzt, daß du ebenfalls betrogen bist, so wie auch jener, wie wir wohl wissen, des öfteren betro­ gen worden ist." Salomo aber bot ihm Eideshelfer an, daß er nicht an­ ders gehandelt habe, als sie vereinbart hätten, und vermochte schließ­ lich mit Mühe wieder ins Gespräch mit ihm zu kommen. Als nun Hatto

tabulae nicht bloß zwei Einzeltafeln, sondern zwei ganze Tafelpaare (Dipty chen), die je für einen Band (Cod. 53 und Cod. 60) Verwendung fanden.

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Casus s. Galli 2::1

pars adhuc sibi supererat, cum quietior iam aliqui d esset, S a­ lamon ait: "Fidei violat� innoxium vel in hoc, sodes, certus esse poteris , quod cantharum meum, quem mihi iure assumere pos­ sem, pro anima tua carissima primo partitus sum. Sed et amplius pace tua, sodes amand�, loqui liceat. Bene enim et optime tecum actum noveris, velim. Elemosin� enim, qu� obiturn praecedunt, certiores et Deo sunt, quam qu� sequuntur, cariores . Modo quidem si �tiam ad tuos vivus perveneris , quod nescis, casuque, qui ignotus est, obieris , paucissima de scriniis tuis post te qui­ dem daturi sunt tibi." Tandem in pristinam redeunt condicto mutuo sod alitatem , ut ultra neuter alterum nec serio deciperet nec ioco. Veniens Hatto Constantiam festiveque receptus sarcophago Pelagium precaturus appropiat. Miratur opus tantum tarn brevi peractum . Miratur et crucem lapidibus christallinis circumclu­ sam. Amplexatus sodalem, ut de tanto thesauro suo vel illam sit asportandi sibi permissio, osculis rogat. Et ille: "Si civium", in­ quit, "sedicionem non vererer, permittere poteram." Dietoque citius ab audientibus urbs undique concluditur. Querenti, quid id utique esset: sua precia, inquiunt cives, in cruce esse quam maxi­ ma, nolleque nec episcopo suo iubente sanct� Mari� oblata dimit­ tere . Et ille: "Quod meum est", inquit , "mihi liceat abducere." Il­ lis autem non ad votum sibi respondentibus, Salamon illi silentio : "Sine illos ! " , inquit; "quia aptiori tempore , si a b incepto n o n desi­ stis, cavea inclusam, quocumque mihi dixeris, nave terrave eam tibi mittam." Sedato tandem animo turbam ille dimisit. Dein Const�ntia relicta abiit in sua. Parvo autem post tempore confec­ tus Italica febre , cruce non exacta, diem obiit64• Sicque in verba Salamonis tanquam prophetica devenit. Egit tarnen ille pro ani­ ma eius precibus et opibus, quantumcumque potuit . Scrinia eius palatio a ddicta sibi non proderant. Sapientia autem equivoci sui anti gua65 Salomon noster amici sui animam, ut diximus , auro suo, vellet nollet, forte redemerat . Et ut vellet, artifex acutus tan­ dem effecerat.

Aussöhnung mit Salomo. Hattos Tod

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erfuhr, daß ihm der größere Teil immer noch geblieben sei, und er schon etwas beruhigter war, sprach Salomo: "Daß ich nicht des Treubruchs schuldig bin, Kumpan, kannst du mit Sicherheit schon daraus ersehen, daß ich für deine teure Seele als erstes meine Kanne zerteilen ließ, die ich rechtens doch an mich nehmen konnte . Aber, verzeih mir, lieber Kumpan, ich darf noch weiteres sagen. Ich möchte nämlich, du wissest, daß e s dir gut, sehr gut, ergangen ist . Die Almosen nämlich , die dem Tod vorausgehen, sind verläßlicher und Gott lieber als die hinterher kommen. Wenn du nun auch lebend zu den Deinigen gelangst, was du nicht wissen kannst, und du durch einen Zufall , der noch verborgen ist, stirbst, werden sie aus deinen Schreinen gewiß das wenigste dir in die E wigkeit nachsenden." Z uletzt kehrten sie zu ihrer früheren Kameradschaft zurück, wobei sie sich gegenseitig verpflichteten, daß fernerhin keiner mehr den andern hinterge he, weder im Ernst noch im S cherz. Wie Hatto dann nach Konstanz kam, trat er nach festlichem E mpfang a n den S arkophag, um zu Pelagius zu beten. Er bewunderte das so rasch und herrlich vollendete Werk. Er bewunderte auch das mit edlen Kri­ stallen besetzte Kreuz. Unter Umarmungen und Küssen bat er den Freund, von seinem großen Schatz wenigstens das mitnehmen zu dür­ fen . Und Salomo sprach: "Müßte ich nicht einen Aufruhr der Bürger be­ fürchten, könnte ich es zulassen." Kaum war das Wort gesagt , als die S tadt von denen, die es hörten, nach allen Seiten hin abgeriegelt wurde. Auf die Frage, was dies denn bedeute, erwiderten die Bürger: ihr weit­ aus kostbarster Besitz bestehe in dem Kreuz; und nicht einmal auf Be­ fehl ihres Bischofs wollten sie fahren lassen, was der heiligen Maria dar­ gebracht sei. Und Hatto sagte: "Was mein ist, sollte ich doch fortführen dürfe n ! " Da sie aber seinem Wunsch nicht entsprachen , sagte Salomo insgeheim zu ihm: "Laß sie ! Wenn du von deinem Beginnen nicht abste­ hen magst, werde ich dir das Kreuz in eine Kapsel geschlossen zu geeig­ neterer Z eit zu Schiff oder Land schicken, wohin du mir sagst ." E ndlich beschwichtigt, ließ Hatto die Leute gehen. Dann verließ er Konstanz und ging fort nach Hause. Wenig später jedoch verzehrte ihn das italie­ nische Fieber, und er starb64 , ohne das Kreuz eingefordert zu haben. Und so ist e s auf Salomos gleichsam prophetische Worte herausgel)om­ me n . Dennoch tat jener für Hattos S e ele mit Gebeten und Spenden, so­ viel er nur vermochte . Keinen Nutzen hatte Hatto von seinen Schreine n , denn s i e fielen an den Hof. Vielleicht aber h a t in alter salomonischer W eisheit65 unser Salomo die Seele seines Freundes , wie wir erzählten, mit dessen Gold losgekauft , ob Hatto nun mochte oder nicht. Und daß er es mochte, hat Salomo als findiger Kopf schließlich durchgesetzt. 64 15. Mai 913. 65 V gl. Prov . 13, 8.

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Casus s. Galli 24

24. Patravit quoque multa Salomon studiis suis in honor e m sanct� Mari�66 n e c n o n e t Galli unici sui, i d e s t libros, vasa, v e­ stes varias ; scribere iubens in aliquibus �vo longiore duraturis: Tertius h�c agi� Salomon dat dona Mari� . Tercius h�c almo Salomon dat munera Gallo. Nec hoc quidem pretereundum, quod aliquando pridie palma­ rum, id est sabbato, quo papa vacat et elemosinam dat, cum pri­ mo sole ipse per se omnibus urbis sive regionis dispersisset pau­ peribus, fatigatus his, ut solebat, in �cclesia orationi prostratu s iacebat. Inter orandum autem vigiliis Iongis soporatus cum ob­ dormiret essetque iam circa horam quidem terciam, expergefac­ tus conclavim festinus intraverat. Antiphonamque "Pater iuste" secum silentio cantitans: "0 " , inquid , "quali studio et vocibus fu­ turam diem fratres mei apud sanctum Gallum sunt acturi! Ster­ natur utique" , ait, "ambulatrix mea quantocius , quia istam ipse vespere levaturus sum antiphonam." Ascendensque e quitem il­ lam velocissimam quesitus, quos secum vellet: "Utinam", inquit , "omne s ! " Suis autem procuratoribus, ut necessaria victui, qu�que possent, post se transmitterent, edixit. Sicque urbano­ rum populus plurimus pedibus, navibus , equis post illum nocte dieque cucurrerant . At ille spiritu Dei vectus circa nonam aderat

c�nobio antiphonamque praeoptatam ipse in ewangelium levavit et clare percantavit . C�nam fratribus caritativam hilariter exhi­ buit. Quod reliquum diei erat, mandato et pauperibus inpende­ bat. Crastinam autem processionem ad mansionariam suam sanct� crucis disponens �cclesiam67, in proximo prato stationari iussit. Ibi de gradibus ligneis Esdras68 Domini populum legem novam edocuit . Et quod Esdr� veteri non licuit, indulgentiam de­ dit . Gradibus descendens omnem plebem, qu� aderat, missis per­ solutis in pratum ipsum ad panis rogaverat confractionem. Quid dies illa consumpserit , Dominus solus novit, 69qui hospes verus in prandio illo collectus est69 et cibatus. Ibant refecti singuli in sua gaudentes et laudes dantes Deo, grates sancti Galli c�nobio.

Palmsonntagfeier in St. Gallen

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24. Z u E hren der heiligen Maria66 wie seines unvergleichlichen Gallus hat S alomo vieles auch durch eigene Bemühungen angeschafft, nämlich Bücher, Gefäß e , verschiedenerlei Gewänder; dabei ließ er einige Dinge von größerer Dauerhaftigkeit mit einer Inschrift versehen: " S alomo der Dritte stiftet die Gabe der heil'gen Maria. Salomo der Dritte stiftet die Gabe dem heiligen Gallus ." Und auch das folgende darf nicht übergangen werden : E s war am Tag vor Palmsonntag, das heißt an dem Samstag, da der Papst keine Messe liest, sondern Almosen spendet. Seit Sonnenaufgang hatte S alomo per­ sönlich an alle Armen aus der Stadt und Umgebung Gaben verteilt; hier­ von ermüdet, lag er nun, wie er immer tat, zum Gebet hingestreckt in der Kirche. Aber eingeschläfert durch die langen Wachen, schlummerte er unter dem Beten ein, und als er wieder erwachte, da war es wohl schon um die dritte Stunde. Eilends ging er in sein Gemach und sang leise für sich die Antiphon >Pater iuste< . " Ach", rief er, " mit welchem Eifer und S timmenklang werden meine Brüder in St. Gallen den kommenden Tag begehen! Auf alle Fälle", so gebot er, " soll man schleunigst meinen Z el­ ter satteln, denn ich selber will zur Vesper diese Antiphon anstimmen." Und als er jene schnellfüßige Stute bestieg und man ihn fragte, wen er mitnehmen wolle, gab er zur Antwort: " Am liebsten alle ! " Seinen Ver­ waltern aber befahl er, an Lebensmitteln soviel wie möglich hinter ihm her dorthin zu schicke n . Und also eilte sehr vieles Stadtvolk auf Füßen, Schiffen , Pferden Tag und Nacht ihm nach. Doch er, vom Geiste Gottes getragen , war schon um die neunte Stunde im Kloster; selber nun stimmte er die Evangelien-Antiphon an, nach der er geschmachtet, und sang sie mit wohlklingender Stimme zu Ende. Den Brüdern bot er dann fröhlich ein Liebesmahl. Den Rest des Tages wandte er an die Fuß­ waschung und an die Armen. Die Prozession des folgenden Tages aber ließ er zur Heiligkreuzkirche67 bei seinem Absteigeplatz lenken und auf der anstoßenden Wiese haltmachen . Dort unterwies er von einer hölzer­ nen Kanzel herab wie E sra68 das Volk des Herrn im neuen Gesetz. Und was dem alten Esra nicht verstattet war: er erteilte Sündennachlaß . Und er stieg von der Kanzel herab, und nach Vollendung der Messe lud er alles anwesende Volk zum Brechen des Brotes auf die Wiese. Was jener Tag aufgezehrt hat, weiß allein der Herr, 69der bei jenem Mahl als der wahre Gast aufgenommen69 und gespeist worden ist. Erquickt und erfreut gingen sie nach Hause , Mann für Mann; sie priesen Gott und dankten dem Kloster des heiligen Gallus.

66 D . h. der Konstanzer Kathedrale. 67 D . i. zur St. Magnuskirche. 68 Vgl. 2 . Esdr. 8, 4. 69 - 69 V gl. Matth. 25, 35.

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Casus

s.

Galli 25/26

25. At vir Domini videns se �tate iam graveseere, post paseha proximum adiit palatium et omnia loea, qu� Constantiam sive ad alia monasteria studio proprio vel regum eonquisivit munifieen ­ t i a , eartis e t sigillis tune regis ChuonradF0 fecit roborari. Erant autem, qu� saneto Gallo eonquisierat. Abbatia Favariensis lon­ gum dietu, qualibus per illum saneto Gallo qu�sita et stabilita sit artibus71 • Cuius quidem fere omnium loeorum eart�. qu� tune ad illam pertinebant, in s aneti Galli adhue hodie servantur armario . Qualiter autem saneto Gallo ablata sit, loeo suo dieere habebimus72• Sunt et alia multa, qu� saneto Gallo eonquisierat lo­ ea, qu�, quia senes interrogati in armario qu�ri oportere tarn plu­ rima dieerent, intaeta reliquimus , hoe verissime asserentes , quia prae omnibus, qu� rexit, monasteriis Gallo suo semper eonquisi­ vit. Tradidit autem Arnoldus quidem rex ei quandam villam in Ararispago , Chollinehoven dietam , sibi in possessionem. Quam rogatus ut Constantiae daret, Gallo suo daturum pollicitus obiens peregit. Multa sunt �tiam, qu� per eoneambium ei adqui­ sivit , qu� item in eartis armarii, qui scire voluerit, legere poterit. Tantis pro donis sit pax anim� Salamonis. Qui et de abbatiis aliquando Augensi et Sanetigallensi requisi­ tus, si neutram haberet, utram mallet: "Augensis quidem est la­ tior et ditior; saneti Galli autem eommodior et saturatior est. C ommoditas talentum", inquit, "valet. 73Hane quia exquisivi a iu­ ventute mea et amator faetus sum form� illius73, semper praeha­ bui." Hune ergo tantum virum dileetum sibi et hominibus eum ad s e reeipere vellet Dominus, nativitatem quidem suam nobiseum ut sanus ageret et laetissimus , saneto Gallo eoneessit. 26. Cumque quatuor singulis diebus verbo Domini, quo semper habundaverat, prae omnibus diebus suis abundantius populum paseeret, mane post innocentum diem Constantiam pergere eum disponereF4, fratribus valedietis s eolas praeteriit. Erat autem hie dies seolarium. Hostium quoque , ut, quomodo se haberent, perspieeret, aperuit et intravit. Erat utique ius illorum, sieut ad­ hue hodie quidem est, quoniam exleges quidem sunt, ut hospites

70 Damals bereits tot. 71 S ie kam 909 als Schenkung

S alomos an St. Gallen.

Salomos Gunst für St. G allen - Letzter Besuch

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25. Aber in der Erkenntnis, daß das Alter anfing ihn niederzudrücken, ging der Gottesmann nach dem nächsten Osterfest an den Hof und ließ

alle Güter, die er an Konstanz oder andere geistliche Orte durch eigenes Bemühen oder dank der Freigebigkeit der Könige gebracht hatte , mit

Brief und Siegel des damaligen Königs Konrad7 0 bestätigen. Bestimmte Örtlichkeiten aber hatte er für St. Gallen erworben . E s würde zu weit führen zu schildern, mit welchen Kunstgriffen von seiner Seite die A btei Pfäfers für St. Gallen errungen und gesichert worden ist7 1 • Noch heute werden ja ihre Urkunden für fast allen Besitz, der damals zu ihr gehörte, im Archiv von S t . Gallen verwahrt. Wie man dann aber Pfäfers St. Gal­ len e ntrissen hat, werden wir an seinem Ort erzählen müssen72 • Noch viele andere Besitzungen hat S alomo für St. Gallen erworben ; wir lassen sie unerwähnt, weil die Greise auf e ntsprechende Fragen erklärten, es müsse gar so vieles im Archiv gesucht werden, und versichern nur dies aufs wahrhaftigste, daß Salomo vor allen Klöstern, die er regierte, stets sein St. Gallen mit Erwerbungen bedacht hat. Nun gab ihm aber König Arnulf ein Hofgut im Aargau, Köllikon genannt, zu seinem Eigen. Man bat ihn, e s an Konstanz zu schenken, doch hatte er es seinem Gallus ver­ sprochen, was er bei seinem Tode auch einhielt. Vieles hat er ihm ferner durch Tausch erworben , und wer es wissen will, kann das gleichfalls in den Akten des Archivs nachlesen. Salomos Seele sei Frieden für all die Gaben beschieden. E inmal auch über die Reichenau und St. Gallen befragt, welche A btei er v orziehen würde , wenn er keine von beiden hätte , gab er zur Ant­ wort: "Die Abtei Reichenau ist wohl stattlicher und reicher; aber die des heiligen Gallus ist behaglicher und behäbiger. Die Behaglichkeit wiegt G old auf. 73Ich habe mir diese Abtei von Jugend auf ersehnt und habe ihre Schöne liebgewonnen73, und darum zog ich sie immer vor." Da also der Herr diesen so bedeutenden , von ihm und den Menschen geliebten Mann zu sich nehmen wollte, gewährte er St. Gallen die Gnade , daß er wenigstens noch sein Geburtsfest gesund und in aller Fröhlichkeit bei uns feiern durfte. 26. Und an den vier einzelnen Tagen weidete er das Volk mit des Herrn Wort , von dem er allezeit erfüllt war, noch reichlicher als an allen Tagen seines Lebens . Am Morgen dann nach dem Tage der Unschuldi­ gen Kindlein gedachte er nach Konstanz aufzubrechen74 , und da er von den Brüdern Abschied genommen hatte , ging er an der Schule vorüber. E s war dies aber der Tag der Schüler. Er öffnete auch die Tür, um zu prüfe n , wie sie sich aufführten , und trat ein. A n kein Gesetz gebunden, hatten sie, wie es ja heute noch gilt , unbedingt das Recht , eintretende 72 Kap. 70 ff. 73 - 73 Vgl. Sap. 8, 2. 74 A lso am 29. Dezember.

Casus s. Galli 26/27

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intrantes capiant, captos , usque dum se redimant, teneant. Ille vero uti dominus loci securus in medium illorum progressus cum staret: "Episcopum", inquiunt inter se, "non domnum abbat e m capiamus ! " Ille vero libentissime h o c perpessus, quomodolibet s e tractare vellent, consensit. Capientes vero illum in magistri posuerunt, vellet nollet, solium. Et ille : "Si in magistri" , inquid, "solio sedeo, iure eius uti habeo. Omnes exuimini!" At illi incunc­ tanter id agentes, liceret sibi , tandem rogant , ab ipso se, sicut a magistro soliti sint, redimere. Cum ille subiunxisset: "Quomodo?" , parvuli Latine pro nosse, medii rithmice, c�teri vero metrice, quasi pro rostris rhetorice �tiam illum affantur . Quorum duorum , quoniam a patribus verba recepimus , unus : "Quid" , inquit, "tibi fecimus tale, ut nobis facias male? Appellamus regem, quia nostram fecimus legem." At alter versificator inquit: "Non nobis , piae , spes fuerat , cum sis 75novus hospes75, Ut vetus impeius• transvertere tute velis ius ." Et ille , cum studiis loco sancti Galli semper inolitis iocundaretur suis temporibus adhuc solide stantibus, omnes ita, ut erant in li­ neis , exsurgens amplexatus et osculatus: "Induite ! " , inquit. "E nimvero si vixero" , ait, "me redimam et talem indolem remu­ nerabo." Collectisque quantotius ante ianuam scolarum fratrum primis , statuit pueris illis et eorum perpetuo posteris pro testa­ mento: singulis annis ludi sui tribus ab imperio76 statutis diebus in eisdem scolarum edibus carnibus vesci et de abbatis curte sin­ gulos tribus donari �scis cottidie et potibus. Quod cum ipse qui­ dem annuatim praesens solvi iuberet, postea ita solutum est us­ que ad Ungrorum, de quibus loco suo dicturi sumus77, invasiones. Abiit tandem, quo disposuit, benedictis nostratibus et ultime, pro dolor, valefactis. 27. Peractis ergo missis Constanti� in octava nativitatis Domi­ ni die secretario residens capitis dolorem querebatur . Pauperi­ bus ergo, ut solebat, ante prandium suum hilariter consolatis , mensam cum fratribus e t civibus tenens largissimam, dolorem continenter tulit sicque diem ipsam in gaudiis peregit. Sole aua

st. in peius.

Salomo und die Klosterschüler

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G äste gefangenzunehmen und die Gefangenen festzuhalten, bis sie sich loskauften . Wie nun jener als H err des Klosters unbekümmert vor­ schritt und in ihrer M itte stehenblieb, sagten sie untereinander: . ,Wir wollen den Bischof, nicht den Herrn Abt ergreife n ! " Salomo aber ging mit dem größten Vergnügen darauf ein und ließ es sich gern gefalle n , wie immer s i e m i t i h m umgehen wollten . S i e aber packten ihn und setz­ ten ihn, ob er wollte oder nicht, auf den Sitz des Lehrers. Da sprach er: .,Wenn ich schon den Sitz des Le hrers innehabe , muß ich auch sein Recht üben. Z ieht euch alle aus ! " Sie taten es ungesäumt, baten dann aber, daß sie sich , so wie sie es vom Lehrer gewohnt seien, von ihm loskaufen dürften . Und a l s er dagegen fragte: .,Wie das?", redeten ihn die ganz Kleinen nach ihrem Wissen lateinisch an, die Mittleren rhythmisch, die übrigen aber metrisch, ja gar rhetorisch wie für die Rednerbühne. Von zweien haben wir die Worte von den Vätern überliefert bekommen; so sagte der eine: .,Was haben wir dir getan , daß du uns Böses tust an? Wir werden zum König gehen, da wir auf unserem Recht bestehen." Und der andere Verseschmied sprach: . ,Bischof, du 75neuer Gast75, wir waren doch gar nicht gefaßt drauf, Daß du das alte Recht verkehren möchtest in Unrecht . " Und voller Freude, d a ß d i e in S t . Gallen stets heimischen Studien auch noch zu seiner Zeit gediehen, erhob sich Salomo, umarmte sie alle, so wie sie in ihren Leinenhemden dastanden, küßte sie und sprach: .,Zieht euch an! Ja, bei meinem Leben," fuhr er fort , .,ich werde mich loskaufen und s o tüchtige Jugend belohnen." Und in aller E ile versammelte er vor dem Tor der Schule die Oberen der Brüder und verfügte letztwillig zugun­ sten jener K naben und all ihrer Nachfolger dies: Jahr für Jahr sollten sie a n den drei vom Herrscher76 festgesetzten Spieltagen dort in ihren S chulräumen Fleischkost bekommen, und jeder einzelne sollte dreimal täglich Speise und Trank vom Abtshof erhalten . Und während er diese Spende alljährlich in persönlichem Beisein ausrichten ließ , ist sie her­ nach in dieser Form weiter ausgerichtet worden bis zu den Einfällen der U n garn, über die wir an ihrer Stelle erzählen werden77• E ndlich ging S alomo hinweg, wohin er plante , nachdem er die Unsrigen gesegnet und ihnen, o Schmerz, zum letzten Mal Lebewohl gesagt hatte. 27. Wie er also zu Konstanz am achten Tage nach der Geburt des Herrn die Messe vollzogen hatte, klagte er, als er in der Sakristei saß, über Kopfschmerzen. Wie gewöhnlich nun tröstete er vor seinem Mahl fröhlich die Armen, dann hielt er mit Brüdern und Bürgern reiche Tafel und ertrug seinen Schmerz mit Fassung, und so vollendete er den Tag noch in Freuden. Am folgenden Morgen jedoch verschlimmerte sich sein 75 · 75 Verg. Aen. 4, 10. 76 Konrad I.; vgl. Kap. 16. 77 Kap. 51 ff.

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Casus s. Galli 27/28

tem sequente cum languor ingravesceret, missis circumquaque apparitoribus presbyteros , monachos et canonicos collegit, q u o citius potuit, precipue autem nostrates. I n octava igitur sancti Iohannis78 missas sustentatus agens, ab omnibus indulgentiam publice confessus petiit et dedit. Postea vero loca quedam non­ dum data sanct� Mari� et Pelagio, Gallo autem suo et Otmaro villam Chollinchovin super tabulam lecti sol ito iure canonum pro anim� requi� disponens dedit; multum rogans nostrates , quati­ nus aecclesiam ab eo in loco sancti Galli in honore sanct� crucis sanctique Magni constructam et sub regi� auctoritatis privile ­ giis dotatam tuerentur ibique servitium canonicorum minui non paterentur. In vigilia dein Theophani� confidentissimus in Domi­ n o diem obiit?9• In aecclesia sedis su� ad parietem d exterum mul­ tis suorum lacrimis fletus sepultus est. In cruce qu�sitam pretioso sanguine vitam Des cui , Christe, locis in paradysiacis . 28. Raro autem deinceps homo videndus est, in quem largitor omnium bonorum tantum suorum congerat donorum. Erat enim h omo praeter decore faciei dotem et stature procere doctus et disciplinatissimus. S cribendi lingua manuque artifex. Lineandi et capitulares literas rite creandi prae omnibus gnarus , ut in api­ cibus l et c longi ewangelii primis videre est80• Quas episcopus, ut aiunt, probans, quid in talibus adhuc posset, lineans aurificabat. Metro primus et coram regib us p l erumque pro l udicro cum aliis certator. Dicendi, praeter quod naturalis ei commoditas inerat, artifex erat. In palatinis et sinodicis eque valens conciliis. In eo loco, quo apostolus prophetas ponit81, nemo nobilior illo, adeo, ut raro in gradibus stans orator ille vehemens auditoribus promp­ tis lacrimas non eliceret. Favoribus quia aures interdum adhibe­ re solebat, se ipsum arguebat. Hoc malum, inquiens, esse, quod et iusti et optimi vix vitare valeant: "Quis enim tarn sanctissi­ mus", ait, "qui non dicta et facta sua recipi malit quam abici? Ili­ coque adest pestis illa, que Grece dicitur doxa, aurium inflatio magna82". Post elemosinarum cottidianas et pedum lavacri exhi78 3. Januar 919. 79 5. Januar 919.

Salomos Tod - Seine Persönlichkeit

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Z u stand; da ließ er überallhin seine Diener schicken und so rasch als möglich M önche , Priester und Domherren versammeln, vorzüglich aber die Unsrige n. Am achten Tage denn nach St. Johannis 7 8 hielt er, auf­ recht gestützt, Messe, legte öffe ntlich Beichte ab und erbat von allen V erzeihung, wie er ihnen solche gewährte . Hierauf aber sche nkte er einige noch nicht vergabte Güter an die heilige Maria und an Pelagius, an seinen Gallus und Otmar dagegen den Hof Köllikon, Verfügunge n , die er auf seiner Bett-Schreibtafel nach üblichem kanonischen Recht für seinen Seelenfrieden traf; und eindringlich bat er die Unsrigen, die Kirche, die er in St. Gallen zu Ehren des heiligen Kreuzes und des heiligen Magnus er­ baut und unter königlichem Sonderrecht ausgestattet, in Schutz zu neh­ men und nicht zu dulden, daß der Dienst der C horherren dort beeinträch­ tigt werde. Am Tage vor Epiphanie schied er dann dahin im vollsten Ver­ trauen auf den Herrn7 9• Mit vielen Tränen von den Seinen beweint, wurde er in der Kirche seines Bischofsitzes an der rechten Wand bestattet. Durch dein köstliches Blut am Kreuz erwarbst du das Leben: Christu s , verleih es auch ihm droben im himmlischen Reic h !

28. S e l t e n a b e r wird m a n danach e i n e n Menschen s e h e n , a u f den der Spender aller Güter so viel von seinen Gaben häuft. Denn ungerechnet der Vorzüge eines schönen G esichtes und einer hohen Gestalt, besaß er viel Wissen und eine gründliche Schulung. Im Schreiben war er, mit Z u nge und Hand, ein großer Könner. Vor allem wußte er Handschriften auszumalen und Kapitalbuchstaben kunstgemäß zu gestalten , wie man es in den I nitialen L und C des Evangelium Ionguru sehen kann 8 0 • Diese Buchstaben hat er, wie es heißt, als Bischof gemalt und vergoldet, um

zu

prüfen, was er in derlei Künsten noch könne . In der Verskunst war er hervorragend, und häufig trat er vor den Königen mit anderen zum dich­ terischen Wettspiel an. Im Reden, wozu ihn schon eine angeborene Ge­ wandtheit befähigte , war er ein wahrer Meister. An Hof- und auf Syno­ dalversammlungen übte er gleicherweise seinen Einfluß. An dem Plat­ ze, wohin der Apostel die Propheten stellt 8 1 , war keiner rühmlicher als er, dergestalt, daß er kaum je auf der Kanzel stand, ohne als leiden­ schaftlicher Redner den mitgehenden H örern Tränen zu entlocken. Da ß er bisweilen sein Ohr gerne dem Beifall lieh, dessen zieh er sich selber. Dies, sagte e r , sei ein Ü bel, dem selbst die Gerechten und Edelsten kaum entgehen könnten: "De nn wer ist so hochheilig, daß er seine Re­ den und Taten nicht lieber akzeptiert denn refüsiert sähe? Und auf der Stelle erscheint jenes Scheusal, das griechisch doxa heißt, das gro ß e A ufblähen der Ohren 82." Nach der täglichen Übung von Almosen und 8 0 Auf S . 7 u n d 1 1 des Cod. 53. Zur ars lineandi vg). E . J . Thiel, Archiv f . Gesch. d. Buchwesens V (1964), Sp. 1249 fi. 81

82

Vgl. 1. Cor. 12, 28 sowie 14, l ff. Vgl. Boeth. consol. 3, 6 (Euripides-Verse); dazu DA 1 7 , 177 f.

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Casus s. Galli 28 - 30

bitiones commessator pro tempore, loco et personis hilaris erat et iocundus, prodigus nunquam. Mari� et Pelagii et Galli sui e t Otmari, u t dicere solebat, singularis dilector, i n quorum etiam, ut aiebant, nominibus deficiens exspiravit. 29. In calce tandem opusculi et reticenda hominis tangere in­ decorum non puto. Adolescens quidem et adhuc scolaris gratia amicos visendi hospitio cuiusdam nobilis viri receptus, privig­ nam eius virginem latenter agnovit. De qua semel tantum, ut ai­ unt, cognita filiam habuit. Quem lapsum p�nitentia multa secuta est amborum. Velum sacrum utique ipsa Turegi sibi imponi expetens, vitam agebat laudabilem. Ad ultimum abbatissa inibi eius iuvamine facta, multa fecit pro anima utique ipsius et s u a . Filiam vero tandem 83viro maturam83 , cum oblatum sibi velum recusaret, dotatam cum praediis viro tradidit cuidam Notkero de prosapia Waltrammi et Notkeri, de quorum dominio mont e s nostri nomina habent. Eius quidem femin� generis viros fortes et bonos, clericos praeclaros virtutumque conspeximus monachos. E nimvero ipsa dum Turegi apud matrem educata aliquantisper etiam literata in �tate puellari videretur quidem pulchra, ad am­ plexus Arnolfi regis clam dum peteretur, respondisse fertur lenoni� procis : "Eius generis prosapi� nec de matre nec de patre sum", inquid, "ut virginitatem meam me cuidam, vel ipsi regi quidem, deceat prostituere." Sicque amplexus illicitos regis, hac et illac fugitans et latitans, usque dum praedicto viro nuberet, frustraverat. Claruerat autem Salomon sub quinque regibus �que sibi ami­ cis : Luduwico, Karolo, Arnolfo, item Luduwico, Chuonrado. 30. Hinc de Hisone magistro et discipulis eius Nokero Balbulo, Tuotilone, Ratperto vitas, ut ita dicam, non negligendas aggre­ diar scribendas. Iso quidem non solum bene natorum, sed et sanctorum filius fuit parentum84• Qui, ut crebro solebant victualium aliarumque rerum abstinentia semet ex consensu pro Deo affligere, quadra­ gesimam quandam secreti cubantes , sabbato sancto lavacro tan­ dem utebantur. Ornanturque ambo post cineres et cilicia ad pro­ cessionem cum civibus, prout bene natis copia erat. Ibat mulier

Salomos Tochter - Magister !so

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Fußwaschung war er jeweils nach Umständen und Gesellschaft ein fröh­ licher und liebenswürdiger Tischgenosse, ohne je schwelgerisch zu sein. Ein besonderer Verehrer - wie er zu sagen pflegte - der Maria und des Pelagius und seines Gallus und Otmar verschied er auch, wie es hieß , mit ihren Namen auf den Lippen. 29. E ndlich , am Schluß des Werkchens, halte ich es nicht für unziem­ lich , auch an Geheimnisse des Mannes zu rühren. Nämlich als Jüngling und S chüler noch wurde er auf Besuch von Freunden bei einem vorneh­ men Manne zu Gast aufgenommen und erkannte heimlich dessen jung­ fräuliche S tieftochter. Von ihr, die er nur einmal erkannt haben soll , hatte er eine Tochter. Dem Fehltritt der beiden folgte große Buße. Sie jedenfalls begehrte , sich in Zürich den heiligen Schleier auflegen zu las­ s e n , und führte dort ein löbliches Leben. Mit seiner Hilfe wurde sie schließlich Äbtissin und tat danach viel für seine und ihre Seele. Als aber ihre Tochter dann 83reif dem Manne wurde83 und den ihr angetrage­ nen Schleier von sich wie s , stattete sie sie mit Gütern aus und gab sie an einen Notker aus der Sippe des Waldram und Notker, von deren Herr­ schaft unsere Berge ihre Namen haben. Vom Geschlecht eben dieser Frau haben wir tapfere und brave Männer gesehen, berühmte Kleriker und tugendreiche Mönche. In Zürich bei der M utter erzogen und sogar leidlich gebildet, galt sie im Mädchenalter in der Tat als S chönheit ; und da man sie heimlich zur Buhlschaft mit König Arnulf drängte , soll sie den kupplerischen Werbern geantwortet haben: "Weder von der M utter noch vom Vater her e ntstamme ich einer solchen Art Sippe, daß es mir anstünde, meine Jungfernschaft irgendwem preiszugeben , und wäre es sogar dem König selbst." Und also ließ sie die unstatthaften Liebeswün­ sche des Königs zuschanden werden, indes sie hierhin und dorthin ent­ floh und sich so lange versteckte , bis sie sich dem vorgenannten Manne vermählte. Es stand aber Salomo in Glanz und Ansehen unter der Regierung von fünf Königen, die ihm alle gleich befreundet waren : Ludwig, Kar! , Ar­ nulf, abermals Ludwig und Konrad . 30. Von hier an will ich versuchen, die - um es so auszudrücken nicht verächtlichen Viten von Magister Iso und seinen Schülern, Notker dem Stammler , Tuotilo und Ratpert, zu schreiben . I s o war d e r S o h n nicht nur wohlgeborener, sondern auch frommer E ltern84 • Und wie sie sich denn häufig durch Enthaltsamkeit von S peisen und anderen Dingen in einstimmigem Verlangen für Gott zu kasteien pflegten, so hatten sie einmal die Fastenzeit hindurch getrennte Lager, bis sie e ndlich am Karsamstag ein Bad nahmen . Und nach Asche und rau­ hem Gewand schmückten sich beide zum Kirchgang mit den Bürgern , so 83 - 83 Vgl. Verg. Aen. 7 , 53. 84 Ihre Namen: Erimbert und Waltrada.

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Casus s . Galli 30

vigiliis eonvieta dormitum in leetum, nobilius quidem tune pro tempore stratum, post lavaerum. Temptatoris duetu vir eius in eonelave ipsum fortuitus intraverat . Aeeedensque ad illam , ipsa quidem non reeusante , eo saneto die eoneubuit. Fit post facinus patratum tantum amborum in ipso eonclavi lamentum, ut familia superveniens, quid faetum sit , non quereret, eum Deum incla­ mando, quid feeerint, ipsi palam feeerint. Inter laerimas ambo iterum abeunt lavatum, induuntur item cilieiis per tot ebdoma­ das tritis . Cineribusque aspersi presbyteri loei nudipedes eoram omnibus civibus vestigiis proeidunt. Ille vero pie diseretus p�nitentia eorum aeeepta, populo Deum pro eis inclamante, indulgentiam eis dedit allevatosque pro foribus basilie� eo die et noete punitionis gratia ineommunieatos iusserat stare. Ibant tandem officio diei peraeto ad proxim� vill� presbyterum , fama quidem sanetum, et eodem habitu ipsi et eivibus eius lapsum suum fletibus nudant et, ut erastina eis eommunieare lieeat, permissum eius rogant. Quos ille severe inveetus temeritatis arguebat ; benedietione tarnen illius aeeepta redeuntes in sua, ieiuni vigilem flentes duxerant noetem. Dies paseh� illuxerat ; matutini pro foribus stabant, eruee ante missas exportata extremi sequuntur. Presbiter autem illos popu­ li totius adnisu inter kirieleison induxerat, extremos loeaverat. Communionem, quia presbytero illi iam dieto non plaeeret, non petebant . Communione autem finita quasi presbiter ille festinus tanquam populo suo adhue officium facturus ingreditur, manibus apprehensos ad aram duxit . Pixide eommunionis aperta fletu perfusos eommunieavit et festinans quasi ad suos rediturus, re­ vestiri eos et epulari paee et oseulis datis edixit, et rediit. L�tati quoque sunt omnes talis viri auetoritate illos eommunieatos . Diem tandem in laetieia et elemosinis agentibus partesque pres­ bytero illi sancto et eulogia per equitem mittentibus , inventum est eum nusquam eo die a suis descendisse, sed angelum Dei, quod factum est - quod �tiam in synodo propalatum est - totum fecisse. Agebant ambo illi gratias deinde die et nocte Deo, et vir­ tutum operibus, quibus assueverant, tune artius insistebant.

Isos Eltern

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wie sie es sich als Wohlgeborene erlauben konnten. Ermüdet von den Wachen ging die Frau nach dem Bade zum Schlafen in ihr Bett, das nun­ mehr entsprechend prächtiger aufgeschlagen war. Da kam unter Füh­ rung des Versuchers zufällig ihr Mann in jenes Gemach. Er trat zu ihr, und ohne daß sie sich sträubte, legte er sich an diesem heiligen Tage zu ihr. Nach vollbrachtem Frevel erhoben die beiden im Gemach dort so große s Wehklage n , daß das Gesinde, das rasch zur Stelle war, nicht zu fragen brauchte , was geschehen sei, da sie mit lautem Flehen zu Gott selber kundtate n , was sie getan. U nter Tränen gingen beide abermals sich wasche n ; wieder zogen sie die Bußkleider an, die sie so viele Wo­ chen hindurch getragen hatten. Und mit Asche bestreut und barfüßig fielen sie angesichts aller Bürger dem Priester des Ortes zu Füßen. Er aber billigte in gütiger E insicht ihre Bußfertigkeit und gab ihnen E rlaß , während das Volk für sie laut zu Gott rief; und da er sie aufgerichtet hat­ te, ließ er sie diesen Tag und die Nacht zur Strafe vor dem Kirchenpor­ tal stehen und nicht am Abendmahl teilnehmen. Nach Abschluß des Ta­ gesoffiziums gingen sie dann zu einem Priester ins nächste Dorf, der im Rufe der Heiligkeit stand, und in derselben Gewandung enthüllten sie ihm und seinen Bürgern unter Wehklagen ihren Fehltritt und baten um seine Erlaubnis , am folgenden Tag das Abendmahl empfangen zu dür­ fen . Da schalt er sie ernstlich und verwies ihnen ihren Leichtsinn; gleich­ wohl erhielten sie seinen Segen, worauf sie nach Hause zurückkehrten und die Nacht unter Fasten und W einen wachend verbrachten. Der Ostertag brach an; frühmorgens standen sie vor dem Portal, und wie das Kreuz vor der Messe herausgetragen wurde , folgten sie als die letzten. Der Priester aber führte sie unter Zustimmung des ganzen Vol­ kes während des Kyrieleisan herein und wies ihnen zuhinterst einen Platz an. Weil es jenem schon genannten Priester mißfiel , unterließen sie e s , um Teilnahme am Abendmahl zu bitten. Nachdem aber die Kommunion vollzogen war, trat - so schien e s - hastig jener Priester herein, als ob er für sein Volk noch ein Meßamt halten wollte , ergriff sie bei den Händen und führte sie zum Altar. Er öffnete die Hostienbüchse und spendete den Tränenüberströmten die Kommunion, und eilig, als müßte er zu den Seinen zurück, gebot er ihnen, sich wieder umzukleiden und zu speisen; dann gab er ihnen S egen und Kuß und ging wieder. Es waren auch alle herzlich froh, daß jene die Kommunion auf Weisung ei­ nes solchen Mannes bekommen hatten. Und dann verbrachten sie den Tag in Freuden und mit Almosenspenden, und als sie Stücke davon und G eschenke durch einen Reiter jenem Priester schickten, fand es sich , daß er an diesem Tage von den Seinigen nirgendshin weggegangen war; alles, was geschehen, hatte vielmehr ein E ngel Gottes getan, und das ist auch an einer Synode kundgetan worden. Beide statteten sie darauf Tag und Nacht Gott Dank ab und gaben sich ihren gewohnten Tugendwer­ ken nunmehr noch inniger hin.

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Casus s. Galli 31

3 1 . Sed mulier illa concubitu illo cum esset gravida et tempore labente propinqua iam partui, eritium peperisse somniaverat, puerulosque plures, ut stimulos ei eruerent, accurrisse et parie­ tes eis caraxasse viderat . Evigilans nimis stupida somnium viro narrat. Qui in Deo confisus somnium illud nihil mali portendere , ad inclusum in Monte Victoris Eusebium pergens, coniectorem eius fore rogavit. "85Filium" , inquit, "uxor tua pariet85, quem sancto Gallo votabis . Apud illum enim educatus, doctor erit mag­ nificus et multos pueros, ipse asper disciplinis, stilis armaturus." Factum est, ut vir ille , spiritu Dei plenus sanctique Galli com­ patrianus, praedixerat. Per cuius praeter hfi)C praesagia Domi­ nus multis revelaverat multa; sed et ipsi Karolo quidem, qui eius peticione, ut et Rapertus scribit86, ipsum illum Victoris Montem sancto Gallo contradidit. Puer natus , educatus, sancti Galli fit monachus doctissimus docuitque, ut in gestis eius iam scripsi­ mus, Salomonern cum Cfi)teris quam plurimis. Sed Hartmuotus noster, Ruodolfo Burgundion um regi notissimus , qui et cogna­ tus, cum magistrum aliquem nostratium Grandivallensium Cfi)nobio peteret, ipsum illum regi ad annos tres a Crimaldo expe­ tiit condicto in manus pacto, uti ter in anno sumptibus sibi regis monasterii sui daretur invisere claustrum . Ibi vas illud spiritus sancti cum devenisset provinciis diffamatum et regnis , sancti Galli dulcissima suffecerat pocula. Fulsit autem ibi sancti Galli lucerna illa interdum quidem per miracula. Nam uti plurima doctus , cum unguenta quidem facere nosset, leprosos et paraliticos, sed et Cfi)COs curaverat aliquos. Quod quidem, dum id diu Cfi)lasset, virtute sanctitatis SUfi) magis fecisse, vellet nollet, tandem patuit. Nam dum pauperculum quen­ dam ceculum mendicare audisset ad hostium, misericordia tantil­ luli motus, unguentum afferri iubens egreditur ad videndum. Cuius cum digitis benedicens tractaret oculos unguentoque linire incipiret•, exclamavit puer: "Video" , inquit, "domine, video!" Et per aliquot dies convalescens oculis tandem quidem clarissime vidit. Quod tarnen ille, ut Cfi)latum esset, unguenti pretiosissimi, quod manu ferret, factum affirmans virtute, non mentitus est.

• st.

inciperet.

Isos Geburt. Sein Wirken in Grandval

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31. Aber die Frau ward von jenem Beilager schwanger, und als sie nach Ablauf der Zeit schon nahe der Geburt war, träumte sie, sie habe einen Igel geboren und viele kleine Buben seien herzugelaufen, um ihm die Stacheln auszureißen und damit die Wände zu bekritzeln. Beim Er­ wachen erzählte sie überaus erstaunt den Traum ihrem Mann. Und er, voller Gottvertrauen, daß der Traum nichts Böses anzeige , ging zu dem Inklusen E usebius auf dem Victorsberg und bat ihn, den Traum auszu­ legen. 85"Einen Sohn", sagte der Seher, "wird deine Frau zur Welt bringen85 ; den wirst du dem heiligen Gallus angeloben. Denn bei Gallus erzogen , wird er ein glänzender Lehrer sein und, selber scharf in der Z ucht, viele Knaben mit Griffeln bewaffnen." E s geschah, wie jener vom Geiste Gottes Erfüllte und Landsmann des h eiligen Gallus vorausgesagt hatte. Und durch des E usebius Prophezei­ ungen hat der Herr außerdem noch vielen vieles offenbart: so ja eben auch dem Karl, der auf seine Bitte hin, wie auch Ratpert schreibt86 , just jenen Victorsberg an St. Gallen übertragen hat. Der Knabe kam zur Welt, erhielt seine Erziehung und wurde der gelehrteste Mönch des hei­ ligen Gallus und unterrichtete den Salomo, wie wir bereits unter dessen Taten vermerkten, nebst vielen anderen S chülern. Aber unser Hartmut, dem Burgunderkönig Rudolf gut bekannt und auch verwandt mit ihm, bat sich von Grimald, als Rudolf für Kloster Grandval einen Lehrer von den Unsrigen begehrte , eben ihn für den König auf drei Jahre aus , wobei man unter Handschlag überein kam, daß Iso dreimal im Jahr auf Kosten des Königs die Klausur seines Mutterklosters besuchen dürfe . Als dann jenes Gefäß des Heiligen Geistes dorthin gekommen war, bot es St. Gallens süßeste Becher dar und wurde gepriesen in Ländern und Reichen. Dort nun glänzte jene Leuchte des heiligen Gallus zuweilen gar durch Wunder. Denn da er in gar vielem Bescheid wußte und S alben herzustel­ len verstand, heilte er Aussätzige und Gelähmte, aber auch einige Blin­ de. Daß er dies aber mehr kraft seiner Heiligkeit vollbrachte, kam end­ lich , ob er wollte oder nicht, an den Tag, nachdem er es lange verhehlt. Denn da er gehört hatte, an der Türe bettle ein armer kleiner Blinder, ergriff ihn Mitleid für den Wicht; er hieß eine Salbe herbeibringen und ging hinaus, um nachzuschauen . Als er ihn nun segnete und ihm mit den Fingern die Augen berührte und sie mit der Salbe zu bestreichen be­ gann, platzte der Knabe heraus : "Ich kann sehen, Herr, ich kann sehen!" Und in einigen Tagen genas er völlig und vermochte mit seinen Augen e ndlich ganz klar zu sehen. Um es jedoch geheimzuhalten , beteuerte Iso, ohne dabei zu lüge n , dies sei kraft der überaus kostbaren Salbe in seiner Hand geschehen. 85 - 85 Vgl. Luc. l , 13. 86 Ratpert, Kap. 3 1 .

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Casus s . Galli 32/33

32. Talibus vir Dei cum dominum suum sanctum Gallum, ubi­ cumque esset, ornasset virtutibus, stimulos suos pluribus scola­ ribus acuebat , cum ipse tantis virtutibus pollens vellet tarnen es­ se involutus ut eritius . Anhelabant ad illius doctrinam totius Burgundie nec non et G allie ingenia. Erant et aliqui, qui inter su­ os satis haberent, si discipuli Hisonis vel ad horam dicerentur, etiamsi ad stilos eius non acuerentur. Erat enim de illo late fama, quoniam, etsi obtusa inveniret ingenia, ipse eis daret acumina . Libuit tandem et ipsum vel propter gratas consuetudines disci­ p ulorum vel propter 87mnam dandam ad mensam87 , ut post tres annos regi concessos aliorum annorum moras sibimet ab abbate suo per se ipsum expeteret. Mansit itaque in benigna peregrina­ tione sua per plures tandem annos , ratisque sibi temporibus claustrum suum, abbatem et fratres visitans , benedictione illo­ rum roboratus, discipulos iterum egre exspectatus revisit. Disponente vero tandem eo, qui posuit 88terminos, qui praeter­ iri• non poterunt88, morbo correptus, plurimis hinc inde dolenti­ bus, bene valid� adhuc �tatis diem obiit89, multum dolens , quod claustro suo procul sit et in cymiterio sancti Galli sepeliri non li­ cuit. Collectis autem undequaque discipulis eius sepultus est in aecclesia sancti Germani. Ubi cum tandem coruscaret miraculis, corpus eius furto, ut aiunt , in Burgundiam in quandam hominis potentis translatum est aecclesiam. Quod etsi dubie roboretur, praeterire tarnen noluimus. Constat autem id in tumulo, quo con­ ditum est, non haberi. 33. De Notkero, Ratperto, Tuotilone, discipulis eius et Marcel­ li, quoniam quidem 90cor et anima una erant90, mixtim, qualia tres unus fecerint, quantum a patribus audivimus, narrare incipimus . Hi quidem a b Hisone cum i n divinis non mediocriter essent prae­ libati, Marcello, ut iam diximus91 , sunt coniuncti. Qui in divinis eque potens et humanis , septem liberales eos duxit ad artes, ma­ xime autem ad musicam. Qu� cum ceteris naturalior et, quamvis difficilius apprehensa, usu quidem sit iocundior, tantum in ea

• praeterire

Hss.

Isos Lehrtalent. Sein Tod - Seine Schüler

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32. Während der Gottesmann seinen Herrn , den heiligen Gallu s , wo immer er war, durch derlei Wundertaten zierte, schärfte er seine Sta­ cheln für zahlreiche Schüler, und obwohl er über so wunderbare Kräfte gebot , wollte er doch eingehüllt bleiben wie ein Igel. Nach seinem Unter­ richt lechzten die G eister von ganz Burgund und ebenso von Gallien. E s g a b darunter auch manche , d i e zufrieden waren, wenigstens z u r Stunde Schüler des Iso zu heißen, selbst wenn sie sich nicht an seinen Stacheln schärfen ließen. Denn weit herum ging von ihm der Ruf, daß er selbst stumpf erfundenen G eistern zur Schärfe verhelfe . E s behagte ihm dann auch - sei e s wegen der liebenswerten Art der Schüler, sei es um 87mit seinem Pfunde zu wuchern 87 - , nach den drei dem König konzedierten Jahren von seinem Abt eigens noch weitere Jahre des Bleibens zu erbit­ ten. Also verharrte er schließlich manche Jahre hindurch bei seiner menschenfreundlichen Pilgerschaft, und sooft er zu den ihm gesetzten Terminen sein Kloster, den Abt und die Brüder besuchte, sah er, ge­ stärkt durch ihren Segen, die Schüler wieder, die ihn mit Sehnsucht er­ warteten. E ndlich aber nach Fügung dessen, der 88das Ziel gesetzt, welches sich nicht überschreiten läßt 88, ward Iso von Krankheit dahingerafft89 , und er starb zum Schmerz von gar vielen hier und dort , während er noch in rüstigen Jahren stand, höchlich betrübt darüber, daß er dem eigenen Kloster ferne war und sein Grab nicht auf dem Friedhof des heiligen Gallus finden durfte. Von überallher aber scharten sich seine Schüler zusam­ men, als er in der Kirche des heiligen Germanus bestattet wurde . Wie er dort dann in Wundern erglänzte, wurde sein Leib insgeheim, wie es heißt, nach Burgund in die Kirche eines mächtigen Mannes überführt . Z war liegen hierfür nur zweifelhafte Beweise vor; dennoch haben wir e s nicht übergehen wollen. A b e r so v i e l steht fest, d a ß er nicht m e h r in dem Grab ist, worin man ihn beigesetzt hat. 33. Von seinen und des Marcellus Schülern Notker, Ratpert und Tuo­ tilo, die ja 90 ein Herz und eine Seele waren90 , beginnen wir vermischt zu erzählen, was die drei zusammen vollbracht, soviel wir hierüber von den Vätern erfahren haben. Von Iso zuvor in den göttlichen Dingen sattsam geschult, schlossen sie sich dann, wie wir schon erzählten91 , dem Mareei­ Jus an. Der war in göttlichem und menschlichem Wissen gleicherw;eise beschlagen und führte sie den sieben freien Künsten zu, insonderheit aber der Musik. Diese Kunst ist ursprünglicher als die übrigen Künste und, obzwar schwieriger zu erlange n , in ihrer Anwendung gewiß lieb87 - 87 Vgl. Luc. 19, 23 f. 88 - 88 V gl. Hiob 14, 5. 89 871. 90 - 90 V gl. Act. 4, 32.

91

Kap. 1 f.

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Casus s . Galli 33/34

tandem valuerant, quantum in operibus singulorum, qu� iam ante quiddam tetigimus92, apparet. Enimvero hi tres quamvis votis essent unicordes, natura tarnen, ut fit, erant dissimiles. N oker corpore non animo gratilis, voce non spiritu balbulus, in divinis erectus, in adversis patiens, ad omnia mitis , in nostra­ tium acer erat exactor disciplinis ; ad repentina timidulus et inopi­ nata praeter demones infestantes erat , quibus quidem se auden­ ter opponere solebat. In orando, legendo, dictando creberrimus. Et ut omnes sanctitatis eius in brevi conplectar dotes : sancti spi­ ritus erat vasculum, quo suo tempore habundantius nullum. 34. At Tuotilo longe aliter bonus erat et utilis , homo lacertis et omnibus menbris , sicut Favius93 athletas eligere docet. Erat elo­ quens, voce clarus , celatur� elegans et pictur� artifex. Musicus sicut et sotii eius, sed in omnium genere fidium et fistularum prae omnibus; nam et filios nobilium in loco ab abbate destinato fidibus edocuit. Nuntius procul et prope sollers, in structuris et ceteris artibus suis efficax, concinnandi in utraque lingua94 potens et promtus natura, serio et ioco festivus : adeo, ut Karolus noster95 aliquando ei maledixerit, qui talis natur� hominem monachum fecerit. Sed inter h�c omnia, quod prae aliis est, in choro strenuus, in latebris erat lacrimosus; versus et melodias facere praepotens, castus ut Marcelli discipulus, qui feminis oculos clausit. Ratpertus autem inter ambos , quos diximus , medius incede­ bat , scolarum ab adolescentia magister, doctor planus et benivo­ lus, disciplinis asperior, raro praeter fratres pedem claustro pro­ movens , duos calceos annum habens ; excursus mortem nomi­ nans, sepe Tuotilonem itinerarium, ut se caveret, amplexibus monens . In scolis sedulus plerumque cursus et missas neglige­ bat: "Bonas", inquiens, "missas audimus, cum eas agi docemus." Qui cum labern maximam claustri impunitatem nominasset, ad capitulum tarnen nonnisi vocatus venit, cum sibi officium capitu­ landi et puniendi gravissimum, ut ait, sit traditum.

92 Kap. 6. 93 (M. Fabiusl Quintilian, Inst. orat. 94 Latein und Deutsch. 95 Kar! 111.

8, 3, 10.

Notker. Tuotilo. Ratpert

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licher. In ihr brachten sie es am E nde zu solcher Meisterschaft , wie sie in den Werken eines jeden - wir haben sie früher schon gestreift92 - deut­ lich sichtbar wird. Aber freilich waren diese drei, obgleich sie in ihrem Sinnen und Trachten völlig eins waren, in ihrem Naturell begreiflicher­ weise doch voneinander verschieden. N otker, dürr an Leib, aber nicht an Seele, stammelnd in der Rede, aber nicht im Geiste, hochragend in göttlichen Dingen, geduldig in irdi­ schem Ungemach, milde bei allem, drang bei den Unsrigen auf scharfe Z ucht. Vor jähen und überraschenden Geschehnissen verzagte er leicht, nur nicht vor dem Angriff der Dämonen, denen er sich ja regelmäßig kühn entgegenstellte . Im Bete n , im Lesen, im Dichten war er unermüd­ lich. Und um all die Gaben seiner heiligen Persönlichkeit bündig zusam­ m enzufassen: er war ein Gefäß des Heiligen Geistes so überquellend reich, wie es zu seiner Z eit kein anderes gab. 34. Dagegen war Tuotilo auf gänzlich andere Art tüchtig und trefflich, ein Mann von Armen und lauter Gliedern, gleichwie Fabius93 lehrt, Ring­ kämpfer auszulesen. Er war beredt , von heller Stimme , in Relieftechnik und Malkunst ein Meister von G eschmack. Ein Musiker war er wie auch seine Gefährten , aber allen überlegen in jeglicher Art Saiten- und Blas­ i nstrument. Unterwies er doch auch die Söhne des Adels in einem vom Abt hierzu bestimmten Raum im Saitenspiel. Botengänge fern und nah versah er mit Geschick, und im Bauen und anderen praktischen Fertig­ keiten leistete er den Seinen große Dienste ; des Dichtens kundig in bei­ den S prachen94 und hierzu von Natur aus befähigt , verstand er im Ernst und im Scherz unterhaltlich zu sein, und zwar so sehr, daß einmal unser K arl95 den verwünschte, der einen Mann von solchem Schlage zum M önch gemacht. Doch bei alledem war er, vor seinen anderen Vorzüge n , e ifrig im Chordienst, im Verborgenen aber voller Tränen ; meisterlicher Schöpfer von Versen und Melodien, erwies er sich in seiner Keuschheit als ein echter Schüler des Marcellus, welcher vor Frauen die Augen ver­ s chloß . Ratpert aber hielt zwischen den beiden Genannten die Mitte; Schul­ meister seit seinen Jünglingsjahre n , als Lehrer verständlich und ver­ ständnisvoll, war er in Dingen der Z ucht doch recht streng; er setzte den Fuß noch seltener als die Brüder aus dem Klosterinnern hinaus ·und hatte im Jahr bloß zwei Schuhe ; Ausgehen nannte er den Tod, und oft beschwor er unter Umarmungen den reisefrohen Tuotilo, sich vorzusehen. E msig in der S chule tätig, kümmerte er sich meist nicht um Tagzeiten und Messen, indem er sagte: "Gute Messen hören wir, sooft wir lehren, sie zu halten." Und wiewohl er als größtes Verderben für ein Kloster die S traflosigkeit bezeichnete , kam er doch nur, wenn man ihn rief, zum Kapitel; denn ihm sei, wie er sagte, das schwierigste Amt, zu kapiteln und zu strafen, anvertraut .

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Casus s. Galli 35/36

35. Tales cum essent tres isti nostr� reipublicae senatores , quod semper doctorum est e t utilium, a b otio vacantibus e t 96in levitate ambulantibus96 detractiones et dorsiloquia patiuntur assidua, sed maxime , quia minus refellere solebat, sanctus, ut vere asseram, domnus Nothkerus. Tuotilo quidem et Rapertus, acriores talibus minusque ad contumelias habiles, rarius ab eis ledebantur. Notkerus autem, hominum mitissimus, quid iniurie essent, in semet ipso didicit. De quibus pluribus unum aliquem, ut, quantum satanas in tali­ bus praesumat, ab uno discas omnes97, introducere volumus. Erat hic quidem refectorarius nomine Sindolfus, postremo autem, fictis obsequelis , cum alias in nullo esset utilis, accusans fratres criminibus coniectis , a Salomone operariorum positus est deca­ nus. E nimvero cum esset refectorarius, pro commodis incommo­ da, quibus ausus erat, exhibebat, prae ceteris autem Notkero. S alomone autem in plurimis occupato nec adtendere ad singula sufficienti , alimonia interdum fratribus cum aut detraheretur aut depravaretur, clamabant plures pro iniusticia; inter quos ali­ quando �tiam tres , quos dicimus , isti aliqua locuti parebant. At S indolfus, discordi� semper fomes, sciens antiquam condiscipulo­ rum odii facem et causam, accomodat se auribus Salomonis , qua­ si pro suo honore rem sibi sit dicturus. Ille vero etsi nihil noci­ vius scisset praelatis a subditis quam susurros audire, quid novi afferret, quesivit. Ille vero tres illos semper super se verba iacere s olitos hesterno, qu� Deo importabilia sint, mentitur locutos. Credidit ille sermoni et nihil mali opinantibus rancorem porta­ vit , tandem et ostendit. At illi cum nihil ab eo reatus sui exscul­ pere possent, Sindolfi se tegnis ariolantur fuisse circumventos. Re tandem coram fratribus discussa, cum ipsi, testantibus cunc­ tis nihil omnino se contra episcopum dixisse, cum ceteris eum vincerent, vindictam super falsidicum quisque sibi rogant. Quod ille cum dissimulasset , taciti quieverant. 36. Erat tribus illis inseperabilibus consuetudo, permisso qui­ dem prioris, in intervallo laudum nocturno convenire in scripto-

Sindolfs böser Charakter

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35. Solcherart also waren die drei Senatoren unseres Gemeinwesens; wie e s aber kundigen und tüchtigen Leuten immer ergeht, hatten sie v o n Nichtstuern und Windbeuteln96 bestä"ndig Verleumdungen und üble Nachrede zu erleiden, sonderlich aber, weil er sich gewöhnlich weniger zur Wehr setzte, Herr Notker - der heilige Notker , um die Wahrheit zu sagen. Tuotilo freilich und Ratpert, die solchen Gesellen schärfer begeg­ neten und sich minder leicht verunglimpfen ließen, wurden nur ganz sel­ ten von ihnen gekränkt . Notker jedoch, der mildesten einer, mußte am eigenen Leibe erfahren , was Injurien sind. Aus der Zahl der Beleidiger wollen wir einen einzigen auftreten las­ sen, damit du an dem einen sie alle erkennest97, soweit nämlich Satan auf solches Gesindel baut . Dieser eine war der Speisemeister namens Sin­ dolf; zufolge seiner gespielten Ergebenheit wurde er aber zuletzt von Salomo zum Dekan der Werkleute bestellt, wiewohl er im übrigen zu nichts nütze war, als den Brüdern Verbrechen zur Last zu lege n , die er sich bloß zusammengereimt hatte. Tatsächlich bereitete er während sei­ ner Z eit als Refektorarius jenen, bei denen er sich traute, statt Behagen Unbehage n , vor allen anderen aber Notker. Nun war Salomo aber gar viel beschäftigt und nicht in der Lage, auf jede E inzelheit zu achten , und da den Brüdern die Nahrung manchmal vorenthalte n oder geschmälert wurde , beschwerten sich viele über das Unrecht ; und unter ihnen äußer­ ten sich einmal offenbar auch unsere drei dahin . Sindolf jedoch , wie im­ mer ein Zunder der Z wietracht , kannte die alte Glut und Ursache des Hasses zwischen den Mitschülern und verschaffte sich bei Salomo Ge­ hör, als müßte er ihm die Sache um seiner E hre willen berichten. Jener aber fragte , was er Neues bringe , obschon er wissen mußte , daß für Vor­ gesetzte nichts abträglicher ist, als sich Flüsterreden von den Unterge­ benen anzuhöre n . Sindolf indessen log, die drei, immer gewohnt, über ihn herzuziehen, hätten am gestrigen Tage Dinge gesagt, die Gott uner­ träglich seien. Salomo glaubte der Rede, und während sie an nichts Bö­ ses dachten, hegte er den alten Groll und zeigte ihn endlich auch . Da sie aber von ihm nichts über ihre Schuld herausfinden konnte n , ahnten sie, daß sie von Sindolfs Manövern umstellt seien. Die Sache kam schließlich vor den Brüdern zur Sprache , und da nun überwanden die drei den Sin­ dolf im Verein mit den anderen , die alle bezeugten, daß sie keinen Ton gegen den Bischof geäußert hatten, und jeder wünschte sich ein S trafge­ richt über das Lügenmaul. Jener aber ließ sich nichts anmerken, und so schwiegen sie still. 36. Die drei Unzertrennlichen besaßen die Gewohnheit, mit Erlaubnis fre ilich des Abtes, in der nächtlichen Z eitspanne zwischen den Laudes im S kriptorium zusammenzukommen und Bibelgespräche miteinander 9 6 - 96 V gl. Tob. 3, 17. 97 Vgl. Verg. Aen. 2, 6 5 f.

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Casus s. Galli 36

rio collationesque tali horfi) aptissimas de scripturis facere . A t Sindolfus sciens horam e t colloquia quadam nocte fenestrfi) vitrefi), cui Tuotilo assederat , clandestinus foris appropiat aure­ que vitro affixa, si quid rapere posset, quod depravatum episco­ p o traderet, auscultabat. S enserat illum Tuotilo, homo pervicax lacertisque confisus, Latialiterque , quo illum, qui nihil intellege­ ret, lateret, compares alloquitur: "Adest ille" , inquid, "et aure m fenestrfi) affixit. Sed t u , Notker, quia timidulus es, cede i n aeccle­ siam ! Ratperte autem mi, rapto flagello fratrum, quod pendet in p yrali98, deforis accurr e ! E go enim illum, cum appropinquare t e sensero, vitreo citissime redaperto captum capillis a d meque pertractum violenter tenebo. Tu autem, anime mi, 99confortare et esto robustus99, flagelloque illum totis viribus increpita et Deum in illo ulciscere !" Ille vero, sicut semper erat ad disciplinas acutissi­ mus, modeste exiens, rapto flagello cucurrit celerrimus hominem­ que intro capite tractum totis viribus a dorso ingrandinat. Et ecce ille manibus pedibusque renisus, flagellum incussum capiens tenuit. At ille virgam propius aspectam rapiens ictus ei validissimos infre­ git. Cum autem parci sibi male iam mulctatus incassum petisset: "Voce", inquit, "opus est1", et exclamans vociferavit. At fratrum pars, voce audita tali tempore insolita, stupens accurrit luminibus et, quidnam esset, quesivit. Tuotilo autem diabolum se Cfi)pisse creber ingeminans, lumen adhiberi rogat, ut, in cuius illum ima­ gine teneret, certius inspiceret. Capite autem inviti hac et illac ad inspicientes versato, si Sindolf esset, quasi nescius interrogat. Omnibus autem vere ipsum esse clamitantibus et, ut illum dimit­ teret, rogantibus, relicto eo: "Me miserum", ait, "in auricularem et intimum episcopi manus misisse!" Rapertus vero fratribus accurrentibus in partem cedens clam se subduxit. Neque enim ipse, qui passus est, a quo cederetur, scire poterat. Querentibus autem aliquibus, ubinam domnus Notkerus Rapertusque abissent: "Am­ bo", inquit, "ad opus Dei diabolum sentientes abierunt meque cum illo in 2negotio perambulante in tenebris2 dimiserunt. Vere autem omnes seitote angelum Domini ictus ei manu sua incussisse!" 98 D. h. im heizbaren Kapitelsaal. 99 - 99 Formel des AT, z. B. Deut. 31,

7.

Bestrafte Lauscherei

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zu führen , wie sie einer solchen Stunde wohl angemessen sind. Aber Sin­ dolf, im Bild über Zeit und Zusammenkünfte, schlich sich eines Nachts v o n außen her an das Glasfenster, an dem Tuotilo saß, heftete sein Ohr a n die Scheibe und horchte, ob er etwas erhaschen könne, um e s verzerrt dem Bischof zu hinterbringen. Tuotilo ward seiner gewahr, und uner­ schütterlich und seiner Muskelkraft gewiß wandte er sich auf lateinisch , d amit es Sindolf, der nichts hiervon verstand, verborgen bleibe, an die G e fährten: "Jener ist da und hält sein Ohr ans Fenster gedrückt. Aber du, N otker, weil du zaghaft bist, zieh dich in die Kirche zurück ! Mein Ratpert dagegen, hole du rasch die Peitsche der Brüder, die im Pyrale98 hängt , und lauf von außen herzu ! Sowie ich nämlich merke , du kommst heran, werde ich das Fenster aufreißen, ihn bei den Haaren greifen und zu mir herziehen und ihn gewaltsam festhalten. Du aber, mein Herz, 99rüste dich und sei stark99, und mit der Peitsche lege los gegen ihn mit allen Kräften und nimm für Gott Rache an ihm ! " Ratpert aber, wie im­ mer leicht entflammt zu Maßnahmen der Zucht, ging unauffällig hinaus, holte dann flink die Peitsche, stürmte hin und züchtigte den Menschen, der mit dem Kopf nach innen gezerrt war, aus Leibeskräften von hinten mit Schlägen wie Hagel. Und siehe, wie Sindolf sich mit Händen und Fü­ ßen widersetzte , kriegte er die geschwungene Peitsche zu fassen und hielt sie fest. Aber der andere sah eine Rute ganz in der Nähe, erwischte sie und versetzte ihm die kräftigsten S treiche. Nachdem Sindolf schon übel zugerichtet war, jedoch umsonst um G nade gebeten hatte, sagte er: "Ich muß rufen1 " und brach in lautes Zetern aus. Aber ein Teil der Brü­ der hörte das Rufen, das zu solchem Zeitpunkt ungewöhnlich erschien ; sie eilten m i t Lichtern verblüfft herbei u n d fragten, w a s d e n n l o s sei. T uotilo aber wiederholte ein um das andere Mal, er habe den Teufel ge­ fan ge n , und bat, ein Licht heranzuhalten, um deutlicher zu erkennen, in wessen G estalt er ihn ertappt habe. Er drehte aber den Kopf des Wider­ strebenden überall in Richtung der Zuschauer hin und fragte , als ob er's nicht wüßte , ob e s Sindolf sei. Da nun alle laut schrieen, er sei es wirklich in Person, und baten, ihn loszulassen, gab er ihn frei mit den Worten: "0, ich Unglückseliger, daß ich den Ohrenbläser und Busenfreund des Bischofs angetastet habe !" Ratpert aber war beiseite getreten, während die Brü­ der herzugelaufen kamen, und hatte sich fortgeschlichen. So konnte denn s elbst der Betroffene nicht wissen, von wem er geprügelt ward. Es frag­ ten aber einige , wo denn nur der Herr Notker und Ratpert geblieben seien; da sagte Tuotilo: "Als sie den Teufel witterten, sind beide zum C horgebet weggegangen und haben mich allein gelassen mit jener Pest, 2die da um­ geht im Dunkel2• Ihr sollt aber alle der Wahrheit gemäß wissen, daß ihm ein Engel des Herrn die Schläge mit eigener Hand beigebracht hat !" 1 Terent. Phorm. 985.

