Spurensuche zur Einleitung in das Neue Testament: Eine Festschrift im Dialog mit Udo Schnelle [1 ed.] 9783666540691, 9783666540961, 9783525540695


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Spurensuche zur Einleitung in das Neue Testament: Eine Festschrift im Dialog mit Udo Schnelle [1 ed.]
 9783666540691, 9783666540961, 9783525540695

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Michael Labahn (Hg.)

Spurensuche zur Einleitung in das Neue Testament Eine Festschrift im Dialog mit Udo Schnelle

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments

Herausgegeben von Ismo Dunderberg, Jan Christian Gertz, Hermut Löhr, Joachim Schaper, Christopher Tuckett Band 271

Vandenhoeck & Ruprecht

Spurensuche zur Einleitung in das Neue Testament Eine Festschrift im Dialog mit Udo Schnelle herausgegeben von Michael Labahn

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 3 Abbildungen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2197-0939 ISBN 978-3-666-54096-1

Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de  2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschþtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Methoden und Aufgaben der Einleitungswissenschaft

9

. . . . . . 15

Cilliers Breytenbach Historisch-kritische Einleitung in das Neue Testament? Randbemerkungen zu einer hybriden Disziplin . . . . . . . . . . . . .

17

Marco Frenschkowski Zur Formierung des neutestamentlichen Kanons Beobachtungen aus dem Blickwinkel der Alten Kirche und des klassischen Altertums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

Paulusbriefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Christof Landmesser Aufbau und Sinn des Ersten Thessalonicherbriefes Anmerkungen zu seiner Gliederung und zu seiner theologischen Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

Manuel Vogel Versöhnung und Streit Notizen zur Literarkritik des 2. Korintherbriefes in der neueren Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

Martin Meiser Der Galaterbrief im Rahmen der Chronologie der Paulusbriefe . . . . . 109 Jens Herzer „Alle Einer in Christus“ – Gal 3,28b und kein Ende? Ein Vorschlag

. . 125

Mark A. Seifrid Particularity and Universalism in Romans . . . . . . . . . . . . . . . . 143

6

Inhalt

Synoptische Evangelien und Apostelgeschichte Christoph Heil Die Q-Gruppe in Galiläa und Syrien

. . . . . . . . . . 161

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

Thomas Söding Gottes Sohn unter den Menschen Zur Christologie des Markusevangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Manfred Lang „… bis ans Ende der Welt“ (Apg 1,8) Beobachtungen zur Disposition der Apostelgeschichte

. . . . . . . . . 197

Knut Backhaus Markion und die Apostelgeschichte Ein Beitrag zum Werden des Kanons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

Deuteropaulinen einschließlich Hebräerbrief und Katholische Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Stefan Schreiber Pseudepigraphie als Problem der Einleitungswissenschaft Perspektiven aus der antiken Briefliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . 231 M. Eugene Boring Commonalities and Conflicts in the Pauline School . . . . . . . . . . . 259 Wolfgang Kraus Wer soll das verstehen? Überlegungen zu den Adressaten des Hebräerbriefs. Ein Gespräch mit Udo Schnelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Hermut Löhr „Was aber alt und betagt wird, ist dem Verschwinden nahe“ Hebr 8,13 und das „chronologische“ Argument im Hebräerbrief . . . . 295 Karl-Wilhelm Niebuhr Der erinnerte Jesus bei Jakobus Ein Beitrag zur Einleitung in einen umstrittenen Brief

. . . . . . . . . 307

Inhalt

7

Friedrich Wilhelm Horn Kanonsgeschichte und Einleitung in das Neue Testament am Beispiel des 1. Petrusbriefs Die Aufgabe einer Einleitung in das Neue Testament . . . . . . . . . . 331

Johanneische Schriften und Johannesoffenbarung

. . . . . . . . 347

Thomas Popp „Größeres als das wirst Du sehen …“ (Joh 1,50) Literarische Integrität und theologische Intensität im Johannesevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Martin Karrer Die Johanneischen Schriften und die Apokalypse Beobachtungen zu einer komplizierten Beziehung . . . . . . . . . . . . 373 Michael Labahn „Ja, Amen!“: Die Autorität der „Offenbarung“ und die Antwort ihrer Empfänger Der briefliche Rahmen der Johannesoffenbarung und seine Pragmatik als Teil eines formalen Hybrids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395

Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 Jan van der Watt New Testament Ethics? An Approach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 Autorenanhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449

Vorwort

Am 8. 9. 2017 begeht Prof. Dr. Udo Schnelle seinen 65. Geburtstag. Aus diesem Anlass grüßen ihn Fachkollegen mit einer Festschrift unter dem Titel Studien zur Einleitung in das Neue Testament: Eine Spurensuche. Mit dieser Themenstellung wollen die Beiträge zu dieser Festschrift in ein kritisches Gespräch mit dem Jubilar über eines seiner zentralen Werke eintreten. Schnelles 1994 erstmals erschienene Einleitung in das Neue Testament (UTB 1830, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht) ist seitdem mehrfach in zumeist überarbeiteten und aktualisierten Auflagen erschienen, 2017 nunmehr in neunter durchgesehener Fassung. Sie dürfte nicht nur in zahlreichen Bücherregalen von Theologiestudierenden stehen, sondern auch für Fachkolleginnen und Fachkollegen ein häufig genutztes Hilfsmittel darstellen. Die Einleitung gilt inzwischen als ein Vorbild für das Genre, das die Diskussion um die Entstehung des Neuen Testaments und seiner Schriften im kritischen Diskurs mit verschiedenen wichtigen, in Anknüpfung oder kritischer Abgrenzung erstellten neueren Einleitungen zum Neuen Testament weiterhin befruchtet und so vorantreibt. Die klare wiederkehrende Untergliederung, die deutliche und verständliche Sprache, die nachvollziehbare Präsentation der Argumente und nicht zuletzt die zeitnahe Diskussion der „Tendenzen der neueren Forschung“ haben die „Einleitung“ aktuell und damit „jung“ gehalten und zu einem didaktischen Meisterwerk gemacht, auch wenn Studierende mit dem Umfang des Werkes bei ihrer Examensvorbereitung manchen Kampf ausgefochten haben dürften. Für die Fachkollegen und Fachkolleginnen liegt ein Referenzwerk vor, auf das man für den aktuellen Stand der Forschung verweisen kann, gegenüber dem sich zugleich aber auch eine Reibungsfläche für die eigene Position in Anknüpfung und Widerspruch entfalten lässt. Mit seinen vielfältigen und eigenständigen Entscheidungen und Bewertungen treibt jede neue Auflage der Einleitung die wisschenschaftlich-exegetische Diskussion weiter voran. Beispiele von Anknüpfung und Widerspruch gibt die hier vorgelegte Festschrift. Ihre Themenstellung ist so ambitioniert, dass sie mit dem Thema der Einleitung in das Neue Testament ein weites und grundlegendes Feld der neutestamentlichen Wissenschaft aufnimmt. Somit kann es kein Ziel dieser Festschrift sein, ein systematisches Gesamtwerk zur Einleitung des Neuen Testaments zu erreichen und so eine mit dem Jubilar und seinem Werk konkurrierende Darstellung vorzulegen. Dies war nicht die Aufgabe dieses Wer-

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Vorwort

kes. Absicht ist es aber, in einen kritischen Dialog mit dem Autor eines theologischen Bestsellers einzutreten. Und tatsächlich ist es Dank des Entgegenkommens der zahlreichen Beiträger, die sich auf die gemachten Themenvorschläge eingelassen haben oder sich davon inspirieren ließen, gelungen, ein breites Spektrum an Themen aus dem Bereich der neutestamentlichen Einleitungswissenschaft abzudecken. Die schmerzhafte Auswahl der Beiträger, die leider nicht alle ihre freundliche Zusage einhalten konnten, geht zurück auf ein Gespräch mit dem Jubilar. Da die Zahl der Beiträger und die Länge der Beiträge begrenzt werden musste, sind manches Thema, manche Fragestellung oder verschiedene Schriften leider unberücksichtigt geblieben. Aber eine Festschrift ist wie ein Geburtstagsstrauß immer auch eine Blütenlese, mit Dornen des kritischen Diskurses gespickt als Gesprächsanregung und/oder in kritischem Weiterdenken. Schnelles Einleitung war immer auch ein erster Schritt hin zu weiteren wissenschaftlichen Projekten; so lässt sich die Entstehung seiner Theologie des Neuen Testaments bereits in den theologischen „Grundgedanken“ seiner Einleitung erkennen. Dies ist keineswegs zufällig, ist für Schnelle die neutestamentliche Einleitungswissenschaft nicht nur eine historische, sondern „zugleich aber theologische Disziplin“ (Einleitung9, 26). So führt die einleitungswissenschaftliche Kontextualisierung der neutestamentlichen Schriften in seinem Lehrbuch ganz natürlich hin zur Darstellung ihrer theologischen „Grundgedanken“. In diesem Sinne sind theologische Beiträge ganz selbstverständlich Teil der Festschrift. Die Festschrift unterteilt sich in sechs Abschnitte, wobei soweit möglich dem Aufbau und auch der rekonstruierten Reihenfolge der Enstehung der neutestamentlichen Schriften in Schnelles Einleitung gefolgt wird. Begonnen wird mit einem Abschnitt zu Methoden und Aufgaben der Einleitungswissenschaft, der mit der kritischen Bewertung der Einleitungswissenschaft durch Cilliers Breytenbach als hybrider Disziplin beginnt, die einerseits die spätere Kanonisierung der Schriften voraussetzt, andererseits ihre komplexe Entstehungsgeschichte reflektiert. Bildete traditionell die Kanonsgeschichte einen Abschnitt der Einleitung in das Neue Testament, so wird das Problem bei Schnelle eher kurz in einem Exkurs („Die Sammlung der Paulusbriefe und das Werden des Kanons“; Einleitung9, 426–442) und in theologischer Wertung (aaO., 18–26) dargestellt. Die Festschrift nimmt kanonsgeschichtliche Fragestellungen auf, wobei Marco Frenschkowski kulturwissenschaftlich die Bedeutung der spätantiken Kanonisierungsprozesse in der Alten Kirche und dem klassischen Altertum detailreich beleuchtet und als Rahmenbedingung für die neutestamentliche Kanonwerdung transparent macht. Im Abschnitt zu den Paulusbriefen geht zunächst Christof Landmesser der sinnerschließenden Orientierung durch die Gliederung des 1. Thessalonicherbriefes aufgrund seiner narrativen und argumentativen Dynamik nach und legt offen, dass Paulus seine Adressaten stabilisieren und vergewissern

Vorwort

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will. Manuel Vogel diskutiert die Frage der Literarkritik des 2. Korintherbriefs. Die Abfolge von „Versöhnung und Streit“ wird nicht zuletzt aufgrund eines Vergleichs mit P.Oxy VII 1070 als rhetorische Strategie bewertet, so dass Vogel im literarkritischen Ansatz einen „produktive[n] Irrtum“ finden kann. Nach einer kritischen Analyse der Forschungssituation diskutiert Martin Meiser die relative Chronologie, das Verhältnis vom so genannten Apostelkonzil und dem Antiochenischen Zwischenfall sowie die Jerusalemreisen des Paulus, um so unter Beachtung methodologischer Fragestellungen den Galaterbrief in die paulinische Chronologe einzuordnen. Jens Herzer unterbreitet aufgrund seiner Analyse der Forschungssituation und aufgrund der erneuten Prüfung des textkritischen Befundes einen neuen „Vorschlag“ zur Interpretation von Gal 3,28b. Die Verständnisprobleme werden textgeschichtlich gelöst, indem das maskuline Zahlwort eXr als sekundär bestimmt wird. Zu den theologischen Reflexionen gehört auch der Beitrag von Mark Seifrid. Er analysiert ausgehend von Ferdinand Christian Baur und seinem Verständnis der Frage der jüdischen Besonderheit und des Universalismus des christlichen Glaubens die Behandlung des Themas bei Paulus im Römerbrief. Seifrid zeigt eine komplexe Beziehung zwischen dem Besonderen und dem Universalen mit hoher Bedeutung für die gegenwärtige Interpretation von Paulus und der Schrift auf. Im Abschnitt über die Synoptischen Evangelien und Apostelgeschichte kommen von den neutestamentlichen Evangelien die Logienquelle/Q sowie das Markusevangelium zur Sprache und ausführlicher danach die Apostelgeschichte. Christoph Heil widmet sich in seinem Aufsatz zunächst den soziologischen Fragestellungen der für Q veranwortlichen Gruppe (ein „Netzwerk von Q-Gruppen“), um auf dieser Grundlage Antworten für die anhaltende Diskussion zur Lokalisierung von Q zu gewinnen, dessen Wurzeln in Galiläa liegen und dessen Endredaktion in Syrien erfolgt sei. Ist in kritischer Auseinandersetzung mit der Relativierung der Bedeutung der christologischen Interpretation für Schnelle das „Persongeheimnis Jesu Christi […] ein zentrales Motiv markinischer Christologie und Theologie“ (Einleitung9, 285), so verfolgt Thomas Söding in seinem Beitrag das Thema der markinischen Christologie; in ihr wird als ein zentraler Gedanke „das Menschsein Jesu als Ort der Gottesgegenwart, die alle Vergangenheit und Zukunft erschließt“, bestimmt. Zwei unterschiedliche Aspekte der Apostelgeschichte analysieren Manfred Lang und Knut Backhaus. Lang untersucht den Aufbau und die Gliederung der Apostelgeschichte. Ausgangspunkt ist der programmatische Vers Apg 1,8 als geographisches und theologisches Programmwort, von dem her der Aufbau der Apostelgeschichte charakterisiert werden kann. Entscheidend erweist sich die Verwendung des AT als Gliederungskriterium. Backhaus geht in seinem kanonsgeschichtlichen Beitrag der Rezeption der Apostelgeschichte bei Markion und in der markionitischen Schule nach und setzt sich kritisch mit der These von der Verwerfung der Apostelgeschichte auseinander. Zudem ist sie keine Antwort auf Markion, vielmehr schreiben die

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Vorwort

Beobachtungen von Backhaus der Apostelgeschichte kanonsgeschichtlich eine Bedeutung als „synthetische Schrift“ mit brückenbildender Funktion zu. Zu Beginn des Abschnitts zu den Deuteropaulinen, dem Hebräerbrief und den Katholischen Briefen beleuchtet Stefan Schreiber das Problem der Pseudepigraphie innerhalb der Einleitungswissenschaft aus der Perspektive der antiken Briefliteratur, die fiktive Briefe als literarische Möglichlichkeit und ihre Akzeptanz als gruppenspezifisches Phänomen verstehen lässt. Eugene Boring knüpft an Schnelles Betonung der theologischen Bedeutung der Paulusschule an. In seinem Beitrag untersucht er die Deuteropaulinen als literarische Produkte der Paulusschule, einem „informal network of teachers“, hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten und Konflikte nach dem Tod des Apostels. Zwei Beiträge nehmen den Hebräerbrief in den Blick. Wolfgang Kraus geht in kritischer Auseinandersetzung mit Schnelles Argumentation gegen judenchristliche Adressaten des Hebräerbriefs der Frage nach seinen Adressaten neu nach. Das Argumentationsgeflecht des Schreibens zeige, dass die zwischen Marginalisierung und Erschlaffung stehenden Adressaten die Schriftanwendung ebenso verstehen wie innerjüdische Diskurse und so als jesusgläubige Juden und näherhin als Exponenten eines frühchristlichen Schulbetriebes verstanden werden können. Einem speziellen Aspekt der Schriftauslegung des Hebräerbriefes geht Hermut Löhr nach, indem er aufgrund einer detaillierten Analyse nach der „Zeitstufe“ des in Hebr 8,13 rezipierten Schriftkontextes zwischen Produktion und Rezeption fragt. Auch Löhr stellt die „exegetische() Schulung und Subtilität“ des Verfassers heraus. Ausgehend vom Präskript des Jakobusbriefes analysiert Karl-Wilhem Niebuhr sein Jesusbild, die Jesusüberlieferung, sein Jakobusbild und die Jakobusüberlieferung in diesem Schreiben. Im Ergebnis spricht die Diskrepanz zum frühchristlichen Jakobusbild gegen eine pseudepigraphe Deutung und lässt Jakobus den Herrenbruder als Jerusalemer Führungsfigur und Lehrer, der sich eines griechischen Muttersprachlers bedient, möglich erscheinen. Die Kanonsthematik wird in Friedrich Wilhelm Horns Beitrag wieder aufgenommen und in kritischem Dialog mit Schnelle mitsamt der Textgeschichte/Textkritik als wichtiger Bestand der Einleitung in das Neue Testament betont. Zum Beleg beleuchtet Horn am Beispiel des 1. Petrusbriefes das Verhältnis von Kanongeschichte und der speziellen Einleitung in das Neue Testament. Drei Beiträge fallen in den Bereich Johanneische Schriften und Johannesoffenbarung. Thomas Popp sieht ausgehend von Joh 1,50 f unter Einschluss der Bezugnahme auf Gen 28,12 die „theologische Intensität“ als einen Garanten der literarischen Integrität des vierten Evangeliums; nach Popp wird die „Christuserkenntnis“ durch die „Kunst der Wiederholung […] im Akt der Lektüre Stufe für Stufe theologisch vertieft“. Methodisch erfolgt dies durch kontextuelle und sprachlich-syntaktische Analyse und der Elevation von Sinnlinien mithilfe des semantischen Inventars. Martin Karrers Beitrag, der voraussetzt, dass die Apokalypse nicht zum joh. Schriftenkreis hinzugehört, geht der „komplizierten Beziehung“ zwischen dem Johannesevangelium und

Vorwort

13

der Apokalypse des Johannes in der Text-, Kanons-, und Auslegungsgeschichte nach. Die frühe Sammlungsgeschichte lässt ein Korpus joh. Schriften unter Einschluss der Apokalypse nicht erkennen; die Verbindung setzt punktuell im 2.Jh. ein und führt zu bemerkenswerten Resultaten. Mit dem Blick auf die Apokalypse ist ein Übergang zu dem Beitrag von Michael Labahn geschaffen, in dem ihr brieflicher Rahmen als Teil der literarisch-hybriden Gestaltung des Textanfangs und Textsschlusses, die vor dem Hintergrund innergemeindlicher Differenzen über das richtige Verhalten zur nichtchristlichen Außenwelt Zustimmung zum Autoritätsanspruch generieren und Verlesung in den Adressatengemeinden erreichen sollen, verstanden wird. Zur Darstellung der theologischen „Grundgedanken“ in Udo Schnelles Einleitung werden wie auch später ganz ausdrücklich in den entsprechenden Paragraphen der „Theologie des Neuen Testaments“ auch ethische Fragestellungen mit bedacht. Diesem breiten Spektrum tragen nicht allein die theologischen Reflexionen in verschiedenen Beiträgen Rechnung, sondern es begründet zugleich, dass die Festschrift mit einem grundlegenden und perspektivreichen Beitrag, den man als Prolegoma zur neutestamentlichen / frühchristlichen Ethik bezeichnen kann und der ein methodisches Konzept für die ethische Analyse frühchristlicher Texte entwickelt, endet: Jan van der Watts Beitrag „New Testament Ethics? An Approach“. Mein Dank gilt dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für die Akzeptanz dieses umfangreichen Festschriftbandes sowie den Herausgebern der Reihe „Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments“ für die Aufnahme des Projekts in diese Reihe. Besonderer Dank gilt Herrn Jörg Persch, Herrn Moritz Reissing, Herrn Christoph Spill und Frau Renate Rehkopf vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für technische Unterstützung und Geduld bei der Erstellung des Manuskripts. Herr Pfarrer Christoph Burger, Assistent am neutestamentlichen Lehrstuhl der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, hat dankenswerterweise Korrektur gelesen und das Register erstellt. Wolfsburg, Ostern 2017

Michael Labahn

Methoden und Aufgaben der Einleitungswissenschaft

Cilliers Breytenbach

Historisch-kritische Einleitung in das Neue Testament? Randbemerkungen zu einer hybriden Disziplin „[…] eigentlich gibt’s es nichts, was alle Einleitungen in das NT ausnahmslos böten […]“ Adolf Jülicher

Dieser Beitrag befasst sich vorwiegend mit den deutschsprachigen Lehrbüchern zur Einleitung in das Neue Testament, die es, wie das überaus erfolgreiche Lehrbuch des Jubilars,1 zu mehreren Auflagen brachten. Eine Ausweitung auf das reiche Angebot an Einleitungen im englischen Sprachraum würde den Rahmen sprengen.2 Die herangezogenen Beispiele haben den exemplarischen Wert, Trends in der Konzipierung der Lehrbücher darzulegen. Eine detaillierte Darstellung der jüngeren Geschichte der ntl. Einleitungswissenschaft3 oder der Anläufe zu einer Literaturgeschichte des Urchristentums4 oder eine Hinführung zur den sehr unterschiedlichen Einführungen in das Neue Testament5 wird nicht beabsichtigt.

1 Mit diesem Beitrag grüße ich den Kollegen Udo Schnelle, der mit seiner Einleitung (s. u. Anm. 23) einen Bestseller abfasste und damit wie kein anderer eine Generation deutschlesender Studierender der Theologie prägte. 2 Vgl. die maßgeblichen Werke von R.E. Brown, An Introduction to the New Testament, Anchor Bible Reference Library, New York u. a. 1997; C. Holladay, Introduction to the New Testament. Reference Edition, Waco 2017. 3 Vgl. W.G. Kümmel, Einleitungswissenschaft II, in: TRE 9, 1982, 469–482; J. Roloff, Neutestamentliche Einleitungswissenschaft, in: ThR 55, 1990, 385–423. 4 Vgl. hierzu G. Strecker, Literaturgeschichte des Neuen Testaments, UTB 1682, Göttingen 1992, 17–20. 5 Vgl. H. Köster, Einführung in das Neue Testament, De-Gruyter-Lehrbuch, Berlin, New York 1980; J. Roloff, Einführung in das Neue Testament, Reclam Universal-Bibliothek 9413, Stuttgart 1995; K.-W. Niebuhr (Hg.), Grundinformation Neues Testament. Eine bibelkundlich-theologische Einführung, UTB 2108, Göttingen 2000, 42011.

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Cilliers Breytenbach

1. Anstöße zur Entwicklung einer kritischen Einleitungswissenschaft Die Einleitungswissenschaft entsteht erst Mitte des 18.Jh.6 Bis zum 1. Weltkrieg gab es drei entscheidende Anstöße zur Entwicklung dieser Teildisziplin. Sie können umschrieben werden als ein Prozess, in dem die Forschung sich nach und nach klar wurde, dass das Neue Testament eine spätere Sammlung literarischer Dokumente aus der Anfangszeit des Urchristentums darstellt, die seine theologische Entwicklung abbilden und in den Rahmen seiner Geschichte eingeordnet werden sollen. 1.1. Zunächst leiteten Einleitungswerke die Studierenden in das Studium des Kanons ein. Bereits 1750 veröffentlichte Johann David Michaelis eine zweibändige „Einleitung in die Göttlichen Schriften des neuen Bundes“.7 Er bemühte sich nachzuweisen, dass die Bücher des neuen Bundes von Aposteln stammen und deswegen göttlich sind. Dort, wo dies nicht der Fall ist, z. B. beim Hebr und womöglich bei Jak und Jud, gehören die Schriften nicht mehr zum Kanon und damit nicht zur Grundlage christlicher Theologie. Der Erweis der traditionellen Verfasserschaft wurde somit zur Hauptaufgabe der Einleitungswissenschaft; denn damit wurde gleichsam über die kanonische Qualität der Schriften entschieden. Von 1804 bis 1827 veröffentlichte Johann Gottfried Eichhorn eine fünfbändige Einleitung in das Neue Testament.8 Er prüfte den Kanon kritisch und stellte fest, dass „blos Päbste und Concilien bestimmt haben“ (IV, 64), welche Bücher zum Kanon zu rechnen sind. Die Pastoralbriefe (= Past) seien nicht von Paulus, und der 2Petr sei von einem Schüler des Petrus abgefasst worden. Ausgangspunkt ist die Einsicht, dass der ntl. Kanon selbst eine Geschichte hat und Resultat eines historischen Prozesses ist. In Einleitungswerken geht es darum, historisch – bei Eichhorn mit kritischer Überprüfung der Quellen – zu beschreiben, wie der ntl. Kanon entstanden ist, ob z. B. die Schriften wirklich von Aposteln wie Matthäus oder Paulus geschrieben wurden. Die dogmatischen Prämissen, mit denen man diesen Dokumenten immer begegnet war, wurden anhand der Quellen überprüft und die Einleitungswissenschaft wurde zur Kanonkritik. Man sah zunehmend ein, dass die zum Kanon gesammelten Schriften nur dann angemessen untersucht werden können, wenn man ihren Entstehungsbedingungen historisch nachgeht. 1.2. Eine wirkliche Wende kam mit den verschiedenen Studien von Ferdinand Christian Baur aus Tübingen. Er schrieb selbst keine Einleitung, bestimmte

6 Vgl. dazu Kümmel, Einleitungswissenschaft; Roloff, Einleitungswissenschaft. 7 J.D. Michaelis, Einleitung in die Göttlichen Schriften des neuen Bundes. 2 Bde., Göttingen 1750. 8 J.G. Eichhorn, Einleitung in das Neue Testament. 5 Bde., Leipzig 1804–1827.

Historisch-kritische Einleitung in das Neue Testament?

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aber die Einleitungswissenschaft als „Magd der Dogmatik“,9 die die Aufgabe habe, die dogmatischen Voraussetzungen und Vorstellungen, durch die das Neue Testament erst zum Kanon wurde (wie z. B. die Apostolizität der einzelnen Schriften), zu untersuchen und zu überprüfen.10 Baur verband jedoch in vielen anderen Werken das Studium des Neuen Testaments mit einer Rekonstruktion der Geschichte des Urchristentums.11 Die Entstehung der ntl. Schriften soll in Zusammenhang mit der wechselnden Geschichte des Urchristentums erklärt werden. Zu welchem Zweck, in welcher Situation ist ein paulinischer Brief geschrieben? Welches theologische Interesse liegt hinter diesem oder jenem Evangelium? Seit Baur verfestigt sich die Einsicht, dass die Schriften im Neuen Testament nur im Rahmen einer Konstruktion der Geschichte des Urchristentums angemessen untersucht werden können. Eine Konstruktion der Geschichte des Werdens des Christentums ersetzt den Kanon als Interpretationsrahmen der ntl. Schriften. Wie wirkt sich dies auf die Lehrbuchtradition aus?

2. Historisch-kritische Lehrbücher als Grundlegung der „Einleitung in das Neue Testament“ Lehrbücher zur Einleitungswissenschaft wurden ab dem Ende des 19.Jh. zunehmend zur Pflichtlektüre der Studierenden der Theologie. Drei besonders erfolgreiche Beispiele der historisch-kritischen Richtung sollen knapp charakterisiert werden.12 Dabei stellen sich die Leitfragen nach dem Inhalt, Aufbau und Ziel des jeweiligen Werkes. 2.1. Heinrich Julius Holtzmann wollte über den gegenwärtigen Stand der kritischen Fragen, die das Neue Testament betreffen, ausführlich, umfassend und übersichtlich Auskunft erteilen.13 Das ist ihm auch gelungen, denn die Diskussion des 19.Jh. zu vielen historischen und literarischen Problemen des 9 Vgl. H. Hupfeld, Noch ein Wort über den Begriff der sogenannten biblischen Einleitung, in: ThStKr 34, 1861, 3–28 (16.11): Unter Hinweis darauf, dass für F.C. Baur die Einleitung „nicht eine geschichtliche Wissenschaft […], sondern eine dogmatische, eine Magd der Dogmatik“ sei, bezeichnet Hupfeld es ausdrücklich als Aufgabe dieser Wissenschaft, „die heiligen Schriften in ihrem geschichtlichen Zusammenhang“ zu betrachten. 10 Vgl. F.C. Baur, Die Einleitung in das Neue Testament als theologische Wissenschaft. Ihr Begriff und ihre Aufgabe, ihr Entwicklungsgang und innerer Organismus, in: Theologische Jahrbücher (Tübingen) 9.4, 1850, 463–566, 478. 11 Vgl. F.C. Baur, Kirchengeschichte der drei ersten Jahrhunderte, Tübingen 1853. 12 Für Übersichten über die anderen Werke, vgl. Holtzmann, Lehrbuch (s. u. Anm. 13), 1–20; Jülicher, Einleitung (s. u. Anm. 14 und 15) § 2; Feine, Einleitung (s. u. Anm. 16–18) § 2; Feine/ Behm, Einleitung (s. u. Anm. 19), § 3. 13 H.J. Holtzmann, Lehrbuch der historisch-kritischen Einleitung in das Neue Testament, Freiburg 1885, 21886, 31892, V.

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Cilliers Breytenbach

Neuen Testaments wird den Leser(inne)n in klarer Anlage vermittelt. Da es um das Neue Testament geht, setzt Holtzmann konsequenterweise mit einem allgemeinen Teil ein, in dem die Text- und Kanongeschichte nachgezeichnet werden. In dem uns hier interessierenden zweiten, besonderen Teil wird im ersten Kapitel in weitgehend historisch konstruierter Reihenfolge in die paulinischen Briefe (1 und 2Thess, Gal, 1 und 2Kor, Röm, Phlm, Kol, Eph, Phil, Past, Hebr) eingeführt. Es folgen in Kap. 2 die Geschichtsbücher. Vorgeschaltet ist ein Abschnitt zum Evangelium und den Evangelien. Sodann werden ältere Lösungsversuche und der gegenwärtige Stand der Diskussion zum synoptischen Problem dargelegt. Es folgen Abschnitte zur Spruchsammlung und Entstehungszeit in kanonischer Reihenfolge zu den synoptischen Evangelien (Mt, Mk, Lk) und zur Apg. Kap. 3 befasst sich mit der joh. Literatur (Apk, Joh, 1–3 Joh). „Die übrigen Katholischen Briefe“ werden einfach diesem Kapitel angehängt, bevor in Kap. 4 die Apokryphen des Neuen Testaments behandelt werden (Evangelien, Apostelgeschichten, Briefe, Apokalypsen). Man fragt sich, warum diese Schriften Teil einer vom Kanon ausgehenden Einleitung in das Neue Testament bilden sollen. Holtzmann variiert den Aufbau der Unterabschnitte nach Bedarf, aber in der Regel fragt er bei den Briefen nach Adressaten, Veranlassung, Inhalt, Entstehungszeit und überprüft die „Echtheit“. Bei Mt und Lk kommt noch u. a. der „dogmatische Charakter“, bei Mk das Verhältnis zu Petrus und bei Joh Geschichtlichkeit und Ursprung hinzu. 2.2. Adolf Jülicher konzipierte seine Einleitung nicht als Konkurrenz, sondern als „Einleitung“ zum Werk von Holtzmann.14 Für Jülicher ist „[D]ie Einleitung in das NT die Geschichte seiner Entstehung“ (4). In drei Teilen leitet Jülicher in das Neue Testament ein, aber anders als Holtzmann setzt er bei der „speciellen Einleitung“ (4), bei den einzelnen Schriften ein und verzichtet auf die Apokryphen. Es geht um 1. die Geschichte der einzelnen ntl. Schriften, 2. die Geschichte des ntl. Kanons und 3. die Geschichte des ntl. Textes. Der 1. Teil, um den es hier gehen soll, ist historisch aufgebaut. Anders als Holtzmann fängt Jülicher bei den Schriften an, die als erste entstanden: Im ersten Abschnitt des ersten Teils bei den Briefen, darunter bei den echten Paulusbriefen (der Apostel Paulus, 1Thess, 2Thess, Gal, 1 und 2Kor, Röm, Phil, Phlm, Kol und Eph). Es folgen die „pseuodopaulininschen“ (ab der 3. Auflage „deuteropaulinischen“) Briefe (Hebr, Past) und die katholischen Briefe. Im zweiten Abschnitt geht es um die apokalyptische Literatur im Neuen Testament (Allgemein, Apk), im dritten um „Die geschichtlichen Bücher des NTs“. Hier wird im ersten Kapitel nach Allgemeinem über die Evangelien der Inhalt der synoptischen Evangelien vorgestellt. Nachdem Verfasserfrage, religiöser Standpunkt und Tendenz, schriftstellerische Eigentümlichkeiten und literarische Integrität der drei synoptischen Evangelien in kanonischer Reihenfolge be14 A. Jülicher, Einleitung in das Neue Testament, GThW 3, Tübingen 1.21894, V.

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handelt werden, folgen erst Paragraphen zum „synoptische[n] Problem und seine[r] Lösung“ (ab der 3. Auflage „Die synoptische Frage“ [jeweils § 28] und zum Wert der Synoptiker als Geschichtsquelle [§ 29]). Anschließend werden das Johannesevangelium und die joh. Frage besprochen. Im zweiten Kapitel dieses dritten Abschnittes geht es dann um die Apg und einen Rückblick. Jülicher gestaltet die Unterabschnitte nach Bedarf. Rubriken wie Inhalt, Adressaten bzw. Abfassungsverhältnisse, Zweck, Abfassungszeit und Echtheit (bei den Katholischen Briefen auch die Überprüfung und Anlehnung der traditionellen Verfasserangaben) kommen mehrmals bei den Briefen vor. Bei den synoptischen Evangelien wiederholen sich die Besprechung des Inhalts, der Tradition zur Verfasserschaft, Standpunkt und Tendenz sowie schriftstellerische Eigentümlichkeit. Die Begrenzung auf das Neue Testament allein wird aber nicht vom Kanon her, sondern wegen der „weltgeschichtliche[n] Rolle“ (2) der 27 Schriften vorgenommen. Einleitung in das Neue Testament sei ein Zweig „der geschichtlichen, näher literaturgeschichtlichen Wissenschaft, dessen Gegenstand das NT ist.“ (2). Wenn es möglich gewesen wäre, hätte Jülicher das Neue Testament literaturgeschichtlich behandelt, aber er hält die Konstruktion einer vollständigen Geschichte der Entwicklung des ntl. Schrifttums für unmöglich (5). Er fasst in seinem erfolgreichen Lehrbuch, das es bis zur 7. Auflage brachte,15 die Einleitungswissenschaft also undogmatisch als Zweig der geschichtlichen Wissenschaft auf, insbesondere der literaturgeschichtlichen. Von einer vergleichenden literaturgeschichtlichen Darstellung kann aber keine Rede sein. 2.3. Paul Feine schreibt 1913 im Vorwort. „Es ist viel leichter, eine ausführliche als eine kurze Einleitung zu schreiben.“16 Sie habe die Aufgabe, „die Schriften, welche das NT bilden, nach der Seite ihrer geschichtlichen Entstehung zum Verständnis zu bringen“ (4), und unterscheide sich von einer Literaturgeschichte, „die wissenschaftliche Untersuchung aller literarhistorischen Denkmäler des Urchristentums bis zu einer gewissen Zeit“ (5). Feine wollte bewusst ein knappes Lehrbuch schreiben und setzt in der Einführung mit einem Paragraphen zu den wichtigsten Hilfsmitteln für das Studium des Neuen Testaments ein. Es folgen Paragraphen zu „Begriff und Aufgabe“ und zur „Geschichte der Einleitung“. In aller Knappheit bleibt er nach der Einführung beim bewährten Dreiteiler : I. Die Entstehung der ntl. Schriften, II. Die 15 Jülicher brachte das Buch immer wieder auf den neuesten Diskussionsstand und besorgte selbst 1901 die 3. und 4. sowie 1906 die 5. und 6. jeweils umfangreichen Neubearbeitungen. In 7. Auflage steuerte er noch im ersten Teil das erste Kapitel zu den „älteren paulinischen Briefen“ bis zum Hebräerbrief bei und den zweiten und dritten Teil zur Text- und Kanongeschichte. Die Prolegommena (1–29), Pastoral-, Katholische und Johannesbriefe wurden wie die Apk, von Erich Fascher bearbeitet; vgl. A. Jülicher, Einleitung in das Neue Testament, GThW 3, Tübingen 3.4 1901, 5.61906; ders. in Verbindung mit E. Fascher, Einleitung in das Neue Testament, GThW 3, Tübingen 71931. 16 P. Feine, Einleitung in das Neue Testament, Leipzig 1913, III.

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Entstehung des Kanons des Neuen Testaments, III. Die Geschichte des ntl. Textes. Im ersten Teil werden die paulinischen Briefen nach „Allgemeine[m]“ in chronologischer Reihenfolge behandelt (1Thess, 2Thess, Gal, 1Kor, 2Kor, Röm, Phil, Kol, Eph, Phlm, Past), dann folgen Hebr und die katholischen Briefe, die synoptischen Evangelien und die Apg, um den I. Teil mit den joh. Schriften (Apk, 1Joh, 2 und 3Joh und Joh) abzuschließen. Neben den Themen spezifisch zu dem jeweiligen Brief bespricht er bei den Paulusbriefen in der Regel Inhalt, Veranlassung und Abfassungszeit sowie Echtheit; bei den katholischen Briefen geht er auch auf die Verfasserschaft ein. Bei den synoptischen Evangelien werden neben Inhalt und traditionellen Verfasserangaben auch der schriftstellerische bzw. dogmatische Charakter und die Abfassungszeit besprochen. In der zweiten erweiterten und ergänzten Auflage von 1918 fügt Feine dem Einführungsabschnitt einen Paragraphen zu Sprache und Literaturformen des Neuen Testamentes hinzu.17 Die größte Veränderung kommt aber im ersten Teil, „Die Entstehung der NTlichen Schriften.“ Feine schreibt nun erst über die synoptischen Evangelien und die Apostelgeschichte, dann über das Johannesevangelium. Als Sachgrund für diese Umstellung macht er geltend, dass das Evangelium als Voraussetzung der evangelischen Verkündigung in den Briefen seinen wertvollsten Niederschlag in den Evangelien finde (IV–V). Abweichend von der kanonischen Ordnung steht die Apostelgeschichte als Lukas‘ zweite Schrift stets nach seinem Evangelium. Feine hält an seiner Chronologie bei der Reihung der Paulusbriefe fest. Den Kanon aber zumindest nachahmend, wird das Johannesevangelium der Apostelgeschichte angeschlossen und die Johannesbriefe kommen nach den katholischen Briefen. In der dritten Auflage von 1922 ergänzt Feine vor allem seine Darlegung der Zweiquellen-Hypothese als Lösung der synoptischen Frage und die Teile zur Kanon- und Textgeschichte.18 Erst mit der achten, von Johannes Behm besorgten Auflage wurde das Buch unter Beibehaltung des alten Rahmens neu geschrieben. Behm starb 1948, hinterließ aber eine druckreife Überarbeitung für die neunte Auflage, die 1950 erschein.19 Die Nachfrage nach dem Buch war groß und es erlebte noch zwei unveränderte Auflagen (1954 und 1956), bis Werner Georg Kümmel 1963 die Feine/Behm Einleitung für die zwölfte Auflage neu bearbeitete.20

17 P. Feine, Einleitung in das Neue Testament, Leipzig 21918. 18 Feine, Einleitung in das Neue Testament, Leipzig 31922, 41929, 51930, 61933. 19 P. Feine, Einleitung in das Neue Testament. Achte völlig neu bearbeitete Auflage von J. Behm, Leipzig 1936. Ders., Einleitung in das Neue Testament. Neunte Auflage. Neubearbeitet von J. Behm, Heidelberg 1950. 20 P. Feine/J. Behm, Einleitung in das Neue Testament, Zwölfte völlig neu bearbeitete Auflage von W.G. Kümmel, Heidelberg 121963. Die dreizehnte Auflage versah er 1965 mit einem Literaturnachtrag. In dieser Fassung erlebte das Buch noch drei Auflagen. Ab der 17. Auflage 1973 erscheint es alleine unter dem Namen Kümmels.

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3. Beispiele aus der neueren deutschsprachigen Einleitungswissenschaft 3.1. Die berühmte Einleitung in das Neue Testament von Werner Georg Kümmel ist als Nachfolge von Feine/Behms Lehrbuch ein erstes Beispiel für eine Einleitung in das Neue Testament.21 Kümmel behandelt in einer kurzen Einführung, in der es ihm – wie einst Feine – um Hilfsmittel zum Studium des NT geht, den Begriff „Einleitung in das NT“ und die Geschichte der Einleitungswissenschaft. Die Einleitungswissenschaft „[s]etzt das Vorhandensein des nt. Kanons voraus, in dem die Kirche des 2.–4. Jh. diejenigen Schriften zusammenfasste, die der Verkündigung der Kirche als Norm dienen und im Gottesdient verlesen werden sollten“ (5). Kümmel fasst sie nun aber als „eine streng historische Disziplin“ auf (ebd.), in der es um die Aufhellung der geschichtlichen Umstände bei der Entstehung der einzelnen Schriften gehe und die so bei der Auslegung „die nötigen Voraussetzungen für das Verständnis der Schriften in ihrer geschichtlichen Eigenart liefert“ (ebd.). In einem ersten Hauptteil, „Entstehung der neutestamentlichen Schriften“, behält er den Aufriss von Feine bei und unterteilt nach Literaturformen in: A. Erzählungsbücher, B. Briefe, C. Das apokalyptische Buch. Jeder Teil wird eingeleitet mit einem Kapitel über das, was ein Evangelium, ein Brief oder eine Apokalypse kennzeichnet. Die Teile B und C sind chronologisch angeordnet, d. h. die Evangelien und die Briefe werden in der Reihenfolge ihrer Entstehung behandelt. In Abweichung von Feine/Behm zieht er die Einleitung in Mk vor der in Mt. In einem zweiten Hauptteil beschreibt Kümmel „Die Entstehung des Kanons des Neuen Testaments“. In einem dritten Teil behandelt Kümmel als Einleitung die Geschichte und Kritik des ntl. Textes. Kümmels Buch war über viele Jahre das Buch zur Einleitung in das Neue Testament. Schauen wir uns nun das an, was uns in diesem Zusammenhang interessiert, nämlich Teil I. Bei „A. Die Erzählungsbücher“ behandelt Kümmel zuerst das Thema „Evangelium und Evangelien“, dann „Die synoptische Frage“ und anschließend das Mk-, Mt- und LkEv, schließlich die Apg und das JohEv. „B. Briefe“ bietet unter I. nach Allgemeinem und der Chronologie des Lebens des Paulus alle Paulusbriefe in der auf Feine zurückgehenden Reihenfolge. Weil Kümmel Eph und Past für Pseudepigraphen hält, wird Phlm dem Eph vorgezogen (1Thess, 2Thess, 1Kor, 2Kor, Gal, Röm, Phil, Kol, Phlm, Eph, Past). Im Teil II geht es um den Hebr und den Katholischen Briefen (einschließlich 1–3Joh). Die einzelnen Unterabschnitte sind folgendermaßen aufgebaut: 1. Inhalt, 2. Literarischer Charakter und theologische Zielsetzung, 3. Verfasser, 4. Abfassungsort und Abfassungszeit. In diesem Zusammenhang behandelt Kümmel dann in souveräner Weise die Forschung zu den einzelnen Themen. Wer das Buch von 21 W.G. Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg 171973, (zitiert wird nach der 19. Auflage 1978).

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Kümmel liest, wird gut über den Forschungsstand des 20.Jh. bis zum Ende der siebziger Jahre informiert. 3.2. Konzeptionell reihen sich die anderen deutschsprachigen Einleitungswerke auch in die Tradition von Feine/Kümmel ein. Die „Einleitung in das Neue Testament“ von Ingo Broer wurde seit der 3. Auflage in Verbindung mit Hans-Ulrich Weidemann überarbeitet und verbessert. Die 4. Auflage erschien 2016.22 Nach Einführendem im ersten Teil (ohne auf die Textgrundlage des Neuen Testaments einzugehen!) werden erst die synoptischen Evangelien in der Reihenfolge ihrer Entstehung (Q, Mk, Mt, Lk) und die Apg behandelt. Der zweite Teil nimmt das joh. Schrifttum (Joh, 1Joh, 2 und 3Joh) in den Blick. Der dritte Teil über die echten Paulusbriefe (vorgeschaltet Grundsätzliches zum Briefwesen der Antike und zur Vita Pauli) geht in chronologischer Reihenfolge vor: 1Thess, 1Kor, Phil, Phlm, 2Kor, Gal, Röm. Der vierte Teil bespricht die unechten Paulusbriefe (2Thess, Kol, Eph, Patoralbriefe) und Hebr, der fünfte Teil die katholischen Briefe, und der sechste Teil befasst sich mit der Apk als Teil der apokalyptischen Literatur. Bei den echten Paulusbriefen und Kolosser wird die Stadt des Adressatenkreises jeweils knapp gekennzeichnet, bevor in den Brief eingeleitet wird. Mit Lesenswertem über die Ausbildung von personaler Autorität schließt die Entwicklung zum Kanon als siebenter Teil den Band ab. Wie bei Feine und Kümmel gibt die theologiegeschichtliche Entwicklung die grobe Ordnung vor (Evangelien, Apg und Johannes vor den Paulusbriefen), während die Anordnung und der Zusammenhang der von der alten Kirche kanonisierten paulinischen Briefe zu Gunsten einer historischkritisch konstruierten Chronologie aufgegeben wurde. 3.3. Nach der 21. Auflage 1983 wurde das Buch von Kümmel nicht wieder aufgelegt und auf dem Markt durch die 1994 zuerst erschienene Einleitung in das Neue Testament von Udo Schnelle ersetzt.23 Schnelle kombiniert in seiner Einleitung, die mittlerweile in der 9. Auflage vorliegt, theologische und historische Gesichtspunkte. Eingangs (1. Einführung) bemerkt Schnelle zu Recht, dass die die Geschichte der ntl. Einleitungswissenschaft bestimmende Frage, „Wie verhalten sich die mit dem Kanonbegriff verbundenen dogmatischen und geschichtlichen Prädikate zu einer rein historischen Betrachtungsweise der 27 Schriften des Neuen Testaments?“, bis heute aktuell bleibt (18). Er will die historische Entstehungssituation und die theologische Intention jeder der 27 Schriften erhellen und versteht die Einleitungswissenschaft „als eine streng historische, zugleich aber theologische Disziplin“ (26). 22 Vgl. I. Broer, Einleitung in das Neue Testament. 2 Bde., Würzburg 1998 und 22006; ders. in Verbindung mit H.-U. Weidemann, Einleitung in das Neue Testament, Würzburg 32010, 42016 (zitiert wird nach der letzten Auflage). 23 U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 1994, 21996, 31999, 42002, 5 2005, 62007, 72011, 82013, 92017 (zitiert wird nach der letzten Auflage).

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Beide Aspekte lägen in den Schriften selbst begründet. Die alten Schriften könnten nur historisch untersucht werden. Der Anspruch, „das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus gültig und verbindlich auszusagen“, wohne den ntl. Schriften bereits inne (26 f). Der Kanonbegriff „bündelt und fixiert“ lediglich diesen Anspruch nachträglich; deshalb meint Schnelle, auf ihn verzichten zu können, „ohne das Sachanliegen der ntl. Schriften preiszugeben und die theologische Dimension der Einleitungswissenschaft zu negieren“ (27). Weil Schnelle von einem der Dokumente innewohnenden Anspruch ausgeht, gibt er die bewährte Dreiteilung einer Einleitung auf und lässt die zweiten und dritten Abteilungen zur Kanon- und Textgeschichte fallen. Er bestreitet nicht das Recht, die Einleitungswissenschaft über die Kanongrenze hinaus zu erweitern, aber konzentriert sich aus pragmatischen Gründen auf die 27 Schriften, die sich im Christentum als Kanon durchsetzten. Er kehrt zudem in der Anordnung des Stoffes zum Modell von Holtzmann und Jülicher/Fascher zurück und baut seine Einleitung strikt chronologisch auf, d. h. es wird in die ntl. Schriften in der Reihenfolge ihrer Entstehung eingeführt: 2. die Paulusbriefe (1Thess, 1Kor, 2Kor, Gal, Röm, Phil, Phlm), 3. die synoptischen Evangelien (Logienquelle, Mk, Mt, Lk), 4. die Apostelgeschichte, 5. die deuteropaulinischen Briefe (Kol, Eph, 2Thess, Past), 6. der Hebräerbrief, 7. die katholischen Briefe (Jak, 1Petr, Jud, 2Petr), 8. die Schriften der joh. Schule (2Joh, 3Joh, 1Joh, Joh) und schließlich 9. die Johannesoffenbarung, die als Brief eingestuft wird. In diesen chronologischen Rahmen schiebt er Abschnitte ein, die die historischen Umstände der Entstehung der Schriften erklären können, z. B. 2.1 „Die Chronologie des Paulus“, 2.2 „Die Schule des Paulus“, 8.1 „Die johanneische Schule“. Literaturgeschichtliche Abschnitte werden vor die Einführung in die Literaturgruppen eingefügt: z. B. 2.3 „Der antike Brief“, 3.1 „Die Gattung Evangelium“, 5.1 „Pseudepigraphie als historisches und theologisches Problem“ (da die Apk ein Brief sei, fehlt eine Gattung Apokalypse). Schnelle behandelt auch das synoptische Problem und die Logienquelle. In den Einzelabschnitten geht er nach einem festen Schema vor: Literatur, Verfasser, Ort und Zeit der Abfassung, Empfänger, Gliederung, Aufbau, Form, Literarische Integrität, Traditionen, Quellen, Religionsgeschichtliche Stellung, Theologische Grundgedanken, Tendenzen der neueren Forschung. Besonders die übersichtliche Gestaltung und Aufarbeitung der neueren Forschung bringen es mit sich, dass Schnelles Einleitung das bewährte Buch von Kümmel erheblich ergänzt und die Forschungsdiskussion seit den achtziger Jahren des 20.Jh. hier trotz Knappheit in bewundernswerter Breite verarbeitet wird.

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4. Die hybride Art der ntl. Einleitungswissenschaft 4.1. Der Eindruck bleibt, dass die gegenwärtigen Einleitungen in das Neue Testament die Vermischung von dogmatischen und historischen Prinzipien, die die Entstehung dieser Teildisziplin prägt, nicht entflochten haben.24 Kümmel gesteht die berechtigten Einwände von Gustav Krüger und Wilhelm Wrede „aus historischen Gründen“ (6) gegen eine Einleitung ein.25 Er will aber die Teildisziplin „trotzdem beibehalten, weil die im NT gesammelten Schriften durch ihre Zugehörigkeit zu dem von der Alten Kirche abgegrenzten Kanon ihren vom Christen im Glauben anerkannten besonderen Charakter haben und darum die sichere geschichtliche Grundlegung ihrer Auslegung für den christlichen Theologen eine besonders wichtige Aufgabe ist“ (ebd.). Der Gegenstand der Teildisziplin, nämlich das Neue Testament, wurde durch die altkirchliche Betrachtung konstituiert, ihre Methode soll aber streng historisch sein. Etwas anders gelagert ist das Argument von Schnelle: „Nicht ein sekundärer Kanonsbegriff begründet den historischen und theologischen Charakter der Einleitungswissenschaft, sondern nur das Zeugnis der zu untersuchenden Schriften selbst“ (27). Es sei nur sinnvoll, den besonderen Charakter der ntl. Schriften „innerhalb der urchristlichen Literatur“ vom Begriff des Kanons abzuleiten, „[W]eil der Kanon die urchristlichen Schriften bezeichnet und umfasst, die sich im Christentum durchsetzen“ und „[d]er Kanonsbegriff den gegenwärtigen Gebrauch der urchristlichen Literatur [bestimmt]“ (ebd.). Im Grunde bedeutet dies einerseits, dass die bei der Bildung des Kanons lange umstrittenen Briefe (2Thess, 2 und 3Joh, 2Petr und Jud) und die Apk nur wegen der erfolgreichen Wirkungsgeschichte infolge der Verwendung eines Apostelnamens als Pseudepigraphen in die Einleitung einbezogen werden. Andererseits bleiben z. B. das für das Verständnis der synoptischen Tradition lehrreiche Thomasevangelium und der für die Entwicklung des Urchristentums höchst informative 1. Klemensbrief aus pragmatischen Gründen unberücksichtigt. Die Logienquelle dagegen, die tatsächlich nie – nicht einmal in einer Vorform – auf 24 Das Buch von Petr Pokorny´ und Ulrich Heckel, Einleitung in das Neue Testament. Seine Literatur und Theologie im Überblick, UTB 2798, Tübingen 2007, hat, wie der Untertitel zeigt, einen etwas hybriden Charakter. Unter 1. „Hinführung“ geht er nicht nur auf die Entstehungsgeschichte der Teildisziplinen Einleitung und der Theologie des NTs ein, sondern stellt auch hermeneutische Vorüberlegungen zur Funktion der Sprache an. Unter 2. „Voraussetzungen zur Entstehung des Neuen Testaments“ werden die jüdische Tradition und die hellenistische Kultur vorgestellt. Es folgen 3. Das NT als Kanon, 4. Der Text des NT, 5. Paulinische Briefe mit Grundlegendem zur Briefliteratur, 6. Synoptische Ev. und Apg; 7. Joh. Schriften, 8. Schriften des Paulinismus. Das Buch zeichnet sich dadurch aus, dass die diachronen Fragen, z. B. vorpl. Tradition, vormk. Tradition usw. wieder mehr Aufmerksamkeit bekommen. Etliche historische, literarische, theologische und methodische Probleme, wie z. B. Kapitel- und Verseinteilung des Textes des NT, Wunder und Gleichnisse, Stellvertretung, Sühne und Versöhnung oder Traditions- und Redaktionskritik, werden in Exkursen behandelt. 25 S. u. Anm. 28.

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einer Kanonliste stand, wird in den neuen Einleitungen aber wie eine kanonische Schrift behandelt.26 Die historisch-kritische Forschung hat selbst durch die kritische Hinterfragung der Echtheit der Verfasserangaben die bei der Kanonbildung geltenden Gründe, die erst die Wirkungsgeschichte einiger Dokumente ermöglichten, in Frage gestellt. Als Lösungsvorschlag für die synoptische Frage wurde die Logienquelle postuliert und dann als weiteres Dokument aus zwei der kanonischen Evangelien zur weiteren ntl. Schrift erhoben. 4.2. An der Festlegung auf die 27 Schriften lassen sich die Ursprünge der Einleitungswissenschaft als Einleitung in den Kanon der verbindlichen Schriften der christlichen Kirchen stets erkennen. Die Frage ist, ob, neben einer Darstellung der Eigenschaften der 27 Schriften im Kanon im Rahmen einer für das 1. und frühe 2. Jahrhundert konstruierten Entstehungsgeschichte, zusätzlich Auskunft über die Textgrundlage dieser Schriften und eine Erklärung ihrer Bewertung ab Ende des 2.Jh. im Rahmen des Kanonisierungsvorgangs geboten werden sollen. Es war Holtzmann klar, dass die Entscheidung, in die für das Christentum maßgeblichen Schriften einzuleiten, von dogmatischen Voraussetzungen ausgeht und eine Einleitung in die 27 Schriften des Neuen Testaments als Kanon verlangt (12 f). Insofern leuchtet die Zweiteilung seines Lehrbuchs in der Reihenfolge „Allgemeiner Theil“ zur Geschichte des Textes und des Kanons sowie „Besonderer Theil“ zu Geschichte der Einzelschriften mehr ein, als wenn diese wichtigen Voraussetzungen wie bei Jülicher und Feine nachklappen. Die Einleitung in das Neue Testament hat als Gegenstand den Text des griechischen Neuen Testaments, sei es nun aufgrund des Kanons wie bei Holtzmann oder Feine oder wegen der Wirkungsgeschichte der Dokumente wie bei Jülicher oder wegen eines inhärenten Anspruchs wie bei Schnelle. Deshalb ist erstens die Auskunft über die Editionsgeschichte des zugrunde gelegten Textes und die ihn stützenden Manuskripte gerade im Rahmen einer historischen Disziplin unverzichtbar. Wenn man in den Text als Kanon einführen will, kann man zweitens die Darstellung des Vorgangs der Kanonbildung auch nicht weglassen. In jeder wissenschaftlichen Disziplin sollten der Untersuchungsgegenstand, in den eingeleitet wird, und die Bedingungen seines Zustandekommens erklärt werden. 4.3. Die Anordnung der Schriften in den Einleitungen stellt ein weiteres Problem dar. Wenn in das Neue Testament als kanonische Sammlung eingeführt wird, warum wird von den überlieferten Reihenfolgen in Kanonlisten und den Manuskripten der Vollbibel abgewichen? Holtzmann hatte die paulinischen Briefe an den Anfang vor die „Geschichtsbücher“ (Synoptiker und Apg) gestellt, Jülicher unterscheidet dabei noch zwischen echten und unechten (später deuteropaulinischen) Paulusbriefen, zieht aber aus literaturgeschichtlichen Gründen 26 Vgl. Schnelle, Einleitung, 3.3; M. Ebner, Die Spruchquelle Q, in: Ebner/Schreiber, Einleitung (s. u. Anm. 27), 85–111; Broer/Weidemann, Einleitung, § 4.

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die katholischen Briefe und die apokalyptische Literatur den vier Evangelien und der Apg vor, so dass „die geschichtlichen Bücher des NTs“ an den Schluss gestellt wurden. Feines Umstellung ab der zweiten Auflage bringt mit sich, dass der Reihenfolge der großen Codices (bes. 4, A, B) entsprochen wird: Evangelien und Apg (Mt, Mk, Lk, aber Apg vor Joh), paulinische Briefe, katholische Briefe, Apokalypse. Behm benennt die „geschichtlichen Bücher“ in „Erzählungsbücher“ um und führt die Oberkategorien „Briefe“ und „Das apokalyptische Buch“ ein. Kümmel behält den Aufbau bei, stellt Mt nach Mk und nimmt Hebr zusammen mit den katholischen Briefen. Broer/Weidemann geben die Aufteilung zwischen Erzählungsbüchern und Briefen auf und schieben das joh. Schrifttum zwischen den Synoptikern, der Apg und den echten Paulusbriefen ein. Schnelle setzt mit den Protopaulinen ein, trennt sie durch die Synoptiker von den Deuteropaulinen und stellt die Schriften der joh. Schule (in einer für ihn eigenen Reihenfolge) nach Hebr und den katholischen Briefen vor die Apk ans Ende der Einleitung. Offensichtlich führte die streng historische Betrachtung in einem Basiswerk wie einer Einleitung zu einer erheblichen Umordnung des vorausgesetzten Gegenstandes (des ntl. Kanons). Nicht einmal im Aufbau dieser grundlegenden Teildisziplin wird den Einzuleitenden nur annähernd ein Konsens vermittelt. 4.4. Das Problem bleibt auch in der Feingliederung. Seit Holtzmann will man die Paulusbriefe chronologisch anordnen. Aber die unterschiedlichen Auffassungen über den Abfassungsort des Phil und die bis in die Gegenwart andauernden Kontroversen um die Echtheit von 2Thess führten dazu, dass die chronologische Reihenfolge der Paulusbriefe bis in die neueren Arbeiten sehr unterschiedlich ausfallen kann. Bei Schnelle: 1Thess, 1Kor, 2Kor, Gal, Röm, Phil, Phlm und dann (deuteropaulinisch) Kol, Eph, 2Thess, Past; bei Broer/Weidemann 1Thess, 1Kor, Phil, Phlm, 2Kor, Gal, Röm und dann (unechte) 2Thess, Kol, Eph, Past, Hebr. Da fragt man sich unfreiwillig, ob Ebner/Schreiber, die die Schriften bis auf die Sammlung der Deuteropaulinen weitgehend in der Reihenfolge der Manuskripttradition der großen Codices besprechen, nicht doch die Aufgabe am besten erfüllen.27 4.5. Jülicher verstand seine Aufgabe als eine literaturgeschichtliche und gliederte grundsätzlich nach literarischen Formen (Briefe, Apokalypse, ge27 Der kanonische Ansatz setzt sich noch deutlicher durch bei den im Einzelnen guten Beiträgen verschiedener Autoren, die Martin Ebner und Stefan Schreiber nach hybridem Anordnungsprinzip herausgaben. Vgl. M. Ebner/S. Schreiber, Einleitung in das Neue Testament, KStTh 6, Stuttgart 2008: A. Einführung (christlicher Kanon, Text des NT); B. Die vier Evangelien (vorab: synoptische Frage, die Spruchquelle Q, ,Evangelium‘; dann in kanonischer Reihenfolge Mt, Mk, Lk und Joh); C. Die Apg; D. Die Briefe (Briefliteratur im NT; Chronologie: Lebensdaten des Paulus; Paulusbriefe in kanonischer Abfolge, aber die „unechten“ ausgenommen [Röm, 1Kor, 2Kor, Gal, Phil, 1Thess, Phlm]; Deuteropaulinen [Eph, Kol, 2Thess, Pastoralbriefe, Hebr], kath. Briefe); E. Apk des Johannes (als apk. Literatur).

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schichtliche Bücher), Behm ordnet bei der Überarbeitung die Unterteile bei Feine nach Erzählungsbüchern, Briefen und das apokalyptische Buch. Schnelle und Broer/Weidemann ordnen eher theologiegeschichtlich und die Gattungen Evangelium und Brief werden den Synoptikern und Paulus zugeteilt. Bei Broer/Weidemann werden 2 und 3Joh sogar in § 11 besprochen, bevor § 12 in die Briefform einleitet. Man entfernte sich immer mehr von Jülichers Ideal einer literaturgeschichtlichen Betrachtung. Solche Gesichtspunkte spielten beim Zustandekommen des Kanons keine Rolle.

5. Schluss Die hybride Art aller Einleitungswerke bleibt offensichtlich. Einerseits setzt eine Einleitung in das Neue Testament die spätere Kanonisierung der darin gesammelten 27 Schriften und die Wirkung des Neuen Testamentes als Kanon in der Theologie (bei Jülicher sogar in der Weltgeschichte) voraus, andererseits versucht sie als historische Disziplin unter Absehung von dem Kanonisierungsvorgang die Entstehungsgeschichte dieser 27 Schriften in der Darstellung zu rekonstruieren. An der Konzeption der Einleitungswissenschaft lässt sich ihr Ursprung als Einführung in den Kanon verbindlicher Schriften der christlichen Kirchen stets erkennen. Daran ist nichts auszusetzen, denn dieses Wissen ist unverzichtbar in der Ausbildung. Die Frage ist aber, ob die Orientierung an dem Kanon, die die unbestrittene Voraussetzung der Teildisziplin „Einleitung in das Neue Testament“ ist und das ist, was sie zur theologischen Disziplin macht, nicht noch konsequenter sein sollte. Eine historisch-kritische Einleitung in die 27 Schriften des Neuen Testamentes kann auch im Verlauf der Beschreibung der schon im 1.Jh. einsetzenden Sammlung der Briefe und des Ende des 2.Jh. einsetzenden Kanonisierungsprozesses durchgeführt werden. Dann würde man in den Kanon im Rahmen eines historischen Vorgangs einführen. Als weitere Alternative zu den derzeitigen hybriden Entwürfen bietet sich eine urchristliche Literaturgeschichte an, für die es ausgearbeitete Grundzüge seit Anfang des 20.Jh. bei C.F.G. Heinrici, J. Weiss und M. Dibelius gibt.28 28 Als Gegenprogram zu einer Einleitung in das Neue Testament schließt Gustav Krüger 1894 die Apostolischen Väter in seine Behandlung der urchristlichen Literatur ein und William Wrede macht 1896 den Vorschlag für eine urchristliche Literaturgeschichte. Vgl. G. Krüger, Geschichte der altchristlichen Literatur in den ersten drei Jahrhunderten, Freiburg in Br. 1894; W. Wrede, Rez. A. Jülichers Einleitung, in: GGA 158, 1896, 523–531. Vgl. C.F.G. Heinrici, Der litterarische Charakter der neutestamentlichen Schriften, Leipzig 1908; J. Weiss, Literaturgeschichte des NT, in: RGG1, 1912, 2175–2215; M. Dibelius, Geschichte der urchristlichen Literatur, Sammlung Göschen 934 und 935, Berlin 1926; TB 58, Neudruck München 1975, unter Berücksichtigung der Änderungen der englischen Übersetzung von 1936.

Marco Frenschkowski

Zur Formierung des neutestamentlichen Kanons Beobachtungen aus dem Blickwinkel der Alten Kirche und des klassischen Altertums

Die folgenden Zeilen möchten an Beispielen aus der Kanonbildung zeigen, inwiefern das gesamte spätantike Traditum (christlicher und nichtchristlicher Provenienz) für die neutestamentliche Kanonwissenschaft (und damit auch für die Einleitungswissenschaft) nicht nur unentbehrlich ist (das wird niemand bestreiten), sondern zu manchen Fragen vielleicht noch in anderer Weise einbezogen werden könnte, als es bisher geschehen ist. Nun werden Rahmenbedingungen neutestamentlicher Literaturentstehung oft erst im Blick auf die etwas spätere Zeit kenntlich. Wenn z. B. der Hirt des Hermas vis. 2,4,2 f beschreibt, wie sein Text anfänglich in genau drei Exemplaren verbreitet wird (von denen offenbar das Autograph für den Gottesdienstgebrauch in Rom bestimmt ist, ein weiteres der Verlesung vor Witwen und Waisen und eines der Verbreitung an andere Gemeinden durch Clemens dienen soll), gewinnen wir einen wertvollen Einblick in die selbst im 2.Jh. noch bescheidenen Verbreitungsbedingungen frühchristlicher Literatur.1 Und wenn Autoren wie Tertullian und später Augustin (mehrfach in den Retractationes) berichten, wie die Verbreitung ihrer eigenen Schriften oft an ihnen und ihren Wünschen vorbei geschah, zum Teil gegen ihren Willen, wird z. B. die These, dass die Anfänge der paulinischen Pseudepigraphie sehr gut schon zu Lebzeiten des Paulus vorstellbar sind, plausibel.2 Wenn wir hören, dass Meliton von Sardes in Kleinasien kein vollständiges Altes Testament auftreiben kann und zur Beschaffung der Texte nach Palästina reisen muss (Eus. h.e. 4,26,14),3 wird es leichter sich vorzustellen, dass der Matthäusevangelist offenbar keine Jeremiarolle und auch kein Dodekapropheton besaß (vgl. die Sacharjazitate Mt 21,4 f; 27,9, einmal ohne Herkunftsangabe, das andere Mal 1 Vgl. etwa A. Grafton/M.H. Williams, Christianity and the Transformation of the Book. Origen, Eusebius, and the Library of Caesarea, Cambridge 2006; H.Y. Gamble, Books and Readers in the Early Church. A History of Early Christian Texts, New Haven 1995. Die Verbreitungsbedingungen subkultureller religiöser Literatur wären für die Antike einmal im Zusammenhang zu untersuchen; man wird daran denken, wie bereits im klassischen Athen orphische sakrale Texte von itineranten Bettelpriestern zum Kauf angeboten wurden (Plato, rep. 2,364B–365A). 2 Das wäre wohl auch zu U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 82013, 349, geltend zu machen, der explizit den Tod des Paulus als Entstehungsbedingung der Pseudepigraphie voraussetzt. 3 So nach der vielleicht etwas überzogenen Deutung von W. Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum, BHTh 10, Tübingen 21964, 156 Anm. 1, der auch an Josephus, vita 418, erinnert: ein vollständiges Set der atl. Bücher als wahrhaft fürstliches Geschenk.

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falsch als Jeremiazitat; ebenso 2,23: der Autor kann das Zitat nicht verifizieren und muss seinen Ursprung daher unbestimmt lassen).4 Noch Justin hat offenbar erst sukzessiv Exemplare der alttestamentlichen Texte erwerben können: bei Abfassung der Apologie hatte er noch kein Jeremiabuch zur Hand (an allen drei zitierten Stellen ist die Autorzuweisung falsch), während er zur Zeit seines Dial. c. Tryph. Jeremia oft und fehlerfrei zitieren kann.5 Schon der Barnabasbrief zitiert Jesaja sehr genau, andere Prophetenbücher dagegen eher ungenau und mit anderen Texten kontaminiert. Vermutlich waren auch ihm nicht alle Prophetenbücher direkt greifbar, und er besaß vielleicht nur ein Florilegium.6 Wir erwähnen diese Beobachtungen, weil sie exemplarisch daran erinnern, wie Beobachtungen aus dem 2.Jh. aufschlussreich für die Rahmenbedingungen der Abfassung und Textbenutzung sind, mit denen auch in unmittelbar neutestamentlicher Zeit zu rechnen ist. In ähnlicher Weise müssen auch kanongeschichtliche Überlegungen immer wieder weit über das Neue Testament und die unmittelbaren Zeugnisse zu den Anfängen des Kanons hinaus ausholen, um Fragestellungen und Plausibilitäten in den Blick zu bekommen, die in einer engeren Frageperspektive gar nicht recht sichtbar werden. In einer kulturwissenschaftlichen und nicht nur „theologischen“ Betrachtung sind im Konzept des Kanons seine Entstehung, sein Legitimationsszenario, aber auch seine Grenzen und sein „Außerhalb“, also seine Alterität mitgedacht, ebenso die vielfältigen Formen kanonischer Praxis in der Alten Kirche, die von der Liturgie, d. h. der gottesdienstlichen Lesung, über die private Lektüre der Texte bis zum Amulettgebrauch7 und anderen Aspekten reichen. Anders gesagt, wir verwenden den Begriff Kanon diskursgeschichtlich. Das berührt sich durchaus mit dem altkirchlichen Gebrauch des Konzeptes, das einerseits den Kanon der Heiligen Schriften als Ausdruck von Kirche setzt, aber immer auch das Gegenteil des Kanonischen mitdenkt: sei es als das Häretische, sei es als das Apokryphe. Dieser Kanon hat also einen „Flatterrand“, und er hat ein Außerhalb. Er hat daneben aber auch 4 Vgl. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Matthäus 1–7), EKK I/1, Düsseldorf/Zürich – Neukirchen-Vluyn 52002, 191. 5 E. Dassmann, Frühchristliche Prophetenexegese, Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften. Geisteswissenschaften. Vorträge G 339, Opladen 1996, 15. 6 Dassmann, Frühchristliche Prophetenexegese, 14 f (auch zur Benutzung von Florilegien). 7 Vgl. jetzt zusammenfassend B.C. Jones, New Testament Texts on Greek Amulets from Late Antiquity, The Library of New Testament Studies 554, London u. a. 2016, und knapp auch C. Markschies, Heilige Texte als magische Texte, in: A. Kablitz/C. Markschies (Hg.), Heilige Texte: Religion und Rationalität. 1. Geisteswissenschaftliches Colloquium, 10.–13. Dezember 2009 auf Schloss Genshagen, Berlin/Boston 2013, 105–120. Diese Befunde erinnern uns daran, dass „heilige Schriften“ Bücher sind, die als materielle Gegenstände „heilig“, also von göttlichen Kräften erfüllt sind. Vgl. zum Gebrauch heiliger Schriften in privaten rituellen, apotropäischen und exorzistischen Kontexten auch M. Frenschkowski, Magie im antiken Christentum. Eine Studie zur Alten Kirche und ihrem Umfeld, StAC 7, Stuttgart 2016, 168. 244–248; L.V. Rutgers/ P.W. van der Horst/H. W. Havelaar/L. Teugels (Hg.), The Use of Sacred Books in the Ancient World, CBET 22, Leuven 1998.

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noch andere strukturelle Eigenschaften, die sich erst in einer weiterausholenden vergleichenden Perspektive erschließen. Diese weitere Vergleichsperspektive ist zwar in manchen Darstellungen durchaus präsent,8 in anderen freilich vollständig abwesend.9 Eine wirkliche vergleichende Erforschung von spätantiken Kanonisierungsvorgängen, die alle relevanten Sprachräume und Literaturen mitbedenkt, steht erst am Ausgangspunkt ihrer möglichen Fragehorizonte. Zwar ist Udo Schnelle sicher Recht zu geben, dass sich die Kanongeschichte zu einem eigenen Gebiet entwickelt hat, das nicht einfach nur ein Teil der Einleitungswissenschaft ist.10 Er verzichtet daher in seiner Einleitung auf eine ausführliche Darstellung der Kanonbildung und beschränkt sich zur Sache auf einen (allerdings umfänglichen) Exkurs.11 Dennoch wäre es für künftige Auflagen dieser in Deutschland meistgelesenen Einleitung vielleicht doch wünschenswert, wenn das gesamtantike, nicht nur religiöse, sondern auch kulturelle Umfeld der Kanonisierungsprozesse kurz zur Sprache

8 Unersetzt, nach wie vor lehrreich und manchen neueren Darstellungen überlegen ist J. Leipoldt/ S. Morenz, Heilige Schriften. Betrachtungen zur Religionsgeschichte der antiken Mittelmeerwelt, Leipzig 1953. Vgl. auch R. Baumgarten, Heiliges Wort und Heilige Schrift bei den Griechen. Hieroi Logoi und verwandte Erscheinungen, ScriptOralia 110, Altertumswissenschaftliche Reihe 26, Tübingen 1998 (behandelt nur die vorrömische Zeit); H.-J. Gehrke, Heilige Texte in Hellas? Fundierende Texte der griechischen Kultur in ihrem soziopolitischen Milieu, in: Kablitz/ Markschies (Hg.), Heilige Texte: Religion und Rationalität, 71–86, und weiterführend u. a. C. Colpe, Art. Heilige Schriften, in: RAC 14, 1988, 184–223. Colpe differenziert die verschiedenen Facetten des „kanonischen Prozesses“, wobei aber die verschiedene Querverbindungen zum Teil etwas aus dem Blick geraten. Wichtig ist seine Unterscheidung von „konkurrierenden“ und „überbietenden“ Kanones (211). 9 Vier Beispiele aus vielen: W. Künneth, Art. Kanon, in: TRE 17, 1988, 562–570; W. Schneemelcher, Art. Bibel III. Die Entstehung des Kanons des Neuen Testaments und der christlichen Bibel, in: TRE 6, 1980, 22–48 (der die Beachtung der „kirchen- und theologiegeschichtlichen Gesamtzusammenhänge“ einfordert, 25, aber keinen Gedanken darauf verwendet, dass es auch allgemein-kulturelle Zusammenhänge geben könnte. An „äußeren Anstößen“, 46, werden nur Markion und die Gnostiker genannt); H. Gamble, The New Testament Canon. Its Making and Meaning, Philadelphia 1985, 59–67 (der ähnlich bei den „extrinsic factors“ der Kanon-Entstehung die weiteren kulturellen Rahmenbedingungen und die nicht-christlichen Kanones völlig übersieht), oder H. von Lips, Der neutestamentliche Kanon. Seine Geschichte und Bedeutung, Zürcher Grundrisse zur Bibel, Zürich 2004 (der S. 10 etwa fragt, welche urchristliche Literatur heranzuziehen sein könnte, aber an keiner Stelle reflektiert, ob auch außerchristliche Quellen das Verständnis des Kanonisierungsprozesses fördern könnten). Vgl. zur Forschungsgeschichte K. Greschat, Die Entstehung des neutestamentlichen Kanons. Fragestellungen und Themen der neueren Forschung, in: VF 51, 2006, 56–63, sowie besonders die Klage über mangelnde Forschungsfortschritte seit Theodor Zahn bei C. Markschies, Kaiserzeitliche christliche Theologie und ihre Institutionen. Prolegomena zu einer Geschichte der antiken christlichen Theologie, Tübingen 2007, 218–221. 10 Schnelle, Einleitung, 27 f. 11 Auch die Darstellung bei U. Schnelle, Die ersten 100 Jahre des Christentums. 30–130 n. Chr.: Die Entstehungsgeschichte einer Weltreligion, UTB 4411, Göttingen 2015, 348–350. 469 f, beschränkt sich auf innerchristliche Gesichtspunkte.

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käme, zumal hier erheblicher Forschungsbedarf besteht. Die folgenden Zeilen wollen dazu einen kleinen Beitrag leisten.12 Auch die Entstehung des alttestamentlichen bzw. jüdischen Kanons ist bis in die jüngste Vergangenheit immer wieder ohne Bezug auf außerjüdische Kanonisierungsvorgänge beschrieben worden,13 sehr zum Schaden der Sache. Es ist z. B. kaum zweifelhaft, dass die beiden großen, sich über Jahrhunderte erstreckenden religiösen Kanonformationen des achämenidischen Reiches und der hellenistischen Ära (diejenige der Tora bzw. des Tenach und diejenige der avestischen Nasks) in Vergleich und Kontrastierung (etwa auch unter Einbeziehung der kanonischen Ritualsammlungen des mesopotamischen Raumes) sehr viel deutlichere Konturen gewinnen würden als in einer isolierenden Betrachtung. Vom gewaltigen Umfang der avestischen Überlieferung wusste man auch im Westen: Plinius der Ältere erwähnt nach Hermippus von Smyrna (3.Jh. v. Chr.) zwei Millionen Verse (Nat Hist 30,4). Angeblich enthielt Hermipps Schrift auch eine Auflistung der Bücher Zarathustras. Das werden nach herrschender Auffassung allerdings wohl griechisch-pseudepigraphe Schriften gewesen sein, von denen wir viele Fragmente besitzen, nicht das Avesta selbst: aber die Vorstellung eines orientalischen Kanons von gewaltigem Umfang ist dabei als sozusagen selbstverständlich vorausgesetzt. Natürlich kann dieser zoroastrische Kanon wie die 1028 Hymnen des RigVeda oder überhaupt die indisch-hinduistischen Veden oder auch das Corpus gallischer Epen – deren Erlernen nach Caesar Gall 6,14 zwanzig Jahre dauern konnte – für viele Jahrhunderte nur mündlich existiert haben. Auch ist die Stellung dieser mündlichen „Heiligen Schrift“ als Ritualagenda nicht völlig mit derjenigen der Tora vergleichbar (obwohl der einzige vollständig erhaltene Nask, der Vide¯vda¯d, erstaunliche strukturelle Parallelen zu Teilen der Tora, u. a. zu Leviticus, aufweist). Es geht, wenn wir nach Kanones fragen, auch nicht um Abhängigkeiten, sondern um signifikante Gleichzeitigkeiten bzw. parallele religiöse Prozesse in der allmählichen Ausbildung von Sammlungen, die ähnlichen religiösen Bedürfnissen dienen. Das gilt in noch höherem Maße für das Neue Testament. Zwar war es immer bekannt, dass Kanonisierungsprozesse gerade auch in der Spätantike nicht selten sind, vor allem, wenn wir sie allgemeiner als Sammlung und Zusammenstellung vorbildhafter oder normativer Texte oder anderer kultureller Größen verstehen und die Kanonisierung des Neuen Testaments in diesen weiteren Rahmen einzeichnen. Wir können dann z. B. allgemein Kanonisierung mit Christoph Markschies definieren als „Verbindlichmachen von Tex12 G. Theißen, Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem, Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 40, Heidelberg 2007, 22011, 278, sieht in der Kanonbildung (und ihrer Darstellung) den „Höhepunkt einer neutestamentlichen Literaturgeschichte“. 13 Ein neueres Beispiel, wieder aus vielen möglichen, ist R. Smend, Das Alte Testament, in: W. Dietrich/H.-P. Mathys/T. Römer/R. Smend, Die Entstehung des Alten Testaments, ThW 1, Neuausgabe Stuttgart 2014, 17–42.

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ten für eine Gruppe durch eine bestimmte Elite“.14 Aber die Wechselwirkungen dieser Prozesse in verschiedenen Kultursegmenten sind noch wenig erforscht. Es herrscht speziell in der Theologie oft eine „religionszentrierte“ Sicht, welche die kulturellen Rahmenbedingungen von Sammel- und Kanonisierungsvorgängen sehr stark auf den religiösen Bereich begrenzt und damit die gesellschaftlichen (gerade nicht nur „kirchlichen“) Aspekte des Themas nicht recht in den Blick nimmt. Die Kanongeschichte ist hier noch nicht von jener Einbettung in die antike Literatur- und Kulturgeschichte eingeholt, die für die weitere Einleitungswissenschaft (und auch für die Patristik als Ganze) längst selbstverständlich ist. Insbesondere steigern sich die kanonischen Prozesse in der römischen Kaiserzeit in Quantität und Intensität, wie wir sehen werden. Die Rezeption der klassischen Literatur in der Rhetorenausbildung und überhaupt der hellenistischen Bildungskultur kennt einen Kanon der zehn attischen Redner, der drei Tragiker, der neun Lyriker, der drei Iambographen usw.15 Diese p_majer (so die übliche griechische Benennung, die jedoch ohne qualifizierenden Genitiv keine technische Bedeutung hat und oft nur allgemein „Katalog“ heißt) sollen die Vorbilder rhetorischer Gestaltung benennen, den pädagogisch Verantwortlichen eine Richtschnur zur kursorischen Lektüre wertvoller Autoren geben – aber auch die unerreichten Ideale der „Klassik“ aufzeigen. Gelegentlich heißen solche Referenzsammlungen bereits antik Kanones, wie etwa Dion Hal Thuc 1; Lysias 2 etc., aber die Begrifflichkeit ist für unsere Fragen nicht ausschlaggebend. Das Wort „Kanon“ im heutigen weiteren kulturwissenschaftlichen Sinn, der über den altkirchlichen Gebrauch hinausgeht, ist erst neuzeitlich.16 Der „Kanon der zehn Redner“ ist offenbar in augusteischer Zeit von Caecilius von Calacte geschaffen worden, was gelegentlich mit dessen durch die Suda bezeugter jüdischer Herkunft und einer jüdische Vorliebe für die Zehnzahl (Dekalog) verbunden wurde.17 Plausibler 14 Markschies, Kaiserzeitliche christliche Theologie, 217 (im Original kursiviert). 15 Für eine vergleichende Analyse von „Listen“ und „Corpora“ s. L. Canfora, La formation des „corpora“, in: E. Norelli (Hg.), Recueils normatifs et canons dans l’Antiquit8. Perspectives nouvelles sur la formation des canons juif et chr8tien dans leur context culturel, Publications de l’Institut Romand des Sciences Bibliques 3, Lausanne 2004, 25–46. 16 Vgl. F. Montanari, Art. Kanon III. Griechische Literatur, in: DNP 6, 1999, 248–252, hier 249. Zum christlichen Gebrauch des Begriffs vgl. u. a. H. Ohme, Kanon ekklesiastikos. Die Bedeutung des altkirchlichen Kanonbegriffs, AKG 67, Berlin/New York 1998; ders., Art. Kanon I (Begriff), in: RAC 20, 2004, 1–27. Älteste christliche Belege für einen christlichen Begriff des „Kanons“ Heiliger Schriften sind u. a. Eus. h.e. 6,25,3; Athanasius de decretis Nyceneae synodi 18. Über lateinische Literaturkanones vgl. zusammenfassend G. Vogt-Spira, Art. Kanon IV. Lateinische Literatur, in: DNP 6, 1999, 250 f; dazu allgemein L. Radermacher, Art. Kanon, in: PW 10/2, 1919, 1873–1878; O. Regenbogen, Art. p_man, in: PW 20/2, 1950, 1408–1482; kürzer auch in jeder griechischen Literaturgeschichte z. B. A. Lesky, Geschichte der griechischen Literatur, Bern/ München 31971, 131. 212. 462. 464. 472. 664, dazu verschiedene Beiträge in A. Assmann/J. Assmann (Hg.), Kanon und Zensur, Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation II, München 1987. 17 So sowohl Radermacher, Art. Kanon, 1877 f, als auch H. Gärtner, Art. Kanon, DKP 3, 1969, 108 f.

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wäre wohl ein Hinweis auf den jüdischen „kanonischen Prozess“ als allgemeinen Referenzrahmen. Aber auch die hellenistische Bildungskultur sucht zunehmend für allerlei kulturelle Phänomene einen „Kanon“ zu benennen (wir verwenden das Wort, wie gesagt, in seinem heutigen Sinn). Bemerkenswert ist, dass überall der Gedanke des Kanons der genauen Abgrenzung vorausgeht und das Bestreben erkennbar ist, „symbolische“ Zahlen zu erreichen (3,9,12). Der Einwand, zwischen diesem gelehrten Sammel- und Bewertungsfleiß und den religiösen Kanones gebe es kein direktes Abhängigkeitsverhältnis, ist richtig, verfehlt aber den gesamtgesellschaftlichen Rahmen, in dem beide Prozesse parallel ablaufen. Allgemein-gelehrte, didaktisch-pädagogische und theologische Bedürfnisse gehen Hand in Hand. Zusammenstellungen „kanonischer“ (im Sinne: normativer) Texte sind seit der hellenistischen Ära Teil des Bildungswesens und u. a. der Rhetorenausbildung. Wie verhalten sich diese Sammlungen zu den religiösen Kanones? Gerd Theißen sieht einen wesentlichen Unterschied dieser Sammelprozesse zur Kanonisierung des Neuen Testaments darin, dass diese sich auf „neue“ Texte, jene aber auf klassische Schriften beziehen.18 Damit sind die Probleme freilich nur angerissen. Wir werden die Frage genauer in den Blick nehmen müssen. Bereits bei dem römischen Historiker Velleius Paterculus (gest. bald nach 30 n. Chr.) fügen sich die kanonischen Listen zu einer Evokation einer „klassischen“ Zeit zusammen: „Una neque multorum annorum spatio divisa aetas per divini spiritus viros, Aeschylum Sophoclen Euripiden, inlustravit tragoediam; una priscam illam et veterem sub Cratino Aristophaneque et Eupolide comoediam; ac novam comicam Menander aequalesque eius aetatis magis quam operis Philemo ac Diphilus et invenere intra paucissimos annos neque imitandam reliquere. Philosophorum quoque ingenia Socratico ore defluentia omnium, quos paulo ante enumeravimus, quanto post Platonis Aristotelisque mortem floruere spatio? Quid ante Isocratem, quid post eius auditores eorumque discipulos clarum in oratoribus fuit? Adeo quidem artatum angustiis temporum, ut nemo memoria dignus alter ab altero videri nequiverint.“ (1,16). Das ist für uns interessant, weil es eine sakuläre Analogie des Zusammenwachsens von Kanonteilen bedeutet. Bekannter ist für das 1.Jh. die umfassende wertende und abwägende Sichtung „klassischer“ Texte durch Quintilian, inst orat. 10,1,37–131, deren Agenda wesentlich durch den Vergleich römischer und griechischer Schriftstellerei geprägt ist. Im engeren Sinn religiöse, also etwa rituelle Texte spielen in diesen Listen keine Rolle. Diese Das ist natürlich etwas spekulativ (später haben christliche Autoren den Rednerkanon auf die ihnen heilige Zwölfzahl ausgeweitet: Radermacher, ebd.). Eine Datierung des Rednerkanons erst ins zweite Jhdt. schlägt A.E. Douglas, Cicero, Quintillian, and the Canon of Ten Attic Orators, in: Mnemosyne 9, 1956, 30–40, 40, vor (da weder Cicero noch Quintilian ihn erwähnen). Vgl. auch R.M. Smith, A New Look at the Canon of the Ten Attic Orators, in: Mnemosyne 48, 1995, 66–79. In jedem Fall bewegen wir uns in der für uns unmittelbar relevanten Zeit. 18 Theißen, Entstehung des Neuen Testaments, 282.

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antiken Zusammenstellungen verdichten sich inhaltlich zu einem Konzept des Klassischen, welches dann in der abendländischen Geschichte auf immer neue Textselektionen übertragen wurde. Wir bewegen uns also noch in größerer Distanz zu dem, was die Sammlung des Neuen Testaments bedeutet, aber die Sammelvorgänge normativer Texte als solcher müssen doch festgehalten und verglichen werden, die offenbar einem verbreiteten Bedürfnis der Zeit entsprachen. Man wird sich daran erinnern, dass auch viele theologische Kanonlisten nicht etwa isoliert überliefert sind, sondern nur Teile größerer Listen mit normativer, lesenswerter Literatur darstellen, wie es besonders deutlich etwa im Canon Mommsen oder im Decretum Gelasianum sichtbar wird.19 Diese Entwicklung, die den „sakralen“ Kanon einfach als ersten Teil eines klassischen Lesekanons definiert, mündet im 6.Jh. in Cassiodors Institutiones divinarum et saecularium litterarum und beeinflusst von hierher das gesamte Mittelalter. Es ist auch keineswegs eine kirchliche Besonderheit, dass diese Listen von solchen mit diskreditierter Literatur flankiert sind (d. h. Apokryphen oder Notha); „Negativlisten“ kennt auch die pagane Umwelt (Porphyrius, Vita Plotini 16; auch Plinius Nat Hist 30,8–18 wäre in einem weiteren Sinn zu nennen, etc.). Auch die Quellen der Jurisprudenz werden in der Kaiserzeit sukzessive systematisch gesammelt und in stabile Textformen gebracht, ein Prozess, dessen normative Bedeutung und textstabilisierende Wirkung schon näher am biblischen Schrifttum steht und im 4.–6.Jh. in monumentalen Sammlungen des geltenden Rechts zum Abschluss kommt (Codex Theodosianus, veröffentlicht 438 n. Chr.; Corpus Iuris Civilis, veröffentlich 528–534 n. Chr. u. a. mit den Kaisererlassen seit Hadrian etc.). Im Hintergrund stehen die älteren Rechtsquellensammlungen, angefangen beim Zwölftafelrecht, die ihren Höhepunkt in der reichen juristischen Literatur des 1.–3.Jhs. der Kaiserzeit haben.20 Juristische Kodifikationen sind als Analogien zu religiösen Kanonisierungsvorgängen unbedingt zu beachten, wobei Unterschiede auf der Hand liegen. Vergleichbar ist in jedem Fall das Sammelinteresse, das sich mit einem normativen Bedürfnis verbindet. Natürlich fehlen z. B. das „erbauliche“ Element religiöser Sammlungen und manches andere. Dennoch konnten schon früh biblische und säkular-römische Rechtsaussagen systematisch verglichen werden („Collatio legum Mosaicarum et Romanorum“, 4.Jh.21). Moses ist in 19 Text: E. Preuschen, Analecta. Kürzere Texte zur Geschichte der Alten Kirche und des Kanons. II. Zur Kanongeschichte. Tübingen 21910 (Reprint Frankfurt a. M. 1968), 36–40 (Canon Mommsen). 52–62 (Decretum Gelasianum). 20 Vgl. etwa M. Bretone, Storia del diritto romano, Bari 61999 (verbessert gegenüber den älteren deutschen Ausgaben dieses Buches); M.T. Fögen, Römische Rechtsgeschichten. Über Ursprung und Evolution eines sozialen Systems, Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 172, Göttingen 2002; W. Kunkel/M. Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, Köln u. a. 14 2005; U. Manthe, Geschichte des Römischen Rechts, Beck‘sche Reihe 2132, München 32007, usw. 21 Zur Datierung vgl. E.J.H. Schrage, La date de la „Collatio Legum Mosaicarum et Romanorum”,

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diesem bemerkenswerten Vergleichswerk – dessen Verfasser wir nicht kennen – der „dei sacerdos“, der Priester Gottes. Die Talmudim kodifizieren juristisches und religiöses Traditum in enger, untrennbarer Vernetzung, ohne dass eine Grenze zwischen beiden Bereichen sichtbar wäre. Analog den Juristen tragen Ärzte das hippokratische Schrifttum wohl schon im hellenistischen Alexandria zusammen: Bakcheios von Tanagra erfasste in seinem Glossar um 200 v. Chr. 21 Schriften, während Erotianus im 1.Jh. n. Chr. ein Corpus von etwa 40 Titeln zugrundelegt. Galen u. a. kennen noch einige weitere Texte, bis dann in der Spätantike eine Art medizinischer Kanon mit 62 normativen Schriften angewachsen ist (Vaticanus gr. 276).22 Das sind zwar normative Sammlungen, aber ihnen fehlt das sakrale Element. Wir fragen an dieser Stelle daher spezieller nach religiösen Kanones und ihren strukturellen Wechselwirkungen. Nach einer These der Althistoriker Franz Altheim und Ruth Stiehl (später Altheim-Stiehl) aus den 1960er Jahren haben verschiedene Religionen in der Kaiserzeit mit einem Höhepunkt im 3.Jh. parallel eine Entwicklung zur Buchreligion durchgemacht: „Die Religionen der Alten Welt sind im Laufe des dritten Jahrhunderts n. Chr. zu solchen des ,Buches‘ geworden. […] Es ist eine Bewegung, die gleichzeitig alle Religionen erfaßt“,23 schreiben sie in ihrem großen Werk über die Araber in der Alten Welt. Diese These ist heute in Vergessenheit geraten und auch damals in der Fülle gelehrten Materials und neuer Quellen, welche dieses monumentale sechsbändige Werk bot, von Theologen nicht zur Kenntnis genommen worden. Die These ist auch in der Tat nicht völlig zutreffend und in mancher Hinsicht überzogen, weist aber doch auf etwas Richtiges hin, ein 8tudi8e d’aprHs les citations bibliques, in: J. A. Ankum/ C.A. Cannata/R. Feenstra/Y. Le Roy/J.E. Spruit/P. Weimar (Hg.), M8langes Felix Wubbe offerts par ses collHgues et ses amis / l’occasion de son 70me anniversaire, Freiburg/Schweiz 1993, 401–417. F. Ebel/G. Thielmann, Rechtsgeschichte. Von der Römischen Antike bis zur Neuzeit, Jurathek Studium, Heidelberg 32003, 93, lassen die Datierungsfrage offen. Zur Rekonstruktion des Textes s. jetzt R.M. Frakes, Compiling the Collatio legum Mosaicarum et Romanarum in Late Antiquity, Oxford Studies in Roman Society and Law, Oxford/New York 2011. 22 Vgl. G. Fichtner, Corpus Hippocraticum. Verzeichnis der hippokratischen und pseudohippokratischen Schriften, Tübingen 1985. Erweiterte Neuausgabe Tübingen 2013; W. Golder, Hippokrates und das Corpus Hippocraticum. Eine Einführung für Philologen und Mediziner, Würzburg 2007; P. Potter/B. Gundert, Hippokrates C. Corpus Hippocraticum, in: DNP 5, 1998, 593–599, hier 593. Über die Corpora alchemistischer und astrologischer Schriften sowie Kataloge magischer Texte kann ich im Rahmen dieser Skizze nicht handeln. 23 F. Altheim/R. Stiehl, Buchreligionen, in: dies., Die Araber in der Alten Welt. 3. Anfänge der Dichtung – Der Sonnengott. Buchreligionen, Berlin 1966, 419–435, hier 431. Vgl. auch F. Altheim, Buchreligionen, in: Die neue Rundschau 63, 1952, 536–553. Etwas zurückhaltender G. Stroumsa, Das Ende des Opferkults. Die religiösen Mutationen der Spätantike, Berlin 2011, 53–85 („Der Aufschwung der Buchreligionen“), auch im Dialog mit A. Assmann/J. Assmann (Hg.), Kanon und Zensur. Stroumsa behandelt eine Reihe angrenzender Phänomene in Buchreligionen, blickt aber meines Erachtens immer noch zu wenig über den religiösen Bereich hinaus. Vgl. jetzt auch ders., The Scriptural Universe of Ancient Christianity, Cambridge 2016.

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Sachproblem, das neuer Sichtung bedarf. Insbesondere wird damit das Konzept der „Buchreligionen“ konsequent historisiert, also als Ergebnis eines kulturellen Prozesses sichtbar. Dieses Konzept hatte bekanntlich der deutsche Indologe Friedrich Max Müller, der spätere Herausgeber der „Sacred Books of the East“, der bis heute umfassendsten Sammlung „heiliger Schriften“ (1879–1910 in fünfzig Bänden erschienen), 1870 in einer wegweisenden Vorlesung vor der Royal Institution entwickelt.24 Die Buchreligionen waren ihm die „Aristokratie der Religion“. Die Sammlung des Neuen Testaments geschieht nun nicht in einem luftleeren Raum, sondern hat ein Umfeld anderer Kanonisierungsprozesse, und es ist vor allem nicht so, dass ihre einzige Referenzgröße die Kanonisierung der Hebräischen Bibel im Judentum gewesen wäre. Vielmehr begegnet uns in der Spätantike eine Fülle von religiösen und quasi-religiösen Kanonisierungsprozessen, deren Verhältnis zu denjenigen des Neuen Testaments erst zu prüfen ist. Vielleicht am deutlichsten sind die von Altheim und Stiehl behaupteten Tendenzen in der Philosophie zu greifen. Obwohl die klassische philosophische Tradition so wenig „heilige Schriften“ als primäre Referenzgrößen kennt wie der griechische Kult, so verlagert sich die Verehrung zentraler Texte im Neuplatonismus doch in einer grundlegenden Weise. Es sind nicht nur die Schriften Platons, deren Stellung an Sakralität gewinnt (und damit Sokrates aus der Mitte der philosophischen Verehrung verdrängt: der „Göttliche“ ist jetzt Platon). Neuplatonische Philosophie versteht sich dabei nicht als Neuansatz, sondern nur als klarere Auslegung Platons; alle kreativen Deutungen werden vollständig auf Platon zurückprojiziert, der zur alleinigen Quelle aller Wahrheit wird (vgl. schon Plotin Enn. 9,1,8,10–13).25 Alle Philosophie wird nun in zunehmendem Maße Kommentar. Dabei wird allerdings nicht die Philosophie in die Religion integriert (wie im Christentum), sondern die Religion in die Philosophie. Schon bei den Zusammenstellungen von Philosophentexten mischen sich in die Systemlogik der autoritativen Sammlung andere (nicht zuletzt ästhetische und rhetorische) Elemente, aus denen wir beispielhaft hier die Zahlensymbolik hervorheben. Wohl im 1.Jh. v. Chr. entsteht die wegweisende Sammlung von 36 Platonschriften, die in neun Tetraden, also Vierergruppen und ansonsten inhaltlich geordnet sind, und die eine ältere triadische Sammlung verdrängen. Neun Tetralogien enthalten also 36 Schriften; die symbolische Zahl war nur durch die Aufnahme deuteroplato24 Ausgabe letzter Hand: F.M. Müller, Introduction to the Science of Religion, London/Bombay 1899 (Collected Works of the Right Hon. F. Max Müller XIV) (zuerst London 1873), 52 f. Der Band gilt vielfach als die Geburtsstunde dessen, was wir heute Religionswissenschaft nennen; eine solche Aussage kann natürlich nur cum grano salis gelten. 25 Vgl. exemplarisch mit reichen Literaturangaben M. Erler, Platon, in: Grundriss der Geschichte der Philosophie („Ueberweg-Praecher“), Die Philosophie der Antike 2/2, Basel 2007, 526; ders., Platons Dialoge als „heilige Texte“? Altes Wissen und „anagogische“ Exegese platonischer Dialoge in der Kaiserzeit, in: P. Gemeinhardt (Hg.), Zwischen Exegese und religiöser Praxis. Heilige Texte von der Spätantike bis zum Klassischen Islam, Tübingen 2016, 61–83.

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nischer Texte zu erreichen (Diog L 3,61 f). Die Einzelheiten werden in den Quellen unterschiedlich bestimmt. Die traditionellen Rückführungen der Sammlungen auf einen Thrasyllos oder einen Derkylides im 1.Jh. v. oder n. Chr. sind jedoch eher fragwürdig.26 (In byzantinischer Zeit sind drei leicht divergierende Platonausgaben bezeugt). Auch die Schriften Plotins werden nicht einfach nur gesammelt, sondern bilden rasch eine Art Kanon, an dessen Zusammenstallung sich interessante Prozesse beobachten lassen. Plotin war 270 auf einem Landgut in Kampanien gestorben. Bald nach seinem Tod sammelte sein Schüler Eustochios seine Schriften, doch bleibt diese Ausgabe für uns schattenhaft. Erfolgreicher und für die weitere Plotinrezeption wegweisend wurde dann die Ausgabe, die Porphyrios einige Jahre später schuf. Statt der zeitlichen Ordnung wählte er eine sachliche, wie es auch zuvor Andronikos in seinen Ausgaben des Aristoteles und des Theophrast getan hatte. 54 Traktate Plotins werden in sechs Bücher zu je neun Traktaten zusammengestellt, „der Vollkommenheit der Zahlen sechs und neun mit Freuden begegnend“, wie Porphyrios schreibt (Vita Plotini 24).27 Die solcherart durch heilige Zahlen strukturierte und geschützte Sammlung wird dann von Porphyrios durch eine Lebensbeschreibung seines Meisters abgerundet (Vita Plotini), etwa wie die Apostelgeschichte gerne als Einleitung den Paulusbriefen vorangestellt wurde. Die philosophische Textsammlung wird hier zu einem quasi religiösen Kanon, dessen Vollständigkeit zahlensymbolisch expliziert wird, und der durch einen biographischen Anhang flankiert wird. Es ist sicher kein Zufall, dass der gleiche Porphyrios „15 Bücher gegen die Christen“ schreibt, die sich u. a. mit deren beiden kanonischen Textsammlungen AT und NT kritisch auseinandersetzen.28 Etwas geringere „kanonische Dignität“ hatten wohl die weiteren stabilen Textzusammenstellungen philosophischer Schriften, die wir aus den byzantinischen Handschriften in Umrissen erkennen können.29 Kanonisierung geschieht in philosophischen Diskursen darüber hinaus wesentlich durch Kommentierung. Richard Goulet hat die interessante These vertreten, dass wir in direkter Überlieferung aus der 26 Vgl. neben Erler, Platon, 13, etwa A.-H. Chroust, The Organization of the Corpus Platonicum in Antiquity, in: Hermes 93, 1965, 34–46; T.H. Irwin, The Platonic Corpus, in: G. Fine (Hg.), The Oxford Handbook of Plato, Oxford 2008, 63–87. Als neuere Gesamtübersicht über die Platonrezeption in Antike und Alter Kirche s. M. Erler, Art. Platonismus, in: RAC 27, 2016, 837–890; 905–955. 27 Vgl. R. Thiel, Art. Plotinos, in: M. Landfester (Hg.), Geschichte der antiken Texte, Autoren- und Werklexikon, DNP Supplemente 2, 2007, 487 f. Zur platonischen Zahlensymbolik s. G. Uhlmann, Die Theorie der Zahl im Platonismus – ein systematisches Lehrbuch, Tübingen/Basel 2003. 28 Für eine Gesamtwürdigung des Philosophen vgl. M. Frenschkowski, Art. Porphyrios, in: BBKL 7, 1994, 839–848. 29 Vgl. etwa C. D’Ancona Costa (Hg.), The Libraries of the Neoplatonists. Proceedings of the Meeting of the European Science Foundation Network “Late Antiquity and Arabic Thought: Patterns in the Constitution of European Culture”, Strasbourg, March 12–14, 2004, Philosophia Antiqua 107, Leiden/Boston 2007.

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gewaltigen Literaturmasse der antiken Philosophie hauptsächlich jene Texte der platonischen und aristotelischen Traditionen besitzen, die von den Neuplatonikern im Schulbetrieb gelesen und eigener Kommentare gewürdigt worden sind.30 Stoisches und Epikureisches wurde sehr viel weniger kommentiert und ist daher in sehr viel geringerem Umfang erhalten (Chrysipp etwa verfasste nach Diog L 7,180 über 700 Schriften, von denen aber keine einzige als eigenständiger Text überliefert ist). Nach Richard Goulet gehört nur etwa 4 % des aus der Antike erhaltenen philosophischen Materials nicht dem platonisch-aristotelischen „Mainstream“ an, obwohl wir wissen, dass es in Buchform existiert hat: es war in der gewaltigen Fokussierung der Philosophie durch den Neuplatonismus sozusagen apokryph geworden. Diese geht mit der Sammlung der Texte einher, die sich in unseren Handschriften dokumentiert, zusammenfassend dann in der berühmten byzantinischen „Philosophia collectio“. Es sind u. a. 17 Manuskripte des 9.Jhs, die uns die Konturen dieser Sammlung erkennen lassen. Neben Platons Dialogen gehörten dem Corpus an De anima, De fato und die Quaestiones des Alexander von Aphrodisias, der Didaskalikos des Alkinoos, die Dissertationes des Maximus von Tyrus, die Schriften Plotins, die Kommentare des Proklos zur Republik, zum Timaios und zum Parmenides, die Schrift des Damascius De primis principiis, die Kommentare des Simplicius zur Physik und den Kategorien, des Olympiodor zum Gorgias, zum Phädrus und zum Alcibiades, Johannes Philoponus contra Proclum de aeternitate mundi, Ammonius über die aristotelischen Schriften De interpretatione, De caelo, De generatione et corruptione, Historia animalium, über die Metaphysik, die Meteorologie und die Physik, sowie einige andere Texte. Diese Sammlung in ihrer Maximalform ist zwar wohl nachantik (7.–9.Jh.),31 geht aber auf einen kleineren „platonischen“ Kanon zurück. Wie wenig wir an antiker Philosophie ohne diese quasi-kanonischen Sammlungen besäßen, zeigen die orientalischen Sprachen, die sehr viel weniger Texte tradieren konnten, insbesondere das Syrische, das immerhin früh die sechs Schriften der Organon-Sammlung rezipiert. Die frühbyzantinische Kultur schuf standardisierte Zusammenstellungen philosophischer Texte, die wesentlich bestimmen, was wir noch besitzen und was nicht. Nun ist ein Corpus noch kein Kanon. Die Übergänge werden aber fließend, wenn sich mit dem Corpus Momente des Abgeschlossenen, des Normativen und des Sakralen verbinden. Die Philosophie bietet in diesem Sinn durchaus noch weitere Aspekte zum Thema der Kanonisierung. Was die Rezeption von Texten als tendenziell Heiligen Schriften in der Philosophie betrifft, zitieren wir ein Dictum des neuplatonischen Philosophen Proklos (gest. 485), des letzten großen Vertre30 R. Goulet, La conservation et la transmission des textes philosophiques Grecs, in: D’Ancona Costa (Hg.), The Libraries of the Neoplatonists, 29–61. 31 Dazu L.G. Westerink, Introduction zu: Damascius, Trait8s des premiers principes I, Collection Des Universites de France Serie Grecque, Paris 1986, lxxiii–lxxx.

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ters der paganen antiken Philosophie. Sein Biograph Marinos (ein zur Philosophie konvertierter Samaritaner) schließt eine Würdigung seines Lehrers Proklos mit dessen Bemerkung: „Wenn ich die Macht dazu hätte, würde ich von allen alten Büchern nur noch die Lektüre der (chaldäischen) Orakel (k|cia) und des (platonischen) Timaios gestatten. Alle anderen Bücher würde ich aus dem Blickfeld unserer Zeitgenossen verschwinden lassen, weil sie nur Schaden bei denen anrichten, die sie ohne Sachverstand lesen“ (Marinos, Vita Procli 38, p. 30, hg. v. I.F. Boissonade). Hier erzeugt die philosophische Begeisterung für zwei Texte sozusagen eine philosophische Heilige Schrift, die als zweigeteilter Kanon alle anderen Bücher eigentümlich überflüssig macht. Man beachte den religiösen Tenor dieses philosophischen Kanons: der Timaios ist Grundlage kosmogonisch-theologischer Spekulation, die chaldäischen Orakel Julian des Theurgen sind dezidiert philosophische Literatur in Orakelform und ohne Frage eine der wichtigsten religiösen Schriften des 2.Jh., als viele Orakel anfingen, ihre Offenbarungen mit Philosophie anzureichern.32 Vielleicht in Syrien entstanden, wurden sie so etwas wie eine zentrale Heilige Schrift der Neuplatoniker (angefangen bei Porphyrios). Sie treten für die neuplatonische Tradition als autoritative Referenztexte neben die diskursiven Schriften Platons, wie die (etwa gleichzeitigen) montanistischen Orakel als „drittes Testament“33 neben die biblischen Texte treten. Alles philosophische Denken wird nun Kommentar zu Referenztexten, so wie christliche Theologie von der Mitte des 2.Jhs. an eine literarische Normalform in der Kommentierung heiliger Texte hat. Diese signifikanten Gleichzeitigkeiten sind seit je bekannt, in ihrer Bedeutung für die Kanongeschichte aber noch wenig re32 Ausgaben: R. Majercik, The Chaldean Oracles, SGRR 5, Leiden u. a. 1989; P. des Places, Oracles chalda"ques, avec un choix de commentaires anciens, Collection Des Universites De France, Paris 42003. Vgl. zur Sache H. Lewy, Chaldaean Oracles and Theurgy. Mysticism, Magic and Platonism in the Later Roman Empire. Neuausgabe besorgt von M. Tardieu, Ptudes Augustiniennes, Paris 1978 (Klassiker, zuerst 1956, teilweise überholt); C. Vultaggio, Art. Orakel. B. Griechisch. VIII. Mantik und Orakel in der Philosophie, in: RAC 26, 2015, 254–270, hier: 263 f; P. Athanassiadi, The Chaldaean Oracles: Theology and Theurgy, in: dies./M. Frede (Hg.), Pagan Monotheism in Late Antiquity, Oxford 1999, 149–183; H.-D. Saffrey, Les N8oplatoniciens et les Oracles Chalda"ques, in: Revue des Ptudes Augustiniennes 27, 1981, 209–225; H. Seng/M. Tardieu (Hg.), Die Chaldäischen Orakel: Kontext – Interpretation – Rezeption, Bibliotheca Chaldaica 2, Heidelberg 2010 (wichtige Aufsatzsammlung); H. Seng, Oracula Chaldaica, in: C. Walde (Hg.), Die Rezeption der antiken Literatur, Der Neue Pauly. Supplemente 7, 2010, 549–556. 33 So nennt T. Zahn, Geschichte des neutestamentlichen Kanons I/1. Erlangen/Leipzig 1888 (Nachdr. Hildesheim/New York 1975), 11, die Sammlungen montanistischer Prophetensprüche. Sammlung der Fragmente: R.E. Heine, The Montanist Oracles and Testimonia, Patristic Monograph Series 14, Macon 1989; dazu ergänzend: W. Tabbernee, Montanist Inscriptions and Testimonia. Epigraphic Sources Illustrating the History of Montanism, Patristic Monograph Series 16, Macon, Ga. 1997. Vgl. dazu jetzt H.E. Mader, Montanistische Orakel und kirchliche Opposition. Der frühe Streit zwischen den phrygischen „neuen Propheten“ und dem Autor der vorepiphanischen Quelle als biblische Wirkungsgeschichte des 2.Jh. n. Chr., NTOA/StUNT 97, Göttingen 2012; C. Markschies, Montanismus, in: RAC 24, 2012, 1197–1220.

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flektiert. Ähnliches wäre für die auffälligste Gleichzeitigkeit der Kanongeschichte überhaupt zu sagen, die kurioserweise kaum erforscht ist: diejenige zwischen Mischna und Neuem Testament. Beide wollen ja ein „zweiter Kanon“ sein: die Mischna („Wiederholung“, nämlich der Tora, in griechischen Quellen deut]qysir34) als erste Kodifikation der mündlichen Tora, die neben die tradierte schriftliche Tora tritt, und das Neue Testament, welches das „Alte Testament“ zu einer Teilsammlung degradiert. Guy Stroumsa u. a. haben in der Kodifizierung der Mischna dezidiert ein Konkurrenzunternehmen zur Kanonisierung des NT gesehen (bald ergänzt durch die Tosefta, die teilweise Älteres bewahrt).35 Doch sind die Indizien für eine solche Interpretation schwach. Explizite Bezüge auf das Christentum gibt es in der Mischna nicht. Vielleicht ist wieder eher mit einer signifikanten, erklärungsbedürftigen Gleichzeitigkeit zu rechnen, also einem kulturellen Parallel- und Konvergenzphänomen. Flankiert werden diese Prozesse im Römischen Reich von einer zunehmenden „Lesbarmachung“ der Religion, etwa durch die bekannte Fixierung der Ritualtexte.36 Als Religion, die von Anfang an eine definierte Sammlung heiliger Texte besitzt, begegnet uns vor allem der Manichäismus, der in der zweiten Hälfte des 3.Jhs. im persischen Reich, also außerhalb des römischen Imperiums entsteht.37 Mani hat einen Vorzug seiner Religion vor derjenigen Buddhas, Jesu und Zarathustras (Mose, den Mani verachtet, wird nicht genannt) gerade darin gesehen, dass er selbst diesen Kanon geschaffen hat, und die Erstellung der heiligen Schriften nicht seinen Schülern überlassen habe, wie es in den anderen Religionen geschehen sei (Kopt. Kephalaia 5,21–8,7).38 Er setzt damit in

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34 So in Justinians berüchtigter Novelle 146 von 553 n. Chr., der Juden das Lesen der Mischna untersagt. Text und Übersetzung: A. Linder, The Jews in Roman Imperial Legislation. Edited with Introductions, Translations and Commentary, Detroit/Jerusalem 1987, 402–411; oR sovo· deuteqoOsim Hieron. Epist. 121 heißt „die Rabbinen lehren in ihrem Traditionsgut“ usw. 35 Vgl. Stroumsa, Das Ende des Opferkults, 74 (auch bereits in älteren Studien). Zustimmend Theißen, Entstehung des Neuen Testaments, 281. 36 Darüber, als Vorstufe einer Kanonbildung (etwa im Werk des Varro und in den römischen Ritualsammlungen), handelt jetzt wegweisend D. Macrae, Legible Religion. Books, Gods, and Rituals in Roman Religion, Cambridge/London 2016. Eine Liste „sakraler Rechtsquellen“ wäre etwa Cicero, Leg. 2,115; vgl. u. a. die Listen der Rechtsquellen im ersten Buch der Digesten. 37 Vgl. zum manichäischen Kanon etwa M.H. Browder, Al-B%r0n%s Manichaean Sources, in: P. Bryder (Hg.), Manichaean Studies. Proceedings of the First International Conference on Manichaeism, Lund Studies in African and Asian Religions 1, Lund 1988, 19–28 (mit einer wertvollen tabellarischen Auflistung der verschiedenen Überlieferungen über den manichäischen Kanon, 293); zusammenfassend auch M. Frenschkowski, Heilige Schriften der Weltreligionen und Religiösen Bewegungen, MarixWissen, Wiesbaden 2007, 64–67. 38 Vgl. J. Tubach, Mani, der bibliophile Religionsstifter, in: R.E. Emmerick/W. Sundermann/P. Zieme (Hg.), Studia Manichaica, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Berichte und Abhandlungen. Sonderband 4, Berlin 2000, 622–638, hier 624–626, und zur Rekonstruktion des Textes u. a. M. Tardieu, Le prologue de „Kephalaia“ de Berlin, in: J.-D. Dubois/ B. Roussel (Hg.), Entrer en matiHre. Les Prologues, Patrimoines – Histoire des religions, Paris 1998, 65–77. Vgl. auch Turfan-Frg. M 5794 I. Über Manis Rezeption biblischer Texte ist die klassische (heute ergänzungsbedürftige) Untersuchung A. Böhlig, Die Bibel bei den Manichäern

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seiner religiösen Umwelt als selbstverständliches Desiderat voraus, dass eine Religion heilige Texte haben solle, wie sie der Buddhismus, das Judentum, das Christentum, die elchesaitische Bewegung (in der er aufgewachsen ist) und der Zoroastrismus besitzen (im letzteren Fall ist die Schriftlichkeit der Texte umstritten). Es gilt im Manichäismus (wie ähnlich im Buddhismus) als verdienstvolles, das spätere Geschick beeinflussendes Werk, die heiligen Schriften zu kopieren, also persönlich Abschriften herzustellen, so dass es rasch zahlreiche Exemplare gegeben haben muss.39 Ähnlich dem neutestamentlichen existiert der manichäische Kanon in mehreren minimal divergierenden Gestalten.40 Das Judentum erscheint uns zwar leicht als Religion, die sozusagen von seinen Anfängen an durch heilige Schriften definiert ist. Dieser Schein trügt aber etwas. Das Judentum ist primär eine Religion des Tempels, des heiligen Landes, der Wallfahrten, des Kultes und der Priester. So wird es auch von Heiden wie Strabon und Tacitus wahrgenommen. Erst mit dem Untergang dieser Größen tritt die Tora in jener Ausschließlichkeit in die Mitte des religiösen Lebens, wie wir es aus dem jüngeren Judentum kennen (Ähnliches wäre wohl über die Samaritaner zu sagen). Allerdings existiert das Konzept der Tora als solches natürlich früher. Es ermöglicht es dem Judentum gerade, als Religion zu überleben, als Land und Tempel verlorengehen und die Tora zu einem „portativen Vaterland“ wird, um Heinrich Heines Formulierung zu zitieren („Geständnisse“, Kap. 7). Als dritter traditioneller Kanon des Orients ist das avestische Schrifftum im Iran zu bedenken, dessen Sammlung (21 Nasks, entsprechend den 21 Worten des Ahuna Vairya-Gebetes) in mehreren Etappen zwischen der vorhellenistischen Ära und dem 6.Jh. n. Chr. anzusetzen ist (die Einzelheiten sind umstritten). In der iranistischen Forschung ist die These beliebt, das avestische Schrifttum habe bis zu einer Verschriftlichung unter den Sassaniden nur mündlich existiert.41 Allerdings sind auch mündlichen gepflegten Traditionen strikte Kanonstrukturen nicht fremd, wie wir etwa aus der Überlieferung der mündlichen Tora vor der Mischna oder aus der Tradierung der vedischen Bücher in Indien wissen (auch an die Bedenken gegen die Schriftlichkeit in Platons berühmtem siebten Brief wird man denken). Allerdings kennt Pausanias, Graeciae Descriptio 5,27,6, heilige Ritualagenden der Zoroastrier im römischen Kleinasien, die in einem griechischen Umfeld lebten, und die westliche Zarathustraüberlieferung setzt nahezu und verwandte Schriften, hg. v. P. Nagel/S.G. Richter, NHMS 80, Leiden/Boston 2013 (ergänzt gegenüber der 1947 unpubliziert gebliebenen Dissertation). 39 H.-J. Klimkeit, The Use of Scripture in Manichaeism, in: M. Heuser/H.-J. Klimkeit, Studies in Manichaean Literature and Art, NHMS 46, Leiden u. a. 1998, 111–122, hier 120. 40 Vgl. aber die kritischen Bemerkungen bei Colpe, Colpe, Art. Heilige Schriften, 219 f, der von manichäischen Heiligen Schriften, aber nicht von einem Kanon sprechen will. Da es stabile Listen der Texte gibt, kann das nicht überzeugen. 41 Vgl. die Diskussion zusammenfassend M. Stausberg, Die Religion Zarathushtras. Geschichte – Gegenwart – Rituale. 1, Stuttgart 2002, 69–153.

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selbstverständlich Bücher unter dem Namen Zarathustras voraus.42 Diese waren aber vielleicht nicht im Iran, sondern nur in Kleinasien verbreitet, und haben sich vielleicht eines aramäischen Alphabets (oder sogar des griechischen) bedient. Es kann dabei kaum als Zufall angesehen werden, dass iranische Traditionen, wenn auch nicht die einzige, so doch eine Sammlung der geheiligten Überlieferung, des späteren Avesta, an Vologaeses I. (reg. etwa 51 bis ca. 78 n. Chr.) binden (Denkard 4,24);43 ihre Schriftlichkeit wird in der Iranistik meist abgelehnt. Es sind dies gerade die Jahre etwa um den ersten Jüdischen Krieg, als sich der parthische Staat anschickt, das kulturelle und religiöse Erbe gegenüber dem Übergewicht griechischen und römischen Einflusses neu zu verteidigen, und sich in einem komplexen militärisch-diplomatischen Konflikt mit Rom um Einflusssphären im Vorderen Orient befindet. Vologaeses I. ist auch der erste Arsakide, der auf seine Münzen neben den herkömmlichen griechischen auch mitteliranische Aufschriften anbringen lässt; auf einigen Reversen findet sich der typisch zoroastrische Feueraltar.44 Das Interesse des Königs und seines Bruders Tiridates von Armenien an zoroastrischer Religiosität ist auch sonst bezeugt (Tacitus Ann 15,24; Plinius Nat Hist 30,16 f; Dio Cass 62,5 etc.). Daher ist es glaubwürdig, dass auch Sammlungsprozesse religiöser Überlieferungen mit seiner Regierung verbunden gewesen sein können (vgl. 2Makk 2,13–15 über protokanonische jüdische Büchersammlungen). Sie dienen wesentlich der nationalen und religiösen Identität des Iran, die sich als Gegenbild zum Römischen Reich konstituiert, geschehen aber doch im hellenistischen Einflussbereich, sozusagen als Gegenbewegung gegen normative „kanonische Prozesse“ im westlichen Kulturraum (wie der römischen Etablierung der Aeneis als Nationalepos im Gegenzug gegen die Ilias)45. Die intensiven Wechselwirkungen mit dem Judentum sind überaus komplex (das iranische Königshaus der Adiabene war gerade zum Judentum konvertiert)46, und adiabenische Einheiten waren die einzigen nicht-jüdischen Truppen, die den Aufständischen militärische 42 Das kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Vgl. insgesamt meine Übersichten: M. Frenschkowski, Art. Persien II. (Das Bild Persiens bzw. des Iran in westlichen Traditionen), in: RAC 27, 2016, 255–298; ders., Intersections: Christianity, in: M. Stausberg/Y. Sohrab-Dinshaw Vevaina (Hg.), The Wiley Blackwell Companion to Zoroastrianism, Chichester/West Sussex 2015, 457–475. 43 Am bequemsten zugänglich in der allerdings in Einzelheiten überholten Übersetzung von E.W. West, Pahlavi Texts. Pt. 4. Content of the Nasks, Sacred Books of the East 37, Oxford 1892. Reprint Delhi 1965, 413. 44 M. Alram, Nomina propria Iranica in nummis, Iranisches Personennamenbuch IV, Wien 1986, 121–129, bes. 127 f. Die griechischen Buchstaben dieser Münzen sind z. T. bereits fehlerhaft. 45 Vgl. dazu Frenschkowski, Heilige Schriften der Weltreligionen, 107–110. 46 Vgl. über die Vernetzungen M. Frenschkowski, Iranische Königslegende in der Adiabene. Zur Vorgeschichte von Josephus: Antiquitates XX, 17–33, in: ZDMG 140, 1990, 213–233, sowie jetzt die ausführliche Diskussion meiner Beobachtungen bei M. Marciak, Izates, Helena, and Monobazos of Adiabene. A Study on Literary Traditions and History, Philippika 66, Wiesbaden 2014.

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Unterstützung zukommen ließen, wenn auch in weit geringerem Umfang, als diese gehofft hatten.47 Die religiöse Renaissance im Iran blieb den jüdischen Partnern sicher nicht verborgen. Betrachten wir ein völlig anders gelagertes Corpus heiliger Schriften, diesmal aus Ägypten. Clemens Alexandrinus beschreibt um 200 n. Chr. ausführlich, wie ägyptische Kulte in Alexandrien einen klar umrissenen Kanon von 42 Schriften besitzen. Jeder Priester, der bei den Prozessionen zusammen mit den Götterbildern feierlich auftrat, musste bestimmte Bücher aus diesem Kanon auswendig kennen. In seinem Werk Stromata („Teppiche“) schreibt Clemens (Anmerkungen in Klammern sind Verdeutlichungen MF): „Die Ägypter treiben nämlich eine eigentümliche Philosophie, z. B. beweist dies ihre eigentümliche heilige Kultusfeier. Als erster tritt nämlich aus dem Heiligtum der Sänger, indem er eines der Sinnbilder der Musik trägt. Dieser soll, sagt man, zwei Bücher seinem Gedächtnis eingeprägt beherrschen von den Schriften des Hermes, von welchen das eine Hymnen der Götter enthält, das zweite eine Beschreibung königlichen Lebens (toOtºm vasi d¼o b¸bkour !meikgv´mai de?m 1j t_m :qloO, ¨m h²teqom l³m vlmour peqi´wei he_m, 1jkocisl¹m d³ basikijoO b¸ou t¹ de¼teqom). Nach dem Sänger schreitet der Horoskop [gemeint ist hier ein Tempelamt; M.F.] heraus, der als Sinnbilder der Astrologie einen Stundenzeiger und einen Palmzweig in der Hand trägt. Dieser muß die astrologischen Schriften unter den Büchern des Hermes, vier an der Zahl, auswendig kennen, von denen das eine von der Ordnung der Fixsterne handelt, das zweite von den Planeten, das dritte von den Begegnungen und Erscheinungen von Sonne und Mond, das noch übrige von den Aufgängen (der Sterne). Dann tritt der heilige Schriftwart hervor mit Federn auf dem Haupte und einem Buch und einem Kästchen in der Hand, in welchem die Schreibtinte sich befindet und das Rohr, mit welchem sie schreiben. Er muß die sogenannten Hieroglyphenschriften kennen; diese handeln von der Weltkunde (Kosmologie) und Geographie, von dem Stand der Sonne und des Mondes und von den fünf Planeten (toOtom t± te Reqockuvij± jako¼lema peq¸ te t/r joslocqav¸ar ja· ceycqav¸ar t/r t²neyr toO Bk¸ou ja· t/r sek¶mgr ja· peq· t_m p´mte pkamyl´mym), der Bodenbeschaffenheit Ägyptens und der Beschreibung des Nils, von der Beschaffenheit der Ausrüstungsgegenstände in den Tempeln und der ihnen geweihten Grundstücke, von den Maßen und von den in den Tempeln gebrauchten Dingen. Dann folgt den Zuvorgenannten der Ankleider (der Götterbilder) mit der Elle der Gerechtigkeit und dem Spendenbecher ; dieser kennt alle Bücher, welche die Erziehung behandeln und die sogenannten Kälberschlachtbücher ; das sind nämlich zehn Bücher, welche sich auf die Verehrung derer, die bei ihnen als Götter gelten, beziehen und den ägyptischen Kultus umfassen, nämlich von den Opfern, von den Erstlingen, von den Hymnen, von den Gebeten, von den Aufzügen, von den Festen und dergleichen handeln. Nach diesen allen tritt der Prophet heraus, der in seinem Gewandbausch offen den Wassereimer trägt; ihm folgen die, welche die Prozessionsplatte mit den 47 Josephus, Bell 1,6; 2,388.520; 4,567; 5,147.251 f.474; 6,342.

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Broten tragen. Dieser lernt als Vorsteher des Tempels die zehn sogenannten hieratischen Bücher ; sie umfassen das die Gesetze, die Götter und die ganze Erziehung der Priester Betreffende. Der Prophet ist ja bei den Ägyptern auch der Vorsteher über die Verteilung der Einkünfte. Zweiundvierzig an Zahl also sind die notwendigen Bücher des Hermes; von diesen erlernen die Zuvorgenannten die Sechsundreißig, welche die ganze Philosophie der Ägypter enthalten (tµm p÷sam AQcupt¸ym peqiewo¼sar vikosov¸am), die Pastophoren die übrigen sechs, welche medizinische sind, d. h. über die Einrichtung des Körpers, über die Krankheiten, über die Gliedmaßen, über die Heilmittel, über die Augen, und zuletzt über die weiblichen Krankheiten handeln.“ (Strom 6,4,35,2–37,3; Übersetzung F. Overbeck, Basel 1936, 514 f).

Dieser Text ist von außerordentlichem Interesse für Kanonisierungsvorgänge am Ausgang der ägyptischen Religionsgeschichte und zeigt auch, wie die heiligen Schriften jeweils bestimmten Tempelämtern zugeordnet waren. „Geheimwissen“ war dies alles nicht: Clemens ist über den Inhalt der Bücher informiert und deutet auch nicht an, dass diese in irgendeiner Weise Arkandisziplin gewesen wären. Man beachte, dass diese Bücher nach Clemens als heilige Gegenstände in Prozessionen herumgetragen und auswendig gelernt werden, und vor allem die Symbolzahl 42: der Kanon ist eine festumrissene, abgeschlossene Größe. Er hatte offenbar vor allem mythologische, astrale, medizinische und kultisch-rituelle Inhalte. 42 ist die traditionelle Zahl der Gaue oder Distrikte (gr. mol|r, nicht identisch mit m|lor) Ägyptens nach einer standardisierten Zählung.48 (Sie entsprach in ptolemäisch-römischer Zeit nicht mehr der realen Zahl der Verwaltungsbezirke, wurde aber als religiössymbolische Einteilung weitertradiert, vergleichbar den zwölf Stämmen Israels.) Die Zahl wird über diese Bedeutung hinaus in Ägypten oft symbolisch gebraucht, etwa für die 42 Richter des Totengerichts, die als Beisitzer des Osiris das Gericht über die Seele nach dem Tod durchführen (bereits in Spruch 125 des Totenbuchs), und die ihnen entsprechenden Sünden (ebd.). Sie haben individuelle Namen und sind seit dem 2. vorchr. Jahrtausend bezeugt. Ägypten besaß freilich keinen religiösen Gesamtkanon, aber vielleicht hatten manche Tempel oder Kulte eigene Sammlungen heiliger Texte, wie wir nicht zuletzt aus verschiedenen Listen heiliger Bücher im Tempelbetrieb wissen.49 48 Vgl. zu den Details H. Gauthier, Les nomes d’Pgypte depuis H8rodote jusqu’/ la conquÞte arabe, M8moires de l’Institut d’Egypte 25, Kairo 1935; W. Helck, Die altägyptischen Gaue, TAVO. Beihefte: Reihe B: Geisteswissenschaften 5. Wiesbaden 1974; W. Ameling/K. Jansen-Winkeln, Art. Nomos (2), in: DNP 8, 2000, 985. Vgl. zu Clemens‘ Liste auch nach wie vor F. Zimmermann, Die ägyptische Religion nach der Darstellung der Kirchenschriftsteller und die ägyptischen Denkmäler, SGKA V, 5./6. Heft, Paderborn 1912, bes. 135–179, mit Diskussion wichtiger Detailfragen. 49 D. Frankfurter, Religion in Roman Egypt. Assimiliation and Resistance, Princeton 1998, 238–256 (239 f zum o. zitierten Clemenstext); A. Grimm, Altägyptische Tempelliteratur. Zur Gliederung und Funktion der Bücherkataloge von Edfu und et-Tid, in: S. Schoske (Hg.), Akten des vierten internationalen Ägyptologen Kongresses, München 1985, Bd. 3. Linguistik – Philologie – Religion, Studien zur Altägyptischen Kultur Beiheft 3, Hamburg 1989, 159–169; dazu

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Der Horus-Tempel von Edfu (erbaut zwischen 237 und 57 v. Chr.) enthielt ein Archiv heiliger Texte (dieses erbaut zwischen 140 und 124 v. Chr.), dessen Katalog uns als Wandinschrift erhalten ist (auch wenn die Bücher selbst verloren sind). Der Raum selbst ist nur klein: es handelte sich sicher nicht um ein allgemeines Archiv, sondern offenbar speziell um einen Raum für heilige Schriften. Genannt werden mythologische, liturgische, magisch-religiöse und andere Texte; die zweigeteilte Liste ist formal als Anrede an den Gott Horus gestaltet.50 Plutarch kennt neben den ägyptischen heiligen „Bücher des Hermes“ (Is et Os 61,375F) auch die „heiligen Hymnen des Osiris“ (52,372B; vgl. auch die „phrygischen Bücher“ 29,362B). Von heiligen Büchern des Thoth weiß schon die ältere ägyptische Überlieferung: Ramses IV. schreibt auf einer Abydos-Stele, er habe ihr Studium nicht vernachlässigt.51 Aber gerade in der öffentlichen Religion Ägyptens im 2./3.Jh. ist es bemerkenswert, dass diese sich verstärkt im Bild heiliger Bücher zur Darstellung bringt. Gelegentlich hören wir auch von heiligen Texten anderer Religionen, etwa der Phönizier (Taautos, den Sanchuniathon benutzt und Philon von Byblos in spätneutestamentlicher Zeit ins Griechische übersetzt, usw.).52 Man wird auch an die bekannte Suche nach „heiligen Büchern“ in den Ruinen Karthagos im 1.Jh. denken (Plutarch, de fac. in orbe lunae 26,942C). Das sind natürlich nur angrenzende Phänomene eines beginnenden kanonischen Prozesses, aber doch der Beachtung wert. Die Tendenz zur Corpus- und Kanon-Bildung im Tempelkontext wird in der Bildungselite flankiert von einer Sammelleidenschaft für alles „Alte“, u. a. alte Bücher, die Horaz Ep 2,1,20–27 satirisch darstellt. Der Rhetor Dio Chrysostomus berichtet sogar (Or 21,12), man habe Anfang des 2.Jhs. Papyri künstlich, mit chemischen Mitteln, als „alt“ aussehen lassen, um diese Leidenschaft zu befriedigen und sie besser verkaufen zu können. Auch der Altersbeweis der Apologetik gehört hierher.53 Die genannten ägyptischen Texte waren sicher nie so präsent im Volk wie diejenigen der Hebräischen Bibel bei den Juden: eher wird man mehrheitlich an Ritualtexte und Handbücher für den Tempelbetrieb selbst denken (obwohl Clemens auch weitergespannte Inhalte nahelegt). Sakrale Texte wurden im ptolemäisch-römischen Ägypten

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jetzt besonders die Arbeiten von J.F. Quack zum erst seit kurzem bekanntem „Buch vom Tempel“, das Architektur des idealen Tempels, Ritus und Dienstpflichten der Priester behandelt (mit Textfragmenten u. a. aus römischer Zeit), u. a.: Das Buch vom Tempel und verwandte Texte. Ein Vorbericht, in: ARG 2, 2000, 1–20; ders., Das Buch vom Tempel. Die Geschichte einer sensationellen Rekonstruktion, in: Ruperto Carola 2/07, 2007, 4–10. G. Fowden, The Egyptian Hermes. A Historical Approach to the Late Pagan Mind, Princeton 1986. Neuausgabe 1993, 4. 57–62 (58 f zu unserem Clemenstext). J.G. Griffiths, Plutarch’s De Iside et Osiride. Edited with an Introduction, Translation and Commentary, Cardiff 1970, 521 Anm 2. A.I. Baumgarten, The Phoenician History of Philo of Byblos. A Commentary, EPRO 89, Leiden 1981. P. Pilhofer, Presbyteron kreitton. Der Altersbeweis der jüdischen und christlichen Apologeten und seine Vorgeschichte, WUNT II/39, Tübingen 1990.

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zudem in Form zweisprachiger Inschriften öffentlich gemacht.54 Auch an die bekannten graeco-ägyptischen Aretalogien wird man denken müssen, die in den Kontext der religiösen Propaganda führen.55 Sie alle gehören sozusagen zum weiteren Umfeld des Phänomens „Heiliger Schriften“. Treten sie zu einer stabilen Sammlung mit fester Zählung zusammen, kann man von einem Kanon sprechen. Kanonisierungsprozesse lassen sich in diesem Sinn u. a. an der unter dem Namen des Thoth bzw. Hermes Trismegistos umlaufenden griechischen Literatur beobachten. Ihre ägyptischen Vorbilder sind erst in den letzten Jahren ansatzweise bekannt geworden.56 Hermetische Texte in griechischer Sprache sind etwa seit dem Beginn der Kaiserzeit bezeugt.57 Zwei Wiener Papyri des späten 2.Jhs. kennen bereits eine Zählung hermetischer Traktate (P. Graec. Vind. 29 459 recto und 29 828 recto).58 Kyrill von Alexandrien (gest. 444) weiß dann von einer Sammlung von 15 hermetischen Schriften, die in Athen zusammengestellt worden sei.59 Es muss also vor unserer erhaltenen Sammlung mit 17 bzw. 18 Texten (die wohl frühbyzantinisch ist) bereits ältere stabile Zusammenstellungen griechischer hermetischer Texte gegeben haben, über die wir leider nichts Sicheres sagen können. Auch in der Sammlung gnostischer Texte aus Nag-Hammadi wurden hermetische Texte in koptischer Übersetzung gefunden: die Leser- und Rezipientenkreise waren offenbar verwandt, obwohl die Inhalte oft stark divergieren. Carsten Colpe hat sie als bewusste „Produktion“ heiliger Schriften interpretiert.60 Man kann diese Literatur in ihrer Vielschichtigkeit, aber auch ihren inhaltlichen Inkonsequenzen gut mit moderner Esoterik vergleichen. Neuerdings gewinnt die These an Zuspruch, dass es sich bei den überlieferten Nag-Hammadi-

54 Vgl. J. Moje, Materiale Präsenz sakraler vs. profaner Schriften in bilinguer Epigraphik des ptolemäisch-römischen Ägypten, in: J.F. Quack/D.C. Luft (Hg.), Erscheinungsformen und Handhabungen Heiliger Schriften, Materiale Textkulturen 5, Berlin u. a. 2014, 137–175. 55 V. Longo, Aretalogie nel mondo greco. I. Epigrafi e papyri, Genua 1969; G. Corrington Streete, An Isis Aretalogy from Kyme in Asia Minor, First Century B.C.E., in: R. Valantasis (Hg.), Religions of Late Antiquity in Practice, Princeton Readings in Religions, Princeton/Oxford 2000, 369–383 (kommentierte Übersetzung der längsten erhaltenen Aretalogie mit neuerer Literatur). 56 R. Jasnow/K.-T. Zauzich, The Ancient Egyptian Book of Thoth. A Demotic Discourse on Knowledge and Pendant to the Classical Hermetica, 2 Bände, Wiesbaden 2005; dies., Conversations in the House of Life. A New Translation of the Ancient Egyptian Book of Thoth, Wiesbaden 2014. 57 Exemplarisch für die Fülle der Literatur : J. Holzhausen, Das Corpus Hermeticum deutsch. 2 Bände, Stuttgart-Bad Cannstatt 1997; B.P. Copenhaver, Hermetica: The Greek Corpus Hermeticum and the Latin Asclepius in a New English Translation, Cambridge 1992; F. Ebeling, Das Geheimnis des Hermes Trismegistos. Geschichte des Hermetismus, München 2005. 58 Fowden, The Egyptian Hermes, 58 f. Vergleichbare Zählungen von Traktaten existieren auch in demotischen Corpora: K. Ryholt, The Petese Stories II (P. Petese II), The Carlsberg Papyri 4 / Carlsberg Papyri 4 / Carsten Niebuhr Institute Publications 23, Kopenhagen 2005, 5. 59 Vgl. zu diesen und weiteren Zeugnissen Fowden, The Egyptian Hermes, 4 f. Edition der KyrillFragmente bei A.D. Nock/A.-J. FestugiHre, Corpus Hermeticum 4, Paris 21972, 125–144. 60 Colpe, Heilige Schriften, 215 f.

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Codices um die „diskrete Geheimliteratur“ koptischer Klöster handelt.61 Das Corpus Hermeticum selbst ist in jedem Fall eine strukturierte sakrale Sammlung mit stabiler Ordnung der Traktate, auch wenn wir wenig über ihre Trägergemeinde und die Geschichte des Corpus als solches wissen. Die 17 Traktate in griechischer Sprache, die sich formal u. a. als Offenbarungen des ägyptischen Gottes Thot (griechisch Hermes Trismegistos „der Dreimalgroße“) darstellen (gezählt als Nr. I–XVIII, da Nr. XV fehlt), verbinden ägyptischmythologische Elemente mit Inhalten griechischer Philosophie, die sich jedoch zum größeren Teil einer herkömmlichen Schulzuweisung verweigern. Die kanonische Zahl (2 x 9 Texte) wurde auch festgehalten, als einer dieser Texte nicht mehr greifbar war. Platonisches, Neuplatonisches, Stoisches ist nicht selten, aber meist wenig spezifisch. Die Inhalte der Traktate sind wie angedeutet kosmogonischer, philosophischer, ethischer und religiöser Art und stark elementarisiert. Von einer eigenen profilierten „hermetischen Philosophie“ kann man insofern kaum sprechen. In das Umfeld dieses Corpus Hermeticum gehört eine Reihe weiterer Texte, die zum Teil nur in Auszügen (40 Texte bei dem Exzerptensammler Johannes Stobaios, 5.Jh.) bzw. in lateinischer (Ps.-Asclepius) oder armenischer Übersetzung vorliegen („Definitionen des Hermes Trismegistos für Asklepios“, ein vielleicht sehr alter Text, dessen Original auf das erste Jahrhundert zurückgehen kann). Ein Papyrus der augusteischen Zeit (P. Berol. 21 243) ist der älteste direkte Zeuge der griechisch-hermetischen Tradition. Von Kyrill von Alexandrien sprachen wir bereits. Damit ist eine quasi-kanonische Sammlung mit fester Traktatzählung bereits in der Zeit bezeugt, in der das Neue Testament seine Endgestalt annahm, und vermutlich gehen die Anfänge dieser Literatur in jene Zeit zurück, in der die ntl. Bücher geschrieben wurden. Von Christen wurden hermetische Texte bekanntlich schon seit dem 2.Jh. in ganz erheblichem Umfang rezipiert.62 Das Corpus bildete daher vielleicht eine Art „Nebenkanon“ intellektueller, philosophisch interessierter Kreise. Dieses Phänomen der „Nebenkanones“, autoritativer Textzusammenstellungen, die neben einen religiösen Hauptkanon treten, bedarf überhaupt genauerer Untersuchung.63 Das wäre ähnlich wohl auch für das reiche sibyllinische Schrifttum zu sagen, das Christen seit dem Hirten des Hermas fasziniert hat, das regelmäßig von kirchlichen Autoren zitiert wird und dessen Sammlung und Corpus-Werdung wir vermutlich auch als längeren, sich vielleicht über Jahrhunderte erstreckenden Prozess anzusetzen haben, der in frühbyzantinischer Zeit in das erhaltene Corpus Sibyllinum mit seinen 14 Büchern mündet. Es existiert in verschiedenen Rezensionen und recht zahlreichen, oft unvollständigen 61 Vgl. zuletzt H. Lundhaug/L. Jenott, The Monastic Origins of the Nag Hammadi Codices, STAC 97, Tübingen 2015. 62 H.J. Sheppard/A. Kehl/R. McL. Wilson, Hermetik, in: RAC 14, 1988, 780–808. 63 Im Avesta tritt in vergleichbarer Weise das Khordeh Avesta, das „Kleine Avesta“ neben die Hauptüberlieferungen. Vgl. für die Texte etwa F. Wolff, Avesta. Die heiligen Bücher der Parsen. Straßburg 1910 (Reprint Berlin 1960).

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Handschriften, dazu Exzerpten und zahlreichen Zitaten und Fragmenten. Dass ein eigentliches Corpus vorliegt, beweist nicht zuletzt der Prolog, welcher der Sammlung wohl im frühen 6.Jh. vorangestellt wurde (da er die Tübinger Theosophie zitiert, die auch sonst für diese Art Literatur zu vergleichen ist).64 Zur Zeit des Laktanz zeichnet sich dieser Sammelprozess wohl erst ab (Divinae institutiones 1,6,13), und auch später hat das Corpus offenbar nur begrenzt eine stabile Textgestalt entwickelt, obwohl es nach dem Vorbild der älteren paganen Libri Sibyllini gestaltet ist (die uns nicht erhalten sind, obwohl ihre anfängliche Geheimhaltung in Rom sukzessive nicht mehr aufrecht zu erhalten war65).66 Wir beobachten hier einen unabgeschlossenen Kanonisierungsprozess, offenbar deshalb, weil das Corpus nie im engeren Sinn „heilige Schrift“ einer definierten Ritualgemeinschaft war.67 Es war aber sehr dezidiert Offenbarungsliteratur mit einem Anspruch, der es neben die prophetischen Texte stellte, und galt als pagane Bestätigung der biblischen Prophetie.68 In 64 Vgl. zu diesem J. Geffcken, Komposition und Entstehungszeit der Oracula Sibyllina, TU 7/1, Leipzig 1902, 76. 65 Vgl. Colpe, Heilige Schriften, 199 f. 66 Über diese Zusammenhänge (auch mit den „Sibyllenlisten“) vgl. J.-M. Roessli, Catalogues des sibylles, recueil(s) de Libri Sibyllini et corpus des Oracula Sibyllina, in: Norelli (Hg.), Recueils normatifs et canons dans l’Antiquit8, 47–68. 67 Vgl. zum Ganzen J. Geffcken, Die Oracula Sibyllina, GCS, Leipzig 1902, IX–LIII; H. Merkel, Sibyllinen, JSHRZ V/8, Gütersloh 1998; J.J. Collins, Sibylline Oracles (Second Century B.C.–Seventh Century A.D), in: J.H. Charlesworth (Hg.), Old Testament Pseudepigrapha 1, Garden City 1983, 317–472. Die christlichen Bücher 1 und 2 sind jünger als das jüdische Buch 3, das wohl Kernstück und Ausgangspunkt der Sammlung war (und nach der Stichenzählung in der Subscriptio von Textklasse X mit 1034 Stichen einmal deutlich länger gewesen ist als unser heutiger Text mit 829 Stichen). Buch 1 und 2 wurden in jüngerer Zeit intensiv untersucht: J.L. Lightfoot, The Sibylline Oracles. With Introduction, Translation, and Commentary on the First and Second Books, Oxford 2007; O. Waßmuth, Sibyllinische Orakel 1–2. Studien und Kommentar, Ancient Judaism and Early Christianity 76, Leiden/Boston 2011; C. Schiano, Il secolo della Sibilla. Momenti della tradizione cinquecentesca degli „Oracoli Sibillini“, Bari 2005 (vor allem über die Rezeption der Sibyllinen in der Renaissance). Zur Gesamtgeschichte der Sibyllistik ist grundlegend Herbert William Parkes posthum herausgegebenes großes Werk Sibyls and Sibylline Prophecy in Classical Antiquity, London/New York 1988 (dort 190–215 über die leider verlorenen paganen Libri Sibyllini und ihre Stellung im römischen Staatskult). Wenig wissen wir über die etruskischen Ritualbücher, denen hohe Sakralität anhaftete (Colpe, Heilige Schriften, 198) und die offenbar in eigenen kanonischen Sammlungen existierten (libri haruspicini, fulgurales, rituales, fatales, acherontici etc.; Sammlung der Zeugnisse: C.O. Thulin, Die etruskische Disziplin, 3 Bände, Göteborg 1905–1909, in einem Band: Darmstadt 1968). Einer dieser Texte ist jetzt möglicherweise im etruskischen Original identifiziert und übersetzt: F.C. Woudhuizen, The Liber Linteus. A Word for Word Commentary to and Translation of the Longest Etruscan Text, Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. NF. 5, Bd. Innsbruck 2013; L.B. van der Meer, Liber linteus zagrabiensis. The Linen Book of Zagreb. A Comment on the Longest Etruscan Text, Monographs on Antiquity 4, Leuven 2007 (früher “Agramer Mumienbinde” genannt). Das Genre der Ritualbücher wird von den Christen in ihren Kirchenordnungen aufgenommen, doch liegen wichtige Unterschiede auf der Hand. 68 Über die Sibyllen als heidnische Prophetinnen in Kirchenväterliteratur u. ä. vgl. demnächst ausführlich M. Frenschkowski, Die Gesandten. Propheten zwischen antikem Judentum, Alter

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diesem Kontext mag auch daran erinnert werden, dass zahlreiche Codices biblischer Texte auch außerbiblische Schriften enthalten, der berühmte Codex Bezae (D) etwa eine Sammlung kurioser Orakelfragen.69 Man ist für diese Phänomene insgesamt auch an das „Nebencorpus“ erinnert, das in der apokalyptischen Tradition neben die kanonischen Schriften tritt. Auch hier ist die Zahlensymbolik wieder mit Händen zu greifen. Das gilt in besonderer Weise für die 24 kanonischen und 70 „geheimen“, vermutlich mehrheitlich apokalyptischen Schriften, die 4Esr 14,23–48 evoziert und die Esra mit der Hilfe von Tachygraphen niederschreiben lässt.70 Die letztere Gruppe hat wohl nie real als Corpus existiert (jedenfalls besitzen wird darüber keine weiteren Spuren), sondern ist eine Ad-hoc-Bildung für das Gesamtcorpus der apokalyptischen Literatur, die in der Endzeit gleichberechtigt neben die kanonische Literatur tritt (vgl. 4Esr 3,14; 14,5.45 f für das Konzept einer öffentlichen und einer arkanen Offenbarung).71 Auch diese apokalyptischen Inhalte wurden nach dem Anspruch der Texte ehemals bereits Mose und Abraham offenbart (4Esr 14,5)72 und umfassen wohl auch 4. Esra selbst (wie aus 12,36–38 geschlossen werden kann). Man beachte, wie selbstverständlich sich der Corpus-Gedanke an den Bestand der apokalyptischen Literatur hängen konnte, auch wenn er in den Handschriften nie umgesetzt wurde. Die 70(72)-Zahl als Symbolzahl für einen Kanon für die Völker kennen wir natürlich von der Septuaginta (die von Hause aus ausschließlich den griechischen Pentateuch meint) und der Legende des Aristeasbriefes her (Esra als Schreiber aller heiligen Texte des AT findet sich auch in christlichen Texten gelegentlich, z. B. in der syrischen „Schatzhöhle“ 53,1–4, ed. Su-Min Ri). Nebenbei mag Erwähnung finden, dass sich an den Wachstumsprozessen des 4. Esra (Vor- und Nachschaltung der auch 5. und 6. Esra genannten Teile), Einschaltung christlicher Passagen u. ä. sehen lässt, dass sich schriftliche und mündliche „kanonische Texte“ in ihrem Wachstumsprozess sehr ähnlich verhalten können: genau die gleichen Prozesse (mutatis mutandis) sind für die zehn Mandalas (Hymnenzyklen) des Rig-Veda bereits für die mündliche Phase seiner Geschichte nachgewiesen worden (Mandala 2–7 bilden einen Kern, an den sich sukzessive Mandala 1, 8 und 9 sowie zuletzt 10 angelagert

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Kirche und frühem Islam, Stuttgart 2017 (Buchfassung von ders., Prophet [Prophetie], in: RAC 28 [Lief. 221 f, 2016–2017], 274–339). Edition des Textes mit einer Sammlung verwandter Texte: J.R. Harris, The Annotators of the Codex Bezae, London 1901. Vgl. M. E. Stone, Fourth Ezra. A Commentary on the Book of Ezra, Hermeneia, Minneapolis 1990, 428–442. Zurückhaltend zur Identifikation der 70 geheimen Bücher Stone, Fourth Ezra, 439. C. Macholz, Die Entstehung des hebräischen Bibelkanons und 4Esra 14, in: E. Blum/C. Macholz/E.W. Stegemann (Hg.), Die hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte. FS R. Rendtorff, Neukirchen-Vluyn 1990, 379–391, hier 388, will in dem Text eine „Legitimations-Ätiologie der apokalyptischen Literatur“ sehen. Vgl. Stone, Fourth Ezra, 38.

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haben).73 Die Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Wachstumsprozessen mündlicher und schriftlicher Kanones sind noch kaum untersucht. Auch das slavische Henochbuch (1.Jh.?) überrascht in Kap. 23 mit einer Erwähnung von 366 (v.l. 300 oder 360) heiligen Büchern, die also jedenfalls nicht einfach der bekannte Kanon sind. Henoch muss sie nach dem Diktat des Engels Vrevoil innerhalb von 30 Tagen und 30 Nächten niederschreiben. Die Tradition überlebt bis in die (sehr bemerkenswerte) bogomilische apokryphe Literatur : in der Interrogatio Iohannis muss Henoch 67 (v.l. 76) Bücher niederschreiben, die er seinen Söhnen weitergeben soll.74 Die 366 Bücher Henochs sind offenbar nach dem Sonnenjahr gebildet, zu dem das (slav.) Henochbuch selbst als Buch Nr. 366 hinzutritt (auch die 365 biblischen Lebensjahre Henochs entstammen derselben Symbolik, deren eigentlicher Ansatzpunkt uns etwas rätselhaft bleibt, denn Henoch ist natürlich kein Sonnenheros).75 Auch Pistis Sophia 134 (228,32–229,8) kennt eine henochische Bibliothek, zu der offenbar auch die zwei „Bücher Je0“ gehören. In einer hermetischen Schrift offenbart Hermes an König Ammon ein heiliges Buch in 365 Teilen.76 Der mandäische Ginza¯ R. T. 1, 202 (137) (Lidzbarski 30), das wichtigste „heilige Buch“ dieser gnostischen Glaubensgemeinschaft, weiß von 360 (mahnenden) Propheten in Jerusalem, bevor die Stadt verwüstet wurde und die Juden in alle Welt zerstreut wurden usw. Belege für diese Art Symbolik ließen sich leicht vermehren. Jamblich berichtet Myst. 8,1, ein gewisser Seleukus (wohl der Grammatiker der augusteischen Zeit, der peq· he_m schrieb, oder eventuell der in den astrologischen Texten oft bezeugte Astrologe Seleukos) kenne einen hermetischen Kanon mit 20.000 Schriften und Manethon (der berühmteste Historiker Ägyptens, dem wir das System der ägyptischen Dynastien verdanken) sogar einen Kanon mit 36 525 Schriften. Diese Angaben müssen erklärt werden, auch wenn sie vielleicht cum grano salis zu nehmen sind. Letzere Zahl ist sicher genuin ägyptisch, da sie 25 Sothisperioden entspricht (25 x 1461). Jamblich spricht allgemein von den cq\llata t_m !qwa_ym Reqocqallat]ym, den tradierten heiligen Büchern, die sich ihm u. a. mit dem Namen des Hermes Trismegistos verbinden.77 Auch die Zahl 360 wäre ein 73 T.N. Proferes, Vedas und Bra¯hman¸as, in: Brill’s Encyclopedia of Hinduism 2, HdO II 22, 2, 2010, 27–40. 74 E. Bozjky, Le Livre Secret des Cathares. Interrogatio Iohannis. Apocryphe d’origine bogomile. Pdition critique, traduction, commentaire, Paris 1980, 66. Die Bogomilen haben übrigens Henoch (und damit das slav. Henochbuch) strikt abgelehnt und dämonisiert, obwohl dieses die Inspiration zu der genannten Passage darstellt; vgl. aaO. 143 nach Alanus de Insulis, De fide contra haereticos 1,37 (230), MPL 210, 341. 75 Vgl. zu weiteren Aspekten die Diskussion bei C. Böttrich, Das slavische Henochbuch, JSHRZ V/ 7, Gütersloh 1996, 899 Anm. XXIV 6d. 76 Vgl. etwa R. Reitzenstein, Poimandres. Studien zur griechisch-ägyptischen und frühchristlichen Literatur, Leipzig 1904, 364; M. Berthelot, La chimie au au moyen .ge T. 2. L’ alchimie syriaque. Avec la collab. de R, Duval, Paris 1893, 311. 77 Völlig unglaubwürdig sind diese Zahlen nicht unbedingt, denkt man an die vielen tausend Texte in mittel- und ostasiatischen Kanones wie Kanjur, Tanjur, Sanzang und Daozang, oder an den

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Symbol für kosmische Gesamtheit (als Kreiszahl nach bereits antiker Zählung), wie 365 oder 366 für das Sonnenjahr. Alle diese Zahlen verkörpern einen „universalen Geltungsanspruch“78 und verstärken damit die Kanonidee in eine kosmologische Richtung. Der Kanon wird zum Bild des Kosmos, wie es spätestens seit Irenäus auch für den Vierevangelienkanon gilt (s. u.). Ähnliche, wenn auch kleinere Sammlungen heiliger Texte für spezifische religiöse Gruppen sind für das orphische und neupythagoreische Schrifttum plausibel zu machen.79 Wir müssen es bei diesen Andeutungen bewenden lassen, da es uns vorerst nur auf die Problemanzeige ankommt, und wir v. a. auf die Zusammenhänge zwischen kanonischem Prozess und Zahlensymbolik aufmerksam machen wollen. Insgesamt wird jedoch bereits mit diesen kurzen Andeutungen ein Spektrum quasi-kanonischer Texte aufgespannt, in deren redaktionelle Sammlung wir auch die Vorgänge einzeichnen müssen, die zum Neuen Testament führen. Auch dieses ist ursprünglich eine „ergänzende Sondersammlung“, ein Nebenkanon einer religiösen Bewegung, deren Mutterreligion bereits einen Kanon besitzt (auch wenn dieser noch nicht ganz abschließend definiert sein mag). Nun sind Textsammlungen, Corpora noch keine kanonischen Sammlungen. Die Grenze ist aber fließend, wenn es sich um Literatur mit Offenbarungsanspruch, Referenzcharakter und Normativität handelt (wie bei den Sibyllinen, dem Corpus Hermeticum oder dem wohl nur als Idee existierenden Corpus der apokalyptischen Geheimliteratur). Zum Phänomen der Zahlensymbolik im kanonischen Prozess ist nicht aus dem Blick zu verlieren, dass dieser in seinen verschiedenen sozialen Trägerinstitutionen (freie philosophisch-theologische Lehrer, Gemeinden mit ihrem liturgischen Leben, antihäretische Diskurse, Konventikel, Konzilien, private Lektüre etc.) sehr unterschiedliche Facetten aufweist, und unterschiedlichen Zwecken dient. Zahlensymbolik treffen wir dabei in vielerlei Gestalt. Die Zahl der vier kanonischen Evangelien wurde in der Alten Kirche ja nicht etwa nur damit begründet, dass diese gegenüber den apokryphen Texte inhaltlich wertvoller wären, sondern kosmologisch: es gibt vier kanonische Evangelien, weil es vier Himmelsrichtungen, vier Winde, vier Gottesbünde etc. gibt (so Iren haer. 3,11,8 f). Irenäus steht hier bereits in einer Tradition, wie aus inneren Indizien folgt,80 und das Diatessaron (obwohl es auch apokryphe Stoffe koreanischen Koryo˘ taejanggyo˘ ng, der 6000 Bände in 81.258 Holzdruckstöcken umfasst und seit dem 13. Jhdt. als national-religiöser Schatz aufbewahrt und vervielfältigt wird usw. Vgl. zu letzterem L.R. Lancaster/S.-B. Park, The Korean Buddhist Canon: A Descriptive Catalogue, Berkeley/Los Angeles 1979. Irgendwie muss auch die Tradition vom ursprünglich sehr viel größeren Umfang des Avesta entstanden sein (von dessen angeblich 21 Nasks nur einer vollständig erhalten ist). 78 Böttrich, Das slavische Henochbuch, 899. 79 Vgl. Baumgarten, Heiliges Wort und Heilige Schrift; F. Graf/S.I. Johnston, Ritual Texts for the Afterlife. Orpheus and the Bacchic Gold Tablets, London/New York 22013; Colpe, Heilige Schriften, 197 f. 80 T.C. Skeat, Irenaeus and the Four-Gospel Canon, in: NT 34, 1992, 194–199; ders., The Oldest

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aufnimmt) setzt den Vierevangelienkanon wohl ebenfalls voraus. Auch hier ist die Symbolik deutlich. Später sollte der Panegyricus auf Constantius I. Chlorius aus dem Jahr 297 n. Chr. die diokletianische Regierungsform der Tetrarchie mit dem gleichen kosmologischen Argument begründen (Panegyrici latini 8,4,1 f). Und natürlich wurde die Tetraktys in der hellenistischen Zahlensymbolik „als verborgener Schlüssel zur Welt geradezu mystisch verehrt“.81 Nach einer syrischen Überlieferung hat es bei den Simonianern ein „Buch der Weltgegenden“ gegeben, das aus vier Teilevangelien bestand.82 Solche Symboliken sind nicht sekundär oder nachträglich an die Texte herangetragen, sondern prägen die innere Struktur des entstehenden Kanons und tragen dazu bei, warum sich bestimmte Gestalten des Kanons behaupten können. Bei allem Respekt wird hier wohl doch auch Christoph Markschies zu widersprechen sein, der meint, die Zahl von vier Evangelien sei „historisch zufällig“83 und darum müsse Irenäus sie künstlich (etwa kosmologisch) begründen. Es wird eher so gewesen sein, dass das Bedürfnis nach Zahlensymbolik die Vierzahl der Evangelien prägt und sich nur so neben den vielfach gelesenen und kommentierten Texten Mt., Lk. und Joh. auch das kleinere Markusevangelium halten konnte. Dass wir das Markusevangelium besitzen (für das sich außer Clemens kaum ein patristischer Autor interessiert hat und über das es keine älteren altkirchlichen Kommentare gibt), erklärt sich vermutlich einfach daraus, dass die symbolische Vierzahl erfüllt werden sollte und von den verschiedenen noch vorhanden Evangelien dieses als Schrift des Petrusdolmetschers galt und daher zumindest indirekt auf einen Apostel zurückgeführt werden konnte. Gelesen wurde es (abgesehen von Clemens)84

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Manuscript of the Four Gospels?, in: NTS 43, 1997, 1–34; T. Heckel, Vom Evangelium des Markus zum viergestaltigen Evangelium, WUNT 120, Tübingen 1999, 350–353. Zum Alter des Vierevangelienkanons (frühes bis Mitte 2. Jhdt.) vgl. auch Theißen, Entstehung des Neuen Testaments, 288 f. 290 (von Irenäus bereits vorausgesetzt, doch übersieht Theißen dabei die Bedeutung der Zahlensymbolik); M. Hengel, The Four Gospels and the One Gospel of Jesus Christ. An Investigation of the Collection and Origin of the Canonical Gospels, London 2000. C. Riedweg, Art. Zahl D. Zahlenmystik, in: DNP 12/2, 2002, 679–681, hier 679, der u. a. an Jamblich, Vit Pyth 82 erinnert. Vgl. C. Markschies, Das Evangelium der Weltgegenden, in: ders./J. Schröter in Verbindung mit A. Heiser (Hg.), Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. I. Band: Evangelien und Verwandtes. Teilband 1, 7. Aufl. der von E. Hennecke begründeten und von W. Schneemelcher fortgeführten Sammlung der neutestamentlichen Apokryphen, Tübingen 2012, 430 f (dort auch zu gnostischen Verwendungen der Vierzahl). Markschies, Kaiserzeitliche christliche Theologie, 264. Falls Iren. haer. 3,11,7 über diejenigen, die in Hinsicht auf die Passion „Jesus von Christus trennen wollen,“ auf Kerinth zielt (vgl. aaO. 1,26,1), hätte auch dieser gerne Markus verwendet. Zur Markusrezeption vgl. jetzt M.J. Kok, The Gospel on the Margins. The Reception of Mark in the Second Century, Minneapolis, Mi. 2015; aus der älteren Forschung auch H. Kutter, Clemens Alexandrinus und das Neue Testament, Giessen 1897 (Clemens habe kein eigentliches Interesse an einem Kanon, sondern werte ganz unterschiedlich, und zitiere meist frei und aus dem Gedächtnis).

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wie gesagt kaum: schon Origenes weiß nicht auswendig, ob Mk. ein Vaterunser enthält, und muss das umständlich nachforschen, wie er selbst sagt (De oratione 18,3; vgl. auch Cels 6,36 gegen Ende, wo Origenes die freilich textlich etwas unsichere Stelle Mk. 6,3 übersieht). Häufiger ist die Siebenzahl in christlichen kanonischen Zusammenstellungen. Bekanntlich spricht das Fragmentum Muratorianum ganz artifiziell und gezwungen von sieben Paulusbriefen, analog den sieben Sendschrieben der Apokalypse: ja, Paulus habe sich an der Siebenzahl seines „Vorgängers“ orientiert.85 Die sieben Briefe werden explizit durchgezählt, und nur sehr künstlich kann der Autor die Verlegenheit herunterspielen, dass es faktisch mehr Briefe sind. Wieder erzwingt die starke Zahlensymbolik die Zusammenfügung der Texte. Später ließ sich nicht leugnen, dass mehr als sieben paulinische Briefe vorliegen: durch Hinzufügung des anonymen, wenn auch völlig unpaulinischen Hebräerbriefes und eine andere Zählung konnte nun ein „Pauluskanon“ von 2 x 7 Briefen geschaffen werden. Der 3. Korinther, der gelegentlich für echt gehalten wurde und inhaltlich kaum anstößig war, konnte dann keinen Platz mehr in diesem System finden (die ps.-paulinischen Laodizener- und Alexandrinerbriefe entfielen wohl schon aus inhaltlichen Gründen). Die Siebenzahl dürfte nicht einfach nur für die „ganze Ökumene“86 stehen, sondern hat (im jüdischen Kontext) ebenfalls Bezüge zu Kosmogonie und Angelologie, zum Rhythmus der Zeiten und zu anderen Themen. Ähnlich hat wohl nach Abschluss der Paulusbriefesammlung das Corpus der katholischen Briefe unter starkem zahlensymbolischen Systemzwang seine endgültige Gestalt gewonnen, und wieder beherrscht die Siebenzahl die Sammlung. Die einzelnen Briefe waren zum Teil ja nur wenig bekannt bzw. umstritten (Origenes kennt als erster Zeuge alle sieben katholischen Briefe, obwohl er nicht gleichermaßen von ihrem Wert überzeugt ist).87 Damit will ich aber nicht wie David R. Nienhuis so weit gehen, Jakobus verdanke seine Existenz nur diesem Systemzwang und sei Mitte des 2.Jhs. zum Zweck verfasst, den neuen Kanonteil einzuleiten.88 Es ist jedoch eine ansprechende und naheliegende Vermutung, dass die Sammlung der katholischen Briefe mit dieser Siebenzahl ergänzend neben den paulinischen „Kanon“ mit seinen 2 x 7 Briefen treten will.89 Man könnte hier sogar an den Wunsch eines Ausgleichs zwischen 85 Vgl. insgesamt M. Frenschkowski, Art. Muratorisches Fragment, in: RGG4, 2002, 1587 f. 86 So Markschies, Kaiserzeitliche christliche Theologie, 235, der die Bedeutung der Zahlensymbolik sieht, der Frage aber an dieser Stelle nicht weiter nachgeht; ähnlich auch Theißen, Entstehung des Neuen Testaments, 283. Zur Siebenzahl sind im griech. Raum u. a. die sieben Planeten und sieben Vokale einflussreich. 87 Vgl. D.R. Nienhuis, Not by Paul Alone. The Formation of the Catholic Epistle Collection and the Christian Canon, Waco, Texas 2007, 52–63. Auch Schnelle, Einleitung, 465, unterstreicht, dass wir für den Jakobusbrief vor 200 n. Chr. keine Zeugnisse besitzen. 88 Nienhuis, Not by Paul Alone, 235 u. ö. Trotz verschiedener problematischer Thesen ist diese Arbeit ohne Frage eine der wichtigsten kanongeschichtlichen Studien der letzten Jahre. 89 Zur Frage der inneren Struktur der Sammlung der „katholischen Briefe“ vgl. auch Theißen, Entstehung des Neuen Testaments, 306 f. Dieter Lührmann sieht einen Zusammenhang mit

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paulinischen und nichtpaulinischen Stimmen, also einen Kompromiss, denken, der jedenfalls weit über eine bloß zufällige Schriftensammlung hinausgeht. Wieder ist Zahlensymbolik das Mittel, die Dignität dieser innerkanonischen Bezüge deutlich zu machen.90 Sie steht neben anderen Organisationsprinzipien und Legitimationen des Kanons, sollte aber nicht unterschätzt werden. So wie Schriftstellerkataloge oft nach Sachklassen geordnet waren,91 fügt sich der christliche Kanon zu einer inneren Struktur zusammen, die erwartungsgemäß im 2.–3.Jh. noch in sehr verschiedenen Variationen existiert, aber sich immer wieder an zahlensymbolischen Mustern orientiert. Die Frage innerer Relationen im Kanon ist oft dargestellt worden und muss hier nicht wiederholt werden.92 Auch die elementare Zusammenordnung von Evangelien und Briefen wurde vielleicht bereits in der Zusammenordnung des Johannesevangeliums mit johanneischen Briefen (aber wie vielen?) vorweggenommen, die dann eine Art Proto-Kanon gebildet hätten.93 Als Zahl der Heiligen Texte Israels hören wir ebenfalls in einer zahlensymbolischen Matrix von 22 oder 24 Schriften, wobei aber die gleichen Texte gemeint sind, nur je in verschiedener Zählung. Das eine ist die Zahl der hebräischen, das andere die der griechischen Buchstaben im Alphabet. Von 24 Propheten spricht das Thomasevangelium (Log. 52), und 22 Kapitel hatte das so genannte „Lebendige Evangelium“ des Manichäismus. Was bedeuten diese Symbolzahlen?94 Der Kanon wird damit zum Inbegriff des sprachlich Aus-

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Gal. 2,9: Lührmann, Gal 2,9 und die katholischen Briefe. Bemerkungen zum Kanon und zur regula fidei, in: ZNW 72, 1981, 65–87 (auch zur Bedeutung der Siebenzahl). Zustimmend dazu Theißen, aa0., 286 Anm. 13. Theißen, aaO., 306 f. wertet dann insbesondere den 2. Petrusbrief als kanonisches Abschlussphänomen. Auch 4. Esra besitzt eine Siebener-Struktur in Gestalt von sieben Hauptteilen, die durch deutliche Textsignale von einander geschieden sind und seit der Ausgabe Violets (nicht ganz passend) als „sieben Visionen“ bezeichnet werden: I 3,1–5,19; II 5,20–6,34; III 6,35–9,25; IV 9,26–10,59; V 10,60–12,49; VI 12,50–13,56; VII 13,57–14, 47. Vgl. R. Blum, Die Literaturverzeichnung im Altertum und Mittelalter, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 24, 1983, 1–255 (auch als separate Buchausgabe Frankfurt a. M. 1983, danach benutzt), 22 (der die Geschichte des Bücherkatalogs bzw. Schriftenverzeichnisses in der Antike zusammenfassend behandelt, mit wertvollen Beobachtungen für die Kanongeschichte). Weiteres Material bei R. Otranto, Antiche liste di libri su papiro, Sussidi eruditi 49, Rom 2000 (darin eine Sammlung christlicher Buchlisten auf Papyrus: 123–144) und Markschies, Kaiserzeitliche christliche Theologie, 317–323.385–393, mit einer Zusammenstellung der erhaltenen Papyruslisten kanonischer Texte. „Den heutigen Betrachter überrascht nicht nur die vergleichsweise chaotische Unordnung dieser Listen, sondern auch die Unbefangenheit, mit der heilige Schrift mit patristischen Texten durcheinandergemischt wird“ (aaO., 323). Außer der genannten Literatur vgl. etwa noch G. Aragione/E. Junod/E. Norelli (Hg.), Le canon du Nouveau Testament: Regards nouveaux sur l‘histoire de sa formation, Le Monde de la Bible 54, Genf 2005; B. Metzger, Der Kanon des Neuen Testaments. Entstehung, Entwicklung, Bedeutung, Düsseldorf 1993; Schnelle, Einleitung, 426–442. Schnelle, aaO., 430, betont, dass die Reihenfolge der Paulusbriefe anfänglich noch stark variiert. So Theißen, Entstehung des Neuen Testaments, 297 f. Über Prophetenlisten und die „Zahl der Propheten“ vgl. Frenschkowski, Die Gesandten.

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sagbaren: seine Gesamtheit ist die Summe dessen, was in Buchstaben gültig gesagt werden kann. Das ist auffällig, da man auch 12, 7 oder 40 als jüdische Symbolzahlen hätte erwarten könnte, die dann für das jüdische Volk, seine heiligen Rhythmen und Ähnliches stehen könnten. Das Zwölfprophetenbuch verwendet ja tatsächlich die Zwölfzahl, die eben für Israel steht. Athanasius zählt in seinem berühmten 39. Osterfestbrief nach der koptischen Fassung zwölf alttestamentliche Schriften auf, muss dazu aber ausführlich erklären, welche Bücher er zusammenlegt. Es liegt auf der Hand, dass hier die Symbolzahl auf jeden Fall erreicht werden sollte und dies nur durch künstliche Vereinigungen von Büchern möglich war, die in den Handschriften eigentlich eigene Inscriptiones und Subscriptiones hatten. In der griechischen Fassung werden dagegen die in christlicher Zählung häufigeren 22 atl. Schriften aufgezählt.95 Auch andere christliche Autoren betonen diese Zahl (22) sehr stark. Kurioserweise nennen dagegen alle jüdischen Quellen (auch die rabbinischen) außer Josephus, Ap 1,38–41, jeweils 24 heilige Schriften (und verwenden später gelegentlich auch andere Zählungen), während dieser wie die älteren christlichen Quellen 22 Schriften auflistet96 In jedem Fall liegt Alphabetsymbolik vor, wie wir sie expliziter etwa aus dem Sefer Jezirah (3.–6.Jh.) oder der christlichen Schrift Mysteria litterarum kennen, die jüngst viel Aufmerksamkeit gefunden hat97 und in der die sakrale 22er-Symbolik gewaltsam auf das griech. Alphabet übertragen wird (Xi und Psi seien als Buchstaben sekundär). Oder stehen diese Zahlen wie das Alphabet selbst öfter für eine kosmische Gesamtheit?98 Wenn der genannte ägyptische Kanon so viele Bücher hat, wie es Gaue in Ägypten gibt, so vertritt er sozusagen die sakrale Seite des Landes. Die 22 oder 24 heiligen Texte wären dazu eine Stei95 Texte: Preuschen, Analecta, 43 (gr. Text). 48 (kopt. Fassung). Vgl. D. Brakke, Canon Formation and Social Conflict in Fourth-Century Egypt: Athanasius of Alexandria’s Thirty-Ninth ,Festal Letter‘, in: HThR 87, 1994, 395–419. 96 Vgl. M. Hengel (mit R. Deines), Die Septuaginta als „christliche Schriftensammlung“, ihre Vorgeschichte und das Problem ihres Kanons, in: ders./A.M. Schwemer (Hg.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, WUNT 72, Tübingen 1994, 182–284, hier 223 f. Melitons Liste der atl. Bücher (Eus. h.e. 4,26,13 f.) bietet nur 21 Texte, lässt aber das Estherbuch wohl absichtlich aus, mit dem es 22 wären. Vgl. auch die 22 Häupter der Menschen von Adam bis Jakob (gegen die masoretische Tradition, die nur 21 Generationen zählt) und die 22 Werke des siebten Schöpfungstages in Jub 2,22 f, die 22 Tugenden Christi (F. Dornseiff, Das Alphabet in Mystik und Magie, Stoicheia, Heft VII, Leipzig/Berlin 21925 [diverse Reprints], 73) etc. und die Deutungen bei Hier., Liber de Nominibus Hebraicis (PL 23,815) und Ambr., Expositio de Ps. CXVIII. 97 Vgl. C. Bandt, Der Traktat „Vom Mysterium der Buchstaben“. Kritischer Text mit Einführung, Übersetzung und Anmerkungen, TU 162, Berlin/New York 2007. Elementum, stoiwe?om, heißt „Buchstabe“ wie „Baustein“ der „Welt“; über die semantische Entwicklung der Begriffe existiert eine kleine Bibliothek an kontroverser Literatur. 98 Vgl. Dornseiff, Das Alphabet in Mystik und Magie; Riedweg, Art. Zahl D. Zahlenmystik; W.H. Roscher, Beiträge zur Zahlensymbolik der Griechen und anderer Völker, Hildesheim 2003. Über Alphabete als magische Texte vgl. auch A. Dieterich, ABC-Denkmäler, in: ders., Kleine Schriften, Leipzig/Berlin 1911, 202–228, mit Nachtrag 229–233 (zuerst 1901 bzw. 1904).

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gerung: sie stehen in jedem Fall für eine nicht zu überbietende Gesamtheit (wie die Rede des Apokalyptikers von Alpha und Omega). Auch die fünf Bücher der Tora führen zu zahlensymbolischen Nachahmungen und Analogien. Nicht einwandfrei nachgewiesen, aber plausibel ist die Möglichkeit, dass die Sammlung der Henochliteratur (die wir in ihrer späteren Gestalt „äthiopischer Henoch“ kennen) einmal in Gestalt eines fünfteiligen „Henochkanons“ konzipiert war, wie es etwa der Herausgeber der Qumran-Fragmente dieser Literatur Jjzef Milik gemeint hat.99 Das „Gigantenbuch“ wäre dann später durch die Bilderreden Henochs (1Hen 36–71) ersetzt worden. In jedem Fall beabsichtigte dieser „Henoch“-Kanon (den Juden wie auch Christen lasen), neben oder vielleicht sogar an die Stelle der Tora zu treten. Eine kanonische Fünfzahl ist im Judentum auch im Psalter und im Fall der fünf Megilloth belegt (später etwa in den Pirqe Avoth).100 Die sechs Ordnungen der Mischna vermeiden dagegen gerade Anschluss an die kanonische Fünfzahl der Bücher der Tora; an eine Überbietungssymbolik ist hierbei schwerlich zu denken, eher an eine einfache Vermeidung der mit der Tora verknüpften heiligen Zahl. Die Mischna will nicht einfach eine „zweite Tora“ sein, obwohl sie im rabbinischen Überlieferungsprozess ergänzend neben diese tritt. Vor allem ist es das christliche Matthäusevangelium, das nach einer plausiblen These in einer Analogie zur Fünfzahl der kanonischen Bücher des Pentateuchs strukturiert ist und dabei Jesus als neuen, größeren Mose inszeniert.101 Auch in Manis Lehrreden (Kephalaia) sind pentadische Strukturen nachgewiesen worden.102 Eine zusammenfassende Darstellung der Bedeutung zahlensymbolischer Systeme (und ihrer jeweiligen Herkunft) in Gestalt einer Monographie wäre ein Desiderat, das von einem speziellen Aspekt aus die Kanongeschichte durchaus beleben könnte. Natürlich mangelt es 99 J.T. Milik, The Books of Enoch. Aramaic Fragments from Qumr.n Cave 4, Oxford 1976, 4. 22. 54–58. 76–78. 183–185 u. ö.; zustimmend zur „Fünferstruktur“ auch M. Black, The Book of Enoch or I Enoch. A New English Edition, SVTP 7, Leiden 1985, 9, u. a. Bestritten wurde diese These u. a. von G.W.E. Nickelsburg, 1 Enoch 1. A Commentary on the Book of 1 Enoch, Chapter 1–36; 81–198, Hermeneia, Minneapolis 2001, 22–26. 132. 335–337 u. ö.; L.T. Stuckenbruck, 1 Enoch 91–108, CEJL, Berlin/New York 2007, 8–16. Vgl. zum Verhältnis „Henoch“ und „Mose“ als autoritativer Figuren in der Henochtradition auch A. Bedenbender, Der Gott der Welt tritt auf den Sinai. Entstehung, Entwicklung und Funktionsweise der frühjüdischen Apokalyptik, ANTZ 8, Berlin 2000. 100 Vgl. auch Hengel, Septuaginta als „christliche Schriftensammlung“, 279 zum „weisheitlichen Pentateuch“ der westlichen Kanonlisten; dazu E. Nestle, Miscellen 8. Fünf Bücher Salomos, in: ZAW 27, 1907, 294–297. 101 Vgl. nach der klassischen Formulierung der These bei B.W. Bacon, Studies in Matthew, London 1930, 80–90, die ausführlichere Begründung bei D.C. Allison, The New Moses. A Matthean Typology, Edinburgh 1993; zurückhaltender Luz, Evangelium nach Matthäus I, 23 f. Schnelle, Einleitung, 295, referiert diese Theorie, bewertet sie aber nicht. Vgl. zu Querverbindungen zwischen Matthäus und der Henochliteratur auch die Beiträge in: L.T. Stuckenbruck/G. Boccaccini (Hg.), Enoch and the Synoptic Gospels. Reminiscences, Allusions, Intertextuality, Early Judaism and Its Literature Book 44, Atlanta 2016. 102 T. Pettipiece, Pentadic Redaction in the Manichaean Kephalaia, NHMS 66, Leiden/Boston 2009.

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nicht an Ideen. Es ist jüngst z. B. bestritten worden, dass man in der Alten Kirche überhaupt je von einem geschlossenen Kanon sprechen kann;103 das wird weiterer Diskussion bedürfen, die auch Konzepte offener Kanones (die in der Religionsgeschichte nicht selten sind) stärker profiliert und zum Vergleich heranzieht. Eine größere Plausibilität spricht nach bisherigem Erkenntnisstand eher für ein Modell, demzufolge das christliche kanonische Paradigma sehr wohl einen Abschluss intendiert und sowohl Reduktion als auch Inflation vermeidet.104 Keinen Fortschritt der Forschung wird es aber geben, wenn der Blick auf die christlichen Texte enggeführt wird und der weitere spätantike kulturelle Rahmen nicht auch zur Genese des Kanons herangezogen wird, wie es in anderen Bereichen der Einleitungswissenschaft, der neutestamentlichen Exegese und der Patristik lange selbstverständlich ist.105 Eine andere Art von Zahlensymbolik liegt vor, wenn eine religiöse Gruppe strikt und puristisch nur ein einziges heiliges Buch besitzt, auf das sich das gesamte religiöse Leben konzentriert. So war es bei vielen „Judenchristen“ (die vielschichtigen Variationen dieses Begriffs müssen an dieser Stellen nicht referiert werden), die offenbar je nur ein Evangelium benutzt haben (aus der Antike überlieferter Titel ist bekanntlich allein „Evangelium nach den Hebräern“, obwohl es vermutlich drei sehr verschiedene Texte gab),106 wie es ähnlich auch für die Elchesaiten gegolten hat. Irenäus notiert die Vorliebe einzelner Gruppen für bestimmte Evangelien, die damit eine Art „Kanon im Kanon“ bilden (haer 3,11,7). Auch das Diatessaron stellt einen Versuch dar, die Jesusgeschichte in ein heiliges Buch zu fokussieren; bekanntlich wurde es u. a. in Syrien noch jahrhundertelang gelesen. Diese Linie eines einzigen heiligen Buches mündet in den Islam, dessen Verwurzelungen in der Antike heute immer deutlicher werden (obwohl in diesem die Schriften früherer „Schriftbesitzer“ eine gewisse Anerkennung genießen: doch hat in der religiösen Praxis allein der Koran Bedeutung). Manche gnostischen Texte (u. a. das Evangelium Veritatis, NHC I,3/XII,2) inszenieren sich deutlich als „Heilige Schriften“, ohne sich als Teil eines definierten Kanons kenntlich zu machen. Auch symmetrische Anpassungsprozesse zwischen „Altem“ und „Neuem“ 103 Vgl. H. Zander, „Europäische“ Religionsgeschichte. Religiöse Zugehörigkeit durch Entscheidung – Konsequenzen im interkulturellen Vergleich, Berlin/Boston 2016, 364–393 (zusammenfassend 393). Zanders Argumentation zu antiken Kanonisierungsvorgängen ist zwar meines Erachtens in einigen Einzelheiten fehlerhaft, stellt aber eine wichtige Analyse aus dezidiert religionswissenschaftlicher und nicht patristischer Perspektive dar und bedarf einer breiter angelegten Diskussion. Eine zentrale These ist die Bestreitung eines abgeschlossenen Kanons in der alten Kirche. 104 So überzeugend Schnelle, Einleitung, 441. Vgl. aber Markschies, Kaiserzeitliche christliche Theologie, 261–278. 284 über einen „gestuften Kanon“ bei Clemens und Tertullian. 105 Von geringerer Bedeutung dürften die konfessionellen Unterschiede sein. Vgl. jedoch A.M. Ritter, Zur Kanonbildung in der Alten Kirche, in: ders., Charisma und Caritas. Aufsätze zur Alten Kirche, Göttingen 1993, 265–280, insbes. 271. 106 Vgl. J. Frey, Die Fragmente judenchristlicher Evangelien, in: Markschies/Schröter/Heiser (Hg.), Antike christliche Apokryphen I/1, 560–660.

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Testament sind zu bedenken und manche anderen begleitenden Phänomene auf dem Weg zur und am Rande der christlichen Bibel.107 Ihre vergleichende Erforschung steht gerade erst am Anfang, wenn man bereit ist, den Blick konsequent über das NT hinaus zu weiten. Was ist also der spezifische Charakter des christlichen Kanons heiliger Bücher in einer kultur- und religionsvergleichenden Perspektive? Das Neue Testament entsteht als Teil einer sozusagen gemeinspätantiken Kanonisierungsbewegung, die u. a. Heilige Bücher erzeugt, aber weit über den religiösen Bereich hinausreicht. Diese Bücher schaffen identifikatorische Haftpunkte und fixieren Normalgestalten von Traditionen. Sie verlagern aber auch das Schwergewicht dessen, was Religion ist: nicht mehr primär tradierter Kult, sondern immer mehr religiöses Leben in einer spezifischen und definierten Textwelt. Man bemüht sich dazu um Textstabilität. Um ein weniger bekanntes Beispiel zu nennen: die in ihrem ältesten Bestand wohl auf das 3.Jh., vielleicht sogar auf das 2.Jh. zurückgehende mandäische Literatur führt in weit höherem Maße als das Hebräische Matres lectionis ein, Lesehilfen, welche aus der semitischen (aramäischen) Schrift praktisch eine vokalisierte Schrift machen.108 Die iranische Überlieferung des Avesta wählt einen anderen Weg und schafft, freilich wohl erst in mittelsassanidischer Zeit (also in der gleichen Epoche, in der sich der neutestamentliche Text endgültig stabilisiert), eine überaus komplexe Buchstabenschrift, die weit präziser als etwa das Griechische oder Koptische die Nuancen der Aussprache kodifiziert und damit die älteren Pahlavi-Schriften (Variationen aramäischer Schriftsysteme) in einer für die Antike beispiellosen Weise präzisiert.109 Das Hebräische folgte später mit seinen Vokalisierungsystemen, über deren erste Anfänge wir wenig wissen (eine Tendenz, die Zahl der Matres lectionis zu steigern, ist schon erkennbar etwa in der großen Jesajarolle aus Qumran 1QIsaa, nicht jedoch in vielen anderen Qumrantexten, und hat sich im Hebräischen nicht durchgesetzt). Im christlichen Kontext lassen sich solche Bestrebungen schon bei Origenes und dann verstärkt im 4./5.Jh. beobachten. Hinter all diesen Bemühungen steht die Sorge um eine Stabilität der tradierten Texte und ihrer rituellen Vergegenwärtigung, also ein typisches Kanonisierungsphänomen. Die größte Textstabilität erreichen in der Spätantike allerdings nicht religiöse, sondern juristische Textsammlungen. Auch allgemeine Merkmale gruppenspezifischer Schriftkultur sind im Kontext des kanonischen Prozesses zu bedenken, wie die bekannte Vorliebe der Christen für Abkürzungen (Nomina sacra) und heilige Zeichen (Staurogramm) sowie den Codex bzw. kleinformatige Bücher (Guy 107 W. Vogels, La structure sym8trique de la Bible chr8tienne, in: J.-M. Auwers/H.J. de Jonge (Hg.), The Biblical Canons, BEThL 143, Leuven 2003, 295–304. 108 Vgl. H. Gzella, A Cultural History of Aramaic from the Beginnings to the Advent of Islam, HdO 1,111, Leiden 2015, 363. 109 K. Hoffmann/J. Narten, Der sasanidische Archetypus. Untersuchungen zu Schreibung und Lautgestalt des Avestischen, Wiesbaden 1989.

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Stroumsa kann deshalb sagen, das Christentum sei weniger Buchreligion als „Taschenbuchreligion“110). Bekanntlich hat Franz Overbeck einst gemeint, die Geschichte des Kanons könne niemals aufgeklärt werden: „Der Vorgang selbst, welcher hiermit gemeint ist, die Entstehung des Kanons des Neuen Testaments, entzieht sich in seinem historischen Verlaufe noch nahezu vollständig unseren Blicken und wird wohl niemals recht aufgehellt werden.“111 Eine solche radikale Skepsis werden wir heute nicht mehr aussprechen müssen. Wir werden sie um so weniger teilen müssen, je mehr es gelingt, den Blick aus jeder Engführung auf die christliche Binnenliteratur zu befreien und die Kanonbildung im Kontext der allgemeinen Kulturgeschichte der Spätantike zu verstehen, als sakralen Sonderfall einer allgemeinen Tendenz, das Klassische und Normative zusammenzutragen. Sammlungen von Texten, denen jeweils (tatsächlich fast immer) ein apokryphes „Außen“ entspricht, gewinnen durch ihre innere Ordnung, ihre zahlensymbolische Gesamtstruktur, ihre Verehrung und Kommentierung Züge religiöser Kanones. Kanonisierung im weiten Sinn eines „kanonischen Prozesses“ ist in der Tat ein Grundphänomen der Spätantike, und die Sammlung christlicher Schriften im 2. bis 4.Jh. ist eingebettet in zahlreiche vergleichbare kulturelle Phänomene. Um zum Schluss noch wenigstens einen anstößigen und in mehrerlei Hinsicht frag-würdigen Satz zu wagen: Einmal mehr erweist sich das frühe Christentum, als zukunftsweisende Bewegung, doch zugleich auch als ein Normalfall spätantiker Religion.112

110 Stroumsa, Das Ende des Opferkults, 69. Vgl. Gamble, Books and Readers, 67: die meisten frühchristlichen Codices enthalten nur eine einzige Schrift; dieses Codices waren im Regelfall auffällig kleinformatig. 111 F. Overbeck, Über die Anfänge der patristischen Literatur, Libelli 15, Darmstadt 1966, 30 (zuerst 1882). 112 Nachtrag: Die neueste, viele Aspekte ansprechende Studie zur jüdischen und christlichen Kanongeschichte ist Lee Martin McDonald, The Formation of the Biblical Canon. 2 vols., London u. a. 2017. Allerdings leidet auch dieses wertvolle Werk unter der im voranstehenden Aufsatz kritisierten religionszentrierten Myopie, und nimmt daher die außer-religiösen Kanonisierungsprozesse nur in einem viel zu knappen Kapitel in den Blick, in dem immerhin doch einige der hier angesprochenen Fragen zur Sprache kommen (1,81–94). Andererseits wird der Vergleichsbogen recht weit gezogen, auch über Büchersammlungen hinaus (etwa in die Kunstgeschichte hinein), wozu die geschichtliche Bedeutung paralleler kanonischer Prozesse für Textcorpora stärker bedacht werden könnte.