2 - 2 Ps. 90, 6.

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Casus s. Galli 36/37

Discedentibus tandem fratribus a partium sectatoribus sur­ gunt , ut fit , multiloquia. Alii Dei iudicio, ut auscultatores clande­ stini publicarentur, factum dicebant; alii autem tali viro, nisi quod angelum Dei praetendit, tale opus non decuisse. Occultabat autem se confractus ille corporis pariter et mentis dolore. Inter­ rogatque tandem episcopus post aliquos dies, ubinam tandiu mo­ raretur suus famidicus - sie enim hornirrem nominare erat soli­ tus nova semper aliqua sibi clam adportantem. Re, ut erat, vera­ citer comperta, quoniam tant'il auctoritati pro tarn turpiter reo nihil imputare volebat , consolatur accitum: "Quoniam", inquit, "illi a pueritia mei semper invidi male tibi fecerant , ego quidem, si vixero, melius tibi facere habebo." Data est post non multum temporis occasio, et plerisque omnibus, ne rem loci tarn praecla­ ram in tali hornirre deiceret , contradicentibus , ut supra praelibavimus3, operariorum factus est ab ipso decanus. 37. Erant illo in tempore sancto Gallo et alii Cfi!nobitfi! quidem sancti, quorum iusticifi! 4apud Deum non surrt in oblivione4, quo­ rum quidem opera multa audivimus praeclara. Inter quos Hartmannus5 et ipse d octissimus , abbas Cfi!nobii post S alomo­ nern, Waltrammus6 vero, cuius fi!tiam melodifi! , quis fuerit, non Cfi!lant, Ruodkerus, cuius supra meminimus7, et alii quidem multi, 8cum sanctis sancti, cum electis electi8• De quibus, quia longum est operi audita prosequi, tres solos , quos assumpsimus , in exem­ plum posteris sufficere credamus. Notkerus vero in his, quf in capitulo suo praelibavimus , dies noctesque 9semper idem9 et novus, quod Ratpertus in scolis , hoc ipse in claustro praeter verbera omni caritatis egit censura. Nam priorum permisso, magis autem et ortatu, iuveniores ad hoc idonei noctes diesque, quando ab orationibus quiesceret, velut in insidiis erant. Neque enim hora incompetens dicebatur , si codice in manibus quis cum domino Notkero loquebatur . Ipse autem cum propter regulfi! tenorem sibilis eos interdum et strepitu absturbaret, ab abbatibus ei per obfi!dientiam, quod refutarat, 3 Kap. 35. 4 - 4 Vgl. Luc. 12, 5 Vgl. Kap. 47 f. 6 V gl. Kap. 46.

6.

Salomos Gü nstling - Notker und seine Schüler

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E ndlich gingen die Brüder auseinander, und wie es geschieht, erhob sich u nter dem Anhang der Parteien vielerlei Gerede. Die einen sagten, e s sei durch Gottes Gericht geschehen, um die heimlichen Lauscher an den Pranger zu stellen; die anderen dagegen meinten, abgesehen davon , daß er den E ngel des Herrn nur vorgewendet, habe sich so eine Tat für so einen Mann nicht geziemt. Es hielt sich aber Sindolf verborgen , an L e ib und Seele gleicherweise gebrochen. Und endlich fragte der Bischof nach einigen Tagen, wo denn nur so lange sein Gerüchteerzähler bleibe - so nämlich nannte er gewöhnlich den Mann, der ihm insgeheim immer etwas Neues zutrug. Da er nun die Sache wahrheitsgetreu , so wie sie war, erfahren hatte, wollte er um eines so schimpflich Verklagten willen einem Manne von solchem Ansehen nichts ankreiden; er ließ darum Sin­ dolf herbeirufen und tröstete ihn mit den Worten: "Haben dir jene, die meine Neider von Jugend auf sind, übel getan, so werde ich nun, bei mei­ nem Lebe n , besser an dir handeln müssen." Nicht viel später schon er­ gab sich die Gelegenheit dazu , und obgleich fast alle widerrieten , eine so rühmliche Aufgabe im Kloster in einem solchen Menschen herabzuwür­ digen , wurde Sindolf, wie oben schon erwähnt3, von ihm zum Dekan der Werkleute ernannt.

37. St. Gallen besaß in jener Z eit auch andere heilige Mönche, deren gerechter Wandel 4bei Gott nicht vergessen ist4 und von denen wir wenigstens viele glorreiche Taten vernommen haben: worunter Hart­ mann5, gleichfalls ein hochgelehrter Mann und A bt des Klosters nach Sa­ lomo, und Waltram6 gar, dessen Melodien noch zeige n , wer er gewesen, und Ruodker, von dem wir oben erzählten7, und wahrlich noch viele an­ dere , 8Heilige unter Heiligen , Auserwählte unter Auserwählten8• Von ihnen allen zu schildern, was über sie bekannt geworden ist, wäre zu langwierig für unsere Darstellung, und darum meinen wir, e s dürften allein die drei , die wir uns vorgenommen , der Nachwelt genugsam zum Vorbild dienen. Notker aber erschien in den Dingen, die wir schon unter seinem eige­ nen Kapitel berührten, Tag und Nacht als 9der immer gleiche9 und neue, und was Ratpert in der Schule tat, das tat er - die Schläge abgerechnet - seinerseits in der Klausur mit aller Strenge der Liebe. Denn mit Er­ laubnis der Oberen, vielmehr sogar auf ihre Weisung, waren die Jünge­ ren und hierzu Befähigten bei Nacht und bei Tage, wenn er jeweils in seinen Gebetsübungen pausierte , gleichsam auf der Lauer. Keine Stun­ de nämlich galt für unpassend, so einer, ein Buch in Händen, sich mit dem Herrn Notker unterhielt. Da er sie selber aber in Rücksicht auf den Wortlaut der Regel zuweilen durch Zische n und Scharren von sich 7 Vgl. Kap. 5. 8 - 8 Ps. 17, 26.27. 9 - 9 Cic. Tusc. 3 , 15, 3 1 .

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Casus s. Galli 37/38

iniunctum est. Quam autem mellifluus in responsis fuerit, lacrim� eorum, qui hominem viderant , testantur. Enimvero 'rtiam in spi­ ritu Dei multa bonis et malis aut fortunia praedixit aut infortu­ nia. Sicut, ut gratia exempli superiora repetam, cuidam Karoli elati animi capellano. 38. Nam rex idem cum ob caritates agendas fratribus, ut sole­ bat , c'rnobio veniret totumque triduum gratia reverenti'r conver­ santium ibidem moraretur sanctisque nostris , ut et Ratpertus scribitl0, munificus, abbate iam mutato11 abire parasset, ille qui­ dem elati animi capellanus virum Dei psalterio12, ut solebat, assi­ dentem praeteriens conspexit. Agnitoque, quod is esset, qui Ka­ rolo multa querenti pridie qu'rsita resolveret, comitantibus ait : "Ecce , inquam, iste est, quo neminem aiunt in regno Karoli doc­ tiorem. Sed ego, si vultis, illum tarn praecellentissime doctum a d irrisionem vobis temptabo e t , quod tante fam� vir omnino ne­ sciat, interrogabo." Illis vero, ut hoc faceret, curiose rogantibus accedunt pariter, salutant eum. Humilis ille assurgens, quid pe­ tant, qu'rrit. At ille infelix, quem diximus: "Scimus" , inquit, "ho­ mo doctissime , omnia te nosse. Quid autem Deus in caelo nunc fa­ ciat, a te cupimus, si nosti, audire ." "Scio" , inquit ille, "et optime scio. Nunc enim facit, quod semper fecit, utique et tibi quam mox facturus est. 13Exaltat enim humiles et humiliat superbos13". A bi­ bat temptator ille et irrisor a suis irrisus, parvipendens, quod si­ bi futurum dixisset. S onatur continuo ad concursum et laudes C'rsaris abituri. Arripit ille infelix futurus labarum eo die ordinis sui dominum antecedendi. Et equo superbo invectus , ante por­ tam civitatis offendens cecidit et misere in facie collisus crus confregit. Committitur abbati novo, Hartmuoti suffecto, Perin­ hardo procurandus. Cui ipse tandem praesagium Notkeri om­ nemque huiusmodi rem cum aperuisset, desiderabat viri Dei, si se invisere dignetur , absolutionem et praesentis benedictionem. Quod cum ille despective de Notkero audiens , nihil sibi mali eius

10 Ratpert, Kap. 33 ff. 11 D . h. nach Ersetzung Hartmuts

durch Bernhard (883).

N otkers prophetischer Geist

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scheuchte , ward ihm, was er so zurückgewiesen, von den Äbten bei sei­ ner G ehorsamspflicht auferlegt . Wie honigfließend er aber in seinen A ntwortreden gewesen ist, bezeugen die Tränen derer, die ihn erlebt haben. Nun hat er aber auch durch den Geist Gottes guten und bösen M enschen vieles , sei e s Glück, sei es Unglück, prophezeit. Wie zum Beispiel - um Warnung halber auf Früheres zurückzugreifen - einem Kapellan Karls , welcher voller Hochmut war.

38. Selbiger König nämlich erschien im Kloster, um nach seiner Ge­ wohnheit für die Brüder Liebesmahle zu halten, und aus Achtung vor den Konventualen verweilte er daselbst drei volle Tage und bedachte , wie auch Ratpert schreibt 10 , unsere Heiligen mit Geschenken, und als er nun nach bereits vollzogenem Abtwechsel 1 1 zum Aufbruch rüsten ließ , kam eben jener hochmütige Kapellan an Notker vorbei und sah den Got­ tesmann wie gewöhnlich am Psalterium12 sitzen. Und da er sich darauf besann, daß es der war, welcher tags zuvor auf die vielen Fragen Karls die gesuchten Lösungen gab, sprach er zu seinen Begleitern: "Seht, sage ich, da ist der, von dem man be hauptet, es gebe im Reiche Karls keinen G escheiteren . Doch wenn ihr wollt, werde ich den so alles überragenden Kopf für euch zum Spotte auf die Probe stellen und etwas fragen , was der hochberühmte Mann überhaupt nicht weiß ." Jene aber drängten voll Neugier, es zu tun, und miteinander gingen sie hin und begrüßten ihn. Demütig erhob sich Notker und fragte nach ihrem Begehr. Aber er, der Unglückselige , von dem wir sprachen , sagte : "Uns ist bekannt , gelehrte­ ster Mann, daß du alles weißt. Was aber der liebe Gott im Himmel jetzt gerade tut, das möchten wir von dir erfahren, falls du es weißt." "Ich weiß e s " , entgegnete Notker, "und zwar weiß ich es ganz genau. Jetzt gerade nämlich tut er, was er immer tat und wie er alsbald auch dir tun wird : 13Er erhöht die Demütigen und demütigt die Stolzen13.'' Da zog jener Versucher und Spötter unter dem Spott der Seinigen ab, ohne viel darauf zu geben, was ihm nach Notkers Worten noch blühen würde. Gleich darauf ertönte das Zeichen zur Sammlung und zu den Laudes für den scheidenden Kaiser. Jener, schon dicht vor seinem Unglück, ergriff die Fahne seiner Abteilung, die an dem Tage dem Herrn voranziehen sollte. Und auf stolzem Rosse dahinsprengend, kam er vor dem Tore der Stadt zu Fall, verletzte sich elendiglich im Gesicht und brach das Bein . Man übergab ihn zur Pflege dem neuen Abt Bernhard als dem Nachfol­ ger Hartmuts. Und ihm offenbarte er endlich selber Notkers Prophezei­ ung und den ganzen S achverhalt und wünschte danach von dem Gottes­ mann sehnliehst Vergebung und persönliche Segnung, falls er ihn über­ haupt besuchen wolle . Was er über Notker hörte, nahm Bernhard aber abschätzig auf, und indes er versicherte , es sei ihm durch dessen Weis12 Ein Saiteninstrument; vgl. Kap. 46. 13 - 13 V gl. Matth. 23, 1 1 u. ö.

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Casus s . Galli 38139

vaticinio assereret contigisse , coagulari fractura illa nullis fo­ mentis , nullis adunari valuit ligamentis. Supplicatur tandem me­ dia quadam nocte a miserantibus clamores eius Notkero. Qui dum adveniens crus contrectasset, confestim conbullire illu d sensit confractus didicitque severe de Cfiltero humilia sentire. 39. Et ut ad ordinem redeamus Sindolfumque sub Salomone li­ center bachantem prosequamur: quadam die, quod erat refecto­ rarii, Notkero et Ratperto simul ordinariis14 mensuram potus , ut officii sui erat, considentibus cum in uno vase non poneret, s e d maledicta submurmurans absentibus adhuc quasi proiceret, v a s illu d quasi de mensa lapsum in terram cecidit operculoque procul rotante in latus iacuit vinumque, tanquam si subrectum esset, solide continuit. Quod ille morose reversus - nam per passus aliquot festinus abscesserat - cum levasset, accurrentibus, qui procul viderant, et, si quicquam de vino effusum sit, terram con­ spectando querentibus: "Ne miremini", inquit, "si diabolus, a quo nigros libros noctibus discunt , fascinatorum suorum calices, ne effunderentur, continuit ." Quod Hartmannus post a dicenti­ bus cum audisset protervoque illi occurrisset: "Vide, hone vir " , inquit, "ne i n tales viros iniurias tuas tarn patienter ferentes ni­ mium tandem desipias ! " Cui ille cum sibi solita usque ad convicia respondisset protervia, W altrammus, tune decanus, in proximo fratrum capitulo regulari illum vindictfil subiecit. T uotilo vero abbatum, sub quibus militaverat, permissis ple­ rumque et praecfilptis multas propter artificia simul et doctrinas peragraverat, ut in suo capitulo tetigimus15, terras . Picturas filtiam et anagliphas carminibus et epigrammis decorabat singu­ lariter pretiosis . Tantfilque auctoritatis, ubicumque moraretur, apparuit, ut nemo, illum qui vidisset, sancti Galli monachum du­ bitasset. Erat autem in divinis et humanis ad responsa paratissi­ mus et, si quid incondecens , maxime in monachis , usquam vidis­ set, pro loco tempore et persona zelator erectus , ut in uno de plu­ ribus dicere habebimus .

Sindolfs Impertinenz. Tuotilo auf Reisen

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sagung nichts Böses gesche hen, vermochte jener Bruch durch keine Um­ s chläge zusammenzuwachsen, durch keine Verbände zusammenzuhei­ len. Mitten in einer Nacht endlich wandte man sich , voller Erbarmen über sein Schreien, bittflehend an Notker. Dieser kam, und als er das Bein tastend berührt hatte , spürte der Verunglückte es sogleich zusammen­ wachsen und lernte so auf herbe Weise, künftighin demütig zu de nken . 39. U n d damit w i r z u r gehörigen Ordnung zurückkehren u n d weiter b eschreiben, wie Sindolf unter S alomo ungehemmt seine Tollheiten trieb: Eines Tages setzte er - was zur Aufgabe des Refektorariu s ge­ hörte - Notker und Ratpert, die zusammen Wochendienst14 hatten und nebeneinander saßen , ihr Maß an Getränk in dem einen Gefäß nicht so, wie e s seine Schuldigkeit war, vor , sondern warf es, Verwünschungen bei sich murmelnd, noch ehe sie da ware n , gewissermaßen einfach hin; und da nun fie l jenes Gefäß gleichwie schwebend vom Tisch auf die Er­ de, und während der Deckel weit davonrollte , blieb es zur Seite gekippt liegen und hielt den Wein, gleich als stünde es aufrecht, fest umschlos­ sen. Mürrisch kam Sindolf wieder zurück - denn er war hastig einige S chritte weitergegangen - , und nachdem er das Gefäß aufgehoben hatte , sagte er zu denen, die von weitem Z euge geworden waren und nun h erbeiliefen, auf den Boden starrte n und wissen wollten, ob von dem Wein etwas vergossen sei: "Wundert euch nicht , wenn der Teufel , von dem sie nächtelang die schwarzen Bücher erlernen, die Becher seiner Adepten vor dem Ausleeren bewahrte." Als aber Hartmann nachher davon erfuhr und dem Frechen begegnete , sagte er: "Gib acht, guter Mann, daß du es gegen diese Männer, die deine Beleidigungen so gedul­ dig ertrage n , am Ende nicht allzu toll treibst ! " Ihm antwortete S indolf mit seiner gewohnten Unverschämtheit, die bis zu offener Schmähung ging, worauf ihn Waltram, der damalige Dekan , in der nächsten Kapitel­ sitzung der Strafe unterwarf, wie sie die Regel vorschreibt. Tuotilo aber zog mit Erlaubnis der Äbte, unter denen er diente , und meist sogar auf ihre Weisung, durch viele Länder um der Kunst und zu­ gleich auch um der Wissenschaft willen , wie wir in dem Abschnitt über ihn erwähnt haben15 • Seine Malereien und auch seine Reliefarbeiten zierte er mit unschätzbaren Versen und Aufschriften. Und wo immer er sich befand, trat er als ein so bedeutender Mann in Erscheinung, daß nie­ mand , der ihn sah, bezweifelte, daß er ein Mönch des heiligen Gallus sei. I n den göttlichen und menschlichen Dingen aber war er zu jeder A nt­ wort bestens gerüstet , und nahm er irgendwo, namentlich bei Mönche n , e t w a s Unziemliches w a h r , so g a b er s i c h nach O r t , Z e i t u n d Person als aufrechter Eiferer, wie unter anderem in dem einen Fall, den wir nun zu erzählen haben. 14 Die Vita Notkeri, Kap. 20, verdeutlicht: coquinae ordinariis. 1 5 Kap. 34.

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Casus s. Galli 40

40. E nimvero quoniam homo erat itinerarius lateque terraru m

et urbium gnarus , missus e s t aliquando p r o communi causa M o ­ gontiam utique p r o pannis laneis emendis, quos sericales vocant aut tunicas. In ingressu ergo civitatis circa sancti Albani mona­ sterium hospitium petens, hominibus suis statim propter pabula et victualia mercatum missis , ipse super sedile se lassus, ut pau­ lisper quiesceret , locaverat. Erant autem dies vindemi� , quibus fratres ad ob�dientias dimissi sunt per vineas. Et ecce primo sig­ no ad vesperas pulsato circator fratres collecturus , asino pro re­ ligione insidens, hostio domus hospitii iam dicti quasi aliquem et ibi quesiturus appropiat. Latenter autem, si commatrina sua do­ mi sit, sciscitando domum inequitat. At illa de camera egressa salutans compatrem, hospitem illum dormire putans, optulit viro mustum. Quo ille impigre hausto vaseque reddito mammam femin� titillat assentientis. Hospes vero viso facinore exilit, il­ lum sc�lestum inclamitans, comis apprehensum in terram deiecit flagelloque , quo ad equum usus est, adhuc manu habito acriter hominem cicidit• adiciens: "Hoc", inquit , "tibi sanctus Gallus, sancti Albani frater, dedit !" Ille vero quamvis pro reatu sit tristis et passus, timidus tarnen sui venia petita, uti se c�latum habere vellet, hominem rogat. Hospes illi: "16Ne modo adicias p eccatum peccato16, quantum in me est, bene c�laberis ." Intimatur abbati fratrem de sancto Gallo ante portam hospita­ ri. Vocatur in claustrum. Nomen sciscitati agnoscunt hominem diu fama vulgatum. Caritativeque tractato ipsi exhibebant Mar­ tham. Ille autem capacibus exhibebat Mariam17• Rogaturque ibi morari, usque dum thronum Dei in brathea altaris aurea c�laret. Cui similem anaglipham raro usque hodie videre est alteram. In circulo scribens hunc versum: 18Ecce po lo po tior solio terraque scabe llo 18• Cum autem ibi aliquantum tardasset, non c�latum est ex parte , quid deforis e gerit . Rogatus dicere: "Fratrem", inquit, "ibi indis­ ciplinatum vidi, quem, ut ferirem, flagellum levans intentavi,

• st.

cecidit.

Tuotilo in Mainz

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40. Tatsächlich war er ja ein reiselustiger Mann, der Länder und Städ­ te weit herum kannte , und daher schickte man ihn einmal für ein gemein­ sames A nliegen nach Mainz, wohl zum Einkauf von wollenen Tüchern, die man S arewat oder Tuniken nennt. Da er also bei seinem E intritt in die Stadt unweit des Klosters St. Alban Herberge bezog, schickte er gleich seine Leute um Futter und Proviant zum Markt und setzte sich selber müde auf eine Bank, um ein Weilchen auszuruhen. E s waren aber die Tage der Weinles e , an denen die Brüder zu den Klosterdomänen in d e n W einbergen umhergeschickt werden. Und siehe, kaum war das er­ ste Zeichen zur Vesper geschlage n , da kam der Aufseher, der die Brüder sammeln sollte , in frommer Allüre auf einem Esel geritten und näherte sich dem Eingang des besagten G asthofs , gerade als wenn er auch dort jemanden suche. Insgeheim jedoch ritt er heran, um auszuforschen , ob seine Gevatterin zu Hause sei. Aber als jene aus der Kammer trat und den Gevatter begrüßte , wähnte sie, der Gast dort schliefe , und brachte dem Manne Most. Der, gar nicht faul, trank ihn aus, und da er den Krug zurückgereicht hatte, kitzelte er die Frau, die sich's gefallen ließ, am Bu­ sen. Doch der Gast hatte den Greuel gesehen, sprang auf, schimpfte je­ nen laut einen S churken, griff ihn bei den Haaren und warf ihn zu Boden , und m i t d e r Peitsche, d i e er z u m Reiten benutzte u n d noch in d e r Hand hielt, schlug er den Mann heftig und setzte hinzu: "Das hat dir der heili­ ge Gallus, der Bruder des heiligen Alban, verabreicht ! " Der andere war um seiner Schuld willen wohl zerknirscht und ließ e s über sich ergehen, bat dann aber doch furchtsam um T uotilos Verzeihung und darum , ihn gütigerweise nicht bloßzustellen . Da sagte der Gast zu ihm: " 16 W ofern

du nur nicht weiter Sünde an Sünde fügst 16 , kannst du, soviel an mir liegt, ruhig unentdeckt bleiben ! " D e m A b t wurde gemeldet, vor d e r Pforte d e s Klosters s e i e i n Bruder aus St. Gallen einquartiert . Man rief ihn herein. Sie erkundigten sich nach seinem Namen und erkannten den lange und überall berühmten Mann. Und indem sie ihn voller Liebe behandelten, leisteten sie ihm den

Dienst der Martha. Er dagegen bot den dafür E mpfänglichen das Werk der Maria17 • Und sie luden ihn zum Bleiben ein, bis er auf der goldenen Platte des Altars den Thron Gottes ziseliert hatte. Ein damit vergleich­ bares Relief aber bekommt man bis heute kaum je zu Gesicht. In die Kreisfläche schrieb er folgenden Vers: "18Siehe, ich habe den Himmel zum Thron, die Erde zum SchemeP8." Während Tuotilo nun dort einige Z eit verweilte , konnte es nicht gänz­ lich verborgen bleiben , was er draußen getan hatte. Gebeten, sich zu äußern, sprach er: "Ich sah dort einen Bruder, dem die Z ucht fehlte , und 16 - 16 V gl. Eccli. 5, 5. 17 Vgl. Luc. 10, 38 - 42. 18 - 18 V gl. J es. 66, 1 .

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Casus s . Galli 40/41

quod illi et mihi indultum quidem rogo." Sie ille fidei memor veri­ tati pareens, non tarnen mentitus est. Dixerant autem de illo unum aliquid, quod, quamvis monaehi non fuerit, propter naturam tarnen hominis dieere volo. Ibat ali­ quando per silvam latronibus aptam duobus suis eomitatus, uno scutato eum laneea , altero sine . Et eeee a duobus audacissimis in­ vasus, ambos istos uterque suum equo deieeerat. Interea ill e , utroque i n spolio oeeupato, robur quoddam validum eireumspee­ tum arripuit et terrore magno minax super illos venit. At illi videntes hominem forti assimilem spolia omittunt, seuta dorso re­ ieeta eontra illum vergunt. Laneeasque ille latronum prae seeuri­ tate proeul abieetas suos eitissime rapere iussit et, ut se defen­ derent, aeer verbis emonuit. Quas eum deieeti eeleres raperent, tanti ducis violentiam minime se perpeti posse videntes, hostes ab eo exarmati divertunt. Sie isti laneea �tiam sua levata, ut, si illi reverterentur, domino eam darent, silvam imperterriti transeunt. 41. Notkerus autem spiritualiter, ut diximus19, fortis , quantum Tuotilo in homines, tantum ipse valuit in demones ; alias autem eorpore, ut ieiunans et vigilans , tener, ut diximus, et maeer. Ae­ cidit autem, ut quadam nocte in aecclesia 20praeveniens in maturitate20 altariaque eireuiens, ut solebat, clamaret. In erip­ tam vero veniens XII apostolorum sanetique Columbani, aerio­ res de post aram oeuli eius eum dedueerent laerimas, quasi ea­ nem audierat mussitantem. Cumque interea suis vocem grun­ nientis mixtarn sentiret, intellexit temptatorem: "Esne tu", in­ quit, "iterum ibi? Quam bene tibi, miser, eontigit nune mussitan­ ti et grunnienti post gloriosas voees illas, quas in caelis habue­ ras !" Aecensoque lumine, quo angulo lateret, qu�sivit. Ille vero sinistro angulo appropiantem tanquam eanis rabidus vestes laee­ rat. "Eia" , inquit ille, "servitium tuum foris eriptam satagere ha­ beo; neque e nim pen� ille valent, quas , ut aiunt, iam pateris: aeri­ u s tibi aliquid paraturus sum. Pr�cipio tibi autem in nomine isto­ rum sanetorum et Domini mei, ut me in eodem, quo nunc indutus

Sieg über Räuber und Teufel

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um ihn zu schlagen, habe ich die Peitsche gezückt: was man ihm und mir doch verzeihen möge." Auf diese Weise hielt er Wort, indem er die Wahrheit schonte, ohne doch zu lügen. M a n erzählte sich aber von ihm ein Stückchen, das ich, ob es gleich einem Mönch nicht wohl anstand, zur Charakterisierung des Mannes den­ noch zum besten geben will . Er zog einmal durch einen Wald, ein richti­ ges Räuberrevier, und ließ sich von zwei eigenen Leuten begleiten, einem Reisigen mit und einem Reisigen ohne Lanze. Und siehe, da wurde er von zwei verwegenen Kerlen überfallen, wobei jeder der beiden einen der S einen vom Pferde warf. Während sie noch mit der Beute beschäf­ tigt waren , erspähte er einen kräftigen Eichenkloben, riß ihn an sich und kam drohend mit großem Schrecken über sie. Aber kaum erblickten die Räuber den reckenhaften Mann, so ließen sie die Beute fahren und kehr­ ten ihre S childe, die sie auf den Rücken geworfen hatten, gegen ihn. Und T uotilo hieß seine Leute, die Lanzen der Räuber, die diese aus Sorglosig­ keit weitab hingeworfen hatten, eiligst ergreifen, und feuerte sie grim­ mig an, sich zu we hren . Rasch bemächtigten sich die abgeworfenen K nechte der Lanzen; da sahen die Feinde ein, daß sie den Ansturm eines solchen Führers nicht bestehen würden, und von ihm entwaffnet, schlu­ gen sie sich in die Büsche . So zogen denn die Männer unerschrocken durch den Wald , nachdem sie auch noch die eigene Lanze aufgenommen hatten, um sie allenfalls dem Herrn zu geben, wenn die Räuber zurück­ kommen sollten. 41. Notker hingegen war, wie wir sagten 1 9, tapfer im Geiste, und so­ viel T uotilo gegen Menschen, soviel vermochte er gegen Dämonen; im übrigen aber war er bei all seinem Fasten und Wachen, wie gesagt, von zartem und schmächtigem Körper. Nun geschah es aber, daß er eines Nachts 2 0 vor der Z eit2 0 in die Kirche kam und nach seiner Gewohnheit von Altar zu Altar ging, während er laut betete . Als er jedoch in die Krypta der zwölf Apostel und des heiligen Kolumban gelangte und nächst dem Altar noch heftiger in Tränen zerfloß , war ihm, als höre er einen Hund knurren. Und da er dazwischen die Stimme eines grunzen­ den Schweines unterschied , erkannte er den Versucher und sagte: "Bist du abermals da? Wie recht ist dir geschehen, Elender, wenn du jetzt knurren und grunzen mußt, nach jenen strahlenden Stimmen, die du im Himmel besesse n ! " Und er zündete ein Licht an und suchte, in welchem Winkel er stecke . Als er aber nahe an die linke Ecke kam, zerriß ihm je­ ner wie ein toller Hund die Kleider. "Wohlan", sprach Notker, "ich muß es dir außerhalb der Krypta besorgen . Jene Strafen, die du angeblich schon leidest, wirken offenbar nicht: ich will dir etwas Schärferes ver­ passen. Ich befehle dir aber im Namen dieser Heiligen und meines 1 9 Kap. 33. 20 - 20 Vgl. Ps. 1 1 8 , 47.

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Casus s. Galli 41

es, canino corpore exspectes ." Et ille: "Faciam" , inquit, "si volo. " Et Notkerus velocius abiens: "Confido", ait, "in Domino, quia, v e ­ lis nolis , m e exspectabis ." Festinato autem aram sancti Galli adiens, cambotam suam et magistrF1 eius, multarum virtutum operatricem, cum spera illa sanct� crucis notissima rapuit et, in introitu cript� dextero spera posita, cum baculo sinistrorsum ca­ ninum illum aggressus est diabolum. Cum autem illum baculo sancto cedere c�pisset, voces suas anteriores altius gannitu edi­ dit et grunnitu . Tandem vero cum ad speram sanctissimam ce­ dendo cedentem fugiens venisset, ultra iam progredi non valen s constitit , et tot iam ictus et incussiones ferre n o n sustinens, bar­ barice clamans: "Auwe mir we!" vociferavit . At interea edituus cum basilicam intrasset vocesque horridas audisset, Iumen velox in manibus sumpsit et ad criptam acceleravit. At ille cum ei ic­ tum ultimum fecisset, baculum sanctum in locis confregit . Et nisi edituus speram videns allevasset canemque sie abire permisis­ set, adhuc eum cedere habuisset. Edituus vero baculo inspecto attonitus : "Baculumne sanctum, domine mi, in cane fedasti?" Illo conticente addidit : "Quisnam ille erat," inquit, "qui awe vocifera­ vit?" Putansque illum pro pietate furem aliquem c�lare, ivit in pedes per totam aecclesiam, furem comprehendere cupiens. Sed cum neque furem inveniret neque canem, graditur 22 secum mirans 22 , quia aecclesiam post se introiens clauserat, quidnam esse posset, quod contigerat. Virum denique regularem iam semel sibi tacitum amplius alloqui non ausus est praesumere . Et ille, secun­ dum quod humilis erat et prudens, edituo foras ire significans, in partem eum sumpsit benedictioneque praelata: "Quoniam bacu­ lum" , inquit, "fili mi, confregi, nisi tu iuveris , secreta mea habent efferri. Sed quoniam meum 23non est ambulare in magnis et in mirabilibus super me 23, silentio fidei tu�, quod factum est, com­ mitto." Sicque ei rem, ut facta est, enucleavit. At ille baculo per fabrum latenter reparato, quod factum est, ad tempus occultavit. In temporis autem processu res, ut erat, in medium venit. 2 1 D. h. Kolumbans; vgl. 22 - 22 V gl. Luc. 24, 12. 23 - 23 Vgl. Ps. 130, 1.

Wetti, Vita s. Galli, Kap. 26.

Der Teufel in Hu ndegestalt

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Herrn, daß du in der gleichen Hundegestalt, die du jetzt angenommen hast, auf mich wartest." Und jener sagte: "Ich tu's, wenn ich mag." Not­ ker aber entfernte sich rasch mit den Worten: "Ich vertraue auf den Herrn; da wirst du mich erwarten, ob du magst oder nicht ." Er ging aber eilig zum Altar des Gallus und holte sich des Heiligen und seines M e isters21 Krummstab, den Vollstrecker vieler Wunder, mitsamt jener berühmten Kugel des heiligen Kreuzes ; und nachdem er die Kugel am Eingang der Krypta zur Rechten hingelegt hatte, wandte er sich mit dem Stock nach links wider jenen Teufel in HundegestalL Als er aber anfing, ihn mit dem heiligen Stabe zu schlagen, steigerte er die früheren Töne zu noch lauterem Kläffen und Grunzen. Er versuchte aber zu ent­ fliehen und kam schließlich im Zurückweichen vor dem Schlagenden zu der heiligen Kugel, und weil er nun nicht weitergehen konnte, stand er still, bis er so viele Hiebe und Prügel nicht mehr ertrug und auf deutsch herausschrie : "Au weh mir, weh !" Doch hatte unterdessen der Küster die Kirche betreten, und wie er die schrecklichen Stimmen hörte, nahm er rasch ein Licht in die Hände und eilte zur Krypta . Gerade aber hatte N otker dem Te ufel den letzten Streich versetzt, als er den heiligen Stab auf der Stelle zerbrach. Und hätte nicht der Küster die Kugel bemerkt und aufge hoben und so den Hund entwischen lassen, hätte Notker ihn noch weiter schlagen könne n. Der Küster aber schaute auf den Stock und fragte betroffe n: "Den heiligen Stab, mein Herr, hast du an einem Hunde entehrt?" Und als jener schwieg, setzte er hinzu: "Wer war denn jener, der ,Ach weh ! ' geschrien hat?" Und in der Meinung, daß Notker aus Güte nur irgendeinen Dieb decke , ging er Schritt um Schritt durch die ganze Kirche , begierig den Dieb zu erwischen. Allein, er fand weder Dieb noch Hund, und während er dahinschritt, 22nahm es ihn wunder22, was sich wohl zugetragen haben mochte, da er doch die Kirche beim Ein­ treten hinter sich abgesperrt hatte. Dennoch wollte er sich nicht erdrei­ sten, den regelgetreuen Mann, der ihm schon einmal bloß mit Schweigen begegnet war, noch weiter anzureden. Und Notker, demütig und klug, wie er war , bedeutete dem Küster hinauszukommen, nahm ihn auf die S eite und sprach , nachdem er ihm zuvor den Segen erteilt : "Nun ich den Stab zerbrochen habe, mein Sohn, müssen meine Geheimnisse zutage treten, wenn du mir nicht beistehst. Aber weil es 23nicht meine Art ist, in großen Dingen zu wandeln , die mir zu hoch sind23, vertraue ich dir un­ ter dem Siegel der Verschwiegenheit an, was geschehen ist ! " Und so er­ läuterte er ihm die Sache und ihren Hergang bis ins einzelne. Während aber der Stock durch den Schmied insgeheim wiederhergestellt wurde, verschwieg der Küster zunächst, was sich zugetrage n. Im Laufe der Z eit jedoch kam die Sache, so wie sie war, ans Licht.

Casus s. Galli 42/43

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42. Et ut videas loci nostri religionem �tiam in psalmodiis, tre­ decim sedilia cum psalteriis aut auro inpictis aut alias nobilibu s habebat; praeter alias et habet illa sancti Galli basilica capellas . In quorum uno angulari foribus proximo Notkerus psallere erat solitus. Accidit autem, ut quadam die ad non� sinaxim non veni­ ret neque eam per se caneret. In illo autem solio cum post com­ pletorium 24clara adhuc die24 precibus insisteret, videt super se in laquearii interrupti trabibus diabolum consedisse et stilo in tabula scribere. Quem cum, quid scelus scriberet, interrogasset: "Nonam" , inquit, "quam tu scelus hodie supersederas, scribo." At ille dicto cicius : "Deus, in adiutorium meum intende25!" prose­ cutu s , videt eum manu celerrima, quod scripserat , planass e . Cumque ad preces sinaxis se in terra prosterneret, tabulam la­ quearii disrupti super eum deiecerat. At ipse videns, ut ictum d eclinaret, citus exiliit. C hachinnans tandem ille: "Tarnen mihi ut assurgeres", inquit, "effeci." "Enimvero" , ait et Notker, "si tu ut nuper caninus fueris, iterum tecum habeo operari." Tandem cum evanuisset, fratres aliqui in extremis templi orantes , sonum tabul� vocesque audientes mirati, quid esset, citi aderant. Videntesque eum, ut solebat, prostratum, nolebant il­ lum, quod �tiam incompetens hora esset, impedire. Tandem ta­ rnen Tuotilo, unus ex ipsis, signo dato amice illum foras evocans, silenter in aurem: "Magnas" , inquit, "inquietudines tu et demo­ nes tui fratribus facere soletis ." At ille : "Audierantne, mi anime , fratres omnia?" "Non omnia " , inquit; "sed mihi, velim , que h�c turba fuerit, per singula pandas ." Ipse vero id cum abnueret ab eoque se concitus, tabulam ibi cecidisse dicens, subtraheret, erant alii, qui viderant et factum, ut erat, non celabant. 43. Erat eodem in tempore in loco adolescens quidam mona­ chus admodum literatus , comitis cuiusdam filius26 nomine Wolo, inquietus et vagus, cui propter aversionem cum nec decanus ipse nec domnus Notkerus seu ceteri imperare potuissent crebroque esset verbis verberibusque coercitus nihilque proficeret , omnes

24 - 24 2. Reg. 3, 35. 25 Vgl. Kap. 57, Anm.

81.

Der Teufel in der Kirche

-

W olo

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42. Und damit du den frommen Geist unseres Klosters auch am Psal­ modieren erkennest, so verfügte es über dreizehn Sitze mit Psalterien , d i e entweder mit Gold bemalt oder sonstwie edel gestaltet waren; auch besitzt jene Kirche des heiligen Gallus mehr Kapellen als andere Kir­ chen. Auf einem dieser Sitze war e s , einem Eckplatz dicht an der Tür, wo N otker zu psallieren pflegte. E s geschah aber, daß er eines Tages zur Versammlung der Non nicht erschien und diese auch nicht für sich allei­ n e sang. Als er nun nach der Schlußhore 24noch bei hellem Tageslicht24 auf jenem Sitze verharrte und betete , sah er über sich in den Balken der auseinandergerissenen Decke den Teufel sitzen und mit einem Griffel auf einer Tafel schreiben . Und auf die Frage , was der Bösewicht da schreibe, e ntgegnete er: "Die Non notiere ich, die du Bösewicht dir er­ spart hast." Aber Notker rief ihm augenblicks zu: "0 Gott, eile, mir zu heifen25 ! " und da sah er, wie der Teufel mit flinker Hand austilgte, was er geschrieben hatte. Und als Notker zum Stundengebet zur Erde nie­ derfiel , warf der Teufel die Tafel aus der geborstenen Decke auf ihn her­ ab. Er aber bemerkte es und sprang rasch hoch , um dem Wurf auszuwei­ chen. Da lachte jener höhnisch und sagte sodann: "Hab' ich doch wenig­ stens erreicht , daß du vor mir aufste hst !" "Fürwahr", spottete auch Not­ ker, "wenn du wie neulich in Hundegestalt erscheinst, werde ich mich abermals mit dir plagen müssen." Als er schließlich verschwunden war, fanden sich rasch etliche Brüder ein, die ganz auf der anderen Seite der Kirche beteten und das Krachen der Tafel und die Stimmen hörten und sich verwundert fragten, was da vor sich gehe. Und da sie Notker zur Erde hingestreckt sahen, wie es seine Gewohnheit war, wollten sie ihn nicht stören , zumal es auch eine ungehörige Stunde war. E ndlich aber gab ihm Tuotilo - als einer von ihnen - doch ein Z eichen und rief ihn freundschaftlich hinaus und sagte ihm leise ins Ohr: "Große Aufregung stiftet ihr unter den Brüdern, du und deine Dämonen." Aber jener fragte : "Haben die Brüder alles gehört , mein Herz?'' "Nicht alle s " , sagte Tuotilo, "aber ich möchte, du würdest mir Punkt für Punkt verraten, was das für ein Aufruhr gewesen ist ." Notker indessen wollte nichts davon wissen und entzog sich ihm hastig mit der Bemerkung, e s sei dort bloß eine Tafel herabgestürzt; doch gab e s andere , die Augenzeugen waren und das tatsächliche Geschehnis nicht verheimlichten.

43. Z ur seihen Zeit lebte hier im Kloster ein junger, recht gebildeter M önch, ein Grafensohn2 6 namens W olo; der war ein unruhiger und unste­ ter Geist, und seinem inneren Trotz konnten weder der Dekan noch der Herr Notker noch die übrigen gebieten, und während er häufig mit Wor­ ten und Schlägen gezüchtigt wurde , ohne daß er sich läuterte , tat es 26 U nbekannt, aus welchem Geschlecht; die Vita Notkeri, Kap. 27, nennt die Kyburger.

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Casus s. Galli 43

pro talis ingenii viro dolebant. Nam cum nunquam sanctus Gal­ lus nisi libertatis monachum habuisset , nobiliores tarnen sepius aberrabant. Advenerant in monasterium parentes eius pro e o solliciti; p e r quorum monita cum parumper proficeret, iterum post habitum• eorum idem erat. Diabolus autem quadam die domno apparuit Notkero diluculo: "Malam tibi" , inquit, "et fra­ tribus tuis facturus sum noctem." "Mala avis" , ait ille, "malam famam prodere solet ." At ille fratribus , que audivit , uti die illo se caverent, praenotuit. Wolo vero cum hoc et ipse a dicentibus a u­ disset: "Senes 27", inquit , 27"semper vana somniant 27." Erat autem dies ipse , quo sibi a decano, ne quoquam, ut solebat, claustro pro­ grederetur, interdieturn esse omnes noverant. Et cum sederet ad scribendum, ultima eius scriptura erat 28 : Incipie bat enim mo­ ri. Ilicoque exiliens, CfiJteris illum inclamantibus : "Quo nunc, Wo­ lo, quo nunc29?", in campanarium sancti Galli per gradus ad hoc quidem nobis paratos ascendere incipit, uti oculis , quia gressu non licuit , montes camposque circumspiciens vel sie animo suo

vago satisfaceret. Ascendens vero cum super altare virginum venisset, impulsu , ut creditur, satan'il p e r laquear cecidit collumque confregit30 • Plu­ rimis autem, qui viderant vel audierant, accurrentibus , cum via­ tieuro ei properanter afferrent, confessione dicta communicavit. At illi cum eum efferre voluissent et ad domum infirmorum por­ tare: "Sinite me" , inquit , "sanctas virgines prius inclamare ! Ipse enim sciunt, quia, quamvis alias nefandissimus , mulierem tarnen non novi." Interea cum alte eiulasset, Notkero accurrente , ma­ nus illi porrexit: "Tibi" , inquit, "domine mi, et sanctis virginibu s , quas semper amabas , animam peccatricem commendo." At ille iactans se circa eum: "Sanct!iJ " , inquit, "virgines, in vobis confi­ sus fratris istius crimina super me tollo et ambos nos vobis com­ mitto." Et hfiJC dicens flebat et eiulabat . Cumque ille efferretur, pro foribus fiJCclesifiJ quiete petita , Notkerum manu artissime stringens, omnibus preces effundentibus , emisit spiritum.

a

st. abitum.

W olos Todessturz

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allen leid um den Mann, der so schöne Begabung zeigte . Denn hatte auch St. Gallen immer nur Mönche von freier Geburt besessen, so wichen doch die Vornehmeren unter ihnen häufiger vom Wege ab. Bekümmert über ihn, kamen Wolos E ltern ins Kloster, und während er bei ihren Er­ mahnungen wohl etwas in sich ging, war er nach ihrem Weggang wieder der alte . Nun erschien aber der Teufel eines Tages in der Frühe dem H errn Notker und sprach: "Eine böse Nacht will ich dir und deinen Brü­ dern besorgen." Jener e ntgegnete : "Böser Vogel pflegt böse Kunde zu melden." Doch gab er das Gehörte warnend den Brüdern bekannt, damit sie sich an dem Tage in acht nahmen . Da aber Wolo gleichfalls davon re­ den hörte, sagte er: "27Greise faseln ewig hohles Zeug27 . " E s war aber just ein Tag, da ihm der Dekan, wie alle wußten , untersagt hatte , aus der Klausur irgendwohin zu gehen, wie er gewöhnlich tat. Und als er beim S chreiben saß , war die letzte Z eile , die er schrieb28: "Denn er war am Sterben." Und sogleich sprang er auf, indes ihm die anderen zuriefen: "Wohin nun, Wolo, wohin29?", und begann über die Stufen, die eben dazu für uns angelegt sind, zum Glockenturm der Galluskirche hinaufzustei­ gen; denn da er schon nicht hingehen durfte, wollte er die Berge und die Fluren ringsum mit den Augen schauen, um seinen unsteten Sinn wenig­ stens so zu befriedigen. Wie er aber emporstieg und über den Altar der Jungfrauen gelangt war, stürzte er, wohl auf E inwirkung des Teufels, durch die Holzdecke h erab und brach sich den Hals30 • Viele aber hatten es gesehen oder ge­ hört und liefen herbei, und da man ihm eilig die Wegzehrung brachte, legte er die Beichte ab und empfing das Abendmahl. Doch als sie ihn hin­ austragen und zum Krankensaal bringen wollten , sagte er: "Laßt mich zuvor die heiligen Jungfrauen anrufe n ! Denn sie wissen, daß ich bei all meiner Verruchtheit doch nie ein Weib berührte." Derweil er laut weh­ klagte, eilte Notker herbei, und ihm streckte Wolo die Hände hin: "Dir, mein Herr", sagte er, "und den heiligen Jungfrauen, die du allezeit lieb hattest, befehle ich meine sündige Seele." Aber Notker warf sich bei ihm nieder und sprach: "Ihr heiligen Jungfrauen, auf euch vertraue ich, und so nehme ich die Vergehen dieses Bruders auf mich und gebe uns beide in eure Hände ." Und bei diesen Worten weinte und klagte er laut. Und da man W olo hinausbrachte, bat er vor dem Portal um eine Weile Rast , und während er Notker ganz fest bei der Hand hielt, gab er unter den Gebeten der Brüder seinen Geist auf.

27 - 27 Vgl. Joel 2 , 28. 28 Joh. 4, 47. 29 Vgl. Verg. Aen. 5, 670. 30 Vgl. die Notiz in den Ann. SangalL mai. a. 876: Volo cecidit.

Casus s . Galli 44

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44. Inter exequias Notker eum lavit, in feretrum collocavit, ob­ sequium faciens totam eius sepulturam ipse procuravit semper­ que, quoad vixit, duo in se monachi officia testatus est solvenda. C ompletorium ipso obitus viri die dum finiretur , patrum quidam simplicior precem, in qua inest31 : Ut sicu t lae ti duximus diem, ita noctem quoque lae ti transigamus , dum recitasset, exiliens vir Dei: "Quid petis" , inquit, "frater admirabilis, quid petis? 3 2 Suffi­ ceret hodie diei malicia sua3 2 et superhabundaret; tu autem et nocti eadem precaris?" S eptima vero obitus hominis die cum pernoctans in aecclesia permansisset, circa tempus Iaudis nocturn� parumper super ge­ nua pausans , videt quasi Ra perturn suum se excitantem et dicen­ tem: 33"Dimissa sunt ei peccata multa, quia dilexit multum33 ." At ille evigilans: "Unde, anime mi, unde hoc nosti?" cum subiunxis­ set, quasi modesto gradu ille exiit . At ipse putans eum aeccle­ siam , ut ibi licentius loqueretur, exire , dum eum extra velum prosequitur, neque ipsum neque gressus eius ullum sentire pote­ rat sonum. Cereoque accenso qufi)sivit eum in lecto. Quem inve­ nit surgentem, ut et ipse, sicut solebat, 34praeveniret in maturi­ tate et clamaret34 • Cereo extincto aecclesiam rediit. "Te Deum laudamus" prae gaudio flens silenter cantavit. Die autem dato, qufi)rente Ratperto, utrumne ad excitandum se nocte venisset, quod viderat, amabili suo aperuit. Tandem quoque et Cfi)teros fra­ tres spes tanta non latuit. Ratpertus vero et ipse sanctus circa claustrum sancti Galli cum languidus iret nec tarnen docere desineret, XL discipulis quondam suis, canonicis tune quidem presbyteris , loco propter festurn advenientibus animam singulis in manibus commisit, quorum quisque ei XXX missas obituro promiserat. Sicque ille laetissimus Deum, uti se diutius morbo coqueret , rogans , panis nitidus35 factus inter discipulorum manus in paradysum, ut credimus, transiit. Pro quo Notker et Tuotilo praeter Cfi)teros fratres dolentes , qui post eum relicti sunt, multa fecerunt:36•

3! Vgl. Cod. 387, p. 693. 32 32 V gl. Matth. 6, 34. 33 - 33 Vgl. Luc. 7 , 47. ·

Wolos Bestattung. Das Sterben Ratperts

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44. Bei der Totenfeier war e s N otker, der ihn wusch und auf die Bahre legte; selber hielt er das T otenamt und besorgte sein ganzes Be­ gräbnis , und immer, sein Leben lang, hat er dargetan, daß er in seiner Person die Pflichten zweier Mönche zu erfüllen habe. Während nun eben a n W olos S terbetag die Komplet zu Ende ging, trug einer der Väter, der etwas beschränkt war, das Gebet vor, worin es heißt31 : "So froh wie wir den Tag verlebten , so froh mögen wir auch die Nacht verbringen"; da sprang der Gottesmann auf: "Was begehrst du da", sagte er, "was be­ gehrst du, wundersamer Bruder? 32Für heute möchte es mit des Tages Plage genug sein32 und mehr als genug; du aber erbittest dasselbe auch noch für die Nacht?" A m siebenten Tage aber nach dem Tode des Mannes verharrte er wa­ chend die Nacht hindurch in der Kirche , und da er um die Zeit des nächt­ lichen Lobsingens sich für ein Weilchen auf den Knieen ausruhte, dünkte ihn, sein Ratpert erscheine und wecke ihn mit den Worten: "33Ihm sind viele S ünden vergeben, denn er hat viel geliebt33." Allein, wie er im Auf­ wachen erwiderte : "Woher, mein Herz, woher weißt du das?", da war ihm, als entferne sich jener mit sanftem S chritt . Er dachte aber, Ratpert gehe zur Kirche hinaus, um dort fre ier sprechen zu können, und da er ihm vor den Vorhang folgte, konnte er keine Spur von ihm und keinen Ton von seinen Schritten wahrnehmen. Und nachdem er eine Kerze an­ gezündet hatte, suchte er ihn in seinem Bette auf. Und er traf ihn, wie er gerade aufstand, um gleichfalls, wie er gewohnt war, 34vor der Zeit zu kommen und zu beten34• Da löschte N otker die Kerze und ging in die Kir­ che zurück. "Te deum laudamus " sang er still für sich und weinte vor Freude. Wie e s aber Tag geworden war und Ratpert fragte, ob er i n der Nacht gekommen sei, ihn zu wecke n , offe nbarte Notker seinem Freund, was er erlebt hatte. Und zuletzt blieb diese Hoffnung, die so tröstlich war, auch den übrigen Brüdern nicht verborgen . Ratpert jedoch, gleichfalls e i n heiliger Mann, ging schon krank in der Klausur des heiligen Gallus herum, ohne doch seinen Unterricht aufzu­ geben; und wie denn vierzig seiner ehemaligen Schüler, nunmehr ja Kapitelherren , zu festlichem A nlaß ins Kloster kamen, befahl er seine Seele in ihre Hände; denn jeder einzelne von ihnen hatte ihm dreißig Sterbemessen versprochen. Und indem er Gott darum bat , ihn durch die Krankheit noch weiter zu läutern , ward er zum glänzendreinen Brot35 und ging also in aller Freudigkeit unter den Händen der Schüler hinüber ins Paradies , wie wir glauben. Und N otker und Tuotilo nebst den ande­ ren Brüdern , die er in Trauer zurückließ, taten viel für sein Heil36 • 34 - 34 Vg l . Ps. 1 1 8 , 47. 35 Das gleiche Bild bringt Ekkehard zum Tod des hl. Gallus: Liber bened. I 38, 7 4 f.; Pict. SangalL 1 2 1 f.

36 Ratperts Tod fällt nach 884.

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Casus s . Galli 45/46

45. Tuotilo vero cum apud Metensium urbem c�laturus satage­ ret, peregrini duo sanct� Mari� imaginem c�lanti astiterant ele­ mosinamque petebant. Quibus cum nummos clam tribueret, divertentes ab eo clerico cuidam astanti aiebant: "Benedict u s Domino vir iste, q u i n o s hodie b e n e consolatus e s t . Sed estne soror eius", inquiunt, "domina illa praeclara, qu� ei tarn commode radios ad man um dat et docet, quid faciat?" Ille vero miratus, quid dicerent, cum nuperrime ab eo digressus nil tale vidisset, rever­ titur et, quod dixerant, velut 37ad momentum et in ictu oculi37 contemplatur. Ait autem illi clericus et peregrini: "Benedictus tu pater Domino, qui tali magistra uteris ad opera ! " Qui cum ip­ sos , quid dicerent, nescire assereret, vehementer in illos invec­ tus, 38ne cui tale quid dicerent, interminatur38• In crastinum au­ tem cum gloriam talem de se plures audiret dictitare, subtra­ hens se cessit de medio neque iam ultra in urbe illa operari vole­ bat. In brattea autem ipsa aurea, cum reliquisset circuli plani­ tiem vacuam, nescio cuius arte postea c�lati sunt apices: Hoc panthema pia c�laverat ipsa Maria. Sed et imago ipsa sedens quasi viva cunctis inspectantibu s adhuc hodie e s t veneranda. Dicebant autem nobis patres, quod ipse vir Dei iter agendo in quandam villam, ubi ad missas sonatum est, properans demonem ab homine in aecclesia bachantem invocatione sancti Galli eiece­ rat. Sunt vero et alia, qu� de illo audivimus, multa; sed et de aliis nostro in loco Dei viris , quibus quia, ut nunc seculum est, diffidi putamus, tacere quam scribere maluimus . De obitu autem eiu s , quia nihil constans comperimus, h o c solum, quod ad gaudia e u m migrasse39 confidimus, indubitanter asserimus. 46. De Notkero, qu� reliqua sunt, audenter narrabimus, quon­ iam illum spiritus sancti vas electum nequaquam dubitamus . Remansit ille sanctissimus uterinis in spiritu viduus et orbus. Tandemque malum illi, quo 40dolore cordis intrinsecus tactus est40, accidit . Epistolas canonicas Grecas a Luitwardo Vercellen­ si episcopo petitas multis sudoribus ille exemplaverat. Et ecce

37 - 37 V gl. 38 - 38 V gl.

1 . Kor. 15, 52. Luc. 9, 2 1 .

Tuotilo in Metz. Sein Tod - Notkers Gram

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45. Als aber Tuotilo in der Stadt Metz seine Reliefkunst übte , traten zwei Pilger zu ihm, während er eben ein Bild der heiligen Maria ziselier­ te, und baten um ein Almosen. Da schenkte er ihnen heimlich Geld, und als sie von ihm ginge n , sagten sie zu einem Geistlichen , der in der Nähe stand: "Gottgesegnet der Mann, der uns heute wohl getröstet hat. Aber ist das seine S chwester" , fragten sie , "jene leuchtende Herrin, die ihm mit den Sticheln so geschickt zur Hand geht und ihm zeigt, was er tun soll?" Jener aber wunderte sich über ihre Worte, war er doch soeben von Tuotilo weggegangen, ohne etwas dergleichen zu bemerken; er kehrte um, und da gewahrte er, was sie gesagt hatten, gleichsam 37in einem Nu, in einem Augenblick37• Nun sprachen der Geistliche und die Pil­ ger zu ihm: "Vater, du Gesegneter im Herrn , der du bei deinen Arbeiten eine solche Lehrmeisterin hast ! " Er aber behauptete, sie wüßten selber nicht was sie sagten, und sprach heftig auf sie ein und 38verbot ihnen, jemandem etwas dergleichen zu erzählen38• Anderntags aber mußte er hören, daß manche schon derlei Ruhmesreden über ihn im Munde führ­ ten; da machte er sich fort aus ihrer M itte und entwich und wollte nicht länger mehr in jener Stadt zu tun haben . Auf der Goldplatte selbst aber hat nachher in eine Kreisfläche, die Tuotilo leer gelassen, eine unbe­ kannte Künstlerhand die Lettern eingraviert: "Dies G eschenk hat die heil'ge Maria selber gemeißelt." Aber auch das Bild der Maria, die wie lebend thront, erscheint noch heute jedem Betrachter verehrungswürdig. Es erzählten uns aber die Väter, daß während einer Reise jener Got­ tesmann in ein Dorf eilte, wo man zur Messe läutete, und dort einen in der Kirche tobenden Dämon aus einem Menschen austrieb, indem er den heiligen Gallus anrief. Tatsächlich gibt e s noch viele andere Geschich­ ten , die wir über ihn gehört haben ; doch auch über andere Gottesmänner in unserem Kloster zogen wir ja vor zu schweigen, statt zu schreiben, weil wir glauben, daß man ihnen bei dem heutigen Zeitgeist nur mit Miß­ trauen begegne . Über Tuotilos Tod aber haben wir nichts Bestimmtes in Erfahrung bringen können, und nur dies eine stellen wir außer Frage : daß er nach unserer festen Überzeugung zu den ewigen Freuden einge­ gangen ist39• 46. Was über Notker noch zu sagen bleibt, werden wir unbedenklich vorbringen, zweifeln wir doch keinen Augenblick, daß er ein auserwähl­ tes Gefäß des Heiligen Geistes sei. Jener Hochheilige also blieb, seiner Brüder im Geiste beraubt , verwaist zurück. Und am Ende geschah ihm ein Leid, worüber 40 er sich in seinem Herzen grämte4 0 • Er hatte sich von Bischof Liutward von Vercelli ein griechisches Exemplar der kanonischen Briefe erbeten und es unter vielen Mühen abgeschrieben. Und siehe, 39 Nach 912. 40 - 40 V gl. Genes. 6, 6.

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Casus s . Galli 46/4 7

S indolfus, magnus iam et praepotens in loco, ut diximus41 , codi­ cem illum delicatty scripturn casu incurrens furatus est, et singu­ las quaternionum, sicut hodie videre est, cultro excisas discerp­ sit atque depravavit et iterum conplicatas in locum, ubi eas fue ­ rat furatus, reposuit42 •• .a arus sponte . . . b velut h e c miraculis fac­ tam, ne maturitatis tanti viri umquam huic assenserit levitati. Que autem Tuotilo dictaverat , singularis et agnoscibilis melo­ die sunt, quia per psalterium seu per rothtam43, qua potentior ipse erat, neumata inventa dulciora sunt, ut apparet in "Hodie cantandus" et "Omnium virtutum gemmis" . Quos quidem tropo s Karolo ad offerendam44, quam ipse r e x fecerat, obtulit canendos . Qui rex etiam "Viri Galilei" offerendam cum dictasset, Tuotiloni versus addere iniunxit, ut aiunt: "Quoniam Dominus Ihesus C hri­ stus" cum ceteris , "Omnipotens genitor fons et origo" cum se­ quentibus, "Gaudete et cantate" et alios quidem ; sed istos propo­ suimus, ut, quam dispar eius melodia sit ceteris , si musicus e s , noris . Waltrammus autem, quem supra diximus45, decanus, sed et Hartmannus , qui abbas noster factus est46, quas fecerant laud e s , sua nomina quia preferuntur i n cantilenarum libellis , studiose transimus, preter quod W altrammi sequentia "Sollempnitatem huius devoti filii ecclesie" sirre eius nomine scribitur. Fecerat et Hartmannus minor47 quedam, que utrius sirrt, e quivocatio dubia facit. Erant vero et alii quidam nostratium, qui sequentias et tro­ pos nec non et alia quedam plura pro studio quisque suo fecerant opera, quos loco suo memoraturi singulorum singula narranda servamus48• 47. Hartmannum post Salomonern privilegio electionis patres acceperant abbatem. De quo, quoniam proprium eius sui tem­ p oris libellum49 habemus, plura scribere supersedemus. Erat a

Lücke von ca. 12 Buchstaben B.

b

Lücke von ca. 4 Buchstaben B .

41 K a p . 35 f. 42 Der folgende

fragmentarische Passus entzieht sich genauerem Verständnis .

Der Schluß ist allenfalls so zu verstehen: " . . . als sei dies aufgrund von Wundern geschehen, um der Leichtfertigkeit eines so reifen Mannes auf keinen Fall beizu­ pflichten."

Sindolfs Bubenstück. St. Galler Tonkunst

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d a stieß Sindolf - wie gesagt41 , schon großmächtig geworden im Kloster - zufällig auf jenes köstlich geschriebene Exemplar und ent­ w endete es heimlich ; dann schnitt er die einzelnen Blätterlagen heraus , wie noch heute zu erkennen i s t , zerrupfte u n d verhunzte s i e u n d legte sie wieder zusammengefaltet dahin zurück, von wo er sie gestohlen hatte42 ••• Tuotilos Kompositionen aber sind von einzigartiger und unverkennba­ rer Tongestaltung; denn die Melodien, die auf dem Psalterium ersonnen werden oder auf der Rotta43 , die er noch besser beherrschte, sind gar lieblich, wie es sich im >Hodie cantandus< und < Omnium virtutum gem­ mis< erweist. Und eben diese Tropen hat er König Kar! dargebracht , um sie zu dessen selbstverfaßten Offerenda44 singen zu lassen. Dieser König schuf auch die Offerenda > Viri Galilei< und trug Tuotilo auf, Verse bei­ zufügen, nämlich: "Quoniam Dominus Ihesus C hristus" mit dem weite­ ren, "Omnipotens genitor fons et origo" mit dem folgenden, "Gaudete et cantate" und noch andere mehr; aber diese hier haben wir darum vorge­ legt, damit dir, wenn du Musikverständnis hast, begreiflich werde , wie sehr sich Tuotilos Liedweise von anderen unterscheidet. Was für Lobgesänge jedoch der Dekan W altram, den wir oben nannten45, aber auch Hartmann , der zu unserem Abt ernannt wurde46, schufen, übergehen wir mit Absicht; denn ihre Namen figuriere n in den Hymnenbüchern, mit Ausnahme der Waltram-Sequenz > S ollempnita­ tem huius devoti filii ecclesie< , die ohne Verfassernamen verzeichnet ist. Auch der jüngere Hartmann47 komponierte einiges, wobei zwar die G leichheit der Namen eine sichere Z uweisung verwehrt. E s gab aber unter den Unsrigen auch andere , die Sequenzen und Tropen und ebenso noch andere Werke , ein jeder nach seiner Neigung, verfaßten: diese werden wir an ihrem Orte erwähnen und ihre E inzelschilderung bis dahin aufsparen48 • 47. Nach S alomo nahmen die Väter kraft ihres Wahlrechts den Hart­ mann zum Abt. Über ihn nun ausführlicher zu schreiben, ersparen wir u n s , da wir von ihm eine eigene kleine S chrift über seine Zeit besitzen49•

43 Die Rotte bezeichnet in der Regel ein weltliches Saiteninstrument (vgl. dazu auch Kap. 34).

44 Zum Offertorium gesungene Antiphon. 45 Kap. 37. 46 Vgl. Kap. 47. 47 E s handelt sich in Wahrheit um den alteren Hartmann, Schüler des Notker Balbulus (gest. ca. 885).

48 Das ist wohl bloß Vorausblick auf spätere Dichter wie Ekkehard I. (Kap. 80) oder N otker M edicus (Kap. 123).

49 Die Schrift ist verloren.

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Casus s . Galli 47

tarnen, ut a patribus audivimus, praeter sapienti�Y doctrinalem dotem religionis tenacissimus, claustro sepius manens, qu� deforis in locis suis agerentur, minus sollicitus . Magisque suos habere passus quam se, QUfY sibi suppares50 in manus dare vellent, regratiando contentus, solius disciplinfY patrum more investitor et severus exactor. Doctrinas vero ita amabat, ut inter scolas et claustrum aut nihil aut parum intersit . In victu fratrum et vestitu Hartmuoti statuta51 secutus ; maxime autem authenti­ cum antiphonarium docere et melodias Romano more tenere sollicitus. De quo antiphonario altiora repetere oper'Y precium putamu s . Karolus imperator cognomine Magnus c u m esset Rome, aec­ clesias cisalpinas videns Roman'Y aecclesi�Y multimodis in cantu, ut et Iohannes scribit52, dissonare, rogat papam tune secundo quidem Adrianum, cum defuncti essent, quos ante Gregorius mi­ serat, ut item mittat Romanos cantuum gnaros in Franciam. Mit­ tuntur secund um regis peticionem Petrus et Romanus, et cantuum et VII liberalium artium paginis admodum imbuti, Metensem aecclesiam ut priores adituri . Qui cum in Septimo lacuque Cuma­ no aere Romanis contrario quaterentur, Romanus febre correp­ tus vix ad nos usque venire potuit. Antiphonarium vero secum, Petro renitente , vellet nollet, cum duos haberet, unum sancto Gallo attulit. In tempore autem Domino se iuvante convaluit. Mittit imperator celerem quendam, qui eum, si convalesceret, nobiscum stare nosque instruere iuberet . Quod ille quidem patrum hospitalitati regratiando libentissime fecit: "Quatuor " , inquiens, "mercedes vos , sancti Domini, i n m e u n o acquisistis . 53Hospes erat, et in me eum collegistis; infirmus, et visitastis . E surivit in me, et dedistis mihi in eo manducare ; sitivit, et dedi­ stis ei bibere53." Dein uterque, fama volante studium alter alterius cum audis­ set, emulabantur pro laude et gloria naturali gentis SUfY more , ut alterum transcenderet. Memoriaque est dignum, quantum hac emulatione locus uterque profecerit et non solum in cantu, sed et 50 Dekane und Pröpste. 51 Vgl. Ratpert, Kap. 27.

Abt Hartmann. Petrus und Romanus

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Indessen war er, wie wir von den Vätern gehört haben, abgesehen von der gelehrten Bildung, über die er verfügte, von inniger Frömmigkeit und verweilte sehr oft in der Klausur , währenddem er sich nicht sonder­ lich darum kümmerte , was draußen auf seinen Gütern vor sich ging. Und er litt e s wohl, daß die Seinigen mehr hatten als er; zufrieden und dank­ bar für das, was ihm die Amtsgenossen50 in die Hand drücken mochten:, war er allein darauf bedacht, die Zucht nach Väter Weise zu regeln und streng zu üben. Die Wissenschaften aber liebte er so sehr, daß Schule und Klausur sich in nichts oder nur wenig unterschieden. Hinsichtlich Verköstigung und Bakleidung der Brüder befolgte er Hartmuts Statu­ ten51 . Vorzüglich aber befaßte er sich damit, das Antiphonar in seiner gültigen Form zu lehren und die Melodien in römischem Stil zu bewah­ ren. Über dieses A ntiphonar weiter Z urückliegendes zu wiederholen , dürfte unseres Erachtens d e r Mühe wert sein. Als Kaiser Karl, mit dem Beinamen der Große, in Rom war, erkannte er, daß die Kirchen diesseits der Alpen im Gesang in vielen Stücken , wie auch Johannes schreibt52, mit der römischen Kirche nicht übereinstimm­ ten ; da bat er - das geschah zum zweiten Male - den Papst, nämlich Hadrian, daß er ihm gleicherweise gesangeskundige Römer ins Franken­ reich schicke , nachdem jene, die Gregor vorher geschickt hatte , gestor­ ben seien. Der Bitte des Königs gemäß wurden Petrus und Romanus ge­ sandt; die waren in der Gesangskunst wie auch in den sieben freien Kün­ sten wohl ausgebildet und sollten gleich ihren Vorgängern an die Metzer Kirche kommen. Doch auf dem Septimer und dem C ornersee setzte ihnen das den Römern abträgliche Klima heftig zu, und vom Fieber gepackt vermochte Romanus kaum bis zu uns zu gelangen. Weil er aber zwei Exemplare besaß, brachte er das eine Antiphonar - Petrus moch­ te sich sträuben oder nicht - mit sich zum heiligen Gallus. Mit der Zeit jedoch genas er, da der Herr ihm beistand. Nun schickte der Kaiser ei­ nen Kurier, der ihn anwie s , falls er ge nesen sollte, bei uns zu bleiben und uns zu unterrichten . Und das tat denn Romanus mit Freuden, indem er so die Gastlichkeit der Väter vergalt: "Vierfachen Lohn", sprach er, "habt ihr euch, ihr Heilige des Herrn, allein an mir erworben. 53Er war fremd, und ihr habt ihn in mir aufgenommen; krank, und ihr habt ihn be­ sucht; er war hungrig in mir, und ihr habt mir in ihm zu essen gegeben; durstig, und habt ihm zu trinken gereicht53." Als danach die beiden durch das flie gende Gerücht je vom Eifer des anderen vernahme n , wetteiferten sie nach angeborener Art ihres Vol­ kes um Ruhm und E hre , daß einer den anderen überflügle . Und e s ist der Aufzeichnung wert, wie sehr dank dieses Wettstreits die beiden Stätten aufblühten und sich nicht allein im Gesang, sondern auch in den anderen 52 Johannes Diaconus, Vita Gregorii Magni 2, 7 . 9.