Paulusbriefe

Christof Landmesser

Aufbau und Sinn des Ersten Thessalonicherbriefes Anmerkungen zu seiner Gliederung und zu seiner theologischen Orientierung

Eine angemessene Interpretation der neutestamentlichen Texte kann die Geschichte ihres Gegenstandes, also das Werden dieser Texte in einem umfassenden Sinn, nicht von den in diesen Texten zu findenden theologischen Entwürfen trennen. Vielmehr geht es gerade in der historischen Arbeit an diesen Texten letztlich um die Einsicht in ihre theologische Aussagekraft und Wirkung. Diese Grundeinsicht begleitet die Entwicklung der ausdrücklich geschichtlichen Erforschung des Neuen Testaments von ihren Anfängen an1 und ist auch gegenwärtig präsent zu halten.2 Im glückenden Fall zielt deshalb auch eine Einleitung in das Neue Testament auf die Wahrnehmung der theologischen Grundeinsichten einer vorgestellten neutestamentlichen Schrift. In der Struktur der von Udo Schnelle vorgelegten Einleitung in das Neue Testament wird diese Einsicht an mindestens zwei Orten greifbar. In der Einführung erläutert Schnelle auch den Aufbau und das Ziel seiner Einlei1 So will bereits Johann Philipp Gabler innerhalb der von der Dogmatischen Theologie zu unterscheidenden und als historische Wissenschaft aufgefassten Biblischen Theologie die geschichtlichen Untersuchungen durchführen, um letztlich die dicta classica, die der Dogmatischen Theologie zugrunde gelegt werden sollen, herauszuarbeiten (J.P. Gabler, Antrittsrede in Altdorf vom 30. März 1787 [lat. / dts.], in: K.-W. Niebuhr/C. Böttrich [Hg.], Johann Philipp Gabler 1753–1826 zum 250. Geburtstag, Leipzig 2003, 15–41, 35; vgl. die hilfreichen Hinweise von O. Merk, Anmerkungen zu Gablers Altdorfer Antrittsrede, in: Niebuhr/Böttrich [Hg.], Gabler, 42–52; und ausführlich ders., Biblische Theologie des Neuen Testaments in ihrer Anfangszeit. Ihre methodischen Probleme bei Johann Philipp Gabler und Georg Lorenz Bauer und deren Nachwirkungen, MThSt 9, Marburg 1972, 29–140). – Ferdinand Christian Baur unterstreicht schon mit dem Titel seiner Abhandlung zur Einleitung des Neuen Testaments deren ausdrücklich theologischen Charakter: F.C. Baur, Die Einleitung in das Neue Testament als theologische Wissenschaft. Ihr Begriff und ihre Aufgabe, ihr Entwicklungsgang und ihr innerer Organismus, in: Theologische Jahrbücher (Tübingen) 9.4, 1850, 463–566; 10.1, 1851, 70–94; 10.2, 1851, 222–253; 10.3, 1851, 291–328 (vgl. dazu D. Lincicum, Ferdinand Christian Baur and the Theological Task of New Testament Introduction, in: M. Bauspieß/C. Landmesser/D. Lincicum [Hg.], Ferdinand Christian Baur und die Geschichte des frühen Christentums, WUNT 333, Tübingen 2014, 91–105). 2 So U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 82013, 28 f. Schnelle erinnert hier an W.G. Kümmel, Art. Einleitungswissenschaft II. Neues Testament, in: TRE 9, 1982, 469–482, 480, der ausdrücklich an Ferdinand Christian Baur anschließt, wenn er notiert, dass sich die neutestamentliche Einleitungswissenschaft „gerade dadurch als theologische Arbeit zu erweisen hat, daß sie, wie es schon F.C. Baur forderte, insoweit in das Gebiet der Neutestamentlichen Theologie übergreift, daß der entscheidende theologische Charakter der einzelnen Schriften oder Überlieferungsbestandteile in den Blick gefaßt […] wird“.

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tung.3 Sein Ziel, also sein leitendes Interesse, notiert Schnelle gleich zu Beginn dieses Kapitels: „Die Erhellung der historischen Entstehungssituation und theologischen Intentionen der ntl. bzw. urchristlichen Schriften.“4 Der Aufbau der Kapitel zu den einzelnen Schriften deckt im Wesentlichen die klassischen Fragen einer Einleitung nach Verfasser, Ort und Zeit der Abfassung, Empfängern der Schriften, Gliederung, Aufbau und Form, ihrer literarischen Integrität, zugrundeliegenden Traditionen und Quellen und ihrer religionsgeschichtlichen Stellung ab. Die letzten beiden Abschnitte widmet Schnelle stets den theologischen Grundgedanken und den Tendenzen der neueren Forschung.5 Die Frage nach der theologischen Orientierung und Intention wird so tatsächlich als das Ziel der Einleitung in eine neutestamentliche Schrift auch formal erkennbar. Eine Brücke von den Einleitungsfragen hin zur Theologie des Neuen Testaments ist damit zumindest angedeutet.6 Bei genauer Lektüre lassen sich freilich schon in dem Abschnitt der Gliederung der jeweiligen Schrift Motive erkennen, die dann wieder in der Darstellung der theologischen Grundgedanken erscheinen. Jede Gliederung ist bereits das Resultat einer Interpretation und auch der zumindest angedeutete Vollzug einer solchen. Gliederung und Interpretation eines jeden Textes sind eng miteinander verbunden. Unter dieser Voraussetzung können in einer Einleitung über den Aufbau des Textes und die Darstellung theologischer Grundgedanken durchaus wesentliche Einsichten in die theologische Orientierung einer Schrift wahrgenommen werden. Die Gliederung einer neutestamentlichen Schrift innerhalb einer Einleitung in das Neue Testament kann mit den dort notierten theologischen Grundgedanken korreliert werden. Der Nutzen einer Einleitung bestünde dann im gelingenden Fall zumindest auch darin, dass ein rascher Zugang zu den theologischen 3 Schnelle, Einleitung, 26–30: 1.3 Aufbau und Ziel der Einleitung. 4 Schnelle, Einleitung, 26. 5 Durchaus vergleichbar verfahren auch andere Autoren von Einleitungen in das Neue Testament. So bieten Ingo Broer und Hans-Ulrich Weidemann in ihrer Einleitung entsprechende Abschnitte unter den Überschriften ,theologische Grundlinien‘, ,theologische Absicht‘, ,theologische Anschauungen‘, ,theologische Aussagen‘ und ,theologische Grundgedanken‘ (vgl. das Inhaltsverzeichnis in: I. Broer in Verbindung mit H.-U. Weidemann, Einleitung in das Neue Testament, Würzburg 32010, 7–16). Unter dem Stichwort ,Diskurs‘ finden sich solche Hinweise auch in M. Ebner/S. Schreiber (Hg.), Einleitung in das Neue Testament, KStTh 6, Stuttgart 22013. In weiten Teilen vergleichbar, aber auch sehr unterschiedlich verfahren die Autorinnen und Autoren in D.E. Aune (Hg.), The Blackwell Companion of the New Testament, Malden u. a. 2010. Als weiteres Beispiel für eine Einleitung, in welcher sich in der Darstellung der einzelnen neutestamentlichen Schriften eine theologische Zuspitzung findet, sei genannt R. Brown, An Introduction to the New Testament, The Anchor Bible Reference Library, New York u. a. 1997. Brown weist unter der Überschrift ,Issues and Problems for Reflection‘ auf zentrale theologische Themen und Fragestellungen der einzelnen Schriften hin (vgl. das Inhaltsverzeichnis aaO., XIII–XXI). 6 Vgl. dazu die Hinweise von Friedrich W. Horn in seiner Sammelbesprechung verschiedener Einleitungen in das Neue Testament im Jahr 2003 zur 3. Auflage von Schnelles Text (F.W. Horn, Einleitung in das Neue Testament. Tendenzen und Entwicklungen [I], in: ThR 68, 2003, 45–79, 56).

Aufbau und Sinn des Ersten Thessalonicherbriefes

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Inhalten verschafft würde. Dieser Überlegung soll am Beispiel des ältesten Paulusbriefes, des Ersten Thessalonicherbriefes, nachgegangen werden. Im Durchgang durch diesen Text können dessen theologische Grundgedanken aufgezeigt werden, wobei deren Abfolge und der Aufbau der vorgelegten narrativen und argumentativen Elemente zumindest Hinweise für eine Gliederung ergeben können. Die so erarbeitete Gliederung kann dann ihrerseits einen ersten Blick auf die Erzählung und die Argumentation dieses Briefes verschaffen. So bekommt die Gliederung eine über die bloße Einteilung eines Textes hinausgehende Funktion.7

1. Der Erste Thessalonicherbrief – ein Durchgang zum Zweck einer Gliederung in theologischer Absicht 1.1. Der Rahmen des Ersten Thessalonicherbriefes: Präskript (1,1) und Postskript (5,25–28) Der zu untersuchende Text ist ein antiker Brief.8 Dem entspricht auch sein Aufbau. Der Briefeingang und der Briefschluss bilden einen konventionell regulierten Rahmen, wodurch der Brief einen „konzentrischen Aufbau“ erhält.9 Die inhaltlichen Entsprechungen zwischen Briefeingang und Briefschluss sind zu beachten. Der Briefeingang hat die Elemente des Präskripts (1,1)10 und des Proömiums (1,2–10).11 Die briefliche Selbstempfehlung in 2,1–12 bildet den Anfang des Briefkorpus.12 Der Briefschluss bietet dazu eine entsprechende Inklusion. Die Paränese in 5,12–22 kann als Abschluss des Briefkorpus aufgefasst werden. Der Briefschluss umfasst dann den Abschnitt 5,23–28 mit den Elementen des Hinweises auf die Treue Gottes in 5,23 f, der Aufforderung zur Fürbitte (V.25) und zur Verlesung des Briefes (V.26) sowie des Segenswunsches als Eschatokoll.13 Das Briefkorpus läge dann in dem Abschnitt 2,1–5,22 vor.14 7 Die hier entwickelte, am Ende des Aufsatzes vorgestellte Gliederung in theologischer Absicht ist eine Weiterentwicklung meiner Überlegungen in C. Landmesser, Art.: C.I.2.1. Erster Thessalonicherbrief, in: F.W. Horn (Hg.), Paulus Handbuch, Tübingen 2013, 165–172. 8 Zu antiken Briefen überhaupt vgl. T.J. Bauer, Paulus und die kaiserzeitliche Epistolographie. Kontextualisierung und Analyse der Briefe an Philemon und an die Galater, WUNT 276, Tübingen 2011, 1–90; H.-J. Klauck, Die antike Briefliteratur und das Neue Testament. Ein Lehr- und Arbeitsbuch, UTB 2022, Paderborn u. a. 1998; zum 1Thess als Brief vgl. aaO., 267–292. 9 Klauck, Briefliteratur, 51. 10 Die Textstellen aus dem Ersten Thessalonicherbrief werden ohne Nennung des Briefes angegeben. 11 So etwa Klauck, Briefliteratur, 271. 12 Wird dagegen der Abschnitt 2,1–12 noch dem Briefeingang zugeordnet (so etwa Schnelle, Einleitung, 66), dann wird die rein formale Gliederung gesprengt. 13 So auch Klauck, Briefliteratur, 281. Schnelle sieht dagegen den Briefschluss in dem größeren

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Das Präskript in 1,1 ist das kürzeste der uns bekannten Paulusbriefe. Paulus nennt sich selbst, Silvanus und Timotheus als die Absender des Briefes. Weitere Zusätze zu den Absendern, wie sie in den späteren Paulusbriefen zu finden sind, fehlen hier. Bedeutsam ist, dass der Brief durch die Absenderangabe als ein Gemeinschaftswerk der drei Genannten ausgewiesen ist. In welcher Weise der Brief entstanden ist, lässt sich nicht rekonstruieren. Für seinen Inhalt jedenfalls steht Paulus nicht allein.15 Folgt man den Hinweisen von Apg 15,40–16,3 in Verbindung mit Apg 17,1–10, so sind alle drei als Absender genannten Personen an der Gründung der christlichen Gemeinde in Thessalonich beteiligt gewesen.16 Die Bezeichnung der Adressaten als B 1jjkgs_a Hessakomij]ym 1m he` patq· ja· juq_\ YgsoO WqistoO, als die ,Gemeinde der Thessalonicher in Gott, dem Vater, und dem Herrn Jesus Christus‘, spricht diese in ihrer auf Gott und Jesus Christus bezogenen Gemeinschaft an.17 Die Gemeinde ist durch ihre Relation mit Blick auf Gott, den Vater, und auf den Herrn Jesus Christus in ihrer Besonderheit bestimmt. Genau in dieser Relation wird sie von den Absendern angesprochen. Dem entspricht auch die salutatio: w²qir rl?m ja· eQq¶mg, ,Gnade sei mit euch und Friede‘. Mit ,Gnade und Friede‘ ist der heilvolle Raum beschrieben, in welchem sich die Adressaten durch ihre Bezogenheit auf Gott, den Vater, und den Herrn Jesus Christus bereits befinden. Daran erinnern die Absender des Briefes.

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Abschnitt 5,12–28. – Dass die genaue Abgrenzung von Briefeingang, Briefkorpus und Briefschluss mit Blick auf antike Briefe durchaus unterschiedlich vorgenommen wird, ist für unsere Fragestellung nicht wesentlich (vgl. zu dieser Diskussion Bauer, Paulus und die kaiserzeitliche Epistolographie, 44–51; C. Hoegen-Rohls, Zwischen Augenblickskorrespondenz und Ewigkeitstexten. Eine Einführung in die paulinische Epistolographie, BThSt 135, Neukirchen-Vluyn 2013, 25 f). Zudem ist zu beobachten, dass Paulus mit den antiken griechisch-römischen und jüdischen Briefkonventionen durchaus souverän umzugehen wusste (vgl. A.J. Malherbe, The Letters to the Thessalonians. A New Translation with Introduction and Commentary, AncB 32B, New York 2000, 90 f). Nicht ganz konsistent ist die Einteilung bei Klauck, der dem Briefkorpus den Umfang 2,11–5,11 zuordnet (Klauck, Briefliteratur, 273), dann aber als Abschnitt D. die Verse 5,12–22 doch als einen Unterabschnitt des Briefkorpus einführt (aaO., 280). Entscheidend ist freilich nicht diese kleine Unstimmigkeit, sondern die Zuordnung von 5,12–22 zum Briefkorpus überhaupt. Vgl. S. Schreiber, Der erste Brief an die Thessalonicher, ÖTBK 13/1, Gütersloh 2014, 75. Darauf lassen auch die Hinweise in 1Thess 1,5.9; 2,2.13 schließen. Mit der Bezeichnung der frühchristlichen Gemeinde als B 1jjkgs_a […] 1m he` patq· ja· juq_\ YgsoO WqistoO kann zumindest eine Anspielung auf den Ausdruck 898= @8K (Dtn 23,2) bzw. A=8@48 @8K (Neh 13,1) wahrgenommen werden. Freilich ist zumindest hier nicht präzise von der 1jjkgs_a toO heoO die Rede (so aber Bauer, Paulus und die kaiserzeitliche Epistolographie, 80; die Wendung 1jjkgs_a toO heoO erscheint bei Paulus erst in den Präskripten 1Kor 1,2 und 2Kor 1,1 und mehrfach im Korpus des 1Kor [10,32; 11,16.22; 15,9] sowie im Proömium des Briefes an die Galater [Gal 1,13]). Im Ersten Thessalonicherbrief findet sich der Ausdruck 1jjkgs_a toO heoO nur in 1Thess 2,14. – Die Bezeichnung der Gemeinde im Präskript des 1Thess als B 1jjkgs_a […] 1m he` patq· ja· juq_\ YgsoO WqistoO setzt neben dem theologischen auch bereits einen ausdrücklich christologischen Akzent.

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Dem Präskript in 1,1 entspricht sehr genau das etwas ausführlichere Postskript in 5,25–28. Die Adressaten werden hier als !dekvo¸, als ,Brüder‘, angesprochen. Damit spielt Paulus auf die in Gott und in Jesus Christus gründende Gemeinschaft der Glaubenden innerhalb der Gemeinde in Thessalonich, aber auch mit sich selber sowie den beiden Mitabsendern an. Durch den Brief und über diesen hinaus sind Absender und Adressaten in solcher Gemeinschaft miteinander verbunden. Diese weitergehende Verbundenheit setzt Paulus mit seiner Bitte voraus: !dekvo¸, pqose¼weshe ja· peq· Bl_m, ,Brüder, betet auch für uns‘ (5,25).18 Paulus und seine Mitabsender stehen der Gemeinde in Thessalonich nicht distanziert gegenüber, und auch Paulus, Silvanus und Timotheus bedürfen der Fürbitte der Gemeinde. Die enge Verbindung der Absender zu den Adressaten wird durch den Grußauftrag und die Aufforderung zur Verlesung des Briefes unterstrichen (V.26 f). Das Eschatokoll mit dem abschließenden Segenswunsch nimmt ein Motiv aus 1,1 wieder auf: B w²qir toO juq¸ou Bl_m YgsoO WqistoO leh( rl_m, ,die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit euch‘ (V.28).19 Paulus weiß seine Adressaten auch am Ende, nach dem Durchgang durch die offenen, existentiell bedeutsamen und durchaus schwierigen Fragen in diesem durch das Christusgeschehen erschaffenen heilvollen Raum.

1.2. Das Proömium mit Danksagung (1,2–10) und der fürsprechende Epilog (5,23 f) Das Proömium mit Danksagung (1,2–10) und der fürsprechende Epilog (5,23 f) können als die einleitende und die abschließende Rahmung des Briefes aufgefasst werden. Formal sind sie am besten zum Briefeingang und zum Briefschluss zu rechnen. Die beiden Abschnitte bilden auch inhaltlich eine Inklusion. Mit seiner Danksagung im Proömium spielt Paulus auf die Vergangenheit der Gemeinde an. Mit dem fürsprechenden Epilog rückt er die Zukunft in den Blick. In beiden Abschnitten drückt Paulus seine Verbundenheit mit der Gemeinde in Thessalonich aus, obwohl er derzeit nicht persönlich anwesend ist. Es ist eine Verbundenheit, die sich in der Fürbitte äußert.

18 Das ja_ ist textkritisch nicht gesichert. Wenn der ursprüngliche Text lautet: ,Brüder und Schwestern, betet für uns‘, dann ist mit dieser Aufforderung zur Fürbitte ein ausdrücklicher Neueinsatz gegeben und keine Anknüpfung an V.23 f, die somit nicht ausdrücklich als ein Gebet aufgefasst wären. 19 Diese Wendung ist nicht eine bloße Aufnahme des in griechischen Briefen üblichen Grußes wa_qeim. Inhaltlich entscheidend ist auch hier der ausdrücklich christologische Bezug, wodurch der Gruß auch die Dimension eines durch den gemeinsamen Herrn Jesus Christus gewährleisteten Segenswunsches erhält (vgl. Bauer, Paulus und die kaiserzeitliche Epistolographie, 82).

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1.2.1. Das Proömium mit Danksagung (1,2–10) Das Proömium eröffnet Paulus mit seinem Dank gegenüber Gott für die ganze Gemeinde, mit der er erinnernd im Gebet dauerhaft (p\mtote) verbunden ist (V.2).20 Er dankt Gott für das Werk ihres Glaubens (t¹ 5qcom t/r p_steyr), für ihre Mühe der Liebe (b j|por t/r !c\pgr) und für ihre Geduld der Hoffnung auf den gemeinsamen Herrn Jesus Christus (B rpolomµ t/r 1kp_dor toO juq¸ou Bl_m YgsoO WqistoO) (V.3). Die glaubende Relation der Gemeinde und des Paulus ist auf Gott, unseren Vater, und auf den Herrn Jesus Christus ausgerichtet und konkretisiert sich in der gegenwärtig tätigen Liebe und in der auf Christus ausgerichteten geduldigen Hoffnung. Damit thematisiert Paulus tatsächlich „Grundkoordinaten christlichen Glaubenslebens“.21 Die Gemeinde in Thessalonich ist fest verwurzelt in diesem Glauben. Gewiss ist diese Feststellung im Proömium im Sinne einer an dieser Stelle eines antiken griechischen Briefes üblichen captatio benevolentiae sinnvoll verortet.22 Aber Paulus erinnert seine Adressaten an den Grund ihrer glaubenden Existenz, womit er sich überhaupt die Basis für alle folgenden Inhalte seines Briefes verschafft. Er kann seine Adressaten als von Gott Geliebte auf ihre Berufung (B 1jkoc^) ansprechen (V.4), die mit der Evangeliumsverkündigung des Paulus kraftvoll (1m dum²lei), durch den Heiligen Geist (1m pme¼lati "c¸\) und mit großer Überzeugungskraft und Gewissheit (1m pkgqovoq¸ô pokk0) erfolgte (V.5). Die wirksame Evangeliumsverkündigung hat bei den Adressaten offenkundig eine Resonanz hervorgerufen. Sie sind Nachahmer des Paulus, seiner Begleiter und des Herrn geworden (lilgta· Bl_m […] ja· toO juq_ou) (V.6a).23 Und obwohl dies unter den Bedingungen großer Bedrängnis (1m hk¸xei pokk0) geschah, hat die Gemeinde in Thessalonich das Wort, also die Evangeliumsverkündigung, mit der Freude des Heiligen Geistes (let± waq÷r pme¼lator "c¸ou) aufgenommen (V.6b). Und genau so sind die Adressaten des Briefes zum Vorbild (t}por) für alle Glaubenden nicht nur in Mazedonien und in Achaia, sondern überall (1m pamt· t|p\) geworden (V.7f). Mit diesem die Gemeinde lobenden Hinweis auf die Wirkung ihres Glaubens in die sie umgebenden Regionen hinein und darüber hinaus öffnet Paulus im Proömium 20 In dieser Passage des Briefes steht das Subjekt der Absenderangabe entsprechend im Plural. Auch im Briefkorpus findet sich dieser Plural immer wieder. Freilich scheint es doch so zu sein, dass Paulus zumindest federführend schreibt. Und so ist die letzte Nennung des auktorialen Subjekts in 5,27 auch Paulus selbst im Singular, wenn er seine Adressaten dringend auffordert und beim j}qior beschwört (1moqj_fy), den Brief allen Brüdern und Schwestern vorzulesen. So ist es gerechtfertigt, Paulus als den Verfasser des Briefes wahrzunehmen. 21 E. Reinmuth, Der erste Brief an die Thessalonicher. Übersetzt und erklärt, in: N. Walter/E. Reinmuth/P. Lampe, Die Briefe an die Philipper, Thessalonicher und an Philemon, NTD 8/2, Göttingen 1998, 103–156, 117. 22 So etwa Bauer, Paulus und die kaiserzeitliche Epistolographie, 84; Klauck, Briefliteratur, 272. 23 Das Motiv, dass die Adressaten des Paulus in Thessalonich lilgta_ geworden seien, wird in 2,14 wieder aufgegriffen, wobei andere Vorbilder genannt werden.

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seines Briefes an die Thessalonicher ausdrücklich den Blick über die Grenzen der einzelnen Gemeinde in die Ökumene. Die christliche Existenz ist ein auf die Gesamtheit der Glaubenden ausgerichtetes Dasein. Die positive Aufnahme der Evangeliumsverkündigung des Paulus, und damit auch des Paulus und seiner Begleiter (V.9a), bedeutet für die Adressaten eine vollständige religiöse Neuorientierung. Sie haben sich von den bisher von ihnen verehrten Göttern (t± eUdyka) abgewandt und dienen nun dem lebendigen und wahren Gott (he¹r f_m ja· !kghim|r) (V.9b). Und sie erwarten den Sohn Gottes vom Himmel, den Gott selbst von den Toten auferweckt hat und der sie von dem kommenden Zorngericht erlösen wird (V.10). – Mit V.9b.10 ist der Höhepunkt des Proömiums mit Danksagung erreicht.24 Diese Verse weisen in das Korpus des Briefes hinein. Die Danksagung wird im ersten Teil zweimal aufgegriffen. In 2,13 hat die Danksagung des Paulus als ihren Grund wiederum die Aufnahme des Evangeliums durch die Gemeinde in Thessalonich. Und auch in 3,9 sieht sich Paulus durch die guten Nachrichten aus der Gemeinde, die Timotheus überbracht hatte, zu Freude und Dank veranlasst, weiß er sie doch jetzt ,fest gegründet im Herrn‘ (V.8). Und das Motiv der Errettung aus dem Endgericht durch den gestorbenen und auferweckten Herrn Jesus Christus wird ausdrücklich aufgenommen am Ende des zweiten Hauptteils des Briefkorpus in 5,9 f.25 Die heilvolle Erwartung des so erschlossenen Lebens in der Christusgemeinschaft umspannt den gesamten Brief. Das Proömium mit der Danksagung erweist sich als ein Briefeingang mit konzentrierten Inhalten, womit eine captatio benevolentiae wohl mit beabsichtigt sein kann, aber doch weit überschritten wird. Die Annahme des Evangeliums versetzt die Gemeinde in eine bleibende Gemeinschaft mit Paulus und den ihn begleitenden Missionaren und auch mit den anderen christlichen Gemeinden. Die Glaubenden in Thessalonich erweisen sich als solche, die in ihrer Gegenwart bereits fest in dem ihre Existenz bestimmenden Glauben stehen, der sie auch die Errettung vom Endgericht erwarten lässt.

24 Nach D. Luckensmeyer, The Eschatology of First Thessalonians, NTOA/StUNT 71, Göttingen 2009, 113, gilt hinsichtlich 1Thess 1,9 f, „that this pericope forms the climax of the letterthanksgiving“. Zugleich will er diese Verse aufgrund der hier vorhandenen eschatologischen Motive als „summary or outline of the letter“ begreifen. Dass der 1Thess insgesamt einen eschatologischen Grundton hat, ist sicher richtig. Freilich darf diese Wahrnehmung die anderen im Brief von Paulus verhandelten Themen nicht verdecken. Mit Luckensmeyer und anderen kann aber festgehalten werden, dass die eschatologische Thematik dem 1Thess eine Richtung der Erzählung und der Argumentation gibt. 25 Zur Entsprechung von 1Thess 1,9 f und 5,9 f vgl. ausführlich C. Landmesser, Das Konzept des Heils im Ersten Thessalonicherbrief, in: P.-G. Klumbies/D.S. du Toit, unter Mitwirkung von T. Jantsch/N. Neumann (Hg.), Paulus – Werk und Wirkung. Festschrift für A. Lindemann zum 70. Geburtstag, Tübingen 2013, 81–101, 82–94.

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1.2.2. Der fürsprechende Epilog (5,23 f) In diesem kurzen Abschnitt, der den Briefschluss eröffnet, spricht Paulus seinen Adressaten zu, dass der Gott des Friedens selbst sie vollständig heiligen werde ("ci\feim, V.23). Das ist ein deutlicher Anschluss an die Paränese in 5,12–22.26 Paulus stärkt seine Adressaten auch hinsichtlich seiner Ermahnungen dadurch, dass er letztlich Gott selbst als das Subjekt aufruft, das die Konkretion des Glaubens in die Lebenswirklichkeit verbürgt und schafft: ,Der Gott aber des Friedens selbst heilige euch ganz und gar […]‘.27 Damit wird mit dem Bleiben der Gemeinde in Thessalonich im festen Status des Glaubens und seiner Konkretion das Thema aufgenommen, das im Proömium der Grund für den Dank des Paulus gegenüber Gott war. Hier, am Ende des Briefes, wird noch einmal ausdrücklich der Blick in die Zukunft gewendet. Damit spielt der Epilog zum einen auf 5,9 f an und ebenso auf das abschließende Motiv des Proömiums aus 1,9 f. Am Ende des Briefes ist der Blick auf die Zukunft angebracht und wird bis zur Parusie des Herrn Jesus Christus ausgeweitet. So kann Paulus in 5,24 die Gewissheit ausdrücken: pist¹r b jak_m rl÷r, dr ja· poi¶sei, ,treu, zuverlässig ist der, der euch ruft, er wird es auch tun‘. Die Gewissheit des Glaubens findet darin ihren Ausdruck, dass an die Treue und den Heilswillen Gottes, der die Glaubenden gerufen hat, erinnert wird.28 Mit der Anspielung an den von Gott selbst verbürgten Glauben der Adressaten in der Gegenwart und in der Zukunft, die den Ausblick auf die Parusie des Herrn Jesus Christus eröffnet und damit den Blick auf die heilvolle Christusgemeinschaft, sind die Danksagung des Proömiums und der fürsprechende Epilog thematisch miteinander verbunden und schaffen so den Horizont des Briefes und der Themen, die in dessen Korpus verhandelt werden.

26 Zuweilen werden die Verse 1Thess 5,23 f noch zur Paränese im vorangehenden Abschnitt ab 5,12 gerechnet (so etwa Reinmuth, Thessalonicher, 153–155). Die Grundsätzlichkeit der Aussage überschreitet allerdings den paränetischen Aspekt, weshalb hier eher ein Abschluss des ganzen Briefes wahrgenommen werden kann. 27 Dass in einem letzten Sinn Gott selbst das Subjekt auch der lebensweltlichen Konkretion des Glaubens ist, lässt sich ebenso in anderen Stellungnahmen des Paulus zur Ethik wahrnehmen (vgl. dazu C. Landmesser, Der paulinische Imperativ als christologisches Performativ. Eine begründete These zur Einheit von Glaube und Leben im Anschluß an Phil 1,27–2,18, in: ders./ H.-J. Eckstein/H. Lichtenberger [Hg.], Jesus Christus als die Mitte der Schrift. Studien zur Hermeneutik des Evangeliums, BZNW 86, Berlin/New York 1997, 543–577). 28 Der Abschnitt 1Thess 5,23 f kann als Briefschluss aufgefasst werden, in dem zum einen Motive und Themen aus der Danksagung des Proömiums aufgegriffen werden, die freilich auch im Briefkorpus vertieft werden (vgl. Luckensmeyer, Eschatology, 50).

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2. Das Briefkorpus (2,1–5,22): Die christliche Existenz in der Gegenwart und mit Blick auf die Zukunft Das Briefkorpus des Ersten Thessalonicherbriefes umfasst die Kapitel 2,1–5,22. Es besteht aus zwei großen Hauptteilen in 2,1–3,13 und 4,1–5,11, die inhaltlich klar voneinander abgegrenzt werden können. Der dritte Teil ist eine abschließende Paränese in 5,12–22. Insgesamt rücken die Situation der Gemeinde und die Fürsorge des Paulus für seine Adressaten in den Blick. Dabei ist der erste Teil des Briefkorpus insbesondere an Fragen der Gegenwart der Gemeinde in Thessalonich interessiert, wobei diese mit besonderem Augenmerk auf das Verhältnis des Paulus zu seinen Adressaten bedacht werden. Im zweiten Teil stehen Fragen nach der für die Adressaten irritierenden Zukunft im Mittelpunkt, die durch den Ausblick auf die erwartete Parusie Christi auch für die Gegenwart der Glaubenden eine orientierende Wirkung und Funktion hat.29 Diese Einsicht wird in der abschließenden Paränese aufgegriffen und konkretisiert.

2.1. Die Gemeinde und ihr Apostel – eine bleibende Beziehung (2,1–3,13) 2.1.1. Die Apologie des Paulus als briefliche Selbstempfehlung (2,1–12)30 Sehr pointiert und für den ganzen Brief markant setzt Paulus ein: aqto· c±q oUdate, !dekvo¸, ,ihr selbst wisst doch, Brüder‘. Die mit dieser Formulierung bereits anklingende und den Brief tragende Strategie zielt auf das Wissen der Gemeinde, auf die Vergewisserung aufgrund des vorausgesetzten Wissens, auf die Erinnerung zentraler Wissensbestände und deren Aufdeckung, wo sie in den Hintergrund getreten waren. Im zweiten Hauptteil des Briefkorpus verschafft Paulus dann mit Blick auf die Parusie Christi Einsichten, die für seine Adressaten durchaus neu gewesen sein mögen. In diesem den ersten Hauptteil einleitenden Briefabschnitt 2,1–12 erinnert Paulus die Adressaten zunächst an seine eigene Erfolgsgeschichte mit der Gemeinde in Thessalonich, wie er und seine Begleiter einen Zugang (eUsodor) zu ihnen gefunden haben, der nicht vergeblich war (oq jemµ c´comem, V.1). Der rasche Überblick über die hier von Paulus formulierten Sätze macht sofort klar, dass die Apologie des Paulus nicht etwa darin besteht, eigene Qualitäten der Absender, die seine Adressaten doch zu beachten hätten, in den Vorder29 Dabei ist zu beachten, dass die eschatologische Perspektive auch im ersten Hauptteil eingespielt wird, dass sie aber thematisch noch nicht in der Weise wie im zweiten Hauptteil ausgeführt wird. 30 Die briefliche Selbstempfehlung wird etwa von Klauck, Briefliteratur, 273, als Eröffnung des Briefkorpus aufgefasst; Schnelle, Einleitung, 66, sieht in diesem Abschnitt den Abschluss des Briefanfangs.

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grund zu stellen. Vielmehr versichert er sich und seine Adressaten mit diesem Einstieg in das Briefkorpus der Vertrauenswürdigkeit seiner Evangeliumsverkündigung in Thessalonich (V.3). Gott selbst hat sie für würdig befunden und mit der Evangeliumsverkündigung betraut (dedojil²sleha rp¹ toO heoO pisteuh/mai t¹ eqacc´kiom), weshalb auch ihr Ziel nicht ist, Menschen zu gefallen, sondern Gott, der ihre Herzen prüft (oqw ¢r !mhq¾poir !q´sjomter !kk± he` t` dojil²fomti t±r jaqd¸ar Bl_m) (V.4). Die Evangeliumsverkündigung des Paulus verdankt sich Gott selbst und hat in einem letzten Sinn die Ehre Gottes als ihr Ziel. Paulus erinnert an die Aufrichtigkeit, die Unbefangenheit und die Liebe, mit der er und seine Begleiter gegenüber der Gemeinde in Thessalonich aufgetreten sind. Es ist ein besonderes Verhältnis entstanden, das Vertrauen geschaffen hat.31 Liebe kennzeichnet das Verhältnis des Paulus zu den Gemeindegliedern in Thessalonich (V.8b). Diese besondere Beziehung zwischen Paulus, seinen Begleitern und den Adressaten ist dabei wesentlich eingezeichnet in ihr Verhältnis zu Gott durch die Wirkung der Evangeliumsverkündigung. Denn Gott ist es, der sie berufen hat, – die Verkündiger des Evangeliums (V.4) und die Adressaten des Briefes (V.12) gleichermaßen. Die Apologie des Paulus und die briefliche Selbstempfehlung wie das Leben der Glaubenden in Thessalonich haben ihren gemeinsamen Grund in Gott selbst.32 Und das Ziel der Evangeliumsverkündigung des Paulus und seiner Begleiter ist es, dass die Lebensführung der von ihnen angesprochenen und ihnen nahestehenden Menschen dem sie in sein Reich und seine Herrlichkeit berufenden Gott entspricht. – Das ist das übergreifende Thema des Briefes, nämlich das Leben in dem Reich und in der Herrlichkeit Gottes, also das „endzeitliche Heil“33, und das Leben, das schon in der Gegenwart auf dieses Heil ausgerichtet ist. In diesem die Gegenwart und die Zukunft der Adressaten umfassenden Heil kommt die Evangeliumsverkündigung zu ihrer Erfüllung.

31 Dieses besonders vertrauensvolle Verhältnis des Paulus und seiner Begleiter zu seinen Adressaten in Thessalonich beschreibt er mit Bildern aus dem Raum der Familie. Liest man in V.7 die Variante m¶pioi als ursprünglichen Ausdruck, dann konnten sie auftreten wie arglose Kinder (1cem¶hglem m¶pioi 1m l´s\ rl_m, V.7), und wie eine ihre Kinder versorgende Amme sehnen sie sich nach der Gemeinde in Thessalonich (¢r 1±m tqov¹r h²kp, t± 2aut/r t´jma, ovtyr bleiqºlemoi rl_m, V.7 f). Gegenüber einem jeden Einzelnen haben sie wie ein Vater seinen Kindern Mut zugesprochen, ihr Leben in einem dem Willen Gottes entsprechenden Sinn zu gestalten, der sie in sein Reich und in seine Herrlichkeit ruft (¢r 6ma 6jastom rl_m ¢r patµq t´jma 2autoO paqajakoOmter rl÷r ja· paqaluho¼lemoi ja· laqtuqºlemoi eQr t¹ peqipate?m rl÷r !n¸yr toO heoO toO jakoOmtor rl÷r eQr tµm 2autoO basike¸am ja· dºnam, V.11 f). – Zu dieser Metaphorik und ihren Reflexen im gesamten Ersten Thessalonicherbrief vgl. C. Gerber, Paulus und seine ,Kinder‘. Studien zur Beziehungsmetaphorik der paulinischen Briefe, BZNW 136, Berlin/New York 2005, 251–349. 32 Vgl. die weiterführenden Hinweise bei Schreiber, Thessalonicher, 146 f. 33 So formuliert knapp Reinmuth, Thessalonicher, 128.

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2.1.2. Der Dank für die Annahme des Evangeliums (2,13–16) Die Evangeliumsverkündigung des Paulus und seiner Begleiter wurde in Thessalonich schon in der Gegenwart als kºcor heoO, als Gottes eigenes Wort, aufgenommen, das bei den Glaubenden auch tatsächlich wirksam ist (dr ja· 1meqce?tai 1m rl?m to?r piste¼ousim, V.13). Mit dem nochmaligen Dank greift Paulus den Grundton des Proömiums auf, wobei er in beiden Kontexten die Dauerhaftigkeit seiner Dankbarkeit mit entsprechenden Adverbien hervorhebt (1,2: p\mtote; 2,13: !diake_ptyr). Und auch hier in 2,14 notiert Paulus, dass seine Adressaten Nachahmer (lilgta_) geworden sind. Zu beachten ist freilich, dass sich nach 1,6 die Glaubenden als Nachahmer des Paulus, seiner Begleiter und sogar des j}qior erwiesen haben, wodurch sie selbst zum Beispiel des Glaubens für die Gemeinden in der Ökumene geworden sind (1,7 f). Als Vorbilder der Adressaten des Paulus werden hier in 2,14 die 1jjkgs_ai toO heoO, die sich 1m t0 Youda¸ô 1m Wqist` YgsoO befinden, genannt. Wie die Gemeinde in Thessalonich nach 1,6 unter schwierigen Bedingungen (1m hk_xei pokk0) für andere zum Beispiel des Glaubens geworden ist, so orientiert sie sich selbst nicht nur an Paulus, seinen Begleitern und dem j}qior, sondern eben auch an anderen christlichen Gemeinden, deren Leiden ganz vergleichbar sind (t± aqt± 1p²hete ja· rle?r, 2,14). Gerade unter den Bedingungen der existentiellen Bedrängnis, die hier in Thessalonich wie in den judäischen christlichen Gemeinden in der bedrohlichen Abwehr durch das engste religiöse Umfeld besteht, ist die gegenseitige Orientierung der Glaubenden untereinander für Paulus offensichtlich von großer Bedeutung. Tatsächlich ist die „fragile[-] neue[-] Identität“34 der jungen christlichen Gemeinden bedroht. Diese Wahrnehmung bedarf einer Bestätigung über die Grenzen der einzelnen Gemeinden hinaus. Dabei spielen Paulus und seine Begleiter, der Blick auf den j}qior, aber auch wesentlich die Wahrnehmung der Situation anderer Gemeinden eine entscheidende Rolle.35 Die frühen christlichen Gemeinden können ihre Identität nur finden in dieser komplexen Verbindung zwischen den Verkündigern des Evangeliums und ihren Adressaten, zwischen den Gemeinden untereinander, und das jeweils in der Relation zu Gott selbst und zu dem j}qior. Es gibt eine christliche Existenz für Paulus nur in diesem Beziehungsgefüge.

34 Klauck, Briefliteratur, 275. 35 Die in 1Thess 2,15 f anschließende Begründung der scharfen Kritik an den Juden, mit der Paulus die Leiden der judäischen christlichen Gemeinden deutet, spielt für die Gesamtgliederung des Briefes keine tragende Rolle, bildet aber eine große Herausforderung für die Exegese, die an anderem Ort aufzuarbeiten ist.

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2.1.3. Der Wunsch des Paulus, die Gemeinde wiederzusehen (2,17–20) Der schon im Proömium und dann in 2,13 f von Paulus betonte Sachverhalt, dass die Gemeinden aufeinander und auf die Verkündiger des Evangeliums mit Blick auf den j}qior und auf Gott dauerhaft angewiesen bleiben, lässt Paulus und seinen Begleitern die Trennung von der Gemeinde umso schmerzlicher erscheinen. Sie wähnen sich aufgrund der räumlichen Distanz zu den Adressaten als ihnen gegenüber Verwaiste (!poqvamish]mter !vû rl_m, V.17).36 Die Sehnsucht, die Gemeinde in Thessalonich wiederzusehen, ist ein treibendes Motiv ihres Handelns, auch wenn der Satan selbst sie daran zu hindern sucht (V.18). Denn auch die Glaubenden in Thessalonich sind ihre Hoffnung (1kp_r), ihre Freude (waq\) und sogar schon ihr Ruhmeskranz (st]vamor jauw^seyr, V.19). Zwei Ergänzungen sind noch bedeutsam. Wieder ist der Blick des Paulus nicht nur auf die Gemeinde in Thessalonich gerichtet. Denn das hier Gesagte gilt offensichtlich auch für andere dem Paulus nahestehende Gemeinden, wenn er in V.19 formuliert: ,Wer ist denn unsere Hoffnung oder Freude oder unser Ruhmeskranz, C oqw· ja· rle?r, ,wenn nicht auch ihr‘?‘ Paulus transzendiert zumindest andeutungsweise, wie bereits in den vorangegangenen Briefabschnitten, sein besonderes Verhältnis zur Gemeinde in Thessalonich. Der zweite in V.19 gesetzte Akzent ist der auch hier platzierte Hinweis auf die Parusie des j}qior YgsoOr, bei der letztlich offenkundig werden wird, was die Gemeinde für Paulus wirklich bedeutet. Die Glaubenden in Thessalonich werden sich nämlich bei der Parusie des j}qior YgsoOr als Ruhm und Freude des Paulus und seiner Begleiter (B d|na Bl_m ja· B waq\) erweisen (V.20). Damit erinnert Paulus ausdrücklich an den bereits in 1,10 die Danksagung des Proömiums abschließenden Ausblick auf die für die Glaubenden heilvolle Parusie Christi.37 Auch dies bestimmt den Grundton dieses Briefes.

2.1.4. Die Sendung des Timotheus (3,1–5) Paulus und seine Begleiter bleiben nicht passiv, sie ertragen die Situation der Trennung nicht mehr (lgj]ti st]comter […] 1p]lxalem, V.1 f), und in V.5 36 Mit dieser Metaphorik, die wie in der brieflichen Selbstempfehlung des Paulus in 2,1–12 aus dem bildgebenden Raum der Familie entnommen ist, werden die beiden Briefabschnitte miteinander verbunden. 37 Der Ausdruck paqous_a erscheint innerhalb des 1Thess allerdings erstmals hier in 2,19 und wird dann in 3,13; 4,15; 5,23 wieder aufgegriffen, womit Paulus auch eine Verweisfunktion der Texte untereinander schafft. Die gegenwärtige Gemeindesituation wie die des Paulus und seiner Begleiter stehen immer in einer Relation zur Parusie des j}qior YgsoOr. Erst diese Perspektive verschafft den angemessenen Blick auf die Gegenwart.

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wechselt Paulus in eine Wendung im Singular : lgj]ti st]cym 5pelxa.38 Paulus und seine Begleiter senden Timotheus zu der Gemeinde in Thessalonich und bleiben selbst in Athen zurück. Das Ziel der Sendung des Timotheus nach Thessalonich ist die Stärkung der Gemeinde und die Ermutigung zum Glauben (V.2b: eQr t¹ stgq¸nai rl÷r ja· paqajak´sai rp³q t/r p¸steyr rl_m). Niemand soll in der Zeit der Bedrängnis ins Wanken kommen (V.3a: t¹ lgd´ma sa¸meshai 1m ta?r hk¸xesim ta¼tair). Paulus sieht seinen Auftrag mit Blick auf die Gemeinde in Thessalonich nicht in der Evangeliumspredigt zur Gründung der Gemeinde erschöpft. Dies dokumentiert nicht erst der Brief, den er jetzt schreibt, vielmehr war er nach seinen Möglichkeiten bereits zuvor aktiv um die Festigung der Gemeinde bemüht, als er Timotheus zu ihr sandte.

2.1.5. Die Rückkehr des Timotheus mit guter Nachricht über den Glauben der Gemeinde (3,6–13) Als Paulus den Brief an die Gemeinde in Thessalonich verfasste, war Timotheus bereits wieder zu ihm zurückgekehrt und konnte ihm gute Nachrichten über den Glauben und die Liebe in der Gemeinde in Thessalonich überbringen (V.6a) und zudem auch darüber, dass die Gemeinde Paulus und seine Begleiter in guter Erinnerung hatte und selbst eine erneute Begegnung mit ihnen herbeisehnte (V.6b). Das Verhältnis zwischen Paulus als dem Verkündiger des Evangeliums und der von ihm gegründeten Gemeinde bleibt eine dauerhafte und gegenseitig als wesentlich für ihre christliche Existenz wahrgenommene Verbindung. Nach dem Bericht des Timotheus erweist sich der Glaube der Gemeinde in Thessalonich als stabil (V.7), und das Aufatmen des Paulus ist deutlich zu spüren, wenn er in V.8 formuliert: mOm f_lem 1±m rle?r st¶jete 1m juq¸\, ,jetzt leben wir wieder, wenn ihr feststeht, wenn ihr fest gegründet seid im Herrn‘. Mit diesem Satz bringt Paulus die Relation zwischen ihm, den Glaubenden in Thessalonich und dem j}qior auf den Punkt. Auch sein eigenes Leben hängt von dem Glauben der von ihm gegründeten Gemeinden ab. Der gemeinsame und bleibende Bezug auf den j}qior im Glauben ist für das Leben der Glaubenden dabei entscheidend. Und wieder ist, wie bereits im Proömium (1,2–10) und in dem Dank für die Aufnahme des Evangeliums (2,13–16), die Reaktion des Paulus bestimmt eben durch diesen Dank (V.9). Und auch wenn Paulus aufgrund der guten Nachrichten des Timotheus und der durch diese provozierten Freude Gott danken kann, so bleibt er doch unermüdlich (mujt¹r ja· Bl]qar) um die weitere Stärkung des Glaubens seiner Adressaten besorgt und an einem Besuch sehnsüchtig interessiert (V.10). Und in diesem Bemühen 38 Die Ausdrücke lgj]ti st]comter und lgj]ti st]cym in V.1 und in V.5 rahmen den kurzen Abschnitt über die Sendung des Timotheus nach Thessalonich. Paulus betont auf diese Weise seinen eindringlichen Wunsch, sein dringendes Bedürfnis, der Gemeinde in ihrer schwierigen Lage zu helfen.

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weiß sich Paulus in der Abhängigkeit von Gott, dem Vater, und dem Herrn Jesus Christus, die alleine ihm den Weg zur Gemeinde in Thessalonich ebnen können, weshalb er darum bittet (V.11) und auch um die gegenseitige Liebe innerhalb der Gemeinde (V.12), damit die Glaubenden in Thessalonich existentiell gestärkt werden (eQr t¹ stgq¸nai rl_m t±r jaqd¸ar) und so untadelig leben können in Heiligkeit (1m "ciys}m,) vor unserem Gott und Vater, 1m t0 paqous¸ô toO juq¸ou Bl_m YgsoO let± p²mtym t_m "c¸ym aqtoO, ,bei der Parusie unseres Herrn Jesus mit allen seinen Heiligen‘ (V.13). In dieser den Abschnitt abschließenden Fürbitte wird das heilvolle Beziehungsgeflecht zwischen den Glaubenden und Gott, dem Vater, und unserem Herrn Jesus noch einmal aufgerufen und in die Erwartung der Parusie eingezeichnet. Das Leben der Glaubenden vollzieht sich freilich bereits in ihrer Gegenwart vor Gott, dem Vater, 1m "ciys}m,, ,in Heiligkeit‘.39 In diesem Bewusstsein ist ihr Leben auf die Parusie des j}qior YgsoOr ausgerichtet. Das Leben der Glaubenden vollzieht sich als eine eschatologische Existenz.40 Dass sich das Leben der Glaubenden nur als eine bereits jetzt in der Gottesgegenwart sich gestaltende und zugleich als eine auf die erwartete Parusie des j}qior YgsoOr ausgerichtete eschatologische Existenz erweist, bestimmt bereits den gesamten ersten Teil des Briefkorpus in 2,1–3,13. Diese Einsicht verbindet die beiden Hauptteile des Ersten Thessalonicherbriefes.41

2.2. Das Leben der Glaubenden mit Blick auf Gottes Heilshandeln und die Parusie Christi (4,1–5,22) 2.2.1. Das Leben in der Heiligung (4,1–12) In der hier eingefügten Paränese spricht Paulus seine Adressaten auf die Gestaltung ihrer gegenwärtigen Lebenswirklichkeit an. Er greift das Motiv der in 3,13 geforderten "ciys}mg mehrfach auf und entfaltet ihre Konkretionen im 39 Es gibt keinen hinreichenden Grund, den Ausdruck in V.13 5lpqoshem toO heoO ja· patq|r Bl_m, ,vor unserem Gott und Vater‘ auf das Endgericht zu beziehen. Vielmehr ist die bereits gegenwärtige Gottesgemeinschaft gemeint, die der Heiligkeit der Glaubenden bedarf, die dann aber auch eine heilvolle Gemeinschaft ist (mit Schreiber, Thessalonicher, 198). 40 Es ist wohl etwas zu schwach, wenn Klauck, Briefliteratur, 277, von einer nur „unterschwellige[n] eschatologische[n] Thematik und deren Zuspitzung auf die Parusie hin im ersten Hauptteil“ spricht. Gerade die Wahrnehmung des Lebens der Glaubenden als eschatologische und damit auf die Parusie des j}qior YgsoOr ausgerichtete Existenz begründet den Trost für die Gemeinde und des Paulus ebenso wie die Dankbarkeit des Paulus für den Glauben der Gemeinde. Insofern ist die eschatologische Perspektive bereits im ersten Hauptteil des Briefes wesentlich und nicht nur unterschwellig. 41 Die abschließenden gebetsartigen Formulierungen in 3,11–13 legen es nahe, damit einen Briefabschnitt abgeschlossen zu sehen, auch wenn das Motiv der Heiligkeit in der in 4,1–12 folgenden Paränese aufgegriffen wird, womit der folgende Briefteil vorbereitet wird (vgl. Klauck, Briefliteratur, 277).

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Leben der Glaubenden.42 Zunächst bittet und ermahnt er seine Adressaten 1m juq¸\ YgsoO, ,im Herrn Jesus‘, ihr Leben so, wie sie von ihm und seinen Begleitern unterrichtet worden sind, auch Gott wohlgefällig zu führen (V.1). Dieser Einstieg in die Paränese lässt erkennen, dass die konkrete Lebensführung auch ein Teil der Evangeliumsverkündigung des Paulus und seiner Begleiter war, sie lässt sich eben nicht als ein Anderes oder gar dem Evangelium gegenüber Gleichgültiges innerhalb der eschatologischen Existenz der Glaubenden wahrnehmen. Auch diese konkreten Unterweisungen hat Paulus der Gemeinde im Auftrag des j}qior YgsoOr gegeben (V.2). Dann aber legt es sich auch nahe, dass Paulus davon ausgeht, dass seine Hinweise zur Lebensführung der glaubenden Existenz ebenso wirksam gewesen sind wie der mit der Evangeliumsverkündigung verbundene Ruf zum Glauben, der ja, wie der gesamte Brief bis zu dieser Stelle immer wieder hervorhebt, auch tatsächlich den Glauben der Adressaten hervorgerufen hat. Und so unterbricht Paulus gleich am Anfang seine Paränese und notiert: jah½r ja· peqipate?te, ,wie ihr ja schon euer Leben führt‘.43 Die Integrität und die Heiligkeit des vor Gott geführten Lebens umfassen alle Bereiche der Existenz der Glaubenden. Exemplarisch ruft Paulus zunächst den Bereich der Sexualität auf, in dem sich die Glaubenden 1m "ciasl` ja· til0, ,durch Heiligung und Würde‘, von ihrer paganen Umwelt unterscheiden sollen (V.3–5). Auch der geschäftliche Umgang mit den Brüdern soll so gestaltet werden, dass keiner den anderen übervorteilt (V.6).44 Und ganz wesentlich ist, dass Paulus daran erinnert, dass sie doch von Gott selbst mit dem pmeOla aqtoO t¹ ûciom, ,mit seinem Heiligen Geist‘, begabt worden sind (V.8). So wirkt Gott selbst mit dem Geist die Heiligung in den Glaubenden. Zuletzt erinnert Paulus die Gemeinde an die gegenseitige Liebe (V.9–12). Unter den Glaubenden soll vikadekv_a, ,Bruderliebe‘, herrschen (V.9). Und zweimal hebt Paulus hervor, dass diese gegenseitige Liebe offensichtlich in der Gemeinde bereits vorhanden ist. In V.9 verwendet er die rhetorische Figur der praeteritio: oq wqe¸am 5wete cq²veim rl?m, ,ihr bedürft gar nicht, dass ich euch in dieser Angelegenheit schreibe‘. Er begründet dies hier damit, dass die Adressaten doch von Gott selbst unterrichtet worden sind (rle?r heod¸dajto¸ 1ste), womit er in der Sache auf die zuvor erwähnte Gabe des Heiligen Geistes Gottes noch einmal anspielt. In V.10 betont Paulus, dass die Adressaten die 42 In V.3 f.7 erscheint der Ausdruck "ciasl|r, ,Heiligung‘. 43 Die Wirksamkeit der ethischen Hinweise, die zur Evangeliumsverkündigung hinzugehören, ist für die paulinische Ethik in ihrer entfalteten Gestalt wesentlich (vgl. dazu Landmesser, Performativ). 44 Die Erwähnung der Brüder, die nicht übervorteilt werden sollen, bedeutet sicher keine Einschränkung dieser geforderten Verhaltensweise in geschäftlichen Dingen auf die Gemeinde, sollen doch die Adressaten des Briefes ganz grundsätzlich ihr Leben so gestalten, dass es Gott wohlgefällig ist (vgl. auch V.12; mit Reinmuth, Thessalonicher, 139). – Dass Gott der Richter über entsprechendes Fehlverhalten sein wird (diºti 5jdijor j¼qior peq· p²mtym to¼tym, V.6), spielt auch in diesem paränetischen Kontext die eschatologische Perspektive ein.

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Liebe auch eQr p²mtar to»r !dekvo»r to»r 1m fk, t0 Lajedom¸ô, also nicht nur innerhalb der eigenen Gemeinde, sondern auch gegenüber allen Brüdern in ganz Makedonien ausüben. Auch die Paränese transzendiert die Grenzen der eigenen Gemeinde und bekommt wieder die Ökumene der Glaubenden insgesamt in den Blick, ein für den Brief bedeutsames Motiv. Und zuletzt hebt Paulus in V.12 ausdrücklich hervor, dass ein dem Glauben angemessenes Leben auch gegenüber den Menschen außerhalb der Gemeinde erforderlich ist. 2.2.2. Die Auferstehung der Toten bei der Parusie (4,13–18)45 Bereits in 1,10 hat Paulus seinen Blick und den seiner Adressaten auf die erwartete Parusie des Gottessohnes vom Himmel her und die damit verbundene Errettung vor dem kommenden Zorngericht gelenkt. Die Glaubenden in Thessalonich gingen wohl zunächst davon aus, dass dieses im Brief immer wieder erinnerte Ereignis noch in ihrer eigenen Lebenszeit eintreten werde. Es war dann aber für sie eine dramatische Erfahrung, dass Menschen aus ihrer Mitte verstarben, bevor sich die Parusie ereignete.46 Diese Möglichkeit spielte in der ursprünglichen Missionspredigt des Paulus wohl keine Rolle.47 Paulus ging zu jener Zeit auch selbst davon aus, die Parusie des j}qior YgsoOr noch zu erleben.48 Die Befürchtung innerhalb der Gemeinde in Thessalonich war es offensichtlich, dass für die Verstorbenen die Gottes- und Christusgemeinschaft nicht mehr möglich sei.49 Das ist ein fatales Missverständnis. Der die 45 Vgl. zu 1Thess 4,13–18 meine ausführlicheren Hinweise in C. Landmesser, Die Entwicklung der paulinischen Theologie und die Frage nach der Eschatologie, in: H.-J. Eckstein/C. Landmesser/ H. Lichtenberger (Hg.), unter Mitarbeit von J. Adam und M. Bauspieß, Eschatologie – Eschatology. The Sixth Durham-Tübingen Research Symposium: Eschatology in Old Testament, Ancient Judaism and Early Christianity (Tübingen, September 2009), WUNT 272, Tübingen 2011, 173–194, 176–181. 46 Der Briefabschnitt 1Thess 4,13–18 kann durchaus als ein Beleg für die bei Glaubenden in frühchristlicher Zeit präsente Naherwartung gelesen werden (so K. Erlemann, Naherwartung und Parusieverzögerung im Neuen Testament. Ein Beitrag zur Frage religiöser Zeiterfahrung, TANZ 17, Tübingen/Basel 1995, 193). 47 Vgl. etwa Klauck, Briefliteratur, 278 f, der davon spricht, dass Paulus in seiner „Erstverkündigung“ in dieser Angelegenheit „nicht so eindeutig“ gewesen sei, dass die damit verbundenen Fragen zweifelsfrei geklärt gewesen wären. Und Schnelle, Einleitung, 71, geht davon aus, dass den Glaubenden in Thessalonich „die Vorstellung einer Auferstehung der Toten wahrscheinlich unbekannt war“. Wie die Diskussion bei Luckensmeyer, Eschatology, 173–273, zeigt, ist die Frage nach dem Hintergrund des Problems in 1Thess 4,13–18 sehr komplex und vielleicht auch nicht mehr vollständig zu klären. 48 Dafür spricht auch V.15 und ähnlich V.17, wenn Paulus in der Schilderung des Ablaufs der Parusie des j}qior von sich und seinen Adressaten in der 1. Person Plural redet und sich mit ihnen als Lebende und Übriggebliebene bezeichnet: Ble?r oR f_mter oR peqikeipºlemoi eQr tµm paqous¸am toO juq¸ou (V.15). 49 Richtig scheint mir die Feststellung von Ulrich Luz zu sein: „Offenbar war für die Gemeinde das Erleben der Parusie Bedingung für die Teilnahme am Heil“ (U. Luz, Das Geschichtsverständnis des Paulus, BEvTh 49, München 1968, 320). Seine Lösung für die im Hintergrund stehende

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Glaubenden irritierende Tod anderer Gemeindeglieder nötigt Paulus zur ausdrücklichen Stellungnahme. Die Zukunftshoffnung der Adressaten ist existentiell bedroht (V.13). Und genau an dieser Stelle spielt Paulus die Hoffnung auf die Auferstehung aller Glaubenden ein. Er begründet dies mit der schon in 1,10 erwähnten Auferstehung Jesu, die ja die Voraussetzung der Erwartung der Parusie ist. So notiert Paulus in 4,14: eQ c±q piste¼olem fti YgsoOr !p´hamem ja· !m´stg, ovtyr ja· b he¹r to»r joilgh´mtar di± toO YgsoO %nei s»m aqt`, ,[d]enn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott auch die Entschlafenen durch Jesus mit sich führen‘. Aus diesem Satz spricht das basale Vertrauen Gott gegenüber, der das Heil für die Glaubenden will und auch schafft. Und zur Vergewisserung hebt Paulus hervor, dass er dies sage aufgrund eines Wortes des Herrn (k]colem 1m k|c\ juq_ou) (V.15). Denn die Erinnerung an die in der Zukunft liegende Parusie des j}qior YgsoOr dient der Vergewisserung der Glaubenden in ihrer Gegenwart.50 Mit apokalyptisch gefärbten Bildern beschreibt Paulus das erwartete Geschehen der Parusie des j}qior YgsoOr und legt seinen Adressaten so die Vorstellung nahe, dass der j}qior bei seiner Parusie zuerst die Toten auferwecken wird, um dann uns, die wir noch leben, gemeinsam mit ihnen in seine Gemeinschaft aufzunehmen (V.16 f). ja· ovtyr p²mtote s»m juq¸\ 1sºleha, ,und so werden wir allezeit beim Herrn sein‘ (V.17b). Das ist das Ziel des Lebens aller Glaubenden. Und diese Erwartung für die Lebenden und für die bereits Verstorbenen malt Paulus seinen Adressaten vor Augen und fordert sie abschließend auf (V.18): ¦ste paqajake?te !kk¶kour 1m to?r kºcoir to¼toir, ,deshalb tröstet euch untereinander mit diesen Worten‘. So tröstet Paulus selbst mit seiner ernsthaften Wahrnehmung der Sorgen in Thessalonich aufgrund des Todes von Gemeindegliedern (V.13) über die Erinnerung der Auferstehung des j}qior YgsoOr und der Erwartung, dass alle Glaubenden in die Christusgemeinschaft aufgenommen werden (V.14–17), bis hin zu der Aufforderung zum genau darin und in dem damit verbundenen Gotteshandeln gründenden gegenseitigen Trost. Damit setzt er als abwesender Verfasser des Briefes noch einen wichtigen Akzent. Die Glaubenden in Thessalonich werden von ihm auf ihre Selbständigkeit verwiesen, die freilich im bereits geschehenen und noch erwarteten Heilshandeln Gottes und des j}qior YgsoOr begründet ist.

Frage, „daß die Thessalonicher nicht systematisch-apokalyptisch dachten“ (aaO., 321; im Original kursiv), legt der Text freilich nicht nahe. 50 Luckensmeyer betont durchaus mit Recht die Ermutigung als die entscheidende Pragmatik dieses Briefabschnitts (Luckensmeyer, Eschatology, 233–236). Der Erste Thessalonicherbrief ist kein ausführlicher Traktat über die Parusie Christi, zu der noch wesentlich mehr zu sagen wäre, als Paulus hier notiert. Mit der richtigen Wahrnehmung, dass Paulus die Gemeinde in Thessalonich mit seinen Hinweisen zur Parusie Christi tröstet, wie dies Malherbe betont (Malherbe, Thessalonians, 279–286), muss freilich nicht auch seine religionsgeschichtliche Herleitung der Motive in 1Thess 4,13–18 übernommen werden.

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2.2.3. Das Leben der Glaubenden im Vorzeichen der Parusie (5,1–11) Die Glaubenden wissen nicht, wann sich die Parusie des j}qior YgsoOr ereignen wird (V.1). Mit dieser wieder in der Form einer praeteritio getroffenen Feststellung erinnert Paulus nochmals an ein Wissen seiner Adressaten, das er ausdrücklich aufruft: aqto· c±q !jqib_r oUdate fti Bl´qa juq¸ou ¢r jk´ptgr 1m mujt· ovtyr 5qwetai, ,ihr wisst ja selbst ganz genau, dass der Tag des Herrn wie ein Dieb in der Nacht kommen wird‘ (V.2). Wenn aber der Zeitpunkt der Parusie des j}qior YgsoOr nicht vorhersehbar ist, dann ist die verbleibende Lebenszeit der Glaubenden insofern relevant, als sie verantwortungsvoll gestaltet werden muss. Wie bereits in 4,1–12 fordert Paulus seine Adressaten zu einem ihrem Glauben angemessenen Leben auf. Der besondere Akzent in diesem Briefabschnitt ist der Hinweis auf die angesichts der erwarteten Parusie des j}qior YgsoOr geforderte Wachheit der Adressaten. Ihr ganzes Leben soll andauernd auf diese Parusie ausgerichtet sein. Und abschließend begründet Paulus in V.9 f diese Forderung noch einmal mit dem Heilshandeln Gottes, der die Glaubenden gerade nicht zum Gericht bestimmt hat, sondern ihnen durch den Herrn Jesus Christus das Heil zugänglich macht. Dieses Heilshandeln ist verbunden mit dem Tod des Herrn Jesus Christus für die Glaubenden, damit sie letztlich in der Christusgemeinschaft leben werden. Noch einmal greift Paulus die im vorigen Briefabschnitt verhandelte Frage auf, wenn er in V.9 f feststellt, dass wir die sytgq_a erlangen durch den für uns gestorbenen Herrn Jesus Christus, Vma eUte cqgcoq_lem eUte jahe¼dylem ûla s»m aqt` f¶sylem, ,damit wir, ob wir wach sind oder ob wir schlafen, zusammen mit ihm leben werden‘. Wachen und Schlafen sind hier bildlich eingesetzt für die Lebenden und die Verstorbenen.51 Das ist die Basis des Trostes und letztlich aller Ermutigungen, die Paulus mit seinem Brief erreichen möchte.52 51 Die in 5,6 von Paulus eingesetzte ethische Metaphorik von cqgcoqe?m und jahe¼deim ist in V.10 nicht gemeint. Paulus zielt auf alle Glaubenden, ob sie leben oder ob sie verstorben sind, die aber dennoch alle gemeinsam die eschatologische und heilvolle Christusgemeinschaft erlangen (vgl. M. Konradt, Gericht und Gemeinde. Eine Studie zur Bedeutung und Funktion von Gerichtsaussagen im Rahmen der paulinischen Ekklesiologie und Ethik im 1Thess und 1Kor, BZNW 117, Berlin/New York 2003, 178 f; vgl. auch G.D. Fee, The First and Second Letters to the Thessalonians, NICNT, Grand Rapids, Michigan/Cambridge 2009, 198). Würde für 5,10 die mit 5,6 identische ethische Metaphorik angenommen, dann müsste dies ausführlich begründet und die Ethik bei Paulus entsprechend interpretiert werden (vgl. dazu meine Hinweise in Landmesser, Konzept des Heils, 94 mit Anm. 55). 52 Entscheidend für den Trost wie für die Paränesen innerhalb des 1Thess ist diese Basis des Glaubens, die nach 1,10 und 5,9 f in der Erwartung des für die Glaubenden gestorbenen und von Gott auferweckten Sohnes Gottes und Herrn Jesus Christus ist. Dieser Zusammenhang wird ohne Grund aufgelöst, wenn Schnelle den Imperativ der Paränesen „nicht aus dem vergangenheitlichen Christusgeschehen, sondern aus der unmittelbar bevorstehenden Parusie“ sich ergeben sieht (U. Schnelle, Die Ethik des 1 Thessalonicherbriefes, in: R.F. Collins [Hg.], The

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Mit den beiden Versen in 5,9 f schafft Paulus eine große Inklusion zu 1,10. Genau das ist das Ziel der Glaubenden: das Leben in der Christusgemeinschaft. Und ganz parallel zum vorangegangenen Abschnitt 4,13–18 schließt Paulus hier in 5,11 mit der Aufforderung ab, dass sich die Adressaten gegenseitig trösten und aufbauen sollen. Und wieder notiert er, mit seinem Hinweis in 4,1 vergleichbar : jah½r ja· poie?te, ,wie ihr es ja tut‘. 2.2.4. Die Schlussparänese (5,12–22) Mit der abschließenden Paränese rundet Paulus das Briefkorpus ab.53 Eindringlich fordert er seine Adressaten auf (1qyt_lem d³ rl÷r, !dekvo¸), diejenigen besonders zu achten, die sich für die Gemeinde einsetzen (V.12 f). Er wünscht sich Frieden in der Gemeinde (eQqgme¼ete 1m 2auto?r, V.13b). Und ganz parallel ermahnt er seine Adressaten (paqajakoOlem d³ rl÷r, !dekvo¸) in V.14 dazu, diejenigen in die Schranken zu weisen, die nicht dem Glauben entsprechend leben, die Schwachen zu stützen und gegenüber allen geduldig zu sein. Es folgen in V.15–22 weitere grammatische Imperative, mit denen Paulus das von der Gemeinde erwartete Leben als Glaubende beschreibt.

3. Die theologischen Grundgedanken des Ersten Thessalonicherbriefes Die Gliederung des Ersten Thessalonicherbriefes erschließt eine erste Orientierung über dessen Sinn, also über seine theologischen Grundgedanken ebenso wie über seine Pragmatik. Die theologischen Grundgedanken des Briefes sind eingebettet in eine implizite und an manchen Stellen ausdrückliche Erzählung der Geschichte des Absenders des Briefes, also des Paulus und seiner Begleiter, mit den Adressaten in Thessalonich. Mit dem Brief an die Gemeinde in Thessalonich will Paulus seine Adressaten in ihrem gegenwärtigen Leben als Glaubende stabilisieren und ihres Glaubens vergewissern. Auf dieses pragmatische Ziel sind seine theologischen Gedanken durchgängig ausgerichtet.54 Die Basis dieser Vergewisserung und auch des Trostes ist das Thessalonian Correspondence, BEThL 87, Leuven 1990, 295–305, 301 f; vgl. auch ders., Theologie des Neuen Testaments, UTB 2917, Göttingen 32016, 311). Der bei der Parusie von den Glaubenden Erwartete ist immer auch der für sie Gestorbene und Auferweckte, der die Glaubenden gerade als solcher von dem kommenden Zorngericht erlösen wird. 53 Mit dieser Schlussparänese greift Paulus Redeweise und Inhalte aus der Paränese in 4,1–11 auf (vgl. J. Lambrecht, A Structural Analysis of 1 Thessalonians 4–5, in: K.P. Donfried/J. Beutler [Hg.], The Thessalonians Debate. Methodological Discord or Methodological Synthesis?, Grand Rapids, Michigan/Cambridge 2000, 163–178, 166 f). 54 Der Einstieg in die Darstellung der Theologischen Grundgedanken in Udo Schnelles Einleitung

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Heilshandeln Gottes, das als sein letztes Ziel die eschatologische Realisierung der Gottes- und Christusgemeinschaft aller Glaubenden hat. Die Glaubenden in Thessalonich stehen von Beginn des Briefes bis zu seinem Ende im Zentrum der Überlegungen des Paulus. Der Brief ist ein feines Dokument für die bleibende Beziehung des Paulus und seiner Begleiter zu der von ihnen gegründeten Gemeinde. Die Relation zwischen den Verkündigern des Evangeliums und der Gemeinde darf und wird auch nicht abbrechen, denn sie ist zugleich tief gegründet in dem für die Glaubenden wesentlichen Bezug auf Gott und auf Christus, und zudem sind in diese komplexe Relation auch die Glaubenden anderer Gemeinden einbezogen. Gott und der Herr Jesus Christus sind die Subjekte des Heilshandelns. Das gilt für den heilbringenden Tod Jesu und seine Auferweckung ebenso wie für die Erwartung, dass er die Glaubenden aus dem kommenden Zorngericht erretten wird. Die ekklesiologische Dimension des Briefes hat als ihre Basis dieses Heilshandeln Gottes im Christusgeschehen (1,10; 5,9 f) und die Erwählung der Glaubenden durch Gott selbst (1,4; 2,12; 4,7; 5,9.24).55 In diesem Brief entsteht eine narrative und argumentative Dynamik durch die erhoffte, aber mehrfach als bedroht wahrgenommene Gottes- und Christusgemeinschaft der Glaubenden, die auch eine Gemeinschaft aller Glaubenden untereinander bedeutet.56 Die Bedrohung ist durch äußere Angriffe ebenso bedingt wie durch die möglicherweise dem Glauben nicht angemessene Lebensweise der Adressaten. Paulus hat aber vielfachen Grund, den Glauben seiner Adressaten hervorzuheben und für diesen dankbar zu sein. In der Situation der Bedrohung von außen weiß er zu trösten und den Glauben seiner Adressaten zu stärken. Und angesichts von Konkretionen des Glaubens, die nicht einem Leben in der Christusgemeinschaft entsprechen und den Glauben gefährden könnten, versteht Paulus es auch, mit Paränesen die Thessalonicher eines dem Glauben angemessenen Lebens und der bleibenden Erwartung auf die erfüllte Gottes- und Christusgemeinschaft aller Glaubenden in der Zukunft zu vergewissern. Die Liebe ist der Maßstab des Lebens der in das Neue Testament ist insofern bemerkenswert, als er zunächst einen „Negativbefund“ feststellt und Motive wie s\qn, s_la, "laqt_a, 1keuheq_a, fy^, stauq|r und m|lor notiert, die für andere Paulusbriefe wesentlich sind, aber im 1Thess nicht als theologisch tragende Begriffe erwähnt werden (Schnelle, Einleitung, 70 f). Das ist aus der Perspektive gegenwärtiger Forschung völlig legitim. Ein solches Vorgehen birgt freilich die Gefahr, den eigenen theologischen Akzent des vorliegenden Briefes zu sehr aus der Perspektive anderer Texte zu lesen. Das theologische Profil des 1Thess lässt sich vielmehr eigenständig darstellen, wie es Schnelle dann auch in den folgenden Abschnitten völlig angemessen entfaltet (aaO., 71–73). 55 Auf den Gedanken der Erwählung der Glaubenden durch Gott weist mit Recht auch Schnelle in seinen Theologischen Grundgedanken besonders hin (Schnelle, Einleitung, 71). 56 Diese gegenseitige Verwiesenheit aller Glaubenden aufeinander auf der Grundlage des Heilsgeschehens im Anschluss an den 1Thess stellt pointiert dar O. Merk, Miteinander. Zur Sorge um den Menschen im Ersten Thessalonicherbrief, in: ders., Wissenschaftsgeschichte und Exegese. Gesammelte Aufsätze zum 65. Geburtstag, hg. v. R. Gebauer/M. Karrer/M. Meiser, BZNW 95, Berlin/New York 1998, 374–382.

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Glaubenden in diesem eschatologischen Horizont. Die erhoffte Christusgemeinschaft scheint durch den Tod für einige Glaubende unmöglich geworden zu sein. Der futurisch-eschatologische Ausblick, den Paulus insbesondere in 4,13–18 und 5,1–11 öffnet, den er aber auch in 1,10; 5,9 f und ebenso in 2,19 f und 3,13 einspielt, schafft die Perspektive auf diese letztlich nicht mehr bedrohte Gottes- und Christusgemeinschaft für die Glaubenden und damit auf die Erfüllung ihres Glaubens selbst.

Gliederung des 1Thessalonicherbriefes 1,1

Präskript

1,2–10

Proömium Danksagung für den Glauben der Adressaten (Vergangenheit und Gegenwart)

Absender, Adressaten und der Raum des Heils Briefeingang 1,1–10

2,1–5,22 Die christliche Existenz in der Gegenwart und mit Blick auf Briefkorpus die Zukunft 2,1–5,22 2,1–3,13 Die Gemeinde und ihr Apostel – eine bleibende Beziehung 2,1–12

Die Apologie des Paulus als briefliche Selbstempfehlung

2,13–16

Der Dank für die Annahme des Evangeliums

2,17–20

Der Wunsch des Paulus, die Gemeinde wiederzusehen

3,1–5

Die Sendung des Timotheus

3,6–13

Die Rückkehr des Timotheus mit guter Nachricht über den Glauben der Gemeinde

4,1–5,11 Das Leben der Glaubenden mit Blick auf Gottes Heilshandeln und die Parusie Christi 4,1–12

Das Leben in der Heiligung

4,13–18

Die Auferstehung der Toten bei der Parusie

5,1–11

Das Leben der Glaubenden im Vorzeichen der Parusie

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Christof Landmesser

5,12–22 Schlussparänese 5,23f

Epilog

Empfehlung der Gemeinde an die Treue Gottes Briefschluss (Zukunft) 5,23–28

5,25–28 Postskript 5,25

Bitte um Fürbitte

5,26

Grüße

5,27

Bitte um Verlesung des Briefes

5,28

Segenswunsch

Manuel Vogel

Versöhnung und Streit Notizen zur Literarkritik des 2. Korintherbriefes in der neueren Forschung

In den Paulusbriefen spielt Literarkritik gegenwärtig kaum mehr eine Rolle – außer im 2. Korintherbrief, wo sich die Forschung an der Frage der literarischen Einheitlichkeit geradezu festgebissen hat.1 Udo Schnelle gehört zur Minderheit derjenigen Forscher, die den kanonischen 2. Korintherbrief für einen literarisch gänzlich oder jedenfalls weitestgehend einheitlichen Text halten. In seiner Einleitung in das Neue Testament hat er die Hauptprobleme referiert und diskutiert und sich für „die Einheit des 2Kor unter der Voraussetzung einer zwischen 2Kor 1–9 und 2Kor 10–13 veränderten Gemeindesituation“2 ausgesprochen. Davon ausgenommen ist lediglich das Stück 6,14–7,1. Dass es sich hierbei um einen nachpaulinischen Einschub judenchristlicher Herkunft handeln könnte, nennt Schnelle eine „begründete Vermutung“. Unter den Gründen, die nach Schnelle ansonsten für die Einheitlichkeit des Briefes sprechen, möchte ich herausgreifen, dass im Falle einer Briefkompilation „das Wegfallen zahlreicher Prä- und Postskripte erklärt werden“ müsste: „Da die Reisepläne des Apostels nachweislich eine wesentliche Rolle innerhalb der Auseinandersetzungen gespielt haben (2Kor 1,17) und das Verhältnis zwischen Paulus und den Korinthern nicht unwesentlich von Stimmungen geprägt war, kommt den Präskripten, Proömien und Postskripten eine zentrale Bedeutung zu. Hier platziert der Apostel wichtige Informationen (Reisepläne, Anordnungen) und beeinflusst vor allem mit seinen Danksagungen und Grüßen das Verhältnis zur Gemeinde. Es muss deshalb als historisch und theologisch unwahrscheinlich angesehen werden, dass solche wichtigen Texte einfach ,wegfielen‘.“ (98)

Dies möchte ich noch unterstreichen, denn wie sorgfältig Paulus die Anfangsund Schlussgrüße seiner Briefe zu gestalten pflegte, zeigt namentlich der 2Kor in seiner kanonischen Textgestalt: Die Adressaten werden im Präskript als „Gemeinde Gottes, die in Korinth ist“ (2Kor 1,2) angesprochen, nicht aber, wie 1 Ähnlich T. Schmeller, Der zweite Brief an die Korinther, Bd. 1, EKK VIII/1, Neukirchen-Vluyn/ Ostfildern 2010, 20: „Während die Exegese des vorigen Jahrhunderts literarkritisch sehr produktiv war und eine unglaubliche Fülle raffinierter Teilungstheorien hervorgebracht hat, wird heute bei den meisten Paulusbriefen eher mit Einheitlichkeit gerechnet. Eine Ausnahme ist der 2Kor. Hier tendiert der exegetische Mainstream nach wie vor zur Annahme einer Briefkompilation.“ 2 U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 72011, 104.

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Manuel Vogel

noch in 1Kor, als „berufene Heilige“. Dass die Adressaten „berufen“ sind, verlautet gar nicht, und als „Heilige“ werden nicht speziell die Gläubigen in Korinth, sondern die übrigen Christusanhänger in Achaja angesprochen. Diese Nuancen können auf eine gewisse Reserviertheit des Absenders gegenüber seinen Adressaten hindeuten, die dem bei Abfassung des 2Kor noch nicht in Gänze ausgestandenen Konflikt mit der Gemeinde geschuldet sind.3 Für die weggeschnittenen Anfangs- und Schlussgrüße mutmaßlich ursprünglich selbstständiger Briefe müsste man annehmen, dass sie ebenso ein wichtiger Teil des brieflichen Kommunikationsprozesses waren, dass sie vom Kompilator aber dennoch als entbehrlich angesehen und entfernt wurden. Die Beobachtung zu 1Kor 1,2 setzt ein Fragezeichen namentlich hinter diejenigen Briefteilungshypothesen, die das Präskript des kanonischen 2Kor zum ursprünglich selbstständigen „Versöhnungsbrief“ rechnen. Dies gilt auch für die nicht wenigen anderen Stellen in 2Kor 1–7, die den Konflikt zwischen Paulus und den Korinthern deutlich vernehmen lassen. Es kommt nicht von ungefähr, dass, wie Schnelle notiert, Rudolf Bultmann 2Kor 2,14–7,4 zusammen mit den Kapiteln 10–13 zum „Tränenbrief“ rechnete,4 Hans Josef Klauck und Lars Aejmelaeus dagegen in 2Kor 1–9 den „Versöhnungsbrief“ sehen5. Augenscheinlich fand Bultmann in 2Kor 2,17–7,4 genügend Anzeichen für einen akuten Konflikt, andere dagegen lasen und lesen diese Kapitel als Dokument seiner Beilegung. Streit und Versöhnung (bzw. Versöhnung und Streit, wie im Titel des vorliegenden Aufsatzes) lassen sich nicht in der Weise trennen, wie die gängigen Briefteilungshypothesen, die den kanonischen 2Kor auf einen „Tränenbrief“ und einen „Versöhnungsbrief“ aufteilen, dies voraussetzen. Von hier aus kann man sich in zwei entgegengesetzte Richtungen bewegen: Entweder man liest 2Kor als einen rhetorisch komplexen, literarisch einheitlichen Text, der die Bearbeitung eines Konflikts und den Versuch seiner Beilegung textuell vielfältig in einander verschränkt, oder man arbeitet die Zweiteilung „Tränenbrief – Versöhnungsbrief“ zu einer Teilungshypothese aus, die mit mehreren ursprünglich eigenständigen Briefteilen rechnet. Mit dem Artikel „Korintherbriefe“ von Margaret Mitchell in der 4. Auflage der RGG (und in der englischen Übersetzung dieser Auflage) hat sich eine Maximalvariante der gegenwärtig diskutierten Teilungshypothesen längerfristig einen wirkungs3 Ähnlich C. Wolff, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther, ThHK 8, Berlin 1989, 17: „Im Unterschied zu 1. Kor 1,2 fehlen weitere positive Charakteristika. Das deutet darauf hin, dass die Beziehungen des Apostels zur Gemeinde nicht ungetrübt sind“. Schmeller, Der zweite Brief an die Korinther, Bd. 1, 54, sieht in der Nennung Achajas „[e]in Moment der Mahnung oder Warnung“, wenngleich man dasselbe „nicht überfrachten sollte: Die Gemeinde wird daran erinnert, dass sie Teil eines größeren Ganzen ist und auf diese Gemeinschaft angewiesen bleibt“. 4 In der Diktion Bultmanns der „Zwischenbrief“; vgl. R. Bultmann, Exegetische Probleme des zweiten Korintherbriefes, in: ders., Exegetica, Tübingen 1967, 298–322, 307 Anm. 17: „Nach meiner Überzeugung gehören 2Kor 2,14–7,4 (außer 6,14–7,1) und c. 10 bis 13 zu einem Briefe zusammen, dem sog. Zwischenbrief […].“ (Kursive im Original), so bereits J. Weiss, Das Urchristentum, hg. v. R. Knopf, Göttingen 1917, 265. 5 Schnelle, Einleitung, 96 f.

Versöhnung und Streit. Literarkritik des 2. Kor in der neueren Forschung 89

trächtigen Platz gesichert.6 Mitchell teilt den kanonischen 2Kor in fünf ursprünglich eigenständige Briefe in chronologischer Folge: (1) 2Kor 8: Brief nach Korinth in den Belangen der Kollekte; (2) 2Kor 2,14–7,4: erste Apologie als Reaktion auf wachsendes Misstrauen der Gemeinde gegenüber Paulus im Nachgang zu 1Kor und den Kollektenaufrufen 1Kor 16,1–4 und 2Kor 8; (3) 2Kor 10–13: weitere Apologie, nachdem sich die Lage nach dem Brief 2,14–7,1 und einem Zwischenbesuch noch verschlimmert hat. (4) 2Kor 1,1–2,13; 7,5–16; 13,11–13: Dieser Brief setzt eine positive Wirkung des zuvor geschriebenen Briefes und erfolgreiche Vermittlungsbemühungen des Titus voraus. (5) 2Kor 9: In diesem Brief, der das Unternehmen der Kollekte neu aufgreift, blickt Paulus auf die Krise zurück. Schließt man sich dieser Briefteilungshypothese an, muss man annehmen, dass der Kompilator die Schlussgrüße von Brief (4), der das wiederhergestellte Einvernehmen mit der Gemeinde voraussetzt, an das Ende von Brief (3) gesetzt hat, der den Höhepunkt des Konflikts markiert. Zieht man in Betracht, dass die Anfangs- und Schlusspassagen ihren eigenen Anteil an der in den Paulusbriefen zu leistenden Beziehungsarbeit haben, muss dies als ein einigermaßen gewaltsames Vorgehen erscheinen. Dass die Schlussgrüße von Brief (3) denjenigen des Briefes (4) so ähnlich waren, dass ein Redaktor sie für austauschbar ansah, scheint mir schwerlich denkbar. Das Stück 2Kor 6,14–7,1 kommt im RGG-Artikel von Margaret Mitchell überhaupt nicht vor. Tatsächlich hat es dieser Passus am schwersten, sich in der Diskussion um die literarische Einheitlichkeit des 2Kor zu behaupten.7 Für Udo Schnelle ist seine nachpaulinische Herkunft, wie wir sahen, eine „begründete Vermutung“, und selbst Thomas Schmeller, der in seinem Kommentar von der literarischen Integrität des kanonischen 2Kor ausgeht, macht hier eine Einschränkung:8 Er sieht in 2Kor 6,14–7,1 zwar einen paulinischen Text aus dem 2Kor, der aber innerhalb des 2Kor durch einen Redaktor disloziert wurde. Lars Aejmelaeus findet für die von Jan Lambrecht und Reimund

6 M.M. Mitchell, Art. Korintherbriefe, in: RGG4 4, 2001, 1688–1694. 7 Die Spezialbibliographie zu 2Kor 6,14–7,1 bei Schmeller, Der zweite Brief an die Korinther 1, 366 f, verzeichnet knapp 50 Titel. Die ältere und neuere Forschungsgeschichte wird hilfreich dargestellt bei E. Nathan, Fragmented Theology in 2 Corinthians. The Unsolved Puzzle of 6:14–7:1, in: R. Bieringer/M.S. Ibita/D. Kurek-Chomycz/T.A. Vollmer (Hg.), Theologizing in the Corinthian Conflict. Studies in the Exegesis and Theology of 2 Corinthians, Biblical Tools and Studies 16, Leuven 2013, 211–228. 8 Vgl. hierzu den Exkurs bei Schmeller, Der zweite Brief an die Korinther 1, 378–382: Ursprünglich habe der Abschnitt 2Kor 6,14–7,1 nach 9,15 gestanden, wo er die Funktion hatte, die Gemeinschaft zwischen Paulus, den Korinthern und der Jerusalemer Urgemeinde durch die programmatische Abkehr von den „Ungläubigen“ zu betonen. Damit seien, so Schmeller, zwei schwierige Probleme auf einmal gelöst, weil (a) für 6,14–7,1 ein sinnvoller Platz im Briefganzen gefunden sei und das Stück (b) das missing link zwischen 9,15 und 10,1 bilde, einem im kanonischen Text notorisch schwierigen Übergang.

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Bieringer gesammelten Argumente, die für die Authentizität und literarische Integrität von 2Kor 6,14–7,1 sprechen,9 denn auch deutliche Worte: „Hier kann nur einer, der schon von vornherein dieselbe Grundüberzeugung von der Integrität wie Bieringer besitzt, sich durch ihn überzeugt fühlen. Sonst muss man feststellen, dass – trotz aufrichtiger Bemühungen seitens beider Forscher, alle möglichen Argumente für die Authentizität des ,Zwischenstücks‘ an seiner jetzigen Stelle zu sammeln – der Versuch als gescheitert betrachtet werden muss. Die Verbindung des ,Zwischenstücks‘ mit seinem Kontext ist einfach zu eigenartig, dass alle Plädoyers für die Authentizität nur mit einem Hauch von Verzweiflung gehalten werden können. Wenn man hier nicht die Erlaubnis hat, literarkritische Konsequenzen aus dem Zustand des Textes zu ziehen, darf man es nirgendwo. Dann sollte man die ganze Methode als Werkzeug zum Studium antiker Texte lieber vergessen. Das ,Zwischenstück‘ mit seinem Kontext ist ja in der Tat das Musterbeispiel für einen Text, dessen sekundärer Charakter an der jetzigen Stelle durch die Literarkritik bewiesen werden kann.“10

Entscheidet sich gar an 2Kor 6,14–7,1 das Schicksal der Literarkritik? Augenscheinlich hebt sich das Stück von seinem unmittelbaren textuellen Umfeld ab. Der unmittelbare Anschluss von wyq¶sate Bl÷r in 7,2 an pkat¼mhgte ja· rle?r in 6,13 ist gut vorstellbar. Ebenso gut ist aber vorstellbar, dass Paulus einen Gedanken unterbrochen und den Faden später wieder aufgenommen,11 oder aber, dass er ihn in 6,14 und 7,2 auf eine nicht unmittelbar erkennbare Weise fortgesetzt hat. Es ist nicht einzusehen, warum derlei „unerhört und literarisch unerträglich“12 sein und eine „Gedankenkonfusion“ darstellen soll, die „Paulus nicht zuzutrauen“ ist.13 Hier soll merklich das harte Urteil den harten literarkritischen Schnitt rechtfertigen. Unabhängig von möglicher Sachkritik am sektiererisch anmutenden Dualismus in 6,14–7,1 als Motivation zur literarkritischen Aussonderung des Stücks14 ist an dieser Stelle der Begriff der Textkohärenz anzusprechen. Ich beschränke mich auf die knappen aber 9 Aejmelaeus bezieht sich auf J. Lambrecht, The Fragment 2 Corinthians 6,14–7,1. A Plea for Its Authenticity, in: T.A. Baarda/F.J. Klijn/W.C. van Unnik (Hg.), Miscellanea Neotestamentica II, NT.S 48, Leiden 1978, 143–161, sowie auf R. Bieringer, 2 Korinther 6,14–7,1 im Kontext des 2. Korintherbriefes. Forschungsüberblick und Versuch eines eigenen Zugangs, in: ders./J. Lambrecht (Hg.), Studies on 2 Corinthians, BEThL 112, Leuven 1994, 551–570. 10 L. Aejmelaeus, Schwachheit als Waffe. Die Argumentation des Paulus im „Tränenbrief“, SESJ 78, Helsinki/Göttingen 2000, 20 f. 11 Ein Beispiel hierfür ist 2Kor 1,15–24. Auch hier ließe sich das Mittelstück 1,18–22 mühelos entfernen, um einen „glatten Anschluss“ von 1,23 an 1,17 zu erzeugen. Das „Mittelstück“ ist freilich theologisch gefälliger als dasjenige zwischen 6,13 und 7,2. 12 E. Grässer, Der zweite Brief an die Korinther, Bd. 1, ÖTK 8/1, Gütersloh/Würzburg 2002, 265, mit J. Weiß, Das Urchristentum, hg. u. erg. v. R. Knopf, Göttingen 1917, 265 (dort auf den von Weiß angenommenen redaktionellen Einschub zwischen 2,13 und 7,4 bezogen). 13 Grässer, Der zweite Brief an die Korinther 1, 265. 14 Vgl. hierzu G. Saß, Noch einmal: 2Kor 6,14–7,1. Literarkritische Waffen gegen einen „unpaulinischen“ Paulus?, in: ZNW 84, 1993, 36–64.

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gehaltvollen Überlegungen, die Thomas Schmeller in der Einleitung zu seinem Kommentar zum 2Kor angestellt hat. In Anknüpfung an die von Eve-Marie Becker in die ntl. Exegese eingeführte Unterscheidung von Kohärenz (inhaltlicher Zusammenhang eines Textes) und Kohäsion (lexikalischer, syntaktischer und semantischer Zusammenhang eines Textes)15 verweist Schmeller darauf, dass Kohärenz „auch von außertextlichen Faktoren ab[hängt], die sich auf die Wahrnehmungsbedingungen der Leserinnen und Lesern beziehen“,16 dass mithin ein Rezipient eine Sprachfolge als kohärent wahrnimmt, „wenn er nicht nur die in ihr enthaltenen kohäsiven Mittel sprachgrammatisch wahrnimmt, sondern die Sprachfolge kognitiv am Horizont seiner sprachlichen Welt als wie auch immer geartete Einheit adaptieren kann“.17 Kohäsion sei freilich, so Schmeller weiter, weder eine notwendige, noch eine hinreichende Bedingung für Kohärenz.18 Außerdem könne an antike Texte nicht ohne weiteres ein moderner Maßstab für Kohärenz angelegt werden, weil antike und moderne „sprachliche Welten“ nicht unbesehen gleichgesetzt werden können und weil „die antiken Leser an die Kohäsion eines Textes geringere Ansprüche stellten als moderne“.19 Für die Einheitlichkeit des 2Kor dürften deshalb keine zu engen Maßstäbe angelegt werden. Anstelle einer theoretischen Vertiefung dieser Fragen möchte ich auf die antiken Papyri hinweisen, die Peter Arzt-Grabner in seinem Papyrologischen Kommentar zum 2. Korintherbrief in die Diskussion eingebracht hat.20 Diese sind für das von Schmeller angerissene Thema unmittelbar von Belang. Die Papyrusbriefe sind „in authentischer, also ursprünglicher Form erhalten“ und wurden „keinem sekundären Redaktionsprozess unterzogen“. „Sie bieten deshalb die Möglichkeit, Originale zu studieren und dabei zu erheben, ob und bis zu welchem Ausmaß einheitliche Briefe, die in zeitlicher Nähe zu den Paulusbriefen verfasst wurden, inhaltliche Spannungen, Unterbrechungen, Einschübe oder Wechsel im Tonfall enthalten haben. Unser Augenmerk liegt also auf der Frage: Finden sich in einheitlichen Briefen der griechisch-römischen Zeit Spannungen, Unterbrechungen und Einschübe, die in ihrem Ausmaß in etwa mit jenen im 2Kor vergleichbar sind? Ist dies der Fall, dann würde das bedeuten, dass die Einheitlichkeit des 2Kor aus papyrologischer Sicht plausibel vertreten werden kann.“ (76 f) 15 E.-M. Becker, Was ist „Kohärenz“? Ein Beitrag zur Präzisierung eines exegetischen Leitkriteriums, in: ZNW 94, 2003, 97–121. 16 Schmeller, Der zweite Brief an die Korinther 1, 30. 17 Becker, Was ist „Kohärenz“?, 109, zitiert bei Schmeller, Der zweite Brief an die Korinther 1, 30. 18 Unter Berufung auf H. Bußmann, Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart 32002, 351: „Die grammatisch-lexikalische K[ohäsion] eines Textes ist Indiz seiner semantisch-kognitiven Kohäerenz und insofern für einen Text zwar normal, aber für die Kohärenzbildung weder notwendig noch hinreichend“. 19 Schmeller, Der zweite Brief an die Korinther 1, 31, mit Hinweis auf M. Heath, Unity in Greek Poetics, Oxford 1989, 150, sowie I. Broer, Einleitung in das Neue Testament, Bd. 2, Würzburg 2001, 415 f (Schmeller, aaO, Anm. 62). 20 P. Arzt-Grabner, 2. Korinther, PKNT 4, Göttingen 2014.

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Bei dem folgenden Beispieltext21 handelt es sich um einen verhältnismäßig langen Privatbrief aus den Oxyrhynchus-Papyri (P.Oxy. VII 1070, 3.Jh. n. Chr.). Verfasser ist ein gewisser Aurelius Damaraeus, der seiner Schwester und Ehefrau Aurelia Arsinoe schreibt. Der Brief scheint in einem Zug geschrieben worden zu sein, denn „es liegen […] kein Schreiberwechsel […] und keinerlei Anzeichen in Schrift und Tinte [vor], die als Hinweis auf eine Unterbrechung des Schreibflusses […] gewertet werden können“.22 Es handelt sich mithin um einen einheitlichen Brief. 1 Aurelius Demareus an die Schwester Aurelia Arsinoe, Gruß. Das von mir bei allen Göttern 2 aufsteigende Gebet für dein Wohlergehen und das unseres Kindes und deines Bruders und deines 3 Vaters und deiner Mutter und all der Unseren fleht nun auch noch viel mehr im großen Serapeum; 4 den großen Gott Serapis bitte ich sowohl um euer Leben als auch das all der Unseren und um die 5 nützlichen Hoffnungen, die unter den Menschen gehegt werden. Dir nun über unsere Geschäfte zu 6 schreiben oder auch über die Arbeiten, was ich dir ja auch früher oft durch viele Briefe geschrieben 7 und nicht minder aber auch persönlich dir aufgetragen habe, hielt ich jetzt für überflüssig, 8 denn auch du selbst, die du doch die Mutter unseres Kindes bist, wirst mehr als ich wollen, dass die 9 Fürsorge und Förderung dieser Dinge mit unübertroffener Hingabe geschieht. Und auf die Pflege 10 und Sorge für dich selbst sei vor allem bedacht – wie ich dir ja auch darüber oft geschrieben 11 habe –, ohne an dem, was wir haben, zu sparen. Ich schicke dir durch Dionysios, den …, oder in … 12 des Nachbarn des Hauses des Apollonios sechs Kotylen Seiretischen Öls in einem Halbmaßkrug 13 und einen Korb voll Süßigkeiten. Zwei Eingaben, die durch Xenophas vonseiten des Apollonios, des 14 Sohnes des Skopas, und seines Schwiegersohnes Stephanos, der in der Stadt ist, eingereicht 15 wurden, davon schicke ich dir die Abschriften in dem Briefbündel. Wenn ihr nun 16 zusammenkommt und es scheint euch etwas darüber richtig zu sein, benachrichtigt mich sogleich; 21 Arzt-Grabner, 2. Korinther, 87–90 (griechischer Text mit deutscher Übersetzung und Auswertung). Die Zeilennummern sind der hier wiedergegebenen deutschen Übersetzung für die bessere Handhabbarkeit des Textes im Rahmen dieses Aufsatzes von mir hinzugefügt. 22 Arzt-Grabner, 2. Korinther, 90.

Versöhnung und Streit. Literarkritik des 2. Kor in der neueren Forschung 93 17 was auch immer ich bei meinem hiesigen Aufenthalt in dieser Angelegenheit tun zu können 18 glaube, werde ich nicht vernachlässigen. In unserer Sache ist aber bisher nichts geschehen. 19 Ich bete, dass es dir wohl ergeht … mir gegenwärtig keine Monatsrate zu schicken, bis ich euch 20 darüber informiere oder auch schreibe. All den Unsrigen richte namentlich Grüße aus. 21 Und ich danke euch sehr, dass ihr, während ich euch oft geschrieben habe, überhaupt nicht 22 geschrieben und nicht meiner gedacht habt, was die Sicherheit unseres Hauses betrifft, wie ich 23 auch oft durch schriftliche Nachrichten und Briefe und persönlich anwesend aufgetragen habe. 24 Sei diesbezüglich nicht nachlässig, es sei denn, du hast vor, das Hüten des gesamten Hauses mit 25 dir gemeinsam an Hera"s zu übertragen, die ja unnütz ist, und – was nicht sein möge – es entsteht 26 ein völliges Durcheinander. Obwohl der Sklave des Ptolemaios, des Bruders des Hermogenes, 27 nach Alexandria reist und oft zu mir kommt, habt ihr nicht die Absicht gehabt, ihm Briefe zu 28 geben, und habt ihn überhaupt nicht vorgelassen, sondern Eudaimon hat ihn sogar abgefertigt 29 und gesagt: ,Gegenwärtig haben wir keine Zeit für andere, weil wir abreisen.‘ 30 Überbringe der Schwester Arsinoe, von Demareus.“

Z.1a enthält die konventionelle Grußformel des hellenistischen Briefformulars. Das Prooemium Z.1b–4a bietet eine captatio benevolentiae in Gestalt einer Beteuerung, dass der Absender inständig und dauerhaft für das Wohl der Adressatin und der übrigen Familienmitglieder betet. Der Mittelteil23 Z.9b–18 beginnt in Z.5b–9a mit einer praeteritio: Der Verfasser erklärt es für unnötig, über die bereits in früheren Briefen angesprochenen geschäftlichen Dinge zu reden, weil sie der Adressatin mehr noch als dem Absender am Herzen liegen. In Z.9b–13a schließt eine Ermahnung an die Adressatin an, gegen sich selbst keine falsche Sparsamkeit walten zu lassen. Diesen Ausdruck der Fürsorge untermauert der Absender durch die Äußerung der Absicht, der Adressatin Öl und Süßigkeiten zu schicken. In Z.13b–18 geht es um einen Rechtsstreit, über den die Adressatin mit den übrigen Familienmitgliedern beraten soll. Der Abschnitt Z.19–20 enthält mit dem Gebetswunsch um das Wohlergehen der Adressatin und einem der Adressatin aufgetragenen Gruß (unterbrochen durch eine wegen einer Textlücke nicht klar identifizierbare Anweisung zur 23 Zum Aufbau des Briefkorpus eines griechischen Privatbriefes vgl. Arzt-Grabner, 2. Korinther, 187.

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Aussetzung einer Zahlung) Elemente des Postskripts. In Z.21–29 folgt nun aber ein Nachtrag, in dem der Absender mit bitterer Ironie beklagt, dass seine Angehörigen nicht auf seine Briefe reagieren und sich nicht um die Sicherheit des Hauses kümmern, obwohl er dies in früheren Briefen wiederholt angemahnt hat. Es folgen eine Ermahnung zur Sorgfalt und die Abwehr der Möglichkeit, die Verantwortung für das Hauswesen einer gewissen Hera"s zu übertragen, wodurch alles erst recht in die Brüche ginge. Abschließend beklagt der Absender, dass seine Angehörigen von der Möglichkeit, einem regelmäßig verfügbaren Briefboten Briefe mitzugeben, keinen Gebrauch machen, sondern ihn abweisen. Der Nachtrag ab Z.21 stellt in mehrfacher Hinsicht einen Bruch dar. Formal ist der Brief mit dem Postskript beendet. Das Folgende klappt erkennbar nach. Dies wird durch den Wechsel von der 2. Pers. Sg. (Anrede der Arsinoe) zur 2. Pers. Pl. (Anrede auch der übrigen Angehörigen in Z.21–23.26b–29) verstärkt. Sodann lassen beide Briefteile eine unterschiedliche Stimmungslage erkennen: Im ersten Teil ist freundliche Zuwendung und Sachlichkeit bestimmend, im zweiten Teil der teilweise ironisch formulierte Vorwurf. Besonders hart wirkt der Übergang vom Gebetswunsch für das Wohlergehen der Adressatin und dem Schlussgruß Z.19–20 zur bitteren Ironie in Z.21. ArztGrabner bemerkt hierzu: „Würde das Original des Briefes nicht dazu zwingen, das ganze Schreiben einer einheitlichen Briefsituation zuzuordnen, wäre es durchaus nahe liegend, von mindestens zwei ursprünglichen Schreiben auszugehen, die […] erst nachträglich miteinander verbunden worden wären. Tatsächlich aber findet der Brief ausgerechnet dort, wo er längst sein erwartetes Ende gefunden hätte (mit der Übermittlung von Grüßen im Postskriptum), noch eine Fortsetzung, und das ausgerechnet, aber offenbar ganz bewusst und unbedingt mit dem praktisch bis zuletzt zurückgehaltenen Tadel.“24

Dass der Brief in allen Teilen eine einheitliche Briefsituation voraussetzt, erhellt sich daraus, dass keine Indizien für eine im zweiten Teil veränderte Situation erkennbar sind, die den Verfasser zu dem Nachtrag genötigt hätte. Beide Briefteile beziehen sich eindeutig auf die Vergangenheit. Es verhält sich mithin so, dass im ersten und zweiten Teil unterschiedliche Aspekte derselben Situation angesprochen werden. Außerdem gibt es bereits im ersten Teil Anzeichen für einen Konflikt. Diese zeigen sich, wenn man den ersten Teil in Kenntnis des zweiten genauer in Augenschein nimmt: In Z.3 notiert der Verfasser, dass er „jetzt noch viel mehr“ (pok» 5ti le?fom [m]Om) sich der Fürbitte für Arsinoe und die übrigen Angehörigen befleißigt. Vom zweiten Teil aus rückwärts gelesen wird klar : Die Fürbitte wird dringlicher, weil der Verfasser Grund zur Sorge und zur Klage hat. Sodann wird die praeteritio Z.5b–7 nicht damit begründet, dass die Adressatin auch ohne briefliche Erinnerung 24 Arzt-Grabner, 2. Korinther, 90.

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klug und umsichtig handelt, sondern in Z. 6b–7a damit, dass der Absender hiervon schon wiederholt brieflich wie auch im persönlichen Gespräch gehandelt hat, sowie in Z.8–9b. damit, dass die Adressatin, die doch Mutter des gemeinsamen Kindes ist, das beharrliche Engagement für den gemeinsamen Hausstand „noch mehr als ich wollen wird“ (l÷[k]kom 1loO hek¶seir). Von einem tatsächlichen Handeln der Arsinoe ist nicht die Rede, und der Hinweis auf das gemeinsame Kind wird als zusätzliches Argument aufgeboten, dass die Adressatin endlich ihren Pflichten nachkommen soll. Ob nun ein Stimmungsumschwung seitens des Verfassers angenommen werden muss, so als habe ihn plötzlich der Ärger übermannt, der ihn dazu veranlasst hätte, den zweiten Teil anzufügen, kann nur vermutet werden. Faktisch liegt die beschriebene Gedankenfolge in einem literarisch einheitlichen Brieftext vor, ganz gleich, ob man dies briefrhetorischer Finesse oder briefrhetorischem Kontrollverlust zuschreibt. Ob dem Verfasser tatsächlich „der Geduldsfaden gerissen ist“, oder ob er sich seiner Adressatin absichtsvoll als jemand präsentiert, dem „der Geduldsfaden gerissen ist“, ist nicht entscheidbar. Unter den von Arzt-Grabner zur Frage der Einheitlichkeit des 2Kor in die Diskussion eingebrachten Papyrusbriefen ist P.Oxy. VII 1070 seines Erachtens „in mehrfacher Hinsicht das aufschlussreichste Beispiel dieser Art“.25 In der Tat bietet der Text mehrere direkte Vergleichspunkte zu 2Kor. Vor allem der Übergang von Gebetswunsch und Gruß in P.Oxy. VII 1070, Z.19–20 zum ironischen Dank in Z.21–23 steht dem notorisch als hart empfundenen Übergang zwischen 2Kor 9,15 (w²qir t` he` 1p· t0 !mejdigc¶t\ aqtoO dyqeø) und 10,1 (aqt¹r d³ 1c½ PaOkor paqajak_ rl÷r) an Härte um nichts nach. Gleichwohl ist er Teil eines literarisch integren Textes. Dasselbe gilt für die Abfolge von persönlicher Zugewandtheit und scharfer Kritik in P.Oxy. VII 1070 einerseits und 2Kor 1–9; 10–13 andererseits. Nimmt man an P.Oxy. VII 1070 Maß, erübrigt sich nicht nur, 2Kor 10–13 chronologisch früher als 2Kor 1–9 anzusetzen, es entfällt auch die Notwendigkeit der Annahme eines „Stimmungsumschwungs“ des Paulus oder einer veränderten Situation, die den Nachtrag der Kapitel 10–13 erforderlich gemacht hätte (Hätte Paulus denn 2Kor 1–9 überhaupt aufrecht erhalten und unverändert abschicken können, wäre die vernehmliche Schärfe der Kapitel 10–13 tatsächlich einer wider Erwarten noch immer oder nun erst recht kritischen Gemengelage zwischen Apostel und Gemeinde geschuldet gewesen?).26 Vielmehr kann, was für P.Oxy. VII 1070 naheliegt, dass nämlich der Verfasser, wie Arzt-Grabner formuliert, den Tadel bewusst bis zuletzt aufgespart hat, auch für die Gesamtarchitektur des 2Kor als eines literarisch einheitlichen Briefes in Anschlag gebracht 25 Arzt-Grabner, 2. Korinther, 87. 26 Die Papyrusbriefe belegen zwar die Abfassung eines Briefes in mehreren Teilen, doch zeigen die von Arzt-Grabner gebotenen Textbeispiele, „dass die Briefsender relativ deutliche Hinweise geben, wenn während der Abfassung des Briefes etwas vorgefallen ist, das zu einer Unterbrechung oder zu einem späteren Nachtrag geführt hat. In 2Kor fehlt aber jeglicher Hinweis dieser Art“ (2. Korinther, 107).

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werden. Hinzu kommt, dass es im ersten Teil von P.Oxy. VII 1070 wie auch in 2Kor 1–9 Indizien dafür gibt, dass der erst achtergewichtig offen ausgetragene Konflikt bei der Niederschrift bereits im Blick des Verfassers war. Die eingangs angesprochene Nuance im Präskript des 2Kor ist nur die erste unter mehreren Stellen.27 Bevor zum Übergang von 2Kor 9 nach 2Kor 10 noch Weiteres zu sagen ist, soll kurz nochmals auf den von Schnelle problematisierten Wegfall der Briefanfänge und -schlüsse im Falle einer Briefkompilation eingegangen werden. Die Untersuchungen Arzt-Grabners zu den griechischen Papyrusbriefen sind auch in dieser Hinsicht ergiebig. Arzt-Grabner diskutiert die These Craig Keeners,28 2Kor 1–9 und 10–13 seien als eigenständige Briefe verfasst, versiegelt und als separate Schreiben Titus übergeben worden. Auch diese These rechnet mit dem Wegfall des Briefschlusses von 2Kor 1–9 und des Briefanfangs von 2Kor 10–13. Hierzu nennt Arzt-Grabner Textbeispiele aus dem Zenon-Archiv : „In diesem umfangreichsten erhaltenen Papyrusarchiv der Antike stößt man immer wieder auf mehrere Briefe, die am selben Tag vom selben Absender an denselben Adressaten verschickt wurden“. Auffällig ist: „Bei keinem einzigen dieser Briefe fehlt ein Briefanfang und – mit einer Ausnahme […] – auch kein Briefschluss“29. Arzt-Grabner führt hierzu aus: „Offenbar wurde es für grundsätzlich wichtig, vielleicht sogar für selbstverständlich erachtet, einen Brief in formal vollständiger Form zu verfassen, gleichgültig ob er einzeln oder gemeinsam mit anderen verschickt wurde. Damit wurden auch von vornherein Missverständnisse hinsichtlich der Herkunft eines Briefes vermieden, die dadurch entstehen konnten, dass der Adressat an ein und demselben Tag von mehreren Personen jeweils mehrere Briefe erhalten konnte. Vermutlich war diese Möglichkeit und somit die Notwendigkeit, jeden einzelnen Brief klar identifizierbar zu halten, den Absenderinnen und Absendern bewusst.“30

Ein Kompilator der Paulusbriefe müsste sich über die Konvention, Briefe in jedem Fall formal vollständig zu verfassen, sie so auch zu verschicken und in Abschriften zu archivieren, hinweg gesetzt haben. Denkbar ist dies, wenn der 27 Auch das Prooemium 2Kor 1,3–11 hat auffällige Leerstellen: Paulus dankt nicht gattungstypisch für den Glauben der Gemeinde (vgl. etwa 1Kor 1,4–9), sondern für den von Gott erfahrenen Trost. Ist also die Gemeinde (noch) kein Grund für solch umfassenden Dank? So etwa Wolff, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther, 20: „[A]m Anfang des 2. Korintherbriefes [steht] zwar eine Eulogie, aber diese hat gerade nicht den Glaubensstand der Korinther zum Inhalt, sondern die Leiden des Apostels und deren Bedeutung für die Gemeinde. Paulus vermeidet es also, Gott für den Glauben der Korinther zu danken, und kommt statt dessen auf das rechte Verständnis des apostolischen Leidens zu sprechen“. M. E. Thrall, A Critical and Exegetical Commentary on the Second Epistle to the Corinthians, Bd. 1, ICC, London/New York 1994, 99 Anm. 132, weist diesen Gedanken mit einem literarkritischen Argument zurück: „The suggestion would be appropriate only if the letter were a unity“. 28 C.S. Keener, 1–2 Corinthians, New Cambridge Bible Commentary, Cambridge 2005, 150. 29 Arzt-Grabner, 2. Korinther, 100. 30 Arzt-Grabner, 2. Korinther, 101.

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Brief 2Kor 10–13 aufgrund von Beschädigung nicht mehr vollständig erhalten war und deshalb an den Brief 2Kor 1–9 angehängt wurde31. Grundsätzlich kann man aber „nicht ohne weiteres damit rechnen, dass Kompilatoren ohne Bedenken einfach die Anfangs- und Schlussteile von Briefen weggelassen hätten. Eher wird man davon ausgehen müssen, dass die Vollständigkeit eines Schreibens einen erhaltungswürdigen Wert für sich darstellte, da sie die Unterscheidbarkeit und Identifizierbarkeit eines Briefes gewährleistete.“

Was nun den Übergang von 2Kor 1–9 nach 2Kor 10 betrifft, so nimmt ArztGrabner einerseits ein pragmatisches Kalkül der in 2Kor 10–13 geäußerten Kritik an,32 rechnet aber andererseits auch mit einem Überhandnehmen von Emotionen.33 Meine eigene Auffassung geht dahin, in der in P.Oxy. VII 1070 wie in 2Kor maßgeblichen Abfolge von Zugewandtheit und Konflikt, oder anders gesagt: von Versöhnung und Streit,34 eine antike briefrhetorische Möglichkeit zu sehen. Hierbei bedarf es keiner Annahmen über die emotionale Verfassung des Briefschreibers beim Vorgang des Schreibens. Es genügt zur Kenntnis zu nehmen, dass die in 2Kor vorliegende Abfolge des ungetrübten Dankes an Gott für den ins Auge gefassten erfolgreichen Abschluss der Kollekte in 9,15 und der eindringlichen Ermahnung im Blick auf einen möglichen weiteren Erweis der Strenge in 10,1–6 antik kommunizierbar war. Meines Erachtens kann 2Kor 10,6 geradezu als programmatische Formulierung dieser Abfolge gelesen werden. Das „Strafen jedes Ungehorsams“ arbeitet auf den „erfüllten Gehorsam“ der Adressaten nicht hin, ist nicht seine Möglichkeitsbedingung, sondern setzt ihn im Gegenteil voraus. Das wiederhergestellte Einvernehmen zwischen Paulus und den Adressaten ist nicht das Ende des Konflikts, sondern der Beginn seines Finales. Es geht dann um mehr als um mögliche Nachgefechte oder wieder aufflammende Unruhen nach einem errungenen Sieg.35 Vielmehr scheint es sich so zu verhalten: Der Kon31 Papyrologische Belege für die Beschädigung von Briefen beim Transport, etwa durch Mäusefraß oder Feuchtigkeit, bietet Arzt-Grabner, 2. Korinther, 144 f. 32 Arzt-Grabner, 2. Korinther, 90: In P.Oxy. VII 1070 diene auch der am Schluss durchschlagende Unmut der „Intensivierung des Kontaktes und der persönlichen Beziehung“, und auch für Paulus gelte, dass der „Tadel […] nicht auf einen endgültigen Bruch der Beziehung ab[zielt], sondern […] neben den versöhnenden Worten nur ein anderer (manchmal auch weiterer) Versuch [ist], dasselbe Ziel zu erreichen“ (aaO., 110). 33 So etwa Arzt-Grabner, 2. Korinther, 109: „M. E. versuchen beide Briefsender – Paulus ähnlich wie der Briefschreiber von P.Oxy. VII 1070 – in aufrichtiger Weise, ihren Ärger zurück- und einen höflichen Ton durchzuhalten, was aber eben doch nicht gelingt, so dass schließlich der Ärger durchbricht“. 34 Im Titel des vorliegenden Aufsatzes wird die Reihenfolge „Streit und Versöhnung“, so der Titel des Buches von Lars Aejmelaeus, umgekehrt. Der Buchtitel rührt daher, dass Aejmelaeus 2Kor 10–13 mit dem Tränenbrief identifiziert. 35 So etwa Schmeller, Der zweite Brief an die Korinther 2, 137, in Aufnahme der militärischen Metaphorik der voranstehenden Verse: „Man muss sich die militärische Situation […] so

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flikt kann erst dann vollständig ausgetragen werden, wenn die Einmütigkeit zwischen Paulus und der Gemeinde so gefestigt ist, dass sie dadurch nicht mehr gefährdet wird.36 Es bedarf der Grundlage der wiederhergestellten Bevorstellen: Paulus signalisiert die Entschlossenheit und die Fähigkeit, auch nach dem siegreichen Abschluss des Feldzuges (6b) gegen aufflammende Unruheherde militärisch vorzugehen (6a)“. Weitere Interpretationen von 10,6 referiert I. Vegge, 2 Corinthians – a Letter about Reconciliation. A Psychagogical, Epistolographical and Rhetorical Analysis, WUNT II/239, Tübingen 2008, 300 f: V.P. Furnish, II Corinthians, AncB 32 A, New York 1984, 464, meint, Paulus unterscheide zwischen dem Gehorsam der Korinther und dem Ungehorsam der Gegner. Aber in 12,20 rechnet Paulus mit der Möglichkeit einer Konfrontation auch mit den in 2.Pers. Pl. angeredeten Adressaten. C.K. Barrett, A Commentary on the Second Epistle to the Corinthians, BNTC, London 41979, 253, diskutiert und verwirft die Auffassung, es gehe Paulus nach wiederhergestelltem Einvernehmen um das Bestrafen früheren Ungehorsams der Gemeinde. H. Windisch, Der zweite Korintherbrief, KEK 6, Göttingen 91924, 299, meint, der angesprochene Ungehorsam sei, außer dem der Gegner, auch derjenige der künftig noch zu Bekehrenden („ebenso gut auch ein Feldzug gegen alle, die noch nicht unterworfen sind und deren Abfall von Adams Tagen herrührt“). Anders wiederum D.W. Oostendorp, Another Jesus. A Gospel of Jewish Christian Superiority in II Corinthians, Kampen 1964, 18: Es gehe Paulus um die nunmehr wieder uneingeschränkt mögliche Durchsetzung der Kirchendisziplin. 36 Vgl. bereits M. Vogel, „Seine Briefe sind gewichtig und gewaltig“ (2 Kor 10,10). Polemik im 2. Korintherbrief, in: O. Wischmeyer/L. Scornaienchi (Hg.), Polemik in der frühchristlichen Literatur. Texte und Kontexte, BZNW 170, Berlin 2011, 183–208. Hier hatte ich 2Kor 10,6 eine Schlüsselrolle in der polemischen Argumentationsweise des 2Kor zugewiesen. Mit J. Stenzel, Rhetorischer Manichäismus. Vorschläge zu einer Theorie der Polemik, in: F.J. Worstbrock/H. Koopmann (Hg.), Formen und Formgeschichte des Streitens. Der Literaturstreit, Tübingen 1986, 3–11, hatte ich zwischen polemischem Subjekt (in 2Kor : Paulus), polemischem Objekt (die Gegner) und polemischer Instanz (die Briefadressaten) unterschieden und den 2Kor als im Rezeptionsvorgang zu vollziehenden polemischen Prozess aufgefasst, der in einem aktuell noch ungeklärten Beziehungsgefüge auf die Inklusion der polemischen Instanz und die Exklusion des polemischen Objekts zielt und sich dabei einer „Rheotrik des Unbestimmten“ bedient: „Erst muss die Beziehung zwischen Paulus und der Gemeinde auf eine neue Grundlage gestellt werden – dies leistet die Apologie des paulinischen Apostolats in Kap 1–7 […] –, damit in einem zweiten Schritt ein Keil zwischen die Gemeinde und die Konkurrenten getrieben werden kann. Hierzu schlägt Paulus nochmals kritische Töne an, auch der Gemeinde gegenüber. Polemische Rhetorik arbeitet, wie sich zeigte, an mehreren Beziehungen. Daraus ergeben sich argumentative, rhetorische und emotionale Konstellationen, die heutigen psychologischen Grundannahmen (,man verträgt sich und alles ist wieder gut‘) zunächst zu widersprechen scheinen. Dass das rhetorische Gesamtkonzept des 2. Korintherbriefes in seinem kanonischen Textbestand tatsächlich so angelegt sein könnte, legt die Formulierung 1m 2to¸l\ 5womter 1jdij/sai p÷sam paqajo¶m, ftam pkgqyh0 rl_m B rpajo¶ in 2Kor 10,6 nahe: Erst dann, wenn der ,Gehorsam‘ der Korinther gegenüber Paulus ,zur Vollendung gekommen sein wird‘, kann in einem zweiten Schritt jeglicher dann noch verbliebener ,Ungehorsam‘ ohne Rücksicht geahndet werden. Umgekehrt heißt das: Mit der erneuten Zuwendung der Korinther zu Paulus ist der Konflikt noch nicht ausgestanden. Auf die Inklusion der polemischen Instanz in ein stabiles Beziehungsgefüge mit dem polemischen Subjekt muss die Exklusion des polemischen Objekts erfolgen. Deshalb ist es kein Widerspruch, wenn Paulus die korinthischen Christen in 7,5–16 für ihr neu gefasstes Vertrauen zu ihm lobt, sie aber im Verlauf der Kapitel 10–13 für ihre mangelnde Distanzierung von den Gegnern hart angeht. Auch hier gilt wieder, dass die vom polemischen Subjekt angestrebte Dissoziation des aktuellen Beziehungsgefüges in einen Binnenund Außenraum erst durch ein entsprechendes Verhalten der Adressaten (Parteinahme für Paulus, Exklusion der Konkurrenten) zustande kommt. Die Argumentation des Paulus stellt

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ziehung, um die im Raum stehenden Dissens- und Konfliktpunkte klar und offen ansprechen zu können. Entscheidend ist hierbei: Was in der Literatur üblicherweise situativ auf den anstehenden dritten Besuch (13,1) bezogen wird, kann auch literarisch auf die Struktur des 2Kor angewendet werden. Dann kommt der in Kap 8–9 ausführlich thematisierten Kollekte als der realen, materiellen Manifestation der durch die Vermittlung des Titus und die Wirkung des 2Kor bekräftigten Gemeinschaft zwischen Apostel und Gemeinde besondere Bedeutung zu. Sie ist der Tatbeweis des von Paulus eingeforderten „erfüllten Gehorsams“. Paulus hat bei der Niederschrift von 2Kor nicht mehr und nicht weniger in der Hand als die durch Titus übermittelte Zusage der Gemeinde, die Kollekte nunmehr zum Erfolg zu führen. Für den erfolgreichen Verlauf dankt er im Charisspruch in 9,15 vorgreifend Gott und nimmt dadurch indirekt die Gemeinde für etwas in die Pflicht, worin sich das Handeln Gottes selbst manifestiert. Die Adressaten können, wenn sie in den brieflich formulierten Dank einstimmen, gar nicht anders, als entsprechend zu handeln. Die Kollekte ist die objektive Manifestation der funktionierenden Beziehung zwischen dem Apostel als dem verantwortlichen Organisator der Kollekte und der Gemeinde, die sich ihrerseits für die Kollekte engagiert. Die von der Gemeinde gegebene Zusage wird in Kapitel 8–9 organisatorisch konkretisiert, theologisch unterfüttert und damit brieflich inszeniert als ein in der aktuellen Durchführung befindliches Unternehmen, dessen erfolgreicher Abschluss nicht in Frage steht und zum Greifen nahe ist, so dass Gott bereits dafür Dank gesagt werden kann. Am Ende von 2Kor 9 ist tatsächlich der „Gehorsam“ der in 10,6 in betonter Voranstellung des Personalpronomens angeredeten Gemeinde (rl_m B rpajo¶) „erfüllt“. Freilich: Die konditionale Formulierung des V.10 trägt dem Umstand Rechnung, dass der vollständige Gehorsam zunächst nur den Status einer zugewiesenen Leserrolle hat. Sie wird dann realisiert, wenn die Rezipienten sich den in 9,15 formulierten Dank für die Gabe Gottes, die im Engagement der Gemeinde für die von Paulus verantwortete Kollekte greifbar wird, zu eigen machen. Dann ist ihr Gehorsam erfüllt,37 und dann kann Paulus dazu übergehen, „jeglichen Ungehorsam“ lediglich die Weichen. Das ,Mittelfeld‘ der Pauluskritiker soll sich verteilen auf diejenigen, die sich von Paulus überzeugen lassen und sich ihm wieder anschließen, andererseits aber auf diejenigen, die Paulus ohne Aussicht auf Verständigung zu seinen Gegnern zählt. Auch 2Kor 10,6 ist Teil eines Argumentationsgangs, in welchem sich die auf die Aktivierung der Rezipienten zielende Rhetorik des Unbestimmten fortsetzt.“ (196–198). 37 Ein Widerspruch zu 2Kor 7,15 besteht schlechterdings nicht, denn hier geht es speziell um die Aufnahme des Titus „mit Furcht und Zittern“, d. h. mit demjenigen Respekt, der ihm als Emissär des Apostels, der seinerseits Emissär Christi ist (vgl. hierzu K. Berger, Historische Psychologie des Neuen Testaments, SBS 146/147, Stuttgart 1991, 169–172) zukommt. Die Adressaten haben in dieser einen Tat, an die Paulus sich punktgenau „erinnert“, ihre rpajo¶ unter Beweis gestellt. Es ist nicht einzusehen, warum der Wortlaut in 7,15 ausschließen sollte, dass diese rpajo¶ sich in weiteren Schritten bewähren und festigen muss. Vgl. auch Vegge, 2 Corinthians, 362 (7,5–16 ist eine „[i]dealized description of reconciliation functioning as an implicit appeal for full reconciliation“), sowie Schmeller, Der zweite Brief an die Korinther 2, 138.

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(p÷sa paqajo¶) zu strafen. Er muss dann nicht mehr die Sorge haben, dass die Beziehung zu den Korinthern wieder Risse bekommt, sondern kann in der Sache hart argumentieren. Dies bedeutet textpragmatisch: Paulus rechnet bei Abfassung der Kapitel 10–13 mit der Wirkung der Kapitel 1–9. Der 2Kor funktioniert in Kapitel 10–13 nur dann, wenn die Adressaten bei der Rezeption der Kapitel eine kooperierende Lektürehaltung entwickelt haben, wenn sie mit dem Absender bis 9,15 „mitgegangen“ sind. Entsprechend lese ich P.Oxy. VII 1070: Der Brief rechnet in den kritischen Passagen im dritten Drittel mit einer kooperierenden Rezeption in den ersten beiden Dritteln. Die Adressatin muss sich „sagen lassen“, dass der Absender für sie betet, ihr wünscht, dass sie es sich an nichts mangeln lässt, etc., damit sie den anschließenden Tadel konstruktiv aufnehmen kann. Diese Logik des brieflichen Beziehungsmanagements entspricht nicht heutigen Vorstellungen, muss aber deswegen nicht als „unhistorisch“ eingestuft und literarkritisch zurechtgerückt werden. Worin in 2Kor 10,6 der „Ungehorsam“ und das korrespondierende „Strafen“ besteht, verlautet in 10,2–5: Es geht um das „Denken“ (koc¸folai) „gewisser Leute“, die den Wandel des Paulus für fleischlich halten (V.2), um „Gedanken“ (kocislo¸), die Paulus mit geistlichen Mitteln zu „zerstören“ in der Lage ist (V.4), was ebenso für „alles Hohe“ (p÷m vxyla) gilt (V.5), das sich wider die „Erkenntnis Gottes“ erhebt. Es geht (V.5) darum, dass „jedes Denken“ (p÷m mºgla) zum Gehorsam gebracht wird. Das heißt: Es stehen Wortgefechte bevor, die Paulus für sich zu entscheiden gedenkt. Dies passt situativ auf den anstehenden dritten Besuch ebenso wie literarisch auf die Kapitel 10–13 des 2Kor, wobei weitere Auseinandersetzungen beim anstehenden Besuch Paulus und der Gemeinde in dem Maße erspart bleiben werden, wie die Kapitel 10–13 ihre Wirkung tun. Die situative und die textuelle Referenz von 2Kor 10,6 überlagern einander. Wir wenden uns nun nochmals dem von Lars Aejmelaeus zum literarkritischen Musterbeispiel erklärten Stück 2Kor 6,14–7,4 zu, das es, wie wir sahen, auch bei denjenigen Forschen schwer hat, die den kanonischen 2Kor für (ansonsten) literarisch einheitlich halten.38 Auch Brisio J. Oropeza, der den einstweilen neuesten Kommentar zu 2Kor vorgelegt hat, votiert für die Authentizität und literarische Integrität von 2Kor 6,14–7,1, nimmt jedoch an, dass Paulus oder ein Sekretär das Stück bei der Übertragung vom Entwurf auf Wachstafeln zur Reinschrift auf Papyrus zwischen 6,14 und 7,2 eingefügt hat,39 38 Forscher, die dem Passus Authentizität und Integrität zubilligen, nennt Vegge, 2 Corinthians, 189 Anm. 202. Auch Vegge selbst ist der Auffassung, „that the text is Pauline and is found in its original context“ (189), ohne dies allerdings in einer ausführlicheren Analyse des Stücks auszuführen. 39 B.J. Oropeza, Exploring Second Corinthians. Death, Life, Hardship and Rivalry, Rhetoric of Religious Antiquity 3, Atlanta 2016. Oropeza nimmt an „that Paul or his secretary included 6:14–7:1 where it currently stands, perhaps after his first draft had already been finished. Rough drafts of letters were common enough and sometimes written down on wooden or ivory tablets

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und er meint, dass die Adressaten das vom Verfasser aus eigener Feder ergänzte Stück als widersprüchlich zu anderen Aussagen aus 1Kor aufgefasst hätten: „If we are affirming that Paul inserted the pericope of 6:14–7:1 in the letter where it currently stands, would this exhortation have been interpreted by the Corinthians as another example of the apostle’s inconsistency? In his earlier letter, he permitted contact with unbelievers and did not condemn every practice of the strong, ,knowing‘ members as they ate idol meats, sometimes even in temple settings (1 Cor 5:9–10; 8:10–11; 10:27). Likewise, he did not encourage married believers to leave their unbelieving spouses (7:12–16), and unbelievers were welcomed in church gatherings (14:22–24). Such attitudes seem to stand in tension with the seemingly black-andwhite statements in 6:14–7:1 on the necessity of believers being separated from unbelievers. We can surmise that Paul’s rhetorical goal in the letter would be more important to him than whether or not his words would create tensions with what he had communicated to the Corinthians in previous correspondence. It seems unlikely that he and his team would be painstakingly comparing previous letters with this one – as we are doing right now – just to make sure that he would not write something out of sync with what he had written them earlier when addressing more specific problems. The Corinthians, on the other hand, probably continued to read, hear, and rehear his letters again and again, and some who were prone to accusing him of incompetency may have paid special attention to apparent contradictions. “40

Die Rhetorik von 2Kor 6,14–7,1 habe, so Oropeza, ihr Ziel verfehlt, weil die Erstleser (im Verein mit heutigen Lesern) Widersprüche wahrgenommen hätten, die dem Verfasser und seinen Mitarbeiter entgangen seien. Meines Erachtens ist, abgesehen von der schieren Vermutung über einen vom Verfasser vorgenommenen oder autorisierten Redaktionsvorgang im Prozess der Reinschrift des 2Kor, diese Rollenverteilung – Erstleser und Exegeten auf der einen Seite und Paulus und seine Mitarbeiter auf der anderen – problematisch. Wir können nicht wissen, welche Aussagen die Adressaten aufgrund welcher Vergleichstexte als widersprüchlich aufgefasst haben. Es bleibt nur der Weg, diese Textvergleiche selbst vorzunehmen. In aller Kürze sei hierzu gesagt, dass die von Oropeza angeführten Passagen aus 1Kor, die in der Forschung immer wieder für den unpaulinischen Charakter und die nachpaulinische Provenienz von 2Kor 6,14–7,1 geltend gemacht werden, in keiner Weise überzeugen.41 with a wax coating (codicilli) before being written in final form on materials such as papyrus” (424 f). An selber Stelle führt er unter Hinweis auf E.R. Richards, The Secretary in the Letters of Paul, WUNT II/42, Tübingen 1992, 43 f.102–105.160–163, aus: „Often the author permitted a secretary to edit the final draft either because the former was unable or unwilling to do so“ (425 Anm. 172). 40 Oropeza, Exploring Second Corinthians, 441. 41 Dass etwa nach 1Kor 7,12–14 ein gläubiger Ehepartner mit einem/einer „Ungläubigen“ in ehelicher Gemeinschaft leben kann, kann keinesfalls einfach als vermeintlicher Widerspruch mit dem Aufruf in 2Kor 6,14, sich nicht mit den „Ungläubigen“ unter ein Joch spannen zu lassen,

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Grundsätzlich gilt meines Erachtens für diesen Text, was auch für den in der Literatur durchweg als „hart“ bezeichneten Übergang von 9,15 nach 10,1 in Rechnung zu stellen ist: Die Wahrnehmung der „Sperrigkeit“ und „Fremdartigkeit“ von 2Kor 6,14–7,1 in seinem unmittelbaren und weiteren literarischen Zusammenhang verdankt sich einem modernen Empfinden, das nicht zu einem Eingriff in den antiken Text berechtigt. Setzt man dennoch einen literarkritischen Schnitt, entbindet man die Exegese von der Verpflichtung auf die Interpretation des kanonischen Textes und zeiht unausgesprochen diejenigen, die den kanonischen Text als literarisch einheitliches Gebilde auslegen, der Überinterpretation. Das Unterfangen, den Text so auszulegen, wie er vorliegt, scheint mir indes keineswegs eine von Lars Aejmelaeus so bezeichnete Verzweiflungstat zu sein, sondern etwas, das dem Text selbst geschuldet ist. In der aktuellen Diskussion zu 2Kor 6,14–7,1 als Teil des kanonischen 2Kor sind zwei Auslegungstypen bestimmend, nämlich der polemische und der paränetische. Der polemische Auslegungstyp besagt: Mit der eindringlichen Mahnung, sich Paulus zu- (6,11–13; 7,2–4) und von der Sphäre der Ungläubigen abzuwenden, zielt der Apostel (absichtsvoll indirekt) auf die Ausgrenzung der Gegner. Dem paränetischen Auslegungstyp zufolge handelt es sich um eine ethische Ermahnung an die Adressaten ohne eine indirekte Referenz auf die Gegner. In einem Aufsatz von 2014 hat Volker Rabens eine Interpretation vorgelegt, die beide Auslegungstypen mit einander verbindet. Seine These lautet, „that the demarcation that is demanded by Paul in 2 Corinthians 6:14–7:1 should be/ can be understood on a first and primary reading/hearing as a selective removal from covenant-forming relationships with idolatrous people outside the church (= unbelievers/outsiders). However, the text appears to transport deliberate ambiguity through the rhetorical device of double entendre (lit. ,double hearing/understanding‘). The readers/hearers of Paul’s letter are thus in a position to interpret the imperative not to be mismatched with %pistoi upon a second and secondary reading/ gleichgesetzt werden. Vielmehr geht es in 1Kor 7,12–14 eminent um die Reinheitsfrage: Der gläubige Partner ist in einer offensiven, ansteckenden Weise rein, die die eheliche Gemeinschaft (einschließlich gemeinsamer Kinder, die ihrerseits nicht nur zur Hälfte, sondern in Gänze rein sind) ohne Gefahr der Verunreinigung des gläubigen Partners ermöglicht. Diese „offensive Reinheit“ (der Begriff stammt von K. Berger, Jesus als Pharisäer und frühe Christen als Pharisäer, in: NT 30, 1988, 231–262, 240–242) verdankt sich der Zugehörigkeit zur Gemeinde als dem sozialen Wirkungszusammenhang des Geistes, der die Gemeinde „heiligt“, d. h. als eigenen, zu Gott gehörenden Bereich ausgrenzt. Die Grenzen sind in beide Richtungen durchlässig und erlauben Kontakte mit Außenstehenden, jedoch unter der Bedingung, dass die Heiligkeit der Gemeinde nicht verletzt wird. Der sexuelle Umgang im Kontext von Prostitution ist dementsprechend durch die offensive Reinheit der Gläubigen nicht gedeckt, weshalb es prekär ist, mit der Hure „ein Leib zu sein“. Zum angeblichen Gegensatz zwischen 2Kor 6,14–7,1 und 1Kor 5, vgl. die Überlegungen bei W.J. Webb, Returning Home. New Covenant and Second Exodus as the Context for 2 Corinthians 6.14–7.1, JSNT.S 85, Sheffield 1993, 190 f.

Versöhnung und Streit. Literarkritik des 2. Kor in der neueren Forschung 103 hearing as a reference to Paul’s opponents, the ,false apostles‘ (=,unbelievers‘/,outsiders). This reading suggests itself when the recipients progress towards chapters 10–12, where Paul overtly defends himself and his ministry against the accusations of his opponents. Moreover, this double entendre is strengthened by the preceding and the immediate literary context.“42

Auf der Textoberfläche (straightforward reading, primary reading) sind, so Rabens,43 in 6,14–7,1 Außenstehende im Blick, mit denen die Adressaten keine Beziehungen eingehen sollen, die dem Bundesverhältnis zwischen Gott und den Gläubigen (vgl. die Bundesformel in der familialen Variante „Vater – Söhne/Töchter“ in 6,18) zuwider laufen. Terminologisch ist dies u. a. durch 6,14 (%pistoi) und 6,16 a (eUdyka) angezeigt. Im sonstigen paulinischen Sprachgebrauch sind %pistoi stets Nichtchristen (298 f).44 Außerdem passt die mit 1n´khate 1j l´sou aqt_m (6,17a) aufgerufene Raumvorstellung besser auf die umgebende heidnische Umwelt als auf den einen zu vollziehenden Ausschluss Einzelner aus der Binnengruppe (299). Ebenso legt der sprachliche Befund zum eUdyk-Stamm (20 Belege bei Paulus, 16 davon in 1Kor) nahe, dass die in V.16a genannten eUdyka wörtlich zu nehmen sind als Referenz auf die religiöse Kultur der paganen Mehrheitsgesellschaft (300). Aus der Sicht des Paulus gilt mithin: „The Corinthians, or at least a number of them, have entertained covenant-forming relationships with idolatrous people outside the church“ (307). Dass der dringende Appell, sich von den %pistoi zu distanzieren, beim zweiten Lesen (secondary reading) jedoch auch auf die innergemeindlichen Gegner des Paulus anspielt, drängt sich in 11,13–15 auf, denn hier begegnen in gleicher Antithese zwei wichtige Termini aus 6,14–7,1 wieder, nun mit Bezug auf die Gegner, nämlich v_r und dijaios¼mg (309). Dass sich Paulus des double entendre bedient, die Gegner also in 6,14–7,1 (noch) nicht explizit anspricht, soll ihn vor Angriffen von Seiten der Gegner und ihrer Sympathisanten schützen: „This way Paul’s opponents (and those attracted by him) cannot accuse the apostle for his fierce language in 6:14–7:1 (which exceeds that of 11:13–15), although Paul excludes them from the realm of salvation and the community of faith“ (310). Nun kann man fragen, ob die als Gegnerpolemik gelesenen Aussagen in 6,14–7,1 tatsächlich drastischer sind als die Polemik in 11,13–15. Zu fragen ist auch, wie sich das als Paränese aufgefasste Stück in den apologetischen Textzusammenhang fügt. Nach Ra42 V. Rabens, Inclusion of and Demarcation from „Outsiders“. Mission and Ethics in Paul’s Second Letter to the Corinthians, in: J. Kok/T. Nicklas/D.T. Roth/C.M. Hays (Hg.), Sensitivity Towards Outsiders, WUNT II/364, Tübingen 2014, 290–323, 297. Vgl. bereits V. Rabens, Paul’s Rhetoric of Demarcation. Separation from „Unbelievers“ (2 Cor. 6:14–7:1) in the Corinthian Conflict, in: Bieringer/Ibita/Kurek-Chomycz/Vollmer (Hg.), Theologizing in the Corinthian Conflict, 229–254. 43 Das Folgende nach Rabens, Inclusion of and Demarcation from „Outsiders“, 298 ff. 44 Anders N. Baumert, Mit dem Rücken zur Wand: Übersetzung und Auslegung des zweiten Korintherbriefes. Paulus neu gelesen, Würzburg 2008, 75.129, der die %pistoi in 2Kor 4,5 und 6,14 zur Gemeinde rechnet. In 4,4 seien die „gewissen Leute“ aus 3,1 im Blick (75).

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bens hat Paulus mit 6,14–7,1 zwei Problemfelder gleichzeitig angesprochen, einmal explizit die zu engen Beziehungen der korinthischen Christen zu ihrer paganen Umgebung und dann andeutungsweise die noch nicht vollzogene Trennung von den Paulusgegnern in ihren eigenen Reihen.45 Nun ist mit Blick auf 12,20 f deutlich, dass die Zustände in der Gemeinde für Paulus auch unabhängig von dem in 2Kor ausgetragenen Konflikt eine Rolle gespielt haben, und es ist gut denkbar, dass die in 6,14–7,1 angesprochene ungenügende Distanz von der paganen Umwelt sich aus der Sicht des Paulus material in den in 12,20 f genannten Missständen auszuwirken drohte. Es wäre Paulus dann unbenommen, die Paränese 6,14–7,1 in der Gedankenfolge des uns vorliegenden Textes mit dem eindringlichen Appell an die Gemeinde, sich ihm zuzuwenden, gerahmt zu haben, ganz gleich ob die Gedankenführung für modernes Empfinden sprunghaft ist oder nicht. Meine eigene Auffassung setzt aber einen stärkeren polemischen Akzent voraus, als dies bei Rabens der Fall ist. Meines Erachtens lässt sich 6,14–7,1 der „Rhetorik des Unbestimmten“ zurechnen, die in 2Kor an mehreren Stellen zu beobachten ist und die auch in 6,14–7,1 greift, und zwar dergestalt, dass Paulus in diesem Passus die Grenzen zwischen heilsferner Außenwelt, zu der die Adressaten auf Abstand gehen sollen, und den Gegnern innerhalb der Gemeinde absichtsvoll verwischt. Dann ergibt „gerade seine eigentümliche Unverbundenheit mit der korinthischen Konfliktlage rhetorisch einen Sinn. […] [D]ie Adressaten [werden] auf eine Entscheidungssituation eingeschworen, in der alles an der Wahl zwischen Paulus und den Falschaposteln hängt. Die zu fällende Entscheidung muss dualistisch verschärft und theologisch so stark wie möglich dramatisiert werden, und zwar so, dass zwischen der Distanzierung von den Gegnern und dem Rückzug aus der Sphäre des Heidnischen gerade nicht unterschieden wird. Dies leistet in der notwendigen Abstraktheit das Stück 6,14–7,1. Die Sequenz der Oppositionen in 6,14–16 (dijaios¼mg/!mol¸a, v_r/sjºtor, Wqistºr/Beki²q, pistºr/%pistor, maºr heoO/eUdyka) hat allein den Zweck, einen Dualismus zu inszenieren, der der Stellungnahme der korinthischen Christen für oder gegen Paulus höchste Dringlichkeit beimisst.“46

Dass die Gegner in dieselbe Kategorie wie die Nichtgläubigen gehören, kann Paulus nicht durch einen sachlichen Dissens begründen, denn anders als in der galatischen Kontroverse ist die Wahrheitsfrage in 2Kor rein personaler Art.47 Gerade auf der personalen Ebene liegt die Gleichsetzung zwischen 45 Beides würde dann stimmig zusammen passen, wenn man zeigen könnten, dass die Gegner Libertinisten waren; so die Erwägung bei Rabens, Inclusion of and Demarcation from „Outsiders“, 314 Anm. 59. 46 Vogel, „Seine Briefe sind gewichtig und gewaltig“, 193 f. 47 Wenn Paulus !pºstokor WqistoO YgsoO di± hek¶lator heoO ist (2Kor 1,1), ergibt sich von selbst, dass, wer Paulus in der Ausübung seines Apostolats und seiner Mission behindert, widergöttlich handelt, mithin zur Gegenseite gehört. Insofern ist die Dämonisierung der Gegner in 11,13–15 sachlogisch nicht zu beanstanden.

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Gegnern und Ungläubigen aber auf der Hand, sofern der mit 6,11–13; 7,2–5 um 6,14–7,1 gelegte Rahmen die „Abkehr“ von den Ungläubigen und die „Hinkehr“ zu Paulus in ein und dieselbe Bewegung fasst. Sich Paulus zuzuwenden heißt, sich von den Ungläubigen abzuwenden. Da es aber im gesamten 2Kor um die Alternative „Paulus oder die Gegner“ geht, ergibt sich die Identität der „Ungläubigen“ von selbst. Der Verdacht, der mit 6,14–7,1 aufkommt, wird mit 11,13–15 bestätigt, die Ahnung wird zur Gewissheit, und diese Gewissheit ist als Resultat der Mitarbeit der Adressaten an der Sinnbildung des Textes ungleich wirkungsvoller, als es die bloße Aneignung einer expliziten Aussage gewesen wäre. Dem polemischen Auslegungstyp, dem auch mein eigenes Verständnis von 2Kor 6,14–7,1 zuzurechnen ist, steht neuerdings eine von Christopher D. Land eingebrachte Interpretation gegenüber, die nicht nur konsequent eine paränetische Auslegung des Stücks vertritt, sondern die Kulissen des ganzen Textzusammenhangs gegenüber dem vorherrschenden Verständnis erheblich verschiebt. Diese soll abschließend kurz zur Darstellung kommen. Land hat die bisher neueste Monographie zur Frage der Einheitlichkeit des 2. Korintherbriefes vorgelegt48 und auf der Grundlage einer linguistischen Analyse des gesamten Textes für die Einheitlichkeit votiert. Er untersucht den Abschnitt 6,14–7,1 als Teiltext der Kapitel 6 und 7. Auch dieser Teiltext ist kohärent: „Breaks have been posited at 6.14, 7.2, and 7.5, with 6.14–7.1 being regarded by some scholars as a non-Pauline fragment. I will argue, however, that the entire segment hangs together“ (142).

Wichtige Weichenstellungen für Lands Verständnis dieses Teils des 2Kor liegen bereits in Kapitel 5. In Abweichung von der überwiegenden Auffassung der Forschung versteht Land 5,20 deºleha rp³q WqistoO, jatakk²cgte t` he` nicht als Appell an die Adressaten, sich (erneut) mit Gott (und seinem Apostel) zu versöhnen, sondern als Kurzformel des missionarischen Programms, auf dessen tätige Mitgestaltung Paulus die korinthische Gemeinde einschwören will. In 5,20 f wird deutlich: „Paul and Timothy are trying to draw their readers into the strong missional thrust of 2.14–5.21, so that the Corinthians will stand against the world – and even against the worldly Christian ministers – all the while proclaiming that reconciliation with God is available in Christ.“ (136)

Die nächste Weichenstellung ist sumeqcoOmter in 6,1. Hier geht es nicht um Paulus und seine Mitarbeiter im Gegenüber zur Gemeinde, sondern die Adressaten selbst werden als Mitarbeiter der paulinischen Mission angesprochen (144). Mithin findet in Kap 6–7 das Thema der Aktivierung der 48 C.D. Land, The Integrity of 2 Corinthians and Paul’s Aggravating Absence, New Testament Monographs 36, Sheffield 2015.

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Adressaten für die paulinische Mission eine Fortsetzung: Paulus und Timothus „are exhorting their Corinthian partners to conduct themselves in a manner befitting their status as foreign ambassadors in a world opposed to God“ (143). Das Jesajazitat in 6,2 liest Land als „promise of divine assistance“ (145) und 6,3–10 keineswegs als eingeschobene Selbstverteidigung, sondern als Exempel für eben diese „divine assistance“ im missionarischen Handeln des Paulus (146 f). Auch 6,11–13 erscheint dann in einem neuen Licht: Es geht hier nicht um einen „attempt to improve troubled relations with Corinth“ (147 f), mithin auch nicht um den Versuch „to establish mutual affection“ (148). Vielmehr geht es im Rückgriff auf 6,1 (lµ eQr jem¹m tµm w²qim toO heoO d´nashai rl÷r) und die im Beispiel des Paulus (6,3–10) beweiskräftig vorgeführte verlässliche Zusage der Hilfe Gottes (6,2) um die Beziehung zwischen den Adressaten und Gott. Exegetisch hängt dieses Verständnis von 6,11–13 u. a. an t¹ stºla Bl_m !m´\cem pq¹r rl÷r, Joq¸mhioi in 6,11a: Land liest diese Aussage nicht als Beteuerung, dass Paulus den Korinthern persönlich zugetan ist, sondern als Referenz auf die freimütige und klare Missionspredigt des Paulus auch an die Korinther : „Paul and Timothy have spoken boldly and transparently to the people of Corinth […], and they have done this despite the predictable unpopularity of the message and the high likelihood of rejection and persecution.“ (148)

Entscheidend ist zweitens das Verständnis der anschließenden Phrase B jaqd¸a Bl_m pepk²tumtai in 6,11b. Auch hier gehe es nicht um die emotionale Zugewandtheit des Paulus gegenüber den Adressaten, sondern, unter Hinweis auf PsLXX 118,32 bd¹m 1mtok_m sou 5dqalom ftam 1pk²tumar tµm jaqd¸am lou, um die von Gott gegebene Kraft, den Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes auch gegen Widerstände durchzuhalten. Entsprechend verschiebt sich der Sinn gegenüber dem verbreiteten Verständnis (6,11–13 als Beteuerung der intensiven Beziehung des Paulus zur Gemeinde) auch in V.12: Paulus wehrt den Gedanken ab, er und Timotheus hätten die Korinther als Partner in der missionarischen Arbeit ungebührlich hart behandelt. Vielmehr ist es in ihrem Inneren (1m to?r spk²cwmoir) beengt, im Gegensatz zum weiten Herzen des Paulus. V.13 ruft dann nicht, so die übliche Auslegung, zur Erwiderung der Liebe des Paulus auf. Die von den Korinthern geforderte !mtilish¸a ist vielmehr „the exchange that has been discussed throughout 6.2–11, wherein those who trust God and obey his commands are encouraged and sustained by God so that they can endure any consequent difficulties.“ (154)

Es liegt auf der Hand, dass die von Land vorgelegte Interpretation von 2Kor 6,1–13 die Schwierigkeiten, die das Stück 2Kor 6,14–7,1 der Forschung bereitet, mit einem Schlage vom Tisch wischt:

Versöhnung und Streit. Literarkritik des 2. Kor in der neueren Forschung 107 „Granting that Paul and Timothy are not defending themselves or appealing for affection in 6.1–3, but rather preparing their readers to undertake a costly obedience of some kind, the transition into 6.14–7.1 becomes much less abrupt and much easier to explain. Indeed I would go so far as to claim that it requires no real comment at all.“ (155)

Die seit 5,20 vorgenommenen exegetischen Weichenstellungen, die Land zu einem in der Tat neuen Verständnis des ganzen Zusammenhangs führen, müssen hier nicht im Detail diskutiert werden. Worauf es mir ankommt, ist dies: Lands Studie ist ein weiterer Beleg dafür, dass es sich lohnt, die Knoten eines vorliegenden Textes zu entwirren, anstatt sie literarkritisch zu durchschlagen. Gewiss sind die zahlreichen Interpretationen von 2Kor 6,14–7,1 in seinem kanonischen Textzusammenhang nicht alle gleich überzeugend, und nicht wenige schließen einander aus. Aber das gilt für jeden Text, auch für solche, deren literarische Integrität nicht bezweifelt wird. Aus Sicht der angenommenen literarischen Einheitlichkeit des 2Kor kann den Briefteilungshypothesen immerhin bescheinigt werden, dass sie die Arbeit am kanonischen Text herausgefordert und insofern befördert haben. Dann wäre die Literarkritik auf dem Feld des 2. Korintherbriefes nicht mehr aber auch nicht weniger als ein produktiver Irrtum.

Martin Meiser

Der Galaterbrief im Rahmen der Chronologie der Paulusbriefe

Dass „historische Einsichten nicht zu theologischen Wert- und Vorurteilen führen“1 dürfen, gilt speziell beim Galaterbrief, wo aufgrund konfessioneller Prägungen bzw. dem Wunsch ihrer Relativierung am ehesten die Gefahr besteht, dass der theologische Wunsch zum Vater des literarhistorischen Gedankens wird. Strenge Wissenschaft vermag mit der gebotenen nüchternen Skepsis bekanntlich nur Wahrscheinlichkeitsurteile mit unterschiedlichem Grad an Sicherheit zu generieren. Um solche Wahrscheinlichkeitsurteile mit unterschiedlichem Grad an Sicherheit soll es im Folgenden gehen. Dabei muss gelten, dass auch ein mögliches, aber nicht zwingendes Gegenargument den Rang einer Position einnimmt, gegen die man eine eigene These zu vertreten hat – die Exegetin/der Exeget muss sich das Leben aus methodischen Gründen stets zunächst schwer machen. David F. Tolmie hat in einem Forschungsbericht zum Galaterbrief für die Jahre 2000 bis 2010 Fortschritte in drei Bereichen verzeichnet: 1. in den Studien zur Wirkungsgeschichte; 2. in der Auffächerung der interpretativen, nicht-traditionellen Zugänge zum Galaterbrief; 3. in kleinen, aber gewichtigen exegetischen Details.2 Die Einleitungsfragen gehören nicht dazu. So muss die Erarbeitung eines plausiblen Szenarios genügen; dabei ist deutlich zwischen verschiedenen Graden von Wahrscheinlichkeit zu unterscheiden.

1. Problemlage und Methodik Paulus hat die im Galaterbrief angeredeten Gemeinden wohl während seiner ersten Ägäismission gegründet,3 vermutlich im Jahr 49.4 Angeredet sind Ge1 U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 72010, 28. 2 D.F. Tolmie, Research on the Letter to Galatians: 2000–2010, in: Acta Theologica 32, 2012, 118–157, 139 f. 3 Die Adressaten des Galaterbriefes wissen, dass sich Gal 1,21 und Gal 3,1ff; 4,12–20 auf verschiedene Ereignisse beziehen (Schnelle, Einleitung, 114). Eine Mission jenseits der in Gal 1,21 genannten Regionen noch vor dem in Gal 2,1–10 genannten Ereignis hat es also nicht gegeben. 4 Die hier gegebene Vermutung ist nicht erst durch Rekurs auf Apg 16,6; 18,23 zu sichern. In der andauernden Debatte um Landschafts- vs. Provinzhypothese erfahren Versuche historischgeographischer Plausibilisierung mittlerweile größere Aufmerksamkeit; entsprechend wächst

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meinden in der 43 n. Chr. neu geordneten Provinz Galatia,5 aber nicht die in Apg 13–14 genannten Gemeinden,6 sondern Gemeinden z. B. in Laodikeia Katakekaumene, Isaura Palaia (Leontopolis), Isaura Nea (Isauropolis) und Neapolis.7 Über eine Datierung des Galaterbriefes um 50 oder um 56 ist damit noch nichts entschieden;8 einige Exegeten lassen die Datierungsfrage deshalb offen9 oder konzedieren die begrenzte Belastbarkeit jeder Festlegung.10 Von manchen Exegeten ist der Galaterbrief in die Frühzeit des Apostels eingeordnet worden, d. h. noch vor dem 1. Thessalonicher-11 bzw. dem 1. Korin-

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auch im deutschen Sprachraum die Zahl derer, die für die Provinzhypothese plädieren, zuletzt C. Breytenbach, Paulus und Barnabas in der Provinz Galatien, AGJU 38, Leiden 1996; T. Witulski, Die Adressaten des Galaterbriefes. Untersuchungen zur Gemeinde von Antiochia ad Pisidiam, FRLANT 193, Göttingen 2000; R. Schäfer, Paulus bis zum Apostelkonzil. Ein Beitrag zur Einleitung in den Galaterbrief, zur Geschichte der Jesusbewegung und zur Pauluschronologie, WUNT II/179, Tübingen 2004, 294; D. Sänger, Die Adresse des Galaterbriefs. Neue (?) Überlegungen zu einem alten Problem, in: M. Bachmann/B. Kollmann (Hg.), Umstrittener Galaterbrief. Studien zur Situierung der Theologie des Paulus-Schreibens, BThSt 106, Neukirchen-Vluyn 2010, 1–56, 45; F. John, Der Galaterbrief im Kontext historischer Lebenswelten im antiken Kleinasien, FRLANT 264, Göttingen 2016. Für die zu vermutende Wirkungszeit des Paulus (um 49 n. Chr.) sind nicht die Verhältnisse der Provinz Galatia bei ihrer Gründung 25/20 v. Chr., sondern die Verhältnisse nach der wohl 43 n. Chr. erfolgten Abtrennung des südlichen Pisidien zugrundezulegen; vgl. B. Lerich, Roman Colonies in Southern Asia Minor, Oxford 1967, 163; S. Mitchell, Anatolia. Land, Men, and Gods in Asia Minor, Vol. II: The Rise of the Church, Oxford 1993, 153; John, Galaterbrief, 106. In Apg 13–14 lässt der Verfasser der Apostelgeschichte entgegen seiner Tendenz der Verherrlichung des Paulus nicht diesen, sondern Barnabas als führende Gestalt dieses Missionszuges erscheinen. Aufgrund der Tendenzwidrigkeit der Überlieferung ist ihr ein hoher historischer Wert zuzumessen (außerdem ist die Zuordnung der Provinznamen in Apg 13–14, soweit erfolgt, korrekt; „Galatia“ kommt in Apg 13–14 nicht vor). Umgekehrt präsentiert sich Paulus in Gal 4,12–20 als alleinigen Gemeindegründer. Paulus wird bei Barnabas wie bei den Gegnern zwar kaum das Interesse haben, deren Position aufzuwerten, muss aber vermeiden, dass man eine wahrheitswidrige Aussage gegen ihn verwenden kann (vgl. auch Gal 1,20). Sänger, Adresse, 45. Für ein Aufbrechen des Junktims zwischen der Provinzhypothese und der Festlegung auf die in Apg 13–14 genannten Gemeinden vgl. schon M. Theobald, Der Galaterbrief, in: M. Ebner/S. Schreiber (Hg.), Einleitung in das Neue Testament, KStTh 6, Stuttgart 2008. Vgl. D. Sänger, „Das Gesetz ist unser paidacyc|r geworden“ (Gal 3,24), in: ders., Von der Bestimmtheit des Anfangs. Studien zu Jesus, Paulus und zum frühchristlichen Schriftverständnis, Neukirchen-Vluyn 2007, 158–184, 162 Anm. 15: „Weder die Landschafts- noch die Provinzhypothese schließen eine frühere (kurz vor dem 1Kor) oder spätere (kurz vor dem Röm) Abfassungszeit aus.“ M.D. Nanos, Galatians, in: D.E. Aune (Hg.), The Blackwell Companion to the New Testament, Chichester 2010, 455–474, 457; J. Frey, Galaterbrief, in: O. Wischmeyer (Hg.), Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe, UTB 2767, Tübingen/Basel 2006, 192–216, 207. Vgl. D. Guthrie, New Testament Introduction, Downers Grove 51990, 480: „an earlier date has perhaps fewer difficulties than a later.“ Vgl. ferner D.J. Moo, Galatians, Baker Exegetical Commentary on the New Testament, Grand Rapids 2013, 14 f: „we incline very weakly to locate the meeting of Gal. 2:1–10 during the famine-relief visit of Paul to Jerusalem (Acts 11:27–30).“ T. Zahn, Der Brief des Paulus an die Galater, KNT 9, Leipzig 21907, 19 f, aufgrund von 1 Thess 1,8 f: Die Wendung „an jedem Ort“ könne sich nur auf Gemeinden außerhalb Makedoniens und Griechenlands beziehen. Bekannt wurden der Glaube der Thessalonicher in den asiatischen

Der Galaterbrief im Rahmen der Chronologie der Paulusbriefe

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therbrief,12 von einigen in die Entstehungszeit des 1. Korintherbriefes,13 von den meisten in die Zeit der Entstehung des 2. Korintherbriefes,14 von einigen allgemein zwischen dem 1. Korinther- und dem Römerbrief.15 Häufig wird aufgrund der Parallelität in Aufbau und Gedankengang auch eine relative zeitliche Nähe des Galaterbriefes zum Römerbrief befürwortet,16 ohne dass dies als zwingend gilt, wie einerseits die Divergenzen zwischen beiden Briefen,17 andererseits die Verweise auf Spuren rechtfertigungstheologischen Denkens auch in den Korintherbriefen zeigen.18 Mittlerweile wird auch die bereits altkirchlich bezeugte Spätdatierung wieder vertreten.19 Ein Blick in altkirchliche Kommentare20 wie in die Kommentarliteratur am Ende des

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Gemeinden wohl am ehesten durch Timotheus (vgl. Apg 16,1–3). Vgl. auch F.F. Bruce, The Epistle of Paul to the Galatians. A Commentary on the Greek Text, NIGTC, Exeter 1982, 17; R.N. Longenecker, Galatians, WBC 41, Waco 1990, lxxxviii; Moo, Galatians, 18. P. Esler, Galatians, New Testament Readings, London 1998, 36; J.L. Martyn, Galatians. A New Translation with Introduction and Commentary, AncB 33, Doubleday/New York 1997, 19–20; I.J. Elmer, Paul, Jerusalem and the Judaisers. The Galatian Crisis in Its Broadest Historical Context, WUNT II/258, Tübingen 2009, 130, aufgrund von 1Kor 16,1–4. P. Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur. Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die Apostolischen Väter, de Gruyter Lehrbuch, Berlin/New York 1975, 125. Da, wo eine Briefteilungshypothese zum 2. Korintherbrief nach Krenkel/Windisch vertreten wird, gibt es unterschiedliche Ansätze: Manchmal gilt der Galaterbrief als nach 2Kor 1–9 und zeitgleich zu 2 Kor 10–13 entstanden; vgl. etwa U. Borse, Der Standort des Galaterbriefs, BBB 41, Köln 1972, 178; F. Mußner, Der Galaterbrief, HThK 9, Freiburg u. a. 1974, 10 f; manchmal wird der Galaterbrief in die Nähe zu 2Kor 1–9 gerückt, während 2Kor 10–13 vorausgeht (E.P. Sanders, Paul. The Apostle’s Life, Letters, and Thought, Minneapolis 2015, xxxiii). Zu Briefteilungshypothesen zum 2. Korintherbrief vgl. insgesamt R. Bieringer, Teilungshypothesen zum 2. Korintherbrief. Ein Forschungsüberblick, in: ders./J. Lambrecht, Studies on 2 Corinthians, BEThL 112, Leuven 1994, 67–105; Schnelle, Einleitung, 103–111. Beide Autoren treten für die literarische Einheitlichkeit des Briefes ein. Anders jetzt wieder E.-M. Becker, Schreiben und Verstehen. Paulinische Briefhermeneutik im 2. Korintherbrief, Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie 4, Tübingen 2002, 61–104, und D.-A. Koch, Der 2. Korintherbrief als Briefsammlung – eine unendliche Geschichte?, in: M.R. Hoffmann/F. John/E.E. Popkes (Hg.), Paulusperspektiven, BThSt 145, Neukirchen-Vluyn 2014, 119–145, mit unterschiedlicher Methodik. D. Lührmann, Der Brief an die Galater, ZBK.NT 7, Zürich 1978, 10. Z. B. Mußner, Galaterbrief, 9 f; Schnelle, Einleitung; 111 f; M. Theobald, Der Galaterbrief, in: M. Ebner/S. Schreiber, Einleitung in das Neue Testament, Kohlhammer Studienbücher Theologie 6, Stuttgart 22013, 353–370, 365, u.v.a. W.G. Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg 211983, 265; H.D. Betz, Der Galaterbrief. Ein Kommentar zum Brief des Apostels Paulus an die Gemeinden in Galatien. Aus dem Amerikanischen übersetzt und für die deutsche Ausgabe redaktionell bearbeitet von S. Ann, München 1988, 50 f. Frey, Galaterbrief, 207. So P. Pilhofer, Rechtfertigung aus Glauben. Das letzte Wort des Paulus, in: ders., Neues aus der Welt der frühen Christen, BWANT 195, Stuttgart 2011, 93–125, 107–109, mit Verweis auf W. Foerster, Abfassungszeit und Ziel des Galaterbriefes, in: W. Eltester (Hg.), Apophoreta. FS für E. Haenchen zu seinem siebzigsten Geburtstag am 10. Dezember 1964, BZNW 30, Berlin 1964, 135–141. Johannes Chrysostomus zufolge ist der Galaterbrief vor dem Römerbrief geschrieben (hom. in Rom. 1,1, PG 60, 393; ebenso Theophylakt von Ochrid, in Rom., PG 124, 336 B). Anders

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19.Jhs.21 zeigt ernüchternd die Divergenz der Meinungen schon in früheren Zeiten. Ebenso ernüchternd ist der Blick auf einige Veröffentlichungen, die speziell der Paulus-Chronologie gewidmet sind. Udo Borse datiert 1Kor ; 2Kor 1–9; Gal; 2Kor 10–13 auf den Spätherbst 57, den Römerbrief danach,22 während die Datierung des Philipperbriefes offen bleibt.23 Alfred Suhl erstellt die Reihenfolge 1Thess (50) – Phlm/Kol/Phil 1,1–3,1; 4,10–23 (53) – 1Kor/Phil 3,2–4,9/ Gal/2Kor 2,14–6,13; 7,2–4/2Kor 10–13/2Kor 1,1–2,13; 7,5–16 (54) – Röm (55).24 Robert Jewett verlegt den Galaterbrief in das Jahr 52, den Philipperbrief in das Jahr 55 noch vor die Korintherkorrespondenz.25 Niels Hyldahl zufolge sind die Thessalonicherbriefe 50/51 entstanden, zwischen Herbst 53 und 54 die Briefe an die Philipper und Kolosser und an Philemon, sodann der Galaterbrief und der 1. Korintherbrief, während 2. Korinther- und Römerbrief wohl auf das Jahr 55 fallen.26 Thomas Söding datiert den 1. Thessalonicherbrief auf 50/51, den „Vorbrief“ nach Korinth auf 54, den 1. Korintherbrief in das Frühjahr 55; während der Haft in diesem Jahr sind Phil 4,10–20, dann Phil 1,1–3,1; 4,4–7 entstanden, im Frühjahr 56 die Apologie 2Kor 2,14–7,4, dann der Tränenbrief 2Kor 10–13, im Spätsommer 56 der Versöhnungs- und Kollektenbrief nach Korinth (2Kor 1,1–2,13; 7,5–16; 8 f.) sowie Phil 3,2–4,3; 4,8 f und kurz darauf der Galaterbrief, im Winter 56/57 der Römerbrief.27 Holger Zeigan vermutet die Abfassung des Galaterbriefes ca. 52, jedenfalls noch vor der Korintherkorrespondenz.28 Gregory Tatum ordnet den Galaterbrief nach 2Kor 10–13 und vor dem Philipperbrief sowie vor 2Kor 1–9 ein.29 Stefan Schreiber konstruiert die Reihenfolge 1Thess (50/51) – 1Kor/Phil/Phlm (Ephesus 52–55) – 2Kor/Gal (55/56) – Röm (56).30 Rainer Riesner datiert – unter anderen Voraussetzungen der Adressatenfrage und des Verhältnisses

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Theodoret von Kyros, praef. in ep. Paul., PG 82, 41BC: Der Galaterbrief ist der erste Brief aus der römischen Zeit des Apostels. Fr. Sieffert, Der Galaterbrief, KEK 4/1, Göttingen 81894, 23. Borse, Standort, 175. Borse, Standort, 4. A. Suhl, Paulus und seine Briefe. Ein Beitrag zur paulinischen Chronologie, Gütersloh 1975, 342–344. R. Jewett, Paulus – Chronologie. Ein Versuch, München 1982, 162. N. Hyldahl, Die paulinische Chronologie, AThD 19, Leiden 1986, 121 f. T. Söding, zur Chronologie der paulinischen Briefe, in: ders., Das Wort vom Kreuz. Studien zur paulinischen Theologie, WUNT 93, Tübingen 1997, 3–30: 9 f. H. Zeigan, Aposteltreffen in Jerusalem. Eine forschungsgeschichtliche Studie zu Galater 2,1–10 und den möglichen lukanischen Parallelen, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 18, Leipzig 2005, 490. G. Tatum, New Chapters in the Life of Paul. The Relative Chronology of his Career, CBQ.MS 41, Washington 2006, passim. S. Schreiber, Die Chronologie der paulinischen Briefe, in: F.W. Horn (Hg.) Paulus Handbuch, Tübingen 2013, 158–165.

Der Galaterbrief im Rahmen der Chronologie der Paulusbriefe

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zwischen den Paulusbriefen und der Apostelgeschichte – den Galaterbrief gar schon auf das Jahr 48.31 Deutlich ist: Unterschiedlich wird das chronologische Verhältnis des Galaterbriefes zum 2. Korintherbrief bzw. zu einzelnen seiner Teile bestimmt, während bei mehreren der genannten Autoren der Philipperbrief vor dem Galaterbrief zu stehen kommt. Textinterne Indizien sind nicht greifbar. Die Wendung ja· oR sµm 1lo· p\mter !dekvo_ (Gal 1,2) belegt nicht zwingend, dass keine von Paulus gegründete Einzelgemeinde hinter ihm stand,32 sondern mag die Einhelligkeit der Position derer um Paulus betonen33 und auf die Isolation der Galater zielen.34 Deshalb ist aus der Tatsache, dass Timotheus nicht erwähnt wird, auch nicht zwingend eine Abfassung vor Eintritt des Timotheus in das Missionswerk des Paulus zu folgern.35 Die Wendung ovtyr taw]yr (Gal 1,6) kann sich auf die kurze Dauer seit dem Weggang des Apostels, aber auch auf die kurze Dauer der Wirksamkeit der Gegenmissionare beziehen;36 möglicherweise liegt eine Anspielung auf ExLXX 32,8 vor: paq]bgsam taw» 1j t/r bdoO Hr 1mete_ky aqto?r. Bei der Wendung t¹ pq|teqom (Gal 4,13) hat sich die Bedeutung von „beim ersten Mal“ (so im klassischen Griechisch) zu der allgemeinen „früher“ verschoben,37 so dass Gal 4,13 keineswegs zwingend ergibt,38 dass Paulus schon zweimal (wie es Apg 18,23 nach Apg 16,6 f nahezulegen scheint) die Adressaten besucht hatte. Gal 4,20 sagt nur, dass sich Paulus offenbar außerstande sieht, selbst zu den Adressaten zu reisen.39 Ob dies in der Entfernung zwischen 31 R. Riesner, Paul’s Chronology, in: S. Westerholm (Hg.), The Blackwell Companion to Paul, Chichester 2014, 9–29, 23. 32 H. Lietzmann, An die Galater. Mit einem Literaturnachtrag von Philipp Vielhauer, HNT 10, Tübingen 41971, 28; Pilhofer, Rechtfertigung aus Glauben, 108, der „und alle Brüder mit mir“ in Gal 1,2 nicht auf eine Gemeinde, sondern auf seine Begleiter während der Reise nach Rom bezieht. 33 J. Rohde, Der Brief des Paulus an die Galater, ThHK 9, Berlin 1989, 35. 34 W.-H. Ollrog, Paulus und seine Mitarbeiter. Untersuchungen zur Theorie und Praxis der paulinischen Mission, WMANT 50, Neukirchen 1979, 185. 35 Anders Longenecker, Galatians, lxx f. 36 M.C. de Boer, Galatians. A Commentary, New Testament Library, Louisville 2011, 11, hält es für wahrscheinlich, dass die Gegenmissionare kurz nach der Abreise des Paulus aufgetreten sind und kurz nach ihrer Ankunft erfolgreich waren, bezieht die Wendung ovtyr taw]yr also zusammenfassend auf beide Zeitspannen. Das ist möglich, aber nicht zwingend. 37 D.A. Carson/D.J. Moss/L. Morris, An Introduction to the New Testament, Grand Rapids 1992, 293. 38 Zunächst bestechend wirkt das Argument bei A. Wikenhauser/J. Schmid, Einleitung in das Neue Testament, Freiburg 61973, 418; Kümmel, Einleitung, 264: Paulus hätte pq|teqom nicht setzen müssen, wenn er nur undifferenziert von einem früheren Zeitpunkt hätte reden wollen. Man kann aber als Gegenfrage stellen: Wenn das Verhältnis zwischen Paulus und den Adressaten auch beim zweiten Besuch ungetrübt war, warum erwähnt Paulus das nicht, obwohl es ihm argumentativ nützlich gewesen wäre? Warum soll pq|teqom nicht einfach als Gegenbegriff zu mOm (die Zustände zur Zeit der Abfassung des Galaterbriefes bezeichnend) verstanden werden? 39 Zahn, Galater, 18: „Warum gibt er nicht Gründe an, welche ihm dies (scil. eine Reise zu den Galatern) verbieten?“ Er stellt aber auch keinen Besuch in Aussicht (Suhl, Paulus, 221).

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Ephesus und Ancyra,40 in einer Gefangenschaft in Ephesus,41 in einer nach Makedonien und Achaia orientierten Reise,42 in der korinthischen Krise,43 in der Intention, das Kollektenwerk zu Ende zu bringen,44 oder in Schwierigkeiten mit der Gemeinde am derzeitigen Aufenthaltsort45 begründet ist, wird nicht deutlich.46 Alle diese Stellen haben deshalb für die hier verhandelte Frage kein Gewicht. Ähnliches gilt im Fall textinterner Indizien aus anderen Paulusbriefen. 1Kor 16,1 kann ebensogut vor der galatischen Krise47 wie nach deren Beilegung entstanden sein,48 trägt also zur Entscheidungsfindung nichts bei.49 Die in 2Kor 11,32 f angesprochene Flucht des Apostels aus Damaskus ist am ehesten in der Zeit denkbar, als Aretas IV. die Kontrolle über Damaskus hatte (37–39 n. Chr.), nämlich nach dem Tod des Tiberius, als Gaius Caligula ein System von Vasallenkönigen im Osten einrichtete.50 Die Paulusstelle selbst ist allerdings Teil einer Rückschau und gibt für die wirkliche Datierung der Paulusbriefe keine näheren Aufschlüsse. Das in 2Kor 12,2–4 erwähnte Ereignis lässt sich nicht mit anderen sicher bezeugten Daten aus der Paulus-Vita korrelieren; es besagt nicht mehr, als dass Paulus den 2. Korintherbrief mindestens ca. 14 Jahre nach diesem Ereignis, das keineswegs mit seiner Berufung selbst zu identifizieren ist, geschrieben hat.51 Für die Frage der Datierung des Galaterbriefes sind vor allem aus Gründen der Forschungsgeschichte drei Klärungen erforderlich, betreffend 1. die relative Chronologie der Paulusbriefe, 2. die Datierung der in Gal 2,1–14 genannten Ereignisse, 3. die Korrelation zwischen den Paulusbriefen und der 40 J. Gnilka, Paulus von Tarsus, Apostel und Zeuge, HThK.S 6, Freiburg u. a. 1996, 116. 41 D.-A. Koch, Geschichte des Urchristentums. Ein Lehrbuch, Göttingen 2013, 305. Argumente für die These einer Gefangenschaft in Ephesus sind 1Kor 15,32 und 2Kor 1,8–10, wohl auch Röm 16,4 (darauf verweist Gnilka, Paulus, 119), ebenso die Briefe an die Philipper (Ephesus liegt näher an Philippi als an Rom oder Caesarea) und an Philemon. 42 Vgl. J. Becker, Paulus. Der Apostel der Völker, Tübingen 31998, 272; D. Sänger, Literarische Strategien der Polemik im Galaterbrief, in: ders., Schrift – Tradition – Evangelium. Studien zum frühen Judentum und zur paulinischen Theologie, Neukirchen-Vluyn 2016, 275–297, 275 Anm. 2. 43 F.J. Matera, Galatians, Sacra Pagina 9, Collegville 1992, 26. 44 R. Schäfer, Paulus bis zum Apostelkonzil. Ein Beitrag zur Einleitung in den Galaterbrief, zur Geschichte der Jesusbewegung und zur Pauluschronologie, WUNT II/179, Tübingen 2004, 317; D.J. Moo, Galatians, 11–15. 45 Zahn, Galater, 20; de Boer, Galatians, 11. 46 Folgt man der Provinzhypothese bzw. einer modifizierten Provinzhypothese, käme als Argument in Betracht, dass Paulus, nachdem er von Ephesus in Richtung Makedonien aufgebrochen war, wohl kaum wieder durch die Provinz Asia hindurchziehen konnte. Aber auch das muss spekulativ bleiben. 47 Theobald, Galaterbrief, 365. 48 P. Pokorny´/U. Heckel, Einleitung in das Neue Testament. Seine Literatur und Theologie im Überblick, UTB 2798, Tübingen 2007, 228. 49 P. Bonnard, L’epitre de Saint Paul aux Galates, Neuch.tel 21972, 14; Frey, Galaterbrief 206. 50 Vgl. Jewett, Paulus, 58–63, bes. 62 f. 51 Vgl. Jewett, Paulus, 96 f.

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Apostelgeschichte hinsichtlich der Angaben der Jerusalemreisen. Die Reihung dieser Komplexe mag erstaunen, kann aber hinsichtlich der zweiten und dritten Position begründet werden. Gal 1; 2 lassen zwar eine – immer noch mit Schwierigkeiten behaftete52 – relative Chronologie der dort erzählten Ereignisse zu, verraten aber nicht, wie lange nach den in Gal 2,1–14 genannten Ereignissen Paulus den Brief schrieb.53 In der Frage der Korrelation zwischen den Paulusbriefen und der Apostelgeschichte verdienen im Zweifelsfall stets die Primärquellen den Vorzug, so wenig sie (trotz Gal 1,20) hinsichtlich erkennbarer auktorialer Tendenzen unkritisch gelesen werden dürfen.

2. Die relative Chronologie der Paulusbriefe Argumente zur relativen Chronologie der Paulusbriefe lassen sich absteigender Gewichtung nach einteilen in Argumente aufgrund der Kollekten- und Reisepläne des Apostels, Argumente aufgrund der im Präskript genannten Mitarbeiter,54 Argumente aufgrund chronologischer und topographischer Bemerkungen,55 Argumente aufgrund der vorausgesetzten Briefsituation und Überlegungen zur theologischen Entwicklung des Paulus. Das Verhältnis der Kollektennotizen 1Kor 16,1–4; 2Kor 8; 2Kor 9; Röm 15,26 und der Reisenotizen 1Thess 3,1 f; 1Kor 16,8 f; 2Kor 9,4 untereinander hat schon seit altkirchlicher Zeit56 zu der auch heute unbestrittenen Reihenfolge 1Thess – 1Kor – 2Kor57 – Röm geführt.58 Die Divergenzen der chrono52 Vgl. die Diskussion um den Bezugspunkt des Wortes 5peita in Gal 2,1. 53 Robert Jewett (Paulus-Chronologie, 161 f) hat eine Ansetzung des Galaterbriefes um 53/54 mit der relativen zeitlichen Nähe zu den in Gal 2,1–14 ausführlich berichteten Ereignissen begründet. Doch mag die Ausführlichkeit der Darstellung eher der thematischen Relevanz geschuldet sein (Rohde, Galater, 12). 54 Vgl. dazu Hyldahl, Chronologie, 5–9. Von der Erwähnung des Timotheus in 2Kor 1,1; Phil 1,1 her ergäbe sich eine auch anderweitig begründbare Nähe zwischen Philipper- und 2. Korintherbrief. 55 Söding, Chronologie, 4. 56 Johannes Chrysostomus, hom. in Rom. 1,1, PG 60, 392, erschließt aus dem Nebeneinander von Röm 15,26 und 1Kor 16,4, dass die Korintherbriefe vor dem Römerbrief entstanden sind, aus dem Nebeneinander von 1Thess 4,9 f und 2Kor 9,2, dass der 1. Thessalonicherbrief noch vor den Korintherbriefen zu datieren ist. Für Theodoret von Kyros, Hom. in Rom. 1,1, PG 82, ergeben 1Thess 3,1; 1Kor 16,8 f; 2Kor 9,4 die Reihenfolge 1Thess; 1 + 2 Kor. Nach 1Tim und Tit ist dann der Römerbrief geschrieben, wobei für die Nachordnung des Römerbriefes gegenüber den Korintherbriefen wiederum Röm 15,26 verantwortlich ist (Theodoret von Kyros, praef. in ep. Paul., PG 82, 40 B–D). 57 Wenn Briefteilungshypothesen akzeptiert werden, gilt dies auch für alle einzelnen Teile. Man wird fragen müssen, inwieweit Paulus die dort angedeuteten Reisepläne verwirklicht hat bzw. verwirklichen konnte. 58 Martyn, Galatians, 222–227, erschließt aus dem singularischen Aorist 1spo}dasa in Gal 2,10b, dass die Gegner des Paulus gegenüber den Adressaten des Galaterbriefs das Ausscheiden des Paulus aus dem antiochenischen Kollektenwerk mitgeteilt hätten; Paulus habe nach seinem

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logischen Einordnung des Galaterbriefes sind in dem Umstand begründet, dass Reisenotizen wie auswertbare Schlussgrüße ebenso fehlen wie die Angabe eines namentlich bekannten Mitabsenders. Letztere Argumentation zugunsten einer relativen Chronologie ist in zweifacher Weise methodisch schwierig: 1. Das spekulative Moment ist nicht auszuschalten.59 2. Die Paulusbriefe sind zumeist Gelegenheitsschreiben, die konkret auf eine von Paulus so wahrgenommene Situation reagieren.60 Letztere Schwierigkeit besteht zweifellos hinsichtlich der intentionalen Seite einer paulinischen Argumentation. Hingegen lässt die vergleichende Feststellung von Substrukturen (Syntagmen; zugrundeliegende Oppositionen wie „Fleisch/Geist“) mit der gebotenen Vorsicht doch gewisse Schlüsse zu. Von vornherein jedoch sei der hypothetische Charakter dieses ganzen Abschnitts betont.

2.1. Die Reihenfolge zwischen Galaterbrief und 1. Korintherbrief Gerd Theißen hat die Vorordnung des Galaterbriefes vor dem 1. Korintherbrief u. a. damit begründet, dass die im Galaterbrief durch die Situation gerechtfertigte polemische Betonung des Aposteltitels dann zur situationsunabhängigen Konvention wird und dass Paulus nach seinen korinthischen Erfahrungen wohl kaum pneumatologisch argumentiert hätte.61 Beides kann relativiert werden: 1. Auch in den Korintherbriefen hat es gute Gründe, wenn Paulus auf seinen Aposteldienst verweist (vgl. 1 Kor 4,16–21; 2 Kor 3,1 f und vor allem 1Kor 4,8–10; 2Kor 10,2; 11,1–15; 13,2). 2. Unabhängig von den Problemen mit korinthischen Pneumatikern treffen der Galater- und der Römerbrief in der Mahnung zu einem vom Geist gesteuerten ethischen Handeln durchaus zusammen. Die Reihenfolge 1Kor – Gal ist unterschiedlich begründet worden. Dass 1Kor 16,1 nicht zur Begründung herangezogen werden kann,62 wurde schon deutlich. Von dem Vergleich zwischen beiden Briefen bei Udo Borse bleiben bei kritischer Betrachtung zunächst nur 1Kor 7,19 und Gal 5,11 als bedenkenswert übrig, doch kann 1Kor 7,19, bei Borse in zweifachem Zusammenhang herangezogen, die Beweislast nicht tragen. Wie in 1Kor 7,19 kann Paulus

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Ausscheiden eine eigene Initiative gestartet. Dies aber sei erst nach der Abfassungszeit des Galaterbriefes erfolgt. Mußner, Galater, 10 f; Guthrie, Introduction, 481; Betz, Galaterbrief, 50 Anm. 44, mit Kritik an Borses Methode. Elmer, Paul, 129. G. Theißen, Die Gegenmission zu Paulus in Galatien, Philippi und Korinth. Versuch einer Einheitsdeutung, in: W. Kraus (Hg.), Beiträge zur urchristlichen Theologiegeschichte, BZNW 163, Berlin/New York 2009, 277–306, 283 mit Anm. 21. So aber H.-M. Schenke/K. M. Fischer, Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments, Bd. 1: Die Briefe des Paulus und Schriften des Paulinismus, Gütersloh 1978, 79.

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auch mitten im galatischen Konflikt Beschneidung und Unbeschnittenheit in Gal 5,6 unpolemisch in einer Formel zusammenstellen.63 Allgemeinere Formeln für das höchste Lebensziel als das spezifisch christliche Gal 5,6 finden sich nicht nur in 1Kor 7,19, also vor der Entstehung des Galaterbriefes,64 sondern auch danach, nämlich in Röm 6,11 („für Gott leben“) und Röm 7,4 („Gott Frucht bringen“). Eher zur Argumentation geeignet ist sein Hinweis, dass Gal 5,11 die gedankliche Verknüpfung von 1Kor 1,17.23 nahe legt65 – Gal 5,11 wirkt in der Tat wie eine Abbreviatur beider Korintherstellen. Ein zusätzliches Argument für die Nachordnung des Galaterbriefes mag noch benannt werden: In 1Kor 3,1.3 begegnet die semantische Opposition saqjimo_ bzw. saqjijo_/pmeulatijo_, aber noch nicht die formelartige Gegenüberstellung s\qn/pmeOla wie in Gal 5,19–23, die dort wie später im Römerbrief auf das Gebiet des Ethischen bezogen werden. Auch fehlt im 1. Korintherbrief die Formel p_stir WqistoO (vgl. dagegen Gal 2,16; Phil 3.9).

2.2. Galaterbrief, Philipperbrief und 2. Korintherbrief Auf Parallelen zwischen dem 2. Korintherbrief und dem Galaterbrief hat bereits Joseph Barber Lightfoot aufmerksam gemacht.66 Er nennt die Bezeichnungen Christi als „Fluch“ bzw. „Sünde“ (Gal 3,13; 2Kor 5,21); die Metapher vom Säen und Ernten im ethischen Zusammenhang (Gal 6,7; 2 Kor 9,6); die Wendungen „ein anderes Evangelium“ (Gal 1,6; 2Kor 11,4), „neue Schöpfung“ (Gal 6,15; 2Kor 5,17), „eifern um jemanden“ in positiver Wertung (Gal 4,17; 2Kor 11,2), „jemanden überreden“ (Gal 1,10; 2Kor 5,11). Borse hat zusätzlich u. a. auf die Verknüpfung von !pohm-sjeim und f/m durch Vma (Gal 2,19; 2Kor 5,14 f) verwiesen,67 Hans-Heinrich Schade auf das Nebeneinander von 5qir, f/kor, hulo_ und 1qihe?ai in Gal 5,20 und 2Kor 12,20.68 Ergänzend seien noch folgende Gesichtspunkte genannt, die als Indizien gewertet werden können, dass der Galaterbrief etwas früher entstanden ist. Die Formel jat± s\qja ist in 1Kor 1,26; 10,18; Gal 4,23.29 gerade nicht ethisch gebraucht, anders als in 2Kor 1,17; 5,16; 10,2 f; 11,18; ebenfalls fehlt im Galaterbrief das Syntagma dijaios}mg heoO (2Kor 5,21). Vor allem aber : In 2Kor 3,6–18 formuliert Paulus theoretisch und ohne unmittelbare Veranlassung durch den Kontext, was er in Gal 4,21–31 aus aktuellem Anlass heraus voll63 64 65 66 67 68

Gegen Borse, Standort, 66. So Borse, Standort, 66 f. Borse, Standort, 52 f. J.B. Lightfoot, Galatians. A Commentary, Andover 21870, 50. Borse, Standort, 71 f. H.-H. Schade, Apokalyptische Christologie bei Paulus. Studien zum Zusammenhang von Christologie und Eschatologie in den Paulusbriefen, Göttinger Theologische Arbeiten 18, Göttingen 21984, 181.