53 - 53 Vgl. Matth. 25, 3 5 f.

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Casus s . Galli 47/48

in c�teris doctrinis excreverit . Fecerat quidem Petrus ibi iubilos ad sequentias, quas Metenses vocat . Romanus vero Roman� no­ bis econtra et Am�n�54 de suo iubilos modulaverat . Quos quidem post Notker, quibus videmus, verbis ligabat. Frigdor� autem et Occidentan� . quas sie nominabat, iubilos, illis animatus , �tiam ip­ se de suo excogitavit. Romanus vero, quasi nostra prae Metensi­ bus extollere fas fuerit, Roman� sedis honorem sancti Galli c�nobio ita quidem inferre curavit. Erat Rom� instrumenturn quoddam et theca ad antiphonarii authentici publicam omnibus adventantibus inspectionem repositorium, quod a cantu nomina­ bant cantarium. Tale quidem ipse apud nos ad instar illius circa aram apostolorum cum authentico locari fecit , quem ipse attulit exemplato antiphonario. In quo usque hodie, in cantu si quid dis­ sentitur , quasi in speculo error eiusmodi universus corrigitur . In ipso quoque primus ille Iiteras alphabeti significativas notulis, quibus visum est, aut susum aut iusum, aut ante aut retro assig­ nari excogitavit . Quas postea cuidam amice qu�renti Notker Bal­ bulus dilucidavit55, cum et Martianus, quem de Nuptiis miramur, virtutes earum scribere molitus sit56 • 48. Hartmannus autem paucos annos cum praefuerit, in maxi­ mo nostratium luctu diem obiit57 • Claustrumque nostrum disciplin� patrum tenacissimus sectator doctrin�que assiduus in­ culcator reliquit celeberrimum, preter quod terras colentium et secularis rei curas gerentium non sine damno loci minus exilis exactor erat . Enimvero eo claustri solius gubernacula curante et praepositis religionem, quam docuit, �tiam deforis in sancta sim­ plicitate artissime servantibus, maiores locorum - de quibus scripturn est, quia servi, si non timent, tument58 - scuta et arma polita gestare inc�perant, tubas alio quam ceteri villani clanctu inflare didicerant; canes primo ad lepores, postremo �tiam non ad lupos sed ad ursos et ad Tuscos , ut quidam ait, minandos alue­ rant apros59• "Cellararii" , aiunt, "curtes et agros excolant. Nos

54 Z u

diesen und den folgenden Melodietiteln vgl. W . von den Steinen, Notker

der Dichter, Darstellungsband, S. 586.

55 In

der Epistola ad Lantbertum, überliefert in Cod. 381 .

Das römische Antiphonar - Abt Hartmanns Tod

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Fächern entfalteten. Es schuf ja Petrus dort die Alleluja-Melodien zu den Sequenze n , die er Metensische nannte . Romanus aber komponierte u m gekehrt für uns aus seinem Ge nie die Melodien der Romana und A moena54 . Und eben sie verknüpfte hernach Notker mit den Texten, wie wir sie sehen können . Die Jubelweisen aber der Frigdora und Okzidenta­ na, die er so bezeichnete, hat Notker, durch jene angeregt, gleichfalls aus dem Eigenen geschöpft . Romanus jedoch - als wäre es ihm vom Schicksal bestimmt gewesen, unser Ansehen über das der Metzer zu er­ höhen - ließ die Z ierde des römischen Sitzes folge ndermaße n ins Gal­ luskloster verbringen. E s befand sich in Rom eine Vorrichtung und Ab­ lage , die allen Besuchern öffentlichen Einblick in das urschriftliche Anti­ p honarium bot, ein Pultgestell, das vom Wort "cantus" "cantarium" hieß. Gerrau ein solches Instrument ließ Romanus bei uns nach jenem M uster nahe beim Apostel-Altar aufstellen, mit dem originalen A ntipho­ nar darauf, von dem er die Kopie selber herbeigebracht hat. Und in die­ sem Exemplar wird bis heute, wenn irgend im Gesang etwas nicht stimmt, wie in einem Spiegel sämtlicher derartiger Irrtum beseitigt . In ihm hat Romanus sich auch als erster einfallen lassen, kennzeichnende Buchstaben aus dem Alphabet mit kleinen Z eichen nach G utdünken , s�i es oben oder unten, sei es vorn oder hinten, einzutragen. Diese Buchsta­ ben hat später dann Notker Balbulus einem Bruder, der ihn freund­ schaftlich darum bat, erläutert55, indes auch Martianus, den wir seiner N uptiae wegen bewundern, ihre E igenschaften zu beschreiben ver­ suchte56 .

48. Hartmann aber starb57 zum größten Jammer der Unsrigen , nach­ dem er nur wenige Jahre regiert hatte. Und da er be harrlich der Z ucht der Väter anhing und unermüdlich die Wissenschaft lehrte, ließ er unser Kloster in höchstem Ansehen zurück, abgesehen davon, daß er den Leu­ ten, die unsere L ändereien bebauten und unseren weltlichen Besitz ver­ waltete n , nicht ohne Schaden für St. Gallen zu wenig scharf auf die Fin­ ger sah. Tatsächlich war er allein um die innere Führung des Klosters besorgt; und die Frömmigkeit, die er lehrte, wahrten in heiliger Einfalt die Pröpste auch draußen mit aller Strenge ; derweil begannen auf den Gütern die Meier - von denen das Wort gilt: Hält sie nicht Furcht in Bann, schwillt den Knechten der Kamm 58 - blanke Schilde und Waffen zu führen , lernten die Hörner mit anderem Klang als die übrigen Bauern zu blasen, hegten Hunde , zunächst um Hasen zu jagen, zuletzt aber um nicht allein Wölfe , sondern gar Bären und, wie jemand sagt, etruskische Eber59 zu hetzen. "Kellermeister", sagten sie, "mögen Höfe und Äcker 56 M artianus Capella, De nuptiis Mercurii et Philologiae 3, 233 ff. 57 2 1 . September 925. 58

Z itat oder eigenes Wortspiel? 59 Der Tuscus aper öfters genannt, z. B. Juven. 1 , 1, 22 f.

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Casus s. Galli 48/49

beneficia nostra curemus et venatui, ut viros decet, indulgea­ mus ! " His bonis florentern rempublicam nostram hisque malis Hartmannus obiens reliquerat periclitantem. 49. Defuncto Hartmanno Engilbertus eligitur C huonradoque60 dirigitur. Qwym ille omni honore dignatum sancti Galli fecit esse vicarium, brevique supervivens tempore defunctus est et ipse. At Engilbertus loca foras monasterium minus culta colere inci­ piens, maiores, quos diximus, talium desueti minus ei obtempe­ rabant. Atque ille his atque aliis multis afflictus infortuniis , qu� et sibi per se et defuncto Chuonrado totius regni imminebant cervicibus, domi residens tristis finem rei ieiunans cum suis et orans exspectabat. Cuius rei seriem breviatim dicere ad traie­ diam nostram explieandam utile duxi. C huonradus rex virili prole earens, Eburhardum autem fra­ trem habens ad regni gubernaeula, si sibi superviveret, aspiran­ tem , sensit eum nee regno virtute quidem habilem nee populo moribus aeeeptum. Rogantemque , cum ipse iam seneseeret, ut se populo eommendaret, crebro frustravit. Incipiens autem mori clam loquitur fratri : "Video" , ait , "germane mi, et semper vidi te a populo nolle aecipi; ideoque, quod sepe rogaras , ne te eontrista­ rem, taeite distuli. Consilium autem meum si nune feeeris, ut in Deum spero, inglorius non eris . Est in Saxonia, eui neminem in regno equiparem seio, Renrieb quippe eomes, Mathilda eoniuge elarus. Sumens ergo eoronam et seeptrum noete dieque aeeelera ad ipsum teque et regnum ei meis verbis in manus dato, et mei in te memores fore ambos rogato." Feeit igitur, ut rex iusserat, ve­ niensque seeretum eomitis petiit alloquium. Eliminatis omnibus ipse hostium elausit clamideque exuta ad pedes viro eorruens nimis stupenti eoronam et seeptrum detegit et, qu� iussus est, narrat. Cui ille inter e�tera, si seeum in fide, qua dixerat, sentire vellet, omnia, qu� tanto nuntio deeerent, facturum spoponderat . Et ne per Iongas ambages vadam: fit eolloquium publieum, Henrieus Saxonum et Franeorum consensu elevatur61 et ungitur in reg­ num.

Abt Engilbert. König Konrads Nachfolge

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bestellen ! Wir wollen uns u m unsere Lehen kümmern und der Jagd frönen, wie es Männern geziemt ! " So stand unser Gemeinwesen teils in schöner Blüte , teils unter schlimmer Bedrohung, als Hartmann es ster­ bend verließ.

49. Nachdem Hartmann gestorben war, wählte man Engilbert und sandte ihn zu Konrad 60 • Und der würdigte ihn jeder E hre und erhob ihn zum Statthalter des heiligen Gallus, und da er noch kurze Z eit lebte, starb er desgleichen . Aber Engilbert begann, die vernachlässigten äuße­ ren Klostergüter in Pflege zu nehmen, wozu ihm die ge nannten Meier nicht recht Gehorsam leisten wollten, da sie sich dessen entwöhnt hat­ ten. Und er, bedrängt von diesem und vielem anderen Unglück, das sowohl ihm allein als auch seit Konrads Tod dem gesamten Reich im Nacken drohte, saß traurig zu Hause und erwartete fastend und betend mit den Seinigen den Ausgang der Affäre. Deren Abfolge nun kurz dar­ zustelle n, hielt ich zur Erklärung unserer Tragödie für dienlich. König Konrad war ohne männlich e Nachkommen, hatte aber einen Bruder Eberhard , der, falls er ihn überlebte , Anwärter auf die Herr­ schaft im Reiche war; doch ward Konrad inne, daß er weder die charak­ terliche Eignung zum Herrschen noch das persönliche Ansehen beim Volk besaß. Und da er schon alt wurde und Eberhard ihn drängte, ihn dem Volk zu empfehlen, hielt er ihn immer wieder hin. Wie er nun aber zu sterben kam, sprach er heimlich zum Bruder: "Ich bemerke , mein Bru­ der", sagte er, "und immer habe ich es bemerkt, daß das Volk dich nicht annehmen mag; darum auch habe ich, um dich nicht zu betrüben, still­ schweigend aufgeschobe n , worum du so oft gebeten hast. Befolgst du jetzt aber meinen Rat, wie ich zu Gott hoffe, wirst du nicht ohne Ruhm bleiben. E s lebt in Sachsen einer, dem ich keinen im Reich ebenbürtig weiß, Heinrich , jawohl der Graf, erlaucht durch seine Gemahlin Mathil­ de. Nimm also Krone und Zepter und eile Tag und Nacht hin zu ihm, und gib dich und das Königreich ihm mit meinen Worten in seine Hände und bitte die beiden, sie möchten meiner in dir gedenke n ! " Er tat also, wie der König befohlen; und wie er zum Grafen kam, bat er um geheime Zwiesprache. Als sich alle entfernt hatten, verschloß er selbst die Tür, legte seinen Schultermantel ab und indem er sich dem Grafen zu Füßen warf, zeigte er dem Staunenden Krone und Zepter und erzählte , was ihm aufgetragen worden war. Und jener gelobte ihm unter anderem, wenn er in der Treue, mit der er sich geäußert habe , zu ihm halten wolle , alles zu tun, was sich für einen so hohen Boten gezieme. Und um keine langen Umschweife zu machen : Es fand eine öffentliche Versammlung statt, und mit Zustimmung der Sachsen und Franken erhob61 und salbte man Heinrich zum König. 60 Vielmehr zu Heinrich I.; vgl. Kap. 5 1 . 6 1 W a h l zu Fritzlar 9 1 9 ; d i e Salbung w i e s Heinrich nach Widukind 1 , 2 6 a b .

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Casus s . Galli 50

50. Sed postea62 dux Lotharingorum Kisilbertus Eburhardum castigatum, cur honorem suum alieno dedisset, regi Saxonico rebel­ lare secumque sentire persuasit. Surgunt ambo in arma. Ducibus Suevo et Norico Iiteras mittunt. Quibus secum sentire iam motis, quadam die cum collectas in armis apud Prisacham63 copias navibus transposuissent ipsique interea in litoris planiti� luderent tabula, Chuono quidam regii generis, Churzibolt a brevitate cognominatus , fortuitu XX militibus stipatus viros incurrit, Kisilbertum cum om­ nibus, qui in nave erant, quam insilivit, lancea infixa submersit, E burhardum levitatis increpatum gladio in litore occidit64• Erat quidem angusto in pectore audax et fortis. Qui leonem cavea effracta se et regem solos inventos in consilio insilientem - rege , grandi quidem viro, gladium, quem Chuono tune, ut moris est, gerebat, arripere volente - ipse praesiliens incunctanter occidit. Diffamatur Ionge lateque Henrici regis militem leonem se insilien­ tem gladio occidisse. Mulieres ille et mala arborum naturali sibi quodam odio adeo execratus est, ut, ubi in itinere utrumvis inveni­ ret, mansionem facere nollet. Multa sunt, qu� de illo concinnantur et canuntur, qu�, quia ad nos redeundum est, praeterimus, nisi quod provocatorem Sclavum, gigante� molis hominem, e castro regis prorumpens novus David65 lancea pro lapide straverat. Purchardus autem dux Suevorum, Sueviam quasi tyrannice regens, prestationes Engilbertum abbatem primo militibus suis petivit; postea utique, quod cum rege Saxonico sentiret , insimu­ latum, qu�cumque loca sancti Galli sui rapere vellent, patienter tulit et, nisi preciis gazophilatii eius redempta, nulla reddi fecit; inter qul( calicem illum aureum, Adalberonis episcopi donum, cum dari sibi consentiret, et crucem, a sancta Wiborada correp­ tus uxori66 verbis simulatis , ut aiunt, uti redderet, iussit ; reque infecta ad Italiam , ut et eius regem secum sentire faceret, prope­ rans, beata illa ei mortem pro avaritia praesagiente, equo ruens periit67• Qul( quia alibi68 plenius sunt scripta, hic libasse sufficiat .

62 Die folgenden Ereignisse 63 Vielmehr bei Andernach . 64 2 . Oktober 939. 65 Vgl. 1. Reg. 17. 66 H erzogin Reginlind.

fallen bereits in die Zeit Ottos I.

Geschichten von Kurzipold . Tod Herzog Purchards

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50. A b e r hinterher6 2 stellte d e r L othringerherzog Giselbert Eberhard zur Rede , warum er seine Würde an einen Fremden verschenkt habe , und überredete ihn, sich gegen den sächsischen König aufzulehnen und e s mit seiner Partei zu halten . Beide erhoben sich mit Waffengewalt. An den schwäbischen und den bayerischen Herzog schickten sie Briefe . Als sie nun diese bereits auf ihre Seite gebracht hatten, ließen sie eines Ta­ ges die bei Breisach 6 3 gesammelten, vollgerüsteten Truppen in Schiffen übersetzen ; und während sie selber inzwischen am flachen Ufer sich mit dem Brettspiel vergnügten, stürmte Kuno, ein Mann königlichen Ge­ schlechts, seiner kleinen Figur wegen Kurzipold zu benannt, mit zwanzig Rittern , die ihm zufällig zur Seite waren, auf sie los ; Giselbert ertränkte er mit alle n , die sich in dem Schiff befanden, in das er sprang, durch den S toß seiner Lanze; Eberhard schalt er der C harakterlosigkeit und tötete ihn am Ufer mit dem Schwert6 4 • Er war aber in seiner schmalen Brust beherzt und verwegen: Als ein Löwe den Käfig zerbrach und auf ihn und den König, da sie alleine waren und sich berieten, lossprang, stürzte er selber vor und erlegte stracks das Tier - während der König, ein Mann doch von kräftiger Statur , das Schwert, das Kuno nach damaliger Sitte trug, eben erst an sich reißen wollte . Weit und breit erzählte man sich , daß ein Ritter König Heinrichs einen angreifenden Löwen mit dem Schwert getötet habe. Frauen und Äpfel verwünschte Kuno mit einer Art angeborener Abscheu dermaßen, daß er nirgends Quartier nehmen wollte , wo er unterwegs auf eins von beiden stieß . Viel gibt es, was man von ihm singt und sagt; doch übergehen wir's, da wir zu uns zurückkehren müssen; nur daß er aus dem Lager des Königs hervorbrechend als ein neuer David 6 5 mit einer Lanze statt mit einem Stein einen slawischen Heraus­ forderer, einen Riesenklotz von Menschen, zu Boden streckte. Purchard aber, Herzog der Schwaben, regierte Schwaben nach Tyran­ nenart; bat er Abt Engilbert zuerst noch um Z uteilungen an seine Dienstleute, so nahm er es später - und jedenfalls , weil man Engilbert bezichtigte, e s mit dem Sachsenkönig zu halten - geduldig hin, daß sei­ ne Leute den St. Galler Besitz ausraubte n, wieviel sie nur wollten , und ließ nichts zurückerstatten, es sei denn, es wurde durch Preziosen aus der Gallus-Schatzkammer ausgelöst ; unter anderem ließ er sich jenen Kelch, Geschenk des Bischofs Adalbero, aushändigen und ein Kreuz; und als ihn die heilige Wiborada darum schalt, soll er seiner Frau 66 mit erheu­ chelten Worten die Rückgabe befohlen haben; doch folgte die Tat nicht, und wie er nach Italien eilte, um auch dessen König für sich zu gewinnen, prophezeite ihm jene Heilige den Tod für seine Habsucht, und er stürzte vom Pferd und kam um67• Diese Dinge aber sind anderwärts ausführlicher beschrieben68, weshalb es genüge , sie hier kurz berührt zu haben. 6 7 926. 68 In Hartmanns Vita s. Wiboradae.

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Casus s . Galli 51

5 1 . Engilbertus vero, ut, unde digressi sumus, redeamus , a d Henricum venit, abbatiam ab eo suscipiens fidem iuravit . Omni­ que honore ab eo dimissus domum ad maiora adhuc infortunia re­ diit . Nam Ungri auditis tempestatibus regni Noricos rabidi inva­ dunt et vastant, Augustaque diu obsessa, precibus Uodalrici episcopi, sanctissimi quidem inter omnes tune temporis viri, re­ p ulsi Alemanniam nemine vetante69 turmatim pervadunt . At E n­ gilbertu s , quam idoneus ad mala toleranda quidem fuerit, impi­ ger ostendit . Nam malis bis imminentibus, militum suorum uno­ quoque pro semet ipso sollicito, validiores fratrum arma sumere iubet, familiam roborat ; 70ipse velud Domini gigans lorica indutus70 , cucullam superinduens et stolam, ipsos eadem facere iubet. "Contra diabolum", ait , "fratres mei, quam hactenus ani­ mis in Deo confisi pugnaverimus , ut nunc manibus ostendere va­ leamus, ab ipso petamu s ! " Fabricantur spicula, piltris lorice fi­ unt, fundibula plectuntur , tabulis compactis et wannis scuta si­ mulantur , sparrones et fustes acute focis praedurantur. Sed pri­ mo fratrum quidam et famili� fam� increduli fugere nolunt. E ligitur tarnen locus velud a Deo in promptu oblatus ad arcem parandam circa fluvium Sinttriaunum71• Quem sanctus Gallus quon­ dam sanct� trinitatis amore de tribus fluviis in unum confluen­ tibus sie equivocasse fertur. Premunitur in artissimo collo vallo et silva excisis locus fitque castellum72 , ut sanct� trinitati decuit , fortissimum . Convehuntur raptim, qu�que essent necessaria. H�c in vita Wiborad� per scriptorem eius minus dicta a fratri­ bus, qui h�c noverant , docti praestrinximus. Capella citata fit oratorium, in quod invehuntur cruces et cum diptitiis caps�, nec non et pene omnis praeter libros repositorios �cclesi� thesaurus . Illos abbas Augiam, n o n satis tuto tarnen , commiserat. Nam cum reportarentur, ut aiunt, numerus conveniebat , non ipsi. Senes cum pueris in Wazzirburc tuitioni dedit, quam cum familia, qu� trans lacum erat, sollicite firmavit. Quibus �tiam, ut navibus qui­ dem crebrius inessent, victualia secum assumere iussit.

69 V gl. Kap. 60. 70 - 70 V gl. 1 . Macc.

3, 3.

UngarneinfalL Vorkehrungen in St. Gallen

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5 1 . Engilbert aber - um zu unserem Ausgangspunkt zurückzukehren kam zu Heinrich, empfing die Abtei von ihm und schwor Treue. Und vom König in allen E hren entlassen, kehrte er heim zu noch größerem Unge­ mach. Denn auf die Kunde von den Wirre n im Reich fielen die Ungarn wild und verheerend in Bayern ein; lange belagerten sie A ugsburg, wur­ den aber zurückgeschlagen durch die Gebete Bischof Ulrichs, des wohl h eiligsten Mannes unter seinen Zeitgenossen; worauf sie in Schwärmen quer durch Alemannien zoge n, ohne daß jemand sie daran hinderte69 • Doch Engilbert bewies ungesäumt, w i e fähig er gerade war, Unglück z u ertragen . Denn d a n u n eben dies Unglück drohte u n d v o n seinen Ministe­ rialen ein jeder um sich selbst besorgt war, hieß er die kräftigeren unter den Brüdern die Waffen ergreifen und rüstete das Gesinde; 70 selber zog er als ein Riese des Herrn den Panzer an 70 , streifte Kukulle und Stola darüber und gebot den Brüdern, ein Gleiches zu tun. "Meine Brüder" , sagte e r , "wie wir gegen d e n Teufel bisher voller Gottvertrauen mit un­ seren Seelen gekämpft haben, so laßt uns Gott bitten, daß wir es jetzt dem Teufel mit unseren Fäusten zeige n ! " E s wurden Wurfspieße verfer­ tigt, aus Filzstoffen Panzer hergestellt, Schleudern geflochten, aus zu­ sammengefügten Brettern und Korbgeflechten Schilde nachgebildet, Sparren und Knüttel zugespitzt und in der Herdglut gehärtet. Indessen mochten zuerst einige der Brüder und Knechte nicht fliehen, da sie nichts auf das Gerücht gaben. Man wählte jedoch einen Ort, der gleichwie von Gott dargeboten für die Errichtung einer Burg bereitstand, nahe bei dem Fluß Sinttria­ unum 71 . Diesen gleichlautenden Namen aber gab ihm einst, wie es heißt, der heilige Gallus aus Liebe zur heiligen Dreieinigkeit aufgrund der drei in eins fließenden Wasser. Der Platz wurde vorn am schmalsten Zugang mit Wall und Verhau verschanzt, und ein mächtiges Kastell 7 2 entstand, wie es der Dreieinigkeit ziemte . E ilends brachte man zusammen, was alles nötig war. Dies ist in der Vita Wiboradae von deren Verfasser übergangen; informiert von Brüdern, die hierüber Bescheid wußten, ha­ ben wir es kurz nachgetragen. Eine rasch errichtete Kapelle wurde zum Bethaus; darein wurden die Kreuze gebracht und die Behälter mit den T ote nverzeichnissen, desgleichen auch fast der gesamte Kirchenschatz, ausgenommen die Bücher der Bibliothek. Die hatte der Abt nach der Reichenau gegeben, freilich nicht in genügend sichere Hut. Denn als man sie zurückbrachte , stimmte, wie man sagt, wohl die Zahl, die Bände selber aber nicht. Die Greise mit den Knaben gab Engilbert nach Was­ serburg in Obhut, die er mit den Klosterleuten jenseits des Sees sorglich verstärkte. Und hieß sie ferner Lebe nsmittel mitnehmen, damit sie im­ mer wieder auf den Schiffen bleiben könnten. 71 D . i . die Sitter; die Etymologie (Sint-tria-unum) nach N otker, Vita s . Galli IIIc. 72 Wohl die Waldburg bei Bernhardzell.

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Casus s. Galli 52/53

52. Ibant exploratores per nota sibi loca nocte dieque, adven­

tum hostium fratribus, sanctum Gallum unquam a barbaris inva­ di nimis incredulis, ut ad castellum fugerent, praedicturi. Engil­ bertus enim et ipse talibus assentiens pene sero carissimas sanc­ ti Galli res castello intulit. Unde et ciborium Otmari relictum est hostibus. Nam hostes non simul ibant; sed turmatim , quia nemo restiterat , urbes villasque invaserant et spoliatas cremaverant, ideoque inprovisi, qua vellent, imparatos insiliebant. Silvis quo­ que centeni vel minus interdum latentes eruperant. Fumus tarnen et caelum ignibus rubens, ubi essent turm� qu�que, innotuit . E rat autem tune inter nostrates frater quidam simplicissimus et fatuus, cuius dicta et facta sepe ridebantur, nomine Heribal­ dus. Huic, cum ad castellum fratres primo pergerent, ut et ipse fugeret , cum terrore quidam dicerent: "Enimvero", ait ille , "fu­ giat , qui velit; ego quidem, quia corium meum ad calceos camera­ rius hoc anno non dedit, nusquam fugiam." Cum autem illum fra­ tres , ut secum pergeret, in novissimo articulo vi cogere vellent, multa reluctatus, nisi annotinum corium sibi ad manus daretur , nusquam se iuravit iturum. Sicque Ungros ingruentes imperter­ ritus exspectabat. Fugiunt tandem pene sero fratres cum aliis incredulis , horridis vocibus hostes instanter irruere perculsi; sed ips� intrepidus in sententia permanens otiose deambulabat . 53. Ingruunt tandem pharetrati illi, pilis minantibus et spiculis asperi. Locum omnem perscrutantur solliciti; nulli sexui vel �tati certurn est misereri. Inveniunt solum illum in medio stan­ tem intrepidum. Quid velit curque non fugerit, mirati, ferro in­ terim parcere necatoribus iussis, primipilares per interpretes in­ terrogantes, fatuitatis monstrum ubi sentiunt, omnes illi risibiles parcunt. Aram lapideam sancti Galli, quod prius crebro talibus frustati nihil intus nisi ossa vel cineres cum invenissent, nec tan­ gere curant. Requirunt tandem a fatuo suo, ubi thesaurus loci sit conditus . Quos cum ille alacer ad gazophilatii duceret occultum ostiolum, effracto illo nihil ibi nisi candelabra et coronas deaura­ tas reperientes, quas in fugam festinantes reliquerant, deceptori suo alapas dare palmis intentant . Duo ex illis ascendunt campa­ narium, cuius cacuminis gallum aureum putantes deumque loci

Bruder Heribald und die Ungarn

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52. T a g u n d Nacht streiften Späher durch d i e ihnen vertraute Gegend; sie sollten das Nahen der Feinde melden, damit man zur Waldburg fliehe; denn noch mochten die Brüder gar nicht glauben, St. Gallen könne jemals von den Barbaren heimgesucht werden. Tatsächlich ließ Engilbert , der gleichfalls dieser Ansicht war, die Kostbarkeiten des heiligen Gallus bei­ nahe zu spät in die Feste schaffen. Weshalb dann auch das Otmar-Ciborium an die Feinde verlorenging. Die Feinde rückten nämlich nicht geschlossen vor; sondern sie fielen schwarmweise - da ja niemand Widerstand bot in Städte und Dörfer ein, plünderten sie und brannten sie nieder, und also kamen sie unversehens, wie sie wollten, über die Ungerüsteten her. Aus den Wäldern auch , wo sie sich bisweilen verbargen, brachen sie heraus, an die hundert Mann oder weniger. Doch zeigte wenigstens der Rauch und der feuergerötete Himmel, wo sich die einzelnen Schwärme befanden. E s war aber damals unter den Unsrigen ein gar einfältiger und närri­ scher Bruder, dessen Glossen und Possen oft belacht wurden, mit Na­ men Heribald. Wie nun die Brüder zu ihrer Fluchtburg aufbrachen, sag­ ten einige voller Schrecken zu ihm, er möge ebenfalls fliehen. Da sprach er: "Wahrlich, mag fliehen, wer will ; ich wenigstens werde niemals flie­ h e n , hat mir doch der Kämmerer dieses Jahr mein Schuhleder nicht ge­ geben." Als ihn aber die Brüder im allerletzten Augenblick gewaltsam zwingen wollten , mit ihnen zu kommen, sträubte er sich noch und noch und schwur, niemals mitzugehen, wenn ihm nicht sein Jahresquantum Leder ausgehändigt werde . Und so erwartete er unerschrocken die an­ stürmenden Ungarn . Am Ende und beinahe zu spät flohen die Brüder mit den anderen Zweiflern, völlig verstört von den Schreckensrufe n , die Feinde brächen augenblicks herein; doch Heribald verharrte unerschüt­ terlich bei seinem Entschluß und spazierte sorglos umher.

53. E ndlich stürmten sie herein, köcherbewehrt und starrend von dro­ henden Speeren und Spieße n. Den ganzen Ort suchten sie sorgfältig ab: kein Geschlecht und kein Alter würden sie schonen, das war gewiß . Da stießen sie auf jenen, wie er allein und ohne Zagen in der Mitte stand. V erwundert darüber, was er wolle und warum er nicht geflohen sei, be­ fahlen die A nführer der Mörderbande , ihr Eisen vorerst zu sparen , und ließen ihn durch Dolmetscher verhören; sowie sie aber seiner unglaub­ lichen Narrheit innewurden, gaben sie ihm alle lachend Pardon. Den stei­ nernen A ltar des heiligen Gallus anzufassen, machten sie sich gar nicht erst die Mühe; denn sie waren bei solchen Altären früher schon wieder­ h olt gefoppt worden und hatten darin nichts als Knochen und Asche ge­ funden. Schließlich erkundigten sie sich bei ihrem Narren, wo der Klo­ sterschatz verwahrt sei. Und als sie der flugs zum geheimen Türlein der Schatzkammer führte, brachen sie es auf, fanden da aber nichts als Ker­ zenständer und vergoldete Leuchter, die die hastig Fliehenden zurück­ gelassen hatten, worauf sie ihn, der sie geäfft, mit Ohrfeigen bedrohten . Zwei von ihnen erstiegen den Glockenturm; der Hahn auf seiner Spitze

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Casus s . Galli 53/54

sie vocatum73 non esse nisi carioris metalli materia fusum, lancea dum unus , ut eum revellat , se validius• protendit , in atrium de alto cecidit et periit . Alter interea in dedecus fani dei ipsius, ad summum pinnaculi orientalis veniens, dum ad alvum se parasset purgandum, retrorsum cadens totus confractus est. Quos ambos, ut Heribolt post retulit, inter postes valvarum dum cremassent rogusque flammivomus s uperliminare et laquear vehementer in­ vaderet contisque incendia certatim plures miscerent, nequa­ quam templum Galli sicut nec Magni incendere quiverant. Erant autem in cellario fratrum communi duo vasa vinaria us­ que ad sigillos adhuc plena. Qu�, quia in articulo illo nemo boves iungere aut minare est ausus, ita sunt relicta. H�c vero, nescio quo loci fortunio, nisi quod talibus in vehiculis praedarum habun­ daverant, hostium nullus aperuit. Nam cum quidam illorum ascia vibrata unum retinaculorum succideret, Heribaldus inter eos iam domestice versatus: "Sine" , inquit , "vir hone! Quid vis vero, ut nos, postquam abieritis , bibamus?" Quod ille per interpretem audiens et cachinnans socios , ne fatui sui vascula tangerent, ro­ gavit . Sicque usque ad abbatis conspectum Ungris locum dese­ rentibus sunt servata. 54. Exploratores autem, qui silvas et qu�que latentia sollicitis­ sime scrutarentur, certatim illi mittunt; eos , si quid novi refe­ rant, operiuntur. Sparguntur tandem, Wiborada iam passa74, per atrium et prata ad prandia copiosa. Cyborium quoque sancti Ot­ mari argento vestitum nudant, quod repente invasi fugientes asportare non poterant. Primipilares quidem claustri planitiem tenentes omni copia convivantur. Heribaldus �tiam coram illis plus quam unquam, ut ipse postea dicebat, saturatus est. Cum­ que more suo 75super viride f�num75 singuli ad prandendum abs­ que sedilibus recumberent, ipse sibi et clerico cuidam praeda capto sellulas posuit . Ipsi vero cum armos et c�teras victimarum portiones semicrudas absque cultellis dentibus laniando voras-

a

validus Hss.

Der Ungarn Treiben im Kloster

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sei aus Gold, so wähnten sie, und der Gott der Stätte, die so heiße73, kön­ ne nur aus dem Stoff eines wertvolleren Metalls gegossen sein, und da ihn der eine mit der Lanze losreißen wollte und sich dabei zu stark vor­ beugte , stürzte er aus der Höhe in den Vorhof und kam um. Der andere gelangte unterdessen zur Spitze der östlichen Zinne , und als er zur Schmach eben der Tempelgottheit sich anschickte , den Leib zu ent­ leeren, stürzte er rücklings herab und ward völlig zerschmettert. Und die beiden haben sie - wie Heribald hernach erzählte - zwischen den Türpfosten verbrannt, und wiewohl der flammenspeiende Scheiter­ haufe n Türbalken und Deckengetäfer heftig angriff und mehrere den Brand um die Wette mit Stangen schürten, vermochten sie weder die Gallus- noch die Magnuskirche in Brand zu stecken. E s standen aber im Gemeinschaftskeller der Brüder zwei Fässer Wein, die waren noch voll bis zu den Zapfen. In jenem entscheidenden A u genblick hatte niemand gewagt, die Ochsen einzuspannen und anzu­ treiben , und so waren die Fässer zurückgeblieben. Doch hat sie keiner der Feinde geöffnet, ich weiß nicht durch welches Glück für St. Gallen, e s sei denn, daß sie an Wein ohnedies mehr als genug auf ihren Beute­ karren hatten. Denn als einer von ihnen mit geschwungener Axt eine der Halterungen zerhauen wollte, sagte Heribald, der sich unter ihnen schon ganz heimisch fühlte : "Laß, guter Mann! Was willst du denn, daß wir nach eurem Abzug trinken sollen?" Und wie jener das übersetzt be­ kam, lachte er laut und bat die Genossen, die Fäßlein ihres Narren nicht anzurühre n. Und so sind sie bewahrt geblieben, bis sie der Abt zu Ge­ sicht bekam, als die Ungarn St. Gallen verließen. 54. Sie aber schickten um die Wette Späher aus , die die Wälder und alle Winkel durchkämmen sollten, und warteten auf sie, ob sie etwas Neues meldeten. Schließlich , als Wiborada bereits ihren Martertod erlitten hatte74, lagerten sie sich über den Vorhof und die Wiesen hin zu reich­ lichen Mahlzeiten. Auch beraubten sie das mit Silber ausgekleidete Cibo­ rium des heiligen Otmar seiner Zier; bei dem plötzlichen Überfall hatten es die Fliehenden nicht mehr wegschaffen können. Die Anführer aber hielten den inneren Klosterhof besetzt und schmausten in allem Über­ fluß. Auch Heribald sättigte sich in ihrem Kreis mehr als jemals sonst, wie er nachher gern erzählte. Und da sie sich zum Essen nach ihrer Ge­ wohnheit einzeln, ohne Sitze zu benützen, 75auf dem grünen Gras75 nie­ derließen, stellte er selber für sich und einen Kleriker, den sie als Beute ergriffen hatte n, kleine Sessel hin. Die Ungarn aber zerrissen halbrohe Schulterstücke und andere Teile geschlachteter Tiere ohne Messer mit ihren Zähnen, und hatten sie das Fleisch verschlu ngen, bewarfen sie sich 73 gallus I Gallus. 74 2 . Mai 926. 75 - 75 Mare. 6, 39.

Casus s . Galli 54/55

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sent, ossa ob�sa inter se unus quidem in alterum ludicro iece­ rant. Vinum quoque plenis cubbis in medio positum sine discre­ tione, quantum quemque libuerat , hausit . Postquam vero mero incaluerant, horridissime diis suis omn e s vociferabant. Clericum vero e t fatuum suum id ipsum facere coe­ gerant. Clericus autem lingu� bene eorum sciolus, propter quod �tiam eum vit� servaverant , cum eis valenter clamabat . Cumque iam satis lingua iBorum insanisset, antiphonam de sancta cruce , cuius postera die inventio erat , "Sanctifica nos" lacrimans inc�perat . Quam Heribaldus cum eo, quamvis voce raucosus, et ipse decantabat. Conveniunt omnes, qui aderant, ad insolitum captivorum cantum, et effusa l�ticia saltant coram principibus et luctantur. Quidam �tiam armis concurrentes, quantum disciplin� bellic� nossent, ostenderant. Interea clericus ille pro relaxatione sua rogandi tempus oportunum in tali alacritate arbitratus , sanct� crucis implorans adiutorium, provolvitur miser princi­ pum cum lacrimis pedibus. At illi nimis effero spiritu sibilis et quasi grunnitu horrido satellitibus , quid velint , insinuant. Illique rabidi advolant, hominem dicto cicius corripiunt , cultellos , ut lu­ dicrum, quod Teutones "picchin" vocant, in coronam eius face­ rent, antequam capite illum plecterent, exigunt. 55. Interim dum talia parant, exploratores in silva, qu� castel­ lum vergit, subitanea tubarum et vocum significatione accele­ rant. Castellum cum armatis legionibus obfirmatum improximo• sibimit esse asserunt; clerico ibi et Heribaldo relictis solis in claustro, celeres pro se quisque viri foras festinant et, ut assueti erant, priusquam quisquam credat, parati in acie stabant. Audita autem castelli natura, quod obsideri non possit, locum autem Ion­ go collo et artissimo impugnantibus maximo damno certoque pe­ riculo adibilem, tutores eius su� multitudini, dum victualia habe­ ant , modo viri sint, nunquam cessuros , monasterio, eo quod Gal­ lus deus eius ignipotens sit, tandem omisso, vill� domos, ut videre possint - nam nox proxima erat - aliquas incendunt et silentio tubis et vocibus indicto via, qu� Constanciam ducit, abeunt. Ca­ stellani autem cum monasterium ardere putassent, abitu eorum a

st. in proximo.

Gelage und plötzlicher Aufbruch

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u ntereinander zum Spaß gegenseitig mit den abgenagten Knochen. Auch Wein, in vollen Kufen in der Mitte aufgestellt, schöpfte jeder nach Belieben, soviel ihn gelüstete. Nachdem sie aber vom Wein heiß geworden, schrieen sie alle in greu­ lichster Weise zu ihren G öttern. Den Kleriker jedoch und ihren Narren zwangen sie , dasselbe zu tun. Der Kleriker aber war ihrer Sprache m ächtig, weshalb sie ihn auch am Leben gelassen hatten , und heulte nun kräftig mit ihnen. Und als er in ihrer Sprache schon sattsam gerast, stimmte er unter Tränen die A ntiphon vom heiligen Kreuz an, dessen Auffindung am folge nden Tag gefeiert ward: "S anctifica nos " . Heribert aber sang sie ebenfalls mit , wenn er auch von rauher Stimme war. Bei dem ungewohnten Gesang der Gefangenen strömten alle, die da waren, zusammen , und in ausgelassener Freude tanzten und rangen sie vor ih­ ren Anführern. E tliche liefen auch mit den Waffen herbei, um sehen zu lassen, wieviel sie vom Kriegshandwerk verstünden. Mittlerweile kam der Kleriker zur Überzeugung, angesichts solcher Fröhlichkeit sei der A u genblick günstig, seine Freilassung zu erbitten; und indem er die Hil­ fe des heiligen Kreuzes anrief, warf sich der Unglückliche unter Tränen den Häuptlingen zu Füßen. Doch jene in ihrem gar rohen Sinn bedeute­ ten ihren Gesellen mit Z ischen und einer Art greulichem Grunzen, was sie wollten. Und wütend stürzten sie herbei, packten den Mann im Nu und zückten ihre Messer, um das Spiel, das die Deutschen "Picken" nen­ nen, an seiner Tonsur zu üben, ehe sie ihm den Kopf abschlügen.

55. Während sie dazu noch ihre Vorkehrungen trafen, eilten die Spä­ her in dem Wald, der sich zu der Fluchtburg hinsenkt, unter plötzlichen Horn- und Rufsignalen herbei. Sie meldeten, es liege eine Burg, mit be­ waffneten Truppen gesichert, in ihrer nächsten Nachbarschaft ; da lie­ ßen die Ungarn nur den Kleriker und Heribald dort im Kloster zurück und liefe n eilends Mann für Mann hinau s , und noch ehe sich's einer ver­ sah, standen sie , wie sie gewohnt waren , kampfbereit in der Schlacht­ reihe. Nun hörten sie aber, daß die Burg sich nach ihrer natürlichen Be­ schaffenheit nicht belagern lasse, daß der Platz mit seinem langen und schmalen E n gpaß nur mit größten Verlusten und sicherem Verderben zugänglich sei, daß die Wächter der Burg, solange sie Lebensmittel be­ säßen, ihrer Übermacht niemals weichen würden , wofern sie nur Män­ ner seien, und so gaben sie das Kloster endlich auf, zündeten - da Gal­ lus, sein Gott , feuermächtig sei - , einige Dorfhütten an, damit sie zu sehen vermöchten, denn die Nacht fiel ein, und unter Schweigegebot für H örner und Stimmen zogen sie ab auf dem Weg, der nach Konstanz führt. Die Leute aber in der Burg glaubten, das Kloster stehe in Flam­ men, und da sie vom Abzug der Ungarn erfuhren, folgten sie ihnen auf

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Casus s . Galli 55/56

comperto per compendia eos insecuti, exploratores de longe mul­ titudinem prosecutos in faciem aggressi, quosdam occidunt, unum autem vulneratum captum aveunt; ceteri vix fuga lapsi mul­ titudini tubis, ut caveant, significant. At illi campos et planitiem , quam citissime poterant, optinentes aciemque, prout copia esset, alacriter instruentes vehiculis et c�teris impedimentis circum­ positis noctem vigiliis partiuntur fusique per herbas vino et som­ no taciti indulgent. Mane autem prima viilas proximas incurren­ tes, si quid fugientes reliquerint, investigant et rapiunt cuncta­ que , qu� praetereunt, �dificia exurunt . At Engilbertus, hostium invasionis primicerius , castellum re­ petere c�teris dimissis, cum paucis eque audacibus monasterium vitabundus inambulat; si aliqui ad insidias relicti sint, explorat . H eribaldi fratris fatuitatem, bene quidem nati, miserans , si v e l corpus eius ad sepeliendum inveniant, sollicite investigant. Ill o quidem nusquam reperto - nam cacumen proximi montis , vix a clerico persuasus , cum ipso occupans inter arbusta et frutecta la­ tuit - miserebatur adhuc, si tant� simplicitatis mancipium ho­ stes quidem secum abegerint. Miratus �tiam vini vasa ab hosti­ bus nimium bibulis vitata, gratias Deo egit. 56. Matutinas deinde laudes cursim de sancta cruce76, prout s i­ lentissime poterant, persolventes, ianuas et laquear praeustum mirantur. Locoque celerrime abeuntes , si Wiborada vivat , ad clausulam eius silentio scissitantur. Compertoque , quod passa sit, tardare non ausi, montem proximum superaut castellumque per avia nota celeres tandem revisunt: timentes, ut fit, ne aut in insidiis relicti aut ad alia circumquaque spolia sparsi, socios in lo­ cum secuti superveniant; parati tarnen , 77 quoniam res eis pro anima erat77, aut fortiter emori aut manibus quidem viriliter defendi. Et clericus Heribaldo assumpto - castellum enim de monte conspexerant - matutini adveniunt. Sed custodes de longe illos et adhuc in tenebris prospicientes, exploratores putantes sociis

Abzug der Ungarn - Engilberts Ausfall

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kürzeren Pfaden, griffen die Späher, die der Hauptmacht von weitem folgten , von vorne an und töteten einige, während sie einen Verwunde­ ten gefangen wegführten; die übrigen entkamen in knapper Flucht und gaben dem Hauptheer mit den Hörnern Signal , auf der Hut zu sein. Doch jene besetzten Felder und Ebene, s o rasch sie konnten, und richteten nach den gegebenen Möglichkeiten eilig eine Schlachtordnung her, wäh­ rend Karren und übrige Bagage im Kreis zusammengestellt wurden; dann teilten sie die Nacht in Wachen ein und gaben sich, im Grase lagernd, stillschweigend dem Wein und dem Schlafe hin. Frühmorgens aber liefen sie in die nächsten Dörfer, stöberten nach zurückgelassenem Gut der flüchtigen Bewohner, raubten es und verbrannten alle Gebäude , an denen sie vorüberzogen . Aber Engilbert , d e r d i e Attacke gegen d i e Feinde selber befehligte, s chritt mit einigen gleich Kühnen - die übrige n hatte er bewoge n , zur Feste zurückzukehren - vorsichtig das Kloster ab und suchte zu erkun­ den, ob man irgendwen zur Täuschung zurückgelassen habe . Er fühlte Mitleid mit der Narrheit des Bruders Heribald, der ja von edler Geburt war , und sie forschten sorgfältig nach, ob sie we nigstens seine Leiche zu begraben fänden. Sie konnten ihn freilich nirgends entdecken - denn er saß , von dem Kleriker mit Mühe dazu überredet, auf dem Gipfel des nächsten Berges zwischen Gebüsch und Strauchwerk verborgen - , und so bejammerte ihn Engilbert noch mehr, falls etwa die Feinde einen sol­ chen Unschuldsknecht mit sich davongeführt hätten. Er verwunderte sich auch darüber, daß die Feinde, s o trinkfreudig sie sonst waren, die Weinfässer gemieden hatten, und sagte Gott Dank. 56. Darauf beteten sie die Laudes der Matutin vom heiligen Kreuz76 in E ile und so leise sie nur konnten und wunderten sich über das angeseng­ te Tür- und Deckengebälk. Und schleunigst abziehend, forschten sie ganz still bei der Z elle der Wiborada, ob sie noch am Leben sei. Und nachdem sie entdeckt, daß sie den Opfertod gefunden hatte , wagten sie nicht länger zu säumen und überstiegen den nächsten Berg, und rasch über vertraute S eitenwege sich schlagend, gelangten sie endlich wieder zur Feste zurück; denn sie waren begreiflicherweise voller Furcht, es könnten im Hinterhalt lauernde oder ringsum auf andere Beute aus­ schwärmende Feinde den Genossen an den Ort gefolgt sein und über sie herfallen; gleichwohl waren sie, 77weil sie alles daran geben wollten77, darauf gefaßt, entweder tapfer zu sterben oder sich doch mit ihren Hän­ den mannhaft zu wehren. Und der Kleriker kam mit Heribald, den er mit sich genommen , am M orgen zu der Feste ; sie hatten sie nämlich vom Berg aus gesichtet. Allein, die Wächter, die sie von weitem und noch in der Dämmerung 76 Also am 3. Mai. 77 - 77 V gl. 1. Macc. 12, 5 1 .

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Casus s . Galli 56/57

clamabant . At illi agiliter erumpentes , Heribaldo agnito de cleri­ co primo hesitant, immunicionem• tarnen eum recipiunt et om­ nem tragediam eius audientes hospitaliter turn pro Christo sed et pro captivo suo, cuius linguam noverath, tractant curando. Tandemque per illos duos omnes insolenti� hostium didicerant mores . Ungar baptizatus uxorem duxit, filios genuit. Dein, quon­ iam reverti eos interdum solere didicerant, arbores silv� iterato contra castelli aditum latius succidunt fossasque altius fodiunt. Puteum, ubi scirpus ante crescere solebat, altissime fodientes certi aqu� . purissimam inveniunt. Vinumque, quod Heribaldo Ungri diviserant, languenis et, quibuscumque possent, vasculis clandestini die noctuque curraces reportant. Sicque degentes Dominum assidui invocant. De sancta Wiborada autem, quia liber per se est eius, amplius non loquemur , praeter quod in sanctam eam levari iam bis no­ stris temporibus per duos papas decretum est et sub Norperto tandem impletum78• 57. De sancto Uodalrico autem, qualiter nobiscum egerit, dicta patrum quedam audivimus, qu� quidem in vita eius vel tercio iam scripta79 non invenimus. De nobilibus enim ille, ut et ab aliis iam dieturn est, natus, apud nostrates educatus est et doctus . Hic viam, qua in caelos volavit, subvolare didicit . Hic virtutibus, quas nunc operatur, praeludium fecit . Sanctorum enim nostro­ rum Galli et Otmari, quos puerulus patres elegit, se monachis iungens 80cum sanctis sanctissimus et cum electis ingreditur electissimus80• Hartmanni enim iunioris discipulus divina prae omnibus spiritu sancto praelibatus hausit. In refectorio coram patribus, ubi vel in puncto peccare capitale erat, Ieetor inoffen­ sus creber erat quamvis canonicus. Quod tarnen illi progenito­ rum suorum indultum est gratia. Wiboradam inclusam, co�vulis se licentia data ad ludos paran­ tibus , feriatis diebus furtim visitare assolitus, divinis ab illa

a

st. in municionem.

b n overant Hss.

Sicherung der Waldburg - Vom heiligen Ulrich

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erblickten, hielten sie für Späher und alarmierten ihre Gefährten. Die aber stürzten behende heraus, und obwohl sie Heribald erkannten, zögerten sie zunächst wegen des Klerikers, nahmen ihn dann aber doch in ihre Be­ festigung auf; und da sie seine ganze traurige Geschichte erfuhren, be­ handelten sie ihn gastlich, sowohl um Christi willen als auch um der Pfle­ ge ihres Gefangenen willen, dessen Sprache er verstand . Und durch die beiden lernten sie zuletzt all die rücksichtslosen Wesenszüge der Feinde kennen. Der Ungar wurde getauft , nahm sich eine Frau und zeugte Söh­ ne. Weil sie aber die Erfahrung gemacht hatten, daß die Ungarn zuwei­ len zurückzukehren pflegten , fällten sie in der Folge abermals Bäume des Waldes in noch breiterem Raume gegen die Festung hin und gruben die Gräben noch tiefer. Dort , wo vorher gewöhnlich die Binse wuchs, gruben sie einen Brunnen sehr tief hinab, überzeugt, Wasser zu finden, und fanden auch das allerreinste. Und den Wein, den die Ungarn dem H eribald zugeteilt, trugen sie in Krügen und in allen möglichen Gefäßen heimlich Tag und Nacht laufend heran. Und also ihre Zeit füllend, riefen sie unausgesetzt den Herrn an. Über die heilige Wiborada aber werden wir weiter nicht rede n , weil von ihr ein eigenes Buch vorliegt, und bemerken nur dies, daß ihre Heiligsprechung zu unserer Z eit bereits zweimal durch zwei Päpste be­ schlossen war und unter Abt N orpert schließlich vollzogen wurde78• 57. Über den heiligen Ulrich aber und über seinen Umgang mit uns ha­ ben wir von den Vätern einige Äußerungen vernommen, die wir wenig­ stens in seiner nun schon zum dritten Mal geschriebenen Vita79 nicht gefunden haben. Von edler Abkunft nämlich, wie es auch schon von ande­ ren gesagt wurde , ist er bei den Unsrigen erzogen und unterrichtet wor­ d e n . Hier lernte er den Weg, auf dem er in den Himmel flog, anfliegen. Hier machte er zu den Wundern, die er heutzutage wirkt , das Vorspiel. Indem er sich den Mönchen unserer Heiligen, Gallus und Otmar, ver­ band, die er sich als kleiner Knabe zu seinen Vätern erkor , 80 schritt er

einher unter Heiligen der Heiligste , unter Erwählten der Erwählteste 80 • Als S chüler nämlich des jüngeren Hartmann nahm er von den göttlichen

Dingen mehr als die anderen in sich auf, da ihn der Heilige Geist berühr­ te. Vor den Vätern im Refektorium, wo ein Schnitzer auch nur im gering­ sten schon ein Hauptvergehen war, durfte er als tadelloser Vorleser immer wieder auftreten, wenn er auch Weltgeistlicher war. Dies aber wurde ihm um seiner Ahnen wille n zugebilligt. E r machte es sich zur Gewohnheit, die Inkluse Wiborada heimlich an Festtagen zu besuchen, während seine Altersgenossen sich, und zwar 78 Durch Klemens II. (Januar 1047). 79 Die drei Fassungen stammen von Gerhard (gest. 993), Gebhard (gest . 1001) und Berno (gest. 1048). 80 - 80 Vgl. Ps. 17, 26 f.

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Casus s . Galli 57/58

interdum verbis et exemplis instructus est paginis. Nam qua­ dam die cum illum ante fenestellam clausul� stantem levissimo videret cingulo praecinctum, de suo ei paraturn offerens : "Casti­ tatis" , inquid, "fili mi, tibi cingulum per hoc lineum meum a Deo accip e ! Continentieque strophio ab hac deinceps die per Wibora­ dam tuam te praecinctum memento! Cave autem me tibi a Domino meo edictum ferente, ne ullis abhinc colloquiis vanis mulierculis miscearis! Et si, ut facillime fit, aliquo carnis igne incensus fueris , loco in quo fueris mutato: ,81Deus, in adiutorium meum intende ! Domine, ad adiuvandum me festina81' ! mox cantaveris. Sin autem sie pacem aliquo alio lapsu tuo vetante non habueris, titionem sive candelam ardentem, quasi aliud aliquid agas, querens, digi­ tum vel leviter adure eodemque versu dicto securus eris." Sie magistra praedurata discipulum sanctissimum futurum, ut ipse patribus narrabat, contra ignem igne praeduraverat. 58. Multa sunt, qu� de doctrina nutricis su� - sie enim �tiam vetulus eam nominare solebat - patribus ille dixerat, qu�. quia austera huius temporis sanctis videri possunt et impossibilia , ne quid eis suboleat , preterimus . De cilicio �tiam, quo ipsa utebatur, cuius hodie asperitatem pro reliquiis id habentes horrescimus , pulvillulum filio suo - ut et ipsa eum nominabat - in abstinenti� diebus utendum conneverat. Quod interdum in sinu gestans noctibus ille maxillis lapide supposito ap­ tare solebat. Tali ille lectisternio pro deliciis usus coram ianuis aec­ clesi� nocturnorum sonitum aut in sedili aut nuda quidem exspec­ tare terra solebat. His et aliis similibus eum a puericia assuescen­ tem, cum et feminarum alloquia et solita sociorum fugitasset ludicra, sanctulum illum derisorie iam abinde c�perant vocitare. Audivimus �tiam de eo, quod quidem pro nihilo ab rigidis cor­ de duci soleat, quod cum ei grafium co�vulorum quidam furatus sit, per nescio quam sub cappula incuriam sibimet ipsi manum transfixerit. Quam cum ille dolore clamans exereret, diu qu�situs et sepe peieratus Uodalrici proditur stilus . Hoc tarnen ille et alia de se similia cum tegere nosset, illius meritis fieri praeter altioris aliquos ingenii quis credere nollet?

81 - 81

Eingangsvers der kirchlichen Tagzeiten (

=

Ps. 69, 2).

Wiborada und der 'Kleine Heilige'

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erlaubtermaßen, zu Spielen rüsteten, und ließ sich manchesmal von ihr durch Wort und Beispiel in den göttlichen Lehren unterweisen. Als sie ihn denn eines Tages vor dem Fensterehen ihrer kleinen Klause mit einem leichten Gürtelehen angetan stehen sah, bot sie ihm einen selbstgefertig­ ten Gürtel an: " Empfange für dich , mein Sohn", sagte sie, " von Gott den Gurt der Keuschheit durch dies mein Linnen! Und denke von diesem Tage an stets daran, daß du mit dem Band der E nthaltsamkeit durch deine Wiborada gegürtet bist ! Hüte dich aber - dies Geheiß bringe ich dir von meinem Herrn - , dich hinfort je auf eitle Unterhaltung mit Frauen einzu­ lassen . Und wenn du, wie es allzuleicht geschieht, irgend von sinnlicher Glut entbrannt bist, dann sollst du die Stätte , wo du weilst, verändern und alsbald singen: 81 ,Eile Gott, mich zu erretten; eile Herr , mir zu helfe n !81 ' Hast du aber so noch keinen Frieden, weil ihn ein anderer Fehler von dir vereitelt, so verschaffe dir, als wolltest du etwas anderes tun, ein glühen­ des Scheit oder eine brennende Kerze und versenge dir nur leicht einen Finger, und du wirst, wenn du selbigen Vers sprichst, gesichert sein." S o h a t d i e gefeite Lehrmeisterin ihren nachmals hochheiligen Schüler, w i e e r s elber den Vätern erzählte, m i t Feuer gegen Feuer gefeit.

58. E s gibt noch vieles, was er über den Unterricht bei seiner Amme - so nämlich pflegte er sie auch noch als alter Mann zu nennen - den Vätern erzählte ; wir lassen es aber beiseite, um die Heiligen der Gegen­ w art nicht etwa zu verstimmen, weil es ihnen hart und unmöglich er­ scheinen könnte. Von dem häre nen Kleid auch, das sie selber benützte und vor dessen Rauheit wir heute, wo wir es als Reliquie besitze n , ein Schaudern emp­ finden, hatte sie ihrem Sohn - wie sie ihn ihrerseits nannte - ein klei­ nes Polster zum Gebrauch für die Tage der Kasteiung zusamme ngenäht. Und das trug er zuweilen im Buse n , und in den Nächten schmiegte er es gewöhnlich mit einem Stein als Unterlage an seine Wangen. W ährend er ein solches Kissen sich zum Luxus gönnte, war er gewohnt, vor den Pfor­ ten der Kirche auf das Zeichen der Nokturnen e ntweder auf einem Stuhl oder gar auf der nackten Erde zu warten. Da er sich an dies und derglei­ chen mehr von Kind auf gewöhnte und sowohl die Unterhaltu ng mit Frauen als auch das übliche Getändel der Kameraden mied, begannen sie ihn schon von da an ironisch den kleinen Heiligen zu nennen. Wir hörten über ihn auch das Folgende, was freilich Leute mit ver­ stocktem Herzen in der Regel für nichts erachten: Als ihm einer seiner A ltersgenossen den Griffel entwendete, durchstach sich der Dieb in merkwürdiger Gedanke nlosigkeit unter seinem Mäntelchen selber die Hand. Vor Schmerzen schreiend zog er sie hervor, und da kam, lang ge­ sucht und wiederholt geleugnet, Ulrichs Griffel ans Licht. Wiewohl er dies und ähnliches von sich zu kaschieren verstand, wer außer einigen Leuten von tiefer dringendem Verstand möchte nicht doch glaube n , daß alles nur dank seiner Verdienste geschah?

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Casus s. Galli 58/59

Narn figuratis et interdurn �tiarn risurn rnoventibus, non tarnen falsis et inanibus erebro usus est verbis. Ut euidarn seolariurn elato et glorianter agenti, eurn , Constanti� diaeonatu preeio ernpto, inter proeessores nostros progredi parans, stola indutus sibi ewangeliurn eo die nobis leeturo non sine gloria assisteret: "Eia " , inquid , "rni sodes eare , quarn deeenter tibi clippei faseia insidet82! " Id ipsurn tarnen etiarn sibi pro reverentia sui, ut nobis eanonieus ewangeliurn legeret, eoneessurn est. Narn frater eon­ seriptus turn voeis pulcherrirn� gratiarn habebat . 59. Diutius autern quarn e�teri eo�vi sui turn pro gratia loci turn pro Wiborada sua seolis inheserat. Quas tarnen tandern relin­ quens suique iuris in possessionibus faetus, August�, ubi eanonieus ab infantia erat, in virtuturn exernplis clarissirnus, Gallurn suurn erebro visitabat. Fratres suos eonseriptos ter in anno ipse rnini­ ster paverat. De eonviviis• autern ipsis, quarnvis rnulta dietu dul­ cia patres, qui intererant, narrare soleant, unurn ego rniraeulurn �tiarn sibirnet ipsi grande visum in rnernoriarn posteris rnernorabo. Est non Ionge a rnonasterio pons altus, sie quoque voeatus , super praecipitiurn arduurn , u t videre e s t , situs alteque profundurn83, inevitabilis quidern Gallurn illae petentibus. Duei­ tur vas vinariurn Uodalriei, tune quidern episeopi, bourn paribus eopiosis longoque traetu rninatis per ipsurn rnontern illurn ad ea­ ritatis fratrurn, ipso iarn in loeo rnanente , eonviviurn. Et eeee , horridurn dietu, vehieulurn illud honustissirnurnh exorbitans eeci­ dit et paria illa super se eonvolvit. Clarnatur vieini� cireurnqua­ que ad auxiliurn. Conveniunt undique; integra ornnia et sana in­ venientes iurnenta prostrata disiungunt aeuto ingenio; et anxio Iabore, quia alias non poterant, ad pontern ipsurn itern ornnia re­ portant. "Kyrie eleison" vero eantantes paueaque iurnentis , quia pereulsa erant, adiurnenta neetentes , episeopo Bozanariurn suurn exspeetanti deferunt et integra ornnia et sana ostendunt. Laudes Deo eurn fratribus tandern vir Dei publiee persolvens, exemplo Benedieti et Mauri ipse hoe signurn fratrurn rneritis, ipsi autern inpossibile illud virtuturn eius possibilitati attribuunt. • convivis

Hss.

b st. onustissimum.

Ulrichs Liebe zu St. Gallen

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Nun verwendete er oft bildhafte und bisweilen sogar zum Lachen rei­ zende, jedoch weder falsche noch eitle Rede n. Zum Beispiel zu einem hochmütigen und wichtigtuerischen Schüler, der sich in Konstanz ein Diakonat um Geld erworben hatte und sich bei einem Prozessionszug der U nsrigen an die Spitze setzen wollte und, angetan mit der Stola, sich zu ihm, der uns an diesem Tage das Evangelium lesen sollte, nicht ohne Hoffart gesellte, zu dem sagte er: "Eia, mein lieber Kumpan, wie reizend s itzt dir das S childband 82 ! " Eben dies jedoch , daß er als Weltgeistlicher uns das Evangelium lesen durfte, ist ihm gleichfalls um der Achtung wille n, die er genoß, eingeräumt worden. Denn als eingetragener Mit­ bruder war Ulrich damals mit der herrlichsten Stimme begnadet. 59. L änger aber als seine übrigen Altersge nossen hing er der Schule an, teils aus Liebe zu St. Gallen, teils um seiner Wiborada willen . S chließlich a b e r verließ er s i e doch, u n d besitzmäßig sein eigener Herr geworden, leuchtete er in Augsburg, wo er seit Kindesalter Kanoniker war, in Taten der Tugend, pflegte aber seinen Gallus wiederholt zu besu­ chen. Seine eingetragenen Mitbrüder speiste er persönlich als Aufwär­ ter dreimal im Jahr. Von eben diesen Gastmählern pflegen die Väter, die daran teilnahmen , wohl viel Liebliches zu erzählen; ich aber will einzig ein Wunder, das auch ihm selber bedeutend erschien, den Nachfahren zum Gedächtnis berichten. Nicht weit vom Kloster befindet sich eine hohe Brücke, die auch so ge­ nannt wird und über einen schroffen und bodenlos tiefen Abgrund -

wie man sehen kann - gelegt ist 83 , unvermeidlich jedenfalls für alle , die von jener Seite nach St. Gallen reisen. Nun wurde ein Faß Wein Ulrichs , d e r damals schon Bischof war, v o n zahlreiche n, in langem Zug geführten Ochsengespannen über eben jenen Berg zum Liebesmahl der Brüder transportiert, während er selber bereits im Kloster weilte . Und siehe, entsetzlich zu sagen, das schwerbeladene Fu hrwerk entgleiste und stürzte hinab und riß im Rollen jene Gespanne mit sich. Rings in der N achbarschaft rief man um Hilfe . Und sie kamen von überallher zusam­ men; und da sie alles heil und wohlbehalten fanden, schirrten sie die hin­ gestreckten Tiere mit scharfem Verstand auseinander; und in ängst­ lichem Bemühen brachten sie alles, weil anders sie nicht konnten, genau wieder zur Brücke hin. Nun aber sangen sie "Kyrie eleison" und gaben den Tieren, weil sie verstört waren, nur geringe Hilfe , und so schafften sie dem wartenden Bischof seinen ersehnten Bozener heran und zeigten ihm alles unversehrt und heil. Am Ende brachte der Gottesmann mit den Brüdern Gott öffentlich Lobgesänge dar, und nach dem Beispiel des Benedictus und Maurus legte er selber dies Wunderzeichen den Verdiensten der Brü­ der bei, sie aber jenes Unmögliche dem Vermögen seiner Wunderkräfte. 82 Anspielung auf die Stola des Diakons. 83 Die Martinsbrücke in der Schlucht der Goldach.

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Casus s. Galli 59/60

E gerat quidem aliquando in loco sancti Magni �tiam diem84 si­ bi semper amabilem. Reliquiasque eius, ut mos nobis est, cap p a illa aquilifera indutus vespere diei sancti ipse domum reporta­ bat. Et cum infirmus tune esset, ut sepe quidem erat, paraliticus quidam adiutorio suorum in viam se, ut ipse super eum gradere­ tur; prostraverat. At ille homini appropians , quasi de obstaculo indignatus: "Surge " , ait , "quia et ego pedibus infirmus super te progredi nequeo." At ille tanquam ad increpantis verbum velo­ cissime surgens incolomis abiit. S ecutusque fratres sine ullius adiutorio sancti Magni aecclesiam cum c�teris sanus introiit . E t episcopus capitio cappe imposito c u m anhelus stetisset et de via lassus, audiens sanitatem hominis , acriter in dicentes invectus, super cancellos tandem innititur, signumque tarn manifestum ab se excutiens, sancti Magni virtutem, quam manibus gerebat, hanc esse astantibus praedicans asseruit. Neque tarnen sie eis , ut hominem ab ipso sanatum esse discrederent , persuadere qui­ dem ullo modo potuit. 60. H�c de pluribus, qu� apud sanctum Gallum conmanens ges­ sit, tribus vit� eius scriptoribus non praeiudicantes scripsimus. Neque enim miramur eos, cum quibus in seculo versatus est, ea, qu� cum spiritalibus gessit, quia minus sciverant, non scripsisse. Sed plura eos , qu� de eo concinnantur vulgo et canuntur, tacuis­ se, cum infima quedam eius magna fecerint, �tiam miramur. Ne­ que enim, quia interdum ridenda, ut diximus , non inaniter loqui solebat et facere, ea dici ab eis queramus . Ut abbati nostro Ym­ moni, verecundo homini et talia semper detestanti, cum incudem noviter sub terra repertam sibi dari peteret, feminam de merca­ to dorso validam inferri iusserat. Sed et Hettinum camerarium suum, in effuso Lico flumine iam mergi visum, quomodo ad se fe­ stinum vocaverit fluctusque illum coram pedibus suis in litus eie­ cerit; sed et ipsam urbem suam Augustam quidem in Ungrorum invasione sub Henrico, ut iam diximus85, rege, quomodo meritis suis liberaverit ab ipsis , prius illam, quam ad nos venerint, arta obsidione cingentibus, nec uno verbo tetigisse miramur. Nam

Wundertaten in St. Gallen und Augsburg

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Er feierte aber einmal in St. Gallen den ihm ebenfalls stets lieben Tag

des heiligen Magnus 84 • Und wie es unsere Gewohnheit ist, trug er dessen Reliquie n , in jene adlertragende Kappa gehüllt, am Abend des Fest­ tages selber in das Haus zurück. Und ungeachtet er damals krank war,

wie er e s ja häufig war, hatte sich ein Lahmer mit Hilfe der Seinigen auf den Weg hingestreckt , damit er über ihn schreiten möge . Aber Dirich kam auf ihn zu und gebot ihm, als wie entrüstet über das Hindernis: "Steh auf! Denn auch ich bin krank an den Füßen und nicht imstande, über dich hinweg weiterzugehen." Doch jener erhob sich, gleichsam auf das Wort des Scheltenden, mit Blitzesschnelle und ging munter davon. Und ohne daß ihm irgendeiner beistand, folgte er den Brüdern und trat mit den anderen gesund in die Kirche des heiligen Magnus. Und der Bischof war keuchend unter der aufgesetzten Mantelkapuze und vom Wege ermattet stehenge blieben; da er aber von der Heilung des Mannes erfuhr, wandte er sich heftig gegen die , die davon sprachen, stützte sich schließlich auf die C horschranken, und indem er das so offenkundige Z ei­ chen von sich abwies, erklärte er den Umstehenden nachdrücklich, daß dies des heiligen Magnus Wunderkraft sei, die er in Händen getragen . Aber auch so konnte er s i e doch keineswegs in ihrem Glauben erschüt­ tern, daß der Mann von ihm selbst geheilt worden sei. 60. Dies haben wir von dem vielen, was er bei seinem St. Galler Auf­ e nthalt getan, notiert, ohne damit seinen Biographen Abbruch zu tun. Wir wundern uns nämlich nicht, daß die , mit denen er im Weltleben ver­ kehrte , nicht geschildert habe n, was er im Z usammenleben mit Geist­ menschen vollbrachte; denn darüber wußten sie nicht so Bescheid. Aber daß sie mi'.nches, was doch männiglich von ihm singt und sagt, ver­ schwiegen, indes sie einige ganz geringfügige Dinge von ihm hochge­ spielt haben, das verwundert uns noch immer . Wir wollen von ihnen ja nicht verlange n , sie sollten erzählen, daß er manchmal, wie erwähnt, Ko­ misches nicht ohne tieferen Sinn zu sagen und zu tun pflegte. So wie er zum Beispiel unserem Abt Ymmo, der ein schüchterner Mensch war und dergleichen stets von sich wies, ein Marktweib mit kräftigem Rücken herbringen ließ, als er einen kurz zuvor unter der Erde entdeckten Am­ boß für sich in Anspruch nahm. Jedoch wie er auch seinen Kämmerer Hetti, der im Hochwasser des Lech schon zu ertrinken schien, schleunig zu sich gerufen und eine Woge ihn vor seinen Füßen ans Ufer geworfen hat - aber auch wie er gerade seine eigene Stadt Augsburg beim Ein­

fall der Ungarn zu Zeiten König Heinrichs , wie wir schon sagten 85 , durch seine Verdienste befreit hat, als sie die Stadt , ehe sie zu uns kamen , in e ngem Ringe belagerten - , daß sie auch dies nicht mit einem einzigen 84 6. September. 85 Kap . 51. An die andere, berühmte Belagerung von 955 ist hier offenbar nicht gedacht.