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zieht. All dies sind meines Erachtens gewisse Indizien der Vorordnung des Galaterbriefes vor dem 2. Korintherbrief.69 Kann man etwas über die Datierung des Philipperbriefes sagen? Es gibt gute Gründe, den Philipperbrief in Ephesus zu lokalisieren.70 Von dieser Voraussetzung aus lässt er sich vor dem 2. Korintherbrief einordnen: Phil 1,21–26 ist aus einer Situation der Bedrohung heraus formuliert, 2Kor 1,8–10 nach deren Überwindung,71 sofern Paulus hier auf die Gefangenschaft und nicht etwa auf eine überstandene lebensbedrohliche Krankheit Bezug nimmt. Dass Paulus auf das Auftreten judaistischer Gegner mit einer Synkrisis reagiert (Phil 3,2–6; 2Kor 11,23–29), verbindet beide Briefe ebenfalls, ungeachtet der notwendigen Differenzierung der Gegnerbeschreibung.72 Dabei scheint die Synkrisis in 2Kor 11 prononcierter ausgeführt als in Phil 3; die Formel dijaios}mg 1j heoO in Phil 3,9 ist in 2Kor 5,21 nochmals verkürzt zu dijaios}mg heoO. Kaum mehr etwas ausmachen lässt sich über das Verhältnis zwischen Galater- und Philipperbrief. Deutlich ist, dass sich die Gegnerbeschreibung in diesen beiden Briefen sich untereinander weitaus näher stehen73 als diejenige zum 2. Korintherbrief.74 Der Philipperbrief lässt aber im Gegensatz zum Galaterbrief75 von einer tatsächlichen Einflussnahme der Gegner in der Gemeinde nichts erkennen.76 So mag der Philipperbrief oder wenigstens Phil 69 Borses stärkstes Gegenargument ist, dass das Syntagma in 2Kor 5,14–21 weitaus besser in den Kontext eingebunden ist als in Gal 6,15 (Borse, Standort, 79 f). – Dass die Christuskonformität des Apostels (1Kor 2,1–5) in 2Kor 4,10 und Gal 6,14 zur Kreuzeskonformität wird, liegt in der Situation des Leidens begründet, erlaubt keine Folgerungen hinsichtlich der Reihenfolge beider Briefe. 70 Becker, Paulus, 180, mit Verweis auf die zahlreichen in Phil 2,19–30 vorausgesetzten Reisen zwischen Philippi und dem Aufenthaltsort, die eine nicht allzu große Entfernung nahelegen; vgl. auch Kümmel, Einleitung, 285, der S. 291 allerdings auf den hypothetischen Charakter der Annahme einer ephesinischen Gefangenschaft verweist und die Gefangenschaft des Apostels in Caesarea als Alternative erwägt. Bei einer Lokalisierung des Philipperbriefes in Ephesus entfällt auch der Widerspruch zwischen Phil 2,24 und Röm 15,24.28. Umgekehrt ist bei einer Gefangenschaft in Caesarea oder Rom eher verständlich, dass der Philipperbrief keine Kollektennotizen enthält: Die Sammlung ist abgeschlossen. 71 Gnilka, Paulus, 119 f. 72 Im 2Kor wird das Thema „Beschneidung“ nicht angesprochen; im Phil muss sich Paulus nicht wegen seines Apostelstatus verteidigen. 73 D.A. Campbell, Framing Paul. An Epistolary Biography, Grand Rapids 2014, 156, zufolge sind die im Galaterbrief anvisierten Gegner identisch mit den im Philipperbrief bekämpften. Das ist nicht zwingend. 74 So auch Söding, Chronologie, 28 f, der aber vermutungsweise den Galaterbrief nach dem Philipperbrief ansetzt. 75 Anders L. Thur8n, Paul had no Antagonists, in: A. Mustakallio (Hg.), Lux Humana, Lux Aeterna. Essays on Biblical and Related Themes in Honour of L. Aejmelaeus, Publications of the Finnish Exegetical Society 89, Göttingen 2005, 268–288: Paulus habe reale Probleme in den Adressatengemeinden durch Einführung literarischer Gegnerfiguren in einer für die Gemeinden verständlichen Weise darzustellen gesucht. Aber passen dazu wirklich Gal 4,7; 6,12? 76 M. Wolter, Paulus. Ein Grundriss seiner Theologie, Neukirchen-Vluyn 2011, 363.

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3,2–2177 unter dem Eindruck der galatischen Krise entstanden sein, der Galaterbrief dem Philipperbrief und dann dem 2. Korintherbrief also zeitlich vorgeordnet werden. Als Datierung für den Galaterbrief wären dann das Jahr 55, als Ort der Entstehung wäre Ephesus gegeben, wo Paulus nach anfänglicher Freiheit (vgl. 1Kor 16,8 f und den aus 2Kor 13,1 zu erschließenden Zwischenbesuch) in Haft war. In Ephesus konnten ihn Nachrichten über die Adressaten des Galaterbriefes auch leichter erreichen als später in Makedonien; auch Gal 4,20 kann in dieser Richtung interpretiert werden. Gal 4,20 kann aber auch voraussetzen, dass Paulus sich zwar wieder in Freiheit befand, aber keine Möglichkeit sah, erneut die Provinz Asia zu durchqueren, um zu den Adressatengemeinden des Galaterbriefes zu gelangen. So lässt sich über das Verhältnis zwischen Galater- und Philipperbrief keine Klarheit gewinnen.78 2.3. Die Reihenfolge zwischen Galaterbrief und Römerbrief Zur Begründung der Nachordnung des Galaterbriefes nach dem Römerbrief hat Peter Pilhofer auf Gal 1,2 verwiesen: die Wendung „und alle Brüder mit mir“ verweisen nicht auf eine Gemeinde, sondern auf seine Begleiter während der Reise nach Rom (s. o.). Allerdings gibt es Argumente dafür, dass Paulus den Galaterbrief noch vor dem Römerbrief geschrieben hat. 1. In Röm 8,3 f verknüpft er explizit im Sinne einer kausalen Kette, was in Gal 3,10 (Argument des Faktischen, der Schrift entnommen) und Gal 3,11 (Argument der göttlichen Neuordnung des Zugangs zu ihm) noch nebeneinandersteht. 2. In Gal 3,17 berücksichtigt er nicht, dass der Begriff diah^jg just im Zusammenhang der Beschneidungsforderung Gen 17,9–14 begegnet. In Röm 4 bietet Paulus eine erheblich verbesserte Argumentation, hinter die er auch bei zugegebener emotionaler Anspannung (vgl. Gal 4,20) wohl kaum zurückgefallen wäre. 3. Auch das Syntagma dijaios}mg heoO wäre ihm schon für den Galaterbrief nützlich gewesen (vgl. 2Kor 5,21; Röm 3,21).

77 Briefteilungshypothesen zum Philipperbrief sehen im Maximalfall die Unterscheidung zwischen Dankbrief (Phil 4,10–20), Trostbrief (Phil 1,1–3,1) und Kampfbrief (Phil 3,2–21) vor. Die Tendenz zu Briefteilungshypothesen ist im Fall des Philipperbriefes derzeit rückläufig. Ein Grund dafür (unter anderen) ist methodischer Art: Über die Zuordnung von Phil 4,2–9.21–23 bzw. einzelner Teile daraus hat sich kein Konsens ergeben. 78 Auf die zeitliche Nähe zwischen Galater- und Philipperbrief verweist auch J. Becker, Der Brief an die Galater, NTD 8/1, Göttingen 1998, 16, ohne sich in der Reihenfolge festzulegen.

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3. Die Datierung des so genannten Apostelkonvents und des „Antiochenischen Zwischenfalls“ Gerd Lüdemann datiert den „antiochenischen Zwischenfall“ vor den Jerusalemer Konvent und vermutet, dass Paulus sich in Gal 2,1–14 die Freiheit genommen habe, die Ereignisse nicht nach chronologischer Ordnung darzustellen. Das Phänomen der komplikationslos zusammenlebenden gemischten Gemeinde sei nur vor dem Konvent denkbar. Eine Infragestellung der Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen erscheine nach dem Konvent nicht mehr als möglich.79 Man wird aber gegen Lüdemann daran festhalten können, dass die Abfolge von Gal 2,1–10.11–14 auch die chronologische Abfolge darstellt. Unwahrscheinlich ist, dass Paulus die Reihenfolge in Gal 2,1–10 und Gal 2,11–14 absichtlich vertauscht. Gal 2,11–14 kann man so lesen, dass sich Paulus in Antiochia nicht durchgesetzt hat. Dann wäre aber Gal 2,1–10 als Schlussteil dieses Briefsegmentes ein willkommenes Argument für Paulus gewesen: Der Jerusalemer Konvent hätte seine aktuell in Antiochia verfochtene Position unterstützt. Umgekehrt wäre nach dem Zwischenfall mit dem bekannten Ausgang nicht mehr zu erwarten, dass Paulus Barnabas und dass die antiochenische Gemeinde Paulus soweit vertraut, dass sie ihn als ihren Gemeindegesandten akzeptiert.80 Auch eine Europamission des Apostels vor 48 n. Chr. lässt sich nicht belegen. Ihre Erwähnung hätte gegenüber den Galatern die Unabhängigkeit des Paulus von Jerusalem wirkungsvoll unterstrichen.81 Neben dieser Frühdatierung wird heute öfters auch eine Spätdatierung auf die Zeit zwischen der zweiten und der dritten Missionsreise vorgeschlagen; Gal 2,11–14 wird mit Apg 18,22 korreliert. Lukas habe den Antiochenischen Zwischenfall nicht durch einen frei erfundenen Bericht von dem Streit wegen Johannes Markus ersetzt (Apg 15,36–41), sondern überhaupt verschwiegen.82 So habe es zwei Zusammenstöße zwischen Paulus und Barnabas gegeben, deren erster lediglich bei Lukas (Apg 15,36–41), deren zweiter hingegen nur bei Paulus (Gal 2,11–14) erwähnt sei. Wenn es bei dem Jerusalemer Konvent nur um die Beschneidungsfrage ging, sei es wenig wahrscheinlich, dass man in Antiochia schon zuvor zur Tischgemeinschaft zwischen Juden- und Heidenchristen übergegangen war – das hätte man in Jerusalem ebenfalls diskutiert. Die offene Tischgemeinschaft in Antiochia sei möglicherweise erst 79 G. Lüdemann, Paulus, der Heidenapostel, Bd. 1: Studien zur Chronologie, FRLANT 123, Göttingen 1980, 102. 80 Martyn, Galatians, 231 Anm. 87; ähnlich de Boer, Galatians, 130 Anm. 186. 81 Schnelle, Einleitung, 41. 82 M. Hengel, Der unterschätzte Petrus. Zwei Studien, Tübingen 2007, 89 Anm. 182; A.J.M. Wedderburn, A History of the First Christians, London 2005, 103; M. Konradt, Zur Datierung des sogenannten antiochenischen Zwischenfalls, in: ZNW 102, 2011, 19–39.

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unter dem Eindruck der korinthischen Verhältnisse eingeführt worden. Silas/ Silvanus hat Paulus offenbar nur während der zweiten Missionsreise begleitet, später jedoch nicht mehr, wird dann aber im pseudepigraphen 1. Petrusbrief als Mitarbeiter des Petrus benannt (1Petr 5,12). Auch setzt 1Thess 2,14 f noch ein ungetrübtes Verhältnis zwischen Paulus und den Christen in Judäa voraus.83

4. Die Jerusalemreisen des Apostels Paulus In der Mehrheit der heutigen Forschung ist vorausgesetzt, dass sich Gal 2,1–10 und Apg 15 auf dasselbe Ereignis beziehen.84 Im Gegensatz dazu gilt gelegentlich nicht Apg 15, sondern Apg 11,29 f; 12,25 als Pendant zu Gal 2,1–10.85 Das Hauptargument ist die Divergenz der Anzahl der Jerusalemreisen. Gal 2,1–10 zufolge war Paulus vor dem dort berichteten Apostelkonvent nur ein einziges Mal in Jerusalem (Gal 1,18); Lukas berichtet vor Apg 15 hingegen von zwei Reisen (Apg 9,27 f; 11,29 f; 12,25),86 während Apg 15 bereits die dritte Jerusalemreise darstellt. Auch der zeitliche Rahmen passt: Aufgrund der Erwähnung des Kaisers Claudius in Apg 11,28 ist es – im Hinblick auf die in Gal 2,1 genannte Zeitspanne von 14 Jahren – nicht möglich, die in Apg 11 genannte Reise mit der in Gal 1,18 f genannten zu identifizieren. Das in Gal 2 beschriebene Treffen hatte, anders als es in Apg 15 vorausgesetzt ist, eher privaten Charakter.87 Außerdem ließen sich die Divergenzen zwischen Gal 2,1–14 und Apg 15 damit erklären, dass der Galaterbrief gänzlich vor dem in Apg 15 beschriebenen Ereignis entstanden ist,88 zumal Paulus im Galaterbrief seinen Begleiter Timotheus nicht erwähnt.89 Allerdings bleiben auch Vorbehalte. Zwischen Apg 11,29 f; 12,25 und Gal 2,1–10 ist an Gemeinsamkeit faktisch nur die Anwesenheit von Barnabas und 83 Konradt, Datierung, 27.29.33.36. 84 In altkirchlicher Exegese ist das Bild durchaus uneinheitlich; vgl. M. Meiser, Galater, Novum Testamentum Patristicum 9, Göttingen 2007, 73–75. 85 Zuletzt R. Schäfer, Paulus bis zum Apostelkonzil. Ein Beitrag zur Einleitung in den Galaterbrief, zur Geschichte der Jesusbewegung und zur Pauluschronologie, WUNT II/179, Tübingen 2004, 363 f; Zeigan, Aposteltreffen, 481–483. 86 Dass Paulus diese Reise situationsbedingt verschwiegen haben soll, ist eher unwahrscheinlich (so zu Recht aufgrund von Gal 1,20 Longenecker, Galatians, lxxviii). Eher könnte Lukas die in Apg 11 erwähnte Reise irrtümlich hier eingestellt (vgl. Longenecker, Galatians, lxxiv f; Carson/ Moss/Morris, Introduction, 293) – oder aber die Reise Apg 9,26–29 erfunden haben (vgl. nämlich Gal 1,21–24). 87 Carson/Moss/Morris, Introduction, 294; Moo; Galatians, 14; A. A. Das, Galatians, Concordia Commentary, St. Louis 2014, 41. 88 R.Y.K. Fung, The Epistle to the Galatians, New International Commentary on the New Testament, Grand Rapids 1988, 17: „When Galatians was written, the Jerusalem Council had not yet been held.” 89 Das, Galatians, 40.

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Paulus in Jerusalem festzustellen.90 Titus hätte in der in Apg 11 vorausgesetzten Situation keine Funktion. Der Bezug von Gal 2,2 („aufgrund einer Offenbarung“) auf die Agabus-Prophetie ist gezwungen: Der unvoreingenommene Leser des Galaterbriefes betrachtet als Gegenstand der Offenbarung das durch Paulus in Gal 2,1–10 anvisierte Problem, aber nicht die Hungersnot, die Paulus gar nicht erwähnt. Die Kollekte erscheint – was bei den Vertretern einer Identifizierung der in Apg 11 und Gal 2 genannten Jerusalemreisen zumeist übersehen wird91 – in Gal 2,10 als Beschluss, der erst während dieser Reise in Jerusalem gefasst wurde, in Apg 11 hingegen als Anlass dieser Reise überhaupt. Die Charakteristik des in Gal 2,1–10 benannten Treffens als eines privaten Treffens ist insofern zu hinterfragen, als Barnabas und Paulus sich auch mit denen auseinandersetzen mussten, die Paulus polemisch als „Falschbrüder“ bezeichnet. Ferner mag Apg 11,29 f dem Verfasser der Apostelgeschichte vor allem dazu gedient haben, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den verschiedenen Gruppen der Jesusanhänger zu betonen,92 dient also der Darstellung lukanischer Ekklesiologie.93 Manchmal wird die so genannte erste Missionsreise (Apg 13; 14) in die Zeit nach dem Jerusalemer Konvent verlegt.94 Allerdings erheben sich hier Bedenken: In Gal 2,9 bezeichnet Paulus Barnabas noch als Bündnispartner und ist der Meinung, das von Barnabas auch noch in der in Gal 2,12 geschilderten Situation erwarten zu können. Apg 13; 14 sehen ebenfalls eine gemeinsame Aktivität des Barnabas und des Paulus vor (von der Gewichtung auch in dieser Reihenfolge gemeint – in dieser Hinsicht korrigiert Lukas das Bild, das Paulus von sich selbst zeichnet). In umgekehrter Richtung trug Robert Jewett eine Zuordnung von Gal 2 zu der in Apg 18,22 berichteten, aber nicht motivierten Jerusalemreise vor, verbunden mit einer Spätdatierung des Jerusalemer Konvents nach der ersten Ägäismission.95 Das Hauptargument ist, dass die Enge des Zeitraumes für die erste Ägäismission (= zweite Missionsreise) entlastet wird. Allerdings gibt es in Apg 18,22 keine Textsignale, die eine Korrelierung mit Gal 2 nahelegen. Es ist daher meines Erachtens weiterhin davon auszugehen, dass nicht Apg 11, sondern Apg 15 zu Gal 2 in Korrelation zu setzen ist. Gemeinsam ist das Gegenüber der Antiochener und der Jerusalemer ; gemeinsam ist das generelle Thema des Zugangs von Nichtjuden zur Heilsgemeinde; gemeinsam ist, dass die Antiochener die Zustimmung der Jerusalemer zu ihrem Programm der beschneidungsfreien Mission unter Menschen aus dem griechisch-römischen Kulturkreis erreichen wollen und auch erreichen. Jedoch bestehen Differenzen zwischen Gal 2 und Apg 15: 90 91 92 93 94 95

I. Broer, Neues zur Pauluschronologie?, in: BZ 50, 2006, 99–104, 102. So zu Recht Jewett, Paulus, 121. Elmer, Paul, 88. Schnelle, Einleitung, 39. M. Öhler, Barnabas. Der Mann in der Mitte, Biblische Gestalten 12, Leipzig 2005, 58–65. Jewett, Paulus, 129–131.

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Der äußere Anlass der Reise wird verschieden wiedergegeben. Titus wird nur in Gal 2, aber nicht in Apg 15 erwähnt. Paulus berichtet von zwei getrennten Verhandlungsgängen, Lukas nicht. Paulus versichert, dass ihm keine zusätzlichen Auflagen gemacht wurden, während Apg 15,20 f.29 eine Liste von vier Auflagen, das so genannte Aposteldekret enthält. 5. Paulus erwähnt die Kollekte (Gal 2,10); in Apg 15 wird sie nicht erwähnt.

1. 2. 3. 4.

Die Differenzen lassen sich jedoch beheben: Ad 1.: Paulus betont im Galaterbrief seine Selbstständigkeit gegenüber Jerusalem, ist also nicht daran interessiert, eine rein menschliche Veranlassung durch Andersdenkende zuzugestehen oder auch die Rolle des Barnabas hervorzuheben. Ad 2.: Lukas hat seine eigenen Interessen: Die einleitende Rede des Petrus signalisiert grundsätzlich die Offenheit der Jerusalemer Autoritäten; Barnabas und Paulus weisen auf den Erfolg ihrer Arbeit hin, den der Leser als gottgewollt empfinden soll – demgegenüber wäre der Verweis auf Titus nur eine unnötige Doppelung –; Jakobus führt mit seiner auf Am 9,11 f rekurrierenden Rede die Entscheidung herbei, die dann gar nicht mehr zur Diskussion gestellt wird. Ad 3.: Dass Lukas nicht von zwei Verhandlungsgängen berichtet, hängt mit seiner generellen Tendenz zusammen, dass er die Härte von Auseinandersetzungen zu verschweigen pflegt. Ad 4.: Lukas trägt das Aposteldekret historisch gesehen zu Unrecht in die damalige Jerusalemer Konferenz ein. Apg 21,25 zeigt im Übrigen, dass das Dekret traditionsgeschichtlich in Apg 15 nicht wirklich fest verankert ist: Paulus wird von einer Regelung informiert, um die er seit dem in Apg 15 berichteten Ereignis längst wissen müsste. Ad 5.: Schon Paulus muss um die Annahme der Kollekte fürchten (Röm 15,30–32); Lukas erwähnt sie nur in einem Nebensatz (Apg 24,17) – vermutlich ist sie von den Jerusalemern nicht akzeptiert worden. Dafür ausschlaggebend war wohl die Verschärfung der Spannungen zwischen Juden und der römischen Besatzungsmacht in Israel und das Anwachsen nationalistischer Tendenzen, die jeden Kontakt von Juden zu Nichtjuden als gefährlich erscheinen lassen konnten.

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Martin Meiser

5. Ergebnis Die Ergebnisse der vorliegenden Ausführungen betreffen methodische Fragen wie Fragen der tatsächlichen chronologischen Positionierung des Briefes.

5.1. Methodische Ergebnisse 1. Die Gewinnung von Kurzformeln und semantischen Oppositionen zur Benennung umgreifender Sachverhalte zeigt einen höheren Grad von Durchdringung dieser Sachverhalte an, ist also ein Argument für eine spätere Entstehung. 2. Argumente rhetorischer Zweckdienlichkeit sind wichtige Zusatzargumente, manchmal auch, wenn sie als argumentum e negativo gebraucht werden. 5.2. Die chronologische Positionierung des Galaterbriefes Die Reihenfolge der Festlegungen benennt den absteigenden Grad der Sicherheit: 1. Der Galaterbrief ist vor dem Römerbrief entstanden, nicht danach. 2. Der Galaterbrief ist nach dem 1. Korintherbrief entstanden, wohl kaum davor. 3. Der Galaterbrief ist wohl noch vor dem 2. Korintherbrief entstanden. 4. Der Galaterbrief mag in etwa zeitgleich zu dem in Ephesus entstandenen Philipperbrief geschrieben worden sein. Welcher der beiden Briefe als erster entstanden ist, lässt sich nicht mehr begründet sagen.

Jens Herzer

„Alle Einer in Christus“ – Gal 3,28b und kein Ende? Ein Vorschlag

Thema dieses Beitrages soll nicht eine neue Erörterung der theologischen Implikationen der 1m Wqist`-Vorstellung bei Paulus sein. Udo Schnelle hat dazu Grundlegendes, immer wieder auch Herausforderndes beigetragen und dabei eine profilierte Sicht des In-Christus-Seins entfaltet, angefangen von seiner Dissertation zur paulinischen Tauftheologie.1 Der akademische Gruß in dieser Festschrift ist vielmehr einem Detail dieses Themenfeldes gewidmet, das notorisch strittig ist. Nicht selten hat es zu weitreichenden theologischen und mitunter auch recht spekulativen Interpretationen geführt, zu denen bereits Udo Schnelle berechtigte Bedenken geäußert hat. Es geht um das Problem des maskulinen Zahlwortes eXr in Gal 3,28b, das ausweislich der textkritischen Überlieferung sowie auch der altkirchlichen Auslegung von Anfang an nur schwer im Textzusammenhang zu verstehen war und bis heute ist. Der Aufwand an Theoriebildung ist oft anschaulicher Indikator einer grundlegenden Problematik.2 Unabhängig von der Frage, ob es sich in Gal 3,26–28 um eine vorpaulinische Taufformel handelt,3 umfasst der engere Kontext der Aussage, der für die Interpretation entscheidend ist, die Verse 26–29 (nach Nestle-Aland28):

1 U. Schnelle, Gerechtigkeit und Christusgegenwart. Vorpaulinische und paulinische Tauftheologie, Göttinger Theologische Arbeiten 24, Göttingen, 1983 (21986); vgl. auch ders., Paulus. Leben und Denken, de Gruyter Lehrbuch, Berlin/New York, 2003 (22014), bes. 545–553.629–644; ders., Theologie des Neuen Testaments, UTB 2917, Göttingen 2007 (22014), bes. 251–253. 2 Vgl. die Einschätzung von D. Campbell, The Quest for Paul’s Gospel. A Suggested Strategy, JSNT.S 274, London/New York, 2005, 95–111, 95: „Gal. 3.28 must be one of the most widely cited texts from the Pauline corpus if not from the entire Bible. But in my view it is not so widely understood.“ Der Schwerpunkt dieser Einschätzung liegt allerdings auf Gal 3,28a, dessen Verständnis jedoch mit V.28b eng verknüpft ist, wie Campbells Untersuchung zeigt. 3 Schnelle, Gerechtigkeit, 58 f; H.D. Betz, Der Galaterbrief. Ein Kommentar zum Brief des Apostels Paulus an die Gemeinden in Galatien (aus dem Amerikanischen übersetzt und für die deutsche Ausgabe redaktionell bearbeitet von S. Ann), München 1988 (= Hermeneia, 1979), 320–327; E. Schüssler-Fiorenza, Gleichheit und Differenz. Gal 3,28 im Brennpunkt feministischer Hermeneutik, in: BThZ 16, 1999, 213–231; D. Hellholm, Vorgeformte Tauftraditionen und deren Benutzung in den Paulusbriefen, in: D. Hellholm/T. Vegge/Ø. Norderval/C. Hellholm (Hg.), Ablution, Initiation, and Baptism. Waschungen, Initiation und Taufe. Late Antiquity, Early Judaism, and Early Christianity. Spa¨ tantike, Fru¨hes Judentum und Fru¨ hes Christentum Bd. I, BZNW 176/1, Berlin/Boston 2011, 415–495, 436–439. Kritisch z. B. J.D.G. Dunn, The Epistle to the Galatians, Black’s New Testament Commentaries 9, London 1993, 201; C. Strecker, Die liminale Theologie

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26 P²mter c±q uRo· heoO 1ste di± t/r p¸steyr 1m Wqist` YgsoO7 27 fsoi c±q eQr Wqist¹m 1bapt¸shgte, Wqist¹m 1med¼sashe. 28 oqj 5mi Youda?or oqd³ þkkgm, oqj 5mi doOkor oqd³ 1ke¼heqor, oqj 5mi %qsem ja· h/ku7 p²mter c±q rle?r eXr 1ste 1m Wqist` YgsoO. 29 eQ d³ rle?r WqistoO, %qa toO )bqa±l sp´qla 1st´, jat( 1paccek¸am jkgqomºloi.

1. Perspektivische Annäherung und theologische Kontextualisierung Es gehört zu den Grundüberzeugungen des Apostels Paulus, dass die auf Christus Getauften eine neue Grundlage ihres Seins bzw. ihrer Existenz „in Christus“ gefunden haben.4 „Ist jemand in Christus: neue Schöpfung!“ so formuliert es Paulus in 2Kor 5,17 mit deutlicher Emphase. Der Bezug des Lebens auf Christus begründet einen neuen, schöpfungstheologisch qualifizierten und somit gleichsam von Grund auf neuen Status der Glaubenden, der allen gemeinsam ist – jenseits ethnischer, sozialer und anthropologischer Unterschiede. Bereits im Galaterbrief sind diese Aspekte ausweislich von Gal 3,26–28 und Gal 6,15 miteinander verbunden. Dieses neue Sein hat für Paulus nicht nur eine ontologische, sondern zugleich eschatologische Qualität, insofern das Verwobensein des neu gewordenen Lebens mit dem Sterben und der Auferstehung Christi (Röm 6,3–5) als ein geistliches „Angeld“ (2Kor 1,22; 5,1–5; ferner Eph 1,14) auf die Verwandlung und die Vollendung des irdischen Lebens in Gottes Leben verstanden bzw. geglaubt wird.5 Ebenso ist es Paulus wichtig gewesen, die Gleichheit und von daher auch die Einheit der Gemeinde „in Christus“ auf der Grundlage der gemeinsamen Taufe und damit ihres gemeinsamen Christusbezuges hervorzuheben (1Kor 12,12 f). Dabei spielt in besonderer Weise die Vorstellung eine Rolle, dass die auf Christus Getauften durch die Wirkung seines Todes zu ihm gehören.6 Nicht zuletzt das Selbstverständnis des Paulus als „Sklave Christi“ (vgl. u. a. Röm 1,1; Phil 1,1) bringt des Paulus. Zugänge zur paulinischen Theologie aus kulturanthropologischer Perspektive, FRLANT 185, Göttingen 1999, 351–353. 4 Vgl. z. B. Schnelle, Paulus, 548 f: „Den Raum des neuen Lebens zwischen Heilsbeginn und Heilsvollendung bezeichnet Paulus mit eWmai 1m Wqist`. Diese Wendung ist weitaus mehr als eine ,Formel‘, sie hat als das Kontinuum seiner Theologie zu gelten.“ Vgl. ders., Theologie, 252 f. (Lit.); sowie M. Wolter, Paulus. Ein Grundriss seiner Theologie, Neukirchen-Vluyn 2011, 235–246. Zum Ganzen vgl. u. a. F. Neugebauer, In Christus. Eine Untersuchung zum Paulinischen Glaubensverständnis, Göttingen 1961. 5 Vgl. weiterhin 1Kor 15,23–28.50–57. Vgl. dazu F.W. Horn, Das Angeld des Geistes. Studien zur paulinischen Pneumatologie, FRLANT 154, Göttingen 1992. 6 Vgl. z. B. Röm 7,4; 1Kor 15,23; 2Kor 10,7; Gal 3,29; 5,24, aber auch der Taufzusammenhang von Röm 6 legt dieses Verständnis der Verbindung mit Christus nahe, wie sie auch der Äußerung in 1Kor 1,12 f im Hinblick auf die Taufe vorausgesetzt ist.

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dieses Zugehörigkeits- bzw. Besitzverhältnis exemplarisch zum Ausdruck. Vor dem Hintergrund des Taufverständnisses in Röm 6,1–11 kann man konkreter sagen: Auf der Grundlage ihres gemeinsamen Bezuges auf den Tod Jesu in seiner sündenvergebenden Wirkung (vgl. z. B. Röm 3,25; 5,6–11) wird das der Sünde ausgelieferte Leben der Glaubenden zu einem ewigen Leben unter der Herrschaft Christi als des Kyrios erneuert. Angesichts der die Gemeinde auseinandertreibenden Kräfte in Korinth versucht Paulus mit Verweis auf die gemeinsame Taufe, im Bild der funktionalen Einheit eines Leibes die dynamische Einheit der Gemeinde zu beschreiben (1Kor 12,12–27). Aus diesem tauftheologischen Argument für die Einheit der Gemeinde ergibt sich für Paulus die christologisch zugespitzte Aussage: „Ihr seid Leib Christi“ (12,27), auch wenn unscharf und strittig bleibt, wie die Genitivverbindung s_la WqistoO an dieser Stelle genau zu verstehen ist: als ein Genitivus subjectivus, wie es in der paulinischen Tradition des Epheserbriefes expliziert wird (vgl. Eph 4,127), oder doch eher als ein Genitivus objectivus, bei dem die den Duktus von 1Kor 12 bestimmende LeibMetaphorik nicht zu einer identifikatorischen Aussage über die Gemeinde wird, sondern lediglich den gemeinsamen Christusbezug herausstellt: Die Gemeinde funktioniert wie ein Leib, dessen innerer Zusammenhalt von Christus her bestimmt ist.8 Es ist bemerkenswert, in welch hohem Maße Paulus in 1Kor 12 vor dem Hintergrund der Leib-Metaphorik mit einer Einheitssemantik arbeitet, die in besonderer Weise mit dem Gebrauch der neutrischen Form der Kardinalzahl (6m) zum Ausdruck gebracht wird. In 1Kor 12 ist dieser Gebrauch von den

7 Anders konnotiert als die Leib-Semantik des Eph ist Kol 1,24, wo die paulinische Leib-Metaphorik noch stärker im Hintergrund steht (Kol 2,19). In Kol 1,24 ist die Gemeinde als Leib auch vom Bezug auf seine Leiden her bestimmt, wobei die Leiden des Paulus als zu den „Bedrängnissen Christi“ (t_m hk¸xeym toO WqistoO) hinzutretende Leiden um der Gemeinde willen verstanden werden (vgl. P. Pokorny´, Der Brief des Paulus an die Kolosser, ThHK 10/1, Berlin 1987, 83). Damit ist nicht eine Ergänzung der Heilswirkung des Leidens bzw. des Todes Jesu durch den apostolischen Dienst impliziert (vgl. z. B. U. Luz, Der Brief an die Kolosser, in: J. Becker/U. Luz, Die Briefe an die Galater, Epheser und Kolosser, NTD 8/1, Göttingen 1998, 183–244, 210; J.D.G. Dunn, The Epistles to the Colossians and to Philemon. A Commentary on the Greek Text, NIGTC, Grand Rapids/Cambridge 1996, 115 f). Vielmehr geht es darum, dass zu den Leiden, die Paulus „an seinem Fleisch“ (1m t0 saqj¸ lou) um Christi willen trägt, noch die Sorge bzw. die Bedrängnisse des Apostels um der Gemeinde willen hinzutreten. Das ist daher allerdings auch nicht einfach als „Drangsale der Christen“ zu umschreiben (M. Wolter, Der Brief an die Kolosser. Der Brief an Philemon, ÖTK 12, Gütersloh 1993, 101; vgl. die Diskussion bei L. Bormann, Der Brief des Paulus an die Kolosser, ThHK 10/1, Leipzig 2012, 112–114). Die Bemerkung über das s_la WqistoO in Kol 1,24, das als die Gemeinde näher bestimmt wird (vgl. auch die Wendung in Kol 1,18 innerhalb des hymnischen Stückes 1,16–20, von woher 1,24 bestimmt ist), steht damit deutlich näher zur paulinischen Leib-Metapher und zu anderen Äußerungen des Paulus über seine Peristasen um Christi und den Gemeinden willen (vgl. 2Kor 11,28 im Kontext) als das ekklesiologische LeibChristi-Konzept des Epheserbriefes. 8 Vgl. C. Wolff, Der erste Brief des Paulus an die Korinther, ThHK 7, Leipzig 32011, 301–305.

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Neutra s_la, pmeOla und l´kor her gleich mehrfach inhaltlich bestimmt.9 Ähnliche bzw. mit dieser massiven Häufung in 1Kor 12 vergleichbare Einheitsaussagen sind bei Paulus sonst in dieser Form nicht zu finden; erst später im Römerbrief, geschrieben in Korinth, nimmt Paulus die Vorstellung von der Einheit der Gemeinde als „Leib Christi“ (Röm 12,5) wieder auf.10 In diesem Zusammenhang – und das ist im Hinblick auf Gal 3,28 bemerkenswert – verwendet er auch das maskuline Zahlwort eXr, allerdings gerade nicht in Bezug auf ein wie auch immer verstandenes „Einer“- oder „Eins“-Sein, sondern in einer präpositionalen Wendung, die gerade die Diversität der einzelnen (im Genus maskulin definierten) Gliedmaßen in der Einheit des Leibes hervorhebt: ovtyr oR pokko· 4m s_l² 1slem 1m Wqist`, t¹ d³ jah( eXr !kk¶kym l´kg.11 Vor diesem Hintergrund wäre zu fragen, inwiefern sich die Aussage von Gal 3,28 „ihr seid alle Einer in Christus Jesus“ in den argumentativen Duktus des Galaterbriefes einfügt, ob hier der Einheitsgedanke überhaupt sinnvoll und also ob die regelmäßig strapazierte Vergleichbarkeit mit 1Kor 12 tatsächlich in dem Maße gegeben ist, dass sich eine Interpretation des problematischen eXr in Gal 3,28 von der Vorstellung des einen Leibes in 1Kor 12 her nahelegt. Verstärkt wird die Problematisierung dieses Zusammenhanges dadurch, dass Paulus die christologisch begründete Leib-Metaphorik im Gal nicht verwendet.

2. Wege zum Verstehen Vor dem Hintergrund der Vorstellung von der Einheit der Gemeinde, wie sie sich sonst bei Paulus und im weiteren Kontext der paulinischen Tradition findet, hebt sich also zunächst der absolute Gebrauch von eXr in Gal 3,28 deutlich ab. Entsprechend schwierig ist das Verständnis, und diese Schwierigkeit ist der Grund für die sehr verschiedenen und vielfältigen Interpretationsvorschläge. Aufgrund der (oben nur grob skizzierten) paulinischen s_la-WqistoO-Vorstellung und den vom Genus des Begriffes s_la abhängigen neutrischen Einheitsaussagen verwundert es nicht, dass bereits früh in der Textüberlieferung eXr zu 6m korrigiert wurde. Dazu gleich mehr (s. u. 3.). Doch die Auslegungen, welche die Zuverlässigkeit der im Text des „NestleAland“ gebotenen und dem sogenannten Mehrheitstext folgenden Überlieferung voraussetzen und an der maskulinen Form festhalten, interpretieren sie de facto im Sinne des Bezuges auf die Leib-Christi-Vorstellung, behandeln sie also so, als stünde im Text das Neutrum. Nur beiläufig sei daran erinnert, dass im Johannesevangelium die Einheit der Glaubenden genau in dieser 9 Vgl. 1Kor 12,9.11.12.13.14.18.19.20.26. 10 Auch die Leib-Thematik im Kol ist nicht primär mit dem Einheitsgedanken verbunden (vgl. jedoch Kol 3,15), der hingegen beim Eph im Vordergrund steht (vgl. Eph 2,16; 4,4–6). 11 Vgl. ähnlich in IgnSm 1,2: eUte 1m Youda_oir eUte 1m 5hmesim, 1m 2m· s~lati t/r 1jjkgs_ar aqtoO.

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neutrischen Weise ausgedrückt wird: „damit sie alle eins seien“ (Joh 17,21: Vma p²mter 4m §sim, jah½r s¼, p²teq, 1m 1lo· j!c½ 1m so¸, Vma ja· aqto· 1m Bl?m §sim). Diese Möglichkeit hätte für Paulus – zumal ausweislich 1Kor 12,12 f – ebenfalls bestanden. Will man nicht wie manche Kommentatoren das Problem ganz übergehen und es auf eine Aussage über die Einheit der Gemeinde reduzieren,12 geraten die Deutungsversuche komplexer. Nur einige können hier exemplarisch benannt werden. Einen überraschenden Vorschlag hatte z. B. Heinrich Schlier ins Gespräch gebracht, indem er die maskuline Form auf eine Identifikation der Glaubenden mit Christus selbst zurückführt: „Positiv ausgedrückt, handelt es sich um den Sachverhalt, daß alle – das p²mter ist, wie V.28b zeigt, betont – in Christus Jesus Einer sind, nämlich Christus selbst. Dabei ist wohl das Doppelte gemeint: sie sind in Christus alle zusammen Einer, der Leib Christi; sie sind es freilich so, daß jeweils jeder Einzelne im Verhältnis zum Anderen Christus ist, also deutlicher : daß sie nur noch Glieder Christi sind.“13 In solchen Formulierungen kommt zumindest auch eine gewisse Verlegenheit zum Ausdruck, die das maskuline eXr in Gal 3,28 offenbar bereitet. Man kann es drehen und wenden wie man will – man wird zumindest den begründeten Eindruck nicht los, dass hier etwas nicht stimmen kann. Michael Wolter weitet einen ähnlichen Grundgedanken ekklesiologisch aus und zwar ebenfalls von 1Kor 12,12 her : „Die Bezeichnung der Gemeinde als ,Christus‘ in 1Kor 12,12 findet ihre Entsprechung also in Gal 3,28, wonach alle Getauften ,in Jesus Christus‘ ,einer‘ (eXr, d. h. Maskulinum!) sind. Demnach hat der Genitiv in 1Kor 12,27 dieselbe qualifizierende Funktion wie die Genitive in Kol 2,11 (die Taufe als ,Beschneidung Christi‘), 1Kor 7,22 (,Freigelassener des Herrn‘) und 2Kor 2,15 (,Wohlgeruch Christi‘). Die Gesamtheit aller Christen wird damit gewissermaßen zu einem alter Christus, der ein ekklesialer Leib ist.“14 Allerdings ist fraglich, ob 1Kor 12,12 tatsächlich einen Lösungsansatz für Gal 3,28 bieten kann, denn eine Identifikation der Gemeinde als „der Christus“ (von 1Kor 12,12) bleibt zumindest umstritten bzw. müsste das identifikatorische Potential präziser bestimmt werden. In 1Kor 12 ist ja gerade unverkennbar, dass die Gemeinde selbst in ihrer Einheit und damit in ekklesiologischer Hinsicht mit der Metapher des Leibes veranschaulicht wird, der nicht mit Christus identifiziert, sondern dessen Einheit vielmehr von Christus her begründet ist und von daher die Dynamik der funktionalen Vielheit bzw. Diversität des einen Leibes in seinen Gliedern plausibel macht. Ähnlich wie Wolter hatte bereits Johannes Chrysostomus argumentiert,15 allerdings nicht ekklesiologisch, sondern anthropologisch im 12 Vgl. z. B. J. Rohde, Der Brief des Paulus an die Galater, ThHK 9, Berlin 1989, 165; H. Paulsen, Einheit und Freiheit der Söhne Gottes – Gal 3,26–29, in: ZNW 71, 1980, 74–95. 13 H. Schlier, Der Brief an die Galater, KEK 7, Göttingen, 51971, 175. 14 Wolter, Paulus, 294 f. 15 Vgl. M. Meiser, Galater, Novum Testamentum Patristicum 9, Göttingen 2007, 172.

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Sinne einer Repräsentation bzw. Vergegenwärtigung Christi in der leiblichen Existenz der Glaubenden – nicht ohne die enigmatische und damit das bleibende Problem der Stelle zum Ausdruck bringende Frage zu stellen: „Was könnte es Furchterregenderes geben als diese Worte?“16 Differenzierter ist der Vorschlag von Udo Schnelle, wonach eXr zunächst auch auf Christus zu beziehen sei, allerdings insofern, als es in Christus nur noch „,einen‘ Menschen gibt, nämlich den, der jenen Alternativen (sc. von 3,28ab) enthoben ist […] Eine einfache Identität zwischen Christus und dem Getauften ist mit alldem nicht gemeint, sondern eXr 1ste 1m Wqist` YgsoO bezeichnet die enge Seinsgemeinschaft zwischen Christus und dem Getauften, wobei eXr Ausdruck und 1m Wqist` YgsoO Grund dieser Gemeinschaft ist. Indem die Taufe die Überwindung jeglicher Unterschiede und die Schaffung des neuen Menschen ist, erscheint sie zuallererst als Einheit stiftendes Sakrament, das Gemeinde und Gemeinschaft erst ermöglicht und keineswegs nur Ausdruck der Gemeinschaft ist.“17 Ähnlich hatte auch Franz Mußner argumentiert: „eXr ist der eschatologische ,Einheitsmensch‘ (,der Christ‘), der aus der Taufe hervorgeht.“18 Durch den „geheimnisvollen Vorgang“ des Christus-Anziehens in der Taufe würden „alle ein einziger in Christus Jesus“.19 Ausdrücklich wendet sich Mußner jedoch dabei gegen die Deutung des eXr auf Christus, indem alle einer, nämlich Christus selbst seien: „eXr 1m Wqist` YgsoO besagt also keine Identität von Christus und den an ihn Glaubenden, läßt jedoch den seinshaften Charakter der Verbindung der Getauften mit Christus deutlich erkennen.“ Mußner schließt allerdings sein Argument mit dem Zugeständnis: „Im übrigen redet hier Paulus von einem Mysterium, das sich begrifflich nicht vollkommen fassen läßt, am wenigsten mit Kategorien moderner Existentialanalyse.“20 Insbesondere Udo Schnelles Argumentation richtet sich zu Recht gegen die mythologische Deutung des eXr auf eine androgyne Erlösergestalt, wie dies 16 T¸ to¼tym c´moit’ !m vqijyd´steqom t_m Ngl²tym; (PG 61/656, 1458). Vgl. auch Iust.dial 116,3: durch den Namen Jesu seien die Glaubenden ¢r eXr %mhqypor geworden. Vgl. dazu K. Kloos, „In Christ There Is Neither Male nor Female“: Patristic Interpretation of Galatians 3:28, in: Studia Patristica 39: Papers presented at the Fourteenth International Conference of Patristic Studies held in Oxford 2003. Historica, Biblica, Ascetica et Hagiographica, hg. v. F.M. Young/M.J. Edwards/P.M. Parvis, Leuven u. a. 2006, 239–244; P.N. Hogan, „No Longer Male and Female“. Interpreting Galatians 3:28 in Early Christianity, Library of New Testament Studies 380, London u. a. 2008. 17 Vgl. Schnelle, Gerechtigkeit und Christusgegenwart, 60 f. 18 F. Mußner, Der Galaterbrief, HThK IX, Freiburg u. a. 1974, 264 f; vgl. auch Campbell, Quest for Paul’s Gospel, 100 f. 19 Mußner, Galaterbrief, 265. Vgl. auch Hellholm, Tauftraditionen, 437 f: „Hier wird Christus als der kosmische Mantel, oder der kosmische Mensch verstanden. Dieser kosmische Mensch ist gewissermaßen auch als die Kirche […] interpretiert. Also gilt: alle diejenigen, die auf Christus getauft sind, haben eine göttliche Transformation und Inkorporation in Christus, d. h. in die Kirche erlebt; deshalb gilt: ,Alle seid ihr einer in Christus Jesus‘[…]“ Zielrichtung der Aussage ist nach Hellholm die Einheit der Gemeinde bzw. die „Gemeinschaft aller Christen“ (aaO., 467). 20 Mußner, Galaterbrief, 266.

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etwa in einem einflussreichen Aufsatz von Wayne Meeks vorgeschlagen wurde.21 Meeks bindet alle Aussagen dieser Art in der paulinischen Tradition zu einem „Mythos“ zusammen, wobei die Vorstellung vom „neuen Menschen“ in Kol 3,10 mit dem Schöpfungsbezug gleichsam die Richtung vorgibt, unter der auch Gal 3,28 zu verstehen sei und sich auf eine verbreitete Vorstellung eines „bisexual progenitor of the human race“22 beziehe. Der Mythos von der „restoration of the androgynous Image“23 sei besonders in gnostischen Vorstellungen entwickelt worden.24 Ein wichtiger Aspekt für die Plausibilisierung der Relevanz der androgynen Mythologie ist für Meeks die Tatsache, dass Frauen in den paulinischen Gemeinden offenbar eine andere und größere Rolle spielen, als das aus der sozialgeschichtlichen Perspektive zu erwarten wäre.25 Allerdings ist auch hinsichtlich des Vorschlages von Schnelle der Vorbehalt nicht unbegründet, dass dann – nach allem, was man sonst von Paulus her kennt, – zumindest ein eXr %mhqypor zu erwarten wäre (was allerdings ebenfalls ungewöhnlich wäre) oder eben konsequent ein 6m s_la bzw. (analog zu Johannes) ein absolut gebrauchtes 6m anstelle von eXr.26 All das wäre ohne weiteres möglich gewesen und hätte dem Apostel auch eher nahegelegen, wenn er dies hätte zum Ausdruck bringen wollen. Das gilt im Übrigen auch für eine mutmaßliche vorpaulinische Tradition. Wichtig ist, darauf hat Schnelle zu Recht aufmerksam gemacht, dass der Zusammenhang des gesamten Arguments den Ausschlag geben muss. Dabei ist zunächst die argumentative 21 W.A. Meeks, The Image of the Androgyne. Some Uses of a Symbol in Earliest Christianity, in: History of Religions 13, 1974, 165–208; in diesem Sinn auch D.R. MacDonald, There is No Male and Female. The Fate of a Dominical Saying in Paul and Gnosticism, Philadelphia 1987, 113–126. Vgl. dazu auch Betz, Galater, 347–351, der es für möglich, aber aufgrund fehlender Quellen nicht bewiesen hält, dass hinter Gal 3,28 der Einheitsmythos des androgynen Menschen steht. Die Fokussierung einer Erklärung auf das dritte Glied der Aufzählung als für die Interpretation bestimmend verkennt jedoch den engen Zusammenhang mit den beiden anderen Gliedern und ist daher für die Erklärung des eXr nicht geeignet. Für eine demgegenüber kritische Position vgl. J. Gundry-Volf, Male and Female in Creation and New Creation. Interpretations of Galatians 3:28c and 1 Corinthians 7, in: T.E. Schmidt/M. Silva (Hg.), To Tell the Mystery. FS R. Gundry, JSNT.S 100, Sheffield 1994, 95–121, 102–104; sowie W. Kraus, Das Volk Gottes. Zur Grundlegung der Ekklesiologie bei Paulus, WUNT 85, Tübingen 1996, 220 f. 22 Meeks, Image, 185 f. 23 Meeks, Image, 191. 24 Meeks, Image, 194–196, wobei meines Erachtens keiner der von Meeks genannten Belege auch nur in die Nähe der Aussage von Gal 3,28 kommt. 25 Meeks, Image, 197–203. In Gal 3,28 ist dies jedoch nicht der einzige Aspekt der Gleichheit zwischen den Gliedern der Gemeinde – abgesehen davon, dass es gerade dieser Aspekt ist, der in 1Kor 12,13 fehlt. 26 Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist der Sprachgebrauch zu Gal 3,28b bei C. Zimmermann, Gott und seine Söhne. Das Gottesbild des Galaterbriefs, WMANT 135, NeukirchenVluyn 2013. Ohne das Problem eigens zu thematisieren, verwendet Zimmermann mehrere Varianten: In der Übersetzung heißt es „ein einziger in Christus Jesus“ (aaO., 75) bzw. dass die Glaubenden „einer sind in Christus“ (aaO., 136), dann aber ist auch die Rede von „den Glaubenden, die eins sind in Christus“ (aaO., 112 Anm. 7).

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Verbindung zwischen 3,28a und V.28b insofern von besonderer Bedeutung, als V.28b die Begründung der Aussage über die Aufhebung der Unterschiede zwischen Juden/Griechen, Sklaven/Freien, männlich/weiblich bietet. Von daher scheint – wie oft beobachtet – zunächst tatsächlich eine gewisse Nähe zu den Einheitsvorstellungen in 1Kor 12 vorzuliegen, da dort in 12,13 eine ähnliche Gleichheitsaussage wie in Gal 3,28a vorliegt und daher die Aufhebung von weltlichen Statusunterschieden und der damit verbundenen Gleichheit der Glaubenden auf deren Einheit und Zusammenhalt bezogen wird. Das ist eine verbreitete Deutung vor allem in der älteren Forschung.27 Doch ist fraglich, ob dieser Zusammenhang zwischen Statusgleichheit und Einheit für den Kontext des Galaterbriefs überhaupt eine Rolle spielt. Die Einheitsformulierung in 1Kor 12 ist eben doch ganz anders und bezogen auf das 4m s_la bzw. 4m pmeOla und expliziert somit die Einheitsthematik ausdrücklich. Die verbale und sachliche Nähe zwischen 1Kor 12,13 und Gal 3,28a erklärt nicht, warum Paulus eine gleiche Aussage grammatisch ausgesprochen problematisch formuliert, wie er es ausweislich der Mehrheitslesart in Gal 3,28 tut, zumal – wie bereits erwähnt – die Leib-Thematik im Galaterbrief fehlt. Die Antwortversuche auf diese Fragen können insgesamt wenig befriedigen, weil das eigentliche Problem ungelöst bleibt. Der regelmäßige Verweis auf andere und scheinbar parallele Belege in der paulinischen Tradition (1Kor 12,13; Röm 12,4 f; Kol 3,11.15; Eph 2,15 u. a.) lässt ebenfalls nur feststellen, dass dort regelmäßig eben nicht so formuliert ist wie in Gal 3,28. Diese Problematik ist immerhin z. B. bei Hans Halter ausdrücklich reflektiert. Er hat zu Recht zunächst wie viele andere auch das Selbstverständliche hervorgehoben, nämlich dass die Aussage von 3,28b nach vorn zu V.28a und nach hinten zu V.29 zu verbinden ist und in beide Richtungen einen Sinn ergeben muss: sowohl als Begründung der Gleichheitsvorstellung im Sinne einer identitätsstiftenden Aussage als auch als Voraussetzung der nachfolgenden Aussage über die Abrahamskindschaft und -erbschaft. Halter zieht daraus die Konsequenz: „Der Satz meint wohl beides“, d. h. die Idee einer kollektiven Einheit und auch die Vorstellung einer korporativen Persönlichkeit des „neuen Menschen“.28 Doch auch das ist nur eine Notlösung, die das Problem allenfalls deutlicher beschreibt, als zu seiner Lösung beizutragen: „Als Begründung des vorhergehenden Satzes und als Prämisse für den folgenden müsste oder möchte Pls eigentlich sagen: ihr seid alle ein Einziger, ihr seid der Christus. Aber er kann Christus und die Christen nicht identifizieren. So würde er zu viel sagen. Mit dem Satz: ,ihr seid alle eine Einheit mit Christus‘ würde er zu wenig sagen. So wählt er die einmalige Formulierung: ihr seid alle ein Einziger in Christus. Anders als in 1 Kor 12 ist nicht so sehr die Einheit der Christen untereinander betont, weil sie alle in 27 Vgl. H. Halter, Taufe und Ethos. Paulinische Kriterien für das Proprium christlicher Moral, FThSt 106, Freiburg/Basel/Wien 1977, 116 mit 566 Anm. 20. 28 Halter, Taufe und Ethos, 116 mit 567 Anm. 22.

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Christus sind, sondern im Vordergrund steht der Gedanke, dass die Christen so sehr in Christus integriert sind, dass da nur noch einer ist.“29 Die hier exemplarisch skizzierten Deutungsversuche des eXr in Gal 3,28b („Einheitsmensch“ [Mußner], „neuer Mensch“ [Schnelle] oder auch „kosmische Menschen“ [Hellholm]) sind vergleichbar mit und nehmen ihren Ausgangspunkt bei Vorstellungen, wie sie etwa der Epheserbrief mit dem Begriff des „einen neuen Menschen“ (Eph 2,15) bzw. des „vollkommenen Mannes“ (4,13) expliziert und in diesem Zusammenhang abstrakt vom „Hingelangen aller zur Einheit des Glaubens“ (jatamt¶sylem oR p²mter eQr tµm 2mºtgta t/r p¸steyr) spricht. Demgegenüber ist festzuhalten, dass dies gerade nicht das ist, was Paulus selbst noch in Bezug auf die verändernde Wirkung der Taufe mit neuer Schöpfung in Gal 6,15 und auch in 2Kor 5,17 meint. Ganz abgesehen davon, dass er mit derartigen Begriffen und Vorstellungen von Einheit in Gal 3,28 auch nicht argumentiert, wo man vor diesem Hintergrund jaim¹r %mhqypor oder – um es noch einmal zu benennen – zumindest eXr %mhqypor erwarten müsste. Erstaunlicherweise ist eine entsprechende Änderung oder Ergänzung auch textkritisch nicht belegt; sie hat sich also selbst für diejenigen nicht nahegelegt, die die Problematik gesehen und tatsächlich auch Änderungen am Text vorgenommen haben (s. u. 3.). Eines der sachlichen Grundprobleme scheint mir nach alledem zu sein, dass Gal 3,28 in der Lesart des Mehrheitstextes ein – für sich genommen – in sich nicht stringenter und auch eigentlich unglücklich formulierter Gedanke ist, der aufgrund der damit verbundenen Deutungsunsicherheit zu schnell von anderen Texten her interpretiert wird. Dabei wird deren Grundthematik, die ja durch einen je anderen Kontext vorgegeben ist, auch für das Argument von Gal 3,28 vorausgesetzt. Da aufgrund einer ähnlichen Formulierung und des auch dort vorliegenden Taufbezuges die Parallele in 1Kor 12,13 eine besondere Bedeutung gewinnt, wird der für den ersten Korintherbrief wegen aktueller Probleme maßgebliche Fokus auf die Einheit der Gemeinde in den Kontext des Galaterbriefs eingetragen.30 Gleiches gilt für die Leibthematik, die eng auf die Ein-

29 Halter, Taufe und Ethos, 116. Ähnlich A. Oepke, Der Brief des Paulus an die Galater, bearb. und erw. v. J. Rohde, ThHK 9, Berlin 51984, 126: „Die Gläubigen sind in Christus zu einer Person verschmolzen, sofern Christus, die Universalpersönlichkeit, die anima generalis, der Universalleib, so alle umfasst.“ 30 Vgl. etwa auch bei Betz, Galater, 347.352 f; weiterhin U. Borse, Der Brief an die Galater, RNT, Regensburg 1984, 139. Die in Christus gründende Gleichheit im Status wird faktisch im Sinne der Einheit von Röm 12,4 f; 1Kor 12,12 f. u. a. her verstanden, die dann für Gal 3 zur entscheidenden Deutekategorie wird, vgl. auch C. Matthes, Die Taufe auf den Tod Christi. Eine ritualwissenschaftliche Untersuchung zur christlichen Taufe dargestellt anhand der paulinischen Tauftexte, Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie 25, Tübingen/Basel 2017, 158: „Ihre (sc. der Gemeinde, J.H.) Einheit ist keinesfalls zu vergleichen oder gar zu identifizieren mit Christus, dennoch derartig grundlegend durch ihn begru¨ ndet, dass Paulus sie später zu seiner s_la-WqistoO-Metapher ausbaut. Sie wird sehr deutlich herausstellen, dass die Gleichheit coram deo nicht zu einer Einebnung jeder Art von Unterschieden gefu¨hrt hat (und wohl auch

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heitsthematik im ersten Korintherbrief und auch im Römerbrief bezogen ist, im Galaterbrief aber keine Rolle spielt. Hier geht es nicht um die Einheit der Gemeinde als Leib Christi, die dann in dem maskulinen eXr als einer – wie auch immer zu erklärenden – „Einheitsaussage“ Gestalt gewänne. Ausweislich vor allem von 3,28a geht es nicht um die Einheit, sondern vielmehr um die Gleichheit der an Christus Glaubenden unabhängig von ihrem ethnischen, sozialen und genderbezogenen Status und auch unabhängig von den Kategorien, die unter den gegebenen gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Umständen alles andere als eine Gleichheit zum Ausdruck bringen. Ähnliches gilt für die Gal 3,28b folgende Aussage in V.29 von der Erbschaft der Verheißung Abrahams: Auch hier ist nicht die Einheit der Gemeinde das Grundanliegen, sondern ihre Gleichheit im Hinblick auf die Partizipation an diesem Erbe: Sie alle sind insofern „in Christus“ gleich, als sie darin alle – wie Christus (vgl. 3,16) – als Kinder Abrahams gelten.31

3. Das textkritische Problem Aus alldem ergibt sich die Frage, ob es jenseits solcher Überlegungen, was sich Paulus wohl bei dieser außergewöhnlichen und singulären Formulierung in Gal 3,28b gedacht habe, eine Alternative gibt. Im Folgenden versuche ich eine im Grunde sehr einfache Antwort mit Bezug auf die Textüberlieferung, die von deren Problemen ausgeht, die Ursprünglichkeit der Lesart des Mehrheitstextes auf den Prüfstand stellt und den Text des Paulus in seiner Grundausrichtung zunächst aus sich selbst heraus erklären soll, ohne den methodisch problematischen Weg gehen zu müssen, dass Bedeutungsgehalte aus anderen Zusammenhängen erhoben und für das Verständnis von Gal 3,28 vorausgesetzt werden. Erstaunlicherweise wirken weitreichende theologische Interpretationen oft so überzeugend, dass die textkritische Problematik von Gal 3,28b kaum noch erörtert wird.32 Dabei ist die Entscheidung für die Ursprünglichkeit des eXr in Gal 3,28b alles andere als eindeutig zu treffen. Der handschriftliche Befund stellt sich nach dem Stand der im Apparat des Nestle-Aland28 ausgewiesenen Auswertung folgendermaßen dar : nicht eschatologisch zu erwarten ist), sondern dass die funktionierende Einheit vielmehr von den unterschiedlichen waq¸slata des einen pmeOla lebt.“ 31 Vgl. dazu auch Kraus, Volk Gottes, 213–234. 32 Trotz des hohen Anspruchs einer neuen Interpretation von Gal 3,28a kommt auch bei Campbell, Quest for Paul’s Gospel, das textkritische Problem nicht in den Blick. Eine Ausnahme ist Matthes, Taufe, 145–150, die eine ausführliche Erörterung aller Varianten vornimmt, im Ergebnis freilich auch der von Nestle-Aland28 gebotenen Lesart unter der Voraussetzung einer in Gal 3 aufgenommenen Tradition den Vorzug gibt, immerhin versehen mit einer der Forschungslage durchaus angemessenen Bemerkung: „Ohne vergleichbare Vorstellungen, welche die Gemeinde als eine Person verstehen, muss diese Variante als schwierigste erscheinen“ (aaO., 147).

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a) Die überwiegende Mehrheit der Handschriften bietet den von NestleAland28 bevorzugten Text mit der Wortfolge rle?r eXr 1ste 1m Wqist` YgsoO, darunter neben dem Mehrheitstext vor allem der Sinaiticus mit seinen Korrekturen bzw. Ergänzungen, der Vaticanus sowie Clemens Alexandrinus.33 b) Die Handschriften F, G und die Minuskel 33 bieten rle?r 6m 1ste 1m Wqist` YgsoO. c) P46 und der Codex Alexandrinus lesen rle?r 1ste WqistoO YgsoO, was oft als Angleichung an 3,29a verstanden und daher als eine mögliche ursprüngliche Lesart abgelehnt wird.34 Nestle-Aland28 gibt im Apparat auch einen Korrektor des Sinaiticus mit dieser Lesart an, die im Manuskript jedoch nur indirekt durch die Einfügung zweier Punkte über em zu verifizieren ist, die dieses als zu tilgenden Fehler markieren (s. Abb.). Bis zur 25. Auflage des Nestle-Aland war die Lesart des P46 auch für die erste Hand des Sinaiticus aufgeführt, wenn auch in Klammern gesetzt. Der Apparat des Nestle-Aland26 weist diese Lesart für den Sinaiticus nicht aus. d) Die erste Hand des Sinaiticus bietet die Version rle?r 1ste 1m WqistoO YgsoO, die auch als Vorlage einer Vulgata-Handschrift ausgewiesen wird. Da 1m WqistoO offenkundig grammatisch falsch ist, wird vermutet, dass die Buchstabenfolge em als 6m zu lesen sei. Dadurch wird der Sinn jedoch nicht besser. Im Text selbst ist em mit zwei Punkten als Fehler markiert (s. o. unter c). In textgeschichtlicher Hinsicht ist vor allem der Befund im Sinaiticus interessant und aufschlussreich. Dieser ist im Vergleich zu allen anderen Handschriften offenbar am komplexesten und daher ein guter Indikator für die Probleme, die Gal 3,28b in der Überlieferung bereitet hat. Wirft man einen Blick auf das Manuskript selbst, so ist es noch komplizierter, als die Dokumentation im Apparat des Nestle-Aland28 erkennen lässt.35

Der Blick in den Codex zeigt, dass der Kopist erster Hand zunächst die Wortfolge ULEICECTEEMWUIU (rle?r 1ste 1m WqistoO YgsoO) geschrieben 33 Die Liste der Zeugen für diese Variante ist seit der 26. Auflage erheblich erweitert worden, ohne dadurch allerdings das sachliche Gewicht zu erhöhen. 34 Vgl. z. B. Betz, Galaterbrief, 352 Anm. 151; vgl. bereits E. Fascher, Textgeschichte als hermeneutisches Problem, Halle 1953, 94. Dem abgedruckten Apparat folgend setzt Fascher für die erste Hand des Sinaiticus dieselbe Lesart voraus wie im Alexandrinus und P46. 35 http://www.codexsinaiticus.org/en/manuscript.aspx?book=40&chapter=3&lid=en&side= r&verse=28&zoomSlider=0, Zugriff am 20. 07. 2016.

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hat, wobei die beiden Namensbestandteile als Nomina Sacra durch XY sowie IY abgekürzt worden sind. Die Buchstabenfolge XY indiziert eindeutig einen Genitiv. Es ist schwierig zu spekulieren, was er dabei als Vorlage hatte, denn in dieser Form ist seine Abschrift grammatisch falsch, weil 1m nicht den Genitiv, sondern den Dativ fordert. Daraus ließe sich schließen, dass entweder seine Vorlage bereits den Fehler enthielt oder er selbst einen Fehler beim Abschreiben gemacht hat. Über die Markierung des em als Fehler durch zwei Punkte wird gleich noch zu reden sein. Ein Fehler im Kasus könnte beim Abschreiben mit einem versehentlichen Blick auf den in V.29 unmittelbar nachfolgenden Genitiv WqistoO bzw. die Abkürzung XY erklärt werden. Bei einem solchen Fehler kann man voraussetzen, dass die Vorlage einen Dativ entsprechend zu 1m enthalten hat.36 Die Überschreibung von XY in 3,28 mit bzw. der Ersatz des Y durch den Buchstaben y korrigiert dabei eindeutig den falschen Kasus des Namens zur Partikel 1m. Problematisch bei einer solchen Annahme wäre, dass diese Korrektur aufgrund ihrer von der sonstigen Schreibweise abweichenden Form wahrscheinlich nicht vom selben Korrektor wie das zwischen rle?r und 1ste über die Zeile geschriebene EIC (eXr) stammen kann, sondern von einer anderen Hand nachgetragen wurde.37 Die Buchstabenform des EIC entspricht sehr präzise der Schreibweise der ersten Hand und unterscheidet sich darin von der Schreibweise der Kasuskorrektur y für Yam Zeilenende. Das könnte auf eine gute Nachahmung der ersten Hand durch den Korrektor zurückzuführen sein, würde aber bedeuten, dass die Einfügung von EIC wahrscheinlich nicht im selben Korrekturgang erfolgte wie 36 Die Ursache des Fehlers ließe sich jedoch auch komplexer vorstellen, wenn man etwa in V.28 mit einer dem Text des P46 vergleichbaren Vorlage rechnen würde, da dann im Schreiben zunächst nur versehentlich ein 1m zu viel hinein gekommen wäre, das der Blick aus dem neun Zeilen zuvor geschrieben Text ENWYIU (3,26) eingetragen haben könnte. Zur Parallelität beider Verse vgl. Matthes, Taufe, 139 f. Der P46 selbst könnte in diesem Fall nicht die Vorlage gewesen sein, da dieser in Gal 3,26 nicht 1m Wqist` YgsoO sondern nur Wqist` YgsoO bietet. 37 Die komplexe Diskussion um die präzise Identifikation der Schreiber bzw. Korrektoren des Sinaiticus kann hier nicht geführt werden. Nach H.J.M. Milne/T.C. Skeat, Scribes and Correctors of the Codex Sinaiticus, London 1938, 41–44, sind im Codex drei Hände (bezeichnet mit A, B, D) zu bestimmen, wobei für D neben den Korrekturen des eigenen Texts auch solche in den Texten der anderen Hände zu identifizieren sind, insbesondere für A, der bis auf wenige Ausnahmen für das NT verantwortlich zeichnet. Neben Selbstkorrekturen von A fungiert D als ein wichtiger Korrektor, daneben sind aber auch andere Korrekturhände in A zu identifizieren, vgl. Milne/ Skeat, aaO., 40–50. Vgl. auch P. Malik, The Earliest Corrections in Codex Sinaiticus. A Test Case from the Gospel of Mark, in: BASPap 50, 2013, 207–254; ders., The Earliest Corrections in Codex Sinaiticus. Further Evidence from the Apocalypse, in: TC: A Journal of Biblical Textual Criticism 20, 2015, 1–12, 3: „Notably, the NT portion was copied and corrected solely by scribes A and D.“ Vgl. die Differenzierung bei A. Myshrall, The Presence of a Fourth Scribe?, in: S. McKendrick/D. Parker/A. Myshrall/C. O’Hogan (Hg.), Codex Sinaiticus. New Perspectives on the Ancient Biblical Manuscript, London 2015, 139–148, wonach B in zwei Hände zu differenzieren sei (B1 und B2). Darüber hinaus werden weitere Korrekturprozesse angenommen, s. dazu. http://codexsina iticus.org/en/project/transcription_detailed.aspx (Zugriff am 18. 08. 2016); vgl. K. Wachtel, The Corrected New Testament Text of Codex Sinaiticus, in: McKendrick/Parker/ Myshrall/O’Hogan (Hg.), Codex Sinaiticus, 97–106.

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die Kasuskorrektur. Sachlich müsste ein nachgetragenes EIC als Zahlwort eXr verstanden worden sein, denn die bewusste Einfügung einer zusätzlichen Präposition eQr wäre an dieser Stelle sinnlos. Darüber hinaus machen die offenkundigen Verständnisprobleme, die dieser Eintrag mit sich bringt, die Annahme unwahrscheinlich, dass er ohne Anhalt an einer Vorlage erfolgte. Die Einfügung legt vielmehr einen Nachtrag nach einer Vorlage nahe, und in dieser könnte sie aufgrund der wiederholten Buchstabenfolge nach YMEICEIC im Sinne einer Dittographie erklärbar sein. Ein Eintrag ohne Nötigung durch eine Vorlage ist deshalb unwahrscheinlich, weil der Text ohne eXr bereits einen Sinn ergibt, sieht man vom falschen und in jedem Fall aufgrund des 1m korrekturbedürftigen Kasus des Eigennamens ab. Offen bleiben muss, wann auch dieser Kasus korrigiert wurde und von wem und in welchem Verhältnis diese Korrektur zur Ergänzung der Buchstaben EIC steht. Setzt man die Kasuskorrektur durch y aufgrund der veränderten Schriftform später an, dann hätte die Ergänzung der Buchstaben EIC aus YMEICECTEENWYIY die ebenfalls (noch) nicht korrekte Lesart YMEICEICECTEENXYIY gemacht. Das wäre zwar durchaus ungewöhnlich, könnte allerdings auf dem Umstand beruhen, dass die fehlerhafte Abkürzung des Eigennamens mit dem Genitiv nicht bemerkt wurde bzw. die Fehlermarkierung des EN durch zwei Punkte bereits im Text vermerkt war (s. u.). Zumindest ausgeschlossen werden kann das nicht, da offenkundig der ersten Hand der Kasusfehler bereits beim ersten Schreiben unterlaufen und daher eine Selbstkorrektur bzw. eine frühere Korrektur wahrscheinlich ist, zumal mit der Markierung von EN zunächst ein korrekt zu lesender Text hergestellt wurde, für dessen Form mit dem P46 ein älterer Zeuge vorliegt. Die von Nestle-Aland28 gebotene Lesart ist vor dem Hintergrund der Korrekturen im Sinaiticus also nicht so solide begründet, wie ihre äußere Bezeugung suggeriert, sondern stellt gewissermaßen bereits das vom textgeschichtlichen Problem bereinigte Ergebnis verschiedener Lesarten dar. Dass sich daraus interpretatorische Schwierigkeiten ergeben, verwundert nicht. Im Codex-Sinaiticus-Projekt wird die auch von Nestle-Aland28 bevorzugte Lesart der c-Gruppe von Korrekturen zugeordnet, die zwischen dem 5. und 7.Jh. anzusetzen sind,38 wobei sowohl die Einfügung des EIC (eXr) als auch die graphisch abweichende Änderung des Genitivs des Eigennamens in den Dativ auf diesen Korrekturgang zurückgeführt werden. Immerhin hat eine solche gleichsam hybride Version offenbar bereits früh existiert, wie vor allem das Zitat von Gal 3,28 bei Clemens Alexandrinus im 3.Jh. zeigt (Paidagogos I 6,34,1), und sie hat sich ausweislich der Überlieferung als Mehrheitstext durchgesetzt. Darauf müssten dann auch die letzte Anpassung bzw. die beiden Korrekturen im Sinaiticus beruhen, sofern man sie auf eine Hand zurückführen will. Auch der Vaticanus setzt diese Form offenbar als Normaltext voraus. Umso erstaunlicher ist die Unklarheit des textkritischen Befundes im 38 S. http://codexsinaiticus.org/en/project/transcription_detailed.aspx (Zugriff am 18. 08. 2016).

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Sinaiticus, zumal die älteste erreichbare Überlieferung im P46 eine sehr einfache Lesart bietet, die kaum als verkürzende Veränderung einer ursprünglich längeren und der Mehrheitsversion entsprechenden Version gelten kann, sondern sehr wahrscheinlich eine davon unabhängige Variante darstellt. Umgekehrt lässt sich aber durchaus die Entstehung der Mehrheitslesart aus einer solchen einfachen Form erklären, wobei zugestanden werden muss, dass wie bei vielen solcher Problemfälle textkritisch eindeutige Belege fehlen und vieles nur im Modus der Vermutung formuliert werden kann. Hinsichtlich der Lesart des P46 ist bemerkenswert, dass nach der textkritischen Hypothese der modernen Bearbeiter der Sinaiticus unter dem Siglum corr dieselbe Wortfolge wie der P46 gelesen, aber offenbar schon in erster Hand falsch niedergeschrieben hat, indem dem Abschreiber ein zusätzliches EN (1m) in die Feder floss.39 In seiner Editio Octava Critica Maior von 1873 hatte bereits Constantin von Tischendorf als erste Hand des Sinaiticus jene Variante ausgewiesen, die auch der Alexandrinus und der P46 bieten (der Tischendorf noch nicht bekannt war), das überschüssige em im Apparat allerdings mit jenen zwei Punkten versehen, die der Sinaiticus bietet.40 Diese beiden Punkte sind im Manuskript noch schwach erkennbar und indizieren die beiden Buchstaben EN als fehlerhaft und zu tilgend. Dahinter steht das oben beschriebene grammatische Problem des Kasus des Eigennamens, so dass nur eine Lesart ohne diese Partikel grammatisch korrekt und damit für die Vorlage vorauszusetzen ist. Das verstärkt allerdings die bereits geäußerte Vermutung, dass der Schreiber einen Fehler gemacht hat, den er offenbar selbst zunächst nicht bemerkte, der dann aber nach einer Überprüfung von ihm selbst (oder einem Korrektor nach derselben Vorlage) durch Hinzufügung der beiden Punkte korrigiert wurde. Bemerkenswert dabei ist, dass dies im Sinaiticus keineswegs singulär wäre. Die auch sonst bei der ersten Hand des Codex zu beobachtenden Fehler und deren Korrektur41 lassen eine versehentliche Einfügung zweier Buchstaben durchaus plausibel erscheinen. Bevor aus diesen Beobachtungen und Abwägungen ein Lösungsvorschlag entwickelt werden soll, kann als wahrscheinlich festgehalten werden, dass die erste Hand bei der Überprüfung den Fehler des fälschlich eingefügten EN selbst markierte und nach der Vorlage korrigierte, deren Text dann tatsächlich

39 Das Siglum „corr“ wird folgendermaßen beschrieben: „corr indicates a change which cannot be attributed to a particular corrector (in principal it might include corrections made in the production of the manuscript as well as later changes)“ (http://codexsinaiticus.org/en/project/ transcription_detailed.aspx [Zugriff am 18. 08. 2016]). 40 C. Tischendorf, Novum Testamentum Graece ad antiquissimos testes denuo recensuit apparatum criticum omni studio perfectum, editio octava critica maior, Vol. II, Leipzig 1872, App. z. .. St.: „4* A este wqistou igsou (ommisso eir post uleir), sed 4* este em wu iu“. 41 Vgl. dazu Wachtel, New Testament Text, passim. Wachtel verweist insbesondere auf die Korrekturen des Scriptoriums, die unter dem Siglum S1 geführt werden, sofern man nicht einen speziellen Schreiber identifizieren kann (aaO., 98).

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mit dem in P46 und Alexandrinus bezeugten identisch war.42 Obwohl die schwache Ausprägung der Punkte über dem EN auch Zufall sein könnte, besteht zudem die Möglichkeit, dass die aufgrund bereits existierender Textzeugen (vgl. Clem. Alex.; Mehrheitstext) vorgenommene Einfügung der Buchstaben EIC (eXr) sowie die Kasuskorrektur durch Einfügung eines y es dem (zweiten?) Korrektor nahelegten, die Punkte wieder zu entfernen,43 da nun das ursprünglich nur irrtümlich geschriebene 1m eine sinntragende Funktion erhalten hatte – unterstützt vielleicht durch die parallele Wendung 1m Wqist` YgsoO wenige Zeilen zuvor in V.26. Daraus folgt einmal mehr die Wahrscheinlichkeit, dass die komplexe Textgeschichte eher die Erweiterung der ursprünglichen Kurzform nahelegt als die Kürzung der Langform.

4. Eine mögliche Lösung? Wenn der Sinaiticus in seiner Vorlage tatsächlich die Lesart rle?r 1ste WqistoO YgsoO vorfand, dann ist der Sinaiticus mit dem Alexandrinus (5.Jh.) ein weiterer Zeuge für den alten, bereits von P46 gebotenen Text, der offenbar neben dem Mehrheitstext erhalten blieb. Mit der bereits spätestens im frühen 3.Jh. durch Clemens Alexandrinus belegten Mehrheitslesart und der ebenfalls sehr früh belegten Kurzform des Textes stehen somit zwei über einen längeren Zeitraum konkurrierende Textformen einander gegenüber, über deren Priorität aufgrund der Qualität der Zeugen bzw. deren Alter kaum etwas ausgesagt werden kann. Das entscheidende sachliche Argument für den Mehrheitstext als ursprüngliche Lesart und gegen die kürzere Form ist in der Regel der Verweis auf die parallele Formulierung am Beginn von 3,29: eQ d³ rle?r WqistoO, an die P46 angeglichen habe.44 Die Tatsache, dass damit aus der eindeutig schwierigeren Lesart eine einfache Lesart wird, die noch dazu dem entspricht, was man an dieser Stelle im Sinne des Paulus erwarten würde, scheint Letztere nachhaltig hinsichtlich ihrer Ursprünglichkeit zu diskreditieren. Angesichts der bisher dargestellten Forschungslage und des textkritischen Befundes im Manuskript des Sinaiticus kann die Richtigkeit dieser Konsequenz jedoch mit guten Gründen bezweifelt werden. Vor diesem Hintergrund wird aus meiner Sicht eher die gegenteilige Schlussfolgerung wahrscheinlich, so dass die These ge42 Vgl. dazu J.R. Royse, Scribal Habits in Early Greek New Testament Papyri, New Testament Tools, Studies, and Documents 36, Leiden/Boston 2008, 347 f Anm. 821, der vorsichtig fragt: „Could the correction have been made in scribendo?“ Nach F.A.H. Scrivener, A Full Collation of the Codex Sinaiticus with the Received Text of the New Testament: To Which is Prefixed a Critical Introduction, Cambridge/London 1864, 99, ist die Ergänzung der Punkte über den Buchstaben EN dem Korrektor A zuzuschreiben. 43 Vgl. als Analogie das Beispiel bei Wachtel, New Testament Text, 100. 44 Vgl. oben Anm. 34.

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rechtfertigt ist: Sowohl aus sachlichen wie auch aus textgeschichtlichen Gründen ist die kürzere Lesart des P46 als die ursprüngliche Textform in Gal 3,28b anzunehmen. Die Begründungen für diese These sind hier nicht mehr ausführlich darzustellen, sondern sollen im Sinne eines Lösungsvorschlages vor dem Hintergrund der oben angestellten Überlegungen nur noch in Grundzügen zusammengefasst werden. Zunächst die textkritischen Aspekte. Da es nicht von Anfang an zwei so unterschiedliche Lesarten gegeben haben kann, ist die Frage entscheidend, ob sich aus den Varianten die Entstehung der einen oder anderen Lesart erklären lässt. Unter Berücksichtigung der erörterten Aspekte lässt sich nicht zuletzt anhand der Komplexität des Befundes im Sinaiticus als wahrscheinlich annehmen, dass die Entstehung der Langform aus der Kurzform heraus eher plausibel ist, als umgekehrt die Kurzform als Bearbeitung der Langform anzusehen. Den Weg dieser Textform nachzuzeichnen kommt freilich auch nicht ohne hypothetische Annahmen aus, da es für die Zwischenstufen keine Zeugen gibt und auch die Vorlage des Sinaiticus nicht erhalten ist. Positiv kann immerhin Folgendes gesagt werden, und dabei sind zwei Aspekte zu unterscheiden, nämlich a) die Frage nach der Vorlage des Sinaiticus und die Erklärung der Korrekturen, sowie b) die Frage nach der Entstehung der Langform der Mehrheitslesart aus der ursprünglichen Kurzform, die P46 repräsentiert. a) Die Vorlage des Sinaiticus bot dieselbe Lesart wie P46, und beim Abschreiben unterlief der Fehler einer versehentlichen Einfügung der Buchstaben EN vor XYIY. Dieser Fehler ist wahrscheinlich durch den Abschreiber selbst (oder durch einen frühen Korrektor nach derselben Vorlage) mit zwei Punkten über dem EN markiert und damit gemäß der ursprünglichen Vorlage korrigiert worden. Eine weitere Korrektur hat dann später den Text an den Mehrheitstext angeglichen45 durch die Einfügung von EIC und die Entfernung der Punkte. Entweder ist diesem Korrektor auch die Kasuskorrektur von XY in XY zuzuschreiben oder er hat diesen Fehler übersehen und dieser ist dann – ebenfalls in Angleichung an den Mehrheitstext – nachträglich noch behoben worden. b) Ausgangspunkt einer Rekonstruktion der Entstehung des längeren Mehrheitstextes ist nicht nur die Tatsache, dass die darin zum Ausdruck kommende Einheitsvorstellung sprachlich singulär ist, sondern zunächst auch die einfache Beobachtung, dass in der Buchstabenfolge YMEIC EIC eine nicht seltene Dittographie vermutet werden und damit ein erster und wahrscheinlich unbemerkter Fehler in die ursprüngliche Textfolge YMEICECTEXY hineingeraten sein kann. Anstatt diesen dittographischen Fehler zu tilgen, sind in der weiteren Überlieferung des Textes die Buchstaben XYIY in Angleichung an die unmittelbar zuvor in 3,26 geschriebene und gut paulinische Wendung ENXYIY ersetzt worden. Aus einem einfachen dittographischen 45 Vgl. zu dieser Tendenz Wachtel, New Testament Text, 104, die allerdings nicht einheitlich vorausgesetzt werden kann und im Einzelfall zu entscheiden ist.

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Fehler ist also unter der Voraussetzung, dass dieser im Vorlagentext als ursprünglich vermutet und ernst genommen wurde, in Angleichung an eine bekannte paulinische Wendung – und vielleicht auch unter Voraussetzung einer gleichsam kanonischen Lektüre des Textes von 1Kor 12 u. a. her – eine neue Textform entstanden, die dann neben die ursprüngliche getreten ist und sich dieser gegenüber weithin durchgesetzt hat. Ob für die ausweislich ihrer Bekanntheit bei Clemens Alexandrinus recht frühe Etablierung dieser Langform jene gnostischen Einflüsse eine Rolle gespielt haben, die in der Interpretationsgeschichte wichtig geworden sind, wird man mit Recht vermuten können. Eine vor diesem Hintergrund mögliche Interpretation der Langform ist daher aber noch kein hinreichender Grund für die Annahme ihrer Ursprünglichkeit. Das führt abschließend noch zu einigen inhaltlichen Überlegungen. Auch wenn dabei viele Aspekte unsicher bleiben und man auf Abwägungen von Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten oder gar auf Vermutungen angewiesen ist, so zeigt doch die Rekapitulation der Textgeschichte anhand des Sinaiticus, wie sehr es aufgrund fehlerhafter Ergänzungen und der entsprechenden Korrekturen nötig war, den Sinn und die grammatische Richtigkeit des Textes sukzessive (wieder-)herzustellen und diesen dann auch entsprechend interpretierbar zu machen. Dass und inwiefern solche Interpretationen zumal im Kontext paulinischer Theologie, Christologie und Ekklesiologie ausgesprochen problematisch sein können, wurde eingangs skizziert. Darüber hinaus hat sich angedeutet, dass der Mehrheitstext bereits eine autoritative Bedeutung erlangt hatte, ein Aspekt, der möglicherweise auch an anderen Stellen überprüft werden müsste. Sachlich von großer Bedeutung ist aber, dass sich die Kurzform rle?r 1ste WqistoO gut in den Gesamtduktus von Gal 3,26–29 einfügt. Es ist unwahrscheinlich, dass hier eine sekundäre Abmilderung des ansonsten singulären Gedankens oder eine Angleichung zugunsten der Kohärenz der Argumentation vorliegt, weil damit umgekehrt Paulus ein Grad von Inkohärenz und sprachlicher Singularität bei einer ihm geläufigen Vorstellung unterstellt werden müsste, der in diesem Maße kaum plausibel zu machen ist. Das gilt im Übrigen auch, wenn Paulus hier eine Tauftradition aufgenommen haben sollte, was jedoch keineswegs erwiesen ist. Hinzu kommt ein weiterer inhaltlich wichtiger Aspekt, der bereits mehrfach in den Blick geraten ist. Anders als es das eXr und seine Deutungen voraussetzen, geht es in Gal 3 nicht um die Einheit der Gemeinde, sondern um die Gleichheit ihres Status angesichts ihrer durch die Taufe begründeten Christusbeziehung.46 Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Paulus einen vergleichbaren Gedanken in 1Kor 12,13 unter einer anderen rhetorischen Zielsetzung und dem Bezug auf die Einheit der Gemeinde als Leib Christi 46 Vgl. zum Problem einer Deutung zwischen Einheits- und Gleichheitsaspekt den forschungsgeschichtlichen Überblick bei Matthes, Taufe, 141–145.

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wieder47 aufnimmt. Das kann jedoch nicht notwendig auch für Gal 3 vorausgesetzt werden, sondern legt einmal mehr nahe, dass der Text vor diesem Hintergrund verändert werden konnte, zumal wenn dies unter Bedingungen geschieht, in denen die Auseinandersetzung mit gnostischen Einflüssen bereits für die Textüberlieferung bedeutsam war. Demgegenüber weist der engere Kontext in Gal 3 unter Voraussetzung der hier vorgeschlagenen Textform von V.28 eine hohe Kohärenz im Gedankengang auf: In Gal 3,29 wird explizit und ausschließlich dieser Gleichheitsaspekt im Hinblick auf die Zugehörigkeit zu Christus aufgenommen: eQ d³ rle?r WqistoO. Die konditionale Konstruktion eQ d³ verweist zudem notwendig – sprachlich sogar verstärkt durch die Partikel d³ – auf einen zuvor geäußerten Gedanken, der argumentativ fortgeführt wird. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass der Gedanke, der in V.29 aufgenommen wird, bereits in V.28 geäußert wurde, da kein anderer Bezugspunkt infrage kommt: „Es gibt keinen Juden mehr, auch keinen Griechen, es gibt keinen Sklaven mehr, auch keinen Freien, es gibt nicht mehr männlich und weiblich,48 denn ihr alle gehört Christus Jesus (p²mter c\q rle?r 1ste WqistoO YgsoO). Wenn ihr aber (wie gerade dargelegt) Christus gehört (eQ d³ rle?r WqistoO), seid ihr folglich auch Abrahams Nachkommenschaft (und) gemäß der (an ihn ergangenen) Verheißung Erben.“ Die Gleichheit des Status der durch Christus zu „Söhnen Gottes“ Gewordenen (V.26) in ethnischer, sozialer und schöpfungsgemäßer Hinsicht (V.28) wird in zweifacher Weise begründet (c\q, V.27.28b). Beide Begründungen ergänzen sich gegenseitig und führen zur entscheidenden Schlussfolgerung in V.29. Die Gleichheit aller Glaubenden gründet in der Taufe und damit in der Zugehörigkeit zu Christus. Aus dieser folgt wiederum der gemeinsame Status als legitime Nachkommenschaft Abrahams, die die Glaubenden als Erben der Verheißung ausweist. Damit wird zugleich der argumentative Bogen zurück zu V.26 geschlagen, indem der Nachweis der Abrahamskindschaft in eine Parallele zur Gotteskindschaft tritt.

47 Dies gilt unter der hier nicht zu begründenden Voraussetzung, dass der Gal wahrscheinlich früher als der 1Kor zu datieren ist. Damit läge auch im 1Kor eine Adaption des im Gal entwickelten Gedankens vor sowie eine Zuspitzung auf den Aspekt der Einheit der Gemeinde anlässlich der ganz anderen Herausforderungen in Korinth. Umso auffälliger wäre, wenn Paulus bei einer so ausführlichen Erörterung wie in 1Kor 12 die prägnante Einheitsvorstellung, alle in der Gemeinde seien „einer in Christus“, nicht noch einmal aufgenommen hätte, zumal der Einheitsgedanke in 1Kor 12 als Voraussetzung für die Begründung der Gleichheit und Gleichwertigkeit aller Glieder der Gemeinde eine wichtige Rolle spielt. 48 Zur grundsätzlichen Konnotation von oqj 5mi vgl. Campbell, Quest for Paul’s Gospel, 97, der paraphrasiert: „it is not possible (for you) to be Jew or a Greek“ etc.

Mark A. Seifrid

Particularity and Universalism in Romans

1. Ferdinand Christian Baur and the Problem of Jewish Particularity The relationship between the gifts, promises and divine requirements given to Israel and God’s saving work in Christ long has been a problem for Christian interpreters. It was largely by allegorizing the Scriptures that the Church was able to retain and use the Old Testament in its canon of Scripture, worship, and instruction. Unless one was prepared, as Marcion was, to engage in a radical Sachkritik of the New Testament, it was clear that the Old Testament Scriptures were integral to the apostolic message and provided an indispensable basis for faith in Jesus as the Christ – the Messiah of Israel. Aside from the loci that could be regarded as direct predictions of the coming Messiah, the Scriptures generally were rendered understandable and useful by allegorical interpretation, even if incipient salvation-historical readings (such as that of Irenaeus) and forms of literal exegesis (such as that practiced at Antioch) also had their place. Nevertheless, the particularity of the Scriptures, their sheer earthiness in promise and hope, love and war, remained problematic. The Reformation, and particularly Luther’s criticism of the allegorical readings of his day and his more or less (and, indeed, sometimes less) literal, christocentric interpretation introduced yet another dynamic into Christian interpretation. To trace and assess this history of interpretation lies well beyond my interest here. My concern rests on one particular manifestation of this problem in the context of the historical consciousness of the nineteenth century, and particularly in Ferdinand Christian Baur, and his resolution to the question of Jewish particularity and the universalism of Christian faith, as he finds it in Paul’s letter to Rome. This exercise is not intended, however, to be a mere backward glance to the past. The issues raised by a historical approach to the Scriptures, and the New Testament in particular have never been – and perhaps may never be – fully resolved. They persist in Christian interpretation, one may suggest, in largely unnoticed and subtly changing forms. A development of this thesis on a large scale, as worthwhile as it is, also lies beyond our concern. My aim here is simply to point briefly to the nexus of the problem as it appears in Ferdinand Christian Baur’s well-known essay on the purpose of Romans. In contrast to Baur’s reading of Romans, I want to argue that a very different, yet

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elusive relationship between the particular and universal appears there. This difference bears significance for current interpretation of Paul and of the Scriptures more generally. One can hardly contest Baur’s claim that Paul’s letter to Rome is an appropriate point at which to consider the relationship between Jewish particularity and the universality of the Gospel. As Baur observes, Paul writes his letter to Rome at a time when his extensive mission to the Gentile world was at a pivotal stage in its development.1 Despite the troubles in Galatia and Corinth that lay behind him, Paul boasts that his mission in the eastern Mediterranean is complete: “From Jerusalem around to Illyricum, I have fulfilled the Gospel of the Christ” (Rom 15:18–20). In Rome itself, apart from Paul, the growth of the circle of house-churches had taken a dramatic course. Faith in Jesus as Messiah had arrived within the sizeable Jewish community in Rome long before Paul did, perhaps through early Christian mission, perhaps through merchants, traders, and from travellers to Jerusalem.2 Claudius’ expulsion of Jews from Rome in AD 49 – likely due to disturbances within the Jewish community concerning faith in Christ3 – must have considerably diminished the believing community there. Nevertheless, faith in Jesus apparently spread among Gentiles, so that the circle of house-churches in Rome had become largely Gentile in composition when Paul wrote in AD 56. By that time, the early years of Nero’s reign, it is likely that a good number of Jews had returned to Rome, including Jewish believers, such as Prisc(ill)a and Aquila (Rom 16:3; cf. Acts 18:2). They returned to a believing community that now included many Gentiles, outnumbering the original Jewish believers significantly. The community to which these Jewish believers returned was not the same one that they had left. Baur grasps this situation in Rome well, and rightly observes that it was in some measure reflected in the Pauline mission elsewhere. This new situation brought a fundamental change to the Pauline churches. Baur suggests, not implausibly, that as long as the number of Gentiles within the believing community was relatively small, Jewish believers could still maintain their hope for the salvation of the larger Jewish community.4 Perhaps so. At the very least, as long as the number of Gentile believers remained small, believing Jews had a better chance of maintaining 1 F.C. Baur, Ueber Zweck und Veranlassung des Römerbriefs und die zusammenhängenden Verhältnisse in der römischen Gemeinde, in: ders., Ausgewählte Werke in Einzelausgaben (ed. K. Scholder), Stuttgart/Bad Cannstatt 1963, 164–166. 2 It is clear that the church in Rome was not founded by any of Paul’s co-workers, otherwise he would have named them. 3 See Suet Claud 25.4: Iudaeos impulsore Chresto assidue tumultuantis Roma expulit. While the reference to “Christ” is debated, the context still suggests this reference is most likely. In any case, it indicates that non-citizen Jews were expelled from Rome. On the dating of the expulsion to AD 49 and the testimony of Dio Cassius, see U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 42002, 33–34. 4 Baur, Zweck und Veranlassung des Römerbriefs, 164.

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their Jewish – and therewith their religious – identity.5 When the number of Gentiles grew, the demand for their circumcision could arise, as had taken place in Antioch and Galatia. In this regard, as Baur rightly perceives, Rome was different. So far as one can discern in Paul’s letter, there was no pressure on Gentiles to circumcise. Perhaps sheer numbers and the Claudian expulsion had something to do with this Jewish Christian acquiescence to the new situation. When Paul writes, he addresses the believers in Rome as Gentiles (Rom 1:5). For at least some Jewish believers in Jesus as Messiah, this new situation brought a crisis of identity. The relationship between God’s particular words and works with the Jewish people and the word of the Gospel of Christ for the pagans came to be of existential relevance for Christians in Rome. In reconstructing Paul’s purpose in the letter, Baur develops a similar construal of the situation in Rome. He thereby rescues Rom 9–11 from the status of an appendix or mere application of the dogmatic discussion of Rom 1–8. According to Baur, Paul is seeking to gain the acceptance of his message and mission from Jewish believers in Rome, who insisted on an absolute privilege for the Jewish nation. Paul likewise wants to secure the allegiance of Gentile believers who insisted that Jews and Gentiles were equal with respect to the need for salvation: One had now proceeded from the form, about which one had earlier argued concerning the relationship of Jews and Gentiles, to the matter itself, to the question, which reaches so deeply into the essence of Pauline Christianity and encompasses all its elements, namely, whether Christian salvation has a particular or universal identity, that is, whether the communication of the grace of the Gospel rests on a national privilege or a general human need.6

Is our salvation determined by God’s election of Israel or by God’s grace in Christ to all humanity? The proximity of Baur’s reconstruction of the situation in Rome to the assessment of Paul’s theology by the “new perspective” on Paul is striking. We shall return to this matter in conclusion. It is necessary at the 5 The letter to the Hebrews, if it was addressed to Jewish Christians in Rome, as it seems to have been, provides evidence of a continuing, vital presence of Jewish Christianity there, that was conscious of its Jewish identity – and under the pressure of persecution was tempted to surrender its confession of Christ in favor of an unqualified Jewish identity. 6 As is typical of Baur, he most regards the debate in Rome as being carried out at a more fundamental, and therefore abstract and theoretical level than was earlier the case in the debate over Gentile circumcision. The debate had moved from “form” to “substance” (Sache). This construal of the situation is entirely unlikely, of course. At this point Baur is a child of his time, and of his own historical-philosophical program. Gentile circumcision was not an issue in Rome at this time largely because the church had become overwhelmingly Gentile in nature. While we cannot know how this took place, it is clear that Paul finds himself in fundamental agreement with the Gospel that had arrived there (Rom 1:8–12; 6:17–18; 15:14). See Baur, Zweck und Veranlassung des Römerbriefs, 167.

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moment to consider how Baur regards Paul to have resolved the question of particularity and universality in his letter to Rome. Baur construes Jewish and Gentile believers in Rome as taking opposing positions concerning their practical life together as Christians. One side insisted on Jewish privilege. The other side, by insisting on the equality of Jews and Gentiles, in effect privileged Gentile believers, since their entrance into the believing community in large numbers determined the form of the Christian community in Rome. This position made it appear that the Gentile majority had taken the place of unbelieving Jews, now and forever. According to Baur, Paul offers a twofold answer to this concern. First, God’s promises to Israel have not remained entirely unfulfilled, since there is presently a believing remnant (Rom 11:5). Secondly, God has not rejected Israel absolutely : God will yet save “all Israel,” that is, the entire people of Israel.7 For Baur, these two affirmations resolve the problem in Rome. He thus transposes the question of Jewish particularity and the universality of the message of the Gospel to the outward and practical issue of a place for the Jewish nation within God’s saving purpose. His rather straightforward reading of Paul’s concrete affirmations concerning God’s purposes for Israel is not to be dismissed. Indeed, it has a deeper significance than Baur supposed. Nevertheless, Baur’s judgment that the issue in Rome finds its answer in a future for the people of Israel turns out to be insufficient for Baur himself, as he finally dissolves the tension between particularity and universalism that appears in Romans. With Baur the particularity of God’s dealings with the Jewish people finds no abiding place. The particular is instead “sublated” (aufgehoben) within the universality of divine grace. Everything that Paul says in Rom 1–8 is the necessary presupposition to cutting off Jewish particularism at the root.8 In Baur’s reading of Paul, it is not Judaism and Christianity that come to be reconciled. It is Judaism and paganism that find their reconciliation within Christianity. Baur therewith elevates Christianity to the realm of the absolute. For him it is something more than a mere historical entity. It is a transcendent reality in its “truth and power.” The universality of grace thus becomes an ideal that subsumes the particular within itself. In effect, Baur retreats from the problem of particularity that he imagines Paul confronts.9 But Paul resists any such attempt to tame his thought.10 For the apostle, the 7 Baur, Zweck und Veranlassung des Römerbriefs, 159. Although he does not bother to cite the text, Baur obviously has in view Rom 11:26–27. 8 Baur, Zweck und Veranlassung des Römerbriefs, 174–175. 9 Baur’s attempt to bridge Lessing’s ugly ditch thus turns out to be a failure. He retreats into a philosophical theology that Johannes Zachhuber recently has characterized as “neo-rationalism”. See his penetrating study, Theology as Science in Nineteenth-Century Germany. From F.C. Baur to Ernst Troeltsch, Oxford 2013. 10 Baur, Zweck und Veranlassung des Römerbriefs, 178. This judgment is typical of Baur’s entire program, and of his attempt to bridge Lessing’s ugly ditch. Ironically, his program can be seen as the attempt of a Swabian pastor’s son to come to terms with the ideas of his time: ’s menschelet

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particularity of God’s dealings with Israel belongs to the Gospel, just as the Gospel in its universal mission is a fulfillment of God’s dealings with Israel. The universal is penetrated by the particular within the Gospel, and vice versa. The two are inseparably joined, not in a higher idea, but instead in the profundity of God’s saving work in Jesus Christ. It is this thesis that I wish to explore in the following reflections on Paul’s letter to Rome.

2. Jewish Particularity and Universalism in Romans While there remains a kernel of truth in Baur’s construal of Paul’s purpose in writing Romans, that the purpose is quite different from what Baur imagined. The difference becomes especially apparent in Rom 9–11, the critical chapters for Baur’s interpretation. While it is obvious that in Rom 9–11 Paul recalls, and indeed, insists upon the abiding validity of the divine gifts and promises granted to Israel, it is far from clear that he does so in response to objections that his Gentile mission was displacing Israel from the divine purpose. Baur’s reading of Rom 9–11 is – it must be said ironically – more a product of his own time than it is a reading of the text in its historical context. It is not Jewish Christian readers, but Gentile Christians to whom Paul directs his discussion of Israel. This orientation is clear from Paul’s opening statement in Rom 9:1–5, where he expresses his sorrow over those who are his kinspeople, not the kinspeople of his Gentile audience in Rome. Paul’s self-identification with the Jewish people and his self-distancing from his readers continues in Rom 10:1–3, where he reports his “heart’s desire and prayer” for his Jewish brothers and sisters. It comes to expression again in 11:13, where Paul explicitly indicates that he is speaking about Israel to his Gentile readers. Paul does not address his Jewish Christian readers concerning the promise of Israel’s future. Their potential objection to Paul’s mission appears to have had its basis in the possession of the Law and the performance of its works, especially circumcision.11 Objection to Paul’s Gospel might well have arisen out of this understanding of Jewish privilege. But one can find no indications in Romans that Paul must defend his Gentile mission in the face of a claim that Jews retained an advantage based on God’s promises to them. In this respect, the “new perspective on Paul” is more indebted to Baur’s old perspective than generally has been recognized.12 While its various represenbei ihm. Cf. M. Seifrid, Ferdinand Christian Baur, in. M. Becker (ed.), Nineteenth-Century Lutheran Theologians, Refo500 Academic Studies 31, Göttingen 2016, 87–98. 11 See Rom 2:17–29; 4:1–25. 12 I realize that I am making a somewhat controversial claim. Yet I am not thereby suggesting that first-century Jews in Rome or elsewhere imagined that they gained salvation by virtue of their own merit or works. It is Paul, who for his own theological and rhetorical reasons characterizes the question of legal observance in terms of “merit” and “reward” (Rom 4:1–6). It is beyond the

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tatives have underscored the significance of “works of the Law” rightly as marks of Jewish identity, it is not at all clear that Jewish claim to privilege was based simply on divine promises and not also on the Law as a moral instructor and guide.13 It is Paul, who, for reasons that we will consider shortly, reasserts the abiding validity of God’s promises and gifts to Israel. Paul’s multiple aims in writing to Rome were shaped by the presence of faith in Jesus as Messiah already present in Rome, the conversion of many Gentiles, and his own understanding of his call as apostle to the Gentiles. The situation is complicated.14 But it is not incomprehensible. While Paul expressly affirms the faith of the Christians in Rome more than once in the letter, his recognition of their faith does not prevent him from writing to them about his Gospel.15 The very length of the letter is indicative of his desire to impart his Gospel to them. He openly indicates from the start that he regards them as included within his calling as apostle to the Gentiles (Rom 1:5–7). He correspondingly informs them from the start that he is eager to impart to them “something spiritual.” He is eager, as he says, “to proclaim the Gospel also to you in Rome” (Rom 1:12, 15). Interpreters have sometimes puzzled over Paul’s desire to “evangelize” the Gentiles in Rome, in the very context in which he acknowledges the legitimacy of their faith (Rom 1:8–12). But Paul regards his entire ministry as “evangelizing,” as is implicit in Rom 15:20, when he states his preference to evangelize where Christ had not been named: by implication evangelization also takes place among those where Christ is named and known.16 It is understandable, then, that Paul regarded the “evangelizing” of believing Gentiles in Rome as a necessary aspect of his apostolic ministry. As he makes clear both in the opening and the closing of the letter, he is not thereby calling their faith into question. When he arrives in Rome, he expects to be encouraged by their faith (Rom 1:12). He regards them as “full of goodness and all knowledge, and capable of admonishing/reminding (mouhete?m) one another” (Rom 15:14). Nevertheless, he has written to them “rather boldly” himself “reminding them” because of his apostolic calling: he has been given grace by God to be “a minister (keitouqc|r) of Christ Jesus to the Gentiles” (15:14–15).17 Paul thus signals a twofold stance. He both

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scope of this essay to pursue this matter further. Here it suffices to point to the places in Paul’s argument in Romans at which he addresses the question of Jewish identity. In all instances, it is possession of the Law and the observance of its requirements that serve as the basis for potential Jewish objections to Paul’s message: Rom 2:17–29; 3:1–20, 27–31; 4:1–25; 7:1–25; 9:6–33; 10:1–13; 11:6. On the Law as a gift, see e. g. Sir 24:1–23. The debate concerning Paul’s purpose continues. See, e. g., K.P. Donfried (ed.), The Romans Debate. Revised and Expanded Edition, Peabody 1998; A. A. Das, Solving the Romans Debate, Minneapolis 2007. Rom 1:8–12; 6:7–18; 15:14. Cf. 1Cor 1:17; 9:1–27; Gal 1:8–9, and likely Gal 4:13. One need not resort to the formal thesis that Paul sought to provide the believers with an apostolic foundation, so that they became a “church” in order to explain the dynamic of Paul’s

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recognizes the faith of the Roman Christians, and nevertheless regards them as included within his mission as apostle to the Gentiles. He obviously wants them to recognize him as their apostle (Rom 1:10–12; 15:22–24). He likewise openly indicates his hope that the Roman Christians will support him in his further plan to travel to Spain (Rom 15:24). He also warns them against dangers to their faith from travelling teachers, who offer a Gospel at odds with what they have been taught. He is quite vague about the content of this teaching, but makes clear that it is deceptive and leads to evil (Rom 16:17–20; likely, too, 3:8). He has just dealt with apostolic claimants in Corinth, about whose teaching he likewise remains basically silent, but whom he likewise charges with deception and with the furthering of immorality within the Corinthian church.18 It is not unlikely that he has this danger in view. The older reading of Romans as an outline of dogmatics, which Baur wanted to dismiss, bears a kernel of truth within it. That is not to say that Paul’s aim in writing to Rome may be reduced to a single purpose. Even a cursory reading of the letter reveals that a variety of concerns played a role in Paul’s decision to write to Rome. As Baur recognized, Paul does not offer an abstract or general theology in Romans. It is the situation in Rome that calls forth Paul’s lengthy presentation of his Gospel in the letter. Paul writes with an awareness of the tensions between conservative Jewish Christians and the Gentile majority within the circle of Roman house-churches, as is clear from his lengthy instruction on this matter in Rom 14:1–15:13.19 It is the only issue within the life of the believing community in Rome that he addresses at length. Nevertheless, his delay in discussing this matter until the end of the parenetic section of the letter most likely indicates that it is not his sole concern. As we have observed, Paul hopes for help from the Roman believers for his mission in Spain. We likewise have noted his warning against false teachers who might corrupt the faith and life of the church. Before all else, we should remember that Paul writes to the Roman Christians in the hope that he will be able to visit them.20 Paul seeks to gain recognition as apostle to the Gentiles within the largely Gentile church in Rome. He does so, in a quite remarkable manner, by insisting on the ineradicably Jewish nature of his Gospel and its practical implications for the life of his readers. This variation on Baur’s theme writing to Rome. Cf. G. Klein, Paul’s Purpose in Writing the Epistle to the Romans, in: Donfried (ed.), The Romans Debate, 29–43. Paul recognizes at least one of the “1jjkgs_ai” in Rome already when he writes (Rom 16:5). It is evident, moreover, that the circle of house-churches remained bound to one another, since Paul could presuppose that the letter would be read by all the members of the believing community. He did not need to given instructions, as he does in 1Thess 5:27, that his letter was to be read to all believers. 18 2Cor 11:2–4, 12–14; 12:19–21. 19 He likely became aware of the tensions within the circle of house-churches in Rome through one or more of his numerous contacts there (Rom 16:2–13). 20 Rom 1:10–11; 15:23.

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captures, I think, his proper concern to read the letter in its immediate historical context. Yet it allows for the paradoxical and irreducible juxtaposition of the particular and the universal that appears in Romans, which Baur was unable to fathom. The mutual penetration of particular and universal dimensions of Paul’s mission appears already in the prescript of the letter, in his opening description of his apostolic calling to the Gentiles (Rom 1:1–6). The Gospel of God, for which Paul has been set apart as one called as an apostle, is one that was promised beforehand by God’s prophets in holy Scriptures (Rom 1:2). It concerns: God’s Son who came to be “of the seed of David” according to the flesh, who was designated Son of God in power, according to the Spirit of holiness, by the resurrection of the dead, Jesus Christ, our Lord (Rom 1:3–4).

As Paul intimates, the designation of the risen Jesus as “Son of God” signals the fulfillment of God’s saving promise of a coming ruler of Israel – suffering and delivered by God – who would rule the nations and establish the kingdom of God.21 This affirmation is not to be understood as a challenge to Roman authority. Where Paul engages Roman authority in the letter, he urges submission to it without any mention of Messianic hopes (Rom 13:1–7). Paul’s point is that the life of the age to come has entered the present time in Jesus. Jewish particularity and universal salvation meet in Jesus, the seed of David, who is now the risen Son of God. Paul elaborates this reality in his christological exposition of salvation in Rom 5–8. In contrast to Baur, for Paul the transcendent nature of the eschaton does not sublate these particularities so that they are abolished in a Hegelian dialectic. They paradoxically remain, even though they have been transcended by the presence of the age to come. Although the dimensions of this relationship are larger than we can pursue at the moment, we may at least point to them: the reign of grace presupposes the continuing reality of conquered sin and death, the new life of the eschaton presupposes crucifixion with Christ, life to God in Christ presupposes death to the Law. For our present concerns, we may simply observe that, according to Paul, Jesus, marked out as Son of God by his resurrection from the dead, remains the seed of David according to the flesh (Rom 1:4). Paul later reminds his Gentile readers that “with respect to the flesh” the Messiah comes from “the Israelites” (Rom 9:4–5). It is the “root of Jesse” now “arisen” – in both earthly appearance and resurrection – to rule the Gentiles savingly (Rom 15:12; IsaLXX 11:10). It is for this saving rule of the Messiah that Paul has been sent to the Gentile world: his calling as apostle is intended to effect “the obedience of faith among all the Gentiles” for the sake of the name of this very 21 On the background, see still M. Hengel, The Son of God. The Origin of Christology and the History of Jewish-Hellenistic Religion (trans. J. Bowden), Philadelphia 1976. I can find no trace of an anti-imperial message in Romans that contrasts Jesus with Nero as divi filius.

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Jewish Messiah, Jesus (Rom 1:5). Paul thus introduces himself to Gentile Christians in Rome as a Jewish apostle whose mission it is to secure their obedience – the obedience of faith – to the risen seed of David. In this light, the “gift” that he hopes to impart to the Gentiles in Rome (Rom 1:11) is to be understood not only as an apostolic gift (cf. Rom 12:6), but also one of the benefits of Israel in which these Gentiles have been called to share (Rom 11:17, 29). In a similar way, in his opening announcement of his Gospel, he describes it as God’s saving power, “for the Jew first, and also for the Greek,” strikingly insisting on Jewish privilege at the very start to a Gentile audience that – judging from the conflict in the community – seemingly had begun to question all things Jewish (Rom 1:16). Paul’s following rejection of Jewish privilege is not absolute, but rather a redefinition that detaches it from the sphere of Law and attaches it to promise.22 He will insist paradoxically on Jewish privilege again in 3:1 – and expand on that privilege at length in Rom 9–11. This conjunction of the universal and the particular in Paul’s person and mission reappears in the closing of the letter. Again explaining to his readers why it is that he has written to them, he asserts in entirely Jewish terms, that as apostle he has been given grace to be: a minister of Christ Jesus to the Gentiles, offering the Gospel as a sacrifice,23 in order that the offering of the Gentiles might become acceptable, sanctified by the Holy Spirit (Rom 15:16–17). Here Paul echoes the Isaianic promise of the offerings brought by the Gentiles (Isa 60:3–14; 66:20–21) and transforms it by joining it to God’s promise of acceptance of the Gentiles themselves (Isa 56:3–8). The Gentiles themselves are the gift and offering which Paul, by means of the Gospel, makes acceptable to God as God’s own possession. The same thought appears in the opening of the parenesis (Rom 12:1–2). Paul presents the universal work of the Gospel as encompassed within the irreducibly particular purposes of the God of Israel. As Christ’s (priestly) minister,24 he has fulfilled the Gospel “from Jerusalem to Illyricum”. Through the Jewish Gospel, the Gentiles have been made acceptable to God.25 They must enter the kingdom through this narrow Jewish gate. The same dynamic appears in Paul’s recounting of the Gentile contribution from Macedonia and Achaia for “the poor of the saints” in Jerusalem. While Paul indicates that these Gentile believers have made the contribution gladly, he also makes the point to his Roman readers that as Gentiles they are under 22 Rom 2:9–10; 3:9, 24; 10:12. 23 When Reqouqce?m appears with an accusative object, it generally bears the sense of “sacrifice” with the accusative expressing that which is offered. E. g. Philo, Leg. All. 3.130; Plant 164.1; Migr Abr 67.5; 140.1. 24 As keitouqc|r of Christ, Paul can be understood to be describing himself as having been granted a public role of service. But the priestly language that follows strongly suggests that he speaks of a priestly role. The term conveys in any case the idea of a service for a people (k]ztor; ka|r), so that particularly Jewish overtones are likely present. 25 Cf. Rom 1:1–5; 1:16; 10:15 (IsaLXX 52:7); 10:16 (IsaLXX 53:1); 15:19.

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obligation to make such a gift. Jewish believers have shared “spiritual things” with the Gentiles. As Gentiles they are now indebted to minister “fleshly” things to the “saints” in Jerusalem (Rom 15:27).26 This indebtedness is not temporary. Paul already has made clear to his readers in Rome that by the grace of God each one of them has been made a partaker (sucjoimym|r) of the “root of fatness of the olive tree” of Israel. That “root” bears them even now (Rom 11:17–18). They therefore are not to boast. While they cannot take part in the gift for the “saints” in Jerusalem, they are to pray that Paul’s “service” there might be acceptable to those “saints” just as the Gentiles themselves have been made acceptable to God as an offering (Rom 15:31; cf. 15:16). The Gentile believers in Rome are to embrace the scandal of Jewish particularity as a fundamental element of their faith. That scandal that had outward and visible relevance for the church in the conflict between a minority of conservative Jewish Christians and the Gentile majority along with Jewish believers who had abandoned the distinctives of Jewish identity.27 It is here that we find the concrete, local issue that helped to shape the argument of the letter, for which Baur sought. As I have suggested already, the situation turns out to be nearly the opposite to that which he imagined: Paul does not defend the universalism of the Gospel here – nor in Rom 9–11 – but the particular practices of Jewish Christians that placed a burden on the Gentile majority as well. Some within the church avoided meat and very likely also wine, maintaining a diet of vegetables in order to avoid unclean foods, especially meat tainted by idolatry (Rom 14:2, 14, 21). They likewise observed special days, almost certainly the observance of the Sabbath (Rom 14:5). Paul describes the tension between the two groups in language shaped by the universal scope of his Gospel: the “weak in faith” (Rom 14:1) restrict their diet and observe certain days. The “strong” (Rom 15:1) feel no need to do so.28 Yet Paul calls upon the “strong” to accept the “weak” and their practices.29 The one who so serves the Messiah – Paul suddenly introduces 26 As with the noun keitouqc|r, in this context the verb keitouqce?m conveys the idea of priestly service. Paul’s expression is thus highly paradoxical. Gentiles serve as priests in delivering gifts to Jews. They perform their priestly service with “fleshly” things. 27 Pace Das, Solving the Romans Debate. I find it implausible to think that the “weak” were Gentile god-fearers. Admittedly there were few Jewish believers in the believing community in Rome. But there were likely more than Das supposes (on Jewish names in Rom 16, see K.P. Donfried, A Short Note on Romans 16, in: idem (ed.), The Romans Debate, 48–49. Furthermore, as original members of the community, they probably wielded more influence than their number might suggest. It is worth noting how many of those to whom Paul sends his greetings in Rom 16:2–13: at least six of the twenty-five are Jews. Most importantly, it seems clear that Paul becomes direct about naming the opposing groups in Rom 15:1–13: they are Jews and Gentiles. 28 It is likely for this reason that Paul does not name the special days “Sabbaths,” preferring the neutral or Hellenistic description. 29 While I have sympathy for some of his concerns, I find Mark Nanos’s reading of Romans implausible. It is unlikely that Paul is speaking only to Gentile Christians. Nor does he ask them to take on the halakoth that would have applied to them as Gentiles or to submit themselves to the synagogue. He asks them only to accept the “weak”. In so doing, he both asserts the theology

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Jewish particularism into his argument – is pleasing to God and esteemed by others (Rom 14:18).30 In effect, the entire church in Rome had to bear the scandal of Jewish particularity for the sake of the conservative Jewish minority, whose consciences might have been wounded and faith jeopardized by being despised or rejected by the Gentile majority. In his summary statement on this issue, Paul presents this concession by the Gentile majority as following of the pattern of the Messiah, who did not please himself, but – as Christ himself speaks in the psalmist – allowed “the reproaches of those reproaching you (the God of Israel) to fall on me” (PsLXX 68:10; cf. 68:7).31 The acceptance of the “weak” by the “strong” is an act of identification with the Messiah of Israel and its God. The Gentile majority is to subject itself to this reproach that comes with faith in the Jewish Messiah. It thus is to embrace the hope of deliverance which the Scriptures announce, and which comes to expression in the psalm that Paul cites as the deliverance of Israel (PsLXX 68:14–19, 31–37).32 The “patient endurance and comfort” that is given through the instruction of Scripture is expressed, according to Paul, in this church of Jews and Gentiles being of the same mind and unanimously, with one mouth, glorifying the God and father of Jesus Christ “our Lord” (Rom 15:4–6). The embrace of hope brings with it the embrace of Jew and Gentile. They come together not by abandoning their distinct identities, but by finding them anew in the God of Jesus Christ, the Lord. In his continuing exhortation, Paul calls for mutual acceptance by Jews and Gentiles as an imitation of the Messiah’s acceptance of them both (Rom 15:7–13).33 His description of the saving work of the Messiah, drawn substantially from Scripture, is distinctly Jewish and particular. It reflects his opening declaration that the Gospel is God’s saving power “for the Jew first, and then for the Greek” (Rom 1:16). He further draws a distinction between the Messiah’s role in relation to Jews and that in relation to the Gentiles. The Messiah is first a servant of (or divine

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of his Gospel (cf. 14:14) and calls for the love that springs from that Gospel (14:15). See The Mystery of Romans. The Jewish Context of Paul’s Letter, Minneapolis 1996, esp. 85–165, 289–336. Aside from genitive constructions, where Apollonius’ canon is in effect (and the usage is definite and referential in any case), Paul’s use of the article with b Wqist|r is at least a strongly referential honorific, if not, in fact, titular (on the former category, see M.V. Novenson, Christ Among the Messiahs. Christ Language in Paul and Messiah Language in Ancient Judaism, Oxford 2012). In Romans this articular usage (apart from genitive constructions) is markedly concentrated in contexts that have to do with Jewish identity (Rom 9:3, 5; 15:3, 5, 6, 7, 19). Very likely this usage in 14:18 is to be included in the list: Paul refers to the one who is Messiah precisely in his exhortation to the “strong” to give consideration to the sensibilities of the “weak”. On the usage of b Wqist|r as a title or a definite and referential honorific, see n. 30. Paul already has made clear to them that the hope of the Gentiles is mysteriously bound up with the hope of Israel (Rom 11:11–36). Once again, see n. 30 on the use of b Wqist|r in Romans.

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agent for)34 “the circumcision” for the sake of “the truth of God”, (namely) in order to confirm the promises that belong to the patriarchs (Rom 15:8). With respect to the Gentiles, the Messiah is God’s agent for the sake of God’s mercy, so that God receives praise (Rom 15:9). Acceptance and salvation come to both groups, but in differing ways. Jews retain the advantage of the divine promises. Yet Paul finds promises for the Gentiles as well, which he unfolds in a catena of citations. The texts that he cites speak of the subjugation of the Gentiles under Israel’s Messiah, in which their salvation lies. Paul’s Jewish particularism encompasses the universal message of the Gospel – and not the other way around. The Messiah confesses God before the Gentiles and sings praises to God’s name.35 He invites them to rejoice along with God’s people36 and calls all Gentile nations and peoples to praise “the Lord” – the name of Israel’s God.37 Even more dramatically, Paul appeals to the Isaianic promise: “There shall be a root of Jesse, who shall arise to rule the Gentiles. On him the Gentiles shall hope” (Rom 15:12). As Paul has made clear, the call to mutual acceptance by Jews and Gentiles is the call to the hope: the end of all things is contained within the common worship of the one God by Jew and Gentile (Rom 15:5–6). Paul dramatically rounds off this call to hope by describing the hope of the Gentiles as resting upon “the root of Jesse” who now has arisen to rule them. The citation recalls Paul’s earlier warning to Gentile believers not to forget that they do not bear the “root” of the olive tree into which they have been grafted, but the “root” supports them (Rom 11:17–18). Admittedly, the imagery of the ancient olive tree of Israel differs from that of the newly risen “root of Jesse.” But the ethnic and material implications remain the same. The universal scope of the Gospel is found within its particularity. The particularity of God’s promises to the Jewish people bear a universal dimension that does not “uproot” them from their particularity. Both Paul’s following announcement of his mission to Jerusalem and his preceding words to Gentile believers make clear that this interpenetration of the particular and the universal is no mere theoretical construction. It is to define the identity of Gentile believers, reminding them not only of God’s grace to them, but of the Jewish agents of God’s grace to whom they remain indebted. As we have observed, Paul’s theological elaboration of his plans to the Christians in Rome make it clear, too, that not only his letter to Rome, but his own mission was characterized by a remarkable intersection of the particular and universal. His primary aim, which he understands to be grounded in the Scriptures, is to proclaim the Gospel where Christ has not been named (Rom 15:20–21; IsaLXX 52:15). It is on this account – so he informs the Roman 34 35 36 37

See J.N. Collins, Diakonia. Re-Interpreting the Ancient Resources, New York 1990. Rom 15:9; PsLXX 17:50. Rom 15:10; DeutLXX 32:43. Rom 15:11; PsLXX 116:1.

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Christians – that he has been unable to visit them up to that time. For the same reason, his visit with them will be brief. He has a mission in Spain in view, for which he needs their help. It is quite remarkable then, almost odd, that he announces to them that he first is going to Jerusalem in service to the “saints” (Rom 15:25). Naturally the completion of the collection required its prompt delivery. But if further areas of mission lay before Paul, why not postpone the collection until that mission was complete? Why not wait until Rome might make a contribution? There are likely other factors, not least in Paul’s reconciliation with Corinth, that precipitated the completion of the collection. The need in Jerusalem was likely pressing as well. Nevertheless, Paul’s very commitment to the collection and his allowing it to interrupt the primary concern of his mission makes clear that his own life and work, his apostolic calling, as he understood it, bore the remarkable conjunction of an irreducible commitment to the particularity of God’s dealings with the Jewish people and the universal mission to the Gentiles. Indeed, they are so deeply intertwined that it is impossible to separate one aspect of his calling from the other. The intertwining of the universal gift of Paul’s Gospel and its Jewish particularity that we have observed in the framework of Romans plays itself out in the body of the letter. In the opening of the letter, Paul addresses his readers as Gentiles and insists on Jewish priority with respect to the Gospel, but then launches into a critique of early Jewish thought, in which he more than once addresses Jewish questions concerning the saving faith worked in Gentiles by his Gospel. He continues to deal with this issue well into the body of the letter : the argument concerning death to the Law through Christ is addressed to those who “know the Law” (Rom 7:1). It is not impossible that Paul includes former God-fearers and believing Gentiles who now have come to know the Scriptures. But the majority of the church is Gentile, the question of the abiding validity of the Law is distinctively Jewish, and the Gentile majority in their disdain for the “weak” show no inclination to adopt observance of the Law. In all likelihood, the references to the Law in Rom 5:20–21 and Rom 6:14, together with this late address in Rom 7:1 signal that Paul directs his argument in Rom 1:18–8:39 primarily – although not solely – to his Jewish Christian readers in Rome.38 The topic of these chapters, as Paul himself puts it in a nutshell, is the Gospel as “God’s power for salvation to everyone who believes – for the Jew first, and also for the Greek” (Rom 1:16). He emphasizes the universal scope of the Gospel, while paradoxically affirming Jewish priority. While he sounds this note at the start, he waits to develop it fully until Rom 9–11. Paul first presents his Gospel, which brings God’s saving power to every human being, not only to Gentiles, but also to his 38 It is not the case that Paul’s argument in Rom 1:16–8:39 was of no interest to the Gentile majority in Rome. Nor was Paul ignoring them as he wrote. The Scriptures of Israel , from which Paul cites at various points at length, were their Scriptures as well, from which they were to learn the faith they had received.

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Jewish Christian readers in Rome. He sets forth his Gospel in its universal dimensions, with all the challenges and provocation that it might bring for his Jewish Christian readers. Indeed, precisely because his Gospel is a Jewish Gospel, he must answer Jewish questions and objections. Otherwise, in anticipation of Marcion, he might well have ignored such concerns. It is important to him that Jewish Christians in Rome understand and embrace his apostolic mission to the Gentiles. It is important, not because they presented a threat to him, nor because they might advocate Judaizing. Quite the contrary, Jewish Christians are a minority within the church, who, if anything, are threatened with being excluded. It is important for Paul that they embrace his Gentile mission, because his calling serves the larger vision of the Gospel: the uniting of Jew and Gentile under the lordship of Christ. Paul by no means seeks to establish a purely Gentile church. On the contrary, he seeks to bind the Gentile believers in Rome to their Jewish brothers and sisters, to himself as their Jewish apostle, and to Jerusalem as well. The form of Paul’s argument in both Rom 1:16–8:39 and Rom 9:1–11:36 displays the criss-cross pattern of his unexpected rhetoric. In Rom 1:16–8:39, where he primarily takes up Jewish concerns, he for the most part employs Hellenistic forms of argument, citing Scripture prominently only in 2:17–4:25.39 The “christological turn” at 5:1 brings a relative silence concerning the Scriptures, aside from the figure of Adam (5:12–21), and the prohibition of coveting in Rom 7:7. Finally, at the conclusion of his argument in Rom 8:36 (PsLXX 43:23) he once again directly cites Scripture. His rhetoric corresponds to the material argument he presents concerning the universal scope of the Gospel. The same relation holds in inverted form in Rom 9:1–11:36. Paul is not in the first place seeking to assuage the concerns of Jewish Christians in these chapters, as Baur supposed. He is instructing the Gentile majority, as becomes especially clear in Rom 11:13. Yet here in contrast to Rom 1:16–8:39, where he directly appeals to Scripture in only a limited way, he opens up a veritable flood of citations from the Scriptures. The form of Paul’s rhetoric again corresponds to his material argument. Gentile Christians are to be instructed by God’s dealings with Israel in the words of Scripture, which hold not only the severity of judgment, but the hope of Israel’s final salvation. Just as Paul addresses Jewish Christians directly in the earlier part of the letter, he now directly speaks to Gentiles. Furthermore, while he earlier distances himself from his Jewish identity in the dialog with the Jewish figure in Rom 2:17–29, in these chapters Paul repeatedly identifies himself as a Jew : the Jewish people remain his kinspeople (Rom 9:3; 11:1, 14). The apostle to the Gentiles remains a Jew, who finally seeks the salvation of his people, his calling as apostle to the 39 The opening of his argument concerning human fallenness is especially significant. While it is obvious that his thought is distinctively Jewish, he introduces his argument concerning the human condition in Hellenistic terms.

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Gentiles notwithstanding (11:13). Before all else the Gentile majority is to learn that their salvation is an act of God’s sheer grace, by which they have been incorporated into believing Israel. This act is not God’s final act: Israel itself has a Redeemer who will come from Zion for its deliverance from sin (Rom 11:26–27).40 The Gentile mission and the majority Gentile church in Rome is not the end of all things, but a mere prelude to the salvation of Israel that is yet to come.41

3. Jewish Particularity, Universalism and Current Interpretation of Paul Paul makes it clear to his readers that although his Gospel has universal reach it remains bound to its particular Jewish roots. To his Jewish Christian readers he emphasizes its universal scope. To his Gentile readers he underscores its ineradicably Jewish nature. As is already apparent, this conjunction of the particular and the universal has more than one dimension. It shapes Paul’s mission: while he places a priority on reaching those who have not heard of Christ, he interrupts that mission in order to first deliver a gift from the indebted Gentiles for the poor in Jerusalem. It is essential to Paul’s Gospel: Paul announces that the one who came to be the seed of David is risen son of God and saving lord for all. Gentiles are called to the obedience of faith, and 40 In favor of this reading of these verses, see inter alia, R. Jewett, Romans: A Commentary, Hermeneia, Minneapolis 2006, 701–706; R.N. Longenecker, The Epistle to the Romans, NIGTC, Grand Rapids 2016, 894–900; D.J. Moo, Epistle to the Romans, NIC.NT, Grand Rapids 1996, 719–729; Das, Solving the Romans Debate, 235–260; F. Mußner, Tractate on the Jews. The Significance of Judaism for Christian Faith (trans & introd by L. Swidler), Philadelphia 1984, 28–36, 133–153. Against Wright, the most prominent current advocate for a re-interpretation of “Israel” here as the whole people of God, Jews and Gentiles, Paul is declaring a new point here, as he expressly indicates in Rom 11:25: he is making known a “mystery,” which although it has deep roots in Scripture, is not apparent apart from a fresh interpretation of the text. He is not, however, undercutting all that he has said up to this point. He is reasserting what he has said already in 11:15: the divine (re-)acceptance of Israel will be the resurrection of the dead. See N.T. Wright, Romans 9–11 and the “New Perspective”, in: F. Wilk/J.R. Wagner/F. Schleritt (ed.), Between Gospel and Election. Explorations in the Interpretation of Romans 9–11, WUNT 257, Tübingen 2010, 37–54, 51. Wright’s insistence that Rom 11:26 is not eschatological brings him to invert Paul’s thought here, arguing that those Jews who come to see the renewed covenant and want its blessings will be welcomed back. Paul speaks of the Redeemer coming forth from Zion to Jacob, not Jacob coming back from unbelief. See N.T Wright, Romans and the Theology of Paul, in idem, Pauline Perspectives. Essays on Paul, 1978–2013, Minneapolis 2013, 93–125, 120. 41 It is important to note that Paul’s expectation of a final salvation of the people of Israel (the limits of which he leaves undefined) does not prevent him from engaging in mission to them, but rather motivates it (Rom 11:13–14). He did not receive “forty lashes minus one” five times for nothing (2Cor 11:24).

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thus come under the rule of the “root of Jesse.” It is essential to the formation of the identity of Gentile believers: Paul pointedly reminds them that they have been ingrafted into “the root of fatness” of believing Israel. They do not support that root, the root supports them. This reminder entailed more than a vague theological affirmation for the Gentile believers in Rome. The “root” into which they had been ingrafted was not merely a heritage from the past. It stood before their eyes in the Jewish believers who were present within the believing community in Rome. It was likewise present among the “poor” in Jerusalem to whom they were indebted in “fleshly” things. Most importantly, Paul informs his Gentile readers of the mystery of Israel’s salvation, the salvation of Israel as a people, which will bring final salvation to the world, the resurrection of the dead.42 The church in Rome with its Gentile majority is not the final act within the drama of God’s work in human history. The final event will be the salvation of Israel.43 This “mystery” constitutes an ethnic boundary-marker to their self-understanding, expectations, and witness. As Gentiles they have their time and place on the stage. But their time, too, will come to an end. They are called to remain in the sheer grace of God to them and to the humility that goes with it. That humility was to have a concrete effect within the life of the church: the Gentile majority was to accept, include, and embrace the conservative Jewish minority with their strange and peculiar practices that brought disdain from outsiders. For Paul, Jewish particularity was not to be sublated into a higher ideal, but was to remain an enduring mark of the church. His vision was not that of a uniform church, but one marked by the abiding difference between Jews and Gentiles. Its unity lies in the risen Son of God and seed of David. Its common worship of the one, true God through Jesus Christ is the mark of hope within the world (Rom 15:5–13). For Paul, we may then suggest, the relationship between the universal gift of salvation and its particular, earthly arrival and presence is that of the relationship between the eschaton and the present age. For this reason, Baur’s attempt to resolve the particular by sublating it into the universal necessarily failed. The difference between the present and the eschaton resists a conceptual resolution, at least one that is presently accessible to us. To think otherwise, as Baur did, is an act of “overrealized eschatology,” the attempt to arrive at an 42 The announcement of the mystery of Israel’s salvation to Gentile readers has its counterpart in Paul’s concluding description of the Gospel as a “mystery which has been silent for long ages” (Rom 16:25–27). Once again the particular and universal criss-cross in Paul’s interpretation of Scripture. 43 Here it is necessary to underscore that Paul clearly does not imagine that every Jew will be saved, otherwise there would be no place for lament, especially Paul’s lament in which he wishes himself accursed in place of his unbelieving contemporaries (Rom 9:1–5). He is not concerned to delineate the “boundaries” of Israel in Rom 11:26–27. His focus rests on the people as a whole. His hope for Israel does not in the least deter him from labor and prayer that seeks to win his contempories to faith in Jesus as Messiah (Rom 10:1; 11:14). On this topic see B. Schaller, Die Rolle des Paulus im Verhältnis zwischen Christen und Juden, in: Wilk/Wagner/Schleritt (ed.), Between Gospel and Election, 1–36.

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eschatological vision within the present world. The conjunction of universal salvation and its particular presence is an expression not only of God’s promises to Israel, but also of their fulfillment in Christ. For Paul, to speak of Jesus simply as “Savior of the world” is one-sided. Jesus is simulaneously Savior of the world, the seed of David, Messiah of Israel, and root of Jesse. The particular and universal meet in him !s}cwtyr, !tq]ptyr, !diaiq]tyr, !wyq_styr. This conjunction has profound implications for Christian witness and interreligious dialog:44 we cannot rightly speak of God without speaking of Jesus, nor can we rightly speak of Jesus without speaking of God.45 Daniel Boyarin, a Jewish scholar, finds himself in substantial agreement with Baur’s reading of Paul, but quite understandably prefers Jewish particularism to the universalism he supposes that Paul represents.46 He argues that Paul, living in tension between Jewish monotheism and Hellenistic universalism, thinks in Platonic terms, interprets Scripture allegorically, and embraces a “disembodied ethic”.47 This brief survey of Romans has shown, I think, that Paul is not guilty of the charge that Boyarin lodges against him. But has not Boyarin rightly seen the implicit dangers in the reading of Paul offered by representatives of the “new perspective”? The interpretation of Paul as concerned with the inclusion of the Gentiles within God’s saving purpose obviously is not wrong. But it is wrong to embrace a monolithic universalism that eliminates ethnic particularity and threatens the domination of minorities.48 Baur’s attempt to read Romans in its historical context was thwarted by his search for a theological and rational resolution of the relationship between Jewish particularism and the universal message of the Gospel. He stumbles on the particularity of Paul’s message, particularity that remains a scandal for Christian interpreters today. Despite all attempts to “sublate” this element of the apostle’s thought, Paul’s Gospel to all nations and all peoples remains rooted in the divine promises to Israel that confer upon it a special, privileged, ethnic status – even as there is no distinction between Jew and Greek. That paradox is part of Paul’s point: God’s inscrutable ways remain between our abstract reflections and beyond all the stories that we ourselves fashion from the Scriptures.

44 G.R. McDermott has made me aware of this connection, as he has rightly insisted on Trinitarian theology as the necessary basis for such engagement. See also O. Bayer, Martin Luthers Theologie: Eine Vergegenwärtigung, Tübingen 2003, 304–311. 45 J. Gnilka, Der Kolosserbrief, HThK.NT 10/1, Freiburg im Breisgau 1980, 61. 46 See D. Boyarin, A Radical Jew. Paul and the Politics of Identity, Berkeley 1994. 47 See especially, Boyarin, Paul, 11. 48 At the very beginning of the new reading of Paul, Krister Stendahl argued for reading the apostle as first and foremost an advocate of Gentile inclusion. See K. Stendahl, The Apostle Paul and the Introspective Conscience of the West, in: HThR 56, 1963, 199–215.

Synoptische Evangelien und Apostelgeschichte

Christoph Heil

Die Q-Gruppe in Galiläa und Syrien*

In einem ersten Schritt versucht der folgende Beitrag aufzuzeigen, dass sich hinreichende und unverkennbare Hinweise einer sozialen Bildung innerhalb von Q nachweisen lassen und somit eine Gruppe hinter Q angenommen werden kann. Dann wird der wissenschaftliche Konsens verteidigt, dass die QGruppe sich in denselben galiläischen Dörfern und Städten herausgebildet hat, in denen Jesus predigte und agierte. Schlussendlich werden, gegen die Mehrheit in der Q-Forschung, Gründe für die These vorgebracht, dass die QGruppe in das südliche Syrien geflohen ist, als oder bevor die Römer 67 n. Chr. Galiläa einnahmen. Demzufolge fand die Endredaktion von Q in Syrien statt.

1. Die Q-Gruppe Seit Heinz Eduard Tödts Dissertation „Der Menschensohn in der synoptischen Überlieferung“ ist es weithin akzeptiert, dass Q ein eigenes theologisches Profil besitzt.1 Während sich dieses deutlich von antiochenischen, paulinischen, synoptischen und johanneischen Konzepten abgrenzen lässt, reflektiert Q die Geschichte und Theologie der frühen galiläischen Jesusbewegung. Arland Jacobson sprach sogar von den Personen hinter Q als „relatively isolated community. It was not a community which corresponds very well with any group that we know of in early Christianity.“2 Da aber nicht viele Informationen in Q über die sozialen Strukturen gegeben sind, bevorzugen es einige, hinter Q nicht eine „Gemeinde“,3 sondern eine „Bewegung“ zu * Der Beitrag geht auf einen Vortrag in der SBL Q Section in Atlanta 2015 zurück. Ich danke den beiden Vorsitzenden der Section – Daniel A. Smith und Alan Kirk – für die Einladung und allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Einheit für die anregende Diskussion. 1 H.E. Tödt, Der Menschensohn in der synoptischen Überlieferung, Gütersloh 1959, 21963. 2 A.J. Jacobson, The First Gospel. An Introduction to Q, Foundations and Facets. Reference Series, Sonoma 1992, 260. 3 Simon J. Joseph und Markus Tiwald überschrieben jüngst Buchkapitel mit „The Community of Q“ bzw. „Die Gemeinde hinter der Logienquelle“; S.J. Joseph, Jesus, Q, and the Dead Sea Scrolls. A Judaic Approach to Q, WUNT II/333, Tübingen 2012, 70–74; M. Tiwald, Die Logienquelle. Text, Kontext, Theologie, Stuttgart 2016, 94–116.

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sehen.4 Paul Hoffmann bezeichnet Q lediglich als „Gruppe“.5 Das zielt nicht darauf ab, eine soziale Einheit hinter Q abzusprechen, sondern soll verhindern, ein Bild einer entwickelten christlichen Gemeinschaft hinzuzufügen. Q ist anders – auch was die sozialen Strukturen betrifft, die es reflektiert. Allerdings sieht Hoffmann auch Zeichen einer Transformation dieser „Sondergruppe in Israel“: „Der Übergang von einer jüdischen Umkehrbewegung zur ,Jesus-Gemeinde‘ zeichnet sich ab – oder ist für QR schon Realität.“6 Ähnlich zurückhaltend formuliert auch John S. Kloppenborg, der die Bevorzugung des Terminus „Q group“ („Q-Gruppe“) vor einer „Q community“ („Q-Gemeinde“) folgendermaßen erklärt: „The term ,community‘ (Gemeinde) is problematic insofar as it is used to refer to a discrete and bounded ,church‘ with a clear membership, identity rituals, and the means by which to distinguish its members from other persons residing in the same locale.“7 Udo Schnelle spricht so von einem „Q-Kreis“.8 Während solche Differenzierungen nachvollziehbar sind, wird die Existenz einer Gruppe hinter der Q-Überlieferung – teilweise mit apologetischen Motiven – immer wieder ganz in Frage gestellt.9 So formulierte Martin Hengel

4 J.M. Robinson, Judaism, Hellenism, Christianity. Jesus’ Followers in Galilee until 70 C.E. (1985), in: ders., The Sayings Gospel Q. Collected Essays, hg. v. C. Heil/J. Verheyden, BEThL 189, Leuven u. a. 2005, 193–202, 198. Auch Paul Hoffmann kann von einer „Q-Bewegung“ sprechen; vgl. ders., Vom Freudenboten zum Feuertäufer. Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth in Q 7, in: U. Busse/M. Reichardt/M. Theobald (Hg.), Erinnerung an Jesus. Kontinuität und Diskontinuität in der neutestamentlichen Überlieferung. FS R. Hoppe zum 65. Geburtstag, BBB 166, Göttingen/ Bonn 2011, 87–106, 106. 5 P. Hoffmann, Studien zur Theologie der Logienquelle, NTA NF 8, Münster 31982, 10: „Mit Absicht spreche ich nicht von der hinter Q stehenden ,Gemeinde‘, sondern wähle in der Regel den theologisch unbelasteten Begriff ,Gruppe‘; dies geschieht nicht, weil ich die theologische Bedeutung der christlichen Gemeinde in Frage stellen, sondern nur, weil ich nicht ungeprüft diese oder jene Gemeindekonzeption in die Logienquelle eintragen möchte. Außerdem soll die Wahl dieses Begriffes daran erinnern, daß es sich hier um eine christliche Gruppe der frühen Christenheit handelt, nicht aber um die christliche Gemeinde schlechthin.“ 6 Hoffmann, Vom Freudenboten zum Feuertäufer, 106. Vgl. auch ders., Jesus von Nazaret und die Kirche. Spurensicherung im Neuen Testament, Stuttgart 2009, 92: Die Schlussredaktion von Q bedeute die Konstituierung einer eigenen Gruppe „im Gegenüber zu Israel“. 7 J.S. Kloppenborg, Excavating Q. The History and Setting of the Sayings Gospel, Minneapolis/ Edinburgh 2000, 170 f. Vgl. ders., Symbolic Eschatology and the Apocalypticism of Q (1987), in: ders., Synoptic Problems. Collected Essays, WUNT 329, Tübingen 2014, 157–178, 166 Anm. 39. Ähnlich auch F.R. Prostmeier, Kleine Einleitung in die synoptischen Evangelien, Freiburg i.Br. u. a. 2006, 69 f: „Die Trägerschaft von Q hat sich wohl nicht zu eigenständigen Gemeinden mit einem unterschiedlichen Eigenleben konsolidiert; vielmehr bildeten die Q-Anhänger einen eigenen Kreis innerhalb christlicher Gemeinden“; S.E. Rollens, Framing Social Criticism in the Jesus Movement. The Ideological Project in the Sayings Gospel Q, WUNT II/374, Tübingen 2014, 203 f. 8 U. Schnelle, Theologie des Neuen Testaments, UTB 2917, Göttingen 32016, 367, 382. 9 Vgl. J.P. Meier, A Marginal Jew. Rethinking the Historical Jesus. II: Mentor, Message, and Miracles, ABRL, New York et al. 1994, 179; J.P. Michaud, Quelle(s) communaut8(s) derriHre la Source Q?, in: A. Lindemann (Hg.), The Sayings Source Q and the Historical Jesus, BEThL 158, Leuven

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1979: „Die Weisheitslogien, die Lk und Mt aufnehmen, […] sind gewiß keine eigenständige Schöpfung der angeblichen ,Gemeinde von Q‘, eine solche ,Sondergemeinde‘ ohne christologisches Kerygma hat es nie gegeben. Sie ist eine ,Gemeindebildung‘ der allzu phantasievollen modernen ,Kritikergemeinde‘.“10 In ähnlichem Stil übt Edward P. Meadors harsche Kritik an der „Q Community Hypothesis“.11 Auch Dunn hält es für an den Haaren herbeigezogen anzunehmen, dass Q „defines the community and that the community’s character and distinguishing emphases can be read from this one document“.12 Die Kritiker einer erkennbaren Gruppe hinter Q, wie Hengel, Meadors und Dunn, treffen sich dabei in der gemeinsamen Ablehnung der Formkritik.13 Eine der größten Erkenntnisse der Formkritik ist, dass die Evangelien – einschließlich Q – zuallererst Zeugen der Theologie der sozialen Gruppen hinter ihnen sind. Meines Erachtens ist das nach wie vor eine zutreffende These.14 Eine soziale Gruppierung, die sich in Q reflektiert, lässt sich anhand einiger offensichtlicher Hinweise in Q festmachen.15 Q enthält Regeln und Versprechen für die Nachfolge (Q 6,57–60; 14,26 f; 17:33; 22,28.30), Erfah-

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2001, 577–606, 603–606; W. Schmithals, Einleitung in die drei ersten Evangelien, de Gruyter Lehrbuch, Berlin/New York 1985, 403. M. Hengel, Jesus als messianischer Lehrer der Weisheit und die Anfänge der Christologie (1979), in: ders./A.M. Schwemer, Der messianische Anspruch Jesu und die Anfänge der Christologie. Vier Studien, WUNT 138, Tübingen 2001, 81–131, 95. E.P. Meadors, Jesus the Messianic Herald of Salvation, WUNT II/72, Tübingen 1995, 17–35. J.D.G. Dunn, Christianity in the Making 2. Beginning from Jerusalem, Grand Rapids/Cambridge 2009, 135 f. So plädiert etwa Jens Schröter dafür, die Rezeptionsästhetik an die Stelle der Formgeschichte zu stellen; vgl. ders., Jerusalem und Galiläa. Überlegungen zur Verhältnisbestimmung von Pluralität und Kohärenz für die Konstruktion einer Geschichte des Urchristentums (2000), in: ders.: Jesus und die Anfänge der Christologie. Methodologische und exegetische Studien zu den Ursprüngen des christlichen Glaubens, BThSt 47, Neukirchen-Vluyn 2001, 180–219, 216: „Die Einsicht der literarischen Hermeneutik, daß sich Verstehen vor und nicht hinter dem Text vollzieht, hat […] zur Folge, daß der ,formgeschichtliche‘ Ansatz zur Erklärung der Geschichte des Urchristentums durch ein rezeptionsästhetisch ausgerichtetes Modell zu ersetzen ist.“ Vgl. den Überblick zur Formgeschichte bei U. Schnelle, Einführung in die neutestamentliche Exegese, UTB 1253, Göttingen 82014, 105–139, hier bes. 116: „Die Evangelientexte lassen sich auf keiner Stufe als rein literarische, individuelle Produkte verstehen. Ein im modernen Sinn literarisch konzipiertes Evangelium ohne sichtbare Verbindung zur bestehenden mündlichen Gemeindetradition hat es nie gegeben!“ Zur Vorsicht mahnt zu Recht S. Stowers, The Concept of „Community“ and the History of Early Christianity, in: Method and Theory in the Study of Religion 23, 2011, 238–256. Er weist darauf hin, dass man die Absicht der neutestamentlichen Autoren, ein bestimmtes Gemeindebild in ihren Texten zu konstruieren, nicht unterschätzen darf. Vgl. J.S. Kloppenborg, Literary Convention, Self-Evidence and the Social History of the Q People (1991), in: ders., Synoptic Problems, 237–265, 239; H. Koester, The Synoptic Sayings Gospel Q in the Early Communities of Jesus’ Followers (2003), in: ders., From Jesus to the Gospels. Interpreting the New Testament in Its Context, Minneapolis 2007, 72–83, 81 f; T. Schmeller, Brechungen. Urchristliche Wandercharismatiker im Prisma soziologisch orientierter Exegese, SBS 136, Stuttgart 1989, 94.

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rungen von Verfolgung (Q 6,22 f.27–35; 11,49; 12,4 f.11 f; 13,34)16 und Rituale wie Gebete (Q 6,28; 10,2; 11,2b–4.9–13). Die Q-Gruppe engagiert sich im Bereich innerjüdischer Missionsarbeit, was sich in Q 10,2–16 wiederspiegelt. Zudem enthält Q 12,3 den Auftrag zu verkündigen, was man von Jesus gehört hat.17 Das Dokument setzt ein „wir“18 voraus, dass explizit benannt wird als „Brüder“ (Q 6,41 f; 17,3 f), „Kinder der Weisheit“ (Q 7,35), „Arbeiter“ (Q 10,2.7), „Söhne des Friedens“ (Q 10,6), „Kinder“ (Q 10,21), „Propheten und Weise“ (Q 11,49), „die Kleinen“ (Q 17,2). Dazu korrespondierend findet sich ein „ihr“; die Gegner sind „diese Generation“ (Q 7,31; 11,29–32; 11,50 f),19 „Pharisäer und Schriftgelehrte“, „Synagogen(-gerichte)“ (Q 12,11) und „Jerusalem“ (Q 13,34 f).20 Das „wir“ ist die Q-Gruppe, das „ihr“ ist das halsstarrige Israel. Zu guter Letzt repräsentiert Q eine eigenständige Theologie, besonders eine Christologie mit eigenem Profil, die sich – zwar nicht radikal, aber doch deutlich – von anderen frühen Theologien und Christologien unterscheidet.21 16 Vgl. S.E. Rollens, Persecution in the Social Setting of Q, in: M. Tiwald (Hg.), Q in Context II. Social Setting and Archeological Background of the Sayings Source, BBB 173, Göttingen 2015, 149–164. 17 Vgl. D.A. Smith, What Difference Does Difference Make? Assessing Q’s Place in Christian Origins, in: W.E. Arnal/R.S. Ascough/R.A. Derrenbacker, Jr./P.A. Harland (Hg.), Scribal Practices and Social Structures Among Jesus Adherents. Essays in Honour of J.S. Kloppenborg, BEThL 285, Leuven u. a. 2016, 183–211, 201: „Q does have a kind of corporate address, which is not surprising for a piece of instructional literature that originated in a collectivistic culture. Its imperatives tend to be in the second person plural and much of its rhetoric and imagery seems intended to form or support a communal ethos.“ Vgl. aaO., 209. 18 Vgl. C.M. Tuckett, Q and the ,Church‘. The Role of the Christian Community within Judaism according to Q (1997), in: ders., From the Sayings to the Gospels, WUNT 328, Tübingen 2014, 219–231, 223: Q „clearly implies an ,us/them‘, or ,in-group/out-group‘ mentality.“ 19 Vgl. C. Heil, Die Zukunft Israels in der lukanischen Redaktion von Q, in: M. Tiwald (Hg.), Q in Context. I. The Separation between the Just and the Unjust in Early Judaism and in the Sayings Source – Die Scheidung zwischen Gerechten und Ungerechten in Frühjudentum und Logienquelle, BBB 172, Göttingen 2015, 185–199. 20 Für eine detaillierte Analyse dieser Figuren in Q vgl. M. Labahn, Der Gekommene als Wiederkommender. Die Logienquelle als erzählte Geschichte, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 32, Leipzig 2010. 21 Vgl. H. Scherer, Königsvolk und Gotteskinder. Der Entwurf der sozialen Welt im Material der Traditio duplex, BBB 180, Göttingen 2016, 539–546; J.S. Kloppenborg, Q, the Earliest Gospel. An Introduction to the Original Stories and Sayings of Jesus, Louisville/London, 2008, 62–97; Schnelle, Theologie, 384; Smith, Difference; u. a. gegen M. Hengel/A.M. Schwemer, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien. Die unbekannten Jahre des Apostels, WUNT 108, Tübingen 1998, 52 f: „Die heute gerne betonte Sonderrolle galiläischer Gemeinden, ihrer Theologie und ihrer angeblichen intensiven missionarischen Expansion etwa durch ,Wanderradikale‘ nach Syrien ist in den Quellen nicht begründet. […] Ebenso fragwürdig ist es, wenn man diese galiläischen Gemeinden zu Urhebern der Logienquelle macht, die von der Christologie der Jerusalemer Urgemeinde nicht infiziert gewesen seien.“ Auch Birger A. Pearson bestreitet, dass Q eine spezielle Gemeinschaft in Galiläa wiederspiegelt, die sich von anderen zeitgenössischen Jesus-gläubigen Gemeinschaften, wie z. B. von derjenigen in Jerusalem, unterschieden hätte.

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2. Die Q-Gruppe in Galiläa Der mehrheitliche Konsens in der Q-Forschung geht davon aus, dass die in Q aufgenommenen Traditionen aus Galiläa stammen22 und dass sich die QGruppe in denselben galiläischen Dörfern und Städten entwickelte, in denen Jesus predigte und wirkte.23 Ein geläufiges Argument gegen diese Annahme ist jedoch die dürftige Quellenlage für das Christentum des ersten Jahrhunderts in Galiläa.24 Als ein Beleg für eine christliche Gruppe in Kafarnaum im 1.Jh. wird von manchen25 das so genannte „Haus des Petrus“26 unter einer Kirche aus dem 5.Jh. gesehen. Damit werden jedoch die archäologischen Befunde überinterpretiert, wie jüngst John S. Kloppenborg festgestellt hat: „There is no real

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Vgl. ders., A Q Community in Galilee?, in: NTS 50, 2004, 476–494. Gegen ein Verständnis von Q als ein „proxy for an exotic, isolated Galilean Christianity“ wendet sich auch A. Kirk, Q in Matthew. Ancient Media, Memory, and Early Scribal Transmission of the Jesus Tradition, Library of New Testament Studies 564, London/New York 2016, 303–306 (Zitat 303). Einen Kompromiss formuliert Schröter, Jerusalem und Galiläa, 207–211: Die „galiläische Tradition“ erweise sich „literarisch deutlich als eigenständig“ und setze „auch inhaltlich eigene Akzente“ (217). Allerdings sei dies als „Pluralität innerhalb einer Kohärenz“ zu beschreiben (219). Vgl. P. Pilhofer, Das Neue Testament und seine Welt. Eine Einführung, UTB 3363, Tübingen 2010, 319. Vgl. G. Harb, Die eschatologische Rede des Spruchevangeliums Q. Redaktions- und traditionsgeschichtliche Studien zu Q 17,23–37, Biblical Tools and Studies 19, Leuven u. a. 2014, 34; Kloppenborg, Excavating Q, 166–263. Vgl. J. Becker, Das Urchristentum als gegliederte Epoche, SBS 155, Stuttgart 1993, 28 f; ders., Vielfalt und Einheit des Urchristentums, in: W. Härle/M. Heesch/R. Preul (Hg.), Befreiende Wahrheit. FS E. Herms, MThSt 60, Marburg 2000, 57–76, 68 mit Anm. 36; D.-A. Koch, Geschichte des Urchristentums. Ein Lehrbuch, Göttingen 22014, 166; D.C. Sim, The Gospel of Matthew and Galilee. An Evaluation of an Emerging Hypothesis, in: ZNW 107, 2016, 141–169, 155–159; A. Yarbro Collins, Mark. A Commentary, Hermeneia, Minneapolis 2007, 101 („there probably was no major Christian community there in the earliest period“); R.A. Horsley, Galilee. History, Politics, People, Valley Forge 1995, 104–106. Vgl. C. Breytenbach, Mark and Galilee. Text World and Historical World, in: E.M. Meyers (Hg.), Galilee through the Centuries. Confluence of Cultures, Duke Judaic Studies Series 1, Winona Lake 1999, 75–85; A. Runesson, Architecture, Conflict, and Identity Formation. Jews and Christians in Capernaum From the First to the Sixth Century, in: J.K. Zangenberg/H.W. Attridge/D.B. Martin (Hg.), Religion, Ethnicity, and Identity in Ancient Galilee. A Region in Transition, WUNT 210, Tübingen 2007, 231–257 (246: das „Haus des Petrus“ als „an early example of a meeting place of a Jewish Christ-believing association“; vgl. auch die Zusammenfassung 255). Vgl. J.D. Crossan/J.L. Reed, Jesus ausgraben. Zwischen den Steinen – hinter den Texten, Düsseldorf 2003, 13 f; J.K. Zangenberg, From the Galilean Jesus to the Galilean Silence. Earliest Christianity in the Galilee until the Fourth Century CE, in: C.K. Rothschild/J. Schröter (Hg.), The Rise and Expansion of Christianity in the First Three Centuries of the Common Era, WUNT 301, Tübingen 2013, 75–108, 104–107.

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evidence of groups of Jesus-followers resident in Capernaum in the first century.”27 Die folgenden Punkte machen Christus-gläubige Gruppen und speziell eine Q-Gruppe bzw. ein Netzwerk von Q-Gruppen in Galiläa doch wahrscheinlich.28 2.1. Erscheinungen des Auferstandenen in Galiläa Ernst Lohmeyer untersuchte die nebeneinander bestehenden Visionen des auferstandenen Jesus in Galiläa und Jerusalem29 und folgerte, dass die älteste christliche Gemeinde in einem vielfältigen Sinn „aus doppeltem Ursprung hervorgegangen“ sei, „aus Galiläa und Jerusalem“.30 In Mk 16,7 sagt der junge Mann mit einem weißen Gewand beim Grabe Jesu zu den Frauen: !kk( rp²cete eUpate to?r lahgta?r aqtoO ja· t` P´tq\ fti pqo²cei rl÷r eQr tµm Cakika¸am7 1je? aqt¹m exeshe, jah½r eWpem rl?m. Das bezieht sich auf Mk 14,28, wo Jesus am Ölberg sagte: !kk± let± t¹ 1ceqh/ma¸ le pqo²ny rl÷r eQr tµm Cakika¸am. Matthäus (28,16–20) und Johannes (21,1–23) geben explizit Ostererzählungen in Galiläa wieder. Die Fokussierung des Lukas auf Jerusalem und dessen Umland sowie die Geheimhaltung der galiläischen Ostererfahrungen entstammen seinen redaktionellen Interessen.31 Deshalb ist Adela Yarbro Collins zuzustimmen, „that, from a historical point of view, resurrection appearances did take place in Galilee“.32 Auch Udo Schnelle 27 See J.S. Kloppenborg, Q, Bethsaida, Khorazin and Capernaum, in: Tiwald (Hg.), Q in Context II, 61–90, 76–79 (Zitat 79). Ähnlich Koch, Geschichte, 189–191. 28 Vgl. auch H. von Lips, Christen in nichtchristlicher Umwelt. Eine neutestamentliche Perspektive, in: BThZ 20, 2003, 127–142, 128 Anm. 5; Michaud, Quelle(s) communaut8(s), 600–603; M. Moreland, Provenience Studies and the Question of Q in Galilee, in: Tiwald (Hg.), Q in Context II, 43–60; L. Schenke, Die Urgemeinde, Stuttgart u. a. 1990, 198–216 (über galiläische Christen im Allgemeinen); U. Schnelle, Die ersten 100 Jahre des Christentums. 30–130 n. Chr. Die Entstehungsgeschichte einer Weltreligion, UTB 4411, Göttingen 2015, 180–182; Tiwald, Die Logienquelle, 87 f. 29 E. Lohmeyer, Galiläa und Jerusalem, FRLANT 52, Göttingen 1936, 3: „Nebeneinander galiläischer und jerusalemischer Christophanien“. 30 Lohmeyer, Galiläa, 104. Vgl. kritisch Koch, Geschichte, 556–558. 31 Vgl. D.A. Smith, Revisiting the Empty Tomb. The Early History of Easter, Minneapolis 2010, 100. 32 Yarbro Collins, Mark, 667. So auch Smith, Revisiting the Empty Tomb, 93. Gegen B. Steinseifer, Der Ort der Erscheinungen des Auferstandenen. Zur Frage alter galiläischer Ostertraditionen, in: ZNW 62, 1971, 232–265. Er meint, die Berichte von Erscheinungen in Galiläa bei Mk, Mt und Joh seien alle redaktionell bedingt. Markus habe etwa gewusst, dass die Jünger – entgegen dem Willen des Auferstandenen – in Jerusalem geblieben seien; der Evangelist habe es in Mk 16,7 f so dargestellt, dass die implizite Aufforderung, nach Galiläa zu gehen, von den Frauen verschwiegen worden sei (ebd., 255). Dazu ist Yarbro Collins, Mark, 800, zu beachten: „The text does not address the question whether the women eventually gave the disciples and Peter the message. If focuses rather on the numinous and shocking character of the event of Jesus’ resurrection from the dead.“ Wenig ergiebig für unsere Frage ist Z. Studenovsky´, „Dort werdet ihr ihn sehen“ (Mk 16,7). Der Weg Jesu nach Galiläa bei Johannes und Markus, in: J. Frey/U. Schnelle (Hg.), Kontexte des Johannesevangeliums. Das vierte Evangelium in religions- und traditionsgeschichtlicher Perspektive,

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und Dieter Zeller erkennen die galiläischen Ostererfahrungen an und gehen davon aus, dass Paulus in 1Kor 15,3–8 voraussetzt, dass Petrus und die Zwölf ihre Visionen in Galiläa empfangen haben,33 obwohl der Apostel keine Ortsnamen nennt. 2.2. Apostelgeschichte 9,31 Allerdings schweigt die Apostelgeschichte beinahe vollständig über das galiläische Christentum. Die zusammenfassende Aussage Apg 9,31 stellt dabei eine Ausnahme dar : J l³m owm 1jjkgs¸a jah( fkgr t/r Youda¸ar ja· Cakika¸ar ja· Salaqe¸ar eWwem eQq¶mem. Richard Pervo kommentiert die Stelle folgendermaßen: „There is one rather startling bit of information in this fulsome sentence: Christian communities have been founded (or exist) in Galilee. Luke evidently slips this in for the sake of completeness. It is idle to speculate how much he might have known about Galilean Christianity.“34 Daher lässt sich mit Jürgen Zangenberg folgern: „To a large extent, Galilee remained silent about its earliest Christians, but it was not empty of them.“35 2.3. Die „Social Map“ von Q Q ist eine Spruchsammlung, die Chrien mit biographischen und geographischen Informationen enthält. Daher ist Q nicht eine „reine“ Spruchsammlung wie die Sextussprüche (spätes 2.Jh. n. Chr.), die weder Einleitungen noch Chrien enthalten.36 Die geographischen Informationen in Q wurden von

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WUNT 175, Tübingen 2004, 517–558. Nach Studenovsky´ rezipiert Joh 21 „die synoptische Story Jesu“ und integriert ihre Elemente in seine Erzählung (ebd., 543). Schnelle, Die ersten 100 Jahre, 180; D. Zeller, Die Entstehung des Christentums, in: ders. (Hg.), Christentum I. Von den Anfängen bis zur Konstantinischen Wende, RM 28, Stuttgart u. a. 2002, 15–123, 58 f; ders., Der erste Brief an die Korinther, KEK 5, Göttingen 2010, 468. R.I. Pervo, Acts. A Commentary, Hermeneia, Minneapolis 2009, 248. Vgl. G. Lüdemann, Das frühe Christentum nach den Traditionen der Apostelgeschichte. Ein Kommentar, Göttingen 1987, 125: „Interessant ist, daß von der Existenz von Gemeinden in Galiläa berichtet wird, von denen wir vorher und später nichts in der Apg erfahren. Man wird kaum entscheiden können, ob Lukas Traditionen aus dem galiläischen Raum zugeflossen sind. Hätte er sie gekannt – das steht fest –, so dürfte er sie kaum verwertet haben (vgl. seine Unterdrückung der galiläischen Auferstehungstradition Lk 24,6).“ Zangenberg, From the Galilean Jesus to the Galilean Silence, 107. Vgl. auch Hengel/Schwemer, Paulus, 53 f: „Natürlich gab es dort judenchristliche Gemeinden, aber nach allem, was wir wissen, gewannen sie im Verlauf des 1.Jhs nicht größere Bedeutung, vielmehr ging ihr Einfluß eher zurück.“ Vgl. W.T. Wilson, The Sentences of Sextus, SBL Wisdom Literature from the Ancient World 1, Atlanta 2012; W. Eisele, Sextus und seine Verwandten. Eine Kompositions- und Textgeschichte anhand der Editionen, in: ders. (Hg.), Die Sextussprüche und ihre Verwandten, eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von W. Eisele/Y. Arzhanov/M. Durst/T. Pitour, Scripta Antiquitatis Posterioris ad Ethicam Religionemque pertinentia 26, Tübingen

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Jonathan Reed verwendet, um eine „Social Map“ zu erstellen, die ihr Zentrum im unteren Galiläa hat. Er ordnete die acht Ortsbezeichnungen, die er in Q fand, in drei konzentrischen Kreisen an: Um einen inneren Kreis von Städten (Kafarnaum [Q 7,1; 10,15], Chorazin [Q 10,13], Betsaida [Q 10,13]) konnte er einen zweiten weiteren Kreis von drei Städten platzieren (Jerusalem [Q 4,9; 13,34], Tyros [Q 10,13 f], Sidon [Q 10,13 f]) und einen noch weiteren Kreis von Städten in einiger Entfernung (Ninive [Q 11,30.32] und Sodom [Q 10,12]).37 Nach der Critical Edition of Q könnte man ergänzend noch Nazara aus Q 4,16 hinzufügen.38 2.4. Das Lokalkolorit von Q Nach Q 7,24 sagt Jesus zu der Volksmenge über Johannes: „Was anzuschauen seid ihr in die Wüste hinausgegangen? Ein Schilfrohr, das vom Wind hin- und herbewegt wird? (j²kalom rp¹ !m´lou sakeuºlemom.)“ Gerd Theißen machte es wahrscheinlich, dass hier eine Anspielung auf die Symbolik vorliegt, die Herodes Antipas auf Münzen prägte, um die Gründung von Tiberias zu feiern.39 Ergänzend dazu hat Jonathan Reed eine eindrucksvolle Menge an numismatischen, geographischen und archäologischen Beobachtungen gesammelt, die für ein galiläisches Lokalkolorit von Q sprechen.40 Natürlich kann ein Autor das Lokalkolorit auch nachahmen. Im späten 19.Jh. schrieb Karl May (1842–1912) sehr erfolgreich Abenteuerromane, die in arabischen Städten und im heutigen Südwesten der USA spielten. Wie sich

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2015, 283–306, 285: „Die Sextussprüche sind auch in diesem engeren Sinne wirklich als Spruchsammlung zu bezeichnen, weil sie – etwa im Unterschied zum Thomasevangelium oder zur Logienquelle Q – keinerlei Apophthegmata, ja nicht einmal kurze Sprucheinleitungen enthalten.“ J.L. Reed, The Social Map of Q, in: J.S. Kloppenborg (Hg.), Conflict and Invention. Literary, Rhetorical, and Social Studies on the Sayings Gospel Q, Valley Forge 1995, 17–36. J.M. Robinson/P. Hoffmann/J.S. Kloppenborg (Hg.), The Critical Edition of Q. Synopsis including the Gospels of Matthew and Luke, Mark and Thomas, with English, German and French Translations of Q and Thomas, Hermeneia. Supplement Series, Leuven/Minneapolis 2000, 42 f; S. Carruth/J.M. Robinson, Q 4:1–13, 16. The Temptations of Jesus – Nazara, Documenta Q, Volume Editor C. Heil, Leuven 1996, 394–441; F. Neirynck, MAFAQA in Q: Pro and Con (2000), in: ders., Evangelica III. 1992–2000. Collected Essays, BEThL 150, Leuven u. a. 2001, 451–461. G. Theißen, Lokalkolorit und Zeitgeschichte in den Evangelien. Ein Beitrag zur Geschichte der synoptischen Tradition, NTOA 8, Göttingen/Fribourg 1989, 26–44. Vgl. Labahn, Der Gekommene als Wiederkommender, 438–440; U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus. 2. Teilband: Mt 8–17, EKK 1/2, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1990, 174. Kritisch dazu M. Wolter, Das Lukasevangelium, HNT 5, Tübingen 2008, 282. Reed, The Social Map of Q; ders., Archaeology and the Galilean Jesus. A Re-examination of the Evidence, Harrisburg 2000, 170–196. Labahn (Der Gekommene als Wiederkommender, 544) gibt zwar zu bedenken, dass „trotz der beachtenswerten Überlegungen von Reed […] die textinterne Geographie kein unmittelbares Kriterium für den Entstehungsort von Q“ sei, kommt aber dann doch zum Schluss: „Die Sinnbildung von Q bewegt sich […] im galiläischen Raum mit einer Distanz zu Jerusalem“ (ebd.).

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später herausstellte, ist der Augenzeugenschaft insinuierende Ich-Erzähler aber nie an diesen Orten gewesen. Erst nach der erfolgreichen Veröffentlichung seiner Romane konnte er sie besuchen. Da das Setting kein guter Indikator für den Entstehungsort ist, folgerte Harry Fleddermann, dass „we should frankly admit that we do not have sufficient evidence to say where Q originated.“41 Unlängst stimmte ihm Joseph Simon zu, die Fragen offen zu lassen.42 Doch Q ist kein fiktiver poetischer Text zur Unterhaltung des Publikums, sondern ein Spruchevangelium mit einem historischen Kontext und einer situationsbezogenen, konkreten Botschaft.43 Das macht es möglich, den Text zu verwenden, um so eine plausible These über dessen Entstehung aufzustellen. Ausgehend von der „Social Map“ und dem Lokalkolorit von Q lässt sich aufzeigen, dass die Q-Traditionen mit großer Wahrscheinlichkeit aus Galiläa stammen. Darüber hinaus kann man nach dem Ort der Endredaktion fragen.

3. Der Ort der Endredaktion von Q 3.1. Galiläa Beginnend mit Adolf Harnack44 nehmen die meisten Q-Exegetinnen und -Exegeten explizit oder auch nur implizit an, das Q in Galiläa entstanden ist.45 41 H.T. Fleddermann, Q. A Reconstruction and Commentary, Biblical Tools and Studies 1, Leuven, Paris/Dudley 2005, 160. 42 Joseph, Jesus, 74–87. Allerdings seien Judäa und Jerusalem „better candidates“ für die Herkunft von Q als Galiläa (85). 43 Vgl. C. Heil, Evangelium als Gattung. Erzähl- und Spruchevangelium (2009), in: ders., Das Spruchevangelium Q und der historische Jesus, SBAB 58, Stuttgart 2014, 41–73. 44 A. Harnack, Beiträge zur Einleitung in das Neue Testament. II. Sprüche und Reden Jesu. Die zweite Quelle des Matthäus und Lukas, Leipzig 1907, 118 f: „Der geographische Horizont von Q ist der galiläische, und zwar noch viel stärker als bei den Synoptikern. Ob Q überhaupt über Galiläa hinübergreift, muß gefragt werden.“ 45 Vgl. die Listen bei Joseph, Jesus, 75 Anm. 238; Kloppenborg, Q, Bethsaida, Khorazin and Capernaum, 62 Anm. 3. Außerdem: H. Conzelmann/A. Lindemann, Arbeitsbuch zum Neuen Testament, UTB 52, Tübingen 142004, 82. Allgemeiner „in Palästina“ wird Q lokalisiert von W.G. Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg 211983, 43; G. Theißen, Das Neue Testament, C.H. Beck Wissen; Beck’sche Reihe 2192, München 2002, 27; ders., Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem, Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 40, Heidelberg 2007, 63 („in Palästina oder in Syrien, aber nicht weit von Palästina entfernt“). Vorsichtig bleiben auch I. Broer, in Verbindung mit H.-U. Weidemann, Einleitung in das Neue Testament, Würzburg 42016, 70: „Galiläa oder Syrien“; C.M. Tuckett, Q and the History of Early Christianity. Studies on Q, Edinburgh/Peabody 1996, 102 f: „Galilee/Syria“ (103).

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Dazu gehören u. a. Gerd Theißen,46 Markus Tiwald,47 Udo Schnelle,48 Michael Labahn49 und Sarah E. Rollens.50 Jonathan Reed und Milton C. Moreland51 lokalisieren die Endredaktion von Q in Galiläa, indem sie auf archäologische, sozialgeschichtliche und gesellschaftstheoretische Indizien zurückgreifen. Reed zufolge wurde Q in der Gegend um Kafarnaum verfasst.52 Eine wichtige zusätzliche These betrifft die Autoren von Q; sie werden von John Kloppenborg,53 William E. Arnal,54 Giovanni B. Bazzana,55 Milton Moreland56 und Sarah E. Rollens57 als dörfliche Schriftgelehrte aus Galiläa identifiziert. Mit der galiläischen Herkunft der Q-Traditionen erscheint es also möglich und durchaus wahrscheinlich, dass diese Traditionen auch in Galiläa gesammelt und hier verschriftlicht wurden.

46 Theißen, Lokalkolorit, 232–245. 47 M. Tiwald, Der Wanderradikalismus als Brücke zum historischen Jesus, in: A. Lindemann (Hg.), The Sayings Source Q and the Historical Jesus, BEThL 158, Leuven 2001, 523–534, 529 („Galiläa und unmittelbar angrenzende Gebiete [so z. B. den Norden Palästinas oder angrenzende Gebiete Syriens]“); ders., Wanderradikalismus. Jesu erste Jünger – ein Anfang und was davon bleibt, ÖBS 20, Frankfurt a.M. u. a. 2002, 73 („[Nord-]Palästina“); ders., Das Frühjudentum und die Anfänge des Christentums. Ein Studienbuch, BWANT 208, Stuttgart 2016, 304 („Nordpalästina“); ders., Die Logienquelle, 83–93 (83: „Nordpalästina und der syrisch-palästinische Grenzraum“). 48 U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 82013, 250: „vermutlich in (Nord-)Palästina“. Übernommen bei P. Pokorny´/U. Heckel, Einleitung in das Neue Testament. Seine Literatur und Theologie im Überblick, UTB 2798, Tübingen 2007, 342. 49 Labahn, Der Gekommene als Wiederkommender, 94–98. 50 Rollens, Framing Social Criticism, 100–104. 51 M.C. Moreland, Q and the Economics of Early Roman Galilee, in: Lindemann (Hg.), The Sayings Source Q and the Historical Jesus, 561–575, 562; ders., The Jesus Movement in the Villages of Roman Galilee. Archaeology, Q, and Modern Anthropological Theory, in: R.A. Horsley (Hg.), Oral Performance, Popular Tradition, and Hidden Transcript in Q, Semeia Studies 60, Atlanta 2006, 159–180; ders., Provenience Studies. 52 Reed, The Social Map of Q, 30; ders., Archaeology, 177. 53 Kloppenborg, Literary Convention, 246 f.264; ders., The Sayings Gospel Q. Recent Opinion on the People behind the Document, in: CRBS 1, 1993, 9–34, 25–28; ders., Excavating Q, 171–175.194 f; ders., Q, the Earliest Gospel, 59 f. 54 W.E. Arnal, Jesus and the Village Scribes. Galilean Conflicts and the Setting of Q, Minneapolis 2001, 159–164. 55 G.B. Bazzana, Galilean Village Scribes as the Authors of the Sayings Gospel Q, in: Tiwald (Hg.), Q in Context II, 133–148; ders., Kingdom of Bureaucracy. The Political Theology of Village Scribes in the Sayings Gospel Q, BEThL 274, Leuven u. a. 2015. 56 Moreland, Provenience Studies. 57 Rollens, Framing Social Criticism, 100–104.

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3.2. Jerusalem Julius Wellhausen58 und John M.C. Crum59 lokalisieren die Abfassung von Q in Jerusalem. Diese These wurde von Martin Hengel und Anna Maria Schwemer übernommen; sie argumentieren anhand von Q 13,34 f, dass Q von griechischsprachigen Hellenisten aus Jerusalem verfasst worden sei.60 Tatsächlich spricht Q 13,34 f jedoch sehr negativ über Jerusalem, und nichts in Q deutet auf einen hellenistisch-jüdischen Hintergrund hin. Vielmehr reflektiert Q 16,17 eine sehr traditionelle jüdische Position, die sich nach der Tora richtet. Daher argumentiert Marco Frenschkowski für aramäisch-sprechende jüdische Christen in Jerusalem als Kontext der Komposition von Q.61 Für ihn war Q „ein, vielleicht sogar das entscheidende Dokument der Jerusalemer Urgemeinde“.62 Der Ursprung von Q in Jerusalem wurde unlängst auch von Eckhard Rau,63 Jürgen Zangenberg64 und Dietrich-Alex Koch65 angenommen. Jedoch sprechen einige sehr gewichtige Punkte gegen diese These: (a) Die Sprache von Q: Es ist Konsens, dass Q ein genuin griechischer Text ist und nicht aus dem Aramäischen übersetzt wurde.66 Mit Dieter Zeller ist

58 J. Wellhausen, Einleitung in die drei ersten Evangelien, Berlin 1905, 88 (= 21911, 79). 59 J.M.C. Crum, The Original Jerusalem Gospel. Being Essays on the Document Q, London 1927, v f: „Before 50 a. d. […] some Christian (I have confessed that I think it was Saint Matthew) wrote, at Jerusalem, not in Greek but in Aramaic, a collection of Sayings of Jesus, and, sometimes, of stories which recalled the circumstances of some of the Sayings.“ 60 Hengel/Schwemer, Paulus, 59 mit Anm. 210. 61 M. Frenschkowski, Q-Studien. Historische, religionsgeschichtliche und theologische Untersuchungen zur Logienquelle, Habilitationsschrift Universität Mainz, 2000, Kap. III.9; ders., Galiläa oder Jerusalem? Die topographischen und politischen Hintergründe der Logienquelle, in: Lindemann (Hg.), The Sayings Source Q and the Historical Jesus, 535–559. 62 Ebd., 549. Zur Kritik vgl. J.M. Robinson, First-Century Christianities. Galilee, in: Forum. Third Series 2, 2013, 121–150, 138–145. 63 E. Rau, Q-Forschung und Jesusforschung. Versuch eines Brückenschlags, in: EThL 82, 2006, 373–403, 397–399. Rau stimmt Frenschkowski ausdrücklich zu. „Zum Zentrum der Urgemeinde gehörten Wandercharismatiker mit Petrus an der Spitze, die Jesus in Galiläa begleitet, dort also auch den Misserfolg in Chorazin, Bethsaida und Kapernaum miterlebt hatten, ja, die Ablehnung durch ,dieses Geschlecht‘ im Ganzen. Zumindest einige von ihnen ließen Galiläa jedoch nicht das letzte Wort zur Sache Jesu sein“ (398). Vgl. auch ders., „Nicht einmal in Israel habe ich einen so großen Glauben gefunden.“ Die Boteninstruktion als Fokus der Logienquelle, in: W. Kraus (Hg.), Beiträge zur urchristlichen Theologiegeschichte, BZNW 163, Berlin/New York 2009, 37–70, 63 f. 64 Zangenberg, From the Galilean Jesus to the Galilean Silence, 83: „Rather than postulating the existence of an independent form of Galilean post-Easter Christianity it seems safer to me to accept Jerusalem as the place where the earliest Jesus tradition was collected and developed.“ 65 Koch, Geschichte, 187 f. 66 Vgl. Kloppenborg, Excavating Q, 72–80; Schnelle, Einleitung, 251 f.

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daher zu fragen: „Warum sollten die ,Hebräer‘ um Jakobus ein griechisches Dokument verfassen?“67 (b) Das galiläische Profil von Q: Wieso sollte einem Redaktor in Jerusalem galiläische Traditionen und ein galiläisches Lokalkolorit ein großes Anliegen sein? Würde ein solcher Autor nicht versuchen, die Situation an Jerusalem anzugleichen? In Q spielen Jerusalem (Q 4,9; 13,34) und der Tempel (Q 4,9; 11,51; 13,35)68 keine positive Rolle,69 und auch die christlichen Jerusalemer Presbyter (Apg 11,30; 15,2; 16,4; 21,18) werden nicht erwähnt. (c) Die lukanische Darstellung der Anfänge in Jerusalem: Viele Exegetinnen und Exegeten nehmen die lukanische Konzentration auf Jerusalem für bare Münze. 2009 publizierte z. B. James Dunn ein Buch zum frühesten Christentum mit dem Titel „Beginning from Jerusalem“. Dem Titel entsprechend rekonstruiert Dunn die Geschichte des frühen Christentums anhand eines singulären Dokuments, nämlich der lukanischen Apostelgeschichte.70 Um exegetische Sackgassen zu vermeiden, ist es allerdings nötig, die lukanische Konzentration auf Jerusalem kritisch ernst zu nehmen, wie u. a. Milton Moreland gezeigt hat.71 Außerhalb der Apostelgeschichte und einigen zusätzlichen Informationen aus den Paulus-Briefen gibt es nicht viel mehr Belege einer frühen Kirche in Jerusalem als von einer frühen Kirche in Galiläa. Die Überbetonung Jerusalems als „Mutterkirche“ verdeutlicht die kritische Bedeutung der Frage nach galiläisch-christlichen Gruppen. Sie anzuerkennen, heißt gleichzeitig anzuerkennen, dass es eine Pluralität in der frühesten Christentumsgeschichte gab, anstatt einer harmonischen Einheit, wie sie von Lukas beschrieben wird. Daher ist die Lokalisierung der Endredaktion in Galiläa mit Sicherheit eine gut fundierte Hypothese. Jedoch gibt es zwei Punkte, die stärker für eine Verortung der Endredaktion von Q im südlichen Syrien statt in Galiläa sprechen.

67 D. Zeller, Jesus, Q und die Zukunft Israels (2001), in: ders., Jesus – Logienquelle – Evangelien, SBAB 53, Stuttgart 2012, 193–212, 194. 68 K.S. Han, Jerusalem and the Early Jesus Movement. The Q Community’s Attitude Toward the Temple, JSNT.S 207, London/New York 2002, 212: „Taken as a whole, the Sayings Gospel Q ignores the centrality of the Temple in its symbolic world.“ 69 Vgl. Rollens, Framing Social Criticism, 101. 70 Dunn, Christianity in the Making 2; vgl. ders., Jesus Movement, in: J.J. Collins/D.C. Harlow (Hg.), The Eerdmans Dictionary of Early Judaism, Grand Rapids/Cambridge 2010, 799–803, 800. Berechtigte Kritik dazu bei Schnelle, Die ersten 100 Jahre, 180 mit Anm. 93. 71 M.C. Moreland, Jerusalem Imagined. Rethinking Earliest Christian Claims to the Hebrew Epic, Ph.D. diss., Claremont, CA 1998; ders., The Jerusalem Community in Acts. Mythmaking and the Sociorhetorical Functions of a Lukan Setting, in: T. Penner/C. Vander Stichele (Hg.), Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, SBL. Symposium Series 20, Atlanta 2003, 285–310.

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3.3. Syrien Zum ersten setzt die Komposition von Q in griechischer Sprache nicht nur Autoren (oder einen Autor) mit einer guten griechischen Sprachkompetenz voraus, sondern auch Adressaten, für die ein griechischer Text einfach zu verstehen war. Die große Mehrheit der galiläischen Bevölkerung sprach Aramäisch, und man kann sich nur schwer eine dörfliche jüdische Gruppe im Galiläa des 1.Jhs vorstellen, aus deren Mitte ein griechischer Text entsteht.72 Selbst wenn Q auf galiläische Dorfschreiber zurückgehen sollte,73 fragt man sich, für wen sie diesen griechischen Text geschrieben haben. Giovanni B. Bazzana meint, die Dorfschreiber hätten damit auf die Umstellung ihrer bezahlten Position zu einem unbezahlten, ehrenhaften Amt (keitouqc¸a / munus) Mitte des 1.Jhs reagiert.74 Dieser Verlust an Möglichkeiten zur Patronage und zu Privilegien sei in Q verarbeitet worden. Bazzana untermauert seine These durch viele anregende Vergleiche der Sprache der ägyptischen dokumentarischen Papyri mit Q, aber die Frage bleibt: Für welche griechisch-sprachigen Adressaten, wenn nicht allein für sich selbst, haben die galiläischen Dorfschreiber Q verfasst? Zum zweiten verweist die Anspielung auf die Zerstörung des Jerusalemer Tempels in Q 13,34 f auf den unmittelbaren Kontext des Jüdischen Kriegs als Zeitraum der Endredaktion von Q.75 Das „pazifistische“ Ethos von Q in Verbindung mit der Pella-Tradition machen es ferner wahrscheinlich, dass die Q-

72 Nach Mark A. Chancey verwendeten in Galiläa nur wenige Gebildete in Sepphoris und Tiberias Griechisch als Verwaltungssprache; vgl. ders., Greco-Roman Culture and the Galilee of Jesus, MSSNTS 134, Cambridge 2005, 122–165. Dem stimmen auch Moreland (Provenience Studies, 50–52) und Bazzana (Kingdom, 120–122) zu. Ebenso Sim, The Gospel of Matthew, 159–163; N.H. Taylor, Q and Galilee?, in: Neotest. 37, 2003, 283–311, 288–290; M.O. Wise, Language and Literacy in Roman Judaea. A Study of the Bar Kokhba Documents, The Anchor Yale Bible Reference Library, New Haven/London 2015, 345: „About 30 percent of men at the helm of village life could speak at least some Greek […]. Between one-third and one-half of those people could read the language.“ Anders S.D. Charlesworth, The Use of Greek in Early Roman Galilee. The Inscriptional Evidence Re-examined, in: JSNT 38, 2016, 356–395; P.W. van der Horst, Greek, in: Collins/Harlow (Hg.), The Eerdmans Dictionary of Early Judaism, 690–692, 691: „For many Palestinian Jews, Greek […] had become the language of daily life.“ 73 Nach Bazzana (Galilean Village Scribes, 141–143 [„Greek in Galilee in the first century CE“], bes. 143) verwendeten die Q-Leute ähnlich wie ägyptische Dorfschreiber beruflich Griechisch, obwohl ihre Umgebung mehrheitlich die Muttersprache verwendete. So auch Kloppenborg, Q, the Earliest Gospel, 59. 74 Bazzana, Kingdom, 160–163. 75 Zur Begründung vgl. C. Heil, Lukas und Q. Studien zur lukanischen Redaktion des Spruchevangeliums Q, BZNW 111, Berlin/New York 2003, 9 f, 64–66; P. Hoffmann, QR und der Menschensohn. Eine vorläufige Skizze (1992), in: ders., Tradition und Situation. Studien zur Jesusüberlieferung in der Logienquelle und den synoptischen Evangelien, NTA NF 28, Münster 1995, 243–278, 272–278 (um 70); ders., Jesus, 92 (Ende der sechziger Jahre).

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Gruppe sich nicht am Krieg beteiligte,76 sondern an einen friedlicheren Ort geflohen ist. In Bell 2,279 berichtet Josephus, dass die sich stetig verschlechternde Situation bereits unter dem Statthalter Gessius Florus (64/66 n. Chr.) dazu führte, dass „viele Bürger im Widerspruch zu den heimischen Sitten in Provinzen mit fremder Bevölkerung auswanderten“ (vuce?m eQr t±r !kkov¼kour 1paqw¸ar).77 Das macht es wahrscheinlich, dass die Q-Gruppe auch floh, als Vespasian 67 n. Chr. Galiläa mit den Legionen V Macedonica, X Fretensis und XVApollinaris eroberte.78 Die Q-Leute scheinen sich nicht am Krieg gegen die Römer beteiligt zu haben, was das rechte Verhalten für „Söhne des Friedens“ (Q 10,5 f) dargestellt hätte. Ein derartig pazifistisches Verhalten wird auch in Q 10,4 reflektiert. An dieser Stelle wird das Tragen eines Stocks zur Verteidigung verboten. Allem voran schließen das Gebot der Feindesliebe (Q 6,27 f.35c–d) und die Sprüche über den Verzicht auf die eigenen Rechte (Q 6,29.[[29$30/Mt 5,41]].30) jedwede Beteiligung in einem Krieg aus. Eine Flucht der Q-Gruppe aus Galiläa hätte auch eine Parallele in der Flucht der Jerusalemer Christen. Nach Eus. h.e. 3,5,3 floh die Jerusalemer Gemeinde nach Pella vor Ausbruch des Jüdischen Krieges.79 Pella war eine Stadt in der Dekapolis, weniger als 30 km südlich des Sees Gennesaret gelegen. Das ist nicht der Ort, die Diskussion um die Historizität der Beschreibung jener Flucht durch Eusebius aufzurollen,80 doch stimme ich der Mehrheit zu, die 76 Vgl. P. Hoffmann, Die Versuchungsgeschichte in der Logienquelle. Zur Auseinandersetzung der Judenchristen mit dem politischen Messianismus (1969), in: ders., Tradition und Situation, 193–207, 204. 77 Flavius Josephus. De Bello Judaico/Der Jüdische Krieg. Griechisch und Deutsch. Band I: Buch I–III, hg. und mit einer Einleitung sowie mit Anmerkungen versehen von O. Michel/O. Bauernfeind, Darmstadt 31982, 236 f. 78 Vespasian eroberte Galiläa im Sommer 67 n. Chr.; bis November 67 war der galiläische Widerstand gebrochen. Die drei Legionen werden in Jos Bell 3,65 genannt. Zum Galiläa-Feldzug Vespasians insgesamt vgl. H. Schwier, Tempel und Tempelzerstörung. Untersuchungen zu den theologischen und ideologischen Faktoren im ersten jüdisch-römischen Krieg (66–74 n. Chr.), NTOA 11, Freiburg (Schweiz)/Göttingen 1989, 11–16. 79 „Als endlich die Kirchengemeinde in Jerusalem in einer Offenbarung, die ihren Führern geworden war, die Weissagung erhalten hatte (jat± tima wqgsl¹m to?r aqtºhi doj¸loir di( !pojak¼xeyr 1jdoh´mta), noch vor dem Krieg die Stadt zu verlassen und sich in einer Stadt Peräas, namens Pella, niederzulassen, und als sodann die Christgläubigen von Jerusalem weggezogen waren, und weil damit gleichsam die heiligen Männer die königliche Hauptstadt der Juden und ganz Judäa völlig geräumt hatten, da brach zuletzt das Strafgericht Gottes über die Juden wegen der vielen Freveltaten, die sie an Christus und seinen Aposteln begangen hatten, herein und vertilgte gänzlich dieses Geschlecht der Gottlosen aus der Menschheitsgeschichte.“ Eusebius Werke. Band 2: Die Kirchengeschichte. Erster Teil, hg. von E. Schwartz/T. Mommsen, GCS NF 6,1, 2. unveränderte Aufl. hg. von F. Winkelmann, Berlin 1999, 196; Eusebius von Caesarea. Kirchengeschichte. Deutsche Ausgabe in einem Band. Übersetzung von P. Haeuser (1932), durchgesehen von H.A. Gärtner, hg. und eingeleitet von H. Kraft, München 31989, 154. 80 Vgl. J. Verheyden, The Flight of the Christians to Pella, in: EThL 66, 1990, 368–384 (Erfindung des Eusebius); J. Wehnert, Die Auswanderung der Jerusalemer Christen nach Pella – historisches Faktum oder theologische Konstruktion?, in: ZKG 102, 1991, 231–255 (historisches

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darin eine Reflektion der Tatsache sehen, dass die Christen nicht am Jüdischen Krieg teilnahmen, sondern stattdessen flohen.81 Im Zusammenhang mit einer relativ frühen Emigration der Christen ist auch zu verstehen, dass erst nach dem Ende des Jüdischen Krieges ein Nachfahre des Jakobus zum Anführer der Jerusalemer Gemeinde ernannt wurde. Jakobus wurde bereits 62 n. Chr. exekutiert (Jos Ant 20,200–202).82 Es scheint sehr wahrscheinlich, dass die Q-Gruppe vor oder zur Zeit der römischen Invasion von Galiläa 67 n. Chr. floh. Das bedeutet, dass die Endredaktion von Q sich in Südsyrien ereignete. Konkreter kann man von Regionen ausgehen, die zunächst dem Tetrarchen Philippus (gestorben 34 n. Chr.), dann Agrippa I (37/44 n. Chr.) und schließlich83 Agrippa II (gestorben ca. 92/93 n. Chr.) gehörten: der nördliche oder westliche Teil der Gaulanitis84 oder die westliche Nachbarregion, Batanea. Die Volkssprache in diesen Regionen war zwar Aramäisch, aber griechische Inschriften zeigen, dass viele Menschen dort – vor allem in Städten – zweisprachig waren.85 Dabei erschienen die beiden86 folgenden Städte als potenzielle Kandidaten

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Faktum). Vgl. auch den Überblick bei J. Frey, Die Fragmente des Nazoräerevangeliums, in: C. Markschies/J. Schröter in Verbindung mit A. Heiser (Hg.), Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. I. Band: Evangelien und Verwandtes. Teilband 1, 7. Aufl. der von E. Hennecke begründeten und von W. Schneemelcher fortgeführten Sammlung der neutestamentlichen Apokryphen, Tübingen 2012, 623–648, 624. Vgl. Koch, Geschichte, 381–384. Koch, Geschichte, 381: „Zu einer relativ frühzeitigen Auswanderung der christlichen Gemeinde passt auch, dass erst nach Ende des Krieges ein neuer Gemeindeleiter als Nachfolger für den 62 n. Chr. hingerichteten Jakobus bestimmt wurde.“ Vgl. Eus. h.e. 3,11. A. Kerkeslager, Agrippa. 2. Agrippa II, in: Encyclopedia of the Bible and Its Reception 1, 2009, 615 f, 615: seit 53 n. Chr.; T. Shepardson, Stones and Stories. Reconstructing the Christianization of the Golan, in: A. Leinhäupl-Wilke/S. Lücking/J.M. Wiegard (Hg.), Texte und Steine, Jahrbuch Biblisches Forum 1999, Münster 2000, 98–116, 100: seit 48 n. Chr. Seit 20 v. Chr. gehörte die Gaulanitis zum Königreich Herodes des Großen. Philippus, einer der Söhne des Herodes, erhob Paneas zur Hauptstadt seiner Tetrarchie und gab ihr den Namen Caesarea Philippi. Vgl. C.M. Dauphin, Jewish and Christian Communities in the Roman and Byzantine Gaulanitis. A Study of Evidence from Archaeological Surveys, in: PEQ 114 (1982) 129–142, 129 f; Shepardson, Stones and Stories, 100. Fünf griechische Grabsteine aus S0rm.n könnten aus dem 1. oder 2.Jh. n. Chr. stammen; vgl. ˙ R.C. Gregg/D. Urman, Jews, Pagans, and Christians in the Golan Heights. Greek and Other Inscriptions of the Roman and Byzantine Eras (South Florida Studies in the History of Judaism 140), Atlanta 1996, 220–224 (Nr. 175–178). Nr. 176 ist z. B. der Grabstein des Juden Alapheos, Sohn des Archelaos. Gregg/Urman (ebd. 306) nennen acht weitere griechische jüdische Inschriften, die möglicherweise aus herodianischer Zeit stammen. Nicht in Frage kommt Betsaida. Zunächst ein Fischerdorf am nördlichen Ufer des Sees Gennesaret, östlich des Jordans, gehörte es zur Tetrarchie des Philippus. Dieser benannte den Ort 30 n. Chr. zu Ehren der Tochter des Augustus in Iulias um. Das Dorf Betsaida wurde zur Stadt ausgebaut. Im Jahr 77 n. Chr. wird Iulias von Plinius d.Ä. als eine der bedeutenden Städte am See von Galiläa bezeichnet (Nat Hist V 15,71). Außerdem wurden in einem einzelnen Gebäude in Betsaida-Iulias eine Münze aus der Zeit des Domitian (und zwar 84 n. Chr.) und vier Münzen aus der Zeit des Trajan (97/117 n. Chr.) gefunden, was auf eine dauernde Neubesiedlung des Ortes nach dem ersten Jüdischen Krieg hindeutet; vgl. F. Strickert, Bethsaida. Home of the Apostles,

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für eine Endredaktion von Q: die im nördlichen Teil der Gaulanitis gelegene Hauptstadt Agrippas II, Caesarea Philippi,87 oder Damaskus88 im Nordwesten der Gaulanitis, ungefähr 70 km von Caesarea Philippi entfernt. Es gab starke jüdische Minderheiten in diesen Regionen und Städten,89 und die rabbinische Tradition verstand diese Städte als Randteile des „Landes Israel“, in dem die Gesetze volle Gültigkeit besaßen.90 Eine von manchen genannte dritte Möglichkeit – Antiochia am Orontes91 – erscheint auch möglich, aber weniger wahrscheinlich, da die Q-Gruppe in solch einer prominenten „Wiege der Christenheit“92 wohl stärkere Spuren in der christlichen Überlieferung hinterlassen hätte.

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Collegeville 1998, 165. Aus diesem Grund spekuliert Strickert, ob die Schlussredaktion von Q nicht in Betsaida entstanden sein könnte (aaO., 158 f). So auch noch Heil, Lukas und Q, 11, 252 f. Dagegen sprechenjedoch der Weheruf gegen Betsaida in Q 10,13 und die Tatsache, dass Betsaida im Jüdischen Krieg nicht zerstört wurde; vgl. Kloppenborg, Q, Bethsaida, Khorazin and Capernaum, 89 f; H.-W. Kuhn, Betsaida/Bethsaida – Julias (et-Tell). Die ersten 25 Jahre der Ausgrabung (1987–2011) mit Nachträgen bis 2013 und die Münchner Gesamtpläne / The First Twenty-Five Years of Excavation (1987–2011) with Postscripts until 2013 and the Munich General Plans, NTOA. Series archaeologica 4, Göttingen 2015, 109 f. Nach Kloppenborg (Q, Bethsaida, Khorazin and Capernaum, 90) führte die pro-römische Haltung von Betsaida zur Ablehnung der Q-Gruppe, die sich in Q 10,13 spiegelt. Agrippa II, der im Jüdischen Krieg mit den Römern kooperierte, gab der Stadt im Jahr 61 den Namen „Neronias“ (Jos Ant 20,211) und machte sie zur Hauptstadt seines Königreichs. Im Juli 67 ließ Vespasian hier seine Truppen ausruhen; er veranstaltete Spiele über eine Zeit von 20 Tagen, bevor er weiter nach Tiberias zog. Vgl. S.H. Werlin, Caesarea Philippi. II. Hellenistic and Roman Period, in: Encyclopedia of the Bible and Its Reception 4, 2012, 722–725; J.F. Wilson, Paneas/Caesarea Philippi and the World of the Gospels, in: Forum. Third Series 3, 2014, 7–26, 18: „Throughout the war the Jewish population of Caesarea Philippi remained loyal to Agrippa and his Roman overlords.“ Seit 62 n. Chr. unter römischer Verwaltung stehend, hatte Damaskus unter den syrischen Städten eine der größten jüdischen Bevölkerungen. Schon vor Paulus bestand dort eine judenchristliche Gemeinde (vgl. Gal 1,17; 2Kor 11,32 f; Apg 9,1 f), und auch nach dem Jüdischen Krieg gab es hier wohl eine größere Zahl Griechisch sprechender Judenchristen. Vgl. G. Langer, Das Judentum in Syrien von den Hasmonäern bis um 700 n. Chr., in: P.W. Haider/ M. Hutter/S. Kreuzer (Hg.), Religionsgeschichte Syriens. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart, RM, Stuttgart u. a. 1996, 242–256.341–350, 243: „Insgesamt dürften etwa 15 % der Einwohner Syriens Juden gewesen sein, was bei einer durchschnittlichen jüdischen Bevölkerung von 7 % im Römischen Reich eine relativ sehr große Zahl bedeutete.“ Vgl. Hengel/Schwemer, Paulus, 87 f; G. Stemberger, Die Bedeutung des „Landes Israel“ in der rabbinischen Tradition (1983), in: ders., Studien zum rabbinischen Judentum, SBAB 10, Stuttgart 1990, 321–355, 331 f. Vgl. M. Ebner, Die Spruchquelle Q, in: ders./S. Schreiber (Hg.), Einleitung in das Neue Testament, KStTh 6, Stuttgart 22013, 86–112, 102: Ein „Strang der Q-Trägerschaft“ sei über Tyrus nach Antiochia am Orontes gekommen. Auch Helmut Koester und Jean-Paul Michaud lokalisieren Q in der Region um Antiochia; vgl. H. Koester, Ancient Christian Gospels. Their History and Development, Philadelphia/London 1990, 170 f; Michaud, Quelle(s) communaut8(s), 599 f. In einem jüngeren Beitrag (The Synoptic Sayings Gospel Q, 77) spricht Koester allerdings von „Southern Syria/Palestine“ als dem Entstehungsort von Q. Vgl. R.E. Brown/J.P. Meier, Antioch and Rome. New Testament Cradles of Catholic Christianity, New York/London 1983.

Die Q-Gruppe in Galiläa und Syrien

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Ohne die Spekulationen über eine spezifische Stadt zu weit zu treiben, ist meines Erachtens Dieter Lührmann,93 Paul Hoffmann,94 Dieter Zeller,95 Peter Pilhofer96 und Gertraud Harb97 zuzustimmen, dass sich die Q-Gruppe am Beginn des Jüdischen Krieges nach Südsyrien bewegte und dort das Q-Dokument in griechischer Sprache abfasste.98 Darüber hinaus ist es wahrscheinlich, dass Matthäus Zugang zu Q in Südsyrien erhielt.99 Ulrich Luz sieht sogar eine sehr enge Verbindung zwischen der syrischen Q-Gruppe und der Gründung der matthäischen Gemeinde: „Ich vertrete deshalb die These, daß das Matthäusevangelium aus einer Gemeinde stammt, die von den wandernden Boten und Propheten des Menschensohns der palästinischen Logienquelle gegründet worden ist und weiter in engem Kontakt mit ihnen steht. Die Überlieferungen von Q spiegeln also für die Gemeinde Erfahrungen aus ihrer eigenen Geschichte. Sie sind ,eigene‘ Traditionen. In der Gegenwart leben die matthäischen Gemeinden in Syrien; dorthin sind sie vielleicht durch den Jüdischen Krieg verdrängt worden.“100 In seinem Matthäuskommentar warnt Matthias Konradt allerdings vor einer zu starken Harmonisierung von Q und Matthäus, denn dabei würden die Differenzen übersehen.101 Dieser Punkt ist bedeutsam und macht eine Identifikation des Autors von Q und des Autors des Evangeliums nach Matthäus – eine These, die unlängst von Benedict Viviano102 vertreten wurde – sehr unwahrscheinlich. 93 Nach Dieter Lührmann wurde Q im „syrischen Raum“ verfasst; ders., Die Redaktion der Logienquelle, WMANT 33, Neukirchen-Vluyn 1969, 88. Lührmann argumentiert mit Q 10,21 f, einem Text, der seiner Meinung nach aus der „griechisch sprechende[n] hellenistische[n] Gemeinde“ (85) stammt, sowie mit der Heidenmission, die er für Q voraussetzt (86). 94 Hoffmann, QR, 278. 95 Zeller, Jesus, 194 f: „Ich denke […], daß die Wandermissionare, die die Q-Traditionen weitertrugen, nach ihrem Mißerfolg auf palästinensischem Boden nach Norden weiterzogen, wo sie in den Städten Phöniziens und/oder Syriens Juden ansprechen konnten.“ 96 Pilhofer, Das Neue Testament, 319. 97 Harb, Rede, 35. 98 Nach Siegfried Schulz stammen die jüngeren, hellenistisch-judenchristlichen Q-Stoffe aus „Transjordanien-Dekapolis“; vgl. ders., Q. Die Spruchquelle der Evangelisten, Zürich 1972, 481. 99 Zeller, Jesus, 195: „Im südlichen Syrien (vgl. Mt 4,24) dürfte […] Mt Zugang zu Q erlangt haben.“ 100 U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus. 1. Teilband: Mt 1–7, EKK 1/1, Düsseldorf, Zürich/ Neukirchen-Vluyn 52002, 90. Vgl. nun auch ders., Ein Rückblick auf die Logienquelle von Matthäus her, in: ders., Exegetische Aufsätze, WUNT 357, Tübingen 2016, 195–212, 208. 101 M. Konradt, Das Evangelium nach Matthäus, NTD Neubearbeitung 1, Göttingen 2015, 21: „Zudem lässt sich auch im Falle von Q beobachten, dass Matthäus Akzente anders setzt (s. z. B. im Kommentar zu 9,32–34 und zu 12,38). Gleichwohl ist hier nicht eine so substantielle theologische Kritik wie im Falle des Mk vernehmbar.“ 102 B. Viviano, Who Wrote Q? The Sayings Document (Q) as the Apostle Matthew’s Private Notebook as a Bilingual Village Scribe (Mark 2:13–17; Matt 9:9–13), in: E.-M. Becker/A. Runesson (Hg.), Mark and Matthew II. Comparative Readings. Reception History, Cultural Hermeneutics, and Theology, WUNT 304, Tübingen 2013, 7–91.

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Ein einzelner Autor von Q wird auch von Harry Fleddermann vorgeschlagen.103 „A committee did not write Q.“104 Das ist gewiss wahr, aber als ein Spruchevangelium mit biographischen und narrativen Elementen besitzt Q eine sehr komplexe Überlieferungsgeschichte mit erkennbaren sozialen Prozessen in der Gruppe dahinter. Auch wenn wohl ein einzelner Schriftgelehrter für die Endredaktion von Q verantwortlich zeichnet, ist es immer noch ein Dokument der Q-Gruppe.105

4. Schlussfolgerungen Eine Q-Gruppe – oder vielleicht besser : ein Netzwerk von Q-Gruppen – kann aus dem Q-Dokument erschlossen werden. Die „Q-Leute“ lebten sehr wahrscheinlich in der Region nördlich des Sees Gennesaret, wo Jesus seine Botschaft predigte und Anhänger sammelte. Es ist möglich, dass die Endredaktion von Q auch in Galiläa stattfand. Allerdings erscheint es plausibler, dass die „Endfassung“ von Q im südlichen Syrien verfasst wurde, bedenkt man die Abfassung in griechischer Sprache und die Datierung im Kontext des Jüdischen Krieges.

103 Fleddermann, Q, 166–167. 104 Fleddermann, Q, 167. 105 Vgl. Ebner, Spruchquelle Q, 99.

Thomas Söding

Gottes Sohn unter den Menschen Zur Christologie des Markusevangeliums

„Anfang des Evangeliums Jesu Christi, des Sohnes Gottes“, so ist die Jesusbiographie des Markus1 überschrieben (Mk 1,1). Wegen dieses Titels heißt sie „Evangelium“; damit hat sie Geschichte geschrieben, weil auch die anderen Evangelien nach diesem ersten Wurf benannt worden sind. Bei Markus selbst ist das Wort „Evangelium“ noch keine Gattungsbezeichnung, sondern ein Leitbegriff der Verkündigung Jesu selbst, erschlossen für die Ansage des Gottesreiches (Mk 1,14 f), aber auch für das Zeugnis der Person Jesu, der mit seiner Botschaft in den Tod gegangen und von den Toten auferstanden ist. Auf Jesus richtet sich der Fokus des Evangelisten; um seinetwillen hat er das Buch verfasst: aus Liebe zu Jesus, in der Hoffnung auf ihn, mit gerade dem Glauben an ihn, den Jesus selbst nach dem Markusevangelium einfordert. Udo Schnelle hat in seiner „Einleitung“ das Verhältnis des Begriffs zur Gattung des Evangeliums präzise beschrieben2 und in seiner „Theologie“ Markus als „Schöpfer“ der Gattung gewürdigt, der eine „theologische Konzeption“ verfolgt3. Die Überschrift verlangt, die Form des Evangeliums, eine Erzählung, ins Verhältnis zu ihrem Thema, Jesus Christus, zu setzen. Es muss erzählt werden, wenn ein Ereignis in Erinnerung gerufen werden soll. Es kann auch erzählt werden, wenn eine virtuelle Welt entworfen werden soll, wie Jesus es in seinen Gleichnissen getan hat, um das Unsichtbare sichtbar und das Sichtbare durchsichtig zu machen. Aber der Titel schließt aus, dass Markus sein Evangelium als Fiktion verstanden hat; der Bezug zur Realität ist konstitutiv, auch wenn er nicht historistisch aufgelöst werden kann, sondern sich in der theologischen Perspektive der Jüngerschaft ergibt, die kreative Erinnerung mit poetischer Erzählung zu verbinden verspricht. Markus vergegenwärtigt den Ursprung des Evangeliums, die !qwµ toO eqaccek¸ou. Der Mythos versteht den Ursprung – mit Sallust (De diis et mundo 4,4) – als das, was niemals war und immer ist; das Evangelium aber versteht den Ursprung als das, was einmal war und immer wirkt. Wer daran glaubt, muss eine Geschichte erzählen – nicht um das Museum der Weltreligionen zu bestücken, sondern um eine Vergangenheit zu be1 Vgl. R.A. Burridge, What are the Gospels? A Comparision with Graeco-Roman Biography, Grand Rapids 2004 (1995). 2 U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 82013, 193–205. 3 U. Schnelle, Theologie des Neuen Testaments, UTB 2917, Göttingen 2011, 488–517.

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schreiben, die nicht vergeht, um eine Gegenwart zu erschließen, die nicht aufhört, und um eine Zukunft zu eröffnen, die nicht fern ist. Markus entwickelt eine Christologie des Menschseins Jesu, die sich am Gottessohntitel festmachen lässt, weil er die Theozentrik Jesu fasst und mit dem Heilsdienst Jesu unter den Menschen vermittelt, so dass diejenigen, die glauben, mitten in ihrem Unglauben auf den Weg der Nachfolge gerufen werden, der sie durch den Tod hindurch ins Reich Gottes führen soll, das ihnen Jesus nahebringt und aufschließt.4 Wenn das Leben und Sterben eines Menschen im Gedächtnis bleiben soll, muss von ihm erzählt werden. Wenn diese Erzählungen die Erinnerungen nicht entleeren und die Erinnerungen die Ereignisse nicht entfernen sollen, muss der Mensch in den Zusammenhängen, in den charakteristischen Worten und Gesten vor Augen geführt werden, die sich im Rückblick als typisch abzeichnen – vor den Augen derer, die erzählen, um die Erinnerung an das Ereignis aufzufrischen. Bei Jesus ist es – nicht nur im Spiegel des Markusevangeliums, sondern aller relevanten Quellen – die Liebe zu Gott, die sich in der Liebe zu den Menschen, auch zu seinen Feinden, konkretisiert; es sind seine Werke der Barmherzigkeit, von denen Kranke und Besessene, Sünder und Fremde profitieren; es sind seine Worte des Evangeliums, die Glauben heischen, Hoffnung machen und Liebe entzünden wollen.5

1. Der geliebte Sohn Gottes auf Erden „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden“ – so wird Jesus im Markusevangelium eingeführt: mit einer Stimme, die aus dem geöffneten Himmel erschallt. Jesus hört sie unten auf der Erde, nach der Johannestaufe gerade aus dem Jordanwasser wieder aufgestiegen. Er wird unter die Fittiche des Heiligen Geistes genommen, der wie eine Taube auf ihn herabkommt (Mk 1,9–11).6 So stark die Ankündigung des Täufers schien, es werde ein Stärkerer kommen, der nicht mit Wasser, sondern mit dem Heiligen Geist tauft (Mk 1,7 f) – jetzt scheint sie schwach, da Gott selbst die Stimme erhebt, und darf doch nicht vergessen werden, weil Jesus nicht wie ein messianischer Meteorit auf die Erde schlägt, sondern dort mit seiner Sendung beginnt, wo Israels Weg an seiner exponiertesten Stelle angekommen ist, am Jordan, der einen neuen Anfang verheißt. Dort werden die Sünden abgewa4 Die Erinnerung ist ein Schlüssel zur Traditionsbildung der Evangelien, der unter neuen Auspizien auch eine historische Rückfrage erlaubt; vgl. J.D.G. Dunn, Jesus Remembered, Christianity in the Making 1, Grand Rapids 2003. 5 Vgl. T. Söding, Die Verkündigung Jesu – Ereignis und Erinnerung, Freiburg i. Br. u. a. 2012. 6 Vgl. C. Rose, Theologie als Erzählung. Eine narratologisch-rezeptionsästhetische Untersuchung zu Mk 1,15, WUNT II/236, Tübingen 2007, 138–150.

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schen; dort wird die Hoffnung auf Gottes Nähe, die mit der Landnahme verbunden war, neu entfacht (Mk 1,4–8).

1.1. Die Anrede durch Gott Die Dialektik von Stärke und Schwäche kennzeichnet auch das Gotteswort selbst. Denn die erste Hälfte spielt auf den Königspsalm 2 an, demzufolge Gott den Herrscher auf dem Thron Davids anspricht: „Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt“ (Ps 2,7). Im Judentum gewinnt dieses Gebet eschatologische Züge, weil dem König von Israel die Herrschaft über alle Völker auf der ganzen Erde verheißen wird.7 Markus macht sich diese Deutung zu eigen. Sie passt zur Verknüpfung des Sohnes mit dem Reich Gottes, das alle Welt angeht und allen Völkern offensteht. Die starke Christologie der königlichen Herrschaft auf Davids Thron wird aber im Gotteswort über dem Jordan durch den Nachsatz dialektisch aufgehoben. „An dir habe ich Gefallen gefunden“, spielt das erste Lied vom Gottesknecht ein (Jes 42,1),8 eines gewaltlosen Propheten, der nach dem vierten Lied gewaltsam stirbt, aber nicht will, dass die Täter deshalb bestraft, sondern dass sie durch sein Opfer erlöst werden. Mit der prophetischen Christologie wird die Verkündigung Jesu erhellt, aber auch der Einsatz seines Lebens. Beide Linien werden durch das gesamte Evangelium hindurch weiter verfolgt und miteinander verbunden. „Hosanna, gepriesen, der kommt im Namen des Herrn. Gepriesen das kommende Königreich unseres Vaters David” (Mk 11,9 f), so wird Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem willkommen geheißen – und sitzt nicht auf einem Schlachtross, sondern auf einem Esel.9 Als er nach seiner Autorität gefragt wird, erzählt er das Gleichnis von den Winzern, die nach der Abweisung der Boten, nur um keine Pacht zu zahlen, den „geliebten Sohn“ des Besitzers, der als Letzter gesandt wird, töten (Mk 12,1–12).10 „Das ist mein Blut des Bundes, vergossen für viele“, sagt Jesus im Abendmahlssaal (Mk 14,24) und erschließt vor dem Hintergrund von Jes 53,12, dass er sich selbst hingibt, um allen das endgültige Heil des Reiches Gottes zu öffnen. Beide Linien werden in der Taufszene durch ein theozentrisches Motiv zusammengehalten: „Du bist mein geliebter Sohn“, heißt es bei Markus, ohne dass in Ps 2 von der Liebe Gottes die Rede wäre; „an dir habe ich Gefallen gefunden“ heißt es weiter, in der 2. Person, während im Jesajabuch die 3. 7 Vgl. S. Gilingham, A Journey of Two Psalms. The Reception of Psalms 1 and 2 in Jewish and Christian Tradition, Oxford 2013. 8 Vgl. U. Berges, Jesaja 40–48, HThKAT, Freiburg i. Br. u. a. 2008, 222–233. 9 Vgl. C.-P. März, „Siehe, dein König kommt zu dir“. Jesu Einzug in Jerusalem, in: Communio 38, 2009, 5–13. 10 Vgl. A. Weihs, Jesus und das Schicksal der Propheten. Das Winzergleichnis (Mk 12,1–12) im Horizont des Markusevangeliums, BThSt 61, Neukirchen-Vluyn 2003.

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Person steht: „an ihm habe ich Gefallen gefunden“. Die direkte Rede ist der Schlüssel. Gott sagt: „Du“ zu Jesus. Er sagt ihm, wer er ist und warum: Jesus ist der Sohn Gottes, weil Gott ihn liebt – auf eine ganz spezielle Weise, die der Nachsatz anklingen lässt: Er hat Wohlgefallen an ihm gefunden. Der Aorist zeigt an, dass Gottes Liebe nicht spontan entflammt, sondern tief verwurzelt ist. Jesus braucht sie sich nicht zu erwerben; sie ist immer schon gegeben. Das Timing des Markusprologes weist zurück auf die prophetischen Worte des Einganges, die Jesaja zugeschrieben werden (Jes 40,3), aber auch von Maleachi (Mal 3,1) und dem Exodusbuch (Ex 23,20) beeinflusst worden sind. Danach war bereits vom Propheten zu hören, was Gott seinem Sohn sagt: „Siehe, ich sende meinen Boten vor deinem Angesicht, der deinen Weg bereiten wird“ (Mk 1,2). Markus hat keine Präexistenzchristologie entwickelt.11 Aber er verankert die Gottessohnschaft in der unergründlichen Liebe Gottes so, dass die gesamte Heilsgeschichte im Kairos kulminiert, den Jesus mit der ReichGottes-Verkündigung markiert und für alle Zeit dieser Welt vergegenwärtigt. Jesus wird in der Taufe nicht zum Sohn Gottes gemacht (wie das Fehlurteil des Adoptianismus in der Antike und der Moderne lautet), sondern als Sohn Gottes angesprochen – und zwar nach Markus, anders als nach Lukas und Matthäus, ganz persönlich, ohne dass der Täufer und die Umstehenden als Zeugen in Szene gesetzt würden. Welche Bedeutung aber hat die Taufe mit der Herabkunft des Geistes und der Gottesstimme für Jesus im Gang der markinischen Erzählung? Teils wird von einer Berufung,12 teils von einer Einsetzung13 gesprochen. In jedem Fall wird klar, dass durch die Gottesstimme bei Jesus etwas ausgelöst und in Gang gesetzt wird. Er beginnt mit der öffentlichen Verkündigung des Evangeliums, nachdem er kraft des Geistes die Versuchung des Teufels bestanden und die Wüste, solange er dort ist, zum Paradies auf Erden gemacht hat (Mk 1,12 f).14 Einer psychologischen Auslegung verschließt sich der Text, weil er an dieser Stelle nicht in die Seele Jesu blicken lässt. Aber der Evangelist erzählt, dass etwas passiert ist: Jesus ist die Liebe Gottes, seines Vaters, durch eine Offenbarung innegeworden; er hat den Heiligen Geist empfangen. Als Mensch, der dorthin gegangen ist, wohin die bußfertigen Israeliten gehen, wird ihm klar, wer er für Gott ist: sein geliebter Sohn, und zu was ihn Gottes Wohlgefallen bestimmt: seiner Liebe ein menschliches Antlitz zu geben.

11 Diskutiert von R. Kampling, Israel unter dem Anspruch des Messias. Studien zur Israelthematik im Markusevangelium, SBB 25, Stuttgart 1992, 41 f. 12 So A. Vögtle, Die sogenannte Taufperikope. Zur Problematik der Herkunft und des ursprünglichen Sinns, in: EKK. Vorarbeiten 4, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1972, 105–139 13 Vgl. K. Berger, Formgeschichte des Evangeliums, Heidelberg 1984, 285 f: „Installation“. Als Parallelen verweist er auf Mt 16,18 f; Ps 110,4 (vgl. Hebr 5,6) sowie äthHen 71,14. 14 Vgl. A. Herrmann, Versuchung im Markusevangelium. Eine biblisch-hermeneutische Studie, BWANT 197, Stuttgart 2011.

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1.2. Das Gebet Jesu zu Gott Dem fulminanten Auftakt einer Christologie des wahren Menschseins Jesu in der Jordantaufe entspricht, dass Jesus nach dem Markusevangelium immer wieder die Verbindung mit Gott im Gebet sucht.15 Er zieht sich regelmäßig in die Einsamkeit zurück, um zu beten und von dort zu seiner Sendung neu aufzubrechen. Die Inhalte dieser Gebete bleiben ein Geheimnis. Nur das letzte, das innigste, wird vom Evangelisten mitgeteilt, das Gebet Jesu in Gethsemane, mit dem er sich auf seinen schweren Passionsweg vorbereitet.16 Was Markus überliefert, ist spektakulär. Der Gottessohn bekennt mit Ps 42,6, dass seine „Seele zu Tode betrübt“ sei (Mk 14,34). Er bittet darum, dass „dieser Kelch“ – der bittere Becher des Leidens und Sterbens (vgl. Mk 10,38) – an ihm „vorübergehe“ (Mk 14,36). Deutlicher können die menschliche Schwäche, der Lebenswille und die Todesangst Jesu nicht dargestellt werden. In der Stunde von Gethsemane zeigt sich, dass die Macht, die Jesus nach dem Evangelium als Sohn Gottes hat, um Menschen von Not und Schuld zu befreien, nicht auf einer unangefochtenen Selbstsicherheit beruht, sondern in einer Frömmigkeit gründet, die lebendig ist, weil ein Mensch von Fleisch und Blut sie übt, und fest, weil sie in der jüdischen Religion verwurzelt, aber auch in der messianischen Sendung Jesu verwandelt ist. Die Krise des Gottessohnes darf exegetisch nicht zugedeckt, sondern muss aufgedeckt werden. Jesus betet zwar – wie er es im Vaterunser (das nicht bei Markus steht) seine Jünger lehrt: „Nicht mein Wille geschehe, sondern deiner“. Er ist der Gerechte, der in einer ungerechten Welt leidet. Aber er stirbt nach der Markuspassion mit dem Klageruf Ps 22,2 auf den Lippen: „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34).17 Das Drama wird nicht schon am Ölberg aufgelöst, auch nicht auf Golgotha, sondern erst am Ostermorgen, in der Auferstehung dessen, der immer der Gekreuzigte bleibt (Mk 16,7). Die Anfechtung des Messias folgt aus seinem Gehorsam gegenüber Gott, dessen Willen er erfüllt, weil es für die Menschen nichts Besseres geben kann, und aus seiner Freiheit, vor Gott und mit Gott, unter den Menschen und für die Menschen seinen eigenen Weg zu gehen. Die Verbindung mit der Christologie der Gottessohnschaft ergibt sich aus der Gebetsanrede, die Markus in der Muttersprache Jesu überliefert: „Abba“, und dann ins Griechische übersetzt: „Vater“ (Mk 14,36). Diese Anrede ist tief in den Gebeten Israels verwurzelt und 15 Vgl. M. Gruber, Annäherungen an den Gebetsglauben Jesu. Lesespuren im Markusevangelium, in: Communio 44, 2015, 52–64. 16 Vgl. R. Feldmeier, Die Krisis des Gottessohnes. Die Gethsemaneerzählung als Schlüssel der Markuspassion, WUNT II/21, Tübingen 1987. 17 Vgl. T. Nicklas, Die Gottverlassenheit des Gottessohns. Funktionen von Psalm 22/21 LXX in frühchristlichen Auseinandersetzungen mit der Passion, in: W. Eisele (Hg.), Aneignung durch Transformation. Beiträge zur Analyse von Überlieferungsprozessen im frühen Christentum. FS M. Theobald, HBS 74, Freiburg i. Br. 2013, 395–415.

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zugleich typisch jesuanisch.18 Es wäre zu viel, jedes erzählte Gebet Jesu bei Markus unter die Abba-Anrede zu stellen. Aber im Garten Gethsemane wird die Antwort Jesu auf das „Du“ Gottes über den Jordan hörbar : Bis hierher hat ihn seine messianische Sendung geführt. Ob Gottes Liebe zu ihm stärker ist als der Tod, muss sich nun zeigen: nicht nur in Jesu eigenem Interesse, sondern im Interesse der Wahrheit jener Verheißungen, für deren Erfüllung Jesus sich einsetzt. Die menschliche Geschichte des Gottessohnes endet in der neunten Stunde von Golgotha. Dass mit ihr auch die Sonnenfinsternis endet, die seit dem hohen Mittag über dem ganzen Land geherrscht hat (Mk 15,33), ist für Markus ein Phänomen, das schon auf das Licht des Ostermorgens verweist.

1.3. Das Bekenntnis zu Jesus Unter dem Kreuz erscheint der erste Mensch, der Jesus anschaut und in ihm den Gottessohn erkennt. Dieser Mensch ist ausgerechnet der Anführer des Hinrichtungskommandos, das gerade sein grausames Handwerk erledigt hat, nicht ohne den Judenkönig gefoltert und gequält zu haben. Er spricht, als Jesus schon tot ist. Markus notiert mit der Lakonie des Gläubigen: „Als der Hauptmann, der ihm gegenüber stand, sah, wie Jesus aushauchte, sagte er : ,Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn‘“ (Mk 15,39). Tatsächlich war es ein Mensch, den sie gekreuzigt haben, wie tausend vor ihm und nach ihm, obwohl nie ein Mensch hätte gekreuzigt werden sollen. Für die Gläubigen war dieser Mensch Gottes Sohn – und bleibt es alle Zeit. Ob man von einem „Bekenntnis“ des Hauptmanns sprechen soll, ist die Frage.19 Er redet nur von der Vergangenheit; er spricht unspezifisch, ohne Artikel von Gottes Sohn. Aber in jedem Fall ist es ein Zeugnis: Jesus war kein Verbrecher, sondern ein Gerechter ; er war nicht gegen Gott, Gott war auf seiner Seite. Das ist viel. Das christliche Glaubensbekenntnis beruht auf Zeugnissen wie diesen: Jesus ist wirklich am Kreuz gestorben; er war unschuldig; er ist als Gottessohn gekreuzigt worden. Kein Wort des Hautmanns ist falsch; jedes kann unendliches Gewicht gewinnen, wenn es von Jesus selbst her gedeutet wird, mit Bezug auf die Herrschaft Gottes, die er verkündet (Mk 1,14 f). Das Zeugnis wird gerade von dem abgelegt, der die juristische und militärische Verantwortung trägt, vermutlich ein Römer, ein Heide, in jedem Fall ein Mensch, der sich die Hände am Kreuz Jesu schmutzig gemacht hat. Religiös und ethisch ist er denkbar weit von Jesus entfernt. Historisch steht er genau deshalb Jesus bei dessen letztem 18 Vgl. G. Schelbert, Abba Vater. Der literarische Befund vom Altaramäischen bis zu den späten Midrasch- und Haggada-Werken in Auseinandersetzung mit den Thesen von Joachim Jeremias, NTOA/StUNT 81, Göttingen 2011. 19 So A. Wypadlo, „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn“ (Mk 15,39). Überlegungen zur Funktion des Centuriobekenntnisses im christologischen Entwurf des Markusevangeliums, in: BZ 58, 2011, 179–208. Skeptisch ist E.S. Johnson, Mark 15,39 and the so-called Confession of the Roman Centurion, in: Biblica 81, 2000, 406–413.

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Atemzug am nächsten; das qualifiziert sein Zeugnis. Er hat gesehen, „wie Jesus starb“ – ohne Gewalt, ohne Resignation oder Verzweiflung, ohne Härte, mit einer herzzerreißenden Klage. Das reicht ihm, um vom Ethos auf die Identität Jesu zu schließen und sie so zu bestimmen, wie er es von seinem Standpunkt aus kann. Wer das Markusevangelium liest, hat eine privilegierte Perspektive. Schon Vers 1 sagt (wahrscheinlich): „Gottes Sohn“.20 Was über dem Jordan Jesus offenbar wird, wissen alle, die lesen. Sie stoßen auf das Unverständnis der Jünger, die Gottesssohnschaft ihres Meisters zu verstehen. Sie lesen vom Hauptmann, der, als es schon zu spät war, die Moral von der Geschichte erkannt hat. Das Evangelium sagt ihnen: Jesus ist von Anfang an Gottes Sohn. Alles was von ihm erzählt wird, von seinen Worten und Werken, auch von seinem Leiden, hat nur deshalb sein volles Gewicht, weil es Gottes geliebter Sohn ist, der redet und handelt, leidet und stirbt. Aber das, was von Anfang an wahr ist, kann nur vom Ende her als wahr erkannt werden. Wer zu früh aus der Geschichte aussteigt, nimmt womöglich nur den Eindruck eines Wundertäters mit und verwechselt Jesus mit einem Halbgott in Weiß. Wer nur auf das Kreuz starrt, weiß gar nicht, wer da stirbt. Der Zusammenhang ist entscheidend. Er wird durch die Erzählung des Evangeliums hergestellt. Wer es liest, wird vor die Glaubensfrage gestellt. Die Perspektive ist privilegiert; aber der Glaube ist nicht selbstverständlich. Das macht Markus klar.

2. Der menschliche Messias aus Israel „Bist du der Messias, der Sohn des Hochgelobten“, fragt nach der Markuspassion der Hohepriester auf dem Höhepunkt des Prozesses, der Jesus in Jerusalem vor dem Synhedrion gemacht wird (Mk 14,61). Die Frage reflektiert, wenn auch im Widerspruch, durchaus treffsicher den Anspruch, den Jesus nach Markus geltend gemacht hat. Jesus tut sich nach dem Markusevangelium allerdings nicht durch einen offensiven Gebrauch möglichst vieler messianischer Würdenamen hervor. Eher entzieht er sich nicht, wenn er als Messias, als Christus (Mk 8,29),21 als Kyrios (Mk 7,28),22 als Davidssohn (Mk 10,47 f)23

20 Die Textkritik muss allerdings geübt werden, weil nicht alle guten Handschriften auch diesen Hoheitstitel haben. Für die Authentizität sprechen aber die besseren Gründe; anders jedoch H. Greeven, Textkritik des Markusevangeliums, hg. v. E. Güting, Theologie 11, Münster 2005, 41–46. 21 Vgl. M. Witte, Jesus Christus im Alten Testament. Eine biblisch-theologische Skizze, Salzburger exegetische theologische Vorträge 4, Wien u. a. 2013. 22 Vgl. H.-J. Eckstein, Kyrios Jesus. Perspektiven einer christologischen Theologie, NeukirchenVluyn 22011 (2010). 23 Vgl. E. Lohse, Der Sohn Davids als Helfer und Retter, in: V.A. Lehnert/U. Rüsen-Weinhold (Hg.),

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angeredet wird; er hilft, wo er gebeten wird, korrigiert aber auch falsche Erwartungen, wo es nottut (Mk 8,29–34). Durch seine Lehre und seine Taten hinterlässt er einen starken Eindruck, der nach Worten, nach Bildern, nach Titeln suchen lässt, die passen könnten; alle werden durch die Passion zerbrechen, um im Blickfeld der Auferstehung neu zusammengesetzt zu werden.

2.1. Das Bekenntnis Jesu Ausgerechnet der Gottessohntitel24 wird mit größter Zurückhaltung gebraucht. Einmal wird er noch in einer himmlischen Akustik laut: auf dem Berg der Verklärung,25 wo die drei ausgewählten Jünger Jesus in himmlischem Glanz zwischen Mose und Elija sehen: „Dies ist mein geliebter Sohn“, und die Aufforderung wahrnehmen: „Auf ihn sollt ihr hören“, so wie Mose einen Propheten angekündigt hat, der, nach Gottes Willen, wie er das Wort Gottes verkündet und damit im Volk Gottes Gehör findet (Dtn 18,15). Aber die Jünger bekommen nichts richtig mit; sie sollen bis zur Auferstehung schweigen und wissen noch nicht einmal etwas mit der Verheißung der Auferstehung anzufangen (Mk 9,9–13). Sonst ist es eher Beifall von der falschen Seite, der Jesus gilt. Nach dem Markusevangelium sind es Dämonen, die Jesus als Gottessohn anreden (Mk 3,11; 5,7) – aber nicht zur größeren Ehre Gottes, sondern im Zuge einer vergeblichen Selbstverteidigung; deshalb müssen sie schweigen – und fügen sich. Erst im Verhör durch den Hohenpriester platzt der Knoten. „Du bist […]“ hat Jesus über dem Jordan aus dem Himmel gehört (Mk 1,11); „Bist du […]?“ wird er vom Jerusalemer Sachwalter Gottes im Hohen Rat gefragt. „Ich bin es“, lautet die einzig ehrliche Antwort Jesu (Mk 14,62). Das griechische 1c¾ eQli weckt besondere Assoziationen, weil Gott selbst sich nach der Biblia Graeca mit einem absoluten „Ich“ vorstellt (Ex 3,14) – was hier freilich nicht zitiert oder variiert wird, doch im Raum steht. Aufgrund seiner Theozentrik bestätigt Jesus nicht, was der Hohepriester erwartet oder eher befürchtet, sondern fährt fort: „Und sehen werdet ihr den Menschensohn, sitzend zur Rechten der Kraft und kommend mit den Wolken des Himmels“ (Mk 14,62).26 Mit diesem Wort öffnet Jesus die Szene: Der Himmel reißt wieder auf; vom Himmel her wird die Erde erreicht, nur dass jetzt nicht der Geist auf Jesus herabkommt, sondern Logos – Logik – Lyrik. Engagierte exegetische Studien zum biblischen Reden Gottes. FS K. Haacker, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 27, Leipzig 2007, 297–304. 24 Zusammenhänge erschließt, besonders von Ps 2 her, D. Sänger (Hg.), Gottessohn und Menschensohn. Exegetische Studien zu zwei Paradigmen biblischer Intertextualität, BThSt 67, Neukirchen-Vluyn 2004. 25 Vgl. A. Wypadlo, Die Verklärung Jesu nach dem Markusevangelium. Studien zu einer christologischen Legitimationserzählung, WUNT 308, Tübingen 2013. 26 Vgl. P. Grelot, La r8ponse de J8sus / Ca"phe, in: E. Franco (Hg.), Mysterium regni – mysterium verbi (Mc 4,11; At 6,4). FS V. Fusco, Supplemeuti alla Rivista Biblica 38, Bologna 2000, 581–595.

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Jesus selbst – zu denen, die ihn verurteilt haben: Sie werden ihn neu sehen – zum Gericht und zum Heil, was Jesu Sendung ist. „Menschensohn“ ist der einzige Hoheitstitel, den Jesus nach dem Markusevangelium während seines irdischen Wirkens selbst in den Mund nimmt. Er weist einerseits das Menschsein Jesu aus, indem er an den Propheten des Ezechielbuches erinnert, der von Gott als „Menschensohn“ angeredet wird, um seinen Verkündigungsauftrag zu erfüllen.27 Anderseits weist der Titel die göttliche Mission Jesu aus, indem er an die Apokalypse des Daniel erinnert, der bis zum Ende der Geschichte schaut und dort einen „wie einen Menschensohn“ erblickt, wo die ewige Herrschaft Gottes, ihm übertragen, beginnt (Dan 7,13 f).28 In einigen frühjüdischen Texten (1Hen 62,5; 69,27ff) ist er – wie in anderen neutestamentlichen Traditionen (Mt 25,31 f) – Richter im Jüngsten Gericht. Im Markusevangelium spricht Jesus vom Menschensohn, immer wenn es kritisch wird, im Blick auf seine Macht und sein Recht zu handeln, wie Gott handelt (Mk 2,10.28), aber auch auf sein Leiden, sein Sterben und seine Auferstehung (Mk 8,31; 9,31; 10,32ff; 10,45; 14,41; vgl. 9,12). Freilich redet Jesus nach Markus vom Menschensohn immer in der 3. Person. Er redet immer so, dass nur er selbst gemeint sein kann, aber er redet nicht so, dass er sich einfach mit dem „Menschensohn“ identifiziert, sondern so, dass er sich auf ihn bezieht und die Figur neu mit Leben erfüllt: Er ist ein menschlicher Messias, ein messianischer Mensch, der als solcher das Reich Gottes verkündet und verwirklicht. Markus ist sicher : Wenn der „Menschensohn“ kommt, trägt er den Namen und zeigt er das Gesicht Jesu; davor braucht niemand Angst zu haben, sondern jeder darf hoffen, denn dieser Menschensohn, so heißt es etwas früher in der Endzeitrede, wird, wenn er auf den Wolken kommt, seine Engel aussenden, so wie er als Irdischer die Apostel ausgesandt hat (Mk 6,6b–13), um von den Enden der Erde diejenigen zu sammeln, die er auserwählt hat (Mk 13,26 f) – und es werden sich noch viele wundern, dass sie dabei sind: all die Vielen, für die Jesus sein Leben hingegeben hat (Mk 10,45; 14,24), nämlich alle. Ob Jesus selbst sich als Menschensohn gesehen und zur Sprache gebracht hat, ist eine eigene Frage. Im Markusevangelium wird ein Spannungsbogen zwischen den eschatologischen Erwartungen im Judentum und der Sendung Jesu aufgebaut, der gerade nicht eingerissen werden darf, sondern rekonstruiert werden muss, wenn Jesus als derjenige verstanden werden soll, der er für die Glaubenden in Gottes Namen ist.

27 Vgl. E. Haag, Ezechiel als Menschensohn. Zur Vorgeschichte der Menschensohngestalt im Ezechielbuch, in: A. Moenikes (Hg.), Schätze der Schrift. FS H.F. Fuhs, PaThSt 47, Paderborn 2007, 69–92. 28 Vgl. K. Koch, Der Menschensohn in Daniel, in: ZAW 119, 2007, 369–385.

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2.2. Der Weg des Menschensohnes Der irdische Weg des messianischen Menschensohnes Jesus zwischen dem Jordan und Golgotha, von den Markus erzählt, verläuft mitten in Israel; er führt von der Peripherie ins Zentrum und im Osterlicht wieder zurück von Jerusalem nach Galiläa, wo alles begann und alles neu beginnt, weil der Auferstandene dort seinen Jüngern zu erscheinen verheißen hat (Mk 14,28; 16,7). Damit lebt alles auf und wird neu relevant, was Jesus auf seinem Weg bis ins Synhedrion und ans Kreuz gesagt und getan hat. Es wird nicht überholt, sondern bleibt lebendige Vergangenheit, erfüllte Gegenwart und verheißene Zukunft. Die Stationen des Weges lassen sich nicht mit dem Finger auf der Landkarte verfolgen, aber mit dem Jad, dem Zeigestab der Schriftlesung, in den Raum der Heilsgeschichte einordnen. Israel ist Herkunft und Zukunft, Basislager und Gipfel. Zwar ist Jesus nicht an die politischen Grenzen Israels gebunden, die zu jener Zeit von den Römern gezogen worden sind; wie Elija überschreitet er sie – allerdings nicht auf der Flucht, sondern auf Wanderungen, die ihn auch unter den Heiden, in Tyros und Sidon, in der Dekapolis und in Transjordanien Menschen finden lassen, denen Gott nahe ist und nahe geht (Mk 5,1–20; 7,24–8,10). Denn auf diesen Wegen nimmt er das Wort Gottes, die Tora und die Prophetie, mit – nicht um es den Juden in Galiläa und Judäa wegzunehmen, sondern um es auch denen zuzueignen, die mit ihm den Weg zu Gott finden. Es gab bis weit ins 20.Jh. hinein zahlreiche Exegesen, die das Messianische der Sendung Jesu gerade an seiner Distanz zur Tora und an seiner Überbietung der Prophetie ermessen haben. Das ist nicht das markinische Porträt, sondern die Projektion einer modernen Theologie, die sich von den Geboten eines herrischen Gottes und von den Fesseln eines (angeblichen) jüdischen Partikularismus befreien wollte, aber schnell unmodern geworden ist, weil sie nicht auf die Kraft des Wortes Gottes gesetzt hat, das in Israel Wohnung genommen hat und deshalb über dem Jordan ertönt ist. Markus verschweigt in seiner Erzählung die harten Vorwürfe nicht, die an die Adresse Jesu gerichtet werden: er sei ein Blasphemiker, der sich Gottes Vorrecht anmaße (Mk 2,1–12), ein Sünder, der am liebsten mit Seinesgleichen tafele (Mk 2,13–17), ein Gesetzesbrecher, der den Sabbat entweihe (Mk 2,28–3,6), ein Freidenker, der das Reinheitsgebot missachte (Mk 7,1–23).29 Diese Kritik wird zwar von der christlichen Exegese oft neutralisiert, weil sie angeblich nur aus Neid und Missgunst geäußert wird. In Wahrheit deckt sie auf, wie wenig selbstverständlich die messianische Sendung Jesu ist. Seine Kritiker hätten vollkommen Recht – wenn Jesus nicht der menschliche Messias wäre, der irdische Menschensohn mit göttlichem Auftrag, der geliebte 29 Vgl. L. Scornaienchi, Der umstrittene Jesus und seine Apologie, Die Streitgespräche im Markusevangelium, NTOA/StUNT 110, Göttingen 2016.

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Gottessohn auf der Erde. Als solcher aber, als den Markus ihn zeichnet, leugnet er nicht das Vorrecht Gottes, Sünden zu vergeben, sondern nimmt es wahr ; er negiert die Sünde nicht, sondern heiligt die Sünder ; er löst den Sabbat nicht auf, sondern stellt ihn in den Dienst des Menschen, wie Gott ihn geschaffen hat; er hebt die Reinheitsgebote nicht auf, sondern radikalisiert sie, indem er sie im Herzen der Menschen verankert – dort, wo das Böse lauert und durch das Gute besiegt werden soll, das Gott schenkt. Dass Jesus Synagogen besucht, Tora studiert und Psalmen betet, wurde nicht selten als unvermeidliche Konzessionen an die kontingenten Lebensumstände betrachtet, ist aber die Konsequenz eines Sohnes, der nur als Jude an den Jordan und auf die via dolorosa gehen konnte, weil Gott, der ihn liebt, treu ist, nicht nur zu ihm, sondern zu allen Menschen.

2.3. Die Nachfolge Jesu Am nördlichsten Punkt der Wanderungen Jesu, in Caesarea Philippi, werden die Zusammenhänge klar.30 Jesus zieht eine Zwischenbilanz: „Für wen halten die Menschen mich?“ (Mk 8,27). Nach all den Therapien und Exorzismen, den befreienden Worten und Gesten kann die Antwort nur positiv sein: „Für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für einen der Propheten“ (Mk 8,28). Viel höher kann man nicht greifen. Dennoch führt die Meinungsumfrage zu einem unzureichenden Ergebnis. Jesus ist kein zweiter Täufer Johannes, weil er selbst der von Johannes angekündigte Stärkere ist (Mk 1,17 f); er ist kein zweiter Elija, weil er selbst von Elija flankiert wird, wie sich gleich danach auf dem Berg der Verklärung zeigen wird (Mk 9,2–8); er ist auch nicht einer der Propheten, weil er der Prophet Gottes ist. Aus diesem Grund fragt Jesus weiter und richtet sich direkt an seine Jünger : „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ (Mk 8,29). Er fragt nicht, weil er unsicher wäre oder seine Schüler examinieren wollte. Er fragt, um ihnen Gelegenheit zu geben, zu bekennen, was stellvertretend für alle Jünger kein anderer als Petrus sagt: „Du bist der Christus“, der Messias (Mk 8,29). Besser geht es nicht. Aber was ist der Messias? Der Evangelist macht transparent, wie groß die Schwierigkeiten sind, die Frage zu beantworten. Denn er überliefert, dass Jesus den Jünger Schweigen gebietet. Nach der liberalen Exegese des 19.Jh. ist das Redeverbot ein Trick des Evangelisten, um das (angeblich) unmessianische Leben Jesu mit dem Messiasglauben der Kirche auszugleichen.31 Aber im Gang der Erzählung ist es ein 30 Vgl. P. Mascilongo, „Ma voi, chi dite che io sia?“ Analisi narrative dell’identit/ di GesF e del cammino die discepoli nel Vangelo secondo Marco alle luce della ,Conffesione di Pietro‘ (Mc 8,27–30), AnBib 192, Rom 2011. 31 So, vielfach variiert, W. Wrede, Das Messiasgeheimnis in den Evangelien. Zugleich ein Beitrag zum Verständnis des Markusevangeliums, Göttingen 1969 (1913).

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Doppelpunkt: Was es heißt, Jesus als Messias zu bekennen, muss und wird sich erst noch herausstellen. Jesus nimmt nach Markus auch sogleich die Spur auf: Er redet vom Menschensohn, der leiden muss und sterben wird, aber von den Toten aufersteht (Mk 8,31). Derselbe Petrus, der das Messiasbekenntnis gesprochen hat, will sich Jesus in den Weg stellen (Mk 8,32) – und ist uns vielleicht in keinem Moment seines Lebens näher als in diesem: Wer will schon, dass ein anderer Mensch für einen stirbt? Wer will schon, dass Gottes geliebter Sohn, der menschliche Messias, am Kreuz hängt? Jesus sieht nach Markus diesen menschlichen Zug im Widerspruch des Petrus: „Du denkst, […] was menschlich ist.“ (Mk 8,32). Das ist verständlich – aber genau das Problem. Die Menschlichkeit, die Petrus geltend machen will, ist gegen das gerichtet, was Gott im Sinn hat – und was der Sohn Gottes prophetisch weiß, wenngleich er selbst damit kämpfen muss. Hätte Petrus recht, würde es keine Auferstehung geben und keine Erlösung, jedenfalls keine, die das Leiden der Opfer wahrnimmt und von ihm her die Rettung bringt. Deshalb ist Petrus, der auf die Menschlichkeit des Messias pocht, ein Versucher, ein „Satan“, der zurück in die Nachfolge gerufen werden muss: „Geh, hinter mich“ (Mk 8,33) – wie alle anderen Jünger auch (Mk 8,34). Der Messias aus Israel geht einen schweren Weg; es ist der Weg zum Reich Gottes.

3. Der verheißene Retter ins Gottesreich „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke? Oder mit der Taufe getauft werden, mit der ich getauft werde?“ (Mk 10,38), fragt Jesus auf dem Weg nach Jerusalem zwei seiner Jünger, Johannes und Jakobus, die „Donnersöhne“ des Zebedäus (Mk 3,17), die um die besten Plätze im Reich Gottes betteln (Mk 10,35ff). „Ihr wisst nicht, was ihr bittet“, hat er seine Frage eingeleitet (Mk 10,38) – und dass die beiden beteuern: „Wir können es“ (Mk 10,39), zeigt nur, wie richtig Jesus liegt. Der Kelch ist der, den Jesus in Gethsemane Gott an ihm vorübergehen zu lassen bittet (Mk 14,36): das Martyrium des Propheten, das auch jüdische Texte dieser Zeit in das Bild eines von Gott gemischten Bechers fassen (AscJes 5,13). Die Taufe ist jene, der Jesus sich im Jordan mitten unter den Sündern unterzogen hat (Mk 1,9ff) – ein Vorausverweis auf den vollen Einsatz seines Lebens, auf seinen Tod und seine Auferstehung: Derjenige, der „nicht mit Wasser, sondern mit dem Heiligen Geist tauft“ (Mk 1,8), hat diesen Geist selbst empfangen, um den Weg der Verkündigung als Weg in das vollendete Reich Gottes zu gehen. Er geht diesen Weg als der „Menschensohn“, der „nicht gekommen ist, bedient zu werden, sondern zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele“ (Mk 10,45). Auf diesem Weg, von dem Markus erzählt, spult er nicht ein theologisches Programm ab, das vorgeschrieben wäre; er bringt sich selbst ein. Er geht den Weg als „Diakon“, wie es im Griechischen heißt. Er ist kein Sklave, der gezwungen wäre, sondern geht

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seinen Weg freiwillig. Gerade das Gethsemane-Gebet zeigt dies: Wäre Jesus geflohen, hätte er sich nicht ganz dem Willen Gottes anvertraut – der Vater hätte den Sohn zu nichts geführt, was er nicht selbst gewollt hat. Als „Diakon“ ist Jesus Gottes Repräsentant unter den Menschen; er führt sie zu Gott, indem er sein Leben für sie einsetzt.32

3.1. Menschliche Schwächen Der Weg, den Jesus geht, hält viele Überraschungen bereit, angenehme wie unangenehme. Jesus muss sich auf sie einstellen. Nicht jeder Plan geht auf, nicht jedes Argument zieht, nicht jeder Widerstand ist zwecklos, nicht jede Unterstützung erfolgreich. Von Anfang an hat Jesus mit der Zustimmung des Volkes zu kämpfen. Er provoziert sie, indem er Kranke heilt und Gleichnisse erzählt, die Gott mitten im Leben der Menschen entdecken lassen. Er will sie, weil die Menschen am See Genezareth und im Land Israel neu zu Gott finden sollen. Aber der Zulauf ist ambivalent. Er erschwert persönliche Begegnungen von Angesicht zu Angesicht, ohne die aber kein Glaube entstehen kann. Jesus zieht sich in die Einsamkeit zurück, weil er öffentlich wirken will, und wird, wie Markus erzählt, gleichwohl von der Menge überrannt (vgl. Mk 1,35–44; 7,24), so dass er sich auf ungläubiges Staunen, auf halbe Wahrheiten, auf Projektionen einstellen muss – was er tut, indem er seinen Weg weiter geht und sich der Zweifelnden annimmt, aber die überbordende Begeisterung dämpft: durch Nachfragen, durch Unterbrechung, durch Überraschungen, dass einem Hören und Sehen vergeht. Von Anfang an hat Jesus auch mit seinen Jüngern zu kämpfen,33 deren Geist willig, deren Fleisch aber schwach ist, wie er in Gethsemane sagt (Mk 14,38). Sie sollen und wollen „Menschenfischer“ werden (Mk 1,18); sie folgen Jesus nach – aber Markus hat wie kein zweiter Evangelist unterstrichen, dass sie wenig bis gar nichts verstehen, solange sie mit ihrem Meister unterwegs sind. Im Kern steht das Unverständnis, dass Jesus, der Messias, den Weg des Dienens geht, den Kreuzweg des Leidens. Als Jesus ihnen zum zweiten und dritten Mal ankündigt, er werde den Weg des Leidens gehen, der zur Auferstehung führt (Mk 9,31; 10,32ff)34, reagieren sie mit Diskussionen, wer von ihnen der Größte sei (Mk 9,33–37) und wer die Ehrenplätze im Reich Gottes erlange (Mk 10,37), wie unerhört es aber auch sei, diese Plätze anderen vor der Nase wegzuschnappen (Mk 10,41). 32 Vgl. O. Schwankl, Machtwille und Dienstbereitschaft. Zur Jüngerbelehrung in Mk 10,35–45, in: C. Niemand (Hg.), Forschungen zum Neuen Testament und seiner Umwelt. FS A. Fuchs, Linzer philosophisch-theologische Beiträge 7, Frankfurt am Main 2002, 235–257. 33 Vgl. K. Stock, Jesus und seine Jünger nach Markus, in: J.E.A. Chiu (Hg.), „Il Verbo di Dio H vivo“. Studi sul Nuovo Testamento in onore del Cardinale A. Vanhoye, AnBib 185, Rom 2007, 149–168. 34 Vgl. A. Weihs, Die Deutung des Todes Jesu im Markusevangelium. Eine exegetische Studie zu den Leidens- und Auferstehungsansagen, FzB 99, Würzburg 2003.

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Jesus weiß nach Markus um die Probleme der Jünger, die Nachfolge als Kreuzesnachfolge zu verstehen – und geht auf sie ein. Er analysiert, dass es nicht am guten Willen fehlt. Ebenso wenig sind es mangelnde Kenntnisse, die das Verstehen blockieren. Jesus hat die Jünger in seine Schule geholt; sie werden von ihm umfassend belehrt; er vermittelt ihnen gar das „Geheimnis der Gottesherrschaft“ (vgl. Mk 4,10ff); deshalb brauchen sie auch für ihre Mission, die sie zu allen Völkern bringen soll (Mk 13,10), keine Nachschulung, sondern die Erinnerung an das, was Jesus sie gelehrt hat, aufgehellt durch den Glauben an seine Auferstehung (vgl. Mk 14,9). Wie Jesus in Gethsemane genau analysiert (Mk 14,38), ist es die Schwäche des Fleisches, die seine Jünger hindert, mit ihm zu wachen und zu beten.35 Diese Schwäche ist im Kern kein moralisches, sondern ein soteriologisches Problem. Es spiegelt die Notwendigkeit ihrer Rettung durch Jesus, der genau sie sich versperren, weil sie denken, den vollen Einsatz Jesu nicht nötig zu haben oder nicht zu verdienen. Deshalb spricht Jesus das Problem des Verstehens bei seinen Jüngern als Glaubensfrage an. „Habt ihr noch keinen Glauben“, heißt es vielsagend, aber auch aussichtsreich nach der Stillung des Seesturms, als die Jünger Angst hatten, Jesus würde sie im Stich lassen (Mk 4,35–41).36 Später ist von ihrer Verstockung die Rede (Mk 8,17 f), einer Blindheit, die sehenden Auges entsteht, weil Gott selbst die Augen der Jünger verdunkelt, damit sie, wenn er den Schleier fortgenommen hat, neu sehen können (vgl. Mk 4,21 f). Indem aber Jesus nach Markus die Glaubensfrage zuspitzt, öffnet er die Erinnerung an die Geschichte für die Orientierung in der Gegenwart. Nicht nur auf die Gleichnisse und die Heilungen zu schauen, auf die befreiende Lehre, sondern die Hingabe des Lebens Jesu anzunehmen und seine Auferstehung zu bekennen, ist nachösterlich nicht leichter als vorösterlich und heute nicht leichter als damals. Jesus arbeitet die Glaubensfrage heraus, weil es ihm darum zu tun ist, seine menschliche Lebens- und Leidensgeschichte als Gottesgeschichte mitten unter den Menschen zu erkennen. Der Widerspruch darf nicht verdrängt werden; sonst wäre der Glaube nicht Glaube. 3.2. Produktiver Widerspruch

Ähnlich produktiv wie das Unverständnis der Jünger ist der Widerspruch der Schriftgelehrten und der Pharisäer, der Herodianer und der Sadduzäer, von dem Markus immer wieder erzählt. Dass die Debatten freilich auch eine Form 35 Vgl. D.E. Aune, „The Spirit is Willing, But the Flesh is Weak“ (Mark 14:38b and Matthew 26:41b), in: ders./R.M. Grant (Hg.), Reading Religions in the Ancient World. FS R. McQueen, NT.S 125, Leiden/Boston 2007, 125–139. 36 Vgl. H.-G. Gradl, Glaube in Seenot (Die Stillung des Sturms) Mk 4,35–41, in: R. Zimmermann in Verbindung mit D. Dormeyer/J. Hartenstein/C. Münch/E.E. Popkes/U.Poplutz (Hg.), Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen I. Die Wunder Jesu, Gütersloh 2013, 257–265.

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der Anerkennung und dass die Gespräche nicht aussichtslos sind, macht Markus – als einziger Evangelist in dieser Klarheit – daran fest, dass am empfindlichsten Punkt, dem Grundverständnis des Gesetzes, eine tiefe Übereinstimmung zwischen Jesus und seinem verständigen Schriftgelehrten entsteht: im Doppelgebot der Gottes- und der Nächstenliebe (Mk 12,28–34).37 „Du bist nicht weit vom Reich Gottes“, bescheinigt Jesus ihm, der nicht sogleich in die Nachfolge eintritt, aber doch erkennen lässt, wie tief die jüdischchristlichen Gemeinsamkeiten wurzeln, ohne die der Streit sich nicht lohnte. Jesus löst durch die Zeiten hindurch immer den Streit um die Wahrheit aus und nötigt immer dazu, Rechenschaft über den Grund der Hoffnung abzugeben (1Petr 3,15). Freilich erzählt Markus auch, welch bittere Folgen der Widerspruch für Jesus hat, wenn er nicht nur intellektuell, sondern politisch ausgetragen wird, mit Berufung auf Gottes Vorrecht und in Kooperation mit den Römern, die in Jerusalem das Sagen hatten. Markus vergegenwärtigt Jesu Konflikte in der Form einer Erzählung, die zum Evangelium wird. Der entscheidende Punkt besteht darin, dass Jesus, wie Markus ihn zeichnet, nicht nur gesprächs-, sondern auch leidensfähig ist. Er zeigt sein Gesicht, er hält seinen Kopf hin, er setzt sein Leben ein. So werden im Zuge der Erzählung Wirken und Leiden eins – nicht weil Jesus seinen Tod gesucht hätte, sondern weil er die Konsequenzen aus seiner Botschaft gezogen hat, für deren Wahrheit nur er selbst eintreten kann. Markus treibt Christologie im Angesicht des Kreuzestodes Jesu. Die Auferstehung macht Golgotha nicht ungeschehen (vgl. Mk 16,7), sondern zeigt, wie untrennbar nicht nur das Leben, sondern auch das Sterben Jesu mit Gott und seinem Reich verbunden ist. Markus müht sich nicht, besonders viele der christologischen Formeln, die von der Heilsbedeutung des Todes handeln, im Munde Jesu unterzubringen. Die Verflechtungen mit der urchristlichen Bekenntnissprache sind zwar unübersehbar und gewollt. Aber der Ansatz ist ein erzählerischer und geschichtlicher : Jesus ist gekreuzigt worden. Wie schwer das zu verstehen ist, machen gerade seine Jünger deutlich. Ohne den Tod bliebe aber Jesu Sendung unvollendet, weil er sich selbst hingibt, um die Menschen zu befreien, die in der Sklaverei der Sünde und des Todes leben (Mk 10,45).38 Gottes Verheißung macht sich Jesus beim Letzen Abendmahl, den Tod vor Augen, zu eigen: „Amen, ich sage euch, ich werde nicht mehr vom Gewächs des Weinstocks trinken, bis ich neu trinken werde im Reich Gottes“ (Mk 14,25). Wie Matthäus in seiner Parallele verdeutlicht hat (Mt 26,29), erhofft Jesus nicht nur für sich, sondern auch für seine Jünger und für alle, die Gott retten will, eine Zukunft jenseits des Todes. 37 Vgl. K. Kertelge, Das Doppelgebot der Liebe im Markusevangelium, in: TrThZ 103, 1994, 33–55. 38 Vgl. K. Backhaus, „Lösepreis für viele“ (Mk 10,45). Zur Heilsbedeutung des Todes Jesu bei Markus, in: T. Söding (Hg.), Der Evangelist als Theologe. Studien zum Markusevangelium, SBS 163, Stuttgart 1995, 91–118.

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4. Schluss Das Markusevangelium erzählt von Jesus, um dem Glauben an das Evangelium (Mk 1,15) Grund und Anstoß zu geben. Glauben soll man nur das, was man nur glauben kann. Im Markusevangelium wird unter christologischem Vorzeichen der entscheidende Punkt markiert, an dem sich entscheidet, ob die Jesusgeschichte wirklich die Gute Nachricht schlechthin ist, die alle bad news toppt: das Menschsein Jesu als Ort der Gottesgegenwart, die alle Vergangenheit und Zukunft erschließt. Das Evangelium hält im Rückblick fest, was passiert ist – und zeigt, durch den Filter und Verstärker der Tradition, dass wirklich etwas passiert ist, nicht nur durch, sondern auch mit Jesus. Er ist in Versuchung geführt worden (Mk 1,12 f) – und hat sie bestanden. Er hat Jünger in seine Nachfolge gerufen – und sich ihrer Schwäche angenommen. Er hat mit seinen Gegnern diskutiert – und sich der Kritik gestellt. Er hat das Volk für sich und seine Botschaft gewinnen wollen, aber er zwingt niemanden zum eigenen Glück und muss alles hinnehmen, was er auslöst: falschen Beifall und harsche Vorwürfe, halbes Verstehen und überraschenden Glauben. Täte er es nicht, würde Gott nicht den menschlichen Weg der Erlösung gehen. Die Opfer würden verstummen, weil niemand auf sie hört und ihnen eine Stimme gibt, wenn sie selbst nicht reden können; die Täter müssten ihre traurigen Triumphe feiern, ohne durch einen zur Umkehr geführt zu werden, der sich voll und ganz ihrer Sünde aussetzt. Das Evangelium ist kein Bildungsroman, aber auch kein Katechismus in Anekdoten. Es ist eine Jesusgeschichte, die nicht so hätte erzählt werden können, wenn Jesus nicht Gottes Sohn für Gottes Reich gewesen wäre, Mensch unter Menschen, Jude mitten in Israel, Mann ohne Reserve gegenüber Frauen. Durch seine menschliche Gottesgeschichte hat er Glaubensgeschichten ausgelöst, die bis heute nicht enden.

Manfred Lang

„… bis ans Ende der Welt“ (Apg 1,8) Beobachtungen zur Disposition der Apostelgeschichte

Wenn man sich über die Frage informieren möchte, in wieviele Teile die Apostelgeschichte zu gliedern sei,1 stößt man auf verschiedene Vorschläge, die in der Standardliteratur vorgebracht werden: • Die Apostelgeschichte zerfällt in zwei Teile, Kap. 1,1–11,18; 11,19–28,31.2 Neben dieser Möglichkeit wird aber auch erwogen, das Apostelkonzil als Wendemarke in 15,33 anzusehen.3 Die Urzeit der Kirche sei nun zugunsten der Zeit der Apostelschüler abgelöst worden. Mit dieser Passage sei zudem die „Mitte des Buches“4 getroffen, was wiederum die gewählte Gliederung sehr wahrscheinlich mache, da auch das LkEv eine ähnliche Länge biete. • Eine weitere Möglichkeit rechnet mit einer 3-Gliederung der Apostelgeschichte.5 Ausgangspunkt für diese Variante ist die Thema-Angabe in 1,8, die im ersten und dritten Teil mit Petrus und Paulus jeweils Personen als Haupt-Akteure nennt und im Mittelteil die geographische Gliederung ,Judäa‘ bzw. ,Samaria‘ als Zentrum bietet. Daneben wird 6,1–15,35 als eine „weitgefaßte Übergangsepoche“6 verstanden. Neben diese Einteilung tritt der Gedanke, wonach mit den Abschnitten 6,1–6 bzw. 15,36–41 jeweils eine

1 Weitere Fragen, die diesen Bereich berühren (Verfasserschaft, Ort und Zeit der Entstehung), werden in den üblichen Paragraphen der Einleitungen zum NT verhandelt; dazu: U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 82013, 334 f (311–320: LkEv), sowie ferner P. Pokorny´/U. Heckel, Einleitung in das Neue Testament. Seine Literatur und Theologie im Überblick, UTB 2798, Tübingen 2007, 530–534. Besonders umfangreich dazu auch C.S. Keener, Acts. An Exegetical Commentary Vol. 1: Introduction and 1:1–2:47, Grand Rapids 2012, 383–434 (auch wenn ich nicht alle dort geäußerten Rekonstruktionen teile). 2 G. Schille, Die Apostelgeschichte des Lukas, ThHK 5, Berlin 31989, VIIIf. 3 So: E. Plümacher, Art. Apostelgeschichte, in: TRE 3, 1978, 483–528, 486. Auch wenn Eckey immerhin 12 Abschnitte vermutet (s. u. Anm. 9), so ist für ihn klar, dass „Lukas das sog. ,Apostelkonzil‘ (15,1–35) in die Mitte des Buches gestellt hat.“ (W. Eckey, Die Apostelgeschichte. Der Weg des Evangeliums von Jerusalem nach Rom I, Neukirchen-Vluyn 2000, 3). Ähnlich J. Jervell, Die Apostelgeschichte, KEK 3, Göttingen 1998, 403: „Im Zentrum der Apg steht der Bericht von der Zusammenkunft in Jerusalem“. 4 Plümacher, Apostelgeschichte, 486. 5 So beispielsweise G. Schneider, Die Apostelgeschichte I.II, HThK V/1, Freiburg u. a. 1980, 66; auch J. Zmijewski, Die Apostelgeschichte, RNT 5, Regensburg 1994, 5–10. 6 Schneider, Apostelgeschichte 1, 66.

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,Konflikt-Geschichte‘ erzählt wird, die programmatische Problemlagen aufnimmt und im jeweils folgenden Abschnitt konstitutiv verhandelt.7 • Neben dieser dreigliedrigen Disposition wird die Apostelgeschichte durch einen Rückgriff auf die Summarien8 in bis zu fünf Teile gegliedert;9 es wird demnach ebenfalls auf erkennbare Signale der Apostelgeschichte selbst zurückgegriffen, um sie näherhin zu gliedern. Jeder der so dann ermittelten Abschnitte sei mit einem solchen Summarium abgeschlossen worden.10 Einer solchen fünfgliedrigen Disposition folgt auch wer derartige metasprachlichen Signale nicht heranzieht, sondern ausschließlich geographisch anmutende Aspekte ins Feld führt, wie dies etwa Werner Georg Kümmel in seiner Einleitung getan hat.11 Die schon anhand dieser wenigen stark differierenden Position erkennbare Dispartheit ist nicht zuletzt bei Schneider12 viel von Zurückhaltung zu spüren. 7 Für eine Drei-Teilung votiert auch A. Weiser, Die Apostelgeschichte, Leipzig 1989 (= ÖTBK 5, Gütersloh/Würzburg 1981.1985), 22 f: Einleitung (1,1–26); erster Hauptteil (2,1–8,3); zweiter Hauptteil (8,4–15,35); dritter Hauptteil (15,36–28,31). Auch Weiser stützt sich hierbei auf Apg 1,8 sowie aus der „Zuordnung des Stoffes zu bestimmten geographischen Gebieten, zu Trägern und Adressaten des Zeugnisses und zu entsprechenden Themen- und Problemfeldern“ (23). 8 Apg 6,7; 9,31; 12,24; 16,5; 19,20; 28,30 f. 9 Eine Vier-Gliederung favorisiert D. Marguerat, Lukas, der erste christliche Historiker. Eine Studie zur Apostelgeschichte, Aus dem Französischen übers. von E. Mainberger-Ruh, AThANT 92, Zürich 2011, 161: 1–7 („Goldenes Zeitalter der Jerusalemer Gemeinde“); 8–12 („Petruszyklus“); 13–20 („paulinische Mission“); 21–28 („Martyrium des Paulus“). Ähnlich auch L.T. Johnson, The Acts of the Apostles, Sacra Pagina 5, Collegeville (MN) 1992, v–vii (1,1–8,3; 8,4–15,35; 15,36–22,29; 22,30–28,31), sowie Jervell, Apostelgeschichte, 53–55 (1,1–8,40; 9,1–15,35; 15,36–21,26; 21,27–28,31). Als eine gewisse Ausnahme kann vielleicht Eckey, Apostelgeschichte, 3 f, gelten, der 12 Teile vermutet. Immerhin in sieben Abschnitte gliedert J.A. Fitzmyer, The Acts of the Apostles. A New Translation with Introduction and Commentary, AncB 31, New York u. a. 1998, 120–123, die Apostelgeschichte (1,1–26; 2,1–8,4; 8,5–40; 9,1–14,28; 15,1–35; 15,36–22,21; 22,22–28,31). 10 So bereits aus dem vorletzten Jahrhundert: C.H. Turner, Chronology of the New Testament, Dictionary of the Bible I, ed. J. Hastings, New York 1898, 403–425, 421; er nennt diese ,Abschlusswendungen‘ „rubrics of progress“ (424). B.W. Bacon, The Chronological Scheme of Acts, in: HThR 14, 1921, 137–166, 140, gewinnt eine chronologische Disposition eines 5-Jahreszyklus’ zwischen den folgenden Sequenzen von Apg 6,7; 9,31; 12,24; 16,5; 19,20; 28,31 (2Kor 12,2 erklärt sich seines Erachtens dadurch recht unkompliziert; dort 147 f). 11 Er unterscheidet: Prolog (1,1–14); erster Hauptteil (1,15–8,3: Ausbreitung des Evangeliums in Jerusalem); zweiter Hauptteil (8,4–11,18: Ausbreitung des Evangeliums in Samarien und den Küstengebieten); dritter Hauptteil (11,19–15,35: Ausbreitung des Evangeliums bis Antiochien und von Antiochien aus); vierter Hauptteil (15,36–19,20: Ausbreitung des Evangeliums in den Ländern um das Ägäische Meer); fünfter Hauptteil (19,21–28,31: Die Ausbreitung des Evangeliums von Jerusalem nach Rom); W.G. Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, Berlin 1989 (= Heidelberg 211983), 123 f. 12 Schneider, Apostelgeschichte 1, 66, spricht von „Skepsis“ (68), die von den Kommentatoren solchen Gliederungsvorschlägen entgegengebracht worden sei. Ähnlich auch Eckey, Apostelgeschichte, 3: „Lukas gibt dem Leser keine Richtschnur zur Einteilung seines Werkes.“ Eine solche „leicht überschaubare Einteilung“ widerspreche auch „dem Charakter einer flüssigen Geschichtserzählung, die mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten und in wechselndem Erzählrhythmus verschieden lange Zeiträume durchläuft“ (ebd.).

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Udo Schnelle will diesem Dilemma dadurch entgehen, indem er zwischen der Analyse von Apg 1,8 und der Gliederung der Apostelgeschichte differenziert: Legt er Letzteres für die Programmatik der Apostelgeschichte zugrunde, dann ermittelt er folgende Sinnabschnitte: 1,15–8,3; 8,4–11,18; 11,19–15,35; 15,36–19,20; 19,21–21,17; 21,18–26,32; 27,1–28,31.13 Gleichwohl steht er in der kritischen Perspektive etwa von Gerhard Schneider, denn „ein durchgehendes exaktes Gliederungsprinzip ist nicht erkennbar“14. Diese kritische Sicht scheint sich auch in den neueren Kommentaren zu spiegeln, wenn auf eine solche Disposition verzichtet wird. Wer so verfährt, verweist aber darauf, dass es beispielsweise nicht um die Ausbreitung der Kirche gehe, sondern um die Ausbreitung des kºcor.15 Im Anschluss daran werden bisweilen nur die letzten beiden Abschnitte (19,21–21,17; 21,18–28,31 zu einem einzigen Abschnitt zusammengefasst.16 Wählt man diese Disposition, dann liegt es nahe, dieser ,Wort-Gliederung‘ auch in einem „expositional outline“17 zu folgen. Die Stationen des ,Weges des Wortes‘ sind dann streng geographisch gefasst und verweisen auf ein acht-gliedriges „outline“.18 Im Folgenden möchte ich nun einen Gliederungsvorschlag unterbreiten. Ich differenziere dabei nicht zwischen ,Gliederung‘ und der ,Analyse‘ von Apg 1,8, sondern wähle diesen zweifellos als programmatisch zu bezeichnenden Vers zur Charakterisierung. Dabei ist dieser Vers für meine Argumentation gleich in zweifacher Hinsicht bedeutsam: einmal in der Weise, dass er ein ,Stationsverzeichnis‘19 nennt, das den Zeugendienst der Apostel näherhin veranschaulicht. Sodann in der Weise, dass er eine ,theologische‘ wie ,lite-

13 Schnelle, Einleitung, 336 f. 14 Schnelle, Einleitung, 337. 15 So: Marguerat, Lukas, 71–73. In gewisser Weise jetzt C.R. Holladay, Acts. A Commentary, The New Testament Library, Louisville 2016, ix–xiii, der allerdings den letzten Abschnitt 21,1–26,32 nicht mehr zu dieser von 8,4 beginnenden Passage (8,4–12,25; 13,1–14,28; 15,36–20,38) über die ,Ausbreitung des Wortes‘ stellt. Diese ,geographische Gliederung‘ unter dem Gesichtspunkt der ,Ausbreitung des Wortes‘ führt Holladay dann zu der These, wonach 15,1–35 als vierter Abschnitt in der Mitte der Apostelgeschichtsdisposition einen separaten Abschnitt erhält, der auch die genannte Überschrift der ,Ausbreitung‘ nicht erhält. Somit fallen Anfang (1,1–8,3), Mitte und Schluss (21,1–26,32; 27,1–28,32) aus diesem Schema der ,Ausbreitung‘ raus. 16 So etwa bei D.G. Peterson, Acts of the Apostles, The Pillar New Testament Commentary, Grand Rapids 2009, 34. Der Anfang ist bei ihm allerdings noch in drei Blöcke untergliedert, so dass sich eine 4-gliedrige Disposition ergibt (1,1–6,7; 6,8–12,24; 12,25–19,20). 17 Peterson, Acts, 35. 18 Peterson, Acts, 35 f. Zu dieser sich dann ergebenden sechs-gliedrigen Disposition F.F. Bruce, The Book of the Acts, NIC.NT, Grand Rapids 1988, VII–XIV. 19 Das darf nicht dahingehend missverstanden werden, als wollte ich meinen, hier läge ein Itinerar oder dergleichen zugrunde; dazu M. Lang, Quellen in der Apostelgeschichte, in: J.S. Kloppenborg/J. Verheyden (Hg.), Luke’s Literary Relationships, Biblical Tools and Studies 29, Leuven 2017, 3–26. Die geradezu klassische Position zuletzt bei V. H. Schell, Die Areopagrede des Paulus und die Reden bei Josephus, WUNT II/419, Tübingen 2016, 13–16 (15: er differenziert hier zwischen Quelle und Tradition, die schriftlich oder mündlich vorgelegen haben sollen).

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rarhistorische‘ Dimension eröffnet. Entscheidender Hinweis ist hier die Verwendung des AT.

1. Die ,Quelle AT‘ als Gliederung Es ist in der Forschung immer wieder betont worden, dass Apg 1,8 programmatischen Charakter hat, weil der Weg von ,Jerusalem‘ bis ans ,Ende der Welt‘ beschrieben werde. Der hier nicht genannte Ort dürfte wohl unstrittig ,Rom‘ sein, denn die Apg endet dort und formuliert somit das erreichte Ziel. Es ist in inhaltlicher Sicht noch darauf zu verweisen, dass derjenige „Zug bis ans Ende der Welt“ (1r t± 5swata c/r; Hdt 3,25,1), den einst Kambyses II. ohne längeres Nachdenken antrat20, jenes ,Nachsinnen‘ nicht anzeigt, weil sich ,testamentarische Worte‘ einem solchen Nachdenken entziehen.21 Gleichwohl, Rom selbst ist für die ntl. Zeit natürlich nicht als „Ende der Welt“ verstanden,22 20 „Als die Kundschafter das alles gesehen hatten, kehrten sie nach Ägypten zurück. Auf ihren Bericht hin wurde Kambyses zornig und zog gegen die Aithiopier in den Krieg, ohne irgend etwas für den Unterhalt des Heeres anzuordnen und ohne zu bedenken, daß der Zug bis ans Ende der Welt gehe (fti 1r t± 5swata c/r 5lekke stqate¼eshai).“ Übers. Herodot, Historien I, hg. von J. Feix, Tusculum Bücher, Düsseldorf 72006, 383. 21 Vgl. Dio Chrys 13,9; Strab 3,2,13; in römischer Zeit gilt bisweilen Britannien als entlegener Ort, der vergleichsweise beschrieben werden kann: Horat Carm 1,35,29–32; sollte deshalb Lukas noch weitere Pläne für die paulinische Mission im Blick haben als nur die spanische, wie sie in Röm 15,23–25.28 angedeutet ist? Ferner : Cic Nat Deor 1,42,119; Curtius 4,9,5; Gellius 9,4. Für Spanien als Ende der Welt im Sinne von Ende Europas: Strab 1,1,5.8; 3,2; Sen Nat Quaest 1 praef. 13; Sil It 1,270 (extremis […] terris); 15.638; Plin Ep 2,3,8; Graec Anth 4,3,84 f; vgl. ,Spanien als „ganz am Rande Europas“ (t_m d³ 1sw²tym t/r Eqq¾pgr Yb¶qym) in Arr Alex 2,16,6; in Anlehnung daran lässt sich die Frage debattieren, inwieweit Paulus in Spanien war und dort missionierte; dazu: C. Karakolis, Paul’s Mission to Hispania. Some Critical Observations, in: A. Puig i T/rrech/J.M.G. Barclay/J. Frey, with Assistance of O. McFarland (Hg.), The Last Years of Paul. Essays from the Tarragona Conference, June 2013, WUNT 352, Tübingen 2015, 507–519, votiert vorsichtig für eine solche Möglichkeit des Besuchs von Paulus in Spanien, nicht jedoch für einen längeren Aufenthalt oder gar Aktivität in Spanien zwecks Missionierung, während A. Puig i T/rrech, Paul’s Missionary Activity during His Roman Trial. The Case of Paul’s Journey to Hispania, in: ders./ Barclay/Frey (Hg.), The Last Years of Paul, 469–506, umfangreichere Aktivitäten in Spanien vermutet. R. Riesner, Die Frühzeit des Apostels Paulus. Studien zur Chronologie, Missionsstrategie und Theologie, WUNT 71, Tübingen 1994, 272 (insgesamt dort 271 f und 216–225 [die Spanienmission als Erfüllung von Jes 49,6; 66,18–21]), verweist noch auf Lucan 3,454; Juv Sat 10,1–2; Strab 2,5,9; Sil It 17,637. Zu weiteren Argumenten Riesners hinsichtlich der Spanienmission des Paulus s. R. Riesner, Paul’s Trial and End according to Second Timothy, 1 Clement, the Canon Muratori, and the Apocryphal Acts, in: Puig i T/rrech/Barclay/ Frey (Hg.), The Last Years of Paul, 391–409, und die Kritik durch J. Herzer, The Mission and the End of Paul Between Strategy and Reality. A Response to Rainer Riesner, in: Puig i T/rrech/ Barclay/Frey (Hg.), The Last Years of Paul, 411–431. Einige Texte auch bei P.W. van der Horst, Hellenistic Parallels to the Acts of the Apostles: 1,1–26, in: P.W. van der Horst/G. Mussies (Hg.), Studies on the Hellenistic Background of the New Testament, Utrechtse Theologische Reeks 10, Utrecht 1990, 121–130, 124, vor allem aber Keener, Acts, 702–708. 22 Wichtig ist zu notieren, dass die Verknüpfung einer kulturhistorisch bedeutsamen Stadt mit den

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vielmehr zeigt die antike Topographie, dass der die Welt umgebende Ozean die Begrenzung darstellt (Plin Nat Hist 2,67,170; Jos Ant 1,38). Das „Ende der Welt“ wurde geographisch im Norden in Norwegen, nordöstlich des Kaspischen Meeres und im Süden vielleicht in Gestalt der Umsegelung der Südspitze Afrikas (Plin Nat Hist 2,67,169)23 und im Osten durch Indien begrenzt (Sen Med 484) gesehen. Folgt man hingegen der genannten Spur, wonach nicht nur geographische, sondern auch ethnische Dimensionen angesprochen sind,24 dann wird durch diese Dimension erkennbar, wie ,grenzenlos‘ die Verkündigung der Frohbotschaft von Lukas gedacht ist.25 Gleichzeitig ist diese ,Geschichte‘ begleitet vom führenden und begleitenden Handeln des Hl. Geistes, der an wichtigen Stationen tätig wird und ,Wege‘ eröffnet: Die Zusammenschau von 2,17–21; 15,16 f; 28,26 f eröffnet in der Verwendung der AT-Prätexte eine ,Demokratisierung des Israel-Gedankens‘.26 Sie geschieht zunächst in

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Attributen ,Ende‘ oder ,Mittelpunkt‘ nicht außergewöhnlich ist: Athen ist als ,Mittelpunkt der Erde‘ gedacht und empfunden worden; dazu unten Anm. 32. Vielleicht ist auch daran gedacht, dass in Anlehnung an Apg 8,27 Nubien selbst als Ende der Welt vorgestellt ist; Strab 1,1,6. Das könnte dann zu dem Gedanken verführen, dass das programmatisch formulierte Ziel in Apg 8,27 erreicht wäre. Ich denke aber, dass die hier formulierte offene Vorstellung mit dem offenen Ende der Apg insgesamt korrespondiert und sich deshalb eine solche Deutung nicht nahelegt. Das semantische Feld lässt sich durch ein ,poetisches Verständnis‘, wie es bei Ovid Tristia 4,9,9 erkennbar wird, charakterisieren: Ovid versteht sein Exil als am „Ende der Welt“. Dass für ihn die lebenslange Verbannung (Trist 1,5,83; 2,145) nach Tomis am Schwarzen Meer, dem heutigen Constanza in der Dobrudscha, weit weg von Rom und seinen gesellschaftlichen Möglichkeiten, zum „geistigen Ende der Welt“ geworden ist, lässt sich leicht nachvollziehen. Zuletzt hat A. Weiß, Paulus und die coloniae. Warum der Apostel nicht der einzige römische Bürger unter den frühen Christen war, in: A.D. Baum/D. Häußer/E.L. Rehfeld (Hg.), Der jüdische Messias Jesus und sein jüdischer Apostel Paulus, WUNT II/425, Tübingen 2016, 341–356, 345, im Gefolge von Pilhofer darauf verwiesen, es sei eine bewusste paulinische Strategie, anhand wichtiger coloniae seine Missionspläne über Rom hinaus bis nach Spanien als „das westliche Ende der Welt, als Ziel seiner Missionstätigkeit“ (345) voranzutreiben. Für seinen weiteren argumentativen Zusammenhang sind derartige strategische Verweise allerdings eher nebensächlich, weil die Sozialstruktur der jeweiligen colonia Aufschluss darüber geben könne, ob Paulus ein civis Romanus gewesen sei. Es ist mir völlig klar, dass diese Themenstellung tiefergehende Analysen erfordert, was hier allerdings nicht geschehen kann. Hinweise – inklusive aus der etwas älteren Forschung – müssen genügen: G. Lohfink, Die Sammlung Israels. Eine Untersuchung zur lukanischen Ekklesiologie, StANT 39, München 1975; G. Schille, Die Jesusbewegung und die Entstehung der Kirche, in: ThLZ 119, 1994, 99–112; G. Wasserberg, Aus Israels Mitte – Heil für die Welt. Eine narrativexegetische Studie zur Theologie des Lukas, BZNW 92, Berlin/New York 1998; R. Neuberth, Demokratie im Volk Gottes? Untersuchungen zur Apostelgeschichte, SBB 46, Stuttgart 2001; R. Bauckham, The Restoration of Israel in Luke-Acts, in: J.M. Scott (Hg.), Restoration. Old Testament, Jewish and Christian Perspectives, JSJ.S 72, Leiden u. a. 2001, 439–448; B. Roberts Gaventa, Theology and Ecclesiology in the Miletus Speech. Reflections on Content and Context, in: NTS 50, 2004, 36–52; S. Butticaz, ,Has God Rejected His People?‘ (Romans 11.1). The Salvation of Israel in Acts. Narrative Claim of a Pauline Legacy, in: D.P. Moessner/D. Marguerat/ M.C. Parsons/M. Wolter (Hg.), Paul and the Heritage of Israel. Paul’s Claim upon Israel’s Legacy in Luke and Acts in the Light of the Pauline Letters II, The Library of New Testament Studies 452, London/New York 2012, 148–164, bes. 158–164; J. Schröter, Paul the Founder of the Church.

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2,17–21 (dazu Joel 3,1ff) durch die Geistgabe an alle, die sich zur selben Zeit am selben Ort in Jerusalem befinden – so wie es zuvor gesagt worden war (vgl. 1,4). Sodann wird dieser ,Weg ans Ende der Welt‘ dadurch aktuell beschrieben und heilsgeschichtlich begründet, dass in Apg 15,16 f (Am 9,11) ein ,neues Israel‘ erstehen soll. Wichtig an dieser Passage ist, dass ab Apg 15 kein einziges Mal mehr das AT als Prätext zitiert wird;27 in 28,26 f wird letztmalig darauf (Jes 6,9 f) zurückgegriffen, um das Weggehen (!pek¼omto; 28,25) der Youda?oi theologisch zu begründen. Damit ergeben sich für die Gliederung der Apostelgeschichte folgende Einsichten: • Das AT als Prätext gliedert die Apostelgeschichte in drei Teile, wobei in Kap. 15 die relative Mitte des Bandes wie auch die theologische Wendemarke dergestalt erreicht ist, weil der ,Beschluss‘ gefasst wird, die Heidenmission programmatisch fortzuführen. Mit dieser Funktion des AT als Gliederungsmerkmal steht Lukas im übrigen auch keineswegs alleine da; sein ,Zeitgenosse‘, Johannes, greift auf diese Möglichkeit ebenfalls zurück, wenn auch in charakteristischem Eigensinn.28 • Diese AT-Verwendung nimmt Apg 1,8 sachlich auf und formuliert einen theologischen Gedanken: der hier beschriebene ,Weg des Lebens‘29 ist markiert als ein Weg vom Judentum hin zu den Heiden. Mit diesen Bemerkungen anhand des Textbefundes und dessen Interpretation können weitergehende Analysen folgen, die diesen Befund differenzieren und ausbauen.

2. Die elliptische Kronkonstellation Gilt nun diese ,Achse‘ 1,8 mit 15,1–41 mit der gliedernden Verwendung des AT als wahrscheinlich und plausibel, dann leidet diese Analyse darunter, dass die Reflections on the Reception of Paul in the Acts of the Apostles and the Pastoral Epistles, in: Moessner/Marguerat/Parsons/Wolter (Hg.), Paul and the Heritage of Israel, 195–219. Hervorzuheben ist allerdings Marguerat, Historiker, 209–239, weil er in besonderer Weise der Frage nach dem (narrativen) Ort im lk Doppelwerk nachgeht. 27 D. h. andererseits, dass 75 % der AT-Referenzen auf die Kapitel 1–15 (genauer : 1–8) fallen! Dazu umfangreicher Lang, Quellen, 19–22, sowie R.B. Hays, The Paulinism of Acts. Intertextually Reconsidered, in: Moessner/Marguerat/Parsons/Wolter (Hg.), Paul and the Heritage of Israel, 35–48, bes. 38–48 (und dort weitere Literatur – Hays will die AT-Verwendung in der Apg mit derjenigen in den Paulusbriefen vergleichen; ein solcher Vergleich ist in meiner Studie nicht intendiert). 28 Dazu M. Lang, Johannes und die Synoptiker. Eine redaktionsgeschichtliche Analyse von Joh 18–20 vor dem markinischen und lukanischen Hintergrund, FRLANT 182, Göttingen 1999, 322–328. Die eingangs genannten Positionen haben sicherlich im Verweis auf diesen Abschnitt ihr relatives Recht. Es ist ,relativ‘, weil ergänzende, präzisierende Anmerkungen nötig sind. 29 Vgl. dazu Apg 2,28!

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Wendemarke gleichsam mit einer einzigen Perikope markiert ist.30 Es wird hierbei nämlich nicht ersichtlich, wie die nun folgende Heidenmission des Paulus motiviert, vorbereitet und begründet wird: Die bloße Nennung der Öffnung im 15,1–41 ist noch nicht eine Konkretion dieses Umstands. Die weitergehende Argumentation wird daher auf zwei Aspekte in besonderer Weise achten und die jeweils vorbereitenden und weiterführenden Passagen in den Blick nehmen.

2.1. Apg 17,16–34 als zweiter Brennpunkt der elliptischen Kronkonstellation Wenn sich in 1,8 diese ,Weg-Theologie‘ derart andeutet, dass sie weder ausschließlich eine topographische Angabe noch eine ethnische Binnenperspektive auf das Judentum beschreibt,31 dann hat im Umfeld von Apg 15,1–41 im strengen Sinne nur 17,16–34 programmatische Funktion. Die Rede auf dem Areopag hat in vielfacher Hinsicht diesen Charakter : • In geographischer Hinsicht ist Athen resp. der Areopag das Herzstück des Hellenismus,32 auf dem die folgende Rede gehalten wird. Aus 1,8 folgernd mag zunächst nicht davon die Rede sein, dass der Zeugendienst in ,Athen‘ ausgeführt werden soll. Mag zunächst ,Athen‘ also eher ,Mittelpunkt‘ denn ,Ende‘ sein, so hat die Vorherrschaft längst Rom beansprucht, denn von seinem alten Glanz ist nicht nur Athen, sondern Griechenland insgesamt weit entfernt.33 Neben diesem Gedanken, wonach sich Apg 1,8 am ,Ort des Hellenismus‘ bewährt, steht freilich, dass die Ereignisse auf europäischem Boden stattfinden. Sie ergänzen im Rede-Charakter, was zuvor in den Philippi-Ereignissen (16,11–40) noch erzählt wurde. • In personeller Hinsicht sind hier Juden, Gottesfürchtige, aber auch Epikureer und Stoiker versammelt; Einzelpersonen am Ende der Rede konkre30 Das wird besonders anhand des jüngsten Kommentars von Holladay erkennbar, der sein Schema der ,Ausbreitung‘ in 15,1–35 durchbricht. Deutlicher wird dieser Fokus auf diese eine Perikope kaum zum Ausdruck zu bringen sein. Die Passage gilt ihm als „midpoint of Acts“ (Acts 294). 31 Das könnte derart begründet sein, dass die Wendung 6yr 1sw²tou t/r c/r auf die in Rom lebenden Juden zu beziehen sei, mithin also der Gedanke der ,Heidenmission‘ nicht angebracht sei. 32 Es sei beispielsweise auf Xenoph Poroi 1,6 verwiesen, wo davon die Rede ist, dass Athen „um den Mittelpunkt Griechenlands und sogar der ganzen Welt gelegen ist. Denn je weiter man von ihm entfernt ist, desto schlimmere Kälte oder Hitze trifft man (an); andererseits kommen alle, die von einem Ende Griechenlands zum anderen gelangen wollen, zu Schiff oder auf dem Landweg an Athen wie an dem Mittelpunkt eines Kreises vorbei.“ 33 Cicero kann bereits im 1.Jh. v. Chr. sagen, dass Athen nur noch von seinem vergangenen Ruhm lebe – zudem bewahrt von dessen Fremden, nicht aber durch die Bewohner Athens selbst (Cic De Orat 3,43). Ähnlich auch die Haltung von Liv 45,27,11 (dort auch § 5: berühmte griechiche Städte, „von denen man Größeres gehört hat, als man dort sehen kann“); Ovid Metam 15,424–430; Plin Ep 8,24,4 sowie Plut Mor 345c.348c–d.f; Strab 4,1,5.

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tisieren die Konsequenzen, die sich aus dem Hören dieser Rede ergeben. Die Verbindung von Kap. 15 mit Kap. 17 geschieht demnach durch die Personengruppe der Juden. Neu hinzu kommen solche, die als ,Heiden‘ bezeichnet werden können. • In sachlicher Hinsicht ist diese Rede von entscheidender Bedeutung, weil sie illustriert, wie Paulus jene Adressaten zu erreichen sucht, die ihm intellektuell das Gehör schenken und somit entsprechend disponiert sind. Die Forschung zu 17,16–34 hat diese sachlichen Dimensionen der Disposition umfangreich ausgearbeitet und vorgestellt.34 Der erkennbare argumentative Weg verläuft über die Schöpfungstheologie, die dann über die Leerstelle des 1n 2mºr35 zur kerygmatischen Ansprache wird: Im 1m !mdq¸ ist die Auferstehung von den Toten begründet. Dieser Gedanke, der aus einer breit formulierten Schöpfungstheologie heraus entwickelt wird, wird in unterschiedlicher Weise rezipiert: zustimmend, zurückhaltend, ablehnend. Die beiden Extrempositionen lassen sich leicht durch die beiden philosophischen Positionen ,Stoizismus‘ und ,Epikureismus‘ benennen.36 Ist für den Stoizismus die theologische Ausgestaltung der Schöpfungstheologie evident,37 dann ist eine solche für den Epikureismus geradezu belanglos und 34 Umfangreich zuletzt: Schell, Areopagrede, 68–131; ferner : C.K. Rothschild, Paul in Athens. The Popular Religious Context of Acts 17, WUNT 341, Tübingen 2014, bes. 50–80, will einen kultischen Transformationsprozess dergestalt annehmen, dass Paulus in Athen als Epimenides aufgenommen worden sei. Zuvor : H. Külling, Geoffenbartes Geheimnis. Eine Auslegung zu Apostelgeschichte 17,16–34, AThANT 79, Zürich 1997. Unter rezeptionsästhetischen Gesichtspunkten, die sich aus der Struktur des Textes ermitteln lassen M. Lang, Die Kunst des christlichen Lebens. Rezeptionsästhetische Studien zum lukanischen Paulusbild, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 29, Leipzig 2008, 252–313. 35 Dazu Lang, Kunst, 281 f. 36 Damit wird zugleich der Gedanke der antiken Bildung erkennbar; dazu R. Feldmeier, Before the Teachers of Israel and the Sages of Greece: Luke-Acts as a Precursor of the Conjunction of Biblical Faith and Hellenistic Education, in: I. Tanaseanu-Döbler/M. Döbler (Hg.), Religious Education in Pre-Modern Europe, Numen 140, Leiden/Boston 2012, 77–95, 93. 37 Dazu: M. Lang, „Der Tod geht uns nichts an“ (Epikur) – „die Seele ist der Ewigkeit würdig“ (Seneca), in: M. Labahn/M. Lang (Hg.), Lebendige Hoffnung – ewiger Tod?! Jenseitsvorstellungen in Hellenismus, Judentum und Christentum, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 24, Leipzig 2007, 341–358, 346–354 (lat. Stoizismus im Gewand von Seneca). Zu weiteren Texten aus dem griech. Umfeld beispielsweise: SVF 2,1022.1132 (die ganze Welt und der Himmel sind Substanz Gottes [= Sext Emp Adv Mat 9,332]); SVF 2,299.300 (teilweise FDS 744; die tätige Vernunft [kºcor] ist Gott [= Diog L 7,134]); SVF 2,311 (der Blick auf die statische Statue verrät den dynamischen Künstler, was wiederum generell für den Blick auf die Materie des Alls gilt [Sext Emp Adv Mat 9,75 f]); SVF 2,526 (die Welt als Gott und deshalb unvergänglich; die Weltordnung als Gott; Gott und Weltordnung zusammen als Gott [= Diog L 7,137 f]); SVF 2,1027 (Gott durchzieht die ganze Welt; [A[tios 1,7,33]); SVF 1,102 (Gott, Einsicht, Schicksal und Zeus sind ein einziges Wesen; [Diog L 7,135 f]); sowie zur konkreten Theologie SVF 2,1021 (teilweise FDS 651; Gott ist ein unsterbliches Wesen und übt eine sorgende Vorsehung für die Welt und für alles aus; [Diog L 7,147]); der Zeus-Hymnus des Kleanthes (SVF 1,537); SVF 2,1126 (teilweise FDS 303; Gott ist unsterblich und glückselig, aber auch menschenfreundlich, fürsorglich und helfend [Plut Mor 1075e]); SVF 2,937 (es kommt alles in der Übereinstimmung mit der Vernunft Gottes zustande; [Plut Mor 1050 b–d]).

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für die Leerstellen-Konzeption bedeutungslos.38 Gerade darin spiegeln sich Zustimmung und Ablehnung – zumindest in Argumentationsfiguren.

2.2. Apg 16,11–40: Philippi als geographischer Wendepunkt Die Berichte über die Ereignisse in der Stadt Philippi39 zählen neben denjenigen in Jerusalem und im pisidischen Antiochien40 zu den umfangreichsten in der Apostelgeschichte. Diese nach Philipp II., dem Vater von Alexander d. Gr., benannte Stadt (Diod Sic 16,8,6) hat in der ,literarischen Hinterlassenschaft‘ des Paulus einen besonderen Eindruck hinterlassen, weil sie Paulus ans Herz gewachsen ist. Die genannte Passage (16,11–40) hat für die Frage nach der Disposition der Apostelgeschichte verschieden bedeutsame Dimensionen, die zu profilieren sind: • Der geographische Aspekt tritt ebenfalls in Anlehnung an 1,8 in den Vordergrund, er ist vorbereitet in 16,9 f beschrieben: Es ist der erste Übertritt des Paulus von Kleinasien auf das europäische Festland.41 Dieser Übergang ist ,beglaubigt‘ durch eine Erscheinung (fqala),42 denn nun ist nicht wie in 13,2 von einer allgemeinen Aussonderung zum Dienst die Rede, sondern von einer konkreten Topographie: Der Weg nach Mysien ist zwar möglich, jedoch scheitert der Versuch,43 nach Bithynien zu reisen, um dort die gro38 Dazu: Lang, Tod, 344–346 (röm. Epikureismus im Gewand von Lukrez mit Quellenangaben; weiterhin bes. Cic Nat Deor). S. ferner aus dem griechichen Umfeld: Sext Emp Adv Mat 9,43–47 (der Gottesgedanke ist aufgrund von Traumvorstellungen entstanden bzw. aufgrund von Vorstellungen eines alten, glücklichen Menschen). 39 Zu ,Philippi-Forschungen‘ vgl. beispielsweise: J. Bartels, Städtische Eliten im römischen Makedonien. Untersuchungen zur Formierung und Struktur, BzA 242, Berlin/New York 2008 (sehr hilfreich, weil aufgezeigt wird, dass weder Reichtum, Geburt, Amt, Euergetismus noch Bildung je für sich ausreichen, um von ,gesellschaftlichem Ansehen‘ sprechen zu können, so dass nur von örtlichen Strukturen auszugehen ist: In Makedonien gab es nur Einzelpersonen, die durch ihr Tun dauerhaft Ansehen erwarben); L. Bormann, Philippi. Stadt und Christengemeinde zur Zeit des Paulus, NT.S 78, Leiden u. a. 1995; P. Pilhofer, Philippi I. Die erste christliche Gemeinde Europas, WUNT 87, Tübingen 1995; J. Frey/B. Schließer/V. Niederhofer (Hg.), Der Philipperbrief des Paulus in der hellenistisch-römischen Welt, WUNT 353, Tübingen 2015 (wichtiger Aufsatzband). Vor allem hat unlängst Weiß, Paulus, 351 f, darauf hingewiesen, dass Philippi als colonia das römische Bürgerrecht für Paulus wahrscheinlich macht. 40 Die Erzählung um den Hauptmann in Apg 10 ist ähnlich umfangreich. 41 C.S. Keener, Acts. An Exegetical Commentary Vol. 3: 15:1–23:35, Grand Rapids (MI) 2014, 2339, meint, dass die hier zu berücksichtigende Bewegung der Apostelgeschichte als eine „Alexander in reverse“ zu verstehen sei. 42 Dazu 9,10–12; 10,3.17–19; 11,5; 12,9; 18,9. Dazu J.S. Hanson, Dreams and Visions in the GraecoRoman World and Early Christianity, in: ANRW 23.2, 1980, 1395–1427, 1396–1421. 43 H. Gunkel, Der Heilige Geist bei Lukas. Theologisches Profil, Grund und Intention der lukanischen Pneumatologie, WUNT II/389, Tübingen 2015, 188, spricht hier von einem „regelrechte(n) ,Verwirrspiel‘ des Geistes mit den Missionaren“. – Solche ,Hinderungen‘ sind im Codex D auch noch in 17,15; 19,1; 20,3 genannt.

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ßen Städte Nicäa, Nikomedien, Chalcedon und Byzanz zu erreichen. Sie wenden sich Richtung Troas (Troja) und stehen am Ende des Weges vor dem Meer44 – um dann beherzt hinüber auf den bereiteten Weg in Europa hinüber zu wechseln.45 Das geschieht im übrigen nicht als ein ,einsamer Akt des Paulus‘, sondern als eine Gemeinschaftsaktion der ,Wir‘!46 • Daneben ist auf den ethnographischen Aspekt zu verweisen:47 Die Reisenden finden hier keine Gruppe der Juden vor, die sie um nähere Auskünfte etc. bitten könnten.48 Die entsprechende Kolonie zeugt davon, dass vorzugsweise Bewohner mit römischem Bürgerrecht dort wohnten.49 D. h., dass die sonst übliche Hinwendung des Paulus zuerst zu den Juden50 an diesem neuen Ort nicht stattfindet. • Weiterhin darf darauf verwiesen werden, dass sich in Philippi in besonderer Weise eine ,Frauen-Geschichte‘ ereignet: Die Purpurhändlerin namens Lydia zählt zu den vornehmen Damen der Stadt, sie dürfte wohl nicht der Arbeiterzunft angehört haben.51 Diese Perikope mit der Thematik ,Dame aus vornehmem Haus‘ kann mit denjenigen Passagen verglichen werden, die Ähnliches berichten: 13,16; 18,7 (vgl. 14,11; 17,12) sowie 24,24. 44 In gewisser Weise hat J. Roloff, Die Apostelgeschichte, NTD 5, Berlin 1988 (= Göttingen 1981), 240, hier den Zusammenhang richtig gedeutet, wenn er meint, „die Reise nach Kleinasien (erscheine; M.L.) nur als Vorspiel der von Gott angeordneten Wendung nach Griechenland“. Jedoch belastet er diese Beobachtung mit der quellenkritischen Analyse einer bearbeiteten Itinerar-Notiz seitens Lukas’ (239 f). 45 Das ist für Griechen belegt (Polyb 4,46,1). Keener, Acts 3, 2337, verweist darauf, dass mit Troja ein stärkerer Widerspruch zwischen Europa und Asien verbunden war, als das nun deutlich wird (dort bes. Anm. 375). 46 Erst in 20,6, wenn Paulus mit seiner Gesandtschaft wieder in Philippi sein wird, wird dieses ,Wir‘ wieder auftreten. Es ist angesichts dessen naheliegend, Lukas als einen !mµq Lajed¾m zu verstehen; dazu P. Pilhofer, Lukas als !mµq Lajed¾m. Zur Herkunft des Evangelisten aus Makedonien, in: ders. (Hg.), Die frühen Christen und ihre Welt. Greifswalder Aufsätze 1996–2001. Mit Beiträgen von J. Börstinghaus und E. Ebel, WUNT 145, Tübingen 2002, 106–112, 109–111. Hinsichtlich der sich vielfach daraus ergebenden Schlussfolgerung, dass es sich hierbei mit dem Beginn eines Reiseberichts handelt (so beispielsweise Gunkel, Geist, 187 Anm. 167), s. Lang, Quellen. 47 Johnson, Acts, 290, meint, Lukas habe dargestellt „having transcended ethnic limits“. 48 Von Jervell, Apostelgeschichte, 417, wird dieser geographische Übergang zu sehr minimiert, wenn er meint: „Dass die Mission jetzt nach Europa kommt, wird bei Lukas gar nicht besonders vermerkt, denn es geht ja ohnehin um das römische Imperium, und Kleinasien ist kaum weniger hellenistisch als Griechenland.“ Er übersieht, dass es bei der Perspektive dieses Ortswechsels nicht bleibt, sondern eben auch die ethnographische Perspektive hinzukommt. 49 Weiß, Paulus, 351, spricht unlängst davon, es seien dort 500–1000 Kolonisten angesiedelt worden; inklusive deren Familien würden dann ca. 5.000 Menschen mit römischem Bürgerrecht vor Ort wohnen. Diese Zahl sei allerdings deshalb stetig gewachsen, weil nicht zuletzt freigelassene Sklaven ebenfalls das römische Bürgerrecht besessen hätten. Die Bedeutung der Stadt Philippi als der Ersten auf europäischem Boden wird angesichts dieser soziologischen Rahmenbedingungen noch mehr unterstrichen! 50 Dazu: Apg 13,5.14; 14,1; 17,2.10.17; 18,4.19. 51 Dazu zuletzt F.G. Lang, Neues über Lydia? Zur Deutung von „Purpurhändlerin“ in Apg 16,14, in: ZNW 100, 2009, 29–44.

„… bis ans Ende der Welt“ (Apg 1,8)

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• Schließlich ist in 16,17 die wichtige ,Weg-Metapher‘ verwendet,52 die sich durch die komplette Darstellung seit 1,8 als roter Faden zieht:53 Der ,Weg des Heils‘ (bd¹r sytgq¸ar)54 wird von Paulus verkündet und erfährt in der Proklamation durch die Magd einen hörbaren Ausdruck, auch wenn sie als von einem unreinen Geist besessen charakterisiert wird.55 Im Hintergrund dieser ,Weg-Metapher‘ steht das Wirken des Geistes Gottes,56 der diese neue ,Wegstrecke‘ dringlich durch Traum angeregt und begleitet hat (16,9), so dass am Schluss klar wird, dass Gott selbst dazu berufen hatte, den Menschen in Philippi das Evangelium zu verkünden (16,10b). Dieser „neue() Aktionsraum“57 wird demnach durch vielfältige und verschiedene, sich aber ergänzende Aspekte vor Augen gestellt, die Apg 1,8 in ebenfalls vielfältigen und verschiedenen Perspektiven weiterführt. 2.3. Vorbereitende Passagen dieser elliptischen Kronkonstellation Es ist nach dem bisher zu 1,8 Gesagten wenig wahrscheinlich, dass sich besagte Komposition von Kap. 15–17 ausschließlich von dort her versteht. Vielmehr sind beispielsweise Kap. 10–12 wichtige Kapitel, die ihrerseits die genannte Passage vorbereiten.58 Da ist hinsichtlich Kap. 12 die Befreiungsgeschichte dessen zu notieren, der als wesentliche Säule und Apostel in der Urgemeinde fungiert: Petrus (12,1–19). Er hält sich nach den genannten Ereignissen in Caesarea maritima auf, kommt also dem Ausgangspunkt dessen, der bereits in 1,8 angedeutet worden ist, wieder recht nahe. In gewisser Weise schließt sich ein Kreis: Die Urgemeinde wächst, das Evangelium wird verkündigt (12,24). Petrus hatte an 52 Das war zuvor in 16,7 noch verwehrt worden: Die Küste Trojas schien das Ende des ,Weges‘ zu sein. 53 1,12; 2,28; 8,26.36.39; 9,2.17.27; 10,9; 13,10; 14,16; 16,17; 18,25.26; 19,9.23; 22,4; 24,14.22; 25,3; 26,13 sowie 27 f; dazu M. Lang, Via est vita. „Wege“ des Lebens im röm. Kontext und in der Apostelgeschichte, in: ders./J. Verheyden (Hg.), Goldene Anfänge und Aufbrüche. Johann Jakob Wettstein und die Apostelgeschichte, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 57, Leipzig 2016, 321–394, 363–388 (der ntl. Bezugsrahmen). 54 Wie soll bewertet werden, dass in dieser Philippi-Perikope das letzte Befreiungswunder erzählt wird (zuvor : 5,17–25; 12,3–12)? Hängt es damit zusammen, dass nunmehr das de? in den Blick rückt, das Paulus nach Rom führt/führen muss (20,25 mit 18,2; 19,21; 23,11)?! 55 Die Nähe zu den synoptischen Exorzismen Jesu ist nicht von ungefähr ; auch dort ,wissen‘ die Dämonen mehr als die Umstehenden (Mk 1,24–28 u. ö.). 56 Dazu: Gunkel, Geist (bes. 186–190); Marguerat, Lukas, 161–182 (allerdings kommt dort der oben in 16,6 f genannte Aspekt viel zu kurz: [162.181: faktisch nur aufgezählte Stellenangaben]). 57 Eckey, Apostelgeschichte, 351. Jedoch wird die Vielgestaltigkeit dieses Kontinent-Wechsels in seiner Analyse nicht deutlich genug. 58 Insoweit müsste auch die schematische Darstellung am Ende dieses Artikels entsprechend ergänzt und differenziert werden (etwa in der Weise, dass die Linie vor der Ellipse genauso ,ausgefranst‘ sein müsste wie diejenige nach der Ellipse). Ich habe bewusst darauf verzichtet, um die Übersichtlichkeit zu wahren.

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Manfred Lang

diesem Ereignis erheblichen Anteil. Folgt man dem Gedanken, wonach sich in jener Passage Elemente hellenistischer Theomachie nachweisen lassen,59 dann ist es den Gegnern nicht möglich, diese Gemeinde zu hindern. Gleichzeitig werden am Ende dieser Passage – wie bei Lukas auch etwa in Apg 7,58 – wichtige Personen eingeführt, die dann die weiteren Ereignisse bestimmen werden: Barnabas und Paulus. In personeller Hinsicht ist also in Kap. 12 ein Etappenziel erreicht,60 denn der in 1,8 anvisierte Weg nach Rom kann von Petrus nicht angetreten werden, er verlässt die Bühne der Apostelgeschichte recht leise und unmerklich.61 Mag Petrus auch das Verdienst zukommen, in seiner Begegnung mit dem Hauptmann Kornelius das Thema der ,Heidenmission‘ in Angriff genommen und jenen Erkenntnisprozess in Gang gesetzt zu haben (10,1–11,18),62 so ist doch die grundlegende Debatte darüber erst in Kap. 15 geführt und auch entschieden worden.63 Für beide Aspekte steht aber letztlich programmatisch nicht Petrus, sondern Paulus mit seinem Namen wie mit seinem Tun. Apg 13–14 sind in diesem Zusammenhang relevant: Der Heilige Geist64 erbittet die Aussonderung des Barnabas und des Paulus, damit sie als Werkzeug Gottes (vgl. 9,15) dienlich sein können. Zunächst ist diese Episode noch dadurch gekennzeichnet, dass Paulus nicht eigenständig, sondern in Begleitung von Silas predigt (bes. 14,12). Seine Indienstnahme seit der Berufung (Kap. 9) war in den Kapiteln 10–12 ,ausgesetzt‘ worden; Lukas ,verschachtelt‘ die Ereignisse in der Weise eines ,sandwich agreements‘.65 Der zweite personal orientierte und deutlich umfangrei-

59 Dazu: Lang, Kunst, 243–247. 60 Umfangreicher dazu K. Backhaus, Die Erfindung der Kirchengeschichte. Zur historiographischen Funktion von Apg 12, in: ZNW 103, 2012, 157–176. 61 Es scheint so, dass Lukas von der Tradition, wonach Petrus ebenfalls in Rom das Martyrium erlitten habe, nichts weiß; es bleibt bei einem recht unscharfen 6teqom tºpom (12,17). Für Lukas scheint klar, dass einzig Paulus diejenige Person ist, die Rom erreichen und dort auch das Martyrium (wohl) erleiden muss. Dazu C. Böttrich, Das Vermächtnis des Erstapostels. Petrus in lukanischer Perspektive, in: H. Omerzu/E.D. Schmidt (Hg.), Paulus und Petrus. Geschichte – Theologie – Rezeption, FS F.W. Horn, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 48, Leipzig 2016, 219–246, 235 f. 62 Dazu die Analyse bei F. Wilk, Erzählstrukturen im Neuen Testament, UTB 4559, Tübingen 2016, 59–76, und sein Ergebnis, dass „der apostolische Verkündigungsauftrag auch an den ,Heiden‘ wahrzunehmen ist. Eben damit eignet sich Apg 10,11–11,18 als Bindeglied zwischen der Darstellung des petrinischen Wirkens im Westen Judäas (9,32–43) und der des von Antiochia ausgehenden missionarischen Wirkens (ab 11,19)“ (76). 63 Im rhetorischen Zusammenhang der controversia hat diese Beziehung T. Penner, Civilizing Discourse. Acts, Declamation, and the Rhetoric of the Polis, in: ders./C. Vander Stichele (Hg.), Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, SBL.SS 20, Atlanta 2003, 65–104, 99, verortet. 64 Dazu Gunkel, Geist, 246–250. 65 J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus, EKK II/2, Zürich, Einsiedeln/Köln – Neukirchen-Vluyn 1979, 274 f. Es ist freilich eine größer angelegte Konstruktion als diejenige, die Markus etwa in Mk 5 vollzieht.

„… bis ans Ende der Welt“ (Apg 1,8)

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chere Hauptteil mit Paulus66 wird mit Kap 13–14 angebahnt;67 Paulus wird ab Kap. 15 zur zentralen Figur der Apostelgeschichte.68

Die bereits genannte Episode vom Hauptmann Kornelius (10,1–11,18)69 ist näherhin nicht nur durch die Kraft der Analyse des Petrus von Bedeutung, sondern darüber hinaus als eine geistbegabte Kommentierung dieser Analyse.70 Erst der Verweis auf das Wirken des Geistes Gottes beruhigt nicht nur die Gemüter der Gemeinde, sondern führt zu jenem Fazit71, das ganz erheblich das Ergebnis aus Kap 15,22ff vorbereitet: Auch Heiden ist die Umkehr zum Leben gegeben (11,18).72 Neben dieser angedeuteten Perspektive wird in Kap 11,26 noch der Name dieser Urgemeinde erstmals eingeführt: Christen. Nun ist nicht nur die Verkündigung dasjenige, das sie unverwechselbar macht, sondern auch der Name. 2.4. Weiterführende Passagen dieser elliptischen Kronkonstellation Die nach der Areopagrede folgende Passage berichtet von den Ereignissen in Korinth (18,1–17).73 In mehrfacher Hinsicht wird hier wieder fortgeführt, was sich strukturell zuvor abgezeichnet hatte: • Zunächst ist wiederum die Bewegung zuerst zu den Juden hervorgehoben.74 Sie erfährt insoweit hier eine besondere Akzentuierung, weil es sich in einem ersten Schritt um eine Bekanntschaft handelt:75 Aquila und Priszilla 66 Der erste personal orientierte Hauptteil dürfte zweifelsfrei Petrus sein, auch wenn etwa mit der Stephanus-Episode eine markante Ausnahme-Erzählung geboten wird. 67 Eine Überschrift über diesen Groß-Abschnitt könnte lauten: Paulus der universale Prediger für ein zukunftsfähiges Christentum. Dazu U. Schnelle, Paulus und die Anfänge einer christlichen Überlieferungskultur, in: M. Lang (Hg.), Paulus und Paulusbilder. Konstruktion – Reflexion – Transformation, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 31, Leipzig 2013, 191–219, 210–217. 68 Im Anschluss an L. Alexander formuliert Schnelle, Anfänge, 210: „Die Apostelgeschichte ist keine Paulusbiographie, aber sie enthält eine!“ 69 Zur Gliederung dieses Abschnitts s. die Übersicht bei Wilk, Erzählstrukturen, 76. Generell kann der Petrus-Abschnitt überschrieben werden: ,Petrus der Garant der Tradition mit Blick nach vorn‘. 70 Zu Apg 10,19; 11,12 in diesem Zusammenhang Gunkel, Geist, 174–183. 71 Wilk, Erzählstrukturen, 71, urteilt: „Apg 10,44–48 ist durch eine enorme Häufung verschiedenster Stilmittel als Höhepunkt des in Kapitel 10 dargestellten Handlungsablaufs ausgewiesen.“ Die genannten Stilmittel sind auf S. 72 aufgelistet. 72 Die Wendung bdo»r fy/r (2,28) wird man mit let²moiam eQr fy¶m (11,18) vergleichen können. 73 Die Literatur zu ,Korinth‘ ist umfangreich; s. bes.: W. Elliger, Art. Korinth, in: RAC 21, 2006, 579–605, 579–601; A. Lindemann, Der Erste Korintherbrief, HNT 9/1, Tübingen 2000, 9–14; ferner der instruktive Sammelband von D.N. Schowalter/S.J. Friesen, Urban Religion in Roman Corinth. Interdisciplinary Approaches, HThS 53, Cambridge 2005. 74 S. dazu oben Anm. 50. 75 Ein zweiter Gedanke tritt hinzu: Paulus und Aquila mit Priszilla gehören demselben sozialen Stand an (Zeltmacher: 18,3); dazu Holladay, Acts, 351; W.A. Meeks, Urchristentum und

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Manfred Lang

sind von Claudius aus Rom verwiesen worden (18,2; Suet Claud 25,4). Die Gründe dürften wohl darin liegen, dass Claudius sein Edikt aus innenpolitischen Gründen Unruhen in Rom ethnisch fokussierte.76 • Die Stadt ,Rom‘ tritt jetzt das erste Mal namentlich und direkt in den Blick (18,2).77 Was sich aus 1,8 nahelegte, ohne dass etwa eine Ortsbezeichnung genannt worden wäre, wird nun formuliert. Die geographische Dimension, die sich aus Kap. 16 dergestalt nahelegte, weil Philippi als erste Missionsstadt auf europäischem Boden diesen Gedanken bereits nahelegte und ihn mit 1,8 verband, wird nun mit der Nennung der Stadt ,Rom‘ ergänzt. Beide Aspekte heben somit dieselbe Dimension hervor. • In 18,4 sind die Adressaten der paulinischen Lehre in der Synagoge als ,Juden‘ und ,Griechen‘ gekennzeichnet. Erstere sind evident; mit ,Griechen‘ kann zunächst jene Gruppe gemeint sein, die Lukas öfters in der Apostelgeschichte als sebºlemoi bezeichnet78 und die er durchaus in der Nähe der Juden lokalisiert. Gleichzeitig zeigt der nähere Zusammenhang (V.6), dass hier jene Gruppe gemeint sein kann, die vergleichbar mit jener ist, die in 17,16–34 genannt ist und die letztlich programmatisch in 10,1–11,16 vorbereitet worden ist. Der sodann dort genannte Name (V.7), Titius Justus, legt nahe, einen ,Römer par excellence‘ vor sich zu haben79, der zu den sebºlemoi zählt und neben der Synagoge wohnt (V.8b).80 • Diese zuvor erkennbare Perspektive wird erneut – wie in 16,9 – durch das Phänomen der ,Erscheinung‘ bestätigt (18,9).81 Sie prägt den folgenden Zusammenhang derart, dass in V.6 ein weiteres Mal theologisch begründet wird: die Abkehr von der Synagoge und die Hinwendung zu den Heiden. Dieser Wendepunkt markiert gleichzeitig harte Auseinandersetzungen

76 77 78 79

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Stadtkultur. Die soziale Welt der paulinischen Gemeinden, übers. S. Denzel/S. Naumann, Gütersloh 1993, 128; M.Y. Macdonald, Was Celsus Right? The Role of Women in the Expansion of Early Christianity, in: D.L. Balch/C. Osiek (Hg.), Early Christian Families in Context. An Interdisciplinary Dialogue, Grand Rapids, Cambridge 2003, 157–184, 164–166. Dazu: U. Schnelle, Die ersten 100 Jahre des Christentums. 30–130 n. Chr. Die Entstehungsgeschichte einer Weltreligion, UTB 4411, Göttingen 2015, 194–197, sowie breit D.A. Cineira, Die Religionspolitik des Kaisers Claudius und die paulinische Mission, HBS 19, Freiburg u. a. 1999. Fernerhin: Apg 19,21; 23,11. Apg 13,43; 17,17; vgl. ferner 13,50; 16,14; 17,4; 18,7. Dazu: Keener, Acts 3, 2744–2746; C.K. Barrett, A Critical and Exegetical Commentary on the Acts of the Apostles II, ICC, Edinburgh 1998, 869; D.C. Duling, Ethnicity and Paul’s Letter to the Romans, in: D. Neufeld/R.E. DeMaris (Hg.), Understanding the Social World of the New Testament, London/New York 2010, 68–89, 81, der die komplette Passage 18,4–7 auf diese ,Gottesfürchtigen‘ bezieht; so auch Pervo, Acts, 453. Die gesamte Szene wird dadurch charakterisiert, dass Gott ihm in der Nacht erscheint und betont, Paulus solle nicht schweigen: Dieser Gedanke findet in 28,31 einen gleichsam feierlichen Abschluss: freimütige Predigt ohne Hinderung. S. dazu auch 9,10; ferner: 10,3.17.19; 11,5; 12,9; 16,10; 22,17 f; 23,11; 27,23 sowie in 7,31 (Rückgriff auf Ex 3,3 f). Barrett, Acts 2, 869, hebt hervor, dass angesichts dieser Häufigkeit einerseits und der lediglich in 2Kor 12,1 erwähnten einmaligen Erscheinung Lukas derartigen Ereignissen größeres Gewicht zugemessen hat als Paulus.

„… bis ans Ende der Welt“ (Apg 1,8)

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(18,12–17).82 Es kommt damit die paulinische Wirksamkeit in Europa dergestalt zum Abschluss, weil sich Paulus nun nach Ephesus wendet und somit wieder Kleinasien betritt (18,19). Gleichzeitig wird mit dem V.9a durch die Heilszusage an atl. Propheten-Theologie erinnert (Jes 41,10; 43,1.5; Jer 1,8.19), die wiederum in der Berufung des Paulus (9,15) vorangekündigt ist.83 Wenige Bemerkungen sollen noch zu Kap. 20 als Vorankündigung des paulinischen Martyriums hinzugefügt werden, um die in Apg 1,8 angedeutete Linie auf ,Rom‘ fortzusetzen und eine zusätzliche weiterführende Passage der genannten Konstruktion vorzustellen: Die Abschiedsrede an die Ältesten in Ephesus macht hinlänglich deutlich, dass zunächst die Ältesten keine weitere Begegnung mit Paulus erleben werden und dass sodann die Perspektive nach Rom, wohin ihn der Geist begleiten wird,84 keine verheißungsvolle Perspektive sein wird (20,25 mit 18,2; 19,21; 23,11): das Martyrium in Rom.

3. Fazit und Ausblick Die Gliederung der Apostelgeschichte in verschiedene Teile hat insoweit vielfach einen gemeinsamen Startpunkt, weil Apg 1,8 als programmatische Angabe angesehen wird. Ferner wird Kap. 15 zu einer Scharnierstelle, weil im Apostelkonvent missionstheologische Grundsatzentscheidungen fallen, die für die Apostelgeschichte konzeptionell wesentlich sind. In der Areopagrede (17,16–34) wird an programmatischem Ort entfaltet, wie Paulus den auf dem Apostelkonvent gefällten ,Beschluss‘ umsetzt: Juden wie Heiden sind die Adressaten der Botschaft. In gewissem Sinn ,spiegelt‘ sich dieser jeweilige ,Außenpol‘ (Kap. 15; 17) in den Ereignissen von Philippi, weil mit dem territorialen Überschritt zahlreiche Neuerungen in wechselseitigem Bezug zu den beiden ,Außenpolen‘ berichtet wird. Damit ergibt sich schließlich folgende Gliederung, die sich in folgender Skizze darstellen lässt:

82 Im Hintergrund dieser ,Beauftragungsszenen‘ scheint eine Topik erkennbar zu sein; dazu: B.J. Hubbard, The Role of Commissioning Accounts in Acts, in: C.H. Talbert (Hg.), Perspectives on Luke-Acts. Perspectives in Religious Studies, Danville/Edinburgh 1978, 187–198. 83 Angesichts dessen dürfte es wenig überzeugend sein, 18,1ff als „different from previously reported Pauline stops“ (Holladay, Acts, 352) zu bezeichnen, wird hier doch schlicht das fortgeführt, was sich aus der genannten elliptischen Kronkonstellation (15,1–36; 16,11–40 und 17,16–34) samt ihren vorbereitenden und folgernden Passagen ergibt. 84 Dazu Gunkel, Geist, 250–252, zur Pneumatologie im Zusammenhang mit den Ältesten und ihrem Hirtenamt.

212 1,1–14: 1,15–14,28: 15,1–17,34: 18,1–28,31:

Manfred Lang

Ihr sollt meine Zeugen sein: … in goldenen Anfängen und Aufbrüchen … auf neuem Boden … bis ans Ende der Erde.

Knut Backhaus

Markion und die Apostelgeschichte Ein Beitrag zum Werden des Kanons

Das theologiegeschichtliche Geschick des Markion besteht seit Johann Salomo Semler wesentlich darin, rehabilitiert zu werden.1 Dies ist umso bemerkenswerter, als die Anklagen oft variieren und das Einzige, was vom Angeklagten greifbar scheint, seine Unschuld ist. Die jüngere Forschung zeigt sich darin einig, dass Harnacks Bild vom Frühreformator anachronistische Züge barg, nicht aber darin, was an dessen Stelle zu setzen ist. Dies gilt vor allem hinsichtlich der (für die ersten Kritiker und die heutigen Forscher, jedoch kaum bereits für Markion selbst) zentralen Frage nach seinem Bezug zum urchristlichen Schriftgut. Dabei wird der altkirchliche Vorwurf, Markion habe den „neutestamentlichen“ Quellen so willkürlich Gewalt angetan, wie er die „alttestamentlichen“ abgetan habe, aus guten Gründen aufgegeben. Stattdessen treten Gestalt und Umfang der urchristlichen Schriften, die Markion rezipierte, sowie die Hermeneutik, mit der er sie interpretierte, in den Blick. Markion gilt nicht mehr als der isolierte Sonderling, zu dem ihn die Polemik machte, noch als der geniale Außenseiter, als den Harnack ihn sah. Er steht in Diskursen, die erst dort unerhört schienen, wo kirchliche Kontinuitätsbehauptung und biblischer Kanon jenen Spielraum begrenzt hatten, den die Generation Markions noch freier ausgelotet hatte. Der Versuch der Mehrheitsforschung, Markions Schriftenbezug zu rekonstruieren, kann grob in drei Phasen geteilt werden: Zunächst übernahm man Tatsachenbehauptung und Wertung der frühesten Quellen; dann übernahm man die Tatsachenbehauptung und misstraute der Wertung; schließlich sah man die Tatsachenbehauptung als Folge der Wertung und misstraute dieser 1 Vgl. etwa J.S. Semler, Vorrede zu Thomas Townsons Abhandlungen über die vier Evangelien. Erster Theil, Leipzig 1783 (unpaginiert). – Zur Terminologie: Ich benutze die Bezeichnungen „Lukasevangelium“ (Lk) für den Jesus-Bios und „Apostelgeschichte“ (Apg) für das Geschichtswerk; die Sprachkonvention „Lukas“ bezeichnet den Verfasser beider Schriften. Damit ist weder eine historische Zuschreibung noch eine Gattungsbeschreibung (für die Entstehungszeit) verbunden noch wird impliziert, dass Lk oder Apg vor der Zeit des Irenäus einem „Lukas“ zugeschrieben worden seien. Ebenso wenig sind Umfang und Gestalt der beiden so bezeichneten Werke präjudiziert: Es kann sich um Vorläufer oder Varianten der kanonischen Textfassungen handeln. – Zum Abkürzungssystem: Ich folge RGG4 für die jüdischen und frühchristlichen Quellen, DNP für die Quellen der paganen Antike und für vom RGG4 nicht erfasste frühchristliche Quellen, IATG3 für die Sekundärliteratur.

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Knut Backhaus

wie jener. Das Methodenproblem der jüngeren Forschung liegt deshalb darin, dass sie, da sie ohne Quellen nicht rekonstruieren kann, gegen die Quellen rekonstruieren muss. So ist die Arbeit an Markion induktiv, mühsam und undankbar geworden. Wo sie, was freilich auch zu beobachten ist, mit aufregenden Neuigkeiten aus dem 19. Jahrhundert aufwartet, ist es heilsam, sich in Erinnerung zu rufen, warum die Forschung des 19. Jahrhunderts den gleichen Neuigkeiten am Ende nicht zuzustimmen vermochte. Während Markions Verhältnis zum „Lukasevangelium“ seit jeher im Zentrum der Rückfragen stand und aktuell zu lebhaften Debatten führt, blieb das Interesse der Markion-Forschung an der Apostelgeschichte marginal. Dabei hängt es durchaus auch an Markion, dass der zweite lukanische Logos überhaupt eine späte Rezeptionskarriere nahm. Die beiden ersten Sätze der traditionsreichen „Einleitung“ von Udo Schnelle erinnern daran, dass die neutestamentliche Einleitungswissenschaft von Anfang an vor das Kanonproblem als Schnittfeld von historischer Betrachtung und theologischem Urteil gestellt war.2 Dieser dem geschätzten Kollegen zugeeignete Beitrag widmet sich der Spurensuche in einem zu Unrecht entlegenen Winkel der Kanongeschichte.

1. Hat Markion die Apostelgeschichte verworfen? Konventionell vertritt die Forschung die Auffassung, Markion habe Apg, weil sie sich nicht in sein Lehrsystem fügte, verworfen.3 Ob Markion überhaupt 2 U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen (1994) 82013, 18. 3 Es sei nur eine repräsentative Auswahl genannt: T. Zahn, Geschichte des Neutestamentlichen Kanons I (1888/89), Nachdr.: Hildesheim 1975, 194 f; A. von Harnack, Marcion: Das Evangelium vom fremden Gott. Eine Monographie zur Geschichte der Grundlegung der katholischen Kirche, TU 45, Leipzig (1921) 21924, 83. 172*–174*. 249*; C.-J. Thornton, Der Zeuge des Zeugen. Lukas als Historiker der Paulusreisen, WUNT 56, Tübingen 1991, 1; C.K. Barrett, The Acts of the Apostles, 2 Bde., ICC, London (1994/1998) 2006/2008, Bd. II, lxvi f ; D.E. Smith, The Canonical Function of Acts. A Comparative Analysis, Collegeville 2002, 77 f; J. Schröter, Die Apostelgeschichte und die Entstehung des neutestamentlichen Kanons. Beobachtungen zur Kanonisierung der Apostelgeschichte und ihrer Bedeutung als kanonischer Schrift (2003), in: ders., Von Jesus zum Neuen Testament. Studien zur urchristlichen Theologiegeschichte und zur Entstehung des neutestamentlichen Kanons, WUNT 204, Tübingen 2007, 297–329, 318; F. Bovon, The Reception of the Book of Acts in Late Antiquity, in: T.E. Phillips (Hg.), Contemporary Studies in Acts, Macon 2009, 66–92, 71; C. Dohmen, Der eine Gott in der Zweiheit der einen christlichen Bibel, in: I. Müllner/L. Schwienhorst-Schönberger/R. Scoralick (Hg.), Gottesname(n). GS E. Zenger, HBS 71, Freiburg i. Br. 2012, 52–66, 59; W. Löhr, Art. Markion, in: RAC 24, 2012, 147–173, 150. H.J. Cadbury (The Book of Acts in History, New York 1955, 145. 156) führt diese Ansicht, die er allerdings ablehnt, auf eine einflussreiche Apologie aus frühgeorgianischer Zeit zurück: R. Biscoe, The History of the Acts of the Holy Apostles Confirmed from Other Authors; and Considered as Full Evidence, Oxford (1742) 1840, 321 f. 342 f. 348; das Werk wurde auch ins Deutsche übersetzt: Erläuterung der Apostelgeschichte aus den Weltgeschichten und Alterthümern; als ein Erweis von der Wahrheit der christlichen Religion. Aus dem Englischen übers. v. F.E. Rambach, Magdeburg (1751) 21756.

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eine verbindliche kirchliche Schriftensammlung vorfand, wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird angenommen, er habe die bereits begonnene Dynamik auf einen kirchlichen Kanon hin beschleunigt,4 teilweise, er habe sie allererst ausgelöst.5 Die letztere Auffassung vertrat einflussreich Harnack. Etwas inkonsistent wirkt seine weitere Annahme, im Kanon der Markioniten sei die „Ausstoßung“ der Apg durch die antitheseis ausgeglichen worden, die bereits ihrem Charakter nach als Ersatz für Apg angelegt seien: Wie mit dieser die Kirche die Konkordanz zwischen Altem und Neuem Bund sowie den Uraposteln und Paulus begründet habe, so habe Markion mit jenen gerade deren Diskordanz belegt.6 Für die Auffassung, Markion (bzw. die markionitischte Schule) habe Apg – allgemein formuliert – „verworfen“, kann das Zeugnis einiger früher Quellen angeführt werden. (1) Tertullian wirft in seinem polemischen Traktat De praescriptione haereticorum den haeretici willkürlichen Umgang mit den Schriften vor : Sie nehmen einige Schriften nicht an, verändern die, die sie annehmen, durch Zusätze wie Auslassungen und deuten die, die sie nicht verändern, gewaltsam um (vgl. praesc. 17,1). Nicht aber die Schriftauslegung als solche kann den Streit zwischen rechtem und falschem Glauben entscheiden, sondern nur der rechtmäßige Anspruch auf die Schriften selbst, welcher auf der – in Apg bezeugten – apostolischen Herkunft beruht (vgl. bes. 20,7; 37,1). Die Rechtsfigur der praescriptio greift insofern, als die Voraussetzung für eine rechtsgültige Auseinandersetzung fehlt: Ohne apostolische Herkunft und Integrität des Glaubens sind die Gegner erst gar nicht zum Prozess der Schriftauslegung zuzulassen (vgl. 15; 21; 37; 44,13). In praesc. 22 f wendet sich Tertullian dagegen, dass die Gegner esoterisches Sonderwissen für sich reklamieren. Die Geistverheißung Jesu sei durch das Pfingstereignis eingelöst worden, welches in Apg belegt sei (22,10: probantibus actis apostolorum). Jenen, die diese Schrift nicht annehmen, hält Tertullian entgegen, dass sie des – literarischen bzw. theologisch verbindlichen – Zugangs zur Geistsendung entbehrten, so dass sie sich nicht auf den Heiligen Geist berufen könnten. Ebenso wenig dürften sie sich als Kirche verstehen, da sie deren Ursprungskunde verfehlten, die doch in Apg belegt sei.7 Freilich mache es den Gegnern nichts aus, keine Belege für 4 So etwa W.G. Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg (121963) 211983, 430 f; Schnelle, Einleitung, 436; Dohmen, Gott, 56–58. 5 So etwa Harnack, Marcion, bes. 173* f; H. von Campenhausen, Die Entstehung der christlichen Bibel, BHTh 39, Tübingen 1968, bes. 174–180. 192 f; G. May, In welchem Sinn kann Markion als der Begründer des neutestamentlichen Kanons angesehen werden? (2000), in: ders., Markion. Gesammelte Aufsätze, hg. v. K. Greschat/M. Meiser, VIEG.B 68, Mainz 2005, 85–91, 87–89. 6 Harnack, Marcion, 174* f; vgl. ebd. 257*. An eine theologische oder hermeneutische Einführung in das „Neue Testament“ Markions denkt Barrett, Acts I, 47; II, lxvii–lxx. 7 Quam scripturam qui non recipiunt nec spiritus sancti esse possunt, qui necdum spiritum sanctum possunt agnoscere discentibus missum. Sed nec ecclesiam se defendere qui, quando et quibus incunabulis institutum est hoc corpus, probare non habent (praesc. 22,11).

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ihre Aufstellungen zu besitzen, solange nur die Widerlegungen solcher Falschbehauptungen nicht zur Geltung gelangten.8 Schließlich spricht Tertullian jenen, die Apg verwerfen (acta apostolorum repudiantibus), überhaupt das Recht ab, sich auf den Apostel Paulus zu stützen, da ihnen die Beurkundung von dessen Wesen, Herkunft und Amt fehle und sie so auf sein Selbstzeugnis zurückgeworfen seien (vgl. 23,3): Sed credant sine scripturis ut credant aduersus scripturas (23,5). So gilt Apg Tertullian als legitimierende und normative scriptura. Welche Gegner es sind, die Apg verwerfen, geht aus dem unmittelbaren Kontext nicht hervor. Die Berufung auf Sonderoffenbarungen passt kaum zu den Markioniten. Tertullian neigt jedoch, wenn er die Gegenseite beschreibt, nicht zu subtilen Unterscheidungen. So ist es aussichtslos, anhand der polemischen Texte zwischen den Markioniten und ihrem Eponymos unterscheiden zu wollen: Die Ursprungslehren und ihre spätere Entwicklung fließen zusammen, sind doch die Schüler nicht weniger findig als ihre Meister (vgl. 42,8). Im Gesamtkontext des Traktats stehen neben den Valentinianern eindeutig Markion bzw. die Markioniten im Zentrum (vgl. 30,12). Die Markioniten verfälschen den Text, die Valentinianer den Sinn (38,6–10). Während diese die Schrift listig im Umfang unversehrt halten, aber ihrer eigenen Deutung unterwerfen, greifen jene zu einer einschneidenden Methode: Marcion enim exerte et palam machaera, non stilo usus est, quoniam ad materiam suam caedem scripturarum confecit (38,9). Diesem Messermord ist offenkundig auch Apg zum Opfer gefallen. (2) Im fünften Buch Adversus Marcionem betont Tertullian die Übereinstimmung zwischen der Darstellung des Paulus im Galaterbrief (vgl. Gal 1,11–24) und der in Apg. Weil Apg den rechtgläubigen Schöpfer- und Christusglauben verkündige sowie als einzige Schrift die Geistverheißung belege, werde unübersehbar, warum „ihr“ sie „ausspeit“ (Marc. 5,2,7: Quodsi et ex hoc congruunt Paulo Apostolorum Acta, cur ea respuatis iam apparet). Der Plural bezieht sich eher auf die Markioniten als auf ihren Gründer.9 Gleichwohl bezieht der Vorwurf Markion ein, denn dass die Schüler Apg aus dem Konvolut des Markion entfernt hätten, will Tertullian gewiss nicht behaupten. Letztlich erschöpft sich die Anklage darin, dass die Häretiker zu anderen verbindlichen Schriften greifen als die Rechtgläubigen: Da dies verwerflich ist, muss die Verwerflichkeit auf ihren Stammvater zurückgehen. (3) In dem häresiologischen Libellus Adversus omnes haereses schildert Ps.-Tertullian eine Sukzession von Irrlehrern, die mit Kerdon anhebt,10 dessen Schüler Markion erfasst und sodann auf dessen beide Schüler Lukan und Apelles übergeht (adv. omn. haer. 6). Über Kerdon weiß er zu berichten: Solum euangelium Lucae nec tamen totum recipit. Apostoli Pauli neque omnes neque totas epistolas sumit. Acta Aposto8 Tanti est enim illis non habere probationes eorum quae defendunt ne pariter admittantur traductiones eorum quae mentiuntur (praesc. 22,12). 9 Vgl. J.M. Lieu, Marcion and the Making of a Heretic. God and Scripture in the Second Century, New York 2015, 430 Anm. 89. 10 Das Verhältnis, das Markion und der Gnostiker Kerdon zu Rom pflegten, ist kaum noch zu erhellen; vgl. G. May, Markion und der Gnostiker Kerdon (1984), in: ders., Markion, 63–73.

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lorum et Apocalypsim quasi falsa reicit (6,1). Da der Häresiologe die völlige Übereinstimmung zwischen Kerdon und Markion betont,11 dürfte diese Feststellung auch für Markion gelten.12 (4) Im Dialog De recta in Deum fide des Adamantios (um 300 n. Chr.) stoßen die Kontrahenten auf die Frage, wie Paulus, von seinem Selbstzeugnis abgesehen, als Apostel identifiziert werden könne (2,12GCS [828c–829b]).13 Der markionitische Gesprächspartner Markos argumentiert damit, dass Paulus in den Evangelien nicht erwähnt sei, die Gegenseite hier also in keine geringere Verlegenheit gerate als die Markioniten selbst. Adamantios beruft sich daraufhin auf die Nennungen des Paulus in Apg und 2Petr. Als Eutropios, der heidnische Schiedsrichter, Markos nunmehr fragt, ob die Markioniten Apg und nicht-paulinische Briefe annähmen (D´weshe, L÷qje, t±r t_m !postºkym pq²neir ja· lahgt_m kecol´mym ¢r !kgh/ C oq;), muss dieser sich auf eqacc´kiom und !pºstokor zurückziehen (Jle?r pk´om toO eqaccek¸ou ja· toO !postºkou oq dewºleha). Eutropios erkundigt sich danach, woher Acta und Epistulae denn stammten, und so hat Adamantios leichtes Spiel: Die zwölf Apostel und die 72 Jünger sind im (lukanischen) Evangelium verankert. (5) Die dem Bischof Ma¯ru¯-ta¯ von Maiperqat (um 400 n. Chr.) zugeschriebene Schrift ˙ De Sancta Synodo Nicaena14 berichtet (I, p. 23; II, pp. 18 f), dass die mesopotamischen Markioniten, die als dritte Häresie geschildert werden, Apg gegen ein anderes, ihnen lehrkonformes Buch ausgetauscht hätten. Es werde Sa¯ka¯ („Summa“) genannt; Harnack denkt hier an die antitheseis.15

Diese Berichte ziehen sich über einen längeren Zeitraum hin und erscheinen prima facie plausibel: Da wir Apg in Markions Konvolut neben Lk und den zehn Paulusbriefen nicht finden, liegt es nahe, dass er sie abgelehnt bzw. ausgeschieden hat. Die Plausibilität wird durch den Eindruck verstärkt, dass das biblische Gottesbild und heilsgeschichtliche Selbstverständnis der Apg zu der Theologie Markions, wie immer man sie rekonstruiert, schlechterdings nicht passen. Gleichwohl sprechen gegen die These, Markion habe Apg verworfen, ernste Bedenken: (1) Die angeführten Belege sind angesichts der Fülle des Materials eher knapp. Vor allem gehören sie in den Zeitraum von etwa 200 bis 400 n. Chr., in dem Apg der werdenden Großkirche zur Argumentation gegen die markio11 Haeresim Cerdonis approbare conatus est [et] eadem dicere, quae ille superior haereticus ante dixerat (adv. omn. haer. 6,2). 12 Vgl. Harnack, Marcion, 172* f. 13 Textausgabe: GCS 4 (1901), ed. W.H. van de Sande Bakhuizen; kommentierte Übersetzung: Adamantius. Dialogue on the True Faith in God. De Recta in Deum Fide, übers. u. komm. v. R.A. Pretty/G.W. Trompf, Gnostica 1, Löwen 1997; zur Kommentierung von dial. 2,12 vgl. auch K. Tsutsui, Die Auseinandersetzung mit den Markioniten im Adamantios-Dialog. Ein Kommentar zu den Büchern I–II, PTS 55, Berlin 2004, 238–241. 14 Textausgabe: The Canons Ascribed to Ma¯ru¯-ta¯ of Maiperqat and Related Sources, 2 Bde, hg. v. A. ˙ Vööbus, CSCO 439/440, Löwen 1982, Bd. I, 22–27; II, 17–24. 15 Vgl. Harnack, Marcion, 174* f. 363* f; skeptisch Lieu, Marcion, 270 f. 432 u. ö.

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nitische Konkurrenz dient. Beim frühesten Zeugen, Justin, findet sich kein solcher Vorwurf (vgl. 1apol. 26,5; 58; ferner dial. 35,5 f). Vielmehr hat er seinerseits Apg nicht genutzt, möglicherweise nicht gekannt.16 Auch Irenäus, der sich energisch auf Apg beruft, wirft Markion keineswegs vor, diese zu verwerfen, sondern bringt ihr Zeugnis gegen ihn zur Geltung (vgl. bes. haer. 3,14,1 f). (2) Die Einheit des so genannten lukanischen Doppelwerks wird in der aktuellen Exegese in mannigfacher Hinsicht – auktorial, generisch, literarisch, narrativ, konzeptionell, kanonisch und medial – kontrovers diskutiert. Die Einheitssignale, die Lk/Apg nach üblicher Auslegung aussenden, können durch semantische, stil- und redaktionskritische Erwägungen ebenso in Zweifel gezogen werden wie durch literarkritische Dekompositionen. Solche Dekompositionen überschneiden sich teilweise mit einer grundsätzlicheren Position, wie sie bereits im 19. Jahrhundert vertreten wurde und auch aktuell vertreten wird: Die Textgestalt, in der Lk auf Markion überkommen sei, habe jene Partien gar nicht enthalten, die die deutlichsten Einheitssignale setzen (bes. Lk 1,1–4; 1,5–2,52; Apg 1,1 f). Möglicherweise lagen solche Passagen Markion in dem von ihm benutzten Corpus nicht vor oder sind allererst in der Reaktion auf Markion hinzugewachsen.17 Nicht zuletzt ist es zweifelhaft geworden, ob Lk und Apg überhaupt als Einheit publiziert oder rezipiert worden sind.18 Von Apg 1,1 f abgesehen ist der zweite lukanische Logos ohne den ersten lesbar und weist nirgends auf ihn zurück.19 Der frühe handschriftliche Befund kennt das „Doppelwerk“ nicht, sondern fasst Apg meist mit den Katholischen Briefen zum Praxapostolos zusammen, ordnet sie zwischen Evangelien und Corpus Paulinum ein oder setzt sie an entferntere Stellen, nicht aber in Einheit mit Lk.20 Selbst jene Kirchenschriftsteller, die – immerhin 16 Vgl. Barrett, Acts I, 41–44; A. Gregory, The Reception of Luke and Acts in the Period before Irenaeus. Looking for Luke in the Second Century, WUNT II/169, Tübingen 2003, 317–321; ders., Irenaeus and the Reception of Acts in the Second Century, in: T.E. Phillips (Hg.), Contemporary Studies in Acts, Macon 2009, 47–65, 56–58. 17 Die Diskussion ist sachlich verzweigt und methodisch komplex. Grundlegende synoptische, chronologische und rekonstruktive Neuentwürfe erschienen jüngst in rascher Folge: S. Moll, The Arch-Heretic Marcion, WUNT 250, Tübingen 2010; J.D. BeDuhn, The First New Testament. Marcion’s Scriptural Canon, Salem 2013; M. Vinzent, Marcion and the Dating of the Synoptic Gospels, StPatr Suppl. 2, Löwen 2014; M. Klinghardt, Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien, 2 Bde., TANZ 60, Tübingen 2015; Lieu, Marcion; D.T. Roth, The Text of Marcion’s Gospel, NTTSD 49, Leiden 2015. Die beiden letzteren Studien bieten mit ihrem induktiven Ansatz eine tragfähige Basis für vorsichtig tastende – und daher wohltuend unaufgeregte – Rückschlüsse. 18 Zur Diskussion M.C. Parsons/R.I. Pervo, Rethinking the Unity of Luke and Acts, Minneapolis (1993) 2007; A. F. Gregory/C.K. Rowe (Hg.), Rethinking the Unity and Reception of Luke and Acts, Columbia 2010. 19 Vgl. C.K. Barrett, The Third Gospel as a Preface to Acts? Some Reflections, in: F. Van Segbroeck u. a. (Hg.), The Four Gospels 1992. FS. F. Neirynck II, BETL 100/2, Löwen 1992, 1451–1466, 1461 f; Schröter, Apostelgeschichte, 322 f. 20 Vgl. näher Barrett, Acts I, 32–34; Schröter, Apostelgeschichte, 309–324. 328 f.

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meist deutlich später – gegen Markion polemisieren, scheinen Lk/Apg kaum als Lektüreeinheit wahrgenommen zu haben. Wenn daher Markion Apg gar nicht mit Lk in Verbindung brachte, hat er Apg auch nicht gezielt aus der Einheit eines Doppelwerks entfernt, sondern allenfalls als unbrauchbar ignoriert. (3) Möglicherweise hat Markion Apg „nicht einmal ignoriert“, sondern gar nicht kennen können. In der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts wird Apg überraschend wenig genutzt.21 Nur die Epistula Apostolorum,22 möglicherweise auch der (nicht sicher datierbare) kanonische Markusschluss, lassen literarische Abhängigkeit erkennen. In der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts oder wenig später können die Grundschrift der pseudoklementinischen Recognitiones, die Paulus-, Johannes- und Petrus-Akten und die Epistula Petri ad Philippum (NHC VIII,2) in Beziehungen zur Apg oder ihrer Tradition stehen, aber unmittelbare Dependenz lässt sich allenfalls im letzten Fall, also kaum vor der Zeit des Irenäus, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit behaupten. Lediglich die Epistulae de martyribus Lugdunensibus et Viennensibus (zitiert bei Eusebios, h.e. 5,1,3–63 und in 5,2–4) setzen, vermutlich um 177 n. Chr., Apg deutlich voraus. Sie gehören bereits in jenes kirchliche Milieu, in dem Irenäus beheimatet ist, und stehen in Beziehungen zur Asia, in der auch die Epistula Apostolorum verortet werden kann. Daraus folgt: Apg war nach dem überkommenen Textbefund im zweiten Jahrhundert wahrscheinlich nur örtlich begrenzt zugänglich und auf breiterer Ebene kaum bekannt. Erst seit der Zeit des Irenäus wurde sie entschlossen rezipiert, wobei Irenäus selbst die theologische Wertschätzung wesentlich gefördert haben dürfte. Seit dem frühen dritten Jahrhundert spiegeln der Handschriftenbefund, die ausdrückliche Zitierung und die Verfasserlegende eine rapide Verbreitung der Apg wider, die letztlich mit deren kanonischem Status kirchlich verstetigt wurde. Erst jetzt erstand Apg aus dem Winkeldasein. Diese späte Wertschätzung verdankt die Schrift in gewisser Weise Markion und anderen konkurrierenden Strömungen, die eine „apostolische“ Antwort der werdenden Großkirche herausforderten, so dass diese den lange übersehenen Nutzen dieser Schrift für sich entdeckte. Als diese Herausforderung bewältigt war, trat Apg – jetzt freilich auf kanonischer Ebene – abermals in den Hintergrund.23 Johannes Chrysostomos kann, rhetorisch zugespitzt, öffentlich beklagen, dass viele nicht wüssten, dass es eine Apostelgeschichte überhaupt gebe und woher 21 Zur altkirchlichen Rezeption der Apg Barrett, Acts I, 30–48; Smith, Function, 41–89; Gregory, Reception, 299–354; Schröter, Apostelgeschichte, 300–309; Bovon, Reception; Gregory, Irenaeus; D.E. Smith, Acts and the Structure of the Christian Bible, in: T.E. Phillips (Hg.), Contemporary Studies in Acts, Macon 2009, 93–102; zum kanonischen Markusschluss auch J.A. Kelhoffer, Miracle and Mission. The Authentication of Missionaries and Their Message in the Longer Ending of Mark, WUNT II/112, Tübingen 2000, 169–175. 22 Zur Situierung C.E. Hill, The Epistula Apostolorum. An Asian Tract from the Time of Polycarp, in: JECS 7, 1999, 1–53. 23 Vgl. R.I. Pervo, Dating Acts. Between the Evangelists and the Apologists, Santa Rosa 2006, 332.

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sie stamme (hom. in Act. 1,1 [PG 60, col. 13]; vgl. Augustinus, tract. in Io. 6,18).24 Wenn also Apg ihr Bekanntwerden dem Markionitismus verdankte, so weckt dies Zweifel, ob Markion selbst sie bereits gekannt hat. (4) Selbst unter der Voraussetzung, dass Markion Apg gekannt hat, besaß sie für ihn keinerlei normativen Rang. Bereits die freie handschriftliche Überlieferung lässt auf einen noch geringen Verbindlichkeitsstatus schließen. Wo Apg früh zitiert wird, sind die genannten Akteure (Petrus, Paulus, Stephanus) maßgeblich, nicht der theologische Anspruch der benutzten Quelle. Auch Irenäus behandelt Lk und Apg nicht auf einer Stufe. Die literarische Gattung und die geschichtstheologische Eigenart der Apg blieben den Christen des zweiten Jahrhunderts im Ganzen fremd. Einen stabilen liturgischen Lesezusammenhang dürfte es, soweit wir sehen, kaum gegeben haben. So wenige Gründe sich fanden, Apg nach historiographischer Manier fortzuschreiben, so wenige Gründe fanden sich wohl auch, sie zu lesen oder ihr verbindliche Zitierqualität zuzusprechen. Nachdem die urkirchliche Schwellenphase überschritten war, war das Deutungsanliegen des Lukas – die Herkunft des werdenden Christentums aus Israel – nicht mehr gefragt. Erst als es um die Herkunft der gewordenen Kirche aus apostolischer Urzeit ging, wuchs das geschichtstheologische Interesse. Jenen Verbindlichkeitsstatus, der eine Verwerfung überhaupt nötig gemacht hätte, besaß Apg zwar seit der Zeit des Irenäus, nicht aber zu der des Markion. Daher ist die These, Markion hätte Apg „verworfen“, in jedem Fall anachronistisch. (5) Dass Apg nicht genannt, zitiert oder erkennbar vorausgesetzt wird, ist von Papias bis Justin Regel, nicht Ausnahme. Ursprungsgeschichte um ihrer selbst willen war kein Thema, das Christen des zweiten Jahrhunderts anzog. Wenn Markion also Apg nicht nutzt, ist dies ein unauffälliger Befund. Daher sind die Vorwürfe der frühen Kirchenschriftsteller, Markion habe Apg wegen deren Unvereinbarkeit mit seinen Anschauungen zurückgewiesen, ihrer auch sonst herrschenden Argumentationsweise zuzuordnen. Sie begeben sich keineswegs in das Koordinatensystem des Kritisierten selbst, sondern kritisieren ihn auf der Basis ihrer eigenen Prämissen, wobei der Umstand, dass er diese Prämissen nicht geteilt hat (bzw. noch gar nicht teilen konnte), seinerseits zum Anlass von Fundamentalkritik wird: Wenn Markion Apg nicht berücksichtigt, steht er mit ihr jenseits der geistgelenkten apostolischen Überlieferung, und somit wird diese „Verwerfung“ zum proton pseudos des Häretikers. Ob nun ihn selbst, seinen Lehrer Kerdon oder seine Schüler der Vorwurf trifft, ist letztlich gleichgültig, denn sie allesamt stehen als Häretiker außerhalb der durch Apg markierten Kontinuität und Legitimität. Wenden wir uns noch einer anderen These aus diesem Zusammenhang zu, die schwerlich haltbar ist. Oft wird angenommen, dass Markion Lk oder, sofern er sie kannte, Apg auf einen Verfasser namens Lukas zurückgeführt hat, 24 Vgl. C. Mount, Pauline Christianity. Luke-Acts and the Legacy of Paul, NT.S 104, Leiden 2002, 49.

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der ihm dann wohl der Paulusmitarbeiter aus Kol 4,14; Phlm 24 war.25 Harnack vermutete, Markion habe den ihm überkommenen Namen des Lukas bewusst unterdrückt und in Kol 4,14 getilgt, weil Lukas, der judaistische Verfasser der Apg, ihm nur als Verfälscher des reinen Christus-Evangeliums in Betracht gekommen sei.26 Christoph Dohmen meint, Markion habe Apg verworfen, „weil ihre geschichtstheologische Konzeption seiner Theologie entgegenstand“, und den Namen des Evangelisten getilgt, um nicht die Frage nach der „lukanischen Fortsetzung“ in der Apg zu provozieren.27 Es ist jedoch alles andere als gesichert, dass Markion die altkirchliche Lukas-Tradition teilte oder überhaupt kannte. Er sah sein eqacc´kiom wahrscheinlich als die literarische Wiederherstellung des Evangeliums, auf das Paulus sich, vor allem im Galaterbrief (vgl. Gal 1,6–9), berief (vgl. Eusebios, h.e. 3,4,7; Hieronymus, vir. ill. 7). Dass Markion keinen Autor angab, sagt Tertullian ausdrücklich (vgl. Marc. 4,2,3; 4,3,5), aber auffällig wird dies erst unter Voraussetzung des kirchlich etablierten Evangelien-Konvoluts.28 Auch Epiphanios belegt, dass die Schrift nur den Titel eqacc´kiom trug (haer. 42,10,2); nach Adamantios haben die Markioniten das Evangelium auf Christus oder Paulus zurückgeführt (dial. 1,8 [808d–e]; vgl. Ps.-Tertullian, carmen adv. Marc. 2,28 f). Wenn Markion also weder ein spezielles Bild von Lukas noch von dessen zweitem Werk besaß, fallen zwei wichtige Stützen für die Annahme, dass das dritte Evangelium für Markion aufgrund seines „heidenchristlichen“ Charakters29 oder als Werk eines Paulusbegleiters30 anziehend war.31 Schließlich ist die verbreitete These zu bezweifeln, dass Markions Apostolikon mit dem Evangelium – samt, folgen wir Harnack, den antitheseis – eine Art neutestamentlichen Protokanons im Kontrast zum „Alten Testament“ gebildet hätten. Auch diese Denkfigur ist anachronistisch und setzt die spätere Entwicklung voraus.32 Markion selbst hat, soweit wir sehen, versucht, seinem Gottes-, Christus- und Menschenbild eine literarische Referenzbasis zu geben, und dabei jenen Jesus-Bios genutzt, der ihm lebensgeschichtlich nahelag. 25 Dies setzt voraus, dass Lk/Apg bereits früh mit dem Namen des Lukas verbunden waren, so etwa Thornton, Zeuge, 55–81; Schröter, Apostelgeschichte, 312 f. 26 Harnack, Marcion, 249* f. 27 Dohmen, Gott, 59. 28 Vgl. Gregory, Reception, 209 f; Lieu, Marcion, 212 f. 29 Vgl. Harnack, Marcion, 41 f; Campenhausen, Entstehung, 187; dazu kritisch Gregory, Reception, 199 f. 30 E.C. Blackman, Marcion and His Influence, London 1948, 43; Thornton, Zeuge, 61; dazu kritisch Campenhausen, Entstehung, 187; Gregory, Reception, 203 f. 31 Die Diskussion darüber, warum sich Markion für Lk „entschied“, setzt die Nötigung zur Auswahl aus einer kirchlichen Evangeliensammlung voraus. Wahrscheinlich hat Markion sich an jenes Evangelium gehalten, das ihm biographisch, etwa durch Heimat oder Lehrer, zugewachsen war ; vgl. Harnack, Marcion, 42; Campenhausen, Entstehung, 187 f; Gregory, Reception, 197–201; Lieu, Marcion, 430. 32 Vgl. Lieu, Marcion, 183–187. 431.

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Fazit: Insgesamt lässt es sich nicht wahrscheinlich machen, dass Markion sich zu Apg verhalten hat. Sie war ihm entweder unbekannt oder irrelevant. Die altkirchliche Behauptung, Markion habe Apg gezielt verworfen, ist nicht belastbar.

2. Reagiert die Apostelgeschichte auf Markion? In Auseinandersetzung mit dem aktuellen Forschungstrend, Markion als Generalschlüssel der Einleitungswissenschaft zu nutzen, hat Judith Lieu den Typus jenes Forschers benannt „who, once having seen a particular ghost in the shadows suddenly, with almost paranoid insistence, finds it lurking everywhere“.33 So gesehen überrascht es nicht, dass dort, wo man die chronologische Sequenz umkehrt und Lukas als Redaktor des eqacc´kiom des Markion sieht, auch Apg als eine Reaktion auf Markion interpretierbar wird. Bereits im 19. Jahrhundert hatte vor allem Ferdinand Christian Baur die These vertreten, der Verfasser der Apg, den er vom ursprünglichen Lukasevangelisten unterschied, habe das Doppelwerk als Nebenentwurf zum markionitischen Projekt entwickelt.34 Von hier aus war es zur These einer antimarkionitischen Ausrichtung der Apg ein kleiner Schritt. Ihr Pionier war 1942 John Knox. Die Klage, er sei nicht diskutiert worden,35 erscheint unberechtigt: Er wurde vielfach diskutiert, aber weithin nicht akzeptiert.36 2006 haben Joseph B. Tyson und Matthias Klinghardt den Ansatz aufgegriffen und ausgebaut. Für John Knox taucht Apg rettend nahezu aus dem Nichts auf, als man sie, durch Markion herausgefordert, am dringendsten braucht. Sie gehört zu einem „Doppel33 J. Lieu, The Enduring Legacy of Pan-Marcionitism, in: JEH 64, 2013, 557–561, 561. 34 F.C. Baur Das Markusevangelium nach seinem Ursprung und Charakter. Nebst einem Anhang über das Evangelium Marcion’s, Tübingen 1851, 191–226, bes. 223–226. Im Ganzen betrachtet führte die differenzierte Forschungsdebatte im 19. Jahrhundert eher zur Skepsis gegen die heute aufgefrischten Thesen der Markion-Priorität. Einen soliden Überblick über die Diskussion im 19. Jahrhundert bietet D.T. Roth, Marcion’s Gospel and Luke. The History of Research in Current Debate, in: JBL 127, 2008, 513–527. 35 M. Klinghardt, Markion vs. Lukas: Plädoyer für die Wiederaufnahme eines alten Falles, in: NTS 52, 2006, 484–513, 491. 36 Unter den Rezensenten findet sich, besonders luzide, H.J. Cadbury, in: JBL 62, 1943, 123–127; Stellung nahmen etwa Blackman, Marcion, 38–41; L.E. Wilshire, Was Canonical Luke Written in the Second Century? – A Continuing Discussion, in: NTS 20, 1974, 246–253; Barrett, Acts II, lxvi; im deutschsprachigen Raum Kümmel, Einleitung, 430 f. Affirmative Rezeption belegen die dem „questioning mind of John Knox“ in der Actaforschung gewidmeten Beiträge von J.B. Tyson, J.T. Townsend und V.K. Robbins, nebst einer Erwiderung von John Knox selbst, in: M.C. Parsons/ J.B. Tyson (Hg.), Cadbury, Knox, and Talbert. American Contributions to the Study of Acts, SBLCP, Atlanta 1992, 53–130. Zu den zustimmenden Stellungnahmen gehören R.J. Hoffmann, Marcion: On the Restitution of Christianity. An Essay on the Development of Radical Paulinist Theology in the Second Century, AARAS 46, Chico 1984, 113–134; J.T. Townsend, The Date of Luke-Acts, in: C.H. Talbert (Hg.), Luke-Acts. New Perspectives from the Society of Biblical Literature Seminar, New York 1984, 47–62, bes. 48 f. 58.

Markion und die Apostelgeschichte

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werk“, dessen andere Hälfte jenes „Evangelium“ bildet, das dem markionitischen entspricht, aber erweitert ist, etwa um die Vorgeschichte, die die Kontinuität mit Israel herausstellt. Die Gestalt dieses lukanischen Doppelwerks selbst reagiert auf das Konvolut des Markion: Apg dient der Domestikation des Paulus, also einerseits seiner Idealisierung, andererseits seiner Integration in den apostolischen Hauptstrom. Durch die Verbindung mit Lk, die Knox einem Schlussredaktor in der Mitte des zweiten Jahrhunderts zuschreibt, bietet das Doppelwerk eine apologetische Alternative zum „Kanon“ des Markion und einen Vorläufer zum integrativen Kanon der Großkirche.37 Die Warnung seines Lehrers – „the evidence is too meager either to disprove or to prove“38 – hintanstellend, hat sich Joseph B. Tyson um die Amplifikation dieses Ansatzes bemüht. Für ihn hat der Schlussredaktor des kanonischen Lk, der auch Apg verfasst hat, um 120/125 n. Chr. direkt gegen Markion geschrieben, indem er sich „almost point by point“39 mit Markion (wie er Tyson vor Augen steht) auseinandersetzt. So erklären sich die Themen der Eintracht und Ordnung der Gemeinde, die Loyalität gegenüber jüdischer Tradition, die Charakterisierung der Handlungsträger, namentlich des vorbildlichen Juden Paulus, die Petrus-Paulus-Parallele und dergleichen mehr. Die Erweiterung der Markion-Vorlage, namentlich um die Rahmenstücke (Lk 1–2; 24), dient dem gleichen kontroverstheologischen Zweck. Matthias Klinghardt hält das Doppelwerk aus Lk und Apg für eine antimarkionitische Fiktion, die durch redaktionelle Verknüpfung zweier voneinander unabhängiger Werke, vor allem durch Ergänzung von Proömien und Kindheitserzählung sowie die programmatische Hervorhebung von Lk 4,16–30, zustande gekommen sei.40

Es ist nicht zu bestreiten, dass Apg altkirchlich zur Auseinandersetzung mit markionitischen (und anderen) Strömungen im Frühchristentum herangezogen wurde. Gegen die Annahme einer ursprünglichen polemischen Zielsetzung der Schrift selbst sprechen folgende Einwände: (1) Dem Doppelwerk als solchem, also der für Knox, Tyson und Klinghardt entscheidenden Verbindung von Lk und Apg, kommt in der frühkirchlichen Argumentation von Justin über Irenäus bis Tertullian keine Bedeutung zu. Lediglich die Herkunft vom gleichen Verfasser wird argumentativ eingesetzt. Ebenso wenig dokumentiert der handschriftliche Befund, dass Lk und Apg als Einheit rezipiert wurden. So hätten die Zeitgenossen ungeachtet ihres dringenden Applikationsinteresses jenen apologetischen Zweck der Verbindung übersehen, der dann erst dem 19. Jahrhundert aufgehen sollte. 37 J. Knox, Marcion and the New Testament. An Essay in the Early History of the Canon, Chicago 1942, bes. 114–139. 162–165. 38 Knox, Marcion, 166. 39 J.B. Tyson, Marcion and Luke-Acts. A Defining Struggle, Columbia 2006, 76; vgl. ebd. 50–120. 40 Klinghardt, Markion, 496–513; vgl. ders., Evangelium I, 142–162. Zu einer Gesamtkritik des Ansatzes C.M. Hays, Marcion vs. Luke. A Response to the Plädoyer of Matthias Klinghardt, in: ZNW 99, 2008, 213–232.

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(2) Das „mirror reading“ der Apg bei Tyson ist weder falsifizier- noch verifizier- und somit nicht diskutierbar ; es erklärt schlechterdings keinen problematischen Befund. Klinghardts Lektüre von Lk 1,1–4 unter Annahme einer antimarkionitischen Tendenz ist nachgerade Paradefall eines projektiven Textzugangs: Aus weithin topischen Gemeinplätzen wird subtile Polemik.41 Wie soll man sich eine antimarkionitische Tendenzschrift erklären, die auch in ihren redaktionellen Teilen keine Spur von Auseinandersetzung mit Markions dualistischem Gottes-, Christus- oder Weltbild, seiner Ablehnung der biblischen Schriften Israels oder seinem aszetischen Ethos verrät? Wenn die Miletrede (bes. Apg 20,29 f) alles ist, was der kanonische Lukas unmittelbar zur Kontroverse beizusteuern hat, hat er das Phänomen Markion deutlich verfehlt. (3) Tatsächlich verlief die Dynamik umgekehrt: Weil die frühkirchlichen Theologen durchaus daran interessiert waren, die Häresien bereits in den neutestamentlichen Schriften entlarvt zu sehen, wird Simon Magus (Apg 8,9–24) ihrer aller Stammvater – und so auch eine Art reprojizierter Markion. Der lukanische Simon Magus wäre über die ketzerische Karriere, die er seit Justin nimmt, durchaus überrascht (vgl. Irenaeus, haer. 1,23,1–4; 3, pr.). Er dient als Statthalter der Häretiker, weil selbst den frühen Kirchenschriftstellern jenes Maß an Phantasie fehlte, dessen sie bedurften, um brauchbare Antimarkionismen unmittelbar im Erzählgefüge der Apg zu entdecken. So wird Apg bei Irenäus nicht nur zur Basiserzählung der apostolischen Tradition, sondern mit Apg 8 auch zur Basiserzählung der häretischen Deviation mit der ihr eigenen Genealogie.42 (4) So richtig es ist, dass Apg die Kontinuität mit Israel herausstellt, so deutlich steht doch die biblisch getönte Herkunftsmimesis in Kontrast zur wachsenden Entfremdung zwischen den Christusgläubigen und ihren jüdischen Gegenspielern. In der Tat stand Lukas lange unter der Anklage eines heftigen Antijudaismus.43 Apg ist die intentionale Geschichte einer Erstepoche, in der sich das Werden der christlichen Gemeinden in Israel mit der Trennung vom (synagogalen) Judentum verbindet.44 Darin mit Tyson eine Reaktion auf den markionitischen Entwurf vom Christentum zu sehen fällt schwer. 41 Ähnlich neigt Lieu, Marcion, 430 f, zu Skepsis gegenüber jener beträchtlichen „eisegesis“, derer es bedarf, um eine antimarkionitische Stoßrichtung in Apg zu entdecken, selbst dann, wenn man sie als Begleitband zu Lk liest. 42 Vgl. Mount, Christianity, 15 f. Anm. 22. 19 f. Zu Simon Magus und seiner Sinnkarriere in der altkirchlichen Literatur insgesamt S. Haar, Simon Magus. The First Gnostic?, BZNW 119, Berlin 2003. 43 Einen Überblick bietet M. Blum, Antijudaismus im lukanischen Doppelwerk? Zur These eines lukanischen Antijudaismus, in: R. Kampling (Hg.), „Nun steht aber diese Sache im Evangelium …“. Zur Frage nach den Anfängen des christlichen Antijudaismus, Paderborn 1999, 107–149. 44 Dazu näher M. Wolter, Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte (2004), in: ders., Theologie und Ethos im frühen Christentum. Studien zu Jesus, Paulus und Lukas, WUNT 236, Tübingen 2009, 261–289.

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(5) Klinghardts These von einer künstlichen Zusammenfügung zweier ursprünglich unabhängiger Werke dispensiert sich allzu rasch von der Diskussion um die auktoriale, narrative und konzeptionelle Einheit von Lk und Apg. Der kanonischen Redaktion wird hier eine in der Tat tiefgehende Vereinheitlichung zugetraut, in der sie sich zwar einerseits um subtile semantische Feinheiten bemüht, aber andererseits davon absieht, das theologische Konzept Markions überhaupt wahrnehmbar zu machen. (6) Die Fragen, auf die Lk/Apg eine Antwort geben, stellten sich nicht erst mit Markion. Die Herkunft des „Weges“ aus Israel, die Stellung des Paulus in der Ursprungsgeschichte, die gottgelenkte Ausformung einer geordneten Gemeinschaft gehören zu den erwartbaren Anliegen einer Schwellengeneration. Die Selbstaffirmation durch biblische Erinnerungsstrategie und selbstadelnde Vergangenheitsbehauptung wird durch die Legitimationsbedürfnisse in der urchristlichen Übergangsphase als solcher, nicht erst durch das Wirken bestimmter Gegenspieler herausgefordert. Apg wurde nicht für die markionitische Herausforderung abgefasst oder angepasst, sonst wäre sie „passgenauer“. Fazit: Die These einer antimarkionitischen Zielsetzung der Apg ist nicht haltbar. Die frühkirchliche Auseinandersetzung mit Markion hat nicht dazu geführt, dass Apg entworfen, wohl aber dass sie entdeckt wurde. Dies gilt es abschließend näher zu betrachten.

3. Die zweite Karriere der Apostelgeschichte Ursprüngliches Leitanliegen der Apg war es, der sich allmählich wahrnehmenden und definierenden Gemeinschaft der Christusgläubigen biblische Herkunft aus der Ahnengemeinschaft Israels zu bezeugen, wobei die Apostel und Paulus als Scharnier zwischen der Epoche Jesu und der Gegenwart dienten. In einer neuen Schwellenzeit, um 180 n. Chr., fand Apg ihren zweiten Kairos: Sie bezeugte der gewordenen Kirche apostolische Herkunft aus der Christus-Zeit durch „alle Apostel“ unter Einschluss von Paulus. Die gnostizistische, markionitische und ebionitische Konkurrenz ließ Fragen wach werden, die sich Lukas einst unter anderen Vorzeichen gestellt hatten. Abermals dient das Opus Lucanum der Herkunftsmimesis, doch in heilsgeschichtlicher Rochade wird der einstige Zielpunkt – Paulus – jetzt zum Ausgangspunkt: Sein Evangelium ist apostolisch ausgerichtet und eingebunden. Der eigentliche Entdecker der Apg und des „lukanischen Doppelwerks“ ist, sofern uns die Überlieferungslage nicht täuscht, Irenäus von Lyon.45 Für ihn ist Apg die Lösung für das Problem, das Markion darstellt.46 Tertullian baut diese 45 Vgl. Mount, Christianity, 28 f. 46 Zur Rezeption und Interpretation der Apg bei Irenäus Campenhausen, Entstehung, 234–240;

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Lösung aus und ebnet Apg ihren Weg in den Kanon, eine Bedeutung, die sich – vermutlich etwa in dieser Zeit – auch im muratorischen Fragment abzeichnet. Dabei ist Markion nicht zu monopolisieren. Irenäus nennt in den maßgeblichen Passagen auch andere, gnostizistische oder judenchristliche Antagonisten. Er wirft diesen Gegnern nicht vor, dass sie Apg verworfen haben, sondern benutzt Apg, um diese Gegner zu verwerfen. Folgende Argumentationslinien sind kennzeichnend: (1) Apg bietet die Erzählung vom legitimen Ursprung: Hae voces ecclesiae ex qua habuit omnis ecclesia initium. Von den Irrlehrern gilt mit Blick auf den Anfang der Kirche, was auch für den Anfang der Schöpfung gilt: Non enim erat ibi tunc Valentinus nec Marcion nec reliqui sui vel eorum qui adsentiunt eis eversores […] (haer. 3,12,5). Ganz anders dagegen der Verfasser der Apg, von dem mit Blick auf Paulus gilt: Omnibus his cum adesset Lucas, diligenter conscripsit ea (3,14,1). Wenn das Neue, das Jesus Christus brachte, er selbst war (vgl. 4,34,1 f), dann ist das apostolische Ursprungszeugnis von Jesus Christus, wie es sich in Apg verdichtet, die schlechthinnige Basis, ohne die man außerhalb der Heilsordnung steht. Dieses Zeugnis überbietet so noch die Ankündigung des Messias durch die Propheten (vgl. etwa 4,35,2). (2) Apg belegt in doppelter Hinsicht die Katholizität (im Sinn einer Zeit, Raum und Gemeinschaft umfassenden Geltung) als Glaubwürdigkeitsnachweis. Sie verbürgt diachron die Kontinuität der kirchlichen Jetztzeit bis zur Zeit der Apostel und damit zum Ursprung bei Christus. Zugleich verbürgt sie synchron über alle Räume und Gruppierungen hinweg die Einheit dieses Zeugnisses, das allen Aposteln, Paulus eingeschlossen, gemeinsam war und bleibt (vgl. etwa 3,12,1–11). Der Kanon Muratori nennt unsere Schrift acta omnium apostolorum sub uno libro (vgl. Z. 34 f). Hier wird diese doppelte Funktion – Kontinuität und Einheit – bereits im Titel greifbar. (3) Apg stellt mit dem Pfingstbericht die Urkunde vom Geistbesitz (vgl. haer. 3,1,1; 3,12,1 f; 3,17,2): Wem diese fehlt, fehlt damit auch der Geist selbst, so dass er zu authentischem Urteil weder befähigt noch berechtigt ist. Gerade dieses pneumatologische Argument durchzieht die weitere polemische Indienstnahme der Apg (vgl. z. B. Tertullian, praesc. 22,9–11; Marc. 5,2,7). (4) Apg wandert in den werdenden Kanon, und zwar strukturierend in dessen Mitte (vgl. bes. haer. 3,14,1–3,15,1). Sie dient dabei zwei Zwecken: (a) der apostolischen Rekontextualisierung, (b) der literarischen Synthese. (a) Markion hatte die Paulusbriefe, allen voran Gal, vertieft durch das (paulinische) eqacc´kiom, als Referenzbasis benutzt. Irenäus verortet die Briefe wie die Evangelien im Gedächtnisgemälde der Apg und rekontextualisiert so die Bezugstexte in der verbindlichen apostolischen Herkunftsmimesis. Mit dem neuen Kontext legt er die Verstehensprämissen ihrer Lektüre fest. Apg bestimmt, was aus Evangelium und Apostolikon notwendig werden muss. Der Barrett, Acts I, 45–47; Mount, Christianity, 12–29; Smith, Function, 53–66; Schröter, Apostelgeschichte, 303–306; Gregory, Irenaeus, 48–55; Smith, Acts, 96 f.

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Jesus-Bios schwebt nicht (wie bei Markion) im literarisch freien Raum, sondern mündet geradezu natürlich in die apostolische Verkündigung. Die Briefliteratur wird nicht (wie bei Markion) mit unmittelbarem Urteil ausgelegt, sondern in der durch Apg ausgerichteten Perspektive. Die acta apostolorum werden zur praeambula fidei. (b) Als ea testificatio quae est de Paulo und regula veritatis (vgl. 3,15,1) sichert Apg auf breiter literarischer Front die großkirchliche Lehretablierung.47 Auf die Denkfigur eines „Doppelwerks“ greift Irenäus insofern zurück, als die auktoriale Einheit durch Lukas verknüpft, was bislang (kaum nur bei den Gegnern) getrennt war : Lukas, der unzertrennliche Begleiter und intime Kenner des Völkermissionars, ist zugleich Verfasser des – für Markion maßgeblichen – Evangeliums. In seiner Person verbindet er Jesus-Bios und PaulusExpertise und wehrt, namentlich mit seinem zweiten Werk, den Gefahren isolierter Schriftwahrnehmung. Apg dient Irenäus dazu, die evangelische Jesus-Überlieferung und die paulinische Korrespondenz so miteinander zu verknüpfen, dass er den Gegnern sowohl diese als auch jene aus der Hand schlägt. Gegen den ebionitischen Antipaulinismus sichert Apg die kirchliche Wertschätzung des maßgeblichen Apostels, gegen die markionitische Paulozentrik dessen apostolische Einbindung, gegen die valentinianische Esoterik die öffentliche Proklamation des Evangeliums. Vornehmlich gegen Markion und Valentinus richtet sich der Vorwurf des Selbstwiderspruchs, in den diese geraten, wenn sie sich zwar vielfach auf die lukanische Jesus-Erzählung berufen, jedoch die lukanische Paulus-Überlieferung – literarisch gewendet: den zweiten Logos des Lukas – ablehnen.48 Ich halte es für die wahrscheinlichste Annahme, dass es erst Irenäus (bzw. sein Umfeld) war, der durch literarische Kombination von „lukanischem“ Evangelium, Wir-Berichten der Apg und Lukas-Passagen der Paulusbriefe den apostolischen Paulusbegleiter und Erstzeithistoriographen „Lukas“ als synthetisches Modell geschaffen hat. Wie der Hebräerbrief durch Paulus (oder Lukas) und die JohannesApokalypse durch Johannes „kanonreif“ ausgestattet wurden, so erhielt auch Lk/Apg ein apostolisches Siegel, freilich aus der nächsten Generation. Gerade die Generationenfolge aber gewährleistete Traditionsbildung in Einheit mit Paulus.49 Das alt47 Fortassis enim et propter hoc operatus est Deus plurima evangelii ostendi per Lucam quibus necesse haberent omnes uti, ut, sequenti testificationi eius quam habet de actibus et doctrina apostolorum omnes sequentes et regulam veritatis inadulteratam habentes, salvari possint (haer. 3,15,1). 48 Necesse est igitur et reliqua quae ab eo [scil. Luca] dicta sunt recipere eos [scil. Marcionem et Valentinum] aut et his renuntiare: non enim conceditur eis ab his qui sensum habent quaedam quidem recipere ex his quae a Luca dicta sunt quasi sint veritatis, quaedam vero refutare quasi non cognovisset veritatem (haer. 3,14,4; vgl. 3,14,3 f). Ähnlich 3,14,4 gegen den ebionitischen Antipaulinismus: Si autem et reliqua suscipere cogentur, intendentes perfecto evangelio et apostolorum doctrinae, oportet eos paenitentiam agere ut salvari a periculo possint. 49 Mount, Christianity, 34 f, nimmt an, die Namensangabe „Lukas“ habe ursprünglich nicht dem Lukas der Paulusbriefe gegolten, sondern einem „otherwise unknown Luke“. Solche Ideen

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kirchliche Lukas-Narrativ war eine vorzügliche Integrationsleistung: Der Historiograph der Spätgeneration (Lk 1,1–4) ist der Paulusbegleiter der Wir-Berichte, den auch die Briefe nennen.50

Die geläufige Anwendung von 2Kor 8,18 auf Lukas verankert die Trias „JesusEvangelium – Paulus – Lukas“ auch in den Paulusbriefen: Paulus selbst schickt den Bruder, der mit seinem „Evangelium“ – jetzt literarisch verstanden – in der ganzen Kirche anerkannt wird (z. B. Hieronymus, ep. 53,9; vir. ill. 7; vgl. Origenes nach Eusebios, h.e. 6,25,6). Im Kanon entwickelt sich Apg zur synthetischen Schrift: Sie bildet meist die Brücke zwischen Evangelien und katholischen Briefen oder die zwischen Evangelien und Corpus Paulinum, was sie in der Lesesequenz einerseits zu einer logischen Folge des Evangeliums, andererseits zu einem kirchlich situierenden Prolog für Apostel und Paulus macht.51 Im Grunde wird damit ein integrierendes Potential neu entdeckt, das im lukanischen Doppelwerk als solchem angelegt ist: die Verbindung des in den Schriften Israels verwurzelten Jesus-Bios mit der apostolischen Erstepoche zur identitätsstiftenden Einheit. In diesem Sinn hat C.K. Barrett das Doppelwerk (ein wenig anachronistisch) „the first New Testament“ genannt,52 und in diesem Sinn hat Irenäus nicht nur Apg, sondern das lukanische Doppelwerk – im Wortsinn – entdeckt. Die zweite Karriere der Apg muss daher nicht als Verfälschung der lukanischen Absicht interpretiert werden, sondern kann als deren theologische Fortschreibung gelten.53 Hier wie dort geht es um Legitimität durch Herkunft; hier wie dort waltet der Wille zur theologischen Synthese, der hier wie dort auch zur – uns befremdenden – Markierung von Alterität (Youda?oi, haeretici) führt. Der Grundgedanke des Kanons jedoch hat etwas sehr Lukanisches: Gegensätze zusammenbringen, als bestünden sie nicht. Wie immer man Markion rekonstruiert: Er hat die Dinge stringent durchdacht.54 So gesehen liegt zwischen ihm und Lukas eine ganze Welt – jene Welt, die Apg lebendig erzählend durchquert, weil ihr das stringente Durchdenken am Ende lebensfremd wirkt.