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Casus s . Galli 60 - 62

imminente irruptionis illorum iam facili introitu, infantulos ur bis universos ab uberibus matrum raptos circa se coram altaribu s nuda terra iactari iusserat, vagitibusque illorum lacrimas cum e iulatibus miscens infestissimos illos alter Ezechias86 abegerat hoste s . Nam nulla nisi talium precum existente causa, efferi illi urbe relicta ad alia dispersi sunt loca. 6 1 . Hugo �tiam quidam, regii generis homo primarius , propter sororem viri Dei, virginem sacram, incestu agnitam ab ipso quia sepe inclamatus est, insolenter ei inimicus , quadam die carr� ve­ hiculo, ut erat infirmitatis su�, occurrit invecto. Quem cum mili­ tes episcopi precessores, uti ei non occurreret, praemonerent: "Carrucarium" , inquit , "illum ab itinere meo nunquam declinabo ." Quod ille a dicentibus post audiens: "Carruc�" , in­ quit, "vehiculo , seitote filii mei, ipse plus quam ego indigus erit." Nec post multum nocte quadam sanus sopori se tradens cum evi­ gilasset, lumbos , in quibus peccaverat, acerrime dolens in infe­ rioribus ab illa nocte ita decreverat, ut praeter cutem et ossa gracilia nihil haberet . S icque longevitatis tempora, nunquam co­ gi valens, ut pacem a viro Dei peteret, perduxerat . Ipsa autem sanctimonialis illa sanctorum exemplorum post visa est femina, quippe quam frater novis sententiis, dum vixit , annuatim puni­ verat. Ungris autem a se recedentibus, cum Puochouvam illos, ubi so­ ror ipsa erat , partesque nostras, ubi Wiboradam matrem scie­ bat, invadere velle conperisset, orasse fertur: "Domine, miseram istam adhuc impunitam mihi dona, ut gladio non pereat! Sed et il­ lam gladio semper paratam, ut palmam martyrii mereatur , con­ fortans robora ! Cellam quoque Galli tui integram cum sibi famu­ lantibus, 87pie et misericors87 , conserva!" Atque ita precibus eius sanctis effectum Deus undique dedit. 62. At Engilbertus noster, circumquaque omnibus igne caelo nocte dieque relucentibus, exploratores iam emittere non ausus , castellum suum cum suis immanens tuebatur. Raro autem i n mo­ nasterium magis animo fidentibus, ut missas ibi agerent, missis ,

Ulrich und H u go - Ulrichs Fürbitten

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Wort berührten, darüber müssen wir uns wundern. Denn während be· reits der E inbruch der Ungarn und ihr ungehinderter E inmarsch drohte , ließ er alle Kindlein von den Brüsten der Mütter reißen und sie um ihn her vor den A ltären auf die nackte Erde werfen; und indem er in ihr Ge· wimmer seine Tränen und Wehklagen mischte, verscheuchte er, ein zweiter E zechias86 , jene hochgefährlichen Feinde. Denn aus keiner ande· ren Ursache als der solcher Bittgebete haben die wilden Ungarn die S tadt aufgegeben und sich in andere Gegenden zerstreut.

6 1 . Hugo ferner, ein vornehmer Mann aus königlichem Geschlecht, der ihm ungewöhnlich feindlich gesinnt war - dies wegen der S chwester des Gottesmannes, einer geweihten Jungfrau , die er in unzüchtigem U mgang erkannt hatte , weshalb er von Ulrich oft angeprangert wur­ de - , begegnete ihm eines Tages , wie er seiner Krankheit gemäß auf einem Karrengefährt daherfuhr. Als ihn nun die vorausreitenden Gefolgs­ leute des Bischofs vor einer Begegnung mit ihm warnten, sagte er: "Je­ nen Karrenfahrer werde ich wohl nie von meiner Straße los ! " Da aber Ulrich das hinterher vernahm , sprach er: "Wisset , meine Söhne, eines Karrens wird er selber mehr als ich bedürftig sein." Und nicht lange da­ nach, da er sich eines Nachts noch gesund dem Schlaf überließ, erwachte er mit heftigsten Schmerzen in den Lenden, in welchen er gesündigt, und schwand von jener Nacht an in den unteren Körperteilen so dahin, daß er außer Haut und dünnen Knochen nichts mehr hatte. Und so brachte er die Z eit eines langen Lebens hin, ohne daß er es je über sich brachte , von dem Gottesmann Frieden zu erbitten. Eben jene Nonne aber zeigte sich nachmals als eine Frau von heiliger Vorbildlichkeit, da sie denn ihr Bruder, solange er lebte, alljährlich mit neuen Strafen be­ legte. Als aber die Ungarn vor ihm zurückwichen und er erfuhr, daß sie Bu­ chau, wo eben seine Schwester lebte , und unsere Gebiete überfallen wollten, wo er die Mutter Wiborada wußte, da soll er gebetet haben: " Herr, diese Arme , die noch ohne Strafe ist, überlaß sie mir, damit sie nicht durch das Schwert umkomme ! Aber stärke auch jene, die für das S chwert stets gerüstet ist, auf daß sie den Siegespreis des Martyriums sich erwerbe! Die Zelle auch deines Gallus, 87du Gütiger und Barm­ h erziger87 , bewahre sie unversehrt mit ihren Dienern!" Und also hat Gott seinen heiligen Bittgebeten allseits Wirkkraft verliehen.

62. Aber unser Engilbert wagte keine Kundschafter mehr hinauszu­ lassen, weil weit im Umkreis Tag und Nacht alles himmelan vom Feuer widerstrahlte, und blieb mit den Seinen in seinem Kastell auf der Hut. A b und zu schickte er zwar die Beherzteren ins Kloster, um dort Messen zu feiern, vermochte dann aber bis zu ihrer Rückkehr kaum Atem zu 86 Vgl. 4. Reg. 19. 87 - 87 V gl. Eccli. 2, 13.

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Casus s . Galli 62/63

spiritum inter eorum reditum vix habere potuit. Multum autem soeios roborabat inter timorem et spem Heribaldi et eleriei assi­ dua de hostibus relatio. Mirabantur tandem altioris ingenii fra­ tres pium Deum tarn amieum simplicitati, ut eum �tiam fatuos et ebetes tueri non pigeat inter medios hostium gladios et eontos. Querentes autem ab Heribaldo inter otia, quomodo sibimet tarn numerosi hospites saneti Galli plaeerent: "Eia" , inquit, "quam optime! Nunquam ego, eredite mihi, hilariores in claustro nostro homines vidisse me memini; eibi enim potusque datore s s u n t largissimi. Quod enim ego ante eellararium nostrum tena­ eissimum vix rogare poteram, ut vel semel sitientem me potaret, ipsi mihi affluenter roganti dabant." Et clerieus : "Et si bibere", inquit, "nolles, alapis eogebant." "Non nego", ait; "id enim unum valde displieebat, quod tarn indiseiplinati quidem erant . In veri­ tate dieo vobis : nunquam in claustro saneti Galli tarn indiseiplina­ tos vidi. Neque plus in aeeclesia et in claustro, quam si foris in prato essent, ferales illi" , inquit, "egerant. Nam eum eis semel manu signum darem, ut Dei ipsius memores vel in aeeclesia si­ lentius agerent, grandes mihi eollo infregerant. Atque ilieo, quod in me peeeaverant, vino oblato, quod nemo quidem vestrum faee­ ret, emendabant." 63. Taliter imperterriti illi, Deum semper invoeantes , miseriis suis se paseebant, dum otia haberent. Fama vero volante , ut fit, reversos hostes iterum in e�nobio versari, emitti se fatuus, ut ad earos suos veniret, enixe rogabat. Sieque per aliquot dies ipsi et Wazzirburgenses in navibus tarnen sepius agentes, quas hostes nullas habebant, finem hostiee tempestatis exspeetabant. Audiunt tandem, Constaneia foris muros eremata, intus armis defensa, Augia quoque navibus subduetis armatis multis in eir­ euitu fulgida, hostes sevos eis eitraque Rhenum omnia igne eedi­ busque pervadentes transisse. Ausi tandem monasterium seeuri intrare88, oratoria purgant, offieinas perseopant. Episeopo Notin­ go tune aecito, aqua benedieta euneta spargi rogantes , vim derno­ n um omnem eliminant. Atque sie E ngilbertus armis relietis ,

Heribald erzählt - Rückkehr ins Kloster

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holen. Gar sehr aber ermutigte die Gefährten zwischen Furcht und Hoff­ nung der unermüdliche Bericht Heribalds und des Klerikers über die Feinde. Es staunten am Ende die Brüder mit ihrem höheren Verstand, daß der gütige Gott der E infalt so geneigt ist, daß er sich's nicht verdrie­ ßen läßt , sogar Narren und Blöde mitten unter Schwert und Spieß der Feinde zu beschirmen. Als sie sich aber unter ihrer Muße bei Heribald erkundigten , wie ihm die so zahlreichen Gäste des heiligen Gallus gefallen hätten, sagte er: "Ei, sehr gut ! Glaubt mir, ich kann mich nicht erinnern, jemals fröhlichere Leute in unserem Kloster gesehen zu habe n; verteilen sie doch Speise und Trank mit vollen Händen. Vorher nämlich konnte ich unseren Geiz­ kragen von Kellermeister kaum darum bitten, mir auch nur einmal einen Trunk für meinen Durst zu reichen; sie aber gaben mir, wenn ich bat, im Überfluß." Und der Kleriker warf ein: "Und wenn du nicht trinken woll­ test, nötigten sie dich mit Ohrfeige n ! " "Das ist wahr" , meinte er, "dies eine mißfiel mir ja sehr, daß sie gar so ungezogen waren. Wahrlich ich sage euch: noch nie habe ich im Kloster des heiligen Gallus so ungezoge­ ne Leute gesehen. Und in Kirche und Klausur trieben es jene Wilden ebensosehr", sagte er, "als wenn sie draußen auf der Wiese wären. Denn wie ich ihnen einmal mit der Hand ein Zeichen machte, sich doch in der Kirche mit Rücksicht auf den Herrgott etwas ruhiger aufzuführen, ver­ setzten sie mir schwere Schläge auf den Nacken. Aber sogleich machten sie ihre Sünde an mir wieder gut; denn sie boten mir Wein an, und das täte gewiß keiner von euch." 63. So weideten sich die Brüder, die ohne Zagen ständig Gott anriefen, an ihrem eigenen Unglück, derweil sie Zeit dazu hatten. E s kam aber, wie es so geschieht, das Gerücht auf, die Feinde seien zurückgekehrt und befänden sich abermals im Kloster; worauf der Narr eifrig bat, ihn hinauszulassen, damit er zu seinen lieben Freunden komme . Und so harr­ ten sie selbst und die Wasserburger, die nun doch öfters auf den Schiffen hausten, deren die Feinde keine besaßen, noch ein paar Tage lang auf das Ende des feindlichen Ungewitters. Sie vernahmen schließlich, Konstanz sei außerhalb der Mauern zwar abgebrannt, innerhalb aber mit Waffe ngewalt behauptet worden; be­ wahrt geblieben sei auch die Reichenau, funkelnd von vielen Gewaffne­ ten, indes man die Schiffe an Land geführt habe ; die grimmigen Feinde aber verheerten nun im Weiterziehen beidseits des Rheins alles mit Brennen und Morden. Da konnten sie denn endlich wagen, das Kloster ohne Furcht zu betreten 88 ; sie säuberten die Kapellen und fegten die Klostergebäude. Alsdann holten sie den Bischof Noting, baten ihn, alles mit Weihwasser zu besprengen, und trieben alles teuflische Wesen hin­ aus. Und indem er so nach Niederle gung der Waffen sich und die Seini88 Laut Hartmanns Vita Wib., Kap . 35, am 8. Mai.

Casus s . Galli 63/64

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militi� caelesti se suosque iterum assuefaciens, in utrisque frugi hominem se exhibuit. 890ves enim dispersas velud humeris repor­ tans ad gregem89, regul� eas redocuit tenorem. Pabula eis, qu� cara tune quidem omnibus erant, omni industria undequaque cor­ radere sollicita curavit sollercia; neque enim erat emere omnibus profligatis neque spes verni fructus hostibus arare vetantibus. Sie ille VIII post hanc tempestatem annis loci sui provisor, de­ cessoris sui disciplinam deintus tenuit, protervam deforis servo­ rum naturam frangens emendavit. Tandemque infirmans, fatiga­ tus corporis malis , Thietoni venerando abbati electo a fratribus regimen suum, regi supplicans , reliquid. Ipse autem loca abba­ turn, que diximus, non diu supervivens90 tenuit. 64. De Ungrorum quoque infortuniis tragedie nostre non piget ascribere. Erat ea tempestate in pago, quem Friccouve dicunt, Hirminger quidam, vir non adeo praepotens, sed manu et animo validus filiorumque Machabeorum sex sicut Mathathias91 quon­ dam pater fortissimus. Iste enim turmam illam , qu� cis Rhenum nos quoque - a sociis , qui ultra Renum erant, disiuncta - invase­ rat, ita circumvenerat. Enimvero cum Sechingensem sanct� cru­ cis locum illi invasuri, in arto Rheni pontem parantes, inspectivi sociis consedissent seque invicem super flumen allocuti securius iam agerent, ipse istos cum filiis , copiis pro tempore undecumque corrasis, intempesta noctis 92somno vinoque sepultos92 tribus par­ tibus impetu facto inprovisos invaserat et pene omnes, praeter qui Rhenum fuga transnataverant, aut occiderat aut merserat. Nam et villani quidam praedocti, ollisa prunas in proximo monte paratas habentes, tumultu audito faces accensas levabant et, ut discretionem sociorum et hostium nossent, quasi perlustrium fecerant93• Spectabant sociorum internetionem transflumina­ les hostes otiosi. Iraque armati accurrunt ad profluentis litus ra­ bidi. Missilia furori satisfacientes plurima iaciunt caninoque ulu­ latu voces horridas miscent . At Irminger cum suis spolia in facie a ollas

Hss.

89 - 89 V gl. Reg. Bened. 27. 90 Z urückgetreten 933, gest. 91 V gl. 1. Macc. 2.

13. August 934.

Nach dem Ungarnsturm - H irmingers Handstreich

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gen wieder an den himmlischen Kriegsdienst gewöhnte, zeigte sich E n­ gilbert in beidem als ein tüchtiger Mann. 89Die zerstreuten Schafe näm­ lich trug er gleichsam auf den S chultern zur Herde zurück89 , da er sie den Grundgehalt der Regel von neuem lehrte. Die Nahrung für sie, die damals ja allgemein teuer war, ließ er rastlos und erfinderisch mit allem Fleiß von überallher zusammenkratzen; denn weder gab es etwas zu kaufe n , da alles zerstört war, noch war von der Frühlingsfrucht etwas zu hoffe n , weil die Feinde das Pflügen verwehrten. Dergestalt wirkte E ngilbert noch acht Jahre nach dem Ungarnsturm als sorglicher Sachwalter seines Klosters , hielt die Z ucht seines Vorgän­ gers drinnen aufrecht und verbesserte sie draußen, indem er das freche Wesen der Knechte demütigte. Und als er schließlich krank und von sei­ nen körperlichen Leiden sehr geschwächt wurde , überließ er sein Regi­ ment dem verehrungswürdigen Thieto als dem von den Brüdern erwähl­ ten Abt und bat den König um seine Gnade. Er selber aber behielt für die kurze Zeit, die er noch lebte90 , die Abtsgüter, die wir genannt haben.

64. Es verdrießt mich nicht, u nserer eigenen Tragödie auch noch etwas über der Ungarn Unglück beizufügen. E s lebte zu dieser Zeit in dem Gau, den man Frickgau nennt, ein gewisser Hirminger, ein keineswegs m ächtiger Mann, aber von starker Hand und starkem Mut und, wie einst M athatias , der heldenhafte Vater von sechs makkabäischen Söhnen91 • Dieser Hirminger vermochte jenem Schwarm, der diesseits des Rheines - von den Genossen jenseits des Rheines getrennt - auch uns überfal­ len hat , folgendermaßen beizukommen . Als tatsächlich die Ungarn, im Begriff, das Heiligkreuzkloster S äekingen zu überfallen, beim Brücken­ bau in der Rheinenge sich im A ngesicht der Genossen lagerten und ein­ ander über den Fluß hinweg anredeten und schon sorgloser agierten, überfielen Hirminger und seine Söhne mit von überallher flugs zusam­ mengeraffter Mannschaft die U ngarn in tiefer Nacht, 92da sie vom Schlaf und Wein überwältigt waren92 , überrumpelten sie in einem Stoß von drei Seiten und töteten und ertränkten fast alle außer jenen, die flie­ hend über den Rhein schwammen. Denn es waren auch einige Dorfleute instruiert worden , glühende Kohlen in T öpfen auf dem nächsten Berg bereitzuhalten, und da sie den Lärm hörten, setzten sie Fackeln in Brand, hielten sie hoch und schufen so gleichsam einen durchsichtigen Raum, daß man Freund und Feind zu unterscheiden vermöchte93• Dem Untergang ihrer Genossen mußten die Feinde jenseits des Flusses untä­ tig zuschauen. Und rasend vor Z orn liefen sie bewaffnet an das U fer des Stromes . Um ihre Wut zu stillen , schleuderten sie eine Menge Geschos­ se und mischten ihre grausigen Stimmen mit hundeartigem Geheul. Aber Hirminger mit den Seinigen raffte die Beutestücke im Angesicht 92 - 92 V gl. Verg. Aen. 2, 265. 93 Die S zene z. T. nach Judic. 7, 16.

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hostium collecta basilic� triumphans intulit et per omnes circum­ quaque munitiones dispertivit . Et quia naves praeter eius urbis d efensaculo subductas nullas in Rheni viciniis sciverat, suadebat urbanis navibus ipsis pontibus iunctis armatas Iegiones transpo­ nere , se duce, qui illorum mores in armis iam nosset, quantocius confligere. Dum h�c sataguntur , navibus Ungri de Swarzwalde multis paratis in Alsatiam ipsi priores suas Iegiones transponunt et a Luitfrido quodam, terr� illius potentissimo, bello suscepti pluri­ mo dampno sui tandem cruentam victoriam sunt adepti. Sense­ rant iam mitius sibi agendum inter Teutones et in terra illorum minus fore tardandum. Alsatia tandem, qua ierant, vastata et cremata, Hohfeldi94 montem Iurisque silvam festinanter trans­ euntes V esontium veniunt. 65. Erat95 tune Burgundion um rex C huonradus , adolescens flo­ ridus, sanct� Adelheid� quidem frater. Venerant quondam Sara­ ceni navibus in Burgundiam belloque omnia disturbantes , tan­ dem victi in valle Fraxnith angustiis tutissima, invito qui tune erat rege , consederant. Paceque petita uxores filias gentis du­ cunt. Vallem maxim� ubertatis parvis regi reditibus datis inco­ lunt. Ad quorum ducem Chuonradus , nobili astucia usus, legatos dirigit his verbis : "Ecce Ungri, fillones illi fugitivi, nuntiis me fa­ tigant, ut sibi pace mea vos quidem a tant� ubertatis terra armis expellere liceat. Sed vos , si viri estis , obviam illis me iuvante quantocius pergite! E nimvero si vos eos in faciem invaditis, ego eos a latere involabo . Sicque illos, ut confido , profligatos exter­ minabimus." Misit autem et ad Ungros qui dicerent: "Quare, viri fortissimi, mecum armis agere vultis? Expedit enim utrisque no­ strum magis , ut pacifici simus. Venite ergo mecum , et hostes me­ os illos eradamus de terra uberrima, vosque ibi considite ! Sed et insuper provinciam proximam terr� illi, si mecum in fide senseri­ tis , libens vobis tribuam ." Consenserant utrimque legationi regi� . Erumpunt Saraceni e valle Fraxnith confertissimi. Die et loco condictis occurrere

Die Ungarn im Elsaß - Königliche List

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der Feinde zusammen und brachte sie im Triumph in die Kirche und ließ sie rings auf alle Bastionen verteilen . Und weil er wußte , daß im Um­ kreis des Rheines keine Schiffe waren als die , die man zur Verteidigung dieses Ortes an Land gezogen , riet er den Bewohnern, sie sollten eben diese Schiffe zu Brücken zusammenfügen und ihre Heerhaufe n über­ setzen, um unter seiner Führung, da er die Kampfesart der Ungarn nun schon kenne, unverweilt den Kampf aufzunehmen. Während man dies kräftig in die Hand nahm, verschafften sich die Un­ garn ihrerseits viele Schiffe aus dem Schwarzwald und setzten ihre Truppe eher nach dem E lsaß über; und als sie dort vom mächtigsten Herrn des Landes , L iutfrid, zum Kampfe gestellt wurden, erlangten sie unter schweren eigenen Verlusten zuletzt einen blutigen Sieg. Sie hat­ ten nunmehr begriffen , daß sie bei den Deutschen glimpflicher verfah­ ren müßten und in ihrem Lande minder säumen dürften. Schließlich , nach Verwüstung und Brandschatzung des Elsaß , wohin sie gezogen , marschierten sie eilends am Hochfeldgebirge94 u n d Jurawald vorbei und gelangten nach Besan Deus qui sedes< , und da er unter den Brüdern große G el­ tung besaß, sangen sie es trauervoll zu E nde, ließe n Abt und Bischof ste­ hen und gingen in die Klausur; und während einige sie fest hinter sich verriegelten, warteten sie auf die Gelegenheit, um teils in der Nacht , teils unverhohlen zurückzugehen. Es fiel aber dieser Aufruhr, wie wir von den Vätern hörten , die dabei waren, zwischen Prim und Terz 16 • Der Bischof kam mit den Seinen und den Rittern des Abtes zur Kir­ chenpfort e , die den � ingang zur Klausur bildet. Er klopfte aber an und verlangte ausdrücklich seine einstigen Mitschüler zu sprechen, als die M änner nämlich, die, wo immer e s not täte , die besonderen S äulen ihres Klosters sein würden . Unter ihnen befanden sich - und über sie werden wir an ihrem Orte mit Gottes Gnade noch große Dinge erzählen - Ekke­ hard , der nach seiner Lehrtätigkeit Dekan wurde; Notker, den man auf­ grund seiner Strenge in der Zucht das Pfefferkorn nannte , Lehrer, Maler und Arzt; Geraldus , der von Jugend auf bis an sein Lebensende in hohem Alter immer S chulmeister war; Purchard, der nachmalige Abt, der, nebst seinen besonderen Begabungen in Wissenschaft und Tugenden , durch edle Abkunft, w i e s i e a u c h d i e anderen auszeichnet e , v o n könig­ lichem Range war. Diese vier von den Brüdern Auserwählten nahten sich der verschlossenen Kirchentüre und baten den Bischof, einzig den A ma­ lung mit sich zu nehmen, falls er geruhen möchte, bei ihnen einzutreten . Dieser Amalung aber war Ekkehards Bruder, ein sehr gebildeter Laie, ein ungemein gewandter Redner in Versammlunge n , groß an Rat, in sei­ ner Frömmigkeit fast ein Mönch. Und er war bei allem auch liebenswür­ dig und heiter und war , wie e s hieß, gar leicht imstande , eine Sache nach seinem Belieben in das und in das zu verwandeln. Ihm wurde , wie wir hörten, als einzigem Laien seit Menschengedenken gestattet, unser Kapitelhaus zu betreten. 75. E s würde die Mühe lohnen zu erzählen - wenn ich mich noch ent­ sänne, was ich von den einzelnen an Einzelheiten vernommen habe - , wie mächtig jedenfalls Gottes Geist an jenem Tage die Stimme erhob und welche E insicht und Demut die Brüder in ihrem Bekenntnis bezeig­ ten: sie seien freilich schuldig, weil sie einen hochfahrenden Herrn so wenig ertragen könnten und e s nicht gleichmütiger gelitten hätten, daß der, den sie als Kinder zum Vater erwählt, sie statt zu Kindern zu K nechten genommen habe ; e s gehöre zu der im Evangelium gepredigten Geduld, 17gehorsam zu sein bis zum Tode17 : gesetzt nämlich , ein Gewalt­ herrscher drohe C hristen mit Verfolgung und der H e nker zerfleische sie; sie jedoch hätten im Frieden der Kirche einen Vater, der seine S öhne 16 D. h. zwischen sechs und neun Uhr. 17 - 1 7 V gl. Philipp. 2, 8.

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odire, pastorem, quem oves tondere non glutire libeat18, privile ­ gii iure elegisse; 19illum vero lupo veniente noctu nemini ovium verbum dantem fugiisse19, se lupis reliquisse; insuper thesauros aecclesi� clam se raptos perdidisse. "Tandemque, postquam ab­ batiam s ancto Gallo honoram incautela sui amisit, 20quasi re bene gesta20, super nos tanquam pastor et pater", aiunt, "venit, quibus utique nec amicus est, post et quam nos desertor aufugit neque per literas neque per nuntium unquam uno verbo consolatus est." Et Walto decanus: "Sed, o sancte Dei, frater noster tanto tem­ pore , quoniam per te nobis desertorem ipsum imperii iussu ite­ rum inponendum audivimus, tibi episcopo et fratri honorem de­ bitum impendere non dubitavimus , sed illi non ita. Tu quoque in­ solentia, qua volebas , usus es in fratrem nostrum et tuum. Scias autem nobis animo firmissime sedisse, reo, aperto claustro, quod quidam inconsultius clauserunt, quoniam quidem nostrum est nemini manu resistere, introitum non vetare; domicilium aute m , quod per sanctum Gallum nidus 2 1 noster e s t , usque ad querelas regi dirigendas , quoquo modo illum patiamur, etiamsi alapas in­ cusserit, velle fovere. Quorundam autem animos , qui eum fugere et, ut ipsi aiebant, tyranno cedere cogitabant, egre sedavimus et, quicquid Deus de nobis fieri pro peccatis permiserit, nobis­ cum pati persuasimus." Postquam sie per Waltonern decanum, hominem preter dotes generis et virtutum verbo potentem, omnium assensu perora­ tum est, episcopus lacrimatur. Et Amalunch: "Nobis duobus" , in­ quit, "qui ad tant� molis causam introducti sumus, nunc non est flendum, sed solatiis, si qu� possumus, et consiliis in articulo hoc commodis , sancte pater, agendum." Optimum autem videri in au­ rem dixit, ut ipsum primum fratris, in quem manum misit, ani­ mum nec non et omnium fratrum , quantum posset, leniret, 22 ne tristiciam hanc super tristiciam habentes 22 minus parerent con­ siliis . S urgens vero episcopus, veniam quidem ab omnibus sibi quidem assurgentibus petens, Victori per se prosternitur. A quo 18 Vgl. Sueton, Tib. 32 ( Oros. 19 - 19 V gl. J oh. 10, 12. 20 - 20 Terent. Adelph. 775. =

7 , 4).

Der Mönche Klagen und Anklagen

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lieben und nicht hassen, einen Hirte n , der seine Schafe scheren und nicht verschlingen sollte 18 , nach verbürgtem Vorrecht gewählt ; 1 9jener indessen sei nächtens geflohen, da der Wolf gekommen, ohne ein Wort an eines seiner Schafe zu richten 1 9 , und habe sie den Wölfen überlassen; überdies habe er heimlich Kirchenschätze an sich gerafft und sie ver­ loren . "Und zuletzt nun", sagten sie , "nachdem er eine ansehnliche st. gallische Abtei durch seine Unbedachtheit eingebüßt hat, kommt er, 20gleich als hätte er die Sache vortrefflich gemacht2 0 , wie ein Hirte und Vater zu uns, für die er jedenfalls nicht einmal ein Freund ist, nachdem er sogar desertiert und entflohen ist und uns weder durch Brief noch durch Boten je mit einem Wort getröstet hat." Und Walto, der Dekan: "Nun wir aber hörten, o Heiliger Gottes , der du s o lange Z eit unser Bruder warst, daß uns eben der Deserteur auf Be­ fehl des Kaisers durch dich wieder aufgebürdet werden sollte, da haben wir nicht geschwankt, dir als dem Bischof und Bruder die schuldige E hre zu erweisen - doch jenem, nein! Du auch hast dich gegen unseren und deinen Bruder anmaßend nach deiner Willkür benommen. Du sollst aber wissen, daß wir fest entschlossen waren , die Klausur, die einige recht unbedacht versperrten, zu öffnen und dem Schuldigen den E intritt nicht zu verwe hren, weil es ja nicht unsere Sache ist, irgendwem mit Gewalt zu widerstehen; die Wohnstätte aber, die durch den heiligen Gallus un­ ser Nest ist 21 , wollten wir, bis wir Klage einlegten beim König, nicht ver­ lassen, auf welche Weise immer wir jenen aushielten, selbst wenn er Ohrfeigen austeilte . Einige jedoch, die im Sinne hatten, vor ihm zu flie­ hen und, nach ihren eigenen Worten , dem Tyrannen zu weiche n, haben wir mit Mühe beschwichtigt und haben sie überredet, mit uns zu erdul­ den, was immer Gott für unsere S ünden über uns verhängt hat." Nachdem so durch den Dekan Walto, der außer den Gaben edler Ab­ stammung und edler Tugenden über die Macht der Rede verfügte , der Fall unter Zustimmung aller dargelegt war, weinte der Bischof. Und Amalung sagte : "Für uns beide, die man zu einem so mühevollen Ge­ schäft hereingelassen hat, heißt e s jetzt nicht weinen, sondern handeln , und zwar mit praktischen Mitteln, sofern wir welche finden können , und mit Ratschlägen, die in diesem Augenblick, heiliger Vater, zweckmäßig sind." Am besten aber sei es offenbar, so flüsterte er ihm zu, wenn er zu­ erst eben jenen Bruder, an den er Hand angelegt habe, und desgleichen auch die Brüder insgesamt möglichst besänftige : 22nicht daß sie zu der einen Betrübnis noch diese andere hätten22 und sich den Ratschlägen noch weniger fügten. Da aber erhob sich der Bischof, erbat Verzeihung von allen, die sich hinwiederum vor ihm erhoben, und warf sich in eige­ ner Person vor Victor zu Bode n. Und von diesem aufgerichtet, trug der 21 Vgl. Kap. 102 (Anm. 7). 22 - 22 Vgl. 2. Kor. 2, 3.

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Casus s. Galli 75/76

sublevatus pacem, decano monente, viro sanctus obtulit e t rec�pit. Purpuram vero magni precii, quam i p s e protinus sancto Gallo dedit, fratri l�so postea tradidit . 76. Consilio turn breviter habito, concordi� cedere omnibu s persuasis , Victor tantum solus conditiones quasdam cum abbate agendas instrepitat. Cui animo saniores resultant. Introducto­ que in claustrum abbate episcopus cum Amalungo, in partem il­ lum sumentes, tragediam fratrum pandunt , qualemque se inter eos veniens exhibeat, praemonent. Enimvero nisi rigori solito v erbis et gestu, prout tempus tune erat, aliquantulum cederet, 23novissima peiora prioribus futura23 praesagant . At ille , qu�cumque duo illi su adeant - tarnen, ne abbatis nomen in se vi­ lesceret, videant - facere spondet. Et episcopus: "Sunt", inquit, "inter ipsos viri, ut nosti, quibus hoc regnum maioris consilii• non habet, regi ipsi noti et grati, quibus te placet primitus pacifi­ cari et eorum consulto rem aggredi." "Bene" , ait , "sanctissime, monuisti; id ambo, ut agatis , postulo." Ingreditur tune solus per­ suasor fratrum episcopus. Quibus lenitis cum decanum assumere regrediens vellet, sine capite se inveniri nolle c�teri inquiunt. Quatuor autem illos, quos diximus, cum illo progredi sanxerunt. Quibus ille in aurem consulto quedam locutus cum ipsis egredi­ tur, abbatem dux talibus aggressurus conmilitonibus . Et subri­ dens dixit : "24Prima coniunctio acerrima est24." Amalunch autem ubi germanum vidit cum illis, surgens occurrit viris. Et silentio: "Benedictionem ab illo", ait, "non adhuc petatis; 25sed patientes estote et confirmate corda25 et taciti, usque dum, quid sentiat, ab ipso audiatis, consistite! 26Sicut silva26" , inquit , "26personet , sie echo resultet26." Appropiantibus vero abbas assurgens: "Benedicite!" praetu­ lit. Quibus tacitis Amalunch: "Quantum mihi" , inquit, "de regula innotuit, minores a maiore benedictionem habent pro tempore petere27 ." Et episcopu s : "Magna", inquit, "donaria tibi, frater,

a

consilium Hss.

Ulrich und Amalung als Vermittler

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H eilige gemäß der Mahnung des Dekans dem Manne den Frieden an und empfing ihn wieder. Hernach aber übermachte er dem gekränkten Bru­ der ein Purpurgewand von große m Wert, das Victor gleich an den heili­ gen Gallus weitergab. 76. Darauf hielt man kurz Rat, und während alle entschlossen waren , sich d e r E intracht zu unterordnen , bestand nur Victor als einziger dar­ auf, e s seien mit dem Abt gewisse Bedingungen auszuhandeln . Die Ver­ ständigeren traten ihm aber entgegen. Und nachdem man den Abt in die Klausur hineingeführt hatte, nahmen ihn der Bischof und Amalung bei­ seite, um ihm das Unglück der Brüder darzutun und ihn zuvor zu ermah­ nen, wie er sich verhalten solle, wenn er wieder unter sie komme. Tat­ sächlich 23würden die letzten Dinge noch ärger als die ersten sein23 , falls er von seinem gewohnten Grimm in Wort und Haltung nicht ein wenig abgehe; so prophezeiten sie. Und da versprach er, alles zu tun, was ihm die zwei nur immer rieten - immerhin sollten sie zusehen, daß der Na­ m e des Abtes in ihm nicht herabgewürdigt werde . Und der Bischof sprach: "Wie du weißt, befinden sich unter ihnen Männer, wie dieses Reich keine größeren im Rate besitzt , und da sie dem König selber ver­ traut und wert sind, empfiehlt es sich, daß du dich zuerst mit ihnen ver­ söhnst und dann mit ihrem Rate die Sache angehst." "Dein Hinweis ist richtig, hochheiliger Mann", sagte C raloh, "und ich möchte, daß ihr bei­ de dies in die Wege leitet ." Da ging nun der Bischof alleine hinein, die Brüder umzustimmen. Und als er sie besänftigt hatte, wollte er beim Zu­ rückgehen den Dekan mit sich nehmen; aber die anderen sagten, sie möchten nicht ohne Haupt gefunden werden . Jene vier aber, von denen wir sprachen, ließen sie mit ihm vorschreiten . Da flüsterte er ihnen zum Rat noch einiges ins Ohr und trat mit ihnen heraus , um als Anführer so trefflicher Kampfge nossen auf den Abt loszumarschieren . Und lächelnd bemerkte er: "24Der erste Zusammenstoß ist der ärgste24." Wie aber Amalung seinen Bruder und jene sah, erhob er sich und eilte den Män­ nern entgegen. Und leise sagte er zu ihnen: "Erbittet euch noch nicht den Segen von ihm; 25seid vielmehr geduldig und wappnet die Herzen25 und stellt euch schweigend hin, bis ihr von ihm selber hört , was er denkt! 2 6 Wie es in den Wald schallt , so das Echo widerhallt26 ." Als sie aber näher kamen, erhob sich der Abt und sagte laut: "Benedi­ cite ! " Sie schwiegen, und Amalung sprach: " S oviel mir von der Regel be­ kannt ist, haben die Geringeren den Segensgruß vom Höheren nach den Umständen zu erbitten27." Und der Bischof sagte: "Wir bringen dir große 23 - 23 V gl. Matth. 12, 45.

24 - 24 Vgl. Terent. Phorm. 347. 25 - 25 V gl. J acob. 5, 8. 26 - 26 Sprichwörtlich ; vgl. Walther, Lat. Sprichwörter, Nr. 29606. 27 V gl. Reg. Bened. 63, 1 5.

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offerimus." Et ille : "Utinam mihi", inquit, "ut ego ipsis offerar , Dominus donet !" Factum est utrimque silentium ; parantur allo­ quia. QufiJ Amalunch, ne forte commotionem parerent, pertime­ scens : "Eia", inquit, "domini, consilium meum facessere utrimque dignamini! De simultatibus, rogo, nullum iam verbum hinc inde loquamini; sed in pace Domini, omni fastu deposito, utrimque veniam petentes osculemini !" Placuit episcopo et utrisque consi­ lium in venias 28et in oscula ruendo28• Post pauca paucis verba utrimque semet anticipantes considunt unanimes. Conferuntur consilia, qualiter totum corpus capiti et caput corpori restitua­ tur. Stat consilium patrem filiis oblatum in sancti Benedicti, cuius imago appicta sedebat, ponere solium. Inducitur manu episcopi locatusque parumper residet. Tandemque assurgens lacrimando in veniam corruit; sed et episcopo secum ruente fratres omnes econtra ruebant. Erat facietenus videre spiritum sanctum opus suum ibimet agere. Osculatis singulis unanimitas in domo solida­ tur. Amalunch vero, homo iocunditatis grat!iJque vox dulcedinis, sequentiam: "Laus tibi sit, o fidelis Deus" gratulanter incipiens, episcopo et abbate cunctisque iuvantibus consummavit. 29Agitur dies in laeticia29; longos rancores caritas fregit . 30Non tulit hanc speciem furiato pectore Victor30• Abbatern quippe in sede sua cum vidisset, turbidus exiliit et qua­ si loco cessurus capituli domo exivit . Quem tarnen episcopus, prout potuit, revocatum delinivit et in abbatis gratiam reductum ad tempus compescuit, quod tarnen post abscessum eius minus quidem profuit. Egreditur post aliquot dies loco episcopus ad su­ os iturus, Victoremque, ut putabat, in gratia stabilitum relique­ rat. 77. Accidit autem tempore labente , ut ad amicos foras eundi a decano licentiam Victor peteret, re vera Enzelinum modernum abbatem , ut Cralohi dampnis insultaret vel aetiam cum illo peni­ tus persisteret, petiturus . Insinuatur abbati, deforis tune agenti, Victorem quidem abscessum non parvis impensis se C!iJlato parr,re.

Versöhnung der Parteien. Victors Groll

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Gaben dar , Bruder." Und jener erwiderte: "0 daß Gott mir vergönnen wollte , mich ihnen darzubringen!" Auf beiden Seiten entstand Schwei­ gen; man bedachte die Anreden . Diese aber, so befürchtete Amalung, könnten leicht Erregung schaffen, weshalb er sagte : "Wohlan , ihr Herren , geruht hüben und drüben nach meinem Rat zu handeln ! Sprecht, bitte , von keiner Seite mehr ein Wort über die Mißhelligkeiten; legt vielmehr im Frieden des Herrn allen Hochmut ab, bittet beiderseits um Verzeihung und küßt euch ! " Der Rat gefiel dem Bischof und beiden Parteien , indem sie aufeinander zueilten, um sich Verzeihung und 28Kuß zu gewähren28 • Nach einigen Worten und Gegenworten setzten sie sich in wechselseitigem Z uvorkommen einmütig zusammen. Man hielt Rat, wie sich der ganze Leib mit dem Haupt und das Haupt mit dem Leib wie­ der versöhnen lasse. Man faßte den Beschluß, den Vater, um ihn den S öhnen darzubringen, auf den Stuhl des heiligen Benedikt zu setzen, dessen Bildnis da aufge­ malt prangte . Er wurde an der Hand des Bischofs hereingeführt, nahm seinen Platz ein und blieb eine Weile sitzen. Und endlich erhob er sich und sank unter Tränen zum Kniefall nieder; doch mit ihm fiel auch der Bischof und fielen ihrerseits alle Brüder nieder. E s war augenscheinlich , daß eben hier der Heilige Geist sein Werk vollbringe . Nachdem alle ein­ ander geküßt hatten, festigte sich die Eintracht im Hause vollkommen. A malung aber als Mann von froher Laune und zauberhaft schöner Stim­ me begann in freudigem Dank die Sequenz >Laus tibi sit, o fidelis Deus< und sang sie bis zu E nde, während Bischof und Abt und alle ihre Unter­ stützung liehen. 29Der Tag ward in Fröhlichkeit hingebracht29 ; langen, alten Haß brach die Liebe. 30Nicht ertrug diesen Anblick Victor rasenden Herzens30 • Ja, als er den Abt auf seinem Sitze sehen mußte, sprang er verstört auf und verließ das Kapitelhaus , als wollte er dem Kloster entlaufen. Jedoch der Bischof holte ihn zurück, besänftigte ihn, wie er konnte, und führte ihn zurück in die Gnade des Abtes; so zähmte er ihn für den Augenblick, was nach seinem Weggang allerdings wenig nützte. Nach einigen Tagen zog der Bischof von St. Gallen fort, um heimzukehren, und ließ Victor zu­ rück - in Gnade gefestigt , wie er glaubte.

77. Die Z eit ging aber dahin, und e s geschah, daß Victor beim Dekan um die Erlaubnis bat, zu Freunden hinauszugehen; in Wahrheit gedach­ te er den neuen A bt E nzelin aufzusuchen, um sich über Cralohs S chaden lustig zu machen oder gar ganz bei jenem zu bleiben. Nun hinterbrachte man dem Abt, der sich damals auswärts aufhielt, Victor betreibe hinter seinem Rücken unter nicht geringe n Kosten seinen Weggang. Da gab er 28 - 28 V gl. Genes. 29, 13. 29 - 29 Vgl. 1 . Macc. 7 , 48. 30 - 30 Nach Verg. Aen. 2, 407.

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Mittit ille secrecius ad militem suum quendam vifi) eius conti­ guum, ut eum custodiret claustroque suo invitum reduceret. Ne­ mo enim de familia Galli tanti generis viro vim inferre auderet. Custoditus invaditur; ut redeat, primo rogatur ; tandem, cum nol­ let, astarum impulsibus compellitur. At ille robur quoddam e proximo rapiens, militem ipsum capite incutiens equo cadere fecit seminecem. Eo autem cadente omnes pariter sui Victorem invadentes equo deiciunt oculosque illi, proh dolor, furibundi eru­ unt. Miles autem ille cum refocilatus, illo iam cecato, ad se redi­ ret, multum doluit, quoniam sibimet deinceps domo propria exu­ landum non dubitavit . Nam aliquanto post hfi)c elapso tempore amicis viri obvius occiditur; armiger quoque eius , qui facinori intererat, in arbore suspenditur. Deportatus per silvam ad proxima armentariorum Cfi)nobii ma­ galia , cecus intimatur in claustro fratribus . Fitque in monasterio non ferenda confusio, pene omnibus in abbatis insolentiam faci­ nus vergentibus . At discipuli hominis pluresque de fratribus ce­ leres ad illum venientes, luctus tali orbo inspecto miscent et in caelum eiulatus . Re tandem abbas audita monasterium in tali confusione ingredi distulit ; sine armis autem non esse fidelium consilio curavit, quoniam propinquorum ceci minas Sfi)Vas audive­ rant. Misit tandem nuntium decano Waltoni, uti fratrem illum sollicite curaret. At ille severus aetiam et ipse: "Alius" , inquit , "dum ego decanus sum, curet . Die ergo illi , quod ante me decani semper infirmos curabant non iussi, sed talem nunquam. Raro­ que quisquam abbaturn monachum, quem cecari fecerit, decano curandum commisit." Talibus ille responsis tanti viri auditis , ut Waningum, in omnibus tempestatibus suis capellanum eius, dice­ re audivimus , tantum contabuit, ut vix loqui residens valeret. 78. Victor dein per Notkerum medicum orbibus in brevi sana­ tus, in bonis postea operibus semet exercuit. Et ut ea, qufi) de eo audiveram, brevi perstringam: Argentinensis , quidam Erchin­ baldus nomine sanguinis sui, episcopus sub Burchardo abbate propter doctrinas et miserifi) consolationem permisso ipsius ad se hominem traxit et urbem suam doctrinis eius floridam fecit. Tan­ dem autem episcopo defuncto cellam quandam heremiticam

Victors Blendung und ferneres Schicksal

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einem seiner Vasallen , der am Wege Victors wohnte, ganz heimlich den Wink, auf ihn acht zu haben und ihn auch wider Willen i n sein Kloster zurückzuführen . Niemand nämlich unter den Angehörigen des Gallus hätte es gewagt, einem Mann aus so hohem Geschlecht Gewalt anzutun. Victor wurde beobachtet und überrascht; man drängte ihn, zurückzu­ kehren, zuerst im Guten, dann, als er sich weigerte, mit Lanzenstößen. Er hingegen packte den nächsten besten Knüppel und traf den Ritter genau am Kopf, daß er halbtot vom Pferde stürzte. Wie er aber fiel, drangen alle seine Leute zugleich auf Victor ein, warfen ihn vom Pferd und rissen ihm, o weh, in der Wut die Augen aus. Der Ritter aber kam erst wieder zu sich, als Victor bereits geblendet war; und er betrübte sich sehr, da er überzeugt war, daß er hiernach fern vom eigenen Haus als Verbannter leben müsse. Tatsächlich wurde er einige Zeit später bei einer Begeg­ nung mit Freunden Victors umgebracht; und seinen Knappen , der an dem Verbrechen teilgenommen hatt e , knüpften sie an einem Baume auf. Victor wurde durch den Wald zu den nächsten Hütten, wo Rinderhir­ ten des Klosters wohnten, getragen und seine Blendung im Kloster den Brüdern angezeigt. Und es entstand im Kloster eine heillose Verwir­ rung, wobei fast alle die Untat auf die Überheblichkeit des Abtes scho­ ben. Doch Victors Schüler und viele von den Brüdern liefen eilends zu ihm, und wie sie ihn so des Augenlichtes beraubt sahen, mischten sie ihre Trauerklagen mit Wehgeschrei zum Himmel empor. Als schließlich der Abt die Sache erfuhr, schob er bei der herrschenden Aufregung sei­ ne Rückkehr hinaus; nach dem Rat seiner Getreuen aber achtete er dar­ auf, daß er nicht ohne Waffenschutz blieb, hatten sie doch wilde Drohun­ gen von den Verwandten des Blinden gehört. Endlich ließ er durch einen Boten dem Dekan Walto bestellen, jenen Bruder sorglich in Pflege zu nehmen . Doch Walto, ebenfalls ein harter Mann, sagte : "Ein anderer kümmere sich drum, solange ich Dekan bin ! Sag ihm denn, daß vor mei­ ner Zeit die Dekane die Kranken ungeheißen besorgten, doch einen sol­ chen nie. Und selten wohl hat überhaupt ein Abt einen Mönch, den er hat blenden lassen, dem Dekan zur Pflege übergeben." Auf solchen Bescheid hin, den er von einem so bedeutenden Manne empfing, grämte sich Cra­ loh so sehr, daß er dasaß und kaum mehr zu sprechen vermochte - so haben wir Waning, seinen Kaplan in allen seinen stürmischen Jahren, erzählen höre n .

78. Victor wurde d a n n durch Notker d e n Arzt binnen kurzem an den Augenhöhlen geheilt und übte sich hernach in guten Werken . Und um kurz zu streife n , was ich über ihn in Erfahrung gebracht habe: ein Bi­ schof von Straßburg, namens Erchinbald , der aus seiner Sippe war, nahm zur Z eit Abt Purchards mit dessen Zustimmung Victor zu sich , sei­ ner Gelehrsamkeit wegen und um sein trauriges Los zu erleichtern; und dank Victors gelehrter Begabung brachte er seine Stadt zur Blüte. Schließlich aber starb der Bischof, und Victor bezog nach dem Tode

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Casus s . Galli 78/79

intra Hohfeldinos31 montes , Longum Mare vocatam, solitario defuncto ingressus per multos annos tenuit. Multasque virtutes , u t ibi celebre est, i n extremis suis faciens, sanctissimus circum­ quaque habitus diem senex obiit. Veni autem et ego ipse in locum ad quendam tune temporis magni nominis solitarium , vidensque inter colloquia sepulchrum quoddam plus c�teris honoratum, cuiusnam id esset, quesiveram: sancti Victoris esse ait. Et cum breviter mihi vitam eius et casus utique plus notos panderet, nihil venenaturn super illum tumulum vivens progredi posse asseruit. Serpentes autem enormes ibi videre est plures et reptilia informia. Usque huc de Victore. 79. At Craloh quasi corpore tristicia effeto et doloribus incede­ re c�pit in dies amplius languidulo. Nam et fama erat venturos quantotius ab imperio, qui eum ob vindictam facinoris deposituri erant a regiminis solio. Nam regem procul contra Danos Sleswic agentem32 factum non latuit. Ingresso tandem monasterium vari� ei res erant cum variis. Quadam autem die quorundam quasi fidelium consilio, fratribus sed et Victore praesentibus, rogat licere sibi conscientiam in ara sancti Galli iuramento purgare de eo, quod in Victore patratum est, facinore ita: uti sie sibi Deus lumen aeternum daturus sit , sicut ipse in privatione luminum eius hominis reus fuerit. Ad qu� Gerhaldus, ad responsa, ut aiebant, semper paratissimus : "Pre­ termisso " , inquit , "quod manus in illum mittere, domine mi, ius­ seras, ne sie quidem tanti facinoris , ut aiunt, causa fueris." Tan­ dem vero nemini iam fratrum animo sedit illum iureiurando rea­ tum ipsum a cervice sua excutere posse. Differtur tarnen causa propter honorem eius in posterum, propter quod etiam ipsa die virginem Kerhildam, Notkeri Balbuli neptim, apud sanctum Magnum circa Wiborad� clausulam includere ipse condixerat33• Nam et antea quidem, Rachilda34 post Wiborad� passionem vige­ simo primo anno ad Deum assumpta, Perhterat35, qu�dam vidua sancta, cum et ipsa includi apud nos optasset et, clausula eius sibi oblata, pene annum in probatione laudabilis appareret, vulgi 31 V gl. Kap. 64 (Anm. 94). 32 Bezieht sich allenfalls auf einen

Zug Heinrichs I. von 934.

Tod Victors - Cralohs untilgbare Schuld

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eines Eremiten dessen Zelle im Hochfeld-Gebirge3 1 , Longuemer genannt, und bewohnte sie viele Jahre hindurch. Und während er in seinen letz­ ten Tagen viele Wunder wirkte, wie man dort rühmt, beschloß er sein Leben als ein weitum verehrter hochheiliger Greis. Ich bin nun auch persönlich an den Ort gekommen, und zwar zu einem E insiedler, der damals hohes Ansehen genoß ; und als ich unterm Ge­ spräch ein bestimmtes Grab erblickte, das mehr als die übrigen verehrt schien, erkundigte ich mich, wessen Grab das sei: des heiligen Victor , sagte er. Und in kurzen Worten erzählte er dessen Leben und Schicksale, die mir jedenfalls vertrauter waren , wobei er hinzufügte, daß über jenen Grabhügel hinweg sich nichts Giftiges lebend fortbewegen könne. Man kann aber dort viele ungeheuer große Schlangen sehen und garstiges G ewürm. Bis hierher über Victor.

79. Doch Craloh begann, als wäre sein Leib von Leid und S chmerzen ausgezehrt, von Tag zu Tag immer matter einherzugehen. Gerüchtweise hieß e s ja auch, vom Kaiser würden bald welche kommen , die ihn zur S trafe für seine Tat absetzen sollten vom Throne der Herrschaft . Denn obwohl er fern in Schleswig gegen die Dänen operierte32 , blieb dem König der Vorfall nicht verborgen. Als Craloh dann wieder im Kloster war, erging es ihm mit Verschiede­ nen verschieden. Eines Tages nun bat er nach dem Rat angeblich Getreuer im Beisein der Brüder, aber auch Victors, es möchte ihm gestat­ tet sein, sich vom Vorwurf der Mitwisserschaft bei dem an Victor began­ genen Verbrechen durch einen Eid auf den Altar des heiligen Gallus folgendermaßen zu reinigen: daß ihm Gott das ewige Licht so schenken solle , wie er selber am Raube des Augenlichtes dieses Mannes schuldig gewesen sei. Worauf Gerald, von dem es hieß, daß er mit der Antwort flink bei der Hand wäre, entgegnete : "Abgesehen davon, mein Herr, daß du den Befehl gabst , Hand an ihn zu legen, hast du nicht einmal von ferne den A nstoß , wie man sagt , zu der so ungeheuerlichen Tat gegeben!" Wirklich war dann keiner der Brüder mehr gesonnen, daß jener durch einen Eidschwur die Schuld von sich abschütteln könne. Indessen, mit Rücksicht auf seine Ehre verschob man den Fall auf später; dies auch deshalb, weil Craloh festgesetzt hatte, am seihen Tag die J ungfrau Ker­ hild, Nichte des Notker Balbulu s , bei St. Mang in der Nähe von Wibora­ das Z elle einzuschließen33• Denn zuvor schon, nämlich als Rachild34 im einundzwanzigsten Jahr nach Wiboradas Leidenstod zu Gott eingegan­ gen war, hatte Perchterat35 als heilige Witwe ebenfalls gewünscht, bei uns eingeschlossen zu werden; und da ihr deren Klause überlassen wur­ de, bewährte sie sich auch während einer Prüfungszeit von fast einem 33 Kerhilds Einschließung erfolgte 952, während Craloh erst 954 zurückkehrte. 34 Inklusin seit 920, gest. 946. 35 Inklusin seit 959, gest. 980.

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Casus s. Galli 79/80

visitationes crebras et inanes devitans, in cella Salamonis circa parietem tituli sancti Georgii includi rogaverat, magnarum vir­ tutum operatrix plures inibi annos exegerat . Obiit quoque cum omnium dolore Walto decanus, et in locum eius subrogatur Purchardus. Et anno elapso velud comitiis post illum fit Ekkehardus decanus. In quo tandem Craloh plus quam in semet confisus , loco, quoniam imbecillior in dies erat, inter­ dum cedens Herginisouvam pro pausatione creber adierat. Fra­ tribusque absentiam eius non egre ferentibus ibi manebat. 80. Nam in Ekkehardo, natura et studio caritatis dulcedine pleno, spiritus cunctorum quieverat. Qui de Ioniswilare, quod, ut diximus36, ipse requisivit et tenuit , ebdomadam septem cottidie victualium statuit cum pane habundo et quinque mensuris de cervisia. Quarum quintam , nonalem37 quidem, vino conparari voluit. Hic aliquando Romam pro voto pergens, pap� intimus factus aliquandiuque apud illum propter doctrinam detentus, aeris terr� vitio morbo corripitur perque sex ebdomadas lecto tene­ tur. Papa vero sepe eum visitans impensorum copiam dabat. At ille quadam die, satis iam tarde quidem, eum rogat, ut, quando proxime se visitet, Iohannis Baptist� reliquias secum ferat. Erat enim semper assertor eius et amator validus . At ille mane proxi­ ma ad eum cum reliquiis cum accederet, eger in amplexus ipsa­ rum et pap� assurgens, ex illa hora melius habere c�pit. Et cum in brevi convalesceret, reliquiis Baptist� et multorum ab aposto­ lico donatus sanctorum sospes domum rediit, et permisso Burc­ hardi, tune abbatis, et dote aecclesiam illis decoram paravit. Multa de eo post dicenda sunt; sed prius, a quo spiritu ductus sit, ex verbis ipsius nosci licet. S cripsit enim doctus ille sequen­ tias "Prompta mente canamus", "Summum preconem Christi " , " Q u i benedici cupitis" , "A solis occasu". D e sancta Afra antipho­ nas , ut reliquias eius mereretur , Luitoldo episcopo et sequen­ tiam dictavit. Ymnum "0 martyr �terni patris" , antiphonas "Ambulans Hiesus", "Adoremus gloriosissimum".

Ekkehard I.: Dekan, Rompilger , Dichter

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Jahr; um aber den häufigen und müßigen Besuchen des Volkes zu ent­ gehen, bat sie dann, sie in Salomos Z elle bei der Mauer der Kirche St. G e orgen einzuschließen, und ebenda verbrachte sie als große Wunder­ täterin mehrere Jahre . Es starb auch zum Schmerz aller der Dekan Walto, und an seiner S tel­ le wählte man Purchard. Und als ein Jahr um war , wurde nach ihm gleichsam durch Volkswahl Ekkehard Dekan. Auf ihn aber baute Craloh a m Ende mehr als auf sich selbst , und weil er von Tag zu Tag schwächer wurde, ging er manchmal von St. Gallen fort und begab sich zur Erholung häufig nach Herisau . Und dort blieb er, nachdem die Brüder seine Abwe­ s e nheit ohne Kummer ertrugen . 80. D e n n in Ekkehard, d e r d a n k N atur u n d Neigung voller Liebe und M ilde war , hatten sich all die Gemüter besänftigt . Er aber ließ mit Mit­ teln von Jonswil her, das er, wie gesagt36, selber erworben und verwal­ tet hat, eine Woche zu sieben Essen täglich ansetzen, mit reichlich Brot dazu und fünf Maß Bier. Und die fünfte hiervon, die Maß zur Non37 also, beschloß er durch Wein auszugleichen . Einmal z o g Ekkehard für e i n Gelübde nach Rom, u n d a l s er da zum vertrauten Freund des Papstes wurde und sich bei ihm der Wissen­ schaft wegen eine Zeitlang festhalten ließ, packte ihn, zufolge des schlechten Klimas im Land, eine Krankheit und fesselte ihn sechs Wo­ chen hindurch ans Bett. Der Papst aber besuchte ihn oft und machte ihm eine Menge Geschenke . Doch eines Tages, und wohl schon reichlich spät, bat ihn E kkehard , bei seinem nächsten Besuch Reliquien von Johannes dem Täufer mitzubringen . Er hing nämlich dem Täufer stets mit fester Liebe an. Als jener aber am nächsten Morgen mit den Reliquien zu ihm kam, richtete sich der Kranke auf, um sie und den Papst zu umfangen, und von Stund an begann er sich besser zu befinden. Und da er alsbald genas, kehrte er wohlbehalten heim, vom Papst beschenkt mit Reliquien des Täufers und vieler Heiliger, und mit Erlaubnis des damaligen Abtes Purchard und mit dessen Beisteuer ließ er ihnen eine schöne Kirche er­ richten. Von ihm ist hernach noch vieles zu berichten; aber zum voraus mag man aus seinen eigenen Texten ersehen, von welchem Geiste er sich lei­ ten ließ . E s schrieb nämlich der gelehrte Mann die Sequenzen >Prompta mente canamus< , > S ummum praeconem Christi< , > Qui benedici cupitis< , < A solis occasu< . Über die heilige Afra dichtete er für Bischof Liutold , um Reliquien von ihr zu erlangen, Antiphonen und eine Se­ quenz. Und den Hymnus

>Ü martyr aeterni patris< , die Antiphonen

> Ambulans Hiesus< , > Adoremus gloriosissimum< .

36 Eine entsprechende Stelle fehlt (zumindest in dem uns vorliegenden Text). 37 V gl. Kap. 1 12.

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Casus s. Galli 80/81

S eripsit et in seolis metriee magistro - vaeillanter quidem, quia in affeetione, non in habitu erat puer - vitam Waltharii manufortis38• Quam Magonti� positi, Aribone arehiepiseopo iu­ bente pro posse et nosse nostro eorreximus ; barbaries enim e t idiomata eius Teutonem adhue affeetantem repente Latinum fie­ ri non patiuntur . Unde male doeere solent diseipulos semimagi­ stri dieentes: "Videte, quomodo disertissime eoram Teutone ali­ quo proloqui deeeat, et eadem serie in Latinum verba vertite ! " Qu� dee�ptio Ekkehardum i n opere illo adhue puerum fefellit , sed postea non sie, ut in lidio C harlomannieo39: Mo le ut vincendi ips e quoque oppe tere t . Obtulit autem ille saneto Gallo ad monaehatum quatuor ex fra­ tribus vel sororibus nepotes suos: duos sibi equivoeos40, Burehar­ dum quoque post abbatem, Notkerum41 magistrum nostrum. Quo­ rum quisque �eclesi� dieendus sit speeulum. De quibus loeo suo memoralia sua dieemus42 • Unusquisque enim ipsorum libro suo suffieeret. Tales palmites dum vitis illa43 iam mitteret, bene ma­ tura in die Felicis in Pincis vindemiata est ipsa44• Talis autem lue­ tus de obitu hominis erat , ut deeanus post illum Ymmo postque abbas ipse ad sanetum Miehahelem, ubi liberius eiulare posset, eorpore eius in feretro posito seeederet, ita vociferans : "45Vide , Domine , e t eonsidera, quem vindemiaveris ita45! " 8 1 . Et h i s quidem p e r digressionem dietis ad Cralohum redea­ mus. Enimvero E kkehardum hic defunetum ad faeta sua insignia mox resuseitabimus46• Craloh autem, eum in dies viribus defiee­ ret et iam sepe Victoris amicis milites sui seeuritatem frustra pro eo porrigerent, armis infra forisque commanens eustoditur. Tandem vero eommuni eonsilio responsa totius abbati� eommit­ tit Ekkehardo. Ipse autem in Herginisouvam exercicii gratia equitans ibi in leeturn decidit. Videns autem finem vit� adesse, Ekkehardum eum fratribus sanioris consilii evoeans disposuit

38 Kaum identisch mit dem Waltharius-Epos. 39 Es handelt sich um die Paulus-Sequenz > Concurrite

huc populi< ; das Zitat

("also daß unter der Wucht des Siegens er selber erlag" ) stammt aus Str. lOb.

40 Ekkehard

II. und Ekkehard III.

Ekkehard I. Seine Neffen - Cralohs Ende

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Ferner schrieb er in der Schule für den Lehrer in metrischer Form in unsicherer Weise allerdings , da er als K nabe noch im Wollen , nicht im Können war - das Leben des Walther Starkhand38• Und dies haben wir, als wir in Mainz waren , auf Befehl Erzbischof Aribos nach bestem Wis­ sen und Können verbessert; nichtrömisches Wesen nämlich und nicht­ römischer A usdruck lassen einen, der sich noch als Deutscher bemüht , nicht handkehrum zum Lateiner werden. Daher denn Halbschulmeister ihre Schüler schlecht zu berate n pflegen, wenn sie sagen: "Überlegt , wie man am klarsten vor einem Deutschen sprechen würde, und setzt da­ nach die Worte in der gleichen Reihenfolge ins Lateinische u m ! " Ein Trug, der E kkehard bei jenem Werk, da er noch ein Knabe war, irrege­ führt hat , doch später nicht mehr, wie zum Beispiel in dem Karlomanni­ schen Lied39: "Mole ut vincendi ipse quoque oppeteret". E s brachte aber Ekkehard dem heiligen Gallus seine vier Neffen von Bruder- und Schwesterseite zum M önchsdienst dar: zwei, die gleich hie­ ßen wie er40 , ferner Purchard, den nachmaligen Abt, und Notker4 1 unse­ ren Lehrer. Und von ihnen darf jeder einzelne ein Spiegel der Kirche ge­ nannt werden. Über sie aber werden wir je an ihrem Orte das Denkwür­ dige berichten42 • Ein jeder nämlich unter ihnen würde genügen für sein eigenes Buch. W ährend jener Weinstock43 bereits solche Schößlinge aus­ sandte, ward er selber am Tage von Felix in Pincis wohlgereift gepflückt44 • Über seinen Tod herrschte aber solche Trauer, daß nach Aufbahrung seines Leichnams Ymmo, welcher nach ihm Dekan und spä­ ter Abt wurde , zu St. Michael hinüberging, wo er freier klagen durft e , und in d e n S chrei ausbrach: "45Siehe, Herr, u n d schau, w e n du so abge­ rissen hast45! " 8 1 . Und nachdem wir dies ja in einem E xkurs gebracht habe n , wollen wir zu Craloh zurückkehren. In der Tat werden wir den hier hingeschie­ denen E kkehard zu seinen G lanztaten alsbald wieder erwecken46• Craloh aber nahm von Tag zu Tag an Kräften ab; schon oft hatten seine Ritter für ihn den Freunden Victors S icherheit angeboten, aber umsonst, und so wurde er durch Bewaffnete gedeckt , er mochte sich drinnen oder draußen aufhalten. E ndlich jedoch übergab er nach allgemeinem Be­ schluß die Obliegenheiten der gesamten Abtei an Ekkehard. Als er sel­ ber aber übungshalber nach Herisau ritt , sank er dort auf das Lager. Er sah aber , daß nun das Ende seines Lebens da sei, und beschied E kkehard und die Brüder von klügerem Verstand zu sich und bestellte sein Haus; 4 1 Notker der Deutsche. 42 Kap. 85 ff. (über Purchard); Kap. 89 ff., 98 ff. (über Ekkehard II.). 43 Vgl. Joh. 15, 2 ff. 44 Ekkehard I. starb am 14. Januar 973.

45 - 45 Thren. 2, 20. 46 Kap. 86 ff.

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Casus s . Galli 81!82

domui, et ipse, [illum]• pro se abbatem eligere facile omnibus persuasis, viam omnium ingressus est47 reportatusque cenobium honorifice sepelitur. At Ekkehardus - Ottone apud Anglos cum Adaltage rege ip­ sorum, socero suo, aliquandiu agente , ut iunctis viribus Chnuto­ nem Danorum debellaret regem48 - habenas abbati�, sicut s u b abbate vivo solebat, usque ad cognitionem imperii strenue rege­ bat. Accidit autem, ut quadam die foras iturus , ante portam equo in glatie lapso tibiam pedemque confringeret hisque non recte coagulatis postmodum claudicaret. Qua causa electionem suam omnium fratrum concordia in Purchardum unanimem suum trans­ tulit , de quo supra diximus49• De quo etiam adhuc altius quedam repetere habemus. 82. Uodalrich quidam, comes de Karoli prosapia50, Wendilgar­ tam, Henrici regis de filia neptim , uxorem accipiens, Adalhar­ dum, qui Gallo Altstetin post tradidit, de ea et filiam procreavit . Hic nuntio Puochorn, ubi habitavit, accepto Ungros Noricum, ubi praedia ei erant , irruere , hostes cum c�teris bello aggressus, victus capitur et in Ungariam captivus asportatur. Qui autem Ungros Agarenos putant, longa via errant51 • Wendilgarth vero quasi - viro, ut fama erat, occiso - vidua, ad nuptias petita, nutu Dei nubere noluit. Sed Salomone rogato ad sanctum Gallum concessit, ubi sibi iuxta Wiboradam camina­ ta constructa de suo vixit , fratribus et pauperibus pro anima viri quasi defuncti multa largitur. Dulciaminum autem cum esset avi­ d a et novitatum semper appetens, uti delicate nutrita et his assueta, increpata est a Wiborada, quoniam non esset signum pudicici� in femina appetere varia cibamina. Quadam autem die ante clausulam virginis cum sedisset ad colloquia, poma sibi dari ad vescendum, si dulcia ibi haberet , petiverat. "Quibus pauperes utuntur", illa ait, "habeo pulcherrima," proferensque mala de sil­ va acidissima inhianti et de manibus ei rapienti reliquerat . At a

fehlt Hss.

47 26. Februar 958. 48 Unklare historische

Erinnerung: Adaltag wohl mit Adalstan (925 - 94 1 ) und

C hnuto eventuell mit Chnuba verwechselt.