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werden bekanntlich auch für den Petrus- und Paulusschüler „Markus“ gepflegt. Der Zufall wäre fürwahr mächtig, wenn gleich zwei Evangelien zufällig mit Namensvettern von brauchbaren Apostelschülern verbunden waren. Vgl. H.J. Cadbury, The Tradition, in: F.J. Foakes Jackson/K. Lake (Hg.), The Beginnings of Christianity II, London 1922, 209–264, 261–264; H.-M. Schenke/K.M. Fischer, Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments II, Berlin 1979, 160; Schnelle, Einleitung, 312. Zu Apg als Integrationsschrift vgl. Schröter, Apostelgeschichte, bes. 319–324. Zur Anlage von Apg als Paradigma theologischer Synthese (Propheten, Jesus, Jerusalem, Paulus) und „fabric of unity“ des frühkirchlichen Kanonkonzepts erhellend Smith, Acts. C.K. Barrett, The First New Testament, in: NT 38, 1996, 94–104, 102–104. Vgl. auch Schröter, Apostelgeschichte, 326 f. Vgl. die Würdigung bei Lieu, Marcion, 433–439.

Deuteropaulinen einschließlich Hebräerbrief und Katholische Briefe

Stefan Schreiber

Pseudepigraphie als Problem der Einleitungswissenschaft Perspektiven aus der antiken Briefliteratur In einer Zeit, in der Fragen genuiner Autorschaft äußerst kritisch betrachtet werden, wie aktuelle Plagiatsfälle bei wissenschaftlichen Arbeiten zeigen, stellt Pseudepigraphie ein ernstes moralisches Problem dar. Die Vorstellung, dass ein uns unbekannter Autor des 1. Jahrhunderts einen eigenen Brief verfasste und darüber den Namen des Paulus setzte, irritiert uns – selbst dann, wenn der Brief durchaus formale und inhaltliche Ähnlichkeiten mit den authentischen Paulusbriefen aufweist. In der Einleitungswissenschaft ist die Bestimmung von sechs „Paulus“-Briefen als pseudepigraphisch heute weit verbreitet, wenn auch nicht unumstritten. Gute Gründe dafür hat Udo Schnelle, dem dieser Beitrag gewidmet ist, in seinem viel zitierten Standardwerk der neutestamentlichen Einleitung angeführt.1 Akzeptiert man diese Bestimmung, dann stellt sich die Frage nach der theologischen Bewertung: Wie ist es denkbar, dass gefälschte Briefe als Ursprungsschriften der Christen-Gemeinschaft, als Bestandteil des neutestamentlichen Kanons fungieren? Auch diese Frage greift Schnelle auf, und er gelangt sogar zu einer überaus optimistischen Bewertung des Phänomens. Er lehnt die moralische Kategorie der Fälschung als ungeeignet ab und stellt vielmehr fest: Neutestamentliche Pseudepigraphie „muss als der theologisch legitime und ekklesiologisch notwendige Versuch angesehen werden, die apostolische Tradition in einer sich verändernden Situation zu bewahren und zugleich notwendige Antworten auf neue Situationen und Fragen zu geben“ (360). Dabei kann er die „gesamtkirchliche Perspektive“ der pseudepigraphischen Schriften hervorheben, die „aus ökumenischer Verantwortung“ entstanden seien (360). Denn er verortet die zentrale Funktion dieser Schriften in der Zuschreibung von Autorität, die deswegen notwendig wurde, weil sich in der nachapostolischen Zeit Amtsstrukturen erst entwickelten und „es keine Persönlichkeiten mehr gab, die eine gesamtkirchliche Autorität besaßen“; „die noch fehlende Amtsautorität war ein wesentlicher Grund, um die Autorität der Erstzeugen durch Pseudepigraphen in Anspruch zu nehmen“ (358). 1 Es handelt sich bekanntlich um Kolosser-, Epheser- und 2. Thessalonicherbrief sowie um die drei Pastoralbriefe. Beim Hebräerbrief scheint eine Zuschreibung an Paulus wenigstens angedeutet. Auch 1. und 2. Petrusbrief, Jakobus- und Judasbrief gelten heute weithin als pseudepigraphisch. Vgl. U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 92017 (daraus die folgenden Zitate).

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Dieser positiven Bewertung ist in jüngerer Zeit zum Teil heftig widersprochen worden. So gelangt Armin Baum zu dem Ergebnis, „dass pseudepigraphe Apostelschriften im frühen Christentum mit hoher Wahrscheinlichkeit als literarische Fälschungen gegolten haben.“ „Neutestamentliche Pseudepigraphen sind daher aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ohne Täuschungsabsicht verfasst worden, sondern als literarische Fälschungen einzustufen.“2 Marco Frenschkowski wendet sich gegen eine Verharmlosung der Pseudepigraphie in der Antike; diese sei „eine bewusste und planmäßig durchgeführte Täuschung“, die antike Leser, wäre sie erkannt worden, „vor den Kopf gestoßen hätte“. Er wertet das Phänomen als epigonal ab und behauptet: „Nur die Arglosigkeit und Naivität christlicher Leser hat meist ihre Erkenntnis verhindert“.3 Bereits Wolfgang Speyer meinte 1971, die christlichen Pseudepigrapha der ersten drei Jahrhunderte seien stets Fälschungen, weil sie außerliterarische Ziele verfolgen; sie seien nicht mit unechten Königs- oder Philosophenbriefen zu vergleichen, aber auch keine Unterhaltungsliteratur und keine rein literarisch-künstlerischen Schriften, sondern gehen zurück auf die „Zwecke des Tages, die apologetisch, missionarisch und theologisch geprägt waren“.4 Wie wir sehen werden, sind aber auch z. B. die Kynikerbriefe nicht zweckfrei gestaltet. Und so bemerkte schon Speyer, dass das Label „Fälschung“ dem Phänomen der Pseudepigraphie nicht ganz gerecht wird, und versuchte tastend eine Differenzierung, indem er die „Fälschung“ von „rhetorisch beabsichtigte(r) freie(r) Erfindung (Fiktion)“ bzw. „echten religiösen Pseudepigrapha“ unterschied.5

2 A.D. Baum, Pseudepigraphie und literarische Fälschung im frühen Christentum. Mit ausgewählten Quellentexten samt deutscher Übersetzung, WUNT II/138, Tübingen 2001, 93.80 (Originale kursiv); er verbindet damit weitreichende theologische Fragen wie die nach Wahrheit und Lüge in der alten Kirche (125–147, mit dem Ergebnis, dass „die literarische Fälschung als Sonderfall der Lüge betrachtet werden“ kann, 150) und nach der Kanonizität gefälschter Schriften, die für ihn ausgeschlossen ist (191.194). Kritik an Baum bei M. Janssen, Unter falschem Namen. Eine kritische Forschungsbilanz frühchristlicher Pseudepigraphie, ARGU 14, Frankfurt a.M. 2003, 201–206. 3 M. Frenschkowski, Pseudepigraphie und Paulusschule. Gedanken zur Verfasserschaft der Deuteropaulinen, insbesondere der Pastoralbriefe, in: F.W. Horn (Hg.), Das Ende des Paulus. Historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte, BZNW 106, Berlin/New York 2001, 239–272, 251; vgl. 249. Von Fälschung spricht auch B.D. Ehrman, Forgery and Counterforgery. The Use of Literary Deceit in Early Christian Polemics, New York 2013, 128–132. 4 W. Speyer, Die literarische Fälschung im heidnischen und christlichen Altertum. Ein Versuch ihrer Deutung, HAW I/2, München 1971, 104.176–179, Zitat: 177. 5 Speyer, Fälschung, 7.13 f. – P.A. Rosenmeyer, Ancient Epistolary Fictions. The Letter in Greek Literature, Cambridge 2001, 195 f, zeigt sich kritisch gegenüber der Annahme bewusster „Fälschung“ und spricht eher von „imposture“ (Schwindel, Betrügerei). Die Ambivalenz des Phänomens betont I. Broer, Täuschungsabsicht in den kanonischen Schriften? Ein Problembericht, in: R. Hoppe/M. Reichardt (Hg.), Lukas – Paulus – Pastoralbriefe (FS A. Weiser), SBS 230, Stuttgart 2014, 233–252. Ausgewogen ist das Urteil von N. Brox, Falsche Verfasserangaben. Zur Erklärung der frühchristlichen Pseudepigraphie, SBS 79, Stuttgart 1975, 65, „dass die literarische Fälschung im Umkreis des frühen Christentums weder die akzeptable Selbstverständlichkeit war,

Pseudepigraphie als Problem der Einleitungswissenschaft

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Angesichts solch unterschiedlicher Bewertungen bleibt es eine drängende Aufgabe gegenwärtiger Einleitungswissenschaft, neutestamentliche Brieffiktionen im historischen Kontext antiker Literatur zu verorten und zu verstehen. Neu ist diese Aufgabe nicht. Die zu Beginn des 19. Jahrhunderts angestoßene Diskussion um die Echtheit verschiedener Paulusbriefe erfuhr in den 1970er Jahren besonders durch Arbeiten von Wolfgang Speyer und Norbert Brox eine inhaltliche und methodische Vertiefung, indem das Phänomen frühchristlicher Pseudepigraphie als Teil der antiken Pseudepigraphie betrachtet wurde.6 Speziell mit frühjüdischer Pseudepigraphie beschäftigte sich Martin Hengel.7 Mit der Einsicht, dass man neutestamentliche Pseudepigraphie nur unter den Bedingungen antiker Mentalität verstehen kann, war ein forschungsgeschichtlicher Standard erreicht, hinter den man nicht mehr zurückgehen konnte.8 Dies dokumentieren neue Beiträge wie ein Aufsatz von Marco Frenschkowski, der antike Schulverhältnisse als Kontext heranzieht, oder ein von Jörg Frey u. a. edierter Sammelband, der den frühjüdischen bzw. griechischrömischen Kontexten eigene Kapitel mit mehreren Beiträgen widmet.9 Eine historische Betrachtung antiker Pseudepigraphie muss mögliche mentalitätsgeschichtliche Unterschiede zur Gegenwart wahrnehmen, die z. B. in anderen Erfahrungen von Status- und Gruppenzugehörigkeiten begründet liegen. Eine solche Betrachtung bildet auch die Grundlage, auf der über theologische Implikationen wie die Fragen nach apostolischer Verlässlichkeit oder der Kanonizität von Schriften gesprochen werden kann, die als pseudepigraphisch erkannt wurden. Sie verweist die Rezeption zudem auf die grundlegende Einsicht, dass sowohl antike als auch urchristliche Pseudepigrapha Literatur sind, und zwar fiktionale Literatur, und daher auch als solche gelesen und verstanden werden wollen.10

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mit der das gesamte Problem in der Forschung immer wieder unzulässig verharmlost wird, noch auch regelmäßig als moralisch verwerfliche Entgleisung und Ungeheuerlichkeit galt.“ Speyer, Fälschung; Brox, Verfasserangaben. Vgl. bereits J.A. Sint, Pseudonymität im Altertum. Ihre Formen und ihre Gründe, Commentationes Aenipontanae 15, Innsbruck 1960. Einen Überblick zur Forschung geben M. Janssen/J. Frey, Einführung, in: J. Frey/J. Herzer/M. Janßen/ C.K. Rothschild (Hg.), Pseudepigraphie und Verfasserfiktion in frühchristlichen Briefen, WUNT 246, Tübingen 2009, 3–24, 4–16; ausführlich Janßen, Unter falschem Namen. – Anders grenzt M. Frenschkowski, Erkannte Pseudepigraphie? Ein Essay über Fiktionalität, Antike und Christentum, in: Frey/Herzer/Janßen/Rothschild (Hg.), Pseudepigraphie, 181–232, 222–225, das Christentum zu stark von seiner antiken Umwelt ab, indem er den Abstand der Christen von der Bildungswelt ihrer Zeit und ihren subkulturellen Charakter betont. M. Hengel, Anonymität, Pseudepigraphie und „literarische Fälschung“ in der jüdisch-hellenistischen Literatur (1972), in: ders., Judaica et Hellenistica. Kleine Schriften I, WUNT 90, Tübingen 1996, 196–251. Indirekt zeigt dies auch der Versuch von K. Aland, Falsche Verfasserangaben? Zur Pseudonymität im frühchristlichen Schrifttum, in: ThRv 75, 1979, 1–10, der die Exklusivität frühchristlicher Pseudepigraphie betonte, dabei aber wenig Zustimmung fand. – Schnelle, Einleitung, 356–358, beginnt seine Darstellung der Pseudepigraphie mit einem knappen Überblick zur antiken Literatur. Frenschkowski, Erkannte Pseudepigraphie. Vgl. Rosenmeyer, Epistolary Fictions.

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Der vorliegende Beitrag möchte, die bisherigen Forschungen zur antiken und urchristlichen Pseudepigraphie aufgreifend, ein in der antiken Literaturgeschichte begründetes Raster zur Verfügung stellen, das die Analyse pseudepigraphischer (Paulus-)Briefe leiten kann. Er diskutiert nicht noch einmal die Gründe für pseudepigraphische Verfasserschaft einzelner Briefe, sondern fragt grundlegend, welche Einsichten aus der antiken Literatur für ein vertieftes Verständnis fiktiver Paulusbriefe zu gewinnen sind. Um den Bezug wenigstens ansatzweise sichtbar zu machen, ziehe ich immer wieder den relativ kurzen 2. Thessalonicherbrief als Referenzbrief heran. In fünf Schritten frage ich, wo der Vergleich mit der antiken Briefpseudepigraphie aufschlussreich sein kann: 1. Wo finden pseudepigraphische Paulusbriefe ihre antike Ermöglichung? 2. Wie funktioniert die Konstruktion antiker pseudepigraphischer Briefe? 3. Welche Bewertungen verbinden antike Autor/innen und Leser/innen mit dem Phänomen? 4. Wie lässt sich die Rezeption dieser Art von Literatur beschreiben? 5. Welche Funktion erfüllt das literarische Darstellungsmittel der Pseudepigraphie?

1. Die antike Ermöglichung pseudepigraphischer Paulusbriefe Die antike Mentalität besitzt ein Bewusstsein vom Wert des geistigen Eigentums und der individuellen Autorschaft von Schriften. Antiken Autoren selbst war die unveränderte Weitergabe ihrer Werke ausgesprochen wichtig, wie Bemerkungen zeigen, die sich in deutlichen Worten gegen die Verfälschung eines eigenen Textes richten.11 Die Autoren „beanspruchen ihre Schriften umfassend, in Form und Inhalt, für sich und erklären ausschließlich die von ihnen selbst autorisierten und veröffentlichten Texte für maßgeblich, nicht die durch Fehler oder Verfälschungen umgestalteten“.12 Ihr Autorbewusstsein forderte die Anerkennung ihrer gestalterischen und inhaltlichen Leistung.13 Dennoch existieren auffallend zahlreiche antike Briefe und Briefsammlungen, die heute als pseudepigraphisch eingestuft werden. Ein Überblick vermittelt einen Eindruck von der Verbreitung fiktiver Briefe, wobei ich auf die hilfreiche Übersicht, die Hans-Josef Klauck zusammengestellt hat, zurückgreife.14 Alle genannten Briefe sind in griechischer Sprache verfasst und 11 Wirkungsgeschichtlich bedeutsam erwies sich dabei die Schlussbemerkung in Apk 22,18 f: Jede Hinzufügung oder Auslassung im Text wird mit göttlichen Sanktionen bedroht. Zu entsprechenden admonitiones spätantiker Autoren vgl. M. Mülke, Der Autor und sein Text. Die Verfälschung des Originals im Urteil antiker Autoren, UALG 93, Berlin/New York 2008, 20–38. 12 Mülke, Autor, 64. Vgl. Speyer, Fälschung, 15–17, zur antiken Echtheitskritik 112–128. 13 Mülke, Autor, 70.263; vgl. A. Grafton, Art. Fälschungen, in: DNP 4, 1998, 394–397, 394. 14 H.-J. Klauck, Die antike Briefliteratur und das Neue Testament, UTB 2022, Paderborn 1998, 97–106. Grundlegend, wenn auch ergänzungsbedürftig, ist immer noch die Ausgabe von R. Hercher (Hg.), Epistolographi Graeci, Paris 1873 (Nachdr. Amsterdam 1965). Zur Aufzählung

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für den Vergleichszeitraum des 1. Jahrhunderts interessant; ich gebe jeweils den fiktiven Autorennamen mit Lebensdaten und kurzen Erläuterungen an: Aischines (389–314 v. Chr.): athenischer Politiker und Redner, zwölf fiktive Briefe Anacharsis (6.Jh. v. Chr.): skythischer Prinz und Weiser, zehn fiktive Briefe, wohl frühe hellenistische Zeit, damit älteste pseudepigraphische Brieffiktion; erkennbar an (anachronistischer) kynischer Tendenz; die Briefe stellen die kulturelle Überlegenheit Athens aus der Sicht eines gebildeten Barbaren infrage15 Apollonius von Tyana (1.Jh. n. Chr.): etwa 100 Briefe, wohl zum Großteil unecht Brutus (85–42 v. Chr.): Mörder Caesars, fiktiver Briefwechsel mit den Bewohnern verschiedener Städte, 70 kurze Texte; die Antwortbriefe der Städte hat der Redaktor Mithridates nach eigenen Worten selbst verfasst; wohl 2.Jh. n. Chr. Chion von Heraklea (4.Jh. v. Chr.): Chion tötete 353/2 v. Chr. den Tyrannen Klearchos in seiner Heimatstadt Heraklea; fiktiver Briefroman aus 17 Briefen, zeigt den Philosophen und Schüler Platons als Vorbild (exemplum) des Tyrannenmörders; Fiktion aus dem 1.Jh. n. Chr. deutlich an einem chronologischen Widerspruch, an Sprache und Stil und am Fehlen von Hinweisen auf Erfahrungen des Chion in Athen16 Demosthenes (4.Jh. v. Chr.): fünfter Brief unecht Diogenes und Krates (4.Jh. v. Chr.): sog. Kynikerbriefe, 51 Briefe des Diogenes, 36 Briefe des Krates; von verschiedenen Autoren aus der Zeit vom 1.Jh. v. Chr. bis 2.Jh. n. Chr.17 Euripides (480–406 v. Chr.): fünf Briefe, wollen den prominenten Dramatiker vom Vorwurf der Tyrannenfreundschaft freisprechen; Abfassung in früher Kaiserzeit Heraklit (um 500 v. Chr.): neun Briefe des vorsokratischen Philosophen, von zwei oder mehr Autoren aus dem 1.Jh. n. Chr. (u. a. kynische Einflüsse) Hippokrates (geb. 460 v. Chr.): unter dem Namen des berühmten Arztes liefen Briefe um, die eine Art Briefroman mit dem Briefpartner Demokrit darstellen auch K. Luchner, Pseudepigraphie und antike Briefromane, in: Frey/Herzer/Janßen/Rothschild (Hg.), Pseudepigraphie und Verfasserfiktion, 233–266, 242 f Anm. 34 und 35. 15 Dazu Rosenmeyer, Epistolary Fictions, 209–217; Rosenmeyer sieht in den Briefen das Motiv des „einfachen Lebens“ umgesetzt (ebd. 214). Vgl. J. Muir, Life and Letters in the Ancient Greek World, London/New York 2009, 191–193. 16 Vgl. Rosenmeyer, Epistolary Fictions, 234–252, zur Fiktion ebd. 235–240. Zu den Chion-Briefen als Briefroman Luchner, Pseudepigraphie, 257–262. 17 Z. B. fallen die Diogenes-Briefe 28–40 allein schon wegen ihrer Länge, aber auch inhaltlich aus dem Rahmen; die Krates-Briefe sind häufig von den Diogenes-Briefen abhängig, vgl. den völligen Besitzverzicht des Krates in Ep Cyn Diog 9 und Ep Cyn Krat 8 als Antwort; Dubletten liegen vor in Ep Cyn Diog 6.13, Ep Cyn Krat 26.27 und 30.32. Einschlägig ist die Ausgabe von E. Müseler, Die Kynikerbriefe. 2 Bde.: 1. Die Überlieferung; 2. Kritische Ausgabe mit deutscher Übersetzung, SGKA.NF 1/6.7, Paderborn 1994; zur Abfassung Bd. 1, 2. Zu den Kynikerbriefen vgl. Klauck, Briefliteratur, 140–146; Rosenmeyer, Epistolary Fictions, 221–224.

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Isokrates (436–338 v. Chr.): Rhetor, Briefe umstritten, zweifelhaft besonders Brief 5 Musonius Rufus (30–108 n. Chr.): ein fiktiver Brief Phalaris (570–554 v. Chr.): Tyrann in Agrigent (Sizilien), 148 Briefe als Charakterzeichnung des Tyrannen; Sammlung wohl erst im 4.Jh. n. Chr.18 Platon: 13 Briefe, davon wohl nur Brief 6, 7, 8 echt; insgesamt romanhafte Komposition Sokrates und Sokratikerbriefe: 35 Briefe, davon die ersten sieben Sokrates zugeschrieben, stellen Sokrates als ethisches Paradigma dar (exemplum), wohl aus dem 1./ 2.Jh. n. Chr. Themistokles (ca. 524–459 v. Chr.): athenischer Feldherr und Staatsmann, 21 Briefe aus dem 1./2.Jh. n. Chr., Ansätze zum Briefroman; verbinden historische Anhaltspunkte und Fiktionen zur dramatischen Darstellung der politischen und philosophischen Ansichten und des Schicksals des Themistokles19 Xenophon (ca. 426 bis nach 355 v. Chr.): sieben fiktive Briefe, aus der römischen Kaiserzeit In zwei Fällen sind die realen Autoren bekannt. Alkiphron (2.Jh. n. Chr.) verfasste 118 fiktive Briefe im Namen verschiedener Rollentypen wie Fischer, Bauer, Parasit, Hetäre – Charaktere, die auch aus der Komödie bekannt waren. Lukian von Samosata (ca. 120–180 n. Chr.) entwarf in seinen Saturnalien vier literarische Briefe an den bzw. vom Gott Kronos.

Neben diesen selbstständig überlieferten Briefen existieren zahlreiche in literarische Werke eingebaute Briefe, die in der Regel – ähnlich den Reden bei antiken Historikern – frei erfunden oder zumindest sprachlich gestaltet sind.20 Es gab wohl noch mehr fiktive literarische Briefe: So lässt sich als eine der Vorstufen des Alexanderromans (3.Jh.) ein Briefroman rekonstruieren, der den Ablauf des Eroberungsfeldzugs Alexanders durch Briefe der Hauptakteure nachzeichnet.21 Die lateinische Überlieferung der frühen Kaiserzeit hat übrigens wenig Vergleichbares zu bieten. Man kann an Ovids Heroides denken, die eine eigene Gattung des poetischen Briefs (in Versform) begründen. Es handelt sich um fiktive Briefe von Frauengestalten aus der Mythologie an ihre Gatten oder Geliebten, die in der Ferne weilen, z. B. von Penelope an Odysseus oder von Dido an Aeneas, die ihre Gefühle literarisch entfalten.22 Die Sprache in metrischen Versen und die mythologischen Absenderinnen erweisen die Briefe klar als pseudepigraphisch. 18 Dazu Rosenmeyer, Epistolary Fictions, 224–231. 19 Englische Übersetzung: P.A. Rosenmeyer, Ancient Greek Literary Letters. Selections in Translation, London/New York 2006, 56–82 (Einführung 49–53). Vgl. dies., Fictions, 231–233. 20 Überblick bei Klauck, Briefliteratur, 107–110. 21 Klauck, Briefliteratur, 112 f. 22 Klauck, Briefliteratur, 118.

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Auch aus dem Frühjudentum sind etliche fiktive Briefe erhalten. Lutz Doering hat jüngst das Material aufgearbeitet, so dass ich mich auf einige Notizen beschränken kann.23 Der Großteil dieser Briefe findet sich eingebettet in größere literarische Werke wie Daniel, 1. Makkabäer, 2. Makkabäer, 3. Makkabäer, Esther, auch im Aristeasbrief und bei den jüdischen Historikern Eupolemos und Josephus sowie in Philos Legatio ad Gaium.24 Als eigenständige fiktive Briefe sind anzuführen:25 Jüdische Diaspora-Briefe: Epistula Jeremiae (EpJer): 3./2.Jh. v. Chr., in LXX eigenes Buch, in Vulgata 6. Kap. des Baruch-Buches; in der Überschrift als „Brief“ benannt, sonst fehlen Briefelemente (außer Anrede in 2. Person); Bezug zu Jer 29mt/36lxx (Brief des Jeremia) Brief des Baruch (Barlxx): basiert auf Brief Jeremias (vgl. Anklang in Bar 1,1 an Jer 36,1lxx) 2Makk 1,10b–2,18: Festbrief, zur Einführung in das Buch; entweder ganz oder zu großen Teilen fiktiv Aramäische literarische Briefe in den Qumran-Schriften: 4Q203 (= 4QEnGiantsa ar) Fr. 8: Fiktion einer himmlischen Brieftafel: Henoch als Schreiber, eigentlicher Verfasser ist ein Engelwesen; Adressaten sind die gefallenen Wächterengel 4Q204 und 4Q212: Fragmente mit Entsprechungen in 1Hen 91–94.104–107; lassen auf einen (fiktiven) Brief Henochs an „seine Söhne“ auf Erden, die zur letzten Generation zählen, schließen Aristeasbrief (2.Jh. v. Chr.) Brief Baruchs in 2Bar 78–86 (ca. Anfang 2.Jh. n. Chr.):26 steht in der Tradition der Diaspora-Briefe

Die Vielzahl pseudepigraphischer Briefe (von anderen Pseudepigrapha ganz abgesehen) lässt den Schluss zu, dass das Phänomen – zumindest in literarisch gebildeten Kreisen – bekannt war. Ansonsten müsste man annehmen, dass 23 L. Doering, Ancient Jewish Letters and the Beginnings of Christian Epistolography, WUNT 298, Tübingen 2012. Ferner T.J. Bauer, Paulus und die kaiserzeitliche Epistolographie. Kontextualisierung und Analyse der Briefe an Philemon und an die Galater, WUNT 276, Tübingen 2011, 58–65. 24 Überblick bei Doering, Letters, 114–116.139 f.142–154.224–227.232–241.253–342. 25 Vgl. Doering, Letters, 154–163.170–183.217–232.241–253. 26 Neue Ausgabe: D.M. Gurtner, Second Baruch. A Critical Edition of the Syriac Text. With Greek and Latin Fragments, English Translation, Introduction, and Concordances, Jewish and Christian Texts 5, New York 2009. Zur Briefform P.S. Alexander, Epistolary Literature, in: M. E. Stone (Hg.), Jewish Writings of the Second Temple Period. Apocrypha, Pseudepigrapha, Qumran Sectarian Writings, Philo, Josephus, CRI II/2, Assen/Philadelphia 1984, 579–596, 593 f.

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jeder Autor eines fiktiven Briefes sein Vorgehen neu erfunden hätte, was ausgesprochen unwahrscheinlich ist. Es war offenbar kein neuer Gedanke, Briefe im Namen eines prominenten Denkers als Interpretation für zukünftige Generationen zu verfassen, und gerade auch den Anhängern der griechischen Philosophie vertraut.27 Fiktive Briefe sind somit als Literatur anzusehen, da sie von der Situation, die sie fingieren, gelöst sind. Diese literarische Möglichkeit wird auch unter den Christen der ersten Generationen bekannt gewesen sein, d. h. sie stand als Darstellungsform grundsätzlich zur Verfügung und kann – zumindest von manchen – auch als solche wahrgenommen worden sein.

2. Die Konstruktion pseudepigraphischer Briefe 2.1. Eine grundlegende Vorstellung davon, was der Verfasser eines pseudepigraphischen Briefes eigentlich tut, gewinnt man, wenn man sich die in Rhetorenschulen gelehrte Technik der Prosopopoiie (Personzeichnung) bzw. Ethopoiie (Charakterzeichnung) vergegenwärtigt.28 Dabei handelt es sich um Schulübungen, bei denen ein Schüler die Aufgabe erhält, sich in die Rolle eines prominenten Denkers oder Staatsmannes zu versetzen und eine Rede oder einen Brief so zu verfassen, wie sie das Vorbild in einer bestimmten Situation verfasst hätte (Progymnasmata). Die gelungene Imitation ist das Ziel. Die rhetorische Übung kann schnell zum Ernstfall werden: Sie kann vor Gericht eingesetzt werden, um eine Sachlage aus einer bestimmten Perspektive plausibel zu machen; antike Historiker schrieben Reden, Briefe und Urkunden historischer Personen in ihrem eigenen Stil um bzw. erfanden zur Verlebendigung neue Dokumente; in Kunstbriefen wie den bereits genannten Heroides des Ovid wurde die Imitation auf höchstem literarischen Niveau umgesetzt; im Kreis der Schüler konnte das Denken eines philosophischen Schulhauptes weitergetragen und aktualisiert werden. Gerade in Philosophen- und Ärzteschulen kursierten Arbeiten von Schülern unter dem Namen von Schulgründern, besonders bei den Peripatetikern, Sokratikern und Pythagoreern; die Schüler wollen in den Bahnen des Meisters weiterdenken. So entstehen Traditionen, die fortgeschrieben werden. Dass Schüler unter dem Namen ihres Lehrers schrieben, erscheint Tertullian 27 Vgl. Muir, Life, 174. – Die jüdische Traditionsliteratur war ohnehin in der Regel pseudepigraphisch bzw. anonym verfasst; individuelle Autoren treten, wohl unter hellenistischem Einfluss, erst mit Jesus Sirach auf (2.Jh. v. Chr.); vgl. Hengel, Anonymität; G. Theißen, Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem, Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 40, Heidelberg 2007, 154–156. 28 Dazu W. Speyer, Art. Pseudepigraphie I. Allgemein, in: DNP 10, 2001, 509 f; Luchner, Pseudepigraphie, 234; M. Janßen, Antike (Selbst-)Aussagen über Beweggründe zur Pseudepigraphie, in: Frey/Herzer/Janßen/Rothschild (Hg.), Pseudepigraphie und Verfasserfiktion, 125–179, 131–133.159–163; Rosenmeyer, Epistolary Fictions, 34.197 f.

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durchaus legitim;29 Schülerschriften konnten als geistiges Eigentum des Lehrers verstanden werden, Verehrung und Hochschätzung eines Lehrers kamen zum Ausdruck.30 Laut dem Canon Muratori wurde das Buch der Weisheit „von Freunden des Salomo zu dessen Ehre/in honore ipsius geschrieben“ (Z. 69–71). Allerdings wird man eine solche Praxis nicht einfach auf alle Schulen und alle Autoren übertragen dürfen. Mit der Annahme eines Schulkontextes für die Rezeption der Paulusbriefe wird man vorsichtig sein müssen.31 Eine Analogie zu den Paulusbriefen besteht jedoch darin, dass in beiden Bereichen der rechte Umgang mit der Tradition eines Lehrers zur Debatte steht. Wenn jemand im Namen des Paulus schreibt, entwirft er bewusst keine eigene neue Lehre, sondern denkt – zumindest seiner Intention nach – in den Bahnen des Paulus und führt ihn weiter. 2.2. Ein Beispiel für den Vorgang der Prosopopoiie und zugleich ein einzigartiges antikes Zeugnis für die Reflexion eines Autors über die Abfassung eigener pseudepigraphischer Briefe liegt im Brief des Mithridates vor, dem Einleitungsschreiben zur oben angeführten Sammlung der Brutusbriefe mit den Antworten der angeschriebenen Städte. Mithridates legt darin die eigene Fingierung dieser Antwortbriefe und seine Methode offen.32 Er erklärt, durch die Aussage seines Briefpartners, dass die Brutus-Briefe schwer zu beantworten wären, herausgefordert worden zu sein und nun den Versuch zu solchen Antwortbriefen zu wagen.33 Dabei erörtert er die Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens: Es gilt, die historische Situation der Städte zu erheben und in Einklang mit den Aussagen der Brutus-Briefe zu bringen; es muss eine Sprachebene erreicht werden, wie sie für die Städte dem hochrangigen Brutus gegenüber denkbar wäre, ohne dass die Städte ihre eigene Identität aufgeben; 29 Tert.Marc. 4,5,4: capit magistrorum videri quae discipuli promulgarint (Ausgabe: Tertullian. Adversus Marcionem, ed. and trans. by E. Evans, Oxford 1972, Bd. 2, 270). Suet. gramm. 7 bemerkt, dass ein Werk des Grammatikers Marcus Antonius Gniphos von seinen Schülern verfasst wurde. Für die pythagoreischen Schriften vgl. die positive Beurteilung dieser Praxis bei Iamb.vit.Phyt. 198. Muir, Life 123, bemerkt, dass die fiktiven Platon-Briefe als legitimes Medium („acceptable fiction“) zur Verbreitung der Lehre des großen Philosophen erschienen und die Verfasser die Briefe in so großer Nähe zu Platon selbst sahen, „that they were merely amplifying his established teaching“. 30 Vgl. Tert.bapt. 17,5: Fälschung der Paulusakten durch einen zeitgenössischen Presbyter aus Liebe zu Paulus (amore Pauli). 31 Vgl. nur T. Schmeller, Schulen im Neuen Testament? Zur Stellung des Urchristentums in der Bildungswelt seiner Zeit, HBS 30, Freiburg i.Br. 2001; T. Vegge, Paulus und das antike Schulwesen. Schule und Bildung des Paulus, BZNW 134, Berlin/New York 2006. Optimistischer Schnelle, Einleitung, 358 f. 32 Englische Übersetzung, Anmerkungen und ausführliche Untersuchung bei R.M. Calhoun, The Letter of Mithridates. A Neglected Item of Ancient Epistolary Theory, in: Frey/Herzer/Janßen/ Rothschild (Hg.), Pseudepigraphie und Verfasserfiktion, 295–330, bes. 321 f. 33 Bei den fiktiven Kynikerbriefen könnte im Hinweis bei Diog L 6,80 bzw. 6,98 auf (verlorene) Briefsammlungen des Diogenes bzw. Krates der Anlass für die nachträgliche Abfassung zu suchen sein.

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und es muss der passende Stil gefunden werden, der nicht hinter das exzellente Vorbild des „Brutus“ zurückfällt. Damit sollen die fiktiven Briefe den pädagogischen Wert der Sammlung erhöhen, indem sie ein gelungenes Beispiel für die Technik der Ethopoiie bzw. Prosopopoiie bilden. Der Brief des Mithridates erhellt den Zusammenhang zwischen Autor, Quellenmaterial und pseudepigraphischem Endprodukt.34 Täuschen will Mithridates seinen Briefpartner nicht – es sei denn, man versteht Täuschung im Sinne von Nachahmung: Täuschend echt sollen die Briefe wirken. Sie stellen Imitationen von Briefen dar, wie sie wirklich hätten geschrieben werden können.35 Die Qualität der Imitation entscheidet über die Akzeptanz.36 Bei 2Thess bildeten wohl kaum Stilfragen den Anlass. Aber täuschend echt will auch dieser Brief sein, so wie ihn Paulus geschrieben haben könnte. 2Thess imitiert dazu in hohem Maße die Sprache und Phraseologie des Paulus in 1Thess und anderen Paulusbriefen.37 Auf eigene Weise folgt EpJer dem Prinzip der Imitation, indem sich der Brief in der Überschrift als Abschrift eines Briefes des Jeremia an die zum Exil in Babylon bestimmten Juden ausweist. Faktisch fehlen jedoch alle typischen Elemente eines Briefes. Doch mit der angedeuteten Briefform wird ein Bezug zum Brief Jeremias in Jer 36,1–23 wachgerufen. Die Bindung an die JeremiaTradition wird weiter an einzelnen Elementen deutlich, die EpJer aus dem Jeremia-Buch aufgreift.38 2.3. Die Glaubwürdigkeitsfiktion ist eng verbunden mit der Aufnahme bekannter historischer Erinnerungen an die Person, deren Namen ein pseudepigraphischer Brief trägt. Dies lässt sich an den Kynikerbriefen demonstrieren, in denen einzelne anekdotenhafte Erinnerungen aus dem Leben des Diogenes bzw. Krates aufgegriffen und brieflich verarbeitet sind. So erzählt Ep Cyn Diog 20 die abgeklärte Reaktion des Diogenes, der zuvor von angetrunkenen Jugendlichen in Athen verprügelt worden war ; diese Episode erlaubt eine Gegenprobe, da sie (mit Differenzen) auch in der Vita des Philosophen bei Diog L 6,33 erwähnt ist. Auch in die Erzählung von Ep Cyn Krat 34, in der Diogenes in die Hände von Räubern gefallen ist, die gefährliche Si34 Calhoun, Letter, 317–319, kann zeigen, dass der Einleitungsbrief selbst als „a rhetorical-epistolary exercise“ (317) fungiert und der ansonsten unbekannte Mithridates ihn als Paradebeispiel nach den Handbüchern der Brieftheorie schreibt, weil er eine Art Textbuch mit exemplarischen Briefen eröffnen soll. 35 Zur Imitation von Sprache und Stil historischer Personen als Ziel der Progymnasmata vgl. S.K. Stowers, Letter Writing in Greco-Roman Antiquity, Library of Early Christianity 5, Philadelphia 1986, 32 f. 36 Vgl. Brox, Verfasserangaben, 60 f.64. 37 Details bei S. Schreiber, Der zweite Thessalonicherbrief, in: M. Ebner/S. Schreiber (Hg.), Einleitung in das Neue Testament, KStTh 6, Stuttgart 22013, 446–455, 447 f.; E. Krentz, A Stone that Will Not Fit. The Non-Pauline Authorship of Second Thessalonians (1983), in: Frey/Herzer/ Janßen/Rothschild (Hg.), Pseudepigraphie und Verfasserfiktion, 439–470, 456–463. 38 Jer 16,10 in EpJer 1; Jer 36,28 in EpJer 2; Jer 10,3 f.8 f in EpJer 3; Jer 10,3 in EpJer 45; Jer 3,2 in EpJer 54; Jer 10,5 in EpJer 69.

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tuation jedoch zu einem überraschenden, dem großen Kyniker würdigen Ausgang führt, können historische Erinnerungen eingeflossen sein (vgl. Diog L 6,29 f.74). Von dem berühmten Fass, das nach Ep Cyn Diog 16 dem Diogenes als angemessene Behausung diente, wissen auch andere antike Schriftsteller.39 Der völlige Besitzverzicht des Krates, Thema in Ep Cyn Diog 9 und Ep Cyn Krat 8, wird von Diog L 6,87 bestätigt. Auch Apophthegmata der beiden berühmten Philosophen sind in den Kynikerbriefen verarbeitet, z. B. der Ausspruch des Diogenes an Alexander d.Gr., der ihm einen Wunsch frei gab, „Geh mir bitte aus der Sonne“.40 Teilweise genügt dazu die Transformation von der 3. in die 1. Person Singular, bei längeren Briefen findet manchmal die seit Platon geläufige philosophische Form des Dialogs Verwendung (z. B. Ep Cyn Diog 31.36). Diese Praxis zeigt, dass pseudepigraphische Briefe keine Verfälschung des Philosophenbildes intendieren, sondern die literarische Gestaltung der Erinnerung an bekannte Züge einer Persönlichkeit als Brief. In 2Thess 2,5 und 3,10 erinnert „Paulus“ direkt an seine mündliche Verkündigung vor Ort, und laut 2,15 soll die Gemeinde an der Überlieferung des Paulus festhalten, gleich, ob diese in mündlicher Form („Wort“) oder als Brief vermittelt wurde. Diese Aussagen legen nahe, dass 2Thess mündliche Erinnerungen an Paulus aufgreift. Die Verweise in 2Thess 2,5 und 3,10 scheinen anzudeuten, dass hinter 2,3–12 und 3,6–12 eine solche Erinnerung steht.41 2.4. Für die Komposition eines „täuschend ähnlichen“ Briefes sind schließlich Elemente der Brieffiktion wichtig. Sie simulieren den „echten“ Charakter eines Briefes und erfüllen die Erwartungen an das Genre, wobei sie mit der vorausgesetzten historischen Situation zumindest potentiell übereinstimmen müssen. Sie transportieren zugleich relevante Inhalte, die der Intention des fiktiven Briefes entsprechen. Ein schönes Beispiel bietet der Chion-Briefroman. Darin lernt der junge Aristokrat Chion aus Heraklea in Pontus den Wert der Philosophie und den persönlichen Einsatz für Ideale wie politische Freiheit schätzen. In der Konsequenz gibt er sein Leben, um den Tyrannen Klearchos in seiner Heimatstadt zu töten. Lebensstationen des Chion sind durch fiktive Situationsangaben markiert. Brief 1 beginnt mit dem Hinweis auf einen Brief der Eltern, den der Sklave Lysis überbrachte. In Brief 2 und 3 zwingen widrige Winde Chion zum Verweilen in Byzantium. Besonders Brief 3,42 von Chion an seinen Vater Ma-

39 Sen.ep. 90,14; Iuvenal 14,308–314; Diog L 6,23; vgl. Müseler, Kynikerbriefe 2, 21. 40 Ep Cyn Diog 33,1 und Diog L 6,38; vgl. Ep Cyn Diog 33,4 und Diog L 6,32; weitere Beispiele bei Klauck, Briefliteratur, 143.147. Vgl. auch Müseler, Kynikerbriefe 1, 2. 41 Zu 2Thess 3,6–12 vgl. 1Kor 9,1–18; 1Thess 5,14. Theißen, Entstehung, 164–166, nimmt an, 2Thess könnte durch mündliche Traditionen, die Paulus in Thessaloniki hinterlassen hat, angeregt worden sein; Paulus könnte bei einem zweiten Besuch in Thessaloniki (2Kor 2,13; Apg 20,1ff) die Naherwartung aus 1Thess mündlich korrigiert haben, und später arbeitete jemand diese mündliche Selbstkorrektur in 2Thess 2,1–12 als Brief aus. 42 Text und englische Übersetzung: C.D.N. Costa (Hg.), Greek Fictional Letters. A Selection with

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tris, spielt am Anfang und Ende die Brieffiktion ein: Chion befindet sich auf der Reise nach Athen und trifft bei seinem unfreiwilligen Aufenthalt in Byzantium den Philosophen und Feldherrn Xenophon; die beeindruckende Begegnung mit Xenophon lehrt ihn, dass die Philosophie nicht nur zum guten, stillen Leben, sondern auch zu entschiedener politischer Aktivität anleitet. Die fiktive Gesprächssituation setzt sich in Brief 4 fort, wo ein Seesturm aufzieht, die Warnung Chions jedoch nicht gehört wird, so dass die Reisenden nur knapp überleben; dann aber begegnet eine neue Gefahr durch feindliche Thraker am Ufer.43 Auch Brief 6 enthält interessante Elemente der Fiktion, wenn er von zu Hause gesandte Gaben für Chion im Einzelnen aufzählt. „Allusions to other voices or texts are an important dimension of the genre“.44 Beispiele dafür sind: Chion beantwortet die Fragen seines Vaters in Brief 11, folgt dem Rat des Vaters in Brief 15, erinnert an frühere Gespräche in Brief 3, zitiert frühere Briefe in Brief 5. Ein weiteres Beispiel bilden die Kynikerbriefe, in denen Elemente der Brieffiktion den „echten“ Charakter eines Briefes unterstreichen. So erwähnt „Diogenes“ explizit die Briefschreibsituation („solange ich noch an diesem Brief schreibe“, Ep Cyn Diog 22). Ep Cyn Diog 26 verweist auf Alltäglichkeiten, wenn der Briefautor um die Zusendung von Lupinen oder trockenen Feigen bittet. Ep Cyn Diog 33,1 greift eine typische Situation im Leben des Philosophen auf: „Ich saß im ,Atrium‘ und war dabei, Papyrusblätter aneinander zu kleben“. Weitere die Fiktion tragende Elemente sind eine Anspielung auf einen Brief, den Diogenes zuvor erhalten habe (Ep Cyn Diog 45), die situativ bedingte Verweigerung des Briefgrußes (40,5fin) oder der kurze, prägnante Empfehlungsbrief Ep Cyn Diog 48, der eine bestimmte Situation voraussetzt. Auch die Krates-Briefe arbeiten mit Elementen der Brieffiktion. Bereits der erste Brief der Sammlung entwirft die biographisch geprägte Szene des sterbenden Diogenes (Ep Cyn Krat 1), was die Schülersituation mit unüberbietbarer Prägnanz einführt. Auf einen Brief, den „Krates“ von seinem Briefpartner Metrokles erhalten habe, weist Ep Cyn Krat 21 hin. Ferner begegnen Hinweise auf Alltagsfragen wie die Übersendung von Kleidungsstücken in Ep Cyn Krat 30: „Ich schicke dir das Hemd zurück, das du mir gewebt und zugestellt hast“, oder 32: einen Umhang. Als weitere Elemente der Brieffiktion werden Aspekte der Bildungstradition, aus der die Briefe stammen, eingespielt, z. B. Zitate aus Hom. Od. 13,434–437 in Ep Cyn Diog 7, aus Aischylos in Introduction, Translation and Commentary, Oxford 2001, 108–113. Alle 17 Briefe in englischer Übersetzung bei Rosenmeyer, Greek Literary Letters, 82–96 (Einführung 53–55). 43 Die Handlungsstruktur erinnert an die Seereise des Paulus nach Rom in Apg 27,9–28,6: Seine Warnung vor dem Seesturm wird ignoriert, die Folge ist ein glücklich überlebter Schiffbruch; doch am Ufer begegnet eine neue Gefahr in der Gestalt eines Schlangenbisses. 44 Rosenmeyer, Epistolary Fictions, 247; vgl. 204: Selbstreferentielle Hinweise auf den Vorgang des Schreibens, Lesens oder Sendens von Briefen vertiefen die Fiktion („playing the literary game“) entsprechend den Formerwartungen der Leser, die wissen, dass die Briefe nicht echt sind, „but still enjoy the pretense of reality“ (Beispiele aaO., 204–209).

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Ep Cyn Diog 34,2 und die bekannte Sentenz joim± t± t_m v¸kym45 in Ep Cyn Diog 10. Erwähnenswert ist auch die Brieffiktion im jüdischen Aristeasbrief. Der fiktive Briefabsender (Aristeas) und der Adressat (sein Bruder Philokrates) sind beides Heiden, während es sich beim realen Verfasser ebenso wie bei den intendierten Leser/ innen um gebildete Juden in Alexandria handeln dürfte.46 Der Gewinn der Wahl eines ptolemäischen Höflings als Absender besteht darin, dass dieser in die inszenierte Situation einer königlichen Gesandtschaft nach Jerusalem passt, was ihn als Augenzeugen und zuverlässigen Berichterstatter der erzählten Ereignisse prädestiniert; und er eignet sich als Heide besser als ein Jude für eine Belehrung durch den Hohepriester über den Wert des Gesetzes.

Anders als bei den Kynikerbriefen und EpJer, wo die Briefform jeweils auf ein absolutes Minimum reduziert ist,47 wird diese in 2Thess entscheidend. Weil eine bestimmte Form des Präskripts und des abschließenden Gnadenwunsches für die Vorbilder, die Briefe des Paulus, charakteristisch ist, wird diese Form in 2Thess 1,1 f und 3,18 genau nachgeahmt. Auch der authentifizierende Eigenhändigkeitsvermerk am Ende – „Der Gruß mit meiner, des Paulus, Hand; das ist ein Zeichen in jedem Brief, so schreibe ich“ (3,17) – ahmt als Element der Brieffiktion das Vorbild des echten Paulus nach (1Kor 16,21; Gal 6,11; vgl. Phlm 19).48 In 2Thess finden sich auch fiktive Einspielungen eines außerbrieflichen Gesprächs, so der Hinweis auf verunsichernde Meinungen in 2Thess 2,2, die durch „(prophetische) Geist(rede), Wort(verkündigung), einen Brief wie von uns“ vermittelt werden, und die Bemerkung in 2,6 „ihr wisst, was ihn noch aufhält/deckt“, die außertextliches Wissen abruft. Diese Formulierungen bieten sich geradezu an, um hinter der Fiktion die Umrisse der historischen Situation der Briefabfassung zu entdecken. Über die fiktiven Leser können die aktuellen Leser angesprochen werden. Mit der Frage der Rezeption werden wir uns noch beschäftigen.

45 Vgl. auch in Ep Cyn Krat 26.27. Belege bei Müseler, Kynikerbriefe 2, 15. 46 Dazu Doering, Letters, 223 f.232. Kritisch gegenüber der Klassifizierung als Brief Alexander, Literature, 580. 47 Die Kynikerbriefe deuten den brieflichen Rahmen nur an, denn die Absenderangabe ist durch die Sammlung vorgegeben; es steht dann oft nur die adscriptio (z. B. „An Hipparchia“). 48 Ungewöhnlich ist ein solcher Vermerk in fiktiven Briefen nicht. Im Liebesroman Kallirho[ des Chariton endet ein Brief in 8,4,6 mit dem Eigenhändigkeitsvermerk taOt² soi c´cqava t0 1l0 weiq¸; vgl. Klauck, Briefliteratur, 113 f. Die pseudepigraphischen Platonbriefe imitieren die Praxis von (eigenhändigen) Nachträgen des Absenders im Postskript am Rand des Papyrusblattes; vgl. Bauer, Paulus, 51.243.

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3. Antike Bewertungen von Pseudepigraphie 3.1. Mithridates sah offenbar kein Problem darin, sein Vorgehen beim Verfassen fiktiver Briefe offenzulegen. Moralische Bedenken lässt er nicht erkennen, und das muss er auch nicht, schließlich sind seine Briefe literarische Artefakte, die „täuschend ähnlich“ imitieren, aber nicht wirklich täuschen oder fälschen wollen. Mit Kritik musste er wohl nicht rechnen. Ansonsten liegen uns so gut wie keine Stellungnahmen antiker Autoren vor, die über deren Intention beim Schreiben unter dem Namen eines berühmten Anderen Auskunft geben. Werfen wir von hier aus einen Blick auf die pseudepigraphischen Kynikerbriefe. Wir wissen nicht, wo und wie sie aufgetaucht sind, und wir müssen damit rechnen, dass ihr fiktiver Charakter teilweise erkannt wurde.49 Wir können vermuten, dass innerhalb der Binnengruppe, der kynischen Bewegung im weiteren Sinne, ihre Aufnahme positiv ausfiel, sonst wären sie kaum in einer Vielzahl von Handschriften50 erhalten. Man begegnete in ihnen den großen Gestalten des Anfangs der eigenen Bewegung, ohne dass dies von der tatsächlichen Verfasserschaft der Briefe abhängig wäre. Es handelt sich um Briefe, die Diogenes bzw. Krates geschrieben haben könnten und die deren Leben und Lehre eindrücklich zu Gehör bringen, die also im Einklang mit der Überlieferung stehen. Das war für die Rezeption entscheidend, und daraus resultiert die Akzeptanz. Dass andererseits Außenstehende, den Kynikern gegenüber kritisch eingestellte Personen die Briefe mit ablehnenden Augen lasen und dabei auch die Verfasserfiktion kritisch betrachteten, ist durchaus möglich. Schülerschaft und Schreiben in einer bestimmten Tradition begünstigen eine positive Aufnahme der fiktiven Kynikerbriefe. Bereits ans Ende des 3.Jh. führt uns eine interessante Differenzierung bei Porphyrios in Bezug auf die Schriften des Pythagoras. Er unterscheidet zahlreiche gefälschte Pythagoras-Schriften von 280 echten, die er noch einmal unterteilt in etwa 80 unmittelbar von Pythagoras verfasste und etwa 200 von „reifen Männern, welche zur Gefolgschaft des Pythagoras, zu seiner Partei und zu den Erben seines Wissens gehörten“, geschriebene.51 Die im Kontext der Nachfolger und Anhänger des Pythagoras verfassten Schriften unter dem 49 Nach Klauck, Briefliteratur, 146, ist Pseudepigraphie hier nicht als Fälschung zu verstehen, weder in der Intention der Autoren, noch ließen sich die Leser/innen täuschen; es handelt sich vielmehr um literarische Produkte, die auf dem gemeinsamen Wissen um die anekdotische Überlieferung über die Kyniker und die Technik der Prosopopoiie beruhen, also um „eine Art ernstes Spiel […], das mit vollem Einverständnis aller Beteiligten gespielt wurde“. 50 Alle Handschriften bespricht Müseler, Kynikerbriefe 1, 3–25. 51 Diese Notiz ist nur in der arabischen Porphyrios-Überlieferung enthalten; ich übernehme sie aus Frenschkowski, Pseudepigraphie, 248 (mit Quellenangaben). Vgl. auch Brox, Verfasserangaben, 73 f. Eine andere Übersetzung (die ich nicht kontrollieren kann) favorisiert Ehrman, Forgery, 109.

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Namen des großen Philosophen gelten Porphyrios nicht als gefälscht! Die Herkunft aus der Philosophenschule erlaubt es, diese Schriften denen des Meisters pseudepigraphisch zuzuordnen. Antike Menschen werden, so lässt sich folgern, ein Sensorium für pseudepigraphische Schriften besessen und diese wenigstens teilweise als solche durchschaut haben. Das gilt sicher für die Verfasser solcher Schriften, die eine bekannte literarische Technik nachahmten. Wählten sie die Namen berühmter Philosophen oder – in der frühjüdischen Weisheit und Apokalyptik – Gottesmänner,52 sollten die verwendeten Pseudonyme auf bestimmte Bildungstraditionen hinweisen. Wenn die Verfasser Pseudepigraphie durchschauen konnten, war dies grundsätzlich auch den Rezipienten möglich, wobei der Bildungsgrad durchaus eine Rolle gespielt haben kann. Es existierten also bestimmte Kreise, in denen solche Traditionen vertraut und entsprechende Zuschreibungen möglich waren. Eine negative Bewertung der Pseudepigraphie scheinen sie nicht vorgenommen zu haben, sonst hätten sie die Schriften nicht akzeptiert, geschätzt und verwendet. 3.2. Damit lässt sich eine These formulieren: Pseudepigraphie ist ein Phänomen gruppenspezifischer Akzeptanz. Man muss die Rezeption einer pseudepigraphischen Schrift differenziert betrachten, was für eine Bewertung in der Antike ebenso gilt wie für heute: Innerhalb der Binnengruppe wird sie weit eher Akzeptanz gefunden haben als bei (ablehnend eingestellten) Außenstehenden. Die Akzeptanz fiktiver Schriften als entscheidende Voraussetzung der Rezeption demonstriert der Fall des Heraklides Ponticus (4.Jh. v. Chr.), der nicht wahrhaben will, dass ein Werk unter dem Namen Sophokles, das er bisher als echt rezipiert hat, tatsächlich eine Fälschung ist – selbst dann nicht, als es ihm der Fälscher selbst offenlegt (Diog L 5,92 f). Interessant ist, dass in Ep Cyn Krat 2 die Bedeutung der Binnengruppe hervortritt: Nur von denen, die in die Philosophie eingeweiht sind, soll der Kyniker seinen Lebensunterhalt erbitten. Mit dem Kriterium der gruppenspezifischen Akzeptanz wird der Inhalt einer fiktiven Schrift (neben der Qualität der Fiktion) entscheidend: Er muss zum gruppeninternen Wissen um das, was eine bedeutende Gestalt in der gruppenspezifischen Erinnerung ausmacht, also zur „Politik“ der Gruppe passen.53 52 Zur Verweisfunktion von Namen wie Henoch, Jeremia, Daniel, Esra oder Salomo vgl. Frenschkowski, Pseudepigraphie, 252. 53 Spätere christliche Autoren bestätigen die Bedeutung des Inhalts: Das Beispiel des Bischofs Serapion von Antiochia (spätes 2.Jh., bei Eus. h.e. 6,12,2–6), der das EvPetr zunächst akzeptiert, bei genauerer Lektüre aber wegen falscher Lehren ablehnt, zeigt, dass der Inhalt des EvPetr das Problem darstellt, erst sekundär eine falsche Verfasserzuschreibung. Die Apostolischen Konstitutionen (4.Jh.) schärfen ein: „Nicht auf die Namen der Apostel sollt ihr achten, sondern auf die Beschaffenheit des Inhalts und die unverfälschte Lehre“ (6,16,1); Hinweise und Übersetzung bei Brox, Verfasserangaben, 126–128. – Baum, Pseudepigraphie, 3 f, macht den Inhalt zum Hauptkriterium für das antike Echtheitsverständnis: „dass die literarische Echtheit eines Buches in der Antike nicht aufgrund der Herkunft seines Wortlauts, sondern ausschließlich und durchgängig aufgrund der Herkunft seines Inhalts beurteilt wurde“ (Original kursiv); vgl. 92.

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3.3. Das Kriterium der gruppenspezifischen Akzeptanz gilt auch für die ersten Christen. Der Canon Muratori lässt am Ende des 2.Jh. sein Wissen darüber erkennen, dass das Buch der Weisheit nicht von Salomo selbst, sondern „von Freunden (ab amicis) des Salomo zu dessen Ehre geschrieben“ (Z.69–71) wurde. Dennoch listet er die Weisheit Salomos zwischen den kanonischen neutestamentlichen Büchern ohne Vorbehalte auf. Er schätzt diese Schrift also, während er einen Laodicenerbrief und einen Alexandrinerbrief dezidiert als Paulusbriefe ablehnt, da sie gefälscht seien und in den Kontext der Sekte Markions gehören (Z.63–65).54 Das Kriterium des Kanons könnte schlicht darin bestehen, dass die Weisheit Salomos in seiner kirchlichen Gruppe seit jeher als anerkannte Schrift galt, während die Schriften der Markioniten ja nur falsch sein können. Die „Freunde“ als Verfasser deuten auf einen dem antiken Autor vertrauten Schulkontext hin, in dem die Schüler (und Anhänger) die Gedanken des Weisheits-Meisters Salomo unter dessen Namen veröffentlichten55 – ein Vorgehen, das ihm durchaus akzeptabel erschien. 3.4. Die Zugehörigkeit zu einer Schule oder Gruppe ermöglicht und legitimiert Pseudepigraphie, wobei der Name den wahren Eigentümer des geistigen Gutes signalisiert.56 Das wird umgekehrt auch an den Fällen deutlich, bei denen eine klare Ablehnung fiktiver Schriften begegnet. Tertullian (Ende 2./ Anfang 3.Jh.) schildert den Fall eines kleinasiatischen Presbyters, der unter dem Namen des Paulus die Acta Pauli verfasste, nachdem dies aber aufflog, aus seinem Amt entfernt wurde – obwohl er behauptete, damit den Ruhm des Paulus vermehren zu wollen und aus Liebe zu Paulus (amore Pauli) gehandelt zu haben (bapt. 17,4 f). Tertullian benennt aber auch das Problem, das er in den Acta erkennt: Darin wird Thekla als Beispiel für die Freiheit von Frauen, in den Gemeinden zu lehren und zu taufen, vorgestellt, was offensichtlich dem kirchlichen Mainstream entgegenläuft. Wir sehen zwei Gruppen, die sich beide in unterschiedlicher Weise auf Paulus berufen (auch der Presbyter erhält seine Motivation „aus Liebe zu Paulus“). Nicht fehlen darf ein Hinweis auf den viel zitierten Fall des Salvian von Marseille, der um 435 „Vier Bücher an die Kirche“ in Form eines ausführlichen Lehrbriefes schrieb und unter den Namen „Timotheus“ stellte. Als die falsche Zuschreibung bekannt wurde, wies ihn der zuständige Bischof Salonius scharf 54 Zu Text und Datierung Frenschkowski, Pseudepigraphie, 245–247; ders., Erkannte Pseudepigraphie, 197–201. Augustinus weist in doctr. chr. 2,8,13 die Weisheit Salomos Jesus Sirach als echtem Verfasser zu, ohne deswegen die Kanonizität in Zweifel zu ziehen, kann also Pseudepigraphie und Kanonizität zusammendenken (später in civ. 17,20 bestritt er diese Zuweisung, aber auch die Verfasserschaft Salomos, hielt aber wegen der Anerkennung der Weisheit Salomos in der Kirche an der Kanonizität fest). Zu den Texten auch Baum, Pseudepigraphie, 116–118.120 f. 55 Die bereits im 19.Jh. vorgeschlagene und von Frenschkowski, Pseudepigraphie, 246 f, favorisierte Konjektur, bei ab amicis von einer Fehlübersetzung auszugehen und stattdessen für den griechischen Text rp¹ V¸kymor („von Philo“) statt rp¹ v¸kym vorauszusetzen, verliert damit an Plausibilität. 56 Vgl. Brox, Verfasserangaben, 72.

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zurecht. In einem Brief verteidigte Salvian sein Vorgehen, indem er u. a. auf die Geringfügigkeit seiner Person verweist und bemerkt, sein unbedeutender Name würde die Rezeption nur behindern.57 Er weiß um das Problem der „Lüge“ bzw. des falschen Namens und löst es durch eine etymologische Deutung des Namens Timotheus („Ehre Gottes“), die jede Anmaßung eines berühmten Namens ausschließen soll und eine symbolische Chiffrierung statt einer pseudepigraphischen Zuschreibung behauptet. Man kann berechtigt fragen, ob die Ablehnung des Bischofs nicht auch mit der asketischen Tendenz, die Salvian in seinen vier Büchern der Kirche empfiehlt, zusammenhing. 3.5. Mit dem Beispiel des Salvian haben wir den Untersuchungszeitraum bereits weit ausgedehnt. Der Befund ist insgesamt ernüchternd: Wir sehen nicht mehr als einige Schlaglichter, die kein allgemein gültiges Urteil zulassen. Daher ist es auch nicht gerechtfertigt, urchristliche Pseudepigraphie generell als „Täuschung“ oder „Fälschung“ zu bewerten. Von „Täuschung“ sollte man aus hermeneutischen Gründen nicht sprechen, da wir die inneren Beweggründe der Verfasser nicht kennen.58 Der Begriff „Fälschung“ erfasst zwar die Einsicht, dass ein Verfasser den Namen eines anderen über sein eigenes schriftstellerisches Produkt setzt, bleibt aber zu undifferenziert und berücksichtigt z. B. das antike Lehrer-Schüler-Verhältnis zu wenig. Ebenso wenig hilfreich ist jedoch auch eine Verharmlosung des Phänomens, als ob fiktive Briefe für antike Menschen einfach eine Selbstverständlichkeit darstellten. Der einzige Rückschluss, den die Quellen meines Erachtens erlauben, ist, dass die soziale Verortung eines fiktiven Briefes entscheidend für eine positive oder negative Bewertung ist. Für eine Hermeneutik der Pseudepigraphie ist entscheidend, dass die Charakterisierung als „Fälschung“ primär eine Frage der Interessen, mit der Rezipient/innen dem Text begegnen, ist – in der Antike ebenso wie in der Gegenwart. Wer die Frage nach Fälschung bzw. Täuschung in den Mittelpunkt stellt, verstellt sich den Zugang zum literarischen Phänomen antiker Brieffiktionen. Eine Brieffiktion ist eine spezifische literarische Form der Auseinandersetzung mit einer Person und Lehre der Vergangenheit in ihrer Bedeutung für die Gegenwart, die u. a. die Charakterzeichnung einer Person erlaubt. Sie ist zugleich historisch, indem sie Phrasen, Gedanken, Erinnerungen an die Person aufgreift, und fiktiv, indem sie neue Gesichtspunkte ins Spiel bringt. Entscheidend ist dabei der inhaltliche Aspekt, dass man den fiktiven Brief begründet so lesen kann, als ob er z. B. von Paulus, Diogenes oder Krates wäre, gleich, ob man um die wahre Verfasserschaft weiß. Veranschaulichen kann diese Haltung eine Aussage des Origenes in Bezug auf Paulus als Verfasser des Hebräerbriefs. Origenes erkennt Unterschiede in Stil und Sprache 57 Salvian von Marseille, Des Timotheus vier Bücher an die Kirche. Der Brief an den Bischof Salonius, Deutsche Übersetzung von A. Mayer, Bearbeitet von N. Brox, Schriften der Kirchenväter 3, München 1983; der Brief findet sich 125–133. Vgl. N. Brox, Verfasserangaben, 101–110. 58 Vgl. Luchner, Pseudepigraphie, 244.

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des Hebräerbriefs zu Paulus, löst das Problem aber so, dass die Gedanken von Paulus stammen, „Ausdruck und Stil dagegen einem Manne angehören, der die Worte des Apostels im Gedächtnis hatte und die Lehren des Meisters umschrieb“ (13); „wenn nun eine Gemeinde diesen Brief für einen des Paulus hält (ta¼tgm tµm 1pistokµm ¢r Pa¼kou)“, könne man ihr zustimmen, „denn nicht grundlos überlieferten ihn die Alten als einen des Paulus (¢r Pa¼kou)“. Das ¢r drückt eine Unsicherheit bzw. eine Differenzierung der Herkunft aus.59

Dies gewinnt weitere Konturen, wenn man Pseudepigraphie von anderen Formen wie der Urkundenfälschung abgrenzt. Der Unterschied der fiktionalen Literatur zur Urkundenfälschung besteht darin, dass letztere, z. B. die Fälschung eines Kaufvertrags, eines Testaments, einer Schenkungsurkunde, Rechtsfolgen hat.60 Noch einmal anders gelagert sind gefälschte Schriften lebender Personen, die damit gesellschaftlich diffamiert werden sollen. Cicero erwähnt die Gefahr gefälschter Briefe, die an ihn gerichtet sind (Epistulae ad Atticum 11,16,1) bzw. von ihm sein sollen (Epistulae ad familiares 3,11,5), wobei die politische Stellung Ciceros beeinflusst werden soll. Der Geschichtsschreiber Anaximenes (Ende 4.Jh. v. Chr.) verfasste eine Schmähschrift auf die Stadt Athen im Namen seines Rivalen Theopompos, um ihn in Misskredit zu bringen (Pausanias 6,18,5), und der Stoiker Diotimos schrieb 50 obszöne Briefe im Namen Epikurs, den er hasste und dem er schaden wollte (Diog L 10,3).61 3.6. Pseudepigraphische Paulusbriefe erklären sich im Kontext paulinischer Gemeinden und der Verarbeitung von Paulus-Tradition. Angesichts des Fehlens von Sekundärquellen bleibt es unklar, ob die Fiktion von Teilen der Rezipienten durchschaut wurde oder nicht. Prinzipiell müssen wir beides annehmen. In jedem Fall entsteht die Akzeptanz der Briefe aus der Schüler- bzw. Anhängerschaft des Paulus, denn es scheint möglich, die Briefe in die anerkannte Tradition des Paulus einzuordnen. Darin aber können sie dann auch eigene Akzente setzen. Die weite Entfernung von Paulus wird in der Haus- und Ämterstruktur, die die Pastoralbriefe für ihre Gemeinden entwerfen, überdeutlich sichtbar, und dennoch werden bestimmte nachpaulinische Kreise genau diese Struktur als für ihre Zeit adäquate Interpretation des Paulus verstanden haben. Die Bedeutung gruppenspezifischer Akzeptanz tritt besonders im Fall eines Konflikts um das richtige Verständnis der Paulus-Tradition hervor. 2Thess 2,2 warnt vor Verunsicherung durch Geistäußerung, durch Wortverkündigung 59 Orig. Homilien zu Hebräer = Eus. h.e. 6,25,11–14; bei Baum, Pseudepigraphie, 243. In Röm 9,32; 2Kor 10,2; 11,16 f; 13,7 dient ¢r zur Bezeichnung einer fälschlichen Annahme. 60 Die Fälschung öffentlicher und privater Urkunden, v. a. von Gesetzestexten und Testamenten, wurde im römischen Recht bestraft; vgl. Speyer, Fälschung, 89 f.130 f. – Nach Diog L 7,34 musste sich Athenodoros, Bibliothekar in Pergamon, wegen „Bereinigung“ stoischer Schriften einer gerichtlichen Untersuchung unterziehen. 61 Zu diesen beiden Beispielen Baum, Pseudepigraphie, 44.

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oder „durch einen Brief wie von uns“ (di’ 1pistok/r ¢r di’ Bl_m). Im Kontext antiker Briefpseudepigraphie wird deutlich, was gemeint ist. Das Vergleichswort ¢r zeigt hier die nicht authentische Herkunft an. Anders formuliert dann 2,15, wo es um die richtige Überlieferung des Paulus geht, die er lehrte eUte di± kºcou eUte di’ 1pistok/r Bl_m, wobei keine Distanzierung nötig ist. Analog meint die Formulierung 1pistok±r […] ¢r 9pijo¼qou („Briefe […] wie des Epikur“) bei Diog L 10,3 Briefe, die der Stoiker Diotimos unter dem Namen Epikurs verfasste, um diesem, wie bereits erwähnt, zu schaden; und gleich darauf erzählt der Biograph von den Chrysipp zugeschriebenen Briefchen, die jemand als solche des Epikur zusammenstellte (1pistºkia ¢r 9pijo¼qou).62 Der Arzt Galen berichtet, jemand kaufte ein Buch ¢r 1lºm („als meines“), obwohl es sich als Fälschung herausstellte, und er beklagt, dass andere seine Bücher ¢r Udia („als ihre eigenen“) vorlesen (De libris propriis, im Vorwort). Und bei Origenes (s. o.) bringt das ¢r Pa¼kou zumindest eine Unsicherheit in Bezug auf die Echtheit zum Ausdruck.

Das „Wie“ verweist also auf eine falsche Zuschreibung des Briefes (und vielleicht auch von Geistäußerung und Wortverkündigung). Der „Brief wie von uns“ kann sich kaum auf 1Thess beziehen, denn dessen Geltung kann der Verfasser von 2Thess ja nicht relativieren, ohne sich selbst die Grundlage für die eigene Brieffiktion zu entziehen. Daher ist an selbst geschriebene Briefe einer anderen Gruppe zu denken, die entweder als „Fälschungen“ von Paulusbriefen (d. h. pseudepigraphische Briefe) oder als Imitationen von Paulusbriefen in Form und Stil (d. h. unter Beanspruchung vergleichbarer Autorität) gestaltet sind. Die Elemente Geist, Wort und Brief spiegeln Formen der Traditionsweitergabe bzw. Traditionsinterpretation – sie gehören aber zur „falschen“ Gruppe. Die „falsche“ Berufung auf die Paulus-Tradition ist das Problem, und 2Thess will zeigen, wie Paulus richtig zu verstehen ist, wie ein Brief aussieht, den Paulus in der entsprechenden Situation geschrieben hätte. Im Ergebnis wird sichtbar, dass eine Hermeneutik der Pseudepigraphie einer differenzierten Beschreibung von Rezeption und Funktion fiktiver Briefe bedarf.

4. Die Rezeption pseudepigraphischer Briefe 4.1. Für die Beschreibung der Rezeption eines pseudepigraphischen Briefes ist die Unterscheidung zwischen textinternen (fiktiven) Adressaten und textexternen (realen) Lesern wesentlich. Es liegt in unserem Beispielbrief 2Thess 62 Zu diesem Gebrauch des ¢r vgl. auch Eus. h.e. 3,25,6: Es geht dort um gefälschte Evangelien „wie des Petrus (¢r P´tqou) und des Thomas […]“ bzw. gefälschte Akten ¢r )mdq´ou ja· Yy²mmou ja· t_m %kkym !postºkym pq²neir („Akten, die von Andreas und Johannes und den anderen Aposteln sein sollen“); vgl. Diod. 33,5,5 („sie schickten einen Brief, der von den Gesandten sein soll“).

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keine primäre Kommunikationssituation vor (Paulus und die Adressaten kennen sich persönlich, nach seinem Weggang schreibt Paulus einen Brief), sondern eine sekundäre (die Rezipienten lesen den Brief als Kommunikation zwischen zwei Partnern der Vergangenheit, zwischen Paulus und der Gemeinde von Thessaloniki). Kommunikationstheoretisch betrachtet tritt zur Autorfiktion die Adressatenfiktion. Die aktuellen Leser/innen haben teil an einer fremden, vergangenen Kommunikation und lesen so den Brief als literarisches Dokument der Vergangenheit. Aus dieser Distanz ergibt sich eine Lektüre nicht aus der Perspektive unmittelbaren persönlichen Kontaktes mit einem lokal Abwesenden, sondern als Rezeption des kunstvoll gestalteten Briefes als Literatur. Die Distanz stößt einen Rezeptionsvorgang an: Die Leser müssen selbst herausfinden, welche Bedeutung der Brief der Vergangenheit für sie in ihrer Lebenssituation noch haben kann, und finden zu einer aktualisierenden, aneignenden Lektüre. Die Verfasserfiktion „Paulus“ gibt die Herkunft der Gedanken an, aber die Plausibilität des Inhalts – für eine positive Rezeption entscheidend – geht erst aus der interpretierenden und zustimmenden Lektüre hervor. Damit steht nicht die Frage nach der Realität der Verfasserangabe (die vermutlich verschieden beurteilt wurde) im Vordergrund, sondern die Plausibilität und die Bedeutung des „paulinischen“ Inhalts des Briefes, woran sich die Akzeptanz als „Paulusbrief“ entscheidet – unabhängig davon, wie ihnen der Brief bekannt wurde.63 4.2. Pseudepigraphische Briefe lenken also zu einer offenen Rezeption, bei der die Leser/innen selbst ermessen, welche Bedeutung sie dem Gelesenen geben und ob sie sich auf die vermittelte Sicht des „Paulus“ einlassen, wobei es letztlich offen bleiben kann, ob sie die Fiktion durchschauen. Annahmen wie die „Leichtgläubigkeit“ oder „Naivität“ der ersten Christen64 werden dieser Rezeptionssituation nicht gerecht, denn die gruppenspezifische Akzeptanz spielt die entscheidende Rolle. Im Falle der Konkurrenz mehrerer unechter Paulusbriefe, die jeweils beanspruchen, Paulus richtig wiederzugeben (vgl. 2Thess 2,2), mussten die Leser bei der Lektüre entscheiden, wo Paulus besser oder authentischer getroffen war. Ein Brief wie 2Thess, der kunstvoll und theologisch reflektiert eine Interpretation des Paulus vorlegt, könnte ihnen diese Entscheidung erleichtert haben. 4.3. Diese Rezeptionssituation ist allgemein mit der von antiken pseudepigraphischen Briefen vergleichbar. Der Aristeasbrief (2.Jh. v. Chr.) ist z. B. 63 Darüber liegen uns keine historischen Informationen vor. Als Möglichkeit ist an das antike Motiv des Bücherfundes zu denken; dazu W. Speyer, Bücherfunde in der Glaubenswerbung der Antike. Mit einem Ausblick auf Mittelalter und Neuzeit, Göttingen 1970; auch Brox, Verfasserangaben, 59 f; er nennt, aaO., 66 f, weitere Möglichkeiten: die Versiegelung eines Buches bis zu einer vom Autor selbst bestimmten Zeit in der jüdischen Apokalyptik; das Vergessen und die Wiederentdeckung durch einige Weise bei den Schriften des Pythagoras. Zu möglichen Beglaubigungsstrategien (wie: ein Freund hat gefunden), wie sie in antiken Romanen bezeugt sind, vgl. Rosenmeyer, Epistolary Fictions, 200 f. 64 Z. B. bei Frenschkowski, Pseudepigraphie, 251; Brox, Verfasserangaben, 64.

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bewusst so angelegt, dass die jüdischen Leser/innen einen Brief rezipieren, der eindeutig für jemanden anders geschrieben ist, nämlich eine Korrespondenz zwischen zwei hochrangigen Heiden über die griechische Übersetzung des jüdischen Gesetzes, was durch die Fremdperspektive die Glaubwürdigkeit unterstreicht (vgl. Arist 296 f).65 Sie bleiben außerhalb der fiktiven Briefsituation und können sich doch in der Metareflexion über den gegebenen Bericht in Arist 296 zugleich mit dem fiktiven Adressaten angesprochen fühlen. Pseudepigraphische Briefe vermitteln teilweise eine subtile Rezeptionslenkung. Der Brief Baruchs in 2Bar 78–86 (Anfang 2.Jh. n. Chr.) macht die Katastrophe der Tempelzerstörung und die bleibende Bedeutung des Gesetzes zum Thema. Die direkte Anrede an die (fiktiven) Adressaten, den Brief in ihren Versammlungen vorzulesen und zu bedenken (2Bar 86,1–3), zielt auf die gemeinschaftliche Rezeption und bezieht indirekt die realen Lesenden mit ein. Die narrative Szene der Zeit nach 587 v. Chr. wird transparent für die Situation nach 70 n. Chr., und die Identifikation der Rezipienten mit den fiktiven Briefempfängern wird möglich.66 Die Aufforderung in 84,9, den Brief an „eure Kinder“, also die folgenden Generationen weiterzugeben, zielt auf die realen Leser/innen. EpJer nennt in der Überschrift die zum Exil in Babylon bestimmten Juden als Adressaten, doch führt die Bemerkung im Proömium, das Exil dauert „viele Jahre“, eine „ziemlich lange Zeit“ und „sieben Generationen“, bevor die Herausführung erfolgt (2), bis zur Gegenwart der Leser in der Diaspora der seleukidischen Zeit. Das Briefkorpus ist durch stereotype Aufforderungen an die fiktiven Adressaten strukturiert, die auch die realen Leser auf sich beziehen können: „fürchtet sie [sc. die Götterbilder] nicht“ (14.22.28.64.68); „wie darf man meinen oder behaupten, sie seien Götter?“ (39.44.63); „dass sie keine Götter sind“ (49.51.56.68). In den Kynikerbriefen findet sich eine Reflexion über den Nutzen des Briefschreibens, die sich – auf der Meta-Kommunikationsebene – als Rezeptionsaufforderung an den intendierten Leser lesen lässt: als Motivation zum eigenen Briefschreiben an „Diogenes“ (Ep Cyn Diog 3), womit man sich selbst in eine fiktive Kommunikation mit dem Meister versetzt. Und wenn in 1Tim 3,14 f die verzögerte und verhinderte Anwesenheit des Apostels Paulus als fiktives Motiv begegnet, wird die Gegenwart der nachpaulinischen Gemeinden schon als Perspektive sichtbar. Stets muss ein pseudepigraphischer Brief durch den fiktiven Briefautor die fiktiven Adressaten ansprechen, um sich an die aktuellen Leser wenden zu können.67 Die Briefform an sich besitzt größere Unmittelbarkeit in der persönlichen Anrede als andere literarische Formen, was sie innerhalb der antiken Literatur einzigartig macht. Sie zieht die aktuellen Leser/innen in die fiktive Briefhandlung hinein. Anders als bei einem echten Brief der Vergan65 Dazu Doering, Letters, 217–232. 66 Vgl. Doering, Letters, 252. 67 Dazu Rosenmeyer, Epistolary Fictions, 248.250 (in Bezug auf die Chion-Briefe).

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genheit eröffnet ein fiktiver Brief die Möglichkeit, den Absender der (fernen oder näheren) Vergangenheit relativ direkt in eine Situation der Gegenwart sprechen zu lassen. Die Gestalt der Vergangenheit wird unter den Vorzeichen der aktuellen Situation lebendig. So bilden pseudepigraphische Briefe selbst bereits einen Bestandteil der Rezeption einer grundlegenden Gestalt des Anfangs.68 Sie konstituieren Tradition und aktualisieren die Erinnerung. 4.4. Von hier aus lässt sich ein Blick auf die weitere Rezeption der pseudepigraphischen Paulusbriefe werfen. Dabei steht die Beobachtung im Vordergrund, dass die paulinische Verfasserschaft der sechs Deuteropaulinen in der alten Kirche, soweit die Quellen erkennen lassen, nie umstritten war.69 Andererseits findet sich in der altkirchlichen Literatur häufig Polemik gegen Schriftfälschungen seitens „häretischer“ Gruppierungen. Das Phänomen lässt sich durch die Herausbildung des „kulturellen Gedächtnisses“70 in der alten Kirche erklären. Die Erinnerung an Paulus festigt sich durch fortgesetzten Gebrauch sowie soziale Gewichtung innerhalb eines Kollektivs früher Gemeinden, die miteinander eng vernetzt sind, und wird so zum Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses, das das Wissen um Paulus als wesentlicher Gründergestalt über dessen Tod hinaus anwendet und aktualisiert. Die Verschriftlichung als pseudepigraphischer Brief trägt zu diesem Prozess der Bewahrung und Festigung des grundlegenden Wissens bei. Die Transmission und Akzeptanz dieser Briefe als „Paulusbriefe“ macht diese zum Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses der spätantiken „Großkirche“.71 Sie werden als grundlegende Traditionsschriften anerkannt und damit zu einem festen, d. h. zeitüberdauernden und bestimmenden Faktor der eigenen Kultur und Identität. In dieser Phase ist die paulinische Herkunft unstrittig und die Frage nach einer denkbaren Pseudepigraphie der Briefe obsolet. Im Zuge dieser Ent68 Vgl. E. Reinmuth, Hermeneutik des Neuen Testaments. Eine Einführung in die Lektüre des Neuen Testaments, UTB 2310, Göttingen 2002, 104–107: Der Text wird zu einem „Teil der aktuellen Rezeption des vorgestellten Pseudonyms“ (106). 69 Zum Pseudepigraphie-Diskurs der alten Kirche vgl. Frenschkowski, Erkannte Pseudepigraphie. 70 Grundlegend ist J. Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, München 42002; zur Anwendung J. Fried, Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik, München 2004, 83–86. 71 Nach Frenschkowski, Erkannte Pseudepigraphie, 192, gilt für die alte Kirche, dass „ein stabiler Kanon- und Orthodoxiediskurs bestimmte Fragen [sc. nach Pseudepigraphie neutestamentlicher Bücher] nicht mehr zugelassen hat.“ „Selbstverständlich gab es ein Gespür für Fälschungen, aber in der Rezeption des eigenen religiösen Traditums kam es verhältnismäßig wenig zum Tragen“ (aaO., 202). Dass sich die Echtheitskritik der alten Kirche u. a. auf die Schriften anderer gerichtet hat und dabei dogmatische Aspekte leitend waren, sieht bereits Speyer, Fälschung, 201–210. Zum Konflikt zwischen Orthodoxie und Häresie auch P.F. Beatrice, Forgery, Propaganda and Power in Christian Antiquity. Some Methodological Remarks, in: Alvarium (FS C. Gnilka), JbAC.E 33, Münster 2002, 39–51. – Ein beredtes Beispiel bieten die Apostolischen Konstitutionen (4.Jh.), die sich explizit gegen Fälschungen apostolischer Schriften durch „Ketzer“ wenden („vergiftete Bücher“), dabei aber selbst apostolische Verfasserschaft beanspruchen (6,16,1 f); die Gegenfälschung rechtfertigt sich wohl damit, selbst kein „vergiftetes“ Buch zu schreiben, sondern ein wahres und hilfreiches. Dazu Brox, Verfasserangaben, 34 f.

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wicklung werden auch die sechs Deuteropaulinen zum Bestandteil des christlichen Kanons.72 Meine auf das 1.Jh. bezogene These, dass die Akzeptanz von Pseudepigraphie ein gruppenspezifisches Phänomen darstellt, findet so ihre Fortsetzung und Bestätigung. 4.5. Für eine Hermeneutik der Pseudepigraphie ist es abschließend entscheidend, „Echtheit“ nicht mit „Wahrheit“ gleichzusetzen.73 Sonst kann Pseudepigraphie nur als epigonales Phänomen verstanden werden, dessen Bedeutung nach dem Paradigma des Ursprungs abzuwerten ist. In der klassischen exegetischen Methodik entspricht diesem Zugang die Quellenkritik, die zu den Ursprüngen zurückführen will. Stattdessen sind Pseudepigrapha als eigene theologische Entwürfe anzuerkennen, denn die Erinnerung besitzt ihren eigenen Wert und ihre eigene „Wahrheit“. Methodisch führt dies von der (weiterhin legitimen) Rückfrage nach Vorstufen zur historischen und theologischen Verortung eines Pseudepigraphons in der eigenen Entstehungszeit und Situation. Der Gewinn dieser Perspektive besteht darin, dass verschiedene Stadien der Rezeption einer Gründergestalt beschreibbar werden.

5. Die Funktion der Pseudepigraphie Pseudepigraphische Briefe sind, wie bereits an der Wahl der Pseudonyme deutlich wird, milieu-spezifisch geprägt. Dabei zeigen sich jedoch milieuübergreifende Funktionen. Beginnen wir wieder mit zwei Beispielen. 5.1. Die pseudepigraphischen Kynikerbriefe greifen auf prominente Gründergestalten der kynischen Bewegung aus dem 4.Jh. v. Chr. zurück: auf Diogenes von Sinope und seinen Schüler Krates aus Theben. Die bekannten historischen Gestalten erwecken Interesse und erinnern an die große Zeit der eigenen Geschichte, in der die Gründung der kynischen Bewegung stattfand.74 72 Die Aufnahme in den Kanon erfolgte u. a. nach dem Kriterium der allgemeinen kirchlichen Anerkennung einer Schrift; Eus. h.e. 3,25,1–7 folgt der Unterscheidung in Homologoumena (= allgemein anerkannte Bücher), Antilegomena (= je nach Kirchengebiet umstrittene Bücher) und Notha (= abgelehnte, falsche Bücher). Ein Bezug zu den apostolischen Anfängen ist dabei gegeben, denn Pseudepigraphie will diesen ja gerade herstellen. Zu Inhalt und u. a. traditionellem Gebrauch als wesentliche Kriterien der Kanonisierung H.Y. Gamble, Pseudonymity and the New Testament Canon, in: Frey/Herzer/Janßen/Rothschild (Hg.), Pseudepigraphie und Verfasserfiktion, 333–362, 354 f. Vgl. Speyer, Fälschung, 186–190. 73 Dazu Janßen/Frey, Einführung, 12. 74 Bei ihrer Untersuchung zu griechischen fiktiven Briefsammlungen kommt Rosenmeyer, Epistolary Fictions, 197, zu dem Ergebnis, dass „(t)he principal impulse […] may have been precisely a glimpse into the glorious Greek past from a more personal angle, and the illumination of a particular historical figure“; die Intention besteht in „the invention of an older authority for a particular belief or movement, as in the case of the Cynic’s adoption of Anacharsis as their ,culture hero‘“ (198). Vgl. Speyer, Fälschung, 106.131–150; ferner Muir, Life, 6; Muir diagnostiziert aaO., 186, ein nostalgisches Interesse an der großen Zeit Griechenlands zwischen den

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Die 51 Diogenes-Briefe dienen der Erklärung und Demonstration der kynischen Lebensweise und erfüllen dabei auch die Funktionen von Werbung (deutlich in Ep Cyn Diog 2.29.31) und Verteidigung (Ep Cyn Diog 46). Während die meisten Briefe kurzgehalten sind, liegen in Ep Cyn Diog 28–40 umfangreichere „Lehrbriefe“ vor, die kleine Abhandlungen bieten.75 Mit der Zuschreibung wird die Einsicht in die Gedankenwelt des Philosophen und das Verständnis seiner Lehre bei den Anhängern vertieft.76 Die Briefe stilisieren Diogenes als Vorbild für die kynische Lebensweise, für Unabhängigkeit und Freimut gegenüber den Machthabern sowie politische Kritik (besonders ausgeprägt in Ep Cyn Diog 27). Dies weiterführend geben sich die 36 Briefe des Krates als Schüler-Briefe zu erkennen. Sie berufen sich häufig auf Diogenes und bestätigen dessen Lehre.77 Diogenes wird in Ep Cyn Krat 19 und 34 wirkungsvoll als Vorbild stilisiert. Mit Ausnahme des längeren Briefes Ep Cyn Krat 34 bestehen die Krates-Briefe häufig nur aus kurzen Sentenzen, Lehrsätzen oder Aphorismen, was ihren Charakter als Schüler-Briefe unterstreicht. Neu ist gegenüber „Diogenes“, dass „Krates“ in den Briefen an seine Ehefrau Hipparchia die kynische Lebensweise auch für Frauen werbend empfiehlt (z. B. Ep Cyn Krat 28.29), was bis in die Praxis des Gebärens und Aufziehens von Kindern hineinreicht (Ep Cyn Krat 33). Die Funktion der Briefe liegt wie bei den Diogenes-Briefen in der Darstellung der kynischen Lebensweise, Werbung und Verteidigung (Ep Cyn Krat 16). Einem jüdischen Milieu verdankt sich EpJer, unser zweites Beispiel. Thema des Briefes ist die Problematik der Konfrontation Israels mit fremden Göttern, wie sie die Kultur der paganen Völker prägen. Dieses Thema schien offenbar in der Zeit der seleukidischen Herrschaft, in der EpJer verfasst wurde, ebenso virulent wie in der Zeit des babylonischen Exils. EpJer bearbeitet es daher mit dem Rückgriff auf das Exil in Babylon und die Autorität des Propheten Jeremia. Das Briefkorpus (EpJer 7–68) enthält eine breit angelegte Kritik an den paganen Götterbildern, die als Menschenwerk, als leblos, wertlos, vergänglich und trügerisch und damit letztlich als völlig machtlos entlarvt werden. Am Schluss steht das Fazit, dass die Götterbilder keine echten Götter sind (69–72). Perserkriegen und Alexander d.Gr., der Goldenen Zeit, deren berühmte Gestalten in Brieffiktionen lebendig werden. 75 Z. B. der Lehrbrief über Seele und Jenseits Ep Cyn Diog 39 oder die Abhandlung über das einfache Leben Ep Cyn Diog 37, die von einer offenbar typischen Situation der Gastfreundschaft ausgeht und daran eine Rede des Diogenes anknüpft. 76 Die Briefe „praise the actions and words of their hero, confirm the importance of his beliefs, and transfer the oral tradition that developed around him into a more permanent written form“, so Rosenmeyer, Epistolary Fictions, 201. 77 So in Ep Cyn Krat 6.7.13.16.17.20.23.26.27.30.35.36. Besonders deutlich kommt die SchülerHaltung in Ep Cyn Krat 8 zum Ausdruck. Philosophisch sind die Krates-Briefe eher flach und verlieren sich z. T. in (nicht spezifisch kynischen) Gemeinplätzen; vgl. Müseler, Kynikerbriefe 1, 2.

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Durch die Rückbindung an Jeremia und die Situation des babylonischen Exils gewinnt die Polemik gegen die fremden Götter (Babylons) eine theologische Tiefendimension. Deswegen erörtert EpJer das aktuelle Problem der fehlenden Abgrenzung gegenüber anderen Göttern auf der Basis der anerkannten Jeremia-Tradition, womit der Brief zugleich einen Beitrag zur Etablierung dieser Tradition leistet. Auch zu Jeremia existiert übrigens ein Schüler-Brief. Im Brief Baruchs in 2Bar 78–86 steht Baruch als fiktiver Autor in der prophetischen Tradition Jeremias (neben Anklängen an Ezechiel und Mose), ist aber in der Fiktion im Land Israel selbst präsent und schreibt von dort, während sich Jeremia bei den Exilierten aufhält. Die Figur des Baruch in der Verbindung von „scribe, prophet, and new Moses is a first rate choice for authorship both of the Apocalypse in general and the Epistle of Baruch in particular“.78

5.2. Eine Auswertung kann die Funktion der Pseudepigraphie in vier Aspekte differenzieren. Der große Name der Schulgründer bzw. des Exilspropheten vermittelt Autorität. Damit soll eine Wirkung auf die Rezipienten entfaltet werden. Den Wirkungswillen als Motivation des Presbyters, der unter dem Namen des Paulus die Acta Pauli schrieb, hält Tertullian fest: Er wollte seine Schrift durch den Namen des Paulus vervollkommnen, um durch die Autorität eines bekannten Namens eine größere Wirkung zu erzielen.79 Zugleich wird Autorität dabei geformt und etabliert. Die Briefe tragen zur literarischen Stilisierung und Tradierung eines Diogenes-, Krates- oder Jeremia-Bildes bei. Die großen Gestalten gewinnen eine neue Vorbildfunktion. Ihre Autorität dient der Sicherung der eigenen Tradition und Lebensweise. Traditionen, die für die Rezipientengruppe typisch sind und wozu auch das Bild der Gründergestalt zählt, werden dargestellt, festgeschrieben und für die Gegenwart aktualisiert. Die Aktualisierung stellt die Voraussetzung dafür dar, dass die Traditionen überhaupt weiter überliefert werden. Die Lehre der eigenen Schule oder Gruppe wird für eine veränderte Situation neu formuliert und weckt neues Interesse. So aktualisieren z. B. die Briefe des Krates an Hipparchia das kynische Ideal auch für Frauen. Die bekannten Pseudonyme, zu deren Person der Inhalt des Briefes passen muss, dienen der Identifikation der Gruppe und damit der Identitätsbildung. Sie bewirken eine literarische Konzentration der eigenen Identität der Gruppe, indem z. B. ein bestimmtes Philosophen- oder Prophetenbild und entsprechende Traditionen vermittelt werden. Die „Verfasser“ werden zu Identitätsfiguren der eigenen Gruppe, die „stets einem komplexen Prozess der Kon-

78 Doering, Letters, 243–245, Zitat: 245. 79 Tert. bapt. 17,5. Vgl. Janßen, (Selbst-)Aussagen, 164; vgl. aaO., 171 f, den Verweis auf Phädrus, Fabulae 5, Prolog 1–9: Er schreibe im Namen Aesops wegen des Klanges des großen Namens. In Bezug auf EpJer und 2Bar 78–87 vgl. Alexander, Literature, 588.

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struktion und Konstituierung unterworfen“ sind.80 Die Wirkung fiktiver Briefe setzt das aktive Mitwirken der Rezipienten voraus; sie hängt davon ab, ob die Intention des fiktiven Briefes und die Interessen der Rezipienten zusammentreffen. Die Kynikerbriefe wollen das kynische Lebensideal bekannt machen, neue Anhänger/ innen gewinnen bzw. alte motivieren, ihre Lebensweise zu vertiefen. Die Identitätsfigur wirkt dabei gleichsam als personalisierte Paränese, die mehr erreicht als ein bloßer Appell. Dass die überzeugte Zuwendung (auch für die aktuellen Leser) die Voraussetzung des Verstehens darstellt, demonstriert Brief 17 der HippokratesSammlung, der die Konversion des Hippokrates zur Philosophie (und zum überzeugenden Wesen) des Demokrit beschreibt; erst auf dieser Basis können sich in den Briefen 18–24 philosophische und medizinische Abhandlungen anschließen.81 Der Briefroman um Chion von Heraklea kreist um das zeitlose Thema des Verhältnisses von persönlichem Lebensstil und Verantwortung für die Gesellschaft, wobei die Philosophie lehrt, wie diese Verantwortung wahrgenommen werden kann.82 Gleich, ob man diesen Briefroman eher als Abenteuerroman mit Unterhaltungswert, philosophischen Lehrtext oder politisches Manifest (Motiv des Tyrannenmordes) bestimmen möchte,83 stets zielt er auf die Reflexion der eigenen Identität. Wenn die Philosophen-Briefe dabei auch unterhaltsam sein dürfen, fördert dies die Rezeption in einem gehobenen Bildungsmilieu.

Situationen der Konkurrenz zwischen hellenistischen Philosophenschulen bzw. zwischen jüdischen Gruppen (und ihrer paganen Umwelt) fördern die Entstehung pseudepigraphischer Briefe, denn jede Schule oder Gruppe sucht nach glaubwürdigen Zeugnissen ihres Gründers oder anderer großer Gestalten, die die eigene Lehrtradition bestätigen und vertiefen. Die Konkurrenz verlangt nach Werbung, Verteidigung und Selbstvergewisserung. In der Sammlung der Sokrates-Briefe lassen sich nach Patricia Rosenmeyer zwei rivalisierende Schulen erkennen, die unterschiedliche Richtungen repräsentieren: Antisthenes die rigoristische und Aristippos die hedonistische Interpretation. Der Austausch von Briefen erlaubt die Beschimpfung der Rivalen und die Propaganda für die eigene Position.84 Janßen, (Selbst-)Aussagen, 178. Dazu Rosenmeyer, Epistolary Fictions, 218–220. Rosenmeyer, Epistolary Fictions, 235–237.245. Nach Muir, Life, 6, gilt für die Briefromane: „Philosophy of a sort, entertainment and a kind of historical imagination became indissolubly mixed“; der Hippokrates-Briefwechsel mit und um Demokrit verbindet Unterhaltung mit moralphilosophischer Unterweisung (aaO., 193–197). Vgl. auch Bauer, Paulus, 28. 84 Dazu Rosenmeyer, Epistolary Fictions, 201 f. – Hinter dem Briefwechsel zwischen Hasmonäern und Spartanern in 1Makk 12,5–18.19–23; 14,20–23, in dem die gemeinsame Abstammung von Abraham behauptet wird (12,21), steht der Konflikt zwischen hellenistisch geprägten Juden (Universalisten) und streng gesetzestreuen Juden (Partikularisten); vgl. J.N. Bremmer, Spartans and Jews. Abrahamic Cousins?, in: M. Goodman/G.H. van Kooten/J.T. van Ruiten (Hg.),

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5.3. Die genannten Funktionen werfen Licht auf die pseudepigraphischen Briefe des Neuen Testaments. Einen wichtigen Faktor dürfte auch hier die Konkurrenz innerhalb der jungen christlichen Bewegung darstellen. In der Geschichte des Urchristentums trat das Phänomen der Pseudepigraphie in der zweiten und dritten Generation ab etwa 70 n. Chr. auf, nachdem die bekannten Gründungsgestalten der ersten Generation, wie Paulus, Petrus oder Jakobus, gestorben waren. Das Problem, das sich daraus ergab, bestand meines Erachtens weniger im Ausfall von „Autoritäten“ innerhalb der Gemeinden,85 sondern im Konflikt über das richtige Verständnis der Tradition, die die Männer (und vergessenen Frauen) der ersten Stunde etabliert hatten. So begann schon bald nach dem Tod des Paulus die Auseinandersetzung um die Paulus-Tradition, die sich in 2Thess 2,2 f; 3,2.6.11.14 spiegelt. Zur Durchsetzung ihrer Position setzten gebildete Autoren das Mittel der Pseudepigraphie ein. Diese Konkurrenzsituation erklärt auch, warum anders als bei den meisten antiken Brieffiktionen in der frühen christlichen Briefpseudepigraphie der zeitliche Abstand zwischen „Original“ und Fiktion nicht sehr groß ist (was für uns heute den Nachweis erschwert). Die Brieffiktion beansprucht die Autorität des Paulus (und anderer Gründungsgestalten), bildet und formt diese Autorität aber zugleich. So stilisiert 2Thess Paulus als vorbildlichen geistigen Leiter und Vater seiner Gemeinde und geht damit einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Entstehung eines urchristlichen Paulusbildes. Paulus erscheint in 2Thess 3,1–4 als vorbildlicher Missionar, der sich von scharfem Widerstand nicht beirren lässt und unverbrüchlich an Gottes Treue festhält. Er selbst stellt das „Vorbild“ (t¼por) dar, das man „nachahmen muss“ (de? lile?shai, 3,7.9). Er hat während seiner Anwesenheit das rechte Verhalten angeordnet (3,10), und diese Anordnung bekräftigt er nun (3,12). „Paulus“ spricht mit neuer Aktualität in die Gegenwart der Rezipienten. Dient ein antiker Brief generell dazu, die Anwesenheit eines räumlich Abwesenden zu vermitteln, so überwindet der fiktive Brief die geschichtlich-zeitliche Distanz zu Paulus.86 Der Name „Paulus“ steht für eine bestimmte urchristliche Tradition, und deswegen konnte der Brief in den Gemeinden, die an einer Weiterführung des paulinischen Erbes interessiert waren, bereitwillige Aufnahme finden. Das Wiedererkennen des gruppenspezifischen Paulusbildes in Verbindung mit Bezügen zu aktuellen Problemen der Gemeinden wird zum Bewertungsmaßstab eines deuteropaulinischen Briefes.87 Er ist gut gelungen (und glaubwürdig), wenn er Paulus repräsentiert und aktuelle Fragen stimmig Abraham, the Nations, and the Hagarites. Jewish, Christian, and Islamic Perspectives on Kinship with Abraham, Themes in Biblical Narrative 13, Leiden 2010, 47–59. 85 Darauf legt Schnelle, Einleitung, 358 f, das Gewicht. 86 Vgl. Klauck, Briefliteratur, 304; S. Schreiber, Briefliteratur im Neuen Testament, in: Ebner/ Schreiber (Hg.), Einleitung in das Neue Testament, 254–268, 266. 87 Vgl. Janßen, (Selbst-)Aussagen, 177.

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beantwortet. Nur durch Aktualisierung kann die Paulus-Tradition bedeutsam bleiben. Der fiktive Brief will seine Gegenwart auf der Basis der Paulus-Tradition verstehen und wendet diese kreativ neu an. 2Thess 2,1–12 aktualisiert z. B. die paulinische Eschatologie, bei der der Zeitpunkt und die Bedeutung des erneuten Kommens des erhöhten Herrn in die Welt zur Debatte stehen, und entwirft aus der Tradition des Paulus eine neue Antwort. Weil die richtige Weitergabe und Interpretation der Tradition in der zweiten und dritten Generation zur existentiellen Frage der Gemeinden wird, schärft 2Thess immer wieder die Bindung an die Paulus-Tradition ein (vgl. 1,10: „weil geglaubt wurde unser Zeugnis an euch“; 2,14: Gott hat „euch berufen durch unser Evangelium“). Sie wird in 2Thess 2,15 und 3,6 zum Orientierungsmaßstab.88 „Paulus“ betont die Bedeutung des treuen Festhaltens an seiner Überlieferung und fordert die Adressaten auf: „haltet fest an den Überlieferungen, die ihr gelehrt wurdet, sei es durch ein Wort, sei es durch einen Brief von uns“ (2,15). Damit ergänzen die Pseudepigraphen die bereits etablierten Paulusbriefe und ersetzen sie nicht, denn diese bilden die formale und inhaltliche Basis für jene. Die fiktiven Briefe setzen eine hohe Autorität der echten Paulusbriefe voraus und führen sie gerade dadurch fort, indem sie sie in neues Licht rücken; mit Gerd Theißen sind sie „Ergänzung, Kommentar und Leseanleitung“ für die echten Briefe.89 Wie antike Brieffiktionen gerne große Gestalten der Goldenen Zeit Griechenlands aufgreifen, so die Christen der zweiten und dritten Generation die (ideale) Ursprungszeit des Paulus, und wie bei den Philosophenbriefen geht es ihnen um die werbende Vergegenwärtigung der eigenen Tradition, was durch Rückbindung an den alten „Schulgründer“ erreicht wird. Diese Rückbindung dient der Stabilisierung der eigenen Identität.90 Identität wird auch durch Abgrenzung gegenüber Konkurrenten erreicht, und so gebietet „Paulus“ in 2Thess 3,6 Zurückhaltung gegenüber jedem Gemeindeglied, das „unordentlich lebt“ und nicht nach der „Überlieferung“ (paq²dosir), die die Gemeinde von ihm empfangen hat. Und in 3,14 fordert er Distanz zu allen, die seinem Wort im vorliegenden Brief (t` kºc\ Bl_m di± t/r 1pistok/r) nicht gehorsam sind. Die Etablierung des Paulus als Identitätsfigur in fiktiven Briefen der ersten Christen ist so gut geglückt, dass sie bis heute nachwirkt.

88 Dazu auch Krentz, Stone, 468 f. 89 Theißen, Entstehung, 174 Anm. 21; vgl. 166.178. 90 Zur „Sicherung der Identität nach dem Tod des Sinnweltvermittlers“ vgl. R. Börschel, Die Konstruktion einer christlichen Identität. Paulus und die Gemeinde von Thessalonich in ihrer hellenistisch-römischen Umwelt, BBB 128, Berlin 2001, 366–446. Vom Paulusbild als Identifikationsmodell spricht E.-M. Becker, Von Paulus zu „Paulus“. Paulinische PseudepigraphieForschung als literaturgeschichtliche Aufgabe, in: Frey/Herzer/Janßen/Rothschild (Hg.), Pseudepigraphie und Verfasserfiktion, 363–386, 386.

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Commonalities and Conflicts in the Pauline School

Udo Schnelle has often pointed out the import of the Pauline school tradition for interpreting Pauline texts.1 The following essay is written from the same general perspective developed by Schnelle, in dialogue with his insights, sometimes offering alternative interpretations. Though the Pauline school had its roots in the group of assistants and colleagues that surrounded Paul during his mission work and final imprisonment, the following essay deals with the work of this group and its successors after his death, an informal network of teachers who interpreted Paul’s person and theology to the churches of the following two generations. So understood, the four canonical texts that represent the Pauline school (Colossians, Ephesians, 2 Thessalonians, and the three Pastoral Letters understood as a unit) have much in common, but also exhibit tensions and conflicts. We will explore each aspect in turn.

1. Commonalities 1.1. Paul is the Apostle, and Indisputably so All four texts assume that affirming the Christian faith includes belonging to the church, and that an authentic church adheres to apostolic tradition. The church is not, and cannot be, a voluntary association of admirers and followers of Jesus, nor can its members decide ad hoc what they will be and do as a church. The Christ-event included the coming of the Holy Spirit that generated the church, and the calling and authorization of apostles who would found Christian communities and instruct them in the meaning and practice of the faith. The church is by definition apostolic. For Paul, this apostolic function was exercised by a limited group, called by God and qualified by direct commission from the risen Lord (Rom 1:1; 1Cor 1 U. Schnelle, The History and Theology of the New Testament Writings (Translated by M. E. Boring), Minneapolis 1998, 276–364; idem, Theology of the New Testament (Translated by M. E. Boring), Grand Rapids 2009, 539–602; idem, Apostle Paul: His Life and Theology (Translated by M. E. Boring), Grand Rapids 2005, 146–57; idem, Die ersten 100 Jahre des Christentums, 30–130 n. Chr., UTB 4411, Göttingen 2015, 250–252, 316–117.

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1:1; 9:1; 12:28–29; 2Cor 1:1). The group of authorized apostles was larger than that of the Twelve, which it overlapped (1Cor 15:5–7). Apostolic theology and practice represented a limited variety, affirmed and celebrated by Paul, for whom it was essential that the church be apostolic, but not necessarily Pauline (1Cor 1:10–17; 3:21–23; 9:1–2; 15:1–11). From the perspective of the Pauline school, the revelatory, apostolic function operates mainly or exclusively in Paul. The revelation of the saving plan of God, the gospel, God’s word, all seem to belong exclusively to Paul (Col 1:24–25; 1Tim 1:11–17; Titus 1:3). One can carefully read Colossians, 2 Thessalonians, and the Pastorals without any awareness that there are, or ever have been, any apostles besides Paul. Only the ecumenically-minded Ephesians, looking back to the founding generation and outward to the wider church, uses !pºstokor in the plural (2:20; 3:5; 4:11). Yet Ephesians, too, considers Paul not as merely one of several apostles, but as the apostle par excellence. The emphatic 1lo¸ that begins Eph 3:8 sounds virtually exclusive, even in a context that refers to the plurality of !pºstokoi in the founding generation. It is to Paul that the lust¶qiom of God’s plan has been revealed, as a fundamental element of the eqacc´kiom of which Paul is the di²jomor (3:2–4; cf. 1:9–10; 3:8–9). In all the deutero-Pauline letters except 2 Thessalonians, Paul presents himself as !pºstokor in the opening words.2 In this regard, exegetes should not be misled by the insertion of the indefinite article in modern language translations such as English and German, (an apostle, ein Apostel). The Greek, of course, has no indefinite article, and the inserted article can be understood as “belonging to a category”. This would fit Paul’s own usage, but is not necessarily appropriate in the deutero-Pauline letters, where the introductory phrase might better be translated simply “Paul, Apostle […]” in the definitive or (near-)exclusive sense.3 For the Pauline school, the typical initial greeting PaOkor !pºstokor WqistoO YgsoO di± hek¶lator heoO did not mean that Paul is “an apostle”, just as the anarthrous Wqistºr or heºr could not mean “a Messiah” or “a God”. The apostolic tradition is the Pauline tradition, period. In none of this, of course, is there an explicit denial of the existence or authority of other apostles; the issue hardly emerges on the conceptual screen within the group of Pauline teachers represented by the Pauline school.

2 In 1 Thessalonians, Paul clearly represents himself possessing the authority of the apostolic office (2:7), but does not designate himself as !pºstokor in the opening greeting, nor is he careful to distinguish his own status from that of Timothy and Silvanus. In Colossians, on the other hand, Paul is !pºstokor in the opening words, and Timothy is only !dekvºr. The author of 2 Thessalonians affirms Paul’s authority, but responds negatively to its “institutionalization” in the “clerical” developments in some streams of the Pauline school of his own times, and thus never uses !pºstokor of Paul or anyone else. 3 As e. g. in 1Tim 2:7; 2Tim 2:11, where the Luther Bible’s “Dazu bin ich eingesetzt als Prediger und Apostel […]” is better than the NRSV’s “For this I was appointed a herald and an apostle […]”.

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1.2. A Common Gospel There was some theological variety within the churches associated with the Pauline school, but their common adherence to Paul as the principal or exclusive mediator of the truth and meaning of the Christian gospel meant that they were committed to a common gospel articulated in a common theology. With varying imagery, conceptualities, and emphases, the Pauline school advocated and nurtured a common missionary kerygma and a common set of core teachings. This common theology is often expressed by assumptions and presuppositions rather than explicated in didactic statements. We do not have an outline of either the typical missionary sermon or catechetical course, but the elements of this common gospel/theology listed in the following sketch cannot be far wrong: • There is one God, the Creator of all people and all that is (Col 1:15–16; 3:10; Eph 1:11; 3:9, 14; 4:6; 1Tim 1:17; 4:2–4; 6:13; Titus 3:8). • Humanity is alienated from God by universal sin, though the problem was not recognized until its solution appeared, God’s saving act in Christ (Col 1:13, 21; 2:13; 3:7; Eph 2:1–3, 5; 4:17–20; 5:8; 1Tim 1:13, 15; Titus 3:3). • The saving act of God is understood in terms of incarnational Christology. The Pauline school continued the Pauline Christology from above, i. e. the preexistent Christ came into the world as a truly human being, divesting himself of divine power and prerogatives, suffered and died, and was raised to be the universal Lord (Col 1:15–20, 21; 2:2–15; 3:13; Eph 1:7; 4:7–10; 1Tim 1:15; 2:5; 2Tim 1:9–10, 13; 2:2, 8; Titus 2:11–14; 3:4–5). • The church began and continued not as a “Jesus movement”, but as the renewed people of God with a mission to the world. Christian believers in the Pauline churches, the vast majority of them ethnic Gentiles, are incorporated into the continuing life and mission of Israel, the people of God (Col 1:18, 24–28; 2:11, 16–17; 3:11–12; Eph 1:4, 22–23; 3:10, 18, 21; 4:4, 11–16; 5:23–25, 29–32; 1Tim 3:15; 2Tim 2:10; Titus 1:1). • Christian existence is between-the-times, looking back on the Christ-event and forward to the consummation of history yet to come. Teachers in the Pauline school tradition had different theological modes of coming to terms with the delay of the parousia, but none of the churches represented by the deutero-Pauline letters of the second and third Christian generation rejected eschatology as such, but hope continued, along with faith and love, as an essential component of Christian existence (Col 2:12; 3:1–3, 6; 4:24–25; Eph 1:10, 12, 14, 18, 21; 2:1, 3, 6–7, 12, 19–22; 4:4, 13, 30; 5:6, 14, 27; 6:24; 2Thess 1:5–10; 2:1–11, 14; 1Tim 1:4; 4:1, 8; 6:14–15, 19; 2Tim 1:1, 10, 12, 18; 2:10–12, 18; 3:1; 4:1, 8, 14; Titus 2:11–13; 3:7).

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1.3. “Stand Fast in the [Pauline] Tradition” These core beliefs are handed on in the tradition, understood to have originated with Paul, now elaborated and interpreted in the Pauline school. In the undisputed Pauline letters, Paul uses the paq²dosir vocabulary to point to something he has received and passes on to his churches, a tradition he shares in common with the other apostles (1Cor 11:2, 23–25; 15:3–5; 15:11). In the deutero-Pauline letters, the characteristic view of the Pauline school is reflected, and the tradition points no further back than to Paul himself. He is the font, not the conduit, of Christian tradition, a role he does not share with other apostles. This authentic tradition is contrasted with “philosophy and empty deceit, according to human tradition” (Col 2:8), and members of the Pauline churches are charged to “stand firm and hold fast to the traditions that you were taught by us” (2Thess 2:15) and to “keep away from believers who are living in idleness and not according to the tradition that they received from us” (2Thess 3:6). The author of Colossians commends the churches for continuing faithfulness to the truth of the Pauline gospel that they had not learned directly from Paul (Col 2:1) but that had come to them via one of his followers, in which they are to “continue securely established and steadfast,” not “shifting from the hope promised by the gospel that you heard,” “just as you were taught” (nrsv : Col 1:5–7, 23; 2:7). The author of Colossians cites traditional material that had been handed along and around in the oral tradition (e. g., 1:15–20; 3:18–4:1), and he encourages his readers to attend not only to his letter but also to other Pauline letters in circulation (4:16). Likewise the author of Ephesians warns against being tossed about by every new wind of doctrine and encourages adherence to the truth revealed to the apostles and prophets of the first generation (2:20; 3:5; 4:14–15) and now available in Paul’s Letters (3:4). This is the way they have “learned Christ” (4:20). The Pastorals, too, are concerned to pass on the authentic tradition of which Paul is source and norm (1Tim 1:3–4; 2Tim 2:2; Titus 1:1–4). 1.4. Commitment to the Epistolary Form The Pauline school adopted the epistolary form as the exclusive literary genre for communicating and nurturing the faith in the congregations of the Pauline mission (rather than, e. g., narratives such as Luke-Acts and Paul and Thecla, or church orders such as the Didache). This commitment to the epistolary form is not to be taken for granted. The letters themselves emphasize that Paul’s authority continues to be expressed in the churches through such epistles (Col 4:16; 2Thess 2:2, 15; 3:14, 17; 1Tim 3:14). The Pauline school continued (not merely “imitated”) Paul’s own mode of instruction and regulation of church life. Paul’s letters were instruction for the

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church, for insiders to the Christian community who had already become Christian believers, didaw¶ not j¶qucla. Beginning with his break with the Antioch church and the founding of his own “independent” mission, Paul had devised a new genre, the “apostolic letter.” Analogous to the parables of Jesus, the Pauline letter was a literary form appropriate to the incarnation: not philosophical essays dealing with general truths, but particular, focused, direct address to concrete situations, projecting a narrative world that embraced both the particular history of the addressees and the macronarrative in which their little lives were embedded. This projected narrative world made the soft, implicit claim to be the real world not by direct statements but by its assumptions. Reader/hearers were constantly challenged to decide which was the real world that provided the framework and norm for their lives – their everyday world, or the narrative world assumed and projected by the letter. When read forth in the liturgy or instruction of the house churches he had founded, the voice that was heard was the living voice of Paul. Though absent, Paul spoke to the churches. Already during Paul’s lifetime, the letters were read and reread in the worship and instruction of the house churches. They were not copied and circulated privately to individuals. The letters were not written or heard as Scripture, but they were more than casual or personal communications. Members of the Pauline congregations heard his letters as they heard the Scripture, when they were assembled for worship and instruction. This liturgical/educational setting, alongside the Scripture, coupled with Paul’s apostolic authority gave the Pauline letter an aura of authority as well as a slot in the liturgical and educational life of the church that became traditional. It was this slot into which the deutero-Pauline letters were designed to fit. Paul had not written merely as a concerned individual, but as representing the risen Lord as his apostle. The deutero-Pauline letters extended the voice of Paul into the second and third generation. The authors in the Pauline school seem never to have reflected on “theological method,” nor on the legitimacy of pseudepigraphy. They assumed from the beginning that the way to do theology is to reinterpret Paul. They allow Paul to continue to speak by composing letters in his name, adopting Paul’s own form while adjusting the content to their own times. Thus the author of 2 Thessalonians uses the singular 1pistok¶ (2:15), but without the definite article, indicating that the reference is not to a particular letter, but generic, referring to the Pauline corpus that is being formed among the Pauline churches (“every letter,” 3:17; cf. 2Pet 3:16). For Paul himself, the letter mediated his presence. Though Paul is no longer present, the deuteroPauline author insists the readers are “taught by us” (2:15) in the oral Pauline logos and the written corpus of letters (so also Col 2:1, 5). They are not taught by apostles in general, but by Paul-the-apostle. We hear the voice of a living tradition, a network of Pauline churches and teachers, engaging in lively interchange of news and a sense of koinonia of a persecuted minority contrasting itself with outsiders, but sure of its ultimate vindication.

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1.5. Persecution is the New Normal The earliest extant Pauline document had reminded the new converts in Thessalonica that their confession of faith, their baptism, and the formation of a new religious community would result in their being permanently out of step with their society, and that they would suffer for it (1Thess 3:3–4). Paul’s last letter soberly assumes that the Christian confession includes “the sufferings of this present time, […] hardship, distress, persecution […] sword” (Rom 8:18, 35). So also, the earliest and latest deutero-Pauline letters assume that suffering is the common experience of Christian believers (Col 1:24; 2Tim 1:8, 12; 2:3, 9; 3:11–12; 4:5). When the latest canonical document from the Pauline school states matter-of-factly, “Indeed, all who want to live a godly life in Christ Jesus will be persecuted” (2Tim 3:12), this is not telling the readers something new or exceptional, but summing up the experience of two generations of Christian experience. Historical scholarship has long since rejected the traditional idea that the church suffered general, official persecution at the hands of Jewish and Gentile authorities from the very beginning. In some scholarly streams, there seems to have been an overreaction to the traditional view, as though the persecution endured by Christians of the first two or three generations was mostly in the creative imaginations of later historians and myth-makers.4 When one surveys the deutero-Pauline letters with this question in mind, it does seem clear that they were not constantly enduring systematic, official persecution. It is also clear that to be a Christian in this time and place was to live in a society hostile to the Christian community, that to profess Christian faith meant being subject to discrimination and maltreatment, which always had the potential of escalating into actual violence. While outbreaks of violent persecution were relatively rare, the sense of threat was real, characterizing the life of the Christian community as a whole during the second and third generation of the Pauline churches. The exchange of letters between the governor Pliny and the emperor Trajan offer a window into what was likely a fairly typical situation.5 Eighty years after the church’s beginning, there was no official policy in place. Pliny had no information about the Christian group and did not know how to respond to the charges made against them. He had no interest in prosecuting or persecuting them, but wanted to maintain Roman order. The new Christian group lived under constant threat and pressure, not so much from the government but from the suspicious populace. This 4 E. g. C.R. Moss, The Myth of Persecution: How Early Christians Invented a Story of Martyrdom, New York 2013. 5 Pliny the Younger, Ep. 10.96–97. See also Tacitus, Ann. 15.44.2–5; Suetonius, Claud. 25.4; Josephus, Ant. 20.9; Mark 4:17; 13:9–13; Mat 10:17–22; 24:10–12; Acts 12:12; 1Pet 1:6–17; 4:2–12, Hebr 11; the letters of Ignatius and 1 Clement.

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pressure could be expressed in harassment, discrimination, and sometimes erupt into mob violence, arrest, torture, and death. From the underside of society, Christians learned the arrogance of power. They could be arrested and tortured as a matter of intimidation or to obtain information about their group, they could be subjected to arbitrary tests to determine their loyalty to society and the government, they experienced the disdain of neighbors, community leaders, and government officials. There was no doubt considerable variety, depending on place and time, but the potential for active persecution was always there. Persecution, experienced or threatened, was the common experience of the churches addressed by the Pauline school. In Paul’s own time, the first generation of Christians had expected to also be the last, and had been encouraged to interpret their afflictions in the common apocalyptic perspective – evil is intensified just prior to the end, the Messianic labor pains before the coming of the Messiah, the last throes of Satan before the final destruction of evil. In the second and third generations, this interpretation no longer worked; the community of Christian believers was no longer the beleaguered saints facing one last battle, but a long-term war of attrition.

2. Conflicts 2.1. 2 Thessalonians sets the Agenda A number of issues were debated within the temporal and geographical span of the Pauline school (e. g. the role of Scripture, the appropriate degree of accommodation to the surrounding culture). Writing about the same time as Ephesians, i. e. after Colossians and before the Pastorals, the author of 2 Thessalonians represents the approximate midpoint of the Pauline school’s historical development. Two interrelated issues constituted his sole agenda, each of which is crucial for the situation of the church as a marginalized community living under the constant threat or reality of persecution: eschatology and church structure. The author chose 1 Thessalonians as the template for his own composition, which allowed him to concentrate on precisely these two issues: (1) How should believers think of their present life and future, in view of ongoing history with the Parousia nowhere in sight? (2) How should the church structure itself for its ongoing mission in a world that appears not to be going away soon? The deutero-Pauline author follows 1 Thessalonians closely, inserting only two sections into his template: the first deals with eschatology, the second with church structure.

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2.1.1. Eschatology and Present Experience The author of 2 Thessalonians warns the churches against those who are proclaiming in Paul’s name that “the day of the Lord is already here” (2Thess 2:2). What did they mean by this? There were early Christian teachers in the Pauline tradition who responded to the failure of the Parousia to occur as expected by reinterpreting the meaning of the endtime events (resurrection, judgment, parousia, eternal life) in terms of present experience. In this view, the expected Day had in fact come in a spiritualized sense, in the internal experience of the believer. It has sometimes been argued that the error opposed by the author of 2 Thessalonians was the teaching of such gnosticizing interpreters of Paul, who proclaimed that the resurrection has already happened (2Tim 2:18).6 The verb 1m´stgjem in 2:2 is in fact best translated “has come” or “is here,” not “is imminent.” All New Testament instances of 1m¸stgli in the perfect tense refer to something being present, sometimes explicitly contrasting it with the future (Rom 8:38; 1Cor 3:22). There is no instance in which the perfect of 1m¸stgli means “be imminent, be impending.” The deutero-Pauline authors of Colossians and Ephesians do in fact lean in the direction of realized eschatology, but without abandoning the future hope. The Johannine school, developing about the same time as the Pauline school, and in the same region – both were probably centered in Ephesus – leaned toward this view, not abandoning futuristic eschatology but shifting the center of gravity to the realization of eschatological hopes in the present. The appearance of the antichrist, the return of Christ, the defeat of Satan, the resurrection, judgment, and eternal life – all these are counted as matters of present experience (1John 2:18–22; 4:3; 2John 7; John 3:18–19, 36; 6:47; 11:21–26; 12:31, 48, chs. 14–16; 17:3). Thus, a plausible case can be made that the teachers who explained that “the day of the Lord has come” represented a gnosticizing realized eschatology. The author of 2 Thessalonians considered this a perverse misunderstanding, and opposed it by reasserting the traditional future eschatology of apocalypticism. It is better to understand the view opposed in 2 Thessalonians not as a spiritualization of the eschatological events, but as a reinterpretation of the calendar. In this view, the first generation had interpreted their troubles as the prelude to the Parousia, time had proven them wrong, and their expectation 6 That the problem addressed by 2 Thessalonians was some type of realized eschatology has been argued in various ways by, e. g., W. Schmithals, The Historical Situation of the Thessalonian Epistles, in: idem (ed.), Paul & the Gnostics, Nashville 1972, 123–218, esp. 202–208; R. Jewett, The Thessalonian Correspondence: Pauline Rhetoric and Millennarian Piety, Philadelphia 1986, 176–178; F.W. Hughes, Early Christian Rhetoric and 2 Thessalonians, JSNT.S 30, Sheffield 1989, 87–91; A.J. Malherbe, The Letters to the Thessalonians: A New Translation with Introduction and Commentary, AncB 32B, New York 2000, 429, 455; Schnelle, Theology of the New Testament, 574–575; less explicitly Schnelle, Ersten 100 Jahre, 346.

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had to be abandoned or reinterpreted. The woes preceding the eschatological events spoken of by Paul did not occur in his days, but now, in our times, they are beginning. None of this was, of course, the ruminations of Pauline theologians mulling over a conceptual problem, but the pressure of believing, hurting people to make theological sense of their situation. We know that in the 90s of the first century an itinerant prophet among the churches of Asia took precisely this step that 2 Thessalonians warns against – the afflictions of the present, including especially the experienced and expected governmental harassment, are the anticipated woes to occur just before the end. John the prophet circulated his revelatory letter advocating this encouraging perspective to churches in the same area in which the Pauline school was active. His letter consisted of purported revelations di± pme¼lator (Rev 2:2; cf. 2Thess 2:2), urging the threatened and sufferings churches in Asia to regard the hardships they were suffering as the leading edge of the final events already breaking in: “the Great Day has come” (Gkhem B Bl´qa B lec²kg, Rev 6:17). The author of 2 Thessalonians opposes this teaching with the assertion that the readers know Paul has always taught that certain events must occur before the end, there is a firm apocalyptic scenario that must be enacted, and that not even the first of these events has appeared on the horizon (2:1–11). The true situation in which the author and readers live is that the mystery of lawlessness is indeed already at work – the troubles they are experiencing are not merely the random foibles of history, but expressions of the power of evil opposed to the gospel. Nonetheless, the divinely provided Restrainer continues to hold back the beginning of the eschatological events until some future time. Thus the present is not a meaningless part of God’s historical plan, a secular parenthesis awaiting the significant theological events of the end. The present is filled with theological meaning, and is a time in which the church is to continue in its good work and word (2:17). The end is not about to arrive; there is time to carry on the church’s mission. In this regard, the author’s eschatological theology is like that of Mark 13:3–8, but even more reserved. Both Mark and 2 Thessalonians continue to hold out the apocalyptic hope. Both oppose the view that the eschatological events are imminent, and affirm that there is time for Christian mission in the world (cf. Mark 13:10!). Mark still represents the end as coming in his own generation (Mark 9:1; 13:30), but 2 Thessalonians sets no limit. At some future date, God will remove the Restrainer, the ultimate countdown will begin, and the Day of the Lord will be present – apostasy will occur, the Lawless One will appear claiming divine honors (2:3, 6, 8, 9), then the true Parousia will come, when the Lord Jesus will be revealed from heaven in theophanic flaming fire. The Lord will destroy the Lawless One, believers will be delivered from the persecution they have been experiencing (1:7 etc.), they will glorify the returning Lord and be glorified with him (1:10–12). Correct eschatological understanding is high on the agenda of this teacher

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in the Pauline school, but it is related to mission, as is the other key item on his agenda, the structure and leadership of the church. 2.1.2. Ecclesiology and Church Structure Though the Pauline teachers had a moderately broad spectrum of theological views on the contemporary role and function of the Spirit in the life of the church, there was general agreement that the norm and content for the church’s faith is provided not by new revelation, but by firm tradition from the past, now communicated by Paul’s own Letters and those composed and circulated in his name by the teachers of the Pauline school. But who was to interpret and administer this tradition? Some Pauline congregations of the second and third generation were taking an additional step, supporting the emerging tendencies toward institutionalization that typically emerge in new movements after the death of the charismatic leaders of the first generation. The author of 2 Thessalonians weighs in on this debate, resisting the emergence of a special class of hierarchically authorized church leadership, a “full-time, paid clergy” not employed in secular work but paid from church funds. Paul himself had affirmed the presence and power of the Holy Spirit in the life of the whole congregation, including the acceptance of post-Easter revelations from the risen Lord through Christian prophets (after they had been evaluated by the whole, Spirit-filled congregation; 1Thess 4:13–18; 5:19–22; 1Cor 12–14). Paul had also acknowledged and implemented the role of specific church leaders charged with directing the life of the congregation, and had urged the congregation to follow the leadership of these authorized pqozst²lemoi (1Thess 5:12–14). Though Paul had not installed a firm and consistent pattern of official church leadership in the churches he established, he combined charismatic and official leadership, and insisted that even in churches with a vibrant spiritual life all things should be done “decently and in order” (1Cor 14:40). Under the pressures of the second and third generation, this fragile balance was being dissolved, and some were asserting the need for a firm church structure with acknowledged classes of leadership, some of whom would spend their full time in preaching, teaching, and administration of the church, and would be paid by the churches for their work. The author of 2 Thessalonians claims Paul’s directions in 1 Thessalonians as support for resisting this development, with Paul’s admonitions to the congregation to admonish the %tajtoi his point of contact (1Thess 5:14). The context of this only occurrence of %tajtor in the New Testament is Paul’s insistent encouragement of church order and respectful compliance with established church leadership. Paul had in view members of the new congregation in Thessalonica who were hesitant to accept the leadership of

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the newly-appointed pqozst²lemoi. The deutero-Pauline author, addressing not only the congregation in Thessalonica but the wider network of Pauline churches, understands the %tajtoi to refer to disorderly persons (not “idlers”) who are out of line with Paul’s instructions on church leadership.7 This earliest extant interpretation of Paul’s meaning of %tajtoi was probably correct. The %tajtoi are the “disorderly”, those who are out of line with previous Pauline teaching. In the view of the deutero-Pauline author, those who support the emerging practice of a full-time, salaried class of “clergy” are opposing the orderly church led by non-salaried laypersons established and commanded by Paul. The %tajtoi are not loafers, but they do not engage in secular work; the adjective %tajtor does not mean “idle”.8 In 2Thess 3:6, 7, 11, the cognates !t²jtyr and !tajt´y are associated with “idleness”, the author’s derogatory term for church leaders not engaged in secular work but who earn their living by their preaching, teaching, administrative and pastoral work. This understanding was then read back into 1 Thessalonians. The corrective eschatology of 2 Thessalonians was understood to reflect the situation in 50 CE Thessalonica, and the %tajtoi were understood as church members with a superheated eschatology who had become a nuisance because they had quit their jobs in anticipation of the impending Parousia. This is understandable when 1 and 2 Thessalonians were thought to be by the same author written within a brief span of time to the same church, a situation that allowed 2 Thessalonians to provide the supposed key to understanding 1 Thessalonians. This exegetical approach is no longer valid when 2 Thessalonians is considered deutero-Pauline, written a generation or two after Paul to the Pauline churches in general. The author of 2 Thessalonians argues that Christian ministers of his own 7 For evidence and argument for this interpretation, see M. E. Boring, 1 and 2 Thessalonians. A Commentary, New Testament Library, Louisville 2015, 294–306. 8 The adjective %tajtor is derived from the common verb t²ssy, “to bring about an order in things, to arrange”, with the negating alpha-privative (= “in-“, “un-,” “dis-”). The basic meaning is thus “without order, disorderly”, which is the only meaning given in BDAG 148; cf. 991, with examples of Hellenistic usage in this sense. The word is found only once in the LXX, 3Macc 1:19, where it means “disorderly”, used of young women who rushed to see a public spectacle without taking time to dress appropriately. There are no examples from Hellenistic Greek authors in which the word means “idle”, “loafer”, “those who do not work”, though there are questionable instances in the papyri that could possibly be so interpreted. Prior to the twentieth century, English translations tended to render %tajtoi appropriately as “unruly” (Tyndale 1526, Bishops 1568, KJV 1611), “out of order” (Geneva 1560), “unquiet” (Rheims-Douay 1582), or “disorderly” (RV 1881, ASV 1901). From the time of Frame’s classic commentary (A Critical and Exegetical Commentary on the Epistles of Paul to the Thessalonians, ICC, New York 1912, passim, esp. 197–198), some commentators adopted the meaning “idle” for 1Thess 5:14, a translation adopted by the translations of James Moffatt in 1922 and E. J. Goodspeed in 1923. Both Goodspeed and Moffatt were on the RSV translation committee that in 1946 introduced “idlers” into the mainstream of English renderings of this text, which has been followed by numerous English translations (NRSV, REB, NIV, TNIV, NIV11, TEV, ESV).

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time should earn their own living, as Paul himself had done, and not be dependent on financial support from the churches. To be sure, Paul had the authority to receive such financial support, but for the good of the church’s mission had not exercised it (3:9, reflecting 1Thess 2:5–12 and 1Cor 9:1–18; cf. 2Cor 11:1–9; Phil 4:16). The author sees the issue in his own time as the same as Paul’s: not whether ministers have the right to be supported by the church, but whether insisting on exercising this right advances the gospel. In Paul’s name, the author commands the churches to disengage from preachers and teachers who expect financial support (3:6; cf. the Pastor’s later positive reference to those who “desire” [aq´cy] this office, but who must not do so for the love of money, 1Tim 3:1, 3). The author of 2 Thessalonians does not suggest, but in Paul’s name he commands (paqacc´kkolem). The command is not addressed directly to the %tajtoi themselves as part of the congregation, but is authoritative instruction to the churches on how to relate to the emerging “clerical” class (cf. the third-person t¹m 2aut_m %qtom 1sh¸ysim, not “t¹m rl_m %qtom 1sh¸gte”). The issue concerns the wider church, is not merely a problem of individual loafers who quit their jobs back in Thessalonica in Paul’s time. “Anyone unwilling to work should not eat” has nothing to do with superheated eschatological enthusiasm or the support of welfare programs for the needy. It is an ecclesiological and missional issue, not a directive against loafers in a particular congregation. The agenda reflected in 2 Thessalonians thus addresses two current issues in the Pauline school. Given the situation of duress in which the churches are called to endure, how should they understand the eschatological framework they had received from Paul, and how should they structure the church in view of the church’s mission that extends into the prolonged future? The author of 2 Thessalonians makes his own views clear, but other options were being advocated in the Pauline school.

2.2. Colossians 2.2.1. Eschatology and Present Experience The author of Colossians maintains the general sweep of Paul’s heilsgeschichtliches panorama, called by him the oQjomol¸a heoO.9 This divine plan extends from creation (Col 1:15–16; 3:10) to the final epiphany of Christ at the 9 The sole point of contact in Paul’s undisputed letters for oQjomol¸a is 1Cor 9:17, where this multifaceted term refers primarily to Paul’s missionary commission. Even there, however, it had the overtones of Gods saving plan for the world, the content of Paul’s missionary message. When the author of Colossians takes up this word, “commission” is still the primary meaning, but the connotations of “divine plan” are strengthened. In Ephesians’ adoption of this term, “plan for the fullness of time” has become the primary meaning, which is preserved in 1Tim 1:4 (so REB, NAB, NJB, TEV, vs. NRSV “divine training”).

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eschaton (3:4). The theology of salvation history is still present in Colossians, but the horizontal, linear, temporal dimension is minimized. Christ is portrayed not only as the defining event within the whole of saving history (1:18–20), but as one who was present before history as the locus, mediator, and goal of creation (1m aqt` […] di( aqtoO […] eQr aqtºm, 1:16), and the one who will be manifest to all at the end (3:4). The church is still the elect people of God (3:12), but there is no reference to Israel, the covenant, or the particular events or persons of Israel’s history, just as there is no explicit reference to the Scriptures of Israel now also the church’s Scripture. There is no reference to the Parousia or the events that immediately precede it, and no sense of its imminence. The wrath of God is coming on the disobedient (3:6), and good servants will receive their (presumably eschatological) reward (3:24–35), but the urgent sense of the coming judgment has faded. The kingdom of God is mentioned twice in Colossians, once as the realm into which believers have already been transferred (1:13), and once of Paul’s “coworkers for/in the kingdom of God,” which may also have a future reference (4:11).10 The reality of Christ’s identity and presence, hidden for now, will be manifest at the end, just as the believer’s true identity will then be manifest with him (3:4). While the future eschatology of the Pauline tradition is to a certain extent preserved, the focus and emphasis has changed dramatically, so that the center of gravity of Paul’s already/not yet dialectic is now heavily weighted on the “already”side. This massive shift, though sometimes subtle and expressed without polemic, can be readily seen in a brief walk-through of the text of Colossians. 1:4

Paul’s faith/love/hope is maintained as in 1Thess 1:3, with 1kp¸r in the final position, but it is now “the hope laid up for you in heaven,” the imagery having shifted from the diachronic eschatological future to the synchronic vertical present. 1:12–13 The saints (will?) receive the promised inheritance, but the imagery is that of static light/darkness rather than temporal now/then, and the saints have already been transferred into the kingdom of God. 1:22–28 The addressees are to continue in the faith and hope of the gospel, so that Paul can present them blameless and holy to Christ, but this is no longer clearly at the Parousia. The “Messianic woes” of the endtime are neither the tribulations of the eschatological future nor the troubles the Pauline churches are presently enduring (cf. 2Thess 2!), but have already been endured by Paul himself (v.24). The oQjomol¸a heoO now revealed to the saints is focused in the lust¶qiom fulfilled in 10 Since in Hellenistic Greek the classical distinction between 1m and eQr was fading, and since the author of Colossians sometimes clearly uses eQr Wqist¹m in the same sense as 1m Wqist` (1:4; 2:5), sumeqco· eQr tµm basike¸am toO heoO may well mean “fellow workers in the kingdom of God”, in correspondence to the kingdom as a present reality in 1:13. In any case, it is difficult to imagine the author encouraging his readers to pray “Thy kingdom come”.

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the present (vv.25–26). The hope for the believers to become a mature (t´keior) church is at least partially collapsed into the maturation of the church in the present rather than eschatological transformation. The 1kp·r t/r dºngr (v.27) is not here an objective genitive (“hope of [future eschatological] glory”), but the “glorious hope” now fulfilled as Wqist¹r 1m rl?m.11 2:10 Believers are already 1m aqt` pepkgqyl´moi. 2:12 In baptism, believers are not only buried with Christ, as in Paul, but – contrary to Paul’s explicit “eschatological reservation” – already raised with Christ. 2:14–17 The hostile cosmic powers are already defeated, the ultimate triumph is already celebrated. “The shadows of things to come” (sji± t_m lekkºmtym) foreshadowed by Jewish festivals are already fulfilled in the present realities of the church. 3:1–4 The statement of 2:12 is not incidental, but here repeated as the basis of the following ethical parenesis. Whereas for Paul, the believer’s point of identification with the Jesus-story was the crucifixion – “crucified with him” becomes the mark and power of the believer’s ethics – here the believer is already “risen with him”. This shift, though significant, is not to be exaggerated. The risen-with-him character of the believer’s life is real, but presently hidden, a matter of faith, to be manifest only in the eschatological future. As Udo Schnelle points out, “To be sure, the author is not thereby advocating an unreflective, exalted view of salvation that takes the believer out of this-worldly life, for the qualification ‘through faith’ (di± t/r p¸steyr) limits and more carefully defines the experience of present resurrection as the insight of faith.”12 2.2.2. Ecclesiology and Church Structure The author of Colossians has nothing specific to say about church structure, offices, or leadership. Those who have never known Paul personally (2:1) are instructed in the Pauline gospel by trustworthy di²jomoi such as Epaphras and Archippus, who can be reminded to fulfill their diajom¸a (1:7; 4:17). Pauline authority continues to regulate the church through Pauline letters, which are to be exchanged within the network of Pauline churches (4:15–16), but nothing explicit is said about how or by whom these are interpreted and their instructions implemented. The kºcor of the risen Christ is dynamically present in the kºcor ja· 5qcom of the church itself, the s_la WqistoO, as church 11 As in the first part of the verse, t¹ pkoOtor t/r dºngr toO lustgq¸ou to¼tou = “glorious riches of this mystery” (so NIV, CEB), not “riches of the glory of this mystery” (NRSV). 12 Schnelle, Theology of the New Testament, 548–549.

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members worship together and instruct each other did²sjomter ja· mouhetoOmter 2auto¼r, xaklo?r vlmoir áda?r pmeulatija?r (3:16–17). 2.3. Ephesians Ephesians was written by a teacher in the Pauline school who recognizes both the commonalities and emerging conflicts in the network of Pauline churches. His mind-staggering universal vision of the ecumenical Christian community extends the reality of the church into the divine world that transcends both time and space. He is deeply concerned for the unity of the church; this unity is both God’s gift and the goal which believers strive to attain. The church is one (not merely “ought to be”), but this unity given by God, which cannot finally be frustrated, impels Christian believers and their leaders to express this unity in the church’s doctrine and life. Written after Colossians but before the Pastorals, the author essays a comprehensive ecclesiology that integrates the tradition represented in Colossians with the views already circulating in the Pauline churches that will become didactic instruction in the Pastorals. 2.3.1. Eschatology and Present Experience The author of Ephesians maintains the Pauline already/not yet dialectic more explicitly than Colossians, which allows him to incorporate, even emphasize, the conflicting eschatologies prevalent in the Pauline school. On the one hand, Ephesians reaffirms the heilsgeschichtliche perspective, including future eschatology. The present experience of salvation is part of the historical plan of God, which includes the covenant people Israel as integral to the salvation of the world. Salvation means being incorporated in this ongoing history which looks back to both a pre-creation and historical past and looks forward to both a historical and eschatological future (1:4; 2:1–22; 3:9). The author explicitly uses the “two ages” terminology, the only author in the Pauline school to do so (1:21; cf. 2:7). The author writes in order that his readers, who prior to their conversion had been “without Christ […] having no hope” may better understand “the hope that belongs to his call” (1:18 nab; 2:12). This hope is not an appendage or auxiliary to the Christian faith, but belongs to its core elements. Just as there is one Lord, one Spirit, one church, one faith, one baptism, so there is one hope (4:4–5). The Holy Spirit (neglected in Colossians) is the down payment on the future inheritance yet come, sealing believers for the day of redemption (1:13; 4:30; cf. 5:5). On the other hand, the author of Ephesians takes up Colossians, uses it as his template for the manifesto of Pauline theology he composes as a didactic circular letter for the network of Pauline churches, affirming and even intensifying its strong tendencies toward realized eschatology. Believers are

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already incorporated in God’s oQjomol¸am toO pkgq¾lator t_m jaiq_m, chosen 1m aqt` before the foundation of the world, and already are enthroned with Christ in the heavenly places over all creation (1:3–4, 9–10). Believers thus already participate not only in the temporal, historical reality of the Christevent, but their little lives, without their individual significance being absorbed into some grand ocean of being, are integrated into God’s plan for the universe that extends from pre-creation to post-eschaton. Believers are not only “risen with him,” as in Colossians, but “ascended with him” (1:3, 20; 2:6). Since the author clearly affirms the Pauline heilsgeschichtliche perspective, including its future eschatology, he is freed to be even more specific and clear than Colossians in his affirmations of realized eschatology. The vision of the “blameless church” of Col 1:22 that Christ will bring into being ("c¸our ja· !l¾lour ja· !mecjk¶tour jatem¾piom aqtoO) is in Eph 5:27 not merely the eschatological hope, but a potential reality for the present. So also, the vision of the mature, perfect church in Eph 4:13–16 does not belong only to the age to come, but is increasingly manifest in this age in which the heavenly status the church has already been granted (4:13–16). Indicative and imperative, eschatological future and present striving, are juxtaposed in authentic Pauline fashion: “be what you are.” This corresponds to the use of imperatival resurrection language in 5:14: =ceiqe, b jahe¼dym, ja· !m²sta 1j t_m mejq_m, ja· 1piva¼sei soi b Wqistºr.

Ephesians never uses the language resurrection for the eschatological events of the future. The resurrection has already happened in Christ, and thus its reality can repeatedly happen in Christian experience. Just as Christians have received the Spirit, are filled with the Spirit, they can be exhorted to be filled with the Spirit. Christians who are “risen with him” and already walk in the light of Christ can be exhorted to “live as children of light” (5:8). The author’s concluding expression of eschatology sums up and caps his affirmation of realized eschatology, taking up Paul’s description of the believer’s equipment as including “a helmet, the hope of salvation” (1Thess 5:8), which becomes in Eph 6:17 simply “the helmet of salvation.” It is this kind of theology, too close to emerging gnosticizing interpretations of Christian faith, that will make the Pastor nervous. 2.3.2. Ecclesiology and Church Structure The church is in the world as both the prototype and means of salvation for the whole world, the preliminary installment of what the whole creation will become when God’s plan is fulfilled !majevakai¾sashai p²mta 1m t` Wqist` (1:10). To fulfill this mission, the church needs to be equipped for its ministry, and God has provided ministers for this very purpose, pq¹r t¹m jataqtisl¹m

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t_m "c¸ym eQr 5qcom diajom¸ar, eQr oQjodolµm toO s¾lator toO WqistoO (4:12).13 God provided the founding generation with apostles and prophets (2:20; 3:5; 4:11), charismatic ministers of the word through whom God’s new and definitive revelation came. The author is silent about other charismatic gifts, such as miracles and glossolalia. Guidance by leaders directly inspired by the Holy Spirit is no longer prominent in the author’s own generation. The content of the apostolic revelation is mediated through the letters of the principal apostle, Paul. The power of the Spirit continues to pulse through the church, giving life to the body of Christ, but the church’s ministry does not mediate new revelations. The church’s founding apostles and prophets speak to the ongoing church through their writings. God’s gift to the church is in the body of ministers designated as evangelists (probably traveling missionary preachers engaged in founding new congregations) and pastor-teachers (or pastors and teachers), the preachers, teachers, and pastoral leaders of local congregations (4:11–12). Nothing is said about ordination, qualifications, lines of accountability, or financial support; the ecumenically-minded author does not venture instructions on what are already controversial issues in some areas of the network of Pauline churches. These issues cannot be tuned out indefinitely, and will be addressed headon in the Pastoral Letters.

2.4. The Pastorals A plausible case can be made that the three Pastoral Letters were all written about the same time, intended to be circulated together among the Pauline churches and read/heard as a unit, in the order Titus ! 1Timothy ! 2Timothy (canonical order is not original, and is based on length). The series appropriately begins with Titus, addressed to congregations that had existed for some time but are only now in the beginning stages of being properly structured with an authorized local leadership. Then follows 1Timothy, which assumes the congregations already have an ordered church structure consisting of bishops, presbyters, deacons, and widows, but need instructions on administering the system and admonitions as to the qualifications and duties of church officers. The sequence is concluded with 2Timothy, Paul’s legacy and final instructions in view of his approaching death. When so read, the first few lines immediately focus the hearers’ attention on the dual agenda marked out decades earlier by 2 Thessalonians as continuing live issues in the Pauline school, namely eschatology (1:2, 1p( 1kp¸di fy/r aQym¸ou, Dm 1pgcce¸kato b !xeudµr he¹r pq¹ wqºmym aQym¸ym) and church structure (1:5, To¼tou 13 The famous “misplaced comma” after "c¸ym in some early English translations indicated that the “work of ministry” was the task of the ministers God has given to the church (e. g. KJV). This has been corrected so that the Greek text is properly rendered to mean that God gave ministers to the church to equip it for the work of ministry (so e. g. NRSV, REB, NAB, NJB, NIV, ESV, CEB).

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w²qim !p´kipºm se 1m Jq¶t,, Vma t± ke¸pomta 1pidioqh¾s, ja· jatast¶s,r jat± pºkim pqesbut´qour). 2.4.1. Eschatology and Present Experience A generation or two after the death of Paul, the Pastor continues to affirm the general substance of Paul’s own eschatology. Without argument or elaboration, he simply assumes the Pauline oQjomol¸am heoO (1Tim 1:4) that climaxes in the coming of the Lord, the kingdom of God, and the final resurrection and judgment, which God will bring about in his own good time (1Tim 5:24; 6:14–15; 2Tim 2:10–12; 4:1, 8, 18; Titus 1:2; 2:12–13; 3:7). The Pastor expresses no interest in reinterpreting Paul’s apocalypticism in the sense of translating it into new philosophical or experiential categories, and is suspicious of those who want to do so. Those who teach that “the resurrection has already taken place” are simply dismissed as having “swerved from the truth” (2Tim 2:18). The kind of realized eschatology the Pastor opposes would certainly include the gnosticizing interpretation of the resurrection advocated by the Gospel of Thomas and the Gospel of Philip, and probably indicates his suspicion of Colossians’ and Ephesians’ understanding that the believer is already “risen with him”, despite their preservation of the future eschatological hope. The Pastor has abandoned the imminent expectation of the first generation, is not upset either by the delay of the Parousia, or by those who see the troubles of his own time as its prelude. He does not enter into dialogue with opposing views, for the truth of the faith has been congealed into solid summaries, the paqah¶jg transmitted by faithful teachers in the Pauline school (1Tim 1:3–5; 6:20; 2Tim 1:12–14; 2:2; Titus 2:1), epitomized by the “faithful sayings” (1Tim 1:15; 3:1; 4:8–9; 2Tim 2:11; Titus 3:7–8). 2.4.2. Ecclesiology and Church Structure The truth of the faith is communicated by this authentic tradition, and by Scripture (1Tim 1:8–9; 5:18; 2Tim 3:15–16), but both require interpretation. Thus the faith must be safeguarded by authorized and qualified preachers and teachers. He advocates the appointment of theologically sound bishops and presbyters, who must be “able to teach” (1Tim 3:2; 5:17; 6:3; 2Tim 2:2, 24; Titus 1:9). Paul himself is such a teacher (1Tim 2:7; 2Tim 1:11; 3:10), as are “Timothy” and “Titus”, the intermediate links in the chain of apostolic authority who appoint and ordain local preachers and teachers (1Tim 2:7; 4:6, 11, 16; 5:22; 6:2; Titus 2:1). In the Pastor’s time and place, probably the early second century CE in the Roman province of Asia, the emergence and promotion of a special class of authorized interpreters of the faith, ordained and set apart for this ministry,

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and paid from church funds, is still receiving a varied response in the Pauline school. We have seen that, in the previous generation, the issue had been ignored by Colossians, then opposed by the author of 2 Thessalonians, and partially encouraged by Ephesians. In the Pastor’s time, the adoption of the threefold ministry of 1p¸sjopoi, pqesb¼teqoi, and di²jomoi is still not proceeding uniformly among the Pauline churches. Nomenclature is still flexible – pqesb¼teqor can be used interchangeably with 1p¸sjopor (Titus 1:5–9; cf. Acts 20:17, 28). In some situations, the congregations do not yet have either the episcopal structure or authoritative presbyters leading the congregations, and need to have such leadership appointed by those representing Paul’s authority. How this is to be done is not spelled out, and probably occurred in a variety of ways. Among other congregations, the 1p¸sjopor seems to be the primary leader of the church in a city or area that includes a number of congregations, with a number of pqesb¼teqoi under his supervision (1Tim 3:1–7). In the fictive world projected by the Pastorals, these 1p¸sjopoi are subordinate to and ordained by Timothy, who was himself ordained by Paul/the presbytery (1Tim 4:14; 2Tim 1:6) and implements his instruction. Since, in the Pastor’s theology, Paul himself is the principle apostle, whose call and ministry was incorporated into the Christ-event in which Jesus Christ is the sole Mediator,14 a firm hierarchy is envisioned: God ! Christ ! Paul ! Timothy ! Bishop ! Presbyter (with Deacons) ! Congregation. This does not mean the Pastor is attributing papal authority to Paul and casting Timothy and Titus in the role of archbishops – the narrative world only touches down in the real history of the Pastor’s time at the level of bishop/presbyter/deacon/congregation. However ministers were actually ordained in the church envisioned by the Pastor, ministers now function with apostolic authority from God, mediated by Christ and Paul. This is the focus of the Pastor’s argument. He is not initiating a new proposal, but in Paul’s name issues directives attempting to influence a controversial development already underway. Rather than composing a church order or constitution and bylaws in the style of the Didache, he writes letters in the persona of Paul, in the fictive world of the senior apostle directing his deputies, who act with his authority. The addressees of the letters, however, are not the real-world counterparts of Timothy and Titus; the Letters are not addressed to individuals or to the class of ordained ministers, but are to be read aloud to the Pauline congregations, along with the Scriptures and the other letters of Paul – the concluding “grace be with you” is in each case the plural rl_m (1Tim 6:21; 2Tim 4:22; Titus 3:15). The worshipping congregation “overhears” Paul’s directions to his authorized deputies who appoint and ordain local ministers, just as it overhears Paul’s instructions to the Corinthians, Galatians, and Romans, and is also (indirectly) addressed by them, and just as it is addressed by Moses and Isaiah speaking God’s word to 14 1Tim 2:5–7; cf. Schnelle, Theology of the New Testament, 595–599, esp. 598.

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Israel when the Scriptures are read. Thus though the form of the discourse is top-down hierarchical, it is the congregation (not just “Timothy” and “Titus”) that is addressed by Paul, i. e. by God-through-Jesus-through-Paul. What is pictured is thus a kind of democratic hierarchy. The congregations that hear the Pastorals read in worship are addressed, but they are addressed with a theocentric vision of how the church works. The presence and power of the Holy Spirit is affirmed, but believers are not encouraged to think they have immediate, direct access to the will of God for how the church should be structured in order to endure and be faithful in trying times. In the debates within the Pauline school, this insightful, Spirit-led pragmatism turned out to be the wave of the future that, in the context of the other writings of the Pauline school and the New Testament canon as a whole, was and is a vehicle of the love and grace of God to the church and through it to the world – as the Pastor had intended.

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Wer soll das verstehen? Überlegungen zu den Adressaten des Hebräerbriefs. Ein Gespräch mit Udo Schnelle1

0. Problemanzeige Udo Schnelle kommt in seiner Geschichte des Urchristentums, die 2015 unter dem Titel „Die ersten 100 Jahre des Christentums“ erschienen ist, auch auf den Hebräerbrief (künftig: Hebr) zu sprechen.2 Zunächst stellt er das „vollständige Eingebettetsein des Autors und seiner Gemeinde in alttestamentliche und frühjüdische Sprach- und Denkwelten“ fest (378). Er analysiert eine „worttheologische Linie“, die ausgehend vom Prolog das gesamte Schreiben „durchzieht“ (379). Durch die zahlreichen alttestamentlichen Zitate, fast ausschließlich nach der Septuaginta, „deren Fülle und Dichte im Neuen Testament einzigartig“ ist (379), wird das „Sprechen Gottes als grundlegende Dimension seines Handelns“ hervorgehoben (379). Die kulttheologische Konzeption des Hebr, wird aus „der worttheologischen Linie entwickelt“ (379); sie „gipfelt in der Schlüsselthese vom sühnenden Hohepriester in Hebr 2,17 f“ (379). In der Bundestheologie des Hebr werden „atl.-frühjüdische Sprachkonventionen“ übernommen und zugleich weiterentwickelt und transformiert (380). In der Ekklesiologie spielt die „Vorstellung vom wandernden Gottesvolk“ als „zentrale Metapher“ eine hervorgehobene Rolle (380). „Reflexionen über das heilsgeschichtliche Verhältnis Kirche – Israel finden sich im Hebräerbrief nicht, sondern die Konzeption des einen Gottesvolkes verbindet sich mit der Wort-Gottes-Theologie, denn zu allen Zeiten hat allein das Reden Gottes das Volk Gottes konstituiert“ (380). Aufgrund dieser Sachverhalte zieht Schnelle ein erstes Fazit: „Die gesamte Argumentation, die Metaphern und Bilder entwickelt der Hebr aus der in1 Der folgende Beitrag ist dem Gespräch mit Udo Schnelle aus Anlass seines 65. Geburtstages gewidmet. Sehr gern erinnere ich mich der Anfänge dieses Gespräches in den 1980er Jahren im Doktorandenkolloquium am Lehrstuhl für Neues Testament in Erlangen. Zur generellen Einschätzung des Hebr s. W. Kraus, Zu Absicht und Zielsetzung des Hebräerbriefes, in: KuD 60, 2014, 250–271. Für Hilfe im Redaktionsprozess danke ich meinem Mitarbeiter Christian Lustig, Saarbrücken. 2 U. Schnelle, Die ersten 100 Jahre des Christentums 30–130 n. Chr. Die Entstehungsgeschichte einer Weltreligion, UTB 4411, Göttingen 2015, 378–382. Seitenangaben im Text im Folgenden beziehen sich auf dieses Werk. Vgl. daneben die Ausführungen zum Hebr in: U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 82013, 443–459; ders., Theologie des Neuen Testaments, UTB 2917, Göttingen 22013, 593–614 (die angekündigte dritte, neubearbeitete Auflage 2016 stand mir noch nicht zur Verfügung).

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tertextuellen Verknüpfung mit den Schriften Israels und er lässt ein erwählungsgeschichtliches Bewusstsein als ,Same Abrahams‘ (Hebr 2,16) erkennen; all das könnte für eine bewusste judenchristliche Position des Hebr in einem synagogalen Umfeld sprechen.“3 Diesem Befund stehen nach Schnelle allerdings sechs Beobachtungen entgegen, die eine solche Zuordnung fraglich erscheinen lassen: 1. Intensives Schriftstudium mit ausführlichen Zitaten aus dem AT wurde, wie 1Clem zeigt, „auch in überwiegend völkerchristlichen Gemeinden“ betrieben (380). 2. „Zentrale jüdische und judenchristliche Identitätsmarker wie Beschneidung oder Sabbat werden im Hebr überhaupt nicht erwähnt“ (381). 3. Die Theologie des Hebr-Autors bedeutet eine Relativierung bzw. Ablösung des levitischen Priestertums und des Gesetzes. 4. „Der Sinai-Bund ist kein Bestandteil der Herkunftsgeschichte der Gemeinde (vgl. Hebr 12,18–24)“ (381). 5. „Die Warnungen vor dem Abfall vom ,lebendigen Gott‘ (Hebr 3,12) und die Abkehr von den ,toten Werken‘ (Hebr 6,1; 9,14; 12,22) verweisen auf völkerchristliche Missionssprache“ (381). 6. Die Theologie des Hebr-Autors ist „Ausdruck eines umfassenden Neubewertungs- und Umwertungsprozesses, der vom Gedanken der qualitativen Überbietung“ geprägt sei (381). Daher kommt Schnelle zu einem zweiten Fazit: „Die Frage, ob der Hebräerbrief als ein Dokument einer bewussten judenchristlichen Position anzusehen ist, lässt sich kaum beantworten und hängt letztlich vom theologiepolitischen Standort des Auslegers / der Auslegerin ab. Sehr wahrscheinlich bildet der Hebräerbrief eine eigene Welt, jenseits unserer Auslegungskonventionen“ (381). Dieses zweite Fazit enthält drei Aspekte: 1. wird darin die Unmöglichkeit betont, aus dem Text des Hebr selbst Klarheit zu gewinnen, ob wir es mit einer juden- oder heidenchristlichen Position zu tun haben. 2. wird behauptet, das Votum für die eine oder andere Position sei nicht aus dem Text zu gewinnen, sondern abhängig vom theologie-politischen Standort des Exegeten / der Exegetin. 3. wird vermutet, der Hebr passe nicht in die gängigen Auslegungskonventionen. Bei Punkt 1 handelt es sich um die Angabe möglicher Grenzen unserer exegetischen Kunst. Das Eingeständnis, dass bestimmte Fragen durch die Exegese nicht zu beantworten sind, ist schmerzlich, aber es gibt dafür auch andere Beispiele. Ob das für den Hebr zutrifft, ist zu diskutieren. Traditionell gingen die Ausleger davon aus, dass der Hebr sich an Judenchristen richtet. Erstmals diese Kennzeichnung der Adressaten infrage gestellt hat Eduard 3 Schnelle, 100 Jahre, 380. Zu dieser Einschätzung des Hebr vgl. bereits Schnelle, Theologie, 598 samt Anm. 112. Ders., 100 Jahre, 380 Anm. 177, nennt als Vertreter einer bewusst judenchristlichen Position die Arbeiten von G. Gelardini, „Verhärtet eure Herzen nicht“. Der Hebräer, eine Synagogenhomilie zu Tischa be-Aw, Biblical Interpretation Series 83, Leiden/Boston 2007; M. Vogel, Der Hebräerbrief als ständiger Gast im Haus der Kirche, in: ZNT 29, 2012, 46–52, und R. Hays, „New Covenantalism“. Eine Wiederentdeckung, in: ZNT 29, 2012, 53–56.

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Maximilian Roeth, 1836.4 Die Frage, was unter einer ,judenchristlichen‘ Position überhaupt zu verstehen sei, wird in der jüngeren Diskussion häufig gestellt.5 Die Mehrzahl der heutigen Ausleger aus dem englischsprachigen Bereich geht von Judenchristen als Adressaten des Hebr aus, die deutschsprachigen Ausleger hingegen überwiegend von Heidenchristen bzw. einer gemischten Adressatengruppe. Für Ausleger wie Erich Gräßer, Hans-Friedrich Weiß, Martin Karrer, Knut Backhaus ist die Unterscheidung Judenchristen – Heidenchristen für den Hebr-Autor längst überholt und spielt keine Rolle mehr. In der ,Einleitung‘ hält Udo Schnelle eine rein heidenchristliche Adressatenschaft für unwahrscheinlich und geht davon aus, dass die Gemeinde aus „Heidenchristen und hellenistischen Judenchristen“ bestand.6 Wenn sich, wie bei Punkt 3 erwogen, die Auslegungskonventionen als nicht adäquat erweisen, müssen sie verändert werden. Vielleicht müssen wir unsere Kategorien überprüfen. Bei der Begrifflichkeit Judenchristen und Heidenchristen handelt es sich um theologische Beschreibungssprache und nicht um den Ausdruck eines bestimmten Selbstverständnisses einer Gruppe.7 Wenn sich diese Beschreibung – und vieles spricht dafür – als inadäquat erweist, ist sie zu modifizieren. Es kommt hinzu, dass die Diskussion um das ,Auseinandergehen der Wege‘ von Judentum und Christentum bei weitem nicht abgeschlossen ist, sondern in jüngerer Zeit ganz neue Pfade beschreitet.8 4 Epistolam vulgo ,ad Hebraeos‘ inscriptam non ad Hebraeos id est Christianos genere Judaeos, sed ad Christianos genere gentiles et quidem ad Ephesios datam esse demonstrare conatur Eduardus Maximilianus Roeth, Francofurti ad Moenum 1836. (https://books.google.de/books?id=2o JAAAAAcAAJ&pg=PR1&hl=de&source=gbs_selected_pages&cad=2#v=onepage&q&f=false, Zugriff: 19. 10. 2016) 5 Vgl. dazu die Literaturhinweise bei Schnelle, 100 Jahre, 366 f. 6 Schnelle, Einleitung, 447. 7 Vgl. zur Frage C. Colpe, Das deutsche Wort ,Judenchristen‘ und ihm entsprechende historische Sachverhalte, in: ders., Das Siegel der Propheten, ANTZ 3, Berlin 22007, 38–58. Dies wird auch von Schnelle, 100 Jahre, 367 samt Anm. 132, zugegeben. Ob sich die auch von mir gebrauchte Begrifflichkeit, statt von „Judenchristen“ von „jesuanischen Juden“ zu sprechen, besser eignet, muss sich erst noch erweisen. Die Begriffe „judenchristlich“ bzw. „heidenchristlich“ (oder „völkerchristlich“) sind meines Erachtens nur und ausschließlich insofern brauchbar, als sie die Herkunft von Jesus-Anhängern benennen, entweder aus dem Judentum oder aus den Völkern. Es ist damit nicht gesagt, dass sie damit ihr Jude- oder Grieche-Sein aufgegeben hätten. Auch lässt sich nicht bestimmen, inwieweit sie noch an als jüdisch geltenden Identitätsmarkern festhalten. Allenfalls lässt sich von „Völkerchristen“ sagen, dass sie sich zum Gott Israels, dem lebendigen Gott, bekehrt haben. Und von „Judenchristen“ lässt sich allenfalls sagen, dass sie im Gekreuzigten keinen Gescheiterten, sondern den zu Gott Erhöhten erkennen. 8 S. dazu etwa D. Boyarin, Border Lines. The Partition of Judeo-Christianity (Divinations: Rereading Late Ancient Religion), Philadelphia, 2004, bes. 6–13; E. Broadhead, Jewish Ways of Following Jesus. Redrawing the Religious Map of Antiquity, WUNT 266, Tübingen 2010; daneben A. F. Segal, Rebecca’s Children. Judaism and Christianity in the Roman World, Cambridge 1986; I. Yuval, Zwei Völker in deinem Leib. Gegenseitige Wahrnehmung von Juden und Christen, Göttingen 2007; D. Boyarin, Rethinking Jewish Christianity. An Argument for Dismantling a Dubious Category (to which is Appended a Correction of my Border Lines), in: JQR 99, 2009, 7–36; P. Schäfer, Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums, Tübingen 2010.

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Bei Punkt 2 handelt es sich meines Erachtens um eine gefährliche Einschätzung. Sind wir tatsächlich zu diesem fatalen Fazit genötigt, das Ergebnis sei letztlich abhängig vom theologie-politischen Standort der Ausleger? Niemand wird bestreiten können, dass die Exegese nicht auch von biographischen, soziokulturellen und historischen Konstellationen abhängig sei. Aber dass der theologie-politische Standort eines Auslegers / einer Auslegerin das Ergebnis in so eklatanter Weise präjudizieren sollte, käme meines Erachtens einer Bankrotterklärung der Exegese gleich. Historisch-kritische Exegese wird genau dies reflektieren und so gut es geht zu vermeiden suchen. Ich gehe im Folgenden die Argumente Udo Schnelles durch, die nach seiner Ansicht ein Votum für eine judenchristliche Position problematisieren, und versuche dann zu einer eigenen Bewertung zu kommen.9 Es empfiehlt sich dabei, die sechs von Schnelle genannten Punkte zum Leitfaden zu machen. Vorher beschreibe ich kurz, in welcher Situation sich die Adressaten nach meiner Einschätzung befinden. Dass es sich bei dieser Fragestellung nach den Adressaten um eine für die Auslegung entscheidende Problemstellung handelt, betont Udo Schnelle mit Recht: „Wer hingegen die Frage nach der Herkunft der Gemeindeglieder für nicht relevant hält, unterschätzt die Voraussetzungen für eine Rezeption der Theologie des Hebr auf Seiten der Adressaten. Gerade wenn der Brief die Zweifel überwinden und Gewissheit vermitteln will, müssen das Verstehen und Bejahen der ausgefeilten Argumentation des Hebräerbriefes möglich sein.“10

1. Zur Lage der Adressaten und der Zielsetzung des Hebr-Autors11 In der gegenwärtigen Forschung zum Hebr zeichnet sich ein Konsens dahingehend ab, dass die Adressaten sich konkreten äußeren Pressionen konfrontiert sahen und es zugleich innere, genuin theologische Problemstellungen gab, die mit dem Bekenntnis zu Jesus zusammenhingen. Aus den paränetischen Teilen, insbesondere aus Hebr 5,11ff; 6,9 f; 10,25.32–39 und 12,1–14 geht hervor, dass sie äußerem Druck ausgesetzt waren. Aus der wiederholten Aufforderung, am Bekenntnis festzuhalten, lässt sich erschließen, dass dieses Bekenntnis selbst fraglich geworden war. Es besteht sogar die Gefahr, ganz vom Glauben abzufallen. Dies soll mit dem Hinweis auf die 9 Wobei ich anmerken möchte, dass meine eigene Sicht des Hebr sich aufgrund exegetischer Überlegungen gegenüber der Position, die ich im Doktorandenkolloquium in Erlangen vertreten habe (s. Anm. 1), entscheidend gewandelt hat. 10 Schnelle, Einleitung, 447 (gegen Vanhoye und Gräßer). 11 Vgl. hierzu ausführlicher: Kraus, Absicht und Zielsetzung (Anm. 1).

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Unmöglichkeit einer zweiten Buße im Ansatz verhindert werden (Hebr 6,4–6; 10,26–29; 12,16 f; vgl. 3,12; 12,25).12 Im Anschluss an David deSilva wird der äußere Druck mithilfe der antiken Vorstellung von Ehre und Schande (Honor and Shame) präzisiert: „Viewing Hebrews against the cultural background of a society that takes as its pivotal values honor and shame leads to a new insight into both the nature of the ,external pressure‘ and the cause of the ,waning commitment‘ to the Christian confession and involvement.”13 Insbesondere die Aussagen in Hebr 10,32–39 mit dem Zitat aus Hab 2 werden hierdurch plastisch.14 Neben diesen äußeren Problemen müssen allerdings die inneren, genuin theologischen Fragestellungen mit gleichem Gewicht bedacht werden.15 Der Autor des Hebr will die Adressaten dazu bringen, das Bekenntnis zu Jesus nicht aufzugeben. Nicht nur die paränetischen Passagen, in denen er konkret zum Durchhalten auffordert, sondern u. a. die christologische Argumentation hat an dieser Stelle ihre begründende Funktion. Nach Auffassung vieler Ausleger legt der Hebr dazu das überkommene Bekenntnis (blokoc¸a) zu Erniedrigung und Erhöhung Jesu (letztere nach PsLXX 109,1) neu aus (vgl. Hebr 2,3 f; 3,1; 3,14; 4,14; 10,23; 13,7).16 Jesu Sitzen zur Rechten Gottes kann dabei geradezu als Leitmotiv des Hebr bezeichnet werden: 1,3; 1,13; 8,1; 10,12; 12,2. Der Autor des Hebr beginnt in Kap. 1 mit der Aussage über Jesu Hoheit. Nach V.3 hat sich der Sohn zur Rechten Gottes gesetzt. In Hebr 2 wird Ps 8 christologisch gedeutet. Nach dem Zitat in V.6–7 ziehen die Verse 8–9 die Konsequenzen: t± p²mta ist Jesus nach 2,8 untertan und nichts ist davon ausgenommen. Nach 2,9 ist Jesus, der bq²wu ti (kurz bzw. ein wenig) unter die Engel erniedrigt war, mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt. In diesen Zusammenhang fällt V.8c aus dem Duktus heraus: „Jetzt aber sehen wir noch nicht alles ihm unterworfen.“ Eine ganz ähnliche Aussage 12 Der Hinweis auf die Unmöglichkeit einer zweiten Buße ist nach Backhaus als rhetorisches Stilmittel zu begreifen, das „metus“ erzeugen soll: K. Backhaus, Der Brief an die Hebräer. Übersetzt und erklärt, RNT, Regensburg 2010, 77 f; ders., Zwei harte Knoten. Todes- und Gerichtsangst im Hebräerbrief, in: ders., Der sprechende Gott. Gesammelte Studien zum Hebräerbrief, WUNT 240, Tübingen 2009, 131–151, 146–150. 13 D. deSilva, Perseverance in Gratitude. A Socio-Rhetorical Commentary on the Epistle to the Hebrews, Grand Rapids 2000, 18; ders., Despising Shame. Honor Discourse and Community Maintenance in the Epistle to the Hebrews, SBL.DS 195, Atlanta 1995. 14 DeSilva, Perseverance, 18. Zur Verwendung des Zitats aus Hab 2 in Hebr 10 s. W. Kraus, Hab 2,3–4 in der hebräischen und griechischen Texttradition mit einem Ausblick auf das Neue Testament, in: T.S. Caulley/H. Lichtenberger (Hg.), Die Septuaginta und das frühe Christentum – The Septuagint and Christian Origins, WUNT 277, Tübingen 2011, 153–173. 15 Vgl. dazu H. Attridge, The Epistle to the Hebrews. A Commentary on the Epistle to the Hebrews, Hermenia, Philadelphia 1989, 22 f. 16 E. Gräßer, Hebr 1,1–4. Ein exegetischer Versuch, in: ders., Text und Situation. Gesammelte Aufsätze zum Neuen Testament, Gütersloh 1973, 182–222, 199; G. Gäbel, Die Kulttheologie des Hebräerbriefes. Eine exegetisch-religionsgeschichtliche Studie, WUNT II/212, Tübingen 2006, 14; Backhaus, Brief an die Hebräer, 51.

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begegnet uns in Hebr 10,13: Im Anschluss an die Feststellung in 10,12, wonach Jesus sich zur Rechten Gottes gesetzt hat, heißt es, „er wartet darauf, bis alle seine Feinde unter seine Füße gelegt sind.“ Daraus ist zu schließen, dass Jesu Einsetzung zur Rechten Gottes erfolgt ist, die vollständige Unterwerfung der Feinde aber noch aussteht. Darin dürfte die eigentliche Ursache für den Zweifel der ,Hebräer‘17 zu suchen sein: die fehlende Sichtbarkeit des endgültigen Heils. Sie ist meines Erachtens ein entscheidender innerer Grund für die Ermüdungserscheinungen. Denn mit der bleibenden Unanschaulichkeit des Heils wird die Gültigkeit von PsLXX 109,1 und dessen Anwendung auf Jesus problematisiert. Jesu Inthronisation wird in Frage gestellt. Dieser Anstoß wird vom Autor bearbeitet. Was in Kap. 1 über die Erhöhung gesagt wird, wird in 2,8 und 10,13 in die Spannung zur noch nicht erfolgten Vollendung gestellt. Der äußere Anlass für die Probleme der Hebr-Adressaten kann also die gesellschaftliche Marginalisierung sein. Die innere Ursache aber ist das Wegbrechen der Bekenntnisgrundlage. Und hier nun bekommt die Hohepriesterchristologie ihren Sinn und ihre Funktion: Christologische Vorgabe (christologisches Bekenntnis) ist die Vorstellung von der Erhöhung Jesu (vgl. z. B. 1Kor 15,25; Phil 2,6–11) nach PsLXX 109,1. Christologische Vorgabe ist auch, dass Christus bei Gott als Fürsprecher für uns eintritt (vgl. Röm 8,34). Die theologische Leistung des Hebr besteht darin, dass er dies als Hohepriester-Christologie nach PsLXX 109,4 entwickelt und deren gegenwärtige Relevanz herausarbeitet.18 Mit seiner Argumentation von Jesus als dem Hohenpriester stellt der Autor des Hebr seinen Adressaten die gegenwärtige Relevanz des Heils vor Augen. Die Aussage in Hebr 11,1 über den Glauben als einer „Wirklichkeit“ dessen, was man „erhofft“, und einem „Überführtsein“ von dem, was man „nicht sieht“, bezieht sich genau auf diese Gegenwärtigkeit des Heils im Glauben. Wer sind diese Adressaten, die mit solch einer christologischen Argumentation überzeugt werden sollen? Soviel dürfte klar sein: Um die „subtile exegetische Argumentation des Hebr (vgl. z. B. Hebr 7)“19 zu verstehen, müssen die Adressaten nicht nur ein „gehobenes intellektuelles Niveau“20 aufweisen, sondern mit dem Alten Testament, seiner Art der Auslegung und dem levitischen Kultus vertraut gewesen sein. Auf den ersten Blick scheinen es

17 Ich verwende diese Begrifflichkeit in Anlehnung an die kanonische Überschrift: „An die Hebräer“, ohne dass damit eine Identifikation präjudiziert sein soll. 18 Gäbel, Kulttheologie, 14. Zur Funktion der Hohepriesterchristologie s. W. Kraus, Die Rezeption von Jer 38,31–34 (LXX) in Hebräer 8–10 und dessen Funktion in der Argumentation des Hebräerbriefes, in: J. Cook/H.-J. Stipp (Hg.), Text-Critical and Hermeneutical Studies in the Septuagint, VT.S 157, Leiden 2012, 447–462; ders., Zur Aufnahme und Funktion von Gen 14,18–20 und Ps 109 LXX im Hebräerbrief, in: T. Wagner/F. Ueberschaer/J. Robker (Hg.), TextTextgeschichte-Textwirkung (FS S. Kreuzer), AOAT 419, Münster 2014, 459–474. 19 Schnelle, Einleitung, 447. 20 Schnelle, Einleitung, 447.

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Menschen gewesen zu sein, die eine jüdische Sozialisation genossen haben: Judenchristen?

2. Argumente zur Bestimmung der Herkunft der Adressaten In seinem zweiten Fazit nennt Udo Schnelle sechs Argumente, die eine judenchristliche Position der Adressaten fraglich werden lassen.

2.1. Intensives Schriftstudium mit ausführlichen Zitaten aus dem AT wurde, wie 1Clem zeigt, „auch in überwiegend völkerchristlichen Gemeinden“ betrieben (380). Dieses Argument, häufig vorgetragen, wirkt auf den ersten Blick überzeugend. So schreibt auch Knut Backhaus: „Die ausgiebige Heranziehung des ,Alten Testaments‘ ist kein zwingendes Argument für eine judenchristliche Adresse. Die Lektüre der von Israel übernommenen ,Schriften‘ und ihre argumentative Auswertung gehörte zur selbstverständlichen Praxis des Frühchristentums überhaupt“.21 Bei näherem Hinsehen ist das Argument allerdings nicht so zugkräftig. Es stimmt: Die ntl. Autoren, neben dem Hebr-Autor insbesondere Paulus, Matthäus und Johannes, zitieren ausgiebig die jüdischen Schriften und argumentieren damit gegenüber ihren Adressaten, seien es nun überwiegend Judenchristen oder Heidenchristen. Es trifft in der Tat auch zu, dass der zeitlich nahe beim Hebr stehende 1Clem, dessen Autor wir nicht zweifelsfrei einer dieser Gruppen zuordnen können,22 der sich aber an eine überwiegend heidenchristliche Gemeinde in Korinth wendet, ausführlich aus dem AT zitiert, um seine Argumentation zu stützen.23 1Clem kann die Adressaten darauf ansprechen, dass sie die heiligen Schriften kennen (t±r Req±r cqav²r) und sich in die Aussprüche Gottes vertieft haben (1Clem 53,1). Allerdings ist gerade der Schriftgebrauch zwischen 1Clem und Hebr durchaus verschieden. 1Clem zitiert die jüdischen Schriften (wesentlich in Gestalt der LXX) ausführlich, um seine Argumentation mit biblischen Bei21 K. Backhaus, Der Neue Bund und das Werden der Kirche. Die Diatheke-Deutung des Hebräerbriefs im Rahmen der frühchristlichen Theologiegeschichte, NTA.NF 29, Münster 1996, 279 Anm. 971, mit Verweis auf H. von Campenhausen, Die Entstehung der christlichen Bibel, BHTh 39, Tübingen 1968, 28–75. 22 Vgl. A. Lindemann, Die Clemensbriefe, HNT 17, Tübingen 1992, 12 f. 23 Nach Lindemann, Clemensbriefe, 13, handelt es sich (im Anschluss an P. Lampe, Die stadtrömischen Christen in den ersten beiden Jahrhunderten. Untersuchungen zur Sozialgeschichte, WUNT II/18, Tübingen 1987, 59) beim Verfasser nicht um einen Judenchristen, „denn insbesondere die Bibelinterpretation […] erinnert gar nicht an jüdisches Selbstverständnis; aber zweifellos war er mit jüdischer bzw. judenchristlicher Tradition eng vertraut.“

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spielen zu untermauern. Er verwendet sie als Fundus, um Exempla (rpode¸clata, 1Clem 55,1) zu finden. Das AT ist für 1Clem und seine Kirche „einfach die ,Heilige Schrift‘, der alle für das christliche Leben notwendigen Weisungen zu entnehmen sind.“24 Dabei verhält es sich jedoch so, dass die atl. Bezüge zwar offensichtlich sind, aber nicht normativ eingesetzt werden. Seine Normen findet 1Clem im Kontext griechisch-römischer Philosophie, die atl. Texte dienen als Beispiele.25 Lindemann stellt mit Recht fest, dass es überaus auffällig ist, wonach „in der wichtigen Argumentation in 42,1–5 ein biblisches Zitat erst ganz am Ende steht“26 und eben nicht als Norm am Beginn die Argumentation leitet. Dieser „ethisch-paränetische“ Schriftgebrauch in 1Clem27 unterscheidet sich von dem des Hebr meines Erachtens fundamental. Der Hebr-Autor argumentiert aufgrund der Schrift, er argumentiert mit der Schrift, er legt Schrift aus und bietet nicht nur Exempla. Der Hebr-Autor ist mit den Spezifica jüdischer Schriftauslegung eng vertraut. Hebr 3,7–4,11 lässt sich als Midrasch zu PsLXX 94 verstehen.28 In Hebr 7,1–3.4–10 argumentiert der Autor mit der Tora gegen die Tora. Er beweist mit Gen 14,17–20, dass das melchisedekische Priestertum dem levitischen, das in der Tora eingesetzt wird (Ex 28,1–29,37; Lev 8,1–36; Num 17,16–28), überlegen ist, da der Größere vom Geringeren den Zehnten empfängt, d. h. Melchisedek von Abraham und damit auch von Levi.29 Auch Hebr 7,4–10 besitzt midraschartige Züge. In einem zweiten Schritt, Hebr 7,11–28, kann er dann unter Heranziehung von PsLXX 109,4 argumentieren, dass der Priesterdienst der Leviten, der nicht zur Vollendung führte, durch das melchisedekische Priestertum, in dessen Linie Jesus steht, nicht nur überlegen ist, sondern tatsächlich überboten wird. Grund dafür ist der göttliche Eid. „Damit hat unser Verf. das eigentliche Beweisziel erreicht: Jesu von der Norm abweichendes Hohepriestertum ist schriftgemäß! Und zwar hat er es erreicht über einen eigenständigen Midrasch zu GenLXX 14,17–20 unter intensiver Mitverwertung von X 109,4.“30 Es handelt sich um eine Anwendung der zweiten Regel Hillels, der gesera schawa, wonach gleiche Worte, die an verschiedenen Stellen in der Bibel vorkommen, sich gegenseitig erläutern.31 24 25 26 27 28

Lindemann, Clemensbriefe, 18. L.J. Welborn, Art. Clement, First Epistle of, in: ABD I, 1992, 1055–1060, 1056. Lindemann, Clemensbriefe, 18. So J.A. Fischer, Die Apostolischen Väter. Griechisch-deutsch, Darmstadt 81981, 12. Vgl. dazu W. Kraus, Hebrews 3:7–4:11 as a Midrash on Psalm 94 LXX, in: H. Ausloos/B. Lemmelijn/M. Vervenne (Hg.), Florilegium Lovaniense. Studies in Septuagint and Textual Criticism in Honour of Florentino Garcia Martinez, BEThL 224, Leuven 2008, 275–290. 29 Vgl. dazu Kraus, Aufnahme und Funktion, 470. 30 E. Gräßer, An die Hebräer. Hebräer 7,1–10,18, EKK XVII/2, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1993, 11 (kursiv im Original). Aufgenommen bei U. Dahmen/H.-J. Fabry, Melchisedek in Bibel und Qurman, in: E. Graß/H.J. Stipp (Hg.), „Ich werde meinen Bund mit euch niemals brechen!“ (Ri 2,1). FS W. Groß, HBS 62, Freiburg u. a. 2011, 377–398. 31 Gräßer, An die Hebräer 2, 12.

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In einem weiteren Schritt kann er JerLXX 38,31–34 als Schriftbeweis einführen,32 wonach Gott verheißen hat, die nicht tadelsfreien Bestimmungen der ersten Diatheke durch eine bessere Diatheke, die auf besseren Verheißungen gegründet ist, zu ersetzen (Hebr 8,7–13).33 Dabei greift er wiederum auf Aussagen der Tora zurück, um zu beweisen, dass die levitische Priesterschaft „nur“ am Abbild und Schatten und nicht am wahrhaftigen Heiligtum Dienst getan hat (Hebr 8,1–5).34 Schließlich wird der Inhalt des hohepriesterlichen Dienstes Jesu in Analogie und Überbietung des Dienstes der irdischen Priester unter detaillierter Auslegung atl. Zusammenhänge (insbesondere Lev 16) dargestellt (Hebr 9–10). In Hebr 10,15–18 kommt dieser mit 7,1 einsetzende Argumentationsgang unter erneutem Zitat aus JerLXX 38 zum Abschluss. Es handelt sich hierbei um eine stringente Schriftargumentation, in der die atl. Belege nicht als Exempla angeführt, sondern ausgelegt, angewendet und ggf. auch in ihrer Wertigkeit gegeneinander abgewogen werden. Dieses Verfahren unterscheidet sich grundlegend von der Art und Weise, wie 1Clem die Schriften benutzt. Eine sich daran anschließende Frage ist es, für wen dieses Verfahren überzeugend sein kann. 2.2. „Zentrale jüdische und judenchristliche Identitätsmarker wie Beschneidung oder Sabbat werden im Hebr überhaupt nicht erwähnt.“ (381) Es ist richtig, dass die genannten Identitätsmarker im Hebr nicht erwähnt werden. Die Beschneidung wird allerdings in dem von Schnelle dem judenchristlichen Bereich zugeordnetem Matthäus-Evangelium35 ebenfalls nicht 32 Zur Bedeutung und Funktion von JerLXX 38 im Hebr s. Kraus, Rezeption. 33 Zur Bedeutung und Funktion der Diatheke-Vorstellung im Hebr s. W. Kraus, Die Bedeutung von Diah¶jg im Hebräerbrief, in: E. Bons/R. Brucker/J. Joosten (Hg.), The Reception of Septuagint Words, WUNT II/367, Tübingen 2014, 67–83. Ich bin anders als Schnelle, Theologie, 608, nicht der Meinung, dass es sich bei der Diatheke-Vorstellung im Hebr um eine „ekklesiologische Basismetapher“ handelt und dass die Bundes-Vorstellung im Hebr „textpragmatisch“ ein „wichtiges Element zur Selbstvergewisserung und zur Selbstdefinition“ der Gemeinde darstellt, die „auf ihrem Weg ihre Identität wieder neu bestimmen muss“ (608). Die Diatheke-Vorstellung stellt im Duktus des Hebr einen Schriftbeweis dar. Damit steht freilich auch die Frage im Raum, ob Jesus mit Recht als „der Mittler eines neuen Bundes“ (608) bezeichnet werden kann. Zur Frage der „Mittlerschaft“ Jesu s. W. Kraus, Jesus als ,Mittler‘ im Hebräerbrief, in: A. TaschlErber/I. Fischer (Hg.), Vermittelte Gegenwart. Konzeptionen der Gottespräsenz von der Zeit des Zweiten Tempels bis Anfang des 2.Jh. n. Chr., WUNT 367, Tübingen 2016, 101–122. 34 S. zur Sache W. Kraus, Zur Aufnahme von Ex 24 f. im Hebräerbrief, in: M. Hopf/W. Oswald/S. Seiler (Hg.), ,Heiliger Raum‘. Exegese und Rezeption der Heiligtumstexte in Ex 24–40, Theologische Akzente 8, Stuttgart 2016, 91–112. 35 Schnelle, 100 Jahre, 373–376. Schnelle nennt sieben Punkte, die für den „dezidiert judenchristlichen Standort des Matthäus sprechen“ (373). Davon treffen mehr als die Hälfte auch auf den Hebr zu. Die Beschneidungsproblematik wird in allen Evangelien ausgeblendet. Ob dahinter eine Übernahme der „Entscheidung des Apostelkonvents“ steht (so Schnelle, 100 Jahre,

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erwähnt. Es könnte sein, dass sie fraglos praktiziert wurde und daher keiner Erwähnung bedurfte. Handelte es sich auch beim Hebr um eine judenchristliche Leserschaft, so ist von diesem Sachverhalt meines Erachtens auszugehen. Die Beschneidung wurde im frühen Christentum nur dort zum Problem, wo Gläubige, die keinen jüdischen Hintergrund hatten, zur Gemeinde hinzukamen und Judenchristen von ihnen die Beschneidung forderten. Andererseits werden im Hebr durchaus andere Fragen tangiert, die auf den judenchristlichen Bereich verweisen: „In Hebr 13,9.10 werden Konflikte in der Gemeinde um die Frage Rein – Unrein sichtbar (vgl. Hebr 9,14), und möglicherweise spielt der Verfasser auf jüdische oder judenchristliche Irrlehren an.“36 Auch die Formulierung, wonach diejenigen, die der Stiftshütte dienen, kein Recht haben, von dem Altar, den die Glaubenden des Hebr haben, zu essen, kann als Hinweis auf einen für Judenchristen wichtigen Sachverhalt hinweisen. In seiner Ekklesiologie geht der Hebr, wie Udo Schnelle richtig darstellt, von „der Konzeption des einen Gottesvolkes“ aus.37 Die auffälligen ekklesiologischen Begriffe im Hebr sind: „Brüder Christi“ (2,11 f), „Nachkommenschaft Abrahams“ (2,16), „Söhne (Gottes)“ (2,10), „Teilhaber der himmlischen Berufung“ (3,1 f), „Christi Haus“ (3,6) und der Begriff „Volk“ bzw. „Volk Gottes“ (2,17; 4,9).38 An keiner Stelle werden Kirche und Israel bzw. Israel und die Völker als zu unterscheidende Bezugsgrößen in Beziehung gesetzt. Entscheidend ist aber, dass die gegenwärtig Glaubenden in völliger Kontinuität mit den Vorvätern und den Angehörigen des bisherigen Volkes Gottes gesehen werden. Das zeigt sich in Hebr 11 an der Art und Weise, wie die Väter als Vorbilder eingeführt werden. Es zeigt sich begrifflich in der Bezeichnung „Nachkommen Abrahams“, die in 2,16 auf die angewendet wird, um die sich Christus kümmert. Es zeigt sich daneben insbesondere in zwei Textabschnitten (3,7–4,11; 11,39–40), in denen Schriftzitate herangezogen und auf die gegenwärtigen Adressaten unmittelbar angewendet werden. 2.3. Die Theologie des Hebr-Autors bedeutet eine Relativierung bzw. Ablösung des levitischen Priestertums und des Gesetzes Die Relativierung des levitischen Priestertums und damit die Relativierung von Bestimmungen der Tora im Hebr wird niemand bestreiten können. Hebr 337), muss hier nicht weiter verfolgt werden. Zu dieser Problematik im MtEv s. W. Kraus, Zur Ekklesiologie des Matthäusevangeliums, in: D. Senior (Hg.), The Gospel of Matthew at the Crossroads of Early Christianity, BEThL 243, Leuven 2011, 195–239, bes. 209–212. 36 Schnelle, Einleitung, 447. 37 Schnelle, 100 Jahre, 380; ders., Theologie, 609. 38 Zur Ekklesiologie des Hebr s. W. Kraus, Das Heil für Israel und die Völker nach dem Hebräerbrief, in: L. Neubert/M. Tilly (Hg.), Der eine Gott und die Völker in eschatologischer Perspektive, BThSt 137, Neukirchen-Vluyn 2013, 113–147.