Ekkehards I. Reitunfall - Abt Purchards Herkunft

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und nachdem sich alle leicht d a z u bestimmen ließen, an seiner Stelle E kkehard zum Abt zu wählen , ging C raloh den Weg aller47 und wurde ins Kloster zurückgetragen und mit E hren bestattet. Doch während Otto sich geraume Z eit bei den A ngeln und deren Kö­ nig Adaltag, seinem Schwiegervater, aufhielt, damit sie mit vereinten Kräften den Dänenkönig Knut bezwängen48, lenkte Ekkehard, so wie er nicht anders zu Lebzeiten des Abtes getan, rüstig die Zügel der Abtei, bis er vom Kaiser bestätigt würde . E s geschah aber, daß eines Tages beim Ausreiten sein Pferd vor dem Tor auf dem Eise stürzte und er sich dabei Schienbein und Fuß brach; und weil sie nicht richtig verheilten, mußte er hinterher hinken. Und aus diesem Grunde übertrug er seine Wahl im E invernehmen mit allen Brüdern auf Purchard, seinen innig V ertrauten , von dem wir oben gesprochen haben49• Und über ihn müssen wir noch einiges von weiter zurück in Erinnerung rufen. 82. Ulrich, ein Graf vom Stamme Karls50 , erhielt Wendilgart , E nkelin König Heinrichs von einer Tochter her, zur Gattin und zeugte mit ihr A dalhard, welcher später dem Gallus Altstätten übertragen hat, und ei­ ne Tochter. Dieser Ulrich vernahm auf seinem Sitz in Buchhorn die Kun­ de, daß in Bayern, wo er begütert war, die Ungarn eindrängen; und da er im Verein mit anderen die Feinde angriff, wurde er besiegt, gefangen und nach Ungarn verschleppt. Wer aber die Ungarn für A garener hält , befindet sich ganz auf dem Holzweg51 • We ndilgart nun wurde als angebliche Witwe - hieß es doch , ihr Mann sei gefallen - sehr umworben, wollte sich aber nach Gottes Wink nicht mehr vermählen. Vielmehr zog sie mit Salomos E inverständnis nach St. Gallen ; dort ließ sie sich neben Wiborada eine Kemenate bauen , lebte von ihrem Vermögen und verteilte viel an Brüder und Arme für die See­ le des vermeintlich toten Gemahls. Nun war sie aber, da man sie verzär­ telt erzogen und hieran gewöhnt hatte, begehrlich nach Naschwerk und ständig auf Abwechslung aus; wofür sie von Wiborada gescholten wur­ de, weil es bei einer Frau kein Zeichen von Züchtigkeit sei, nach all den Dingen zum Essen zu verlangen. Als sie nun eines Tages vor der Klause der Jungfrau zum Gespräch verweilte , bat sie , Wiborada möchte ihr Obst zu essen geben, falls sie süßes da hätte. "Von dem, wie e s die armen Leute verzehren, habe ich ganz herrliches", sagte jene und brachte die sauersten Holzäpfel zum Vorschein und überließ sie ihr, die gierig da­ nach griff und sie ihr aus den Händen riß . Doch Wendilgart verspeiste mit verzogenem Mund und Gesicht kaum einen halben, warf die übrigen

49 Kap. 74. 50 A hnherr der Udalrichinger, ein Bruder der Königin Hildegard. 5 1 Die Kritik zielt auf die Annal. S angalL mai. Zum sprachlichen Ausdruck vgl. Terent. Eun. 249.

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Casus s . Galli 82 - 84

illa vix unum dimidium ore et oculis contractis vorans , c�tera proicien s : "Austera es", ait, "austera sunt et mala tua." Et cum esset literata: "Si omnia", inquit, "mala factor talia creass e t , nunquam �va malum gustasset." "Bene " , ait illa, �vam memora­ sti; enimvero quomodo et tu, sie deliciarum avida erat, ideo in e s ­ cula unius mali peccaverat." 83. Abscessit femina nobilitatis rubore perfusa per virginem h umilitatis. Vimque post h�c sibimet inferens, dulciamina occur­ santia ligurrire abstinuit. Tantaque monitrice in brevi adeo ex­ crevit, ut sacrum velamen, quod antea detrectavit, a iam dicto episcopo imponi sibi synodo favente rogaverit. Quo facto laicali in tantum exuta est animo, ut virtutibus cum inclusis assuefacta post Rachildam, qu� passim in corpore et maxime mamillis ulce­ rosa cottidie emori visa est, includi optaverit. Et quia vere et ip­ sam quidem martyrem incidimus, levius ei erat cum magistra se­ mel cerebrum dispergendum optulisse, quam XXI post illam an­ nis testa saniem cum sancto lob inclusam rasisse52, cum tarnen interea ieiunare et orare - vigilare enim dolores dabant - et elemosinas dare non tederet. Ut de illa Ekkeharth, qui supra, consobrinus eius, cecinit: "Hanc satan , hanc lesit , cum lob saniem sibi rasit. Ieiunans flevit, tormenta dolens vigilavit." Neque enim vitam vel passionem votiv� martyris lucidius suc­ cingere potuit . Ad cuius sepulchrum in repentinis angustiarum motibus, experto credite, multum valet orasse. 84. Venerat quarto anno initiante anniversarius , ut credebat, viri sui amarus, et Wendilgarth Puochorn adiens 53dispersit53, ut solebat, 53dedit pauperibus53• Et ecce Uodalricus captivitate for­ tuito elapsus, eam, inter c�teros pannosos clandestina arte se c�lans, ut sibi vestem daret, inclamat . Quem illa, quod improbe audaciusque mendicaret, increpitans , vestem tarnen ei velut in· dignans dedit . At ille manum dantis cum veste stringens, ad se tractam amplexatus, vellet nollet, osculatus est. Capillisque pro­ lixis in collum manu reiectis, cum �tiam aliqui alapas minitas­ sent: "Parcite, queso " , ait, "tandem alapis , quas multas pertuli,

Wendilgart und Wiborada . Rachild

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weg und sagte : "Herb bist du, und herb sind deine Äpfel ! " Und da sie ge­ bildet war, setzte sie hinzu: "Wären alle Äpfel des Schöpfers von der Art gewesen, nie hätte Eva gekostet vom Bösen . " "Passend", sagte jene, "hast d u gerade Eva erwähnt; tatsächlich war sie wie du so lüstern nach guten Dingen und ist darum beim Verspeisen eines einzigen Apfels schuldig geworden . " 83. D i e e d l e Frau ging hinweg, schamrot gemacht durch d i e niedrige Magd. Und seitdem legte sie sich Zwang auf und enthielt sich der Lecke­ reien, die ihr unterkommen mochten . Und dank der großen Mahnerin wuchs sie in kurzer Z eit zu solcher Reife , daß sie den vorgenannten Bi­ schof bat , ihr unter Z ustimmung der Synode den heiligen S chleier aufzu­ legen, den sie vorher noch verschmäht hatte . Als das geschehen war, entäußerte sie sich so sehr des weltlichen Sinnes, daß sie, bei den Inklu­ sinnen an die Tugenden gewöhnt, nach Rachild, die überall am Körper und besonders an den Brüsten von G eschwüren befallen war und täglich hinzuschwinden schien, eingeschlossen werden wollte. Und da wir gera­ de auf Rachild, auch sie eine wahre M ärtyrerin, gekommen sind, so wäre e s ihr ein leichteres gewesen, wie die Meisterin ein einziges Mal den Schädel zum Einschlagen hinzuhalten, als einundzwanzig Jahre nach ihr eingeschlossen zu sein und gleich dem heiligen Hiob den E iter mit der S cherbe zu kratzen52; währenddessen sie freilich �Jicht müde wurde , zu fasten und zu beten - das Wachen nämlich bewirkten die Schmerzen sowie Almosen zu gebe n . Wie denn der obgenannte Ekkehard, ihr Ge­ schwisterkind , gedichtet hat: "Satan hat sie gepeinigt; wie Hiob kratzte sie E iter. Fastete , klagte und wachte , von Schmerzensqualen gemartert. " Und wirklich konnte er das Leben und Leiden d e r sich nach dem Marty­ rium Verzehrenden nicht deutlicher umreißen. Bei Anfälle n von Beklem­ mung aber - glaubt dem Erfahrene n ! - kann ein Gebet an ihrem Grab sehr wirksam sein. 84. Mit dem beginnenden vierten Jahr kam nun, wie sie glaubt e , der bittere Jahrzeittag ihres Manne s , und Wendilgart ging nach Buchhorn und 53teilte aus und spendete den Armen53, wie sie gewohnt war. Und siehe , Ulrich , der Gefangenschaft durch Zufall e ntronnen, barg ,sich heimlicherweise unter den anderen Z erlumpten und rief ihr zu, sie möge ihm ein Gewand schenke n . Da schalt sie ihn, daß er unverschämt und all­ zu dreist bettle, gab ihm aber, wie in E ntrüstung, doch ein Kleid. E r aber faßte zugleich mit dem Kleid die Hand der Spenderin, zog sie an sich , umarmte sie und küßte sie, sie mochte wollen oder nicht. Und als ihm ei­ nige auch schon mit Backenstreichen drohten, strich er mit der Hand die langwallenden Haare in den Nacken zurück und rief: "Ich bitte , laßt 52 Hiob 2, 7 f.

53 - 53 V gl. Ps. 1 1 1 , 9.

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Casus s. Galli 84/85

et Uodalricum vestrum recognoscite!" Audita tandem voce do­ mini, milites stupidi vultuque quondam noto inter crines recogni­ to clamose salutant ; familia gratulans vociferatur. Wendilgarth autem dum quasi dedecus ab aliquo passa stupida residisset: "Nunc demum", ait , "Uodalricum mortuum sentio, cum talem a b aliquo pertuli violentiam." Ille autem cum ei manum de vulnere aliquo quondam notissimo ad allevandum porrigeret signabilem, 54quasi de somno evigilans54: "Dominus meus " , ait , "omnium ho­ minum carissimus ! Salve" , ait, "domine; salve, semper dulcissi­ me!" Et inter oscula et amplexus : "Induite", inquit , "dominum vestrum, donec ei lavacrum ad horam acceleretis ! " Indutus vero: "Eamus" , inquit, "ad �cclesiam ! " Et inter eundum: "Queso", ait, "quis capiti tuo velum illud imposuit?" Audito, quod in sinodo episcopus, tacitus sibimet: "Nec ego te iam nisi eius permisso amplecti", ait, "habeo." Laudes a clericis tandem, qui plures ad diem convenerant , in­ choantur, a plebe persolvuntur. Missas pro vivo, non pro defunc­ to in gaudiis celebrant. Itur lavatum. Fama volans , ut fit, multos adduxit. Convivio diei opipare peracto dies multi laetificantur. 85. In proximo fit sinodus. Repetit uxorem, quam Deo ille subarraverat , ab episcopo Uodalricus. Velum manu episcopi ablatum in scriniis aecclesi� sinodi decreto servandum locatur, ut, si vir eius prior obierit, vidua illud reinduat. Nupti� tandem aguntur a principio. Conc�pit mulier. Gallum­ que suum et inclusas sanctas viro comite votive adiens, si mascu­ lum pepererit, sancto Gallo monachum devovit. Abeunt igitur domum. At tempore labente appropinquans partui, pregnans pe­ riclitatur et ante quatuordecim temporivi partus dies emoritur. Infans excisus et arvin� porci recens erut�, ubi incutesceret , in­ volutus, bon� indolis cum in brevi apparuisset, baptizatur et Purchardus nominatur. Pater illum tandem nutricis sinu adduc­ tum Gallo, ut cum matre voverat, super aram ipsius ponens cum terris in Rosten et decimis , multum matrem plorans, iniciaverat.

Rückkehr des Grafen Ulrich - Purchards Geburt

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doch e ndlich die Schläge - ich habe viele erduldet - und erkennt euren Ulrich wieder !" Da hörten denn die Ritter verblüfft die Stimme des Herrn, und als sie unter den Haaren das weiland vertraute Antlitz wie­ dererkannten, begrüßten sie ihn mit lautem Zuruf; das Gesinde erhob frohlockendes Geschrei. We ndilgart aber saß betäubt , wie von irgend ei­ nem Kerl beschimpft , und sprach: "Jetzt erst wird mir bewußt , daß mein Ulrich tot ist, da ich solche Gewalttat von irgendeinem erdulden muß." Jener aber reichte ihr, um sie aufzurichten, seine Hand, die durch eine alte, wohlbekannte Narbe gezeichnet war; 54da erwachte sie wie aus ei­ nem Traum54 und sagte: "Mein Herr , Liebster unter allen Mensche n ! " "Sei gegrüßt , Herr", sagte s i e , " s e i gegrüßt , du Holder zu aller Zeit ! " U n d unter Küssen u n d Umarmungen gebot sie: "Bekleidet euren Herrn, dieweil ihr ihm zur Stunde noch das Bad bereitet ! " Als er aber gekleidet war, sagte er: "Laß uns zur Kirche gehen ! " Und unterwegs , da sprach er: "Ich bitte dich , wer hat deinem Haupt diesen Schleier aufgesetzt?" Und da er vernahm, der Bischof habe es auf der Synode getan , sagte er still bei sich selber: "Und ich darf dich nun bloß mit seiner Erlaubnis um­ armen." Schließlich stimmte der Klerus , der zu diesem Tage zahlreich erschie­ nen war, Lobgesänge an, und das Volk sang sie zu Ende. In Freuden fei­ erten sie Messen für den Lebende n, nicht für den Toten. Dann ging es zum Bad. Schnell flog die Kunde und führte, wie es ·geschieht, viele her­ bei. Das Gastmahl an dem Tag verlief in Heiterkeit, und viele Tage währte die Freude. 85. Bald schon trat die Synode zusammen. Die Gattin, die Salomo Gott angelobt hatte , forderte Ulrich vom Bischof zurück. Der Schleier wurde ihr von der Hand des Bischofs abgenommen und auf Beschluß der Syno­ de im Kirchenschrein verwahrt, damit sie ihn als Witwe wieder anlege , falls ihr Mann als erster stürbe . Dann wurde das Beilager von neuem gehalten. Die Frau empfing. Und in Begleitu ng ihres Mannes pilgerte sie zu ihrem Gallus und den heiligen Inklusinnen und gelobte , wenn sie ein Kind männlichen Geschlechts ge­ bären sollte, es dem heiligen Gallus als Mönch darzubringe n. Und also zogen sie wieder heim. Doch die Zeit verging, und wie die Geburt heran­ rückte, wurde die Schwangere gefährlich krank, und vierzehn Tage vor der rechtzeitigen E ntbindung starb sie. Das Kind wurde herausgeschnit­ ten und in frisch ausgenommenen Schweineschmer eingebettet, wo es Haut ansetzen sollte; und da es sich in kurzem als wohlbeschaffen er­ wies , wurde es getauft und Purchard genannt. Als man es dann der Brust der Amme entzog, legte der Vater, wie er mit der Mutter gelobt hatte, das Kind auf den Altar des heiligen Gallus und übergab es ihm zu­ sammen mit Grundstücken in Höchst und mit Zehnten, wobei er die 54 - 54 V gl. Genes. 45, 26.

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Casus s . Galli 85/86

Educatur puer in monasterio delicat� pulcherrimus. Solebant autem fratres eum cognominare ingenitum. Et quoniam immatu­ re est editus, nec musca illum sine sanguinis eruptione postea mordebat. Ideoque et virgis in eo magister parcebat. Vir quoque factus virtutes sibi ingenitas, quamvis carne imbecillis fuerit, semper amabat et animo bene maturo immatur� preerat carni. Tali ac tanto patri, virtutes longa consuetudine in naturam iam v ertenti, Ekkehardus honores sibi oblatos omnium assensibus optulerat. 86. Dirigitur tandem cum fratribus allectis magno Ottoni, Mo­ gontiam Chnutone rege victo Sleswich revertenti55• Qui illum an­ te notissimum ut eminus aspexit: "Accelera" , ait, "nepotule , e t osculare ! " Pusillus quidem erat et puleher facie . Stringensque il­ lum sub clamide delicate tractavit. Videns autem ferulam: "Est­ ne mortuus " , ait, "monachorum suorum ille cecator?" "Defunc­ tus" , inquiunt, "abbas noster est, o rex; in Deo nunc solo est, quid fuerit." Dein singulos osculatus: "Quid velitis" , ait, "video; sed quem velitis , nescio." "Eum ipsum," aiunt, "o rex, quem ample­ xaris , dominum nostrum Purchardum." Quo dicto procidebant pariter. Surgere iussi: "Sed et pater noster Ekkehardus preca­ tor noster orationem vobis," aiunt, "mandat et salutem, et pro­ missorum frequentium in hoc uno vos memorem postulat." "Ve­ reor" , ait ille, "ne disciplinarum severitates, quas patres vestri prae omnibus amaverant , exosi ad hunc tantillum, mitem quidem vobis et consensibilem, concesseritis. Et quare illum ipsum, quem dicitis , virum magnanimum non elegeratis?" Dein omni s erie electionis per ordinem propalata: "Ad hoc �tiam non adeo mitis , o rex", inquiunt, "hactenus fuit in disciplinis, ut earum neglector quidem ullo modo sit fore putandus." Quibus auditis dum quiesceret, conversus ad illum , 56 a mento virum manu tenuit56 et delicatis ver bis : "Tune eris " , inquit, "ab­ batulus meus? Si Domini voluntas sit, fiat et mea ! " Deinde illum secum duxit in aecclesiam ad Otigebam57 reginam. "Nepotem meum hunc" , inquit, "mox abbatem te iuvante futurum ad tuam

Purchards Erziehung - Purchard vor dem König

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Mutter tief beklagte . Der Knabe war wunderschön und wurde im Klo­ ster mit Feinheit erzoge n . Die Brüder aber pflegten ihn "Ungeboren" zu nennen. Und weil er vor der Zeit zur Welt gekommen war, konnte ihn später nicht einmal eine Fliege stechen, ohne daß das Blut herausbrach. Und deshalb sparte der Lehrer auch die Ruten an ihm. Auch zum Manne herangewachsen, hing er den Tugenden, die ihm eingeboren waren, ob­ gleich er schwächlichen Leibes war, ohne Unterlaß an, und mit der Reife seines Geistes beherrschte er die Unreife seiner Leiblichkeit. Auf diesen Vater also, der so vortrefflich war und dem durch lange Übung die Tugenden bereits zur anderen Natur geworden, übertrug Ekkehard die ihm selbst angebotenen Ehren unter Z ustimmung aller. 86. Man sandte ihn dann mit einer Reihe von Brüdern zu Otto dem

Großen, der nach dem Sieg über König Knut von Schleswig nach Mainz zurückkehrte55• Wie nun der König ihn als alten Bekannten von weitem gewahrte, rief er: "Komm geschwind, kleiner Neffe , und küsse mich ! " Purchard war nämlich klein u n d schön von Gestalt. U n d e r zog i h n unter dem Königsmantel an sich und liebkoste ihn. Als er aber den Abtstab be­ merkte, fragte er: "Er ist wohl tot, der seine Mönche blenden läßt?" Sie antworteten: "Dahingeschieden ist unser Abt, o König; bei Gott allein steht jetzt, was er gewesen." Darauf küßte er sie einzeln und sagte : "Was ihr wollt, sehe ich; doch weiß ich nicht, wen ihr wollt . " "Gerade ihn, o König" , sagten sie, "den du umfangen hältst, unseren Herrn Pur­ �hard ." Und zugleich mit diesen Worten fielen sie nieder. Und geheißen, wieder aufzustehen, sprachen sie: "Auch sendet unser Vater Ekkehard als unser Fürsprecher euch sein Gebet und Grußwort, und er erwartet , d a ß i h r b e i diesem einen Anliegen euch d e r zahlreich ergangenen V er­ sprechen erinnert. " "Ich fürchte", entgegnete der König, "ihr haßt die Strenge und Zucht, wie sie euren Vätern vor allen am Herzen lag, und habt euch deshalb auf diesen Winzling geeinigt, der gewiß sanft und mit­ fühlend mit euch umgeht. Und weshalb habt ihr nicht jenen hochsinni­ gen Mann gewählt, den ihr eben erwähnt?" Da legten sie denn den gan­ zen Wahlverlauf der Reihe nach offen dar und setzten hinzu: "Zudem, o König, ist er in der Z ucht bis jetzt auch gar nicht so sanft gewesen, daß man anzunehmen braucht, er werde sie in irgendeiner Weise vernach­ lässigen." Da er dies hörte und sich beruhigte, wandte er sich zu Purchard , 5 6faßte ihn mit der Hand beim Kinn 56 und redete ihn mit zärtlichen W or­ ten art: "So wirst du mein Äbtlein sein? Nun, wenn es Gottes Wille ist, soll e s auch der meinige sein ! " Darauf führte er ihn mit sich in die Kirche zu Königin Otigeba57 und sprach: "Deiner Gunst empfehle ich hier 55 V gl. oben Kap. 79 mit Anm. 32.

56 - 56 V gl. 2. Reg. 20, 9. 5 7 Königin Edgith, bereits 946 gestorben

.

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Casus s. Galli 86/87

offero gratiarn." Collectaque continuo facta ferularn exigens, tri­ buit ei verbis, quibus soliturn est, abbatiarn. Ipse autern "Te Deurn laudarnus" inchoans, ornnes, qui aderant, laudibus instare rnonebat. Quibus ita finitis curn abbatern novurn regina in partern surnp­ turn arnice haberet, calicern sancti Galli rnagni precii aureurn dare, si ei Favariensis abbatia reddi possit, pollicetur. "Regii iu­ ris", ait illa, "arnbo sunt, et calix et abbatia. Sed peticionern tuarn oportunius forte alia quarn nunc vice ego quidern dornino rneo in­ tirnabo. Quapropter, quia nunc unarn accepisti, dornurn redito, et curn proxirne adveneris, pro altera, puto, cornrnodius interpella­ re tune habebis." Missione dein hilariter sibi ab irnperatore data dornurn rediit.

87. Qualern autern se consiliis Ekkehardi quanturnque exhibue­ rit, pauperes nec non fratrurn et farnilifY pars rnulta, quarn vide­ rnus adhuc hodie quidern, interdurn curn lacrirnis testari solet. Delicatus autern curn esset, ut dixirnus, episcopi, tune quidern Chuonradi, iussu carnes edebat. Quod tarnen pace novitatis rno­ nachorurn, qui 58irritare nunc Deurn solent in adinventionibus suis, ut rnultiplicetur in eis ruina58, nequaquarn dixerirn. Quibus tarnen licentius erat carnes crudas laniare, quarn infanda plura, qu'Y quasi religiosi supersticione quadarn scisrnatica assolent, fa­ cere. Nirnia est tarnen, si ausirn dicere, varietas vestis59 fYCclesifY, qua scribitur induere, si utrosque, quos dicirnus, suo quidern co­ lore in earn dignatur intexere aut deforis, ut interdurn solet, polirnetare60• Relinquarnus, necesse est, Deosoli iudiciurn suurn, curn tarnen id audenter et veraci argurnento possirnus asserere: si aliqui apud nos in his scisrnaturn ternpestatibus CfYlurn, ut vere quidern faciunt, adipisci nituntur, acrius quarn in patrurn sereni­ tatibus, ut aciern satan'Y perrurnpant, 61assurgere habent in cli­ peurn, validius torquere spicula, acutius iacere tela61•

58-58 Vgl. Ps. 105,29. 59 Anspielung auf Ps. 44, 9.

Purchards Belehnung - Vom Gewand der Kirche

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meinen Neffen; mit deiner Hilfe wird er alsbald Abt sein." Und sogleich wurde das Gebet gesprochen, der König verlangte den Stab, und mit den hierbei üblichen Worten verlieh er P�rchard die Abtei. Während er aber selbst das >Te Deum laudamus< anhob, forderte er alle Anwesenden auf, in das Lobsingen einzustimmen. Nachdem der Gesang so beendet war, nahm die Königin den neuen Abt beiseite, und da sie ihn liebreich behandelte, versprach er ihr einen kostbaren goldenen Kelch vom heiligen Gallus zum Geschenk, falls ihm die Pfäferser Abtei wiedererstattet werden sollte. "Königliches Eigen­ tum sind sie beide", sagte sie, "Kelch wie Abtei. Doch werde ich dein Be­ gehren meinem Herrn wohl besser ein andermal als gerade jetzt unter­ breiten. Darum geh nach Hause; die eine Abtei hast du ja nun bekom­ men; und kommst du nächstens wieder, dann, glaube ich, wirst du um die andere. leichter Klage erheben können." Danach vom Kaiser leutselig verabschiedet, kehrte Purchard nach St. Gallen zurück. 87. Wie und wie sehr er sich aber unter Ekkehards Anleitung bewähr­

te, das pflegen die Armen und auch viele von den Brüdern und vom Ge­ sinde, wie wir sie noch heute sehen, zuweilen wohl mit Tränen zu bezeu­ gen. Weil er nun aber, wie gesagt, zart war, so aß er Fleisch, und zwar auf Befehl des damaligen Bischofs Konrad. Ich erwähne dies freilich ganz und gar nicht im Einvernehmen mit den neuerungssüchtigen Mön­ chen, die jetzt 58fortwährend Gott erzürnen mit ihrem Tun, daß um so schwerere Plage über sie komme58• Es stünde ihnen aber doch noch bes­ ser an, rohes Fleisch zu zerreißen, als die vielen unaussprechlichen Din­ ge zu tun, die sie als vorgeblich fromme Leute in einer Art von schisma­ tischem Irrglauben treiben. Allein, wenn ich die Behauptung wagen darf, so geht die Buntheit des Gewandes, in das sich die Kirche hüllt59, wie geschrieben steht, doch allzu weit, wenn sie sich herbeiläßt, die bei­ den, die hier gemeint sind, je in ihrer Farbe darein zu weben oder, wie sie es manchmal tut, von außen bunt zu färben60• Wir müssen Gott allein sein Urteil überlassen, wiewohl wir doch das eine unbedenklich und mit schlüssigem Wahrspruch versichern können: wenn einige bei uns in die­ sen Schisma-Stürmen den Himmel zu erlangen suchen, wie sie es wohl tatsächlich tun, so müssen sie, um Satans Schlachtreihe zu durchbre­ chen, energischer als in den heiteren Tagen der Väter 61sich gegen den Schild erheben, kräftiger die Speere schleudern, schärfer die Pfeile schießen61•

60 Anspielung auf Ps. 44, 14. Zur Deutung des ganzen Passus: A. Hauck, Zur Erklärung von Ekkeh. cas. s. Galli c. 87. Kleinere Beiträge zur Geschichte von Dozenten der Leipziger Hochschule. Festschrift zum Deutschen Historikertage in Leipzig (1894), S. 107ff.

61 - 61 Mit Anklängen an Verg. Aen. 11, 282 ff.

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Casus s. Galli 87/88

At Purchardus elemosinas , ut ab infantia solebat , quia n u n c copia maior foret, agere nimium laetatus , n o n egenis solum et peregrinis, sed passim tarn fratrum quam famili� palam et clam 62dispersit, dedit pauperibus62• Cumque hoc sedulus dies et noc­ tes agens subnudus interdum domum redisset vel nudipes, ca­ merarius suus Richere, fratris quidem filius63, incusabat illu m crebro secretius, quasi camera sua dispersiones eius ferre n o n posset, cum unis distractis semper alia reposceret . Cumque ille aliquando nepotem, ne sibi molestus esset, secretius argueret: "E nimvero", ait, "si tu non dederis, qu� postulo, alium scio" decanum dicens - "qui in quantiscumque poterit, me quidem adiuvabit. Nam ille sepius, qu� egenis dem, quam tu, roccos vide­ licet et camisias, caligas et calceos et c�tera usque ad cingula mi­ hi clam suggerit, sed et sub opertorio lectuli, ut ibi invenia m , a bscondit." 88. Cum autem �tiam Ekkehardus ipse per se esset elemosina­ rius, iocundum quiddam de eo dicemus. Hominem quendam do­ mesticum cum ad hoc quidem destinaverit, ut, si quos ei paupe­ res vel peregrinos diceret, clam in domo ad hoc decreta lavaret, raderet, vestitos reficeret et noctibus iussos , ut nemini diceren t , a se emitteret: accidit quadam die , u t ei contractum, Gallum g e ­ n e r e , carruca advectum, u t solebat , committeret. Quem ille gros­ sum quidem et crassum cum toto virtutum adnisu, clauso super s e solos, ut iussus est, ostio, vix in vas lavacri provolveret, male­ dicens - erat enim irascibilis - : "Vere" , ait, "simpliciorem quam dominum meum hodie nescio hominem, qui, cui bene faciat , discernere nescit, mihi quoque tarn pinguem helluonem dorso s ustollere iniunxit." At contractus, cum aqua sibi lavacri nimis videretur calida, rustice : "Cald, cald est ! " ait. At ille, quoniam id Teutonum lingua "Frigidum est" sonat : "Et ego" , inquit, "calefa­ ciam ! " Haustamque de lebete ferventi lavacro infudit aquam. At ille cum clamore horrido: "Ei mi ! Cald est, cald est!" ait. "Enim­ vero" , ait ille, "si adhuc frigid um est, 64ego hodie , si vixero64, tibi illud caleficabo !" Et hauriens adhuc ardenciorem infudit.

Mildtätigkeit von Abt und Dekan

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Doch Purchard freute sich ungemein, daß er jetzt zum Almosengeben, wie er e s seit Kindheit übte , mehr Gelegenheit habe ; und 62 er gab und s p e ndete 62 nicht allein den Darbenden und den Pilgern, sondern, so offen wie heimlich , auch allenthalben 62 den Armen62 unter Brüdern und Gesinde. Und da er dies emsig Tag und Nacht betrieb und dabei zuweilen halb­ n ackt oder barfuß nach Hause kam , machte ihm sein Kämmerer Richer, ein Bruderssohn 6 3 nämlich, im geheimen häufig Vorwürfe , als könnte sei­ n e Vorratskammer sich Purchards Verschwenderei nicht leisten, weil er doch immerzu anderes fordere , kaum sei das eine verteilt. Da gab der Abt denn einmal dem Neffe n ganz unter vier Augen deutlich zu verste­ hen, ihm nicht lästig zu fallen: "Wahrhaftig" , sagte er, "wenn du nicht geben willst, was ich verlange , so weiß ich einen anderen," - er meinte den Dekan - "der mir gewiß helfe n wird, soviel er nur kann. Denn häu­ figer als du reicht er mir heimlich , was ich den Bedürftigen geben kann, als da sind: Röcke und Hemden, Strümpfe und Schuhe und all das übrige bis zum Gürtel; ja er steckt es sogar unter meine Bettdecke , damit ich es d ort finde." 88. Nun war aber Ekkehard auch auf eigene Faust Almosengeber, und d a werden wir etwas Ergötzliches von ihm erzählen. Er hatte nämlich einen Mann aus der Dienerschaft dazu bestellt, die Armen oder Fremden , die er i h m bezeichnete, heimlich in d e m dafür bestimmten Hause z u baden u n d zu scheren, zu kleiden u n d zu speisen, u n d s i e b e i Nacht fort­ zuschicken mit der Weisung, reinen Mund zu halten. Also begab es sich eines Tages, daß Ekkehard einen Lahmen von welscher Herkunft , der auf einem Karren herangefahren kam , wie gewohnt seiner Wartung über­ ließ . Der Mensch war aber fett und feist, und als der Diener, wie er ge­ heißen war, die Tür hinter sich und ihm zugesperrt hatte, wälzte er ihn unter voller Anspannung seiner Kräfte gerade knapp in die Badewanne. Da brach er in Lästerungen aus - denn er war jähzornig - und rief: "Wirklich, einen jemals einfältigeren Menschen als meinen Herrn kenn' ich nicht, der da nicht zu unterscheiden weiß , wem er wohltun soll, und mir auferlegt hat, einen so dicken Vielfraß auf meinen Buckel zu neh­ men." Jedoch den Gelähmten dünkte sein Badewasser zu heiß, und so rief er in seiner Bauernsprache : "Cald est, cald est ! " Worauf der andere - denn im Deutschen bedeutet das "es ist kalt" - e ntgegnete: "Und ich will's erwärmen ! " Und er schöpfte Wasser aus dem kochenden Kessel und goß es ins Bad . Aber jener schrie mit schrecklichem Gebrüll: "Ei mi, cald est, cald est!" "Wahrhaftig", sagte der Diener, "wenn es immer noch kalt ist, 6 4dann W Summis conatibus< , die Ekkehard der Höfling gedichtet hatte , intoniert, dieweil er selber vor ihnen stand, und gefällig zum Vortrag gebracht. Und Poppo sagte zum Scherz: "Wahrlich, so viele Feinde achten diese Männer da für nichts , und sie singen nicht minder freudig, weil wir dabei sind." Und Ekkehard entgeg­ nete: "Sie mögen singen, so laut sie wollen; noch hat die Küche nicht Kost für jeden." Das hörte Heinrich , und er seufzte wohl tief. Und Kebo: "Eins, meine Herren, ist es, was ich sehr fürchte, aber auch ihr habt es zu fürchten: nämlich daß sie, wenn die Sondervorräte, die jeder als das Seinige hinzugeben bereit ist, aufgezehrt sind und sie nichts mehr vom Eigenen und nichts mehr vom Gemeinsamen besitzen, dann weder die eine noch die andere Regel mehr befolgen." Und Heinrich erwiderte: "Ge­ nau dies werden wir unseren Herren sagen müssen. Wir aber freuen uns nur, daß unsere Mission einen so schönen Erfolg hat. Tatsächlich hatte ich , bevor ich kam, meinerseits gedacht, es ginge anders aus. Und daß man Männer von so rühmlicher Weisheit und Werkfrömmigkeit von ihrem löb­ lichen Lebensstil jemals leicht abbringen könne, hätte ich nicht geglaubt." 109. Ekkehard hatte sich von ihnen schon getrennt. Und siehe, einer der Brüder trat aus der Kirche, der trug ein Sequentiar in der Hand. Und jene griffen danach und rühmten über der Sequenz16 des Tages den 1 4 - 1 4 V gl. Ps. 72, 23. 15 Vgl. Notker, Vita s . Galli Ie. 16 D . i. die in Kap. 108 genannte Desiderius-Sequenz Ekkehards II.

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Casus s . Galli 109/110

ille : "Non domini" , ait, "h�c est Notkeri, sed eius, qui iuxta vos sedit, magistri nostri palatini Ekkehardi." Et Chuonradus : "In­ saniat", inquit, "Ruodmannus cum ypocrisi sua in locum hunc, quantum velit, monachos tarnen hodie sanctus Gallus habet, quo­ rum similes ipse inter suos nunquam simulabit ." E t Poppo : "E nimvero", ait , "huic ipsi, cuius h � c verba sunt, parem nus­ quam videmus." Et Palzo: "Dicere " , inquit, "habueras, si magi­ stri mei, avunculi eius17 , verba inspexeras , sed et aliorum pluri­ morum ex eis verba et opera novera s . Dico e nim id sancto Gallo praerogative datum , ut in ornatu verborum praecipuum sui hoc tempore teneant locum." E gressi interea fratre s , ut erant palliis parati, stare usque ab­ bas veniat, monentur. Et Poppo interea: "Sanctus Gallu s " , ait, "tarn sonora guttura sua, ne rauceant, dulci hodie vino rigare ve­ lit et saturet ! " Usque h u c Iegationern illam s criptarn in verba alia trans­ ferens, cartis per impluvium perfusis, qu� secuta sunt, conicere non poteram. Qu� autem post h�c dicturus sum, patrum, qui in­ tererant, relatibus didici . 1 10 . Interea accitus abbas affuit et consedit. Et Henricus par­

va solacia se collaturos et die condicta daturos fratribus pollice­ tur. Dein regibus se pro inopia eorum suasuros omnes concor­ dant. Et cum se orationi eorum committerent, abbas intulit: "Im­ mo ut fratres conscripti" , ait , "siti s , volo, quia alia vobis don a d a r e non habemus ." Laetis ob h o c omnibus itur in aecclesiam. Rec�pti manibus abbatis singuli in libro vit�18 scribuntur. Abbates rogati cum fratribus e o die mens� aderant. De com­ muni et privatis collect� fiunt et habundam caritatem faciunt. Cum autem disciplinam loci et morum tenorem singuli sollicite perviderent nihilque se quidam illorum, nisi quod regul� sit, ibi videre silentio sibi dicerent, Milo coclearium sibi afferri signo petiit . Quod cum ministrantium unus manutergio afferret, arte ille sua quasi recipiens decidere sivit. Minister autem continuo

Ruhm der St. Galler Sequenz - Die Gäste als Mitbrüder

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Notker Balbulus. Aber der Bruder widersprach: "Die stammt nicht von dem Herrn Notker, sondern von ihm, der neben euch saß, unserm Magi­ ster Ekkehard dem Höfling." Und Konrad meinte : "Mag Ruodmann in seiner Heuchelei gegen dies Kloster eifern, soviel er will, gleichwohl be­ sitzt der heilige Gallus heutzutage Mönche , wie Ruodmann sie unter den Seinigen niemals gleich nachbilden wird." Und Poppo versetzte : "Ja ge­ wiß ; und gerade zu dem, von dem dieser Text ist, sehen wir nirgends ein Ebenbild." Und Palzo sagte: "Das hättest du sagen können, hättest du in den Text meines Lehrers, seines Oheims 1 7, Einblick genommen, aber auch , wenn du die Texte und Werke der vielen anderen unter ihnen ken­ nen würdest. Denn ich behaupte, es sei dem heiligen Gallus dies zum Vorrecht verliehen, daß im Schmuck der Rede die Seinen zu dieser Zeit den Vorrang innehaben." Inzwischen waren die Brüder herausgetreten , und so wie sie mit den Pallien geschmückt waren, hieß man sie harren, bis der Abt käme . Und Poppo sagte derweilen: "Wollte doch der heilige Gallus seine so klang­ vollen Kehlen, damit sie nicht heiser werden, heute mit süßem Weine netzen, und möge er sie sättige n ! " B i s hierher habe ich jenen schriftlich vorliegenden Gesandtschaftsbe­ richt in andere Worte übertragen, indes ich das Folgende nicht zu entzif­ fern vermochte, weil die Blätter beim Hereinregnen naß geworden sind. Was ich nun hiernach erzählen werde , verdanke ich Berichten der Väter, die zugegen waren. 1 10 . Unterdessen holte man den Abt; er erschien und setzte sich. Und Heinrich versprach, sie wollten kleine Hilfsspenden zusammenbringen und zu gesetzter Frist den Brüdern übergeben. Darauf wurden sich alle einig, hinsichtlich ihrer Not bei den Königen ein gutes Wort einzulegen. Und als sie sich dann ihrem Gebet empfahlen, versetzte der Abt: "Viel­ mehr will ich, daß ihr eingetragene Mitbrüder seid; denn andere Gaben haben wir nicht zu verteilen." Darob waren alle fröhlich, und man ging in die Kirche. Aufgenommen von den Händen des Abtes, wurde einer um den andern im Buche des Lebens 1 8 eingetragen. A n diesem Tage saßen die Ä bte, da man sie dazu gebeten, mit den Brüdern bei Tisch. Aus dem gemeinschaftlichen und dem persönlichen Fonds flossen Zuschüsse und ergaben ein reichliches Liebesmahl. Wäh­ rend aber die Ä bte alle die Zucht des Klosters und die Form seiner Ge­ sittung wachsam beobachteten und ihrer einige leise untereinander sag­ ten, sie bemerkten nichts , was nicht der Regel eigne, bat Milo durch ein Zeichen, daß man ihm einen Löffel bringe. Als nun einer der aufwarten­ den Brüder den Löffel mit einer Serviette herbeibrachte , stellte sich je­ ner listig so, als wenn er ihn ergreife , und ließ ihn zu Boden fallen. Der 1 7 Ekkehard I. ist gemeint. 1 8 W orin sich die betreffenden Namen freilich nicht finden.

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Casus s. Galli 1 1 0 - 1 1 2

n o n sine rubore in veniam corruit . Surgere autem sign ? iussus, ut mos loci erat, domo - inclinatus hinc et hinc, nisi a priore sig­ no vel nutu revocaretur - per exitum, qui claustrum ducit , exi­ vit , per fores, qu� a coquina sunt, mox reversurus. At Kebo, hila­ ritatem machinari artifex: "Vide, Milo" , ait, "miser, quirl feceris ! Frater ill e , quem fuco tuo dec�peras , exivit ; nisi ipse eum revo­ caveris , non est reversurus . " Ille autem pectus incutien s, uni et alteri signo dato , ut revocaretur, et nemine, quia Kebo astanti­ bus innuerat, attendente, surgere ipse dum parat, veste eum Ke­ bo detrahit et a coquina regressum digito fratrem monstravit . Tali hilaritate cum ipsi inter se velud hospites licentius agerent, nemo quidem loci fratrum motus est in risum . 1 1 1 . Surgitur a mensa; itur solitis benedictionum ymnis in ec­

clesiam. Et ecce Kebo cum ceteris in veniam corruit coram fratri­ bus aecclesia egressis: "Nos" , inquit, "fratres et domini, docere vos venimus, et ecce disciplina vestra fracti stupescimus, cum , nobis effuse solutis in risum, ne unum vestrum dare viderimus assensum. Talern disciplinam huius loci semper audivimus prae­ dicari, et quam crebro audivimus, nunc oculis inspeximu s . Indul­ geri tandem rogamus , quod tantos viros vos impares aggressi sumus et doctissimos indocti temptavimus . Vere Iaudis vobis te­ stimonio futuri, quocumque venerimus." Surgentibus a venia pa­ riter omnes fratres occurrunt in amplexus et oscula; et quoniam incompetens hora esset, abbati decanum dirigunt, ut eis cum ho­ spitibus incompetentia competere permitteret . Venit itaque lae­ tus ipse, ut semper erat dul c issima caritatis anima, abbas; et me­ ridiem usque nonam in sanct� hilaritatis gaudio perduxerant. S onatur ad nonam. Qua peracta mittit abbas Kebonem, qui episcopos, ut fratres conscripti claustrum intrare iam utique suum non dedignarentur , rogaret . Veniunt omnes , et societati fratern� participandum fore gaudio gaudent. 1 12. Itur in armarium, sed et in angustum sancti Galli thesau­

r arium . Pr� omnibus autem scriptorum digiti efferuntur; gern-

Kebos Scherz - Beschämung der Gäste

221

Untergebene aber stürzte sogleich nieder und bat, schamrot geworden, um Vergebung. Da ihm aber bedeutet wurde , wieder aufzustehen, ging er hinaus - wobei er sich von da und von dort verneigte, gewärtig, ob er nicht von seinem Obern durch einen Wink oder ein Nicken zurückbeor­ dert werde - und verließ den Raum, wie in St. Gallen üblich, durch den Ausgang, der zur Klausur führt, um von dort durch die Tür von der Kü­ che her alsbald zurückzukommen. Doch Kebo, gewandt im Anstiften von heiteren Zwischenfällen, sagte: "Schau, Milo, Unglückseliger, was du an­ gerichtet hast! Jener Bruder, den du mit deinem Schwindel hereingelegt hast, ist hinausgegangen, und holst du ihn nicht persönlich zurück, will er nicht wiederkommen!" Milo aber schlug sich an die Brust und gab die­ sem und jenem Zeichen, ihn zurückzurufen; und als niemand darauf rea­ gierte, weil Kebo den Umstehenden zugewinkt hatte, und er schon sel­ ber aufstehen wollte, hielt ihn Kebo am Gewand fest und wies mit dem Finger auf den von der Küche her witder eingetretenen Bruder. Unter solcher Heiterkeit führten sich die Ä bte als Gäste freier auf, indes von den St. Galler Brüdern sich keiner zum Lachen reizen ließ. 1 1 1 . Man stand auf vom Tisch und schritt unter den gebräuchlichen Segenshymnen in die Kirche. Und siehe, Kebo mit den übrigen stürzte vor den Brüdern, da sie die Kirche verlassen hatten, nieder und bat um Verzeihung: "Wir", sprach er, "ihr Brüder und Her.ren, sind gekommen, euch zu belehren; und siehe, wir sind durch eure Zucht gedemütigt und voll der Verwunderung, daß wir, ganz aufgelöst vor Lachen, nicht einen unter euch miteinstimmen sahen. Solche Zucht haben wir von diesem Kloster immer rühmen hören, und von der wir so oft gehört, sie haben wir jetzt mit Augen geschaut. Um gütige Nachsicht bitten wir schließ­ lich , daß wir Unwürdige und Toren euch, so edle, hochgebildete Männer angegriffen und herausgefordert haben. Aufrichtiges Lob wollen wir euch bezeugen, wohin immer wir gelangen werden." Und da sie sich auf­ richteten vom Gnadebitten, eilten ihnen die Brüder alle zugleich entge­ gen zu Kuß und Umarmung; und weil es doch eine unpassende Stunde war, schickten sie den Dekan zum Abt, er möchte ihnen und den Gästen zugestehen, daß das Unpassende passe. Also kam fröhlich der Abt selbst, wie er denn immer voll Liebe und gütigster Gesinnung war; und sie verbrachten den Nachmittag bis zur Non in der Wonne unschuldiger Fröhlichkeit. Das Zeichen zur Non erklang. Und als sie vollendet war, schickte der Abt den Kebo zu den Bischöfen mit der Bitte, es als eingetragene Mit­ brüder nicht abzuweisen, die Klausur, die nun jedenfalls ihre eigene sei, zu betreten. Da kamen alle und freuten sich von Herzen, an der brüder­ lichen Gemeinschaft teilzuhaben. 1 1 2 . Man trat in den Bibliotheksraum, aber auch in die enge Schatz­ kammer des heiligen Gallus. Da wurde nun vor allem die Kunstfertigkeit der Schreiber gerühmt, nicht sosehr dagegen der Aufwand an Edelstei-

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Casus s. Galli 1 1 2/1 1 3

marum autem et auri, quorum satis habebant, n o n a d e o . Versum Ambrosii folio asscriptum19: Ne ctaris am brosii re do len tia carpito m e lla,

memoriter repetebant. Veniunt in pirale et in eo lavatorium nec non et proximum pirali scriptorium, et has tres regularissimas prae omnibus , quas unquam viderint, asserebant esse officinas; et absque dubio, qui tales dudum incolerent, regulares esse mo­ nachos nulli negandum esset. lnvitat tandem abbas omnes p ari­ ter ad nonales fratrum, quibus conscripti essent, biberes. lbi tan­ ta hilaritate usque ad vesperum iam pene sonatum commanent, ut senum, qui adhuc hodie talia memorant, recordationem volup­ tas sit audire. lbant pariter ad laudes vespertinas quisque suas, abbate cum fratribus omni dulcedine valefactis ; condicto qui­ dem, ut cras mattutini conveniant et missionis su� responsa re­ gibus reddenda communi disponerent consilio et relatu robora­ rent concordi et caritativo . Veniunt diluculo in fratrum conses­ sum, et Henrico dictante legationis su� brevem et uniformem or­ dinant reddicionem, ut, quoniam non simul ad aulam sunt reditu­ ri, Henricus, cui caput caus� a regibus datum est, Kebone comite unum os omnium et lingua foret. "Neque ego", Henricus ait, "si quid de meo adicere potero, confratribus nostris derogare habebo." 1 1 3. Assurgunt omnes acclini in gratia s . Pergunt tandem in

aecclesiam ad dandas abeuntibus prospere vi� preces abbas cum fratribus et recipiendas a tot episcopis benedictiones, data prius confe s sione et a stolatis remissione. Redeuntibus autem in clau­ strum ad oscula confratrum, Chuonradus noster inter caeteros : "Quoniam ego, filii mei" , inquit , "proximior vobis loco sum quam c�teri isti fratres conscripti, pro memoria ipsorum et mea tribus diebus in annis , quibus vixero, caritates me vobis in refectorio facturum promitto ." Postea �tiam hilariter hoc fecit . Et ut, qui intererant, testantur, quoties ei vacabat, ipse quidem aderat, ab­ bati regio modo proponebat, mensas obambulabat, serio et ioco abbatis assensu colloquia miscebat. Sed et rauca sua naturali vo­ ce iocundus lectorem aliquando increpitan s : "Nunquam �tiam

Froher Ausklang. Der Rapport an die Könige - Abschied

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nen und Gold, wovon sie genugsam hatten. Den einer Ambrosius­ Handschrift beigeschriebenen Vers 1 9: "Koste des göttlich-ambrosischen Nektars duftenden Honig" versuchten sie auswendig zu wiederholen. Sie gelangten in den Warm­ raum und ebenda in den Waschraum und weiter auch in die an den Warmraum unmittelbar anstoßende Schreibstube ; und diese drei Räum­ lichkeiten , versicherten sie, seien die regulärsten vor allen, die sie je­ mals gesehen hätten, und zweifellos dürfe niemand sagen, daß Mönche, die solche Räume schon lange bewohnten, nicht nach der Regel lebten. S chließlich lud der Abt alle zusammen zum Nontrunk der Brüder, bei denen sie ja nun eingegliedert seien. Und da blieben sie beisammen bis fast zum Vesperläuten in so großer Fröhlichkeit, daß es ein Vergnügen ist, der Erinnerung der Greise zu lauschen, welche noch heute davon erzäh­ len. Zugleich schritten sie dann zur Vesper, die jeder einzeln für sich sang; von Abt und Brüdern hatten sie sich in aller Liebe schon verab­ schiedet, wobei man aber übereingekommen war, sich am anderen Mor­ gen zu versammeln, um die Antworten in ihrem Rapport an die Könige in gemeinsamer Beratung festzulegen und durch einhellige und wohlge­ sinnte Aussage zu bekräftigen. Sie kamen bei Anbruch des Tages in den Konvent der Brüder, und unter Heinrichs Vorsitz setzten sie über ihre Gesandtschaft einen gedrängten und einheitlichen ·Bericht auf; so würde - da sie ja nicht alle gleichzeitig an den Hof zurückkehren wollten Heinrich, von den Königen ohnehin mit der Führung des Falles betraut, in Begleitung Kebos für sie alle einziger Mund und Zunge sein. "Und ich", sagte Heinrich, "werde unseren Mitbrüdern keinen Abbruch tun, falls ich etwas von mir aus hinzufügen kann." 1 1 3 . Alle erhoben sich und verneigten sich zum Dank. E ndlich bega­ ben sich Abt und Brüder zur Kirche, um den Scheidenden Gebete für eine glückliche Reise mitzugeben und von so vielen Bischöfen den Segen zu empfangen, nachdem sie vorher Beichte getan und die Stolenträger ihnen Erlaß erteilt hatten. Wie sie aber in die Klausur zurückgingen zum Abschiedskuß ihrer Mitbrüder, sagte Konrad inmitten der anderen : " D a ich j a , meine Söhne , euch räumlich viel näher b i n als diese anderen Verbrüderten, gelobe ich , zu ihrem und meinem Gedächtnis an drei Ta­ gen in den Jahren, da ich noch leben werde, euch in eurem Speisesaal Liebesmähler zu bereiten." Nachher hat er dies auch in Fröhlichkeit ge­ tan. Und wie diejenigen, die daran teilnahmen, bezeugen: sooft e s ihm vergönnt war, erschien er in eigener Person, legte dem Abt nach Königsart vor, ging an den Tischen hin und her und würzte unter Zu­ stimmung des A btes die Unterhaltung mit Ernst und mit Scherz. Doch auch mit seiner angeborenen heiseren Stimme war er ergötzlich, und als er einmal den Vorleser anraunzte: "Wirst du auch nimmermehr still?" 1 9 Beischrift zu Ambrosius' Homil. in Luc., Cod. 96, p. 2.

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Casus s. Galli 1 1 3 - 1 1 5

conticescis?" ait : "Tu autem20." Sicque c um vitro p ur e potionis i n medium veniens , abbatem primo turn c�teros in sancta caritate bibere rogan s , ipsum primosque mensarum osculatus omnibus per eos oscula misit. Talis erat sancti C huonradi in nos caritas. Henricus vero et Thietericus quosdam cum Ekkehardo decano patrum sumentes in partem, prior , quot annis viveret , decem va­ sa vinaria , alter totidem salis S p ira condixit die dato confratri­ bus mittere . Quod et incunctanter singulis, quibus vixerunt, fe­ cerunt annis . Sicque per oscula mutua valedictione data, utrim­ que sibi fausta precati ad prandia discedunt , noctem proximam21 Constanti� simul acturi.

1 14. Ibat autem et Ekkehardus22 ipse quidem ad reges unicor­ des suos , et de bis et de aliis mandata abbatis ad illos laturus , s e d e t quantum i n se sit , causam cum aulicis prosperatur u s . Pr�terit autem Ruodmannum d i e altera Constanti� p r o hospiti­

bus agentem, et cum ei ille : "Benedicite!" arte sua diceret, quasi ad navem festinans transeuntem non attendebat . At ille consti­ tit et quendam post eum ad navim misit , qui diceret: "Verum proverbium est23: Mendacia c u r ta semper habent crura. " Et Ek­ kehardu s : "Verum illud", ait , "esse, nunquam lucidius quam heri et hodie in nobis apparuit . Sed n e mirum, si me tantillum convi­ tiis prosequitur dominus tuu s , cum mille in regno monachi sint

emeriti, qui Deo et hominibus conquerantur pro convitiis eius. Quapropter et h�c ego cum aliis mille perpetior et quiesco." Sed et quidam ministrorum hominis bene idoneus , cui causa domini reges interdum erant affabiles : "Enimvero", ait , "etsi dominus meus tacuerit, ego nequaquam omittam, quin talia conquerar re­ gibus." Rediit nuntius Ruodmanno cuncta, qu� audierat, renun­ tia n s . Ille modo non modice stupidus, nequaquam in eum verba h�c vertisse care iurans asseruit, sed magis in eos, qui ipsum et fratres nostros infamassent, falsidicos . Hoc dixit sub optentu , quasi ipse quidem talium nullus esset.

11 5. E t Otkerus, quem supra24 diximus, frater eius et mil e s : "Miror te", ait, "nunquam hominis pigere, q u i astu s u o semper

20 Schlußformel der

Lesung (Tu autem, Domine, miserere nobis).

21 Also vom 24. zum 25. Mai.

Gaben der Bischöfe - Renkontre mit Ruodmann

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gebot er: "Du aber20!" Und so trat er mit einem Glas voll unvermischten Weines hervor, und indem er erst den Abt, dann die anderen in heiliger Minne zu trinken bat, küßte er ihn und die vordersten an den Tischen und entbot durch sie allen seinen Kuß. Solcherart war des heiligen Kon­ rads Brudergesinnung gegen uns. Heinrich aber und Dietrich nahmen einige der Väter und den Dekan Ekkehard auf die Seite, und der erste kündete an, jedes Jahr, solange er lebe , zehn Faß Wein, der andere ebensoviel Salz zu bestimmtem Termin von Speyer an die Mitbrüder abzuschicken. Und das haben sie auch die Jahre hindurch, da sie noch lebten, getan. Also nahmen sie denn unter wechselseitigen Küssen Abschied, wünschten einander auf beiden Sei­ ten Glück und Segen und gingen zur Mahlzeit auseinander, indes sie die folgende Nacht2 1 zusammen in Konstanz zu verbringen gedachten. 114. Es reiste aber gerade auch Ekkehard 22 zu den Königen, seinen Herzensfreunden; er wollte ihnen Weisungen des Abtes über dies und über anderes übermitteln, aber auch, soviel an ihm läge , die Affäre mit den Höflingen zu einem ersprießlichen Ende bringen. Er überholte aber den Ruodmann, der sich der Gäste anderntags in Konstanz annehmen wollte, und da jener ihm nach seiner schlauen Art: "Benedicite ! " zurief, nahm Ekkehard keine Notiz davon, so als müsse er sich sputen, das S chiff, das eben vorüberkam, zu erreichen. Aber Ruodmann blieb stehen und schickte ihm einen nach zum Schiff und ließ ihm ausrichten : "Es gibt ein wahres Sprichwort23: ,Lügen haben immer kurze Beine'." Und Ekke­ hard erwiderte : "Daß es wahr ist, hat sich nie deutlicher als gestern und heute an uns erwiesen. Doch auch kein Wunder, wenn mich kleinen Wicht dein Herr verfolgt, wo doch im Reich tausend verdiente Mönche sind, die vor Gott und den Menschen Klage erheben um seiner Schmä­ hungen willen. Darum ertrage ich auch das im Verein mit den tausend anderen und halte mich still." Aber auch einer von Ekkehards Dienern, der recht tüchtig war und dem die Könige seines Herrn wegen ab und zu ein Wort gönnten, sprach: "Fürwahr, obschon mein Herr schweigen wird , werde ich keinesfalls verfehlen, solches den Königen zu klagen." Der Bote ging zurück und meldete dem Ruodmann alles wieder, was er gehört. Der war nun nicht wenig betroffen und schwor hoch u nd heilig, e r habe die Worte keineswegs auf Ekkehard gemünzt, vielmehr auf jene Lügner, die eben ihn und unsere Brüder verleumdet hätten . Dies sagte er unter dem Schleier, als wäre er selber ke.iner von dieser Sorte. 1 1 5 . Und der oben24 erwähnte Otker, sein Bruder und Dienstmann, s agte: "Ich kann nicht begreifen, daß es dir nie verleidet, mit einem an­ zubinden, der mit seinem Scharfsinn deine schlauen Anschläge noch 22 Ekkehard II. 23 Vgl. Walther, Lat. Sprichwörter, Nr. 1464 1 . 24

Kap. 93.

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Casus s. Galli 1 1 5/116

tuas exsuperavit acutias. Latere autem te arbitror rumorem, quo apud omnes insigniris : secundam quidem iam te invasionem loco illi sancto, unam clam fecisse per te solum, alteram struxisse per tot episcoporum et abbaturn collegia. Hoc in aula tune musita­ tum est, sed et proximis diebus a militibus ipsius abbatis mihi con­ questum est. ldeoque ipso isto homine, cui nunc nuntium tu um mi­ sisti, agente , tu solus a legatione illa exceptus es. Vereor autem , ne, 25quia intimus quidem consiliis est25, apud principes animo, quo nunc est, infortunii tui aliquid conflet." Et ille : "Non nego", ait, "frater; sed et veraciter assero �tiam caput meum abscidendum incunctanter eo pacto me tradere , ut omnes in regno Ottonum monachi vivant secundum regulam sancti Benedicti. Sed et super ipsos fratres , qui pene sine abbate sunt ,26 a dominis invitatus con­ siliis, qu� sensi, fide dixi, qua debui. Ut autem tot hospitibus inva­ derentur, crede mihi, neque consilio interfui, nec unquam placuit mihi, ubi comperi. Sed et hodie laetatus sum et heri, ubi prospera de eis audivi." "Nollem", ait ille , "frater et domine mi, te pro aliis quam tibi creditis adeo sollicitari, ut querelas tibi ullas a pari pote­ state praeditis compares, sed quantum illi pro tuis , tantum te quo­ que curare pro suis ; et salva sie caritate et pace hinc inde fueris . Nunc autem te cum tantis viris, qui ad honorem omnia et precibus perducunt et artibus, t a rn severe discordare admodum doleo, e t ·

maxime c u m illo, quem dixi, n o n parvi momenti viro." 1 1 6 . Cum autem Ekkehardus Duellium ipsa die ascenderet et

W azemanno27 ibi abbati , nobis et sibi amicissimo, omnem seriem rei nostr�, ut ductrici in proximo a Norico , ubi pascha egit , redeunti insinuaret, et per singula diceret, in Rotwila legatis Ruodmarino et Otkero comitatis iungitur . Ubi parum cum eis mo­ ratus in Thietingen villam nostram, ne quicquam Ruodmanni rerum tangeret , vespertinus divertit, quamvis tarnen ipse ei per fratreni necessaria habunde promitteret . Ruodmanno autem legatorum quosdam rogante , ut de verbis ad navem male intel­ lectis eum in crastinum corrigerent occurrentem, comitatu ille usque Spiram abstinuit ibique eis se, Ruodmanno cis Rhenum 25 - 25 V gl. Terent. Andr. 576. 26 A nspielung auf Purchards Unfall.

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Otkers Mahnreden - Auf dem Weg zum Rhein

stets durchkreuzte . Ich glaube aber, dir ist unbekannt, in welchem Geru­ che du bei allen stehst: nämlich daß du bereits den zweiten Einbruch an jenem heiligen Ort verübt, indem du den einen heimlich auf eigene Faust, den anderen durch eine Gilde von so vielen Bischöfen und Ä bten in Szene gesetzt hast. Das ist am Hof damals gemunkelt worden; d och ist es mir letzthin auch von den eigenen Dienstleuten des Abtes geklagt worden. Darum auch bist du als einziger von jener Gesandtschaft ausge­ nommen worden, wobei gerade jener Mann dahinter stand, dem du jetzt deinen Boten geschickt hast. Ich fürchte aber, 25da er eben ihr vertrau­ ter Ratgeber ist2 5, daß er in seiner jetzigen Stimmung dir bei d en Für­ sten ein Stück Unheil zusammenschmiedet." Und jener sprach: "Ich streite es nicht ab, Bruder, doch versichere ich dir auch aufrichtig, daß ich ungesäumt es mir sogar meinen Kopf kosten ließe, gesetzt, es wür­ den dann im Reiche der Ottonen alle Mönche nach der Regel des heiligen Benedikt leben . Doch auch just bezüglich der Brüder, die sozusagen ohne Abt sind26 , habe ich, von den Königen zur Beratung beigezogen, meine Meinung nach der geschuldeten Treue dargelegt. Daß sie aber von so vielen Gästen heimgesucht würden, an dem Plan war ich nicht beteiligt, noch war ich je dafür, als ich davon erfuhr. Vielmehr freute ich mich heu­ te sowohl wie gestern, da ich Günstiges über sie hörte." "Ich wünschte, mein Bruder und Herr", sagte Otker, "du würdes� dich anderer Brüder statt der dir anvertrauten nicht in dem Maße annehmen, daß du dir von ihnen, die mit gleicher Macht a usgestattet sind, irgend Beschwerden e inhandelst; sondern nur so viel, als jene sich um die Deinen bemühen, solltest auch du dich um die Ihrigen kümmern, und so würdest du hier wie dort unverletzliche Liebe und Frieden genießen. So jedoch betrübt e s mich ungemein, daß du mit Männern, die �it ihrem Gebet und ihrer Kunst alles zu Ehren bringen, so grausam im Streit liegst und insbesondere mit dem besagten hochmögenden Mann." 1 1 6 . Ekkehard stieg am seihen Tage zum Hohentwiel hinauf und er­ zählte dort Abt Wazmann27, der uns und ihm sehr befreundet war, den ganzen Verlauf unserer Affäre und in. allen Einzelheiten, damit er der Herzogin nach ihrer b a ldigen Rückkehr aus Bay� r n, wo sie Ostern feier­ te, davon Mitteilung mache . In Rottweil aber schloß sich Ekkehard den Gesandten an, die von Ruodmann und Otker begleitet wurden. Er hielt sich dort nur kurz in ihrer Gesellschaft auf und wich am Abend nach un­ s e rem Hof Dietingen aus, um nicht etwas von Ruodmanns Gütern anta­ sten zu müssen, wie\lVohl ihm dieser durch seinen Bruder das Nötige reichlich zusichern ließ. Indes aber Ruodmann einige der Gesandten bat, E kkehard über jenes Mißverständnis beim Schiff aufzuklären, wenn sie ihm am folgenden T age begegneten, hielt sich jener bis Speyer der Reise·

27 Erster Abt wäre hier nach den Casus monast. Petrishus. l , 43 ein Walfried gewesen.

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regresso, coniunxit. Kebo autem id ro gat us, Ruodmannum apud hominem purgare de verbis i p s i s aggreditur. Cui ille nihil aliud nisi publicos i m pulsus et eversiones eius in se et fr atres suos, re· spondit, reservandos . Et ille : "Enimvero", ait, "hesterni diei oris­ que omnium nostri semper hab e t , dum ho mo est , reminisci." Audi­ unt tandem reges rogationes28 et a scensio n e m Mogonti� acturos.

117. Illuc conveniunt praescripti illi, sed et cet eroru m aliqui. Vimque omnem legationis su � Ekkehardo astante, quam optime

p oterant, i n breyi per ordinemabsolverant. P�nuriaque loci conque ­ sta, maxime in vino, et c�teris rec ul� � sumptibus: "Nisi solatio", inquiunt, "iuv e n tu r , neque sub regula n eq ue sine r e gula , euro pa u­ pertatulas, quas habent immediumh collatas, consumpserint, sub­ sistere non pot eru n t ." "Neque h�c ipsa", Kebo ait, "diu durabunt, qu� contuler�nt, quia omne . habere omnium illorum sollicite scru­

tati aput neminem ullius boni copiam praeter caritatis et humilita­ tis invenimus . Ob�dicionem autem illorum, ut . vere asseram, Dei virorum laudare mihi non est ma gnoper e , euro et patres nostri episcopi dicto paratiores nunquam maiorem vidisse test ati sint . " Et O it o filius ad p at r e m : E ni m v er o , pate r , iocundum est, ••

quod audivimus . T e.que decet talium . compati penuriis , maxime ve r o, ut fam e eorum invidi et proditores videantur confusi.'' Et pa t er: ,;Si tarnen tandem ali que m unum habere consenserint in auxilio, qui regul� p e ritus ali qu a n t u m cum eis conversetur tem­ poris ! " Cum autem Kebo, ad h�c quiddam ut diceret, surgere c�pisset, H e nr ic u s illum n u tu compescuit. Et ad se accito in au­ re m : "Nt:>li'', i nquit " ; , qu i c q u a m contra loqui , qu ia , quantum eos nunc experti sumus� nemo monachus hod ie est in regno, qu i in ra­ tione bene viveridi, inter eos veniens, eos pr a ece d e re possit. Et

forsitan, qui s q u i s ill e. erit, aut tant� auctoritatis Dei servis m a ­ nus est daturus aut t an d e m quoquo modo loco c essurus . ' ' At Ekkehardus: , ,Liceat et nobis" , inquit , "o rex , vic e abbatis nostri, a quo et ad hoc ipsum missi sumus, qu i d dam loqui. Bene et optime in t u li t quidem filius tuus p enur ii s n ostris . te decere compati: n e postquam recul� nostr� . quas in medium contulimus, a

regul� Hss.

b

st. in medium.

Bericht der Visitatoren. Des Kaisers Vorbehalt

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gesellschaft fern · und stieß erst dort wieder zu ihnen, nachdem Ruod­ mann diesseits des Rheines umgekehrt war, .Kebo aber unternahm, da er darum gebeten worden war, den Versuch, den Ruodmann der betreffen­ den Rede wegen bei Ekkehard zu e ntschuldigen. Der antwortete ihm, daß es sich lediglich darum handle , Ruodmanns öffentliche Angriffe und · Anwürfe gegen ihn und seine Brüder im Gedächtnis zu behalten. Und Kebo sagte : "Wahrhaftig, an den gestrigen Tag und an unser aller Rede wird er hinfort denken, solange er lebt." Endlich erfuhren sie , die Köni­ ge gedächten die Bittage28 und Himmelfahrt in Mainz zu feiern. 117. Dorthin nun kamen jene V orgenannten, aber auch einige der übri­ gen. Und im Beisein Ekkehards ·legten sie die Kernpunkte ihrer Mission nach bestem Vermögen in wenigen Worten der Reihe nach dar. Und in­ dem sie den Mangel des Klosters, namentlich an Wein, und seine übri­ gen geringen Mittel beklagten, sagten sie: "Hilft man ihnen nicht mit Zufuhren, werden sie weder unter der Regel noch ohne die Regel beste­ hen können, wenn sie die armseligen Vorräte, die sie für alle zusammen­ getragen, aufgezehrt haben." "Und auch das", sagte Kebo, "was sie zu­ sammengelegt, wird nicht lange reichen; denn als wir alle Habe von ihnen allen genau untersuchten, fanden wir bei keinem irgendein Gut in Fülle , es sei denn das Gut der L ieb e und Demut. Den Gehorsam aber jener wahr- und wahrhaftigen Gottesmänner brauche ich nicht sonderlich zu rühmen, da auch unsere Väter, die Bischöfe , als die Befehlsgewohn­ teren, bezeugt haben, nie einen größeren erlebt zu haben." Und Otto der Sohn wandte sich an den Vater: "Wirklich , Vater, es ist erfreulich, was wir gehört haben. Und dir geziemt e.s . ein Herz zu haben für die Not solcher Männer, dies aber vor allem damit die Neider und Verleumder ihres guten Namens offenkundig zuschanden werden." Und der Vater: "Wenn sie sich doch nur endlich dazu verstünden, wenigstens einen einzigen zum Beistand zu haben, der; erprobt in der Praxis der Re­ gel, einige Zeit mit ihnen zusammenlebt !'� Als aber Kebo· Miene machte aufzustehen, um hierauf etwas zu erwidern, hielt ihn Heinrich mit einem Wink zurück. Und da er ihn zu sich beschieden,. flüsterte er ihm ins Ohr: "Sag nichts dawider! Denn soweit wir sie jetzt kennen, gibt es h eute kei­ nen Mönch im Reich; der, wenn er unter sie geriete, sie im richtigen Lebenswandel zu übertreffen vermöchte . Und vielleicht wird er, er sei, wer er wolle, entweder den so vorbildlichen Gottesknechten die Hand reichen oder schließlich so oder so vom Platze weichen." Doch Ekkehard sprach: "Auch uns , o König, sei es vergi;innt, an Stelle u nseres Abtes, von dem wir eigens auch dazu hergesandt sind, etwas zu sagen. Richtig, sehr richtig hat zwar dein Sohn bemerkt, es gezieme dir, dich unserer Not anzunehmen: nicht daß deine Schlucker nach Ver­ brauch des Bißchen, das wir füreinander zusammengebracht, am Ende .•

2 8 Die drei Tage vor Himmelfahrt in der sechsten Woche nach Ostern.

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fuerint consumpt� , absque omni regula tandem famelicis tuis sit vivere . Quod autem maiestas tua, glorios� mi, subiunxerat peri­ ciorem regul� nobis aliquem auxilio dari, a legatis vestris , abba­ tibus regul� peritissimis, nunc, ut ita dicam, iniciati petimu s , pa­ ter et fili , ab ipsorum aliquo iussu vestro revisi et, si in aliquo a b edictis eorum exorbitavimus , explorari, quoniam grave quidem est, si ausim dicere , in tarn brevi articulo tercia29 vice pauperes vestros ingredi, et ab eo, quod a tarn multis claris viris iniunctum est, per virorum nephitorum aliquem abduci." E t Henricus : "3°Clavum quidem tu30" , inquit , "30legationi nostr� fixisti3° " . Cui sie peroranti plures assenserant.

118. Et pater rem in crastinum distulit , hoc inter c�tera quasi de intimo cordis protestatu s : prius s e coronam suam confractu­ rum, quam monachos sancti Galli absque solatiis, quibus regulam exequi possint, dimissurum. In crastinum, Ottone magno per noctem s olito aliquo dolore tacto, cum in publicum procedere non posset, Henricus et Kebo domos ire dimittuntur, Wormati� in octava31 pentecostes iussi adess e . Ekkehardus v e r o interea , ut s olebat , aul� immoratus et rem s ancti Galli, quaqua poterat, agens , 32non modice consolatus est32 , Hadawiga quidem regibus, patruo et patrueli, literas pro regiminis r e b u s aliis dirigente , s e d et p r o nobis , quod r e s tant� se nescia agerentur , velud irascente et, ne tandem quid de nobis severius decerneretur, rogante . lu­ betur ipse literarum portitor Huozo presbyter , magni quidem apud d ominam vir momenti, diem exspectare et pro ips a decretis interesse. C onveniunt die dato Wormatiam non solum Henrich et Gebo, sed et c�teri legatorum aliqui. Magis autem pro nobis sollicitus erat ipsius episcopus loci . Cum autem colloquio inito varie hinc inde res traherentur, malivolis nobis aliquem abbatem regula­ rem praeponi suadentibus , regulariores abbatem et monachos hodie in r egno non esse, si reliqua facultas sit, Huozo respondit . Cui cum legati c�teri consentirent, Henricus surge n s: "Nostris" ,

29 Ruodmanns Einbruch miteingerechnet. 30 - 30 S prichwörtlich; vgl. Walther, Lat. Sprichwörter 1 , 327.

Ekkehards und Hadwigs Protest. Neue Verhandlungen

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ohne jede Regel leben müssen. Was aber den Z usatz betrifft, den deine Hoheit, mein .Glorreicher, gemacht hat, es sei uns jemand mit größerer E rfahrung in der Regel zum Beistand zu geben, so bitten wir darum: nachdem wir jetzt dank eurer Gesandten, der regelkundigsten Ä bte , sozusagen Geweihte sind, möchten wir, o Vater und Sohn, nach eurem G eheiß wieder von einem unter ihnen visitiert und inquiriert werden, ob wir in irgendeinem Punkt von ihren Verordnungen abgewichen sind; ist es doch, wenn ich die Behaupt ung wagen darf, ein schwerwiegender Fall, eure armen Schlucker innerhalb so kurzer Zeitspanne schon zum drittenmaF9 anzugreifen und sie von dem, was ihnen von so vielen erha­ benen Männern auferlegt worden ist, durch irgendeinen Neuling abbrin­ gen zu lassen." Und Heinrich sagte : "30Du hast unserer Mission unstrei­ tig den Nagel eingefügt30." Und da er so die Rede schloß, pflichteten ihm die meisten bei. 118. Und der V (lter verschob die Angelegenheit auf den nächsten Tag, wobei er gleichsam aus innerstem Herzen heraus unter anderem dies be­ teuerte: daß er eher seine Krone zerbrechen wolle, als die Mönche des heiligen Gallus ohne die Mittel zu entlassen, womit sie die Regel erfüllen könnten. Nun wurde Otto der Große die Nacht hindurch von einem bestimmten chronischen Schmerz geplagt, weshalb er sich am Morgen nicht öffentlich zeigen konnte ; so wurden Heinrich und Kebo nach Hause e ntlassen mit der Order, am Sonntag nach Pfingsten3 1 in Worms zu erscheinen. Ekkehard aber blieb wie gewohnt am Hof und förderte die S ache des heiligen Gallus nach Kräften. Hierbei 32wurde er nicht wenig ermutigt32 , indem Hadwig an die Könige, ihren Oheim und ihren Vetter, ein Schreiben richtete, das zwar andere Regierungsgeschäfte betraf, darin sie aber auch unsertwegen gleichsam im Zorn entbrannte, weil so gewichtige Dinge ohne ihr Wissen verhandelt würden , und verlangte , daß man schließlich über uns nicht zu hart entscheide . Der den Brief brachte , der Priester Huozo, ein Mann von bedeutendem Einfluß bei sei­ ner Herrin, wurde geheißen, den festgesetzten Tag abzuwarten und an ihrer Stelle an den Beschlüssen teilzunehmen. Z u dem . bestimmten Termin fanden sich in Worms nicht allein Hein­ rich und Kebo, sondern auch einige andere von den Gesandten zusam­ men. In besonderem Maße aber setzte sich für uns der Bischof jenes Ortes ein. Da nun die Verhandlungen begannen, wurden die Dinge ver­ schiedentlich hin und her gezerrt, und während die Mißgünstigen emp­ fahlen, irgendeinen der Regel getreuen Abt über uns zu setzen , entgeg­ nete Huozo, getreueren Abt und getreuere Mönche gebe es heute im Reiche nicht, wofern ihnen nur die Möglichkeit gelassen wäre. Ihm stimmten die übrigen Gesandten bei, worauf Heinrich sich erhob und 3 1 10. Juni (966). 3 2 - 32 V gl. Act. 20, 12.

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Casus s. Galli 1 1 8/119

inquit, "domini reges, qui legatione vestra, qua maxime potui­ mus, fide functi sumu s , credere habetis responsis . Quoniam qui­ dem alii, qui hic sua, prout libet , interserunt, quid nos apud sanc­ tum Gallum invenerimus quidque reliquerimus , nesciunt. Qu� autem nos vobis nuper, quam verissime noveramus , narravimus, iterum, si vultis , ut et ipsi audiant, repetimus. Viros nos virtu­ tum magnarum patrum viam sanctissimam gradientes ibi inveni­ mus , a qua eos in regul� viam, quoniam quidem eadem pene erat, convertimus . In ea quidem nullius doctrin� nunc egentes degunt; sed sumptu s , quibus eam perficiant , infe cund� illius terr� penu­ ria desunt. Quapropter neminis alio praeter sumptuum, qui de­ sunt, egent solatio. Abbatern autem eis imponi, cum optimum ha­ beant, vanissimum duco. E nimvero abbatem et monachos nemo nostrum aliter credit quam Dei esse servos . Atque ideo vos , do­ mini, et nos rei quidem erimus, si non eos aut illam viam tenere sinamus aut hanc idone� exequi sinamus . Illorum igitur ex p arte cum nullus nodus relictus sit, si aliquis iam fuerit, nostr� partis erit." 1 19 . Tandem post multa consiliorum colloquia, Adalheida

�tiam per Ekkehardum adesse rogata, dantur Keboni abbati et sibi de scriniis regum sexaginta argenti librarum rata pondera abbati nostro et fratribus solatio in sancti Iohannis die33 ferenda; iusso �tiam Kebone in loco ipso usque dormicionem Mari�34 ho­ spitari atque Benedicti viam discretion e , qua nosset, coram G alli pullis ingredi moreque suo eos docere vivere . Venit ille tandem carus ad carissimos ; et quicquid instituit, omnes unanimes ad exequendum invenit, abbate ei cum E kke­ hardo seniore decano quidem ad omnia et de oblatis et de loci im­ pensis copias suggerentibus, Ekkehardo �tiam iuniore35, quem multum ille prae oculis habuit, favente et cum eo, donec recessit, nocte dieque versante. Opere autem precium erat, si vacaret, multa, qu� eum iocunde fecisse et e le ganter audivimus locutumque esse, sermoni insere­ re. Ut in die sanct� Mari� , post quem iam dolore omnium disces­ surus erat, cruces foras sequendo cum antiphon� nocturnales

Rede H einrichs von Trier - Kebos Misson

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sprach: "Unserem Bescheid, ihr Herren Könige, könnt ihr Vertrauen schenken, haben wir doch euern Auftrag nach bestem G ewissen ausge­ führt. Denn die anderen, die hier ihre Ansichten je nach Belieben dazwi­ schenstreuen, wissen eben nicht, was wir beim heiligen Gallus vorgefun­ den und was wir dort zurückgelassen haben. Was wir euch aber jüngst nach bestem Wissen berichtet haben, wiederholen wir, wenn ihr wollt, noch einmal, damit auch sie es vernehmen. Wir trafen dort Männer von hohen Tugenden auf dem heiligsten Wege der Väter, von dem wir sie zum Weg der Regel hinüberlenkten, nachdem er ja doch beinahe dersel­ be war. Genau auf ihm wandeln sie jetzt, und sie haben keinerlei Beleh­ rung mehr nötig; jedoch die Mittel, mit denen sie ihn vollenden können, mangeln bei der Not jenes unfruchtbaren Landes. Deswegen brauchen sie von niemandem eine andere Unterstützung als die mangelnden Mit­ tel. Ihnen aber einen Abt aufzuhalsen, halte ich für völlig müßig, wo sie doch den besten besitzen. Tatsächlich glaubt keiner von uns etwas ande­ res, als daß Abt und Mönche Knechte Gottes seien. Und so werdet ihr denn, ihr Herren, und werden wir jedenfalls verantwortlich sein, wenn wir sie nicht entweder jenen Weg nehmen lassen oder diesen in gehöri­ ger Weise verfolgen lassen. Da nun ihrerseits keine Schwierigkeit mehr besteht, wird sie, falls es wirklich noch eine gibt, nur an uns liegen." 119. Endlich nach vielen beratenden Gesprächen, wobei auf Wunsch Ekkehards auch Adelheid erschien, übergab man Abt Kebo und ihm aus den Schatztruhen der Könige volle sechzig Pfund Silber, die sie unserem Abt und den Brüdern zur Unterstützung am Tage des heiligen Johannes33 darbringen sollten. Auch erhielt Kebo den Befehl, ebenda in St. Gallen bis Mariä Heimgang34 zu Gast zu bleiben und mit all seiner Weisheit den Weg Benedikts vor den Küken des Gallus zu beschreiten und sie zu lehren, nach seiner Weise zu leben. So kam er dann, der Liebwerte zu den Liebwertesten; und was immer er anordnete, er fand sie alle einig, es zu befolgen, indes der Abt und Ekkehard der Ä ltere, der Dekan, ihm die Mittel teils aus dem darge­ brachten Silber, teils auf Kosten des Klosters an die Hand gaben; auch der jüngere Ekkehard35, den er sich gar sehr zum Vorbild nahm, war ihm gewogen, und Kebo verkehrte in seiner Gesellschaft Tag und Nacht, bis er wieder abreiste . Es lohnte aber der Mühe, wenn dazu die Muße bliebe, dem Bericht all das einzufügen, was Kebo dem Vernehmen nach auf köstliche Weise ge­ tan und in feiner Art gesprochen hat. Zum Beispiel: als man am Tage der heiligen Maria, nach welchem er zum Kummer aller bereits fortziehen wollte , hinter den Kreuzen hinausging und auf dem Wege die Antipho33 24. Juni. 34 1 5. August. 35 Ekkehard II.

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Casus s . Galli 1 19/120

cum capitibus psalmorum in via canerentur: "Nonne regul� nostr� , sed et canonum est" , ait , "semel hodie mattutinos agere? Enimvero si istos Kebo futuros scisset, non strato surrexisset. Quam autem omnes mentiti sunt, qui in hoc loco regulam non es­ se dixerunt, cum in tanto vacationis die non simplex, sed duplex s olita sit persolv i !" Cum autem abbas claudus quidem esset, sed et decanus pede nutasset36: "Melius37 " , ait, "37claudicare reges quam regna37 " . Et: "0 utinam tales egomet claudos Lorisharn ha­ bere m ! E nimvero prae regibus " , inquit, "diligerem." Et cum statuta38 Hartmuoti in victualibus ei optima visa sint, caritate s i n ieiuniis prae c�teris extulit e t amore nostro easdem suis pro­ visurum promisit.

120. Rediit tandem lacrimis prosecutus ad rege s ; et inter opti­ ma, qu� eis de edoctis a se regularibus hilariter dixit , nisi illis lo­ cum aliquem vinarium et alias frugiferum de suo dederint, defi­ cientibus datis illis solatiis, qu� inc�perant, perficere non posse asseruit. Dein regibus cum principibus crebro quidem collatis , cum ope­ ras trivissent consiliis, post aliquod• dies Henrico episcopo mo­ nente Sahspach, Hadewig� beneficii villam, si ab ea rogatu re­ gum avelli possit, sancto Gallo tradere conspirant. Quod illa, cum multociens turn per reges turn per ipsos nuncios peteretur , sicut 39varium et mutabile semper est femina39, nunc concedere se spem dedit, nunc facturam sancte abiuravit. Postremo quidem abbate nostro in ipso monasterio et fratribus illi supplicantibus , facturam tandem pollicetur , si ei missa cottidiana in loco pro vi­ va et d efuncta in perpetuum promittatur agenda, sed et Ekke­ hardo eius loci , usque dum vivat , committatur cura . De quo cum aliquos ex fratribus nostris invidos homini hesitare audisset, irata exiliit reque infecta conventum diremit . S eque post hanc horam nunquam cuiquam pro hac re aurem iuravit adhibere . S icque quorundam invida incautela Gallus villam illam, cum iam in ma­ nibus habere posset, amisit , Ekkehardo tandem carissime iuran­ te nunquam se causa sui in hac re illi verbum feciss e .

• s t . aliquot.

Kebos Bonmots - Von Hadwigs Wankelmut

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nen der Nokturn mit den Anfangsversen der Psalmen sang, da sagte er: "Ist es denn nicht unserer Regel, aber auch den kanonischen Satzungen gemäß, heute nur einmal die Matutin zu feiern? Meiner Treu, hätte Kebo geahnt, diese da würde erst stattfinden, er hätte sich nicht vom Lager erhoben. Wie sehr aber haben alle gelogen, die behauptet haben, in diesem Kloster existiere keine Regel, wo man sie doch an einem sol­ chen Tage der Vakanz offenbar nicht einfach, sondern doppelt erfüllt! " Da n u n aber der Abt gelähmt war u n d auch d e r Dekan a u f einem Bein hinkte36 , sagte er: "37Besser, die Könige hinken als die Königreiche37." Und : "Wollte Gott, ich hätte selbst solche Hinkende in Lorsch! Wahrlich, ich würde sie höher denn Könige achten." Und während ihm Hartmuts Verordnungen38 bezüglich der Verpflegung vortrefflich schienen, hob er speziell die Liebesmähler in der Fastenzeit hervor und versprach aus Liebe zu uns, sie aus seinen Mitteln zu versehen. 120. Er ging endlich, von Tränen begleitet, zu den Königen zurück; und unter dem Rühmlichen, das er ihnen über die von ihm gründlich be­ lehrten Regularen froh erzählte, betonte er, wenn sie ihnen nicht irgend­ einen wein- und sonst noch fruchttragenden Ort aus ihrem Eigen verlie­ hen, vermöchten sie das Begonnene nicht zu vollführen,. nachdem die ihnen gespendeten Mittel zu Ende gingen. Darauf hatten sich die Könige und Fürsten wiederholt beraten und viele Mühe aufgewandt, bis sie sich nach etlichen Tagen auf Bischof H einrichs Ermahnung hin einig wurden, dem heiligen Gallus den Hof S aspach aus dem Lehen der Hadwig zu übereignen, sofern er ihr auf Ersuchen der Könige entrissen werden könne. Als sie nun vielfach bald durch die Könige, bald durch eigene Boten angegangen wurde, stellte sie - 39wie das Weib stets ein wankelmütig-wandelbares Wesen ist39 heute ihre Einwilligung in Aussicht, um morgen feierlich zu schwören , e s nicht zu tun. Zuletzt freilich, als unser A b t u n d die Brüder i m Kloster selbst zu ihr flehten, versprach sie, es endlich zu tun, wofern man ihr in St. Gallen auf ewig verspräche , täglich für sie zu ihren Lebzeiten und nach ihrem Tode eine Messe zu halten; ferner aber sollte Ekkehard die Obhut über jenen Ort, solange er lebe, anvertraut werden. Wie sie nun vernahm, daß einige unserer Brüder aus N eid auf den Mann hiervor zau­ derten, sprang sie erzürnt auf und brach die Sitzung unverrichteter Dinge ab. Und sie schwor, von Stund an in dieser Angelegenheit niemandem mehr ihr Ohr zu leihen. Und so ging infolge Mißgunst und Unbedacht einiger Leute Gallus jenes Hofes verlustig, als er ihn schon in Händen halten konnte, indes Ekkehard schließlich hoch und heilig versicherte, um seinetwillen habe er in dieser Sache nie ein Wort zu ihr gesprochen. 36 Vgl. Kap. 97 und 8 1 . 37 - 37 Vg l . J ustin. 6, 2. 38 Vgl. Ratpert, Kap. 27. 39 - 39 Vgl. Verg. Aen. 4, 569 f.

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Casus s. Galli 120 - 1 22

Fratres autem, quamvis hac spe frustrati, instituta tarnen Kebonis sollicite tenebant. Sicque communiter vivebant donariis regum, simbolis quoque, qu� diximus, legatorum, quamvis anni penuri� fuerint, ut neminis invidorum in se hora• patefacerent.

121. Chuonradus autem episcopus crebro eos visitans ,

ut

diximus40 , annis aliquodb iam elapsis cum diuturna eos penuria vidisset afflictos , senibus et invalidis pietate sibi solita consuluit et caminatas claustri abbatem aperire rogavit ; Constantiaque et Arbona, in quantum copia erat , solatia privata talibus transmi­ sit . V alidiores vero h�c considerantes amicis suis foris locum , qui sibi ab eis solatia petant, permisso abbatis mittunt. Allata autem mens� conmuni imponunt. Factum est autem, ut quidam pauperum parum quid , quod ab amicis datum est, solus comederet. Intrantesque cum eum ob hoc increparent, ille quidem avide comedens: "Si calce u s " , inquit,

"dividitur, nemo calciatur ." Quod cum risum astantibus move­ ret, decanus tarnen , ut audivit, ingemuit; nihilque fame impro­ bius et sacrius esse respondit. Cumque palam factum sit multis elogium hoc monachi esurientis, Ruodmannus id in pharetra sua reposuit et, ut occasione data eo in fratres uteretur iaculo, ut postea fecit, reservavit .

1 22. Purchardus igitur abbas senio iam gravescens corilum illam antiquam, sub qua Gallus quondam vepribus corruens41 : H� c re quie s mea cecinit, consulto episcopo succidit , capellaque

�dificata aram in loco arboris statuit . Fenestellam quoque ad me­ ridiem ei humilem imposuit . Ad quam septo deforis aptato semet includere et finem vit� abbatia relicta devovit exspectare . Parata capella et in honore sanct� crucis, sed et sancti Galli per Chuon­ radum nostrum dedicata, vir ille sanctus septo iam illi tabulata per artifices praeparans , Notkerum pro se, Ekkehardo favente, Notkeri medici ex sorore nepotem, eligi rogavit et regibus eum pro s e inthronizandum direxit . Ipse autem - episcopo Chuon­ rado, ne tant� teneritudinis senex includeretur , obstant.e regum iussu loca abbatibus a Karolo decreta42 , multa reluctatus, • s t . ora. b

st. aliquot.

H unger im Kloster

-

Bau der G alluskapelle

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Die Brüder aber, wiewohl in dieser ihrer Hoffnung betrogen, hielten dennoch an Kebos Verfügungen sorgsam fest. Und so lebten sie gemein­ schaftlich nur von den Gaben der Könige , von den Spenden auch der genannten Gesandten, obgleich es Jahre des Mangels waren, auf daß sie keines Neiders Mund gegen sich aufbrächten. 1 2 1 . Bischof Konrad aber besuchte sie häufig wie erwähnt40, und als schon einige Jahre vergangen waren und er sie durch dauernde Not be­ drückt sah, war er mit der ihm eigenen Güte für die Alten und Schwa­ chen besorgt und bat den Abt, die Kemenaten der Klausur zu öffnen; und von Konstanz und Arbon ließ er für sie eigene Hilfssendungen schicken , soweit es in seinen Kräften stand. Die Kräftigeren aber beher­ zigten dies und schickten mit Erlaubnis des Abtes Leute zu ihren Freun­ den außerhalb St. Gallens, um sich von ihnen Hilfsspenden zu erbitten. Was aber herangeschafft wurde, legten sie auf die gemeinsame Tafel. Es geschah aber, daß einer der Armen irgendeine von Freunden spen­ dierte Kleinigkeit ganz alleine verzehrte. Und als ihn die Eintretenden darob schalten, sagte er, während er gierig fertig aß: "Teilt man den Schuh, wird niemand beschuht." Wenn dies auch unter den Umstehenden Gelächter hervorrief, hörte es doch der Dekan mit Seufzen und entgegnete, nichts sei verruchter und fluchwürdiger als die Unersättlichkeit. Und nach­ dem dieser Spruch des hungernden Mönches vielen bekannt wurde, ver­ sorgte und verwahrte ihn Ruodmann in seinem Köcher, um ihn zu gegebe­ ner Zeit als Pfeil gegen die Brüder zu verwenden, so wie er hernach getan. 122. Abt Purchard nun begann zufolge des Alters schon Beschwerden zu spüren, und nachdem er den Bischof zu Rate gezogen, ließ er jenen al­ ten Haselstrauch, darunter einst Gallus im Dornenge sträuch niederstür­ zend weissagte41 : "Dies ist der Ort meiner Ruhe", umhauen und nach Bau einer Kapelle den Altar an der Stelle des Baumes errichten. Auch s e tzte er ihr ein niedriges Fensterehen gegen S üden ein. Daran fügte man von außen einen Verschlag, wo er sich selbst einzuschließen und nach Verlassen der Abtei sein Lebensende zu erwarten gelobte. Die Ka­ pelle wurde fertiggestellt und zu Ehren des heiligen Kreuze s , aber auch des heiligen Gallus durch unseren Konrad geweiht, und bereits ließ der heilige Mann für jenes Gelaß von den Handwerkern das Gebälk zurü­ sten, da bat er unter Zustimmung Ekkehards , daß an seiner S tatt Not­ ker, der Neffe Notkers des Arztes von Schwesterseite her, gewählt wer­ d e , und schickte ihn zu den Königen, damit er sich an seiner Stelle zum Abt einsetzen lasse. Da aber Konrad sich sträubte, einen so zarten Greis einzuschließen, blieb Purchard auf Befehl der Könige trotz vielem Wi­ derstreben im Besitz der Orte, die Karl den Ä bten zugewiesen hatte42, 4° Kap. 113. 41 Ps. 131, 14; vgl. Wetti, Vita s. Galli, Kap. 11. 42 Vgl. Kap. 9.

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Casus s . Galli 122/123

Ekkehardo se procurante retinuit et caminatam antecessorum abbaturn quietis gratia tandem invitus introiit. Nisi enim quod penuriam timuerat, nil per se habere volebat. Supervixit43 au­ tem suffecto tandem suo, et Ymmonem quoque fore edixit abba­ tem. Episcopus autem, semper intimus eius, defungi eum paran­ tem oleo sancto adveniens unxit. Defunctum vero multorum la­ crimis prosecutum , maxime pauperum, ante hostium capell� . quam ipse H�c re quie s m e a vocabat , solemniter sepelivit, Ekke­ hardo decano, qui, ut diximus, cor suum erat, ante annum qui­ dem modo, quo iam dixisse44 meminimu s, assumpto. 123. De Notkero vero doctore pictore et medico, cum mate­

riam grandis voluminis habeamus, succincte quidem ad alia festi­ nando dicemus . Picturas quidem post arsuram plures Gallo fece­ rat, ut videre est in ianuis et laqueari �cclesi� et libris quibus­ dam. Sed h�c quid sunt ad mille alia, qu� dictans et medens insig­ niverat? Fecit enim Otmaro decoras illas antiphona s . Et ymnum "Rector aeterni metuende secli". Et quedam susceptacula re­ gum . Et ymnum "De una virgine non martyr e ", id est "Ymnum beat� virgini" . In quo cum de quodam uno verbo, quod metro congrueret, diutius hesitaret, Ekkehardo decano, ut id de suo ad­ deret, inclinatus, ille autem continuo: "450vis45" , inquien s , "45ad capram lanam petitum venit45" , sed ut "labilem46" , poneret, emonet. H�c pro exemplo humilitatis et caritatis patrum praeterire non potui. Medendo autem mira et stupenda frequenter fecerat opera47, quoniam et in afforismis medicinalibus, speciebus quoque et antidotis et prognosticis Ypocraticis singulariter erat instruc­ tus . Ut in urina Henrici ducis48, versute se decipere temptantis, apparuit. Qui cum ei urinam muliercul� cuiusdam cameralis pro sua inspiciendam mitteret: "Miraculum " , ait , "nunc et porten-

43 Ungenau: beide starben 975, Purchard am 9. A ugust, Notker am 1 5. Dezember .

44 Kap. 80. 45 - 45 Vgl. Egbert von Lüttich, Fecunda ratis 1 , 387. 46 Wirklich findet sich das Wort in der dritten Strophe (J. Duft, Notker der Arzt, S . 44a).

Purchards Rücktritt und Ende - Notker Medicus

239

wobei Ekkehard ihn umhegte; und endlich bezog er, wenn auch ungern, um der Ruhe willen die Kemenate der Vorgänger-Ä bte . Wofern er näm­ lich nicht direkt Mangel fürchten mußte , wünschte er nichts für sich zu besitzen. Er überlebte43 aber zuletzt noch seinen Nachfolger und ent­ schied auch, daß Ymmo Abt sein solle . Der Bischof aber, der allzeit sein innigster Freund war, kam zu ihm, als er sich zum Sterben rüstete , und salbte ihn mit dem heiligen Ö l. Den Toten jedoch, den die Tränen vieler und namentlich der Armen begleiteten, bestattete er feierlich vor dem Eingang der Kapelle , die Purchard "Dies meine Ruhestätte" zu nennen pflegte . Derweil war Ekkehard der Dekan, der wie gesagt seine Seele war, ein Jahr zuvor heimgegangen, so wie ich mich erinnere schon er­ zählt zu haben44• 123. Ü ber Notker aber, den Gelehrten , Maler und Arzt, hätten wir zwar Stoff für einen stattlichen Band; da wir aber zu anderem eilen, wer­ den wir uns kurz fassen. Er schuf nach der Brandkatastrophe wohl eine Reihe von Malereien für den heiligen Gallus , wie man an Toren und Holzdecke der Kirche und in etlichen Büchern sehen kann. Jedoch, was sind diese Werte gegenüber den tausend anderen, die er im Dichten und Heilen aufleuchten ließ? Er schrieb zum Beispiel für Otmar jene schönen Antiphonen. Und den Hymnus >Rector aeterni metuende secli< . Ferner einige Empfangsgedichte für Könige . Und einen Ifymnus für das Com­ mune >De una virgine non martyre< , nämlich > Ymnum beatae virgini< . Bei diesem Stück aber brachte ihn ein bestimmtes Wort, das zum Vers­ maß stimmen sollte, längere Zeit in Verlegenheit, und als er sich an Ek­ kehard den Dekan mit der Bitte wandte , dies Wort aus seinem Kunst­ vermögen beizufügen, sagte der kurzerhand: "45Das Schaf kommt zur Z iege, um Wolle zu erbitten45" , wies ihn dann aber an, das Wort "labilem46 " einzusetzen. Diese Geschichte , die ein Beispiel gibt für die Demut und Liebe unter den Vätern, konnte ich nicht übergehen. In der Heilkunde aber voll­ brachte Notker wunderbare und staunenswerte Leistungen47, war er doch sowohl in den medizinischen Lehrsätzen als auch in den Arzneien und Gegengiften sowie in den Hippokratischen Diagnosen ganz unge­ wöhnlich beschlagen. Das zeigte sich beispielsweise bei der Harnschau des Herzogs Heinrich48, welcher ihn listig zu düpieren versuchte. Denn als er ihm den Urin einer Kammerjungfer statt des seinigen zum Unter­ s uchen schicken ließ, sagte Notker: "Ein Wunder und Zeichen will Gott offenbar tun, hat man doch nie gehört, daß ein Mann mit dem Schoße

47 Die folgenden Termini beziehen sich auf bestimmte Titel der medizinischen Fachliteratur; vgl. J. Duft, Notker der Arzt, S . 45 f.

48 Wohl identisch mit dem Vater der Hadwig, Heinrich von Bayern (vgl. Kap. 90).

Casus s. Galli 123/124

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turn Deus facturus est, quod nunquam est auditum , ut vir utero pareret. Nam dux iste circa trigesimum ab hodie diem filium ex utero suo editum ad ubera suspendet." Erubuit tandem depre­ hensus ille viroque Dei, ne . se medicare renueret - nam ad hoc adductus erat - munera misit. Feminamque illam virginem pu­ tatam medicus Sanctigallensis supplicem sibi reduxit in gratiam. Nam ut prognosticus ille praedixerat, ipsa parturn dederat. Sed et episcopo nostro Kaminoldo cum fluorem narium diuturnum adductus citissime sedaret, odorato cruore variolam morbum die ei tercia praedixit futurum. Sed pustulas ille die dicta sibi erum­ pentes cum eum restringere peteret: "Enimvero", ait, "facere potero; sed nolo, quia necis tu� reus karrinas tot ferre non pote­ ro, quia , si restrinxero, morti te trado." Pustulasque tandem eruptas ita in brevi sanaverat, ut nec saltim de una fuerit signa­ bilis. H�c pauca de plurimis, qu� scriptor pictor medicus egit, quoniam iterum nobis narrandus occurret49 , hic libasse sufficiat.

124. De Keraldo autem , non minoris materi� viro, quoniam plu­ ra non vacat, item quedam, ut, in quantis columnis locus Galli crebro steterit, pateat, interseram. Erat a subdiaconatus sui principio scalarum semper ille magister. Presbyter vero factus, praedicator altis sime apertu s , etiam episcopis aliquando prae­ sentibus

et iubendo cedentibus

populo declamator et, ut

apostolus50 tales vocat, propheta erat mellitissimus . Unde, ut an­ tiquitus loci nostri mos statutus erat, publicus populo nostro etiam presbyter positus est, ut in aecclesia sancti Otmari omni­ bus , qui inter Colda ham et Sinttriaunum fluvios degunt, sinodica queque praeter disiunctiones coniugum pro episcopo faceret. Cuius rei privilegia cum a Iohanne papa cum Salomone episcopo nec non Karolo astipulante habeamus51 , invidi monachis nunc temporis episcopi vix nobis et nostris halitum relinquentes , ut Salustii verbis utar, nil no bis

reliqui• facere52

moliuntur. Mini­

strosque odii et invidi� iniusteque potenti� Holophernicos53 as c iscunt sibi archipresbyteros , qui animas hominum carissime

• relinqui Hss. 49 Vgl. Kap. 125 und 1 27, 50 Vgl. 1. Kor. 14.

Notker Medicus - Magister Gerald

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gebar; Denn der Herzog hier wird um den dreißigsten Tag von heute an einen Sohn aus seinem Schoße hervorbringen und an die Brüste legen." Da schämte sieh jener, am Ende in die Enge getrieben, und schickte dem Gottesmann G eschenke , damit er sieh nicht weigere , ihn ärztlich zu be­ handeln; denn hiezu hatte man ihn hergeholt. Jene Frau aber, die für eine Jungfrau gegolten hatte, brachte der St. Galler Arzt auf ihre flehent­ liche Bitte hin beim Herzog wieder ,zu Gnaden. Denn wirklieh brachte sie, wie jener Prognostiker angekündigt, ein K�nd zur Welt. Aber auch unserem Bisehof Kaminold, zu dem man ihn holte und dessen anhalten­ den Nasenfluß e r rasehertstens stillte, sagte er aus dem Geruch des Blu­ tes voraus; er werde atn dritten Tage die Blatternkrankheit haben. Als aber zum genannten Zeitpunkt die Pusteln bei ihm auszubrechen began­ nen und er ihn bat, sie zurückzuhalten , sagte er: "Gewiß könnte ich es tun ; aber ich will nicht, .weil ich so viele Bußtage für den Mord an dir nicht zu ertragen vermöchte: denn halte ic. h sie zurück, liefere ich · dich dem Tode aus ." Schließlieh aber heilte er die ausgebrochenen Pusteln binnen kurzeni so gut, daß der Bisehof auch nicht von einer einzigen ge­ zeichnet blieb. Dies .wenige von dem vielen, was Notker· als . Schreiber und Maler und, Arzt getan, möge hier genügen, da er uns ja in der Erzäh­ lung wiederbegegnen wird49• 124. Ü ber Gerald aber, einen Mann von nicht geringerem Format, will ich, da zu mehr n:icht die Zeit ist, desgleichen einiges einfügen, damit daraus erhelle, auf was für starken Säulen das Galluskloster fortwäh­ rend ruhte. Von Beginn seines Subdiakonates an war Gerald allezeit Lehrer an der Schule . NacM.em er aber Priester geworden,. trat er als Prediger von höchster Klarheit auf zuweilen sogar in Gegenwart von Bischöfen, die ihn reden hießen und vor ihm Platz machten - , als Rede­ künstler vor dem Volk und; wie der Apost el· solche nennt50 , · als honig­ süßer Prophet. Daher wurde er auch; wie es seit jeher bei uns festgegrün­ dete Gewohnheit war, für unser Volk • zum öffentlichen Priester .einge­ setzt, mit der Aufgabe , in der Kirehe des heiligen Otmar für alle Einwoh­ ner zwischen den Flüss en Goldach und Sitter jegliches Synodalgeschäft mit Ausnahme der Eheauflösung an Bischofs Statt zu erledigen. Dafür besitzen wir wohl Privilegien von Papst Johannes und Bisehof Salomo, wobei auch Karl seine Zustimmung gab51 ; doch die Bischöfe unserer Tage, neidisch auf die Mönche , Jassen uns und den unsrigen kaum den Atem und sind darauf aus, um mich der Worte S all usts zu bedienen , "uns überhaupt nichts übrigzulassen52". Und als holofe rnisehe Diener53 d es Hasses und Neides und tyranniseher Gewalt gesellen sie sich Erz-'-

51 Ein derartiges (auf Johann VIII., Salomo II. und Kar! 111. weisendes) Doku­ ment ist nicht erhalten.

52 Vgl. Sall. Cat. 11 , 7.

53 Vgl. Judith

12.

242

Casus s . Galli 1 24/125

appretiatas vendant , feminas nudatas aquis inmergi impudicis oculis curiosi perspiciant aut grandi se precio redimere cogant. Hos tales quomodo faucibus strangulati vix evaserimus, Pur­ chardum secundum dicturi, plenius scribere habebimus54 • 125. At Kerholdus , ut ad capacissimum sancti spiritus dolium

revertamur , in his et aliis mille virtutibus animo et corpore diu attritus longoque senio fes s u s , sed non defessus, cum iam piebis sibi commiss� fides in eum esset certissima , si quem corpore do­ lentem benedicens tangeret, allevigaret, confessione eis quadam die data et remissione petita, mox s e in leeturn colligere velle et in Christo emori flens pronunciabat , et missionem ab ipsis sollici­ te postulans, in die Domini semet utrimque videndos spem se certarn habere spondebat. Exutus vero alba et revestitus clamo­ reque famili� usque cancellos Galli prosecutus , domum infirmo­ rum per se, nemine fultus multisque, quid facere vellet, miranti­ bus introiit. Ibi ergo parumper residens, substerni sibi f�nu m terra n u d a rogabat superque cylicium. In q u o se quasi 55nihil ma­ li passus55 reponens, fratres omnes vocari rogabat . Quos cum adesse videret, salutatis omnibus surrexit , et stans et erumpens in lacrimas: "Video", ait, "domini et fratres mei, vocationem me­ am, quam semper reus ego timebam, adesse . Ideoque , quia pium Deum nostrum confidens spero, confessione coram vobis data se­ curus abibo." Tandemque assensu omnium confessus indulgen­ tiam rec�pit. Osculatisque per singula omnibus , a patribus , ubi doleret, requisitu s , respondit: "In pectore et praecordiis . " Et: "Utinam " , inquit , "Notkerus meus adesset ! " - erat enim ille tune pro remediis in aula regia - et residens requiescere s e vel­ le ait . At fratrum singuli quietem illi aeternam precant e s, prae­ ter custodes illi datos et quos ille rogabat psalmicanos, domo cesserant . Ipse autem quasi nihil adhuc quidem passus: "Sancte Iohannes evangelista", ait, "dilecte Domini, recipe m e ! " Et capi­ cium capiti inponens brachialeque rocci subter caput revolven s ,

Nichtswürdige Erzpriester - Vom Sterben Geraids

243

priester bei, welche Menschenseelen zu Höchstpreisen verkaufen und neugierig mit schamlosen Augen beobachten, wie entkleidete Frauen ins Wasser getaucht werden, oder sie zwingen, sich um hohes Lösegeld freizukaufen. Wie wir, schon im Würgegriff dieser Kerle , ihnen gerade noch entronnen sind, das werden wir bei Erwähnung Purchards des Zweiten ausführlicher schildern müssen54• 125 Doch UIIl zu Gerald, dem elllp fanglichsten Gefäß des Heiligen Gei­ stes zurückzukehren, so hatte er sich in den genannten und in unzähligen weitere n Tugenden geistig und körperlich geraume Zeit hindurch aufge­ rieben und war durch langes Alter verbraucht, aber nicht aufgebraucht; und als das Volk, das ihm anvertraut war, bereits den festen Glauben auf ihn setzte, er könne einem körperlich Leidenden, wenn er ihn segnend berühre , Erleichterung verschaffen, legte er eines Tages sein Bekennt­ nis vor ihnen ab und bat um Vergebung und erklärte unter Tränen, er wolle sich alsobald auf sein Lager zurückziehen und in Christo dahin­ scheiden; und indem er drängte, von ihnen A b schied zu nehmen, beteu­ erte er, er habe die feste Gewißheit, daß sie am Tage des Herrn einander wiedersehen würden. Nachdem er aber die Albe ausgezogen und sich wieder bekleidet hatte , ging er unter dem Klagen des Gesindes bis zu Gallus' Altarschranken und betrat allein und von niemand gestützt das Haus der Kranken, indes viele sich wunderten, was er beabsichtige . Dort nun setzte er sich für ein Weilchen nieder und bat, ihm auf der blo­ ßen Erde Heu unterzulegen und darüber das härene Kleid zu breiten. Und während er sich darauf hinstreckte, 55als ob er an keinem Ü bel litte55, bat er, alle Brüder zu rufen. Und als er sah, daß sie zugegen wa­ ren, begrüßte er sie alle und erhob sich, und da er aufrecht stand und in Tränen ausbrach, sagte er: ,,Ich sehe, meine Herren und Brüder, meine Berufung, vor der ich Sünder mich immer fürchtete , ist nun da. Aber darum, weil ich zuversichtlich hoffe, daß unser Gott voller Güte ist, wer­ de ich nach meinem Bekenntnis vor euch unbesorgt scheiden." Und end­ lich, da alle zustimmten, legte er Beichte ab und erhielt Vergebung. Und nachdem er alle der Reihe nach geküßt hatte und die Väter ihn fragten, w o er Schmerzen .füh l e , antwortete er: "In Brust und Zwerchfell. i • Und sprach: "Ach, daß doch mein Notker d a wär e ! " - der war damals näm­ lich ·Arzneien wegen am Königshof - worauf er sich wieder niederließ und sagte , er wolle ruhen. Aber die Brüder wünschten ihm alle die ewige Ruhe und gingen hinaus, ausgenommen die Wächter, die man . ihm beige­ geben, und die Psahl}ensänger, um die er gebeten hatte . Selber aber sagte er, als müsse er immer noch nichts leiden: "H(liliger Joha � nes Evange� lista, Geliebter des Herrn, nimm mich zu dir!'' Und indem er d ie Kapuze über den Kopf zog und den Rockärmel unter den Kopf hin zurückrollte, • .

54 Dazu kam Ekkehard nicht mehr. 55 - 55 A ct. 28, 5.

244

C asus s. Galli 125/126

super illud nobile stratum se recollegit. Et paulisper, ut spera­ bant, dormiens, subito: "Mi domine, bene venias", ait. At illi dis­ loqui eum, ut egroti solent, putantes, unus tandem ex illis : "Vide­ amus, quid agat", ait; "enimvero, quisquis fuerit, aliquem salutavit." Accedentes vero quantocius ad illum, oculis transversis labiisque albidulis vident praemortuum. Signumque cursim pulsantes fratres advocant. Quibus quam concite circa se astantibus, per semet ipsum manus pedesque extendens, 56omnes apertis oculis arrisit56 tandemque quasi excusso risu chachinnulans exspiravit. Tali exitu homine virtutum finito, erant qui dicerent: "Iohan­ nes eum [vocavit]" , cuiu s , dum viveret, assertor erat assiduus in virginitate et in omni integritate ; atque ideo absque dolore sicut ille assumptus est, quia ipsi se obiens commisit et s e visitantem in obitu salutavit." S epultusque est non longe a Notkero Balbulo, magistro quondam suo sibique amicissimo.

126. De Waltone decano

nec non et Chuniberto A ltaha abbate

grandia siquidem, quamvis non his similia, si vacaret, dicere po­ teramus . Quorum prior , quod eius officii quidem erat, memorabi­ lem se posteris in secessus nostri structura difficillima fecerat.

Non solum autem in hoc, sed et in aliis multis magnitudinem suam ostendit operibu s . Nam Saracenos , quorum natura est in montibus multum valer e , cum e parte australi nos et nostros adeo infestarent suis temporibus , ut alpes nostras et montes op­ tinentes , etiam fratribus crucem circa urbem sequentibus tela proximo iacerent militumque abbatis manu, ubi laterent, investi­ gari non possent, ipse quadam nocte cum famili� audacioribus s i­ bi , ubi laterent, proditos invasit dormientesque nactos ; lanceis et falcibus, securibus quoque quibusdam trucidatis , quibusdam quoque captis , c�teros fuga lapsos insequi inane duxit, cum ca­ pris fugatiores montes percurrerint. Quos autem c�perat, vinc­ tos in monasterium ante se e gerat. Qui tarnen ipsi manducare nec bibere volentes omnes perierant. H�c de tragedia eius temporis et de Waltonis magnitudine tetigiss e s u fficiat. Nam si miseriam omnem, quam nostrates a Saracenis sunt passi, percurrerem, vo­ lumen efficerem.

• fehlt Hss.

G eraids Todesvision - Walto der Dekan

245

legte er sich auf jenem rühmlichen Lager wieder zurecht. Und als er, wie sie erwarteten, ein wenig schlief, sagte er plötzlich: "Mein Herr, wohl magst du kommen!" Aber sie glaubten, er rede wirr, wie Kranke tun, bis endlich einer von ihnen sagte : "Laßt uns sehen, wie es ihm geht. Denn gewiß hat er irgendwen gegrüßt, wer immer es gewesen ist." Wie sie aber eiligst zu ihm hinkamen, fanden sie ihn mit verdrehten Augen und bleichen Lippen im Sterben. Schnell s chlugen sie die Glocke und rie­ fen die Brüder herbei. Die versammelten sich um ihn so geschwind wie möglich, worauf er aus eigener Kraft Hände und Füße ausstreckte und 56allen mit offenen Augen zulächelte56 und endlich unter einem gleich­ sam abgenötigten Lachen leise kichernd verschied. Nachdem der vorzügliche Mann eines solchen Todes gestorben war, gab es welche, die sagten: "Johannes hat ihn [gerufen], war er doch zeit­ lebens sein unermüdlicher Bekenner in Keuschheit und aller Unschuld; und darum ward er sonder Schmerzen, wie jener, von uns genommen, weil er sich sterbend ihm anbefohlen und ihn, da er ihm im Tode er­ schien, gegrüßt hat." Und man begrub ihn nicht weit von Notker Balbu­ lus, seinem einstigen Lehrer und vertrautesten Freund. 126. Von Walto dem Dekan und desgleichen von Kunibert, dem Abt von Altaich, vermöchten wir nun ja Großartiges , wiewohl dem eben Ge­ schilderten nicht Vergleichbares, zu erzählen, wenn die Zeit dazu bliebe. Von den beiden machte sich der erstere , was freilich zu seinen Obliegen­ heiten gehörte , bei den Späteren durch die Konstruktion unseres Abor­ tes, die sehr schwierig war, der Erinnerung wert. Aber nicht nur hierin, sondern auch in vielen anderen Leistungen gab er seine Ü berlegenheit zu erkennen. Zum Beispiel im folgenden: Die Sarazenen, deren Wesen es entspricht, in den Bergen ihre Stärke auszuspielen, bedrängten zu sei­ nen Zeiten uns und die Unsrigen von Süden her so sehr, daß sie unsere A lpweiden und Berge besetzten und auf die Brüder während der Kreuz­ prozessionen um d ie Stadt sogar aus nächster Nähe ihre Geschosse schleuderten; und sie konnten von einer Schar Krieger des Abtes in ihren Verstecken nicht aufgestöbert werden; da überfiel sie Walto in eige­ ner Person eines Nachts mit den Kühneren aus dem Gesinde, nachdem man ihm den Schlupfwinkel der Sarazenen verraten hatte, und traf sie schlafend; mit Lanzeri und Sensen, mit Ä xten auch wurden etliche nieder­ gemetzelt, etliche auch gefangen; die übrigen entkamen durch die Flucht: sie zu verfolgen hielt Walto für unnütz, da sie behender als Gernsen über die Berge dahinliefen. Die er aber gefangengenommen, ließ er gefesselt vor sich her zum Kloster treiben. Da sie jedoch weder essen noch trin­ ken wollten, kamen sie alle um. Dieser Hinweis auf das Jammerspiel jener Zeit und auf die Größe des Walto möge genügen. Denn wollte ich alles Elend, das die Unsrigen von den Sarazenen erleiden mußten, der Reihe nach anführen, ich würde ein Buch zusammenbringen. 56 - 56 Vgl. Liber bened. I 44, 36.

246

Casus s . Galli 127

127. At Chunibertu s , si extrema illum infortunia sinerent, in­

ter omnes esset spectaculo dignus. Ipse enim vir ille erat, cui ge­ neris nobilitatem plurima , qu� in illum Deus congesserat, dona quam maxime nobilitabant, scriptor directissimus, d octor sum­ me planus , pictor ita decoru s , ut in laquearis exterioris sancti Galli aecclesi� circulo videre est. Hic ab Henrico duce57 Salzpur­ gis doctrinis studere ab Kraloo postulatu s, post annos aliquot ab­ batiam Altaha promeruit . Ubi cum quot annos praeesset, tedio, quod sancti Galli claustro tarn diu careret, corde tactu s , abba­ tiam reliquid claustrumque suum egre exspectatus revisit. Fit itaque in annum decanus noster58• Et quia quot annis more Ro­ mano officia apud nos mutari solent, propter tutelam cognato­ rum suorum, qui ibi abundabant, coactus in Priscouve constitui­ tur praepositus . Ubi cum multa erronea ad unguem corrigeret, monasterium aliquando cum reverti parasset, circa villam Wila­ ham cum Kerhardo, post abbate , ut psalterii, quod reliquum erat, iam pransus absolveret, praeivit. Ministri autem, morum eius non ignari, sibimet a longe in equis curracibus luserant, tandem­ que post illum accelerabant . Ambulator autem, cui ipse insede­ rat, alacritatem equorum post se s e ntiens, caput concutien s exultare cepit. Atque ille, c u m eum urgueret, ne curreret , exi­ liens gravem senio et corpore virum deiecerat . Erat autem in ore eius versus ille, ut aiebant: Venientes autem venie n t cum e xultatione59• Quod exultatione clamos e , timore casus p erculs u s ,

ultimum dixit. Corruens autem et q u a m cito resurge n s, Gerhar­ dus illum, cum iterum recideret, equo descendens retinuit et ca­ put eius residens in sinum suum reclinavit. Sicque , viris pro aqua currentibus, spiritum ex alto resumens obiit60 • Hic finis C u­ niberti , statura proceri et canitie venerandi et, ut plurimis v i­ sum est, hominis sanctissimi . Corpus v e ro e i u s aHaturn monaste­ rio, plurimis lacrimis sepultus est in cimiterio. Necesse est autem, ut ordine praepostera sint, qu� dicimus , quia qu� simul facta sunt, simul dici non possunt. Proptere a , u n d e digressi s u m u s , redeamus. 57 Wohl wieder Heinrich von Bayern (vgl. Kap. 123). 58 Als solcher 962/63 bezeugt.

Propst Kunibert

247

1 2 7 . Kunibert nun böte, wenn nur sein letztes Unglück ihn verschonte , unter allen einen sehr bedeutenden Anblick. Denn gerade er war der Mann, dessen Geburtsadel die reichlichen Gaben, die Gott auf ihn ge­ häuft, aufs höchste adelten: Schreiber mit der gestochensten Schrift, Lehrer von größter Anschaulichkeit, Maler von einer solchen Anmut, wie man sie im Rund der äußeren Holzdecke der St. Gallus-Kirche sehen kann. Ihn hatte Herzog Heinrich57 von Craloh zum Lehrdienst in Salz­ burg gefordert, worauf er naeh einigen Jahren die Abtei Altaich ge­ wann. Als er dort etliche Jahre regierte, grämte er sich in seinem Her­ zen, daß er dem Kloster des heiligen Gallus so lange fernbleiben mußte , ließ darum die Abtei dort im Stich und suchte sein Kloster wieder auf, wo man ihn mit Sehnsucht erwartete . Er wurde also für ein Jahr un­ ser Dekan58 • Und weil alljährlich nach römischer Sitte die Ä mter bei uns zu wechseln pflegen, ließ er sich im Breisgau zum Propst einsetzen, hier­ zu gedrängt in Rücksicht auf die schutzbedürftigen Verwandten, die dort sehr zahlreich saßen. Daselbst brachte er viel Irriges auf das genau­ e ste wieder in Ordnung; als er nun einmal zur Rückkehr ins Kloster auf­ gebrochen war, ritt er nahe bei dem Hofe Wil mit Gerhard , dem späte­ ren Abt, voraus , um das restliche Psalmenpensum zu E nde zu bringen, nachdem er bereits gefrühstückt hatte . Die Diener aber, mit seinen Ge­ wohnheiten wohlvertraut, trieben weit hinter ihm auf schnellen Pferden ihre Possen und preschten endlich hinter ihm her. Der Zelter aber, auf dem Kunibert saß, spürte die Feurigkeit der Pferde hinter sich und begann kopfschüttelnd zu tänzeln. Und als Kunibert das Pferd parierte , damit es nicht durchgehe, bäumte es sich und warf den Mann ab, der be­ jahrt und beleibt war. Auf seinen Lippen aber schwebte gerade, wie es heißt, jener Psalmvers: "Doch kommen sie wieder mit Jauchzen59." Und dies "Jauchzen" sprach er mit erhobener Stimme , da ihn die Furcht vor dem S turz übermannte , als sein letztes Wort. Da er aber niederstürzte und rasch sich wieder aufrichtete , sprang Gerhard vom Pferd und hielt ihn, als er abermals zurücksank, fest und bettete, indem er sich setzte , sein Haupt in den Schoß. Und derweil die Männer nach Wasser liefen, tat er einen tiefen Atemzug und verschied60• Das war das Ende Kuni­ berts, der von großer Statur war und ehrwürdig weißem Haar und den meisten als überaus heiliger Mann erschien. Sein Leib aber wurde nach dem Kloster gebracht und da auf dem Friedhof unter gar vielen Tränen b e stattet. Es ist nun aber unausweichlich, daß unsere Erzählungen eine verkehrte Abfolge aufweisen; denn was zugleich geschehen ist, läßt sich nicht zugleich erzählen. Darum wollen wir dahin zurückkehren, von wo wir ausgegangen sind.

59 Ps. 125, 6. 60 Nach 976.

248

Casus s. Galli 128

128.

Dirigitur

Notkerus

electus

cum

litteris

Purchardi

Ottonibus61 S piram , comitibus novem de patribus plerisque cani­ tie venerandis ipse decimu s , sed regibus non adeo ut praecessor quondam eius erat acceptus . Affuit illis advenientibus cito Ekke­ hart, nichil rerum, priusquam aderant, praescius . Multumque an­ xiu s , quoniam Sandrat , quem prius diximus , tune aderat et oblo­ quia quedam iterum in n os susurrari regibus s civerat , animo fluctuabat. Consilio tarnen in brevi h abito litteras sumpsit ad se regibus hora apta praes entandas ; At Otto iunior casu cun1 Otto­ ne d uce62 ample.xu mutuo non procul steterat. Et Otto dux regi Rupertum subdecanu m , gravitatis monachum , videns : "Num­ quam " , ait, "leporem ille curriculo capiet;" At ipse id audiens, inclinatus gratias egit . Et Otto rex : "Ve tibi misero ! " ait; "ips e e n i m audivit ." Et Ekkehardo approximanti Otto r e x : " Q u i sunt" , inquit, .;magister, patres illi?" "Sanctigallenses" , ille a,it, "domine mi, sunt et hodie auxilio tuo iuvandi." Cumque pedes amborum ipsi peterent, Ekkehardus causam eorum in brevi perorat. Et rex : "beus64", ait, "63in cu:lus manu corda sunt regum63 , 64faciat vobis64 leonem meum mitem et placabilem64 !'' Sie enim patrem vocabat.

Et dimissis illis magistro in aurem, quis ill o rum electus sit, di­ cit . "Quem pre s e ferebant, ipse e st." Et ille: "lllum delicatumiu­ venem?" ait. "Enimvero, ut pater meus ad hoc eonsentiat, ut ipse eum nos t i , non puto. Talib us viris canitie venerandis sancto Gal­ ·

lo habundantibus, iuvenem puell� s imilem nobis quide m mittere ! Convenite adhuc" , ait, "et te, qui homines nosti , consiliante gra­ viorem eligit e ! Aliter enim vos , ut p etitis , leoni meo sistere non audeo." "Privilegium " , Ekkehardus ait, "patribus a Karolo da­ turn et per v.os solidatum65 nos paucos quemquam eligere non pa­ titur, Preterea de litteris abbatis n ostri, fratris tui, quid fiet? Nam .Nokeri medici, tibi e t patri tuo semper bene meriti et dilec­ ti , ex sorore n e pos et ab Ekkehardo, avunculo meo, mecum nutri· tus et doctus , virtutibus patriis semper assueverat; et nisi virtu­ tum virum nossent, numquam eum fr ater tuus et avunculus meus cum ceteris, ut ipse homines nosti, dominum eligerent." 61 971 waren sie freilich in Italien. 62 Otto von Schwaben. 63 - S3 Vgl. Prov. 21, 1 .

Purchards Nachfolger am Hof

249

128. Notker der Erwählte wurde mit einem Brief Purchards zu den Ottonen nach Speyer6 1 gesandt; neun von den Vätern, die meisten ehrwür­ dig durch ihr weißes Haar, begleiteten ihn; er selber als der zehnte war den Königen indessen nicht so willkommen wie einst sein Vorgänger. Als sie ankamen, erschien alsogleich Ekkehard , der vor ihrem Eintref­ fen noch gar nicht im Bilde war. Er war aber sehr in S orge und Unruhe , weil der früher erwähnte Sandrat dazumals anwesend war und Ekke­ hard wohl wußte , daß den Königen abermals Lästerreden gegen uns zu­ geflüstert wurden. Nachdem man sich nun wenigstens in Kürze beraten hatte , nahm Ekkehard den Brief an sich, um ihn den Königen zu geeigne­ ter Stunde zu überreichen. Und zufällig standen der jüngere Otto und Herzog Otto62 Arm in Arm nicht weitab. Und Herzog Otto sagte zum Kö­ nig, mit Blick auf den Subdekan Rupert, einen Mönch von gemessener Würde: "Niemals wird jener einen Hasen erjagen." Aber Rupert hörte das und verneigte sich dankend. Und König Otto sagte : "Weh dir, Un­ glücklicher ! Denn er hat es gehört." Und zu Ekkehard, der näher kam, sprach König Otto: "Meister, wer sind jene Väter?" "St. Galler", erwi­ derte er, "sind es, mein Herr, die auch heute deine Hilfe benötigen." Und sie fielen den beiden zu Füßen, indes Ekkehard kurz ihr Anliegen darlegte. Und der König sagte: "Gott64, 63der die Herzen der Könige in seiner Hand hat63, 64möge euch64 meinen Löwen mild und 64versöhnlich stimmen64!" So nämlich nannte er seinen Vater. Und als jene entlassen waren, flüsterte er seinem Lehrer ins Ohr, wel­ cher von ihnen der Erwählte sei. - "Den sie vor sich her führten, der ist's ." Und Otto sagte : "Jener feine Jüngling? Wahrhaftig, daß mein Va­ ter hierzu seine Zustimmung gibt, glaube ich nicht, du kennst ihn selber. Bei dem Ü berfluß, den der heilige Gallus an solchen weißhaarig­ ehrwürdigen Männern hat, uns ausgerechnet einen mädchenhaften Jüngling zu schicken ! Tretet noch zusammen", fuhr er fort, "und wählt u nter deinem Beirat, da du die Leute kennst, einen gewichtigeren Mann! Denn anders wage ich nicht, euch nach euerm Wunsch meinem Löwen darzustellen." "Das Wahlrecht" , sagte Ekkehard, "das den Vätern von K arl verliehen und von euch bekräftigt65 wurde, leidet es nicht, daß wir als Minderheit irgendeinen wählen. Und überdie s , was soll mit dem Brief unseres Abtes, deines Bruders, geschehen? Als S chwestersohn nämlich Notkers des Arztes, der sich bei dir und deinem Vater stets Dank und Liebe erwarb, und von Ekkehard, meinem Oheim, zusammen mit mir erzogen und unterwiesen, hat er die ererbten Tugenden allzeit gepflegt; und kennten sie ihn nicht als einen Mann von Tugend, so wür­ den dein Bruder und mein Oheim mitsamt den übrigen, wie du sie selber kennst, ihn niemals sich zum Herrn erwählen."

6 4 - 64 Vgl. Genes. 43, 14. 6 5 Dip!. Otton. I. 25 (7. April 940) und Dip!. Otton. 11. 26 (18. August 972).

250

Casus s . Galli 129

129. Audito rex rationis tant� responso, maxime autem de No­ kero, mitescere tandem cepit; Iiteras tarnen neque ipsos postea patri sisti, priusquam ipse illum praestrueret et animo eius ex­ plorato ad alloquia eos leonis sui prepararet, placere sibi aiebat. V ocatis tandem ipsis , bon� spei esse monuit et nocte precibus in­ vigilare , ut, quoniam invidos haberent, Deus eos iuvare t. Monet deinde Ekkehardum mensa cen� levata cum litteris sibi commo­ de non deesse. Qua levata patris et matris secretum postulat al­ loquium . Matre autem de mensa sua veniente , ad hostium occur­ rens, ut sancto Gallo faveret, Ekkehardus in aurem rogat. Audi­ verat enim a dicentibus S andratum adventum monachorum sancti Galli magno Ottoni nec non et omnem causam eorum clam et sinistrorsum dixisse et sui memorem fore pedibus petitis rogasse. Quod Ottoni etiam suo silenter patre assidente paucis nudat. Silentio tandem, omnibus aliis cenaculo eliminatis, facto Otto filius ait : "Sunt hic, domine mi, nuntii filii tui, quondam abbatis Purchardi, Dei iussu diu infirmi. Quid autem p ostulent, experiri habebis." "S cio" , ait pater , "eos matutinos quidem affuisse ; sed quare se a meo conspectu celaverint, nescio. Sunt meorum qui­ dam, qui eos non simpliciter venisse asserant: quoniam 66qui am­ bulat simpliciter, ambulat confidenter66." Et ill e : "Malo suo, pa­ ter", ait, "valeant odibiles illi , qui te acutiis suis a bono avertere moliuntur ." Et regina : "Vide" , ait, "domine semper amande, ne talibus, quales filius tuus notat, inconsulte et nimium assenseris ! Nam et prius Dei servos illos imperialiter quidem impetitos , sicut ab ipsis quibusdam, quos misimu s , audivi, sine causa mole­ stavimus . " Et Otto: "Ecce , pater, ut ipse illos nosti, assunt ex eis

viri venerandi a filio tuo pene premortuo missi, quos , cum me quidem, ut e o s tibi sisterem, praepeterent, paucis cum eis locu­ tus in crastinum ipse viros distuli; et ideo mentiti sunt, qui tibi dixerant duplici illos animo quicquam machinari. Nam et litte­ ras , quas tibi missas manu habebant, ego recepi, e t ecce ipsas ; quas cum audiveris, si clandestini assunt, videbis . "

Notkers Wahl in Frage gestellt

251

129. Als der König die so wohlgesetzte Antwort, insbesondere aber die Worte über Notker, vernommen hatte, begann er endlich sich zu besänf­ tigen. Gleichwohl, sagte er, fände er es richtig, weder das Schreiben noch nachher sie selbst vor den Vater zu bringen, ehe er ihn zuvor persönlich vorbereitet und sie nach Erforschung seines Sinnes für die Audienz mit seinem Löwen gewappnet hätte. Schließlich wurden sie gerufen, und er ermahnte sie, zuversichtlich zu sein und in der Nacht sich dem Gebet hin­ zugeben, damit Gott ihnen beistehe, da sie ja Neider hätten. Er ermahnte danach Ekkehard, sobald die abendliche Tafel aufgehoben sei, ihm mit dem Brief geschickt an die Hand zu gehen. Und wie sie nun aufgehoben war, verlangte er mit Vater und Mutter eine geheime Unterredung. Als aber die Mutter von ihrem Tische kam, lief ihr Ekkehard an die Tür ent­ gegen und bat sie, in ihr Ohr flüsternd, um ihre Gunst für den heiligen Gal­ lus . War ihm doch gesprächsweise zu Ohren gekommen, daß Sandrat dem großen Otto die Ankunft der Mönche des heiligen Gallus und ebenso ihre ganze Sache heimlich und übelgesinnt berichtet und fußfällig gebeten hatte, seiner eingedenk zu bleiben. Dies nun enthüllte Ekkehard leise auch seinem Otto in wenigen Worten, während der Vater sich niederließ. Da endlich Stille eintrat, nachdem alle anderen aus dem Saal entfernt waren, sagte Otto der Sohn: "Es sind da, mein Herr, die Boten deines S ohnes, des vormaligen Abtes Purchard, der nach Gottes Willen schon lange siech ist. Was sie aber begehren, wirst du prüfen müssen." "Ich weiß", sagte der Vater, "daß sie am Morgen zwar hier waren; aber wes­ halb sie sich vor meinen Blicken verborgen haben, weiß ich nicht. Es sind welche unter meinen Leuten, die behaupten, sie seien nicht in harm­ loser Absicht gekommen: de m'l 66wer unschuldig wandelt, der wandelt mit Zuversicht66." Und jener sprach: "Zu ihrem eigenen Verderben, Va­ ter, mögen jene Hassenswerten munter sein, die dich mit ihren schlauen Anschlägen vom Guten abzuwenden planen." Und die Königin sagte : "Siehe zu, liebwerter Herr, daß du solchen Leuten, wie sie dein Sohn charakterisiert, nicht unbedacht und über die Maßen beipflichtest. Denn auch ehedem wurden jene Gottesknechte ja in Kaisers Namen bedrängt und wurden dabei von uns ohne Ursache belästigt, wie ich von einigen unserer Gesandten gehört habe ." Und Otto: "Siehe, Vater, es sind aus ihren Reihen, wie du sie selber kennst, hochwürdige Männer hier; sie sind von deinem Sohn, der schon halb erstorben ist, gesandt; und da sie mich zuvor baten, daß ich sie dir vorstelle, habe ich sie nach kurzer Unterhal­ tung mit ihnen auf morgen vertröstet. Und darum haben die gelogen, die dir sagten, sie sännen in falscher Seele auf Böses . Denn auch einen Brief a n dich, den sie in der Hand hielten, habe ich an mich genommen, und da ist er denn. Und hast du ihn erst vernommen, wirst du schon sehen, ob sie als Heimlichtuer erschienen sind."

66 - 66 Prov. 10, 9 .

252

Casus s. Galli

130/131

130. Et a patre sigillum recludere iuss u s , ipsi illud - nam

sancti Galli s emifacies erat - in manum da bat. Quod ille sollicite intuitus : "Filii mei, pauperis Domini , imaginem " , ait , "esse puta­ vi. Sed tu quidem, quid litter� velint, insinua!" H�c verba: Summf( pos t Deum maie s tatis dominis m e is re gnum f( te rnum Purchardus ab bas semivivus. A nnis m e is e t senio finem mihi vitf( in ianuis haben tibus, ne pas tor o v e s, pat e r filios impro vis o s re linquam, domini m e i, privilegium gratif( v e s trf( me so llicitavit. Misi itaque v o b is, fidutiam v e s tri hab ens, dilec tum meum mihi adhuc vivo sufficiendum, a viris virtutum optimis moribus as­ suefac tum, sanc to Gallo, u t confido, v o b is que placiturum. Misi au tem vobis e t tes tes meos ter tre s idone os, qui eum coram vo­ b is, fe rula mea reddita et indulgen tia mihi pe tita, singuli e li­ gant. Valeat re gnum ves trum e t imperium in Domino domino­ rum. Amen.

Perleeta epistola Otto eam patri et matri 67fidus interpres67 Saxonice reponens insinuavit et, ut petita facerent amore eiu s , quem posthac visuri non sint, sollicite rogavit. Et Ekkehardus: "Meminere vos, domini, Nokeri medici, e iu s , qui eligendus e s t , avunculi! Sed et Ekkehardi68 v estri, q u i e u m , n i s i ydoneus e s s e t , vobis dirigi numquam consentiret ." T a n d e m post verba multa Otto pater: "Cras " , ait, "diluculo appareant in conspectu meo, ut, illo cum ceteris viso, decernam , quid faciam." Et Otto filius : "69Homo69 " , inquit, "69videt i n facie , Deus i n corde 69• Neque enim ille ita" , ait, "ut magister meus est aspectabilis nequ e , ut S andratus vester s e exhibet, despectibilis ." Et ill e : "Utinam, fili mi", ait, "omnes monachi nostri S andrati animum gereren t ! " At ille monitu Ekkehardi, ne patrem commoveret, conticuit . Sicque pater colloquium diremit. 1 3 1 . Ekkehardus autem , notularum peritissimus , pene omnia

h�c eisdem notavit in tabula verbis . Quibus Otto suus postea , ut ipse nobis retulit, multum delectatus est sibi relectis•, cum ipse preter notulas nichil viderit in tabula.

• relictis Hss.

Abt Purchards Empfehlungsschreiben

253

130 . Und da ihn der Vater hieß, das S iegel zu lösen, gab er es - ein Halbporträt des heiligen Gallus war's - ihm selber in die Hand. Und nach gründlicher Betrachtung sagte jener: "Ich hielt es für ein Bild mei­ nes Sohne s , des Arm en in dem Herrn. Doch du nun verkünde, was das Schreiben bezweckt !" Folgendes war der Wortlaut: "Meinen Herren, den nach Gott höchsten Majestäten, wünscht das ewige Reich Abt Pur­ chard, der nurmehr halb am Leben ist. Indes meine hohen Jahre schon das Lebensende für mich . bereit halten, legte das Wahlprivileg Eurer Gnade, meine Herren, mir nahe, nicht als Hirt die Schafe, nicht als Vater die Söhne unversehens zu verlassen. Ich habe daher im Vertrauen auf Euch meinen Auserwählten zu Euch gesandt, damit er noch zu meinen Lebzeiten an meine Stelle rücke; von vorzüglichen Männern an die be­ sten Sitten gewöhnt, wird er, wie ich fest glaube, dem heiligen Gallus und Euch gefallen. Ich habe Euch aber auch als meine Zeugen dreimal drei gute Männer. gesandt, die ihn vor Euch, nach der Rückgabe meines Stabes und der Bitte u m Nachsicht für mich, einzeln erwählen sollen. Euer König- und Kaiserreich möge gedeihen im Herrn der Herren! Amen." Der Brief wurde verlesen; Otto aber vermittelte seinen Inhalt Vater und Mutter, indem er ihn als 67getreuer Ü bersetzer67 in sächsischer S prache wiederholte, und bat eindringlich, sie mochten das Erbetene tun, aus Liebe zu dem, den sie hinfort nicht mehr sehen würden. Und Ek­ kehard sagte : "Ihr Herren, denkt an Notker den Arzt, den Oheim des­ sen, der erwählt werden soll! Aber auch an euren Ekkehard68 , der sich nie dazu verstünde, ihn zu euch zu schicken, wenn er sich nicht eignete." S chließlich, nach vielen Reden, sagte Otto der Vater: "Morgen in der Frühe sollen sie vor meine Augen treten , damit ich mich zum Han­ deln entscheide, sobald ich ihn und die and e ren gesehen habe ." Und Otto der Sohn bemerkte: "69Der Mensch sieht auf die Miene, Gott auf das Herz69• J.ener nämlich", sagte er, "ist weder so respektabel wie mein Lehrer noch auch so pitoyabel, wie euer Sandrat sich zeigt." Und der Vater sprach: "Wenn doch, mein Sohn, alle Mönche die Sinnes­ art unseres Sandrat hegten!" Aber jener verstummte auf Ekkehards Mahnung, den Vater nicht zu reizen. Und so brach der Vater die Unter­ redung ab. 1 3 1 . Ekkehard aber als ein Meister in der Kurzschrift notierte diese Reden nahezu lückenlos im seihen Wortlaut auf der SchreibtafeL Und d aran hatte hinterher sein Otto, wie er uns selber berichtet hat, großen Spaß, da ihm der Text wieder vorgetragen wurde und er selber nichts als die Abkürzungszeichen auf der Tafel wahrna hm.