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7,12 stellt klar fest: „Wenn das Priestertum verändert wird, dann muss auch das Gesetz verändert werden.“ Entscheidend ist jedoch, wie Bestimmungen der Tora relativiert und welche Begründungen dafür angeführt werden. Dass es im antiken Judentum eine heftige Diskussion um die legitime Priesterschaft gegeben hat, wird durch das Alte Testament selbst, durch die atl. Apokryphen und auch durch die Texte aus Qumran belegt.39 Melchisedek wurde von den Hasmonäern zur Identifikationsfigur erhoben, um eigene priesterliche Ansprüche durchzusetzen und die Personalunion von Hohepriester und König in der Gestalt Simons zu begründen. Dies stößt in Qumran auf Ablehnung: In einigen Texten aus Qumran wird Melchisedek zum Urahn Zadoks, um zadokidische Ansprüche zu begründen und als schriftgemäß zu erweisen.40 Der Hebr geht ähnlich vor: Er relativiert Aussagen der Tora mit anderen Aussagen der Tora.41 Hingegen relativiert der Hebr gerade nicht die Tora als Heilsweg, denn das ist sie nie gewesen. Es ist nach Hebr 7,18 f in der Tat so, dass das frühere Gebot (1mtok¶) schwach und nutzlos war und das Gesetz (mºlor) nicht zur Vollendung führen konnte. Aber dies bezieht sich streng auf die Kultordnung. Insofern ist es die Kultordnung, die als „alte Heilsordnung nicht mehr in Betracht“ kommt.42 2.4. „Der Sinai-Bund ist kein Bestandteil der Herkunftsgeschichte der Gemeinde (vgl. Hebr 12,18–24)“ (381) Dieses Faktum als Argument gegen judenchristliche Adressaten einzuführen, ist nur zum Teil zutreffend. Wie Schnelle selbst feststellt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Autor und die Adressaten sich als „Same Abrahams“ verstanden, hoch. Mit dieser Bezeichnung wird signalisiert, dass die Ekklesiologie des Hebr von einem Kontinuitätsbewusstsein geprägt ist, wonach die Gemeinschaft der Glaubenden nicht als neue Größe im Gegensatz zum atl. Gottesvolk verstanden werden darf. Nun könnte man darauf verweisen, dass dies für die paulinische Ekklesiologie auch gilt – und zwar gerade gegenüber heidenchristlichen Adressaten (vgl. Gal 3,29).43 Allerdings ist es gerade die Absicht des Paulus, den 39 H.-J. Fabry, Zadokiden und Aaroniden in Qumran, in: F.L. Hossfeld/L. Schwienhorst-Schönberger (Hg.), Das Manna fällt auch heute noch. Beiträge zur Geschichte und Theologie im Alten Testament, FS E. Zenger, HBS 44, Freiburg u. a. 2004, 201–217; vgl. ders., Zadok/Zadokiden. AT und Judentum, in: TRE 38, 2004, 440–447; U. Dahmen, Art. malki saedaeq, in: ThWQ 2, 2013, 696–700, und Dahmen/Fabry, Melchisedek. 40 Dahmen/Fabry, Melchisedek, 397 f. „Insgesamt wird Melchisedek als Urahn des zadokidischen Priestertums zum Kronzeugen der tempellosen qumranischen Priesterschaft, als deren alleiniger Hoherpriester er unmittelbar vor dem Angesicht Gottes Dienst tut.“ Dahmen, Art. malki saedaeq, 699. 41 Ein solches Verfahren liegt auch bei Paulus vor, wenn er in Gal und Röm den Abrahambund dezidiert von Gen 15 und nicht Gen 17 her interpretiert. 42 Schnelle, Einleitung, 456. 43 Vgl. zur Sache W. Kraus, Das Volk Gottes. Zur Grundlegung der Ekklesiologie bei Paulus, WUNT

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galatischen „Heidenchristen“ ihre Gleichstellung mit den „Judenchristen“ zu beweisen und zu zeigen, dass „in Christo“ weder heilsgeschichtliche (Jude – Grieche), noch soziale (Herr – Sklave), noch auch biologische (männlich – weiblich) Determinationen eine Relevanz für die Wertigkeit der Gemeindeglieder haben. Diese Argumentationsstruktur findet sich im Hebr nicht, vielmehr geht der Autor wie selbstverständlich von diesem Faktum aus. Der Sinai-Bund spielt zwar für die Herkunftsgeschichte der Adressaten des Hebr keine unmittelbare Rolle, aber er ist ständig präsent und zwar im Sinn einer Folie, auf deren Hintergrund die Argumentation erfolgt. Das Problem, mit dem der Hebr-Autor umgeht, lautet: Der Sinai-Bund hat entgegen der Absicht, die damit verbunden war, nicht zur Vollendung geführt. Wirkliche Sündenvergebung hat es nicht gegeben. Das ist endgültig und ein für allemal durch Jesus geschehen. Sollte sich der Hebr an Menschen wenden, die aus dem Judentum kommen oder jüdisch sozialisiert sind, dann würde gerade die Sinai-Diatheke und der darin begründete Kultus als Hintergrund zu verstehen sein, um für die neue Diatheke in ihrer überbietenden Qualität argumentieren zu können.

2.5. „Die Warnungen vor dem Abfall vom ,lebendigen Gott‘ (Hebr 3,12) und die Abkehr von den ,toten Werken‘ (Hebr 6,1; 9,14; 12,22) verwiesen auf völkerchristliche Missionssprache“ (381) Die Rede von den toten Werken begegnet in Hebr 6,1 f im Verbund mit p¸stir 1p· heºm (Vertrauen auf Gott), der Lehre von baptislo¸, also Waschungen, sowie Handauflegung, Totenauferstehung und ewigem Gericht. Es könnte sich vor allem wegen des Stichworts „Glauben an/Vertrauen auf Gott“ um heidenchristliches Missionskerygma handeln. Nach Erich Gräßer werde von Hebr 9,14 her, wo die Begrifflichkeit ,tote Werke‘ ein weiteres Mal begegne, deutlich, dass es bei den ,toten Werken‘ um Götzendienst gehe.44 Der Gegensatz hierbei laute: dem lebendigen Gott dienen. Das begegnet ähnlich in 1Thess 1,9 f. Richtig ist, dass Hebr 6,1 f nur im Zusammenhang mit Heb 9,14 und 9,9 f verstanden werden kann. In 9,9 f geht es um Juden. Die katqe¼omter, deren Gewissen durch Opfer etc. nicht vollkommen gemacht werden konnte, sind „ganz deutlich Glieder des alten Bundes, also nicht Heiden.“45 Hebr 9,9 f steht nun aber in ganz engem Zusammenhang mit den Aus86, Tübingen 1996; ders., Ekklesiologische Prädikate, in: F.-W. Horn (Hg.), Paulus-Handbuch, Tübingen 2013, 400–408. 44 E. Gräßer, An die Hebräer. Hebräer 1–6, EKK XV/1, Zürich/Braunschweig/Neukirchen–Vluyn 1990, 338. 45 W.R.G. Loader, Sohn und Hoherpriester. Eine traditionsgeschichtliche Untersuchung zur Christologie des Hebräerbriefes, WMANT 53, Neukirchen–Vluyn 1981, 88 f.

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führungen ab 9,11, in denen überbietend davon geredet wird, was durch den Hohenpriester Christus erworben wurde. In Hebr 9,14 f ist wiederum in jüdischem Kontext von den ,toten Werken‘ die Rede. V.15 spricht explizit von der Vergebung der Übertretungen unter der ersten Diatheke. „In 9,14 wird das einmalige und effektive Opfer Jesu (im Unterschied zu den kraftlosen, bloß schattenhaft vorausweisenden Zeremonien des alten Kultbundes 9,1–11) geschildert.“46 Es ist daher alles andere als gesichert, dass es sich bei den ,toten Werken‘ nur um Taten ehemaliger Heiden handelt. Es kommt noch ein weiteres Argument dazu: In Hebr 3,12 wird das Verhalten der Wüstengeneration als ,Abfall vom lebendigen Gott‘ bezeichnet. Die Menschen, die sich so verhielten, waren Israeliten. Hebr 6,1 f muss daher nicht unbedingt als heidenchristliches Missionskerygma bezeichnet werden, und es ist von daher nicht ausgemacht, dass es sich bei den ,toten Werken‘ in 6,1 f um Götzendienst handelt. Die meisten Ausleger gehen davon aus, dass mit den ,toten Werken‘ nicht die 1qca mºlou gemeint sind, von denen Paulus spricht – in Antithese zur Rechtfertigung aufgrund des Glaubens.47 Was aber dann? Die nächste Parallele findet sich in 4Esr 7,119. Dort spricht der Apokalyptiker von den mortalia opera und qualifiziert damit das Tun der Menschen, das in Opposition zur Ewigkeit steht.48 In 4Esr 8,31 f stehen mores mortales und opera iustitiae einander gegenüber. Der Gottlose gilt als „tot“ sowohl im AT als auch in Judentum und Christentum.49 Eine interessante Parallele bietet auch Philo Deus Imm 12: hmgt± 5qca stehen der Ruhe der Seele in Gott entgegen – wobei hier das Stichwort !mapa¼eim begegnet.50 Otfried Hofius hat aufgrund dieser Parallelen geurteilt, die toten Werke seien „die bösen Taten, die den Tod bringen“.51 Nach 4Esr 7,124 kommen diejenigen, die Werke des Todes getan haben, nicht in die Ruhe („requies“) – nach Hebr 3,13.17 ist es die Sünde, die vom Eingang in Gottes Ruhe ausschließt. Nach Hebr 4,2 wurde den Vätern aufgrund ihres Unglaubens der Zugang verweigert.52 Wir scheinen uns hier im gleichen traditionsgeschichtlichen Umfeld zu befinden. Die Eindeutigkeit, mit der die ,toten Werke‘ als Ausdruck „völkerchristlicher Missionssprache“ angesehen werden, ist deshalb so nicht gegeben.

H. Löhr, Umkehr und Sünde im Hebräerbrief, BZNW 73, Berlin/New York 1994, 149. Löhr, Umkehr, 151. Löhr, Umkehr, 150. Löhr, Umkehr, 150. Löhr, Umkehr, 150. O. Hofius, Katapausis. Die Vorstellung vom endzeitlichen Ruheort im Hebräerbrief, WUNT 11, Tübingen 1970, 202 Anm. 626; Loader, Sohn, 89. 52 Hofius, Katapausis, 91 f.

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Wolfgang Kraus

2.6. Die Theologie des Hebr-Autors ist „Ausdruck eines umfassenden Neubewertungs- und Umwertungsprozesses, der vom Gedanken der qualitativen Überbietung“ geprägt sei (381) Entscheidend für die Argumentation des Hebr ist das Christus-Ereignis, das darin sein Ziel findet, dass Christus zu Gott erhöht wurde und den Weg ins himmlische Heiligtum zum Thron Gottes eröffnet hat. Davon ausgehend formuliert der Autor seine Theologie. Das Christus-Ereignis ist für alle ntl. Autoren und für alle, die sich zu der Gemeinde des auferweckten Gekreuzigten zählen, – bei aller Differenz im Detail – der Ausgangspunkt ihres theologischen Denkens.53 Diese Neubewertung schließt frühere Generationen nicht aus, sondern ein. Sie geht davon aus, dass auch die Sünden unter der ersten Heilsordnung jetzt vergeben werden können (Hebr 9,15). Dabei hat sich am früher verheißenen Erbe selbst nichts geändert. Jetzt ist es aber – endlich – erreichbar. Die Neubewertung geht davon aus, dass die jetzigen nicht ohne die früheren Mitglieder des Gottesvolkes vollendet werden (Hebr 11,40). Dass diese Position in anderen jüdischen Gruppen keine Anerkennung fand, bedeutet nicht, dass der Autor und die Adressaten selbst sie als „unjüdisch“ bezeichnet hätten. Die Pluriformität des antiken Judentums lässt eine große Bandbreite erkennen. Die Position des Hebr kann dann sogar verstanden werden als Einladung an solche Juden, die nach der Tempelzerstörung ihres religiösen Zentrums beraubt waren.54 Insofern kann der Versuch, die Position des Hebr als „Kultkompensation“ und nicht als „Kultrelativierung“ zu bezeichnen, durchaus einen richtigen Aspekt enthalten.55 Der Hebr lässt sich insofern durchaus im „innerjüdischen Diskurs“ verorten.56 Die Argumente von Backhaus, die gegen eine solche Verortung sprechen,57 sind letztlich nicht durchschlagend – pace Schnelle.58 53 Das gilt nach Schnelle, 100 Jahre, 375, auch für das judenchristliche MtEv. 54 Dahmen/Fabry, Melchisedek, 397 f, fragen, „ob nicht die Hohepriestertheologie des Hebräerbriefes auch als eine Einladung an kultisch heimatlos gewordene Juden nach der Zerstörung des Zweiten Tempels gelesen werden kann. Gerade vor dem Hintergrund, wer eine solche klassischfrühjüdische Exegese überhaupt nachzuvollziehen und zu verstehen vermag, bekommt der einladende Charakter und das Angebot eines neuen (dauerhaften = ewigen) Hohenpriesters, da der eigene (irdische, inner-)jüdische verloren war, an das Frühjudentum nach 70 n. Chr. eine neue Dimension.“ Sie schließen daraus, dass damit „die Frage nach den Adressaten des Hebr neu virulent werden“ könnte. 55 Gelardini, „Verhärtet eure Herzen nicht“, 109 (im Anschluss an M.E. Isaacs, Sacred Space. An Approach to the Theology of the Epistle to the Hebrews, JSNT.S 73, Sheffield 1992). Allerdings ist das Verständnis des Hebr als Synagogen-Homilie zu Tischa be-Aw mit dem Problem konfrontiert, dass wir nicht genügend Informationen zur Leseordnung im Synagogengottesdienst des 1.Jhs. haben. 56 M. Karrer, Der Brief an die Hebräer I. Kapitel 1,1–5,10, ÖTK 20/I, Gütersloh 2002, 90 (ablehnend zit. bei Schnelle, Theologie, 598 Anm. 112). 57 Backhaus, Bund, 278 ff.

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3. Schlussfolgerung Was folgt für den Autor und die Adressaten des Hebr aus diesen Argumenten? Es muss sich beim Autor um jemanden handeln, der nicht nur in der jüdischen oder judenchristlichen Tradition bewandert ist, sondern der zu argumentieren gelernt hat, wie es im antiken Judentum üblich war. Ihm nur Kenntnis der Überlieferung zu attestieren, ist nicht ausreichend. Die Adressaten sehen sich einerseits äußerem Druck gegenüber, sind andererseits innerlich ausgebrannt, weil ihnen das Bekenntnis zu Jesus fraglich geworden ist. Der Autor des Hebr begegnet ihnen nicht nur mit Mahnung und Aufmunterung, sondern mit theologischer Darlegung. Will er Erfolg haben mit seiner Darlegung, müssen die Adressaten ein erhebliches Niveau an Bildung aufweisen und müssen mit dem Autor die Voraussetzungen teilen, wonach die jüdische Überlieferung die Basis ihres Glaubens ausmacht. Die Vorstellung, dass der Brief an eine (römische) Hausgemeinde59 gerichtet ist, die aus in der Schrift gelehrten, ,jesuanischen Juden‘ und früheren Gottesfürchtigen besteht, scheint dabei nicht weit hergeholt.60 Aber vielleicht ist ja die Aussage, „ihr solltet bereits Lehrer sein“ (5,12), konkret gemeint: Es handelt sich nicht um ,normale‘ Gemeindeglieder, an die sich der Autor richtet, sondern um Menschen, die in der Gemeinde lehren sollen. Dann wäre der Hebr ein Text zur ,Mitarbeiterschulung‘, der künftigen Lehrern vertiefte Kenntnisse vermitteln will. Diese sollen ihren Lehrern nachfolgen (13,7). Damit würde der Hebr Exponent eines frühchristlichen Schulbetriebes sein. Dann wäre sogar die Nähe zur Paulus-Schule (vgl. nur die Parallelen zum Kol) neu zu diskutieren – zwar anders als bei Clare Rothschild61 –, aber gerade dann würde die Nennung des Timotheus (13,23) einen überraschenden Sinn bekommen.62

58 Schnelle, Theologie, 598. 59 K. Backhaus, Auf Ehre und Gewissen! Die Ethik des Hebräerbriefes, in: ders., Der sprechende Gott, 215–238, hier: 216 Anm. 5. Backhaus geht allerdings von einer überwiegend heidenchristlich geprägten Gemeinde aus. 60 Vgl. dazu ausführlicher Kraus, Heil für Israel, 141–145. 61 C.K. Rothschild, Hebrews as Pseudepigraphon. The History and Significance of the Pauline Attribution of Hebrews, WUNT 235, Tübingen 2009. 62 Nach Auffassung von Clare Rothschild sei der Brief als paulinisches Pseudepigraphon zu betrachten. Das Ziel, das der Verfasser verfolge, sei eine „Harmonisierung widersprüchlicher Aussagen innerhalb der paulinischen Briefe aber auch der konkurrierenden Pauluskonzeptionen in den Briefen und in der Apostelgeschichte.“ So das Referat zu Clare Rothschild bei D. Moffit, Der Hebräerbrief im Kontext der neueren englischen Forschung, in: ZNT 29, 2012, 2–13, 3.

Hermut Löhr

„Was aber alt und betagt wird, ist dem Verschwinden nahe“ Hebr 8,13 und das „chronologische“ Argument im Hebräerbrief 1. Die Aussage von Hebr 8,13 hat in der Geschichte der Exegese die Frage nach der im Text vorgenommenen Standortbestimmung im Ablauf der in der Heiligen Schrift verheißenen und dargestellten Heilsgeschichte Gottes1 gestellt, aber auch, konkreter, zu Schlussfolgerungen hinsichtlich der Abfassungszeit des Hebr veranlasst.2 Der genannte Vers ist Zwischenresümee der ersten längeren Erörterung des Themas „Bund“3 im Hebräerbrief. Dieses Thema wird bereits in 7,22 angekündigt und in den beiden folgenden Kapiteln dann breiter ausgeführt. Dabei wird das Syntagma „besserer Bund“ (jqe?ttym diah^jg)4 sowohl in 7,22 wie in 8,6 verwendet; es handelt sich hierbei um eine der für den Text üblichen Stichwortverknüpfungen. 8,7 dient der argumentativen Hinführung auf das ausführliche Schriftzitat aus JerLXX 38(31),31–34,5 V.8 ist die direkte Zitateinleitung. V.13 zieht eine argumentative Schlussfolgerung, bevor dann im folgenden Kapitel 9 der Vergleich der beiden Bundesschlüsse überführt wird in den Vergleich zweier Kultstätten und ihrer Priester.6 Diese synkrisis schließt in Kap. 10 wiederum mit einem (nunmehr abgekürzten) Zitat aus JerLXX 38(31),33 f in V.16 f, mit einer Zitateinleitung in V.15 und einer erneuten Schlussfolgerung in V.18, 1 Vgl. hierzu H. Löhr, Geschichtliches Denken im Hebräerbrief, in: J. Frey/S. Krauter/H. Lichtenberger (Hg.), Heil und Geschichte. Die Geschichtsbezogenheit des Heils und das Problem der Heilsgeschichte in der biblischen Tradition und in der theologischen Deutung, WUNT 248, Tübingen 2009, 443–457. 2 Vgl. die Hinweise bei U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 72011, 407. 3 Es wäre durchaus möglich, diah^jg im Hebr einheitlich mit „Verfügung“ wiederzugeben, doch ziehen wir die geläufigere und auch in Hebr vielfach passende Übersetzung „Bund“ vor, die jedoch für 9,15–17 nicht ausreicht. Grundsätzlich zur Semantik des Begriffes im antiken Judentum und im entstehenden Christentum E. Gräßer, Der Alte Bund im Neuen. Eine exegetische Vorlesung, in: ders., Der Alte Bund im Neuen. Exegetische Studien zur Israelfrage im Neuen Testament, WUNT 35, Tübingen 1985, 1–134. 4 Andere in Hebr verwendete adjektivische Attribute von diah^jg sind pq~tg (8,7; 9,15.18) und de}teqa in 8,7 und 9,15, jaim^ in 8,8 und 9,15, m]a in 12,24 sowie aQ~mior in 13,20. 5 Hierbei handelt es sich um das umfangreichste Schriftzitat im ganzen Neuen Testament. 6 Diese Verknüpfung ist nach H.W. Attridge, The Epistle to the Hebrews. A Commentary on the Epistle to the Hebrews, Hermeneia, Minneapolis 1989, 220, ein Spezifikum des Hebr.

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Hermut Löhr

bevor ab 10,19 dann eines der vornehmlich mahnenden Textstücke folgt, das in einen verheißungsvollen Ausblick auf die Zukunft in V.37 f mündet.7 Hebr 8,13 greift die Rede von der jaim^ diah^jg aus Jer 38(31),31 (Hebr 8,8) sowie den folgenden Vergleich mit dem Bund mit den Vätern (Jer 38[31],32/ Hebr 8,9) auf, indem er der neuen diah^jg den veralteten bzw. alt und betagt werdenden „ersten Bund“ gegenüberstellt. Die Feststellung, der so gekennzeichnete Bund sei „dem Verschwinden nahe“ (1cc»r !vamisloO), scheint jedoch einen gewissen Vorhalt zu formulieren. Dies ist insofern auffällig, als man ja vom Gesamtentwurf des Hebr erwarten könnte, dass die Faktizität des neuen göttlichen Bundesschlusses in Jesus Christus aus dem Prophetenzitat belegt werden soll: Das Zitat soll doch gewiss als Schriftbeleg für jetzt Verwirklichtes dienen, nicht bloß als Erneuerung der Ankündigung! Handelt es sich hierbei also nur um eine rhetorische Figur? Deutet der Text damit an, dass der „alte Bund“ und sein Kult (um den es im folgenden Kapitel geht) de facto in der Gegenwart noch bestehen, dass die Behauptung, sie seien vergangen, also argumentativ nicht überzeugen dürfte? Ist der Vers damit vielleicht ein Indiz für die Formulierung des Textes in der Zeit vor dem Ende des Opferkultes in Jerusalem, sei es vor 70 n. Chr., sei es vor 135 n. Chr.?8 Oder versetzt der Vers in die Zeit, in welcher das Prophetenzitat gesprochen worden sein soll? Jedoch: War denn zur Zeit „Jeremias“ der alte Bund schon „dem Verschwinden nahe“? Welche Rolle spielt für den Hebr die Wiedererrichtung des Tempelkults nach dem Exil? Grundsätzlicher gefragt: Aus welcher Perspektive, auf welcher Zeitstufe sind die Aussagen in V.13a und b zu verstehen? Einer für das Gesamtverständnis des Hebr wichtigen Klärung dieser Fragen widmen sich die folgenden Ausführungen.

2. In der Exegese des Teiltextes 8,7–13 wird meist vorausgesetzt, dass das Subjekt der Aussagen ab V.8 stets Gott ist. Während in V.7a die pq~tg (scil. diah^jg) Subjekt ist, formuliert V.7b im Passiv (mit t|por als Subjekt), das bereits als passivum divinum verstanden werden und so den Subjektwechsel in V.8 vorbereiten kann. Eine solche Auffassung fügt sich scheinbar nahtlos zur IchRede im Prophetenzitat, das ausweislich V.8, 9 und 10 (vgl. Jer 31[38],31–339) Wort des „Herrn“ (j¼qior) selbst ist. 7 Zur Diskussion um die Struktur der Kap. 8 bis 10 vgl. etwa G.L. Cockerill, Structure and Interpretation in Hebrews 8:1–10:18: A Symphony in Three Movements, in: Bulletin for Biblical Research 11, 2001, 179–201. 8 Zu den geschichtlichen Vorgängen und den damit verbundenen Hoffnungen vgl. den Überblick bei D.-A. Koch, Geschichte des Urchristentums. Ein Lehrbuch, Göttingen 22014, 108–114. 9 Zur Differenz zwischen LXX (vgs·m j¼qior) und Hebr an dieser Stelle vgl. G.J. Steyn, A Quest for the Assumed LXX Vorlage of the Explicit Quotations in Hebrews, FRLANT 235, Göttingen 2011, 262 f. Von den vier Vorkommen von hebr. 898= A4D in Jer 38,31–34 geben die LXX und Hebr nur

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Einem solchen naheliegenden Verständnis stehen aber einige Bedenken entgegen: 1. Ein explizites Subjekt wird weder in V.8 noch in V.13 genannt. 2. Die Zitateinleitungen mit k´cei o. ä. begegnet noch öfter in Hebr ; nicht immer ist dabei Gott als Sprecher vorausgesetzt oder ausgesagt. 3. Gerade die Zitierung von k´cei j¼qior in V.8, 9 und 10 lässt fragen, ob der Text hierin einfach eine Wiederholung des schon in V.8a außerhalb des Zitats gemeinten Sprechers sieht, mit anderen Worten, ob wörtliches Zitat und Zitateinleitung auf einer Textebene zu verstehen sind. 4. Das abgekürzte Zitat aus JerLXX 31(38) in Kap. 10 wird ausdrücklich als vom Heiligen Geist gesprochen eingeleitet (V.15); die Wendung k´cei j¼qior bleibt gleichwohl als Teil des Zitates erhalten. Hierin eine bloße Nachlässigkeit der Formulierung zu sehen, ist eine exegetische Notauskunft. Vielmehr ist zu versuchen, das Textphänomen kohärent zu erklären, was Auswirkungen auf die Lösung des Problems in Kap. 8 haben kann. 5. Wie Hebr 3,7–4,13 zeigt, kann der Text die Unterscheidung der Zeiten in Hinsicht auf biblische Zitate und ihre Auslegung und Anwendung auf die Gegenwart bewusst einsetzen10. Es ist zu fragen, ob dasselbe Phänomen nicht auch in der Verwendung von JerLXX 31(38) identifiziert werden kann.

Solche Bedenken fordern eine genauere Untersuchung des Textbefundes.

3. Als Ausgangspunkt zur Klärung dieser Fragen dient eine Übersetzung des im Fokus stehenden Verses: 1m t` k´ceim jaimµm pepaka¸yjem tµm pq¾tgm7 t¹ d³ pakaio¼lemom ja· cgq²sjom 1cc»r !vamisloO. „(a) Indem er/man von einem neuen [scil. Bund, HL] spricht, hat er/man den ersten veraltet. (b) Was aber alt und betagt wird, ist dem Verschwinden nahe.“

Wenden wir uns zunächst der Interpretation des Verses 13a zu: drei wieder, jeweils konkordant mit vgs·m j¼qior (LXX) bzw. k´cei j¼qior (Hebr). Die Differenz zwischen Hebr und LXX an diesem Punkt könnte auf Abweichungen im vorliegenden hebräischen Text zurückgehen, so erwogen von Steyn, Quest, 262 f. 10 Vgl. hierzu ausführlich H. Löhr, „Heute, wenn ihr seine Stimme hört…“ Zur Kunst der Schriftanwendung im Hebräerbrief und in 1 Kor 10, in: M. Hengel/H. Löhr (Hg.), Schriftauslegung im antiken Judentum und im Urchristentum, WUNT 73, Tübingen 1994, 226–248.

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Das implizite Subjekt zu pepaka¸yjem kann mit demjenigen der Zitateinleitung in V.8a oder mit dem im Zitat in V.8b–10 ausdrücklich erwähnten j¼qior identisch sein. Sollte in der Zitateinleitung auch an den j¼qior gedacht sein, läge hier kein sachlicher Unterschied vor; man darf jedoch nicht ohne Prüfung von dieser Identität ausgehen. Der j¼qior dürfte in V.8b–10, entsprechend dem ursprünglichen Kontext des Schriftwortes Gott selbst meinen (j¼qior steht für hebr. 898=), so wie dies auch in den Schriftzitaten in Hebr 7,21; 10,30; 12,5 f; 13,6 sowie einmal außerhalb von Zitaten, nämlich in Hebr 8,2,11 der Fall zu sein scheint; eine christologische Bedeutung (wie in Hebr 1,10 [Zitat PsLXX 101,26]; 7,14; 12,14; 13,20) legt sich nicht nahe. Da aber die Christologie des Hebr insgesamt deutlich an der Unterscheidung von Gott und Christus interessiert ist, darf man die Unterscheidung auch in diesem Kontext nicht für irrelevant halten; für den Hebr hebt der Titel j¼qior die Unterscheidung von Gott und Gottessohn nicht auf. Gibt es nun Gründe, die gegen die Annahme sprechen, dass bereits in der Zitateinleitung in V.8a an Gott als Sprecher gedacht sei? Ein Blick auf die sonstigen Einleitungen expliziter Schriftzitate im Hebr, welche meist, aber nicht ausschließlich, mit k]ceim formuliert sind, ergibt kein eindeutiges Bild: In 1,5 f wird Gott selbst zum Sprecher der Zitate, ohne dass dies ausdrücklich formuliert würde; die Leser müssen den Rückbezug auf 1,1 mit der Grundsatzaussage über Gottes Reden (kake?m) „zu den Vätern in den Propheten“ herstellen. Auch für 1,7 kann man dies annehmen, wobei das Zitatstück (aus PsLXX 103[104],4) anders, als die Einführung andeutet, keine direkte Anrede an die Engel, sondern an Gott formuliert. Als Gotteswort erscheint auch das Zitat von PsLXX 109[110],1 in 1,13. In 2,6 wird ein weiteres Psalmzitat (PsLXX 8,5–7) als von einem „man“ (tir) gesprochen eingeführt. Nach der christologischen Aussage in 2,11 bezieht man das partizipiale k]cym in 2,12 am ungezwungensten auf den Sohn. Nach 3,7 ist das für den ganzen Textzusammenhang 3,7–4,13 prägende Psalmzitat aus Ps 95 Rede des Heiligen Geistes, auch wenn die Ich-Rede im Zitat selbst auf Gott deutet. Das passivische 1m t` k]ceshai könnte man als neutrale Schrifterinnerungsformel verstehen, die keine Identifikation des Sprechers zulässt oder erfordert; dasselbe gilt für die Einführungen in 4,3 (jah½r eUqgjem), 4,4 (eUqgjem c\q pou) und 4,7 (jah½r pqoe_qgtai). Die Psalmzitate in 5,5 (hier mit kake?m) und 5,6 (aus PsLXX 2,7 und PsLXX 109[110],4) sind als Gottesrede an den Sohn eingeführt, wobei die Wendung 1m 2t]q\ k]cei in V.6 deutlich auf das Medium der Schriftlichkeit dieses Gotteswortes hindeutet. k]cym in 6,14 ist nach der Erwähnung des Gottesschwurs in V.13 als Gottesrede zu verstehen. laqtuqe?tai in 7,17 könnte neutral verstanden werden, aber auch den in den beiden vorausgehenden Versen erwähnten Priester nach der Ordnung Melchisedeks meinen. In V.21 ist 11 Zur Auffassung, dass auch 2,3 mit j¼qior Gott meine, vgl. die Diskussion bei H. Löhr, Umkehr und Sünde im Hebräerbrief, BZNW 73, Berlin/New York 1994, 83 f.

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Ps 110,4 als Gottesrede an den Sohn eingeführt. vgsim in 8,5 lässt meines Erachtens keine Identifikation des Sprechers zu. In 9,20 (Zitat Ex 24,8) ist, dem biblischen Kontext gemäß, Mose als Sprecher der Schriftworte gemeint. In 10,5 wird das folgende Psalmzitat dem Sohn in den Mund gelegt. Die Zwischenbemerkung t|te eWpom (V.7/PsLXX 39[40],8) ist dem Schriftzitat entnommen, wird aber hier als Struktursignal der wörtlichen Rede selbst verstanden, was bei der Auslegung in V.8 f hilft: V.8 spricht von dem „weiter oben“ Gesagten; Subjekt kann weiter der Sohn sein, das Adverb !m~teqom ist ein deutlicher Hinweis auf die Medialität (Schriftlichkeit) des Zitierten. In V.9 (t|te eUqgjem; vgl. V.7!) ist weiterhin an den Sohn gedacht, der das Folgende spricht; die in V.9b gezogene Schlussfolgerung dürfte dann auch den Sohn zum Subjekt haben.12 Auffällig ist freilich, dass im anschließenden Vers der Leib „Jesu Christi“ ausdrücklich erwähnt wird. Auf 10,15 f ist weiter unten eigens einzugehen. Die Zitateinleitung von V.30 verweist auf Gott als Sprecher, allerdings wird in V.30b dann ein Zitat angeführt, in welchem der j¼qior (= Gott) als Subjekt des Satzes in der dritten Person begegnet.13 Eine passivische Zitateinleitung wählt 11,19, dasselbe gilt für 12,5. In 12,21 wird Mose als Sprecher der folgenden kurzen Zitierung eingeführt. Schwieriger ist eine eindeutige Identifikation in Hinsicht auf die Zitateinleitung in V.26: V.25 und V.26a verweisen auf die Stimme Gottes am Sinai in der Vergangenheit und auf denjenigen, der jetzt „aus den Himmeln“ spricht; das in der folgenden Zitateinleitung verwendete Partizip Präsens k]cym, das hiernach – sowie in Hinsicht auf die Ich-Rede im Zitat HagLXX 2,6 – am einfachsten ebenfalls auf Gott zu beziehen wäre, wird abgetönt durch das Perfekt Passiv 1p^ccektai, welches das Schriftzitat als Verheißungswort markiert. Man wird so sagen müssen, dass das Schriftwort nicht einfach Gott in den Mund gelegt wird. Einmalig wird in 13,5 das Pronomen aqt|r zur Zitateinleitung verwendet; vom Zitat selbst und von V.4 her legt sich die Deutung auf Gott am nächsten. Schließlich wird das Vertrauenswort aus PsLXX 117(118),6 in 13,6 als „unser“ Bekenntnis nahegelegt (wobei der Umstand, dass das Schriftwort in der 1. Person Singular formuliert, offenbar für die Anführung keine Schwierigkeit darstellt). Das sich ergebende Bild ist also uneinheitlich. Die Sprecher der Schriftzitate im Hebr können sowohl direkt markiert sein (Gott, der Sohn, der Heilige Geist, Mose), womit die Zitate selbst zur wörtlichen Rede der angeführten Figuren werden. Andere Schriftzitate werden passivisch eingeführt, in einem 12 Syntaktisch oder semantisch ausgeschlossen ist auch eine unpersönliche Formulierung freilich nicht. 13 In 10,37 f begegnet ein ausführliches, syntaktisch eigenständiges (und so deutlich identifizierbares) kombiniertes Schriftzitat ohne Einführungsformel. Ein nomen dicendi begegnet jedoch zuvor in V.36: 1paccek_a.

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Fall spricht ein nicht näher zu identifizierender tir. Das letzte ausdrückliche Schriftzitat wird im Hebr zum Bekenntnis der Wir-Rolle im Text. Gelegentlich wird der Charakter der Zitate als Schriftzitate signalisiert, allerdings – das ist sehr auffällig – nie durch die Zitateinleitung c]cqaptai14 und auch nicht durch den expliziten Verweis auf die cqav^. Gesondert ist auf die syntaktische Struktur der Zitateinleitung und des Zitates von JerLXX 31(38),33 f in Hebr 10,15–17 einzugehen: Es handelt sich deutlich um ein Satzgefüge, in welches die Botenspruchformel k]cei j¼qior einbezogen sein muss, will man nicht annehmen, der Text konstruiere einen Anakoluth – was eine unbefriedigende Notauskunft wäre. Die Botenspruchformel ist dabei keine Interjektion, vielmehr bildet sie im Er-Bericht den finiten Hauptsatz, von dem sowohl die wörtliche Rede im Zitat als auch die Infinitivkonstruktion let± c±q t¹ eQqgj´mai abhängen. Dem vorangestellt ist die syntaktisch selbstständige Wendung laqtuqe? d³ Bl?m ja· t¹ pmeOla t¹ ûciom, die gewissermaßen das Vorzeichen für das Folgende bildet. Sie gibt, wie in 3,7, das Schriftzitat als inspiriertes Schriftwort zu verstehen und ist damit nicht nur Ausdruck des grundsätzlichen Verständnisses der Heiligen Schrift im Hebr, sondern signalisiert zugleich, dass das Schriftwort in die Gegenwart der Adressaten hinein spricht. Wie in Hebr 3,7–4,13 ist damit jedoch die Aufgabe, diesen Bezug auf die Gegenwart herauszuarbeiten und zu begründen, nicht einfach überflüssig; Inspiration der Schrift und kunstvolle Exegese bilden für den Hebr keinen Gegensatz! Vor allem aber verbietet es die so beschriebene Konstruktion, das Zitat auf zwei Sprecher aufzuteilen, so als ob V.16a = JerLXX 31(38),33a vom Heiligen Geist, V.16b–17 = JerLXX 31(38),33b.34 aber vom „Herrn“ (= Gott) gesprochen werde. Ein solcher Subjektwechsel über die Satzgrenze hinweg wäre schon in syntaktischer Perspektive eine schwierige und gesonderter Begründung bedürftige Annahme. Einfacher ist der Bezug des Subjekts im Hauptsatz auch auf die vorgeschobene Infinitivkonstruktion; der Subjektwechsel findet also zwischen den beiden Hauptsätzen statt. Es ist Gott, der nach der Willenserklärung über den Abschluss des Neuen Bundes „nach jenen Tagen“ den Inhalt dieses neuen Bundschlusses herausstellt.15 Ergeben sich aus dieser Interpretation des Zitates und seiner Sprecher in Kap. 10 Konsequenzen auch für die Interpretation desselben in Kap. 8? Folgende Unterschiede sind bedeutsam: 1. Hebr 8,8–12 ist das erstmalige Zitat des Prophetenwortes, während in Kap. 10 seine ausführliche Interpretation (unter Berücksichtigung von Ex 24,8, zitiert und erläutert in 9,20–22, sowie von Ps 40,7–9, zitiert und ausgelegt 14 In 10,7 ist c]cqaptai Element des Zitates selbst. 15 So im Anschluss an F. Delitzsch, Kommentar zum Hebräerbrief, Leipzig 1857, 471, richtig E. Gräßer, An die Hebräer. 2. Teilband: Hebr 7,1–10,18, EKK XVII/2, Zürich u. a./NeukirchenVluyn 1993, 232.

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in 10,5–10)16 mit einem abgekürzten Zitat abschließt.17 Vergleichbar sind die Zitierung von Ps 95,7–11 in 3,7–11 und die folgenden Kurzzitate in 3,15; 4,3.5. Das bedeutet, dass die Prophetenzitate in Kap. 8 und 10 unterschiedliche Positionen und Funktionen im Argumentationsduktus haben. Die durch die Zitateinleitungen jeweils zum Ausdruck gebrachten Verständnisse der Jeremia-Verse können nicht einfach als identisch vorausgesetzt werden. 2. Das syntaktische Verhältnis der Botenspruchformel zur Zitateinleitung ist in Kap. 8 anders zu bestimmen als in Kap. 10. Während im letztgenannten Textzusammenhang die Botenspruchformel, nur einmal angeführt, den Hauptsatz von Zitat und unmittelbarer Zitateinleitung bildet, ist die Zitateinleitung in 8,8a ein eigenständiger Satz, welcher der Weiterführung durch die Botenspruchformel syntaktisch nicht bedarf. Hier besteht vielmehr eine syntaktische Spannung (Asyndeton), welche durch das wiederholte k]cei deutlich zu Tage tritt. Das heißt aber, dass die in 8,8–12 dreimal vorkommende Botenspruchformel viel deutlicher als in Kap. 10 von der Zitateinleitung abgesetzt ist und, durchaus im Sinne des Ursprungstextes als Interjektion verstanden werden kann; sie ist also deutlicher als in Kap. 10 selber Schriftwort und nicht Zitateinleitung. Vielleicht darf man sogar sagen, dass sich ihre Funktion zwischen Erstzitat und Abschlusszitat vom Schriftwort zur Zitateinleitung gewandelt hat – eine Wandlung, welche als Technik der Schriftauslegung im Text identifiziert werden kann. 3. Dass das Gesamtverständnis des Zitats in Kap. 8 von demjenigen in Kap. 10 deutlich abweicht, signalisiert der Text in den jeweiligen Zitateinleitungen auch auf anderem Wege in unübersehbarer Weise: Während das Partizip lelvºlemor in 8,8 das ganze folgende Wort als Scheltwort zu verstehen gibt, ist das Zitat in 10,15 als Zeugniswort eingeführt. Dem konvergieren die durch die unterschiedlichen Zitatausschnitte gesetzten unterschiedlichen Akzente: Während in Kap. 8 der kritische Blick auf den Bund mit den Vätern18 in V.9 (= JerLXX 31[38],32) ausführlich zu Worte kommt, fehlt dieses Stück im Zitat von Kap. 10 ganz. Für die Adressaten bedeutsam ist die in Kap. 10 in den Vordergrund rückende Verheißung. Die Verwirklichung dieser Verheißung in der Gegenwart ist aber schon Realität (darum kreist im Grunde die ganze Argumentation des Hebr!): Der neue Bund ist geschlossen, die Sünden sind ver16 Der Hebr scheint in der Kombination von Schriftworten aus den verschiedenen Teilen des tenach einem bestimmten Schema zu folgen, vgl. Steyn, Quest, 25–28. 17 Am Ende der Auslegung von Ps 95,7–11 in Kap. 3–4 steht zwar nicht ein in ähnlicher Weise abschließendes Kurzzitat, wohl aber, hierin der Auslegung von JerLXX 31 vergleichbar, ein einleitendes ausführliches Zitat (3,7–11); darauf folgen mehrere abgekürzte Zitierungen (3,15; 4,3.7) in der Durchführung der Psalmexegese. 18 Zu beachten ist: Um einen Bund mit den „Vätern“ (nämlich mit der Exodus-Generation, vgl. Hebr 3 f!) handelt es sich schon in der Zeit des Jeremia, in der das Wort erstmalig gesprochen wird.

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geben und vergessen, auch bedarf es nicht mehr der (schriftlichen) Gesetze, und so gibt es – nach dem einmaligen Selbstopfer Christi – auch kein Sündopfer mehr. Die Scheltrede bezieht sich dagegen nicht auf die Gegenwart der Adressaten, sondern auf die Generation der Vergangenheit, zu der das Prophetenwort ursprünglich spricht. Und so mag der Sprecher in 8,8a zwar durchaus Gott selbst sein – deutlich gesagt oder unmissverständlich angedeutet ist das jedoch nicht! –, die Pointe der Zitierung in Kap. 8 besteht aber eben darin, dass es ein zunächst in der Vergangenheit geäußertes Wort ist. Wir sind damit schon zur Betrachtung von V.13a selbst zurückgekehrt. In Frage steht die genaue Deutung des aktiven Verbs pakaioOm: Ist es im Sinne einer Deklaration aufzufassen („für veraltet erklären“)? Liegt der semantische Akzent auf der Faktizität des Geschehenen („alt machen“)? Oder ist dies eine falsche Alternative, wenn man voraussetzt, dass Gott implizites Subjekt ist? Transitives pakaioOm ist – im Unterschied zur medio-passiven, gerade auch partizipialen Verwendung – in der griechischen Literatur der Antike sehr selten. Der Sprachgebrauch findet sich viermal in der Septuaginta (Hi 32,15; Jes 65,22; Thr 3,4; Dan 7,25[Theodotion]) und kann so das Vorkommen in Hebr am leichtesten erklären.19 Betrachten wir die Belege daher etwas genauer : In Hi 32,15 (asterisiert) ist das Verb im Sinne von „beenden“ (scil. der Worte bzw. Reden) aufzufassen. Etwas schwieriger ist die Wendung in Jes 65,22 zu verstehen; t± 5qca t_m pºmym aqt_m pakai¾sousim20 meint vermutlich: „Sie werden die Früchte ihrer Mühen bis zum Ende verbrauchen“ oder „genießen“. Thr 3,4 ist Teil einer Klage über Gott; aus dem Parallelismus zur zweiten Vershälfte wird erkennbar, dass an ein effektives Handeln am „Fleisch“ des betenden Ich gedacht ist. Dan 7,25(Theodotion) folgt offenbar der überwiegenden Wiedergabe von hebr. 8@5 in der Septuaginta, während der LXX-Haupttext jatatq_xei (für aram. 4@5) liest.21 Angesagt wird hier die (vorübergehende) Entmachtung der „Heiligen des Höchsten“ durch das vierte Königreich. Das Spektrum der Verwendungskontexte ist also relativ breit; immerhin kann man sagen, dass in keinem dieser Belege erkennbar wird, dass ein deklaratives Verständnis gegenüber einem effektiven Verständnis der Vorzug gegeben wird. In einem der Belege ist Gott als Subjekt des Handelns eingeführt. Von daher ist es plausibel zu vermuten, dass in V.13a tatsächlich an Gott als den Handelnden gedacht ist. Daher darf auch angenommen werden, dass in der Zitateinleitung in V.8a an Gott als Sprecher gedacht ist, aber es ist auch 19 Ungefähr zeitgenössisch zum Hebr ist ein Vorkommen bei dem Mediziner Dioscorides Pedanius, De materia medica 5,18,2 – ein etwas entlegener Beleg, der als Sachanalogie zum Hebr kaum in Betracht kommt. 20 Der hebräische Text lautet: =L=;5 9@5= A8=7= 8MFB9. 21 Vgl. H.-D. Neef, Daniel/Das Buch Daniel, in: M. Karrer/W. Kraus (Hg.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament. Band II. Psalmen bis Daniel, Stuttgart 2011, 3016–3051, hier 3029.

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durchaus möglich, dass der prophetische Sprecher im Blick ist, der sich mit der wiederholten Botenspruchformel das Wort Gottes aneignet und es dem Volk ausrichtet. Wichtig ist vor allem, dass hier das zitierte Wort nicht als zeitloses (und daher auch direkt in die Gegenwart der Adressaten sprechendes) eingeführt wird; von daher ist der Heilige Geist als Sprecher hier ausgeschlossen. Die Zeitstufe des Verbs in Hebr 8,13, das Perfekt, deutet zunächst darauf, dass eine vergangene Handlung ausgesagt werden soll. Umstrittener ist, welchen Verbalaspekt und welche Aktionsart das Perfekt im neutestamentlichen Griechisch markiert: Geht es um eine länger andauernde oder eine punktuelle Handlung? Geht es um die Außensicht oder die Innensicht auf die Handlung? Wenig sicher ist gegenwärtig zudem, welche Bedeutung der Tempusgebrauch in Hinsicht auf das Objekt, hier : den ersten Bund, hat: Ist im Blick, dass die genannte Handlung bleibende Konsequenzen bis zur Gegenwart hat? Will der Hebr also sagen: Was in der Vergangenheit alt gemacht und zu Ende gebracht wurde, ist gegenwärtig auch nicht mehr gültig oder vorhanden?22 Das Verb pakaioOm verkettet den a- mit dem b-Vers.23 Ob das Partizip Präsens pakaio¼lemom medial bzw. intransitiv oder passivisch zu übersetzen ist, ist nicht sicher zu entscheiden. Das Argument, dass das Vorkommen des aktiven Verbs im a-Vers im b-Vers eher an den direkt entgegengesetzten passivischen Sinn denken lässt, ist nicht zwingend. Der b-Vers ist eine auf den a-Vers bezogene Formulierung, aber nicht einfach nur eine Umformulierung. Gerade entgegengesetzt könnte man die Auffassung vertreten, dass das aktivische Partizip cgq²sjom eine mediale oder intransitive Interpretation des vorausgehenden Partizips näher legt als eine passivische. Auch hebt der b-Vers nicht mehr auf das Subjekt der Handlung ab, sondern auf ihr Ergebnis am Objekt; mit anderen Worten, es handelt sich hier vermutlich gar nicht um eine Aussage über ein punktuelles Handeln desjenigen, der im Zitat spricht (nach geläufiger Deutung: Gott), sondern um einen Satz allgemeiner Erfahrung, den die Leser auf den zuvor ausgeführten speziellen Fall zu beziehen haben. V.13b konstruiert insgesamt einen semantischen Dreischritt: pakaio¼lemom – cgq²sjom – 1cc»r !vamisloO. Das dritte Element ist syntaktisch prädikativ zu den ersten beiden und zieht in der Sache die Schlussfolgerung aus den zuvor zugewiesenen Attributen, anders formuliert: Es expliziert, was diese gemeinsam implizieren.24 Auffällig ist der Tempuswechsel von der finiten 22 Zur gegenwärtigen Diskussion um die Semantik des griechischen Perfekts vgl. C.R. Campbell, Advances in the Study of Greek. New Insights for Reading the New Testament, Grand Rapids 2015, 117–119. 23 Ich halte es für gut möglich, dass der Text hier auf den – dann schon stehenden – Begriff der p\kaia diah^jg anspielt. 24 Eine abweichende Auffassung der syntaktischen Struktur und der Bedeutung trägt J.C.K. von Hofmann, Die heilige Schrift neuen Testaments. Fünfter Theil: Außerbiblisches über des Paulus letzte Lebenszeit. Geschichtliche Bezeugung der paulinischen Briefe. Der Brief an die Hebräer,

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Verbform pepaka¸yjem in V.13a zu den Präsenspartizipien pakaio¼lemom und cgq²sjom.25 Diese Differenz wird leicht erklärlich, wenn man die Unterscheidung zwischen speziellem Fall (V.13a) und allgemeiner Regel (V.13b) beachtet; die Präsenspartizipien können dann freilich nicht mehr im Sinne einer Aussage über eine historische Gegenwart ausgelegt werden, und dies gilt auch für die Wendung 1cc»r !vamisloO.26 Die allgemeine Regel aber legt den eigentlichen Sinn des Zitates über den Wortlaut desselben hinausgehend frei: Mit seiner Verheißung eines neuen Bundes und der Bezeichnung des bisherigen Bundes als eines „alten“ wird zugleich gesagt, dass diesem alten Bund das Verschwinden bevorstehe. Will man diese Aussage heilsgeschichtlich einordnen, so gilt auch sie eben für die Zeit des Schriftwortes selbst, das zwischen dem Rückblick auf den Bund mit den Vätern und dem Vorausblick auf den neuen Bundesschluss steht.27 In der Gegenwart der Adressaten aber ist diese Verheißung bereits erfüllt, ebenso wie sie in der Gegenwart schon zum himmlischen Zion hinzugetreten (12,22–24) oder an Gewissen und Leib gereinigt sind (10,22).28 Es gibt im Hebr sehr wohl eine Zukunftserwartung; diese stellt aber die Faktizität der neuen Heilsordnung nicht in Frage.

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Nördlingen 1873, 315 vor: „Insgemein läßt man t¹ pakaio¼lemom ja· cgq²sjom zusammen das Subjekt sein zu 1cc»r !vamisloO. Aber nur t¹ pakaio¼lemom ist das aus dem vorhergegangenen Satz sich ergebende Subjekt, und pakaioOm und cgq²sjeim sind unterschiedliche Begriffe. Pakai|m ist, was seine Zeit hinter sich hat, cgq²sjom, was sein Ende vor sich hat. Letzteres ist also gleichbedeutend mit dem ihm als Erläuterung asyndetisch beigegebenen 1cc»r !vamisloO und gleich ihm Prädikat, ja_ sonach wie 2 Tim. 3, 16 nicht ,und‘, sondern ,auch‘. Hat nun Gott in seinem Worte damit, daß er eine neue Ordnung der Dinge verhieß, der ersten ihr Ende in Aussicht gestellt, was Wunder, wenn diese jetzt vor jener verschwunden und außer Geltung getreten ist?“ Man kann ferner fragen, ob eine gravierende semantische Differenz zwischen beiden Partizipien besteht. Nahe liegt die Vermutung, es solle eine Klimax zum Ausdruck gebracht werden. Daneben transportiert pakaioOm vielleicht stärker als cgq²sjeim den semantischen Nebenaspekt des Vergehens. Die Belege für das Syntagma in der griechischen Literatur der Antike scheinen mehrheitlich von der Passage in Hebr abhängig zu sein; daneben taucht die Wendung in der Fachsprache der spätantiken Lexikographen auf. Eine solche Rekonstruktion stellt erneut die – hier nicht weiter zu erörternde – Frage nach der Bedeutung des Zweiten Tempels für die kultische Theologie des Hebr. Daher trifft die Deutung von M. Karrer, Der Brief an die Hebräer. Kapitel 5,11–13,25, ÖTK 20/2, Gütersloh/Würzburg 2008, 124, meines Erachtens gerade nicht das Richtige: „Hören wir die Formulierung freilich genau. Anders als im LXX-Haupttext ist der erste Bund für den Hebr in seiner Gegenwart alt und greisenhaft, beim Verlöschen, indessen nicht schon früher erloschen. Das Schema gebrochener Bund – Leben Israels ohne Bund – neuer Bund […] gilt für den Hebr nicht. Der erste Bund reicht, wiewohl tief erschüttert, bis zur Gegenwart.“ Damit weicht nach Karrer der Hebr an einem zentralen Punkt von dem Sinn der LXX-Fassung ab, wie sie Adrian Schenker, Das Neue am neue Bund und das Alte am alten. Jer 31 in der hebräischen und griechischen Bibel, FRLANT 212, Göttingen 2006, zusammenfassend 61–63 erarbeitet hat. – Die von Karrer, aaO., 128–130, formulierten theologischen „Konsequenzen für das christlich-jüdische Gespräch“ sind erheblich: „Hebr 8 ist im Zusammenhang mit der Textgeschichte von Jer 31 zu lesen, also zusammen mit der Treue Gottes aus dem hebräischen Text. Dank seiner feinen Schattierungen gegenüber dem LXX-Haupttext (LXX 38) wird das Zitat im Hebr so zum Zeugen

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4. Die Analyse des Verses Hebr 8,13 im Zusammenhang des Schriftzitates Jer 31(38) führte uns zu Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für das Verständnis der Heiligen Schrift, das Geschichtsdenken und die Soteriologie des frühchristlichen Textes. So wenig der Vers für die Bestimmung des genauen geschichtlichen Ortes der Schrift ausgewertet werden kann, so wenig ist ihm die theologische Auffassung eines ungekündigten ersten Bundes mit Israel (seit dem Exodus) zu entnehmen. Wie das Beispiel zeigt und wie sich an anderen Textzusammenhängen bestätigt, kennt und nutzt die Kunst der Schriftauslegung des Hebr die mit dem Bezug auf die alten Texte gegebenen verschiedenen Zeitebenen der Produktion und Rezeption, und sie entnimmt den Schriftworten verschiedene Akzente für unterschiedliche (heils-)geschichtliche Situationen. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass das Schriftwort für den auctor ad Hebraeos lebendiges, gesagtes und vom Heiligen Geist autorisiertes Wort ist. Theologiegeschichtlich ist der Hebr damit Zeugnis einer sich im frühen Christentum entwickelnden und sonst im Neuen Testament so nicht begegnenden exegetischen Schulung und Subtilität, über deren bildungs- und institutionengeschichtliche Voraussetzungen und Kontexte wir nur spekulieren können. Das Achten auf die Details des Wortlauts der Schrifttexte und auf Stichwortverbindungen zwischen Texten, das Ausnutzen semantischer Doppeldeutigkeiten, die Fähigkeit zur Selektion und zur syntaktischen Umstrukturierung je nach Argumentationszusammenhang, die Kunstfertigkeit in der Kombination von Texten aus Tora, Propheten und Schriften – all dies lässt erkennen, dass der unbekannte Autor des Hebr ein frühchristlicher Schriftgelehrter gewesen sein muss.

einer großen Bundesgeschichte Gottes, die Altes nicht kündigt, sondern durch Neues überstrahlt“ (S. 129). – So sympathisch und theologisch wertvoll wir die Vorstellung vom ungekündigten Bund Gottes mit Israel finden, aus Hebr 8 ist sie meines Erachtens nicht zu gewinnen. Auf der anderen Seite ist die Aussage von V.13a jedoch auch nicht als Bestätigung für die Vorstellung von der ausdrücklichen Kündigung des alten Bundes durch Gott zu verwerten. Doch spricht Hebr 8,9 mit dem LXX-Text von Jer 31(38),32 und gegen den hebräischen Text davon, dass sich Gott, als Reaktion auf den Bundesbruch des Volkes, um sein Bundesvolk nicht mehr gekümmert habe, erneut (nach Hebr 3–4) wird hier vermutlich auf das Geschick des Wüstenvolks verwiesen. Nach der hier vertretenen Auffassung wäre, wenn die Interpretation Schenkers zutrifft, der Hebr also ein Zeuge für die Rezeption des theologischen Anliegens der SeptuagintaFassung von Jer 31. Es wäre schon von daher verfehlt, den Hebr in dieser Hinsicht als antijüdisch zu bezeichnen, vielmehr teilt er eine jüdische Auslegungstradition. Die Beantwortung aber der drängenden theologischen Frage, ob die (heidenchristliche) Kirche diese Auslegungstradition im Lichte ihrer weiteren Wirkungsgeschichte gegenwärtig für sich in Anspruch nehmen darf, kann uns der Hebr nicht abnehmen.

Karl-Wilhelm Niebuhr

Der erinnerte Jesus bei Jakobus Ein Beitrag zur Einleitung in einen umstrittenen Brief

Nach der ,Einleitung‘ in den Jakobusbrief, seinem Präskript, sollten die ,Einleitungsfragen‘ zu dieser neutestamentlichen Schrift eigentlich geklärt sein: Jakobus, Bruder Jesu, „der Sklave Gottes und des Herrn Jesus Christus“, schreibt an jüdische Christus-Verehrer außerhalb des Landes Israel, „die zwölf Stämme in der Diaspora“ (Jak 1,1). Nimmt man die Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte des Schreibens irgendwo im Milieu des frühen Christentums ernst, dann kommt unter den im Neuen Testament begegnenden Trägern dieses Namens ein anderer Jakobus als der „Herrenbruder“ (Gal 1,19) als Verfasser nicht in Frage. Als Adressaten kommen ebenso eindeutig zumindest auf der Textebene nur geborene Juden außerhalb des biblischen Landes Israel in Frage, denn die Bezeichnung „zwölf Stämme“ könnten Nichtjuden ausweislich der zeitgenössischen Quellen schwerlich auf sich beziehen. Dass sich die Adressaten wie der Schreiber in ihren Glaubensüberzeugungen durch ihre Beziehung zu Gott und Jesus Christus als Kyrios definieren, setzt Jak1 undiskutiert voraus (2,1). So etwas nennen wir heute „Christen“, zusammengenommen mit dem Vorangehenden „Judenchristen“.2 Die den Brief prägende Gattung frühjüdischer Diasporabriefe impliziert als Abfassungsort Jerusalem.3 Da die Lebensumstände des Herrenbruders, zumindest die Umstände seines Todes, hinreichend bekannt sind – er fand im Jahr 62 n. Chr. unter dem Hohenpriester Ananos II. in Jerusalem das Martyrium –, wäre auch die Datierungsfrage geklärt.4 Die aktuelle Gesprächslage in der neutestamentlichen Einleitungswissenschaft lehrt freilich anderes: Weder zum Autor noch zu den Empfängern noch zu Datierung und Abfassungsort gibt es da Konsens.5 Ich nehme nicht in 1 Ich verwende „Jak“, wenn ich den Brief oder den Briefautor meine, unabhängig von der historischen Identifizierung des Verfassers, „Jakobus“ dagegen, wenn ich den Herrenbruder als historische oder fiktionale Person meine. 2 Natürlich ist die Terminologie „Juden“ vs. „Christen“ für das 1.Jh. n. Chr. anachronistisch. Ob sich unter den Briefempfängern faktisch auch Juden, die nicht an Jesus Christus glaubten, befunden haben, wie D.C. Allison, The Epistle of James, ICC, New York u. a. 2013, 32–50, annimmt, lässt sich nicht überprüfen. 3 K.-W. Niebuhr, Der Jakobusbrief im Licht frühjüdischer Diasporabriefe, in: NTS 44, 1998, 420–443; L. Doering, Ancient Jewish Letters and the Beginnings of Christian Epistolography, WUNT 298, 2012, 452–463. 4 Josephus, Ant 20,200; Hegesipp nach Eus. h.e. 2,23,4–18. 5 U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 82013, 461–477; I. Broer in

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Karl-Wilhelm Niebuhr

Anspruch, mit den folgenden Ausführungen diese Lage wesentlich ändern zu können, sondern weise lediglich darauf hin, dass die Gesprächslage zu den Einleitungsfragen des Jakobusbriefes heute deutlich offener erscheint als zu der Zeit, als die erste Auflage der „Einleitung“ von Udo Schnelle erschien.6 Zu den Stärken dieses Lehrbuches gehört es ja, aktuelle Forschungsdebatten von Auflage zu Auflage nachzutragen, ohne die eigene Sicht der Dinge immer wieder zu verändern. Ich möchte an dieser Stelle die Einleitungsfragen zum Jakobusbrief lediglich aus derjenigen Perspektive darstellen, die mir für die eigene Auslegung seines Textes am ergiebigsten erscheint.7 Dabei gehe ich aus von textinternen Angaben zum Verfasser und seinem Verhältnis zu Jesus (1.), frage anschließend nach textinternen Bezügen zur synoptischen Jesus-Überlieferung (2.), skizziere dann das Jakobus-Bild, das sich aus den Implikationen im Brief ableiten lässt (3.), stelle dieses Bild in Beziehung zum Jakobus-Bild in der frühchristlichen Überlieferung (4.) und benenne abschließend einige Konsequenzen daraus für die Frage nach den Abfassungsverhältnissen des Briefes (5.).

Verbindung mit H.-U. Weidemann, Einleitung in das Neue Testament, Würzburg 32010, 596–617; P. Pokorny´/U. Heckel, Einleitung in das Neue Testament. Seine Literatur und Theologie im Überblick, Tübingen 2007, 715–728; M. Ebner/S. Schreiber (Hg.), Einleitung in das Neue Testament, KStTh 6, Stuttgart 2008, 496–510 (M. Konradt). Vgl. zur neueren Diskussion noch R. Metzner, Der Lehrer Jakobus. Überlegungen zur Verfasserfrage des Jakobusbriefes, in: ZNW 104, 2013, 238–267; M. Konradt, „Jakobus, der Gerechte“. Erwägungen zur Verfasserfiktion des Jakobusbriefes, in: J. Frey/J. Herzer/M. Janßen/C.K. Rothschild (Hg.), Pseudepigraphie und Verfasserfiktion in frühchristlichen Briefen. Pseudepigraphy and Author Fiction in Early Christian Letters, WUNT 246, Tübingen 2009, 575–597; G. Theißen, Die pseudepigraphe Intention des Jakobusbriefes. Ein Beitrag zu seinen Einleitungsfragen, in: P. von Gemünden/M. Konradt/G. Theißen (Hg.), Der Jakobusbrief. Beiträge zur Rehabilitierung der „strohernen Epistel“, Beiträge zum Verstehen der Bibel 3, Münster 2003, 54–82. 6 U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 1994, 438–455. Vgl. auch meinen Literaturbericht: K.-W. Niebuhr, „A New Perspective on James“? Neuere Forschungen zum Jakobusbrief, in: ThLZ 129, 2004, 1019–1044, 1022–1032. Neuere Kommentare zur Verfasserfrage: Allison, The Epistle of James, 3–32; S. McKnight, The Letter of James, NIC.NT, Grand Rapids/Cambridge 2011, 13–38; W. Popkes, Der Brief des Jakobus, ThHK 14, Leipzig 2001, 59–69; C. Burchard, Der Jakobusbrief, HNT 15/I, Tübingen 2000, 2–8; L.T. Johnson, The Letter of James, AncB 37 A, New York u. a. 1995, 89–123; H. Frankemölle, Der Brief des Jakobus, ÖTK 17/1, Gütersloh/ Würzburg 1994, 45–62. 7 Vgl. dazu meine Skizze: K.-W. Niebuhr, Der Jakobusbrief in ökumenischer Perspektive. Ein Vorgriff auf meine Kommentierung im EKK, in: U. Luz/T. Söding/S. Vollenweider (Hg.), Exegese – ökumenisch engagiert. Der „Evangelisch-Katholische Kommentar“ in der Diskussion über 500 Jahre Reformation. Ein Rückblick und ein Ausblick, Ostfildern/Göttingen o. J. [2016], 137–145.

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1. Das Jesus-Bild im Jakobusbrief Jede Textauslegung hat vom Präskript des Briefes auszugehen, unabhängig davon, ob sich dessen Verfasserangabe historisch verifizieren lässt oder nicht. Als entscheidendes Merkmal, mit dem der Verfasser sich seinen Adressaten präsentiert, tritt im Präskript seine Beziehung zu Gott und Jesus Christus hervor. Will man nicht davon ausgehen, dass das Präskript (ebenso wie die zweite Erwähnung von „Jesus Christus“ in 2,18) literargeschichtlich oder textkritisch als sekundär zu beurteilen ist, engt sich der Zeitraum einer möglichen Datierung jedenfalls aus der Perspektive der Briefempfänger damit erheblich ein. Wichtiger noch: Die Perspektive, aus der der Autor sein Verhältnis zu Gott und Jesus Christus bestimmt, ist auf jeden Fall die des Osterbekenntnisses der frühchristlichen Gemeinden, in deren Glaube Jesus als endzeitlicher Repräsentant Gottes mit diesem auf eine Ebene gestellt wird und damit zugleich alle diejenigen, die sich in ihrem Glauben auf Gott und Jesus Christus beziehen, kategorial auf einer anderen Ebene stehen. Jak bezeichnet diese Differenz der Ebenen mit dem Gegensatz zwischen Sklave und Herr. Nimmt man die kategoriale Unterscheidung zwischen Jakobus und Jesus im Präskript ernst, dann erübrigen sich alle weiteren Erwägungen, warum wohl der leibliche Bruder Jesu im folgenden Brief so gar nichts von seiner biographischen Verwandtschaft zu erkennen gibt. Täte er das, so würde er schlicht einen Kategorienfehler begehen. Alles, was seine persönlich-biographische Beziehung zu Jesus einmal bestimmt haben mag, ist nunmehr durch sein Christusbekenntnis überlagert und damit letztlich gegenstandslos geworden. Dem entspricht es der Sache nach, wenn auch Paulus diesen Jakobus nicht Bruder Jesu nennt, sondern „Bruder des Herrn“ (Gal 1,19), denn auch Paulus weiß natürlich, dass Jakobus für ihn wie für die christlichen Gemeinden nicht wegen seiner familiären Verwandtschaft zu Jesus von Bedeutung ist, sondern allein aufgrund seiner Osterbegegnung mit dem auferstandenen Christus (1Kor 15,7) sowie als Repräsentant der Urgemeinde in Jerusalem (Gal 2,9). Von den familiären (offenbar durchaus kritischen) Beziehungen zu Jesus, wie sie in der synoptischen Überlieferung noch durchscheinen,9 fehlt dagegen in Jak jede Spur, und auch für Paulus sind sie kein Thema, ebenso wenig wie sich Paulus um nähere Kenntnisse zum Wirken und zur Lehre des vorösterlichen Jesus kümmert.10 Dieser Befund bildet auch für die Beurteilung der Frage nach 8 So Allison, The Epistle of James, 382–384. 9 Vgl. Mk 3,31–35 par. Mt 12,46–50 und Lk 8,19–21; Mk 6,3 par. Mt 13,55 f; dazu R. Bauckham, Jude and the Relatives of Jesus in the Early Church, Edinburgh 1990, 46–57. 10 Was nicht bedeuten muss, dass er davon nichts wusste. Vgl. zur Diskussion um Paulus und Jesus K.-W. Niebuhr, Jesus, der Israelit. Die Menschlichkeit Jesu im Zusammenhang der paulinischen Christologie, in: J. Herzer/A. Käfer/J. Frey (Hg.), Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage. Dialoge zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik, Tübingen 2017 (im Druck), sowie zuletzt C. Jacobi, Jesusüberlieferung bei Paulus? Analogien zwischen echten Paulusbriefen und

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den Beziehungen zwischen Jak und der Jesus-Überlieferung eine wesentliche Voraussetzung (s. dazu u. 2.). Es ist demnach das Christusbild der nachösterlichen Gemeinden, das auch das Jesus-Bild im Jakobusbrief von Anfang an bestimmt. Die Art und Weise, wie sich Jakobus als Briefautor gegenüber seinen Adressaten zu Gott und Jesus Christus in Beziehung setzt, impliziert sein Christusbekenntnis: Jesus seinen „Herrn“ nennen und sich selbst dessen „Knecht“ kann nur jemand, der Ostern zum Grund seines Glaubens und Lebens gemacht hat. Für die Textauslegung bedeutet dies, dass die dezidiert christologische Prädikation Jesu im Präskript an allen folgenden Stellen des Briefes, an denen von Jesus die Rede ist (freilich ist das nur noch einmal der Fall), mitzuhören ist, aber eben auch umgekehrt, dass an allen Stellen, an denen von Gott die Rede ist, die christologische Definition des Gottesverständnisses aus dem Präskript mit zu berücksichtigen ist. Damit werden Beobachtungen zum Gottesverständnis im Jakobusbrief zugleich relevant für die Nachzeichnung seines Jesus-Christus-Bildes.11 So würde etwa eine eindeutige Festlegung, ob das Prädikat b j¼qior12 christologisch oder ,theo-logisch‘ zu interpretieren sei, der Aussageabsicht des Briefes nicht gerecht. Gott und der Herr Jesus Christus in ,Personeinheit‘ ist (nicht sind!) Adressat der Bitten der Glaubenden um Weisheit (1,5 f). Ihm (nicht ihnen!) kommen dºna (2,1) und Lobpreisung zu (eqkocoOlem, 3,9). Der „gute Name“, der auf sie „herabgerufen“ und von den Reichen in der Gemeindeversammlung verlästert wird (2,7), ist der eine Name Gottes und des Herrn Jesus Christus. Vor ihm sollen sich die Briefadressaten demütigen (4,10) und ihn als den endzeitlich Kommenden (5,7 f) und den barmherzigen Richter erwarten (5,9–11). Ihn sollen sie loben und im Gebet anrufen an guten wie an bösen Tagen, so wird er die Hilferufe der Ausgebeuteten hören (5,4), sich dem Schwachen zuwenden und den Kranken aufrichten (5,13–16). Die Propheten, die „im Namen des Herrn“ geredet haben, sollen sie zum Vorbild der Langmut nehmen (5,10) und „im Namen des Herrn“ für die Kranken in der Gemeinde sorgen (5,14). Das Gottesverständnis im Jakobusbrief ist damit dezidiert christologisch akzentuiert, ebenso wie seine Christologie theozentrisch orientiert bleibt. Das muss nicht bedeuten, dass an allen hier genannten Stellen den synoptischen Evangelien, BZNW 213, Berlin/New York 2015; F.W. Horn (Hg.), Paulus Handbuch, Tübingen 2013, 279–285 (J. Schröter); A. Lindemann, Paulus und die Jesustradition, in: ders., Glauben, Handeln, Verstehen. Studien zur Auslegung des Neuen Testaments, Bd. II, WUNT 282, Tübingen 2011, 73–115. 11 Vgl. dazu S. Wenger, Der wesenhaft gute Kyrios. Eine exegetische Studie über das Gottesbild im Jakobusbrief, AThANT 100, Zürich 2011, 50–71. Wenger resümiert (aaO., 71): „Dementsprechend mag es sachgemäss sein, wenn hinsichtlich der […] Frage nach dem Gottesbild im Jak schlicht festgehalten wird, dass an Gott glauben […] immer auch bedeutet, an die Herrlichkeit des durch diesen einen Gott erhöhten und kommenden j¼qior YgsoOr Wqistºr zu glauben.“ 12 Immerhin 14mal im Brief: 1,1.7; 2,1; 3,9; 4,10.15; 5,4.7.8.10.11(bis).14.15; b heºr kommt nur wenig häufiger vor (16mal).

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jeweils eine reflektierte Christologie im Hintergrund steht. Aber ebenso wenig kann behauptet werden, dass die zitierten Wendungen „nur“ oder gar „ausschließlich“ theo-logisch zu verstehen seien. Christologie und Theologie bilden im Brief eine Einheit. Demgegenüber wäre die Suche nach Bezügen zu einem ,historischen‘ oder auch nur ,vorösterlichen‘ Jesus für Jak theologisch defizitär und textpragmatisch geradezu kontraproduktiv.

2. Die Jesus-Überlieferung im Jakobusbrief Nimmt man diese theologische Qualifikation des Jesus-Bildes im Präskript des Jakobusbriefes zum Ausgangspunkt, dann erscheint auch die Frage nach der Rezeption von Jesus-Überlieferung bei Jak in einem anderen Licht. Schon immer ist festgestellt worden, dass sich einerseits an zahlreichen Stellen im Brief Anklänge an Sprüche oder Spruchgruppen aus der synoptischen Überlieferung finden lassen, dass andererseits der Briefautor aber an keiner dieser Stellen auch nur den geringsten Hinweis darauf gibt, dass er damit auf Jesus Bezug nehmen will. Es ist nicht nötig, diesen Befund und die Forschungsgeschichte dazu hier nochmals im Einzelnen darzustellen.13 Literarische Abhängigkeiten zwischen Jak und den synoptischen Evangelien sind immer wieder diskutiert, aber in der Forschung nie breiter akzeptiert worden.14 Am meisten Zustimmung fand und findet immer noch die Annahme einer engeren traditionsgeschichtlichen Beziehung zur Q-Überlieferung, insbesondere zu dem in der Bergpredigt bei Matthäus bzw. der Feldrede bei Lukas begegnenden Spruchgut.15 Neue Impulse für diese Diskussion sind in jüngerer Zeit vor allem von Richard Bauckham und John Kloppenborg aus13 Vgl. dazu am ausführlichsten D. B. Deppe, The Sayings of Jesus in the Epistle of James, Chelsea 1989, sowie L.T. Johnson/W. Wachob, The Sayings of Jesus in the Letter of James, in: ders., Brother of Jesus, Friend of God. Studies in the Letter of James, Grand Rapids/Cambridge 2004, 136–154; W. Popkes, Adressaten, Situation und Form des Jakobusbriefes, SBS 125/126, Stuttgart 1986, 156–176. Hilfreich sind auch die Übersichten bei Allison, The Epistle of James, 56 f; McKnight, The Letter of James, 25 f; Popkes, Der Brief des Jakobus, 33 f; F. Mußner, der Jakobusbrief, HThK 13/1, Freiburg u. a. 1975, 48–50. 14 Zuletzt hat Allison, The Epistle of James, 56–62, eine Reihe von Gründen für die literarische Abhängigkeit des Jak von Matthäus gesammelt, nimmt aber zusätzlich auch Einflüsse aus mündlicher Überlieferung an. 15 Vgl. dazu die klassische Monographie von P. Hartin, James and the Q Sayings of Jesus, JSNT.S 47, Sheffield 1991. Nach Harting steht die sich bei Jak findende Jesus-Überlieferung „in an intermediary position between Q and the Gospel of Matthew […] the epistle situates itself before the codification of these sources […] within the gospel of Matthew” (aaO., 242 f). Popkes, Adressaten, 159, weist aber zu Recht darauf hin, dass „vieles, sehr vieles aus der Bergpredigt- bzw. Feldrede-Tradition […] bei Jak nicht [erscheint]“, was auch für die These der Abhängigkeit des Jak von einer schon fixierten Zusammenstellung von Traditionsstoffen in Q durchaus ein Problem darstellt.

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gegangen.16 Deren Thesen gehen dahin, beim Vergleich zwischen Jak und der Jesusüberlieferung nicht in erster Linie nach Übereinstimmungen im Wortlaut einzelner Überlieferungsstücke zu suchen und von daher die Verwandtschaft zwischen beiden zu beurteilen. Stattdessen gewichten sie unter Verweis auf antike Kontexte im Frühjudentum und in der hellenistisch-römischen Literatur stärker die individuelle Freiheit und Kreativität, die einem Autor bei der Aufnahme und Wiederverwertung weisheitlicher oder popularphilosophischer Überlieferungen zugebilligt bzw. von ihm erwartet wurde.17 Darauf soll im Folgenden kurz eingegangen werden, ohne dass ich die exegetischen Argumentationen hier im Detail aufnehmen und weiterführen kann. Mir geht es lediglich um die Frage, inwiefern davon die Einleitungsfragen zum Brief berührt werden. Bauckham sieht die nächste Analogie für eine Bezugnahme von Jak auf Sprüche aus der Jesus-Überlieferung im Verhältnis zwischen Weisheitssprüchen im Proverbienbuch und bei Jesus Sirach. Bei Sirach werde kein einziger Spruch aus den Proverbien komplett wörtlich zitiert, und doch verdanke Ben Sira weite Teile seiner Weisheitslehre Impulsen aus der biblischen Spruchsammlung (und weiteren Teilen der Schriften Israels).18 Daher kann dieser frühjüdische Autor als Musterbeispiel für die Kreativität bei der Traditionsübernahme gelten, die einen jüdischen Weisheitslehrer auszeichnete. Frei nach der im Sirach-Buch referierten Maxime: „wenn ein Kundiger ein weises Wort hört, wird er es loben und ihm (weiteres) hinzufügen“ (21,15), habe Ben Sira als kreativer Exponent der Tradition die in den Proverbien angesammelte Weisheitsüberlieferung in eigenen Formulierungen neu zur Sprache gebracht und erweitert.19 In ähnlicher Weise könne man nach Bauckham auch Jesus und seinen ,Schüler‘ Jakobus als jüdische Weisheitslehrer verstehen.20 16 R. Bauckham, James. Wisdom of James, Disciple of Jesus the Sage, London/New York 1999, 74–111; ders., The Wisdom of James and the Wisdom of Jesus, in: J. Schlosser (Hg.), The Catholic Epistles and the Tradition, BEThL 176, Leuven 2004, 75–92; J.S. Kloppenborg, The Reception of the Jesus Tradition in James, in: Schlosser, Catholic Epistles, 93–141 (hiernach zitiere ich im Folgenden); weitgehend damit identisch ders., The Reception of the Jesus Tradition in James, in: K.-W. Niebuhr/R.W. Wall (Hg.), The Catholic Epistles and Apostolic Tradition, Waco 2009, 71–100; durch zusätzliche Exegesen erweitert ders., The Emulation of the Jesus Tradition in the Letter of James, in: R.L. Webb/J.S. Kloppenborg (Hg.), Reading James with New Eyes. Methodological Reassessments of the Letter of James, JSNT.S 342, London/New York 2007, 121–150. In seinem zuerst genannten Aufsatz stellt Kloppenborg auch die einschlägige Forschungsgeschichte dar (aaO., 95–111). 17 Etwas andere Akzente, die von Kloppenborg zum Teil aufgenommen wurden, setzt W.H. Wachob, The Voice of Jesus in the Social Rhetoric of James, MSSNTS 106, Cambridge 2000. In einem jüngeren Aufsatz hat auch Hartin die These der rhetorischen ,performance‘ von Sprüchen aus der Jesus-Überlieferung in Jak aufgenommen: P.J. Hartin, James and the Jesus Tradition. Some Theological Reflections and Implications, in: Niebuhr/Wall (Hg.), Catholic Epistles, 55–70: 55–61. 18 Vgl. die Tabelle der Übereinstimmungen bei Bauckham, Wisdom, 80. 19 Bauckham, Wisdom, 79: „Truth is fundamentally what is inherited, but the student who has entered thoroughly into the tradition and himself become a sage, […] inspired with the divine

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Kloppenborg verweist als Analogie für den Umgang mit Jesus-Überlieferung in Jak auf die Progymnasmata der hellenistisch-römischen Schultradition.21 Zu der dort vermittelten literarischen Bildung gehörten nicht nur Kenntnisse vorgegebener Texte und die Fähigkeit, sie zu memorieren oder zu kopieren, sondern darüber hinaus – zumindest für Fortgeschrittene – auch das Imitieren und die kreative Nachahmung literarischer Formen und Inhalte, etwa von Gnomen berühmter Weiser, Fabeln von Äsop oder Versen von Homer. Solche progymnastischen Schulübungen sind durch zahlreiche Papyri oder Ostraka überliefert.22 Die hierbei zu erlernende Kunst bestand gerade in der Veränderung überlieferter Texte nach vorgegebenen Kriterien, etwa als Paraphrase, durch Ergänzung zusätzlicher Argumente, Beispiele oder Analogien. Abweichungen vom vorgegebenen Wortlaut und das Verschweigen der Quellen waren keine Mängel bei der Ausführung solcher Übungen, sondern gehörten zu den zu erlernenden Kompetenzen bei der Transformation von überlieferten in eigene geistige Leistungen. Die Nachahmung (aemulatio) vorgegebener Texte mit eigenen Worten wurde nicht als Bruch von Urheberrechten verstanden, sondern diente der Transformation und Weitergabe geistiger Güter, unabhängig davon, ob alle Rezipienten der neuen Textfassungen die ursprünglichen Urheber der alten Überlieferungen kannten und wiedererkannten. Von diesem Modell der aemulatio her möchte Kloppenborg auch den Umgang mit der Jesus-Überlieferung in Jak erklären. Seinen Textanalysen legt er dabei seine Sicht der Entstehungs- und Redaktionsgeschichte von Q zugrunde.23 Mit einer Reihe von Textbeobachtungen möchte er nachweisen, dass Jak Teile der Jesus-Überlieferung in einer Gestalt rezipiert habe, die sie erst im Zuge der Q-Redaktion erlangt hatten. Dies gelte vor allem für Jak 1,5, wo der Zusammenhang von Bitten und Empfangen mit einer Aufforderung verbun-

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gift of understanding, […] is a creative exponent of the tradition, interpreting it in fresh formulations of his own.“ Bauckham, Wisdom, 76: „both Jesus and his disciple James were wisdom teachers“; aaO., 78: „James was deeply informed by the teaching of his master and made it his own, but, as a wisdom teacher in his own right, he re-expressed it and developed it as his own teaching, both profoundly and broadly indebted to Jesus’ teaching and also at the same time characteristically his own.“ Kloppenborg, Reception, 116–122; Bauckhams Modell aus der jüdischen Weisheitstradition will Kloppenborg damit nicht ersetzen, sondern eher weiterführen. Lange Listen solcher überlieferten Schultexte bietet J. Debut, Les documents scolaires, in: ZPE 63, 1986, 251–278. Eine Reihe von Beispielen für Variationsmöglichkeiten zu vorgegebenen Gnomen und Chrien führt Kloppenborg, Reception, 117–121, an. Vgl. dazu J. S. Kloppenborg Verbin, Excavating Q. The History and Setting of the Sayings Gospel, Minneapolis 2000; ders., The Formation of Q. Trajectories in Ancient Wisdom Collections, Philadelphia 1987. Dass diese Sicht gegenwärtig nicht alternativlos ist, zeigt etwa F. Watson, Gospel Writing. A Canonical Perspective, Grand Rapids/Cambridge 2013, der von einer Bearbeitung des Matthäusevangeliums durch Lukas ausgeht und damit auf die klassische Q-Hypothese ganz verzichten kann.

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den ist, sich bittend an Gott zu wenden. Diese Zusammenstellung (aQte¸ty […] doh¶setai + Thema Gebet) sei für Q (= Lk 11,9–13) erst auf einer späteren Redaktionsstufe anzusetzen, wo der ansonsten weit verbreite Aphorismus „bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr finden“ usw.24 schon mit der Vaterunser-Überlieferung verbunden worden sei.25 Von daher sei anzunehmen, dass Jak 1,5 von dieser Entwicklungsstufe der Q-Überlieferung (wenn auch nicht notwendigerweise von der ,Endgestalt‘ von Q) abhängig sei. Jak habe dann den Aphorismus Jesu in Kombination mit der Gebetsparänese aus Q 11,9 f noch eigenständig paraphrasiert und mit einer Reflexion zur Eigenart Gottes (V.5b) und einem Argument zur inneren Disposition des Bittenden (V.6–8) erweitert. Ein zweites Mal habe Jak dieselbe Q-Überlieferung in 4,2 f aufgenommen, dort aber kritisch auf das mangelhafte Bitten der Briefadressaten bezogen.26 Allerdings sollte nicht übersehen werden, dass in Jak 1,5–8 und 4,2 f keineswegs vom „Beten“ die Rede ist (Wortfeld pqoseuw- etc.), sondern vom „Bitten zu Gott“ bzw. vom „Bitten im Glauben“ und vom „Bitten in rechter Weise“ (Wortfeld aQte-).27 Dies entspricht einem Hauptgedanken des Briefeingangs im Jak und seiner Entfaltung im Hauptteil und muss keineswegs aus der Jesus-Überlieferung hergeleitet werden, erst recht nicht zwingend aus ihrer Redaktionsgestalt in der Logien-Überlieferung.28 Dass der Autor das Wortfeld „Beten“ etc. sehr wohl kennt und auch in großer Dichte gebrauchen kann, zeigt dagegen der Schlussabschnitt des Briefes 5,13–20, wo wiederum das Thema Bitten und Empfangen nicht mehr im Blick ist. Dort geht es vielmehr um das fürbittende Gebet in der Gemeinde für Sünder. Die phonetische 24 Vgl. abgesehen von der Q-Überlieferung (Lk 11,9–13 par. Mt 7,7–11) noch Joh 14,13 f; 15,7.16; 16,23 f.26; EvThom 92.94; POxy IV 654,6–9; DialErl NHC III,5, p. 126, 9 f; p. 129, 20; EvHebr 1a.b. Die Häufigkeit der Parallelen täuscht ein wenig, wenn man berücksichtigt, dass nur Jak 1,5, die Stellen bei Johannes und die Q-Parallele den Gegensatz von Bitten und Empfangen enthalten, während alle übrigen Belege zum Wortfeld „suchen – finden“ gehören. Gar nicht in Betracht gezogen wird von Kloppenborg Mk 11,23 f par. Mt 21,20–22. 25 Kloppenborg, Reception, 131 (mit Verweis auf R.A. Piper, Matthew 7,7–11 par. Lk 11,9–13. Evidence of Design and Argument in the Collection of Jesus‘ Sayings, in: J. Delobel [Hg.], Logia. Les Paroles de J8sus – The Sayings of Jesus. M8morial J. Coppens, BEThL 59, Leuven 1982, 411–418, 412). 26 Kloppenborg, Reception, 132 f. 27 J. Schröter, Jesus Tradition in Matthew, James, and the Didache. Searching for Characteristic Emphases, in: H. van de Sandt/J.K. Zangenberg (Hg.), Matthew, James, and Didache. Three Related Documents in their Jewish and Christian Settings, Atlanta 2008, 233–255, untersucht die synoptischen Parallelen zu Jak 1,5 im Zusammenhang mit dem Gedanken der Vollkommenheit bei Jak, im Matthäusevangelium und in der Didache und kommt zu dem Schluss (aaO., 244): „James relies on an early tradition that the Synoptic Gospels transmit as a saying of Jesus in different variants […] For James it is characteristic, then, that he integrates the different traditions in his own concept of testing, perfection, and wisdom.” 28 Berücksichtigt man auch Mk 11,23 f par. Mt 21,20–22, wo immerhin pqose¼weshai, aQte?m, diajq¸meshai und kalb²meim nebeneinander stehen, dann erhöht sich noch die Variationsbreite von für den Vergleich mit Jak in Frage kommenden Jesus-Worten, vermindert sich freilich zugleich auch die Wahrscheinlichkeit traditionsgeschichtlicher Herleitungen.

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Nähe von Beten und Bitten im Deutschen ist im Griechischen nicht gegeben und darf nicht einfach auf die semantische Eben übertragen werden.29 Nach dem gleichen Argumentationsmuster wie zu 1,5 interpretiert Kloppenborg auch Jak 2,5: Hier verweise die Verbindung des biblisch-jüdisch konventionellen Gedankens von der Erwählung der Armen durch Gott mit der für Jak sonst untypischen Redeweise von der basike¸a auf einen Link zur Jesus-Überlieferung, näherhin zur ersten Seligpreisung nach Q (= Lk 6,20).30 In einem argumentativen Zusammenhang, der sich gegen parteiisches Verhalten in der Gemeinde wendet (2,1–4) und auf die Treue zur Tora ausgerichtet ist (2,8–11), habe Jak die in der Q-Fassung noch epideiktisch formulierte Seligpreisung der Armen in eine deliberative Aussage umgewandelt.31 Anders als in der ebenfalls deliberativ ausgestalteten Matthäus-Fassung der Seligpreisung (laj²qioi oR ptywo· t` pme¼lati […]) seien bei Jak aber (wie bei Lk) die ,tatsächlich Armen‘ im Blick, wie sich aus dem Kontext und vor allem der Polemik gegen die Adressaten in 2,6a ergibt. Im Textzusammenhang von Jak 2,1–13 findet Kloppenborg weitere Anklänge an den Q-Kontext der ersten Seligpreisung,32 was ihn zu dem Ergebnis führt: „James reveals dependence on both individual Q sayings […] and the ways that the Sayings Gospel framed and deployed those sayings, a sure indication that James is not merely dependent on the oral tradition from which Q also was compiled“.33 Allerdings wird man auch hier unter Berücksichtigung der von Kloppenborg selbst angeführten sehr zahlreichen Parallelen zum Thema Gottes Zuwendung zu den Armen34 vorsichtiger urteilen können. Das ansonsten bei Jak fast völlig fehlende Motiv der Königsherrschaft könnte jedenfalls auch erst vom Autor selbst zur Veranschaulichung seines Gedankens eingebracht worden sein, etwa im Sinne des Motivs: Bei Gott werden die Armen zu Königen. Außer in 2,5 kommt ja der Wortstamm basik- nur noch in 2,8 in dem Ausdruck mºlor basikijºr vor (als Einleitung zu einem Zitat des Liebesgebotes aus Lev 19,18), einer Wendung, die Jak sicher nicht aus der JesusÜberlieferung übernommen hat. Das von Kloppenborg als erstes angeführte Fallbeispiel,35 nach welchem Jak 29 Die ansonsten sehr gründliche Untersuchung zum Thema von A. Wypadlo, Viel vermag das inständige Gebet eines Gerechten (Jak 5,16). Die Weisung zum Gebet im Jakobusbrief, fzb 110, Würzburg 2006, thematisiert leider diese wichtige semantische Differenz zwischen Jak 1,5–8 und 5,13–18 zu wenig. 30 Kloppenborg, Reception, 134–141; aaO., 136: „In fact it is only in the Jesus tradition and James 2,5 that we find ,kingdom‘ and ptywo¸ together.“ 31 Kloppenborg, Reception, 136–139, in Aufnahme der ausführlichen rhetorischen Analyse des Abschnitts Jak 2,1–13 bei Wachob, Voice, 59–113. 32 Vgl. Jak 2,6 mit Lk 6,29; 12,58 f sowie Jak 2,7 mit Lk 6,22. 33 Kloppenborg, Reception, 141. 34 Kloppenborg, Reception, 136. 35 Kloppenborg, Reception, 122–129. Zu den Makarismen bei Jak vgl. K.-W. Niebuhr, Die Seligpreisungen in der Bergpredigt nach Matthäus und im Brief des Jakobus. Zugänge zum Menschenbild Jesu?, in: P. Lampe/M. Mayordomo/M. Sato (Hg.), Neutestamentliche Exegese im

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in 1,2 die Seligpreisung aus Lk 6,22 f rezipiert habe, ist nur unter Einbeziehung von 1,12 nachvollziehbar. Jak habe demnach die Q-Seligpreisung zweimal verwendet, zunächst in 1,2 im Motiv von der Freude in Bedrängnissen, dann noch einmal in einem eschatologisch ausgerichteten Makarismus in 1,12. In seinem neueren Aufsatz verweist Kloppenborg in Weiterführung seiner Argumentation zusätzlich noch auf Jak 5,10 f, wo „James is echoing an argument that is due to the redaction of Q“.36 Nur dort sei nämlich die Seligpreisung der Verfolgten mit dem Geschick der Propheten verbunden. Auch dieser Interpretation wird man nur folgen, wenn man schon von der Voraussetzung ausgeht, dass Jak Zugang zur Jesus-Überlieferung hatte und sie nach dem Prinzip der aemulatio kreativ bearbeitet hat. Zweifellos führen die Hinweise auf einen freien und zugleich traditionsgebundenen Umgang mit vorgegebenen Texten und Überlieferungen in frühjüdischen und hellenistisch-römischen Bildungskontexten die mittlerweile festgefahrene Debatte um die Jesus-Überlieferung bei Jak weiter. Insbesondere wird durch die Untersuchungen von Bauckham und Kloppenborg klar, dass die Frage nach der Abhängigkeit des Jak von der Jesus-Überlieferung nicht allein mit Hilfe von Vergleichen des Wortlautes einzelner Sprüche beantwortet werden kann. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass Jak ebenso wie die Jesus-Überlieferung in ein verwandtes religiöses Milieu biblisch-jüdischer Weisheitstraditionen gehörte, dem sich offenkundig zahlreiche bei beiden begegnende Motive, Sprüche und Argumentationen verdanken. In diesem Sinne sind sie zweifellos miteinander verwandt, ohne dass sich literarische oder auch nur traditionsgeschichtliche Abhängigkeiten zwischen ihnen sicher nachweisen lassen. Dieses weisheitliche Milieu zeichnete sich nicht in erster Linie durch Bewahrung von Texten in ihrem ,ursprünglichen‘ Wortlaut aus, sondern eher durch die kreative Rezeption und Transformation geistiger Überlieferungen. Dabei soll aber im Blick auf die noch zu besprechende Frage nach der Sprachkompetenz des Autors von Jak schon hier hervorgehoben werden, dass alle bei Bauckham und Kloppenborg angeführten Einzelbeispiele nur auf der griechischen Überlieferungsebene einschlägig sind. Wenn von dort her Rückschlüsse auf Beziehungen zwischen Jak und der Jesus-Überlieferung gezogen werden, kann es also nur um die griechischsprachige nachösterliche Jesus-Bewegung gehen, nicht um das biographische Verhältnis zwischen Jakobus und seinem Bruder in der Zeit seines vorösterlichen Wirkens. Weniger überzeugend erscheint mir Kloppenborgs Argumentation zur Abhängigkeit des Jak von der Redaktion des betreffenden Spruchgutes in der Q-Überlieferung. Sie beruht zum einen auf den Prämissen seiner redaktionsgeschichtlichen Analysen zu Q. Dabei wird der Traditionsstoff der LogiDialog. Hermeneutik – Wirkungsgeschichte – Matthäusevangelium. FS Luz, Neukirchen-Vluyn 2008, 275–296. 36 Kloppenborg, Emulation, 123.

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enüberlieferung im Grunde wie eine schriftliche Quelle behandelt, deren Entstehungsgeschichte durch Trennung unterschiedlicher literarischer Schichten voneinander erhellt werden soll. Wer „Q“ dagegen eher als Traditionsschicht in mehr oder weniger schriftlich fixierter Textgestalt ansieht,37 wird bei der Identifikation von Abhängigkeiten in der einen oder anderen Richtung vorsichtiger urteilen, zumal wenn er Jak in einem ähnlichen geistigen Milieu verortet wie die Tradenten der Q-Überlieferung. Zum andern setzen Kloppenborgs Textanalysen voraus, dass der rezipierende Autor das rezipierte Spruchgut nicht bloß frei und kreativ umformuliert und seiner eigenen Aussageabsicht angepasst, sondern darüber hinaus auch noch mehrfach in unterschiedlicher Weise in seiner eigenen Argumentation verwendet hat, und zwar zum Teil im Rahmen größerer Textabschnitte oder gar an weit voneinander entfernten Stellen des Briefes. Natürlich ist es vorstellbar, dass ein kreativer Denker sich in dieser Weise zu eigenen, weiterführenden Überlegungen anregen lässt, aber ob auf diesem Wege Abhängigkeiten von vorgegebenen Texten nachgewiesen oder auch nur untermauert werden können, bleibt doch fraglich. Aber auch die These von Bauckham, nach dem Anklänge an die JesusÜberlieferung in Jak sich von daher erklären, dass der Autor (den Bauckham mit dem Bruder Jesu identifiziert38) als jüdischer Weisheitslehrer treuer Schüler seines Meisters Jesus gewesen sei und die von diesem übernommen Lehren dann in eigener Sprache ausgestaltet und weitergeführt habe, unterliegt meines Erachtens starken Bedenken. Zum einen wird dabei nicht in Betracht gezogen, dass Jesus seine ,Lehre‘ doch wohl in aramäischer Sprache vermittelt hat,39 während sprachliche Anklänge an die Jesus-Überlieferung in Jak sich gerade auf der griechischen Sprachebene zeigen (und nichts auf eine aramäische Urfassung des Jakobusbriefes hindeutet). Zum andern (und noch wichtiger) gibt sich der Autor des Jak gerade nicht als ,Schüler‘ Jesu zu erkennen, sondern als „Sklave Gottes und des Herrn Jesus Christus“, beschreibt also das Verhältnis zwischen beiden aus österlicher Perspektive.40 Dass Jakobus sich jemals als Schüler Jesu (des vorösterlichen) verstanden hat oder auch nur von anderen im frühen Christentum als ein solcher angesehen 37 Zur gegenwärtig durchaus vielstimmigen Debatte um „Q“ vgl. die Publikation der Beiträge zum Colloquium Biblicum Lovaniense 2000 von A. Lindemann (Hg.), The Sayings Source Q and the Historical Jesus, BEThL 158, Leuven 2001, insbesondere die instruktive Einführung dazu von Lindemann, Die Logienquelle Q. Fragen an eine gut begründete Hypothese, aaO., 3–26, sowie einige „Q“ gewidmete Beiträge in dem Sammelband: P. Foster/A. Gregory/J.S. Kloppenborg/J. Verheyden (Hg.), New Studies in the Synoptic Problem. Oxford Conference, April 2008. FS C. M. Tuckett, BEThL 239, Leuven 2011, 551–654. 38 Bauckham, James, 11–28. 39 Ganz anders urteilt dazu jetzt H.T. Ong, The Multilingual Jesus and the Sociolinguistic World of the New Testament, Linguistic Biblical Studies 12, Leiden u. a. 2016, der von einem starken Anteil an Lehre auf Griechisch bei Jesus ausgeht. Vgl. dazu die kritische Rezension von B. Viviano, in: ThLZ 141, 2016, 1362–1364. 40 S. dazu o. S. 309–311.

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wurde, ist angesichts der in die entgegengesetzte Richtung weisenden Hinweise in der synoptischen Überlieferung eher unwahrscheinlich.41 Auch unter Berücksichtigung der Thesen von Bauckham und Kloppenborg bleiben also für die Beurteilung des Verhältnisses zwischen einzelnen Briefaussagen bei Jak und verwandten Worten in der synoptischen Jesus-Überlieferung zwei allgemein anerkannte Gesichtspunkte entscheidend: (1) An keiner Stelle finden sich Übereinstimmungen zwischen Jak und Sprüchen der Jesus-Überlieferung in Satzstruktur und Wortlaut für ganze Sätze/Sprüche.42 (2) An keiner Stelle findet sich in Jak bei sprachlichen oder sachlichen Anklängen an aus der Jesus-Überlieferung bekannte Sprüche eine ausdrückliche Bezugnahme auf Jesus. Der zweite Gesichtspunkt ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil der Autor bei der Rezeption von Texten oder Motiven aus den Schriften Israels seine Quellen durchaus angeben kann. Mehrfach verweist er explizit auf „die Schrift“43 oder erwähnt namentlich biblische Gestalten.44 Es ist auch keineswegs so, dass nach den Konventionen der frühjüdischen Weisheitstradition oder im Rahmen der hellenistisch-römischen Praxis der aemulatio solche ausdrücklichen Hinweise auf den oder die Urheber vorgegebener Texte von vornherein ausgeschlossen wären. Bei den rhetorischen Übungen der Progymnasmata dürfte Lehrern wie Schülern in der Regel klar gewesen sein, welcher Autor gerade nachgeahmt werden sollte.45 Genau das ist aber in allen Fällen, die bei Jak zur Diskussion stehen, nicht erkennbar der Fall, und in Anbetracht seines häufig explizit markierten Schriftgebrauchs liegt die Beweislast dafür, dass der Autor überhaupt auf die Jesus-Überlieferung Bezug nehmen wollte, bei denen, die eine solche Bezugnahme behaupten. Jak gibt jedenfalls nirgendwo Hinweise auf Jesus, wenn er Motive oder Sentenzen verwendet, die aus der traditionellen Weisheitsüberlieferung bekannt sind, auch nicht dort, wo die nächsten sachlichen und sprachlichen Parallelen zu seinen Aussagen sich in der Jesus-Überlieferung finden. Das gilt selbst für das Schwurverbot in Jak 5,12, den Satz des Briefes, der die auffälligsten Übereinstimmungen in Wortlaut und Satzstruktur mit einem synoptischen Spruch aufweist.46 Dabei handelt es sich bezeichnenderweise um ein Traditionsstück, das wohl nicht zur Q-Überlieferung gehörte. Auffällig verwandt mit der Parallele in Mt 5,33–37 sind das ansonsten nur selten belegbare absolute Schwurverbot, die Aufzählung der auszuschließenden Berufungsinstanzen bei Eiden und die positive Ermahnung zu wahrhaftiger Rede. Allerdings ist Jak 5,12 weder als Jesuswort formuliert noch als Antithese. 41 42 43 44 45 46

S. o. Anm. 9. Zur Ausnahme Jak 5,12 s.u. Jak 2,8.23; 4,5. Abraham, Rahab, Hiob, Elija und die Propheten. So auch Kloppenborg, Reception, 121 f. Vgl. dazu K.-W. Niebuhr, Die Antithesen des Matthäus. Jesus als Toralehrer und die frühjüdische weisheitlich geprägte Torarezeption, in: C. Kähler/M. Böhm/C. Böttrich (Hg.), Gedenkt an das Wort. FS W. Vogler, Leipzig 1999, 175–200, 189–192.

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Der Wiedererkennungswert bei den Adressaten von solchen Aussagen als Jesus-Worten kann also, anders als bei den Schriftzitaten und wohl auch bei den Argumentationen mit biblischen Gestalten, nicht im Sinne des Autors gelegen haben. Weder gibt er sich seinen Lesern als Schüler Jesu zu erkennen noch als Tradent von Jesus-Überlieferung, wohl aber als Kenner und Ausleger der Schriften Israels. Seine Leser sollen in ihm vielmehr einen autoritativen Lehrer erkennen (vgl. 3,1 f!), der sich in seiner Lehre ganz auf die Botschaft von „Gott und dem Herrn Jesus Christus“ stützt, die in der biblischen Überlieferung ihre theologische Basis hat und im Christusbekenntnis der Gemeinden ihren aktuellen Ausdruck findet. Zur Erklärung der sprachlichen und sachlichen Nähe zwischen Jak und der synoptischen Jesus-Überlieferung reicht meines Erachtens die Annahme eines gemeinsamen, biblisch-weisheitlich geprägten frühchristlichen Milieus aus, zu dem Jesus, die nachösterliche Jesus-Überlieferung und Jak gleichermaßen Zugang hatten. Die näheren Beziehungen zwischen einzelnen Textaussagen können allenfalls auf der griechischen Sprachebene noch näher beleuchtet werden. Dafür ist die von Kloppenborg herangezogene Praxis der aemulatio in den hellenistisch-römischen Progymnasmata durchaus hilfreich. Ob Jak auch Kenntnisse von spezifischen Lehren Jesu hatte, ob ihm solche Kenntnisse als Lehren Jesu bewusst waren, ob sie von den Lesern seines Briefes als solche erkannt werden konnten oder sollten, all das war offenbar für ihn derart sekundär, dass er in seinem Text keinerlei Indizien zur Beantwortung dieser die moderne Exegese so intensiv beschäftigenden Fragen hinterlassen hat.47 Für die Einleitungsfragen zum Jakobusbrief ergibt sich daraus: Der Autor gibt sich nicht als Schüler Jesu zu erkennen, sondern als eigenständiger, autoritativer Lehrer (vgl. 3,1). Er schreibt aus der Perspektive des Osterglaubens und sieht sich als Bote und Diener des auferstandenen Christus. Seinen Adressaten will er Weisungen vermitteln, die er der biblisch-jüdischen Überlieferung entnimmt, insbesondere der paränetisch akzentuierten Toratradition48 und der frühjüdischen weisheitlichen Überlieferung, und die er entsprechend seinen eigenen Aussagabsichten ausgestaltet. Nicht nur in der Sprache, in der er seinen Adressaten in der Diaspora solche Weisungen vermittelt, sondern auch in den Formen und Konventionen ihrer Ausgestaltung zeigt er sich vertraut mit den geistigen Traditionen und Kompetenzen hellenistisch-römischer Bildung und ihrer Vermittlung. Jüdische und hellenistisch-römische Bildung sind für ihn kein Gegensatz; möglicherweise erschien ihm beides sogar kaum voneinander abhebbar. Die sprachliche und kulturelle Nähe zum frühjüdisch-hellenistischen, ,weisheitlich‘ geprägten Milieu, die 47 Vgl. auch Schröter, Jesus Tradition, 253: „James picks up different traditions that in several instances have analogies in the Synoptic Gospels. But there is no hint at all that James knew that these traditions were related to Jesus, nor does the author ascribe them to the authority of ,the Lord‘.“ 48 Vgl. dazu K.-W. Niebuhr, Art.: Nomos. B. Jüdisch, C. Neues Testament, in: RAC 25, 2013, 1006–1061, 1058 f.

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sich in Jak zeigt, lässt sich auch für diejenigen Kreise in Anschlag bringen, die für die nachösterliche Jesus-Überlieferung in griechischer Sprache verantwortlich waren. Das wird durch die inhaltlichen Gemeinsamkeiten im Spruchgut beider unterstrichen. Datierungskriterien für den Jakobusbrief lassen sich aus solchen Bezügen zur Jesus-Überlieferung aber nicht ableiten. Weder kann literarische oder traditionsgeschichtliche Abhängigkeit von bestimmten Schichten der Jesusüberlieferung nachgewiesen werden noch eine spezifische Nähe zum vorösterlichen Jesus.

3. Das Jakobus-Bild im Jakobusbrief Jakobus stellt sich im Jak seinen Adressaten nicht als „Jesus-Bruder“ vor, sondern allenfalls als „Christus-Bruder“ bzw. genauer als Sklave seines Herrn Jesus Christus. Darin ist impliziert, dass er aus der Perspektive des Glaubens der nachösterlichen Gemeinden an den von den Toten auferweckten Jesus schreibt. Sein Name, die Bezeichnung seiner Adressaten als „die zwölf Stämme in der Zerstreuung“ und die Konvention des frühjüdischen Diasporabriefes geben zu erkennen, dass der implizite Autor aus Jerusalem in der Zeit zwischen etwa dem Jahr 30 und dem Todesjahr des Jakobus 62 n. Chr. schreibt. Darüber hinaus enthält der Brief keinerlei weitere biographische Anhaltspunkte, die das Bild des Verfassers näher beleuchten könnten, mit einer Ausnahme: In 3,1 f ermahnt Jak die Adressaten, nicht danach zu streben, Lehrer zu werden, und bezieht sich selbst dabei in der Wir-Form in die Gruppe der Lehrer mit ein:49 „Nicht so viele von euch sollten Lehrer werden, meine Brüder (und Schwestern), weil wir ja wissen, dass wir ein umso schärferes Urteil empfangen werden, denn in vielem straucheln wir allesamt. Wer beim Reden nicht strauchelt, ist ein vollkommener Mensch, dazu in der Lage, auch den ganzen Leib im Zaum zu halten.“50 Wenn man beachtet, wie sparsam und gezielt Jak sonst im Brief mit der Wir-Rede umgeht, dann muss diese Selbstaussage ernst genommen werden. Nur in zehn Versen überhaupt (an acht Stellen) kommt die 1. Person Plural im Brief vor.51 Vier der Belege beziehen sich auf das theologisch-christologische Grundbekenntnis, das Autor und Adressaten miteinander verbindet und in dem sie ihre Identität verankern (1,18; 2,1; 3,9; 4,5), ein weiterer auf beide als Nachkommen Abrahams (2,21). Zweimal verwendet Jak die Wir-Form zur Kennzeichnung von Glaubenser49 So auch Metzner, Lehrer, 259. Vgl. zum Folgenden A. F. Zimmermann, Die urchristlichen Lehrer. Studien zum Tradentenkreis der did²sjakoi im frühen Urchristentum, WUNT II/12, Tübingen 2 1988, 194–208. 50 Zu den Übersetzungsproblemen bei V.1 vgl. Zimmerman, Lehrer, 199–201, mit dem Ergebnis: „Jak 3,1 bezweckt also, ,Kandidaten‘ für das Lehramt von diesem abzuhalten“ (aaO., 201). 51 Abgesehen von 4,13–15, wo die wörtliche Rede der angesprochenen überregionalen Händler wiedergegeben wird.

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fahrungen bzw. religiösen Überzeugungen, die ihm und seinen Adressaten gemeinsam sind (5,11.17), nur einmal im Sinne eines unpersönlichen, rhetorischen „wir“ = „man“ (3,3).52 Es sind also jeweils sehr gezielte, für die Leser ins Auge fallende Formulierungen, die der Autor einsetzt, um etwas über sich und sein Verhältnis zu den Adressaten auszusagen. In aller Vorsicht kann dieses Indiz meines Erachtens auch biographisch ausgewertet werden: Jakobus rechnet sich offenbar zur Gruppe der Lehrer, die in den Gemeinden der Christusverehrer besondere Verantwortung tragen. Als Lehrer der Gemeinde von Jerusalem kann er den Lehrern in den Gemeinden der Diaspora mit besonderem Autoritätsanspruch gegenübertreten, ein Anspruch, den er freilich sofort mit Verweis auf die besondere Verantwortung und Fehlbarkeit aller Gemeindelehrer relativiert. Diese Selbstrelativierung passt bestens zu seiner Selbstvorstellung im Briefpräskript und entspricht den übrigen Wir-Aussagen, die das gemeinsame Glaubensfundament zwischen ihm und seinen Adressaten artikulieren. Das hindert den Autor freilich nicht daran, seinen Lesern auch mit Weisung, Kritik und Polemik entgegenzutreten (hier haben die sehr viel zahlreicheren Briefpassagen in der Anredeform der 2. Person Plural ihren Ort) oder wie ein kluger, auch philosophisch gebildeter Weisheitslehrer an allgemein zugängliche Einsichten zu appellieren (wofür die Ausführungen in der 3. Person Singular oder Plural, gelegentlich auch in der 2. Person Singular, stehen). Darüber hinaus lässt der Brief erkennen, dass zu den Grundlagen solcher ,christlichen Lehre‘ die Schriften Israels gehörten, aus denen die Lehrer kreativ und anwendungsorientiert schöpfen können. Ebenso eindrücklich ist das Niveau der griechischen Sprachkompetenz und des Umgangs mit hellenistisch-römischen Bildungsgütern, auf dem sich Autor und Adressaten treffen. Das Jakobus-Bild, das sich aus dem Jakobusbrief erschließt, kann somit nicht auf eine einzige Rolle oder gar ein ,Amt‘ reduziert werden, zumal zur Konkretion des Bildes eines Jerusalemer Gemeindelehrers in der Mitte des 1.Jh. kaum weitere Quellen zur Verfügung stehen.53 Es ist aber ein durchaus konturiertes Bild, das sich gut mit dem Jakobus-Bild vergleichen lässt, welches die anderen neutestamentlichen Schriften und die außerbiblische frühchristliche Literatur zeichnen.

52 Hier in argumentativer Fortführung der Warnung von 3,1 f. Vgl. zur Argumentation in 3,1–18 ausführlich S. Luther, Sprachethik im Neuen Testament. Eine Analyse des frühchristlichen Diskurses im Matthäusevangelium, im Jakobusbrief und im 1. Petrusbrief, WUNT II/394, Tübingen 2015, 145–170. 53 Vgl. Zimmermann, Lehrer, 70–75.81–83, der die wenigen Belege für religiöse oder philosophische Lehrer aus der frühjüdischen und neutestamentlichen Literatur zusammenträgt und darüber hinaus vor allem auf Josephus und Jerusalemer Ossuarien zu pharisäischen Lehrern hinweist.

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4. Die Jakobus-Überlieferung und der Jakobusbrief Ein solcher Vergleich ergibt ein auf den ersten Blick recht merkwürdiges Bild: So gut wie keines der charakteristischen Merkmale des Jakobus-Bildes der frühchristlichen Überlieferung findet sich in Jak wieder. Das gilt zum einen für die biographischen Züge, die sich aus den spärlichen Belegen in der synoptischen Überlieferung erschließen lassen. Dass Jakobus Davidide war, lässt sich z. B. aus Jak ebenso wenig ablesen wie seine Prägung durch eine galiläische Lebensphase. Sein Verhältnis zu seiner Mutter und den übrigen Geschwistern wird nirgendwo in Jak auch nur angedeutet, und seine Beziehung zu seinem Bruder Jesus wird, wie gesehen, ausschließlich aus österlicher Perspektive beleuchtet. Auch die kritische Haltung, die seine Familie offenbar gegenüber Jesus während dessen galiläischer Wirksamkeit einnahm, wird in Jak weder begründet noch problematisiert oder korrigiert. Lediglich zum Jakobus-Bild bei Paulus und in der Apostelgeschichte lassen sich einige wenige positive Bezüge herstellen, allerdings keinerlei Indizien für irgendwelche Konflikte zwischen beiden, sofern man nicht Jak 2,14–26 vom Galater- und Römerbrief her liest.54 So ergibt sich aus 1Kor 15,7, dass Jakobus zu den ersten Osterzeugen, und aus Gal 1,19, dass er schon seit Mitte der dreißiger Jahre zu den Führungsfiguren der Jerusalemer Urgemeinde gehörte. Dieses Bild wird durch seine Rolle auf dem so genannten Apostelkonzil55 und beim Antiochenischen Zwischenfall56 bestätigt und erfährt durch seine Erwähnung im Zusammenhang mit dem letzten Jerusalem-Aufenthalt des Paulus eine gewisse Abrundung.57 Demnach gehörte Jakobus, soweit erkennbar, von Anfang an zur Führungsgruppe der Jerusalemer Urgemeinde und dürfte, nachdem der Zebedaide Jakobus getötet worden war und Petrus die Stadt verlassen hatte,58 in Jerusalem die alleinige Führung übernommen

54 Vgl. dazu Niebuhr, „A New Perspective on James“, 1019–1021; ders., Gerechtigkeit und Rechtfertigung bei Matthäus und Jakobus. Eine Herausforderung für gegenwärtige lutherische Hermeneutik in globalen Kontexten, in: ThLZ 140, 2015, 1329–1348, 1343–1346. Zur Frage der Abhängigkeit des Jak von Paulus bzw. der paulinischen Tradition vgl. zuletzt sehr differenziert Konradt, „Jakobus, der Gerechte“, 587–590. 55 Gal 2,9; vgl. Apg 15,13–21. An beiden Stellen wird die Einigkeit (joimym¸a, Gal 2,9) zwischen Paulus und Barnabas auf der einen, Jakobus, Kefas und Johannes auf der anderen Seite unterstrichen. 56 Gal 2,12. Allerdings wird hier lediglich die Berufung „einiger“ auf Jakobus belegt (ob zu Recht oder zu Unrecht), der sich somit eindeutig nicht in Antiochia befindet, sondern vom Kontext her zu urteilen wohl weiterhin in Jerusalem. 57 Vgl. Apg 21,18–26. 58 Apg 12,2; Gal 2,11–14; 1Kor 9,5; der Zebedaide Johannes (Gal 2,9) verschwindet schlicht von der Jerusalemer Bildfläche. Angesichts des klaren Zeugnisses aller übrigen Belege für seine Ortsfestigkeit in Jerusalem kann aus 1Kor 9,5 allerdings nicht geschlossen werden, dass Jakobus wie „die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn“ als verheirateter Reiseapostel unterwegs war.

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haben.59 Nicht vergessen werden sollte allerdings, dass Jakobus in der Apostelgeschichte auch als Briefschreiber begegnet.60 Noch auffälliger wird der Vergleich, wenn man die zahlreichen außerbiblischen Traditionen über Jakobus, den Herrenbruder, einbezieht.61 Für unsere Zwecke reicht an dieser Stelle ein kurzer Überblick über die wichtigsten Merkmale dieses Jakobus-Bildes, ohne dass ich auf die zum Teil komplizierten überlieferungsgeschichtlichen Fragen näher eingehen muss. Demnach zeichnete sich der Herrenbruder als Führer der Jerusalemer Gemeinde vor allem durch herausragende Toratreue bis hin zur Askese, seine betonte Nähe zum Tempel sowie seine unerschütterliche Predigt von Jesus als dem im Himmel zur Rechten Gottes thronenden und auf den Wolken wiederkommenden Menschensohn aus, eine Lebenshaltung und eine Verkündigung, die in seinem Martyrium62 vor den Mauern des Tempels, wo er auch begraben wurde, ihren krönenden Abschluss fand.63 In dem Prädikat „der Gerechte“, das Jakobus nach Hegesipp selbst von seinen Gegnern64 zugebilligt worden war und das auch durch das Thomas-Evangelium und weitere Texte aus Nag Hammadi bezeugt wird,65 fand diese Überzeugung ebenso prägnanten Ausdruck wie in dem Namen Oblias, der wohl auf die biblische Vorstellung vom Gottesknecht verweisen soll, sowie in seiner Darstellung als exemplarischer Fürbitter für sein Volk.66 Das Motiv des Jakobus als Beter für sein Volk in 59 Vgl. dazu M. Hengel, Jakobus der Herrenbruder – der erste „Papst“?, in: E. Gräßer/O. Merk Gaube und Eschatologie. FS W. G. Kümmel, Tübingen 1985, 71–104 (= in: ders., Paulus und Jakobus. Kleine Schriften III, WUNT 141, Tübingen 2002, 549–582). Zur Rolle des ,historischen‘ Jakobus in den frühesten Gemeinden von Jesus-Anhängern vgl. auch M. Konradt, Der Jakobusbrief als Brief des Jakobus. Erwägungen zum historischen Kontext des Jakobusbriefes im Lichte der traditionsgeschichtlichen Beziehungen zum 1. Petrusbrief und zum Hintergrund der Autorfiktion, in: von Gemünden/Konradt/Theißen (Hg.), Jakobusbrief, 16–53, 30–42. 60 Vgl. Apg 15,23–29; 21,25. 61 Eine geeignete Ausgangsbasis dafür bildet die Untersuchung von W. Pratscher, Der Herrenbruder Jakobus und die Jakobustradition, FRLANT 139, Göttingen 1987. Ausführlich diskutiert dieselben Belege auch Metzner, Lehrer, 245–258. Vgl. außerdem Hengel, Papst; J. Painter, Just James. The Brother of Jesus in History and Tradition, Minneapolis 1999, sowie R. Deines, Jakobus. Im Schatten des Größeren, Biblische Gestalten 30, Leipzig 2017 (im Druck). 62 Das wird auch bei Josephus, Ant 20,197–203, für das Jahr 62 bezeugt. Der bei Josephus genannte Grund der Verurteilung wegen „Gesetzesübertretung“ (¢r paqamolgs²mtym jatgcoq¸am) dürfte eher auf die religiösen Überzeugungen des „Bruders Jesu, des sogenannten Christus“ hindeuten, also auf sein nachösterliches Christusbekenntnis, denn auf mangelnde Toratreue. 63 Das umfassendste Bild gibt Eusebius in seiner Kirchengeschichte nach dem Zeugnis des Hegesipp wieder, vgl. h.e. 2,23,4–19. Die Tempelnähe betont auch die deutlich sekundäre Variante der Martyriumserzählung in den antipaulinisch ausgerichteten Pseudoklementinen, vgl. dazu Pratscher, Herrenbruder, 121–150; Hengel, Papst, 76 f. 64 Nach Eus. h.e. 23,19 f habe sogar Josephus Jakobus dieses Prädikat zugewiesen. Allerdings fehlt das bei Euseb dafür angeführte Zitat (wohl nach Origenes, CommMt X 17) im überlieferten Text des Josephus. 65 EvThom 12. Das Prädikat „der Gerechte“ findet sich auch in den beiden Jakobus-Apokalypsen aus Nag Hammadi (NHC V,3, p.32; NHC V,4, p.44). 66 Näheres dazu bei Hengel, Papst, 77–81; Pratscher, Herrenbruder, 114–118.

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Jerusalem beim Tempel wird zum Bestandteil eines relativ weit verbreiteten Jakobus-Bildes im frühen Christentum, wie entsprechende Anspielungen in dem apokryphen Jakobusbrief (NHC I,2) und der ersten (NHC V,3) wie der zweiten Jakobus-Apokalypse (NHC V,4) aus Nag Hammadi belegen.67 Hinzu tritt in diesen Texten die Betonung besonderer Offenbarungen, die Jakobus exklusiv (zum Teil gemeinsam mit Petrus) unmittelbar vom Herrn empfangen hat. Hier kann Jakobus sogar – entgegen dem klaren Zeugnis der Evangelien – zu den Jüngern Jesu gerechnet werden,68 und auch seine näheren Familienverhältnisse werden dabei gelegentlich – wenn auch widersprüchlich – genauer beleuchtet.69 Nach dem Zeugnis des Clemens Alexandrinus ist Jakobus darüber hinaus schon von Petrus und den Zebedaiden zum Bischof von Jerusalem gewählt worden.70 Auch nach der Epistula Petri in den Pseudoklementinen unterstellte sich Petrus dem Episkopat des Jakobus in Jerusalem.71 Wir finden also im frühen Christentum ein sehr reichhaltiges Jakobus-Bild mit zahlreichen Einzelzügen und klaren Schwerpunktsetzungen vor. Aber so gut wie nichts davon (abgesehen von der Bindung an Jerusalem) hat irgendwelche Berührungen mit dem Jakobus-Bild, das sich aus dem Jakobusbrief ergeben hat. Vielmehr ist festzustellen, dass wesentliche Züge des frühchristlichen Jakobus-Bildes durchaus in Spannung zu dem stehen, was der Brief über seinen Autor erkennen lässt. Das betrifft vor allem das Label „der Gerechte“, das innerhalb der frühchristlichen Quellen am breitesten gestreut begegnet. Geradezu im Gegensatz dazu rechnet sich Jak zu denen, die sich bekanntermaßen besonders häufig verfehlen.72 Es ist daher schwer vorstellbar, dass der Jakobusbrief in denselben Kreisen pseudepigraph verfasst worden sei, in denen sein Bild als „der Gerechte“ hochgehalten wurde.73 Zwar fordert Jak die Adressaten zu einer Lebensweise und einer Haltung gegenüber Bedürftigen auf, die heute üblicherweise mit dem Begriff sozialer Gerechtigkeit bezeichnet wird, aber der griechische Wortstamm dij- wird dafür nicht ver67 Zwar wird in NHC V,3 Jakobus vom auferstandenen Christus aufgefordert, sich von Jerusalem zu trennen (p. 25), aber das ist im gnostischen Sinne als Hinweis auf sein bevorstehendes Martyrium als Entfernung aus dem „Wohnort der Archonten“ zu verstehen. NHC V,4 endet mit einem Sterbegebet des Jakobus zu Füßen der Zinne des Tempels, in dem er allerdings nicht für die Erlösung Israels, sondern allein um seine eigene aus der Fremde der Welt bittet (p. 62 f). 68 NHC I,2, p.1 f. 69 NHC V,3, p.24; NHC V,4, p. 44 f.50 f. 70 Bei Eus. h.e. 2,1,3 aus den Hypotyposen des Clemens. Weitere Belege für diese sich in der „Großkirche“ durchsetzende Sicht auf Jakobus bei Pratscher, Herrenbruder, 178–186. 71 Vgl. Hengel, Papst, 87; Pratscher, Herrenbruder, 126–129.138–145. 72 S. o. S. 320 f, zu 3,2: pokk± c±q pta¸olem ûpamter. Mit demselben Verbum pta¸eim bezeichnet Jak 2,10 die Übertretung von Geboten der Tora! 73 Gegen Konradt, „Jakobus, der Gerechte“, 592 f; ders., Jakobusbrief, 45 f. Auch Metzner, Lehrer, 245–258, arbeitet den großen Abstand zwischen Jak und dem frühchristlichen Jakobus-Bild heraus und stellt fest, „dass die im Brief verhandelten Stoffe keine klaren Verbindungen zu dem in der Kirche sich ausbildenden Jakobusbild erkennen lassen“ (aaO., 242; ähnlich in Zusammenfassung seiner Argumente, 258), kommt allerdings zu ganz anderen Schlussfolgerungen daraus in der Verfasserfrage (s. u., Anm. 78).

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wendet,74 und schon gar nicht charakterisiert der Autor damit sich selbst.75 Gehorsam gegenüber der Tora gehört sicherlich zu den ethischen Richtlinien, die Jak für maßgeblich hält und seinen Adressaten vermitteln will,76 aber im Brief charakterisiert sich der Autor keineswegs als Vorbild solcher Toratreue, sondern räumt vielmehr offen seine Fehlbarkeit ein. Weder persönliche Askese noch eine besondere Nähe zum Jerusalemer Tempel haben im JakobusBild des Briefes eine Basis. Zwar fordert der Autor die Adressaten zum Beten auf (5,13–20), aber er selbst tritt im Brief nicht als Beter hervor (anders als etwa Paulus in seinen Briefen!). Auch von einer ,bischöflichen‘ Stellung des Jakobus in Jerusalem oder gar in der überregionalen Kirche und von seiner Überordnung über andere Apostel ist im Brief nichts zu spüren. Umgekehrt spielt aber die einzige konkrete Selbstbezeichnung des Autors in Jak, „Lehrer“, im frühchristlichen Jakobus-Bild außerhalb des Briefes keine Rolle. Es zeigt sich also bei näherem Hinsehen, dass das Jakobus-Bild, das sich aus dem Jakobusbrief in Grundzügen erschließen lässt, dem Jakobus-Bild der frühchristlichen Jakobus-Überlieferung außerhalb des Briefes gerade nicht entspricht, ihm vielmehr in wesentlichen Zügen widerspricht, während andere wesentliche Züge des frühchristlichen Jakobus-Bildes in Jak fehlen. Wäre Jak in den Kreisen, in denen ausweislich der Quellen die frühchristliche Jakobustradition lebendig war, als Pseudepigraphon entworfen worden, müsste er anders aussehen!77 Dieser Befund muss meines Erachtens bei der Diskussion der Pseudepigraphie-These stärker als bisher gewichtet werden. Wenn sich die 74 Sondern nur für Gottes Gerechtigkeit (1,20), die auch Abraham und Rahab aufgrund ihres werktätigen Glaubens zugerechnet worden ist (2,21.23–25), sowie für den von den Reichen bedrängten, wehrlosen (5,6) und den kräftig betenden (5,16) Gerechten. Vgl. dazu K.-W. Niebuhr, Glaube im Stresstest. p¸stir im Jakobusbrief, in: J. Frey/B. Schliesser/N. Ueberschar (Hg.), Glaube. Das Verständnis des Glaubens im frühen Christentum und in seiner jüdischen und hellenistisch-römischen Umwelt, WUNT 373, Tübingen 2017, 473–501, 483–486. 75 Auch dies ist gegenüber der Argumentation von Konradt, „Jakobus, der Gerechte“, 593 f; vgl. ders., Jakobusbrief, 47–49, einzuwenden, nach dem die soziale Ausrichtung des Jak dem Jakobusbild derjenigen Kreise entsprochen habe, die für die Verfasserfiktion verantwortlich waren. Ein solcher sozialer Kontext mag vielleicht für den ,historischen‘ Jakobus zutreffen, aber nicht für das frühchristliche Jakobus-Bild, dem soziale Züge gänzlich fehlen. 76 Vgl. 1,22–25; 2,1–13. In Jak wird solche Toratreue, ähnlich wie im Matthäusevangelium, mit dem Wortfeld t´keior jtk. und der Vorstellung ethischer Vollkommenheit verbunden, was soweit ich sehe im frühchristlichen Jakobusbild völlig fehlt. Vgl. dazu P.J. Hartin, A Spirituality of Perfection. Faith in Action in the Letter of James, Collegeville 1999. 77 Ganz ohne Anhalt an den Quellen ist das Bild einer Autorfiktion, das Theißen, Intention des Jakobusbriefes, 58, freihändig zeichnet: „Der Brief polemisiert nicht gegen den Paulinismus. Er verteidigt sich (Ende des 1.Jh. n. Chr.) gegen das Bild, das die Konflikte der ersten Generation hinterlassen haben – also gegen das Bild eines ritualistischen, konfliktsüchtigen, engherzigen Judenchristentums, dem es an höherer theologischer Weisheit fehlt und das die Einheit der Kirche unnötig aufs Spiel setzt.“ Dieses Bild, das Theißen hier zeichnet, ist nicht nur frei von jeglichen Quellenbelegen, sondern offenkundig auch noch verzerrt durch eine Sicht auf das Judenchristentum (und verdeckt auf das Judentum!), die zur Hochzeit der Baurschen Deutung der Entstehung des Christentums in den Bahnen Hegelscher Geschichtsphilosophie in Blüte stand.

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,Autorfiktion‘ für Jak aus dem in den frühchristlichen Quellen belegten Bild des Herrenbruders nicht herleiten lässt, vielmehr in deutlicher Spannung zu ihm steht, dann unterliegt zumindest dieses Argument für die Annahme von Pseudepigraphie massiven Bedenken. Gerade die Frage, warum der Jak sekundär als Brief des Jakobus gestaltet worden sei, muss aber beantwortet werden, wenn man seine Authentizität bestreiten will.78

5. Konsequenzen für die Einleitungsfragen Die Argumente pro et contra Verfasserschaft des Herrenbruders Jakobus für den Jak sind oft ausgetauscht und immer wieder auch übersichtlich zusammengestellt worden.79 Die voranstehenden Ausführungen haben nur einen Teil davon aufgegriffen und können schon gar nicht in Anspruch nehmen, die Diskussion zu einem abschließenden Ergebnis zu führen. Auch eine eigene Hypothese zu den Abfassungsverhältnissen des Jakobusbriefes kann ich an dieser Stelle nicht entfalten und begründen. Lediglich im Zuge einer zusammenfassenden Auswertung der zuvor dargestellten Befunde will ich einige Andeutungen dazu machen. Von den gegen die Autorschaft des Herrenbruders angeführten Argumenten erscheint mir die Beurteilung der Sprachkompetenz des Verfassers als das gewichtigste.80 Kann ein Autor, der im 1.Jh. n. Chr. als Jude in Galiläa aufgewachsen und in einem Handwerkermilieu erwachsen geworden ist, ein derart gutes, kreatives, abwechslungsreiches und bisweilen eigenwilliges Griechisch schreiben? Es gibt aber immerhin eine Reihe von Argumenten, die eine eindeutige Antwort erschweren: die kulturelle Vielfalt und Mehrsprachigkeit in Galiläa, die zweite Lebensphase des Jakobus in Jerusalem, die Präsenz des Griechischen der Septuaginta und anderer frühjüdischer Schriften im Land Israel, die Existenz griechischsprachiger (,hellenistischer‘) jü78 In dieser Einsicht liegt der bedeutende Fortschritt der Arbeiten von Konradt (s. Anm. 5 und 59), auch wenn ich einen Teil seiner Argumente und deren Ergebnis aus den genannten Gründen nicht teilen kann. Demgegenüber kann die These von Metzner, Lehrer, 264–267, schwerlich überzeugen, nach welcher der Brief zwar kein Pseudepigraphon sei, aber ebenso wenig auf den Herrenbruder als Verfasser zurückgehe, sondern von einem ansonsten gänzlich unbekannten Lehrer Jakobus im frühen 2.Jh. verfasst worden sei. Dazu müsste man entweder voraussetzen, dass die Leser von dem Herrenbruder gar nichts wussten oder dass sie aus dem Brief selbst entnehmen konnten, dass der Verfasser nicht der Herrenbruder sei. Beides halte ich für undenkbar. Ein Lehrer, der Jakobus heißt und als „Sklave Gottes und des Herrn Jesus Christus“ einen Brief aus Jerusalem an „die zwölf Stämme in der Diaspora“ schreibt, muss von seinen Lesern geradezu zwangsläufig mit dem Herrenbruder verwechselt werden, sofern er sich nicht explizit gegen ein solches Missverständnis absichert. Das unterscheidet Jakobus von den in Apg 13,1 erwähnten, ansonsten unbekannten Lehrern. 79 S. o. Anm. 6. 80 So etwa auch Broer, Einleitung, 604; Metzner, Lehrer, 238 f.

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discher Gemeinschaften in Jerusalem, die Verbreitung hellenistisch-römischer literarischer und popularphilosophischer Traditionen auch im Land Israel, die Adressierung des Briefes an griechischsprachige Empfänger in der Diaspora. Demgegenüber weniger überzeugend erscheinen mir alle Argumente zu Abhängigkeiten literarischer oder traditionsgeschichtlicher Art, die angeblich eine Spätdatierung des Briefes nach dem Tod des Herrenbruders erfordern. Die literarischen Verbindungen zu den synoptischen Evangelien bleiben unklar und zwingen jedenfalls in keinem Fall zu einer Datierung nach deren Abfassung. Dasselbe gilt für traditionsgeschichtliche Beziehungen zur JesusÜberlieferung (einschließlich der Q-Überlieferung). Anstelle solcher Ableitungen führt meines Erachten der Verweis auf ein Jak, die Synoptiker, die nachösterliche Jesus-Überlieferung und Jesus selbst verbindendes gemeinsames Milieu frühjüdisch-weisheitlicher Traditionen unter Einbeziehung dort schon rezipierter hellenistisch-römischer Topoi, Motive und Sprachformen weiter. Als Datierungskriterien sind solche Verwandtschaften damit ebenso wenig geeignet wie zum Ausschluss der Abfassung des Jak durch den Herrenbruder. Die textinternen Angaben zum Verfasser in Jak sind zwar gering, aber umso wertvoller, wenn erklärt werden soll, warum der Brief (von wem auch immer) als Jakobusbrief verfasst, gelesen und überliefert worden ist. Sie stehen zunächst einmal nicht im Widerspruch zu den Informationen über den Herrenbruder in anderen neutestamentlichen Schriften, insbesondere bei Paulus. Wie bei Paulus so erscheint auch im Jak der Verfasser als Christuszeuge, dessen religiöse Position entscheidend durch den österlichen Jesus bestimmt ist. Demgegenüber spielt die biographische Verwandtschaft mit Jesus im Brief (wie für Paulus) keine Rolle. Wie nach Paulus so kann auch nach dem inneren Zeugnis des Jak der Abfassungsort nur Jerusalem sein, wo der Herrenbruder uneingeschränkte Autorität in Anspruch nehmen konnte. Dagegen lassen sich aus Jak weder irgendwelche Konflikte mit Paulus noch Indizien für Probleme bei der Einbeziehung von Nichtjuden in die Gemeinden der Christus-Verehrer herauslesen.81 Das wichtigste textinterne Indiz für eine genauere Identifikation des ,historischen‘ Verfassers (abgesehen vom Namen und dem mit ihm verbundenen Wissen um den Herrenbruder) ist seine Selbstbezeichnung als „Lehrer“. Zusammengenommen mit der Selbstcharakterisierung als „Sklave Gottes und des Herrn Jesus Christus“ im Präskript erschließt sie sich als Hinweis auf einen selbstbewussten, aber zugleich sich ganz der Autorität des auferstandenen Christus unterstellenden Gemeindelehrer aus Jerusalem. Dieses Jakobus-Bild, das sich aus den Nachrichten bei Paulus und den textinternen Indizien im Brief ableiten lässt, steht in deutlicher Spannung, teilweise im Widerspruch zu dem Jakobus-Bild der außerbiblischen frühchristlichen Jakobus-Überlieferung. Das bedeutet aber : Eine Abfassung des 81 Hineinlesen schon, wenn man Jak vom Galater- und Römerbrief her liest.

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Briefes ist überall dort, wo dieses Jakobus-Bild entwickelt und gepflegt wurde, denkbar unwahrscheinlich. Wäre Jak dort als pseudepigrapher Brief geschrieben worden, sähe er anders aus. Wo sonst aber sollte er entstanden sein, wenn doch die Anfänge dieses Jakobusbildes möglicherweise schon bei Josephus zu spüren und die weiteren Belege breit über das 2. und 3.Jh. gestreut sind? Und warum hat das so anders geartete Jakobus-Bild eines pseudepigraphen Jak in der Jakobus-Tradition keinerlei Spuren hinterlassen? Ist also die Annahme einer pseudepigraphen Abfassung des Jak wegen des andersartigen Jakobus-Bildes der frühchristlichen Jakobus-Tradition ebenso unwahrscheinlich wie seine Abfassung durch den Herrenbruder wegen seiner Sprachgestalt, so wird man weiter nach Hinweisen und Argumenten suchen müssen, die seine Entstehung wenigstens ansatzweise verständlich machen können. Meines Erachtens verdienen dafür folgende Indizien weitere Beachtung: Die Sprachgestalt des Briefes deutet darauf hin, dass für seine Formulierungen im Einzelnen wie für die Komposition als ganze nur hellenistisch gebildete griechische Muttersprachler in Frage kommen. Nichts deutet auf Übersetzungsgriechisch. Die virtuose Stilistik und die reichhaltige Motivik heben den Brief auf ein durchaus literarisches Niveau. Die Angaben im Präskript sowie textinterne Indizien zum Verfasser lassen sich nicht als Autorfiktion aus der außerbiblischen frühchristlichen Jakobus-Tradition herleiten und sind daher bis zum Erweis des Gegenteils historisch ernst zu nehmen. Da eine Berührung mit Problemen der paulinischen ,Heidenmission’ und überhaupt mit Nichtjuden im Brief nirgendwo sichtbar wird, muss davon ausgegangen werden, dass er sich ausschließlich an griechischsprachige geborene Juden in der Diaspora wendete, die (wenigstens größtenteils) zu den ChristusVerehrern gehörten. Dieses begrenzte Adressatenmilieu, das in der weiteren Entwicklung des frühen Christentums keine erkennbare Zukunft mehr hatte, könnte dafür verantwortlich sein, dass der Brief lange Zeit nur wenig rezipiert und das in ihm gezeichnete Jakobus-Bild an den Rand gedrängt wurde. Erst im Zuge der Bildung eines zweiten Briefkorpus neben dem Corpus Paulinum fand Jak wieder Berücksichtigung und gelangte so mit der Sammlung der Katholischen Briefe in den neutestamentlichen Kanon.82 Will man auf der Basis dieser Gegebenheiten die Abfassungsverhältnisse des Briefes im Rahmen der Lebenszeit und des Jerusalemer Wirkens des Herrenbruders verständlich machen, dann kann man in aller Vorsicht fol82 Vgl. dazu K.-W. Niebuhr, Die Apostel und ihre Briefe. Zum hermeneutischen und ökumenischen Potential des Corpus Apostolicum im Neuen Testament, in: H. Omerzu/D. E. Schmidt (Hg.), Paulus und Petrus. Geschichte – Theologie – Rezeption. FS F. W. Horn, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 48, Leipzig 2016, 273–292. Nicht ein ,häretisches‘ judenchristliches Milieu, wie Metzner, Lehrer, 266, Anm. 151, zu Recht gegenüber Pratscher festhält, ist also für die schwache Rezeption des Jak im frühen Christentum verantwortlich, sondern die Randstellung griechischsprachiger diasporajüdischer Christusverehrer gegenüber einer von Paulus und paulinischen Traditionen geprägten ,Mehrheitskirche‘.

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gende Vermutung anstellen: Jakobus, der Herrenbruder, war Autor des Jak in dem Sinne, dass er seine Autorität als Führungsfigur der Jerusalemer Urgemeinde, als Verkündiger der Botschaft von Gottes heilvollem Handeln in Jesus Christus und als Lehrer eines ,christlichen‘ Lebenswandels nach dem Willen Gottes in seinem Brief den Adressaten gegenüber, d. h. griechischsprachigen jüdischen Christus-Verehrern außerhalb der Grenzen des biblischen Israel, zur Geltung bringen wollte. Um dieses Ziel zu erreichen, bediente er sich möglicherweise der Hilfe griechischer Muttersprachler, die es in jüdischen wie in ,christlichen‘ Jerusalemer Kreisen zweifellos gab. Sie mögen für die Ausformulierung der Gedanken und Intentionen des Jakobus in griechischer Sprache verantwortlich sein. Die Annahme eines solchen ,Autorenkollektivs‘ bei der Abfassung des Jak muss natürlich Vermutung bleiben, lässt sich aber wenigstens durch einige Indizien stützen: (1) Die Wir-Form, mit der sich der Verfasser in 3,2 als Lehrer zu erkennen gibt, kann auf eine Verfassergruppe in Jerusalem bezogen werden. (2) Dass auch Paulus seine Briefe nicht allein verfasst hat, ist durch Nennung von Mitabsendern in 1Kor, 2Kor, Phil, 1Thess und Phlm bezeugt und verdient auch im Blick auf die in den Paulusbriefen wie in Jak bisweilen gezielt verwendete Wir-Form Beachtung. (3) Josephus, Ap 1,50, belegt für Jerusalem im 1.Jh. die Möglichkeit sprachlicher Mithilfe bei der Abfassung eines griechischen Werkes unter seinem Namen. (4) Die Tradition frühjüdischer Diasporabriefe impliziert die Abfassung von griechischen religiös autoritativen Briefen mit kollektivem Absender in Jerusalem an Gemeinden in der Diaspora. (5) Auch das so genannte Aposteldekret plausibilisiert diese Möglichkeit. (6) Dass die im Jak zutage tretende sprachliche Kompetenz auch in Jerusalem zu finden war (wenn auch vermutlich nicht beim Herrenbruder), können Teile der Septuaginta belegen, die möglicherweise im Land Israel entstanden sind. (7) Aus der starken Diasporaorientierung von Teilen der Jerusalemer Urgemeinde (Paulus, die ,Hellenisten‘, Barnabas, Petrus) ergab sich ein Bedarf an überregionaler Kommunikation auf Griechisch. (8) Auch die Kommunikation zwischen der Urgemeinde und den Christen in Rom im Zuge der paulinischen Mission bediente sich der griechischen Sprache.83 Die Rahmenbedingungen in Jerusalem zu Lebzeiten des Jakobus machen also die Abfassung des Jak durch den Herrenbruder möglich. Die Unwahrscheinlichkeiten, die sich bei Annahme von Pseudepigraphie ergeben, lassen die These eines ,Autorenkollektivs‘ vielleicht als das kleinere Übel erscheinen.

83 Röm 15 f; Apg 28. Vgl. dazu K.-W. Niebuhr, Roman Jews under Nero. Personal, Religious and Ideological Networks in Mid First Century Rome, in: A. Puig i T/rrech/J.M.G. Barclay/J. Frey (Hg.), The Last Years of Paul. Essays from the Tarragona Conference, June 2013, WUNT 352, Tübingen 2015, 67–89, 72 f.

Friedrich Wilhelm Horn

Kanonsgeschichte und Einleitung in das Neue Testament am Beispiel des 1. Petrusbriefs Die Aufgabe einer Einleitung in das Neue Testament Die Aufgabe einer Einleitung in das Neue Testament wurde in älteren Lehrbüchern folgendermaßen beschrieben: a) die spezielle Einleitung habe erstens eine Geschichte der einzelnen neutestamentlichen Schriften zu bieten; b) an zweiter Stelle sei die Geschichte des neutestamentlichen Kanons zu behandeln und schließlich sei c) drittens die Geschichte des neutestamentlichen Textes bis zur Entstehung des heute vorliegenden Wortlauts zu behandeln.1 Die beiden letzteren Aufgaben wurden bereits in älteren Einleitungswerken als ,Allgemeiner Theil‘ dem ,Besonderen Theil‘, nämlich der Einleitung in die einzelnen Schriften vorangestellt, „was sich durch die Erwägung empfiehlt, dass die Zeugnisse über die Entstehung und Geschichte einer einzelnen Schrift erst aus dem Zusammenhang der ganzen Geschichte des Kanons richtig beurtheilt werden können“.2 Heinrich Julius Holtzmann hält fest, dass diese Zweiteilung auf der älteren Tradition beruhe3, und er führt von protestantischer Seite als Ausgangspunkt das Werk von Michael Walther4 an und von katholischer Seite Johann Leonhard Hug5. Michael Walther (1593–1662) verfasste überwiegend bibeltheologische Arbeiten. Er ist der lutherischen Orthodoxie zuzurechnen. Johann Leonhard Hug (1765–1846) bekleidete eine Professur für Altes und dann auch für Neues Testament, war gleichzeitig noch Orientalist. Er war bereits von der Aufklärung geprägt, wendete daher die historisch-kritische Methode innerhalb der Bibelwissenschaft konsequent, aber nicht hyperkritisch an.6 Ein Blick in die älteren Werke zeigt auch, dass sich die spezielle Einleitung ganz selbstverständlich zudem auf die so ge1 A. Jülicher, Einleitung in das Neue Testament, neubearbeitet in Verbindung mit E. Fascher, GThW III/1, Tübingen 71931, 5; W.G. Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg 17 1973, 5 f. 2 H.J. Holtzmann, Lehrbuch der Historisch-Kritischen Einleitung in das Neue Testament, Freiburg 2 1886, 20. 3 Holtzmann, Lehrbuch, 19. 4 M. Waltheri, Officina biblica noviter adaperta: in qua perspicue videre licet quae scitu, cognituque maxime sunt necessarie, de sacrosancta scriptura in genere et in specie de libris eius […], Leipzig 1636, Wittenberg 21668, 31703. 5 J.L. Hug, Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments (2 Bände), Tübingen 1808; 41847; franz. 1823, engl. 1827. 6 W. Baird, History of New Testament Research. Volume One: From Deism to Tübingen, Minneapolis 1992, 333–338, stellt Johann Leonhard Hug und vor allem seine Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments ausführlich vor.

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nannten alttestamentlichen und neutestamentlichen Apokryphen und Pseudepigraphen bezog. Von dieser Ausweitung des Stoffs über die Kanonsgrenzen hinaus ist die Disziplin jedoch bald (bereits Jülicher und Kümmel) wieder abgerückt, wenn sie nicht wie etwa Philipp Vielhauer einen literaturgeschichtlichen Zugang zum Stoff suchte.7 Udo Schnelle hat sich dezidiert dafür ausgesprochen, diese übliche Aufteilung innerhalb der Einleitungswissenschaft aufzugeben und stattdessen ausschließlich die spezielle Einleitung vorzutragen, die sich nach seiner Sicht mit der „Erhellung der historischen Entstehungssituation und der theologischen Intention der ntl. bzw. urchristlichen Schriften“ zu befassen habe.8 Die historische Ausrichtung legt für Udo Schnelle daher auch einen Aufbau innerhalb der Einleitung nahe, der von den ältesten zu den vermeintlich jüngsten Schriftengruppen schreitet und auch innerhalb der Schriftengruppen die einzelnen Schriften nach der vermuteten Abfassungszeit chronologisch anordnet.9 Die Logienquelle, in anderen Einleitungswerken gerne in einem Abschnitt zur Synoptischen Frage besprochen, erhält jetzt einen eigenen Paragraphen und wird hinsichtlich der Darstellung den anderen neutestamentlichen Schriften völlig gleichgestellt. Der Kanon sei hingegen etwas Sekundäres, in ihm bündle sich nachträglich ein Anspruch, der den Schriften bereits innewohne. Daher gelte: „Nicht ein sekundärer Kanonsbegriff begründet den historischen und theologischen Charakter der Einleitungswissenschaft, sondern nur das Zeugnis der zu untersuchenden Schriften selbst.“10 Überdies hätten sich die Geschichte des Kanons und des neutestamentlichen Textes zu eigenständigen Spezialdisziplinen entwickelt. Auch dieses wissenschaftsgeschichtliche Argument lege nahe, den überkommenen Aufbau in eine spezielle und eine allgemeine Einleitung in ihrer oben beschriebenen Dreiteilung aufzugeben. Konsequenterweise begegnet in seiner Einleitung in das Neue Testament die Textgeschichte gar nicht mehr und die Geschichte des Kanons nur noch in einem knappen Exkurs in Verbindung mit der Sammlung der Paulusbriefe (426–442), der die „unabdingbaren Grundkenntnisse der Kanonsgeschichte […] unter wirkungsgeschichtlichem Aspekt“11 darstellt. Es darf nicht übersehen werden, dass die Reduktion der Aufgabe auf die spezielle 7 P. Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur. Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die Apostolischen Väter, de Gruyter Lehrbuch, Berlin/New York 1978. 8 U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 92017, 26. 9 Einen anderen Weg beschreiten gegenwärtig E. Zenger u. a., Einleitung in das Alte Testament, KStTh 1,1, Stuttgart 72008, 9 (Vorwort zur 1. Aufl. 1995): „Bei der Darstellung folgt unser Buch dem Aufbau des christlichen Kanons. Die einzelnen Schriften werden also nicht, wie es die meisten ,Einleitungen‘ tun, nach ihrer mutmaßlichen Entstehungsabfolge, sondern nach ihrer Stellung im Kanon beschrieben. Dieses Verfahren ist zum einen fachwissenschaftlich begründet. Es setzt mit jener Größe ein, die uns vorliegt – und dies ist der Text in seiner kanonischen Endgestalt. Zum anderen beruht das Verfahren auf einer theologischen Entscheidung. Es soll eben eingeführt werden in das Verstehen des Ersten Testaments als Heilige Schrift.“ 10 Schnelle, Einleitung, 27. 11 Schnelle, Einleitung, 28 Anm. 24.

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Einleitung mit einer Aufweitung an anderer Stelle einherging. Neben der historischen Entstehungssituation kommt jetzt auch die theologische Intention jeder Schrift unter der Rubrik Theologische Grundgedanken zur Sprache.12 Eine durchaus vergleichbare Entwicklung ist im Blick auf neuere Kommentare zum 1. Petrusbrief festzustellen. Text- und kanonsgeschichtliche Fragen werden weitestgehend vernachlässigt.13 In einem Teil der gegenwärtigen einleitungswissenschaftlichen Werke anderer Autoren ist die klassische Dreiteilung beibehalten worden, auch wenn die Text- und Kanonsgeschichte in ihrem Umfang gegenüber der speziellen Einleitung deutlich reduziert wurden.14 Blickt man in weitere Lehrbücher, die gegenwärtig als Einleitung oder Einführung in das Neue Testament geschrieben wurden, erkennt man schnell, dass das entstandene Vakuum durch Bereiche der neutestamentlichen Wissenschaft, die ursprünglich nicht zu einer Einleitung in das Neue Testament gehörten, aufgenommen wurden. Es sind dies vor allem Aspekte der Theologie des Neuen Testaments, aber auch der Geschichte des Urchristentums, der politischen, sozialen und philosophischen Umwelt des Neuen Testaments oder der Hermeneutik. Die Gattung der Einleitung verändert sich hin zur Einführung in die neutestamentlichen Schriften in ihrer Zeit oder zu einer Einführung in das Neue Testament. Udo Schnelle begründet sein Vorgehen folgendermaßen. „Der Kanonsbegriff bündelt und fixiert lediglich nachträglich einen Anspruch, der den ntl. Schriften bereits innewohnt. Man kann deshalb auf ihn verzichten, ohne das Sachanliegen der ntl. Schriften preiszugeben und die theologische Dimension der Einleitungswissenschaft zu negieren.“15 Darüber hinaus sei ein wissen12 Schnelle, Einleitung, 26, spricht sogar von einer theologischen Ausrichtung der Einleitungswissenschaft, die sich aus dem Selbstzeugnis der neutestamentlichen Schriften ableite. 13 Der monumentale, fast 1000-seitige Kommentar von J.H. Elliott, 1 Peter, AncB 37B, New York u. a. 2000, behandelt Text- und Kanonsgeschichte auf 2 Seiten (148–150). P.J. Achtemeier, 1 Peter, Hermeneia, Minneapolis 1996, geht nur noch sehr knapp auf die Textgeschichte ein (74 f). J. Schlosser, La premiHre 8p%tre de Pierre, CB.NT 21, Paris 2011, übergeht sowohl Text- als auch Kanonsgeschichte. 14 E. Lohse, Die Entstehung des Neuen Testaments, ThW 4, Stuttgart 1972, setzt mit der Entstehung des neutestamentlichen Kanons ein, geht dann zur Entstehung der neutestamentlichen Schriften über und beschließt sein Werk mit der Textgeschichte; P. Pokorny´/U. Heckel, Einleitung in das Neue Testament. Seine Literatur und Theologie im Überblick, UTB 2798, Tübingen 2007, 63–114. Gleichzeitig sprechen sich beide Autoren gleichfalls für „die konsequente Einbeziehung der Theologie der einzelnen Schriften“ (VIII) aus; M. Ebner/S. Schreiber (Hg.), Einleitung in das Neue Testament, KStTh 6, Stuttgart 2008, 9–66. Teilreduktionistisch hingegen I. Broer in Verbindung mit H.-U. Weidemann, Einleitung in das Neue Testament, Würzburg 3 2010, 693–712 (zur Kanonsgeschichte); R.E. Brown, An Introduction to the New Testament, Anchor Bible Reference Library, New York u. a. 1997, 48–54 (zur Textgeschichte); P.J. Achtemeier/J.B. Green/M.M. Thompson, Introducing the New Testament. Its Literature and Theology, Grand Rapids, 2001, 589–608 (zur Kanonsgeschichte). Vgl. dazu meine Forschungsüberblicke: F.W. Horn, Einleitung in das Neue Testament. Tendenzen und Entwicklungen (I), in: ThR 68, 2003, 45–79; Einleitung in das Neue Testament. Tendenzen und Entwicklungen (II), in: ThR 68, 2003, 129–150; Einleitung in das Neue Testament 2001–2011, in: ThR 79, 2014, 294–327. 15 Schnelle, Einleitung, 27.

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schaftsgeschichtliches Argument zu bedenken, „denn längst haben sich die Geschichte des ntl. Kanons und die ntl. Textkritik zu eigenständigen Spezialdisziplinen entwickelt.“16 Beide Argumente sind kritisch zu bedenken. Im ersteren Fall scheint mir der Anspruch dessen, was mit Kanon einhergeht, weitaus umfangreicher, differenzierter und auch spezifischer zu sein als das, was den Anspruch der neutestamentlichen Schriften angeht, ohne dies hier im Einzelnen ausführen zu wollen. Im zweiten Fall trifft das wissenschaftsgeschichtliche Argument die gegenwärtige Forschungssituation präzise. Es soll nicht darum gehen, Veränderungen in der Aufgabenstellung einer Einleitung in das Neue Testament abzulehnen. Dennoch ist im Blick auf eine zukünftige Gestalt der Disziplin zu fragen, was gewonnen wird und was verloren geht, wenn deren klassische Bestandteile Kanonsgeschichte und Textkritik weitgehend aus der Einleitungswissenschaft ausgegrenzt werden.

1. Fragen Ich möchte einige erste Anfragen formulieren. Das Neue Testament ist eine literarische Größe, bestehend aus 27 verschiedenen Schriften, die im Wesentlichen im 4. Jahrhundert in Verbindung mit den alttestamentlichen Schriften als Kanon deutliche Gestalt angenommen hat und auch als Kanon bezeichnet wurde, ohne dass dieser jemals allgemein verbindlich für alle Kirchengebiete beschlossen worden wäre.17 Strenggenommen bezieht sich die Aufgabe einer ,Einleitung in das Neue Testament‘ exakt auf diesen Gegenstand, also auf den im 3. und 4. Jahrhundert sich abzeichnenden Schriftenkorpus, den Kanon ,Neues Testament‘, auch wenn dessen Umfang und dessen Anordnung noch schwankte. Andernfalls müsste die Aufgabe lauten: Einleitung in die Schriften, die in diesen Kanon des Neuen Testaments aufgenommen wurden. Die einzelnen Schriften haben nur zu einem geringen Teil und für kurze Zeit ein Einzelleben geführt. Einzelhandschriften sind nicht erhalten geblieben. Sie wurden abgeschrieben, vervielfältigt und früh in Sammlungen zusammengefasst, und sie begegnen bald nur noch im Verbund mit anderen Schriften und schließlich dann im Kanon. Im Studium des Neuen Testaments sollte man jeder neutestamentlichen Schrift daher dreimal begegnen: a) in der 16 Schnelle, Einleitung, 28. 17 C. Markschies, Haupteinleitung, in: ders./J. Schröter in Verbindung mit A. Heiser (Hg.), Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. I. Band: Evangelien und Verwandtes. Teilband 1, 7. Aufl. der von E. Hennecke begründeten und von W. Schneemelcher fortgeführten Sammlung der neutestamentlichen Apokryphen, Tübingen 2012, 1–183, hier 11–17 und 116: „Spätestens seit dem vierten Jahrhundert existieren Zusammenstellungen von Inhalt wie Umfang der biblischen Bücher, die man gewöhnlich ,Kanonlisten‘ oder ,Kanonverzeichnisse‘ nennt, obwohl dieser neuzeitliche Begriff eine einheitliche Gattung suggeriert, die in der Antike so nie existiert hat.“

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Analyse einer jeden Schrift in ihrer vermutlichen Abfassungssituation; b) in der Weitergabe der Schrift über ihren ursprünglichen Adressatenkreis hinaus in erste Sammlungen (Vierevangelien-Sammlung, Paulusbriefsammlung, Katholische Briefe) und c) in der Aufnahme und Zusammenführung in den Kanon. Eine Einleitung in das Neue Testament hat daher auch darzulegen, welchen Weg die Formierung des Kanons nahm und wie eine einzelne Schrift hier zwischen Akzeptanz und Ablehnung behandelt wurde. Es geht hierbei auch um die Beantwortung der Frage, in welchem Schriftenkontext eine Schrift im frühen Christentum gelesen wurde. In welcher Sammlung begegnete sie, wie war ihre Stellung in dieser Sammlung? Die wissenschaftsgeschichtlich gewordene, von Udo Schnelle korrekt beschriebene Ausgliederung der Kanonsgeschichte und der Textkritik in Spezialdisziplinen hat im Fall der Kanonsgeschichte – neben vielen weiteren Motiven – zum Verlust eines Blicks für eine neutestamentliche Schrift auf dem Weg ihrer Aufnahme in den Kanon und ihrer Stellung im Kanon geführt.18 Überhaupt scheint die wissenschaftsgeschichtlich nachvollziehbare und nicht mehr umkehrbare Ausgliederung von Kanonsgeschichte und Textkritik in Spezialdisziplinen für die Studierenden dazu geführt zu haben, beiden Disziplinen faktisch im Studium nur noch am Rande zu begegnen.19 Die biblischen Schriften sind bekannt, aber das Wissen um den Kanon, sein Werden, seinen Aufbau, seinen Gebrauch in den verschiedenen Kirchen ist denkbar gering. Wird aber über den Kanon nicht auch im Blick auf die gegenwärtigen Probleme der Textkonstruktion und der Geschichte seines Werdens in der frühen Kirche gesprochen, dann besteht durchaus die Gefahr eines problematischen Fundamentalismus, der diese Aspekte ausblendet. Die 28. Auflage des Novum Testamentum Graece (vgl. S.6) hat die Textkonstitution der Katholischen Briefe gegenüber der 27. Auflage an 34 Stellen verändert. Das ist im Blick auf das Schriftverständnis, sofern man noch, wie immer wieder auch unter gegenwärtigen Studierenden festzustellen ist, mit der Vorstellung eines inspirierten Textes arbeitet, eine ernstzunehmende Anfrage. Auch der mittlerweile innerhalb der Textkritik verwendete Begriff der Textkonstitution (und nicht der Textrekonstruktion) impliziert ein Schriftverständnis, das Studierenden nicht immer geläufig ist.

18 Bereits H. Lietzmann, Wie wurden die Bücher des Neuen Testaments heilige Schrift?, in: ders., Kleine Schriften II, hg. v. K. Aland, TU 68, Berlin 1958, 15–98, hier 16, konstatierte: „Die Frage, wie die Bücher des Neuen Testaments zu einer Sammlung vereinigt worden sind, welche von der Christenheit als ,Heilige Schrift‘ bezeichnet wird, begegnet im allgemeinen bei dem für die Bibel interessierten Nichtfachmann einem erheblich geringeren Interesse als die nach der Entstehung der einzelnen Schriften selbst.“ 19 Die Ordnung der Ersten Theologischen Prüfung der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche) sieht in den exegetischen Klausuren im Alten Testament und im Neuen Testament jeweils auch vor, den zuvor übersetzten Text im Anschluss daran textkritisch zu bearbeiten, was als unüblich bezeichnet werden kann.

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Es soll im folgenden Beitrag am Beispiel des 1. Petrusbriefs dargelegt werden, welcher Ertrag gewonnen werden kann, wenn beide Spezialdisziplinen zumindest im Horizont der Darstellung einer Einleitung des Neuen Testaments bleiben. Ausgeführt werden soll diese Aufgabe hier im Blick auf die Kanonsgeschichte. Alle Aspekte der sogenannten speziellen Einleitung, die nach der historischen Situation und der theologischen Intention der Schrift fragen, werden hier also zurückgestellt. Wissenschaftlich geboten ist die Frage nach dem Ertrag beider Spezialdisziplinen für die Einleitungswissenschaft auch insofern, als die Textkritik und die Kanonsgeschichte des 1. Petrusbriefs durch zwei wissenschaftliche Großprojekte auf eine neue Grundlage gestellt worden sind. Im Jahr 2000 erschien die Editio Critica Maior des Novum Testamentum Graecum IV/2 Teil 1, 2. Lieferung, die den Text der beiden Petrusbriefe enthält.20 Im Jahr 2015 erschien der erste Teilband innerhalb der Reihe Novum Testamentum Patristicum, der die Rezeption von 1Petr 1,1–2,10 in der antiken christlichen Literatur dokumentiert.21

2. Kanonsgeschichtliche Bemerkungen Das Kommentarwerk Novum Testamentum Patristicum (NTP) hat den Anspruch, die Rezeption des gesamten Neuen Testamentes in der antiken christlichen Literatur zu dokumentieren und sie aus den jeweiligen Zusammenhängen zu erläutern. Das Projekt wurde 1993 durch Kurt Niederwimmer, dem ein ,patristischer Billerbeck‘ vorschwebte, in Kooperation mit Gerhard May (gest. 2007), Henning Paulsen (gest. 1994) und Basil Studer (gest. 2008) initiiert. Zwischenzeitlich hat die Herausgeberschaft, bedingt durch Todesfälle, Rückzüge und auch Zeiten des Stillstands, komplett gewechselt. Das NTP ist auf 45 Bände (39 Kommentar- und sechs Sonderbände) angelegt, die in deutscher oder englischer Sprache erscheinen sollen. Als erster Band wurde im Jahr 2007 als NTP 9 die von Martin Meiser angefertigte Bearbeitung des Galaterbriefs vorgelegt.22 Der damalige Herausgeber Gerhard May hatte Martin Meiser als Wissenschaftlichen Mitarbeiter nach Mainz an das Institut für Europäische Geschichte (IEG), Abteilung für Abendländische Religions20 Novum Testamentum Graecum. Editio Critica Maior, herausgegeben vom Institut für neutestamentliche Textforschung, IV. Die Katholischen Briefe, hg. v. B. Aland/K. Aland †/G. Mink/K. Wachtel, Teil 1, 2. Lieferung, Stuttgart 2000. Die Bemerkungen zur Textkonstitution auf S. 21 f unterrichten über den Fortschritt der 28. Auflage des Novum Testamentum Graece gegenüber der 27. Auflage. Hier sind auch die Textunterschiede zur 27. Auflage notiert. Über Text und Apparat der Katholischen Briefe informiert auch die 28. Auflage des Novum Testamentum Graece, 5–8. 21 A. Merkt/T. Nicklas/J. Verheyden (Hg.), 1. Petrus. Teilband 1, Novum Testamentum Patristicum 21/1, Göttingen 2015. 22 M. Meiser, Galater, Novum Testamentum Patristicum 9, Göttingen 2007.

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geschichte, geholt und ihn zum Sekretär des Unternehmens gemacht. Zwischen diesem Band von Martin Meiser, dem Pilotband des Projekts, und dem jetzt erschienenen Werk von Andreas Merkt wurden noch vier Begleitbände und ein Sonderband (überwiegend bei Vandenhoeck & Ruprecht, ein Band bei Mohr Siebeck) publiziert, deren Beiträge auf Tagungen zurückgehen und im Wesentlichen ein neutestamentliches Thema in der frühchristlichen Rezeption aufarbeiten und also nicht einer einzigen Schrift verpflichtet sind. Das ehrgeizige interdisziplinäre Projekt Novum Testamentum Patristicum ist an anderer Stelle ausführlich vorgestellt worden.23 Die Darlegungen und Ergebnisse des Bandes NTP 21/1 sind im Folgenden insbesondere zu berücksichtigen.24 Der 1. Petrusbrief begegnet in vielen modernen Bibelausgaben im Verbund mit sechs anderen Briefen, den so genannten Katholischen Briefen,25 hat dort in diesem Siebenerkorpus aber nicht durchgehend einen einheitlichen Standort. Während im Novum Testamentum Graece28, in der Vulgata und ihnen folgend etwa in der Einheitsübersetzung, in der Zürcher Bibel, aber auch in der neuen Studienbibel von Ulrich Wilckens26 der Jakobusbrief die Kopfstellung in diesem Siebenerkorpus einnimmt, hat die Luther-Bibel bekanntlich aus theologischen Gründen und zumal im Vergleich mit dem 1. Petrusbrief27 eine Umstellung dahingehend vollzogen, dass der Jakobus23 A. Merkt, NOVUM TESTAMENTUM PATRISTICUM. Ein Projekt zur Erschließung der Rezeption des Neuen Testamentes in frühchristlicher und spätantiker Zeit, in: Sacra Scripta X, 1 (2012), 15–38; auch digital einsehbar: http://reviste.ubbcluj.ro/sacrascripta/publicatii/ sacra_scripta/2012/MERKT%20-%20SACRA%20SCRIPTA%201_2012–3.pdf . 24 Außerdem: A. Merkt, Ein ,stilles Blümlein‘. Patristische Perspektiven auf den Ersten Petrusbrief, in: M. Ebner/G. Häfner/K. Huber (Hg.), Der Erste Petrusbrief. Frühchristliche Identität im Wandel, QD 269, Freiburg 2015, 168–205; D. Lührmann, Gal 2,9 und die katholischen Briefe. Bemerkungen zum Kanon und zur regula fidei, in: ZNW 72, 1981, 65–87; wieder abgedruckt in: ders., Theologische Exegese im Horizont von Text und Geschichte. Gesammelte Aufsätze, hg. v. E. Schlarb in Zusammenarbeit mit A. Lindemann, MThSt 120, Leipzig 2014, 329–347. 25 Eus. h.e. 2,23,24 f spricht im Blick auf alle sieben Briefe erstmals von den Katholischen Briefen, einzelne Briefe tragen diese Bezeichnung bereits früher. Seit Leontius von Byzanz (5.Jh.), de sectis II 4, wird ,katholisch‘ auf alle Gemeinden bezogen im Gegensatz zu den Paulusbriefen, die sich an Einzelgemeinden richten. In der gegenwärtigen Einleitungswissenschaft gehen manche dazu über, die Johannesbriefe nicht mehr im Zusammenhang der Katholischen Briefe zu behandeln, sondern im Kontext der Schriften der johanneischen Schule; so auch Schnelle, Einleitung, 461. 26 U. Wilckens, Studienbibel Neues Testament, Basel 2015. 27 Luthers Episteln-Auslegung. Ein Commentar zur Apostelgeschichte, den apostolischen Briefen und der Offenbarung, hg. v. C.G. Eberle, Stuttgart 1866, 821: „Also ist diese Epistel St. Petri auch der edelsten Bücher eins im Neuen Testament und das rechte lautere Evangelium. Denn er thut auch eben das, das St. Paulus und alle Evangelisten, daß er den rechtschaffenen Glauben lehrt, wie Christus uns geschenkt sei […] Aus dem kannst du nun richten von allen Büchern und Lehren, was Evangelium sei oder nicht.“ Die enorme Bedeutung des 1. Petrusbriefs für Luthers Schrifthermeneutik wird ausführlich behandelt von H. Bornkamm, Martin Luther in der Mitte seines Lebens. Das Jahrzehnt zwischen dem Wormser und dem Augsburger Reichstag, Göttingen 1979, 206–212.

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brief und der Judasbrief die Schlussstellung vor der Offenbarung des Johannes einnehmen und überdies durch den Hebräerbrief von den fünf anderen Katholischen Briefen abgeschnitten werden.28 Luther nummerierte im Inhaltsverzeichnis nur die ersten 23 Schriften durch und fügte dann Hebräerbrief, Jakobus- und Judasbrief sowie Offenbarung des Johannes nach einer Leerzeile ohne Ziffer an. Diese Abwertung des Jakobusbriefs innerhalb des Siebenerkorpus der Katholischen Briefe durch Luther wird in den modernen Bibelausgaben nochmals dadurch verschärft, dass die im griechischen Osten übliche Zuordnung von Apostelgeschichte und Katholischen Briefen vor den Paulusbriefen seit den Vulgata-Ausgaben und wirkungsgeschichtlich bedeutsam durch Erasmus aufgebrochen wird, indem jetzt die dreizehn Paulusbriefe im Anschluss an die Apostelgeschichte und vor den Katholischen Briefen bzw. die Apostelgeschichte im festen Verbund mit den Katholischen Briefen im Anschluss an die Paulusbriefe geboten werden.29 Auf jeden Fall ist die Zuordnung von Apostelgeschichte und Katholischen Briefen im griechischen Osten anders als in den modernen Bibelausgaben ganz üblich.30 Ebner verweist darauf, dass diese Anordnung nicht der vermeintlichen Entstehungszeit der Schriften folgt, sondern dem Prinzip der erzählten Zeit. Im Anschluss an die Apg kommen also diejenigen Apostel, von denen sie erzählt, zuerst zu Wort. Reiser erinnert daran, dass noch in den kritischen Editionen von Gregory, Tischendorf, Westcott/Hort, Weiß und von Soden die Stellung der Katholischen Briefe im Anschluss an die Apostelgeschichte gewahrt wurde, dann aber mit Eberhard Nestles Novum Testamentum Graecum aus dem Jahr 1901 (editio tertio recognita) aufgegeben wurde.31 Die Kopfstellung 28 F. Mussner, Der Jakobusbrief, HThK XIII/1, Freiburg u. a. 1964, 42–47: M. Luthers Urteil über den Jakobusbrief (Zusammenstellung wesentlicher Aussagen Luthers zum Jakobusbrief). 29 Das Problem ist dargestellt und als Frage an die Herausgeber des Novum Testamentum Graece weitergegeben worden durch M. Reiser, Warum folgt in einer griechischen Ausgabe des Neuen Testaments auf die Apostelgeschichte der Römerbrief und nicht der Jakobusbrief ?, in: ThBeitr 47, 2016, 33–36; M. Ebner, Der christliche Kanon, in: ders./S. Schreiber (Hg.), Einleitung in das Neue Testament, 9–52, 18: „Für diese Reihenfolge hat sich Erasmus von Rotterdam entschieden und damit unsere modernen Ausgaben geprägt – eigentlich gegen den Befund.“ Reiser moniert meines Erachtens zu Recht, dass die Frage der Reihenfolge der Schriften bei Kurt und Barbara Aland, Der Text des Neuen Testaments. Einführung in die wissenschaftlichen Ausgaben sowie in Theorie und Praxis der modernen Textkritik, Stuttgart 1982, 91, unbefriedigend bearbeitet wird. Immerhin erwähnen die Autoren, dass die Vorrangstellung der Katholischen Briefe bei den großen Codices A, B und C und bei der Mehrheit der Handschriften vorliegt. 30 Ebner, Kanon, 18: „Die Mehrheit steht in frühchristlicher Tradition: Apg und Katholische Briefe bilden eine Sammlungseinheit, Praxapostolos genannt. Das belegen sowohl die großen Gesamtausgaben des 4./5. Jh. nach Chr. als auch kleine Fragmente […]“. 31 Nestle verglich seinerzeit die wichtigsten Ausgaben des griechischen Neuen Testaments aus dem 19.Jh. (Tischendorff, Westcott/Hort und Weymouth; Letztere wurde ab 1901 durch B. Weiss ersetzt); zum Verfahren ausführlich Aland/Aland, Text, 29 f. Wo es Abweichungen gab, übernahm er die von zwei Ausgaben gebotene Lesart und verwies die abweichende Lesart in den Apparat. Dass diese für Nestle maßgeblichen Ausgaben eine andere Reihenfolge im Kanon bevorzugt hatten, ist noch in der 25. Aufl. des Novum Testamentum Graece im textkritischen Apparat vor Röm 1,1 vermerkt, seitdem aber nicht mehr: „HTWS Epistolas Catholicas (Jc, 1.2 P,

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des Jakobusbriefs in diesem Siebenerkorpus der Katholischen Briefe hatte Eberhard Nestle allerdings beibehalten. Wenn Eberhard Nestle in seiner Anordnung also Luther folgen wollte, dann hat er es nur halbherzig getan. Was kann über die Stellung des 1. Petrusbriefs und der Katholischen Briefe in der frühchristlichen Literatur genau ausgesagt werden?32 Ein Siebenerkorpus der Katholischen Briefe scheint sich im 4.Jh., also deutlich später als die Evangeliensammlung oder die Sammlung der Paulusbriefe weitgehend durchgesetzt zu haben.33 Während der 1. Petrusbrief und der 1. Johannesbrief hierfür eine unhinterfragte Basis dargestellt haben, stehen die anderen Katholischen Briefe nicht in gleichem Rang und sie werden auch noch nicht durchgehend anerkannt. Euseb (h.e. 3,25,1–3) notiert: „Zu den bestrittenen aber, welche indes gleichwohl bei den meisten in Ansehen stehen, werden gerechnet der sogenannte Jakobusbrief, der Brief des Judas, der zweite Brief des Petrus und der sogenannte zweite und dritte Johannesbrief […]“. Im ausgehenden 4. und frühen 5. Jahrhundert liegt der Siebenerkorpus der Katholischen Briefe sowohl im Osten als auch im Westen vor, erst im 6.Jh. allerdings findet sich dieser Korpus auch in der syrischen Kirche, jedoch nicht durchgehend. In der ostsyrischen nestorianischen Kirche ist man bei dem Dreierkanon der Peschitta, bestehend aus Jak, 1Petr und 1Joh, stehen geblieben.34 Weshalb entstand überhaupt ein Siebenerkorpus der Katholischen Briefe? Natürlich lagen formal Vorbilder in anderen Siebenerkorpora bereit (s. u.), aber das alleine reicht zur Begründung kaum aus. Die sieben Briefe sind nicht verfasst worden, um einmal Teil einer Sammlung von sieben Katholischen Briefen zu werden. Es handelt sich durchweg um pseudepigraphische Schriften, deren angebliche Verfasser außer Petrus auf den ersten Blick nicht zu den Aposteln zu zählen sind. In der altkirchlichen Aufnahme dieser Schriften ist der Bezug zu den Aposteln allerdings bei den Johannesbriefen eindeutig, bei dem Jakobusbrief versuchsweise hergestellt worden. Der Jakobusbrief wird altkirchlich häufig mit dem Herrenbruder Jakobus (Gal 1,19) verknüpft, aber eben auch mit Jakobus, dem Sohn des Alphäus (Mk 3,18; Mt 10,3; Apg 1,13) oder mit Jakobus, dem Zebedaiden (Mk 3,17), in beiden Fällen also mit einem dem Zwölferkreis zugehörigen Jakobus. Der Judasbrief ist über sein Präskript (Jud 1; vgl. dann auch Mk 6,3) als Schrift des Bruders des Jakobus auf den Herrenbruder Jesu namens Jakobus zu beziehen. Der 1. Johannesbrief macht keine Angabe über seinen Verfasser, der 2. und 3. Johannesbrief nennen einen Presbyter als Verfasser. Die Johannesbriefe wurden altkirchlich auf den Zebedaiden Johannes zurückgeführt. 1–3 J, Jd) Paulinis anteponunt; epistolam ad Hebraeos datam epistolis pastoralibus praemittunt.“ 32 Das Material ist bei Merkt, 1 Petrus, 15–53, präzise aufgearbeitet; außerdem K.H. Schelkle, Die Petrusbriefe. Der Judasbrief, HThK XIII/2, Freiburg u. a. 1961, 15–17. 33 Merkt, Blümlein, 174: „Eine Sammlung, ein Corpus oder, wenn man so will, ein Kanon der katholischen Briefe existierte bis zur Mitte des 3. Jh. offenbar noch nicht.“ 34 Aland/Aland, Text, 202 f.

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Was aber hat die Zusammenstellung dieser sieben Katholischen Briefe begünstigt, wenn es nicht bis auf Petrus die apostolische Würde der vermeintlichen Verfasser der Briefe war? Dieter Lührmann hat die Überlegung vorgetragen, dass die Katholischen Briefe ihre Dignität von den so genannten Säulen Jakobus, Petrus und Johannes (Gal 2,9) ableiten, also den maßgeblichen Leitungsfiguren der Jerusalemer Urgemeinde.35 Daher führe der Sinaiticus auch den Barnabasbrief als Dokument eines am Apostelkonvent beteiligten Apostels auf. Judas begegnet zwar nicht in diesem Leitungskreis, ist aber durch das Präskript in Jud 1 als Bruder des Jakobus in eine klare adäquate Stellung positioniert worden. Vor Lührmann hatte bereits Eduard Lohse die Reihenfolge der Katholischen Briefe vor den Paulusbriefen in den großen Codices dahingehend erklärt, dass so dem Gewicht der ,Urapostel‘ mehr Raum eingeräumt werde.36 Blickt man nun auf die mehrheitliche Reihenfolge der einzelnen Briefe (Jakobusbrief – Petrusbriefe – Johannesbriefe – Judasbrief) in den Codices, so entspricht sie sogar der Abfolge in Gal 2,9.37 Dieter Lührmann zieht folgende Schlussfolgerung: „Sinn der Erweiterung des Briefteils des NT über das Corpus Paulinum hinaus durch gerade diese katholischen Briefe ist dann, neben die Briefe des Paulus die der drei ,Urapostel‘ zu stellen, um ein gemeinsames Zeugnis der Apostel für die kirchliche Lehre zu dokumentieren.“38 Nach Merkt sollen die Katholischen Briefe, jedenfalls deute Augustin, de fide et operibus 21, in diese Richtung, einem Missverständnis entgegenwirken. Sie sollen „die Notwendigkeit der guten Werke und eines heiligmäßigen Lebens gegenüber einer einseitigen Auslegung der paulinischen Gnadentheologie […] unterstreichen.“39 Die Siebenzahl der Briefe könnte sich zufällig ergeben haben, doch ist das unwahrscheinlich. Der Canon Muratori (Z. 48–59) vermerkt, Paulus habe zwar – wenn auch, wie im Fall von Korinth und Thessalonich zweifach – an insgesamt sieben Kirchen geschrieben (Korinth, Ephesus, Philippi, Kolossä, Galatien, Thessalonich, Rom), damit jedoch die ganze Kirche im Blick gehabt.40 Darin habe er Johannes nachgeahmt, der sich in den sieben Sendschreiben der Offenbarung gleichfalls an alle Christen richte. Ob die Bildung des Siebenerkorpus der Katholischen Briefe von diesen beiden anderen Siebenerkorpora beeinflusst wurde, ist ungewiss. Die Zahl sieben ist in der bi35 Lührmann, Gal 2,9; ders., Art. Katholische Briefe, in: RGG4 IV, 2001, 884–885. 36 E. Lohse, Entstehung, 122; ähnlich J. Roloff, Die Kanonisierung, in: L. Goppelt, Der erste Petrusbrief, hg. v. F. Hahn, KEK XII/1, Göttingen 1978, 70–72, hier 72: „Hinter dieser Anordnung stand wohl die Absicht, der Geschichte der Urgemeinde unmittelbar die Briefe der Urapostel folgen zu lassen.“ 37 Das Kanonverzeichnis des Claramontanus (D 06) bietet die Reihenfolge Petrus – Jakobus – Johannes – Judas, entspricht darin aber auch der Lesart von Gal 2,9 in D 06. 38 Lührmann, Gal 2,9, 72. 39 Merkt, 1. Petrus, 30. 40 Zum Fragmentum Muratorianum (Canon Muratori), Text mit Übersetzung: Markschies, Haupteinleitung, 117–120.

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blischen Literatur vielfach und in unterschiedlichen Zuordnungen vorgegeben. Die Siebenzahl bringt wahrscheinlich an dieser Stelle in Bezug auf sieben Briefe einen umfassenden und universalen, eben ,katholischen‘ Anspruch zum Ausdruck.41 Allerdings gestaltet sich die weitere Reihung der sieben Katholischen Briefe nicht einheitlich. In den westlichen Kanonlisten nimmt in der Regel der 1. Petrusbrief die Kopfstellung ein. Im Decretum Gelasianum rangieren beide Petrusbriefe vor dem Jakobusbrief, den Johannesbriefen und dem Judasbrief.42 In der östlichen Kirche hingegen hat der Jakobusbrief die Spitzenstellung in dem Siebenerkorpus und diese Reihung begegnet dann auch in den großen Codices des 4. und 5. Jahrhunderts, im Sinaiticus, im Vaticanus und im Alexandrinus.43 Es kann also für die Zeit des 4. und 5. Jahrhunderts festgehalten werden, dass die Katholischen Briefe in den älteren Kanonverzeichnissen und Codices (A, B, C und in der Mehrheit der Handschriften)44 im Anschluss an die Apostelgeschichte standen und dass in der Reihenfolge der Schriften der 1. Petrusbrief in der westlichen Theologie zeitweilig die Kopfstellung hatte, diese dann aber an den Jakobusbrief abtreten musste. Der Ort der Katholischen Briefe im Kanon war noch variabel. In etlichen Kanonlisten45 und im Vaticanus und Alexandrinus folgen sie im Verbund mit der Apostelgeschichte (Praxapostolos) direkt nach den Evangelien. Diese Stellung der Katholischen Briefe im Kanon im Anschluss an die Apostelgeschichte46 und vor den Paulusbriefen unterstreicht deren theologischen Anspruch. In ihnen kommen mit Jakobus, Petrus und Johannes diejenigen Apostel zu Wort, die als Säulen der Urgemeinde (neben Gal 2,17 auch Apg 3,1; 8,14; 12,2.17; 15,13; 21,18 u. a.) anerkannt waren. Hatten die Katholischen Briefe ursprünglich einen „Wettbewerbsnachteil“,47 da sie sich anders als die Evangelien und die Paulusbriefe nicht in Kompilationen oder Sammlungen befanden und auch nur bedingt apostolischen Ursprungs waren, wird dieser Nachteil jetzt aufgehoben. Diese Stellung kam den Katholischen Briefen je für sich betrachtet nicht immer zu. Irenäus konnte den 1. Petrusbrief und die ersten beiden Johannesbriefe etwa den Paulusbriefen gleichstellen. Die anderen Katholischen Briefe wurden je41 Merkt, 1. Petrus, 29: „Damit brachte man symbolisch den katholischen, universellen, repräsentativen Charakter dieses Corpus zum Ausdruck.“ 42 Dazu Markschies, Haupteinleitung, 133–140. 43 Merkt, 1. Petrus, 22. 44 Aland/Aland, Text, 91. 45 Der Kanon der Synode von Laodicäa (um 363); Der Kanon des Athanasius (um 367). Zu diesem Osterfestbrief 39 des Athanasius: Markschies, Haupteinleitung, 158–162. Außerdem die Zusammenstellung der Kanonlisten durch B. Metzger, Der Kanon des Neuen Testaments. Entstehung, Entwicklung, Bedeutung, Düsseldorf 1993, 287–297. 46 T. Zahn, Geschichte des Neutestamentlichen Kanons II/1, Erlangen und Leipzig 1890, 381 f, spricht von dem Brauch des 4. Jahrhunderts, die Apostelgeschichte feste mit den Katholischen Briefen zu verbinden und aufeinander folgen zu lassen. 47 Merkt, Blümlein, 173.

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doch gemeinsam mit dem Hebräerbrief und der Offenbarung des Johannes oft zurückgestellt.48

3. Konsequenzen Die Einleitungswissenschaft kann an den vorgetragenen Beobachtungen nicht vorbeigehen. Die Abwertung des Siebenerkorpus der Katholischen Briefe durch Versetzung in den hinteren Teil des Kanons und die Zerschlagung durch die Abtrennung des Jakobus- und des Judasbriefs entspricht nicht der Absicht der großen Codices, die ganz im Gegenteil an einer Aufwertung der Katholischen Briefe mit einer Kopfstellung des Jakobusbriefs, zeitweise auch des 1. Petrusbriefs, interessiert waren. Die Wertschätzung der Katholischen Briefe in den großen Codices ist zu beachten. Die Kirchen sind bis heute frei in ihrer Entscheidung, welche Anordnung sie im Kanon vornehmen. „Obwohl der Kanon festgelegt scheint, ist er doch ständig in Bewegung, sofern sich die Gruppen, die sich über den Kanon definieren, verändern.“49 Die Ausführungen haben gezeigt, dass die Katholischen Briefe ab dem 4./5.Jh. eine zentrale Stellung im Kanon einnahmen und dass die Lesenden in diesen Briefen, die im Anschluss an die Apostelgeschichte geboten wurden, maßgebliche Stimmen der ,Urapostel‘ wahrnahmen. Die uns heute durchweg bestimmende einleitungswissenschaftliche Frage nach dem historischen Ort etwa des 1. Petrusbriefs spielte vermutlich in der Alten Kirche, abgesehen von der Frage der Zuordnung zu Simon Petrus als Verfasser, keine wesentliche Rolle. Das aufmerksame Wahrnehmen unterschiedlicher Gewichtungen und Zuordnungen von biblischen Korpora und Schriften dient letztlich dem Respekt vor der ganzen Heiligen Schrift in ihrem jeweiligen Gebrauch in der Christenheit, da deutlich wird, dass etliche Kirchen zu bestimmten Zeiten gerade diejenigen Schriften hochgehalten haben, die zu späteren Zeiten aufgrund ihrer Randständigkeit im Kanon fehlender Wertschätzung preisgegeben wurden.

4. Kanonische Exegese Thomas Söding hat gleichfalls die Abschottung innerhalb der Einleitungswissenschaft vor der Kanonsgeschichte angesprochen und seinerseits einen Weg vorgeschlagen, beide Disziplinen wieder stärker zu verknüpfen. Er sieht im 1. Petrusbrief geradezu ein ,Paradebeispiel‘ dafür, auf ein neues Paradigma zuzugehen, demzufolge „man die biblischen Texte weder von der Geschichte 48 Markschies, Haupteinleitung, 59.73; H. von Lips, Der neutestamentliche Kanon. Seine Geschichte und Bedeutung, Zürcher Grundrisse zur Bibel, Zürich 2004. 49 Ebner, Kanon, 11.

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ihrer Entstehung noch von der Geschichte ihrer kanonischen Rezeption isoliert“.50 Doch nicht einem canonical approach möchte Söding das Wort reden. Dieser nämlich betreibt nach Söding „[…] eine Relativierung, gar eine Marginalisierung der Geschichte […], sowohl der Genese des Kanons als auch der biblischen Texte. Das aber wird dem biblischen Kanon selbst nicht gerecht […]“.51 Wie aber können Traditionsgeschichte und Rezeptionsgeschichte, um die Nomenklatur Södings hier aufzunehmen, sinnvoll aufeinander bezogen werden? „Fehlte die Traditionsgeschichte (verstanden in einem umfassenden Sinn des Wortes), erschiene der Kanon als unhistorisches Konstrukt; fehlte die kanonische Perspektive, führte die Exegese ins theologische Niemandsland“.52 Einen Weg aus diesem Dilemma bietet nach Söding der Blick auf die Selbststilisierung der Texte, die sich des Mittels der Pseudepigraphie bedienen. Diese Selbststilisierung stelle eine Weiche auf dem Weg von der Traditions- zur Wirkungsgeschichte dar. So hängt das Gelingen dieser Weichenstellung an der Art und Weise, wie Petrus als Apostel in diesem Brief im Sinne einer „Repräsentativität oder Integrität“53 in der Kirche inszeniert wird. Es geht also um das „Petrusbild der Epistel […], das sich dem kanonischen Gedächtnis eingebrannt hat“.54 Thomas Söding hat somit, auch wenn ich seinen sehr weitgehenden Schlussfolgerungen zur Bedeutung des Petrusbildes im 1. Petrusbrief nur teilweise zustimmen kann, auf jeden Fall das Thema benannt, dass im Rahmen der Einleitungswissenschaft abschließend zu klären ist. Wie wird in den pseudepigraphischen Briefen die Selbstauslegung des angegebenen Autors vorgetragen und welche Bedeutung kommt einer Schrift dann in dem neuen ,Setting‘, dem Kanon zu? Diese Frage impliziert die Voraussetzung, dass die meisten der pseudepigraphischen Briefe die Form der Selbstauslegung wählen, um in einer bestimmten Weise auf Paulus und die bereits vorliegende oder zumindest im Entstehen begriffene Paulusbriefsammlung zu reagieren. Dies ist bei den deuteropaulinischen Briefen, die alle in sehr spezifischer Weise auf

50 T. Söding, Grüße aus Rom. Der Erste Petrusbrief in der Geschichte des Urchristentums und im Kanon, in: ders. (Hg.), Hoffnung in Bedrängnis. Studien zum Ersten Petrusbrief, SBS 216, Stuttgart 2009, 11–45, hier 11. Der Beitrag greift auch zurück auf: ders., Einheit der heiligen Schrift? Zur Theologie des biblischen Kanons, QD 211, Freiburg/Basel/Wien 2005. In der Sache finden sich etliche Übereinstimmungen mit K.-W. Niebuhr, Exegese im kanonischen Zusammenhang. Überlegungen zur theologischen Relevanz der Gestalt des neutestamentlichen Kanons, in: J.-M. Auwers/H. J. de Jonge (Hg.), The Biblical Canons, BEThL 163, Leuven 2003, 557–584; ders., Die Gestalt des neutestamentlichen Kanons. Anregungen zur Theologie des Neuen Testaments, in: E. Ballhorn/G. Steins (Hg.), Der Bibelkanon in der Bibelauslegung. Methodenreflexion und Beispielexegesen, Stuttgart 2007, 95–109. 51 Söding, Grüße, 11. 52 Söding, Grüße, 12. 53 Söding, Grüße, 12. 54 Söding, Grüße, 12.