67 - 67 Horat. ars. poet. 133 f. 68 Ekkehard I. 69 - 69 1 . Reg. l6, 7 (Itala-Version).

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Casus s. Galli 131!132

At Ekkehardus suos, ubi hospitabantur, continuo petiit , opti­ meque spei fore Ottonis sui eos verbis monuit . Cumque ab eo, si sui aput reges mentio aliqua fuerit, quererent: "Magna " , ait, "si mihi dicere liceat . 70Sacramentum e nim regis celare honorificum e sF0• Sed hoc tarnen vobis pandere audeo, quia sollicitum aput patrem filium habuistis interpretem. Venturi enim estis in con­ spectum patris diluculo ipsius edicto. Sed eius hore et articuli fortunam committere habemus Deo." Veniunt illi , precibus nocte muniti, in aulam matutini patre cum filio iam laudes, quarum E kke hardus semper curam e gerat, audientibus. At Palzone , loci episcopo, preces recitante Ekke­ hardus hostium pandit, ut videat , si assint. Cumque eos conspice­ ret, restans p aulisper Ottoni significavit. Pater autem eum egre­ di volentem clamide retinuit parumque subrisit. Et ille : "Num­ quam oculi perspicatiores, leo mi, erant quam tui." "E nimvero ita et de leone legitur", Ekkehardus ait, "quia oculis apertis dormit71 ." Et Palzo: "Unde sponsus " , ait, "ecclesi� : Ego dormio e t cor meum vigilat72• S e d , domine pie , foris te exspectant, qui

talia dormientes melius quam nos vigilantes sciant." "Unde tu il­ los " , ait , "nosti?" "Quare illo s " , ait , "non sciam, inter quos nutri­ tus et, qu� optima scio, sum doctus?" Et ill e : "Scio " , ait, "quia 73pauper et mendicus73 quondam circuiens terram, peram pau­ pertatis tu� mendicando farciebas74 ." "Non nego ", ait; "sed quod illi dabant, in summis ponebam . " 1 32. Tandem ille terribilis egressus cum Ottonem d uc e m c um

e i s offe ndisset assistentem, arridens ei: "Bön m än " habere Ro­ manisce dixit . Dein et eos salvere ait . Ille etiam acclinis cum ip­ sis gratias egit. Waninc vero primus ordine , si loqui liceret, que­ siit. "Fidenter " , Otto filius ait . "Abbas noster, domini, invalidu s , multum i n vobis, s e d et i n domina75 nostra confisus , n o s ad pieta­ tem vestram transmisit et gratiam, regnum vobis optans sempi­ ternum et imperium. Causam autem adventus nostri quoniam lit­ teris ab eo mandatam attulimus , nos forsitan oportet, ut interim, 70 - 70 Vg l . Tob. 12, 7. 71 Physiologus 1 (0. Scheel, 1960, S . 3). 72 Cant. 5, 2 .

Vorladung vor den Kaiser

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Jedoch Ekkehard suchte gleich anschließend die Seinigen in ihrem Quartier auf und ermahnte sie mit den Worten seines Otto, voller Zuver­ sicht z u bleiben. Und wie sie von ihm zu erfahren suchten, ob man bei den Königen irgend von ihnen gesprochen habe , sagte er: "Viel sogar, wenn ich es bloß sagen dürfte. 70Das Geheimnis nämlich des Königs zu bewahren ist wohlgetan70• Aber das wage ich euch gleichwohl kundzu­ tun: ihr habt am Sohn einen angelegentlichen Dolmetscher beim Vater gehabt. Ihr sollt nämlich morgen früh yor dem Vater erscheinen, wie er selber verfügt hat. Doch das Glück dieser Stunde und Wende müssen . wir Gott anheimgeben." Jene kamen also, nachdem sie sich in der Nacht mit Beten gestärkt, am Morgen an den Hof. Und bereits lauschte der Vater zusammen mit dem Sohn den Lobgesängen, für die stets Ekkehard die Sorge trug. Während aber . Palzo, der Bischof der Stadt, das Gebet sprach, öffnete Ekkehard die Tür, um zu sehen, ob sie da seien. Und als er sie erblickte , verharrte er eine Weile und gab dann Otto ein Zeichen. Der Vater aber hielt den Sohn, wie er hinausgehen wollte , am Mantel fest und lächelte ein bißchen. Worauf jener: "Nie gab es schärfere Augen, mein Löwe, als die deinigen." "Tatsächlich, so liest man denn auch vom Löwen", sprach Ekkehard, "daß er mit offenen Augen schläft71." Und Palzo sagte: "Da­ her der Bräutigam der Kirche spricht: ,Ich schlafe, und II1ein Herz ist wach72'. Indessen, gütiger Herr, draußen erwarten dich welche, die der­ lei noch im Schlaf besser wissen als wir im Wachen." "Woher'', fragte er, "kennst du sie?" Da sagte Palzo: "Wie sollte ich sie nicht kennen, in de­ ren Kreis ich erzogen und in dem Besten, was ich weiß, unterwiesen wurde?" Und Otto sprach: "Ich weiß, du zogst einst bettelarm73 durchs Land und fülltest den Ranzen der Armut mit Betteln74 � " ,�Ich bestreite es nicht", sagte er, , ; doch was jene mir schenkten, durfte ich zum Kost­ barsten zählen." 132. Schließlich ging der Furchtgebietende hinaus , und da er auf Her­ zog Otto stieß, der .mit ihnen dabeistand, lächelte er ihm zu und grüßte ihn auf romanisch mit "bön män". Alsdann wünschte er auch ihnen einen guten Morgen. Da verneigte sich mit ihnen auch der Herzog zum Dank. Waning aber als erster nach der Reihe fragte, ob man sprechen dürfe . "N ur zu", sagte Otto d e r Sohn. - "Unser Abt, ihr Herren, d e r krank ist und gar sehr auf euch, aber auch auf unsere Herrin75 baut, hat uns zu eu­ rer Liebe und Gnade gesandt und wünscht euch immerwährende Herr­ schaft als König und Kaiser. Aber da wir ja den Anlaß unseres Kom­ mens in schriftlicher, von ihm aufgesetzter Form hergebracht haben , ge­ b ührt es sich wohl, daß wir vorläufig still seien, währenddem der Brief 73 - 73 Ps. 39, 18. 74 Vgl. Balther, Vita s. Fridolini, pro!. 75 Kaiserin Adelheid.

2 56

Casus. s. Galli 132/133

dum legantur , sileamus ." , ;Litterarum " , Otto pater ait, "molimi­ na audivi; se d eum, dum vivit , deponere nescio, si possit decere � "

Et Cunibertus propius regibus acceden s : "At nos , domini, mo­ dum forsitan optimum scimus , quo vos deceat efficere, quod pa­ ter noster et nos eius iussu postulamu s . Sit ille dominus noster omni tempore, quo vivit . Quem subrogari sibi vult, nihil capitale absque eius rtutu faciat, tantummodo; quod valde ille beniv olen­ tissimus formidat , ne nos moriens 76orphanos relinquat76• Est e nim ille magn\) spei vir , q'!lem d estinat.'' Illoque conticente Otto pater: "Quem tarnen mi h i nepos meu s " , inquit, "miserit, mon­ strat e ! " At pariter illi Nokerum in ultimis , ut ordo eiils erat, ·

stantem produxerant. Et pater in aurem filio: "Modo", ait; "quori­ iam viros disertos inter illos video, quid dicere veli ti t , probare volo ." Et Ekkehardus audiens : "Aliu d " , ait , "domine ,m i , curat q 77!

Absque responso e nim ill o s non invenies.'' Et ille : "Istene est,

quem etate vobis quasi filium eligere mihi proponitis? 0 maturi­ tateni vestram et pene omnibus vobis sparsam canitiem, abba­ tem vestrum inter tot canuto s , qui sibi possit subrogari, invenire non potuis s e !" E t Rupertu s , qu�m dixi, .subdecanu s : "Errasti , d o­

mine mi

" rex ,

ait, "et oppido erras. Inter tot utique Marias, opti­ d mam partem udum eligentes; Martham nec unam quidem, qU\) sollicita sit et circa frequens ministerium satagere velit78, nepos

tuus invenire potuit . Ideoque t a libus relictis ad minorem etatem

descendit, et optimam , mihi cre d e , s i eam digneris , invenit." Ad h\)c pater: "Ut· video, tu i p s e dignior illo.''

133. Interea pater ad calciandum in caminatam ivit. Illis au­ tem, ut se exspectent, iussis ambo Ottones79 regem comitantes , regina accita , ne tales viros diu detineret, rogant. At ille in d ubio se esse ait, quid faceret ; neque illum adeo place re, quem attule­

rant. Regulam autem .q uoniam in loco. illo numquam sbtbilire po­ tuerit , regularem eis aliquem ponere velle,. si suadeant, ait. Et ·

continuo filius Sandratum eum velle et Ekkehardus senserant. Ek kehardus autem ad pedes procidens tacitus surrexit . Et pa­ ter: "Quid petis?" ait . "Enimvero etiamsi tibimet abbatiam illam 76 - 76 Vgl. Joh. 14, 18. 77 V gl. Terent: Phorm. 235.

Notker für

zu jung befunden

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gelesen wird." "Die Anträge des Schreibens" , sagte Otto der Vater, "ha­ be ich vernommen; aber ich weiß nicht, ob es sich schicken würde, ihn noch zu seinen Lebzeiten ·zu entlassen." Und Kunibert sprach, während er näher auf die Könige zu ging: "Aber wir, ihr Herren, wissen vielleicht das beste Verfahren, wie es euch ziemen möchte durchzuführen, was un­ ser Vater und wir nach seinem Befehl verlangen: Purchard sei unser Herr die ganze Zeit seines Lebens. Derjenige aber, den er zu seinem Nachfolger bestimmt, möge nichts Wesentliches ohne seine Zustim­ dies alles nur, damit er nicht, was unser grundgütiger Herr mung tun gar sehr befürchtet, uns bei seinem Tode 76als Waise zurücklassen76 muß. Wirklich läßt ja der Mann seiner Wahl Großes hoffen." Und als er verstummte , sagte Otto der Vater: "Den mir mein Neffe gesandt 'h at, zeigt ihn wenigstens her!" Aber ingleichen hatten sie Notker, der sei­ nem Range gemäß zuhinterst stand, schon hervorgeführt. Und der Va­ ter sagte dem Sohn ins Ohr: "Nun, da ich ja beredte Männer unter ihnen bemerke, will ich erproben, was sie wohl sagen werden." Und da Ekke­ hard es hörte , sagte er: "Darum sorge dich nicht77, mein Herr ! Denn oh­ ne Antwort wirst du sie nicht finden." Und jener fragte: "Ist's der da, dem Alter nach sozusagen euer Sohn, den ihr mir zur Wahl vorschlagt? 0, bei eurer Reife und. bei dem Grau, das euch fast allen das Haar be­ streut: daß euer Abt unter so vielen Grauköpfen keinen hat finden kön­ nen, der sich zu seinem Nachfolger erheben ließe !" Und der genannte Rupert, der Subdekan, versetzte: "Du hast dich geirrt, mein Herr König, und d u irrst gar sehr, Unter so vielen Marien jedenfalls, die sich seit lange den besten Teil erwählen, konnte dein Neffe nicht eine einzige M�J.rtha finden, welche sich müht und willens ist, sich um den täglichen Dienst zu kümmern78• Und darum überging er diese und stieg zum geringeren Alter herab, und da hat er, glaube mir, die beste Martha gefunden, wenn du sie nur für würdig erachtest." Darauf der Vater: "Wie ich sehe, bist du selbst würdiger als jener." 133. Derweilen ging der Vater in die Kemenate, sich die Schuhe anzu­ ziehen. Während aber jene geheißen wurden, auf ihn zu w arten, beglei­ teten die beiden Otto79 den König, und nachdem man die Königin herbei­ gerufen, baten sie ihn, solche Männer nicht la n ge festzuhalten. Doch er e ntgegnete, er sei unschlüssig, was er tun solle ; auch gefalle ihm der Mann, den sie hergebracht, nicht s onderlich . Weil er aber die Regel in jenem Kloster nie habe befestigen können, wolle er ihm einen regelge­ treven Ma�n setzen, wenn sie dazu raten würden. So sagte er. Und so­ gleich spürten der Sohn und Ekkehard, daß er den Sandrat wolle. Ekke­ hard aber fiel ihm zu Füßen und richtete sich stumm wieder auf. Und der Vater sagte: "Was begehrst du? Fürwahr, auch wenn du jene Abtei für �

7 8 Vgl. Luc. 10, 40 - 42. 79 Otto li. und Herzog Otto.

258

Casus s. Galli 133

dari vis, absque regulari aliquo comite ab Ottone non ibis." "Enimvero", ille ait, "ea caus a , summe Domini , pedes vestros ho­ die non petii nec petam. Longe aliud est, quod vestra quidem om­ nium trium vice , domini et domina, lacrimascere etiam potero, quod cogitavi et cogito. Ubi est veritatis semper inconvulsa fir­ mitas etiam aput ethnicos regum? Dico enim privilegia a Karolo sancto Gallo usque vos data, vestrum autem famulis vestris pre omnibus semper potissimum; in quo nepos vester abbas , Ekke­ hardus vester et Nokerus80 cum ceteris spiritus sancti viris adeo confisi sunt et confidu nt, ut neminem alium, preter quem vobis certissimi• vestri miserant , exspectent abbatem." Ottones tan­ dem rex et dux surgentes , regina quoque supplice, privilegii me­ morem fore rogant. At ille silens secumque deliherans tandem­ que quasi invitus , acciri homines iubet. Quibus coram stantib u s : "Propter allatum", ait ille, "vestrum tunica, qualem Benedictus quidem numquam induit, decorum, non statim vos , viri Dei, oscu­ latus sum. Osculamini igitur ! " Cumque eum preire innuerent, il­ le vitato eo ceteros osculatus est: "Hora osculi eius adhuc", in­ quit , "forte erit." Cumque plura de statu monasterii cum eis dis­ ceptasset et de moribus eorum et vita, quesivit, si adesset, qui dixisse fertur: "Si calceus dividitur , nemo calceatur81." Risuque suis moto: "Ecce iterum Ruodmannum " , Ekkehardus ait, "senti­ mus." Quo audito: "82Tu dixisti82 " , rex ait. Tandemque ferula re­ cepta, abbate coram s e , ut moris est, electo, condicto quidem tali eam Nokero dedit, ut vivo abbate suo, sicut ipse vellet, illum cu­ raret nichilque capitale absque eius nutu et Ekke hardi Nokeri­ que consilio ageret . Et continuo: "Meus tandem eris " , ait. Mani­ busque receptum osculatus est. Moxque ille evangelio allato fidem iuravit . Dimis soque eo in ecclesiam ad "Te Deum laudamus " , milites Galli , qui aderant, re­ verso coram s e accitos iurare iussit. Tandemque surgens in par­ tem illum cum patribus sumpsit . Salutemque nepoti mandans e t

• cetissimi Hss.

Ekkehards Appell . Endliche Wahlbestätigung

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dich selbst verlangst, wirst du nicht von Otto weggehen, ohne daß dich ein regelgetreuer Mann begleitet." "Wahrlich," sagte jener, "nicht die­ serhalb, Höchster des Herrn, habe ich je eure Füße umschlungen, noch werde ich es je in Zukunft tun. Ganz anderes ist es, was ich dachte und denke und worüber ich freilich, ihr Herren und du Herrin, um euch alle drei sogar weinen könnte. Wo ist die stets unerschütterliche Festigkeit königlicher Wahrheitsliebe, wie sie selbst bei den Heiden gilt? Ich meine nämlich die Freiheitsrechte, die dem heiligen Gallus von Karl bis zu euch herab verliehen wurden; wobei nun euren Dienern speziell euer Privileg immer am wichtigsten war; und auf dieses verließen und verlassen sich euer Neffe , der Abt, euer Ekkehard und Notker80 mitsamt den übrigen Männern des Heiligen Geistes so sehr, daß sie keinen anderen als Abt erwarten als den, welchen sie, eurer fest versichert, zu euch gesandt haben." Zuletzt erhoben sich Otto der König und Otto der Herzog und baten, indes auch die Königin darum flehte, des verliehenen Rechtes einge­ denk zu bleiben. Er jedoch schwieg und überlegte bei sich und endlich, gleichsam wider Willen, hieß er die Leute holen. Und wie sie vor ihm standen, sprach er: "Eures Begleiters wegen, der in einer Tunika prangt, wie sie Benedikt gewiß nie angezogen hat, habe ich euch, ihr Gottesmänner, nicht sogleich geküßt. So küßt mich denn!" Und als sie N otker bedeuteten vorauszugehen, mied er ihn und küßte nur die ande­ ren und sagte : "Die Zeit für seinen Kuß kommt ja wohl noch." Und nach längerer Debatte mit ihnen über ihre Klosterverfassung und über ihre Gewohnheiten und Lebensweise erkundigte er sich, ob jener dabei sei, von dem das Wort stamme : "Wenn der Schuh geteilt wird, wird niemand beschuht8 1 ." Und während das den Seinigen ein Gelächter entlockte , sag­ te Ekkehard: "Siehe, da spüren wir wieder den Ruodmann!" Der König aber hörte es und sprach: "82Du sagst es82." E ndlich dann nahm er den Stab wieder entgegen und übergab ihn, sobald der Abt vor ihm, wie es Brauch ist, gewählt war, an Notker; dabei wurde aber vereinbart, Not­ ker solle zu Lebzeiten seines Abtes nach dessen Wunsch für ihn sorgen und nichts Wesentliches ohne seinen Wink und ohne den Rat Ekkehards und Notkers unternehmen. Und unmittelbar danach sagte der König: "Endlich bist du der Meine." Und er empfing ihn mit den Händen und küßte ihn. Alsbald brachte man das Evangelium herbei, und jener leistete den Treueid. Und nachdem er Notker in die Kirche zum >Te deum lauda­ mus< entlassen hatte, befahl der Kaiser, nach seiner Rückkehr die anwe­ senden Vasallen des Gallus vor ihn zu bescheiden und ihm schwören zu lassen. Zuletzt aber erhob er sich und nahm Notker und die Väter bei80 Purchard, Ekkehard I., Notker der Arzt. 81 V gl. Kap. 1 2 1 . 82 - 82 Matth. 26, 25.

Casus s. Galli 133/134

260

gratiam : reguleque eos tenorem habere qui perspiciat eis in pro­ ximo missurum. Quem, quo gratantissime possent, edixit, ut re­ ceptum tractarent. Et re vera scirent, si sibi boni quid talis ille redicturus foret, in nullo s e erario suo parcere velle , quin eis, in quibuscumque possit, accommodaverit . Tandemque eis missione data, s i quid ab ekonomis suis victualium exigere velint, abunde dari iussit. 134. Veniens domum Nokerus , gratanter ab omnibus suscep­

tus Purchardique manu in sedem potenti� locatus , colloquium in capituli domo facere basilicam egreditur. Ibique in sancti Bene­ dicti vicem ab omnibus electu s , qualem se mox et semper, quoad vixit, exhibuerit, partim vix narrare, partim vix credere est. Hi­ laritas enim eius, qu� ei quodam ingenita modo quasi naturali s inerat et, ut nunc temporis est, delitiis ascribatur , partim dicen­ da non est. Propter quod invidi detrahere, desueti autem cum gemitu clamare nunc poterunt83: 0 tempora, o more s ! E nimvero cum ubertas , qu� ultimos Purchardi annos nobilitabat , officinas omnes monasterii, Richero Ekkehardi monitis colligente, supple­ verit , largifluo in omni hilaritate viro etiam suos Deus adeo fru­ gibus oneraverat annos , ut regiminis sui meritis id quivis iure asscribere possit et• cum Tullio84 meliori quidem ipse concinnare potuerit metro:

0 fortunatam Galli m e consule ce llam ! Paucis utique ille post adventum suum diebus elapsis , deces­ sore suo cum allectis s anioris consilii monente, Kebonis doctri­ nam paulisper quidem s opitam sollicite excitavit disciplinamque semper loco Galli inolitam recuperavit . In necessariis autem ubertate annua abundante fratres suos omnimodis procuravit. Vineas enim, postquam ab Hadewiga frustrati sunt85, Richer u s , homo sancto Gallo conquisitivus , decani s u i monitis turn pretio turn concambio tantas collegit , ut ubertate redundant e , communi fratrum turn abbatis penu repletis , vasa vinaria non pauca in cur­ te abbatis , deforis quoque sub divo locarentur sub custodibus pluresque, qui alicuius momenti in loco erant, rubeum vinum, quamvis alias bonum, pre delitiis repudiarent. a

ut Hss.

Abt Notkers Rückkehr - Wirtschaftliche Blüte

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seite. Und er ließ dem Neffen Gruß und Huld bestellen: und er werde ihnen demnächst jemanden schicken, der danach sehen sollte , daß sie die Regel richtig einhielten. Und ihn sollten sie, so befahl er, aufnehmen und so freundlich behandeln wie nur möglich. Und sollten sich in der Tat merken: wenn der Betreffende ihm etwas Gutes zurückmelde, wolle er seine Schatzkammer in nichts schonen, um ihnen behilflich zu sein, wo­ rin er nur immer könne. Und als er sie schließlich verabschiedet hatte, gab er Auftrag, ihnen reichlich zu spenden, falls sie von seinen Verwal­ te:m einiges an Lebensmitteln verlangen sollten. 134. Als Notker nach Hause kam, wurde er von allen freudig empfangen und von der Hand Purchards auf den Sitz der Macht gesetzt; dann verließ er die Kirche, um im Kapitelsaal eine Besprechung abzuhalten. Und dort an des heiligen Benediktus Statt von allen erwählt, wie er sich danach und immer zeit seines Lebens gezeigt hat, . kann man teils kaum berichten, teils kaum für wahr halten. Denn sein Frohsinn, der ihm gewissermaßen von Natur aus zu eigen war und unter heutigen Verhältnissen dem Luxus zu­ geschrieben werde n mag, läßt sich nur zuin Teil beschreiben. Weshalb denn nun die Neider schmähen, die aber, die mit den Dingen nicht ver­ traut sind, unter Seufzen klagen können83: "0 Zeiten, o Sitten !'\ Hatte tat­ sächlich der Überfluß, der Purchards letzte Jahre verherrlichte und den Richer auf Ekkehards Weisungen einbringen ließ, alle Wirtschaftsräume des Klosters wieder aufgefüllt, so zierte Gott dem in aller Fröhlichkeit verschwenderischen Mann auch noch seine Jahre in solchem Maße, daß dies jeder mit Fug den Verdiensten seiner Herrschaft zuschreiben kann und er selber mit Tullius84 - jedoch in feinerer Versform - sagen durfte: " 0 , du Zelle des Gallus, blühend im Glück, als ich Konsul!" Nur wenige Tage jedenfalls waren nach seiner Ankunft verstrichen, als er auf Mahnung seines Vorgängers und der Auserwählten vom höhe­ ren Rate die Lehre Kebos, die ja wohl etwas eingeschlafen war, sorglich zu neuem Leben weckte und die dem Galluskloster seit je eingewurzelte Z ucht zurückgewann. Was aber ihre Lebensbedürfnisse betraf, so ver­ sorgte er seine Brüder in jeglicher Weise, da die jährlichen Erträge überrj:lich flossen. Nachdem nämlich Hadwig die Brüder hingehalten hatte85, brachte Richer, ein Mann voll des Eifers, dem heiligen Gallus Be­ sitz zu verschaffen, auf die Weisungen seines Dekans bald durch Kauf, bald durch Tausch Weinberge von solchem Umfang zusammen, daß bei reichlichem Erntesege n der . gemeinschaftliche Keller der Brüder und der des Abtes voll gefüllt waren und viele Faß Wein im Hofe des Abtes und auch draußen im Freien unter Bewachung aufgereiht wurden und mancher, der im Kloster etwas galt, den Rotwein - wiewohl er im übri­ gen vortrefflich war - aus Feinsehrneckerei verschmähte . 83 Cic. in Cat. 1, 1, 2 (und öfters noch von C icero zitiert). 84 V gl. Quintilian, Inst. orat. 9 , 4 , 41. 85 Vgl. Kap. 1 20.

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Casus s. Galli 134/135

Sed abbas , Cralohi de fratre quidem, Notkeri autem d e sorore cum nepos esset, ingenita sibi ab utrisque severitate , partim quia sub Purchardo vacillante liberius vixerant, partim ut fama h�c regum aures adtingeret, fratres artius in claustro, qui eius­ modi erant, stringere curabat. Taliumque ille culpas palam secu­ lo factas foris claustrum interdum puniverat. Sed et plerumque in curtes longius sitas pane sordidiore aquaque alendos exiliave­ rat. Neque sie quidem linguas detrahentium restrinxerat , cum et suimet patrui filium multa scientia inflatum Furintowam, alte­ rum autem Nechirburc diu relegaverit•. Pro quibus eum et aliis quidem similibus per nuntios et litteras cum reges regratias­ sent, non tarnen aput eos secure tutus esse longo tempore pote­ rat. Quod in loco suo post apparebit86• 135. Talis ille cum in claustro fuisset, laicis quidem et militibu s

e t famulis longe alius erat . Milite s quidem, quando s ibi absque fratribus esse vacabat , intus et foris mens� su� propositores et pincernas ebdomadarios habere solebat; disciplinanterque sibi a b eis ministrari volebat . Filios autem aliquorum , qui patrum be­ neficia habituri erant, ad s e sumptos severe educaverat. Qui co­ ram eo interdum nudi tabulis luserant87 • Sed et pro avibus capto­ riis et ceteris , quibus libertatis indoles exerceri decet, si deli­ quissent, a magistris exacti vapulabant. Quibus tarnen missionis pro etate temporibus armaturas ille et munera d abat. His simili­ busque, qu� s e frugi hominem vulgassent, operibus adeo s e ille commendabat, ut ubique de eo fama volaret, sed e t coram ipsis quoque regibus non aliter nisi boni abbatis praenomine memora­ retur . Hartmuoti vero constitutiones88 cum omnimodis servari solli­ citus esset, loco plerumque cedebat, ut effusius fratres eo absen­ te letificarentur , dicens decano et symistis sui s : "Si eorum cau­ s a , quorum his temporibus in monachos sunt ora patula , inflexi­ bilem rigorem semper tenuerimus , aut archum regul� frange­ mus aut chordam eiu s , mihi" , ait , "credite, rumpemus89• Ideoque , • religaverit Hss. 86 Kap. 137 ff. 87 Das Brett· oder Schachspiel als ritterliche Ü bung und Unterhaltung.

Ritter- und Mönchszucht

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Doch dem Abt, der ja von Bruders Seite Cralohs, von S chwesterseite aber Notkers Neffe war, eignete von beiden die Strenge , und so trug er - teils weil sie unter dem fußlahmen Purchard lockerer gelebt hatten, teils damit die Kunde hiervon zu Ohren der Könige gelange - Sorge da­ für, die Brüder von jener Art fester an die Klausur zu binden. Dabei ließ er ihre Verfehlungen, soweit sie vor der Welt draußen geschehen waren, zuweilen außerhalb des Klosterbezirkes bestrafen. Aber öfters auch verbannte er die Schuldigen nach abgelegenen Höfen zur Kost von Was­ ser und minderem Brot. Und nicht einmal auf diese Weise vermochte er die Lästerzungen der Verleumder zurückzubinden, obgleich er sogar sei­ nes eigenen Oheims Sohn, der von viel Wissen aufgeblasen war, nach Faurndau, einen anderen aber nach Neckarburg auf lange Zeit verwies. Und wiewohlihm hierfür und für dergleichen mehr die Könige durch Bo­ ten und Briefe ihren Dank zollten, konnte er sich bei ihnen doch nicht lange unbesorgt in Sicherheit wiegen. Was sich hernach an seinem Orte erweisen wird86 • 135. So gab sich Notker im Innern des Klosters; doch den Laien, Kriegs- wie Dienstleuten gegenüber zeigte er sich gänzlich anders. Die Ritter nämlich hatte er, wenn es ihm vergönnt war, ohne die Brüder zu sein, gewöhnlich drinnen und draußen zu wöchentlichen Truchsessen und Schenken seiner Tafel; und er wünschte, von ihnen in gehöriger Ma­ nier bedient zu werden. Die Söhne aber von einigen, die die Lehen ihrer Väter besitzen sollten, nahm er zu sich in strenge Zucht. Die übten sich nun manchmal vor ihm leichtbekleidet im Brettspiel87• Aber auch wegen der Jagdvögel und anderer Dinge , womit sich die Jugend von freier Ge­ burt beschäftigen soll, wurden sie von den Lehrmeistern zur Rechen­ schaft gezogen und gezüchtigt, wenn sie sich dabei etwas hatten zuschul­ den kommen lassen. Indessen machte Notker ihnen jeweils zur Zeit ihrer Mündigkeit und Entlassung Waffenstücke und Kostbarkeiten zum Geschenk. Durch diese und ähnliche Maßnahmen, die ihn als einen beson­ nenen Mann bekannt machten, empfahl er sich so sehr, daß überall von ihm rühmende Rede ging, daß er aber auch selbst vor den Königen nicht anders als mit dem Titel eines vortrefflichen Abtes genannt wurde. Während er aber darauf bedacht war, die Satzungen Hartmuts88 in allen Stücken zu bewahren, verließ er St. Gallen des öftern, damit sich die Brüder in seiner Abwesenheit ungezwungener ergötzen möchten, wobei er dem Dekan und seinen Vertrauten erklärte: "Wenn wir derentwegen, die zu diesen Zeiten ihren Mund gegen die Mönche aufgesperrt haben, fortwährend eine unbeugsame Strenge beibehalten, werden wir entwe­ der den Bogen der Regel zerbrechen oder, glaubt mir nur", so sagte er, "ihre Saite zerreißen89• Und weil ich es offen nicht dulden mag, will ich 88 VgL Ratpert, Kap. 27. 89 VgL Phaedr. fab. 3, 14, 10.

264

Casus s. Galli 135/136

quia id palam pati non audeo, clausis super s e ostiis , ut aliquando remissins fratres mei agant, consulto carissimis loco cedere " , ait , "volo. Videte tarnen", ait, "obsecro vo s , domini, i n quibus reclinor, ne effuse effluant et ne laici hilaritati illorum omnino intersint, . maxime autem servi, quorum nec iusiurandis credere sepiu s " , ait, "didicimus."

136. Clanstrum autem sancti Galli , quoniam locum hunc incidi­ mus, ab antiqua patrum memoria tant� venerationi semper est habitum , ut nemini vel p o tentissimorum s eculi canonicprum seu laicorum introitus vel etiam introspectus eius licuerit. Unde et dicere habeo, quod ab religiosis huius temporis mihi ,quidem dis­ credi scio. Vidi egomet ante tempora , qu� a Gallis patimur , mo­ nachorum scismatis90 comites aliosque potentes, loci quoque mili­ tes , pro delectatione festis diebus crucem nobiscum per clau­ strum sequendi, iuvenes et senes, quosdam ad cingulum barba­ tos , monachicis indutos roccis , nobiscum, quaqua ivimus, ingredi. In refectorio quoque octo de illis , qui tarn en emeriti videbantur , circa abbatem et decanos ad

m e nsam monachico consedisse habi- .

tu in die pasche vidi.

Sed et ut ris u m de commessatorum ipsorum uno moveam: Bernhardus quidam, domi supra mensam silere non solitus, hic cum circa subdecanum Rupertum mensuram pur� potionis su� coram s e habentern consedisset, ut domi s olit u s erat, statim bi­ bere vole n s , eam manu sumpsit et impiger haus�t . At ill e sciens eum iocundum, silenter in aurem homini: "Regulariter nostrum est" , ait. Et ille inmemor, quo prestructus erat, silentii: ;,Si no­

strum est, bibamus illu d l " palam omnibus dixit. C ontinuoque· sibi poculo oblato: "Ecce et istud nostrum est; bibanius igitur et ip­ suml" Raucosus enim ludibund� voc l s erat et morum, manu for­ tis quidem. At Nokerus, annorum suorum ubertate quidem oppido habun­ d u s , p lurima, qu� nemo antecessorum eius umquam ausus sit, ad­ gressus e s t et fecit. Muros e nim ille super vallos ab Annone pa­ truo ceptos91 cum i nterpostis turribus et portis perfecit. Ad has impensas ill e plura profundens, univers� famili� praebendariis,

265

Laienbesuche im Kloster - Notkers Bauten

nun absichtlich, meinen teuren Brüdern zuliebe", so sprach er, "von .hier verschwinden, damit sie , wenn sie die Tür hinter sich zugeschlossen haben, sich einmal lockerer benehmen können. Seht jedoch zu , sagte er, "ich besch w ör e euch, ihr Herren, auf die ich mich stütze, daß sie nicht über die Stränge schlage n und daß keinerlei Laien an ihrer Frö h lichkelt teilhaben, insbesondere aber keine Knechte ; haben wir doch gelernt", sagte .e r, "nicht einmal ihren Sc.hwüren zu trauen." 136. Die Klausur des heiligen Gallus aber ist - nachdem wir denn auf diese Ö rtlichkeit gekommen sind - seit ältestem Gedenken der Väter stets in so hoher Verehrung gehalten worden, daß keinem noch so mäch­ tigen Weltgeistlichen oder Laien der Eintritt oder auch nur der Einblick erlaubt gewesen wäre. Und deshalb auch muß ich �twas erzählen, was mir die Frommen der Gegenwart n at ü rl i c h ; .ich weiß, nicht glauben wer­ den. Selber habe ich vor den Zeiten .30.

8 - 8 M atth. 18, 32; Luc. 19, 22.

278

Casus s. Galli 1 43/144

hoe ille iam erebro, clausis super se intus hostiis , fecisset, qua­ dam die Riehero sciseitanti, quomodo se magister fratrum noetu haberet: "Enimvero optime " , ait , "si ei earnes iam dare habe­ rem; nam quas habere potui, eonsumpsimus." "Be n e " , ille ait , "mi sodes, narras ; neque enim tibi per me deerunt. S e d quod tibi dieo, ut de vita eures, faeito ! Ianuas noete proxima s erare te si­ mulato, reseratasque sinito ! Et a ministris nostris , qu� habun­ dent, earnibus sumptis opipare eas vobis parato ! " Venit ille noete proxima d e eompletorio; et ut solebat, mensam ei minister fidissimus apponens earnibus onerabat, letamque noetem habituros promittebat. Et eeee praepositus, assumptis quibusdam de fratribus , avide illis supervenit eomedentibus . Et stans super illos : "In bonis", inquit, "operibus te , magister sane­ te , invenimu s . Enimvero" , ait , "egrotis nostris , si tu velles, seul­ tella h�e magis lieeret quam tibi ! " Et allevans illam, in faciem eam minatus pereuter e , non tarnen fecit . Vigilem autem , quasi et ipsi iratus , servum nequissimum voeans, numquam in eonspee­ tum suum venire iussum domo expulit. Soloque illo deeeptore quidem regum et regni relieto abierunt, ianuis , ne ultra intus in­ traret, claustri post se sollieite elausis . At ille malum sibi aliquot• maximum eras futurum timen s , d e noete fugam iniit latibulumque die illo inter fruteeta montis pro­ ximi habuit. Sed et abbas eum neminem illum persequi v ellet, se­ eurus taudem suimet faetus , deambulatoribus peregrinis , qui Ro­ mam ibant, iungitur. Sed quid postea fortun� habuerit, quia dubie affirmatum est, odio nominis eius libens ignoro. Et h�e est trage­ dia Sandrati ypoerit� iussu Ottonis magni in nos moliminum. 144. Misit taudem abbas litteras Ottonibus et regin� in S axo­

niam eum muneribus, scissitans tempus adventus eorum, nee non et Ekkehardo quaternionem omnem seriem Sandrati tenen­ tem. Quam ille Ottoni filio eum in seeretis legere daret, i n tautos hyroni� eaehinnos solutus est, ut mater eius superveniens, quid esset, quereret. At ille seripturam illam ipsi dans, legere eam ro­ gavit - nam litteratissima erat - qu� fortuna s e eelato missum a patre saueturn Sandratum eomitata sit et seeuta. Quam eum et • st. aliquod.

Sandrats Entlarvung und Flucht

279

in anderen Nächten tue . Und dies nun hatte der Wächter schon häufig getan, indes die Türen hinter ihnen von innen verschlossen blieben; da e rkundigte sich eines Tages Richer, wie sich denn der Lehrmeister der Brüder des Nachts befinde , und er erwiderte : "Fürwahr, sehr gut, wenn ich ihm erst Fleisch geben könnte; denn was ich bekommen konnte, ha­ ben wir verzehrt." "Zur guten Stunde, mein Freund", sagte Richer, "er­ zählst du das. Denn es wird dir mit meiner Hilfe nicht mangeln. Doch was ich dir sage, das tue , wenn dir dein Leben lieb ist! Verschließ also nächste Nacht nur zum Scheine die Türen und laß sie aufgeriegelt. Und laß dir von unseren Dienern Fleisch geben - es soll reichlich sein - und bereite es herrlich für euch zu!" Und Sandrat kam in der nächsten Nacht von der Komplet, und wie ge­ wöhnlich trug ihm sein ergebenster Diener die Speisen auf und belud den Tisch mit Fleisch und versicherte, sie würden eine fröhliche Nacht verbringen. Und siehe , während sie noch gierig aßen, kam über sie der Propst mit einigen von den Brüdern, die er dazu genommen. Und da er über ihnen stand, sagte er: "Bei guten Werken treffen wir dich , heiliger Meister! Wahrlich", fuhr er fort, "unseren Kranken würde, wenn es dir beliebte, diese Schüssel mehr zustehen als dir! " Und indem er sie empor­ hob, drohte er sie ihm ins Gesicht zu werfen, tat es aber freilich nicht. Den Wächter aber nannte er, so als zürne er ihm ebenfalls, einen Tauge­ nichts von Knecht, hieß ihn, ihm nie mehr unter die Augen zu kommen, und jagte ihn hinaus . Sandrat jedoch, den Betrüger von Königen und Reich, ließen sie alleine zurück und gingen weg, und damit er nicht län­ ger ins Innere gelange, wurden die Türen zur Klausur hinter ihnen sorg­ sam verschlossen. Er aber, voller Furcht, daß seiner am Morgen eine hohe Strafe warte, ergriff noch in der Nacht die Flucht und hatte selbigen Tags sein Ver­ steck unterm Gebüsch des nächsten Berges. Da aber auch der Abt nicht mochte , daß ihn einer verfolge, schloß er sich, seiner Furcht endlich ent­ hoben, vorbeiziehenden Pilgern an, die nach Rom gingen. Doch was er ferner für ein Schicksal hatte, ist nicht schlüssig bewiesen und will ich bei dem Widerwillen gegen seinen Namen auch gerne auf sich beruhen lassen. Und dies ist das Jammerspiel von Sandrats Aktionen , die der H euchler auf Geheiß Ottos des Großen gegen uns in Szene gesetzt. 144. Schließlich übersandte der Abt den Ottonen und der Königin einen Brief mit Geschenken nach Sachsen und erkundigte sich nach dem T ermin ihrer Ankunft; ingleichen schickte er Ekkehard ein Bündel Blät­ ter, das die ganze Sandratsche Geschichtenfolge enthielt. Als nun Ekke­ hard das Heft Otto dem Sohn insgeheim zu lesen gab, brach der König in solches Hohngelächter aus, daß seine Mutter hinzutrat und fragte, was denn los sei. Doch er reichte ihr den Text hin und bat sie - war sie doch überaus gebildet - zu lesen, welches Geschick den ohne sein Wissen vom Vater ausgesandten heiligen Sandrat begleitet und verfolgt habe .

280

Casus s. Galli 144/145

ipsa quidem studiose perlegeret ris umque non contineret, filio ait : "Enimvero, fili, tarn indecens michi videtur fuisse patrem tu­ um talibus viris , quales et nos nuper d e illis vidimu s , tale scelus inmisisse 9monstrumque hominis9 tant� reverenti� viros post se trahere iussum fuisse . Eia", ait, "auricularis patris tui fuit ille hominum vilissimus et Deo odibilis . Sed et e go fallebar in ill o , macilentum videns et pallidum habituque neglectum, magnum­ que aliquid nos in eo exspectare sperabam. Scio autem tibi et Ek­ kehardo quicquam de hac re patri tuo loqui minu s " , a i t , "conveni­ re; sed ego quidem, quando primum copia fuerit , scripturam istam fida interpres auribus eius aperiam. " Miles quidam abbatis , nuntius datus, regi tandem regina astante litteras dans , munera offert. Continuoque grate accep­ tis , quomodo Sandrat se habeat, interroganti regina infert: "Mi­ chi " , ait, "hoc, domine mi, iniunctum est epistola lecta tibi inter­ pretari."

145. Quam cum ipsa legisset, finis eius erat: Moveatque maie­ s tatis tu(( pie tatem indis cre ta varie tas m o le s tiarum, quas per s e ­ de cim e bdomadarum spatia

cum

fratribus meis perpessus sum.

Et illa:. "Has , domine , in his cartis breviatas, 10si me amas10, cle­ menter " , ait, "audi!" Cumque e i scripturam illam totam , quam ci­ tissime poterat, fidelis interpres absolveret: "Tedet me", ait , "mi dilecta, et piget audisse vana hominis totque indiscreta moli­ mina. Sed et miseret me" , ait, "mei timore talium et tant� humi­ litatis patienti�que Dei virorum. 0 " , inquit , "in conspectum dare­ tur deceptor ille levissimu s , quam cunctis ypocritis in exemplum esset futuru s ! " Accitoque regin� consilio Ekkehardo: "S cribe" , ait, ,Nokero tuo cum suis non meam tantum illis , s e d e t illorum michi, quia commoti sunt, gratiam ! Et si eos contristavi inscius , propter invictam illorum mei causa patientiam e o s , si vixero , sciens letificabo. Adventumque nostrum in maio Deo donante ad eos futurum et vulnera, quibus a perversis s eductus eos lesi, sanaturum."

Bericht an den Hof

-

Des Kaisers Abbitte

281

Und als sie ihrerseits die Schrift eifrig durchlas und sich des Lachens nicht enthalten konnte, sprach sie zum Sohn: "Wirklich , mein Sohn, ich glaube, es war sehr häßlich, daß dein Vater solchen Männern, wie auch wir jüngst ihrer welche erlebt haben, einen solchen Schurken zuschickte und daß man 9ein Ungeheuer von einem Menschen9 dazu befahl, derart hoch­ ehrwürdige Männer hinter sich her zu zerren. Ach ja", sagte sie, "Ohren­ bläser deines Vaters ist jener gemeinste unter den Menschen und Gott verhaßte gewesen! Doch auch ich täuschte mich in ihm, wie ich ihn sah: mager und bleich und im Ä ußeren vernachlässigt, und ich hoffte, daß wir etwas Großes in ihm erwarten dürften. Nun weiß ich, daß es dir und Ek­ kehard nicht wohl ansteht", so schloß sie, "über diese Sache mit deinem Vater zu reden; ich aber werde , sowie sich nur die Gelegenheit dazu er­ gibt, dieses Schriftstück da als getreuliehe Ü bersetzerin seinen Ohren erschließen." Ein Gefolgsmann des Abtes, als Bote gesandt, übergab endlich dem König im Beisein der Königin den Brief und überreichte die Geschenke. Und da er sie mit Vergnügen empfangen, fragte er gleich, wie sich Sandrat befinde, worauf die Königin ihm entgegnete : "Mir, mein Herr, obliegt es, dir hierüber nach Lektüre des Briefes Auskunft zu geben." 145. Sie las also den Brief, und sein Schluß lautete: "Und den gütigen Sinn Deiner Hoheit möge das Knäuel willkürlicher Plagen, wie ich sie sechzehn lange Wochen hindurch mit meinen Brüdern ausgestanden habe, zu Mitleid bewegen." Und die Königin sprach: "Die betreffenden, in diesen Blättern kurz verzeichneten Plagen, o Herr, höre sie 10 mir zuliebe 1 0 gnädig an!" Und als sie ihm jenes ganze Dokument, so flink sie konnte , als getreuliehe Dolmetscherin bis zu Ende übersetzte , sprach der Kaiser: "Ekel erregt es mir und Verdruß, meine Teure , von den Hohlheiten dieses Menschen und so vielen Akten seiner Willkür zu er­ fahren. Doch dauern mich auch", versicherte er, "diese Gottesmänner, die aus Furcht vor mir so große Demut und Geduld bewiesen. 0 ", sagte er, "käme mir jener billigste Betrüger nur unter die Augen, wie sollte er sämtlichen Heuchlern künftig ein Exempel sein ! " Und zu Ekkehard , den man auf Rat der Königin herbeigeholt, sprach er: "Schreibe deinem Not­ ker und den Seinigen nicht bloß von meiner Gunst für sie, sondern bitte auch um ihre Gunst für mich , da sie doch empört sind! Und habe ich sie unwissentlich betrübt, so werde ich sie, wenn ich am Leben bleibe, wis­ s entlich mit Freude erfüllen, weil sie um meinetwillen litten und dabei standhaft blieben. Und schreibe, daß unsere Ankunft bei ihnen, wo Gott es gibt, im Mai erfolgen werde und die Wunden heilen soll, die ich , von bösen Menschen verführt, ihnen zugefügt." 9 - 9 V gl. Terent. Eun. 696. 10 - 10 Terent. Heaut. 103 1 .

282

Casus s . Galli 1 45/146

Ingreditur interea Otto filius . Pater illi scripturam illam quasi rerum inscio dat legendam. Ille autem inter legendum dum ride­ ret: "Miror te" , pater ait, "ridere, quod me libet fiere." "Quod verax factus sis " , ait, "hoc, pater, gaudeo. Crebro vobis cum eum insinuarem, et vos tarnen me inconsulto illuc hominem misistis, quisquis esset, celare non potuit . S e d vel nunc queratur , pater, ubi sit, ut, cum nos in locum", ait , "venerimu s , in conspectu dis c i­ pulorum

suorum,

quos

indigne

tractaverat,

ipse

digne

tractetur." Et regina: "Si patri tuo, fili" , ait, "prius ille ad manus venerit, non meo consilio eum illuc reservabit ." 146. Dimissus hilariter miles abbatis , boni nuntii gerulus ,

omnes sancti Galli viros letificans regum eis verbis edixerat, ut, quoniam ipsi iam experti sunt, quod bene quidem vellent, post­ hac viverent, quocumque modo vellent. Neque enim iam ultra ullum eis ypocritam spondent inmis s uros. Parantur in adventum illorum multimoda laudum recens dic­ tatarum, ceterarum, ut solet, rerum copiosa impendia . Veniunt in locum in vigilia ascensionis, qu� fuit in die sanct� Potentian� virginis1 1 • Suscipiuntur honore, quo decuit . Otto magnus, a fra­ tre Prunone Coloni� archiepiscopo12 sinistra d uctus , d extra ba­ culo fultus, filio autem matrem ducente, Ionge ipse pre aliis quasi leo pre bestiis , fratre manu osculata decedente, solus in medio, fratribus hinc inde ad Iaudes in lateribus ecclesi� directim statu­ tis , quasi statua constitit. Oculisque grandibus in fratres hinc in­ de versatis , quam antea noverat, si adhuc sit , disciplinam pro­ bans, baculum sibi decidere sivit. Cuonone autem duce13, genero eiu s , accurrente baculumque sibi timorate restituente , stare illum iubens ait : "Ecce, ego disciplinam horum , quam et tu forsi­ tan audisti, temptans , baculum mihi decidere sivi , neminisque illorum caput aut oculos ad hoc motos vidi. Die vero Adilheide mee et filio versutiam, quam feci ! " Filius autem sepe facete loqui

Zur Wahrheit bekehrt - Kaiserbesuch

283

Derweilen trat Otto der Sohn herein. Und als hätte er noch keine Kenntnis davon, gab ihm der Vater jene Schrift zum Lesen. Da er aber bei der Lektüre lachte, sagte der Vater: "Ich muß mich wundern, daß du lachst, wo ich weinen möchte." "Daß du zur Wahrheit bekehrt worden bist", sagte er, "darüber, Vater, freue ich mich. Nachdem ich euch wie­ d erholt vor ihm warnte und ihr ihn gleichwohl, ohne meinen Rat zu hö­ ren, dorthin geschickt habt, hat er sein wahres Ich nicht verhehlen kön­ nen. Aber jetzt wohl, Vater, sollte man in Erfahrung bringen, wo er ist, damit er dann", sagte er, "wenn wir nach St. Gallen kommen, angesichts seiner Schüler, die er ungeziemend behandelte, geziemend behandelt werde." Und die Königin sprach: " S ollte er deinem Vater, Sohn, eher in die Hände geraten, dann wird er ihn nach meinem Ratschlag nicht bis dahin aufsparen." 146. Der Dienstmann des Abtes wurde leutselig entlassen und ver­ setzte als Bote guter Kunde alle M änner des heiligen Gallus in Freude ; mit den Worten der Könige eröffnete er ihnen deren Erlaß, wonach sie künftig ihr Leben führen sollten, wie immer sie wollten, da die Könige ja nunmehr persönlich erfahren hätten, daß sie jedenfalls das Richtige wollten . Und sie gelobten auch, ihnen fernerhin keinen Heuchler mehr auf den Hals zu schicken. Nun wandte man auf ihre Ankunft hin vielerlei Mühe an Neuschöpfun­ gen von Lobgesängen und, wie gewöhnlich, an den übrigen reichlichen Aufwand. Sie kamen aber nach St. Gallen an der Vigil von Himmelfahrt, die auf den Festtag der heiligen Jungfrau Potentiana fieP1 • Man empfing sie mit geziemenden Ehren. Otto der Große erschien, von seinem Bruder Bruno, Erzbischof von Köln1 2 , an der Linken geführt, mit der Rechten auf den Stock gestützt, indes der Sohn die Mutter geleitete; und wie nun der Bruder nach einem Handkuß beiseite trat, verharrte er weit vor den anderen wie der Löwe vor seinen Tieren, allein inmitten der Kirche ei­ nem Standbild gleich, während die Klosterbrüder zu ihrem Lobsingen von beiden Seitenschiffen her in geraden Reihen aufgestellt waren . Und indem er seine großen Augen links und rechts auf die Brüder gerichtet hielt, ließ er sich den Stock entgleiten, um ihre Z ucht zu prüfen, ob sie noch sei, wie er sie von früher kannte . Als nun aber Herzog Kuno, sein S chwiegersohn13, herzusprang und ihm den Stock ehrfürchtig wieder gab, hieß er ihn stehen bleiben und sprach: "Siehe, um die Zucht dieser M önche, von der wohl auch du gehört hast, auf die Probe zu stellen, ließ ich mir den Stock entgleiten - und nicht einen sah ich, der den Kopf oder die Augen danach gedreht! Sag jedoch meiner Adelheid und dem Sohn die Finte, die ich angewendet habe !" Der Sohn aber, oft zu launiger 11 19. Mai; zur Datierung vgl. J . Duft, Notker der Arzt, S . 58 f. 1 2 G estorben 965. 13 Konrad von Lothringen, 955 gestorben.

284

Casus s. Galli 146/147

solitus, Cuononi referenti: "Miramur" , ait, "cum tarn firmiter im­ perium teneat , quod baculus deciderit . E nimvero quasi leo reg­ n a\ qu� ad h uc cepit, firmissime tenuit. Neque mihi, quamvis filio , partem v e l unam dedit." 147. Tandem post Iaudes finitas rex magnus neminem, nisi

quem abbas velit, secum claustrum ingredi edixit. Decano et ali­ is primoribus ad oscula vocatis, Nokerus suus ubi esset, interro­ gat. Nam ille tune senio cecus in sedili quodam sedens ei mon­ stratus est. Iubet ergo filio, ut ipse sibi adduceret illum. Qui mox osculatum ad patrem manu duxerat illum. Qui et ipse osculatus virum sub clamide astrictum, multum consolatus est illum, et manum ei dans duxit secum in claustrum. "0 me", ille ait, "feli­ cissimum cecum, qui tantos , quantos nullus uttlquam meruit, ho­ die habeo ductores ! " I n claustro autem residens iuxta se. locave­ rat illum . lbi illum episcopi et abbates laicique , quibus sepe pro­ fuit, salutabant . Abbate interea assumpto Otto filius armarium sibi aperiri ro­ gat . Quod ille rennuere non ausus, condicto tarnen risibili , ne tan­ tus predo locum et fratres spoliaret, aperiri iubet. Ille autem libris optimis illectus, plures abstulit, quorum tarnen aliquos Ekhardo rogante postea reddidit.

Notker Medicus und die Ottonen

285

Rede geneigt, meinte zu Kunos Bericht: "Mich wundert's, daß der Stock hinfallen konnte, wo er doch die Herrschaft so kräftig festhält. Wahrlich, wie ein Löwe hat er die Reiche, die er bisher erbeutet, mit aller Kraft behauptet. Und obschon ich sein Sohn bin, hat er mir auch nicht ein einziges Stück davon abgegeben." 147. Dann nach Beendigung der Laudes ordnete der große König an, daß niemand mit ihm die Klausur betrete, außer wen der Abt dazu be· stimme . Wie nun der Dekan und die anderen ranghöheren Mönche zur Begrüßung versammelt waren, fragte er, wo sein Notker sei. Notker nämlich war damals vor Alter schon blind, und er wurde ihm gezeigt, wie er auf einer Bank saß. Also gebot der König dem Sohn, ihn persön­ lich zu ihm zu führen. Und der küßte ihn sogleich und geleitete ihn an der Hand zum Vater. Er aber küßte den Mann ebenfalls und zog ihn un­ ter seinem Mantel an sich und tröstete ihn gar sehr; dann reichte er ihm die Hand und führte ihn mit sich in die Klausur. "0", sprach Notker, "ich seliger blinder Mann, der ich heute so hohe Führer habe, wie sie keiner j e bekommen hat!" Als sich aber der König drinnen niederließ , setzte er Notker neben sich. Und dort begrüßten ihn Bischöfe, Ä bte und Laien, denen er ja oft geholfen hat. Otto der Sohn hatte inzwischen den Abt in Beschlag genommen und bat, daß man ihm die Bibliothek aufschließe. Dies nun wagte der Abt nicht zurückzuweisen; doch gab er den Befehl zum Ö ffnen erst nach dem scherzhaften Vorbehalt, daß ein so mächtiger Räuber Kloster und Brü­ der nicht ausplündern dürfe. Jener aber ließ sich von den gar prächtigen Büchern verlocken und trug mehrere mit sich fort; allerdings gab er eini­ ge davon auf Ekkehards Bitten später wieder zurück.

NAMENVERZEICHNIS Das Stellenregister bezieht sich auf den lateinischen Text. Erläuterungen sind kursiv gesetzt, ebenso Namen, die erschlossen sind. Die Seitenzahlen für er­ schlossene Stichwörter erscheinen in Klammern. B. = Bischof. Gf. = Graf.

Br. = Bruder.

D. = Dekan.

Hz. = Herzog(in).

Kt. = Kanton.

M. = Mutter.

Pr. = Propst.

Rekl. = Rekluse.

K. = Kaiser(in).

Mö. = Mönch.

S. = Sohn.

Abkürzungen: A. = Abt.

G . = Gemahl(in).

Eb. = Erzbischof. Kg. = König(in).

Kl. = Kloster.

N. = Neffe. 0. = Oheim. P. = Papst . Schw. = Schwester.

T. = Tochter.

V . = Vater.

A adorf s. Ahadorf

Alsatia, Elsaß 138

A argau s. Ararispagus

Altaha, KL (Nieder-) A ltaich 188. 244.

Adalbero, B. v. Augs burg (887- 910)

22. 28 . 30. 1 1 2 Adalhardus, aus dem Haus der Gfen. v.

Bregenz-Buchhorn 170. (180). - V.: Uodalricus (V.) comes; M.: Wendil­

246. - A.: Chunibertus Altstetin, A ltsuttten (Kt. St. Gallen)

170 Amalunch,

Amalungus,

garta; Br.: Purchardus (I.) abbas; S.:

s. Ambrosius 222

Richere

Amoenae iubili 108

s . Adalheida, Adelheida, Adilheida, re­ gina, G. K. Ottos I. (f999) 138. 200.

232. (250 - 258. 268. 278. 280.) 282. Br.: Chuonradus rex Burgundionum;

S.: Otto (II.) Adalpert, Gf v. Babenberg (f906) 36 A daltag ( = A dalstan ?J rex Anglorum

1 70 A drianus papa, P. Hadrian I. (772-

795) 106 s. Afra 166 A gareni 170

laicus,

Br.

Ekkehards I. 1 54 - 160

Anglorum rex s. Adaltag Anno,

A.

v.

St.

Gallen (953-954)

16. 146 - 1 50. 264. - Br.: Craloh, Thieto apostolus 68. 206. 240. 268. - aposto­ lorum ara 108; cripta 92; titulus 32.

- s. auch s. Paulus, s. Petrus Ararispagus, A argau 64 Arbona, Arbon (Kt. Thurgau) 40. 236 Arelatum, A rles 140 Argentinensis episcopus s. Erchinbal­ dus

A hadorf, Aadorf (Kt. Thurgau) 32

Aribo, Eb. v. Mainz (1021 - 1 031) 168

s . Albanus 90; -i monasterium, St. A lban

Arnoldus, Arnolfus,

in Mainz 90 Alemannia, A lemannien 1 14. - Ale­ manni 52. - Almannica lex 46

rex, K.

A rnulf

(887-899) 34. 36. 46. 64. 70 Arnolfus episcopus, B. v. Toul (nur für

das 9. Jh. bezeugt) 202

288

Namenverzeichnis

Augia, KL Reichenau 114. 134. 192.

Cato tercius 50

194. - Augenses 186. - Augensis

C harlomannicus lidius 168

abbatia 64; -se coenobium 34. - A.:

C hnuto (

Ruodman Augusta urbs, A ugsburg 1 14. 128. 130. - Augustensis antistes 28. - B. :

Adalbero, Liutoldus, Uodalricus Augustus 182

=

Chnuba?) rex Danorum 170.

176 C hollinchova villa, Köllikon oder Köl­ liken (Kt. Aargau) 64. 68

Christus 68. 104. 124. 166. 242. 274;

s.

auch Ihesus

Chumum, Como 58. - Cumanus lacus, Rabenberg s. Pabinberch Baiderich s. Palzo

barbari (

=

Ungri) 116

Bayern s. Noricum

s. Benedictus 128. 200. 212. 214. 218. 232. 258. 260; -i cuculla 182; regula

2 04. 210. 212. 226. 270; solium 160 Berinhardus, Berhardus, Perinhardus, A. Bernhard v. St. Gallen (889- 890)

32. 34. 86 Bernhardicella, Bernhardzell (Kt. St. Gallen) 22

Bernhardus quidam 264 Berno v. Reichenau, Biograph des hl. mrich (124. 130! Besanfon s. Vesontium Bodensee (1 14. 212)

Cornersee 106

Chunibertus , Cunibertus, Pr. u. D. v. St. Gallen, A. v. Niederaltaich 188.

244. 246. 256 C huono comes, genannt Churzibolt, Gf im Niederlahngau ft948J 112

C huono dux s. Cuono Chuonradus imperator, K. Konrad 11 (1024 - 1 099) 140. (142). - G.: Gisela

Chuonradus rex, Kg. Konrad L (911 918) 40. (42. 44.) 52. 64. (66.) 70. 110.

- Br.: Eburhardus C huonradus rex Burgundionum, Kg. Konrad v. Burgund (997- 999) 138.

( 1 40).

-

Schw.: Adalheida; N.: Otto

(II . ) s. Chuonradus, B. Konrad L v. Kon·

Bodman s. Potamum

stanz

Bozanarium (vinum) 128

(208.) 218. 222 . 224. 236. (238)

Bozen s. Bozanarium Breisach

s.

Prisacha

Chur

s.

(995- 976)

178.

(190.) 206.

Curia

Churzibolt s. Chuono comes

Breisgau s. Priscouve

Cicero s. Tullius

Brun s. Pruno

Colda, Coldaha, locus, Goldach (Kt. S t.

Buchau s. Puochouva

Gallen} 20. 22

Buchhorn s. Puochorn

Coldaha fluvius, die Goldach 240

Burchardus s. Purchardus

Colonia, Köln 200. 270; -ae archiepisco-

Burgundia, (Hoch-) Burgund 76. 138. ­

pus s. Pruno

Burgundionum rex s. Chuonradus,

s. Columbani cripta 94; cambota 96

Ruodolfus

Cornersee s. Chumum

Byzanz s. Constantinus

Como s. Chumum

Constantia, Konstanz 16. 18. 34. 38. 40. Campidonenses (die Insassen von} Kl. Kempten 18

50. 54. 56. 60. 64. 66. 120. 128. 134. 224. 236.

-

Kirchen(heilige): s. Ma­

Carolus s. KaroJus

ria, s. Pelagius. - B. : Chuonradus,

castellum s. Stamhem, Waldburg

Kaminoldus, Notingus, Salomon

289

Namenverzeichnis Constantinus Grecus rex, K. Konstan­

N. : Ekkehardus (II.), Ekkehardus (111.), Notkerus (Teutonicus), Pur­

tin VIL v. Byzanz (912- 959) 184

Cozpertus, A. Gozbert v. St. Gallen

chardus (II.) abbas Ekkehardus, Ekhard

(81 6- 83 7) 184

Craloh, Cralo, Kralo, A. v. St. Gallen

(II.) palatinus,

MtJ. v. St. Gallen (f990) (168.) 182.

(942- 958) 16. 146 - 152. (154 - 158.)

184.) 186 - 190. (192.) 194 - 204. 208.

160. (162.) 164 - 1 68. (170. 176.) 262.

212 - 218. 224 - 234. 248 - 258. 266.

-

Br.: Anno, Thieto; N.: Notkerus

278. 280. 284. - 0.: Ekkehardus (1.) Ekkehardus (III.) minor, MtJ. v. St.

abbas

Gallen (168. 192.) 194. - 0. : Ekke­

Crimaldus s. Grimaldus

hardus (1.)

C umanus s. Chumum L o thringen

Ekkehard IV., MtJ. v. St. Gallen, Ver­

(944 - 955) 282. 284. - Schwiegerva­

fasser der Casus (16. 54. 140. 164.

Cuono, Hz.

Konrad

v.

ter: Otto (1.)

168. 218. 264)

C uria, Chur 58. - Curiensis episcopus s. Hartpertus, Hiltebaldus

Elewangae, Kl. Ellwangen 18.

-

Ele­

wangensis abbatia 200. - A.: Milo Elsa.ß s. Alsatia

Engilpertus, Engilbertus, A.

Danai (nach Vergi� A en. 2, 491 194 Dani 164; -orum rex 170

Gallen

Darviensis episcopus s. Landaloh

v.

St.

1 10 - 116.

( 1 18.) 122. 132. 134. (136.) 140 fers 148 - 1 52. 160. - N. : Victor

D egenau s . Tegerinouva

demones 78. 92. 96. 102. 134. 140; s. auch diabolus, satan

Erchinbaldus, B. v. Stra.ßburg (965 991) 162

s. Desiderii dies 206

Erchinger, Gf. in Schwaben (f91 7) 36.

diabolus 82. 88. (92.) 94 - 98. 114. 274; s. auch demones, satan

(38. 40.) 42. (44.) 46. (48 - 52). - G.: Perhta; Br.: Perhtoldus; N.: Luitfri­

Die tingen s. Thietingen

dus Erim bert, V. Jsos (70 - 74). - G.: Wal­

Die trich s. Thietericus

mons, Hohentwiel 48.

16.

Enzelinus, Enzilinus, Pr. u. A. v. Pfa­

David novus 112

Duellius

(925 - 933)

50.

184 - 192. (196.) 198. 226. - A.: Wazemannus

trada

Erpho, B. v. Worms (erwahnt zum J. 999) 210. (230)

Esdras 62 E burhardus, Hz. Eberhard v. Franken (918- 939) 1 10. 1 12. - Br.: Chuonra­

dus rex

ethnici, die Heiden 258 Eusebius, Rekl. auf dem Victors berg (f884J 74

Edgith s. Otigeba

Eva 172

Einhard, Biograph Karls d. Gr. (58)

Ezechias 132

Ekkehardus, Ekkeharth (1.) decanus,

MtJ. u. D. v. St. Gallen ft9 73J 154.

Fauces, Fauces Iuliae, KL Füssen 22. 54

( 1 58.) 166 - 172. 176 - 182. (186.) 188.

Favariensis abbatia, KL Pf4fers (Kt.

(190 . ) 198. 210. (218. 220.) 224. 232. 236. 238. 248. 252. 258. 260. (262. 268 - 276. 284). - Br.: Amalunch;

St. Gallen) 64. 146. 152. 178. - Fava­

rienses 148. - A.: Enzelinus Favius, fM. Favius) Quintilianus 78

290

Namenverzeichnis

s . Felicis in Pincis dies 168 Francia, (Herzogtum) Franken 36. 52.

pertus, Notkerus, Othmarus, Pur­ chardus, Thiepaldus, Thieto, Uodal­ MiJnche: Chuniber­

148. - Franci 36. 110. - Hz.: Ebur­

ricus, Ymmo.

hardus

tus, Ekkehardus, Geraldus, Hart­

-

Francia, das Frankenreich 106

mannus, Heribaldus, Iso, Marcellus,

Frankreich s. Gallia

Notkerus, Ratpertus, Richere, Ruod­

Fraxnith, La Garde-Freine t bei Saint-

Friccouve, Frickgau 136 Friedrichshafen s.

Puochorn

Frigdorae iubili 108 Filssen s.

kerus, Ruomo, Rupertus, Sindolf, Sintrammus, Tuotilo, Victor, Walto,

Tropez 138

Fauces

Waltrammus, Waninc, Wolo Gaminoll s. Kaminoldus Gebhard v. Augsburg, Biograph des hL Ulrich (124. 130)

Fulda s. Fultensis

Gebo s. Kebo

Fultensis abbas s. Hatto

s. Georgii titulus, St. Georgen in St.

Furintouva, Faurndau im Filsgau 262

Gallen 166

Geraldus, Gerhaldus, Kerhaldus, Ker­ Gallia, Gallien ( = Frankreich) 76. Galli 264. - contractus Gallus gene­ re 180

holdus, Mö. v. St. Gallen 154. 164. 182. 188. 208. 240 - 244 Gerhard v. A ugs burg, Biograph des hl.

s. Gallus, Gründerpatron St. Gallens

Ulrich (124. 130)

16. 18. 24 u. oft; -i semifacies 252;

Gerhardus s. Kerhardus

dies 28. 30. 268; vigilia 266; - im

s . Germani ecclesia, KL Mautier-Grand­

Wortspie l (Gallus/gallus) 116. 232;

val im Berner Jura 76; - s. auch

- in Personifizierung des Klosters

Grandivallensium coenobium

selbst 20. 26. 30 u. oft. - s. Galli coe­

Gerrich s. Kerho

nobium 16 u. iJfter; claustrum 36 u.

Gis e la, G. K. Konrads II. (f1043) (142).

iJfter;

locus 22 u. iJfter; coetus 210;

- Schw. : Mahtilda

familia 162; milites 258; monachi 18 u.

Gise lbert s. Kisilbertus

iJfter; vicarius 110; - s. auch Sancti­

Goldach s. Coldaha

gallensis. - s. Galli ara 34 u. iJfter;

Gozbert s. Cozpertus

armarium 64. 194. 200; basilica 42.

Grandivallensium coenobium, KL Mou-

96; calix 178; campanarium 98; can­

tier-Grandval 74; - s. auch s . Ger­

celli 242; capella 236; cimiterium 32.

mani ecclesia

76; ecclesia 142. 246; fornix 184; re­

Grecismus, Griechischkenntnis 194

fectorium 44; templum 1 18; thesau­

Grecus 184. 194; Grecum, das Grie­

rarium 222. - Siedlung u. Stadt St.

chische 194. - Grecus rex 184; -ae

Gallen (120. 148. 244. 264). - Kir­

litterae 184; epistolae canonicae 1 02.

chen u. Kapellen: ss. Apostoli, s. Co­

- Grece 68

lumbanus, s. Georgius , s. Iohannes,

Gregorius papa, P. Gregor I. (590-

s . Magnus, s . Michahel, s . Otmarus, s . Petrus, ss. Virgines. - Ä b te: An­

Grimaldus, Crimaldus, A. v. St. Gallen

604) 106

no, Berinhardus, Cozpertus, Craloh,

(84 1 - 8 72) 18 - 22. 32. 42. 74; - kgL

Engilpertus, Grimaldus, Hartman­

Erzkanzler 18

nus, Hartmuotus, Kerhardus, Nor-

Großer St. Bernhard s. Iovis mons

291

Namenverzeichnis Hadawiga, Hadewiga, Hz. Hadwig v.