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Paulus und seine Briefe bezogen sind, evident,55 wird aber auch für einen Teil der Katholischen Briefe angenommen. Dass der Jakobusbrief sich in einem kritischen Gespräch mit Paulus oder einem Paulinismus befindet, ist meines Erachtens, auch wenn die Exegese zu Jak 2,14–26 mehrere Optionen der Kommunikation anbietet,56 immer noch die wahrscheinlichste Lösung. Andreas Merkt hat auf eine Aussage Augustins hingewiesen, demzufolge die Funktion des Korpus der Katholischen Briefe darin bestehe, einer einseitigen Auslegung der paulinischen Gnadentheologie entgegenzutreten.57 Aber kann auch der 1. Petrusbrief als Korrektur des Paulus verstanden werden, wie etwa Gerd Theißen vorgeschlagen hat?58 Wurde Petrus als Autor – gleichwie Jakobus, Johannes und Judas – eingetragen, um mittels dieser Autorzuweisung ein Gegengewicht zu Paulus zu erreichen und, wenn ja, in welcher Hinsicht? Man muss die Frage erweitern nicht nur im Blick auf die Abfassungssituation, sondern auch im Blick auf die Zusammenstellung des Siebenerkanons. Die Annahme einer Korrektur des Paulus ist für den 1. Petrusbrief sowohl für dessen Abfassungssituation als auch für dessen Aufnahme und Positionierung im Siebenerkanon meines Erachtens klar auszuschließen. Der Brief wurde zwar in der Forschung oft dem Paulinismus im weiteren Sinn zugeordnet, so dass moderate Verschiebungen zu Paulus – analog zu dem Verfahren der deuteropaulinischen Briefe – auf dem Weg einer pseudepigraphischen Abfassung plausibel erschienen. Doch hat die Untersuchung von Jens Herzer gezeigt, dass von „[…] einem paulinischen Einfluß, einer paulinischen Prägung des 1Petr oder einer Abhängigkeit von der paulinischen Tradition […] nur mit äußerster Zurückhaltung gesprochen werden“ kann.59 Dies bezieht sich sowohl auf die Annahme möglicher Übernahmen als auch auf Korrekturen des Paulus. Herzer revidiert die These eines Paulinismus des 1. Petrusbriefs. Die von Gerd Theißen angeführte Differenz zu Paulus in der Leidenstheologie von einer apostelzentrierten hin zu einer gemeindezen-

55 A. Merz, Die fiktive Selbstauslegung des Paulus. Intertextuelle Studien zur Intention und Rezeption der Pastoralbriefe, NTOA 52, Göttingen/Fribourg 2004. 56 Vgl. die Diskussion bei U. Schnelle, Theologie des Neuen Testaments, UTB 2917, Göttingen 2007, 586–588; ders., Einleitung, 472 f; ders., Die ersten 100 Jahre des Christentums 30–130 n. Chr. Die Entstehungsgeschichte einer Weltreligion, UTB 4411, Göttingen 2015, 376–378. 57 Merkt, 1. Petrus, 30, mit Verweis auf Augustin, de fide et operibus 21 (CSEL 41,61–62): „Da ja dieses Problem keineswegs neu ist und schon zur Zeit der Apostel aufgetreten ist, richten sich die apostolischen Briefe von Petrus, Johannes, Jakobus und Judas gezielt gegen das Argument, das ich widerlegt habe, und halten fest an der Lehre, dass der Glaube ohne gute Werke nichts nutzt.“ 58 So G. Theißen, Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem, Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 40, Heidelberg 2007, 175–181 (Exkurs: Die Korrektur des Paulus durch die katholischen Briefe). 59 J. Herzer, Petrus oder Paulus? Studien über das Verhältnis des Ersten Petrusbriefes zur paulinischen Tradition, WUNT 103, Tübingen 1998, 261.

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trierten Leidenstheologie ist zweifelsfrei gegeben, sie kann aber nicht als Motiv einer expliziten Korrektur des Paulus betrachtet werden. Überhaupt fällt es schwer, den 1. Petrusbrief einer spezifischen Tendenz zuzuordnen und ihn überwiegend als Reaktion auf eine vorgängige Theologie zu interpretieren. „Der 1Petr muß als ein eigenständiges Zeugnis innerhalb der frühchristlichen Traditionen neben Paulus und seiner Schule wahrgenommen werden.“60 Die Aufnahme dieses Briefs in der im Ganzen doch eher dürftigen altkirchlichen Rezeption61 kann nicht einmal aus einer irgendwie auffälligen, im Brief erkennbaren Selbststilisierung des Autors und des Menschen Simon Petrus erklärt werden, da aus dem Lebensweg des Apostels keine auffälligen Verknüpfungen zur Theologie des Briefes hergestellt werden. Er schreibt in pseudepigraphischer Weise im Namen des Apostels Petrus, bezieht aus dieser Person und seinem Geschick jedoch keine besondere, auffällig in Szene gesetzte apostolische Autorität.62 Vielmehr bewegt sich die Selbststilisierung des Autors als Apostel, Mitältester und Zeuge des Leidens in dichter Bezugnahme auf die bedrängte Situation der Gemeinden in der Diaspora und wählt hierzu die Stilisierung eines solchen Brieftypus, der der Gattung jüdischer Diasporabriefe nahekommt.63 Lutz Doering hat aufgezeigt, dass in den Diasporabriefen die folgenden theologischen Leitgedanken immer wiederkehren: die Einheit des Gottesvolks aufgrund der Erwählung, unbeschadet seiner Zerstreuung an verschiedene Orte, die Bundestreue Gottes und die Verpflichtung auf die Tora. Doering erkennt drei christliche Diasporabriefe, die er als Adaption und leichte Modifikation des Typs der jüdischen Diasporabriefe versteht: den 1. Petrusbrief, den Jakobusbrief und den in Apg 15,23–29 erwähnten Brief der Jerusalemer Urgemeinde nach Antiochia, Syrien und Kilikien, der das Aposteldekret beinhaltet. Im Gegensatz zum Jakobusbrief fehlt im 1. Petrusbrief allerdings jegliche Verpflichtung auf die Tora und sie kann auch nicht implizit vorausgesetzt werden.64 Es ist das Ziel dieses Briefs und des ihm in der Sammlung der Katholischen Briefe voraufgehenden 60 Herzer, Petrus, 261. 61 Dazu Merkt, 1. Petrus, 46–53. 62 Überzogen und ohne Anhalt an den Texten scheint mir hier G. Hotze, Königliche Priesterschaft in Bedrängnis. Zur Ekklesiologie des Ersten Petrusbriefes, in: T. Söding (Hg.), Hoffnung in Bedrängnis. Studien zum Ersten Petrusbrief, SBS 216, Stuttgart 2009, 105–129, hier 128: „,Petrus‘ ist der personale und apostolische Garant jener Entsprechung zwischen Christus und der Kirche, die das zentrale Argument des Briefes gegen die Bedrückung der Gemeinden darstellt.“ 63 Überzeugend: L. Doering, Apostle, Co-Elder, and Witness of Suffering, in: J. Frey/J. Herzer/M. Janßen/C.K. Rothschild (Hg.), Pseudepigraphie und Verfasserfiktion in frühchristlichen Briefen, WUNT 246, Tübingen 2009, 645–681; ders., First Peter as Early Christian Diaspora Letter, in: K.-W. Niebuhr/R.W. Wall (Hg.), The Catholic Epistles and Apostolic Tradition. A New Perspective on James and the Catholic Letter Collection, Waco 2009, 215–236; ders., Ancient Jewish Letters and the Beginnings of Christian Epistolography, WUNT 298, Tübingen 2012. 64 Gegen G. Guttenberger, „…nun aber Volk Gottes“ (1 Petr 2,10). Der erste Petrusbrief im Kontext des ,Parting of the Ways‘-Prozesses, in: D. du Toit (Hg.), Bedrängnis und Identität. Studien zur Situation, Kommunikation und Theologie des 1. Petrusbriefes, BZNW 200, Berlin/Boston 2013, 115–139, hier 135.

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Jakobusbriefs, auf eine möglichst große Adressatenschaft in kleinasiatischen Landschaften bzw. Provinzen stabilisierend einzuwirken, wobei die Namen der Apostel Jakobus und Petrus für sich stehen und keines weit ausgearbeiteten Autoritätsgewinns bedürfen. Daher bleibt im Blick auf eine kanonische Exegese letztlich das nüchterne Urteil Dieter Lührmanns: „Sinn der Erweiterung des Briefteils des NT über das Corpus Paulinum hinaus durch gerade diese katholischen Briefe ist dann, neben die Briefe des Paulus die der drei ,Urapostel‘ zu stellen, um ein gemeinsames Zeugnis der Apostel für die kirchliche Lehre zu dokumentieren.“65

65 Lührmann, Gal 2,9, 72. Hier votiert Theißen, Entstehung, 181, in der Sache recht ähnlich: „Für die schrittweise entstehende Paulusbriefsammlung wurde in den katholischen Briefen ein Gegengewicht geschaffen. Neben Paulus traten die Herrenbrüder und Apostel Jakobus und Judas, Petrus und Johannes. Das leitende Interesse ist hierbei die Konsenssicherung in einem pluralistischen Urchristentum, in dem viele theologische Strömungen nebeneinander existierten.“

Johanneische Schriften und Johannesoffenbarung

Thomas Popp

„Größeres als das wirst Du sehen …“ (Joh 1,50) Literarische Integrität und theologische Intensität im Johannesevangelium

0. Forschungsgeschichtliches Blitzlicht Udo Schnelle hat bereits in seinem 1990 erschienenen Beitrag „Perspektiven der Johannesexegese“ die Johannesforschung in einer Situation des Umbruchs gesehen:1 Es würden zwar weiterhin gängige Erklärungsmuster in den Bahnen der Entstehungs- und Interpretationstheorien von Rudolf Bultmann oder Georg Richter wiederholt, aber es kämen auch Zugänge zum Johannesevangelium neu in den Blick, die dessen synchrone Gesamtstruktur literaturwissenschaftlich, literatursoziologisch und linguistisch ernst nähmen.2 Der Einblick in die neuere Literatur zum Johannesevangelium eröffnet eine erstaunliche Affinität zu Schnelles 1990 erfolgter Bestandsaufnahme: Für die Wiederholung gängiger Erklärungsmuster lässt sich exemplarisch die Sichtweise von Peter Pilhofer in seiner 2010 veröffentlichten Einführung ,Das Neue Testament und seine Welt‘ anführen: „Ich bin ein Anhänger der altmodischen Auffassung, wonach es sinnvoll ist, beim Johannesevangelium drei Ebenen zu unterscheiden, die Ebene der Quellen – zu der in gewisser Weise auch der Lieblingsjünger gehört, den wir vorhin mit Johannes identifiziert haben; die Ebene des Evangelisten (= E); und die Ebene der Redaktion (= R).“3 Auch wenn Ingo Broer in Verbindung mit Hans-Ulrich Weidemann in der in dritter Auflage ebenfalls 2010 veröffentlichten ,Einleitung in das Neue Testament‘ für eine stärkere Berücksichtigung des jetzigen Evangeliums plädiert, votiert er für die Annahme einer mehrstufigen Genese, in dem die heute

1 Vgl. U. Schnelle, Perspektiven der Johannesexegese, in: SNTU 15, 1990, 59–72; vgl. auch ders., Ein neuer Blick. Tendenzen gegenwärtiger Johannesforschung, in: BThZ 16, 1999, 21–40; im Anschluss T. Popp, Grammatik des Geistes. Literarische Kunst und theologische Konzeption in Johannes 3 und 6, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 3, Leipzig 2001, 13 f; zur Trendwende zur Synchronie und zur Textwelt vgl. ferner J. Frey, Grundfragen der Johannesinterpretation im Spektrum neuerer Gesamtdarstellungen, in: ThLZ 133, 2008, 743–760. 2 Vgl. Schnelle 1990, 59 f; vgl. dazu auch K. Scholtissek, Neue Wege in der Johannesauslegung. Ein Forschungsbericht I, in: ThGl 89, 1999, 263–295; ders., Neue Wege in der Johannesauslegung. Ein Forschungsbericht II, in: ThGl 91, 2001, 109–133; ders., Eine Renaissance des Evangeliums nach Johannes. Aktuelle Perspektiven der exegetischen Forschung, in: ThRv 97, 2001, 267–288. 3 P. Pilhofer, Das Neue Testament und seine Welt. Eine Einführung, UTB 3363, Tübingen 2010, 408.

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vorliegende Endgestalt nicht dem Evangelisten als Hauptautor zuzuschreiben ist, sondern einem innerjohanneischen Redaktionsprozess.4 Auch Schnelles Blick in die Kommentarliteratur führt vor Augen, dass die ,alte‘ Wahrnehmung kein Auslaufmodell ist, sondern weiterhin literarkritisch argumentiert wird (z. B. Theobald; Siegert; von Wahlde; Anderson). Allerdings scheinen die Auslegungsansätze zuzunehmen, die mit diversen Akzentsetzungen das vierte Evangelium im Wesentlichen als einheitlichen Text ansehen (z. B. Moloney ; Schenke; Wengst; Thyen, Schnelle).5 Dieser Interpretationsperspektive weiß sich auch der vorliegende Beitrag zur Koinzidenz der literarisch integren Gestalt und des theologisch intensiven Gehalts des vierten Evangeliums verpflichtet.6

1. Vorgehen Methodisch spielt dabei außer der kontextuellen und sprachlich-syntaktischen Analyse die Erhebung der Sinnlinien durch die Erstellung des semantischen Inventars eine wesentliche Rolle.7 Bei dieser semantischen Analyse sind Gruppen bedeutungsverwandter Worte zu bestimmen und aufeinander zu beziehen, um so den Sinngehalt des Textes zu eruieren. Als Textbasis 4 Vgl. I. Broer/H.-U. Weidemann, Einleitung in das Neue Testament, Würzburg 32010, 192–197; im Anschluss S. Bieberstein, Jesus und die Evangelien. Neues Testament, Teil 1, Studiengang Theologie II,1, Zürich 2015, 295. 5 Vgl. U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 82013, 590 f; ders., Aus der Literatur zum Johannesevangelium 1994–2010. Erster Teil: Die Kommentare als Seismographen der Forschung, ThR 75, 2010, 265–303, 270–289. Auch nach S. Schreiber, Die Anfänge der Christologie. Deutungen Jesu im Neuen Testament, Neukirchen-Vluyn 2015, 189, sind die Brüche im Text des vierten Evangeliums „weit weniger ausgeprägt als meist angenommen, so dass das JohEv auf synchroner Ebene als literarisch und theologisch einheitlicher Text erscheint, der auch als Einheit ausgelegt werden will.“ 6 Vgl. mit Fokus auf Joh 3 und 6 Popp, Grammatik des Geistes; zu Joh 14–16 vgl. ders., Die konsolatorische Kraft der Wiederholung. Liebe, Trauer und Trost in den johanneischen Abschiedsreden, in: G. van Belle/M. Labahn/P. Maritz (Hg.), Repetitions and Variations in the Fourth Gospel. Style, Text, Interpretation, BEThL 223, Leuven 2009, 523–587; zu den joh. Thomas-Texten vgl. ders., Thomas. Question Marks and Exclamation Marks, in: S.A. Hunt/D.F. Tolmie/R. Zimmermann (Hg.), Character Studies in the Fourth Gospel. Narrative Approaches to Seventy Figures in John, WUNT 314, Tübingen 2013, 504–529; zur Korrespondenz von Form und Inhalt im JohEv vgl. (in Auswahl) ders., Grammatik des Geistes, 14.443.457.461 f.468.491; zur durchgehenden „Ausgewogenheit von Form und Inhalt“ vgl. bereits S.S. Smalley, Johannes 1,51 und die Einleitung zum vierten Evangelium, in: R. Pesch/R. Schnackenburg (Hg.), Jesus und der Menschensohn. FS A. Vögtle, Freiburg i.B. u. a. 1975, 300–313, 302. 7 Vgl. Popp, Grammatik des Geistes, 70; vgl. dazu methodisch U. Schnelle, Einführung in die neutestamentliche Exegese, UTB 1830, Göttingen 82014, 60–62; K. Scholtissek, Relecture – Zu einem neu entdeckten Programmwort der Schriftauslegung (mit Blick auf das Johannesevangelium), in: BiLi 70, 1997, 309–315, 311; ders., In ihm sein und bleiben. Die Sprache der Immanenz in den johanneischen Schriften, HBS 21, Freiburg i.B. 2000, 138.

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fungieren mit 1,50 f die beiden programmatischen Gipfelverse von Joh 1. Durch deren Analyse im Kontext von Joh 1 sowie unter besonderer Berücksichtigung der von dieser Basis ausgehenden Sinnlinien wird – in Aufnahme des in 1,51 durch den impliziten Bezug auf Gen 28,12 eingespielten Bildmaterials – zu zeigen versucht, wie durch die treppenförmige literarische Kunst der Wiederholung die Christuserkenntnis im Akt der Lektüre Stufe für Stufe theologisch vertieft wird. Dass sich Johannes mit dieser im Dienst der theologischen Linienführung liegenden literarischen Kunst in der Tradition des alttestamentlichen Leitwortstils befindet, lässt sich an dem Referenztext Gen 28,10–22 am hebräischen wie auch am LXX-Text exemplarisch erweisen. Aus einleitungswissenschaftlicher Perspektive kommt somit auch an diesem Musterbeispiel in den Blick, dass neben zahlreichen johanneischen Schultraditionen das Alte Testament die Evangelienschreibung fundiert.8

2. Analyse 2.1. Joh 1,50 f im Kontext von 1,1–2,11 Der Prolog 1,1–18 fungiert entsprechend der Schlüsselstellung des Anfangs und des Endes für das Verstehen eines Literaturwerkes als grundlegende Leseanleitung.9 Die Leserinnen und Leser werden durch die johanneische Strategie der ,Stufenhermeneutik‘ (Jean Zumstein) animiert, von einem elementaren Glauben zu einem vertiefteren Glauben an Jesus als den inkarnierten Logos (V.14) und Exegeten Gottes (V.18) fortzuschreiten.10 Der Prolog fungiert auch als Leseanleitung für die ,Täufertexte‘. Mit dieser Steilvorlage (1,6–8.15) ist der Weg bereitet, um in 1,19–34 vom klassischen (synoptischen) Zeugnis des Täufers zum johanneischen Zeugnis höhergeführt zu werden.11 In dieser Passage folgt narrativ-dialogisch in zwei Stufen im zeitlichen Rahmen von zwei Tagen (1,19–28.29–34) in chiastischer Form auf eine abgrenzende Aussage eine positive Würdigung: Der Täufer weist seine Gleichsetzung mit Christus, Elia und dem eschatologischen Propheten zurück 8 Vgl. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 576. 9 Zu dieser Schlüsselrolle von Anfang und Schluss vgl. Popp, Grammatik des Geistes, 54–57; zu 1,1–18 vgl. aaO., 85 f; zum Prolog als ,christologischem Verstehensschlüssel‘ sowie zum Verhältnis von Logos und Gott vgl. Schreiber, Anfänge der Christologie, 191–201; zum Prolog als Metatext der joh. Immanenz-Theologie unter besonderer Berücksichtigung seiner sprachlichen Struktur vgl. Scholtissek, In ihm sein und bleiben, 174–194. 10 Zur Stufenhermeneutik und der damit verbundenen Konzeption vgl. J. Zumstein, Das Johannesevangelium. Eine Strategie des Glaubens, in: ders., Kreative Erinnerung. Relecture und Auslegung im Johannesevangelium, AThANT 84, Zürich 2004, 31–45, 38–40; im Anschluss Scholtissek, In ihm sein und bleiben, 213 Anm. 425; Popp, Grammatik des Geistes, 68 f. 11 Zur Stufenhermeneutik in 1,19–34 vgl. Zumstein, Johannesevangelium, 38; Popp, Grammatik des Geistes, 87.

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(1,19–28; vgl. 3,28) und Jesus mit einem wiederholten Bekenntnisruf die soteriologisch universale Rolle des Lammes Gottes zu (1,29; vgl. V.36). Diese zentrale heilsmittlerische Aufgabe wird christologisch-pneumatologisch durch die bleibende Gabe des herabsteigenden Geistes an Jesus fundiert, der als der Geisttäufer selbst nicht der Taufe bedarf (1,32 f). Auf die christologische und pneumatologische Grundlegung in 1,1–18 und 1,19–34 folgt in 1,35–51 die ebenfalls stufenhermeneutisch konzipierte und entsprechend als Diptychon (1,35–42.43–51) kunstvoll komponierte Jüngerberufung:12 Wie in 1,19 nimmt in 1,38 eine identitätsbezogene Frage eine dialogeröffnende Funktion ein.13 Die an dieser Stelle noch nicht namentlich identifizierten Männer (vgl. V.40) sprechen Jesus zunächst mit der traditionellen Bezeichnung Rabbi bzw. Lehrer an. Auf dessen Frage reagieren sie mit der Gegenfrage: „Wo wohnst du?“ Sie dürften nicht nur vordergründig nach dem Wohnhaus Jesu fragen, sondern hintergründig nach der raummetaphorisch konnotierten Identität Jesu.14 Der Raum Gottes ist seine eigentliche Beheimatung (vgl. 1,51).15 Die bereits mit dem Gesamtevangelium vertrauten und sprachlich versierten Leserinnen und Leser könnten aufgrund ihrer höheren nachösterlichen Erkenntnisstufe zudem das Haus des Vaters mit den vielen ,Bleibestätten‘ (lom¶ 14,2; vgl. 14,23) vor Augen haben. Der johanneische Offenbarer lädt die Fragenden ein, zu kommen und zu sehen, so seine wahre Identität zu entdecken (V.39) – und in diesem Licht auch ihre eigene Identität (vgl. V.19). Die Suchenden (fgt´y V.38) werden durch diese Begegnung quasi über Nacht (V.39) fündig: Andreas bezeugt seinem Bruder Simon, den Messias bzw. Christus gefunden zu haben (erq¸sjy, V.41). Er führt ihn zu Jesus, der wegen seines wunderbaren Vorherwissens dessen vollen Namen weiß und ihm den Symbolnamen ,Kephas‘ bzw. ,Fels‘ verleiht (V.42). Nicht nur die Jüngerberufung als Ganze ist als Diptychon gestaltet (1,35–42.43–51), sondern auch der zweite Teil (1,43–44.45–51).16 Der Ort der 12 Vgl. Zumstein 2004, 38 f; Popp, Grammatik des Geistes, 87–89; zu 1,35–51 als Diptychon vgl. G. Mlakuzhyil, The Christocentric Literary Structure of the Fourth Gospel, AnBib 117, Rom 1987, 117.301–303; zur repetitiven Struktur von 1,35–51 vgl. aaO., 98 f.107 f; K. Scholtissek, „Rabbi, wo wohnst du?“ (Joh 1,38). Die mystagogische Christologie des Johannesevangeliums (am Beispiel der Jüngerberufungen Joh 1,35–51). Mit Johannes das Evangelium entdecken (3/4), in: BiLi 68, 1995, 223–231, 225 f. 13 Zum Mensch als Fragendem als grundlegender anthropologischer Qualifikation vgl. C. Urban, Das Menschenbild nach dem Johannesevangelium. Grundlagen johanneischer Anthropologie, WUNT II/137, Tübingen 2001, 201–205.216–222. 14 Vgl. Scholtissek, „Rabbi, wo wohnst du?“, 227; ders., In ihm sein und bleiben, 240. 15 Vgl. K. Huber, Theologie als Topologie. Bemerkungen zum Raumkonzept von Joh 1,43–51, in: ZKTh 121, 1999, 300–310, 308 f. 16 Zur Gliederung von 1,35–51 in vier Versgruppen (V.35–39.40–42.43–44.45–51) vgl. bereits H. Strathmann, Das Evangelium nach Johannes, NTD 4, Göttingen 101963, 50; J. Schneider, Das Evangelium nach Johannes, hg. v. E. Fascher, ThHK.S, Berlin 21978, 73; vgl. auch A. Meyer, Kommt und seht. Mystagogie im Johannesevangelium ausgehend von Joh 1,35–51, fzb 103,

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Handlung von 1,43–51 bleibt offen. Dagegen findet sich am Anfang eine Zeitangabe (V.43 f): Am nächsten Tag findet Jesus den aus Bethsaida stammenden Philippus und ruft ihn in die Nachfolge. In einer weiteren Kettenreaktion findet der Gefundene Nathanael und erzählt ihm, den gefunden zu haben, von dem Mose im Gesetz geschrieben hat und die Propheten: Jesus, Josefs Sohn, aus Nazareth (V.45).17 Nathanaels Herkunft aus dem in der Nähe Nazareths gelegenen Kana wird hier nicht erwähnt (vgl. 21,2). Bei dieser rätselhaften Diskursfigur dürfte es sich wohl um eine der führenden Persönlichkeiten aus der Frühzeit der johanneischen Schule handeln.18 Nathanael unterbricht den bisherigen Erzählduktus, indem er sich nicht sofort überzeugt zeigt. In dem Wissen, dass Nazareth nicht mit messianischen Vorstellungen verknüpft ist, äußert sich seine schriftversierte Skepsis in der Frage (V.46): „Kann aus Nazareth etwas Gutes kommen?“ In singularisch variierter Wiederaufnahme der Jesusinvitation lädt Philippus Nathanael ein zu kommen und zu sehen (V.46; vgl. V.39). Die so in die Wege geleitete Begegnung ist aus der Perspektive Jesu entworfen. Er sieht in Nathanael einen ,Israelit ohne Falsch‘ (V.47). Der Einsatz der johanneischen Hapaxlegomena Ysqagk¸tgr und d|kor lässt als rezeptionsstimulierendes Komplement zur Repetition aufhorchen. Sie bringen eine für die Leserinnen und Leser grundlegende Identitätskonzeption zum Klingen.19 Klangrhetorisch wird ,Nathana-El‘ als einer von ,Isra-El‘ zu Gehör gebracht. Damit wird präludiert, dass Nathanael durch sein Bekenntnis zu Jesus als ,König Israels‘ (V.49) sich als Mitglied des Gottesvolkes erweist.20 Als wirklich Sehender ist er – im Gegensatz zu den gegnerischen Youda?oi im vierten Evangelium – ein Israelit ,ohne Falsch‘.21

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Würzburg 2005, 85.95–100; T. Schultheiß, Das Petrusbild im Johannesevangelium, WUNT II/ 329, Tübingen 2012, 80–82; vgl. ferner Urban, Menschenbild, 196–200 (ohne Einbeziehung von V.51). Zur hermeneutischen Relevanz der Schrift(en) als Christuszeugnis mit Blick auf 1,45 vgl. A. Obermann, Die christologische Erfüllung der Schrift im Johannesevangelium. Eine Untersuchung zur johanneischen Hermeneutik anhand der Schriftzitate, WUNT II/83, Tübingen 1996, 367–371; A. Leinhäupl-Wilke, Rettendes Wissen im Johannesevangelium. Ein Zugang über die narrativen Rahmenteile (Joh 1,19–2,12; 20,1–21,25), NTA.NF 45, Münster 2003, 163–167.181; zum ,Kettenreaktions-Prinzip‘ vgl. aaO., 180; vgl. auch Meyer, Kommt und seht, 104 („Schneeballsystem“). Vgl. U. Schnelle, Das Evangelium nach Johannes, ThHK 4, Leipzig 52016, 84; zum Rätselraten bezüglich der Gestalt Nathanaels vgl. Strathmann, Evangelium nach Johannes, 54 f; Schneider, Evangelium nach Johannes, 76. Zur Darstellung aus der Perspektive Jesu vgl. Leinhäupl-Wilke, Rettet ein Buch?, 150 f; zu der mit den beiden Hapaxlegomena verknüpften Identitätskonzeption mit Nathanael als eschatologischem Hoffnungsträger vgl. aaO., 155–157.161–163; zur rezeptionsstimulierenden Wirkung von Hapaxlegomena vgl. Popp, Grammatik des Geistes, 59. Vgl. W. Schenk, Kommentiertes Lexikon zum vierten Evangelium. Seine Textkonstituenten in ihren Syntagmen und Wortfeldern, Text-theoretical Studies of the New Testament 1, Lewiston 1993, 419. Vgl. L. Schenke, Johannes. Kommentar, Düsseldorf 1998, 50; zum differenzierten Bild der ,Juden‘ im JohEv vgl. nur K. Scholtissek, Antijudaismus im Johannesevangelium? Ein Ge-

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Das Mono-Johannikon d|kor könnte schriftversierte Leserinnen und Leser nicht nur an PsLXX 31,2 erinnern, sondern im Kontext der Anspielung auf Gen 28,12 in V.51 auch an Jakob denken lassen, der mit ,Trug‘ (d|kor, GenLXX 27,35; vgl. 34,13) zu Esau kam und ihm seinen Segen nahm.22 In diesem Verstehensrahmen erscheint Nathanael unter Einbeziehung seines Bekenntnisses in 1,49 als „true Jacob-Israel“.23

Überrascht stellt der so gewürdigte Skeptiker erneut eine berechtigte Frage (V.48): „Woher kennst du mich?“ Jesu Antwort, er habe ihn bereits vor der Begegnung mit Philippus unter dem Feigenbaum gesehen, bringt explizit sein wunderbares Wissen zum Ausdruck (vgl. V.42).24 Das Signalwort p|hem (vgl. poO, V.38) lässt die mit dem Johannesevangelium vertraute Leserschaft an die himmlische Herkunft Jesu denken (vgl. V.1–18.50 f).25 Dessen Vorherwissen veranschaulicht – zumal im Kontext der johanneischen Erwählungstheologie (vgl. nur 6,70; 13,18; 15,16.19) – die tiefsinnige Bedeutung des theophoren Namens ,Nathanael‘ (,Gott hat gegeben‘).26 Dieser repräsentative Israelit wird von Jesus ,gezogen‘ (vgl. 6,44; 12,32).27 Dessen göttliche Sehweise generiert bei Nathanael den Überstieg vom skeptischen Wissen um dessen irdische Herkunft aus Nazareth zur erstaunten Erkenntnis von dessen Teilhabe an der himmlischen Welt (V.49; vgl. p|hem, V.48).28 Er reagiert wie die Jünger zuvor (V.41.45) mit einem Credo. Es ist ein mustergültiges Beispiel für die johanneische Technik, Bekenntnisaussagen bevorzugt im klimaktischen Abschluss von Dialogszenen zu positionieren (vgl. 1,14–18; 4,42; 6,69; 9,38;

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sprächsbeitrag, in: R. Kampling (Hg.), „Nun steht aber diese Sache im Evangelium …“. Zur Frage nach den Anfängen des christlichen Antijudaismus, Paderborn 1999b, 151–181, 164–170; Schnelle, Evangelium nach Johannes, 214–217. Vgl. R.E. Brown, The Gospel According to John I (I–XII), AncB 29 A, New York 1966, 87; C.K. Barrett, Das Evangelium nach Johannes, KEK.S, Göttingen 1990, 209; D. Burkett, The Son of the Man in the Gospel of John, JSNT.S 56, Sheffield 1991, 112; U. Busse, Das Johannesevangelium. Bildlichkeit, Diskurs und Ritual. Mit einer Bibliographie über den Zeitraum 1986–1998, BEThL 162, Leuven 2002, 85 Anm. 86; M. Theobald, Das Evangelium nach Johannes. Kapitel 1–12, RNT, Regensburg 2009, 193; C. Bennema, Encountering Jesus. Character Studies in the Gospel of John, Milton Keynes 2009, 66; S.A. Hunt, Nathanael. Under the Fig Tree on the Fourth Day, in: ders./D.F. Tolmie/R. Zimmermann (Hg.), Character Studies in the Fourth Gospel. Narrative Approaches to Seventy Figures in John, WUNT 314, Tübingen 2013, 189–201, 198 f; zur Bedeutung von d|kor vgl. ferner Urban, Menschenbild, 210–212. S.S. Smalley, The Johannine Son of Man Sayings, in: NTS 15, 1968/69, 278–301, 289. Zu den diversen Deutungsmöglichkeiten der Ortsangabe „unter dem Feigenbaum“ vgl. Huber, Theologie als Topologie, 302 f.309; Leinhäupl-Wilke, Rettet ein Buch?, 151.158–163.181; Meyer, Kommt und seht, 127–129; Theobald, Evangelium nach Johannes, 194; Hunt, Nathanael, 201; H. Thyen, Das Johannesevangelium, HNT 6, Tübingen 22015, 141 f. Zu den joh. poO- und p|hem-Aussagen vgl. nur Popp, Grammatik des Geistes, 132–134. Zur Bedeutung des Namens ,Nathanael‘ vgl. Brown, Gospel According to John, 82; Schneider, Evangelium nach Johannes, 76; Schenk, Lexikon zum vierten Evangelium, 272; LeinhäuplWilke, Rettet ein Buch?, 154; Hunt, Nathanael, 194 f; zur joh. Erwählungstheologie vgl. nur Popp, Grammatik des Geistes, 422–428. Vgl. dazu Schenke, Johannes, 50; zu 6,44 und 12,32 vgl. Popp, Grammatik des Geistes, 340–345. Zu diesem Überstieg mit 3,12 als Referenztext im Rahmen der Israeltheologie im JohEv vgl. Scholtissek, Antijudaismus, 169; zu 3,12 vgl. auch Popp, Grammatik des Geistes, 141 f.

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20,28).29 Zunächst redet Nathanael Jesus mit ,Rabbi‘ an (vgl. V.38). Darin äußert sich der unmittelbar-irdische Zugang zur Person Jesu.30 Die umfassendere Bedeutung seiner Person signalisiert die Amplifikation um ,Sohn Gottes‘ und ,König Israels‘. Während ,Sohn (Gottes)‘ in Joh 1 schon implementiert ist (V.14.34), erscheint hier erstmals der König-Titel.31 Mit diesem Doppelbekenntnis in Form eines synonymen Parallelismus verleiht Nathanael seiner textintern vorösterlichen Erkenntnis Ausdruck, dass Jesus an Gottes Providenz partizipiert.32 Nathanael kann im Unterschied zur textexternen Lesergemeinde noch nicht wissen, dass sich die mit ihm in 1,46–49 verknoteten Sinnlinien des Judentums und der Messianität Jesu im Pilatus-Prozess kreuzen: Der Titel ,König der Juden‘ (18,33; vgl. 19,3) wird gerade dem Gekreuzigten zugeschrieben (19,19.21).33 Alle aus dem jüdischen Volk, die in Nathanaels Glaubensbekenntnis einstimmen, „sammeln sich um ihn zum Rest von Israel, das den gekreuzigten König Israels preist (vgl. Zef 3,13–15) und von ihm endgültig und bleibend gerettet wird (12,32 f).“34

Jesu Antwort auf Nathanaels Anerkennung nimmt zunächst selbstreferentiell V.48 wieder auf und amplifiziert diese Aussage stufenhermeneutisch (V.50).35 Wie die an Thomas gerichtete Frage 20,29 ist auch die an Nathanael adressierte Frage 1,50 nicht tadelnd, sondern konstatierend auffassbar.36 Seine 29 Vgl. J. Frey, Der implizite Leser und die biblischen Texte, in: ThBeitr 23, 1992, 266–290, 283 f.287 (im Anschluss Popp, Grammatik des Geistes, 57); J. Frey/U. Poplutz, Einführung, in: dies. (Hg.), Narrativität und Theologie im Johannesevangelium, BThSt 130, Neukirchen-Vluyn 2012, 1–18, 12 (im Anschluss Bieberstein, Jesus und die Evangelien, 301 f). 30 Vgl. dazu Meyer, Kommt und seht, 129–131. 31 Vgl. dazu S. Schreiber, Rätsel um den König. Zur religionsgeschichtlichen Herkunft des KönigTitels im Johannesevangelium, in: ders./A. Stimpfle (Hg.), Johannes aenigmaticus. Studien zum Johannesevangelium (FS H. Leroy), BU 29, Regensburg 2000, 45–70, 57–59. 32 Vgl. U. Wilckens, Das Evangelium nach Johannes, NTD 4, Göttingen 22002, 51; zum synonymen Parallelismus vgl. P. Shiu-Chi Chang, Repetitions and Variations in the Gospel of John, Diss. Theol. (masch.) Strasbourg 1975, 107 f. 33 Vgl. dazu T. Söding, Was kann aus Nazareth schon Gutes kommen?‘ (Joh 1.46). Die Bedeutung des Judeseins Jesu im Johannesevangelium, in: NTS 46, 2000, 21–41, 36–39; Busse, Johannesevangelium, 85; zu Jesus als König Israels vgl. auch Leinhäupl-Wilke, Rettet ein Buch?, 167–170; zur Bezeichnung ,König der Juden‘ vgl. M. Lang, Johannes und die Synoptiker. Eine redaktionsgeschichtliche Analyse von Joh 18–20 vor dem markinischen und lukanischen Hintergrund, FRLANT 182, Göttingen 1999, 136 f.177–179.214–219; zum Rückbezug von 18,33 auf 1,19–51 und u. a. auf 1,50b.51 vgl. aaO., 136; zum Rückbezug von 19,19.21 u. a. auf 1,35–39.45–49.50 vgl. aaO., 215.218 f; zum Rückbezug von 18,1ff auf 1,50 f vgl. aaO., 312; vgl. dazu auch Theobald, Evangelium nach Johannes, 194 f. 34 P. Dschulnigg, Jesus begegnen. Personen und ihre Bedeutung im Johannesevangelium, Münster 2000, 87; vgl. auch Thyen, Johannesevangelium, 140–143. 35 Zu 1,48.50 als interner Zitierung vgl. Chang, Repetitions and Variations, 96. 36 Zu diesem Verständnis von 1,50 vgl. Huber, Theologie als Topologie, 302; Meyer, Kommt und seht, 132 f; Schultheiß, Petrusbild, 245 f; Thyen, Johannesevangelium, 142; vgl. dagegen M. Theobald, Die Fleischwerdung des Logos. Studien zum Verhältnis des Johannesprologs zum Corpus des Evangeliums und zu 1 Joh, NTA 20, Münster 1988, 390; zur Korrespondenz von 1,51

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narrative Funktion besteht darin, exemplarisch in den Prozesscharakter des Glaubens aus johanneischer Sicht einzuführen.37 Nathanael kann mit seinem vorösterlichen Glaubensbekenntnis noch nicht die höchste Stufe christologischer Erkenntnis erreicht haben (vgl. 20,28 f).38 Das wird durch das hier erstmals erscheinende Signalwort le¸fy in Verbindung mit der Futurform ex, pointiert: Jesus prognostiziert eine ,größere‘ Offenbarung, die seine Identität noch tiefer zu erkennen geben wird. Diese Prognose übersteigt wiederum Nathanaels Überstieg.39 Die an ihn singularisch adressierte Zusage wird durch die pluralischen exeshe-Aussagen in V.39.51 inkludiert. Sie baut mit der Verheißung einer eigenen heilvollen Seherfahrung eine prospektive Spannung auf.40 Sie dürfte sich auf das im vierten Evangelium staurologisch ausgerichtete gesamte irdische und erhöhte Wirken Jesu beziehen.41 Diese Erkenntnisspur wird in V.51 in Rückkoppelung insbesondere an 1,1–18 und 1,19–34 gelegt. Die besondere Bedeutung dieses überraschenden Schlussverses signalisiert die erstmals zum Einsatz kommende Bekräftigungsformel „Amen, Amen, ich sage Euch/Dir“.42 Auch der MenschensohnTitel erscheint zum ersten Mal. Gerade als erster Beleg wird 1,51 „besondere Beachtung verlangen dürfen. Je eindrücklicher dem aufmerksamen Leser die bis ins Einzelne wohlüberlegte Komposition des Johannesevangeliums sich erschließt, desto mehr wird er mit einer Bedeutsamkeit gerade des ersten Vorkommens des Menschensohn-Begriffs rechnen“.43 Dieser Offenbarungs-

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und 20,29 vgl. P.F. Ellis, The Genius of John. A Composition-Critical Commentary on the Fourth Gospel, Collegeville 21985, 37; Barrett, Evangelium nach Johannes, 210; Lang, Johannes und die Synoptiker, 288; Popp, Thomas, 521–523; s. auch 2.3. Vgl. Schultheiß, Petrusbild, 246; zu den Bekenntnissen im JohEv mit der Wahrnehmung einer fortschreitenden Entwicklung vgl. Popp, Grammatik des Geistes, 413; zum Prozesscharakter des joh. Glaubens vgl. aaO., 70–74.440. Zu seinem noch steigerungsfähigen schönen Bekenntnis (vgl. 16,29–32) vgl. K. Wengst, Das Johannesevangelium. 1. Teilband. Kapitel 1–10, Theologischer Kommentar zum Neuen Testament 4,1, Stuttgart 2000, 94 f; vgl. auch Zumstein, Johannesevangelium, 39. Vgl. dazu Theobald, Fleischwerdung des Logos, 390, der in der Antwort Jesu allerdings eine kritische Note vernimmt. Vgl. Meyer, Kommt und seht, 133 f. Vgl. Huber, Theologie als Topologie, 304. Mit Zumstein, Johannesevangelium, 39 Anm. 24, ist zu fragen, ob auch die durch Nathanaels Anführung in 21,2 konstruierte Inklusion zwischen der ersten und letzten Szene Jesu mit den Jüngern als Indiz für die gesamte joh. Erzählung als Offenbarung des le¸fy zu werten ist; vgl. dazu auch Ellis, Genius of John, 37 f; Huber, Theologie als Topologie, 309 f; Dschulnigg, Jesus begegnen, 86–89. Zu dieser Einführungsformel vgl. M.J.J. Menken, Numerical Literary Techniques in John. The Fourth Evangelist’s Use of Numbers of Words and Syllables, NT.S 55, Leiden 1985, 65; Mlakuzhyil, Christocentric Literary Structure, 109 f; K. Scholtissek, „Geschrieben in diesem Buch“ (Joh 20,30) – Beobachtungen zum kanonischen Anspruch des Johannesevangeliums, in: M. Labahn/K. Schotissek/A. Strothmann (Hg.), Israel und seine Heilstraditionen im Johannesevangelium (FS J. Beutler), Paderborn 2003, 207–226, 215. W. Michaelis, Joh. 1,51, Gen. 28,12 und das Menschensohn-Problem, in: ThLZ 85, 1960, 561–578, 562; zur besonderen Relevanz als Erstbeleg vgl. auch Smalley, Johannine Son of Man Sayings, 287; ders., The Sign in John XXI, in: NTS 20, 1973/74, 275–288, 279.

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spruch erläutert und erweitert nicht nur V.50, sondern konstituiert mit diesem Vers die Klimax von 1,19–51.44 Er ist zugleich „der krönende Abschluss der Evangeliumseröffnung Joh 1“.45 In klarer Korrespondenz mit V.18 und im Unterschied zu den bisher in Joh 1 Jesus zugesprochenen Titeln präsentiert er sich mit dieser ersten (indirekten) Selbstbezeichnung als exklusiver Offenbarer Gottes.46 Denn ,Menschensohn‘ bezieht sich wie auch in den weiteren elf Menschensohn-Belegen auf ihn selbst. Er identifiziert sich in Rückbindung an den Basisvers der johanneischen Schekhina-Theologie 1,14 auf programmatische Weise als leibhaftiger Raum Gottes auf Erden, der Gottesoffenbarung eröffnet, göttliche Präsenz vermittelt und so Gottesanerkenntnis ermöglicht (vgl. nur 2,12–22; 4,19–24).47 Die Inklusion von 1,1–18 und 1,51 indiziert auch, wodurch der in V.49 erfolgende Überstieg christologisch möglich wird: Weil Jesus Himmel und Erde verbindet, kann er den Menschen auf der Erde die himmlischen Dinge offenbaren.48 Durch die literarische Verknüpfung der auf Jesus transferierten messianischen Titel wird in Joh 1 die theologische Intensität christozentrisch gesteigert.49 Diese Steigerung ist nicht im Sinne einer verengenden strengen Systematisierung als hierarchische Ordnung zu verstehen, sondern als synthetische Verknüpfung unterschiedlicher christologischer Vorstellungsbereiche.50 Zudem nimmt 1,51 die Sinnlinie der jataba¸my- und oqqam|r-Aussagen von V.32 f auf und verbindet sie mit der hier beginnenden Sinnlinie der vom gleichen Wortstamm abgeleiteten !maba¸my-Aussagen: Wie der Geist wie eine Taube vom Himmel herabstieg, so werden die Adressaten Jesu den Himmel offen sehen und die Engel Gottes über dem Menschensohn aufsteigen und

44 Zu 1,50 f als Klimax vgl. Busse, Johannesevangelium, 85; zu 1,51 als Klimax von Joh 1 vgl. Smalley, Johannes 1,51, 303.307.312 f; ders., John. Evangelist and Interpreter, Exeter 1983, 95; Menken, Numerical Literary Techniques, 65; Theobald, Fleischwerdung des Logos, 390; C.M. Tuckett, Christology and the New Testament. Jesus and His Earliest Followers, Edinburgh 2001, 158. 45 Theobald, Fleischwerdung des Logos, 388. 46 Zum Rückbezug von 1,51 auf 1,18 vgl. M. Sasse, Der Menschensohn im Evangelium nach Johannes, TANZ 35, Tübingen 2000, 75 f; Busse, Johannesevangelium, 86; Meyer, Kommt und seht, 337; Schnelle, Evangelium nach Johannes, 85 f. 47 Vgl. Huber, Theologie als Topologie, 309; zum Rückbezug von 1,51 auf 1,14 vgl. auch Smalley, Johannes 1,51, 313; Schenke, Johannes, 50; Meyer, Kommt und seht, 138 f; Thyen, Johannesevangelium, 146. 48 Vgl. auch Tuckett, Christology, 164. 49 Vgl. Strathmann, Evangelium nach Johannes, 53; Smalley, Johannes 1,51, 307; R. Hoppe, Ortsangaben im Johannesevangelium, in: Schreiber/Stimpfle (Hg.), Johannes aenigmaticus, 33–43, 39; Leinhäupl-Wilke, Rettet ein Buch?, 289; R. Zimmermann, Christologie der Bilder im Johannesevangelium. Die Christopoetik des vierten Evangeliums unter besonderer Berücksichtigung von Joh 10, WUNT 171, Tübingen 2004, 170–172. 50 Vgl. Zimmermann, Christologie der Bilder, 172 mit Anm. 27. 235 f. Dagegen ist für Theobald, Fleischwerdung des Logos, 390, 1,51 die christologische Klimax „in einem kritischen Sinn.“

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herabsteigen.51 Dadurch wird der Überstieg in V.49 im Rahmen der johanneischen Grammatik des Geistes auch pneumatologisch fundiert. Mit den synoptischen Evangelien vertraute Leserinnen und Leser dürften bei dieser Vision vom geöffneten Himmel die Taufe Jesu vor Augen haben (Mk 1,10; Mt 3,16; Lk 3,21 f).52 Intratextuell knüpft die exeshe-Aussage im Nahkontext an die ex,-Aussage 1,50 an. Nach der individuellen Verheißung an Nathanael wird hiermit allen Israeliten ohne Trug in Aussicht gestellt, „dass sie dem Traum des Stammvaters entsprechend nun im Menschensohn Jesus die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes erfahren werden“.53 Darüber hinaus signalisieren die generalisierenden Pluralformen rl?m und exeshe (vgl. V.39; vgl. ex,, V.50) die auch rezeptionsästhetisch grundsätzliche Bedeutung dieses Gipfelverses.54 Im Unterschied zu den textinternen Jüngern Jesu leben die Leserinnen und Leser bereits in der verheißenen Zukunft. Durch diese auf die nachösterliche Zeit hin transparente Verheißung Jesu werden sie motiviert, bei ihrer lesenden Wanderung durch das vierte Evangelium in ihrer christologisch zentrierten Glaubenserkenntnis nicht zu stagnieren, sondern wie auf einer Treppe Stufe für Stufe voranzuschreiten.55 Was die Jünger neu sehen werden, können sie geistgeleitet durch das wiederholte Lesen des weiteren Buches immer feiner wahrnehmen (vgl. 20,30 f).56 Es malt ihnen Jesus aspektreich vor Augen.57 Er kommt ihnen findend entgegen. Die Erfahrung, gefunden worden zu sein (vgl. V.43.48) und ihn gefunden zu haben (V.41.45), evoziert in Gestalt gläubiger Lektüre immer wieder eine Suchbewegung nach 51 Zum Konnex von 1,32 f und 1,51 vgl. Schenk, Lexikon zum vierten Evangelium, 9; Busse, Johannesevangelium, 85 f; Leinhäupl-Wilke, Rettet ein Buch?, 178.354; Thyen, Johannesevangelium, 144. 52 Vgl. Smalley, John. Evangelist and Interpreter, 94; Meyer, Kommt und seht, 136. Theobald, Fleischwerdung des Logos, 454; ders., Evangelium nach Johannes, 196, verweist zudem auf Mk 1,13 („und die Engel dienten ihm“); zu Mk 1,10 vgl. auch ders., Herrenworte im Johannesevangelium, HBS 34, Freiburg i.B. u. a. 2002, 291. 53 Dschulnigg, Jesus begegnen, 86; zu Nathanael als Repräsentant der ,Judenchristen‘ vgl. auch Theobald, Evangelium nach Johannes, 195. 54 Vgl. Schenk, Lexikon zum vierten Evangelium, 425; Busse, Johannesevangelium, 86; LeinhäuplWilke, Rettet ein Buch?, 152.173 f.180; Meyer, Kommt und seht, 135. 55 Vgl. auch Meyer, Kommt und seht, 140; J. Beutler, Das Johannesevangelium. Ein Kommentar, Freiburg i.B. 2013, 118; Thyen, Johannesevangelium, 148. 56 Vgl. Schenke, Johannes, 38; Popp, Grammatik des Geistes, 71 f.88.492 f; zum neuen Sehen vgl. Meyer, Kommt und seht, 218–222. 57 Vgl. dazu Zimmermanns ausgezeichnete Darstellung der ,Christologie der Bilder im Johannesevangelium‘ (Christologie der Bilder); zur Ankündigung des ,Sehens von Größerem‘ zum Abschluss der narrativen Exposition in 1,50 f vgl. aaO., 203: Sie „bereitet auf die visuelle Dimension des folgenden Jesusevangeliums vor. Das durch das Evangelium entworfene Bild soll gerade optisch vermittelt werden. So ist der Leser gespannt, was er ab Joh 2,1ff zu sehen bekommt.“ Vgl. auch aaO., 211 f; Urban, Menschenbild, 221; Busse, Johannesevangelium, 336; Leinhäupl-Wilke, Rettet ein Buch?, 152; Meyer, Kommt und seht, 140; M. Kumlehn, Geöffnete Augen – gedeutete Zeichen. Historisch-systematische und erzähltheoretisch-hermeneutische Studien zur Rezeption und Didaktik des Johannesevangeliums in der modernen Religionspädagogik, Praktische Theologie im Wissenschaftsdiskurs 1, Berlin 2007, 318.

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ihm.58 Dieses neue Suchen wird auch durch den offenen Schluss von Joh 1 stimuliert: Auf das Offenbarungswort Jesu in 1,50 f folgt keine abschließende menschliche Antwort (vgl. nur 3,1–21; 6,16–21).59 So fungiert das erste Menschensohn-Wort janusartig als Conclusio60 von Joh 1 als ,Titel‘61 oder ,Motto‘62 bzw. ,Überschrift‘63 über alles, was die Jünger in der folgenden Erzählung in Jesus sehen bzw. die Leserinnen und Leser bei ihrem (wiederholten) Gang durch das Evangeliumsbuch vertieft vernehmen werden: die exklusive und immerwährende Konnexion von Himmel und Erde durch Jesus von Nazareth, den Menschensohn. Er vereint die im antiken Weltbild getrennten Räume des göttlichen ,Oben‘ und des irdischen ,Unten‘– gewissermaßen als Himmelstreppe.64 Zwar markiert 1,51 einen klaren klimaktischen Abschluss, es besteht aber zugleich eine enge Verbindung mit 2,1–11.65 Dieser Zusammenhang wird dadurch signalisiert, dass 1,19–2,11 durch die Zeitangaben in 1,29.35.43; 2,1 als Woche konstruiert ist (vgl. 12,1).66 Zudem versinnbildlicht das erste Zei58 Vgl. Theobald, Herrenworte im Johannesevangelium, 242 Anm.175; ders. Evangelium nach Johannes, 197; vgl. auch Busse, Johannesevangelium, 86 f.406. 59 Zu 1,51 als offenem Schluss vgl. Leinhäupl-Wilke, Rettet ein Buch?, 153; zu den offenen Schlüssen von 3,1–21 und 6,16–21 vgl. Popp, Grammatik des Geistes, 178–181.303.418. 60 So Schenk 1997, 161; zu 1,51 als ,vorweisend thematisierender Anfangsklammer‘ vgl. aaO., 160 f. 61 So Smalley, Johannes 1,51, 313, der das gesamte JohEv „gewissermaßen als Midrasch zu Joh 1,51“ ansieht; zur Schlüsselstellung von 1,51 im Anschluss an Smalley vgl. W. Schenk, Das biographische Ich–Idiom ,Menschensohn‘ in den frühen Jesusbiographien, FRLANT 177, Göttingen 1997, 160; J. Rahner, „Er aber sprach vom Tempel seines Leibes.“ Jesus von Nazareth als Ort der Offenbarung Gottes im vierten Evangelium, BBB 117, Bodenheim 1998, 185; Leinhäupl-Wilke, Rettet ein Buch?, 170; Meyer, Kommt und seht, 137. Nach Theobald, Fleischwerdung des Logos, 388 mit Anm. 72, bildet 1,51 nur den Schlüssel zur ersten Hälfte des JohEv (im Anschluss an Michaelis und Ruckstuhl); vgl. aber ders., Herrenworte im Johannesevangelium, 48: „Dieses Menschensohn-Wort steht wie ein Themasatz über dem nun einsetzenden Corpus des Buches, das seine Verheißung – den geöffneten Himmel über Jesus zu schauen – in der Erzählung von seinem Wirken und Sterben insgesamt einholen wird.“ 62 Theobald, Herrenworte im Johannesevangelium, 242 Anm. 175. 63 Wilckens, Evangelium nach Johannes, 54; vgl. auch Leinhäupl-Wilke, Rettet ein Buch?, 174 (,überschriftartige Züge‘); vgl. ferner Meyer, Kommt und seht, 140 (1,51 als „Portal“ bzw. „Doppelpunkt“). 64 Vgl. Smalley, Johannes 1,51, 313; Chang, Repetitions and Variations, 76 f; zur räumlichen Dimension des joh. Denkens vgl. J.-A. Bühner, Denkstrukturen im Johannesevangelium, in: ThBeitr 13, 1982, 224–231 (zu 1,51 vgl. aaO., 225.229); im Anschluss Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 587 f; zum joh. ,Raum-Konzept‘ (Heil ist oben) unter besonderer Berücksichtigung von Joh 10 (Jesus als Raum) vgl. Zimmermann, Christologie der Bilder, 228–231.371–377; zur Verbindung der Räume durch Jesus vgl. ferner kurz und prägnant Lang, Johannes und die Synoptiker, 94 f Anm. 130; Meyer, Kommt und seht, 337. 65 Zu 1,51 als deutlicher Zäsur vgl. Theobald, Fleischwerdung des Logos, 155.169–171.291.325 Anm. 134.489 f. 66 Vgl. Chang, Repetitions and Variations, 133 f; zu den Zeitangaben vgl. auch Frey, Die johanneische Eschatologie. Bd.2. Das johanneische Zeitverständnis, WUNT 110, Tübingen 1998, 192–196; Wilckens, Evangelium nach Johannes, 55; Schnelle, Evangelium nach Johannes, 89; Hunt, Nathanael, 192 f; zur zeitlichen Dimension des joh. Denkens vgl. Bühner, Denkstrukturen,

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chen (2,11) in Nathanaels Herkunftsort Kana (2,1.11; 21,2) die Verwirklichung der Prognose von 1,50 f, die auf dessen Credo in 1,49 folgt.67 Joh 1 bildet somit im Zusammenspiel mit 2,1–11 eine dreifache Einführung in das Evangelium (1,1–18.19–51; 2,1–11).68 Vor dem Hintergrund der Schöpfungserzählung Gen 1,1–2,4a, der das ganze Evangelium umfasst (vgl. nur 20,22), eröffnet diese ,Epiphaniewoche‘ den Sinnhorizont des in Kreuz und Auferstehung gipfelnden eschatologischen Neuschöpfungsgeschehens durch die Wirksamkeit Jesu.69 2.2. Joh 1,51 und Gen 28,10–22 Joh 1,51 lässt sich zwar wie 12,27 (Ps 6,4 f) inhaltlich exakt einem alttestamentlichen Text zuordnen (Gen 28,12), ist aber wegen der fehlenden Einleitungsformel nicht definitiv als explizite Rückbindung, sondern als implizite Bezugnahme zu deklarieren.70 Dieser Genesis-Bezug wird nicht nur durch 1,47

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224–231; im Anschluss Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 588 f; zum joh. Zeitdenken vgl. dreibändig J. Frey, Die johanneische Eschatologie. Bd.1: Ihre Probleme im Spiegel der Forschung seit Reimarus, WUNT 96, Tübingen 1997 (zum Rekurs auf Bühner und Schnelle vgl. aaO., 425 f); ders., Die johanneische Eschatologie 2; ders., Die johanneische Eschatologie. Bd.3. Die eschatologische Verkündigung in den johanneischen Texten, WUNT 117, Tübingen 2000. Zur Rückbindung von 2,11 an 1,51 vgl. Smalley, Johannes 1,51, 312; Ellis, Genius of John, 38; Menken, Numerical Literary Techniques, 78; zur engen Verbindung von 1,50 f und 2,1–11 vgl. auch Busse, Johannesevangelium, 85.276.320.406; Zimmermann, Christologie der Bilder, 203 f.211 f. Nach Mlakuzhyil, Christocentric Literary Structure, 146.349, folgt auf die hymnisch-zeugnishafte Einführung 1,1–18 mit 1,19–51 „a testimonial-kerygmatic introduction“ und mit 2,1–11 „an historical sign-introduction“. Somit ist 1,1–2,11 „a triple Christocentric introduction“; vgl. auch Smalley, Johannes 1,51, 304–307 (,Ouvertüre’-Effekt von Joh 1); Rahner, „Tempel seines Leibes“, 176–189 (,Ouvertürencharakter‘ von Joh 2); zur kohärenten Komposition der Kurzszenenabfolge in 1,19–2,11 vgl. ferner Menken, Numerical Literary Techniques, 43–96. Zum typologischen Sinn des Wochenschemas in 1,19–2,11 vgl. Frey, Die johanneische Eschatologie 2, 192–196; vgl. auch vorsichtig Strathmann, Evangelium nach Johannes, 50 f; vgl. dagegen skeptisch Menken, Numerical Literary Techniques, 81; Theobald, Fleischwerdung des Logos, 291 f Anm. 12. Vgl. R. Zimmermann, Jesus im Bild Gottes. Anspielungen auf das Alte Testament im Johannesevangelium am Beispiel der Hirtenbildfelder in Joh 10, in: J. Frey/U. Schnelle (Hg.), Kontexte des Johannesevangeliums, WUNT 175, Tübingen 2004, 81–116, 85 f. Nach Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 576, finden sich folgende identifizier- und abgrenzbare Zitate aus dem AT im JohEv : 1,23; 1,51; 2,17; 6,31; 6,45; 10,34; 12,13.15.27.38.40; 13,18; 15,25; 16,22; 19,24.28.36.37; 20,28; ferner 3,13; 7,18.38.42; 17,12; zum Befund der Schriftzitate im JohEv vgl. auch Obermann, Die christologische Erfüllung, 69–77. Im Unterschied zu Schnelle ist nach Obermann 1,51 kein deutlich erkennbares Zitat, sondern „eine starke Anspielung“ (aaO., 75) bzw. wie 12,27 „eine Mittelstellung zwischen Zitat und Anspielung“ (aaO., 76); zur offensichtlichen Präsenz von Gen 28,12 als Assoziationshintergrund für biblisch vorgebildete Leser vgl. ferner Meyer, Kommt und seht, 336; vgl. dagegen Michaelis, Joh. 1,51, 576: „Gen 28,12 ist überhaupt aus dem Spiel zu lassen.“ Zu dieser forschungsgeschichtlichen Ausnahme vgl. Obermann, Die christologische Erfüllung, 74 Anm. 60; zu möglichen weiteren mit 1,51 verbundenen atl. Vorstellungen vgl. Smalley, Johannes 1,51, 309–311.

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vorbereitet (GenLXX 27,35), sondern bereits durch die Anknüpfung des Prologanfangs 1,1a an GenLXX 1,1.71 Durch die starke Anspielung in 1,51 lassen bibelkundige Leserinnen und Leser die Erzählung Gen 28,10–22 als Verstehenskontext Revue passieren.72 Das Augenmerk der folgenden Analyse liegt nicht auf literarkritischen Operationen, sondern auf dem im Jetzttext wahrnehmbaren Erkenntnisfortschritt.73 Die planvolle Platzierung von Leitworten spielt dabei eine Schlüsselrolle. Den Begriff ,Leitwort‘ hat Martin Buber durch einen Vortrag 1927 in die alttestamentliche Wissenschaft eingeführt. Er versteht darunter ein Wort oder einen Wortstamm, „der sich innerhalb eines Textes, einer Textfolge, eines Textzusammenhangs sinnreich wiederholt: wer diesen Wiederholungen folgt, dem erschließt oder verdeutlicht sich ein Sinn des Textes oder wird auch nur eindringlicher offenbar.“74 Die Erzählung ist kunstvoll komponiert.75 Nach der überleitenden Intinerarnotiz V.10 berichtet V.11 von einer bemerkenswerten Unterbrechung der Reise Jakobs. Die dreimalige Verwendung des Leitwortes A9KB (V.11a.d.f; tºpor, LXX) signalisiert die Bedeutsamkeit des Ortes, an dem der Wanderer

71 Zu den Gen-Bezügen des JohEv im Rahmen der Rolle Nathanaels vgl. komprimiert Hunt, Nathanael, 192–194. 72 Zur Annahme der Schriftversiertheit der Leserschaft vgl. Busse, Johannesevangelium, 337. Ob der vierte Evangelist auch auf targumische Interpretationen von Gen 28,10–22 rekurriert, kann hier nicht diskutiert werden; zur Auslegung von 1,51 im Horizont frühjüdischer Jakobstraditionen vgl. Brown, Gospel According to John, 90.; M. Morgen, La promesse de J8sus / Nathana[l (Jn 1,51) 8clair8e par la hagaddah de Jacob-Isra[l, in: RevSR 67, 1993, 3–21; J. Massonnet, Targum, Midrash et Nouveau Testament. Le songe de Jacob (Gn 28,10–22), in: C.-B. Amphoux/J. Margain (Hg.), Les premiHres traditions de la Bible, Histoire du texte biblique 2, Lausanne 1996, 67–101; Wengst, Johannesevangelium 1, 95 f; Thyen, Johannesevangelium, 144 f. 73 Zu Gen 28,10–22 als Paradebeispiel für die Erhärtung und Infragestellung der neueren Urkundenhypothese vgl. H.J. Boecker, 1. Mose 25,12–37,1. Isaak und Jakob, ZB.AT 1.3, Zürich 1992, 56–58; O.H. Steck, Exegese des Alten Testaments. Leitfaden der Methodik. Ein Arbeitsbuch für Proseminare, Seminare und Vorlesungen, Neukirchen-Vluyn 141999, 190–199; H. Seebass, Genesis II/2. Vätergeschichte II (23,1–36,43), Neukirchen-Vluyn 1999, 313.321 f; K. Koenen, Bethel. Geschichte, Kult und Theologie, OBO 192, Göttingen 2003, 152–157; L. Ruppert, Genesis. Ein kritischer und theologischer Kommentar. Bd.3. Gen 25,19–36,43, fzb 106, Würzburg 2005, 178–183. 74 M. Buber, Leitwortstil in der Erzählung des Pentateuchs. Aus einem Vortrag (Januar 1927), in: R. HaCohen (Hg.), Martin Buber Werkausgabe 14. Schriften zur Bibelübersetzung, Gütersloh 2012, 95–110, 95; vgl. dazu Popp, Grammatik des Geistes, 62; H. Utzschneider/S.A. Nitsche, Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung. Eine Methodenlehre zur Exegese des Alten Testaments, Gütersloh 32008, 91–93; H. Utzschneider/W. Oswald, Exodus 1–15, IEKAT, Stuttgart 2013, 24–26; zum Phänomen der Repetition in der atl.-frühjüdischen Literatur vgl. ferner T. Popp, Die Kunst der Wiederholung. Repetition, Variation und Amplifkation im vierten Evangelium am Beispiel von Johannes 6,60–71, in: Frey/ Schnelle (Hg.), Kontexte des Johannesevangeliums, 559–592, 569–572. 75 Zum Aufbau vgl. C. Westermann, Genesis 12–36, BK I/2, Neukirchen-Vluyn 1981, 550 f; Steck, Exegese des Alten Testaments 182 f; Seebass, Genesis II/2, 313 f.322; Koenen, Bethel, 150 f; Ruppert 2005, 173–176.185.

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nächtigte.76 In der Nacht ist mit der Rezeption göttlicher Offenbarungen im Medium des Traumes zu rechnen (vgl. nur Gen 20,3; 31,24).77 Entsprechend enthält der erste Hauptteil mit seinen beiden Traumszenen theophanische Elemente (28,12–15). Deren Inszenierung beginnt mit der durch „und siehe“ (8D89; ja· Qdo¼, LXX) eingeführten Vision einer durch A@E bzw. jk¸lan (LXX) nominalisierten Verbindung von Erde und Himmel (V.12b). Bei A@E handelt es sich möglicherweise um das hebräische Äquivalent zu dem akkadischen Lexem simmiltu, das als Treppe, Treppenhaus und Stufenrampe belegt ist.78 A@E bezeichnet etwa die Treppe einer mesopotamischen Zikkurat, an deren Spitze ein kleines Heiligtum als irdischer Rastplatz des Schöpfergottes war.79 Die Vorstellung der göttlichen Präsenz am heiligen Ort auf Erden mit Tempelstufen prägt beispielsweise auch Ps 122,4: Da zum Tempel die Höhe bzw. der Berg gehört, zieht man zum Zion hinauf. Man fragt an den Tempeltoren, wer (weiter) auf den Berg Jahwes hinaufsteigen dürfe (Ps 24,3): „Nun sind die paar Treppen, die im Tempel von Jerusalem die verschiedenen Teile der Anlage verbanden, nicht mit den Monumentaltreppen der Tempeltürme Mesopotamiens zu vergleichen. Aber es ist nicht zu übersehen, dass in Bethel Himmelstreppe und -tor gegenwärtig geglaubt wurden, ohne dass dieser Glaube, soweit wir wissen, irgendeine kultarchitektonische Gestaltung gefunden hätte.“80

In der ersten Traumszene ist die Schau einer Himmelstreppe (V.12b) mit einer wiederum durch 8D89 eingeleiteten Vision von auf- und absteigenden Gottesboten vernetzt (V.12c; oR %ccekoi toO heoO !m]baimom ja· jat]baimom 1pûaqt/r, LXX). Die Vorstellung vom Auf- und Absteigen an einer Himmelstreppe findet sich auch in der assyrischen Version des Mythos von Nergal und Eresˇkigal (Col V,13.14; wiederholt in 42.43; VI,18.19): Kakka, einer der kleineren Götter und Bote der Himmelsgötter, Namtar, der dämonische Wesir der Unterweltsgötter, sowie der Unter-

76 Zum Leitwortcharakter des sechsmal in Gen 28,10–19 vorkommenden A9KB (V.11.16.17.19) vgl. Boecker, 1. Mose 25,12–37,1, 59; Seebass, Genesis II/2, 314; Huber, Theologie als Topologie, 305; M. Theobald, Abraham – (Isaak –) Jakob. Israels Väter im Johannesevangelium, in: Labahn/ Schotissek/Strothmann (Hg.), Israel und seine Heilstraditionen, 158–183, 162 Anm. 20; Ruppert, Genesis, 184; J. Lanckau, Der Herr der Träume. Eine Studie zur Funktion des Traumes in der Josefsgeschichte der Hebräischen Bibel, AThANT 85, Zürich 2006, 87.98. 77 Zur Bedeutung der Nacht im AT als Zeit für den Empfang göttlicher Offenbarungen im Traum vgl. S. Seiler, Art. Nacht, in: M. Fieger/J. Krispenz/J. Lanckau (Hg.), Wörterbuch alttestamentlicher Motive, Darmstadt 2013, 322–325, 324. 78 Nach C. Uehlinger, Art. Himmelsleiter, in: NBL 2, 1995, 161, können auch Begriffe wie jk¸lan und scala nicht nur „Leiter“, sondern auch „Treppe“ bedeuten. 79 Vgl. Lanckau, Herr der Träume, 89. 80 O. Keel, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen, Göttingen 51996, 101.

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weltsgott Nertal begehen in beiden Richtungen eine Treppe, die explizit zum Himmel führt.81 Auch die Stufenpyramide hat die symbolische Form einer Treppe, um Erde und Himmel zu verbinden. Auf diesem Weg kann der tote König zum Himmel aufsteigen (Pyramidenspruch 267).82 Die Vorstellung des Aufstiegs in den Himmel findet sich ebenso in der MerkabaMystik wie überhaupt im antiken Judentum u. a. mit Bezug auf Mose (vgl. AssMos 10,12; Mekh 19,20).83

Die auf den Stufen der Tempeltreppe kontinuierlich auf- und niedersteigenden Gottesboten werden – im Unterschied zum philonischen Rekurs auf Gen 28,12 – nicht eingehender beschrieben (vgl. Joh 1,51).84 Sie deuten darauf hin, dass an diesem irdischen Ort eine dauerhafte vertikale Verbindung mit dem himmlischen Residenzbereich Gottes existiert (vgl. V.16 f.). Die beiden Traumszenen prägt das Prinzip der thematischen Progression:85 Die visuellen Aspekte der ersten Traumszenen (Treppe; Boten Gottes) werden klimaktisch mit den auf Jahwe fokussierten visuellen und auditiven Aspekten der zweiten Traumszene verkettet. Kettenglied ist das jeweils einführende 8D89 (V.13a; vgl. V.12b.c).86 Dass die zweite Szene den Höhepunkt darstellt, indiziert auch Gottes Lokalisierung an prominenter Position: Jahwe, der Gott von Jakobs Vorfahren, steht an der Spitze der Treppe bzw. Rampe, die zum Eingang seines himmlischen Wohnsitzes ragt (vgl. Gen 11,4).87 Er überragt demnach sowohl seine auf- und absteigenden Engel wie auch den unter ihm liegenden träumenden Jakob.88 Mit ihm redet Gott selbst verheißungsvoll (V.13b–15e). Dazu gehört die wiederum durch 8D89 eingeleitete Zusage der göttlichen WegBegleitung (bdºr, V.15 LXX).89 Nach seinem Erwachen deutet Jakob zunächst, was er im Traum vernahm (V.16 f). Wie in V.11 erscheint das Leitwort A9KB 81 Vgl. Seebass, Genesis II/2, 315; Leinhäupl-Wilke, Rettet ein Buch?, 176; Ruppert, Genesis, 186; Lanckau, Herr der Träume, 90. 82 Vgl. Keel, Welt der altorientalischen Bildsymbolik, 100; Seebass, Genesis II/2, 315; LeinhäuplWilke, Rettet ein Buch?, 176 f; Ruppert, Genesis, 186; Lanckau, Herr der Träume, 90. 83 Vgl. dazu nur Popp, Grammatik des Geistes, 148 f. 84 Zum philonischen Bezug auf Gen 28,12 mit einer symbolischen Deutung der Leiter auf die Seele (Somn I 142–143.146–148) vgl. U. Schnelle/M. Labahn/M. Lang, Neuer Wettstein. Bd. I,2: Texte zum Johannesevangelium, Berlin/New York 2001, 85 f; Schnelle, Evangelium nach Johannes, 86 Anm. 50; zur philonischen allegorischen Auslegung von Gen 28,10–22 vgl. auch Barrett, Evangelium nach Johannes, 211; Morgen, La promesse de J8sus, 15 f. 85 Zu diesem Prinzip vgl. Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch, 69. 86 Zur mit dem dreifachen 8D89 verbundenen Klimax vgl. Seebass, Genesis II/2, 316. 87 Vgl. Koenen, Bethel, 158; Ruppert, Genesis, 186. 88 Zum grammatisch möglichen doppeldeutigen Bezug des Suffix in 9=@F (Gen 28,13a) auf die Treppe wie auch auf Jakob vgl. Koenen, Bethel, 155; Lanckau, Herr der Träume, 92 f; zum Bezug auf Jakob vgl. Westermann, Genesis 12–36, 554; Seebass, Genesis II/2, 312.316; Ruppert, Genesis, 173.187. 89 Zur vierfachen Verwendung von 8D89 in V.12–15 vgl. Seebass, Genesis II/2, 314; Lanckau, Herr der Träume, 88 f.

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dreimal (V.16c.17c; vgl. tºpor, LXX). Diese Wiederaufnahme und Weiterführung unterstreichten die zentrale Bedeutung des Ortes, an dem sich Jakobs Erkenntnisfortschritt ereignete. Davon wusste er vor dem Traum nicht (1c½ d³ oqj Õdeim, V.16b LXX). Jakobs neues Wissen wird unabhängig von menschlicher Initiative durch das im Traumgeschehen Vernommene überraschend geboren.90 Er klassifiziert den Ort als ,Haus Gottes‘ (oWjor heoO) bzw. ,Tor des Himmels‘ (p¼kg toO oqqamoO. V.17 LXX) und manifestiert seine Einsicht durch eine rituelle Handlung (V.18). Mit der siebten und letzten Verwendung von A9KB in Gen 28,10–19 (V.19a) wird erneut die Schlüsselbedeutung des Ortes hervorgehoben. Durch die Positionierung dieses Leitlexems in der Exposition (V.11), in der ersten (V.16 f) und zweiten Szene (V.19) des zweiten Hauptteils wird die Erzählung V.10–19 ringkompositorisch konzipiert. Die Verbindung von V.11 und V.19 durch die A9KB-Sinnlinie formt dabei eine kohärenzstiftende Inklusion. Die Aufklärung für den dreifachen Hinweis auf ,den‘ Ort in V.11 erfolgt in V.16 f und erreicht in V.19 ihren Abschluss. Der Schlussvers konstatiert in direkter Wiederaufnahme von V.17 (oWjor heoO, LXX) die Ortsbenennung Bet-El (oWjor heoO, LXX). Auch sie pointiert die theologische Qualifikation des geografischen Ortes als Topos der Gottesgegenwart.91 Auf diesen Wandel im Wissen Jakobs hin ist die gesamte Erzählung 28,10–19 treppenförmig-klimaktisch konzipiert.92 Das in 28,10–19 in Gestalt der sechsmaligen Verwendung von A9KB bzw. tºpor (V.11.16 f.19) zu beobachtende Phänomen der gezielten Platzierung von Schlüsselworten nach einem Intervall von mehreren Versen oder Kapiteln hat Martin Buber im Pentateuch untersucht und dafür den Ausdruck ,Leitwortstil‘ geprägt.93 Wer diesen Leitwortverbindungen folgt, dem erschließt sich der Sinn des Textes: Bethel ist der immanente Ort der dauerhaft erfahrbaren göttlichen Transzendenz. Das abschließende Gelübde (V.20–22) ist durch Lexemwiederholung mehrfach mit 28,10–19 vernetzt (vgl. nur bdºr V.15.20; oWjor heoO V.17.19.22).94 Gen 28,12 (vgl. V.10–22) wird im NT nur in Joh 1,51 (vgl. V.19–51) aufgenommen.95 Die Vorstellung der auf- und absteigenden Boten Gottes wird 90 91 92 93

Vgl. Boecker, 1. Mose 25,12–37,1, 60; Seebass, Genesis II/2, 313. Vgl. Lanckau, Herr der Träume, 96–98. Vgl. Koenen, Bethel, 158. Vgl. Buber, Leitwortstil in der Erzählung des Pentateuchs, 95–110; vgl. dazu Popp, Grammatik des Geistes, 62. 94 Zu den Rückbezügen von V.20–22 auf V.10–19 vgl. Steck, Exegese des Alten Testaments, 182; Ruppert, Genesis, 175.179 f. 95 Folgende Querverbindungen zwischen den Gesamterzählungen sind exemplarisch denkbar : Wie Jakob nicht wusste, dass er sich am Ort der Präsenz Gottes befand (1c½ d³ oqj Õdeim, GenLXX 28,16), so wissen auch die jüdischen Dialogpartner des Täufers nicht, dass der Messias in ihrer Mitte steht (rle?r oqj oWdate, Joh 1,26). Wie Jakob (Gen 28,10–16) wird den beiden Erstberufenen am Abend bzw. in der Nacht die Gottesoffenbarung zuteil (Joh 1,38–42; vgl. 3,1–21). Wie

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übernommen und mit dem in Gen 28,10–22 nicht vorkommenden Menschensohn-Begriff verknüpft. Er substituiert den in 1,51 fehlenden Begriff A@E bzw. jk¸lan. Der vierte Evangelist dürfte mit seiner Neudeutung des Traumbildes wie der hebräische Text und die LXX (1pû aqt/r [sc. jk¸lan]) davon ausgehen, dass nun Jesus als der Menschensohn die Himmelstreppe (Gen 28,12) bzw. die Himmelspforte (Gen 28,17) ist.96 Die Bildkomponenten jk¸lan und j¼qior aus Gen 28,12 koinzidieren in der Menschensohn-Gestalt.97 Wie die Engelboten einst auf den Tempelstufen in Bethel auf- und abwärts gingen, so sind sie nun auf der ,Menschensohn-Treppe‘ unterwegs.98 Sie signalisieren, dass es sich bei ihm um eine himmlische Figur handelt. Ihre Präsenz ist die Begleiterscheinung der eschatologischen Epiphanie des Menschensohns in dem irdischen Jesus von Nazareth (vgl. 10,34–36; 12,27–31).99 Die kreative Bezugnahme auf Gen 28,10–22 mit dem Transfer der heilvollen göttlichen Präsenz von Bethel zu Christus steht in der Tradition der Rezeption der positiven Bethel-Überlieferung, die durch die Verlegung der Gottesgegenwart an einen anderen Ort gekennzeichnet ist (z. B. Jerusalem; Garizim).100 Jesus nimmt in den Augen des Evangelisten wohl nicht zugleich die Rolle Jakobs ein.101 Er dürfte sie den Jüngern zuschreiben – mit dem Vorteil, dass sie wirklich sehen werden, wovon der Erzvater nur träumte.102 Sie werden bereits vom irdischen Jesus in den offenen Himmel gezogen.103 Dieser Prozess kulminiert in dessen Erhöhung am Kreuz (vgl. nur 6,44; 12,32). Somit illustriert

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Jakob (Gen 28,16 f) bekennt sich auch Nathanael überrascht zur gesehenen Gottesgegenwart (1,49). Vgl. R. Schnackenburg, Das Johannesevangelium. Bd. 1 (Joh 1–4), HThK IV/1, Freiburg i.B. 5 1981, 319; im Anschluss Schenk, Lexikon zum vierten Evangelium, 24; Scholtissek, „Rabbi, wo wohnst du?“, 230 f Anm. 30; ders., In ihm sein und bleiben, 240; vgl. auch Barrett, Evangelium nach Johannes, 210; Burkett, Son of the Man, 117–119.172; Sasse, Menschensohn, 77; Busse, Johannesevangelium, 336; Theobald, Herrenworte im Johannesevangelium, 294; Thyen, Johannesevangelium, 146. Vgl. Meyer, Kommt und seht, 336. Vgl. Busse, Johannesevangelium, 336 f. Vgl. dazu J.-A. Bühner, Der Gesandte und sein Weg im 4. Evangelium. Die kultur- und religionsgeschichtlichen Grundlagen der johanneischen Sendungschristologie sowie ihre traditionsgeschichtliche Entwicklung, WUNT II/2, Tübingen 1977, 391–397. Zu dieser Verlegung vgl. Koenen, Bethel, 201–209.217. Nach Theobald, Abraham – (Isaak –) Jakob, 159, liegt in 1,51 eine „Jakob-Bethel-Motivtransplantation“ vor. Bei der Frage der Genese von 1,35–51 unterscheidet Theobald, aaO., 160 f, in den Bahnen des alten literar- und quellenkritischen Blicks zwischen 1,35–50 (Semeiaquelle) und 1,51 (Evangelist). Zur Ablehnung einer Jakob-Jesus-Typologie vgl. Theobald, Abraham – (Isaak –) Jakob, 163; Thyen, Johannesevangelium, 146; vgl. dagegen Seebass, Genesis II/2, 324 (im Anschluss Ruppert, Genesis, 205); Wengst, Johannesevangelium 1, 96. Zur Übernahme der Rolle Jakobs durch die Jünger vgl. Busse, Johannesevangelium, 336 f; Leinhäupl-Wilke, Rettet ein Buch?, 178; A. Schlüter, Die Selbstauslegung des Wortes. Selbstreferenz und Fremdreferenzen in der Textwelt des Johannesevangeliums. Leicht überarbeitete Fassung der Diss. Theol. Tübingen 1996, 2012 (http://katalog.ub.uni-heidelberg.de/cgi-bin/ titel.cgi?katkey=67282304), 94. Vgl. Ruppert, Genesis, 205.

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das den schriftversierten Leserinnen und Lesern durch die starke Anspielung auf Gen 28,10–22 vor Augen stehende Bildmaterial das Christusereignis: Jakob wird wie auch die alttestamentlichen Autoritäten Mose, Jesaja und Abraham zu einem Zeugen Christi umfunktioniert.104 Die Wieder-Holung von Gen 28,10–22 wird also nicht zur ewigen Wiederkehr des Gleichen, sondern durch den kreativen Transfer auf den Menschensohn zur innovativen Sinnbildung.105 Dabei erhellt nicht nur der biblische Bezugstext das Christusbild des vierten Evangeliums, sondern er kommt durch diese Korrelation erst zum vollen Leuchten.106 So ist 1,51 auch traditionshermeneutisch richtungsweisend: Der vierte Evangelist schreibt Jesus – und damit seinem Evangeliumsbuch (20,30 f) – die Autorität zu, die Tradition Israels mit Jakob als Gründungsvater und grundlegendem Traditionsträger durch die christologische Konzentration authentisch auszulegen. Das Buch bezeugt als heilig anzuerkennende Schrift mit seiner Überschrift 1,51 den Menschensohn als endzeitlichen Ort der Gottesgegenwart in Israel.107 2.3. Joh 1,50 f als Basis mehrerer Sinnlinien Die beiden Schlussverse von Joh 1 lassen im Mikrokosmos des ersten Kapitels theologische Themen anklingen, die im Makrokosmos der folgenden Kapitel auf noch größere Weise expliziert werden.108 Die durch das kontinuierliche Hinaufund Hinabsteigen der Boten Gottes signalisierte ununterbrochene Gemeinschaft Jesu mit Gott wird im folgenden ganzen Evangelium sichtbar.109 Das veranschaulicht ein blitzlichtartiger Blick auf die von 1,50 f ausgehenden Sinnlinien: In 1,50 ist erstmals das komparativische Signalwort le¸fy platziert.110 Der Bezug auf Gen 28,10–22 in 1,51 stimuliert die Leserinnen und Leser unter 104 So Schlüter, Selbstauslegung des Wortes, 95. 105 Entsprechend sieht Leinhäupl-Wilke, Rettet ein Buch?, 180 f.355, in 1,51 treffend eine für das im JohEv kommunzierte rettende Wissen grundlegende Relecture eines Basis-Textes jüdischer Identität bzw. kanonischen Wissens. 106 Vgl. dazu mit beispielhaftem Blick auf die Hirtenbildfelder in Joh 10 Zimmermann, Christologie der Bilder, 113–116. 107 Zur offenbarungstheologischen Konzentration auf Jesus vgl. Schreiber, Anfänge der Christologie, 205; zur christologischen Schriftexegese in 1,51 vgl. auch Meyer, Kommt und seht, 336 f; zum Selbstverständnis des JohEv als heilig anerkannter Schrift vgl. Obermann, Die christologische Erfüllung, 418–422; zum kanonischen Anspruch des JohEv vgl. ferner Scholtissek 2003, 207–226. 108 Vgl. dazu mit dem Fokus auf 1,51 Smalley, Johannes 1,51, 303; zur Beziehung zwischen Joh 1 als Präsentation der joh. Leitgedanken und deren Entfaltung im gesamten Evangelium vgl. aaO., 302–307; zu 1,35–51 im Gesamtkontext des JohEv vgl. Meyer, Kommt und seht, 93–95; s. auch oben Abschnitt 2.1. 109 Vgl. Schneider, Evangelium nach Johannes, 78. 110 Zu den joh. le¸fy- und le¸fym-Belegen vgl. Schenk, Lexikon zum vierten Evangelium, 287 f; S. L8gasse, Art. le¸fym, in: EWNT2 2, 1992, 990 f; Busse, Johannesevangelium, 132.232.400.

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anderem, die Relation von Jakob und Jesus zu reflektieren. Diese Reflexion erfolgt explizit in Joh 4: Jesus ist ,größer‘ „als unser Vater Jakob“ (4,12). Textsemantisch erfolgt die Stufung in variierter Wiederaufnahme aus 1,50 (le¸fy) durch den Komparativ le¸fym, mit dessen Hilfe ebenfalls die Überordnung Jesu über Abraham zur Sprache gebracht wird (8,53). Die Passage 8,30–59 kann als Klimax der angeführten Väterbezüge in 1,51 und 4,5 f.12 (vgl. 7,22) angesehen werden.111 Auch die weiteren Vorkommen von le¸fy (5,20; 14,12) und le¸fym (5,36; 10,29; 13,16; 14,28; 15,13.20; 19,11) exponieren die überragende Bedeutung des Sohnes in Einheit mit dem Vater. Das Größere, das Nathanael sehen wird (1,50 f), gipfelt dem Definitionssatz 15,13 zufolge in der Liebe in Gestalt des Freundschaftstodes Jesu am Kreuz: Größere Liebe als diese gibt es nicht.112 Sie wird durch die ,größere‘ Sünde generell der ,Juden‘ bzw. Hohenpriester und speziell des Judas wirkungsvoll kontrastiert (19,11).113 In 1,51 erscheinen erstmals jataba¸my und !maba¸my als Verbduo.114 Die erneute Kreuzung der Sinnlinien der jataba¸my- und !maba¸my-Aussagen in dem zweiten Menschensohnwort 3,13 wird durch das Ab und Auf der Erzählung in Joh 2 planvoll präpariert: Jesus ging nach Kapernaum hinab (jataba¸my, V.12) und zog nach Jerusalem hinauf (!maba¸my, V.13).115 In klimaktischer, sprachlich variierter Fortschreibung von 1,51 und 2,12 f wird Jesus in 3,13 im Rahmen der Begegnung mit Nikodemus exklusiv als vom Himmel herabgekommener und in den Himmel aufgestiegener Menschensohn präsentiert.116 Seit dem Abstieg des Menschensohns auf die Erde ist der Himmel bleibend geöffnet.117 Durch die Gedankenführung in Gestalt eines ,staircase parallelism‘ werden die Leserinnen und Leser zum kreuzestheologischen Höhepunkt in dem dritten Menschensohnwort 3,14 geführt.118 Das vierte Menschensohnwort 5,27 findet sich im Kontext der christologischen le¸fy- und le¸fym-Aussagen 5,20 und 5,36: Der Vater bevollmächtigt den Sohn mit dem Gericht, weil er der Menschensohn ist. Die in 6,16–59 111 Vgl. Theobald, Abraham – (Isaak –) Jakob, 159; zu 8,31–59 vgl. aaO., 172–182. 112 Vgl. Schenk, Lexikon zum vierten Evangelium, 287; zur Verbindung von 1,51 und 15,13 vgl. auch Thyen, Johannesevangelium, 148. 113 Vgl. Lang, Johannes und die Synoptiker, 192 f; zu 19,11 als Antithese zu allen vorherigen le¸fyund le¸fym-Aussagen vgl. Schenk, Lexikon zum vierten Evangelium, 288. 114 Zu den joh. jataba¸my-Belegen vgl. Schenk, Lexikon zum vierten Evangelium, 27 f; H. Fendrich, Art. jataba¸my, in: EWNT 2, 21992, 627–629; zu den joh. !maba¸my-Belegen vgl. Schenk, Lexikon zum vierten Evangelium, 24–26; J. Beutler, Art. !maba¸my, in: EWNT2 1, 1992, 178–180. 115 Zu dieser Verwendung vgl. Schenk, Lexikon zum vierten Evangelium, 28; zur typisch joh. Transzendierung des vordergründigen Handlungsablaufs vgl. auch Popp, Grammatik des Geistes, 240 f. 116 Zum Schema von Ana- und Katabasis in 3,13 vgl. Popp, Grammatik des Geistes, 143–149; zur Korrespondenz von 1,51 und 3,13 vgl. ebd., 147; E. Ruckstuhl, Abstieg und Erhöhung des johanneischen Menschensohns, in: Pesch/Schnackenburg (Hg.), Jesus und der Menschensohn, 314–341, 329 f; Sasse, Menschensohn, 78 f; Thyen, Johannesevangelium, 200 f. 117 Vgl. Theobald, Fleischwerdung des Logos, 383. 118 Vgl. Popp, Grammatik des Geistes, 246–251.

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(V.16.33.38.41 f.50 f.58) treppenstufenförmig strukturierten jataba¸my-Aussagen sind verbal mit 6,62 durch !maba¸my korreliert. Bei 6,27 und 6,53 handelt es sich wie bei 6,62 um ein Menschensohnwort: Kein Anderer als der ans Kreuz herabgestiegene Menschensohn wird aufsteigen, wo er zuvor war (vgl. 20,17).119 Das achte Menschensohnwort ist in 8,28 zu verzeichnen. Es bezieht sich prospektiv auf die Erhöhung Jesu ans Kreuz. Das neunte Menschensohnwort 9,35 ist wie 1,51 und 6,62 im Nahkontext mit einem Credo verknüpft (1,51 – 1,49; 9,35 – 9,38; 6,62 – 6,69). Die besondere Affinität von 1,49–51 und 9,35–38 zeigt sich darin, dass hier das Sehen und Öffnen im Blickpunkt stehen. In Joh 9 kulminiert die mit 1,51 beginnende Sinnlinie der !mo¸cy-Aussagen (9,10.14.17.21.26.30.32): Jesus öffnet dem Blindgeborenen die Augen, der daraufhin stufenweise zum bekennenden Glauben kommt (9,35–38).120 Im Kontext des zehnten und elften Menschensohn-Wortes (12,23.34) findet sich auch die erste Repetition von %ccekor aus 1,51 (12,29). Das Menschensohn-Wort 12,23 verweist darauf, dass die Stunde der Verherrlichung Jesu gekommen ist: die Erhebung in den göttlichen Bereich durch Kreuz und Auferstehung (vgl. 3,13 f; 6,27.53.62; 8,28). Darauf bezieht sich die Rückfrage des Volkes nach der Erhöhung und Identität des Menschensohnes in 12,34.121 Sie ist in die Passage 12,27–36 eingebettet, die mit der der johanneischen Inszenierung der Gethsemane-Tradition beginnt (V.27 f).122 Die Himmelsstimme wird irrtümlicherweise für das Sprechen eines Engels gehalten (12,29). Im Unterschied zu 1,51 erhalten die Engel Gottes erst in der letzten %ccekor-Passage eine verbal vermittelnde Funktion: Zwei Boten fragen Maria Magdalena nach dem Grund ihres Weinens (V.12 f). Die unmittelbare Begegnung mit dem Auferstandenen führt sie von der Stufe der Anrede Jesu als Rabbi (V.16; vgl. nur 1,38.49) zur größeren Erkenntnis seines Aufstiegs zu Gott (V.17). V.18 knüpft wortfamiliär mit dem Mono-Johannikon !cc´kky (vgl. !macc´kky in 5,15) an V.12 f an: Diejenige, die von den beiden Boten angesprochen wurde, wird nun selbst zur Botin, die den Jüngern berichtet, den Herrn gesehen zu haben. Sie gibt die empfangene Botschaft weiter, damit auch sie das Größere sehen (vgl. 1,50 f).123

119 Vgl. Popp, Grammatik des Geistes, 384 f.394 f.451–453. 120 Zu den joh. !mo¸cy-Belegen (1,51; 9,10.14.17.21.26.30.32; 10,3.21; 11,37) vgl. Schenk, Lexikon zum vierten Evangelium, 425; P.-G. Müller, Art. !mo¸cy, in: EWNT2 1, 1992, 252 f; zur Korrespondenz von 1,51 und 9,35–37 vgl. Menken, Numerical Literary Techniques, 65 f; M. Rein, Die Heilung des Blindgeborenen (Joh 9). Tradition und Redaktion, WUNT II/73, Tübingen 1995, 42 f; Schenk, Ich–Idiom ,Menschensohn‘, 161; Urban, Menschenbild, 258. 121 Zum Zusammenhang von 1,51 und 12,34 vgl. auch Theobald, Fleischwerdung des Logos, 390 f (mit der Annahme einer Opposition zwischen jüdischer Messianologie und MenschensohnChristologie). 122 Zu dieser Szene vgl. Schnelle, Evangelium nach Johannes, 269; Popp, Kraft der Wiederholung, 532 f. 123 Zur Verbindung von 20,11–18 mit 1,51 vgl. auch Leinhäupl-Wilke, Rettet ein Buch?, 251.258.263–267.354 f.

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Von 1,50 f gehen nicht nur durch Wort(stamm)wiederholung konstituierte Sinnlinien aus, es wird auch das zentrale Thema präludiert, das im Folgenden variationsreich narrativ präsentiert ist: Jesus stellt den endzeitlichen Ort der Gottesgegenwart dar.124 Das Amen-Amen-Wort 1,51 hat – unter Einbeziehung der Wirkungsgeschichte von Gen 28,10–22 mit der Verlegung des Ortes der Gottesgegenwart von Bethel nach Jerusalem – programmatische tempeltheologische Bedeutung: Es deklariert Jesus als wahren Ort der Begegnung von Himmel und Erde.125 Der das ganze Evangelium umspannende große Bogen, dass Jesus der wahre Tempel Gottes ist, wird nach den Anspielungen in 1,14 und 1,51 explizit mit der programmatisch am Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu stehenden Tempelreinigung eröffnet.126 Der klimaktische Abschlussvers 2,22 kommentiert aus nachösterlicher Perspektive, dass Jesus den neuen Tempel darstellt (V.19–21). Die Verortung der Gottesgegenwart ist auch Thema der Begegnungsgeschichte zwischen Jesus und der Samaritanerin (4,4–42). In dieser Erzählung sind im Anschluss an die implizite Bezugnahme in 1,51 (Gen 28,12) die drei expliziten Erwähnungen von Jakob platziert (V.5 f.12).127 Das Treffen wird am Jakobsbrunnen lokalisiert (V.5 f; vgl. nur Gen 33,18 f; 48,22). Die Samaritanerin bezieht sich geschickt darauf, indem sie mit ,Vater Jakob‘ argumentiert (V.12). In Fortschreibung von 1,50 f sieht sie durch die Sehhilfe Jesu (V.13 f.16–18) in Jesus einen Propheten (V 19).128 In ihrem Munde findet sich auch erstmalig das Lexem tºpor (V.20; vgl. GenLXX 28,11.16 f.19).129 Die hier beginnende tºpor-Sinnlinie ist ein Beleg dafür, dass die in 1,51 in Erinnerung gerufene Basistradition Gen 28,10–22 ebenso wie Gen 1,1–2,4a im Hintergrund des Gesamtevangeliums steht.130 Es geht um die Frage nach dem wahren 124 Vgl. Schreiber, Anfänge der Christologie, 206. 125 Zur Tempelmetaphorik in 1,51 vgl. W. Radl, „Brecht diesen Tempel ab …“ (Joh 2,19) Zum traditions- und religionsgeschichtlichen Umfeld eines johanneischen „Missverständnisses“, in: Schreiber/Stimpfle (Hg.), Johannes aenigmaticus, 71–89, 78; Busse, Johannesevangelium, 336 f. 126 Zum Bogen von 2,14–21 bis 18,20 unter Einbeziehung von 1,51 vgl. M. Theobald/H.-U. Weidemann, Heilige Orte – heilige Zeiten. Die christologische Antwort des Johannesevangeliums, in: BiKi 59, 2004, 125–130, 127 f; zur kompositionellen Verklammerung von 1,50 f und 2,13–22 vgl. Busse, Johannesevangelium, 92 f.97 f.406; zur theologisch zentralen Tempelmetaphorik mit Anspielungen in 1,14b; 1,19ff; 1,29.36 (mit 19,14.36); 1,51; 2,13–22; 4,4–44; 6,45; 7,15; 7,37–39; 11,47ff; 14,2 f; 15,1–8; 16,33; 19,31–37 vgl. aaO., 314–361; im Anschluss Zimmermann, Christologie der Bilder, 367 Anm. 228. 127 Vgl. Theobald, Abraham – (Isaak –) Jakob, 158.163–172, der allerdings auch in Joh 4 – dem literarkritischen Paradigma verpflichtet – zwischen Grunderzählung und Endtext unterscheidet; zu Jakobs Bedeutung im JohEv vgl. auch Schlüter, Selbstauslegung des Wortes, 94; zu den Verbindungslinien von 1,35ff und 4,7ff vgl. Urban, Menschenbild, 242–248.275. 128 Zu dieser Korrespondenz vgl. Urban, Menschenbild, 246–248. 129 Zum joh. Gebrauch von tºpor vgl. Schenk, Lexikon zum vierten Evangelium, 386 f; G. Haufe, Art. tºpor, EWNT2 3, 1992, 876–879, 876–878; Popp, Grammatik des Geistes, 284; zur Korrelation der tºpor-Aussagen in Gen 28,10–22 und Joh 1,51 vgl. Huber, Theologie als Topologie, 305.308. 130 Aus Platzgründen sei hier nur auf zwei Passagen verwiesen: d` loi %qtom vace?m, GenLXX 28,20 – d¹r Bl?m t¹m %qtom, Joh 6,34; p¼kg toO oqqamoO, GenLXX 28,17 (vgl. PsLXX 77,23) – h¼qa, Joh

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Kultort (V.20–24).131 An die Stelle der Kultorte der Samaritaner (Garizim) und Juden (Jerusalem) rückt die Anbetung Gottes „im Geist und in der Wahrheit“ (V.23 f).132 In struktureller Entsprechung zu 1,35–51 führt Jesus die Samaritanerin auf didaktisch-mystagogische Weise Stufe für Stufe zum Glauben.133 Im Zuge der Zweistufenhermeneutik bekennt sie sich nach der traditionellen Stufe in 4,19 zu Jesus als Messias bzw. Christus (V.25 f.29). Sie wird selbst zur Glaubensbotin, die ihren Mitbewohnern die unmittelbare Begegnung mit Jesus vermittelt (V.28–30.39–42). Der tempeltheologische Spannungsbogen endet zwar explizit in 18,20, implizit reicht der Bogen jedoch bis zu Joh 20. Dieses Kapitel ist die „österlichglückliche Wiederholung der Jüngerberufung“.134 Die Gipfelszene 20,24–29 ist die österliche Relecture der Berufung Nathanaels (1,45–51; vgl. u. a. 1,49–20,28; 1,51–20,29). Dessen Credo ist textintern die vorösterliche Vorstufe und im nachösterlichen Nachdenken im Blick auf die textimmanente Korrelation mit dem Passionsbericht (vgl. nur 19,19–21) das kreuzestheologisch geprägte Pendant des Thomasbekenntnisses (20,28). Es stellt sozusagen die Antwort auf den offenen Schluss 1,51 dar. Zugleich ist es in Rückbindung an 1,1.18 nicht nur die Klimax der johanneischen Glaubensbekenntnisse, sondern das größte Christusbekenntnis im NT: „Mein Herr und mein Gott“ (vgl. auch 5stai loi j¼qior eQr heºm, GenLXX 28,21). Zu dieser Erkenntnis ist Thomas stufenweise gelangt.135 Nach seinem vorösterlichen prospektiven Einblick in Jesu Tod (11,16) und dessen Rückkehr zum Vater (14,4–6) weiß er, dass Jesus der Weg ist (bdºr, 14,6; vgl. GenLXX 28,15.20).136 Sein abschließendes österliches Credo wird dadurch generiert, dass er das Größte gesehen hat (20,29; vgl. 15,13). Das dem schriftkundigen Skeptiker Nathanael in Aussicht Gestellte (1,50 f) erfüllt sich in dem, was der ebenfalls auf sympathische Weise skeptische Thomas gesehen hat (20,28) und die nachgeborene Lesergemeinde durch die Buchlektüre wahrnimmt (20,29 mit 20,30 f): Jesus Christus ist als

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10,1 f.7.9; zur zweiten Korrespondenz vgl. Zimmermann, Christologie der Bilder, 370: „Christus ist selbst der neue, nach Joh 10 nun geweihte Tempel, die Tür zu Gott, die den Weg zum Himmel öffnet (Joh 1,51; vgl. Gen 28,17).“ Vgl. auch Theobald, Herrenworte im Johannesevangelium, 291–294. Zur Korrespondenz von Gen 28,10–22 und Joh 4,19–26 vgl. Westermann, Genesis 12–36, 561. Vgl. Theobald/Weidemann, Heilige Orte – heilige Zeiten, 125. Vgl. Popp, Grammatik des Geistes, 90 f. Thyen, Johannesevangelium, 140; zur parallelen Konstruktion von 1,19–51 und 20,1–29 vgl. aaO., 140 f; Kumlehn, Geöffnete Augen – gedeutete Zeichen, 312–323; zur Korrespendenz von 1,45–51 und 20,24–29 vgl. Lang, Johannes und die Synoptiker, 287 f; Leinhäupl-Wilke, Rettet ein Buch?, 289.354; Popp, Thomas, 525 f; zur Inklusion 1,51–20,29 vgl. auch Chang, Repetitions and Variations, 135. Zum Thomasweg im JohEv (11,16; 14,5 f; 20,24–29; 21,2) vgl. Dschulnigg, Jesus begegnen, 220–236; Bennema, Encountering Jesus, 164–170; Popp, Thomas, 504–529. Zum joh. Weg-Schema vgl. Schnelle, Theologie als kreative Sinnbildung, 139–141 (Offenbarungsweg des Logos); Zimmermann, Christologie der Bilder, 231–236 (,Kommen‘ Jesu und der Jünger).

„Größeres als das wirst Du sehen …“ (Joh 1,50)

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der Inkarnierte und Erhöhte kontinuierlich der Ort der göttlichen Herrschaft und Präsenz. Feste Zeit für die Begegnung mit ihm im Hören auf sein Wort und im Abendmahl ist die gottesdienstliche Versammlung am Auferstehungstag (20,19.26).137 Hier ereignet sich die geistgewirkte Erinnerung der Glaubenden an das Größere in Gestalt der wiederholten Begegnung mit dem auferweckten Gekreuzigten.138

3. Jesus – die Klimax Gottes Auch die Analyse von 1,51 als konklusiver Sinnspitze von Joh 1 unter besonderer Berücksichtigung der zitathaften bzw. starken Anspielung an Gen 28,12 sowie als inklusiver Ausgangspunkt eines filigranen Netzes an Bezügen durch sorgfältig konstruierte Sinnlinien legt nahe, die Jetztgestalt von Joh 1–20 cum grano salis dem vierten Evangelisten zuzuschreiben. Er bewegt sich mit seinem im NT am konsequentesten durchgeführten Leitwortstil mit einer theologischen Intensivierung in den Bahnen der heiligen Schriften Israels, wie exemplarisch die Analyse von Gen 28,10–22 gezeigt hat. Auch durch diese Schreibweise kommt der kanonische Anspruch seines Evangeliums zum Ausdruck (vgl. 20,30 f). Die Anspielungstechnik in 1,51 gibt bibelhermeneutisch zu erkennen, dass erst die christologische Auslegung die alttestamentlichen Texte in ihrer Sinntiefe voll erschließt. In Aufnahme des in 1,51 eingespielten Bildmaterials kann der johanneische literarisch-theologische Stil als klimaktisch charakterisiert werden.139 Durch die stufenhermeneutische Art und Weise der Präsentation Jesu als exklusiven Ort der göttlichen Präsenz mit entsprechenden Glaubensbekenntnissen wird das Evangeliumsbuch selbst zur Treppe, das den allein über Jesus bleibend offenen Himmel anschaulich werden lässt.140 Johannes konzipiert es als 137 Zur aktuellen Kontroverse um die Abendmahlsfrage im Johannesevangelium vgl. die Auseinandersetzung zwischen J. Heilmann, „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben.“ Zur Bedeutung einer schwer verdaulichen Aussage, in: ZNT 35, 2015, 54–60, und U. Schnelle, Symbol und Wirklichkeit. Zu einer notwendigen Bedingung johanneischen Denkens, in: ZNT 35, 2015, 61–65; zur Eucharistie (6,51c–58) als Sinnspitze der Lebensbrotrede (6,22–29) vgl. im Anschluss an Schnelle Popp, Grammatik des Geistes, 256–386.437–459; zu den Sakramenten im JohEv vgl. auch ders., Das Kreuz mit den Sakramenten. Ritual und Repetition im Vierten Evangelium, in: G. van Belle (Hg.), The Death of Jesus in the Fourth Gospel, BEThL 200, Leuven 2007, 507–527. 138 Zu dieser Wiederholung in 20,24–29 vgl. M. Lang, Die Kunst der Wiederholung. Beobachtungen zu Joh 20,24–29 im Anschluss an S. Kierkegaard, in: van Belle/Labahn/Maritz (Hg.), Repetitions and Variations in the Fourth Gospel, 631–647. 139 Zur antiken Bedeutung von Klimax vgl. J.T.Kirby/C. Poster, Art. Klimax, in: HWR 4, 1998, 1106–1115, 1106–1108; im Anschluss J. Firges, Gradatio/Crescendo – Eine Geschichte der Steigerung. Transformationen rhetorischer und musikalischer Gradationsfiguren im 18. Jahrhundert, in: Rhetorik 33, 2015, 27–41, 27–29. 140 Zu dieser Mystagogie des Wortes vgl. im Anschluss an Meyer Theobald, Evangelium nach Johannes, 197; vgl. auch aaO., 198: „Und so verwandelt sich die ,Mystik des Wortes‘ am Ende

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Thomas Popp

Kommunikationsmittel, um den Irdischen, Gekreuzigten und Auferstandenen als Klimax der Gegenwart Gottes (vgl. 1,18.50f–20,28 f). in der ,Mitte‘ der Menschen (vgl. l]sor, 1,26; 19,18; 20,19.26) dauerhaft zu präsentieren.141 Sein Denken markiert „der Höhepunkt und die Klimax der neutestamentlichen Theologie“.142

in eine Mystik unseres Lebens. Mit dem Wort Jesu im Herzen können auch wir auf unserem Weg ein Stück ,geöffneten Himmels‘ entdecken.“ Zur joh. Mystik bzw. Mystagogie vgl. auch K. Scholtissek, Mystagogische Christologie im Johannesevangelium? Eine Spurensuche, in: GuL 68, 1995, 412–426; ders., „Rabbi, wo wohnst du?“, 223–231; ders., Neue Wege in der Johannesauslegung II, 126–128; ders., Mystik im Johannesevangelium ? Reflexionen zu einer umstrittenen Fragestellung, in: J. Eckert/M. Schmidl/H. Steichele (Hg.), Pneuma und Gemeinde. Christsein in der Tradition des Paulus und Johannes. FS J. Hainz, Düsseldorf 2001, 295–324; ders., Mystik im Neuen Testament. Exegetisch-theologische Bausteine (II. Teil), in: GuL 75, 2002, 363–382, 365 f.369–375.378 f ; Popp, Grammatik des Geistes, 29–32.38 f. 43.91.469 f.484–488. 141 Nach Schenk, Lexikon zum vierten Evangelium, 217, hat das exklusiv auf Jesus bezogene Wort l]sor die Funktion, das Abstiegs- und Aufstiegs-Schema der Autor-Christologie zu unterstreichen; zu den joh. l]sor-Aussagen vgl. auch K. Scholtissek, „Mitten unter euch steht er, den ihr nicht kennt“ (Joh 1,26). Die Messias-Regel des Täufers als johanneische Sinnlinie – aufgezeigt am Beispiel der relecture der Jüngerberufungen in der Begegnung zwischen Maria von Magdala und Jesus, in: MThZ 48, 1997, 103–121; Popp, Kraft der Wiederholung, 586 f; zum JohEv in seiner Funktion als Kommunikationsmittel für Gottes rettendes Handeln im Christusereignis vgl. Leinhäupl-Wilke, Rettet ein Buch?. 142 J. Frey, Die johanneische Theologie als Klimax der neutestamentlichen Theologie, in: ZThK 107, 2010, 448–478, 478; vgl. auch Popp, Grammatik des Geistes, 471; zum Abschluss der ntl. Theologiebildung auf höchstem Niveau durch das JohEv als Weiterbildung von Paulus und Markus vgl. Schnelle, Theologie als kreative Sinnbildung, 119–145; ders., Die ersten 100 Jahre des Christentums. 30–130 n. Chr. Die Entwicklungsgeschichte einer Weltreligion, UTB 4411, Göttingen 2015, 365 f; vgl. dagegen Theobald, Evangelium nach Johannes, 81.

Martin Karrer

Die Johanneischen Schriften und die Apokalypse Beobachtungen zu einer komplizierten Beziehung

1. Einführung Manche Forschungsfragen kommen nicht zur Ruhe, obwohl sie in Aporien führen. Die Frage nach dem Verhältnis der Apk zur joh Literatur bietet ein plastisches Beispiel dessen.1 Seit der späten Alten Kirche (und mancherorts schon früher) beschäftigt die Vorstellung die Gedanken, ein einziger großer frühchristlicher Autor habe dieses Konvolut von Schriften geschaffen.2 Die These verdichtete sich nur allmählich, da sie auch die großen Unterschiede innerhalb der Johannesbriefe bewältigen musste,3 und kritische Untersuchungen widerlegten eine engere Integration der Apk in das johanneische Corpus.4 Denn die gerne berufenen verwandten Thematiken von den Motiven des Siegens und des Lebenswassers über das des Bezeugens bis zu einer Deutung Christi als Logos genügen nicht, um eine Kohärenz der 1 Auf einen Forschungsbericht sei verzichtet; die wichtigste Literatur kann über die Einleitungen zum Neuen Testament und die Kommentare sowie folgende Studien gefunden werden: O. Böcher, Johanneisches in der Apokalypse des Johannes (1981), in: ders., Kirche in Zeit und Endzeit, Neukirchen-Vluyn 1983, 1–12; I. Boxall, From the Apocalypse of John to the Johannine ,Apocalypse in Reverse‘. Intimations of Apocalyptic and the Quest for a Relationship, in: C.H. Williams/C. Rowland (Hg.), John’s Gospel and Intimations of Apocalyptic, London 2013, 58–78; M. Hengel, Die johanneische Frage. Ein Lösungsversuch, WUNT 67, Tübingen 1993 (The Johannine Question, London/Philadelphia 1989); J. Dochhorn, Ist die Apokalypse des Johannes ein Text des Christentums der Asia? Einige Überlegungen, in: C.K. Rothschild/J. Schröter (Hg.), The Rise and Expansion of Christianity in the First Three Centuries of the Common Era, WUNT 301, Tübingen 2013, 299–322; J. Frey, Erwägungen zum Verhältnis der Johannesapokalypse zu den übrigen Schriften im Corpus Johanneum, in: Hengel, Die johanneische Frage, 326–429; ders., Das Corpus Johanneum und die Apokalypse des Johannes, in: S. Alkier/T. Hieke/T. Nicklas/M. Sommer (Hg.), Poetik und Intertextualität der Johannesapokalypse, WUNT 346, Tübingen 2015, 71–133, und ders., „Die johanneische Gemeinde“. Konflikte und theologische Streitfragen, in: Zur debatte. Sonderheft 2015: Das Johannesevangelium, 8–10; E. Schüssler Fiorenza, The Quest for the Johannine School. The Apocalypse and the Fourth Gospel, in: NTS 23, 1977, 402–427. 2 Kirchengeschichtlicher Überblick bei A. Heinze, Johannesapokalypse und johanneische Schriften. Forschungs- und traditionsgeschichtliche Untersuchungen, BWANT 142, Stuttgart 1998, 15–240. 3 Zur komplexen Integration der Johannesbriefe ins joh. Corpus s. die Kommentare (z. B. G. Strecker, Die Johannesbriefe, KEK 14, Göttingen 1989, 11–13). 4 Nachwirkungen der These reichen gleichwohl bis in jüngste Zeit: C.S. Keener, The Gospel of John. A Commentary I, Peabody 2003, 126–139; G.R. Osborne, Revelation, Baker Exegetical Commentary on the New Testament, Grand Rapids 2002, 2–6.

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Theologie zu sichern.5 Schon die Sprache der Apk erweist sich als so eigentümlich,6 dass es eine zusätzliche Brücke braucht, wenn die Forschung Spuren zum späteren Konnex der Schriften direkt am Text der Apk verankern will.7 Dennoch reizen solche Spuren nicht ohne Grund. Seit langem nämlich werden die Schriften ähnlich datiert (meist gegen Ende des 1.Jh.). Divergierende Früh- und Spätdatierungen – wie sie sowohl für das Joh als auch die Apk begegnen8 – zwingen dazu, das nicht zu belasten; doch eine gewisse Lockerung des Zusammenhangs und kühne Thesen einer theologischen Entwick-

5 Vgl. zu Logos und Lebenswasser bes. J.-W. Taeger, Johannesapokalypse und johanneischer Kreis, BZNW 51, Berlin/New York 1988, zum Siegesmotiv ders., „Gesiegt! O himmlische Musik des Wortes!“ Zur Entfaltung des Siegesmotivs in den johanneischen Schriften, in: ders./D.C. Bienert/ D.-A. Koch (Hg.), Johanneische Perspektiven. Aufsätze zur Johannesapokalypse und zum johanneischen Kreis 1984–2003, FRLANT 215, Göttingen 2006, 81–104, für eine ungewöhnliche Behandlung des Logosmotivs K. Haacker, Das Wort Gottes als Person in johanneischen Traditionen, in: J. Elschenbroich/J. de Vries (Hg.), Worte der Weissagung. Studien zu Septuaginta und Johannesoffenbarung, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 47, Leipzig 2014, 249–257, zum Zeugnismotiv z. B. Heinze, Johannesapokalypse, 353 f, und für einige weitere sprachliche Berührungen Boxall, Apocalypse, 68–71, außerdem die Übersichten in den Kommentaren (z. B. A. Satake, Die Offenbarung des Johannes, KEK 16, Göttingen 2008, 39–44). Zum mindesten muss man konzedieren, dass Apk und Joh relevante Konzepte in verschiedenen Versionen aufnehmen, wie J. Frey das in einer Studie zur Shekhina in Joh 1,14 / Apk 21,3 herausarbeitete (J. Frey, God’s Dwelling on Earth. ,Shekhina-Theology‘ in Revelation 21 and in the Gospel of John, in: Williams/Rowland [Hg.], Gospel, 79–103). Zu Recht noch vorsichtiger äußert sich der Jubilar : U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 8 2013, 598 f, zu diesen theologisch-thematischen Aspekten. 6 Die Sprachuntersuchungen zur Apk sind in den jüngeren Kommentaren nachgewiesen. C.R. Koester fasst das Resultat gut zusammen: „Studies of vocabulary and style do not suggest that Revelation has any special connection to the Fourth Gospel or Johannine Epistles“ (C.R. Koester, Revelation. A New Translation with Introduction and Commentary, The Anchor Yale Bible 38 A, New Haven/London 2014, 80–83, Zitat 83). 7 Das geht letztlich nur unter Einbezug literarkritischer Operationen: J.-W. Taeger, Offenbarung 1,1–3. Johanneische Autorisierung einer Aufklärungsschrift (2003), in: ders./Bienert/Koch (Hg.), Johanneische Perspektiven, 157–173, schlug über seine in Anm. 5 notierten Beobachtungen zu Motiven im Text hinaus vor, die Apk sei durch 1,1–3 sekundär johanneisch autorisiert und herausgegeben worden. J. Frey, der die bedeutendste jüngere Untersuchung zur Sprache vorlegte (Frey, Erwägungen) und zentrale Motive verglich (Frey, Dwelling), erstellte die These, die Apk (ein ursprünglich selbstständiger, wenn auch vielleicht schon dem joh Christentum naher Text) sei nachträglich in 1,9ff so autorisiert worden, dass ein Zusammenhang mit der Autortradition für die joh Literatur entstand. Folgt man ihm, ließe sich der von Taeger postulierte Nachtrag von 1,1–3 als jüngster Schritt in der Entwicklung verstehen (Frey, Corpus, 73 f.103 f.128–133, Hinweis zu Taeger : 131). Literarkritik der Apk hat eine lange und wichtige Geschichte. Aber Indizien für ein Wachstum des Textes ließen sich nie sicher verifizieren. Daher ist meines Erachtens (mit der großen Mehrheit der Kommentarliteratur) auf die skizzierten Brücken zu verzichten. 8 Die Spätdatierung des Joh war im 19.Jh. am beliebtesten (F.C. Baur, Kritische Untersuchungen über die kanonischen Evangelien, ihr Verhältnis zu einander, ihren Charakter und Ursprung, Tübingen 1847, 349–363), die der Apk ins 2.Jh. findet derzeit nicht wenige Anhänger (exponiert T. Witulski, Die Johannesoffenbarung und Kaiser Hadrian. Studien zur Datierung der neutestamentlichen Apokalypse, FRLANT 221, Göttingen 2007, und andere Beiträge).

Die Johanneischen Schriften und die Apokalypse

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lung könnten Unterschiede der Datierung auffangen.9 Eine breite Forschungslinie siedelt die joh Literatur zudem in Ephesus an,10 und die Apk nennt diese Stadt als erste unter ihren Adressaten. Vergleiche mögen daher weniger auf einen gemeinsamen Autor als auf eine Vielfalt von Traditionen in ein- und demselben frühchristlichen Raum stoßen;11 aber ist nicht auch diese Vielfalt relevant? Damit freilich ändert sich die Perspektive. Bemerkenswerte Nebenzüge lassen sich würdigen, z. B. die größte Auffälligkeit in der Terminologie zur Gemeinde: Joh und 1/2Joh verwenden den Begriff 1jjkgs¸a nicht, 3Joh dagegen tut es (Vv.6.9.10) und die Apk nicht minder, sie allerdings in literarischer Nähe zur Redeform des paulinischen Briefes (1jjkgs¸a in Apk 1,4 entspricht dem paulinisch-deuteropaulinischen Briefformular). Das erklärt sich am besten, wenn wir in Schlüsselbereichen des neu entstehenden Christentums Schnittflächen erkennen, die die Begegnung verschiedener theologischer Traditionen erlauben – die unabdingbare Voraussetzung dafür, dass aus den unterschiedlichen Traditionen die spätere Großkirche entstehen kann. Wir gewinnen statt eines johanneischen Corpus verschiedene „johanneische“ Impulse in einem größeren Umfeld. Nehmen wir hinzu, dass das frühe Christentum Auseinandersetzungen nicht scheute, fällt ein Weiteres auf. Die Joh-Briefe wandten sich gegen Vertreter einer anderen Christologie (1Joh 2,18.22; 4,3 und 2Joh 7 prägten in diesem Zusammenhang den Begriff !mt¸wqistor/!mt¸wqistoi), das Joh gegen den Kosmos (15,18 f u. ö.; vgl. 1Joh 5,19), die Apk gegen wandernde Apostel (2,2), eine Prophetin (2,20) und Gruppierungen, die sie als Bileamiten und 9 Als klassisches Beispiel der Forschungsgeschichte nenne ich die Tübinger Schule des 19.Jh., in der durch die Spätdatierung des Joh ein weiter zeitlicher Abstand zur Apk entstand. Auf F.C. Baur werde ich unten in § 4.3 zurückkommen. A. Hilgenfeld, der vielleicht wichtigste Vertreter nach ihm, postulierte keinen unmittelbaren Konnex zwischen der Apk und dem joh Schrifttum, wohl aber eine Geschichte der Referenz auf Johannes: Der auferstandene Herr habe den drei Säulenaposteln Jakobus, Johannes und Petrus nach einer wesentlichen kirchlichen Überzeugung cm_sir mitgeteilt (vgl. Clemens Al., Hypotyposen nach Eus. h.e. 2,1,4). Die Apk habe sich früh, ihrerseits mit dem Akzent prophetischer Erkenntnis, auf Johannes berufen; später habe das in anderer Weise der 1Joh getan usw. (A. Hilgenfeld, Das Evangelium und die Briefe Johannis, nach ihrem Lehrbegriff dargestellt, Halle 1849, 322–355, zur Apk: 354 f). Auf diese Weise entstand eine Linie vor früher prophetischer zu später mystisch-gnostischer Erkenntnis; das Erkenntnis-(cm_sir)-Motiv hielt die Entwicklung zusammen. 10 Man denke nur an den Jubilar, z. B. Schnelle, Einleitung, 556; seine These über die Reihenfolge der joh Schriften zwischen Anfang der 90er Jahre [2/3Joh], Mitte der 90er Jahre [1Joh] und 100–110 [Joh] fasst er in ders., Die Johannesbriefe, ThHK 17, Leipzig 2010, 9–19 zusammen. 11 Bandbreite der Diskussion und Literatur bei P.R. Trebilco, The Early Christians in Ephesus from Paul to Ignatius, WUNT 166, Tübingen 2007; S. Witetschek, Ephesische Enthüllungen, Bd. I. Frühe Christen in einer antiken Großstadt. Zugleich ein Beitrag zur Frage nach den Kontexten der Johannesapokalypse, Biblical Tools and Studies 6, Leuven 2008, bes. 263–344, und J. Frey, Von Paulus zu Johannes. Die Diversität ,christlicher‘ Gemeindekreise und die ,Trennungsprozesse‘ zwischen der Synagoge und den Gemeinden der Jesusnachfolger in Ephesus im ersten Jahrhundert, in: Rothschild/Schröter (Hg.), Rise and Expansion, 235–278.

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Nikolaiten geißelte (2,6.14–15). Die uns interessierende Literatur liebte also Auseinandersetzungen. Trotzdem sind die genannten Gegnerschaften schwer zu korrelieren. Die Erwähnungen des Kosmos in der Apk sind trotz ihrer dualistischen Neigungen positiver als die des Joh (Gott und Christus sind laut Apk 11,15 eschatologisch Herr des Kosmos), und das Stichwort „Antichrist“ ist ihr fremd (obwohl es ihre Wirkungsgeschichte zeitweise dominieren wird), während sich vice versa Nikolaiten und Bileamiten im Joh und 1–3Joh nicht greifen lassen. Die unterschiedlichen Bilder der Gegner mindern die Berührungen der Texte und sind daher ein wichtiges Indiz gegen eine einheitliche johanneische Literatur. Umgekehrt weist gleichfalls nichts darauf hin, das Joh und die Joh-Briefe würden die Theologie, die in die Apk führt, oder umgekehrt die Apk theologische Linien des Joh und der Joh-Briefe zu ihren Gegnern zählen. Letzteres wundert nicht, selbst wenn wir die Theologien der Apk und des Joh gegeneinander setzen würden (der Logos von Joh 1,1 bezieht sich auf das anfänglich schaffende, der von Apk 19,13 auf das endzeitlich zerstörende Wort usw.). Denn zu den Konvergenzen in der frühchristlichen Literatur kommt hinzu, dass die Durchlässigkeit und Duldungsbereitschaft zwischen frühchristlichen Gruppen unbeschadet scharfer Grenzziehungen größer gewesen sein dürfte als manchmal vermutet.12 Schwer wird es, nach dem Gesagten von der mittleren Linie abzuweichen, die sich in weiten Teilen der Forschung aus gutem Grund durchgesetzt hat: Die Apk gehört nicht zur joh Literatur, dem Corpus von Evangelium und Briefen. Gleichwohl hat es durchaus Reiz, einigen Aspekten um Autor (2.) und Sammlung der Schriften (3./4.), um die Relation zwischen Joh und Apk (2./6.), um altkirchliche Datierungen (5.) und Wertschätzung der Apk (5./6.) nachzugehen, weil sie Schlaglichter auf die Theologie- und Sammlungsgeschichte werfen.

2. Die Diskussion um den Autor und Apk 1,2 Die klassische Einleitungsfrage nach dem Autor der Schriften ist seit der alten Kirche so umfangreich erörtert worden, dass wir das in der hier gebotenen Kürze weder nachzeichnen können noch müssen. Uns genügt der Ausgangspunkt: Die Apokalypse ist ihren Selbstangaben nach von einem Johannes geschrieben (1,1.4.9; 22,8). Sie darf im eigentlichen Sinne johanneisch heißen, 12 Man konnte in den Städten der römischen Kaiserzeit und frühchristlichen Gemeinden sowohl Positionen ändern (z. B. zu Paulinern oder einer joh Gruppe „konvertieren“) als auch in Pluralitäten leben (vgl. I. Peres, Die Johannesapokalypse als erinnerte Leidensgeschichte, in: S. Fazakas/G. Plasger [Hg.], Geschichte erinnern als Auftrag der Versöhnung. Theologische Reflexionen über Schuld und Vergebung, Forschungen zur reformierten Theologie 5, Neukirchen 2015, 131–148, 146).

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wie immer wir ihren Johannes, sei es orthonym oder pseudonym, identifizieren.13 Johannesevangelium und Johannesbriefe dagegen geben der Gestalt, auf die sie sich in der Vermittlung ihres theologischen Denkens beziehen, keinen Namen. Sie, die heute das „johanneische“ Schriftencorpus bilden, bedürfen der nachträglichen Zuweisung des Namens Johannes. Diese Zuordnung reicht für das Joh wohl ins 2.Jh. zurück,14 bezieht sich dann indes zunächst nicht notwendig auf den Johannes der Apk (der Ausgangspunkt für langwierige Bemühungen um die Korrelation des Evangelisten, des in 2/3Joh berufenen Presbyters und dritter Personen des Namens Johannes). Als Konsequenz dessen zwang selbst eine gemeinsame Ansiedlung von Joh und Apk in Ephesus und dessen Umgebung (Patmos von Apk 1,9 liegt nicht weit entfernt) nicht, die Autoren zu identifizieren. Euseb lag – paradigmatisch dafür – ein Bericht über zwei Johannes-Gräber in Ephesus vor, weshalb man seiner Ansicht nach ans zweite Grab denken durfte, falls man den Autor der Apk vom Evangelisten unterscheiden wollte.15 Andererseits verschmolzen seit Irenäus die unterschiedlichen Bezugsgestalten allen Bedenken zum Trotz und verbreitete sich die Vorstellung eines größeren Corpus Johanneum.16 Widersprüche dagegen (am bekanntesten die Unterscheidung des Autors von Apk und Evangelium/1Joh durch Dionys von Alexandrien; Eus. h.e. 7,25) verhallten allmählich, im Osten später als im Westen.17 Das hatte eine bemerkenswerte Konsequenz. Der Name Johannes aus der Apk war nun auch der Name des Anonymus hinter Joh/1Joh und des anonymen Presbyters von 2/3Joh und dennoch alleine in der Apk belegt. Die Frage tauchte auf: Gibt es nicht eine Referenz der Apk, die die Identität des von ihr genannten Johannes mit den anderen joh Schriften sichert? Die ältesten griechischen Kommentatoren der Apk, Oecumenius und Andreas (je zu Apk 1,2), beschäftigt diese Frage nicht. Doch die lateinische Kommentierung fand in der Spätantike eine wunderbare Lösung:18 13 Zur Diskussion darüber s. die Kommentare. Da der Johannes der Apk auf ein Epithet verzichtet, ist er meines Erachtens eine orthonyme, der Asia bekannte Gestalt, auch wenn wir heute das Wissen aus der Entstehungszeit der Apk verloren haben; vgl. M. Karrer, Johannesoffenbarung I. Offb 1,1–5,14, EKK 24/1, Ostfildern/Göttingen 2017, 43–49. 14 Wie weit genau, ist für alle Evangelienüberschriften umstritten (vgl. T.K. Heckel, Vom Evangelium des Markus zum viergestaltigen Evangelium, WUNT 120, Tübingen 1999, 207–212). Ältester Zeuge ist die Inscriptio euaccekiom jata iyammgm in P66 (um 200); vgl. etwas später auch die inscriptio in P75. 15 Eus. h.e. 3,39,6. 16 B. Mutschler, Was weiß Irenäus vom Johannesevangelium? Der historische Kontext des Johannesevangeliums aus der Perspektive seiner Rezeption bei Irenäus von Lyon, in: J. Frey/U. Schnelle / J. Schlegel (Hg.), Kontexte des Johannesevangeliums. Das vierte Evangelium in religions- und traditionsgeschichtlicher Perspektive, WUNT 175, Tübingen 2004, 695–742, 725. 17 Oecumenius berichtet sie noch – scharf abweisend – am Ende seines Kommentars nach Apk 22,21 (XII 12). 18 Der älteste lateinisch erhaltene Kommentar zur Apk (und zum Neuen Testament überhaupt), Victorin von Pettau (um 300) behandelt die für uns relevante Zeile aus Apk 1,2 noch nicht.

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Die Formulierung dr 1laqt¼qgsem t¹m kºcom toO heoO ja· tµm laqtuq¸am YgsoO WqistoO fsa eWdem in Apk 1,2 biete einen biographischen Rückblick auf die andere joh Literatur.19 Der Johannes der Apk habe demnach schon vor der Apk für das Wort Gottes Zeugnis abgelegt; er habe den Sohn Gottes verkündet und seine Gottheit bekräftigt sowie wiedergegeben, was er von Christus gesehen und gehört hatte. Das Zeugnis für das „Wort Gottes“ verweist auf das Joh („qui testimonium peribuit verbo dei, videlicet qui predicavit filium dei et asseruit deitatem eius“; vgl. Joh 1,1.18), „gesehen und gehört“ auf den 1Joh („et testimonium reddidit de domino nostro Iesu Christo, quaecumque viderat in illo et audierat ex illo“; vgl. „quod vidimus et audivimus“ in 1Joh 1,1 lat.; Zitate aus dem Kommentar des Apringius).20 Die Apk bestätigt, sie habe denselben Autor wie das Joh und 1(–3)Joh, präsentiert den Namen dieses Autors und hilft auch noch, die johanneischen Schriften zu reihen; Joh und 1Joh müssen bei solcher Lektüre von Apk 1 älter sein als die Apk. Exegetisch überzeugt die lateinische Kommentierung nicht. Apk 1,1–3 ist – typisch für die Antike – aus der Perspektive der Leserinnen und Leser geschrieben, an die die Apk sich wendet. Wenn der Vorleser von 1,3 den Text vorträgt, blickt er auf Johannes zurück, der die Offenbarung empfing; für ihn und die hörende Gemeinde legte Johannes Zeugnis ab, als er den Text der Apk niederschrieb.21 Nicht einmal ein Ausleger, der den Text literarisch von der Apk abhebt und für deren „johanneische“ Autorisierung bemüht, wird heute deshalb in ihm eine andere Referenz finden als diejenige auf die Apk, deren Autor auf ein christliches Zeugnis (auf Gottes Wort und Jesu Zeugnis) verpflichtet wird.22 Trotzdem verdient die Beobachtung der auslegungsgeschichtlichen Dynamik Aufmerksamkeit. Denn zu sehr hat sich die Forschung daran gewöhnt, die Autorfrage stets vom Evangelisten oder Apostel „Johannes“ aus zu bedenken. Der Gebrauch des Namens zwänge eigentlich zur umgekehrten Richtung; wenn schon ein Johannes für das ganze johanneische Schrifttum in Anspruch genommen werden soll, dann würde der Johannes der Apk es verdienen, dass darüber von ihm ausgehend nachgedacht wird. Die Folgen wären gravierend: Der Johannes der Apk nennt sich bekanntlich keinen Apostel, sondern blickt ähnlich zu den jüngeren Synoptikern auf die „zwölf Apostel“ zurück (21,14; vgl. Mt 10,2 und wichtige Handschriften von Lk 9,1; 22,14). Der eigenwillige Autor der Apk würde zur Referenz-Autorität des joh Schrifttums insgesamt. Man müsste von ihm, dem Visionär aus auf die anderen joh Texte blicken.23 19 Überblick über die Belege bei T. Zahn, Die Offenbarung des Johannes. Erste Hälfte Kap. 1–5 mit ausführlicher Einleitung, Kommentar zum Neuen Testament 18/1, Leipzig 1924, 153–156. 20 CCHr.SL 107, ed. R. Gryson, 2003, 34. 21 W. Bousset, Die Offenbarung Johannis, KEK 16, Göttingen 61906 (NA 1966), 183, führte das maßgeblich in die neuere Exegese ein. Falls man die Apk nach 1,4 brieflich liest, konkretisiert sich die philologische Erscheinung zum sogenannten Briefaorist. 22 So Taeger, Offenbarung 1,1–3, 164. 23 Angemerkt sei, dass die Ausleger den visionären Charakter der Apk von der Spätantike an im

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3. Die johanneischen Schriften in den alten Handschriften des Neuen Testaments Aber gibt es überhaupt eine alte Tendenz, Joh, 1–3Joh und Apk als ein Corpus im engeren Sinn zu verstehen und zu verwenden? Diese These wird in der Forschung immer wieder erwogen.24 Doch in der Sammlungsgeschichte des Neuen Testaments schlägt sich kein solches Corpus nieder. Die Überlieferung des Joh beginnt im 2.Jh. (P52), die der Apk etwas später (P98 ; nach der jüngsten Diskussion eher Anfang 3. als spätes 2.Jh.25), indessen immer noch früh26 und vor allem früher als die der Joh-Briefe (für 1Joh s. P9 um 300, für 1–3Joh Codices ab dem 4.Jh. und P74 aus dem 7.Jh.). Die frühen Papyri enthalten dabei nur die Fragmente jeweils einer Schrift, der späte P74 eine fragmentierte Sammlung des Praxapostolos, d. h. von Apg und katholischen (= kath.) Briefen (ohne Apk und Joh). Das Indiz einer alten „johanneischen“ Sammlung ergibt sich daraus nicht. Zwischen der frühen und späteren Entwicklung stehen Drittzeugnisse und die großen Codices. Das wichtigste der Drittzeugnisse, der Canon Muratori (datiert entweder auf das Ende des 2. oder spätes 3. bis Mitte 4.Jh.), erwähnt das Joh auf Blatt 1 bei den Evangelien und attribuiert es einem Jünger Johannes.27 Zwei Briefe, die durch ihre Superscriptio einem Johannes zugewiesen würden, nennt Blatt 3 in Z.6–7.28 Die Apk folgt, durch einen Hinweis auf die Weisheit Salomos von den Briefen getrennt, auf Blatt 3 als eine der beiden Apokalypsen – derjenigen des Johannes und des Petrus –, die der Autor rezipiere (Zeilen 9–11). Das Alter dieses Textes ist umstritten, für uns relevant ist

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byzantinischen Osten wie im lateinischen Westen ermäßigten: Wer ¨de mit „hier“ statt „hierher“ übersetzt (was griechisch möglich ist), kann in Apk 4,1 f lesen, Johannes solle an seinem irdischen Ort („hier“) lediglich spirituell aufsteigen. Ein solcher Aufstieg des Sinnes unter Abwendung von allem Irdischen wurde vor allem im Osten relevant (vgl. z. B. Arethas zu Apk 4,1). Aber auch „hierher“ (die altlat. Tradition übersetzt in 4,1 mehrheitlich „huc“) erlaubt eine spirituelle Tendenz, nämlich einen nichtsarkischen, inneren Aufstieg zur himmlischen Welt und himmlischen Kirche (vgl. Apringius, Tyconius und andere zu Apk 4,1 f; Wiedergabe der altlat. Texte in Ausschnitten bei R. Gryson [Hg.], Apocalypsis Johannis, VL 26/2, Freiburg 2003, 242 f). S. bes. C.E. Hill, The Johannine Corpus in the Early Church, Oxford 2004, und vgl. die Rezeption von einigen Beobachtungen Hills bei Frey, Corpus, 107–109. P. Orsini/W. Clarysse, Early New Testament Manuscripts and Their Dates. A Critique of Theological Palaeography, in: EThL 88, 2012, 443–474, 471. In etwa gleichzeitig mit der Überlieferung der (freilich besser erhaltenen) Paulusbriefe in P46 (bei Orsini/Clarysse, Manuscripts, 420, auf 200 bis 225 n. Chr. datiert) usw.; Orsini und Clarysse erwägen auch für P46 eine Entstehung zu Beginn des 3.Jh.; insofern darf man annehmen, dass die erhaltene Überlieferung der Apk ebenso alt ist wie diejenige der Paulusbriefe. „Iohannis ex decipolis“ (I 9) ist eine Verschreibung für „Iohannis ex discipulis“ ([…] aus den Jüngern). Einer der beiden damit gemeinten Briefe ist mit Sicherheit der 1Joh, da er in I 29–31 zitiert wird, der andere der heutige 2Joh oder 3Joh. Ein dritter Johannesbrief scheint nicht rezipiert zu sein, ob das nun den in heutiger Zählung zweiten oder dritten Johannesbrief meint.

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der Verzicht auf jede Bemühung, die „johanneischen“ Texte zusammenzustellen. Es ist schwer, wenn nicht unmöglich, von seiner Liste zu einem johanneischen Corpus zu gelangen.29 Der Hinweis, die Briefe enthielten den Namen Johannes in der „superscrictio“ (Canon Muratori III 6 f; Schreibung sic), belegt zudem, dass der Autor des Canon Muratori die nachträgliche Kennzeichnung der Briefe zur Aufbewahrung (das ist die Superscriptio) von ihrem anonymen Binnentext unterscheidet. Der Schritt von da zu den alten Vollbibeln ist klein: – Der Sinaiticus enthält alle uns interessierenden Schriften, trennt sie aber in Blöcken voneinander ; das Joh steht bei den Evangelien, 1–3Joh bei den später so genannten kath. Briefen und die Apk nach dem Jud (dem letzten der so genannten kath. Briefe). Mit „Evangelium nach Johannes“ ist das Joh, mit Iyammou a usw. sind die Johannesbriefe und mit !pojak¼xeir (sic) Yy²mmou ist die Apk unterschrieben. Jeweils erscheint der Name Johannes. Ob der Träger des Namens identisch ist, bleibt offen; eine Dynamik zu einem joh Corpus entsteht nicht. – Der Vaticanus trennt gleichfalls Joh- und Joh-Briefe. Die Apk würde er – falls er, dessen ursprünglicher Text im Hebr abbricht, sie überhaupt enthielt – gesondert und spät im Neuen Testament bieten. – Der Alexandrinus stellt Apg und die später so genannten kath. Briefe (mit 1–3Joh) hinter die Evangelien und die Apk hinter die Paulinen, gleichfalls eine deutliche Unterscheidung in der Sammlung. – Der Codex Bezae, der bedeutendste der unvollständigen Zeugen, bietet den 1Joh (Teile sind erhalten) zwischen Evangelien und Act. Die Evangeliensammlung, die in diesem Codex „westlich“ geordnet ist (Mt/Joh/Lk/Mk), bricht er nicht auf; selbst wenn wir uns auf verlorenen Blättern zwischen Mk und 1Joh die Apk und 2/3Joh hinzudenken würden, entstünde deshalb kein gemeinsames Corpus mit dem Joh.30 D. h., auch die fragmentarische alte Überlieferung bietet keine Evidenz für ein altes Corpus Johanneum.31 29 Zur jüngeren Diskussion um den CanMur s. z. B. J. Verheyden, The Canon Muratori. A Matter of Dispute, in: J.-M. Auwers/H.J. De Jonge (Hg.), The Biblical Canons, BEThL 163, Leuven 2003, 487–556, und J.J. Armstrong, Victorinus of Pettau as the Author of the Canon Muratori, in: VigChr 62, 2008, 1–34. Gewiss ist Vorsicht angesagt, den Canon Muratori dem Autor des ältesten Kommentars zur Apk zu attribuieren. Aber schon die Erwägung als solche ist reizvoll: Die Apk braucht für ihre exegetische und theologische Relevanz kein Corpus Johanneum. 30 Vollends spekulativ wäre es, einen so fragmentarischen Zeugen wie Majuskel 0232, die 2Joh 1–9 enthält, zu einer Sammlung zu vervollständigen (vgl. aber Hill, Johannine Corpus, 454 f). 31 Fügen wir die interessanteste Stelle bei den Kirchenvätern an: (Pseudo)-Hippolyt schreibt in Contra Noetum 15,2, Johannes, der bekunde, dass der Logos von Anfang an sei (vgl. Joh 1,1) und gesandt werde (vgl. Apk 19,11–13), habe, „hinuntergegangen in der Apokalypse“ (rpob±r 1m t0 )pojak¼xei), gesagt (5vg), „und ich sah den Himmel offen, und siehe, ein weißes Pferd […]“ (Zitat von Apk 19,11–13). Zwei Deutungen sind möglich: (a). Der Logos wird in der Apk erst relativ spät (= hinuntergegangen) erwähnt (nämlich erst 19,13). (b). Johannes gehe in seiner Rede gleichsam in einer Handschrift von Joh 1,1 zu Apk 19,11–13 hinunter. In letzterem Fall böte

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Damit bestätigen sich die bekannten großen Linien der neutestamentlichen Textgeschichte: Die Sammlungen von Evangelien und Paulusbriefen reichen bis ins 2.Jh. zurück.32 Aus dem Konvolut der weiteren Schriften kristallisiert sich später und allmählich die Sammlung der katholischen Briefe heraus.33 Die Apk wurde keiner Sammlung fest beigefügt und gelangte in der Regel hinter die Teilsammlungen, ans Ende des Neuen Testaments. Dort wurde sie durch den Jud von den Joh-Briefen getrennt, wenn ihr die katholischen Briefe vorangingen. Kurz, die material vorhandenen Zeugen widerraten durch die Trennung von Evangelium, Briefen und Apokalypse dem, sich die 5 „johanneischen“ Schriften als ein frühes Corpus vorzustellen.

4. Die jüngeren Handschriften und die Anordnung der Schriften in den Drucken des Neuen Testaments 1. Die beschriebene frühe Sammlungsgeschichte beließ Spielraum für den Ort der Apk im Neuen Testament. Denn deren selbständige, in keine Sammlung fest eingebundene Überlieferung erlaubte, sie nicht nur – wie bevorzugt – ans Ende, sondern auch an andere Stellen im Neuen Testament zu stellen. Die Zahl der Handschriften, die wir dazu im griechisch-byzantinischen Osten berücksichtigen müssen, ist nicht allzu groß, weil die Apk aufgrund einer Rezeptionskrise im Alexandria des 3.Jh. (vgl. oben zu Dionys von Alexandrien, Eus. h.e. 7,25) kein Bestandteil der Lektionare geworden war und relativ wenige Codices mit dem gesamten Neuen Testament einschließlich Apk entstanden (lediglich 56 bis 61 von mehreren Tausend neutestamentlichen Handschriften fallen unter diese Kategorie34). Einige dieser Codices sind erst nachträglich aus ursprünglich getrennten Handschriften zusammengebunden worden,35 ein Indiz dafür, dass das Interesse an Volltexten des Neuen Testaments, das nach den frühen Vollbibeln zurückging, allmählich wieder bis

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unsere Stelle ein Indiz dafür, dass Joh und Apk bei Abfassung der Schrift gleichermaßen Bestandteil des Neuen Testaments waren. Dass die Schriften im Sinne eines Corpus Johanneum hintereinander gestanden hätten, ginge aber auch dann nicht aus dem Text hervor. Die Flexibilität innerhalb der Anordnung der Sammlungen (sogenannte „westliche“ Reihung der Evangelien neben der Hauptreihung Mt – Mk – Lk – Joh; Stellung des Hebr in P46 hinter Röm, in den Codices des 4.Jh. [4, B] hinter 2Thess) braucht uns hier nicht zu beschäftigen. Nach der älteren Forschung würde sich die Sammlung der katholischen Briefe im Wesentlichen im 4.Jh. klären. Nach der derzeitigen Forschung bieten die Codices des 4.–5.Jh. (4 usw.) nur einen Zwischenschritt und dauerte die Klärung länger : s. W. Grünstäudl, Was lange währt … Die Katholischen Briefe und die Formung des neutestamentlichen Kanons, in: Early Christianity 7, 2016, 71–94. Die Zählungen variieren wegen Unklarheiten bei einigen Codices. Das arbeitete U.B. Schmid, Die Apokalypse, überliefert mit anderen neutestamentlichen Schriften – eapr-Handschriften, in: ders./M. Sigismund /M. Karrer (Hg.), Studien zum Text der Apokalypse, ANTF 47, Berlin/Boston 2015, 421–441, heraus.

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zu einem Schwerpunkt im 14./15.Jh. wuchs.36 Im Ergebnis treffen wir die Apk, wie nach den Weichenstellungen des 4./5.Jh. erwartbar, in den Codices am häufigsten am Ende des Neuen Testaments (und dort gegebenenfalls sekundär zugefügt37), ansonsten vor allem in folgenden zwei Anordnungen:38 – Evangelien / Acta / kath. Briefe / Apk / Paulus: min. 1424 (9./10.Jh.) und min. 205 (15.Jh.); vgl. kath. Briefe / Apk / Paulus in der Bilingue 620 (12.Jh.) – Evangelien / Acta / Apk (sowie danach supplementiert kath. Briefe / Paulus):39 min. 175 (11.Jh.)

In Codices, die im Verlauf der Zeit neu gebunden oder beschädigt wurden, finden sich auch die Anordnungen: – (Acta) / kath. Briefe / Apk / Paulus / Evangelien: min. 517 (11./12.Jh.) – Paulus / Acta / kath. Briefe / Apk / Evangelien (min. 69 aus dem späten 15.Jh.)40 – Acta / kath. Briefe / Paulus / Apk (nur bis 1,3 erhalten) / Evangelien: min. 1652 (16.Jh.).

So sehr sich die Anordnungen unterscheiden, bewahren sie die Teilsammlungen der Evangelien und Paulinen. Lediglich zwei vereinzelte Handschriften verbinden Joh, Apk und Johannesbriefe gesondert miteinander, min. 743 aus dem 14. und min. 368 aus dem 15.Jh.; sie bezeugen das Interesse an dieser Schriftengruppe, reichen aber nicht, um ein eigenes Corpus Johanneum in der Überlieferung material breiter durchzusetzen. 2. Das Interesse an der joh Schriftengruppe kristallisiert sich demnach weniger über eine materiale Sammlung heraus als über die Autoridee. Viele Inscriptiones signalisieren quer durch die Handschriften, dass Evangelium, Briefe und Apk demselben Autor zuzuweisen seien. Evangelist heißt dieser Autor in den Titeln der Schriften, Apostel und – gemäß seinem byzantinischen Ehrentitel heºkocor – vor allem „Theologe“ (s. z. B. „Evangelist“ und „Apostel“ in P zum 1Joh, „Apostel“ und „Theologe“ in L für den 2Joh und „Johannes der 36 Dazu korrespondierend, fand Schmid, Apokalypse, Indizien dafür, dass eine Gruppe neutestamentlicher Volltexte mit Koinetext auf eine Edition des frühen 14.Jh. zurückgehen dürfte. 37 Ein berühmtes Beispiel bildet der Codex Bessarions min. 209: er wurde in Bessarions Zeit, vielleicht sogar seinem Auftrag um die Apk vervollständigt (Schmid, Apokalypse, 427 f). Das Supplement der Apk trägt heute die Nummer 2920. 38 Nachweise bei J.K. Elliott, The Distinctiveness of the Greek Manuscripts of the Book of Revelation, in: JThS 48, 1997, 116–124, und D.D. Schmidt, The Greek New Testament as a Codex, in: L.M. McDonald/J.A. Sanders (Hg.), The Canon Debate, Peabody 22004, 469–484. Allerdings sind nachträgliche Neubindungen stärker als bei ihnen zu berücksichtigen. 39 Für den Hinweis auf die Supplementierung danke ich Darius Müller, Wuppertal. 40 So die Anordnung gemäß der ursprünglichen Foliozählung und der Untersuchung durch F.H.A. Scrivener, A Plain Introduction to the Criticism of the New Testament for the Use of Biblical Students I (ed. E. Miller), London 41894, 202 f. Die heutige Anordnung mit den Evangelien am Anfang korrigiert die frühere Abfolge.

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Theologe“ in den Kommentarhandschriften der Apk41). Insofern können wir in der byzantinischen Vorstellung durchaus von einem johanneischen Textcorpus sprechen, das vom Evangelium bis zur Apk reiche. Aber die getrennte Überlieferung der Texte ersparte den Systemzwang, die Texte zusammen zu verwenden und gleich zu interpretieren. Die Apk war, da kein Bestandteil der gottesdienstlichen Lesung, ohnehin vor allem Studientext. Es genügte in der Regel, sie gesondert in einem der verehrten alten Kommentare zu lesen. Mehr als ein Drittel der überkommenen Apk-Handschriften enthalten daher zugleich einen der – untereinander durchaus verschiedenen – Kommentare des späten 6. bis 10.Jh. (Oecumenius, Apringius und Arethas).42 Beim Übergang vom Spätmittelalter zum Humanismus, in der Zeit, da der Westen sich wieder an den griechischen Handschriften zu orientieren begann, existierte auf diese Weise ein joh Schriftencorpus als theologische Idee, jedoch nur ausnahmsweise als griechisch-textlicher Zusammenhang. 3. Dem müssen wir nun eine griechische Besonderheit zur Seite stellen. Vom 11.Jh. bis zum Spätmittelalter (min. 792, 1006, 1328, 1551, 1685, 2323, 2643 und 2794) und nachwirkend noch in der Neuzeit (Minuskeln 1064 und 2656 aus dem 17. und 18.Jh.) gibt es eine Reihe von Codices, die nur Evangelien und Apk enthalten. Diese Codices unterscheiden sich von den beschriebenen Vollcodices (4, A, C), in denen die Apk nie auf das Joh folgt. Aber sie formen zugleich keine eigene Einheit Joh – Apk. Die Apk ist vielmehr jeweils durch ihre Inscriptio deutlich vom Joh getrennt.43 Das heißt, die Apk wird nicht dem Joh, sondern dem Konvolut der vier Evangelien beigefügt. Warum das geschah, ist bis heute nicht geklärt. Die einfachste Lösung mag sich über einen eigentümlichen Aspekt der Wirkungsgeschichte ergeben: Von 41 Die Kommentarhandschriften der Apk zeigen dabei folgende Entwicklung: Oecumenius, der älteste griechische Kommentator, verwendet die Bezeichnung „Evangelist und Theologe“ im Titel (ed. de Groote 63) und Text, um die alte Autordiskussion zu beenden (XII 20, ed. de Groote 290 f). Das hat Erfolg. Der etwas jüngere Andreas (comm. in Apc. prol., ed. J. Schmid 7,3) gebraucht den Ehrentitel „Theologe“ selbstverständlich; er sieht keinen Bedarf mehr für eine Erläuterung (vgl. E.S. Constantinou, Andrew of Caesarea and the Apocalypse in the Ancient Church of the East. Studies and Translation, Ph.D Quebec 2008, Teil II, 7 Anm. 1). Arethas schließlich summiert Jahrhunderte später noch einmal kurz die Diskussion in der Überzeugung, die Offenbarung „Johannes, des Theologen“ stamme vom Autor aller joh Werke (Jev. A.; Übersetzung A.v. Blumenthal, Arethas von Caesarea, Kommentar zur Offenbarung des Johannes, Berlin 2015, 17). 42 Nachweise in der letzten Anmerkung. Überblick über die Apk-Überlieferung insgesamt bei M. Lembke/D. Müller/U.B. Schmid in Verbindung mit M. Karrer (Hg.), Text und Textwert der griechischen Handschriften des Neuen Testaments, Bd. VI. Die Offenbarung, ANTT 49, Berlin/ Boston 2017. 43 Bes. wichtig ist die Inscriptio )poj²kuxir Yy²mmou toO heokºcou (min. 1006 aus dem 11.Jh., 792 aus dem 13.Jh.); derzeit beste Gesamtübersicht über die Inscriptiones bei H.C. Hoskier, Concerning the Text of the Apocalypse. Collations of All Existing Available Greek Documents with the Standard Text of Stephen’s Third Edition, Together with the Testimony of Versions, Commentariers and Fathers; a Complete Conspectus of all Authorities, 2 vol., London 1929, II 25–27.

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den vier Lebewesen in Apk 4 (unterstützt durch Ez 1) leiteten sich die vier Evangelistensymbole ab, die in der byzantinischen Ikonographie und Liturgie (dank der bebilderten Evangelienbücher) höchste Bedeutung besaßen. Wurde die Apk also manchmal hinter die Evangelien gestellt, weil sie durch die autoritative Offenbarung Christi an Johannes den Theologen verbürgte, dass die Evangelienbücher die Gegenwart des Himmels in den Gottesdienst brachten? Überlassen wir diese Klärung und die Suche nach Alternativen der weiteren Forschung.44 Für uns wichtiger ist nämlich ein anderer Sachverhalt: 4. Keine der kleinen Teilsammlungen mit Evangelien und Apk spielte eine Rolle für die Konstituierung der Druckeditionen des Neuen Testaments im frühen 16.Jh. Die große Edition der Complutense, die bei Madrid entstand, benützte für die Apk ein oder zwei Handschriften einer jungen Textform.45 Dieser Textform entnahm sie die Inscriptio Apojakuxir tou aciou apostokou jai euaccekistou Iyammou tou ¢eokocou. Die Identität zwischen dem Autor der Apk und dem Evangelisten war dort höchst umfangreich expliziert, aber kein Anlass, in den Aufbau des Neuen Testaments nach der Vulgata einzugreifen; die Apk gehörte nach dem Konsens der Zeit hinten ins Neue Testament.46 Dem Konsens über die Stellung der Apk folgte auch Erasmus, der noch vor der Distribuierung der Complutense sein griechisches Neues Testament nach Basler Handschriften edierte.47 Wie in der ihm vom Hörensagen (nicht als 44 Die Bedeutung der Apk zum Verständnis des biblischen Kanon reicht übrigens noch weiter: Oftmals wurde das himmlische Buch aus Apk 5 im Mittelalter – nun vorzugsweise im Westen (Tyconius, ed. Gryson, CCSL 107 A, 133; vgl. PL 35,2423 usw.) – als Buch der heiligen Schrift gedeutet; weitere Hinweise bei Karrer, Johannesoffenbarung, 445.481 f. 45 Diese Handschriften gingen nach der Benutzung für die Complutense verloren. Daher erhielt der Texttyp, den sie repräsentieren, seinen Namen nach der rezipierenden Edition: Complutensetext. Zur Diskussion über die Vorlage der Complutense s. M. Lembke, Der Apokalypsetext der Complutensischen Polyglotte und sein Verhältnis zur handschriftlichen Überlieferung, in: M. Sigismund/M. Karrer/U.B. Schmid (Hg.), Studien zum Text der Apokalypse, ANTT 47, Berlin/Boston 2015, 33–133 (Ergebnis 127), und U.B. Schmid, Editing the Apocalypse in the Twenty-First Century, in: T.J. Kraus/M. Sommer (Hg.), Book of Seven Seals. The Peculiarity of Revelation, Its Manuscripts, Attestation, and Transmission, WUNT 363, Tübingen 2016, 231–240. 46 Die Complutense passte nicht einmal den lateinischen Titel dem griechischen Text an, sondern schrieb im Prolog und der Inscriptio verkürzt „Apocalypsis beati Johannis apostoli“. Die Querlinie zum Evangelisten und das byzantinische Johannes-Prädikat „der Theologe“ verlieren sich. Eine Parallele bleibt lediglich zum Titel der Johannesbriefe („Epistola beati Johannis apostoli [prima…]“, die durch den Jud von der Apk getrennt sind (Überprüfung im Digitalisat https://archive.org/details/ComplutensianPolyglotBibleOldTestamentNewTestament am 25. 1. 2017). 47 Übersicht über die Basler Handschriften bei P. Andrist, Structure and History of the Biblical Manuscripts Used by Erasmus for His 1516 Edition, in: M. Wallraff/S. Seidel Menchi/K. Greyerz (Hg.), Basel 1516. Erasmus’ Edition of the New Testament, Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 91, Tübingen 2016, 81–124. Weitere Materialien in U. Dill/P. Schierl (Hg.), Das bessere Bild Christi. Das Neue Testament in der Ausgabe des Erasmus von Rotterdam, Publikationen der Universitätsbibliothek Basel 44, Basel 2016.

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Text) bekannten Complutense steht die Apk in seiner Edition, aus der später der Textus receptus des Neuen Testaments hervorgehen sollte, weitab vom Joh hinten im Neuen Testament und ist sie durch den Judasbrief von den Johannesbriefen getrennt (Publikation 1516 und in zweiter Auflage 1519). Schon darin zeichnet sich ab, dass auch in der Neuzeit kein Corpus Johanneum im Sinne einer editorisch gekennzeichneten Sammlung entstehen wird. Doch der Titel des Johannes war in Minuskel 2814, der einzigen Handschrift, die Erasmus für die Apk zur Verfügung stand, kürzer. Diese Handschrift bettete den Text der Apk, typisch für die skizzierte spätbyzantinische Situation, in den Andreaskommentar ein und verwendete den üblichen Titel der Andreaskommentare „Offenbarung des (oder an den) heiligen Theologen Johannes […]“ (!poj²kuxir toO "c¸ou Yy[²mmou] toO heokºcou).48 Erasmus übernahm den Titel der Handschrift in den Druck.49 Beim Evangelium dagegen ergab sich aus seinen Handschriften anders der einfache Name Johannes und bei den Johannesbriefen das Attribut Apostel bzw. Beatus.50 Solange diese Vielfalt der Titel durch eine Prothesis vor den Johannesbriefen verbunden war, mochte die kleine Differenzierung irrelevant erscheinen. Erasmus wählte darauf eine Übergangsstrategie. Er integrierte die alte griechische Prothesis, die Johannes als Evangelisten, Apostel und Theologen bezeichnete.51 Aber am Ende seiner Annotationen zur Apk äußerte er Zweifel, ob der „Theologe“ Johannes identisch mit dem Evangelisten sei; seiner Einblicknahme in die griechischen Codices nach habe die Apk nicht den Titel des Evangelisten geführt, sondern den des Theologen, schrieb er („in Graecis quos ego viderim codicibus, non erat titulus Ioannis euangelistae, sed Ioannis theologi“). Während die Bezeichnung „Theologe“ im griechischen

48 Der Text findet sich auf dem Blatt mit dem Autorenbild und vor Apk 1 und ist dort jeweils noch um einen Hinweis auf die Kommentierung Hippolyts erweitert; Digitalisate s. in urn:nbn:de:bvb:384-uba003076–1 bzw. http://digital.bib-bvb.de/R/?func=dbin-jump-full&object_id=6970294&local_base=UBA&pds_handle=GUEST&bvb=suma, abgerufen am 19. 1. 2017. 49 Erasmus von Rotterdam, Novum Instrumentum [Basel 1516], Faksimile-Neudruck mit einer historischen, textkritischen und bibliographischen Einleitung von H. Holeczek, Stuttgart – Bad Cannstatt 1986, z.St. (paginiert 190), griechische Spalte. In der lateinischen Spalte übersetzte er ebd. „Apocalypsis Beati Ioannis Theologi“. Die durch Emanuel von Konstantinopel zwischen 1460 und 1480 geschriebene Minuskel 69, die Erasmus nach Ansicht eines großen Teils der Forschung in England sah (J.H. Bentley, Humanists and Holy Writ. New Testament Scholarship in the Renaissance, Princeton 1983, 126), enthält den kürzeren Titel !poj²kuxir Yy²mmou toO heokºcou. Erasmus nimmt auf diesen kürzeren Titel keinen Bezug in seinen Annotationen und benutzt den Apk-Text der Handschrift auch sonst nicht; lag ihm also in England nicht diese Handschrift vor, sondern lediglich deren heute verlorene Vorlage für die Evangelien, zu der die Apk dann nicht gehörte (vgl. A.J. Brown, The Manuscript Sources and Textual Character of Erasmus‘ 1516 Greek New Testament, in: Wallraff/ Seidel Menchi/Greyerz [Hg.], Basel 1516, 125–144, hier 130 f)? 50 Erasmus, Novum Instrumentum, zu den Stellen (Teil I 192 und II 177.186.187). 51 Erasmus, Novum Instrumentum, z.St. (Teil II 176).

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Osten die Bezugsgestalt aller joh Schriften ehrte, löste sie sich auf diese Weise vom Apostel und Evangelisten.52 Luther übersetzte die Prothesis vor den Johannesbriefen nicht mehr für sein deutsches Neues Testament.53 Da das Bindeglied schwand, wurde „Theologe“ zum Proprium der Überschrift der Apk („Die offinbarung Sancti Johannis des theologen“ im Septembertestament 1522; vgl. Luthers Vollbibeln von 1534 und 1545 und alle Lutherbibeln bis zur Korrektur in der Revision 1912). Das gestattete Luther, in Anknüpfung an die von ihm vorgefundene Überschrift noch eindeutiger als Erasmus die Zweifel zu äußern, ob der Johannes der Apk der Apostel der andern Schriften sei.54 Der byzantinische Ehrentitel Theologe, der für griechische Leser/innen einen Zusammenhang zum Evangelisten geschaffen hatte, wurde durch Erasmus und Luther zur Markierung der brüchigen Identität zwischen den Referenzgestalten für Evangelium, Briefe und Apk. Die Distribuierung der Complutense wenige Jahre nach dem Druck des Erasmus und in etwa gleichzeitig zur Übersetzung Luthers schuf noch einmal ein Gegengewicht. Das Konzil von Trient hielt fest, kanonisch sei die Apk ein Werk des Apostels („Apocalypsis Ioannis Apostoli“). Das vermied den missverständlichen Beinamen „Theologos“. Allein, auch das Tridentinum passte die Abfolge der Schriften nicht an, sondern trennte im Aufbau des Neuen Testaments Evangelium, die Briefe „Ioannis Apostoli“ und die Apk (DH 1503). Die Teilkorrektur des Tridentinum vermochte daraufhin das durch Erasmus, Humanismus und Reformation entstandene Gefälle nicht mehr aufzuhalten. Kurz, die Möglichkeit, ein johanneisches Schriftencorpus zu konstituieren, zerbrach im 16.Jh., bevor diese Möglichkeit in der neutestamentlichen Textgeschichte voll zum Zuge gekommen wäre. Alle heutige Einleitungsdiskussion steht im Erbe dieser frühneuzeitlichen Entscheidung, der, wenn wir an die letzten Abschnitte zurückdenken, kritisch (und kritischer als im Tridentinum) Recht zu geben ist.

5. Die verschiedenen Datierungen der Apk und der Canon Muratori Begeben wir uns von der Neuzeit zurück zur Antike und zur zweiten klassischen Einleitungsfrage, der nach der Zeit. Die verbreitete Datierung der Apk 52 Erasmus, Novum Instrumentum, z.St. (Annotationen p. 625). 53 Er benutzte auf der Wartburg 1521 den Nachdruck des Erasmustextes durch N. Gerbelius, Novum Testamentum Graece, Hagenau 1521 (Digitalisat unter http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb11116098_00593.html?zoom=0.6000000000000001, abgerufen am 19. 1. 2017). Gerbel kürzte den Erasmustext um die lateinische Spalte, gab den griechischen Text des Erasmus aber mitsamt der Prothesis vor den Joh-Briefen (253) und dem Titel der Apk getreu wieder (262b). 54 Berühmt in der Vorrede zur Apk (Fassung 1546 in M. Luther, WA.DB 1522–1546, 7. Bd., 409).

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gegen Ende der Regierungszeit Domitians (oder allenfalls kurz danach, in den Anfangsjahren der Regierung Trajans) stützt sich bekanntlich auf Irenäus als ihren ältesten Zeugen. Dessen Notiz über den, der „die Offenbarung gesehen hatte“ („Apocalypsim viderat“; haer. 5,30,3), ist freilich weniger eindeutig als gerne angenommen: Die lateinische Überlieferung „es ist nämlich nicht vor langer Zeit, sondern nahezu in unserer Generation,55 gegen Ende der Herrschaft Domitians gesehen worden“ („neque enim ante multum temporis visum est, sed pene sub nostro saeculo, ad finem Domitiani imperii“), enthält eine gewisse Ambivalenz; denn das Neutrum „visum est“ („es ist gesehen worden“) abstrahiert vom Seher (mask.) und von der Offenbarung („apocalypsis“ fem.; weiterhin haer. 5,30,3).56 Was aber ist gesehen worden? Einfacher als darüber zu spekulieren fällt es, eine ungeschickte Übersetzung des griechischen Irenäustextes anzunehmen. Dieser griechische Text blieb durch ein Zitat bei Eus. h.e. 5,8,6 bewahrt, das sich sowohl auf die Offenbarung als auch den Seher beziehen lässt. „Er/sie wurde gesehen“ (2yq²hg), lesen wir dort, und das „nahezu in unserer Generation“ (swed¹m 1p· t/r Blet´qar ceme²r). Je nachdem geschah die Offenbarung, die der Seher niederschrieb, in den frühen 90er Jahren, oder ist gemeint, dass die Lebenszeit des Sehers mindestens bis tief in die 90er Jahre reichte.57 Dann mag sein, dass der Seher sogar noch ein wenig länger lebte und schriftstellerisch aktiv war ; deswegen duldet die altkirchliche Diskussion nach Irenäus eine Datierung der Apk bis in die Zeit Trajans.58 Eine später als frühtrajanische Datierung der Apk kommt erst in Frage, wenn wir uns von den Traditionen der Alten Kirche lösen. Sie verlangt den kritischen Zweifel jüngerer Zeit, woher das Zeugnis des Irenäus seine Gewähr beziehe.59 Eine solche Position wird jüngst mit beträchtlichem Gewicht durch Th. Witulski vertreten. Das größte Problem, das einer solchen Spätdatierung – bei Witulski auf die frühen 130er Jahre – begegnet, ist die altkirchliche 55 Zu überlegen ist, ob die Formulierung die Unterscheidung zwischen einer Grundepoche des Christentums und der Epoche, in der Irenäus lebt, spiegelt (in anderem Zusammenhang reflektiert das W. Grünstäudl, Petrus Alexandrinus. Studien zum historischen und theologischen Ort des zweiten Petrusbriefes, WUNT II/353, Tübingen 2013, 83 Anm. 366). 56 Bezug könnte der Name des Antichristen (ein emola) sein: s. Witulski, Johannesoffenbarung, 31. 57 Zur Diskussion vgl. neben den Kommentaren K.L. Gentry, Before Jerusalem Fell. Dating the Book of Revelation: An Exegetical and Historical Argument for a pre-A.D. 70 Composition, Tyler 1989, 45–67. 58 Ein Vertreter der Spätdatierung ist Theophylakt von Achrida in evang. Matth. ad Mt 20,23; Weiteres Satake, Offenbarung, 52. 59 Die Urteile über das Zeugnis des Irenäus sind schon seit längerem kontrovers: s. einerseits A. Yarbro Collins, Myth and History in the Book of Revelation. The Problem of its Date, in: B. Halpern/J.D. Levenson (Hg.), Traditions in Transformation. FS F.M. Cross, Winona Lake 1981, 377–403, 380, andererseits B. Newman, The Fallacy of the Domitian Hypothesis, in: NTS 10, 1963, 133–139.

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Überzeugung, schon Papias, ein Autor des frühen 2.Jh., habe die Apk gekannt und geschätzt (Andreas Caes., comm. in Apc prol., ed. J. Schmid 10,11). Da Papias in Hierapolis und damit in unmittelbarer Umgebung der Adressatengemeinden der Apk wirkte, wäre Letzteres durchaus plausibel. Zwar warnt die schlechte Überlieferung über Papias davor, dem zu viel Gewicht zu geben.60 Dennoch ist das Argument nicht leicht zu entkräften; die Datierung der Apk in die 90er Jahre wird die „mittlere Linie“ der Forschung bleiben müssen. Begeben wir uns zur anderen Alternative, einer Frühdatierung der Apk. Im Spielraum des Irenäuszitats eingeschrieben, würde sie die Ansicht vertreten, die Apk sei lange vor den 90er Jahren niedergeschrieben worden, in denen der Seher noch gesehen wurde. Tatsächlich sind in der Alten Kirche Datierungen auf das Ende der 60er Jahre, kurz vor und nach dem Tod Neros61 (leicht nachvollziehbar, wenn man an die Nero-Redivivus-Legende in Apk 13; 17 denkt) oder auf die Zeit des Claudius62 belegt. Über die Datierung unter Nero mag man bis heute diskutieren,63 die auf die Zeit des Claudius ist kritisch schlechterdings unvertretbar, da sie der fortgeschrittenen Gemeindesituation in Apk 2–3, dem Rückblick auf die 12 Apostel in Apk 21,14 und anderen Details des Textes widerspricht. Wie sie zustande kam, lässt sich lediglich – und immerhin – vermuten (ein altkirchlicher Bericht, der eine Verifizierung erlaubte, liegt nicht vor): Die österlichen Erscheinungen Jesu wurden nach der Mehrheit der Überlieferung auf wenige Jahre nach Jesu Tod und Auferstehung begrenzt (1Kor 15,4–8 usw.). Apk 1,9–20 ist jedoch wie eine österliche Erscheinung gestaltet; Johannes sieht den als Menschensohn erhöhten Christus, der tot war und lebt. Aus heutiger Sicht beobachten wir hier ein höchst interessantes theologischreligionsgeschichtliches Phänomen; ein Autor, der um seinen Abstand von den Aposteln weiß, sieht sich am Ende des 1.Jh. noch einmal einer österlichen Christusbegegnung gewürdigt. Die Vertreter der altkirchlichen Frühdatierung mögen anders gedacht haben: Der Autor der Apk empfing seine Christusvision zeitlich nicht lange nach Paulus, daher unter Claudius. Die Frühdatierung erleichterte, sobald sie getroffen war, die Identifikation des Johannes von Apk 1,1.4.9 mit dem Zebedaiden Johannes, der im We60 T. Witulski, Das Zeugnis des Papias und die Datierung der Johannesapokalypse, in: BZ 57, 2013, 184–215, schlägt darüber hinaus vor, Papias habe seine Syngrammata noch vor der Apk geschrieben. 61 Relevant ist diese Datierung für die syrische Übersetzung der Apk: Handschrift Mardin Orth. 35 (Einleitung zur Apk); A. Vööbus, The Apocalypse in the Harklean Version. A Facsimile Edition of Ms. Mardin Orth. 35, fol. 143r–159v, CSCO 400, Leuven 1978, 42. 62 Ein wichtiger Zeuge dafür ist Epiphanius, haer. 51, 12.2 und 33.9. Gelegentlich lässt sich die Datierung sogar noch in einer späten Handschrift entdecken; min. 2015 schreibt in der Marginalie zu 1,9 „tempore claudii caesaris“ (für den Hinweis darauf danke ich Marcus Sigismund, Wuppertal). 63 Ihr bedeutendster Vertreter ist freilich kein Autor der Gegenwart, sondern Friedrich Engels im 19.Jh.: F. Engels, Das Buch der Offenbarung (1883), in: ders./K. Marx, Werke, Bd.21, Berlin 1962, 9–15.

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sentlichen vor 50 n. Chr. wirkte (mit Höhepunkt beim Aposteltreffen von Gal 2,9, wenn er mit dem dortigen Johannes gemeint war). Zugleich hatte sie eine gravierende Folge: Die Apk konnte vor den Paulusbriefen geschrieben sein, die erst in den späten Jahren des Claudius einsetzen. Auf diese Weise erklärt sich eine höchst auffällige Äußerung des schon oben erwähnten Canon Muratori. In ihm heißt es, Paulus gehe nach dem Ordnungsprinzip seines Vorgängers Johannes vor, wenn er an sieben Gemeinden schreibe („ipse beatus apostolus paulus sequens prodecessoris sui lohannis ordine nonnisi nomenati [corr. für comenati] semptae ecclesiis [corr. für eccleses] scribat“; II 16–19); und die Siebenzahl meine die eine Kirche, denn auch Johannes schreibe in der Apokalypse an sieben Gemeinden, obwohl er zu allen spreche („Et lohannis eni in apocalebsy licet septe eccleseis scribat tamen omnibus dicit“; II 26–28). Die Apokalypse mit ihren sieben Briefen geht dem Paulus zeitlich voran und hilft, da ursprünglicher selbst als Paulus, zu verstehen, was die Siebenzahl der Gemeinden in den maßgeblichen christlichen Zeugnissen ausdrückt. Falls der Canon Muratori am Ende des 2.Jh. entstand und eine Auffassung aus der Zeit des Irenäus dokumentiert, hilft er, die Mehrdeutigkeit von dessen Formulierung zu verstehen; Irenäus weiß, dass es eine gewichtige Frühdatierung der Apk gibt, favorisiert sie aber nicht und weist lieber darauf hin, Johannes sei bis zum Ende des 1.Jh. gesehen worden (Irenäus bleibt, wenn auch nicht mehr so eindeutig wie in der älteren Forschung, Garant der Datierung der Apk in die 90er Jahre). Gehört die Schriftenliste des Canon Muratori dagegen in das späte 3. bis 4.Jh. (wie manch jüngere Forschung vertritt; s. o.), bekundet sie, dass die Apk zwar in der entstehenden Anordnung des Neuen Testaments tendenziell an dessen Ende rückt, das jedoch nichts über ihre Bedeutung aussagt; theologisch hätte die Apk mit der Anschrift an sieben Gemeinden eine selbst für Paulus maßgebliche Ordnung und das Modell einer Anrede an alle Kirchen geschaffen. Übersehen wir nicht: Historisch irrt das Zeugnis des Canon Muratori. Allein, theologisch ist die Pointe relevant. Die Apk besaß, obwohl in Alexandria bald nach Irenäus umstritten, in einem beträchtlichen Teil der alten Kirche höchsten Rang.64 Erst in der Neuzeit entstand der Eindruck, die Apk gehöre schon immer und überall an den Rand des Kanons.

64 S. für die nötigen Facetten T. Nicklas, Probleme der Apokalypserezeption im 2. Jahrhundert. Eine Diskussion mit Charles E. Hill, in: J. Verheyden/T. Nicklas/A. Merkt (Hg.), Ancient Christian Interpretations of „Violent Texts“ in the Apocalypse, NTOA 92, Göttingen 2011, 28–45; M. Meiser, Before Canonisation. Early Attestation of Revelation, in: Kraus/Sommer (Hg.), Book, 137–157; M.J. Kruger, The Reception of the Book of Revelation in the Early Church, in: Kraus/Sommer (Hg.), Book, 159–174, und Karrer, Johannesoffenbarung, 109–119.

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6. Noch einmal: Apokalypse und Evangelium 1. In § 2 lernten wir die Meinung lateinischer Kommentatoren kennen, Johannes schreibe die Apk relativ spät und blicke in Apk 1,2 auf das Evangelium und den 1Joh zurück. Dem widerspricht die gerade geschilderte, gelegentliche Frühdatierung der Apk. Es wundert daher nicht, dass die Alte Kirche auch die umgekehrte Reihenfolge kennt, Johannes habe zuerst die Apk und später das Joh geschrieben.65 Den prominentesten Vertreter dessen bilden die notorisch schwer zu datierenden und variantenreichen antihäretischen (früher antimarkionitisch genannten) Prologe zu den Evangelien. Das Joh sei, heißt es dort in der wichtigsten Textform des Prologs zum Joh, nach der Apk geschrieben und von Johannes den Gemeinden in der Asia offenbar gemacht und gegeben worden (a-Text § 4: „hoc igitur evangelium post apocalypsin scriptum manifestatum et datum est ecclesiis in Asia a Iohanne“).66 Wir dürfen die Diskussion über Textformen, Alter und Drittaspekte der Prologe der Spezialliteratur überlassen.67 Für uns wesentlich ist ein Nebenaspekt: Die Adresse des Evangeliums an die Gemeinden der Asia68 kontrahiert die Formulierung „ecclesiis quae sunt in Asia“ aus dem altlateinischen Text von Apk 1,4,69 während das Joh die Asia nirgends erwähnt. Das heißt, die Apk sichert die Abfassungsregion der Asia für das Evangelium. Ursache für diese Lokalisierung des Evangeliums ist aber nicht die Apk. Irenäus, der älteste Zeuge für die Ansiedlung des Joh und der Apk in Ephesus, berührt die Apk in der berühmten Formulierung, der Jünger Johannes habe das Evangelium herausgegeben, als er sich in Ephesus aufhielt (Yy²mmgr, b lahgtµr […] 1n´dyjem t¹ eqacc´kiom, 1m 9v´s\ t/r )s¸ar diatq¸bym; haer. 3,1,1),70 nicht und stellt auch keine Abfolge Apk – Joh her. So wird man 65 S. neben den im Folgenden genannten Quellen auch Epiphanius, haer. 51, 12.2 und 33.9 (vgl. o. Anm. 62). 66 Wiedergabe der Textformen und Rekonstruktion samt Übersetzung bei O. Zwierlin, Die antihäretischen Evangelienprologe und die Entstehung des Neuen Testaments, AAWLM 2015.5, Mainz 2015, 23–27. vgl. 73. Der vergleichbare Hinweis im Lukasprolog (§ 4 „Iohannes evangelista scripsit apocalypsin insula Pathmos deinde evangelium in Asia“) spiegelt eine leichte Fortentwicklung der Tradition (Text bei Zwierlein, Evangelienprologe, und J. Regul, Die antimarcionitischen Evangelienprologe, VL 6, Freiburg 1969, 30 f). 67 Die Endfassung der Prologe ist sicher jung, aber der Prolog zum Joh könnte Wurzeln bis ins 2.Jh. zurück haben (Zwierlin, Evangelienprologe, 5 [Lit.]). Die Relevanz für die durch M. Klinghardt (Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien, TANZ 60, Tübingen 2015, 384ff) und andere erneuerte Diskussion um das markionitische Evangelium können wir hier zurückstellen. 68 Die im b-Text des Prologs verkürzt ist: Die Handschriften dieser Textform schreiben „ecclesiis“, nicht „ecclesiis in Asia“ (Zwierlin, Evangelienprologe, 24). 69 Rekonstruktion der Vetus Latina K- und gleichlautenden V(ulgata)-Fassung bei Gryson, Apocalypsis Johannis, 111. 70 Ausführliche Behandlung der Passage bei B. Mutschler, Das Corpus Johanneum bei Irenäus von

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schließen dürfen, dass Irenäus eine unabhängige Tradition benützt.71 Die Apk steht also nicht am Anfang der Lokalisierung des Joh nach Kleinasien. Aber sie trug, sobald sie und das Joh verknüpft wurden, erheblich zur Verfestigung dieser Lokalisierung bei. Kombinieren wir dies mit den Beobachtungen von § 2, dann beeinflusste die Apk nicht unwesentlich das Verständnis der johanneischen Schriften, obwohl sie nur mit einer gewissen Mühe in das Corpus dieser Schriften zu integrieren war. Sie verfestigte in der Tradition den Namen Johannes für die Autorität hinter Johannesevangelium und Johannesbriefen (s. § 2), und sie stärkte die Lokalisierung des Johannesevangeliums auf Ephesus gegen die Konkurrenten Syrien und Alexandria.72 2. Zurück zur Datierung der Apk vor das Joh: Die Dynamik in der Bemühung, Apk und Joh miteinander zu verbinden, löste die Suche aus, ob es nicht in der Apk einen Vorverweis auf das Joh gebe (das Pendant zur Suche nach einem Rückverweis bei der späteren Datierung der Apk). Da die Apk ein Werk voller Ansagen über Kommendes ist, bot sie auch dafür einen Anhaltspunkt: Der Seher Johannes soll Apk 10,8 f zufolge ein Schriftstück essen, das, wiewohl zunächst bitter, in seinem Munde süß sein werde. Eine Legende der Spätantike deutete, diese Ansage meine das süße Evangelium. Ihr wichtigster Zeuge, Chromatius, erläutert in einer Predigt explizit, das zu essende Buch sei das Buch des Evangeliums, das Johannes später schreibe („Liber […] ad edendum liber erat evangelii quem postea scripsit“; serm. 21,1).73 Die Legende ist jung und ihre Relevanz allein wirkungsgeschichtlich zu bedenken. Aber interessant ist sie in diesem Rahmen durchaus. Denn die Apk begründet hier die nachösterliche Eigenart des Evangeliums: Aus der Perspektive der Apk gelesen, brauchen Lektüre und Auslegung des Joh nicht den historischen Jesus zu suchen, sondern sollten die Perspektive einer lebendigen Begegnung beziehen, die Bitteres in Süßes verwandelt. Der nachösterliche

Lyon. Studien und Kommentar zum dritten Buch von Adversus Haereses, WUNT 189, Tübingen 2006, 94–100. 71 Die Diskussion ist freilich schwierig; vgl. die Hinweise bei Witetschek, Ephesische Enthüllungen, 287–289. 72 Alexandria ist dabei weit aus dem Feld geschlagen. Syrien aber wird nach wie vor vertreten (z. B. K. Wengst, Bedrängte Gemeinde und verherrlichter Christus. Ein Versuch über das Johannesevangelium, München 1990, 160–163). 73 Dazu F. Pieri, Chromatius and the Apocalypse of John, in: P.F. Beatrice/A. Persˇicˇ (Hg.), Chromatius of Aquileia and His Age. Proceedings of the International Conference Held in Aquileia, 22–24 May 2008, Instrumenta Patristica et Mediaevalia 57, Turnhout 2011, 485–501, und F.X. Gumerlock, Chromatius of Aquileia on John 21:22 and Rev. 10:11. Against a Legend about the Apostle John, in: I. Boxall/ R. Tresley (Hg.), The Book of Revelation and Its Interpreters. Short Studies and an Annotated Bibliography, Lanham 2016, 53–63, hier 54–57. Auch Ambrosiaster, quaest. 76 (72) scheint diese Legende zu kennen; s. A. Pollastri, L’Apocalisse nell’ Ambrosiaster. una lettura millenarista nella Rome del IV secolo?, in: E. Bosetti/A. Colacrai (Hg.), Apokalypsis. Percorsi nell’ Apocalisse di Giovanni in onore di U. Vanni, Assisi 2005, 703–733, hier 704 f.

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Zugang hat, wenn er sich von der befremdenden Begründung löst und allein abstrakt gedacht wird, etwas Modernes. 3. Vorbereitet sind wir auf eine letzte Beobachtung. Die Apk ist im 2.Jh., ausgehend von der Asia, relativ gut und mit hoher Wertschätzung bezeugt,74 das Joh dagegen bis tief ins 2.Jh. hinein nicht eindeutig nachgewiesen. Das veranlasste F.C. Baur in einer berühmten These des 19.Jh., das Joh sehr spät im 2.Jh. zu datieren und vorzuschlagen, der Autor des Joh habe sich an die Stelle des Apokalyptikers gedacht, der „die höchste Auctoritat der kleinasiatischen Kirche geworden war“, weil er dessen Ansehen „für die Zwecke seines Evangeliums benutzen wollte.“75 Niemand wird heute mehr Baur unkritisch folgen. Seit dem Fund von P52 ist seine Datierung des Joh obsolet. Die reale Abfolge zwischen Apk und Joh ist unbekannt (in der einfachsten Lösung sind sie gleichzeitig und beeinflussten einander nicht unmittelbar), und eine Modifizierung von Baurs These auf eine späte Endfassung des Joh mit den Nachträgen in Kap. 21 wird schwerlich gelingen. Dennoch macht die These auf eines aufmerksam: Die Bedeutung der Apk in der Frühzeit wird zu leicht gegenüber der Bedeutung des Joh unterschätzt. Betrachten wir dazu den ersten Text, der beide Schriften zitiert. Das ist der von Euseb umfangreich wiedergegebene Bericht über die Martyrien in Vienne und Lyon unter Marc Aurel. Er zitiert zunächst Joh 16,2b, eingeführt als Wort des Herrn; in den Geschehnissen vor den Martyrien „erfüllte sich, was von unserm Herrn gesagt sei“, heißt es in h.e. 5,1,15 (1pkgqoOto d³ t¹ rp¹ toO juq¸ou Bl_m eQqgl´mom). Ein Stück später wendet der Bericht sich Apk 22,11 zu und referiert die Stelle mit der solennen Formel, „dass die Schrift erfüllt werde“ (Vma B cqavµ pkgqyh0 h.e. 5,1,58). Wenn der Bericht, wie von Euseb (h.e. 5,1,2) angegeben, aufs Ende des 2.Jh. zurückgeht, ist das die früheste Stelle überhaupt, an der ein neutestamentliches Zitat „Schrift“ genannt wird, wie die neutestamentlichen Zeugen das für die heiligen Schriften Israels taten (Lk 4,21 bis 1Petr 2,6). Überziehen wir die Differenz der beiden Zitateinleitungen nicht. Ein Wort des Herrn hat in der frühen Kirche höchste Würde, und die Apk heißt „Schrift“, weil sie in ihrem Stil die heiligen Schriften Israels fortführt. Die Würde des Evangeliums und der Apokalypse begründen sich auf verschiedene Weise und drücken keine Höher- bzw. Minderwertung aus. Trotzdem ist eindeutig festzuhalten: Die Apk hat in der Sache keinen minderen Rang als das

74 Die Kenntnis und Benutzung der Apk beginnt in der Asia mit Papias oder – wenn man dessen Zeugnis bezweifelt (s. o.) – in der Generation nach ihm: Melito von Sardes schrieb ein Werk über die Apk oder den Diabolos (Apk 12,9) und die Apk (Eus. h.e. 4,26,2). Justin würdigte sie (dial. 81,4) und brachte ihre Kenntnis von dort nach Rom, wenn das nicht schon durch Markion geschah (vgl. Tertullian, Marc. IV 5,2). 75 F.C. Baur, Das Christentum und die christliche Kirche der drei ersten Jahrhunderte, Tübingen 3 1863, 147.

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Joh. Sie ist „Schrift“ und bedarf keiner Unterstützung durch das Evangelium, um Anerkennung zu finden.

7. Ergebnis Die Apk gehört nicht zur joh Literatur im engeren Sinn. Diese zentrale Entscheidung der Einleitungsfragen verschob sich durch unsere Beobachtungen nicht. Doch kamen bemerkenswerte Nebenaspekte zutage: 1. Die frühe Sammlungsgeschichte des Neuen Testaments kennt kein Corpus johanneischer Schriften, das Evangelium und Briefe, und schon gar kein Corpus, das Evangelium, Briefe und Apk umfasst hätte. Das heißt, die johanneischen Gemeinden stellten – falls es sie überhaupt als geschlossene Größe gab – keine Sammlung „johanneischer“ Schriften zusammen, die mit dem Einfluss anderer Textsammlungen (Evangeliensammlung, Paulusbriefsammlung) hätte konkurrieren können oder sollen (s. bes. § 3). 2. Die unterschiedliche Überlieferung und Bezeugung von Evangelium, Briefen und Apk macht schwer zu erkennen, ab wann altkirchliche Christen die Apk mit den anderen joh Schriften korrelierten. Wahrscheinlich begann das punktuell im 2.Jh. Größere Bedeutung gewann es jedoch erst in der Spätantike, und erst nach dem 4.Jh. verdrängte es die Alternative, den Johannes der Apk von der eigentlich anonymen, aber kirchlich gleichfalls mit dem Namen Johannes versehenen Referenzgestalt des Evangeliums und der Johannesbriefe zu trennen (vgl. § 2 u. ö.). 3. Die byzantinische Zeit fand eine elegante Lösung, um die nunmehr gemeinsame Bezugsgestalt für Evangelium, Briefe und Apk zu charakterisieren. Sie nannte den Evangelisten, Autor der Johannesbriefe und Seher den neutestamentlichen Theologen schlechthin, „Theologos“. Da sich dieser Titel in den neutestamentlichen Schriften selbst nicht fand, trat im 16.Jh. eine paradoxe Wendung ein. Die Bezeichnung „Johannes der Theologe“ verselbständigte sich für den Autor der Apk. Die niemals ganz gekitteten Brüche in der Sammlung brachen neu auf. Nicht die Einheit eines Corpus Johanneum, sondern die Brüche zwischen den johanneischen Schriften zeichnen die neuzeitlich-kritische Forschung vor (§ 4). 4. Die Apk besaß früh hohes Ansehen (bis hin zur Geltung als cqav¶, „Schrift“; § 6.3) und entwickelte daher, wo immer sie mit dem Joh bzw. Joh und JohBriefen kombiniert wurde, große eigene Kraft. Nie gab es nur eine Interpretationsrichtung vom Evangelium zur Apokalypse, sondern immer auch die umgekehrte Richtung. Die Apk, die allein den Namen Johannes im Text trug, unterstützte durch ihre Bedeutung den Gebrauch des Namens Johannes für die

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anonymen „johanneischen“ Schriften. Und da sie eindeutig in der Asia anzusiedeln war, stärkte sie außerdem die kleinasiatische Lokalisierung der anderen Schriften (vgl. § 2 und § 6.1). 5. Über die relative Datierung der Apk gegenüber dem Joh fehlt Klarheit. Neben der Gleichzeitigkeit gab und gibt es die Möglichkeit, die Apk vor oder nach dem Joh anzusetzen. Beides vertraten Kirchenväter, und beide Male gewahrten sie in kühner Exegese wesentliche Hinweise auf das Joh in der Apk (s. § 2 zu Apk 1,2 und § 6.2 zu Apk 10,8 f). Nochmals bestätigt sich so die Bedeutung der Apk. Während wir heute das Joh in der Regel gegenüber der Apk selbständig lesen, löste die einstige theologische Korrelation von Apk und Joh mindestens ebenso sehr, wenn nicht vorzugsweise die Dynamik aus, von der Apk aus Impulse zum Verständnis des Joh zu entwickeln. Ziehen wir aus diesen Beobachtungen die Konsequenz, dann verliert die Apk nicht an Relevanz, wenn wir sie, wie hier vorgeschlagen, vom johanneischen Corpus trennen. Sie beansprucht einen eigenen Deutungsraum und konstituiert bedeutsame Perspektiven aufs frühe Christentum und die anderen neutestamentlichen Schriften. Wer sie dem johanneischen Corpus allen kritischen Bedenken zum Trotz zuschlagen würde, müsste freilich einen Schritt weitergehen; er/sie müsste ihr einen theologisch herausragenden Platz im johanneischen Corpus einräumen und sie nicht nur von den anderen joh Schriften her, sondern vice versa Joh und Joh-Briefe gleichermaßen von ihr her lesen.

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„Ja, Amen!“: Die Autorität der „Offenbarung“ und die Antwort ihrer Empfänger Der briefliche Rahmen der Johannesoffenbarung und seine Pragmatik als Teil eines formalen Hybrids 1. Vorbemerkung Frühjüdische wie frühchristliche Schreiben, die formkritisch in der Forschung als Apokalypsen bezeichnet werden, bedienen sich der Briefform. Dennoch ist es eher ungewöhnlich, dass das einzige Schreiben dieser literarischen Kategorie, das den Weg in den neutestamentlichen Kanon gefunden hat, mit einem brieflichen Rahmen versehen ist (Apk 1,4–6; 22,21). Der briefliche Rahmen der Johannesoffenbarung begründet daher innerhalb der gattungsgeschichtlichen Diskussion die Fragestellung, ob sie als ein Brief oder doch als eine „Apokalypse“ zu bestimmen sei,1 wobei es weiterhin zu klären gilt, welches literarische Textmodell die Gattung „Apokalypse“ beschreibt. Die briefliche Rahmung der Johannesoffenbarung spielt darüber hinaus eine Rolle im Rahmen der Quellenkritik, wo es um die Ursprünglichkeit und literarhistorische Einordnung der Rahmenabschnitte geht, vor allem aber um den ihr vorgelagerten Abschnitt Apk 1,1–3. Apk 1,1–3 wurde gar als ein Mustertext bestimmt, an dem „eine Vorentscheidung darüber, welche Bedeutung man dem literarkritischen Aspekt bei der Exegese der Apk einzuräumen bereit ist“,2 fällt, weil er scheinbar in Spannung zur brieflichen 1 Z. B. M. Karrer, Die Johannesoffenbarung als Brief. Studien zu ihrem literarischen, historischen und theologischen Ort, FRLANT 140, Göttingen 1986; s.a. T. Holtz, Die Offenbarung des Johannes, hg. v. K.-W. Niebuhr, NTD 11, Göttingen 2008, 5 f.15; U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 82013, 607 f. Eine konkurrierende Bestimmungen ist beispielsweise die eines prophetischen Buches: z. B. K. Berger, Die Apokalypse des Johannes, Kommentar, Freiburg i.Br. 2017, 55ff; daneben begegnen wenig überraschend verschiedene hybride Gattungsbestimmungen, die die formalen Spannungen zwischen Rahmen- und Hauptteil integrativ nutzen: z. B. M. Mayordomo, Gewalt in der Johannesoffenbarung als theologisches Problem, in: T. Schmeller/M. Ebner/R. Hoppe (Hg.), Die Offenbarung des Johannes. Kommunikation im Konflikt, QD 253, Freiburg u. a. 2013, 107–136, 118: „Rein formal handelt es sich bei der Johannesoffenbarung um einen in Briefform gefassten Erzählbericht von Visionserfahrungen für sieben Gemeinden in Kleinasien“, oder J.A. du Rand/Y.M. Song, The Ethos of the Book of Revelation, Verbum et Ecclesia 24, 2003, 374–395, 374: „apocalyptic-prophetic letter“; vgl. im Einzelnen die ntl. Einleitungen (z. B. Schnelle, aaO., 608) und die Einleitungen der einschlägigen Kommentare. 2 J.-W. Taeger, Offenbarung 1,1–3. Johanneische Autorisierung einer Aufklärungsschrift, in: ders., Johanneische Perspektiven. Aufsätze zur Johannesapokalypse und zum johanneischen Kreis 1984–2003, hg. von D.C. Bienert/D.-A. Koch, FRLANT 215, Göttingen 2006, 157–173, 158.

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Rahmung und damit zum Inhalt der Johannesoffenbarung steht.3 Wird hingegen die kommunikative und lektüresteuernde Funktion von Apk 1,1–34 als ein dem Text vorausgehender und das Verständnis anleitender Paratext5 ernst genommen, so sperrt sich der vermeintliche Mustertext Apk 1,1–3 gegen literarkritische Operationen und muss im Einklang mit der brieflichen Einleitung verstanden werden; umgekehrt spricht Apk 1,1–3 „für die Überordnung des Großmediums Buch und lässt nach dem Inhalt, der besonderen Aussage und der spezifischen medialen Funktion der darin zu verortenden brieflichen Elemente fragen“.6 Die Beantwortung dieser Fragestellungen ist von großem Wert für die einleitungswissenschaftliche Behandlung der Johannesoffenbarung.7 Von keiner geringeren Bedeutung ist allerdings auch die Fragestellung, welche rhetorischen bzw. pragmatischen Funktionen der briefliche Rahmen (1,4–6; 22,21) als Teil einer aus unterschiedlichen Formen hybrid zusammengesetzten Einleitung (1,1–8.9–10a), dem ein epilogartiger Abschluss des Werkes (22,6–21) entspricht, hat.8 Welche lesersteuernde Funktion hat also die komplexe Einleitung für die subversive Gesamterzählung?9 3 Z. B. H. Kraft, Die Offenbarung des Johannes, HNT 16a, Tübingen 1974, 18: Apk 1,1 f als sekundäre „Information über Inhalt und Verfasser“. 4 Vgl. D. Sänger, „Amen, komm, Herr Jesus!“ (Apk 22,20). Anmerkungen zur Christologie der Johannes-Apokalypse in kanonischer Perspektive, in: ders., Von der Bestimmtheit des Anfangs. Studien zu Jesus, Paulus und zum frühchristlichen Schriftverständnis, Neukirchen-Vluyn 2007, 349–370. 5 Begriff und Aufgabe eines Paratextes für die Textualität eines Werkes wurden insbesondere von G. Genette, Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Mit einem Vorw. von H. Weinrich, Campus, Frankfurt/Main/New York, 1989, erarbeitet. Zur Funktion und Charakteristik kurz J. Zumstein, Der Prolog, Schwelle zum vierten Evangelium, in: ders., Kreative Erinnerung. Relecture und Auslegung im Johannesevangelium, AThANT 84, Zürich 2004, 105–126, 114 f. Ein Paratext wie beispielsweise Titel, Widmungen, Vorworte oder Epitexte begleitet einen Text und ist diesem zeitlich nachgeordnet, ohne literarisch sekundär zu bewerten zu sein. 6 H.-G. Gradl, Buch und Offenbarung. Medien und Medialität der Johannesapokalypse, HThSt 75, Freiburg u. a. 2014, 160. 7 Vgl. z. B. die Darstellung des Jubilars: Schnelle, Einleitung, 595–617. 8 Es geht also um eine textorientierte, die narrative und argumentative Rolle der Rahmenpassagen analysierende Untersuchung, die sich nicht mit der Entwicklung der neutestamentlichen Briefform oder den unterschiedlichen Brieftypen beschäftigen wird; zur antiken und frühchristlichen Briefproduktion vgl. z. B. T.J. Bauer, Paulus und die kaiserzeitliche Epistolographie. Kontextualisierung und Analyse der Briefe an Philemon und an die Galater, WUNT 276, Tübingen 2011, 1–90; L. Doering, Ancient Jewish Letters and the Beginnings of Christian Epistolography, WUNT 1/298, Tübingen 2012; H.-J. Klauck, Die antike Briefliteratur und das Neue Testament. Ein Lehrund Arbeitsbuch, UTB 2022, Paderborn u. a. 1998; A.J. Malherbe, Ancient Epistolary Theorists, SBL.SBS 19, Atlanta 1988; S.K. Stowers, Letter Writing in Greco-Roman Antiquity, Library of Early Christianity 5, Philadelphia 1986; s.a. G. Strecker, Literaturgeschichte des Neuen Testaments, UTB 1682, Göttingen 1992, 66–95; F. Vouga, Der Brief als Form der apostolischen Autorität, in: K. Berger/F. Vouga/M. Wolter/D. Zeller, Studien und Texte zur Formgeschichte, TANZ 7, Tübingen 1992, 7–58. 9 Zur Interpretation der Johannesoffenbarung als „subversive Erzählung“ vgl. M. Labahn, „Gefallen, gefallen ist Babylon die Große“. Die Johannesoffenbarung als subversive Erzählung, in: J.

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Es wird zu zeigen sein, dass die briefliche Einleitung Teil einer rhetorischen Strategie des Erzählers ist, um die Autorität seiner apokalyptisch-subversiven Erzählung für ihre Adressaten durchzusetzen und so die Zustimmung der Adressaten von seiner narrativen Sinnbildung mit ihren Bewertungen, Normen und Mahnungen zu generieren.10 In diesen Autoritätsanspruch, zu dem die öffentliche, gottesdienstliche Verlesung des Schreibens gehört, sind die Konstruktion des erzählten Erzählers, seiner Autorität und der Adressaten als zustimmende Charaktere zu verstehen, die sich in den Autoritätsanspruch des Werkes akklamierend einfügen und als gottesdienstliche Gemeinschaft dem Wertesystem der Johannesoffenbarung entsprechend ihr Leben vollziehen. Die folgende Analyse beleuchtet zugleich Fragestellungen der frühchristlichen Theologie und der Geschichte der frühchristlichen Gruppen in ihren wechselseitigen Beziehungen und Konflikten – Fragestellungen, denen sich bekanntlich der Jubilar ausführlich in umfangreichen Lehrbüchern gewidmet hat.11 Impulse verdankt diese Studie der Amsterdamer Presidential Address (2015) von Judith M. Lieu, die unter dem Titel „Letters and Topography of Early Christianity“ veröffentlicht wurde;12 sie versteht die frühchristliche Briefproduktion als Äußerung, die „respond to, and hence negotiate and seek to overcome, actual and imagined spatial and temporal distance between author and recipient(s)“.13 Sie entwickelt ein Verständnis des ,Briefs‘ als kulturelles Symbol, das zugleich „a powerful symbol of the emergence of new patterns of relationship, and of new practices, emerging within an established

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Elschenbroich/J. de Vries (Hg.), Worte der Weissagung. Studien zu Septuaginta und Johannesoffenbarung, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 47, Leipzig 2014, 319–341 (330 Anm. 36: Literatur); s.a. die Bemerkungen bei M. Karrer, Zur Ethik der Apokalypse, in: J. Flebbe/M. Konradt (Hg.), Ethos und Theologie im Neuen Testament. FS M. Wolter, NeukirchenVluyn 2016, 441–464, 450 Anm. 37, wo er von der Johannesoffenbarung als „einer fulminanten Streitschrift und einem markanten Beispiel subversiver Literaturtradition“ spricht. S.a. Karrer, Ethik der Apokalypse, 447: Der Autor schafft „im narrativen Rahmen der Apk ein komplexes Spiel der Autorität“. Zu dem besonderen Geltungsanspruch der Johannesoffenbarung vgl. K. Huber/M. Hasitschka, Die Offenbarung des Johannes im Kanon der Bibel. Textinterner Geltungsanspruch und Probleme der kanonischen Rezeption. in: J.-M. Auwers/H.J. de Jonge (Hg.), The Biblical Canons, BEThL 163, Leuven 2003, 607–618. Huber/Hasitschka machten darauf aufmerksam, dass sich dieser Geltungsanspruch vor allem in den Rahmenpassage in Apk 1,1–8 und 22,6–21 findet (aaO., 608). Die rhetorische und rezeptionsorientierte Untersuchung von G. Carey, Elusive Apocalypse. Reading Authority in the Revelation of John, Studies in American Biblical Hermeneutic 15, Macon 1999, zeigt Entwicklung von Autorität im Lektüreprozess der Johannesoffenbarung auf und untersucht einerseits, wie die Erzählung ihren Autoritätsanspruch entwickelt und in welcher Weise andererseits der Anspruch in der exegetischen und kirchlichen Diskussion aufgenommen wird. Dies eröffnet einen Dialog mit der vorliegenden Studie. U. Schnelle, Theologie des Neuen Testaments, UTB 2917, Göttingen 32016, 734–756; ders., Die ersten 100 Jahre des Christentums. 30–130 n. Chr. Die Entwicklungsgeschichte einer Weltreligion, UTB 4411, Göttingen 2015, 382 f.417–419.447–450.524 f. J.M. Lieu, Letters and Topography of Early Christianity, in: NTS 62, 2015, 167–182. Lieu, Letters and Topography, 167.

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framework“ ist.14 Die Überwindung der Distanz zwischen der „Enthüllung“ (!poj²kuxir) der Wirklichkeit durch Gott in der „Offenbarung Jesu Christi“ (Apk 1,1) und der Alltagswirklichkeit der Adressaten15 durch Akzeptanz und Annahme wird sich als die Zentralaufgabe des brieflichen Rahmens der Johannesoffenbarung in seinem literarischen Kontext erweisen. Die Briefform konstruiert die für Akzeptanz und Annahme notwendige Autorität des Schreibens16 und schafft die Voraussetzung für die Verlesung im Gottesdienst, die zur Überwindung der Distanz von Text und Hörer/Hörerin notwendig ist und der Darstellung des Schreibens in Apk 1,1–3 entspricht.

2. Die formal hybride literarische Einleitung der Johannesoffenbarung Der Abschnitt Apk 1,1–8(.9–10a) führt in die apokalyptische Erzählung ein.17 Hier setzen methodisch sachgerecht die Bestimmung der Form und der Kommunikationsstruktur, aber auch die literarkritische Diskussion der neutestamentlichen „Apokalypse“ an. Es folgen in wenigen Sätzen verschiedene Textformen aufeinander, die zusammen die Buch- bzw. Erzähleinleitung bilden und die Verstehensbedingungen der Textwelt konstituieren. Zu Recht werden Einleitung und Schluss der Erzählung von Stefan Alkier als „Leseanweisungen“ bzw. „Leseinstruktionen“ bezeichnet,18 die die Interaktion zwischen Text und Rezipienten entwickeln. Diese Passagen setzen unter14 Lieu, Letters and Topography, 167. 15 Vgl. Hartman, Form and Message, 132. Zur Problematik der Distanzüberwindung zwischen einer andersartigen Wirklichkeitsinterpretation durch die Textwelt und der notwendigen Schaffung aussichtsreicher Möglichkeiten für das Verstehen vgl. M. Grilli, Kommunikationsprozess und Auslegung eines biblischen Textes, in: D. Dormeyer/M. Grilli, Gottes Wort in menschlicher Sprache. Die Lektüre von Mt 18 und Apg 1–3 als Kommunikationsprozess, SBS 201, Stuttgart 2004, 12–39, 30: „Die authentische Lektüre eines Textes ist ,intrigant’. Wenn die Welt, die ich verstehen will, der meinen verwandt ist, verstehe ich sie unmittelbar, aber wenn diese Welt weit entfernt ist, dann muss der Text, der sie mir beschreibt, durch die Analyse der Voraussetzungen und seines verborgenen Sinnes analysiert und transparent gemacht werden. Vor allem in diesem zweiten Fall ist die Kommunikation ein arbeitsamer, intensiver Prozess, weil sie das Abschaffen der Distanz und das Schaffen von Verwandtschaft bedeutet.“ Die hybride literarische Einleitung Apk 1,1–9 leistet einen wesentlichen Beitrag zur Hinführung der Adressaten zu der von Gott enthüllten Wirklichkeit, indem die Passage positive Verstehensbedingungen erzeugt. 16 S.a. Schnelle, Einleitung, 607, demzufolge die Briefform „Ausdruck der Adressatenbezogenheit des Gesamtwerkes“ ist. 17 L.L. Thompson, Revelation, Abingdon New Testament Commentaries, Nashville 1998, 47, bezeichnet Apk 1,1–8 als „introduction“. 18 S. Alkier, Die Johannesapokalypse als „ein zusammenhängendes und vollständiges Ganzes“, in: M. Labahn/M. Karrer (Hg.), Die Johannesoffenbarung – Ihr Text und ihre Auslegung, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 38, Leipzig 2012, 147–171.

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schiedliche Rezeptionssignale, die von dem auf Schriftlichkeit und Sicherung der Autorität herkommenden titulus (Überschrift) mitsamt seiner Seligpreisung der Modellrezipienten in 1,1–2.319 über die auf Autorität, Kommunikation, Einvernehmen und Öffentlichkeit20 zielende briefliche Rahmung in 1,4–6 bis hin zu den scheinbar zusammenhangslosen prophetischen Worten über das Kommen des Durchbohrten und von Gott als dem Kommenden in 1,7 f und die narrative Verknüpfung der apokalyptischen Schau des Johannes mit der Alltagssituation seiner Adressaten in 1,9–20 reichen. Es liegt eine „einzigartige Verbindung von apokalyptischem, prophetischem und brieflichem Charakter“ vor, wie es Hanna Roose für die gesamte Johannesoffenbarung reklamiert.21 Auch wenn konzediert wird, dass eine ,Apokalypse‘ ein Amalgam unterschiedlicher Gattungen darstellt,22 bleibt die Kombination dieser fünf literarischen Formen ungewöhnlich und wird in diesem Beitrag als ein Ausdruck literarischer Hybridität gelesen.23 Dabei wird der Pragmatik des hybriden Rahmens mit besonderer Beachtung der Funktion des Briefrahmens und des Grußes nachgegangen und gezeigt, wie die verschiedenen Formen den pragmatischen Anspruch auf die Adressaten und Adressatinnen verdichten. Literarische Hybridität meint hier das Zusammentreffen unterschiedlicher Textformen, die in dieser Kombination geradezu singulär und üblicherweise nicht verbunden sind,24 aber, ohne sich ineinander aufzulösen, sich zu einer pragmatischen Einheit zusammenfügen. Diese auf Autorität des Schreibens zielende Pragmatik der formal hybriden Einheit entspricht der rhetorischen 19 Im Anschluss an Hartman, Form and Message, 128 f. 20 Dass damit nicht allein die einmalige gottesdienstliche Verlesung, sondern auch die Öffentlichkeit der Schriftlichkeit bedacht ist, macht die Textsicherungsformel deutlich: Apk 22,18 f; zur Intention der Veröffentlichung als Teil der Briefkommunikation vgl. Vouga, Brief, 23 f. 21 H. Roose, Das Zeugnis Jesu. Seine Bedeutung für die Christologie, Eschatologie und Prophetie in der Offenbarung des Johannes, TANZ 32, Tübingen 2000, 161. 22 Vgl. die Bemerkungen von U.B. Müller, Literarische und formgeschichtliche Bestimmung der Apokalypse des Johannes als einem Zeugnis frühchristlicher Apokalyptik, in: ders., Christologie und Apokalyptik. Ausgewählte Aufsätze, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 12, Leipzig 2003, 291–311, 311, zur ,Apokalypse‘ als Mischgattung. 23 Die Zumutung, der die Leser/Leserinnen von dieser hybriden Texteinleitung ausgesetzt sind, stellt R. Kampling, Vision der Kirche oder Gemeinde eines Visionärs? Auf der Suche nach der Ekklesiologie der Johannes-Offenbarung, in: K. Backhaus (Hg.), Theologie als Vision. Studien zur Johannes-Offenbarung, SBS 191, Stuttgart 2001, 121–150, 121, klar heraus: „Denn die Präsentation eines Buches, in dem ein Brief enthalten ist, aus dem wieder hervorgeht, dass ein Buch zu schreiben ist, verlangt viel an Bereitschaft der Leser, das Werk auch wirklich durchlesen zu wollen.“ Es ist jedoch mehr als diese Bereitschaft, die diese Einleitung generieren will; sie zielt auf distanzüberwindende und aktiv-zustimmende Lektüre in einem bedrohten Dialog (s.a. ders., aaO., 122). 24 Eine Seligpreisung bildet normalerweise keine textliche Einheit mit einer Überschrift, eine Überschrift als Paratext bildet üblicherweise keine literarische Einheit mit einem auf direkte Kommunikation zielenden Briefpräskript.

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Funktion von Auftakt und Schluss25 eines antiken Schreibens/einer Rede, die ihren Verfasser und seine Autorität im Gegenüber zu seinen Adressaten darstellt.

2.1. Die komplexen Autorisierungs- und Vermittlungsprozesse des titulus in Apk 1,1–3 Der titulus samt Seligpreisung (1,1–3) geht dem brieflichen Rahmen voraus und bildet als Paratext den ersten Teil des hybriden Formkonzepts der Bucheinleitung. Als integrierender Teil der Bucheröffnung steuert er das Verständnis des Gesamttextes mitsamt seiner brieflichen Rahmung.26 Im Folgenden werden die wesentlichen Elemente des titulus hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Autoritätskonstruktion des literarischen Rahmens der Johannesoffenbarung dargestellt. (a) Christus als Inhalt und Vermittler der Offenbarung (1,1: )poj²kuxir YgsoO WqistoO […], ja· 1s¶lamem !poste¸kar): Die Johannesoffenbarung gibt programmatisch ihr subversives Erzählprogramm zu erkennen: sie deckt eine Wirklichkeit auf, die Jesus Christus, dem sie von Gott gegeben ist, zum Inhalt wie auch zum Absender hat.27 Sie hat es also mit Gottes Autorität, Geschichtsplan und Herrschaftsmacht zu tun, in der Jesus Christus zum geoffenbarten Geheimnis wird. In Christus wird Gott unter Wahrung der monotheistischen Prämisse der Welt ansichtig und zugänglich.28 Die Konstruktion von 1,1a ist theologisch und christologisch äußerst dicht formuliert,29 fordert Akzeptanz und stellt das folgende Werk als von Gott legitimierte Gegenwartsdeutung der gültigen Alltagskultur subversiv entgegen. 25 Elemente der formal hybriden Einleitung finden Entsprechungen im Schlussabschnitt der Johannesoffenbarung in 22,6–21: Zeuge/Zeugnis (1,2 – 22,16.18.20); die besondere Nähe des Endes (1,1.3 – 22,6.10); das Zeigen seiner Offenbarung durch den Engel an seine Knechte (1,1 – 22,6); die Notwendigkeit, das Gehörte aktiv und in seiner schriftlichen Gestalt unversehrt zu bewahren (1,3 – 22,9.14.18 f); der Makarismus (1,3 – 22,7); die Worte der Prophetie (1,3 – 22,7.10.18); die Prädikation t¹ %kva ja· t¹ § (1,8 – 22,13); die „Ich“-Rede des Johannes (1,9 – 22,8) und das Kommen des Menschensohns/Christus (1,7 – 22,7.12.22 mit Gegenwartsrelevanz). S.a. die Auflistung zu 1,1–3 und 22,6–21 bei D.E. Aune, Revelation I–III, WBC 52, Nashville 1996–1998, 1205 f. 26 S.a. H. Lichtenberger, Die Apokalypse, Theologischer Kommentar zum Neuen Testament 23, Stuttgart 2014, 55: in Apk 1,1–3 „fügt sie sich bruchlos in das Gesamtwerk ein. Das Ziel dieses Vorspannes ist es, dem Brief eine grundlegende Aussage voranzustellen.“ 27 Holtz, Offenbarung, 16, spricht von einem „doppelten Boden“ des Genitivs YgsoO WqistoO. Zu Jesus Christus als Geber und Inhalt z. B. D.L. Barr, Tales of the End. A Narrative Commentary on the Book of Revelation, Santa Rosa 1998, 3; E.F. Lupieri, A Commentary on the Apocalypse of John, Italian Texts & Studies on Religion & Society, Grand Rapids 2006, 97 (mit Präferenz auf die subjektive Verwendung des Genitivs); P. Prigent, Commentary on the Apokalypse of St. John, Tübingen 2001, 106. 28 S.a. Holtz, Offenbarung, 16. 29 Sänger, „Amen, komm, Herr Jesus!“, 359.

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(b) Gott als Ursprung der Offenbarung (1,1: )poj²kuxir […] Dm 5dyjem aqt` b heºr). Die Offenbarung verdankt sich Gott und beansprucht mithin höchste Autorität. Daher wird Gott auch selbst als Erzählfigur den Text durch seine Autorität quasi besiegeln (1,8; dazu unten). Mit dem Ursprung der Offenbarung bei Gott verfügt die Johannesoffenbarung als geschriebenes Werk (1,3) über die höchst mögliche Autorität und deckt die für die Gemeinde grundlegende Wirklichkeit auf. So versucht ihr Verfasser, durch die göttliche Autorisierung seines Werkes auf seine Adressaten und ihre Interpretationsmodelle der Welt Einfluss zu nehmen und sie zu verändern. (c) Engel als Vermittler (1,1: di± toO !cc´kou aqtoO): Die Vermittlerrolle des Engels, die in der Struktur des titulus etwas künstlich wirkt, bereitet das spätere Auftreten des Deuteengels vor. Das Gewicht der Figur erschließt sich durch seine Wiederkehr im Schlussabschnitt (22,6) und durch das abgelehnte Niederfallen des erzählten Erzählers vor dem Engel (19,10; 22,6).30 Eingebunden durch die Figur des Engels in die Autorisationskette sind das Gericht über die Hure und Stadt Babylon (17,1–18,8) sowie die Präsentation ihres soteriologischen Gegenparts des Neuen Jerusalems (21,9–22,5).31 Damit wird die subversive Intention des Werkes weiter gefestigt. (d) Der Erzähler als Empfänger und Zeuge der Offenbarung (1,1–2): Die Johannesoffenbarung ist Weltdeutung und versucht die Alltagskultur mit ihren widergöttlichen Ansprüchen auf religiöse Verehrung zu ,entblößen‘. Diese Interpretation versteckt der erzählte Erzähler unter dem Anspruch, im Berichteten authentisch und rezeptiv zu sein.32 Er gibt nur das weiter, was er gesehen (und gehört) hat: fsa eWdem.33 Durch diese ostentativ passive Zurückhaltung gewinnt die Figur des Erzählers ihre besondere Kompetenz und Autorität, die Pragmatik seiner Erzählung plausibel durchzusetzen.34 Es verleiht der Botschaft Authentizität und dem erzählten Erzähler Glaubwürdigkeit. 30 Es erscheint recht künstlich, wenn Lichtenberger, Apokalypse, 57, die Erwähnung des Engels in 1,1 auf apokalyptische Quellen des Erzählers zurückführt, in denen Engel eine entscheidende Rolle in der Offenbarungsvermittlung spielen. 31 Vgl. zur Figur des Deuteengels z. B. H. Reichelt, Angelus interpres-Texte in der JohannesApokalypse. Strukturen, Aussagen und Hintergründe, EHS XIII/507, Frankfurt am Main et al. 1994. 32 Vgl. 1Hen 103,1 f; s.a. 98,6; 104,1. 33 G. Carey, The Apocalypse and its Ambiguous Ethos, in: S. Moyise (Hg.), Studies in the Book of Revelation, Edinburgh/New York 2001, 163–180, 174: der Erzähler stellt sich als „a ,self-effacing interpreter‘ who simply describes what he sees and hears without embellishment or interpretation“ dar. Carey nimmt S.D. O’Leary, Arguing the Apocalypse. A Theory of Millennial Rhetoric, Oxford u. a. 1994, 77 f, auf. 34 Es ist die himmlische Autorität, die in der Gattung „Apokalypse“ für die Autorisierung der Botschaft verantwortlich ist und damit die Glaubwürdigkeit ihres „Verfassers“ ausmacht. „The effect of such an appeal is that the audience will give the speaker a favorable hearing and accept him or her as someone whose words are worth hearing and heeding“ (D.A. DeSilva, Fourth Ezra. Maintaining Jewish Cultural Values Through Apocalyptic Rhetoric, in: L.G. Bloomquist/G. Carey [Hg.], Vision and Persuasion. Rhetorical Dimensions of Apocalyptic Discourse, St. Louis 1999, 123–139, 127).

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Durch dieses rhetorische Mittel erhält die subversive Wirklichkeitskonstruktion des Sehers höchste Autorität, da er sich der höheren Autorität Christi und letztlich Gottes selbst unterwirft und deren Offenbarung unverfälscht weitergibt. Zugleich werden die Rezipienten mit dem erzählten Erzähler verbunden, da ihnen durch seine Vermittlung ungefiltert derselbe Inhalt zuteil wird, wie er ihn selbst gesehen hat. Der implizite Leser ist folglich in gleicher Weise Offenbarungsempfänger wie der erzählte Erzähler, indem er über den gleichen Informationsgehalt verfügt. Dies geschieht durch das Zeugnis des Erzählers: 1laqt¼qgsem t¹m kºcom toO heoO ja· tµm laqtuq¸am YgsoO WqistoO (1,2); dies Zeugnis beinhaltet das Moment der öffentlichen Aussage. Die von Gott gegebene Offenbarung hat öffentliche Bedeutung und muss in der Öffentlichkeit vernommen werden, wozu es eines zuverlässigen Zeugen bedarf. Als Zeuge steht der Erzähler mit seinem Namen „Johannes“ für die Sache Gottes und Jesu Christi ein und macht sie zu seiner Aufgabe. Die Namensnennung impliziert zugleich, dass die apokalyptische Erzählung es mit konkretem Geschehen in der Alltagswelt der Adressaten zu tun hat und die Sinnbildung auf ihre Situation und Konflikte antwortet. Wird Johannes in 1,1b als Knecht (do¼kor) bezeichnet, so bestimmt dies nicht allein seine Rolle als Empfänger der göttlichen Gabe im Vermittlungsprozess, sondern charakterisiert den erzählen Erzähler als Teil der Adressaten (1,1a: to?r do¼koir aqtoO; vgl. 1,9: sucjoimym¹r 1m t0 hk¸xei ja· basike¸ô ja· rpolom0 1m YgsoO).35 Als der Knecht Gottes im Singular ist der Erzähler in Bezug auf die Empfängergruppe der primus inter pares,36 der ganz von Gottes Handeln her bestimmt als Prophet die ihm gegebene Offenbarung ausrichtet und für ihre Bewahrung Sorge trägt.37 (e) Die Knechte Gottes als Adressaten (1,1a: to?r do¼koir aqtoO): Indem die christlichen Adressaten ihrerseits als Knechte Gottes angesprochen werden,38 sind sie in ein Autoritätsverhältnis gestellt, das sie gleichermaßen auszeichnet wie einen Anspruch auf ihren Gehorsam formuliert. Als Gottesknechte wird 35 Vgl. H. Giesen, Die Offenbarung des Johannes, RNT, Regensburg, 1997, 58; s.a. Taeger, Offenbarung 1,1–3, 162. 36 S.a. Aune, Revelation, 17: „By referring to Christians generally as servants of God and himself as a servant of God, John places himself on the same plane as those to whom he is writing […]. His authority is not based on any superior social role he might have but rather is grounded in the revelation that he mediates to the Christian communities to whom he writes.“ 37 Vgl. Kraft, Offenbarung, 21: „Der Verfasser der Apokalypse ist hier durch den Gottesknechtstitel als Inhaber des prophetischen Charismas bezeichnet; insofern hat hier der Singular eine speziellere Bedeutung als oben der Plural. Durch die Gabe der Prophetie ist Johannes zum Empfang und zur Weitergabe der Offenbarung berufen. […] ein Gottesknecht im speziellen Sinn, d. h. ein Inhaber des Prophetenamtes, wird mit dem Empfang und der Weitergabe der Offenbarung dessen, was Gott tun will, betraut.“. 38 Die Bezeichnung bezieht sich in 1,1a auf die Gläubigen allgemein: z. B. Aune, Revelation, 13; Giesen, Offenbarung, 57; U.B. Müller, Die Offenbarung des Johannes, ÖTbK 19, Gütersloh/ Würzburg 1984, 67.

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ihnen die Offenbarung Gottes zuteil, die ihre völlige Anerkennung fordert. Darüber hinaus erweitert die Bezeichnung der Adressaten als Knechte Gottes den Bezugsrahmen des Schreibens. Die sieben Adressatengemeinden und ihre brieflich reflektierte Situation haben exemplarische Bedeutung für die gesamte zeitgenössische Christenheit als Diener Gottes vor den Herausforderungen der hellenistisch-römischen Welt. (f) Die Seiligpreisung des Lesenden und der Hörenden (1,3): Die erste der sieben Seligpreisungen der Johannesoffenbarung (variiert wieder aufgenommen am Buchschluss: 22,7) blickt auf die durch den Vermittlungsvorgang zurückgehende Schrift und ihre Rezipienten. Da die Seliggepriesenen als Lesender (Singular) und als Hörende (Plural) angesprochen werden, besteht der sachgemäße Umgang der Empfänger mit der „Offenbarung“ in der Verlesung des Textes in der Gemeindeversammlung bzw. dem Gemeindegottesdienst. Die Platzierung der Seligpreisung im lektüresteuernden Paratext und ihr Inhalt zeigen, dass die öffentliche Verlesung dem Wesen der erfolgten Offenbarung entspricht und Wiederholung einschließt.39 Darüber hinaus werden die als Gottesknechte angesprochenen Christen (1,1) in den Text hineingezogen, indem seine Verlesung zu ihrer Seligpreisung führt.40 Sie verweist damit voraus auf die in der Doxologie des Briefpräskripts gefeierte Heilsgabe des Christus (1,5b–6a), aus der heraus untrennbar der Anspruch auf das aktive Bewahren der Sinnbildung des Textes folgt.41 Udo Schnelle hat die Johannesoffenbarung als „eine durchgehend ethisch ausgerichtete Schrift“ bezeichnet;42 bereits die erste Seligpreisung erhebt den Anspruch auf ein dem zugesprochenen Heil angemessenes Verhalten als die dem Werk angemessene Antwort der Adressaten. Beide Elemente formen einen Hörerkreis der „Offenbarung“, die vor einer gottesdienstlich versammelten Gemeinde verlesen werden will.43 Die gottesdienstlich versammelte Gemeinde ist der Ort, wo der Christus bereits in der Geschichtlichkeit den Adressaten nahe kommt und der das Zentrum der Gemeinden bildet, in dem die eschatologischen Zusagen der Erzählung bereits

39 Huber/Hasitschka, Offenbarung des Johannes, 610: „Das lässt darauf schließen, dass der Seher für seine Schrift die Verlesung im Gottesdienst der christlichen Gemeinden intendiert und wohl auch fordernd erwartet und damit auf einen sensiblen und privilegierten Ort allgemeiner Anerkennung von Texten als heilige Schrift kanonischen Rangs hinzielt.“ 40 Hartman, Form and Message, 131: Sie „draws the reader into the text itself, and thus also confronts him personally with the authority that, according to v.1 f. is the origin of the revelation“. 41 Dies schließt den Schutz des Textes vor Verfälschung nicht aus, sondern ein; s.a. Huber/Hasitschka, Offenbarung des Johannes, 610 f. 42 Schnelle, Theologie, 746. 43 K. Backhaus, Die Vision vom ganz Anderen. Geschichtlicher Ort und theologische Mitte der Johannes-Offenbarung, in: ders. (Hg.), Theologie als Vision, 10–53, 39: „Intendierter Sitz im Leben der Johannes-Offenbarung ist die gottesdienstliche Versammlung“. S.a. Prigent, Apokalypse, 113: „its intended purpose is for worship“.

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erlebbar werden.44 Das Schreiben konstruiert eine um dieses Zentrum herum lebende und von ihm her gestaltete christliche Gemeinde. Diese narrative Konstruktion der Adressaten grenzt sie scharf von ihrer Umwelt und der Alltagskultur ab, so dass kaum davon die Rede sein kann, dass die „Apk mit ihrem rhetorischen Impetus […] auf die gesamte Gesellschaft zielt“.45 Die Johannesoffenbarung entwickelt die Alltagswelt der Adressaten unter apokalyptischen Vorzeichen und aufgrund ihrer Grundnorm vom Ausschließlichkeitsanspruch des einen Gottes her radikal neu und deckt damit die soziale und politische Wirklichkeit der Alltagskultur auf, richtet sich jedoch nicht an diese, sondern exemplarisch an die angeschriebenen frühchristlichen Gemeinden. Der titulus stellt die Kommunikation des Sehers mit den kleinasiatischen Adressatengemeinden als Akt göttlicher Offenbarung vor, die von Gott her den Menschen zu Gute kommt, die als Knechte Gottes angesprochen sich an die Vorgaben des folgenden Textes halten. Der Brief des Johannes an die sieben Gemeinden in der Asia wird zu einem Werk göttlicher Kommunikation mit seinen Dienern und erhält eine besondere Autorität, die den Briefschreiber und Erzähler der endzeitlichen Vision ebenfalls neu bestimmt und seinen Anspruch auf Akzeptanz zu einem von Gott ausgehenden Anspruch an die Adressaten macht. Die Johannesoffenbarung erzählt die Geschichte des Johannes an die sieben Gemeinden anders, als es der Brief ohne den titulus täte; allein mit dem brieflichen Rahmen wäre das Schreiben innermenschliche Kommunikation eines von Gott ausgezeichneten Absenders an von Gott durch Christus qualifizierte Adressaten. Ganz im Sinne eines Paratextes widerspricht diese neue Erzählung dem Folgenden nicht, sondern gibt richtungsweisende Anleitung für seine Lektüre, die das innermenschliche Kommunikationsgeschehen auf Gottes Aufdeckung der Welt zurückführt und sein Kommen zum Gericht und Heil in Christus in den Blick nimmt. Als literarischer Paratext übernimmt Apk 1,1–3 zudem rhetorische Funktionen der Pseudepigraphie in anderen Apokalypsen. Die Pseudepigraphie dient der Autorisierung der jeweiligen Schrift durch eine Bevollmächtigung jenseits der eigenen Bedeutsamkeit des Verfassers. Neben der letztlichen entscheidenden Autorität hinter dem geoffenbarten Text ist es in der Regel eine herausragende Figur des kulturellen Gedächtnisses Israels, die für die Abfertigung des Textes verantwortlich gemacht wird (z. B. Henoch, Mose, Elija, Baruch, Esra). Anders als dort schreibt die Johannesoffenbarung aber keine bekannte Figur der Vergangenheit, sondern ein den Gemeinden be44 Vgl. O. Böcher, Bürger der Gottesstadt. Kirche in Zeit und Endzeit nach Apk 21 f., in: ders., Kirche in Zeit und Endzeit. Aufsätze zur Offenbarung des Johannes, Neukirchen-Vluyn 1983, 157–167, 166; s.a. Schnelle, Theologie, 737: „Gott ist der im Erscheinen Jesu Christi zum Gericht und zum Heil eschatologisch Kommende. Im kultischen Vollzug des Gottesdienstes wird diese Wirklichkeit des Kommens und der Präsenz Gottes antizipiert und so Gottes Gegenwart jenseits des Tempels und des Kaiserkults neu definiert.“ 45 Karrer, Ethik der Apokalypse, 450.

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kannter Prophet mit dem Namen „Johannes“. Der titulus erläutert hier, dass Gott (und mit ihm der Christus) die entscheidende Autorität hinter der „Offenbarung“ ist, und autorisiert so das Schriftstück, das aus himmlischer Perspektive und Weltsicht geschrieben ist. Hinter dieser Autorität tritt der erzählte Erzähler zurück und verleiht so dem Schriftstück, aber auch sich selbst als Protagonist des Erzählens Autorität. Zugleich werden der erzählte Erzähler und seine Adressaten gemeinsam dieser Autorität zugeordnet als Empfangende und als in ihrem Lebensvollzug antwortende Gemeinde(n).46 Dieser Anspruch kann nicht unbeantwortet bleiben, vielmehr werden der Inhalt des Werkes und die Antwort der Rezipienten auf seine Botschaft verbunden. Das Werk zielt auf Rezeption und Gehorsam.

2.2. Der Briefrahmen und seine distanzreduzierende, auf öffentliche Wahrnehmung und Annahme zielende Funktion Der briefliche Rahmen der Johannesoffenbarung bestehend aus Briefpräskript (1,4–6) und Schlussgruß (22,21) erinnert formal an die Konvention des paulinischen Briefpräskripts,47 das sich auch in der Paulusschule (bis hin zum 1. und 2. Petrusbrief) findet und in der Paulus die identitätsstiftende Leitfigur darstellt. Die Nähe zur paulinischen Briefkonvention ist derart offensichtlich, dass man mit Traugott Holtz die Übernahme des Formats als „eine bewußte Entscheidung“ bezeichnen kann.48 Diese These bestätigt, dass beispielsweise die Zentralbegriffe der salutatio, w²qir und eQq¶mg, keine Bedeutung in der Kernerzählung selbst haben.49

46 Johannes, dem die Offenbarung zuteil wird, teilt mit den Adressaten die Situation, auf die die „Offenbarung Jesu Christi“ antwortet (vgl. 1,9; dazu unten). Schon die Erwähnung des Verfassers mit seinem Namen erdet den himmlischen Text, insofern er ganz und gar mit den Adressaten und ihrem Leben zu tun hat. 47 Vgl. die Analyse bei Karrer, Die Johannesoffenbarung als Brief, 66–83. 48 Holtz, Offenbarung, 5.21: „Dieser Briefrahmen ist in seinem charakteristischen Element […] von Paulus in seinen Briefen entwickelt worden. Daß er gerade in den paulinischen Eigenheiten in Offb begegnet, muß als inhaltlich begründete Nachbildung beurteilt werden.“ S.a. Schnelle, 100 Jahre, 525; ders., Einleitung, 602.607; E. Schüssler Fiorenza, Das Buch der Offenbarung. Vision einer gerechten Welt, Stuttgart 1994, 43 f. Die polemischen Äußerungen von Berger, Apokalypse, 56, gegen die angebliche „Überschätzung des paulinischen Einflusses im gesamten frühen Christentum durch die konservativ-protestantische Exegese“ können diese sprachlichen Signale nicht relativieren. 49 w²qir ist nur im brieflichen Rahmen belegt: 1,4; 22,21; eQq¶mg begegnet nur ein weiteres Mal in 6,4, wo in Anspielung auf die Vorstellung vom ,römischen Frieden‘ der Erde der Friede durch den zweiten Reiter weggenommen wird.

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Wie Dieter Sänger mit Recht betont hat, ist im Blick auf die Johannesoffenbarung ein „beispielloser Autoritäts- und Offenbarungsanspruch“ zu erkennen.50 Daher ist der Gedanke naheliegend, dass die paulinische Briefkonvention verwendet wird, um für die Johannesoffenbarung im Wirkungsbereich des Apostels Paulus eine mit dem Apostel Paulus vergleichbare Autorität zu generieren.51 Diese Annahme fügt sich in das Modell der hybriden literarischen Einleitung der Johannesoffenbarung ein, in der sich unterschiedliche Formen in der rezeptionsorientierten Ausgestaltung des Autoritätsanspruchs der Schrift ergänzen. Im Unterschied zur Traditionsorientierung der Paulusschule oder der Anknüpfung an paulinische Theologie im 1. und 2. Petrusbrief52 schließt die Rezeption der Briefkonvention jedoch nicht positiv an paulinische Theologie oder das Traditionsprinzip der Paulusschule an,53 weshalb sich der für den Autoritätsanspruch der paulinischen und postpaulinischen Briefschreibung so wichtige Apostelbegriff (1Kor 1,1; 2Kor 1,1; Gal 1,1; Röm 1,1; s.a. 1Petr 1,1; 2Petr 1,1)54 im Briefpräskript der Johannesoffenbarung nicht findet.55 Ihr Erzähler versteht sich als Prophet, was ein weiterer Grund gegen die Verwendung des Titels Apostel in der Absenderangabe ist. Apostel als Augenzeugen der Geschichte Jesu sind hingegen eine Größe der Vergangenheit (21,14).56

50 Sänger, „Amen, komm, Herr Jesus!“, 358. 51 So z. B. Holtz, Offenbarung, 5: „Die Briefform der Offb fügt sich überraschend genau in das Schema der Paulus- und der sich seines Namens bedienenden Briefe aus der Zeit der frühen christlichen Gemeinde ein. […] Johannes setzt offensichtlich ebenso wie die nachpaulinischen Briefe […] die Autorität des Paulus in den von ihm angeredeten Gemeinden voraus und sieht sie manifestiert vor allem in der auf ihn gründenden Kommunikationsform des ,Apostel‘-Briefes. Er benutzt sie für die Befestigung der eigenen Autorität. Das setzt voraus, daß er sich selbst versteht als in einer Linie mit dem Apostel stehend“. Vgl. Schnelle, 100 Jahre, 525. 52 Vgl. nur Schnelle, 100 Jahre, 520 f. 53 Zur Diskussion möglicher Verbindungen zur Paulusschule vgl. z. B. E. Lohse, The Revelation of John and Pauline Theology, in: ders., Das Neue Testament als Urkunde des Evangeliums. Exegetische Studien zur Theologie des Neuen Testaments III, FRLANT 192, Göttingen 2000, 206–213; R. Müller-Fieberg, Paulusrezeption in der Johannesoffenbarung? Auf der Suche nach dem Erbe des Apostels im letzten Buch des biblischen Kanons, in: NTS 55, 2009, 83–103; T. Nicklas, Gute Werke, rechter Glaube. Paulusrezeption in der Apokalypse des Paulus, in: ders./A. Merkt (Hg.), Ancient Perspectives on Paul, NTOA/StUNT 102, Göttingen 2013, 150–169. 54 Immerhin wird der Absender im titulus als t` do¼k\ aqtoO Yy²mm, (1,1b) vorgestellt (vgl. Phil 1,1; s.a. Röm 1,1 bzw. Jak 1,1; Jud 1); allerdings nimmt ihn diese Formulierung mit allen Christen zusammen (1,1a: )poj²kuxir YgsoO WqistoO Dm 5dyjem aqt` b he¹r de?nai to?r do¼koir aqtoO […]). 55 Vgl. Gradl, Buch und Offenbarung, 166 f, der zu Recht anmerkt, dass Johannes so hinter der Autorität Gottes zurücktritt. 56 Zum Apostelbild der Johannesoffenbarung vgl. z. B. K. Huber, Fundament und kostbarer Schmuck. Die zwölf Apostel in der Offenbarung des Johannes, in: L. De Santos/S. Grasso (Hg.), „Perch8 stessero con Lui“. Scritti in onore di Klemens Stock, nel suo 758 compleanno, AnBib 180, Rom 2010, 369–385.

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Somit erfolgt der Autoritätsanspruch nicht wie in der Pseudepigraphie der Paulusschule als Inbesitznahme der Autorität des verstorbenen Apostels;57 aber der namentlich bekannte Johannes beansprucht eine vergleichbare Autorität, wie sie Paulus innehat. Mit dem paulinischen Briefpräskript nimmt der Verfasser eine autoritative wie pastorale58 Funktion wie beim erinnerten Paulus gegenüber den Gemeinden ein. Die freie Aufnahme des paulinischen Präskripts erfolgt somit als Anknüpfung in Distanz zu Paulus und postpaulinischer Entwicklung, was auch Theologie, Christologie und Ethik der Johannesoffenbarung umfasst. Ein weiterer Punkt verdient Beachtung. Der briefliche Rahmen zielt dem brieflichen Genre entsprechend darauf, die Distanz zu den Empfängern zu minimieren und der Botschaft buchstäblich Gehör zu verschaffen. So wird durch den brieflichen Rahmen als Teil der hybriden Einleitung ein Kommunikationsprozess mit den Adressaten in Gang gesetzt und auf deren Zustimmung gezielt.59 Es geht um eine mit der paulinischen und postpaulinischen Briefproduktion vergleichbare Öffentlichkeit in der gottesdienstlich versammelten Gemeinde.60 So hat schon Ulrich B. Müller mit Hinweis auf die paulinische Briefproduktion mit der intendierten gottesdienstlichen Verlesung und dem übergemeindlichen Austausch sowie auf 1Clem mit dem Autoritätsanspruch auf andere Gemeinden die Briefform der Johannesoffenbarung zu erklären gesucht und damit wesentliche Ursachen der Anknüpfung benannt: „Die Briefe des Apostels Paulus sollten in den Gemeinden verlesen werden (vgl. 1Thess 5,27) bzw. zwecks Verlesung zirkulieren (Kol 4,16). Durch Absenden eines Briefes konnte man einen besonderen Autoritätsanspruch erheben, wenn man in die Probleme anderer Gemeinden eingreifen und sie regeln wollte (1Clem; Briefe des Ignatius von Antiochien). […] Von diesem Verständnis frühchristlicher Briefe aus mußte es für den Seher Johannes naheliegen, seine Schrift als Brief zu stilisieren, damit sie im Gottesdienst der angeschriebenen Gemeinden vorgelesen wurde. Er hat ihr deshalb einen brieflichen Rahmen gegeben (1,4–6; 22,21) und die direkte Anrede an die sieben Gemeinden in Briefform gekleidet (Apk 2–3). Vom Interesse des Verfassers an einer gottesdienstlichen Verwendung seines Buches erschließt sich die Notwendigkeit des auf 1,3 folgenden Präskripts“.61 57 Nach Müller, Bestimmung, 299 f, erklärt sich das Fehlen der Pseudepigraphie in der Johannesoffenbarung mit der Nutzung des brieflichen Rahmens und darin, dass der Verfasser an „bekannte Gemeinden“ schreibe (aaO., 300); aber dies würde die Johannesoffenbarung nicht von den Kommunikationsbedingungen der Paulusschule abheben, die dennoch Pseudepigraphie verwenden. 58 So betont durch Carey, Apocalypse and its Ambiguous Ethos, 173. 59 Anders Holtz, Offenbarung, 5, der den dialogischen Charakter der Johannesoffenbarung begrenzt. 60 S.a. Schnelle, Einleitung, 608. 61 Müller, Offenbarung, 69; vgl. ders., Bestimmung, 299. Giesen, Offenbarung, 60, knüpft an Müller an, versteht dabei die Johannesoffenbarung als „Predigtersatz“, der anstelle der anwesenden Person des Sehers Johannes „im Gottesdienst verlesen werden“ kann.

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Werden im frühchristlichen Gottesdienst die alttestamentlichen Schriften und soweit erkennbar in paulinischen Gemeinden auch die Paulusbriefe verlesen, so wird darin ein wesentliches Element der Anknüpfung an die Konvention des paulinischen Briefpräskripts liegen. Der briefliche Rahmen ist als eine Art ,Eintrittskarte‘ in die liturgischen Vollzüge der kleinasiatischen Adressatengemeinden zu verstehen;62 eventuell dient dazu auch der Selbstanspruch, „Schrift“ zu sein, was sich durch die Selbstbezeichnung als „Worte der Prophetie“ (to»r kºcour t/r pqovgte¸ar) nahelegt.63 Pseudepigraphie ist ein wichtiges Element der Gattung „Apokalypse“, weil das Werk durch Rezeption einer herausragenden Gestalt der Geschichte Israels Autorität gewinnt. Allerdings ist dies nur ein Aspekt der Autorisierung, die in Apokalypsen meist mit der Vermittlung durch einen Engel oder den Ursprung in Gott entfaltet wird.64 Johannes, der bereits im titulus genannt wurde, stellt sich im Präskript als Absender vor. Trotz der literarischen Gestaltung als erzählter Erzähler wird er in der superscriptio als eine der Gemeinde bekannte Persönlichkeit eingeführt; damit wird aber auf die Autorisierung durch eine Größe der Vergangenheit verzichtet. Dies entspricht der Gesamtkonzeption der Johannesoffenbarung, in der der Verfasser Teil der Erzählung und damit der Kommunikationsstruktur ist. Der Briefschreiber ist ein den Adressaten bekannter Prophet, der als eine Figur, die ihr Heil und ihre Herausforderungen teilt,65 sich jedoch durch die besondere Gabe der Offenbarung unterscheidet. Zugleich beansprucht Johannes als rezeptive Figur die Authentizität seiner Botschaft (s. o.). Er ist zudem eine in den Konflikten um die Ausrichtung der christlichen Gemeinden zu hörende Stimme, der die Offenbarung Gottes zuteil wurde. Die Wiederholung des Namens Johannes unterstreicht, dass die in 1,1–3 als Prophetie beschriebene „Offenbarung“ im folgenden Text dargeboten wird und für das Leben der christlichen Adressaten maßgeblich ist.66 Anders als im paulischen Briefpräskript wird die Namensnennung nicht durch einen begleitenden Titel erweitert. Allerdings ist dieser Johannes bereits eine charakterisierte und damit für den Leser kodierte Figur. Als Adressaten werden kurz „die sieben Gemeinden in der Asia“ genannt und verweisen damit auf eine konkrete briefliche Situation, in der die Sinn62 Diesem Ziel diente bereits der abschließende Makarismus im titulus (1,3), was die briefliche Rahmung verstärkt. 63 Nach Prigent, Apokalypse, 112, drängt die Selbstbezeichnung der Johannesoffenbarung als „Prophetie“, die sich auf dasselbe Autoritätslevel wie die atl. Prophetenschriften stellt, auf eine gottesdienstliche Verlesung, da Justin 1Apol 67,3 „speaks, as does Rev 1:3, of the reading of prophetic (Christian) texts“. 64 Vgl. z. B. J.J. Collins, The Apocalyptic Imagination. An Introduction to Jewish Apocalyptic Literature, The Biblical Resource Series, Grand Rapids/Cambridge 21998, 270 f. Wird das Baumerkmal der Pseudepigraphie als konstitutiv bestimmt, so wird „Johannes“ zu einem fiktiven Namen, der auf eine bekannte Größe insbesondere des johanneischen Kreises bezogen wird; z. B. Strecker, Literaturgeschichte, 274 f. 65 Z. B. Gradl, Buch und Offenbarung, 164 f. 66 Vgl. Hartman, Form and Message, 131.

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bildung der Johannesoffenbarung ihre Wirkung erzielen will. Die so genannten Sendschreiben in Apk 2–3 werden sich mit ihren Herausforderungen näher beschäftigen, in die hinein die „Offenbarung“ gegeben wird und die offensichtlich eine derartige hybride Einleitungsgestaltung erfordern (s. Abschnitt 3). Die salutatio hat durch den Zuspruch der Gnade und des Friedens von Gott, den sieben Geistern und Jesus Christus die Heilsquelle der sieben Gemeinden im Blick (1,4b–5a). Auch mit der Erwähnung der sieben Geister, die zum Gottesthron gehören (4,5; 5,6; doch s.a. 3,1), wird die Polarität zwischen Himmel und Erde deutlich; der Himmel und seine Charaktere entfalten ihre Wirkung in Richtung Erde. So wird die Quelle des Heils für die christlichen Gemeinden deutlich, deren Lebensgrundlage durch die Doxologie auf den Christus 1,5b–6a soteriologisch weiter ausgeführt wird und zwar in der Form liturgischer Antwort. Gleichzeitig verknüpft der Wunsch den brieflichen Rahmen mit dem folgenden Abschnitt der Einleitung und setzt Akzente für die weitere Erzählung. Gott ist nicht allein der, der ist und der war, sondern zugleich der Kommende; dies nimmt den Inhalt der „Offenbarung“ aus 1,1.3 wieder auf. Das, was in Bälde geschieht, entspricht der aufdeckenden und die irdische Wirklichkeit in ihrer Endlichkeit überführenden67 „Offenbarung“ als einem Geschehen, das durch das „Kommen“ Gottes und des Christus herbeigeführt wird (vgl. 1,7 f). Zugleich wird deutlich, dass die subversive Erzählung nicht auf eine unbestimmte Zukunft hin vertröstet, sondern auf die Welt und die Gegenwart hin orientiert, in der Gott und der Christus wirken. Das Kommen liegt nicht in der fernen Zukunft, sondern entspricht Gottes Wirken einst und jetzt. Die abschließende Doxologie feiert den Christus in der 1. Person Plural als (V.5b) t` !cap_mti Bl÷r ja· k¼samti Bl÷r 1j t_m "laqti_m Bl_m […] (V.6a) ja· 1po¸gsem Bl÷r […]. Der in quasi apostolisch-pastoraler Autorität schreibende Briefabsender Johannes, der sich mit der Autorität, der von Gott und dem Christus her ausgezeichneten Offenbarung adelt, identifiziert sich mit seinen Adressaten als einer durch Gottes Heilshandeln in Jesus Christus bestimmten „Wir“-Gruppe. Diese Gruppe aus Johannes und der gottesdienstlich zur Verlesung der Brief gewordenen Offenbarung versammelten Gemeinde verdankt ihr Sein dem soteriologischen Handeln des Christus68 – das „wir“ hebt die Distanz zwischen dem Schreiber und seinen Adressaten/ Adressatinnen auf.

67 In pro-römischen Stellungnahmen wird die römische Herrschaft als eine ewige gefeiert: z. B. Plut Mor 317a, der mit biblisch-jüdischer Sprache die Ewigkeit Gottes gegenüber gestellt wird. Der erzählte Untergang Babylons/Roms deckt auf, was bzw. wer in der Wahrnehmung der Offenbarung wirklich ewig ist, Gott, dem die Endlichkeit der römischen Herrschaft als wesentliches Moment der subversiven Erzählstrategie entgegen gestellt ist. Diese Endlichkeit wird durch den Vollzug der Herrschaft Gottes öffentlich sichtbar. 68 S.a. Gradl, Buch und Offenbarung, 167.

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Wie verschiedentlich vermutet, liegt eine Anspielung oder Aufnahme von Tauftradition vor. Das Taufgeschehen erhebt Absender und Adressaten gemeinsam in einen neuen Stand, der durch aktive Akzeptanz der Botschaft der Johannesoffenbarung gewährleistet wird, in dem die Adressaten sich in Distanz zur Alltagswelt als „Königreich“ und als „Priester für Gott“ erweisen. Durch den brieflichen Rahmen überwindet der Verfasser, der als Wanderprophet wirkt,69 die Distanz des abwesenden Erzählers zu den Adressaten. Darüber hinaus dürfte der paulinisch inspirierte briefliche Rahmen ganz analog des für das Verstehen der Johannesoffenbarung richtungsweisenden titulus (vgl. 1,1 f.) der Durchsetzung des Autoritätsanspruchs der Schrift bei den Adressaten dienen. Die Bedeutung der kreativen Aufnahme des paulinischen Präskripts liegt daher in der Kommunikationssituation, bei der der Seher im Einflussbereich (nach-)paulinischer Theologie und sozialer Ethik wirkt.70 Sie dient als Mittel des Autoritätsgewinns,71 um die inhaltliche Distanz zu den Adressaten zu überwinden. Wie einst Paulus (und seine Tradition) beansprucht der Verfasser Zustimmung seiner Adressaten und Adressatinnen, weil er als Knecht Gottes (vgl. Apk 1,1) Gottes durch Jesus Christus kundgetane „Offenbarung“ kommuniziert. Wie im paulinischen Traditionsraum üblich, zielt der briefliche Rahmen der Natur des Textes zugleich darauf, gottesdienstlich verlesen zu werden, damit er seinen Anspruch auf die Rezipienten verwirklichen kann. 2.3. „Liturgische“ Antworten Die Johannesoffenbarung zielt auf öffentliche Verlesung. Dabei bleibt der Text jedoch nicht stehen, sondern formuliert eine liturgisch zu bezeichnende Interaktion, in der die erzählten und damit wohl auch die realen Adressaten und Adressatinnen der Botschaft akklamieren sollen.72 Ihre Zustimmung zu der von Gott gegebenen Offenbarung gilt der Erzählung als gesetzt, so dass die „Amen“-Aussagen auf ein Einstimmen der Zuhörer und Zuhörerinnen als Abschluss der Doxologie im Briefpräskript (1,6), aber auch das ma¸, !l¶m als bestätigende Reaktion auf den Prophetenspruch vom Kommen des Menschensohns (1,7) unmittelbar vor Gottes die Offenbarung bestätigender Selbstvorstellung (1,8; dazu s. u.) zielen. So sind nur solche Hörer und Höre69 S.a. S. Schreiber, Häresie im Kanon? Zum historischen Bild der dritten christlichen Generation, in: BZ 58, 2014, 186–210, 191. 70 S.a. Schnelle, Einleitung, 602. 71 Holtz, Offenbarung, 5, spricht von einer „(autoritätsstiftenden) Funktion der Briefform“. 72 Allerdings geht die These, dass die Briefeinleitung ein liturgisches Dialogschema darstellt, die zwischen dem Segen des Liturgen (1,4b–5a) und dem Lobpreis der Gemeinde als Antwort pendelt, zu weit. Sie nimmt meines Erachtens die verwendete Form des Briefpräskripts als Texteinheit nicht genügend ernst (zu A. Satake, Die Offenbarung des Johannes, KEK 16, Göttingen 2008, 127. Das Modell geht zurück auf Gedanken von U. Vanni, Liturgical Dialogue as a Literary Form in the Book of Revelation, in: NTS 37, 1991, 348–372, 349–355).

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rinnen „selig“, die dem verlesenen Text zustimmen und ihn damit zu ihrer Lebensgrundlage werden lassen. Auch am Briefschluss werden die Adressatinnen und Adressaten zu einer Antwort aufgefordert. Die Jesusrede mit der Ankündigung des baldigen Kommens von 22,10–16 führt in eine Art Responsorium in 22,17a–b. Zunächst wird dem Kommenden mit dem zustimmenden Aufruf, (bestimmt) zu kommen, geantwortet. Nach der Braut und dem Geist (22,17a) antwortet jede Person, der oder die das Verlesene hört (b !jo¼ym; 22,17b), was auf die durch den Rahmen der Erzählung vorgegebene gottesdienstliche Verlesung verweist (vgl. 1,3). Sie antworten mit präsentischem Imperativ „komm“ (5qwou), der die Dringlichkeit des Eintreffens des Erhöhten für das Leben und den Alltag der Sprechenden unterstreicht. Die mit dem Kommen des Christus verbundende endgültige Durchsetzung der Gottesherrschaft bedeutet die radikale Änderung ihrer Existenz gegenüber der durch den Erzähler als „Trübsal“ bestimmten Gegenwart (1,9). Die Bitte um das Kommen des Erhöhten wird in 22,20 wiederholt; hier erinnert die Formulierung an 1Kor 16,22. Bestätigt zunächst derjenige, der den Inhalt des Buches bezeugt (b laqtuq_m; vgl. 1,1), sein Kommen, so beantworten die gottesdienstlich versammelten Adressaten diese Ankündigung:73 „Amen, komm, Herr Jesus“ (!l¶m, 5qwou j¼qie YgsoO), wobei der präsentische Imperativ voraussetzt, „daß der Herr wiederholt in seine Gemeinde kommt und daß er in ihr schon zuvor anwesend war“.74 Ein Bezug zu der aus den Paulusbriefen rekonstruierten frühchristlichen Abendmahlsliturgie erscheint möglich.75 Rechnet man mit einer gottesdienstlichen Verlesung der Johannesoffenbarung, so ist eine solche Referenz naheliegend.76 Der Verlesung der Erzählung folgt die von ihr selbst vorgegebene zustimmende Antwort der Gemeinde, die in ihrer Feier des Herrenmahls die zukünftige Präsenz des Herrn antizipiert.77 So verdichtet sich die Neukonstruktion der 73 Vgl. Giesen, Offenbarung, 496. 74 Giesen, Offenbarung, 495. 75 Vgl. Giesen, Offenbarung, 496; Müller, Bestimmung, 299. Prigent, Apokalypse, 651–653, versucht den Gesamtkontext von Apk 22,12ff mit gewisser Plausibilität in frühchristlicher Herrenmahlsliturgie zu verorten (vgl. zuvor schon E. Lohmeyer, Die Offenbarung des Johannes, HNT 16, Tübingen 31970, 182 f, der allerdings allgemein auf den urchristlichen Gottesdienst verweist; und zustimmend G. Bornkamm, Zum Verständnis des Gottesdienstes bei Paulus, in: ders., Das Ende des Gesetzes. Paulusstudien. Gesammelte Aufsätze 1, BEvTh 16, München 51966, 113–132, 126, demzufolge „der Schluß der Apokalypse durchzogen ist von Anklängen an die eucharistische Liturgie“). Gegen einen Bezug auf das Herrenmahl votiert z. B. C.R. Koester, Revelation. A New Translation with Introduction and Commentary, Anchor Yale Bible Commentaries, New Haven, London 2014, 846. 76 S.a. E. Lohse, Wie christlich ist die Offenbarung des Johannes, in: ders., Das Neue Testament als Urkunde des Evangeliums, 191–205, 197. Nach M. E. Boring, Revelation, Interpretation, Louisville 1989, 224, haben 22,6–20a eine Funktion „in reading forth of the revelation in worship“, wobei die Adressaten von der Welt der Visionen zurück in ihre Alltagswelt geführt werden. 77 Vgl. B.K. Blount, Revelation. A Commentary, The New Testament Library, Louisville, KY, 2009, 416.

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Lebenswelt mit der gottesdienstlichen Erinnerungskultur. Die wirklichkeitsverändernde Botschaft der Johannesoffenbarung wird damit im gottesdienstlichen Ablauf erfahrbar. Der Briefschluss führt die Adressaten und Adressatinnen in die gottesdienstlichen Abläufe über,78 so dass der liturgische Vollzug ein Ort wird, an dem das erwartete Kommen Gottes in der Person seines Christus bereits eine gegenwärtige Wirklichkeit wird. Diese Einbindung sorgt für eine hohe Verbindlichkeit der zuvor verlesenen und um Zustimmung ringenden Erzählung für die versammelte Gemeinde. Dies gilt wohl auch dann, wenn die Schrift wieder vernommen wird jenseits eines gottesdienstlichen Sitzes im Leben, da die liturgischen Erinnerungen vernehmlich sind. Mit ihrem Einstimmen werden die Hörer und Hörerinnen zu aktiv Wartenden, die die Botschaft für sich annehmen und ihre Bereitschaft bestätigen, den Sinnkosmos und den Wertekanon der Erzählung zur tragenden Bestimmung ihres eigenen Lebens zu machen. Die liturgischen Antworten erweitern das Arsenal der hybriden Einleitung und dienen der Erzeugung von Zustimmung zur Botschaft der folgenden Erzählung. 2.4. Göttliche Autorisation (Apk 1,8) Verbürgt der titulus den göttlichen Ursprung der Johannesoffenbarung, so genügt dies der Sinnkonstruktion der Johannesoffenbarung scheinbar noch nicht, lässt sie im Rahmen der hybriden Rahmenkonstruktion Gott selbst ,seine‘ Offenbarung im prophetischen Spruch von 1,8 selbst autorisieren: „Ich bin das Alpha und das O(mega), spricht der Herr, der Gott, der ist und der war und der kommen wird, der Allbeherrscher“. Traugott Holtz vergleicht die Selbstvorstellung Gottes in 1,8 mit der Siegelung einer Urkunde: „Wie ein beigedrücktes Siegel, das eine Urkunde rechtskräftig macht, schließt die Selbstbekundung Gottes den Eingangstext“.79 Tatsächlich bestätigt Gott im prophetischen Spruch mit seiner Stimme die story von der Durchsetzung seiner Herrschaft durch sein Kommen zu Gericht und Heil. 2.5. Konstruktion einer gemeinsamen Identität durch den geistbegabten Erzähler (Apk 1,9–10a) Apk 1,9–20 markieren den Übergang vom literarischen Rahmen, der die Kommunikationssituation zwischen Seher und Gemeinden herstellt, in die Visionswelt. Besonders 1,9 verbindet Alltagswelt und Visionswelt.80 Der er78 S.a. Backhaus, Die Vision vom ganz Anderen, 39. 79 Holtz, Offenbarung, 24. 80 Treffend D. Pezzoli Olgiati, Täuschung und Klarheit. Zur Wechselwirkung zwischen Vision und

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zählte Erzähler stellt sich hier als „euer Bruder und Mitteilhaber an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus“ (b !dekv¹r rl_m ja· sucjoimym¹r 1m t0 hk¸xei ja· basike¸ô ja· rpolom0 1m YgsoO) vor und erzeugt so eine gemeinsame Identität mit seinen Adressaten und Adressatinnen, die von seiner Weltsicht geprägt ist.81 Er ist Mitgenosse seiner Adressaten in einer Welt, die er zugleich durch das in Christus gewährte Heil, aber auch als Ort eschatologischer Bewährung versteht.82 Wie der erzählte Erzähler mit seinen Adressaten an dem durch den Kreuzestod vermittelten Heil partizipiert, so partizipiert er auch an der gemeinsamen Herausforderung durch die Alltagswelt,83 in der die Christen dieses Heil kompromisslos bewähren sollen und können. Er stellt sich als empathischer Erzähler unter den Anspruch seiner eigenen Erzählung, indem er die Adressaten und Adressatinnen geradezu „zu Mit-Visionären, zu Mit-Wissenden“84 macht. Diese Rhetorik von Identifikation, Teilhabe und Empathie zielt auf die Akzeptanz der Botschaft der Johannesoffenbarung. Gerade indem der erzählte Erzähler eine Stimme aus der Gemeinde ist, beansprucht seine Botschaft Akzeptanz und damit auch entsprechendes Handeln.85 Er ist aber zugleich der im Geist (1m pme¼lati: 1,10; vgl. 4,2; 17,3; 21,10; 22,6) entrückte Seher der Offenbarung Gottes, der die Offenbarung schaut und somit „durch den Geist die Offenbarung empfangen hat“.86 Die gottesdienstliche Verankerung des Schreibens, das „Wir“ der Doxologie, die Bestätigung des Königtums und des Priestertums der Adressaten, die Heilszusage an all diejenigen, die den Inhalt bewahren, die vorformulierte

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Geschichte in der Johannesoffenbarung, FRLANT 175, Göttingen 1997, 16. S.a. M. Labahn, Der Menschensohngleiche als Gottes Richter und Gottes Krieger in Offb 1,9–20. Christologie zwischen Schriftrezeption, griechisch-römischer Vorstellungswelt und christlicher Deutung, in: M. Stowasser (Hg.), Das Gottesbild in der Offenbarung des Johannes, WUNT II/397, Tübingen 2015, 83–111, 89. Auch wenn der Erzähler deutlich macht, dass er sich wegen der Botschaft der Offenbarung auf Patmos befindet (1,9: di± t¹m kºcom toO heoO ja· tµm laqtuq¸am YgsoO), so löst dies nicht die gemeinsame Erfahrung der Bedrängnis zugunsten einer gegenüber den Mitgenossen herausgehobenen Autorität auf; zu Roose, Das Zeugnis Jesu, 159 f. Durch sein Patmosschicksal partizipiert Johannes an der hk¸xir-Erfahrung der kleinasiatischen Mitchristen. Vgl. B. Kowalski, Das Verhältnis von Theologie und Zeitgeschichte in den Sendschreiben der Johannes-Offenbarung, in: Backhaus (Hg.), Theologie als Vision, 54–76, 58. Zum Konzept der „Partizipation“ in der Johannesoffenbarung vgl. K. Scholtissek, „Mitteilhaber an der Bedrängnis, der Königsherrschaft und der Ausdauer in Jesus“ (Offb 1,9). Partizipatorische Ethik in der Offenbarung des Johannes“, in: Backhaus (Hg.), Theologie als Vision, 172–207. Kampling, Vision der Kirche, 122. Vgl. Carey, Apocalypse and its Ambiguous Ethos, 177: „John reaches out to his audience through identification. John shares their status in significant ways and extends the possibility of even greater status in the future. […] But however strong the egalitarian impulse may be, it is fundamentally qualified. It is John alone who has seen heavenly things and heard heavenly voices. His audience depends upon him for the truth, and – ultimately – their fate depends upon their acceptance of his message.“ Huber/Hasitschka, Offenbarung des Johannes, 610.

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Zustimmung der Gemeinden und die Zusagen des Kommens von Christus und Gott haben zugleich aber auch eine ekklesiologische Funktion. Briefeinleitung und Schluss erzeugen eine im Gottesdienst grundgelegte christliche Gemeinschaft mit dem Christus und mit Gott selbst,87 deren Zielpunkt die endgültige und unmittelbare Gottesschau im Neuen Jerusalem sein wird (22,3 f). 2.6. Buchschluss (Apk 22,6–20.21) Zwischen dem hybrid gestalteten Auftakt und dem Abschluss der Johannesoffenbarung liegt eine beachtliche Korrespondenz vor. Ob das Verhältnis allerdings mit Ugo Vanni, der überraschend vor allem 1,1–3 in Relation zu 22,6–20.21 setzt, als Pro- und Epilog bestimmt werden kann,88 ist fraglich, da 22,6–20 auch als Abschuss der Schau des Neuen Jerusalems dient. Dennoch nimmt der Buchschluss Apk 22,6–20 die autorisierenden und programmatischen Elemente aus dem titulus in 1,1–3 auf und knüpft gleichzeitig an die prophetischen Sprüche in 1,7 f (vgl. das Thema des Kommens Christi und Gottes: 22,7.12 f.20) sowie an die partizipatorische Thematik der Selbstvorstellung des erzählten Erzählers in 1,9 (variiert durch den Engel: 22,9) an.89 Wie die Einleitung dient auch der Schluss der Autorisierung des Schreibens durch Gott und zielt auf Akzeptanz der Adressaten und Adressatinnen, wobei sich die Strategien der Konstruktion des idealen Lesers und Modelle der Lesersteuerung nunmehr mit liturgischer Akklamation (22,20b: )l¶m, 5qwou j¼qie YgsoO; s.a. die Ermunterung in 22,17b) sowie der Gehorsamsforderung der Textsicherungsformel (22,18 f) verbinden. Letztere nimmt den titulus so auf, dass die lebendige briefliche Kommunikation (1,4–6; 22,21) als von Gott gegebene „Offenbarung Jesu Christi“ geradezu „sakrosankt erklärt“,90 weil der Text der Johannesoffenbarung „zuverlässig und wahr“ (pisto· ja· !kghimo¸) ist (22,6; s.a. 19,9; 21,5). Indem sich der Schluss direkt an die Adressaten und Adressatinnen wendet, verweist dies einerseits auf die anvisierte gottesdienstliche Lesung zurück (vgl. 1,3); andererseits wird der briefliche Kommunikationsrahmen (vgl. 1,4–6) wieder aufgenommen und zum Abschluss gebracht (22,21). Somit wird auf die Autoritätskonstruktion des paulinischen 87 Vgl. Thompson, Revelation, 47: „Through matter-of-fact assertions, promises, greetings, and joint praise to Jesus Christ, John’s Christian audience is led to accept what he writes as God’s word – at least if they want to share in communion with John, Jesus, and God“. 88 U. Vanni, La Struttura letteraria del’Apocalisse, Aloisiana 8, Rom 1971, 109: Pro- und Epilog formen eine thematische Einheit, die das historische Geschehen im Licht des Handelns Gottes deutet mit dem Ziel, zu einem christlichen Leben zu ermutigen: „dal prologo e dall’epilogo deduciamo un’unit/ generica, una compiutezza del libro; il suo oggetto viene specificato come riguardante il mondo concreto degli avvenimenti visti alla luce della azione trascendente di Dio; il suo scopo H una vita cristiana vissuta“ (Zitat: aaO., 115) 89 S. o. Anm. 24. 90 Huber/Hasitschka, Offenbarung des Johannes, 612.

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Briefmodells zurückgegriffen. Die Kanonformel zielt in diesem Kontext nicht auf passive, sondern auf aktive sowohl verbal als auch handlungsorientiert antwortende Aktivität der Adressaten und Adressatinnen (z. B. 22,11.12b.14 f) der öffentlich zu machenden Sinnbildung (22,10), um lebendige Interaktion zu erreichen.

3. Innergemeindliche Kontroversen als Voraussetzung des hybriden Rahmens der Johannesoffenbarung Judith Lieu erinnert daran, dass ein Brief „was built around a relationship, replying to something already initiated or anticipating some response, in writing or in action“.91 Ein Brief setzt eine Situation voraus, in der Absender und Adressaten stehen, und zielt auf eine Entwicklung bzw. Veränderung der Beziehung zwischen beiden. Die Nutzung des brieflichen Rahmens als Teil der hybriden Texteinleitung und des auf Authentizität und Unveränderlichkeit abzielenden Schlusses der Johannesoffenbarung setzt voraus, dass das Schreiben auf eine Situation antwortet, in der Orientierung zu geben notwendig erscheint, und damit zugleich eine funktionierende Beziehung zwischen dem Schreiber und seinen Empfängern (wieder) zu generieren ist. Der Verfasser, der sich mit seinem Namen vorstellt, ist den Gemeinden bekannt; er baut nicht zuletzt mit Hilfe des brieflichen Rahmens einen Anspruch auf, der an den Autoritätsanspruch der paulinischen und postpaulinischen Briefschreibung erinnert. Seine Stimme und sein Anspruch werden in den Gemeinden wahrgenommen, aber kritisch in Frage gestellt. So lassen die Texteinleitung und der Textschluss erkennen, dass die hohe Autorität der Schrift und vor allem ihre Wahrnehmung und narrative Deutung der Welt in Zweifel stehen. Die Rhetorik des formalen Hybrids der literarischen Einleitung der Johannesoffenbarung sucht demgegenüber die Zustimmung der Adressaten und Adressatinnen für ihre subversive Weltdeutung zu gewinnen und steht dabei in Konkurrenz zu anderen innergemeindlichen Konzeptionen. Die Johannesoffenbarung antwortet als narrative Sinnbildung auf eine von ihrem Verfasser als Sinnkrise verstandene innerchristliche Kontroverse und ist selbst Teil des kontroversen Diskurses über die Deutung der kleinasiatischen Alltagswirklichkeit. Der Konflikt lässt sich bekanntlich vor allem aus den Sendschreiben (Apk 2–3) erheben.92 Allerdings konstruiert die Erzählung die Welt der Empfänger durch ihre Sprache, Gedanken- und Bilderwelt derart neu, dass eine direkte 91 Lieu, Letters and Topography, 174. 92 Zu den so genannten Gegnern, ihrer möglichen Identifikation und ihrer Lehre vgl. den Überblick bei H. Räisänen, The Nicolaitans. Apoc 2; Acta 6, in: ders., Challenges to Biblical Interpretation. Collected Essays 1991–2000, BIS 59, Leiden 2001, 141–189.

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Rekonstruktion der Situation und Beziehung des Schreibers jenseits der textlichen Welt nur ansatzweise möglich ist. Auch darf der Aspekt der Polemik und der Stereotypik in der Charakterisierung gegnerischer Positionen nicht übersehen werden, die der Ausbildung eigener Identität und der Schärfung der Argumentation dienen.93 Der Darstellung der Johannesoffenbarung zufolge gibt es in den Gemeinden von Ephesus, Pergamon und Thyteira abgrenzbare Gruppen, die durch Frauen (Isebel: 2,20) und Männer repräsentiert werden (2,2.6.14.15). Die Gruppen werden als Lügenapostel (2,2), Nikolaiten (2,6.15), „Bileamiten“ (2,14) bezeichnet. Sie werden durch die atl. inspirierten Bezeichnungen ihres Handelns als „Verzehr von Götzen geweihtem Fleisch“ und durch „Hurerei“ (vace?m eQdykºhuta ja· poqmeOsai: 2,14.20) negativ charakterisiert.94 „Unzucht“ bezeichnet eine gesellschaftliche Interaktion, die das Essen von „Götzenopferfleisch“ (d. h. in kultischen Handlungen geschlachtetes Fleisch) einschließen kann. Jenseits der polemischen Darstellung gestaltet die innergemeindliche Konkurrenz theologisch reflektiert95 ihr Verhältnis zur kleinasiatischen Alltagswelt so offen, dass sie am gesellschaftlichen Geschehen der hellenistischrömischen Alltagswelt teilnimmt.96 Dazu kann die Teilnahme an den gesellschaftlichen Ereignissen wie Prozessionen, öffentlichen Mahlzeiten, aber auch die Mitgliedschaft in Vereinen und Zünften gehören.97 Interaktion von christlichen Gemeinden mit der Gesellschaft schafft einen gewissen Wohl-

93 Vgl. z. B. T.D. Still, Conflict at Thessalonica. A Pauline Church and its Neighbours, JSNT.S 183, Sheffield 1999, 121 f; s.a. Schreiber, Häresie im Kanon?, 196; zur Problematik schon K. Berger, Die impliziten Gegner. Zur Methode des Erschließens von Gegnern in neutestamentlichen Texten, in: D. Lührmann/G. Strecker (Hg.), Kirche. FS G. Bornkamm, Tübingen 1980, 373–400. 94 Schnelle, 100 Jahre, 382, identifiziert einen judenchristlichen Standpunkt, von dem aus der Erzähler wie in Apg 15,28 „gesetzliche Mindestauflagen“ formuliert (mit Hinweis auf Apg 2,24). Primärer Zielpunkt der Johannesoffenbarung ist nicht die innergemeindliche Tischgemeinschaft, sondern das Verhalten gegen eine religiöse Ansprüche stellende und Kompromisse fordernde Alltagswelt mit ihren Kulten und zentral dem Anspruch der römischen Herrschaft auf religiöse Verehrung, die für die kleinasiatischen Gemeinden durch Repressionen und begrenzte Verfolgungsmaßnahmen (mit Tötungsgefahr vgl. Antipas: 2,13) spürbar wurden; vgl. Labahn, „Gefallen, gefallen ist Babylon die Große“, 323–326 (mit Literatur). 95 Ausdrücklich sprechen die Sendschreiben von der didaw¶ Baka²l (2,14) und seinem Lehren (2,14: 1d¸dasjem) bzw. dem Lehren der Isebel (2,20: did²sjei). 96 Vgl. die Überlegungen bei H. Löhr, Die „Lehre der Nikolaiten“. Exegetische und theologische Bemerkungen zu einer neutestamentlichen „Häresie“, in: A. Lexutt/V. von Bülow (Hg.), Kaum zu glauben. Von der Häresie und dem Umgang mit ihr, Arbeiten zur Theologiegeschichte 5, Rheinbach 1998, 34–55. 97 Anschaulich schildert H.-J. Klauck, Die Johannesoffenbarung und die kleinasiatische Archäologie, in: M. Küchler/K.M. Schmidt (Hg.), Texte – Fakten – Artefakte. Beiträge zur Bedeutung der Archäologie für die neutestamentliche Forschung NTOA 59, Freiburg (Schweiz)/ Göttingen 2006, 197–229, 201–206, die Herausforderungen der frühchristlichen Teilnahme an der ephesinischen Alltagskultur am Beispiel der Stiftung des Vibius Salutaris; s.a. die zusammenfassenden Bemerkungen bei Schreiber, Häresie im Kanon?, 198.

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stand (Laodicea: 3,14–22)98 und sorgt wohl zugleich für ein großes soteriologisches Selbstbewusstsein (3,17: pko¼siºr eQli ja· pepko¼tgja ja· oqd³m wqe¸am 5wy), das das eigene Wohlergehen als Ausdruck des empfangenen Heils verstehen kann. Ein mögliches erkenntnistheoretisches Schlagwort, das wiederum an paulinische Aussagen (1Kor 2,10; 8,4.6) erinnert, ist der Anspruch, t± bah´a toO satam÷ erkannt zu haben (Apk 2,14). Die Formulierung „Tiefen des Satans“ fügt sich zugleich in die satanische Bewertung der Erzählung all dessen ein, was sie widergöttlich handelnd in Kollaboration mit der römischen Herrschaft sieht.99 Dennoch sollte nicht ausgeschlossen werden, dass mit oder ohne sprachliche Übermalung ein theologisches Konzept der Gruppen erkennbar wird, das in den religiösen Forderungen der Alltagswelt leblose und wirkungslose Götzen sieht.100 Es lässt sich nicht völlig sicher bestimmen, wie sich die kritisierten Gruppen in den Gemeinden zueinander verhalten und wie stark ihre Ansichten durch die Stigmatisierung der Erzählung übermalt sind. Es ist jedoch aussichtsreich, von diesen Gruppen als einer Strömung in den einstmals paulinischen Wirkungsgebieten Kleinasiens zu sprechen, die einen liberalen, offenen Umgang mit der Alltagskultur theologisch reflektiert begründet.101 In einzelnen Gemeinden mag diese Strömung sozial abgrenzbar wahrnehmbar geworden sein, in anderen mag sie das Denken der Gesamtgemeinde prägen. Auch wenn der aufgemachte Gegensatz etwas vereinfachen dürfte, liegt es nahe, mit Stefan Schreiber in gesellschaftsorientierten Verhaltensmodellen die Ansätze der Pastoralbriefe als Fortwirken des Paulus und des Verfassers der Johannesoffenbarung zu unterscheiden, so dass Letztere auf die „Öffnung gegenüber der römischen Kultur, die Tendenz zu Anpassung und Distanzreduzierung, zur Integration in die gesellschaftliche Ordnung“ reagiert.102

98 Nach der Darstellung der Johannesoffenbarung ist Wohlstand nur um den Preis der Kompromisse mit gesellschaftlichen Normen und Institutionen möglich und daher kritisch zu bewerten: vgl. die Bemerkungen bei D. Sänger, Destruktive Apokalyptik? Eine Erinnerung in eschatologischer und ethischer Perspektive, in: ders., Schrift – Tradition – Evangelium. Studien zum frühen Judentum und zur paulinischen Theologie, Neukirchen-Vluyn 2016, 117–141, 135. Zur Verflechtung von Politik, Kommerz und sozialer Partizipation z. B. J.N. Kraybill, Imperial Cult and Commerce in John’s Apocalypse, JSNT.S 132, Sheffield 1996. Nach Apk 13,16 f akzeptiert wirtschaftliche Interaktion in der kleinasiatischen Alltagskultur die satanischen Rahmenbedingungen der kleinasiatischen Ökonomie; s.a. Karrer, Ethik der Apokalypse, 446. 99 Vgl. M. Labahn, The Dangerous Loser. The Narrative and Rhetorical Function of the Devil as Character in the Book of Revelation, in: I. Fröhlich/E. Koskenniemi (Hg.), Evil and the Devil, LNTS 481, London et al. 2013, 156–179, 175; ders., Teufelsgeschichten. Satan und seine Helfer in der Johannesapokalypse, in: ZNT 14/28, 2011, 33–42, 39. 100 Der Erzähler folgt diesem Punkt nicht, sondern hält an prophetischer Götzenpolemik fest, nicht allein als Abgrenzung gegen die nichtchristliche Welt, sondern auch gegen innerchristliche Gruppen: Apk 9,20 f. 101 Vgl. Schreiber, Häresie im Kanon?, 199. 102 Schreiber, Häresie im Kanon?, 206.

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Die Johannesoffenbarung wertet Kompromisse mit der Alltagswelt als Abfall von der ausschließlichen Verehrung des einen Gottes.103 Die Erzählung wendet sich mit Vehemenz gegen jede Form von Kompromissen, die mit dem Heilsverlust bedroht wird. Der starke Autorität generierende Ansatz des literarisch hybriden Rahmens der Johannesoffenbarung lässt die Vermutung zu, dass es sich um einflussreiche Gruppen in den Gemeinden handelt, denen gegenüber der Verfasser der Johannesoffenbarung und seine Anhänger eine Minderheit bilden.104 Es ist somit ein neuer und literarisch starker Ansatz notwendig, um seiner Position in dieser Situation Gehör und seiner Botschaft Anerkennung zu verschaffen. Die Anknüpfung an die paulinische Briefform soll in diesem Milieu Zugang und Öffentlichkeit generieren. Mit der literarisch-hybriden Einleitung und der Schlusspassage versucht die Johannesoffenbarung, einen dauerhaften Zugang in den Gemeinden postpaulinischer Traditionsbildung zu schaffen. Es wird angestrebt, eine in der göttlichen Autorität des Schreibens wurzelnde Akzeptanz in den Gemeinden zu erringen, aber zugleich auch die Einheit in den Gemeinden, die gottesdienstlich begründet ist und die die zukünftige Bürgerschaft im Neuen Jerusalem vorabbildet, zu bewahren. Im Wissen, dass nichts Unreines in die kommende Heilsstätte Zugang finden wird (21,8.27), sind die Gemeinden aufgefordert, sich kompromisslos gegenüber den religiösen Angeboten der kleinasiatischen Alltagswelt abzugrenzen. Diesem Zweck dient in einer formal hybriden Einleitung der nach dem Muster der paulinischen Briefkonvention gestaltete briefliche Rahmen.

4. Ergebnis Die vorliegende Studie zeigt, dass die verschiedenen Textsorten in der Einleitung zur Johannesoffenbarung sich wechselseitig ergänzen und als bewusste Gesamtkomposition auf entsprechendes Handeln der Adressaten und Adressatinnen zielen.105 So hat die Analyse der unterschiedlichen literarischen Bauelemente von Einleitung und Schluss der Johannesoffenbarung (1,1–8.9–10a und 22,6–21) erbracht, dass sie sich als ein formal hybrides, rhetorisch durchdachtes Ganzes verstehen lassen. Auch wenn in der Verwendung verschiedener Textsorten in der Bucheinleitung und im Buchschluss 103 Z. B. Schnelle, Theologie, 737; T. Söding, Gott und das Lamm. Theozentrik und Christologie in der Johannesapokalypse, in: Backhaus (Hg.), Theologie als Vision, 77–120, 80. 104 So z. B. H. Räisänen, The Clash Between Christian Styles of Life in the Book of Revelation, in : D. Hellholm/H. Moxnes/T.K. Seim (Hg.), Mighty Minorities? Minorities in Early Christianity – Positions and Strategies. FS J. Jervell, Oslo u. a. 1995, 151–166, 151–154; s.a. Carey, Apocalypse, 172. 105 Ähnlich urteilt z. B. auch Gradl, Buch und Offenbarung, 174, der „vom gleichen kommunikativen Grundgedanken“ spricht, der die „drei Eröffnungsportale der Johannesoffenbarung […] prägt“.

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der Johannesoffenbarung verschiedentlich ein literarkritisches Problem gesehen wurde, zielt die hybride literarische Konstruktion der Einleitungs- und Schlusspassage auf die Autorität der Schrift durch Generierung von Öffentlichkeit, Empathie und Zustimmung. Beginn und Schluss der Johannesoffenbarung entwickeln einen von Gott legitimierten Text wie auch einen von Gott legitimierten erzählten Erzähler. In einleitungswissenschaftlicher Hinsicht mag die hybride Verwendung unterschiedlicher Gattungen im Eingangsabschnitt der Johannesoffenbarung auffällig bleiben. Gemessen an ihrer Pragmatik gibt es jedoch keine hinreichende Begründung für literarkritische Operationen. Briefeinleitung und Briefschluss lassen sich nicht aus der formal hybriden Einheit mit kohärenter Pragmatik lösen. Vielmehr bilden die Elemente des brieflichen Rahmens eine rhetorische Einheit, die im Gesamthorizont der literarischen Einführung die Autorität der Schrift entwickelt und die Zustimmung der Adressaten und Adressatinnen präfiguriert. Die briefliche Rahmung macht die Johannesoffenbarung nicht zu einem wirklichen Brief, aber sie zielt auf den Zugang und die Annahme der durch die Briefform gerahmten Erzählung, um Autorität über die angeschriebenen Gemeinden und Öffentlichkeit durch gottesdienstliche Verlesung in ihnen zu gewinnen. Das Briefpräskript „wildert“ beim paulinischen (und postpaulinischen) Vorbild. Auch dadurch beansprucht das Schriftstück Autorität wohl gerade bei den Adressaten und Adressatinnen, die im Einflussbereich paulinischer oder postpaulinischer Tradition leben und deren Denken sowie Handeln und vor allem deren gesellschaftliche Orientierung durch den paulinischen bzw. nachpaulinischen Traditionsstrom beeinflusst sind. Die starke Rhetorik versucht, die offensichtliche Minderheitenposition des Sehers Johannes in den Adressatengemeinden als plausibel durchzusetzen. Obwohl er kein Apostel ist und nicht an den paulinischen Traditionsstrom anknüpft, beansprucht der Prophet, mit seinem Schreiben von Gott autorisiert zu sein und damit legitim im paulinischen Traditionsstrom gehört zu werden. Er schreibt zudem als einer von ihnen, kennt nicht allein die von Gott geoffenbarte Sicht auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sondern vor allem auch die Situation seiner Adressaten und Adressatinnen, an der er partizipiert und mitleidet. Die Botschaft der Johannesoffenbarung ist eine Botschaft, die zwar von „oben“ stammt106 und doch zugleich aus der Mitte der um ihre Identität in der kleinasiatischen Alltagskultur ringenden Gemeinden kommt. Der briefliche Rahmen hat in der hybriden Konstruktion seine eigenständige Funktion und sucht als Instrument der Distanzverringerung die Situation zwischen Sender und Empfänger neu zu konstruieren. Zugleich verdichten 106 Zum „Himmel“ als Ort Gottes im Erzählkosmos der Johannesoffenbarung und seiner Rolle als Leitort für die Sinngebung vgl. M. Labahn, Apokalyptische Geographie. Überlegungen zur Toponomie der Johannesoffenbarung, in: ders./O. Lehtipuu (Hg.), Imagery in the Book of Revelation, CBET 60, Leuven u. a. 2011, 107–143, 129–137.

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sich die verschiedenen Formen zu einer pragmatischen Einheit. Der göttliche Autorität und Anerkennung fordernde titulus, der auf Dialog und Autorität zielende briefliche Rahmen, die liturgischen und prophetischen Elemente sowie die Erzeugung gemeinsamer Identität durch das „Wir“ der Doxologie (1,5b–6a) mitsamt der partizipatorischen Ausformung der Figur des erzählten Erzählers (1,9) dienen der Herstellung eines neuen Verhältnisses zwischen Verfasser und Adressaten und Adressatinnen (oder auch der Wiederherstellung eines einmal vorhanden gewesenen Verhältnisses) und zielen auf eine Neubestimmung der Situation durch die dauerhafte Durchsetzung des Geltungsanspruchs der Johannesoffenbarung bei ihren Empfängern durch briefliche Distanzüberwindung. Die Johannesoffenbarung sucht die Autorität und den Zugang zu den gottesdienstlichen Gemeinden wie in einem Apostelbrief, versteht sich aber als von Gott gegebene „Offenbarung Jesu Christi“, die von ihrem Erzähler Johannes den Gemeinden zugeschickt wird, mit denen er sich solidarisiert und denen seine Schrift dennoch so fordernd gegenübersteht und die erst dann zum Ziel kommt, wenn die Gemeinden aktiv handelnd in das „Ja, Amen!“ einstimmen.

Ethik

Jan van der Watt

New Testament Ethics? An Approach

In surveying the field known as New Testament ethics, one is struck not only by the diversity itself, but also by the wide-ranging nature of the diversity. One is almost left with the feeling that, in fact, no one is agreeing with anyone. Udo Schnelle1 has made significant contributions to the debate, which I would like to honour be dedicating this essay to him. The aim of this essay is to reflect on what we are doing as well as what we should be doing when we claim to be busy with New Testament ethics. If the problems and subsequent challenges of the process as a whole are understood, we should be in a better position to assess the validity of what we are, or should be, doing.

1. Diversity in the field of New Testament Ethics 1.1. There is diversity in approach. Different approaches to the New Testament have resulted in different efforts to come to terms with the ethical material in these documents. Some examples illustrate the diversity.2 1 For some of his articles, see U. Schnelle, Johanneische Ethik, in: C. Böttrich (ed.), Eschatologie und Ethik im frühen Christentum. FS G. Haufe, Greifswalder Theologische Forschungen 11, Frankfurt/M. 2006, 309–327; idem, Ethical Theology in 1 John, in: J.G. van der Watt/R. Zimmermann (ed.), Rethinking the Ethics of John. The implicit Ethics in the Johannine Writings, Contexts and Norms of New Testament Ethics, vol. 3, WUNT 291, Tübingen 2012, 321–339. Cf. also his earlier reflections on ethics in Pauline material, idem, Die Ethik des 1. Thessalonicherbriefes, in: R.F. Collins (ed.), The Thessalonian Correspondence, BEThL 87, Leuven 1990, 295–305; idem, Die Begründung und die Gestaltung der Ethik bei Paulus, in: R. Gebauer/M. Meiser (ed.), Die bleibende Gegenwart des Evangeliums. FS O. Merk, MThSt 76, Marburg 2003, 109–131. Cf. also the interesting article on Pauline ethics from another perspective, idem., Paulus und das Gesetz. Biographisches und Konstruktives, in: E.-M. Becker/P. Pilhofer (ed.), Biographie und Persönlichkeit des Paulus, WUNT 187, Tübingen 2005, 245–270; idem, Das Liebesgebot im Neuen Testament: Jesus, Paulus und Johannes, in: K. Tanner (ed.), “Liebe” im Wandel der Zeiten. Kulturwissenschaftliche Perpektiven, Theologie – Kultur – Hermeneutik 3, Leipzig 2005, 21–34. 2 Cf., for instance, the survey by Hays in R. Hays, The Moral Vision of the New Testament: A Contemporary Introduction to New Testament Ethics, San Francisco 1996; idem, Mapping the Field: Approaches to New Testament Ethics, in: J.G. van der Watt (ed.), Identity, Ethics, and Ethos in the New Testament, BZNW 141, Berlin/New York 2006, 3–19, from whose summary the basic information is taken. He also labels the different approaches hermeneutical strategies. Cf. also the numerous articles in compendia of articles, for instance, van der Watt (ed.), Identity, Ethics, and

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1.1.1. There are approaches emphasizing the need to interpret New Testament ethics based on its historical dimensions. Different aspects of “history” receive attention, obviously with different results leading to different types of “ethics”. Some exegetes3 emphasize the historical development of ethical ideas through the books of the New Testament, while others shift the focus to the social or socio-historical dynamics at play in these texts.4 Different types of historical constructions of ethics inevitably lead to different evaluations and descriptions of ethics. 1.1.2. Another popular approach to New Testament ethics is to focus on the literary features. These may, for instance, include the narrative structure of the texts, as well as the language and imagery used in ethical arguments. Analytical categories, suggested by these literary features of the text, are highlighted: for instance, the paraenetic nature of the text,5 focusing more on physical actions, which are then related to the indicatives of the text. Defining ethics thus leads to accepting the Bultmannian distinction between indicative and imperative. In the case of narratives, the ethical function of characters or action lines, results in what is often called narrative ethics.6 The interpretation of the content

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Ethos in the New Testament; H. Merklein (ed.), Neues Testament und Ethik. Für R. Schnakkenburg, Freiburg u. a. 1989; van der Watt/Zimmermann (eds.), Rethinking the Ethics of John; F.W. Horn/U. Volp/R. Zimmermann (eds.), Ethische Normen des frühen Christentums: Gut – Leben – Leib – Tugend, Kontexte und Normen neutestamentlicher Ethik / Context and Norms of New Testament Ethics. Band IV = WUNT 313, Tübingen 2013. Cf., for instance, W. Schrage, Ethik des Neuen Testaments, GNT 4, Göttingen 1989; F. Matera, New Testament Ethics: The Legacies of Jesus and Paul, Louisville 1996. F. Hahn, Theologie des Neuen Testaments Band I & II, Tübingen 2002, approaches the ethics of the New Testament both historically and then systematize the information (especially pages 659–736). Cf. as examples, A.J. Malherbe, Social Aspects of the Early Church, Philadelphia 1983; idem, Moral Exhortation. A Greco-Roman Sourcebook, Library of Early Christianity 4, Philadelphia 1986; idem, Hellenistic Moralists and the New Testament, in: ANRW 26.1.2, 1992, 267–333; W.A. Meeks, Understanding Early Christian Ethics, in: JBL 105, 1986, 3–11; idem, The Origins of Christian Morality : The First Two Centuries, New Haven 1993; idem, The Ethics of the Fourth Evangelist, in: R.A. Culpepper/C.C. Black (ed.), Exploring the Gospel of John. In Honor of D. Moody Smith, Louisville 1996, 317–326. M. Wolter, Paulus Ein Grundriss seiner Theologie, Neukirchen-Vluyn 2011, 310–338. But cf. also idem, Paulinische Ethik als angewandte Ekklesiologie, in: Sacra Scripta 6, 2008, 44–57; idem, Identität und Ethos bei Paulus, in: idem, Theologie und Ethos im frühen Christentum Studien zu Jesus, Paulus und Lukas, WUNT 236, Tübingen 2009, 121–169. Cf. Hays, Moral Vision; R. Burridge, Imitating Jesus: An Inclusive Approach to New Testament Ethics, Grand Rapids 2007; idem, Ethics and Genre: The Narrative Settings of Moral Language in the New Testament, Paper read at the Humboldt Kolleg at the University of Pretoria – 9 Sept 2008; R. Zimmermann, The Narrative Hermeneutics of John 11. Learning with Lazarus how to Understand Death, Life, and Resurrection, in C.R. Koester/R. Bieringer (ed.), The Resurrection of Jesus in the Gospel of John, WUNT 222, Tübingen 2008, 75–101; M. Labahn, Der Weg eines Namenlosen – Vom Hilflosen zum Vorbild (Joh 9). Ansätze zu einer narrativen Ethik der sozialen Verantwortung im vierten Evangelium, in: Gebauer/Meiser (ed.), Die bleibende Gegenwart des Evangeliums, 63–80.

New Testament Ethics? An Approach

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then becomes paramount, leading to descriptions like a theological narrative producing theological, life, or relational ethics. 1.1.3. There are ethical approaches that emphasize the role of the present day reader. These are often found where concerns are expressed related to the hermeneutical application of New Testament ethical material to current day contexts. Hauerwas,7 with his suggested process of reading with and within a particular community, notes the influence of the community of like-minded readers on the outcome of ethical decisions. Hays8 also moves in this direction, suggesting a metaphorical reading applying the narrative of the New Testament to present day circumstances. Exposition and application are regarded as inseparable aspects of dealing with New Testament ethics. 1.1.4. For some the interest in New Testament ethics lies in the principles that can be identified and this is often done with little interest in the historical and literary features of the New Testament.9 These principles should then serve as authoritative norms for Christian conduct. 1.1.5. Different interests in the ethics of the New Testament lead to different perspectives on (aspects of) the New Testament ethics. Reaction theologies like the theology of revolution, or even some specific readings like feminist,10 social caring, or egoistic readings of the text, result in separate and unique forms of ethical description and application. In the case of religious texts focus may even fall on the dominance of the theological content, resulting in “theological ethics” or “ethical theology”.11 The filter through which the text is read usually focuses on a single aspect, which is consistently emphasized. Burridge,12 for instance, focuses on imitation of Jesus within the narratives of the New Testament, while others use love,13 law and judgment,14 for example, or the role of woman as focal point. 7 S. Hauerwas, A Community of Character : Towards a Constructive Christian Social Ethic, Notre Dame 1991. 8 Hays, Moral Vision, 207–461; idem, Mapping, 15–18. 9 Cf. for this tendency E. Lohse, Theologische Ethik des Neuen Testaments, ThW 5.2, Stuttgart 1987. 10 E. Schüssler-Fiorenza, Rhetoric and Ethic: The Politics of Biblical Studies, Minneapolis 1999. 11 Schnelle, Johanneische Ethik, 309–327; idem, Ethical Theology, 321–339. Cf. also his earlier reflections on ethics in Pauline material, idem, Die Ethik des 1. Thessalonicherbriefes, 295–305; idem, Begründung, 109–131. Cf. also the interesting article on Pauline ethics from another perspective, idem, Paulus und das Gesetz, 245–270. W. Marxsen, “Christliche” und christliche Ethik im Neuen Testament, Gütersloh 1989, approaches the ethics of the New Testament from a historical theological perspective, assuming the reality and influence of the “Christen-Gott”. He argues that this ethic will appeal to those who accept the reality of this God (33). 12 Burridge, Imitating Jesus. Cf. also C. Bennema, Mimesis in John 13: Cloning or Creative Articulation?, in: NT 56, 2014, 261–274; J.G. van der Watt, Reciprocity, Mimesis and Ethics in 1 John, in: U. Poplutz/J. Frey (eds.), Erzählung und Briefe im johanneischen Kreis, WUNT II 420, Tübingen 2016, 257–276. ¨ ber den Sitz im 13 Cf. for instance, G. Theissen, Die Goldene Regel (Mattha¨ us 7:12/Lukas 6:31): U

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1.2. There is diversity in what are regarded as ethical models. The word model is used in different ways when it comes to ethics. In some cases ethics displaying different structures are labelled as models, for instance, in the case of deontological or teleological models. In other cases different approaches are called models, like, what Hays15 calls historical, ethnographic models, or cultural critique of ideologies, or metaphorical embodiment of narrative paradigm models. 1.3. There is diversity in the way methods are applied. Reference was already made to the different methodological approaches (1.1). Recently focus increasingly shifted to more comprehensive approaches. The aim is to apply hermeneutical and exegetical methods with a general focus on material that might provide information about the ethical dynamics of the texts. Examples are, for instance, Hays16 with his four steps that are common in any treatment of the New Testament, not just ethics, or Zimmermann with his “implicit ethics”.17 Zimmermann distinguishes different perspectives that could serve as specific analytical categories in ethical readings of texts and suggests that these perspectives should all receive their due attention, thus revealing the “implicit ethics” of a document. The above brief exploration illustrates that the field of New Testament ethics is confusingly diverse. No single generally accepted theory or approach could be identified: in fact, the contrary is more the case. To be honest, this results in an impasse since scholars seem to talk about the same issue, but each in her or his own way. Where does such a large, diverse and often conflicting mix of approaches leave us?

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Leben ihrer positiven und negativen Form, in: Biblical Interpretation 11, 2003, 386–399; M. Konradt, Liebesgebot und Christusmimesis. Eine Skizze zur Pluralität neutestamentlicher Agapeethik, in: JBTh 29, 2014, 65–98; O. Wischmeyer, Liebe als Agape. Das frühchristliche Konzept und der moderne Diskurs, Tübingen 2015. A few examples are, for instance, W.R.G. Loader, Jesus’ Attitude towards the Law : A Study of the Gospels, Grand Rapids 2002; M. Konradt, Gericht und Gemeinde. Eine Studie zur Bedeutung und Funktion von Gerichtsaussagen im Rahmen der paulinischen Ekklesiologie und Ethik im 1Thess und 1Kor, BZNW 117, Berlin/New York 2003. Cf. Hays, Mapping, 15, who makes these distinctions and calls them ethical models. Hays, Moral Vision, 3–7. R. Zimmermann, Die Logik der Liebe. Die “implizite Ethik” der Paulusbriefe am Beispiel des 1. Korintherbriefs, BThSt 162, Neukirchener Verlag 2016, 37–123, Cf. also J.G. van der Watt, Ethics and Ethos in the Gospel according to John, in: ZNW 97, 2006, 147–176; M. Labahn, “It is Only Love” – Is that All? Limits and Potentials of Johannine “Ethic” – a Critical Evaluation of Research, in: van der Watt/ Zimmermann (eds.), Rethinking the Ethics of John, 3–43; van der Watt/Zimmermann (eds.), Rethinking the Ethics of John.

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2. Definitions Leading to Ethical Data In dealing with ethical material, it is imperative to be clear in our definitions and aims in analysing ethics of the New Testament, since these definitions and ensuing questions will determine the methods required to answer ethically related questions as well as describing the nature of ethical material. If no agreement can be found at this initial stage, diversity of opinion will remain one of the single most important characteristics of New Testament ethics. Venturing at a description of ethics, a plausible starting point may be to acknowledge that at a very basic level ethics may be regarded as a behavioural category. It focuses on how to distinguish between good and bad behaviour, offering a theory of the nature of human behaviour as central part of ethical reflection.18 Furthermore, ethics is not only a behavioural category, but is also an anthropological category.19 Considering human nature (i. e. the nature of the moral agents themselves), with the nature and impact of their deeds, was part of most Greek and Roman ethical discussions and systems.20 Depending on how broadly the anthropological category is understood, it could also be said that ethics is a social category, reflecting on the social, religious, cultural, economic, and political nature of deeds. Common to all these categories is not only what should be done, but also why it should be done. This is the challenge facing Biblical ethicists: indicating by way of definition exactly what one is looking for when describing the ethics of a document is therefore the determinative requirement for proper departure. In line with this, two basic pillars usually form part of the definition of ethics, namely, what ought to be done (i. e. the deeds) and why this ought to be done (the motivation or rationale behind particular deeds), although opinions may differ about the measure to which the latter should be classified as part of ethics (does ethics include just deeds, or also the rationale behind these deeds?). A workable description of “ethics” as concept may be as follows:

18 Cf. B. Inwood, Ethics and Human Action in Early Stoicism, Oxford 2004, 2. Even at this very basic level differences in opinion are already evident, for instance, what is a good action? Is it a deed that makes one happy, or one that serves the community, has a good outcome, follows rules, or perhaps a combination of these? Should such a deed be regarded as universally applicable or is it situationally determined? This belongs to the very nature of ethical reflection, and should not be regarded in a negative light. Distinguishing these different perspectives at least focuses the discussions to the relevant issues, although differences in evaluating these issues may and indeed will exist. Cf. also Zimmermann, Logik, 55–63. 19 Schnelle has illustrated this well in his articles on anthropology, cf. U. Schnelle, Neutestamentliche Anthropologie: Ein Forschungsbericht, in: ANRW 26.3, 1996, 2658–2714; idem, Die Freiheit des neuen Seins: Das christliche Menschenbild nach dem Zeugnis des Apostels Paulus, in: Zur Debatte (3), Katholische Akademie in Bayern, (2001), 19–20; idem, Anthropology V. New Testament, in: EBR 2, 2009, 145–154. 20 Inwood, Ethics, 2.

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a) it involves self-conscious rational reflection on and description of issues that relate to positive (and negative) actions; b) in critically reflecting on behaviour in relation to its nature, rationale and prescriptive content the theoretical questions dealt with are: why should something be done (the rationale) and what should be done (prescriptive)?21 The “why” deals with the envisaged morals (the “ought to”)22 and the “what” with the motivation, roots and foundations of those particular morals;23 c) part of the rational reflection is also the issue of how the “why” and “what” are structurally and logically interrelated, also called “grammar” of a particular ethical system. In their interrelatedness and interdependency these different aspects form the ethical dynamics of a text. Obviously each of these aspects needs further elaboration, which will become apparent in the further discussions.24 The methodological challenge is to identify this ethical data within a text and for that specific analytical categories are needed. These analytical categories should be formulated on the basis of the definition of ethics. In light of the above definition, analytical categories focusing on deeds as well as on the reasons and motivation of such deeds need to be formulated. One important point needs be made here. In reading ancient texts like the New Testament, or any texts for that matter, the dynamics of intertextuality 21 D.O. Via, jr., Narrative World and Ethical Response: The Marvelous and Righteousness in Matthew 1–2, in: Semeia 12, 1978, 123–149, 125. 22 Some scholars prefer to talk about “fundamental moral theology” (Matera, New Testament Ethics, 94) when issues are dealt with explaining “the foundations of the moral life”. Within philosophy this is also called fundamental ethics or moral philosophy. 23 The focus on the why causes ethical reflection to overlap with other theological areas of reflection like soteriology, Christology, or eschatology. This does not imply that “all” theology becomes ethics, but that theology has ethical implications. Cf. also Marxsen, Ethics, 15–33; G. W. Hunold/T. Laubach/A. Greis (ed.), Theologische Ethik: Ein Werkbuch, UTB 1966, Tübingen/ Basel 2000. 24 Different foci are suggested, for instance, formulating rules, recommending action lines or formulating identity. P.F. Esler, Social Identity, the Virtues, and the Good Life: A New Approach to Romans 12:1–15:13, in BTB 33, 2003, 51–63, 52, for instance, opines that ethical reflection should aim at formulating a systematic set of rules for good conduct, while G. Graham, Eight Theories of Ethics, London 2004, Kindle version 333–341 of 5492, thinks that the reflection should be on how actions could be recommended and courses of conduct be followed. According to D.G. Horrell, Solidarity and Difference: Pauline Morality in Romans 14:1–15:13, in: Studies in Christian Ethics 15(2), 2002, 60–78, 64. Habermas focuses on the relation between the identity and the choices and actions of an individual. For J. Derbolav, Philosophical Ethics, in: E. Fahlbusch/G.W. Bromily (eds.), The Encyclopedia of Christianity, Grand Rapids 1999–2003, 138–144, ethics should focus on “the presuppositions and conditions of moral action”, implying that the focus of ethical reflection should be on the presuppositions and conditions of actions. The list can be expanded considerably, but the point to note here is that none of the above is wrong, but each forms part of the process as a whole. One should be careful not to limit one’s focus too narrowly by being too specific.

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come into play. Reading of texts is by no means a one-way process dominated by the reader. While the reader may determine the process, the text codetermines the outcome. In a close reading of the text, certain lines of action or thought are suggested in the text itself that guide the questions asked by the reader. In this sense this reading process leads to a constant sharpening of the focus based on the interaction between the interests of the reader and the restrictions of the text itself. The text serves as “guide” within the dynamics of the reading process. As example, if we read in John that God is truth and love and should be imitated by his children, the possibilities for understanding Johannine ethics are narrowed to these theological and relational aspects. The questions that follow will be guided by these factors, leading to issues like God as moral agent, the relation between God and humans and the way this relation impacts on the moral agent, and so forth. Moving from the text itself both evokes and also excludes particular questions. Analytical categories are thus suggested that could serve heuristically as tools to interpret and understand the ethical material in a particular text. These dynamics between text and reader is to my mind a crucial aspect of descriptively dealing with the ethics of a document (cf. statement 5). Bearing this in mind, the way the text should be approached or read is crucial to the process, a point to which we now turn.

3. An Ethical Reading of the New Testament: Hermeneutical and Exegetical Challenges in the Light of Ethical Analytical Categories Hays suggested that studying New Testament ethics requires four “overlapping critical operations”, namely, a descriptive task (reading the text carefully), a synthetic task (placing the text in its canonical context), a hermeneutical task (relating the text to the current day situation), and a pragmatic task (living the text).25 Although Hays relates these tasks to the ethical reading of the text, it should be noted that there is nothing specifically ethical about these tasks. These are general hermeneutical and exegetical tasks when reading the source texts of Christianity. They apply just as well to a theological or missiological or simply to a close reading of the text. Zimmermann26 moves in the same general direction with his reference to “implicit ethics”. His approach is however more focused, dealing systematically with “perspectives” that he regards as specifically valuable for ethical analysis. He distinguishes between the linguistic form, norms and values for action, history of tradition of individual norms, priorities of values, structure 25 Hays, Moral Vision, 3–7. 26 Zimmermann, Logik, 7–123.

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of motives or ethical argumentation, the moral agent, resulting ethos as lived and the field of application.27 In essence he also suggests that the text should be read closely, paying attention to the semantic, linguistic, structural and historical aspects of the text, but then specifically in their relation to ethical data. Like Hays he also ends with the application of the text as part of the task of New Testament ethicists. Both of these approaches suggest the necessity of an exegetically responsible reading of the relevant text, with Zimmermann specifically emphasizing the focus on ethical analytical categories as guiding principles in this process. These analytical categories are of course based on his definition of ethics. What makes such a reading process ethical is the specific sensitivity for identifying and interpreting ethical data in a text. The same procedure could be followed with missiological or liturgical readings, with the provision that the focus in the process shifts from ethically related concepts to missiological or liturgical concepts, whichever the case may be. The content to be investigated is determinative, and not necessarily a specific model or method. In short, a comprehensive hermeneutical and methodological approach to a particular text guided by analytical categories which sensitize the reader to ethical data is therefore required. With the help of the diagram below some of the main challenges of the reading process will be briefly discussed.28 Initial hermeneutical considerations focus on the challenges and methodology of interpreting an ancient text within its original ancient context(s). Based on the theoretical problems identified, methods are chosen or created to deal with the practical interpretation of the text. Figure 1 illustrates this; it should be read from the centre outwards. The point of departure is that the Biblical text (in the middle) was written within a particular context, which makes it neither a-historical, nor a-social. The second circle, represents the hermeneutical process, indicating areas were hermeneutical reflection is necessary on the challenges of understanding the text within its different contexts, i. e. the theory of understanding a text. The different areas indicated are on a rather high level of abstraction, but that needs to be so in order not to be exclusive. The outer circle represents examples of practical methodological responses to the hermeneutical considerations to be dealt with in order to reach one’s aim in analyzing the ethics of a particular document. Specific methods are chosen or developed to address the problems and challenges identified during the hermeneutical reflection. The use of particular methods is therefore a response to the hermeneutical reflection. 27 A good illustration of how Zimmermann envisages these analyses in practice can be seen in his article: Ethics in the Sermon on the Mount, in: R. Brawley (ed.), The Oxford Encyclopedia of the Bible and Ethics Vol. 2, Oxford Encyclopedias of the Bible, Oxford 2014, 262–271. 28 Obviously, this is only an illustration and is not complete. Cf. also A.B. du Toit (ed.), Focussing on the Message: New Testament Hermeneutics, Exegesis and Methods, Pretoria 2009.

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Figure 1: The “exegetical wheel”

A few remarks should be made here: a) It is my contention that ethical data may be found in any of the above areas as identified in the second circle, which implies that analyzing ethics is an all-inclusive affair. To limit the reading of a text to only some of these aspects would inevitably result in a partial treatment of the data. A comprehensive methodological approach based on multiple methods is required, based on a close reading of the text. b) Since an ethical reading is required, the major and determinative metaquestion is which analytical and conceptual categories should be used as ethical filters in the process of a close reading of the text? Mizzoni29 rightly remarks, “Ethical concepts are the most basic building blocks of ethics”. This requires thorough and critical hermeneutical consideration not only of what ethics is, but also the relevant analytical categories and appropriate 29 J. Mizzoni, Ethics: The Basics, Chichester 2010, Kindle 104–106.

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methodology. Zimmermann’s approach, for instance, identifies such areas that need to be explored in order to gain ethical data.30 I will return shortly to a more detailed consideration of this point (point 5). c) The exegetical wheel intends to show that the process of reading texts is not a linear but rather a circular or spiral process.31 The process that from the 19th century had already become known as the hermeneutical circle or spiral, suggests that in the process of understanding and interpreting there should be constant movement within the exegetical wheel, allowing one aspect to influence and enrich the other in a constant process of mutual information expansion. For instance, identifying the genre of a book as narrative (literary framework) implies that a narrative analysis (structural method) should be used. This narrative, of course, consists of language (grammar), imagery, metaphors, etc., which are embedded in a specific social context.32 The social context will inevitably influence the way the metaphors or meaning of the words are understood, not to say anything about the content and presentation of the narrative. Thus a totally circular or spiral process is active. This forms part and parcel of the reading process. d) Does this suggest an inductive or deductive procedure? With a spiral-like procedure like this both procedures are needed. Without knowing what one is looking for (i. e. at least some preliminary questions or analytical categories), one cannot commence with the process. In the process, however, discoveries are made that add knowledge and insights to the process, which set the hermeneutical spiral into motion, which will require the exegete to oscilate between inductive and deductive activities. It is therefore absolutely necessary that the process of reading the text is undertook with an open mind in order to allow the formative reading process to take its natural flow.

30 Zimmermann, Logik, 40, identifies what he calls “perspectives”, but does not go so far as to identify methods that should be used. He worked out and illustrated his approach in detail in, and more briefly in his good article on “Ethics in the Sermon on the Mount”. 31 A.C. Thiselton, Hermeneutics: An Introduction, Grand Rapids 2009, Kindle 453–477, gives a clear description of what is meant with these terms. 32 For instance, in determining the meaning of the word faith, lexicographical material is not enough. The syntactical and contextual use of the word (i. e. grammatical as well as structural information) are relevant. But even that might not be enough. The social context the word suggests (for instance, filial, friendship, slavery), might colour the particular word in a specific way. This might force the exegete to reconsider the lexicographical choice, or contextual and semantic contribution the word makes to the argument. This is what is practically meant by the concept of the hermeneutical spiral.

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4. Hermeneutical Challenges Hermeneutics has to do with the theory of understanding. In Biblical scholarship the way in which ancient texts must be understood and applied to present day contexts, move through several hermeneutical phases, which in each movement presents its own challenges. For instance, in the case of reading ancient texts the hermeneutical challenge is how to understand ancient texts. This is a different hermeneutical challenge from asking how this ancient message should be understood today. The hermeneutical challenge here is how to transfer ancient data meaningfully and responsibly across the deep gap between ancient and modern contexts. This is a different hermeneutical challenge from what may be called lived ethics or living the text,33 i. e. expressing the Biblical ideas in concrete moral actions. Here the question is how should we understand and guide the process in which ancient messages, transferred to current day concepts, should be applied within our specific concrete situations. Looking at the above, we have at least three different hermeneutical challenges, each with its own dynamics and problems. Since both Hays and Zimmermann34 suggest that all three different hermeneutical processes should be seen as part of the comprehensive task of New Testament ethics, this point should be taken seriously, but with some reserve I would say. I would not go as far as to say that the whole process, including all the hermeneutical processes up to the final present day application, is the exclusive task of the New Testament scholar. Some differentiation is necessary. The initial process of reading the ancient text lies squarely in the primary responsibility of the New Testament exegete.35 However, as we move along the hermeneutical path towards bridging the gap between the ancient and present day times, other hermeneutical competences become prominent or even dominant, for instance, what are we talking about when we talk about present-day people with their worldviews? Analysing these types of data does not lie within the normally expected competence of the New Testament scholar. Within this broadened discussion the role of the exegete becomes that of a discussion partner, adding his expertise to that of others in determining the way the ancient material may address present day people. Even more so in the last phase where the ethical information must be transformed into concrete actions. Proper in-depth knowledge and insight into the situations and world views of present-day people form the context of these considerations. No one can just assume to know what today’s people think without gaining proper scientific information 33 Hays, Moral Vision, 7. 34 Zimmermann, Ethics in the Sermon on the Mount, 262–271, and idem, Logik, 109–123. 35 Cf., for instance, S. Schulz, Neutestamentliche Ethik, Züricher Grundrisse zur Bibel, Zürich 1987, 5.

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about these issues. This type of analysis cannot be expected of the New Testament scholar, but should be added by disciplines specializing in these types of human sciences. It goes without saying that in this process the role of the Biblical scholar will be directly influenced by the way discussion partners value the authority of the Bible. If it is valued and indeed seen as authoritative, the Biblical scholar might have a right to veto decisions. On the other hand, if Biblical authority is relativized or denied by the discussion partners, the role of the Biblical scholar will be largely relativized. In considering this complex process, it seems that the Biblical scholar has a role in the whole process, but his primary involvement should remain with the first step where the meaning of ancient texts is explored and determined.

5. Grammar of Ethics: Structure and Coherence If the above suggestion (point 3) is acceptable that a thorough close reading of ancient texts should be done in light of analytical categories related to ethical data it seems plausible to argue that the essence of describing the ethics of a text lies in the structuring of the relevant ethical data into a logical, coherent and meaningful set of interrelated data, something which could be called the grammar of ethics (of a particular book).36 In suggesting this analogy between grammar and the structure of ethics one should be clear about and be able to describe the origin and nature of the basic raw material that forms what are called “units” on different levels (like words, concepts, principles, themes, etc. related to ethics), structurally interrelating these units in a systematic, logic, coherent and comprehensive way, thus moving towards a grammar of ethics of that particular text. 36 The rationale behind the term grammar of ethics may be explained by analogy in the following way. Grammar starts with basic units (letters) that are structured together to form bigger units (words), which are then syntactically structured to form even bigger units (sentences). Sentences are again structurally interrelated to form pericope (paragraphs) and so we can continue with the interrelatedness of units and the processes of structuring these units on different levels in a logical and coherent way, each step resulting in increased meaning. Generating meaning through the structuring of these units is not a linear process but spiral-like, as was argued above. By analogy, a similar methodological process is suggeted when constructing the grammar of ethics of a document. In this repetitive spiral-like process two aspects are foundational, namely, units (words, then sentences, then paragraphs etc.) and the structuring process on different levels (word level, sentence level, paragraph level, etc.). Cf. J.G. van der Watt, Ethics Through the Power of Language: Some Exploration in the Gospel According to John, in J. G. van der Watt/R. Zimmermann (eds.), Moral Language in the New Testament: The Interrelatedness of Language and Ethics in Early Christian Writings, Kontexte und Normen neutestamentlicher Ethik / Contexts and Norms of New Testament Ethics. Volume II, WUNT II/296, Tübingen, 2010, 139–167. This synergy between growing units and continuing structuring results in a coherent and logical grammar of ethics.

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The ethical data, forming the “units” results from the ethical reading of a text by applying analytical categories aimed at identifying ethical data. What now follows are examples of such analytical categories. Two remarks are needed here, a) analytical categories may overlap; b) these categories are often determined by the ethical content, based on the definition of ethics. This means that the nature of the content alerts the reader to the presence of ethical data. Grammatical or linguisitc features or types of genres are not specifically ethical, but may be used to express ethical data. It is the synergy of form and content that more than often indicates data as being ethical. Examples of such categories are listed below :37 a) Ethics must be communicated and in that process language plays an indisplensible role. Language therefore forms the basic “entrance” into ethical material. Subsequent conclusions and results will all be based on what language offers since all the analytical categories will inevitably overlap with aspects of language. There are specific aspects of language that are of special significance in analyzing ethical material and should function as ethical categories in the process of determining the ethical dynamics of a text. *

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words with ethical semanitc potential (moral vocabulary/language of morality) o i. e. ethical lexicgraphical potential (like law, virtue, love, good, patience, etc.) o i. e. known ethical application (law, commandment, some uses of good/ bad, etc.) o i. e. indicating causality, purpose, reason for action. grammatical and linguistic features like o particles/participia/linguisitc constructions expressing causality of actions, valued results or valued purpose of actions o linguistic forms expressing commands, like imperatives (in its different forms), wishes or expressed preferences related to valued actions o language structures (both on syntactical and broader discourse analytical levels) suggesting causality between different actions, describing intentions or convictions regarding positive behaviour, motivating or arguing for a particular type of behaviour particular genres (on macro, meso and micro levels) attuned to ethical material, like, for instance, o genres more focused on influencing action lines, like paraenetic literature, virtue and vice lists, wisdom literature o genres ideal for conveying ethical content in spite of broader application than simply ethics, for instance, narratives, ancient letters, imagery,

37 These are only examples to illustrate the point and not a comprehensive list. Cf, also T. Morgan, Popular Morality in the Early Roman Empire, Cambridge 2007; Zimmermann, Logik, 37–123, for efforts to identify categories that are relevant for identifying ethical material.

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metaphors, gnomai. In these cases the content and interrelatedness with other analytical categories will contribute to the ethical functionality o examples (illustrative material) with ethical content to be mimed § fables, myths, § exempla, § illustrations rhetorical mechanisms like, for instance, performative language, irony, misunderstanding aiming at validating or encouraging particular behaviour

b) In the process of describing the ethical dynamics of a text the development of ethically related conceptual material may also guide the reader as analytical catetories. *

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ethical concepts38 like law, the good, love, will of God should be noted. Here there a circular exegetical process is necessary, moving from words/terms to more comprehensive concepts that may serve as categories to describe ethical material ethical actions or deeds (indicating action lines) involving evaluations of the nature of human actions o validating and endorsing certain behaviour as being good/bad, right/ wrong, positive/negative, indicating what are virtuous and what not, o orders or directives issued o ethical statements or declarations reflecting ethical judgment o claims expressing value judgments about behaviour or thoughts o ethical motivation of action lines positive vs. negative personal relations: friendship/enmity, love/hate, gratitude/ingratitude positive vs. negative actions: truth/lies, generosity/selfishness classifying behaviour by comparison, i. e. love is more important, more overarching than…, serving is better than being served determining and assessing the validity and consequences of actions typifying actions as based on free will, mimesis, conscience, obedience, force, emotions

c) Accepted and acknowledged ethically related data, like: *

accepted ethical conventions o accepted social conventions, like, for instance, commonly accepted

38 A concept refers to a construct reaulting from a combination of the characteristics and features of a word(s), both on surface and deep level, linked to one idea. For instance, love may be used as word (= lexicographical meaning) but may also function as concept, indicating a lifestyle the may included diverse aspects covered by the concept of love, like care, self-sacrifice, obedience, responsibility, etc. The latter is a construct and may differ according to time, situation, social group, etc. Cf., for instance, Schnelle, Liebesgebot, 21–34.

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social conventions like behaviour within filial relations, friendship, rabbi-pupil or king-subordinate realitions accepted common knowledge o illustrations based on natural phenomena, like the effect of light, seeds that must die before bearing fruit, branches must be in the vine to bear fruit o shared wisdom o proverbs or maxims accepted sources of moral authority (what is the origin of values/ principles) o subjects like God, king, father, heroes o objects like law, family, society, nature, institutions o events expressed in myths, stories, history o abstracts like principles, conscience, assumptions, custom, duty

d) Anthropological focus on ethical aspects of human nature (ethical agent) • characterization, vilification or stereotyping, signifying the position of moral agents • social position like woman/man, child/adult, slave, freeman, and its ethical consequences • social qualities like authority, power, oppression, inequality • positive/negative personal qualities: honour/shame, honesty/dishonesty, aggression/self-control e) Contextual embeddeness in historical, cultural and philosophical ethical environments • comparative ethical structures from contemporary philosophical or religious realities, like Jewish, Hellenistic, Greco-Roman areas (i. e. deontological, consequential) may serve as sensitizers for identifying ethical material • key ethical focal points in ethical discussions, i. e. absolute/relative, purpose of life, nature of good/bad, source of ethics • cultural and social realities influencing ethical decisions noted (social embeddeness) • situational and contextual influences noted (situational embeddedness) • time may serve as ethical authority inter alia in the forms of important historical times or eschatology39 f) Indications of structural interrelatedness of the different aspects of ethical data (see point 5) • logical cohesion between different ethical aspects in particular document 39 For the rationale behind time as ethical authority see Morgan, Popular Morality ; cf. also Schnelle, Johanneische Ethik, 309–327.

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• logical relation between form (grammatical and linguistic features) and ethical • cohesive relations in ethical data, for instance, relation between faith and the will of God in John (6:28–29), light and good deeds • logic of normative conclusions reached (i. e. based on law, wisdom, etc.) • ethical logic behind consequences described This list could and should be expanded (especially keeping the second circle in the “exegetical wheel” in mind). The point of the above examples is, however, to show what ethical analytical categories look like and to what type of material methodological applications in these areas could lead to. It should however be consistently remembered that these analytical categories get their “real functional life” only within the active process of the close reading of a text. They are analytical categories and no more or less than that – they are part of the tools of the reader when approaching and reading a text, requiring the text itself to activate whichever categories applicable to that particular text. These texts should then be analyzed with appropriate methods to abstract the particular ethics data from the text – for instance, if there is no paraenetic material in a text the analytical category of paraenesis should not be forced onto the text. If paraensis is part of the text, methods that are applicable to the analysis of paraentical texts should be applied in collecting the ethical data needed. Resulting is a growing set of ethical data that does not only contain information about particular words or concepts, but also contain data about how these different concepts are interrelated and should be structured within that particular text. Such information forms the basic and guiding data in the structuring process that results in the grammar of ethics. None of the New Testament writings are ethical treatises, presenting a clear grammar of ethics, i. e. presenting the ethical material in a structured, logical and organized way. Nevertheless, it must be recognized that they are ethically inclined documents. This inevitably implies that writing their grammars of ethics will offer a bigger challenge and the demands will be higher than simply recording the grammar offered in an ethical treatise. Even so writing the grammar of the ethically inclinded documents of the New Testament remains the challenge of exegetes, who are indeed confronted with the realities of limited, dated, selective ethical material in these texts. What are at their disposal are often random bits and pieces of ethical data that were deemed necessary by the original author for the communicative aims of the text. That calls for the rather complex hermeneutical and methodological approach suggested above. This brings us to the issue of how the process of “structuring the material” should be envisaged. How and on what basis should the different so-called “units” of ethical data be interrelated to form a structure? The key lies within the textual dynamics itself. When the analytical categories were mentioned

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earlier, reference was made to the features of language, which may be linguistic particles signifying causality, structural or even social features that serve as motivation for or clarification of specific deeds, differentiation between ethical agents, indicating levels of influence or authority, and so we can continue. These features, which are inherently part of the textual content and structure and are highlighted as ethically significant through the use of the analytical categories employed, serve as basis for the motivated structuring of the textual material into a grammar of ethics. Obviously the abilities and artful imagination of the exegete will play a role in this process, but consistently within the confines of the text itself and with proper motivating arguments based on these textual confines. The more cohesive, logical and self-evident the structuring of the data or grammar is, the more convincing it would be. Writing a grammar of ethics is clearly not a mechanical process based on mathematical accuracy, but is an interpretative process in the true sense of the word.40 Identifying, interrelating and structuring ethical data is essentially an interpretative process based on available data and dealt with according to certain theories.41 But as in any form of scientific reading the logical clarity, methodological possibility of repetition of the process, and the openness and willingness to scrutinize the results publically remain basic requirements. A subjective free-style interpretative process is therefore not suggested or accepted. An important assumption in this regard is that these ethical data are based on an underlying ethical structure that forms the foundation of these ethical remarks in the text.42 (Re)constructing this assumed foundational ethical 40 Although exegetes find themselves within the hermeneutical spiral it is necessary to come to a logical and comprehensive systematization of the ethical data, even though remaining part of the spiral exegetical movement that invites consistent re-evaluation and further consideration. Not only the continuing process within the spiral but also the incomplete nature of the available ethical data suggests that the process has a provisional ring to it, depending on the measure and trustworthiness of data available. This alerts the exegete to the status of what he or she is doing. Constructing an ethical structure of the text will inevitably depend on theories about the nature and interrelatedness of the data. 41 A theory is a suggestion or even conviction of how something should or could work. It has less certainty than for instance a method, but does have some relevant and trustworthy basic data to support the theoretical claims made. In cases of strong conviction, theories may also be formulated in terms of hypotheses. Be that as it may, an essential part of constructing the ethical structure of John, for instance, relies on formulating logical and comprehensive theories about what should be expected in terms of behaviour. Let us look at an illustration of what is meant. Ethically speaking, John stands in the tradition where relations that leads to behaviour are far more emphasized and discussed than physical deeds. The “why” clearly dominates the “what”. Love is often seen as the only concrete ethical imperative in the Gospel of John. The exegete must therefore construct a theory of how the principle of love should be concretely applied in specific contexts. Such a theory is considered, tested and expanded by interrelating different ethically related aspects of the text. Social material, like being children in a family, will be used to explain the nature of this love. It is love that should serve the community (family). 42 The underlying structure of ethics on which it is assumed the expression in a text is based, lies at the basis of Zimmermann’s, Logik, 7–123, idea of implicit ethics.

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structure is the aim of the exegete. Within such a grammar of ethics there would inevitably be areas in the description that are based on assumptions, logical deductions or inferences. This process of describing the ethical dynamics of a text requires critical realism. The exegete is challenged to critically but also realistically deal with the available ethical data in, for instance, distinguishing between central and peripheral remarks and issues in the text, imagining and describing the interrelatedness of different elements within the ethical process, like the relation between a deed and the identity of a person, to intelligently “project” lines of action where these are not specifically given in the text, and so we may continue. Obviously, each text will provide a different set of data that must be treated according to the restrictions of the data itself. In some cases the ethical data might be very elementary and in other cases very complex, depending on the nature of the text. On basis of such a descriptive process inferences and projections may be made in areas where clear ethical data lacks. The tentativeness of such material must again be stressed. For instance, if love is the key ethical concept in a book, it may be assumed that the author would suggest love even in analogous cases that are not mentioned in the text itself. The status of such material should be totally derived from and based on the clear structures of the available grammar of ethics of a text and does not have the argumentative status to change the nature of such a grammar. One last remark needs to be made: the above description only deals with a single book (the Gospel of John), but what about the compendium of books forming the New Testament? Obviously, on the first level, namely that of a particular book like John or Matthew, a grammar should be offered of the ethics of that particular book. However, within the historical reality of the canon, this will result in a Pauline grammar, a Johannine grammar, a Petrine grammar, and so on. Hays notes that the synthetic task of looking for “coherence among the various witnesses” is an important step in dealing with the ethics of the New Testament.43 Theoretically speaking, the same process described above should be repeated with the different “grammars” if, of course, a canonical reading is suggested. These different “units” should be brought into relation with one another, theoretically resulting in a grammar of New Testament ethics.44 This process also implies inner-canonical debates and does not lack its share in unique challenges and problems, inspired not the 43 Hays, Moral Vision, 4. 44 Meeks, Understanding; idem, Origins; idem, Ethics, 317–318, regards efforts to construct a New Testament ethics as impossible task and thinks the ethical reading of the New Testament can at most result in a “moral vision”. This is partly due to Meek’s social-historical description that by nature of the approach highlights social differences between different documents. Hays, Moral Vision, 4, on the other hand, regards the construction of New Testament ethics not only as possible, but also as necessary on acount of canonical coherence. He does also acknowledge the difficulties in finding appropriate methods to do that. Problems he identifies include the way apparent contradictions may be reconciled, or how to isolate main focal images of ethics.

New Testament Ethics? An Approach

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least by the unity and diversity of the New Testament expressed in the unique nature of each book, the situation and communicative framework of the different books and the fact that although these documents all represent Christian tradition, they were not written to be synchronized into a structured whole. Due to the restrictions of this presentation the challenges of bringing the different grammars of the authors of the New Testament together in a possible grammar of the ethics of the New Testament cannot be discussed in any further detail here. It should however remain a central point of discussion and a consideration in any effort to write the grammar of New Testament ethics.

6. Conclusion Within the limits of this article it was the aim to illustrate a few important pointers when it comes to New Testament ethics. 6.1. Establishing what ethics is and how ethical data in the New Testament should be approached, is a complex, diverse and by a long stretch not a conclusive process. Diversity remains a basic characteristic of our endeavours to determine the ethics of the New Testament. No single universal “ethical model or method” exists. Accepting this reality should not discourage efforts to limit the grounds for this diversity through responsible and scientific reading of the texts involved. 6.2. The focus of ethics has more to do with content than with method, although both have a role to play. Ordinary close reading of the text guided by ethical analytical categories provides the ethical data, which should then be structured into a logical and cohesive whole. Interpretation and the consequent structuring are done on the basis of the structural dynamics present within the textual dynamics itself. 6.3. The process of ethics is not complete or even very functional if a grammar of ethics of a particular book (and of the New Testament as a whole, if that is at all possible) is not written. Partial grammars focusing on certain aspects are possible, but should be recognized as incomplete. 6.4. The grammar of ethics will always partly rely on theories and projections, since there are no ethical treatises in the New Testament. The exegete is forced to work with selected pieces of ethical data that must be interrelated to form a theory of how the grammar of that particular ethic would look. Based on this data (theoretical) projections could be made of what type of behaviour could have been expected in cases where such particular information is lacking. 6.5. Many scholars suggest that the hermeneutical processes should be included in what is called New Testament ethics. It has been argued that there are different hermeneutical processes involved. The exegete is heavily and primarily involved with the hermeneutical process of reading ancient texts in

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their context, but becomes part of a larger discussion with other disciplines when endeavouring to determine the message for today or to suggest what lived ethics should look like. Depending on how these discussions unfold, the authority and influence of the New Testament scholar will vary.

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Knut Backhaus, geboren 1960; Prof. Dr. theol.; Inhaber des Lehrstuhls für Neutestamentliche Exegese und biblische Hermeneutik an der KatholischTheologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. – Forschungsschwerpunkte: Johannes der Täufer, Hebräerbrief, Lukanisches Doppelwerk. – Wichtige Veröffentlichungen: Der Hebräerbrief, RNT, Regensburg 2009; Religion als Reise. Intertextuelle Lektüren in Antike und Christentum, Tübingen 2014; mit G. Häfner : Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese, BThST 86, Neukirchen-Vluyn 22009. M. Eugene Boring, geboren 1935; Prof. Dr.; I. Wylie and Elizabeth M. Briscoe Professor of New Testament, Emeritus, Brite Divinity School TCU, Fort Worth. – Forschungsschwerpunkte: Frühchristliche Prophetie, Synoptische Evangelien, 1. – 2. Thessalonicherbrief, 1. Petrusbrief, Apokalyptik, Offenbarung des Johannes. – Wichtige Veröffentlichungen: Sayings of the Risen Jesus. Christian Prophecy in the Synoptic Tradition, MSSNTS 46, Cambridge 1982; Mark. A Commentary, New Testament Library, Louisville 2006; Introduction to the New Testament. History, Literature, Theology, Louisville 2012. Cilliers Breytenbach, geboren 1954; Prof. Dr. theol.; Professor für Literatur-, Religions- und Zeitgeschichte des Urchristentums, Humboldt-Universität zu Berlin und Professor extra-ordinary for New Testament and Ancient Studies, Stellenbosch University. – Forschungsschwerpunkte: Auslegung des Markusevangeliums, Theologie des Paulus, Geschichte des frühen Christentums. – Wichtige Veröffentlichungen: Nachfolge und Zukunftserwartung nach Markus, AThANT 71, Zürich 1984; Grace, Reconciliation and Concord. The Death of Christ in Graeco-Roman Metaphors, NT.S 135, Leiden/Boston 2010; C. Breytenbach/C. Zimmermann (Hg.), Early Christianity in Lycaonia, Ancient Judaism and Early Christianity 101, Leiden 2017. Christoph Burger, geboren 1985; Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg – Forschungsprojekt: Gemeindevorstellung im Johannesevangelium (Dissertation).

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Marco Frenschkowski, geboren 1960; Prof. Dr.; Inhaber des Lehrstuhls für Neues Testament unter Berücksichtigung der Religionsgeschichte der hellenistisch-römischen Welt an der Universität Leipzig. – Forschungssschwerpunkte: das antike Christentum und seine religiöse und kulturelle Umwelt, Evangelienforschung, neue religiöse Bewegungen und Religionen in der Moderne, religiöse Alteritäten (Magie, Esoterik), phantastisch-imaginative Literaturen, Bibliotheksgeschichte. – Wichtige Veröffentlichungen: Magie im antiken Christentum. Eine Studie zur alten Kirche und ihrem Umfeld, Stuttgart 2016; Gustav Meyrink, Gesammelte Werke, hg. und kommentiert von M. Frenschkowski, Wiesbaden 2014ff (bisher 4 Bände); zahlreiche Artikel im „Reallexikon für Antike und Christentum“, zuletzt: Prophet(ie), Persien II, Ordal, Nero. Christoph Heil, geboren 1965; Prof. Dr. theol.; Professor für Neutestamentliche Bibelwissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz. – Forschungsschwerpunkte: Q, historischer Jesus, Galaterbrief. – Wichtige Veröffentlichungen: Die Spruchquelle Q. Studienausgabe – Griechisch und Deutsch, hg. und eingeleitet von P. Hoffmann/C. Heil, Griechischer Text nach der „Critical Edition of Q“ des International Q Project, Darmstadt / Leuven 42013; Das Spruchevangelium Q und der historische Jesus, SBAB 58, Stuttgart 2014; C. Heil/R. Hoppe (Hg.), Menschenbilder – Gottesbilder. Die Gleichnisse Jesu verstehen. In Zusammenarbeit mit dem Collegium Biblicum München e.V., Ostfildern 2016. Jens Herzer, geboren 1963; Prof. Dr. theol.; Professor für Neues Testament an der Universität Leipzig. – Forschungsschwerpunkte: Paulus und paulinische Briefliteratur, insbes. Pastoralbriefe, 1. Petrusbrief, Antikes Judentum. – Wichtige Veröffentlichungen: Petrus oder Paulus? Studien über das Verhältnis des Ersten Petrusbriefes zur paulinischen Tradition, WUNT 103, Tübingen 1998; Fourth Baruch (Paraleipomena Jeremiou). Translation with an Introduction and Commentary, Writings from the Greco-Roman World 22, Atlanta 2005/Leiden 2006; Fiktion oder Täuschung? Zur Diskussion über die Pseudepigraphie der Pastoralbriefe, in: J. Frey/J. Herzer/M. Janßen/C.K. Rothschild unter Mitarbeit von M. Engelmann (Hg.), Pseudepigraphie und Verfasserfiktion in frühchristlichen Briefen – Pseudepigraphy and Author Fiction in Early Christian Letters, WUNT 246, Tübingen 2009, 489–536. Friedrich W. Horn, geboren 1953; Prof. Dr. theol.; Universitätsprofessor für Neues Testament an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. – Forschungsschwerpunkte: Ethik des Neuen Testaments, Paulus, 1. Petrusbrief. – Wichtige Veröffentlichungen: F.W. Horn (Hg.), Paulus Handbuch, Tübingen 2013; F.W. Horn/U. Volp/R. Zimmermann in Zusammenarbeit mit E. Verwold (Hg.), Ethische Normen des frühen Christentums. Gut – Leben – Leib – Tugend, Kontexte und Normen neutes-

Autorenanhang

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tamentlicher Ethik Bd. IV, WUNT 313, Tübingen 2013; U. Volp/F.W. Horn/R. Zimmermann (Hg.), Metapher – Narratio – Mimesis – Doxologie. Begründungsformen frühchristlicher und antiker Ethik, Kontexte und Normen neutestamentlicher Ethik Bd. VI, WUNT 356, Tübingen 2016. Martin Karrer, geboren 1954; Prof. Dr.; Professor für Neues Testament an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel. – Forschungsschwerpunkte: Apokalypse, Septuaginta, Christologie, Hebräerbrief. – Wichtige Veröffentlichungen: Jesus Christus im Neuen Testament, GNT 11, Göttingen 1998; M. Karrer/W. Kraus (Hg.), Septuaginta Deutsch, Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart 22010; Kommentare zum Hebräerbrief, ÖTBK 20/I/II, Würzburg/Gütersloh 2002/2008, und zur Apokalypse des Johannes, EKK 24/1, Ostfildern/Göttingen 2017. Wolfgang Kraus, geboren 1955, Prof. Dr. theol.; Professor für Neues Testament an der Universität des Saarlandes; Research Associate, Dept. of New Testament University of Pretoria, South Africa; Research Associate: Institut für Septuaginta und Biblische Textforschung (ISBT) Kirchliche Hochschule Wuppertal/Bethel. – Forschungsschwerpunkte: Biblische Theologie, Theologiegeschichte des frühen Christentums (insbes. Paulus, Hebräerbrief, Matthäusevangelium), Septuaginta als Bibel der Urchristenheit, christlichjüdisches Gespräch. – Wichtige Veröffentlichungen: Das Volk Gottes. Zur Grundlegung der Ekklesiologie bei Paulus, WUNT 85, Tübingen 1996, Neuauflage 2004; W. Kraus/M. Karrer (Hg.), Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart 2009; 22010; W. Kraus u. a. (Hg.), Mehr als Steine … Synagogen-Gedenkband Bayern, Band 1/2/3.1, Lindenberg/Allg. 2007/2010/2015. Michael Labahn, geboren 1964; Apl. Prof. Dr.; Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; Extraordinary Associate Professor North-West University (Potchefstroom Campus), Südafrika. – Forschungsschwerpunkte: Wundererzählungen, Q, Johannesevangelium, Johannesapokalypse, die religions- und kulturgeschichtliche Welt des frühen Christentums, frühchristliche Ethik. – Wichtige Veröffentlichungen: Jesus als Lebensspender. Untersuchungen zu einer Geschichte der johanneischen Tradition anhand ihrer Wundergeschichten, BZNW 98, Berlin/New York 1999; Der Gekommene als Wiederkommender. Die Logienquelle als erzählte Geschichte, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 32, Leipzig 2010; Ausgewählte Studien zum Johannesevangelium. Selected Studies in the Gospel of John, hg. v. A. Labahn, Biblical Tools and Studies 28, Leuven 2017. Christof Landmesser, geboren 1959; Prof. Dr.; Universitätsprofessor an der Eberhard Karls Universität Tübingen, Lehrstuhl für Neues Testament. – Forschungsschwerpunkte: Paulus und die Paulusschule, Hermeneutik und

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Theologie des Neuen Testaments. – Wichtige Veröffentlichungen: Wahrheit als Grundbegriff neutestamentlicher Wissenschaft, WUNT 133, Tübingen 1999; A. Großmann/C. Landmesser (Hg.), Rudolf Bultmann – Martin Heidegger, Briefwechsel 1925–1975, Frankfurt/Tübingen 2009; Das gegenwärtige Ende. Geschichte in neutestamentlicher Perspektive, in: M. Meyer-Blanck (Hg.), Geschichte und Gott, XV. Europäischer Kongress für Theologie (14.–18. September 2014 in Berlin), Leipzig 2016, 76–95. Manfred, Lang, geb. 1964; Apl. Prof. Dr.; Martin-Luther-Universität HalleWittenberg, Wiss. Mitarbeiter am Corpus Hellenisticum. – Forschungsschwerpunkte: Johannesevangelium, Apostelgeschichte, antike Kulturgeschichte. – Wichtige Veröffentlichungen: Johannes und die Synoptiker. Eine redaktionsgeschichtliche Analyse von Joh 18–20 vor dem markinischen und lukanischen Hintergrund, FRLANT 182, Göttingen 1999; Die Kunst des christlichen Lebens. Rezeptionsästhetische Studien zum lukanischen Paulusbild, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 29, Leipzig 2008; M. Lang/ J. Verheyden (Hg.), Goldene Anfänge und Aufbrüche. Johann Jakob Wettstein und die Apostelgeschichte, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 57, Leipzig 2016. Hermut Löhr, geboren 1963; Prof. Dr. theol.; Professur für Neues Testament, Ev.-Theol. Fakultät, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. – Forschungsschwerpunkte: Hebräerbrief, Philipperbrief, frühjüdisches und frühchristliches Gebet, Apostolische Väter, Frühchristliche und frühjüdische Moral, Geschichte des entstehenden Christentums, 1.–3. Johannesbrief. – Wichtige Veröffentlichungen: Umkehr und Sünde im Hebräerbrief, BZNW 73, Berlin/New York 1994; Studien zum frühchristlichen und frühjüdischen Gebet. Eine Untersuchung von 1Clem 59 bis 61, WUNT 160, Tübingen 2003; Ethik und Tugendlehre, in: K. Erlemann/K.L. Noethlichs/K. Scherberich/J. Zangenberg (Hg.), Neues Testament und Antike Kultur, Band 3: Weltauffassung – Kult – Ethos, Neukirchen-Vluyn 2005, 151–180. Martin Meiser, geboren 1957; Apl. Prof. Dr.; Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität des Saarlandes. – Forschungsschwerpunkte: Exegese im antiken Christentum, Septuaginta, Galaterbrief, Markusevangelium. – Wichtige Veröffentlichungen: Die Funktion der Septuaginta-Zitate im Markusevangelium, in: W. Kraus/S. Kreuzer (Hg.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 517–543; M. Meiser (Hg.), Torah in the Ethics of Paul, LNTS 473, London 2012; Galater, Novum Testamentum Patristicum 9, Göttingen 2007. Karl-Wilhelm Niebuhr, geboren 1956; Prof. Dr. theol.; Professor für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena. – Forschungsschwerpunkte: Hellenistisches Judentum und Neues Tes-

Autorenanhang

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tament, Katholische Briefe und frühchristliche Aposteltraditionen, neutestamentliche Anthropologie. – Wichtige Veröffentlichungen: Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987; Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992; Sapientia Salomonis (Weisheit Salomos), eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen, hg. v. K.-W. Niebuhr u. a., SAPERE 27, Tübingen 2015. Thomas Popp, geboren 1966; Prof. Dr.; Studiengangsleitung Diakonik an der Evangelischen Hochschule Nürnberg und Ausbildungsleitung der Rummelsberger Diakone und Diakoninnen. – Forschungsschwerpunkte: Johannesevangelium, 1. Petrusbrief, Vernetzung von Bibel- und Diakoniewissenschaft. – Wichtige Veröffentlichungen: Grammatik des Geistes. Literarische Kunst und theologische Konzeption in Johannes 3 und 6, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 3, Leipzig 2001; Die Kunst der Konvivenz. Theologie der Anerkennung im 1. Petrusbrief, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 22, Leipzig 2010; Biblisches Arbeitsbuch für Diakonie (in Planung). Stefan Schreiber, geboren 1967; Prof. Dr.; 2003 bis 2010 Professor für Neues Testament an der Universität Münster, seit 2010 Inhaber des Lehrstuhls für Neutestamentliche Wissenschaft an der Universität Augsburg. – Forschungsschwerpunkte: Paulus und das frühe Judentum; neutestamentliche Schriften in ihrer politischen Welt; Geschichte des Urchristentums; neutestamentliche Hermeneutik und Methodik. – Wichtige Veröffentlichungen: Weihnachtspolitik. Lukas 1–2 und das Goldene Zeitalter, NTOA 82, Göttingen 2009; Der erste Brief an die Thessalonicher, ÖTK 13/1, Gütersloh 2014; Die Anfänge der Christologie. Deutungen Jesu im Neuen Testament, NeukirchenVluyn 2015. Mark A. Seifrid, geboren 1953; Prof. Dr.; Professor of New Testament, Concordia Seminary, St. Louis, MO. – Forschungsschwerpunkte: Paulus und die Paulusbriefe. – Wichtige Veröffentlichungen: Christ, Our Righteousness. Paul’s Biblical Theology of Justification, New Studies in Biblical Theology 9, Leicester/Downers Grove, 2000/2001; Second Corinthians, Pillar New Testament Commentaries, Grand Rapids 2014; D.A. Carson/P.T. O’Brien/M.A. Seifrid (Hg.), Justification and Variegated Nomism. Vol. 1: The Complexities of Second Temple Judaism, WUNT II/140, Tübingen/Grand Rapids 2001. Vol. 2: The Paradoxes of Paul, WUNT II/181, Tübingen/Grand Rapids 2004. Thomas Söding, geboren 1956; Prof. Dr.; Professor für Neues Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. – Forschungsschwerpunkte: Markus und Paulus. – Wichtige Veröffentlichungen: Die Verkündigung Jesu – Ereignis und Erinnerung, Freiburg 2012; Nächs-

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Autorenanhang

tenliebe. Gottes Gebot als Verheißung und Anspruch, Freiburg 2015; Das Christentum als Bildungsreligion. Der Impuls des Neuen Testaments, Freiburg 2016. Manuel Vogel, geboren 1964; Prof. Dr. theol.; Professor für Neues Testament, Universität Jena. – Forschungsschwerpunkte: Paulus, 2. Korintherbrief, empire criticism, Josephus. – Wichtigste Veröffentlichungen: Commentatio mortis. 2. Korinther 5,1–10 auf dem Hintergrund antiker ars moriendi, FRLANT 214, Göttingen 2006; Modelle jüdischer Identitätsbildung in hellenistisch-römischer Zeit, in: M. Öhler (Hg.), Religionsgemeinschaft und Identität. Prozesse jüdischer und christlicher Identitätsbildung im Rahmen der Antike, BThSt 142, Neukirchen-Vluyn 2013, 43–68; Flavius Josephus, Aus meinem Leben (Vita). Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von F. Siegert/H. Schreckenberg/M. Vogel und dem Josephus-Arbeitskreis des Institutum Judaicum Delitzschianum, Tübingen 2001, 22011. Jan van der Watt, geb. 1952; Prof. drr.; Professor in New Testament Studies, Radboud University Nijmegen, The Netherlands; Extraordinary Professor North-West University, South Africa. – Forschungsschwerpunkte: Johanneische Schriften, neutestamentliche Ethik, neutestamentliche Linguistik. – Wichtige Veröffentlichungen: Family of the King. Dynamics of Metaphor in the Gospel According to John, Biblical Interpretation Series 47, Leiden 2000; Introduction to the Gospel and Letters of John, T&T Clark Approaches to Biblical Studies, London 2010; J. Van der Watt/R.Zimmermann (Hg.), Rethinking the Ethics of John. „Implicit Ethics“ in the Johannine Writings. Kontexte und Normen neutestamentlicher Ethik III, WUNT 291, Tübingen 2012.

Stellenregister zusammengestellt und ausgewählt von Christoph Burger Altes Testament Genesis 1,1–2,4 360, 369 1,1LXX 361 11,4 363 14,17–20 286 14,17–20LXX 286 17,9–14 119 20,3 362 27,35LXX 354, 361 28,10–22 351, 361, 365, 366, 369, 371 28,10–19 364 28,10 361 28,11 361, 363, 364 28,11LXX 369 28,12–15 362 28,12 12, 351, 354, 360, 362, 363, 364, 365, 369, 371 28,12LXX 362 28,13–15 363 28,13 363 28,15LXX 363, 370 28,16 364 28,16 f 363 28,16 fLXX 364, 369 28,17 364 f 28,17LXX 364 28,18 364 28,19 364 28,19LXX 369 28,20–22 364 28,20LXX 370 28,21LXX 370 31,24 362 33,18 f 369 48,22 369

Exodus 3,14 188 23,20 184 24,8 299 f 28,1–29,37 286 32,8LXX 113 Leviticus 8,1–36 286 19,18 315 Numeri 17,16–28

286

Deuteronomium 18,15 188 Hiob 32,15

302

Psalmen 2,7 183 2,7LXX 298 6,4 f 360 8 283 8,5–7LXX 298 22,2 185 24,3 362 31,2LXX 354 39,8LXX 299 40,7–9 300 42,6 185 43,23LXX 156 68,7LXX 153 68,10LXX 153

450

Stellenregister

68,14–19LXX 153 68,31–37LXX 153 94LXX 286 95,7–11 301 101,26LXX 298 109,1LXX 283 f, 298 109,4LXX 284, 286, 298 110,4 299 117,6LXX 299 118,32LXX 106 122,4 362

31,32 301 36LXX 237 36,1–23 240 36,1LXX 237 38,31–34LXX 287, 295 38,31LXX 296 38,32LXX 296, 301 38,33 fLXX 295, 300

Jesaja 6,9 f 202 11,10LXX 150 40,3 184 41,10 211 42,1 183 43,1 211 43,5 211 52,15LXX 154 53,12 183 56,3–8 151 60,3–14 151 65,22 302 66,20–21 151

Ezechiel 1 384

Jeremia 1,8 211 1,19 211 29 237 31 297, 305 31,31–33 296

Klagelieder / Threni 3,4 302

Daniel 7,13 f 189 7,25 302 Joel 3,1 ff

202

Amos 9,11 f 9,11

123 202

Zephanja 3,13–15 Haggaj 2,6LXX

355 299

Maleachi 3,1 184

Septuaginta, Apokryphen und Pseudepigraphen Ascensio Jesaiae 5,13 192 Assumptio Mosis 10,12 363 Baruch 1,1 237

2. Baruch 78–86 237, 251 84,9 251 86,1–3 251 4. Esra 3,14 52

451

Stellenregister 7,119 291 7,124 291 8,31 f 291 12,36–38 52 14,5 52 14,23–48 52 14,45 f 52

Epistula Jeremiae 7–68 254 14 251 22 251 28 251 39 251 44 251 49 251 51 251 56 251 63 251 64 251 68 251 69–72 254

1. Henoch 36–71 59 62,5 189 69,27 ff 189 91–94 237 104–107 237 2. Makkabäer 1,10b–2,18 237 2,13–15 45

Sirach 21,15

312

Frühjüdische Schriften Flavius Josephus Antiquitates Judaicae 1,38 201 20,200–202 177 Contra Apionem 1,38–41 58 1,50 329

Bellum Judaicum 2,279 176 Philo Quod Deus sit immutabilis 12 291

Schriften vom Toten Meer 4Q203 Frgm. 8 4Q204 237

237

4Q212

237

Neues Testament Q („Logienquelle“) 4,9 170, 174 4,16 170 6,20 315

6,22 f 166 6,27–35 166 6,27 f 176 6,28 166

452 6,29 f 176 6,35 176 6,41 f 166 6,57–60 165 7,1 170 7,24 170 7,31 166 7,35 166 10,2–6 166 10,2 166 10,4 176 10,5 170 10,5 f 176 10,6 166 10,7 166 10,12 170 10,13 f 170 10,13 170 10,21 166 11,2–4 166 11,9–13 166, 314 11,9 f 314 11,29–32 166 11,30 170 11,32 170 11,49 166 11,50 f 166 11,51 174 12,3 166 12,4 f 166 12,11 f 166 12,11 166 13,34 f 166, 173, 175 13,34 174 13,35 174 13,39 170 14,26 f 165 16,17 173 17,2 166 17,3 f 166 17,33 165 22,28 165 22,30 165

Stellenregister Matthäusevangelium 2,23 32 3,16 358 5,33–37 318 5,41 176 10,2 378 10,3 339 21,4 f 31 25,31 f 189 26,29 195 27,9 31 28,16–20 168 Markusevangelium 1,1 181, 187 1,2 184 1,4–8 183 1,7 f 182 1,8 192 1,9 ff 192 1,9–11 182 1,10 358 1,11 188 1,12 f 184, 196 1,14 f 181, 186 1,15 196 1,17 f 191 1,18 193 1,35–44 193 2,1–12 190 2,10 189 2,13–17 190 2,28–3,6 190 2,28 189 3,11 188 3,17 192, 339 3,18 339 4,10 ff 194 4,21 f 194 4,35–41 194 5,1–20 190 5,7 188 6,3 339 6,6–13 189

453

Stellenregister 7,1–23 190 7,24–8,10 190 7,24 193 7,28 187 8,17 f 194 8,27 191 8,28 191 8,29–34 188 8,29 187, 191 8,31 189, 192 8,32 192 8,33 192 8,34 192 9,1 267 9,2–8 191 9,9–13 188 9,12 189 9,31 189, 193 9,33–37 193 10,32 ff 189, 193 10,35 ff 192 10,37 193 10,38 185, 192 10,39 192 10,41 193 10,45 189, 192, 195 10,47 f 187 11,9 f 183 12,1–12 183 12,28–34 195 13,3–8 267 13,10 194, 267 13,26 f 189 13,30 267 14,9 194 14,24 183, 189 14,25 195 14,28 190 14,34 185 14,36 185, 192 14,38 193 f 14,41 189 14,61 187 14,62 188

15,33 15,34 15,39 16,7

186 185 186 168, 185, 190, 195

Lukasevangelium 1–2 223 1,1–4 218, 224, 228 1,5–2,52 218 3,21 f 358 4,16–30 223 4,21 392 6,22 f 316 9,1 378 11,9–13 314 22,14 378 24 223 Johannesevangelium 1,1–2,11 351 1,1–28 352 1,1–18 51, 352, 354, 356, 357, 360 1,1 361, 370, 376, 378 1,6–8 351 1,14–18 354 1,14 351, 355, 357, 369, 1,15 351 1,18 351, 357, 370, 378 1,19–2,11 359 1,19–51 357, 360 1,19–34 351, 352, 356 1,19–28 351 1,19 352 1,26 372 1,29–34 351 1,29 352, 359 1,32 f 352, 357 1,34 355 1,35–51 352, 370 1,35–42 352 1,35 359 1,36 352 1,38 352, 355, 368 1,39 352, 353, 356, 358

454

Stellenregister

1,40 352 1,41 352, 358 1,42 352, 354 1,43–51 352, 353 1,43 358, 359 1,43 f 352, 353 1,45–51 352, 370 1,45 358 1,46–49 355 1,46 353 1,47 353, 360 1,48 354, 355, 358 1,49–51 368 1,49 353, 354, 358, 368 1,50 f 351, 354, 359, 360, 366, 367, 368, 369, 370 1,50 12, 349, 355, 358, 366, 367 1,51 351, 352, 354, 356, 357, 359, 360, 361, 363, 364, 366, 367, 368, 369, 371 2,1–11 359, 360 2,1 359, 360 2,11 360 2,12–22 357 2,12 f 367 2,19–22 369 2,22 369 3,1–21 359 3,13 f 368 3,13 367 3,14 367 3,18 f 266 3,28 352 3,36 266 4,4–42 369 4,5 f 367, 369 4,12 367, 369 4,16–18 369 4,19–24 357 4,19 369, 370 4,20–24 370 4,20 369 4,23 370 4,25 f 370 4,28–30 370

4,29 370 4,39–42 370 4,42 354 5,15 368 5,20 367 5,27 367 5,36 367 6,16–59 367 6,16–21 359 6,27 368 6,28–29 438 6,44 354, 365 6,47 266 6,53 368 6,62 368 6,69 354 6,70 354 8,28 368 8,30–59 367 8,53 367 9,10 368 9,14 368 9,17 368 9,21 368 9,26 368 9,30 368 9,32 368 9,35–38 368 9,35 368 9,38 354 10,29 367 10,34–36 365 11,16 370 11,21–26 266 12,1 359 12,23 368 12,27–36 368 12,27–31 365 12,27 360 12,29 368 12,31 266 12,32 f 355 12,32 354, 365 12,34 368

Stellenregister 12,48 266 13,16 367 13,18 354 14–16 266 14,2 352 14,4–6 370 14,6 370 14,12 367 14,13 f 369 14,23 352 14,28 367 15,13 367, 370 15,16 354 15,18 f 375 15,19 354 15,20 367 16,2 392 17,3 266 17,21 129 18,20 370 18,33 355 19,3 355 19,11 367 19,18 372 19,19 355 19,21 355 20,17 368 20,19 371, 372 20,22 360 20,24–29 370 20,26 371, 372 20,28 f 356 20,28 355, 370 20,29 370 20,30 f 358, 366, 370, 371 21,1–23 168 21,2 353, 360 Apostelgeschichte 1,1–11,18 197 1,1–14 212 1,1 f 218 1,1 220 1,4 202

1,8

455

11, 197, 199, 200, 202, 203, 205, 207, 208, 210, 211, 212 1,13 339 1,15–14,28 212 1,15–8,3 199 2,17–21 201, 202 3,1 341 6,1–15,35 197 6,1–6 197 7,58 208 8,4–11,18 199 8,9–24 224 8,14 341 9,15 208 9,27 f 121 9,31 169 10,1–11,18 208, 209 10,1–11,16 210 11,18 209 11,19–28,31 197 11,19–15,35 199 11,26 209 11,28 121 11,29 f 121, 122 11,30 174 12,1–19 207 12,2 341 12,17 341 12,24 207 12,25 121 13 122 13,2 205 13,16 206 13–14 110, 208, 209 14 122 14,12 208 15,1–17,34 212 15 121, 122, 123 15,1–41 202, 203 15,2 174 15,13 341 15,16 f 201, 202 15,20 f 123 15,22 ff 209

456 15,23–29 345 15,29 123 15,33 197 15,36–19,20 199 15,36–41 120, 197 15,40–16,3 68 16 210 16,4 174 16,6 f 113 16,9 f 205 16,9 207, 210 16,10 207 16,11–40 203, 205, 211, 212 16,17 207 17,1–10 68 17,16–34 203, 204, 210, 211 18,1–28,31 211 18,2 144, 210 18,4 210 18,6 210 18,7 206, 210 18,8 210 18,9 210 18,12–17 211 18,19 211 18,22 120, 122 18,23 113 19,21–21,17 199 20,17 277 20,25 211 20,28 277 20,29 f 224 21,18–28,31 199 21,18–26,32 199 21,18 174, 341 21,25 123 22,10 215 24,17 123 24,24 206 27,1–28,31 199 28,25 202 28,26 f 201, 202

Stellenregister Römerbrief 1–8 145, 146 1,1–6 150 1,1 126, 259, 406 1,2 150 1,3–4 150 1,4 150 1,5 145, 151 1,8–12 148 1,10–12 149 1,11 151 1,12 148 1,15 148 1,16–8,39 156 1,16 151, 153, 155 1,18–8,39 155 2,17–4,25 156 2,17–29 156 3,1 151 3,8 149 3,21 119 3,25 127 5–8 150 5,1 156 5,6–11 127 5,20 f 155 6,1–11 127 6,3–5 126 6,11 117 6,14 155 7,1 155 7,4 117 7,7 156 8,3 f 119 8,18 264 8,34 284 8,35 264 8,36 156 8,38 266 9–11 145, 147, 151, 152, 155, 156 9,1–5 147 9,3 156 9,4–5 150 10,1–3 147

Stellenregister 11,1 156 11,5 146 11,13 147, 156, 157 11,14 156 11,17–18 152, 154 11,17 151 11,26 f 157 11,29 151 12,1–2 151 12,4 f 132 12,5 128 12,6 151 13,1–7 150 14,1–15,13 149 14,1 152 14,2 152 14,5 152 14,14 152 14,18 153 14,21 152 15,1 152 15,4–6 153 15,5–13 158 15,5–6 154 15,7–13 153 15,8 154 15,9 154 15,12 150, 154 15,14 f 148 15,14 148 15,16–17 151 15,18–20 144 15,20–21 154 15,20 148 15,22–24 149 15,24 149 15,25 155 15,26 115 15,27 152 15,30–32 123 15,31 152 16,3 144 16,17–20 149

1. Korintherbrief 1,1 406 1,10–17 260 1,17 117 1,23 117 1,26 117 2,10 417 3,1 117 3,3 117 3,21–23 260 3,22 266 4,8–10 116 4,16–21 116 5,9 f 101 7,12–16 101 7,19 116, 117 7,22 129 8,4 417 8,6 417 8,10 f 101 9,1–18 270 9,1 f 260 10,18 117 10,27 101 11,2 262 11,23–25 262 12–14 268 12 128 12,12–27 127 12,12 f 126, 129 12,13 132, 133, 141 12,27 127 14,22–24 101 14,40 268 15,1–11 260 15,3–8 169 15,3–5 262 15,4–8 388 15,5–7 260 15,7 309, 322 15,11 262 15,25 284 16,1–14 115 16,1–4 89

457

458 16,1 16,8 f 16,21 16,22

Stellenregister 114, 116 115, 119 243 411

2. Korintherbrief 1–9 87, 88, 95, 96, 97, 100, 112 1–7 88 1,1–2,13 89, 112 1,1 406 1,2 87, 88 1,8–10 118 1,17 87, 117 1,22 126 2,14–7,4 88, 89, 112 2,14–6,13 112 2,14–5,21 105 2,15 129 3,1 f 116 3,6–18 117 5,11 117 5,14 f 117 5,16 117 5,17 117, 126, 133 5,20 f 105 5,20 105, 107 5,21 117, 118, 119 6,1–13 106 6,1–3 107 6,1 105, 106 6,2–11 106 6,2 106 6,3–10 106 6,11–13 102, 105, 106 6,11 106 6,13 90 6,14–7,4 100 6,14–7,1 87, 89, 90, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107 6,14–16 104 6,14 90, 100, 103, 105 6,16 103 6,17 103 6,18 103

7,2–5 105 7,2–4 102, 112 7,2 90, 100, 105 7,5–16 89, 112 7,5 105 8–9 99, 112 8 89, 115 8,18 228 9 89, 96, 99, 115 9,4 115 9,6 117 9,10 99 9,15 95, 97, 99, 102, 100 10–13 87, 88, 89, 95, 96, 97, 100, 112 10–12 103 10 96, 97 10,1–6 97 10,1 95, 102 10,2–5 100 10,2 f 117 10,2 116 10,6 97, 99, 100 11,1–15 116 11,1–9 270 11,2 117 11,4 117 11,13–15 103, 105 11,18 117 11,23–29 118 11,32 f 114 12,2–4 114 12,20 f 104 12,20 117 13,1 99, 119 13,2 116 13,11–13 89 Galaterbrief 1 115 1,1 406 1,2 113, 119 1,6–9 221 1,6 113, 117 1,10 117

Stellenregister 1,11–24 216 1,18 f 121 1,18 121 1,19 307, 309, 322, 339 1,20 115 2 122, 123 2,1–14 114, 115, 120, 121 2,1–10 120, 121, 122 2,2 122 2,9 122, 309, 340, 389 2,10 123 2,11–14 120 2,12 122 2,16 117 2,17 341 2,19 117 3,2 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 139, 142 3,10 119 3,11 119 3,13 117 3,16 134 3,17 119 3,26–29 125, 141 3,26–28 125, 126 3,26 139, 140, 142 3,27 142 3,28b 11, 125 3,29 132, 134, 135, 136, 139, 142, 289 4,13 113 4,17 117 4,20 113, 119 4,21–31 117 4,23 117 4,29 117 5,6 117 5,11 116, 117 5,19–23 117 5,20 117 6,7 117 6,11 243 6,15 117, 126, 133

Epheserbrief 1,3 f 273 1,3 274 1,4 261, 273 1,7 261 1,9 f 273 1,10 261, 274 1,11 261 1,12 261 1,13 273 1,14 261 1,18 261, 273 1,20 274 1,21 261, 273 1,22 f 261 2,1–22 273 2,1–3 261 2,1 261 2,3 261 2,6 f 261 2,6 274 2,12 261, 273 2,15 132, 133 2,19–22 261 2,20 260 3,2–4 260 3,5 260, 275 3,8 260 3,9 261, 273 3,10 261 3,14 261 3,18 261 3,21 261 4,4 f 273 4,4 261 4,6 261 4,7–10 261 4,11–16 261 4,11 260, 275 4,12 127, 274 4,13–16 274 4,13 133, 261 4,17–20 261 4,30 261, 273

459

460 5,5 273 5,6 261 5,8 261, 274 5,14 261, 274 5,23–25 261 5,27 261, 274 5,29–32 261 6,17 274 6,24 261 Philipperbrief 1,1–3,1 112 1,1 126 1,21–26 118 2,6–11 284 3,2–4,9 112 3,2–21 119 3,2–6 118 3,9 117, 118 4,4–7 112 4,10–23 112 4,10–20 112 4,16 270 Kolosserbrief 1,3 271 1,4 271 1,5–7 262 1,7 272 1,12 f 271 1,13 261, 271 1,15–20 261, 262 1,15 f 261, 270 1,18–20 271 1,18 261 1,21 261 1,22–28 271 1,22 274 1,23 262 1,24–28 261 1,24 f 260 1,24 264, 271 1,25 f 271 1,27 272

Stellenregister 2,1 262, 272 2,2–15 261 2,7 262 2,8 262 2,10 272 2,11 129, 261 2,12 261, 272 2,13 261 2,14–17 272 2,16 f 261 2,20 262 3,1–4 272 3,1–3 261 3,4 f 262 3,4 271 3,5 262 3,6 261, 271 3,7 261 3,10 131, 261, 270 3,11 f 261 3,11 132 3,12 271 3,13 261 3,15 132 3,16 f 273 3,18–4,1 262 3,24–35 271 4,11 271 4,14 f 262 4,14 221 4,15 f 272 4,16 262, 407 4,17 272 4,20 262 4,24 f 261 1. Thessalonicherbrief 1,1–5,28 85, 86 1,1 67, 68 1,2–10 70, 77 1,4 75, 84 1,6 75 1,7 f 70, 75 1,9 f 290

Stellenregister 1,10 76, 81, 84, 85 2,1–3,13 78 2,1–12 73 2,5–12 270 2,12 84 2,13–16 75, 77 2,14 f 121 2,17–20 76 2,18 76 2,19 f 85 2,20 76 3,1–5 76 f 3,1 f 115 3,3 f 264 3,6–13 76 f 3,13 85 4,1–12 78 f, 82 4,7 84 4,13–18 80 f, 83, 85, 268 5,1–11 82, 85 5,8 274 5,9 f 71, 82, 84, 85 5,12–22 67, 72, 73, 83 5,14 268 5,19–22 268 5,23–28 67 5,23 f 69, 72 5,24 84 5,27 407 5,28 69 2. Thessalonicherbrief 1,1 f 243 1,2 275 1,5–10 261 1,5 275 1,7 267 1,10–12 267 1,10 258 2 271 2,1–12 258 2,1–11 261, 267 2,2 f 257 2,2 243, 248, 250, 262, 266

2,3–12 241 2,3 267 2,5 241 2,6 267 2,8 267 2,9 267 2,14 258, 261 2,15 241, 249, 258, 262, 263 2,17 267 3,1–4 257 3,2 257 3,6–12 241 3,6 257, 258, 262, 269, 270 3,7 257, 269 3,9 257, 270 3,10 241, 257 3,11 257, 269 3,12 257 3,14 257, 258, 262 3,17 243, 262, 263 3,18 243 1. Timotheusbrief 1,3–5 276 1,3 f 262 1,4 261, 276 1,8 f 276 1,11–17 260 1,13 261 1,15 261, 276 1,17 261 2,5 261 2,7 276 3,1–7 277 3,1 270, 276 3,2 276 3,3 270 3,14 f 251 3,14 262 3,15 261 4,1 261 4,2–4 261 4,8 f 276 4,8 261

461

462 4,11 276 4,14 277 4,16 276 5,17 276 5,18 276 5,22 276 5,24 276 6,2 276 6,3 276 6,13 261 6,14 f 261, 276 6,20 276 6,21 277 2. Timotheusbrief 1,1 261 1,6 277 1,8 264 1,9 f 261 1,10 261 1,11 276 1,12–14 276 1,12 261, 264 1,13 261 1,18 261 2,2 261, 262, 276 2,3 264 2,8 261 2,9 264 2,10–12 261, 276 2,10 261 2,11 276 2,18 261, 266, 276 2,24 276 3,1 261 3,11 f 264 3,12 264 3,15–16 276 4,1 261, 276 4,5 264 4,6 276 4,8 261, 276 4,14 261 4,18 276

Stellenregister 4,22

277

Titusbrief 1,1–4 262 1,1 261 1,2 276 1,3 260 1,5–9 277 1,9 276 2,1 276 2,11–14 261 2,11–13 261 2,12 f 276 3,3 261 3,4 f 261 3,7 f 276 3,7 261, 276 3,8 261 3,15 277 Philemonbrief 19 243 24 221 Hebräerbrief 1,1 298 1,3 283 1,5 f 298 1,7 298 1,10 298 1,13 283, 298 2,3 f 283 2,6 f 283 2,6 298 2,8 283, 284 2,9 283 2,10 288 2,11 f 288 2,11 298 2,12 298 2,16 f 280 2,16 288 2,17 f 279 2,17 288

Stellenregister 3,1 f 288 3,1 283 3,6 288 3,7–4,13 297, 300 3,7–4,11 286, 288 3,7–11 301 3,7 298, 300 3,12 280, 283, 290, 291 3,13 291 3,14 283 3,15 301 3,16 f 300 3,16 300 3,17 291 4,2 291 4,3 298, 301 4,4 298 4,5 301 4,7 298 4,9 288 4,14 283 5,5 298 5,6 298 5,11 ff 282 5,12 293 6,1 f 291 6,1 280, 290 6,4–6 283 6,9 f 282 6,13 298 6,14 298 7,1–3 286 7,4–10 286 7,11–28 286 7,12 289 7,14 298 7,17 298 7,18 f 289 7,21 298 7,22 295 8,1–5 287 8,1 283 8,2 298 8,5 299

463

8,6 295 8,7–13 287, 296 8,7 295 8,8–12 300, 301 8,8–10 298 8,8 295, 296, 297, 298, 301, 302 8,9 296, 297, 301 8,10 295, 296, 297 8,13 12, 295, 296, 297, 302, 303, 304, 305 8,15 295 8,16 f 295 8,18 295 9–10 287 9,1–11 291 9,9 f 290 9,11 291 9,14 f 291 9,14 280, 288, 290 9,15 292 9,20–22 300 9,20 299 10,5–10 301 10,5 299 10,7 299 10,8 f 299 10,12 283, 284 10,13 284 10,15–18 287 10,15–17 300 10,15 297, 299, 301 10,19 296 10,22 304 10,23 283 10,25 282 10,26–29 283 10,30 298, 299 10,32–39 282, 283 10,37 f 296 11,1 284 11,19 299 11,39 f 288 11,40 292 12,1–14 282

464 12,2 283 12,5 f 298 12,5 299 12,14 298 12,16 f 283 12,18–24 280, 289 12,21 299 12,22–24 304 12,22 280, 290 12,25 283, 299 12,26 299 13,4 299 13,5 299 13,6 298, 299 13,7 283, 293 13,9 f 288 13,20 298 13,23 293 Jakobusbrief 1,1 307 1,2 316 1,5–8 314 1,5 f 310 1,5 313, 314, 315 1,6–8 314 1,12 316 1,18 320 2,1–13 315 2,1–4 315 2,1 307, 309, 310, 320 2,5 315 2,6 315 2,8–11 315 2,8 315 2,14–26 344 2,14–16 322 2,21 320 3,1 f 319, 320 3,2 329 3,3 321 3,9 310, 320 4,2 f 314 4,5 320

Stellenregister 4,10 310 5,4 310 5,7 f 310 5,9–11 310 5,10 f 316 5,10 310 5,11 321 5,12 318 5,13–20 314, 325 5,13–16 310 5,14 310 5,17 321 1. Petrusbrief 1,1–2,10 336 1,1 406 2,6 392 3,15 195 5,12 121 2. Petrusbrief 1,1 406 1. Johannesbrief 1,1 378 2,18–22 266 2,18 375 2,22 375 4,3 266, 375 5,19 375 2. Johannesbrief 7 266, 375 3. Johannesbrief 6 375 9 375 10 375 Judasbrief 1 339, 340 Johannesapokalypse 1,1–8 396, 398, 418

Stellenregister 1,1–3 378, 395, 396, 398, 400, 404, 408, 414 1,1 f 399, 401, 410 1,1 42, 376, 388, 398, 400, 401, 402, 403, 409, 1,2 376, 377, 378, 390, 394 1,3 378, 399, 403, 407, 409, 411, 414 1,4–6 395, 396, 399, 405, 407, 414 1,4 f 409 1,4 375, 376, 388, 390, 1,5 f 403, 409, 420 1,5 409 1,6 409, 410 1,7 f 399, 409, 414 1,7 410 1,8 401, 410, 412 1,9–20 388, 399, 412 1,9 f 396, 398, 412, 418 1,9 376, 377, 388, 402, 411, 412, 414, 420 1,10 413 2,2 267, 375, 416 2,6 376, 416 2,14 f 376 2,14 416, 417 2,16 416 2,20 375, 416 3,14–22 417 3,17 417 4 384 4,2 413 6,17 267

10,8 f 394 10,8 391 11,15 376 17,1–18,8 401 17,3 413 19,9 414 19,10 401 19,13 376 21,5 414 21,8 418 21,9–22,5 401 21,10 413 21,14 378, 388 21,27 418 22,3 f 414 22,6–21 396, 418 22,6–20 414 22,6 401, 413, 414 22,7 403, 414 22,8 376 22,9 414 22,10–16 411 22,10 415 22,11 392, 415 22,12 f 414 22,12 415 22,14 415 22,17 411, 414 22,18 f 414 22,20 411, 414 22,21 395, 396, 405, 407, 414

Frühchristliche Texte Adamantios De recta in Deum fide 1,8 [808d–e] 221 2,12 [828c–829b] 217 Augustin De fide et operibus 21 340

Tractatus in Iohannis Evangelium 6,18 220 Canon Muratori I 48–59 340 I 63–65 246 I 69–71 239, 246 II 16–20 389

465

466 II 26–28 III 6–7 III 9–11

Stellenregister 389 379, 380 379

Chromatius Sermones 21,1 391 Clemens Alexandrinus Paidagogos I 6,34,1 137 Stromateis 6,4,35,2–37,3

46 f

1. Clemensbrief 42,1–5 286 53,1 285 55,1 286 Epiphanius Liber de haeresibus 42,10,2 221 Euseb Historia ecclesiastica 3,4,7 221 3,5,3 176 3,25,1–3 339 3,25,6 249 4,26,14 31 5,1,2 392 5,1,3–63 219 5,1,15 392 5,1,58 392 5,2–4 219 5,8,6 387 6,25,6 228 6,25,11–14 247 f 7,25 377, 381 Hieronymus Epistulae 53,9 228

De viris illustribus 7 221, 228 Hirt des Hermas vis. 2,4,2 f 31 Irenaeus Adversus haereses 1,23,1–4 224 3,1,1 226, 390 3,11,7 60 3,11,8 f 54 3,12,1–11 226 3,12,1 f 226 3,12,5 226 3,14,1–3,15,1 226 3,14,1 f 218 3,14,1 226 3,15,1 227 3,17,2 226 4,34,1 f 226 4,35,2 226 5,30,3 387 Justinus 1 Apologia 26,5 218 58 218 Dialogus cum Tryphone Judaeo 35,5 f 218 Lactantius Divinae institutiones 1,6,13 51 Origenes Contra Celsum 6,36 56 De oratione 18,3 56

Stellenregister Tertullianus Adversus Marcionem 4,2,3 221 4,3,5 221 5,2,7 216, 226

37,1 215 38,6–10 216 42,8 216 44,13 215 Pseudo-Tertullianus Adversus omnes haereses 6,1 216 f

De baptismo 17,4 f 246 De praescriptione haereticorum 15 215 17,1 215 20,7 215 21 215 22 f 215 22,9–11 226 23,3 216 23,5 216 30,12 216 37 215

Carmen adversus Marcionem 2,28 f 221 Nag Hammadi NHC I,3 60 NHC I,2 324 NHC V,3 324 NHC V,4 324 NHC VIII,2 219 NHC XII,2 60

Griechische und Lateinische Texte Caesar De bello gallico 6,14 34

Diodorus Siculus Bibliotheca historica 16,8,6 205

Cicero Epistulae ad Atticum 11,16,1 248

Diogenes Laertius Vitae Philosophorum 3,61 f 40 5,92 f 245 6,29 f 241 6,33 240 6,74 241 6,87 241 7,180 41 10,3 248, 249

Epistulae ad Familiares 3,11,5 248 Cassius Dio Historiae Romanae 62,5 45 Dion Chrysostomos Orationes 21,12 48

Epistulae Cynicorum Cratetis Thebani epistulae (Krat) 1 242 2 245 8 241

467

468 16 19 21 28 29 30 32 33 34

Stellenregister Iamblichus De Mysteriis 8,1 53

254 254 242 254 254 242 242 254 240, 254

Lysias Orationes 2 35

Dioginis Sinopensis epistulae 2,29 254 2,31 254 3 251 7 242 9 241 10 243 16 241 20 240 22 242 26 242 27 254 28–40 254 31,36 241 33,1 242 34,2 243 40,5 242 45 242 46 254 48 242 Herodot Historiae 3,25,1 200 Homer Odyssea 13,434–437 Horatius Epistulae 2,1,20–27

Velleius Paterculus Historia Romana 1,16 36 Pausanias Graeciae Descriptio 5,27,6 44 6,18,5 248 Plinius Naturalis Historia 2,67,169 201 2,67,170 201 30,4 34 30,8–18 37 30,16 f 45 Plotin Enneades 9,1,8,10–13

39

Plutarch De facie in orbe lunae 26,942C 48 De Iside et Osiride 29,362B 48 52,372B 48 61,375F 48

242

48

Porphyrius Vita Plotini 16 37 24 40

Stellenregister Sallust De diis et mundo 4,4 181

Tacitus Annales 15,24 45

Suetonius Claudius 25,4 210

Papyri Papyrus Berolensis 21 243 49 Papyrus Graeca Vindobonensis 29 459 recto 49 29 828 recto 49

Papyrus Oxyrhynchus (P.Oxy) VII 1070 11, 92 f, 94 f, 97, 100

469