Hiob s. lob

Schwaben (f99J,.) 184. (186. 188.) 192.

Hippocratica s. Ypocratica

(194. 196.) 198. (226.) 230. 234. 260. -

Hirminger, lrminger, quidam 136

G.: Purchardus (li.) dux; V.: Henri­

Hiso s. lso

cus dux; cognatus: Purchardus (ll.)

Hohenaltheim (52)

abbas

Hohentwie l s. Duellius mons

Hohfeldi mons, Hochfeldini montes ,

Hadrian s. Adrianus

Hartmannus, Harthmannus, A. v. St.

Hochfe ld (Vogesen) 138. 164

Gallen (922- 925) 16. 18. 26. 84. 88.

Holophernici archipresbyteri 240

104. (106.) 108. 110. (136)

Horatius s. Oratius

H artmannus minor, Mö. v. St. Gallen

Hosten, Höchs t im Bodensee-Rheingau 174

104. 124 Hartmuotus,

Hartmotus, A.

v.

St.

Gallen (872- 883) 18 - 24. (26. 30.)

Hugo homo primarius 132 Huozo presbyter 230

32. 74. 86. 106. 142. 144. 234. 262. cognatus: Landaloh, Ruodolfus rex Hartpertus, B. v. Chur (91,.9 - 968) 1 50 Hatto, Eb. Hatto L v. Mainz (891 - 913)

lhesus, Hiesus 104. 166; s. auch Christus lmmo s. Ymmo lngilinheim, Inge lheim 38. 140

18. 34 - 38. 56 - 60; - Fultensis mo­

lob 172

nachus et abbas 34

s. lohannes Baptista 166; -is dies 232;

Hatto servus 276

ecclesia, St. Johanneskirche in St.

Henricus archiepiscopus, Eb. Heinrich

Gallen 166

von Trier (956- 961,.) 206 - 212. 216.

Henricus comes, Gf Heinrich, S. des We lfen Rudolf 54. - M.: Ita; Br.:

ern (91,.8- 955) 184. 238. 246. - T. :

Johannes

Diaconus,

Kg.

Heinrich

L

(919 - 936) 110 - 1 14. 130. 170;

Henrich comes in Saxonia 1 10. - G.:

papa, P.

Johannes

loniswilare, Jons- oder Jonschwil (Kt. losephus, Flavius Josephus, jüdischer Geschichtsschreiber 182

lovis mons, Großer St. Bernhard 32 lra, Zufluß der Steinach 20

W endilgarta

lrminger s. Hirminger

H erginisouva, Herisau (Kt. Appenzell)

lso, Yso, Hiso, Mö. v. St. Gallen (f871J 18 - 22. 70. (74.) 76. - V.: Erim b ert;

32. 166. 168 H eribaldus, Heribolt, Mö. v. St. Gallen 1 16 - 124. 134

M.: Waltrada Ita, G. des We lfen Rudolf (51,.). - S.:

Herodes 50

Henricus comes ,

Hettinus camerarius 130

Richardis

W elfhardus;

T. :

Italia 56. 58. 112. 148. 150. 268. - Itali­

H iesus s. lhesus 202. (204)

VIII

(872 - 882) 240

Mathilda; S. : Otto (I.), Pruno; neptis:

H iltebaldus, B.

Bio­

graph P. Gregors L 106

St. Gallen) 166

Hadawiga rex,

lohannes, lohannes

Welfhardus; Schw.: Richardis Henricus dux, Hz. Heinrich L v. Bay­

H enricus

s. lohannes Evangelista 242. 244; -is octava 68

218. 222. 224. 228 - 234

v.

Chur

(968 - 995)

cus aer 32; -a febris 60 lur ls silva, Jura:Wa ld(ge l:iirge) 138

Namenverzeichnis

292

KaminoJdus, B. Gaminoll v. Konstanz

Lotharingorum dux s. Kisilbertus Ludowicus, Luodowicus, Luduwicus,

(975-979) 196. 240 KaroJus imperator, K. Karl d. Gr.

rex, Kg. Ludwig d. Deutsche (843-

(768-814) 58. 106; -i prosapia 170

876) 18. 20. 70. - S.: KaroJus (III.)

KaroJus rex, K. Karl /ll. (876-887) 28.

Luduwicus rex, Kg. Ludwig d. Kind

32. 34 .. 44. 70. 74. 78. 86. 104. 236. 240. 248. 258. - V.: Ludowicus

Kebo, Gebo, A. Kerbodo v. Lorsch (951-972) 206. (208.) 210. 214. 216. 220. 222. 228-236. 260. 272 Kempten s. Campidonenses

(900-911) 70 Luitfridus, Gf im Elsaß 138 Luitfridus, Luifridus, N. Gf Erchin­ gers u. Perhtolts 46. (48-52 )

LuitoJdus, B. v. Augsburg (989-996) 166 LuitoJfus, Hz.

KerhaJdus s. GeraJdus

150.

Kerhardus, Gerhardus, A.

v.

St. Gallen

-

v.

Schwaben ft957) 148.

V.: Otto (1.); M.: Otigeba

S.: Otto dux; 0.: Pruno

Luitwardus, B. v. Vercelli (f900) 102

(990-1001) 16. 246 KerhiJda, RekL in St. Gallen ft1008) 164. - 0.: Notkerus BaJbuJus

Kerho, A.

Gerrich v.

Weissenburg

Machabaei 136 s. Magnus 22. 68. 130; -i ecclesia, Jocus, tempJum, St. Mangenkirche in St.

(960-964) 208 Kisilbertus, Hz. Giselbert v. Lothrin-

Gallen 118. 130. 164

Magontia, Mogontia, Moguntia, Mainz

gen (915-939) 112 Knut s. Chnuto

36. 52. 90. 140. 168. 176. 184. 228. -

Kölliken, Köllikon s. Chollinchova

Magontini 56. - Magontinus archi­

Köln s. CoJonia

episcopus 18. 36. - monasterium: s.

Konrad s. Chuonradus, Cuono

AJbanus.

Konstanz s. Constantia

gisus

-

Eb.: Aribo, Hatto, Wile­

KoteJinda monialis 192

Mahtilda, Schw. K. Giselas 142

KraJoh s. CraJoh

Marcellus, MoengaJ, MiJ. v. St. Gallen

Kunibert s. Chunibertus

18. 20. 76. 78. - 0.: Marcus

Kuno s. Chuono, Cuono

s. Marci dies 142 Marcus Scotigena episcopus, 0. des

La Garde-Freinet

s.

Fraxnith

Marcellus 18. 20

LandaJoh, LandaJo, B. v. Treviso 32. cognatus: Hartmuotus

s. Maria 34. 56. 62. 70. 102; -ae dies 232; dormicio 232; - Kathedralkirche in

Lantbertus (108 )

Konstanz 60. 62. 68

Latialiter 82

Maria et Martha (nach Luk. 10,38-42)

Latinus 168. 194; Latinum, das Lateini­

90. 256

sche 168. - Latinae Jitterae 184. -

Martianus, Martianus Capella 108

Latine 184

Murtinsbrücke s. pons aJtus

Licus flumen, der Lech 130

Mathathias 136

LoJinga (st. Nolinga), Nollingen im

Mathilda, G. Kg. Heinrichs /. (f968) 110. - S.: Otto (I.), Pruno

Breisgau 32

Longum

Mare, Longuemer in den

s. Maurus 128

Vogesen 164

Lorisha, KL Lorsch 206.234.

s. Mauricius 140

-

A.: Kebo

Metenses sequentiae 108

Namenverzeichnis Metensium urbs, Meiz 102. - Meten·

s.

293

Notkerus (Teutonicus), Mö.

v.

St. Gal­

ses 108. - Metensis ecclesia 106;

len ft1022), Lehrer Ekkehards IV.

episcopus s. Thietericus

168. - 0.: Ekkehardus (I.)

Michahel, St. Michaelskirehe in St. Gallen 168

Milo, A.

v.

Occidentanae iubili 108

Ellwangen (weiter nicht be·

zeugt) 212. 218. 220

Oratius, Horaz 194 Otigeba regina, Edgith, G. K. Ottos I.

Minderbüren s. Puera Minor

ft946J 176. (178 . ) - S.: Luitolfus

Minerva 186

Otkerus miles, Br. A. Ruodmanns 192.

Moengal s. Marcellus

224.226

Moguntia s. Magontia

s. Otmarus, Othmarus, A. (719-759)

mons s. Duellius, Hochfeldi, Iovis, Vic· toris

und Patron

v.

St. Gallen 16. 36. 44.

46. 52. 68. 70. 124. 238; -i dies 54;

Moutier-Grandva� s. s. Germani eccle­

epdomada 28; ciborium 116. 118;

sia, Grandivallensium coenobium

corpus 144; ecclesia, oratorium, St.

Moyses 182

Otmarskirche in St. Gallen 44. 240;

Muorbac, KL Murbach im Elsaß 266

ss. Galli et -i coenobium 16 Otto

Nechirburg, Neckarburg bei Rottweil

dux,

Hz.

Otto

v.

Schwaben

(973-982) 248. 254. - V.: Luitolfus Otto rex, K. Otto I. (936-973) 146-

262 Niederaltaich s. Altaha

152. (164.) 170. 176. (178. 198.) 200.

Niederbüren s. Puera Minor

(202. 204. 210. 214-218. 222-228.)

Nokerus s. Notkerus

230. (232-236. 248.) 250-258. (260.

Nollinga s. Lolinga

262.) 266. (268-274. ) 278. (280.) 282.

Noricum, Bayern 170. 226. - Norici

(284 . ) - V.: Henricus rex; M.: Mathil­

114. - Noricus dux 112

Norpertus, A.

v.

da; G.: Adalheida, Otigeba; S.: Luitol­

St. Gallen (1034-

fus, Otto (Il.); Br.: Pruno; gener: Cuo­ no; nepos: Purchardus (I.) abbas

1072) 16. 28. 124 Konstanz (920-934) 70

Otto rex iunior, K. Otto II. (973-983)

Notkeri prosapia 70; Notkerus quidam

182. (198.) 200. (202-206. 210. 214-

Notingus, B.

v.

218.

70

Notkerus, Nokerus, abbas, A.

St.

v.

Gallen (971-975) 16. 236. 248. 250.

(252.)

256-260.

(262.)

264.

(266-278.) 280. (282. 284 . ) -

0.:

Craloh, Notkerus medicus Notkerus, Nokerus, Balbulus, Mö.

228.

(230-236.)

274. 278-284; - Otto Saxonicus

rufus 182. - V.: Otto (I.); M.: Adal­ heida; 0.: Chuonradus rex Burgun­ dionum, Pruno

v.

St. Gallen (f912) 18. 20. 24. 26. 70.

76-88.92-102. (104.) 108.164. 216. 218. 244. 268. - neptis: Kerhilda

Notkerus, Nokerus, medicus, Mö.

222-226.)

248-254. (256. 258. 262.) 266. (268.)

Ottones reges (

=

Otto I. und Otto 11.)

198. 200. 226. 248. 278

Ottones rex et dux (

=

Otto IL

Hz.

v.

St. Gallen ft975) 154. 162. 188. 190.

Pabinberch urbs, Rabenberg 36

198. 210. 236-242. 248. 252. 258.

Palzo, B. Baiderich

262. 284. - N.: Notkerus abbas

u.

Otto) 256. 258

986) 208. 218. 254

v.

Speyer (970-

294

Namenverzeichnis

s. Paulus (68. 240. 268)

Purchardus,

s. Pelagius, M4rtyrer, Patron

v.

Kon·

Burchardus;

abbas,

A.

Purchard II. v . St. Gallen (1 001 -

1022) 16. 168. 192. (194.) 242. - 0. :

s tanz 54 - 60. 68. 70

Ekkehardus (1.)

Perhta, G. Gf. Erchingers 46 - 52 Perhterat, RekL in St. Gallen lt980) 164 Perinhardus s. Berinhardus Pertholdus, Perhtolt, Gf.. in Schwaben ft91 7J 36. (38. 40.) 42. (44. 46.) 48.

v.

Purchardus dux, Hz. Purchard. I.

Schwaben (91 7- 926) 52. 112. - G.: Re ginlind

Purchardus, Purchart, dux, Hz. Pur­ v.

Schwaben (954 - 9 73)

(50 - 54). - Br.: Erchinger; N.: Luit­

chard II.

fridus

184. - G.: Hadawiga

s. Petrus 54; Petrus alter 50; -i oratori­ um, titulus, St. Pe terskirche in St.

Favius

Quintilian s.

Gallen 24. 32

Petrus . cantor, riJmischer Sllnger 106.

Rachilda, RekL in St. Gallen ft946J ·

164. 172

108 Petrus episcopus, B.

v.

Ratpertus,

Verona 30

Radpertus,

Rapertus,

P/llfers s. Favariensis abbatia

Rathpertus, Ratpreth , M{j,

pons altus , die Martinsbrücke in der

Gallen

88.

Goldach-Schlucht 128

Poppo, B. Poppo II.

v.

Würzburg

16.

100;

18. 22 - 26. -

als

v.

70.

St. 76 -

Verfasser

des

1. Teiles der Casus zitiert 16. · 32.

74. 86

(961 - 983) 208. 216. 218

Potamum, Badman am Üb erlinger See 36

Reginlind, G. Hz. Purchards I. (112) Reichenau s. Augia

s. Potentianae dies 282

Retianus, Rhetianus 146. 150

Prisacha, Breisach 1 1 2

Rhenus, der Rhein 36. 134.- 138. 226

Priscouve, Breisgau 246

Ricchunbach, Rickenbach (Kt.

provincia, Provence (?) 138 Pruno, Eb. Brun

v.

Thur-

gau) 198

KiJln (953 - 965)

Richardis, T. des We lfen Rudolf (54).

282. - V.: Henricus rex; M:: Mathilda;

- M.: Ita; Br.: Henricus comes,

Br.: Otto U.l; N.: Luitolfus, Otto UI.l

Welfhardus

Puera Minor, Minder- oder NiederPuochorn, Buchhorn (heute Friedrichs­ Puochouva, KL Buchau am Federosee 132 Purchard I.

St.

Adalhardus; 0. : Purchardus (1.) ab­ Roma 18. 32. 54. 106. 108. 166. 278. -

abbas, A.

Romani 106. - Romanus mos 246; -a

St. Galle.n (958- 9 71)

auctoritas 44; ecclesia 106; sedes

Burchardus, v.

v.

bas

hafenJ 170. 172

Purchardus,

Richere, Richerus, Rikerus, Pr.

Gallen 180. 198. 260. 268. 278. - V.:

büren (Kt. St. Gallen) 32

16. 154. 162. 166. 170. 174 - 180. 186.

108. - P4pste: Adrianus, Gregorius.

(188.)

Iohannes

190.

218 - 234.)

198 - 206. 236.

(238.)

(208 - 214. 248 -'- 252.

(254 - 258.) 260. 262. 268. Uodalricus

-

V.:

(V.); M.: Wendilgarta;

Br.: Adalhardus; N.: Richere ; neptis:

· - Hadawiga

Romanae iubili 108 Romanice 182 Romanisee 254 Romanus cantor , r{jmischer Sllnger 106. 108

295

Namenverzeichnis Rorscanchin, Rorschach (Kt. St. Gal-

Sankt Gallen s. Sanctigallensis, s. Gal­

lus

len) 32

Rotwila, Rottweil am Neckar 226

Saraceni 138. 140. 244

Ruodhart, Gf im Argengau 36. (44. 52)

satan, satanas 80. 98. 140. 172. 178;

v.

Ruodkerus, Mö.

St. Gallen 24 - 28.

alter satanas 190. 27 4. - s. auch de­ mones, diabolus

34. 84 Ruodman, Ruodmannus, A .

v.

Reiche­

Saxonia, Sachsen 1 10. 278. - Saxones

nau (972- 986) 186. 188. (190.) 192.

1 10 . - Saxonicus rex 112; Otto -us

(194.) 196 - 206. 218. 224 - 228. 236.

s. Otto (II.). - Saxonice 252 Schleswig s. Sleswic

258. 266. - Br.: Otkerus Ruodolfus rex, Kg. Rudolf I.

v.

Bur­

gund (888- 91 1) 74. (76.) - cogna­

Seiavus provocator 1 1 2

tus: Hartmuotus Ruodolfus, We lfengraf 52. 54. - G. : Ita; S.: Henricus comes, W elfhardus;

T.: Richardis Ruomo, MIJ.

v.

Schwaben s. Suevia Schwarzwald s. Swarzwalde

Scotigena episcopus s . Marcus Sechingensis

s.

crucis

locus,

Kl.

Sllckingen 136

Septimus, Septimer-Pass (Kt.

St. Gallen 276

Rupertus, Mö. u. Subde kan

v.

St. Gal­

len 248. 256. 264

Grau­

bünden) 32. 106

Sigefridus, N. B. Salomos III.

v.

Kon­

s tanz 48. (50)

Sindolf, Sindolfus, Mö.

Sachsen s. Saxonia

Sahspach villa, Sasbach im Breisgau

St. Gallen

Sintrammus, Mö.

v.

St. Gallen 58

Sinttriaunum fluvius, die Sitter 114.

234 Salomon, B. Salomo II.

v.

Konstanz

S alomon , Salamon, B. Salomo III.

A.

240 Sitiruntorf, Sitterdorf (Kt. Thurgau)

(8 75- 889) 16. 240 Kons tanz,

v.

80 - 84 . 88. 104. 268

Sllckingen s. Sechingensis

v.

St.

v.

Gallen

22 Sitter s. Sinttriaunum

(890- 91 9) 16 - 20. (22 - 30.) 32 - 46

Sleswic, Schleswig 164. 176

(48 - 52.) 54 - 64. (66. 68.) 70. 74. 80.

Spira, Speyer 224. 226. 248. - Spiren­

(82.) 84. 88. 104. 1 50. 166. 170; - kgl. Kaplan 18. 20; - angeblich A.

v.

Ellwangen 18, Kempten 18, Reiche­ nau 34. - N.: Sigefridus

Salomonis sapientia 60

sis episcopus s. Palzo Stamhem villa, Stammheim (Kt. Zürich) 28. 44; castellum 44. (46. 52) Steinaha, Steinach, eins tiger Boden­ seehafen (Kt. St. Gallen) 186. 190

S alustius, Sallust 240

Straßburg s. Argentinensis

Salzpurga, Salzburg 246

Suevia, Schwaben 36. 52. 112. - Sue­

Sanctigallensis

abbatia 64; medicus

vus, Suevi 32. 148; -orum dux 112.

240; -es patres 248; - s. auch s. Gal­

184. - Suevus dux 112.

lus

dawiga, Luitolfus, Otto, Purchardus

Sandrat, Sandratus, Mö. aus Köln bzw. Trier (seit 9 73 A.

v.

Hz.: Ha­

Swarzwalde, Schwarzwald 138

Gladbach) 200.

248 - 256. 266. 268. (270 - 276.) 278. 280. (282)

-

Tegerinouva, Degenau (Kt. Thurgau) 22

Namenverzeichnis

296

Teutones 120. 138. 168; ·um lingua 180. - Teutonus 1 50. - Teutonice 182 Theoderich s. Thietericus

Vallis Turbata s. Turbata Vercellensis episcopus s. Luitwardus Verona 30. - . Veronensis pondus auri

Theophaniae vigilia 68

30; episcopus

Thiepaldus, A. v. St. Gallen (10221034) 16

s.

Petrus

Vesontium, Besanr;on 138 Victor, MlJ. v. St. Gallen 146. 148.

Thietericus, Thietricus, B. Die trich (Theoderich) L v. Me tz (965- 984)

208. (210.) 212. 224

1 52 - 164. 168; - 0. : Enzelinus Victoris mons, Viktors berg im Vorart­ berg 74

Thietingen villa, Dietingen in der Baar 226

Virgilius, Vergil 194 ss. Virgines 98; -um altare 98; apsis

Thieto, A. v. St. Gallen (933 - 942) 16. 130. 140. 144. 146. - Br.: Anno, Cra·

144 Vagesen s. Hochfeldi, Longum Mare

loh Thietpoldispurch 46

Waldburg castellum, Fluch tburg .. der

Toul s. Tullum

St. Galler (114. 116. 120 -124. 132)

Treverensis archiepiscopus s. Henricus Tre viso s. Darviensis Trier

s.

Walewis villa, Wahlwies bei Badman 196

Treverensis

Waltchincha, Waldkirch (Kt. St. Gal­

Tullius, (M. Tullius) Cicero 260

len) 32

Tullum, Toul 202. - B.: Arnulfus

Waltharii vita 168

Tuotilo, Mli. v. St. Gallen 18. 22 - 26.

Walto decanus , M{J.

56. 58. 70. 76 - 82. (84 . ) 88 - 92. 96.

1 56. 162. 166. 244

100 - 104

u.

Walto secundus, MlJ.

Turbata Vallis, Turbenthal fKt. Zürich) 36

Waltrada,

D. v. St. Gallen

v.

St. Gallen 188

M. Isos (70 - 74).



G.:

Erim bert

Turegum, Zürich 70

W altrammi prosapia 70

Tuscus aper 108

Waltrammus, MlJ. u. D. v. St. Gallen

Ungaria 170. - Ungar baptizatus 124.

Waninc, Waningus, M{J. v. St. Gallen

84. 88. 104 Ungri 66. 1 1 4 - 1 18. (120. 122.) 124.

148. 162. 254

130. 132. (134.) 136 - 140. 170; - s.

Warinus s. Werinhere

auch barbari, Agareni

Wazemannus abbas, A. v. Hohentwiel

s. Uodalricus, B. Ulrich

v.

Augsburg

(923 ...:. 9 73) 114. 124 - 128. (130. 132.)

148. 1 52. (154 - 160) Uodalricus abbas , A. Ulrich L v. St. Gallen (984 - 990) 16

Uodalricus comes, Gf. Ulrich IV. v. Bregenz'Buchhorn 32

Uodalricus, Udalrich, comes, Gf. Ulrich V. v. Bregenz-Buchhorn 170 - 174.

226

Wazzirburc, Wasserburg bei Lindau 1 1 4. - Wazzirburgenses 134 Weissenburg s. Wizziburgensis

Welfhardus , S. des We lfen Rudolf 54. - M. : Ita; Br;: Henricus comes; Schw.: Richardis

W endilgarta, Ulrichs

V.

W endilgarth, v.

G.

Gf.

Bregenz-Buchhorn

- G.: W endilgarta; S.: Adalhardus,

170 - 174. - S.: Adalhardus, Pur­

Purchardus (I.) abbas

chardus (1.) abbas

297

Namenverzeichnis W erinhere, Gf im Lo bdengau 36

Wizziburgensis abbas s. Kerho

Werinhere I = Warinus), Gf im Thur­

Wolo, Mö.

gau 36

v.

St. Gallen 96. 98. (100)

Wormatia, Worms 230. - Wormatien-

s. Wiborada, Rekl. in St. Gallen lt926) 112. 1 14. 122 - 128. 132. 170; -ae clau­

sis episcopus s. Erpho Würzburg s. Wirziburgensis

sula 122. 126. 164. 170; passio 118. 164

Ymmo, A.

Wilaha villa, Wil !Kt. St. Gallen) 246 Wilegisus,

Eb.

Willigis

v.

Mainz

1975 - 1 01 11 184

v.

St. Gallen 19 75 - 9841 16.

130. 168. 184. 186. 238 Ypocratica prognostica 238 Yso s. Iso

W indinissa, Windisch IKt. Aargaul 32 Wirziburgensis episcopus s. Poppo

Zürich s. Turegum

EKKEHARD IV., CASUS S. GALLI – NACHTRAG 2012 von Steffen Patzold

Nachtrag

St. Gallens Bedeutung als kulturelles Zentrum in der Zeit vom 9. bis zum 11. Jahrhundert ist unumstritten und auch in jüngerer Zeit noch einmal in mehreren Sammelbänden zur Geschichte und Kultur der Abtei nachgezeichnet worden1. Ekkehards IV. „Casus sancti Galli“ hat man dabei auf verschiedenste Fragen hin ausgewertet: Die klösterliche Gastfreundschaft2, die Klosterschule3 und ihre Schüler4, innerklösterliche Konfl ikte5 und die Bedeutung der fratres conscripti für die St. Galler Klostergemeinschaft6 sind genauer untersucht worden. Aber auch für die Frage nach der mittelalterlichen Bußpraxis7, nach Sterben und Tod im Kloster8, nach dem Symbolgehalt des Klosterlebens9, nach der Zeitgebundenheit heutiger Mittelalterbilder10, nach „persönlichen Zügen“ im Bild Abt Salomos11, nach weiteren Persönlichkeiten der St. Galler Gemeinschaft12 oder mittelalterlichen 1

DUFT 1991; VOGLER 1992; KÖLZER 1997; OCHSENBEIN 1999. Zu den Äbten des Klosters: DUFT / GÖSSI / VOGLER 1986; zum Verhältnis zwischen dem Bistum Konstanz und St. Gallen: SEIBERT 1993; zur Klosterschule: SCHMUKI / TREMP / GRANDJEAN-GREMMINGER 2009; zum berühmten St. Galler Klosterplan: JACOBSEN 1992; SCHOLZ 2008; PICKER 2008; SCHEDL 2012, jeweils mit weiterer Literatur. 2 BERGER 1993. 3 HILDEBRANDT 1992a, S. 99 –107; Ochsenbein 1993, S. 264 –270; Grotans 1997. 4 DETTE 1994. 5 WIECH 1999, S. 179 –192; PATZOLD 2000, S. 64 – 85 u. S. 191–201. 6 SCHMID 1991. 7 DE JONG 1984 (englische Fassung: DIES. 1998). 8 TREMP 2010. 9 SONNTAG 2008, passim. 10 TREMP 1994. 11 SCHMID 1992. 12 ZETTLER 2002; VON EUW 2002.

300

Nachtrag

Vorstellungen von Öffentlichkeit und Nicht-Öffentlichkeit13 haben sich die „Casus“ als aussagekräftig erwiesen. Über Ekkehards Person und sein Schaffen ist seit dem ersten Erscheinen dieses Bandes zumindest in Details noch Neues bekannt geworden. Johannes Duft hat nachgewiesen, daß Ekkehard seinen Namen in der deutschen Form als „Ekkehart“ schrieb, in der latinisierten Fassung dagegen als „Ekkehardus“14. Peter Osterwalder hat Ekkehards lateinische Übersetzungen von Ratperts althochddeutschem Galluslied vorgelegt15. Helena Leithe-Jasper hat Ekkehards Arbeitsweise als Dichter genauer konturiert16, Werner Maleczek den Umgang des Klosterlehrers mit den klassischen Texten der Antike untersucht17. Ob der Chronist das heute vorliegende Waltharius-Epos gekannt und überarbeitet hat, bleibt allerdings weiterhin strittig18. Und die Glossen, die der Klosterlehrer in zahlreichen Handschriften hinterlassen hat, sind zwar durch Peter Osterwalder, Reiner Hildebrandt und Anna Grotans mittlerweile etwas genauer beschrieben worden19; vorbildlich umfassend untersucht sind bisher allerdings erst Ekkehards Glossen im Codex Sangallensis 621 zu den „Historiae adversum paganos“ des Orosius20. Gründlich verändert hat sich in den letzten Jahren das Urteil der Forschung zu Ekkehards Schreibanlaß, zu seinem Weltbild und zur Aussageabsicht seiner „Casus“. Hans Haefele hatte mit seiner These, Ekkehard habe „die Wechselfälle des Schicksals“ seines Klosters darstellen wollen und daher „die verschiedenen geschichtlichen Fakten unter dem Aspekt der fortunia und infortunia“ zusammengefaßt, zwar auf eine wichtige Facette des Werks aufmerksam gemacht; die pragmatischen Ziele und Absichten des Klosterlehrers dürften jedoch 13 Vgl. BRANDT 1998, der allerdings in seiner eher literaturwissenschaftlichen Analyse den monastischen Kontext des Werks nicht stark genug berücksichtigt: Ekkehards Vorstellungen sind nicht von den Kategorien Öffentlichkeit / Nichtöffentlichkeit beherrscht, sondern von dem Gegensatz zwischen Klausur und Außenwelt. 14 DUFT 1985. 15 OSTERWALDER 1981. 16 LEITHE-JASPER 2002. 17 M ALECZEK 2005. 18 Zuletzt haben SCHALLER 1988, DERS. 1991 und BECHT 1991, S. 7 ff., neue Argumente für eine solche Kenntnis vorgetragen. 19 OSTERWALDER 1985; HILDEBRANDT 1992b; GROTANS 1997, S. 289 –292. 20 EISENHUT 2009.

Nachtrag

301

weitaus vielschichtiger gewesen sein. So hat Karl Schmid schon 1991 angemerkt, daß in Ekkehards Geschichten immer wieder erkennbar werde, wie sehr „zu seiner Zeit der Zugang und der Aufenthalt in der Klausur zu einem Hauptproblem für die Verwirklichung der Brüderlichkeit geworden war“ 21. Mayke de Jong hat diesen Gedanken dann näher ausgeführt: Ihr zufolge ist die Frage der Klausur und ihrer Grenzen ein zweites Leitthema des Werks. In Ekkehards Augen, so de Jong, bedeutete wahre monastische Disziplin, daß ein Mönch die Grenze zwischen Klausur und Welt verinnerlichte. Auf diese Weise sollte er sich gewissermaßen ein „internal cloister“ schaffen 22, das er trotz aller Beziehungen, die eine Reichsabtei wie St. Gallen zur Außenwelt zu unterhalten hatte, doch niemals verlassen mußte: „Ekkehard wrote of physical cloisters becoming mental ones“ 23. Wenn aber Laien die Klausur betreten wollten, so sollten sie nach Meinung des Chronisten zumindest äußerlich die dort herrschenden Regeln beachten und Mönchshabit tragen, um die allzeit durchlässige Grenze zwischen Kloster und Welt erkennbar zu halten 24. De Jongs Ergebnisse sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Neubewertung der „Casus s. Galli“ gewesen. Zuvor hatte schon Schmid vorsichtig gefragt, ob das Werk nicht „als Zeugnis des Widerstandes gegen den neuen Geist gelten kann, der mit der Einsetzung Nortperts als Abt in St. Gallen einzog“ 25. Zuletzt haben nun mehrere Untersuchungen in der Tat gezeigt, daß der gealterte Klosterlehrer mit seinen „Casus“ dezidiert Stellung zu einer Kernfrage des Mönchtums seiner Gegenwart bezog – zu der Frage nämlich, durch welche Lebensweise ein Mönch das Seelenheil zu erringen vermöge. Ernst Hellgardt hat 2001 die zahlreichen und vielschichtigen Bezüge zwischen Ekkehards Geschichten und der Regel des heiligen Benedikt herausgearbeitet; er konnte zeigen, „daß man die Casus auf weite Strecken geradezu als eine Art paradigmatisch erzählenden Kommentar zur Benediktsregel lesen kann“. Am Beispiel des Umgangs mit dem Gebot der stabilitas loci, der Einhaltung der Gebetszeiten, dem Schweigegebot und der Klausur hat Hellgardt nachgewiesen: Ekkehard wollte – in Abwehr der Reformen des Abtes Nortpert – mit 21 22 23 24 25

SCHMID 1991, S. 120 f., das Zitat auf S. 121. DE JONG 2000, S. 221. Ebd., S. 219. Zusammenfassend: Ebd., S. 221. SCHMID 1991, S. 122.

302

Nachtrag

seinen Geschichten belegen, wie vorbildlich die St. Galler Mönche in ihrer althergebrachten disciplina schon immer den Geist der Regula befolgt hätten, und zwar selbst noch dort, wo sie offenkundig gegen den Buchstaben des Regeltextes verstießen 26. Leider noch ohne Kenntnis dieses wichtigen Forschungsbeitrags habe ich selbst in der ersten Fassung dieses Nachtrags, die 2002 erschienen ist, in eine durchaus ähnliche Richtung argumentiert. Mittlerweile hat Ernst Tremp diese Neuansätze aufgegriffen und noch weiter untermauert27. Als Ekkehard in St. Gallen an seinen „Casus“ arbeitete, bemühte sich Nortpert dort um die Erneuerung des Klosterlebens28. Nortpert aber war zuvor im lothringischen Stablo durch die Schule des einflußreichen Reformabts Poppo gegangen. Ekkehards Haß gegen diesen Poppo von Stablo ist unübersehbar. In einigen seiner Glossen beschimpfte er den Reformer und dessen Lehrer, Richard von St. Vannes, als Heuchler, Trunkenbold und Werkzeug des Teufels: Poppo und Richard kennten keine Nächstenliebe, bildeten sich ein, ein zweiter Benedikt zu sein, und hätten St. Gallen in erbärmliche Not gestürzt29. Derart zeitkritische Ansichten hat Ekkehard auch in seine „Casus“ einfl ießen lassen. Schon im zweiten Satz seines Vorworts klagte er über die „Sitten und Zeiten“ seiner Gegenwart: „Berührst Du irgendetwas Mühseliges – und zumal etwas, das die disciplina betrifft –, und scheinst Du die Freizügigkeiten und die straflose Zügellosigkeit der Bösen nicht zu loben, dann giltst Du bei denjenigen, die in Unbeständigkeit wandeln, als ein Betrüger und Schikaneur“ 30. Damit ist der Grundton des gesamten Werks vorgegeben31: „Selber habe ich“, so 26 HELLGARDT 2001, das Zitat auf S. 35 (seinerseits noch ohne Kenntnis von PATZOLD 2000). 27 TREMP 2005a und 2005b (mit wörtlichen Überschneidungen). 28 Ich wiederhole im Folgenden im Kern meine Argumente des Nachtrags zur 4. Auflage von 2002, verweise aber zusätzlich jeweils auf die Arbeiten von HELLGARDT 2001 und TREMP 2005a und 2005b. 29 Die Glossen sind mit den entsprechenden Belegen zitiert bei: PATZOLD 2000, S. 86 f.; dazu ausführlich auch HELLGARDT 2001, S. 31– 33; TREMP 2005a, S. 84 f. – Vgl. außerdem die Abbildung auf S. 13. 30 CsG, Preloquium, S. 16; vgl. dazu auch HELLGARDT 2001, S. 34 f.; TREMP 2005a, S. 69 f.; 2005b, S. 382 f. 31 Vgl. etwa Ekkehards Berichte über Tuotilos Reliefkunst (CsG 45, S. 102; dazu: SANSTERRE 1996), über die asketischen Leistungen des Klosterschülers und späteren Augsburger Bischofs Udalrich (CsG 58, S. 126), über Ekkehard II. (CsG 89, S. 182) und die Heiterkeit des Abtes Notker (CsG 134, S. 260):

Nachtrag

303

schrieb Ekkehard, „vor den Zeiten des monastischen Schismas, wie wir sie von den Welschen erdulden, erlebt, daß Grafen und andere mächtige Herren […] unseren Prozessionen durch die Klausur folgten“32 . Und noch deutlicher wurde der Chronist in seinem Bericht über Abt Purchard, der aufgrund seiner Frühgeburt per Kaiserschnitt aus dem Leichnam seiner Mutter33 zeitlebens von schwacher Konstitution geblieben sei und daher mit Erlaubnis des Konstanzer Bischofs Fleisch gegessen habe. „Das erwähne ich freilich ganz und gar nicht im Einvernehmen mit den neuerungssüchtigen Mönchen, die jetzt fortwährend Gott erzürnen mit ihrem Tun, daß um so schwerer Plage über sie komme. Es stünde ihnen aber doch noch besser an, rohes Fleisch zu zerreißen, als die vielen unaussprechlichen Dinge zu tun, die sie als vorgeblich fromme Leute in einer Art von schismatischem Unglauben treiben“. Daß Ekkehard auch in seinen „Casus“ gegen die Reformer in seinem Kloster polemisierte und seine Gegenwart insgesamt von scismatum tempestates geschüttelt sah34, ist kaum zu leugnen. Allein von den überlieferten 147 Kapiteln des Werkes handeln denn auch nicht weniger als 32 von zwei Reformversuchen in St. Gallen35: von der Visitation einer von Otto I. eingesetzten Kommission aus Bischöfen und Äbten (c. 98 –120)36 und von den Reformbemühungen des Mönchs Sandrat (c. 137–145)37, dessen Darstellung als Heuchler und Säufer im übrigen mehr als deutlich an jene Vorwürfe erinnert, die Ekkehard in seinen Glossen gegen die lothringischen Reformer seiner eigenen Zeit geäußert hatte. Zahlreiche weitere Kapitel erzählen zudem von Versuchen, die Lebensweise der St. Galler Mönche auszuspionieren38, um gegebenenfalls Regelabweichungen bei Hofe zu melden und auf diese Weise die Gemeinschaft des heiligen Gallus in Bedrängnis zu bringen. Schon von Salomo behauptete Ekkehard, er habe einst zur Fastenzeit heimlich die Klausur betreten; die St. GalHier wird jeweils dem Niedergang der eigenen Zeit die glänzende Vergangenheit des Klosters gegenübergestellt. 32 CsG 136, S. 264. 33 CsG 85, S. 174. 34 Beide Zitate: CsG 87, S. 178; dazu auch HELLGARDT 2001, S. 31 f. 35 Vgl. auch TREMP 2005a, S. 72; 2005b, S. 384. 36 Vgl. TREMP 2005b, S. 391– 396; parallel: DERS. 2005a, S. 80 – 83. 37 Dazu auch TREMP 2005b, S. 389 – 391; parallel: DERS., 2005a, S. 77 f. und S. 81. 38 Darauf hat schon knapp SCHMID 1991, S. 177 mit Anm. 30, hingewiesen.

304

Nachtrag

ler Mönche aber hätten gefürchtet, der bei Hofe einflußreiche Mann „könne irgendeinen Regelverstoß sehen und versuchen, dies beim König auszunutzen und sich den Weg auch zu uns freizulegen“ 39. Als Salomo dann Abt und Brüder gebeten habe, ihm zumindest im Mönchshabit jederzeit freien Zugang zur Klausur zu gestatten, da habe die Fratres die Angst umgetrieben, „daß er mit dieser Tracht bekleidet der Herrschaft über die Abtei näher sei“40. Ekkehards ,Meisterspion‘ freilich ist der Reichenauer Abt Ruodmann: Ihm fällt in den „Casus s. Galli“ die Rolle des Verleumders zu. Obwohl ihn mehrere St. Galler Mönche bitten, von seinen üblen Nachreden gegen ihr Kloster abzulassen, dringt er eines Nachts sogar „heimlich in die Klausur ein“, um unbemerkt zu ergründen, „ob er irgendetwas fi nden könne, das einem Verschulden gleichkomme“41. Daß Ruodmann bei diesem Spionageversuch ausgerechnet auf dem St. Galler Abort sitzend ertappt wird, beinahe Prügel bezieht 42 und letztlich eine Buße von 50 Pfund Silber leisten muß43, ist für das Verständnis der Episode zentral: Nicht nur in diesem Falle, so macht Ekkehard deutlich, sondern auch bei allen anderen Versuchen, die Lebensweise der St. Galler auszuforschen und durch Denunziation bei Hofe zu manipulieren, scheitert Ruodmann kläglich und unter hohen materiellen Verlusten: Sogar einen Teil der Kosten für den Aufenthalt der Reformkommission habe er schließlich übernehmen müssen, da deren Visitation erst durch seine Intrigen initiiert worden sei44. Die Reform eines Reichsklosters wie St. Gallen geschah in der Regel dadurch, daß der Herrscher dort einen neuen, fremden Abt einsetzte. So erklärt sich, daß Ekkehard gerade die Abtsnachfolge als kritischen Moment im Leben seiner Gemeinschaft herausstellte. Schon Salomos Eindringen ließ die St. Galler fürchten, daß ein Weltgeistlicher bei ihnen zum Abt aufsteigen und den pater domesticus verdrängen

39

CsG 5, S. 24. CsG 6, S. 26. Ein anderes Beispiel bietet die Einsetzung Abt Notkers: Otto I., so behauptete Ekkehard, habe zwar schließlich die Entscheidung der St. Galler Mönche anerkannt und Notker zum Abt erhoben, zugleich aber angekündigt, „daß er ihnen demnächst jemanden schicken werde, der erforschen solle, wie sie den Grundsatz der Regel einhielten“ (CsG 133, S. 260). 41 CsG 91, S. 188. 42 CsG 92, S. 190. 43 CsG 96, S. 198. 44 CsG 101, S. 206. 40

Nachtrag

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könne45. Weit gefährlicher noch waren die Erhebungen der Äbte Purchard und Notker, deren Investitur Ekkehard ebenso ausführlich schilderte wie die Debatten, die jeweils bei Hofe vorangingen46. Das Grundmuster ähnelt sich in beiden Fällen auffällig: Beeinflußt von Denunzianten, bezweifelt der Herrscher, daß der ihm präsentierte Kandidat geeignet sei, die disciplina in St. Gallen aufrechtzuhalten und ein regelgemäßes Leben einzuführen47. Erst mit Hilfe von Fürsprechern und unter Verweis auf das urkundlich verbriefte Wahlrecht gelingt es den St. Gallern schließlich, ihrem Auserwählten die notwendige Anerkennung zu verschaffen. Bezeichnenderweise hat Ekkehard, der sich sonst kaum für die Urkunden im Archiv seines Klosters interessierte48, allein auf das Privileg des Abtswahlrechts mehrfach hingewiesen49: Es versprach Schutz vor Fremdherrschaft. Dennoch griffe es zu kurz, wollte man die „Casus s. Galli“ lediglich als Tendenzschrift gegen das Regiment des Reformers Nortpert lesen. Die Neuerungen in der Lebensweise könnten für Ekkehard zwar ein Anlaß gewesen sein, Ratperts Klostergeschichte fortzuführen. Aber bei aller Zeitkritik setzte Ekkehard den Reformen seiner Gegenwart nun nicht einfach eine bestimmte, althergebrachte St. Galler Lebensweise als die einzig mögliche entgegen. Er versuchte vielmehr zu belegen, daß ein Mönch auf verschiedene Art leben könne, um sein Seelenheil zu erlangen. Dem Bischof Arnulf von Toul legte Ekkehard diese Auffassung sogar ausdrücklich in den Mund: „Denn nicht über eine einzige Bahn und Regel wird das Himmel- und Gottesreich erstiegen; weil es mitten unter uns ist, dürfen die einen so, die anderen aber so emporklimmen. […] Und so viele Wohnungen im Reiche des Vaters sind, so viele Wege […] führen, wofern ich nicht irre hinein“50. 45

CsG 5, S. 24. Zu Purchard: CsG 86, S. 176 / 178; zu Notker: ebd. 128 –134, S. 248 –260. 47 Vgl. zu Purchards Erhebung die Worte, die Ekkehard, CsG 86, S. 176, Otto I. in den Mund legte, und die Antwort der St. Galler (ebd.). Vor Notkers Investitur soll Otto sich ausführlich nach Lebensweise und Sitten der St. Galler erkundigt, die Tunika des Kandidaten als nicht regelgemäß kritisiert und ihm daher den Friedenskuß verweigert haben: CsG 133, S. 258. 48 Vgl. oben, S. 8. 49 CsG 6, S. 26; 96, S. 196; 128, S. 248; 133, S. 258. 50 CsG 100, S. 202. – Hier sehe ich einen gewissen Unterschied zu der Perspektive von HELLGARDT 2001: Ekkehard, so scheint mir, verteidigt nicht eine einförmige, für alle Mönche gültige St. Galler Lebensweise gegen Neuerer, die den Wortlaut der Regula Benedicti umgesetzt wissen wollen, sondern ver46

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Nachtrag

Aus diesem Kerngedanken des Chronisten dürfte sich das vielleicht auffälligste Merkmal der „Casus“ erklären: Anders als sein Vorgänger Ratpert und zahlreiche Chronisten anderer Mönchsgemeinschaften berichtete Ekkehard detailfreudig über einzelne Fratres seines Klosters und deren Lebensweise. Aufschlußreich ist dabei, wie er die drei ehrwürdigen „Senatoren“ St. Gallens, die Mönche Notker Balbulus, Tuotilo und Ratpert, präsentierte: „Obgleich diese drei nämlich“, so Ekkehard, „ihren Gelübden nach einmütig waren, waren sie doch – wie es geschieht – von ihrer natura her verschieden“51. Notker sei schüchtern, ängstlich und schwächlich gewesen, aber stark im Kampf gegen die Dämonen, ein Gefäß des Heiligen Geistes und ein acer exactor in Fragen der disciplina52 . Tuotilo dagegen sei „auf weit andere Weise gut […] und nützlich“ gewesen: ein geborener Lehrer für Adelssprößlinge, von gewaltiger Körperkraft, stets bereit für Botengänge außerhalb des Klosters53. Es lag in seiner natura, daß er bei einer seiner Reisen sogar den Überfall einer Räuberbande mühelos abzuwehren vermochte; das ungehörige Verhalten eines frater indisciplinatus freilich ließ auch Tuotilo nicht ungestraft durchgehen54. Ratpert wiederum „hielt zwischen den beiden die Mitte“: Das Kloster habe er so selten verlassen, daß er pro Jahr nur zwei Schuhe verbrauchte. Von Jugend an als Lehrer tätig, habe er Messe und Primkapitel oft ausfallen lassen – mit der Begründung, er höre gute Messen, sooft er sie lehre, und zu „kapiteln und strafen“ sei er als Lehrer ohnehin verpfl ichtet55; stets aber sei Ratpert ad disciplinas acutissimus gewesen56. Der Benediktregel entsprach Tuotilos und Ratperts Verhalten zwar keineswegs; dennoch blieben beide in Ekkehards Sicht vorbildhafte Mönche. Und auch Notker vermochte durchaus einmal die Non zu schwänzen, ohne deshalb dem Teufel zum Opfer zu fallen57. Der heilige Beter, der wehrhafte Reisende, der zuchtliebende Lehrer – mit diesen dreien ist die Liste der ,Mönchstypen‘, die Ekkehard tritt die Auffassung, daß unterschiedliche, je individuelle Wege guten monastischen Lebens zu Gott führen können. 51 CsG 33, S. 78. 52 Ebd. 53 CsG 34, S. 78. 54 CsG 40, S. 90 / 92, das Zitat S. 90; zu der Episode ausführlich: HELLGARDT 2001, S. 41– 43. 55 CsG 34, S. 78; dazu auch HELLGARDT 2001, S. 44. 56 CsG 36, S. 82. 57 CsG 42, S. 96; vgl. HELLGARDT 2001, S. 44.

Nachtrag

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seinen Lesern vorführte, noch lange nicht erschöpft: Da ist der schmächtige Purchard, der zwar regelmäßig Fleisch ißt und prächtige Pferde liebt, dem aber „durch lange Gewohnheit die Tugenden schon zur natura geworden sind“58. Da ist Heribald, der „überaus einfältige“ Mönch, der sich angesichts der anrückenden Ungarn weigert, sein Kloster zu verlassen – aber gerade wegen seiner simplicitas Gottes Gnade fi ndet59, den Ungarneinfall überlebt und den St. Galler Weinkeller vor Plünderung zu bewahren vermag 60. Da ist der junge Wolo, inquietus et vagus, aber gebildet, keusch, ein Sproß des Adels; er versündigt sich durch seinen Ungehorsam schwer und stürzt zu Tode – und doch fi ndet er das Seelenheil, „denn er hat viel geliebt“61. Da sind die Verwandten des Chronisten: Ekkehard I., der natura et studio caritatis dulcedine plenus ist und daher als Dekan nach den Wirren unter Abt Craloh die Gemüter zu beruhigen weiß62, und Ekkehard II., der als junger Mann hochmütig ist, aber später seinen Hochmut durch disciplina zügelt63, sein Kloster verläßt, die Herzogin Hadwig auf dem Hohentwiel das Lateinische lehrt und schließlich als Hofkapellan höchst segensreich für St. Gallen wirkt64. Da ist der Dekan Walto, der höchstpersönlich eines Nachts mit einer Truppe auszieht, um die Sarazenen aus der Gegend zu vertreiben65. Und da sind Kunibert66, Gerald67 und Notker „das Pfefferkorn“, dessen Hilfe für Ekkehard I., den dichtenden Dekan, der Chronist „als Beispiel für die Demut und caritas der Väter“ nicht unerwähnt lassen wollte68. Als Gegenbilder gegen diese gottgefälligen Mönche stellte Ekkehard seinen Lesern den Refektorar Sindolf und den Reformmönch Sandrat vor: Sindolf steht beispielhaft für die „in Unbeständigkeit Wandelnden“, die – vom Teufel getrieben – gegen die gelehrten und 58 Das Zitat: CsG 85, S. 176; Fleischgenuß: ebd. 87, S. 1789; Pferde: ebd. 97, S. 198. 59 CsG 52, S. 116; Gottes Gnade: ebd. 62, S. 134. 60 CsG 53, S. 118; vgl. auch ebd. 55, S. 122. 61 Die Zitate: CsG 43, S. 96; 44, S. 100; Todessturz: ebd. 43, S. 98. 62 CsG 80, S. 166. 63 CsG 89, S. 182. 64 CsG 89 –101, S. 182 –206; 107, S. 214; 114 –120, S. 224 –234; 144 –145, S. 278 –282. 65 CsG 126, S. 244. 66 CsG 127, S. 246. 67 CsG 124 –125, S. 240 –244. 68 CsG 123, S. 238; zu ihm außerdem: ebd. 147, S. 284.

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Nachtrag

nutzbringenden Mönche St. Gallens intrigieren. Er ist ungebildet; statt Gehorsam eignet ihm eine „Unverschämtheit, die bis zur offenen Schmähung“ reicht; er bringt seinen Confratres nicht Nächstenliebe entgegen, sondern spioniert sie aus, verletzt sie, verflucht sie und verleumdet sie bei ihrem Abt69. Ganz ähnlich Sandrat: Auch er versucht, die St. Galler heimlich auszuspionieren, um sie später beim Herrscher denunzieren zu können70. Auch ihm fehlt die caritas – denn nachdem die Fratres des heiligen Gallus bereits durch eine stattliche Zahl von Äbten und Bischöfen mira caritatis discretione in der regelgemäßen Lebensweise bestärkt worden sind, versucht er, sie „gleich einem bösen Engel“ vom rechten Leben wieder abzubringen71. Schlimmer noch: Er schreckt nicht einmal davor zurück, einen Mönch des heiligen Gallus zu ohrfeigen72 . Und er ist ein „Heuchler“ 73: Obwohl er sogar den kranken Mönchen jeglichen Fleischgenuß untersagt und behauptet, er könne nicht einmal den Geruch von Fleischbrühe ertragen74, schlägt er sich heimlich den Bauch mit Braten voll75. Mit dieser Palette positiver wie negativer ,Mönchstypen‘ führte Ekkehard seinen Lesern vor allem eines vor Augen: Den Schwächen und der Verschiedenheit der menschlichen natura entsprechend, stehe auch für Mönche mehr als ein Weg ins Himmelreich offen. Den gottgefälligen Frater zeichne dabei nicht die strikte Befolgung der Benediktregel oder irgendeine andere äußerliche Lebensform aus, sondern seine disciplina, die freilich stets durch die caritas gemildert werden müsse76. Diese Auffassung spiegelt sich beispielhaft in Ekkehards Bericht über den Besuch Konrads I. Weihnachten 911 in St. Gallen: Damals nämlich, so Ekkehard, habe „die caritas, die kein Unrecht begehen kann, erlaubterweise die disciplina verschmäht“ 77. Und nicht minder deutlich führte der Chronist dieses monastische Ideal in seiner Schilderung der St. Galler Äbte aus: Abt Engilbert etwa stellte 69

Zu Sindolf: CsG 35 – 36, S. 80 / 82; ebd. 39, S. 88; ebd. 46, S. 102. CsG 137, S. 266. 71 CsG 139, S. 270. 72 CsG 141, S. 274. 73 CsG 143, S. 278; vgl. auch ebd. 146, S. 282. 74 CsG 140, S. 272. 75 CsG 143, S. 276 / 278. 76 Zur disciplina als Thema der Casus vgl. auch HELLGARDT 2001, der allerdings auf die caritas als Gegengewicht in Ekkehards Konzeption nicht weiter eingeht. 77 CsG 16, S. 44. 70

Nachtrag

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nach dem Ungarneinfall in St. Gallen die unter seinem Vorgänger übliche disciplina wieder her, „indem er die zerstreuten Schafe gleichsam auf seinen Schultern wieder zur Herde zurücktrug“ 78. Abt Notker, den der Chronist als idealen Klostervorsteher vorführte, habe zwar die in St. Gallen stets heimische disciplina wiederbelebt, dabei aber bewußt auf eine „unbeugsame Strenge“ verzichtet, ja manchmal sogar das Kloster verlassen, „damit die Fratres bisweilen nachlässiger […] handeln“; sie sollten nur darauf achten, daß keine Laien und besonders keine Knechte davon erführen79. Abt Craloh dagegen war nach Ekkehard „ein Mann von alter disciplina und Strenge – und bisweilen allzu sehr, wie man sagte – und hart bei Bestrafungen“ 80. Indem er allzu harsch den hochadligen Mönch Victor, dessen Schüler und dessen Onkel Enzelin abstrafte81, habe er jenen langjährigen Konfl ikt provoziert, der ihn persönlich die Gunst des Herrschers, einen seiner Vasallen das Leben und Victor das Augenlicht kostete82 . Nicht selten nutzte Ekkehard das Stilmittel der wörtlichen Rede, um einer konventsfremden Autorität ein positives Urteil über die Lebensweise der St. Galler in den Mund zu legen83. Den Bischof Adalbero von Augsburg etwa ließ er anläßlich eines Besuchs im GallusKloster sagen: „Noch größer ist die Gnade dieses Ortes als der Ruf, den ich diesbezüglich gehört habe“. Befragt nach der dortigen religio 78

CsG 63, S. 136. CsG 134 –135, S. 260 –264, die Zitate ebd. 135, S. 262 / 264. 80 CsG 69, S. 146. 81 CsG 69 –70, S. 146 / 148. 82 CsG 69 –79 u. 81, S. 146 –170; zur Blendung ebd. 77, S. 162. Weitere Beispiele für den Stellenwert der disciplina in Ekkehards Darstellung ließen sich mühelos anführen. So stand etwa auch die Brandkatastrophe von 937 in den Augen des Chronisten in unauflöslichem Zusammenhang mit der in St. Gallen stets geübten disciplina: Es war ein Schüler der Klosterschule, der das Feuer legte, um der Prügelstrafe seines Lehrers zu entgehen; nach Ekkehards Auffassung hatte seine Gemeinschaft die Brandschäden daher a scolaribus pro disciplinis erlitten (CsG 66, S. 142). An zwei Stellen erläuterte der Chronist eigens, er habe das Voranstehende nur berichtet, um die disciplina St. Gallens zu verdeutlichen (vgl. ebd. und CsG 103, S. 210). Und in drei Geschichten erzählte er von einer erfolgreichen Überprüfung der disciplina durch hochstehende Gäste des Klosters: durch König Konrad I. (CsG 14, S. 40), Abt Milo von Ellwangen (CsG 110, S. 218 / 220) und Kaiser Otto I. (CsG 146, S. 282). 83 Vgl. auch TREMP 2005b, S. 385; DERS., 2005a, S. 73. 79

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Nachtrag

cum doctrina, severitas cum disciplina, habe Adalbero dem Kloster sogar bescheinigt, er habe dort „lebende hochheilige Fratres“ vorgefunden, deren Gelehrsamkeit und disciplina in den Werken ihrer Tugenden sichtbar sei84. Vergleichbare Lobeshymnen unterstellte Ekkehard auch anderen Besuchern des Klosters, besonders aber den Mitgliedern der von Otto I. um 964 / 66 entsandten Reformkommission. In diesen Fremdurteilen wiederholte er geradezu gebetsmühlenartig seinen Kerngedanken: Caritas, disciplina, Gehorsam seien in St. Gallen stets heimisch gewesen – und weit wichtiger als die strikte Einhaltung der Benediktregel85. Nachdem Ekkehard I. und Notker der Arzt den Visitatoren die Lebensweise in ihrem Kloster vorgestellt hatten, sollen die anwesenden Äbte den Bischöfen erläutert haben: „Tatsächlich entspricht alles, was wir gehört haben, der Regel Benedikts, ausgenommen den einen Punkt, daß sie sich ihr gemäß wohl mühen, nicht aber ihr gemäß ernähren“. Auch dies sei jedoch kein Verstoß gegen die Benediktregel, weil es nämlich mit Erlaubnis des Abts geschehen sei86. Entsprechend habe Erzbischof Heinrich von Trier, der Leiter der Kommission, den St. Gallern geraten, „das Gute, das ihr tut, der Regel des heiligen Benedikt gleich“ zu gestalten. Denn obwohl alle Anwesenden ihnen nur das beste Zeugnis ausstellen könnten, sei es doch ratsam, „das, was ihr von den Vätern übernommen habt, auch wenn es euch aufgrund der Gewohnheit als das Bessere erscheint, zu dem Geringerwertigen der Regel hin“ zu verändern. Heinrichs Begründung läßt aufhorchen: Die St. Galler würden auf diese Weise künftig der üblen Nachrede entgehen87. 84

CsG 7, S. 28. Vgl. etwa die Äußerungen, die Ekkehard den Bischöfen Arnulf von Toul (CsG 100, S. 202), Hildebald von Chur (ebd.), Poppo von Würzburg (CsG 103, S. 208), Balderich von Speyer (ebd.), dem Erzbischof Heinrich von Trier (CsG 117, S. 228) und dem Abt Kerbodo von Lorsch (CsG 107, S. 214; 111, S. 220; 117, S. 228) in den Mund schob. Und Bischof Hildebald von Chur soll vor Otto II. über die St. Galler geurteilt haben: „Wenn der Gerechte sich selbst Gesetz ist, dann habt ihr keine regelgetreueren Mönche in eurem Reich“ (CsG 100, S. 204). 86 CsG 104, S. 210. 87 CsG 106, S. 212. Am Beispiel des von der Benediktregel verbotenen Fleischverzehrs verdeutlichte Ekkehard seine Auffassung weiter: Hildebald von Chur etwa habe konstatiert, in St. Gallen sei alles des Lobes würdig – außer daß die Mönche Fleisch äßen und Eigentum besäßen; aber beides sei für sie notwendig gewesen, wenn sie nicht hätten Hungers sterben wollen, und 85

Nachtrag

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Vor diesem Hintergrund klingt das, was der Chronist den Erzbischof Heinrich von Trier als Ergebnis der Visitation verkünden ließ, wie eine direkte Mahnung an die Reformer seiner eigenen Gegenwart: „Wir trafen dort Männer von hohen Tugenden auf dem heiligsten Wege der Väter, von dem wir sie zum Weg der Regel hinüberlenkten, nachdem er ja doch beinahe derselbe war. Genau auf ihm wandeln sie jetzt, und sie haben keinerlei Belehrung mehr nötig.“ Denselben Gedanken aber sollte wohl auch die Geschichte über Sandrats mißglückten Auftritt in St. Gallen veranschaulichen: Gleich zweimal jedenfalls stellte Ekkehard in diesem Zusammenhang klar, daß seine Gemeinschaft bereits von Bischöfen und Äbten und besonders durch Kerbodo von Lorsch – falls es denn je nötig war – auf den Weg der Regel zurückgeführt worden sei88. Nach Sandrats Entlarvung dann habe endlich auch Otto I. dies begriffen und daher verkündet, „die St. Galler sollten künftig ihr Leben so führen, wie immer sie wollten“, da er ja nun selbst erfahren habe, „daß sie jedenfalls Gutes wollten“. Ekkehard rundete seine Gesamtargumentation schließlich noch durch eine letzte Idee ab: Wenn überhaupt etwas einem regelgemäßen Leben in St. Gallen im Wege stehe, dann sei dies nicht etwa die mangelnde Regelkenntnis der dortigen Mönche89, sondern allein die Armut des Konvents. Mit den Worten des Erzbischofs Heinrich von Trier: „Sie wandeln nun genau auf ihm [dem Weg der Regel], ohne hier noch irgendeiner Belehrung zu bedürfen; jedoch die Mittel, mit beides hätten sie mit Erlaubnis ihres Abtes getan (CsG 100, S. 202). Bischof Dietrich von Metz, selbst ein Schüler der Klosterschule St. Gallens, behauptete laut Ekkehard, er habe zwar in seiner Jugend in dem Kloster Mönche gesehen, die (freilich mit Zustimmung des Abtes!) Fleisch von Vierfüßlern gegessen hätten; einen besseren Mönch aber als einen dieser Fleischesser habe er niemals kennengelernt. Und dem Abt Milo von Ellwangen legte Ekkehard gar das Urteil in den Mund: „Obzwar ja das Pferd als Speise nicht erlaubt ist, wünschte ich doch eher, mein Mönch verzehre meinen Zelter in Gehorsam, als daß er andere Gebote der Regel überträte“ (CsG 105, S. 212). 88 Vgl. oben, Anm. 71; und Notkers Ermahnung gegenüber Sandrat in CsG 140, S. 272. 89 Vgl. hierzu vor allem CsG 103, S. 210: Als Bischof Dietrich von Metz dem St. Galler Mönch Gerald, der einst sein Lehrer gewesen war, den Regel- Codex des Klosters bringt, fährt ihn Gerald an, er kenne dieses Buch geschlossen besser, als Dietrich geöffnet; der Metzer Bischof sieht seinen Fehler errötend ein. – Zu dieser Episode auch bei TREMP 2005a, S. 67.

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Nachtrag

denen sie ihn vollenden können, mangeln bei der Not jenes unfruchtbaren Landes. Deswegen brauchen sie von niemandem eine andere Unterstützung als die mangelnden Mittel“. Ihnen einen fremden Abt vorzusetzen sei dagegen überflüssig 90. Ein gottgefälliges, gar regelgetreues Leben zu führen schien Ekkehard also erst in dem Moment möglich, in dem die entsprechenden materiellen Grundlagen geschaffen waren91. Aus seiner Sicht gehörte es deshalb auch zu den zentralen Aufgaben eines Abtes, außerhalb der Klostermauern Herrschaft auszuüben. Abt Hartmanns Regiment beurteilte der Chronist daher recht kritisch: Er habe zwar im Innern die disciplina gefördert, die äußere Herrschaft über die Meier aber zum großen Schaden für St. Gallen vernachlässigt92 . Selbst seinem Nachfolger Engilbert hätten diese Leute daher später nur noch schlecht gehorcht93. Erst Abt Notker sei wieder wahrhaft eine „Martha“ unter den vielen St. Galler „Marien“ gewesen94; er habe dem Kloster nicht nur durch Tausch und Verkauf Weinberge beschafft95, sondern sich stets auch nach außen hin, gegenüber seinen milites und famuli, als Herr durchzusetzen vermocht96. An die Macht eines Salomo freilich, der nach Ekkehards Darstellung vertrauten Umgang mit mehreren Königen97 und mit dem Papst98 gepflegt, Grafen befehdet, gedemütigt und überwunden99 und mit dem Erzbischof von Mainz von gleich zu gleich seine Scherze getrieben hatte100, reichte selbst Notker nicht mehr heran: Gemeinsam mit Hatto von Mainz, so konstatierte Ekkehard, habe Salomo „nächst dem König die Reichsgewalt innegehabt“101. Möglicherweise liegt gerade hier der Sinn jener Anekdoten über Salomo und seine Zeit, die auf den ersten Blick mit St. Gallen kaum noch in Zusammenhang zu stehen scheinen. Jedenfalls machte Ekkehard an mehreren 90

CsG 118, S. 232. Vgl. auch CsG 117, S. 228; 118, S. 230. 92 CsG 48, S. 108 / 110. 93 CsG 49, S. 110. 94 CsG 132, S. 256. 95 CsG 134, S. 260. 96 CsG 135, S. 262. 97 Vgl. etwa CSG 3, S. 20; 10, S. 34; und die Würdigung am Ende der SalomoEpisoden, ebd. 29, S. 70. 98 CsG 21, S. 54. 99 CsG 12 –13, S. 36 – 40; 15, S. 42; 17–21, S. 46 – 54. 100 CsG 22 –23, S. 56 – 60. 101 CsG 11, S. 34 / 36. 91

Nachtrag

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Stellen deutlich, wie einträglich Salomos mächtige Stellung in der Welt für die Klosterwirtschaft gewesen sei102 . In diesen Gedankengang aber ordnen sich jene zahlreichen Passagen über das Verhältnis von Klausur und Außenwelt ein, auf die de Jong so eindringlich hingewiesen hat. Die Klausur zumindest im Geiste zu wahren, das war aus Ekkehards Sicht in der Tat ein integraler Bestandteil monastischer Identität und daher für das Überleben der St. Galler Gemeinschaft unerläßlich. Zugleich aber blieben Kontakte zur Welt und vertraulicher Umgang mit Weltgeistlichen, Laienadel und Herrschern, für den materiellen Bestand des Klosters unvermeidlich. Die Grenze zwischen Klausur und Außenwelt war also nicht zufällig ein Leitthema Ekkehards103: Hier ging es einerseits – da die von der Regel geforderte Weltflucht und stabilitas betroffen waren – ganz unmittelbar um das auch sonst im Zentrum stehende Verhältnis zwischen regula und disciplina; und andererseits um jene wirtschaftliche Absicherung der Gemeinschaft, die Regeltreue überhaupt erst ermöglichte. Alles in allem sind die „Casus“ demnach weit mehr als das „köstlichste Geschichtsbuch des Mittelalters“104, mehr als eine unterhaltsame Anekdotensammlung, die an fortunia und infortunia der St. Galler Mönchsgemeinschaft erinnern wollte. Mehr als 50jährig, nach einem langjährigen Aufenthalt in Mainz in sein Heimatkloster zurückgekehrt, führte Ekkehard mit diesem Werk seinen Mitbrüdern und den verhaßten Reformern in seinem Kloster vor Augen, daß es viele Arten gebe, als Mönch so zu leben, daß man vor Gott Gnade fi nde. Nicht die Kutte, nicht der Verzicht auf Fleischgenuß, nicht einmal das Verharren in der Klausur und in Abgeschiedenheit von der Welt machten einen Mann zum Mönch; ausschlaggebend seien vielmehr die disciplina, die sich besonders im Gehorsam gegenüber dem Abt erweise, und die caritas, die Nächstenliebe. Die Fratres des heiligen Gallus aber, so versuchte Ekkehard mit seinem Bild der Klostergeschichte zu beweisen, hätten diese beiden Kernelemente gottgefälligen Mönchtums stets gewahrt, auch wenn sie bisweilen um ihrer Armut willen 102

Vgl. etwa: CsG 6, S. 28 (Schenkung eines Silberkreuzes); CsG 8, S. 30 / 32 (Goldspende); CsG 15, S. 42 / 44 (reiche Gaben Konrads I. anläßlich seines Besuchs in St. Gallen); CsG 21, S. 52 (jährlicher Wachszins); CsG 25 (Erwerb der Abtei Pfäfers und des Hofguts Köllikon im Aargau). 103 Vgl. dazu auch HELLGARDT 2001, S. 47– 49. 104 Vgl. SCHMUKI 1995.

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Nachtrag

gegen den Wortlaut der Benediktregel verstießen. Deshalb seien die Intrigen und Verleumdungen von fremden, heuchlerischen Reformern und deren Versuche, die St. Galler Lebensweise rücksichtslos zu ändern, in der Vergangenheit sämtlich gescheitert. Auch in Zukunft sollten Ekkehards Mitbrüder daher möglichst weiter so leben, wie es ihrer jeweiligen natura entspreche und wie es ihnen die auf disciplina und caritas fußende Gewohnheit ihrer Gemeinschaft vorgebe. Wenn man aber, so Ekkehard, überhaupt ein enger an der Benediktregel orientiertes Leben anstreben wolle, dann sei dafür eine angemessene materielle Grundlage unabdingbar, die sich ohne enge Kontakte zur Außenwelt nicht werde sicherstellen lassen. Erst aus dieser Darstellungsabsicht des gealterten Klosterlehrers heraus erklären sich seine Geschichten über Reformversuche und heimliche Lauschereien, über Abtserhebungen und über die Grenze zwischen Klausur und Außenwelt – und letztlich auch der eigenwillige Gesamtaufbau der „Casus“ als Folge von Berichten über verschiedene ,Mönchs-‘ und ,Abtstypen‘.

LITERATUR Literatur

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Informationen Zum Buch Ekkehard IV. schildert die Geschichte des Klosters St. Gallen aus der Zeit von ca. 883 bis 972. Er verfasste dieses Werk etwa um die Mitte des 11. Jahrhunderts. Seine Erzählungen, die meist auf der mündlichen Überlieferung der Mönchsgemeinschaft beruhen, sind außerordentlich lebendig und einprägsam und vermitteln einen vorzüglichen Einblick in das Klosterleben und die allgemeinen Lebensverhältnisse des 10. Jahrhunderts. Die Ausgabe bietet einen verbesserten Text in der hervorragenden Übersetzung durch Hans Haefele.

Informationen Zum Autor Hans F. Haefele (1925–1997) war Professor für Mittellateinische Philologie an der Universität Zürich und korrespondierendes Mitglied der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica (MGH).